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Archiv
für
Mikroskopische Anatomie
Entwicklungsgeschichte
herausgegeben
von
O. Hertwig und W. Waldeyer
in Berlin.
Fortsetzung von Max Schultze’s Archiv für mikroskopische Anatomie
Sechsundsiebzigster Band
Mit 31 Tafeln und 149 Textfiguren
Bonn
Verlag von Friedrich Cohen
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Inhalt.
A.von la Valette St. George f.
Erstes Heft
Ausgegeben am 22. August 1910.
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. II. Die embryonale Histo-
genese des Knochenmarks der Säugetiere. Von Dr. Alexander
Maximow, Professor der Histologie und Embryologie an der
Kaiserlichen Medizinischen Militär - Akademie zu St. Petersburg.
Hierzu Tafel I—IV 3 R.
Über den Aufbau der lensenkente de snunslhnre en
Dr. Hubert Erhard. (Aus dem Zoologischen Institut München.)
Hierzu Tafel V und eine Textfigur
Eine neue Methode zur Darstellung des Glmeewehes er Briten
zur Kenntnis des Baues und der Anordnung der Neuroglia des
Hundehirns. Von Halvar von Fieandt. (Aus dem patho-
logisch-anatomischen Institut der Universität Helsingfors, Finland.
Direktor: Prof. Dr. E.A.Hom&n.) Hierzu Tafel VI-IX.
Weitere Beiträge zur Lehre von der Kontinuität des Nervensystemes.
Von B. Haller. Hierzu Tafel X und XI und 7 Textfiguren .
Zweites Heft
Ausgegeben am 22. November 1910.
Zur Entwicklung des Bindegewebsknochens. Von Adele Hartmann.
(Aus dem histologisch-embryologischen Institut der Universität
München.) Hierzu Tafel XII und XIII und 4 Textfiguren .
Zur Kenntnis der Panethschen Körnchenzellen bei den Säugetieren.
Von Dr. Alfred Trautmann. (Aus dem physiologischen und
histologischen Institut der Kgl. Tierärztlichen Hochschule zu
Dresden. Direktor: Geheimer Rat Prof. Dr. Ellenberger.)
Hierzu Tafel XIV . 4
Die Mantelgebiete des Grosshirns von a nalen Austeirend Bi zum
Menschen. Von B. Haller. Hierzu Tafel XV
Über die Entwieklung der Langerhansschen Inseln bei share
Embryonen. Von Dr. Theodor Mironescu, Privat-Dozent und
Sektionschef am Institut für Pathologie u. Bakteriologie in Bukarest.
(Aus dem Institut für Pathologie und Bakteriologie in Bukarest)
Über die Beziehung der sog. „Zellen der Schwannschen Scheide“ zum
Myelin in den Nervenfasern von Säugetieren. Von Anton
Nemiloff, Assistent am anat.-hist. Laboratorium der Universität
St. Petersburg. (Aus dem anat.-hist. Laboratorium der Universität
St. Petersburg.) Hierzu Tafel XVI und eine Textfigur
Über den Bau des Flimmerapparates. Von A.Koladev. (Aus den
anat -hist. Laboratorium der Universität St. Petersburg.) Hierzu
Tafel XVII und 2 Textfiguren Es Se
Zur vergleichenden Anatomie des Mandela und seiner Nachbar-
sebilde, II. Von Dr. Max Völsch, Nervenarzt in Magdeburg.
Hierzu 28 Textfiguren
Seite
114
IX)
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329
349
375
Drittes Heft
Ausgegeben am 20. Januar 1911.
Über eine zweite Zellart in den Brunnerschen Drüsen des Menschen.
Von Professor Dr. Albert Oppel in Halle a.S. (Aus dem
Anatomischen Institut der Universität Halle a. S.) Hierzu
Tafel XVII
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile bei der Eireifung, Furchung
und ersten Organbildung der Echinodermen. Von Julius
Schaxel. Hierzu Tafel XIX—XXII und 8 Textfiguren .
Uber den Bau der capillaren Milzvenen (Milzsinus). Eine kritische
Studie und eigene Beobachtungen. Von S. Mollier, München.
Hierzu Tafel XXIV und 42 Textfiguren .
Kopf und bucconasale Bildungen eines menschlichen Embryo von 14,7 mm
Scheitelsteisslänge. Studien und plastische Rekonstruktionen.
Von J.L. Paulet, Chirurgien-dentiste diplom&e de la Confede-
ration suisse, Licenci& en Chirurgie dentaire de Gene@ve, Dentiste
diplome de l’Ecole dentaire de Paris. (Aus dem Institut für
Histologie, Embryologie und Stomatologie der Universität Genf.)
Hierzu Tafel XXV und XXVI
Viertes Heft
Ausgegeben am 15. Februar 1911.
Über die Beteiligung der Plastochondrien an der Befruchtung des Eies
von Ascaris megalocephala. Von Friedrich Meves in Kiel.
Hierzu Tafel XXVII—XXIX ee a
Neue Methoden zur Darstellung des Verlaufs der Blutgefässe bei
Amphibienlarven und Hühnerkeimscheiben. Von Dr. Franz
Rost, Assistent. Hierzu Tafel XXX und XXXI
Die Spindelzellen des Amphibienblutes (Hayems Hämatoblasten). Von
Protessor’E. Neumann, Kömesbere "rn ee :
Das Ganglion ciliare der Vögel. Von M. von Lenhossek, Budapest.
Mit 26 Textfiguren
Kompressionsversuche am befruchteten Ei der Ascaris megalocephala.
Von Dr. S.S. Girgolaff zu St. Petersburg. (Aus dem anat.-biol.
Institut zu Berlin. Geheimrat Professor Dr. OÖ. Hertwig.) Mit
30 Textfiguren
Seite
608
698
683
796
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe.
Ill. Die embryonale Histogenese des Knochenmarks der
Säugetiere.
Von
Dr. Alexander Maximow, Professor der Histologie und Embryologie an der
Kaiserlichen Medizinischen Militär-Akademie zu St. Petersburg.
Hierzu Tafel I—-IV.
1. Einleitung.
In der grossen Literatur über die embryonale Blutbildung
bei den Säugetieren vermissen wir merkwürdigerweise eingehende
Arbeiten gerade über die Histogenese des wichtigsten blutbilden-
den Organs, des Knochenmarkes Wenn die Autoren sich für
die Blutbildung beim Embryo interessierten, so war es fast immer
die Leber, die ihre Aufmerksamkeit in erster Linie auf sich lenkte.
Die sehr spärlichen, das embryonale Knochenmark betreffenden
Untersuchungen hatten entweder hauptsächlich die Erforschung
des Stützgewebes und der faserigen Grundsubstanz des Markes zum
Hauptzweck, wobei die Frage der Blutzellenbildung nur sehr ober-
flächlich gestreift wurde (Leser [27], Schaffer [44], Hansen [17],
Spuler[48], Retterer [43], Hammar[16], Jackson [22]u.a.),
oder sie wurden von Spezialhämatologen, Klinikern und Pathologen
meist an zufälligem und sehr späten Stadien angehörendem Material
ausgeführt, wobei wieder vornehmlich die Methode der Deck-
glastrockenpräparate angewendet wurde, die über die zytologischen
Besonderheiten der verschiedenen Zellformen und über ihre Zahlen-
verhältnisse in manchen Fällen gewiss sehr wertvolle Aufschlüsse
geben kann, in der Frage ihrer Histogenese aber und ihrer
Beziehungen zueinander und zu den anderen Geweben völlig im
Stiche lässt (Hirschfeld [20], Pappenheim |37, 38], Horwitz
[21], Browning [4], Nägeli [35], Jolly [23], Schridde [46],
HeErscher-jls]).
Was wir bis jetzt über die embryonale Histogenese des
Knochenmarks der Säugetiere positiv wissen, lässt sich infolge-
dessen in ein paar Worten zusammenfassen.
Archiv f. mikr- Anat. Bd. 76. 1
2) Alexander Maximow:
In den primären Ossifikationspunkten dringt vom Perichon-
drium her embryonales gefässreiches Bindegewebe mit spindligen
und sternförmigen, miteinander synzytienartig verbundenen Zellen
(Jackson |22]) in den verkalkten Knorpel ein und resorbiert ihn,
wodurch die Markhöhle entsteht. Zugleich wird an der Peri-
pherie eine periostale Knochenlamelle erzeugt. In dem gefäss-
reichen embryonalen Bindegewebe, welches die Markhöhle erfüllt,
findet man zuerst noch keine Blutbildung, es ist dies das sogenannte
„primäre“ Knochenmark von Hammar (16). Seine Zellen liefern
einerseits die Osteoblasten, die an der Oberfläche der übrig-
gebliebenen verkalkten Knorpelbalken die junge Knochensubstanz
ablagern, andererseits entstehen aus ihnen auch die sogenannten
Osteoklasten, mehrkernige Riesenzellen, deren Aufgabe es ist, die
Knorpelreste und die neugebildete Knochensubstanz selbst zu
resorbieren und zu beseitigen. Die Osteoklasten sollen nach
Jackson (l. c.) aus Retikulumzellen durch Mitose ohne Teilung
des Protoplasmas entstehen und stellen gewissermaßen „Ver-
dichtungen des gemeinsamen Synzytiums“ vor, die sich später
wieder in Retikulumzellen zurückverwandeln. Was die Knorpel-
zellen betrifft, so sollen sie nach Hansen (17), Retterer (43)
und Spuler (48) erhalten bleiben und sich in das Retikulum des
Markes einfügen. Nach Schaffer (44), Leser (27), Jackson (22)
u.a. gehen sie hingegen alle zugrunde. Diese Vorstellung ist
jetzt auch zu, der alleinherrschenden geworden. Das bindegewebige
Retikulum des primären Knochenmarkes erzeugt mit der Zeit
faserige Zwischensubstanz (Jackson) und ein Teil seiner Zellen
verwandelt sich in Fettzellen.
Wie die ersten Blutzellen im Knochenmark entstehen, ob
die Blutbildung intra- oder extravaskulär beginnt, bleibt völlig
dunkel; die in dieser Beziehung in den Lehrbüchern von Helly (19)
und Nägeli (36) gemachten Angaben erweisen sich, wie wir
später sehen werden, als gänzlich unzutreffend. Im voraus lassen
sich hier zwei Möglichkeiten denken — entweder stammen die
ersten Blutzellen direkt aus den autochthonen fixen Bindegewebs-
zellen des primären Markes, oder sie werden in das letztere mit
dem Blute eingeschwemmt. v. d. Stricht (50) und Hammar (16)
haben diese letzte Möglichkeit in Erwägung gezogen, ohne sie
jedoch positiv zu behaupten. Diekson (9) nimmt sie in seinem
neuesten Werk über das Knochenmark ohne jeden triftigen Grund
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 2
als feststehend an. Die meisten Autoren lassen aber die Frage
ganz offen.
Über die weitere Entwicklung der bereits vorhandenen ver-
schiedenen Blutzellen im embryonalen Knochenmark liegen zahl-
reichere Angaben vor, die von den oben an zweiter Stelle genannten
Autoren stammen. Je nach ihren allgemeinen hämatologischen
Anschauungen, die ja bekanntlich stark auseinandergehen, kommen
diese Autoren aber zu ganz verschiedenen Ergebnissen, die sich
zum Teil in die Rahmen der polyphyletischen, zum Teil in die
Rahmen der monophyletischen Theorie einfügen lassen.
Horwitz (21), Nägeli (35), Schridde (47), H. Fischer (15)
finden auch im Knochenmark, wie in den anderen blutbildenden
Organen, eine selbständige Entstehung verschiedener, gleich von
Anfang an scharf geschiedener Zelltypen, der Myeloblasten,
Erythroblasten und Megakaryozyten, aus einer indifferenten fixen
Bindegewebszelle, speziell der Gefässwandzelle. Dieser Vorgang
ist allerdings noch von keinem von ihnen wirklich beschrieben
und abgebildet worden. Im folgenden sollen alle diese Zell-
stämme nur durch eigene Wucherung regenerationsfähig bleiben.
Die Vertreter der monophyletischen Theorie nehmen hingegen
die Existenz einer weiter fortbestehenden, freien, indifferenten,
gemeinsamen Stammzelle für die verschiedenen Blutelemente an
(Dominiei[l1l, 12, 13], Pappenheim [37—42]u.a.). Besonders
gründlich hat Pappenheim, der ja bekanntlich auch in der
Hauptsache auf monophyletischem Standpunkte steht, die Be-
ziehungen der verschiedenen Blutzellen zueinander im embryonalen
Marke erörtert (35). Er fand, dass es von Anfang an fast aus-
schliesslich aus Iymphoiden Elementen besteht, die sich später in
verschiedenen Richtungen difierenzieren und Granulozyten und
Erythrozyten liefern. Auch Jolly (23, 25) scheint sich dieser
Vorstellung anzuschliessen, obwohl er sich darüber nicht be-
stimmt äussert.
In meiner weiteren Schilderung werde ich noch häufig Ge-
legenheit haben, der Befunde der verschiedenen bereits genannten
und auch anderer Autoren Erwähnung zu tun. In extenso brauche
ich an dieser Stelle die verschiedenen Richtungen in der morpho-
logischen Hämatologie gewiss nicht zu referieren, da dies schon
an vielen anderen Stellen von mir selbst (31, 32) und von anderen
getan worden ist. Ich will bloss noch der vor kurzem er-
- 1%
4 Alexander Maximow:
schienenen neuen Arbeit von Dantschakoff (8) Erwähnung
tun, die die embryonale Histogenese des Knochenmarks beim
Hühnchen eingehend behandelt und mit Hilfe derselben modernen,
durchaus zweckmässigen Untersuchungsmethoden ausgeführt worden
ist, die ich selbst für Blutuntersuchungen gebrauche. Dantschakoff
kommt in ihrer Arbeit zu Resultaten, die in allen wesentlichen
Punkten meine eigenen an Säugetieren gewonnenen und bereits
im Jahre 1907 in einer kurzen vorläufigen Mitteilung (37)
referierten Befunde bestätigen.
Wir sehen, dass das eingehende systematische Studium der
embryonalen Entwicklung des Knochenmarks bei den Säugern
eine sehr reiche Ausbeute verspricht. Vor allem ist die Ent-
wicklung des Knochenmarks als Gewebe mit allen seinen so über-
aus mannigfaltigen und im fertigen Zustande schon genügend
bekannten Bestandteilen zu erforschen. Woher stammt das
Stützgewebe des Markes, nehmen an seiner Bildung die Knorpel-
zellen Teil oder nicht? Woher stammen und wie entstehen die
Osteoblasten und Osteoklasten? Woher stammen die ersten
Blutzellen, werden sie vom Blute eingeschwemmt, oder entstehen
sie aus den lokalen Bindegewebszellen u. s. w.?
Ausserdem bietet die genannte Untersuchung aber auch in
speziell-hämatologischer Beziehung grosses Interesse, weil sich
dabei sicherlich sehr wertvolle weitere Resultate über die ver-
wandtschaftlichen Beziehungen der verschiedenen Blutzellenformen
zueinander gewinnen lassen müssen. Für diese letzteren Fragen
ist gerade das Knochenmark ein besonders wertvolles Objekt,
weil hier nachgewiesenermaßen (Pappenheim) alle im Blute
überhaupt vorkommenden Zellformen, sowohl die Iymphoiden, als
auch die myeloiden, entstehen können. Es treten folgende
wichtigere speziell-hämatologische Fragen in den Vordergrund.
Gesetzt, die ersten Blutzellen werden nicht mit dem Blute ein-
geschwemmt, sondern sie entstehen in loco — existiert aber
dabei eine gemeinsame Stammzelle für alle Blutelemente, oder
die Jugendformen der letzteren entstehen, wie es die poly-
phyletische Theorie verlangt (Schridde, Nägeli usw.), direkt
aus fixen indifferenten Mesenchymzellen resp. Gefässwandzellen,
um später einander als völlig selbständige, genetisch unabhängige
Zellstämme gegenüberzustehen? Ferner fragt es sich — wenn
die ersten Blutzellen, wie sie auch beschaffen sein mögen, wirk-
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. >
lich in loco aus fixen Mesenchym- oder Endothelzellen entstehen,
kann derselbe Prozess auch weiterhin in dieser Weise fortdauern,
oder er beschränkt sich nur auf die allerfrühesten Entwicklungs-
stadien und die fixen Stromazellen des Markes verlieren später-
hin die Fähigkeit, Blutzellen zu produzieren ?
Es ist klar, dass man die embryonale Histogenese des
Knochenmarks unmöglich erfolgreich studieren kann, ohne die
viel früheren Entwicklungsprozesse des Blutes und Bindegewebes
in den anderen Teilen des Embryos genau zu kennen. Es ist
wohl sicher, dass die falschen Resultate, zu denen viele von den
früheren Forschern in bezug auf das Knochenmark gekommen
waren, in der Hauptsache gerade von diesem Umstande abhingen,
von der ungenügenden Kenntnis der frühesten Stadien der Blut-
und Bindegewebshistogenese überhaupt.
Bei meinen Untersuchungen habe ich mit den frühesten
Entwicklungsprozessen angefangen. Die ersten Stadien der Ent-
wicklung des Blutes und Bindegewebes in der area vasculosa,
im Mesenchym des Körpers und in der Leber bei Säugetier-
embryonen habe ich bereits ausführlich beschrieben (32) und bin
dabei zum Hauptresultat gekommen, dass es eine gemeinsame
Stammzelle für alle Blutelemente tatsächlich gibt, die indifferente,
wandernde, äusserst polymorphe Mesenchymzelle, mit sehr grosser
und sehr mannigfaltiger progressiver Entwicklungspotenz, die
bald als grosser, bald als kleiner Lymphozyt, bald als Wander-
zelle von „histogenem“ Typus auftritt, aber überall gleichwertig
ist und nur je nach den äusseren Existenzbedingungen sich in
der oder jener Richtung progressiv entwickelt und die einen oder
die anderen reifen Blutelemente erzeugt.
In der vorliegenden Arbeit gebe ich die Resultate meiner
unter denselben allgemeinen Gesichtspunkten ausgeführten Unter-
suchungen über die embryonale Histogenese des Knochenmarks
wieder. Diese Resultate sind bereits im Jahre 1907 in einer
vorläufigen Mitteilung in ein paar Worten kurz mitgeteilt und,
wie gesagt, neulich von Dantschakoff (8) für die Vögel be-
stätigt worden. Wie es aus meiner ganzen weiteren Beschreibung
erhellt, habe ich im Knochenmark Befunde erhoben, wie sie auf
Grund meiner früheren Erfahrungen auch zu erwarten waren
und die mit den letzteren in allen Punkten harmonieren. Auch
6 Alexander Maximow:
im Knochenmark tritt die monophyletische Lehre von der ge-
meinsamen indifferenten mobilen Stammzelle der Blutelemente
siegreich hervor.
2. Material und Methoden.
Mein Untersuchungsmaterial bestand aus fortlaufenden - ununter-
brochenen Embryonenreihen von Kaninchen, Katze, Meerschweinchen und
Ratte, von dem ersten Auftreten des Knorpels in den Extremitäten bis zu
den ersten Stadien des extrauterinen Lebens. Es wurden auch einige mehr
zufällig in die Hände gelangte Embryonen vom Hund und von der Maus
untersucht.
Ich studierte die Entwicklung des Knochenmarks hauptsächlich in den:
langen Extremitätenknochen, in Femur, Humerus, Tibia, Ulna und Radius.
Alle diese Knochen geben natürlich ganz identische Resultate, auch beginnt
die Entwicklung des Markes in ihnen fast gleichzeitig. Die ganze folgende
Beschreibung bezieht sich also auf diese langen Extremitätenknochen.
Ausserdem wurde aber die Markbildung auch in den Schädelknochen studiert;
es ergaben sich dabei, wie ich hier sofort bemerken möchte, ganz ähnliche
Resultate, sodass ich im folgenden über die Schädelknochen nicht mehr
besonders zu sprechen brauche.
Die histologischen Methoden waren die gewöhnlichen, von.mir schon
früher (32) gebrauchten. Die Extremitäten wurden behutsam abgeschnitten,
ohne die Knochen zu lädieren und zu drücken, die Haut, bei älteren Embryonen
stets auch die Hauptmasse der Muskeln und der anderen Weichteile, wurde
rasch abpräpariert und die entblössten Knochen dann einzeln fixiert. Bei
sehr grossen Embryonen oder bei neugeborenen Tieren ist es ratsam, den
Knochen, etwa mit einer feinen Laubsäge, in mehrere Querstücke zu zerteilen
oder wenigstens die knorpeligen Epiphysen abzuschneiden. Von den Schädel-
knochen wurden einfach kleine Stückchen aus den Weichteilen heraus-
geschnitten und fixiert.
Zur Fixierung gebrauchte ich das Zenker-Formol (ZF), worin die
Stücke gewöhnlich vier bis fünf Stunden liegen blieben. Es geschah alles
nach den von mir an anderer Stelle (34a) genau angegebenen Vorschriften.
Nach gut durchgeführter Zelloidineinbettung gelingt es stets tadellose
9—7 a dicke Schnitte herzustellen, selbst von solchen undekalzinierten
Knochen, die schon ziemlich viel spongiöse Knochensubstanz aufweisen. In
etwas älteren Stadien ist es aber notwendig, Dekalzination vorzunehmen ;
zu diesem Zwecke kommen die Zelloidinblöcke für sechs bis zehn Stunden
in eine 3° wässerige Lösung von Salpetersäure, dann für 24 Stunden in
eine 5°/o Alaunlösung, dann für weitere 24 Stunden in fliessendes Wasser.
Nachher werden sie in 65° Alkohol aufbewahrt und darin geschnitten. Die
Dekalzination in der angegebenen Form leistet ausgezeichnete Dienste, die
feinsten zytologischen Strukturdetails, z. B. Zellgranula, Hämoglobin usw.
bleiben dabei fast unverändert erhalten und die Färbungen gelingen eben-
falls tadellos.
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 1
Gefärbt wurden die stets in Serien geschnittenen und auf Objekt-
trägern angeklebten Schnitte mit Eosin-Azur (E Az).
Zum sicheren Auffinden der Mastzellen wurden von einem jeden Fall
einige Knochen auch in absolutem Alkohol fixiert. Nach Zelloidineinbettung
wurden von ihnen ohne Dekalzination, auch in den spätesten Stadien, so gut
es eben ging, Schnitte hergestellt, die in den Fällen letzterer Art natürlich
ziemlich dick ausfielen und mit alxoholischer Thioninlösung gefärbt.
Vom Mark neugeborener Tiere und grösserer Embryonen fertigte ich
stets auch feucht mit ZF fixierte Abklatschpräparate auf Deckgläschen an
und färbte sie mit Eosin-Azur.
3. Die frühesten Entwicklungsstadien des Knochen-
marks bis zum Anfang der eigentlichen Blutbildung
und bis zum Auftreten der ersten myeloiden Zell-
formen. Primäres oder lymphoides Knochenmark.
Die folgende Beschreibung der betreffenden Stadien, wie
die ganze übrige Beschreibung der späteren Entwicklungsprozesse,
bezieht sich auf die langen Knochen der oberen und unteren
Extremität. In den verschiedenen Knochen fängt die Ossifikation
und die Markbildung zu etwas verschiedener Zeit an, die Grösse
der Markhöhle ist in ihnen in einem bestimmten gegebenen
Moment etwas verschieden usw. Der histogenetische Prozess selbst
verläuft aber in allen langen Fxtremitätenknochen einer bestimmten
Tierart in genau derselben Weise, sodass sich meine Beschreibung
ohne Unterschied auf Humerus, Femur usw. beziehen wird. Die
Histogenese des Knochenmarks verläuft auch bei allen untersuchten
Säugetierarten im allgemeinen in ganz gleicher Weise. Es wäre
also irrationell, jeder Tierart ein besonderes Kapitel zu widmen.
Die betreffenden Unterschiede sind rein nebensächlicher Natur
und ich werde sie an den nötigen Stellen stets hervorheben.
I. Das Knorpelmodell des künftigen Knochens. das
Perichondrium und die Bildung des periostalen
Knochens.
Die Beschaffenheit des Knorpels, aus welchem das Modell
des künftigen langen Knochens besteht, setze ich als allgemein
bekannt voraus. In der Mitte der Diaphyse entsteht zu einer
für jeden Knochen streng bestimmten Zeit der bekannte Herd
von blasig aufgetriebenen Knorpelkapseln, die von einander durch
8 Alexander Maximow:
dünne verkalkte Schichten der Knorpelgrundsubstanz abgegrenzt
sind und blasse, ödematöse Knorpelzellen mit ganz hellen, blasen-
förmigen Kernen und vakuolärem, netzigem Protoplasma enthalten.
Solche Zellen mit offenkundigen regressiven Veränderungen nehmen
indessen nur die tieferen Partien des Knorpels ein, denn an der
Oberfläche sehen die Knorpelzellen auch in der Mitte der Diaphyse
meist noch lebenskräftig aus — sie sind von normaler Grösse,
enthalten nur wenige Vakuolen, ihr Kern besitzt genügend
Chromatin und nicht selten findet man in ihnen sogar Mitosen.
Das ganze Knorpelmodell ist vom Perichondrium umgeben.
Dies Gewebe hat für uns die grösste Bedeutung, denn in ihm
werden wir die Quelle aller Bestandteile des Knochenmarks
kennen lernen. Dieselbe Bedeutung kommt dem Perichondrium
nach den Untersuchungen von Dantschakoff (8) auch bei den
Vögeln zu.
Das Perichondrium, d.h. seine innerste, dem Knorpel un-
mittelbar anliegende Schicht, hat eine sehr einfache Struktur;
sie besteht aus äusserst dicht aneinander geschmiegten Zellen,
mit der Längsachse des Knorpelmodells parallel orientierten,
lang ausgezogenen Kernen und ganz unscharf abgegrenzten Zell-
leibern. Die Kerne scheinen dicht beisammen in einer gemein-
samen Protoplasmamasse zu liegen. Sie enthalten (ausser bei
der Ratte) keine deutlichen Nukleolen, dafür aber zahlreiche,
ziemlich grobe Chromatinkörnchen und sind sehr oft im Zustande
der Teilung anzutreffen. Diese innerste Keimschicht des Peri-
chondriums geht nach aussen allmählich in das gewöhnliche
lockere Bindegewebe über. Sie enthält zuerst nur spärliche dünne
Kapillargefässe ; später, wenn die enchondrale Ossifikation beginnt,
erscheint sie von breiten Gefässen durchzogen, die in die Mark-
höhle ein- und austreten.
Nach Ausbildung der periostalen Knochenmanschette muss
diese Bindegewebsschicht natürlich Periost genannt werden. Sie
bewahrt aber auch dann im wesentlichen dieselbe Struktur, nur
treten mit der Zeit zwischen den länglichen dichtgedrängten
Kernen immer zahlreichere Fasern auf.
Es muss notiert werden, dass es schon in frühen Stadien,
wo die periostale Knochenschale eben erst zu entstehen beginnt,
möglich ist, in dem Perichondrium einzelne dunklere Kern-
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. I
‚exemplare von mehr unregelmässiger gebogener Form zu unter-
scheiden, in deren Umgebung auch ein deutlicher, obzwar
schmaler Protoplasmahof sich zu differenzieren beginnt. Es sind
Elemente vom Charakter der Wanderzellen, wie wir sie weiter
unten bei der Einwucherung des embryonalen Markes in den
Knorpel in grossen Mengen werden entstehen sehen.
Der Prozess der Verknöcherung wird in den langen Knochen
bekanntlich dadurch eingeleitet, dass auf Kosten des Perichondriums,
oder jetzt schon vielmehr des Periosteums, in der Mitte der
Diaphyse an der Oberfläche des Knorpels eine zuerst kurze,
später sich immer mehr und mehr nach den beiden Epiphysen
zu verlängernde Knochenmanschette entsteht. Durch die Öffnungen
in dieser dünnen Knochenlamelle dringt dann in den Knorpel
sofort aus dem Periost Bindegewebe mit Gefässen ein, resorbiert
den Knorpel und schafft auf diese Weise die Anlage der
Knochenmarkhöhle.
Die zum Studium dieses Prozesses passenden Stadien findet
man in Femur, Tibia und Humerus bei Kaninchenembryonen
von ungefähr 26—32 mm Körperlänge (17—18 Tage), in den-
selben Knochen bei Meerschweinchenembryonen von 25—25 mm.
bei Rattenembryonen von 19 mm, bei Katzenembryonen von
etwa 35 mm.
Auf einem Längsschnitt durch die Knorpelanlage des Knochens
sieht man in diesen Stadien die Mitte der Diaphyse von beiden
Seiten von jungem, eben entstandenem, periostalem Knochen um-
säumt. Es ist eine dünne, mehrfach unterbrochene Lamelle, die
an EAz-Präparaten einen schmutzig-rosafarbenen Ton erhält,
nahezu homogen erscheint und noch sehr spärliche Knochenzellen
enthält. Von aussen liegen dieser Knochenlamelle schön aus-
gebildete, grosse ÖOsteoblasten an. Sie sind aus den oben
beschriebenen, dichtgedrängten Zellen der Keimschicht des Peri-
chondriums entstanden, man sieht auch jetzt von aussen nach
innen alle Übergänge von den letzteren zu den ersteren. In den
Osteoblasten selbst sind Mitosen sehr selten, hingegen findet man
sie in den Zellen des Perichondriums, welches jetzt schon den
Namen Periost verdient, in grosser Menge. Bei Verwandlung in
Osteoblasten schwillt der Kern, wird kugelig, erhält meistens
einen grossen Nukleolus in der Mitte, während das Protoplasma
10 Alexander Maximow:
an Umfang auch gewinnt, scharfe Umrisse bekommt, stark
basophil wird und neben dem Kern einen hellen Hof, die Sphäre
aufweist. Diese Osteoblasten erzeugen die Knochensubstanz. Sie
scheinen sie unmittelbar an der Oberfläche ihres Protoplasmas
auszuscheiden. Die von Disse (10) beschriebene Verwandlung
des Protoplasmas der Osteoblasten selbst in die junge Knochen-
grundsubstanz habe ich an meinen Präparaten, auch in den
späteren Stadien, nicht beobachten können. Das dunkle, basophile
Protoplasma der Osteoblasten (Fig. 20bl) liegt an E Az-Präparaten
der rosafarbenen Knochensubstanz immer unmittelbar an (Kn),
ein peripherer, heller Protoplasmaabschnitt, wie ihn Disse be-
schreibt, ist nicht vorhanden.
An vielen Stellen erscheint die Knochenlamelle, wie gesagt,
durchbrochen. An den betreffenden Stellen sind keine aus-
gebildeten Osteoblasten vorhanden, sondern man sieht hier dem
Knorpel gewöhnliche, spindelige oder ästige Mesenchymzellen
dicht anliegen. die sich von den Osteoblasten übrigens auch nicht
scharf trennen lassen, da alle möglichen Übergänge von ihnen
sowohl zu den Osteoblasten, als auch zu den dichtgedrängten
Zellen der innersten Periostschicht vorhanden sind.
Mit dem weiteren Wachstum des periostalen Knochens sieht
man die zuerst entstandene Knochenlamelle nicht weiter an Dicke
zunehmen: sie bleibt dünn, und die zunehmende Dicke der
periostalen Knochenschale hängt davon ab, dass in einem gewissen
Abstand von der ersten, dem Knorpel unmittelbar anliegenden
Lamelle eine neue, zweite, mehr nach aussen gelegene und dann
weiter noch andere Lamellen entstehen; zwischen den letzteren
bleibt Bindegewebe liegen, welches sich unmittelbar von der
oben beschriebenen Keimschicht des Perichondriums resp. Periosts
ableitet, aber ein schon viel lockereres Gefüge besitzt und aus mit-
einander anastomosierenden, stern- oder spindelförmigen. embryo-
nalen Bindegewebszellen mit saftigem Kern und leicht basophilem
Protoplasma besteht.
Auf diese Weise entsteht der periostale spongiöse Knochen,
dessen Markräume von gewöhnlichem, ziemlich lockerem, embryo-
nalem Bindegewebe erfüllt erscheinen. An der Oberfläche der
Knochenbälkehen verwandeln sich die Bindegewebszellen überall
in eine dichte Schicht von epitheloiden, basophilen Osteoblasten.
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 11
I. Einwucherung des primären, subperiostalen
Knochenmarks in den Knorpel und Resorption des
letzteren.
Gleich nach dem Auftreten der ersten dünnen Lamelle
des periostalen Knochens beginnt das Einwuchern von Binde-
gewebe in den verkalkten Knorpel und die Resorption des
letzteren. Während dies nach Dantschakoff (8) beim Hühnchen
an verschiedenen Stellen zugleich geschehen kann und das Knorpel-
modell infolgedessen mehrere Gruben an seiner Oberfläche auf-
weist, entsteht bei allen Säugetieren immer nur eine zirkuläre,
zuerst sehr flache Furche genau in der Mitte der Diaphyse, die sich
dann verbreitert und in die Tiefe des Knorpels einfrisst, bis in
der Mitte der Diaphyse innerhalb der periostalen Manschette
die primitive Markhöhle entsteht; sie reicht nach seitwärts bis
an die Innenfläche des periostalen Knochens, nach den Epiphysen zu
ist sie in der ersten Zeit meistens sehr unregelmässig begrenzt, wie
ausgenagt; sowohl an der Innenfläche der periostalen Knochenschale,
als auch frei in dem Markraum können noch während ziemlich
langer Zeit grössere, relativ intakte Knorpelinseln liegen bleiben,
die im ersten Fall buckelförmig in die Markhöhle hineinragen.
Später, mit dem Fortschreiten nach der einen und der anderen
Epiphyse erhalten die Grenzen des wachsenden Markraumes
allmählich den Charakter von regelmässigen Querflächen, so dass
die Markhöhle die bekannte Form eines in der Mitte verjüngten
Zylinders erhält.
Das Gewebe, welches in den Knorpel eindringt und ihn
resorbiert, ist gefässreiches embryonales Bindegewebe, welches in
allen seinen Teilen aus der oben beschriebenen innersten Keim-
schicht des Periosts stammt. In den Lücken, die zwischen den
zuerst entstandenen, dem Knorpel anliegenden periostalen Knochen-
bälkchen übrig bleiben, sieht man, wie die oben erwähnten, locker-
gefügten, miteinander anastomosierenden Bindegewebszellen die
verkalkte Knorpelsubstanz resorbieren, die Knorpelkapseln öffnen
und die Stelle der Knorpelzellen einnehmen. Sie werden überall
von breiten, energisch wachsenden Kapillaren begleitet, die sich
ebenfalls von den dünnen, unscheinbaren Kapillaren der dichten
Keimschicht ableiten und sich also beim Eintritt in die entstehende
Markhöhle plötzlich stark erweitern.
u» Alexander Maximow:
Das embryonale Bindegewebe, welches die Markhöhle aus-
füllt, kann nach Hammar (16) „primäres Knochenmark“ genannt
werden; es besteht, wie gesagt, aus locker angeordneten Zellen,
die eine sehr unregelmässige Form besitzen (Fig. 1 und 6 Bz),
spindelig oder mit zahlreichen Ausläufern versehen erscheinen
und an vielen Stellen ein synzytiales Netz bilden. Das schwach
basophile Protoplasma hat eine feine netzige Struktur, der ovale
oder rundliche Kern enthält ein zierliches Gerüst mit grösseren
und kleineren Chromatinteilchen und einem oder mehreren, meist
leicht violett gefärbten Nukleolen. In diesen Zellen trifft man
sehr oft Mitosen (Fig. 6 Bz‘), wobei der Zelleib meistens deutlich
kontrahiert und sogar mit pseudopodienartigen Bildungen besetzt
erscheint. Nach aussen, zum Periost hin, gehen diese Zellen,
wie früher, ganz allmählich in die dicht gedrängten, lang aus-
gezogenen Zellen der periostalen Keimschicht über.
Sehr wichtig ist der Umstand, dass es histologisch ganz
unmöglich ist, einen Unterschied zwischen der feineren Struktur
der beschriebenen Zellen des primären Knochenmarks und den
Endothelzellen der breiten Kapillargefässe zu finden. Beide Zell-
arten haben ganz das gleiche Aussehen. Es ist auch sicher,
dass die Endothelzellen, in denen man in diesen frühen Stadien
der Markbildung viele Mitosen sieht, sich /ohne weiteres durch
Ablösung von der Gefässwand in gewöhnliche Bindegewebszellen
verwandeln können: es sind eben auch embryonale Bindegewebs-
zellen, die die Gefässlumina umsäumen und sie erscheinen auch
stets mit den gewöhnlichen Bindegewebszellen durch direkte
protoplasmatische Anastomosen verbunden.
Die embryonalen Bindegewebszellen des primären Knochen-
marks üben auf die verkalkte Knorpelsubstanz zweifellos eine
direkte auflösende Wirkung aus — denn überall, wo diese Zellen
hingelangen, werden die Wände der Knorpelkapseln eingeschmolzen
und gelöst und von der Knorpelgrundsubstanz bleiben die bekannten,
typischen, vieleckigen, an den Rändern angefressenen balken-,
zwickel- oder schollenförmigen Reste übrig (Fig. 1, 2, 3, 4
und 6K). An EAz-Präparaten werden diese Reste der ver-
kalkten Knorpelsubstanz intensiv rot- oder blauviolett gefärbt
und auch die kleinsten Stücke derselben fallen infolgedessen
zwischen den hellblau gefärbten Gewebsbestandteilen schon unter
schwacher Vergrösserung sofort auf.
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 13
Bei der Resorption durch das Protoplasma der Bindegewebs-
zellen oder der Osteoklasten sieht man die intensiv gefärbte
Knorpelsubstanz sich entweder einfach an der Oberfläche auf-
lösen und schwinden (Fig. 1, 3,4 und 6K), oder sie zerfällt in
kleine, blasse, undeutlich konturierte Schollen (Fig. 2z). Manchmal,
besonders bei der Katze (Fig. 1 und 2K), verliert sie vor dem
Auflösen die starke Färbbarkeit und zerteilt sich in unregel-
mässige, eckige, blassblaue Körner, die voneinander durch dünne,
violett gefärbte Adern getrennt erscheinen.
Das Gefüge des primären Markgewebes ist, wie gesagt,
ein ziemlich lockeres. Zwischen den polymorphen, sicherlich sehr
beweglichen, wuchernden embryonalen Bindegewebszellen sieht
man helle Zwischenräume, die von einer halbflüssigen, wahr-
scheinlich gallertigen Zwischensubstanz erfüllt und von dünnen,
netzartig verzweigten protoplasmatischen Zellfortsätzen durchzogen
erscheinen (Fig. 6). Besonders innig schmiegen sich die Binde-
gewebszellen der Oberfläche der Knorpelreste an. An vielen Stellen
sieht man hier einerseits Entstehung von Osteoblasten, anderer-
seits Entwicklung von Osteoklasten.
Die Osteoblasten differenzieren sich dabei aus den gewöhn-
lichen embryonalen Bindegewebszellen auf dieselbe Weise, wie
wir es im periostalen Knochen gesehen haben. Der Zelleib ver-
grössert sich, wird basophil, neben dem Kern tritt eine helle
Sphäre hervor, der Kern selbst wird gross, blasenförmig und
erhält in seiner Mitte ein grosses, deutlich violettes Kern-
körperchen (Fig. 2, 3, 4 und 6 Obl). Solche Östeoblasten um-
säumen stellenweise die eckigen Reste der Knorpelgrundsubstanz
von allen Seiten oder füllen eröffnete Knorpelkapseln in Form
von epithelähnlichen Massen aus. Sie fangen sofort nach ihrer
Entstehung an, die erste enchondrale Knochensubstanz aus-
zuscheiden (Fig. 2 Kn). Die letztere erscheint im Schnitt
nach EAz-Färbung in Form von blassen, hellrosafarbenen, homo-
genen Streifen, die die violetten Knorpelreste (K) umsäumen
und von ihnen sofort unterschieden werden können. Auch hier
macht es den Eindruck, als würde die Knochensubstanz vom
basophilen Protoplasma der Östeoblasten an seiner Oberfläche
direkt ausgeschieden. Eine Verwandlung des Protoplasmas selbst
in Knochensubstanz im Sinne von Disse (10) habe ich nicht.
gesehen.
14 Alexander Maximow:
Uber die Entstehung der Osteoklasten werde ich weiter
unten in einem besonderen Abschnitte sprechen.
Eine aktive Rolle in der Resorption des Knorpels spielt
unbedingt ausser den gewöhnlichen Bindegewebszellen auch das
Gefässendothel. Die weiten Kapillaren des primären Knochen-
marks haben sehr unregelmässige, oft eckige oder aufgetriebene
Lumina (Fig. 3L) und füllen manchmal die Höhlen frisch er-
öffneter Knorpelkapseln ganz aus, so dass die äussere Oberfläche
der saftigen, wuchernden Endothelzellen der verkalkten Knorpel-
grundsubstanz eng anliegt und die letztere resorbiert. Dieselbe
Beobachtung über die resorbierende Tätigkeit des Gefässendothels
finde ich auch bei Jackson (22) angeführt.
Sehr wichtig ist die Frage über das Schicksal der Knorpel-
zellen. Nach Leser (27), Schaffer (44), Jackson (22) und
anderen gehen sie bei der enchondralen Verknöcherung sämtlich
zugrunde. Dies ist jetzt auch, wie schon gesagt, die herrschende
Ansicht. Es gibt jedoch Autoren, wie Hansen (17), Retterer (43),
Spuler (48), v. d. Stricht (50), die der entgegengesetzten
Meinung sind und ein wenigstens teilweises Überleben der Knorpel-
zellen und ihre direkte Verwandlung in Bindegewebszellen des
Markes und in Osteoblasten annehmen. Ferner hat auch Dant-
schakoff (8), allerdings nur für die Vögel, aber dafür in der
unzweideutigsten und sichersten Weise nachgewiesen, dass bei
der enchondralen Ossifikation die Knorpelzellen in den eröffneten
Kapseln zum Teil am Leben bleiben können. Sie wuchern sogar,
man findet in ihnen Mitosen und sie vermischen sich nachher
mit den Stromazellen des primären Markes, ohne von ihnen mehr
unterschieden werden zu können.
In Anbetracht solcher Umstände habe ich besondere Auf-
merksamkeit auf das Verhalten der Knorpelzellen bei der Ent-
stehung des Knochens und des Knochenmarks gerichtet.
Was die späteren Stadien der enchondralen Ossifikation bei
den Säugetieren betrifft, wo dieser Prozess an den Enden der
Markhöhle nach den Epiphysen zu allmählich und regelmässig
fortschreitet, so sind die Befunde hier vollkommen unzwei-
deutig. An der im Schnitt mehr oder weniger regelmässigen
Össifikationslinie erscheinen alle Knorpelzellen ohne Ausnahme
vollständig degeneriert (Fig. 2 Kz“). Ihre Kerne sind stark
aufigebläht, hell und chromatinlos, nur der Nukleolus ist noch
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 15
deutlich sichtbar; er nimmt aber auch keine violette, sondern
eine blassblaue Färbung an. Das Protoplasma ist auf einen
zentralen perinukleären Hof und auf einige dünne, körnige, radıär
verlaufende Stränge reduziert. Unmittelbar vor dem Eröffnen
der Kapsel durch das heranwachsende embryonale Bindegewebe
(Fig. 2) schrumpft der Zellkörper (Kz’), wobei es sich heraus-
stellt, dass die blasige Zelle eine dünne Membran besitzt, an
welche sich die radiären, vom Kern ausstrahlenden Protoplasma-
fäden anheften. Die Membran hebt sich von der Kapsel ab und
zwischen beiden entsteht ein mit Flüssigkeit oder vielleicht mit
gallertiger Masse erfüllter Raum (Fig. 2 und 3 x), der an fixierten
Präparaten, wie es auch Schaffer (44) angibt, von netzigen
oder radiär-fädigen Gerinnseln durchzogen erscheint, die nach
E Az-Färbung eine schöne rotviolette Färbung annehmen.
Bei Eröffnung der Kapsel tritt die die degenerierte Knorpel-
zelle umgebende gallertige Masse heraus und kann noch ziemlich
lange zwischen den Bindegewebszellen und jungen Wanderzellen
(Fig. 3 Wz‘) liegen bleiben (Fig. 3 x); schliesslich wird sie aber
der ebenfalls strukturlosen, gallertigen, weichen Zwischensubstanz
des primären Knochenmarks einverleibt.
Die degenerierten Knorpelzellen selbst gehen zwischen den
saftigen lebenskräftigen Bindegewebszellen sofort zugrunde und
verschwinden in kürzester Zeit.
Wenn wir hingegen die schon oben zum Teil beschriebenen
frühesten Stadien desselben Prozesses genau untersuchen, wo die
Markhöhle eben erst im Entstehen begriffen ist, sich nur auf
eine kleine Strecke in der Mitte der Diaphyse beschränkt und
noch sehr unregelmässige ausgenagte Konturen besitzt, so erhalten
wir viel kompliziertere histologische Bilder, die die Sache keines-
wegs in so einfachem Licht erscheinen lassen.
Gewiss sieht man an vielen, sogar den meisten Stellen die-
selben Bilder, wie sie eben für die späteren Stadien beschrieben
worden sind — quellende, später im Inneren der Kapsel
schrumpfende, von netzigen, metachromatisch gefärbten Gerinnseln
umgebene degenerierte Knorpelzellen (Fig. 1 Kz‘). Da ausserdem
der Resorptionsprozess jetzt noch sehr rasch nach allen Seiten
um sich greift, so sind diese Degenerationsbilder viel zahlreicher,
als später, wo die Ossifikation in Form einer regelmässigeren
Linie und viel langsamer vorwärtsschreitet; man sieht sie überall
16 Alexander Maximow:
in den Knorpelinseln, die für eine Zeitlang frei in der Mitte der
Markhöhle liegen bleiben, in den Vorsprüngen, die das Knorpel-
gewebe zwischen den tiefer ausgenagten Stellen bildet und in
diesen letzteren ebenfalls.
Aber an vielen Stellen ändert sich das beschriebene Bild.
Dies bezieht sich besonders auf die Präparate von der Katze und
besonders auf die Teile des Knorpelgewebes, welche, wie oben
erwähnt, an der Innenfläche der periostalen Knochenschale als
buckelförmige, in die Markhöhle hineinragende Vorsprünge für
eine Zeitlang liegen bleiben. Hier sind zur Zeit, wo die Resorption
des Knorpels beginnt, die Knorpelzellen noch gar nicht besonders
gross und aufgebläht, sondern sie haben, wie gesagt, eine mittlere
Grösse, durchaus normales Aussehen (Fig. 1 Kz) und enthalten
sogar oft Karyokinesen (Kz‘)., Wenn nun die Kapseln dieser
Zellen eröffnet werden, so degenerieren sie augenscheinlich nur
zum Teil (Kz“). Viele von ihnen bleiben lebenskräftig, besitzen
nur leicht vakuolisiertes Protoplasma und Kerne mit normalem
Chromatingehalt und metachromatisch gefärbten Nukleolen. Sie
scheinen sich auch mit einem gewissen Quantum von meta-
chromatisch färbbarer, netzig gerinnender Gallerte (x) zu umgeben,
treten aber bald aus den Kapseln heraus (y) und kommen dann
zwischen die jungen Bindegewebszellen (Bz) und Kapillarsprossen
zu liegen. Sie bekommen dabei sehr bald eine eckige, polyedrische,
später auch spindlige Form und können als gewesene Knorpel-
zellen vorläufig nur an dem besonders hellen, regelmässig, fein
und scharf konturierten Protoplasma und dem grossen, hellen,
runden Kern erkannt werden. Später verwischen sich auch diese
Merkmale und die herausgetretenen Knorpelzellen können von
den Bindegewebszellen des primären Markes (Bz) überhaupt nicht
mehr unterschieden werden. Auch zweifellose Mitosen findet man
in diesen herausgetretenen Knorpelzellen.
Auf Grund der beschriebenen Befunde ist also meiner
Meinung nach die heutzutage dominierende Vorstellung von dem
ausnahmslosen Zugrundegehen aller Knorpelzellen bei der enchon-
dralen Ossifikation bei den Säugetieren in gewisser Beziehung
einzuschränken. Das Gros der Knorpelzellen geht wohl sicher
zugrunde; in den späteren Entwicklungsstadien, beim allmählichen,
relativ langsamen Progressieren der Ossifikationslinie nach den
Epiphysen zu ist dies sogar zweifellos eine Regel ohne Ausnahme.
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 17
Die Knorpelzellen haben hier alle genügend Zeit, um ihren Ent-
wicklungsgang bis zum Eintreten der vollständigen Degeneration
abzuschliessen, noch bevor die Knorpelkapseln vom embryonalen
Bindegewebe eröffnet werden.
In den frühesten Stadien aber, beim ersten Anfang der
Resorption des Knorpels, verläuft dieser Prozess so rasch, dass
viele Knorpelzellen augenscheinlich in noch relativ jugendlichem
Zustande aus ihren Kapseln befreit werden. Was aus ihnen
nachher wird, ist natürlich schwer mit vollkommener Bestimmt-
heit zu sagen, jedenfalls ist aber die Möglichkeit durchaus nicht
ausgeschlossen, dass ein wenn auch geringer Teil von ihnen am
Leben bleibt und sich in gewöhnliche Bindegewebszellen zurück-
verwandelt.
III. Die Osteoklasten.
Es ist bekannt, dass im Knochenmark der Säugetiere zwei
Arten von Riesenzellen vorkommen, welche zuerst deutlich von
Bizzozero und Howell unterschieden wurden. Die einen
heissen Megakaryozyten und stehen in innigster genetischer und
wahrscheinlich auch physiologischer Beziehung zu der blutbildenden
Tätigkeit. Die anderen heissen Polykaryozyten oder Östeoklasten,
haben mit der Blutbildung nichts zu tun und stellen eigentlich
vielkernige Fremdkörperriesenzellen vor, deren Aufgabe es ist,
die Knochensubstanz zu resorbieren. Während die Megakaryo-
zyten speziell eine Besonderheit der Säugetiere vorstellen, findet
man Osteoklasten überall, wo Knochen entstehen. Die Frage der
Entstehung und der weiteren Schicksale der Osteoklasten muss
uns hier in diesem Abschnitte etwas näher beschäftigen.
Es steht von vornherein zu erwarten, dass die Entwicklung
der Osteoklasten viel gemeinsames haben muss mit der Entstehung
der verschiedenen anderen Fremdkörperriesenzellen, die im
Organismus unter normalen und krankhaften Verhältnissen in
Gegenwart von Fremdkörpern oder von nekrotischen Massen
u. dergl. im Bindegewebe auftreten. Nun ist aber die Frage der
Entstehung der Fremdkörperriesenzellen bekanntlich noch lange
nicht entschieden. In der Pathologie, die den mehrkernigen
Riesenzellen am öftesten zu begegnen Gelegenheit hat, nehmen
die einen Autoren für die Entstehung der mehrkernigen Riesen-
zellen mehrfach sich wiederholende Mitosen oder Amitosen des
Archiv f. mikr. Anrat. Bd. 76. 2
18 Alexander Maximow:
Kernes in einzelnen Zellen, ohne nachfolgende Protoplasmateilung
an; dies kann auch als der dominierende Standpunkt bezeichnet
werden. Die anderen nehmen hingegen Verschmelzung mehrerer
einkerniger Zellen zu einem grossen, vielkernigen Zellkörper an,
ohne der Kernvermehrung eine besondere Bedeutung beizumessen.
Auf Grund meiner eigenen Beobachtungen (29) über die ent-
zündliche Neubildung von Bindegewebe bin ich seinerzeit zu der
zweiten Anschauung gekommen, ohne allerdings die Möglichkeit
amitotischer Kernteilung dabei (besonders für die Amphibien)
vollkommen auszuschliessen.
Was die Entstehung der Osteoklasten im speziellen an-
belangt, so ist darüber sehr wenig bekannt. Nach Schaffer (44)
sollen sie in innigster Beziehung zu den jungen Gefässen stehen.
Jackson (22) hält sie, wie schon erwähnt, für „Verdichtungen
des gemeinsamen Synzytiums“ und lässt sie aus den Retikulum-
zellen des primären Markes durch mitotische Kernvermehrung
ohne Protoplasmateilung entstehen. Der neueste Autor auf diesem
Gebiet, Dantschakoft (8), die zu ihren Untersuchungen die
zweckmässigsten Methoden gebrauchte, kommt jedoch zum Schluss,
dass die Osteoklasten bei den Vögeln durch Konfluenz mehrerer
einkerniger Bindegewebszellen entstehen, ohne dass Kernvermehrung
dazwischen käme.
Die Entstehung der Osteoklasten bei den Säugetieren ist
nicht ganz leicht zu erforschen, weil sie sehr rasch gebildet
werden und die Übergangsformen infolgedessen im fixierten
Präparat nur relativ selten zur Sicht gelangen. Ich finde ausser-
dem, dass sie, ebenso wie die weiter unten beschriebenen Wander-
zellen, unvergleichlich viel früher entstehen, als man es jetzt
meistens annimmt, nämlich gleich beim ersten Anfang der Ein-
wucherung des Bindegewebes in den Knorpel.
Bei allen untersuchten Tierarten verläuft der Prozess auf
ziemlich gleiche Art und Weise.
An vielen Stellen des an Umfang stets zunehmenden primären
Markraumes sieht man die gewöhnlichen spindligen oder stern-
förmigen Bindegewebszellen, die, wie oben erwähnt, miteinander
überall durch Anastomosen zusammenhängen, gruppenweise nahe
zusammentreten; es entstehen, um den Ausdruck von Jackson
zu gebrauchen, in der Tat „lokale Verdichtungen“ des synzytialen
Retikulums. Die Zelleiber der einzelnen Zellen in solchen Gruppen
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe, 19
nähern sich immer mehr und tliessen schliesslich ganz zusammen,
sodass ein einheitlicher Protoplasmakörper mit mehreren Kernen
entsteht (Fig. 3 und 40kl). Die Zahl der Kerne ist niemals
sehr gross, schwankt meistens zwischen drei und zehn. Zuerst
bleibt der Zellkörper der auf solche Weise entstandenen mehr-
kernigen Riesenzelle mit den benachbarten Bindegewebszellen
noch durch dünne Anastomosen ein- oder allseitig verbunden.
Bald isoliert er sich aber vollkommen und die Riesenzelle wird
frei. Sie besitzt eine sehr mannigfaltige, äusserst unregelmässige
Form; von der rundlichen oder ovalen finden sich alle Über-
gänge zu sehr lang ausgezogenen strangförmigen oder eckigen
Zellkörpern.
Es muss speziell hervorgehoben werden, dass ich in den
jungen entstehenden Osteoklasten niemals Kernvermehrung, weder
mitotische noch amitotische, finden konnte. Die Kerne erhalten
wohl, wie wir gleich sehen werden, Falten an ihrer Wand, zu
einer wirklichen Zerschnürung der Kerne kommt es aber nicht.
Hand in Hand mit dem beschriebenen Prozess der Ver-
schmelzung der einzelnen Zellen gehen auch Strukturveränderungen
ihres Protoplasmas und ihrer Kerne einher (Fig. 3 und 40kl).
Das leicht basophile, fein retikuläre Protoplasma der
embryonalen Bindegewebszellen erhält zunächst einen höheren
Grad von Basophilie, färbt sich dunkelblau und sein Gerüst wird
zusehends gröber und lockerer — zwischen den dunklen Gerüst-
fäden treten grosse helle Maschen auf, die sich hie und da in
richtige grosse, helle Vakuolen verwandeln. Ferner wächst auch
das Protoplasma, so dass die junge Riesenzelle bald bedeutend
an Umfang gewinnt. Die Kerne erleiden ebenfalls tiefgreifende
Veränderungen in ihrer inneren Struktur und erlangen ein überaus
charakteristisches Aussehen (Fig. 3 und 5 Okl). Das Chromatin
zerfällt in ganz feine und blasse, im Kerninnern ganz gleich-
mässig verteilte, staubförmige Körnchen, während in der Mitte
ein sehr grosses, rundes oder eckiges, violett gefärbtes Kern-
körperchen auftritt. Die Kernmembran präsentiert sich immer
als helle, aber dick und scharf gezogene Linie. Ferner gehört
zu den sehr typischen Besonderheiten die Faltenbildung an der
Kernmembran. Dies tritt besonders schön beim Kaninchen hervor.
Die Osteoklastenkerne stellen hier oft schlaffe, ganz helle Säcke
mit tiefen Runzeln und Falten an der Oberfläche vor und mit
ki
20 Alexander Maximow:
je einem grossen Nukleolus im Inneren. Obwohl die beschriebene
Verwandlung der Kernstruktur sehr rasch erfolgt, betrifft sie
manchmal doch nicht alle Kerne zugleich, so dass man dann in
ein und derselben Riesenzelle verschiedene Übergangsformen der
Kerne erblickt (Fig. 40kl links).
Das Protoplasma der eben entstandenen, ganz jungen, oft
noch kleinen Osteoklasten ist aussen in ähnlicher Weise begrenzt,
wie das Protoplasma der gewöhnlichen Bindegewebszellen (Fig. 3
und 4Okl); mit der Zeit tritt jedoch gewöhnlich eine wichtige
Veränderung ein, indem an der Oberfläche des Zelleibes pseudo-
podienartige Auswüchse entstehen, die sicherlich amöboider
Bewegung fähig sind (Fig. 50kl). Auch Dantschakoff (8)
bildet solche Osteoklasten mit Pseudopodien ab. Manchmal ist
der ganze Zelleib eines Osteoklasten dieht besetzt mit kleinen,
zackigen, an den Enden oft keulenförmig aufgetriebenen Vor-
sprüngen, die ihm ein stacheliges Aussehen verleihen. Es ist
dieselbe Eigenschaft des Protoplasmas, wie man Sie an einigen
von den weiter unten beschriebenen Wanderzellen antrifit (Fig. 15).
Die vollkommen ausgebildeten Osteoklasten stellen gewöhn-
lich sehr umfangreiche Protoplasmamassen vor von sehr unregel-
mässiger, verschiedener Form (Fig. 5 Okl). Bald sind sie rundlich,
bald platten sie sich an der Oberfläche vom Knochenbälkchen
ab oder ziehen sich in die Länge und erscheinen dabei oft
brückenartig von einem Knochenbälkchen zum anderen aus-
gespannt. Nicht selten scheinen sogar mehrere Osteoklasten weiter
zusammenzufliessen, und es können stellenweise grosse, synzytien-
ähnliche, undeutlich begrenzte Protoplasmamassen entstehen. In
den grösseren Osteoklasten geht auch die ursprüngliche Basophilie
des Protoplasmas verloren und es färbt sich im Gegenteil an
EAz-Präparaten mehr in einem rötlichen Ton.
Die Osteoklasten liegen überall in der Markhöhle umher,
ohne jede sichtbare Regelmässigkeit in der Anordnung. Sie
entstehen, wie gesagt, schon sehr früh, beim ersten Anfang der
Einwucherung des Bindegewebes in den Knorpel, in den eben
eröffneten Kapselreihen. Auch später sieht man gerade hart an
der Resorptionslinie die meisten jungen Osteoklasten durch Ver-
schmelzung von Bindegewebszellen entstehen. Die ausgebildeten
grossen Osteoklasten liegen hingegen in den älteren Teilen des
Markraumes, meistens der Oberfläche der jungen Knochenbälkchen
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 21
eng angeschmiegt und hier vollzieht sich die Resorption der
letzteren; seltener sieht man sie den noch übrig gebliebenen
Knorpelresten angelagert. Es können aber viele auch ganz isolierte
oder mit den Bindegewebszellen noch durch Anastomosen zusammen-
hängende Osteoklasten gefunden werden, die gar keine Beziehungen
zu den Knochenbälkchen oder zu den verkalkten Knorpelresten
offenbaren und also sicherlich nicht phagozytisch tätig sind,
wenigstens im gegebenen Moment.
Überhaupt scheinen die Osteoklasten nur für die Resorption
des Knochens unbedingt nötig zu sein. Denn der verkalkte Knorpel
an der Össifikationsgrenze und in den im Markraum umher-
liegenden Zwickeln wird in erster Linie von den gewöhnlichen
Bindegewebszellen und dem Gefässendothel resorbiert.
Eine weitere wichtige Frage in bezug auf die Osteoklasten
ist die über ihr weiteres Schicksal. Bei der allmählichen Ver-
grösserung des Markraumes entstehen in seinen mittleren, älteren
Teilen, wie wir weiter unten sehen werden, zuerst lockere Haufen
von myeloiden Elementen, später kompaktes dichtes Markgewebe.
Von den fixen Zellen bleiben dabei zwischen den Markzellen nur
äusserst spärliche Stromazellen und Fettzellen übrig, die Knochen-
bälkchen mit den Resten der verkalkten Knorpelsubstanz ver-
schwinden schliesslich gänzlich. Die Osteoklasten müssen also
schliesslich auch mitten zwischen die Markzellen gelangen und
in den vom ausgebildeten Markgewebe eingenommenen Teilen
sieht man sie nicht mehr. Es fragt sich nun, was wird aus
ihnen ?
Im erwachsenen Organismus stellen die Fremdkörperriesen-
zellen bekanntlich vergängliche Bildungen vor; sie können sich
meistens nicht mehr in lebenskräftige einkernige Granulations-
zellen zurückverwandeln und gehen durch Atrophie und Zerfall
zugrunde. Beim Embryo verhält es sich in dieser Beziehung
anders. Nach Jackson (22) sollen sich die Osteoklasten wieder
in Retikulumzellen zurückverwandeln. Ich kann diese Angabe
nach meinen Resultaten bestätigen.
Ein Teil der Osteoklasten scheint allerdings doch der Degene-
ration zu verfallen. In den älteren Teilen des Markraumes sieht
man nämlich in den späteren Stadien hin und wieder atrophische,
blasse, rundliche, leicht azidophile Protoplasmakörper von lockerem,
netzigem Gefüge zwischen den Markzellen liegen. Sie enthalten
22, Alexander Maximow:
typische nukleolenführende Osteoklastenkerne, die aber sehr
blass und geschrumpft aussehen. Wahrscheinlich werden diese
atrophischen Osteoklasten später von den Markzellen ganz zu-
sammengedrückt und gehen zugrunde. Sie sind aber relativ selten.
Viel öfter sieht man in der weiter unten beschriebenen
Zone, wo das Iymphoide Mark sich in myeloides verwandelt und
weiter in den noch älteren Partien eine ganz andere Veränderung
an den Osteoklasten. Sie verfallen nicht der Degeneration; der
grosse Zelleib fängt vielmehr an, sich wieder in einzelne ein-
kernige Zellkörper aufzulösen (Fig. 5 Okl). In ihm treten viele
helle Lücken auf, dann entsendet er breite streifenförmige kern-
haltige Zweige, die sich als einzelne spindlige oder sternförmige
Zellen ablösen und mit den benachbarten Bindegewebszellen
durch Anastomosen verbunden erscheinen. Die abgelösten Zellen
(t) unterscheiden sich zuerst noch deutlich von den gewöhnlichen
Bindegewebszellen (Bz) durch dunkleres, namentlich schärfer und
zackiger konturiertes Protoplasma und durch den typischen
schlaffen blassen Kern mit den grossen Nukleolen. Später
scheinen diese Unterschiede sich aber ganz zu verwischen, die
Zellen können nicht mehr von den anderen Bindegewebszellen
unterschieden werden und gehen also wieder in den Bestand des
Stützretikulums über.
Es ist folglich möglich anzunehmen, dass sich die Osteo-
klasten, wenigstens zum Teil, nach vollendeter Resorption der
Knochensubstanz an einer bestimmten Stelle des Markraumes
wieder in gewöhnliche Stützzellen des Markes verwandeln. Ob
die letzteren an den betreffenden Stellen die Fähigkeit, nötigen-
falls »wieder Osteoklasten durch Verschmelzung zu bilden, wie
dies in den früheren Entwicklungsstadien geschieht, auch für die
Zukunft beibehalten, ist sehr fraglich.
IV. Die Entstehung der Wanderzellen, der Lymphozyten.
Bis zu meiner im Jahre 1907 erschienenen vorläufigen Mit-
teilung gab es in der Literatur, wie gesagt, überhaupt keine
Angaben über das erste Erscheinen der Blutzellen im Knochen-
markgewebe. Jetzt sind die von mir damals kurz mitgeteilten
Befunde von Dantschakoff (8) für die Vögel bestätigt worden.
In dem vorliegenden Abschnitt gebe ich jetzt eine ausführliche
Beschreibung des genannten Prozesses bei den Säugetieren.
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 23
Die erste für das blutbildende Gewebe charakteristische
Zellart, die im embryonalen Knochenmark erscheint, sind indiffe-
rente, amöboide, polymorphe, Iymphozytoide, ungranulierte Wander-
zellen, Lymphozyten, wie ich sie vorläufig nenne. Sie werden
dann von einem bestimmten Moment an zum Ausgangspunkt der
eigentlichen Hämatopoese und erzeugen sowohl rote, als auch die
verschiedenen weissen Blutkörperchen.
Wie ich es in einer früheren Arbeit dargetan habe (32),
ist das ganze Körpermesenchym beim Säugetierembryo eine Brut-
stätte von zahllosen, sehr polymorphen, aber stets gleichwertigen,
indifferenten Wanderzellen, die durch Abrundung und Isolierung
aus den gewöhnlichen fixen Mesenchymzellen entstehen. Man
unterscheidet im Mesenchym Stellen, wo die Wanderzellen sehr
zahlreich, andere, wo sie relativ spärlich gebildet werden. Je
nach der speziellen Stelle ist das Schicksal der Wanderzellen
im Mesenchym verschieden; während sie an den einen Stellen
auch fürs Weitere als indifferente Lymphozyten oder als ruhende
Wanderzellen verbleiben, geben sie an anderen durch Wucherung
und differenzierende Entwicklung Erythrozyten und Granulozyten
verschiedener Art Ursprung.
(Genau dasselbe spielt sich nun auch im embryonalen Binde-
gewebe ab, welches als Hammarsches „primäres Knochenmark“
in den Knorpel einwuchert und ihn resorbiert. Hier entstehen
die Wanderzellen, die Lymphozyten in besonders grosser Menge,
und die lokalen Existenzbedingungen sind hier derart, dass sich
diese Wanderzellen mit der Zeit in sehr verschiedener Richtung
differenzieren und alle möglichen Arten von Blutzellen erzeugen.
Gleich in den allerersten, oben bezeichneten Stadien, wo
die Resorption des Knorpels eben erst beginnt, sieht man im
embryonalen gefässreichen Bindegewebe, im primären Mark, ausser
Östeoblasten und Osteoklasten auch schon Wanderzellen entstehen,
zuerst einzeln zerstreute, spärliche, mit der Zeit immer zahlreichere.
Sowohl hart an der sich immer weiter vorschiebenden, zu-
erst noch unregelmässig ausgebuchteten Resorptionslinie des
Knorpels, als auch in der Mitte des Markraumes, zwischen den
Knorpelzwickeln und den Gefässen, sieht man an vielen Stellen,
wie sich einzelne von den miteinander durch Ausläufer verbundenen
wuchernden Bindegewebszellen kontrahieren, abrunden und all-
mählich von den übrigen isolieren. Dieser Prozess vollzieht sich
24 Alexander Maximow:
in derselben Weise wie an anderen Körperstellen im embryonalen
Bindegewebe und ebenso wie dort entstehen auch hier gleich von
Anfang an Wanderzellen von sehr verschiedenem histologischen
Aussehen (Fig. 2, 3, 4, 6, 7, 9, 10, 11 und 12 Wz‘‘, Wz und Lmz).
Es können sofort recht grosse Elemente entstehen, mit mehr
oder weniger basophilem, amöboidem Protoplasma, welches ent-
weder ganz homogen oder mit Vakuolen erfüllt ist, oder auch
eine ausgesprochene retikuläre Struktur besitzt, während der grosse
runde oder bohnenförmige Kern ein feines Lininnetz, grössere
oder kleinere Mengen von feinen Chromatinkörnchen und ein
oder mehrere sehr grosse rotviolette Kernkörperchen enthält
(Fig. 6, 7,9 und 10 Lmz, Fig. 13 und 16). Diese Zellen müssen
nach ihrem Aussehen unbedingt als grosse Lymphozyten be-
zeichnet werden, wie die Zellen, die ich in den blutbildenden
Gefässen der area vasculosa, in der Leber und auch im gewöhn-
lichen Körpermesenchym beschrieben habe (32). Besonders bei
der Ratte sind die ersten Wanderzellen im Mark zum grossen
Teil typische grosse Lymphozyten (Fig. 29 Lmz). Es muss aber
speziell notiert werden, dass diese Zellen vom Charakter der
grossen Lymphozyten doch sehr oft gewisse Abweichungen von
diesem Typus darbieten. So ist das Protoplasma einmal ein
schmaler Saum um den Kern herum, das andere Mal ist es sehr
umfangreich und bildet grosse lappige Pseudopodien (Fig. 18a, b).
Der Grad der Basophilie des Protoplasmas wechselt auch sehr
bedeutend. Der Kern ist sehr oft chromatinreicher, als es bei
einem typischen Grossiymphozyt gewöhnlich der Fall ist und seine
Membran bildet oft tiefe Falten. Es entstehen sogar mitunter
Zellen vom Riederschen Typus (Fig. 12 Wz links), ohne dass
wir jedoch die geringste Berechtigung hätten, sie für Altersformen
der Grossiymphozyten auszugeben.
Ein anderer, uns von den vorhergehenden Untersuchungen
ebenfalls wohlbekannter Wanderzellentypus sind kleinere Zellen
mit blassem, spärlichem oder reichlichem, stark amöboidem Proto-
plasma und mit einem meist sehr unregelmässig geformten, ge-
falteten, relativ kleinen Kern (Fig. 7, 9, 10, 15, 20, 29 Wz). Dieser
Kern kann ganz verschieden aussehen, je nachdem er viele und
grobe Chromatinteilchen enthält, durch welche dann auch der
stets vorhandene Nukleolus ganz verdeckt wird, oder sehr spär-
liche und kleine, in welchem Fall der Nukleolus entweder gut
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 25
ausgebildet oder aber auch rückgebildet erscheint. Solche Zellen
von sehr unbestimmtem Charakter sind, wie wir wissen, im
Körpermesenchym eine sehr häufige Erscheinung. Sie mögen als
„Wanderzellen von histogenem Typus“ bezeichnet werden.
Beim Kaninchen gehört die Mehrzahl der im Knochenmark
zuerst entstehenden Wanderzellen dem eben beschriebenen „histo-
genen“ Typus an; ihr blasser, gleichsam geschrumpfter Kern ent-
hält immer ein sehr scharf hervortretendes Kernkörperchen, und
das schwach basophile, fein retikuläre, oft mit Vakuolen erfüllte
Protoplasma ist stets mit zahlreichen, zackigen, an den Enden
oft keulenförmig aufgetriebenen Pseudopodien besetzt, sodass es
ein stacheliges Aussehen erhält. Auch bei der Katze (Fig. 15)
findet man gelegentlich solche Wanderzellen, einige sind sogar
sehr gross und stehen in ihrer inneren Struktur den oben
beschriebenen Osteoklasten sehr nahe, mit dem Unterschied, dass
sie einkernig sind.
Zwischen den typischen, stark oder schwach basophilen
grossen Lymphozyten und den Wanderzellen von „histogenem“
Typus gibt es alle möglichen Übergangsformen. Die meisten
Wanderzellen, z. B. beim Meerschweinchen (Fig. 3, 4, 6, 7, 21
und 34 Wz) oder bei der Katze (Fig. 9, 11, 12 und 41 Wz)
gehören gerade zu diesen unbestimmten Übergangsformen.
Statt alle diese Zellen noch weiter zu beschreiben, genügt
ein Hinweis auf die Zeichnungen. Sie haben alle einen ziemlich
unregelmässigen, gefalteten, hellen oder dunklen Kern mit viel
oder wenig Chromatin und meistens mit deutlichen Nukleolen.
Überall kann man auch die direkte Verwandlung gewöhnlicher
fixer Mesenchymzellen in solche Wanderzellen von nicht näher
zu definierendem Typus bemerken (Wz”).
In allen den beschriebenen Wanderzellenformen kommen
sehr häufig Mitosen vor. Diese Mitosen sehen je nach dem Typus
der Wanderzelle verschieden aus; sie sind aber jedenfalls von
den Mitosen der noch fixen Bindegewebszellen immer leicht zu
unterscheiden, an dem überall scharf konturierten, oft mit Pseudo-
podien ausgestatteten Zelleib. Die Mitosen der grossen Lympho-
zyten fallen durch ihren Umfang und die starke Basophilie des
Protoplasmas auf (Fig. 13 und 32b, Fig. 34 Lmz‘), die Mitosen
der kleineren Wanderzellen sind entsprechend kleiner und haben
blasses Plasma (Fig. 21 Wz’).
26 Alexander Maximow:
Alle die beschriebenen Tatsachen, ebenso wie die von mir
früher mitgeteilten Befunde, zwingen uns zu der Annahme, dass
die Wanderzellen, die im primären Knochenmark erscheinen, alles
vollkommen indifferente und trotz ihrer starken histologischen
Verschiedenheiten doch vollständig gleichwertige Zellen sind.
Wenn zuerst eine kleine Wanderzelle von „histogenem“ Typus
entsteht, so kann sie sich nachher durch einfache Hypertrophie
über eine ganze Reihe von Zwischenformen in einen grossen
Lymphozyten verwandeln; diesen Verwandlungsprozess sieht man
stets vollkommen klar und deutlich, als Objekt kann man z.B.
empfehlen, das Mark im Femur oder in den anderen langen
Knochen bei einem 19—20 tägigen Kaninchenembryo von 35 bis
46 mm Länge zu untersuchen. In etwas späteren Stadien tritt
dieser Prozess noch deutlicher hervor, nur wird das Bild dann
kompliziert durch die gleichzeitige Anwesenheit zahlreicher
myeloider Elemente. Wenn ein grosser Lymphozyt von Anfang
an als solcher entsteht, so kann er zweifellos bei seinen weiteren
Teilungen eine Generation von kleineren Zellen geben, die dem
beschriebenen „histogenen“ Typus mehr oder weniger nahe kommen.
Gleich in den ersten Stadien, noch zahlreicher in den späteren,
wenn bereits Erythroblasten und Myelozyten vorhanden sind, findet
man im Mark in grosser Anzahl auch typische kleine Lymphozyten
(Fig. 7, 14, 20, 21, 28, 34 und 41 klm). Sie entstehen wohl
meistens durch mitotische Teilung anderer, grösserer Wander-
zellenformen. Ihr Kern ist meistens in der gewöhnlichen Weise
chromatinreich und dunkel; ein Nukleolus ist wohl immer vor-
handen (wie es auch Weidenreich [57] annimmt), aber durch
das Chromatin verdeckt. Hin und wieder trifft man aber auch
blasskernige Formen von kleinen Lymphozyten (Fig. 21 klm). Auch
die kleinen Lymphozyten erscheinen mit den grossen Lymphozyten
und mit den übrigen Wanderzellenformen durch alle möglichen
Übergänge verbunden (Fig. 20 klm oben).
Noch zweier Wanderzellenformen soll hier Erwähnung getan
werden.
Die einen stellen Bindegewebszellen vor, deren Abrundung
und Isolierung noch vor der vollkommenen Ablösung der Zelle
aus dem Verband mit den anderen stehen geblieben sind. Sie
bleiben in diesem partiell kontrahierten Zustande für lange Zeit
(Fig. 41 Wz‘). Man sieht sie auch in den späteren Stadien, in
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 27
den älteren Partien des Markraumes, zwischen den myeloiden
Zellen liegen. Sie haben die Charaktere der im Bindegewebe des
erwachsenen Organismus so häufigen, von mir beschriebenen
„ruhenden Wanderzellen“.
Die anderen zeichnen sich dadurch aus, dass ihr Protoplasma
mit zahlreichen sehr grossen und kleinen Vakuolen durch und
durch erfüllt erscheint. Der Kern wird von den Vakuolen mit-
unter zusammengedrückt. Auch diese vakuolären Wanderzellen
können oft in ruhendem, nur zum Teil kontrahiertem Zustande
zwischen den gewöhnlichen Bindegewebszellen im Marke liegen
bleiben (Fig. Sa, 10 und 11 sWz). Andere werden vollkommen
frei und bilden auch Pseudopodien und phagozytieren sogar (Fig. 8b
und 34 sWz). Merkwürdigerweise sind die vakuolisierten Wander-
zellen besonders im periostalen Knochenmark verbreitet, während
sie im enchondralen sehr selten sind. Was diese vakuolisierten
Zellen noch speziell beim Meerschweinchen auszeichnet, ist das
Vorkommen von nach EAz metachromatisch rotviolett gefärbten
Körnchen im Protoplasma (Fig. 5 a und b). Mit den richtigen,
weiter unten beschriebenen Mastzellen haben sie jedoch, wie es
scheint, nichts zu tun.
Die beschriebenen vakuolären Wanderzellen dürfen mit den
allerdings nur in viel späteren Stadien auftauchenden jungen
Fettzellen nicht verwechselt werden. Der Inhalt ihrer Vakuolen
gibt nämlich keine für das Fett charakteristische Farbenreaktion.
V. Primäres oder Iymphoides Knochenmark. Ver-
teilung. der‘ Wanderzellen. "Ihre Beziehungen zu
den Gefässen.
Es erhellt aus der vorhergehenden Schilderung, dass es bei
jedem Säugetierembryo für einen jeden Knochen ein bestimmtes
Stadium gibt, wo man im Mark ausser fixen Bindegewebszellen,
Gefässen, Osteoblasten und Osteoklasten nur noch die beschriebenen
Wanderzellenformen findet. Diese letzteren entstehen, wie gesagt,
sofort beim ersten Anfang der Einwucherung des Perichondriums
in den Knorpel und ein wanderzellenloses Stadium des Markes
gibt es also eigentlich überhaupt nicht.
Hammar (16) hat seinerzeit vorgeschlagen und Jackson
ist ihm in dieser Beziehung gefolgt, das Knochenmark vor dem
Anfang der Blutbildung, oder, wie Hammar sich ausdrückt, „vor
28 Alexander Maximow:
der Infiltration mit Leukozyten“, als primäres zu bezeichnen.
Es soll nach ihm nur aus retikulär angeordnetem Bindegewebe
und Gefässen bestehen.
Die Bezeichnung „primäres“ Knochenmark für die ersten
Entwicklungsstadien, wo dieses Gewebe noch keine richtige blut-
bildende Funktion ausübt, ist gewiss sehr zweckmässig. Nur
muss die Hammarsche Definition des Begriffes „primäres
Knochenmark“ etwas geändert werden, da ja, wie wir gesehen
haben, Wanderzellen, die als Lymphozyten auch zu den Leuko-
zyten gehören, im Mark schon von Anfang an vorhanden sind.
Als primäres Knochenmark muss also das Mark in dem frühesten,
allerdings bald vorübergehenden Entwicklungsstadium bezeichnet
werden, nicht weil es keine „Leukozyten“ enthält, sondern weil
es noch keine typischen, der myeloiden Serie angehörenden Zell-
elemente aufweist, also weder Erythroblasten noch Myelozyten
irgendwelcher Art. sondern nur und ausschliesslich Lymphozyten,
Wanderzellen, und also noch nicht blutbildend tätig sein kann.
Anders könnte es deswegen zweckmässigerweise auch als „lIym-
phoides Mark“ bezeichnet werden.
Obwohl die beschriebenen. frühesten Entwicklungsstadien
des Knochenmarks bis jetzt noch von niemandem von zytologisch-
hämatologischem Standpunkte untersucht worden waren, hatte
Pappenheim (37, 38) seinerzeit doch schon die ganz richtige
Vermutung geäussert, dass das Knochenmark in den ersten
Stadien seiner Entwicklung eine Iymphoide Zusammensetzung
haben müsse. Später haben auch Hirschfeld (20), Horwitz
(21) u. a., allerdings nur an Deckglaspräparaten, gezeigt, dass
bei jungen Embryonen im Mark vorwiegend Iymphoide Zellen
vorhanden sind.
Ob die beschriebenen verschiedenen Wanderzellenformen als
richtige Lymphozyten gedeutet und benannt werden dürfen,
darüber werde ich weiter unten sprechen.
Lymphoides oder primäres Knochenmark finden wir in den
langen Extremitätenknochen bei Meerschweinchenembryonen von
29—31 mm, Kaninchenembryonen von 43—46 mm (20 Tage),
Rattenembryonen von 19—20 mm, Katzenembryonen von
40—50 mm.
Zu dieser Zeit ist in der Mitte der Diaphyse ein Abschnitt
von bestimmter Länge und schon mehr oder weniger regelmässiger
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 29
zylindrischer, in der Mitte verjüngter Form mit ziemlich ebenen,
quer gestellten Ossifikationslinien an den beiden Enden von der
Markhöhle eingenommen. Die Grösse der letzteren, ihre Form
wechseln natürlich je nach der Tierart. Beim Kaninchenembryo
von der eben angegebenen Grösse erreicht z. B. die Länge der
Markhöhle im Femur bereits 2!/; mm; die nach den Epiphysen
zu gerichteten Enden der Markhöhle sind noch immer unregel-
mässig ausgenagt, sodass das Knorpelgewebe grosse Vorsprünge
mit zackigen Rändern in die Markhöhle hineinsendet. Auch in
der Mitte der Markhöhle liegen hier noch ganz grosse Inseln
von Knorpelsubstanz umher. Sie werden allmählich zum Teil
resorbiert, zum Teil von jungem Knochen umsäumt. Von aussen
ist die Markhöhle von der in der Mitte der Diaphyse schon
ziemlich dicken periostalen Knochenmanschette umscheidet, die
sich mit ihren sich allmählich verdünnenden Rändern weit über
die Grenze der Markhöhle hinaus nach den Epiphysen zu erstreckt.
Mit Jackson (22) u. a. kann man dabei zweierlei Mark
unterscheiden: erstens das (sewebe, welches den im Bereich des
gewesenen Knorpels entstandenen Markraum ausfüllt und in
welchem die enchondrale Ossifikation vor sich geht — das wäre
das zentrale oder enchondrale Mark. Zweitens das (Gewebe,
welches man in den Räumen zwischen den Knochenbälkchen der
periostalen Spongiosa antrifft — das wäre das peripherische oder
periostale Mark.
Beide haben jetzt noch den histologischen Charakter von
Iymphoidem Mark.
An der enchondralen Ossifikationslinie sieht man überall
Resorption des Knorpels und Vordringen des embryonalen Binde-
gewebes. Je spätere Stadien wir untersuchen, desto seltener
werden die obenen beschriebenen zweifelhaften Bilder, die an die
Möglichkeit eines Überlebens der Knorpelzellen glauben lassen
können, und schliesslich, bei einer Ausdehnung des Markraumes
von 2 mm und darüber, verschwinden sie ganz. Alle in den
erweiterten Knorpelkapseln liegenden Knorpelzellen erscheinen
fast ganz verflüssigt, vom Protoplasma bleiben nur spärliche
Krümelchen übrig, der Kern stellt eine ganz blasse, helle, grosse
Blase mit einem unscheinbaren Nukleolenrest vor. Vor dem
Eröffnen der Kapsel können auch diese Zellen wieder schrumpfen
und umgeben sich dann mit einer fädigen oder netzigen, ge-
30 Alexander Maximow:
rinnenden, rotvioletten Masse. Eine besonders intensive resor-
bierende Wirkung scheinen jetzt gerade die Gefässwände auszu-
üben. Das saftige, wuchernde Endothel der erweiterten, oft
kolbenförmig aufgetriebenen Kapillaren schmiegt sich von innen
fest an die Wände der eröffneten Kapseln an (Fig. 3); nur die
in den Kapseln noch vorhandenen Reste der Knorpelzellen und
der geronnenen gallertigen Masse trennen an vielen Stellen das
Endothel von der Knorpelgrundsubstanz, bald verschwinden sie
aber. An anderen Stellen sieht man zwischen Endothel und
Knorpelsubstanz protoplasmareiche, spindel- oder sichelförmige
Bindegewebszellen liegen (Fig. 3), die sich ihrer inneren Struktur
nach durch nichts von den Endothelzellen unterscheiden und
zum kleineren Teil auch wirklich sehr wohl als aus dem Ver-
bande der (Grefässwand losgelöste Endothelzellen angesehen werden
können. In vielen Fällen gehen den Gefässschlingen aber auch
einzelne oder gruppenförmig angeordnete, intensiv wuchernde
Bindegewebszellen voraus — sie dringen zuerst indie Knorpel-
kapseln ein, zwängen sich zwischen die Reste der Knorpelzellen
und die Grundsubstanz hinein (Fig. 2Bz), können sich zum Teil
sofort in Osteoblasten (Obl) verwandeln und werden erst nach-
träglich von den Gefässsprossen eingeholt.
Solche Knorpelkapseln, die sofort von Osteoblasten ein-
genommen werden, sehen sehr typisch aus — an der Peripherie
erblickt man die rotviolette verkalkte Knorpelsubstanz (Fig. 2K),
nach innen ist die Kapselwand von einem dünnen regelmässigen
Saum von blass rosa gefärbter Knochensubstanz (Kn) bekleidet,
in der Höhle selbst liegen rosettenförmig angeordnet die saftigen,
dunkelblauen, epitheloiden Osteoblasten (Obl).
Überall, an allen Punkten der Ossifikationslinie, sieht man
ferner die Entstehung von neuen Wanderzellen. Sie sind hier
allerdings noch ziemlich spärlich. Es treten alle die oben er-
wähnten Formen auf; sie entstehen durch Kontrahierung und
Isolierung der den Knorpel resorbierenden Bindegewebszellen, mit
besonderer Vorliebe aus den Zellen, die in der nächsten Umgebung
der Gefässe liegen. Sehr oft sieht man einzelne Wanderzellen
in den eben eröffneten Knorpelkapseln gerade zwischen Gefäss-
endothel und Knorpelsubstanz eingeklemmt liegen. Hier sind es
meistens grössere, an basophilem Protoplasma reiche Formen.
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 3l
In derselben Zone, hart am Knorpel, findet man auch immer
entstehende Osteoklasten.
In den älteren, von der Resorptionslinie weiter nach innen
gelegenen Abschnitten der Markhöhle sieht man im primären
Mark grosse, zum Teil miteinander noch verbundene Balken,
Spangen und Zwickel verkalkter, rotviolett gefärbter Knorpel-
grundsubstanz liegen. Das (Gewebe zwischen ihnen hat sich
weiter differenziert. Man sieht hier ausser zahlreichen weiten
Kapillargefässen und den die Knorpelreste epithelartig um-
säumenden Osteoblasten netzartig miteinander verbundene gewöhn-
liche wuchernde Bindegewebszellen und überall zwischen ihnen
Wanderzellen der verschiedensten Art. Sie entstehen, wie früher,
aus gewöhnlichen Bindegewebszellen, ausserdem wuchern sie auch
selbständig, wie die zahlreichen Mitosen in ihnen beweisen. Mit
besonderer Vorliebe lagern sich die Wanderzellen auch hier in der
Nähe der Gefässe; ihre direkte Entstehung aus dem Endothel dieser
letzteren ist aber kaum jemals zu beobachten. Ausserdem ist
in dieser Zone immer eine besonders grosse Menge von schönen
Östeoklasten zu sehen; sie erreichen hier ihre vollkommenste
Ausbildung, obwohl sie ihre Tätigkeit meist noch in sehr be-
scheidenem Grade den Knorpelresten gegenüber ausüben. Als
richtige Osteoklasten funktionieren sie in den älteren Bezirken,
wo die Knorpelreste schon von Knochensubstanz umsäumt sind.
In dem mittleren, ältesten, verjüngten Teil des Markraumes
findet man die Knorpelreste, oft auch grössere Knorpelinseln mit
degenerierenden Zellen, zum Teil schon von jungem Knochen
umsäumt und von Östeoblasten und Osteoklasten umringt. Die
Zahl der Wanderzellen erreicht hier ihren Höhepunkt. Sie liegen
einzeln oder haufenweise umher, zwischen ihnen sieht man die
unveränderten, fixen Bindegewebszellen als Stromazellen; auch
jetzt kann man aber noch oft die Verwandlung einzelner dieser
Zellen in neue Wanderzellen konstatieren.
Die Kapillargefässe bekommen hier allmählich ein immer
weiteres Lumen; ihr Endothel wird hingegen dünn und schmächtig.
Die Zwischensubstanz zwischen den netzartig verbundenen Binde-
gewebszellen und den dünnwandigen Gefässen wird reichlicher,
erhält ein ödematöses Aussehen und bildet an fixierten Präparaten
oft netzige Gerinnsel, die sich mit EAz violett färben. In dieser
2 Alexander Maximow:
weichen gallertigen Zwischensubstanz kriechen die Wanderzellen
überall umher.
In diesem mittleren, älteren Abschnitt der Markhöhle beginnt
auch bald nachher die Blutbildung.
Was das periostale Knochenmark anbelangt, so ist seine
Masse viel geringer, als die Masse des zentralen oder enchondralen
Markes, denn es füllt ja nur die schmalen Räume zwischen den
Knochenbälkchen der periostalen Spongiosa aus. Die Knochen-
bälkchen sind mit Östeoblasten besetzt, hie und da sieht man
auch spärliche Osteoklasten. Das relativ gefässarme periostale
Mark selbst besteht hauptsächlich aus denselben gewöhnlichen,
retikulär verbundenen Bindegewebszellen. Wanderzellen sind hier
auch vorhanden, aber in viel spärlicherer Anzahl, als im zentralen
Mark. Ich habe bereits oben bemerkt, dass die schaumigen
Wanderzellen gerade hier besonders verbreitet sind.
Wir sehen also, dass das embryonale Bindegewebe, welches
den Knorpel resorbiert und die neugeschaftene Markhöhle ausfüllt,
das primäre Knochenmark, ausser den Osteoblasten, Osteoklasten
und Gefässen nur aus zweierlei Zellarten besteht: den gewöhn-
lichen fixen Bindegewebszellen und den Iymphoiden Wanderzellen,
den Lymphozyten. In den frühen Entwicklungsstadien kann man
immer mit der grössten Klarheit die weiter fortdauernde Ver-
wandlung der fixen Zellen in Wanderzellen beobachten. Dieses
primäre Knochenmark kann man nach seinem histologischen
Charakter mit vollem Recht als Iymphoides Mark bezeichnen.
Auch in den späteren Stadien, wenn in der Mitte der Dia-
physe in den ältesten Teilen des Markraumes Blutbildung beginnt,
verschwindet das Iymphoide Mark nicht. Es bleibt jetzt bloss
auf eine mehr oder weniger breite Zone an der enchondralen
Össifikationslinie beschränkt. Das den Knorpel weiter resorbierende
Bindegewebe bewahrt seinen embryonalen Charakter und seine
oben beschriebene Zusammensetzung bis zum Schluss des ganzen
Prozesses und es entstehen in ihm fortwährend neue Wander-
zellen, die dann allmählich von dem nachrückenden myeloiden
Markgewebe aufgenommen werden und in ihm als Lymphozyten
weiter existieren.
Da die enchondrale Ossifikationslinie mit der Zeit immer
langsamer und langsamer vorwärts schreitet, so wird auch die
vom primären oder Iymphoiden Mark eingenommene Grenzzone
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 33
immer schmäler. Ganz verschwindet sie aber wahrscheinlich
doch nur dann, wenn der enchondrale Ossifikationsprozess gänz-
lich aufhört und das Längenwachstum des Knochens sein Ziel
erreicht hat.
Wie wir weiter unten sehen werden, stellen die beschriebenen
Iymphozytoiden Wanderzellen, die Lymphozyten, den Ausgangs-
punkt der ganzen Blutbildung im Knochenmark vor. Wenn diese
Blutbildung beginnt, verwandelt sich das primäre, Iymphoide Mark
eo ipso in myeloides, reifes. Die zwischen den Wanderzellen
befindlichen, in fixem Zustand verbleibenden und zur Wander-
zellenbildung nicht verbrauchten Bindegewebszellen geben das
stützende Gerüst oder das- Stroma des Markes ab.
Nun fragt es sich — kann die Bildung neuer Wanderzellen
aus diesen fixen Bindegewebszellen in derselben Weise auch in
den späteren Stadien, auch im fertigen, myeloiden Mark fort-
dauern, wie wir sie in den frühen Stadien gefunden haben ?
Bewahren die fixen Bindegewebszellen ihren embryonalen indiffe-
renten Charakter auch für die Zukunft, oder nicht? Auf Grund
meiner Befunde muss ich diese Frage verneinen. Die Fähigkeit,
indifterente, amöboide Wanderzellen durch Kontraktion und Iso-
lierung zu produzieren, wohnt den Bindegewebszellen nur in den
ersten Entwicklungsstadien des Markes inne; nach Beginn der
eigentlichen Blutbildung, nach Erscheinen der Erythroblasten und
Myvelozyten treten die fixen Bindegewebszellen allmählich immer
mehr und mehr zurück, sie werden zwischen den üppig wuchernden
Blutzellen zusammengedrückt (Fig. 285 und 29 Bz), verlieren mit
der Zeit die Fähigkeit, sich in Iymphozytoide Wanderzellen weiter
zu verwandeln und werden zum Teil zu gewöhnlichen Fibroblasten,
zum Teil zu Fettzellen, zum Teil vielleicht zu „ruhenden Wander-
zellen“.
In den älteren, weiter unten beschriebenen Stadien, wo die
ganze Mitte der Diaphyse auf einer weiten Strecke von mehr
oder weniger fertigem, myeloidem Mark eingenommen ist, sielt
man Neubildung von Wanderzellen immer nur in der jetzt schon
sehr schmalen Zone des Iymphoiden Markes, die an der Ossifi-
kationslinie bestehen bleibt. Im fertigen Mark erblickt man
zwischen den verschiedenen Lymphozyten, Erythroblasten und
Mvelozyten nur spärliche fibroblastenähnliche Stromazellen und
Fettzellen.
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76.
&
34 Alexander Maximow:
Der Prozess der Blutbildung ist vielfach mit den (refäss-
endothelien in innige Beziehungen gebracht worden. Auch neuer-
dings halten viele Autoren, die auf dem polyphyletischen Stand-
punkte stehen, die Gefässwandzellen für die Quelle der verschiedenen
Blutzellen. Nach Schridde (47), Nägeli (35, 36), H. Fischer
(15) u. a. sollen Myeloblasten, Erythroblasten und Megakaryo-
zyten direkt aus ihnen hervorgehen und zwar als vollkommen
verschiedene, streng abgeschlossene Zellstämme.
Durch meine früheren Untersuchungen (32), die die frühesten
Entwicklungsstadien des Säugetierembryo betrafen, glaube ich der
monophvletischen Theorie der Hämatopoese einige weitere Stützen
gegeben zu haben. In allen blutbildenden Organen, auch im
Gefässnetz der Dottersackwand, fand sich eine indifferente, amöboide
Mesenchymzelle, der Lymphozyt im weitesten Sinne des Wortes,
die als Stammzelle für alle anderen Blutelemente funktionierte.
Sie selbst liess sich nun stets von gewöhnlichen, indifferenten
Mesenchymzellen ableiten, von den Blutinselzellen, oder von den
Zellen des Körpermesenchyms. Was die Endothelzellen der Ge-
fässe betrifft, so haben sie sich auch in vielen Fällen der Ver-
wandlung in Wanderzellen fähig gezeigt. Lymphozyten können
aus dem Endothel der Gefässe in der area vasculosa, aus dem
Endothel der Aorta, auch der kleinen Kapillaren entstehen.
Dantschakoff (6, 7) hat dasselbe für das Hühnchen bewiesen.
Dass die embryonalen Endothelzellen genau in derselben
Weise, wie gewöhnliche Mesenchymzellen, sich abrunden und in
Lymphozyten verwandeln können, ist ja auch nicht weiter ver-
wunderlich, da sie ja ebenfalls in der ersten Zeit noch indifferente
Bindegewebszellen sind, die nur infolge ihrer besonderen Lage
als Wandzellen der Gefässe einen besonderen Namen erhalten haben.
Wie wir weiter unten sehen werden, entstehen im Knochen-
mark alle myeloiden Elemente durch differenzierende Entwicklung
aus den beschriebenen polymorphen Lymphozyten. Eine Ent-
stehung von Myeloblasten, Erythroblasten und Megakaryozyten
direkt aus Endothelzellen wird nirgends und niemals beobachtet.
Ich habe daher eine besondere Aufmerksamkeit der Frage ge-
schenkt, ob nicht vielleicht wenigstens die Lymphozyten, die
Stammzellen der Blutelemente, im primären Knochenmark aus
dem Gefässendothel sich ableiten liessen — ich habe aber, wie
schon aus der oben angeführten Beschreibung erhellt, für diese
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 39
Vermutung gar keine Beweise finden können. Die Wanderzellen
entstehen einfach aus den gewöhnlichen embryonalen Bindegewebs-
zellen, zwischen den Gefässen, allerdings mit besonderer Vorliebe
gerade in der nächsten Umgebung der letzteren. Diese perithelial
gelagerten Zellen unterscheiden sich aber durch nichts von allen
übrigen. Entstehung von Wanderzellen aus den Endothelzellen
selbst hat sich sogar nicht in dem Umfang wiederfinden lassen,
wie es für die frühen Entwicklungsstadien von mir z. B. in der
Aorta beschrieben worden ist. Hin und wieder trifft man wohl
Bilder, besonders an der Ossifikationsgrenze, wo einzelne Endo-
thelzellen besonders stark geschwollen erscheinen und nach aussen
oder nach innen ins Lumen hineinragen. Solche Stellen sind
aber ganz ausserordentlich selten. Von der Endothelabstammung
der Lymphozyten und folglich auch aller anderen Blutelemente
im Knochenmark kann also nicht die Rede sein.
Wenn ich gesagt habe, dass im primären, Iymphoiden Mark
keine Blutbildung stattfindet, so stimmt das für das Gewebe selbst
in ganz genauem Sinn. Was jedoch den Inhalt der Gefässe an-
belangt, so müssen hier einige besondere Erscheinungen notiert
werden.
Schon bei dem ersten Einwuchern des Bindegewebes in den
Knorpel sieht man in den sich hier sofort stark erweiternden
Kapillargefässen ziemlich oft stauende grössere und kleinere Iympho-
zytenähnliche Zellen und etwas später hin und wieder auch Gruppen
von Megaloblasten und Normoblasten.
Ein Teil dieser intravaskulär gelegenen Zellen wird hierher
einfach mit dem Blute eingeschwemmt; sie finden hier günstige
Existenzbedingungen und entwickeln sich weiter. Im zirku-
lierenden Blute sind jedoch zu dieser Zeit wucherungsfähige
Erythroblasten und besonders Lymphozyten nicht häufig.
Ein anderer Teil der intravaskulären Lymphozyten stammt
sicherlich aus dem lokalen Gewebe. Als Beweis dienen hier die
sehr zahlreichen, ausserordentlich deutlichen Permigrationsbilder
(Fig. 7p und 19 p). Sie werden in allen Entwicklungsstadien
des Knochenmarks beobachtet und betreffen die verschiedensten
Formen der Lymphozyten. Bald sind es grosse, stark basophile
oder blasse Lymphozyten, bald kleine dunkelkernige Zellen vom
Charakter der typischen kleinen Lymphozyten oder endlich kleine
Zellen von „histogenem“ "Typus mit gefaltetem Kern. Der Kern
Se
o=
36 Alexander Maximow:
der durchwandernden Zelle ist immer stark eingeschnürt, das
Protoplasma befindet sich noch draussen oder schon im Inneren
des Gefässes. Dass es sich dabei wirklich um Einwanderung in
die Gefässe handelt, nicht um Auswanderung, das wird ja schon
dadurch bewiesen, dass zu dieser Zeit, wie gesagt, im Blute die
Lymphozyten sehr selten, im Iymphoiden Mark hingegen in grossen
Mengen vorhanden sind.
Die in das Gefässlumen gelangenden Lymphozyten können
sicherlich durch difterenzierende Wucherung sofort Megaloblasten
und Normoblasten erzeugen, so wie es weiter unten für die
extravaskuläre Blutbildung beschrieben ist.
4. Die Entstehung der Erythroblasten.
Mit der fortschreitenden Vergrösserung der Markhöhle tritt
schliesslich der Moment ein, wo in den älteren, mittleren Ab-
schnitten des Iymphoiden Markes richtige Blutbildung anfängt
und myveloide Zellformen erscheinen. Bei den meisten unter-
suchten Säugetieren sind es zugleich die Jugendformen der roten
Blutkörperchen, die Ervthroblasten und die Jugendformen der
gekörnten Spezialzellen, die Myelozyten. Nur bei der Ratte und
der Maus verspätet sich merkwürdigerweise das Erscheinen der
Erythroblasten, indem zuerst nur Spezialmyelozyten und eosinophile
Myelozyten und erst nachträglich die ersten Erythroblasten auf-
bresen.
Die Stadien, in welchen man bei den einzelnen Tierarten
im Mark der langen Extremitätenknochen die ersten Erythro-
blasten auftreten sieht, sind folgende: Meerschweinchenembryonen
von 34—36 mm, Kaninchenembryonen von 50 mm (21 Tage),
Katzenembryonen vom 55 mm. Bei der Ratte sind es Embryonen
von relativ weit vorgeschrittenen Stadien, von 35—39 mm; hier
sind zu dieser Zeit, wie gesagt, die Spezialgranulozyten schon
sehr reichlich.
Das Erscheinen der ersten, als Jugendformen der roten
Blutkörperchen kenntlichen Zellen ist an die Existenz der oben
beschriebenen, in der weichen Interzellularsubstanz zwischen
(refässen und fixen Bindegewebszellen einzeln oder in kleinen
Haufen verteilten Wanderzellen, der Lymphozyten gebunden und
wird zuerst in den mittleren, ältesten Partien des Markraumes
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 37
beobachtet. Bei allen untersuchten Tieren, auch bei Ratte und
Maus, sind die histologischen Bilder der Erythroblastenentwicklung
ausserordentlich ähnlich, die verschiedenen Zellgenerationen gleichen
einander vollkommen.
Die Wanderzellen, die sich in Erythroblasten verwandeln
werden, nehmen zuerst immer das Aussehen von typischen Gross-
Iymphozyten an; solche Grossiymphozyten können ja, wie wir
gesehen haben, auch von Anfang an aus den fixen embryonalen
Bindegewebszellen entstanden sein; sie können sich aber auch
überall und zu jeder Zeit aus den anderen, kleineren Lymphozyten-
formen, auch aus den Elementen von „histogenem“ Wanderzellen-
typus, auch aus den kleinen Lymphozyten durch einfache Hyper-
trophie entwickeln.
Bereits diese grossen Lymphozyten sind bei allen Tierarten
histologisch bis auf die Details ganz gleich beschaffen. Derselbe
amöboide, deutlich basophile Zelleib mit kleinen hellen Vakuolen,
derselbe grosse helle Kern mit relativ spärlichem Chromatingehalt
und den grossen Nukleolen (Fig. 34, 35, 38, 40 Lmz). Die Zahl
der Nukleolen kann stark wechseln. Bei der Ratte (Fig. 16,
29 Lmz und 32a) sieht man gewöhnlich, wenn auch nicht immer,
einen grossen, eckigen oder runden Nukleolus in der Mitte des
Kernes, sonst sind es gewöhnlich mehrere, grössere und kleinere.
In diesen grossen Lymphozyten fängt dann eine besonders
intensive Wucherung an. Die Zellen liegen gruppenweise in der
weichen gallertigen Zwischensubstanz, meist in der Nähe der
(refässe angesammelt und man findet in ihnen zahlreiche
Karyokinesen (Fig. 32b, 34 und 3SLmz‘). Die auf solche Weise
entstehenden losen Häufchen von grossen, basophilen Lymphozyten
fallen beim Beginn der Blutbildung, wo sie noch spärlich sind
und das Gewebe noch relativ zellarm ist, schon bei schwacher
Vergrösserung in die Augen.
Mit den weiteren Teilungen ändert sich der histologische
Charakter der Zellen. Sie werden etwas kleiner, bekommen eine
ganz gleichmässige Grösse und verlieren die für die Lymphozyten
so typischen amöboiden Pseudopodien. Die Konturen des Zelleibes
werden glatt, und da die Zellen jetzt immer dichtere Haufen
bilden, so kann ihre äussere Gestalt infolge von gegenseitigem
Druck polyedrisch werden. Das Protoplasma behält noch immer
die frühere Basophilie; wie feucht fixierte Deckglaspräparate
[0 #)
3 Alexander Maximow:
zeigen (siehe unten Fig. 47b, d), wird die Basophilie vorüber-
gehend sogar noch bedeutend stärker. An Schnittpräparaten geht
aber diese Eigenschaft verloren und das Protoplasma färbt sich
ebenso blau. wie das Protoplasma der Lymphozyten. Was aber
immer deutlicher hervortritt, ist die Verminderung der Zahl der
Vakuolen und die allmähliche Homogenisierung des Protoplasmas.
Der Kern verändert sich auch — er wird regelmässig rund, die
Nukleolen werden kleiner und das Chromatin zerteilt sich in
immer gleichmässigere Teilchen.
Man bekommt schliesslich auf diese Weise grössere oder
kleinere Haufen von gleichartigen, nur verschieden grossen, sich
allmählich verkleinernden Zellen (Fig. 34, 35, 37, 39, 40 Mlb),
die schon das typische Aussehen von Megaloblasten besitzen.
Sie sind kleiner, als die grossen Lymphozyten (Lmz), ihr runder
oder eckiger Zelleib besteht aus homogenem, basophilem Proto-
plasma. der regelmässig runde Kern enthält ein zierliches Gerüst-
werk mit gleichmässig verteilten, eckigen Chromatinteilchen — eine
für Erythroblastenkerne überaus typische Struktur, auf die zuerst
Pappenheim (37, 35) hingewiesen hat. Die Nukleolen sind
sehr klein und undeutlich geworden, sie gehen gewissermassen
im Chromatingerüst auf: bei starker Vergrösserung und guter
Färbung sind sie aber noch zu erkennen. Ob Hämoglobin im
Protoplasma schon vorhanden ist, kann man nicht mit Bestimmt-
heit sagen: an Schnittpräparaten sind seine ersten Spuren über-
haupt nicht färberisch darzustellen und an feucht fixierten
Deckglaspräparaten stört die zugleich noch immer bestehende,
sehr starke Basophilie des Protoplasmas. Diese Megaloblasten
wuchern weiter und die Mitosen werden meistens gruppenweise
angetroffen (Fig.35 und 40 Mlb‘). Diese Mitosen zeichnen sich
durch das ganz homogene und im Vergleich mit dem Ruhe-
zustand hellere Protoplasma und durch die plumpe Chromosomen-
figur aus.
Die weiteren Generationen nehmen rasch den Charakter
von Normoblasten an, von Zellen mit trachychromatischem Kern
und deutlicher Hämoglobinansammlung im Plasma (Fig. 35, 37,
40 Nmb). Die einzelnen Schritte dieser Zelldifferenzierung scheinen
stets an den Verlauf der Mitosen gebunden zu sein. Aus jeder
Teilung gehen Zellen hervor, die dem Endtypus plötzlich schon
viel näher stehen, als die Mutterzelle,
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 39
Die Normoblastenhaufen sehen überaus typisch und bei
allen Tieren ganz ähnlich aus (Meerschweinchen von 45 mm,
Katze 72mm). Man findet immer zahlreiche, dichtgedrängte, kleine
Zellen von runder oder gegenseitig abgeplatteter polvedrischer Form;
sie haben homogenes, immer stärker und stärker azidophiles, rötlich
gefärbtes Protoplasma und kleine, sehr dunkle Kerne mit typischem
dichtem Chromatingerüst, ohne Nukleolen (Fig. 35. 37, 40 Nmb).
Auch diese Normoblasten teilen sich noch weiter (Fig.35 Nmb‘),
bis schon die bekannten, ganz reifen, nicht mehr teilungsfähigen,
an Hämoglobin sehr reichen und mit dunklen, pyknotischen Kernen
ausgestatteten Normoblasten entstehen (Fig. 36 und 37 Nmb“).
Ihr Protoplasma ist an E Az-Präparaten keineswegs rot, wie es
z. B. die pseudoeosinophilen Granula sind, sondern es hat einen
eigentümlichen kupferroten Ton. Auf den Zeichnungen (Fig. 36.37)
ist aber diese ganz besondere und typische Färbungsnüance nicht
dargestellt worden, um die Reproduktionsschwierigkeiten der
Tafeln nicht noch mehr zu erhöhen und das Protoplasma der
Normoblasten ist ebenso wie die Substanz der reifen Ervthrozyten
rein rot dargestellt.
Der pyknotische Kern der reifen Normoblasten erreicht in
den embryonalen Stadien, die uns hier interessieren, niemals die
volle Homogenität, die ihn im Knochenmark des erwachsenen Tieres
auszeichnet. Man kann in ihm stets ein noch ziemlich deutliches
Gerüst unterscheiden. Immer kann man hingegen die typische
Gestaltsveränderung bemerken, die sich in hantelförmiger Ein-
schnürung, Kleeblattform usw. äussert (Fig. 36 und 37 Nmb‘) und
von vielen Autoren, z.B. Weidenreich (52), Pappenheim,
mir selbst (32) und anderen in reifen Normoblasten verschiedenster
Provenienz beobachtet wurde.
Es erhellt aus der angeführten Beschreibung der Entwicklung
der Jugendstadien der roten Blutzellen bis zu den reifen Normo-
blasten, dass dieser Prozess im embryonalen Knochenmark durchaus
in derselben Weise angebahnt wird und weiter verläuft, wie in
den übrigen blutbildenden Organen des Embryo, sowohl im
ersten, in dem Gefässnetz der Dottersackwand. als auch im
Körpermesenchym und in der Leber. Auch dort bilden den
Ausgangspunkt der Entwicklung grosse, basophile Lymphozyten,
die durch differenzierende heteroplastische Wucherung Generationen
von hämoglobinhaltigen Zellen erzeugen.
40 Alexander Maximow:
Unter diesen Generationen haben wir auch hier jüngere
Generationen von älteren, reiferen, zu unterscheiden. Die jüngeren
präsentieren sich ais Megaloblasten, die älteren als Normoblasten.
Die Megaloblasten sind folglich in Übereinstimmung mit meinen
früheren Beobachtungen (31, 32) und mit den Angaben von
Weidenreich (52), Pappenheim (39,41 u.a.) und Jolly (35),
im Gegensatz zu den sog. „primitiven Erythroblasten“, nicht als
eine besondere, phylogenetisch scharf abeegrenzte Zellart zu
betrachten, sondern nur als eine unumgänglich nötige Übergangs-
stufe auf dem Entwicklungsweg vom Lymphozyt zum reifen
Normoblast. Ob die Megaloblasten auch als solche reifen und
altern und besondere Megalozyten produzieren können, wie es
Pappenheim und viele andere für pathologische Fälle annehmen,
ist eine Frage für sich. Unter normalen, beim Embryo ver-
wirklichten Verhältnissen geschieht dies jedenfalls nicht und alle
Megaloblasten ohne Ausnahme entwickeln sich stets weiter durch
difterenzierende Wucherung zu Normoblasten. Andererseits habe
ich eine direkte Entstehung von Normoblasten aus Zellen vom
Typus der kleinen Lymphozyten ebenfalls nicht beobachten können.
Es wäre noch die Frage zu erörtern, welche Bezeichnung
für die hämoglobinlose basophile Vorstufe der Erythroblasten die
passendste wäre und ob es statthaft ist, sie als Wanderzellen
oder als Lymphozyten zu bezeichnen. Darüber werde ich im
Schlussabschnitt sprechen.
Es bleiben jetzt noch zwei Fragen zu beantworten. Erstens —
wie entstehen aus den reifen Normoblasten die kernlosen
Erythrozyten und zweitens — wie gelangen diese Erythrozyten
in das zirkulierende Blut?
Was die Entkernung der Normoblasten betrifft, so brauche
ich an dieser Stelle die verschiedenen strittigen Literaturangaben
nicht wieder anzuführen. Es ist bekannt, dass sich heutzutage,
wie schon vor mehreren Jahren, zwei Lehren heftig befehden,
die von der Kernausstossung und die von der intrazellulären
Kernauflösung. Wie früher, so muss ich mich auch jetzt auf
Grund meiner Präparate entschieden zur ersten bekennen. Ich
würde es wirklich für unnötig halten, noch weitere Beweise dafür
beizubringen, wenn man nicht immer wieder von verschiedenen
Seiten die Behauptung zu hören bekäme (Schridde [47], Nägeli
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 41
[35, 36] u.a.), dass Kernausstossung unter normalen Verhältnissen
nicht vorkomme.
In den aus reifen Normoblasten bestehenden Herden sehen
wir sehr bald das Erscheinen von frei im Gewebe liegenden
jungen kernlosen Erythrozyten (Fig. 36 und 37 Erz‘). Aber
Übergänge von den einen zu den anderen, wie solche doch
bei Annahme eines intrazellulären Kernschwundes existieren
müssten, gibt es einfach nicht. Hingegen findet man im Knochen-
mark, ebenso wie ich es in den anderen blutbildenden Organen
beschrieben habe, ganz unzweideutige Beweise für die Ausstossung
des pyknotischen, deformierten, in selteneren Fällen auch schon
in Stücke zerfallenden Kernes aus dem reifen hämoglobinreichen
Zelleibe der Normoblasten (Fig. 36 Nmb‘ Iinks und oben). Es
ist mir unverständlich, wie man bei der allgemeinen Verbreitung
solcher Bilder noch immer von Artefakten sprechen hören muss.
Wenn die in fixierten Präparaten vorhandenen Bilder der Kern-
ausstossung sogar wirklich unter der Einwirkung der fixierenden
Reagentien entstanden sein sollten, so wäre das doch nur ein
weiterer Beweis für die ausserordentliche Leichtigkeit, mit welcher
der Kern der ganz reifen Normoblasten den Zelleib verlassen
kann, während, wie gesagt, für die anderen Erklärungsversuche
jeder Beweis fehlt. „Blasse Kernschatten“ werden von keinem
von den neueren Autoren mehr beschrieben und kommen in
einigermassen befriedigend gefärbten Präparaten gar nicht zur
Beobachtung. Dafür sieht man aber in den Normoblastenherden
stets freie,- pyknotische, zerfallende Kerne (Fig. 365) und, was
besonders wichtig ist, Phagozyten (Fig. 21, 36 und 37 Phg), die
diese Kerne verschlingen. Die Zahl der freien Kerne ist allerdings
gering — das hängt aber einfach damit zusammen, dass die pykno-
tischen Kerne in der Gewebstlüssigkeit in kürzester Zeit abblassen
und aufgelöst werden ; man findet sehr oft entsprechende Übergangs-
formen. Als Phagozyten funktionieren zum Teil, wie es weiter unten
beschrieben ist, Gefässendothelzellen, zum grössten Teil aber die
gewöhnlichen fixen Bindegewebszellen, die zwischen den Erythro-
blasten als Stromazellen des Markes übrig bleiben. Sehr selten
handelt es sich um freie Zellen, dann meistens grosse, aber
blasse Wanderzellen. Die Grenzen des Zelleibes der Phagozyten
(Fig. 36 und 37 Phg) sind meistens von den dichtgelagerten
Normoblasten verdeckt, man unterscheidet aber immer sehr
42 Alexander Maximow:
deutlich den blassen chromatinarmen Kern, und wenn in der
Nachbarschaft dieser Zellen viele Normoblasten ihre Kerne aus-
stossen, so nehmen die Phagozyten sofort eine grosse Anzahl der
letzteren in ihr Protoplasma auf; hier verfallen die Kerne dann einer
sehr raschen Zerstörung, wobei sie an Alkohol-Thionin-Präparaten
nicht selten eine deutlich rotviolette, metachromatische Färbung
annehmen. Die fixen Erythroblastenkernphagozyten sind im
Knochenmark (bei jungen Schafen und Ziegen) auch von Jolly
(24, 25) beobachtet worden.
Nach der Auflösung der verschlungenen Kerne gleichen die
fixen Phagozyten wieder vollkommen den anderen gewöhnlichen
Stromazellen.
Blumenthal (3), der ein Anhänger des intrazellulären
Kernschwundes in den Erythroblasten ist, wendet gegen die
beschriebenen Bilder von Kernphagozytose ein, dass es ebensogut
Zellen sein könnten, die ganze Normoblasten, nicht freie aus-
gestossene Kerne verschlungen haben. Das Protoplasma der ver-
schlungenen Normoblasten wird zuerst aufgelöst, der Kern bleibt
viel länger erhalten und dann scheint es ein verschlungener Kern
zu sein; solche Kernphagozyten können also nach Blumenthal
keineswegs als Beweis für die Kernausstossung gelten.
An meinen Präparaten sehe ich ganze von Zellen verschlungene
Normoblasten nur äusserst selten. Dass dies doch mitunter vor-
kommt. will ich keineswegs leugnen. In der weitaus grössten
Mehrzahl der Fälle sind es aber zweifellos nackte Kerne, die als
solche verschlungen worden sind, denn sie besitzen keine Spur
von hämoglobinhaltigem Plasma an ihrer Peripherie, und das
letztere hätte doch nicht so rasch in allen Fällen verschwinden
können. Ausserdem sind ja, wie gesagt, überall im Gewebe so
wie so nackte Kerne vorhanden, die doch nicht ohne weiteres
als Resultat von Artefakten gedeutet werden können.
Die Ursache der plötzlich eintretenden Kernausstossung ist
uns unbekannt. Vielleicht könnte man aber zur Erklärung dieses
sonderbaren Vorganges den Umstand heranziehen, dass in die
Haufen reifer Normoblasten infolge der weiter unten beschriebenen
Auflockerung des Endothels aus den Gefässen sicherlich Blut-
plasma eindringt, welches dann durch Änderung des osmotischen
Druckes oder durch andere chemische Einwirkungen den Kernaus-
tritt auslöst. Wenn ‘noch kernhaltige reife Normoblasten in die
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 45
(refässe übertreten, scheint der Kernaustritt tatsächlich besonders
rasch, sofort einzutreten. Auch Blumenthal (2) ist in neuerer
Zeit geneigt, viele morphologische Erscheinungen der Hämatopoese
durch den Einfluss von verschieden beschaffenen chemischen
Medien in den verschiedenen Blutbildungsstätten zu erklären,
obwohl er, wie gesagt, gerade Gegner der Kernausstossung ist.
Übrigens muss daran erinnert werden, dass derselbe Prozess
der Kernausstossung sich doch auch an den reifen Normoblasten
innerhalb der Dottersackgefässe vollzieht, wo von osmotischen
Druckänderungen oder chemischen Veränderungen des Milieus
nicht gut die Rede sein kann.
Schon in meiner früheren Arbeit (32) habe ich notiert,
dass der hämoglobinreiche Zelleib der reifen Normoblasten, die
gerade im Moment der Kernausstossung fixiert worden sind, und
die jungen, eben erst entstandenen kernlosen Erythrozyten eine
sehr unregelmässige Form besitzen, die von der endgültigen
bikonkaven oder napfähnlichen stark abweicht. Dieselbe Erscheinung
tritt uns auch im embryonalen Knochenmark entgegen.
In den ganz reifen Normoblasten bildet der hämoglobin-
reiche Zelleib unmittelbar vor der Kernausstossung zahlreiche
Höcker an seiner Oberfläche (Fig. 36 und 37 Nmb‘). Nach dem
Ausschlüpfen des Kernes ist der junge Erythrozyt (Fig. 35,
36 und 37 Erz‘) ebenfalls an einem grossen Teil seiner Ober-
fläche mit Unebenheiten versehen, erscheint runzelig und eine
regelmässigere runde Form und eine glatte Oberfläche kommt
nur einem kleinen Teil seiner Oberfläche zu. Mit der Zeit
scheint sich dieser letzte, glatte Teil auf Kosten des übrigen,
höckerigen, zu vergrössern, bis die endgültige regelmässige Form
entsteht. Jedenfalls ist es in den Gefässen des Knochenmarks
immer leicht möglich, die jungen Erythrozyten (Fig. 35 und 37 Erz‘)
von den älteren (Erz) nach der beschriebenen Besonderheit der
äusseren Form zu unterscheiden.
Diese meine schon früher kurz angeführte Beobachtung hat
Schridde (47a) veranlasst, an dem guten Fixierungszustand
meiner Präparate zu zweifeln. Nun glaube ich aber doch, dass
dieser Vorwurf nicht stichhaltig ist, denn in meinen Präparaten
sieht man ja stets unregelmässig geformte Normoblasten mit
Kernpyknose oder junge Erythrozyten hart neben ganz regelmässig
bikonkaven oder napfförmigen reifen Erythrozyten in buntem
44 Alexander Maximow:
Durcheinander und der Fixierungszustand aller anderen Zellformen
lässt auch nichts zu wünschen übrig. Es ist ja möglich, dass
die Unebenheiten der Obertläche im Leben nicht so scharf aus-
geprägt sind, wie im fixierten Präparat — speziell darauf ge-
richtete Untersuchungen an frischem Material habe ich nicht aus-
geführt — jedenfalls zeigen aber die beschriebenen Erscheinungen
am fixierten Präparat, dass der Zelleib der Normoblasten während
des Kernaustritts und unmittelbar nachher für eine Zeitlang
besondere Veränderungen erleidet, die sich eben am fixierten
Präparat durch die geschilderte Deformation bekunden.
Die zweite Frage, über die Art und Weise, wie die reifen
Erythrozyten in die Blutbahn gelangen, ist für die Erythrozyten
merkwürdigerweise gar nicht so leicht zu beantworten, wie man
es im voraus erwarten könnte. Dass die Lymphozyten in die
Grefässe durch aktive Permigration gelangen, haben wir oben
gesehen. Ebenso sind ja auch die weiter unten beschriebenen
Granulozyten amöboider Bewegung fähig. Wie gelangen aber
die unbeweglichen Erythrozyten in die Blutbahn? Erst bei sorg-
fältigstem Studium der Präparate unter starken Vergrösserungen
gelingt es, sich darüber ein bestimmtes Urteil zu bilden.
Die Entwicklung der Lymphozyten zu Erythroblasten geschieht
immer in der nächsten Umgebung der Gefässe, was ja ganz selbst-
verständlich ist, da das Gewebe relativ schmale Streifen zwischen
den enchondralen Knochenbälkchen und den zahlreichen Grefässen
vorstellt. Die Erythroblastenherde liegen sogar meistens der
Endothelwand eines Gefässes von aussen sehr eng an und wölben
sie mitunter nach innen buckelförmig vor (Fig. 37). Besonders
trifft dies für Herde zu, die schon aus reifen Erythroblasten mit
pyknotischen Kernen bestehen. Die zellige Zusammensetzung
dieser Herde kann im übrigen eine sehr mannigfaltige sein.
Nun erleidet aber das Endothel der Blutgefässe in den
mittleren Teilen der Diaphyse, wo sich die Blutbildung entwickelt,
ganz besondere Veränderungen. Während es früher, in den ersten
Stadien der Markbildung, im Ivmphoiden Mark, noch saftig war
und aus wohlausgebildeten, mitotisch wuchernden Zellen bestand,
und während dieselbe Beschaffenheit auch späterhin das Gefäss-
endothel überall an der enchondralen Ossifikationsgrenze und in
der Zone des vordringenden Iymphoiden Markes auszeichnet, wird
das Endothel in den von der Blutbildung eingenommenen mittleren,
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 45
älteren Teilen des Markraumes immer dünner und schmächtiger.
Mitosen sind hier fast niemals mehr zu finden. Die Zellen platten
sich sehr stark ab, die Kerne werden blass, chromatinarm, rücken
immer weiter und weiter voneinander weg und an vielen Stellen
erscheint ein Quer- oder Längsschnitt eines weiten sinnuösen
(Gefässes nur von einer äusserst dünnen, blassen Linie begrenzt,
dem Querschnitt der Endothelmembran, deren Kerne vom
Schnitte nicht getroffen sind (Fig. 34, 35, 37 Ed). Nach aussen
von dieser Linie liegt die meistens stark ödematöse, blasse,
amorphe Zwischensubstanz des Markgewebes mit zahlreichen
Wanderzellen und Blutzellen der verschiedensten Art und mit
sehr spärlichen blassen Bindegewebszellen zwischen ihnen. Dass
die Erythroblastenherde mit besonderer Vorliebe gerade hart an
der Endothelwand liegen und die dünne Membran oft buckel-
formig nach dem Lumen zu vorwölben, habe ich schon gesagt
(Fig. 37 Ed).
Nun sieht man bei genauer Betrachtung, dass an den Stellen
der reifen Normoblastenherde, wo im Gewebe junge, eben ent-
standene, kernlose Erythrozyten herumliegen, die dünne Endothel-
membran ihre Kontinuität stellenweise verliert — sie erscheint
zerfasert, siebförmig durchlöchert (Fig. 37 Ed). Die sehr blassen
Ränder der Lücken sind bei dem Zellreichtum des Gewebes nicht
leicht zu unterscheiden. Durch die entstandenen Öffnungen in
der Endothelmembran tritt Blutplasma ins Gewebe ein, lockert
die dichten Zellherde auf und spült allmählich die reifen Erythro-
zyten aus dem Gewebe in das Gefässlumen. Ausser den jungen,
kernlosen, noch unregelmässig geformten Erythrozyten gelangen in
gewisser Anzahl auch noch kernhaltige Normoblasten mit in die
Blutbahn. Allerdings sind es zum grössten Teil Normoblasten
mit schon pyknotischem Kern, die beim Übergang in das Gefäss-
lumen sich sofort zu entkernen scheinen. Im Gefässlumen sieht
man in solchen Fällen neben regelmässig geformten, reifen und
unregelmässigen jungen, kernlosen Erythrozyten Normoblasten
mit pyknotischem Kern, einige gerade im Moment des Kern-
austritts fixiert und auch freie nackte ausgestossene Kerne.
Megaloblasten gelangen nur in sehr spärlicher Anzahl in das
Lumen; wenn dies geschieht, vollenden sie ihre weitere Entwicklung
in normaler Weise in der Blutbahn. Auch Lymphozyten ver-
schiedener Art können an denselben Stellen, allerdings nur in
46 Alexander Maximow:
sehr seltenen Fällen, durch die aufgelockerte Endothelwand ins
Gefäss gelangen. Mit den granulierten Zellen scheint dies merk-
würdigerweise niemals zu geschehen.
Mit dem Blutplasma können in das Gewebe natürlich oft
auch ältere reife Erythrozyten extravasieren; deswegen sieht man
in den sich in die Blutbahn entleerenden Erythroblastenherden
immer auch solche Erythrozyten in beschränkter Anzahl liegen
(Fig. 36 Erz).
Nach einiger Zeit kann sich die dünne Endothelmembran,
welche ja sicherlich aus kontraktilem Protoplasma besteht, wieder
schliessen und die Gefässwand erlangt hier wieder ihre Kontinuität.
Der beschriebene Prozess des Übertretens von Erythrozyten
aus dem blutbildenden Gewebe in die Blutbahn ist in ähnlicher
Form auch von anderen Autoren in embryonalen blutbildenden
Organen beobachtet worden, so von Lobenhoffer (23),
H.>Eischer- 5) 2.
Um diesen Abschnitt zu beschliessen, möchte ich noch einer
Zellform Erwähnung tun, die an der inneren Oberfläche der
Endothelwand der Gefässe gerade an den Stellen vorkommt, wo
die Entleerung von Erythroblastenherden in die Blutbahn statt-
findet. Es sind ziemlich grosse amöboide einkernige Phagozyten,
mit verschlungenen kernlosen Erythrozyten, Normoblasten und
deren nackten Kernen im Protoplasma (Fig. 37 Edph). Einmal
habe ich in einer solchen Zelle auch eine Mitose gefunden.
Es kann sich dabei entweder um grosse Lymphozyten handeln,
die sich in Phagozyten verwandelt haben, oder es sind kontrahierte
und abgelöste Endothelien, was ja auch sein Analogon in den
Endothelphagozyten der embryonalen Leber hätte.
5. Die Entstehung der Spezialgranulozyten.
Die Entstehung der ersten Granulozyten mit Spezialkörnung
bietet bei den einzelnen Tierarten manche Verschiedenheiten dar,
was ja auch ohne weiteres verständlich ist, weil gerade diese
Zellen je nach der Tierart am meisten differieren. Sie entstehen
jedenfalls, wie wir sehen werden, bei allen Tieren aus denselben,
oben beschriebenen, polymorphen Iymphoiden Wanderzellen, den
Lymphozyten, ebenso wie die Erythroblasten. Während sie aber
beim Kaninchen und besonders beim Meerschweinchen zusammen
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 47
mit den eosinophilen Granulozyten aus einer gemeinsamen, aller-
dings nur in den frühesten Entwicklungsstadien nachweisbaren,
ebenfalls granulierten Stammform hervorzugehen scheinen, oder
wenigstens zuerst noch in mancher Beziehung atypische Granula
führen, entstehen die beiden Granulozytenarten bei Katze, Ratte
und Maus aus der gemeinsamen ungranulierten Stammzelle zu
gleicher Zeit und sofort als vollkommen getrennte und typisch
beschaffene Entwicklungsreihen.
Es ist bekannt, dass beim Meerschweinchen und Kaninchen
die Spezialgranulozyten sogenannte pseudoeosinophile, ebenfalls
azidophile Granula führen, die sich von den echten eosinophilen
ausser bestimmten chemischen und färberischen Reaktionen haupt-
sächlich durch ihre Feinheit unterscheiden. Bei der Katze und
besonders bei der Ratte und der Maus sind hingegen die Spezial-
eranula ganz anders beschaffen. Sie sind hier äusserst schwierig
darzustellen und meistens erscheint der Zelleib der Spezialleuko-
zyten in Schnitt- und Deckglaspräparaten mehr oder weniger
homogen, azidophil.
Wir wollen zunächst sehen, wie die ersten Granulozyten beim
Meerschweinchen und beim Kaninchen entstehen; der Prozess
verläuft bei diesen beiden Tieren ohne erhebliche Verschieden-
heiten. Die Spezialgranulozyten treten hier zugleich mit den
ersten Erythroblasten auf; die betreffenden Stadien habe ich
bereits oben angegeben.
Die ersten Granulozyten tauchen ebenso wie die ersten
Erythroblasten in den älteren, mittleren Partien der Markhöhle
auf. Sie erscheinen aber zuerst immer relativ spärlich, nicht in
grossen dichten Herden, wie die Erythroblasten, sondern einzeln
oder in sehr kleinen Gruppen und sehr ungleichmässig zwischen
den anderen Gewebselementen zerstreut.
Die Granulozyten entstehen aus den oben beschriebenen
Iymphoiden Wanderzellen, den Lymphozyten, durch Ausarbeitung
von azidophilen Körnchen im Protoplasma. Ein sehr wichtiger
Umstand ist nun der, dass die ersten Spuren der Körnung in
allen möglichen Arten von Lymphozyten ohne Unterschied er-
scheinen können, sowohl in den Wanderzellen vom Typus der
grossen Lymphozyten, als auch in den Wanderzellen mit poly-
morphem Kern und amöboidem Protoplasma oder auch sogar in
typischen kleinen Lymphozyten.
48 Alexander Maximow:
Dies ist ein Unterschied im Vergleich mit der Entstehung
der Erythroblasten aus denselben Iymphozytoiden Zellen; denn
die Erythroblasten entstehen, wie gesagt, immer nur durch
Wucherung grosser Iymphozytoider Zellen vom Charakter der
grossen Lymphozyten. Ein eingreifender Unterschied ist es jedoch
nicht, denn wir wissen ja, dass sich jede kleine Wanderzelle und
jeder kleine Lymphozyt durch direkte Hypertrophie in einen
grossen Lymphozyt verwandeln kann. Dass Granulozyten aus
den verschiedensten Lymphozytenformen durch Granulaproduktion
direkt hervorgehen können, haben bekanntlich Weidenreich
(53, 57 u.a.) und Schott (45) auch im erwachsenen Organismus
beobachtet.
Wenn die Körnung in einem grossen Lymphozyt auftritt
(Fig. 18c, Fig. 22), bemerkt man im basophilen amöboiden
Protoplasma, vornehmlich an der äusseren Oberfläche des Zell-
leibes, manchmal aber gerade nur an der Peripherie der
Attraktionssphäre, feinste, staubförmige, rote Granula. Sie liegen
zuerst im blauen Protoplasma, oft jedes einzelne in einem kleinen
hellen Hof (Fig. 22), später wird aber das Protoplasma an den
betreffenden Stellen heller und schliesslich kann es zwischen den
Körnchen ganz blass werden; eine deutlich azidophile Beschaffen-
heit bemerkt man jedoch nicht. Der Kern weist gewöhnlich zu
gleicher Zeit auch schon geringe Veränderungen auf; die Chromatin-
teilchen werden heller, rücken weiter auseinander, der Nukleolus
verkleinert sich.
Schliesslich entstehen auf solche Weise mehr oder weniger
typische Zellen vom Charakter der grossen pseudoeosinophilen
Mvelozyten, mit reichlicher Körnung im Protoplasma. Die Körnchen
sehen oft (Fig. 23 Mlz) entschieden gröber aus, als es für die
gewöhnliche pseudoeosinophile Körnung beim erwachsenen Tier
der Fall ist, sie erreichen dabei aber doch nicht den Umfang der
echten reifen eosinophilen Körnung. Das Protoplasma zwischen
den Körnchen ist meistens noch immer schwach basophil, bleibt
amöboid und bildet sogar noch besonders grosse lappige Vorstösse
(Fig. 23 Mlz). Der Kern hat in solchen Zellen entweder das
Aussehen eines gewöhnlichen blassen Myelozytenkernes (Fig. 21 Mlz,
Fig. 22), oder es beginnt bereits die erste Andeutung der Poly-
morphie, der Reifung; der Kern bekommt eine unregelmässige
Gestalt, gröbere eckige Uhromatinteilchen und dunkleren Kern-
“
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 49
saft (Fig. 23 Mlz). Mitosen in solchen grossen Myelozyten können
vielleicht vorkommen, sind aber jedenfalls zuerst noch ganz
ausserordentlich selten.
Was aber sofort in die Augen fällt, ist der Umstand, dass
die noch granulaarmen, jungen grossen Myelozyten fast stets paar-
weise angeordnet erscheinen. Die Zellen sind oft noch durch
eine feine protoplasmatische Brücke miteinander verbunden
(Fig. 21 Mlz, Fig. 22). Solche paarweise verbundene Zellen haben
natürlich eine abgelaufene Mitose unmittelbar hinter sich. Da
man aber, wie gesagt, Mitosen, d.h. Spireme, Muttersterne und
Doppelsterne in körnehenführenden Myelozyten in den frühesten
Entwicklungsstadien kaum jemals findet, so ist man gezwungen
anzunehmen, dass die paarweise angeordneten granulaarmen
Mvelozyten Telophasen von Mitosen grosser granulaloser Lympho-
zyten vorstellen und dass die ersten Spuren der Körnung eben
gerade während der Mitose selbst, während der Rekonstruktion
der Kerne und der Durchschnürung des Zelleibes im Protoplasma
auftauchen. Über die vermutliche Bedeutung dieser Tatsache
werde ich im Schlussabschnitte einiges sagen.
beim Kaninchen gehört die Mehrzahl der ersten Granulo-
zyten dem beschriebenen Typus der echten grossen Myelozyten
an, obwohl man sehr oft auch ganz anders geartete Granulozyten
findet. Beim Meerschweinchen sind die Bilder aber noch viel
mannigfaltiger und die typischen grossen Myelozyten unter den
ersten Granulozyten sogar relativ selten. Dieselbe feine azidophile
Körnung tritt hier nämlich mit besonderer Vorliebe gerade in
den verschiedenen anderen Wanderzellenformen auf.
Oft sind es die Wanderzellen von „histogenem* Typus, mit
sehr unregelmässig geformtem hellem oder dunklem, oft hufeisen-
förmigem Kern und relativ reichlichem, hellem, amöboidem Plasma,
die die ersten Spuren der Körnung ausarbeiten (Fig. 25); es
entstehen dabei mitunter Zellen, die etwa den „Metamyelo-
zyten“ der Hämatologen entsprechen würden, wenn sie keine
so spärliche Körnung hätten. Die Körnchen tauchen auch hier
zuerst mit besonderer Vorliebe in der Umgebung der Sphäre auf
(Fig. 25). In anderen Fällen sind es nicht näher zu definierende
Übergangsformen von diesen Wanderzellen zu grossen Lympho-
zyten (Fig. 20 Mlz). Endlich kann man oft die ersten Spuren
der Körnung auch im ganz typischen, kleinen, dunkelkernigen
Archiv f.mikr. Anat. Bd. 76. 4
50 Alexander Maximow:
Lymphozyten finden (Fig. 19 Mlz, Fig. 24), wie dies auch im er-
wachsenen Organismus gelegentlich beobachtet wird (Weiden-
reich [53, 56], Dominici [14], Pappenheim [42a]) und
ebenso in den Übergangsformen von den kleinen Lymphozyten
zu den grösseren Iymphozytoiden Zellen, in Zellen mit sehr
schmalem Plasma und relativ grossem, wunregelmässig ein-
geschnürtem Kern.
Alle diese jungen Granulozyten scheinen auch meistens
paarweise oder gruppenweise angeordnet zu sein, obwohl dies
hier nicht immer so deutlich hervortritt, wie an den grossen
Myelozyten. Mitosen habe ich in solehen noch kleinen und noch
granulaarmen Myelozyten nicht gesehen. Dass sie sich aber
unter Umständen doch teilen können, auch die kleinsten, mag
möglich sein.
Dass die Körnung in allen diesen Zellen die gleiche ist,
kann nicht bezweifelt werden. Wenigstens sieht sie bei allen
von mir angewandten Methoden ganz gleich aus. Sie färbt sich
auch an Alkohol-’Thionin-Präparaten in dem für die jungen
pseudoeosinophilen Körner typischen metachromatischen Ton, hat
also eine basophile Quote, eine Eigenschaft, die schon von
Blumenthal (1), mir (31, 32) und Pappenheim (42) be-
schrieben worden ist.
Bald nach dem Erscheinen der beschriebenen ersten Granulo-
zyten, in nur etwas späteren Stadien (Meerschweinchen 45 mm,
Kaninchen 55 mm), sieht man im Markgewebe hie und da einzeln
zerstreut auch schon reife granulierte Leukozyten, allerdings in
sehr spärlicher Anzahl, auftreten. Als reif dokumentieren sie
sich durch den in typischer Weise zerschnürten, schlauch-
förmigen, polymorphen, dunklen Kern (Fig. 26a, b, ec). Ihr
Protoplasma hat aber ein sehr verschiedenes Aussehen. Meistens
ist es ganz blass, manchmal noch immer leicht basophil und
enthält viele rote Körner von der Beschaffenheit der pseudo-
eosinophilen. In anderen Fällen sind diese Körner sehr spärlich
oder das ganze Protoplasma hat eine deutliche azidophile Reaktion
und ist mit äusserst feinen, kaum sichtbaren roten Körnchen wie
bestäubt (a, b). In einigen Zellen fehlen die Körnchen sogar
vollkommen (c). Man sieht, es sind alles noch unvollkommene,
oft atypische polymorphkernige Spezialleukozyten.
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. al
Wenn man ihre Entstehungsweise genauer prüft, erweist es
sich, dass sie direkt, ohne Myelozytenstadium, aus den beschriebenen
kleineren Wanderzellenformen mit beginnender Granulaausarbeitung
hervorgehen. Ist die Ursprungszelle ein. typischer kleiner dunkel-
kerniger Lymphozyt (Fig. 19 Mlz, Fig. 24), so sieht man, wie der
dunkle Kern sich einschnürt, in die Länge zieht und knickt, während
im Protoplasma eine mehr oder weniger vollkommen ausgeprägte
Körnung entsteht. Wenn es sich um Wanderzellen von „histogenem“
Typus handelt, so entstehen meist etwas grössere Zellen mit
saftigerem, hellerem oder auch sehr polymorphem schlauchförmigem
Kern und gröberer oder feinerer Körnung im Zelleib.
Wenn wir die beschriebene Granulozytenentstehung im em-
bryonalen Knochenmark mit dem vergleichen, was ich früher für
die Entstehung der Granulozyten im Körpermesenchym und ın
der embryonalen Leber beschrieben habe (32), so fällt sofort die
grosse Ähnlichkeit, ja die Identität der beiden Prozesse auf. Wie
die polymorphen, ubiquitären Wanderzellen im Körpermesenchym
an vielen Stellen Granula ausarbeiten, die ihren Eigenschaften
nach den pseudoeosinophilen am nächsten stehen, wenn sie mit
ihnen zunächst auch noch nicht ganz übereinstimmen, also zu etwas
atypischen, noch unvollkommenen Granulozyten werden, so sehen
wir dasselbe auch im Knochenmark eintreten, mit dem Unterschiede,
dass diese Erscheinung sich hier mit der Zeit viel intensiver ent-
faltet und auf beschränktem Raum sehr viele Granulozyten erzeugt.
Wie im Körpermesenchym, so entstehen auch im Knochenmark
ausser typischen grossen Myelozyten in der ersten Zeit sofort
auch kleine atypische unvollkommene reife Leukozyten.
Auch Dantschakoff (S) beschreibt im Knochenmark des
Hühnchens, gleich bei seiner ersten Entstehung, die Bildung von
reifen, azidophil granulierten Leukozyten unmittelbar aus kleinen
Lymphozyten, ebenfalls unter Überspringung des Myelozyten-
stadiums. Dort gehen diese ersten, noch unvollkommenen Leuko-
zyten bald zugrunde und werden von Phagozyten vernichtet. Bei
den Säugetieren nehmen sie keine so scharf gesonderte Stellung
ein und scheinen auch nicht zugrunde zu gehen, da man degene-
rierende Exemplare nur äusserst selten findet; sie werden ganz
allmählich durch die typischen, vollkommen ausgebildeten Spezial-
leukozyten ersetzt.
4*
2 Alexander Maximow:
Im Knochenmark entstehen die beschriebenen ersten reifen
Leukozyten sämtlich durch direkte Reifung aus kleinen Formen
mit beginnender Granulaanhäufung. Was die grossen, typischen,
hellkernigen Myelozyten betrifft, so sind in ihnen Mitosen zuerst,
wie gesagt, äusserst selten; sie scheinen sich vorläufig durch
eigene Wucherung nicht merklich zu vermehren, wandern umher
und verteilen sich einzeln im ganzen Markraum. Von einer
Wucherung dieser Zellen mit Übergang in polymorphkernige reife
Leukozyten ist vorläufig auch nichts zu bemerken. Sie tritt erst
später ein. Wir sehen also, dass die unter den ersten Granulo-
zyten vorhandenen reiferen Formen auf abgekürztem Weg entstehen
und dass der für den erwachsenen Organismus charakteristische
Modus der Entwicklung der reifen Spezialleukozyten aus grossen
hellkernigen Myelozyten über eine ganze Reihe von Übergangs-
generationen sich nur sehr allmählich herausbildet.
Zuerst sind die Granulozyten beim Meerschweinchen und
Kaninchen in spärlicher Anzahl, einzeln, weit voneinander zwischen
den übrigen zelligen Elementen des Markes zerstreut. Während
nun die Erythroblasten, wie es oben beschrieben worden ist,
rasch wuchern und z. B. im Femur und in der Tibia eines Meer-
schweinchenembryos von 45—50 mm in der Mitte der Markhöhle
schon dichte Herde bilden, bleiben die Granulozyten auch weiter
selten, man findet sie einzeln oder paarweise zwischen den Erythro-
blasten und Lymphozyten im Gewebe liegen. Auch jetzt sind
Mitosen in ihnen noch äusserst selten — sie entstehen eben fort-
während fast ausschliesslich neu, aus ungranulierten Zellen. Erst
bei viel älteren Embryonen (Meerschweinchen von 65 mm) werden
die Granulozyten zahlreicher, die pseudoeosinophile Körnung in
ihnen nimmt dabei in allen Zellen ein gleichmässiges und ganz
typisches Aussehen an, die unvollkommenen, primitiven, ohne
Myelozytenstadium entstandenen Formen verschwinden, die grossen
hellkernigen Myelozyten fangen hingegen zu dominieren an und
zugleich findet man in ihnen auch immer zahlreichere Mitosen —
der heteroplastische Entwicklungsmodus wird auf diese Weise all-
mählich durch den homoplastischen ersetzt, obwohl die Möglichkeit
des ursprünglichen Typus natürlich unverändert für alle Zeiten
bestehen bleibt, da ja die indifferenten Stammzellen, die Lympho-
zyten, zwischen den anderen Gewebselementen für immer erhalten
bleiben.
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 93
Wie die reifen polymorphkernigen Spezialleukozyten, die im
Gewebe des Knochenmarkes entstehen, in die Blutbahn gelangen,
ist nicht schwer zu verstehen. Sowohl die grossen Myelozyten,
als auch die reifen Leukozyten und alle Zwischenformen sind ja
bewegliche Zellen und können also sicherlich, ebenso wie wir es
für die Lymphozyten gesehen haben, durch die Gefässwand ins
Lumen immigrieren. Im embryonalen Leben ist jedoch das
zirkulierende Blut bekanntlich sehr arm an Granulozyten und
dementsprechend findet man im embryonalen Knochenmark kaum
jemals Permigrationsbilder von Granulozyten ; innerhalb der Ge-
fässe sind sie auch nur höchst selten zu treffen. Selbst an den
Stelien, wo die Endothelwand in der oben beschriebenen Weise
aufgelockert ist und die Erythrozyten ins Lumen übertreten,
scheinen die in den Erythroblastenherden meist auch vorhandenen
Granulozyten doch im Gewebe zu bleiben. Da der Verbrauch
der Granulozyten also ein minimaler ist, erklärt sich auch die
relativ träge verlaufende Neubildung derselben im embryonalen
Mark; sie steigt nur in den spätesten embryonalen Stadien.
Bei der Katze sind beim erwachsenen Tier die Spezialzellen
von den eosinophilen ganz verschieden, weil sie keine im Schnitt
darstellbaren Granula führen. Dies Fehlen einer distinkten
Granulierung erschwert das Auffinden der ersten Spezialgranulo-
zyten im embryonalen Knochenmark ganz bedeutend. Maßgebend
für die Identifizierung ist hier nur der typische polymorphe Kern
in den reiferen Formen und das ebenfalls nur in den letzteren
deutlich azidophile Protoplasma.
Wie ich es in meiner früheren Arbeit (32) gezeigt habe,
treten im Körpermesenchym und auch in der Leber junger Katzen-
embryonen als erste Repräsentanten der Granulozyten polymorph-
kernige, reife Spezialleukozyten auf, die sich direkt aus den
kleineren Wanderzellenformen in kürzester Zeit entwickeln. Nun
sieht man ganz ähnliche Zellen auch im Knochenmark zuerst bei
Embryonen von etwa 55 mm Körperlänge entstehen. Aus kleinen
und mittelgrossen Iymphozytoiden Wanderzellen mit schmalem
schwachbasophilem Protoplasmasaum und hellerem oder dunklerem,
nukleolenhaltigem Kern (Fig. 11 Wz), oft auch aus typischen
kleinen Lymphozyten (Fig. 14, Fig. 23 klm) gehen durch direkte
Reifung unter Zerschnürung des Kerns reife Leukozyten mit
nahezu homogenem, blassem Plasma hervor, dessen Azidophilie
4 Alexander Maximow:
an dekalzinierten Präparaten meistens verloren geht (Fig. 10, 11
und 28 Lkz). Es ist also auch eine abgekürzte Produktion von
noch unvollkommenen, oft atypischen, reifen Spezialleukozyten
ohne nachweisbares Myelozytenstadium.
Bei Embryonen von 70 mm sieht man überall im Mark
zwischen den Erythroblastenhaufen, zusammen mit den weiter
unten beschriebenen eosinophilen Myelozyten und Leukozyten,
schon viel zahlreichere polvmorphkernige granulalose Spezial-
leukozyten zerstreut. Auch jetzt entstehen sie direkt aus mittel-
grossen Lymphozyten. Noch viel grösser ist ihre Zahl bei älteren
Embryonen von etwa 125 mm Länge. Hier scheint der Entwick-
lungsprozess auch etwas komplizierter zu werden und es häufen
sich in grösserer Anzahl wuchernde Übergangsformen von den
Lymphozyten zu den reifen Leukozyten an, die, wenn man will,
als Spezialmyelozyten angesprochen werden können, sich aber von
den Lymphozyten infolge Mangels einer distinkten Körnung nicht
dentlich abgrenzen lassen. Sie sind durchweg ziemlich klein und
mit rundem, blassem Kern versehen; nur in den spätesten em-
bryonalen Stadien tritt mehr oder weniger deutlich die diffuse
Azidophilie ihres Protoplasmas hervor. Bei der difterenzierenden
Wucherung der Lvmphozyten zu Spezialleukozyten werden also
die Zellen bei der Katze zuerst kleiner und erst in den letzten
(renerationen setzt die Kernpolymorphose und die Azidophilie des
Protoplasmas ein — ein Unterschied im Vergleich mit der Ratte,
wo, wie wir gleich sehen werden, der Kern schon in den grossen
Myelozyten die kugelige Form einbüsst und das Protoplasma
deutlich azidophil wird.
Die Ratte und die Maus nehmen in bezug auf die Ent-
wicklung der Spezialgranulozyten eine besondere Stellung ein,
denn bei ihnen geht im Knochenmark die Bildung der Spezial-
zellen der Bildung der Erythroblasten weit voraus. Die ersten
unverkennbaren Spezialzellen finde ich im Mark der langen
Extremitätenknochen bei Rattenembryonen von 22—23 mm, wo
von Erythroblasten noch keine Spur vorhanden ist. Da die
Spezialzellen hier, wie gesagt, ebenso wie bei der Katze, keine
distinkten Körnchen führen, so erscheinen sie von Anfang an
von den eosinophilen Zellen, die zugleich mit ihnen auftreten,
ziemlich scharf geschieden, im Gegensatz zu dem, was wir beim
Kaninchen und Meerschweinchen sehen werden.
br |
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe.
Die ersten als solche erkennbaren Spezialzellen tauchen
einzeln (oder vielmehr paarweise) zwischen den übrigen Gewebs-
elementen, den fixen Bindegewebszellen, den Lymphozyten, den
(efässen auf. Es sind sofort kleine Zellen von reifem Charakter
mit stark polymorphem Kern. Das Protoplasma ist entweder
ganz blass, weder basophil, noch azidophil, oder es bekommt
einen deutlichen Stich ins rötliche, wird also azidophil. In etwas
späteren Stadien, bei Rattenembryonen von 29 mm, wo diese
Zellen schon viel zahlreicher sind, tritt diese Azidophilie regel-
mässig hervor. Distinkte Körnchen sind (im Gegensatz zu den
eosinophilen Zellen) nicht wahrzunehmen, höchstens kann man
die Struktur des Protoplasmas als unbestimmt krümelig bezeichnen
(Fig. 30 Lkz). Der Kern hat immer die für die Ratte und die
Maus überhaupt so typische Ringform (Maximow [30], Weiden-
reich [56], Pappenheim, Jolly u.a... In den jüngeren
Zellen ist der Kernring diekwandig, glatt konturiert, blass und
ehromatinarm (Fig. 29Lkz, unten rechts, Fig. 30 Lkz, rechts); in
den älteren Zellen ist er sehr unregelmässig zerschnürt, viel
dunkler und seine Öffnung weiter (Fig. 29 und 30 Lkz).
Alle diese Zellen entstehen aus den mittleren und kleineren
Exemplaren der gewöhnlichen Lymphozyten (Fig. 29 und 30 Lmz
und Wz). Das ursprünglich basophile Protoplasma der letzteren
wird hell, der runde oder bohnenförmige Kern bekommt eine
einseitige tiefe Delle, die bis zur entgegengesetzten Seite der
Kernwand vordringt, dort durchreisst und so den Ringkern
erzeugt. Später verdichtet sich der letztere, wird dunkler, das
Protoplasma wird azidophil. Dazwischen können wohl auch Mitosen
eintreten, vielleicht selbst in Zellen, die bereits Ringkerne ent-
halten. In der Regel jedoch entstehen und reifen diese ersten,
noch unvollkommenen und atypischen Spezialzellen ungemein
rasch, ohne differenzierende Wucherung, direkt aus kleinen, schon
selbst ziemlich blassen Iymphozytoiden Wanderzellen. Auch hier
sehen wir also, dass die ersten Spezialzellen auf abgekürztem
Wege, olıne Myelozytenstadium, direkt aus Lymphozyten gebildet
werden.
Der endgültige, für den erwachsenen Organismus charak-
teristische Modus der Granulozytenbildung entwickelt sich erst
allmählich. Bei Rattenembryonen von 29 mm, noch mehr von
35 mm, sind die beschriebenen kleinen reifen Spezialzellen mit
56 Alexander Maximow:
dunklem, zerschnürtem Ringkern und azidophilem Plasma schon
viel zahlreicher, ebenso die Übergangsformen von den Lympho-
zyten zu ihnen. Sie liegen zugleich mit den daneben entstehenden
eosinophilen Leukozyten in kleinen Gruppen zwischen den (refässen
zerstreut. Jetzt beginnt aber ihre Entstehung sich in der
Beziehung dem endgültigen Modus zu nähern, dass die Lympho-
zyten, aus welchen die Spezialzellen entstehen, sichtlich grösser
werden, grössere blasse Kerne mit dellentörmiger einseitiger Ein-
stülpung, manchmal auch schon amblychromatische Ringkerne
und sehr helles, kaum noch basophiles Protoplasma bekommen
(Fig. 31); in der Einstülpung des Kerns, in der Umgebung
der Sphäre, erhält das Protoplasma sogar azidophilen Charakter
und erscheint rosa gefärbt. Es. bildet sich also allmählich der
Myelozytentypus heraus.
3ei Embryonen von 38—39 mm, im Stadium (s. 0.), wo die
ersten Erythroblasten auftreten, sieht man zwischen den Gefässen
und den fixen Stromazellen überall schon sehr zahlreiche Spezial-
granulozyten liegen; sie bilden jetzt grosse und dichte Herde.
Unter ihnen befinden sich jetzt sehr zahlreiche typische grosse
Myelozyten (Fig. 32c, d, e). Es sind umfangreiche, amöboide
Zellen mit hellem, schwach basophilem, oder auch azidophilem,
nach EAz eigentümlich grauviolettem Plasma, welches in der
Umgebung der Sphäre, während der Mitose (f) besonders im
Bereich der Spindel, rosig gefärbt und oft fleckig erscheint. Der
Kern ist bereits stark polymorph, napfförmig eingestülpt, hufeisen-
förmig, mit buckelförmigen Vorsprüngen versehen oder auch schon
ringförmig. Er enthält wenig und blasse Chromatinteilechen und
gewöhnlich ein kleines, aber deutliches Kernkörperchen. Diese
typischen Spezialmyelozyten entstehen durch differenzierende
Wucherung und rasch fortschreitende Ausprägung der typischen
Zellcharaktere aus den gewöhnlichen grossen Lymphozyten
(Fig. 32a und b), die jetzt überall in grosser Anzahl zerstreut
liegen. Das basophile Lymphozytenprotoplasma wird dabei mehr
oder weniger azidophil, der Kern bekommt eine ringförmige
Gestalt und wird chromatinarm. Aus den beschriebenen grossen
Myelozyten, in denen man oft Mitosen findet (Fig. 32f), entstehen
dann auf gewöhnliche Weise die kleinen, reifen, nicht mehr
teilungsfähigen Spezialleukozyten. Dieser Modus der Granulozyten-
bildung bleibt auch bei der neugeborenen Ratte — hier findet
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 97
man im Knochenmark massenhaft die beschriebenen grossen blass-
kernigen Spezialmyelozyten und ihre weiteren Differenzierungs-
produkte; in der Mitte der Diaphyse sind sie zu dieser Zeit
allerdings schon weniger zahlreich, als die inzwischen stark
gewucherten Erythroblasten. Mit dem Erscheinen der typischen
Myelozyten hört der primitive Bildungsprozess unmittelbar aus
kleinen Iymphozytoiden Zellen allmählich auf und verschwindet
schliesslich, wie es scheint, ganz.
6. Die Entstehung der eosinophilen Granulozyten.
Beim Meerschweinchen und Kaninchen ist die erste Ent-
stehung der eosinophilen Zellen im Knochenmark sehr schwierig
zu untersuchen. Da nämlich die ersten Spezialzellen eine pseudo-
eosinophile Körnung führen, die in manchen Beziehungen von
der ausgebildeten, typischen abweicht, so ist es sehr schwierig,
zwischen diesen atypischen pseudoeosinophilen Körnern und den
ersten eosinophilen, die ja auch zuerst als kleine Granula
erscheinen müssen, eine scharfe Grenze zu ziehen. Auch die
ersten eosinophilen Zellen haben noch kein ganz typisches
Aussehen, auch ihre Granula erreichen nur in relativ späten
embryonalen Stadien ihr endgültiges charakteristisches Aussehen.
Bei den genannten beiden Tierarten scheinen infolgedessen die
ersten eosinophilen Zellen zusammen mit den Spezialzellen, den
pseudoeosinophilen Leukozyten, aus einer gemeinsamen granulierten
Urform hervorzugehen, aus einer ein- und rundkernigen Zelle
vom Charakter eines kleinen oder grossen granulierten Myelozyten,
mit Körnehen im Protoplasma, die gewissermassen die Mitte
zwischen den pseudaeosinophilen und den eosinophilen einnehmen.
Die oben beschriebenen ersten Spezialgranulozyten im Knochen-
mark beim Meerschweinchen und Kaninchen können folglich zum
Teil als die gemeinsame granulierte Urform für pseudoeosinophile
und eosinophile Leukozyten angesehen werden.
Einen ganz ähnlichen Gedanken finde ich u. a. auch bei
Pappenheim (42, S. 452), allerdings für «- und y-Zellen, bei
Browning (4) und besonders bei Blumenthal (1) ausgedrückt.
Der letztgenannte Autor hat auch die Basophilie und die
Metachromasie der ersten Granula in den jungen primitiven
Myelozyten beim Kaninchen erkannt und er glaubt, dass sowohl
38 Alexander Maximow:
die pseudoeosinophilen. als auch die eosinophilen Zellen aus
diesen Urmyelozyten mit metachromatisch -basophiler Körnung
hervorgehen und zwar nicht nur beim Embryo, sondern auch
beim erwachsenen Tiere. Dabei sollen sich die basophilen Urkörner
in die pseudoeosinophilen direkt durch Reifung und Verlust der
Basophilie verwandeln. Die eosinophilen Granula hingegen sollen
zwischen den metachromatischen Urgranulis selbständig neu ent-
stehen, während die letzteren sich dann allmählich zurückbilden.
Die angeführte Vorstellung von der Entstehung der pseudo-
eosinophilen und eosinophilen Zellen beim Kaninchen und Meer-
schweinchen aus einer gemeinsamen granulierten Urform ist
allerdings nur eine Hypothese, denn es ist ja möglich, dass es
uns mit neuen, feineren und elektiveren Färbungsmethoden doch
einmal gelingen wird, die beiden Arten der Körner gleich bei
ihrem ersten Auftreten in verschiedenen Zellen scharf voneinander
zu trennen. Ausserdem ist es wohl sicher, dass, wenn es eine
solche granulierte Urform auch gibt, ihre Existenz doch nur eine
kurze Dauer haben kann und sich auf die allerfrühesten Ent-
wicklungsstadien beschränkt; denn in den späteren Embryonal-
stadien und beim neugeborenen Tier kann man die pseudoeosino-
philen Zellen einer- und die eosinophilen andererseits schon bei
ihrer ersten Entstehung aus ungranulierten Vorstufen genügend
scharf auseinanderhalten.
Beim Meerschweinchen erscheinen im Knochenmark der
langen Extremitätenknochen Zellen, die man mit gewisser Sicher-
heit als echte eosinophile Granulozyten definieren kann, zuerst
bei Embryonen von etwa 48 mm Länge. Sie liegen in sehr
spärlicher Anzahl ganz vereinzelt zwischen den oben beschriebenen
Spezialzellen. Es sind fast ausschliesslich ziemlich kleine Zellen
(Fig. 27 a, b) von reifem Charakter mit zwerchsackförmigem,
dunklem Kern und groben, oft deutlich stäbchenförmigen, grell-
roten, spärlichen oder zahlreichen Körnern im Protoplasma. Sie
sehen also den reifen eosinophilen Leukozyten schon ziemlich
ähnlich aus. Wenn wir die Entstehung dieser Zellen verfolgen,
so lässt sich konstatieren, dass sie ohne jede scharfe Grenze mit
den oben beschriebenen gewöhnlichen pseudoeosinophilen Leuko-
zyten verbunden sind. Sie entstehen also, wie es scheint, in der
Weise, dass sich in einigen von den letztgenannten Zellen die
Granula mit der fortschreitenden Reifung der Zelle und des
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 59
© Oo
Kernes über das gewöhnliche Maß hinaus vergrössern und schliess-
lich mehr oder weniger das Aussehen von eosinophilen Körnern
annehmen.
jei Embryonen von 50 mm und darüber zeigen sich im
Markgewebe ausser den beschriebenen Zellen auch schon mehr
oder weniger typische eosinophile Myelozyten, zuerst sehr spär-
liche und seltene, später, z. B. bei Embryonen von 60 mm, in
grosser Anzahl. Es sind grössere Zellen (Fig. 27 c) mit unregel-
mässigem, aber noch amblychromatischem, bohnenförmigem Kern
und groben, stark lichtbreehenden, runden, azidophilen Körnchen
im Protoplasma, welche aber doch noch nicht ganz das typische
Aussehen der eosinophilen Granula des erwachsenen Organismus
besitzen. Diese noch nicht ganz typischen eosinophilen Myelozyten
entstehen dadurch, dass in einem Teil der oben beschriebenen
Lymphozyten mit beginnender Ausarbeitung von pseudoeosinophilen
Körnchen (oder vielmehr von Urkörnchen) (Fig. 21 u.23 Mlz, Fig.22)
diese letzteren sich allmählich besonders stark vergrössern und
stärker lichtbrechend werden. Jetzt scheinen also die eosinophilen
Zellen noch immer zusammen mit den pseudoeosinophilen aus
einer gemeinsamen granulierten Urform hervorzugehen, nur ist
die Scheidung der beiden Entwicklungsrichtungen mehr nach
rückwärts, schon bis zum Myelozytenstadium verschoben, während
sie kurz vorher erst in reiferen Zellen mit schon zerschnürtem
Kern auftrat. Die jungen eosinophilen Myelozyten scheinen vorerst
noch fast gar nicht selbst zu wuchern und reife eosinophile
Leukozyten zu erzeugen. Wo sich letztere befinden, entstehen
sie auf die oben beschriebene Weise direkt durch entsprechende
Granulaveränderung aus kleinen fein granulierten Zellen. Die
eosinophilen Myelozyten bleiben also vorläufig als solche liegen ;
ihre Zahl vergrössert sich allmählich, sodass sie bei einem Meer-
schweinchenembryo von 68 mm schon recht zahlreich sind und
sich jetzt durch ihre bedeutende Grösse und die grossen glänzenden
Körnchen von den pseudoeosinophilen Myelozyten deutlich unter-
scheiden. Jetzt, am Ende der Embryonalzeit, wird die Scheidung
zwischen den pseudoeosinophilen und eosinophilen Zellen allmäh-
lich noch mehr nach rückwärts verschoben und es ist möglich,
dass die eosinophilen Zellen jetzt schon direkt als solche durch
Ausarbeitung spezifischer eosinophiler Granula in granulalosen
Zellen entstehen. Dies bestimmt zu behaupten, ist aber nicht
60 Alexander Maximow:
möglich, denn beim Meerschweinchen sind die jungen Ent-
wicklungsstadien der eosinophilen und pseudoeosinophilen Granulo-
zyten, wie gesagt, einander äusserst ähnlich und nur schwer zu
unterscheiden, selbst noch beim neugeborenen Meerschweinchen.
Es ist also wahrscheinlich, dass hier die gemeinsame granulierte
Urform besonders lange bestehen bleibt.
Beim Kaninchen sind die Verhältnisse der eosinophilen
Zellen im grossen und ganzen denen beim Meerschweinchen sehr
ähnlich, aber immerhin doch einfacher. Unverkennbare eosino-
phile Zellen erscheinen hier relativ spät. Bei Embryonen von
59 mm (23 Tage) finde ich im Mark neben sehr zahlreichen
pseudoeosinophilen Myelozyten und Leukozyten nur sehr spärliche
Zellen mit reifem, zwerchsackförmigem Kern und groben, glänzenden
Körnern, die also durchaus den ersten eosinophilen Zellen des
Meerschweinchens entsprechen. In den späteren Stadien entstehen
auch beim Kaninchen allmählich typische eosinophile Myelozyten,
die z. B. bei einem Embryo von 68 mm schon zahlreich sind.
Zu dieser Zeit ist es auch möglich, mit gewisser Sicherheit
die unmittelbare Entstehung von eosinophilen Körnchen in granula-
losen, Iymphozytoiden Wanderzellen zu konstatieren. Die ersten
eosinophilen Körnchen sind schon gleich von Anfang an glänzender
und gröber, als die ersten pseudoeosinophilen; die jüngsten be-
sitzen zuerst eine deutliche basophile Quote und färben sich
bläulich, aber nicht metachromatisch, wie die pseudoeosinophilen ;
in ein und derselben Zelle findet man infolgedessen an EAz-
Präparaten sowohl rosenrote, als auch bläuliche Granula. Sehr
oft sind die noch ganz granulaarmen jungen eosinophilen Myelo-
zyten durch Protoplasmabrücken, Spindelreste, paarweise mit-
einander verbunden. Die eosinophilen Granula werden meist von
mittelgrossen Lymphozyten mit besonders blassem bohnenförmigem
Kern ausgearbeitet, im Gegensatz zu den pseudoeosinophilen, die
meistens in grossen Lymphozyten auftreten. Die Zellen ver-
grössern sich aber nachträglich und verwandeln sich später gerade
in besonders grosse eosinophile Myelozyten. Die beschriebene
Entstehung eosinophiler Granulozyten aus ungranulierten Stamm-
zellen entspricht in allen Details derselben Erscheinung, wie sie
von mir bei der Knochenmarkbildung in der verkalkten Kaninchen-
niere (31) beobachtet worden ist. Die Scheidung der pseudo-
eosinophilen und eosinophilen Körnung von dem ungranulierten
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 61
Zustande der Zelle an wird also beim Kaninchen früher erreicht,
als beim Meerschweinchen.
Beim erwachsenen Kaninchen entstehen die eosinophilen
Zellen auch gleich als selbständige, besondere Zellen aus un-
granulierten Lymphozyten; dieser Zustand wird übrigens schon
beim neugeborenen Tier erreicht. Eine gemeinsame gekörnte
Stammzelle für die pseudoeosinophilen und eosinophilen Granulo-
zyten kann ich hier, im Gegensatz zu Blumenthal, nicht mehr
annehmen.
Bei der Katze sind die eosinophilen Zellen von den Spezial-
zellen von Anfang an streng geschieden, da die letzteren keine
distinkte Körnung führen. Sobald wir hier also im embryonalen
Mark eine azidophil granulierte Zelle erblicken, muss es eine
eosinophile sein.
Die ersten azidophil granulierten Zellen finde ich bei Katzen-
embryonen von 64 mm, zu einer Zeit, wo die Spezialgranulozyten
schon ziemlich zahlreich sind. Im Gegensatz zu den Befunden
beim Meerschweinchen und Kaninchen, wo die ersten eosinophilen
Zellen den Charakter von reifen Leukozyten haben und wo richtige
Myelozyten erst allmählich entstehen, sieht man hier blasse rote
Körner immer zuerst im Protoplasma der grossen Lymphozyten
auftauchen (Fig. 28 emlz). Der Kern dieser zuerst noch sehr
spärlichen, einzeln zerstreuten Zellen wird dabei besonders blass
und chromatinarm, in seiner Mitte tritt das Kernkörperchen
scharf hervor.
In etwas späteren Stadien, bei Embryonen von 70 mm, sind
die Myelozyten zahlreicher, aber dafür meistens kleiner — zum
geringsten Teil infolge Wucherung der ersten grossen Myelozyten,
zum grössten — infolge Ausarbeitung der Granula in kleineren
Lymphozytenformen. Die eosinophilen Myelozyten sind jetzt mittel-
grosse Zellen mit sehr blassem Plasma, welches wechselnde Mengen
von roten Körnchen enthält und rundlichem, oft seitlich ein-
gedrücktem und exzentrisch gelegenem, ganz blassem, chromatin-
armem Kern mit kaum sichtbaren Nukleolen. Die noch sehr
seltenen Mitosen dieser jungen, granulaarmen eosinophilen Myelo-
zyten zeichnen sich dadurch aus, dass während des Dyasterstadiums
im hellblauen, fast homogenen Plasma die roten Körnchen aus-
schliesslich an den Verbindungsfasern der Spindel angesammelt
sind. Ausser diesen kleinen Myelozytenformen kommen natürlich,
62 Alexander Maximow:
allerdings in geringer Anzahl, auch grössere granulareiche Formen
vor. Reife polymorphkernige eosinophile Leukozyten erscheinen
bei der Katze im Knochenmark erst bei einer Körpergrösse von
72 mm; in den späteren Stadien werden sie allmählich immer
zahlreicher.
Bei Ratte und Maus sind die eosinophilen Zellen im all-
gemeinen ebenso scharf von den Spezialzellen geschieden, wie bei
der Katze. Sie erscheinen hier im Mark der langen Extremitäten-
knochen bloss ein wenig später, als die Spezialzellen, nämlich bei
Embryonen von 29 mm, also auch viel früher, als die ersten
Erythroblasten.
Man sieht, wie sich in einigen Iymphozytoiden Wanderzellen
im blassen, schwach basophilen Plasma feine rote Körnchen an-
sammeln, zuerst in geringer, später in grösserer Menge (Fig. 29
und 30 emlz). Der Kern dieser Zellen bleibt mitunter vorerst
rund und erscheint äusserst blass, fast ganz strukturlos, mit
einem oder zwei sehr blassen kleinen Nukleolen (Fig. 29 emilz,
links); oft tritt aber sofort die für Ratte und Maus typische
Formveränderung des Kernes ein — die Membran stülpt sich ein-
seitig ein, der Kern reisst in der Mitte durch und verwandelt
sich in einen blassen, amblychromatischen, unregelmässig ver-
bogenen Ringkern (Fig. 29 emlz, rechts, Fig. 30 emlz). Später
entstehen aus solchen Metamyelozyten, wahrscheinlich durch ein-
faches Reifen ohne Wucherung, die ersten fertigen polymorph-
kernigen eosinophilen Leukozyten (Fig. 530 eos).
Es muss zugestanden werden, dass beim ersten Auftreten
der eosinophilen Körnchen die Zellen auch bei der Ratte nicht
immer ganz leicht von den Spezialzellen zu unterscheiden sind,
denn in diesen letzteren ist das azidophile Plasma manchmal
auch undeutlich und verschwommen granuliert (Fig. 29 und 30 Lkz).
Sobald sich aber die Körnchen in grösserer Menge ansammeln,
ist eine Verwechselung nicht mehr möglich.
Bei etwas älteren Embryonen von etwa 35—38 mm sind
die eosinophilen Zellen schon zahlreicher und mannigfaltiger.
Man findet viele granulareiche, blasskernige Myelozyten von dem
beschriebenen Aussehen, sie bilden sogar die Mehrzahl der eosino-
philen Zellen; viele von ihnen haben Ringkerne bekommen, wie
die oben beschriebenen Spezialmyelozyten, nur sind die Ringe
hier viel plumper (Fig. 33 e). Reife eosinophile Leukozyten mit
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 65
Ringkern sind auch oft zu finden. Ausserdem dauert die Aus-
arbeitung eosinophiler Körner auch in verschiedenen Lymphozyten
fort (Fig. 33 a—d). Die Körnchen können einerseits in grossen
Lymphozyten mit blassem Plasma auftauchen, andererseits in
ganz kleinen dunkelkernigen Zellen vom Charakter der kleinen
Lymphozyten (Fig. 33 a). Der Kern erhält dabei meistens gleich
eine einseitige trichterförmige Einstülpung, die durchreisst und
den Kern ringförmig macht. In anderen Fällen entstehen die
Körnchen in grösseren Wanderzellen (Fig. 33 b) mit hellem
Plasma und relativ kleinem, dunklem, chromatinreichem Kern,
welcher dabei sofort hufeisen- oder ringförmig wird. Die Granula
umgeben dabei die Sphäre und sammeln sich im Falle eines
Ringkernes in dessen Öffnung an (d). Auch hier sieht man sehr
oft paarweise zusammenhängende, eben aus einer Mitose hervor-
gegangene Zellen mit beginnender Granulabildung (c). In den
körnchenhaltigen Zellen selbst, in den Myelozyten, sind hingegen
Mitosen in diesen Stadien noch äusserst selten.
In den Endstadien des Embryonallebens bei der Ratte ent-
hält das schon sehr zellreiche Knochenmark viele eosinophile
Myelozyten, zum kleinsten Teil grosse, zum grössten kleine, mit
blassen, runden, eingestülpten oder ringförmigen Kernen, mit
zahlreichen oder noch spärlichen eosinophilen Körnchen ; sie sind
aber immer viel weniger zahlreich, als die Spezialzellen. Reife
eosinophile Leukozyten mit fertigen Ringkernen sind auch immer
vorhanden, aber in relativ geringer Anzahl.
Diese geringe Anzahl der reifen Leukozyten erklärt sich
durch die äusserste Seltenheit der Mitosen in den eosinophilen
Myelozyten. Im fetalen Leben werden reife Leukozyten also nur
in sehr spärlicher Anzahl gebildet und im zirkulierenden Blut
fehlen sie nach Jolly und Acuna fast vollständig.
7. Die Entstehung der Mastzellen.
Die Erforschung der Histogenese der Mastzellen im Knochen-
mark ist keine leichte Aufgabe, weil die morphologische Natur
und die histogenetischen Beziehungen dieser Zellen auch im
erwachsenen Organismus noch nicht vollständig Klargestellt
sind. Es sind bekanntlich zwei Mastzellenarten zu unterscheiden
(Maximow [30], Weidenreich [54], Pappenheim [42]), die
64 Alexander Maximow:
sogenannten Bindegewebsmastzellen und die Blutmastzellen oder
Mastleukozyten. Beide Arten von Mastzellen kommen nun, wie
wir sehen werden, im Knochenmark tatsächlich vor und bei ihrer
ersten Entstehung im letzteren sind sie nicht immer scharf aus-
einanderzuhalten. Weiter sind auch die Mastleukozyten selbst
nach den Untersuchungen von Weidenreich (54) durchaus
nicht bei allen Tieren gleichwertig. Denn während z. B. beim
Meerschweinchen ihre Körnung eine richtige, spezifische Granulation
ist, ebenso wie die eosinophile oder pseudoeosinophile, sind die
Körnehen der Blutmastzellen beim Menschen bloss der sichtbare
Ausdruck einer besonderen Degeneration der Lymphozyten. Eine
grosse Schwierigkeit für das Studium der Mastzellen im Knochen-
mark beim Kaninchen und Meerschweinchen besteht endlich auch
darin, dass die jüngsten pseudoeosinophilen Körnchen hier auch
basophil und metachromatisch färbbar sind. Auch technisch ist
die Anuffindung der Mastzellen, besonders der ersten Spuren
ihrer Körnung, nicht so einfach, denn die Substanz der letzteren
ist bekanntlich wasserlöslich und es dürfen endgültige Schlüsse
über das Fehlen oder Vorhandensein von Mastzellen nur auf
Grund von undekalzinierten Alkohol-Thionin-Präparaten gezogen
werden.
Bei der Ratte liegen die Verhältnisse in bezug auf die
Mastzellen in der Beziehung am einfachsten, als hier beim er-
wachsenen Tier, wie ich es schon früher (30) angegeben habe,
im Blute Mastzellen wenn überhaupt, so doch nur ausserordentlich
spärlich vorkommen und auch im Knochenmark Zellen, die als
entsprechende Myelozyten gedeutet werden könnten, nur in ver-
schwindend geringer Menge existieren. Dementsprechend sind
alle Mastzellen, die im embryonalen Knochenmark und zwar schon
ziemlich früh erscheinen, sämtlich unverkennbare einfache Binde-
gewebsmastzellen, die ja auch im Mark des erwachsenen Tieres
sehr zahlreich sind.
Schon bei Embryonen von 35 mm Länge findet man im
Kochenmark einzelne spärliche, meist kleine Iymphozytoide Wander-
zellen, die einen blassen, rundlichen oder bohnenförmigen Kern
mit sehr undeutlichen Nukleolen und im Protoplasma eine wechselnde
Anzahl verschieden grosser, zum Teil recht grober basophiler,
metachromatisch färbbarer Körnchen enthalten (Fig. 42 a, b).
Viel seltener sind grössere Zellen vom Charakter der grossen
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 65
Lymphozyten. Alle diese Zellen sehen nun in jeder Beziehung
den zu gleicher Zeit überall im Bindegewebe entstehenden Ge-
websmastzellen ähnlich aus, nur fehlen hier die grösseren Formen
mit vakuolärem Plasma, die im lockeren Bindegewebe so häufig sind.
In der letzten Periode des embryonalen Lebens und bei
neugeborenen Tieren wächst die Zahl dieser Zellen fortwährend,
zum Teil infolge immer neuer Verwandlung granulaloser Zellen
in Mastzellen, zum Teil infolge selbständiger Wucherung (Fig. 42 e).
Dieser letztere Umstand scheint mir doch ein schwerwiegender
Einwand gegen die Lehre zu sein, nach welcher die Körnung
der Mastzellen immer nur der Ausdruck einer besonderen Degene-
ration der Zelle sein soll (Pappenheim).
Polymorphkernige Zellen vom Charakter der reifen granu-
lierten Leukozyten entstehen aus diesen Zellen nicht; sie bleiben
ein- und rundkernig, wie alle Gewebsmastzellen.
Die von mir früher (30) bei der erwachsenen Ratte im Mark
gefundenen, äusserst spärlichen, anscheinend typischen Mastmyelo-
zyten mit ganz anders gearteten, viel feineren, basophilen meta-
chromatischen Körnchen scheinen relativ spät, im ausserembryonalen
Leben aufzutreten; denn bei neugeborenen Tieren, mit welchen
ich diese Arbeit schliesse, finde ich sie nicht. In mit Alkohol
fixierten und mit alkoholischer Thioninlösung gefärbten Deckglas-
präparaten des Markes neugeborener Ratten sieht man wohl in
vielen Zellen eine ganz verschwommene, blasse, rotviolette Körnung,
das scheinen aber sämtlich jugendliche Spezialmyelozyten zu sein.
Bei der Ratte entstehen also auch im Mark zuerst und
ausschliesslich nur gewöhnliche Bindegewebsmastzellen durch
Ausarbeitung der spezifischen Körnchen in Iymphozytoiden Wander-
zellen. Die Blutmastzellen, die Mastmyelozyten und Mastleukozyten
entstehen jedenfalls viel später, im extrauterinen Leben, aus der-
selben Stammzelle, der inditferenten mesenchymatischen Wander-
zelle, dem Lymphozyt, aber wahrscheinlich gleich als ganz
besondere Zellart, die mit den Bindegewebsmastzellen nichts
gemeinsames hat, ausser der gleichen Stammzelle.
Beim Kaninchen finden wir in bezug auf die Mastzellen
ganz andere Verhältnisse. Hier sind bekanntlich beim erwachsenen
Tier die Bindegewebsmastzellen gerade umgekehrt sehr spärlich
und schwach entwickelt, während im Blute sehr zahlreiche Mast-
Archiv f.mikr. Anat. Bd. 76. 5)
66 Alexander Maximow:
leukozyten zirkulieren, die auch überall im lockeren Bindegewebe
herumwandern.
Dementsprechend sehen wir nun, dass beim Kaninchen zuerst
Zellen gebildet werden, die dem Typus der Mastmyelozyten ent-
sprechen und zwar geschieht dies in geringem Grade, in Form
einzeln zerstreuter Exemplare, überall im lockeren Bindegewebe
des ganzen Körpers; im Knochenmark entstehen dieselben Zellen,
aber in grösserer Anzahl. In mittelgrossen oder kleinen Iympho-
zytoiden Wanderzellen treten im Protoplasma zuerst spärliche,
später zahlreichere, sehr wasserlösliche, basophile metachromatische
Körnchen auf. Der Kern dieser Zellen wird chromatinarm, ent-
hält nur sehr kleine oder gar keine Nukleolen. Es sind Mast-
myelozyten und sie können auch wuchern, denn gelegentlich findet
man in ihnen Mitosen — die Chromatinfigur stellt an Alkohol-
Kresyl- oder Alkohol - Thionin - Präparaten einen dunkelblauen
Klumpen vor, der umgeben ist von einem Häufchen meta-
chromatischer Körner, während die Grenzen des Zelleibes ganz
unsichtbar bleiben.
Wie gesagt, treten ähnliche Mastmyelozyten auch im Binde-
gewebe, z.B. im Unterhautgewebe in einzelnen Exemplaren auf. Im
Knochenmark findet man sie z. B. bei Embryonen von 43 —46 mm.
Sie müssen natürlich überall von den spezialgranulierten Zellen
unterschieden werden, in welchen die jüngsten Granula auch
basophil metachromatisch sind. Die pseudoeosinophilen Myelozyten
sind gewöhnlich grösser und ihre Granula heller gefärbt, als die
der Mastmyelozyten. Nicht selten wird aber die Unterscheidung
in der Tat ziemlich schwierig.
Aus den rundkernigen Mastmyelozyten entstehen in kürzester
Zeit sowohl im Bindegewebe, als auch im Mark reife Mast-
leukozyten. Der mit den rotvioletten Körnchen erfüllte Zelleib
verändert sich nicht, der Kern bekommt aber zahlreiche, ganz
unregelmässige blasige Vorsprünge an seiner Membran und zieht
sich schliesslich wurst- oder schlauchförmig in die Länge. Was
dabei immer auffällt, ist die deutliche diftuse metachromatische
rotviolette Färbung des Kernsaftes und der Kernmembran selbst.
Durch diesen Polymorphismus und die metachromatische Färbung
des Kerns unterscheiden sich solche reifere Mastleukozytenformen
sehr deutlich von den pseudoeosinophilen Zellen.
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 67
Im lockeren embryonalen Bindegewebe sieht man sehr oft
solche reife Mastleukozyten mit schlauchförmigem, gebogenem und
geknicktem, leicht rotviolettem Kern und rotvioletten Körnchen
im Plasma einzeln umherwandern. Im Knochenmark sind sie
zahlreicher, aber doch immer spärlich im Vergleich mit den
pseudoeosinophilen und eosinophilen Zellen — sie bilden niemals
Gruppen, sondern liegen immer weit voneinander einzeln zwischen
den anderen Zellformen zerstreut.
Richtige, gut ausgebildete Bindegewebsmastzellen erscheinen
beim Kaninchen erst sehr spät, am Schluss des intrauterinen
Lebens. Zu dieser Zeit werden die beschriebenen Mastmyelozyten
und Mastleukozyten im Knochenmark zahlreicher, als früher. Die
Myelozyten bleiben z. T. klein, z. T. sieht man jetzt Anhäufung
von rotvioletten Mastkörnern auch in grossen Lymphozyten. Im
Bindegewebe werden die Mastmyelozyten hingegen sehr selten,
dafür sieht man aber an vielen Stellen, unter der Epidermis, an
den Haarbälgen usw., viel grössere epitheloide Bindegewebsmast-
zellen entstehen, mit (nach Alkohol-Thionin) dunkelrotvioletten
Kernen und feinen, sehr wasserlöslichen Körnchen im breiten
Protoplasmasaum. Ob diese Bindegewebsmastzellen aus granula-
losen Wanderzellen neu entstehen oder aus denselben Mast-
myelozyten, die in frühen Stadien im Bindegewebe nur Mast-
leukozyten erzeugten, ist schwer zu sagen. Im letzteren Falle
müsste man für die histogenen und hämatogenen Mastzellen beim
Kaninchen eine gemeinsame basophil-metachromatisch-granulierte
Vorstufe annehmen, die aber dann jedenfalls sicherlich doch sehr
bald verschwindet, denn im extrauterinen Leben sind beim Kaninchen
irgendwelche genetische Beziehungen zwischen Blut- und Binde-
gewebsmastzellen bisher nicht nachgewiesen.
Bei der Katze und dem Meerschweinchen liegen die Mast-
zellenverhältnisse im Knochenmark ziemlich gleich. Beim er-
wachsenen Tier sind hier Mastzellen im Bindegewebe zahlreich,
im Mark sind sie hingegen nicht nachweisbar, wohl aber gibt es
im Mark Mastmyelozyten und Mastleukozyten, bei der Katze sehr
spärliche, bei dem Meerschweinchen sehr viele. Bei der letzteren
Tierart sind die Granula der Mastleukozyten sehr grob, haben
die Form ovaler Körperchen und färben sich nur sehr blass meta-
chromatisch (Maximow [30], Weidenreich [54], Jolly).
HF
_
ww.
Alexander Maximow:
Im embryonalen Leben sehen wir nun, dass zuerst, zugleich
mit dem Auftreten der ersten Mastzellen im lockeren Bindegewebe
auch im Mark einzelne spärliche Mastzellen auftauchen, die den
Mastzellen im Bindegewebe ganz ähnlich sind (Katze 72 mm,
Meerschweinchen 39—40 mm). In einzelnen, spärlich zerstreuten,
amöboiden Iymphozytoiden Wanderzellen vom kleineren Typus
werden im Protoplasma basophile metachromatisch färbbare Körn-
chen ausgearbeitet. Nicht selten tauchen die ersten Granula in
der Zelle zur Zeit auf, wo sie sich noch nicht ganz abgerundet
und isoliert hat (Fig. 43 Mtz), also eigentlich in der noch fixen
embryonalen Mesenchymzelle. In den späteren Stadien vergrössert
sich die Zahl dieser Mastzellen im Mark, hauptsächlich durch
Neubildung aus ungranulierten Zellen, z. T., wie die allerdings
sehr seltenen Mitosen beweisen, durch eigene Wucherung. Diese
Bindegewebsmastzellen bleiben aber im Knochenmark immer sehr
spärlich und scheinen schliesslich, vielleicht schon beim neu-
geborenen Tier, ganz zu verschwinden, denn beim erwachsenen
Tier findet man sie nicht mehr.
Dafür entstehen aber bei der Katze und dem Meerschweinchen
in den späteren embryonalen Stadien (Katze 102 mm, Meer-
schweinchen 70 mm) im Knochenmark aus den ungranulierten
indifferenten Iymphozytoiden Wanderzellen ganz neue Zellen —
Mastmyelozyten. Bei der Katze sind es sehr spärliche, ziemlich
kleine Wanderzellen mit blassem Kern und schmalem blassen
Protoplasmasaum, in welchem ziemlich grobe, nach Alkohol-Thionin
hellrotviolette verschwommene Körner gebildet werden. Von diesen
Zellen gibt es dann Übergänge zu polymorphkernigen Mastleuko-
zyten mit derselben Körnung. Beim Meerschweinchen sind es
zuerst auch sehr spärliche, später (beim neugeborenen Tier) aber
sehr zahlreiche Lymphozyten, sowohl kleinere oder mittelgrosse
"Formen, als auch grössere, in deren Protoplasma die spezifischen
Körnchen auftreten; diese letzteren sind ziemlich grob, zuerst
rund, später aber ovoid und färben sich mit EAz und nach
Alkohol-Thionin in einem eigenartigen grauvioletten Ton, welcher
der gewöhnlichen Färbung der Mastzellengranula gar nicht ähnlich
ist. Aus solchen Myelozyten, in welchen man beim neugeborenen
Meerschweinchen ziemlich oft Mitosen findet, entstehen durch
Einschnürung und Längenwachstum des Kerns reife Mast-
leukozyten mit vielen groben grauvioletten Körnern im Plasma
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 6
und polymorphem Kern, wie man sie beim erwachsenen Tier im
Blute trifft.
Beim Meerschweinchen tritt also die getrennte Entstehung
der Bindegewebsmastzellen einer- und der Blutmastzellen anderer-
seits sehr deutlich hervor und von eimer gemeinsamen, basophil
granulierten Vorstufe für die einen und die anderen kann keine
Rede sein. Zuerst entstehen überall im Bindegewebe, auch inı
Mark, histogene Mastzellen ; später bilden sich diese Bindegewebs-
mastzellen im Knochenmark zurück oder sie vermehren sich
wenigstens nicht weiter und treten infolgedessen ganz in den
Hintergrund. In viel späteren Entwicklungsstadien. am Ende des
fetalen Lebens, werden aber im Mark auf selbständige Art und
Weise aus denselben Stammzellen, den Lymphozyten, neue, ganz
anders beschaffene basophil granulierte Zellen gebildet, die Mast-
myelozyten und Mastleukozyten.
8. Die Entstehung der Megakaryozyten.
Die Entstehung der Megakaryozyten im embryonalen Knochen-
mark lässt sich bei allen untersuchten Säugetieren mit Leichtigkeit
verfolgen und verläuft überall in gleicher Weise.
Die Megakaryozyten erscheinen entweder zugleich mit den
Erythroblasten (Ratte 33—39 mm) oder etwas später als diese
(Katze 64 mm, Meerschweinchen 39—40 mm) und überall und
immer auf dieselbe Art und Weise, die schon von v. d. Stricht (49),
v. Kostanecki (26), M. Heidenhain (15) u. a. festgestellt
worden ist — aus den Lymphozyten (den Leukoblasten v.d.Strichts),
durch Hypertrophie von Plasma und Kern, durch Amitose und
multipolare Mitose mit nachfolgender Verschmelzung der Tochter-
kerne, aber ohne Zerschnürung des Zelleibes.
Dort, wo Megakaryozyten entstehen, sieht man immer zuerst
typische grosse Lymphozyten mit amöboidem basophilem Proto-
plasma und grossen, hellen, nukleolenhaltigen Kernen angesammelt
(Fig. 41 Lmz). Dann beginnt eine starke Hypertrophie des Proto-
plasmas, welches dabei basophil bleibt und lange, keulenförmig
angeschwollene Pseudopodien entsendet (Fig. 41 Lmz und Meg).
Die ersten Veränderungen am Kern sind ausser der starken
(rössenzunahme und Chromatinvermehrung zahlreiche buckel-
törmige Vorwölbungen der Membran, die die ganze Oberfläche
70 Alexander Maximow:
des Kerns höckerig erscheinen lassen. Die Nukleolen wachsen
in der ersten Zeit ebenfalls an, während das Chromatin in den
Knotenpunkten des Lininnetzes in Form von eckigen Teilchen
angesammelt erscheint. Die Entstehung der Megakaryozyten aus
den Lymphozyten ist sehr leicht zu beobachten und kann gar
nicht in Zweifel gezogen werden. Aus diesem Grunde sind mir
die gegenteiligen Angaben von Schridde (46) und Tommasi (51)
ganz unverständlich.
Die Einschnürungen der Kernmembran in den jungen
Megakaryozyten vertiefen sich oft derart, dass grössere oder
kleinere Kernteile ganz abgeschnürt werden (Fig. 41 Meg, oben);
dieser amitotische Prozess, der zur Entstehung mehrerer einzelner
Kerne von verschiedener Grösse in einer Zelle führt, kommt
sicherlich vor, so dass die Megakaryozyten, wenigstens die Jüngsten,
durchaus nieht immer wirklich einkernig sind.
Andererseits trifft man schon sehr früh pluripolare Mitosen
in diesen Zellen, wie sie von v.d. Stricht, v. Kostanecki
und Heidenhain beschrieben worden sind; wahrscheinlich
werden sie später von der Verschmelzung‘ der Tochterkerne
gefolgt. Es ist natürlich in einem jeden einzelnen Fall, wenn
man einen Megakaryozyten mit mehreren Kernen sieht, sehr
schwierig, bestimmt zu sagen, ob es eine Amitose oder umgekehrt
der Ausdruck eines sekundären Verschmelzens der Tochterkerne
nach abgelaufener pluripolarer Mitose ist. Da die Mitosen aber
in der ersten Zeit doch nur sehr selten vorkommen, die mehr-
kernigen Megakaryozyten aber ziemlich häufig sind, so ist die
Möglichkeit einer richtigen Amitose mit Sicherheit anzunehmen.
In den späteren embryonalen Stadien werden die Megakaryo-
zyten immer zahlreicher und grösser und sie erreichen dabei
sehr bald das für den erwachsenen Organismus typische Aussehen.
Der Kern stellt in dem ausgebildeten Megakaryozyten, wie es
auch Schridde (46) angibt, durchaus nicht immer eine Hohl-
kugel mit durchlöcherter Wand vor, wie es beim Kaninchen tat-
sächlich meistens der Fall ist (M. Heidenhain), sondern er kann
eine sehr mannigfaltige äussere Form besitzen, in komplizierter
Weise zerschnürt sein, oft auch rosettenförmig erscheinen (Ratte).
Die Megakaryozyten sammeln sich bei der Ausbildung des
kompakten Markgewebes vornehmlich in der Umgebung der
grösseren Gefässe an. Wenn es dünnwandige Venensinus sind,
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. al
sieht man die Megakaryozyten dem Endothel von aussen oft
eng anliegen und es sogar ins Lumen buckelförmig vorwölben.
Phagozytische Eigenschaften habe ich an den Megakaryozyten
im embryonalen Mark nicht konstatieren können.
In den spätesten embryonalen Stadien findet man nicht
selten auch schon degenerierende Megakaryozyten, wie man sie
bei den erwachsenen Säugetieren triftt; solche degenerierende
Megakaryozyten können mitunter mit degenerierenden Osteoklasten
verwechselt werden.
9. Die topographische Verteilung der verschiedenen
Gewebselemente in dem Markraum.
Wir wir aus der vorhergehenden Schilderung gesehen haben,
besteht das in den Knorpel eindringende und ihn resorbierende
Gewebe von Anfang an aus gewöhnlichen embryonalen Bindegewebs-
zellen, Gefässen, Osteoblasten, Osteoklasten und Iymphozytoiden
Wanderzellen, Lymphozyten von sehr verschiedenem Aussehen.
Dieses primäre oder Iymphoide Mark füllt den ganzen Markraum
aus, der in der Mitte der Diaphyse entsteht, an der Peripherie
von der periostalen Knochenschale umgeben ist und sich allmählich
nach den beiden Epiphysen zu ausbreitet. Zuerst ist die Resorptions-
srenze des Knorpels noch sehr uneben, später sind es zwei ganz
regelmässige, quergestellte Flächen, die die äusseren Grenzen
der wachsenden Markhöhle bilden.
In der Markhöhle bleiben für lange Zeit Reste der ver-
kalkten Knorpelgrundsubstanz liegen, in Form der bekannten
Balken und Zwickel mit zernagten Rändern, oft auch ganze insel-
förmige Gruppen von Knorpelzellen. Sie werden an den einen
Stellen von den Bindegewebszellen und Osteoklasten resorbiert,
an anderen werden sie von epithelartig angeordneten Osteoblasten
umringt, die die junge Knochensubstanz ausarbeiten:; die Knorpel-
reste werden infolgedessen mit der Zeit von einer immer dickeren
Knochenschicht umsäumt, die ihrerseits an den einen Stellen
wieder resorbiert, an den anderen verdickt wird. Die auf solche
Weise entstehenden Knochenbälkchen mit den Knorpelresten im
Innern nehmen immer die mittleren, älteren Teile der nunmehr
schon langen Markhöhle ein, welche jetzt in den grossen
Extremitätenknochen mehrere Millimeter Länge erreicht (z. B.
1 Alexander Maximow:
Katzenembryonen von 70 mm, Meerschweinchenembryonen von
40—55 mm, Kaninchen 55 mm, Ratte 30 mm); nach den
Epiphysen zu verdünnen sich die Knochenbälkehen und an der
Ossifikationslinie sieht man im Markgewebe nur die Knorpel-
reste liegen.
Die periostale Knochenmanschette, die ihre grösste Dicke
bekanntlich in der Mitte der Diaphyse erreicht, besteht aus vielen
dicht angeordneten Knochenbälkchen ohne Knorpelreste und mit
viel engeren Zwischenräumen. In diesen letzteren befindet sichı
das sog. peripherische oder periostale Knochenmark und hier
verlaufen auch die Gefässe, die vom Periost in das den zentralen
Markraum erfüllende enchondrale Mark ziehen.
Die oben ausführlich beschriebenen Blutbildungsprozesse
beginnen stets in den ältesten Teilen der enchondralen Markhöhle,
in ihrer Mitte. Von hier aus verbreiten sie sich nach beiden
Seiten und schreiten nach den Epiphysen zu vor. Das primäre
Iymphoide Mark verwandelt sich in myeloides, blutbildendes.
Die verschiedenen aus den Lymphozyten entstehenden Blut-
zellenarten, die Erythroblasten, Myelozyten und Megakaryozyten
bilden zuerst kleine, lose Herde und Gruppen zwischen den
enchondralen Knochenbälkchen, den Gefässen und den locker
angeordneten, wuchernden, fixen Bindegewebszellen; überall sieht
man zuerst noch reichliche, helle, amorphe Grundsubstanz. Die
(Grefässe sind in der ersten Zeit nicht sehr weit und besitzen
sewöhnliches wucherndes Endothel.
In den späteren Stadien wuchern die Blutzellen immer mehr
und mehr und sie nehmen den ganzen freien Raum zwischen
den Gefässen und den Knochenbälkchen ein und von den fixen
Bindegewebszellen bleibt nur eine kleine Anzahl übrig, die als
blasse, unscheinbare Stromazellen zwischen den Blutzellen zerstreut
liegen und später die Fettzellen liefern. Die amorphe helle
Grundsubstanz wird ganz verdrängt, das Gewebe wird immer
zellreicher und massiger. Die Gefässe erweitern sich dabei sehr
stark und bald erscheint der grössere mittlere Teil der Diaphyse
von sehr weiten sinusähnlichen Bluträumen mit sehr dünner
Endothelwand eingenommen, so dass das eigentliche Markgewebe
nur auf schmale Streifen zwischen den Gefässwänden und den
Knochenbälkchen reduziert erscheint (Katze 76 mm, Meer-
schweinchen 46 mm, Kaninchen 55 mm, Ratte 30 mm). Ungefähr
—I
©
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe.
zur selben Zeit, wo sich die breiten venösen, sinusähnlichen
Gefässe ausbilden, meist noch etwas früher, sieht man im Knochen-
mark auch die ersten Arterien auftreten (Ratte 22—23 mm,
Kaninchen 55 mm, Meerschweinchen 39— 40 mm, Katze 60 mm).
Die Endothelzellen der betreffenden Gefässe werden saftig, ziehen
sich stark in die Länge, die ihnen von aussen anliegenden
embryonalen Bindegewebszellen verwandeln sich in glatte Muskel-
zellen und lagern sich quer um das (Grefäss herum.
Am Ende des fetalen Lebens ändert sich diese Verteilung
wieder, denn die enchondralen Knochenbälkchen werden mit der
Zeit resorbiert und verschwinden. Die Markhöhle enthält dann
keinen spongiösen Knochen mehr oder nur geringe Spuren davon
und erscheint durch und durch von gleichmässig gebautem,
kompaktem Markgewebe eingenommen, welches jetzt von Venen-
sinus durchzogen wird, die relativ wieder enger und gleich-
mässiger erscheinen. An vielen Stellen sieht man durch das
Gewebe gut ausgebildete Arterien ziehen.
Trotz der raschen Ausbreitung der Blutbildung von der
Mitte der Diaphyse nach den beiden Epiphysen hin bleibt aber
eine mehr oder weniger breite Gewebszone an der Ossifikations-
linie immer rein Iymphoid; zuerst, wenn die Blutbildung eben
erst in der Mitte der Diaphyse beginnt, ist diese Zone breit:
später verschmälert sie sich immer mehr und mehr, da die
Resorption des Knorpels viel langsamer vor sich geht, als die
Ausbreitung des Blutbildungsprozesses; ganz eingeholt wird aber
die Resorptionslinie von der Blutbildungsgrenze bis zum Abschluss
des Längenwachstums des Knochens nicht, solange zwischen Epi-
und Diaphyse noch Knorpel existiert.
Selbst in den spätesten fetalen Stadien können wir infolge-
dessen in einem langen Extremitätenknochen, in welchem die
mittleren Teile der Diaphyse schon längst von kompaktem
Knochenmarkgewebe eingenommen erscheinen, an den enchondralen
Ossifikationslinien dieselben Entwicklungsprozesse wiederfinden,
die wir beim ersten Einwuchern des primären Markes in den
Knorpel beobachtet haben. An der Resorptionstläche des letzteren
sieht man, wie früher, vordringende und sich in die Knorpel-
kapseln einfressende Blutkapillaren mit den sie umgebenden
indifferenten Bindegewebszellen. Hier und weiter nach der
Diaphyse zu sieht man die fortdauernde Entstehung von Osteo-
14 Alexander Maximow:
klasten und von Lymphozyten der verschiedensten Typen aus den
fixen Bindegewebszellen. Noch weiter nach rückwärts sieht man
die allmähliche Entstehung der verschiedenen Blutzellenformen,
der Erythroblasten, Myelozyten und Megakaryozyten aus den
Lymphozyten; zuerst sind sie noch locker zerstreut, weiter nach
der Diaphysenmitte zu gehen sie allmählich in das kompakte
Markgewebe über. In dieser Iymphatischen Grenzzone sieht man
auch die früheren Knorpelbälkchen und -zwickel und nach der
Diaphyse zu werden sie in der oben beschriebenen Weise von
Knochensubstanz umsäumt und in Knochenbälkcehen aufgenommen,
um schliesslich zusammen mit diesen letzteren in den ältesten
mittleren Teilen der Markhöhle endgültig resorbiert zu werden.
Nun noch einige Bemerkungen über das periostale, peripherische
Mark; es bleibt in bezug auf seine Masse weit hinter dem enchondralen
Mark zurück, denn es füllt ja nur die Zwischenräume in der
periostalen Spongiosa aus. Dies Gewebe besitzt zuerst auch alle
Eigenschaften des Iymphoiden oder primären Markes, es besitzt
also ausser gewöhnlichen Bindegewebszellen, Osteoklasten und
Osteoblasten auch Wanderzellen der verschiedensten Art. Diese
letzteren sind hier aber relativ spärlich — am häufigsten kommen
hier noch die oben beschriebenen vakuolisierten Wanderzellen vor.
Wenn die Blutbildung im enchondralen Mark beginnt, bleibt das
periostale lange Zeit unverändert. Erst sehr allmählich dringt
der Blutbildungsprozess auch in die periostalen Markräume vor
und dann sieht man hier aus den Lymphozyten ebenfalls Erythro-
blasten und Myelozyten entstehen. Hier erreicht diese Blut-
bildung aber doch immer nur eine sehr geringe Intensität, nur
bei der Ratte erscheint sie auch im periostalen Knochenmark
zuletzt ziemlich stark entwickelt.
10. Über die verschiedenen Markzellen bei neu-
geborenen Tieren an feucht fixierten Deckglas-
präparaten.
Da die bisherigen von Hämatologen ausgeführten Unter-
suchungen über die Histogenese des Knochenmarkes, wie wir
gesehen haben, fast ausschliesslich an Deckglaspräparaten aus-
geführt worden sind, so wird es nützlich sein, wenn ich im vor-
liegenden Abschnitt in möglichst kurzer Weise die verschiedenen
1
Qi
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe.
wichtigsten Zellformen beschreibe, die man bei einem neu-
geborenen Säugetier an einem feucht fixierten Deckglaspräparat
vom Knochenmark erhält. In den frühen embryonalen Stadien
ist es natürlich meistens sehr schwierig, oder ganz unmöglich,
Deckglaspräparate vom Mark herzustellen, da dabei hauptsächlich
nur das Blut aus den weiten (Greefässen herausgepresst wird.
Als Beispiel wähle ich das neugeborene Kaninchen. Bei
allen untersuchten Säugetieren haben aber Deckglaspräparate
vom Mark neugeborener Exemplare überall ganz entsprechende
Resultate ergeben.
In einem Deckglaspräparat vom Femur erblicken wir eine
grosse Menge der verschiedensten Zellen in buntem Durcheinander.
Nach dem eingehenden Studium der vorhergehenden Entwicklungs-
stadien an Schnitten ist es eine Leichtigkeit, sich in denselben
zurechtzufinden und jeder Zelle den ihr gebührenden Platz in
der Entwicklungsreihe der Blutzellen zuzuweisen.
Vor allem lenken unsere Aufmerksamkeit die zahllosen
ungranulierten Iymphoiden Zellen, die Lymphozyten, auf sich
(Fig. 44a—p). So wie diese Zellen gleich bei ihrer ersten Ent-
stehung im Iymphoiden, primären Mark äusserst polymorph und
verschieden waren, so ist es auch jetzt geblieben. Im feucht
tixierten Deckglaspräparat, wo die zytologischen Strukturen noch
besser konserviert erscheinen, als an Schnittpräparaten, ist es
sogar möglich, eine noch grössere Mannigfaltigkeit in der inneren
Struktur und der äusseren Form der Lymphozyten zu bemerken.')
Es fallen zuerst die ganz grossen Lymphozyten in die
Augen (Fig. 44n, 0). Ihr Kern kann fast regelmässig kugelig.
oval, bohnenförmig, oder auch unregelmässig eingeschnürt sein.
In seinem Inneren sieht man ausser einem oder mehreren Kern-
körperchen feine eckige Chromatinteilchen im hellen Liningerüst
liegen und eine ziemlich grosse Menge Kernsaft, weshalb der
Kern in diesen grossen Formen der Lymphozyten in den meisten
Fällen hell, oft sogar sehr blass erscheint. Das Protoplasma hat
einen sehr wechselnden Grad von Basophilie; es kann dunkel
!‘) Als Besonderheit der mit ZF feucht fixierten und mit E Az gefärbten
Deckglaspräparate muss notiert werden, dass das Chromatin hier in allen
Zellkernen einen violetten Ton bekommt, während die Nukleolen im Gegen-
teil bläulich erscheinen. Das basophile Protoplasma erhält eine rein himmel-
blaue, dunklere oder hellere Färbung.
76 Alexander Maximow:
sein und enthält dann meist helle Vakuolen (n) oder es ist fast
ganz homogen und blass (0). Die Mitosen dieser Lymphozyten
sind sehr charakteristisch — die Gruppe der plumpen dunklen
Chromosomen liegt in einem fast homogenen, hellblauen Zelleib (p).
Von diesen ganz grossen Lymphozyten gibt es alle möglichen
Übergänge zu kleineren Zellen, die entweder qualitativ ganz den
ersteren ähnlich sind, oder sich durch gewisse Verschiedenheiten
auszeichnen (—m). Der Kern kann sehr unregelmässig ein-
geschnürt sein (f, g, h) und enthält oft viei mehr Chromatin,
so dass er sehr dunkel erscheint, während die Nukleolen undeutlich
werden (f, 1). Die Chromatinteilchen im Kern können auch eine
sehr verschiedene Grösse und eine mehr oder weniger regel-
mässige Verteilung aufweisen. In anderen Fällen bleibt der Kern
dieser kleineren, mittelgrossen Lymphozyten, im (Gregenteil, auffallend
blass und chromatinarm (k, l, m). Auch in diesen mittelgrossen
Lymphozyten kommen unzweifelhafte Mitosen vor.
Von den mittelgrossen Formen gibt es weiter alle Über-
gänge zu kleinen Zellen, die ganz und gar dem Typus der kleinen
Lymphozyten entsprechen. Sie haben sehr spärliches, schmales,
hellblaues Plasma und einen meist sehr dunklen, chromatin-
reichen, oft aber auch helleren Kern ohne deutlich sichtbare
Nukleolen (a—e). Die Form des Kernes ist nur selten rund
oder rundlich (a, b), viel häufiger bildet die Kernmembran tiefe
Einschnürungen, so dass der Kern einen ziemlich hohen Grad
von Polymorphie erreichen kann (ec, d, e). In den beschriebenen
kleinen Lymphozyten sind Mitosen mit Sicherheit nicht nach-
zuweisen.
Es erhellt aus der angeführten Beschreibung, dass beim
neugeborenen Kaninchen im Knochenmark sehr zahlreiche Zellen
existieren, die histologisch nicht anders als „Lymphozyten“
genannt werden können, in dem Sinne, wie Weidenreich (57)
und ich diese Benennung für alle ungranulierten, amöboiden, ein-
kernigen Zeilen des Blutes, der Lymphe und des Bindegewebes
gebrauchen. Diese Zellen sind hier, ebenso wie im Blute, in der
Lymphe, in den serösen Höhlen, im Bindegewebe (Maximow,
Weidenreich) sehr polymorph, es gibt grosse, mittlere und
kleine Formen von ganz verschiedenem Aussehen. Und trotz alle-
dem fehlt jeder Grund für eine strenge Scheidung dieser Formen
als einzelner, phylogenetisch selbständiger Zellarten. Alle Formen
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 17
sind durch fliessende Übergänge mit einander verbunden. Die
kleinen entstehen aus den grossen durch Wucherung, umgekehrt
können die grossen aus den kleinen wieder durch Hypertrophie,
Vergrösserung von Kern und Protoplasma entstehen. Alle diese
Formen sind also bloss funktionelle, vorübergehende Erscheinungs-
zustände einer einzigen Zellart, der Lymphozyten.
Diese ungranulierten Zellen, die Lymphozyten, stellen im
Knochenmark den Ausgangspunkt aller Entwicklungsrichtungen
ler Hämatopoese vor. Sehen wir uns vor allem die Entwicklungs-
reihe der Hämoglobinzellen näher an.
Aus den Lymphozyten, und zwar aus ihren grösseren Formen,
entstehen durch differenzierende Wucherung zunächst Zellen, die
den Lymphozytencharakter im allgemeinen noch beibehalten,
aber schon typische neue Merkmale erlangen (Fig. 47 a, b).
Der Zellenumfang wird etwas kleiner, das Protoplasma verliert
die Fähigkeit zur amöboiden Bewegung, es nimmt ferner am
Deckglaspräparat zunächst eine immer dunklere blaue Färbung
an, der Kern wird regelmässig rund, verliert die Einkerbungen
der Membran, in seinem Inneren bildet das Chromatin ein immer
dichteres (Grerüst aus eckigen, in regelmässigen Abständen von-
einander gelagerten Chromatinteilchen. Die Nukleolen sind zuerst
noch deutlich zu unterscheiden. Diese Zellen stellen nichts anderes
vor, als die oben an Schnittpräparaten ausführlich beschriebenen
jüngsten Megaloblasten (Fig. 34 und 40 Mlb). Merkwürdig ist,
dass die an den Deckglaspräparaten für die erythroblastische
Entwicklungsrichtung so ausserordentlich typische temporäre starke
Zunahme der Protoplasmabasophilie an Sehnittpräparaten gar
nicht hervortritt. Solche stark basophile, noch hämoglobinlose
Erythroblasten mit schmalem Protoplasmarand sind bereits (und
serade an Deckglaspräparaten) von manchen Autoren gesehen
und richtig erkannt worden, so z. B. von Pappenheim (39).
Die Mitosen der beschriebenen stark basophilen Zellen sind
sehr zahlreich vorhanden ; während des Teilungsprozesses färbt
sich das Protoplasma wieder bedeutend heller (Fig. 47 ce).
In den weiteren Generationen bekommt man typische ältere
Megaloblasten, runde Zellen mit ganz schmalem, homogenem,
noch immer tiefblau gefärbtem Protoplasmasaum ; die äusserst
starke Basophilie des letzteren verdeckt die wahrscheinlich schon
zu dieser Zeit sich ansammelnden ersten Hämoglobinspuren
”
Alexander Maximow:
[@ e)
(Fig. 47 d). Der Kern besitzt jetzt keine deutlichen Nukleolen
mehr und enthält ein sehr regelmässiges Gitterwerk aus eckigen,
miteinander verbundenen Chromatinteilchen; die scheinbar sehr
dunkle Färbung des Kerns hängt wahrscheinlich in Wirklichkeit
zum grössten Teil von der sehr dunklen Färbung des umhüllen-
den Protoplasmas ab.
Bei der weiteren Wucherung wird der Umfang der Zellen
immer kleiner, die Basophilie des Protoplasmas verschwindet
rasch und an Stelle der tiefblauen Färbung tritt zuerst die violette
(Fig. 47 e, f), dann die mehr oder weniger rein rote Färbung
des homogenen hämoglobinhaltigen Protoplasmas. Der Kern wird
auch kleiner, seine Struktur wird immer dichter, seine Färbung
dunkler.
Man bekommt schliesslich die bekannten reifen Normo-
blasten (g) mit pyknotischem, nicht mehr wucherungsfähigem,
sehr oft unregelmässig eingeschnürtem Kern, der dann ausgestossen
wird (h). Auch an Deckglaspräparaten findet man nirgends und
niemals Beweise für die angebliche „intrazelluläre Kernauflösung“.
Zerfall des pyknotischen Kernes in Stückchen noch in der Zelle
selbst kommt wohl hin und wieder vor, wie ich es schon oben
notiert habe, aber das ist auch eine sehr seltene Erscheinung
und sie beweist nichts weiter, als den schon von mir (31, 32).
Weidenreich (52, 55) und Jolly (25) behaupteten Satz, dass
der pyknotische Kern des Normoblasten zuerst degeneriert, dabei
mitunter in Stücke zerfallen kann und erst dann ausgestossen wird.
Bei der Ratte und dem Meerschweinchen findet man im
den reifen Normoblasten neben dem pyknotischen Kern ein ganz
winziges, dunkelblau gefärbtes Körperchen, meist in der Form
eines Doppelkörnchens; seine Färbung gelingt aus unbekannten
Gründen nicht immer, wenn sie aber gelingt, erscheinen alle
Zellen mit diesem Gebilde versehen. Wenn der Kern dann aus-
gestossen wird, bleibt in dem kernlosen Erythrozyt das Körperchen
unverändert liegen.
Diese Körperchen entsprechen wohl den besonders von
Weidenreich (55) ausführlich beschriebenen, als Kernreste
gedeuteten Gebilden in den Erythrozyten, die er „Chromatin-
stäubehen“ nennt. Ihre morphologische Bedeutung sollte aber
noch genauer erforscht werden.
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 79
Die Entwicklungsreihe der Spezialgranulozyten beginnt beim
neugeborenen Kaninchen mit Zellen, die in ihrem Protoplasma.
als gemeinsames, notwendiges Merkmal, spärliche, feine, pseudo-
eosinophile Körnchen enthalten (Promyelozyten nach der Termino-
logie von Pappenheim). Nun sind aber diese Zellen in allen
anderen Beziehungen ausserordentlich verschieden (Fig. 45 a—h).
Diese Verschiedenheiten sind leicht erklärlich. Die Spezialzellen
entstehen, wie wir es schon oben gesehen haben, durch Aus-
arbeitung spezifischer Körnchen im Protoplasma der Lymphozyten.
Da nun diese letzteren selbst äusserst polymorph, dabei aber alle
gleichwertig sind, kann naturgemäss auch die Spezialkörnung in
allen möglichen Lymphozytenformen auftreten und so bekommen
wir die grosse Mannigfaltigkeit der jungen Myelozyten.
Am häufigsten treten die ersten Spuren der pseudoeosino-
philen Körnung in den grossen und mittelgrossen Lymphozyten
mit schwach basophilem, hellem, himmelblauem Plasma auf
(Fig. 45 b, ec, d, f). Seltener geschieht dies in den Lymphozyten
mit sehr dunklem Protoplasma und oft auch sehr dunklem Kern (h).
Noch seltener sind Zellen, wie die unter g abgebildete. Die
Lokalisation der ersten Körnchen im Zelleib ist sehr verschieden:
bald liegen sie hart an der Peripherie der Zelle, bald, und das
ist das häufigste, umgeben sie die Sphäre in einem zuerst losen,
später immer dichteren und dichteren Haufen (d). Der Kern
bewahrt zuerst seinen Lymphozytencharakter (b, d). Später aber,
im reiferen Myelozyten mit schon zahlreichen Körnchen erlangt
er das für diese Zellen typische Aussehen — blasses Liningerüst
mit spärlichen, unregelmässig zerstreuten Chromatinteilchen und
ein oder mehrere Kernkörperchen von verschiedener Grösse (f, 1).
Nicht selten findet man jetzt auch Mitosen in Zellen, die noch
spärliche Körnchen enthalten (e), ferner Mitosen in ausgebildeten
Myelozyten.
Während beim Embryo in den frühesten Stadien die Spezial-
zellen zum grössten Teil auf abgekürztem Wege, ohne Myelo-
zytenstadium, direkt aus kleinen Iymphoiden Zellen entstehen,
ist dies beim neugeborenen Tier nur mehr selten der Fall. Aber
auch jetzt findet man hin und wieder Zellen, die man für nichts
anderes halten kann, als für kleine Lymphozyten, in deren etwas
verbreitertem Protoplasmasaum die ersten Spuren der pseudo-
eosinophilen Körnung auftreten (ä).
Ss0 Alexander Maximow:
Die weitere Entwicklung der pseudoeosinophilen Myelozyten
zu reifen Leukozyten brauche ich nicht zu beschreiben, weil sie
allgemein bekannt ist.
Was die Entstehung der eosinophilen Leukozyten betrifft.
so findet man beim neugeborenen Kaninchen meistens schon
grosse, granulareiche Myelozyten (Fig. 46.d, e); die Körner sind
grob, oft ovoid oder stäbchenförmig, glänzend und hellrot ge-
färbt. Von diesen groben eosinophilen Körnchen sind aber
einige oft doch noch deutlich blau gefärbt (d), also unreif. Der
Kern der eosinophilen Myelozyten enthält meistens keine deut-
lichen Nukleolen und ist entweder rund (e) oder tief einge-
schnürt (d); gelegentlich, wenn auch selten, findet man Mitosen
in diesen Zellen.
Eosinophile Zellen mit beginnender Granulaanhäufung sind
jetzt selten, man findet sie aber doch. Von einer mit den Spezial-
sranulozyten gemeinsamen granulierten Vorstufe, deren Möglich-
keit für das embryonale Leben ich oben bewiesen zu haben
glaube, ist aber jetzt nichts mehr zu finden. Wo eosinophile
Zellen aus anders gearteten neu entstehen, sieht man überall
zuerst ungranulierte Zellen, mittelgrosse Lymphozyten, mit ge-
wöhnlichem nukleolenhaltigem Kern und blassem Plasma (Fig. 46 a):
im letzteren erscheinen sofort von den pseudoeosinophilen Körnchen
leicht zu unterscheidende, gröbere, zuerst noch deutlich basophile,
grauviolette, glänzende Körnchen, die sich später vergrössern, zahl-
reicher werden, einen immer deutlicheren roten Ton annehmen und
sich in richtige eosinophile Körner verwandeln, während der Kern
ebenfalls wächst, die Nukleolen verliert und vorübergehend einen
höheren oder geringeren Grad von Polymorphie erlangen kann.
Aus diesen in Fig. 46 unter b und ce abgebildeten Zellen ent-
wickeln sich dann die ganz grossen eosinophilen Myelozyten, aus
diesen aber weiter auf bekanntem Wege die reifen eosinophilen
Leukozyten. Direkte Entstehung reifer eosinophiler Leukozyten
aus kleinen Iymphoiden Zellen mit beginnender Granulaanhäufung
lässt sich nicht mehr beobachten.
Was zum Schluss die Mastmyelozyten und Mastleukozyten
anbelangt, so sieht man jetzt meistens schon granulareiche,
amöboide Mastmyelozyten mit kleinem rundem Kern (Fig. 48 b).
Auch Mitosen kann man in ihnen zuweilen finden. Diese Myelo-
zyten verwandeln sich in die bekannten reifen granulareichen
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. sl
polymorphkernigen Mastleukozyten des Kaninchens (ec). Neubildung
von Mastmyelozyten aus ungranulierten Zellen ist auch vorhanden,
aber man findet sie nur mehr selten. Es sind dann entweder
mittelgrosse oder grosse Lymphozyten (a), in deren Protoplasma
zuerst spärliche, einzelne, später immer zahlreichere basophile
metachromatische Körner auftreten.
Es wäre zum Schluss noch zu erwähnen, dass man im
Deckglaspräparat vom Knochenmark ausser den beschriebenen
Zellarten immer noch Megakaryozyten, Osteoklasten, Osteoblasten,
seltene Stromazellen und in wechselnder Anzahl auch Phagozyten
findet; letztere stellen Stromazellen vor, die in ihrem Protoplasma
zahlreiche verschlungene und mehr oder weniger veränderte
nackte Normoblastenkerne enthalten.
11. Schluss.
In dem vorliegenden Schlussabschnitt wird es zweckmässig
sein, zunächst die objektiven Resultate meiner Untersuchungen
über die Histogenese des embryonalen Knochenmarks kurz zu
resümieren und weiter daran einige Erörterungen von allgemein-
hämatologischer Bedeutung anzuknüpfen.
In den knorpelig vorgebildeten langen Extremitätenknochen
nimmt die Knochenmarkbildung ihren Ausgang von dem Peri-
chondrium, welches aus indifferenten, embryonalen, eng aneinander
geschmiegten Zellen mit länglichen Kernen und aus Blutgefässen
besteht. Die Zellen dieser Keimschicht verwandeln sich zunächst
z. T. in Osteoblasten und bilden in der Mitte der Diaphyse eine
periostale spongiöse Knochenschale, die übrigen dringen durch
die Öffnungen des periostalen Knochens hindurch in den ver-
kalkten Knorpel ein. Der letztere wird resorbiert und es ent-
steht die primäre Markhöhle, welche von lockerem, zell- und
gefässreichem embryonalem Bindegewebe eingenommen wird. Die
Knorpelzellen gehen dabei in der Regel zugrunde. Es ist aber die
Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass einige von ihnen am Anfang
der Resorption aus den Kapseln zu einer Zeit befreit werden,
wo sie der Degeneration noch nicht verfallen sind. In diesem
Falle scheinen sie am Leben zu bleiben, sogar zu wuchern und
können sich vielleicht wieder in gewöhnliche embryonale Binde-
gewebszellen zurückverwandeln.
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. 6
[0 6)
DD
Alexander Maximow:
Die Zellen des embryonalen Bindegewebes, welches die
Markhöhle erfüllt, sind vollkommen indifferent; ein Teil von
ihnen verwandelt sich in Osteoblasten, die die Reste der ver-
kalkten Knorpelsubstanz mit Knochen umsäumen, ein anderer
erzeugt durch gruppenweise Verschmelzung (ohne Kernteilung)
mehrkernige Osteoklasten. Ausserdem entstehen aber schon beim
ersten Anfang der Resorption des Knorpels, noch mehr in den
späteren Stadien, aus den embryonalen Bindegewebszellen durch
Abrundung und Isolierung zahlreiche indifferente Iymphozytoide
Wanderzellen von sehr verschiedenem Aussehen, Lymphozyten,
wie sie zu derselben Zeit überall im Bindegewebe des Embryo-
körpers vorkommen. Ein Teil von ihnen hat das Aussehen von
grossen Lymphozyten, ein anderer von kleinen Lymphozyten, die
dritten stellen amöboide Wanderzellen mit gefaltetem Kern
vor usw. Trotz dieser histologischen Verschiedenheiten sind alle
diese Zellen in gleicher Weise indifferent, alle gleichwertig, alle
mit derselben sehr reichhaltigen prospektiven Entwicklungspotenz
ausgestattet und es existieren zwischen allen ihren histologischen
Formen tliessende Übergänge. In allen Wanderzellen findet man,
ebenso wie in den fixen Bindegewebszellen, Mitosen.
Dies embryonale gefässreiche Bindegewebe, welches die
primäre Markhöhle erfüllt und den verkalkten Knorpel immer
weiter resorbiert, das „primäre Knochenmark“, enthält also von
Anfang an in loco entstandene Lymphozyten. Es kann folglich
mit Pappenheim als „Ivmphoides Mark“ bezeichnet werden.
Dies ist tatsächlich die primitive, ursprüngliche Form eines jeden
Knochenmarks, überhaupt eines jeden blutbildenden Gewebes.
Auch in den Schädelknochen fand ich in den Markräumen der
jungen Spongiosa zuerst ein ganz ähnliches embryonales gefäss-
reiches Bindegewebe mit Lymphozyten, wie in den langen Extre-
mitätenknochen.
Im primitiven Ivmphoiden Zustande bleibt das embryonale
Knochenmark nur sehr kurze Zeit. Die Neubildung von Lympho-
zyten aus den fixen Zellen dauert noch lange fort, aber es be-
ginnt bald die eigentliche Blutbildung, und zwar geschieht dies
im Gegensatz zu den Vögeln (Dantschakoff) extravaskulär.
im Gewebe. Das Mark bekommt nun myeloiden Charakter. Bei
den meisten untersuchten Säugetieren erscheinen zugleich Erythro-
blasten und Spezialgranulozyten. bald nachher auch eosinophile
ıQ
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 55
Granulozyten, Megakaryozyten und schliesslich auch Mastgranulo-
zyten. Nur bei Ratte und Maus beginnt die Blutbildung mit
der Bildung von Spezialgranulozyten und eosinophilen Zellen,
während die Erythroblasten erst erheblich später erscheinen.
Alle die verschiedenen Blutzellenarten, sowohl die Erythro-
blasten, als auch die verschiedenen Granulozyten, entstehen aus
denselben indifferenten Iymphoiden Wanderzellen, den Lympho-
zyten, durch differenzierende Wucherung und Entwicklung in
verschiedenen Richtungen. In den Lymphozyten wurzeln also
sämtliche Blutzellenstämme. Sie sind die für alle Blutzellenarten
gemeinsame Stammform, in derselben Weise, wie ich es schon
früher auch für die embryonale Blutbildung an anderen Stellen,
im Dottersack, im Körpermesenchym, in der Leber nach-
gewiesen habe.
Die gewöhnlichen fixen Bindegewebszellen, die zur Lympho-
zytenbildung nicht verbraucht werden, liefern das Stützgewebe,
das Stroma des Knochenmarks. Sie bleiben mit den Osteoblasten
und den (Greefässwandzellen in enger Verbindung; auch die Osteo-
klasten scheinen ihnen sehr nahe zu stehen, denn ein Teil dieser
Riesenzellen kann sich später wieder in einzelne Zellen auflösen,
die sich dem Stützgewebe einfügen.
Bei der Entwicklung zu hämoglobinhaltigen Zellen nehmen
die Wanderzellen stets zuerst das Aussehen grosser Lymphozyten
an; diese wuchern und erzeugen Megaloblasten mit noch stark
basophilem Plasma, in welchem erst sehr allmählich das Hämo-
globin ausgearbeitet wird, während der Kern die für die Erythro-
blasten typische Chromatinanordnung schon frühzeitig erhält.
Die Megaloblasten wuchern weiter, es entstehen dabei kleinere
Zellen mit immer dunkleren Kernen und hämoglobinreicherem
Plasma und schliesslich bekommt man typische Normoblasten,
deren Kern der Pyknose verfällt und in degeneriertem Zustande
ausgestossen wird. Intrazelluläre Kernauflösung liess sich auch
im Knochenmark, ebenso wie in den anderen blutbildenden
Organen, nicht nachweisen. Die ausgestossenen Kerne werden
von den fixen Bindegewebszellen (den Stromazellen des Knochen-
marks), zuweilen auch von den Blutgefässendothelien gefressen.
Die ersten Spuren der Spezialkörnung tauchen in den ver-
schiedensten Lymphozytenarten auf, den grössten und den kleinsten,
auch in den Iymphoiden Wanderzellen von „histogenem“ Typus.
6*
S4t Alexander Maximow:
Alle diese Zellen sind eben gleichwertig. Am Anfang entstehen
mit Vorliebe sofort granulareiche kleine polymorphkernige Zellen
von reiferem Charakter, primitive, noch unvollkommene Spezial-
leukozyten, durch direkte Verwandlung der kleinen Lymphozyten-
formen, wobei das Myelozytenstadium übersprungen wird, ebenso
wie es nach Dantschakoff auch im Knochenmark der Vögel
am Anfang geschieht. Später werden die typischen grossen blass-
kernigen Mvelozyten zahlreicher, aus denen die reifen Leukozyten
dann durch den bekannten Vorgang der Wucherung mit pro-
gressiver Kernpolymorphose entstehen.
Die eosinophilen Granulozyten entstehen bei Katze und Ratte
zugleich mit den Spezialgranulozyten, ebenfalls aus den Lympho-
zyten, durch Ausarbeitung der spezifischen eosinophilen Körnchen
im Plasma. Beim Kaninchen und Meerschweinchen erscheinen sie
hingegen später, als die pseudoeosinophilen Spezialzellen und hier
ist es möglich, besonders beim Meerschweinchen, dass für die
beiden Granulozytenarten zuerst eine gemeinsame granulierte
Vorstufe gebildet wird, die sich jedoch dem Aussehen nach mehr
dem Typus der Spezialgranulozyten nähert und von der später
die eosinophilen Zellen gewissermassen abgespalten werden. Doch
bleibt auch beim Meerschweinchen diese gemeinsame granulierte
Vorstufe, wenn sie überhaupt existiert, nur kurze Zeit, nur
während der frühen Periode der Markentwieklung bestehen und
später sieht man auch hier die eosinophilen Zellen, ebenso wie
die pseudoeosinophilen, selbständig aus derselben gemeinsamen
ungranulierten Stammzelle, dem Lymphozyt, durch allmähliche
Ausarbeitung von eosinophilen Körnchen entstehen.
Bei allen untersuchten Säugetieren, ausser dem Kaninchen,
findet man im embryonalen Knochenmark sowohl „histogene“,
als auch „hämatogene“ Mastzellen. Die ersten erscheinen früher,
entstehen aus den Iymphoiden Wanderzellen und sehen in jeder
Beziehung den Mastzellen des Bindegewebes ähnlich; bei der
vatte bleiben sie im Mark auch beim erwachsenen Tier in
grosser Anzahl, bei Katze und Meerschweinchen verschwinden
sie später. Die Blutmastzellen entstehen im Mark ebenfalls aus
den Lymphozyten durch allmähliche Granulaausarbeitung, aber
später, und, wie es scheint, als ganz besondere Zellart, die zu
den Bindegewebsmastzellen keine Beziehungen offenbart, ausser der
gemeinsamen ungranulierten Stammzelle. Bei der Ratte und der
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 85
Katze sind die Blutmastzellen sehr selten, beim Meerschweinchen
zahlreich und hier erscheinen sie zum Teil als Mastmyelozyten,
zum Teil gleich als reife Mastleukozyten.
Beim Kaninchen entstehen im Knochenmark, ebenso wie
überall im Bindegewebe, schon sehr früh basophil-metachromatisch
eranulierte Zellen, wie immer aus den Lymphozyten, durch Aus-
arbeitung spezifischer Granula; sie müssen als Mastmyelozyten
angesehen werden, da sie sich in polymorphkernige Mastleukozyten
verwandeln. Im Knochenmark bleibt die Produktion dieser Zellen
für immer lokalisiert. Im Bindegewebe geht sie zurück, hier
entstehen aber dafür in den letzten Stadien des embryonalen
Lebens die beim Kaninchen immer sehr spärlichen Bindegewebs-
mastzellen.
Die Megakaryozyten entstehen ungefähr zu gleicher Zeit
wie die Erythroblasten, ebenfalls aus den Lymphozyten, wobei
Kern und Protoplasma hypertrophieren und am ersteren sich die
bekannten amitotischen und multipolar-mitotischen Prozesse ab-
spielen.
Die verschiedenen im Knochenmarkgewebe entstehenden
Blutzellenarten, die Erythrozyten, die Lymphozyten, die granulierten
Leukozyten müssen schliesslich in die Blutbahn, in die Gefässe
gelangen. Insofern es sich dabei um bewegliche Zellen handelt,
also um Lymphozyten oder granulierte Leukozyten, geschieht
dies hauptsächlich durch aktive Permigration durch die dünne
(refässwand. In allen Entwicklungsstadien findet man sehr schöne
Permigrationsbilder, besonders für die Lymphozyten. Was die
Erythrozyten betrifft, so gelangen sie ins zirkulierende Blut
infolge einer eigentümlichen Auflockerung des (refässendothels an
den Stellen, wo Erythrozyten im Gewebe entstehen. Durch die
Öffnungen in der Endothelwand werden die reifen Erythrozyten,
zum Teil auch die Normoblasten, vom Blute weggespült, später
schliesst sich der Defekt in der Endothelwand wieder.
Die bei der Untersuchung der Histogenese des Knochen-
marks bei Säugetieren erhaltenen Resultate bestätigen also wieder
einmal die monophyletische Theorie der Hämatopoese. Auch im
Knochenmark treten zu allererst indifferente Wanderzellen auf,
Lymphozyten. Sie entstehen aus den gewöhnlichen embryonalen
s6 Alexander Maximow:
indifferenten Bindegewebszellen durch Abrundung und Mobilisierung;
histologisch können sie sehr verschieden aussehen, in bezug auf
die prospektive Entwicklungspotenz aber sind sie alle gleichwertig.
Aus ihnen entstehen durch differenzierende progressive Entwicklung
in verschiedenen Richtungen alle anderen Blutzellenformen, die
Erythroblasten, die verschiedenen Granulozyten, dieMegakaryozyten.
Die Vorstellung von dem Begriff „Lymphozyt“, von seinen
morphologischen und histogenetischen Eigenschaften, die ich
mir auf Grund der in der vorliegenden Arbeit geschilderten,
am Knochenmark gewonnenen Resultate und meiner früheren
hämatologischen Arbeiten gebildet habe, erfreut sich vorläufig
keiner besonderen Zustimmung von seiten der Hämatologen von
Fach, der Kliniker und Pathologen. Ich halte es für überflüssig,
hier am Schluss der Arbeit mich noch in eine längere Diskussion
über die verschiedenen in der Literatur vorhandenen Meinungs-
differenzen einzulassen. Gründliche und erschöpfende Literatur-
übersichten in dieser und verwandten hämatologischen Fragen
findet man jetzt an vielen Stellen, so in den Folia hämatologica,
in dem neuen Atlas von Pappenheim (42) usw. Ich konstatiere
hier bloss, dass einer der gründlichsten Kenner des Blutes und
Bindegewebes unter den normalen Anatomen, Weidenreich,
auf Grund seiner zahlreichen eingehenden Arbeiten zu Schlüssen
gelangt ist, die mit den meinigen vollständig harmonieren. Auch
Dominicis (11, 12, 13) Standpunkt deckt sich in den meisten
Beziehungen mit dem meinigen. Die neuesten Untersuchungen
von Dantschakoff (6, 7, 8) haben für eine andere Wirbeltier-
klasse, die Vögel, ebenfalls ganz analoge Resultate ergeben.
Die Anschauungsweise von Weidenreich und von mir
unterscheidet sich meiner Meinung nach von der Anschauung der
meisten heutigen Hämatologen hauptsächlich dadurch, dass wir
sowohl zwischen den verschiedenen Blutzellenformen überhaupt,
als auch speziell zwischen den verschiedenen Erscheinungsformen
der Lymphozyten keine so scharfen, bis zu den ursprünglichsten
Entwicklungsformen dieser Elemente reichenden Grenzen ziehen,
keine besonderen. phylogenetisch von Anfang an streng ge-
sonderten, sich nur selbständig entwickelnden und alternden
Zellstämme ausschliesslich auf Grund von relativ unwichtigen
Merkmalen, wie Form der Kerne, Nukleolenzahl, Breite des
Protoplasmasaumes, Grad seiner Basophilie, Farbenton der Granula
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 87
usw. annehmen. Sowohl meine eigenen, als auch Weidenreichs
Untersuchungen scheinen mir zur Genüge zu beweisen, wie wenig
Bedeutung solche Merkmale haben, wie leicht sie sich in den
verschiedenen Lebensperioden einer Zelle ändern können, wie
wenig scharf abgegrenzt die meisten der von der Hämatologie ge-
schaffenen und mit besonderen Namen belegten Blutzellenformen
sind. Sobald wir uns aber auf diesen Standpunkt stellen, verein-
facht sich die ganze, jetzt so furchtbar verwirrte Lehre von der
Abstammung der Blutzellen, die zahlreichen komplizierten Stamm-
häume werden überflüssig, viele heiss umstrittene Fragen der
Hämatologie gegenstandslos.
Um vorerst bei den Lymphozyten zu bleiben, ist es sehr
interessant zu notieren, wie wenig die früher von Ehrlich u.a.
geschaffenen und grösstenteils auch heute noch geltenden und
überall gelehrten morphologischen Untersuchungsmerkmale der
grossen Lymphozyten, der kleinen Lymphozyten und der grossen
einkernigen Leukozyten (Lympholeukozyten Pappenheims)
einer eingehenden Kritik mittels zweckmässiger Methoden von
seiten Weidenreichs (57) standhalten konnten. Alle diese
verschiedenen Leukozytenformen erweisen sich sogar in einem
so oft untersuchten Objekt, wie das Menschenblut, durch alle
möglichen Übergangsformen verbunden und lassen sich einfach
nicht in scharfe schematisierte Gruppen einteilen — wenn dem
aber so ist, so sind auch die verschiedenen Namen für diese
ineinander übergehenden Erscheinungsformen überflüssig.
Die Untersuchung der fetalen Blutbildung gibt, wie wir
gesehen haben, weitere Beweise für die Unmöglichkeit der scharfen
Einteilung der verschiedenen ungranulierten Ilymphozytoiden
Wanderzellen in einzelne Gruppen.
Weiter unterscheidet man heutzutage in der Hämatologie
auch unter den granulierten Zellen einer bestimmten Art, z. B.
den Spezialleukozyten, sehr viele besondere Formen, die mit
besonderem Namen belegt werden. Um von der ungranulierten
Stammzelle, dem Grosslymphozyt, zum reifen polymorphkernigen
Leukozyt zu gelangen, kommt man über Myeloblasten, Pro-
myelozyten, Tochtermyelozyten und Metamyelozyten; ausserdem
werden noch Mikromyelozyten unterschieden (Pappenheim [42)).
(rewiss wird jede diese Zellart von den Autoren durch besondere
Merkmale charakterisiert, jede kann vielleicht im Blutpräparat
tele) Alexander Maximow:
beim Menschen unter mehr oder weniger bestimmten Verhält-
nissen vorkommen — ich bin aber doch der Meinung, dass die
verschiedenen Erscheinungsformen der reifenden Granulozyten
viel zu unbestimmt begrenzt, zu variabel sind, viel zu sehr
fluktuieren, als dass man das Recht hätte, so scharf einzelne
Zellformen herauszugreifen und sie mit besonderen Namen zu
belegen. Wenn die Entwicklung im normalen erwachsenen
Organismus noch mehr oder weniger regelmässig, über ganz
bestimmt ausgebildete Zelltypen verläuft, so ist unter pathologischen
Verhältnissen, ebenso wie im fetalen Leben, sicherlich das Gegen-
teil der Fall. Wir haben oben gesehen, dass die ersten Spuren
der Spezialkörnung ohne Unterschied in den verschiedensten
Lymphozytenformen auftreten können; trotzdem sind alle diese
Zellen mit Körneransammlung als gleichwertig aufzufassen und
als \lyelozyten zu bezeichnen, denn sie können sich ja schliesslich
sämtlich in reife Spezialleukozyten verwandeln und können also
keinen Anspruch auf besondere Benennungen erheben. Selbst
die reifen Spezialleukozyten sehen in den früheren Perioden des
embryonalen Lebens ziemlich verschieden aus, die einen sind als
abortiv, als primitiv zu betrachten (granulalose oder granula-
arme Formen beim Meerschweinchen), andere erreichen eine
anormale Grösse, oder bekommen besonders grobe Körnchen,
die zum Teil sogar als Mittelding zwischen pseudoeosinophilen
und eosinophilen erscheinen können usw. Auch in krankhaften
Zuständen im erwachsenen Organismus kann vielleicht dieselbe
Unregelmässigkeit und derselbe Polymorphismus wiederkehren.
Dass das Knochenmark aller Säugetiere ausser den spezifisch-
myeloiden Elementen, den Erythroblasten, Granulozyten und
Megakaryozyten, auch ungranulierte basophile „Iymphoide“ Zellen
enthält, ist schon lange bekannt gewesen und wird jetzt von
niemandem bestritten.
Wie Pappenheim (38) es zuerst ausgesprochen hat, sind
es überhaupt die ersten Zellen, die im embryonalen Mark auf-
treten, sodass es ein Entwicklungsstadium gibt, wo das Knochen-
mark „Iymphoiden“ Charakter hat. Meine Untersuchungen haben
dies vollkommen bestätigt und den Vorgang der Entstehung der
ungranulierten Zellen im Knochenmark klargestellt. Gleich beim
ersten Anfang der Einwucherung des Periosts in den Knorpel
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 5)
entstehen bereits aus seinen embryonalen Bindegewebszellen
Ivmphoide Wanderzellen.
Dass diese ungranulierten basophilen Zellen im embryonalen
Knochenmark, auch beim Menschen, über die anderen Zellformen
überwiegen, haben auch Hirschfeld, Horwitz, Nägeli,
Schridde und andere anerkannt.
Wenn wir jetzt aber weiter zu den Fragen übergehen, wie
diese ungranulierten Zellen entstehen, welche morphologische
Bedeutung sie haben, welche weitere Entwicklung sie durchmachen,
wie man sie dementsprechend benennen soll, finden wir sofort
die widersprechendsten Meinungen.
Die Vertreter der polyphyletischen Lehre, Nägeli (35, 36),
Schridde (47) und andere geben die Ähnlichkeit der fraglichen
Zellen mit den echten Lymphozyten zu. Sie behaupten jedoch,
dass es eine bloss äusserliche Ähnlichkeit sei, die übrigens auch
nicht sehr weit gehe, da man angeblich ganz bestimmte scharfe
Unterschiede konstatieren könne, abweichendes Verhalten der
Protoplasmakörnchen (Schridde), der Nukleolen etc. Diese
Zellen seien also keine Lymphozyten, sondern ihnen bloss ähn-
liche, basophile, noch ungranulierte Vorstufen der Granulozyten,
sogenannte „Myeloblasten“. Sie sollen direkt aus Gefässendothelien
hervorgehen und zwar zugleich mit Erythroblasten und Mega-
karyozyten, um sich später, ebenso wie diese beiden letzten
Zellarten, als ein ganz abgesonderter Zellstamm in bestimmter
Weise weiter zu entwickeln. Mit Lymphozyten sollen die Myelo-
blasten gar nichts zu tun haben. Diese letzteren entstehen nach
Schridde und Nägeli viel später und auf ganz andere Weise
und an anderen bestimmten Stellen, nämlich aus Lymphgefäss-
endothelien. Das beim Embryo zuerst auftretende blutbildende
Gewebe sei also das myeloide, erst viel später entstehe das
Iymphoide und die beiden seien voneinander immer streng ge-
sondert. Wenn im Knochenmark später auch richtige Lympho-
zyten existieren, so liegen sie hier zwischen den myeloiden
Elementen als etwas artfremdes umher und sollen hier oft sogar
besondere perivaskuläre Lymphome bilden.
Nach der oben angeführten Beschreibung meiner Befunde
kann ich wohl behaupten, dass diese Postulate der polyphyletischen
Theorie sämtlich den Tatsachen nicht entsprechen.
90 Alexander Maximow:
Der Begriff einer bestimmten Zellart umfasst ihr histo-
logisches Aussehen, ihre morphologische Bedeutung (Abstammung)
und ihre funktionellen, physiologischen, besonders aber ihre
prospektiv-zytogenetischen Eigenschaften.
Fassen wir zunächst die histologischen Eigenschaften der
Iymphoiden Zellen des Knochenmarks ins Auge. Sie sollen sich
nach Schridde, Nägeli u. a. von den echten Lymphozyten
histologisch durch bestimmte, ganz geringfügige Merkmale unter-
scheiden, wie das Fehlen der Altmannschen Granula, bestimmte
Nukleolenzahl u. dergl. Wie ich schon früher bewiesen habe (34)
und wie es seither auch von anderen (Butterfield, Heinecke
und Meyer [5]) bestätigt worden ist, haben diese Unterscheidungs-
merkmale entweder gar keine Bedeutung, da sie sehr variabel
sind, oder sie existieren einfach nicht. Ausserdem aber haben
wir ja sowohl in den frühesten Entwicklungsstadien im Körper-
mesenchym und in der Leber, als auch später im Knochenmark
gesehen, dass die Iymphoiden Wanderzellen, die Lymphozyten,
schon selbst unter sich in histologischer Beziehung äusserst variabel
sind und sehr verschieden aussehen können. Die Unterschiede
zwischen den einzelnen Exemplaren unter ihnen sind viel be-
deutender, als die zwischen den Myeloblasten und Lymphoblasten
(Lymphozyten) nach Schridde. Ausserdem gibt es zwischen
diesen verschiedenen Wanderzellenformen alle direkten Übergänge.
Um die Bedeutung dieser Variabilität richtig beurteilen zu können,
muss man aber natürlich die Wanderzellen schon in den frühesten
Stadien, gleich bei ihrer ersten Entstehung im embryonalen
(rewebe untersuchen und dann Schritt für Schritt weiter verfolgen,
eine Vorbedingung, die, soviel ich sehe, weder von Schridde
und Nägeli, noch von ihren Schülern erfüllt worden ist.
Es ist ja weiterhin auch sehr leicht, die Wanderzellen des
primären Iymphoiden Knochenmarks, also die vermeintlichen Myelo-
blasten der Dualisten, gleich bei ihrer Entstehung mit den zu
derselben Zeit, bei demselben Embryo, in den Lymphdrüsen-
anlagen entstehenden Wanderzellen zu vergleichen; diese letzteren
sind doch schon sicherlich echte Lymphozyten. Dabei stellt es
sich nun heraus, dass man zwischen den Wanderzellen dieser
beiden Provenienzen gar keine durchgreifenden histologischen
Unterschiede feststellen kann; es genügt die Fig. 17, wo
verschiedene Lymphozyten aus einer ganz jungen Lymph-
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 9
knotenanlage von einem Katzenembryo von 70 mm Länge dar-
gestellt sind, mit den Fig. 9, 10, 11, 12, 14 zu vergleichen; auf
den letzteren sehen wir die verschiedenen Wanderzellen des
Knochenmarks bei Katzenembryonen gleichen und verschiedenen
Alters. Im Gegensatz zu den Angaben Schriddes (47) sehen
wir in den Lymphdrüsenanlagen auch durchaus nicht nur kleine
Lymphozyten entstehen, sondern wieder sehr verschiedene Wander-
zellen, grosse Lymphozyten (Fig. 17 a), kleine Lymphozyten
(Fig. 17 e), Zellen vom Charakter der „histogenen“ Wander-
zellen (ce) usw.
Überall, wo Wanderzellen, Lymphozyten auftreten, sind sie
eben immer ausserordentlich polymorph, dabei aber doch immer
gleichwertig.
Für das Knochenmark liess sich die ausschliessliche Be-
deutung der Gefässwandzellen für die Bildung der Lymphozyten
und der anderen Blutelemente nirgends feststellen. Gewiss liegt
die gelegentliche Abrundung einzelner Endothelzellen und ihre
Isolierung als Wanderzellen durchaus im Bereich der Möglichkeit,
da die Endothelzellen ja dieselben embryonalen Bindegewebszellen
sind; ich habe ja auch selbst (32) früher viele Beispiele der Ver-
wandlung der Endothelzellen in Lymphozyten beschrieben. Doch
kommt dies gerade im Knochenmark in Wirklichkeit, wenn über-
haupt, so doch nur ganz ausnahmsweise vor.
Oft wird in der Hämatologie ferner von besonderen adven-
titiellen oder „Marchandschen“ Klasmatozyten und von ihrer
Bedeutung für die Bildung von Lymphozyten, Myelozyten usw.
gesprochen. Auch in dieser Beziehung muss ich einen vollständig
negativen Standpunkt einnehmen. „Adventitielle Klasmatozyten*“
gibt es weder im primären Mark, noch überhaupt im embryonalen
Bindegewebe; es ist eine ganz und gar hypotletische Zellart, die
bis jetzt noch von niemandem gesehen worden ist. Die gewöhn-
lichen „ruhenden Wanderzellen“, die sich (im erwachsenen Organis-
mus) in den serösen Membranen und im Netz zuweilen mit
besonderer Vorliebe um die Gefässe herum gruppieren, können
deswegen doch keinen Anspruch auf eine Sonderstellung erheben.
Die Ivmphoiden Wanderzellen, die Lymphozyten, stehen zu
den Gefässen überhaupt in keinen besonderen spezifischen Be-
ziehungen und gehen einfach aus den gewöhnlichen embryonalen
Bindegewebszellen hervor, die die Gefässe bei ihrem Vordringen
92 Alexander Maximow:
in die Knorpelkapseln begleiten. Sie entstehen auf dieselbe Weise,
wie die in jeder Beziehung ganz gleichwertigen Wanderzellen im
ganzen übrigen Körpermesenchym.
Die morphologische Bedeutung der Lymphozyten im primären
Knochenmark, der vermeintlichen Myeloblasten der Dualisten und
der in den ersten Lymphknotenanlagen entstehenden Wanderzellen,
welche wohl auch von den Dualisten als richtige Lymphozyten
anerkannt werden, ist also identisch. Die Voraussetzung von
der ausschliesslichen Abstammung der „Myeloblasten“ aus dem
Blutgefässendothel hat sich als falsch erwiesen. Ebenso falsch ist
nun auch die Voraussetzung von der Entstehung der echten Lympho-
zyten aus Lymphgefässendothelien (Schridde, Nägeli u.a.).
Die Lymphozyten in den Lymphknotenanlagen entstehen wieder
einfach aus den gewöhnlichen embryonalen fixen Bindegewebs-
zellen, durch Kontraktion, Isolierung und Mobilisierung.
Überhaupt entstehen, wie ich es nochmals resümieren
möchte, die Wanderzellen, die Lymphozyten, überall wo sie auf-
treten, einfach durch Isolierung und Abrundung der gewöhnlichen
Mesenchymzellen; hin und wieder kann dies, wie gesagt, auch
mit den Endothelzellen geschehen, aber dies bezieht sich doch
vornehmlich nur auf die ganz jungen embryonalen Stadien, und
gerade im Knochenmark und in den Lymphknotenanlagen finden
sich dafür gar keine Beweise mehr.
Die Lymphozyten sind also auch in bezug auf ihre morpho-
logische Bedeutung überall gleich; es sind immer indifferente,
amöboide, freie Mesenchymzellen.
Jetzt gehe ich zur Besprechung der funktionellen, d. h. der
prospektiv-zytogenetischen Eigenschaften der Iymphoiden Zellen
des embryonalen Knochenmarkes über und will von diesem Stand-
punkt aus ihre Beziehungen zu den echten Lymphozyten des
iymphoiden Gewebes beleuchten.
Auf Grund der oben ausführlich geschilderten Befunde hat
es sich gezeigt, dass aus den Lymphozyten des embryonalen
Knochenmarkes durch differenzierende Entwicklung in ver-
schiedenen Richtungen sämtliche andere Blutzellenarten ent-
stehen, sowohl die Hämoglobinzellen, als auch die verschiedenen
Granulozyten und Megakaryozyten. In dieser Beziehung ent-
sprechen also diese ungranulierten Zellen durchaus den von mir
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. BD
in der embryonalen Leber beschriebenen Lymphozyten, die ganz
ähnliche Entwicklungsprodukte liefern.
Die Dualisten, wie Schridde und Nägeli, wollen schon
von dieser gemeinsamen Entstehung der Erythroblasten, Granulo-
zyten und Megakaryozyten aus einer Stammzelle nichts wissen.
Sie leiten von den Zellen, die ich im Knochenmark als Lympho-
zyten beschreibe, nur die Granulozyten ab und nennen dieselben
demzufolge Myeloblasten. Diese Meinungsverschiedenheit ist aber
für uns in diesem Moment irrelevant. Wichtiger ist der Um-
stand, dass Schridde und Nägeli die gemeinsame Ent-
stehung der echten Lymphozyten und Granulozyten und ihre
nahen genetischen Beziehungen nicht anerkennen wollen. Die
Lymphozyten sollen nach ihrer Meinung ganz andere Zellen sein,
die ganz selbständig, viel später und aus anderen Quellen ent-
stehen und sie sollen sich ausserdem niemals in Granulozyten
verwandeln können; die ungranulierten Knochenmarkzellen, mit
denen das letztere nachgewiesenermassen geschieht, sollen mit
echten Lymphozyten also auch in prospektiv-zytogenetischer Be-
ziehung nichts Gemeinsames haben; es sind nicht Lymphozyten,
sondern Myeloblasten.
Die Bedeutungslosigkeit der von Schridde und Nägeli
angegebenen histologischen Unterschiede zwischen den Myelo-
blasten und den Lymphozyten ist von mir, von Weidenreich,
von Dantschakoff u. a. erwiesen worden; wir haben weiter
gesehen, dass die einen wie die anderen in gleicher Weise
mobile indifferente Mesenchymzellen vorstellen. Wenn Schridde
und Nägeli dann weiter doch behaupten, dass die ungranulierten
Markzellen keine Lymphozyten, sondern ganz andere Zellen,
Myeloblasten sind, so bleibt ihnen jetzt die einzige Begründung
dafür eben nur in der Annahme übrig, dass diese zwei Zellarten
in funktioneller, prospektiv-zytogenetischer Beziehung verschieden
sind und dass aus den einen sich immer nur Lymphozyten, aus
den anderen dagegen nur Granulozyten (event. nach meinen.
Weidenreichs und Dantschakoffs Untersuchungen auch
die anderen Blutzellenformen) entwickeln können.
Ich glaube Recht zu haben, wenn ich behaupte, dass eine
solche Annahme ganz willkürlich ist und dass sie durch direkte
Beobachtung überhaupt weder bewiesen noch widerlegt werden kann.
94 Alexander Maximow:
Dass sich zwei Zellen, die ganz gleich aussehen und einen
sicherlich ganz gleichen morphologischen Wert haben. eine
Ivmphoide Wanderzelle im embryonalen Knochenmark und eine
Iymphoide Wanderzelle in einer Lymphknotenanlage, in ver-
schiedener Richtung entwickeln, die eine Granulozyten und andere
Blutzellen, die andere nur (oder vielmehr grösstenteils) ihres-
gleichen erzeugt, ist im grossen und ganzen richtig.
Dies kann naturgemäss von zwei Ursachen abhängen: ent-
weder sind die beiden Zellen aus ganz unerklärlichen Gründen
wirklich funktionell ganz verschieden ; oder sie geben verschiedene
Entwicklungsprodukte nur deshalb, weil sie sich in ganz ver-
schiedenen äusseren Existenzbedingungen befinden. Ist das erste
der Fall, so werden die beiden Zellen auch dann ihre spezifischen
Entwicklungsprodukte liefern, wenn die eine an die Stelle der
anderen versetzt wird, weil sie sich eben unter allen möglichen
Umständen nur in einer bestimmten Richtung entwickeln können.
Ist das zweite der Fall, so wird eine ungranulierte Zelle aus dem
Mark bei Implantierung in eine Lymphdrüse auch nur Lympho-
zyten erzeugen, wie die autochthonen Zellen, und umgekehrt wird
ein Lymphozyt aus einer Lymphdrüsenanlage, in das Mark versetzt,
Granulozyten und andere myeloide Elemente produzieren, wenn
ausserdem natürlich auch die anderen Bedingungen, z. B. die für die
Reifung der Zelle nötige Zeit und dergleichen erfüllt sein werden.
Es ist ja ohne weiteres klar, dass die natürlichere, logischere
und einfachere Vorstellung in Anbetracht aller übrigen bekannten
Tatsachen die zweite ist, denn, wie Weidenreich (57) ganz
richtig bemerkt, wäre es genau so berechtigt, „die Lymphozyten
des Knochenmarks und der Lymphknoten in zwei absolut ver-
schiedene Arten zu trennen, als wenn man zweierlei genetisch
verschiedene Arten von Zellen des Stratum Malpighi der Epidermis
annehmen wollte, von denen die eine zur Zelle des Stratum
corneum und die andere zur Haarrindenzelle wird“. Aber es
muss zugestanden werden, dass die einfache Beobachtung hier
nicht helfen kann. Wenn jemand will, kann er auch behaupten,
(lass die beiden genannten Epidermiszellen wirklich funktionell
verschieden sind und man wird diese Behauptung, trotz ihrer
offenkundigen Haltlosigkeit, nicht widerlegen können, da man die
beiden Zellen ja nicht die eine an die Stelle der anderen ver-
setzen kann.
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 35
Ebenso steht es mit den Lymphoblasten und Myeloblasten.
Wenn man den Dualisten einwirft, dass im Mark aus den grossen
Lymphozyten, die von ihnen als Myeloblasten gedeutet werden,
ausserdem doch auch zahlreiche typische kleine Lymphozyten
entstehen, werden sie sagen können, es seien keine kleinen
Lymphozyten, sondern Mikromyeloblasten. Wenn man ihnen
einen embryonalen Lymphknoten vorzeigt, wo sich aus einem
Teil der autochthon entstandenen sicheren Lymphozyten auch
typische Granulozyten in loco entwickeln (Fig. 17 f), werden sie
sagen, dass hier aus den Bindegewebszellen ausser Lymphozyten
auch Myeloblasten entstehen; diese letzteren werden sie dabei
von den Lymphozyten natürlich nicht unterscheiden können, aber
sie werden aus dem verschiedenen Entwicklungsresultat der beiden
Zellen auf die Grundverschiedenheit ihrer funktionellen Natur
schliessen. Ebenso ist ja für die Dualisten auch die myeloide
Verwandlung der Lymphknoten kein Beweis für die Identität der
Lymphozyten und Myeloblasten, da sie auch hier wieder im
fertigen Iymphoiden Gewebe ausser den echten Lymphozyten die
Existenz ganz besonderer anderer, meiner Meinung nach ent-
schieden hypothetischer Zellen annehmen, der Myeloblasten, die
von den Lymphozyten histologisch nicht unterschieden werden
können oder der von niemandem gesehenen myeloplastischen
Adventitial-Klasmatozyten.
Dass echte Lymphozyten im myeloiden Gewebe, im Knochen-
mark, doch existieren, geben jetzt, wie gesagt, auch die Dualisten
zu. Wodurch es aber möglich gemacht wird, sie von den an-
geblichen Myeloblasten zu unterscheiden und auf welche Weise
sie im myeloiden Gewebe als etwas ihm ganz fremdes nach-
träglich doch noch entstehen sollen, darüber wird keine Auf-
klärung gegeben.
Unter solchen Umständen kann also die einfache Beobachtung
nichts ausrichten und es muss das Experiment zu Hilfe kommen.
Direkte experimentelle Beweise für die Identität der Myeloblasten
und Lymphozyten im oben erörterten Sinne, also Transplantations-
versuche, stehen bis jetzt noch aus und sind naturgemäss auch
nicht so leicht auszuführen. Es können aber auch andere, mehr
indirekte experimentelle Beweise gesucht werden. Von den
Dualisten sind nun bis jetzt noch keine Mitteilungen in dieser
Richtung gemacht worden. Von den Autoren, die auf dem mono-
96 Alexander Mäximow:
phyletischen Standpunkt stehen, sind hingegen bereits mehrere
experimentelle Beweise für die Identität der echten Lymphozyten
und der ungranulierten Knochenmarkzellen beigebracht worden.
Weidenreich (57) hat nachgewiesen, dass jedenfalls die
grösste Mehrzahl der ungranulierten weissen Blutkörperchen des
Blutes, der Lymphozyten, sicher mit der Lymphe ins Blut gelangt
und also aus dem Ivmphoiden Gewebe stammt. Es erhellt daraus
unter anderem, dass es unstatthaft ist, die grossen Lymphozyten
des zirkulierenden Blutes als Myeloblasten aufzufassen, wie es
zu B.rK. Zieglertat:
Andererseits habe ich gezeigt (31), dass die echten Lympho-
zyten des zirkulierenden Blutes im erwachsenen Organismus unter
bestimmten Verhältnissen, z. B. in der verkalkten atrophischen
Kaninchenniere sich zu Granulozyten, Erythroblasten und Mega-
karvozyten entwickeln können.
Dass sichere echte Lymphozyten verschiedenster Art unter
gewissen anderen Bedingungen sich in Granulozyten verwandeln
können, ist von Weidenreich (53, 56, 57). Schott (45) und
Dominici (11—14) ebenfalls dargetan worden.
Das sind alles jedenfalls sehr schwerwiegende Beweise im
Vergleich mit dem Mangel jedes Beweises auf seiten der Dualisten.
Es liegt also auf der Hand, dass alle bis jetzt bekannt
gewordenen Tatsachen für die Identität der ungranulierten
Knochenmarkzellen mit den Lymphozyten sprechen. Die Myelo-
blasten und die Lymphozyten sind ein und dasselbe. Das Knochen-
mark enthält und produziert alle Arten von Blutzellen ohne
Ausnahme (Pappenheim), nicht nur myeloide Elemente, sondern
auch echte Lymphozyten, sowohl grosse, als auch typische kleine.
Die Lymphozyten sind, wie anderswo, so auch hier die primitive
indifferente Zellform, die zuerst erscheint und durch in ver-
schiedenen Richtungen verlaufende differenzierende Entwicklung
alle andere Blutelemente aus sich hervorgehen lässt.
Was die Benennung dieser ungranulierten Knochenmark-
zelle, die als Stammzelle für alle anderen Blutelemente funktioniert,
anbelangt, so ist jetzt in dieser Beziehung kaum Einigung zu
erzielen. Selbst abgesehen von dem für die Dualisten noch immer
nicht entschiedenen Streit über die Identität oder Nichtidentität
der Lymphoblasten und Myeloblasten, werden sich auch die ver-
schiedenen Unitarier dieser Frage gegenüber sehr verschieden
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 97
verhalten. Die Wahl dieser oder jener Benennung für die
betreffende Zellart hat aber meiner Meinung nach keine grosse
Bedeutung für die Wissenschaft. Wichtig ist es bloss, den Begriff
der unter einem bestimmten Namen beschriebenen Zelle allseitig
klar zu definieren. Ich für meine Person glaube auch jetzt noch,
ebenso wie Weidenreich, dass man die Stammzelle der übrigen
Blutelemente, die indifferente polymorphe mesenchymatische
Wanderzelle, sehr wohl „Lymphozyt“ nennen kann, schon um
die Identität dieser Zelle mit den richtigen Lymphozyten des
Iymphoiden Gewebes, des Bindegewebes und des zirkulierenden
Blutes dadurch zum Ausdruck zu bringen. Ich gebe jedoch
gerne zu, dass man auch einen passenderen Namen schaffen
könnte. Vielleicht könnte die von Pappenheim (40, 41, 42)
vorgeschlagene Benennung „Lymphoidozyt“ Anspruch auf allgemeine
Anerkennung erheben.
Das myeloide Gewebe dart vom Iymphoiden nicht scharf
getrennt werden. Das zweite ist das primitivere und lässt das
erste durch weitere differenzierende Entwicklung aus sich sekundär
hervorgehen. (rerade im Knochenmark tritt dies klar hervor —
zuerst hat das primäre Mark immer rein Iymphoiden Charakter,
wenn auch nur kurze Zeit. Später entstehen aus den Lymphozyten
die anderen Blutelemente. Auch in allen anderen embryonalen
blutbildenden Organen treten bei jeder Art von Blutbildung immer
zuerst dieselben primitiven indifferenten Lymphozyten auf. So
sehen wir esim Gefässnetz der Dottersackwand, in den Blutbildungs-
herden im embryonalen Bindegewebe, in der Leber, sogar in der
Thymus — die ganz verschiedenen Resultate der weiteren Ent-
wicklung der Lymphozyten in einer jeden von den angegebenen
Stellen hängen natürlich keineswegs von der morphologischen
oder funktionellen Verschiedenheit der Lymphozyten ab — solche
existieren nicht, sondern einzig und allein von den verschiedenen
äusseren Existenzbedingungen.
Dass bei der Entwicklung des Knochenmarks das Primäre
Iymphoide Elemente sind, das hatte Pappenheim schon lange
behauptet. In seiner ersten Arbeit (35) über das Knochenmark
stellt er sich auf einen Standpunkt, der dem meinigen jetzigen
sehr nahe steht. Nach seiner damaligen Überzeugung haben wir
(S. 68) „in den Iymphoiden, basophilen, granulationslosen Rund-
zellen das variabelste, tiefstehendste Element zytogenen Gewebes
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. 7
98 Alexander Maximow:
zu sehen, welches zu grossen einkernigen Leukozyten, zu Riesen-
zellen, zu eosinophilen Zellen und zu Frythrozyten sich um-
zuwandeln vermag“ und weiter „die basophilen granulationslosen
Lymphozyten sind die primitivste Art farbloser Zellen“ -— Schluss-
folgerungen, die ich beide für vollständig richtig halte. Pappen-
heim nannte in dieser seiner Arbeit die fraglichen Zellen auch
einfach „Lymphozyten“ und hob ausdrücklich hervor, dass sie
sich histologisch von den echten Lymphozyten gar nicht unter-
scheiden.
In späterer Zeit hat Pappenheim diesen seinen früheren
Standpunkt, der dem meinigen jetzigen vollständig entsprach,
geändert und der dualistischen Lehre in gewissen Beziehungen
Konzessionen gemacht.
Nach seinem jetzigen Dafürhalten (40, 41, 42) sind die
primitivsten Zellen des blutbildenden Gewebes die Grosslymphozyten
(Lymphoidozyten), wie sie sich z. B. gerade im Knochenmark,
überhaupt im myeloiden Gewebe finden. Sie sind die Stamm-
zelle aller anderen Blutzellen, der Erythroblasten, Granulozyten,
und aus ihnen sollen auch die echten Lymphozyten entstehen,
die im Iymphoiden Gewebe als Keimzentrumszellen die kleinen
Lymphozyten erzeugen, und von Pappenheim, zum Unterschied
von den Urzellen, den „Grossiymphozyten“, als „grosse Lympho-
zyten“ bezeichnet werden. Morphologisch sollen nun „Gross-
Iymphozyt“ und „grosser Lymphozyt“ völlig identisch sein, ebenso
wie es Weidenreich, ich und die anderen Unitarier annehmen.
Um den Dualisten aber gerecht zu werden, lässt Pappenheim
diese „grossen Lymphozyten“ des Iymphoiden Gewebes nicht
mehr die volle prospektive Entwicklungspotenz der Stammzellen,
der „Grosslymphozyten“ oder „Lymphoidozyten“ behalten, sondern
sie sollen nur noch einseitig Iymphoblastisch tätig sein und nur
noch Lymphozyten, keine Erythroblasten und Granulozyten mehr
erzeugen können. Von diesem Standpunkte aus betrachtet, stellt
also das myeloide Gewebe das primitivere, das Ivmphoide das
spezialisiertere, differenziertere vor, und es wird ein, wenn auch
nur funktioneller und hypothetischer, weil nicht direkt zu
beweisender, aber doch scharfer Unterschied zwischen den Myelo-
blasten und Lymphoblasten resp. Lymphozyten geschaffen. Im
Gegensatz zu den Dualisten wie Schridde und Nägeli hält
Pappenheim die Myeloblasten und Lymphozyten nicht für
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 39
zwei vollkommen selbständige, einander koordinierte Zellarten,
sondern er lässt die zweiten aus den ersten durch Wucherung und
Differenzierung entstehen.
Ich kann diese Auffassung Pappenheims über die Be-
ziehungen der grossen Lymphozvten des myeloiden und Iymphoiden
Gewebes zueinander nicht teilen und finde, dass sie aus den
tatsächlichen Befunden keineswegs deduziert werden kann.
Wir sehen, dass überall im Organismus, wo Blutbildung
beginnt, zuerst Iymphoide Zellen auftreten. Die Behauptung von
Schridde und Nägeli, dass im Embryo myeloides Gewebe
zuerst und Iymphoides erst nachträglich entsteht, ist falsch. Es
verhält sich gerade umgekehrt.
Was aus den primitiven Iymphoiden Zellen weiter wird,
was für Differenzierungsprodukte sie liefern, dies wechselt nun
je nach Zeit. und Ort der Blutbildung. An den einen Stellen,
im myeloiden Gewebe, erzeugen sie durch heteroplastische Ent-
wicklung neue, differente Zellarten, an den anderen, im Iymphoiden
Gewebe, bleiben sie ohne weitere qualitative Differenzierung und
erzeugen durch ausschliesslich homoplastische Entwicklung nur
ihresgleichen, nur Lymphozyten. Diese letzteren sind der ursprüng-
lichen Stammform, wie es auch Pappenheim zugibt, histologisch
völlig ähnlich. Warum sollen wir nun diese Lymphozyten des
Iymphoiden Gewebes für iunktionell anders beschaffen und mit
begrenzterer prospektiver Entwicklungspotenz ausgestattet er-
klären, als es ihre histologisch ganz gleich beschaffenen Stamm-
zellen sind ?
Wenn an bestimmten Stellen im Organismus die Blutbildung
auch später, auch im erwachsenen Zustande für immer Iymphoiden
Charakter behält, den sie am Anfang notwendig überall besitzt,
so ist es doch viel natürlicher, anzunehmen, dass hier der ursprüng-
liche, primitive Modus, also die homoplastische Produktion von
ganz gleichen, indifferenten Zellen einfach unverändert weiter
fortdauert, und dass die fortwährend neu entstehenden Lympho-
zyten mit den ersten, embryonalen identisch sind, statt die sicher-
lich viel künstlichere Vermutung aufzustellen, dass sich hier die
ursprünglich omnipotent-myeloblastisch veranlagten Elemente später
einseitig Ivmphoblastisch differenziert haben.
Dies könnte man doch wieder nur in dem Falle behaupten,
wenn es gelänge, ganz bestimmt nachzuweisen, dass aus einem
‘
100 Alexander Maximow:
echten Lymphozyten des Iymphoiden Gewebes niemals und unter
keinen Umständen etwas anderes entstehen kann, als nur eben
ein echter Lymphozyt. Die oben angeführten Tatsachen lehren
aber genau das Gegenteil und geben eine ganze Reihe positiver
Beweise für die Möglichkeit der Entwicklung der echten Lympho-
zyten zu Elementen des myeloiden Gewebes.
Die grossen Lymphozyten des Iymphoiden Gewebes sind
also nicht spezifischer differenzierte Zellen, als es die Grosslympho-
zyten des myeloiden Gewebes sind, sondern die beiden Zellarten
sind auch funktionell identisch und das Iymphoide Gewebe ist
folglich nicht als einseitig differenziert im Vergleich mit dem
myeloiden anzusehen, sondern gerade umgekehrt, als die primi-
tivere, weniger differenzierte Form des blutbildenden Gewebes,
auch im erwachsenen Organismus, während des ganzen Lebens.
Dass die in der Tat niemals vorkommende myeioide Metaplasie
der Keimzentren in den Lymphknoten und der Malpighischen
Körperchen in der Milz nicht unbedingt gegen die Fähigkeit der
Lymphozyten zu myeloider Verwandlung sprechen kann, habe ich
schon an einer anderen Stelle erörtert (34). Jetzt kann ich
noch hinzufügen, dass es in der letzten Zeit in meinem Labora-
torium der Frau Dr. H.Babkin doch gelungen ist, in einigen,
wenn auch ziemlich seltenen Fällen, durch Einführung blander
Fremdkörper in normale Lymphdrüsen beim Kaninchen, einen
Teil der myeloiden Metaplasie, nämlich die Bildung von Spezial-
granulozyten experimentell auszulösen. Die dabei entstehenden
Spezialmyelozyten entstehen sicherlich aus gewöhnlichen echten
Lymphozyten, natürlich nicht in den Keimzentren, wo nur ganz
jugendliche Zellen liegen, sondern an der Peripherie der Follikel
und in den Marksträngen. Jedenfalls konnte dabei die Beteiligung
irgend welcher besonderer „Myeloblasten“ oder „adventitieller
Klasmatozyten“ mit Sicherheit ausgeschlossen werden.
Wir kommen also zum Schluss, dass die ungranulierten
Zellen des Knochenmarks in allen Beziehungen mit den Lympho-
zyten des lymphoiden Gewebes, des Blutes und Bindegewebes
identisch sind und mit demselben Namen, sei es nun Lymphozyt,
Lymphoidozyt oder irgend ein anderer Ausdruck, belegt werden
müssen.
Wir haben gesehen, dass die Lymphozyten gleich bei der
ersten Entstehung des Knochenmarkes aus den embryonalen fixen
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 101
Bindegewebszellen hervorgehen. Ihre Zahl vergrössert sich sehr
rasch zum Teil infolge der fortdanernden Ablösung neuer Zellen,
zum Teil infolge der selbständigen Wucherung der freien Lympho-
zyten. Das primitive Iymphoide Mark bleibt dann im folgenden
bei der Vergrösserung des Markraumes nur an der enchondralen
Ossifikationslinie in Form einer schmalen Zone erhalten, wo es
fortwährend in den Knorpel weiter vordringt, während es sich
in den älteren, die Mitte der Diaphyse einnehmenden Teilen in
myeloides Mark verwandelt. Solange die enchondrale Ossifikation
dauert, bleibt auch die schmale Iymphoide Markzone an der
Resorptionslinie des Knorpels erhalten und hier sieht man auch
in den spätesten fetalen Stadien, auch beim neugeborenen Tier
immer neue Lymphozyten entstehen. wenngleich diese Produktion
von Lymphozyten jetzt gar keine Bedeutung mehr hat im Ver-
gleich mit der kolossalen selbständigen Wucherung derselben
Lymphozyten in dem älteren, myeloiden Mark, welches den grössten
Teil des Markraumes ausfüllt. Im myeloiden Mark hört indessen
die wirkliche Neubildung von Lymphozyten aus fixen Bindegewebs-
zellen sehr bald auf. Wenn das myeloide Gewebe schon eine
kompakte Masse zwischen den Gefässen und Knochenbälkchen
bildet, wird es überhaupt nicht leicht, zwischen den Lymphozyten,
Erythroblasten und Granulozyten die spärlichen, blassen, zusammen-
gedrückten Stromazellen herauszufinden. Diese Stromazellen
können als Phagozyten funktionieren, sie produzieren ftaserige
Zwischensubstanz (Jackson), verwandeln sich später zum Teil
in Fettzellen, aber ihre Verwandlung in amöboide Wanderzellen,
in Lymphozyten, scheint nicht mehr möglich zu sein.
Mit dem Schluss des Längenwachstums des Knochens und
der enchondralen Ossifikation verschwindet wahrscheinlich auch
der letzte Rest der Iymphoiden Markzone. Das Mark nimmt
dann überall myeloiden Charakter an und der Rest der früheren
fixen Bindegewebszellen, der zur Lymphozytenproduktion nicht
verbraucht worden war, bleibt als Stromazellen im Marke liegen.
Aus diesen letzteren können Lymphozyten wahrscheinlich niemals
mehr neu entstehen; es sind eben schon sicherlich spezifisch
differenzierte Zellen.
Ich komme folglich zum Schluss, dass im entwickelten
Knochenmark die für alle Blutelemente gemeinsame Stammzelle,
der Lymphozyt, sich nur durch eigene Wucherung regenerieren kann.
102 Alexander Maximow:
Als freie indifferente Stammzellen bleiben die Lymphozyten
für immer im Knochenmarke liegen. In der ersten fetalen Ent-
wicklungsperiode überwiegen sie noch über die anderen, aus ihnen
entstehenden Blutzellen. In späteren Stadien, besonders im ausser-
embryonalen Leben, wird jedoch die Zahl der Lymphozyten im
Knochenmark immer geringer und sie treten im Vergleich mit
den anderen Blutzellen, den Erythroblasten, Granulozyten und
Megakaryozyten ganz in den Hintergrund.
Dementsprechend ist die Neubildung der Blutzellen in den
frühen Stadien, wie es auch Pappenheim (38) hervorhebt, vor-
nehmlich heteroplastisch, d. h. sie entstehen aus den wuchernden
Lvmphozyten durch bestimmte qualitative Veränderungen eines
Teils von deren Nachkommen, z. B. durch Ausarbeitung von
Hämoglobin oder bestimmter Körnchen im Protoplasma, durch
entsprechende Kernveränderung usw. Die Zelle, die einmal einen
bestimmten Charakter als Hämoglobinzelle oder als Granulozyt
oder Megakaryozyt angenommen hat, kann natürlich nicht mehr
zum früheren indifferenten Zustande des Lymphozyten zurück-
kehren, sondern sie kann sich nunmehr nur innerhalb ihres
spezifischen Zellstammes weiter entwickeln, wuchern und schliess-
lich reifen und altern.
In den späteren Stadien gewinnt allmählich der andere
Modus der Blutbildung im Mark die Oberhand, der homoplastische.
Die aus den Lymphozyten entstandenen jungen Erythroblasten-
und Granulozytenformen besitzen ja in hohem Grade eigenes
Wucherungsvermögen; sie teilen sich und verwandeln sich immer
nur zum Teil in reife, nicht mehr vermehrungsfähige Formen,
während ein grosser Teil von ihnen in wucherungsfähigem Zu-
stande weiter verharrt. Eine Neubildung von Erythroblasten und
(sranulozyten aus indifferenten Lymphozyten wird immer weniger
und weniger nötig, weil die Regeneration ja schon durch die
Wucherung der spezifischen Jugendformen selbst genügend ge-
sichert ist, und so sehen wir die allmähliche Abnahme der Über-
gangsformen von den Lymphozyten zu den Erythroblasten und
Granulozyten und das Seltenerwerden der Lymphozyten selbst.
Im normalen erwachsenen Organismus findet man im Knochen-
mark hauptsächlich nur die homoplastische Regeneration.
Die Fähigkeit zur heteroplastischen Neubildung von Blut-
zellen bleibt aber im Knochenmark, ebenso wie in den anderen
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 103
blutbildenden Organen und auch im Blute selbst für immer, für
das ganze Leben erhalten. In pathologischen Fällen der ver-
schiedensten Art, z. B. nach Blutverlusten (Dantschakoff |S])
genügt der Vorrat der fertigen Jugendformen der Blutzellen im
Mark offenbar nicht mehr, und die spärlichen Lymphozyten
wuchern energisch von neuem und verwandeln sich durch differen-
zierende heteroplastische Neubildung in Erythroblasten, Granulo-
zyten und Megakaryozyten. Dass die Lymphozyten jeder anderen
Provenienz, im Blut, im Bindegewebe usw. in derselben Weise
nötigenfalls zum Ausgangspunkte der Hämatopoese werden können,
wenn sie in passende Bedingungen gelangen, darüber habe ich
schon oben gesprochen.
Dass die Lymphozyten je nach den verschiedenen äusseren
Existenzbedingungen, in denen sie sich befinden, verschiedene
Differenzierungsprodukte liefern, im Iymphoiden Gewebe, auch
in der Thymus nur Lymphozyten, im Knochenmark vornehmlich
Erythroblasten und Granulozyten produzieren, ist leicht zu be-
greifen. Wie können wir uns aber die Tatsache erklären, dass
sich an ein und demselben Ort, z. B. im Knochenmark, zwei neben-
einander liegende, ganz gleiche Lymphozyten, die sich ja sicherlich
auch in gleichen äusseren Existenzbedingungen befinden, doch zu
verschiedenen Endprodukten entwickeln? Der eine verwandelt
sich z. B. in einen Granulozyten, der andere in einen Erythro-
blasten oder Megakaryozyten. Diese Vorstellung scheint gerade
für die Dualisten unannehmbar zu sein, da sie für jede Blut-
zellenart eine besondere, selbständige Stammzelle annehmen.
Diese Entwicklung der Lymphozyten in verschiedenen
Richtungen an ein und demselben Ort ist jedoch nicht schwieriger
zu erklären, als überhaupt die ganze Entwicklung und Differenzierung
der Gewebe der mehrzelligen Organismen aus der Eizelle, und
auch die Dualisten sind ja gezwungen, schliesslich doch zuzugeben,
dass die Erythroblasten, Granulozyten und Megakaryozyten ein-
mal, wenn auch nur in frühen embryonalen Entwicklungsstadien,
doch aus einer gemeinsamen Stammzelle hervorgegangen sind,
sei es nun eine Gefässwandzelle oder etwas anderes. So lange
wir also keine befriedigende Antwort auf die angeführte grosse
Frage besitzen, dürfen wir auch ihre Teilerscheinung, den auf
den ersten Blick in der Tat befremdenden Vorgang der Entwicklung
verschiedener Blutzellen während des ganzen Lebens aus einer
104 Alexander Maximow:
einzigen Stammzelle, getrost als gegeben und tatsächlich existierend
hinnehmen.
Gewisse Tatsachen erlauben es aber meiner Meinung nach
doch, der Lösung der aufgeworfenen Frage um einen kleinen
Schritt näher zu treten.
Beim sorgfältigen Studium der heteroplastischen Entwicklung
der verschiedenen Blutzellenformen im embryonalen Mark aus den
Lymphozyten fällt es nämlich auf, dass die einzelnen Etappen
in jeder Entwicklungsrichtung, mit welcher eine qualitative
Änderung des Zelltypus verbunden ist, ausnahmslos an den
mitotischen Teilungsprozess gebunden erscheinen. Besonders
deutlich tritt dies bei der Entwicklung der Spezialgranulozyten
zutage.
Die ganz jungen Myelozyten, die im Protoplasma die ersten
Spuren der Körnung enthalten, liegen fast immer paarweise
angeordnet und sehr oft sind die beiden Zellen eines Paares
noch durch eine feine Verbindungsbrücke verbunden (Fig. 21 Mlz,
Fig. 22). Es sind also offensichtlich Zellen, die eben erst aus
einer Mitose hervorgegangen sind; das wird auch durch die noch
nicht ganz dem ruhenden Zustande entsprechende Kernstruktur
bezeugt. Nun könnte man einwenden, dass diese Tatsache keine
Bedeutung habe, da es ja einfach Mitosen junger Myelozyten sein
könnten — es stellt sich aber bei sorgfältiger darauf gerichteter
Durchmusterung der Präparate heraus, dass man Prophasen und
sogar Muttersterne in solchen granulaarmen, an der Anwesenheit
spärlicher Körnchen kenntlichen Myelozyten in den frühen
embryonalen Stadien niemals findet. Immer sind es nur Telophasen.
Es erhellt daraus, dass die Körnchen in den betreffenden
beiden, aus der Teilung hervorgegangenen Zellen erst in den
Endstadien der Karyokinese selbst aufgetreten sein müssen. Die
ersten Spuren einer bestimmten für die betreffende Entwicklungs-
richtung spezifischen histologischen Veränderung, im gegebenen
Fall die ersten Körnchen, treten also im Anschluss an eine
unmittelbar vorher abgelaufene Teilung auf. Die Bestimmung
der neuen Entwicklungsrichtung wird also in einem Lymphozyt
wahrscheinlich während einer Mitose getroffen und die aus der
Teilung hervorgegangenen beiden Tochterzellen tragen dann
schon meistens sofort die ersten sichtbaren Anzeichen ihres neuen
Charakters. Nach dieser ihre weitere Entwicklungsrichtung ent-
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 105
scheidenden Teilung scheinen sich die Myelozyten während einer
ziemlich langen Zeit vorerst gerade nicht weiter zu teilen —
denn Myelozytenmitosen, besonders granulaarme, sind in der
ersten Zeit, wie wir oben gesehen haben, kaum jemals zu finden,
während Lymphozytenmitosen massenhaft vorkommen.
(sanz ähnliche Tatsachen kann man auch für die eosinophilen
Mvelozyten und die Mastmyelozyten feststellen.
Entsprechende Beobachtungen gelten ferner auch für die
Erythroblastenentwicklung. Auch hier sieht man Zellen vom
Charakter der Lymphozyten in Mitose treten — und Zellen mit
unverkennbaren Erythroblasteneigenschaften aus der Teilung
hervorgehen. Auch hier scheint also die Entscheidung in der
Wahl der neuen Entwicklungsrichtung auf der Höhe der Karyokinese
getroffen zu werden. Allerdings gibt es hier keine so sicheren
Kriterien dafür, wie es die ersten so leicht darzustellenden
Körnchenspuren in den Myelozyten sind, aber der allgemeine
Eindruck, den man beim Studium der Erythroblastenherde
bekommt, entspricht, wie ich glaube, durchaus dem oben erörterten
Gedanken.
Was die Megakaryozyten betrifft, so liess sich hier die Be-
deutung des mitotischen Prozesses nicht deutlich feststellen, was
ja auch erklärlich ist, da die jungen Megakaryozyten von den
Lymphozyten gar nicht scharf getrennt werden können und wir
keine Mittel besitzen, um den Moment festzustellen, wann die
betreffende Zelle den Weg der Megakaryozytenentwicklung betritt.
Es ist natürlich durchaus nicht immer möglich, auch für die
(Granulozyten die beschriebene paarweise Entstehung aus sich
teilenden Lymphozyten zu beweisen. Oft sieht man im Iymphoiden
Mark Myelozyten mit den ersten Spuren von Körnchen scheinbar
einzeln auftreten. Aber auch hier gelingt es sehr oft beim Ver-
folgen der nächsten Serienschnitte eine zweite, ganz ähnliche Zelle
in nächster Nähe von der ersten aufzudecken. Die Myelozyten
führen (Jolly), ebenso wie die Lymphozyten, sehr intensive amöboide
Bewegungen aus und können sich also sofort nach ihrer Ent-
stehung, noch in sehr körnchenarmem Zustande weit voneinander
entfernen. Ausserdem ist es ja möglich, dass der im Moment
der Mitose geprägte neue Zellcharakter sich in den beiden Tochter-
zellen nicht sofort in einer für uns sichtbaren Weise äussert —
auch in diesem Falle werden die Zellen Zeit haben, sich von-
106 Alexander Maximow:
einander zu entfernen, bevor wir sie als Myvelozyten erkennen
können.
Ich stelle mir den Sachverhalt also so vor, dass nicht etwa
von zwei nebeneinander ruhenden Lymphozyten der eine plötzlich
anfängt, diese oder jene Körnung auszuarbeiten, der andere Hämo-
globin aufzuspeichern; dies wäre a priori schwer verständlich,
denn beide Zellen sind identisch und befinden sich ja sicherlich
unter ganz gleichen Bedingungen und in der Zelle geschehen in
ihrem ruhenden Zustande keine tiefgreifenden Veränderungen —
wenigstens sehen wir nichts davon.
Ich glaube vielmehr, dass wenn ein Lymphozyt in Teilung
tritt, in seinem Protoplasma oder Kern oder beiden zugleich sehr
leicht eine besondere tiefe Gleichgewichtsstörung eintreten kann,
die dann nicht mehr reversibel ist, beide aus einer Teilung hervor-
gehende Tochterzellen gleichmässig betrifft, ihr künftiges Schicksal
besiegelt und in einer ganz besonders gearteten qualitativen
Veränderung, in Ausarbeitung spezifischer Körnchen oder in Aus-
arbeitung von Hämoglobin usw. ihren sichtbaren Ausdruck findet.
Durch diese besondere, auf der Höhe des mitotischen Prozesses
eintretende Gleichgewichtsstörung wird der ganze Stoffwechsel der
Zelle von Grund aus geändert und in andere Bahnen gelenkt.
Statt der indifferenten, unbegrenzt teilungsfähigen und mit sehr
mannigfaltiger, wenn auch latenter Entwicklungspotenz ausge-
statteten, in die Mitose tretenden Zelle bekommt man nach der
Mitose zwei auf eine bestimmte neue Entwicklungsbahn gestellte,
sich nur in einer spezifischen Richtung mehr differenzierende und
schliesslich alternde Zellen, in denen irgend eine von den vielen
im Lymphozyt vorhandenen Entwicklungspotenzen aus dem latenten
Zustande in den offenen übergegangen ist.
Warum aus einem sich teilenden Lymphozyt in dem einen
Fall ein Paar junger Myelozyten, in einem anderen ein Paar junger
Erythroblasten usw. hervorgeht, hängt wahrscheinlich vom Zufall
ab. Die Gleichgewichtsstörung, die die künftige Entwicklungsbahn
der Zelle bestimmt und dementsprechend den Stoffwechsel ändert,
kann eben in verschiedenen, durch die Konstitution des Lymphozyten-
Protoplasmas möglich gemachten Richtungen erfolgen. Da aber, wie
wir wissen, die relative Zahl der verschiedenen aus den Lympho-
zyten entstehenden Blutzellenarten in jedem blutbildenden Organ
und zu jeder Zeit eine sehr verschiedene, dabei aber für jeden
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 107
betreffenden Fall ziemlich konstante ist, so müssen augenscheinlich
die äusseren Bedingungen, in denen die Lymphozyten hier oder
dort existieren, auf das Lymphozytenprotoplasma in ganz bestimmter
Weise einwirken und zwar derart, dass von den verschiedenen,
a priori gegebenen Möglichkeiten der Entwicklungsänderung die
einen vergrössert, die anderen geschwächt oder auch ganz unter-
drückt werden.
Durch die angeführte Hypothese, die, wie gesagt, auch der
tatsächlichen Grundlage keineswegs entbehrt, können wir, wie ich
glaube, das Wesen der merkwürdigen Erscheinung, dass aus einer
gemeinsamen indifferenten Stammzelle, dem Lymphozyt, so zahl-
reiche und mannigfaltige Blutzellenformen entstehen, unserem
Verständnis etwas näher bringen und vielleicht auch einer zweck-
mässigen experimentellen Forschung zugänglicher machen.
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[SV
-]
Erklärung der Abbildungen auf Tafel I-IV.
Ausführliche Erklärung im Text.
Sämtliche Figuren ausser Fig. 1, 2, 3, 4, 6 und 37 wurden unter
Benutzung des Zeissschen Apochr. 2,0 mm, Ap. 1,40 und des Kompensations-
Okulars Nr. 8 mit Hilfe des Abbeschen Zeichenapparats entworfen. Die
speziell angegebenen Figuren sind unter schwächerer Vergrösserung, mit
demselben Objektiv, aber mit Kompens.-Okul. Nr. 6 hergestellt worden.
Für alle Figuren gültige Bezeichnungen: Bz — embryonale Binde-
gewebszellen; Bz’ — dieselben in Mitose; Ed — Gefässendothel; Edph =
Endothelphagozyten; emlz — eosinophile Myelozyten; eos — eosinophile
Leukozyten; K = Knorpelgrundsubstanz; klm — kleine Lymphozyten;
Kn — Knochensubstanz; Kz — Knorpelzellen; Kz‘ — dieselben in Mitose;
Kz' — degenerierende Knorpelzellen; L — Gefässlumen; Lkz — reife Spezial-
leukozyten; Lmz — grosse Lymphozyten; Lmz’ = dieselben in Mitose;
Meg — Megakaryozyten: Mlb — Megaloblasten; MIb' — dieselben in Mitose;
Mlz — Spezialmyelozyten; Mtz — Mastzellen; Nmb — Normoblasten; Nmb’ —
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 149)
dieselben in Mitose; Nmb‘' — reife hämoglobinreiche Normoblasten mit pykno-
tischem Kern; Obl = Osteoblasten; Okl = Osteoklasten; p = Permigration von
Lymphozyten durch die Gefässwand; Phg — Erythroblastenkernphagozyten;
sWz — schaumige Wanderzellen; Wz — Wanderzellen, die sich nach ihrem
histologischen Aussehen von echten Lymphozyten mehr oder weniger ent-
fernen; Wz’ — dieselben in Mitose; Wz'' — aus embryonalen Bindegewebs-
zellen durch Kontraktion und Isolierung entstehende Wanderzellen von ver-
schiedenem Aussehen.
Allen Abbildungen (ausser Fig. 44—48) liegen mit EAz gefärbte
Zelloidinschnittpräparate von mit ZF fixierten und z. T. dekalzinierten langen
Extremitätenknochen von Säugetierembryonen zugrunde. Nur die Fig. 42 u. 43
sind nach Alkohol-Thionin-Präparaten gezeichnet worden.
Zur Illustrierung der im Texte beschriebenen Erscheinungen sind in
einigen Fällen Präparate von anderen, meist etwas späteren Stadien gewählt
worden, wie es weiter unten überall angegeben worden ist. Dies geschah,
um über eine reichere Auswahl der betreffenden Zellformen zu verfügen.
Tafel L
Fig. 1. Katze 38 mm. Embryonales Bindegewebe (rechts) dringt aus dem
Periost in den Knorpel ein (links) und resorbiert ihn. Partielles
Uberleben von Knorpelzellen (Kz) und sogar Mitosen in ihnen (Kz‘).
Fig. 2. Katze 72 mm. Resorption des Knorpels an der enchondralen Ossi-
fikationslinie. Alle Knorpelzellen (Kz‘) gehen zugrunde. Aus den
embryonalen Bindegewebszellen (Bz) entstehen Osteoblasten (Obl),
die schon anfangen, Knochensubstanz zu erzeugen (Kn).
Fig. 3. Katze 72 mm. Enchondrale Össifikationslinie. Eröffnete und mit
Bindegewebszellen (Bz), Osteoblasten (Obl) und Gefässen (L) erfüllte
Knorpelkapseln. Entstehung von Östeoklasten (Okl) und Wander-
zellen (Wz).
Fig. 4. Meerschweinchen 58 mm. Bildung von Osteoklasten (Okl) an der
enchondralen Össifikationsgrenze.
Katze 72 mm. Rückverwandlung von ÖOsteoklasten (Okl) in ein-
kernige Zellen (t), die sich später wahrscheinlich in gewöhnliche
Stromazellen (Bz) weiter verwandeln.
Tafel II.
Fig. 6. Meerschweinchen 34—36 mm. Entstehung von Wanderzellen der
verschiedensten Typen (Wz', Wz, Lmz) aus embryonalen Binde-
gewebszellen (Bz) an der enchondralen Össifikationsgrenze.
>)
fern)
Ss
[S}}
Fig. Meerschweinchen 58 mm. Lymphoides Mark mit zahlreichen Wander-
zellen der verschiedensten Typen. An einigen Stellen sieht man
neue Wanderzellen entstehen (Wz'). Bei p Permigration eines
kleinen Lymphozyten.
Ex)
Fig. 8. Meerschweinchen 39—40 mm. Zwei schaumige Wanderzellen aus
dem periostalen Mark.
Alexander Maximow:
9. Katze 64 mm. Entstehung verschiedenartiger Wanderzellen (Wz',
Wz. Lmz) aus embryonalen Bindegewebszellen (Bz) an der enchon-
dralen Ossifikationslinie.
. 10. Etwas ältere, der Diaphysenmitte näher gelegene Gewebspartie
aus demselben Knochen. Verschiedenartige Wanderzellen (Wz, Lmz,
sWz), Stromazellen (Bz). zwei eben entstandene primitive Spezial-
leukozyten (Lkz).
&..11. Ähnliche Stelle von demselben Objekt.
12. Dasselbe Objekt. Eine Stelle mit zwei Wanderzellen (Wz) aus der
Jymphoiden Markzone.
13. Dasselbe Objekt. Mitose eines grossen Lymphozyten.
'. 14. Dasselbe Objekt. Ein typischer kleiner Lymphozyt.
. 15. Dasselbe Objekt. Eine grosse amöboide Wanderzelle von „histogenem“
Typus mit zahlreichen Pseudopodien.
g. 16. Ratte 32—39 mm. Zwei grosse Lymphozyten aus der Iymphoiden
Markzone.
Fig. 17. Katze (Omm. a—e — verschiedene Lymphozytenformen aus einer
Lymphknotenanlage in der Halsregion; f — ein daselbst befindlicher
reifer Spezialleukozyt.
Fig. 185. Meerschweinchen 55 mm. Eine Gruppe von drei grossen Lympho-
Fig.
zyten aus den mittleren, älteren Teilen des enchondralen Markes;
die unterste Zelle (ce) arbeitet die ersten Spuren der pseudo-
eosinophilen Körnung aus.
19. Meerschweinchen 39—40 mm. Gewebspartie an der Grenze der
lymphoiden und myeloiden Markzone. An der Gefässwand (Ed)
liegt ein kleiner Lymphozyt mit beginnender Produktion von Spezial-
körnern im Plasma (Mlz). Bei p Permigration zweier verschieden-
artiger Lymphozyten.
Tafel III.
20 u. 21. Meerschweinchen 55 mm. Im Iymphoiden Mark tauchen die
ersten Myelozyten (Mlz) auf. In Fig. 21 sind die Myelozyten in
typischer Weise paarweise verbunden (Telophase einer Mitose).
. 22. Meerschweinchen 46 mm. Myelozytenpaar.
g. 23. Meerschweinchen 48 mm. Ein paar Spezialmyelozyten (Mlz), deren
Körnchen gröber aussehen, als die gewöhnliche pseudoeosinophile
Körnung.
. 24-26. Meerschweinchen 50 mm. Verschiedene im Text beschriebene
Formen der Spezialgranulozyten.
. 27a u.b Meerschweinchen 48 mm, ce Meerschweinchen 50 mm. Eosino-
phile Granulozyten.
. 28. Katze 64 mm. Gruppe von grossen (Lmz) und kleinen (klm) Lympho-
zyten; dazwischen ein reifer Spezialleukozyt (Lkz) und ein junger
eosinophiler Myelozyt (emlz).
.29 u.30 Ratte 29 mm. Übergang des Iymphoiden Markes mit seinen
indifferenten Lymphozyten (Lmz, Wz) in myeloides, mit Entstehung
der ersten Spezialgranulozyten (Lkz)undeosinophilen Zellen (emlz, eos).
Fig
„43:
g. 44—48 stellen einzelne Zellen aus dem Knochenmark eines neugeborenen
. 44,
. 85.
. 46.
A.
. 48.
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 113
Ratte 29 mm. Die ersten typischen Spezialmyelozyten.
Ratte am Ende der Tragzeit. a und b = grosse Lymphozyten;
c—f = aus ihnen entstandene Spezialmyelozyten.
Ratte 29 und 35 mm. a—e — verschiedene Erscheinungsformen
der eosinophilen Granulozyten.
Meerschweinchen 50 mm. Perivaskulärer Herd von wuchernden
grossen Lymphozyten (Lmz, Lmz‘) und aus ihnen entstehenden
Megaloblasten (Mlb.. Meg — junger Megakaryozyt.
Dasselbe Objekt. Perivaskulärer Herd von Megaloblasten (Mlb, MIb‘)
und weiter wuchernden Normoblasten (Nmb, Nmb’‘).
Tafel IV.
Dasselbe Objekt. Perivaskulärer Herd von reifen, hämoglobinreichen
Normoblasten mit Kernausstossung (Nmb‘); s = freie ausgestossene
Kerne; Erz’ — junge, eben entstandene, kernlose Erythrozyten;
Phg — Stromazelle mit verschlungenen Erythroblastenkernen.
Dasselbe Objekt, dieselbe Stelle am folgenden Schnitt (unter
schwächerer Vergrösserung). Entleerung der im Gewebe ent-
standenen jungen kernlosen Erythrozyten (Erz‘) durch die Risse
in der Endothelmembran (Ed) ins Gefässlumen (L).
Katze 64 mm. Gruppe von wuchernden grossen Lymphozyten, die
sich in Myeloblasten verwandeln werden.
Dasselbe Objekt. Gruppe von Megaloblasten.
Ratte am Ende der Tragzeit. Gruppe wuchernder Megalo- (MIb, MIb‘)
und Normoblasten (Nmb).
Katze 64 mm. Entstehung von Megakaryozyten (Meg) aus grossen
Lymphozyten (Lmz).
Ratte am Ende der Tragzeit. a—c — junge Bindegewebsmast-
zellen im Mark.
Meerschweinchen 46 mm. Entstehung der ersten Mastzellen (Mtz).
Kaninchens dar. Mit ZF feucht fixierte und mit EAz gefärbte
Deckglaspräparate.
a—i — verschiedene Lymphozytenarten.
a—i — verschiedene Formen der Spezialmyelozyten.
a—e — verschiedene Formen der eosinophilen Myelozyten.
a—h — Entwicklungsreihe der Hämoglobinzellen, vom noch Iympho-
zytenähnlichen jungen Megaloblasten (a) bis zum reifen Normo-
blasten mit Kernausstossung (h).
a—c — Blutmastzellen; a und b — Mastmyelozyten; ce = reifer
Mastleukozyt.
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. fo)
114
Aus dem Zoologischen Institut München.
Über den Aufbau der Speicheldrüsenkerne
der Chironomuslarve.
Von
Dr. Hubert Erhard.
Hierzu Tafel V und eine Textfigur.
1. Einleitung.
Es gibt verhältnismässig wenig Metazoen, welche in be-
stimmten Organen eine ganz bezeichnende, immer wiederkehrende
Form des Zellkernaufbaues zeigen, die einzig und allein der
betreffenden Tierart oder dem betreffenden Organ zukommt. Mit
anderen Worten, die verschiedensten Organe der verschiedensten
Tierarten haben oft die grösste Ähnlichkeit im Aufbau ihrer
Zellkerne. Eine Ausnahme von dieser Regel findet sich vielfach
bei Arthropoden vor. Wir müssen hier zwischen zweierlei ganz
bezeichnenden Typen unterscheiden, zwischen den in Anpassung
an eine bestimmte lebhafte Zelltätigkeit umgeformten Kernen
und solchen, die nur während der Entwicklungsperiode des
Tieres charakteristisch geformt sind, um später sich mehr dem
allgemeinen Kernschema zu nähern. Wir wollen die einen der
Einfachheit wegen kurz die Funktions-, die anderen die Ent-
wicklungskerne nennen. Als Beispiel der ersteren mögen die
von Meves besonders schön dargestellten Spinndrüsenkerne
gelten, die sich wohl in Anpassung an die ausserordentlich hohe
Funktion ihrer Zellen stets in der merkwürdigsten Weise um-
geformt haben. Unter den Entwicklungskernen hat seit der
bekannten Untersuchung Balbianis (1) der Typus, den dieser
Forscher in den Speicheldrüsen der Chironomuslarve auf-
gefunden hatte, stets besondere Aufmerksamkeit gefunden. Im
Kern befindet sich ein langer, gewundener, wahrscheinlich aus
einzelnen aneinander gereihten Scheiben zusammengesetzter
Faden, dessen beide Enden sich träubchenförmig erweitern. In
der Nähe dieser Erweiterungen befindet sich je ein, den Faden
Aufbau der Speicheldrüsenkerne der Chironomuslarve. L15
umgebender Ring. Balbıiani (1) hat seine, mit den damaligen
Hilfsmitteln wohl nicht zu übertreffende Untersuchung am
lebenden Objekt gemacht; er konnte also sicher gehen, keine
Kunstprodukte vor Augen zu haben. Die Deutung der ver-
schiedenen Bestandteile schien ihm ohne weiteres klar: die er-
weiterten Enden der Fäden, sagte er, sind die Nukleolen, die
Fäden selbst stellen das Chromatin des Kernes dar. Gerade
damals hatte man ja begonnen, die indirekte Kernteilung
näher zu studieren, nichts lag also näher, als den Faden des
Chironomus-Speicheldrüsenkernes mit dem sich zur Chromo-
somenbildung fädig umgeformten Chromatin der sich teilenden
Zelle zu vergleichen. Wilson (15) hat in diesem Sinne diesen
Kernen den Namen „Spiremkerne“* verliehen, und dass die
Fig. A. Kern einer Speicheldrüsenzelle der Chironomuslarve nach
Balbiani. a — Nukleolen, Kugeln unterhalb der Nukleolen, Kern-
faden und Kernringe sichtbar. b und ce = Kernfadenstücke bei
stärkerer Vergrösserung. d = traubenförmiger Nukleolus.
Balbianische Deutung die allein herrschende blieb, erkennt
man besonders aus unseren zusammenfassenden Werken über
die Zelle, so ausser dem von Wilson selbst, den Werken von
Henneguy (7, 8), O. Hertwig (9), Carnoy (3), Gurwitsch (5)
und Heidenhain (6).
Es hat sich nach der Untersuchung Balbianis in der
Folgezeit wohl kein Objekt gefunden, das so schön die Struktur
erkennen lässt, die den Speicheldrüsenkern von Chironomus
auszeichnet, immerhin finden wir manche Berichte von ähnlichen
Vorkommnissen auch bei anderen Arthropoden von Henneguy
(7, 8). Am Darmepithel der Larve von Ptychoptera fand
Van Gehuchten (7) gleichfalls solche Gebilde und Stras-
‘burger (14) zeigte, dass sie auch in der Botanik vorkommen.
8*+
116 Hubert Erhard:
Endlich berichtet OÖ. vom Rath von einer polyzentrischen
Anordnung des Chromatins bei Kernen, die ihm bei Schnitten
durch die Kopfregion von Anilocra mediterranea zu Gesicht
kamen. Diese lässt sich vielleicht auch, wie ich glaube, mit
unserer eben besprochenen Kernform vergleichen. Herr Geheim-
rat von Hertwig hatte die Güte, mich auf Präparate unserer
Institutssammlung aufmerksam zu machen, die er selbst vor
etwa 25 Jahren gefertigt hatte, und die nicht nur an Chiro-
nomus die Angaben Balbianis bestätigten, sondern auch an
den Speicheldrüsen der Larven von Culex pipiens, allerdings
in weit zarterem Aufbau, solche „Spiremkerne“ erkennen liessen.
2. Material und Methoden.
Für die folgende Untersuchung wurden vor allem die
Speicheldrüsen der Chironomuslarve verwendet. Diese Larven
befanden sich kurz vor der weiteren Metamorphose. Im Gegen-
satz zu Henneguy (7), der die Drüsen so herauspräparierte,
dass er den Kopf der Tiere abriss, wobei die Speicheldrüsen
mitgingen, die dann vom Kopf losgelöst wurden, schnitt ich
nach dem ersten, dem Kopf folgenden Segment durch. Entweder
quollen nun die Speicheldrüsen ganz von selbst aus dem Körper
hervor und es konnte ihr feiner Ausführgang, um sie loszulösen,
durchschnitten werden, oder ein leichter Druck auf die folgenden
Segmente liess sie hervortreten. Die abgelösten Speicheldrüsen
wurden entweder mit Sublimat-Eisessig (Subl. !/z cone. + 2 Teile
Eisessig) oder in Flemmingschem Gemisch fixiert. Eine wesent-
lich bessere Konservierung ergab die erstere Art. Die in Sublimat
fixierten Objekte wurden als Ganzes in Boraxkarmin gefärbt.
Ein Teil von ihnen wurde zu Totalpräparaten benutzt. Bemerkens-
wert ist, dass kurzes Färben, etwa !/s Stunde lang, mit darauf-
folgendem S—10tägigem Ausziehen die besten Präparate lieferte.
Bei den für Schnittpräparate bestimmten Objekten, die 3—20 u
dick geschnitten wurden, wurde vorerst nicht extrahiert. Gefärbt
wurde dann ausser mit Safranin-Lichtgrün und dem Gemisch
von Ehrlich-Biondi-R. Heidenhain, wobei jedesmal zuerst
Boraxkarmin entfernt wurde, vor allem nach der sogenannten
Obstschen Nukleolenfärbung. Die nicht extrahierten Boraxkarmin-
schnitte kamen auf 1!/„—4 Stunden in eine sehr verdünnte wässerige
Aufbau der Speicheldrüsenkerne der Chironomuslarve. 117
Methylgrünlösung. War die Lösung so konzentriert, dass noch
deutlich ihr grüner Farbton zu erkennen war, so kam schon
eine Überfärbung zustande. Ich tat in den darauffolgenden
70°/o Alkohol in diesem Fall einige Tropfen 5°/oiger ammoniakalischer
Lösung, die in etwa einer Minute den überschüssigen Farbton
auszog. Die besten Bilder bekam ich aber, wenn ich die
Methylgrünlösung so sehr verdünnte, dass sie mehr einem ein
wenig blaugrün schillernden Wasser glich und darin die Schnitte
1!/s Stunden, also weit geringere Zeit als Obst (12), der
2—3 Stunden färbte, liess. Die in Flemmings Gemisch
fixierten Präparate kann ich übergehen, da sie mich nach keiner
Färbung befriedigten. Es ist ferner natürlich, dass den Unter-
suchungen am gefärbten Objekt die am lebenden vorangingen.
Ausser den von Balbiani (1) angegebenen Methoden wurden
noch Pressversuche unternommen. Ferner wurden noch Präparate
vom Darm der Larven ebenso fixiert und gefärbt. Ausser diesen
eigenen Präparaten standen mir zur Untersuchung noch die von
Herrn Geheimrat von Hertwig gefertigten zur Verfügung, die
ausser den Chironomus- auch die Culex pipiens-Speichel-
drüsen betrafen. Bei Chironomus handelte es sich hier
manchmal wohl um noch jüngere Tiere. In beiden Fällen war
mit Chromsäure fixiert und mit Safranin total gefärbt worden.
Ich möchte auch an dieser Stelle Herrn Geheimrat von Hertwig
für die Überlassung der Präparate meinen verbindlichsten Dank
sagen.
3. Eigene Beobachtungen.
Die eigenen Untersuchungen begannen mit dem Studium
des lebenden Materials im Blut des Tieres. Ich kann mir die
Beschreibung der Ergebnisse dessen ersparen, da sie nur das
bestätigen, was schon Balbiani (1) erkannt hatte (vergl. Text-
figur A). Nur über einen Punkt, über den sich dieser Forscher
nicht völlig klar wurde, möchte ich berichten. Balbiani konnte
nämlich nicht mit Sicherheit entscheiden, ob der Faden sich aus
einzelnen aneinander gereihten Scheiben zusammensetzt, wenn-
gleich er diese Art des Aufbaues für den wahrscheinlichsten
hält. Ich versuchte, den Zusammenhalt des Gebildes durch Druck
mit dem Deckgläschen zu lockern, was auch schliesslich gelang.
Der Faden zerfiel tatsächlich in einzelne Scheiben.
118 Hubert Erhard:
Diese Behauptung möchte ich aufrecht erhalten, auch nach-
dem ich nachträglich durch eine eben erschienene Arbeit Her-
werdens (10) auf eine andere Deutung des Aufbaues des
Kernfadens aufmerksam gemacht wurde. Nachdem schon früher
Korschelt (11) angegeben hatte, dass seine Zusammensetzung
aus aneinandergereihten Scheiben nur eine scheinbare sei, in
Wirklichkeit vielmehr, wie sich durch Druck feststellen lasse,
der Kernfaden aus einer aufgerollten Spirale bestehe, schliesst
sich Herwerden auf Grund eigener Untersuchungen dieser
Deutung vollauf an. Er glaubt „unwiderleglich nachzuweisen“,
dass beim Kernfaden „ein spiralförmig gewundener Faden
vorliegt, dessen Windungen ..... eine achromatische
Substanz umlagern“. Anschliessend an eine Angabe von Bonnevie
(2), die beim Furchungskern von Ascaris die Chromosomen in
der Telophase als gewundene Spiralfäden beschreibt, sagt er:
„Nach meiner Auffassung muss also die Struktur dieser Kerne“
(sc. Chironomus!) „nicht als eine isoliert dastehende betrachtet
werden, sondern als eine sehr typische Struktur, zu deren zeit-
licher oder dauerhafter Umgestaltung vermutlich jedem tierischen
und pflanzlichen Kern die Fähigkeit inne wohnt“. Aber die
Bestandteile der Chironomuskerne weichen doch, wie wir
sehen werden, wesentlich von den Chromosomen ab. Herverden
konnte ferner auch nicht die Identität der Chironomuskern-
fäden mit Chromosomen beweisen, da er, wie er selbst angibt,
nie eine Zellteilung in den Speicheldrüsen beobachten konnte.
Ferner sind die Angaben von spiralig gedrehten Chromosomen
doch relativ selten — Heidenhain (6, pag. 174—176) z. B.
glaubt, dass die Chromosomen der Spireme der Salamander-
kiemenblättchen eine Drehung und Gegendrehung zeigen —, SO
dass ich dieser Verallgemeinerung Herwerdens auch in bezug
auf die Chromosomen skeptisch gegenüberstehe.
Sehr überrascht war ich, als ich anfänglich am gefärbten
Objekt die einzelnen, das Kerngerüst zusammensetzenden Teile
manchmal nicht so gut wiedererkannte, wie bei den Unter-
suchungen im lebenden Zustand. Ganz besonders gilt dies von
den Totalpräparaten. Man kann offen sagen, dass sich kaum ein
anderes histologisches Objekt so sehr zur Lebend-Beobachtung
eignet, wie die Kerne der Chironomusspeicheldrüsen, und dass
es überhaupt wundernehmen muss, wie bei Objekten, die so leicht
Aufbau der Speicheldrüsenkerne der Chironomuslarve. 119
zu beschaffen sind, die Histologie verhältnismässig selten Studien
von Zellen in ihrem Naturzustand ausführt. Nur einige Einzel-
heiten des Kernaufbaues gelang es am gefärbten Material zu
klären. Vor allem zeigten die ganz kleinen, also ganz jungen
Larven angehörigen Kerne einen einfachen Nukleolus, von dem
aus die beiden Schleifenenden entsprangen. Erst bei älteren
Larven, die kurz vor der weiteren Metamorphose sich befanden,
waren stets zwei Nukleolen anzutreffen, endigte der aufgerollte
Faden also frei, während er im ersteren Fall in sich selbst zurück-
lief. Es ist also erklärlich, warum Balbiani (1) einmal ein
einfaches Kernkörperchen und einmal zwei Nukleolen antraf. Im
übrigen ist der Nukleolus ganz so aufgebaut, wie es Balbiani
angibt. Ein aus dem Kernfaden hervorgehender Stiel verästelt
sich mehrfach, und an den Enden dieser Verzweigungen sitzen
wie Traubenbeeren kleine dicht gedrängte Kügelchen. Unsere
Fig. 2 zeigt einen quer getroffenen, rot gefärbten Nukleolus. Der
rote Kreis in der Mitte stellt den Querschnitt des Mittelstiels
vor, dieser wird auf drei Seiten (oben, rechts und rechts unten)
von den hier quer getroffenen roten Beeren umgeben. Diese
scheinen längsovale Form zu haben und in zwei Lagen, einer
äusseren und einer inneren, angeordnet zu sein. Die Oberfläche
des Nukleolus ist keine verhältnismässig gleichartige Fläche, viel-
mehr springt jeweils ein grösserer oder kleinerer Komplex von
Beeren aus dem kugelförmigen Gebilde wieder zusammen kugel-
förmig hervor, so dass der Anblick des Ganzen einer aus einzelnen
Kugeln zusammengekneteten Kugel gleicht. Dies erkennt man
bei Betrachtung von Fig. 1, die den ganzen Nukleolus in dunkel-
kirschroter Farbe zeigt. Den Stiel umgeben an der Stelle, an
der er sich verzweigt, grössere Kügelchen, die schon Balbiani (1)
aufgefunden hatte. In unserer Fig. 2 sind es die blaugrün ge-
färbten Kugeln, die um den Stiel gelagert sind. Ihre Zahl ist
nach meiner Schätzung etwa zehn.
Der eigentliche Faden setzt sich, wie oben schon angegeben,
aus einzelnen Scheiben zusammen. Im fixierten Zustand erweist
er sich ziemlich brüchig, was daraus erhellt, dass er durch das
Messer oft wohl in seiner Lage verändert und eher durchgerissen
als durchschnitten wird. Nach Heidenhain (6) sind ja über-
haupt oft Kernstrukturen recht brüchig. Gleich in der Nähe des
Nukleolus wird der Kernfaden von zwei Ringen umgeben (Fig. 1
120 Hubert Erhard:
und 2). Balbiani (1) fand einen einzigen solchen Ring auf.
Jüngere Larven besitzen in der Tat, wie ich feststellen konnte,
nur einen, ältere dagegen haben zwei Ringe. Balbiani konnte
die feinere Zusammensetzung des Ringes nicht ermitteln. An
gefärbten Schnittpräparaten erwiesen sie sich mir als halbrund
erhaben, zusammengesetzt aus dicht aneinander gelagerten
Kügelchen (Fig. 2), ähnlich wie der Nukleolus. In der Breitseite
des Ringes folgen sich wahrscheinlich drei Reihen von Kügelchen.
Die Kugeln sind aber nicht wie die der Kernkörperchen längsoval,
sondern kreisrund. Dies liess sich an einem Schnitt feststellen,
der eben einen solchen Ring traf und ihn durchriss, so dass die
Kügelchen im Kern zerstreut herumlagen. Über den weiteren
Verlauf des Kernfadens ist folgendes zu sagen: Balbiani (])
fand, dass er sich zuweilen spaltet, eine Wahrnehmung, die ich
nie machen konnte. Immer verlief er — an gefärbten Total-
präparaten wie am ungefärbten ganzen Objekt liess sich dies mit
aller Sicherheit feststellen — einheitlich bis zum anderen Nukleolus.
So waren die Verhältnisse wenigstens an den Speicheldrüsenkernen
der Chironomuslarve. Ob dasselbe für die von Culex
pipiens zutrifft, wage ich nicht zu entscheiden. Hier ist der
ganze Faden ungleich feiner und länger, so dass das ganze Bild
viel schwerer zu deuten ist. Auch der Darm der Ühironomus-
larve besitzt, wie ich feststellen konnte, solche Spiremkerne.
Hier konnte gleichfalls nicht mit Bestimmtheit nach einer
Richtung hin entschieden werden. Alle Scheiben des Fadens er-
weisen sich als völlig gleichartig. ©. Hertwig (9) berichtet zwar,
dass der Kernfaden der Speicheldrüse der Chironomuslarve
„im gefärbten Präparate eine regelmässige Aufeinanderfolge
tingierter und nicht tingierter Scheiben erkennen lässt“; bei
meinen Versuchen, sowohl mit einfachen wie mit Doppelfärbungen,
färbten sich die Scheiben jedesmal völlig gleichmässig. Ich glaube,
dass die gegenteilige Auffassung daher rührt, dass die freien
Zwischenräume zwischen je zwei gefärbten Scheiben einen Wechsel
von gefärbten und ungefärbten vortäuschen. Zwischen je zwei
Scheibenrändern besteht nämlich eine Lücke. Wie die Scheiben
eigentlich miteinander verbunden sind, ob sie im Zentrum ihres
Radius vielleicht zusammenhängen, konnte nicht entschieden werden.
Wichtiger als diese doch nur mehr äusserlichen Feststellungen
sind, glaube ich, die Erkenntnisse, die über die Bedeutung des
Aufbau der Speicheldrüsenkerne der Chironomuslarve. 124
Kernapparates gewonnen wurden. Ich muss hier weiter ausholen :
Bekanntlich hat Obst (12) gelegentlich seiner Studien über
Molluskeneier eine Methode entdeckt, mit der es möglich ist, das
Chromatin des Kernes und die Nukleolarsubstanz im engeren
Sinne verschieden zu färben. Boraxkarmin färbt das Chromatin,
Methylgrün die Nukleolarsubstanz. Zur Unterscheidung von Basi-
und Oxychromatin ist ferner namentlich von Heidenhain (6)
mit Erfolg das Ehrlich-Biondi-Heidenhainsche Gemisch
verwandt worden. Ich muss mich hier mit dieser Andeutung
begnügen, da Heidenhain in wohl erschöpfender Weise die
Theorie der Kernfärbung behandelt hat und verweise deshalb für
alles Weitere auf sein Werk. Beim Lesen dieser Schriften dachte
ich an die Chironomusspeicheldrüsenkerne, deren eigentüm-
liche Struktur, ferner ihr Entwicklungscharakter, wie ich glaubte,
ein Licht auf die Zusammensetzung des Kernes und auf die Be-
deutung der Nukleolen werfen könnten. Ein grosser Teil dieser
Hoffnungen wurde zu nichte, da merkwürdigerweise die Ehrlich-
Biondi-Heidenhainsche Färbung nie recht gelang, und ich
nur Material von ziemlich grossen Larven bekam, der Haupt-
reiz aber wohl in der Erforschung der Entstehung des eigen-
artigen Kernaufbaues bestanden hätte. So konnte denn nur die
Zusammensetzung des Kernes in einem einzigen Entwicklungs-
stadium näher studiert werden. Hatte Balbiani (1) das erweiterte
Ende der Fäden als Nukleolen gedeutet, so blieb immer noch
die Natur der Ringe unbekannt, und des weiteren fiel mir an
den Präparaten von Herrn Geheimrat von Hertwig auf, dass
sich einmal der Faden lebhafter mit Safranin, einmal der
Nukleolus intensiver mit diesem Farbstoff färbte, d. h. dass eine
wechselvolle Neigung in der Aufnahme basischer Anilinfarbstoffe
besteht. Die Tiere, an denen dies stattfand, mussten jünger ge-
wesen sein als die mir zur Verfügung stehenden. An diesen
letzteren war stets eine ganz bestimmte Neigung, Farbstoffe auf-
zunehmen, festgelegt, und zwar genau die entgegengesetzte, die
man erwartet hätte. Figur 1 stellt uns einen Teil eines Kernes
dar, der stark mit Methylgrün überfärbt ist. Als echtes Chromatin,
d.h. mit Boraxkarmin gefärbt, ist vor allem der ‚„‚Nukleolus“ zu
erkennen. Eine ähnliche Reaktion zeigen noch die beiden Ringe.
Die rote Farbe besitzt in der Zelle ausserdem nur noch das
Sekret. Also trotz der absichtlich erzielten Methylgrünüber-
122 Hubert Erhard:
färbung, die bei starker Verdünnung dieser Flüssigkeit etwa drei
Stunden währte. keinerlei Tinktion des ‚„Nukleolus‘‘ mit dieser
Nukleolenfärbung.
Nun las ich freilich erst nach Abschluss dieser Untersuchung,
dass schon Korschelt (11) die gleiche Färbung anwandte und
auf Grund derselben von einem Unterschied in der Färbung von
Kernfaden und Nukleolus berichtet, von denen sich ersterer mit
Methylgrün, letzterer mit Boraxkarmin tingieren soll. Wir wissen
jedoch nicht, in welcher Konzentration Korschelt Methylgrün
anwandte. Da wir aber erst seit der bekannten Obstschen Ab-
handlung (12) zu der Auffassung gelangt sind, dass Methylgrün
inäusserster VerdünnungaufBoraxkarmin-Präparate
angewandt eine elektive Färbung der echten Nukleolarsubstanz
sei, so glaube ich, ist trotzdem mein Versuch durch die Unter-
suchung Korschelts nicht ganz überflüssig gemacht. Dazu
kommt, dass Korschelt die Ringe mit Methylgrün, ich jedoch
mit Boraxkarmin gefärbt vorfand.
Fig. 2 gibt ein Präparat wieder, das nur 1'/s Stunden sich
in einer Methylgrünlösung befand, die so sehr verdünnt war, dass
das Wasser kaum noch einen blaugrünen Schimmer zeigte. Wir
sehen hier nur den Kernfaden von der Nukleolenfärbung betroffen,
alles übrige ist durch Boraxkarmin tingiert. Heller leuchtet das
Sekret aus dem kompakten, tief dunkelroten Plasma hervor, ') von
brennendstem Rot strahlen der „Nukleolus“ und die beiden Ringe,
sowie der Stiel des sogenannten Kernkörperchens. Aber noch
eines fällt uns an den beiden Figuren auf, was im lebenden
Zustand an den Kernen nicht zu beobachten war und auch am
gefärbten Objekt bisher von den Autoren übersehen wurde. Den
vom bisher beschriebenen Kernapparat frei gelassenen Teil des
Kernes nimmt ein Maschenwerk dicht aneinandergereihter Chro-
matinkügelchen ein. Die Anordnung derselben ähnelt lebhaft
der, die Heidenhain (6, pag. 153) mit Vanadiumhämatoxylin
für die Chromiolen der Kerne der Keimlager des Salamander-
darmepithels zur Darstellung bringen konnte.
Es kann nach alledem kein Zweifel sein, dass in den
Kernen der Chironomusspeicheldrüsen, wenigstens auf
einem gewissen Entwicklungsstadium, der Kernfaden die
') In der Reproduktion wurde die kirschrote Farbe des Plasmas und
die gelbrote des Sekrets durch gewöhnliches Rot ersetzt.
Aufbau der Speicheldrüsenkerne der Chironomuslarve. 123
Nukleolarsubstanz darstellt, während die echten
chromatischen Elemente in den sogen. Nukleolen,
den Ringen und endlich dem Maschenwerk der Kern-
chromiolen festgelegt sind. Nicht immer scheint dieses
Verhältnis zu bestehen, wie wir aus der oben angegebenen Ver-
schiedenheit der Neigung, Safranin aufzunehmen, gesehen haben.
In ähnlicher Weise, wie dies Obst (12) an Molluskeneiern be-
obachtete, mag ein Wechsel im CUhemismus des Kernapparates,
der hier auch mit einem Wechsel seiner Struktur verbunden ist,
mit dem der allmählichen Entwicklung des Organismus Hand in
Hand gehen oder es mögen verschiedene Funktionszustände der
Sekretion bestimmend auf den chemischen Zustand des Kern-
apparates einwirken. Experimentelle Untersuchungen an den
verschiedensten Entwicklungsstadien könnten auf diese wichtige
Frage Licht werfen. Ich bedauere, dass ich aus dem äusseren
Grunde, weil mir solches Material nicht zur Verfügung stand,
dieser Aufgabe nicht näher treten konnte.
München, April 1910.
Literaturverzeichnis.
1. Balbiani, E.G.: Sur la structure du noyeau des cellules salivaires
chez les larves de Chironomus. Zool. Anz., 4. Jahrg., 1881.
2. Bonnevie, Kristine: Chromosomenstudien I. Arch. f. Zellforsch.,
Bd. 1, 1908.
3. Carnoy, J.B.: La biologie cellulaire. Lierre 1884.
Gehuchten, Van: L’axe organique du noyeau. La cellule. T.5.
(Zitiert nach Heidenhain.)
Gurwitsch, Alex: Morphologie und Biologie der Zelle. Jena 1904.
Heidenhain, Mart.: Plasma und Zelle. 1. Abt., 1. Lief., Jena 1907.
Henneguy, L.F.: Lecons sur la cellule. Paris 1896.
Derselbe: Les Insectes. Paris 1904.
Hertwig, O.: Allgemeine Biologie, 2. Aufl. Jena 1906.
Herwerden, M.A., van: Über die Kernstruktur in den Speicheldrüsen
der Chironomuslarve. Anat. Anz., Pd. 36, 1910.
. Korschelt, Eugen: Über die eigentümlichen Bildungen in den Zell-
kernen der Speicheldrüsen von Chironomus plumosus. Zool. Anz., Bd. 7,
1884.
je
som. #
m
m
124 Hubert Erhard: Aufbau der Speicheldrüsenkerne.
12. Obst, Paul: Untersuchungen über das Verhalten der Nukleolen bei
der Eibildung einiger Mollusken und Arachnoideen. Zeitschr. f. wiss. Zool.,
Bad. 66, 1899. N
13. Rath, O. vom: Über eine eigenartige polyzentrische Anordnung des
Chromatins. Zool. Anz., 13. Jahrg., 1890.
14. Strasburger, Ed.: Das botanische Praktikum. 2. Aufl., Jena 1887.
(Zitiert nach OÖ. Hertwig.)
15. Wilson. E.B.: The Cell in Development and Inheritance. New York 1896.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel V.
Die beiden Figuren sind mit dem Zeichenapparat bei Zeiss Kompens.-Ok. 8
und homog. Immers. 2 mm auf Objekttischhöhe entworfen. Die Vergrösserung
ist also eine 1000fache.
Fig. 1. Chironomuslarve, Stück einer Speicheldrüsenzelle. Im grünen
Plasma rot gefärbtes Sekret. Der teilweise getroffene Kern zeigt
den „Nukleolus“ (dunkelkirschrot), die Ringe und Chromiolen und
den Kernfaden (grün). Fixierung: Subl.-Eisessig. Färbung: Borax-
karmin, Methylgrün. Methylgrünüberfärbung. 10 u.
Fig. 2. Gleiches Objekt. Plasma mit Sekret. (Um Kosten zu sparen wurde
das kirschrote Plasma und das gelbrote Sekret in einheitlichem
Farbton wiedergegeben.) Der Kern ist teilweise getroffen. Der
Schnitt geht gerade quer durch die Mitte des „Nukleolus“ in der
Höhe seines Stiels und der diesen umgebenden grösseren Kügelchen
hindurch. „Nukleolus“ rot, Kügelchen blaugrün, Stiel rot. Der
folgende Kernfaden (blaugrün) mit den Ringen (rot) liegt etwas
tiefer. Chromiolen rot. Fixierung: Subl.-Eisessig. Färbung: Borax-
karmin und sehr verdünnte Methylgrünlösung. 20 u.
Aus dem pathologisch-anatomischen Institut der Universität Helsingfors,
Finland. (Direktor: Prof. Dr. E. A. Home£n.)
Eine neue Methode zur Darstellung des Gliagewebes,
nebst Beiträgen zur Kenntnis des Baues und der
Anordnung der Neuroglia des Hundehirns.
Von
Halvar von Fieandt, II. Assistent am pathologischen Institut.
Hierzu Tafel VI—-IX.
Es ist eine allgemein bekannte und anerkannte Tatsache,
dass die Frage von dem normalhistologischen Bau des Glia-
gewebes und von den morphologischen Veränderungen desselben
bei verschiedenen pathologischen Prozessen des Zentralnerven-
systems eines der dunkelsten und am wenigsten klargestellten
Kapitel der normalen bezw. pathologischen Histologie bildet.
Die Ursache der wenigen sichergestellten positiven Resultate,
welche die moderne Gliaforschung nach der epochemachenden
Arbeit von Weigert (62) aufzuweisen hat, ist zweifelsohne in
der Unzulänglichkeit unserer technischen Hilfsmittel oder vielleicht
besser gesagt in der eigenartigen biochemischen Beschaffenheit
der Formenelemente, welche das Neurogliagewebe zusammen-
setzen, zu suchen. Diese der Glia eigene Beschaffenheit bewirkt,
dass das Gewebe in seiner Gesamtheit oder wenigstens teilweise
sich von unseren chemischen Reagentien, die eine differenzierende
Färbung bezwecken, nicht beeinflussen lässt. Die in der Histologie
gewöhnlichen Methoden zur Darstellung des Neurogliagewebes
sind nämlich nicht allein mangelhaft in der gewöhnlichen Bedeutung
des Wortes, i.e. mit Rücksicht auf konstante Färbungsresultate,
gleichmässige, nicht fleckenweise Färbung usw., sondern zeigen
auch mit wenigen Ausnahmen selbst unter optimalen Verhältnissen
weniger befriedigende Resultate. Ich meine hiermit die Eigen-
tümlichkeit der klassischen Gliafärbungsmethoden — die Golgische
einerseits, die Weigertsche und die Mallorysche ebenso wie
die nach diesen ausgearbeiteten andererseits — nur gewisse
126 Halvar von Fieandt:
morphologische Elemente oder Strukturteile zu färben, während
andere Gewebsteile regelmässig ausserhalb des Wirkungskreises
der Methode bleiben. So färbt z. B. die Methode von Weigert —
und zwar nur unter den günstigsten Verhältnissen in konstanter
Weise — ausschliesslich die Neurogliafasern und die Kerne,
während sie keine Aufklärung über die Beschaffenheit und Aus-
dehnung des Protoplasmas der Gliazellen gibt. Die Golgische
Silberimprägnation dagegen gibt Bilder, welche nur als Kontur-
bilder von einzelnen Zellindividuen gedeutet werden können,
wobei die fasernartigen Zellausläufer in den Golgipräparaten
nicht ohne weiteres mit den Gliafasern nach Weigert identifiziert
werden können. Die verschiedenen Resultate der erwähnten
Methoden und die Schwierigkeit oder Unmöglichkeit, mit ihrer
Hilfe isomorphe Gewebselemente darzustellen und zu erkennen,
macht, dass die betreffenden Methoden bezüglich der Färbungs-
resultate keineswegs einander ergänzen, sondern vielmehr aus-
zuschliessen scheinen. Die verschiedenen Auffassungen, welche
seit Ranvier (55) und Weigert sich bezüglich der normalen
Gliastrukturen, besonders in betreff des Verhaltens der Gliafasern
zu den Gliazellen resp. dem Zellprotoplasma, Anordnung der
Gliazellen und Ausläufer rings um die Blutgefässe ebenso wie
Beschaffenheit und Bau des subpialen Gliagewebes sich geltend
gemacht haben, sind alle zweifelsohne durch die fehlende Gleich-
mässigkeit der angewandten Metlıoden verursacht. Bei der
Deutung der mit diesen erhaltenen Resultate hat sich ausser-
dem auch auf diesem Gebiete der histologischen Forschung die
Neigung geltend gemacht, die Färbungsresultate als Beweis-
material nach der negativen Seite hin zu verwenden. So sind
oft Strukturen und morphologische Elemente, welche sich nicht
mit der im gegebenen Falle angewendeten, dagegen sehr leicht
mit einer anderen Methode darstellen liessen, ohne weiteres als
Kunstprodukte oder einfach als nicht existierend erklärt worden.
Ich will an dieser Stelle nur an die Weigertsche (62) Auffassung
von den mit der Golgischen Methode nachweisbaren Glia-
zellausläufern und an die gliösen Grenzmembranen erinnern.
Indessen kann es nicht verneint werden, dass die Forschung
der letzten Zeit bis zu einem gewissen Grade die scharfen Gegen-
sätze zwischen den verschiedenen Anschauungen ausgeglichen hat.
Auch hierbei tritt in ausgesprochener Weise die dominierende
Darstellung des Gliagewebes. 127
Rolle, welche die Technik in der histologischen Wissenschaft
spielt, hervor.
Ein Teil der zahlreichen neuen Methoden und sämtliche
Modifikationen der Weigertschen Färbung suchen aber nur die
Weigertschen Gliastrukturen darzustellen und beabsichtigen
hauptsächlich eine Vereinfachung der Technik oder konstantere
Färbungsresultate. In diese Kategorie gehören die Methoden
von Mallory (41,42), Yamagiva(65), Müller (48), Benda
(9—11), Mallory (43), Anglade und Morel (3), Fischer (23),
Huber (355), Rubaschkin (57), Bartel (8); Sabrazes und
Letessier (58), Wimmer (64), Hoppe (34), da Fano (21).
Alle diese Verfahren, von welchen die Methoden von Huber,
Bartel, Wimmer und Hoppe nur als unwesentliche Modi-
fikationen derjenigen von Weigert und Benda anzusehen
sind, liefern in allem wesentlichen dieselben Bilder wie diese;
Yamagivas, Bendas, Rubaschkins und möglicherweise
auch da Fanos Methoden scheinen das Gliazellprotoplasma etwas
besser zu färben als das klassische Weigertsche Verfahren.
Alle genannten Methoden haben aber doch nicht in nennens-
wertem Grade zur Erweiterung unserer Kenntnisse von dem normal-
histologischen Bau des Gliagewebes und vor allem nicht zur
Lösung der Kontroversen zwischen den entgegengesetzten
Resultaten der Silberimprägnationsverfahren einerseits und der
Neurogliafaserfärbung andererseits beigetragen.
In viel höherem Grade ist dies der Fall gewesen bei einer
Anzahl anderer Methoden, welche im Gegensatz zu den soeben
erwähnten die Darstellung nicht allein der chemisch wohl
differenzierten dGliafasersubstanz, sondern auch der proto-
plasmatischen Bestandteile des Gliagewebes beabsichtigen. In
diese Kategorie gehören die Methoden von Reinke (56),
Held (32), Eisath (20), Lhermitte und Guccione (40)
und möglicherweise auch diejenige von Merzbacher (44).
Diese Methoden lassen aber hinsichtlich der Resultate viel zu
wünschen übrig. Was das Verfahren von Reinke für die
Darstellung der Neurogliaelemente betrifft, so besteht dasselbe
in einer Silberimprägnation mit nachfolgender Eisenhämatoxylin-
färbung nach Heidenhain, wobei es sich ereignet, dass die
Silberniederschläge, welche in der Regel durch die nachfolgenden
Manipulationen gelöst werden und verschwinden, zuweilen bestehen
128 Halvar von Fieandt:
bleiben und zusammen mit den nachgefärbten Gliafasern im
Präparat wenigstens stellenweise ein vollständiges oder ziemlich
vollständiges Bild von sämtlichen Elementen der Glia geben
können. Die Methode ist gewiss nicht ohne Interesse als der
erste zielbewusste Versuch einer totalen Gliafärbung, scheint
jedoch infolge ihrer unsicheren Resultate kaum zu einer all-
gemeineren Verwendung kommen zu können. Held (32), der
durch seine ausgezeichnete Arbeit über die Neuroglia nach
verschiedenen Richtungen hin unsere Kenntnisse erweitert hat,
hat leider die von ihm angewandte Methode nicht veröffentlicht.
Es geht aber aus den Zeichnungen von Held hervor, dass er
eine nicht spezifisch gliafärbende Methode benutzt hat, angeblich
eine modifizierte Eisenhämatoxylin-Methode. Ich werde später
in einena anderen Zusammenhange auf die interessanten Resultate
Helds bezüglich der protoplasmatischen Teile des Glianetzwerkes,
des Verhaltens zwischen Gliaprotoplasma und Gliafasern, ebenso
wie der Beziehungen der Gliazellen untereinander, zurückkommen.
Obgleich die Arbeit von Held als ein schönes und treffendes
Beispiel betrachtet werden kann, wieviel ein geübter Mikroskopiker
und guter Beobachter auch mit einer nicht spezifischen Methode
erreichen kann, scheint sie doch besonders unter den Pathologen
nicht die gebührende Beachtung gefunden zu haben. Dass die
Ursache bierfür wenigstens teilweise in der Unkenntnis der von
Held angewandten Methode und in der Unmöglichkeit einer
Kontrolle der damit gewonnenen Resultate liegt, ist offenbar.
Soviel scheint mir sicher, dass die Heidenhainsche Eisen-
hämatoxylinfärbung bei einer Menge verschiedener Fixierungs-
methoden nicht Bilder liefert, welche man auch nur annähernd
mit den Heldschen vergleichen kann, obgleich es natürlich ab
und zu vorkommt, dass die von ihm beschriebenen Strukturen
mehr oder weniger deutlich hervortreten.
Mit der von Eisath (20) angegebenen Methode habe ich
ziemlich viel experimentiert, ohne dabei besonders gute Resultate
erzielt zu haben. Man kann mit ihr zweifelsohne einen Teil der
protoplasmatischen Bestandteile des Gliagewebes darstellen und
speziell tritt, obgleich blass und undeutlich, das an den Kern
angrenzende Gliaprotoplasma ebenso wie ein Teil der Gliafasern
hervor. Indessen lässt sich durch Kontrollfärbungen leicht kon-
statieren, dass keineswegs sämtliche Gliaelemente gefärbt werden
Darstellung des Gliagewebes. 129
und die Methode also wenigstens in quantitativer Beziehung als
wenig befriedigend angesehen werden muss. Das geht auch
deutlich aus einem Vergleich zwischen den Figuren von Held (32)
und Eisath (20) hervor. Was die Methode von Merzbacher (44)
betrifft, scheint sie auch dieselben Fehler wie die meisten Neuro-
gliafärbungsmethoden darzubieten: das Gliaprotoplasma nur in
geringem Grade oder fast gar nicht zu Gesicht zu bringen. „An
Zellen der normalen Rinde wird es (Protoplasma) kaum sichtbar“,
sagt der Verfasser, und an einer anderen Stelle: „Schliesslich
muss ich noch mit einigen Worten des plasmatischen gliösen
Maschenwerkes gedenken. Dasselbe konnte ich in einem Falle
in senr anschaulicher Weise zur Darstellung bringen. Die Ver-
hältnisse waren in dem Falle zur Darstellung dieser Gebilde auch
sehr günstig“; sodann folgt die Beschreibung des pathologisch
veränderten Gewebes. Es dürfte aus diesen Zitaten ohne weiteres
hervorgehen, dass die betreffende Methode sich nicht für die
Darstellung der protoplasmatischen Bestandteile des Gliagewebes,
wenigstens nicht in dem normalen Gewebe, eignet, wohl aber
für das Studium der Gliafasern. Sie schliesst sich also in dieser
Hinsicht den Methoden von Weigert, Yamagiva, Benda,
Rubaschkin u.a. an.
Es bleiben noch von hierhergehörigen Methoden diejenigen
von Lhermitte und Guccione (39, 40) übrig. Da dieselben
erst publiziert wurden, nachdem die vorliegende Arbeit zum
grössten Teile fertiggestellt war, habe ich ihnen nicht die ge-
bührende Aufmerksamkeit widmen können. Von den zwei Me-
thoden, welche die Verfasser angeben, ist die erste eine für
Gefrierschnitte bearbeitete modifizierte Weigert-Methode, die
andere stellt eine Färbung (von mit Osmium-Chrom-Essigsäure
bearbeitetem Materiale) mit Mallorys Phosphorwolframsäure-
hämatoxylinlösung dar. Mit der letzteren erzielt man angeblich an
pathologischem Materiale eine Färbung sämtlicher gliösen Elemente,
auch des Gliaprotoplasmas, obgleich aus dem summarischen, allzu
kurz gefassten Berichte der Färbungsresultate nicht deutlich hervor-
geht, in welchem Grade oder in welcher Ausdehnung dies der Fall ist.
Wie aus den bisherigen Ausführungen hervorgehen dürfte,
und wie auch jeder, der sich etwas eingehender mit diesem
Problem beschäftigt hat, ohne weiteres zugeben wird, ist es eine
ziemlich schwierige und undankbare Aufgabe, mit Hilfe der schon
Archiv f.mikr. Anat. Bd. 76. 5)
130 Halvar von Fieandt:
bekannten Methoden sich eine nur annähernd befriedigende
Kenntnis von der Struktur und Beschaffenheit des normalen Neuro-
gliagewebes zu verschaffen.
Wenn also schon das Studium des normalen Gliagewebes mit
bedeutenden Schwierigkeiten verknüpft ist, bietet die Arbeit mit
pathologisch verändertem Gliagewebe, besonders bei experimen-
tellem Materiale, noch viel grössere Schwierigkeiten. Seit einigen
Jahren mit Studien über die hämatogene Gehirntuberkulose an
Hunden und Kaninchen beschäftigt, habe auch ich in vollem Maße
die Schwierigkeiten, die man hier zu bekämpfen hat, erfahren
müssen. Wie bekannt, hat ja auch die experimentelle Forschung
hinsichtlich der pathologischen Anatomie des Gliagewebes nichts
Nennenswertes an den Tag gebracht. Dass dieser Umstand seinen
Grund in den erwähnten technischen Schwierigkeiten hat, ist
offenbar. Die Golgische Methode ist auf Grund der inkonstanten
Resultate und der isolierten Färbung von einzelnen Zellen-
individuen auf diesem Gebiete nicht anwendbar oder würde
wenigstens, um zu sicheren Schlüssen zu berechtigen, ein so
grosses Material erfordern, dass es kaum von einem einzelnen
bearbeitet und beherrscht werden könnte. Von den Gliafaser-
färbemethoden können die Weigertsche und ihre zahlreichen
Modifikationen ausgeschlossen werden, da sie fast alle an Tier-
material keine oder doch nur äusserst ungenügende Resultate
geben. Auch die Methode von Rubaschkin (57), welche wie
bekannt, eine vorhergehende intraarterielle Injektion der Fixierungs-
flüssigkeit erfordert, habe ich aufGrund des mir zu Gebote stehenden
begrenzten Tiermaterials nicht anwenden können. Von den sämt-
lichen übrigen Methoden, welche ich geprüft habe, gebe ich un-
bedingt der von Benda (9—11) angegebenen den Vorzug. Die
besten Resultate habe ich mit der Bendaschen modifizierten
Eisenhämatoxylinfärbung, ebenso wie mit der Toluidinblaualizarin-
färbung an Material, das in Alkohol fixiert und nach Benda
gebeizt wurde, erhalten. Indessen haben auch hierbei die Resultate
in mehrfacher Hinsicht viel zu wünschen übrig gelassen; besonders
habe ich mit nur wenigen Ausnahmen, trotz vieler Mühe, nicht
eine gleichmässige, fleckenfreie Färbung erzielen können. Dass
eine fleckenweise auftretende Färbung, obgleich unter gewissen
Umständen für das Studium der normalhistologischen Einzelheiten
hinreichend, bei pathologischen Untersuchungen aber ganz und
Darstellung des Gliagewebes. 131
gar unbrauchbar ist, leuchtet ein. Ist doch die Aussicht, dass
ein solcher Fleck, wo die Gliafaserfärbung gelungen ist, im
Schnitte z. B. mit einem kleinen Gehirntuberkel oder seiner
Umgebung zusammenfallen soll, ziemlich gering. Indessen kann
selbstverständlich durch eine hinreichende Zahl von Schnitten
dieser Übelstand doch wenigstens zum grossen Teil kompensiert
werden. Dagegen ist mir die Darstellung der rein proto-
plasmatischen Strukturen des Gliagewebes mit den zu Gebote
stehenden Methoden, besonders mit der Eisathschen, garnicht
oder wenigstens nicht befriedigend gelungen. Dasselbe ist in
noch höherem Grade mit den reinen Gliafaserfärbemethoden
(Benda, Mallory) der Fall gewesen.
Und doch tritt gerade bei pathologischem Materiale ein
Umstand uns entgegen, der unsere Bestrebungen, eine Färbung
des Gliaprotoplasmas zu erhalten, wesentlich zu erleichtern scheint,
nämlich die veränderte chemische Beschaffenheit des Protoplasmas
der gereizten, proliferierenden Gliazellen. Es ist dies jene eigen-
tümliche Veränagerung des Protoplasmas, welche uns als eine
gesteigerte chemische event. physikalische Affinität für basische
Farbstoffe, eine Basophilie, entgegentritt, und welche, wie bekannt,
keineswegs für das Gliagewebe spezifisch ist. Die Anwendung
von Methoden, bei denen diese basischen Farbstoffe die Hanpt-
rolle spielen, ist für das Studium der pathologisch veränderten
Glia sicher von grosser Bedeutung gewesen. Ich erinnere nur
an die Resultate mit der Nisslschen Seifenmethylenblaulösung,
zu denen besonders Nissl (49, 50, öl), Alzheimer (2) und
Spielmeyer (59) gelangt sind. Diese Untersuchungen haben
nicht nur die Wissenschaft um eine Reihe wichtiger Tatsachen
bereichert, sondern auch zur Genüge die wichtige Rolle dargelegt,
welche die protoplasmatischen Gliasubstanzen bei pathologischen
Prozessen des Zentralnervensystems spielen. Obgleich die aktive
Beteiligung der Gliazellen an pathologischen Prozessen überhaupt
auch in früheren Perioden der Pathologie nicht unbekannt
war, scheint doch ihre Rolle, speziell die Bedeutung der pro-
gressiven Veränderungen des Gliaprotoplasmas, im allgemeinen
stark unterschätzt gewesen zu sein. Nur so kann ich die Worte
Weigerts (62) deuten, wenn er bei Besprechung der Anwendbar-
keit seiner Methode sagt:'!) „Die Methode stellt ferner, abgesehen
1) loe. eit. 8. 29.
gr
182 Halvar von Fieandt:
von den Kernen der Neurogliazeilen, nur die, wie wir sehen
werden, in besonderer Weise differenzierten Fasern dar. Wenn
daher, wasa priori durchaus nicht bestritten werden
kann, Zwischensubstanzen im Zentralnervensystem
existieren, welche solcher differenzierter Fasern
entbehren, so entgehen diese bei Anwendung der
Methode vollkommen der Kenntnisnahme. Aber so
sehr diese Mängel für den Embryologen und den normalen
Histologen von Bedeutung sein mögen, für den pathologischen
Anatomen kommen sie kaum in Betracht.“ — Muss es also
einerseits zugegeben werden, dass die Färbemethoden, die sich
auf die gesteigerte Basophilie des Gliaprotoplasmas gründen, uns
einen gewissen Aufschluss von der Ausdehnung und dem Grade
der progressiven Veränderungen des Gliagewebes im einzelnen
Falle bringen können — was sicher einen grossen Fortschritt
bedeutet — so ist es andererseits offenbar, dass diese Methoden
uns keine Aufklärung über das Verhältnis zwischen dem pro-
gressiv veränderten Protoplasma und den Gliafasern geben.
Ebensowenig können sie uns über die frühesten resp. gering-
fügigsten pathologischen Veränderungen der Gliazellen informieren.
Es muss nämlich der pathologische Prozess (oder die ihn hervor-
rufende Schädlichkeit) erst eine gewisse Intensität erreicht haben,
um die Basophilie des Protoplasmas mit Sicherheit hervortreten
zu lassen.
Dass auch bei der Anwendung der speziellen Neuroglia-
färbemethoden die soeben erwähnte Basophilie die Darstellung
des pathologisch veränderten Gliazellprotoplasmas erleichtert
bezw. ermöglicht, ist eine bekannte Tatsache. So wird von einer
Reihe von Methoden behauptet, dass sie sich zwar für das Studium
des gereizten Gliaprotoplasmas eignen, aber nicht oder nur in
geringem Maße für das normaler protoplasmatischer Bestand-
teile. (Methoden von Eisath, Merzbacher, teilweise auch
diejenigen von Weigert und Benda nebst den Modifikationen
derselben.) Nun kann jedoch bezüglich der Anwendung der
betreffenden Methoden beim pathologischen Materiale derselbe Ein-
wand gemacht werden, wie bei den einfachen Anilinfärbemethoden.
Denn es bedarf erst eines gewissen Grades der Basophilie des
gereizten Gewebes, damit sie überhaupt einigermassen verwert-
bare Resultate geben; bei den gelindesten, eben anfangenden
6)
je
w.
Darstellung des Gliagewebes. 13:
Graden pathologischer Veränderungen aber erweisen sie sich als
unzureichend.
Durch das Studium der Neurogliaveränderungen bei der
experimentellen Gehirntuberkulose wurde auch ich von der be-
deutenden Rolle, welche die Veränderungen der protoplasmatischen
Substanzen des Gliagewebes dabei spielen, wie auch von der
Unzulänglichkeit der einschlägigen Färbemethoden überzeugt.
Ich bin deshalb seit langem bestrebt gewesen, ein Verfahren zu
finden, welches einerseits ein Studium des normalen Baues und
der Beschaffenheit des Neurogliagewebes erlaubte, andererseits
es uns aber ermöglichte, pathologische Gliaveränderungen schon
von Anfang an durch alle Stadien successive zu verfolgen.
Anfangs arbeitete ich auf der Basis der alten Methoden,
speziell der Bendaschen, und versuchte dabei durch eine Ver-
änderung der Differenzierungsverfahren ausser den Gliafasern
auch den protoplasmatischen Teil des Gliastützgewebes zu Gesicht
zu bringen. Zu diesen Versuchen wurde ich durch die Resultate
veranlasst, welche schon Hardesty (27) durch Anwendung der
Hubertschen (35) Modifikation der gewöhnlichen Benda-Methode
erzielte. Indessen waren meine Bemühungen nach dieser Richtung
hin erfolglos. Dasselbe war der Fall mit einer Menge anderer
Färbungsmethoden, welche ich zu dem angegebenen Zwecke
prüfte und weiter auszuarbeiten versuchte.
Erst seitdem ich bei meinen Experimenten Material ver-
wendete, das in der von Heidenhain') angegebenen Sublimat-
trichloressigsäuremischung fixiert worden war, erzielte ich einige
verwertbare Resultate und konnte dann auf diesem Wege mit
einem gewissen Erfolg weiter arbeiten. Meine Versuche mit
Gliafärbung an Material, das mit Sublimattrichloressigsäure fixiert
wurde, gingen von der Beobachtung aus, dass dem Gliagewebe
durch Einwirkung dieser Flüssigkeit eine gewisse Basophilie ver-
liehen wurde, wodurch nicht allein das Gliaprotoplasma in der
unmittelbaren Nähe der Kerne, sondern auch das Gliastützgewebe
in seiner Gesamtheit sogar bei Färbung mit banalen Färbe-
!) Die Zusammensetzung der Fixierungsflüssigkeit wurde mir im
Frühling 1908 von Privat-Dozent Dr. Axel Wallgren, der von Herrn
Professor Heidenhain darauf mündlich aufmerksam gemacht worden war,
mitgeteilt. Später hat Heidenhain (28) in einem anderen Zusammenhange
diese von ihm als „Subtriessig“ bezeichnete Fixierungsflüssigkeit empfohlen.
134 Halvar von Fieandt:
methoden, z. B. nach van Gieson, ziemlich deutlich hervortrat.
Von dieser Feststellung ausgehend, machte ich Versuche, eine
elektive Gliafärbung mit der Eisenhämatoxylinmethode von
Heidenhain, die ich für meinen besonderen Zweck zu
modifizieren suchte, zu erhalten. Nach langen Vorversuchen
glückte es mir schliesslich, Präparate zu erhalten, welche stellen-
weise eine elektive Gliafärbung zeigten und die gleichzeitig eine
Färbung sowohl der Gliafasern wie des Gliaprotoplasmas dar-
boten. Aber wie gesagt, nur stellenweise. Hierbei war ich
ausserdem genötigt, die Präparate so intensiven Nachbehandlungen
und Oxydationsprozeduren (Behandlung im Thermostat mit einer
Mischung von Lugolscher Lösung und Trichloressigsäure mit
Zusatz von kleinen Mengen Wasserstoffsuperoxyd) auszusetzen,
dass die feineren Strukturen, speziell in der Rindenschicht des
Gehirns, teilweise zerstört wurden. Hiermit war also nichts
gewonnen.
Seitdem Heidenhain (28) abermals die Aufmerksamkeit
auf die Färbung mit Vanadiumhämatoxylin, die ja schon früher
für verschiedene Zwecke in der histologischen Technik angewandt
wurde, gelenkt hatte, und dieselbe speziell für Material, das in
Sublimattrichloressigsäure fixiert worden war. geeignet gefunden,
beschloss ich nachzusehen, ob die für das Vanadiumhämatoxylin
charakteristische Polychromasie möglicherweise auch am Zentral-
nervensystem sich geltend machen würde, insofern als die gliösen
Gewebselemente der polychromen Färbemischung gegenüber sich
anders verhalten würden, als die rein nervösen. Die ersten Ver-
suche mit Vanadiumhämatoxylin gaben ein Resultat, das nicht
sehr ermunternd war. Später gelang es mir indessen, seitdem
ich das von Heidenhain angegebene Verfahren bei der Zu-
bereitung der Färbeflüssigkeit teilweise modifiziert hatte, die
gliösen Gewebselemente speziell das Gliaprotoplasma, auch im
normalen Gehirn zu Gesicht zu bringen. Aus meinen Versuchen
ging hervor, dass die Verschiedenheiten der Affinität, welche das
Gliagewebe und die Achsenzylinder der markhaltigen Fasern der
polychromen Färbemischung gegenüber zeigten, ziemlich gering
waren. So konnte eine differente Färbung der beiden soeben
genannten Gewebe nur bei einem bestimmten Oxydationsgrad der
Färbemischung erhalten werden. Dieser war aber bei dem von
Heidenhain angegebenen Oxydationsverfahren unter Einfluss
Darstellung des Gliagewebes. 155
des atmosphärischen Sauerstoffs schwer zu erreichen. Dagegen
konnte die Färbeflüssigkeit durch Zusatz von Wasserstoffsuper-
oxyd in bestimmten Quantitäten unmittelbar nach der Zubereitung
in der Weise verändert werden, dass sie für den betreffenden
Zweck verwendbar wurde.') Doch waren die Resultate auch
hier nicht besonders günstig. In solchen Präparaten ist die
Differenz zwischen der Glia und dem Achsenzylinder nicht so
gross, dass man mit Sicherheit unter allen Umständen Verwechs-
lungen zwischen diesen beiden Gewebsteilen entgehen könnte.
Und was noch schlimmer ist, die Neurogliafasern können nur
äusserst unvollständig oder gar nicht dargestellt werden. Ausser-
dem kann die Färbung für pathologische Zwecke auf Grund der
sehr dunkeln Farbe, welche die Glia dabei schon normalerweise
annimmt, kaum angewendet werden. Dagegen dürfte die Methode
einigermassen bei dem Studium der Gliasubstanzen in der Rinden-
1) Für diejenigen, die vielleicht mit Vanadiumhämatoxylin für Glia-
färbung einen Versuch machen wollen, soll das Verfahren, das ich am zweck-
mässigsten gefunden habe, in Kürze hier angeführt werden:
1. Fixierung in Sublimattrichloressigsäure 24 Stunden.
2. Nachhärtung in 96° Alkohol mit oftmaliger Erneuerung des Alkohols
während ca. 3 Tagen. Alkohol abs.
3. Paraffineinbettung.
4. Nach Entfernen des Paraffins aus den Schnitten, welche ziemlich dünn
sein müssen (höchstens 4—5 «), wird das Sublimat in einer weinroten
Jodalkohollösung entfernt.
. Entfernen des Jods durch eine 0,25°oige Lösung von Natriumthiosulfat.
. Auswaschen mit Aqu. dest.
. Färbung während 5—15 Minuten in einer Färbemischung, die in folgender
Weise bereitet wird: zu 20 cem einer 0,5°/oigen Hämatoxylinwasser-
lösung werden 10 ccm einer 0,25°/oigen Lösung von Ammoniumvanadat
und allmählich unter Umrühren 28 Tropfen einer frischen Wasserstoff-
superoxydlösung (2 Tropfen Perhydrol-Merck, 48 Tropfen Aqu. dest.)
zugesetzt. Um angewendet werden zu können, muss ein Tropfen der
Flüssigkeit auf Fliesspapier einen rein schwarz-grauen Fleck zurück-
lassen; zeigt der Fleck eine bläuliche oder braune Farbe, so ist zu
wenig resp. zu viel Wasserstoffsuperoxyd zugesetzt worden.
8. Abwaschen in Wasser. Alkohol in steigender Konzentration. Xylol.
Balsam. Färbungsresultate: collagenes Bindegewebe dunkelblau, rote
Blutkörperchen und Nucleolen gelb, Gliaprotoplasma schwarzbraun,
Achsenzylinder braungelb. Das Kernchromatin wird nur teilweise und
schwach gefärbt. Die Neurogliafasern treten nicht oder in etwas
dunklerer Farbe nur undeutlich gegenüber dem Gliaprotoplasma hervor.
ns ers
136 Halvar von Fieandt:
schicht des normalen Gehirns angewendet werden können. Doch
ist die Methode auch hier, auf Grund der wenig spezifischen
Färbung, für feinere Untersuchungen kaum genügend. Indessen
scheinen mir die Resultate mit Vanadiumhämatoxylin theoretisch
interessant in der Beziehung, als sie zur Genüge zeigen, dass
eine differente Färbung der Gliabestandteile und der rein nervösen
Gewebselemente wenigstens unter gewissen Bedingungen durch Ver-
wendung von polychromen Färbemischungen erreicht werden kann.
Ermuntert durch die Versuche mit Vanadiumhämatoxylin,
die wenigstens in theoretischer Hinsicht bis zu einem gewissen
Grade glücklich ausgefallen waren, wandte ich mich zu den übrigen
polychromfärbenden Hämatoxylinlösungen, in erster Linie zu dem
schon seit langem mit Vorteil angewandten Phosphorwolframsäure-
hämatoxylin (Mallory). Ich kam bald zu der Überzeugung, dass
dieser Färbestoff sich gut für den hier in Frage kommenden Zweck
eignete und blieb nach einigen Versuchen mit in verschiedener
Weise zusammengesetzten Lösungen bei der von Mallory (43)
selbst angegebenen, die ich als die zweckmässigste fand. Schon
bei einer direkten (progressiven) Färbung mit dieser Lösung
konnte eine differente Färbung von Achsenzylindern und Glia-
gewebe erhalten werden. Ebenso war das collagene Gewebe von
der Glia gut zu unterscheiden. Von den gliösen Gewebsbestand-
teilen wurden sowohl die Fasern, wie das Gliaprotoplasma an
normalem Gehirnmaterial gefärbt und zwar in einer Ausdehnung,
die anscheinend den tatsächlichen Verhältnissen entsprach. Indessen
konnte die Glia nur durch eine weniger intensive Färbung different
dargestellt werden, bei stärkerer Färbung dagegen zeigten die
Achsenzylinder der markhaltigen Nervenfasern die Neigung, in
demselben Tone gefärbt zu werden. Ausserdem zeigten die Präparate
eine Neigung ziemlich schnell abzublassen, wodurch die Färbe-
differenzen weniger deutlich hervortraten. Die Methode musste
somit dahin geändert werden, dass das progressive Verfahren
durch Überfärbung mit nachfolgender Differenzierung — also ein
regressives Verfahren — ersetzt wurde. Es gelang mir auch in
einer alkoholischen Ferrichloridlösung ein Differenzierungsmittel
zu finden, das sich für den Zweck gut eignete. Dass diese noch
mit Fehlern und Mängeln behaftet ist, davon bin ich vollständig
überzeugt. Indessen habe ich, obgleich ich eine Menge ver-
schiedener besonders sauer reagierender Metallsalzlösungen ver-
Darstellung des Gliagewebes. 157
sucht habe, bis heute keine für meinen Zweck besser geeignete
finden können. Da ich ausserdem mit der erwähnten Differen-
zierungsmethode zumeist recht gute Präparate erhalten und
weiter gefunden habe, dass eventuelle Nachteile in allen wesent-
lichen Punkten vermieden werden können, glaube ich dieselbe
empfehlen zu können.
Ich werde nunmehr eine Beschreibung der von mir sowohl
an normalem wie an pathologischem Material angewandten
Methode geben, um dann über die Resultate, die am normalen
(Gewebe mit derselben gewonnen wurden, zu berichten.
Eigene Methode.
Kleine Stücke, die 2 mm Dicke und 1 cm Breite und Länge
nicht überschreiten dürfen, werden von dem noch warmen Gehirne
in Heidenhains Sublimattrichloressigsäuremischung, welche
folgende Zusammensetzung hat, fixiert.
Sublımat er wire, 2 Eee
Natrzehlor me. -.' ee 6,0
Aundesen un... ©, 17 SO
Atıdtriehloracet: chryst =7 2200
Neideacersglacial. 1,10‘
Es empfiehlt sich, bei der Fixierung selbst kleiner Stücke
ziemlich grosse Mengen Flüssigkeit zu verwenden, wo dieselben
auf einer Grundlage von Watte oder Löschpapier verweilen.
Nach ca. 12 Stunden wird die Fixierungsflüssigkeit, in der die
Stückchen im ganzen 24 Stunden bei Zimmertemperatur liegen
bleiben, gewechselt. Die Stücke werden dann mit Löschpapier
abgetupft und direkt in 96 °/o Alkohol, ebenfalls auf einer Unter-
lage von Watte oder Löschpapier, übergeführt. Hierbei ist zu
beachten, dass nicht zu viele Stücke in ein und demselben Gefäss
untergebracht werden, jedenfalls muss der Alkohol überall freien
Zutritt haben. Der Alkohol wird während der ersten 12 Stunden
jede zweite Stunde gewechselt und wenn möglich, werden die
4sefässe ziemlich oft etwas umgeschüttelt. Später wird der Alkohol
zweimal täglich gewechselt. Ich möchte auf eine sorgfältige Nach-
behandlung mit Alkohol in der erwähnten Weise ganz besonders
aufmerksam machen; nach einer weniger sorgfältigen Alkohol-
behandlung ist es nicht allein schwieriger, eine gute Färbung
zu bekommen, sondern es können auch gewisse Kunstprodukte,
138 Halvar von Fieandt:
Fixierungsartefakte, entstehen, welche ich niemals in Präparaten,
die aus gut behandelten Stücken stammten, beobachtet habe.
Diese Kunstprodukte sind zweifacher Art. Entweder erscheint
die Neuroglia eigentümlich klumpig, ein homogenes Netzwerk
bildend, welches nichts von der zierlichen Struktur des normalen
Gliagewebes zeigt, oder es treten in der Marksubstanz grössere
oder kleinere unregelmässige Hohlräume auf, die vermutlich durch
ein Zusammenballen des Myelins entstanden sind. Wie gesagt,
können jedoch diese Artefakte leicht vermieden werden.') In
dem 96°/oigen Alkohol verweilen die Stücke 5—7 Tage und
kommen dann auf 2—3 Tage in absoluten Alkohol. Als Über-
gangsmedien bei der Paraffineinbettung, von der ich ausschliesslich
Gebrauch gemacht habe, habe ich Cedernöl und Ligroin nach der
von Pranter angegebenen Methode verwendet. Aus dem ab-
soluten Alkohol kommen die Stücke also in mit dünnflüssigem
Cedernöl unterschichteten Alkohol, nach 24 Stunden in reines
Cedernöl, nach weiteren 24 Stunden in Ligroin und dann in eine
gesättigte Ligroin - Paraffinlösung (Paraffin 52° Schmelzpunkt).
Nachdem sie zur Verdunstung des Ligroins einige Tage im
Thermostat (37°) gestanden haben, werden die Stücke in Paraffın
vom Schmelzpunkt 52° C eingebettet, wobei beachtet werden
!) Es verdient besonders hervorgehoben zu werden, dass Alkohol von
stärkerer Konzentration sich für die Behandlung nicht eignet. Bei Nach-
härtung in absolutem Alkohol sind die von Markscheiden umgebenen Achsen-
zylinder schwieriger zu entfärben, wodurch elektiv gefärbte Präparate ab
und zu nicht erhalten werden können. Ausserdem wird das Protoplasma der
Nervenzellen dank der in diesem Falle wohl beibehaltenen Nisslschen
Körperchen so dunkel gefärbt, dass das pericelluläre Gliagewebe nur schwer
oder gar nicht zu untersuchen ist. Wie ich schon hier bemerken will, ist
das gar nicht oder in viel geringerem Grade der Fall bei Nachhärtung mit
96°%%oigem Alkohol. Im Gegenteil wird dabei das Protoplasma der Ganglien-
zellen und deren Fortsätze meistens entfärbt, von kleinen Resten abgesehen ;
wahrscheinlich ist hier eine Auflösung der chromophilen Bestandteile der
Ganglienzellen vor sich gegangen. Es muss jedoch darauf hingewiesen
werden, dass die Niss1schen Körperchen oft auch bei einer solchen Alkohol-
behandlung in einzelnen Ganglienzellen oder fleckenweise in den Präparaten
gut erhalten und dunkel gefärbt sind. Es leuchtet ein, dass dergleichen
Stellen sich für das Studium der pericellulären gliösen Netzwerke nicht
eignen. Diese Reste des nervösen Protoplasmas habe ich durch Behandlung
mit ammoniakalischem Alkohol nach Bethe zu entfernen oder der nach-
folgenden Färbung unzugänglich zu machen versucht, habe jedoch vorläufig
keine befriedigenden Resultate erzielt.
Darstellung des Gliagewebes. 159
muss, dass dieselben nicht länger als notwendig höheren Wärme-
graden und zwar höchstens 12 Stunden 56° C ausgesetzt werden
dürfen. Beim Schneiden, das, trotzdem das Sublimat nicht ent-
fernt worden ist, keine Schwierigkeiten darbietet, muss sich die
Dicke der Schnitte nach dem Objekt der Untersuchung richten.
Beim Studium der Glia der weissen Substanz kommt man mit
Schnitten von 5 « sehr gut aus. Will man aber den Verlauf der
einzelnen Gliafasern verfolgen, dann muss man natürlich dickere
Schnitte wählen. Umgekehrt sind bei der Untersuchung der
grauen Substanz mit ihrer dichten Gliastruktur möglichst dünne
Schnitte erforderlich. Die Präparate werden nach der japanischen
Methode aufgeklebt. Nachdem das Paraffın entfernt worden ist
und die Objektgläser in absolutem und 96%oigem Alkohol ab-
gewaschen sind, kommen sie während einer Stunde in Jodtinktur
(Jodi chryst. 1,0, Alkohol 96° 10,0). Nachdem der Überschuss
von Jod durch 96°oigen Alkohol entfernt worden ist, werden
die letzten Jodreste mit 0,25°/o Natriumthiosulfatlösung auf-
genommen, worin die Schnitte verweilen, bis sie vollständig weiss
geworden sind. Sie werden jetzt mit Aqu. dest. abgewaschen,
das zwei- bis dreimal gewechselt werden muss. Dann werden
sie vorsichtig mit Löschpapier abgetupft und kommen in die
Phosphorwolframsäurehämatoxylinlösung von Mallory:
Hamatoxylın erysta matt... 2 ER OT Cem
Naudestätnue un aiuer. 1% 20:0.
Solut. aquos. acid. phosphorwolframic. 10% 20,0 „
Eiydzogen. superoxyds 7412. eek,
Die besten Resultate habe ich erhalten mit einer älteren (vier-
jährigen) Farblösung, doch kann die Färbungsflüssigkeit auch
frisch angewendet werden, nur färben die frischen Lösungen
bedeutend schwächer. Nach 12—24 Stunden werden die Objekt-
träger mit Löschpapier abgetupft und in die Differenzierungs-
flüssigkeit übergeführt, die frisch bereitet werden muss.
Diese besteht aus einer 10°oigen Lösung von Ferrichlorid in
absolutem Alkohol (Ferri sesquichlorat. sice. pur. 5,0, Alkohol abs.
50,0). In der alkoholischen Ferrichloridlösung verweilen die Objekt-
träger mit den Schnitten nach unten, bis die Achsenzylinder und das
collagene Bindegewebe vollständig entfärbt sind und eine gelbgraue
ı) Wasserstoffsuperoxyd (Merck), 10 Vol.-Prozent = 3 Gew.-
Prozent Wasserstoffsuperoxyd enthaltend.
140 Halvar von Fieandt:
Farbe angenommen haben, was gewöhnlich erst nach einer bis
mehreren Stunden der Fall ist; der Verlauf der Differenzierung
muss mit dem Mikroskope kontrolliert werden. Ist der richtige
Grad der Differenzierung erreicht, so lässt man die Ferrichlorid-
lösung vom Objektträger abträufeln, trocknet diesen mit Lösch-
papier und wäscht ihn schnell in einem Gefäss mit destilliertem
Wasser ab; die graublau gefärbten Schnitte nehmen hierbei eine
schöne hellblaue Farbe an. Nach nochmaligem Abwaschen in
destilliertem Wasser werden die Schnitte sorgfältig mit absolutem
Alkohol behandelt, um die letzten Spuren des Ferrichlorids zu
entfernen. Ich pflege dabei in der Weise vorzugehen, dass ich
die Schnitte auf 24 Stunden in absolutem Alkohol liegen lasse,
den ich während der Zeit einmal wechsle. Dann kommen die
Schnitte durch Origanumöl in Xylol und Balsam. Die Behandlung
mit Origanumöl, die ich selbst gern anwende, weil sie den
Präparaten eine hellere blaue Farbe zu verleihen scheint, kann
natürlich fortgelassen werden. Was die Haltbarkeit der Präparate
betrifft, kann ich nur sagen, dass dieselbe, wenn die Behandlung
mit Alkohol nach der Differenzierung sorgfältig gemacht wird,
gut zu sein scheint. Wenigstens haben meine in dieser Weise
behandelten Präparate sich mehrere Monate gehalten, ohne ab-
zublassen. Für eine noch länger dauernde Haltbarkeit kann ich
aber nicht einstehen.
In aller Kürze gestaltet sich also die Methode folgender-
massen:
1. Fixierung in Sublimattrichloressigsäure.
2. Nachbehandlung mit Alkohol (96°/o) in oben angegebener
Weise.
. Einbettung in Paraffıin (52° Schmelzpunkt) nach der
Pranterschen Methode mit Hilfe von Cedernöl und
Ligroin. \
4. Behandlung der Schnitte (nach Entfernen des Paraffins
und Passage durch absoluten Alkohol) mit Jodalkohol
(1:10) während einer Stunde.
5. Entfernen des Jodes durch Alkohol und Natriumthiosulfat
(02520).
6. Abwaschen in destilliertem Wasser.
7. Färbung mit Phosphorwolframsäurehämatoxylinlösung nach
Mallory während 12—24 Stunden.
S%)
Darstellung des Gliagewebes. 141
8. Abtrocknen mit Löschpapier.
9. Differenzierung in einer frisch bereiteten Lösung von
Ferrum sesquichlor. sicec. in absolutem Alkohol (1:10)
während einer bis mehrere Stunden unter mikroskopischer
Kontrolle.
10. Abtropfenlassen der Differenzierungsflüssigkeit. Abtupfen
mit Löschpapier.
11. Abwaschen mit destilliertem Wasser.
12. Gründliche Behandlung mit absolutem Alkohol resp. Liegen-
lassen in einmal gewechseltem absolutem Alkohol während
24 Stunden.
13. Origanumöl, Xylol, Balsam.
Färbungsresultat: Kernchromatin, Neurogliafasern tief
blau; Gliaprotoplasma hellblau bis graublau; Achsenzylinder und
collagenes Bindegewebe graugelb; Elastin gelblichbraun; rote
Blutkörperchen schmutziggelbgrau, Nucleolen gelb bis gelbbraun
(vergl. Taf. VI und VII). Alle diese Farben beziehen sich auf
künstliche Beleuchtung (elektrisches Glühlicht).
Auf die Resultate, zu denen ich mittels der soeben be-
schriebenen Methode an pathologischem Material gekommen bin
— meine diesbezüglichen Untersuchungen betreffen die hämatogene
experimentelle Gehirntuberkulose — werde ich an dieser Stelle
nicht eingehen.') Hier möchte ich nur auf Grund meiner Präparate
eine Beschreibung des Baues und der Anordnung des Neuroglia-
gewebes im normalen Hundegehirn geben. Da meine Unter-
suchungen mich zu einer Auffassung geführt haben, die in gewisser
Hinsicht von den landläufigen Anschauungen abweicht, ist es
nicht zu vermeiden, auf einige Detailfragen einzugehen. Schliesslich
muss hervorgehoben werden, dass die unten gegebene Beschreibung,
wenn nicht anders ausdrücklich bemerkt wird, ausschliesslich die
Rinde und die darunter liegende weisse Substanz (Centrum
semiovale) des Grosshirns betrifft.
Betrachtet man an Präparaten, die in der erwähnten Weise
gefärbt wurden, zunächst das Neurogliagewebe der weissen
)) Diese Untersuchungen sollen binnen kurzem im Bd. 3 Heft 2--3
von den „Arbeiten aus dem Pathol. Institut der Universität Helsingfors“,
herausgegeben von Prof. Dr. E.A. Hom&n, veröffentlicht werden.
142 Halvar von Fieandt:
Substanz, so findet man, dass die Kerne derselben in zwei
Gruppen eingereiht werden können, von welchen eine jede — obgleich
natürlich auch weniger ausgeprägte Typen und Übergangsformen
vorkommen — eine Menge charakteristischer Eigenschaften dar-
bietet. Die Kerne, welche zu der einen Gruppe gehören, haben
eine länglich ovale Gestalt, selten sind sie rund oder kugel-
förmig; sie haben meistens eine Länge von 7&8—10 « und eine
Breite von 6—7äS u, obgleich diese Zahlen natürlich Variationen
unterworfen sind. Der Kern zeigt in seiner Gesamtheit eine
hellblaue Farbe; im Innern desselben findet sich in der Regel
ein oft exzentrisch gelegenes dunkler gefärbtes Kernkörperchen,
das ein etwas helleres, gelbbraun gefärbtes Zentrum aufweist.
Dies ist von einer schalenförmigen dunklen peripheren Schicht
umgeben, die von dicht aneinander liegenden, tiefblau gefärbten
Chromatingranula gebildet wird. Die betreffenden Kerne sind
an gefärbtem Chromatin ziemlich arm, nur hie und da werden
kleinere Chromatinklümpchen wahrgenommen, stellenweise in
Reihen angeordnet, die auch ganz nahe der Membran vorkommen.
Von einem Kerngerüst ist im übrigen nichts zu sehen. (Taf VI,
Fig. 1 und 4, Taf. VIN, Pie277ar. IX, Eig.T.)
Die Kerne des anderen Typus zeigen eine viel dunklere
Färbung, die durch den unvergleichlich reichlicheren Chromatin-
gehalt bedingt wird. Die Form ist gewöhnlich rund, selten etwas
länglich oder unregelmässig. Der Diameter beträgt gewöhnlich
5,5—8 u. Das Chromatin ist, wie gesagt, ziemlich reichlich, zu
ungleich grossen, dicken Klumpen angehäuft, welche stellenweise
so dicht gelegen sind, dass sie den Kernen eine mehr oder
weniger deutlich hervortretende netzförmige Struktur verleihen
(Taf. VI, Fig. 3, Taf. VIII, Fig.2). Ein Nucleolus kann in diesen
nicht nachgewiesen werden.
Wie schon angedeutet wurde, kommen ziemlich reichlich
atypische Kernformen vor, welche in sich gewisse Eigenschaften
beider oben geschilderten Typen vereinigen. Was die relative
Zahl und die Verteilung der beiden Formen betrifft, so finden
wir bedeutende regionäre Differenzen. Stellenweise kommen
ziemlich dicht aneinandergereihte Kerne des kleinen dunklen
Typus vor, an anderen Stellen trifft man in begrenzten Gebieten
ausschliesslich Kerne der anderen Form, besonders scheint dies
in Gegenden der Fall zu sein, wo zwei oder mehrere nach ver-
Darstellung des Gliagewebes. 143
schiedenen Richtungen verlaufende Bündel von Nervenfasern sich
treffen. Im allgemeinen kann man jedoch behaupten, dass die
kleinen, an gefärbtem Chromatin reichen Kerne die grosse
Majorität bilden.
Gleichzeitig mit den Verschiedenheiten der Kerne scheint
auch eine verschiedene Beschaffenheit und Verteilung sowohl der
protoplasmatischen wie der faserigen Gliasubstanz sich geltend
zu machen. Die grossen, mit Nucleolen versehenen oder an
gefärbtem Chromatin armen Kerne sind von einer ziemlich reich-
lichen Menge hellblau gefärbtem Protoplasma umgeben, das
homogen oder wenigstens ohne auffallende Struktureigentümlich-
keiten erscheint. Durch das Protoplasma, oft anscheinend eine
Grenze desselben bildend, verlaufen deutlich hervortretende,
dunkelblau gefärbte Fasern, die Weigertschen Neurogliafasern.
Diese scheinen von allen Richtungen gegen die umgebenden
Protoplasmaanhäufungen zu konvergieren, welche sie entweder
in der umittelbaren Nähe des Kernes oder auch etwas davon
entfernt durchkreuzen. Ein Teil der Fasern zeigt hierbei einen
geradlinigen Verlauf, andere beschreiben Kurven mit der Konvexität
an der Stelle, wo sie dem Kern am nächsten kommen, gegen den-
selben gerichtet, wieder andere weisen unregelmässige Biegungen
und Knickungen auf (Taf. VI, Fig. 1 u.4, Taf. VII, Fig. 1, Taf. VIII,
Fig. 2). Die Fasern sind während ihres ganzen Verlaufes von
derselben Stärke, wenigstens soweit ich sie verfolgen konnte,
und bieten auch in der Nähe der Kerne keine Absplitterung dar.
Sie machen also auch mit der betreffenden Färbung den Ein-
druck von Bildungen, die chemisch vom Protoplasma differieren;
wenigstens ist dies in der Nähe der Kerne der Fall. Unter-
sucht man einen Gliakern der betreffenden Art nebst der ihn
umgebenden Protoplasmaanhäufung und den daselbst verlaufenden
Gliafasern bei schwächeren Vergrösserungen, so imponiert das
ganze beim ersten Blick als ein wohl abgegrenztes Zell-
individuum, wobei die Fasern, welche bogenförmig an dem Kern
vorbeiziehen, oft den Eindruck von Zellgrenzen machen. Bei
stärkeren Vergrösserungen (1000 mal) dagegen ändert sich das
Bild wesentlich. Es zeigt sich, dass das hellblaue Protoplasma
keineswegs auf die unmittelbare Nähe des Zellkerns beschränkt
ist, sondern dass es sehr weit vom Kerne in den Interstitien
zwischen den markhaltigen Nervenfasern verfolgt werden kann.
144 Halvar von Fieandt:
Die Gliazellen von diesem Typus sind also mit Fortsätzen von
protoplasmatischer Beschaffenheit versehen. Diese Fortsätze sind
mehrfacher Art. Entweder sind sie an der Basis ziemlich dick,
nach dem Ende zu ausgezogen, an Form also konisch, oft an
den Rändern mit Gliafasern versehen. Oder sie bestehen aus
feinen Protoplasmafäden, welche von der den Kern umgebenden
Protoplasmaanhäufung sich nach verschiedenen Richtungen er-
strecken, am meisten radiär ausstrahlend, teilweise deutlich
miteinander anastomosierend und oft eine echte Gliafaser um-
hüllend. Schliesslich sieht man nicht selten dünne, abgeplattete,
lamellöse Fortsätze, an Breite und Ausdehnung sehr variierend,
welche sich von der zentralen Protoplasmaanhäufung zwischen
den markhaltigen Nervenfasern erstrecken und oft in verschiedenen
Richtungen verlaufende Gliafasern einschliessen. Oft sind die
erwähnten Lamellen an den Rändern von Gliafasern begrenzt.
Wenn diese, wie es in der Regel in der Höhe des Kernes der
Fall ist, von hier aus divergierend verlaufen, dann bietet eine
zwischen denselben ausgespannte Protoplasmalamelle Ähnlichkeiten
mit einer Schwimmhaut dar. Mit Hilfe der Fig.1 u. 4, Taf. VI kann
man sich eine Vorstellung von den verschiedenen Arten der Proto-
plasmafortsätze in den Gliazellen der betreffenden Art bilden. Die
Bilder der Gliazellen bieten natürlich zahllose Variationen dar,
je nachdem die Ausläufer, die von den kernführenden Protoplasma-
zentren ausgehen, überwiegend konisch, fädchenartig oder lamellös
sind, je nach den verschiedenen Richtungen, die sie einschlagen,
und je nach dem grösseren oder kleineren Gehalte an Gliafasern.
Zieht man überdies in Betracht, dass auch die Gestalt des Zell-
körpers selbst, d. h. die dem Kerne am nächsten liegende Proto-
plasmaanhäufung, von Zelle zu Zelle äusserst wechselnd ist und
überhaupt sich nach den Interstitien zwischen den in verschiedenen
Richtungen verlaufenden Markscheiden und nicht am wenigsten
nach der zufälligen Schnittrichtung richtet, so wird man sich
vielleicht eine Vorstellung davon machen können, welche Mannig-
faltigkeit von Zellformen man hier antrifft. Dieser unendliche
Formenreichtum trotzt allen Versuchen einer Klassifizierung.
Durch eine solche wäre wohl auch kaum etwas wesentliches zu
gewinnen.
Es wurde oben erwähnt, dass die protoplasmatischen Aus-
läufer der Gliazellen ziemlich weit von dem Zellkörper selbst
Darstellung des Gliagewebes. 145
verfolgt werden können und dass die feinen fädchenförmigen Fort-
sätze oft miteinander anastomosieren. Diese Anastomosen kommen
indessen nicht allein zwischen den Ausläufern eines und desselben
Zellkörpers vor, sondern auch zwischen nahe gelegenen oder
sogar voneinander ziemlich weit entfernten Zellindividuen und
betreffen nicht nur die feinen fädchenförmigen, sondern auch die
gröberen konischen und die lamellösen Ausläufer. Fig. 1, Taf. VI
dürfte dieses Verhältnis illustrieren. Sie zeigt die Neuroglia der
weissen Substanz eines jungen Hundes an einer Stelle, wo die
in verschiedenen Richtungen verlaufenden myelinhaltigen Nerven-
fasern einander kreuzen und wo die Gliazellen ziemlich dicht
liegen. Man sieht die lamellösen Ausläufer der verschiedenen
Zellen teils breit, teils durch schmälere Brücken miteinander
zusammenhängen (links unten und rechts oben im Bilde). Anderer-
seits findet man eine Menge fädige Protoplasmaausläufer, teilweise
mit Gliafasern besetzt und aus verschiedenen Zellen stammend, mit-
einander anastomosieren (links oben im Bilde). Schliesslich kann
auch beobachtet werden, wie die feinen Protoplasmafortsätze in
(Gegenden, welche grösserer Gliaprotoplasmaanhäufungen entbehren
(Mitte des Bildes), ein zierliches Netzwerk zwischen den Mark-
räumen bilden, indem sie sich miteinander vereinigen und in-
einander übergehen. Wie gesagt, stammt die in der Fig. 1, Taf. VI
abgebildete Stelle aus dem Gehirne eines jungen Hundes und
man könnte vielleicht einwenden, dass wir es hier mit einem
noch in der Entwicklung stehenden Gliagewebe zu tun haben,
dessen verschiedene Zellindividuen sich von dem gemeinsamen
Verbande noch nicht emanzipiert haben, was aber vielleicht der
Fall bei einem vollständig entwickelten Gliagewebe sein könnte.
Dieser Einwand ist nicht stichhaltig. Es ist leicht, an einem
erwachsenen Tiere zu konstatieren, dass eine solche Emanzipation
aus dem Zellenverbande niemals vor sich geht, sondern dass die
Beschaffenheit des normalen Gliagewebes auch hier überall in
entsprechenden Teilen des Gehirns im Prinzip dieselbe ist. Bei
Untersuchungen dieser Art ist es natürlich notwendig, die Präpa-
rate gegen die Tiefe hin zu mustern und von der Mikrometer-
schraube fleissigen Gebrauch zu machen. Wenn man in der
Weise vorgeht, wird man mit Leichtigkeit den allmählichen Über-
gang des einen Protoplasmabalkens in den anderen verfolgen
können. Man wird somit nicht umhin können, ein allgemein aus-
Archiv f.mikr. Anat. Bd. 76. 10
146 Halvar von Fieandt:
gebreitetes protoplasmatisches Gliareticulum anzunehmen, wovon
die einzelnen „Gliazellen“ nur integrierende Teile sind. Die
klassischen Gliazellen sind also aus ihrem ana-
tomischen Zusammenhange ausgerissene Teile eines
gemeinsamen Synceytiums, keine eigentlichen Zell-
individuen. Der von Hardesty (27) und Held (32) be-
schriebene protoplasmatische Zusammenhang zwischen
den Gliazellen, das sogenannte Gliasynceytium, kann
somit auch mit meiner Methode nachgewiesen werden.
Die in der weissen Substanz sich findenden Kerne des
zweiten Typus werden, wie erwähnt, durch einen reichlicheren
Chromatingehalt und dadurch bedingte dunklere Farbe sowie durch
ihre runde Form und kleineres Volumen gekennzeichnet. Sie sind
von einer geringen Menge Protoplasma umgeben, das oft nur die
eine Seite des Kernes begrenzt, denselben halbmondförmig um-
fassend. Auch zeigt dasselbe in der Regel eine bedeutend
dunklere Farbe als das Protoplasma der grossen hellen Kerne.
Die dunkle Protoplasmafarbe scheint hauptsächlich durch das
Vorhandensein einer Menge dicht gelagerter tiefblau gefärbter
feiner Körnchen bedingt zu sein, welche fast die ganze halbmond-
förmige oder unregelmässige Protoplasmaanhäufung in der Nähe
des Kernes einnehmen. Im Gegensatz zu den eingangs be-
schriebenen Gliazellen bieten diese also in der Regel eine deutlich
feinkörnige Struktur des Protoplasmas dar, obgleich man natür-
lich stellenweise Zellen trifft, wo diese Körnelung weniger hervor-
tritt und das Protoplasma eine hellere Farbe darbietet. Von
der beschriebenen Protoplasmaanhäufung gehen Fortsätze nach
verschiedenen Richtungen aus, die Zelle mit dem allgemeinen
protoplasmatischen Glianetzwerke verbindend. Diese Ausläufer
oder Vereinigungsbalken sind im allgemeinen von einer viel
feineren Beschaffenheit als die Fortsätze der erst beschriebenen
Gliazellen und bestehen oft ausschliesslich aus feinen Plasma-
fäden, welche in der Regel keine echten Gliafasern einschliessen.
Stellenweise trifft man aber auch gröbere Ausläufer (Taf. VI,
Fig. 3). Die betreffenden Zellen sind also durch die erwähnten
feinen Protoplasmafäden in dem Glianetzwerke sozusagen aufgehängt.
Oft wird rings um die kleine Protoplasmamasse ein Hohlraum be-
obachtet, wo die „Zellen“ teilweise frei liegen. Dieselben bieten
dann eine gewisse Ähnlichkeit mit Lymphocyten dar. Man kann
Darstellung des Gliagewebes. 147
sich jedoch leicht davon überzeugen, dass solche Bilder als
Artefakte aufzufassen sind, indem durch Schrumpfung das Zell-
protoplasma mit dem eingeschlossenen Kerne sich etwas von der
Umgebung retrahiert hat, sodass die feinen plasmatischen Ver-
einigungsbrückchen teilweise abgerissen worden sind. Es wurde
oben erwähnt, dass die Ausläufer dieser Zellen in der Regel
keine echten Gliafasern führen, und in der Tat scheint dies eine
ziemlich konstante Erscheinung zu sein. Die kleinen dunklen,
mit reichlichem Chromatin versehenen Kerne sind also mit den
schon von Weigert (62) beschriebenen zu identifizieren, „in
denen das Chromatin eine homogene dunkle Masse darstellt“ und
die nur ausnahmsweise, vielleicht auch gar nicht, „in charakte-
ristischer räumlicher Beziehung“ zu den Gliafasern stehen.')
Das Neurogliagewebe der weissen Substanz besteht somit
aus einem überall sich erstreckenden kontinuierlichen Glia-
syneytium mit hie und da hervortretenden grösseren, mit Kernen
versehenen Protoplasmaanhäufungen. Auf eine nähere Beschreibung
sämtlicher Zwischenformen von Gliaprotoplasmaanhäufungen oder
Gliazellen, die zwischen den beiden schon geschilderten Typen
sich finden, muss ich verzichten. Lässt man sämtliche Eigen-
tümlichkeiten, welche dazu beitragen, den Gliazellen ihr charakte-
ristisches Aussehen zu verleihen, die Beschaffenheit des Kernes,
die Grösse und Färbungsintensität des Protoplasmas und die
Beschaffenheit der Ausläufer zwischen den beiden Extremen, die
von den oben beschriebenen Typen vertreten werden, wechseln,
so kann man leicht sämtliche möglichen Zwischenformen kon-
struieren oder sich wenigstens von denselben eine gewisse Vor-
stellung bilden. Allzu zahlreich scheinen diese Zwischenformen
nicht zu sein, die überwiegende Mehrzahl der Gliazellen kann
man ohne den Tatsachen Gewalt anzutun, auf den einen oder
anderen der beiden beschriebenen Typen zurückführen.
Zur Beleuchtung der viel diskutierten Frage, ob die Neuro-
gliafasern von den Gliazellen „räumlich getrennt“, als eine wirk-
liche Intercellularsubstanz oder als intraplasmatische Differen-
zierungsprodukte zu betrachten sind, dürfte die Anwendung meiner
Methode, dank ihres Vermögens, auch die protoplasmatischen Glia-
bestandteile darzustellen, von einer gewissen Bedeutung sein.
In der Tat ist es leicht zu konstatieren, dass die Gliafasern
!) Loc. cit. S. 30/31.
102
148 Halvar von Fieandt:
wenigstens zum allergrössten Teile intraplasmatisch, d. h. inner-
halb des oben beschriebenen, netzförmig überall ausgebreiteten
Gliaprotoplasmas verlaufen. Hierbei sind die Fasern entweder
an allen Seiten von einem hellblau gefärbten Plasmamantel um-
geben — was oft bei den massiveren Ausläufern oder den Ver-
einigungsbalken der Fall ist — oder sie werden an beiden Seiten
von dem Gliaprotoplasma umgeben, wie in den lamellösen Aus-
läufern (Taf. VII, Fig. 1, Taf. VI, Fig. 1), schliesslich bilden die
Fasern auch die äussere Begrenzung eines lamellösen Vereinigungs-
balkens (Taf. VI, Fig 1, Taf. VII, Fig. 1—3). Dass die Gliafasern
hierbei oft an der Oberfläche oder der äusseren Begrenzung der
Balken des Glianetzwerkes verlaufen, ist natürlich, in jedem Falle
stehen sie doch in intimer Verbindung mit dem darunterliegenden
Protoplasma. Ob ausserdem isoliert verlaufende Gliafasern vor-
kommen, ist nicht so leicht zu entscheiden. Bei einer flüchtigen
Durchmusterung der Präparate bekommt man zuerst den Eindruck,
dass solche nackte, isoliert verlaufende Fasern keine seltene Er-
scheinung sind. Untersucht man aber genauer unter Verwendung
von stärkeren Vergrösserungen, dann wird man einen dünnen
Protoplasmaausläufer finden, der die Gliafaser an der anscheinend
nackten Stelle begleitet oder man wird auch bei Anwendung der
Mikrometerschraube eine dünne Plasmalamelle beobachten können,
die sich der betreffenden Gliafaser unmittelbar anschliesst. Je
genauer man die Präparate studiert, umso seltener sind nackte
Fasern zu beobachten; jedenfalls finden sie sich in einer ver-
schwindenden Minorität vor. Hierbei ist es selbstverständlich
keineswegs ausgeschlossen, dass das Vorhandensein auch dieser
geringen Menge von wenigstens stellenweise von Protoplasma
unbedeckten Fasern einer gewissen Unvollkommenheit der
Färbungsmethode in bezug auf die Darstellung der subtilsten
Protoplasmastrukturen oder auch Observationsfehlern zuzu-
schreiben ist. Jedenfalls kann man nachweisen. dass
die Gliafasern innerhalb oder an der Oberfläche
des allgemeinen gliösen protoplasmatischen Netz-
werkes verlaufen; sie imponieren also als ein intra-
plasmatisches Differenzierungsprodukt von einer
besonderen chemischen Beschaffenheit. Die Möglich-
keit, dass die Gliafasern stellenweise nackt sind und während
kürzerer Strecken ihres Verlaufes von den Balken des Gliaplasma-
Darstellung des Gliagewebes. 149
netzwerkes getrennt verlaufen, muss zugegeben werden, obgleich
ein solches Verhalten sich nicht nachweisen lässt.
Es erübrigt noch mit einigen Worten das Verhalten des
Gliagerüstwerkes zu den in ihm eingeschlossenen Markscheiden
resp. Achsenzylindern, ebenso wie die Gliaformationen rings um
die in der weissen Substanz verlaufenden Blutgefässe zu berühren.
Die Gliahülle rings um die Markscheiden wird von einem
feinen protoplasmatischen Netzwerke gebildet, das teils aus längs
verlaufenden, teils quer oder schräg verlaufenden, meist feinen
Protoplasmafäden zusammengesetzt ist (Taf. VI, Fig. 1, links oben
im Bilde). Die Gliafasern, die ein näheres Verhalten zu den
Markscheiden zeigen, ziehen bis auf wenige Ausnahmen in der
Richtung der Nervenfasern, scheinen jedoch stellenweise mehr
oder weniger von derselben abzuweichen; sie sind von feinen
Protoplasmafäden eingeschlossen (Taf. VI, Fig. 1, Mitte des Bildes).
Stellenweise, wo das umgebende Protoplasma nicht hervortritt,
resp. vermisst wird, scheinen die verschiedenen in der Längs-
richtung verlaufenden Gliafasern mit feinen Protoplasmafäden
verbunden zu sein (Taf. VI, Fig. 1, links oben im Bilde). Die
Anzahl der Gliafasern, die einen Markraum umgebend, parallel
zu ihm verlaufen, scheint im allgemeinen bedeutenden Variationen
unterworfen zu sein (Taf. VI, Fig. 1, Mitte des Bildes). Hie und
da werden zwischen den Markräumen quere Gliafasern, meistens
von einer dünnen Schicht von Protoplasma umgeben, gesehen
(Taf. VI, Fig. 1, links oben). Auch die Dichte des die Mark-
räume umgebenden Netzwerkes, d.h. die Grösse und Form der
Maschen wechselt bedeutend. Wo das Netzwerk lichter ist, sieht
man oft in hinreichend dünnen Schnitten zwei quergetroftene
Achsenzylinder von einer gemeinsamen Gliahülle umgeben (Taf. VI,
Fig. 1). An den Grenzen der Marksegmente tritt das umgebende
Gliagewebe in unmittelbare Berührung mit den Achsenzylindern,
unter Bildung von Gliaschnürringen. Auf Taf. VII, Fig. 1 habe
ich versucht, einen solchen Schnürring abzubilden. Aus dem die
Markscheide unmittelbar umgebenden Glianetzwerk treten feine
Plasmabalken oder — was uns gewöhnlicher erscheint — Proto-
plasmalamellen hervor, welche dem Achsenzylinder zustreben und
sich rings um denselben zu einer kreisförmigen Bildung vereinigen,
die teils eine netzförmige, teils bei reichlicherem Protoplasma
eine kompakte Beschaffenheit zeigt. Gliafasern von der Umgebung
150 \ Halvar von Fieandt:
tragen oft zur Bildung des Schnürringes bei; sie ziehen nicht
selten in dem Marksegmentinterstitium dicht bei dem Achsen-
zylinder quer über denselben oder beschreiben auch Kurven um
den Achsenzylinder und verlaufen dabei in dem Protoplasma, das
den Schnürring bildet. Die Gliaschnürringe erscheinen
also als Teile des allgemeinen Gliagerüstwerkes,
speziell der die Markräume zunächst umgebenden
Gliahülle. Weiter kann oft nachgewiesen werden, dass das
Netzwerk rings um die Marksegmente in der Nähe ihrer Grenzen
dichter erscheint; die Balken des Netzwerkes scheinen miteinander
zu dünnen Lamellen zusammenzuschmelzen, sodass die Markräume
stellenweise in der Nähe der Segmentgrenzen von dünnen Proto-
plasmamembranen umgeben sind (Taf. VII, Fig. 1).
Bezüglich des Verhaltens der Glia zu den in der weissen
Substanz verlaufenden Blutgefässen kann als allgemeine Regel
festgestellt werden, dass die perivasculären Gliaformationen hin-
sichtlich ihrer Art und Zusammensetzung von der Grösse der
Blutgefässe unabhängig sind. An den Arterien, Capillaren und
Venen verhält sich das marginale Gliagewebe prinzipiell gleich.
Zur Bildung desselben tragen auch hier protoplasmatische Bestand-
teile mit eingeschlossenen Kernen und eine wechselnde Menge
von Gliafasern bei. Bezüglich der protoplasmatischen, d. h. nicht
besonders differenzierten perivasculären Gliaelemente verdient in
erster Linie erwähnt zu werden, dass eine Grenzmembran,
eine Membrana limitans gliae perivascularis, nach-
gewiesen werden kann als eine dünne hellblau gefärbte Schicht,
welche die Gefässadventitia oder — wenn es sich um ein Capillar-
gefäss handelt — das Endothel umgibt.‘) Zur Bildung dieser
Membran, die, was Aussehen, Struktur und Farbenreaktionen betrifft,
dieselbe Beschaffenheit wie die Gliaprotoplasmabildungen, speziell
die lamellösen Ausläufer der Gliazellen (vgl. Taf. VI, Fig. 1 und
Taf. VII, Fig. 2 und 3) zeigt und somit nicht den Grenzmembranen
(Membranae limitantes) anderer Organe gleichzustellen ist, tragen
erstens die Ausläufer der Gliazellen, die in der unmittelbaren
Nähe des Gefässes oder etwas mehr entfernt davon liegen,
zweitens die Balken des das Gefäss unmittelbar umgebenden
a: /
!) Bei der Beschreibung des Baues des marginalen Gliagewebes bin ich
sowohl hier wie im folgenden der Heldschen Nomenklatur, die mir die
zweckmässigste scheint, gefolgt.
Darstellung des Gliagewebes. . 151
Gliagerüstes und schliesslich die nahe der Membran selbst
oder innerhalb derselben gelegenen Gliazellen mit ihrem Proto-
plasmakörper bei. Man kann sagen, dass die Grenzmembran
von einer lokalen Zusammenschmelzung des Protoplasmas dieser
sämtlichen Gliabestandteile herstammt. Zugegeben werden muss,
dass die Darstellung und das Studium der perivasculären Glia-
membranen schwierig sind. Um dieselben zu veranschaulichen,
bedient man sich am besten solcher Präparate, wo gewisse Arte-
fakte, und zwar die sogenannten Hisschen Räume, zu sehen
sind. Hierbei wird das Gliagewebe mit den eingeschlossenen
markhaltigen Nervenfasern zur Retraktion von der Adventitia ge-
bracht, wobei die Membrana limitans perivascularis in der Regel,
wenn auch nicht immer, mit dem nervösen Gewebe und der Glia
verbunden bleibt, sodass zwischen dem erwähnten Gewebe und
der Adventitia ein grösserer oder kleinerer Zwischenraum ent-
steht.!) Obgleich in Präparaten, die nach der oben beschriebenen
Methode gewonnen wurden, Hissche Räume nicht beobachtet
wurden, gelingt es zuweilen im Zentrum grösserer Stücke oder
in solchen, die weniger sorgfältig in Alkohol nachgehärtet wurden,
solche Bilder zu erhalten. Fig. 2 und 3, Taf. VII, zeigen die
perivasculäre Grenzmembran von der Gefässadventitia isoliert
(die von den Membranen eingeschlossenen Gefässe sind nicht ab-
gebildet), und zwar Fig. 2 an einer Stelle, wo das Gefäss beinahe
tangential, Fig. 3 an einer Stelle, wo Gefäss und Grenzmembran
ziemlich in der Längsrichtung des Gefässes getroffen wurden.
Die sogenannten Gliafüsse werden von dickeren Ausläufern ge-
bildet, welche man deutlich bis zu Gliazellen, die in der unmittel-
') Ich spreche von den Hisschen Räumen als Artefakte, obgleich mir
die verschiedenen Meinungen, die bezüglich der Deutung derselben herrschen,
wohl bekannt sind. Dass die perivasculären Räume dieser Art wirklich
Schrumpfungsphänomene darstellen, dafür sprechen mehrere Umstände. Es
zeigt sich u. a., dass die ceteris paribus umsoweniger hervortreten, je besser
die Fixierung ist. Durch eine sorgfältige Fixierung und Nachbehandlung
kann das Auftreten der erwähnten Räume immer vermieden werden. Auch
das Aussehen der äusseren Fläche der Adventitia, die die innere Begrenzung
der Hisschen Räume bildet und aufgefranst, mit losgerissenen, in den
Raum hineinragenden Bindegewebsfasern erscheint usw., spricht für dieselbe
Auffassung. Andererseits kann kein Beweis für die Ansicht erbracht werden,
dass die Hisschen Räume wirkliche Lymphräume sein sollen. Ich kann auf
diese Frage, die ausserhalb des Rahmens dieser Arbeit liegt, hier nicht
näher eingehen.
152 Halvar von Fieandt:
baren Nähe des Gefässes oder etwas mehr entfernt davon
gelegen sind, verfolgen kann (Taf. IX, Fig. 1), oder auch von
dünneren Balken, welche dem syneytialen Glianetzwerke ent-
springen (Taf. VI, Fig. 3). In beiden Fällen führen die betreffenden
Ausläufer in der Regel Gliafasern. Die gröberen sind oft mit
mehreren Fasern versehen, die meist an den Rändern verlaufen
und zwischen sich eine geringe Menge von hellblau gefärbtem
Protoplasma einschliessen (Taf. VII, Fig. 2 und 5). Die dünneren,
besonders diejenigen, die direkt aus dem Glianetzwerke ent-
springen, enthalten gewöhnlich nur eine einzige Gliafaser, die
von einer dünnen Schicht Protoplasma umgeben wird, das jedoch
auch gelegentlich vermisst werden kann. In der Nähe der Grenz-
membran divergieren die Fasern, wenn sie in der Mehrzahl vor-
handen sind, nach verschiedenen Richtungen hin und das zwischen
denselben gelegene Protoplasma bildet eine konische Anhäufung,
die mit ihrer Basis direkt in die Membrana limitans übergeht.
Auch die dünneren Balken zeigen beim Übergang in die Grenz-
membran Anschwellungen von derselben Form. Die Gliafasern,
die frei zu verlaufen scheinen, verlieren oft in der Nähe der
Grenzmembran ihre dunkle Farbe, breiten sich zu einem schmalen
Gliafusse von anscheinend protoplasmatischer Beschaffenheit aus und
verschmelzen mit der Grenzmembran (Taf. VII, Fig. 5). Übrigens
verhalten sich die Fasern in den Gliafüssen verschieden. Teils laufen
sie in die Membrana limitans aus und schlagen hier eine im Ver-
hältnis zum Gefäss longitudinale oder quere Richtung ein, oder
können ein Stückchen weiter in die Grenzmembran, wo sie eine
gegenüber dem Gefässe schräge Richtung innehalten, verfolgt
werden. Die Fasern der Membrana limitans bilden somit ein
Netzwerk mit oft ziemlich regelmässigen Maschen; die stärksten
Fasern scheinen in der Regel einen longitudinalen Verlauf zu
haben (Taf. VII, Fig.2). Teils verlieren die Fasern oft schon inner-
halb des Gliafusses, noch öfter aber während ihres Verlaufes
innerhalb der Membrana perivascularis ihre charakteristische
Farbe, splittern sich in feine Fibrillen auf, welche stellenweise
abgebrochen erscheinen und schliesslich nur durch eine Anzahl
in Reihen angeordneter feiner Körnchen angedeutet sind (Taf. VII,
Fig.3). Man kann also konstatieren, dass ein Teil
der Gliafasern in der Membrana limitans peri-
vascularis aufhört. Oben wurde erwähnt, dass gewisse
Darstellung des Gliagewebes. 153
mit Kernen versehene Gliaplasmaanhäufungen, Gliazellen, auch
zur Bildung der perivasculären Grenzmembran beitragen. Sie
liegen entweder unmittelbar unter der Membrana limitans,
d. h. an der dem Gefäss gegenüberliegenden Seite derselben,
oder bilden einen integrierenden Bestandteil der Membran
in der Weise, dass die Kerne in oder an derselben liegen oder
derselben angelagert sind, kleine Ausbuchtungen gegen die
Adventitia hervorrufend; das letztere scheint selten zu sein,
kommt aber ab und zu vor. In beiden Fällen geht das Proto-
plasma breit in die Membrana limitans über, welche dann,
wenigstens in den dem Kerne angrenzenden Partien, den Ein-
druck eines lamellösen Ausläufers des Zellprotoplasmas macht
(Taf. VII, Fig.3). Schliesslich sei bemerkt, dass die perivasculären
Grenzmembranen, wo sie gut dargestellt und untersucht werden
können, als kontinuierliche Membranen ohne Löcher
oder Öffnungen erscheinen; die Möglichkeit, dass
solche jedoch in derselben vorkommen, kann natür-
lich nicht ausgeschlossen werden, solange sämtliche
perivasculären Gliahüllen in ihrer ganzen Ausdehnung nicht haben
nachgewiesen werden können.
Wenn wir jetzt zur Betrachtung des in der grauen Sub-
stanz sich findenden Gliagewebes meiner Präparate übergehen,
so können wir zuerst feststellen, dass die für die Marksubstanz
charakteristische Anordnung des gliösen Gewebes in einigermassen
typischer Form nur in sehr beschränkten Abschnitten der Rinde
uns entgegentritt und zwar in der subpialen marginalen Neuro-
glia und beim Übergange der grauen und weissen Substanz. Im
(Gegensatze hierzu zeigt der allergrösste Teil der Gehirnrinde
bezüglich der Beschaffenheit und Anordnung der Gliasubstanzen
ganz eigenartige Verhältnisse. Hier treten Strukturen auf, welche
nicht beim ersten Blick und ohne weiteres als dem nicht nervösen
Zwischengewebe angehörig erkannt werden können. Um uns zu-
erst an das marginale Gliagewebe zu halten, das die meisten
Analogien mit der zentralen Glia in der weissen Substanz zeigt,
so verdient besonders hervorgehoben zu werden, dass eine
subpiale Grenzmembran, Membrana limitans gliae
superficialis, nachgewiesen werden kann. Invertikal
auf die Gehirnrinde geführten Schnitten kann die Grenzmembran
als eine stellenweise ganz dünne hellblau gefärbte Bildung be-
154 Halvar von Fieandt:
obachtet werden. An anderen Stellen, wo dieselbe Gliafasern in
sich schliesst, tritt sie als ein etwas dunklerer blauer Streifen
gegenüber dem hellen graugelben Piagewebe scharf hervor, die
äusserste Grenze des Gliagewebes bildend. An schrägen (Taf. VI,
Fig. 5) oder mehr tangentialen Schnitten der Hirnrinde können
die Struktur und Zusammensetzung der Membran leichter studiert
werden. Es zeigt sich, dass dieselbe aus einer hellblau gefärbten
Substanz besteht, die in jeder Beziehung an das Gliaprotoplasma
erinnert und stellenweise in verschiedenen Richtungen verlaufende
Gliafasern, an anderen Punkten dagegen eine feinkörnige Be-
schaffenheit zeigt. Ihrem Aussehen nach erinnert die subpiale
Grenzmembran somit an die perivasculären Gliamembranen der
weissen Substanz, welche ebenfalls, wie schon erwähnt, den Ein-
druck von Membranen von undifferenziertem Gliaprotoplasma
machen. Die erwähnte Ähnlichkeit tritt auch in dem Verhalten
der subpialen Gliamembran gegenüber nahe gelegenen Gliazellen
und deren Ausläufern, ebenso wie gegenüber dem unmittelbar unter
derselben liegenden Gliasyneytium hervor. Auch hierbei tragen
Ausläufer von näher oder entfernter gelegenen Gliazellen, Balken
von dem unterliegenden syneytialen Netzwerke (Taf. VI, Fig. 6,
Taf. VIII, Fig. 1) und schliesslich Gliazellen, die in oder gleich
unter der Membran liegen (Taf. VI, Fig. 5), zur Bildung der
Grenzmembran bei. Auch bezüglich des Verhaltens der Gliafüsse
zu der subpialen Gliamembran, ebenso wie der Eigentümlichkeiten,
welche die differenzierten Gliafasern bei ihrem Übergange von den
zuführenden Gliafüssen in die Grenzmembran zeigen, herrscht eine
so vollständige Übereinstimmung mit der schon beschriebenen
perivasculären Grenzglia der weissen Substanz, dass ich auf diesen
(regenstand hier nicht näher einzugehen brauche. Betreffs der
in der Grenzmembran verlaufenden Fasern verdient erwähnt zu
werden, dass sie die verschiedensten Richtungen einzuschlagen
scheinen, wodurch sie polygonale Felder abgrenzen, die an ge-
wissen Stellen, besonders in der Tiefe der Furchen zwischen den
Gyri, eine ziemlich regelmässige Form zeigen. Die in den Glia-
füssen verlaufenden Fasern zeigen gelegentlich schon innerhalb
derselben, zuweilen aber erst während ihres Verlaufes in der
Grenzschicht, eine Aufsplitterung in feine Fibrillen, welche all-
mählich undeutlicher werden und schliesslich nur durch Reihen
von feinen Körnchen angedeutet sind. Ein Teil der Glia-
Darstellung des Gliagewebes. 155
fasern findet also in der Membrana gliae super-
fieialis ihr Ende. Andere laufen in die Grenzmembran durch
einen Gliafuss hinein und biegen dann eine Strecke weiter wieder
in einen angrenzenden oder etwas entfernteren Fuss aus (Taf. VI,
Fig. 6).
Bezüglich des marginalen Gliagewebes bestehen ziemlich in
die Augen springende regionäre Verschiedenheiten. An einigen
Stellen ist es in sehr geringer Menge vorhanden und erscheint
ohne auffallende Struktureigentümlichkeiten. Besonders ist dies
der Fall an der höchsten Konvexität der Gyri. In der Tiefe der
intergyralen Furchen dagegen tritt die marginale Glia in im-
ponierender Mächtigkeit auf und zeigt eine besonders eigenartige
Struktur und Anordnung. Fig. 6, Taf. VI zeigt die Glia in der
Tiefe einer Furche an einem Vertikalschnitt der Gehirnrinde.
Der rechts gelegene Rand des Bildes entspricht der tiefsten
Stelle der Furche. Was der Glia in diesen Gegenden ihr charak-
teristisches Gepräge verleiht, ist die Mächtigkeit der hier gegen
die Pialfläche geordneten Protoplasmabalken, welche Gliafüsse
bilden. Sie verlaufen oft in ziemlich regelmässigen Abständen
voneinander und können meistenteils deutlich gegen die Tiefe
hin bis zu den entsprechenden Gliazellen verfolgt werden. Auch
diese zeigen an den betrefienden Stellen gewisse charakteristische
Eigenschaften. Sie haben eine mehr oder weniger deutlich aus-
gesprochen sternförmige Gestalt, welche durch die nach allen
Seiten ausstrahlenden Protoplasmaausläufer bedingt ist. Letztere
sind zum Teil mit typischen Gliafasern versehen, teilweise ent-
behren sie derselben jedoch. Manche Ausläufer können ziemlich
weit verfolgt werden, andere teilen sich nach einer kurzen Strecke
in eine Anzahl feiner Protoplasmabalken, welche mit ähnlichen
Bildungen von angrenzenden Zellen zusammenhängen, sodass ein
feines protoplasmatisches Netzwerk mit unregelmässigen Maschen
entsteht. Die von den Zellkörpern nach oben in radiärer Richtung
ziehenden Ausläufer zeigen oft eine bedeutende Dicke, sie er-
scheinen dabei als direkte Fortsetzung des Zellkörpers. Sie ent-
halten in der Regel — obgleich nicht immer — Gliafasern, und
geben gleichfalls feine protoplasmatische Seitenfortsätze ab, welche
hier mit analogen Gebilden benachbarter Hauptfortsätze ver-
schmelzen (Taf. VI, Fig. 6, Taf. VIII, Fig. 1). Dadurch, dass diese
sekundären Fortsätze eine transversale, der Pialfläche parallele
156 Halvar von Fieandt:
Richtung innehalten, bekommt die Grenzschicht der Glia in diesen
Bezirken ein charakteristisches Aussehen (Taf. VI, Fig. 6, Taf. VIII,
Fig. 1). Die betrefienden der Pia parallelen Vereinigungsbalken
scheinen ab und zu, obgleich nicht grade oft, feine Weigert sche
Fasern zu führen. Die vertikalen oder radiären Pfeiler, ebenso
die sekundären Balken, welche erstere verbinden, können ent-
weder eine feinere fadenförmige oder breitere lamellöse Beschaffen-
heit haben. Wenn erstere überwiegt, zeigt die Grenzschicht eine
lichtere, zierlichere Anordnung (Taf. VI, Fig.6). Sind sämtliche oder
die meisten Balken, die das oberflächliche Gliasyneytium bilden,
von membranöser Natur, so resultiert daraus ein mehr oder weniger
ausgeprägter wabenartiger Bau der Gliagrenzschicht (Taf. VIII,
Fig. 1). Solche kleinen Gliakammern kommen überall in der
Grenzschicht vor, scheinen jedoch, soviel ich beurteilen kann,
besonders angehäuft und prägnant an den Seitenflächen der Gyri
hervorzutreten. Die sternförmigen Zellen, welche die Knoten-
punkte des in der Grenzschicht vorhandenen syneytialen Systemes
bilden, sind in einer einfachen Reihe angeordnet und hängen
zum Teil durch ein hellblaues mattkörniges Protoplasma breit
miteinander zusammen (Taf. VI, Fig. 6). Die Kerne dieser Glia-
zellen zeigen in allem wesentlichen dasselbe Aussehen wie die
grossen, an gefärbtem Chromatin armen und mit Nucleolen ver-
sehenen Kerne des Gliagewebes der Marksubstanz. Unmittelbar
unter den erwähnten Gliazellen, oft in den protoplasmatischen
Fortsätzen derselben verlaufend, oft aber ohne nähere Beziehung
zu denselben, laufen schräg gegen die Oberfläche Weigertsche
Gliafasern, welche hier meist nur in geringer Menge vorkommen,
gelegentlich aber zahlreicher sind („Rindenschicht der Glia“).
Verfolgt man das marginale Gliagewebe von der Tiefe der
Furchen gegen die freien Flächen der Gyri, so sieht man es an
Mächtigkeit abnehmen. Die Grenzschicht, d. h. der radiär struk-
turierte Teil der marginalen Glia, der zwischen Membrana gliae
superfieialis und den reihenartig angeordneten sternförmigen
Gliazellen liegt, erscheint weniger ausgeprägt. Die gegen die
Grenzmembran gerichteten Hauptbalken verlaufen schräg oder
unregelmässig und sind hier viel spärlicher zu sehen. Auch die
sekundären, mit der Pia parallelen Balken verschwinden mehr
und mehr. Die in der Tiefe der Sulci so charakteristischen
sternförmigen Zellen verlieren ihre typische Form und erscheinen
Darstellung des Gliagewebes. 157
als mehr oder weniger platte, unregelmässige Gebilde mit etwas
abgeplattetem, meist ovalem Kern (Taf. VI, Fig.5). Die erwähnten
Zellen gehen stellenweise mit ihrem Protoplasmakörper breit in
die oberflächliche Grenzmembran über. Infolge des Schmäler-
werdens der Grenzschicht nähert sich die „Rindenschicht“ mit
ihren tangential oder schräg verlaufenden Gliafasern der Membrana
limitans (Taf. VI, Fig. 5). In den gegen die freie Hirnoberfläche
gelegenen Abschnitten der marginalen Glia oder in den obersten
angrenzenden Partien der Sulei trifft man dagegen ab und zu
Zellen, die man höchstens ausnahmsweise in der Tiefe der Furchen
findet. Diese Zellen scheinen einen integrierenden Bestandteil
der oberflächlichen Grenzmembran zu bilden, mit welcher ihr
Protoplasma vollständig verschmilzt. Die Kerne, die also in der
Membran selbst oder in einer geringen Verdickung derselben
liegen, zeigen dieselben Eigentümlichkeiten wie in den übrigen
Gliazellen der Grenzschicht.
Es wurde oben erwähnt, dass die Gliazellen der Grenzschicht
in ihren nach allen Richtungen ziehenden Ausläufern Gliafasern
führen. Einige von diesen Fasern können nach innen in die Hirn-
rinde ein Stückchen in die Molekularschicht verfolgt werden. Auch
eine Anzahl der tangential oder schräg verlaufenden Fasern biegt
nach innen um und lässt sich eine kleine Strecke weit in dieser
Schicht nachweisen. Im allgemeinen kann festgestellt werden,
dass nur die oberflächlichsten Teile der Molekular-
schicht Weigertsche Gliafasern besitzen. Ausser den
aus der Grenzschicht und der Rindenschicht stammenden Fasern
kommen hier stellenweise solche vor, welche typische Beziehungen
zu den Gliazellen der Molekularschicht darbieten. Diese Zellen
bestehen aus kleinen Protoplasmaanhäufungen rings um einen
ziemlich kleinen runden Kern, der ziemlich reichlich gefärbtes
Chromatin in Form von gröberen oder feineren Klumpen und
meistens keinen nachweisbaren Nucleolus enthält. Am Kern dieser
Zellen vorbei ziehen in bogenförmigen Buchten einzelne Glia-
fasern, die nur eine kurze Strecke vom Kerne verfolgt werden
können.
Während also die Weigertschen Fasern schon in den ober-
tlächlichen Lagen der Molekularschicht mehr und mehr zurück-
treten, zeigt dagegen das protoplasmatische Gliasyncytium eine
immer mehr in die Augen springende Mächtigkeit und wird schon
(>)
158 Halvar von Fieandt:
hier ganz und gar dominierend. Es sind zwei Eigenschaften des
Syneytiums, welche bedingen, dass dasselbe in den Präparaten
sich durch eine auffallend dunkle Farbe hervorhebt: einerseits
die Dichtigkeit des Glianetzwerkes, andererseits die tiefe Färbung
seiner Balken, während im übrigen das faserfreie Gliaprotoplasma
bei der von uns angewendeten Methode lichter erscheint. Die
Dichtigkeit des Glianetzwerkes, d. h. die relative Enge der Maschen
desselben geht Hand in Hand mit einer Abnahme der Stärke der
Balken. Diese zeigen sich als äusserst dünne Protoplasmafäden.
Ihr tiefer Farbenton wird nicht durch eine diffuse Färbung des
Protoplasmas selbst bedingt, sondern durch eine Menge in dem-
selben eingeschlossener feiner Körnchen, die bei der betreffenden
Färbung eine tiefblaue Farbe annehmen und sich somit in gleicher
Weise wie die Weigertschen Gliafasern färben.
Das Aussehen und die Beschaffenheit dieses feinen körnigen
Netzwerkes wird am besten an sehr dünnen Schnitten studiert.
Besonders eignen sich für feinere Beobachtungen solche Stellen,
wo gröbere Dendritverästelungen sich finden, welche sowohl in
den unteren Abschnitten der Molekularschicht als in der Pyramiden-
zellenschicht zahlreich vorkommen. An solchen Stellen (Taf. VII,
Fig. 4 und 5) machen die ungefärbten Protoplasmafortsätze der
Nervenzellen den Eindruck von runden oder länglichen (je nachdem
sie quer oder schräg getroffen sind) Lücken oder auch von gröberen
oder feineren, verästelten Kanälen, (wenn der Schnitt mit der
Längsrichtung zusammenfiel). In beiden Fällen bietet der diesen
Hohlräumen oder besser gesagt den Dendriten unmittelbar an-
liegende Teil des Glianetzwerkes ein gutes Feld für Studien.
Hat man z. B. einen tangential getroffenen gröberen Dendrit vor
sich, so treten die Einzelheiten des pericellulären resp. peri-
dendritischen Netzwerkes mit voller Deutlichkeit hervor (Taf. VII,
Fig. 5 und Taf. IX, Fig. 2, die Pyramidenzelle in der Mitte des
Bildes). Man findet dann, dass die Maschen des Netzwerkes in
der Form unregelmässig viereckig oder polygonal mit abge-
stumpftem Winkel sind. Ihre Grösse scheint nicht besonders
grossen Schwankungen unterworfen zu sein. Gibt man sich die
Mühe, den Diameter der Maschen in verschiedenen Richtungen
zu messen, so findet man, dass derselbe gewöhnlich etwa 1 « mit
geringen Oscillationen nach beiden Seiten hin beträgt. Die Balken
des Netzwerkes zeigen eine komplizierte Struktur und bestehen
Darstellung des Gliagewebes. 159
aus einer hellblau gefärbten Grundsubstanz, die dunkel gefärbte
Körnchen in sich schliesst, deren Grösse ebenso wie die Stärke
der Balken etwas variiert. Oft werden nebeneinander und in
einem und demselben Balken verschieden grosse Körnchen ge-
funden. In jedem Falle hält sich die Stärke der Balken und die
(Grösse der Körnchen unter der Grenze des mikroskopisch sicher
messbaren. Ebenso wie die Grösse der Körnchen wechselt auch
ihre Farbe. Neben tiefgefärbten kommen etwas lichtere, ja sogar
solche vor, die kaum von der umgebenden lichten protoplasma-
tischen Balkensubstanz unterschieden werden können. Diese
Körnchen, die nach der hier angewendeten Methode zu schliessen
ein konstant vorhandenes Zellelement des Gliagewebes der Gehirn-
rinde darstellen, bezeichne ich bis auf weiteres der Kürze wegen
als Gliosomen.
Als eine Konsequenz des reichlichen Vorkommens dieser
Gliosomen in den schmalen Balken des Netzwerkes geht ohne
weiteres ihre Anordnung in längeren oder kürzeren Reihen hervor.
Gelingt es in den oberen Abschnitten der Molekularschicht eine
von den hier spärlich vorkommenden Weigertschen Fasern
ihren ganzen Verlauf entlang zu verfolgen, so kann man, auch
wenn die Faser anscheinend in der Richtung des Schnittes
verläuft und eine Knickung ausgeschlossen werden kann, gelegent-
lich beobachten, wie die Faser aufhört, während eine Serie reihen-
artig angeordneter Gliosomen eine Fortsetzung derselben bilden.
Um zu dem feinen pericellulären Netzwerk zurückzukehren,
verdient als für dasselbe charakteristisch noch erwähnt zu werden,
dass die Knotenpunkte durch Verschmelzung von in der Regel
drei, gelegentlich vier Balken gebildet werden. Mehr als vier
zusammenstossende Balken habe ich nicht mit Sicherheit be-
obachten können. Wie schon angedeutet wurde, ist dieses feine
Netzwerk mit den eingeschlossenen Gliosomen diffus über die
ganze graue Substanz ausgebreitet. Es erstreckt sich von der
Oberfläche des einen Dendriten zum anderen, von der Oberfläche
der einen Nervenzelle kann dasselbe durch das dazwischenliegende
Gewebe zu der Oberfläche einer anderen verfolgt werden, von
der Molekularschicht durch die Pyramidenschicht bis zu der
Grenzschicht zwischen Rinde und Marksubstanz. Bezüglich des
Verhaltens des pericellulären Netzwerkes zum Innern der Den-
driten und dem Körper der Ganglienzellen, resp. dem nervösen
160 Halvar von Fieandt:
Protoplasma sei erwähnt, dass irgend ein Zusammenhang zwischen
diesen Teilen nicht nachgewiesen werden kann. Die Begrenzungen
der Ganglienzellen und ihrer Dendriten sind ganz scharf. Eine
Fortsetzung der Balken des Netzwerkes in das nervöse Protoplasma
hinein kommt nicht vor (Taf. VII, Fig. 4 und 5). Auch in den
Fällen, wo das Ganglienzellenprotoplasma nicht vollständig farblos
oder gar zerstört ist, was doch meistens der Fall zu sein scheint,
und wo grössere oder kleinere schwach gefärbte Reste davon
vorhanden sind (Taf. VO, Fig. 5), können keine anderen Be-
ziehungen zwischen dem Gliaplasmanetzwerk und dem nervösen
Protoplasma konstatiert werden als solche, die sich auf eine ober-
flächliche Anlagerung beschränken.
Die Kerne, die in der grauen Rindensubstanz vorkommen
und nicht zu den nervösen Zellen, sondern zu der nicht nervösen
Zwischensubstanz gehören, zeigen gewisse charakteristische Eigen-
schaften. Sie sind im allgemeinen ziemlich klein, messen gewöhn-
lich 5—7 u im Diameter, sind von runder Form, gelegentlich etwas
abgeplattet und zeigen meist einen ziemlich reichlichen Gehalt
an gefärbtem Chromatin, in Form von grösseren Klumpen oder
feineren Körnchen.
Bezüglich des Chromatingehaltes kommen gewisse Variationen
vor. In einem Teile der Zellen erscheint das gefärbte Chromatin
als gröbere Klumpen, die eine netzförmige Anordnung haben und
durch ihre bedeutende Menge dem Kerne eine dunkle Farbe ver-
leihen, so dass derselbe bis zu einem gewissen Grade einem
Lymphocytenkern ähnlich ist (Taf. VII, Fig. 6). Andererseits
kommen Kerne vor, welche eine geringere Quantität von ge-
färbtem Chromatin aufweisen, das gewöhnlich in Form von
Körnchen oder Klumpen, die im Innern des Kerns zerstreut sind,
angeordnet ist, oft ohne scheinbaren Zusammenhang miteinander
(Taf. VI, Fig. 2). In diesem Falle erscheint der Kern natürlich
im ganzen lichter. Ein Nucleolus kann in diesen Kernen eben-
sowenig wie in den erstgenannten beobachtet werden. Kerne der
beiden Typen, ebenfalls wie solche von Zwischenformen zwischen
beiden, sind über die ganze graue Substanz zerstreut. Hierbei
kann irgend eine regelmässige oder typische Anordnung in der
Beziehung, dass verschiedene Arten von Kernen in verschiedenen
Abschnitten der Rinde vorkommen, nicht nachgewiesen werden.
Ebensowenig besteht bezüglich des Gehaltes an gefärbtem Chro-
Darstellung des Gliagewebes. 161
matin, der Grösse usw. irgend ein prinzipieller Unterschied zwischen
den Kernen, die in gewisse räumliche Beziehungen zu den nervösen
Zellen z. B. in Form von Begleitkernen treten und solchen, die
anscheinend frei in dem Rindengewebe liegen.
Grösseres Interesse bietet zweifellos das Studium der Ver-
hältnisse zwischen diesen Kernen und dem umgebenden Proto-
plasma einerseits, wie zu dem überall vorhandenen, gliosomen-
führenden Netzwerk andererseits. Es kann nicht geleugnet werden,
dass hierbei eine gewisse Unvollkommenheit meiner Methode an
den Tag tritt. Man trifft nämlich in den Präparaten Stellen,
wo die betreffenden Kerne anscheinend ziemlich isoliert im
Gewebe liegen, von demselben durch eine schmale Lücke getrennt
und nur von einer schmalen Zone Protoplasma umgeben, das
bald unregelmässig erscheint, bald den Kern halbmondförmig
umgibt. Man kann sich leicht davon überzeugen, dass die
betreffenden Lücken Schrumpfungsräume sind. Erstens werden
nämlich in diesen feine, teilweise Gliosomen führende Fäden
angetroffen, welche das Protoplasma des Kernes mit dem Netz-
werke verbinden. Zweitens können leicht Stellen gefunden
werden, wo diese Schrumpfungsartefakte nicht vorhanden sind.
Solche Stellen, die uns natürlich einen richtigeren Aufschluss
über das Verhalten der Gliazellen der grauen Substanz zu dem
Gliafadennetz geben, zeigen unzweideutig, wie das den Kern
umgebende, ziemlich spärliche, im ganzen dunkel gefärbte, fein-
körnige Protoplasma oft schon in der Nähe des Kernes sich in
eine Menge feiner protoplasmatischer fadenförmiger Fortsätze
auffranst, die nach allen Richtungen hinziehen und in die Balken
des feinen Glianetzwerkes übergehen (Taf. VII, Fig. 4, Taf. VI,
Fig. 2). Mit grosser Deutlichkeit tritt diese Erscheinung in dem
Protoplasmakörper der „Begleitzellen“ hervor, die mit ihren
feinen Ausläufern zur Bildung des pericellulären Glianetzwerkes
beitragen (Taf. VII, Fig. 6). Es wurde erwähnt, dass das Proto-
plasma der betreffenden Gliazellen eine feinkörnige Struktur
aufweist. Dass diese nicht durch eine Anhäufung von Gliosomen
bedingt wird, geht wohl aus den Zeichnungen deutlich hervor
(Taf. VI, Fig. 2, Taf. VII, Fig. 4 und 6), obgleich natürlich auch
Körnchen vorkommen können, die, was Grösse und Farbe
betrifft, den Körnern des Glianetzwerkes ähneln; indessen ist
dies nur vereinzelt der Fall. Was besonders hervorgehoben zu
Archiv f. mikr. Avat. Bd. 76. 18:
162 Halvar von Fieandt:
werden verdient, ist, dass sowohl die kleinen Gliazellen
mit dunkel gefärbtem Kerne als diejenigen mit
lichterem Kerne in der Rinde des Grosshirns einen
Protoplasmakörper haben, der zahlreiche feine,
fadenförmige Fortsätze besitzt, welche sich stark
verästeln, miteinander anastomosieren und direkt
in das gliosomenführende, protoplasmatische Glia-
netzwerk der grauen Substanz übergehen, wobei die
Gliazellen mit ihrem verhältnismässig kleinen Zellkörper wie in
diesem Netzwerk aufgehängt erscheinen.
Es bleibt noch übrig, das Verhalten des Gliagewebes der
grauen Substanz zu den daselbst sich findenden mesodermalen
Bildungen, Blutgefässe und deren Adventitia, zu berücksichtigen.
Verfolgt man ein Blutgefäss von der Pia bis in die Molekular-
schicht, dann kann man beobachten, wie die oberflächliche Grenz-
membran allmählich in die perivasculäre Gliamembran über-
geht, die das Gefäss während des Verlaufes durch die ganze
Rinde umgibt. Beim Eintritt des Gefässes in die Rindensubstanz
ändert das marginale Gliagewebe, das als eine direkte Fortsetzung
der subpialen marginalen Schicht das Gefäss entlang nach innen
verfolgt werden kann, ziemlich schnell sein charakteristisches
Aussehen. Die groben Fortsätze, die hier radiär zum (refäss
angeordnet sind, ebenso wie die gröberen Gliafüsse nehmen an
Zahl und Stärke ab und schwinden schliesslich ganz. Ebenso
verlieren sich die Weigertschen Fasern, welche noch in den
obertlächlicheren Lagern der Molekularschicht zu der Bildung
der Limitans perivascularis beigetragen hatten, in den tiefer
gelegenen Abschnitten der Rinde. In diesen Teilen der grauen
Substanz stellt sich die Grenzmembran als eine dünne und — soweit
man dies aus den Präparaten schliessen kann — zusammen-
hängende kontinuierliche Schicht von hellblauer Farbe (Taf. VII,
Fig. 7) dar. Diese Schicht tritt in zweierlei Weise mit dem
umgebenden Glianetzwerke in Verbindung. Erstens bestehen diese
Verbindungen aus feinen gliosomenführenden Protoplasmafäden,
welche von dem umgebenden Gewebe durch den sog. Rothschen
Raum gegen die Membran hin ziehen und sich mehr oder weniger
vertikal an derselben befestigen, während das Protoplasma des
Balkens sich zu einem Fusse von minimalen Dimensionen ver-
breitet (Taf. VII, Fig. 7). Ausser durch diese feinen Balken
Darstellung des Gliagewebes. 163
werden die Verbindungen zwischen Limitans perivascularis und
dem umgebenden Glianetzwerke von einer Anzahl perivasculär
gelegener Gliazellen vermittelt, welche in den betreffenden
Abschnitten der Rinde eine ziemlich gewöhnliche Erscheinung
sind. Charakteristisch für die erwähnten Zellen, die ihre Lage
dicht unter der Membrana limitans haben, ist, dass sie mit ihrem
Protoplasmakörper in die Membran mehr oder weniger breit
übergehen oder, was häufiger der Fall zu sein scheint. dass sie
eine Menge feiner fädchenartiger Protoplasmafortsätze aussenden,
welche gegen die Membrana limitans hinziehen, wo sie in
typischer Weise unter Bildung eines Fusses ihr Ende finden.
Andererseits hängen die Zellen, die bezüglich des Kernes und
der Beschaffenheit des Protoplasmakörpers vollständig den übrigen
ausserhalb des Gefässgebietes liegenden Gliazellen ähneln, mit
feinen Fortsätzen in gewöhnlicher Weise mit dem Glianetzwerke
zusammen.
Hinsichtlich des Auftretens und der Frequenz dieser peri-
vasculären Gliazellen bestehen offenbar in denselben Abschnitten
der Rinde bedeutende Differenzen. An gewissen Stellen sind sie
spärlich, so dass die Gefässe gelegentlich in verhältnismässig
weiten Strecken der Rinde verfolgt werden können, ohne dass
man solche Zellen trifft. An anderen können sie nahe aneinander
in einer Zahl von zwei, drei.oder mehr gelagert sein. Grössere
Gefässe zeigen oft ein stärkeres perivasculäres Gliagewebe mit
zahlreichen eingestreuten Gliazellen als die kleineren bezw. die
Capillaren. Dies ist jedoch keineswegs immer der Fall. Über-
haupt scheinen die Gefässe der tieferen Rindenschichten von
zahlreicheren perivasculären Gliazellen begleitet zu werden als
die oberflächlicheren, obgleich auch in dieser Beziehung bedeutende
Variationen vorkommen.
Das Studium des perivasculären Gliagewebes der grauen
Substanz ist mit gewissen Schwierigkeiten verbunden, welche zum
Teil einer Mangelhaftigkeit der Methode zugeschrieben werden
müssen. Es ist mir nämlich nicht gelungen, in meinen Präparaten
dem Entstehen der perivasculären Schrumpfungsräume zu ent-
gehen, die zwischen der Membrana limitans und dem umgebenden
(Gewebe in der Gehirnrinde liegen. Diese sogenannten Rothschen
Räume, welche trotz einer sorgfältigen Nachbehandlung mit
Alkohol in einzelnen Teilen der Präparate vorkommen, erschweren
5
164 Halvar von Fieandt:
natürlich bis zu einem gewissen Grade die Beobachtungen über das
Verhältnis zwischen Limitans perivascularis und dem umgebenden
Gliagewebe. Doch findet man Stellen, wo solche durch Schrumpfung
entstandenen perivasculären Räume fehlen. Durch die Rothschen
Räume werden die tatsächlichen Verhältnisse in der Beziehung
entstellt, dass die breit in die Membrana perivascularis über-
gehenden Gliazellen mit der Membran in Verbindung bleiben,
während die feineren Ausläufer von den etwas entfernter gelegenen
Gliazellen ebenso wie die gegen die Gefässmembran ziehenden
Gliabalken an vielen Stellen zerreissen (Taf. VII, Fig. 7). Dass
andererseits aber die Rothschen Räume in bedeutendem Grade
das Studium der Struktur und der Beschaffenheit der Membrana
limitans erleichtern, ist klar.
3ezüglich. dieser Grenzmembran wurde oben erwähnt, dass
sie als eine protoplasmatische Bildung anzusehen ist. Es sind
zwei in derselben vorkommende Gewebselemente, die ihr gewisse
Struktureigenheiten verleihen: körnige Bildungen und Weigert-
sche Gliafasern. Die Körnchen, die mit den Gliosomen isomorph
sind, kommen nicht gerade zahlreich vor und zeigen auch hier
eine deutliche Neigung, sich in Reihen zu ordnen. Gelegentlich
sind sie so dicht aneinander gelagert, dass die Zwischenräume
nicht oder nur mit Schwierigkeit wahrgenommen werden können
(Taf. VII, Fig. 7). In diesem Falle machen sie den Eindruck von
kurzen Stücken der Weigertschen Fasern. Andererseits sieht
man eine solche Gliosomenreihe in eine Gliafaser übergehen oder
richtiger gesagt, die direkte Fortsetzung derselben darstellen
(Taf. VII, Fig. 7), oder man sieht eine Gliosomenreihe mehr oder
weniger deutlich gegen die Befestigungsstelle eines Gliafusses
hinziehen und sich mit dessen Körnern vereinigen. Von den
Weigertschen Fasern der Membrana perivascularis in diesen
Teilen der Rinde ist nicht viel zu sagen. Sie kommen haupt-
sächlich in den untersten Schichten, ebenso in den oberen Lagern
der Molekularschicht vor, können aber gelegentlich auch höher
hinauf in der Rinde angetroffen werden (Taf. VII, Fig. 7), in
Gegenden, wo das umgebende Gliagewebe solche zu entbehren
scheint. — Diese Erscheinung beruht wahrscheinlich darauf, dass
einzelne feinere Fasern des Glianetzwerkes durch die dicht ge-
lagerten dunkel gefärbten Gliosomen und durch die Dichte des
Gewebes sich der Beobachtung entziehen. Jedenfalls zeigen sie,
Darstellung des Gliagewebes. 165
wo sie überhaupt in der Grenzmembran vorkommen, einen teils
longitudinalen, teils transversalen Verlauf und bewirken so ge-
legentlich eine Feldbildung.
An der Grenze zwischen Mark und Rinde sieht man die
oben beschriebene, für die graue Substanz typische Anordnung,
allmählich schwinden. In den tiefsten Schichten der Rinden-
substanz, besonders in der Schicht der polymorphen Nervenzellen,
kommen die Weigertschen Gliafasern zum Vorschein, anfangs
nur vereinzelt, später in reichlicherer Anzahl. Gleichzeitig ändert
das Gliasyneytium selbst sein Aussehen. Das Netzwerk wird
lichter, die Maschen erweitern sich, um die schon hier in grösserer
Anzahl vorkommenden Markscheiden aufzunehmen, die Gliosomen
schwinden allmählich. In den oberflächlichsten Abschnitten des
Markes treten schon die mit grossem lichten, nucleolushaltigen
Kern und reichlichen protoplasmatischen Fortsätzen versehenen
Gliazellen auf, die mit den Gliafasern dem Glianetzwerke
die für die weisse Substanz charakteristische Beschaffenheit
verleihen.
Ehe ich die Beschreibung des Gliagewebes der Grehirn-
substanz verlasse, möchte ich noch die Aufmerksamkeit auf
einen besonderen Umstand lenken. Es wurde in einem anderen
Zusammenhange angedeutet, dass das nicht nervöse Zwischen-
gewebe der Rindensubstanz eine Anordnung und ein Aussehen
darbietet, die dasselbe nicht beim ersten Blick und ohne weiteres
als eine gliöse Bildung erkennen lassen. Wie aus meinen Aus-
führungen hervorgehen dürfte, ist das feinmaschige, zierliche, mit
Körnchen versehene Netzwerk, das in so vielen Hinsichten vom
Aussehen typischen Gliagewebes abweicht, doch zweifelsohne
gliöser Natur. Der Übersicht wegen werde ich hier die Umstände,
welche für diese Auffassung sprechen, kurz zusammenfassen.
Ich halte das feine Netz der grauen Substanz
für eine Gliabildung:
1. weil dasselbe kontinuierlich nach oben bis
zu dem marginalen subpialen Gewebe ver-
folgt werden kann und ebenso an der Grenze
zwischen Mark und Rinde in einem konti-
nuierlichen Zusammenhange mit dem Glia-
gewebe der Marksubstanz steht;
166 Halvar von Fieandt:
2. weil dasselbe in deutlicher Kontinuität mit
dem Protoplasma der Gliazellen der grauen
Substanz steht;
8. weil es ebenso einen unzweideutigen Zu-
sammenhang mit den Grenzmembranen der
grauen Substanz zeigt, welche als dünne
Schichten von undifferenziertem Protoplasma
erscheinen;
4. weil dasselbe bezüglich der Farbenreaktionen
von den nervösen Bildungen abweicht, dagegen
dieselben Reaktionen wie das Gliagewebe im übrigen
zeigt, speziell ist dies der Fall bei den Gliosomen,
welche in derselben Weise wie die Weigertschen Glia-
fasern gefärbt werden; und schliesslich
5. weil kein Umstand angeführt werden kann,
der für eine nervöse Beschaffenheit desselben
sprechen könnte.
Aus der oben gegebenen — wie ich fürchte, ein wenig
ermüdenden — Beschreibung dürfte in der Hauptsache hervor-
gehen, welche Aufschlüsse die von mir angegebene Methode über
Bau und Anordnung des Gliagewebes in dem Teile des normalen
Hundegehirnes, den ich zum Gegenstand meiner Untersuchungen
gewählt, geliefert hat. Bei einem Vergleich zwischen diesen
Resultaten und der Auffassung über den normalen Bau des Glia-
gewebes, der durch die Anwendung der üblichen Färbemethoden
gewonnen wurde, findet man, dass die Anschauungen in gewissen
Punkten voneinander abweichen. Zwar sind in meinen Präparaten
Strukturen dargestellt, welche ohne weiteres mit den früher
gekannten Gliabildungen identifiziert werden können; dies ist
besonders der Fall bei den Weigertschen Gliafasern. Anderer-
seits scheint mir aber die Methode zu Resultaten zu führen, die
mehr oder weniger von der gewöhnlichen Auffassung, besonders
betreffend gegenseitigen Verhaltens der Gliazellen, abweichen.
Ausserdem scheint sie mir etwas neues gebracht zu haben in
der Beziehung, dass meine Präparate Strukturen zeigen, welche
keine Übereinstimmung mit den Gliabildern zeigen, die mit den
klassischen Methoden dargestellt werden können. Die Verhält-
Darstellung des Gliagewebes. 167
nisse, welche die Methode aufgedeckt hat, können indessen, wie
ich selbst besonders bemerken will, nicht ohne weiteres als fest-
stehende wissenschaftliche Tatsachen angesehen werden, eben-
sowenig wie die beschriebene Methode von vornherein als für
die histologische Technik definitiv verwertbar angesehen werden
kann. Es machen sich natürlich hier dieselben Umstände wie
bei anderen neuen Methoden überhaupt geltend, die zu Resultaten
führen, welche mehr oder weniger von früheren Auffassungen in
der Histologie abweichen. Um ihre Anwendbarkeit für die
histologische Technik darzutun, scheint mir eine neue Methode
zwei Bedingungen erfüllen zu müssen. Erstens müssen wir
gewisse Garantien dafür besitzen, dass das neu Dargebrachte
nicht auf Artefakten bezw. auf einer unrichtigen oder miss-
gedeuteten Darstellung von früher bekannten Strukturen beruht.
Zweitens dürfen Tatsachen, welche wissenschaftlich fest gesichert
sind, nicht verletzt werden. Ich muss also zusehen, inwieweit
meine Methode diesen beiden Forderungen entspricht.
Was zunächst den ersten Punkt betrifft, so stellen die
Bildungen, welche in meinen Präparaten unzweifelhaft als Bestand-
teile des Gliagewebes erscheinen, aber doch möglicherweise als
Artefakte gedeutet werden könnten, protoplasmatische Brücken
dar, welche die verschiedenen Gliazellen untereinander verbinden
oder das plasmatische Gliareticulum in seiner Gesamtheit sowohl
in der grauen wie in der weissen Substanz. Dies Glianetzwerk
könnte möglicherweise als die Folge einer Koagulation der Ge-
websflüssigkeit gedeutet werden. Ich möchte dies besonders in
Erwägung ziehen, weil ein ähnlicher Einwand von Ramon y
Gajal!) gegen die von Bethe gegebene Deutung der Netzwerke
in Präparaten, die nach der Methode des letzterwähnten Forschers
gefärbt wurden, gemacht worden ist. In der Tat gibt diese Methode
besonders von den pericellulären Netzwerken der grauen Substanz
Bilder, welche, wie wir sehen werden, in mehreren Beziehungen
mit den meinigen übereinstimmen. Durch kleinere Abänderungen
des von mir beschriebenen Verfahrens können Präparate erhalten
werden, in welchen die Ähnlichkeit mit denjenigen von Bethe
noch mehr hervortritt. Durch eine von der oben angegebenen
etwas abweichende Alkoholbehandlung — man braucht nur die
ı) Vergl. Marinesco,G.: La cellule nerveuse. Paris 1909, Tome I
S. 206— 207.
168 Halvar von Fieandt:
in Sublimattrichloressigsäure fixierten Stücke in absoluten Alkohol
überzuführen, der während der ersten 24 Stunden nicht ge-
wechselt wird — und durch nachfolgende Färbung entweder mit
Hämatoxylinwolfram oder Hämatoxylinvanadium erhält man oft
Bilder, welche offenbar eine grosse Ähnlichkeit mit den Bethe-
schen haben. Leider habe ich keine eigene Erfahrung von der
Betheschen Methode, sondern muss mich auf die von ihm ge-
lieferten Abbildungen und seine Beschreibung von den Färbungs-
resultaten beziehen. In jedem Falle zeigen in der erwähnten
Weise behandelte Präparate pericelluläre und diffuse Netzwerke
in der grauen Substanz, welche eine grössere Ähnlichkeit mit den
Bethbeschen Golginetzen darbieten, als dies durch Anwendung
meiner Methode erhalten werden kann. Diese Netzwerke scheinen
von dieken, intensiv gefärbten homogenen Balken zusammenge-
setzt zu sein, vielleicht sind die Balken sogar noch stärker als
diejenigen des Betheschen Netzwerkes. Sie scheinen weiter in
ein gröberes etwas lichter gefärbtes Netzwerk der weissen Substanz
kontinuierlich überzugehen, das in allem wesentlichen dem Bethe-
schen „Füllnetz“ zu entsprechen scheint, doch ist vielleicht auch
dies von noch stärkeren und intensiver gefärbten Balken zusammen-
gesetzt. Die erwähnten Netzwerke machen beim ersten Blick
den Eindruck von Artefakten, die durch eine netzförmige Koa-
gulation der Gewebsflüssigkeit zustande gekommen sind. Unter-
sucht man indessen das Netzwerk der weissen Substanz näher,
so findet man an den Knotenpunkten des Netzes oder an den
Stellen, dieklumpiger und dicker erscheinen, eingeschlossene Kerne.
Die dem Kerne anliegende Anhäufung von intensiv gefärbter
Substanz stellt sich als Zellprotoplasma heraus, und die feineren
Balken des Netzwerkes enthüllen sich in der Tat als miteinander
stark anastomosierende Ausläufer von Gliazellen — denn nur
von solchen kann hier die Rede sein. Auch hier handelt es sich
also nicht um eine netzartige Koagulation der Gewebsflüssigkeit,
sondern um entstelltes Gliagewebe der weissen Substanz.
Kann man also schon bei diesen Präparaten, welche doch
wie gesagt eine mehr oder weniger entstellte Gliastruktur zeigen,
schwerlich die Hypothese von einer netzförmig koagulierten Ge-
websflüssigkeit aufrecht erhalten, so ist dies noch weniger der
Fall bei dem netzförmigen Zusammenhange zwischen den Glia-
zellen in Präparaten, die unter Beobachtung von oben gegebenen
Darstellung des Gliagewebes. 169
Vorschriften angefertigt wurden, und in denen Kunstprodukte
von der erwähnten Art nicht vorkommen. Das hellblau gefärbte
Protoplasma in der Nähe des Kernes, das oft ein deutliches
Mikrocentrum aufweist,') sieht man in unseren Präparaten sich
in eine Menge Ausläufer teilen, welche in kontinuierlicher Weise
verfolgt werden können, entweder bis zu einer naheliegenden Zelle
oder zu Ausläufern, mit denen sie deutlich verschmelzen. Will
man also den Zusammenhang zwischen den Gliazellen bzw. das
Netzwerk als ein Kunstprodukt auffassen, so muss auch das Zell-
protoplasma als ein Artefakt erklärt werden, denn irgend eine
Grenze zwischen dem Zellprotoplasma und dessen Fortsätzen, bzw.
den Balken des Glianetzwerkes kann nicht nachgewiesen werden.
Offenbar können keine Gründe für eine solche Annahme erbracht
werden Ausserdem spricht gegen. evtl. Artefakte die ausser-
ordentlich komplizierte zierliche Struktur, die man überall be-
obachten kann (Taf. VI, Fig. 5 und 6). Diese kann kaum in einer
artefiziellen Weise bei der Einwirkung unserer heagentien ent-
standen sein. Wenn dies zugegeben werden muss bei der
marginalen Glia und dem Gliagewebe der weissen Substanz, wo
die Verhältnisse gewissermassen übersichtlicher sind, so kann man
schwerlich behaupten, dass andere Verhältnisse innerhalb des
Gliagewebes der grauen Substanz sich geltend machen sollten.
Das Vorkommnis von Artefakten erwähnter Art kann also, wie
ich glaube, aus guten Gründen ausgeschlossen werden und wir
haben also keinen Grund zu befürchten, dass die Bilder des Glia-
gewebes, soweit sie den gegenseitigen Zusammenhang der Glia-
zellen und das protoplasmatische Glianetzwerk betreffen, nicht
durch tatsächliche anatomische Verhältnisse bedingt werden sollten.
Die Frage von der Existenz der Gliosomen und von der biologischen
Rolle, die diese Bildungen eventuell spielen. werde ich unten
näher erörtern. Zwar stellen meine Präparate, wie ich schon
oben erwähnte, einige Kunstprodukte dar. Diese sind jedoch
derartig, dass sie teils als solche leicht erkannt werden, teils die
oben erwähnten Resultate nicht beeinflussen können, (Rothsche
Räume, pericelluläre Räume).
') Dass die Centriolen der Mikrocentra der Gliazellen durch die be-
treffende Methode dargestellt werden können, davon kann man sich leicht
überzeugen. Indessen habe ich im Vorhergehenden diesem Umstand keine
Aufmerksamkeit gewidmet, weil wir mehrere Methoden besitzen, welche sich
für diesen Zweck besser eignen.
170 Halvar von Fieandt:
Scheint mir also die Sublimattrichloressigsäurehämatoxylin-
wolframmethode wenigstens von dem Gesichtspunkte verwendbar,
dass sie nicht Strukturen oder Bildungen darstellt, welche als
Artefakte gedeutet werden müssen oder können, so bleibt noch
nachzuweisen, dass die erreichten Resultate nicht in offenbarem
Gegensatz zu den bisherigen Erfahrungen auf dem Gebiete der
Gliaforschung stehen. Bei der Beurteilung dieses Verhältnisses
muss sich natürlich eine gewisse Subjektivität geltend machen,
denn was dem einen als wissenschaftlich bewiesen gilt, wird oft
von dem anderen als mehr oder weniger unsicher oder ganz und
gar hypothetisch gehalten. Wenn man mit grösstmöglicher
Objektivität kurz die Resultate auf dem Gebiete der Gliaforschung,
die als völlig feststehend betrachtet werden müssen, zusammen-
fassen will, so kann man m. E. nur zu den folgenden Schlüssen
kommen. Als völlig bewiesen muss gelten:
I. dass die Gliazellen einen protoplasmatischen Körper von
variierender Grösse haben, der mit einer wechselnden
(gewöhnlich sehr reichlichen) Anzahl von nach ver-
schiedenen Richtungen ausstrahlenden Ausläufern versehen
ist, die, was die Stärke, Form und Länge betrifft, grosse
Verschiedenheiten aufweisen und die sich während ihres
Verlaufes teilen können (Golgi, Oajal, Kölliker,
van Gehuchten, Lenhossek, Lawdowsky u.a.);
dass im Zentralnervensystem faserige Differenzierungs-
produkte vorkommen, die zu der nichtnervösen Zwischen-
substanz gehören und die an gewissen Stellen charakte-
ristische räumliche Beziehungen zu den Kernen der
Gliazellen zeigen und auch im übrigen eine Verteilung
und Anordnung aufweisen, die für verschiedene Abschnitte
des Zentralnervensystems konstant und charakteristisch ist
(Ranvier, Weigert, Krause, Aguerre, Huber u.a.).
Wenn ich die Resultate meiner Methode mit Rücksicht auf
eine eventuelle Übereinstimmung mit diesen Tatsachen prüfe,
so komme ich zu einem Schlusse, der als nicht ungünstig an-
gesehen werden kann. Ein besonderes Verdienst der Methode
ist ihr Vermögen, die Weigertschen Gliafasern unter gleich-
zeitiger Darstellung der Golgischen Strukturen zu färben.
(rewisse gliöse Bildungen in meinen Präparaten stellen sich nämlich
als isomorph mit denjenigen der Golgischen Silberimprägnations-
[Sp
Darstellung des Gliagewebes. 171
methode dar. Bezüglich der grossen, mit grösserem, lichteren,
nucleolenführenden Kerne versehenen Gliazellen der weissen Sub-
stanz verweise ich nur auf die Taf. VIII, Fig. 2 und Taf. IX, Fig. 1,
welche in allem Wesentlichen die Ähnlichkeit zwischen diesen
Zellen und den langstrahligen Astrocyten demonstrieren. Ein
Jeder, der mit den Golgimethoden gearbeitet hat, wird mir
wohl zugeben, dass wir es hier mit isomorphen Zellenformen zu
tun haben. Aber auch die anderen Zellentypen, die durch die
letzterwähnte Methode dargestellt werden, die kurzstrahligen
Astrocyten, deren Deutung, wie bekannt, der ausgesprochenen
Weigertschen Auffassung bedeutende Schwierigkeiten bereitet
hat, finden sich in meinen Präparaten wieder. Ich zögere also
nicht, sie mit der Gliazelle der grauen Substanz zu identifizieren,
die mit ihren fadenförmigen, feinen protoplasmatischen Ausläufern
zur Bildung des gliösen Netzwerkes beiträgt. Als Beweis der
Berechtigung einer solchen Identifizierung möchte ich hier nur
die schon vor 15 Jahren von Lenhossek (38)!) gegebene
Charakteristik der betreffenden Zellformen anführen: „Denn was
sie hauptsächlich auszeichnet, das ist die Kürze ihrer Ausläufer;
sie verhalten sich zu den Langstrahlern wie Zwerge zu normalen
Individuen. Aber die Äste sind nicht nur sehr kurz, sondern
auch sehr zart; sie erscheinen weniger strahlenförmig, als viel-
mehr in der Form eines die Zelle umgebenden, dichten Rasens,
eines echten Buschwerkes. Dabei sind sie zu Varikositäten ge-
neigt, wodurch die ganze Zelle mit ihrer Verästelung manchmal
einen merkwürdig körnigen Habitus erhält, der allerdings sehr
oft noch durch eine unvollkommene Imprägnation gesteigert wird.
Denn diese Zellen schwärzen sich, wie auch Kölliker bemerkt,
selten so rein und tadellos, wie die Langstrahler. Ein weiteres
Charakteristikum besteht hier noch darin, dass die Ästchen oft
verzweigt sind, und dass sie sich gegen ihre Spitzen hin all-
mählich verdünnen.“
Schon das soeben Angeführte ist wohl zweifelsohne hin-
reichend, um darzutun, dass die Auffassung, die einem durch
die Hämatoxylinwolframmethode beigebracht wird, nicht im
geringsten gesicherte Tatsachen von fundamentaler Bedeutung
für die Gliaforschung beeinträchtigt. Ich kann jedoch nicht
unterlassen zu bemerken, dass selbst gewisse Detailstrukturen,
1) ]oc. eit. 8. 19.
172 Halvar von Fieandt:
welche schon früher von Golgi und anderen, die von den
Methoden des berühmten italienischen Forschers Gebrauch ge-
macht haben, gefunden wurden, und später teils von Weigert
selbst, teils von seinen Anhängern entweder vollständig ver-
nachlässigt oder auch als Kunstprodukte erklärt wurden, doch
mit gliafaserfärbenden Methoden dargestellt werden können. Ich
will nur an die Ansicht Golgis und seiner Schüler von den
subpialen Grenzmembranen erinnern. Zur Beleuchtung dieser
Auffassung führe ich wieder Lenhossek (38)!) an: „Alle diese
Fasergebilde, mögen es nun radiäre Fortsätze tiefer befindlicher
Zellen oder tangentiale Ausläufer der oberflächlichen peridymalen
Astrocyten sein, finden, wie schon erwähnt, mit kleinen Ver-
dickungen ihr Ende Diese Knötchen treten auf der freien Ober-
fläche des Markes mosaikartig zu einer offenbar lückenlosen,
kompletten, äusserst feinen Grenzmembran zusammen, einer
Art Cuticula (Membrana limitans meningea, His), die gegen die
Pia mater hin das ektodermale Rückenmark vollkommen abschliesst.“
Zu dieser Beschreibung habe ich meinerseits?) nur zu bemerken,
dass die mosaikartige Anordnung der Gliafüsse in meinen Präpa-
raten als eine Zusammenschmelzung hervortritt; im übrigen kann
sie ohne weiteres auf die marginale Glia der Hirnrinde ange-
wendet werden.
Aber auch in einer anderen Beziehung scheint ein Vergleich
zwischen gewissen Golgibildern und einigen von den meinigen
Interesse zu haben, weil vielleicht gewisse Anhaltspunkte für die
Beurteilung der Bedingungen des Eintretens der Silberreaktion
gewonnen werden können. Wie schon oben angeführt wurde,
kann man den typischen kurzstrahligen Astrocyt als identisch
mit dem Typus der Gliazellen betrachten, weicher hauptsächlich
in der grauen Substanz zu finden ist und mit seinen dünnen
Protoplasmaausläufern zur Bildung des feinen Glianetzwerkes
beiträgt. Wenn dies richtig ist - und darüber kann m. E. kein
Zweifel bestehen — so geht daraus hervor, dass die Ausläufer
der Astrocyten in Golgipräparaten nicht, wie dies oft geschehen
ist (vergl. Weigert |62]), mit Gliafasern identifiziert werden
1) loc. eit. S. 204.
?) Dass die Identifizierung dieser Membran mit der Hisschen Membrana
limitans meningea eigentlich auf einem Missverständnis der Hisschen Be-
zeichnung beruht, ist schon früher von Held hervorgehoben worden (32).
Darstellung des Gliagewebes. 1
können, sondern wenigstens zu einem grossen Teile von den
Protoplasmafortsätzen der Zelle gebildet werden. Andererseits
ist es eine bekannte Tatsache, was übrigens auch der oben
zitierten Stelle bei Lenhossek (38) zu entnehmen ist, dass die
Kurzstrahler eine unvollständigere, oft lichtere Imprägnation als
die Langstrahler aufweisen. Hieraus scheint hervorzugehen, dass
das Vorkommnis von Gliafasern in oder nahe bei der Zelle,
wenigstens bis zu einem gewissen Grad, das Auftreten der Silber-
reaktion erleichtert oder befördert. Unter solchen Umständen
könnte man vielleicht vermuten, dass die körnigen Bildungen
der Glianetzbalken, unsere Gliosomen, welche gegenüber Häma-
toxylinwolfram dieselben Reaktionen wie die Fasern zeigen, auch
ebenso wie diese in grösserem oder geringerem Grade nicht allein
das Auftreten der Reaktion befördern, sondern auch bis zu einem
gewissen Grade dem definitiven Silberbilde ein charakteristisches
Gepräge aufdrücken sollten. In der Tat scheint dies auch der
Fall zu sein: „Dabei sind sie zu Varikositäten geneigt, wodurch
die ganze Zelle mit ihrer Verästelung manchmal einen merk-
würdig körnigen Habitus erhält.')‘ Durch die Anteilnahme des
Gliaprotoplasmas an der Silberreaktion werden auch gewisse
Eigentümlichkeiten bei den Ausläufern der langstrahligen Astro-
cyten erklärt. So müssen die Verästelungen derselben, welche
bisweilen in Golgipräparaten vorkommen. wahrscheinlich als
Imprägnationen von protoplasmatischen Seitenbalken des Glianetz-
werkes gedeutet werden, die von den oft gliaführenden proto-
plasmatischen Ausläufern abgehen oder mit ihnen zusammenhängen.
Die eigentümlichen Verdickungen und Varikositäten, welche ge-
legentlich längs der Fortsätze der Astrocyten beobachtet werden
können, machen nicht den Eindruck von Fällungen, sondern von
kleineren Gliaplasmaanhäufungen, bezw. Knotenpunkten des proto-
plasmatischen Glianetzwerkes, welche die imprägnierten Fortsätze
während ihres Verlaufes von der Zelle passieren. Weiter wird
ohne weiteres die verschiedene Stärke der Ausläufer erklärt, die
oft deutlich bei der Golgischen Schwarzfärbung hervortritt:
„Einzelne Fasern zeichnen sich allerdings manchmal durch auf-
fallende Breite aus.”)“
!) Lenhossek (38), loe. eit. S. 194.
?) Lenhossek (38), loc. eit. S. 182.
174 Halvar von Hieandt:
Dieser Vergleich zwischen Resultaten der @olgimethoden
und der hier befürworteten würde zweifelsohne nach vielen
Richtungen hin vervollständigt werden können. Die oben er-
wähnten Tatsachen genügen aber wohl nicht nur, um die
Anwendbarkeit der Methode überhaupt darzutun, sondern auch
um zu zeigen, dass dieselbe bezüglich der Resultate in vielen
Hinsichten geeignet ist, frühere Methoden, in erster Linie die-
jenigen von Golgi und Weigert, zu vervollständigen.
Es zeigt sich also, dass die Sublimattrichloressigsäure-
hämatoxylinwolframmethode zur Genüge die beiden oben auf-
gestellten Forderungen erfüllt. Einerseits ruft sie nicht Artefakte
oder verkehrte Strukturen hervor, andererseits beeinträchtigt sie
in keiner Weise die feststehenden Tatsachen der bisherigen Glia-
forschung, sondern scheint vielmehr die geläufigen Methoden zu
ergänzen. Dies gibt meines Erachtens gewisse Garantien dafür
ab, dass die Methode zuverlässig ist, auch hinsichtlich der Er-
gebnisse, bei denen eine Kontrolle durch bisherige Methoden
nicht möglich ist. Es scheint mir angemessen — teils um eine
richtige Beurteilung meiner Methode und der damit erreichten
neuen Gesichtspunkte zu gewinnen, teils um den Forschern Ge-
rechtigkeit widerfahren zu lassen, welche früher zu einem mehr
oder weniger ähnlichen Resultate gekommen sind, — die An-
gaben in der Literatur zu besprechen, die sich auf diese früher
im allgemeinen nicht beobachteten Teile des normalen Glia-
gewebes beziehen.
Um mit dem Gliagewebe der weissen Substanz des Zentral-
nervensystems zu beginnen, verdient erwähnt zu werden, dass
Reinke (56) schon 1897 die protoplasmatischen Verbindungen
zwischen den verschiedenen einander nahegelegenen Gliazellen
des Rückenmarkes beim Menschen beobachtet zu haben scheint.
Obgleich Reinke in seiner Arbeit diese Protoplasmabrücken
nicht ausdrücklich erwähnt und noch weniger von einem Glia-
syncytium spricht, hat er in einer seiner Figuren (Taf. VI, Fig. 4)
eine Bildung dargestellt, welche nicht anders gedeutet werden
kann, als eine solche Brücke von Gliaprotoplasma. Auch scheint
mir Reinke in seinem Versuche, die Golgische und die
Weigertsche Auffassung zu vereinigen, im wesentlichen das
Darstellung des Gliagewebes. 175
Richtige betreffs des Verhaltens der Gliafasern zu dem Glia-
protoplasma getroffen zu haben.
Im Jahre 1902 wurde von Hardesty (27) eine Arbeit
über das Gliagewebe im Rückenmark des Elefanten publiziert.
An diesem für derartige Untersuchungen offenbar günstigen
Materiale konnte das Verhalten der Gliazellen zueinander von
Hardesty mit Erfolg studiert werden. Er bediente sich dabei
der von Huber (35) modifizierten Bendamethode. Hardesty
beschreibt den protoplasmatischen Zusammenhang der Gliazellen
und gebraucht hierbei die Bezeichnung Gliasyneytium. Ebenso
schildert er den Verlauf der Fasern im Zellprotoplasma und
in den die Zellen miteinander verbindenden Fortsätzen.
Um das Studium des Gliasynceytiums und der hierher-
gehörigen Fragen hat indessen zweifelsohne Held, dessen aus-
gezeichnete Arbeit „Über den Bau der Neuroglia“ im Jahre 1904
erschien, das grösste Verdienst. Eine nähere Erörterung seiner
Auffassung von dem Bau und der Anordnung des Gliagewebes
kann hier nicht stattfinden. Teils darf wohl vorausgesetzt werden,
dass diese Publikation ersten Ranges allgemein bekannt ist, teils
würde ein Referat des Inhaltes in vielen Punkten nur eine
Wiederholung des Obengesagten werden. Indessen besteht doch
ein wesentlicher Unterschied zwischen meiner und der Heldschen
Auffassung, und zwar in betreff des Baues und der Struktur der
Grenzmembranen, sowohl der perivasculären wie der ober-
flächlichen. Wie bekannt, huldigt Held noch in allem wesent-
lichen der alten Auffassung dieser Bildungen, wozu man haupt-
sächlich durch die Silberimprägnationsmethode gekommen ist,
und beschreibt sie als von kleineren Feldern zusammengesetzt,
die mehr oder weniger unregelmässig begrenzt sind. Einem jeden
derselben entspricht ein Gliafuss, der gewöhnlich sich in der
Mitte des Feldes zu befestigen scheint. Diese sind miteinander
durch Kittlinien verbunden. Ich gebe hier einen Teil der Be-
schreibung wieder, die Held (32) von der betreffenden Membran
gegeben hat:!) „Die einzelnen Füssflächen sind durch Kittlinien
verbunden, welche hier infolge der Heidenhainschen Methode
(bei bestimmter Fixierung) schwarz gefärbt geblieben sind. Die
Grenzhaut selber, welche im Durchschnitt wie eine feine,
glatte Linie erscheint, die nach innen in zahlreiche konische
) ]oc. cit. S. 256.
176 Halvar von Fieandt:
Zapfen sich verlängert, sieht im Flächenbild mattgekörnt aus,
wenn man sehr wenig oder gar nicht differenzierte Präparate
untersucht. Auch an den grossen Gefässen, in den oberflächlichen
Hirnschichten, habe ich eine gleiche Felderung gesehen.“ — —
„An den Kapillaren habe ich deutliche Flächenbilder bisher nicht
darstellen können. Die Grenzhaut und ihre Kittlinien sind offenbar
so fein, dass sich keine sicheren Differenzierungsbilder durch
solche Methode gewinnen lassen.“ Vergleicht man diese Be-
schreibung mit dem von mir 5.41 angeführten Zitat aus der
Arbeit von Lenhossek, so geht ohne weiteres die‘ Ähnlich-
keit der Auffassungen von der Zusammensetzung der Grenz-
membranen daraus hervor. Im Gegensatz zur Ansicht der Golgi-
schen Schule lässt Held die „mosaikartig“ angeordneten Glia-
füsse, welche sämtlich die Grenzhaut bilden, durch eine Kitt-
substanz voneinander getrennt werden, welche in Form von
Kittlinien dargestellt werden kann. Über die in der Grenz-
membran befindlichen Gliafasern sagt Held (32) in der Beschreibung
der von ihm angegebenen Typen von Gliafüssen:') „Die zweite
Hauptform zeigt eine Gliafaser oder einzelne bei einem Bündel,
welche als solche durch den Fuss selber hindurch-
ziehen und in der betreffenden Grenzhaut flach weiterlaufen.
Meistens können sie, weil abgeschnitten, nicht weiter in ihrem
Verlauf verfolgt werden: mitunter aber habe ich doch beobachtet,
wie sie nach kürzerer Strecke blass in derselben aufhören. Es
entsprechen also diese Angaben denjenigen von Retzius, wonach
hakenförmige Umbiegungen der Gliafasern an der Intima Piae
vorkommen.“ Über den weiteren Verlauf der Fasern in der
Grenzhaut, besonders bezüglich ihres Verhaltens zu den Kittlinien,
das für uns ein besonderes Interesse darbieten würde, habe ich
keine näheren Angaben weder in der oben zitierten, noch in
einer späteren Arbeit von Held (33) über die marginale Glia
im Grosshirn des Menschen gefunden.
Bezüglich der soeben angeführten Ausführungen von Held
soll erwähnt werden, dass es mir trotz grösster Mühe nicht
gelungen ist, die von Held beschriebenen Kittlinien darzustellen.
Ich habe dabei Fixierungen in verschiedenen sublimathaltigen
Flüssigkeiten, besondersin Zenkerscher Flüssigkeit und Sublimat-
trichloressigsäuremischung, angewendet. Als Färbemittel benutzte
1) loc. eit. 8. 250.
Darstellung des Gliagewebes. ERT
ich dabei das Eisenhämatoxylin von Heidenhain. Diese Technik
liefert, wie bekannt, bei analogen Bildungen, z. B. den Kittlinien
des Darmepithels, in der Regel ausgezeichnete Resultate. Man
könnte ja einwenden, dass meine resultatlosen Versuche mangelnder
Technik zuzuschreiben wären, oder dass, wie dies Held selbst
meint, „bestimmte Fixierungen“ nötig sind, um überhaupt die
Kittlinien zu Gesicht bringen zu können. Ich würde auch der
Sache keine allzu grosse Bedeutung beilegen, wenn nicht der Ver-
dacht durch einige Punkte der Heldschen Arbeiten nahegelegt
würde, dass die Existenz dieser Kittlinien doch nicht absolut
sichergestellt ist. Betrachtet man nämlich diejenigen Figuren
von Held, welche als Beweise für die Existenz der Kittlinien
beigegeben sind (Fig. 33b, 35, 36, 40 in der früheren [32], Fig. 31
und 32 in der letzteren Arbeit [33]) näher, so ist der Mangel
bezw. die geringe Zahl der Fasern in den Grenzmembranen ganz
besonders auffallend; und doch stammen die in den Figuren
wiedergegebenen Teile der Grenzmembran aus solchen Abschnitten
des Gehirns, in denen, wie ich mich überzeugen konnte, zahlreiche
Weigertsche Fasern nicht allein dort vorkommen, sondern auch
teilweise in der Grenzmembran selbst sich finden. Eine Aus-
nahme macht vielleicht Fig. 31 in der Arbeit über die marginale
Glia, weil dieselbe möglicherweise einer fasernarmen Region der
Hirnrinde entstammt; doch finden sich hierüber keine näheren
Angaben. Ein anderer Umstand, der verdient hervorgehoben zu
werden, ist, dass nach den eigenen Angaben von Held (32) die
Kittlinien teils in der Grenzhaut der Oberfläche, teils in der
Limitans perivascularis, in den oberflächlichsten Schichten der
Cortex dargestellt werden können: „Auch an den grossen Ge-
fässen in den oberflächlichen Hirnschichten habe ich eine gleiche
Felderung gesehen.“!) Es kann also festgestellt werden, dass
die Heldschen Kittlinien in der perivasculären Grenzhaut in den
tieferen Schichten der Rinde nicht nachgewiesen werden können —
nur so kann ich die Angaben von Held auffassen — also in Ge-
genden, die anerkannt arm an Gliafasern sind. Noch einen dritten
Umstand möchte ich hervorheben. Mehrere der Heldschen
Figuren, besonders Fig. 36 in der oft zitierten Arbeit von 1904,
zeigen in unzweideutiger Weise, wie die in die Gliafüsse von der
Grenzmembran hineinlaufenden Gliafasern eine direkte Fortsetzung
1) ]oc. eit. 8. 256.
Archiv f.mikr. Anat. Bd. 76. 12
178 Halvar von Fieandt:
der Kittlinien der Membran sind. Ich möchte besonders bemerken,
dass die in der Fig. 36 dargestellten Verhältnisse, welche die
oberflächliche Grenzmembran im Grosshirn des Menschen betreffen,
mir durch das Studium der entsprechenden Regionen des Hunde-
gehirns wohl bekannt sind. Wie eine ähnliche Anordnung gedeutet
werden muss, darüber habe ich bei Held keinen Aufschluss finden
können. Soll man sich vorstellen, dass die Gliafasern in der die
Kittlinien konstituierenden Masse weiter verlaufen? Diese An-
nahme stimmt nicht mit dem Verhalten der Gliafasern zu dem
Gliaprotoplasma überhaupt überein, von dem Held selbst eine
so mustergültige Beschreibung geliefert hat.
Stellt man sämtliche oben erwähnten Angaben von Held
über die Kittlinien der Grenzmembran zusammen und zieht
in Betracht, dass die Grenzmembranen auch in solcheu Ge-
bieten, wo Grliafasern sonst vorkommen, dieselben vermissen
lassen oder wenigstens faserarm sind, dass Kittlinien mit Sicher-
heit nur in den über faserreicheren Regionen ausgebreiteten
Grenzhäuten dargestellt werden können und schliesslich, dass die
Kittlinien als die Fortsetzung der in den Gliafüssen verlaufenden
Fasern erscheinen, so scheint mir, trotz der Autorität, die Held
in diesen Fragen zuerkannt werden muss, die Existenz der Kitt-
linien nicht über jeden Zweifel erhaben, da eine Verwechslung
mit den in den Grenzmembranen verlaufenden Fasern nicht mit
Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Wie ich schon früher
hervorgehoben habe, kann man andererseits mit Hilfe der Häma-
toxylinwolframmethode — die Eisenhämatoxylinfärbung nach
Heidenhain gibt übrigens in dieser Beziehung in allem wesentlich
dasselbe Resultat -— nachweisen, dass die in den Gliamembranen,
und zwar sowohl in den oberflächlichen wie in den perivasculären,
verlaufenden Fasern eine „Feldbildung“ derselben zustande bringen.
Die in verschiedenen Richtungen verlaufenden und einander
kreuzenden Gliafasern, welche diese Felder voneinander abgrenzen,
sind oft beim ersten Blick solchen „Kittlinien“ nicht gerade un-
ähnlich; besonders ist dies der Fall an Stellen, wo die Felder
mehr regelmässig sind, und wo die Fasern sich in die Grenz-
membran zu verlieren beginnen. An solchen Stellen wieder, wo
die Fasern schliesslich nur durch mehr oder weniger deutlich
hervortretende Körnchenreihen angedeutet sind, hängt es natürlich
oft von der subjektiven Anschauung der einzelnen Untersucher
Darstellung des Gliagewebes. 179
ab, ob man an den Knotenpunkten der Felder die „Fasern“ sich
als solche unter Kreuzung fortsetzen lässt, oder ob man einen
Übergang der einen Faser in die andere, bezw. eine Anastomose
zwischen ihnen annimmt.
Ich bin hier etwas näher auf die Frage von den Kittlinien
der gliösen Grenzmembranen eingegangen, weil die eventuelle
Existenz derselben mir in mehreren Beziehungen wichtig erscheint.
Die Anerkennung dieser Kittlinien würde nämlich die Auffassung
von den normalen Gliastrukturen erheblich erschweren, weil es
sich dann zeigen würde, dass nicht alle Gliafüsse, welche zur
Bildung der Grenzhäute beitragen, unter solchen Umständen als
gleichwertig angesehen werden könnten. Teils bestehen die Glia-
füsse aus breiteren lamellenartigen Ausläufern, bezw. Balken,
welche nicht die von den Kittlinien angegebenen Grenzen zu
respektieren scheinen, teils werden dieselben von feinen Proto-
plasmafäden gebildet, welche in grosser Zahl an demselben Feld
der Grenzmembranen sich befestigen. Die Schwierigkeiten, die
bei der Beurteilung dieser Bildungen sich darbieten, werden von
Held (35) in treffender Weise charakterisiert:') „Ich kann nur
darauf hinweisen, dass alle die feinen Fäserchen, welche aus dem
Reticulum der umgebenden Substanz sich lösen und der Limitans
perivascularis sich anheften und oft mit geringerer Verbreitung
in sie übergehen, sich nicht dem Begriff eines ober-
flächlichen Gliafusses ohne weiteres einordnen
lassen. Denn ob dieser rein protoplasmatisch ist oder aus einer
Gliafaser hervorgeht, immer liefert er ein umschriebenes
Feld in der Limitans Gliae. Das ist bei den fraglichen
feinen Fäserchen nicht der Fall. Von ihnen inserieren viele
an einem einzigen Feld der Limitans. Diese Schwierigkeit der
Homologisierung ist aber nicht die einzige.“ eh
Beiläufig möchte ich bemerken, dass es auch für die Auf-
fassung der pathologischen Prozesse, welche innerhalb der peri-
vasculären Glia sich abspielen und bei denen, wie bekannt, ein
Austreten der einzelnen Gliazellindividuen aus dem Zellverbande
vorkommt, nicht gleichgültig ist, ob man in den, den Gefässen
am nächsten gelegenen Gliazellen verhältnismässig selbständige,
durch Kittsubstanz wenigstens teilweise miteinander verbundene
Zellindividuen, oder ein gemeinsames Syneytium sieht.
t) loe. eit. S. 392 und 393.
127
150 Halvar von Fieandt:
Von späteren Forschern, welche bezüglich des normalen
Gliagewebes zu einer Auffassung, die mehr oder weniger mit der
Heldschen übereinstimmt, gekommen sind, muss Eisath (20)
genannt werden. Mit einer von ihm selbst ausgearbeiteten
Methode ist es Eisath gelungen, einen Teil des Gliaprotoplasmas
wie auch die Gliafasern darzustellen, was als ein bedeutender
Fortschritt gegen früher angesehen werden muss. Dei der Be-
trachtung der Eisathschen Abbildungen und noch mehr bei
einem näheren Studium seiner Arbeit gewinnt man indes die
Überzeugung, dass die von ihm angewandte Methode in zwei
Beziehungen ungenügend ist. Teils kann nur ein Teil der Glia-
fasern sichtbar gemacht werden, teils zeigt sich das Gliaprotoplasma
zweifelsohne zum grossen Teil nicht gefärbt. Auch bei Versuchen
mit der Methode von Eisath bin ich zu dieser Auffassung
gekommen. Die Schlussfolgerungen von Eisath können infolge-
dessen m. E. nur als teilweise richtig anerkannt werden. So
kann z. B. die von ihm gegebene Einteilung der Gliazellen nicht
zutreffend sein, indem die Eisathschen „runden Gliazellen ohne
Fortsätze und Fasern“ nach meinen Untersuchungen nicht
existieren, wenigstens nicht im Hundegehirn. Wenn Eisath (20)
über die von Held angewandte Methode aussagt:') „Nur hat,
wie aus den Bildern hervorgeht, die Heldsche Färbeart einen
ähnlichen Mangel wie die Nisslfärbung, denn sie macht auch
nur einen Teil des Gliazelleibes ersichtlich, und zwar nur den-
jenigen, welcher aus der Körnchensubstanz gebildet wird, während
die eigentliche Grenzlinie, welche im weiteren Umkreise der
Gliakörnchen die helle Grundsubstanz der Zelle einsäumt, nicht
zur Darstellung gelangt“, so ist dies eine Bemerkung, die nach
meinem Dafürhalten mit noch grösserem Rechte auf die Methode
von Eisath selbst angewendet werden kann. Indessen bleibt
es doch das Verdienst dieses Forschers, eine spezifisch gliafärbende
Methode gefunden zu haben, die eine Darstellung der Fasern
und des Gliaprotoplasmas, wenigstens teilweise, zulässt.
In letzterer Zeit, d. h. nach der Publikation der Heldschen
Arbeit, haben auch einige Pathologen auf Grund von Beobachtungen,
die an pathologischem Material gemacht wurden, sich für die
Hardesty-Heldsche Lehre von dem syncytialen Zusammenhang
der Gliazellen auch unter normalen Verhältnissen ausgesprochen.
2, Toe. eit, 8413.
Darstellung des Gliagewebes. 181
Auf die Arbeiten dieser Forscher, unter denen in erster Linie
Nissl (49, 50, 51) und Spielmeyer (59) genannt werden
müssen, kann ich an dieser Stelle nicht näher eingehen.
In den obigen Erörterungen bezüglich der in der Literatur
niedergelegten Beobachtungen über den Bau des Gliagewebes, die
in grösserem oder kleinerem Grade den meinigen ähneln, habe
ich die Gliastrukturen der grauen Substanz grösstenteils un-
berücksichtigt gelassen. Dies schien mir zweckmässig zu sein
nicht nur um in die Darstellung dieses gewissermassen verworrenen
Gebietes der normalen Histologie wenn möglich etwas Klarheit
zu bringen, sondern auch, weil die Beobachtungen, die ich hierbei
zunächst im Auge habe, gar nicht oder nur mit wenigen Aus-
nahmen vom Gesichtspunkte der Neuroglialehre diskutiert worden
sind. In der Tat scheinen die Beobachtungen über die netz-
förmigen Strukturen der grauen Substanz ein besonderes Kapitel
der Histologie des Uentralnervensystems zu bilden. Ich kann es
nicht unterlassen, die betreffenden Beobachtungen, insofern sie die
von mir gemachten mehr oder weniger berühren, hier zu besprechen.
Soweit ich aus der einschlägigen Literatur ersehen kann,
hat Golgi (24) zuerst Beobachtungen über die betreffenden
Bildungen angestellt. In seiner 1895 veröffentlichten Arbeit über
den Ursprung des IV. Gerebralnerven !) erwähnt er das Vorkommen
„einer feinen Bekleidung, wahrscheinlich aus Neurokeratin be-
stehend, von netzartiger Form, oder eine fortlaufende Schicht
bildend, welche nicht nur die Zellkörper, sondern auch ihre Fort-
sätze angeht, und auf die ich schon vor längerer Zeit die Auf-
merksamkeit gelenkt habe“.’) In einer kurz darauf erschienenen
Arbeit von Golgi und Fusari (26) habe ich diese pericellulären
Netzwerke nicht erwähnt gefunden, denen schon in der soeben
erwähnten Publikation Golgis eine isolierende Aufgabe zu-
geschrieben wurde. Dagegen werden die von Lugaro’) und
Sala*) mittels der Golgimethode nachgewiesenen feinen peri-
!) Wie bekannt, erschien die deutsche Übersetzung der Golgischen
Arbeiten im Jahre 1894.
2\,loe. cit, 8. 272.
®) Lugaro: Sulla connessioni fra gli elementi nervosi della corteceia
cerebellare con considerazioni generali sul significato fisiologieco dei rapporti
fra gli elementi nervosi. Rivist di frenit. e di medicina leg., T. XX, 1894.
*) Sala, L.: Sulla fina Struttura del Torus longitudinalis nel cervello dei
teleostei. Atti della Acad. della Scienze med. e nat. Ferrara, Anno LXIX, 189.
152 Halvar von Fieandt:
cellulären Netzwerke, welche von den erwähnten Forschern als
nervöse Bildungen gedeutet wurden, erwähnt. Golgi macht
dabei die Bemerkung, dass solche feinen pericellulären Netzwerke
in verschiedenen Teilen des Centralnervensystems als eine ziemlich
oft vorkommende Erscheinung von ihm nachgewiesen worden sind.
Ob Golgi hierbei die von ihm früher erwähnten aus Neurokeratin
bestehenden pericellulären Netzwerke oder andere netzförmige
Bildungen meint, geht nicht mit Sicherheit aus seinen Aus-
führungen hervor. Die Arbeiten von Lugaro und Sala kenne
ich nicht im Original und habe mir deshalb keine Meinung über
die von ihnen beschriebenen pericellulären Netzwerke, speziell
über die Beziehungen zwischen diesen und dem in meinen Prä-
paraten vorkommenden gliösen Netzwerke der grauen Substanz
bilden können.
In dem oben erwähnten Aufsatze von Golgi und Fusari
finde ich ausserdem eine Arbeit von Paladino') erwähnt, welche
in mehreren Punkten die uns hier interessierenden Fragen be-
rührt. Auch diese Publikation ist mir im Original nicht zu-
gänglich gewesen, weshalb ich mich an das von Golgi und
Fusari gemachte Referat halten muss. Über das Verhalten der
Neuroglia zu den Nervenzellen im hückenmarke heisst es: „Die
Nervenzellen sollen in Lücken enthalten sein, in welchen die
Neuroglia rarefiziert ist: auf ihrer Oberfläche soll man ein Spinn-.
sewebe aus Neuroglia bemerken, welches aus äusserst dünnen,
verflochtenen Fäden besteht“. Ob unter diesem „Spinngewebe
aus verflochtenen Fäden“ ein wirkliches Netzwerk verstanden
werden soll, darüber bin ich nicht vollständig im klaren. Wenn
dies der Fall sein sollte, ist Paladino vielleicht der erste, welcher
die feinen gliösen pericellulären Netzwerke beschrieben hat.
Golegi (25) ist jedoch etwas später auf die von ihm früher
beschriebenen pericellulären Netzwerke zurückgekommen. In
einem 1898 publizierten Aufsatz gibt er eine Beschreibung von
ihnen, die auf ihr Aussehen in Silberimprägnationspräparaten
basiert ist; er schreibt den Netzwerken eine isolierende Aufgabe
zu und ist der Ansicht, dass sie aus „Neurokeratin“ bestehen.
In jedem Falle müssen die betreffenden Bildungen nach Golgi
') Paladino, G.: Sui limiti preeisi fra la neuroglia e gli elementi
nervosi nel midollo spinale e sui aleune questioni istofisiologiche, chi vi si
riferiscono. Boll. dell. R accad. med. di Roma, Anno XIX, fasc. 1.
Darstellung des Gliagewebes. 185
zu den nicht nervösen Zwischensubstanzen gerechnet werden, was
besonders hervorgehoben werden soll.
Die nächste hierher gehörige Arbeit ist diejenige von Semi
Meyer (47) im Jahre 1899. Der Verfasser gibt hier eine Be-
schreibung über die von ihm mit Hilfe der vitalen Methylenblau-
methode dargestellten Neuritenverästelungen in verschiedenen
Teilen des Centralnervensystems (Endkern des Vestibularis, hintere
Vierhügel und obere Olive beim Kaninchen und Meerschweinchen) ;
diese „Neuritenendigungen“, welche teilweise aus feinen Netz-
werken, teilweise aus gröberen „kelchartigen Endigungen“ be-
stehen, werden betrefis ihrer Bedeutung mit den von ihm (45, 46)
früher mit derselben Methode dargestellten Achsenzylinderend-
verästelungen identifiziert; ebenso hält er dieselben für identisch
mit den von Golgi (25) 1898 beschriebenen pericellulären Netz-
werken und mit den Heldschen (29, 30) „Achsenzylinderend-
flächen“. Bezüglich der Identität der von ihm selbst beobachteten
Bildungen mit den Auerbachschen Endapparaten (6) drückt
sich Semi Meyer vorsichtiger aus („vielleicht dasselbe Gebilde“ ).')
Kurz nach der Publikation Semi Meyers erschien die
bekannte Arbeit von Bethe (13). Diesem Forscher war es
gelungen, mit Hilfe einer von ihm selbst ausgearbeiteten, ziemlich
komplizierten Methode nicht allein die Neurofibrillen der Ganglien-
zellen, sondern auch so gut wie überall in den grauen Substanzen
des Centralnervensystems feine netzartige Bildungen nachzuweisen.
Diese werden von Bethe für nervöse gehalten; er identifiziert
sie mit der von Golgi gefundenen und nennt sie Golginetze.
Weiter hält Bethe dieselben für identisch mit den von Held
(29, 30), Semi Meyer (45, 46, 47), Auerbach (6, 7) und
Donaggio?) früher beschriebenen. Die Resultate von Bethe
2 Ioe. cit. 8. 298.
°) Donaggio, A: Contributo alla conoscenza dell intima struttura
della cellula nervosa nei verte. Riv. speriment. di Frenitaria XXIV. 2. 1898.
Derselbe: Nuove osservazione sulla struttura della cellula nervosa.
Ibidem XXIV. 3. 4. 1899. Diese Arbeiten, welche von Bethe angeführt
werden, sind mir nicht im Original zugänglich gewesen. Von den kurzen
Referaten darüber in dem „Jahresber. über die Leistg. und Fortschr. auf dem
Gebiete der Neurologie und Psychiatrie aus den Jahren 1898 bzw. 1899 scheint
hervorzugehen, dass die netzförmigen Strukturen Donaggios von ihm als
den peripheren Teilen der Ganglienzellen, also dem Nervenzellenprotoplasma
zugehörig, gedeutet wurden; ob es sich hier um Netze handelt, welche mit
den Golginetzen gleichzustellen sind, geht aus der Darstellung nicht her-
vor. Es soll hier bemerkt werden, dass Cajal die wirklichen G olginetze
in derselben Weise aufgefasst hat, wie Donaggio.
184 Halvar von Fieandt:
unterscheiden sich in nennenswertem Grade von den früheren,
die mit der Imprägnationsmethode nach Golgi oder mit der
vitalen Methylenblaufärbung erhalten wurden. Teils konnten die
feinen Netzwerke mit der Betheschen Methode als pericelluläre
Netzwerke nicht allein in der nächsten Umgebung der Ganglien-
zellen, sondern auch im übrigen Teile der grauen Substanz, sich
darin diffus ausbreitend, nachgewiesen werden; teils wies Bethe
mit derselben Methode eigenartige Strukturen in der Marksub-
stanz nach, die aus einem gröberen Netzwerke, von Bethe Füll-
netz genannt, bestehen. In molybdängefärbten Präparaten erscheint
es etwas blasser, verbreitet sich in den Interstitien zwischen den
Markscheiden und geht auch in die grauen Substanzen über, ohne
jedoch mit den Golgischen Netzen zusammenzuhängen. Schliess-
lich soll erwähnt werden, dass Bethe einen kontinuierlichen
Zusammenhang zwischen den Golginetzen und feinen „endenden“
Achsenzylinderausläufern beschreibt und abbildet, wobei er doch
ausdrücklich hervorhebt, dass solehe Beobachtungen nicht absolut
beweisend sind.
Es soll noch eine Arbeit von Held (31) aus dem Jahre 1902
erwähnt werden, die einer Kritik der pericellulären Netze gewidmet
ist und in vielen Beziehungen aufklärend wirkt. Hela hat zur
Beleuchtung der Frage von der Beschaffenheit dieser Bildungen
sich sämtlicher zu Gebote stehender Methoden bedient und ge-
langt dabei zu dem Schlusse, dass unter dem Namen von Golgi-
netzen oder pericellulären Netzen Formationen von verschiedener
physiologischer Bedeutung beschrieben wurden. Die von Golgi
beschriebenen, ebenso wie die von Bethe und Semi Meyer
nachgewiesenen Netze werden von Held miteinander identisch
und gliöser Natur gehalten. Als ihrer Natur nach mit diesen
gleichwertig betrachtet Held einen Teil der von ihm selbst früher
als nervöses pericelluläres Terminalnetz aufgefassten Bildungen.
Von einer ganz anderen Beschaffenheit ist nach Held der grössere
Teil der von ihm selbst als netzförmig verzweigt, bezw. zu-
sammenhängend beschriebenen „Achsenzylinderendflächen“ ebenso
wie die Auerbachschen (7) Endnetze, welch letztere als wirk-
liche nervöse Terminalnetze aufgefasst werden müssen. Das „Füll-
netz“ von Bethe wird von Held als ein Gliareticulum aufge-
fasst, welches in Bethepräparaten mehr oder weniger deutlich
hervortritt, und dessen kontinuierlicher Übergang in die Golgi-
Darstellung des Gliagewebes. 185
netze nachgewiesen wird. Weiter hebt Held die tiefe Färbung
derjenigen Substanz hervor, die @liaschnürringe bildet, die also
bei der Betheschen Methode dieselben Eigenschaften und Färbe-
reaktionen wie die Golginetze zeigt, und weist auch hier die
Kontinuität zwischen den die Gliaschnürringe zusammensetzenden
Balken und dem Füllnetze nach. In seiner Arbeit von 1904
kommt Held (32) zu einem vollkommen ähnlichen Resultate
bezüglich der Natur der Betheschen Strukturen.
Zwei Jahre später veröffentlichte Donaggio!') eine Arbeit,
aus der hervorzugehen scheint, dass es ihm mit einer komplizierten
Methode gelungen ist, ein pericelluiäres Netzwerk rings um die
Ganglienzellen darzustellen, das er mit den Netzwerken von
Golgi, Semi Meyer und Bethe identifiziert. An der Bildung
der von Donaggio beschriebenen Netzformationen scheinen Be-
standteile teilzunehmen, welche teils als rein nervöse, teils als
gliöse gedeutet werden müssen.
Es seien hier schliesslich die netzartigen Bildungen erwähnt,
die bei Untersuchungen mit der Methode von Bielschowsky
gefunden werden. So beschreiben Bielschowsky und Wolff (17)
rings um die Purkinjeschen Zellen in der Rinde des Klein-
hirns wirkliche Terminalnetze, die durch Verbindungen zwischen
zahlreichen in verschiedenen Richtungen verlaufenden Axonen
gebildet werden. Rings um die Dendriten der Purkinjeschen
Zellen sollen ähnliche Terminalnetze vorkommen, in welchen
Achsenzylinder verschiedener Herkunft ihr Ende finden.
Wenn wir jetzt etwas näher auf die Frage eingehen, inwie-
weit diese früher beschriebenen teils pericellulären, teils diffusen
Netzwerke in den grauen Substanzen mit Rücksicht auf ihren
Bau und ihre physiologische Bedeutung dem von uns beschriebenen
Gliareticulum entsprechen, so können wir sogleich einige von
diesen Bildungen ausschliessen, da sie offenbar mit den Glia-
netzwerken, wie sie sich in Sublimathämatoxylinwolframpräparaten
darbieten, nichts zu tun haben. Hierzu rechne ich die von
Held (29) früher beschriebenen Achsenzylinderendflächen, die
Auerbachschen Terminalnetze (6. 7) und die von Semi
') Donaggio, A: Il reticulo fibrillare endocellulare negli elementi
nervosi dei vertebrati di fronte a recenti riccerche. Monit. zoolog. ital. anno
XV 10. Ref. im Jahresber. über die Fortschr. und Leistg. der Neurologie und
Psychiatr., Ber. über das Jahr 1904.
186 Halvar von Fieandt:
Meyer (46) im Jahre 1896 beschriebenen Neuritenendigungen.
Ob die von Semi Meyer 1897 nachgewiesenen pericellulären
.Faserkörbe“ mit unseren Glianetzwerken isomorph sind, kann
ich nicht sicher entscheiden. Leider vermag ich keinen Vergleich
mit den Netzwerken von Donaggio anzustellen, weil wie schon
erwähnt die diesbezüglichen Arbeiten mir im Original nicht zu-
gänglich waren.
Von den übrigen hierhergehörigen Bildungen halte ich die
mit der Golgimethode nachweisbaren pericellulären Netzwerke
wenigstens teilweise mit unserem feinen Reticulum in der grauen
Substanz des Hundehirns isomorph. Für diese Ansicht spricht
nicht so sehr die von Golgi (25) gegebene Beschreibung seiner
Neurokeratinnetze und die Abbildung, die er beigefügt hat (diese
kann, weil bei geringerer Vergrösserung gemacht, keine sicheren
Anhaltspunkte für einen Vergleich liefern), als vielmehr diejenigen
von den Heldschen (30) Abbildungen der pericellulären Golgi-
netze, die nach derselben Methode hergestellten Präparaten ent-
stammen. Besonders Fig. 5, Taf. XIV der erwähnten Arbeit zeigt
eine auffallende Ähnlichkeit mit meinen Abbildungen; namentlich
bietet das pericelluläre Golginetz in der unmittelbaren Nähe
des linken Randes der abgebildeten Ganglienzelle, sowohl hin-
sichtlich der feinen warzigen Balken, als der Grösse und der
Gestalt der Maschen in der Hauptsache dasselbe Aussehen, wie
das gliöse Netzwerk dar. Man kann also mit guten Gründen
behaupten, dass die sogenannten Golginetze, d.h. das mit der
Golgimethode nachweisbare pericelluläre Netzwerk, wenigstens
teilweise aus Neurogliagewebe besteht — unter der Voraussetzung,
dass das Vorkommen von zwei verschiedenen miteinander isomorphen
Netzformationen, von welchen die eine nervöser, die andere gliöser
Natur ist, ausgeschlossen werden kann. Diese Voraussetzung
scheint mir in der Tat zuzutreffen, denn die sicher nervösen
Endapparate, wie sie von Held, Auerbach und Cajal be-
schrieben worden sind — es mag sich dabei um freie oder
miteinander durch feine Brücken zusammenhängende Endkolben
handeln — können kaum Bilder liefern, welche mit den hier in
Frage kommenden verwechselt werden könnten.
Schwieriger scheint es mir zu entscheiden, ob Held (29, 30) in
seinen Arbeiten über die terminalen Netze Verwechslungen dieser Art
vollständig entgangen ist. Wenn man auf die von Held angewandte
Darstellung des Gliagewebes. 187
Methode (ein Eisenhämatoxylinverfahren nach Heidenhain),
welche, wie wir sehen werden, bei einer ganzen Reihe verschiedener
Fixierungen auch das gliöse Gewebe der grauen Substanz sichtbar
macht, ebenso wie auf die eigenartigen anatomischen Verhältnisse
Rücksicht nimmt, so scheinen bei einer solchen Arbeit wie der
Heldschen, Verwechslungen nach der angedeuteten Richtung hin
unvermeidlich. Doch finde ich unter den von Held gegebenen
Abbildungen der terminalen Achsenzylinderendkörbe nicht solche,
welche mich berechtigen, die von Held beschriebenen Netz-
werke als den hier diskutierten isomorph oder identisch anzusehen.
Nur das in Fig.9, Taf. XII (30) dargestellte pericelluläre Neuriten-
endnetz (abgesehen von den früher erwähnten nach Golegi
imprägnierten Netzwerken, besonders in Fig. 5, Taf. XIV) !) bietet
etwas mehr auffallende Ähnlichkeiten mit meinen Glianetzwerken,
obgleich ich auch nicht von dieser Figur behaupten kann, dass
eine Verwechslung mit gliösen Bildungen stattgefunden habe.
Dagegen kann ich aus guten Gründen die von Semi
Meyer (47) im Jahre 1899 beschriebenen netzförmigen Neuriten-
endungen, die mit der vitalen Methylenblaumethode dargestellt
wurden, dem mit der Subtriessighämatoxylinwolframmethode ge-
wonnenen pericellulären Netzwerke isomorph ansehen. Besonders
zeigen die Fig. 1 und 3 von Semi Meyer eine sogar bis auf
die Details sich erstreckende Ähnlichkeit mit den Bildern, die
ınan mit meiner Methode erhält. Ein Umstand, der besonders
hervorgehoben zu werden verdient, ist, dass auch die körnige
seschaftenheit der Balken des gliösen Netzwerkes, die ich früher
erwähnt habe, mehr oder weniger deutlich in jenen Abbildungen
hervortritt (siehe Fig. I bei Meyer, die Zelle links). Der Ver-
such von Semi Meyer, die nervöse Natur dieser Netzwerke
zu beweisen, kann nicht als glücklich bezeichnet werden; „ebenso-
wenig wie die Markscheide färbt sich bei der vitalen Methode
die Glia, an die Golgi vielleicht auch gedacht hat, so dass also
aus einer der isolierenden und stützenden Substanzen die Gitter,
die sich mit Methylenblau so schön färben, nicht bestehen können.
Auch die Färbbarkeit mit der Betheschen Fibrillenmethode
spricht wohl für die nervöse Natur der Gitter, wenigstens scheint
!) Die in den betreffenden Figuren abgebildeten, mit der Silber-
imprägnationsmethode dargestellten Netzwerke sind später von Held selbst
als gliöse gedeutet worden.
188 Halvar von Fieandt:
dies für Bethe nach seinen Äusserungen selbstverständlich zu
sein.“') Die Unzulänglichkeit dieser Beweisführung ist leicht
einzusehen. Erstens kann man doch nicht von vornherein als
ausgeschlossen annehmen, dass auch nicht gliöse Elemente
gelegentlich bei der vitalen Methode gefärbt werden können,
zweitens beweist eine Färbbarkeit durch die Bethesche Methode
nichts, weil bis auf den heutigen Tag niemand den Beweis erbracht
hat, dass die von Bethe nachgewiesenen Netzwerke wirklich
nervöser Natur sind.
Beim Studium der Betheschen Arbeit (13) und der von
ihm beigefügten Abbildungen drängt sich im Gegenteil sogleich
die Auffassung auf, dass die von dem betreffenden Forscher
dargestellten Strukturen, selbstverständlich mit Ausnahme der
intracellulären, zum Ganglienzellenprotoplasma gehörenden Neuro-
fibrillen, wenigstens nicht ausschliesslich nervöser Natur sind.
Ein Umstand, der schon von vornherein anzudeuten scheint,
dass auch das Gliagewebe mehr oder weniger an der Farben-
reaktion teilnimmt, ist das Vorkommen des von Bethe so
genannten Füllnetzes, das nach ihm in Beziehungen zu Blut-
gefässen, Gliakernen und Pia mater tritt. Es ist schwer, sich ein
anderes Gewebe zu denken. das sich in dieser Weise verhält,
als gerade die Glia. Um auf die Golginetze zurückzukommen,
so bieten die mit der Molybdänmethode von Bethe (13) nach-
gewiesenen Netzwerke, aus seiner Beschreibung wie den Abbildungen
zu urteilen, in vielen Hinsichten eine bemerkenswerte Ähnlichkeit
mit dem gliösen Netzwerk in meinen Präparaten. Ich verweise
nur auf die Fig. 19, 28, 27, Taf. XXX und Fig. 42, Taf. XXXI von
Bethe. Von diesen bietet besonders die letzterwähnte, die das
Golginetz der Molybdänmethode veranschaulicht, insofern gewisse
Vergleichspunkte mit meiner Fig.4, Taf. VII, als zu Grund für
beide Zeichnungen entsprechende Abschnitte des Gehirns, und
zwar die Molekularschicht der Rinde des Grosshirns liegen. In
beiden Figuren zeigen die Maschen des Netzwerkes ungefähr
dieselbe Grösse und Form; in den Knotenpunkten stossen gewöhn-
lich drei, gelegentlich vier Balken zusammen; diese erscheinen
ziemlich von gleicher Stärke und haben wenigstens keine grösseren
Anschwellungen an den Knotenpunkten; in beiden Figuren kann
man weiter beobachten, wie das Netzwerk sich diffus durch die
!) loc. eit. S. 300.
Darstellung des Gliagewebes. 159
graue Substanz von einem Dendriten zum anderen erstreckt.
An der Oberfläche der Ausläufer werden mehr oder weniger
deutlich hervortretende Pericellulärnetze gebildet, welche also nur
die der Nervenzelle oder deren Dendrit unmittelbar anliegenden
Teile der diffusen Netzformation sind. In einer Beziehung unter-
scheidet sich das Bethesche Golginetz von meinem Gliareticulum,
indem jenes nämlich homogen oder wenigstens ohne mehr auffallende
körnige Bildungen hervortritt. Diesem Umstand kann ich aber
keine besondere Bedeutung in dem Sinne beilegen, dass die
Betheschen Netze anders als die von mir abgebildeten zu deuten
seien. Ich finde nämlich in der Arbeit von Held (31), der auch
mit der Betheschen Methode gearbeitet hat, Äusserungen, welche
darauf hindeuten, dass die Golginetze in Molybdänpräparaten
wenigstens gelegentlich eine mehr oder weniger körnige Beschaffen-
heit zeigen.') Andererseits habe ich bei Fixierung mit Sublimat-
trichloressigsäure und Färbung in oben angegebener Weise
Präparate erhalten, in denen die von mir beschriebene Körnelung
der Balken des Glianetzes gar nicht oder nur undeutlich hervor-
trat. Dies hat beobachtet werden können bei einer Nachbehandlung
der fixierten Stücke in absolutem Alkohol, der während der ersten
24 Stunden nicht gewechselt wurde. Solche Präparate erinnern
in hohem Grade an die Betheschen, auch was die Golginetze
betrifft; vielleicht sind die Balken in den letzterwähnten etwas
graciler, jedoch tritt dieselbe homogene Beschaffenheit der Balken
wie in den Betheschen Netzen auch hier hervor. Mit Rück-
sicht auf das oben Gesagte halte ich mich für berechtigt,
die Betheschen Golginetze als mit den Glianetzen der grauen
Substanz isomorph anzusehen; die Betheschen Netze sind also
höchstwahrscheinlich gliöser Natur. Eine solche Annahme ist
um so eher berechtigt, als Bethe selbst keine Beweise für die
nervöse Natur der Golginetze angeführt hat. Denn dass dem
kontinuierlichen Zusammenhang zwischen den Achsenzylinder-
verästelungen und diesen Netzen, der von Bethe beschrieben
wurde, in dieser Beziehung keine entscheidende Bedeutung zu-
geschrieben werden kann, geht wohl schon daraus hervor, dass
er selbst seine Beobachtungen in diesem Punkte für nicht völlig
beweisend hält.
1) loe. eit. S. 221.
190 Halvar von Fieandt:
Aber auch in einer anderen Beziehung bietet ein Vergleich
zwischen der Betheschen Methode und der hier beschriebenen
ein gewisses Interesse. Ich habe schon früher die Kunstprodukte
erwähnt, welche bei Anwendung meiner Methode entstehen können
und dabei auf das Vorkommnis eigenartiger Artefakte hin-
gewiesen, die an das Bethesche Füllnetz erinnern und sich vom
letzteren nur durch eine stärkere Färbung und vielleicht durch
eine gröbere Beschaffenheit der Balken unterscheiden. Wenn es
sich herausstellen sollte, dass meine Beobachtungen in dieser
Hinsicht richtig sind — wenigstens berechtigen mich meine
wiederholten Erfahrungen dazu — so scheinen mir gewisse Möglich-
keiten vorhanden zu sein, das eigentümliche Aussehen zu erklären,
welches das Gliagewebe bei einer Behandlung nach Bethe annimmt;
denn dass die Betheschen Golginetze und die Füllnetze für
(Gliagewebe gehalten werden müssen, obgleich bis zu einem ge-
wissen Grade entstellt, habe ich schon an mehreren Stellen hervor-
gehoben. Solche Bilder fand ich nur bei direkter Übertragung
der Stücke von der Fixierungsflüssigkeit in absoluten Alkohol auf
24 Stunden. Bethe wendet ein insofern ähnliches Verfahren
an, als er nach Fixierung in 5—7"'’o Salpetersäure die Stücke
mit Alkohol (96°/o) ebenfalls während 24 Stunden behandelt, der
auch nicht gewechselt wird. Das gemeinsame dieser beiden Ver-
fahren ist also das Übertragen der Organteile von einer stark
sauren Wasserlösung in konzentrierten Alkohol auf längere
Zeit (24 St.). Es ist also wahrscheinlich, dass wir in dieser
Behandlung die Ursache zu suchen haben für das eigentümliche
strukturlose Aussehen, das die Neuroglianetzwerke in Bethe-
präparaten darbieten, obgleich ich mir keine bestimmte Vor-
stellung davon habe bilden können, in welcher Weise die
erwähnte Kombination von Alkohol und Säure auf das Ge-
webe einwirkt. In jedem Falle sprechen auch diese Verhält-
nisse bis zu einem gewissen Grade für die gliöse Natur der
Betheschen Netze.
Bezüglich der mit der Bielschowskyschen Methode nach-
weisbaren feinen, pericellulären Netzwerke habe ich nur zu be-
merken, dass dieselben nicht ohne weiteres als nervöse aufgefasst
werden können. Im Gegenteil scheint mir bei der Beurteilung
solcher Beobachtungen, mit Rücksicht auf das unzweifelhafte Vor-
kommen von feinen pericellulären Glianetzen einerseits und auf die
Darstellung des Gliagewebes. 191
nicht vollständig elektiven Eigenschaften der Bielschowskyschen
Methode andererseits, eine gewisse Vorsicht geboten.
Dass die Silbermethode von Cajal, die im übrigen hinsicht-
lich der Färbung der Neurofibrillen der Hauptsache nach in der-
selben Weise wie diejenige von Bielschowsky sich verhält,
die Golginetze nicht zu Gesicht bringt, ist eine bekannte Tat-
sache. Neuerdings hat Cajal!) seine Methode dahin modifiziert,
dass mit derselben, wenn auch nicht regelmässig, eine Färbung
auch der pericellulären Netzwerke erhalten werden kann. Es
ist für uns von einem gewissen Interesse. zu konstatieren, dass
die Methode damit ihre elektiven Eigenschaften eingebüsst hat,
da durch dieselbe nicht allein die Golginetze, sondern auch
andere, nicht nervöse Gewebselemente, z B. collagene Binde-
gewebsfasern in der Adventitia der Blutgefässe dargestellt werden
können.
Von den in der Literatur beschriebenen netzförmigen
Bildungen in der grauen Substanz des Zentralnervensystems halte
ich also die pericellulären Netze von @olgi, die Neu-
ritenendungen von Semi Meyer, insoweit diese von
wirklichen Netzformationen gebildet werden, und
die Betheschen Golginetze für dem Gliareticulum
der Hämatoxylinwolframmethode isomorphe Bildungen,
und zwar sind diejenigen von Golgi, SemiMeyer und
Bethe beschriebenen höchstwahrscheinlich gliöser
Natur. Die Berechtigung dieser Annahme geht daraus hervor,
dass man bis auf weiteres netzförmige Bildungen von zweifellos
nervöser Natur, welche den oben erwähnten vollständig ähneln,
nicht kennt, dagegen eine auftallende Formähnlichheit zwischen
ihnen und gewissen unzweideutigen Gliasubstanzen in der Rinde
des Grosshirns nachweisen kann.
Ich möchte schliesslich bemerken, dass ich bei der Diskussion
über diejenigen Resultate der früheren Forscher, welche mehr
oder weniger den meinigen ähneln, auf das Tiermaterial, das den
einzelnen hierhergehörigen Arbeiten zu Grunde gelegen hat, keine
Rücksicht genommen habe. Dies ist geschehen nicht um meine
!) Cajal, $S, Ramon, y: Les conduits de Golgi-Holmgren,
du protoplasma nerveux et le reseau pericellulaire de la membrane. Trav.
Labor. Rech. biol. Univ. Madrid, T. VI, 1908. Ref. Zeitschr. f. wissensch.
Mikrosk., Bd. 26, 1909.
192 Halvar von Fieandt:
Ausführungen zu erleichtern, sondern weil ich an verschiedenem
Material (Mensch, Hund, Meerschweinchen) konstatieren konnte,
dass prinzipielle Verschiedenheiten mit Rücksicht auf den
anatomischen Bau des Neurogliagewebes innerhalb der hier in
Frage kommenden Tiergruppen nicht existieren.
Ehe ich die Besprechung der Resultate meiner Methode
verlasse, kann ich nicht umhin, noch einen besonderen Umstand
zu erörtern. In der Beschreibung des Baues des Neuroglia-
gewebes, die ich oben gegeben habe, ist an mehreren Stellen
auf das Vorkommnis von körnigen Bildungen hingewiesen worden,
welche in Aussehen und Anordnung von ziemlich typischer Be-
schaffenheit sind. Diese Körnchen die in Grösse und Farbe
etwas variieren, sind in das Gliaprotoplasma der Balken des
Syneytiums eingeschlossen. Ich habe diese Körnchen als Gliosomen
bezeichnet. Es bleibt noch übrig zu untersuchen, ob denselben
eine wirkliche Existenz zukommt, oder ob sie als eine Folge der
Präparation betrachtet werden müssen. Hierbei muss besonders
die Möglichkeit einer durch das Fixierungsmittel entstandenen
körnigen Fällung gewisser Teile des Gliaprotoplasmas in Betracht
gezogen werden. Ich möchte nun zuerst hervorheben, dass die
erwähnten Gliosomen keineswegs nur in Trichloressigsäurehäma-
toxylinwolframpräparaten vorkommen, sondern dass sie auch bei
einer Reihe anderer Methoden auftreten. So sieht man in mit
Eisenhämatoxylin gefärbten Präparaten, die in Zenkerscher
Flüssigkeit z. B. oder in anderen sublimathaltigen Fixierungs-
mitteln fixiert wurden, die grauen Substanzen von körnigen
Gebilden wimmeln. die in Grösse und Anordnung mit den
Gliosomen vollkommen übereinstimmen. Hierbei darf man natür-
lich nicht Präparate verwenden, bei denen die Differenzierung
zu weit getrieben wurde. Diese Körnchen kennt sicher ein
jeder, der Gliacentriolen mit der betreffenden Methode dar-
gestellt hat. Aber dies beweist ja an und für sich nicht,
dass die Körnchen nicht durch die Präparationsmethoden in
arteficieller Weise dargestellt wurden; besonders ist es ja von
den sublimathaltigen Fixierungsmitteln bekannt, dass sie die
Neigung haben, den feineren Protoplasmastrukturen eine gewisse
Darstellung des Gliagewebes. 193
körnige Beschaffenheit zu verleihen, die zweifelsohne einer fein-
körnigen Fällung oder einer „feinen tropfigen Entmischung“ der
Eiweissstoffe des Protoplasmas ihre Entstehung verdankt. Mit
Rücksicht hierauf ist es also von Interesse, zu konstatieren, dass
man nach Alkoholfixierung und mit derselben Färbungsmethode
(Eisenhämatoxylin) bei Einhalten eines gewissen Differenzierungs-
grades die Körnchen des gliösen Netzwerkes zu Gesicht bringen
kann. Am besten werden diese als gliöse Bildungen erkannt,
wenn man an solchen Präparaten die feinen Protoplasmabalken,
welche die Rothschen Räume durchziehen, untersucht. Hier
kann man leicht die rosenkranzartige Anordnung beobachten.
Auch bei Alkoholfixierung, Nachbeizung nach Benda und einer
nachfolgenden Eisenhämatoxylinfärbung können in wenig differen-
zierten Präparaten dieselben Bildungen nachgewiesen werden.
Bei allen diesen verschiedenen Behandlungsmethoden sind die
Körnchen zu sehen, nur ihre Farbe scheint im Verhältnis zu den
übrigen Gewebselementen mehr oder weniger an Intensität zu
wechseln. Wenn man also auch bei Alkoholfixierung, die jedoch
wie bekannt mit Bezug auf die Protoplasmastrukturen nicht die-
selben Eigentümlichkeiten wie die sublimathaltigen Flüssigkeiten
zeigt, sondern im Gegenteil die Tendenz hat, dem Protoplasma
eine mehr netzförmige oder wabige Beschaffenheit zu geben, das
Vorkommen der Gliosomen feststellen kann, so scheint es
höchstwahrscheinlich, dass dieselben nicht der Einwirkung des
Fixierungsmittels zugeschrieben werden können.
Um weiterhin zu zeigen, wie unabhängig von den Fixierungs-
mitteln diese Körnchen sind, erlaube ich mir noch anzuführen,
dass Held (33) in seiner letzten Arbeit über die marginale Glia
dieselben besonders in dem feinen Gliasyneytium der grauen
Substanz beobachtet zu haben scheint. Ich schliesse dies aus
einigen seiner Abbildungen, besonders Fig. 1 und 2, Taf. VIII;
die hier abgebildeten feinen Körnchen, die in den Balken des
feinfädigen Gliasyneytiums eingestreut sind, kann ich nur als mit
meinen Gliosomen identische Bildungen deuten. Held hat für
die Fixierung die Müllersche Flüssigkeit mit Zusatz von Sublimat,
Eisessig und Formalin benutzt.
Kann man also nachweisen, dass die Gliosomen hinsichtlich
ihres Vorkommens oder ihres Aussehens von den von uns an-
gewendeten verschiedenen Fixierungsmitteln unabhängig sind, so
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. 13
194 Halvar von Fieandt:
bleibt nur übrig, diesen Bildungen eine wirkliche Existenz
zuzuschreiben und sie als mit übrigen histologischen Gewebs-
elementen ebenbürtig zu betrachten.
Es wäre natürlich von Interesse, die biochemische Beschaffen-
heit und die biologische Rolle der Gliosomen zu ermitteln. Zwar
stehen in diesem Punkte nur sehr unvollständige technische
Hilfsmittel zu unserer Verfügung, indem wir dabei ausschliesslich
auf ihr Verhalten zu unseren Färbereagentien hingewiesen sind;
jedoch gibt ja auch dieses Verfahren bei anderen Geweben und
Gewebselementen gewisse Resultate und bezüglich der Gliosomen
zeigt es sich ebenfalls wenigstens anwendbar. Es verdient hervor-
gehoben zu werden, dass dieselben mit den gewöhnlichen Glia-
färbungsmethoden, durch welche man eine differente Färbung
der Fasern bezweckt, nicht dargestellt werden können; die
Gliosomen müssen also hinsichtlich der Zusammensetzung von
den Gliafasern abweichen. Andererseits zeigen sie Reaktionen,
wodurch sie sich von dem undifferenzierten Protoplasma, besonders
demjenigen der Gliazellen unterscheiden, indem sie bei der
Hämatoxylinwolframmethode eine tiefere, das Protoplasma aber
eine hellere Farbe annehmen. Dass diese Reaktionsverschieden-
heit nur in quantitativer und nicht in qualitativer Hinsicht sich
geltend macht, bedeutet hierbei verhältnismässig wenig. da
bekanntlich ein grosser Teil der histologischen Reaktionen gerade
in einer Verschiedenheit der Färbungsintensität besteht. Gegen-
über dem Eisenhämatoxylin zeigen die Gliosomen und das
Gliaprotoplasma ein ähnliches Verhalten. Je weiter man die
Differenzierung treibt, um so blasser wird das Protoplasma,
während die Körnchen verhältnismässig lange die Farbe behalten,
bis schliesslich auch sie abblassen. Dies spricht dafür, dass die
Substanz, welche die Gliosomen bildet, nicht einfach aus Glia-
protoplasma besteht, sondern dass sie von derselben in chemischer
Hinsicht wenigstens in gewissen Beziehungen abweicht.
Schwieriger ist es aber, sich eine Vorstellung davon zu
bilden, worin diese Verschiedenheit besteht. Man könnte sie
vielleicht auf die Resultate der Hämatoxylinwolframmethode
beziehen, bei der die Gliosomen dieselbe Farbe annehmen wie
die Gliafasern und sie als Differenzierungsprodukte des Proto-
plasmas gegen die Substanz der Gliafasern hin auffassen. Diese
Annahme ist natürlich nicht ohne weiteres richtig, weil bekanntlich
Darstellung des Gliagewebes. 195
eine Übereinstimmung ‚der Farbresultate nicht die Identität
verschiedener histologischer Gewebselemente beweist. Es gibt
aber einige Umstände mehr morphologischer Art, welche dafür
sprechen, dass die erwähnte Möglichkeit doch in Betracht gezogen
werden muss. Wie ich schon früher angeführt habe, treten
nämlich in den Abschnitten der Hirnrinde, wo Gliafasern vor-
kommen, oft gewisse räumliche Beziehungen zwischen diesen
und den Gliosomen hervor. So sieht man nicht selten in der
perivasculären Grenzmembran die reihenartig angeordneten
Gliosomen anscheinend eine Fortsetzung der Gliafasern bilden.
Andererseits kann nachgewiesen werden, dass diese, an der
Limitans angelangt, sich auffransen und eine blassere Farbe
annehmen, stellenweise abgebrochen erscheinen und gelegentlich
nur durch eine Reihe Körnchen angedeutet sind, welche bezüglich
Aussehen und Beschaffenheit vollständig den Gliosomen zu ent-
sprechen scheinen. Auch die Bildungen, die am meisten den
Eindruck körniger Fäden machen, die wahrscheinlich durch An-
sammlung einer Reihe Gliosomen entstanden sind und die gelegent-
lich besonders in der perivasculären Grenzmembran der grauen
Substanz gesehen werden können, verdienen hierbei erwähnt zu
werden.
Diese Beobachtungen und andere ähnlicher Art scheinen
den Schluss zu erlauben, dass die Gliosomen doch etwas mit
den Gliafasern zu tun haben, wenn sie auch in ihrer Zusammen-
setzung von ihnen abweichen. Von welcher Art diese gegen-
seitigen Beziehungen sind, darüber kann man sich bis auf weiteres
nur in hypothetischer Weise aussprechen. Um nur eine Möglich-
keit anzudeuten, scheint es mir nicht unmöglich, dass die be-
treffenden körnigen Differenzierungsprodukte des Gliaprotoplasmas
eine gewisse Rolle bei der Neubildung der Gliafasern spielen.
Aus dem, was von der Faserbildung im Gliagewebe bekannt ist,
scheint hervorzugehen, dass hierbei gewissen körnigen Bestand-
teilen eine besondere Aufgabe zukommt. Hiervon sagt Held (32)
in seiner Beschreibung über die Entwicklung der Gliafasern im
N. opticus der Mäuse:') „Mit diesem Stadium habe ich noch
ein etwas früheres, den Nervus opticus eines reifen Mause-
fötus verglichen: er zeigt zum Unterschied nur ganz ver-
einzelte Gliafasern in jenen Zellfortsätzen, welche noch
Bei 5.288.
13*
196 Halvar von Fieandt:
nicht den Zelleib durchsetzen. Auch ist hier die Substanz
des sich bildenden Gliafäserchens noch nicht so fest und
homogen, sondern noch etwas körnig, so dass es wie ein matter
Strich im Zellprotoplasma erscheint.“ Als Beweis dafür, dass
ähnliche Beobachtungen auch an pathologischem Material gemacht
worden sind, möchte ich noch die Arbeit von Spielmeyer (59)
zitieren:') „Im Heidenhainschen Präparat erkennt man eine
zarte grauschwarze Strichelung, die der Differenzierung gegenüber
sehr empfindlich ist. Im Weigertschen Gliapräparat heben sich
von dem rötlich gelben Protoplasmagrunde (Kontrastfärbungen)
der Fortsätze und des Zelleibes feine, mattblaue oder graublaue
Streifen ab. Mit Hilfe des Apochromaten sieht man ganz
deutlich kleinste, etwas stärker blau gefärbte Körnchen in dieser
Streifung (Fig. 1). Dass es sich bei diesen Körnchenreihen
um die Anfänge der Gliafaserbildung handelt, darf wohl
mit Sicherheit angenommen werden.“ Es ist offenbar, dass es
sich bei diesen körnigen Protoplasmadifferenzierungsprodukten,
die bei der Neubildung der Gliafasern als ein Vorstadium derselben
auftreten, nicht ausschliesslich um mit unseren Gliosomen identische
Bildungen handelt, obgleich es andererseits mit Rücksicht auf
die gegenseitigen Beziehungen, die die Fasern und Gliosomen
unter normalen Verhältnissen zeigen, wahrscheinlicher ist, dass
letztere hierbei auch eine gewisse Rolle spielen. Würde es
gelingen, zu beweisen, dass die Gliosomen bei der Entwicklung
oder der Neubildung der Gliafasern ein Zwischenstadium zwischen
dem undifferenzierten Protoplasma und der spezifischen Faser-
substanz bilden, so wäre damit zweifelsohne ein neuer Gesichts-
punkt für die Beurteilung der histogenetischen Stellung der
gliösen Substanzen der Rinde gewonnen. Das Gliasyneytium der
grauen Substanzen mit den eingestreuten Gliosomen würde somit
im Vergleich mit dem faserhaltigen Teile des Gliagewebes ein
früheres Entwicklungsstadium, wo es noch nicht zur Ausbildung
fertiger Gliafasern gekommen ist, repräsentieren. Auch das Ver-
mögen der Gliazellen der Hirnrinde, unter gewissen pathologischen
Verhältnissen Gliafasern auch in solchen Gegenden, wo keine
Fasern vorkommen, zu produzieren, würde uns sicher leichter
verständlich erscheinen. |
1) 1. c. 8. 308.
Darstellung des Gliagewebes. ET
Wie dem nun auch sei, soviel scheint mir bis auf weiteres
mit Sicherheit angenommen werden zu können, dass in dem
feinen, die grauen Substanzen durchsetzenden Glia-
syneytium körnige Bildungen besonderer Art und
charakteristischer Anordnung vorkommen, welche
als Differenzierungsprodukte des Gliaprotoplasmas
angesehen und somit gewissermassen mit den Glia-
fasern gleichgestellt werden müssen. Ob man diese
Bildungen Gliosomen oder anders nennt, ist natürlich vollständig
gleichgültig.
Im Vorhergehenden habe ich versucht, eine Darstellung der
Resultate zu geben, die durch Anwendung der Subtriessighäma-
toxylinwolframmethode beim Studium des normalen Gliagewebes
erreicht werden können, und ich habe auch die Ergebnisse
früherer Forscher erwähnt, soweit sie für uns ein grösseres
Interesse darbieten. Bevor ich schliesse, bleibt mir noch übrig
von der praktischen Verwendbarkeit der Methode und den damit
in Zusammenhang stehenden Fragen einige Worte zu sagen. Ganz
besonders muss ich mich in aller Kürze mit den theoretischen
Voraussetzungen, auf denen sich die Methode gründet, beschäftigen,
teils um die Anwendung derselben zu erleichtern, teils um meine
diesbezüglichen Erfahrungen denjenigen zugute kommen zu lassen,
welche vielleicht die Methode in dem einen oder anderen Punkte
mangelhaft finden und event. nach einer Verbesserung oder
Ergänzung derselben streben werden.
Hinsichtlich der Fixierungsflüssigkeit und deren Einwirkung
auf die Färbungsresultate verdient hervorgehoben zu werden,
dass die Trichloressigsäure dabei offenbar eine wichtige Rolle
spielt. Die Färbung des Gliaprotoplasmas, welche in bestimmter
Weise meine Präparate kennzeichnet, scheint so gut wie aus-
schliesslich auf die Rechnung der Trichloressigsäure gesetzt
werden zu müssen. Dass diese nicht nur eine physikalische
Fällung des Protoplasmas bewirkt, sondern auch dessen chemische
Zusammensetzung beeinflusst, also als ein Beizungsmittel wirkt,
ist offenbar. Von der Richtigkeit dieser Ansicht kann man sich
leicht überzeugen, wenn man Material, das z. B. in einer 5°/o
wässrigen Lösung von Trichloressigsäure fixiert wurde, in der-
19 Halvar von Fieandt:
an
selben Weise wie dies bei dem betreffenden Färbeverfahren oben
beschrieben wurde, behandelt. In solchen Präparaten tritt das
Gliaprotoplasma in demselben Farbenton und Umfange hervor,
wie nach Fixierung in der von Heidenhain angegebenen
Flüssigkeit. Bei diesem Verfahren können dagegen die Glia-
fasern nur unvollständig dargestellt werden und nehmen einen
Farbenton an, der sich nicht in nennenswertem Grade von dem
des Gliaprotoplasmas unterscheidet. Es ist also wahrscheinlich,
dass die übrigen Bestandteile, welche die Fixierungsflüssigkeit
zusammensetzen, eine Einwirkung auf die Weigertschen Fasern
nach derselben Richtung hin wie die Trichloressigsäure auf das
Gliaprotoplasma ausüben und sie durch Beizung der nachfolgenden
Färbung zugänglich machen. Diese Beizung der Fasern scheint
mir, teilweise wenigstens, dem Sublimat zugeschrieben werden
zu müssen. Obgleich ich für diese Annahme keinen stichhaltigen
Beweis anführen kann, scheint sie mir jedoch wahrscheinlich,
weil das Sublimat schon früher mit Erfolg für ähnliche Zwecke
angewendet wurde, und zwar vonLhermitte undGuccione (40).
In gewisser Weise mit der Frage vom Sublimat als Beizungs-
mittel verknüpft ist die Bedeutung der nachfolgenden Jodbehand-
lung. Ob die Jodierung der Schnitte ausschliesslich dem gründ-
lichen Entfernen des Sublimates dient, oder ob ihr auch eine
andere Rolle, z. B. eine Oxydationswirkung zukommt, habe ich
nicht entscheiden können. Soviel scheint mir sicher zu sein,
dass man durch eine gründliche Jodierung, wie sie oben be-
schrieben wurde, eine gleichmässigere und sicherere Färbung der
(Glia erhält, als durch ein kürzeres Verfahren. Ebenso bewirkt
eine Anwendung der in der mikroskopischen Technik geläufigen
Oxydationsverfahren an Stelle oder im Verein mit einer Jod-
behandlung eher eine Verschlechterung als eine Verbesserung der
endgültigen Färbungsresultate.
Bezüglich der Alkoholbehandlung nach der Fixierung habe
ich dem oben (S. 12) Angeführten nicht viel hinzuzufügen. Wie
gesagt, eignet sich für diese Nachhärtung nicht absoluter Alkohol
wegen der Schwierigkeit, mit seiner Hilfe elektiv gefärbte Präparate
zu erhalten; Achsenzylinder und Nervenzellprotoplasma werden nach
einer solchen Vorbehandlung intensiv gefärbt und halten die Farbe
bei der Differenzierung mit grosser Zähigkeit fest. Schwächere
Konzentrationsgrade als die vorgeschriebenen, die zwar ebenso-
Darstellung des Gliagewebes. 199
wenig wie der 96°/o den erwähnten Übelstand darbieten, können
aber nicht in Frage kommen, weil sie das Myelin zur Quellung
bringen und somit störende Artefakte hervorrufen. Wie die Ver-
schiedenheit der Einwirkung eines absoluten und 96 °/o Alkohols
erklärt werden soll, ist mir vorläufig unklar: vielleicht spielt
hierbei die schneller oder langsamer vor sich gehende Auflösung
des Myelins nebst Diffusionsverhältnissen zwischen der dem Organ-
teile anhaftenden Fixierungsflüssigkeit und dem Alkohol die be-
stimmende Rolle.
Die Polychromasie der Malloryschen Farblösung, die der
Einwirkung des Wasserstoffsuperoxyds auf die leicht zersetzbare
Phosphorwolframsäuregruppe zugeschrieben werden muss, wo-
durch Körper von verschiedenem Sauerstoffgehalte entstehen, die
wieder Doppelverbindungen mit dem Hämatoxylin eingehen, macht
sich gegenüber dem in beschriebener Weise vorbehandelten Ge-
webe nach zwei Richtungen hin geltend. Die Farbflüssigkeit
wirkt entweder rot- oder blaufärbend. je nach den verschiedenen
Affinitäten der gebeizten (Gewebselemente. Wie schon früher
erwähnt wurde, können also durch ein rein progressives Ver-
fahren gewisse Resultate erreicht werden. Es zeigt sich ausser-
dem, dass die rotfärbenden Komponenten relativ unecht, die
blaufärbenden dagegen verhältnismässig echt färben. Die Ver-
bindungen zwischen den rotfärbenden Salzen und gewissen
Gewebsbestandteilen (collagene Fasern, Achsenzylinder, rote Blut-
körperchen) werden von alkoholischer Ferrichloridlösung zersetzt,
während die Verbindungen zwischen den blaufärbenden Salzen
und den Gewebselementen sich gegenüber diesem Differenzierungs-
mittel resistent verhalten.
Es wurde früher hervorgehoben, dass die Differenzierungs-
flüssigkeit frisch zubereitet werden muss. Wenn man nämlich
die alkoholische Ferrichloridlösung eine Zeitlang stehen lässt,
dann nimmt sie allmählich eine mehr saure Reaktion an und es
tritt gleichzeitig unter Umständen eine reichliche braune amorphe
Fällung ein. Diese besteht offenbar aus colloidalem Ferrihydroxyd,
das durch hydrolytische Spaltung des Ferrichlorids in der nun-
mehr wasserhaltigen Flüssigkeit entstanden ist. Eine solche
ältere Lösung ist natürlich für Differenzierungszwecke unbrauch-
bar und muss, sobald sie sich zu trüben beginnt, durch eine
frische ersetzt werden.
200 Halvar von Fieandt:
Von den Nachteilen des Verfahrens verdienen diejenigen
genannt zu werden, welche durch seine Eigenschaft als eine
regressive Methode bedingt werden. Ebenso wie andere ähnliche
Methoden überhaupt färbt auch diese elektiv nur beim Einhalten
eines gewissen Differenzierungsgrades. Die Färbungsresultate mit
meiner Methode sind also im wesentlichen von der Genauigkeit
der Differenzierung abhängig. Während dies jedoch nur in ge-
ringem Grade ihre Anwendung erschwert, bildet ein anderer
damit zusammenhängender Umstand einen etwas grösseren Übel-
stand. Es kommt gelegentlich vor, dass die Differenzierung nicht
vollständig gleichmässig verläuft, besonders bei den Achsen-
zylindern, die teilweise dazu neigen, die Farbe festzuhalten. Die
Färbung dieser Gebilde ist deshalb gelegentlich nicht vollständig
gleichmässig. Neben solchen, welche die typische gelbgraue Farbe
angenommen haben, finden sich andere, die etwas dunkler tingiert
sind. Immerhin tritt der Farbenunterschied zwischen den Achsen-
zylindern und Gliafasern auch unter solchen Umständen so deut-
lich hervor, dass Verwechslungen wohl vermieden werden können.
Was die Färbung der chromophilen Bestandteile des Gang-
lienzellenprotoplasmas betrifft, so habe ich mich schon früher
(S. 12) darüber geäussert. Dass sich in den Präparaten Stellen
finden lassen, wo eine tiefe Färbung der Nisslschen Schollen
eingetreten und wo die Untersuchung der pericellulären Glia
infolgedessen erschwert ist, ist von keiner wesentlichen Bedeutung
bei den normalhistologischen Studien, bei denen ja eine Auswahl
immer möglich ist. Es leuchtet ein, dass derselbe Umstand beim
pathologischen Material eventuell lästig werden kann.
Es bleibt noch die Frage übrig, ob sämtliche Gliafasern
oder nur ein Teil die typische Farbenreaktion geben. Es ist
natürlich unmöglich, dies zu entscheiden, solange wir nicht eine
Methode haben, welche sicher sämtliche Gliafasern färbt und in
jedem Falle als Kontrollmethode angewendet werden kann. Sicher
ist indessen, dass ich mit Hilfe der Hämatoxylinwolframmethode die
Gliafasern besser darstellen konnte als mit den geläufigen Methoden.
Die Nachteile, welche durch Schrumpfungsprozesse in den
Präparaten eintreten können, habe ich schon früher verschiedent-
lich erörtert.
Trotz der oben erwähnten Mängel, zu denen eventuell noch
andere kommen, die durch Nachprüfungen von anderen Forschern
Darstellung des Gliagewebes. 201
an den Tag gebracht werden, scheint mir meine Methode in ge-
wisser Beziehung in sich abgeschlossen und brauchbar. Wenigstens
habe ich sie mit grossem Vorteil sowohl an normalem wie patho-
logischem Material angewendet. Besonders bei meinen Unter-
suchungen über die hämatogene Entstehung der Gehirntuberkulose
hat die verhältnismässig gleichmässige Färbung mir grosse Dienste
geleistet. Bezüglich der Verwendbarkeit bei verschiedenem Tier-
material soll nochmals hervorgehoben werden, dass prinzipielle
Verschiedenheiten zwischen den Resultaten am Material von Hund,
Meerschweinchen und Mensch nicht existieren. Ganz frisches
menschliches Material habe ich nicht zur Verfügung gehabt.
Das frischeste menschliche Gehirn wurde ca. 15 Stunden p. m-
verarbeitet;') es handelte sich um einen Paralytiker, der bei der
Sektion (ausser den charakteristischen Veränderungen des Gehirns
und der Hirnhäute) ausgebreitete Dekubitalgeschwüre und pneu-
monische Veränderungen der Lungen darbot. Auch bei diesem
nicht gerade günstigen Materiale konnte ich recht gute Resultate
erreichen, obgleich sie in keiner Weise mit denjenigen von frischem
Tiermaterial verglichen werden können.
Wenn ich alles zusammenfasse, scheint mir die Methode
eine allgemeinere Beachtung zu verdienen und sowohl für normal-
histologische wie pathologische Untersuchungen des zentralen
Nervensystems geeignet zu sein. Eventuell wird sie natürlich
durch weitere Ausarbeitung vervollkommnet werden können.
Jedenfalls dürfte sie berufen sein, neue technische Möglichkeiten
zu eröffnen, und weitere Aufschlüsse über die histologischen
Elemente des Gliagewebes zur Folge haben.
Zusammenfassung.
1. Durch Fixierung (Beizung) in Heidenhains
Sublimattrichloressigsäuremischung und
Färbung mit Phosphorwolframsäurehäma-
toxylin von Mallory nebst nachfolgender
Differenzierung kann das Gliagewebe in
elektiver Weise dargestellt werden.
') Dies Material wurde mir in liebenswürdigster Weise von Professor
Dr. Christian Sibelius zur Verfügung gestellt.
DD
us
Halvar von Fieandt:
Hierbei werden nicht nur die Gliafasern,
sondern auch das Gliaprotoplasma gefärbt.
Letzteres kann als ein ausgebreitetes Syn-
cytium nachgewiesen werden, das durch die
stark verzweigten Ausläufer der Gliazellen,
die in kontinuierlichem Zusammenhang mit-
einander stehen, gebildet werden. Die
Hardesty-Heldsche Auffassung von dem syn-
cytialen Bau des Gliagewebes muss also als
richtig angesehen werden.
Bezüglich des Verhältnisses der Gliafasern
zu dem Gliaprotoplasma kann konstatiert
werden, dass erstere entweder an der OÖber-
fläche oder im Innern der Balken des proto-
plasmatischen Gliareticulums verlaufen und
sich in derselben Weise zu dem Protoplasma
des Zellenkörpers der Gliazellen verhalten.
Die Möglichkeit, dass die Fasern in einer
gewissen Ausdehnung ihres Verlaufes nackt
verlaufen, kann bis auf weiteres nicht ver-
neint werden.
An der Grenze der Gehirnsubstanz gegen-
über den mesodermalen Bildungen, sowohl
der Pia mater, wie der Adventitia der in der
Gehirnsubstanz verlaufenden Gefässe,
können Grenzmembranen nachgewiesen
werden, welche anscheinend aus Gliaproto-
plasma bestehen und überall mit den Balken
des Gliasyneytiums zusammenhängen.
. Auch in der Gehirnrinde kann das Gliage-
webe als ein aus feinen fadenförmigen Proto-
plasmabalken bestehendes Netzwerk nach-
gewiesen werden. Die von Golgi, Meyer und
Bethe beschriebenen pericellulären resp.
diffusen Netze müssen als isomorph mit
diesem Gliareticulum betrachtet werden und
sind somit höchstwahrscheinlich gliöser
Natur.
Darstellung des Gliagewebes. 203
6. In dem feinen Gliareticulum der grauen Sub-
stanz können gewisse körnige Gebilde nach-
gewiesen werden, welche ich als Gliosomen
bezeichnet habe und für Protoplasma-
differenzierungsprodukte von besonderer Art
ansehe.
Meinem hochverehrten Lehrer und Chef, Prof. Dr. E.A.Homen,
der mit lebhaftem Interesse meiner Arbeit gefolgt ist und während
derselben mir wertvolle Ratschläge gegeben hat, sage ich an
dieser Stelle meinen tiefgefühlten Dank. Auch bin ich Herrn
Privat-Dozent Dr. Axel Wallgren für die Hilfe, die er mir
bei der Anfertigung der beigefügten Mikrophotogramme geleistet
hat, zu Danke verpflichtet.
I
Helsingfors, Januar 1910.
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Krause, R. und Aguerre, J.: Untersuchungen über den Bau des
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Lhermitte, J.: Proc&d& nouveau pour la Coloration des cellules et
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Derselbe: Über einige Beziehungen zwischen der Glia und dem Gefäss-
apparat. Wandervers. süddeutsch. Neurologen und Irrenärzte in Baden-
Baden 1902. Arch. f. Psych., 1903.
206 Halvar von Fieandt:
51. Nissl. Fr.: Zur Histopathologie der paralytischen Rindenerkrankung.
Histolog. u. histopatholog. Arb., Bd. 1, 1904.
52, Obersteiner: Zur Histologie der Gliazellen in der Molekularschicht
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53. Pappenheim, A.: Grundriss der Farbehemie. Berlin, 1901.
54. Pollack, B.: Einige Bemerkungen über die Neuroglia und Neuroglia-
färbung. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 48, 1897.
55. Ranvier: De la neuroglia. Comptes rend. de la soc. biol., 1892.
56. Reinke, Fr.: Über die Neuroglia in der weissen Substanz des Rücken-
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57. Rubaschkin: Studien über Neuroglia. Arch. f. mikrosk. Anat., Bd. 64,
1904.
58. Sabrazes et Letessier: Proced&e de coloration de la neuroglia.
Arch. gener. d. med., 1905.
59. Spielmeyer, W.: Von der protoplasmatischen und faserigen Stütz-
substanz des Zentralnervensystems. Arch. f. Psych., Bd. 42, 1907.
60. Weber, L. W.: Der heutige Stand der Neurogliafrage. Centralbl. für
allg. Path. u. path. Anat., Bd. 14, 1903.
61. Weigert, Carl: Zur pathologischen Histologie der Neurogliafasern.
Centralbl. f. allg. Path. u. path. Anat., Bd. 1, 1890.
62. Derselbe: Beiträge zur Kenntnis der normalen menschlichen Neuroglia.
Festschrift zum 50jährigen Jubiläum des ärztlichen Vereins zu Frank-
furt a. M., 189.
63. Derselbe: Neurogliafärbung. Encyklop. d. mikr. Technik, 1903.
64. Wimmer: Om neurogliafarvning. Hospitaltidende, 1906.
65. Yamagiwa, K.: Eine neue Färbung der Neuroglia. Virch. Arch.,
Bd. 160, 1900
Erklärung der Abbildungen auf Tafel VI-IX.
Die hier wiedergegebenen Abbildungen sind nach Präparaten dargestellt, die
nach der von mir angegebenen Methode der Gliafärbung angefertigt wurden.
Sieentstammen alle dem Grosshirn des Hundes. Die Konturen
sind mit Hilfe des Abbeschen Apparates gezeichnet, die feineren Details
nachher ausgeführt. Der Abstand zwischen dem Okular und der Projektions-
fläche ist unter Kontrolle des Objektmikrometers so gewählt, dass sämtliche
Strukturen in derjenigen Vergrösserung dargestellt werden, die durch das
mikroskopische System bedingt wird. Für alle Abbildungen kam Zeiss
Apochromat 2 mm, Apert. 1,30 (Immersion), Komp.-Ok. 8 zur Verwendung.
Die Vergrösserung ist also überall 1: 1000.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
DV
Darstellung des Gliagewebes. 207
Tafel VI.
Das Neurogliagewebe der Marksubstanz an einer Stelle, wo in ver-
schiedenen Richtungen verlaufende Nervenbündel einander kreuzen.
Dicke des Schnittes 4 a. Für die Darstellung der protoplasmatischen
Verbindung zwischen den Gliazellen ist von der Mikrometerschraube
fleissiger Gebrauch gemacht worden.
Neurogliazelle mit umgebendem Gliareticulum von der Schicht der
grossen Pyramidenzellen, gezeichnet ohne Verwendung der Mikrometer-
schraube.
Zwei Neurogliazellen mit umgebendem Gliagewebe aus der Grenz-
schicht zwischen Mark und Rinde. Von der Mikrometerschraube
ist Gebrauch gemacht worden. Schnitt 5 a.
Neurogliazelle von dem grosskernigen Typus nebst umgebendem
Glianetzwerk aus der weissen Substanz. Für die Darstellung der
Gliafasern ist die Mikrometerschraube zur Verwendung gekommen.
Das marginale, subpiale Gliagewebe der Rinde an der Seitenfläche
einer Furche, etwa in der Mitte zwischen dem Boden der Furche
und der freien Fläche des Gyrus. Der Schnitt ist etwas schief
geführt, sodass die Grenzmembran als ein dicht an der Pia gelegener
hellblauer Saum deutlicher hervortritt. Schnitt 5 u. Die Mikrometer-
schraube ist nur in unbedeutendem Grade verwendet worden.
Die marginale, subpiale Neuroglia am Boden einer Furche. Schnitt
5 «. Die Einstellung ist nur in geringem Grade gewechselt worden.
Tafel VI.
Gliagewebe der weissen Substanz. Gegen den starken gelbgrau
gefärbten Achsenzylinder links im Bilde ziehen lamellenartige, teil-
weise netzartig durchbrochene Balken von dem umgebenden Netz-
werke und vereinigen sich rings um denselben zu einem Schnür-
ringe. Oberhalb und unterhalb von ihm wird der Markraum von
dünnen Protoplasmamembranen begrenzt, die teilweise mit Glia-
fasern versehen sind. Für die Darstellung des Schnürrings ist die
Mikrometerschraube zur Verwendung gekommen. Schnitt 5 «.
Perivasculäres Gliagewebe in der Umgebung eines tangential ge-
troffenen Gefässes der Marksubstanz. Limitans perivascularis nebst
in derselben verlaufenden Fasern; Gliafüsse. Rechts ein Teil eines
durchgeschnittenen Kernes. Das Gefäss ist nicht abgebildet. Ein-
stellung während des Abzeichnens nicht verändert.
Membrana limitans perivascularis nebst angrenzendem perivasculärem
Gliagewebe eines Gefässes der Marksubstanz. Das Gefäss selbst,
das schräg getroffen ist und in derselben Richtung verläuft wie die
am meisten hervortretenden Fasern der Membrana limitans, ist
nicht dargestellt worden. Schnitt 5 «. Die Mikrometerschraube ist
zur Verwendung gekommen.
=]
Halvar von Fieandt:
Aus der Molekularschicht der Rinde. Feines gliosomführendes Glia-
reticulum. Verbindung zwischen den Balken des Netzwerkes und
dem Protoplasma der Gliazelle bezw. deren Ausläufer. Peridendritische
gliöse Netzwerke. Kapillargefässe mit roten Blutkörperchen. Das
Bild ist unter Einhaltung derselben Einstellung gezeichnet.
Pyramidenzelle der Rinde nebst zwei Hauptdendriten und das um-
gebende Gliagewebe. Pericelluläres und peridendritisches Netzwerk
nebst Gliosomen. Ohne Änderung der Einstellung gezeichnet.
Kalottenschnitt einer Pyramidenzelle der Rinde, eine „Begleitzelle“*
und deren Zusammenhang mit dem pericellulären Netzwerk. Keine
Veränderung der Einstellung.
Ein grösseres Kapillargefäss nebst umgebendem, gliosomenführendem
Gliareticulum aus der Schicht der polymorphen Rindenganglienzellen.
Der Schnitt ist grösstenteils tangential gefallen, Membrana limitans
perivascularis und ihr Zusammenhang mit dem gliösen Netzwerke;
in jener einzelne Gliafasern und reihenartig angeordnete Gliosomen.
Rothsche Räume In oder an der Membran zwei Fragmente
durchschnittener Kerne. Ohne Änderung der Einstellung gezeichnet.
Tafel VIII.
Die in diesen Tafeln wiedergegebenen Mikrophotogramme sind mit einem
Apparat von Zeiss. Apochromat 2 mm, Apertur 1,30 (Immersion), Projektions-
okular 4, aufgenommen. Länge des Auszuges der Camera 50 cm, Vergrösserung
also in sämtlichen Figuren 1:1000. Als Farbenfiltrum kam ein Filtrum von
Fig.
IE
Zettnow zur Anwendung.
Die marginale, subpiale Neuroglia in der Mitte zwischen dem Boden
einer Furche und der freien Oberfläche des Gehirns. An der unteren
Begrenzung der Furche tritt ziemlich deutlich das gliöse Netzwerk
hervor, eine der Grenzschicht der Glia gehörige Gliazelle mit ihren
beiden nach der Oberfläche hinziehenden Ausläufern. Auch werden
andere Fortsätze, wahrscheinlich anderen Zellen entstammend,
sichtbar. Ebenso treten die sekundären, der Pia mehr oder weniger
parallelen Balken und eine Anzahl von Gliafasern hervor. An der
oberen Fläche der Furche tritt der kammartige Bau der Glia hervor,
der durch die mehr membranähnliche Beschaffenheit der Balken des
Gliasyneytiums bedingt wird.
Das Gliagewebe der Marksubstanz. Einige Gliazellen mit grossen,
chromatinarmen und nucleolführenden Kernen. Stellenweise sieht
man Protoplasmaausläufer und Gliafasern. Letztere verlaufen sowohl
in den Fortsätzen oder längs derselben, als auch durch den Zell-
körper selbst. Eine Menge Gliazellen mit kleinem, chromatinreichem
Kerne zeigen keine räumlichen Beziehungen zu den Gliafasern.
Der Zusammenhang zwischen den Ausläufern dieser Zellen und
dem Gliasyneytium tritt nur stellenweise hervor. An gewissen
Stellen kann der Verlauf der Fasern in den Balken des Glianetz-
werkes deutlich gesehen werden.
Darstellung des Gliagewebes. 209
Tafel IX.
Gliagewebe der weissen Substanz. Ein der Länge nach getroffenes
Kapillargefäss mit umgebender Glia; einige gröbere Gliafüsse treten
deutlich hervor und können ie: in die Ausläufer nahegelegener
Gliazellen verfolgt werden.
Aus der Pyramidenzellenschicht. Das System war auf das feine
pericelluläre Netzwerk eingestellt, das den Dendrit der etwas nach
unten und links vom Zentrum des Bildes liegenden Pyramidenzelle
bedeckt. In den Balken dieses Netzwerks stellenweise reihenartig
angeordnete Körnchen (Gliosomen) ; die von drei zusammenstossenden
Balken gebildeten Knotenpunkte treten stellenweise hervor; auch
kann hie und da die Form der Maschen erkannt werden. Im en
sind im Bilde infolge der Dichtheit des Gewebes und der relativen
Dicke des Schnittes (4 „) kaum andere Details mit hinreichender
Deutlichkeit zu sehen.
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. 14
210
Weitere Beiträge zur Lehre von der Kontinuität
des Nervensystemes.
Von
B. Haller.
Hierzu Tafel X und XI und 7 Textfiguren.
A. Die Lateralstränge der Knochenfische.
Vor nunmehr fünfzehn Janren berichtete ich über die
Struktur des Rückenmarkes der Knochenfische (14). Kurz
vorher erschien eine Abhandlung über dasselbe Thema von
Van Gehuchten (6), doch behandelte diese nach der damaligen
Sitte nur das embryonale Rückenmark und seit meiner Arbeit
ist über dieses Thema weiter nichts erschienen. Das Selachier-
rückenmark wurde zwar seither behandelt, doch ohne die Längs-
bahnen zu berücksichtigen. Erst vor kurzem erschien eine
Abhandlung von D. Tretjakoff (35), die zwar ausführlicher
berichtet über das Rückenmark des Ammocoetes, als die von
Kolmer (23), doch auch er lässt die Längsbahnen unberück-
sichtigt.
Eine gewisse Abneigung vor der Verfolgung der Zustände
in den Längssträngen und überhaupt jener des völlig entwickelten
Rückenmarkes auch mit paarigen Flossen versehener Fische erhielt
sich also bis heute. Und doch wie verschieden verhält sich das
Gewebe des fertigen Rückenmarkes im Verhältnis zu jenem des
noch werdenden in bezug auf das Golgische technische Ver-
fahren, hier schwärzt sich ungemein viel weniger als dort. Dieses
verspürte schon 1895 Van Gehuchten, als er nicht an die
Kontrolle meiner Ergebnisse am Rückenmark erwachsener Fische
heranging, sondern wegen meiner für damals wenigstens allzu
ketzerischen Ergebnisse in anderer Weise eingrif. Er dachte
damit zu wirken, dass er mir die Erfahrung bezüglich der
(solgischen Präparationsmethode kurzweg absprach. Dies wirkte
trotz meiner Erwiderung (18) so gründlich, dass meine Ergebnisse
von den Neurohistologen nach der wohl gangbaren, aber höchst
Kontinuität des Nervensystemes. 211
unwissenschaftlichen Art totgeschwiegen wurden, statt sie zu
prüfen. An eine Prüfung dachte aber niemand und der uner-
fahrene Tretjakoff, der doch geringe Erfolge bei Ammocoetes
zu verzeichnen in der Lage ist, hilft sich angesichts seiner Miss-
erfolge einfach damit. meine Ergebnisse, da sie einmal durch
Van Gehuchten in so kurzsichtiger Weise für unrichtig erklärt
wurden, darauf sich berufend, einfach zu übergehen.')
Dabei übersieht er, dass ich mit dem angeblich von mir mangelhaft
geübten Golgischen Verfahren bereits jene periphere Ver-
ästelung von grossen sogenannten Protoplasmafortsätzen oder
besser Netzfortsätzen, die peripher dann in das grobe Netz der
Lateralstränge aufgehen (14, Fig. 27, 1, 55), für die Knochen-
fische erledigt habe, die Tretjakoff für die Cyelostomen
beschreibt.
Zuerst selbst prüfen — denn Tretjakoff als auch seine
Autorität führen ja an, dass ich der einzige sei, der mit dem
Golgischen Verfahren das Rückenmark eines erwachsenen Fisches
untersucht hätte — und erst dann urteilen !
Einiges was Van Gehuchten an meiner Arbeit sachlich
ausgesetzt, so betreffend gewisse Angaben über Netzfortsätze,
kommt in der vorliegenden Arbeit noch zur Sprache, bezüglich
des von ihm gerügten Nervennetzes sind aber in den inzwischen
verflossenen fünfzehn Jahren mehr Schritte vorwärts getan worden
(ich erinnere in erster Reihe an Apäthy und Held), als dass
ich mich hier mit ihm diesbezüglich einlassen müsste. Denn
es zeigte sich, dass ich trotz dem von mir angeblich mangelhaft
geübten Golgischen Verfahren mehr darstellen konnte, als die
„Autorität“ imstande war. Der Grund mag ja zum Teil auch
darin liegen, dass sich am embryonalen Gewebe manches nicht
schwärzt, was beim fertigen Gewebe geschwärzt wird, so
entstand auch der Glaube an den Conus terminalis, also an das
Auswachsen.
!) Tretjakoff sagt wörtlich: „Nach einem autoritätvollen Urteil
(dem Van Gehuchtens, H.) ist es natürlich unmöglich, denjenigen Teil
der Arbeit von B. Haller, welcher vermittelst des Golgiverfahrens aus-
geführt war, für eine vergleichende Betrachtung zu benützen“ (l. c. S. 664).
Und dieser junge Forscher, der sich auf „autoritatives“ Urteil verlassen
muss, getraut sich weiter unten zu behaupten, von meiner Arbeit bliebe
nicht viel zu benützen übrig!
14*
212 B. Haller:
Diesmal habe ich als technisches Mittel zumeist nur die
vitale Methylenblaufärbung bei jungen Gold- und gewöhnlichen
Karpfen angewandt und meine Ergebnisse bestätigen und ergänzen
das von mir mittelst des Golgischen Verfahrens Erreichte.
Bleibe ich somit auch immer noch der Ketzer, so bin ich wohl
im Auge einer erheblichen Zahl der jetzigen Forscher auf
unserem Gebiete doch nicht mehr so fremdartig, als vor fünf-
zehn Jahren.
Das Rückenmark wurde in Stücken aus dem lebenden Tier
herausgenommen und dann nach Bethes für die Chordaten
angegebenem Verfahren (1) mittelst Methylenblau behandelt.
Dabei zeigte es sich, dass das kürzere oder längere Verweilen
des Objektes im Methylenblau stets etwas anderes lieferte. Stets
mussten 21/2 Stunden verwendet werden. Nach dieser Zeit färbten
sich die Kerne der Neurogliazellen rotviolett, ihr Zelleib aber
nur sehr blass blau, wodurch die Neuroglia nicht recht zum
Ausdruck gelangen konnte. Die kräftigen Achsenzylinder der
weissen Substanz sind schon rotviolett gefärbt, allein das übrige
Nervengewebe ist noch zu blass blau, um in seinem Verhalten
mit Erfolg verfolgt werden zu können. Die Ganglienzellen, das
gesamte Nervennetz sowie die Zellfortsätze färben sich erst
etwa nach drei Stunden gut blau und nun werden auch die
stärkeren Achsenzylinder der weissen Substanz blau, die Mark-
scheide bleibt aber blass (Fig. 1). Dann habe ich versucht, das
Objekt bis sechs Stunden in Methylenblau zu belassen, wobei
dann eine tiefblaue Färbung sich einstellte. Allein jetzt zeigte
es sich, dass das feine zentrale Nervennetz — dazu auch das
sogenannte pericelluläre Netz gehörig — völlig zerstört war und,
wie ich meine, durch das Auswaschen und Aufhellen auch der
Detritus entfernt war. Dafür war das gröbere Netz, wie auch
die Ganglienzellen mit ihren stärkeren Fortsätzen tief blau
gefärbt und sehr deutlich. Die Neuroglia war zwar blass, doch
immerhin gut gefärbt (Fig. 2) und unterschied sich auf diese
Weise gut vom nervösen Gewebe.
Ich würde für die Zukunft diese verschiedengradige Wirkung
des Methylenblaus auf das Rückenmark zur Berücksichtigung
empfehlen, denn jede Färbungsstufe liefert etwas, was in der
anderen nicht so deutlich zur Darstellung gelangt.
Kontinuität des Nervensystemes. 213
Bevor ich auf die so gewonnenen Ergebnisse eingehen
möchte, will ich nur einiges aus meinen früheren Befunden hier
anführen.
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Wie ich es feststellte (16) — wobei die Tragweite dieses
Ergebnisses weder durch Edinger (5) noch durch Kolmer (23)
und Tretjakoff auch im entferntesten erkannt wurde, denn
214 Bartlanller:
sie nahmen gar keine Kenntnis davon — gruppieren sich die
Ganglienzellen im Rückenmark der Fische ursprünglich nach den
Dorsal-, Lateral- und Ventralsträngen. Geht die ursprüngliche
Gliederung dann auch im Laufe der Phylogenese mehr weniger
verloren, so lässt sich bei dem Ammocoetes stellenweise das
noch ursprüngliche Verhalten feststellen. Entsprechend den drei
Stranggebieten befinden sich auf jeder Seite zwischen anderen
Ganglienzellen je drei grosse Zellen oder beziehentlich des
ventralen sogar mehrere. Dieses Verhalten zeigt sich im vordersten,
hinter der Oblongata gelegenen Markteil und erhält sich in der
Oblongata, obgleich hier wie auch weiter kaudalwärts durch die
vielen kleinen Ganglienzellen es mehr weniger verschleiert, ja
sogar verwischt wird. Kommt dieses Verhalten dann bei höheren
Ichthyden auch weniger zum Ausdruck als bei dem Ammocoetes
(Textfig. 1A), so ist es bei manchen Formen unter ihnen wenigstens
stellenweise durch die Anordnung der Zellen zu erkennen, ob-
gleich die mächtigen Zellen fehlen (B). Hauptsächlich in der
Übereinanderlagerung sowie der regelmässigen Längsanordnung,
jedesmal in gleichen Abständen nämlich, gelangen die Lateral-
zellen (lz) zur deutlichen Wahrnehmung.
Anknüpfend an diese Tatsache hatte ich dann in meiner
Hirnarbeit folgendes gesagt: „Aus den Verhältnissen der meisten
bilateralsymmetrischen Evertebraten, aber auch aus gewissen
Einrichtungen des Wirbeltiermarkes können wir schliessen, dass
zu Beginn bei den Vertebraten jederseits nicht zwei, sondern
drei Nervenwurzeln das Rückenmark verliessen. Es waren dies
eine dorsale, eine mediale und eine ventrale Wurzel. Obgleich
die graue Substanz sich in bestimmter Weise in ein Ober-
und Unterhorn gliedert, so ist doch anzunehmen, dass auch
ein mittlerer Teil besteht, der im oberen, dem Zentralkanal
genäherten Abschnitt des Unterhorns seinen Sitz hat. Dies lässt
sich schon daraus schliessen, dass hauptsächlich aus diesem
Abschnitt die lateralen Teile der weissen Substanz sich konstruieren
und somit hätten wir im Rückenmark drei Zentren vor uns:
Ein ventrales, ein mittleres und ein dorsales“ (16, 5.379).
In meiner Rückenmarksarbeit habe ich vier Jahre vorher
mit dem Golgischen technischen Verfahren festgestellt, dass
ausser dem zentralen Nervennetze in der grauen Substanz noch
ein dickmaschigeres, gröberes Netz auch in der weissen Substanz
Kontinuität des Nervensystemes. 215
besteht, dass dort die Längsfasern von diesem Netze völlig um-
sponnen werden und dass in dieses Netz sich nicht nur viele
Netzfortsätze (Dendriten) auflösen, sondern auch sogenannte
Collaterale von Achsenzylindern ihr Ende finden. Auf die Einzel-
heiten möchte ich hier weiter nicht eingehen, sondern möge
bezüglich derselben sowie der Abbildungen auf jene Arbeit ver-
wiesen werden und möchte hier aus jener Arbeit nur das noch
anführen, woran in vorliegender Arbeit angeknüpft werden soll.
Ich sagte dort (14, S. 102): „In sehr vielen Fällen hört die
markhaltige Längsfaser, wenigstens in den Lateralsträngen, noch
innerhalb der Stränge, und zwar auf verhältnismässig sehr kurze
Distanz von ihrem Ursprunge, morphologisch auf zu bestehen,
physiologisch wird jedoch die Leitungsbahn nicht unterbrochen,
indem das Ende der sehr verdünnten Längsfaser (s. Textfig. 2A, vb)
sich mit einer andern kräftigen Faser direkt verbindet. Diese
letzte Faser (p) setzt sich zwar als solche fort (q), doch geht
sie dadurch, dass der Fortsatz einer Ganglienzelle (2) sich mit
ihr vereinigt, eine Beziehung mit jener solchen ein. In dem
speziellen Falle würden zwar die Längsfasern mit jener Ganglien-
zelle, aus der sie ihren Ursprung nehmen (1), aufhören, natürlich
abgesehen davon, dass jene Ganglienzelle durch ihre feinsten
Netzfortsätze mit einer feinen Längsfaser (r) in Zusammenhang
steht. Andererseits habe ich aber auch vielfach Bilder erhalten,
die insofern für einen physiologischen Weitererhalt der Längsfaser
einstehen, als ein anderer starker Fortsatz einer gleichen Ganglien-
zelle in entgegengesetzter Richtung sich als Längsfaser erstreckt.
In solchen Fällen sind es hauptsächlich Ganglienzellen mit dicho-
tomisch sich teilenden Fortsätzen, welche diesen Zusammenhang
zwischen Längsfasern vermitteln und dadurch eine kontinuierliche
Nervenleitung unter gewissen physiologischen Umständen möglich
machen. Wir können das auch so ausdrücken, dass zwei (manch-
mal einseitig auch mehr) in entgegengesetzter Richtung ver-
laufende Fortsätze einer Ganglienzelle mit entgegenkommendem
gleichem Fortsatze (oder Fortsätzen) einer andern (oder anderer)
Ganglienzelle in Verbindung treten. Dieses tut auch der ent-
gegengesetzt verlaufende Fortsatz letzterer Zelle, sodass durch
Vermittlung von Ganglienzellen eine längs des Rückenmarkes
verlaufende physiologische Längsbahn hergestellt wird. Diese
kurzen Längsbahnen zwischen Ganglienzellen scheinen sich in den
216 B. Haller:
meisten Fällen bloss auf die Distanz zwischen zwei Nervenwurzeln
zu erstrecken, was freilich, wie aus den Abbildungen hervorgeht,
nicht ganz schematisch zu fassen ist. Sie geben dann durch ihre
peripheren Collateralen vielfach peripheren Achsenzylindern den
Ursprung oder treten dann mit andern Collateralen, die teils in
dem Nervennetze der weissen Substanz, teils in jenem der grauen
sich verästeln, mit dem Nervennetz vielfach in Verbindung. Sie
können aber in gewissen Fällen auch mit der anderseitigen
Rückenmarkshälfte durch ihre kommissuralen Fasern in Ver-
bindung treten, und zwar sowohl mit dem Nervennetze, als auch
mit andern Achsenzylindern und in selteneren Fällen sogar mit
Ganglienzellen, denn was wir von den in die unteren Nerven
austretenden Achsenzylindern wissen, wird naturgemäss auch für
die Längsfasern Geltung haben, da in vielen Fällen letztere zu
Wurzelfasern werden.
In vielen Fällen werden die Enden der Längsfasern zu
peripheren Achsenzylindern, wie viele ihrer Collateralen, doch
aller Wahrscheinlichkeit nach, wofür auch Beobachtungen vor-
liegen, werden sich solche Enden von Längsfasern auch in das
Nervennetz auflösen, wie viele ihrer Collateralen. Es können
sich aber andererseits, wie hierfür vielfach physiologische und
pathologische Beobachtungen eintreten, solche kettenförmige
Verbindungen auch bis in das Gehirn erstrecken. Jedenfalls
repräsentieren solche Züge der lateralen Stränge kurze Bahnen.
Meine Beobachtungen sind nicht hinreichend, um den Satz
aussprechen zu dürfen, dass in den Lateralsträngen ausschliesslich
kurze Bahnen sich vorfinden, doch halte ich sie für hinreichend,
um das hauptsächliche Vorkommen solcher in diesen
Strängen zu behaupten.“ Denn wie ich jetzt hinzufügen
möchte, habe ich solche kurze Bahnen in den Ventralsträngen
auch neuerdings nicht feststellen können, wobei ich aber durchaus
nicht behaupten will, dass hier die Längsfasern durch Äste mit
dem Nervennetz nicht in Verbindung treten würden, im Gegen-
teil, ich besitze dafür genug Belege und hierfür ist das lehr-
reichste Beispiel die Mauthnersche Faser der Knochenfische.
Schon in meiner angeführten Rückenmarksarbeit konnte ich
durch das Golgische Verfahren feststellen, dass dickere, dann
aber hauptsächlich feinste Äste der Mauthnerschen Fasern
(l.c., S. 483) im anliegenden Nervennetze sich auflösen. Die
Kontinuität des Nervensystemes. 217
A — Kopie aus einer Abbildung (Fig. 31) meiner Rückenmarksarbeit, kurze
Längsbahnen im Lateralstrange (ls) eine Forelle nach dem Golgischen
Verfahren darstellend. Is — Lateralstrang, gs — graue Substanz; nw —
Nervenwurzel. B — Horizontaler Längsschnitt tiefer ventralwärts und bei
schwächerer Vergrösserung.
>18 15, eballıl en:
Mauthnersche Faser entspringt ja bekanntlich aus je einer
erossen Ganglienzelle im Gehörgebiet des Hirnbodens, welche
Zelle mit dem statischen Abschnitte des Gehörorganes direkt in
Beziehung steht und löst sich dann am Ende des Rückenmarkes
in Endäste auf, die als periphere Fasern zur Innervierung der
Schwanzflossenmuskulatur dienen. Mit diesen Endästen haben
die obenerwähnten (l. e., Fig. 30 f) nichts zu tun.
War nun dieser Befund auch ein Beweis dafür, dass selbst
eine so unendlich lange Längsbahn wie die Mauthnersche
Faser ist, mit dem gesamten Rückenmark durch gröbere und
zarte Äste zusammenhängt, so ist der neuerlich gemachte und
hier mitzuteilende ein noch schlagenderer Beweis dafür. Mich
selbst, der ich ja von Anfang an ein „eifriger Vertreter der
Kontinuitätslehre“ bin und mir das Recht, für deren Begründer
zu gelten, wohl allein in Anspruch nehmen darf, hat sehr über-
rascht, als ich an entsprechend dicken horizontalen Längsschnitten
des Karpfenrückenmarkes, das 2'/s Stunden in Methylenblau ge-
legen hatte, und an welchen Schnitten die starken Längsfasern
rotviolett gefärbt sind, eine reiche und durchaus grobe Ver-
ästelung an den Mauthnerschen Fasern sah. Auf Textfig. 3
sind diese Verhältnisse genauestens mit Hilfe der Camera ge-
zeichnet worden. Von dem einen Schnitt (A) habe ich auf kurze
Strecke beide Fasern gezeichnet, von einem vorhergehenden nur
die rechte Faser (B). Fs war letzteres eine Stelle hinter der
vorigen, so dass die mit dem Stern bezeichneten Stellen an-
einanderstossen würden.
An dem einen Schnitt gab nach innen zu die linke
Mauthnersche Faser fest beisammenliegend sechs ansehnlich
dicke Äste ab, die kurz abgeschnitten waren. Etwas weiter nach
kaudalwärts zu liess sie aus sich sowohl nach innen als auch nach
aussen zu je einen Ast abtreten, von denen der innere schwach
war, der äussere aber recht kräftig; sein Verhalten konnte auf
einem nächstfolgenden ventralen Schnitte festgestellt werden und
wurde dann auf diese Weise eingetragen. Er bog nach innen,
kreuzte auf diese Weise die Hauptfaser und zog in medianer
Lage von dieser kopfwärts. Schon vorher hatte dieser Ast einen
Nebenast abgegeben und teilte sich später in zwei Äste. Von
diesen gab der eine einen Nebenast ab und beide stärkeren
Kontinuität des Nervensystemes. 219
Äste verdünnten sich in der Weise, dass ich annehmen muss,
sie verästeln sich im Ventralstrange.
Die rechtsseitige Mauthnersche Faser war kopfwärts zu
etwas eingeengt, verbreiterte sich dann aber und gab an dieser
Stelle je zwei innere und zwei äussere Äste ab, wobei der
vordere dieser sich gabelte, sie aber insgesamt abgeschnitten
waren. Kurz vor dieser Stelle, nach kopfwärts zu (B), war
diese Mauthnersche Faser etwas verdickt und gab hier zwei
Äste ab. Der eine dieser zog nach vorne und war bis zu der
Stelle, wo er abgeschnitten ward, unverästelt. Der andere mehr
vordere Ast zerfiel buschförmig in sechs Nebenäste, von denen
sich mehrere gabelten, dann aber abgeschnitten waren. Der
äussere Ast, nach dem Ventralhorne zu ziehend, teilte sich gleich-
falls in zwei Nebenäste, von denen der eine in die Nähe einer
grösseren Ganglienzelle gelangte und dort abgestutzt endete.
Einen Zusammenhang mit der Ganglienzelle konnte ich aber
auch diesmal nicht feststellen.
Ausser diesen ansehnlichen Ästen haben die Mauthnerschen
Fasern noch zahlreiche andere feinste Äste, wie dies schon früher
mitgeteilt ward, die, nachdem sie die Markscheide durchsetzt,
mit dem Nervennetz der weissen Substanz zusammenhängen.
Sehr wahrscheinlich tun das zum Schlusse auch die breiten Äste,
denn einen Zusammenhang ihrerseits mit Ganglienzellen im
Rückenmarke habe ich nie feststellen können.
Die Stelle der beschriebenen Verästelung war weit entfernt
von dem kaudalen Ende des Rückenmarkes, etwa in halber
Rückenmarkslänge, und zogen die beiden Stammfasern einheitlich
und stellenweise ganz glattrandig noch eine lange Strecke dahin,
so dass es sich kaum um die Endverästelung handeln kann.
Soviel zugunsten einer innigen Verbindung und nun mögen
die Lateralstränge Berücksichtigung finden, die ich damals
ja hauptsächlich verfolgt habe.
Im möchte hier wieder mit der Beschreibung der gröberen
Fasern beginnen, von denen ja eine Gruppe auch dorsalwärts in
der Nähe der Dorsalstränge lagert (14, Fig. 90), und zwar mit
den Beobachtungen von solchen Präparaten, an denen nach
2!/astündigem Liegen in Methylenblau die dicken Längsfasern
rosaviolett gefärbt sind.
220 B. Haller:
Auf Fig. 4 sind auf einer kurzen Strecke drei neben-
einander verlaufende, zu einander parallel gelagerte, markhaltige
Fasern im Lateralstrange dargestellt, die zahlreiche umscheidete
Collateraläste besitzen. Die meisten dieser Äste waren bald nach
ihrem Abgange durchschnitten oder konnten wegen ungünstiger
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Fig. 3.
Cyprinus carp. juv. A die beiden Mauthnerschen Fasern; B nur
die rechte und zwar von einem vorhergehenden (dorsalen) Schnitte.
Ganglienzelle. Verg.3:6 Reichert.
g2 —
Lagerung nicht mit Sicherheit auf ihr weiteres Verhalten ver-
folgt werden. Stellenweise liess sich jedoch wenigstens ihr nächstes
Verhalten nach der Abzweigung vom Hauptstamm feststellen.
So ein Verhalten zeigt auf der Abbildung der Ast zwischen der
mittleren und der einen seitlichen Hauptfaser. Der auf dem
Kontinuität des Nervensystemes. 221
Schnitte gut erhaltene Ast der mittleren Faser zieht kaudalwärts
zu, teilt sich dann in zwei Nebenäste, und während dann der
eine in der gleichen Richtung hinzieht, dabei zum Schlusse
durchschnitten wird, vereinigt sich der andere Nebenast mit einem
Aste der lateralwärtigen Faser (v) zu einem gemeinsamen Stamm.
Dieser ist etwa von gleicher Breite wie die ihn konstruierenden
Nebenäste. Da diese Faser nach einigem Verlaufe zerschnitten
war, die folgenden Schnitte aber diese Faser mit Bestimmtheit
nicht wieder auffinden liessen, blieb mir ihr Endverhalten un-
bekannt.
Solche Verbindungen zwischen zu einander parallel ver-
laufenden breiten markhaltigen Fasern habe ich auf meinen
Schnittserien recht oft festzustellen vermocht, sie sind so deutlich,
dass ein Irrtum ausgeschlossen ist.
Die Fig. 5 stellt eine der mächtigsten Längsfasern des
Lateralstranges dar (n), der an einer verdickten Stelle zwei
Äste, dann aber noch einen weiteren markhaltigen Ast abgab
und endlich sich gabelte. Es zerfiel somit die mächtige mark-
haltige Längsfaser in eine grössere Zahl schmälerer, doch immer-
hin markhaltiger Längsfasern. Solch ein Verhalten ist mir indessen
nicht neu und ich habe ähnliches früher auch nach Karmin-
präparaten gezeichnet (14), freilich war das Verhalten nicht so
deutlich, wie nach Methylenblaupräparaten.
Es entstehen die Haupt-Längsfasern der Lateralstränge aus
Fortsätzen von Ganglienzellen auf sehr verschiedene Weise, und
schon in meiner Rückenmarksarbeit habe ich Fälle nach dem
Golgischen Verfahren beschrieben und abgebildet (Fig. 27, 9:
32, 12; 31, 3, 10), in denen aus einer Ganglienzelle ein ganz
kurzer, nach der „Vorschrift“ als „feiner Nervenfortsatz“ oder
Achsenzylinder abgehender Fortsatz sich plötzlich verdickend in
zwei nach entgegengesetzter Richtung horizontal auslaufende
Äste zerfiel, die ihre Orientierung der Körperlängsachse nach
hatten. Ein ähnliches, jetzt mit der vitalen Methylenblaufärbung
dargestelltes Verhalten ist nach zwei aufeinander folgenden
Schnitten auf Fig. 3 dargestellt worden. Auf dem einen Schnitt
ist ein spiralig einmal gewundener kurzer Fortsatz vorhanden,
der sich in zwei mächtige, breitere Fasern als er ist, teilt. Der
eine dieser Fortsätze (f‘) zieht im Lateralstrange als markhaltige
Faser nach kopfwärts zu, in die graue Substanz einen feinen
>22 B. Haller:
Collateralast abgebend. Der entgegengesetzte Fortsatz (f) konnte
auf demselben Schnitt seiner ganzen Länge nach verfolgt werden;
er gab viele feine Äste sowohl in die graue Substanz als auch
in den Lateralstrang ab und zerfiel zum Schlusse in zwei dicke
Endäste. die in die graue Substanz einbiegend, sich dort weiter
verästelten. Es erinnerte dieser Fortsatz an Fortsätze, wie sie
für höhere Würmer und Arthropoden vielfach beschrieben wurden.
Er war markhaltig.
Das merkwürdigste an diesem aber war, dass sich mit ihm
eine kleinere Ganglienzelle (b), die auch im Lateralstrang
liegt, verbindet. Ein feiner Fortsatz dieser Ganglienzelle ver-
diekt sich alsbald zu einer dickeren Faser, die oben mit dem
starken horizontal hinziehenden Fortsatz zusammenhängt.
Schon auf dem Schnitte. von dem das eben Beschriebene
herrührt, ist in der nächsten Nähe des spiralig gewundenen
Fortsatzes in der grauen Substanz eine grössere Ganglienzelle,
ohne dass ein Zusammenhang zwischen ersterem und dieser zu
erkennen gewesen wäre. Auf dem nächstfolgenden Schnitte der
Serie war die Zelle (a) so getroffen, dass auch ihr Kern zur
Beobachtung gelangte. Von der dicken Spiralfaser hing die innere
Windung deutlich durch einen dünnen Abschnitt mit der Ganglien-
zelle zusammen.
Ähnliche Verhältnisse finden sich auch bei geringeren Achsen-
zylindern, sofern sie ganz nahe an der grauen Substanz gelegen
sind. Auch dort (Fig. 7, 10) können Ganglienzellen einen kurzen
sogenannten Nervenfortsatz abgeben. der gleich von seinem
Beeinn an die Markscheide besitzen kann (Fig. 6) und der sich
dann fast plötzlich verdickend in dem Lateralstrange in zwei Äste
teilt. Es können mehrere solcher Zellen neben- oder hinter-
einander lagern und die Fortsätze im ersten Falle dann so
abgehen, dass die beiden Äste in dem Lateralstrange mit den
gleichen der anderen Zellen parallel verlaufen. Vielfach habe
ich beobachtet, dass der eine der Teiläste, mag derselbe nach
kopf- oder schwanzwärts ziehen, nach kurzem Verlaufe zu einer
völligen Verästelung in dem Lateralstrange gelangt und in dem
abgebildeten Falle waren es immer die nach gleicher Richtung
hinziehenden, die sich so verhielten. Über das Verhalten des
anderen Astes gibt eine andere Beobachtung Aufschluss. Vielfach
liegt nämlich ein Teil der Ganglienzelle des lateralen Gebietes,
Kontinuität des Nervensystemes. 223
bei manchen Formen wenigstens, wie ich das für die Forelle,
den Karpfen (14), Hecht (15) und die Pteetogmathen (13) seiner-
zeit beschrieben habe, regelrecht übereinander (Textfig. 1 B,1z),
oft aber auch in gleichen Zwischenstellen nebeneinander, wie
darüber am besten die drei Zellen b, c, d auf Fig. S berichten.
Ist eine solche Zelle dann in der nächsten Nähe einer Nerven-
wurzel (Fig. Sa), so gelangt, nachdem sein sogenannter Nerven-
fortsatz zuvor verdickend sich bis in den Lateralstrang begab,
der Fortsatz zur Zweiteilung (f‘“‘) und während der eine Teilungs-
ast sich im Lateralstrang verästelt, wird der andere zu einer
peripheren Wurzelfaser. Solche Ganglienzellen können aber auch
tiefer medianwärts liegen (b, c, d) und dann habe ich beobachtet,
dass der sogenannte Nervenfortsatz bis in den Lateralstrang
hinein dünn bleibt, dabei öfter schlängelnd verläuft — in manchen
Fällen sogar selbst noch in dem Lateralstrange, — bis er dann
zur T-förmigen Teilung gelangt. Dabei sind die Teiläste jedes-
mal dicker als der Hauptast.
Freilich aus dem oben beschriebenen Falle, in dem (a) eben
der eine Gabelast zur Wurzelfaser wird, ‘schliessen zu wollen,
dass jedesmal gleiches mit dem einen Gabelast geschieht, obgleich
es sich oft so verhält, wäre irrig. Allerdings habe ich ähnliches
öfter beobachtet (f, f‘, f‘), doch konnte in vielen Fällen auch
erkannt werden, dass sogar noch ein dritter, der Körperlänge
nach gerichteter Ast abging, dessen Endverhalten mir freilich
unbekannt blieb. Ich habe sogar Längsfasern in dem Lateral-
strange beobachtet (v), die, nachdem die Collateraläste abgegeben,
unter der Nervenwurzel weiterzogen, ohne dass es freilich er-
mittelt werden konnte, was mit ihnen nachher geschah.
Dann gibt es noch Zellen mit nach dem Lateralstrang zu
gerichtetem Hauptfortsatz — und solche habe ich früher auch
schon beschrieben —, der sich zwar auch T-förmig teilt, aber
für gewöhnlich kurz und dick ist (Textfig. 2 B, b) und beide
langen Teiläste sich völlig verzweigen, wobei freilich öfter dünne
Achsenzylinder von ihnen zu Wurzelfasern werden können. Diese
Zellen unterscheiden sich aber durch die Dicke ihrer betreffenden
Hauptfortsätze sowohl von jenen oben beschriebenen (a), als auch
von anderen mit kürzeren Lateraldendriten (ce).
Jener Fall also, wo der eine Teilast zur peripheren Faser
wird, gilt somit nur für gewisse Zellen. Und darum möchte ich
224 B. Haller:
dasjenige in Erinnerung bringen, was ich in meiner Rückenmarks-
arbeit mitgeteilt habe und damit im Zusammenhange folgende
Punkte betonen:
1. Viele der sogenannten Nerven-, oder besser Achsen-
zylinderfortsätze, gelangen nach Abgabe von Collateralen
als periphere Fasern direkt in den abgehenden Nerven-
stamm (Fig. Sa) oder sie können zu Längsfasern im
Lateralstrang werden, die dann nach einigem Verlaufe
in eine Nervenwurzel eintreten (f, f‘), jedesmal aber geben
sie Uollateraläste ab, die zumeist im groben Nervennetz
des Lateralstranges oder in dem Gresamtnetze der grauen
Substanz sich auflösen.
2. Solche Ootlateralen, wie auch T-förmig geteilte Neben-
äste, vielfach mächtige Markfasern (Fig. 3), treten aber
auch mit anderen Ganglienzellen, die weiter nach kopf-
oder kaudalwärts gelegen sind, in direkte Verbindung
(Textfig. 2A), wodurch die kurzen Bahnen des
Lateralstranges gebildet werden. Solche kurze Bahnen
können aber aus sich noch mehrere in eine Nerven-
wurzel tretende Achsenfasern abgeben, worüber meine
tückenmarksarbeit (14) weitere Aufschlüsse erteilt.
3. Eine solche kurze Bahn ist ursprünglich eine lange Ver-
bindung, Anastomose, zwischen zwei oder vielleicht auch
mehreren Zellen.
Bei all dem können sich aber sehr viele Modifikationen
einstellen, bezüglich derer ich wieder auf meine Rückenmarks-
arbeit verweisen muss. Immerhin gelangte ich abermals zu
demselben Ergebnisse, zu dem ich schon vor 27 Jahren gelangt
war (10), dass es nämlich im Zentralnervensystem dreierlei Ver-
hältnisse der Ganglienzellfortsätze gibt — gilt es ja auch für
periphere Teile —, denn entweder verbindet ein solcher Fort-
satz eine Ganglienzelle mit einer andern (Kommissuralfortsatz),
oder er löst sich im zentralen Nervennetz auf (Netzfortsatz),
insofern er nicht zu einer peripheren Wurzelfaser (Achsen-
zylinder) wird.
Weiter sind wir somit auch nach 27 Jahren nicht gekommen,
denn mit diesen drei Fällen hört eben jede andere Möglichkeit
auf. An keiner Ganglienzelle finden wir anderes, mag sie noch
so spezialisiert sein, wobei selbstverständlich, wie ich das seiner-
Kontinuität des Nervensystemes. 225
zeit für die rhipidoglossen Schnecken festgestellt habe, es auch
solche Zellen gibt, die nur Netzfortsätze oder sogenannte Dendriten
besitzen, oder bestimmter ausgedrückt, weder eine Achsenfaser
abgeben, noch eine direkte Verbindung mit einer anderen Zelle
eingehen.
Damit wären wir angelangt an die direkten Verbindungen
zwischen Ganglienzelle und Ganglienzelle, die zuerst durch Georg
Walter (35) ausführlich geschildert wurden.!) Solche habe ich
in meinen sämtlichen Nervenarbeiten soviele angeführt und ge-
zeichnet, wie sonst kaum jemand, und wenn ich hier trotzdem noch
einmal auf diese zu sprechen komme, so hat das einen ganz
besonderen Grund.
Es ist nämlich Tatsache, dass solche scheinbar wenigstens
bei den Neochordaten oder Wirbeltieren seltener sind als
bei Achordaten, doch muss gleichzeitig betont werden, dass
dies durchaus nicht als Gegensatz gelten kann, da es auch
Achordaten gibt, die ähnliches aufweisen. So z. B. sind solche
Verbindungen in den Fusssträngen der Chitonen und anderer
niederer Kiemenschnecken sehr häufig, im konzentrierten Zentral-
nervensystem der Lungen- und Hinterkiemenschnecken dagegen
geradezu Seltenheiten, und gleiche Zustände finden sich ja auch
unter den Würmern.
Ich habe mich über die Erklärung dieser Tatsache für die
Achordaten seinerzeit ausführlicher eingelassen (11), als dass ich
hier nochmals darauf einzugehen für nötig halten müsste. Hier
will ich mich darum diesbezüglich nur mit den Neochordaten
befassen und zwar gleich mit den Zuständen der Knochenfische.
Ich habe, wie schon erwähnt, bei Ptectognathen und anderen
Knochenfischen, dann aber auch bei den Selachiern vielfach direkte
kurze Verbindungen zwischen Ganglienzellen beschrieben und ab-
gebildet, doch erschienen mir diese stets glatt, was wohl öfter
der Fall ist, vielfach aber auch durch die einfache Karmintinktion
1) Ich ‚möchte hier, wie ich es vor vielen Jahren schon getan, darauf
hinweisen, dass bereits 1863, also acht Jahre bevor die Kontinuität durch
J. Gerlach gefunden ward, Walter eine Menge von direkten Anastomosen
zwischen Ganglienzellen des Zentralnervensystems von Hirudo, Lumbricus,
Limneus und Helix, und auch direkte Ursprünge peripherer Nerven aus
Ganglienzellen beschrieben hat. Es wird sein wertvolles Werk stets als ein
Grundstein für die Kontinuitätslehre gelten und darf auf keinen Fall in
Vergessenheit geraten.
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. 15
226 B. Haller:
so dargestellt sein dürfte. Erst in meiner Rückenmarksarbeit
habe ich vermittelst des Golgischen Verfahrens ganz kurze Ver-
bindungen zwischen zwei Ganglienzellen gesehen und abgebildet
(14, Fig. 19), aus denen noch Nervenfasern abzweigen, die dann
im zentralen Nervennetz sich in irgend einer Weise auflösen.
Ähnliche direkte Verbindungen zwischen Zelle und Zelle sind dann
in letzter Zeit auch durch Caparelli und Polara (2) im
Rückenmark der Säugetiere gefunden worden und mir gelang
es, solche sogar in der Grosshirnrinde des Marders (19) zu finden.
Bei meinen letzten Beobachtungen an Methylenblaupräparaten
habe ich fast immer feststellen können, dass die kurzen Ver-
bindungen zwischen Ganglienzellen, mögen sie breit (Fig. Sh)
oder schmal (g und Fig. 9) sein, stets gröbere oder feinere Äste
aus sich abgeben, die dann im sogenannten pericellulären Nerven-
netz sich auflösten. In manchen Fällen, wenn nämlich solche
Verbindungen zwischen zwei Zellen in der Mehrzahl auftraten
(Fig. Sj) und dabei fein waren, liess ihre Zugehörigkeit zum
Nervennetz nicht den geringsten Zweifel aufkommen. Wenn
man aber dann die Rückenmarksstücke lange im Methylenblau
liegen lässt, etwa bis sechs Stunden, so wird das feine zentrale
Nervennetz, wie schon erwähnt, zerstört und erhält sich bloss
das gröbere bei sehr intensiver Färbung, doch vielfach auch nicht
im Zusammenhange. Um die Zellen findet sich dann gewöhn-
lich ein gewebsfreier Hof (Fig. 2, die zweite Zelle von links).
Man sieht dann solche Verbindungen zwischen Zelle und Zelle
deutlicher, da eben vieles andere, was sie einigermassen als solche
unkenntlich machen würde, zerstört ist. Aus so einem Schnitte
habe ich vier Zellen abgebildet (Fig. 2), wobei ich das jetzt
deutlich blassblaue Neuroglianetz (ng) bei zwei Zellen wegliess.
Auf dem Neuroglianetz, das um jede wenigstens grössere Zelle
sich deutlich verdichtend ein Fachwerk bildet, hebt sich das rein
nervöse deutlich ab und da war dann recht gut zu erkennen,
dass das, was bei mangelhafter Erhaltung des geröberen Nerven-
netzes als eine direkte Anastomose zwischen zwei Zellen sich
darstellt (v), bei gutem Erhalt jenes Netzes bloss ein Teil jenes
Netzes (nn) war. Es könnte allerdings die abgebildete längere
Verbindung zwischen den zwei anderen Zellen (v‘) auch als ein
direkter Verbindungsfortsatz gelten, gleichzeitig aber uur als
Teil jenes gröberen Nervennetzes.
Kontinuität des Nervensystemes, 227
Damit scheint mir eine Erklärung für das scheinbar so
‚häufige Fehlen direkter kurzer Verbindungen zwischen den
Ganglienzellen der Neochordaten gegeben: es haben sich
diese Verbindungen zum grössten Teil in das
gröbere Nervennetz aufgelöst. Darum besteht dies-
bezüglich kein Gegensatz, sondern bloss eine Modifikation.
Es ist vielfach in den letzten Jahren, nachdem von mancher
Seite das Vorhandensein des zentralen Nervennetzes wenigstens
stellenweise anerkannt wird und damit mancher Anhänger der
Neuronentheorie in unser Lager, in jenes der Vertreter der
Kontinuität nämlich, herüberkam, mancher Saulus zum Paulus
wurde, die Behauptung aufgestellt worden, es bestünde um
jede Ganglienzelle herum ein feines, in sich geschlossenes
Nervennetz, das pericelluläre Netz. Es ist dies indessen, wie
in manchen andern Fällen, nur ein teilweises Erkenntnis des
Tatsächlichen und scheint mir auf einem besonderen Umstand
zu beruhen. Ich habe nämlich auch die Erfahrung gemacht,
dass, im Falle das feinere Netz zerstört wurde, um die grösseren
Ganglienzellen wenigstens ein pericellulärer Raum oder Hof stets
übrig bleibt oder falls etwa durch gewisse Tinktionen das Nerven-
netz sich nicht färbt, dieser Hof sich gleichfalls zu erkennen gibt.
Es bildet eben das Neuroglianetz um die Zelle herum durch
Verdichtung eine Umhüllung und falls die Zellen auf Schnitten
durch Pinseln etwa entfernt wurden, erscheinen ihre leeren
Stellen geradezu als ein Fachwerk und es wäre da wohl möglich,
dass öfters diese Begrenzung auch für eine des zentralen Nerven-
netzes gehalten wurde.
Wie ich schon erwähnt habe, gelangt die Neuroglia an
Methylenpräparaten, die kürzere Zeit der Einwirkung dieses
heagenses ausgesetzt waren, nicht zur deutlichen Durchfärbung
und darum kann an solchen Schnitten eben beschriebenes Ver-
halten nicht gesehen werden (Fig. 1). Dann kann nur das
gröbere Nervennetz (nn) der stärkeren Netzfortsätze und
ein die Maschenräume dieses Netzes ausfüllendes mit ihm innig
zusammenhängendes, ungemein feines Nervennetz (fn) ge-
sehen werden, welches aber von den vielen allerzartesten Fort-
sätzen der Ganglienzellen und solchen des gröberen Netzes
gebildet wird. Es sind dies Zustände, die ich schon vor fünf-
zehn Jahren für die Knochenfische nach Osmium-Karminschnitten
15*
228 B. Haller:
beschrieben und auch abgebildet habe (14, Fig. 21). Freilich
war das Bild nie so schön wie nach vitaler Methylenblaufärbung,
doch immerhin deutlich genug, um von gewissen Seiten meine
Befunde nicht totgeschwiegen und dann nach eigenen Unter-
suchungen beschrieben zu werden.
Ich kann somit auch heute kein in sich abgeschlossenes
pericelluläres Netz sehen, sondern um die Zellen herum
das feine zentrale Nervennetz, das in das übrige
feine Nervennetz der grauen Substanz sich konti-
nuierlich fortsetzt. Dass ferner das gröbere Nervennetz
der grauen Substanz sich auch in die weisse Substanz fortsetzt
und dort die Nervenfasern geradezu umspinnt, habe ich nach
dem Golgischen Verfahren schon in meiner Rückenmarks-
arbeit beschrieben und vielfach abgebildet (l. ec. Fig. 10, 17,
20, 22, 29, 30). Es wird dieses Nervennetz, das sich bis an die
äusserste Peripherie des Rückenmarkes erstreckt, nicht nur von
Collateralen der markhaltigen Längsfasern, sondern von zahl-
reichen Nervennetzfortsätzen der Ganglienzellen gebildet, von
denen manche sehr kräftige öfter, wie ich es schon früher be-
schrieben und abgebildet habe, und welcher Befund bei Ammo-
coetes auch durch Tretjakoff Bestätigung fand, sich erst an
der Peripherie des Rückenmarkes verzweigen (Fig. Se).
Was ich hier also gebracht. ist weiter nichts als eine Be-
stätigung und Bekräftigung meiner seit 27 Jahren vertretenen
Behauptung, dass das Zentralnervensystem ein in sich
völlig geschlossenes Ganzes bildet, womit die Neuronen-
theorie widerlegt wird.
Hier möchte ich mich noch bezüglich eines Punktes, der
mir seinerzeit schon vorgehalten ward, äussern. Ich könnte,
sagte Van Gehuchten, keinen „Nervenfortsatz“ von einem
„Dendriten“ unterscheiden. Wenn wir nach der Vorschrift an-
nehmen, dass der „Nervenfortsatz“ im Gegensatz zum „Dendriten“
jedesmal als schlanker Fortsatz, gewöhnlich von einem kleinen
Hügelchen an der Ganglienzelle abgeht. dem gegenüber der
„Dendrit“ einen dicken Fortsatz vorstellt, dann mag Van
Gehuchten in manchen Fällen meiner Angaben wohl Recht
haben. So z. B. bei dem von mir als peripherer Achsenzylinder
gedeuteten Fortsatz auf Fig. 32, 2 in meiner Rückenmarksarbeit,
doch lässt sich damit die Tatsache, dass diese in eine Nerven-
[5]
Kontinuität des Nervensystemes. 29
wurzel einbiegende Faser zu einem peripheren Nervenfaden würde,
nicht bestreiten. Diese Faser will sich aber den Vorschriften
einmal nicht fügen. Es könnte dann dieser und ähnliche Fälle
etwa so gedeutet werden, dass es sich tatsächlich in dieser Faser
um einen „Dendriten“ handelt, oder möglicherweise um eine
kurze Bahn, wobei an der Stelle, wo von dieser eine Achsenfaser
in die Nervenwurzel abbiegt, ein anderer Ast noch bestehen könnte,
“der entweder abgeschnitten oder nicht mehr geschwärzt war.
Denn dass von kurzen Bahnen und „Dendriten“ Wurzelfasern
abgehen können, habe ich zur Genüge nachgewiesen und lasse
mir diese Befunde nicht durch „autoritative“ Machtwörter streitig
machen. Aber es ist ja auch von anderer Seite schon beobachtet
worden, dass der „Nervenfortsatz“ nicht immer direkt von der
Ganglienzelle, sondern auch von einem „Dendriten“ abgehen kann.
Dies möchte ich hervorheben. Andererseits kommt aber der
„Nervenfortsatz“ als schlanker Faden auch nicht überall zur
Geltung und bei den meisten Achordaten geradezu nicht, man
möge darüber nur die einschlägige Literatur einmal ansehen.
In dieser Arbeit wurde aber dann nachgewiesen, dass sogenannte
Dendriten als markhaltige Längsfasern sich im Lateralstrange
erhalten bis zu ihrer Auflösung usw., und da fragt es sich un-
willkürlich, wo ist da der Unterschied zwischen „Dendrit“ und
„Nervenfortsatz“? Es ist ja unbestreitbar, dass bei besonders
spezialisierten Ganglienzellen der Chordaten, ich erinnere u.a.
hier an die Kleinhirnzellen, den Purkinjeschen, besondere
Unterschiede zwischen den Fortsätzen bestehen, allein dies
kann nur als eine Spezialisierung gelten und nicht
von allgemeiner Bedeutung sein. Die Verhältnisse im Zentral-
nervensystem lassen sich eben nicht nach den an embryonalem
Material gemachten Erfahrungen modeln, denn obgleich das
kontinuierliche Verhalten von Anfang der Entwicklung an (Inter-
cellularbrücken) besteht, ist das Nervengewebe noch nicht überall
für die Golgische Schwärzung reif (vielleicht auch für andere
Verfahren nicht) und bekanntlich lassen sich Netze im embryonalen
(sewebe ebensowenig darstellen, wie der „Wachstumskonus“ stets
nur die zeitige Stelle bezeichnet, bis wohin die Reife des Nerven-
gewebes gelangt ist.
Wenn aber jemand damit zu widerlegen sucht, dass er
behauptet, der Andere hätte Vieles gesehen, was in Wahrheit
250 B. Era ken}:
nicht besteht, so kann der Andere auch sagen, jener hätte Vieles
nicht gesehen, was besteht, aber durch ihn eben nicht zur Dar-
stellung gelangte. Heute ist aber bereits Vieles gesehen worden,
was ich schon vor 27 Jahren gesehen zu haben behauptete, was
aber seither vielfach bestritten wurde!
B. Spinalganglien des Trigeminus und Facialis und
das Unterhaut-Nervengeflecht der Forelle.
Ziemlich nebenbei habe ich 1596 über das spinale Vagus-
ganglion berichtet (15, S. S6—87), dass die Ansicht von dem
Bau eines Spinalganglions kaum haltbar sei, da die Ganglien-
zelle auch feinste, im Ganglion selbst sich verzweigende Äste
besitzt, die in einem dem Ganglion angehörenden Netze ihr
Ende finden. Angeregt wohl durch diesen Befund, denn der
geht ihren Untersuchungen voraus, haben dann Dogiel (3),
G. Levi (25) und S. Ramon y Cajal seine Zustände weiter
und ausführlicher verfolgt und erstere ein Nervennetz im Spinal-
ganglion nicht nur direkt erkannt, sondern auch die grosse
Kompliziertheit im Bau der Spinalganglien im einzelnen darge-
stellt.‘) Es ist hier nicht der Ort, besonders in Anbetracht des ge-
steckten Zieles, auf diese Zustände einzugehen und möchte ich hier
nur dasjenige hervorheben, was für die Kontinuität von Bedentunegist.
Zum Teil sind meine hier erörterten Befunde schon 1896
mitgeteilt worden, zum Teil sind sie neu. Hierbei möchte ich
aber bemerken, dass in Anbetracht der Ergebnisse obengenannter
Histologen ich mich mit den feinen Netzfortsätzen der Spinal-
ganglienzellen nicht befassen möchte.
Was die kräftigen Fortsätze der Ganglienzellen in den
Spinalganglien der Kopfnerven der Knochenfische betrifft, so
!) Dasselbe gilt ja schliesslich auch für die sympathischen Ganglien
nach den Befunden von Dogiel (4), denn „nicht einzelne Zellen associiren*,
wie er sagt, „mit vielen anderen mittelst der pericellulären Nester, wie
dies Ramon y Cajal meint, sondern soviel meine Beobachtungen gezeigt
haben, associiren sich alle Zellen des gegebenen Ganglions
miteinander durch ein Geflecht, welches durch alle ihre
sich im Ganglion vereinigenden Protoplasmafortsätze ge-
bildet wird“ (S. 324). Ersetzt man hier das „Geflecht“ mit Netz — und
das kann man nach seinen Abbildungen Fig. 1—-5 um so mehr mit der grössten
Ruhe tun, da Dogiel zwei Jahre vorher schon in der Retina (Arch. f. mikr.
Anat., Bd. 41, 1893) von Netzen spricht — so hat man die gleichen Zustände
wie in den Spinalganglien.
Kontinuität des Nervensystemes. 231
gibt es viele bipolare Zellen (Fig. Ile) des altbekannten
Typus, aber auch tripolare (c, f). Dabei kann der eine der
beiden Fortsätze,. sowohl der centripetale (g) als auch der
centrifugale (h) sich in zwei Äste gabeln. Die peripheren Fort-
sätze der Zellen gelangen für gewöhnlich in denselben Nerven-
ast des Ganglions (g, h), allein es gibt auch Fälle, wie ich
es im Trigeminusganglion kennen gelernt habe, in denen eine
tripolare Ganglienzelle (f) ihre beiden peripheren Fortsätze nicht
in denselben Nervenast des Granelions gelangen lässt. Im ab-
gebildeten Falle gelangt der eine dieser Fortsätze in den oberen
Nervenast (oa), der andere aber in den mittleren (ma). Dann
kommt auch der Fall vor, dass die drei Fortsätze derselben Zelle
sich verschieden verhalten, indem nur der eine der beiden
centrifugalen Fortsätze in einen Nervenast des Ganglions gelangt,
der andere aber sich mit dem einer anderen Ganglienzelle des
Ganglions direkt verbindet. Es kann eine solche direkte Ver-
bindung auch zwischen zwei bipolaren Ganglienzellen erfolgen,
wodurch dann die eine Zelle die centripetale (e). die andere
die centrifugale Faser (d) entsendet. Obgleich ich diese Fälle nur
innerhalb des Ganglions zu beobachten Gelegenheit hatte, so
kenne ich doch einige Fälle an dem Facialisganglion, in welchen
die eine jener Zellen zwar im Ganglion selbst (Fig. 12a), die
andere aber weit auswärts im Nervenaste liegt (b). Solche Fälle
werden auch wohl schon anderen begegnet sein, auf sie ist
phyletischer Wert zu legen.
Es kann aber auch die direkte Verbindung zwischen Zelle
und Zelle, also nieht durch das feine Nervennetz, innerhalb des
Ganglions sogar eine mehrseitige sein. Auf Fig. 11 habe ich
einen Fall abgebildet, in welchem einer der beiden peripheren
Fortsätze einer grossen Ganglienzelle (a) sich T-förmig teilt, und
während dann der eine Teilast zu einer peripheren Faser wird,
verbindet sich der andere direkt mit einer kleinen bipolaren
Ganglienzelle (c), wobei der andere periphere Ast der letzteren
nach einiger Schlängelung wieder mit einer anderen bipolaren
Zelle (b) zusammenhänet, welche erst aus sich die periphere
Faser abgehen lässt. Jene tripolare Zelle (ce) ist dann vielen
im zentralen Nervensystem gelegenen Zellen gleich, die völlig
in zentraler Verbindung verbleiben.
Wenn wir nun diese Befunde, dann das Vorhandensein des
232 B. Haller:
feinen Nervennetzes innerhalb des Spinalganglions berücksichtigen,
so gelangen wir zu dem Schlusse, dass innerhalb des
spinalen Ganglions vollständige Kontinuität ebenso
besteht wie im Zentralnervensystem, oder, wie ich es
vor 27 Jahren feststellte bezüglich der Ganglienzellen überhaupt,
auch hier die Ganglienzellfortsätze in dreierlei Weise sich ver-
halten: entweder es wird ein Fortsatz zu einer
peripheren Faser oder löst sich im Nervennetze des
Zentrums auf oder verbindet es sich direkt mit
einer anderen Zelle.
Des weiteren verfolgte ich bei der jungen Forelle gleichfalls
mit dem Golgischen Verfahren das Verhalten der peripheren
Fasern des Spinalganglions — soweit es sich nicht um dasselbe
bloss durchsetzende Fasern handelt — zum Unterhaut-
Nervengeflecht. Dieses befindet sich zum Teil in der Cutis,
zum Teil in dem subepidermoidalen Bindegewebsnetz.
Das Nervengeflecht ist bekanntlich sehr reichlich um den
ganzen Körper der Ichthyden vorhanden, doch ist es im Ver-
hältnis zu jenem der Amphibienlarven und wohl auch der ent-
falteten Tiere noch recht engmaschig (Fig. 13un). Vielfach sind
Zweiteilungen der Fasern der Nerven (n) in diesem Geflecht
vorhanden, doch dass es je zu Anastomosen zwischen Teilästen
zweier oder mehrerer Nervenfasern käme und somit zu einem
echten Netz, muss ich entschieden bezweifeln, wenigstens habe
ich so etwas nie beobachtet, es legen sich vielmehr die Teiläste
nur aneinander, so dies Geflecht (Plexus) bildend. Allein es
gehen nicht alle Nervenfasern in dieses Geflecht auf, sondern
es gibt unter ihnen solche genug, die sich direkt mit sub-
epidermoidal gelegenen, zumeist der Grenzmembran ganz fest
anliegenden Ganglienzellen verbinden (Fig. 12, 14, gz, 87°). Diese
multipolaren Ganglienzellen gehören dem subepidermoidalen
Nervennetz (Fig. 12, 13, 14sn) an, welches am Kopf wenigstens
sich überall vorfindet bei jungen Forellen mit Dottersack, und
in welchem die Ganglienzellen häufig, am häufigsten aber entlang
der Hautsinnesorganreihen sind.!)
!) Dieses subepidermoidale Nervennetz ist bisher bei den Fischen
unberücksichtigt geblieben, denn es wurde stets nur von Geflechten gesprochen.
3esonders gilt dies für die Untersuchungen Retzius’ (29) über die Haut-
nervenendigungen der Neochordaten. Allein wenn wir bedenken, dass
Kontinuität des Nervensystemes. 235
N)
In dies Nervennetz geht das gesamte Unterhautnerven-
geflecht mit seinen Endverästelungen auf und in ihm liegen eben
auch die erwähnten Ganglienzellen, mit ihren zahlreichen feinen
Fortsätzen sich in dem Netz verzweigend. Es ist dies Netz kein
allzu feines und könnte diesbezüglich nur mit dem gröberen
Nervennetz des Zentralnervensystems, nicht aber mit dem feineren
verglichen werden.
Ich möchte zur Darstellung dieses Netzes wie auch zur
Kontrollierung meiner übrigen Angaben nicht Embryonen, sondern
ganz junge Fische empfehlen, bei jenen gelang es mir nicht, es
darzustellen und bei grösseren Tieren stellen sich ja ganz andere
Hindernisse in den Weg. Ganz junge Fische mit Dottersack
oder doch nur wenig ältere können diesbezüglich nur in Betracht
kommen.
Es ist das subepitheliale Nervennetz ebensowenig ein End-
netz als die sich in ihm findenden Ganglienzellen etwa in die
Tiefe gerückte Sinneszellen sind. Erst aus diesem Netz mit
Inbegriff der Fortsätze der Ganglienzellen treten Fasern in die
Epidermis, um sich zwischen den Epithelzellen zu einem epider-
moidalen Nervennetz zu verbinden (Fig. 15) und erst mit
diesem Netz erfolgt die Innervierung der Sinneszellen der Haut-
Retzius, wie auch viele andere, auch innerhalb der Epidermis das Netz
als solches nie erkannten, sondern bloss „freie“ Nervenendigungen sahen,
so kann es nicht im geringsten wundern, wenn auch das subepitheliale
Nervennetz als solches nicht erkannt ward. Gilt dies Retzius gegenüber
ja auch für die Achordaten, bei denen doch das Vorhandensein eines sub-
epithelialen Nervennetzes stets ausser Zweifel stand. Bei Lumbricus z. B.
zeichnet und beschreibt Retzius Verzweigungen von Sinneszellen basal-
wärts (28), die dann „eine horizontale Faserschichte“ dort darstellen, dass
jedoch diese Faserschichte ein wahres Netz sei, hat er nicht erkannt.
Retzius war eben trotz seiner reichen histologischen Erfahrungen geblendet
durch die „glänzende Neuronentheorie“, bis O.Schultze, der ja das sub-
epitheliale Nervennetz bei Amphibienlarven sehr ausführlich verfolgt hat und
dasselbe durch Leontovitsch selbst bei dem Menschen bekannt war, ihm es
ad oculos demonstrierte. Da meinte der hierin befangene, so kenntnisreiche
Histologe, so was hätte er bisher weder bei Chordaten noch Achordaten
gesehen (32, S. 80). Und dies ist mir um so auffälliger, da periphere
sensible Netze (abgesehen von den sympathischen) bei Achordaten schon
1883, speziell für Chiton durch mich (Arb. a. d. Zoolog. Institut zu Wien, Bd. V)
und bei Chordaten, speziell in den äusseren Genitalien des Menschen durch
Dogiel, 1893 (Arch. f. mikr. Anat., Bd. 41) nachgewiesen waren.
234 B. Haller:
sinnesorgane (sz), sofern nicht auch ein Zusammenhang mit Inter-
cellularbrücken anderer Zellen besteht.
Wenn wir nun das hier Mitgeteilte zusammenfassend be-
trachten, so gelangen wir zu dem Ergebnis, dass einer sen-
sorischen Nervenfaser bis zu ihrem Ende im Haut-
epithel mindestens drei Ganglienzellen angehören
können, nämlich die im subepithelialen Netz sich befindende
Ganglienzelle und zwei andere im Spinalganglion, wobei jener
Fall, in dem die eine dieser Zellen noch im Nerven selbst liegt
(Fig. 12 b), uns den Weg weist, den einst die Spinal-
sanglienzellen gewandert haben von der Peripherie
zum Zentrum. Dabei käme aber auch in Betracht, wie ich es
vor vierzehn Jahren nachgewiesen zu haben glaube (15, S. 66, 67),
dass manche sensorische Nervenfaser im obern Vaguskern nicht
aus dem zentralen Nervennetz, sondern aus kleinen Ganglien-
zellen entspringt.
Es handelt sich somit hier um eine ganze Ganglien-
zellenkette in mehr peripheren Teilen, eine Tatsache, welche
weder mit der Neuronen-Auswachsungstheorie noch mit dem
Kontaktglauben auch im entferntesten sich in Einklang bringen
lässt, und der gegenüber nur das wenig förderliche Totschweigen
die zweifelhafte Waffe bildet.
C. Die motorisch-trophische Innervierung bei
Mollusken und Tracheaten.
Anknüpfend an den vorigen Abschnitt möchte daran erinnert
werden, dass die Neuronenlehre die Achsenfaser des selb-
ständigen Einheit bildenden Neurons auswachsen lässt im
Laufe der Ontogenese allmählich zu ihrer Endstation, mag diese
die Muskelfaser oder die Drüsenzelle sein, um sich dort mit ihr
sekundär zu verbinden. Damit wäre eine kettenförmige Ver-
bindung von nervösen Bildungszellen bei der Entfaltung der
Nervenfaser ausgeschlossen.
Dieser Auffassung gegenüber habe ich stets jene Erklärung
des Beobachteten gegeben — soviel ich weiss, wird sie jetzt auch
von anderen vertreten — dass von Anfang an der Netzverband
besteht, allein in diesem die nervöse Differenzierung erst später
im Laufe der Ontogenese einsetzt, und zwar wie die Beobachtung
es lehrt, allmählich vom Zentrum zur Peripherie und nur dieser
Kontinuität des Nervensystemes. 235
vorgeschrittene Zustand eine Schwärzung (oder sonstige Färbung)
mit dem Golgischen Verfahren zulässt. So erklärte ich seiner-
zeit den Wachstumskonus.
Viele Tatsachen im Verhalten des sympathischen Nerven-
systems der Wirbeltiere und Arthropoden bestätigen das Gesagte,
sind aber, obgleich sehr alte Befunde, nicht zur Kenntnisnahme
der Vertreter der Neuronenlehre gelangt. Selbst die vielen
Fig. 4.
Zwei Kopien von Abbildungen aus meiner Dorisarbeit (12, Fig. 3 und 4),
einen Nerven A (der gesamte Nerv ist etwa dreimal so lang) und bei B ein
Stück davon bei stärkerer Vergrösserung darstellend. Etwas vereinfacht.
gz — Ganglienzelle.
peripheren Netze — nicht Geflechte — bei Achordaten, welche
unzähligen Befunde ich hier anzuführen, doch nicht für meine
Aufgabe erachten kann, blieben von jenen Forschern unbeachtet.
Doch selbst für den Fall, dass, wie es sehr viele unter ihnen
meinen, man sich nur auf das Gebiet der Chordaten beschränken
müsste — was aber in solch allgemeinen Fragen vom Stand-
punkte der Abstammungslehre verwerflich ist — müsste in Er-
236 B. Haller:
innerung gebracht werden, dass die feine Herzinnervierung ihnen
auch da im Wege steht.
Bei der Hinterkiemer-Nacktschnecke Doris habe ich schon
1584 gezeigt (12), dass die peritonealen Nerven, welche die
Eingeweide versorgen, in sich viele Ganglienzellen bergen
(Textfig. 4 A) und dass diese aus sich sogar zwei peripherwärtige
Fasern abgeben können (B), die mit dem ganglienzellenreichen
Eingeweidenetz verbunden sind. Solche Endnetze mit Ganglien-
zellen in den Knotenpunkten habe ich aber in der Herzwand
von Chiton (5) und Fissurella (9) schon vorher ausführlichst be-
schrieben und abgebildet und den Plexus myentericus der Wein-
bergschnecke und noch deutlicher jenen von Hirudo hatte
Vignal (34) schon 1883, also gleichzeitig mit meinen Befunden
anschliessend an Leydigs Beobachtungen (24) als Netz erkannt.
Aus Endganglien dieses Netzes erfolgt dann die direkte
Innervierung der Muskelfaser. Schon vor vielen Jahren machte
ich bei Meloö proscarabeus die Beobachtung, dass aus einem in
das myenterische Netz eingeschalteten Ganglion, aus einer seiner
Zellen, die Muskelinnervierung direkt erfolgt, gerade so, wie ich
dies für die Herzmuskeln der Mollusken früher schon festgestellt
hatte (9). Allein dieser Befund blieb unveröffentlicht bis ich
1904 in meinem Lehrbuch der vergleichenden Anatomie eine
Abbildung darüber gab (Fig. 42).
Nach den Befunden bei Doris müssten somit mit Zu-
zählung der Zentralzelle, aus der die periphere Faser entspringt,
mindestens vier Ganglienzellen einer zur Muskel-
faser gehenden Nervenfaser angehören, nämlich die
Zentralzelle, die im Nervenstamm gelegene (Textfig. 4), eine
Netzzelle innerhalb des Netzes und die Endzelle.
Dies bildet einen Befund, den ich nur nach Prüfung des
betreffenden Gegenstandes beanstanden lassen würde. Ebenso
halte ich meinerseits die Feststellung des zentralen Nervennetzes
(noch heute von „Punktsubstanz“ zu reden, ist einfach rück-
ständig), sowie direkte Zusammenhänge der Ganglienzellen unter-
einander durch direkte Anastomosen bei Arthropoden in zahl-
reichen Teilen des Gehirns nach meiner 1904 erschienenen
Arbeit (17) umsomehr für erledigt, als das Vorhandensein des
zentralen Nervennetzes mit der Fibrillenfärbung durch R. Monti(26)
Kontinuität des Nervensystemes. 237
Bestätigung fand. Hier würde es sich somit nur um die
periphere Kontinuität bei den Tracheaten handeln.
Subeutane periphere Netze bei den Tracheaten sind ge-
nügendlich bekannt geworden, hauptsächlich durch Holmgren
(22) und W. Schreiber (31), und darum wählte ich für meinen
Zweck das sympathische Nervensystem.
Der Sympathicus der Arthropoden speziell der Tracheaten
oder der sogenannte Newportsche Nerv wurde wohl am aus-
führlichsten in seinen Einzelheiten durch Leydig beschrieben.
Es besteht der Sympathicus, mit Ausschluss des Kopf-
sympathieus, aus vielen unpaaren mediodorsal auf dem Bauch-
marke seiner Länge nach gelegenen Ganglienknoten, aus sovielen,
wieviel Ganglienknoten am Bauchmarke sich finden. Es zieht
zwischen den beiden Längskommissuren des Bauchmarkes der
unpaare Strang entlang, ohne einen kontinuierlichen Faden zu
bilden, da „er immer zwischen je zwei Ganglien wurzelt, sich
dann aber jedesmal auf der Höhe der Ganglien in zwei quere
Äste teilt, die, nachdem jeder in ein längliches Ganglion ange-
schwollen, mit den Spinalnerven sich verbinden und in deren
Bahn solange verlaufen, bis sie zur Peripherie kommen“
(24 S. 203). Diese Nerven führen vielfach Ganglien, aus denen
die Innervierung der Eingeweide erfolgt.
Der unpaare sympathische Längsstrang der Arthropoden
hat ein Homologon in dem intermediären oder Faivreschen
Nerven der Anneliden, der am ausführlichsten bisher bei Hirudo
erörtert wurde und zwar durch Ernst Hermann (20). Nach
ihm besteht dieser Längsnerv hier aus drei Bündeln von Fasern,
zwei oberen und einem unteren, denen bekanntlich bei Lumbricus
der Lage nach drei Kolossalfasern entsprechen. Die beiden oberen
;ündel erhalten Fasern hauptsächlich aus den kleinen Ganglien-
zellen der vorderen und hinteren ventralen Gruppe des Bauch-
stranges und sendet ihnen auch die grosse Medianzelle einige
Fasern zu. Diese ist eine grosse multipolare Zelle und zwar
liegen je zwei solcher hintereinander in jedem Ganglion des
Bauehstranges. Es verbindet ein kurzer Fortsatz, von dem
aus Äste in den unteren Bündel des Systems abgehen, beide
Zellen untereinander, wie denn diese auch mit den nachfolgenden
und vorausgehenden in gleicher Weise verbunden sind und das
untere Bündel steht somit vorzugsweise mit diesen Zellen in
238
Verbindung. In
BesiEkanlelteir:
dieser Zellenkette finden wir somit
zum ersten Male kurze Bahnen von Zelle zu Zelle
)
db}
\
L > RN
1)
j Er
( 2
j :
Fig. 5.
Aus einem mit dem Golgischen
Verfahren behandelten horizontalen
Längsschnitt des Bauchmarkes von
Lumbricus.
etwas findet, wenn man es nur hat!
bei Gliedertieren, wenn
wir von ganz kurzen direkten
Zellanastomosen absehen, der
Körperlängsachse nach,
in einem Nervenstrange, der mit
dem Zentralnervensystem in
gleicher Hülle liegt.
Es ist dies freilich ein ein-
zelner Befund und in den Be-
schreibungen der Bauchstrang-
struktur der Gliederwürmer
nach den neuen Methylen- und
Golgi- Verfahren besonders
durch Retzius (28) werden der-
gleichen Verbindungen nirgends
erwähnt. Doch sind solche trotz-
dem vorhanden und ich habe,
abgesehen von kurzen direkten
Zellverbindungen im Zentral-
nervensystem der Gephyren
und Nemertinen, solche auch
zwischen weiter auseinander ge-
legenen Ganglienzellen bei Sipun-
culus beschrieben (11, Fig. 37)
und auch bei Chaetopoden und
Oligochaeten, bei diesem schon
vor mir durch G. Walter (35),
gefunden (l. c. Fig. 26, 28). So
gelang mir für letztere bei
Lumbrieus wenigstens in der
Querebene (l. c. Fig. 45, 47).
Darum war es mir höchst sonder-
bar, dass Retzius solche nicht
erwähnt und frühere Befunde
einfach totschweigt.!) Hat doch
ı) Es kommt nicht darauf an, mit welchem technischen Verfahren man
Kontinuität des Nervensystemes. 239
R.Goldschmidt, der die Kontinuität bei Ascaris richtig er-
kannte (7), solche bei diesem Wurm gefunden. Nach solchen
Verbindungen habe ich bei Lumbricus neuerdings wieder ge-
sucht und wenn ich all dies, abweichend vom eigentlichen
Thema, hier einschalte, so geschieht das, um zu zeigen, dass
eben die Arthropoden diesbezüglich nicht unvermittelt dastehen.
Mit dem Golgischen Verfahren habe ich bei Lumbricus, bei
dem kurze Verbindungen zwischen Zelle und Zelle nur zum
Teil aufgehoben sind !), längere Verbindungen, also kurze Bahnen
auch gefunden. Hier genügte dieser Befund und habe darum
das Bauchmark auf sein weiteres Verhalten hier umsoweniger
verfolgt, als die ausführliche Untersuchung Retzius’ hierüber
Aufschluss geben, soweit die Feststellung anderer von mir ge-
fundener Zellverbindungen nicht in Frage kommen.
Der Fall, den ich anbei abgebildet habe (Textfig. 5), bezieht
sich auf zwei grössere Zellen, die in je einem Ganglion des
Bauchmarkes an gleicher Stelle liegen. Jeder von ihnen teilt
ihren starken Fortsatz T-förmig, wobei der nach analwärts ge-
richtete Teilast zu einem peripheren Nerven eines hinteren
Nervenstammes wird. An der Stelle, an der der Achsenzylinder-
fortsatz der vorderen Zelle (a) nach aussen biegt, geht ein Seiten-
ast nach hinten mit der Körperlängsachse parallel ab und diesem
kommt der vordere Nebenast der nachfolgenden Zelle (b) entgegen.
Beide vereinigen sich, auf diese Weise zwischen den
beiden Zellen eine kurze Bahn darstellend. Ich habe
es nicht festgestellt, ob solche kurze Bahnen Zellen des ganzen
Bauchmarkes in kettenförmigen Zusammenhang untereinander
bringen, was mir aber sehr wahrscheinlich dünkt und einer zu-
künftigen Berücksichtigung aber wohl der Mühe wert sein wird.
Soweit ich aus der Literatur ersehe, wurden die Ganglien
des Sympathicus der Arthropoden auf dem Bauchstrang
überall als solche erkannt, also aus vielen oder doch mehreren
Zellen bestehend. Umso freudiger überraschte mich das Ver-
halten bei den Carabiden (Procrustes und Carabus silvestris F.
und auratus), wo statt einem Ganglion bloss eine, aber sehr
grosse Zelle liegt, alle Zellen dieses Ganglions vertretend. Es
!) Ausführlicheres über das Bauchmark demnächst in der Jenaischen
Zeitschrift für Naturwissenschaften (Bd. 45).
240 Br HRanllrerrz
ist dies somit ein Objekt, an dem das Verhalten der einen Zelle
klareres bietet, als das einer ganzen Gruppe.
Obgleich mir die diesbezüglichen Zustände auch bei dem
Imago bekannt sind und demnächst ausführlicher geschildert
werden sollen, so halte ich mich hier doch hauptsächlich an die
Larve und möchte dieselbe, schon darum, weil die Konzentration
der Abdominalganglien noch fehlt, dann aber auch der leichteren
Handhabung wegen beim Präparieren empfehlen.
Es liegt oben in jedem Abdominalganglion, bei der Larve
etwas dem hinteren Ende desselben genähert, bei dem Imago
weiter hinten schon etwas auf die Längskommissuren verschoben.
je eine riesig grosse Ganglienzelle von oblonger Gestalt und
mit der Längsachse der Körperlängsachse nach gerichtet. Es
repräsentiert diese Zelle wie gesagt je ein ganzes, aus vielen Zellen
bestehendes Ganglion, das zentrale sympathische Ganglion jedes
Bauchmarkknotens manch anderer Coleopteren und der Hyme-
nopteren. Sowohl an dem Bauchmarksganglion des Prothorax
als des Thorax fehlt diese grosse Zelle und kommt somit nur
den Abdominalganglien zu.
Es setzt sich analwärts jede dieser Kolossalzellen (Text-
figur 6 gz) in einen kräftigen mediosagittal gelegenen Fortsatz
fort, der sich dann in den Newportschen unpaaren Nerven
zwischen den beiden Kommissuren verlängert. Er verdickt sich
dabei ganz allmählich zu diesem kolossalen Nervenfaden (f). Diesem
hinteren Fortsatz entspricht oppositipol ein kräftiger kopfwärtiger,
der gleichfalls zum Newportschen Nerven eines nun vorderen
Kommissurenpaares werdend, auf diese Weise eine hintere Zelle
mit einer vorhergehenden in direkte Verbindung bringt. Da-
durch entsteht eine Ganglienzellkette, deren jedes
Einzelelement je einem Abdominalganglion angehört. Wie gesagt,
fehlt die Kolossalzelle den beiden Thoracalganglien. wodurch die
Zellkette zwar mit dem ersten Abdominalganglion aufhört, nicht
aber der Newportsche Nerv. Denn als vorderer Fortsatz der
ersten Zelle der Ganglienzellkette setzt sich jene breite Nervenfaser
zwischen dem Kommissurenpaare zwischen zweitem Thoracal- (t)
und erstem Abdominalganglion bis auf ersteres fort und gabelt
sich dann unter stumpfem Winkel auf diesem Ganglion in einen
rechten und linken Ast. Jeder dieser Äste biegt nach seitwärts
und trifft dann lateralwärts von dem zweiten Thoracalganglion und
Kontinuität des Nervensystemes. 241
etwas von diesem auf den ersten,
rückverlaufenden Nerven des ersten
Thoracalganglions (n). Diesen er-
reichend, vereinigt er sich mit ihm in
gleicher Scheide und zieht so lateral-
wärts weiter.
An dem kopfwärtigen Fortsatz
jeder Kolossalzelle geht jederseits je
ein kräftiger Fortsatz ab und diese
Fortsätze sind dann jene Nerven, die
schon durch Leydig ausführlichst und
mustergültigst beschrieben wurden.
Sie (hn) liegen in der gleichen Scheide
dem betreffenden Nerven aus dem
Abdominalganglion an, zerfallen dann
aber in Äste, die den betreffenden
Abdominalnerven, wie es Leydig
gesehen hat, vollständig umtlechten,
sich miteinander wieder vielfach ver-
einigend. Aus diesem Geflecht, echtem
Netze (Textfig. 7 hn), treten dann
Nerven ab (s), denen Ganglien ein-
geschoben sind (g).
Ausser den beschriebenen starken
Fortsätzen der Kolossalzellen besitzen
diese noch zahlreiche feinere Äste,
die sich im jeweiligen Abdominal-
sanglion völlig verzweigen, so den
Zusammenhang zwischen jenen Zellen
und diesem Ganglion vermittelnd.
Die Kolossalzellen liegen in gleicher
Scheide mit dem Abdominalganglion
gleich ihren Fortsätzen.
Ein Zusammengang .der Sympa-
thieuskette mit dem Kopfsympa-
thicus besteht nicht, wie dies
ja auch nie behauptet wurde. Ob-
gleich Graber (Die Insekten,
München 1877, Seite 242) dem
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76.
EN > a _
SR:
g2 |
|
m Mi zZ
)
2 hr
Fig. 6.
Carabus silvestris. Larve.
Ein Teil des Bauchmarkes von
der dorsalen Seite. Der Sym-
pathicus (schwarz) nach Me-
thylenblaufärbung. pt — erstes,
t — zweites Thoraxganglion;
I—IlI Abdominalganglien.
16
242 B-3Hlalikere
Körpersympathicus — wie ich diese Kette dem Kopf-
sympathicus gegenüber nennen möchte — nur reflektorische
Tätigkeit zuzuschreiben gewillt ist — was selbstverständlich eine
Darminnervation noch nicht auszuschliessen braucht, denn eine ge-
wisse reflektorische Tätigkeit ist ja auch dort vorauszusetzen — SO
glaube ich, dass es sich bei den Arthropoden doch um ein analoges
Verhalten handelt wie in den beiden Sympathicis der Weichtiere.
Auch dort innerviert der Buccalsympathicus (vordere Eingeweide-
ganglien) vordere Darmteile, der hintere aber (die hinteren Ein-
geweideganglien) den Mittel- und Enddarm und andere der
Willkür entzogene Organe (Kiemen, Herz, Nieren und Geschlechts-
organe). Gerade so wie dort, ist auch bei den Gliederfüsslern
der Darm von beiden Sympathieis innerviert, denn von den Ästen
des Körpersympathicus dieser erhalten auch der Mittel- und
Enddarm zahlreiche Äste. Diese verbinden sich dann mit einem
periintestinalen ganglienzellreichem Nervennetze. Es können
dabei direkt aus den einzelnen Ganglienzellen der kleineren
Ganglienknoten Darm-Muskelfasern innerviert werden — dieser
Fall bezieht sich auf die oben angeführte Beobachtung bei
Melo& — zumeist erfolgt aber die Innervierung erst aus den
Einzelganglienzellen des periintestinalen Netzes selbst. Ein-
zelne Ganglienzellen des Netzes geben oft 3—5 feine Fasern
ab, von denen jede an je eine anliegende Muskelfaser
herantritt.
Auf alle diese Verhältnisse aber einzugehen, ist hier nicht
der Ort, und ich möchte bloss noch das uns hier angehende
Verhalten erörtern, wie sich die Ganglienzellen im peripheren
Sympathicus zueinander verhalten. Auf Textfig. 7 ist ein kleines
Ganglion desselben (g) nach vitaler Methylenblaubehandlung
dargestellt, an welches ein peripherer Ast des Sympathicusseiten-
nervens (s) herantritt. Es teilt sich im Ganglion der Nerv in
mehrere Äste — nur zwei gutgebläute sind dargestellt — und
es hängen die Teiläste mit je einer Ganglienzelle zusammen, von
denen die eine (a) zwei periphere Fortsätze aussendet. Der
eine dieser Fortsätze begibt sich in den nächstliegenden peri-
pheren Nervenast des Ganglions, indessen der andere sich mit
einer anderen, am anderen Pole des Ganglions gelegenen Ganglien-
zelle (b) direkt verbindet. Diese letztere hat abermals zwei
periphere Fortsätze. Der eine von diesen tritt in den einen,
Kontinuität des Nervensystemes. 243
der andere in den anderen hier vom Ganglion abgehenden peri-
pheren Nervenast ein.
An dem einen dieser Nerven hing noch an dem Präparate
eine ganz kleine tripolare Ganglienzelle (ec), die wohl schon dem
periintestinalen Netze ganz nahe steht und solche für Bombus
auch Leydig abgebildet hat (l. c. Taf. VII, Fig. 1). Mit dieser
Kie,.T.
Carabus silvestris, F. Imago. Ein einen seitlichen Bauch-
strangnerven (n) umflechtenden Sympathieusnerv (hn); s — dessen
Ast;
b)
— Ganglion. Methylenpräparat.
Ganglienzelle hängt der eine Astfortsatz jener letztbeschriebenen
Zelle (b) direkt zusammen.
Ich möchte hier also zum Schlusse hervorheben, dass ein
Nebenast eines Seitenastes vom Seitlichen Sympa-
thieusnerven des schon kettenförmigen Körper-
16*
244 Br Elanlrere
sympathicus mindestens noch drei Ganglienzellen
in sich eingeschaltet besitzt.')
D. Allgemeine Betrachtungen.
Wenn die hier erzielten Ergebnisse zugunsten der Kontinuitäts-
lehre verwertet werden sollen, so glaube ich am zweckmässigsten
zu handeln, wenn ich vorerst auf die Phylogenese des Nerven-
systems wieder zurückgreife, wie ich dies 1895 getan habe
(14, S. 4753).
Jener hypothetische Zellverband, den als Vorläufer aller
Nervensysteme OÖ. und R. Hertwig seinerzeit hinstellten (21),
wurde durch K. C. Schneider (30) für Hydra nachgewiesen,
durch mich und in neuester Zeit durch W. Wolff (36) bestätigt.
Damit hat das Hypothetische eines solchen nervösen Ausgangs-
netzes aufgehört und ein solches den ganzen Körper
umspinnendes Nervennetz mit in den Knotenpunkten
(nicht allen) eingestreuten Ganglienzellen, aus welchem
Netze Innervierungsfasern zu Sinnes-, Epithel-
muskel- und Drüsenzellen ausgehen, ist unbestrittene
Tatsache geworden. Das unbestrittene möchte ich ganz
ausdrücklich betonen, denn an dieser Wurzel müssen die Herren
von der Auswachsungs-Kontakttheorie zuerst rühren, wenn sie
den rein wissenschaftlichen Boden beschreiten wollen!
Es werden somit bei der Hydra sensible und motorische
Fasern untereinander durch ein nervöses, mehr weniger zellöses
Netz verbunden, und dieses primäre Nervensystem, in
welchem es noch nicht zur Sonderung von peripheren und zentralen
Teilen gekommen ist, ist bloss von reflektorischer Funktion.
!) Nebenbei möchte ich noch die Frage aufwerfen, wie verhalten sich
die zahlreichen Ganglienzellen eines grossen Sympathieusganglions anderer
Formen wie die Carabiden sind, bei dem der kolossalen Ganglienzelle je ein
vielzelliges Ganglion entspricht, zueinander. Diese Einzelzelle tritt durch
das zentrale Nervennetz mit je einem Abdominalganglion in Verbindung,
wodurch dieses Netz nicht als bloss ernäherndes sich erweist. Treten
die einzelnen Ganglienzellen des genannten Sympathicusganglions unter- und
ineinander durch Fortsätze oder ein zentrales Netz in Verbindung ? Im letzten
Falle würde diesem, da die Verbindung dieser Zellen untereinander eine
physiologisch sehr enge sein muss, ein noch höherer Leitungswert zuzu-
messen sein.
Kontinuität des Nervensystemes. 245
Andere, höhere psychische Werte lassen sich hier noch nicht
voraussetzen.
In einem weiteren Stadium der phyletischen Entwicklung
(etwa bei Hydractinia) gibt die Epithelmuskelzelle einen Tochter-
kern in den muskulösen Abschnitt der früher einheitlichen Zelle
ab, womit die Trennung dieses und das Selbständigwerden der
Muskelzelle von ihrer epithelialen Hälfte eingeleitet ward.
Die primäre Sinneszelle gibt aus sich die primäre Ganglien-
zelle ab. „Die primäre Ganglienzelle“, sagte ich dann 1895,
„ist ausser bei den Cnidariern wohl nirgends mehr erhalten, da
sie offenbar durch sekundäre Differenzierungen zu den ver-
schiedenen Ganglienzellenarten des höheren Nervensystems sich
gestaltete. Diese Differenzierungen sind aus den verschiedenen
höheren physiologischen Funktionen der Ganglienzellen höherer
Wesen erklärbar. Ich glaube aber auch, dass ein Teil der
primären Ganglienzellen in die peripheren Nervenfasern auf-
gegangen sind (es wären dies die sogenannten Nervenzellen
Apathys), da diese ja ontogenetisch aus Zellenreihen (deren
Elemente wohl auch vorher untereinander zusammenhingen),
entstehen“ (l. c. S.51, 52). Das primäre Nervennetz aber hat
sich teils subepithelial — gleichgültig wo — erhalten, teils ist es
aber auch als zentrales Nervennetz in das sich konzentrierende
Zentralnervensystem einbezogen worden. Damit völlig im Einklang
steht die schon vor 27 Jahren von mir ausgesprochene Be-
hauptung (10), dass die Ganglienzellen bei allen Bilaterien, aber
auch sonst bei konzentrierten Nervensystemen, dreierlei Fortsätze
besitzen, nämlich Verbindungs-, Netz- und periphere Fortsätze.
Das hier aber Vorgetragene sind Wahrheiten, die unumstösslich
bestehen und auch in der vorliegenden Arbeit weitere Stützen
finden.
Die strukturell niedersten Zentralnervensysteme sind die
Fussstränge oder die Vorläufer der Bauchstränge. Das habe ich
schon vor 27 Jahren gezeigt. Sie finden sich noch bei Chitonen,
rhipidoglossen und neotänioglossen Schnecken unter den Weich-
tieren und bei Turbellariern und auch bei anderen Würmern,
hier öfter modifiziert. An diesen Strängen muss somit nach
ursprünglichen Zuständen gesucht werden und nicht etwa bei
durch die Segmentation oder geradezu durch Parasitismus stark
beeinflussten Formen.
946 B. Haller:
Das sahen wir bei den Rhipidoglossen (10) und meine
Befunde fanden durch Rawitz (27) für die Bivalven Bestätigung,
soweit Hauptstrukturen in Frage kommen. Da der Bauchstrang
der Rhipidoglossen gleich breit ist, da in Ermangelung einer
Seementation es zu Keiner gangliösen Verdickung kommt, so
fehlen auch rein faserige kommissurale Verbindungen, wie sie
sich bei Gliederwürmern und Gliederfüsslern vorfinden. Es wird
der ganze Bauchstrang in eine Rinden- und in eine Kernlage
geschieden, wobei erstere aus Ganglienzellen, letztere aus dem
hier ungemein deutlichen Zentralnetz und Fasern besteht.
In der Rindenanlage liegen die Ganglienzellen mehrschichtig
übereinander und sind fast alle untereinander, da es sich stets
um die nächste Nachbarschaft handelt, durch kurze direkte Ver-
bindungen zusammengehalten. Es ist durchaus nicht unwahrschein-
lich, dass es viele unter ihnen gibt, die nur mit benachbarten
Zellen untereinader zusammenhängen, wie dies auf Schnitten
stets der Fall zu sein scheint. doch lassen die meisten unter
ihnen, je nachdem sie mehr zentral oder peripherer gelegen sind,
ein bis mehrere Fortsätze in das zentrale Nervennetz sich auf-
lösen. Andere Fortsätze werden zu peripheren Achsenzylindern,
ohne dass dabei ein äusserlicher Unterschied zwischen Netz- und
Achsenzylinderfortsatz bestehen würde, wie dies ja bekanntlich
auch bei Würmern und Arthropoden der Fall ist.
Zu längeren Längsbahnen gelangt es hier noch nicht, wie
denn auch kurze Bahnen in dem bisher behandelten Sinne nicht
bestehen und Längsfasern feinster Breite sind nur als Wurzel-
bündel peripherer Nerven auf kürzere Strecken vorhanden. Hier
vermittelt in erster Linie das zentrale Nervennetz, in welchem
wenige kleinste Ganglienzellen völlig mit ihren Fortsätzen sich
auflösen und wegen ihrer zentralen Lage von der Rindenlage
entfernt sind.
Es entstehen periphere Nervenfasern direkt aus Ganglien-
zellen oder konstruieren sich aus dem Nervennetz. Ob es sich
dann in diesen Fällen um motorische und sensorische Fasern
handelt, wie das für die Chordaten angenommen wird, ist nicht
festzustellen.
Nur kurz habe ich hier diese wichtigen, sehr ursprünglichen
Zustände wiederholt dargestellt und verweise bezüglich des
Näheren ausdrücklich auf meine diesbezügliche Arbeit (10), deren
Kontinuität des Nervensystemes. 247
Ergebnisse an dem betreffenden Material leider noch nie kon-
trolliert wurden.
Ähnliche Bauchstränge dienten dann zum Ausgangspunkte
der Bauchstränge der Gliederwürmer und diese wieder jener
der Arthropoden. Tatsächlich zeigen ursprünglichere Zentral-
nervensysteme höherer Würmer, wie die der Gephyren und
Nemertinen sind, ähnliche Zustände als die Bauchstränge, wie
ich dies seinerzeit gezeigt habe (11), doch damit ist dieser ur-
sprüngliche Bau auch überwunden bei den Anneliden.
Mit der Ausbildung der Ganglienknoten im Bauchmarke er-
folgt die Zentralisation in jene, wobei dann die Längskommissuren
von ihnen freibleiben. Damit haben sich bei gleichbleibenden
Bedürfnissen nach Ganglienzellenzahl — soweit dies durch be-
sonders starke Entfaltung einzelner Zellen zum Teil nicht ersetzt
wurde — die Ganglienzellen auf einen geringen Raum beschränken
müssen. Es wurden darum die meisten unter ihnen peripherwärts
gedrängt, wodurch sie nur mit dem einen Pole nach zentralwärts
gelangen konnten. Die ganze nach aussen gedrängte Oberfläche
der Zelle musste damit die Fortsätze einbüssen und diese
mussten sich auch die zentrale Seite verlagern. So entstand die
für manche Anneliden und jenen Mollusken mit konzentrierten
Fussganglien so charakteristische. scheinbar unipolare Zellform.
Dies allerdings nicht für alle Zellen, doch musste mit diesem
Prozess die multipolare Zellform stark zurücktreten, wie ich dies
seinerzeit sehr ausführlich dargestellt habe (11, S. 112—122).
Mit dem starken Zurücktreten der multipolaren Zellform mussten
aber folgerichtig die kurzen Zellverbindungen immer seltener
werden, und die Vermittlung wird mehr weniger auch zwischen
ganz nahe beieinander gelegenen Zeilen dem zentralen Nerven-
netze übertragen, wobei längere Zellverbindungen oder die kurzen
Bahnen zur Entfaltung gelangten. Damit Hand in Hand doch
nicht allein durch denselben Grund bedingt, ging die Entfaltung
starker zentraler Bündelsysteme. Ähnliches zeigt sich dann auch
in dem Rückenmarke, jedoch mit dem Unterschiede, dass dort
die direkten kurzen Anastomosen zwischen Zelle und Zelle aus
einem anderen, uns unbekannten Grunde in der oben geschilderten
Weise in das gröbere Zentralnetz sich auflösen.
Diese Zustände lassen sich somit erklären und bilden keinen
Gegensatz zu niederen Zuständen und auch kein prinzipiell ver-
248 BeHrailkeir:
schiedenes Verhalten. Sie entstehen aber auch nicht nur innerhalb
eines Zentralnervensystems, sondern haben wie alles seinen Vor-
gänger bei niederen Tierformen. |
Bezüglich der peripheren Verhältnisse haben wir in vor-
liegender Arbeit gesehen, dass kettenförmige Verbindungen von
Ganglienzellen auch bei den höchsten Nervensystemen wie jene
der höheren Weichtiere, Arthropoden und selbst der Chordaten
sind, noch bestehen, und zwar sowohl im Sympathicus als auch
in der sensiblen Innervierung. Soweit das trophische Gebiet in
Frage kommt, gilt dies auch bezüglich der motorischen Inner-
vierung. Es bliebe somit nur noch die Innervierung des der
Willkür des Tieres unterworfenen Muskelsystems übrig, wo eine
.kettenförmig periphere Zellverbindung sich nicht mehr vor-
tindet, und nur auf diese könnte noch die Auswachsungstheorie
Anwendung finden. Allein die kettenförmige Aneinander-
reihung von Zellen während der Ontogenese in der
peripheren Faser erfährt damit eineandere Deutung
als die Auswachsungstheorie es verlangen möchte,
wozu noch der schwerwiegende Umstand "kommt.
dass das embryonale Nervengewebe, wie das für
das. zentrale Nervennetz nun feststeht, sich
Reagentien gegenüber anders verhält als das
Lerti@e,
Die Zellenreihen der sich entwickelnden, oder doch besser
differenzierenden Nervenfaser können somit nicht als der Faser
fremde, ihr sich bloss auflagernde Elemente. sondern bloss als
Ganglienzellketten aufgefasst werden, deren Elemente ihre
Individualität aufgebend zur leitenden Faser werden. Damit ist
selbstverständlich nicht gesagt, dass dies nicht auch mehrfach
für sensorische Fasern Geltung hätte, denn was bei diesen vom
Ursprünglichen übrig geblieben ist, ist doch nur mehr ein reliktes
Verhalten. Auch im sympathischen Nervensystem wird Gleiches
öfter schon erreicht sein und nur die grosse Unabhängigkeit
trophischer Innervierung vom Zentrum erklärt das massenhafte
Erhaltensein von funktionsfähigen Zellen. Denn bei der einfachen
Leitung peripherer Nerven, möge diese centripetal oder centrifugal
gerichtet sein, sind ja eingeschaltete Zellen überflüssig, was ihre
anderweitige Verwendung zur Genüge erklärt.
Kontinuität des Nervensystemes. 249
Wie verhält es sich aber dann mit dem Neuron? Diesem
wird ja eine gewisse Selbständigkeit sowohl was sein zentrales Ver-
halten als auch was seinen peripheren Bezirk betrifit, zugemessen.
Viele Ganglienzellen sowohl bei Achordaten als auch bei Chordaten
geben aber auch zwei Achsenzylinder ab, die sogar in zwei ver-
schiedene Nerven eintreten können.!) Dann aber kommt auch
das zentrale Verhalten noch sehr in Betracht, so in sehr vielen
Fällen, wie in den Lobulis oder hutpilzförmigen Körpern der
Tracheaten (17), dann im DBauchstrang der Rhipidoglossen,
(ephyren und Nemertinen, wo Zelle mit Zelle sich direkt ver-
bindend so einheitlichst zusammengefügt sind. Und wie innig
sind die Verbindungen überall, denn selbst die Fibrillenstruktur
geht ja aus einer Zelle in die andere über und setzt sich kon-
tinuierlichst auf die periphere Faser sowohl wie auf das zentrale
Nervennetz, deren innere Lage bildend, fort!
In der Darstellung der Fibrillenstruktur hat für die Kon-
tinuität Apathy eine weitere Stütze beigebracht und man kann
mit Freuden Helds erfolgreiche Bemühungen, auch ontogenetisch
die Sache zu fördern, begrüssen.
Wie kann sich aber gegenüber so vielen festgestellten Tat-
sachen die Neuronenlehre noch halten und man fragt sich unwill-
kürlich, warum fand die Kontinuität bei den mit der Gewebelehre
der Chordaten beschäftigten Forschern solange keine Anerkennung
und findet selbst heute nur von einem — allerdings immer sich
vermehrenden — Teil derselben? Ich meine, die Antwort darauf
hat in ehrlicher Aufrichtigkeit O. Schultze erteilt (l. c., S. 80)
indem er sagte: „Weil wir geblendet waren von dem oberfläch-
lichen Glanze der Theorie des vermeintlich freien Auswachsens
aus dem Mark und der Freiheit der Teleodendrien“. Dieser
Antwort liesse sich noch hinzufügen: und weil jene Herren die
diesbezügliche Literatur einfach umgingen und das Entwicklungs-
gesetz zu wenig achteten !
Heidelberg, im Mai 1910.
') Ich verweise diesbezüglich u. v. a. auf den wohl zu den auffälligsten
Fällen gehörenden, von einem Neuronenanhänger, nämlich Retzius, im
II. Bande seiner Biolog. Studien (neue Folge 1891) auf Taf. VII, Fig. 1 ab-
gebildeten Fall bei Aulostomum gulo.
250
Sı
Be Haller:
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Erklärung der Abbildungen auf Tafel X und XI.
Alle Abbildungen rühren von horizontalen Längsschnitten her.
Tafel X.
1. Cyprinus auratus. Eine Ganglienzelle aus der grauen Substanz
des Lateralgebietes. nn — grobes, fn — feines Nervennetz; ng —
Neuroglia. Vergr. 3/IX, Immers. Reichert. Das Präparat lag
3 Stunden in Methylenblau.
2. Cyprinus carpio. Drei miteinander durch das gröbere Nerven-
netz (nn) zusammenhängende Ganglienzellen. ng —= Neuroglia;
v,‚v’— Verbindungen; das feine Nervennetz ist zerstört. Vergr.2/IX,
Immers. Reichert. Das Präparat lag 6 Stunden in Methylenblau.
3. UCyprinus auratus. Nach zwei aufeinander folgenden Schnitten
zusammengestellt. a — eine grössere Ganglienzelle, deren dicker
sog. Nervenfortsatz sich in dem Lateralstrange in horizontaler
B. Haller: Kontinuität des Nervensystemes.
[88
a} |
[5]
Richtung teilt und während der eine Ast (f‘) dann zu einem Achsen-
zylinder wird, verästelt sich der andere (f) zuvor sich mit einer
kleinen Ganglienzelle (b) im Lateralstrange verbindend. Ist—Lateral-
strang. Vergr. 4/6 Reichert. Das Präparat lag 3 Stunden in
Methylenblau.
Fig. 4. Cyprinus auratus. Drei Achsenzylinder aus dem Lateral-
strange, von denen sich zwei miteinander verbinden bei v. Vergr. 46
Reichert. Das Präparat lag 2!» Stunden in Methylenblau.
Cyprinus auratus. Ein stärkerer Achsenzylinder (n) aus dem
Lateralstrange, sich mehrfach teilend. Vergr. 4/6 Reichert. Das
Präparat lag 2'!/2 Stunden in Methylenblau.
Fig. 6. Cyprinus auratus. Eine Einzelganglienzelle mit Achsenzylinder.
Vergr.4/6 Reichert. Das Präparat lag 2'/. Stunden in Methylenblau.
Cyprinus auratus. Eine Ganglienzelle mit sich mehrfach
teilendem Achsenzylinder. Vergr. 4/6 Reichert. Das Präparat
lag 2'/» Stunden in Methylenblau.
Fig. 8. Cyprinus auratus. Von vier verschiedenen Präparaten derselben
Serie eingetragene Zellen und Nervenfasern. nw —= Nervenwurzel;
Ist — Lateralstrang; ce — Zentralkanal. Vergr. 4/6 Reichert.
Fig. 9. Cyprinus auratus. Zwei miteinander sich verbindende kleinere
Ganglienzellen. Vergr. 4/6 Reichert.
Fig. 10. Cyprinus auratus. Eine Ganglienzelle, einen Achsenzylinder
für den Lateralstrang abgebend, dann zwei ähnliche ohne Ganglien-
zellen. Vergr. 4/6 Reichert.
&
pie)
or
Fig.
—-]
Tafel XI.
Bezieht sich alles auf Querschnitte von ganz jungen Regenbogenforellen
(Salmo irideus) mit Dottersack, die nach dem Golgischen Verfahren
behandelt wurden. ep = Epidermis ; sz — Sinneszellen; sn — subepitheliales
Nervennetz; un — Unterhautgeflecht; gz — Ganglienzelle; gh — Gehirn;
; — Ganglion Gasseri; go — Gehörkapsel; pz — Pigmentzelle.
sg
Fig. 11. Gassersches Ganglion. oa = oberer, ma — mittlerer, un — unterer
Nervenast. Vergr. 3/6 Reichert.
Fig. 12. Facialisganglion (ef). Vergr. 3/6 Reichert.
Fig. 13. Aus der Kopfhaut. Vergr. 4/4 Reichert
Fig. 14. Aus der Haut des Kiemendeckels. Vergr. 4/4 Reichert.
Fig. 15. Aus der Haut gleich hinter der Orbita. Vergr. 3/8 Reichert.
253
Aus dem histologisch-embryologischen Institut der Universität München.
Zur Entwicklung des Bindegewebsknochens.
Von
Adele Hartmann.
Hierzu Tafel XII und XIII und 4 Textfiguren.
v. Korff hat, veranlasst durch seine Untersuchungen über
die erste Anlage der Knochengrundsubstanz (1906), die alte
„Osteoblasten“lehre von der Histogenese des Knochens verlassen,
die fast durch 40 Jahre in der Fassung Waldeyers gegolten
hatte. Ihr trat nun v. Korff mit der Behauptung entgegen,
dass die erste Anlage des Knochenbälkchens aus miteinander
verflochtenen Fibrillenbündeln bestehe, die gar nicht von den
Osteoblasten gebildet werden, sondern von indifferenten Zellen
des umliegenden Gewebes. Über die Herkunft der Substanz,
welche die Fibrillen verbindet, spricht er sich nicht näher aus,
da sie seiner Meinung nach unwichtig ist. Während früher also
die Osteoblasten tatsächlich als die Bildner des Knochens galten,
sollten sie nach der neuen Anschauung damit nichts mehr zu
tun haben. Diese Streitfrage ist in den letzten Jahren nicht
entschieden worden; sie hat sich vielmehr noch verschärft. Die
einen legen für die Entstehung des Knochens das Hauptgewicht
auf die Grundsubstanz und beachten die Fibrillen wenig oder
gar nicht; zu diesen Autoren gehören vor allem v. Ebner, Disse
und Novikoff; ihnen gegenüber stehen v. Korff und in gewisser
Hinsicht auch Studnicka, die ganz besonders die fibrilläre
Anlage betonen und den Osteoblasten selbst nur eine ganz
geringe Tätigkeit bei der Knochenbildung einräumen.
Ehe ich nun auf die Resultate meiner eigenen Untersuchungen
näher eingehe, möchte ich auch an dieser Stelle Herrn Professor
Mollier, der mir die Anregung zu der Arbeit gab und mich
bei ihrer Ausführung unterstützte, meinen ergebensten Dank
aussprechen.
Ebenso danke ich Herrn Prosektor Dr. Böhm verbindlich
für die mir geleistete Hülfe.
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. Ir
254 Adele Hartmann:
Methodik.
Zur Untersuchung wurden Embryonen von Schafen und
Kaninchen verwendet, auch wurden einige Schnitte von Katzen-
embryonen einer genaueren Prüfung unterzogen. Dabei zeigte sich,
dass abgesehen von Verschiedenheiten in der äusseren Form des
Unterkiefers, die höchstens in einem rascheren oder langsameren
Wachstum, namentlich Dieckenwachstum, auffällig wurden, bei den
verschiedenen Tieren in der Genese des Knochens kein wesent-
licher Unterschied festzustellen war. Es darf also wohl an-
genommen werden, dass auch für andere Säugetiere die erste
Anlage des Knochens in übereinstimmender Weise erfolgen wird.
Am geeignetsten zur Untersuchung erwiesen sich Embryonen
von ca. 2 cm Scheitel-Steisslänge; es sind hier die Meckelschen
Knorpel noch in der ganzen Ausdehnung erhalten und es hat
sich nach aussen von diesen beiderseits eine dünne Knochen-
spange angelegt, die von der Stelle ihrer ersten Anlage weiter
nach vorn reicht als nach rückwärts und auch vorne etwas
kräftiger entwickelt ist.
Entkalkung des Knochens ist in diesen Stadien noch nicht
nötig; namentlich wenn diese mit Flemmingscher Lösung
fixiert worden waren.
Die Schnittrichtung wurde anfangs frontal geführt; man
konnte dabei erkennen, wie sich der Knochen halbkreisförmig
um den Meckelschen Knorpel herum anlegt, nicht in kompakter
Masse, sondern in Lamellen von verschiedener Dicke, die sich
netzförmig untereinander verbinden. In geringer Entfernung
vom Knochen ist das Mesenchym bereits verdichtet, reichliche
Fasern gebildet und die Zellen in die Länge ausgezogen als
Anlage des späteren Periosts. Über die Entstehung der Lamellen
liess sich dabei aber nichts oder so gut wie nichts erkennen.
Später wurde die Schnittrichtung mehr schräg und hori-
zontal gelegt und da zeigte sich, dass an dem proximalen Ende,
also in der Richtung gegen das spätere Gelenk zu, deutlich alle
Stadien der Umbildung zu erkennen waren. Es wächst also der
Knochen offenbar langsamer nach rückwärts, als in die Dicke.
Nach rückwärts ist auch noch keine Grenze gezogen für das
Wachstum durch die Verdichtung des Mesenchyms zum Periost.
Die Dicke der Schnitte betrug durchschnittlich 5—7 u.
Zur Entwicklung des Bindegewebsknochens. 255
Fixiert wurden die Objekte zum Teil in Flemmingscher
Lösung je nach der Grösse verschieden lang: zwei Tage bis zu
drei Wochen. Zum Teil in Zenker, Helly-Müller, Sublimat
und Formol. Da letzteres gern Schrumpfungen bewirkt, die
gerade hier leicht zu Täuschung Veranlassung geben, so sind die
Bilder mit Vorsicht zu deuten. Eingebettet wurde in Paraffın.
Was die Färbungen anbetritft, so waren die Resultate
eigentlich recht unbefriedigende. Es fehlt vor allem an einer
Protoplasmafärbung, die auch die feinsten Fortsätze der Zellen
noch unzweideutig zum Ausdruck bringt und die zugleich schon
differenziertes Protoplasma gegen noch undifferenziertes abgrenzen
würde. Um diesem Übelstande möglichst abzuhelfen, wurden
ganz verschiedene Färbungen benutzt, mit Tannin-Osmiumsäure,
mit Methylgrün-Pyronin, mit Gentianaviolett, Thionin, Kongorot;
ferner mit einem Gemisch von Orange G. und Fuchsin S. in der
von v. Korff angegebenen Weise und die erhaltenen Resultate
sorgfältig miteinander verglichen. Sehr schön gelang es, den
Zusammenhang von Zellprotoplasma und Knochensubstanz mit
Bleu de Lyon nachzuweisen.
Für die Darstellung der Fibrillen liegen die Verhältnisse
wesentlich günstiger. Das Verfahren nach Mallory und eine
Färbung mit Blauschwarz (Heidenhain: Zeitschrift für wissen-
. schaftliche Mikr., Bd. 25, April 1908) waren sehr geeignet. Auch
eine von Hornowsky angegebene modifizierte Dreifärbung nach
van Gieson (Zentralbl.f.allg. Path.u.path. Anat., Bd. 19, 15) und
eine Färbung der Präparate mit Heidenhainschem Eisen-
hämatoxylin und Nachfärben mit Fuchsin S., eine Methode, die
auch v. Korff für seine Präparate verwendet hat, ergaben in
bezug auf die Fibrillen ganz gute Resultate. Nur soll gleich
hier angefügt werden, dass die Fibrillen sich nicht ausschliesslich
mit sauren Farbstoffen färben, sondern auch mit basischen,
z.B. mit Anilinblau, und dass zur Diagnose von verschiedenartigen
Fibrillen ihre Acidophilie bezw. Basophilie nicht herangezogen
werden darf, da dies keine konstanten und vor allem keine
zuverlässigen Eigenschaften sind. Auch ein Unterschied in der
verkalkt gewesenen und noch unverkalkten Knochensubstanz, der
sich in einer verschiedenen Affinität zu basischen und sauren
Farbstoffen äussern sollte, wie v. Korff angibt, konnte nicht
gefunden werden. Mit allen Farbstoffen, die zur Anwendung
ld
256 Adele Hartmann:
kamen, färbte sich der Knochen in den zentralen Partien inten-
siver, aber nicht anders als in den peripheren, oder die Farbe
konnte bei regressiver Färbung nur langsamer ausgezogen und
differenziert werden; es bleiben z. B. nach der Färbung mit
Heidenhainschem Hämatoxylin bei der Differenzierung mit
Eisenalaun die inneren Teile des Knochenbälkchens viel länger
schwarz als der Rand. Bei schon sehr dicken Knochen (ca. 50 u)
gelingt eine Differenzierung überhaupt nicht mehr; doch darf
dieses Verhalten kaum der Anwesenheit von Kalksalzen zu-
geschrieben werden. Ausserdem zeigte das Innere des Knochen-
bälkchens immer eine homogenere Färbung als der Saum und
Fibrillen liessen sich nur sehr schwer oder gar nicht sehen.
Eine Vorbehandlung der Schnitte mit 5°/oiger Salpetersäure ergab
genau die gleichen Resultate, selbst wenn sie bis zu 48 Stunden in
der Säure belassen wurden. Schon vorhandene Kalksalze waren durch
die Fixierungstlüssigkeiten herausgelöst worden. Nach v. Korff
müsste durch die Salpetersäure das die Fibrillen verklebende Binde-
mittel entfernt werden, was aber nicht der Fall ist. Auch ist
dieses Bindemittel nicht ausschliesslich basophil, denn es färbt sich
z. B. sehr stark mit Fuchsin S., dagegen nicht mit Thionin.
So verschieden die Bilder, die man mit den verschiedenen
Färbungen erhielt, auch waren, so stimmten wenigstens alle darin
überein, dass sie das Protoplasma der Osteoblasten nirgends
homogen erscheinen liessen, dass sie Beziehungen zwischen Zellen
und Fibrillen erkennen liessen und dass sie überall die gleichen
Form- und Aufbauverhältnisse der Osteoblasten zeigten.
Es gehört der Unterkiefer zu denjenigen Knochen, die
nicht knorpelig präformiert sind, sondern direkt aus dem Binde-
gewebe entstehen. Und zwar muss ganz besonders betont werden,
dass es sich nicht einfach um die Umwandlung und Verknöcherung
von fertigem Bindegewebe handelt. Es geht die erste Entstehung
des Knochens viel weiter zurück in eine Zeit, in der überhaupt
noch Kein eigentliches kollagenes Bindegewebe vorhanden ist.
Hierin liegt auch der Hauptunterschied gegen den perichondral
und periostal gebildeten Knochen; es soll darauf später noch
kurz zurückgekommen werden.
Der Knochen entwickelt sich direkt aus dem lockeren
embryonalen Mesenchym, das die Grundlage alles Stützgewebes
Zur Entwicklung des Bindegewebsknochens. 257
bildet. Dieses Mesenchym besteht vorwiegend aus ziemlich grossen
weit verzweigten Zellen, die in einer Flüssigkeit, von Studnitka
„Urlymphe“ genannt, verspannt sind. Letztere ist an den Schnitten
natürlich nicht mehr nachzuweisen, sie muss aber angenommen
werden. Im übrigen ist sie für das weitere belanglos.
Wichtig sind vor allem die Zellen. Sie zeigen zahlreiche
Ausläufer, die mit denen benachbarter Zellen anastomosieren.
Die Form dieser Fortsätze ist sehr verschieden; sie sind oft
lang ausgezogen, oft ganz kurz; manchmal erscheinen sie breit,
manchmal so fein, dass man sie kaum verfolgen kann. Wahr-
scheinlich sind sie häufig segelförmig und merkwürdig gewunden,
daher das verschiedenartige Bild. Die flächenförmig ausgebreiteten
Fortsätze sind natürlich auch wieder durchbrochen. Auch um
die Zellkerne ist meistens das Protoplasma nicht wesentlich
stärker angesammelt.
Das Protoplasma färbt sich sehr schwach selbst mit spezifischen
Protoplasmafarben, was vielleicht auf grossen Wasserreichtum
zurückgeführt werden kann. Darauf weist auch die gallertige
Konsistenz des Gewebes hin. Dass es sich aber doch um eine
wenn auch noch so schwach gefärbte Substanz handelt, ist daraus
erkennbar, dass zwischen den kleinsten undeutlichen Lücken des
protoplasmatischen Netzes grössere sich finden, die ganz deutlich
ungefärbt und von scharfem Rande begrenzt sind. Es sieht aus,
als wären in eine protoplasmatische Grundmasse Hohlräume ver-
schiedenster Form und Grösse eingelegt, die je weiter sie sich
vom Kern entfernen umso grösser werden, je näher sie dem Kern
liegen bis zu winzigen Hohlräumen zusammenschrumpfen, die wie
Vakuolen aussehen (Fig. 2). Der syneytiale Zusammenhang der
Zellen lässt sich deutlich erkennen, wo zwei Kerne nahe bei-
einander liegen und durch breitere protoplasmatische Züge ver-
bunden sind; dann auch an solchen Stellen, wo das Gewebe schon
etwas kernreicher und dichter geworden ist, z. B. um die Anlage
der Chorda oder unter der Epidermis; auch Fäserchen sind hier
schon reichlicher vorhanden; nur sind es meist noch keine scharf
konturierten Fibrillen, sondern körnige Gebilde (Fig. 3). In
späteren Stadien machen die bereits reichlich entwickelten Fibrillen
das Bild unklar; man tut daher gut, nur sehr junge Embryonen
zu untersuchen. Das Protoplasma färbt sich allerdings häufig
um die Kerne und in den stärkeren Ausläufern etwas kräftiger,
258 Adele Hartmann:
was leicht zur Täuchung Anlass geben kann, als seien einzelne
Zellen in einer fast farblosen Grundsubstanz suspendiert. Die
stärkere Färbung tritt aber durchaus nicht immer deutlich auf;
auch nicht an allen und stets an den gleichen Stellen, so dass
sie wohl kaum als etwas Spezifisches angesehen werden dürfte.
Vielleicht ist sie der Ausdruck einer ersten Differenzierung der
indifferenten Mesenchymzellen, die sich vorerst nur in einer
grösseren Dichte des Protoplasmas äussert.
Das Protoplasma der Zellen ist nirgends homogen; es zeigt
überall eine wabige Struktur. Die Waben erscheinen unmittelbar
in der Umgebung der Kerne kleiner als am Rande der Zelle und
nehmen mit Entfernung der Kerne zu, so dass sie als kleinere
und grössere Vakuolen erscheinen.
Allenthalben findet man zwischen den Maschen des Netzes
grosse vereinzelte Zellen, die sich aus dem syneytialen Verbande
gelöst haben. Ihr Protoplasma zeigt den gleichen wabigen Bau
mit Vakuolen. Sie erweisen sich darnach als selbständig gewordene
kernhaltige Teile des wabig-vakuolär gebauten protoplasmatischen
Syneytiums. Welche Bedeutung und welche Funktion diese Zellen
haben, braucht hier nicht besprochen werden. Sie zeigen noch
keine spezifische Veränderung. Vielleicht stehen sie in irgend
welcher Beziehung zur Blut- und Lymphbildung. Ausser zahl-
reichen mit Blutzellen dicht erfüllten Lücken kann man überall
im Gewebe verstreut einzelne Blutzellen antreffen, manchmal wie
von den feinen protoplasmatischen Ausläufern der Zellen um-
sponnen. Wahrscheinlich gibt es bei so jungen Embryonen im
Mesenchym stellenweise noch keine Trennung des Blut- und
Lymphapparates, noch keinen vollständig geschlossenen Kreislauf,
sondern die Ernährungsflüssigkeit zirkuliert frei durch die Maschen
des lockeren (rewebes.
Vereinzelte Blutzellen findet man auch noch im Mesenchym,
das bereits angefangen hat Knochensubstanz zu bilden, also im
osteogenen (sewebe; zwischen den schon fertigen Knochenbälkchen
aber liegen sie nirgends mehr frei, sondern schon deutlich in
mehr oder weniger weite Endothelröhren eingeschlossen.
Die Kerne der Mesenchymzellen sind gross, hell, meist rund
oder oval; das reichliche Uhromatin erscheint in Körnchen auf-
gereiht: ein Kernkörperchen ist vorhanden. Sonst bieten sie
nichts Bemerkenswertes.
Zur Entwicklung des Bindegewebsknochens. 259
Eine bestimmte Orientierung der Zellen nach einer Richtung,
die in der Lage der Kerne und der Zellfortsätze zum Ausdruck
käme, ist nicht vorhanden: sie stehen ganz gleichmässig nach
allen Dimensionen verteilt. Nur da, wo sich das Mesenchym
gegen fremdes Gewebe abgrenzt, sind die Kerne mehr länglich
und nach einer bestimmten Richtung angeordnet; hier ist auch
die Faserbildung schon viel ausgeprägter. Dasselbe gilt für
denjenigen Teil des Mesenchyms, der später zum Periost des
Unterkiefers wird.
Aus diesem netzförmig angeordneten vollständig indifferenten
Mesenchym entwickelt sich der Knochen.
Der fertige Bindegewebsknochen besteht ausser den ein-
gelagerten Zellen im wesentlichen aus drei Bestandteilen: aus
sogenannten kollagenen Fibrillen, aus einer organischen Substanz,
welche dieselben verkittet und zusammenhält, die ich mit Mollier
als Bindemittel bezeichnen werde, und aus den anorganischen
Salzen.
Ich gehe bei der folgenden Beschreibung zunächst von einem
nicht mehr ganz jungen Stadium aus, wie es ungefähr auch den
Bildern zugrunde liegt, die v. Korff in seinen Abhandlungen
gegeben hat.
Das was bei der Betrachtung des werdenden Knochen-
bälkchens am meisten® auffällt, sind die Fibrillen (Fig. 1), sie
sollen daher auch zuerst besprochen werden. Es handelt sich
bei ihrer Entstehung im wesentlichen um drei Fragen: nämlich
ob sie, wie v. Korff annimmt, schon vor der Bildung der Grund-
substanz, des Bindemittels, vorhanden sind; zweitens, wie weit
sie sich in ihrer Entstehung zurückverfolgen lassen; und endlich,
ob sie von Zellen abstammen und von welchen, oder ob sie für
sich in einer Substanz entstehen, die dann als Intercellular-
substanz von Zellen abgeschieden worden sein müsste? Sobald
man das letztere annimmt, werden die anderen Fragen hinfällig;
im übrigen ergibt sich eine aus der andern.
Vom Rande des Knochenbälkchens lassen sich Fibrillen ins
umliegende (rewebe hinaus verfolgen; sie gehen fast senkrecht
vom Knochen ab, indem sie sich dabei in merkwürdiger Art zu
Bündeln zusammenlegen, wie dies schon von v. Korff beschrieben
worden ist (Fig. 1). Nur selten verlaufen sie einzeln und parallel
zueinander; doch kommt auch dieses vor. In den frisch ge-
260 Adele Hartmann:
bildeten Knochenpartien lassen sich diese Faserbündel gut er-
kennen und weiter verfolgen; sie lösen sich meist wieder in
dünne Bündel oder einzelne Fasern auf, die sich nicht mehr
geordnet nebeneinander legen, sondern untereinander und mit
Fasern anderer benachbarter Bündel zu einem dichten Filz ver-
flechten. Das (Gerüst, das auf diese Weise entsteht, ist nach
jeder Richtung hin gleich gebaut; wie man den Schnitt auch
legen mag, man erhält immer dasselbe Bild. Es verlaufen also
die Fibrillen nicht vorherrschend in einer bestimmten Richtung;
auch von einer Anlage des Knochens in getrennten Lamellen, in
welchen die Fasern geordnet senkrecht aufeinander stehend ver-
laufen würden, ist keine Rede. Allmählich verschwindet das
dichte Fasernetz unter dem die Fibrillen verklebenden Bindemittel.
Man gewinnt entschieden den Eindruck, als entstünden die
Fibrillen vor der Anlage des Bindemittels, wie dies auch v. Korft
mehrfach ausdrücklich betont hat. Wenn man den Begriff des
Bindemittels nur für diejenige Masse gelten lässt, die als scheinbar
homogene Intercellularsubstanz die Fibrillen markiert, so hat er
allerdings recht. Verfolgt man aber die Entstehung dieses Binde-
mittels, von welcher später noch ausführlich die Rede sein wird,
so muss man zu der Überzeugung kommen, dass der Begriff in
obigem Sinne viel zu eng gefasst ist. v. Korff sagt: „Als
zweiter unwesentlicher Bestandteil entwickelt sich die Kittsubstanz
(formlose Intercellularsubstanz), welche die Widerstandsfähigkeit
des Gewebes erhöht und in welche die Einlagerung von Kalk-
salzen durch chemische Prozesse erfolgt. Sie maskiert die
Bindegewebsfibrillen, ist basophil.“ Woher diese Kittsubstanz
kommt, ist nirgends erwähnt und doch kann sie nicht einfach
plötzlich aufgetaucht sein. An einer anderen Stelle sagt v. Korff
von den Osteoblasten, „dass diese nur in den Knochenkanälchen
gelegene Fortsätze entwickeln und in den basophilen Körnern
des Zelleibes wahrscheinlich die später in die Grundsubstanz
eingelagerte Interfibrillärsubstanz, wie wir es auch für die
Knochenzellen annehmen müssen“. v. Korff unterscheidet also
doch noch neben der Interfibrillärsubstanz eine besondere Grund-
substanz, die, wie aus obigem hervorgeht, vor der ersteren da
gewesen sein muss. (Genauer ist diese Grundsubstanz aber nicht
beschrieben und auch von ihrer Entstehung ist nichts gesagt.
Dass aber eine solche Trennung eines eigentlich einheitlichen
Zur Entwicklung des Bindegewebsknochens. 261
Begriffes wesentlich zur Unklarheit beiträgt und nur zu Ver-
wirrungen Anlass geben kann, wird niemand bestreiten; es soll
daher im Folgenden die Substanz, welche die Fasern verbindet,
gleichviel welche chemische oder physikalische Veränderung sie
während des Prozesses der Ossifikation erleidet, und ohne Rück-
sicht darauf, wie sie sich morphologisch darstellt, mit Binde-
mittel bezeichnet werden, sobald sie als ein von der Zelle deutlich
getrennter Bestandteil erkannt werden kann. Was noch un-
zweifelhaft zum Zelleib gehört, ist Protoplasma, mag es nun
schon eine gewisse Differenzierung eingegangen sein oder nicht.
In diesem Sinne erscheint es auch nicht mehr ganz berechtigt,
zu sagen, dass die Fibrillen vor dem Bindemittel da seien. Sie
fallen wohl mehr ins Auge und sind vielleicht in ihrer Art schon
weiter differenziert als die Substanz, die sie zusammenhält; es
ist aber ein logisches Postulat, dass das Bindemittel gleichzeitig
mit den Fibrillen entsteht. Jedenfalls kann von einem Aus-
wachsen der Fibrillen aus dem Ort ihrer Genese zum Ort ihrer
technischen Verwendung, wie es v. Korff für Knochen- und
Pulpafibrillen, und neuerdings auch Heinrich für die Pulpa
angibt, nicht die Rede sein. Ebensowenig können Fibrillen
nachträglich in eine schon vorgebildete Grundsubstanz hinein-
wachsen; entweder die Fibrillen entstehen mit ihr zusammen
oder sie treten erst sekundär in ihr in Erscheinung, wie es auch
v. Ebner annimmt.
Da die Fibrillen viel mehr ins Auge fallen, als das in
jungem Zustande noch fast unsichtbare Bindemittel, so ist es
auch leichter, sie zu verfolgen bis in das Gewebe, aus welchem
sie ihre Entstehung nehmen. Sie treten vom Rand des Knochen-
bälkchens bündelweise weg und laufen zwischen den als Osteo-
blasten bezeichneten Zellen hindurch. Dabei lösen sich die Bündel
allmählich wieder pinselförmig in einzelne Fasern auf. Diese
lassen sich weit hinaus verfolgen in ein Gewebe, das morpho-
logisch vollständig indifterent ist, höchstens durch seine Lage
in der Umgebung des Knochens als osteogenes angesprochen
werden darf. Dieses Gewebe zeigt einen lockeren Bau, die
Zellen verhalten sich ganz wie die früher beschriebenen, es
handelt sich in der Tat um erstes indifferentes Mesenchym.
Unterzieht man dieses nun nochmals einer genaueren Betrachtung,
so zeigen sich überall, bald mehr, bald weniger deutliche Fibrillen
262 Adele Hartmann:
(Fig. 2). Zu ihrer Charakteristik ist wenig zu sagen; überall
findet man sowohl Längs- als Querschnitte, es ist aber keine
bestimmte Richtung vorherrschend. Zuweilen treten mehrere
Fibrillen zu einem Bündel zusammen. Sie sind nicht gleich dick
und verlaufen, soweit man sie im einzelnen verfolgen kann, nicht
immer gerade gestreckt, sondern leicht wellig, manchmal auch
gewunden, indem sie den Verlauf der Netzmaschen betonen. In
der Nähe des Knochens liegen die Fibrillen den Osteoblasten
manchmal sehr dicht auf, als ob sie in engem Zusammenhang
mit ihnen stünden. Es ist auch tatsächlich häufig unmöglich,
nachzuweisen, dass die Fibrille von der Zelle getrennt sei; ebenso
oft aber verlaufen die Fibrillen deutlich von den Zellen isoliert.
Dass die Bilder v. Korffs hier nicht ganz mit der Wirklichkeit
übereinstimmen, hat schon v. Ebner erwähnt; es sind zwischen
den Fasern überall nur die Kerne, nirgends aber Protoplasma-
leiber der Zellen eingezeichnet.
v. Korff betont, dass eine Beteiligung der Osteoblasten
an der Bildung der kollagenen Fibrillen unmöglich sei. Verfolgt
man die Fibrillen weiter hinaus, so muss man zu derselben
Anschauung gelangen trotz des zweideutigen morphologischen
Verhaltens. Ich möchte letzteres dahin deuten, dass zwar
genetisch die Osteoblasten nichts mehr mit den Fibrillen zu tun
haben, dass sie aber bei der raschen Entwicklung des Gewebes
nicht mehr Zeit gehabt haben, sich vollständig von den Fasern
loszulösen. Auch dürfte dieses Verhalten mit hinweisen auf einen
früheren innigen Zusammenhang von Zelle und Fibrille. Immerhin
möchte ich auch gerade deshalb die Osteoblasten von der Fibrillen-
bildung nicht vollständig ausschliessen und glaube, dass sie unter
bestimmten Bedingungen wieder die Fähigkeit erhalten, sich an
der Fibrillenbildung zu beteiligen. v. Ebner hat an der Ober-
fläche der Odontoblasten Fäserchen gesehen und dargestellt,
Mallory, Bielschowsky und auch mir sind an manchen
Stellen ähnliche an der Oberfläche der Osteoblasten ihrer Längs-
achse parallel verlaufende Fäserchen aufgefallen (Fig. 4).
Hiermit wären wir bereits zu der viel umstrittenen Frage
nach der Entstehung der Fibrillen gekommen. Da sich die
Knochenfasern bis zum Mesenchym zurückverfolgen lassen, wird
man hier auch ihre Entstehung studieren müssen. Die Schwierig-
keiten dabei sind aber sehr gross, eben weil es noch kein zu-
Zur Entwicklung des Bindegewebsknochens. 263
verlässiges Mittel gibt, um differenziertes Protoplasma von noch
undifferenziertem zu trennen, und weil das wasserreiche, fast
flüssige Protoplasma Farbstoffe nur sehr schwer annimmt. Bei
intensiver Beleuchtung und Abblendung kann man sehen, dass
die Fibrillen mit den feinen, kaum sichtbaren Netzmaschen ver-
laufen, manchmal dicht neben einem Kern vorbei, manchmal
sogar ein Stück um den Kern herum (Fig. 2). Niemals verläuft
eine solche Faser durch eine grössere, vollständig ungefärbte
Lücke im Gewebe, welche intra vitam von der „Urlymphe“
erfüllt gewesen sein muss, und die sicherlich kein Protoplasma
enthält. Eine gewisse Beziehung der Fasern zur Zellsubstanz
ist also doch da. Studiert man eine scheinbar frei verlaufende
Fibrille genauer, so zeigt sich, dass ihre Konturen gar nicht so
scharf sind. Sie ist umgeben von einem dünnen, äusserst schwach
gefärbten, oft kaum sichtbaren Belag, den man wegen seiner
geringen Dicke für homogen erklären möchte. Wahrscheinlich
ist es gar nicht homogen, sondern eine lang ausgezogene, äusserst
feine Lamelle von Protoplasma, die der jungen Faser wie ein
Mantel aufliegt. Dass dieser Belag nicht immer da ist, sondern
mit der Selbständigkeit der Fibrille und ihrer weiteren
Differenzierung verschwindet, ist wahrscheinlich; ich habe ihn
auch nur an der Faser des jungen undifferenzierten Mesenchyms
wahrnehmen können. Schon an den Fibrillen des vorhandenen
Knochenbälkchens findet er sich in der Regel nicht mehr.
Zwischen den gröberen und feineren deutlich ausgebildeten
Fibrillen zeigen sich zahllose feinste faserige Gebilde, die keine
deutliche Kontur besitzen, sondern aus aufgereihten Körnchen
zu bestehen scheinen und durchaus unregelmässig sind (Fig. 3).
Sie sind kürzer und laufen nach allen Richtungen durcheinander,
besonders die Konturen der Netzmaschen andeutend. Wahrschein-
lich sind sie identisch mit den „Plasmafäserchen“ v. Ebners
und den „Tonofibrillen* Studnid@kas und stellen eine Vorstufe
der fertigen Fibrillen dar. v. Ebner leugnet die Entstehung
kollagener Fibrillen aus sichtbaren Körnchen, seine Protoplasma-
fäserchen sind selbständige Gebilde, die mit den Fibrillen nichts
zu tun haben; es scheint, „dass die Fibrille sofort als solche
entsteht“. Dagegen sprechen aber die zweifellosen an Fibrillen
beobachteten Wachstumsvorgänge. Studnicka nimmt ausser
den selbständigen Tonofibrillen noch andere Fasergebilde an,
264 Adele Hartmann:
die er für Fortsätze des meist spindelförmigen Zellkörpers hält
und von welchen er glaubt, dass sie mit der Tonofibrillenbildung im
Zusammenhang stehen. Trotzdem lässt er an anderer Stelle Tono-
fibrillen selbständig im Innern eines zellfreien Grundsubstanz-
gewebes entstehen (Gallertgewebe von Amphioxus, Glaskörper).
Sobald man annimmt, dass die Fasern aktiv von Zellen
gebildet werden, ist es gleichgültig, ob sie mehr im zentralen
oder peripheren Teil der Zelle entstehen: das letztere ist das
wahrscheinlichere, da ja die Fibrillen hauptsächlich mit den
Zellausläufern verlaufen. Da wo sie zuerst auftreten, lässt sich
meist noch kein sichtbarer Unterschied feststellen zwischen
Exoplasma (Randplasma) und Endoplasma, obwohl damit nicht
geleugnet werden soll, dass schon ein Unterschied vorhanden sein
kann. Ferner ist es für die Weiterentwicklung der Fibrillen als
solche einerlei, ob sich mit ihnen ein Teil des Protoplasmas der
Zelle loslöst, oder ob sie einfach als schon fertige Gebilde aus
der Zelle hinausgeschoben werden; ebenso ist es gleichgültig, ob
die Trennung früher oder später erfolgt. Es wird dies sehr ver-
schieden sein können und wesentlich davon abhängen, zu welchem
Zweck die Fibrille gebaut wird, und aus welchem Material sie
besteht. Einen bestimmten Charakter erhält sie erst dann, wenn
man sie ihrer chemischen Natur nach genauer bestimmen kann.
Für uns hier ist das wesentlichste die funktionelle Bedeutung,
und so glaube ich auch, dass für den Bau des Knochens vor
allem die Faser als solche massgebend ist und ihre chemische
Natur gar nicht oder wenigstens nur soweit in Betracht kommt,
als sie Einfluss hat auf das physikalische Verhalten der Fibrillen.
Damit wäre auch die Streitfrage, ob die ersten Fibrillen kollagen
sind oder nicht, als etwas ganz unwesentliches erledigt. Wahr-
scheinlich ‘haben sie in ihren Frühstadien eine ganz andere
chemische Zusammensetzung, als im fertigen Knochen. Es hat
auch noch niemand mit Sicherheit bewiesen, dass alle bis jetzt
für kollagen gehaltenen Fasern wirklich aus demselben Kollagen
bestehen.
Ob sich alle Zellen des Mesenchyms oder nur einige an der
Fibrillenbildung beteiligen, ist bei dem dichten Gewirr der Fort-
sätze unmöglich zu entscheiden; sicherlich aber haben jene Zellen,
die sich schon ganz frühzeitig aus dem Verband der anderen
getrennt, nichts mehr mit der Faserbildung zu tun.
Zur Entwicklung des Bindegewebsknochens. 265
Mit dem Nachweis, dass ein genetischer Zusammenhang
zwischen Zelle und Fibrille besteht, ist freilich noch lange nicht
bewiesen, wie und woher die letztere eigentlich ihren Ursprung
nimmt. Die meisten Autoren führen sie auf körnige oder fädige
Strukturen des Protoplasmas zurück (Flemming, Studnicka,
Meves, Golowinski u.a.). Bei der Mannigfaltigkeit dieses
Gewebes ist es ja denkbar, dass die Fibrillen nicht immer auf
die gleiche Weise entstehen; ich erinnere nur an die Arbeit
v. Ebners über die Entwicklung der kollagenen Fibrillen in der
Chordascheide niederer Fische.
Vorerst soll nur betont werden, dass die Fibrillen vorhanden
sind und dass sie von Zellen des Mesenchyms gebildet werden,
im Gegensatz zu jenen Autoren (Merkel, Laguesse u.a.),
welche sie in einer amorphen Grundsubstanz entstehen lassen.
Woher kommt nun aber jenes Bindemittel, das die Fasern zu-
sammenkittet und für den Bau des Knochens ebenso wichtig ist,
als diese selbst? Schon oben wurde gesagt, dass das Bindemittel
gleichzeitig mit den Fasern entstehe; es sind also auch für dieses
die ersten Anfänge im Mesenchym zu suchen. Verfolgt man das
lockere syneytiale Gewebe gegen das Knochenbälkchen zu (am
besten auf Horizontalschnitten am proximalen Ende des Bälkchens),
wo noch keine Anlage des Periosts sich findet, so sieht man
zunächst nichts weiter als eine starke Wucherung des Gewebes
(Fig. 5). Die Zellen werden zahlreicher, die Kerne dichter ge-
drängt. Man findet hier auch viel häufiger Karyokinesen als
sonst im Mesenchym, und zwar ist es auffällig, dass diese Teilungs-
figuren sich meist in ziemlicher Entfernung vom Knochenbälkchen
befinden am äusseren Rand des jungen „osteogenen“ (rewebes.
Die Zellen werden von aussen her nach der Mitte zu vorgeschoben ;
nur selten findet man eine Karyokinese in der Nähe des Knochens.
Es sind also noch indifferente Zellen, die sich teilen. Das junge
(Gewebe ist ausserordentlich gut ernährt; viele grössere und
kleinere Gefässbahnen, die nur eine Endothelwand besitzen, kommen
bis dicht an den schon fertigen Knochen heran, laufen bisweilen
(höchst selten) zwischen den Knochenlamellen hindurch. Auch
vereinzelte Blutzellen finden sich noch immer in den Netzmaschen
des Mesenchyms, niemals aber zwischen den schon fertigen Knochen-
spangen. Die Kerne werden kleiner; ebenso die Protoplasma-
leiber der Zellen; die Regeneration auf den ursprünglichen Be-
266 Adele Hartmann:
stand kann mit der Teilung offenbar nicht gleichen Schritt halten.
Die Struktur der Kerne zeigt keine Veränderung; auch das
Protoplasma ist noch wabig wie zuvor und zeigt hin und wieder
Vakuolen. Die Netzmaschen zwischen den Plasmafäserchen werden
viel kleiner; sie zeigen keine bestimmte Form, sind meist von
rundlicher (Gestalt. Es sieht aus als ob das Gewebe sich gleich-
mässig verdichten würde. Freie aus dem Syneytium losgelöste
Zellen, die wie die schon mehrfach erwähnten an die „ruhenden
Wanderzellen“ Maximows erinnern, habe ich nur mehr an einem
Präparat gefunden. Das (Gewebe ist schon nicht mehr ganz in-
different. Nach aussen zu scheinen die Maschen etwas in die
Länge gezogen und die Kerne flacher, hier ist der Übergang
zum Periost. Hier ist auch die Faserbildung am dentlichsten.
Je näher man an das fertige Knochenbälkchen herankommt, desto
schärfer geprägt und desto dichter werden die Fibrillen. Sie
bilden oft schon dicke Balken, die um die Netzmaschen herum-
laufen; überall zeigen die Fasern deutlich eine Tendenz sich zu
Bündeln zusammenzulegen. Ganz allmählich färbt sich auch das
Protoplasma intensiver (Fig. 6 a und b), wird offenbar wasser-
ärmer, konsistenter; dabei behält es stets seine wabige Struktur.
Nun kann man auch deutlich erkennen, dass die Fibrillen im
Protoplasma verlaufen und zwar immer am Rande der Netzmaschen.
Gleichzeitig macht sich im Syneytium eine Differenzierung
bemerkbar, es ändert sich das um den Kern gelegene Proto-
plasma; es zeigt einen anderen Farbenton, ist meist etwas dunkler
und erscheint zuerst als ein schmaler, dem Kern dicht anliegender
Ring, der sich allmählich verdickt. Auch eine Änderung in der
Struktur wird bemerkbar; die Waben werden deutlicher und
grösser, die grösseren Vakuolen dagegen zusammengedrückt, so
dass sie häufig nicht mehr zu sehen sind; dem Ganzen bleibt
aber der schaumige Charakter erhalten. Jetzt wäre der Moment
gekommen, wo man wirklich zwischen Exoplasma und Endoplasma
unterscheiden könnte. Dieses Stadium ist aber offenbar ein sehr
rasch vorübergehendes, denn man muss oft viele Präparate durch-
mustern, ehe man an einer Serie solche Bilder deutlich er-
kennen kann.
Das in Umbildung begriffene Protoplasma entwickelt sich
nicht gleichmässig um den Kern; es verdickt sich nach einer Seite
hin, sodass der Kern ganz exzentrisch liegt, wie in ein Schüsselchen
Zur Entwicklung des Bindegewebsknochens. 267
eingebettet. Das ganze (rewebe wächst kräftig (Fig. 6 a), die
Kerne werden mit dem Protoplasmaleib wieder grösser und die
einzelnen Zellen mehr auseinander gedrängt. Der Hauptzweck
ist jetzt offenbar nicht mehr Vermehrung der Zellen, sondern
innere Ausgestaltung. Hohlräume zwischen den Maschen des
ursprünglichen Netzes sind kaum noch vorhanden (Fig. 6 b),
sie werden ausgefüllt durch die Anlagen der ersten Knochen-
substanz (= Bindemittel + Fibrillen), die mit den Zellen mächtig
gewuchert ist.
An der Struktur der Kerne ändert sich so gut wie nichts;
sie sind gleich hell und gross wie früher; die Chromatinkörnchen
ballen sich manchmal zu kleinen Schollen zusammen, die der
Kernmembran perlschnurartig aufsitzen. Auch das Kernkörperchen
ist immer vorhanden.
Fast gleichzeitig mit der Differenzierung in Exoplasma und
Endoplasma tritt eine Lösung des ersteren von diesem ein (Fig. 6b).
Das Endoplasma mit dem Kern wird zu einer neuen Zelle, in diesem
Falle zum Osteoblasten ; das Exoplasma mit den Fibrillen besteht für
sich weiter. Da es sich aber bereits um eine hoch differenzierte,
vom eigentlichen Zellprotoplasma sehr verschiedene Substanz
handelt, ist es besser, von Exoplasma nicht mehr zu reden, sondern
gleich Bindemittel zu sagen. Studnicka beschreibt für die
Umwandlung des Gewebes der jungen Zahnpapille bei Selachiern
ganz ähnliche Vorgänge: „Auf einmal sieht man, dass sich in
der Umgebung der Zellkerne eine etwas dichtere granuläre
Plasmaart ansammelt, während das übrige Plasma der ehemaligen
Zelle mehr hyalin wird. Jene Ansammlung präsentiert sich uns
als ein neuer Zellkörper, als eine junge Bindegewebszelle, das
übrige Plasma dagegen als eine Grundsubstanz.“ Nach seiner
Ansicht entstehen auch die gallertigen scheinbar homogenen Grund-
substanzen vieler Wirbellosen auf ähnliche Weise, selbst wenn
in fertigem Zustand ihre exoplasmatische Natur sich kaum mehr
erkennen lässt. Auch Waldeyer betont mehrfach, dass Grund-
substanzen, zu denen ja auch das Bindemittel der Knochenfibrillen
gehört, nicht durch eine Sekretion der Gewebszellen entstehen,
sondern durch eine Metamorphose ihres Protoplasmas.
Bei der Trennung von Bindemittel und Osteoblast entsteht
um letzteren ein kleiner Hohlraum, dessen Wand durch die
Fibrillen versteift wird, die nun ihrerseits wieder eine Stütze
265 Adele Hartmann:
für das weiche Bindemittel abgeben. In diesem Stadium sieht
der junge Knochen dem Knorpel sehr ähnlich. Wenn man die
Arbeiten Schaffers über die Entwicklung des Knorpels ver-
gleicht, so ergibt sich, dass der Schritt vom Knorpel zum Knochen
nur ein kleiner ist. Ein prinzipieller Unterschied ist in der
Entwicklung beider nicht vorhanden, die enchondrale Osteogenese
natürlich ausgenommen. Auf Grund seiner Untersuchungen ge-
langt Schaffer zu der Ansicht, dass auch die Entstehung des
IKnochengewebes in derselben Weise verläuft, indem indifferente
Zellen zu Osteoblasten werden und eine Grundsubstanz erzeugen,
die fibrilläre Beschaffenheit annimmt und in welche ein Teil der
Bildungszellen als Knochenzellen eingeschlossen werden. Es soll
hier nur betont werden, dass für den Bindegewebsknochen die
Entstehung der Fibrillen zeitlich vor die der Grundsubstanz fällt
oder mit ihr zusammen, jedenfalls aber nicht später.
Ebenso gilt für den Knochen wie für den Knorpel,
dass das Auftreten der ersten Intercellularsubstanz
als gemeinsames Produkt der Zellkörper aufgefasst
werden muss, das an Stoffwechsel- und Wachstums-
vorgängen derselben noch weiter Anteil nimmt;
ausserdem dass die erste Anlage der morphologisch
sich als Knorpel oder Knochen abgrenzenden Zell-
massen eine syneytiale ist, und dass diese Grund-
substanz, obwohl nicht mehr in unmittelbarem Zu-
sammenhang mit den Zellen ihren mikrochemischen
und physikalischen Charakter ändern kann.
Die jungen Zellen lösen sich zum Teil vollständig von dem
rasch sich weiter entwickelnden Bindemittel los, zum Teil bleiben
sie aber auch durch allerfeinste Fortsätze damit im Zusammen-
hang (Fig. S). Noch längere Zeit nach der Trennung von der
Zelle lässt sich die wabige Struktur des Bindemittels deutlich
erkennen; allmählich wird sie jedoch verändert. Die Waben
bleiben wohl erhalten, sie werden aber sehr dicht und klein und
schliesslich so fest zusammengeschoben, dass man sie nicht mehr
erkennt. Hand in Hand damit geht dann eine physikalische und
chemische Veränderung des Bindemittels; es färbt sich immer
stärker und ähnlicher den Fibrillen, so dass es schliesslich diese
ganz verdeckt. Es bleiben aber die Fibrillen zunächst noch
längere Zeit sichtbar. Selbst in den Partien des Knochenbälkchens,
Zur Entwicklung des Bindegewebsknochens. 269
wo ein so rasches Wachstum erfolgt, dass man die vorher be-
schriebenen Vorgänge nicht mehr im einzelnen verfolgen kann,
lassen sie sich noch deutlich erkennen.
Die Fibrillen selbst werden immer kräftiger, schärfer markiert.
Sie erscheinen dicker wohl nur deshalb, weil sich mehrere zu
einem kleinen Bündel zusammenlegen. Solch kleine Bündel
schieben sich dann wiederum zu einem dicken Balken aneinander,
der die Grundlage einer Knochenlamelle bildet.
Manche Autoren wollen eine selbständige Teilung und damit
Vermehrung der Fibrillen beobachtet haben. Demgegenüber
möchte ich nur sagen, dass es mir nicht gelungen ist, an Fibrillen
irgend eine Andeutung einer Längsspaltung zu sehen; ich glaube
auch nicht, dass einwandfreie Beweise hierfür erbracht werden
können. Dass eine kräftige Fibrille sich an ihrem Ende auf-
splittert, beweist höchstens, dass es sich nicht um eine einzelne
Faser handelt, sondern um mehrere eng beieinander liegende.
/weifellos haben sie einen eigenen Stoffwechsel, wie durch ihr
Wachstum bewiesen wird und vor allem auch durch die Ver-
änderung, die sie nach der Trennung von der Zelle noch erleiden ;
sie sind bis zu einem gewissen Grade wirklich lebende Gebilde.
Nimmt man jedoch an, dass sie aus einer amorphen Grundsubstanz
durch physikalische Einwirkungen entstehen (v. Ebner, Merkel,
Laguesse u.a.), so ist die Annahme einer Vermehrung durch
Teilung nicht mehr nötig, da sie ja jederzeit selbständig im
Substrat entstehen können.
Eine bestimmte Richtung macht sich bei der Anordnung
der Fibrillen nicht geltend, wenigstens in diesen frühesten
Stadien noch nicht; die Bündel umschliessen wie gesagt die
Hohlräume, die sich um die jungen Zellen gebildet haben und
zwar so, dass die dicksten Bündel nach der Peripherie zu liegen.
Zwischen den einzelnen Bündeln finden zahlreiche Überkreuzungen
statt. So entsteht um die Lücken herum ein dichtes Flechtwerk,
das durch das protoplasmatische Bindemittel zu einer zähen Masse
zusammengebacken wird. Beides, Fibrillen und Bindemittel,
schieben sich immer fester zusammen. Es entstehen schliesslich
dünne Lamellen und Spangen, die ein fast homogenes Aussehen
bieten; wenigstens ist eine Struktur, die auf ihre Entstehung
einen Rückschluss erlauben würde, nicht mehr zu erkennen. Dies
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. 18
270 Adele Hartmann:
sind die ersten Anlagen von Knochensubstanz, von den an-
organischen Bestandteilen noch abgesehen.
Den Knochenlamellen liegen die Zellen an, die sich los-
getrennt hatten; sie sehen den ursprünglichen Mesenchymzellen,
von welchen sie abstammen, gar nicht mehr ähnlich; wahr-
scheinlich sind es hochdifferenzierte Zellen mit einer ganz be-
sonderen Funktion. Verfolgt man ihre Entwicklung, so fällt
zunächst auf, dass sie wachsen. Sie werden grösser als die Mutter-
zellen des Mesenchyms. Das Wachstum macht sich zuerst am
Kern geltend und während er wächst, verändert er auch etwas
seine Form; er wird länglich und zeigt häufig an einer Längs-
seite eine schwache Delle, sodass er einer Bohne ähnlich sieht.
Um ihn dehnt sich das Protoplasma, wie schon erwähnt, fast aus-
schliesslich nach einer Seite. So gewinnt die ganze Zelle eine
eigentümliche sofort auffallende Form. Die Zellen untereinander
erscheinen nicht gleich gross, doch kann dieser Unterschied meist
dem Schnittbild, das die Zellen bald längs, bald quer, bald schräg
trifft, zur Last gelegt werden.
Die Struktur der Kerne zeigt das alte Bild, das Chromatin
in Körnchen aufgereiht, manchmal in kleinen Schollen der Kern-
membran anliegend. Fast immer ist das Kernkörperchen zu finden.
Am meisten verändert ist das Protoplasma. Während sich
früher Einzelheiten im Zelleib nur äusserst schwer erkennen
liessen, ist jetzt die wabige schaumige Struktur unverkennbar.
Die Affinität zu den verschiedensten Farbstoffen ist im (Gregensatz
zu früher sehr gross. Es erscheint meist dunkler gefärbt als die
Kerne. Sehr deutlich und auffällig treten Vakuolen zutage, wenn
sie auch nicht in allen Zellen zu finden sind.
Sie entstehen wahrscheinlich dadurch, dass beim Einziehen
der pseudopodienartigen Fortsätze (Gewebeflüssigkeit mit ein-
geschlossen wird; dafür spricht ihr unregelmässiges Vorkommen,
ihre sehr verschiedene Grösse. Spuler hat in den Zellen des
Amnion von Schafen ebenfalls Vakuolen gefunden: nur schreibt
er ihre Entstehung einer anderen Ursache zu. Er vermutet, dass
die vakuolären Gebilde „aus sich verflüssigenden Körnchen hervor-
gehen, die schliesslich platzen und ihren Inhalt in die umgebende
(Gewebeflüssigkeit ergiessen“. Es würde sich demnach um aktive
Sekretion, wahrscheinlich von Stoffwechselprodukten handeln. Nur
selten habe ich in den Zellen eine deutliche Körnelung gefunden ;
Zur Entwicklung des Bindegewebsknochens. 271
so selten, dass ich solche Körnchen lieber als ein zufälliges Produkt
irgend einer Reaktion auffassen möchte, denn als etwas für die
Zelle Spezifisches. Spuler und v. Korff haben in den Östeo-
blasten basophile Körnchen gesehen, welche mittels der Zellfort-
sätze zwischen die Fibrillen transportiert und daselbst als „Inter-
fibrillärsubstanz“ abgelagert werden sollen. Auch in seiner
neuesten Arbeit betont v. Korff neben der Grundsubstanz noch
diese für den Knochen spezifische Interfibrillärsubstanz, in welche
die Kalksalze abgelagert werden sollen und sagt: „Ich glaube
aber nicht, dass diese aus der ursprünglichen mehr oder weniger
flüssigen Interfibrillärsubstanz des lockeren Bindegewebes hervor-
geht, sondern von den typischen Knochenzellen bezw. Elfenbein-
zellen gebildet wird“. Studnicka hat in den Odoentoblasten
von Säugetieren Granulationen gefunden; er hält sie für Kalk-
salze, die durch die Tomesschen Fortsätze in das Dentin hinein-
gelangen sollen. Derartige anorganische Salze können hier aber
kaum in Frage kommen; sie wären durch die Säuren der
Fixierungsflüssigkeiten herausgelöst worden. Über die Ein-
lagerung der Kalksalze in Knochen- und Zahnsubstanz ist noch
sehr wenig bekannt. Vorerst ist noch sehr fraglich, ob dieser
Prozess überhaupt an die Tätigkeit von Zellen gebunden ist; es
könnten die Salze ebenso in gelöster Form mit der Gewebs-
flüssigkeit an Ort und Stelle gebracht und dann ausgeschieden
werden; wir wissen auch noch nicht, ob sie in den Fibrillen
oder im Bindemittel abgelagert werden. Natürlich kann das
Bindemittel durch die Einlagerung der Kalksalze seinerseits
wieder chemisch verändert werden, auch dann, wenn es nicht
selbst, sondern die Fibrillen mit den Salzen imprägniert werden.
Die für die Mesenchymzelle so charakteristischen Fortsätze
sind fast vollständig verschwunden. Manche Zellen liegen deutlich
ganz frei in ihren Höhlen, andere wieder hängen durch feine,
oft kaum wahrnehmbare Fädchen noch mit dem Bindemittel zu-
sammen (Fig. 9). Man könnte sie anfangs für Schrumpfungs-
bilder halten. Das dem Kern gegenüber liegende Ende der Zelle
erscheint häufig in einem langen Fortsatz ausgezogen; wo man
ihn deutlich verfolgen kann, zeigt er dieselbe wabige Struktur
wie der Leib der Zelle selbst; es kommt vor, dass er sich
schwächer färbt; sicher aber sind die Fortsätze niemals
hyalın.
18*
DD Adele Hartmann:
Die jungen Osteoblasten liegen in kleinen von den Knochen-
bälkchen umschlossenen Höhlen oder aussen am Rand der Bälkchen,
manchmal so dicht, dass sie einen epithelartigen Belag bilden.
Die kleinen Höhlen umschliessen meist mehrere Zellen (3—5),
selten nur eine. Ob sie mit den späteren Knochenhöhlen identisch
sind, ist sehr zweifelhaft.
An diesen Zellen lassen sich nie mehr Teilungsfiguren
sehen; schon v. Korff erwähnt dies; Gegenbaur und
Waldeyer jedoch wollen noch Karyokinesen gesehen haben.
(srosse Zellen mit mehreren Kernen (Syneytien) kommen vor; da
sie sich aber in mancher Hinsicht von den typischen Osteoblasten
unterscheiden, soll später nochmals auf sie zurückgekommen
werden.
v. Korff betrachtet die Osteoblasten als sekundäre Er-
scheinungen gegenüber der fibrillären Grundsubstanz, er schreibt
ihnen als einzige Funktion zu, Fortsätze zu entwickeln, mittelst
welcher sie in den jungen Knochen eindringen, ihn durchsetzen
und auf diese Weise sich untereinander verbindend ein Kanal-
system schaffen zur Regulierung des Stoffwechsels.
Ich bin hier mit v. Korff nicht einverstanden. Vergleicht
man die Osteoblasten mit den definitiven Knochenkörperchen, so
fällt vor allem ihre Grösse auf, ihre äussere Form (sie sind
länglich, nicht sternförmig) und die besondere Struktur ihres
Protoplasmas, durch welche sie sich auch von den Mesenchym-
zellen unterscheiden. Dieser eigenartig wabige Bau ist nirgends
erwähnt; v. Korff unterscheidet nur zwischen einem basalen
gekörnten und einem peripheren mehr homogenen Abschnitt des
Zelleibs ohne darauf näher einzugehen. Andererseits fallen die
Osteoblasten durch ihre besondere Lage zum Knochen auf; der
Kern liegt nämlich dem Knochen stets abgewendet, d.h. der
protoplasmatische Teil sieht gegen den Knochen zu, und zwar
meist nach der Seite hin, wo noch am wenigsten Knochensubstanz
gebildet ist. 2
Endlich unterscheiden sich die Osteoblasten von den Knochen-
zellen noch dadurch, dass sich an den meisten von ihnen keine
feineren Fortsätze nachweisen lassen. Eine nachträgliche Ent-
wicklung solcher feiner Ausläufer, die das bereits gebildete zähe
Bindemittel und Fibrillen durchwachsen sollen, ist meiner Meinung
nach undenkbar.
Zur Entwicklung des Bindegewebsknochens. 273
Fasst man alle diese Besonderheiten zusammen, so muss
man zu dem Schluss kommen, dass es entweder gar nicht diese
Östeoblasten sind, die in den Knochen eingeschlossen werden oder
dass sie sich, wenn sie es doch sind, vorher stark verändern
müssen. In dem einen wie in dem andern Fall darf man ihnen
dann nicht ein nur mehr oder weniger passives Verhalten beim
Stoffwechsel zusprechen, wie v. Korff estut: man wird vielmehr
gezwungen, anzuerkennen, dass ihnen eine ganz spezifische aktive
Funktion zukommt. Für eine solche spricht ferner, dass sich an
dem glatten Rande eines so ziemlich fertigen Knochenbälkchens
keine derartigen Zellen mehr finden, und doch geht auch hier
der Stoffwechsel nach wie vor weiter. Einen genauen Einblick
in die spezifische Tätigkeit der Osteoblasten zu gewinnen, ist sehr
schwer. Seit der Entdeckung der Osteoblasten durch Gegen-
baur sind über sie verschiedene Theorien aufgestellt und wider-
legt worden, und heute noch ist man sich darüber nicht einige.
Nur soviel scheint jetzt sichergestellt, dass sie gewöhnlich mit
der Fibrillenbildung nichts mehr zu tun haben. Ich führe nur
die neuesten Arbeiten an. v. Korff überträgt ihnen neben der
Leitung des Stoffwechsels die Bildung einer von der Grundsubstanz
verschiedenen Interfibrillärsubstanz. Studnitka glaubt, dass sie
hauptsächlich für den Transport der Kalksalze in Betracht kämen,
und spricht ihnen den Wert von Drüsenzellen zu, während
v. Ebner bei den Odontoblasten wenigstens an der Oberfläche
der Zellen Protoplasmafäserchen entstehen sieht, durch deren
Ineinanderfliessen die Vorstufe des späteren Dentins, das sogenannte
Prädentin, gebildet werden soll. Ob er die gleiche oder eine
ähnliche Anschauung für die Osteoblasten hegt, konnte ich nicht
finden. Auch Disse macht die Osteoblasten verantwortlich für
die Bildung der Grundsubstanz, indem er aus ihrem Protoplasma
eine helle, „glasartig aussehende Substanz“ sich herausdifferen-
zieren lässt, welche einen Knorpelbalken oder eine Lage jungen
Knochengewebes überzieht und dann selbst verknöchert. Die Be-
teiligung der Fibrillen an der Grundsubstanzbildung lässt er ganz
ausser acht. Auf ähnliche Weise lässt Novikoff die Grund-
substanz entstehen, nur mit dem Unterschied, dass er ihr von
Anfang an eine wabige Struktur zuerkennt, „in welcher sich in
bälkchenartigen Fugen zwischen den Wabenreihen feinste fibrillen-
artige Differenzierungen entwickeln können. Diese zuerst schaumig
274 Adele Hartmann:
wabige Struktur modifiziert sich später zu einer globulitisch
wabigen.“ Beide Autoren betonen ausdrücklich, dass die Grund-
substanz ihrer Herkunft nach „umgewandeltes Protoplasma“ sei,
nicht aber ein von den Östeoblasten nach Art der Drüsenzellen
ausgeschiedenes Sekret. Sie erkennen ihnen also doch eine be-
sondere, für die Weiterentwicklung und das Wachstum des Knochens
wichtige und unentbehrliche Funktion zu.
Dass die Randpartien der Osteoblasten im (Gregensatz zu den
zentralen sich anders verhielten, konnte ich nicht erkennen, ebenso-
wenig, dass ein Teil des Zelleibs sich ablöst und zur Bildung des
Bindemittels verwendet wird. Andererseits hat sich aus dem
früher Gesagten ergeben, dass die allererste Anlage von Knochen-
substanz sich bildet ohne Vorhandensein der Osteoblasten. Man
wird also die Erklärung für ihre Funktion an einem etwas späteren
Stadium zu suchen haben.
Hier zeigen sich uns in der Tat ganz andere Bilder (Fig. 1),
ohne dass sich jedoch an dem Prinzip der Entstehung etwas
ändert. Man findet nach wie vor die Fibrillen wo möglich noch
reichlicher und dichter als früher; man sieht nach aussen zu das
rasch wuchernde Mesenchym, und zwischen diesem und dem Knochen-
bälkchen unter die Fibrillen verteilt liegen die Osteoblasten, bald
nur in einer Reihe, bald in zwei bis drei Lagen über dem Knochen,
hie und da fast vereinzelt, dann wieder viele zu Klumpen
zusammengeballt. Die einzelnen Vorgänge der Knochenbildung
folgen zeitlich so rasch aufeinander. dass man die verschiedenen
Stadien nicht mehr so leicht verfolgen kann. Ausserdem geht
der Aufbau in einer viel geordneteren Weise vor sich. Die Fibrillen
verlaufen nicht mehr kreuz und quer nach den verschiedensten
Richtungen durcheinander; sie zeigen eine bestimmte Ordnung,
indem sie von aussen her meist senkrecht auf das Knochenbälkchen
orientiert sind und von dort nach dem Mesenchym nach allen
Richtungen hin ausstrahlen. Dabei werden sie zu dichten Bündeln
zusammengeschoben, die meist parallel verlaufen. Diese senden
senkrecht zu ihrer Richtung abgehende Fibrillen ab gegen die
benachbarten Bündel zu, sodass eigentümliche Bogen entstehen,
um welche die Osteoblasten sich gruppieren (Fig. 1). Manchmal
liegen zwei, sogar drei solcher „Arkaden“ übereinander und ge-
währen ein eigenartiges Bild. Studnitka hat diese „Fibrillen-
arkaden“ bei der Dentinbildung von Säugetierzähnen auch gesehen
ou
Zur Entwicklung des Bindegewebsknochens. 27
und beschrieben; von ihm stammt auch der Ausdruck. Je mehr
der Knochen in die Dieke wächst, desto undeutlicher werden jene
Fibrillensysteme ; die Fibrillenbündel werden schwächer und kürzer;
der Zwischenraum zwischen Knochen und dem sich nun deutlich
zu faserigem Bindegewebe (Periost) umbildenden Mesenchym wird
immer kleiner, bis endlich nur noch eine dünne Schicht indifte-
renten osteogenen (Gewebes bleibt, das sich auch späterhin als
Cambiumschicht erhält. Vom Periost aus ziehen noch immer ver-
einzelte Züge meist einzeln nebeneinander laufender Fibrillen
zum Knochen und lassen sich bis in das Innere desselben ver-
folgen. Diese Bildungen sind aber nicht mehr sehr regelmäßig.
Selbst in den groben, auf längere Strecken verfolgbaren
Fibrillenbündeln verlaufen die Fasern nicht ganz frei; sie sind
hier schon durch eine färbbare interfibrilläre Substanz verbunden,
die dem Bindemittel gleichwertig ist und den Zusammenhang mit
dem Mesenchym wahrt; ausserdem spannen sich da, wo die
Fibrillen auseinander weichen, zwischen ihnen netzige Züge einer
Substanz aus, welche deutlich die schaumig wabige Struktur
des Protoplasmas erkennen lässt. Auch hier ist der syneytiale
Zusammenhang gewahrt.
Sehr rasch erfolgt in den weiteren Wachstumsstadien auch
die Loslösung der Osteoblasten aus dem Mesenchym, so dass die
Übergänge nicht mehr so gut zu verfolgen sind. Doch zeigen sich
stellenweise schon die Mesenchymkerne von einem feinen proto-
plasmatischen Ring umgeben, in dem die für die Osteoblasten so
charakteristischen grossen Wabenstrukturen in Erscheinung treten.
Die Osteoblasten gruppieren sich nicht nach Art eines Epi-
thels um die Knochenlamellen; ich fand im Gegenteil, dass ihre
Verteilung eine sehr unregelmässige ist und wahrscheinlich dem
jeweiligen Bedürfnis nach Bindemittel entspricht.
Ein Teil der Osteoblasten liegt den Fibrillenbündeln ganz
dicht an, so dicht, dass sie an diesem aufgehängt zu sein scheinen
(Fig. 9). Liegen mehrere Reihen von Osteoblasten übereinander,
so erhält man das Bild einer Kornähre. Dabei zeigt sich, dass
immer zwischen zwei Zellen eine oder mehrere Fibrillen hindurch
treten. Oft scheint der dem Kern gegenüberliegende Fortsatz
in das Fibrillenbündel überzugehen (Fig. 9). Ob hier niemals
eine vollständige Trennung erfolgt, d.h. ob die Zelle dauernd im
Zusammenhang mit dem Bindemittel blieb, oder ob erst sekundär
276 Adele Hartmann:
eine dichte Anlagerung stattfand, ist schwer zu entscheiden.
Beides ist wohl möglich.
Ein Teil dieser den Fibrillen anhaftenden Osteoblasten zeigt
gegenüber den frei liegenden Veränderungen, die manchmal so
gering sind, dass sie bei flüchtiger Betrachtung kaum auffallen,
die aber auch am rasch wachsenden Knochenbälkchen viel häufiger
werden als bei der ersten Anlage (Fig. 7).
Der Leib dieser Zellen ist lang ausgezogen; dadurch ist
die Zelle schmäler geworden und läuft in einen zipfelförmigen
fast spitzen Fortsatz aus. Das Protoplasma färbt sich noch inten-
siver, dabei lässt es die grossen Vakuolen vermissen, so dass es
nicht mehr so schaumig wie früher aussieht. Niemals aber, das
soll besonders betont werden, erscheint es hyalin, strukturlos.
Der Kern ist nicht mehr so voll und saftig; er erscheint
etwas zusammengepresst, eingeschrumpft:; ist aber doch in all
seinen Bestandteilen deutlich vorhanden: Chromatin, Nukleolus,
Membran. Die ganze Zelle sieht aus, als wäre sie kleiner ge-
worden, ohne es vielleicht wirklich zu sein. Da man von diesen
Zellen zu den Osteoblasten alle Übergänge finden kann, darf man
wohl annehmen, in ihnen veränderte Osteoblasten vor sich zu haben.
Die einzig mögliche Erklärung für diesen Vorgang der
Umbildung sehe ich darin, dass das Protoplasma der Zellen in
einer ganz bestimmten Weise verändert wird, damit es schliess-
lich in das Bindemittel für die Fibrillen mit einbezogen und in
solches selbst umgewandelt werden kann. Es ist unmöglich etwas
Positives über die Art und Weise dieser Umwandlung zu sagen;
ausser jenen Erscheinungen, die höchstens eine Schrumpfung der
Zelle erkennen lassen, ist morphologisch nichts nachzuweisen.
Wahrscheinlich kommen in erster Linie Vorgänge in Betracht,
die sich im Innern der Zelle selbst abspielen. Vielleicht könnte
man aus dem Kleinerwerden der Zellen auf eine Abgabe von
Zellsubstanz schliessen; jedenfalls konnte eine solche in Form
von Fortsätzen, die sich ausstrecken und dann ablösen, oder durch
Abschnürung eines Teiles des Zelleibes absolut nicht nachgewiesen
werden. Auch würden solche Vorgänge nicht notwendigerweise
ein Absterben der Zelle nach sich ziehen; diese könnte sich viel-
mehr, wie es unter anderen Bedingungen oft genug vorkommt,
auf ihren ursprünglichen Bestand regenerieren. Auch wurde
schon oben erwähnt, dass die Verkleinerung der Zelle wahrschein-
189)
|
—]
Zur Entwicklung des Bindegewebsknochens.
lich eine Folge des Zusammenschrumpfens ist, nicht eine Folge
von wirklichem Substanzverlust. Es werden offenbar zum weiteren
Wachstum des Knochens ganze Zellen eingeschmolzen und zum
Neuaufbau verwendet, während bei der allerersten Anlage von
Bindemittel die Zellen nur einen Teil ihres Protoplasmas abgeben.
Die Beobachtung, dass einzelne Zellindividuen in toto um-
gewandelt werden zu Substanzen, die funktionell und vielleicht
auch dem Bau nach dem Bindemittel der Knochenfibrillen sehr
nahe stehen, ist nichts Neues. Schaffer hat beobachtet, dass
bei der Anlage des Knorpels ganze Zellen in die Grundsubstanz
einbezogen und umgewandelt werden. Für den Knochen finden
sich ähnliche Beobachtungen schon bei Waldeyer (1865), doch
hat er nur die Tatsache erwähnt, ohne den Vorgang näher zu
beschreiben. Ob auch bei der Zahnbeinbildung ganze Odonto-
blasten in Prädentin umgewandelt werden, kann v. Ebner nicht
mit Bestimmtheit sagen, hält es aber sehr wohl für möglich.
Gleiche Beobachtungen finden sich bei Laguesse, Hansen und
Kölliker. Jedoch ist nirgends etwas Sicheres darüber gesagt,
in welcher Weise die Verarbeitung des Protoplasmas vor sich geht.
Eine allmähliche Auflösung oder Verquellung der Zelle kommt
nicht vor, es sind auch keine Figuren vorhanden, die auf Karyolyse
hindeuten würden. Der Kern ist bis zuletzt deutlich sichtbar.
In den grossen von bereits gebildeter Knochensubstanz
umschlossenen Höhlen findet man neben typischen grossen, schein-
bar frei liegenden Osteoblasten schon veränderte Zellen in den
verschiedensten Stadien der Umwandlung. Gerade diese letzteren
liegen meist den Knochen sehr dicht an, so dass sie oft schwer
von ihm zu trennen sind und doch kann man nicht von einem
allmählichen Übergang des Protoplasmas in das Bindemittel reden;
die Grenzen bleiben deutlich.
Selbst an dieckeren Knochenbälkchen kann man nicht selten
vereinzelte degenerierende Osteoblasten mitten im Bindemittel
antreffen (Fig. 10 und 7), fast niemals sind diese von einem
freien Raum umgeben, der um die intakten Osteoblasten, sowie
um die definitiven Knochenzellen niemals fehlt.
Eine Beziehung der Zellen zum Bindemittel muss vorhanden
sein und zwar ist dabei in erster Linie das Protoplasma beteiligt.
Stets liegt das Protoplasma dem fibrillären Bindemittel zugewandt,
{ Serrdreilfe@Elkarrit meann®
also nach der Seite hin, wo die Bildung von Knochensubstanz
am energischsten vor sich geht.
An den Rändern grösserer Knochenbälkchen dagegen, wo
das Wachstum gewissermassen abgeschlossen ist, und der zackige
Saum glatt zu werden beginnt, also wo Periost oder Perichondrium
sich anschliesst, verschwinden die typischen Östeoblasten fast
gleichzeitig mit den Fibrillen. Sie scheinen also nicht mehr von
nöten zu sein, da wo keine Neubildung von Knochen erfolgt.
Selbstverständlich liegen dem Knochenrande auch jetzt noch Zellen
an, aber sie sind wesentlich von den Osteoblasten verschieden.
Sie gleichen vielmehr solchen, wie sie das schon weiter in der
Differenzierung zu kollagenem Bindegewebe vorgeschrittene Mesen-
chym zeigt, d.h. sie sind kleiner, meist länglich mit in der Mitte
liegendem rundem Kern. Auch färbt sich ihr Protoplasma nicht
mehr so intensiv und zeigt nicht so deutlich und schön die wabige
Struktur. Möglicherweise gehören sie schon dem Periost an. Es ist
selbstverständlich nicht ausgeschlossen, dass sie sich, sobald das Be-
dürfnis es erfordert, zu Osteoblasten um- und ausgestalten können.
Osteoblasten müssen bei der Knochenbildung zugrunde gehen
und zwar in nicht geringer Zahl. Dies geht schon daraus her-
vor, dass im fertigen Knochen die Zahl der eingeschlossenen
Zellen verhältnismässig gering ist und sie ziemlich weit von-
einander entfernt liegen, während doch die Osteoblasten meist
nicht gedrängt sind und fortwährend neue aus dem Mesenchym
sich herausdifferenzieren. Nach den Anschauungen Gegenbaurs
sollen alle Osteoblasten eingeschlossen werden. Dagegen bemerkt
Kassowitz: „dass eine Umwandlung ganzer Osteoblasten in
Grundsubstanz sich deutlich wahrnehmen lässt“. Es müssten
nach seiner Ansicht, wenn dies nicht der Fall wäre, die Osteo-
blasten auseinander weichen: und diese Möglichkeit bestreitet er
entschieden; er stimmt darin mit Waldeyer überein. Mit der
Annahme, dass Osteoblasten in toto verarbeitet und zu Binde-
mittel umgewandelt werden, ist ein fortwährendes Zugrundegehen
derselben leicht erklärt: dagegen findet sich im mikroskopischen
Bild nichts, was berechtigen würde, eine andere Erklärung für
den grossen Verbrauch an Osteoblasten zu geben.
Vereinzelt findet man am Rand des Knochenbälkchens grössere
protoplasmatische Massen mit mehreren Kernen (2—5). Ihr Vor-
kommen ist durchaus unregelmässig Was ihren Bau anbetrifit,
Zur Entwicklung des Bindegewebsknochens. 279
so nehmen sie etwa eine Mittelstellung ein zwischen den Zellen
des Periosts und den typischen Osteoblasten; doch stehen sie
letzteren näher. Ihr Protoplasma ist wabig, aber die Waben
sind kleiner als die der Osteoblasten; der Farbenton der Zelle im
Ganzen ist etwas dunkler und gleichmässiger; deutliche Vakuolen
fehlen. Die Kerne sind rund, hell und nicht sehr gross; sie
liegen im Zentrum der Zelle. Zu den hinter ihnen liegenden
Mesenchyinzellen und den Fibrillen scheinen sie in keiner Be-
ziehung zu stehen, wenigstens lässt sich eine solche nicht nach-
weisen. Über ihre Funktion konnte ich nichts ermitteln; es
scheinen Osteoklasten zu sein, doch liegen sie nicht in sogenannten
Howshipschen Lakunen; sie stehen überhaupt nicht in unmittel-
barem Kontakt mit den Knochen; möglicherweise erfolgte die
Trennung erst durch die Behandlung der Präparate.
An einer Reihe von Präparaten traten plasmodiumähnliche
Zellmassen in besonderer Weise hervor. Die Schnitte stammten
von einem 1,5 em langen Kaninchenembryo, der in Formol fixiert
und mit Karmin-Bleu de Lyon gefärbt worden war. Im Gegen-
satz zu dem andern Unterkiefer desselben Embryos, der die
gewohnten Bilder zeigte, war hier der ganze Knochen stark zer-
klüftet; es sah aus, als ob er hier nicht aus einer zusammen-
hängenden Spange, sondern aus vielen einzelnen Stücken bestehe.
Der ganze Knochen war durchsetzt von solchen Riesenzellen, die
sich sonst nur am Rande der Knochenlamellen finden. Typische
Osteoblasten waren da, sie traten aber den anderen gegenüber
ganz in den Hintergrund. Die Zahl der Kerne erwies sich als
sehr gross; ich konnte bis zu 20 und mehr zählen. Oft lagen
sie zu dichten Haufen zusammengeballt. Ihre Form war meist
schwach elliptisch, wie die Kerne der Osteoblasten, seltener rund,
an den Berührungsflächen häufig gegeneinander abgeplattet, so
dass sie vieleckig erschienen. Selten lagen sie einzeln. Sehr
verschieden war auch die Grösse der Kerne; wo sie einzeln lagen
waren sie sehr gross; je mehr aber vorhanden waren, desto
kleiner wurden sie. Sie färbten sich sehr hell, waren nicht sehr
chromatinreich ; die Kernkörperchen waren nicht immer deutlich.
Wichtiger war mir das Verhalten des Protoplasmas. Meist
erwies es sich von einem deutlich dunklen Rand umgrenzt; häufig
lief auch ein dunkler Faden durch die Mitte der Zelle und setzte
sich mit einem dünnen Belag ins umgebende Gewebe fort.
250 Adele Hartmann:
Das Protoplasma färbte sich heller als das der eigentlichen
Osteoblasten, doch liess es noch eine feine wabige Struktur er-
kennen. Sehr deutlich und zahlreich waren Vakuolen vorhanden,
die mitunter die Grösse kleiner Kerne erreichten. Manchmal
waren die Konturen der Vakuolen etwas verwischt. Durch die
Zelle verteilt fand sich ein Niederschlag von Körnchen verschiedener
Grösse, die meist in der Mitte des Syneytiums dichter lagen;
das Ganze machte einen fleckigen Eindruck. Diese Flecken sahen
der jungen Knochensubstanz zum Verwechseln ähnlich. In der
Tat liess sich hier häufig ein Zusammenhang mit der Knochen-
substanz nachweisen, ein allmähliches Übergehen des Proto-
plasmas in dieselbe. Manchmal liefen feine strahlenförmige Aus-
läufer vom Knochen direkt in das Protoplasma hinein. Deshalb
sind diese Bildungen auch erwähnt und gezeichnet worden (Fig. 11).
Es lässt sich freilich auch hier nicht mit Sicherheit feststellen,
ob es sich um einen regressiven Prozess handelt, oder um einen
progressiven, beeinflusst durch aussergewöhnliche Bedingungen. —
Das letztere scheint mir aber das Wahrscheinlichere. In den
den Knochenteilen anliegenden protoplasmatischen Partien waren
Kerne sehr selten; sie fehlten hier oft auf lange Strecken; auch
zeigten weder Protoplasma noch Kerne Degenerationserscheinungen.
Über die Herkunft der Knochenkörperchen etwas Bestimmtes
zu sagen, ist nicht möglich. Sie sind schon äusserlich von den
Osteoblasten so sehr verschieden, dass es einem schwer fällt. sie
auf jene zurückzuführen. Ein erschwerender Umstand für das
Studium derselben liegt ferner darin, dass man sie nur an
dickeren, schon ziemlich ausgebildeten Knochenbälkchen gut
studieren kann; an dünnen Lamellen trifft man überall nur die
Osteoblasten. Die Knochenzellen sind viel kleiner, oft nur halb
so gross wie die Osteoblasten und liegen immer einzeln in ihren
Höhlen. Um sie herum findet sich deutlich ein freier Raum.
Protoplasma und Kern färben sich sehr gleichmässig, ziemlich
dunkel; vom Zelleib aus gehen feinste Fortsätze nach allen
Richtungen zum Knochen hin; zuweilen lassen sie sich aueh noch
ein Stück weit in den Knochen hinein verfolgen. Wie bekannt,
stehen die Zellen durch Fortsätze in Zusammenhang miteinander.
Es ist klar, dass ein solcher Zusammenhang von Anfang an da
sein musste, denn es ist wohl nicht gut denkbar, dass die Zellen
ihre feinen, zarten Ausläufer in die Knochensubstanz hinein-
Zur Entwicklung des Bindegewebsknochens. 281
treiben. Vielleicht sind in den jüngsten Stadien des Knochens
die protoplasmatischen Fortsätze der Knochenzellen deshalb so
schwer nachzuweisen, weil das Bindemittel als Abkömmling des
Protoplasmas in seiner chemischen und physikalischen Beschaften-
heit ihnen noch zu nahe steht und sie sich daher färberisch noch
nicht gut von ihm abheben. Erst mit der weiteren Umgestaltung
des Bindemittels treten die Unterschiede deutlich hervor. Wie
schon erwähnt, sind auch an einzelnen Osteoblasten feinste Aus-
läufer vorhanden, die direkt ins Bindemittel zu laufen scheinen.
Kassowitz unterscheidet für den Prozess der Ossifikation
zweierlei Arten von Zellen: 1. grosse polygonale Zellen = Osteo-
blasten, die sich in die Grundsubstanz umwandeln und 2. kleine
sternförmige Zellen (ähnlich Bindegewebszellen), die eingeschlossen
werden als Knochenkörperchen.
Von Anfang an zwei deutlich getrennte Arten von Zellen
zu unterscheiden, ist nicht möglich: aber es ist die Möglichkeit
nicht auszuschliessen, dass die Differenzierung der Osteoblasten
von vornherein nach zwei Richtungen erfolgt; es wäre dann auch
ganz gut denkbar, dass nur diejenigen Zellen im Zusammenhang
bleiben, die bestimmt sind Knochenkörperchen zu werden, während
diejenigen Osteoblasten, denen die Bildung des Bindemittels ob-
liegt, sich frühzeitig schon ganz von ihrer Umgebung frei machen.
Besondere Aufmerksamkeit wurde der Frage geschenkt,
ob nicht ausser den Knochenzellen noch andere Zellen in die
Knochensubstanz mit eingeschlossen werden: indifferente, aus
dem syneytialen Zusammenhang losgelöste Mesenchymzellen, die
vorerst scheinbar funktionslos liegen bleiben, später aber als
erste Zellen des Knochenmarks blutbildende Tätigkeit entfalten.
Die Befunde waren durchweg negativ. Obwohl das umliegende
Gewebe sehr reichlich ernährt ist, treten mit Blutzellen erfüllte
Endothelröhren nur bis zum Knochen heran; in zwei Fällen
liessen sich solche quer durch den Knochen verfolgen; wahr-
scheinlich handelt es sich da um die Anlage grösserer (xefässe,
denn die geschlossene Wand war deutlich nachweisbar.
Dass die erste Anlage der übrigen nicht knorpelig präformierten
Knochen des Schädels auf dieselbe Weise erfolgt, braucht kaum
eigens erwähnt zu werden.
Betrachtet man den Vorgang der Östeogenese, wie er sich
durch das Vorausgegangene darstellt, im ganzen, so kommt man
282 Adele Hartmann:
zu der Überzeugung, dass es sich nicht um eine Bildung von
Bindegewebe und sekundäre Verknöcherung desselben handelt,
daher der Name Bindegewebsknochen auch eigentlich nicht am
Platze ist; mit kollagenem Bindegewebe haben die Knochen gar
nichts zu tun, sondern sie nehmen ihre Entwicklung in einer
Reihe selbständiger Vorgänge direkt aus dem Mesenchym.
Etwas, aber nicht wesentlich anders liegen die Verhältnisse
für die periostale Ossifikation ; hier findet vorübergehend kollagenes
Bindegewebe Verwendung bei der Knochenbildung. Der Prozess
der weiteren Knochenbildung selbst unterscheidet sich kaum von
demjenigen, wie wir ihn für den sogenannten Bindegewebsknochen
kennen gelernt haben; der einzige Unterschied liegt darin, dass die
Osteoblasten sich nicht immer aus indifferenten Mesenchymzellen
herausdifferenzieren müssen. Ihre Mutterzellen können hier auch
echte Bindegewebszellen sein, welche die Fähigkeit, Knochen-
substanz zu bilden, latent in sich bewahrt haben. Im Vergleich
zu den oben beschriebenen Osteoblasten erscheinen sie etwas
kleiner, sonst sind sie aber gerade so gebaut, mit demselben
schaumig wabigen Protoplasma und dem stark exzentrisch liegenden
Kern. Da die Fibrillen meist schon in reichlichem Maße gebildet
sind und zu dicken Balken vereinigt zusammenliegen, ist der
ganze Vorgang schwerer zu überblicken und zu verfolgen.
Zusammenfassung an der Hand schematischer Bilder.
I. Lockeres Netzsyneytium mit spärlichem Fibrillen Mesenchym.
Es werden die Fibrillen vor dem Bindemittel intracellulär
von indifferenten Zellen des
Mesenchyms gebildet.
Il. ErstesStadiumderKnochen-
bildung:
Die Zellen haben sich stark
vermehrt (Karyokinesen häufig),
stehen aber noch in syneytialem
Zusammenhangmiteinander. Die
Lücken des Mesenchyms werden
durch das wuchernde Gewebe
verengert, sie werden kleiner,
bis sie. schliesslich ganz ver-
schwinden. Die reichlicher ge-
Zur Entwicklung des Bindegewebsknochens. 285
bildeten Fibrillen laufen in dichten, aber ungeordneten Bündeln
zwischen den Zellen hindurch. Stellenweise finden sich An-
deutungen einer Differenzierung des Protoplasmas um die Zell-
kerne. (Vergl. hierzu auch Fig. 6a.)
III. Zweites Stadium der
Knochenbildung:
Das Protoplasma (schwarz)
um die Kerne des Syneytiums
hat sich stark verändert;
diese lösen sich jetzt als neue
Zellen (Osteoblasten) aus dem
alten Zellverbande los; zum
Teil liegen sie als vollständig
freie Zellen in den neu ent-
standenen Gewebslücken, zum
Teil bleiben sie durch feinste
Fortsätze in dauerndem Zu-
sammenhang mit dem alten
Netzsyneytium. Die durch diesen Vorgang von den ursprüng-
lichen Mesenchymzellen abgetrennten protoplasmatischen Schichten
werden zu dem Bindemittel (rot), das die Fibrillen verkittet. Das
Bindemittel entsteht also in erster Linie als gemeinsames Produkt
syneytial verbundener Zellmassen. (Vergl. hierzu auch Fig. 6b.)
IV. Fig. IV zeigt das Wachs-
tum eines schon weiter ent-
wickelten Knochenbälkchens.
Nach aussen zu ist dem Wachs-
tum bereits eine Grenze ge-
setzt durch die Umbildung des
Mesenchyms zum Periost (a):
nach innen folgt noch eine
Schicht indifferenten Mesen-
chyms mit spärlich gebildeten
Fibrillen (b); die Dicke dieser
Schicht ist je nach dem Ent-
wicklungsstadium sehr ver-
schieden. Je näher man dem Knochen kommt, desto reichlicher
erscheinen die Fibrillen; sie ordnen sich zu bestimmten Zügen
zusammen — „Fibrillenarkaden“ (fj); gleichzeitig erfolgt die Los-
Fig. II.
284 Adele Hartmann:
lösung der Osteoblasten aus dem Syneytium und die Umwandlung
des abgetrennten Protoplasmas zum Bindemittel, das die Fibrillen-
züge miteinander verbindet. Es ist durch die rote Farbe gekenn-
zeichnet. Vereinzelt trifft man unter den Osteoblasten, den
Fibrillen anliegend, jene merkwürdigen geschrumpften Zellen,
die ich als Degenerationsformen der Osteoblasten ansehe. Das
nächste Stadium (ec) zeigt vor allem eine Vermehrung des Binde-
mittels und eine Verminderung der Osteoblasten (Degenerations-
formen häufiger), wodurch die grossen, von den „Fibrillenarkaden“
umschlossenen Höhlen allmählich verkleinert und ausgefüllt werden.
Es entsteht also das Bindemittel in zweiter Linie durch Umwand-
lung und Verarbeitung ganzer Osteoblasten.
Das Stadium d zeigt den fertigen Knochen, in dem die
Grundsubstanz — Bindemittel + Fibrillen homogen erscheint.
DV
-]
%
10.
Zur Entwicklung des Bindegewebsknochens. 285
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Erklärung der Abbildungen auf Tafel XII und XII.
Zug. 1:
Fig. 2
Fig. 3
Fig. 4
Fig. 9:
Fig. 6a.
Horizontalschnitt durch den Unterkiefer eines Schafembryos von
3 cm Länge. Fixierung: Flemmingsche Lösung. Färbung nach
Mallory. Obj.: Zeiss. Apochr. 4 mm. Okul. 3. Rand eines
wachsenden Knochenbälkchens: vom Knochen ausstrahlende Fibrillen-
bündel, die sich ins umliegende Gewebe hinaus auflösen. Fibrillen
durch Bindemittel zusammengehalten, dessen Struktur bei dieser
Vergrösserung nicht erkennbar. Arkadenförmige Anordnung der
Fibrillenzüge.e Den Fibrillen liegen an die Osteoblasten, deren
Protoplasma häufig direkt in das Bindemittel überzugehen scheint.
Mesenchym: Unterhautzellgewebe aus der Unterkiefergegend des-
selben Schafembryos. Färbung der Fihrillen mit Blauschwarz.
Hom. Imm. Zeiss !/ıe. Compl.-Okul. 3. Syncytialer Zusammenhang
der Zellen. Der wabige Bau des schwach färbbaren Protoplasmas
wurde nicht zum Ausdruck gebracht. Grössere ungefärbte Saft-
lücken sind überall vorhanden. Fibrillen verlaufen deutlich im
Protoplasma, meist in den Randpartien, niemals durch die Lücken.
Verdichtetes Mesenchymgewebe um das Medullarrohr (Katze).
Färbung nach Bielschowsky. Hom. Imm. Zeiss YYız. Compl.-
Okul. 3. Deutliches Syneytium der Zellen und netziger Bau des
Syneytiums; es imprägnieren sich die fertigen und die entstehenden
Fibrillen, letztere als Reihen feiner Körnchen. — Zusammenhang
von Protoplasma und Fibrillen.
Frontalschnitt durch Unterkiefer eines Schafembryos von 8,5 cm
Länge. Fixierung: Flemmingsche Lösung. Färbung: Häma-
toxylinnach Heidenhain. Hom. Imm. Zeiss Yı.. Compl.-Okul. 3.
Fibrillen an der Oberfläche der Osteoblasten, parallel zueinander
‘° verlaufend. K = Knochenbälkchen; Z = Knochenzelle.
Horizontalschnitt durch Unterkiefer eines Schafembryos von 3 cm
Länge (Fig. 1). Hom. Imm. Zeiss !/ıi.. Compl.-Okul. 3. Osteogenes
Mesenchym: Vermehrung der Zellen und Fibrillen gegen das
Knochenbälkchen zu; die Fibrillen werden zu dichteren Bündeln
zusammengeschoben. Protoplasma nahezu ungefärbt.
Derselbe Embryo. Färbung nach Harnowsky. Hom. Imm.
Zeiss Y/ıe. Compl.-Okul. 3. Die Zellen beginnen sich aus dem
syncytialen Verband zu lösen. Das Protoplasma, jetzt Bindemittel
färbt sich stärker; die grossen Lücken zwischen den Netzmaschen
Fig. 6b.
Bin 8.
Fig. 11.
Zur Entwicklung des Bindegewebsknochens. 287
verschwinden. a — losgelöste Osteoblasten; b = Differenzierung
des Protoplasmas in Zellprotoplasma und Bindemittel.
Derselbe Embryo. Färbung mit Heidenhainschem Hämatoxylin-
Fuchsin 5. Hom. Imm. Zeiss Yı2. Compl.-Okul. 3. Derselbe Vorgang
etwas weiter vorgeschritten. Protoplasma und Bindemittel schon
deutlich gegeneinander getrennt. Die Osteoblasten zeigen bereits die
typische Form, haben aber stellenweise noch den Zusammenhang
mit dem Bindemittel bewahrt. Die Färbung des Bindemittels geht
allmählich in die der Knochengrundsubstanz über, während das
Protoplasma den roten Farbstoff (Fuchsin S) nicht annimmt.
Kaninchenembryo von 1,5 cm Länge. Horizontalschnitt durch
Unterkiefer. Fixierung: Sublimat. Färbung: Carmin-Bleu de Lyon.
Hom. Imm. Zeiss !'ı». Compl.-Okul. 3. Erste Anlage von Binde-
mittel, zeigt netzige Struktur und in demselben verlaufende
Fibrillen. Zweierlei Zellen zu unterscheiden: grosse helle typische
Östeoblasten; solche mit dunklem zusammengedrücktem Kern und
Zelleib.
Derselbe Embryo. Färbung mit wässriger Lösung von Thionin.
Hom. Imm. Zeiss !/ı. Compl.-Okul. 3. Schmales Knochenbälkchen ;
die Knochensubstanz ist fast ungefärbt. Die Zellen zeigen deut-
liche Ausläufer, die mit denen benachbarter Zellen zusammen-
hängen oder auslaufen in den etwas dunkler sich färbenden Rand
der Knochenhöhlen. Protoplasma lässt sich nicht immer scharf
gegen die Knochensubstanz abgrenzen, sondern scheint direkt in
diese überzugehen. Die Zellen aussen am Rande sind nicht weiter
ausgeführt.
Derselbe Embryo wie Fig. 1. Hom. Imm. Zeiss \/ı. Okul. 8. Form
und Struktur der Östeoblasten und ihre Lage zu den Fibrillen.
V = Vakuole.
Schafembryo von 2,8 cm Länge. Frontalschnitt durch Unterkiefer.
Fixierung: Flemmingsche Lösung. Färbung nach Mallory.
Hom. Imm. Zeiss !/ı. Compl.-Okul. 3. Rand eines schon ziemlich
dicken Knochenbälkchens, dessen fibrilläre Grundlage nicht mehr
deutlich erkennbar ist. In der Knochensubstanz zahlreiche zugrunde
gehende Zellen und Zelltrümmer,
Derselbe Embryo wie Fig. 7. Grosse protoplasmatische Syncytien,
aus denen durch Umwandlung das Bindemittel zu entstehen scheint.
Verlauf der Östeogenese hier nicht normal. e — Erythrocyten ;
v= Vakuolen; k — Karyokinese; kommt sonst so nahe dem
Knochen nicht vor.
19
Aus dem physiologischen und histologischen Institut der Kgl. Tierärztlichen
Hochschule zu Dresden. Direktor: Geheimer Rat Prof. Dr. Ellenberger.
Zur Kenntnis der Panethschen Körnchenzellen
bei den Säugetieren.
Von
Dr. Alfred Trautmann.
Hierzu Tafel XIV.
Bekanntlich hat Paneth'!) im Jahre 1885 im Grunde der
Darmeigendrüsen des Dünndarms bei einigen Nagern (Maus,
Ratte, Meerschweinchen) eine besondere Art von
sezernierenden Zellen feststellen können, die von ihm als Körnchen-
zellen bezeichnet wurden. Eingedenk der Verdienste Paneths
um die Erforschung dieser Zellen ist später von den meisten
Autoren der Name „Panethsche Körnchenzellen“ oder
einfach „Panethsche Zellen“ gewählt worden.
Auf die Tatsache, dass sich der Grund der Darmeigendrüsen
der Haustiere (bezw. die dort vorhandenen Zellen) anders ver-
hält, als die übrige Drüse, hat schon Ellenberger hin-
gewiesen, der auch jederzeit den abweichenden Anschauungen
gegenüber die Ansicht vertreten hat, dass diese Gebilde echte
Drüsen sind, die ein fermenthaltiges Sekret liefern und neben
Mucin auch Fermente produzieren. Andere Arbeiten hinderten
uns aber, früher die Zellen der Darmeigendrüsen der Haustiere
auf das Vorkommen von Sekretgranula zu untersuchen. Vor
kurzer Zeit aber wurde unsere Aufmerksamkeit von neuem und
in verstärktem Maße auf diese Frage gelenkt, weil wir gelegent-
lich bei Betrachtung eines mikroskopischen Schnittes vom Dünn-
darme des Pferdes, der in Sublimat fixiert und mit Mucikarmin
gefärbt worden war, eine sehr auffällige Färbung des Fundus
der Darmeigendrüsen konstatierten. Die kräftig rote, gewisser-
massen eine wahre Zone bildende Reaktion dieses Teiles der
ı) Nach ‘Möller war Schwalbe der erste, der an frischen
Präparaten von der Ratte und der Fledermaus im Grunde der Drüsen-
schläuche des Dünndarmes gelegene Körnchen beobachtet und abgebildet hat.
Panethsche Körnchenzellen bei den Säugetieren. 259
Darmwand auf die Schleimfarbe Mueikarmin konnte auf den
ersten Blick vermuten lassen, dass es sich um eine Anhäufung
der dieselbe Reaktion gebenden Becherzellen handle. Allein bei
näherer Betrachtung war zu konstatieren, dass nicht nur die
Tinktion des Drüsengrundes (Fig. 1) eine erheblich stärkere war
als die der an anderen Stellen der Drüsen und im Oberflächen-
epithel vorkommenden Becherzellen, sondern dass auch die sich
hier vorfindenden Zellen ihrer Struktur nach ganz anders geartet
waren als diese. Dieser Befund veranlasste mich, nähere Unter-
suchungen über die Zellen des Fundus der Glandulae intestinales
propriae bei den Equiden (Pferd und Esel) anzustellen, um
festzustellen, um welche eigenartigen Gebilde es sich handele,
und welche verschiedenen Arten von Zellen sich hier finden.
Nichts lag näher, als das Vorhandensein von Zellen mit Sekret-
granulabildung in den Darmeigendrüsen und das Vorkommen der
Panethschen Körnerzellen zu vermuten.
Die von Paneth bei Ratte, Maus und Meerschweinchen
zuerst im Grunde der Darmeigendrüsen beobachteten Körnchen-
zellen sind nach ihm durch die verschiedensten Forscher bei
den mannigfaltigsten Individuen festgestellt worden. So fanden
sie sich bei Mensch (Bloch, Schmidt, Paneth, Nicolas,
Stöhr, Schaffer, Sobotta, v. Ebner, Zimmermann,
Thorel, Saltykow, Kobubo, Lubarsch und Martius),
Rhesusaffen (Zipkin), Fledermaus (Schaffer, Nicolas),
Kaninchen -£Metzner, NicolasgrMoöller),. Meer-
schweinchen (Paneth, Heidenhain, Möller, Martin),
Hamster (Martin), Ratte (Paneth, Schaffer, Nicolas,
Möller, Martin), Eichhörnchen (Nicolas), Murmeltier
Monte) a Rind AMoöller), Schaffz@aköhlery: Martin),
Schnabeltieren (Oppel), Schildkröten (Nicolas,
Paneth), Eidechse (Nicolas), Triton (Paneth), Frosch
(Nicolas), Blindschleiche (Nicolas). Bei Hund, Katze,
Ziege und Schwein wurde vergeblich nach diesen Gebilden
gesucht (Paneth, Schmidt, Schneider, Hock, Martin,
Stöhr und Möller). Auch über Panethsche Körnchenzellen
bei den Equiden finden sich in der Literatur einige wenige
Angaben. Die Strukturverhältnisse der Panethschen Körnchen-
zellen sind namentlich beim Menschen und den Nage-
tieren schon eingehender studiert worden, über die dies-
290 Alfred Trautmann:
bezüglichen Verhältnisse bei den Haustieren, namentlich
aber bei den Equiden, ist bis jetzt recht wenig bekannt.
Möller untersuchte ausser anderen Tieren auch das
Pferd in bezug auf Vorkommen von Panethschen Körnchen-
zellen. Er bediente sich eigentlich nur zweier Fixationen, nämlich
einer solchen durch Bichromat-Formalin und der Flemmingschen
Flüssigkeit. Gefärbt wurde mit Ehrlich-Biondis Flüssigkeit
und Delafields Hämatoxylin-Safranin. Er beschränkt sich
darauf, festzustellen, dass durch diese Fixationen und Färbungen
im fundalen Drittel der Darmeigendrüsen des Pferdes Körnchen-
zellen nachweisbar waren und dass sie sich deutlich von den
Becherzellen unterschieden. Nähere Angaben über Ort des Vor-
kommens, Strukturverhältnisse etc. fehlen bei Möller gänzlich.
v. Ebner stellt lediglich fest, dass beim Pferde die
Zellen, die der Lage nach Panethschen Körnchenzellen ent-
sprechen, wenigstens an in Zenkers Flüssigkeit fixierten
Präparaten, Becherzellen sehr ähnlich sind.
Eine eingehende Untersuchung der Panethschen Körnchen-
zellen im Fundus der Darmeigendrüsen von Pferd und Esel
hielt ich aber auch aus dem Grunde für angebracht, weil mir
besondere Eigentümlichkeiten bezüglich der Fixation dieser
Gebilde aufgefallen sind.
Zur Darstellung der einzelnen Bestandteile der sich im
Grunde der Darmeigendrüsen des Pferdes findenden Zellen
legte ich kleine Stücke verschiedener Teile des Dünndarmes,
Oaecums, Colons und Rectums in verschiedene Fixations-
flüssigkeiten. Es kamen zur Anwendung heissgesättigte
Sublimatkochsalzlösung, ferner Zenkersche Flüssig-
keit, 1’oige Osmiumsäurelösung und konz. wässrige
Pikrinsäurelösung und endlich wurden die von Altmann
(5° oige Kaliumbichromatlösung und 2 °/oige Osmiumsäure A&) und
Metzner (konz. wässrige Kaliumbichromatlösung 1 p, 5°Joige
Osmiumsäure |gelöst in 2/oiger Kochsalzlösung| 3 p) empfohlenen
Fixationsgemische hinzugezogen, die zur Darstellung bestimmter
Elemente vorgeschrieben sind. Ich habe konstatieren können,
dass sich 1°/oige Osmiumsäurelösung, Zenkersche Flüssigkeit,
aber namentlich die Altmannsche Flüssigkeit für Fixation
von Granula in den fraglichen Zellen der Equiden vorzüglich
eigneten. In der vorliegenden Literatur herrschen speziell
Panethsche Körnchenzellen bei den Säugetieren. 291
gerade in diesem Punkte grössere Widersprüche. Während z. B.
Flemmingsche Lösung einem Forscher (Nicolas) gute
Resultate lieferte, waren andere (z.B. Paneth, Metzner) nicht
mit ihr zufrieden.
Es lag natürlich nieht in meiner Absicht, den Wert der
bisher bei den verschiedensten Tieren angewendeten mannigfachen
Fixationsflüssigkeiten zu prüfen, sondern ich wollte lediglich die
bisher beim Pferde erhaltenen spärlichen Resultate nachprüfen
und ergänzen und durch Anwendung der noch nicht verwendeten
Altmannschen Granulamethode, die mir an anderen Organen
des Tierkörpers (Magen etc.) ausschliesslich vortreffliche Resultate
lieferte, instruktive Bilder herstellen.
Wie bezüglich der Fixation so herrschen auch bezüglich
der Färbbarkeit der Panethschen Körnchenzellen mannig-
faltige Kontroverse. Hierauf näher einzugehen, lag nicht im
Rahmen dieser Arbeit. Ich werde nur schildern, welche Ergeb-
nisse ich mit den von mir gewählten Tinktionen an den Zellen
des Grundes der Darmeigendrüsen der Equiden gehabt habe.
Von mir wurden die mikroskopischen Schnitte in der Hauptsache
folgenden Färbungen unterworfen:
Friedl. Hämatoxylin-Eosin
-Kongorot
2 »
5 vi -Mueikarmin
5 > -Bismarckbraun
” H -Van Gieson.
Weiter bediente ich mich der Heidenhainschen Eisen-
alaunhämatoxylin-Methode meist mit Nachfärbung von Muci-
karmin. Die nach Altmann und Metzner (s. o.) fixierten
Präparate wurden den speziell für diese vorgeschriebenen Tinktionen
wie Säurefuchsin (gelöst in Anilinwasser) — alkohol.
Pikrinsäure, Toluidinblau, Thionin unterworfen. Es mag
gleich hier bemerkt werden, dass ich durch Färbung der nach
Altmann fixierten Schnitte mit Säurefuchsinpikrinsäure die
besten und klarsten Bilder erhielt, nach denen ich mich deshalb
in der Hauptsache bei der nachfolgenden Beschreibung richtete,
ohne dabei aber die durch andere Fixationen und Färbungen
erhaltenen Resultate unberücksichtigt zu lassen.
Mit Anwendung der genannten Fixations- und Färbungs-
methoden gelang es mir in allen Abschnitten des Dünndarmes
292 Alfred Trautmann:
der Equiden im Fundus der Darmeigendrüsen Körnchenzellen
nachzuweisen, die ich den von Paneth gefundenen Zellen gleich-
stellen und durchaus als Panethsche Körnchenzellen be-
zeichnen muss. Es ist aber zu bemerken, dass dieselben in den
einzelnen Abschnitten, also im Duodenum, Jejunum und Ileum,
nicht in der gleichen Häufigkeit ‚auftreten. Ich habe an
meinen Präparaten konstatieren können, dass gegen das Caecum
zu die Menge der im Fundus der Darmeigendrüsen sitzenden
Körnchenzellen erheblich abnimmt. Direkt hinter dem Pylorus
und überhaupt in den Teilen des Dünndarmes, in, denen sich
Duodenaldrüsen vorfinden, erfüllen die Körnchenzellen den Grund
vollständig und reichen in der Breite von 4—5 Zellen und mehr
zottenwärts. Nur ganz selten findet sich hier zwischen ihnen
eine Zelle, die den die anderen Teile der Darmeigendrüsen aus-
kleidenden Zellen gleichzustellen ist. Es handelt sich dann in der
Hauptsache um Elemente, die sich durch eine recht geringe
Breite auszeichnen. Je weiter man ileumwärts kommt, desto
geringer wird die Zahl der Panethschen Zellen und desto weniger
weit reichen sie in den Darmeigendrüsen hinauf, während die
anderen zylindrischen Zellelemente häufiger zwischen dieselben
sich einschieben. Am Ende des Ileums habe ich in dem Fundus
der Gl. intestinales propriae im mikroskopischen Bilde meist nur
2—3, ganz selten mehr, Körnchenzellen beobachten können.
Ganz spärlich fand ich Panethsche Zellen im Caecum. Während
in der Duodenaldrüsenzone jede Darmeigendrüse Panethsche
Zellelemente aufwies, war hier nur der eine oder der andere
Drüsenschlauch mit diesen Gebilden versehen und zwar traf ich
meist nur eine oder zwei Zellen. Im Colon und Rectum war in
dem Grunde der Darmeigendrüsen keine Spur spezifischer Elemente
vorzufinden, obwohl hier die so sehr zahlreich auftretenden Becher-
zellen leicht das Vorhandensein solcher Elemente vortäuschen
können. Allein bei näherer Betrachtung liessen sich namentlich
mit der Altmannschen Methode diese Greebilde deutlich von-
einander unterscheiden.
Wie schon erwähnt, sitzen die Panethschen Zellen in der
Hauptsache im tiefsten Grunde der Gl. intestinales propriae und
erstrecken sich von hier aus verschieden weit, aber stets relativ
wenig weit zottenwärts. Nur äusserst selten und zwar nur im
Duodenum, bezw. nur in der Pars duodenalis (der Duodenal-
Panethsche Körnchenzellen bei den Säugetieren. 293
drüsenzone) findet man, dass die Panethschen Zellen sich bis
in das mittlere Drittel der Darmeigendrüsen hineinerstrecken.
In diesem Falle sind es aber nur ganz vereinzelte Gebilde. Es
kommt auch vor, dass sich, wie ich beobachtete, vom Drüsen-
grunde aus im mikroskopischen Bilde Panethsche Zellen nur
an der einen Wand der Drüse fortsetzen, während die gegenüber-
liegende vollständig frei davon bleibt. In den Endabschnitten
des Ileums und im Caecum liegen Panethsche Zellen nur rein
fundal.
Die Panethschen Körnchenzellen des Pferdes und Esels
haben im Drüsengrunde zum grössten Teile eine pyramidenförmige
Gestalt. Nur die den Seitenwänden der Darmeigendrüsen an-
sitzenden Zellen sind von mehr zylindrischer Form. Der der
Membrana propria aufsitzende Teil der rein fundal liegenden Zellen
ist konvex gewölbt und erheblich breiter als der dem Lumen zu-
gekehrte Abschnitt derselben. Die Breite der einzelnen Zellen
wechselt namentlich in der Duodenaldrüsenzone erheblich. Es
kommt vor, dass Zellen eine grössere Breite als Höhe haben.
Namentlich ist dies der Fall, wenn die Zelle sehr reich mit
Granula angefüllt ist. Die einzelnen Zellen sind voneinander
gut abgegrenzt. Die Zellen in den distalen Abschnitten des
Dünndarmes und im Caecum weisen fast nie die gleichen Grössen
auf, wie die der Duodenaldrüsenzone. Sie sind grösstenteils er-
heblich schmäler als die in der Duodenaldrüsenzone und erscheinen
deswegen mehr schlank und zylindrisch. Die von Nicolas bei
anderen Individuen beobachteten drei Arten von im Grunde der
Darmeigendrüsen gelegenen Zellen konnte ich beim Pferde
nicht konstatieren.
Der Zelleib der Panethschen Zellen wird dicht von
Granula erfüllt, die sich nach meinen Beobachtungen am besten
durch die Altmannsche Granulamethode darstellen lassen,
aber auch bei anderen Fixationen klar und deutlich dargestellt
erscheinen. So erhielt ich auch bei Fixation mit Zenkerscher
Flüssigkeit und konzentriert-wässeriger Pikrin-
säurelösung, mit der Paneth bei Ratte, Maus und Meer-
schweinchen arbeitete und recht zufrieden gestellt wurde,
brauchbare Resultate. Betrachtet man Abbildung 3, die nach
einem nach der Altmannschen Granulamethode behandelten
Schnitte gezeichnet ist, so kann man sich gut von dem Verhalten
294 Alfred Trautmann:
der Granula überzeugen. Keine der sonst angewendeten Methoden
lieferte mir, namentlich in bezug auf die Verschiedenheit der
Funktionsstadien, so instruktive Bilder. Die stets kugeligen
Granula, die sich in diesem Falle leuchtend rot färbten und mit
denen der Becherzellen nicht zu verwechseln waren, erfüllen meist
die Zellen fast vollständig von der Basis bis zum Lumen. Es
gibt mitunter Drüsenstrecken, die das gleiche Funktionsstadium
der Zellen erkennen lassen, indem man in diesen gleich grosse,
gleich stark gefärbte Körnchen vorfindet. An anderen Stellen
haben die nebeneinander gelagerten Zellen ein ganz verschiedenes
Aussehen. So liegen in einigen Zellen die Granula viel weiter
auseinander als in anderen und sind relativ kleiner. Wieder
andere Zellen weisen in ihrem Leibe grössere und kleinere
Granula vermischt auf. Es kommt auch vor, dass die Granula
die Farbstoffe weniger stark aufgenommen haben und infolge-
dessen blasser und von mehr grauerer Farbe erscheinen. Andere
Bilder zeigen die Granula der basisseitigen Zellpartie stärker
tingiert als die der lumenseitigen. Endlich habe ich auch Zellen
vorfinden können, die nur zur Hälfte mit Granula erfüllt waren.
Aus meiner Beobachtung geht sicher hervor, dass die Granula
in verschiedener Grösse, verschiedener Menge und verschiedener
Verteilung im Zelleibe auftreten und dass sie auch nicht stets
das gleiche Tinktionsvermögen zeigen. Aus letzterem Umstande
erhellt, dass auch ihre chemischen Eigenschaften bis zu einem
gewissen Grade wechseln. Die konstatierten Verschiedenheiten
beruhen jedenfalls zum Teil auf dem wechselnden Funktions-
zustande der Zellen, zum Teil sind sie aber auch Artefakte,
d.h. die Folge der Behandlung der Präparate, ihrer Fixation,
Härtung und dergleichen. Bei der Fixation in Pikrinsäure
und Zenkerscher Flüssigkeit erhält man bezüglich des
Aussehens der Granula andere Resultate als bei Anwendung der
Altmannschen Methode. Abbildung 2 zeigt die Zellen nach
Fixierung in Zenkerscher Flüssigkeit. Dabei sind sie mit
einer Unmenge kleinster, feinster Granula angefüllt, die sich in
das Lumen der Darmeigendrüsen ergiessen. Die von Kölliker-
Ebner speziell für das Pferd angegebenen Befunde, dass an in
Zenkerscher Flüssigkeit fixierten Präparaten die Panethschen
Körnchenzellen Becherzellen sehr ähnlich seien, kann ich nicht
bejahen. Mir erschien es im Gegenteil so, als ob gerade dabei
Panethsche Körnchenzellen bei den Säugetieren. 295
der Unterschied zwischen Becherzellen und Panethschen Zellen,
was aus Abbildung 2 drastisch hervorgeht, ein recht instruktiver sei.
Auch 1%/oige Ösmiumsäure (Fig.4d) fixiert die Granula
in den Panethschen Körnchenzellen teilweise recht gut. In den
ungefärbten Schnitten zeigen die Granula dunkel olivgrüne Farbe
mit einem Stich ins Braune und sind etwas stärker tingiert als
das sie umgebende Protoplasma und treten infolge dieser Farben-
unterschiede deutlich hervor. Häufig findet man auch die Granula
ausgefallen, wodurch dann das intergranuläre Cytoplasma als Netz-
werk deutlich zutage tritt. Die durch 1°/oige Osmiumsäure er-
haltenen Resultate sind ähnlich denen, die durch heissgesättigte
Sublimatkochsalzlösung erhalten werden. Die mit letzterer
Fixationsflüssigkeit behandelten Präparate sind aber weniger in-
struktiv. Merkwürdig ist auch, dass die Resultate vollkommen
negativ bei Fixation mit Sublimatkochsalzlösung ausfallen können.
Der Satz Paneths, dass zur Fixiation der Körnchenzellen
ausser Pikrinsäure nur Osmiumsäure zu gebrauchen sei, dürfte
wohl nach den obigen Darlegungen hinfällig sein.
Soviel geht jedenfalls aus meinen Befunden hervor, dass
die Altmannsche Granulamethode eine viel genauere Fest-
stellung der Verschiedenheiten in der Beschaffenheit der Paneth-
schen Zellen gestattet als jede andere Methode. Die Fixation
mit Pikrinsäure hat den Nachteil, dass sie die Granula der
Becherzellen gleich gut fixiert. Man ist deswegen namentlich
in den Partien des Darmkanals, wo sich relativ wenig Panethsche
Zellen, aber mehr Becherzellen (Caecum) namentlich gegen den
Fundus der Darmeigendrüsen zu finden, häufig Täuschungen aus-
gesetzt. Es kommt vor, dass man mit Granula angefüllte Segmente
von Becherzellen als Panethsche Zellen deuten kann, wenn
auch die Granula letzterer bei genauer Betrachtung etwas grösser
und nicht so gleichmässig in der Grösse erscheinen. Nicht un-
erwähnt möchte ich lassen, dass auch Leukozyten mit ihrem von
Körnchen erfüllten Zelleibe (Fig. 5) namentlich im Caecum, Colon
und Rectum zu falschen Schlüssen bezüglich Vorkommens von
Körnchenzellen führen können. Die Körnchen von Leukozyten
des Pferdes sind jedoch stets grösser als die der Panethschen
Zellen (vgl. Fig. 5 mit Fig. 4).
Die Reaktion der Granula der Zellen ist den verschiedensten
Farbstoffen gegenüber eine recht verschiedene. Kernfarbstoffe
296 Alfred Trautmann:
(z. B. Hämatoxylin, Methylenblau ete.), Mucinfarben (Muci-
karmin, Bismarckbraun ete.), wie endlich auch saure Farben
(Eosin, Säurefuchsin, Kongorot etc.) tingieren die Körnchen, so
dass ein Schluss auf die chemische Natur der Körnchen nur
schwer zulässig ist, eine Tatsache, die auch anderen Autoren
nicht unbekannt geblieben ist. Wir wissen nur soviel, dass die
Darmeigendrüsen ausser Mucin auch andere spezifische Stoffe,
vor allem ein amylolytisches Enzym, ferner Enterokinase und
Erepsin produzieren. Daraus folgt, dass die Zellen ausser Mucin-
eranula auch andere Granula enthalten müssen, oder dass sie
Granula führen müssen, die sich aus verschiedenen Substanzen
zusammensetzen oder verschiedene Substanzen produzieren.
Bezüglich der Färbbarkeit des intergranulären Cyto-
plasma der Panethschen Zellen ist zu bemerken, dass sich
ein Unterschied in der Tinktion dieses wie desjenigen der übrigen
Zylinderdrüsenepithelien nicht bemerkbar macht. Zipkin er-
schien beim Rhesusaffen das Protoplasma der Panethschen
Zellen etwas dunkler als dasjenige aller übrigen Zellen (bei Ehr-
lich-Biondi-Heidenhainscher Färbung). Das Protoplasma
der zur Hälfte mit Körnchen angefüllten Zellen setzt sich ohne Grenze
in das körnerlose Protoplasma fort, ohne Unterschiede zu zeigen.
Der Kern der Panethschen Zellen ist in der Regel
kleiner als der der übrigen Darmepithelien. Er tingiert sich
auch intensiver, ähnelt aber mehr den Kernen der Zylinderzellen,
als denen der Becherzellen. Er hat seine Lage in der Haupt-
sache nahe der Basis. Seine Gestalt ist recht unregelmässig,
namentlich wenn die Zelle reichlich mit Granula angefüllt ist.
Er legt sich dann meist mit seiner Längsachse quer zur Längs-
achse der Zelle, indem er dabei eine mehr oder weniger platt-
sedrückte Gestalt annimmt und sich ganz dicht der basisseitigen
Partie der Zelle anlegt, was auch Schaffer an anderen Tieren
beobachtete. Der Kern ist meist stark chromophil und enthält
in der Regel ein einziges, grosses, kugelrundes Kernkörperchen.
Recht oft wird der Kern in den dicht mit Granula erfüllten
Zellen von denselben verdeckt. Er kann auch aus dem Grunde
scheinbar fehlen, wenn er, namentlich bei grösseren Zellen, nicht
in die Schnittebene fällt.
Inter- und bezw. intrazelluläre Sekretkapillaren
waren durch die von mir angewandten Methoden nicht nachweisbar.
Panethsche Körnchenzellen bei den Säugetieren. 297
Die durch die Altmannsche Granulamethode bei den
Equiden erhaltenen guten Resultate veranlassten mich, auch den
Darm der Karnivoren (Hund und Katze), bei denen man
bisher keine Körnchenzellen hat finden können, auf diese Frage
nochmals genau an der Hand der Altmannschen Methode zu
untersuchen.
Paneth, Schmidt, Möller, Stöhr, Martin be-
richten, dass niemals bei Hund und Katze Körnchenzellen im
Grunde der Darmeigendrüsen zu finden seien. Auch Schneider
und Hock untersuchten den Darm der Katze in dieser Hinsicht
mit negativem Erfolg.
Ich habe an Hand meiner Präparate bei der Katze mit
Sicherheit im Grunde der Glandulae intestinales propriae. des
Dünndarmes Körnchenzellen nachweisen können (Fig. 6a). Die-
selben finden sich genau wie beim Pferde am zahlreichsten
in den Anfangsabschnitten des Dünndarmes, aber auch im lleum
habe ich Bilder gesehen, die mich berechtigen, auch hier von
dem Vorkommen der Körnchenzellen zu sprechen. Im Caecum,
Kolon, Recetum habe ich jedoch in keinem Falle diese Gebilde
auffinden können. Es ist zu bemerken, dass in der Häufigkeit
wie beim Pferde die Körnchenzellen nicht auftreten. In den
Anfangsabschnitten des Dünndarmes findet man im mikroskopischen
Bilde kaum mehr als drei dieser Gebilde in dem Grunde der
Darmeigendrüse. Dieselben liegen stets nebeneinander. Dass
sich andere Fpithelzellen zwischen sie einschieben, konnte ich
nicht konstatieren. Auch sah ich nicht, dass die Körnchenzellen
anders als rein fundal gelegen waren. In keinem Falle habe
ich sie höher zottenwärts in den Darmeigendrüsen gefunden.
Es ist zu bemerken, dass auch oft Drüsenschläuche sich zeigen,
die keine dieser spezifischen Zellen aufweisen. Im Ileum ist die
Zahl der Körnchenzellen noch spärlicher als im Duodenum bezw.
Jejunum. Hier finden sie sich meist vereinzelt oder zu zweien.
Der Umstand, dass mitunter nur wenige Körnchen in einer Zelle
bezw. manchmai nur relativ wenige Zellen im Fundus mit
Körnchen angefüllt sind, lässt uns vermuten, dass es nicht zum
Charakteristikum, wenigstens nicht zur absoluten Notwendigkeit
gehört, dass die Körnchenzellen mit Körnchen angefüllt sein
müssen. Soviel ist klar, dass man bei der Katze auf das
genaueste ganze Darmstrecken und jede einzelne Drüse durch-
295 Alfred Trautmann:
mustern muss, um Körnchenzellen, die sich in typischer Form
präsentieren. aufzufinden.
Die Gestalt der Körnchenzellen bei der Katze ist kaum
wesentlich von denen des Pferdes verschieden. Im grossen
und ganzen sind sie etwas schmäler. So grosse Breiten wie beim
Pferde konnte ich nicht finden. Auch hier treten die Zell-
grenzen gut hervor.
Der Zelleib enthält ebenfalls wie beim Pferde kugelige
Granula in verschiedener Menge und Grösse. Die Granula
erfüllen nicht immer den Leib vollständig (Fig. 6a). Die die Zellen
gänzlich erfüllenden Granula sind in der Regel kleiner und
schwächer tingiert als die, die die Zelle nur zur Hälfte besetzen.
Ich habe auch Bilder gesehen, in denen im Lumen der Darm-
eigendrüsen Granula lagen, die zweifellos von den Zellen dorthin
ergossen waren.
Das intergranuläre Protoplasma der Körnchenzellen
der Katze verhält sich wie das des Pferdes.
Bezüglich des Kernes ist zu sagen, dass sich so unregel-
mässige Formen wie beim Pferde nicht finden. Bei mit Granula
vollgefüllten Zellen lagert der Kern nahe der Basis und ist klein.
Dort aber, wo Zellen nur weniger Granula enthalten, ist er grösser,
von mehr kugeliger Gestalt und nicht so dicht basal gelegen.
Allerdings kommen auch Kerne vor, die erheblich von der Kugel-
form abweichen und polymorphe Gestalt annehmen. Der Kern
enthält in seinem Lumen ein deutliches Kernkörperchen und
färbt sich meist gut.
Endlich ist noch hervorzuheben, dass die Körnchenzellen
im Fundus der Darmeigendrüsen des Dünndarmes der Katze
stets ganz anders geartet sind als die Becherzellen und namentlich
bei Anwendung der Altmannschen Granulamethode drastische
strukturelle Verschiedenheiten aufweisen, was aus Abbildung 6 ganz
deutlich hervorgeht. Eine Verwechslung bezw. Identifizierung dieser
beiden Zellarten ist vollständig ausgeschlossen. Mir erscheint
dieser Hinweis besonders wegen der Bizzozzeroschen Theorie
wichtig, die besagt, dass die Panethschen Körnchenzellen nichts
anderes sind als jugendliche Formen von Schleimzellen. Über-
gangsformen zwischen den Schleimzellen und den Körnchenzellen
sind nirgends nachweisbar.
Panethsche Körnchenzellen bei den Säugetieren. 299
Die beim Hunde von mir gemachten Beobachtungen be-
züglich des Vorkommens von Körnchenzellen im Grunde der
Darmeigendrüsen lassen schon jetzt das Vorhandensein solcher
im Dünndarme vermuten. Ich möchte jedoch diesen vorläufigen
Befund nicht als rein positiv hinstellen, da die Anzahl der von
mir angefertigten Präparate eine zu geringe ist und die erhaltenen
Bilder nicht als so gelungen wie bei der Katze zu bezeichnen sind.
Martin, ein Laborant des Institutes, der bereits vor zwei
Jahren auf Wunsch des Institutsdirektors mit Untersuchungen
über das Darm- und Darmdrüsenepithel und das Vorkommen von
Panethschen Zellen begonnen hatte, aber diese Untersuchungen
zunächst abbrechen musste, wird die Ergebnisse dieser Unter-
suchungen bei den Equiden.') die er an den Präparaten nach-
geprüft hat, in seiner Dissertationsschrift verwenden. Er hat
seine Untersuchungen auf sämtliche Haustiere ausgedehnt. In
seiner Arbeit finden sich ausführliche und eingehende Literatur-
angaben, er hat auch die Fragen über Herkunft, Funktion,
Schicksal und Deutung der Panethschen Zellen berührt. Es
sei hiermit auf diese Arbeit verwiesen. Martin fand Paneth-
sche Zellen auch beim Schaf und Hamster. Ausserdem er-
scheint mir wertvoll, darauf aufmerksam zu machen, dass Martin
Maus, Ratte, Meerschweinchen in das Bereich seiner
Untersuchungen mit hineinzog, um gewissermassen „Original-
Panethsche Zellen“ zu erhalten und dieselben mit denen der
beim Pferde, Esel und Schaf durch gleiche Fixation erhaltenen
in Vergleich zu stellen. Er kommt zu dem Schlusse, dass man
die im Fundus der Darmeigendrüsen des Pferdes sich findenden,
Granula enthaltenden Zellen auf Grund dieser Vergleiche als
echte Panethsche Zellen ansprechen muss.
Zusammenfassung.
Die Resultate meiner Untersuchungen lassen sich in folgende
Sätze zusammenfassen:
1. Im Fundus der Glandulae intestinales propriae des
Pferdes, Esels, der Katze und anscheinend auch
des Hundes kommen meist zu mehreren zusammen-
!) Die von mir bei den Karnivoren gemachten Befunde sind von
Martin nicht verwendet, da die diesbezügl. eingehenderen Untersuchungen
aus äusseren Gründen erst später erfolgen konnten.
500
Alfred Wrauktmanın:
liegende Körnchenzellen vor, die mit den von Paneth
zuerst bei einigen Nagern (Maus, Ratte, Meer-
schweinchen) gefundenen Panethschen Körnchen-
zellen zu identifizieren sind.
Bei Pferd, Esel sind die Panethschen Körnchen-
zellen im Duodenum, Jejunum, Ileum und
Caecum nachweisbar; bei der Katze können im
ganzen Dünndarm, dagegen nicht im Üaecum
derartige Elemente aufgefunden werden. Colon und
Rectum sind bei Pferd, Esel, Katze frei von
Panethschen Körnchenzellen.
Die Panethschen Körnchenzellen treten bei Pferd,
Esel, Katze in den dem Magen zunächst
liegenden Darmpartien (Duodenum) am zahl-
reichsten auf und werden in den distalen Darm-
teilen weniger häufig. Die Anzahl der Körnchen-
zellen in den einzelnen Darmeigendrüsen ist
verschieden, bei Pferd und Esel grösser als bei
der Katze.
Die Gestalt der Panethschen Körnchenzellen ist
meist pyramidenförmig, zuweilen auch zylindrisch, ihre
Grösse ist mannigfaltigen Schwankungen unterworfen.
Der Zelleib der Körnchenzellen wird fast immer aus-
gefüllt von kugeligen Granula, die sich sowohl bezüg-
lich der Grösse als auch der Verteilung bei den
einzelnen Zellen und Tieren verschieden
verhalten.
Das Aussehen der Granula hängtab von
der Art der angewendeten Fixationsflüssig-
keit. Die Granula zeigen nicht stets das gleiche
Tinktionsvermögen. Am sichersten und besten
fixiert und färbt die Altmannsche Granula-
methode nach meinen Befunden die Granula. Keine
Fixation und Färbung bringt die verschiedenen Funktions-
stadien der Körnchenzellen so klar zu Gesicht wie diese.
Die Granula der Panethschen Körnchenzellen zeigen
Affinität zu Kernfarbstoffen, sauren und
Mucinfarben.
Panethsche Körnchenzellen bei den Säugetieren. 301
Es gehört‘ nicht zum ausschliesslichen Charak-
teristikum, dass die Panethschen Körnchenzellen
Granula enthalten, es gibt auch solche, in denen nur
ein Netzwerk zu finden ist.
Das intergranuläre Cytoplasma tingiert
sich ähnlich, bezw. gleich dem der übrigen zylindrischen
Zellen des Darmes.
6. Der im basalen Drittei liegende Kern der Panethschen
Körnchenzellen ist verschiedengestaltig und zwar bei
Pferd und Esel in höherem Maße als bei der Katze.
Bei den mit Granula dicht ausgefüllten Zellen ist der
Kern klein, mehr platt (Pferd, Esel), basal gelegen
und wird häufig von den sich stark färbenden Granula
verdeckt.
. Das Vorkommen von Sekretkörnchen im Lumen
der Darmeigendrüsen in der Nähe der Körnchen-
zellen deutet darauf hin, dass das reife, ausgeschiedene
Sekret aus Körnchen besteht, die nicht oder nicht immer
intrazellulär zerfliessen.
8. Intra- bezw. interzelluläre Sekretkapillaren
konnten durch die angewandten Methoden nicht nach-
gewiesen werden.
9. Zwischen den Panethschen Körnchenzellen
und den Becherzellen finden sich nament-
lich bei Anwendung der Altmannschen
Granulamethode so typische strukturelle
Verschiedenbeiten, die eine Täuschung bezw.
Verwechslung der beiden Zellarten nicht
zulassen.
—I]
Am Schlusse dieser Arbeit gestatte ich mir, meinem hoch-
verehrten Chef, Herrn Geheimen Rat Prof. Dr. Ellenberger,
für die stets erteilten liebenswürdigen Unterstützungen und wert-
vollen Ratschläge meines verbindlichsten und herzlichsten Dankes
zu versichern.
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. 20
ID
er)
ASIERrIerd Transen tanmene:
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20*
304
41.
42.
Fie.
Fie.
Fig.
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verhältnisse des Dünndarms von Inuus rhesus. Anat. Hefte, Bd. 23,
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Erklärung der Abbildungen auf Tafel XIV.
1. Längsschnitt durch die Mucosa des Jejunumanfanges
des Pferdes. (Fixierung: heissgesättigte Sublimat-Kochsalzlösung;
Färbung: Heidenhain- Eisenalaun - Hämatoxylin - Mucikarmin.)
a — Zylinderzelle, b —= Becherzelle vom Zottenepithel, e — Zylinder-
zelle, d — Becherzelle vom Darmeigendrüsenepithel, e —= am Fundus
der Darmeigendrüse gelegene Körnchenzellen, sich mit Mucikarmin
intensiver tingierend als die Becherzellen, f = Zentralchylusgefäss,
g — Zottenstroma, h — interglanduläres, i = subglanduläres Gewebe,
k — Muscularis mucosae.
2. Schrägschnitt durch den Fundus einer Darmeigen-
drüsevomDuodenum des Pferdes. (Fixierung: Zenkersche
Flüssigkeit; Färbung: Hämatoxylin (Friedl.) - Aurantia - Eosin.)
a — Lumen mit Sekretgranula, b — Zylinderzelle, e=Panethsche
Körnchenzelle mit Granula angefült, d=b, e = periglanduläres
Gewebe.
3. Längsschnitt durch den Fundus einer Darmeigen-
drüse des Duodenums des Pferdes. (Fixierung und Färbung
nach Altmanns Granulamethode) a — Lumen, b = Zylinder-
zellen, ce= Panethsche Körnchenzellen in verschiedenen Funktions-
stadien, d — Zylinderzelle ohne Granula, e = periglanduläres
Bindegewebe.
4. Querschnitt durch den Fundus einer Darmeigendrüse
vom Ende des Duodenums des Pferdes. (Fixierung: 1%/oige
Osmiumsäure.) a — Lumen der Darmeigendrüse, b—= Panethsche
Zelle mit ausgefallenen Granula, e = Zylinderzelle ohne Granula,
d — Sekretgranula, e — periglanduläres Bindegewebe.
Querschnitt durch den Fundus einer Darmeigendrüse
vom Ende des Duodenums desPferdes. (Fixierung: 1°/oige
Ösmiumsäure.) a, b, ce wie in Fig. 4, f = durch das Drüsenepithel
wandernde, eosinophile Leukozyten.
[1
g.6. Längsschnitt durch den Fundus einer Darmeigen-
drüse vom Anfang des Dünndarmes der Katze.
(Fixierung und Färbung nach Altmanns Granulamethode.)
a — Körnchenzelle,. b = Zylinderzelle ohne Granula, c — Becher-
zelle, d = Leukozyte, e —= periglanduläres Gewebe.
305
Die Mantelgebiete des Grosshirns von den Nagern
aufsteigend bis zum Menschen.
Von
B. Haller.
Hierzu Tafel XV.
Der Grosshirnmantel kann seiner Oberfläche nach in grössere
und kleinere Bezirke eingeteilt werden, erstere sind die Gebiete,
regiones, letztere die Felder, areae. Während letztere mit
Ausnahme zweier, der Area magnocellularis (synon. giganto
pyramidalis) und der Area striata, je nach der Tierform, d.h.
der Stellung dieser im System, typische Variationen aufweisen
und mit der höheren Stellung im System an Zahl zunehmen,
sind die Gebiete von einer Beständigkeit, die auf eine
einheitliche phyletische Entfaltung hinweist. Es ist mir gelungen,
dies ausführlicher zu begründen, aufsteigend von den Chiropteren
zu den Rodentiern, von diesen zu den Carnivoren und den
Simiern (7). In vorliegender Schrift möge nun gezeigt werden,
dank den Spezialbefunden Brodmanns, dass diese Gebiets-
einteilung sich bis hinauf zu dem Menschen erstreckt in der
angeführten Reihenfolge und es wird die Aufgabe zukünftiger
Arbeiten sein, dies auch für andere Abteilungen der Säugetiere,
bei denen dies bisher nicht gelungen ist, zu prüfen. Dabei wird
für die grosse Abteilung der Huftiere mit Hyrax zu beginnen
sein, dessen Manteloberfläche auf den ersten Blick schon den
Ausgangspunkt der Grosshirnoberflächenentfaltung für die Huf-
tiere zeigt. Da, soviel mir bekannt ist, meine Gebietseinteilung
niederer Säugetierformen die einzig durchgeführte ist, möge
damit begonnen werden, das bereits Mitgeteilte hier zu wiederholen.
„Der Säugetierzustand“, sagte ich (l. c. pag. 440), „zeigt
schon zu Beginn die höhere Entfaltung der Corona radiata,
gleichzeitig aber auch die volle Entwicklung aller Teile des
Riechgebietes, womit dem übrigen Pallium gegenüber dieses
Gebiet sich besser abgrenzt als zuvor. Dieses Stadium, das
eben mit den Säugetieren einsetzt, können wir in der Grosshirn-
306 B. Haller:
entwicklung mit einigem Recht als das primäre phyletische
Säugetierstadium des Grosshirns bezeichnen. Ausser
dem bereits angeführten Zustand zeichnet sich dieses Stadium
durch den Mangel eines Balkensystems aus, was wieder darin
besteht, dass die obere Hälfte der Vorhirnkommissur oder der
Commissura anterior nur ammonale Querfasern führt, also eine
bloss ammonale ist..... Dieses Stadium war der gemeinsamen
Säugetierwurzel aller Säugetiere gemeinsam, von ihm aus ent-
faltete sich das Weitere in den einzelnen Abteilungen genau
nach denselben cerebrogenetischen Gesetzen.
Von nun an beginnt die Differenzierung des ganzen dorsalen
Mantels, wobei auch das Geruchsgebiet höherer Differenzierung
fähig ist, und mit ihr setzt die Balkenbildung gleichzeitig ein.
Bis hierher bestand eine gleichmässige Architektonik in dem
dorsalen Mantelteil (dem sog. Neopallium), die auf das Fehlen
jeder lokalen physiologischen Mantelspezialisierung schliessen
lässt. Der ganze dorsale Mantel besteht in diesem Stadium
ausser der Plexiformschichte aus einer dichteren, schmäleren
oberen und einer weit breiteren unteren Zellenlage.') Die
weitere Differenzierung setzt in dieser ein, wodurch das ganze
innere Feldgebiet dem äusseren gegenüber sich zu sondern beginnt
(Vesperugo pipistrellus), dann den diesbezüglichen höchsten Grad
bei Pteropus erreicht, wo dann auch die striatale Differenzierung
einen hohen Fortschritt aufweist.“ Bis hierher bestand somit der
dorsale Mantelteil oder das sog. Neopallium aus einem inneren
und einem äusseren Feldgebiet entlang seiner ganzen Länge nach.
„Die beiden Mantelgebiete aber sind weiterer Differenzierung
fähig und gelangt es dann zu einer Entfaltung aus dem inneren
Felde in das Stirnhirn — (Fig. 1 hier, links, mit rosa), Fornical-
(blau) und Dorsooceipitalgebiet (graublau), indessen das äussere
Feld zum Inselgebiet (grün) wird.
Damit sind dann die Zustände der Nager aus chiropteren-
ähnlichen Zuständen erreicht.
Eine Differenzierung, wie sie die Nager aufweisen, stellt
schon eine recht vorgeschrittene Stufe vor und beeinflusst die
Balkenentfaltung im höchsten Grade: es ist das Balkensystem
!) Siehe hierüber auch meinen Aufsatz über die Ontogenese der Gross-
hirnrinde (Anatom. Anzeiger, Bd. XXXVII, 1910).
Die Mantelgebiete des Grosshirns. 307
bei ihnen hoch entfaltet. Es gelangt an dem dorsalen Mantel...
zu einem Stirn-, Fornikal-, dorsooceipitalen und Inselgebiet,
wobei die beiden ersteren einen verwandtschaftlichen Bau auf-
weisen... Obgleich dieses Stadium noch nicht vorgeschritten
genug ist, um äusserliche Abgrenzungen hervorzurufen ... ., so
müssen wir es doch als ein Vorstadium zu einem solchen deuten.
Ein solches muss auch den Vorfahren “der Raubtiere eigen
gewesen sein.“ Ich konstruierte mir dieses Stadium (Fig. 1 hier,
rechts). Es tritt mit diesem Stadium auch die Lateralfurche als
auch die Sylvische auf, wobei ich bezüglich der Urfurchen aber-
mals auf eine frühere Arbeit (6) verweise.
In dem Grosshirn der Mustela fand ich dann ein solches,
das diesem hypothetischen Stadium direkt angegliedert werden
kann. Es hat sich hier nämlich aus einfacherem Beginne der
Urfurchen, der Sylvischen, der Lateral--, Kreuz- und der
primären Bogenfurche (s. d. 6), ein etwas weiter gehendes
Furchensystem entfaltet, das immerhin noch ein ursprüngliches
und für gewisse phyletische Zustände bezeichnendes ist, und welches
ein Windungssystem umgrenzt, das diesmal noch ziemlich unver-
fälscht ganz bestimmte Rindenbildungen in sich schliesst. Dieses
phyletische Stadium ist aber darum sehr wichtig, denn es
dient wieder zum Vergleich mit höheren Zuständen, ebensogut
wie die Gebietsgliederung der Maus.
Auf Fig. 2 sind diese Zustände dargestellt, die ich ja
früher ausführlichst erörtert sowie den Rindenbau dafür genau
geschildert habe (7). Die Lateralfurche (A, s“) grenzt den
ganzen Lateralgyrus nach aussen ab und im vorderen Teil dieses,
bildet die von innen nach aussen ziehende Kreuzfurche (s) die
inneren Ränder des vordersten Abschnittes vom Lateralgyrus,
des Kniegyrus. Über der Sylvischen Furche (fs) liegt der
Bogengyrus (grün) mit seinen beiden Schenkeln, dem Anti- und
Postsylvialgyrus. Über dem Bogengyrus, getrennt von ihm aber
durch die Bogenspalte, befindet sich der Gyrus medianus mit
einem vorderen und einem hinteren Teil, wobei letzterer oceipital-
wärts in den Lateralgyrus umbiegt (blau), indessen der vordere
Teil nach hinten und oben biegend in den vorderen Schenkel
(violett) der Bogenfurche übergeht; diese Stelle ist das Opereulum.
Unterhalb dieses und des Kniegyrus befindet sich noch der
untere Abschnitt vom Stirngebiet (rosa und braun), dessen oberer
305 B. Haller:
Abschnitt (dunkelrosa) in den vorderen Schenkel des Kniegyrus
an der Kreuzfurche sich fortsetzt.
Medianwärts (B) begrenzt der Gyrus fornicatus dem Stirn-
gebiet und dem Lateralgyrus gegenüber den Gyrus fornicatus.
Die Verfolgung des Rindenbaues ergab dann die Entfaltung
aus niederen Zuständen (Fig. 1), denn obgleich sich neue Furchen-
differenzierung einstellte, lässt sich der Vergleich trotzdem gut
durchführen. Das Stirngebiet grenzt sich in mehrere Felder ab,
von denen auf Fig. 2 aber nur drei eingezeichnet sind, nämlich
ein oberes (dunkelrosa), ein mittleres (hellrosa) und ein unteres
(braun). Indem das Fornikalgebiet durch die nach dorsalwärts
gerichtete Entfaltung des Lateraigyrus in die Tiefe gelangt und
darum äusserlich unsichtbar wird, erhält es sich im Gyrus fornicatus
(B, hellblau), wobei oceipitalwärts sich an ihm eine Feldergliederung
einstellt. Das Dorsooceipitalgebiet hat aber eine wesentliche
Veränderung erfahren durch eine sehr vorgeschrittene Felder-
gliederung. Es umfasst sowohl den ganzen Lateralgyrus als auch
den Mediangyrus und somit auch den oceipitalen Mantelabschnitt.
Ventralwärts wird dies Gebiet durch die Bogenfurche begrenzt.
Es zerfällt in ein vorderes (grau), hinteres (dunkelblau) und
unteres (violett) Untergebiet, Subregio.
Das Inselgebiet besteht jetzt aus der eingestülpten
Insel, der primären nämlich, dem Bogengyrus oder Bogengyrus-
Untergebiet (grün), das sich aber jetzt schon in drei Felder,
Areaeprimariae gliedert und zwar einem mittleren, der eigent-
lichen Bogenmitte, einem vorderen, dem vorderen Bogenschenkel,
und einem hinteren, dem hinteren Bogenschenkel. Diese sind
auf Fig. 2A der Übersicht halber nicht eingetragen, im Original
aber ja (7., Fig. 2). Es steht jetzt die eingestülpte Insel, die
mit dem übrigen Inselgebiet eine gleichförmige Rindenformation
besitzt, mit einem kleinen ventralen Abschnitt des Stirngebietes,
dem Gyrus oder Lobus insulae (braun), in Verbindung. Ausserdem
gehört dem Inselgebiet noch ein kleiner hinterer, oceipitaler
Abschnitt an (gelb), der Interkalargyrus, der ein Untergebiet,
Subregio für sich vorstellt.
Bezeichnend für den phyletischen Fortschritt ist die Ent-
faltung gewisser grosser Zellen in der vierten Rindenschichte,
welche Zellen in dieser Grösse noch in niederen Zuständen
(Maus) fehlen, aber als kleinere, auf dem ganzen vorderen dorsalen
Die Mantelgebiete des Grosshirns. 309
Mantel, dem sogenannten Neopallium, verteilt, sich wohl vorfinden.
Sie konzentrieren sich dann nach erlangter Grösse in der Nähe
der Kreuzfurche, oder doch in deren nächster Umgebung. Brod-
mann hat über die Ausbreitung dieser bei verschiedenen Säuger-
formen am ausführlichsten berichtet (1-3). Beim Marder nehmen
sie eine Anordnung hinter der Kreuzfurche ein (schwarz punktiert
auf Fig. 2), doch greift nach meiner Erfahrung ein kleiner Zipfel
schon vor die Kreuzfurche über. Jetzt erstrecken sich diese
Zellen, die Area magnocellularis (synon. gigantopyramidalis)
bildend, sowohl auf das mittlere Stück des Mediangyrus, als auch
auf ein kleines Gebiet des vorderen Schenkels von dem Bogen-
gyrus; allein mit weiterer Konzentration im Laufe der Phylogenese
nehmen sie eine mehr dorsale Lage ein und sind dann bei sämt-
lichen Simiern, den Menschen miteinbegriffen, vor dem Sulcus
cruciatus gelegen (Fig. 3, 4, 5).
Brodmann gebührt das unbestrittene Verdienst, die Mantel-
architektonik der Simier in der genausten Weise, soweit meine
Erfahrungen reichen, festgestellt zu haben. Doch hat er es ver-
säumt, diese Areae bei den einzelnen Formen miteinander ver-
gleichend, mit Bezugnahme auf ursprünglichere Verhält-
nisse als sie die Simier bieten, die Schlüsse aus diesen wert-
vollen Ergebnissen zu Ziehen. Dies hier durchzuführen, machte
ich mir aber zu meiner Aufgabe. Dabei dienen die oben ge-
schilderten Zustände als Grundlage für den weiteren Vergleich.
Einen diesbezüglichen Versuch habe ich schon früher gemacht (7).
Ich benutze somit auch diesmal Brodmanns Arealfeld-Karten,
um aus ihnen die Gebietskarte zu konstruieren, die zuletzt speziell
für den Menschen auch Brodmann mit Farben zusammen-
gestellt hat (5).
Was zunächst die Prosimier betrifft, so sehen wir das
Stirngebiet (Fig. 5) sich gut erhalten und zwar, so wie beim
Marder') in mehrere Areae gegliedert, von welchen ich
!) Ich möchte immerhin den Glauben nicht aufkommen lassen, als wenn
ich die Halbaffen von Raubtieren, etwa geradezu den Musteliden, ableiten
wollte, bloss von ähnlichen Zuständen phyletischer Bilder, wie der Hirn-
mantel der Musteliden mal zeigt, möchte ich die Gestaltung des Hirnmantels
jener ableiten. Dabei glaube ich schon, dass die Simier von niederen, viel-
leicht gar nicht recenten, Carnivoren, die auch Insektivoren etwa verwandt
waren, abstammen.
310 Bableanllkerrne
nur eine genauer eintrug (dunkelrosa), Brodmanns 8. Feld.
Auch findet sich bei den Prosimieın noch eine Area (braun),
die ich bei dem Marder den Gyrus oder Lobus insulae nannte,
Brodmanns 13. und 16. Feld. Dieses Feld oder vielleicht Unter-
feld verschwindet bei den Simiern und findet sich auch bei dem
Menschen nicht mehr. Das nächstfolgende Gebiet, das Fornikal-
gebiet als Gyrus fornicatus (Fig.3B, hellblau) zeigt occipitalwärts
eine bis zur Längsmitte vorgreifende Feldergliederung (blau
schraffiert) und greift nun auch fast auf die ganze innere und
obere Fläche (blau punktiert) des Lobus temporalis über, dessen
vorderes und inneres Ende ja ein Gyrus hyppocampi ist. Ein
solcher Lobus besteht ja beim Marder nicht (Fig. 2) und mit der
stärkeren Rückbildung des hinteren Endes vom Lobus pyriformis
überdeckt oben eine stärkere Wucherung vom hinteren Ende des
Gyrus fornicatus dessen hintere Fläche. Dieses nun aus dem
hinteren Ende des Gyrus fornicatus entstandene primäre Feld,
bestehend aus Brodmanns 27. und 28. Feld, d. h. Unterfelder,
ist dann bei den Simiern geringer und greift auch nicht
mehr auf die äussere Mantelseite über (Fig. 4B, blau punktiert),
gerade wie bei dem Menschen (Fig. 5B, blau punktiert). Es
setzt auch eine weitere Feldergliederung am Gyrus fornicatus
am Balkenkopf ein (doppelt schraffiert).
Das Dorsooccipitalgebiet hat sich hier noch viel mehr
verändert wie bei Musteliden. Ein Suleus eruciatus ist bloss
angedeutet, die Lissencephalie, wohl bedingt durch einseitige
Neotenie, hat manches Relief noch nicht zur Entfaltung gelangen
lassen. Sie ist darum nicht sekundär, sondern ist eher die Folge
von einer Entwicklungshemmung, also ein fetaler Zustand. Es
nimmt die Area magnocellularis jetzt den ganzen vorderen
Schenkel des einstens bestandenen Kniegyrus ein und reicht somit
bis nach unten. Im binteren Schenkel des einstigen Kniegyrus
(grau) zeigt sich aber eine Feldergliederung und es zerfällt nun
dieser Teil des Laterooceipitalgebietes in ein vorderes (schraffiert)
und hinteres Feld; das vordere ist Brodmanns 1. Mantelarea.
Des Weiteren zeigt sich nun etwas, worauf ich schon früher für
die Simier hingewiesen hatte (7), ein Laterooceipitalgebiet, das
mit der weiteren Entfaltung der Reilschen Insel zusammenhängt.
Durch weitere Einstülpung ist die ganze untere Hälfte des Gyrus
medianus (violett) nämlich in die Insel einbezogen worden, der
Die Mantelgebiete des Grosshirns. 314
Sylvischen Furche liegt nach vorne der Kniegyrus an und was
sich aus jener Formation erhielt, wandert nach dorsalwärts zu
und erreicht hier nicht nur die Mantelkante, sondern greift auch
auf die mediane Seite des Hirnmantels bis zum Suleus fornicatus
(Fig. 3, violett) über. Es hat hier somit die Formation des ganzen
vorderen grösseren Abschnittes vom Mediangyrus sich nach dorsal-
wärts verschoben und besetzt ein ihr früher fremdes
Gebiet. Es ist dies jetzt Brodmanns 7. Feld, seine Area
parietalis superior.
Der hintere Schenkel des Bogengyrus ist erhalten, der vordere
aber völlig verschwunden, er ist ebenfalls in die Reilsche Insel
einbezogen worden und diese ist ja tatsächlich auch komplizierter
gebaut als zu Beginn bei den Musteliden. Dafür erhält sich
aber der hintere Schenkel des Gyrus arcuatus nicht nur, sondern
scheint sich bei den Halbaffen vergrössert und in zwei vor uni
hinter dem Suleus temporalis gelegene Unterfelder gegliedert
zu haben, das hintere ist Brodmanns 21. Feld. Diese starke
Entfaltung niederen und höheren Formen gegenüber ist somit
eine Eigenart der Halbaffen und mag wohl aus ihrer
Lebensweise die Erklärung finden.
An dem Laterooceipitalgebiet findet sich noch bei den Muste-
liden ein kleiner oceipitaler Abschnitt, den ich als Interkalar-
gyrus bezeichnete. Dieses Untergebiet nun zeigt bei den Halb-
affen, Brodmanns 20. Feld, keine merkliche Vergrösserung,
aber auch keine Verkleinerung. Dagegen hat sich das oceipitale
Ende des Dorsooeceipitalgebietes stark in Unterfelder aufgeteilt,
es ist ja bereits bei den Musteliden ein gegliedertes Untergebiet.
Es führt dieses Untergebiet im allgemeinen den Namen Regio
oceipitalis, mit Recht könnte man es aber als Untergebiet be-
trachten. An ihm bildeten sich drei bereits bei Musteliden ein-
geleitete Felder aus. Die Area striata (Fig. 3, blau) nimmt
die grösste Fläche von aussen ein (A), doch erscheint sie innen
etwas eingeschränkt (B). Der Oceipitallappen zeigt medianwärts
einen neuen Relieferwerb, den Sulcus calcarinus (B). Die zweite
Area oceipitalis „stellt ein koronales Rindenfeld“ nach Brod-
mann „dar, das die Area striata medial und lateral umgreift“
(Fig. 3, blau schraffiert). Vor dieser in gleicher Ringform be-
findet sich die Area praeoccipitalis, aussen gleichbreit, innen und
unten am breitesten.
312 BSOHKanlent:
Gehen wir nun zu dem Simier über, so sehen wir im
Stirngebiet (Fig. 4) eine fortschrittliche Weiterentfaltung,
wobei aus angrenzenden Teilen ebensowenig ein Übergreifen auf
ein anderes Gebiet als umgekehrt stattfindet. Es zeigt somit
dieses Gebiet eine starke Konstanz.
Das Fornikalgebiet zeigt eigentlich nichts Neues
(hellblau), nur dass die Unterfelder, insbesondere die Subarea
entorhinalis ventralis Brodmanns (blau punktiert), wie schon
besprochen ward, auf dem Temporallappen sich viel weniger aus-
breitet als bei den Halbaffen.
Im ursprünglichen Laterooccipitalgebiet zeigen sich
auch dieselben Entfaltungen. Vor dem nun gut entfalteten Sulcus
cruciatus s. centralis liegt die Area magnocellularis (schwarz
punktiert), wie dies ja für die Simier ebenso bezeichnend ist als
für die Prosimier auch und hinter der Furche gelangt die soge-
nannte Regio Rolandica (grau schraffiert) wie früher zur Geltung,
allein es stellten sich hier nun bei den Simiern weitgehendere
Differenzierungen ein und es sind dann drei Unterfelder zu unter-
scheiden, welches Verhalten den Übergang zu jenem des Menschen
vermittelt.
Gleich wie bei dem Prosimier liegt hinter diesem Feld-
komplex die Area praeparietalis.
Mit dem bessern Hervortreten des vorderen Schenkels der
Bogenfurche (Fig. 4A, bf) wird ein ganz bestimmtes Feld (violett)
der Area praeparietalis gegenüber scharf begrenzt, ein Feld, das
nach hinten bis zur Sylvischen Furche (fs) reicht. Der Struktur
nach ist dieses Feld das siebente Brodmanns, die Area parletalis
superior, also jenes Feld, das ich auch schon früher dem dorsalen
Rest des Gyrus medianus der Musteliden gleichstellte und das
wir auch bei den Halbaffen als ein im oberen Teil im Pallium
eroberndes Feld erkannt haben, und welches gleich wie dort auch
auf die mediane Seitenwand des Mantels bis zum Fornikalgebiet
übergreift (Fig. 4 B, violett). Die etwas geringere Fläche dieses
Feldes wäre mit dem Auftritt der Affenspalte (af) bei den Simiern
wohl in Zusammenhang zu bringen, indem ein Teil von diesem
Felde in die Spaltenwand gerät. Auch für die Simier gilt
somit die Aufnahme mancher Feldteile in die Reilsche Insel
vielleicht in noch höherem Grade als für die Prosimier, da ja
Die Mantelgebiete des Grosshirns. 313
bei jenen nicht nur der ganze ventrale Abschnitt des Median-
gyrus und der vordere Schenkel des Bogengyrus in die Tiefe ver-
sanken, sondern auch der Gyrus s. Lobus insularis aus dem
ventralen Stirngebiet (Fig. 2, 3, braun) in die Insel einverleibt
wurde.
Der hintere Abschnitt des Laterooccipitalgebietes, das von
Anfang an, mit den Musteliden beginnend nämlich, ein einheit-
liches Feld war, zeigt bei den Simiern die gleichen Nebenfelder
wie bei Prosimiern. Vorne Brodmanns 19. Unterfeld, die
Subarea praeoceipitalis (Fig. 4, dunkelblau), mit dem Unterschied
freilich, dass durch Bildung der Affenspalte dorsalwärts ein Teil
eingesunken ist, dann aber auch eine etwas grössere Fläche
medianwärts (Fig. 4B). Das 18. Unterfeld, die Subarea oceipitalis
Brodmanns (blau mit unterbrochenen Linien schraffiert), zeigt
so ziemlich dieselbe Flächenausdehnung wie bei den Halbaffen
und Gleiches gilt wohl auch für den Calkarinentypus der Subarea
striata (mittelblau), denn was an der medianen Fläche infolge
der grösseren Entfaltung der Subarea praeoccipitalis eingebüsst
ward, wird durch Gesamtzunahme des Oceipitallappens aus-
geglichen.
Eigenartiges zeigt sich im Inselgebiet, das aber als ein
Übergang zum Menschen gilt. Die Abnahme des Bogengyrus,
d. h. seines vorderen Schenkels können wir nicht etwa als eine
Einbusse betrachten, vielmehr diente er zum weiteren Ausbau
der Reilschen Insel, ob aber auch die Abnahme des hinteren
Schenkels (Fig. 4 A, grün) so aufzufassen sein wird oder als ein
blosses Verdrängtwerden durch eine andere Rindenformation,
darüber müssen zukünftige Untersuchungen entscheiden. Tatsache
ist, dass dieser Schenkel sich in dem Maße verkleinert, wenn wir
den Menschen in Betracht ziehen, als die Formation des ursprüng-
lichen Interkalargyrus (Fig. 2, gelb) zunimmt, denn dieses Unter-
gebiet hat nicht nur stark zugenommen und besetzt jetzt den
grössten Teil des Temporallappens (Fig. 4, gelb), sondern gliedert
sich auch stärker in Felder.
Bei dem Menschen geht die Feldgliederung ungemein
viel weiter und es stellen sich nun auch Unterfelder erster und
wohl auch zweiter Ordnung ein, vielleicht geht es aber auch noch
viel weiter. Die immense Zunahme des Stirngebietes sowohl
314 B. Haller:
wie des Occipitallappens sind ja Hauptkennzeichen für das
menschliche Pallium und im Stirngebiet erfolgt eine unendliche
Unterfeldgliederung im Vergleich zu den Simiern. Ich habe nur
die Subregio frontalis inferior (Fig. 5, rotschraffiert) ausser den
vorigen Teilen eingezeichnet. Dieses Feld ist ja für den Menschen
höchst charakteristisch, denn es fasst das vordere Sprachzentrum
in sich und die Larynxmuskulatur wird durch dasselbe beherrscht.
Den Halbaften und Affen gegenüber zeigt die geringste
Unterfeldgliederung neben dem hintersten Untergebiet des
Laterooccipitalgebietes das vordere. An letzterem sehen
wir immer wieder dieselben Felder wiederkehren. Vor dem
Suleus centralis liegt in diesem Gebiet (grau) die Area magno-
cellularis (schwarz punktiert), genau so wie bei den Simiern, hinter
ihm liegen die Rolandoschen Unterfelder (grau schraffiert).
Freilich macht sich in diesen eine weitere Gliederung in sekundäre
Unterfelder bemerkbar. Um so auffallender ist das Verhalten
des ursprünglichen Mediangyrus-Untergebietes.. Es nimmt eine
grössere Flächenausdehnung (violett) ein, als bei den Simiern,
so grosse etwa wie bei den Prosimiern, was ich aber bei dem
Menschen mit dem fast völligen Zurücktreten der Affenspalte (af)
in Beziehung bringen möchte, und auch die beiden Schenkel
der Bogenspalte, die beim Menschen den Sulcus interparietalis
darstellen (Fig. 5 A, bg), dürften infolge ihrer geringen Tiefe nicht
viel verschlingen. Immerhin ist auch eine verhältnismässige Ver-
grösserung dieses Untergebietes eingetreten und Hand in Hand
damit eine Feldergliederung. Dieses Untergebiet ist die Regio
parietalis der Autoren. Es gliedert sich in ein vorderes unteres
Feld (violett punktiert), die Area parietalis infer. ant. (s. supra-
marginalis), s. parietal. infer. post., in die Subarea (s. angularis)
und in die Area parietalis superior. Der Oceipitallappen zeigt
im wesentlichen nichts Neues als eben die starke Vergrösserung.
Wir finden in ihm die drei Felder wieder: die Area praeoceipitalis,
oceipitalis und striata (dunkelblau, mittelblau, blau gestrichen).
Im Inselgebiet ist nun der grösste Teil des Bogengyrus
in die Insel einbezogen worden, wie denn auch schon in früheren
phyletischen Stadien, und es bildet jetzt aber auch wie schon bei
den Simiern die Reilsche Insel mit ihren Gyri breves und
(. longus einen komplizierten Mantelteil des Grosshirns, dessen
phyletische Entfaltung vor Augen liegt. Zukünftige Untersuchungen
(eb) |
Die Mantelgebiete des Grosshirns. 3l
bezüglich der Hirnrinde werden in dankbarster Weise diesen nun
festgestellten Werdegang berücksichtigen.
Bezüglich des Temporallappens gilt fast dasselbe wie für
die Affen, freilich mit Berücksichtigung der weiteren Unterfelder-
gliederung: Das ursprüngliche Interkalarfeldgebiet hat den
grössten Teil von ihm erobert.
Fassen wir nun den Werdegang des Grosshirnpalliums der
Nager, Carnivoren und der gesamten Simier noch einmal ein-
heitlich zusammen, so ergibt sich folgendes: Das dorsale
Pallium gliedert sich in vier Gebiete, in das Stirn-,
Kornikal-, "Dorsooceipital- "und@Inselgebiet: In
einem späteren Stadium zerfällt das Dorsooceipital-
gebiet in drei Untergebiete, in ein oberes, unteres
(Mediangyrus-Untergebiet) und ein occipitales
(Occipitallappen). Das Temporalgebiet senkt sich
zum geringen Teile mit dem Auftreten der Sylvi-
schen Furche ein zur Insel und gliedert sich dann
Ineein Bogenfurchen- und Interkälar-Untergebiet.
Während dann bis zum Menschen hinauf das Stirn-
gebiet keinen Eingriff von anderen Gebieten aus
zulässt, greift es dafür auch nicht in andere Ge-
biete ein. Gleiche Wege geht das Fornikalgebiet,
mit dem Unterschiede, dass einstärkeres Umgreifen
des Temporallappens zeitig stattfinden kann (Pro-
simier), aberdann wieder ausgeglichen wird (Simier).
Dieser immerhin geringen Verschiebung gegenüber
ist das Verhalten des Dorsooccipitalgebietes und
desInselgebietes ein auffallendes, was bedingt wird
erstensdurch die Inselentfaltung und zweitens durch
zwei starke Ausbreitungen. Durch die Inselbildung
wird nicht nur ein Teil des Mediangyrus-Unter-
gebietes zum oberflächlichen Verschwinden ge-
bracht, sondern auch ein Teil des äusseren Insel-
gebietes selbst; während dann ersteres eine höhere
Kompensation erfährt durch die dorsale Entfaltung
des noch alssolchen erhaltenen Mediangyrus-Unter-
gebietes, wird der Rest des Bogengyrus-Unter-
gebietes aber eingeengt durch eine hohe Entfaltung
des Interkalar-Untergebietes.
316 B. Haller:
Unsere Manteleinteilung ist somit folgende:
1. Frontalgebiet, Regio fornicalis,
I. Hauptgebiete | 2- Fornikalgebiet, R. frontalis,
(Regiones) | 3. Laterooceipitalgebiet, R.laterooceipitalis,
| 4 Inselgebiet, R. insularis,
diese zerfallen zum Teil in I. Untergebiete (Subregiones),
und zwar zerfällt das dritte Gebiet in das:
1. obere Untergebiet, Subregio gyri genicularis,
2. untere Untergebiet, Subregio gyri mediani,
3. Oceipital-Untergebiet, Subregio oceipitalis.
Das vierte Gebiet zerfällt in das:
1. Bogengyrus-Untergebiet, Subregio gyri arcuati,
2. Interkalargebiet, Subregio gyri intercalaris.
Die Untergebiete zerfallen in Haupt- und Unterfelder,
Areae et Subareae, letztere in primäre, sekundäre etc. Unterfelder.
Selbstverständlich kann das Bestimmen eines Unterfeldes,
ob primär oder sekundär, stets nur durch die Vergleichung mit
niederen Zuständen erfolgen, wofür noch manches zu machen
wäre und worauf ich mich hier darum schon nicht einlassen möchte.
Hier möge noch zum Schlusse einiges über die Homologie
der Gyri und Sulei gesagt werden, und zwar hauptsächlich in
wücksicht auf die besprochene Formenreihe.
Wie ich seinerzeit gezeigt zu haben glaube (6), gibt es
gewisse Urfurchen am dorsalen Pallium, an deren Homogenität
kaum gezweifelt werden kann und die sich schon in sehr frühen
phyletischen Zuständen und zu einer Zeit sich zeigen, in der
eben die ersten Zeichen einer Gyrencephalie auftreten, denn
diese Urfurchen sind eben die ersten Vertiefungen auf dem
Palliumrelief. Hierher gehört die Sylvische Spalte, deren
allgemeine Homogenität ja auch nie bezweifelt wurde, dann die
Lateralfurche, die Zentralfurche oder Kreuzfurche, auch Rolando-
sche genannt, und die primäre Bogenfurche. Diese zeigen sich
schon bei Marsupialiern, kehren wieder bei Edentaten und wo die
niedersten Furchenbeginne bestehen, zeigt sich wenigstens die
Sylvische und die Lateralfurche wie bei den Makrochiropteren.
Dann kommen diese Urfurchen bei den niederen Carnivoren,
den Musteliden nämlich, am besten zum Ausdruck, also dort, wo
zum ersten Male in der aufsteigenden Reihe die Feldergliederung
ganz ausgesprochen und fester umschrieben erscheint. Hier sind
Die Mantelgebiete des Grosshirns. 317
dann diese Furchen wohlgekennzeichnete Grenzen solcher Gyri,
die ebensolche begrenzte Mantelgebiete in sich fassen. Dies-
bezüglich muss ich auf unsere Mantelkarte auf Fig. 2 verweisen,
Dieser wohlumschriebene Zustand beginnt schon bei den
Nächstverwandten der Musteliden Störungen zu erleiden und wir
werden die Grösse dieser erst dann zu bemessen imstande sein,
wenn der Grosshirnmantel der höheren Carnivoren so genau
auf seine Cytoarchitektonik erkannt sein wird, wie es jener der
Musteliden und der Simier zurzeit ist. Letzterer Umstand
gestattet uns denn auch einen weiteren Einblick bezüglich der
Gyri und Sulei bei diesen.
Was zunächst die Kreuzfurche der Carnivoren betrifft, so
zweifle ich nicht an ihrer Homologie mit der Zentralfurche der
Simier. Ein Zweifel hierüber lag früher darin begründet, dass
bei den Carnivoren die Area magnocellularis vor, bei den Simiern
aber hinter der Furche liegt. Diesen Zweifel glaube ich dadurch
‚beseitigt zu haben, dass ich zeigte (7), dass die Lage der Riesen-
zellen unter der Furche auch vor diese bei Musteliden oralwärts
vorgreift, und dass aus diesem Verhalten sowohl eine prae- als
postsulcale Lage der Area magnocellularis, je nachdem abzuleiten
ist, ob die vordere oder hintere Lage dieser Zellen sich erhaltend
vermehrt. Damit ist dann der Beweis dafür erbracht, dass bei
sonst begründeter gleichmässiger Lage — diesmals stets hinter
dem Stirngebiet — eine bestimmte Rindeneigentümlichkeit die
Homogenität einer Furche nicht zu bestimmen in der Lage sei.
Denn wenn zwischen zwei Wasserbecken ein Graben sich findet,
so ändert sich dieser durch die Trockenlegung des einen Wasser-
beckens doch nicht, oder mit anderen Worten, bezüglich der
Furche hat sich nur die Topik der Gegend geändert und man
könnte höchstens die totale Homologie in eine inkomplette ver-
wandeln. Und so verhält es sich schliesslich auch mit der
Sylvischen Furche. Von der Lateralfurche können wir es mit
Sicherheit behaupten, dass sie sich auf die Simier nicht vererbt.
Anders verhält es sich mit der Bogenfurche, wenigstens mit
der primären der Carnivoren, mit der bei Musteliden. Diese
glaube ich mit einiger Sicherheit bei den Simiern im engern
Sinne wiederzuerkennen und selbst bei den Pronsimiern, trotz
ihrem neotonischen Verhalten bezüglich der Palliumoberfläche des
Grosshirns, handelt es sich doch hier um eine weit grössere
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. 21
318 B. Haller:
Inkomplettheit als bei der Zentralfurche. Die primäre Bogen-
furche oder auch Arcus suprasylvius primarius kann gut erhalten
sein unter den Simiern wie bei Semnopithecus und Cebus. Dorsal-
wärts mündet in diesen Bogen die Querfurche, die Fissura parieto-
oceipitalis medialis bei Cebus, also wie auf Fig. 4, doch kann
diese Verbindung auch unterbleiben wie bei Semnopithecus. Jeden-
falls fehlt diese Querverbindung bei den Halbaffen, ist somit eine
durch die Simier erworbene Einrichtung, eben diese Affenspalte,
oder doch deren oberes Ende, doch zeigt sie sich noch einiger-
maßen beim Menschen, doch ohne Zusammenhang mit der Bogen-
furche, die hier Sulceus interparietalis heisst. Diese in ähnlicher
Lagerung findet sich ja auch bei den Halbaffen (Fig. 3 A, bf).
Ich halte sie für ein Homologon der Bogenfurche der Musteliden,
also der primären Bogenfurche der Üarnivoren, doch ist ihre
Homologie wegen der Verschiedenheit der angrenzenden Rinden-
teile ebenso inkomplett als jene der Kreuz- und der Sylvischen
Furche.
Allen anderen Furchen der Simier gegenüber muss aber
gesagt werden, dass eine Homologisierung undurchführbar sei.
Während ich auf Grund meiner Beobachtungen an Miero-
chiropteren (7) und dem Igel (8) zu dem Schlusse gekommen
bin, dass die Gliederung des dorsalen Mantels oder des sogenannten
Neopalliums der Länge nach erfolgt und jener Viergebiets-
gliederung bei der Maus sogar eine Zweigebietsgliederung der
Länge nach bei obigen Formen voranging und mit der höheren
Gliederung auch eine Zunahme der Schichtenzahl der Rinde in
Zusammenhang steht, ist Brodmann zu ganz anderen Ergeb-
nissen gelangt. Nach ihm (4) ist die sechsschichtige Rinde bei
den Säugetieren allgemein, und damit beginnt auch die Gebiets-
gliederung. Doch Rückbildungen der Schichten bei niederen
Formen führen nach ihm zurück zu ursprünglichen Zuständen,
von denen aus wieder aufgestiegen wird(!). Demnach beziehen
sich die Zustände niederer Formen, wie etwa der Igel ist, auf
Rückbildung. Die Gebietsgliederung ist aber nach Brodmann
gleich von Anfang an keine der Länge des Mantels nach gerichtete,
sondern eine der Quere nach orientierte, denn der Grundriss der
Die Mantelgebiete des Grosshirns. 319
Gliederung des Grosshirnmantels wird nach ihm beherrscht „durch
das Prinzip der Segmentation“ (4, pag. 199). Dieser Ausdruck an
und für sich ist ja schon höchst bedenklich.!)
Leider lässt sich Brodmann auf meine Auseinander-
setzungen bezüglich der von mir betonten zwei phyletischen
Stadien überhaupt nicht ein und weder das Pallium der Maus
noch jenes des Marders findet bei ihm eine eingehendere Berück-
sichtigung, sondern bei den Nagern wählt er gleich höhere
Zustände und bei den Sohlengängern Cercoleptes, also auch eine
im System höher stehende Form. Bei diesen aber haben auch
schon eigenartige Weiterbildungen stattgefunden, und doch wie
sehr lässt sich Brodmanns Karte über Cercoleptes (l. c.,
Fig. 104 und 105) mit den Verhältnissen auf meiner Karte bei
dem Marder noch in Einklang bringen, trotz der eigenartigen
Gliederungen der Felder, selbstverständlich für letztere die
Richtigkeit Brodmanns Karte vorausgesetzt, für die er keine
Rindenbilder als Beweis mitgibt.
Brodmanns niederster Zustand, mit dem er beginnt, wäre
somit das Igelpallium, das aber, wie ich gezeigt habe (8), so
ziemlich ein Zwischenglied zwischen Mikro- und Makrochiropteren-
mantel wäre — selbstverständlich ohne Rücksicht auf die
systematische Stellung des Tieres. Nun sehen wir auch diese
Mantelkarte an, für die ich gleich bemerke, dass es Riesenzellen
bei dem Igel noch keine gibt. Es handelt sich um den dorsalen
Mantel, das Neopallium, und es wäre ein grosser Fehler, das
Geruchsgebiet hier mit den Zuständen im dorsalen Mantel zu
vermengen, wie dies leider Brodmann bis zu einem gewissen
Grade getan hat. Die Fissura rhinalis gibt die Grenze genau an.
An dem dorsalen Mantel unterscheidet Brodmann das
Inselgebiet (13—16) — wenigstens diese eine Benennung hat er
von meiner Nomenklatur angenommen — ein durchaus längs des
Palliums noch orientiertes Stück nach seiner Karte, dorsooceipital-
wärts das „verkümmerte Homologon der Area striata“ und
!) Damit soll aber, wie Brodmann bemerkt, „nicht eine innere
Verwandtschaft mit den metameren Segmenten der Medulla spinalis, sondern
nur eine ganz äusserliche Analogie ausgedrückt sein“. Eine metamere
Segmentation der Medulla spinalis gibt es aber überhaupt gar nicht, so
was hat nie jemand behauptet und Brodmann meint wohl die Ursegmente
des gesamten Körpers, denen die Spiralnerven entsprechen.
[1
21*
320 B. Haller:
zwischen beiden ein grosses Längsgebiet, das in vier hinter-
einander gelegene Felder zerfallen soll. Ja, wo ist hier die
Quergliederung? Zeigt seine Karte im wesentlichen nicht eine
Längsgliederung? Oder beruht dies alles nur auf Rückbildung?
Darin liegt bei Brodmann ein grosser Fehler, wie ich
schon zweimal darauf hingewiesen habe, dass er nicht den
bewährten Weg des phyletischen Werdeganges wählte und von
niederen zu höheren Formen aufsteigt, sondern gerade umgekehrt,
also ganz verkehrt verfährt. So entstand dann auch die völlig
irrtümliche Auffassung von einer Quergliederung des Grosshirn-
mantels. Etwas scheinbar solches ist ja freilich da, wenn man
die höchsten Stadien, etwa das beim Menschen, betrachtet, doch
der Werdegang zu diesem ist ein ganz anderer, wie in vor-
liegender Schrift und in meiner Arbeit über die Phylogenese der
Grosshirnrinde (7) gezeigt wurde.
Jedenfalls wäre es zu wünschen gewesen, wenn Brodmann
seine Karten — die Simier im allgemeinen meine ich nicht —
besser durch Rindenschnitt-Abbildungen gestützt hätte, besonders
beim Igel, wo ihm, wie ich es aus eigener Erfahrung weiss,
manche Beobachtungsfehler unterlaufen sind. Denn schliesslich
genügt es doch nicht, bloss die Ergebnisse einer Untersuchung
mitzuteilen, es müssen auch die Wege gezeigt werden, die zu
diesen hinführten, denn nur dann kann ein anderer die jeweilige
Zuverlässigkeit beurteilen. Jedenfalls war es nicht richtig, dass
3rodmann meine Ergebnisse ganz unberücksichtigt liess, diese
hätten diskutiert werden müssen.
Heidelberg, im Juli 1910.
Literaturverzeichnis.
1. Brodmann, K.: Die Rindenfelder niederer Affen. Journal für
Psychologie und Neurologie, Bd. 4, 1909.
2. Derselbe: Beiträge zur histologischen Lokalisation der Grosshirnrinde.
Ebendort, Bd. 6, 1906.
3. Derselbe: Die Cortexgliederung des Menschen. Ebendort, Bd. 10, 1907.
4. Derselbe: Vergl. Lokalisationslehre der Grosshirnrinde. Leipzig 1909.
&. Derselbe: Feinere Anatomie des Grosshirns.. In M. Lewandowskys
Handbuch der Neurologie, Bd. 1.
Die Mantelgebiete des Grosshirns. 321
6. Haller, B.: Beiträge zur Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere.
Arch. f. mikr. Anat., Bd. 69, 1906.
7. Derselbe: Die phyletische Entfaltung der Grosshirnrinde. Ebendort,
Bd. 71, 1908.
8. Derselbe: Die phyletische Stellung der Grosshirnrinde der Insektivoren.
Jenaische Zeitschr. f. Naturwissensch., Bd. XXV, 1909.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XV.
rosa —= Frontalgebiet; hellblau = Fornikalgebiet; grau — Latero-
occipitalgebiet; grün — Inselgebiet: gelb — Interkalargebiet; violett —=
Mediangyrus - Untergebiet; blau = Oceipital - Untergebiet; schwarz
punktiert = Area magnocellularis; fs — Fossa Sylvii; bf = Bogenfurche;
s' — Kreuz- oder Zentralfurche; s’' — Lateralfurche; bg — Affenspalte.
Fig. 1. Links Topographie des Grosshirnmantels der Maus; rechts dieselbe
einer hypothetischen Form.
Fig. 2. Grosshirn von Mustela, A von der linken, B von der inneren
Seite (mediosagittal durchschnitten).
Fig. 3. Dasselbe eines Haibaffen.
Fig. 4. Dasselbe eines Affen.
Fig. 5. Dasselbe des Menschen.
Die drei letzten Abbildungen sind zwar nach Brodmann, doch die
Hauptgebiete nach eigener Ermittlung.
>
[&)
WI
Aus dem Institut für Pathologie und Bakteriologie in Bukarest.
Über die Entwicklung der Langerhansschen Inseln
bei menschlichen Embryonen.
Von
Dr. Theodor Mironescu
Privat-Dozent und Sektionschef am Institut für Pathologie und Bakteriologie
in Bukarest.
Das Studium der Entwicklungsgeschichte der Langerhans-
schen Inseln hat insofern ein Interesse, als in der letzten Zeit
von verschiedenen Seiten diesen Gebilden eine besondere Bedeutung
für die Physiologie des Pankreas zugeschrieben wird.
Nach Laguesse') kann man in der Entstehung der Inseln
zwei Etappen unterscheiden. Die erste, welche als „primäre
Ilots“, und die zweite, welche als „sekundäre Ilots“ bezeichnet wird.
Diese etwas komplizierte Entstehungsart wurde nicht von
allen Forschern, welche sich mit dieser Frage beschäftigten, an-
genommen. Küster?) hat die Entwicklung der Langerhans-
schen Inseln bei sechs Embryonen von 9—32 Wochen studiert.
Er fand eine auffallende Differenz zwischen der Zahl der Inseln
im Verhältnis zur Zahl der Drüsenaeini bei Neugeborenen und
bei Erwachsenen. und zwar vielmehr im Pankreas bei Neugeborenen,
als bei Erwachsenen. Küster glaubt nicht, dass sich im späteren
Embryonalleben, oder nach der Geburt die Zahl der Inseln
vermehrt.
Die ganz enorme Grössenzunahme des Pankreas von der
(Geburt bis zur Zeit, wo es ausgewachsen ist, ist nach Küster
durch Vermehrung und Wachstum der drüsigen Elemente bedingt.
Die erste anatomische Differenzierung der Inselzellen tritt nach ihm
in der 14. Woche auf. Er nimmt auch die Möglichkeit an, dass
!) Laguesse: Journal de l’anatomie et de la physiologie 1894,
1895, 1896.
°) Dr.H. Küster: Zur Entwicklungsgeschichte der Langerhansschen
Inseln im Pankreas beim menschlichen Embryo. Arch. f. mikrosk. Anat. und
Entwicklungsgesch.,. Bd. 64.
as)
Die Entwicklung der Langerhansschen Inseln. 32:
schon vor dieser Zeit in den Drüsengängen einzelne Zellen vor-
kommen, die durch ihr verändertes Aussehen eine Unterscheidung
von echten Drüsenzellen gestatten, und glaubt, dass nicht aus
jeder beliebigen Pankreasdrüsenzelle etwa eine Inselzelle werden
könne, sondern nur aus ganz bestimmten, die von vornherein
zur Entwicklung der Inseln bestimmt sind.
Pearce,') welcher sich ebenfalls mit dieser Frage beschäftigt
hat, glaubt, dass die Langerhansschen Inseln Abkömmlinge
der Drüsengänge sind. Während er in ganz frühen embryonalen
Zuständen keine Andeutung von Zellinseln fand, stellte er solche,
bei menschlichen Embryonen, von 54 mm fest. Die Zelleninseln
entstehen hier aus dem primitiven Pankreasparenchym,. sie hängen
zunächst noch deutlich, später durch Brücken mit demselben
zusammen, und sind mit Eosin besonders gut färbbar.
Die Vascularisation beginnt erst bei 9+tägigen Embryonen.
Das in besonders grosser Masse vorhandene Bindegewebe trennt
später diese primitiven Zelleninseln von dem Parenchym.
Die Zelleninseln treten nach Pearce erst im Schwanz des
Pankreas, später im Kopfe auf.
Helly°?) hat die Entwicklung der Langerhansschen Inseln
bei Embryonen von Meerschweinchen studiert. Nach ihm treten
schon zu sehr früher Zeit, in der die Pankreasanlage noch eine
solide Knospe bildet, zwischen den Zellen derselben einzelne
hervor, welche sich durch eine in der Nähe des Zellkernes be-
ginnende Verdichtung des Protoplasmas auszeichnen. Diese Vor-
läufer der Langerhansschen Inseln bilden zunächst an den
primären Pankreasgängen eine vielfach unterbrochene äussere
Zellenlage des mindestens doppelreihigen Epithels derselben.
Nach allen diesen Forschern treten die Langerhansschen
Inseln schon in früherer Embryonalzeit als anatomisch differen-
zierte Gebilde auf. Die erste Anlage sollte durch Sprossung aus
den Drüsengängen entstehen und schon charakteristische Merk-
male zeigen.
Nach Marchand und Karakascheff erfolgt die Ditie-
renzierung in Drüsenparenchym aus der ersten Anlage der Drüsen-
gänge in folgender Weise: Die Gänge senden Sprossen oder
!) Pearce: Am. journ. of anat. II, 1903.
?) Helly: Studien über die Langerhansschen Inseln. Arch. f.
mikrosk. Anat. und Entwicklungsgesch., Bd. 67.
324 Theodor Mironescu:
Zapfen aus, die meist aus einer Reihe aneinanderfolgender, hoher
Zellen gebildet werden, wie sie z. B. in einer Inselschleife an-
geordnet sind. Diese Sprossen und Zapfen schwellen entweder
bald nach ihrer Entstehung zu Kölbchen an, um sich in Drüsen-
acini, oder weiter in Drüsengänge zu differenzieren, oder sie
wachsen stark in die Länge, indem sie sich verschiedentlich ver-
zweigen und untereinander oder äuch mit solchen von den be-
nachbarten Gängen kommenden verflechten, um so Inseln zu bilden.
Diese Sprossen und Zapfen sind selbstverständlich sowohl
im ersten, als auch im zweiten Falle immer von Blutkapillaren
begleitet.
Die Inseln differenzieren sich ihrerseits weiter auf die
beschriebene Weise zu Acini, welche sich um die Inseln gruppieren
und zusammen ein Läppchen bilden. Nach vollendeter Ent-
wicklung des’ Parenchyms bleiben (nach Marchand und
Karakascheff!) die noch erhaltenen Inselreste als ruhende
Langerhanssche Inseln bestehen, die imstande sind, bei Ab-
nützung und Zugrundegehen von Drüsenparenchym einen Ersatz
für dasselbe durch Bildung neuer Acini zu schaffen. Sie stellen
gewissermassen Vorstufen der Entwicklung des Drüsenparenchyms,
und im späteren Leben Reserveorgane dar.
Die Anschauung Karakascheffs über die Umwandlung
der Inseln in Pankreasgewebe wurde von Herzheimer bekämpft.
Dieser Forscher behauptet, die Entstehung der Langerhans-
schen Inseln aus dem Gewebe der Acini deutlich verfolgen zu können.
Laguesse’) entwickelt in einer neuen ausgezeichneten
Arbeit seine Theorie über die Umwandlung des Pankreasdrüsen-
(rewebes in Inseln. Nach ihm besteht ein „Balancement“ zwischen
dem fortwährend aus dem Drüsenacini neugebildeten Inselgewebe
und der nach einiger Zeit wieder eintretenden Umwandlung dieser
(rewebe in Drüsenacini. Auf diese Weise finden wir bei Laguesse
eine Erklärung für die Meinungsverschiedenheit zwischen
Marchand und Karakascheff einerseits und Herzheimer
andererseits.
!), Karakascheff: Neue Beiträge zum Verhalten der Langer-
hansschen Inseln bei Diabetes mellitus und zu ihrer Entwicklung. (Deutsch.
Arch. f. Klinische Medizin, 1906, Bd. 87.)
?) Laguesse: Archives d’Anatomie microscopique, T. XI, Fase. 1.
Die Entwicklung der Langerhansschen Inseln. 32)
Schon aus diesem kurzen Überblick über die Wandlung der
Anschauungen der Entwicklung dieser Inseln, geht hervor, dass
diese Frage noch nicht als erledigt betrachtet werden kann.
Um nun eine eigene Meinung über diese Frage zu gewinnen,
haben auch wir versucht, eine Serie von 16 menschlichen Embryonen,
die uns zur Verfügung standen, in dieser Richtung zu studieren.
Über das Alter dieser Embryonen können wir folgende Angaben
machen: Fall I 4—5 Wochen, Fall II 8—9 Wochen, Fall III, IV,
V und VI zwischen der 12.—15. Woche, weiter haben wir vier
Fälle von 5—6 Monaten, andere vier Fälle von 7—S Monaten
und drei von Neugeborenen.
Es würde zu weit führen, wenn wir alle diese Fälle aus-
führlich beschreiben wollten.
Wir fixierten unsere Embryonen in Zenker oder Alkohol
mit Formol, und als Einbettung haben wir Oelloidin und Paraffin
gebraucht. Die jüngeren Embryonen (Fall I und II) waren ganz
eingebettet. Bei den anderen Embryonen wurde das Pankreas
am Kopfe mit einem Stück Duodenum und am Schwanze mit der
Milz herausgenommen, so dass wir sicher waren, den ganzen
Kopf und auch den ganzen Schwanz zur Untersuchung zu haben.
Die Länge des so herausgenommenen Pankreas beträgt bei
dem Embryo im dritten Monat 1 cm (Länge des Embryos 9— 10 cm).
Im fünften Monat maß das Pankreas 2—2!/s cm. Bei Neu-
geborenen gewöhnlich 3—4 cm.
Die Schnittrichtung war für die im ganzen eingebetteten
quer, während die herausgenommenen Pankreas teilweise längs
durch das ganze Pankreas, teilweise quergeschnitten waren. Durch
die Längsschnitte haben wir auch die Verteilung der Inseln im
Pankreas feststellen können.
Als Färbung haben wir die van Gieson-Färbung mit
Eisenhämatoxylin (Weigert), Giemsa-Färbung, Thionin oder
Methylenblau angewendet und dabei die van Gieson-Häma-
toxylin-Färbung besonders geeignet gefunden.
Was nun die Entwicklung der Langerhansschen Inseln
anbetrifft, so können wir nach unseren Untersuchungen sagen,
dass bei den ganzen jungen Embryonen von einer Differenzierung
solcher Gebilde noch keine Rede sein kann.
Bei Embryonen von 9—10 cm Länge war von den Inseln
noch nichts zu sehen; es waren nur Drüsenaeini und Drüsengänge
326 Theodor Mironesenu:
bemerkbar. Die Drüse ist durchweg von Zwischengewebe und
Drüsenschläuchen gebildet. Das Zwischengewebe, welches ziemlich
stark entwickelt ist, ist embryonales Bindegewebe mit vielen
sternförmigen Zellen, aber auch mit zahlreichen Fasern dazwischen,
welche Säurefuchsin ziemlich gut fixiert (bei der Färbung nach
van Gieson)
Die Drüsenschläuche werden von Zylinderepithel gebildet
mit basal stehenden Kernen. Das Lumen ist meist deutlich zu
sehen, doch findet man auch reine Epithelzellenhaufen ohne
Lumen. Diese Zellenhaufen sind meistens Sprossungen neuer
Kanäle. Man sieht nichts von den, von verschiedenen Forschern
beschriebenen Zellen, welche als die erste Anlage der Langer-
hansschen Inseln betrachtet werden könnten. Die Drüsengänge
sind ziemlich weit und mit gleichartigem Zylinderepithel aus-
gekleidet; eine Verschiedenheit zwischen diesen Zellen ist nicht
festzustellen.
Auch bei älteren Embryonen von 17—18 Wochen (Fall VII)
finden wir noch dasselbe Bild. Die Langerhansschen Inseln
sind noch gar nicht angedeutet. Das Pankreas hat eine Länge
von 2 cm. Das Zwischengewebe ist hier etwas zurückgetreten
im Verhältnis zu dem Drüsenparenchym. Das Drüsengewebe ist
aus Drüsenacinis und Drüsengängen gebildet. Das Epithel ist
gut ausgeprägt. Hie und da sieht man, dass die Drüsenschläuche
eine Art Schleifung zeigen, so dass sie das Bild einer Langer-
hansschen Insel andeuten. Solche Gebilde trifft man aber doch
ziemlich selten, und sie finden sich ungefähr in derselben Zahl
am Kopfende, wie am Schwanzende des Pankreas. Von irgend
einer Differenz zwischen den Fpithelzellen dieser Gebilde und
denjenigen des übrigen Parenchyms kann noch keine Rede sein.
Es ist richtig, dass in einigen Präparaten die Grenzen der Zellen
dieser Gebilde nicht deutlich zu sehen waren. Wir glauben aber,
dass es in diesen Fällen sich um eine ungenügende Fixation
handelte und nicht um ein Syneytialgewebe, wie es einige Autoren
beschrieben haben. Die Epithelzellenhaufen ohne Lumen, die
man in solchen Präparaten findet, erweisen sich in der Serie als
Schnitte durch die Kuppen der Gangenden oder als Schrägschnitte.
Erst in dem Pankreas von älteren Embryonen (über fünf Monate),
sieht man deutliche Inseln. Die Grösse der Inseln in ein und dem-
selben Präparat ist verschieden, es gibt deren grosse und kleine.
Die Entwicklung der Langerhansschen Inseln. 327.
Die Inseln sind durch ihre Beziehung zu den Blutgefässen
leicht erkennbar. An den Präparaten eines Fetus vom fünften
Monat, dessen Pankreas 2,5 cm Länge betrug, sieht man auf
Längsschnitten, dass das Zwischengewebe, welches immerhin im
Verhältnis zum Drüsengewebe ziemlich stark entwickelt ist, doch
etwas mehr zurückgetreten vor dem Drüsenparenchym ist.
Bei solchen Embryonen bildet das Drüsengewebe schon den
grössten Teil des Organs. Betrachtet man das Drüsengewebe
genauer, so sieht man zunächst Drüsenschläuche bald quer. bald
schief oder längs getroffen, mit gut ausgebildetem Zylinderepithel
ausgekleidet, dessen rundliche oder leicht ovoide Kerne basal
stehen. Das Lumen ist bald weit, bald eng oder gar nicht zu
sehen. Neben diesen Drüsengeweben sieht man nun auch andere
Zellenkomplexe von verschiedener Grösse.
Diese haben oft eine ganz unregelmässige Form, manchmal
sind sie gross, manchmal so klein, dass sie kaum unter den
Drüsenschläuchen zu unterscheiden sind. Sie sind aber meist
durch Bindegewebe und Blutkapillaren gut abgesetzt gegen das
umgebende Gewebe. Es ist schwer, Unterschiede zwischen .den
Zellen, die solche Komplexe bilden, und denjenigen der Acini
und Drüsengänge festzustellen. ‚Je mehr man darauf achtet, sieht
man, dass diese Zellenkomplexe aus Schleifen gebildet werden,
die durch die Entwicklung von Blutkapillaren aus ihrer früheren
Anordnung in Acini herausgedrängt sind. Die betreffenden Zellen
gewinnen so die Neigung, sieh in Bänder oder Reihen anzuordnen.
Man sieht, wie die Blutkapillaren solche Bänder von Zellen trennen.
Manchmal ist die Wand der Kapillaren nicht sehr deutlich, aber
die Gegenwart von roten Blutkörperchen, welche fast immer
ziemlich zahlreich in diesen Zellenkomplexen auftreten, lenkt die
Aufmerksamkeit auf diese Stellen.
Diese Zellenkomplexe sind nichts anderes als die Langer-
hansschen Inseln, wie sich das aus der Anordnung ihrer Elemente
und aus ihrer Lage ergibt. Sie sind zwischen den Acini und
sehr oft in der Nähe der Drüsengänge gelegen. Sie sind nicht
sehr zahlreich, man trifft ungefähr einen auf zwei bis drei
Drüsenläppchen.
In diesem embryonalen Stadium ist die Ähnlichkeit der
Inselzellen mit den Drüsenzellen noch gut erhalten. Wir konnten
nicht den Vorgang beobachten, durch welchen die Inseln von den
328 Theodor Mironescu: Die Entwicklung ete.
Drüsengängen oder von den Acini abgeschnürt werden, doch ist
in manchen Stellen eine Verbindung mit dem Drüsenparenchym
unverkennbar und wir bekommen Bilder zu sehen, wie Laguesse
sie bei Erwachsenen beschrieben hat.
Was die Verteilung dieser Inseln im Pankreas bei Embryonen
betrifft, so können wir sagen, dass auch bei diesen die Inseln
vielleicht etwas zahlreicher im Schwanz vertreten sind, als im
Kopfende des Organs.
Um die Vermehrung der Inseln zu studieren, haben wir
das Pankreas von Neugeborenen untersucht.
Wir glauben uns berechtigt, schon gleich anfangs zu sagen,
dass wir nicht der Meinung von Küster sind, der die Vermehrung
der Inseln im späteren Embryonalleben oder gar nach der Geburt
zurückweist und die unveränderliche Grösse der Inseln behauptet.
In den von uns untersuchten Präparaten des Pankreas von
Neugeborenen haben wir nicht sehr zahlreiche Inseln gefunden.
Es ist richtig, dass eine Vermehrung der Inseln im Verhältnis
zu den früheren Embryonalstadien festzustellen war, aber nicht
eine so grosse, dass bei der Grössenzunahme der Drüse eine
neue Bildung von Inseln nach der Geburt nicht anzunehmen
wäre. Wir können im Gegenteil sagen, dass wir oft bei Er-
wachsenen, besonders in dem Schwanzende des Pankreas, zahl-
reichere Inseln im Verhältnis zum Drüsengewebe als bei Neu-
geborenen gefunden haben, und mindestens in diesen Fällen eine
Neubildung von Langerhansschen Inseln nach der Geburt an-
nehmen müssen. Die Inseln entstehen wahrscheinlich auch nach
der Geburt aus dem Drüsengewebe. Eine Umwandlung des
Inselgewebes in Drüsenacini, wie es Karakascheff annimmt,
haben wir nicht beobachtet.
Wir fassen unsere Ergebnisse dahin zusammen, dass:
1. die erste Anlage der Langerhansschen Inseln durch
die Vascularisation von Epithelsprossen, die aus den
Drüsengängen und Drüsenacini hervorgehen, geschieht;
2. die Inseln nur kenntlich sind durch die Disposition ihrer
Zellen und durch ihre Beziehungen zu den Blutkapillaren;
3. die Bildung von neuen Langerhansschen Inseln wahr-
scheinlich in derselben Weise auch nach der Geburt vor
sich geht.
329
Aus dem anatomisch-histologischen Laboratorium der Universität
St. Petersburg.
Über die Beziehung der sog. „Zellen der Schwann-
schen Scheide“ zum Myelin in den Nervenfasern
von Säugetieren.
Von
Anton Nemiloff
Assistent am anatomisch-histologischen Laboratorium der Universität
St. Petersburg.
Hierzu Tafel XVI und 1 Textfigur.
Vorliegende Arbeit stellt eine Ergänzung zu meiner Ab-
bandlung im Bd. 72 des „Archiv für mikroskopische Anatomie“
dar (8), in welcher ich meine Untersuchungen über den feineren
Bau der markhaltigen Fasern bei Ganoiden und Knochenfischen
dargelegt habe.
Das Wesentliche meiner damaligen Beobachtungen, welche
ich durchaus nicht geneigt war, auf die markhaltigen Fasern
anderer Tiere auszudehnen, bestand darin, dass das Mark der
Nervenfasern sein eigenes protoplasmatisches Stützgerüst besitzt,
welches, wie es bereits Paladino (9, 10) angenommen hat,
von den Verzweigungen derjenigen sternförmigen Zellen gebildet
wird, die von innen dem Neurilemm anliegen und gewöhnlich
als „Zellen der Schwannschen Scheide“ bezeichnet werden.
Diese Zellen bilden mit ihren Fortsätzen eine Art von schwammiger
Masse, deren sämtliche Hohlräume vom Nervenmarke (Myelin)
angefüllt sind. In jedem interannullären Segment sind mehrere
derartige Zellen gelagert, welche äusserst eng miteinander ver-
bunden sind, infolge des Umstandes, dass die Fortsätze einer
Zelle direkt in diejenigen einer anderen übergehen. Bei der
Extraktion des Myelins mit Chloroform oder Äther bleibt dieses
Skelettin Gestalt des sog. „Neurokeratinnetzes oder -hülle“ erhalten.
Einige dickere Balken dieses protoplasmatischen Skelettes ordnen
sich schräg, in einem spitzen Winkel zum Achsenzylinder an und
330 Anton Nemiloff:
erwecken auf Osmiumpräparaten, seltener auf frischen, den Ein-
druck von sog. „Lantermanschen Einkerbungen“. An den-
jenigen Präparaten, auf welchen infolge der Bearbeitung das
Stützskelett nicht vollkommen erhalten ist, verbleiben in der
Mehrzahl der Fälle nur diese dickeren Balken in Gestalt der
sog. „Zwischentrichter“. Die Ranvierschen Schnürringe werden
hauptsächlich von der Schwannschen Scheide erzeugt, welche
an diesen Stellen einen Ring („Zwischenring“) bildet. Der
Achsenzylinder zieht, durch denselben unverändert hindurch,
während die sog. „Gerinnselscheide* an dieser Stelle etwas
abgehoben wird und sich an den Rand des Zwischenringes anlegt,
infolge dessen bei gewisser Behandlung der Nerven an derartigen
Stellen die sog. bikonischen Verdiekungen entstehen.
In Anbetracht dieser Befunde war es für mich wichtig, klar-
zustellen, ob nicht etwas Ähnliches in den markhaltigen Fasern
der höheren Wirbeltiere, der Säugetiere, beobachtet werde und
im Falle eines positiven Befundes festzustellen, ob hier eine
vollkommene Identität der Strukturverhältnisse vorliegt, oder ob
gewisse Unterschiede wahrgenommen werden können.
Ungeachtet einiger Erfahrung, die ich beim Studium der
Nervenfaser der niederen Wirbeltiere erhalten habe, war es tat-
sächlich dennoch nicht leicht, diese Aufgabe auszuführen. Die
markhaltigen Fasern der Säugetiere sind infolge ihrer Feinheit
im Vergleich zu denjenigen der Fische einer Färbung äusserst
wenig zugänglich, sterben rasch ab und weisen postmortale
Veränderungen auf. Dieser Umstand liess mich viel Mühe ver-
wenden, bis es mir gelang, genügend deutliche Präparate des
Baues der Markscheide zu erhalten. Es erwies sich, dass im
allgemeinen das Bauprinzip sowohl bei den höheren als auch bei
niederen Wirbeltieren vollkommen gleich ist, während im Detail
gewisse Unterschiede vorhanden sind.
1. Das Untersuchungsobjekt.
Lange Zeit hindurch gelang es mir nicht, ein passendes Objekt für
meine Arbeit zu finden.
Der für histologische Untersuchungen bevorzugte Nervus ischiadieus
der Säugetiere (besonders vom Kaninchen und Meerschweinchen) befriedigte
mich nur wenig, da er zu fein ist und ausserdem verhältnismässig zu viel
Bindegewebe enthält, was die Färbung mit Methylenblau nicht begünstigt.
Nachdem ich die Fasern verschiedener peripherischer Nerven versucht hatte,
Zellen der Schwannschen Scheide. 331
blieb ich schliesslich auf den Wurzeln der Spinalnerven stehen, insbesondere
jedoch auf den Fasern der Cauda equina, welche verhältnismässig sehr
dick sind und sich leicht voneinander isolieren lassen.
Von den Säugetieren untersuchte ich am häufigsten die Nervenfasern
von Pferden, Katzen und Hunden. Ausserdem standen mir noch Nerven
von Kaninchen, Hasen, Igeln und Affen zur Verfügung. Die Fasern der
Cauda equina von Affen (Meerkatze und Mandril) ergaben sehr gute Resultate,
was von besonderer Bedeutung ist, da es die Möglichkeit in Aussicht stellt,
die unten angeführten Beobachtungen auch auf den Menschen zu übertragen.
2. Untersuchungsmethode.
Die von mir angewandte Untersuchungsmethode war dieselbe wie in
meiner ersten Arbeit und bestand in einer Färbung der Nerven mit Methylen-
blau, mit dem Unterschiede, dass die Färbung stets im T’hermostaten vor-
genommen wurde bei einer Temperatur von 34°—36° und stets mit. einer
Lösung von !/s°/o.
Die gefärbten Faserbündel wurden entweder direkt frisch zerzupft
und sofort untersucht, oder zunächst in molybdänsaurem Ammonium fixiert.
Für einige spezielle Zwecke fertigte ich Schnitte an durch Nervenfasern,
die in Methylenblau fixiert waren; zu dem Zwecke brachte ich die Präparate
nach der Fixierung derselben in molybdänsaures Ammonium, dann folgte
Auswaschen in Wasser und rasches Entwässern, durch Xylol Einbetten in
Paraffin von 50°—52° C. Schmelzpunkt für nicht mehr als 30 Minuten. Obgleich
derartige Präparate sehr unvollkommen in Paraffın eingebettet waren, so
war es mir dennoch gelungen, Schnitte von 5 « Dicke anzufertigen, wobei
die Färbung stets in vollkommen befriedigendem Zustande erhalten war.
Ausser des Methylenblau bediente ich mich noch der Methoden von Cajal,
Bielschowsky und Unna, sowie verschiedener anderer Fixierungs- und
Färbungsverfahren ; diese Verfahren dienten mir jedoch nur zur Kontrolle
der vermittelst des Methylenblau erhaltenen Präparate.
3. Eigene Untersuchungen.
A. Die sog. „Zellen der Schwannschen Scheide“ („Mark-
scheidenzellen‘). (Fig. 1, 13, 14, 16. Taf. XVI.)
Bei günstiger Färbung mit Methylenblau treten die sog.
Zellen der Schwannschen Scheide, d. h. die Zellelemente, welche
von innen dem Neurilemm anliegen, dermassen deutlich hervor,
dass es keinem Zweifel unterliegen kann, dass keinerlei anatomische
Verbindung derselben mit der Schwannschen Scheide vorhanden
ist und dass somit die Zellen richtiger als Markscheidenzellen
oder Markzellen benannt werden müssen. Es liegen bei den
Säugetieren dieselben Verhältnisse vor wie bei den Ganoiden
und den Knochenfischen. Während jedoch bei den letzteren
32 Anton Nemiloff:
wu
jedem interannulären Segment mehrere derartige Zellen zukommen,
welche miteinander anastomosieren und so das schwammige
Gerüst des Markes des entsprechenden Segmentes bilden, ist,
soviel ich habe wahrnehmen können, bei den Säugetieren in jedem
Segment stets nur eine derartige Zelle gelegen; die Fortsätze
derselben verzweigen sich indessen beträchtlich und bilden das
Skelett des betreffenden interannulären Segmentes. Es genügt,
einen Blick auf Fig.1, Taf. XVI, zu werfen, welche bei verhältnis-
mässig schwacher Vergrösserung annähernd die Hälfte eines
interannulären Ringes darstellt, um sich davon zu überzeugen, wie
stark sich die Fortsätze dieser Zellen verzweigen und wie mächtig
das ganze System dieser Verzweigungen ist. Der recht chromatin-
reiche Kern der Markzellen ist grösstenteils oval oder rund und ist
gewöhnlich von einer nicht grossen Menge von Oytoplasma umgeben;
letzteres ist in einigen Fällen in grösserer, in anderen in geringerer
Menge vorhanden und stellt den „Körper“ der „Markscheidenzelle“
dar (Fig. 1, 13, 14, 16, ps.). Bei Anwendung der gewöhnlichen
Untersuchungsverfahren, z. B. bei Behandlung der Nervenfaser
mit Osmiumsäure und nachfolgender Färbung mit Pikrokarmin
ist nur dieser Teil der Markscheidenzelle sichtbar. Auf günstigen
Methylenblaupräparaten sind jedoch die von dem Zellkörper ab-
gehenden (bis zehn und mehr) Fortsätze, die alsbald zahlreiche,
feinere Seitenästchen abgeben, deutlich zu erkennen. Diese Fort-
sätze erstrecken sich teilweise in die Tiefe des Markes, teilweise
bleiben sie in der peripherischen Markschicht, wobei sie sich wieder-
holt verzweigen und miteinander anastomosieren. Ein Teil dieser
Fortsätze (gewöhnlich zwei oder vier) verlaufen längs der Faser
(Fig. 1, 16d) im peripherischen Abschnitt der Markscheide; auf
ihrem Verlauf von der Zelle bis zum nächsten Schnürringe nehmen
sie nur wenig an Dicke ab und geben eine grosse Anzahl von
Seitenästen ab. Diese längsverlaufenden Seitenäste winden sich
gewöhnlich nicht sehr stark und färben sich mit Methylenblau
leichter als die anderen Fortsätze, so dass auf nicht genügend
gefärbten Präparaten häufig nur diese Fortsätze sichtbar sind.
Wahrscheinlich hat Nageotte (5) gerade in diesen Zellen, welche
sich schlecht bei einer Behandlung der Präparate mit Kalium-
bichromat und ÖOsmiumsäure (bichromate osmie) färben, eine
Körnelung, ähnlich derjenigen, welche in dem Zellkörper ange-
troffen wird, gesehen und auf Grund dieses Umstandes vollkommen
oo
os
Zellen der Schwannschen Scheide. 5
richtig angenommen, dass „il existe une tres mince couche ou
un fin r6seau de protoplasma provenant de la cellule de Schwann
tout autour du tube“. Ausser diesen längsverlaufenden Fort-
sätzen sind auch solche vorhanden, welche in querer Richtung
zur Längsachse der Faser verlaufen und solche, die sich in die
Tiefe der Markscheide häufig unter spitzem Winkel zum Achsen-
zylinder erstrecken und sich hierbei mehrfach teilen. Sämtliche
Fortsätze und deren Verzweigungen ergeben ein sehr dichtes,
schwammiges Protoplasmagerüst, welches die Markbülle in deren
Gesamtdicke durchzieht. Dieses Gerüst erstreckt sich bis an den
Ranvierschen Schnürring, wo es sich mit dem Zwischenringe
verbindet; hier endigen jedoch die Fortsätze der betreffenden
Markscheidenzelle; niemals habe ich wahrnehmen können, dass
sie sich über das interannuläre Segment herauserstreckten und in
das benachbarte übergingen.
In der Tiefe der Markscheide erreicht dieses Protoplasma-
gerüst den Achsenzylinder, wobei es auf der inneren Oberfläche
der Markhülle besonders dicht erscheint. Auf diese Weise hat
auch das Gerüst, gleich der Markscheide selber, der es als Stütze
dient, die Form einer stark in die Länge gestreckten Muffe,
welche auf den Achsenzylinder aufgezogen ist.
Einen unmittelbaren Zusammenhang der Verzweigungen
der Fortsätze der Markzellen mit dem Achsenzylinder selber
habe ich niemals wahrnehmen können. Methylenblaupräparate,
auf denen sowohl das Protoplasmagerüst als auch der Achsen-
zylinder die gleiche blaue Färbung aufweisen, können freilich in
dieser Hinsicht noch Zweifel erwecken. Zwecks Klarstellung
dieser Frage ist es daher ratsamer, die Präparate der sog.
„Neurokeratinscheide“, welche, wie weiter unten dargetan werden
soll, vollkommen identisch ist mit dem beschriebenen Protoplasma-
gerüst, in Berücksichtigung zu ziehen. Auf Präparaten, welche
in Chromessigsäure fixiert und mit Hämatoxylin nach Heidenhain
und Bordeaux-R gefärbt worden sind, ist dieses schwammige
Skelett sehr gut erhalten (conf. Fig. 11, Taf. XVI), wobei eine
elektive Färbung erhalten wird, da der Achsenzylinder einen
rötlich-braunen Farbenton annimmt, während das Gerüst des
Markes schwarz gefärbt erscheint.
Nach derselben Behandlung der Präparate ist es “auch
sichtbar, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. 22
334 Anton Nemiloff:
Fortsätzen der Markzelle und dem Achsenzylinder nicht vor-
handen ist und dass das schwammige Gerüst des Markes nur
dem Achsenzylinder anliegt. Einen indirekten Beweis ergeben
auch diejenigen Präparate von Nervenfasern, in denen der Achsen-
zylinder bei dem Zerzupfen disloziert worden oder gar aus der
Markscheide herausgezogen war. Würden die Fortsätze der
Markzellen sich an den Achsenzylinder anheften, so müsste bei
der Dislozierung oder bei dem Ausziehen des Achsenzylinders
das Skelett des Markes stark verletzt werden, während auf dem
Achsenzylinder selber entweder Bruchstücke der an ihn ange-
hefteten Trabekeln oder Spuren der Anheftungsstellen derartiger
Trabekeln sichtbar sein müssten. Tatsächlich wird jedoch der-
artiges nicht beobachtet und der aus der Markscheide heraus-
gezogene Achsenzylinder hat vollkommen glatte Ränder, während
das Markgerüst vollkommen unverletzt erscheint.
Das beschriebene Verhalten der Schwannschen Zellen
zum Mark führt somit zum alten Schema der Struktur der
markhaltigen Nervenfaser zurück, wie es bereits von Ranvier
gegeben worden ist (conf. Textfig. 1. Ranvier sprach, wie
bekannt, einem jeden interannulären Segment die morphologische
Bedeutung eines gesonderten Zellelementes zu und nahm an,
dass das Protoplasma, welches die sog. Kerne der Schwann-
schen Scheide umgibt, sich allseitig über das Gebiet des Kernes
selber erstreckt und die Schwannsche Scheide in der Gesamt-
länge des Segmentes verdoppelt. An dem Schnürringe, welcher
ein Segment begrenzt, biege das Protoplasma um, gehe auf den
Achsenzylinder über und bilde für denselben eine besondere Hülle
Das Protoplasma eines jeden Segmentes begrenze somit allseitig
einen geschlossenen Hohlraum, welcher Myelin enthält: ein jedes
derartige Segment gleiche somit einer Fettzelle. (Das Neurilemm
entspreche der Membran einer Fettzelle, die Protoplasmaschicht
mit den Kernen — dem Protoplasma der Fettzelle, das Myelin —
dem Fett.)
Wie aus der beigelegten Zeichnung ersichtlich, muss dem
Schema von Ranvier die, freilich wesentliche, Verbesserung
hinzugefügt werden, dass das Protoplasma nicht nur das Myelin
umgibt, sondern ein schwammiges, im Mark eingelagertes Gerüst
bildet. Während nach Ranvier das Myelin nirgends direkt
der Schwannschen Scheide anliegt, sondern von derselben
Zellen der Schwannschen Scheide. 395
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A
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Fig. 1.
Schema des Baues einer markhaltigen Nervenfaser:
A=nachRanvier; B=nach den in dieser Arbeit dargelegten Beobachtungen.
ax — Achsenzylinder; ap — äussere Protoplasmaschicht, die der Schwann-
schen Scheide anliegt; ah — äussere, dichtere Schicht des schwammigen
Skeletts, die der „äusseren Hornscheide“ der Autoren entspricht ; if — Fort-
satz der Markzelle, der in einem schiefen Winkel zum Achsenzylinder ver-
läuft; ih — die innere, dichtere Schicht des schwammigen Gerüstes; f = Fort-
satz der Markzelle; m — Myelin; ps — Protoplasma der Schwannschen
resp. Markzelle; ns — Kern der Schwannschen resp. Markzelle ;
Ss = Schwannsche Scheide; Zr — Zwischenring.
29*
u
(N)
Oo
pP)
Anton Nemiloff:
durch eine Protoplasmaschicht getrennt ist, ist nach meinen
Beobachtungen das Myelin von dem Neurilemm nur an den
Stellen getrennt, an denen die Fortsätze der Markzellen ver-
laufen; an den anderen Stellen liegt es demselben direkt an.
Das, was nach dem Schema von Ranvier als viscerales und
parietales Blatt der Protoplasmaschicht bezeichnet werden könnte,
entspricht meinen Beobachtungen nach nur den dichteren Schichten
des erwähnten schwammigen Protoplasmagerüstes, von denen eine
an der Peripherie der Faser dicht unterhalb der Schwann-
schen Scheide angeordnet ist, die andere den Achsenzylinder
umgibt. Die Dicke des Markes wird nach Ranvier nur von
schrägen Spalten, oder richtiger, den ihnen entsprechenden
Scheidewänden durchzogen, während nach meinen Beobachtungen
das Mark von einer schwammigen Masse mit einem kompli-
zıerten System von Trabekeln durchzogen wird. Wenn somit ein
interannuläres Segment mit einer Fettzelle verglichen werden
kann, so keineswegs mit einer Fettzelle höherer Wirbeltiere,
sondern, worauf ich bereits in meiner Arbeit über die Nerven-
fasern der Fische hingewiesen habe, mit einer Fettzelle von
Acipenser, in welcher ich (7) vermittelst des Verfahrens von
Ramon y Cajal das Vorhandensein eines gleichen proto-
plasmatischen, schwammigen Skelettes nachgewiesen habe.
B. Neurokeratinnetz.
Bereits in meiner ersten Arbeit suchte ich, soweit es möglich
war, die Identität des von den Fortsätzen der Markzellen ge-
bildeten schwammigen Skelettesund des Neurokeratinnetzes, welches
nach Extraktion des Markes aus den Nervenfasern erhalten wird,
zu beweisen. In Anbetracht der Wichtigkeit dieser Frage für
die von mir dargelegte Ansicht über den Bau der Markscheide
hielt ich mich nicht für berechtigt, meine Beobachtungen an den
Fischen direkt zu verallgemeinern und habe diese Frage noch
einmal einer Bearbeitung unterzogen.
Dem äusseren Aussehen nach hat das sog. Neurokeratinnetz
fraglos eine grosse Ähnlichkeit mit dem gefärbten protoplasmatischen
Gerüst; der Kontrolle wegen suchte ich den Zusammenhang des
Neurokeratinskelettes mit den Markzellen festzustellen, d.h. zu
beweisen, dass dasselbe durch die Verzweigungen und die Anasto-
mosen der Fortsätze der letzteren gebildet wird. Dieses gelang
Zellen der Schwannschen Scheide.
mir auf Präparaten festzustellen, welche in Chromessigsäure
fixiert und in Hämatoxylin nach Heidenhain und Bordeaux-R
gefärbt waren. Die Trabekeln des Neurokeratinskelettes treten
hier sehr deutlich hervor; auf dicken Fasern sind sie äusserst
deutlich, die auch auf Methylenblaupräparaten wahrnehmbare
äussere und innere kompaktere Schicht des Skelettes (die „äussere
und innere Hornscheide“ der Autoren) sichtbar; an einigen
Stellen. ist deutlich, z. B. auf der auf Fig. 3 abgebildeten, sowohl
die Markzelle selber, als auch der Übergang ihrer Fortsätze in
das Neurokeratinnetz, ähnlich dem, wie es Reich (11) beschrieben
hat, zu erkennen. Die Deutlichkeit des Bildes steigert sich noch
dadurch, dass die Trabekeln des schwammigen Gerüstes des
Markes als auch die Markscheidenzellen mit Hämatoxylin nach
Heidenhain eine vollkommen schwarze Farbe annehmen, während
das die Nervenfaser umgebende Bindegewebe nur einen schwach-
grauen Farbenton aufweist.
Diese Eigenschaft des Protoplasmas der Markzelle sowie
ihrer Fortsätze, nach Färbung mit Eisenhämatoxylin dieselbe
schwarze Farbe anzunehmen wie das Uhromatin, erfordert meiner
Ansicht nach einige Beachtung, da sie augenscheinlich auf eine
besondere chemische Beschaffenheit des Protoplasmas hinweist.
Selbst nach starker Extraktion des Hämatoxylins mit Eisenalaun,
so dass das umgebende Bindegewebe fast vollkommen entfärbt
wird, bleibt das beschriebene schwammige Skelett vollkommen
dunkel gefärbt.
Auf eine besondere chemische Natur dieses protoplasmatischen
(erüstes weist augenscheinlich auch die Färbung nach Unna
hin, da dasselbe auch in diesem Fall elektiv gefärbt wird. Die
Trabekeln des Gerüstes erscheinen intensiv rosa gefärbt, während
das die Nervenfasern umgebende Bindegewebe verschiedene
Nuancen von blau oder violett aufweist.
G. Lantermansche Einkerbungen sowie verschiedene
von den Autoren beschriebene geschichtete oder
radiäre Strukturen.
Bereits Gedoelst (1) sowie andere Autoren, die sich mit
dem Studium der Struktur der Markscheide beschäftigt haben,
vermerken die Tatsache, dass die Bilder des Neurokeratinnetzes
resp. des Stützgerüstes der markhaltigen Faser starken Variationen
338 Anton Nemiloff:
unterworfen sind und die verschiedenartigsten Verhalten auf-
weisen können.
3esser und deutlicher ist dieses auf Methylenblaupräparaten
sichtbar. Der Charakter und die Verlaufsrichtung der Fortsätze,
die Form der von ihnen gebildeten Schlingen und Waben des
schwammigen Skelettes, die grössere oder geringere Dicke der-
selben variiert dermassen, dass in einem Nervenbündel schwer
zwei einander vollkommen gleichende Fasern aufgefunden -werden
können. Ein derartig verschiedenes Aussehen des Stützgerüstes
der markhaltigen Faser kann damit in Zusammenhang gestellt
werden, dass das Protoplasma sowohl der Zellen als auch des
von ihnen gebildeten Gerüstes in verschiedenen Fällen in ver-
schiedenem Funktionszustande sich befindet. Es erscheint bald fein-
körnig, wie auf den Fig. 7 und 16, bald wieder deutlich fibrillär
(Fig 13). In dem Zellkörper d. h. in der geringen Protoplasma-
menge, welche unmittelbar den Kern umgibt, sind häufig um den
Kern herum eine grössere oder geringere Menge recht grosser
Körner und Schollen vorhanden, oder aber eine gewisse Anzahl
verschieden grosser Bläschen oder Vakuolen. Derartige Bläschen
und Vakuolen werden auch längs des ganzen Protoplasmagerüstes,
wie es die Fig. 5 dartut, angetroffen. In einigen Fällen sind diese
Bläschen in grosser Anzahl vorhanden, so dass das Protoplasma
der Trabekeln durch dieselben schaumartig erscheint. In anderen
Fällen sind diese Vakuolen in geringerer Menge vorhanden, so
dass sie nur hin und wieder in grossen Abständen voneinander
angetroffen werden (Fig. 7). Die Grösse dieser Vakuolen variiert
in beträchtlichem Maße; neben sehr kleinen, die keinerlei Form-
veränderung der Scheidewände bedingen, werden recht grosse
angetroffen, durch welche das betreffende Trabekel anschwillt und
sogar in mehrere Trabekel zerfällt, wenn derartige Bläschen in
srosser Zahl vorhanden sind.
Es ist mir nicht gelungen, genau festzustellen, welche Sub-
stanz in diesen Vakuolen enthalten ist, da diese Gebilde nur auf
Methylenblaupräparaten deutlich sichtbar sind; auf derartigen
Präparaten kann jedoch keinerlei mikrochemische Reaktion aus-
geführt werden. Infolgedessen kann ich nur eine Annahme aus-
sprechen.
Auf Grund einer bedeutenden Ähnlichkeit dieser Vakuolen
mit grösseren myelinhaltigen Poren und Waben des schwammigen
Zellen der Schwannschen Scheide. 339
Skelettes nehme ich an, dass auch die Vakuolen mit Myelin
angefüllt sind und dass die verschiedenen körnigen und vakuoli-
sierten Strukturen des Protoplasmas des schwammigen Skelettes
verschiedenen Stadien der Myelinbildung im Protoplasma ent-
sprechen.
Eine derartige Annahme ist durchaus zulässig und steht
nicht im Widerspruch mit den Befunden über die Histogenese
der Markscheide, da viele Forscher (Kölliker [4], Vignal[13],
Kappers|[3], Walter [14] u. a.) auf eine Beteiligung der Zellen
der Schwannschen Scheide an der Bildung des Myelins hin-
weisen. Diese Annahme erschliesst uns jedoch das Verständnis
für viele mikroskopische Bilder, welche ohne dieselbe vollkommen
unklar sind.
Zunächst wird es verständlich, dass die mikroskopischen
Bilder des beschriebenen schwammigen Skelettes stark in ver-
schiedenen Fällen variieren, dass in einigen Nervenfasern die
Trabekeln des Skelettes dicker ais in anderen sind, dass in einigen
Fällen das Skelett einfacher, in anderen komplizierter ist, dass
die Trabekeln bald flacher, blattförmig, bald fadenförmig und
fein erscheinen, dass die Poren des Skelettes bald grösser, bald
kleiner sind und verschiedene Formen aufweisen. Diese Befunde
können sämtlich in Zusammenhang mit dem verschiedenen Grade
der funktionellen Tätigkeit des Protoplasmas ‚der Markzelle
gestellt werden, die ihrerseits möglicherweise im Zusammenhang
mit dem physiologischen Zustande der gegebenen Nervenfaser steht.
Diese Annahme erklärt jedoch auch ein anderes morpho-
logisches Gebilde der markhaltigen Faser, die sog. Lanterman-
schen Einkerbungen. Wie ich bereits in meiner Arbeit über die
Nervenfasern der Fische gezeigt habe, so entsprechen diesen
Einkerbungen, welche auf einigen frischen Fasern und nach einer
bestimmten Behandlung auch auf fixierten Elementen beobachtet
werden, gröberen Trabekeln des protoplasmatischen Gerüstes, die
grösstenteils in einem spitzen Winkel in Gestalt von Trichtern
(„Zwischentrichter* der Autoren) angeordnet sind, jedoch in un-
mittelbarem Zusammenhang mit dem übrigen Skelett stehen und
nur Teile desselben darstellen. Diese Trabekeln zeichnen sich
durch eine beträchtlichere Dicke und durch einen vom Myelin
verschiedenen Brechungsindex aus, und treten daher bisweilen
auf ungefärbten Präparaten scharf hervor; auf Osmiumpräparaten
340 Anton Nemiloff:
sind sie sichtbar, weil sie nicht braun gefärbt sind und das Mark
sich von ihnen ablöst, hierbei machen sie den Eindruck von Ein-
kerbungen oder Einschnitten, die die Kontinuität der Markscheide
unterbrechen. Dass diese Zwischentrichter tatsächlich bloss
Trabekel des schwammigen Skelettes sind, die sich von anderen
nur durch ihre Verlaufsrichtung und ihre grössere Dicke unter-
scheiden, ist deutlich auf Nervenfasern sichtbar, aus denen das
Mark extrahiert ist, sowie auf Fasern, die in Methylenblau gefärbt
worden waren. Fig. 6 stellt einen Längsschnitt durch eine in
Methylenblau gefärbte Nervenfaser vor (aus einem dünnen Paraffin-
schnitt), wobei der mittlere Teil der Faser mit den Zwischen-
trichtern in den Schnitt gefallen ist; es liegt hier somit eine
Nervenfaser vor ohne oberflächliche Schicht. Ungeachtet dessen,
dass bei der Paraffineinbettung das schwammige Skelett teilweise
gelitten hat, sind dennoch deutlich sowohl die erwähnten trichter-
förmigen Gebilde, als auch der Zusammenhang derselben mit
anderen in den Schnitt gefallenen Trabekeln des schwammigen
Skeletts sichtbar.
Die beschriebenen trichterförmigen Gebilde resp. die Lanter-
manschen Einkerbungen sind bei weitem nicht auf allen Fasern
vorhanden, wie überhaupt diese Gebilde sich auf Osmiumpräparaten
durch eine gewisse Inkonstanz auszeichnen: bald sind sie zahl-
reich und in geringer Entfernung voneinander angeordnet, bald
sind sie in geringer Zahl beträchtlich weit voneinander gelagert.
Besteht nun die von mir gemachte Annahme zu Recht, so
kann eine derartige Inkonstanz der Lantermanschen Ein-
kerbungen resp. der Zwischentrichter dadurch erklärt werden,
dass diese dickeren Trabekeln nur in gewissen Lebensmomenten
der Faser bei einem gewissen funktionellen Zustande des schwam-
migen Skelettes auftreten. Infolge der Entstehung neuer Myelin-
tropfen im Protoplasma der trichterförmigen Trabekeln, der
Konfluenz dieser Tropfen in grössere, werden die gröberen Trabekel
in feinere gespalten; letztere werden durch die Myelintropfen
ausgezogen, wobei sie die verschiedenste Verlaufsrichtung ein-
schlagen und die verschiedensten Formen annehmen. Die Ver-
laufsrichtung dieser Scheidewände, ihre Form und Anordnung
können in Abhängigkeit von dem Grade der funktionellen Tätig-
keit der Myelinzellen stark variieren, wobei die verschiedenartigsten
Bilder erhalten werden. Die verschiedenen schichtenförmigen
Zellen der Schwannschen Scheide. 341
und radiären Strukturen des Myelins, wie sie mehrfach von ver-
schiedenen Forschern beschrieben worden sind, können meiner
Ansicht nach desgleichen am besten durch den verschiedenen
Zustand des Protoplasmas der Markzelle erklärt werden.
D. Ranviersche Schnürringe und die Zwischenringe.
In den Ranvierschen Schnürringen wird das Protoplasma-
gerüst der Markscheide vollkommen unterbrochen. Im Gegensatz
zu der Behauptung Hatai (2) und einiger anderer Forscher
ist es mir nicht gelungen, irgend welchen Zusammenhang zwischen
den Skeletten benachbarter interannulärer Segmente wahr-
zunehmen. Wie es die Fig. 11 zeigt, schwindet das Skelett des
Markes hier mit diesem recht rasch, wobei die beiden Schichten
des protoplasmatischen Gerüstes, die äussere und innere Horn-
scheide der Autoren, hier konfluieren und recht grosse platten-
und blattförmige Trabekeln bilden, die in der Richtung zum
Achsenzylinder konvergieren. Auf diese Weise ist die Mark-
scheide eines jeden interannulären Segmentes in anatomischer
Hinsicht von den benachbarten Segmenten isoliert und hat daher
morphologisch die Bedeutung einer Markzelle.
Die Kontinuität der Nervenfasern wird bloss durch den
Achsenzylinder, welcher, sowohl hinsichtlich seines Durchmessers
als auch seiner fibrillären Struktur unverändert durch den
Ranvierschen Schnürring hindurchzieht, sowie die Schwannsche
Scheide, welche andem Ranvierschen Schnürringe den Zwischen-
ring bildet, gewährleistet. An den Nervenfasern der Fische, bei
denen diese Ringe sich durch ihre beträchtliche Dicke aus-
zeichnen, habe ich, glaube ich, recht deutlich sowohl auf Schnitten
als auch auf ganzen Nervenfasern die in Methylenblau oder Silber
gefärbt waren, zeigen können, dass diese Ringe dadurch ent-
stehen, dass die Schwannsche Scheide hier eine hohle Ver-
dickung bildet, die von einer flüssigen, mit Methylenblau und
Silber stark färbbaren Substanz erfüllt ist. Gleichzeitig mit meiner
Arbeit über die Nervenfasern der Fische erschien auch die Arbeit
von Walter (15), in welcher dieser Forscher gleichfalls das
Vorhandensein irgend welcher Zwischenscheiben oder irgend
welcher Kittsubstanz an diesen Stellen in Abrede stellt, die
Zwischenringe jedoch für Bildungen nicht nur der Schwannschen
Scheide, sondern auch der sog. Henleschen Scheide hält.
342 Anton Nemiloff:
In Berücksichtigung dieses Befundes habe ich nochmals
meine Präparate von den markhaltigen Nervenfasern der Fische
sowie verschiedener höherer Wirbeltiere, welche nach den ver-
schiedensten Verfahren — Methylenblau bis auf die Methoden
von Bielschowsky und Unna — behandelt worden waren,
durchstudiert und habe dennoch keine Hinweise dafür finden können,
dass das die Nervenfaser umgebende Bindegewebe irgend welchen
Anteil an der Bildung der Zwischenringe nimmt. Dass dieses
Gebilde tatsächlich das Differenzierungsresultat der Schwannschen
Scheide ist und mit derselben in engstem Zusammenhange steht,
zeigen meiner Ansicht nach diejenigen in Methylenblau gefärbten
Nervenfasern, in denen bei der Isolierung derselben der Achsen-
zylinder disloziert worden ist, wobei er den Zwischenring mit
sich gezogen hat. Bei der Betrachtung derartiger Präparate
mit Immersionssystemen können auf der Schwannschen Scheide,
die trotzdem, dass sie häufig mit Methylenblau gefärbt erscheint,
dennoch infolge ihres verschiedenen Brechungsindex deutlich
hervortritt, die Stellen erkannt werden, von denen der Ring
abgerissen worden ist (Fig. 15) und an denen die Kontinuität
der Scheide infolgedessen unterbrochen wird. Hierbei ist jedoch
nur die Schwannsche Scheide verletzt, während an dem
umgebenden Bindegewebe keinerlei Störungen wahrgenommen
werden können. Wenn letzteres tatsächlich, wie es Walter
annimmt, an der Bildung des Ringes teilnehmen würde, so
müsste erwartet werden, dass der abgerissene Ring auch das
mit ihm verbundene Bindegewebe nach sich ziehen würde, oder
dass in jedem Fall irgend welche Spur des durch das Abreissen
des Ringes gesetzten Defektes nachbleiben würde.
Trotz vieler Bemühungen und eines grossen Materials ist
es mir nicht gelungen, von den markhaltigen Nervenfasern der
Wirbeltiere einen gleichen demonstrativen Schnitt zu erhalten,
wie ich ihn von den markhaltigen Fasern der Fische habe an-
fertigen können. Infolgedessen hatte ich auch nicht die Möglichkeit,
durch eine direkte Beobachtung festzustellen, ob der Zwischen-
ring tatsächlich eine hohle Verdickung der Schwannschen
Scheide ist, die sich hier gleichsam durch Spaltung derselben in
zwei Blätter gebildet hat, oder ob die Scheide hier nur eine
ringförmige Falte bildet. Zugunsten der ersten Ansicht spricht
nicht nur die Analogie mit den markhaltigen Fasern der Fische,
Zellen der Schwannschen Scheide. DA
sondern auch einige Bilder der Dislozierung dieses Gebildes bei
der Behandlung der Präparate. Es kommt z. B. vor, dass der
Zwischenring sich dermassen um seine Achse dreht, dass er
senkrecht zu seiner normalen Stellung gelagert erscheint,
d.h. sich um einen Winkel von 90° dreht, wobei er jedoch seine
Ringform beibehält (Fig. 12). Würde dieses Gebilde eine einfache
ringförmige Falte sein, so müssten meiner Ansicht nach bei
dieser gewaltsamen Drehung infolge eines zufälligen Heraus-
ziehens des Achsenzylinders aus der Markhülle die Ränder der
Falte wenigstens auf einem Präparat auseinander gezogen worden
sein, in welchem Fall es dann zweifellos gewesen wäre, dass es
sich hier um eine Falte handele. Auf sämtlichen zahlreichen
Bildern von Dislozierungen und teilweiser Zerstörung dieses
Ringes, die ich hier nicht weiter besprechen werde, die jedoch
in grosser Zahl in jedem günstig mit Methylenblau gefärbten
Nervenfaserbündel gefunden werden können, macht dieses Gebilde
stets den Eindruck eines Ringes und nicht einer Falte.
Dass der Ring kein kompaktes Gebilde, sondern ein hohles
ist, zeigt meiner Meinung nach deutlich die Betrachtung desselben
mit Immersionssystemen. Bei Drehung der Mikrometerschraube
wird im Innern des Ringes ein dunkler innerer Abschnitt wahr-
nehmbar, der mit Methylenblau stärker gefärbt ist, sowie ein
peripherischer, der Wand entsprechender. Dasselbe Bild ergeben
auch Präparate, die mit Silber behandelt worden sind.
Auf Präparaten, die in Methylenblau gefärbt und darauf
fixiert worden sind, sind ausserdem verschiedene Bilder einer
Quellung und Zerreissung dieses Ringes sichtbar, welche nur
dadurch erklärt werden können, dass hier tatsächlich ein hohler
Ring vorliegt, der eine grössere oder geringere Menge einer in
Methylenblau stark färbbaren Substanz enthält. Der Ring gewährt
überhaupt in den verschiedenen Fasern vollkommen verschiedene
Bilder; nur eine grosse Anzahl von Präparaten, die eine Reihe
verschiedenartigster Bilder der Ranvierschen Schnürringe dar-
stellen und durch Übergangsformen verbunden sind, gibt die
Möglichkeit, sich in denselben zurecht zu finden.
In einigen Fällen erscheint der Zwischenring vollkommen
komprimiert und kollabiert; ohne Kenntnis der Zwischenform
zwischen diesem Bilde und anderen kann in der Tat die Ansicht
gebildet werden, dass hier eine Art von „Zwischenscheibe“ vor-
344 AnitiomeNlemnilorfer ;
liegt. In anderen Fällen erscheint er mehr oder weniger
gequollen, infolgedessen seine Dicke stark variiert. Auf der
Fig. 12 ist ein verhältnismässig schwach gequollener, auf Fig. 15
ein stark gequollener Ring abgebildet. Häufig erscheint der
Zwischenring zerrissen, wobei gewöhnlich die äussere Seite
desselben einen Riss aufweist, die innere Seite bleibt hierbei
gewöhnlich auf dem Achsenzylinder, indem sie demselben dicht
anliegt (Fig. Sax); die Fetzen der äusseren Seite des Ringes
ordnen sich entweder in Form von regelmässigen Falten an
(Fig. 2 und 8), oder legen sich dem Anfangsteil der beiden
interannulären Segmente an (Fig. 4 und 16), oder aber ergeben,
im Falle die Ränder des Risses uneben sind, mit den teilweise
gefärbten Scheidewänden des protoplasmatischen Gerüstes Bilder,
welche vollkommen den „Stachelreifen“ („le double bracelet
epineux), wie sie unlängst Nageotte (6) beschrieben hat, gleichen.
Mir scheint es, dass diese von Nageotte beschriebenen
eigenartigen Gebilde das Resultat einerseits des Risses des
Zwischenringes, andererseits einer unvollkommenen Färbung der
sich an den Achsenzylinder anlegenden Trabekeln des proto-
plasmatischen Gerüstes sind.
E. Achsenzylinder.
Hinsichtlich des feineren Baues des Achsenzylinders habe
ich bei den höheren Wirbeltieren alles das bestätigen können,
was ich an den markhaltigen Fasern der Fische gesehen habe.
Von der inneren Fläche der Markscheide ist der Achsenzylinder
durch eine dünne Schicht einer Substanz getrennt, welche auf
Präparaten, die in molybdänsaurem Ammonium fixiert sind, selten
das Aussehen einer homogenen, bläulichen Lamelle hat, häufiger
jedoch als eine Schicht feinster Körnchen oder Tropfen erscheint,
die sich entweder in Form eines mehr oder weniger gleich-
mässigen Niederschlags anordnen, oder das Aussehen eines
äusserst zarten Netzes oder Musters auf der Oberfläche des
Achsenzylinders annehmen. Diese Schicht entspricht offenbar
der „Gerinnselscheide“ der Autoren; sie stellt, wie auch
bei Fischen, keine selbständige Hülle dar, sondern macht tat-
sächlich eher den Eindruck eines Niederschlags oder eines
Gerinnungsproduktes einer Substanz, die intra vitam den Achsen-
zylinder von der Markscheide trennt.
Zellen der Schwannschen Scheide. 345
Der fibrilläre Bau des Achsenzylinders tritt auf meinen
Präparaten sehr deutlich hervor. Wie bei Fischen, so habe ich
auch hier, ungeachtet einer äusserst scharfen Tinktion der Fibrillen,
keine Anastomosen zwischen den Fibrillen, weder an den Ranvier-
schen Schnürringen, wie Schiefferdecker (12) angibt, noch
im Verlaufe des Segmentes, wie es Walter (15) beweisen will,
wahrnehmen können.
4. Schlussbetrachtungen.
Das oben Mitgeteilte stellt die Hauptergebnisse meiner
Untersuchungen über den Bau der Markscheide dar. Leider
betreffen sie nur die peripherischen markhaltigen Fasern und
können nicht direkt auf die Fasern des Zentralnervensystems
übertragen werden.
Es ist äusserst wichtig, die morphologischen Beziehungen
in den zentralen Nervenfasern festzustellen, auf die, wenigstens
auf den ersten Blick, das oben angeführte Schema des Baues der
markhaltigen Faser nicht zutrifft.
Gegenwärtig bin ich gerade mit der Klarstellung dieser
Frage beschäftigt, wobei einige der bereits angefertigten Präparate
zugunsten einer Ähnlichkeit in struktureller Hinsicht beider
Nervenfaserarten sprechen und jedenfalls die Ansicht nicht be-
stätigen, dass die Struktur der zentralen Fasern sich scharf von
derjenigen der peripheren unterscheide.
Wie bei meiner vorigen Arbeit, so hat auch bei der vor-
liegenden mein hochverehrter Lehrer, Herr Prof. Dr. A.S. Dogiel,
mich stets durch seine Ratschläge in hervorragender Weise unter-
stützt; es sei mir gestattet, ihm auch an dieser Stelle meinen
verbindlichsten Dank auszusprechen.
Literaturverzeichnis.
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La cellule, Tome III, 1886.
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tube nerveux. Petrus Camper, Dl. 2, Aufl. 2, S. 223—268 mit 1 Taf.
u. 1 Fig. im Text, 1903.
346
6.
|
6)
de)
10.
1b,
Anton Nemiloff:
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Zoologie, Bd. 43, 1886.
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Derselbe: Einige Beobachtungen über den Bau des Nervengewebes bei
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Derselbe: Zur Kenntnis der peripheren markhaltigen Nervenfasern.
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Erklärung der Abbildungen auf Tafel XVI.
Sämtliche Figuren sind mit Hülfe des Zeichenapparates von Zeiss
angefertigt worden.
Fig.
Fig.
1. Nervenfaser aus der Canda equina eines Affen. Es ist ungefähr
die Hälfte eines interannulären Segmentes abgebildet. n — Kern
einer Markzelle; ps — Körper derselben; d — Fortsätze, welche
das schwammige Gerüst der Markscheide bilden. Methylenblau.
Reichert, Obj. 7a, Ok. 4.
2. Ein Ranvierscher Schnürring einer Nervenfaser aus der Cauda
equina eines Affen. Der Zwischenring ist von der Aussenseite
Fig. 3
Fig. 4
Fig. 5
Fig. 6
Big, 7
Fig. 8.
Hier}!
Fig. 10.
Zellen der Schwannschen Scheide. 347
zerrissen ; die Rissränder sind in Gestalt von Falten sichtbar.
ax — Achsenzylinder; d = Trabekeln des Protoplasmagerüstes
im Beginn der Färbung; s—=Schwannsche Scheide Methylen-
blau. Zeiss’ homog. Immers. !/ı2: Ok. 4.
Teil einer markhaltigen Nervenfaser aus einer (dorsalen) Spinal-
wurzel vom Pferde, nach Extraktion des Markes. nk = Neuro-
keratinnetz; n — Kern; ps = Protoplasma einer Markzelle;
ax — Achsenzylinder. Fixiert in Chromessigsäure; eingebettet in
Celloidin-Paraffin; gefärbt in Hämatoxylin nach Heidenhain
und Bordeaux-R. Zeiss’ homog. Immers. !/ı; Kompens.-Ok. 4.
Ranvierscher Schnürring einer Nervenfaser aus der Cauda equina
eines Affen. Der Zwischenring ist von der Aussenseite zerrissen,
seine Fetzen (zr) haben sich neben die sich im Beginn der Färbung
befindenden Trabekeln des protoplasmatischen Gerüstes (d) gelegt;
ax — Achsenzylinder. Methylenblau. Zeiss’ homog. Immers. !/ı2; OK.4.
Ein Teil des Protoplasmagerüstes einer markhaltigen Faser aus
einer Spinalwurzel einer Katze. Im Protoplasma der Trabekeln
sind Vakuolen sichtbar, die offenbar ein gewisses Stadium der
Myelinbildung von den Markzellen darstellen. d — Protoplasma
des Skeletts; v — Vakuolen. Gezeichnet bei einer Einstellung
des Tubus auf die äusserste Oberfläche. Methylenblau. Zeiss’
homog. Immers. !Jı2: Ok. 3.
Teil eines Schnittes durch eine in Methylenblau gefärbte mark-
haltige Nervenfaser. Cauda equina vom Pferde. Sichtbar sind die
Zwischentrichter und ihr Zusammenhang mit dem Protoplasma-
gerüst. zt — Zwischentrichter; d = Trabekeln des protoplas-
matischen Gerüstes; ax — Achsenzylinder. Zeiss’ homog. Immers. '/ı2;
Kompens.-Ok. 4.
Teil eines interannulären Segmentes einer markhaltigen Nerven-
faser aus einer Spinalwurzel der Katze. d = Trabekeln des
protoplasmatischen Gerüstes; v — Vakuolen. Methylenblau. Zeiss’
homog. Immers. !Jı2; Ok. 4.
Ranvierscher Schnürring einer Nervenfaser aus der Cauda equina
eines Affen. Der Zwischenring ist von der Aussenseite zerrissen,
seine Ränder erscheinen als gefärbte Falten (zr) an der Basis
beider interannulärer Segmente. ax — Achsenzylinder, der an
dieser Stelle von der Innenseite des Zwischenringes umgeben ist.
Methylenblau. Zeiss’ homog. Immers. !Jı2; OK. 4.
Ranvierscher Schnürring einer Nervenfaser aus der Cauda equina
eines Affen. Der Zwischenring ist zerrissen, seine Fetzen erinnern
mit den im Beginn der Färbung befindlichen Trabekeln des proto-
plasmatischen Gerüstes an das unlängst von Nageotte (1910)
unter der Bezeichnung „le double bracelet &pineux“ beschriebene
Gebilde. Methylenblau. Zeiss’ homog. Immers. !/Jı2; Ok. 4.
Ranvierscher Schnürring mit zerrissenem Zwischenringe, dessen
Fetzen (b) bei der Isolierung der Nervenfaser disloziert worden
348
Jerez, Jul,
Fig. 12.
Fig. 13.
Fig. 14.
Fig. 15.
Fig. 16.
Anton Nemiloff: Zellen der Schwannschen Scheide.
sind. Cauda equina eines Affen. pr = Ranvierscher Schnürring;
s—Schwannsche Scheide; d— Trabekeln des protoplasmatischen
Gerüstes. Zeiss’ homog. Immers. !Jı2; Ok. 4.
Protoplasmatisches Skelett einer markhaltigen Nervenfaser aus
einer Spinalwurzel (dorsalen) des Pferdes. nk = protoplasmatisches
Gerüst; pr = Ranvierscher Schnürring; ax — Achsenzylinder.
Fixiert in Chromessigsäure; eingebettet in Celloidin-Paraffin; ge-
färbt in Hämatoxylinnach Heidenhain und Bordeaux-R. Zeiss’
homog. Immers. !Jı2; Ok. 4.
Ranvierscher Schnürring, in welchem der Zwischenring sich
zufällig um einen Winkel von $0° bei der Isolierung der Nerven-
faser gedreht hat. Spinalwurzel eine Katze. S—=Schwannsche
Scheide; Zr — Zwischenring; pr = Ranvierscher Schnürring.
Methylenblau. Zeiss’ homog. Immers. 'Jız; Ok. 4.
Markzelle aus einer Nervenfaser der Katze. Cauda equina.
n — Kern; ps = Protoplasma ; f = Protoplasmafibrillen. Methylen-
blau. Zeiss’ homog. Immers. ',ı2; Kompens.-Ok. 4.
Markzelle mit Fortsätzen aus einer Nervenfaser der Katze. Cauda
equina. n = Kern; ps = Protoplasma; d — Fortsätze, die das
Skelett des Markes bilden. Methylenblau. Zeiss’ Obj. 4 mm; Ok. 4.
Markhaltige Nervenfaser einer Katze mit dem bei der Isolierung
der Faser dislozierten Zwischenring. Cauda equina. ax — Achsen-
zylinder; S= Schwannsche Scheide; W — die Rissstelle der-
selben bei der Dislozierung des Zwischenringes; Zr — Zwischen-
ring; d — Bruchstücke der Trabekeln des Protoplasmagerüstes.
Das bei der Dislozierung deformierte protoplasmatische Gerüst der
Faser ist auf dem Präparate fast unbemerkbar, da es nicht gefärbt
ist. Gezeichnet bei einer bestimmten Tubuseinstellung. . Methylen-
blau. Zeiss’ homog. Immers. !/ı2; Ok. 4.
Markzelle mit einem Teil des von ihren Fortsätzen gebildeten
Skelettes des Markes. Cauda equina einer Katze. n — Kern;
ps —= Protoplasma; — schwammiges Skelett. Methylenblau.
5
Zeiss’ homog. Immers. !Jı2; Ok. 3.
349
Aus dem anatomisch-histologischen Laboratorium der Universität
St. Petersburg.
Über den Bau des Flimmerapparates.
Von
A. Kolacev.
Hierzu Tafel XVII und 2 Textfiguren.
Seitdem die bekannte Arbeit von Engelmann (1880),
welche der gegenwärtigen Lehre über die Erscheinung der
Flimmerbewegung den Ursprung gab, erschienen ist, haben sich
viele Forscher mit Fragen beschäftigt, welche die strukturellen
Einzelheiten des Flimmerapparates, sowie die funktionellen Be-
ziehungen der einzelnen Teile desselben betreffen. Ungeachtet
dessen ist noch vieles aus dem Gebiete dieser Fragen nicht
genügend klargestellt. Die Aufgabe meiner vorliegenden Arbeit
bestand in einem möglichst detaillierten Studium des Baues des
Flimmerapparates. Als ich die Arbeit in Angriff nahm, war ich
weit entfernt von irgend einer vorgefassten Meinung pro oder
contra. Bei der Schilderung meiner Ergebnisse beschränke ich
mich ausschliesslich auf meine Beobachtungen, ohne auf eine
ausführliche Betrachtung der Erscheinung der Flimmerbewegung
im allgemeinen in ihrer ganzen Kompliziertheit einzugehen. Es
sei hier vermerkt, dass in der unlängst erschienenen Arbeit von
Erhard (Febr. 1910) bereits eine recht vollständige Übersicht
der Literaturbefunde gegeben ist.
Als Material meiner Untersuchungen diente mir ein ge-
wöhnliches und erprobtes Objekt, das Darmepithel von Anodonta.
Ausserdem zog ich noch, mehr zur Kontrolle, den Darmkanal
von Ostrea, den Leberausführungsgang von Helix pomatia, die
Trachea- und Uterusschleimhaut höherer Wirbeltiere verschiedenen
Alters, sowie menschlicher Föten hinzu. Später untersuchte ich
noch den Flimmerapparat von Opalina ranarum.
Als Fixierungsflüssigkeiten wandte ich an: die Gemische
von Flemming (schwache und starke Lösung), vonHermann,
von Lenhossäk, von Carnoy-Gilson und Sublimat mit Pikrin-
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. 23
350 A. Koladev:
säure oder Essigsäure. Alle diese gaben im wesentlichen dasselbe
Strukturbild, natürlich mit den jedem derselben eigenen Besonder-
heiten und auch diese hauptsächlich in bezug auf Farbstoffe.
Die Infusorien wurden in den Gemischen von Flemming,
Schaudinn und Carnoy-Gilson fixiert. Zur Färbung benutzte
ich hauptsächlich das Eisenhämatoxylin von Heidenhain — so-
wohl mit der Ergänzungsfärbung in Bordeaux oder Rubin, als
auch ohne dieselbe — und das Gemisch von Unna.
Bevor ich auf die Betrachtung des Baues des Flimmer-
apparates eingehe, halte ich es für notwendig, darauf hinzuweisen,
dass gegenwärtig sich immer mehr die Annahme geltend macht,
dass der Impuls der Flimmerbewegung augenscheinlich in den
Wimpern selber liest. Davon überzeugt uns eine Reihe von
Befunden. Bereits Engelmann (1868), darauf Peter (1899)
und Erhard (1910) haben bewiesen, dass der Kern keinen
direkten Anteil an der Bewegung der Haare nimmt. Dasselbe
muss auch hinsichtlich des Protoplasmas des Zelleibes selber
ausgesagt werden, da nach den Angaben von Verworn (1889),
von Kölsch (1902) und Pütter (1904) selbst ausgesprochene
Zerstörungen des Protoplasmas die Regelmässigkeit der Flimmer-
bewegung nicht stören, solange sich die Zerstörung nicht auf
die Flimmerhaare selber ausbreitet. Desgleichen stellen die Be-
funde von Peter (1899) und Erhard (1910) fest, dass eine
Zerstörung sowie eine vollkommene Vernichtung der sich in die
Zelle fortsetzenden Wurzeln der Flimmerhaare keinen Einfluss
auf die Arbeit dieser hat. Erhard hat Versuche über die Ein-
wirkung einer erhöhten Temperatur (für Mollusken zirka 40°)
gemacht und beobachtete als Folge davon eine vollkommene
Auflösung des kutikularen Zellsaumes, wobei jedoch die Bewegung
der Härchen durchaus nicht aufhörte, sondern sogar verstärkt
wurde. Im Gegensatz zu der bekannten Theorie von Henneguy-
Lenhosse&k und deren Nachfolgern sind ausser den Befunden
über die Entwicklung des Flimmerapparates, welche von
Gurwitsch (1901) und Wallengren (1905) erhoben sind
und welche diese Theorie im allgemeinen untergraben, noch eine
Reihe von Hinweisen auf eine Autonomie der Flimmerhaare in
bezug auf die Basalkörperchen vorhanden. So weist Vignon
(1900) darauf hin, dass er in den Flimmerzellen der Taster von
Pecten keine Spuren von Basalkörperchen gefunden hat. Dasselbe
Über den Bau des Flimmerapparates. dl
bezeugt auch Kuppelwieser (1906) hinsichtlich der mit zwei
Flimmerhaaren versehenen Zellen der Larven von Cyphonautes,
wo die Neigung der Flimmerhaare weniger beträchtlich ist als
gewöhnlich. In den „Ergebnissen der Physiologie“ führt Pütter
einige Beispiele an über die Bewegung von Geisseln, die von
dem Zellkörper vollkommen abgelöst sind. Fabre-Dommergue
(1888) und Kölsch (1902) berichten, dass bei Infusorien isolierte
Flimmerhaare fortfahren sich noch einige Zeit zu bewegen. Des-
gleichen hält auch Schuberg (1905) die von ihm an isolierten
Geisseln und Flimmerhaaren beobachteten Einrollungen, Ösen-
bildungen und andere derartige Formveränderungen für Anzeichen
einer selbständigen Flexion der Flimmerorgane. Es sei noch
vermerkt, dass in den angeführten Fällen an den isolierten
Flimmerhaaren keine Basalkörperchen beobachtet wurden. Was
die Befunde von Verworn (1891) und Peter (1899) anbetrifft,
welche darauf hinweisen, dass die von den Basalkörperchen
isolierten Flimmerhaare keine Anzeichen einer aktiven Bewegung
aufweisen, so haben die negativen Befunde in diesem Falle
keine Beweiskraft und können nicht als Stütze der Theorie von
Henneguy-Lenhossök dienen, da die Unbeweglichkeit der
Flimmerhaare bei einer derartigen Isolation einfach die Folge
einer Verletzung ihres Plasmas selber sein kann, wie es Erhard
(1910) annimmt. Es ist verständlich, dass, je mehr sich auf
diese Weise die Autonomie der Flimmerhaare bei der von ihnen
ausgeführten Bewegung klarstellt, um so mehr Interesse die
Fragen über den feineren Bau derselben gewinnen.
Flimmerhaare. Gegenwärtig besitzen wir schon einige
Befunde über den Bau der Flimmerhaare selbst. So hat Löffler
(1889) an der Hand seines bekannten Verfahrens darauf hinge-
wiesen, dass die Flimmerhaare der Infusorien an ihrem freien,
recht stumpfen Ende einen feinen Fortsatz besitzen, für welchen
der gesamte übrige mehr oder weniger gleichmässig verdickte
Teil des Flimmerhaares gleichsam als Scheide dient. Schuberg
(1905) stellt mit einer Glaubwürdigkeit, die keinen Zweifel
zulässt, bei seinen interessanten Untersuchungen über die
Infusorien für die Flimmerhaare die Anwesenheit von feineren
und weniger gefärbten Endstücken, als einen bestimmten morpho-
logischen Begriff, fest, aus welchem folgt, dass im Bau der
Flimmerorgane zwei morphologisch gesonderte Teile unterschieden
23*
352 A. Koladey:
werden müssen: ein Achsenfaden und eine denselben mit Aus-
nahme seines freien Endes bedeckende protoplasmatische Hülle.
Für die Geisseln der Flagellaten haben eine gleiche Differenzierung
erwiesen: Fischer (1894) in den sog. „Flimmergeisseln“,
Bütschli (1902), Prowazek (1904), Hamburger (1905),
Goldschmitt (1907), Awerinzew (1907), bei den Sperma-
tozoiden Korschelt-Heider (1902) und Pütter (1904).
Das Vorhandensein eines besonderen Achsenfadens in den Flimmer-
haaren der Metazoa ist von Koltzoff (1903, 1906) für einige
Pteropoda und von Erhard (1910) für Anodonta bewiesen worden.
Bei meinen Beobachtungen über das Flimmerepithel des
Darmes von Anodonta ist es mir gelungen im Bau der Flimmer-
haare eine andere Eigenheit festzustellen. Wie aus der bei-
gegebenen Zeichnung (Fig. 1) hervorgeht, sind dieselben nicht
homogen, wie sie von fast sämtlichen Forschern bisher beschrieben
wurden, sondern bestehen aus niedrigen, dunkel gefärbten Scheiben,
die durch breitere, schwach gefärbte Abschnitte getrennt sind.
Bei der Feinheit der Flimmerhaare ist es durchaus verständlich,
dass diese Scheiben (wie ich sie zunächst bezeichnen werde) als
Körner erscheinen, welche den Härchen ein eigenartiges Aussehen
verleihen, das äusserlich an quergestreifte Muskelfibrillen erinnert.
Diese Scheiben sind im allgemeinen längs dem gesamten Flimmer-
schaft angeordnet, angefangen von dem in der Kutikula gelegenen
Zwischenstücke (Zwischengliede) bis an das freie Ende, wobei
sie hier bald näher, bald weiter von dem äussersten Endpunkte
des Flimmerhaares gelegen sind, was jedoch schwer fällt genau
festzustellen, da nicht immer, besonders auf Schnitten, die Totalität
der Härchen garantiert ist. Es lässt sich nur mit Sicherheit
aussagen, dass die Flimmerhaare niemals mit dunklen Scheiben
endigen, sondern dass das äusserste Ende derselben stets einen
leicht zugespitzten, schwach gefärbten Abschnitt darstellt. Ausser-
dem muss ich noch vermerken, dass die Scheiben näher zur Basis
hin dichter gedrängt und in regelmässigen Abständen voneinander
angeordnet ‘sind, während in der Richtung zum Gipfel des
Haares dieselben grössere und weniger regelmässige Zwischen-
räume haben; eine bestimmte Regel einer derartigen Anordnung
der Scheiben lässt sich augenscheinlich nicht aufstellen.
Eine derartige Differenzierung des Baues der Flimmerhaare
habe ich ausser bei Anodonta auch bei Ostrea, auf Total-
Uber den Bau des Flimmerapparates. 898
präparaten von Opalina ranarım, sowie im Epithel der Trachea-
schleimhaut eines fünfmonatlichen menschlichen Fötus, der in
dem Gemisch von Lenhossek fixiert war, erhalten. Es ist
bemerkenswert, dass bei einer Färbung vollkommen frischer
Flimmerzellen mit Methylenblaulösungen die von mir beschriebenen
Scheiben sich desgleichen intensiver färben als die sie trennenden
/wischenabschnitte. Dieser Umstand, sowie die Verschiedenartigkeit
der untersuchten Objekte, fernerhin der Umstand, dass ich mit
gleichem Erfolge sämtliche angeführten Reaktive angewandt
habe, sprechen meiner Meinung nach genügend gegen die
Möglichkeit von Kunstbildern und zugunsten dessen, dass diese
Bilder tatsächlich einer natürlichen Differenzierung der Flimmer-
haare entsprechen. Selbst bei Betrachtung von frischen oder
fixierten Präparaten ohne jegliche Färbung lässt sich bisweilen
wahrnehmen, wenn auch nicht deutlich, dass die Haare nicht
homogen sind, wobei dieses Verhalten nach dem Hinzufügen von
Methylenblau beträchtlich deutlicher hervortritt. Fin mehr oder
weniger genaues Bild der erwähnten Struktur der Flimmerhaare
kann natürlich nur bei Anwendung einer gut differenzierenden
Färbung, z. B. Eisenhämatoxylin von Heidenhain, erhalten
werden. Eine nicht geringe Schwierigkeit bestand hierbei darin,
den entsprechenden Moment bei der Extraktion des Hämatoxylins
mit Eisenalaun abzupassen. In der Mehrzahl der Fälle muss
hierbei von einer Deutlichkeit der übrigen Zellstruktur abgesehen
werden, da die feinen Flimmergebilde leicht entfärbt werden,
weswegen auch auf den anderen der Arbeit beigegebenen
Zeichnungen die hier beschriebene Struktur der Flimmerhaare
nicht wahrnehmbar ist.
Diese meine Beobachtungen stehen nicht isoliert da. Stuart
(1865) beschreibt in dem Cirrenvelum der Larven von Ap/ysia
virescens, sowie in den flimmernden Richtungskörpern bei der
Eifurchung dieser Tiere, dass die Flimmerhaare flache, zum
Ende sich verjüngende Bänder darstellen, welche aus einer Reihe
dicht beieinander gelegener Fibrillen bestehen. Diese Fibrillen
seien aus aufeinander folgenden länglichen viereckigen Muskel-
teilchen zusammengesetzt (deren Ecken etwas abgerundet sind),
welche in einem schwach lichtbrechenden, leicht körnigen Proto-
plasma eingelagert sind. Verfasser nimmt hierbei eine voll-
kommene Idendität der Flimmerhaare mit den Muskelfasern an.
354 A. Koladev:
Eine derartige phantastische Beschreibung behindert jedoch eine
reale Vorstellung des vom Verfasser tatsächlich gesehenen Bildes.
Bei den optischen Hilfsmitteln, welche Verfasser zu Gebote
standen und welche eine Vergrösserung von im Maximum 750 mal
ergaben, ist es direkt undenkbar, die einzelnen Fibrillen, die in
den Bestand der Flimmerhaare eingehen, zu sehen, geschweige
denn die detaillierte Struktur einer derartigen Fibrille (wenn
auch nur halbschematisch) mit Bezeichnung der dieselbe zusammen-
setzenden Elemente zu zeichnen. Hensen (1865) hat in den
Flimmerhaaren des Epithels, welches die Stiele der Mantelaugen
von FPecten jacobaeus auskleidet, die von Stuart beschriebenen
„rechteckigen Muskelelemente“ gesehen. Verfasser gibt jedoch
selber zu, dass die von ihm angewandten Mittel nicht die
Möglichkeit geben, irgendwelche entscheidende Schlüsse aus den
von ihm beobachteten Bildern zu ziehen.
Künstler (1882) beobachtete bei den Flagellaten: Urypto-
monas olivaceus, Euglena oxyurus, Chilomonas paramaecium,
Chlamidomonas pulvisculus etc. eine leichte Querstreifung der
Geisseln, welche er der Querstreifung der Muskeln gleichstellt.
Verfasser gibt hierbei eine äusserst dunkle Erklärung der von
ihm dargestellten Struktur. Seiner Meinung nach befinden sich
in dem Grundfaden der Geissel eine Reihe besonderer Kügelchen,
die voneinander durch schmale Streifen einer hellen Protoplasma-
masse getrennt sind. Diese Kügelchen, welche Künstler nicht
gesehen hat und auf seinen Zeichnungen nicht wiedergibt, stellt
er als massive „Mikrosomen“ dar, ähnlich denen, welche im
gesamten Protoplasma zerstreut sind. Die sie trennenden
schmalen Protoplasmastreifen ergeben seiner Meinung nach die
Querstreifung des Grundfadens der Geissel. Die von diesem
Forscher beigegebenen Abbildungen machen jedoch bei der
Unklarheit der Beschreibung den Eindruck einer äusseren
Gliederung der Geisseln der Art, wie sie z. B. Löffler (1888)
beschreibt. Alfred Fischer (1894) bildet bei Polytoma
wvella und Bodo spec. einen grobkörnigen, meiner Meinung
nach eher einen varikösen Bau der Geisseln ab, welcher nach
dem Verfasser an die von Verworn („Bewegung der lebenden
Substanz“) beschriebene Struktur der reizbaren Pseudopodien der
Örbitolithen erinnert. Verfasser stellt jedoch selber die Richtigkeit
des von ihm erhaltenen Strukturbildes in Abrede und schreibt
Uber den Bau des Flimmerapparates. 355
dessen Entstehung der quellenden Wirkung der von ihm angewandten
Löfflerschen Beize zu.
Tönniges (1898) und Plenge (1898—1901) haben beide
gleicherweise, ersterer in den Flimmerhaaren von Opalina ranarum,
letzterer in den Geisseln von Mycetozoenschwärmern abwechselnde
dunkle und helle Abschnitte wahrgenommen. Hier kann schliesslich
noch erwähnt werden die quergestreifte Differenzierung des
besonderen Tasters von Noctiluca miliaris, dessen Abbildung
sogar in Lehrbüchern aufgenommen ist (Doflein, 1902, und
andere). Im allgemeinen stösst jedoch irgendwelche Identifizierung
der Taster der Protozoa mit den Flimmerapparaten auf ent-
schiedenen Widerspruch von vielen Seiten, obgleich sie auch
einige Anhänger (Schäfer, 1904) aufweist. Schuberg (1905)
erklärt direkt, gestützt auf Befunde, die Bütschli anführt
(1887— 1889), dass der Taster von Noctiluca seinem Bau und
dem Charakter seiner Bewegung nach dermassen isoliert dasteht,
dass er als Grundlage für irgendwelche Schlüsse, die Beziehungen
zum allgemeinen Problem der Flimmerbewegung haben, nicht
angenommen werden kann.
Aus den angegebenen Gründen sind die Angaben von
Stuart, Hensen, Künstler und Fischer nicht beweisend.
Die Beobachtungen von Tönniges und Plenge wurden gewöhn-
lich infolge Mangels einer genauen Beschreibung und einer
Bestätigung an anderen Objekten von den späteren Forschern
ignoriert und bei der physiologischen Begründung der Flimmer-
bewegung nicht in Betracht genommen. Gegenwärtig jedoch,
nachdem ich eine gleiche Struktur der Flimmerhaare bei ver-
schiedenen Tieren gezeigt habe, erhalten meiner Meinung nach
auch diese Befunde eine gewisse Bedeutung.
Oben bereits habe ich darauf hingewiesen, dass auf Grund
von tatsächlichen Befunden die Mehrzahl der neuesten Forscher
eine Autonomie der Flimmerhaare bei der Bewegung derselben,
sowie eine Sonderung zweier morphologisch verschiedener Elemente
an denselben anerkennt. Ich möchte hier in Kürze die Erklärungen
der physiologischen Grundlage der Flimmerbewegung berühren,
welche einerseits auf einer Anerkennung der Autonomie der
Flimmerhaare, andererseits auf der Tatsache eines Vorhandenseins
eines besonderen Achsenfadens und einer denselben umgebenden
plasmatischen Hülle begründet sind. — Bereits Leydig (1885)
356 A. Koladev:
nahm an, dass die Plasmahülle der Flimmerorgane, welche aus
einer halbflüssigen Substanz besteht, aktiv beweglich sei, oder
das eigentliche kontraktile Element bilde, während der solidere
Achsenfaden nur ein elastisches, passiv bewegliches Gebilde dar-
stelle. Lankester (1897), Bütschli (1902), Prowazek (1904)
hielten eine derartige funktionelle Scheidung wenigstens für die
Geisseln der Protozoa als erwiesen. Eine Reihe neuester Forscher:
Pütter (1904), Gurwitsch (1904), Schuberg (1905) und
andere stellen das Vorhandensein zweier physiologisch verschiedener
Elemente überhaupt für alle Flimmergebilde fest, indem sie
somit das wesentliche der Erscheinung der Flimmerbewegung
auf eine gegenseitige Einwirkung von Kräften zurückführten,
welche sowohl der elastischen als auch der kontraktilen Substanz
zu eigen sind.
Ich glaube, dass die von mir erwiesene Struktur der Flimmer-
haare, welche aus dunklen Scheiben und aus schwach gefärbten,
dieselben trennenden Zwischenräumen bestehen, einer derartigen
Deutung nicht widersprechen. Im Gegenteil scheint es mir, dass
gerade in dieser Struktur die kontraktile Eigenschaft der plas-
matischen Hülle ihren äusseren Ausdruck findet, welche somit in
Gestalt von kompakten dunklen Abschnitten und hellen Zwischen-
räumen differenziert ist. Der Achsenfaden erstreckt sich natür-
lich als elastischer Schaft des Flimmerhaares unverändert vom
oberen Ende desselben bis zu dessen Basis.
Die Bezeichnung „Scheiben“ habe ich für die dunklen Ab-
schnitte nur auf Grund eines äusseren Eindrucks (ausserdem
in Profilansicht derselben) angewandt. Tatsächlich können sie
sich als Ringe darstelien, welche den Achsenfaden umgeben.
Wie bereits oben erwähnt, endigen die Flimmerhaare niemals
mit einer dunklen Scheibe, ihr Endpunkt erscheint stets als heller
verjüngter, bald grösserer bald geringerer Abschnitt. Dieser
Umstand gibt mir die Möglichkeit an die Hand, eine Analogie mit
den Angaben der oben erwähnten Forscher hinsichtlich der
Anwesenheit eines besonderen Abschnittes der Flimmerhaare
in Gestalt eines nackten Achsenfadens — Endstückes — durch-
zuführen.
Basalkörperchen. Für die Mechanik der Flimmer-
bewegung, die auf der gegenseitigen Wirkung der beiden oben
angeführten Kräfte beruht, ist das Vorhandensein eines gewissen
Über den Bau des Flimmerapparates. 357
Stützpunktes in Gestalt eines fest fixierten Körperchens durchaus
zweckentsprechend, wenn nicht gar physiologisch notwendig.
Einen derartigen Punkt stellen die Basalkörperchen dar, die als
Anheftungspunkt der Flimmerhaare an den Zelleib dienen. Zu
den Ansichten, welche eine ähnliche Rolle der Basalkörperchen
vollkommen in Abrede stellen, kann nur die Theorie von
Henneguy-Lenhossek gezählt werden, welche den Basal-
körperchen, als Gebilden centrosomaler Herkunft, die Bedeutung
eines kinetischen Zentrums zuschreibt, sowie die Ansicht von
Apäthy (1897), welcher dieselben als Endigungen eines be-
sonderen Nervenapparates, der sich in Gestalt der Wurzein der
Flimmerhaare darstellt, ansieht. Sämtliche übrige Ansichten
über die Bedeutung der Basalkörperchen enthalten im wesent-
lichen nichts, was ihre Stützfunktion ausschliesst. Frenzel
(1886) hielt die Basalkörperchen für Schutzgebilde für das voll-
kommen entblösste Protoplasma der Flimmerzellen. Diesem Zwecke
dient jedoch der von der Mehrzahl der Forscher erwiesene
Kutikularsaum, durch welchen die Flimmerhaare hindurch-
treten. Gurwitsch stellt auf Grund seiner Beobachtungen über
die Entwicklung des Flimmerapparates (im Tubarepithel von
Kaninchen, des Darmes von ZLumdricus sowie den Kiemen und
dem Ösophagus von Krötenlarven) fest, dass zunächst und zwar
vollkommen selbständig die Basalkörperchen erscheinen, darauf
jedoch von ihnen die Flimmerhaare auswachsen. Der Verfasser
zieht hieraus den Schluss, dass bei der Histogenese die Basal-
körperchen als Nachwuchs dienen, auf Kosten dessen die Härchen
selber sich entwickeln; in den erwachsenen Zellen enthalten sie
das Material, das von den Flimmerhaaren während ihrer Funktion
verwandt wird. Eine ähnliche Ansicht spricht auch Holmgren
(1902) in bezug auf die Basalkörperchen, die er in den Chitin-
matrixzellen von Arthropoden gefunden hat, aus; die letzteren
bilden verschiedenartige Gebilde, welche dieser Forscher für ver-
klebte, chitinisierte Flimmerhaare hält. Gurwitsch ist es
jedoch nicht gelungen, an diesen Objekten den Prozess der Ent-
wicklung der Flimmerhaare selbst zu verfolgen. Übergangsstadien
von Zellen, die mit Basalkörperchen versehen sind, jedoch keine
Flimmerhaare haben, zu vollkommen entwickelten Flimmerzellen
gibt er nicht an. Auf welche Weise hier die Flimmerhaare aus-
wachsen, ist für ihn unbestimmt geblieben. Ausserdem beschreibt
358 A. Koladev:
jedoch dieser Forscher bei Salamanderlarven (Rachenepithel) einen
vollkommen entgegengesetzten Entwicklungsgang, da hier sich
zunächst aus den Flächen der kutikularen Waben Flimmerhaare
absondern und erst darauf an deren Basis die Basalkörperchen
erscheinen. — Was nun die unmittelbare Stützfunktion der Basal-
körperchen anbetrifft, so spricht sich dafür eine ganze Reihe von
Forschern aus. Eismond (1900) erklärt direkt, dass sie als
Anheftungspunkt der Flimmerhaare und als Stützpunkt der sie
in Bewegung versetzenden Kraft dienen. Eine ähnliche Ansicht
haben früher Künstler (1882), Plenge (1899), Meisen-
heimer (1899) ausgesprochen; in neuester Zeit nehmen das-
selbe Maier (1905), Schuberg (1905), Kuppelwieser (1906),
Erhard (1910) und andere an.
Da ich derselben Ansicht bin, so will ich mich bemühen
darzulegen, inwieweit das rein anatomische Bild dieser Funktion
der Basalkörperchen entspricht. Heidenhain (1899) vermerkt,
indem er bei Helix pomatia die Anordnung der Basalkörperchen
in Reihen an der freien Oberfläche der Zellen beschreibt, dass
dieselben reihenweise untereinander durch besondere Streifen der
Grenzmembran der Zelle verbunden sind. Luther (1904) stellt
in dem Flimmerepithel der Haut von Turbellarien (Rhabdocoela)
fest, dass die in Längsreihen angeordneten Basalkörperchen nicht
nur reihenweise miteinander verbunden sind, worauf Heiden-
hain hingewiesen hat, sondern dass bisweilen von einigen der-
selben feine Protoplasmazüge zu Körperchen der anderen Reihe
ziehen. Im Darmepithel von Anodonta, besonders an den Zellen,
welche an den Krümmungen des Darmkanals gelegen sind und
infolgedessen eine verbreiterte freie Oberfläche aufweisen, habe
ich selber die Beobachtungen machen können, dass jedes Basal-
körperchen vermittels besonderer Züge mit sämtlichen übrigen,
dasselbe umgebenden Körperchen verbunden ist (Fig. 2). Von
den am Rande gelegenen Körperchen gehen gleiche Züge auch
peripherwärts zu den Zellwandungen ab. Auf der Oberfläche der
Flimmerzellen entsteht somit unter der Kutikula eine Art eines
besonders differenzierten, intensiv gefärbten protoplasmatischen
Netzes, das gleichmässig sich allseitig ausbreitet und in dessen
Knotenpunkten die Basalkörperchen eingelagert sind. Auf Vertikal-
schnitten (Fig. 3) erscheinen die Balken dieses Netzes als
schärfer hervortretende Grenzschicht der Zelle, welche sich an
Über den Bau des Flimmerapparates. 359
jedem Körperchen etwas verdickt. Das von mir geschilderte
Bild findet eine Bestätigung in den Angaben von Gurwitsch
(1901), dass bei der Entwicklung des Flimmerapparates die
Basalkörperchen als Knotenpunkte von Schlingen der deutlich
wabenförmig gebauten Kutikula entstehen. Es ist beachtenswert,
dass die gleichen Beziehungen im Bau des Flimmerapparates
auch bei Infusorien vorhanden sind. Schuberg (1905) beschreibt,
dass bei Paramaecium caudatum bei der Betrachtung von der
der Fläche die Basalkörperchen gewöhnlich in der Mitte besonderer
vieleckiger Felder der Pellikula gelegen und miteinander durch
Längslinien verbunden sind, welche Verfasser für eine unterhalb der
Pellikula eingelagerte fibrilläre Differenzierung der oberflächlichen
protoplasmatischen Schicht hält.') Bisweilen, schreibt Schuberg»
sind auch (wenn auch recht schwach) radial von den Basal-
körperchen abgehende Linien zu erkennen. Verfasser vermerkt
jedoch nicht, ob diese Radiallinien eines Basalkörperchens mit
gleichen Linien eines anderen Körperchens sich vereinigen, oder
ob sie sich nur auf das Gebiet ihres Feldes beschränken; wahr-
scheinlicher ist das letztere Verhalten.
Meine Fig. 3 erweist, dass bei Anodonta die Basalkörperchen
bisweilen komplizierte Formen in Gestalt zweier übereinander
gelegener vollkommen runder Gebilde darstellen, wobei das untere
in einen Knotenpunkt des oberflächlichen Netzes eingelagert ist,
während das obere, etwas kleinere, vollkommen frei gelegen ist.
In Anbetracht des minimalen Abstandes zwischen beiden Gebilden,
ihrer runden Form und ihrer bedeutend geringeren als gewöhnlich
Dimensionen, kann, glaube ich, angenommen werden, dass auch
die einzelnen, gewöhnlich länglichen Basalkörperchen tatsächlich
Doppelgebilde darstellen, was nur infolge ihrer geringen Grösse
nicht immer möglich ist, festzustellen. Dieselbe Annahme hat
bereits früher Fuchs (1904) ausgesprochen auf Grund dessen,
dass bei der Entwicklung des Flimmerapparates in den Coni
vasculosi (bei der Maus) die Basalkörperchen als zwei Körner —
einem distalen und einem proximalen, angelegt werden, wobei
!) Wahrscheinlich beschreibt auch Tönniges (1898) bei Opalina
ranarum dasselbe Gebilde als unterhalb der Pellikula sich kreuzende
Fäden, in deren Knotenpunkten die Flimmerhaare gelegen sind. Dieser
Forscher nimmt sogar an, dass die Kontraktion dieser Fäden die Bewegung
der Flimmerhaare hervorruft.
360 A. Kolacev:
Fuchs dieselben sogar mit den Zentralkörperchenpaaren ver-
gleicht. Es ist jedoch äusserst schwierig nach den Angaben
des Verfassers sich klarzustellen, wem das untere (distale) Korn
entspricht: ob dem Gebilde, welches Frenzel (1886) in seinem
Schema der komplizierten Basalkörperchen als „oberes Knöpfchen “
bezeichnet, oder aber dem „Nebenknöpfchen“ dieses Schemas,
welchem ich das von mir beschriebene Nebenkörperchen gleich-
stelle. Eine derartige Scheidung ist jedoch unbedingt wichtig,
da das von Frenzel als „oberes Knöpfchen“ bezeichnete Gebilde
bisweilen von den Autoren als äusserer (an der Grenze der
Kutikula) Knotenpunkt des Zwischengliedes des Flimmerhaares
dargestellt wird und eine vollkommen andere prinzipielle Bedeutung
(besonders nach Erhard, 1910) haben kann, infolgedessen eine
Zusammenstellung diese Gebildes mit echten Basalkörperchen
unmöglich erscheint.
Die Wurzeln der Flimmerhaare. Bereits Engel-
mann vermerkt bei der Beschreibung der fibrillären intracellulären
Fortsetzung der Flimmerhaare, dass dieselbe bisweilen fein
gekörnt erscheint, was auch aus seinen Abbildungen hervorgeht.
Gaule (1881) hielt sie für quergestreift. Die Vorstellungen über
diese Gebilde waren jedoch im allgemeinen augenscheinlich sehr vage.
Benda (1899), welcher die Wurzelfäden als Mitochondriengebilde
ansieht, beobachtete in ihnen Varikositäten. Auch Heidenhain
(1599) vermerkt bisweilen eine Körnelung des Fadenapparates
der (nieht flimmernden) Zellen des Darmepithels vom Frosch.
Meine Präparate weisen desgleichen darauf hin, dass die Wurzel-
fäden der Flimmerhaare varikös sind. Diese Varikosität ist
bisweilen dermassen scharf ausgeprägt, dass die Fäden selber
als Reihen von in gewissen Abständen angeordneten Körnern
erscheinen. Ausserdem jedoch gehen von den Fibrillen an den
Stellen der Varikositäten Sprossen ab, die dieselben miteinander
verbinden (Fig. 4. Sagittalschnitt entsprechend des Schemas von
Heidenhain; Fig.5. Zellen Bund C — frontal, genauer Tangential-
schnitt.) Auf diese Weise entsteht das typische Bild eines etwas
in die Länge gezogenen Netzes mit Verdickungen an den Knoten-
punkten, wobei die Längsseiten der Schlingen dieses Netzes, die
sich durch ihre Massivität und ihre intensivere Färbung aus-
zeichnen, die Wurzeln der Flimmerhaare darstellen, während die
(Wuerbalken schwächer ausgebildet sind, infolgedessen sie auch
Über den Bau des Flimmerapparates. 361
nicht immer wahrnehmbar sind. Es ist klar, dass das Bild eines
derartigen Netzes nur in dem Falle deutlich festgestellt werden
kann, wenn das Netz nicht zu sehr in die Länge gestreckt ist
und die Längsseiten seiner Schlingen einander nicht zu sehr
genähert sind. In dem oberen Abschnitt der Flimmerzellen, wo
die Fibrillen nahe an die Zellwandungen herantreten, sind sie
auch mit den letzteren durch Querbalken verbunden. In dieser
Hinsicht ist besonders überzeugend das Bild eines Querschnittes
(Fig. 6) des oberen Abschnittes der Flimmerzellen, auf welchem
die scharf gefärbten Wurzeln der Flimmerhaare und besonders
die Verdickungen in den Knotenpunkten als dunkle Punkte
erscheinen, die in dem schwächer gefärbten, allgemeinen Proto-
plasmanetz eingelagert sind. Es ist beachtenswert, dass in dem
von den Wurzelfibrillen freien Zellabschnitt, welcher dem von
Heidenhain beschriebenen „toten Raum“ entspricht, kein der-
artiges regelmässiges Netz vorhanden ist, sondern dass dasselbe
nur durch einige regellos angeordnete Bruchstücke dargestellt
ist (Fig. 4). Desgleichen fehlt auch ein regelmässig ausgebildetes
Netz in den Abschnitten der Zelle unterhalb des Kernes; hier
ist nur zu erkennen, dass eine mehr in der Längsrichtung
angeordnete Verteilung der Bruchstücke des Netzes vorwiegt.
Nun ist es interessant die Entwicklung derartiger Wurzeln
der Flimmerhaare zu verfolgen. Ich führe hier die von Wallengren
(1905) erhobenen Befunde über die Entwicklung derselben bei
der Teilung der Epithelzellen des Darmes von Anodonta an.
Nach Schluss des Teilungsprozesses erfolgt hier eine sekundäre
Regeneration des während der Teilung verschwundenen Flimmer-
apparates. Hierbei werden zunächst nach den Angaben dieses
Forschers die Basalkörperchen angelegt (vollkommen unabhängig
von den Üentrosomen), als eine Verdickung des dichten, peri-
pherischen Zellsaumes, darauf erfolgt alsdann eine Differenzierung
aus dem Protoplasma der fädigen Wurzeln selber. Wallengren
beobachtete jedoch auch Fälle, in denen Spuren einer Absonderung
der fädigen Wurzeln vor der Entstehung der Basalkörperchen
auftreten. Infolgedessen gibt er hinsichtlich der Entwicklung
der Wurzeln der Flimmerhaare drei Möglichkeiten zu: entweder
beginnt ihre Differenzierung an dem unteren Ende der Basal-
körperchen und erstreckt sich alsdann in das Innere der Zelle;
oder aber die Wurzeln nehmen ihren Ursprung in dem inneren
362 A. Koladey:
Protoplasma und erreichen, indem sie sich in der Richtung zum
freien Ende der Zelle ausbreiten, die Basalkörperchen; oder
schliesslich sie differenzieren sich aus dem Protoplasma auf
einmal in ihrer gesamten Länge. Den Prozess der Absonderung
selber der Wurzeln der Flimmerhaare beschreibt Wallengren
aus Mangel an entsprechenden Bildern nicht; er nimmt jedoch
an, dass, da in den früheren Stadien diese Wurzeln eine geringere
Ausdehnung in der Richtung von den Basalkörperchen haben,
als in den späteren, so erfolgt augenscheinlich ihre Absonderung
direkt aus dem Zellprotoplasma, ursprünglich jedoch wird der
Prozess an den Basalkörperchen angelegt.
An meinen Präparaten des Darmepithels von Anodonta habe
ich, gerade dort, wo häufig die von Wallengren beschriebenen
Teilungsfiguren angetroffen werden, besondere Zellen beobachten
können, welche sich scharf von den übrigen gewöhnlichen Flimmer-
zellen dieses Objektes absonderten. Das Protoplasma dieser Zellen
lässt keine Spur der für jene typischen Wurzeln von Flimmer-
haaren erkennen. Es stellt ein gleichmässig in der ganzen Zelle
ausgebreitetes Netz dar, ohne jegliche Verdickungen in den
Knotenpunkten und ohne eine bestimmte Anordnung seiner
Schlingen zu offenbaren (Fig. 7). Auf Grund dessen, dass diese
Zellen, die sich in beträchtlichem Maße aus der Reihe der übrigen
Flimmerzellen hervortun, ausschliesslich dort angetroffen werden,
wo mehr oder weniger häufig Teilungsfiguren vorhanden sind,
dass sie häufig paarweise (wie Tochterzellen) gelegen sind und
dass sie noch keine Anzeichen einer Sekretion offenbaren, bin
ich der Meinung, dass sie junge Tochterzellen mit noch nicht
abgesonderten typischen fädigen Wurzeln sind. Den Hauptgrund
für die hier ausgesprochene Ansicht ergibt jedoch der Umstand,
dass ich auf meinen Präparaten sämtliche Übergangsstadien einer
allmählichen Ausbildung dieser Zellen in für das betreffende
Objekt typische Flimmerzellen mit einem scharf abgesonderten
Wurzelkegel der Flimmerhaare angetroffen habe. Die wichtigsten
Übergangsstadien dieser Entwicklung geben die Figuren 7, 8 und 5
(Zelle A). Fig. 7 gibt das Bild der plasmatischen Struktur, in
welcher noch keine bestimmte Anordnung der Schlingen des
allgemeinen Netzes bemerkbar ist. Hier ist nur die für jegliche
Struktur der Flimmerzellen charakteristische Eigentümlichkeit zu
erkennen, dass nämlich an jedes Basalkörperchen die vertikalen
Über den Bau des Flimmerapparates. 363
Seiten der zunächst an der freien Oberfläche angeordneten
Schlingen des allgemeinen Netzes herantreten. Die Netzschlingen
strecken sich darauf, wie es die Fig. 8 zeigt, etwas in die Länge,
während sich ihre Längsseiten mehr geradlinig von den Basal-
körperchen in der Richtung zum Innenteil der Zelle anordnen.
Auf der Fig. 5 (Zelle A) ist diese Differenzierung bereits voll-
kommen scharf ausgeprägt. Hier können schon die aus den
Längsbalken des Netzes gebildeten, in der Richtung nach unten
etwas konvergierenden Fibrillen verfolgt werden. Zwischen dem
Kern und der freien Oberfläche der Zelle (näher zum Kern)
treten Verdickungen in den Knotenpunkten auf, die sich darauf
längs den Fibrillen nach oben erstrecken und das Bild von typischen
Varikositäten der Wurzeln gewähren (Fig. 5, Zelle B und C).
Mit der zunehmenden Absonderung der Wurzelfäden werden die
Querbalken des Netzes feiner und färben sich weniger intensiv.
Die in der Längsrichtung angeordneten Fibrillen nähern sich bei
ihrer weiteren Ausdehnung einander und bilden (wenigstens dem
äusseren Anblick nach) eine kegelförmige Oberfläche, und ziehen
sich schliesslich beinahe in einen Endfaden aus. Hierbei wird
das allgemeine plasmatische Netz zerstört, infolgedessen der „tote
Raum“ entsteht, den Heidenhain beschreibt und der nur spär-
liche, abgerissene Bruchstücke des früheren Netzes enthält (Fig. 4).
Aus diesem Entwicklungsgang der Fibrillen des Kegels folgt, dass
die Vorstellung Heidenhains (1899), als teilen sich die Fibrillen,
als solche, dichotomisch in der Richtung vom Gipfel des Kegels
zu dessen Basis, nur auf dem äusseren Eindruck beruht und
augenscheinlich nicht der Tatsache entspricht.
Bekanntlich gibt es eine Reihe von Hinweisen (conf. die
erste Tafel von Erhard, 1910) darauf, dass bei den höheren
Wirbeltieren in den Flimmerzellen typische Wurzeln der Flimmer-
haare gefunden worden sind; nichtsdestoweniger können diese
Gebilde nicht als charakteristisch für diese Zellen angesehen
werden. Augenscheinlich muss jedoch auch bei den höheren
Tieren die protoplasmatische Grundstruktur der Flimmerzellen
von demselben Typus sein, der die Möglichkeit des Auftretens
einer derartigen Struktur, wenn auch in einzelnen Fällen, gewährt.
Tatsächlich habe ‘ich an verschiedenen Objekten (Trachea eines
fünfmonatlichen menschlichen Fötus, Trachea des Pferdes, Uterus
der Katze) ein feinstes Strukturnetz des Protoplasma wahrnehmen
364
AmReoNl are ev:
können, ohne jegliche regelmässige Anordnung desselben, wobei
auch hier die oberen Längsseiten der Schlingen ein jedes Basal-
Fig. A.
Die Zelle aus dem
Epidermis von
Aeolis papillosa.
K. 1700. Nach
Vienon (1900).
Fie. B.
Die Zelle aus dem
Ösophagusepithel
von Triton. Nach
Vignon (1901).
körperchen berühren. Das Bild eines derartigen
gleichmässigen Netzesohne Sonderung derWurzeln
der Flimmerhaare gibt auch Vignon (1900,
1901) aus dem Ösophagusepithel von Triton so-
wie (jedoch weniger typisch) in der Epidermis
von Aeolis papillosa. Hierbei spricht Verfasser
die Vermutung aus, dass die Wurzelfäden durch
eine Längskoordination der Trabekeln dieses Netzes
entstehen, d. h. genau auf dieselbe Weise, für
welche meine Beobachtungen die tatsächliche
Grundlage abgeben.
Auf diese Weise kann überhaupt festgestellt
werden, dass die protoplasmatische Grundstruktur
aller Flimmerzellen sich als mehr oder weniger
gleichmässiges Netz ohne besondere regelmässige
Anordnung dessen Schlingen darstellt; erst später,
infolge einer allmählichen Differenzierung der
vertikalen Balken dieses Netzes, sondert sich der
Fadenapparat aus, dessen Fibrillen als intracellu-
läre Wurzeln der Flimmerorgane erscheinen.
Diese Verallgemeinerung, als bestimmtes
Prinzip des protoplasmatischen Baues, kann in-
folge meiner Beobachtungen an Opalina ranarum
auch auf die Wimperinfusorien übertragen worden.
Gebilde, welche den intracellulären Wurzeln der
Flimmerhaare entsprechen, sind bisher bei In-
fusorien nur für derartige komplizierte Organe,
wie „Wimperbündel“, „Cirren“ und „Membra-
nellen“ beschrieben worden (Engelmann,
1880; Maupas, 1883; Maier, 1903; Schuberg,
1905; Bovard, 1907). Für die gewöhnlichen, ein-
fachen Flimmerhaare sind bisher keinerlei intra-
celluläre Fortsetzungen derselben angegeben
worden. Einige Autoren (Schewjakoff, 1896,
bei Urocentrum und Nassula aurea, Maier, 1903,
bei Dursaria truncatella, und andere) vermerken bloss, dass zu-
weilen in besonderen Fällen einem jeden Flimmerhaar Flächen
Über den Bau des Flimmerapparates. 365
oder Kanten der Waben der alveolären Schicht, die bisweilen
direkt als „radiäre Fäden“ (Schewjakoff, 1896, pag. 25) be-
zeichnet werden, entsprechen. Auf Grund derartiger Befunde
erklärt Verworn (1891), dass die alveoläre Schicht überhaupt
als „Teil eines Mechanismus“ für die Flimmerbewegung ver-
standen werden kann; an und für sich ist jedoch eine derartige
Bestimmung äusserst unbestimmt und drückt nichts Wesent-
liches aus.
Bei Opalina ranarum haben die Forscher bisher die für die
Mehrzahl der Wimperinfusorien charakteristische alveoläre Schicht
nicht gefunden. Bütschli (1889) nahm an, dass bei den mit
einer dicken Hülle versehenen Ciliata, zu denen Nyetotherus,
Balantidium, Dasytricha, Discophrya, Opalina gehören, die äussere
homogene Ektoplasmaschicht der Pellikula und der alveolären
Schicht der anderen Infusorien entspricht. Das Vorhandensein
einer selbständigen alveolären Schicht war darauf (Maier,
1903) erwiesen worden für die Arten Dasytricha, Discophrya,
Balantidium. Nicht nachgewiesen war jedoch eine derartige
Schicht bis jetzt bei Opalina und Nyctotherus. Bei Opalina ranarum
fand ich jedoch unterhalb der Pellikula eine wabige Fktoplasma-
schicht, welche der alveolären Schicht der übrigen Ciliata
(Aspirotricha) entspricht. Dieselbe besteht jedoch hier nicht aus
Waben von typischer länglicher Form, sondern aus solchen von
bald mehr kubischer, bald mehr flacher, gleichsam längs der Körper-
oberfläche gestreckter Form. Auf Querschnitten entsprechen
jedem Flimmerhaar vertikale (in bezug auf die Oberfläche)
Wabenflächen dieser Schicht. Diese Flächen zeichnen sich durch
ihre grössere Dicke aus und machen besonders an den Stellen,
wo die Waben mehr kubisch sind, den Eindruck von kurzen
Wurzeln der Flimmerhaare in Gestalt von „radiären Fäden“,
welche von den Basalkörperchen in das Innere des Infusorien-
körpers abgehen. Meinen Beobachtungen nach beschränkt sich
eine derartige Differenzierung der vertikalen Wabenflächen nicht
allein auf die alveoläre Schicht, sondern erstreckt sich bei
Opalina ranarum auch auf die übrigen protoplasmatischen
Schichten. Ich habe nämlich wahrnehmen können, dass die
Schlingen des Netzes im Endoplasma, welches nach den Angaben
von Prof. Schewjakoff (1896) bei den Infusoria Aspirotricha
(Holotricha) aus kleinen, grösstenteils unregelmässigen Vielecken
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. 24
366 A. Koladey:
besteht, die das Endoplasmanetz bilden, recht häufig nicht die
gewöhnliche vieleckige Form aufweisen, sondern in der @uer-
richtung des Infusorienkörpers gestreckt sind. Dementsprechend
ordnen sich die gestreckten Flächen der Vielecke in mehr oder
weniger geraden Linien an; eine derartige geradlinige Koordination
derselben kann dermassen scharf ausgeprägt sein, dass echte, in
der Querrichtung des Infusorienkörpers sich erstreckende Fibrillen
entstehen. Am meisten beachtenswert ist jedoch der Umstand,
dass die auf diese Weise gebildeten Fibrillen auf dem Querschnitt,
wie auch die Flächen der alveolären Schicht fast einem jeden
Flimmerhaar entsprechen und längs den Wänden des grosswabigen,
oder eher grobvakuolisierten (wie es Tönniges [1898] beschreibt)
kortikalen Protoplasmas bis zu den Basalkörperchen selber (Fig. 9)
verlaufen. Auf Längsschnitten, auf denen die in Reihen ange-
ordneten Flimmerhaare und Basalkörperchen dichter beieinander
gelegen sind, ist auch die beschriebene fibrilläre Differenzierung
beträchtlich dichter. Ich muss jedoch zugeben, dass das Bild der
protoplasmatischen Struktur bei Opalina ranarum stark variiert.
Neben einer scharf ausgeprägten fibrillären Differenzierung kann
ebenso häufig (auf Schnitten durch die End- und Randpartien des
Körpers sogar beständig) das Bild eines kontinuierlichen Netzes
in allen Protoplasmaschichten wahrgenommen werden. Nichts-
destoweniger kann auch: bei Opalina ranarım das allgemeine
Prinzip der Absonderung des Fadenapparates in den Flimmer-
zellen aus einer ursprünglich gleichmässigeren Schicht verfolgt
werden.
Über die Bedeutung der Wurzeln der Flimmerhaare gibt
es in der Literatur eine grosse Anzahl verschiedener Ansichten,
Ich habe nicht die Absicht, dieselben hier ausführlich zu besprechen,
sondern werde nur einige derselben anführen. Stuart (1867),
Simroth (1876), Nussbaum (1877) schreiben ihnen eine
motorische Funktion zu. Dieselbe Funktion erkennt für sie auch
Benda (1898/99, 1900/01) an, indem er dieselben für Mitochondrien-
gebilde hält. Eimer (1877), Apäthy (1897), Metalnikoff
(1900) hielten die Wurzeln der Flimmerhaare für Neurofibrillen.
Engelmann (1880) nahm an, dass sie Ernährungszwecken der
Flimmerhaare dienen, während Prenant (1899) dieselben als
chemische Bereiter der Flimmerbewegung ansieht. Eismond
(1900), Peter (1899), Pütter (1904), Maier (1903) sprechen
Über den Bau des Flimmerapparates. | 367
den Wurzelfäden die Bedeutung von Stütz- und Anheftungs-
organen der Flimmerhaare mit den Basalkörperchen zu. Heiden-
hain (1899) schreibt überhaupt derartigen fädigen Gebilden
(wie in dem Darmepithel des Frosches) eine Funktion des Wider-
standes (Tonofibrillen) gegen jeglichen mechanischen Druck auf
die Zelle zu.
Erhard gelangt schliesslich, gestützt auf die Angaben
von Goldschmidt (1907) bei Mastigamoeba vitrea und seine
eigenen Versuche über die Flimmerzellen der Metazoa, zum
Schluss, dass die Wurzeln der Flimmerhaare für eine Verkürzung
dieser letzteren dienen. Es muss jedoch eingestanden werden,
dass der Sinn einer derartigen Bedeutung derselben unklar ist.
Mir scheint es ausserdem, dass die Versuche von Erhard nicht
das direkte Recht für einen derartigen Schluss geben. Er legte
die Zellen des Flimmerepithels in eine Lösung von Kirschleim
ein und beobachtete hierbei, dass in den Zellen mit gut ent-
wiekelten Wurzeln der Flimmerhaare (schmale Zellen des Darm-
epithels von Anodonta) eine gewisse Verkürzung der Haare
erfolgte, in den Zellen mit schwächer entwickelten Wurzeln
(breite Zellen desselben Objektes) war die Verkürzung geringer
und fehlte schliesslich gänzlich im Falle eines vollkommenen
Mangels derselben (Pharynxepithel vom Frosch). Erhard gibt
sogar zur Illustration seines Befundes Ziffern an: im ersteren
Fall entsprach die Verkürzung im Mittel der Zahl 7,59, im zweiten
4,22, im dritten O0. Der Verfasser lässt jedoch vollkommen ausser
acht, dass auch die Zahlen, welche die mittlere Länge der
Flimmerhaare vor dem Versuch angeben, desgleichen sich
beträchtlich voneinander unterscheiden (ausserdem desgleichen in
abnehmender Folge): 36,64: 34,09; 11,4. Ist das der Fall, so
kann mit dem gleichen Recht angenommen werden, dass die
kürzeren Flimmerhaare an und für sich dermassen konstruiert
sind, dass sie einer Verkürzung unfähig sind. Zur Erklärung
eines derartigen Vermögens der längeren Flimmerhaare bei
einer Vergrösserung der Widerstandskraft des Mediums (im
gegebenen Falle die konsistentere Kirschleimlösung) kann als
Beispiel die gewisse unwillkürliche Verkürzung der Muskeln
angeführt werden, die gewöhnlich als Begleiterscheinung einer
jeglichen stärkeren Spannung derselben erfolgt. Meine Annahme
einer analogen Selbstverkürzung der Flimmerhaare ist um so
24*
5)
N
w
68 A. Koladev:
wahrscheinlicher, als Erhard bei seinen Versuchen eine Ver-
kürzung der Wurzeln selber überhaupt nicht beobachtet hat.
Seine anderen weniger wissenschaftlich angestellten Versuche
haben einen mehr zufälligen Charakter; Verfasser selber schreibt
ihnen augenscheinlich keine entscheidende Bedeutung zu.
Meine Ansicht über die Funktion der Wurzeln der Flimmer-
haare besteht darin, dass sie der Zufuhr von Ernährungssubstanzen
für die Flimmerhaare dienen, die einen schnellen Ersatz des bei
den Arbeiten verbrauchten Materials bedürfen. Ich nehme jedoch
an, dass auch die Stützfunktion, welche denselben von vielen
Forschern zugesprochen wird, durchaus nicht die Ernährungs-
funktion ausschliesst und desgleichen zu Recht bestehen kann.
Indem die Wurzelfäden mit den Basalkörperchen eine feste Stütze
für die Flimmerhaare abgeben, leisten sie auch, wie ich denke,
dem Druck des Flimmerapparates auf die Zellen Widerstand,
da ja der Widerstand, welchen die Flimmerorgane bei ihrer
Bewegung von seiten des sie umgebenden Mediums erfahren,
schliesslich in einen Druck auf die Oberfläche der entsprechenden
Zelle übergeführt wird.
Zum Schluss der Beschreibung der Protoplasmastruktur der
Flimmerzellen und ihrer Beziehungen zum Flimmerapparat muss
ich vermerken, dass Andeutungen auf einen derartigen Bau des
Protoplasmas und auf eine Differenzierung aus demselben be-
sonderer fädiger Gebilde M. Heidenhain (1899) ausgesprochen
hat, auf Grund seiner Beobachtungen über das (nicht flimmernde)
Epithel des Froschdarmes. Wenigstens weist nach den Worten
dieses Forschers die sog. Körnchenzone des oberen Zellabschnittes
dieses Epithels einen feinwabigen Bau auf, welcher bisweilen
sich in Gestalt eines recht regelmässigen, feinen plasmatischen
Netzes darstellt. Als einen deutlicheren Ausdruck des Baues
dieser Zone bildet Heidenhain (Fig.1) in ihr einige feine
Linien ab, welche die Längsstreifung in querer Richtung durch-
ziehen. Derartige Strukturverhältnisse nimmt Verfasser auch
für das Protoplasma des mittleren Zellabschnittes an, da er auch
hier zwischen den Fibrillen feine Querbrücken wahrgenommen
hat. Präparate, die für eine Abbildung einer derartigen Detail-
struktur geeignet wären, hat er jedoch nicht erhalten. Auf jeden
Fall, sagt Heidenhain, muss, wenn es möglich ist, dass das
Plasma der Darmepithelzellen (des Frosches) im Grunde einen
Über den Bau des Flimmerapparates. 369
wabigen Bau hat, der Fadenapparat dieser Zellen als seine be-
sondere, in den Wänden der Waben entstehende Differenzierung
angesehen werden (pag. 192, 195).
Herrn Professor A. Dogiel, sowie dessen Herren Assistenten
spreche ich meinen Dank für die mir gewährten Ratschläge aus.
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!) Ich führe hier nur diejenigen Abhandlungen an, die ich in meiner
Arbeit zitiere. Ein verhältnismässig vollständiges Verzeichnis sämtlicher
Arbeiten, die Beziehung zu den Fragen über den Flimmerapparat haben,
gibt Erhard — Studien über Flimmerzellen. Archiv f. Zellforschung,
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(St)
=]
NO
A. Koladev: Über den Bau des Flimmerapparates.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XVII.
Sämtliche Zeichnungen sind mit Hilfe eines Zeichenapparates angefertigt worden.
Fig. 1—8.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Il,
Darm von Anodonta.
Bau der Flimmerhaare. Die Struktureinzelheiten der Zelle selber
sind infolge ungenügender Extraktion des Weigertschen Häma-
toxylins mit Eisenalaun nicht deutlich. Hermanns Mischung.
Zeiss’ Apochrom. 1,30, 2 mm; Kompens.-Ok. 8.
Die in den Knotenpunkten des oberflächlichen Protoplasmanetzes
eingelagerten Basalkörperchen. Der Gipfel der an der Oberfläche
etwas vorgewölbten Flimmerzelle (aus einer Biegungsstelle des
Darmes) ist abgeschnitten. Die linke obere Ecke der Figur ist
etwas geneigt. Flemmings (schwaches) Gemisch. Eisenhäma-
toxylin. Zeiss’ Apochrom. 1,40, 2 mm; Kompens.-Ok. 12.
Senkrechter Schnitt entsprechend der Fig. 2. Doppelte Basal-
körperchen. Die unteren sind durch eine besondere protoplasmatische
Grenzschicht verbunden, welche sich an jedem Basalkörperchen
etwas verdickt. Flemmings (schwaches) Gemisch. Eisenhäma-
toxylin. Zeiss’ Apochrom. 1,50, 2 mm; Kompens.-Ok. 12.
Wurzeln der Flimmerhaare, welche durch Querbrücken mit Knoten-
punkten verbunden sind. In dem von den Wurzeln freien Raume
sind unregelmässige Bruchstücke des Netzes sichtbar. Sagittal-
schnitt nach dem Schema von Heidenhain. Sublimat mit Essigs.
Eisenhämatoxylin. Zeiss’ Apochrom. 1,350, 2 mm; Kompens.-Ok. 12.
Zelle B und ©. Dasselbe. Frontal, genauer Tangentialschnitt.
Querschnitt des oberen Teils der Flimmerzellen. Die Wurzeln der
Flimmerhaare erscheinen als schwarze Punkte im allgemeinen
Protoplasmanetz. Flemmings (starkes) Gemisch. Eisenhäma-
toxylin. Zeiss’ Apochrom., 1,30, 2 mm; Kompens.-Ok. 8.
7, 8 und 5. — Zelle A. Aufeinanderfolgende Stadien der Entstehung der
fibrillären Wurzeln der Flimmerhaare aus dem allgemeinen, proto-
plasmatischen Grundnetz. Sublimat mit Essigsäure. Eisenhäma-
toxylin. Zeiss’ Apochrom. 1,50, 2 mm; Kompens.-Ok. 12.
Opalina ranarum. Querschnitt. Die Basalkörperchen liegen unter
der Kutikula in den Wänden der oberflächlichen, wabigen Proto-
plasmaschicht. Entsprechend den Flimmerhaaren erstrecken sich
im Endoplasma Fibrillen, die in den Wandungen des grobwabigen
(oder vakuolisierten) Korticalplasma bis an die Basalkörperchen
verlaufen. Die Fibrillen ziehen in Windungen zwischen den Kernen
und besonderen sog. „Inhaltskörpern“, infolgedessen sie auf dem
dünnen (2 .„) Schnitt nicht immer in ihrer ganzen Ausdehnung
verfolgt werden können. Carnoys Gemisch. Eisenhämatoxylin.
Zeiss’ Apochrom. 1,30, 2 mm; Kompens.-Ok. 8.
Zur vergleichenden Anatomie des Mandelkerns
und seiner Nachbargebilde.
11.-Teil.
Von
Dr. Max Völsch, Nervenarzt in Magdeburg.
Hierzu 28 Textfiguren.
Im 68. Bande dieses Archivs veröffentlichte ich den ersten
Teil dieser Arbeit. Aufgehalten durch anderweitige Arbeiten und
meine praktische Tätigkeit konnte ich den zweiten Teil erst jetzt
fertig stellen. Trotz dieser Verspätung und obwohl ich mir der
Lücken, welche die Arbeit enthält, wohl bewusst bin, habe ich
mich zu ihrer Publikation entschlossen, weil sie auf dem schwierigen
und ziemlich unaufgeklärten Gebiet, welches sie behandelt, neben
der Bestätigung älterer Anschauungen doch auch, wie ich glaube,
einige neue Tatsachen und Gesichtspunkte bringt.
Die ersten Abschnitte bringen die Beschreibung der Serien
von den einzelnen Tieren, gewissermassen als Material, im Schluss-
abschnitt habe ich die gesammten Resultate zusammengestellt.
Die Figuren sind durchweg mehr oder weniger schematisierte
Textfiguren. Von der photographischen Wiedergabe der Objekte
habe ich abgesehen, weil mit ihrer zunehmenden Grösse auf dem
zur Verfügung stehenden Raum sich die erforderliche Über-
sichtlichkeit nicht zugleich mit deutlicher Ausprägung der Einzel-
heiten erreichen liess.
III. Fötorius furo.
Als Paradigma der Karnivoren wählte ich wegen der Klein-
heit des Gehirns einen Musteliden und unter ihnen das leicht
erhältliche Frettchen.) Eine kontinuierliche Serie von Frontal-
schnitten von 7!/a « Dicke wurde nach Nissl gefärbt.
!) Ich gebe anmerkungsweise einige Daten und Maße, welche ich an
drei Frettchengehirnen festgestellt habe:
Gewicht des frischen Gehirns: I 6,85, II 5,64, III 7,43, Durch-
schnitt 6,64 gr. Gewicht des Rückenmarks bei dem 555 gr wiegenden
ers 52er.
Se! Max Völsch:
Bei der Verfolgung der Serie vom hinteren Hemisphärenpol aus ent-
wickelt sich das Bild der Rindenschichtung genau in derselben Weise, wie
ich es früher für Igel und Maus geschildert habe; die einzelnen Schichten
werden zuerst tangential in einem Punkte getroffen, aus.den Punkten werden
Kreise und aus den Kreisen Ringe. Nach ca. 140 Schnitten erscheint die
ganze Rinde in Ringform, im Zentrum des Ringes das Mark. Die Rinde
am ÖOceipitalpol hat danach eine Dicke von ziemlich genau 1 mm. Ich er-
wähne bezüglich des allgemeinen Baues der Rinde nur kurz einige Punkte,
in welchen Abweichungen gegen die ausführlich geschilderten Verhältnisse
bei Igel und Maus bestehen.
Beim Igel wurde die oceipitale Kuppe des Gehirns von dem weit
distalwärts ausgedehnten Lobus pyriformis gebildet. In dieser, also ventral
von der Fissura rhinalis lateralis gelegenen Kuppe fand ich eine sehr eigen-
artige Rindenbildung, indem den übrigen, den Palliumschichten entsprechenden
Zellenschichten eine Schicht sehr auffälliger rundlicher Zellen gewissermassen
aufgelagert war; sie bildete somit die oberflächlichste, von den darunter
gelegenen Schichten durch eine zellfreie Zone getrennte Rindenzellschicht dieses
Gebietes (als R. bezeichnet) und verlor sich oralwärts allmählich (s.1. ce.
p. 585 ff., 620, 630, 646 und 647).
Bei der Maus erstreckt sich der Lobus pyriformis distalwärts genau
so weit wie das Pallium. Es gelang mir hier nicht, mit Sicherheit eine
entsprechende oberflächliche Kuppenschicht abzuscheiden, dagegen fand sich
etwas weiter oralwärts auf der lateralen Seite des Lobus pyriformis eine
ähnliche Formation.
Beim Frettchen überragt nun das Pallium das Rhinencephalon distal-
wärts um ein Erhebliches (ca. 3 mm). Wie danach zu erwarten, findet
Maße (nach 24stündigem Aufenthalt in 96°/o Alkohol):
Gesamtlänge der Basis (Fig. 2 von x ab) ... = 34-55 mm
Länge der Basis: bis zum Bulbuss X, . .n.. u = 27-3077,
Grösste basale Breite eo a AN, D. «
Isthmusbreite (zwischen beiden Rhinencephal) . —= 6 -
GrössterHohe .' .n..0 Meere. 0. le
Länge der dorsalen Kante bis zum Bulbus . . — 202 „
Länge derselben vom hinteren Pol bis zur Cruciata — 121/13 „
Von Furchen sind deutlich erkennbar: 1. die Cruciata, 6—7 mm lang;
2. die Sylvia, 6—6'/. mm lang; 3. die Ecto- und Suprasylvia verschmolzen;
4. die Coronaria stösst mit der 5. Ansata und 6. Lateralis in einem Punkte
zusammen; zwischen diesem Punkte und der Cruciata findet sich bei zwei
Tieren beiderseits, bei dem dritten nur rechts eine Einsenkung im Gyrus
sigmoideus. 7. Die Medilateralis ist bei zwei Tieren schwach angedeutet,
beim dritten deutlich. Ecto- und Endolateralis fehlen. 8. Die Präsylvia
ist sehr deutlich, desgleichen 9. die Rhinalis lateralis, welche in einen vorderen
und hinteren Schenkel zerfällt. Eine Rhinalis medialis ist nur angedeutet.
Das Tuberculum Rhinencephali tritt sehr deutlich hervor, das Tuberculum
olfactorium ist dagegen nur bei Tier II und III, wenig prominierend, sichtbar,
bei Tier I nicht erkennbar.
Jı
Anatomie des Mandelkerns ete. 37:
sich am hinteren, also vom Pallium gebildeten Hemisphärenpol nichts Der-
artiges. Ich will aber schon hier erwähnen, dass in den distalen Teilen des
weiter vorn beginnenden Lobus pyriformis sich gewisse Zellanhäufungen in
der Molekularschicht finden, die vielleicht mit jener R-Schicht beim Igel und
bei der Maus in Parallele gestellt werden können.
Noch sehr viel deutlicher, als bei den früher untersuchten Tieren
(vergl. 1. e. p. 594, 596, 619, 658, 671) lässt sich beim Frettchen die Scheidung
der oberflächlichsten Rindenzellschicht im Pallium (R’ genannt) in eine ober-
flächlichere und tiefere Lage beobachten. Die erstere ist schmäler und be-
steht aus kleineren, dichteren und bisweilen in Häufchen gelagerten Elementen,
die letztere, breitere aus grösseren Zellen, welche aus-
gesprochen „säulenförmig“ angeordnet sind. Der Über-
gang ist meist ein ganz allmählicher, doch finden sich
auch vielfach zwischen den beiden Lagen der Schicht
längliche bis streifenförmige Lücken, Andeutungen einer
zellarmen Zone zwischen den Lagen. Ich schliesse mich
in der Bezeichnung dieser Lagen, die beim Frettchen in
der Tat ganz unzweideutig als gesonderte Schichten
imponieren, der Nomenklatur Brodmanns') an, und nenne
sie Lamina granularis
externa bezw. Lamina
pyramidalis (IL resp. III). a
Ein weiterer, recht auf- il
fälliger Unterschied RN es
gegen die Struktur dieser
Schichten bei der Maus Fig. 1. Frettchen. Fig.2. Frettchen.
und zumal bei dem Igel
besteht darin, dass sie sich beim Frettchen fast ausschliesslich aus Gebilden
zusammensetzen, welche den ausgesprochenen Charakter der dort als p-(Pyra-
miden-)Zellen bezeichneten Zellen haben (vergl. 1. ce. p. 616); die dort als
r-(Rund-)Zellen geschilderten Gebilde treten beim Frettchen sehr zurück.?)
Dagegen besteht die nächste Schicht (R”, die Lamina granularis interna
Brodmanns), die ich als „Körnerschicht“* ansprach, auch beim Frettchen
aus kleinen charakteristischen „Rundzellen‘“.
Schon beim Igel fand ich zwischen R’' und der nächsten Zellschicht ($S)
„stellenweise sehr deutlich eine zellfreie oder ganz zellarme Zone“ (l.c. p. 618):
ich musste es zweifelhaft lassen, ob die in dieser Tiefe gelegenen, sehr
auffälligen p-Zellen (P) noch in den tiefsten Teilen von R’ oder darunter, also
in der zellarmen Zone liegen (l. c. p. 618 und 671). Für das Frettchen ist
es nun zweifellos, dass die erwähnten grossen Zellen in der meist sehr gut aus-
gebildeten zellarmen Zone liegen (Lamina ganglionaris Brodmanns). Nur
beiläufig will ich erwähnen, dass das Aussehen dieser Zellen in den ver-
!) Beiträge zur Lokalisation der Grosshirnrinde. Journal für Psychologie
und Neurologie, Bd. II, p. 136.
?) Die Wiedergabe der r-Zellenformen auf Taf. XXXVIL, Fig. 1 des
ersten Teils ist gänzlich verunglückt.
316 Max Völsch:
schiedenen Gehirnregionen ein sehr wechselndes ist. Während sie lateral
typische Pyramidenzellen sind, haben sie z. B. medial vielfach r-Charakter,
sind rundliche, große, mittelstark gefärbte Gebilde.
Die tiefste Schicht (8, die Lamina multiformis Brodmanns) enthält
auch beim Frettchen sehr mannigfache Zellen, vorwiegend vom Typus r;
sie hat meist eine sehr bedeutende Dicke.
Ich komme nach dem Gesagten mithin dazu, für das Frettchen ohne
weiteres einen prinzipiell sechsschichtigen Aufbau der Rinde anzunehmen,
wie er neuerdings namentlich von Brodmann vertreten wird. Und auch
für Maus und Igel muss ich nach einer nochmaligen Revision der Schnitte
wenigstens ein Fragezeichen hinter meine Ausführung auf p. 619 des ersten
Teils machen, wonach ich den fünfschichtigen Bau Meynerts in der Rinde
des Igels wiedererkannte. Man kann da in der Tat oft sehr im Zweifel
sein, und der, welcher die Tierreihe aufsteigend von unten her ganz
unbefangen durchsieht, wird leicht zu dieser Auffassung kommen. Da aber,
wie gesagt, die „zellarme Zone“ stellenweise ganz deutlich ist und sich an
manchen Stellen wenigstens durch den Gehalt an grossen Pyramiden bereits
als Lamina ganglionaris charakterisiert, so wird man, namentlich wenn
man die Tierreihe in umgekehrter Reihenfolge studiert, die Sechsschichtung
als Grundtypus auch für Erinaceus anerkennen und Brodmann, soweit
Igel und Maus in Frage kommen, zustimmen können, welcher diese Schichtung
„durch die Reihe der Placentalier und die Marsupialier hindurch“ verfolgen
konnte. In jedem Falle ist sie bei Fötorius ungleich deutlicher und aus-
gesprochener, als bei Igel und Maus.
Soviel über die Palliumrinde resp. die Rinde im allgemeinen beim
Frettchen ; auf regionäre Modifikationen der Zytoarchitektonik dieser Rinde
gehe ich nicht ein und ebensowenig kann es meine Aufgabe sein, die durch
die fortschreitende Furchenentwicklung bedingten weit komplizierteren Ver-
hältnisse zu verfolgen und die Furchen und Windungen zu homologisieren.
Ich gehe vielmehr zur Besprechung des Lobus pyriformis über:
Ich treffe in der Frontalserie auf Objektträger 74 auf die distale Spitze
einer Windung, die ich einstweilen als N bezeichnen will. Die Spitze liegt
ca. 3 mm vor dem distalen Hemisphärenpol. Die Windung N präsentiert
sich zunächst als ein molekuläres Oval an der ventro-medialen Ecke der
Hemisphäre, welches zunächst noch völlig von ihr getrennt ist, alsbald aber
mit ihr dorsal verwächst. Diese Trennung der distalsten Frontalschnitte
der Windung N von der Hemisphäre ist der Ausdruck eines medio-dorsalwärts
gerichteten Übergreifens der die Windung lateral begrenzenden Furche 9
und ihres direkten Überganges in die sie medial begrenzende Furche Ö.
Fig. 3 orientiert über die Lage des noch sehr kleinen Lappens N, der Schnitt
liegt kurz vor der Verwachsungsstelle des letzteren mit der Hemisphäre.
Die Furche ., die Fissura rhinalis lateralis,!) erscheint hier und weiter oral
als echte Fissur, die Furche 3 als stumpfwinkelige Knickung. Wie Fig. 3
') Von hinten her schiebt sich in den distalsten Teil der F. rh. 1. die
vordere verjüngte Spitze (Sp) einer mächtigen, durch eine tiefe mediale
Furche (+) begrenzten Windung. Der distale Teil von o geht in diese Furche
Anatomie des Mandelkerns etc. Suat
zeigt, besteht der Lappen N aus einem grösseren dorsalen und einem kleineren
ventralen Teil, welcher von ersterem auf der lateralen Seite durch die
kleinere, durch den Pfeil markierte Einsenkung, den späteren Grund der
Furche „ (s. Anm. 1), auf der medialen durch die leichte Einsenkung « ge-
schieden ist. Der ventrale Teil erscheint etwas später in der Serie, dem-
entsprechend sind auf Fig. 3 im Zentrum des dorsalen Teils bereits Zellen
erschienen, während der ventrale noch ganz von der Molekularschicht (Lamina
zonalis) eingenommen ist. Bald aber (Obj. 78)) füllt sich der ganze Lappen N
mit dichtstehenden kleinen Zellen, welche allmählich mit der dorsalwärts
über den Lappen hinwegziehenden Rinde in
Berührung und Verbindung treten. Während ar
in diesen die Zellschichten tangential
treffenden Schnitten eine Scheidung nach
Schichten nicht möglich ist, entwickelt sich Zu
zuerst auf der Strecke 9—« an der medialen
Seite der Hemisphäre eine eigenartige / 7
Schichtung (Obj. 79) und fast gleichzeitig / BA
tritt in der ventro-medialen Ecke von N (an ve
dem mit X X bezeichneten Punkte, Fig. 4) f
eine auffällige, aus kleinen Zellen be-
stehende Zellgruppe hervor, welche sich zu-
nächst wie eine Schale von unten her auf
die erwähnten N ausfüllenden Zellen legt
und sie von der Oberfläche verdrängt. Sie
bildet weiterhin konstant einen rundlichen SU
Haufen, weiter oral einen länglichen Streifen, Fig. 3. (Obj. 76, 6.)
welcher von x x bis « reicht. Etwas weiter — — — Grenze der Rinden-
oral (Obj. 81, s. Fig. 4) tritt lateral von dieser schichtung.
Zellgruppe eine Veränderung in der Weise
ein, dass an Stelle der kleinen dichtgedrängten Zellen des Lappens N sehr
viel spärlichere, aber grosse Zellen treten, welche sich allmählich fort-
schreitend lateralwärts gegen die Furche o ausbreiten, den ventralen Rand
des sich stark verbreiternden Lappens N als ein lockerer oberflächlicher
Streifen begrenzend. Ebenso allmählich formt sich auch das Bild der unter
dieser oberflächlichsten Zellschicht gelegenen, tieferen Schichten um, und
erst acht bis neun Objektträger später, ca. ®/a mm weiter vorn präsentiert
sich das fertige Rindenbild des Lappens N, der nunmehr als Lobus pyri-
formis angesprochen werden kann; er reicht also von o bis zur Furche a,
während die zum Lappen N gehörige Strecke «&—3 sich als ein Teil der
medialen Hemisphärenrinde entpuppt.
Die ganze Rinde des Lobus pyriformis in dieser Höhe (vergl. Textfig. 5,
Obj. 91, 5) kann in transversaler Richtung in fünf Bezirke geteilt werden,
EN
on
über. Diese letztere flacht sich bald ab bis zu dem Punkt, auf welchen
der Pfeil hinweist, und an dieser Stelle liegt dann weiter oral der Grund
der Rhinalis lateralis.
ı) Jeder Objektträger enthält zwölf Schnitte a 75 a = W u.
—1
[0 0)
Max Völsch:
für welche das Verhalten der oberflächlichen Rindenzellschichten
charakteristisch ist; das Stratum zonale ist in dieser Höhe ziemlich breit,
0,2—0,22 mm breit.
1. Bezirk 1; angrenzend an « und etwa bis X x (Fig. 5) reichend, also
medial, liegt der erwähnte Haufen oder Streifen kleiner rundlicher, zum
Teil auch pyramidenförmiger Zellen. Er geht in die oberflächlichen Zell-
schichten der medialen Hemisphärenwand über.
Fig. 4. (Objektträger 82, 11.) Frettchen. Lobus pyriformis.
ER inneren
u t Grenze der tiefen Hirnschichtung.
en, äussere
2. Lateralwärts folgt ein Bezirk, der innere zentrale Teil oder Regio
intermedia, wie ich ihn nennen möchte, in welchem jener erwähnte lockere
oberflächliche Zellenstreifen deutlich ist, vorwiegend aus grossen, ziemlich
stark tingierten, meist plump pyramidenförmigen Zellen gebildet, die dem
Typus der r-Zellen zugerechnet werden müssen. Tiefer folgt eine Schicht
spärlicherer rundlicher, blasser und grosser Zellen; zwischen beiden Schichten
sieht man vielfach Lücken, die stellenweise zu einem nicht sehr auffälligen,
die Schichten trennenden Streifen zusammenfliessen. Der Bezirk reicht
VON RE
3. Bezirk 3; noch weiter lateral (im äusseren zentralen Teil, von X
bis etwa zu dem Sternchen, (Fig. 5) besteht die oberflächliche Zellschicht
aus grossen, stark tingierten, ausgesprochen eckigen und pyramidenförmigen
Zellen, deren Längsachsen unregelmässig gestellt sind; sie lagern sich viel-
fach etwas dichter zu Gruppen und Haufen, doch bleibt die Zusammen-
lagerung immer so locker, dass von einem fortlaufenden Zellenband nicht
gesprochen werden kann. Darunter folgt, hie und da durch einen wenig aus-
gesprochenen zellarmen Streifen von der oberflächlichen Schicht geschieden,
eine Schicht typischer stark tingierter, in Reihen senkrecht zur Oberfläche
gestellter Pyramiden, und schliesslich schieben sich die rundlichen blassen
Anatomie des Mandelkerns etc. 379
Zellen der zweiten Schicht des Bezirks 2 als ein sich lateralwärts verjüngen-
der Keil noch unter diese Pyramiden unter. Ich bezeichne diesen Bezirk 3
in diesen Frontalhöhen als Regio retroolfactiva.
4. Von * bis o folgt ein ziemlich schmaler vierter Bezirk, in welchem
die oberflächlichen Zellschichten lediglich durch radiär gestellte Pyramiden-
zellen gebildet werden (fissurale Rinde).
man
A
IT
37
Vrrg 9
Fig. 5 (Obj. 91, 5) (ca. 36 fache Vergrösserung).
xxxx Grenze des Ammonshorns. _....... Grenze der Fasc. dent.
Frettchen, Lobus pyriformis.
5. Dazu kommt als Bezirk 5 im Grunde vor o eine kleine, schmale
Gruppe länglicher strichförmiger Pyramiden, deren radiäre Reihenstellung
besonders ausgesprochen ist; ich nannte die Formation „prärhinencephale
Rinde“. Sie ist an sich unbedeutend und verliert sich nach vorn zu ganz.
Für alle 5 Bezirke dürften die bisher geschilderten Schichten der
II.—IV. Schicht des Grundtypus entsprechen, resp. die oberflächlichen Zellen
des Bezirks 2 und 3 der II., die tieferen Schichten der III. +IV. Schicht.
Die Flächenform des zweiten und dritten Bezirkes ist in dem bis-
her verfolgten Gebiet (also Obj. 81—91) keilförmig mit nach hinten gerichteter
Spitze; durch die Entwicklung der Keile werden, während der mediale Be-
zirk an seiner Stelle bleibt, die Bezirke 4 und 5, die überall dieselbe geringe
Breite haben, mehr und mehr nach auswärts gedrängt, bis der Bezirk 5
schliesslich (Fig. 5) im Grunde der Fissura rhinalis liegt.
380 Max Völsch:
Die tiefe Schichtung ist nun allen Bezirken des ganzen sich von
e—« erstreckenden Gebietes gemeinsam. Zunächst unter der Schicht III+ IV
die für den Lobus pyriformis höchst charakteristische breite, zellarme Zone,
welche stets im ventromedialen Winkel der Hemisphäre nach dem Punkte
x hin, also zwischen Bezirk 1 und Bezirk 2 oberflächenwärts eine Art
Zapfen sendet, der allerdings, wenigstens als kompakter, weisser Strang
die Oberfläche nirgends erreicht, also im wesentlichen die Schichten IIT +IV
des Bezirks 1 von denselben Schichten des Bezirks 2 scheidet. Der zellarme
Streifen ist im Bezirk 2 viel deutlicher, als im Bezirk 3. Ich glaube zu
sehen, dass der Streifen medial räumlich in die V. Schicht der medialen
Hemisphärenrinde, die Lamina ganglionaris, übergeht. Brodmann!) meint,
dass an der Bildung der oberflächlicheren Zellschichtung auch die Lamina
ganglionaris Teil nimmt, so dass die unter II gelegene Schicht HI—-IV-+-V
umfassen würde (Affe), und bezeichnet den zellarmen Streifen als Vb.
Auf den Streifen folgt eine mehrreihige Schicht dicht liegender runder,
blasser Zellen und darauf eine ganz lockere Schicht ähnlicher Zellen. Im
Anschluss an Brodmann bezeichne ich sie als VIa und VIb.
Die an den Lobus pyriformis angrenzende untere mediale Rinde (Furche «
bis Furche 9, welch letztere sich aber in diesen Höhen bereits ausgeglichen hat)
hat in Fig. 5 einen recht eigenartigen Bau erlangt; derselbe ist in Fig. 4 noch
nicht deutlich. Unter I sieht man ein mehrreihiges, leicht festoniertes
Band (II), aus kleinen bis mittelgrossen, ziemlich stark tingierten Pyramiden
zusammengesetzt; es folgt eine deutliche Molekularschicht, dann eine
ziemlich breite Schicht blasser kleiner Zellen, die wohl III+IV repräsen-
tieren dürfte. An diese Schichten (II und III-+-IV) schliesst sich lateral
der mediale Bezirk des Lobus pyriformis, der kleinzellige Streifen des
Bezirks 1, an. Weiter in der Tiefe folgt ein schmaler zellarmer Streifen,
in dessen tieferen Teilen stark tingierte, vereinzelte grössere Pyramiden
liegen, die Lamina ganglionaris; endlich die multiforme Schicht.
In der Höhe von Fig.5 überragt der Lobus pyriiormis das Pallium
bereits basalwärts.
Bei der Verfolgung der Serie oralwärts ergibt sich nun bezüglich der
weiteren Entwicklung der Rinde des Lobus pyriformis folgendes: die am
meisten in die Augen fallende Veränderung besteht in einer erheblichen
Verbreiterung der Windung, und zwar erfolgt diese Verbreiterung aus-
schliesslich zugunsten des dritten Bezirks. Während Bezirk 2, etwas medialer
rückend, in ungefähr derselben Breite verharrt, wie in Fig. 5, verbreitert
sich Bezirk 3 bis etwa Objektträger 113 (= ca.2 mm) um ungefähr das
Doppelte, bis Objektträger 135 (weitere 2 mm ca.) um das Dreifache.
Innerhalb dieser letzteren Strecke treten noch weitere Veränderungen ein
(Fig. 6 und 7):
1. Die Zellen des medialen Bezirks (Bezirk 1) bleiben auch in den
Frontaiebenen noch in Verbindung mit der medialen Rinde, wo das Ammons-
horn an der medialen Oberfläche der Hemisphäre erscheint, und wo die
2) 1. 6.,21V, 94493 MARTENS 0!
Anatomie des Mandelkerns etc. >s1
mediale Rinde im Frontalschnitt dadurch gewissermassen zerrissen wird;
ich komme sofort auf diese Verhältnisse und die eigenartige Formation, die
der mediale Bezirk mit dem — um es so zu nennen — ventralen Rest der
medialen Rinde zusammen bildet, zurück. Hier nur soviel, dass weiter nach
vorn zuerst dieser Rest der medialen Rinde, dann auch der mediale Bezirk
des Lobus pyriformis immer kümmerlicher und unscheinbarer wird, und dass
sich auf Objektträger 126 der ganze Komplex total verliert, so dass nun die
Einstülpungsstelle des Ammonshorns direkt an die Molekularschicht stösst (s. u.).
Fig. 6 (Obj. 110, 7). Frettchen, Lobus pyriformis.
++++ Verlauf der Ammonszellschicht. F.H. = Fissura Hippocampi.
oe — Fissura rhinalis lateralis.
2. Die Zellen des inneren zentralen, des intermediären Bezirks
nehmen allmählich ein anderes Aussehen an. An Stelle der sehr grossen
Zellen der zweiten Schicht, welche zwar vielfach polardifferenziert sind, aber
doch fast immer zugleich etwas abgerundet, welche stets einen grossen Kern
und ziemlich stark gefärbten Protoplasmasaum haben, treten durchweg
kleinere, ausgesprochen eckige, gleichmässig gefärbte, chromophile Formen
auf, sehr unregelmässig gelagert und zu einem fast kontinuierlichen, aber
immerhin ziemlich lockeren, schmalen oberflächlichen Streifen geordnet.
Auch an die Stelle der blassen rundlichen Zellen der III. und IV. Schicht
treten ähnliche, vielleicht ein wenig grössere Zellen.
3. Schon bald hinter Objektträger 91 (= Fig.5) zeigen sich im
äusseren zentralen Bezirk (der sogenannten Regio retroolfactiva) statt
der oberflächlichen Zellschicht (II), zunächst an das laterale Ende des inter-
mediären Bezirks sich anschliessend, sehr mannigfaltig gestaltete und ge-
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. >25
382 Max Völsch:
lagerte Zellen; es sind mehr oder weniger regelmässige Pyramiden, längliche,
strichförmige, eckige, sternförmige und ganz unregelmässig geformte Gebilde,
oft mit fadenförmigen radiären Protoplasmafortsätzen versehen, ziemlich dicht
aneinander gelagert; die länglichen sind mit der Längsachse in allen
Richtungen orientiert, vielfach, vielleicht sogar mit Vorliebe, parallel zur
Rindenoberfläche. Sie ersetzen allmählich, lateralwärts vorschreitend, die
grösseren pyramidalen Zellen der zweiten Schicht der Regio retroolfactiva,
und liegen oberflächlicher, so dass die Zonalschicht schmäler wird (0,12 bis
0,15 mm); zwischen den soeben beschriebenen Zellen und der folgenden .
Schicht ist dann meist ein zellarmer Streifen sehr deutlich. Die Zellen -
sind kaum mittelgross, doch kommen auch grössere und kleinere vor. Sie z
sind zunächst noch spärlich, weiter vorn werden sie zahlreicher und dichter
und lagern sich in vereinzelte rundliche oder längliche, durch mehr oder
weniger breite Lücken unterbrochene Gruppen oder Inseln. Ich bezeichne
die durch diese oberflächliche Inselbildung ausgezeichnete Region als den
hinteren Teil der Regio olfactiva, als Regio olfactiva posterior
(Fig. 6).
Noch weiter oral tritt dann an die Stelle dieser Zellinseln ein aus
noch kleineren, unregelmässigen, doch meist länglichen Zellen bestehendes
dichtes und, je weiter nach vorn, um so dichter werdendes Band. Der
lateralste, an die Fissura rhinalis lateralis grenzende Teil des Lobus pyri-
formis (Bezirk 4) überzieht sich erst in sehr viel oraleren Ebenen mit diesem
Bande, unterscheidet sich einstweilen auch durch die tiefere Schichtung von
dem äusseren zentralen Bezirk; immerhin wird er weiter vorn in den
letzteren einbezogen, den ich, soweit er von dem kontinuierlichen dichten
Bande umgeben ist, als Regio olfactiva anterior bezeichne (Fig. 7).
Der Übergang aus der Reg. olf. anterior in die Reg. olf. post. ist übrigens
ein allmählicher, gerade so, wie der Übergang der letzteren in die Regio
retroolfactiva.
Auf Objektträger 135 (Fig. 7) bietet die Rinde des Lobus pyriformis
danach folgendes Bild (der Schnitt liegt etwa °;« mm vor dem vorderen
Ende des ventralen Ammonsschenkels, das äussere Linsenkernglied ist gerade
im Schnitt erschienen, der Pedunculus strahlt in die innere Kapsel ein, der
Tractus opticus ist noch nicht sichtbar an die Basis getreten):
1. Medial stösst die Einrollungsstelle der Rinde in das Ammonshorn
direkt an die Molekularschicht (s. u.); der Zellstreifen des medialen
Bezirks ist verschwunden.
2. Der intermediäre Bezirk besteht aus einem unter der Molekular-
schicht (I) gelegenen lockeren Streifen unregelmässig gelagerter eckiger
Zellen (II) und einer breiteren Schicht radiär gestellter Pyramiden (III--IV);
dann folgt der zellarme Streifen und die tiefen Schichten, wie früher (V,
VIa, VIb).
3. Der äussere zentrale Bezirk imponiert in dieser Höhe bereits
als Regio olfactiva anterior: unter der wieder breiter gewordenen Mole-
kularschicht liegt das oben geschilderte, dichte, fast kontinuierliche Zellen-
band, welches nur hier und da durch eine kleine Lücke unterbrochen ist,
Anatomie des Mandelkerns ete. 383
und dadurch, dass hier und da die Molekularschicht sich keilförmig einsenkt,
ein leicht festoniertes Aussehen bekommt. Unter der zweiten Schicht, getrennt
durch einen mehr oder weniger deutlichen zellarmen Streifen, liegen spärliche,
undeutlich radiär gestellte stark tingierte Pyramiden, dann aber — je mehr
nach vorn, um so ausgesprochener —, eine lockere Schicht blasser rundlicher
Zellen (IV), dann folgt der zellarme Streifen (V) und die multiforme Schicht
ar,
Fig. 7 (Obj. 135, 5). Frettchen, Lobus pyriformis. Bez. wie Fig. 6.
(VD). — Der Bezirk hat sich in dieser Höhe bereits stark verbreitert und
nimmt mindestens ?/s—”/s des lateral von Bezirk 2 gelegenen Gebietes ein.
Trotz einiger Abweichungen wird wohl kein Zweifel sein können, dass
es sich bei der Regio olfactiva um die auch von Cajal so benannte und
beschriebene Formation handelt. Cajal!) schildert als Hauptcharakteristikum
dieser Region beim Menschen in Übereinstimmung mit Betz, Obersteiner,
Hammarberg unter der plexiformen Schicht Haufen von sehr grossen poly-
gonalen, mit radiären Fortsätzen versehene Zellen und Plejaden kleiner
pyramidenförmiger Zellen. Unter dieser Schicht stecke eine breite plexiforme
Schicht, arm an mittelgrossen und kleinen Pyramiden mit Übergängen zur
vierten Schicht, beim Menschen aus mittelgrossen und grossen Pyramiden
bestehend. Darauf folge die Schicht der spindelförmigen und dreieckigen
Zellen. Beim Meerschweinchen und beim Kaninchen fand er
eine starke zweite Schicht mit riesigen Kernzellen zu einem kontinuierlichen
Bande angeordnet, in welchem leichte Verdickungen und Unterbrechungen
miteinander abwechseln; die Zwergzelleninseln fehlen, doch sieht er unregel-
mässig Gruppen von sehr kleinen Zellen in der zweiten Schicht verstreut.
!) Studien über die Hirnrinde des Menschen, 4. Heft, 1903, p. 42 ff.
(Übersetzung von Bresler).
25*
S4 Max Völsch:
>
Ich sehe beim Frettchen zwar vielfach kleine, auch sehr kleine Zellen in
dem Bande, kann mich aber, auch bei starker Vergrösserung, von Gruppen-
bildungen derselben nicht recht überzeugen. Die übrigen Schichten sollen
nach Cajal bei den genannten Tieren „wenig von. den entsprechenden des
Menschen abweichen“.
Wie man sieht, erinnert die Schilderung der menschlichen Regio
olfactiva — abgesehen von dem Fehlen der Plejaden kleiner Zellen — an
die Regio olfactiva posterior, soweit sie sich dagegen auf Meerschweinchen
und Kaninchen bezieht, an die Regio olfactiva anterior, ohne dass die Über-
einstimmung eine vollkommene wäre.
Für die Regio retroolfactiva aber glaube ich das Analogon in der
„oberen oder spheno-oceipitalen Riechrinde* Cajals!) zu finden, in welcher
er 1. die plexiforme, 2. die Schicht der grossen Sternzellen, 3. die mittel-
grossen und grossen Pyramiden, 4. die tiefe plexiforme Schicht, 6. die Körner
oder kleinen Pyramiden, 7. die polymorphen Zellen beschreibt (für zahlreiche
Tiere, p. 98).
Es ist richtig, dass die „tiefe plexiforme“ Schicht, der tiefe Molekular-
streifen, in den distalen Teilen des Lobus pyriformis weit mehr hervortritt,
als in den oraleren; dass Cajal sie für die Regio olfactiva überhaupt nicht
erwähnt, scheint mir aber nicht zutreffend.
Cajal unterscheidet ferner nicht den intermediären Teil vom olfaktiven
Bezirk, wie ich es tat. Die Ähnlichkeit ist in der Tat ziemlich weitgehend;
immerhin differieren die Zellen des oberflächlichen Streifens gegen die der
entsprechenden Schicht der Regio retroolfactiva, und die Zellinseln der Regio
olfactiva posterior kommen im intermediären Bezirk ebensowenig vor, wie
das dichte Zellenband der Regio olfactiva anterior. Dazu kommt die
starke Entwicklung des tiefen Molekularstreifens in der Regio intermedia,
welcher, wie ich schon hier erwähnen kann, die relativ sehr starke Ent-
wicklung einer Querfaserung in demselben entspricht. Nach alledem erscheint
mir die Abscheidung des intermediären Bezirks, wenigstens beim Frettchen,
berechtigt.
4. In der lateralen der Fissura rhinalis benachbarten Regio fissuralis
(Cajal) liegen nur vereinzelte Gruppen spärlicher Zellen, die mit den
Zellen der Regio olfactiva posterior identisch sein dürften. Sie deuten die
lateralwärts fortschreitende Ausbreitung der Regio olfactiva in die Regio
fissuralis und deren Ersetzung durch die erstere in den oraleren Ebenen an.
Hier (Fig. 7) aber unterscheiden sich die beiden Bezirke noch recht wesent-
lich auch durch den Aufbau der folgenden Schicht (IIT+IV), die im
fiıssuralen Teil ausschliesslich durch mässig zahlreiche, regelmässige und
streng radiär angeordnete Pyramiden gebildet wird. Dann folgen auch hier
zellarme Streifen und tiefe Schichten.
Die Region wird nach vorn immer schmäler und weiter lateralwärts
gedrängt. Der ganze Bezirk würde danach eine hinten und vorn zugespitzte,
etwa spindel- oder halbmondförmige Gestalt haben. Sein Charakteristikum
ist die Einfachheit des Baues der oberen Schichten, die lediglich aus radiären
1. c. p. 9%.
Anatomie des Mandelkerns etc. 335
Pyramiden bestehen. Vielleicht darf er identifiziert werden mit der „fissuralen
Partie der Hippokampusrinde“ des Menschen bei Cajal (l. c. p. 43), obwohl
er diese Partie bei Tieren nicht erwähnt. Bei Brodmann!) finde ich
keinen T'ypus, der ihr entspricht, während Typus 28 wohl der Regio olfactiva
(ant.?) gleichzusetzen ist (Affe).
5. Die „prärhinencephale“ Rinde ist nicht mehr kenntlich.
Die Figur 8 soll eine Übersicht über die Lage der verschiedenen
erwähnten Regionen geben. In dieser Darstellung ist die prärhinencephale
Rinde der schmale unschraffierte Streifen lateral im Lobus pyriformis, die
„fissurale“ Rinde das längsschraffierte Gebiet. Die Regio olfactiva (anterior
und posterior) sind durch Kreuze gekennzeichnet, während die Regio retro-
olfactiva ebenfalls weiss gelassen ist. Die intermediäre Region ist kreuz
)
ao
Sal Ste
x y awa
Fig. 8. Frettchen.
und quer schraffiert, während endlich der schmale mediale Bezirk unschraffiert
und durch eine unterbrochene Linie begrenzt ist; er vermittelt die Ver-
bindung mit der anschliessenden medialen Palliumrinde resp. (in weiter oral
gelegenen Ebenen) mit dem Ammonshorn.
!) l.c., Dritte Mitteilung, p. 193 und Taf. X und XI.
386 Max Völsch:
Bevor ich die weitere Entwicklung des Lobus pyriformis beim
Frettchen und die sich dorsal von ihm und in ihm bildenden Zellkomplexe
verfolge, ist es erforderlich, nachholend einen Blick auf de Ammons-
formation zu werfen. Sie ist nach hinten in die Hemisphäre hinein-
gestülpt; auf dem Fig. 5 entsprechenden Präparat zeigt sie sich in typischer
Ringform, im Zentrum ebenfalls als Ring die Fascia dentata. Wenige
Objektträger nach vorn, auf denen innerhalb der letzteren die ersten Zellen
des Endblattes des Ammonshorns erscheinen, lest sich die mediale Ammons-
rinde an die tiefe Schicht der medialen Rinde, d. h. wir gelangen an die
Umbiegungsstelle der letzteren in das Ammonshorn. Auch des weiteren ist
das Verhalten der Ammonswindung durchaus typisch. Man sieht bei der
Serienverfolgung die Trennung der medialen Seite des Ammonsringes in
einen oberen und unteren Schenkel, das Auseinanderweichen der medialen
Palliumrinde ebenfalls in einen dorsalen und ventralen Schenkel, und den
Übergang der beiden Ammonsschenkel in die beiden Schenkel der Pallium-
rinde (Obj. 94—98). Weiter reisst dann gewissermassen der von der Fascia
dentata gebildete Ring zuerst auf der lateralen, dann auf der medialen
Seite ein, die beiden Blätter der Ammonswindung nähern sich und ver-
schmelzen und es erfolgt (Obj. 105) entsprechend der Hinunterschiebung
der Hemisphären (Schläfelappen) unter den Stamm resp. Stammteil der
Hemisphären und entsprechend der Ausbildung des Unterhorns die Trennung
der Ammonswindung (auf dem Frontalbilde) in einen oberen (dorsalen) und
unteren (ventralen) Teil oder Schenkel. In dieser Ausbildung eines echten
untergeschobenen Unterhorns und des ventralen Schenkels der Ammons-
windung liegt ein sehr wesentlicher Fortschritt der Gehirnentwicklung der
Musteliden gegenüber den früher untersuchten Tieren; beim Igel und selbst
bei der Maus fanden sich diese Gebilde nur höchst rudimentär. Im übrigen
aber sind das ja alles durchaus typische Bilder, welche sich aus der Form
der Ammonswindung mit Notwendigkeit ergeben. Ich muss jedoch noch
etwas ausführlicher auf die Art eingehen, in welcher sich der oben erwähnte
Übergang der medialen Palliumrinde bezw. der Rinde des Lobus pyriformis
in die Ammonsrinde vollzieht. Es wiederholt sich hier in m. E. ganz einwands-
freier Weise die schon bei Erinaceus und Mus gemachte Beobachtung, dass
die Ammonsrinde nur in die tiefsten Schichten der medialen Pallium- und
der Lobus pyriformis-Rinde übergeht; man gewinnt hier durchaus den Ein-
druck, dass die Ammonsrinde lediglich eine modifizierte Fortsetzung dieser
tiefen Schichten (VI) ist, während die oberflächlichen Schichten (IH, III, IV)
entlang der Einstülpungsstelle des Ammonshorns ihr Ende finden. Über die
Art dieser Endigung geben die Textfiguren 6 und 7 und die untenstehenden
Textfiguren 9—12 Aufschluss. Fig.5 und 9 zeigen, wie der mediale Bogen
des Ammonsringes sich der medialen Palliumrinde anlagert, bald wird diese
Anlagerung eine so dichte, dass sich die Zellen A gewissermassen diffus mit
den Zellen der tiefen Rindenschichten mischen.
Auf Fig. 9 tritt lateral vom medialen Teil des Ammonsringes, zwischen
ihm und Fascia dentata (dichter an dem Ringe, als die Figur zeigt), eine
zuerst in Gruppen, dann in Form einer kontinuierlichen Reihe geordnete
Zellansammlung auf. Auf Fig. 10 ist diese Zellreihe verstärkt, allmählich
Anatomie des Mandelkerns etc. 387
sind die Zellen an der Anlagerungsstelle der Ammonsrinde an die tiefe
Schicht der medialen Rinde spärlicher geworden; auf der Figur sind sie
bereits ganz verschwunden und haben einem zellfreien X-förmigen Felde
Platz gemacht, an dessen oberem und unterem Ende man den Übergang der
tiefen Schicht der medialen Rinde in die Ammonsrinde sieht. Die oberfläch-
+
+
x
+
-
Br
E4
-
P7
x
x
>
+
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Fey acnk
ne 11. tz! 46, oo) A 12. ( Myrane 98, 2)
= innere j { xxx Ammonszellenschicht (A).
Rindenschichtung. nn
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A’ Endblatt des Ammonshorns.
lichen Schichten der medialen Rinde aber ziehen noch in continuo über
diese Stelle hinweg. Auf Textfigur 11 ist das erwähnte zellfreie Feld mit
zahlreichen Zellen angefüllt, indem, wie sich zweifellos ergibt, die ober-
flächlichen Schichten der medialen Rinde und der erwähnten Zellstreifen
unter vertikaler und horizontaler Ausbreitung miteinander in Verbindung
treten. Weiter nach vorn weichen dann die Zellen dieses X-förmigen Raumes
ebenfalls nach oben und unten auseinander, um auf Textfigur 12 sich als
zwei rinnenförmige Gebilde um die obere und untere Einbiegungsstelle des
Ammonshorns herumzuschlagen. Die obere Rinne verliert sich nach vorn
388 Max Völsch:
zu bald, wie hier überhaupt bald die oberflächlichen Rindenschichten ventral
von dem durchbrechenden Psalterium verschwinden. Die untere Rinne hin-
gegen ist noch weit nach vorn zu verfolgen. Sie schliesst sich dabei immer
eng an den „medialen Teil“ der Rinde des Lobus pyriformis an, mit welchem
zusammen sie auf dem Frontaldurchschnitt immer als ein um die Um-
biegungsstelle der Rinde ins Ammonshorn herumgeschlagener Haken erscheint.
Dieser Haken nimmt nach vorn immer mehr an Ausdehnung und Masse
ab, zieht sich in medialer Richtung immer mehr zurück und verschwindet
schliesslich (Obj. 126) ganz, und es gelangt, wie schon vorher erwähnt wurde,
die Umbiegungsstelle der Rinde an der ventro-medialen Ecke der Hemisphäre
direkt unter die Molekularschicht.
Die geschilderten Bilder sind der absolut eindeutige Ausdruck dafür,
dass die oberflächlichen Rindenschichten (II, III, IV) sich nicht in die
Ammonswindung fortsetzen, die Einstülpung der Rinde vielmehr in einem
grossen Teil ihres Verlaufs nur eine ganz kurze Strecke weit mitmachen,
so, dass sie die Umbiegungsstelle wie eine Rinne begleiten, in welcher die
erstere verläuft. Die Bilder 9—11 aber zeigen, dass auch da, wo die
mediale Rinde sich nach hinten in das Ammonshorn einstülpt, die äusseren
Schichten die Umbiegungsstelle ein Stück weit von vorn her umgreifen.
Auf Textfigur 9 und 10 sieht man sozusagen die Ränder der Rinne ge-
troffen, die äussere Schichtung der medialen Rinde und den Zellstreifen, die
man sich durch einen mit der Konvexität nach vorn gerichteten Halbkreis
verbunden denken muss. In Textfigur 10 ist an der Stelle, welche im
Frontalschnitt als Anlagerungsstelle der Ammonsrinde an die tiefe Schichtung
der medialen Rinde imponierte, und welche reell nichts anderes ist, als der
kaudalst gelegene Punkt des Einstülpungsbogens des Ammonshorns, ein zell-
freier Raum sichtbar; hier ist die zwischen den oberflächlichen und tiefen
Schichten gelegene zellfreie Schicht der Rinde getroffen. In Fig. 11 trifft
der Schnitt tangential die um die Ammonseinstülpung herumgreifenden
äusseren Schichten, die Kuppe der „Rinne“, auf Fig. 12 die Molekular-
schicht.
Weiter oral verliert sich der „Haken“, oder — um Verwechslungen
auszuschliessen — besser der Umschlagshaken oder die Rinne, indem sich
die oberflächliche Schicht des medialen Teils des Lobus pyriformis und des
Restes der medialen Rinde immer weiter medialwärts zurückzieht, und nun
enden die oberflächlichen Rindenschichten des Lobus pyriformis ventral von
der Umbiegungsstelle seiner tiefen Rindenschichtung ins Ammonshorn
(s. Textfig. 7), der Schichten also, welche jenseits des zellarmen Streifens
des Lobus pyriformis liegen. Dieser Streifen geht direkt in die breite
Molekularschicht der Regio präsubicularis resp. in das Stratum zonale Cornu
Ammonis über. Bei der Umbiegung bleibt übrigens, wenigstens an vielen
Schnitten, die Übergangsstelle der tiefen Rindenschicht des Lobus pyriformis
in die Ammonsrinde doch immer kenntlich; oft ist der Übergang sogar recht
scharf. Das Hauptkriterium dafür liegt in der bei Nisslfärbung immer höchst
eigenartigen Form der Ammonspyramiden mit ihrem grossen hellen Kern, in
welchem der tieftingierte Nucleolus immer als ein dunkler Punkt sehr leb-
haft ins Auge fällt, und ihren oberflächenwärts gerichteten fadenförmigen
Anatomie des Mandelkerns etc. 389
Fortsätzen, alles ja bekannte Verhältnisse, die ich auch schon (l. e. p. 590)
für den Igel kurz erwähnte.!) —
Nachdem nun weiter proximal die Trennung der Ammonswindung in
einen oberen und unteren Schenkel erfolgt ist, nachdem auch in absolut
typischer Weise die Fimbria sich in einen oberen und unteren Teil gespalten
hat, tritt (Obj. 119) der Stamm mit dem Hemisphärenmark in Verbindung
und zwar mit dem als retrolentikuläres Mark (v. Monakow) anzusprechen-
den Gebiet. das unter anderem die Sehstrahlungen enthält, die nın mit den
Mittel- und Zwischenhirnzentren in Verbindung treten. Etwas später bricht
auch der Hirnschenkel in das Hemisphärenmark ein, nachdem sich ihm bei-
läufig der Tractus optieus angelagert hat. Während alle diese Fasern vom
Stamm zur Hemisphäre natürlich quer (schräg horizontal) verlaufen, sieht
man auf Obj. 110 und 119, also unmittelbar vor der Verbindungsstelle jener
ziemlich deutlich eine schmale Längsfaserung von der tiefsten Stelle des
Ventrikels (Sulcus strio-thalamicus) zur dorsalen Spitze — (im Frontalbild!)
— des jetzt völlig abgetrennten Unterhorns ziehen. Es handelt sich evident
um den Bogen der Stria terminalis; einen Begleitkern vermag ich nicht
nachzuweisen. In diesen Gegenden sieht man ferner auf vielen Schnitten
kleine Gruppen von kleinen länglichen oder rundlichen Zellen in dem Hemi-
sphärenmark, bald (in den hinteren Schnittebenen) liegen sie dicht am
Ventrikel, bald (weiter vorn) mitten in der Marksubstanz. Die Gruppen
haben vielfach die Form kurzer, schmaler Streifen, die dorso-ventral in leicht
lateralkonvexem Bogen ziehen. Sie bilden keine kontinuierlich durch die
Präparate zu verfolgende zusammenhängende Zellenreihe, sind vielmehr viel-
fach unterbrochen. Trotzdem möchte ich annehmen, dass ein Teil dieser
Zellgruppen (und zwar die distalen) den höchst unvollkommen entwickelten
Schweif des Nucleus caudatus darstellt. Der Zusammenhang mit den weiter
vorn gelegenen Teilen der Nucleus caudatus fehlt freilich. Doch ist die
Annahme trotzdem wahrscheinlich, da sich sonst schwer eine Deutung für
diese Zellgruppen finden und andererseits ein Schweif des Nucleus caudatus
nicht nachweisen lässt. Die proximaleren im Mark gelegenen Zellgruppen
mögen abgesprengte Teile des Putamens sein. Auf Obj. 122 beginnt sich
an der lateralen Hemisphärenwand zwischen den beiden sich deutlich mar-
kierenden Schenkeln des Ectosylvia die Sylvische Furche auszubilden ; zu einer
wirklichen Inselbildung kommt es nicht. Schon etwas früher erscheint
!) Eine Formation, wie jene „Rinne“ oder jenen „Umschlagshaken“,
als Ausdruck dafür, dass die äusseren Schichten der Rinde sich um die Ein-
stülpungsstelle des Ammonshorns ein Stück weit herumschlagen, finde ich
beim Igel am ventralen Schenkel nicht. Doch ist auch dort der Zusammen-
hang der Ammonszellen nur mit der tiefen Rindenschichtung deutlich und
mehrfach hervorgehoben, und ich gehe wohl nicht fehl, wenn ich den auf
Fig. 4 und 5 p. 591 und 596 abgebildeten Fortsatz C als das der Rinne
entsprechende Gebilde auffasse. Dass derselbe sich bei Erinaceus nur an dem
oberen Schenkel findet, während ich an dem unteren nichts Sicheres davon
sehe, erklärt sich wohl aus der relativen Mächtigkeit des oberen Schenkels
gegenüber dem rudimentären ventralen ohne erhebliche Schwierigkeit.
390 Max Völsch:
parallel der entsprechenden Windung, durch einen Abstand (Capsula extrema)
von der tiefsten Rindenschicht getrennt, eine längliche Zelleruppe, das
Claustrum, aus Rundzellen bestehend, die der tiefsten Rindenschicht durchaus
ähnlich sind, sich wohl auch durch die Capsula extrema hindurch mit der
letzteren vermischen ; später umgibt das Claustrum als eine mächtige, breite
Zellplatte im lateralkonkaven Bogen das Grau des F. Sylvii. Sie ist in der
Mitte am schmalsten, an den Enden am breitesten. Auf Obj. 134 erscheint
die distale Spitze des Aussengliedes des Linsenkerns, die Zellen sind kleiner
als die des Claustrums. Sehr bald treten auch die grossen, eckigen, charakte-
ristischen Zellen des Innengliedes des Linsenkerns, und endlich (Obj. 130)
lateral von dem sich deutlich markierenden Striaschenkel, der nach vorn
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Fig. 13 (Obj. 141, 3). Frettchen, Mandelkern.
immer stärker werdende Nucleus caudatus auf. Damit bin ich wieder auf
der Höhe angelangt, bis zu welcher ich den Lobus pyriformis (Fig. 7) ver-
folgt hatte. Die weitere Entwicklung innerhalb desselben geht nun zunächst
in prinzipiell genau derselben Weise vor sich, wie ich es beim Igel schilderte.
Die tiefste Schicht der Rinde (Lamina multiformis, VI, S) trennt sich von
der Ammonsrinde und zieht sich allmählich mehr und mehr lateralwärts
entlang dem Umterhorn des Ventrikels zurück ; der „intermediäre“ Teil der
Rinde (Textfig. 7 x x—xX) wird etwas kompakter und dehnt sich dorsal-
wärts in das Gebiet aus, welches in kaudaleren Ebenen noch von der multi-
Anatomie des Mandelkerns etc. 391
formen Schicht eingenommen wird. Der verdickte Rindenabschnitt, an welchen
auch hier wiederum nunmehr die Ammonsrinde direkt anstösst, mag als
Haufen B gelten, welchem er entspricht, wenn er auch nicht annähernd die
Mächtigkeit erreicht wie bei Igel und Maus; er reduziert sich nach vorn
zu sehr bald auch wieder zu gewöhnlicher Rindenbreite.
Dorsal aber von dieser unbedeutenden Rindenverdiekung, mitten im
Mark des Lobus pyriformis, dicht unter der ventralen Spitze des Unterhorns
(s. Fig. 13) entsteht auf Obj. 138 der Kern ,„T“, aus grossen, rundlichen
mittelstark tingierten Zellen bestehend; er breitet sich schnell, namentlich
in querer Richtung aus, bekommt zunächst die Gestalt eines länglichen
Polsters zwischen Rinde und Ventrikel. Seine Genese als Rindeneinstülpung,
die ich bei der Maus glaubte verfolgen zu können, lässt sich hier nicht
nachweisen. Von der Rinde (Haufen B) bleibt er anfangs durch eine mole-
kulare Platte getrennt.
Fig. 14 (Obj. 144, 5). Frettchen, Mandelkern.
Ein wenig weiter oral verdickt sich die dorsal von T gelegene Mark-
substanz sehr erheblich; wir nähern uns der oralen Spitze des Unterhorns,
welche augenscheinlich etwas dorsalwärts abgebogen ist, so dass in der Frontal-
serie zuerst der untere Teil der vorderen Wand, eben jene Markverdickung
erscheint. Innerhalb derselben treten dann bald erst vereinzelt, dann zahl-
reich sehr auffällige, sehr stark gefärbte Rundzellen auf; sie bilden bald
einen grossen kompakten Haufen und entsprechen evident den grossen Zellen,
welche ich im dorsalen Teil von T schon bei Igel und Maus fand. Ich be-
zeichne die Gruppe, welche sich doch recht erheblich von den ventralen
392 Max Völsch:
Zellen T abhebt, als T‘. Dorso-lateral von T und T‘, in dem auch hier
stark verbreiterten Mark lateral vom Unterhorn hat sich inzwischen eine
weitere Zellmasse angesammelt, welche den bogenförmigen, lateralkonvexen
Rand des Unterhorns hinauf begleitet (Fig. 13). Es ist der Kern M. Eristhinten
hoch und schmal, erreicht diese Höhe sehr schnell, wird nach vorn erheblich
breiter und flacht sich infolge der raschen ventralwärts gerichteten Aus-
breitung des Striatums (s. unten) ein wenig ab; er umfasst den unteren Teil
des Striatums mit einer dorsalwärts gerichteten Spitze von lateral her (Fig. 14).
Gleichzeitig umfasst er den Kern T nach unten von der lateralen Seite. Er
lässt sich nicht überall ganz sicher vom Striatum abtrennen, und speziell
bin ich nicht durchaus sicher, ob der Kern tatsächlich hinten so hoch in
die Höhe reicht, als ich es in Fig. 13 gezeichnet habe, ob nicht vielmehr
ein Teil davon zum Striatum gehört. Weiter vorn ist die Scheidung leichter,
einmal, weil die M-Zellen doch im ganzen viel grösser und plumper, dazu
auf meinen Präparaten gewissermassen verschwommener sind, als die kleineren,
gleichmässig tingierten und schärfer begrenzten Striatumzellen. Zweitens
aber sieht man auf der Grenze dieser beiden Gebilde nach vorn zu fast
regelmässig die ganz kleinen Zellen K, die sich als Gruppen und Reihen
schon bei Igel und Maus vielfach und gerade in der Umgebung und als
Abgrenzung des Kerns M und T fanden. Das Putamen aber, das bis Obj. 137
noch ein sehr unbedeutendes Gebilde in Form eines Dreiecks darstellt, wird
nun auch erheblich grösser. Von Obj. 138 ab sammelt sich ventral von dem
Dreieck dicht am oberen Rande des Unterhorns ein halbmondförmiger Zell-
haufen an (s. ©? Fig. 13): er ist zunächst von dem darüber gelegenen Striatum
noch durch Faserzüge (Capsula sublenticularis) getrennt; weiter nach vorn
verschmilzt er mit der unteren Fläche des Putamens. Wenn, wie mir
scheint. dieser Haufen als Schweif des Nucleus caudatus angesprochen werden
darf, so würde — nach dem oben Gesagten — der Schweifkern des Frettchens
aus einem wohlausgebildeten und weit nach hinten reichenden Kopfteil und
einem unteren Teil bestehen, der dem vorderen umgebogenen, mit der Unter-
fläche des Putamen verwachsenden Teil der Cauda entsprechen würde;
dagegen wäre der mittlere, beide Stücke verbindende Teil des Kerns, der
Bogenteil der Cauda nur durch spärliche, nicht in fortlaufendem Zusammen-
hang stehende Zellgruppen repräsentiert. Schon auf Fig. 14 sieht man an
der medialen Spitze des äusseren Linsenkerngliedes einige von letzterem
abgesondert liegende Zellen, welche in der Figur mit E bezeichnet sind.
Auch weiter finden sich an dieser Stelle noch lange derartige Zellkomplexe,
und unter ihnen fällt stets eine aus ziemlich grossen, stark gefärbten Rund-
zellen bestehende Gruppe auf. Ich bezeichnete sie (bei Igel und Maus) mit
E und erwog die Möglichkeit, dass sie zum Linsenkern zu rechnen seien;
die Frage lässt sich auch beim Frettchen nicht sicher entscheiden. Während
die ersten der soeben geschilderten Veränderungen: die geringfügige Rinden-
verdickung B und das erste Auftreten des Kerns T sich leicht in die Textfig. 7
hinein konstruieren lassen, gebe ich zur Verdeutlichung der weiteren ge-
schilderten Verhältnisse die Fig. 13 und Fig. 14, die nach dem Gesagten
einer weiteren Erläuterung nicht bedürfen. (Auf Fig. 14 sind die Grenzen
der Kerne M und T sehr unsicher; ich versuchte die mutmassliche Grenze
Anatomie des Mandelkerns etc. 393
durch Hervorhebung eines tatsächlich nicht so deutlichen Grössenunterschiedes
der Zellen zu markieren. Die stärkere Tinktion der T'-Zellen soll durch
die Schraffierung der Zellen angedeutet werden. Die Grenzen der Rinde
sind durch eine gestrichelte Linie, der Verlauf der Ammonszellen durch eine
aus Kreuzen bestehende Linie bezeichnet. Über die Rinde des Lobus
pyriformis s. Textfig. 7.)
Die Fig. 13 und 14 zeigen die rapide Grössenabnahme des Ammons-
horns und des Unterhorns; sehr bald hinter Fig. 14 verschwinden beide ganz.
Der vom Horn eingenommene Platz wird dadurch ausgefüllt, dass sich von
unten her nach oben der Kern T, von oben her nach unten das Striatum
und die sich vergrössernden Gruppen E ausdehnen, sowie durch Markmassen,
welche von oben her in den schon auf Fig. 13, besonders aber auf Fig. 14
deutlichen kommaförmigen zellfreien Raum zwischen der Rinde (B) und T
sich ergiessen. Sie stammen aus dem umgebogenen Schenkel der Stria
terminalis, welche dorsal vom Unterhorn in den früheren Schnitten stets als
von kleinen Gliakernen erfüllter Halbmond kenntlich ist. Auf Fig. 14 hat
die Ausstrahlung seiner Fasern offenbar schon begonnen. Sehr bald (Obj. 145)
bilden sich nun in dem dorsalen Teil jenes kommaförmigen Faserfeldes kleine
blasse rundliche Zellen, wodurch der untere Teil zu einem länglichen, von
allen Seiten von Zellen umgebenen Markquerschnitt umgewandelt wird. Die
erwähnten Zellen sind der bei Igel und Maus D genannte Kern. Auch hier
breitet derselbe sich nach vorn sehr langsam, aber übrigens genau so wie
dort, ventralwärts aus, die Rinde (B) vor sich herschiebend, sie verdrängend und
ersetzend (s. Fig. 15, B+D). Auf Obj. 158/159, also ca. /ı mm nach dem
ersten Auftreten der D-Zellen, sehen wir genau, wie bei Igel und Maus, die
ganze ventromediale Spitze der Hemisphäre von diesen Zellen angefüllt,
untermischt mit grösseren Zellen, Resten von B. Das ganze Gebiet, der
„basale Spitzenkern“, ist auch hier unscharf begrenzt, zumal gegen die
dorsal sich anschliessenden Zellkomplexe (Linsenkern, E, N. a.p.), auch hier
durch keine scharf hervortretenden Gebilde (mit Ausnahme von D‘, s. unten)
charakterisiert. Die Ausdehnung dieses Gebietes wird dadurch ermöglicht,
dass die Kerne T und M sich reduzieren. Sie erreichen auf Obj. 148 das
Maximum ihrer Ausdehnung, nehmen dann schnell ab und verschwinden auf
Obj. 155. Die Gesamtlänge beträgt danach nicht ganz 1'/. mm. Sehr
charakteristisch für diesen Kern ist auch beim Frettchen, wie schon bei
Igel und Maus, die vielfach, wenn auch nicht ganz kontinuierlich auftretende
Ansammlung kleiner, zu Reihen, Streifen und Haufen gelagerter körnchen-
artiger Zellen (K), vorwiegend nach dem angrenzenden Striatum zu (Fig. 14).
Auch beim Frettchen treten sie nach vorn zu mit dem Kleinerwerden des
Kerns in immer grösseren und dichteren Gruppen auf, schliesslich, nach dem
Verschwinden des Kerns, in Form von grossen Plaques die Stelle bezeichnend,
wo vorher, weiter hinten, der Kern lag (Fig. 15). In ihrer Totalität hüllen
sie, wie eine vielfach unterbrochene Schale, die dorsale und vordere Seite
des Kerns ein. Weiter vorn verlieren sie sich, beschränken sich also auf
die Umgebung des Kerns. Jedenfalls geben sie ein weiteres bedeutsames
Charakteristikum für diesen unter allen diesen basalen Gebilden auch sonst
am schärfsten begrenzten und bestcharakterisierten Kern ab. Ich irre wohl
394 Max Völsch:
nicht. wenn ich die Zellen K für gliöser Natur halte. Sie dürften eine
mächtige Gliavermehrung in der Umgebung des Kerns bedeuten; wenn, wie
ich bei der Maus in recht überzeugender Weise nachweisen zu können
glaubte, die Kerne T+M als Einstülpungen der basalen Rinde (Pars inter-
media der Rinde des Lobus pyriformis) aufzufassen sind, so würde diese
(normale) Gliavermehrung an dieser Stelle mit den bekannten Anschauungen
Weigerts (Kielstreifen etc.) in bester Übereinstimmung sein.
Nach dem Verschwinden des K-Zellenplaques wird ihre Stelle von
grösseren, ziemlich weitstehenden Zellen eingenommen (Fig. 16).
Seit Objektträger 160 markiert sich der (schon früher andeutungsweise
sichtbare) äusserst typische Komplex D', den ich als Kern des sagittalen Längs-
I rk SC
Sl 7
Fig. 15 (Obj. 155, 12). Frettchen.
bündels der Stria terminalis bezeichnete, medial in der Nähe des Winkels
zwischen Stamm und Hemisphäre, die hier nach dem Austritt des Tractus
optieus an die Basis bereits völlig verwachsen sind. Dorsal von D' ist der
Querschnitt Q kenntlich, den man leidlich gut bis hierher verfolgen kann.
D‘, aus grossen, stark gefärbten Pyramiden bestehend, anwachsend und wieder
anschwellend, ist bis Objektträger 169 verfolgbar, hat also eine sagittale
Länge von ca. 800 „ = */s mm (Fig. 16).
Bevor ich die Ersetzung des basalen Spitzenkerns (4 D') durch andere
Zellformationen bespreche, muss ich noch mit einigen Worten auf die dorsal
davon gelegenen Gebilde eingehen; ich greife auf Fig. 13 zurück. Medial
Anatomie des Mandelkerns ete. 395
von der Spitze des ersten Linsenkerngliedes liegt dort der Komplex E, be-
stehend aus einer Gruppe grösserer, stark gefärbter Zellen und einiger
medial davon gelegener kleiner körnerartiger blasser Gebilde. Mit der basal
gerichteten, bereits erwähnten Ausbreitung von St rücken auch diese Gruppen
ventraler, vergrössern sich übrigens dabei. Die laterale grosszellige ist noch
weithin nach vorn kenntlich, immer durch Grösse und Tinktion der Zellen
von St unterscheidbar; schliesslich verliert sie sich (s. Fig. 16). Die klein-
zellige mediale Gruppe aber scheint mit dem im zellfreien Komma zwischen
B und T entstehenden Kern D zu verschmelzen, ist proximal jedenfalls nicht
mehr von letzterem zu scheiden.
RER
Fig. 16 (Obj. 164, 11). Frettchen.
Dass die medial von den Gruppen E gelegene Stria sich in den zell-
freien Kommaraum ergiesst, wurde bereits erwähnt.
Medial von der Stria und den Gruppen E liegt der Tractus opticus.
Er zieht sich langsam medialwärts und gelangt schliesslich an die basale
Oberfläche, während hinter ihm her Stamm und Hemisphäre auch basal ver-
wachsen. Unmittelbar, nachdem das laterale Tractusende die basale Stamm-
oberfläche erreicht hat, erscheint in dem durch jene Verwachsung gebildeten
Winkel (etwa von Obj. 154 ab) das Ganglion opticum basale mit seinen
charakteristischen grossen, tiefblau gefärbten Zellen; es lässt sich ca. 1!’ mm
weit nach vorn verfolgen, und schiebt sich dabei, eine horizontal längliche Form
396 Max Völsch:
annehmend, langsam medialwärts, immer an der Stelle liegend, wo der laterale
Rand des Tractus bezw. des Chiasmas der Stammbasis anliegt (Fig. 15 und 16.)
Mit dem Heraustreten des Tractus opticus an die freie basale Hirn-
oberfläche gelangt nun eine weitere Formation in die unmittelbare Nachbar-
schaft der Kerne B und T bezw. des basalen Spitzenkerns, welche in
den distalen Teilen aber durch den Tractus von ihm getrennt ist. Es ist
ein die Basis des sich zur Capsula interna umwandelnden Pedunculus be-
gleitender oder in diese Basis eingelagerter Zellkomplex mit etwas kompli-
zierteren Verhältnissen (s. Fig. 13—16, N.a.p.). Er schiebt sich von der
Mitte her über den Tractus hinweg nach der Basis des Striatums hin. Zuerst
auf Obj. 126, also noch fast 1'!/a mm hinter der Höhe der Fig. 13, sehe ich
im ventralsten Teil des Pedunculus, immer entlang dem Tractus, eine Reihe
spärlicher Zellen, die weiter nach vorn eine ausgesprochen strichförmige
Gestalt mit transversal gestellter Längsachse annehmen, Zellen, wie man
sie häufig da sieht, wo sie in einen Faserzug eingebettet sind. In der Tat
gestatten diese Begleitzellen die Bahn eines Faserzuges auch hier zu ver-
folgen. Aus dem Linsenkern, und zwar im wesentlichen aus seiner Basis
und anscheinend vornehmlich aus der Gegend zwischen St und St‘ stammend,
zieht er in den distalsten Partien in S-förmiger Krümmung um die
Vereinigungsstelle des Stamms mit der Hemisphäre herum zu den basalen
Teilen des Hirnstamms (s. besonders Fig. 14). Von Objektträger 147 ab aber
wird eine Teilung dieses Bündels deutlich; es zweigt sich von dem S-förmigen
Bündel ein anderes ab, welches in ventro-medial konvexem Bogen das mediale
Ende der Capsula interna, zu welcher sich gerade hier der Peduneulus
umgewandelt hat (s. v. Monakow, Gehirnpathologie, 2. Aufl., p. 100, Anm.1),
umkreist und den dorso-lateralen Teilen des Thalamus zuzustreben scheint.
Bald (Obj. 151/152) überwiegt dieser letztere Teil, und mit der Ausbildung
der Substantia perforata anterior (etwa Obj. 155) verschwindet der erstere ganz.
Der Befund — s. Fig. 14, den Zellenzug dicht über dem Tractus
optieus; die Teilung ist hier auch schon angedeutet — erinnert durchaus an
den bei Igel und Maus erhobenen.!) Ich bezeichnete den Zug dort als G,
und identifizierte ihn mit N. a. p., dem „Ganglion der Hirnschenkelschlinge‘“
Meynerts oder dem „Meynertschen Basalganglion“ von Kölliker. Ich
lasse es einstweilen dahingestellt, ob diese Identifikation, wenigstens die letztere,
richtig ist; die Beschreibung, welche Kölliker?) p. 456 von dem Basal-
ganglion des Menschen gibt, lassen hierüber doch Zweifel aufkommen, in
höherem Maße noch, als die Fig. 605 und 598 p. 436. Jedenfalls erfordert
dieses Gebiet noch eine eingehendere Besprechung.?)
!) 1. ec. p. 605, 609 ff., 626, 639, 665 sowie Textfig. 7 und Fig. 5 und 12.
?) Gewebelehre, Bd. 2, 1896.
3) Der anscheinend paradoxe Versuch, Faserzüge im Nisslpräparat
verfolgen zu wollen, ist nicht so unberechtigt, soweit es sich um die Fest-
stellung der groben Verlaufsrichtung handelt. Man erhält dabei, gerade
wegen der Begleitzellen, oft bessere Auskunft, als aus nicht tadellosen
Weigertpräparaten. Immerhin können die Schlüsse aus dem Zellpräparat
natürlich nur mit Reserve gezogen werden.
Anatomie des Mandelkerns etc. 397
Dorsal nämlich von jenen erwähnten transversalen Zellfaserzügen finden
sich, erst etwas weiter proximal beginnend, andere Zellen, erst spärlich,
dann immer reichlicher, mittelgross, länglich, eckig, ziemlich stark gefärbt,
welche in ganz anderer Weise, nämlich maschenförmig angeordnet sind;
offenbar verlaufen zwischen ihnen sagittale Faserbündel. So haben wir also
auf diesem Gebiet (s. Fig. 14, N. a. p.) gewissermassen zwei Etagen. In der
ventralen Etage begleiten strichförmige Zellen einen transversalen Faserzug,
der sich medialwärts teilt: der eine Teil, der distalere, zieht in S-förmiger
Krümmung zur Regio subthalamica, der andere, proximalere krümmt sich
in ventralkonvexem Bogen zum Thalamus hinauf. In der dorsalen Etage liegen
maschenförmig geordnete Zellen, offenbar um sagittal oder schräg verlaufende
Bündel herum. Für die Deutung der ventralen Etage bringt m. E. die Dar-
stellung, die vv. Monakow für dieses umstrittene Gebiet gibt, Aufklärung.
Nach v.M. spaltet sich die aus dem Linsenkern herstammende Linsenkern-
schlinge in zwei Teile: der eine Teil (Lisch. b) umgreift die Capsula interna
und endet im zentralen Höhlengrau des vordersten Sehhügelabschnittes, ist
identisch mit der Hirnschenkelschlinge der Autoren; der andere Teil durch-
quert den Hirnschenkel (Lisch. a), um zum Corpus Luysi, zum H?’feld von
Forel zu gelangen. Ganz überzeugend ist nun der proximalere Teil des
Zellfaserzuges beim Frettchen identisch mit der Hirnschenkelschlinge (Lisch. b),
welche mit einem „Begleitkern“ versehen wäre; dagegen kann ich die Linsen-
kernschlinge (Lisch. a) sensu strietiori, welche den Hirnschenkel durchquert,
nicht nachweisen, wohl aber einen Zug direkt zur Basis des Hypothalamus,
der, ebenfalls mit einem Begleitkern versehen, als basaler Anteil der Hirn-
schenkelschlinge s. str. anzusehen wäre. Im Gegensatz zu dem früher (p. 639)
Gesagten muss ich es doch für zweifelhaft halten, ob nicht schliesslich auch
bei Igel und Maus eine Hirnschenkel- und Linsenkernschlinge in diesem Sinne
besteht; die betreffenden Zellenzüge sind jedenfalls vorhanden, die Faserung
konnte ich beim Igel allerdings nicht nachweisen; sehr bedeutend kann sie
daher wohl nicht sein.
Die dorsale Etage des mit N. a. p. bezeichneten Gebietes ist nun,
wie gesagt, durch die maschenartige Anordnung der Zellen ausgezeichnet;
offenbar verlaufen in den Maschen sagittale Faserzüge. Mit der Linsenkern-
oder der Hirnschenkelschlinge hat sie nichts zu tun. Die Zellen werden
nach vorn zu reichlicher und nehmen einen grösseren Raum ein, um freilich,
noch weiter nach vorn, wieder abzunehmen. Sie sind oft schwer von den
lateral anstossenden des inneren Linsenkerngliedes zu trennen (St'), wenn
auch im allgemeinen von etwas anderem Aussehen und durch die erwähnte
Anordnung von ihnen unterscheidbar. Der Gedanke liest nahe, den Komplex
als ein drittes, innerstes Glied des Linsenkerns anzusprechen, und in der Tat
erweist die Faserserie, wie ich im voraus bemerken will, die Richtigkeit
dieser Annahme.
Ganz vorn tritt der Kern der Hirnschenkelschlinge mit einem (seit
Obj. 155) von dorsal her herabsteigenden Zellenzuge in Berührung, den ich früher
trotz einiger Differenz im Aussehen der Zellen als einen Teil des ventral-
Dekre,p. 100:
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. 26
S
393 Max Völsch:
wärts sich herabsenkenden Kopfes des Schweifkerns (N. c. v.) auffasste, woran
ich festhalten möchte. Wieder bildet der Zellfaserzug N. a. p. mit N. c. v.
einen die Capsula int. von der ventralen Seite her umziehenden Bogen, genau
so, wie ich es beim Igel in Textfig. 7, p. 609 des ersten Teils schematisch
wiedergegeben habe. Recht wesentlich unterscheidet sich diese Gegend beim
Frettchen von der gleichen des Igels durch das Fehlen oder die geringe Ent-
wicklung des „Grenzkerns“ (G. K.), der bei Fotorius da, wo die Stria termi-
nalis aus dem Suleus strio-thalamieus medio-ventralwärts in den Thalamus
strahlt, höchstens andeutungsweise zu erkennen ist. —
Auf den auf Fig. 16 folgenden Objektträgern reduzieren sich die Innen-
glieder des Linsenkerns, dagegen steigt der Kopf des Schweifkerns immer
tiefer herab und wird auf Objektträger 170 ff. durch die vordere Kommissur
durchsetzt, die in dieser Höhe in ihrer ganzen Breite sichtbar ist; ihre
kaudale Ausstrahlung und das Mittelstück finden sich bereits auf Fig. 16.
In dieser Ausstrahlung liegt (z. B. Obj. 170) eine längliche kleinzellige Zell-
gruppe, vielleicht das Analogon der Gruppe x bei Erinaceus. Die Kommissur
trennt auch hier von dem Putamen einen Zellkomplex, den ich früher mit
Y bezeichnete und zum Putamen rechnete. Vielleicht entspricht schon ein
Teil des auf Fig. 16 mit ? bezeichneten Haufens, und zwar der dorsalere Teil
diesem Y. Nach dem Verschwinden des Querstückes der Kommissur und
der Ausbildung ihres Vorderhorns erscheint auch derjenige Abschnitt des
Nucleus caudatus, den ich als Z, Nucleus accumbens (Ziehen) ansprach.
Noch weiter nach vorn vereinigen sich Y und Z, und es ergibt sich dann
das relativ einfache Bild, in welchem das Striatum, ventral geschlossen, das
Zentrum der Hemisphäre ausfüllt, indem es in grossem Bogen den durch
viele Zellbrücken durchsetzten vorderen Schenkel der Capsula interna umzieht.
Immer tiefer ragt es dabei an die Basis des Gehirns heran, vielfach Zacken
und Fortsätze gegen dieselbe vorschiebend.
Die Basis in diesen vorderen Teilen haben wir schliesslich noch zu
betrachten. Was zunächst die Riechrinde betrifft, so breitet sich, wie bereits
erwähnt ist, nach vorn von Objektträger 135 (s. p. 382) das oberflächliche
Band der Regio olfactiva anterior immer weiter, bis zur Fissura rhinalis
lateralis aus. Dabei wird das Band immer dichter, kompakter, die Unter-
brechungen desselben verlieren sich ganz, und bald zieht es als ununter-
brochener, dichter Streifen von der Fissura rhin. lateralis bis zur „Pars inter-
media“ der Rinde des Lobus pyriformis hin. Dabei bewahrt der äussere
Teil der Rinde (die Pars fissuralis) insoweit noch eine gewisse Eigenart, als
die rundlichen Zellen der IV. Schicht, welche, wie wir sahen, früher völlig
fehlten, auch in diesen oraleren Ebenen weit spärlicher sind, als in den
medialeren Partien der Regio olfactiva. Der tiefe Molekularstreif ist in
der ganzen Region sehr deutlich, selbst noch breiter, als in den kau-
(laleren Ebenen; dagegen verschmälern und verdünnen sich die jenseits dieses
Streifes gelegenen tiefen Schichten in ganz auffälliger Weise, namentlich in
den medialen Teilen. Eine neue Bestätigung für die Natur der Vormauer
als abgetrennter Teil der tiefsten Rindenschicht ist es, dass in den lateralen
Teilen dieses Gebiets die Zellen des unteren Claustrumdreiecks (0) mit den
Zellen der tiefen Rindenschicht aufs innigste sich vermischen. Die Fig. 15
Anatomie des Mandelkerns ete. 399
und 16 ergeben, dass die beiden Dreiecke des Claustrums in den oralen Ebenen
sich völlig voneinander trennen, das schmale sie verbindende Mittelstück
fehlt hier ganz. Das untere Dreieck, in welchem die Zellen spärlicher und
lockerer liegen, ist streckenweise in zwei Teile gespalten.
Bald hinter Objektträger 135 bildet sich an dem medialen Ende der
Riechrinde eine molekuläre Einsenkung, die weiter vorn sich wieder verliert
(= ö bei Erinaceus und Mus); sie trennt die Riechrinde vom intermediären
Teil, wobei auch hier die Einsenkung keineswegs eine scharfe Grenze
zu bilden scheint. Wir sahen oben, wie die intermediäre Rinde sich eine
Strecke weit etwas verdickte, so dass sie als dem Haufen B bei Igel und
Maus entsprechend angesehen werden konnte. Es mag nachgeholt werden,
dass der lateralste Teil dieser intermediären Rinde dem beim Igel als Rand-
streifen T bezeichneten Teil entsprechen dürfte; wir sahen ferner, wie sich
dorsal von ihm die Haufen T, T’ und M entwickelten, wie sich von oben
her ein neuer Zellenkomplex D vorschob, und wie sich schliesslich an Stelle
aller dieser Gebilde die unbestimmte und nur unsicher abgrenzende Formation
etablierte, die ich wegen ihrer Lage in der basalen Spitze der Hemisphäre
„basalen Spitzenkern“ nannte; sie enthielt D‘, den Kern des sagittalen
Längsbündels der Stria.
Schon etwas früher sehen wir an der Basis der Regio subthalamica
dorsal von dem nach der Mitte strebenden Tractus optiecus und dem ihn
begleitenden Ganglion opticum basale eine nur mit spärlichen kleinen Zellen
angefüllte Zone, aus welcher Fasern dorsalwärts zu ziehen scheinen (unterer
Thalamusstiel). Bald, etwa von Objektträger 158 ab — übrigens auf Fig. 15
dicht über dem Gangl. opt. bas. schon angedeutet — beginnt sich diese zell-
arme Zone allmählich mit vereinzelten grösseren und kleineren, meist stark-
gefärbten und eckigen Zellen zu füllen, während, wie hier gleich bemerkt
werden mag. der Winkel zwischen Stamm und Hemisphäre sich mehr und
mehr abflacht und ausgleicht. Die Zellen lassen einen ziemlich breiten
Molekularrand an der ventralen Oberfläche der Regio subthalamica (mit dem
Gangl. opt. bas.) frei. Ganz allmählich — vergl. Fig. 16 und die ganz
analoge Verhältnisse darstellende Textfig. 14, p. 668, I. Teil, von der Maus —
schiebt sich nun diese Formation lateralwärts in den Spitzenkern hinein,
über D' hinweg, ihn allmählich erfüllend und ersetzend. Nach vorn finden
sich unter den grossen, eckigen Zellen auch viele rundliche, wie überhaupt
auch beim Frettchen die Unregelmässigkeit der Grösse, der Gestalt und der
Lagerung der Zellen ein treffendes Uharakteristikum der Formation S. p. a.
darstellt; sie ist auffälliger, als sonst bei einer mir bekannten Zellgruppe
des Hirns. Mit dem Verschwinden von D‘ (Öbjektträger 170) erfüllen diese
unregelmässigen Zellen so ziemlich das ganze Gebiet des Spitzenkerns, nach
oben medial an das hier in ganzer Breite sichtbare Querstück der vorderen
Kommissur, lateral an den Haufen Y grenzend. In den basalen Teilen der
Formation sieht man vielfach — deutlich erst ziemlich weit oral (Obj. 170,
173) — die Zellen zu schräg horizontal verlaufenden Reihen geordnet;
es handelt sich da zum Teil um kleinere, spindelförmige, zum Teil aber
auch um grössere eckige Elemente; sie entsprechen offenbar S. p. a’ beim
Igel, den in den „transversalen Faserzug* eingestreuten Zellen (Tr. F.,
26*
400 Max Völsch:
p. 652, I. Teil). Die Formation S. p. a. schiebt sich in den oraleren Ebenen
übrigens auch medialwärts bis zur Mittellinie hin; sie tritt hier schliesslich
(Obj. 175) in Verbindung mit einer im Septum pellucidum gelegenen Zell-
gruppe, welche ich zuerst auf Objektträger 169 sehe als ein zwischen Balken
und Mittelstück der vorderen Kommissur gelegenes Dreieck dicht an der
Medianlinie, das sich mit dem entsprechenden Gebilde der anderen Seite zu
einem gleichschenkligen Dreieck mit dorsaler Spitze vereinigt: es liegt etwas
höher und ist viel grösser, als das auf Fig. 16 an entsprechender Stelle
abgebildete Dreieck. Mit Verschwinden des Querstücks der Kommissur
breitet sich jenes Dreieck basalwärts aus, bis es das mediale Ende von
S. p. a. erreicht. Die Zellen sind denen von S.p. a. ähnlich, aber nicht mit
ihnen identisch.
Auf Objektträger 176 würde mithin S.p. a. die ganze basale Hirn-
oberfläche von der Riechrinde bis zur Mittellinie, hier mit Anschluss an die
oben erwähnte dreieckige Formation bedecken, wenn nicht inzwischen in den
lateralen Teilen dieses Bezirks nächst der Riechrinde neue Formationen auf-
getreten wären. Auf Öbjektträger 172 nämlich bildet sich genau medial
von der Endigung der Rinde der Regio olfactiva die Fissura rhin. medialis
aus; auf Objektträger 173 erscheint ferner etwas medial von der Furche
eine minimale ventrale Verbuckelung der Hemisphäre; von hier aus, zuerst
nach der Fiss, rhin. med. hin, dann auch medialwärts breiten sich die kleinen
eckigen charakteristischen Zellen des Tuberculum olfactorium aus. Langsam
vorschreitend überziehen sie S.p. a. und S.p. a. mit einem dichten Kranz,
der nach zehn bis zwölf Objektträger, also ca. 1 mm vor dem Beginn der
Fissura rhinalis medialis, bis zur Mittellinie reicht und in vielen Windungen
und Faltungen verläuft. In der diesen Zellenkranz umgebenden Molekular-
schicht liegen, vielfach in jene Rindenschicht hineinreichend, zahllose grosse
und kleine Haufen kleinkörniger Gebilde (Tb. olf‘). Massenhaft liegen diese
Haufen auch an der medialen Seite der hier schon fast geteilten, auf Objekt-
träger 155 nur noch durch den Balken verbundenen Hemisphären, medial
von Z und der vorhin erwähnten, an $S.p.a. sich anschliessenden Zellformation
des Septum pellucidum, welche hier nur noch spärlich entwickelt ist, sich
offenbar ihrem Ende nähert. — Die bei der Maus als Tb. olf‘“ erwähnten
rundlichen Zellen finde ich nicht wieder. Unter dem gefältelten Zellenbande
liegt stets eine zellarme Zone. Da nun auch das Striatum von oben her
sich weiter ventral geschoben hat, so ist S. p.a., welche ich, soweit sie von
der Tuberceulumrinde bedeckt ist, mit Ganser als „Rinde am Kopfe des
Streifenhügels“ (St. K. bezw. St. K') bezeichnete, zu einer, namentlich
medial ganz dünnen Platte abgeflacht. Es liegen hier überall genau die-
selben Verhältnisse vor, wie bei Igel und Maus.
Der Lobus pyriformis (die Regio olfactiva) ist inzwischen allmählich
durch das immer tiefere Einschneiden der Fissura rhinalis lateralis und den
konvergierenden Verlauf der Fissura rhinalis lateralis und medialis sehr
stark verkleinert; er imponiert in diesen Höhen nur noch als ein kleiner
latero-ventraler Anhang an das Hirn. — Textfig. 8 (p. 385) orientiert über
die Lage aller dieser Gebilde zur Basis. Die Rinde des längs und quer
gestrichelten „intermediären“* Teils geht direkt über inB. Etwas proximaler
Anatomie des Mandelkerns etc. 401
beginnt D; beide werden zum basalen Spitzenkern (B--D). Medial von D
liegt z. Z., die zellfreie Zone, von D noch durch eine Linie getrennt,
welche den hier noch ausgesprochenen Winkel zwischen Stamm und Hemisphäre,
den Suleus hemisphäricus — Ziehen oder die Kielfurche — His, andeutet.
Davor beginnt alsbald S. p. a., quer schraffiert, und breitet sich lateral- und
medialwärts aus, bildet eine Strecke weit die Rinde der Hirnbasis. Weiter
aber entwickelt sich die Fissura rhinalis medialis und medial von ihr das
charakteristische oberflächliche Zellenband, welches das Tuberculum olfac-
torium kennzeichnet. Die Formation S.p. a. aber erhält sich unter dem
Bande als St. K., als Rinde am Kopf des Streifenhügels (Ganser), was
durch Querstrichelung angedeutet ist. Vergl. hierzu Teil I, Textfig. 10, p. 629.
Bei der Zusammenfassung der Resultate kann ich mich
bezüglich der meisten Punkte kurz fassen, zumal die UÜberein-
stimmung mit Igel und Maus eine sehr weitgehende und prinzipiell
wohl vollkommene ist.
1. Die Palliumrinde des Frettchens zeigt den sechsschichtigen
Grundtypus Brodmanns; auch für Igel und Maus kann dieser
Grundtypus zugegeben werden, wenn er auch nicht so aus-
gesprochen hervortritt. — In den oberflächlichen Rindenschichten
treten die polardifterenzierten und pyramidenförmigen Zellen (p)
vor den rundlichen Formen (r) beim Frettchen durchaus in den
Vordergrund.
2. Die Palliumrinde überragt den Lobus pyriformis
nach hinten um fast 3 mm. Der letztere, immer durch die
Fiss. rhin. lat. vom Pallium getrennt, liegt in den distalsten Teilen
auf der medialen Seite der Hemisphäre, in der ventro-medialen
Ecke ihres Frontalschnittes und wird vom Pallium lateral nach
unten überragt (Fig. 3). Weiter vorn dehnt er sich in die
Breite erheblich aus und tritt, von der Seite mehr und mehr
sichtbar, unter dem Pallium hervor. Ganz vorn wird er durch
das tiefe Einschneiden der Fiss. rhin. lat. und den konvergierenden
Verlauf beider rhinalen Furchen schmäler und unbedeutender.
An seiner Rinde sind mehrere Regionen zu unterscheiden:
a) Der Hauptteil, die Regio olfactiva (der äussere zentrale Teil),
welcher in sagittaler Richtung in drei Unterabteilungen
zerlegt werden kann, die Regio retroolfactiva (in Fig. 8
unschraffiert) und die Regio olfactiva posterior und anterior
(in Fig. 8 durch Kreuze gezeichnet). Jeder dieser Abschnitte
hat besondere Eigentümlichkeiten, namentlich im Bau der
zweiten Schicht der Rinde.
402
Max Völsch:
b) Lateral von der Regio olfactiva liegt die auf die hintere
C
d
—
)
Hälfte des Lobus pyriformis beschränkte Regio fissuralis
(Cala)
Noch weiter lateral, nur in den distalsten Teilen des
Lappens sichtbar, die schmale, unbedeutende, immerhin
durch gewisse Eigentümlichkeiten sich auszeichnende (auch
bei Igel und Maus nachweisbare) Regio prärhinencephalis.
Medial an die Regio olfactiva schliesst sich die Regio
intermedia (innerer zentraler Bezirk) an; sie unter-
scheidet sich in den distalen Teilen durch einige Merkmale
von der olfaktiven Rinde und geht in der proximalen sehr
erhebliche und für mein Thema wichtige Veränderungen
ein. Ramön y Cajal trennt sie nicht von der Regio
olfactiva ab; sein innerer zentraler Teil des Lobus pyriformis
entspricht der folgenden Region.
(Ganz medial und wieder nur in den distaleren Teilen liegt
die Regio medialis. Ganz distal, bevor noch die
Ammonsformation in den Schnitt kommt, geht sie in die
Rinde der medialen Palliumwand über. Weiter vorn umhüllt
sie die Einrollung der tiefen Schichten in die Ammons-
windung, entspricht hier der präsubikulären Rinde. Ramön
y Cajal erwähnt in dieser Gegend, die er, das Subiculum
als inneren Teil des Lobus Hippocampi bezeichnend, auch
inneren Teil der zentralen Region nennt, beim Menschen:
a) plexiforme Schicht, b) kleine Pyramiden und spindelförmige
Zellen, — ein Band (nicht inselartig, jedoch wellig) von kleinen
spindelförmigen, dreieckigen und pyramidalen Zellen .
c) tiefe plexiforme Schicht, ein ausgedehntes zellenarmes
Band . ... .., d) mittelgrosse und grosse Pyramiden
f) Schicht spindelförmiger und dreieckiger Zellen... ., wenig
verschieden von der voraufgehenden. Bei Kaninchen, Meer-
schweinchen und Maus (l. c., p. 45) ist die präsubikuläre
Gegend „sehr charakteristisch und erkennbar an einer dicken
zweiten Schicht (Fig. 16), bestehend aus sehr kleinen, an
einzelnen Stellen zusammengelagerten Pyramiden. Unter
ihr existiere, ähnlich wie beim Menschen, ein plexiformes
Band mit wenigen kleinen pyramiden-, stern- oder spindel-
förmigen Elementen. Hierauf kommt die Schicht der grossen
Pyramiden, die hier allerdings nicht sehr voluminös sind,
Anatomie des Mandelkerns etc. 403
und endlich die der polymorphen Zellen ; letztere sind ge-
wöhnlich klein, kugelig, ei- oder spindelförmig und vorzugs-
weise horizontal gerichtet“. Bei der Katze schildert er
etwas abweichende Verhältnisse. Ich glaube die Überein-
stimmung ist überzeugend. Hervorgehoben muss jedoch
werden, dass die Schilderung Cajals beim Frettchen nur
für gewisse distale Teile des Lobus pyriformis zutrifft. Denn
nur hier findet sich jene präsubikuläre Rinde mit ihrer
charakteristischen „zweiten Schicht“. Wir sahen, dass die
äusseren Schichten der Rinde des Lobus pyriformis die Um-
biegung der tiefen Schichten in das Ammonshorn nur in
den distalen Ebenen ein Stück weit mitmachen, in Form
einer (auf dem Frontalschnitt als Haken erscheinenden)
Rinne. (Gerade diese äusseren Schichten sind das Charak-
teristikum der präsubikulären Rinde Gajals, ihre „zweite
Schicht“. Wenn in den oraleren Ebenen diese Rinne sich
allmählich um jene Umbiegungsstelle herumzieht und schliess-
lich ganz verschwindet, so hört damit die eigentümliche
präsubikuläre Rinde (oder, wie ich sagte, der mediale Be-
zirk der Rinde des Lobus pyriformis) auf. Also: die „mediale“
Rinde findet sich vorn nicht; in der Höhe des Ammons-
horns als präsubikuläre Rinde, dahinter geht sie in die
mediale Palliumwand über.
f) Die Zellschichten des Subiculums und des Ammons-
horns sind nur die direkte (modifizierte) Fortsetzung der
tiefsten Schichten der Rinde des Lobus pyriformis. Ich
möchte aber meinen, dass man beim Frettchen unter der
von Cajal (l.c. p. 45) geschilderten Schicht mittelgrosser
Pyramiden, die sich bei den genannten und anderen Tieren
„bis zur weissen Substanz erstreckt, ohne deutliche Unter-
abteilungen zu zeigen“, doch auch noch die Fortsetzung
der allertiefsten Zellagen der Rinde des Lob. pyr. und den
Beginn des Stratum oriens der Autoren erkennen kann.
Jedenfalls erstrecken sich diese Lagen ziemlich weit in das
Ammonshorn hinein, wo die oberflächlicheren Zellen der
tiefen Schichten sich bereits in typische Ammonszellen um-
gewandelt haben.
3. Die Ammonswindung zeigt durchaus typische Ver-
hältnisse; doch besteht gegenüber dem Igel und der Maus ein
404 Max Völsch:
wesentlicher Unterschied in der Lage der Windung. Sie ist,
konform der stärkeren Balkenausbildung in der von den Primaten
her geläufigen Weise verschoben, gewissermassen im Bogen um
eine frontale Achse herum, so dass der obere Schenkel nur mehr
sehr kurz ist, während der untere zusammen mit einem echten
Unterhorn tief unter den Stamm und seine Verbindung mit den
Stammganglien der Hemisphäre nach vorn hinuntergeschoben ist.
Gegenüber der rudimentären Ausbildung des Unterhorns (wie
gesagt, eines echten untergeschobenen Unterhorns!) und des
entsprechenden unteren Ammonsschenkels bei Igel und Maus zeigt
das Frettchen durchaus den Primaten ähnliche Verhältnisse. —
Wie bereits oben (unter 2e) erwähnt, ist auch bei Fötorius die
Ammonszellschichtung lediglich als eine Fortsetzung der tiefen
Rindenschichten (VI) anzusehen; die oberflächlichen Zellschichten
(II—IV) setzen sich nur eine Strecke weit in das Ammons-
horn fort, dabei die Einbiegungsstelle des Ammonshorns wie
eine Rinne umgebend (s. oben). Auch an dem gerade
nach hinten gerichteten Teil des Ammonsbogens (s. Fig. 9—12
nebst Text) fand ich diesen Umschlag, der hier also eine Fort-
setzung der äusseren Schichtung der medialen Palliumwand ist.
In den oralen Teilen des unteren Schenkels des Ammonshorns
dagegen hört der Umschlag, sich allmählich um die Umbiegungs-
stelle zurückziehend, auf; die Einrollung der äusseren Schichten
des Lobus pyriformis hat daher eine Gestalt wie der Rand eines
Papierblattes, das man mit dem ersten Griff zu einer Düte ein-
rollt. — Im oralen Teil der Ammonswindung ist eine Formation
kenntlich (Fig. 7), welche als der Ausdruck einer primitiven
Uneusbildung zu betrachten ist.
4. Weiter oral, kurz distal von dem vorderen Unterhornende
wird die Verbindung der tiefen Schichten des Lobus pyriformis
(Regio intermedia) mit der Ammonsrinde scheinbar unterbrochen
durch das Auftreten von Zellmassen, welche zum Teil als
Verdickungen (B), zum Teil (vergl. Maus) wahrscheinlich als
Einstülpungen resp. abgeschnürte Einsenkungen der äusseren oder
mittleren Rindenschichten aufzufassen sind. B ist beim Frettchen
zu einer sehr unerheblichen Verdickung der äusseren Rinden-
schichtung reduziert. T und M liegen zunächst ventro-lateral
vom Unterhorn, dehnen sich nach dem Verschwinden des letzteren
weit in das vorher von ihm eingenommene (rebiet dorsalwärts
Anatomie des Mandelkerns etc. 405
aus, auf diese Weise die vordere Wand des Unterhorns bildend.
Die dorsale Partie von T, die sich schon bei Igel und Maus durch
besonders grosse Zellen markierte, wurde als T’ abgeschieden.
Der ganze Zellkomplex T+ T’+M ist nach dorsal und nach
proximal sehr vielfach von Streifen und Platten körnerartiger
(Gebilde (K) umgeben, die ich für Gliaanhäufungen (im Sinne
Weigerts) halte.
5. Weiter oral bildet sich ganz an der ventro - medialen
Spitze der Hemisphäre (vergl. Fig. 5) eine kleinzellige Masse D
aus, welche B allmählich verdrängt: bald wird diese Spitze ganz
von solchen kleinen und einigen grösseren Zellen ausgefüllt; der
ganze Komplex, der sich bis in den unteren Teil des vorher
(weiter hinten) von dem inzwischen verschwundenen Kern T ein-
genommenen Gebietes ausdehnt, ist schlecht charakterisiert
und undeutlich begrenzt, wie bei Igel und Maus: „basaler
Spitzenkern‘“.
6. Innerhalb desselben findet sich auch hier sehr deutlich
die kompakte Zellansammlung D‘, der Kern des sagittalen
Längsbündels der Stria terminalis.
7. Noch weiter nach vorn wird der „basale Spitzenkern“
ersetzt durch S. p. a., die Substantia perforata anterior;
sie ist durch die Unregelmässigkeit der Zellen nach Lage, Grösse
und Form charakterisiert und schiebt sich allmählich von medial
(dem Stamm) her über die basale Verwachsungsstelle des Stamms
und der Hemisphäre hinweg in die letztere und zwar in das
(sebiet des basalen Spitzenkernes hinein, dehnt sich übrigens auch
medial bis zur Mittellinie aus und tritt mit einer Zellgruppe des
Septum pellucidum in Verbindung. Basal findet sich innerhalb
der Formation S. p. a. auch der als S. p. a’ bezeichnete trans-
versale Zellfaserzug (Tr. F.).
8. Endlich bedeckt sich S. p. a. noch etwas oraler mit einer
charakteristischen Schicht, der Rinde des Tubereulum olfac-
torium, die allmählich sich immer weiter ausdehnt und schliesslich
von der in dieser Gegend auftretenden Fissura rhinalis medialis
bis zur Mittellinie reicht. Die Zellplatte S. p. a. wird dabei viel
flacher, ihre Zellen spärlicher (Rinde am Kopf des Streifenhügels
von Ganser).
9. Der Linsenkern zeigt die bekannten Verhältnisse, ein
Aussen- und ein Innenglied; das erstere breitet sich nach vorn
+06 Max Völsch:
ventralwärts in den dorsalen Teil des in distaleren Ebenen von
T und M eingenommenen Gebietes aus und senkt sich immer
tiefer gegen die Rinde am Kopf des Streifenhügels hinab. Ge-
wisse durch Form und Tinktion der Zellen etwas auffällige Zell-
gruppen medial von ihm (E) sind ihm vielleicht zuzurechnen (?).
Das Hinterhorn der vorderen Kommissur schneidet von ihm in
gewissen Höhen den mit Y bezeichneten Komplex ab. Um das
Vorderhorn der Kommissur herumgelagert findet sich auch Z,
wahrscheinlich der Nucleus accumbens Ziehens. — Der Nucleus
caudatus besitzt einen sich nach vorn massig entwickelnden
Kopfteil; wahrscheinlich entspricht ein dorsal vom Unterhorn
des Ventrikels gelegener, nach vorn mit dem Linsenkern sich
vermischender Komplex dem Schweifteil; statt des Bogenteils
lassen sich nur einzelne, unzusammenhängende Zellstreifen nach-
weisen (?).
10. Die Stria terminalis scheint in typischer Weise zu
verlaufen; speziell lässt sich ihre ventrale Ausstrahlung in ein
zwischen T und B gelegenes kommaförmiges zellfreies Feld deut-
lich erkennen; der dem sagittalen Längsbündel entsprechende
(Querschnitt Q lässt sich dagegen nicht sicher erkennen.
11. Basal vom Peduneulus, zwischen ihm und dem sich (von
hinten nach vorn) allmählich medialwärts zur Stammbasis ziehenden
Traetus optieus lassen sich Zellfaserzüge verfolgen ; sie gelangen
zum Teil zum Hypothalamus, zum Teil im Bogen um das mediale
Ende des Pedunculus bezw. der Capsula interna herum zum
Thalamus selbst. Ich betrachte sie, mich teilweise an die Dar-
stellung v. Monakows anschliessend, als einen Teil der Linsen-
kernschlinge, speziell den letzterwähnten Teil als Hirn-
schenkelschlinge; sie scheinen aus dem Linsenkern, nament-
lich aus der Übergangsstelle vom ersten zum zweiten Linsen-
kerngliede zu stammen.
Eine dorsale Etage dieser Zellgruppe (im ganzen mit N.a.p.
bezeichnet) zeigt in gewissen Höhen eine abweichende Lagerung
der Zellen, die, maschenförmig angeordnet, offenbar sagittale
Faserzüge begleiten. Sie gehören zum Innengliede des Linsenkerns.
12. Das Ganglion opticum basale bietet keine hervor-
stechenden Besonderheiten, schiebt sich auch hier an der Hirn-
basis mit dem Tractus optieus medialwärts, immer an dessen
lateralem Ende liegend.
Anatomie des Mandelkerns etc. 407
13. Das Claustrum ist ein mächtiges, um den Grund der
Fissura Sylvii konkav gekrümmtes Gebilde, welches deutlich in
zwei grosse Dreiecke zerfällt, welche mit ihrer Basis dorsal- bezw.
ventralwärts sehen. Sie sind in der Mitte durch eine schmale
Zellbrücke verbunden, die vielfach (besonders vorn) auch ganz
ausfällt, so dass die beiden Dreiecke unverbunden sind. Die Zellen
besonders des unteren Dreiecks, die übrigens meist viel lockerer
liegen, als die des oberen, vermischen sich aufs innigste mit den
Zellen der anliegenden tiefen Rindenschicht, so dass über die
Provenienz der Vormauer aus dieser Schicht kaum ein Zweifel
bestehen kann. Eine Capsula extrema ist daher nur stellenweise
kenntlich. In der Capsula externa finden sich, namentlich vorn
in der Ausstrahlung der Commissura anterior, hie und da Zell-
streifen, die dem Komplex X beim Igel entsprechen könnten.
Eine nach Weigert-Pal gefärbte Serie vom Frettchen, von welcher
jeder zweite Schnitt (a ca. 25 a Dicke) aufbewahrt wurde, ist leider nicht
ganz vollständig. Die Färbung hat in den vordersten Teilen, der Region
des Tuberculum olfactorium, vollständig versagt und auch schon einige der
dahinter liegenden Objektträger zeigen eine etwas mangelhafte Färbung.
Ein zweimaliger Versuch, die Lücke zu ersetzen, ist missglückt und es fehlt
mir durchaus die Zeit zu einem dritten Versuch. Immerhin lohnt sich, wie
ich glaube, die eingehende Betrachtung der fragmentarischen Serie, da ich
sie unter Zuhilfenahme der rechten, ein wenig weiter vorn getroffenen
Hemisphäre, bis weit in das hier interessierende Gebiet hinein verfolgen kann.
Der Lappen N (vergl. p. 376) beginnt auf Objektträger 31, ca. 3 mm
vor dem hinteren Pol der Hemisphäre. Er liegt an ihrer ventro-medialen
Ecke und zunächst noch ganz auf der medialen Seite als ein querovales
Gebilde, welches zunächst noch von der Hemisphäre getrennt ist, bald aber
mit ihr verwächst. An seiner ventralen Seite (Obj. 30) zeigt sich ein schnell sich
vergrössernder, länglich horizontaler, mit vielen Fasern durchsetzter Bezirk,
in dessen Zentrum alsbald (Obj. 30b) Zellen erscheinen. So erscheint in
diesem Teile des Läppchens N, welcher das distale Ende des Lobus pyri-
formis darstellt, ein schräg horizontaler, ovaler Faserring, in dessen Zentrum
Zellen liegen. Die ventrale Seite dieses Ringes liegt zunächst in den
hinteren Schnittebenen dicht unter der ventralen Oberfläche des Läppchens,
weiter vorn mehr in der Tiefe, so dass sie durch eine breite, an tingierten
Fasern arme Molekularschicht vom Rande des Schnittes getrennt ist. Viel-
leicht kann man diese Lageveränderung des ventralen Faserstreifens auf
Änderungen der Schnittrichtung beziehen, in der die Rinde getroffen ist; sie
müssen in dieser Gegend, wo der Lobus pyriformis in seiner hinteren Kuppe
getroffen wird, wohl vorkommen. Vielleicht steht dieses Tieferrücken des
A408 Max Völsch:
ventralen transversalen Faserstreifens aber auch in Zusammenhang mit der
— wie wir in der Zellserie sehen —, erst ein wenig vor der Kuppe des
Lappens erfolgenden Ausbildung jenes auf p. 377 erwähnten lockeren gross-
zelligen Streifens, welcher in dem sogenannten „intermediären“ Bezirk (dem
inneren zentralen Bezirk) ziemlich kontinuierlich, in dem daran sich an-
schliessenden äusseren zentralen Bezirk mehr in Form vereinzelter Gruppen
von Zellen unter der Oberfläche dahinzieht. Sicher ist es, dass weiter
proximal der Faserstreifen auf das Innigste an diese, die zweite Zellschicht
und an den unter ihr (zwischen II einerseits und III + IV andererseits)
gelegenen Molekularstreifen geknüpft ist, und, dass er in voller deutlicher
Ausbildung auf den distalen Teil der Regio intermedia beschränkt ist. Hier
sieht man die Fäserchen des Bandes sich nach allen Richtungen zwischen
den Zellen durchflechten. In dem lateral sich anschliessenden äusseren
zentralen Bezirk (der Regio retroolfactiva) ist ein kontinuierlicher Faser-
streifen nicht deutlich; wie hier die Zellen der zweiten Schicht keinen fort-
laufenden Streifen bildeten, sondern eine leichte Neigung zu Gruppenbildung
zeigten, so konzentriert sich auch die Faserung um diese Gruppen herum,
bildet hier und dort mit ihnen zusammen förmliche Nester.
Die dorsale Seite des oben erwähnten Faserringes entspricht offenbar
dem breiten zellarmen Streifen, der, wie ich annehme, zwischen der dritten
und vierten Zellschicht einerseits, und der sechsten Zellschicht andererseits
gelegen ist. Er ist in den distalen Ebenen viel breiter und faserreicher, als
der ventrale Streifen, die Fasern durchflechten sich in ihm zu einem gan®
dichten Filz. Sie dringen massenhaft zwischen die Zellen der tiefen
Zellschichten ein, durchdringen sie und tragen wesentlich zur Bildung
des nach vorn immer mächtiger sich entwickelnden Marks des Lobus
pyriformis bei. Auch dieser dorsale, tiefe Faserstreifen ist im wesentlichen
und in seiner vollen Ausbildung auf den distalen Teil der Regio intermedia
beschränkt.
Fast von den ersten Schnitten an, in welchen der Faserring sichtbar
ist, sieht man eine die beiden Faserstreifen verbindende, massenhafte radiäre
Faserung. Die Fasern, einzeln und zu Bündelchen gruppiert, verlaufen
zwischen den Zellen der dritten und vierten Schicht radiär hindurch. Die
Massenhaftigkeit dieser Fasern lässt die Rinde des Lobus pyriformis oder
vielmehr einen Teil der Rinde dieses Lappens (s. unten) überall sehr deutlich
gegen die benachbarten viel faserärmeren Rindenpartien abstechen. Auch
in dem lateral sich anschliessenden äusseren zentralen Teil, der Regio
retroolfactiva, in welchem, wie oben gesagt, die transversalen Streifen fehlen
oder gerade nur angedeutet sind, ist diese Radiärfaserung sehr deutlich und
auffallend, dagegen in dem fissuralen Teil des Lobus pyriformis viel schwächer,
so dass dieser Teil viel mehr das Aussehen der benachbarten, jenseits der
Fissura rhinalis lateralis gelegenen Windung hat.
Die laterale schmale Seite des Faserringes der distalsten Ebenen
wird durch Radiärfasern gebildet, die oft etwas gehäuft auftreten; sie bilden,
wie mir scheint, die laterale Grenze der Regio retroolfactiva. Mit der Aus-
dehnung der letzteren gegen die Fissura rhinalis lateralis hin rücken sie bis
in die Nähe dieser Furche, von ihr noch durch ein faserfreies Feld (die
Anatomie des Mandelkerns etc. 409
Regio fissuralis) getrennt. Da, wie mehrfach gesagt, in der Regio olfactiva
die transversalen Faserstreifen nicht mehr deutlich sind, so kann man in
den etwas mehr nach vorn gelegenen Ebenen, wo diese Region sich lateral-
wärts auszubreiten beginnt, nicht mehr wohl von einem Faserring sprechen;
die Bezirke 2 und 3 (Regio intermedia und retroolfactiva) werden vielmehr
von einem Rediärfaserfelde ausgefüllt, welches innerhalb der intermediären
Region dorsal und ventral durch die transversalen Streifen begrenzt wird.
Für die laterale Grenze dieses Faserfeldes, auf vielen Schnitten eben gekenn-
zeichnet durch eine leichte Anhäufung der Radiärfasern, ist es ferner noch
charakteristisch, dass sich hier die in der Molekularschichte der Rinde
gelegene Tangentialfaserung deutlicher, als im den zentralen Teilen, namentlich
der Regio retroolfactiva, erhalten hat. Sie präsentiert sich, entsprechend
der geringen Breite dieser Grenzgegend, als ein Faserfleck in der ersten
Rindenschicht; in den distalsten Schnitten geht er in den distalsten Teil
der Tangentialfaserung des Lobus pyriformis, d. h. den distalsten Teil des
ventralen Faserstreifens (s. oben) über, nach vorn zu aber schiebt er sich
langsam mit dem lateralwärts gerichteten Verrücken der Grenze der Regio
retroolfactiva lateralwärts, um sich übrigens weiter oral bald ganz zu ver-
lieren. Im ganzen bildet er einen schmalen und kurzen, aber immerhin
auffälligen von hinten nach vorn aussen verlaufenden Tangentialfaserzug.
Sehr in die Augen fallend ist endlich stets die mediale Begrenzung
des Faserringes oder Faserfeldes, die von dem Teil der Rinde des Lobus
pyriformis gebildet wird, welchen ich als medialen bezeichnete, dieselbe
Gegend, welche Ramon y Cajal in etwas oraleren Gegenden, wo das
Ammonshorn und das Subiculum hervortreten, präsubikuläre nennt. Im
Zellpräparat fand ich sie ausgezeichnet durch einen Haufen oder Streifen
kleiner, meist rundlicher, dicht zusammengelagerter Zellen, die medial in die
äusseren und mittleren Zellschichten (II, III, IV) der medialen Hemisphären-
rinde, lateral in dieselben Schichten der „intermediären“ Rinde überging;
darunter lagen der zellarme Streifen und die tiefen Zellschichten (VIa und b).
Im Faserpräparat sieht man nun das ganze Gebiet jenes oberflächlichen
Zellhaufens oder Streifens mit einem dichten Faserfilz erfüllt, der in engster
Beziehung zu dem stark entwickelten tiefen (dorsalen) Faserstreifen steht.
Der ventrale Faserstreifen der Regio intermedia scheint dagegen keine
wesentlichen Verbindungen mit jenem Faserfilz zu haben; vielmehr senkt
sich von der Molekularschicht her meist ein relativ faserarmer Keil in die
Tiefe, welcher mediales Ende des ventralen Faserstreifens und Faserfilz
meist sehr ausgesprochen trennt. Dagegen sammeln sich die Radiärfasern
dieser Gegend, der medialen Grenze des Faserfeldes also, vielfach zu einem
kompakten Bündel, welches vom tiefen Markstreifen her gegen jenen
Molekularkeil (oder auch lateral von diesem Keil gegen das mediale Ende
des ventralen Streifens zieht, und offenbar das Positiv zu dem auf p. 380
erwähnten Zapfen darstellt. — Ausgezeichnet ist der mediale Bezirk ferner
durch eine relativ erhebliche Tangentialfaserung, welche in der Molekular-
schicht in breitem Bogen über den Faserfilz hinweg einerseits in die
Tangentialschicht der medialen Hemisphärenrinde, andererseits in die der
Regio intermedia zieht.
410 Max Völsch:
Nach dem allen ergibt sich folgendes Bild des Lobus pyriformis in
der Frontalhöhe, welche der Textfig. 5 entspricht, nach welcher man sich
leicht wird orientieren können:
1. Ganz medial von der Furche «, der Übergangsstelle der Rinde des
Lobus pyriformis in die mediale Palliumrinde, bis zu der mit X x bezeich-
neten Stelle reicht der mediale Bezirk mit breiter, eine starke Tangential-
faserung enthaltenden Molekularschicht, und durch einen darunter gelegenen
dichten Faserfilz charakterisiert, der sich in dem im Zellpräparat beschriebenen
Streifen kleiner oberflächlicher Zellen (Schicht II, III, IV) ausbreitet. Der
tiefe transversale Streifen des benachbarten intermediären Bezirks geht in
die tiefen, dorsolateralen Teile des Zellfaserfilzes über. In den darunter
gelegenen tiefen Schichten (VI) zahlreiche feine sich verästelnde Fäserchen.
Darauf folgt das Mark, das hier aus dem Lobus pyriformis in die mediale
Palliumrinde übergeht. Man sieht, wie das Mark der letzteren etwas dorsal
von dieser Übergangsstelle sich bereits etwas zu verdünnen, sich gewisser-
massen nach oben und unten „zurückzuziehen“ beginnt, — der Ausdruck
dafür, dass wir uns in dieser Frontalebene der Gegend nähern oder die
Gegend gerade erreicht haben, wo die Rinde der medialen Hemisphärenwand
sich nach innen und hinten zum Ammonshorn einstülpt. Ferner ergibt das
Bild, dass das Mark des Lobus pyriformis hier auch bereits in den Alveus
übergeht: es strahlt sozusagen in zwei entgegengesetzten Richtungen aus-
einander, einmal in leichtem Bogen in die mediale Rinde, das andere Mal
scharf umbiegend nach ventro-lateralwärts in den Alveus. (Über die „per-
forierenden Fasern“ s. unten.)
An der Übergangsstelle des Bezirks zu dem folgenden findet ent-
sprechend dem Zapfen auf Fig. 5 sich eine starke, zapfenförmige Zusammen-
lagerung der die mittleren Zellschichten (IIT + IV) des intermediären Bezirks
durchsetzenden Radiärfasern; viele dieser Fasern durchdringen die tiefe Zell-
schichtung (V, VI) und gelangen zu dem Mark (der Umbiegungsstelle zum Alveus).
2. Der innere zentrale oder intermediäre Bezirk, von X X— x reichend,
ist charakterisiert durch einen oberflächlichen (ventralen) und einen tiefen
(dorsalen) Faserstreifen, die sich innerhalb der oberflächlichen Zellschicht (II)
und der dicht unter derselben befindlichen zellarmen Zone resp. in dem
breiten tiefen zellarmen Streifen zwischen den mittleren Zellschichten (III+4-IV)
und den tiefen Zellschichten finden. Je weiter nach hinten, um so kompakter
sind die Streifen. Zwischen beiden Streifen verlaufen massenhafte radiäre
Fasern, die die mittleren Zellschichten durchsetzen; sie ziehen zum grossen
Teil auch durch den tiefen Transversalstreifen und die tiefe Zellschichtung
hindurch zum Mark.
3. Der „retroolfaktive“ Bezirk kennzeichnet sich durch die massenhafte
Radiärfaserung, die er mit dem vorhergehenden gemeinsam hat; die Streifen
fehlen. Besonders in den distalen Teilen lagern sich die Radiärfasern viel-
fach zu Bündelchen zusammen, deren Verästelungen innerhalb der Zellgruppen
der zweiten Zellschicht nesterartige Komplexe bilden.
4. Die fissurale Portion entbehrt der auffälligen Radiärfaserung.
5. Die „prärhinencephale“ Portion lässt sich am Faserpräparat nicht
erkennen. —
Anatomie des Mandelkerns ete. 411
Weiter oral (bis zu der in Textfig. 8 mit Fig. 7 bezeichneten Linie)
vereinfacht sich das Weigertbild des Lobus pyriformis nun ungemein (bis
Obj. 17—16). Wie wir schon aus den Zellpräparaten wissen, verschwindet all-
mählich der mediale Teil. Ebenso verschwinden im Faserpräparat die für den
intermediären Teil so charakteristischen Transversalstreifen; nur von dem
tiefen Streifen scheinen vereinzelte quer verlaufende Fasern übrig zu bleiben.
Die Regio olfactiva, die sich an die Regio retroolfactiva nach vorn anschliesst
und sich bald fast über den ganzen Lappen verbreitet, enthält, wie jene und
wie die intermediäre Portion viele, übrigens nach vorn an Zahl abnehmende
Radiärfasern, und so bietet sich auf der der Textfig. 7 entsprechenden Höhe
ein fast einheitliches Bild: der ganze Lobus pyriformis (intermediärer und
olfaktiver Teil) wird von mässig zahlreichen Radiärfasern durchsetzt, die
vom tiefen Mark nach der Oberfläche hinstreben; sie sind hier am zahl-
reichsten, längsten und auffälligsten in den lateralen, der fissuralen Portion
benachbarten Teilen. Vorwiegend in der Gegend der Pars intermedia sind
sie von vereinzelten tiefgelegenen, parallel zur Oberfläche verlaufenden Fasern
durchflochten. Nur ganz in der Nähe der Fissura rhinalis lateralis findet
sich noch ein schmaler von Radiärfasern relativ freier Bezirk, die Regio
fissuralis.
Das inzwischen erschienene und zu voller Ausbildung gelangte Ammons-
horn zeigt die bekannten Verhältnisse; es ist weit nach hinten ausgestülpt;
demgemäss erscheint, nachdem (Obj. 29) der distalste Teil des Balkens in
seinem lateralen Teile und zugleich die dünne Lage des retroventrikulären
Markes getroffen wurde, auf Obj. 28—27 zunächst der Ventrikel als eine
Lücke in diesem Mark, gleich darauf die tiefschwarze Faserung des hinteren
Pols des Alveus, der schon nach wenigen Schnitten die Gestalt eines Ringes
annimmt und als solcher das sich nach vorn stark vergrössernde Grau des
Ammonshorns umsäumt. Auf Obj. 26 erscheint in diesem grauen Oval das
eingerollte Stratum zonale (Cornu Ammonis + Fasciae dentatae) zuerst als
vertikaler Streif, dann als Ring, in dessen Mitte wiederum die Zellen der
Fascia dentata und in deren Zentrum die Zellen des „Endblattes“ des Ammons-
horns und schliesslich die Fasern der „tiefen Wurzel“ (Kölliker) sichtbar
werden. Alles geläufige und aus dem gekrümmten Verlauf des Ammonshorns
ohne weiteres sich ergebende Bilder. Auch weiter vorn finden sich die
bekannten Verhältnisse; der dorsale Schenkel des Ammonshorns „trennt sich“
in typischer Weise vom ventralen, die Faserbilder ergänzen die bei der Zell-
serie gegebene Schilderung in jeder Weise. Hervorheben möchte ich nur
noch, dass von der Stelle, wo diese Trennung in den dorsalen und ventralen
Schenkel statthat, der erstere noch 42 Schnitte weit in der (unterbrochenen)
Serie nach vorn verfolgt werden kann, d.h. stark 2 mm weit (84 Schnitte
& 25u), der ventrale Schenkel aber noch 68 Schnitte, d. h. 3'/ mm. Von der
Stelle an, wo auch die letzte Verbindung der beiden Schenkel durch die
Fimbria aufzuhören scheint, die also gewissermassen auch in zwei Schenkel
zerreisst, lässt sich der dorsale Schenkel noch knapp 1 mm, der ventrale
noch 2!/s mm weit verfolgen, d.h., es besteht beim Frettehen — im Gegen-
satz zu dem höchst rudimentären untergeschobenen Unterhornteil bei Igel
und Maus — ein gut ausgebildetes, unter die Verbindung von Hemisphäre
412 Max Völsch:
und Stamm von hinten her untergreifendes Unterhorn von mehr als 2 mm Länge.
Als Ergänzung zu den Ausführungen über die Fortsetzung der Rinden-
zellschichten speziell des Lobus pyriformis in das Ammonshorn hinein
(s. p. 388), möchte ich noch folgendes erwähnen. Wie vorhin geschildert,
geht die Tangentialfaserung des medialen Bezirks des Lobus pyriformis in
den distalen Teilen des Lappens direkt in die übrigens auch stets kräftig
entwickelte Tangentialschicht der medialen Hemisphärenrinde über. Weiter
proximal, wo die Teilung des Ammonshorns in oberen und unteren Schenkel
eingetreten ist, und der letztere durchaus als Einstülpung der tiefen Zell-
schichten der Rinde des Lobus pyriformis imponiert, da begleiteten, — so
erwies die Zellserie, — die oberflächlichen Rindenzellschichten diese Ein-
stülpung der tiefen Schichten noch eine Strecke weit in Form einer Rinne,
die im Frontalschnitt als Haken erscheint. In diesen Ebenen nun geht die
Tangentialfaserung des Lobus pyriformis in die Tangentialfaserung dieser
rinnen- oder hakenförmigen Formation und vermittelst ihrer in das Stratum
zonale des Ammonshorns über. Sie umzieht dabei also in weitem Bogen
den medialen Teil der Lobus pyriformis-Rinde und den dicht an ihn ange-
schlossenen Rest der äusseren Zellschichten der medialen Hemisphärenrinde,
welche eben jene Rinne bilden. Das Stratum zonale Cornu Ammonis aber
präsentiert sich in diesen proximaleren Schnitten (z. B. Obj. 20) als aus zwei
Lagen bestehend, einer tieferen und einer oberflächlichen, die sich getrennt
allerdings nur eine kurze Strecke in das Ammonshorn hinein verfolgen
lassen. (Vergl. die Fig. 12 und 30 bei Cajal, 1. c. p. 37 und 30, sowie
Fig. 777 p. 735 bei Kölliker 1. ce.) Beide Lagen dürften den Hauptteil
ihrer Faserung aus den von Cajal beschriebenen und abgebildeten „‚per-
forierenden“ Fasern beziehen, Fasern, die aus der Umbiegungsstelle des
Marks des Lobus pyriformis in den Alveus herstammen, und die auch beim
Frettchen sehr deutlich und reichhaltig sind. Sie gelangen sicher auch in
die oberflächliche Schicht. Daneben scheint mir aber die tiefere Schicht
einen, wenn auch spärlichen Zuzug aus dem in dieser Frontalhöhe freilich
nur noch unbedeutenden dorsalen (tiefen) Faserstreifen des Lobus pyriformis
zu erhalten, während die oberflächliche Lage zu einem guten Teil von der
soeben erwähnten Tangentialfaserung herstammt. Die perforierenden Fasern
finden sich übrigens deutlich nur an der Umbiegungsstelle des Lobus pyriformis
in den ventralen Ammonshornschenkel; an der oberen Umbiegungs-
stelle — Übergang der dorso-medialen Rinde in den dorsalen Ammons-
schenkel — sehe ich sie höchstens angedeutet. Dagegen möchte ich aus
einigen Bildern schliessen, dass solche perforierenden Fasern auch da existieren,
wo die mediale Rinde in den distalwärts konvexen Bogen des Ammonshorns,
das Verbindungsstück zwischen den beiden Schenkeln übergeht.
Endlich sei noch in Kürze der Markmassen gedacht, welche den
Ventrikel umgeben. Das Mark präsentiert sich in den Frontalschnitten als
ein der äusseren Hemisphärenoberfläche parallel, also dorso-lateral-konvex
verlaufender Bogen; hie und da treten mit der Entwicklung von Windungen
an der Medialseite Gabelungen dieses Bogens auf, auf die einzugehen hier
nicht der Ort ist. Von Obj. 29 an schiebt sich aus diesem Markbogen
medialwärts die kompakte Balkenfaserung hinaus, rückt immer weiter medial-
Anatomie des Mandelkerns etc. 413
wärts und bricht auf Obj. 24 nach der anderen Hemisphäre durch. Wie
bereits erwähnt, treffen die Frontalschnitte fast gleichzeitig mit dem distalen
Ende des Balkens das die hintere Ventrikelwand bildende Mark, dann den
Ventrikel, dann das Ammonshorn, welches nun weit in den Ventrikel hinein-
ragt und ihn im Frontalschnitt als bogenförmigen Spalt mit ausgezogener
ventro-lateraler Ecke erscheinen lässt. Er ist von allen Seiten von Mark
umgeben: dorsal vom Balken und der ventral sich anschliessenden
Tapetenfaserung, lateral von dem erwähnten Markbogen, der drei deutlich
geschiedene Lagen, die feineren, helleren Tapetenfasern und ein namentlich
durch die Art der Färbung wohl geschiedenes Stratum sagittale internum
und externum erkennen lässt, und ventral vom Mark der Lobus pyriformis.
Die innere Begrenzung des Ventrikels ergibt sich von selbst aus den be-
kannten Verhältnissen, wie sie die Ammonseinrollung und der Übergang
des Stammes in die Hemisphären mit sich bringen.
Auch die Bilder, welche auf den der oben p. 410 gegebenen Schilderung
zugrunde gelegten Objektträger 26 folgen, bringen prinzipiell bekannte
und typische Verhältnisse: die Ausbildung der Üorpora geniculata (auf
Öbjektträger 26, bezw. 23 beginnend), des Tractus opticus; auf Objekt-
träger 23 wird die vordere Grenze des nach hinten konvexen Fimbriabogens
getroffen und damit zerfällt die Fimbria in ihren oberen und unteren Schenkel.
Gleichzeitig kommt die Faserung der Stria terminalis in die Schnittebene,
natürlich wird auch bei ihr zunächst der (nach hinten konvexe) Bogenteil
getroffen. Die Anlagerung an die Fimbria ist offenbar eine sehr nahe, es
hat vielfach den Anschein, als ob die Fasern der beiden Züge direkt in-
einander übergingen. Schon wenige Schnitte weiter nach vorn — ein Zeichen
für die geringe Tiefe der Stria terminalis — vereinigt sich das den Ventrikel
lateral begrenzende Mark mit Faserzügen, die vom Stamme (Vierhügel) her
ziehen, Stamm und Hemisphäre vereinigen sich. Von diesem Punkt an sind
dann die beiden Schenkel der Stria terminalis, der obere und der untere,
als zwei charakteristische Halbmonde weithin kenntlich. Der obere liegt in
dem sogenannten Sulcus strio-thalamicus; der untere liegt lateral vom
Traetus opticus und stösst lateral an das retrolentikuläre Mark mit den
sich in ihm bildenden grauen Massen (s. unten). Die Fasern der Stria termi-
nalis sind fein und auffällig blass und spärlich tingiert, besonders auch in
den Halbmonden, die auf manchen Schnitten als ganz helle Gebilde erscheinen.
In dem dorsalen Halbmonde sieht man sehr deutlich, immer ganz medial
dicht am Thalamus, ein kleines, durch seine dunkle Färbung ausgezeichnetes
Faserbündelchen; in den distalen Schnitten geht es teilweise in den proxi-
malsten Teil des Corpus geniculatum laterale, weiter nach vorn, sich ver-
kleinernd, in die vorderen Teile des Thalamus optieus über. Das Bündelchen
entspricht wohl sicher dem auf p. 676 (Teil I) erwähnten Faserbündel beim
Kaninchen, welches ich dort als die Fortsetzung des sagittalen Längsbündels
der Stria ansprechen konnte. Beim Frettchen kann ich es, wenn auch nicht
ganz sicher, bis in den Bogenteil der Stria verfolgen, an dessen medialer
Seite, dicht am Thalamus, es herabzusteigen scheint. Auch im ventralen
Striaschenkel, im ventralen Halbmonde, sieht man an manchen Schnitten
mehrere Komplexe schräg getroffener, auffallend schwarz gefärbter Fasern,
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. 27
414 Max Völsch:
einen dicht am Tractus opticus, aber doch von ihm abscheidbar, und einen
zweiten an der Peripherie des halbmondförmigen Querschnittes der Stria
terminalis gelegen.
Die zwischen den beiden Striaschenkeln gelegene Verwachsungsstelle
des Stammes mit der Hemisphäre wird nun immer höher, indem immer ge-
waltigere Markmassen vom Stamm (Vierhügel, Thalamus, Regio subthalamica)
her sich in das Hemisphärenmark ergiessen; der Eintritt des Pedunculus
erfolgt übrigens beiläufig erst etwa !/; mm vor dem distalsten Punkt der
Verwachsung. Zusammen mit dem sich verbreiternden — schon hinter der
Verwachsungsstelle ist diese Verbreiterung kenntlich — Hemisphärenmark
bildet die letztere das weit ausgedehnte Feld des „retrolentikulären Marks“. —
Bereits ein wenig hinter der Verwachsungsstelle, da also, wo der Frontal-
schnitt noch nicht Unterhorn und Üella media des Ventrikels getrennt trifft,
wo der letztere vielmehr noch die Hemisphäre in ihrer ganzen Höhe durch-
setzt, sieht man in dem lateralen, bereits verbreiterten Mark (ungefähr in
der Mitte der Ventrikelhöhe) ein kleines graues Dreieck dicht am Ventrikel-
lumen. Weiter nach vorn rückt dasselbe allmählich immer mehr dorsal-
wärts, erscheint dabei auf einigen Schnitten als ein schmaler, sich dicht am
Ventrikelrande hinziehender Streifen. Schliesslich lagert sich dieses Grau
in Form eines immerhin sehr auffälligen rundlichen bis viereckigen Gebildes
dorso-lateral von dem inzwischen zur Ausbildung gekommenen dorsalen Stria-
halbmond. Noch weiter nach vorn zu reduziert es sich nun überraschender
Weise und verliert sich bald ganz. Die sagittale Ausdehnung der Strecke,
auf welcher es sichtbar ist, beträgt noch nicht 1'/;; mm. Erst fast ®/ mm
weiter vorwärts erscheint an derselben Stelle wieder ein zunächst sehr kleiner
grauer Haufen, der sich nun schnell in typischer Weise zum Schweifkern
entwickelt. Trotz dieser Unterbrechung zweifle ich nicht, dass es sich bei
dem beschriebenen grauen Gebilde um einen Teil des Nucleus caudatus
handelt, um eine rudimentäre, von dem eigentlichen Kopfteil getrennte An-
lage des Bogenteils des Kerns, und stütze diese Auffassung durch den
prinzipiell ganz analogen Befund im Zellpräparat (s. p. 381). Die ventrale
Fortsetzung des Bogens in das Unterhorn, eine eigentliche Cauda, kann ich
auch im Faserbilde nicht sicher auffinden. Dagegen finden sich auch hier
mitten im retrolentikulären Mark mehrfach mehr oder weniger deutliche und
scharf umschriebene graue Massen, die ich, wie dort (p. 381), als abgesprengte
Teile des Linsenkerns ansehen möchte.
Auf Objektträger 20, ziemlich genau in der Höhe der „Verwachsungsstelle*
von Stamm und Hemisphäre, bildet sich im lateralen Mark der letzteren oder
besser wohl in den lateralsten Teilen dieses Marks eine schnell anwachsende
graue Masse aus, die man zunächst für das Putamen anzusprechen geneigt
sein würde. Der Vergleich mit dem Zellpräparat, sowie der weitere Verlauf
lehren jedoch, dass es sich um das Claustrum handelt, ein bald mächtig ent-
wickeltes, wie ein Komma gekrümmtes wurstförmiges Gebilde. Der dorsale
Schenkel, der zuerst (von hinten gerechnet) erscheint, ist durch eine nicht
sehr starke, aber deutliche Capsula extrema gegen die Rinde hin scharf
begrenzt, die Grenzen des ventralen Schenkels werden, je weiter nach vorn,
um so undeutlicher.
Anatomie des Mandelkerns ete. 415
Erst zirka 1?/ı mm weiter vorn (Obj. 16, 6) kommt der Linsenkern
in den Schnitt, erscheint alsbald in typisch dreieckiger Gestalt, vielfach von
Fasern und Faserbündeln durchzogen, welche von der Capsula interna zu der
immer deutlich erkennbaren Capsula externa hinziehen. Besonders auffällig
ist ein mächtiges Bündel, welches aus der inneren Kapsel dicht über dem
ventralen Schenkel der Stria cornea hin durch die (ventrale) Basis des Putamens
zieht und sich, nach unten abbiegend, in das aus dem Lobus pyriformis herauf-
steigende Mark ergiesst. Auf diese Weise gabelt sich dieses Mark in der
Höhe der dorsalsten Stelle des Querschnittes des Unterhorns; die eine Zinke
der Gabel wird durch jenes Faserbündel, das sublentikuläre Mark, die andere
durch die Capsula externa dargestellt (Fig. 17). Noch weiter oral, um das
gleich hier zu erwähnen, hört das sublentikuläre Mark allmählich auf, und
re
Yv
Aub fr
Fig. 17 (Obj. 15, 1). Frettchen, Lobus pyriformis und Mandelkern.
(Korrespondiert mit Fig. 13.)
die der medialen Zinke der Gabel entsprechende Faserung nimmt einen anderen
Weg, indem sie in leichtem medialwärts konvexem Bogen in die Capsula
externa hineinzieht (Fig. 18); dadurch wird ein Teil des Linsenkerns (?) ab-
getrennt. Weiter vorn scheint mir dieser Faserbogen in Verbindung zu
treten mit der noch zu erwähnenden Faserung, welche den Kern T erfüllt;
doch lässt hier die Färbung der Präparate bereits so nach, dass ich das mit
Sicherheit nicht feststellen kann. — Ventral von der sublentikulären Mark-
faserung oder auch in ihr finden sich mehrfach graue Stellen, die nach ihrer
Lage mehr oder weniger dicht an dem ventralen Striaschenkel wohl den
Anspruch erheben könnten, als Cauda zu gelten; nirgends aber lässt sich eine
solche graue Masse kontinuierlich über grössere Strecken verfolgen. —
Im Lobus pyriformis fand ich oben (p. 411) die ganze Rinde, ab-
gesehen von dem medialen Teil, der erst auf Obj. 16 ganz verschwindet, von
2
416 Max Völsch:
Radiärfasern durchzogen, die im intermediären Teil von vereinzelten Quer-
fasern durchsetzt wurden. Das tiefe Mark gab in der ventro-medialen Ecke der
Hemisphäre einmal die perforierenden Fasern zum Stratum zonale des Ammons-
horns ab und ging zweitens, scharf umbiegend, in die Alveusfaserung über.
Auf Obj. 19—18 werden die perforierenden Fasern immer spärlicher und auf
Obj. 17—16 beginnt sich das tiefe Mark der intermediären Region des Lobus
pyriformis gewissermassen von der Übergangsstelle in den Alveus lateralwärts
zurückzuziehen, gerade so, wie sich in der Zellserie die tiefen Zellschichten
der Rinde in dieser Höhe lateralwärts „zurückzogen“ (p. 390). Gleichzeitig
treten die Zellen der oberflächlichen Rindenschichten der intermediären Region
N
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Fig. 18 (Obj. 14,8 r.). Frettchen, Mandelkern (Korrespondiert mit Fig. 14).
offenbar etwas näher an den horizontalen Ast des Unterhorns heran. So
bekommt nun der „intermediäre“ Bezirk des Lobus pyriformis ein ganz
anderes Aussehen. Die in der Regio olfactiva noch sehr deutlichen Radiär-
fasern sind nicht vorhanden, ferner fehlt das tiefe Mark als kompakte
Masse; dagegen sieht man in dem Raum zwischen den oberflächlichen Zell-
schichten und dem Unterhornrande ein lockeres Geflecht mässig zahlreicher
kräftiger Fasern. Da dieselben zum Teil lateralwärts in das („zurück-
gezogene“) tiefe Mark übergehen, könnte man auch sagen, dass das letztere
in dieser Höhe sich in ein lockeres Fasernetzwerk auflöst, welches natur-
gemäss einen breiteren Raum einnimmt, als das kompakte Mark. Mitten in
Anatomie des Mandelkerns etc. 417
diesem Netzwerk entsteht (Obj. 16, 4) nun der Kern T, sich schnell ver-
grössernd, zunächst anscheinend ganz frei von Fasern. Nunmehr ordnen sich
die vorher ganz regellosen Fasern des erwähnten Netzwerks in der Weise
an, dass sie eine Art Kapsel um den Kern bilden, ihn sowohl dorsal wie
ventral einhüllen. Und da diese Kapsel mit dem lateralwärts geschobenen Mark
in Verbindung steht, so gewinnt man den Eindruck, dass dieses Mark an der
lateralen Spitze des länglich eiförmigen, horizontal liegenden Kerns T sich
gabelt; der eine Gabelschenkel umzieht die dorsale Seite von T, der andere
die ventrale Seite, wenigstens ein Stück weit. Der dorsale entspricht dem
Faserkomplex, den ich beim Igel als „occipitale Strahlung“ bezeichnete, weil
sie von hinten her am Boden des Ventrikels nach proximal verläuft. (Die
Bezeichnung ist keine sehr glückliche, weil die Faserung mit den sonst als
occipitale Strahlung bezeichneten Faserzügen nichts zu tun hat.) Der ventrale
Schenkel aber besteht aus den Radiärfasern der ventral von T welegenen
Rinde, die ich beim Igel als Rindenstreifen T bezeichnete. Überhaupt liegen
prinzipiell hier wieder dieselben Verhältnisse vor, wie bei Erinaceus, und
ich kann zur Verdeutlichung der obigen Schilderung auf Fig. 8, Taf. XXXVII
des ersten Teils verweisen. Der Knick, die Umbiegungsstelle des Ventrikels,
die dort (in der Figur) unmittelbar lateral von der lateralen Spitze des
eiförmigen T-Kerns liegt, liegt beim Frettchen erheblich weiter lateral, die
untere Ventrikelwand verläuft nicht ausgesprochen horizontal, wie dort, son-
dern schräge ansteigend, so dass die Knickung eine weit weniger scharfe,
stumpfwinkelige wird. Ferner erscheinen — wenigstens auf meinen Präparaten
— die Fasermassen nicht so kompakt; der ventrale Gabelschenkel erstreckt
sich auch nicht so weit medialwärts, wie in jener Figur, und dadurch wird
die fast faserfreie Übergangsstelle in das mediale Gebiet, welches dem Kern
B beim Igel entspricht, erheblich breiter und noch unschärfer. Es ist diese
(ventro-mediale) Seite des Kerns T die einzige, die nicht von jener Faser-
kapsel scharf begrenzt wird. Dagegen ist auch beim Frettchen die feine,
dichte Fasernetzbildung in der dem Kern B entsprechenden Rinde, die beim
Igel in diesem Kern sehr deutlich war, kenntlich. — Aus dem erwähnten
dorsalen Gabelschenkel sondern sich einzelne Fasern ab, die medial von dem
lateral an den Kern T sich anschliessenden tiefen Mark, zwischen ihm und
Ventrikel, aufwärts steigen und, wie mir scheint, sich zu einem kompakten
Bündelchen sammeln, welches sich schliesslich in dem sublentikulären Mark
verliert. Die Faserung ist besonders dadurch auffällig, dass sie ausgesprochen
in der Schnittebene, also frontal, verläuft, während das anliegende Mark
des Lobus pyriformis fast ausschliesslich aus quer und schräg getroffenen
Fasern besteht.
Die soeben erwähnten dorsal aufsteigenden Fasern durchziehen nun
bereits die distalen Anfänge des Zellkomplexes M, der sich, wie das Zell-
präparat lehrt und wie das Weigertpräparat bestätigt, schnell medial
vom tiefen Mark des Lobus pyriformis entwickelt, dasselbe schliesslich in
der ganzen Höhenausdehnung des Unterhorns von letzterem abdrängt. Die
obere Grenze von M gegen das gleichzeitig ventralwärts sich ausbreitende
Putamen zu bestimmen, war schon im Zellbilde schwierig und ist hier ganz
unmöglich. Mit der stärkeren Ausbildung von M verliert sich der Zusammen-
418 Max Völsch:
hang des den Kern T dorsal umgebenden Kapselteils (des dorsalen Gabel-
schenkels) mit dem tiefen Mark (Fig. 17). Gleichzeitig dehnt sich der
Kern T gewaltig dorsalwärts in das Gebiet aus, welches vorher (distaler)
ven dem allmählich sich reduzierenden und verschwindenden Ammonshorn
und dem Unterhorn des Ventrikels eingenommen war. Wir wissen, dass die
Zellen dieses dorsalen Teils von T sich wesentlich von denen des ventralen
Teils unterscheiden, so sehr, dass diese dorsale Vergrösserung auch als die
Auflagerung eines neuen Kerns T' gedeutet werden kann. In diesen dorsalen
Teil oder Kern T’ dringen nun massenhafte Fasern aus dem dorsalen Kapsel-
teil ein, ihn dicht erfüllend und sich vielfach zu den vom Igel her bekannten
schräg geschnittenen kurzen Bündelchen zusammenlegend, die ihm beim
Igel ein hermelinartiges Aussehen geben. So unterscheidet sich T' auch im
Faserbilde sehr deutlich von dem fast faserfreien M und dem sehr viel faser-
ärmeren T (ventral), M und T aber gehen auch hier ohne deutliche Grenze
ineinander über und umgeben T’ von lateral und ventral, wie ein Halbkreis.
Die Fig. 17 und 18 zeigen diese Verhältnisse. Auf Fig. 17 liegt M aus-
gesprochen dorso-lateral von T, auf Fig. 18 — infolge der massigen Höhen-
zunahme von T (Auflagerung von T') — genau lateral. Die Figuren ent-
sprechen den Fig. 13 und 14 von der Zellserie.
Bald vor der in Fig. 17 wiedergegebenen Stelle hört das Unterhorn
des Ventrikels auf und die Schnitte treffen nun die vordere Wand desselben.
Sogleich sieht man nun in dieser vorderen Wand die Fasern der Stria
terminalis, welche bis zu diesem Punkt in dem ventralen Halbmonde
gesammelt waren (Fig. 17, St.t.), sich schräg medio-ventralwärts in die
Hemisphäre ergiessen, und zwar in mächtigem Zuge in den dreieckigen oder
kommaförmigen zellfreien Raum, welcher die Zellmassen T und B scheidet
(Fig. 18). Dabei dringen sicher zahlreiche Fasern, rechts und links ab-
schwenkend, sowohl nach medial in den Kern (resp. die Rinde) B, als andere
zahlreiche Fasern lateralwärts in den Kern T, oder besser den Kern T’ ein,
wo sie zu der Bildung der T’ schräge durchsetzenden Fasern und Faser-
bündelchen beitragen. Sie mögen zum Teil in dem Kern enden, zum Teil
durchziehen sie ihn auch und gelangen zum tiefen Mark. Ein weiterer
grosser Teil der Fasern aber zieht, in geradem Verlauf den ganzen komma-
förmigen Raum durchsetzend, direkt zur basalen Rinde, sich um die Zellen
auflösend, welche den Übergang von der Rinde der Regio olfactoria zu dem
medialen Teil der Rinde des Lobus pyriformis bilden, den früher so genannten
Randstreifen T.
Gerade dieser Zug ist in meinen Präparaten recht auffällig. In etwas
oraleren Ebenen, wo, wie der Vergleich mit dem Zellpräparat lehrt, der
Kern B durch den neu auftretenden Kern D ersetzt ist, sieht man wenigstens
andeutungsweise auch jene ventral vom Tractus opticus ziehenden und fächer-
förmig sich im Kern D verbreitenden Fasern, deren medialste sich beim
Kaninchen zu einem kompakten Bündelchen zusammenlegten (s. I. Teil,
p: 676) und die auch Ramon y Cajal bei der Maus erwähnt und abbildet
(l. e. p. 91, Fig. 36); er bezeichnet sie als „Tangentialbündel der Amygdala“.
Diese, beim Frettchen lockeren und ziemlich spärlichen, nicht zu einem
Bündel geordneten Fasern stammen aus dem oben erwähnten (p. 413) Komplex
Anatomie des Mandelkerns etc. 419
dunkler Fasern im ventralen Striahalbmond, welcher dem Traetus opticus
anliest. Es darf wohl auch als sicher gelten, dass, wie beim Igel, so auch
hier Verbindungen der Stria terminalis zum Mark des Lobus pyriformis vor-
handen sind, vielleicht auch direkte um den Kern T' und T herum, ganz
gewiss aber indirekte durch den.Kern T' hindurch. Es ist mir auch hier
nicht möglich zu bestimmen, welch ein Anteil der aus der Stria in T’ ein-
tretenden Fasern etwa hier endigt (resp. entspringt), und welch ein Anteil
den Kern etwa nur durchzieht. Eine Endigung der Stria terminalis im
Linsenkern glaube ich aber für das Frettchen ausschliessen zu können.
Wie mir scheint, erklärt sich die entgegengesetzte Meinung anderer Autoren,
Köllikers (Kaninchen), Ramön y Cajals (Maus) zum Teil wenigstens
daraus, dass die letzteren das ganze Gebiet T’', T und M als einen Teil
des Linsenkerns auffassen.
Einen so scharf sich markierenden Faserquerschnitt, wie Q beim Igel,
das „sagittäle Längsbündel der Stria“ sehe ich beim Frettchen nicht.
Vielleicht kann die oben erwähnte ziemlich dichte, aber keineswegs bündel-
förmige Faserung, welche beim Hinabtreten der Stria in die Hemisphäre
senkrecht abwärts bis zur Rinde verläuft, als das Analogon des beim Igel
so kompakten absteigenden Anteils der Stria gedeutet werden, welcher, nach
vorn und hinten umbiegend, nunmehr horizontal distalwärts zu B, proximal-
wärts zu D’ verläuft. Doch ist von diesem umgebogenen Teil, von einem
„sagittalen Längsbündel“ weder hinten noch vorn etwas zu sehen. Doch
ist dazu noch folgendes zu erwähnen: Da, wo die Stria terminalis schon
zum allergrössten Teil sich in den kommaförmigen Raum begeben hat, wo
(lateral vom Tractus opticus) von dem halbmondförmigen Gebilde, als welches
sie sich weiter hinten präsentiert, nur noch spärliche Reste übrig geblieben
sind, erscheint auf Objektträger 14, 7 (rechts) in diesem Gebiete ein rund-
licher Faserquerschnitt (Fig. 18, Q); er scheint sich aus dem sich im ventralen
Striahalbmonde durch stärkere Färbung markierenden bogenförmigen Faserzug
zu bilden, welcher, wie oben (p. 414) erwähnt, in der dorsalen Peripherie des
Halbmondes kenntlich ist. Er liegt in dem Gebiet, welches in dem Zell-
präparat von den mit E bezeichneten Zellgruppen erfüllt ist. Dieser Quer-
schnitt lässt sich nun gegen ®/ı mm weit nach vorn verfolgen, dann senken
sich seine Fasern, ventralwärts umbiegend, zur Basis hinab, in starken
Zügen medial an den letzten Resten des T-Kerns vorbeiziehend. Ich kann
die definitive Endigung des Faserzuges nicht erkennen; da jedoch in nicht
allzu grosser Entfernung vor dieser Frontalhöhe der Kern D' beginnt, so
wäre es immerhin möglich, dass der Zug zu diesem Kern gelangt. Er würde
dann dem „sagittalen Längsbündel der Stria“ beim Igel entsprechen. Das-
selbe würde dann nicht, wie bei letzterem, sofort beim Eintritt der Stria
in die Hemisphäre sich ventralwärts gewissermassen an Ort und Stelle,
d.h. zu der Horizontalhöhe begeben, in welcher sein Ursprungskern, D‘,
weiter vorn liegt, um dann in dieser Höhe sagittal zu diesem Kern zu ver-
laufen. Es würde vielmehr zunächst die sagittale Richtung einschlagen,
diese annähernd bis zur Frontalhöhe des Kerns beibehalten und nun erst
umbiegend ventralwärts zu ihm verlaufen. Wenn, wie es scheint, der
distalwärts gerichtete Schenkel des sagittalen Längsbündels beim
420 Max Völsch:
Frettchen fehlt, so könnte das bei der geringen Ausbildung der Rinde B,
zu welcher jener Schenkel bei Erinaceus zieht, nicht wundernehmen. —
Wie dem aber auch sei. als sicher darf wohl angenommen werden, dass äuch
beim Frettchen Fasern aus der Stria zu dem Kern D‘ gelangen, sei es in
Form eines geschlossenen Bündels, sei es in Form vereinzelt verlaufender
Fasern.
So finde ich beim Frettehen mit Sicherheit oder Wahrscheinlichkeit
alle die Endigungen der Stria terminalis wieder, die ich — im wesentlichen
in Übereinstimmung mit Kölliker (Kaninchen) und Ramön y Cajal
(Maus) — für den Igel beschrieb, wohlgemerkt die Endigungen des distalen
oder ventralen oder (v. Kölliker) hinteren Endes der Stria. Da die Be-
zeichnung: hinteres oder distales Ende bei dem Frettchen mit seinem wohl-
ausgebildeten, weit nach vorn bis fast in die Frontalhöhe der Ausstrahlungen
des „vorderen“ Endes der Stria reichenden Unterhorn kaum noch zutreffend
ist, und da auch diese „vorderen“ Ausstrahlungen zum Teil ventralwärts
gerichtet sind (Igel, Kaninchen, Maus), so dürfte es sich empfehlen, lieber
von der kortikalen Endigung der Stria zu sprechen und ihr die subkortikale
oder Stammendigung derselben gegenüberzustellen (die der „vorderen“
Köllikers entsprechen würde). Über diese subkortikale Striaendigung
geben meine Präparate leider keine Auskunft.
Dagegen erleuchten dieselben ein wenig das Dunkel, in welche die
Region E gehüllt ist, jene Zellgruppen, welche in den oraleren Ebenen den
bis dorthin von dem ventralen halbmondförmigen Striaschenkel okkupierten
Raum einnehmen, nachdem dieser Striaschenkel sich ventralwärts in die
Hemisphäre ergossen hat. Die Zellgruppen E liegen stets lateral von dem
bereits an die Stammbasis ausgetretenen Tractus opticus und grenzen noch
dorsal an das als N. a. p. bezeichnete Gebiet (s. Fig. 14 und 15). Unmittel-
bar, nachdem die abwärts ziehende Stria sich in dieser Region erschöpft
hat — bis auf den Faserquerschnitt Q! —, sieht man zahlreiche Fasern und
Faserbündelchen aus der dorsalen Faserkapsel des Kerns T' (s. p. 417)
in die Gegend ziehen, in welcher die Zellgruppen E liegen müssen, und diese
Verbindung mit der dorsalen Kapsel des sich schnell reduzierenden Kern-
komplexes (T + T‘) lässt sich durch eine lange Reihe von Präparaten ver-
folgen. Da, wie beim Igel sich sicher und beim Frettchen mit Wahrscheinlich-
keit feststellen liess, viele der Fasern dieser Kapsel des Kerns T sich
durch den Kern hindurch zu dem tiefen Mark des Lobus pyriformis begeben,
so darf angenommen werden, dass die Gruppen E — direkt oder indirekt —
mit diesem Mark in Verbindung stehen. Etwas weiter oral, wo der Kern T
verschwunden ist, sehen wir nun in dem vorher von diesem Kern ein-
genommenen Raum sehr mächtige Fasermassen und Faserbündelchen aus
diesem tiefen Mark der Regio olfactiva dorsalwärts streben (s. Fig. 19); ein
Teil dieser Fasern gelangt wohl sicher zu der Gruppe E. Sie dürfte also
als Endstätte der aus dem tiefen Mark des Lobus pyriformis entspringenden
Fasern anzusehen sein, die zum Teil vor dem Kernkomplex (T+ T’+M),
zum Teil durch ihn hindurch zu ihr ziehen; ein Teil der letzteren Fasern
wird dabei innerhalb des Kernkomplexes eine Unterbrechung erfahren. —
Über die Fortsetzung der Fasern jenseits der Gruppe E kann ich nichts sagen.
Anatomie des Mandelkerns ete. 421
Die von der Oberfläche des vorderen Teils der Regio olfactiva kommenden
Radiärfasern treten, nachdem sie die oberflächlichen Zellschichten durchzogen
haben, in ein die tiefen Zellschichten erfüllendes Netzwerk ein, das je weiter
nach vorn, um so dichter wird (Fig. 18 und 19). Cajal erwähnt es (l. ce. p. 85)
bei der Maus und gibt einige Details darüber. Da der Lobus pyriformis
nach vorn zu immer schmäler wird und da er sich infolge des tiefen Ein-
schneidens der Fissura rhinalis lateralis immer stärker krümmt, nimmt dieses
Netzwerk, das ja den inneren zur Oberfläche konzentrischen Bogen des
Kreissegmentes darstellt, das der Lobus pyriformis bildet, einen in frontaler
Richtung sehr geringen Raum ein. Aus diesem Netzwerk der tiefen Zell-
schichten sammeln sich nun weiter die Fasern zu dem tiefen Mark; dabei
Fig. 19 (Obj. 12, 9 r.). Frettchen. (Korrespondiert mit Fig. 15.)
haben sie insofern einen eigentümlichen Verlauf, als die aus den lateralen
Teilen zu einem, wie mir scheint, nur kleinen Teil in das Claustrum resp.
die hier nur schwach entwickelte Capsula extrema eintreten, deren unterer
Schenkel sich zwischen den lateralen Teil des Netzes und das tiefe Mark
hineinschiebt; der grössere Teil der aus diesem Teil des Netzwerkes stammenden
Fasern geht in relativ langem Verlauf von unten um dieses Hindernis herum.
So strömen also die Markfasern der ganzen Regio olfactiva gewissermassen
an einem Punkte zusammen, um von hier aus in die vorher erwähnte
Faserung zu den Gruppen E, zu einem anderen Teil aber in die Capsula
externa, zu einem dritten vermutlich sehr erheblichen Teil endlich in die
vordere Kommissur überzugehen, deren Hinterhorn unmittelbar vor Fig. 19
erscheint.
422 Max Völsch:
Der Verlauf der Fasern aus dem tiefen Mark des vorderen Teils des
Lobus pyriformis, die doch wohl sicher als Riechfasern mindestens dritter
Ordnung anzusehen sind, gestaltet sich also im ganzen so (wobei ich von
den bereits oben erwähnten Verbindungen der distalen Teile des Lappens
mit dem Ammonshorn absehe):
1. Ziehen kräftige Faserzüge in die Capsula externa und vermittelst
derselben in den Linsenkern und durch denselben hindurch zur inneren
Kapsel und vielleicht zur Regio subthalamica. 2. Die dichte Faserkapsel,
welche den Kernkomplex T', T und zum Teil auch M einhüllt, stammt im
wesentlichen aus jenen Fasern des tiefen Markes. 3. Aus letzterem dringen
auch viele Fasern in den Kern T und T’ ein, durchsetzen ihn und tragen
zur Bildung der namentlich in T’ stark entwickelten Faserung bei. 4. Viele
der ad 2 und 3 erwähnten Fasern gehen direkt oder indirekt in die Stria
terminalis über, einen wesentlichen Teil derselben bildend. Mit Rücksicht
darauf, dass einerseits viele Fasern aus dem tiefen Mark und aus der Faser-
kapsel, andererseits aber auch viele Fasern aus der Stria in den Kernkomplex
T-+ T' eindringen, wird die Annahme berechtigt sein, dass der letztere
eine Unterbrechungsstation für viele der aus der Regio olfactiva zur Stria
terminalis ziehenden Fasern darstellt. Ob auch die Zellen des Kerns M
eine solche Bedeutung haben, vermag ich nicht zu entscheiden. 5. Aus der
dorsalen Faserkapsel des Kern T’ ziehen zahlreiche Fasern in die von den
Zellgruppen E und den Basalganglien eingenommene Gegend. 6. Zu denselben
Gruppen gelangen noch weiter oral unmittelbar nach dem Verschwinden des
Kerns T+T’—+M Fasern, welche direkt vom tiefen Mark dorsalwärts
dorthin ziehen. Sie sind Bestandteile eines grossen Feldes dorsalwärts aus
dem tiefen Mark aufsteigender Fasern, die vielfach zu Bündeln gesammelt
sind (Fig. 19). Das Feld hüllt den Kern T’’—+ T--M von vorn ein, liegt in
der Gegend, wo ich im Zellpräparat grosse Platten von kleinen Zellen fand
(K), die ich als Gliazellen, als den Ausdruck einer „Kielstreifenbildung“
ansprach. Manche dieser Fasern mögen zur Bildung der mehrfach erwähnten
Kapsel um T beitragen. Der grösste Teil derselben dürfte aber 7. zum
Hinterhorn der vorderen Kommissur ziehen. Ganz oral scheinen mir endlich
8. Fasern aus dem Lobus pyriformis in die „Rinde am Kopf des Streifen-
hügels‘‘ zu ziehen; sie würden hier zu dem Flechtwerk beitragen, durch das
ich die Substantia perforata anterior (S. p. a. resp. St. K.) charakterisiert
fand (s. unten).
Um dann sogleich einen Schritt weiter rückwärts bei der Besprechung
der Riechbahnen zu tun, will ich hier gleich mit einigen Worten des Tractus
olfactorius lateralis gedenken. Ungefähr von der Stelle an, wo die inter-
mediäre Rinde des Lobus pyriformis so bedeutungsvolle Änderungen eingeht,
wo die Kernmassen B, T, T‘, M sich bilden, sieht man in der Molekular-
schicht der Regio alfactiva die Fasern des Tractus verlaufen, diese ganze
Region im Polbilde mit einem schwarzen Rande umgebend. Je weiter nach
vorn, um so mächtiger wird derselbe. Der intermediäre Teil der Rinde des
Lobus pyriformis aber bleibt zunächst vollkommen frei von den Ausstrahlungen
des Tractus. Erst weit vorn, da, wo der Kernkomplex T+ T'’—+M sich
verliert oder verloren hat, sieht man die Endfasern des Tractus die Fissura
Anatomie des Mandelkerns etc. 423
rhinalis medialis, in welcher der letztere verläuft, medialwärts überschreiten
und, eine kleine Hervorwölbung der Hemisphäre, welche etwas jenseits der
Fissur liegt, überziehend bis zu dem Kern D' vordringen. Sicher treten
solche Fasern in diesen Kern ein, wie beim Kaninchen (s. Teil I, p. 677) und
wie, nach Ganser, auch beim Maulwurf. Darüber hinaus, medialwärts,
kann ich sie nicht verfolgen; die hier sichtbaren Fasern dürften vielmehr
aus dem Kern D‘ stammen, aus dessen ventraler Seite sie austreten, um
dicht an der Hirnbasis hin nach dem Stamme in die Gegend die Substantia
perforata anterior zu verlaufen, genau wie bei Erinaceus (vergl. Teil I, p. 638).
Damit wende ich mich diesem Gebiet zu. Mit dem Hineintreten des
Hirnschenkels in den Spalt zwischen Stamm und Hemisphäre und mit seinem
Verschwinden von der Basis des Stamms markiert sich im lateralsten Teile
der letzteren, lateral von den aufsteigenden Fornixbündeln und medial von
dem sich basalwärts schiebenden Traetus opticus, das Gansersche basale
Längsbündel, mächtiger und wohl etwas lockerer, wie beim Igel (Fig. 18 als
L. L. F. bezeichnet). Dorsal davon oder etwas medio-dorsal liegt das beim
Frettchen sich nicht so scharf abscheidende mediale Längsfaserfeld; immerhin
unterscheidet es sich auch hier vom basalen Längsbündel sehr deutlich durch
die Feinheit seiner Fasern. Etwas weiter oral grenzt an das basale Längs-
bündel latero-dorsal das Gebiet N. a. p., auf welches ich noch zurückkomme.
Nachdem der Tractus opticus sich an die Basis gezogen hat, sieht man einer-
seits aus diesem Gebiet, speziell aus dem basalen Längsbündel starke Fasern
zu der vorderen hypothalamischen Kommissur (der suprachiasmatischen)
ziehen, andererseits, genau wie beim Igel, aus allen diesen Gebieten mächtige
Fasermassen dorsalwärts in den Sehhügel streben: den unteren Sehhügelstiel
(Fig. 19). Nach dem Verschwinden des Sehhügelstiels, also vor demselben,
zeigt sich dann das basale Längsbündel wieder in weit grösserer Ausdehnung
als zuvor, es wird zum grobfaserigen lateralen Längsfaserfeld, in dessen
Maschen Zellen liegen. Das Gebiet ist identisch mit der Substantia perforata
anterior. Ich kann dann in der Serie noch die laterale Ausdehnung dieses
Zellfaserkomplexes über den Kern D’ hinweg verfolgen, wobei es auffällt,
dass auch nach dorsal hin, nach dem Linsenkern, reichlich Fasern aus diesem
Gebiet abgegeben werden; schliesslich erfüllt auch hier, nachdem D' sich
verkleinert hat und verschwunden ist, dieses Fasergeflecht (S. p. a.) das
ganze vorher, d. h. weiter hinten von dem basalen Spitzenkern einge-
nommene Gebiet; es wird zu einem Bestandteil der „Rinde am Kopf des
Streifenhügels“ (St. K.). Auch das transversale Faserfeld ist noch nach-
weisbar. Im übrigen sind alle diese Verhältnisse denen beim Igel so durchaus
analog, dass ich auf eine ausführlichere Darstellung verzichte und auf das
im I. Teil p. 638 ff. und p. 651 ff. Gesagte verweise.
Meine Präparate versagen an der Stelle, wo sich etwa die Rinde des
Tuberculum olfactorium über die Zellfaserplatte hinweg entwickeln muss.
Nachholend muss ich noch einige Worte über das Bild sagen, welches
der „basale Spitzenkern“ im Faserpräparat bietet. In diesem höchst unklaren
Gebiet (B+ D), welches nach dem Verschwinden der Kerne T+T'’+M die
ganze basale Spitze des Hemisphärenfrontalschnittes einnimmt, erwähnte ich
bereits die auffallenden Faserzüge, welche von dem tiefen Mark gegen die
494 Max Völsch:
in dem Gebiet dorsal gelegenen Gruppen E hinströmten; auch, dass sich D',
der Kern des sagittalen Längsbündels des Igels, deutlich markiert, dass
medialwärts verlaufende Faserzüge aus ihm entspringen, wurde schon erwähnt.
Im übrigen ist der Kern B+ D, wenn man ihn so nennen darf, von einem
ziemlich dürftigen, in keiner Weise charakteristischen Fasernetz durchsetzt;
dass auch in ihm sich Fasern aus der Stria terminalis verbreiten, ist mir
wahrscheinlich. Der mediale Teil der Basis wird vom Tractus olfactorius
lateralis überzogen. —
Endlich noch ein Wort über das Gebiet N.a.p. Die Faserpräparate
bestätigen die Anschauungen, welche ich mir aus den Zellpräparaten gebildet
und p. 396ff. auseinandergesetzt habe. Dorsal von dem sich langsam zur
Stammbasis herabziehenden Tractus opticus ist in der Tat eine feine Trans-
versalfaserung sichtbar, welche aus dem Linsenkern kommt und in den distalen
Ebenen zum Zwischenhirn geht, resp. sich im basalen Längsbündel verliert (?).
Der S-förmig gekrümmte Zug ist bis zum unteren Thalamusstiel hinauf zu
verfolgen; vor demselben sehe ich ihn nicht mehr. Es handelt sich wohl um
einen Anteil der Linsenkernschlinge, die in dem von Monakow beschriebenen
Verlauf (Lisch. a) nicht sichtbar ist; vielleicht (?) liefert er die erwähnten
Fasern, die aus dem basalen Längsbündel zur vorderen hypothalamischen
Kommissur ziehen. Erst etwas proximaler beginnt die Abzweigung eines in
medial-konvexem Bogen dorsalwärts steigenden Zuges, welcher dabei die
mediale Grenze der auf p. 397 erwähnten dorsalen Etage von N. a. p. umfasst;
er verliert sich an der Basis der über jener Etage gelegenen Öapsula interna.
Verfolgt man nun die andere Seite des Faserzuges, welche gewissermassen
als Stamm die beiden soeben erwähnten Zweigfaserzüge vereinigt, latero-
dorsalwärts in den Linsenkern hinein, so sieht man diesen Stamm, in lateral-
konvexem Bogen entlang der medialen Seite des Putamen die dorsale Etage
von N. a.p. von der anderen Seite umfassend, ebenfalls zur Basis der inneren
Kapsel emporsteigen. Die Fasern scheinen dann an dieser Basis entlang
medialwärts gegen den Punkt hinzuziehen, wo der vorhin erwähnte medial-
konvexe Bogen sich verlor, und so hat man den Eindruck, als ob diese Faserung
wie ein ovaler Ring die dorsale Etage von N. a. p. umzöge. Weiter vorn
ändert sich die Verlaufsrichtung beider Bögen. Der laterale Bogen, der
Ursprung der Linsenkernschlinge im weiteren Sinne, verliert sich in mächtigen
Fasernzügen, welche den Linsenkern medial vom Putamen durchziehen, den
lateralen Teil der inneren Kapsel durchsetzen und in den Schweifkern aus-
strahlen. Der mediale Bogen aber umfasst weiter vorn, höher emporsteigend,
nicht nur die mediale Grenze von N.a.p., sondern auch die mediale Grenze
der inneren Kapsel und gelangt in die dorsalen Teile des Thalamus; er
präsentiert sich somit als „Hirnschenkelschlinge“ (Lisch. b) und nimmt als solche
an der Bildung des Systems Teil, welches wir unteren Thalamusstiel nennen.
Mit Sicherheit kann ferner gesagt werden, dass die von den beiden
Faserbögen umgrenzte „dorsale Etage von N. a. p.“ mit der Linsenkern- oder
Hirnschenkelschlinge nichts zu tun hat, dass sie vielmehr einen Bestandteil
des Linsenkerns darstellt, ein von zahlreichen sagittal und schräg verlaufen-
den Faserzügen durchsetztes drittes Glied, welches wegen der Verschieden-
heit der Zellen von dem zweiten Gliede (St‘) getrennt zu werden verdient.
Anatomie des Mandelkerns ete. 425
Ganz proximal, da, wo der untere Thalamusstiel sich erschöpft hat,
und wo die Zellfaserung der Substantia perforata ant. beginnt, hört die
Faserung auch der Hirnschenkelschlinge allmählich auf. Aber auch hier werden
die „dorsale Etage von N.a. p.“, d. h. also das innerste Glied des Linsenkerns
und das mediale oder besser medio-ventrale Ende der Capsula interna noch
von einem von einigen sagittal verlaufenden Faserbündelchen durchsetzten
Grau bogenförmig umgeben, für welches ich einstweilen die Bezeichnung N. a. p.
beibehalte (wenn auch die Benennung als Nucleus Capsulae internae vielleicht
angemessener wäre). S. Teil I, Fig. 12, Taf. XXXIX vom Igel.
Resume: Die verschiedenen Regionen, in welche ich den
Lobus pyriformis des Frettchens nach den Bildern der Zellserie
einteilte, lassen sich im Faserpräparat nicht nur wiederfinden,
sondern sind, wenigstens teilweise, durch einige hervorstechende
Eigentümlichkeiten wohl charakterisiert. 1. Der nur auf den
distalsten Teil des Lobus pyriformis beschränkte „mediale“ Bezirk
ist durch eine stark entwickelte Tangentialfaserung ausgezeichnet.
In demselben Raum, wo die dichtgedrängten kleinen Zellen der
Schichten II, III, IV liegen, sieht man im Faserpräparat einen
dichten Faserfilz. 2. Die Regio intermedia kennzeichnet sich,
am deutlichsten in den distalen Teilen, durch zwei breite Faser-
streifen, deren oberflächlicher, ventraler innerhalb und unterhalb
der zweiten Schicht (dem kontinuierlichen Zellstreifen), deren
tiefer, dorsaler in dem im Zellpräparat sehr deutlichen Molekular-
streifen zwischen den mittleren und den tiefen Zellschichten ver-
läuft. Je weiter nach vorn, um so undeutlicher werden die
Streifen, der ventrale verschwindet ganz, der dorsale ist schliess-
lich nur durch spärliche querverlaufende Fasern angedeutet. In
dem Bezirk finden sich bis zu der Stelle, an welcher durch Ein-
lagerung der Kerne B, T, M etc. das Bild sich wesentlich ändert,
stets reichlich Radiärfasern. 3. Die Regio olfactiva fällt durch
die massenhafte Radiärfaserbildung auf; die Fasern sind in den
vorderen Teilen des Bezirkes am gedrängtesten und längsten in
den lateralen Teilen. Sie bilden hier in der Tiefe der Rinde ein
Geflecht, aus welchem die Fasern des tiefen Marks hervorgehen. —
Die olfaktive Region geht distalwärts unmerklich in die beim
Zellpräparat von ihr unterschiedene retrooifaktive Region über.
4. Die fissurale Rinde unterscheidet sich nicht von der benach-
426 Max Völsch:
barten, jenseits der Fissura rhinalis lateralis gelegenen Rinde.
5. Die „prärhinencephale“* Region ist nicht kenntlich. —
Über die Wege, welche die Fasern des tiefen Marks des
Lobus pyriformis und besonders des vorderen Teils der Regio
olfactiva weiterhin einschlagen, ist oben p. 422 ausführlich ge-
sprochen. — Die Entwicklung des Ammonshorns erfolgt in der
gewöhnlichen Weise.
Der Linsenkern zeigt eine weit stärkere Entwicklung der
inneren Glieder (dorsale Etage von N.a. p.) als beim Igel.
Getrennt von ihr durch eine wohlentwickelte Capsula externa,
die direkt in das tiefe Mark des Lobus pyriformis übergeht, liegt
lateral vom Linsenkern, ihn nach hinten weit überragend, das
mächtige Grau des Olaustrums, in der Mitte verdünnt, und von
hier aus nach oben und unten keulenförmige Schenkel aussendend.
An dem oberen, besser begrenzten Schenkel ist vielfach eine
spärliche Capsula extrema erkennbar. —
Im „intermediären Teil“ der Rinde des Lobus pyriformis
entwickeln sich in gewisser Höhe, wie aus der Zellserie bekannt
ist, die mächtigen Zellkomplexe T, T‘, M, B, D. B ist von
einem feinen Fasernetz durchsetzt, T resp. T’ von einer Faser-
kapsel umhüllt, deren Faserung teils von der Rinde des inter-
mediären Teils (den beim Igel so genannten Randstreifen B und T),
teils auch von dem tiefen Mark der Regio olfactiva herstammen
dürfte. Andererseits nehmen aber auch Fasern aus der Stria
terminalis an der Bildung dieser Kapsel teil. Sie wird unter-
brochen durch den Anschluss des Kernes M, der direkt in den
Kern T übergeht. M enthält in seinem Innern nur sehr spär-
liche Fasern, T ist etwas faserreicher, T’ dagegen wird durch
massenhafte Fasern und Faserbündelchen durchsetzt, welche meist
schräg getroffen sind (auf dem Frontalschnitt) und dem Kern
das vom Igel her bekannte hermelinartige Aussehen geben. Die
Kerne T, T’ und B, sowie die „Randstreifen“ (d.h. der an Ort
und Stelle verbliebene Teil der Rinde des intermediären Bezirks)
sind Ursprungsstellen der Stria terminalis; von M kann das nicht
sicher behauptet werden. Da ferner aber auch aus D und dem
basalen Spitzenkern (B+D), zum mindesten aus dem in ihm ent-
haltenen D’ (dem Kerne des sagittalen Längsbündels der Stria
beim Igel), Fasern zur Stria terminalis entspringen, so darf die-
selbe allerdings als das Projektionssystem der intermediären
Anatomie des Mandelkerns ete. 427
Region des Lobus pyriformis aufgefasst werden. Ausserdem aber
gelangen zur Stria auch Fasern aus dem tiefen Mark der Regio
olfactiva, zum Teil wohl direkt, zum Teil indirekt, durch Vermittlung
der Kerne T und T’. Diese letzteren dürften also für einen Teil
der Fasern des tiefen Marks, welche zur Stria terminalis gelangen,
die Rolle von Unterbrechungsstationen spielen.
Die ventral von der Linsenkernschlinge, lateral vom Traetus
opticus gelegenen Zellgruppen E, deren Zugehörigkeit zum
Striatum mir sehr zweifelhaft ist, scheinen Endstationen für
Fasern zu sein, die teils aus dem Kern T’, teils aus dem tiefen
Mark der olfaktiven Region stammen.
Das basale Längsbündel Gansers ist beim Frettchen stark
entwickelt. Aus dem Gebiet, in welchem es proximalwärts ver-
läuft, steigen in gewisser Höhe die Fasern des unteren Thalamus-
stiels (unter Hinzutreten von Fasern anderer Provenienz) dorsal-
wärts zum Thalamus auf. Nachdem sich dieser dorsalwärts
gerichtete Zug erschöpft hat, präsentiert sich prinzipiell genau,
wie beim Igel, das „laterale* und das „mediale“ Längsfaserfeld,
aus groben und aus feineren Fasern bestehend. Das erstere liegt
in der Gegend, die Substantia perforata anterior genannt wird;
es enthält, wie das Zellpräparat lehrt, zahlreiche unregelmässig
geformte und gelagerte Zellen. Genau wie bei Erinaceus schiebt
sich nun weiter oral diese ganze „Zellfaserplatte“ lateral und
erfüllt das Areal des basalen Spitzenkerns, eines auch hier schlecht
differenzierten, von zahlreichen Fäserchen unregelmässig durch-
setzten Gebietes. Nachdem die Hineinschiebung der Zellfaser-
platte S. p. a. in den Spitzenkern vollendet ist, umgibt sie sich
basal mit der eigenartigen Rinde des Tubereulum olfactorium,
das, wie das Zellpräparat lehrt, sich langsam ausdehnend schliess-
lich von der Fissura rhinalis medialis bis zur Mittellinie reicht.
Die Zellfaserplatte S. p. a. ändert sich dabei in ihrem Bau in
keiner Weise; trotzdem habe ich im Anschluss an Ganser für
die Bezeichnung S.p.a. die Benennung „Rinde am Kopf des
Streifenhügels* (St. K.) gesetzt und verstehe darunter den Teil
von S. p. a., der von der Tuberculumrinde bedeckt wird.
Die Linsenkernschlinge endlich ist beim Frettchen schön
entwickelt. Aus dem Linsenkern hervortretend und an der Basis
des Innengliedes, zwischen ihm und Tractus opticus hinziehend,
teilt sie sich in zwei Äste. Ein ventraler Anteil der Linsen-
428 Max Völsch:
kernschlinge sensu strietiori zieht in S-förmiger Krümmung zum
Stamm, wo ich ihn nur bis an das basale Längsbündel Gansers
verfolgen kann. Die Hirnschenkelschlinge aber umzieht in medial-
konvexem Bogen Innenglied des Linsenkerns und Capsula interna,
um im Thalamus zu enden, zu einem Teil sich dabei dem unteren
Thalamusstiel anschliessend (p. p. 396 ff. und 424).
IV. Lemur mongoz.
Von Lemur Mongoz !) habe ich eine Frontalserie durch die
linke Hemisphäre geschnitten und nach Nissl gefärbt; die
Schnitte, von denen jeder zweite aufgehoben wurde, sind 10 u
dick. Fig. 20 gibt die Seitenansicht der Hemisphäre.
Ich unterlasse die Besprechung
der ersten (hinteren) Objektträger,
auf denen sich, modifiziert durch die
reiche Furchenentwicklung,die Rinden-
schichtung in prinzipiell denselben
Bildern entwickelt, welche ich früher
beschrieb und will nur bemerken, dass
sich auch die Zellarchitektonik der
Rinde des Lemur auf den sechs-
schichtigen Grundtypus Brodmanns
zurückführen lässt. Die Zellformen
sind überall sehr mannigfaltig, die
Zellen sind fast durchweg polardiffe-
Fig. 20. Gehirn von Lemur mongoz.
y = Fissura intraparietalis; = — Homo-
losfurche der Fissura centralis
(Ziehen); oe — Fiss. principalis; yenziert, haben aber vielfach — auch
ac N 11. en ac G . . .. .
oe Fiss. Sylvii; d — Fiss. temp. sup. die Pyramiden der oberflächlichen
Schichten — ein etwas gequollenes
Aussehen und etwas verwischte Grenzen. Es lässt sich mit Sicherheit an-
nehmen, dass sie durch die Behandlung des Präparates gelitten haben; die
Einbettung der ganzen, ungeteilten Hemisphäre in toto, die ich vornahm, um
die störenden Unterbrechungen in der Serie zu vermeiden, machte eine sehr
erhebliche Verlängerung (und Wiederholung) der einzelnen Prozeduren der
Einbettung erforderlich, die auf das Aussehen der Zellen nicht ohne Einfluss
gewesen ist.
Ich beginne die Beschreibung mit Objektträger 59, 7 (Textfig. 21). Die
Zeichnung orientiert über die Situation. Das Ammonshorn, dessen Bogenteil
zuerst schon mehr als 3 mm weiter rückwärts getroffen wurde, ist hier
schon in seinen oberen und unteren Schenkel zerfallen. Der obere kurze
Schenkel, welcher von der Stelle an, wo die beiden Schenkel auseinander-
weichen, nur noch etwa '/» mm weit nach vorn zu verfolgen ist, hat sich
!) Die Identifikation des Tieres als „mongoz“ war nicht absolut sicher,
aber höchst wahrscheinlich. Das Gewicht des frisch gewogenen Gehirns betrug
beiläufig 20,12 gr, das des Rückenmarks 3,73 gr bei 1557 gr Körpergewicht.
Anatomie des Mandelkerns etc. 429
hier schon fast ganz reduziert; es ist von ihm nur noch ein Ring von Zellen
der Fascia dentata sichtbar, in dessen Lumen noch spärliche Ammonszellen
liegen, — der Ausdruck einer leichten Ausstülpung des oralen Endes des
dorsalen Ammonsschenkels nach vorn. Der untere Ammonsschenkel dagegen,
welcher beiläufig, von jener Trennungsstelle der Schenkel gerechnet, fast
6!/s mm lang ist, ist noch in voller typischer Entwicklung sichtbar. Die
Fimbria verbindet noch beide Schenkel und auch der Ventrikel ist noch in
seinem absteigenden Teil, der die Cella media und das Unterhorn verbindet,
getroffen. Nur ein wenig weiter nach vorn aber trifft der Frontalschnitt
die Fimbria, die in typischer Weise ‚„durchreisst‘, und den Ventrikel zweimal,
nachdem Stamm und Hemisphärenmark miteinander in Verbindung getreten
Fig. 21 (Obj. 59, 7). Lemur mongoz. Schematisch.
y = Fiss. intraparietalis; „ = Fiss. Sylvii; 9 —= Fiss. temp. sup.
äussere i i
& | Grenze der Rindenzellschichten.
—_— — med |
+-+++ Zellschicht des Ammonshorns. __........... Zellschicht der Fascia dentata.
sind; es hat sich damit das typisch und weit unter diese Verbindungsstelle
untergeschobene Unterhorn ausgebildet. — In der Rinde des ventralwärts
von der Furche 3, der Fissura temporalis superior, gelegenen Schläfelappens
kann man wenigstens in den lateralen Teil sehr deutlich eine Sechsschichtung
erkennen. Die Zona granularis interna ist schmal, aber deutlich, die sechste
Schicht unterscheidet sich sehr ausgesprochen von der fünften, welche, von
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. 28
430 Max Völsch:
mässiger Breite, aus zahlreichen mittelgrossen Zellelementen zusammengesetzt
ist, durch die Anordnung der Zellen, welche offenbar von Fasern durchsetzt
werden, die parallel zur Oberfläche verlaufen. Weiter medial gegen die
mit X X X bezeichnete Molekulareinsenkung an der Basis hin, wird die
Schichtung verwischter, die fünfte Schicht verbreitert sich auf Kosten der
vierten, welche verschwindet, und wohl auch auf Kosten der sechsten, welche
mehr in die Tiefe geschoben wird, und um jene Molekulareinsenkung herum
besteht die Rinde schliesslich nur aus einer ganz breiten Schicht von
Pyramidenzellen (II—V), die von der Oberfläche nach der Tiefe an Grösse
zunehmen, und aus einer, wohl aus zwei Teilen bestehenden multiformen
Schicht, VIa und VIb, deren erstere grössere, deren letztere ziemlich kleine
Elemente enthält. Medial von der Molekulareinsenkung erscheint dann die
innere Granularschicht!) wieder, um die Pyramidenschichten (II, III) von
den tiefen Schichten deutlich abzuscheiden. Verfolge ich nun die Rinde
noch weiter medialwärts, im Bogen um das untere Ende des Ventrikels
herum, so zeigt sich auch hier wieder, dass die äusseren Schichten (II, III, IV)
die Umbiegung der Rinde in die Ammonsrinde „nur ein Stück weit mitmachen“,
und so erscheint denn auch wieder jene von den oberflächlicheren Schichten
gebildete „Rinne“, die auf dem Frontalschnitt als Haken erscheint. Es
scheint mir bei Lemur, als ob die Pyramidenschichten (II, III) noch erheblich,
früher aufhörten, als die Körnerschicht; sie scheinen, zugespitzt und ver-
schmälert, schon ein erhebliches Stück vor dem Ende der Rinne zu enden,
so dass die Spitze derselben, ihr medialwärts gerichteter Teil, nur durch
die kleinen Zellen der sich mächtig verbreiternden Lamina granularis interna
gebildet würde. Wie dem auch sei, jedenfalls besteht die Spitze des Hakens
lediglich aus kleinen körnerartigen Gebilden. Der Übergang der von der
fünften Schicht schwer zu sondernden Schicht VI in die Ammonsschichten
ist in dieser Frontalhöhe nicht so deutlich, wie beim Frettchen. Vorn wird
er deutlicher; hier verlieren sich die Zellen der ersteren vielmehr in ein
Gebiet diffuser spärlicher Zellen, aus welchem auf der anderen Seite die
Ammonszellen wieder auftauchen. — Die Molekularschicht dieses medial von
der Molekulareinsenkung gelegenen Gebietes wird, je weiter nach innen, immer
breiter und erreicht über dem Ende der Rinne eine sehr erhebliche Breite,
was ich leider in Fig. 21 nicht genügend zum Ausdruck gebracht habe.
Jenseits der Molekulareinsenkung XXX, lateral von ihr, die übrigens
alsbald zur wirklichen Furche wird und durch Verschiebung der Hemisphäre
ganz auf die mediale Seite rückt, bilden sich nun (auf Obj. 60) grosse Zellen
in den oberflächlichsten Lagen der zweiten Schicht, der Lamina granularis
externa aus; es handelt sich um sehr auffällige rundlich-eckige, etwas gebläht
aussehende, ziemlich stark gefärbte Zellen, die sich zuerst nur vereinzelt in
!) Ich gebrauche die Bezeichnungen Brodmanns: 1. Lamina zonalis
— Molekularschicht ; 2. Lamina granularis externa — kleine Pyramiden; 3.
Lamina pyramidalis — mittelgrosse und grosse Pyramiden; 4. Lamina granu-
laris interna = Körnerschicht; 5. Lamina ganglionaris — tiefe grosse Pyra-
miden; 6. Lamina multiformis, die sich vielfach in die Lamina triangularis
(VIa) und die Lamina fusiformis (VIb) spaltet.
Anatomie des Mandelkerns ete. 431
der Nähe der erwähnten Furche finden, weiter vorn immer reichlicher werden
und sich schnell immer weiter lateralwärts ausbreiten. Dabei nehmen die
kleinen Pyramidenzellen der Lamina granularis externa, die, dicht gehäuft
zwischen und unter den grossen Zellen liegen und sehr stark gegen sie ab-
stechen, mehr und mehr an Zahl ab, um schliesslich ganz zu verschwinden,
nachdem sie sich am längsten in den medialen Teilen der Region gehalten
haben. Im vorderen Teile dieses in sagittaler Richtung etwa 2 mm langen
Übergangsgebietes kommt es wohl vor, dass die kleinen Pyramiden nicht
mehr als kontinuierlich mehrschichtige Reihe erhalten sind, dass diese Reihe
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Fig. 22 (Obj. 72, 7). Lemur mongoz, Lobus pyriformis. Schematisiert.
$ — Fiss. temp. sup.; F. H. = Fiss. Hippocampi; V. = Ventrikel.
— ausser 2 H =) ;zelle.
Er | Grenze der Rindenschichten. Bu Auunonsze €
u Er 5, 2‘: Fissura dentata.
—— erste Andeutung der Fiss. rhinal. lateral.
vielmehr mehrfach unterbrochen ist; so sieht man hier vielfach nur noch
Gruppen jener kleinen Zellen, die wohl als kleinzellige Inseln zwischen den
grossen Zellen bezeichnet werden dürfen. Weiter nach vorn aber verschwin-
den auch diese Gruppen ganz, und statt der zweiten Schicht überzieht ein
lockerer, vielfach unterbrochener Streifen grosser Zellen (Schicht II) das
Gebiet, welches als Lobus pyriformis anzusprechen ist. Dasselbe ist hier
(Fig. 22), 2 mm vor dem ersten Auftauchen der typischen grossen Zellen,
zirka 6 mm breit, und erstreckt sich lateralwärts bis zu einer leichten furchen-
artigen basalen Einsenkung, überschreitet dieselbe jedoch weiter vorn und
hat, weitere 2—2!/2 mm weiter vorn, eine transversale Ausdehnung von
7'!/,—8 mm. In dieser Höhe erst wird die Fissura rhinalis lateralis, die von
nun an die laterale Grenze des Lobus pyriformis bildet, deutlich; angedeutet
28
432 Max Völsch:
ist sie schon etwas weiter rückwärts. Die Dinge liegen danach bezüglich
dieser Furche insofern anders wie beim Frettchen, als hier die Formation
des Lobus pyriformis über die Furche hinausreicht, und als die Furche hier
schon in ihren distalsten Teilen auf der lateralen Seite der Hemisphäre ge-
legen ist. — In sehr charakteristischer Weise verändern sich nun auch
gleichzeitig die demnächst folgenden Schichten der Rinde dieses Gebietes
(III und IV). Auf den in den distalen Teilen noch mit kleinzelligen Elementen
untermischten, später, weiter nach vorn, ganz isolierten grosszelligen Streifen
folgt eine Schicht ziemlich spärlicher, rundlicher Zellen, die namentlich in den
lateraleren Teilen des Gebietes ausgesprochen radiär, senkrecht zur Oberfläche
gestellt sind; sie werden offenbar von den vom Frettchen her bekannten
Radiärfasern zur Rinde durchzogen. In der Tiefe der Schicht sieht man
mehr oder weniger deutlich einige Lagen weniger regelmässig geordneter
rundlicher Zeilen. Das Ganze entspricht den Schichten III + IV; die Unter-
schiede treten nicht so deutlich hervor, wie beim Frettchen, weil bei Lemur,
wie gesagt, sämtliche Zellen dieser Schicht einen rundlichen Charakter
haben (wahrscheinlich artefiziell). Die Schicht III +IV ist auch hier, zumal
in dem medialen Teil, oft sehr deutlich durch einen schmalen, den
„oberflächlichen“ Molekularstreifen von dem grosszelligen Bande getrennt.
— Überall sehr deutlich folgt dann durch das ganze Gebiet unterhalb
III + IV der „tiefe zellfreie Molekularstreifen“, der auch bei Lemur am
medialen Ende der Formation den p. 380 beschriebenen zapfenförmigen Fort-
satz gegen die Oberfläche schickt, ohne sie zu erreichen, genau wie bei
Fötorius. Die Ausbildung der Schicht IIT--IV und des tiefen Streifens
schreitet fast genau parallel mit der Ausbildung der zweiten Schicht lateral-
wärts fort.
Der oben (p. 380) gemachten Annahme, dass der tiefe Streifen gewisser-
massen ein (räumliches) Äquivalent wäre für die Lamina ganglionaris der
anstossenden Temporalrinde, widersprechen die Bilder nicht. Doch ist ein
sicheres Urteil darüber, hier wie dort, sehr schwierig, wohl unmöglich; die
fünfte Schicht — und das gilt genau so für die vierte, die innere Granular-
schicht, und übrigens auch für die zweite Schicht, — hört an der Stelle, wo
die Riechformation, — um die höchst eigentümliche Rinde des Lobus pyri-
formis (oder besser eines Teils desselben) mit einem Wort zu bezeichnen —
beginnt, eben auf, die Formen, welche ja das einzige Kennzeichen der Schicht
bilden, verschwinden und werden durch gänzlich andere Formen abgelöst,
und damit werden die Spekulationen, welche Schicht der einen Region der
oder jener Schicht einer morphologisch total differenten anderen Region ent-
spricht, vielfach zu recht gewagten und unsicheren. Im vorliegenden Falle
vermag jedenfalls auch das Stadium des Übergangsgebietes keine Klarheit
darüber zu bringen, ob die Lamina ganglionaris der Temporalrinde beim
Übergang in die Riechformation, um es so auszudrücken, zum zellarmen
Molekularstreifen wird, oder ob sie, wie Brodmann will, an der Bildung
der oberflächlichen Zellschichten partizipiert, oder, ob sie, was nach meinen
Bildern immerhin auch möglich wäre, sich in die tiefe, jenseits des Molekular-
streifens gelegene Schichtung fortsetzt. Jedenfalls könnten gewisse grosse
Pyramiden in den oberflächlichen Lagen der auf den tiefen Molekularstreifen
Anatomie des Mandelkerns etc. 433
folgenden tiefsten Schichtung der Riechformation als Elemente angesprochen
werden, welche der fünften Schicht angehören.
Im übrigen ist diese tiefste Schichtung räumlich und qualitativ evident
die direkte Fortsetzung der VI. Schicht des Temporallappens und muss in
ein oberflächlicheres, aus grossen, vielfach radiär gestellten, ziemlich spärlichen
Elementen bestehendes Stratum (VIa) und eine Schicht kleinerer, blasserer
Zellen (VIb) geteilt werden. Der Übergang dieser Schichten in das Ammons-
horn kann in den proximaleren Ebenen mit grosser Sicherheit verfolgt werden;
vielleicht wandeln sich die grösseren Zellen der Schicht VIa in die typischen
Ammonspyramiden, die kleineren Zellen der Schicht VIb in die Elemente des
„Stratum oriens Cornu Ammonis* um. —
Das soeben besprochene Gebiet des Lobus pyriformis von Lemur deckt sich
mit dem Gebiet, welches ich bei Fötorius als inneren und äusseren zentralen Be-
zirk, als Regio intermedia und Regio olfactiva bezeichnete, von welch letzteren
ich den distalen Teil als Regio retroolfactiva abtrennte. Es ist, gerade in dem
distalen Teil, sehr schwierig, den intermediären Bezirk von dem retroolfactiven
abzuscheiden. Immerhin sind doch auch hier gewisse Unterschiede vorhanden:
die Zellen des oberflächlichen Bandes scheinen mir im retroolfaktiven Bezirk
etwas eckiger, stärker gefärbt, und die in der Form wohl identischen Zellen
der tieferen, mit III+IV bezeichneten Schicht zeigen die radiäre Reihen-
stellung ausgesprochener, als im intermediären Teil. Ausgesprochen ist da-
gegen auch bei Lemur die Differenz des Aussehens des oberflächlichen Zellen-
bandes im retroolfaktiven und dem sich weiter oral anschliessenden olfaktiven
Bezirk; dort grosse, massige Zellen, ziemlich locker aneinandergereiht, hier
(Fig. 23, p. 441) ein ganz dichtes, mehrreihiges Band kleinerer eckiger Zellen.
Der Übergang ist ein sehr allmählicher, und in diesem Übergangsgebiet hat die
Formation eine gewisse Ähnlichkeit mit der Reg. olfactiva posterior des
Frettchens, während die vorhin geschilderte Region der Reg. olf. anterior
entsprechen dürfte. Auch bei Lemur zeigt sich in dem Übergangsgebiet eine
Neigung zu Inselgruppen- und Reihenbildung, die Zonalschicht wird etwas
schmäler (Fig. 22). Doch ist der Unterschied zwischen den drei Formationen
lange nicht so in die Augen fallend, wie beim Frettchen.
Ich beschrieb beim Frettchen in den distalen Teilen des Lobus pyri-
formis sodann noch eine „fissurale* (Öajal) und — ganz lateral eine „prä-
rhinencephale* Rinde. Beide wurden durch die lateralwärts fortschreitende
Entwicklung der Regio olfactiva (bezw. retroolfactiva) immer weiter lateral
gedrängt, bis sie schliesslich verschwanden, nachdem die letztere die Riech-
furche erreicht hatte. Ich kann die fissurale Rinde, deren Eigentümlich-
keiten in dem Fehlen des oberflächlichen Bandes bei entwickeltem tiefem
Molekularstreifen und darin bestand, dass zwischen ihm und Stratum zonale
nur eine einzige aus radiär gestellten Pyramiden bestehende Zellschicht
sich fand, bei Lemur nicht sicher wiederfinden. In den distalen Teilen, wo
die Fissura rhinalis noch nicht vorhanden ist, — hier könnte man ja eigentlich
von einer „fissuralen“ Rinde auch nicht sprechen ! — schreitet vielmehr, wie
wir sahen, bei der Verfolgung der Serie nach vorn die laterale Ausbreitung
des oberflächlichen Streifens und des tiefen Molekularstreifens durchaus
gleichnässig vor, und an das laterale Ende der Riechformation stösst die
434 Max Völsch:
oben kurz beschriebene temporale Rinde mit deutlicher Lamina granularis
interna. Erst da, wo die Fissura rhinalis lateralis deutlich hervortritt, findet
sich ein etwa 2 mm langes Stück weit, so lange nämlich die Riechformation
die Furche noch nicht erreicht hat, zwischen letzterer und dem lateralen
Ende der ersteren eine Rinde, die vielleicht als fissurale gedeutet werden
könnte. Wenigstens fehlt hier die Lamina granularis interna. Mit dem
Fortschreiten der Riechformation gegen die Riechfurche verschmälert sich
und verschwindet dieser Bezirk (Anfang der 100er Objektträger).
Deutlicher sehe ich auf vielen Präparaten ir den distalen Teilen jene
schmale Parallelanordnung kleiner Zellen am lateralen Ende der Riech-
formation, sich mit ihm lateralwärts schiebend, die „prärhinencephale“ Rinde.
Der Komplex ist leicht bogenförmig gekrümmt, sieht wie gekämmt aus.
Es bleibt schliesslich noch die Besprechung des medialen Bezirks des
Lobus pyriformis übrig. Die Verhältnisse liegen hier insofern anders, wie
beim Frettchen, als der Lobus pyryformis hier erst in Frontalebenen beginnt,
die erheblich vor dem Bogenteil des Ammonshorns liegen, während umge-
kehrt beim Frettchen die distale Spitze des Lobus pyriformis weiter distal-
wärts reicht, als der distalste Punkt des Ammonsbogens. So kommt es,
dass beim Frettchen der mediale Bezirk des Lobus pyriformis in den distalen
Frontalebenen noch in die Rinde der medialen Hemisphärenwand übergeht
(Fig. 4 und 5). Weiter vorn, wo der bogenförmige Rand der Einstülpung
dieser Rinde in das Ammonshorn vom Frontalschnitt getroffen wird, teilt sie
sich im Frontalschnittbilde in einen ventralen und dorsalen Schenkel, wobei
die „Teilungsstelle‘“ natürlich dem distalsten Punkte jenes Einstülpungsrandes
entspricht. So geht der mediale Bezirk des Lobus pyriformis in dieser Höhe
in jenen „ventralen Schenkel der Rinde der medialen Wand“ über. Und da,
wie wir sehen, die äusseren Schichten der Rinde die Einstülpung nur ein
Stück weit über den Einstülpungsrand hinaus mitmachen, so bildet der
mediale Bezirk des Lobus pyriformis zusammen mit jenem ventralen Schenkel
die Rinne oder den Umschlagshaken, in welchem die Umbiegung der
tiefen Rindenschichten in die Ammonszellformation verläuft, eine Rinne,
deren eingestülpter Schenkel sich im weiteren Verlauf nach vorn zu immer
weiter medialwärts zurückzieht (Fig. 6), bis die Rinne schliesslich total ver-
schwindet und bis die äusseren Rindenschichten des Lobus pyriformis (inter-
mediärer Bezirk) schliesslich mit scharfem Rande an der Umbiegungsstelle
der tiefen Schichten in das Ammonshorn aufhören (Fig. 7).
Bei Lemur treffe ich in der Frontalhöhe, in welcher ich die Unter-
suchung begann, also kurz hinter dem Lobus pyriformis,') bereits auf die
den ventralen Schenkel des Ammonshorns umfassende „Rinne‘‘, und sie wird
hier und in den dahinter gelegenen Teilen durch die äusseren Schichten
') Es sei hier nochmals darauf aufmerksam gemacht, dass die namentlich
durch das oberflächliche Zellenband und die tiefen zellarmen Molekularstreifen
gekennzeichnete „Riechformation“ bereits nicht unerheblich hinter dem Lobus
pyriformis beginnt, welcher, — ein makroskopischer Begriff — doch erst von
da gerechnet werden kann, wo ihn die Fissura rhinalis lateralis von den
benachbarten Hirnpartien abtrennt.
Anatomie des Mandelkerns etc. 435
anderer Teile, der Rinde der medialen Hemisphärenwand, des Temporallappens
gebildet, genau so, wie sie beim Frettchen im Bogenteil des Ammonshorns
als Umschlag der äusseren Schichten der Rinde der medialen Palliumwand
aufzufassen war. So kann also, wenn nun der Lobus pyriformis sich aus-
gebildet hat, innerhalb desselben ein „medialer“ Bezirk wie in Textfig. 4 und 5,
der einerseits in den intermediären Bezirk, andererseits in die Rinde der
medialen Hemisphärenwand sich fortsetzt, hier nicht bestehen. Der mediale
Bezirk wird hier vielmehr nur noch in der Gestalt der Rinne oder des
Umschlagshakens existieren, in welche er sich ja auch bei Fötorius in den
oraleren Ebenen auflöste. Dadurch, dass, wie es scheint, der Lobus pyriformis
nur bei Lemur gewissermassen um eine sagittale Achse medialwärts sich
herumkrümmt, gelangt, wie wir schon sahen, der Punkt x x X (Textfig. 21)
ganz auf die Medialseite der Hemisphäre, an die Stelle, welche ich als ihre
ventro-mediale Spitze im Frontalschnitt bezeichnete, mit anderen Worten, an
die Stelle, welche gerade medial von der Umbiegung der tiefen Schichten
des Lobus pyvriformis in das Ammonshorn liegt, und so bleibt in dieser Höhe
von der „Rinne“ eigentlich nur der eine Schenkel übrig, welcher zunächst
(hinten) im Frontalschnitt als langgestreckter, weit lateralwärts reichender
Streifen diese Umbiegungsstelle von oben (dorsal) her bedeckt (Fig. 22);
weiter vorn wird der Schenkel immer kürzer, er „zieht sich medialwärts
zurück“, um nach ca. 4 mm (vom Ausgangspunkt der Untersuchung gerechnet)
zu verschwinden, dann würde, wie beim Frettchen (Textfig. 7), die Ein-
stülpung der tiefen Rindenschichten in das Ammonshorn an die mediale
Oberfläche treten, wenn nicht die Bilder hier durch gewisse Verlaufsver-
änderungen der Ammonsrinde (Uncusbildung) modifiziert und kompliziert
würden. Es kann hier nicht meine Aufgabe sein, die verwickelten Verhält-
nisse der vorderen Endigung der Ammonswindung zu verfolgen. — Die Rinne
oder somit vielmehr der hier nur noch übrig gebliebene dorsale Schenkel der
Rinne, welcher also im Frontalschnitt als Streifen erscheint, stellt in toto
eine Platte in Form eines Dreiecks, dessen Spitze nach vorn liegt. Sie
besteht auch beim Lemur aus kleinen körnerartigen dichtgelagerten Zellen,
wie ich bereits erwähnte; ebenso besprach ich die Möglichkeit, dass sie als
vergrösserte und verbreiterte innere Granularschicht anzusehen ist, ohne auch
nach dieser Richtung sicher entscheiden zu können. Weiter nach vorn, wo
die Platte schmäler wird, sich zuspitzt, wo also im Frontalschnitt der dorsale
Schenkel kürzer wird, „sich medialwärts zurückzieht“, wird der Zellkomplex
dünner und lockerer, und hie und da finden sich in dem medialwärts ge-
richteten Spitzenteil Lücken, so dass die Zellen nun in einzelnen Gruppen
zu liegen kommen, die man auch als Inseln bezeichnen könnte. Unter der
Platte liegt eine ziemlich schmale zellarme Zone, die unmittelbare Fort-
setzung des in das Ammonshorn umbiegenden tiefen Molekularstreifens, und
endlich die unter dieser Zone liegende Zellenschicht stellt die Übergangs-
gegend der Zellen der multiformen Schicht in die Ammonszellen dar; die
einzelnen Zellen nähern sich in ihrem Bau schon stark den letzteren. — Es
handelt sich bei dieser Gegend um das Subiculum und etwas mehr medial-
wärts um die präsubiculäre Rinde Ramön y Cajals. Die letztere ist scharf
charakterisiert durch den aus kleinen Zellen zusammengesetzten Schenkel
456 Max Völsch:
der Rinne. Vermutlich entsprechen die Gruppen von Zellen, in welche der
Schenkel in den proximaleren Teilen des Gebiets in seinem Spitzenteil zer-
fällt, der zweiten Schicht Cajals des Subiculums (s.1. c. p. 40, Abs. 2), die
er allerdings beim Menschen aus mittelgrossen Pyramiden und polymorphen
Zellen bestehen lässt, „welche in gewissen Zwischenräumen sich einander
so nähern, dass sie wahre Inseln bilden“. Wenn diese Indentität auch nicht
völlig zweifellos ist, so ist sie mir doch wahrscheinlicher, als die Annahme,
diese Zellgruppen könnten das Analogon der kleinzelligen Inseln Cajals
(im Subiculum des Menschen) in der ersten (seiner plexiformen) Schicht sein.
Ich finde in der sehr breiten Zonalschicht des Subiculums auch beim Halb-
affen zwar einzelne mehr oder weniger grosse verstreute Zellen, aber keine
Inseln. — Fasse ich danach das über den Bau des Lobus pyriformis bei
Lemur Gesagte in wenigen Worten zusammen, so haben wir, ganz ähnlich
wie bei Fötorius, zu unterscheiden (Fig. 22):
1. Den medialen Bezirk: breite Molekularschicht, darauf ein
Streifen kleiner körnerartiger Zellen, den oberflächlichen Rindenschichten II
bis IV, vielleicht lediglich der inneren Granularschicht entsprechend. Der
Streifen ist völlig über die Einstülpungsstelle der Rinde (tiefe Schichten)
in das Ammonshorn lateralwärts übergeschlagen und bedeckt den Beginn
dieser Einstülpung von dorsal her. Über die tieferen Schichten s. unten
(präsubiculäre Gegend Cajals).
2. Der intermediäre (innere zentrale) Bezirk (Fig. 2x x—x):
Unter der mässig breiten Molekularschicht an Stelle der Lamina granularis
externa ein Streifen locker gelagerter grosser rundlich-eckiger Zellen,
darunter, vielfach durch den schmalen oberflächlichen zellarmen Molekular-
streifen von dem Streifen getrennt, eine ziemlich breite Schicht mittelgrosser
rundlich-eckiger Zellen, nicht sehr dicht gelagert und nicht ausgesprochen
radiär angeordnet.
3. Der äussere zentrale Bezirk (Fig. 22 x — »), in seinem
distalen Gebiet charakterisiert durch den aus grossen, stark tingierten
eckigen Zellen zusammengesetzten relativ schmalen und lockeren ober-
flächlichen Streifen an der Stelle der Lamina granularis externa (retro-
olfaktiver Bezirk). Im proximalen Teil (olfaktiver Bezirk s. str.) wird
das Band ganz dicht und fest, die Zellen werden kleiner. Ein Regio olfactiva
posterior lässt sich nicht so deutlich abscheiden, wie beim Frettchen; gerade
die Fig. 22 zeigt aber doch die Neigung zur Inselbildung, die für sie kenn-
zeichnend ist. — In allen Bezirken folgt eine breite Schicht blasserer,
spärlicherer rundlich-eckiger radiär gestellter Zellen.
4. Der „fissurale“* Bezirk ist nicht sicher zu identifizieren.
5. Die prärhinencephale Rinde, ganz lateral, ist vielfach deutlich
erkennbar; ein schmaler Zug kleiner radiär gestellter strichförmiger Zellen,
welcher in lateral-konvexem Bogen vom tiefen Molekularstreifen zur Ober-
fläche verläuft; infolge der Parallelstellung der Zellen sieht er wie ge-
kämmt aus. (Fig. 22 an der durch den Stern gekennzeichneten Stelle.)
Darunter liegt in allen Bezirken der tiefe zellarme Molekularstreifen
in ansehnlicher Breite; auf ihn folgt die multiforme Schicht, durch einen
zellarmen schmalen Streifen gespalten in eine oberflächliche aus grösseren
Anatomie des Mandelkerns etc. 437
stark gefärbten meist pyramidenförmigen Zellen zusammengesetzte (Vla)
und eine tiefere aus kleineren blasseren polymorphen Elementen bestehende
(VIb) Schicht. Die multiforme Schicht geht, indem sie an ihrem medialen
Ende lateralwärts umbiegt, in die Ammonszellformation über.
Der mediale, prärhinencephale und fissurale (?) Bezirk verschmälern
sich und verschwinden in den proximaleren Teilen des Lobus pyriformis,
sodass hier nur der olfaktive Bezirk, der bei weitem den grössten Teil des
Lappens einnimmt, und der intermediäre Bezirk übrig bleiben. Die Fig. 22
zeigt die obigen Verhältnisse.
Wie die Übersichtsfig. 21 lehrt, ist auf Objektträger 59, mit welchem
ich die Beschreibung der Serie aufnahm, der Stamm mit der Hemisphäre
noch nicht verwachsen; Fimbria und Ventrikel sind noch in ihrem ganzen
Verlaufe im Bogenteil getroffen und die erstere liegt dem Stamme dicht an.
In letzterem tritt das Corpus geniculatum laterale mit seiner charakteristischen
Zellanordnung und medial von ihm das Üorpus geniculatum mediale, dorsal
von ihnen das Pulvinar deutlich hervor. Auf Öbjektträger 62 „teilt sich“
die Fimbria in ihren dorsalen und ventralen Schenkel, und gleich davor,
auf Objektträger 63 findet die Verwachsung des Stammes mit dem Mark
der Hemisphäre statt, wodurch auch der Ventrikel in die Cella media und
das Unterhorn geteilt wird. Gerade in der Höhe dieser Verwachsungsstelle
taucht, ein wenig medial von ihr, in ihrer weissen Masse ein sehr auffälliger
Zellkomplex auf. Es handelt sich um einen leicht lateral-konvexen, ziemlich
breiten Zellenzug, welcher von der Gegend etwas medial von dem sich ent-
wickelnden Suleus strio-thalamicus her im Bogen um die laterale Begrenzung
des Thalamus herum gegen das Unterhorn oder besser gegen das medial
vom Unterhorn gelegene Corpus geniculatum laterale hin zieht, ohne das
letztere zu erreichen. Vom eigentlichen Thalamus ist der Zug durch einen
ebenfalls bogenförmigen Markstreifen getrennt. Die Zellen sind meist aus-
gesprochen längliche, spindelförmige mittelgrosse Elemente, deren Längsachse
in der Zugrichtung liegt; sie liegen vielfach in Gruppen etagenförmig, durch
horizontale Zwischenräume getrennt, übereinander. Offenbar werden sie von
Fasern durchsetzt, welche in der Zugrichtung, also bogenförmig tangential
zum Thalamus verlaufen, aber ebenso deutlich ist es, dass sie von vielen
Faserbündeln in querer Richtung durchsetzt werden. Es handelt sich wohl
sicher um die Gitterschicht des Thalamus, auf welche ich in so auffälliger
Ausprägung hier zuerst stosse, die medial anstossende zellfreie Zone ist die
Lamina medullaris externa des Thalamus. Ich erwähne sie hauptsächlich,
weil der Gedanke nicht so fern liegt, den Zellenzug mit dem bei einigen
niederen Tieren (Igel, Maus) beobachteten Begleitkern der Stria terminalis
in Verbindung zu bringen; die Lage schützt davor ebenso wie der Umstand,
dass der Zellenzug noch weit nach vorn zu verfolgen ist. Tatsächlich sieht
man auf einigen Schnitten, und zwar auf den unmittelbar an die Ver-
wachsungsstelle sich anschliessenden, ziemlich deutlich die Striafaserung
lateral von der soeben geschilderten Gitterschicht von dem Sulcus strio-
thalamicus zur dorsalen Spitze des Unterhorns ziehen, leicht erkennbar an
den in der Verlaufsrichtung der Fasern reihenförmig angeordneten Glia-
kernen. Ganglienzellen findet man in dem Striabogen nur äusserst spärlich,
438 Max Völsch:
so dass ich also den früher erwähnten Begleitkern der Stria hier nicht nach-
weisen kann. Weiter vorn wird natürlich auch die Stria in ihren beiden Schenkeln
getroffen; dieselben heben sich nur undeutlich gegen die Umgebung ab.
Nicht ganz leicht erkennbar ist ferner der Nucleus caudatus und sein
Schweif. Aber bei genauem Zusehen erkennt man schon Mitte der fünfziger
Objektträger, etwa in der Höhe der Fissura Sylvii (7) lateral am Ventrikel
einen elliptischen mit der Längsachse schräg-vertikal gestellten Körper, der
neben Gliakernen spärliche kleine, eckige, blasse Ganglienzellen enthält.
Auf Objektträger 53 und auch noch auf 59, also gerade da, wo ich die
Untersuchung der Serie begann, sendet dieses Gebilde einen schmalen Streifen
längs des Ventrikelrandes abwärts, den Bogenteil des Schweifkerns, und
nach der Verwachsung des Stammes mit dem Ventrikel findet man, wenigstens
in den stärker gefärbten Präparaten regelmässig den doppelten Querschnitt
der beiden Schenkel des Kerns, nämlich des Kopfes und des Schwanzes.
Der erstere liegt immer etwa in Höhe der Fissura Sylvii, der Schweif lateral
von der „dorsalen Spitze des Unterhorns“ (im Frontalbilde) als ein länglicher,
weiter vorn rundlicher Querschnitt etwa in der Höhe der Fissura temporalis
superior (etwas ventraler!). Der Halbaffe ist somit das erste Tier in der
von mir untersuchten Reihe, bei welchem ich einen vollkommen ausgebildeten
Bogen- und Schweifteil nachweisen kann.
In der Höhe der Fig. 22, wo der innere Kniehöcker bereits (seit drei
Objektträgern) verschwunden, der äussere erheblich verkleinert ist, wo sich
der Traetus opticus bereits auszubilden begonnen hat und wo endlich der
Pedunculus sich über den letzteren hinwegschiebt und im Begriff ist, in die
Hemisphäre hineinzustrahlen, treten in dem breiten Mark, lateral von den
eben beschriebenen Gebilden (Gitterschicht, Stria, Nucleus caudatus), in dem
retrolentikulären Mark also, Gruppen von kleinen eckigen und rundlichen
blassen Zellen auf, welche sich nach vorn vermehren, vergrössern und zu-
sammenfliessen, und zwischen welchen massenhaft Bündel und Bündelchen
von Fasern in transversaler Richtung hindurchziehen. Es handelt sich um
die distalen Ausläufer des äusseren Linsenkerngliedes und weiter vorn um
dieses Glied selbst, das von Bündeln und dem gerade durchbrechenden
Peduneculus durchsetzt wird. Es vergrössert sich je weiter nach vorn um so
mehr sowohl in die Breite, als namentlich in die Höhe. Nach aussen folgt
die Capsula externa und dann die Rinde; im letzterer bildet sich in gleicher
Höhe, wie das Striatum, die Insel aus; zuerst erscheint ihr unterer Schenkel,
sich zuerst als ein Molekularstreif, dann als ein von Molekularsubstanz
umgebener von oben nach unten verlaufender Spalt präsentierend, welcher
zunächst mit dem Grunde der Fossa Sylvii noch nicht in Verbindung steht,
um erst etwas weiter vorn mit ihr zusammenzufliessen. Einige Schnitte
vor den ersten Anfängen des ventralen Schenkels der Fossa Sylvii zweigt
dann aus ihrem Grunde auch der dorsale Schenkel derselben, etwas schräg
dorso-medialwärts aufsteigend und sich immer mehr vertiefend ab, so dass
von hier ab also eine vollkommene Inselbildung besteht.
Zwischen Insel und Linsenkern (St.) bildet sich endlich in der Capsula
externa das Claustrum, zunächst nur sein unterer Schenkel aus, aus so
unscheinbaren Anfängen, dass ich die distale Grenze nicht sicher feststellen
Anatomie des Mandelkerns ete, 439
kann. Auf Objektträger 76 (ca. !/'g mm vor Fig. 22) ist der untere Schenkel
jedenfalls schon deutlich, durch die äussere Kapsel vom Linsenkern, durch
die Capsula extrema von der Rinde geschieden. Die Vormauer besteht auch
beim Halbaffen aus grösseren, stärker tingierten Zellen, die sich, zumal bei
stärkerer Vergrösserung, sehr erheblich von den Striatumzellen unterscheiden.
Sie überragt in dieser Höhe den unteren Inselschenkel ventralwärts um zirka
1 mm, reicht aber nicht ganz so tief hinab, wie der Linsenkern. Auch hier
hat der Zellkomplex eine keilförmige Gestalt; die breite Seite des Keils
sieht ventralwärts und ist in den distalsten Teilen etwas nach medial ge-
krümmt; später, weiter vorn, mit der Verbreiterung des Striatums wird sie
eher lateralwärts abgebogen. Die Spitze des Keils sieht nach oben. Das
Claustrum schiebt diese Spitze nun mehr proximal immer weiter dorsalwärts.
Im Verhalten des Claustrums besteht hiernach ein doch recht wesentlicher
Unterschied gegen das Frettchen. Bei letzterem fand ich es nicht nur über-
haupt weit massiger entwickelt, sondern es überragte das Striatum auch
weit nach hinten; bei Lemur ist es umgekehrt.
Medio-dorsal wird das Putamen durch die innere Kapsel vom Nucleus
caudatus getrennt, der inzwischen gewaltig vergrössert ist; weiter proximal
finden sich dann auch die bekannten Zellbrücken zwischen beiden Kern-
massen, die die innere Kapsel durchsetzen.
An der Innenseite zeigen sich etwa °/s mm vor seinem distalen Ende
die ersten grossen, stark, oft leuchtend gefärbten Zellen des Innengliedes (St‘),
welches sich nun immer stärker ausbildet, die medialwärts gerichtete Spitze
des grossen Linsenkernkeiles darstellend, während seine Basis, das Putamen,
sich immer weiter dorsal- und ventralwärts ausbreitet, in letzterer Richtung
das Unterhorn erreicht und sich mit der Cauda des Schweifkerns ver-
schmolzen hat, eine Verschmelzung, die weiter oral wieder durch das Hinter-
horn der vorderen Kommissur unterbrochen wird, so, dass durch sie wieder
der basalste Teil des Putamens (Y) von ihm abgetrennt wird. — Die grossen
Zellen St‘ sind unregelmässig, oft zu Gruppen gelagert und verlaufen viel-
fach auch in geschwungenen Parallelreihen von dorsal nach ventral. Etwa
!/ mm vor dem distalsten Auftreten dieser Zellen flacht sich die mediale
Spitze des erwähnten Keils ab, sie bilden nun einen abgestumpften Kegel
und gerade längs des abgestumpften Randes liegen oft Gruppen und Reihen
der St’-Zellen angehäuft. Auf den Stumpf aber setzt sich eine neue Spitze
in Dreiecksform auf mit vielen ganz kleinen Zellelementen (wahrscheinlich
gliöser Natur), an welchen übrigens auch das zweite Linsenkernglied reich
ist, dann aber auch grössere, eckige Ganglienzellen enthaltend, die die
St'-Zellen in der Grösse nicht erreichen, vor allem aber viel blasser und
matter gefärbt sind, als die letzteren. Es handelt sich um das dritte Linsen-
kernglied (St?); dasselbe erreicht eine sehr erhebliche Ausdehnung (vergl.
Textfig. 23). Weiter vorn bekommen die Zellen, wenigstens im ventralen
Teil dieses Bezirks, auch die für denselben charakteristische maschenförmige
Anordnung, der Ausdruck der Durchsetzung des Gebietes durch zahlreiche
gröbere und feinere sagittal verlaufende Faserbündel.
Unterdessen, mit der Ausbildung dieses dritten Linsenkerngliedes, hat
sich der Tractus opticus mehr und mehr medialwärts geschoben, so dass jenes
440 Max Völsch:
Glied ihm aufliegt. Gleichzeitig (Mitte der achtziger Objektträger) treten
dann in dem dadurch gewissermassen frei werdenden Felde lateral vom
Tractus, zwischen ihm und dem basalen, die inneren Glieder des Linsenkerns
ventralwärts überragenden Teil des Putamens, und endlich dorsal von dem,
übrigens nur sehr undeutlich sich abzeichnenden ventralen halbmondförmigen
Striaschenkel jene bisher bei allen untersuchten Tieren festgestellten Zell-
gruppen auf, die ich mit E bezeichnete. Auf Objektträger 88, 6 markiert
sich deutlich eine dorsalere aus grösseren Zellen bestehende Gruppe, die
erheblich gegen die St.-Zellen absticht, und eine ventrale aus kleineren Zellen
zusammengesetzte. —
Auf Objektträger 90 — der Tractus opticus beginnt hier gerade in
dem Spalt zwischen Stamm und Hemisphäre sichtbar zu werden — treffen
wir auf die vordere Wand .des Ventrikelunterhorns, in welcher, wie wir
wissen, der Mandelkern gelegen ist. Bevor ich auf diese Gebilde eingehe,
mag es noch erlaubt sein, einige Worte über die mediale Wand des Unter-
horns in seinem vordersten Teil, seiner Spitze, zu sagen. Ich kann nicht
ausführlich die eigentümlichen Bilder schildern, welche die Zellen der Ammons-
windung und der Fascia dentata, welche Windungen ja jene innere Wand
des Unterhorns bilden, auf diesen die oralsten Teile des Unterhorns treffenden
Schnitten bilden. Eines dieser Bilder gibt die Fig. 22 wieder. Ich will
aus der Verfolgung der Serienschnitte nur kurz resümieren, dass die Fissura
Hippocampi, wenn sie sich ihrem vorderen Ende nähert, die Rinde, resp. die
tiefen Rindenschichten, welche die Ammonswindung bilden, nach vorn ein-
stülpt. Die Ammonswindung bildet auf diese Weise eine Art Tasche, deren
Öffnung nach hinten sieht und präsentiert sich im Horizontalschnitt so:
: Die eingerollte Ammonswindung hat natürlich
K einen ganz entsprechenden Verlauf, und hier-
durch werden Bilder wie Fig. 22 und viele andere verständlich, welche
in schnellem, buntem und zunächst etwas verwirrendem Wechsel bei der
Serienverfolgung sich darbieten. Der mit der Spitze nach rückwärts
gerichtete rückläufige Teil der Windung (*) ist der Uncus. Weiter
ist bei der Deutung der Querschnittsbilder noch zu berücksichtigen, dass
die Furche unmittelbar vor dem Haken — gewissermassen, wenn sie aus
der „Tasche“ wieder herauskommt — sich abflacht und aufhört, und dass
die Windung, wenn sie wieder aus der Tasche an die Oberfläche der
medialen Seite tritt, sich ausrollt, um ebenfalls alsbald ihr vorderes Ende
zu finden. Von dieser Höhe an beginnt der Vorgang, den ich bei allen bisher
untersuchten Tieren beobachtete: die tiefe Rindenschichtung zieht sich bei
der Serienverfolgung mehr und mehr lateralwärts zurück, macht sozusagen
Platz für die nun auftauchenden Kerngruppen des Mandelkerns, welche sich
direkt an die äussere Schichtung des intermediären Kerns anlagern. Diese
äussere Schichtung aber, welche, wie wir sehen, in den distalen Teilen des
Ammonshorns die Einrollung der tiefen Schichten eine Strecke weit in Form
des Umschlagshakens begleiteten, welche — weiter proximal — entlang dem
Einrollungsrande zugespitzt aufhörten, dringen nun vor dem Ende der
Ammonseinrollung, wie mir scheint in konvexem, nach vorn gerichtetem
Bogen dorsalwärts bis zu der Abschnürungsfurche der Hemisphären, dem
Anatomie des Mandelkerns etc. 44]
Sulcus hemisphäricus, vor, von welchem sie weiter distal durch die Ammons-
windung getrennt waren. Man könnte diesen äussersten medialen Teil der
Rinde des Lobus pyriformis als seine „terminale Rinde“ bezeichnen. Sie ist
nichts anderes, als der mediale Teil des so bezeichneten Haufens oder
Streifens B, dessen anderer lateraler Teil aus dem intermediären Bezirk
hervorgeht. In den oberflächlichen Lagen von B sind die Zellen dichter
und radiär gestellt, in den tieferen liegen sie lockerer und unregelmässiger.
B hat auf Fig. 23 eine recht weitgehende Ähnlichkeit mit dem entsprechenden
Gebiet bei Igel und Maus (Fig. 3, 15, 16 des ersten Teils), nur, dass bei
Fig. 23 (Obj. 95, 7). Lemur mongoz. Schematisiert. Mandelkern.
diesen Tieren die Entwicklung von B, wenigstens in die Tiefe, eine weit
bedeutendere ist. Ein ohne weiteres verständlicher Unterschied besteht ferner
darin, dass beim Halbaffen diese ganze Rindenpartie infolge der Drehung
der Hemisphäre um eine sagittale Achse bereits ganz auf die mediale Seite
des Lobus pyriformis gerückt ist. — Es besteht danach beim Halbaffen der
ganze Streifen B aus zwei Anteilen: der eine, laterale, unmittelbar an die
Regio olfactiva grenzende ist aus der Regio intermedia hervorgegangen,
nach Umwandlung der Lagerung und wohl auch einigermassen der Form
449 Max Völsch:
der Zellen, der andere medialere zeigt die viel regelmässigere Zellenanordnung
der oberflächlichen Rindenschichten und dürfte der dritten und vierten Schicht
der Rinde entsprechen. Auch die niederen Säuger (Igel. Maus) zeigen eine
ähnliche Zweiteilung, die ich bei Erinaceus schon durch die Bezeichnung
mit B und B’ angedeutet habe, und vermutlich liegen hier analoge Verhältnisse
vor. Und auch beim Frettchen dürfte sich diese Zweiteilung des Kerns B
markieren: in Fig. 14 wird der mit X—xX x bezeichnete, intermediäre Bezirk
dem vorhin erwähnten ersten Anteil, der, allerdings weit unbedeutendere
Bezirk dorsal von X X dem zweiten Anteil entsprechen.
Schon einige Objektträger, bevor sich der Streifen B in der eben ge-
schilderten Weise ausbildet, beginnt sich das Unterhorn des Ventrikels zu
schliessen, d. h. die Schnitte treffen die vor der Unterhornspitze gelegenen
kompakten Gehirnteile. Zuerst zeigt sich das, indem sich (89, 8) eine Brücke
bildet zwischen der äussersten Spitze der Hemisphäre, in welcher das dorsale
Ende des Streifens B gelegen ist, und der Regio substriata, der Region E.
Die Ausfüllung des Ventrikellumens, in welchem zunächst noch das vordere
Ende der Ammonswindung, zuletzt ganz frei im Unterhorn liegend, enthalten
ist, mit Molekularmassen schreitet dann immer weiter fort und in Fig. 23
ist nur noch ein minimaler Rest, das vorderste- Ende des Unterhorns, sichtbar.
In den erwähnten Molekularmassen sieht man vielfach Streifen und Häufchen
jener kleinen Zellen K, die ich als Gliazellenkomplexe ansprach und die also
auch die Hinterseite der sogleich zu besprechenden Zellmassen, wenn auch
nur unvollständig umgeben. Etwas weiter vorn tauchen dann aber die Zell-
massen selbst auf und zwar zuerst ein ziemlich breiter, nicht sehr scharf
begrenzter schräg-horizontal liegender Zug kleiner blasser Zellen in jener
Substanzbrücke zwischen Hemisphärenspitze und Regio substriata; es handelt
sich dabei wohl um die vorhin erwähnte kleinzellige ventro-mediale Gruppe E,
welche sich schräg medialwärts ausbreitet. Ich möchte den Zug oder Haufen
als das Analogon des früher beschriebenen Kerns D ansehen (vergl. namentlich
Fig. 18 des ersten Teils, Maus).
Ungefähr in gleicher Höhe beginnt sich lateral von B der Kern T zu
bilden, er breitet sich immer weiter dorsal- und lateralwärts aus, dorsal
bildet sich T’ und zuletzt erscheint lateral M. M hat, sobald er seine volle
Ausbildung erreicht hat, die Gestalt eines sphärischen Dreiecks, dessen Spitze
dorso-lateralwärts gerichtet ist und dessen medialwärts gerichtete Basis den
übrigen Teilen des Komplexes T+M aufsitzt. In dieser Basis werden
die im übrigen dicht gedrängten, mittelgrossen, blassen Zellen (vom Typus R)
weit spärlicher. Vor der Spitze des M-Dreiecks liegen einige aus ganz
ähnlichen Zellen bestehende Zellgruppen, die die Basis des Linsenkerns etwas
umfassen und wohl als ein dorsalwärts gerichteter Ausläufer von M ange-
sehen werden können (Textfig. 23). Weiter vorn treten sie mit der Spitze
von M in direkte Verbindung, tatsächlich einen solchen Ausläufer bildend.
Der restierende mediale Teil von T+ M hat eine unregelmässig rundlich-
viereckige Form. Im latero-dorsalen Quadranten dieses Gebietes zeichnen
sich sehr ausgeprägt die Zellen T' ab; gross, eckig, stark tingiert, zeigen
sie zugleich eine Art von allerdings nur undeutlicher Maschenbildung. Der
ganze Haufen T' ist von einem bogenförmigen fast zellfreien Streifen um-
Anatomie des Mandelkerns etc. 443
geben, der ihn in vielen Präparaten recht scharf gegen die anderen Zell-
gruppen von T—+M abscheidet. Es kann fraglich sein, ob die im medio-
dorsalen Quadranten jenes rundlichen Vierecks gelegenen Zellen, welche
gleichfalls ziemlich gross und stark gefärbt erscheinen, als eine mediale
Abteilung dieses grosszelligen Gebietes T’ zu deuten sind. Immerhin sind
die Zellen doch etwas different und mit Rücksicht auf den erwähnten Streifen
neige ich mehr dazu, diesen Quadranten mit den beiden ventralen Quadranten
zum Kern T zusammenzufassen, der mithin T‘ bogenförmig von der medialen
Seite her umgeben würde. Doch könnten sehr wohl in diesem bogenförmigen
Kern T mehrere Unterabteilungen unterschieden werden, die erwähnte Gruppe
im medio-dorsalen Quadranten, eine zweite, aus etwas kleineren Zellen
bestehend, angehäuft im medio-ventralen Winkel, beide getrennt durch eine
Zone kleinerer, blasser Zellen. Ähnliche Zellen bilden dann schliesslich im
latero-ventralen Quadranten den Übergang in das Gebiet M.
Im weiteren Verlauf nimmt der ganze Komplex T+T’-+-M, welcher
auf Fig. 23 als ein etwa schalenförmiges Gebilde gewissermassen den Kern
des Lobus pyriformis bildet, eine mehr dreieckige Gestalt an, indem er sich
ventralwärts auszieht und zuspitzt: die Zellanhäufung im ventro-medialen
Quadranten bildet dann immer den tiefsten Teil.!) Er erreicht Ende der
neunziger Objektträger, d.h. etwa 1'/; mm vor seinem distalen Ende die
grösste Ausdehnung, und zwar beträgt die grösste Breite hier etwa 6 mm,
die grösste Höhe ca. 4!/; mm. Der Komplex ist ferner im ganzen über
21 Objektträger zu verfolgen; seine sagittale Ausdehnung dürfte daher
ca. 3/„—3!/s mm betragen. Dabei erreicht der Kernkomplex, wenn er erst
einmal in der Serie erschienen ist, sehr bald eine dem Maximum sich nähernde
Grösse, und ebenso behält er oral von der Stelle der grössten Ausdehnung
noch lange annähernd diese Ausdehnung bei, um dann ziemlich rapide sich
zu verlieren. Wenn ich versuche, mir auf Grund dieser Mafre und Be-
obachtungen aus den Frontalschnitten die räumliche Gestalt des Komplexes
zu rekonstruieren, so muss derselbe, scheint mir, etwa die Gestalt einer
Wiege haben, welche mit dem Längsdurchmesser quergestellt ist, und deren
Öffnung nach oben, nach der Basis des Linsenkerns hin sieht.
Während der laterale Teil des Kernkomplexes, wie Fig. 23 zeigt,
direkt an das Putamen stösst, resp. von ihm nur durch einen schmalen,
K-Zellen, d.h. wahrscheinlich Gliaanhäufungen enthaltenden Streifen getrennt
ist, liegt zwischen dem medialen Teil des Kerns und den Innengliedern des
Linsenkerns noch jene schwierige Zone, welche die Zellkomplexe E enthielt.
Der äussere Komplex (E, Fig. 23) unterscheidet sich doch auch hier auf
vielen Präparaten recht deutlich von dem anstossenden basalen Teil von St.;
in letzterem sind die Zellen kleiner, dabei gleichmässiger, wohl auch etwas
blasser; die E-Zellen dagegen variieren recht erheblich in der Grösse, sind
zum Teil zweifellos grössere Elemente, als ich sie in St. sehe, und sind im
!) Schon auf Objektträger 97, 7 (Textfig. 23) ist das tatsächlich mehr
der Fall, als es die Zeichnung wiedergibt, da in derselben die vertikale
Ausdehnung des Gebietes M etwas zu gross gezeichnet ist; die ventrale
Begrenzungslinie von M verläuft in einem flacheren Bogen.
444 Max Völsch:
ganzen auch etwas stärker tingiert. Den medialen Komplex sprach ich als
D an und möchte daran um so mehr festhalten, als bei der weiteren Ver-
folgung der Serie sich keine Gruppe findet, die D entsprechen könnte. Auch
ist der Aufbau des Komplexes aus recht kleinen, dichtgedrängt stehenden
Zellen dem der Gruppe D bei den früher untersuchten Tieren sehr ähnlich.
Darin freilich besteht nun hier ein wesentlicher Unterschied gegen diese
früheren Verhältnisse, dass weiter vorn die Gruppe D bei Lemur nicht, wie
bei jenen, Neigung hat, sich ventralwärts in das Gebiet des Kerns T+T’+M,
sowie des Rindenstreifens B auszudehnen; sie bleibt vielmehr konstant an
derselben Stelle, medial von dem Winkel, den Stamm und Hemisphäre nach
ihrer Verwachsung bilden (dem Sulcus hemisphäricus). Ja, wenn ein wenig
weiter vorn (vor Fig. 23) der Tractus opticus sich ganz an die Stammbasis
vorgeschoben hat und nun zusammen mit dem mächtig sich entwickelnden
Ganglion opticum basale immer weiter medialwärts zum Chiasma strebt,
greift der Komplex sogar im Bogen um jene Furche herum und seine Zellen
erstrecken sich bis an die Basis des Stamms. Und gerade hier, ziemlich
genau dorsal von der Furche, und weit lateral von dem inzwischen weit
medialwärts gerückten Ganglion opticum basale, bildet sich auf Objekt-
träger 103 eine dichte Anhäufung der D-Zellen aus, oder vielmehr eine dichte
Anhäufung von Zellen, die sich von den D-Zellen durch Grösse, stärkere
Tinktion und die Dichtigkeit der Zusammenlagerung unterscheiden. Die
Gruppe erreicht bald eine Breitenausdehnung von etwa ?/ı mm, während die
grösste Höhe etwa !/; mm betragen dürfte, und verliert sich wieder auf
Objektträger 112; die sagittale Länge beträgt danach etwa 1,4 mm. Ich
halte es für höchst wahrscheinlich, dass es sich um das Analogon von D‘,
dem „Kerne des sagittalen Längsbündels der Stria“ des Igels handelt; ich
wüsste nicht, was sonst dafür in Frage kommen könnte, und andererseits
ist die Analogie doch eine sehr weitgehende. Die Veränderung der Lage
des Kerns, sowie überhaupt der Lage des ganzen Komplexes D kann man
meines Erachtens ungezwungen durch die bereits erwähnte medialwärts
gerichtete Drehung der Hemisphäre um eine sagittale Achse, die ich schon
aus anderen Gründen annehmen musste, erklären; dadurch werden diese
medialsten Teile der Hemisphäre noch weiter medial gegen die basalen Teile
des Stammes hin verschoben. Völlig gesichert würde die Identität des
beschriebenen Zellhaufens bei Lemur mit D' werden durch den Nachweis
etwaiger Beziehungen zur Stria terminalis; leider ist das hier nicht möglich,
wie überhaupt der Verlauf der Stria in den Zellpräparaten von Lemur kaum
zu verfolgen ist. Ich erwähnte oben (p. 442) eine Substanzbrücke zwischen
ventro-medialer Hemisphärenspitze und Regio substriata, in welcher ein
schräg horizontal liegender Zellenzug (nämlich D) lag. Hinter und neben
(medial) von diesem Zellenzug liegen nun reichlich weisse Massen, die, wie
angenommen werden darf, wenigstens einen Teil der Striafaserung enthalten
und sie nach dem Gebiet leiten, in welches sie beim Igel, Maus, Frettchen
mehr oder weniger gut verfolgt werden konnten, in den Keen T+T'+M
und in den zellfreien Zwischenraum zwischen diesem Komplex und der
Rinde B. Etwas Sicheres aber kann ich hierüber an den Lemurpräparaten
nicht nachweisen.
Anatomie des Mandelkerns etc. 445
Etwas besser lässt sich der dorsal von dem Gebiet E + D, der Regio
substriata, gelegene Faserzug (früher G, N. a.p. genannt) an der Hand der
ihn begleitenden Zellen verfolgen. Zunächst ist der Teil davon, den ich
früher irrtümlich als „dorsale Etage“ auffasste und der sich bei Fötorius als
innerstes Linsenkernglied entpuppte, seit lange (Anfang der achtziger Objekt-
träger) sichtbar und bereits oben erwähnt. Erst etwa 1!» mm weiter oral
ordnen sich dann die bekannten länglichen und strichförmigen Zellen, ziemlich
reichlich, zu dem charakteristischen S-förmig gekrümmten Zellenzuge, welcher
aus der Basis des Linsenkerns, der Grenze zwischen erstem und zweiten
Gliede herauskommt und entlang dem Tractus opticus in die Regio sub-
thalamica zieht. Fig. 23 zeigt den Zellenzug (N.a.p.) deutlich; es ist ein
Anteil der Linsenkernschlinge s. str. Wie bei allen untersuchten Tieren er-
schöpft sich dieser Zug bald mit dem Austritt des Tractus opticus an
die Stammbasis, dem Auftreten des Ganglion opticum basale und des unteren
Thalamusstieles; ich kann ihn deutlich nur etwa 1 mm weit (in sagittaler
Richtung) sehen. Wenigstens gelangt der Zellfaserzug dann (von Ende der
neunziger Objekträger ab) nicht mehr in die Regio subthalamica. — Weniger
ausgesprochen finde ich die andere proximalere Abteilung der Linsenkern-
schlinge im weiteren Sinne, die Hirnschenkelschlinge (Lisch.b Monakow),
die ich bei Fötorius im Zell- und Faserpräparat sich in ventro-medial-
konvexem Bogen um’ die Oapsula interna schlingen sah. Ich finde Zellen.
die einen solchen Verlauf des Faserzuges markieren, in der Tat hier nur
— allerdings mehrfach — angedeutet; aber diese Andeutungen zusammen
mit der Tatsache, dass die laterale Partie des Zellenzuges an der Basis der
Innenglieder des Linsenkerns auch in den proximaleren Gegenden noch
kenntlich ist, wo ihre Fortsetzung zur subthalamischen Gegend bereits ver-
schwunden ist, genügen wohl zu der Annahme, dass eine Hirnschenkelschlinge
auch hier vorhanden ist.
Die Linsenkernschlinge scheint, wie ich oben sagte, ihren Ursprung
aus dem Linsenkern zu nehmen, aus dem Grenzgebiet im wesentlichen
zwischen erstem und zweitem Glied. Das erste Glied desselben ist charak-
terisiert durch die kleinen, gleichmässigen blassen St.-Zellen, das zweite
— nach der bisherigen Darstellung — durch die grossen, leuchtenden St‘-Zellen,
das dritte endlich durch blasse, kleinere, besonders proximal vielfach maschen-
förmig angeordnete Gebilde (St?).. Es bedarf hier eine Ergänzung bezüglich
des zweiten Gliedes. Die grossen St’-Zellen sind hier — und das trifft zum
Teil auch für die früher untersuchten Tiere zu (s. Fig. 13 und 14 von
Fötorius) — gewöhnlich in einem mehr oder weniger breiten, schräg vertikal
verlaufenden Zuge angeordnet, pflegen sich nur im ventralsten Teil dieses
Zuges auf ein grösseres, breiteres Gebiet, gegen St. hin, auszubreiten (vergl.
Fig. 23). Hier, bei Lemur, bleibt nun dieser Zug St‘ mehr oder weniger
weit von der medialen Grenze des Putamens entfernt; in den kaudaleren
Ebenen (Fig. 23) ist dieses Zwischengebiet ziemlich schmal, in den proxi-
maleren wird es breiter; es enthält eine Anzahl von Kernen, die ich mit
Wahrscheinlichkeit als Gliakerne ansprechen möchte, und daneben sehr ver-
einzelte ganz blasse, fast schattenhafte Ganglienzellen von verschiedener,
immer aber mässiger Grösse. Ich bezeichne das Gebiet als St‘ und bin im
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. 29
446 MeasssVzollsichhe
Zweifel, ob ich es zu dem ersten oder zweiten Gliede rechnen soll, Wahr-
scheinlich entspricht es einem von gewaltigen Fasermassen in vertikaler
Richtung durchsetzten Gebiet (vergl. p. 424, Frettchen) und stellt in der Tat
ein Grenzgebiet zwischen den beiden erwähnten Gliedern dar. Der Zellen-
zug St‘ aber scheint sich (unter Umwandlung der Zellformen) ventralwärts
direkt in die Begleitzellen oder den Kern der Linsenkernschlinge fortzusetzen,
die erwähnte Anhäufung ventral aber könnte als Basalganglion Meynerts
gedeutet werden. — Bei der Weiterverfolgung der Serie nach vorn verbreitert
das Gebiet St‘ sich mehr und mehr, während St’, das dritte Glied, sich
mehr und reduziert, um etwa 1'/ mm vor Fig. 20 ganz zu verschwinden;
hier bilden dann wieder die beiläufig an dieser Stelle sehr zahlreichen, zu
einem kompakten Haufen geordneten St.-Zellen die Spitze des Linsenkern-
keiles. Das weitere Verhalten dieser Teile, das Verschwinden von St‘, wobei
ich dann das Gebiet St‘, in nächster Nachbarschaft der inneren Kapsel, von
letzterer nicht mehr trennen kann, die Vereinigung des Putamen mit dem
mächtig sich vergrössernden Kopf des Schweifkerns usw. bieten, um das
hier gleich vorwegzunehmen, nichts Besonderes. Ich will nur erwähnen, dass
auch bei Lemur durch das Hinterhorn der vorderen Kommissur ein übrigens
ziemlich kleines Stück der Basis des Putamens von ihm abgetrennt wird,
und, dass auch hier die Zellen dieses ventral von der Kommissur gelegenen
Teils (Y) sich zum wenigsten durch stärkere Tinktion von den übrigen
St.-Zellen unterscheiden.
Endlich sei hier auch erwähnt, dass vom Claustrum auch vor
Fig. 23 zunächst lediglich der ventrale Schenkel in ähnlicher Weise, wie dort,
sichtbar ist; ganz allmählich aber schiebt sich die Zellenmasse immer weiter
dorsalwärts und schliesslich, in.den oraleren Gegenden, haben wir auch bei
Lemur deutlich einen ventralen und einen dorsalen Schenkel, getrennt durch
ein fast zellfreies Zwischenstück; der dorsale Schenkel hat ein Kolbiges
Aussehen. —
Einige Objektträger (etwa '/ mm) vor Fig. 23 hat sich der Tractus
opticus medialwärts ganz an die Basis des Stamms gezogen, und, wie bereits
erwähnt, gleichzeitig bildet sich an seiner dorso-lateralen Ecke das Ganglion
opticum basale aus und erreicht eine erhebliche Breite. Während alsdann
Tractus und Ganglion sich weiterhin noch mehr medialwärts zum Chiasma
hinschieben, kommt der laterale Teil der Stammbasis an die Oberfläche.
Gleichzeitig zieht sich, wie ebenfalls bereits geschildert, die Formation D
in lateral-konvexer Krümmung um den Sulcus hemisphäricus herum, und
ziemlich genau dorsal von diesem Winkel etabliert sich die Zellanhäufung D'.
Jener laterale Teil der Stammbasis ist also in diesen Höhen gut begrenzt
lateral von D', medial vom Gangl. opt. bas. In dieser Basis finden sich nur
wenige Zellen, nachdem der Faserzellenzug der Linsenkernschlinge bereits
in der Frontalhöhe des Beginnes des Gangl. opt. basale aufgehört hat. Man
hat vielmehr den Eindruck, als ob aus dieser Region, der „zellfreien Zone“,
Fasern dorsalwärts stiegen ; es handelt sich offenbar um den unteren Thalamus-
stiel. Aber bald (Obj. 105/106), ca. 1’/; mm vor Fig. 23 beginnt sich die
Zone mit Zellen zu füllen, sehr verschiedenartigen Aussehens, grossen, blasen-
förmigen und sehr mannigfaltig geformten kleineren Elementen. Sie reichen
Anatomie des Mandelkerns etc. 447
ziemlich weit in die Tiefe, bis in die Nachbarschaft von St’ — St? ist hier
bereits verschwunden —: die Grenzen segen die Nachbarschaft sind nicht
immer deutlich erkennbar.
Die Formation, offenbar des Analogon von S.p.a., der Rinde der
Substantia perforata anterior, behält auch weiterhin, nachdem sowohl D‘ als
das Ganglion opticum basale verschwunden sind — das letztere ein wenig
früher, d.h. distaler — seinen Platz zwischen Sulcus hemisphäricus und
Chiasma bei, und vielfach kann man eine ventrale kleinzellige (S. p. a‘) und
eine dorsale Etage unterscheiden, in welcher vorzüglich die grossen Zellen
gelagert sind. Sie hat ferner die Tendenz, einerseits medialwärts vorzu-
dringen und zumal vor dem Chiasma die ganze Stammbasis zu überziehen,
andererseits sich aber auch lateralwärts über D’ und D hinweg, dann die
Formation D gewissermassen vor sich her drängend und sie ersetzend nach
der Regio substriata auszudehnen, ohne doch weit in sie und damit in das
Gebiet hineinzudringen, in welchem in dieser Frontalhöhe der Kernkomplex
T-+T'-+M schon auf ein Minimum reduziert, bezw. — ein wenig weiter
vorn —- schon ganz verschwunden ist, wobei dieses Gebiet übrigens durch
Verschmälerung und Abflachung des Lobus pyriformis gegen die distaleren
Ebenen (z. B. auch gegen Fig. 23) wesentlich verkleinert ist. Es wird nach
dem Verschwinden von T—- T'—+M erfüllt von mehr weniger reichlichen
ganz unregelmässig gelagerten, mannigfach geformten Zellen, Resten vielleicht
von dem als kompakte Zellmasse nicht mehr kenntlichen Komplex D, Resten
des hier zu ganz lockeren Zelllagerungen aufgelösten Rindenstreifens B. Nach
oben schliesst sich der durch die vordere Kommissur abgeschnittene Teil
des Striatum an, den ich Y nannte, von dorso-lateralwärts her strahlen die
Ausläufer des ventralen Schenkels der Vormauer in dieses allenthalben
schlecht begrenzte Gebiet ein, das dem früher so genannten basalen Spitzen-
kern entspricht.
Inzwischen hat sich im medialsten Teil der Hemisphäre und gerade
im Winkel zwischen ihr und Stamm eine mächtige Verbreiterung der
Molekularschicht der Rinde ausgebildet, der Tractus olfactorius, während
beiläufig lateral durch Zusammenfliessen der Fissura rhinalis lateralis und
des unteren Schenkels der Fissura Sylvii — der obere ist nur noch als
Molekularstreif kenntlich — der vorderste Teil des Schläfenlappens abge-
schnürt wird. Eine besondere, ausgeprägte Fissura rhinalis medialis kann
ich hier noch nicht sicher auffinden, sie scheint mit dem jenen Winkel
bildenden Einschnitt (der Stielfurche) zusammenzufallen.
In der Tiefe dieser Molekularmasse des Tractus olfactorius, lateral
davon, tauchen schon auf Obj. 113 Gruppen von kleinen ganz dichtgelagerten
Zellen, kleinen Pyramiden, auf, welche sich allmählich mehr und mehr aus-
breiten und alsbald als dichtes Band das mediale Ende der eigentlichen
Riechrinde erreichen. Ich glaubte sie zunächst als die Anfänge der kleinen
Zellen des Tuberculum olfactorium ansprechen zu dürfen. Der weitere
Verlauf lehrt jedoch, dass sie durchaus zu dem eigentlichen Lobus pyriformis
gehören. Denn wir sehen einige Objektträger weiter, wie dieses Band unter
Verschmälerung der Brücke zwischen Fissura rhinalis lateralis und der als
Fissura rhinalis medialis geltenden Einsenkung, sich lateralwärts durch die
29*
448 Max Völsch:
Basis des Lobus pyriformis ausbreitend mit dem lateralen Ende der
Riechrinde (in der lateralen Riechfurche) in Verbindung tritt. Dadurch
(Fig. 24) wird der vom „basalen Spitzenkern“ eingenommene Raum in zwei
Teile geteilt. Der ventrale, nunmehr im Frontalbilde ringförmig von der
Riechrinde umgeben, wird abgeschnürt und bildet als eine kleine vorwärts
gerichtete, nach vorn noch stark ®;s mm zu verfolgende und an Grösse
abnehmende Kuppe das äusserste Ende des sich um den Stamm herumlegenden
Hemisphärenringbogens. Der obere Teil aber stellt einen schmalen, vorwärts-
gerichteten Fortsatz des Lobus pyriformis — an der Basis des Stirnhirns —
dar, der noch weit zu verfolgen ist; in seinem Zentrum liegen namentlich
die Ausläufer des ventralen ÖOlaustrumschenkels. Medial von ihm aber
hat sich nun — beginnend nur etwa '!/s mm vor dem Auftreten jener klein-
zelligen Gruppen auf Obj. 113 — fortschreitend vom Traetus olfactorius
ee Fe al ar utu eher kn neh 2 . ..
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Fig. 24 (Obj. 118, 8). Lemur mongoz. Oralster Teil des Lobus pyriformis.
Riechrinde — Fortsatz der Rinde des Lob. pyr. auf die Basis des Striahirns;
S. a. — Septum pellueidum; S. p. a. — dle Zellformation der Substantia perfo-
rata anterior; Tt. — Striatum.
medialwärts, die charakteristische bandförmige, gefältelte Formation der
kleinen Zellen des Tuberculum olfactorium ausgebildet, welche allmählich die
ganze Stammbasis bis zur Medianlinie überziehen. Darunter folgt die
Formation $. p. a. resp. S. p. a’, welche ich, soweit sie eben von der Tuber-
culumrinde überzogen ist, früher mit Ganser als St. K. (resp. St. K‘) als
Rinde am Kopf des Streifenhügels bezeichnete (Fig. 24).
Nun noch wenige Worte über den Bau der Rinde des Lobus pyriformis
in den oraleren Gebieten. Die hier zu beobachtenden Veränderungen lassen
sich dahin zusammenfassen, dass das charakteristische oberflächliche Zellen-
band des olfaktiven Teils je weiter nach vorn um so dichtere Zusammen-
Anatomie des Mandelkerns ete. 449
lagerung der Elemente zeigt, und dass diese Zellelemente je weiter nach
vorn, um so kleiner werden. Von einer Inselbildung kann überall keine
Rede sein, das Band ist vielmehr ein durchaus kontinuierliches. In den
fissuralen Partien ist immer die Dichtigkeit relativ am geringsten und sie
unterscheiden sich auch dadurch von den medialeren Teilen der Regio olfactiva,
dass die Zellen der folgenden Schichten (III, IV) stark ausgeprägte Pyramiden
in säulenförmiger Anordnung sind. Doch sind die Unterschiede nicht so
erheblich und das tatsächliche Vorhandensein des, wenn auch lockeren
oberflächlichen Bandes lässt eine Abscheidung der lateralen Teile als „fissurale
Rinde“ von den olfaktiven nicht recht zu. Der tiefe zellfreie Molekular-
streifen wird nach vorn stellenweise etwas undeutlicher, die tiefen Schichten
breiten sich dagegen erheblich aus. — Dass ganz oral die eigenartige, aus
dem „intermediären Bezirk“ entstandene Rinde des Streifens B sich verliert,
und dass nun der von ihr eingenommene Raum ebenfalls von der durch das
hier ganz dichte, kleinzellige oberflächliche Band charakterisierten Riech-
rinde eingenommen wird, wurde schon oben gesagt.
Wenn ich die Befunde bei Lemur nun kurz zusammenfasse,
so lassen sich folgende Sätze aufstellen:
1. Während das distale Ende des Lobus pyriformis bisher
entweder das Pallium überragte (Igel) oder mit dem distalen
Palliumende in ungefähr gleicher Frontalhöhe lag (Maus) oder
endlich wenigstens erheblich weiter distalwärts reichte, als der
distalste Teil des nach hinten gerichteten Bogens der Ammons-
windung (Frettchen), beginnt bei Lemur der Lobus pyriformis
erst in solchen Frontalebenen, die erheblich vor diesem Bogenteil
des Ammonshorn liegen. Während ferner die Fissura rhinalis
lateralis bisher stets bis zur distalsten Spitze des Lobus pyriformis
reichte, sie umfasste, finde ich bei Lemur diese Furche erst etwa
4— 4!/g mm vor dem Beginn der als Lobus pyriformis-Rinde an-
gesprochenen Formation, welche also die Furche nach hinten
erheblich überragt. Die Fissur liegt überall auf der lateralen Seite
der Hemisphäre. Jene sogleich zu besprechende Formation endet
hinten schmal und spitz, erreicht schnell eine stattliche Breite
von S mm und mehr, verschmälert sich nach vorn wieder und
endet in einer schmalen, vorwärts gerichteten Kuppe, als der
äussersten Endigung des den Stamm umfassenden Hemisphären-
bogens, sendet aber von hier aus noch einen schmalen, lateral
vom Traetus olfactorius verlaufenden Fortsatz an die Basis des
Stirnhirns.
Max Völsch:
2. Ich unterschied beim Frettchen in transversaler Richtung
mehrere Abteilungen des Lobus pyriformis auf Grund der Architek-
tonik der Zellen, die ich bei Lemur, wenn auch zum Teil nur
angedeutet und unsicherer wiederfinde.
a) Der mediale Bezirk ist infolge des bereits kurz er-
b)
(gr)
wähnten Verhältnisses zur Ammonswindung ganz von der
medialen Oberfläche der Hemisphäre verschwunden und ganz
in die durch die Fissura Hippocampi verursachte Rindenein-
stülpung versenkt. Er entspricht dem präsubikulären Bezirk
Cajals. Die oberflächlichen Schichten präsentieren sich
(v. Fig. 22, lateral von xx) als eine kleinzellige Platte, die
im weiteren Verlauf nach vorn immer schmäler wird, sich
gewissermassen zu dem auf Fig. 22 mit xx bezeichneten
Punkt zurückzieht; es folgt ein molekulärer Streifen, dann
die tiefen Schichten, welche weiter medial in die Zell-
schichten der Ammonsformation übergehen, während jene
oberflächliche Platte die Einstülpung nur ein, wie gesagt,
mehr oder weniger grosses Stück begleitet.
Der intermediäre Bezirk (Fig. 22, xx —x) ist bei
Lemur von dem folgenden schwer zu scheiden (vergl. p. 433).
In der Gegend, wo sich die grossen basalen Zellkomplexe
dieser (Gegend entwickeln, modifiziert die Rinde dieses
Bezirks sich wesentlich, wird zu dem „Rindenstreifen B“.
(Ganz oral zerfällt dieser Streifen in lockere Zellmassen und
endlich ganz oral, in der Gegend der unter 1 erwähnten
Kuppe überzieht sich auch dieser Bezirk mit der olfaktiven
Rinde (Fig. 24).
Die Regio olfactiva, der Hauptteil, den ich auch beim
Halbaffen in sagittaler Richtung in einen vorderen olfaktiven
und einen retroolfaktiven Teil teile. Charakteristisch ist das
oberflächliche, dichte Zellenband (an Stelle der Lamina
granularis externa) für den olfaktiven Teil, der aus kleineren,
am vorderen Pol noch kleiner werdenden Zellen besteht: die
Formation entspricht der Regio olfaktiva anterior beim
Frettchen, während eine Regio olfactiva posterior nur unsicher
nachgewiesen werden kann. Der retroolfaktive Teil ist von
einem aus grösseren, lockerer gelagerten Zellen bestehenden
Zellenstreifen überzogen. — Im ganzen Gebiet folgt auf
die (zweite) Schicht die aus spärlicheren Zellelementen zu-
Anatomie des Mandelkerns etc. 451
sammengesetzte III. + IV. Schicht, ein breiter zellarmer
Molekularstreif und endlich die meist in zwei Teile ge-
spaltene tiefste Schicht (VIa und VIb).
d) Die fissurale Region ist nicht sicher nachweisbar.
e) Die prärhinencephale Rinde ist an einigen Stellen gut kenntlich.
3. Die Ammonsformation muss im ganzen Bogenteil
und selbst im distalen Teil des Unterhorns als die modifizierte,
eingestülpte Fortsetzung anderer Rindengebiete angesehen werden,
da in dieser Frontalebene der Lobus pyriformis noch gar nicht
existiert. Erst im vorderen Teil ist es die Rinde des letzteren,
welche sich einstülpt und in die Ammonsrinde übergeht, und zwar
sınd es durchaus auch hier nur die tiefsten Schichten der Lobus
pyriformis-Rinde, aus welchen die Ammonszellschichten unter mor-
phologischer Umwandlung der Elemente hervorgehen. — Die vordere
Endigung der Ammonswindung wird durch eine Hakenbildung
kompliziert (vergl. p. 440).
4. In der vorderen Wand des Unterhorns, basal vom Linsen-
kern liegen auch bei Lemur die bei allen Tieren bisher nachge-
wiesenen Kernmassen, T, T’und M, im ganzen ein recht beträchtlicher
Zellenkomplex. In seiner Umgebung sind auch hier vielfach
dichte Lagerungen kleinster Zellen (K) nachweisbar, wahrscheinlich
Gliazellenlagerungen. Der intermediäre Teil der Rinde des
Lobus pyriformis modifiziert sich in dieser Höhe zu dem Rinden-
streifen B, der, ähnlich wie bei Igel und Maus und wohl auch
Frettchen, aus zwei Teilen besteht, übrigens nicht annähernd die
Mächtigkeit erreicht, wie beim Igel.
5. Schon etwas früher als dieser Komplex erscheint in der
Serie — (von hinten her verfolgt) — im Sulceus hemisphäriceus
eine kleinzellige Gruppe, die ich als das Analogon von D ansehe
(der Nucleus amygdalae des Kaninchens nach Kölliker). Inner-
halb der Gruppe, aber schon fast im Stamm liegend, präsentiert
sich auch eine Anhäufung etwas grösserer Zellen, welche ich als
D‘, den „Kern des sagittalen Längsbündels der Stria* bei Erinaceus
anspreche. — D und D‘ würden dann durch eine Art Drehung
der Hemisphäre bei Lemur weiter nach dem Stamm hin gedrängt
sein, als bei den früher untersuchten Tieren. Eine solche Drehung
(um eine sagittale Achse) macht sich auch dadurch bemerkbar,
dass manche Gebilde, z. B.B, ganz auf die mediale Seite der
Hemisphäre gerückt sind.
ED Max Völsch:
6. Vor dem Komplex T + T’+ M liegt, ganz schlecht
charakterisiert und ganz undeutlich das früher als basaler Spitzen-
kern bezeichnete Gebiet.
7. Lateral von D, zwischen ihm und dem Putamen, welches
auch hier weiter ventralwärts reicht als die Innenglieder, liegt
die Zone E, deren Zellen auch hier von den Striatumzellen deutlich
in Grösse und Färbung abweichen.
8. Dorsal von diesem Gebiet markiert ein deutlicher Zellen-
zug den Verlauf des „ventralen Anteils der Linsenkernschlinge“,
während die Hirnschenkelschlinge nicht in derselben deutlichen
Weise gekennzeichnet ist.
9. Die Substantia perforata anterior, sowie das Tuberceulum
olfactorium zeigen die von früher her bekannten Bauverhältnisse ;
doch beschränken sie sich fast ganz auf die Stammbasis.
10. Der Linsenkern zeigt eine deutliche Dreiteilung, im
Putamen kleine, blasse, eckige, im zweiten Gliede grosse,
leuchtende im dritten kleinere, blassere, vielfach maschenförmig
geordnete Zellen. Die leuchtenden Zellen des zweiten Gliedes sind
vielfach zu einem mehr oder weniger breiten schräg vertikal ver-
laufenden Zellenzuge vereinigt. Zwischen diesem Zuge und der
medialen Grenze des Putamens bleibt ein nach proximal sich
verbreiterndes Zwischengebiet, welches nur spärliche, ganz blasse,
schattenhafte Zellen enthält; wahrscheinlich wird es von einer
mächtigen Faserung aus der Capsula interna durchzogen. — Am
Nucleus caudatus finde ich hier zuerst einen als kontinuierlicher
Zellenzug ausgebildeten Schweif.
11. Die Vormauer besteht auch hier aus einem dorsalen
und ventralen Schenkel, doch ist der erstere nur in den oralen
Ebenen sichtbar. Im Gegensatz zu Fötorius überragt der Linsen-
kern beim Halbaffen das Claustrum nach hinten; es ist bei letzterem
überhaupt lange nicht so mächtig ausgebildet wie bei ersterem.
12. Die Stria terminalis ist in ihrem bogenförmigen Verlauf
gut zu verfolgen; ihre Endausbreitung resp. ihr Ursprung aus
den (rebilden des Lobus pyriformis lässt sich am Zellpräparat
nicht feststellen.
Eine Serie mit Faserfärbung steht mir vom Halbaffen nicht
zur Verfügung.
(Sb)
Anatomie des Mandelkerns etc. 45
V. Macacus rhesus.
Als Material für die folgende Untersuchung diente eine durch den
vorderen Teil des Schläfenlappens eines Macacus gelegte frontale Schnitt-
serie, bei welcher jeder siebente Schnitt ($—10 „ Dicke) nach Nissl gefärbt
wurde. Die Untersuchung geht von einer Stelle aus, welche erheblich vor
dem distalen Ende des Lobus pyriformis (s. Gyrus Hippocampi) gelegen ist;
von hier aus verfolge ich die Serie nach vorn.
Ims
Caudı
Fig. 25 (Obj. 2, 6). Affe. Schnitt durch den vordersten Teil des Corp. gen.
lat. (C. g.1.). Schematisch.
— — — Grenze des Rindengraus. ++++ Ammonszellenformation.
Fig. 25 orientiert über die Situation. Der Linsenkern ist bereits in
erheblicher Ausdehnung getroffen, das äussere Glied ist mit den bekannten
kleinen eckigen St.-Zellen erfüllt, wird vielfach von Fasern durchzogen ;
medialwärts schliesst sich die mit grossen, stark gefärbten Pyramidenzellen
versehene Region St‘, das zweite Glied, an. Lateral wird das Putamen von
der auch hier aus meist länglichen, ziemlich stark gefärbten Zellen bestehenden
Vormauer umgeben, welche etwas grösser sind als die St.-Zellen. Dorsal
vom Unterhorn des Ventrikels liegt die deutlich von St getrennte Cauda
nuclei caudati, medial davon die Stria terminalis, noch weiter medial die
oralste Partie des Corpus geniculatum laterale (Gitterteil), welche schon
nach wenigen Schnitten durch den Querschnitt des Traetus opticus ersetzt
454 Max Völsch:
wird. — An der Basis der Hemisphäre breitet sich der Lobus temporalis
inferior aus; sehr deutlich erkennt man darin die typische Schichtenbildung,
die Brodmannsche Sechsschichtung, wie er sie l. c. beschrieben und auf
Tafel 9 als Typus 20 abgebildet hat.
Die den Gyrus medial begrenzende Furche ist die Fissura collateralis
s. occipito-temporalis medialis. Durch den histologischen Bau des darauf
folgenden, sogleich zu besprechenden Rindengebiets charakterisiert sie sich
ohne weiteres als das Homologon der Fissura rhinalis lateralis der osmatischen
Tiere. Denn diese folgende Windung hat in jeder Beziehung den Bau des
Lobus pyriformis s. Gyrus Hyppocampi. Die Furche bildet übrigens nicht
genau die Grenze zwischen den beiden so verschieden gebauten Rinden-
gebieten. Die Ablösung der oberflächlichen Schichten (II, III) der Schläfen-
windung durch die charakteristische oberflächliche Rinde des Lobus pyriformis
geht zwar ziemlich genau im Grunde der Furche vor sich, die tiefsten
Schichten (VIa und VIb) gehen ohne wesentliche Veränderungen ineinander
über, aber die Lamina granularis interna (IV) hört schon ein Stück lateral
von der Furche auf und wird durch ziemlich grosse, stark gefärbte drei-
eckige und Pyramidenzellen ersetzt; darunter markiert sich dann ziemlich
deutlich eine zellarme Zone, aus welcher die grossen Pyramidenzellen der
fünften Schicht des Lobus temporalis inferior verschwunden sind. So stellt
dieser nächst der Fissura collateralis gelegene Teil des Schläfenlappens wohl
ein Übergangsgebiet zum Lobus pyriformis dar.
In letzterem, der beim Affen nunmehr ganz auf die mediale Seite der
Hemisphäre geschoben ist, auf welcher auch die Fissura collateralis (oder
rhinalis lateralis) konstant liegt, präsentiert sich die typische Schichtung:
Unter der 1. Molekularschicht liegt 2. der bekannte Streifen grosser poly-
morpher Zellen, dreieckiger, viereckiger, auch vieler Pyramiden, ohne dass
dieselben parallel zueinander oder radiär gestellt wären; sie sind meist
zweizeilig geordnet, doch liegen sie stellenweise auch in mehreren Reihen
oder auch nur in einer Reihe. Hie und da, auf oraleren Schnitten viel
ausgesprochener, finden sich Unterbrechungen des Streifens, so dass dann
die Zellen zu einzelnen sehr unregelmässigen Gruppen zusammengefasst sind.
Darauf folgt, oft getrennt durch eine schmale zellfreie Strasse, 3. und 4.
eine breite Schicht relativ locker gelagerter Zellen, welche in dem lateralen
und dem medialen Teil der Windung meist die Form säulenförmig ange-
ordneter Pyramiden haben, während sie in den dazwischen gelegenen mittleren
Teilen des Lappens meist polymorphe Zellen ohne eine bestimmte Orientierung
sind. 5. Darunter eine meist breite zellarme Molekularschicht und endlich
6. eine wiederum recht breite Schicht kleinerer, etwas schwächer tingierter
polymorpher Zellen; dieselben sind — besonders auf oraleren Schnitten wird
das sehr deutlich — in zwei und selbst noch mehr zueinander und zur
Oberfläche parallelen und durch einen zellfreien Streifen getrennten Schichten
angeordnet. Die Elemente der oberflächlicheren Schicht (VIa) zeigen mehr
den Pyramidentypus, die der tieferen Schicht (VIb) den der polymorphen Zellen.
Ich möchte die soeben geschilderte Rinde, welche also (vergl. Fig. 25)
von der Fissura collateralis bis zur dorsalen Kuppe des Lobus pyriformis
reicht, als das Analogon der Teile des Lobus pyriformis des Fötorius an-
Anatomie des Mandelkerns etc. 455
sehen, welche ich als Regio retroolfactiva und intermedia bezeichnete. Von
einer „prärhinencephalen* findet sich nichts; sie könnte aber in dem in die
Serie nicht einbezogenen distalen Teil des Lappens enthalten sein. Das
Gleiche gilt von der „fissuralen“ Portion, welche dadurch ausgezeichnet war.
dass in den oberflächlichen Schichten bis zu dem wohlausgebildeten tiefen
Molekularstreifen ausschliesslich spärliche, von innen nach aussen an Grösse
zunehmende Pyramiden sich fanden; vielleicht könnte ihr Analogon in dem
vorhin erwähnten Untergangsgebiet gesucht werden: die Portion würde dann
aber ausserhalb des durch die Furche abgegrenzten Lobus pyriformis liegen (?).
Endlich wird der Umstand, dass die distalsten Teile in der Serie fehlen.
auch nicht vergessen werden dürfen, wenn mir auch die Scheidung des be-
schriebenen Bezirks in Regio olfactiva und intermedia nicht gelingt. Das Aus-
sehen der Zellen in der dorsalen Kuppenpartie ist freilich ein etwas anderes, die
oberflächlichen Pyramiden stehen hier etwas dichter. reichen weiter in die
Tiefe und sind meist radiär gestellt, aber es ist doch fraglich, ob auf diese
Merkmale hin die Gleichstellung der Kuppenpartie mit der intermediären
Region des Frettchens gerechtfertigt ist. Denn dort war das Bestimmende
für ihre Abscheidung die Eigenart der Zellen, welche ausgesprochen einen
rundlichen (r) Typus hatten. Mit der fortschreitenden Polardifferenzierung
der Rindenzellen bei den höheren Tieren muss dies Merkmal natürlich mehr
und mehr fortfallen, und so war schon bei Lemur die Abscheidung der
Region eine zweifelhafte; beim Affen ist sie noch unsicherer. Denn hier
finden sich — um das an dieser Stelle beiläufig zu erwähnen — in der Rinde
überhaupt fast nur polardifferenzierte (p) Formen, wenigstens unter den
grösseren Zellen,
Weiter oral hat der oberflächliche Streifen der Regio retroolfactivs
mehr und mehr Neigung, in Inseln zu zerfallen: dieselben rücken wohl auch
ein wenig mehr an die Oberfläche, und bestehen aus kleineren Elementen
(Regio olfactiva posterior) und ganz oral bildet sich das dichte Band der
Regio olfactiva anterior aus (s. unten).
Lateral an die Kuppe schliesst sich in der Höhe, von der ich ausging
(Fig. 25), ein Gebiet an, welches unzweifelhaft dem früher so genannten
„medialen“ Teil des Lobus pyriformis analog ist. Lateral an die soeben
beschriebene Rinde, deren charakteristische grosse oberflächliche Zellen ganz
plötzlich aufhören, lagert sich ein Haufen kleiner, blasser dreieckiger
Pyramidenzellen, welche von der Molekularschicht bis zum tiefen zellfreien
Molekularstreifen reicht und lateralwärts geht dieser Haufen in einen die
Umbiegungsstelle der tiefen Schichten in die Ammonswindung überlagernden
schräg verlaufenden Streifen noch kleinerer und blasserer Zellen über, der
sich latero-ventralwärts zuspitzt. Es handelt sich offenbar um den uns wohl
bekannten Umschlagshaken der äusseren Rindenschichten um jene Umbiegungs-
stelle, um das Äquivalent der „Rinne“ beim Frettchen, um die „präsubikuläre*
Gegend. Während also die oberflächlichen Schichten die Einstülpung „nur
ein kleines Stück weit mitmachen“, ziehen die von dem Umschlagshaken
durch den zellarmen molekulären Streifen getrennten, tiefen Schichten weiter
in die Einstülpung der Rinde hinein und wandeln sich allmählich in die
spezifischen Ammonszellen um. Jenseits des Umschlagshakens, bevor noch
456 Max Völsch:
diese Umwandlung vollzogen ist, gelangt man in die Gegend des Subiculums,
welches durch die Dicke der Molekular- oder der plexiformen (Cajal)
Schicht ausgezeichnet ist. Die von Cajal für den Menschen beschriebenen
kleinzelligen Inseln in dieser Schicht sind auch beim niederen Affen nicht
vorhanden.
Die Ammonsformation zeigt keine Besonderheiten; dorso-medial ist
der Windung der Uncus angelagert; ich will dazu nur kurz darauf hin-
weisen, dass schon unterhalb der Umbiegung der Ammonsrinde in den Uncus
die Ammonszellen eine andere Form annehmen; sie werden rundlicher,
kompakter, polymorph, vielleicht mit Überwiegen von Pyramidenformen.
Noch ausgesprochener sind die Formveränderungen der Zellen in dem sich
in den Uncus erstreckenden Schenkel. Auf proximaleren Schnitten tritt
vielfach auch eine Differenz zwischen den oberflächlichen, der Fissura Hippo-
campi zugekehrten und den tiefen, dem Alveus zugekehrten Zellen der
Ammonsrinde hervor: die ersteren sind chromophiler, schlanker, länglicher,
die letzteren blasser, rundlicher, mit grossem hellem Kern. — Ich übergehe
die höchst auffälligen Konfigurationen, welche im weiteren Verlauf die
Ammonszellen und die Fascia dentata infolge der Rückwärtsbiegung der
Ammonswindung in den Uncus auf den Frontalschnitten bilden, als nicht zu
meinem Thema gehörig, und namentlich auch, weil die erheblichen Lücken
zwischen den einzelnen Schnitten eine völlig exakte und sichere Verfolgung
der Verhältnisse nicht gestatten. Ich kann nur ganz allgemein im Anschluss
an das p. 440 bei Lemur Ausgeführte sagen, dass hier völlig analoge oder
zum wenigsten ganz ähnliche Verhältnisse vorliegen. Der untere Teil der
Hemisphäre ist beim Affen noch weit mehr medialwärts um eine sagittale
Achse gedreht, als beim Halbaffen, die Fissura Hippocampi schneidet deshalb,
statt wie dort lateralwärts, hier beinahe dorso-ventralwärts ein und der
Uncus, der bei Lemur medial vom Ammonshorn lag, liegt hier fast dorsal
von ihm, aber die den Verlauf der Zellschichten wiedergebenden Querschnitts-
bilder zeigen, wie mir scheint, prinzipiell genau dieselben Verhältnisse.
Auch hier, scheint mir, stülpt die Hippocampusfissur, wenn sie sich ihrem
vorderen Ende nähert, die Rinde nach vorn ein, bildet eine nach vorn
gerichtete Tasche, deren Öffnung distalwärts sieht, und auch hier rollt sich
die Ammonswindung, wenn sie über den medialen Rand der Tasche hinweg
wieder auf der medialen Hemisphärenoberfläche erscheint, aus. Dieses aus-
gerollte vordere Ende der Ammonswindung zeigt der Schnitt IV, 6 (Fig. 26),
bei welchem ich etwas länger verweile.
Der Lobus pyriformis ist hier etwas breiter geworden, doch bezieht
sich diese Verbreiterung nur auf die Pars olfactoria, dieselbe mab (vom
Grund der Fissura rhinalis lateralis bis zur dorsalen Kuppe) auf Fig. 25
etwa 7 mm, auf dem 0,9 mm weiter vorn liegenden Schnitt IV, 6 misst
sie 88 mm. Die Pars medialis, der Umschlagshaken, hat hier wie dort
dieselbe Länge von etwa 3! mm. Im dem Zellaufbau des Lappens ist sonst
nichts Wesentliches verändert. Ganz dorsal in der Ammonsformation sehen
wir das ausgerollte Ende der Ammonswindung, die Fascia dentata, welche
einige Schnitte vorher, dieses Ende umgebend, noch deutlich kenntlich ist,
ist hier auf einen minimalen Rest reduziert. Ventral von dem ausgerollten
Anatomie des Mandelkerns etc. AST
Ende aber präsentiert sich ein sich in diesen Höhen (drei Schnitte früher)
aus kleinsten Anfängen sich schnell bildender länglich ovaler Haufen teils
länglich pyramidenförmiger, teils rundlicher mittelstark gefärbter Zellen, von
Fig. 26 (Obj. 4, 6). Affe. Lobus pyriformis.
TE äussere 5 A
Grenze der Rinde ++++ Ammonszellschicht.
— — — innere
dem Ammonsende durch einen schmalen zellarmen Streifen getrennt. Weiter
nach vorn vergrössert sich der Haufen in allen Durchmessern in beträcht-
licher Weise, während gleichzeitig das Ende der Ammonsrinde sich medial-
458 Max Völsch:
[ei
wärts zu verkürzen scheint, und während ferner, wenige Schnitte vor Fig. 26,
die lateralwärts gerichtete Spitze des den Zellhaufen enthaltenden Lappens
mit der Regio sublentieularis, der Gegend zwischen Cauda nuclei caudati
und Traetus optieus verwächst. Inzwischen wird der über die Einstülpungs-
stelle der Rinde in das Ammonshorn herumgeschlagene kleinzellige Fortsatz
allmählich kürzer, verliert sich Ende Objektträger VII (1! mm vor Fig. 26)
ganz, und nun kann das inzwischen noch weiter verkürzte ausgerollte Ende
der Ammonswindung mit der Einstülpungsstelle oder, um die Bezeichnungs-
weise Köllikers zu gebrauchen, das Ende des (ausgerollten) dorsalen
Blattes mit dem Anfang des ventralen Blattes in Verbindung treten. Es
lässt sich dann die Ammonsschichtung noch ein kleines Stück weit im
ventralen Teil des Unterhorns als ein ovaler Ring und schliesslich als ein
querovaler Zellhaufen verfolgen, der Ausdruck jener nach vorwärts gerichteten
taschenförmigen Ausbuchtung des Vorderhorns; der dorsale Teil des Unter-
horns ist in dieser Höhe bereits durch die vordere Wand ausgefüllt. Über
die Vereinigungsstelle der beiden Ammonsblätter hinweg, an welcher die
tiefen Schichten des Lobus pyriformis nun nach ihrer Trennung vom
Ammonshorn etwas zugespitzt (und vielleicht [?] sich auch hier ein wenig
lateralwärts zurückziehend) enden, tritt die oberflächliche Rinde aus
der intermediären Region mit dem erwähnten grossen Zellenhaufen in Ver-
bindung. Derselbe charakterisiert sich also als eine Verdickung der Rinde,
wo dieselbe unmittelbar vor dem vorderen Ende der Ammonseinstülpung an
der medialen Seite der Hemisphäre zum Sulcus hemisphäricus hinaufrückt,
genau wie beim Halbaffen; ich nannte diesen Rindenteil die terminale Rinde
des Lobus pyriformis. Sie entspricht dem mit B bezeichneten Gebiet
(vel. p. 441), welches hier nur durch die Mächtigkeit seiner Tiefenausdehnung
überrascht. Die Rindenverdickung B hat eine schalenförmige oder halb-
kugelige Gestalt (Fig. 27), die Konvexität ist dorsalwärts oder — weiter
vorn — dorso-medialwärts gerichtet. Man kann nach der Form der Zellen
wenigstens zwei Bezirke unterscheiden: meist kleine, pyramidenförmige,
chromophile Zellen, die unmittelbar in die Rinde der Regio olfactiva über-
gehen, umgeben an der Konvexität einen mit grösseren, blasseren, zwar auch
polardifferenzierten, aber doch rundlicheren Zellen erfüllten Kern. Dabei
gewinnt man auch beim Affen den Eindruck, dass der Komplex eine Fort-
setzung der tieferen der oberflächlichen Zellschichten, der dritten und vierten
ist, während die zweite, der Zellenstreifen, auch hier an der Wurzel von B
aufhört. Aus dem Engpass zwischen dem Streifen und den an dieser Stelle
oleichfalls aufhörenden tiefen Schichten quillt der Kern B sozusagen,
mächtig sich ausbreitend hervor. — Ich teilte diesen Kern früher (Igel,
Frettchen, Halbaffe) in transversaler Richtung in zwei Regionen, den Teil B,
welcher aus der Regio intermedia hervorging, und B‘, die soeben erwähnte
terminale Rinde. Beim Affen überwiegt dieser Teil zum mindesten sehr
erheblich und die Regio intermedia nimmt, wenn überhaupt, nur in sehr
bescheidenem Maße an der Bildung der Rinde B teil.
Inzwischen haben sich auch in dem Gebiet der Stria terminalis
zwischen Cauda und dem an die Stelle vom Corpus genieulatum laterale
getretenen Tractus opticus, in der Regio sublenticularis, welche, wie wir
Anatomie des Mandelkerns ete. 459
sahen, mit der äussersten Spitze der Hemisphäre verschmolz, Zellen ange-
sammelt. Zuerst sehr spärlich, werden sie allmählich zahlreicher und ordnen
sich in zwei voneinander getrennte Gruppen, übrigens, so lange ventral von
ihnen der Ventrikel sichtbar ist, an dessen dorsaler Wand einen zellfreien
dreieckigen Faserzug freilassend, offenbar die Stria terminalis; es mag hier
gleich vorweg genommen werden, dass weiter vorn, wo sie sich in die
vordere Wand des Unterhorns ergiesst, eine auch nur ungefähre Verfolgung
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Fig. 27 (Obj. 9, 7). Affe. Mandelkerngegend.
ihres Verlaufs sich nicht ermöglichen lässt. — Von jenen beiden erwähnten
Gruppen erscheint zuerst die mediale, aus sehr kleinen pyramiden- und
sternförmigen, blass gefärbten und dicht zusammenliegenden Zellen bestehend:
die Gruppe hat anfangs Dreiecksform, vergrössert sich nach vorn erheblich
und nimmt schliesslich die Form eines lateral-konvexen Bogens an, welcher
460 Max Völsch:
um den Sulcus hemisphäricus herumzieht. Unschwer ist in der Gruppe der
Komplex D wiederzuerkennen, der, genau wie bei Lemur, ventralwärts nach
der Spitze des Komplexes B resp. nach der Molekularplatte zwischen B und
dem sich lateral anschliessenden Kern (T) hinstrebt. Ebenso sicher ist die
Identität der lateral von D allmählich entstehenden unscharf begrenzten
Gruppe mit dem bei allen untersuchten Tieren aufgefundenen Bezirk E.
Auch beim Macacus unterscheiden sich die zwar kleinen, aber mit vereinzelten
grösseren Exemplaren untermischten pyramiden-, spindelförmigen und eckigen
Zellen durch Grösse und stärkere Tinktion von den lateral sich anschliessenden
Zellen des Putamens. Auf Fig. 26 bilden sie eine ringförmige Figur, später
dehnt sich das von ihnen eingenommene Gebiet aus, die Begrenzung ist, wie
gesagt, eine unscharfe und vielfach unsichere. Die Gruppe wird in proxi-
maleren Ebenen vielfach durch vertikal verlaufende Faserzüge durchzogen
und dadurch gelegentlich in Unterabteilungen zerlegt (s. Fig. 27 E' und E?;
die Zellen E’ sind grösser, blasser, verschwommener, als die kleineren, scharf
hervortretenden eckigen Zellen E?; doch lässt sich E’ als distinkte Gruppe
nur eine kurze Zeit verfolgen).
Auf den auf Fig. 26 folgenden Objektträgern beginnt sich (VI, VI)
das Unterhorn des Ventrikels zu schliessen und zwar, genau wie bei Lemur,
zuerst in seinem dorsalen Teil. In der vorderen Wand des Unterhorns, in
ihrem dorsalen Teil, bilden sich neue Zellgruppen, während die betreffenden
Frontalschnitte ventral von diesen Gruppen zunächst noch den Rest, die
vordere Spitze des Unterhorns mit der in ihr enthaltenen vorwärts gerichteten
Ausbuchtung des Ammonshorns treffen. Zuerst erscheint auf VII, 5 (d. h.
etwa 1,3 mn vor Fig. 26) lateral neben dem inzwischen mächtig entwickelten
Komplex B eine Gruppe ziemlich grosser, kräftig gefärbter eckiger Zellen,
von B durch einen schmalen, kommaförmigen Molekularstreifen getrennt.
Etwa !/3 mm weiter vorn bildet sich in dem Zwischenraum zwischen der
übrigens mit der Basis des Linsenkerns verwachsenden Oauda nuclei caudati
und der ventralwärts rückenden dorsalen Ventrikelgrenze eine aus kleineren,
blasseren Elementen zusammengesetzte Zellmasse, und endlich tritt, wiederum
fast !/g mm weiter oral, zwischen den beiden genannten Zellmassen ein aus
grossen, leuchtend gefärbten polymorphen Zellen bestehender Haufen auf.
Wir sind im Gebiet des Mandelkerns. Die genannten drei Komplexe breiten
sich beim weiten Fortschreiten nach vorn in ventraler Richtung aus und auf
Obj. IX, 7 haben sie die in Fig. 27 wiedergegebene Gestalt und wir können
danach in dem Mandelkern der Primaten zunächst wenigstens drei Unter-
kerne unterscheiden: 1. den medialen mittelgrosszelligen, 2. den mittleren
oder zentralen grosszelligen und 3. den lateralen mittelgrosszelligen. Ohne
weiteres erkennen wir in diesen Kernen die Komplexe wieder, welche sich
durch die ganze Tierreihe verfolgen liessen. Der mediale Kern ist = T,
der mittlere grosszellige — T’, der laterale mittelgrosszellige = M. Auch
beim Affen ist die Differenz der Zellen zwischen M und dem anliegenden
Putamen immerhin so evident, dass sich die Abtrennung von selbst ergibt:
die M-Zellen sind grösser und stärker tingiert als die St.-Zellen. Auch hier
aber finde ich schliesslich noch jene Gruppen von kleinen körnerartigen
Gebilden, die den ganzen Zellkomplex bei allen untersuchten Tieren umgeben,
Anatomie des Mandelkerns etc. 461
die Zellen K. Sie finden sich auch hier wieder mit Vorliebe dorsal oder
dorso-lateral vom Mandelkern, schieben sich namentlich zwischen M und das
Putamen ein und erleichtern die Differenzierung der beiden Gebilde; sie sind
spärlicher als bei den niederen Tieren, aber immerhin gewiss vorhanden.
Ich halte daran fest, dass es sich um Anhäufungen von Gliakernen handelt. —
Noch weiter vorn verschwindet der Rest des Ammonshorns, der in Fig. 27
ventral noch sichtbar ist (C A) und der Ventrikel, und der Mandelkern
dehnt sich ventralwärts auch in dieses Gebiet aus; er erreicht auf Obj. XI
das Maximum seiner Grösse. Die scharfe, übrigens auch beim Affen durch
schmale Molekularstreifen zwischen T und T' einerseits und zwischen T'
und M andererseits noch schärfer pointierte Differenzierung des gesamten
Kerns in jene drei Unterabteilungen verwischt sich in diesem basalen Streifen
einigermassen. Jedenfalls reichen die grossen, leuchtenden Zellen von T'
nicht bis zur Basis hinab; ich habe auch hier den Eindruck, dass T den
Kern T' basalwärts umgreift und dass seine Zellen sich lateralwärts mit den
Zellen der Basis des lateralen mittelgrosszelligen Kerns (M) vermischen, ohne
deutliche Grenze. Vielleicht könnte man auch hier innerhalb des somit
bogenförmig gestalteten Haufens T nach Form nnd Grösse der Zellen noch
Unterabteilungen unterscheiden; doch scheint mir das nicht in so sicherer
Weise möglich, dass dadurch der Nachteil weiterer Komplikation aufgewogen
würde. Dagegen scheint es mir evident, dass in diesen oraleren Teilen die
grossen, blassen, rundlichen zentralen Zellen der Rindenverdickung B ent-
weder ganz verschwinden oder sich doch bis auf kleine Reste verlieren.
Der so gewonnene Raum wird durch stärkere Ausdehnung von T auch in
die Breite ausgefüllt; unter Verschwinden des, bei Macacus überhaupt relativ
schmalen und unbedeutenden kommaförmigen Molekularstreifens zwischen T
und B rückt T damit in unmittelbare Nachbarschaft der oberflächlicheren
Teile der Rinde B. — Endlich. ist noch ein eigentümlicher Fortsatz zu
erwähnen, den T' von seiner Kuppe aus zwischen M und die Formation E
lateralwärts hinaussendet, bis zur lateralen Grenze der beiden Gebilde. Er
besteht aus genau denselben stark tingierten Zellen, welche T’ zusammen-
setzen und ist nur ca. '/; mm weit zu verfolgen; dann treten wieder die
Verhältnisse wie in Fig. 27 ein. — Nachdem der gesamte Kern auf Obj. XI
und XII seine grösste Ausdehnung erreicht, d. h. etwa 2 mm vor seinem
distalen Ende, nimmt er allmählich wieder in allen Dimensionen ab; die
laterale Grenze des lateralen mittelgrosszelligen Kerns ist in diesen oraleren
Ebenen keine glatte Linie, der Kern sendet vielmehr zahlreiche unregelmässige
zackige Fortsätze in das lateral ihn umgebende Mark, während die basale
Begrenzung, welche nach dem Verschwinden des Ventrikels durch das Mark
des Lobus pyriformis gebildet wird, immer als ganz glatte Linie verläuft.
Auch einen dorso-lateralwärts gerichteten Zellfortsatz sehen wir von dem
oralen Teil des lateralen mittelgrosszelligen Kerns gegen das aus dem
Putamen hervorbrechende Hinterhorn der vorderen Kommissur hinstreben,
wie er z. B. auch bei Lemur beobachtet wurde; er umfasst den gegen Fig. 27
stark verkleinerten durch die Kommissur abgeschnürten Teil des Putamens
(y) von lateralwärts. Endlich schiebt sich von aussen her der sich immer
stärker entwickelnde ventrale Schenkel des Claustrums — dessen dorsaler
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. 30
>
‘
462 Max Völsch:
Schenkel beiläufig in diesen oralen Ebenen ebenfalls sich etwas stärker aus-
bildet und eine leicht keulenförmige Gestalt annimmt — in unmittelbarste
Nähe der lateralen Begrenzungslinie des Kerns M. Auf den Schnitten des
Obj. XII sieht man zwischen den beiden Kerngebilden mehrfach unregelmässig
geformte Inseln auftreten, welche man nach der Art ihrer Zellen zum Teil
vielleicht für Absprengungen der Vormauer wird halten dürfen. Denn die
Zellen der letzteren und des lateralen Kerns sind zwar ähnlich, aber keines-
wegs identisch. Die des lateralen Kerns sind annähernd alle von derselben
Grösse und derselben Tinktion, infolge der geringen Chromatinansammlung
um den relativ grossen Kern erscheinen sie recht blass, es überwiegen
durchaus Pyramiden- und Birnformen; die des Claustrums haben dagegen
sehr verschiedene Grösse, übertreffen zum Teil die Durchschnittsgrösse der
vorigen Zellen erheblich, sind teils blasser, teils aber auch viel stärker
gefärbt, und es kommen neben den Pyramiden auch viele stern- und ganz
unregelmässige, vor allem aber auch — in der kolbigen ventralen Anschwellung
allerdings sehr zurücktretend — längliche und strichförmige Formen vor.
Diese Feststellung erscheint mir wichtig bezüglich der Frage des Verhält-
nisses des Olaustrums zum Mandelkern. Einem jener sich zwischen Clau-
strum und M einschiebenden Kerngebilde aber wird man doch eine Sonder-
stellung einräumen müssen, einem Komplex, der sich auch medialwärts noch
zwischen M und die Kommissur, resp. die ihr etwa noch angelagerten hier
kaum noch erkennbaren Reste von Y hineinschiebt. Der Komplex beginnt
gleich vor der Stelle der grössten Ausdehnung des Mandelkerns und verliert
sich, nachdem er schnell eine ansehnliche Grösse erreicht hat, ziemlich bald
wieder. Die Zellen sind durchschnittlich noch etwas grösser und stärker
gefärbt als die Vormauerzellen; der ganze Komplex sticht jedenfalls gegen
die anliegende Vormauer etwas ab. Ich bezeichne ihn mit X. Der Gesamt-
kern (T + T’—+ NM) verliert sich auf Obj. XVI, nachdem T bereits einige
Schnitte früher verschwunden ist. Er macht alsdann einem Raum Platz,
welcher infolge der noch zu besprechenden Grössenabnahme des Lobus
pyriformis sich rapide verkleinert, und welcher von sehr verschiedenartigen
bunt durcheinander gewürfelten Zellen eingenommen ist; es ist das Gebiet des
„basalen Spitzenkerns“. Die sagittale Länge des Gesamtkerns T+T'—-M
beträgt ca. 4 mm. Tist etwa 3,6, M 3,7, T' 3,2 mm lang. Die grösste
Höhe des Gesamtkerns ist — ca. 6 mm, die grösste Breite = ca. 7 mm, so dass
er also nicht ein kugeliges Gebilde ist, sondern annähernd die Form einer
bikonvexen Linse hat.
Wende ich mich nunmehr zu dem dorsal von den beschriebenen Ge-
bilden gelegenen Gebiet, der Regio sublentieularis, so entwickelt sich der
Komplex D zu einem immer ansehnlicheren Zellstreifen, welcher wieder,
genau wie beim Lemur, um die Vereinigungsstelle von Hemisphäre und
Stamm herumzieht; der Streifen wird dabei sowohl länger, als breiter, zieht
schliesslich in S-förmiger Krümmung bis in die Basis des Stammes hinein,
um dann auf Objektträger 12 sich allmählich zu verlieren und anderen
Formationen (S. p. a.) Platz zu machen. Diese Hinausziehung des dorsalen
Endes des Streifens nach dem Stamm hin kann natürlich auch hier erst in
den Höhen erfolgen, in welchen der Tractus opticus ganz an die Stammbasis
Anatomie des Mandelkerns etc. 4653
hinausgetreten ist und sich nun zusammen mit dem auf Objektträger X
(unmittelbar vor Fig. 27) zuerst auftauchenden, aus grossen, tiefblau ge-
füllten Zellen bestehenden Ganglion opticum basale an dieser Basis entlang
zum Chiasma hinzieht. — Der Kern oder Streifen D ist in sagittaler Richtung,
immer an derselben Stelle, dem Winkel zwischen Stamm und Hemisphäre,
gegen 4!/; mm zu verfolgen; er beginnt und endet etwas distaler, als die
Mandelkernformation, hält sich aber im ganzen doch an die Gegend der
letzteren. Nicht nachweisbar innerhalb D ist beim Macacus jenes bisher
ganz konstante Gebilde D‘, der Kern des sagittalen Längsbündels der Stria
terminalis. — In den oraleren Gebieten wird der Zellkomplex E kleiner und
undeutlicher; von der medialen Seite her wird er durch die stärkere Aus-
bildung von D eingeengt, von lateral her schiebt sich und biegt sich die
ventrale Anschwellung des Claustrums, während der auf Fig. 27 noch so
stark entwickelte basale Teil des Putamen (die Cauda) zu einem unschein-
baren Häufchen zusammenschrumpft, in diesen Bezirk hinein ; die Stelle,
an welcher der Komplex E proximalwärts endet, lässt sich nieht sicher be-
stimmen; auch er aber ist im ganzen an die Mandelkerngegend gebunden.
Die Veränderungen, die das Putamen vor dem auf Fig. 27 wieder-
gegebenen Schnitte erleidet, sind soeben bereits kurz angedeutet. Das Hinter-
horn der vorderen Kommissur (Fig. 27, ©. a.) wird immer massiger und
breiter, schneidet immer tiefer medialwärts in das Putamen ein; der ventral
von ihr gelegene Teil des letzteren wird dadurch immer kleiner, reduziert
sich schliesslich zu einem kleinen, dem lateralen Teil der Kommissur ventral
anliegenden Häufchen, welches dem früher mit Y bezeichneten Komplex
entspricht. In das so zwischen der Kommissur und dem Mandelkernhaupt-
komplex, wie ich die Kerne T + T’—+M nennen will, frei werdende Gebiet
dringt, wie gesagt, die erheblich sich verbreiternde ventrale Anschwellung der
Vormauer ein; übrigens ist ihre Annäherung an dieses Gebiet und den Mandel-
kern wohl nicht ausschliesslich Folge der transversalen Verbreiterung und der
lateral-konvexen Biegung des unteren Olaustrumendes, sondern ebenso sehr
der Verschmälerung des ganzen sich seinem frontalen Pole nähernden Temporal-
lappens und seiner unteren Windungen, sowie einer Vertiefung der oberen
Temporalfurche und des unteren Schenkels der Sylvischen Furche. Der Isthmus
zwischen letzterer und der Verschmelzungsstelle zwischen Stamm und Hemi-
sphäre, der Sulcus hemisphäricus, wird dadurch schmäler und die in demselben
liegenden Gebilde werden näher aneinandergerückt. — Was die Innenglieder
des Linsenkerns betrifft, so ist mir die auffälligste Erscheinung, dass die
grossen leuchtenden St.-Zellen hier nicht mit der Deutlichkeit hervortreten,
mit der sie bisher beobachtet werden konnten. Zwar findet sich immer
eine ausgedehnte Gruppe solcher stark gefärbter Zellen in den distaleren
Ebenen (Fig. 26 und 27) zwischen Putamen und Tractus opticus dorsal von
E, und in den proximaleren Schnitten, wenn die vordere Kommissur von
lateral her das Putamen bis ungefähr zu diesem Punkte durchschneidet und
sein basaler Teil (namentlich ventral von dem medialen Teil des Hinter-
horns) sich verliert, medial vom Kommissurhinterhorn, dorsal von E und in
das Gebiet von E hineinreichend. Aber es ist mir sehr fraglich, ob diese
Gruppe mit dem Linsenkern etwas zu tun hat; ich komme darauf sogleich
30*
464 Max Völsceh:
zurück. Sodann aber vermisse ich jenen dorsalwärts von dieser Gruppe
ziehenden mehr oder weniger breiten Zug grosser Zellen, den ich bei Lemur
in den distalen Ebenen dicht an der inneren Putamengrenze, in den oralen
mehr oder weniger entfernt von ihm antraf, oder sehe diesen Zellenzug doch
höchstens hie und da andeutungsweise. Ziemlich deutlich markiert sich
hingegen die Differenz zwischen dem dem Putamen unmittelbar anliegenden
Streifen mit spärlichen, kleinen, blassen Zellen (St) und dem medial an-
stossenden Keil mit stärker tingierten, eckigen oder länglichen übrigens beim
Affen auch ziemlich kleiner Zellen (St.”). Doch verwischt sich, zumal in
den oralen Gegenden, diese Differenz auch vielfach, und dann scheint das
ganze Innenglied des Linsenkerns aus jenen St?’-Zellen zu bestehen. Die
medialsten derselben, in der Nachbarschaft der Capsula interna verraten
übrigens auch hier, wenn auch vielleicht nicht so ausgesprochen, wie bei
den niederen Tieren, die dort hervorgehobene Neigung zur Maschenbildung. —
Jener erwähnte Haufen aber, von grossen Zellen, basal vom Globus pallidus,
der weithin nach vorn verfolgbar ist, ist identisch mit dem „Meynertschen
Basalganglion* Köllikers („dem Nucleus ansae peduncularis“ oder dem
„Ganglion der Hirnschenkelschlinge* Meynerts). Die Zellen vermischen
sich in den oralen Ebenen mit den noch zu erwähnenden Zellen S. p. a. —
Medial oder dorso-medial vom Basalganglion lässt sich dann auch beim Affen
der oft erwähnte Faserzug verfolgen, welcher, wie es scheint, aus der Basis
des Linsenkerns austritt und in S-förmiger Krümmung über den Tractus
opticus hinweg zur Regio subthalamica zieht (Fig. 27 N. a. p.), ein ventraler
Anteil der Linsenkernschlinge s. str.; die Verfolgung wird erleichtert oder
ermöglicht durch das Vorhandensein auffälliger stark gefärbter, meist läng-
licher Zellen, welche den Zug begleiten. Der Zug erreicht, soweit er die
Richtung nach dem Hypothalamus einschlägt, bald hinter Figur 27 sein Ende,
nämlich mit der Ausbildung des Ganglion opticum basale. In den davor
gelegenen Ebenen wäre eine aus derselben Wurzel stammende, den Hirnstamm
resp. die innere Kapsel bogenförmig umziehende zum Thalamus gelangende
Hirnschenkelschlinge (Lisch. b) zu erwarten; ich kann Begleitzellen einer
solchen höchstens andeutungsweise und nur unsicher nachweisen. — Ich habe
alle diese Begleitzellen — spärlich also und unsicher für Lisch. b, stark aus-
gebildet und höchst auffallend für jenen Anteil der Hirnschenkelschlinge —
bisher zum Nucleus ansae peduneularis gerechnet. Ich kann aber über ihre
Beziehungen zu dem vorhin beschriebenen kompakten, grosszelligen Haufen
nichts aussagen, und es dürfte sich empfehlen, den letzteren mit Kölliker
als Basalganglion-Meynert, die Begleitzellen aber als Begleitkern
der Linsenkern- und event. der Hirnschenkelschlinge zu benennen. —
Auf Öbjektträger X, unmittelbar vor Fig. 24 bildet sich, wie bereits
erwähnt, das Ganglion opticum basale aus, lateral vom Traetus opticus im
Winkel zwischen Stamm und Hemisphäre. Mit dem Tractus schiebt er sich
alsdann nach innen zum Chiasma hin. In dem dadurch trei werdenden
Gebiet an der Stammbasis sieht man zunächst nur spärliche kleine Zellen
und sieht ferner aus dieser Gegend Fasern dorsalwärts zum Thalamus
strömen, den unteren Thalamusstiel. Aber schon ca. 1 mm weiter vorn füllt
sich diese zellfreie oder besser zellarme Zone mit den mannigfaltig geformten,
Anatomie des Mandelkerns ete. 465
meist stark tingierten Zellen S. p. a., und wiederum kann man einen meist
aus kleineren Elementen bestehenden transversal verlaufenden Zug (S. p. a‘)
und eine dorsale, aus meist grossen, leuchtenden Zellen bestehende Etage
unterscheiden. Die Zellen dieser Etage vermischen sich mit den Resten
des in dieser Höhe wohl verschwindenden Basalganglions. Über die dorsale
Etage hin aber zieht zunächst das Querstück der vorderen Kommissur,
weiter oral senkt sich der Kopf des Schweifkerns bis in ihre unmittelbare
Nachbarschaft hinab. Die Formation strahlt über den Suleus hemisphäricus
hinweg lateralwärts gegen die Regio substriata, ohne aber weit in sie hinein-
zudringen; sie beschränkt sich auf die Gegend am Kopf des Striatum und
erfüllt im Gegensatz zu den niederen Säugern die vor dem Mandelkernhaupt-
komplex gelegene Region nicht, gerade wie beim Halbaffen. Es hängt diese
relativ geringere laterale Ausbreitung von S. p. a. wohl damit zusammen, dass
der Traetus olfactorius hier wie bei Lemur im Sulcus hemisphäricus
liegt und nicht wie bei den niederen Tieren weiter lateral an der Grenze
der Regio intermedia und olfactiva. Der Lobus pyriformis scheint bisher
wesentliche Veränderungen nicht eingegangen zu sein; leider sind die Schnitte
in dieser Höhe gerade an dieser Stelle vielfach etwas lädiert, so dass ich auf
eine eingehende Besprechung verzichten muss. Soviel ist sicher, dass er in
transversaler Richtung etwas schmäler geworden ist und dass der ober-
flächliche Zellstreifen, wie bereits erwähnt, lückenreicher geworden, dass
seine Zellen, welche wohl auch etwas kleiner geworden sind und vielleicht
auch der Oberfläche etwas näher liegen, zu Gruppen und Streifen, kurz zu
Inseln geordnet sind (Regio olfactiva posterior).
In der Höhe endlich, in welcher die Substantia perforata anterior an
der Stammbasis zur Ausbildung gelangt ist, und in welcher der Tractus
olfactorius als kompakte Markmasse im Sulcus hemisphäricus sichtbar
geworden ist, bildet sich lateral vom Tractus, da, wo früher der jetzt ver-
schwundene Streifen B lag, ein oberflächliches Band, welches aus erheblich
kleineren und ganz dicht mehrschichtig gelagerten mittelstark gefärbten
Pyramiden besteht; dieses Band überzieht zuerst die terminale und inter-
mediäre Rinde!) des Lobus pyriformis, dann aber lateralwärts fortschreitend
allmählich den ganzen Lappen; es verläuft vielfach gewunden und festoniert
(Regio olfactiva anterior). Darunter ist eine ziemlich zellarme
Schicht zu erkennen, die tiefen Schichten aber lassen sich nicht differenzieren ;
im Zentrum des Lobus pyriformis sieht man in dieser Höhe vielmehr nur
') Um die Darstellung nicht allzusehr zu komplizieren, will ich nur
anmerkungsweise erwähnen, dass ungefähr in derselben Höhe, wo die Anfänge
des Bandes sichtbar werden, im ventralen Teil der Pars intermedia, wo die
Molekularschicht eine erhebliche Verbreiterung zeigt infolge des Einströmens
der Tractusfasern, sich eine Strecke weit in der Tiefe der Molekularschicht
ein Streifen ziemlich dicht gelagerter grosser eckiger Zellen findet, Zellen,
deren einzelne sich gleichsam versprengt auch in den oberflächlicheren Teilen
der Zonalschicht liegen. Der Streifen lässt sich etwa '/s mm verfolgen,
dann verschwindet er, und nun überzieht das kleinzellige Band auch diesen
Teil der Rinde.
466 Max Völsch:
ein Konglomerat verschiedenartiger Zellen, ohne Ordnung und Schichtung,
das Gebiet des „basalen Spitzenkerns“.
Gleichzeitig vollzieht sich, genau wie bei Lemur, eine schon makro-
skopisch erkennbare Wandlung: der ventrale Ast der Fissura Sylvii schneidet
immer tiefer medialwärts ein, einmal gegen den Sulcus hemisphäricus, das
andere mal gegen die Kollateralfurche, die ihm entgegenstrebt. So wird
sowohl der Lobus pyriformis, als auch, ein wenig weiter, der Schläfenlappen
abgeschnürt; beide lassen sich dann als freiliegende Lappen noch ein Stück
nach vorn verfolgen; der Lobus pyriformis zeigt dabei die Ringform des
kleinzelligen Bandes, wie in Fig. 24 von Lemur, auf welche Figur ich
bezüglich aller dieser Verhältnisse verweisen kann, da sie prinzipiell völlig
analog sind. So sehen wir auch hier das kleinzellige Band noch an der
Basis des Stirnhirns ein Stück weit oralwärts sich fortsetzen, allerdings
nur in geringer transversaler Ausdehnung, lateral vom Traectus olfactorius
und lateralwärts allmählich in die frontale Rinde übergehend. Darunter
folgt eine zellarme Schicht und dann stossen wir auch hier auf eine Zellen-
anhäufung, die nichts anderes ist, als die in dieses Rindengebiet ausstrahlende
ventrale Anschwellung der Vormauer.
So sehen wir auch beim Affen die Formation des Lobus pyriformis
in seinen oralsten Teilen, seiner Spitze, sich wesentlich und grundsätzlich
ändern. Auch hier drängt sich zunächst der Eindruck auf, dass es sich bei
dem kleinzelligen Bande um die kleinen Zellen des Tuberculum olfactorium
handeln könnte. Die Lage des Bandes ausserhalb des Traetus und die
weitere Betrachtung schützt vor dieser Verwechslung. Die letztere zeigt
vielmehr, dass sich das Tuberculum olfactorium ein wenig weiter vom
(Obj. XVI), beiläufig etwa 1'/» mm vor dem ersten Auftreten der Zellen S.p. a.
oder — was ein sichererer Maßstab ist — ca. 2?/ı mm vor dem distalen Ende
des Ganglion opticum basale in völlig typischer Weise medial vom Tractus
olfactorius ausbildet. Es entsteht unterhalb der Molekularschicht das dichte,
breite, gefältelte Band kleinster eckiger Zellen, die sich nun doch sehr
deutlich von den lateral sich anschliessenden, viel stärker tingierten und
viel grösseren Zellen des oberflächlichen kleinzelligen Bandes am vorderen
Ende des Lobus pyriformis unterscheiden. Gelegentlich finden sich Kon-
elomerate der kleinen Tuberculumzellen auch in die Molekularschicht hinein-
geschoben, in Form von Haufen oder noch häufiger Streifen; doch kann ich
mich für Macacus nicht überzeugen, dass diese oberflächlichere Lagerung
der kleinen Pyramiden sich, wie ÖCajal!) für den Menschen will, auf eine
bestimmte Gegend, seine mittlere, beschränkt oder auch nur diese mittlere
(Gegend bevorzugt. Und ebensowenig scheint mir für den niederen Affen
seine Mitteilung zu gelten, dass in dieser mittleren Gegend die tiefen Zellen
fehlten. Diese letzteren, die ja nichts anderes sind, als die nunmehr von
dem Bande der kleinen Tubereulumzellen überzogenen Zellen der Substantia
perforata anterior, sehe ich in meinen Präparaten vielmehr in der ganzen
Ausdehnung jenes Bandes unter ihm liegen; vielleicht, dass sie in den
medialsten Partien am frühesten — bei der Verfolgung der Serie nach
Anatomie des Mandelkerns etc. 467
vorn — verschwinden. Denn auch beim Affen wird diese tiefe Zellschicht,
oder, wie wir wissen, Zellfaserschicht oder Zellfaserplatte je weiter nach
vorn um so schmäler, indem sich der Kopf des Streifenhügels je weiter
nach vorn um so tiefer gegen diese Rinde hinabsenkt. Auch in der tiefen
Schieht finden sich Inseln kleiner Tuberceulumzellen, andererseits schickt
aber auch die tiefe Schicht Zellfaserfortsätze gegen die Oberfläche hin, die
dann das oberflächliche Tuberculumband unterbrechen. Auch die zackige
Begrenzung des ventralen Randes des Kopfes des Striatum ist gelegentlich
angedeutet.
Resume:
1. Der Lobus pyriformis s. Gyrus Hippocampi des niederen
Affen ist durch die starke Entwicklung der Hemisphäre ganz auf
ihre mediale Seite hinübergeschoben; auf der medialen Seite
liegt auch konstant die die Windung lateral begrenzende Fissura
collateralis s. occipito - temporalis, welche der Fissura rhinalis
lateralis der Osmatiker entspricht.
2. In transversaler Richtung lässt sich nach der Zellarchi-
tektonik der Lobus pyriformis des Aften nur in zwei Teile zer-
legen; eine „prärhinencephale* und eine „fissurale* Rinde, wie
bei dem Vertreter der Nager, lässt sich in den von mir unter-
suchten Frontalhöhen nicht nachweisen und die Abscheidung eines
„intermediären“ Teils bereitet hier ebenfalls erhebliche Schwierig-
keiten. So ist die Bezeichnung als „intermediärer“, zwischen den
beiden sogleich zu erwähnenden Regionen gelegener Bezirk nur
noch als regionärer aufrecht zu erhalten.
a) Die Regio olfactiva, welche sich ziemlich gut in sagittaler
Richtung in die drei früher erwähnten Bezirke teilen lässt.
b) Die Regio medialis, lateral von der dorsalen Kuppe des Lap-
pens, charakterisiert durch einen schmalen Streifen kleiner
dichtgelagerter mässig stark tingierter Pyramidenzellen, als
Ersatz der oberflächlichen Schichten (II + HI + IV) der
Rinde der Regio olfactiva; darauf der tiefe zellarme Molekular-
streif und die tiefen Schichten, welche durch die Fissura
Hippocampi eingerollt werden und deren Zellen sich dabei
zu den Ammonszellen transformieren. Es ist die präsubikuläre
(regend. Das Rindenbild ist auch hier beim Affen der
Ausdruck dafür, dass die oberflächlichen Rindenschichten
die Einrollung der tiefen Schichten nur ein relativ kurzes
Stück in Form jenes kleinzelligen Umschlagshakens mitmachen.
468 Max Völsch:
Der letztere verkürzt sich in den proximaleren Gegenden
und verliert sich schliesslich ganz.
3. Auch beim Affen ist de Ammonsformation also
lediglich eine Fortsetzung der tiefen Schichten des Lobus pyriformis
(natürlich nur in den Höhen, wo sie sich an den letzteren an-
schliesst). Der Uneus entsteht dadurch, dass die Fissura Hippo-
campi die Ammonsrinde taschenförmig nach vorn einstülpt.
4. Unmittelbar vor der vorderen Endigung des Ammonshorns
zieht sich die Rinde des Lobus pyriformis dorsal oder dorso-medial-
wärts in das vorher vom Uneus eingenommene Gebiet und tritt
in Verbindung mit dem Stamm. Es erscheint dieser nunmehr
der Stammbasis unmittelbar benachbarte und an ihr aufhörende
Teil der Hemisphärenrinde als eine Fortsetzung der mittleren
Schichten der Rinde des Lobus pyriformis (III und IV): sie quillt
zwischen dem. oberflächlichen Zellenbande und den vor dem
vorderen Ende der Ammonsformation ebenfalls am medialen Ende
der Regio olfactiva aufhörenden tiefen Schichten hervor, erfährt
eine erhebliche Verbreiterung und bildet so den Haufen B.
Lateral davon entstehen in der vorderen Wand des Unter-
horns drei grosse, durch die Form der Zellen scharf voneinander
geschiedenen Zellkomplexe: 1) der mediale mittelgrosszellige,
2) der zentrale grosszellige und 3) der laterale mittelgrosszellige
Kern, entsprechen den früher mit T, T’ und M bezeichneten Gruppen.
Sie bilden zusammen den „Mandelkernhauptkomplex“ und
4) mit B, dem „Rindenanteil“ sowie dem unter 5 zu erwähnen-
den Kern, den „Mandelkern“ im Temporalpol des Primaten. Der
Hauptkomplex wird vielfach von haufen- und streifenförmigen
Kernansammlungen, wahrscheinlich Gliaanhäufungen, umgeben.
Er hat in toto die Gestalt einer stark gekrümmten Bikonvexlinse.
5. Alszum Mandelkern gehörig betrachte ich den um den Suleus
hemisphäricus bogenförmig gelagerten Streifen D, den medialen klein-
zelligen Kern. Der Komplex D’ ist bei Macacus nicht nachweisbar.
6. Lateral von D in der Regio substriata findet sich auch
beim Affen der Komplex E, durch Form, Grösse und Färbung seiner
Zellen vom Putamen abscheidbar. Die in dieser Frontalhöhe
gelegene kortikale Ausstrahlung der Stria terminalis lässt sich
im Zellpräparate nicht genauer verfolgen.
7. Etwas weiter oral wird die Regio sublenticularis oder
substriata zum Teil von grossen, stark gefärbten Zellen einge-
Anatomie des Mandelkerns ete. 469
nommen. Sie bilden das „Basalganglion Meynerts“, wie es
Kölliker genannt hat.
S. Dorsal von diesen Gebilden sieht man in gewisser Frontal-
höhe längliche Zellen, welche offenbar einem S-förmigen, sich um
den Traectus optieus schlingenden, zum Hypothalamus verlaufenden
Faserzug folgen: der Begleitkern der Linsenkernschlinge s. str. —
Ein Begleitkern der Hirnschenkelschlinge ist nicht sicher nach-
weisbar.
9. Sobald sich der Querschnitt des Tractus optieus an die
Stammbasis geschoben hat, entwickelt sich latero-dorsal von ihm
das sehr auffällige Ganglion opticum basale und begleitet den
Tractus auf seinem medialwärts gerichteten Wege zum Chiasma.
In der durch diese Medialschiebung an die Oberfläche tretenden
Basis des Stammes bilden sich auch beim Affen jene vielgestaltigen,
zum Teil sehr grossen, blasigen Zellen aus, die ich früher als
S. p. a. bezeichnete; es lassen sich auch hier zwei Züge, ein
dorsaler und ein ventraler (S. p. a‘) unterscheiden. In der Tat
entsprechen sie nach ihrer Lage der Substantia perforata anterior.
10. Erst etwas weiter oral umgibt sie sich mit der klein-
zelligen Rinde des Tuberculum olfactorium, medial von dem in-
zwischen in den Suleus hemisphäricus eingelagerten Tractus
olfaetorius.
11. Das Putamen ist auch beim Aften durchweg aus kleinen
eckigen Zellen zusammengesetzt; hieran schliesst sich medial
eine Zone mit spärlichen, blassen Zellen an, auf welche endlich
eine solche mit stärker tingierten eckigen Zellen folgt. Doch ist
diese Differenzierung des Globus pallidus in verschiedene Glieder
keine sehr scharfe. Es fehlen beim Affen gewisse grosse, stark
tingierte Zellen, die im Innengliede niederer Tiere nachweisbar waren.
12. Das Claustrum ist ein starkes Gebilde mit ventraler
Anschwellung und — in den oralen Teilen — einem dorsalen
Teil, welcher mit einer Spitze um den oberen Schenkel der Insel
herum endet. Die ventrale erreicht oral eine mächtige Aus-
dehnung, die Zellen strahlen in die nächste Nähe des Mandel-
kerns, in das Gebiet E, dorsal von letzterem, und endlich in
das basale Gebiet am Stirnlappen hinein, welches (s. p. 466) von
der oralen Fortsetzung der Formation des Lobus pyriformis
überzogen ist.
470 Max Völsch:
In einer Weigert-Pal-Serie von einem Öercopithecus, von welcher
jeder zweite Schnitt aufbewahrt wurde, liegt der Schnitt Objektträger 95, 2
ungefähr in derselben Höhe, wie Fig. 25. Ich finde dort bezüglich des Lobus
pyriformis ganz ähnliche Verhältnisse, wie ich sie p. 410 für das Frettchen
schilderte, natürlich abgesehen von der Verlagerung des Lappens auf die
mediale Seite durch Hemisphärendrehung um eine sagittale Achse, von der
Uncusbildung ete. Der Lobus pyriformis, dessen distale Anfänge beiläufig
gut 2. mm zurückliegen dürften, zerfällt auch nach dem Faseraufbau
deutlich in zwei Teile, die Regio olfactiva, von der Collateralfurche bis zur
Kuppe und der lateral davon gelegenen bereits eingerollten Regio medialis
(präsubicularis). Die Regio olfactiva ist auch beim Affen ausgezeichnet
durch eine auffällig starke Radiärfaserung, welche von dem breiten Mark
bis in die oberflächlichen Rindenschichten hineinstrahlt; sie stellt, wie ich
es beim Frettchen nannte, ein Radiärfaserfeld dar. Nur in den medialen
Teilen der Region, in der Pars intermedia, die ich beim Affen am Zellpräparat
nicht wohl absondern konnte, sieht man auf den stärker gefärbten Schnitten
mehr oder weniger starke Andeutungen eines tiefen molekularen Streifens,
bald wirklich in Form eines Streifens!) (Obj. 95, 2), bald auch nur durch
einige transversal verlaufende Fasern und Fasernstücke markiert. Die
Tangentialfasern in der Molekularschicht sind stark entwickelt. Ganz anders
ist der Bau in der Regio medialis; wie das Zellpräparat lehrt, ersetzt hier
ein Haufen kleinster Pyramiden, welcher sich in Form eines zugespitzten
Umschlagshakens ein Stück in das Ammonshorn hineinschiebt (vergl. Fig. 25),
die oberflächlichen Rindenschichten, während die tiefen Zellschichten der
Rinde sich einstülpen und allmählich zur Ammonszellformation sich modi-
fizieren. Demgemäss folgt hier auf die, gerade wie bei Fötorius, in diesem
Teil noch weit massiger entwickelte Faserung der Zonalschicht ein relativ
faserarmes Gebiet in Form jenes Umschlagshakens; doch sieht man auf den
stärker tingierten Präparaten — wiederum genau entsprechend den Verhält-
nissen beim Frettchen — bei genauerem Zusehen, dass auch dieses Gebiet von
einem feinen Netz feinster Fäserchen erfüllt ist, besonders in dem Wurzelteil
des Umschlagshakens, welcher auch hier lebhafte Beziehungen zu dem tiefen
Molekularstreifen des anstossenden intermediären Teils zu haben scheint.
Darauf folgt ein weiterer Streifen, in welchem dieses Fasernetz noch viel
dichter ist, entsprechend dem zellarmen Streifen zwischen Umschlagshaken und
den eingerollten tiefen Zellschichten, welche offenbar durch massenhafte Fasern
und Fäserchen durchzogen werden, zuletzt das massig entwickelte Mark. Aus
letzterem strömen aus der Gegend der Umbiegungsstelle in schräger Richtung
die perforierenden Fasern zu dem auch hier in zwei Lagen geordneten Stratum
zonale des Ammonshorns; einen Übergang der Zonalschicht des Lobus pyri-
formis in die oberflächlicheren dieser beiden Lagen kann ich beim Affen
nicht nachweisen. — Über das Ammonshorn habe ich sonst nichts weiter
zu sagen; die Bilder ergeben sich aus dem bekannten typischen Verlauf.
', Darunter bisweilen einen zweiten Faserstreifen, welcher wahr-
scheinlich die auch im Zellpräparat durch einen zellfreien Streifen vielfach
geschiedenen Lagen VIa und VIb trennt.
Anatomie des Mandelkerns ete. 471
In den oralen Frontalebenen bietet der Lobus pyriformis oder vielmehr
die Regio olfactiva, um sie gleich an dieser Stelle zu erledigen, kaum
nennenswerte Veränderungen in der Faserarchitektonik; höchstens wäre zu
erwähnen, dass die Radiärfaserung undeutlicher wird, und dass in den oralen
Ebenen von dem tiefen Molekularstreifen auch keine Andeutung mehr zu
sehen ist. Dagegen erleidet der mediale Teil diejenigen Veränderungen,
welche sich aus den p. 455 geschilderten Verhältnissen ergeben: Der Um-
schlagshaken und mit ihm die tangentiale und die tiefe Faserung verkürzt
sich allmählich, zieht sich gewissermassen medialwärts zurück; und, sobald
das vordere Ende der Fissura Hippocampi erreicht ist, schiebt sich die Rinde
des Lobus pyriformis unmittelbar vor diesem Ende dorso-medialwärts bis in
den Grund des Sulcus hemisphäricus. Es ist der mit B bezeichnete modi-
fizierte Rindenteil, die Pars terminalis der Rinde des Lobus pyriformis.
Gleichsam als eine Bestätigung dieser Anschauung, geht von diesem Punkte
an auch die Tangentialfaserschicht des Lobus pyriformis nicht mehr, sich
einrollend, in das Ammonshorn, sondern in das Rindengebiet B über. In
derselben Höhe verschmelzen die beiden Ammonshornschenkel und der Alveus
ist — eine Folge der Vorstülpung des vordersten Teils des Ammonshorns
nach vorn — noch eine kurze Strecke in Form eines Ringes sichtbar, um
etwa 2! mm vor der der Fig. 26 entsprechenden Stelle zu verschwinden.
!/, mm weiter verliert sich dann auch der letzte Rest des Unterhorns, und
der Schnitt trifft ganz in die Vorderwand des Unterhorns, die, wie die Zell-
präparate zeigten, vom Mandelkern gebildet wird.
Ich will der Kürze wegen nicht noch einmal die Entwicklung seiner
Zellmassen, wie sie sich bei der Serienverfolgung präsentiert, durchgehen,
die ich im Zellpräparat unterscheiden konnte. Das Palpräparat kennzeichnet
sie als graue Gebilde, an deren Identität meist auf den ersten Blick kein
Zweifel ist; überall wird die vorhin gegebene Darstellung bestätigt. Ich
will vielmehr lediglich diejenigen Faserzüge und Fasergruppen, welche für
das von mir behandelte Gebiet von Bedeutung sind, kurz besprechen und
wende mich zunächst zur Stria terminalis. In Frontalebenen, welche
weit (5 mm) hinter dem entsprechend der Fig. 25 als Ausgangspunkt ge-
wählten Objektträger 95 zurückliegen, trifft der Schnitt den nach hinten
konvexen Bogenteil der Stria, welcher die Verwachsungsstelle von Stamm
und Hemisphäre umkreist, und von hier ab ist dauernd der Querschnitt sowohl
des dorsalen als des ventralen Striaschenkels im Suleus strio-thalamieus
resp. an der dorsalen Wand des Unterhorns in den Schnitten deutlich.
Überall finden sich neben den bekannten Venendurchschnitten graue Massen
eingelagert, deren entsprechende Zellen ich im Zellpräparate nicht nachweisen
konnte. Überall sind die Fasern fein und mässig stark gefärbt. Innerhalb
der Querschnitte tauchen hie und da auch Bündel stärker tingierter Fasern
auf, doch gelingt es mir nicht, auch nur einen Zug solcher Fasern konti-
nuierlich zu verfolgen. Der ventrale Querschnitt hat vielfach die bekannte
Halbmondgestalt, oft ist er länglich oder oval, der dorsale Querschnitt hat
hingegen eine recht unregelmässige Gestalt, namentlich ist streckenweise
ein fortsatzähnlicher Streifen lateralwärts unter den benachbarten Nucleus
caudatus untergeschoben.
472 Max Völsch:
Was nun die vordere oder, wie ich vorschlug, die subkortikale
Endigung der Stria betrifft, so sehe ich auf Obj. 114 ff. (d. h. etwa 8 mm
vor der Frontalhöhe des Striabogens und etwa 3 mm vor der durch Fig. 25
wiedergegebenen Frontalhöhe) einzelne Fasern und zwei einzelne Bündelchen
von Fasern aus dem dorsalen Striaschenkel ventralwärts und medio-ventral-
wärts ziehen; die ersteren steigen, gewissermassen hinter dem schräg von
unten vorn nach oben hinten ziehenden und hier (Fig. 28) nur noch in
seinen unteren Teilen getroffenen unteren Thalamusstiel her, lateral
vom Fornixsäulchen zu dem als mediales Längsfaserfeld (siehe unten)
bezeichneten Gebiet und dem ihm medialwärts anliegenden Grau hinab.
Im
Fig. 25 (Obj. 116, 2). Affe. Mandelkerngegend. (Korrespondiert mit Fig. 27.)
Während diese Fasern also hinter dem Mittelstück der vorderen Kommissur
abwärts verlaufen, tritt das laterale von den Bündelchen ein wenig weiter
vorn zu diesem inzwischen erschienenen Mittelstück, die Fasern treffen
dabei senkrecht auf die querverlaufenden Fasern der Kommissur, sind
hie und da auch noch ein Stückchen weit in vertikaler Richtung in
die letzteren hinein zu verfolgen; ich kann nicht sagen, was weiter aus
ihnen wird. Das mediale Bündelchen aber scheint mir in der Tat, wie
Kölliker meint, auch beim Affen mit dem Fornixsäulchen in Verbindung
zu treten, ohne dass ich das wegen der schr schwachen Färbung der Fasern
Anatomie des Mandelkerns ete. 473
mit voller Sicherheit behaupten möchte. Das obige ist eine fast bis ins
kleinste gehende Bestätigung der Schilderung, die Kölliker!) für die
vordere Endigung des Stria beim Kaninchen und sehr kurz auch für den
Menschen gibt, für den niederen Affen. Nur die Fasern, die noch vor dem
Mittelstück der Kommissur zur Basis hinabsteigen sollen, habe ich nicht
sicher feststellen können.
Über die hintere oder besser kortikale Endigung der Stria aber kann
ich das Folgende aussagen. Sie führt uns in das eigentliche Untersuchungs-
gebiet dieser Arbeit. Auch der ventrale Striaschenkel führt immer graue
Massen mit, die in der Höhe von Fig. 25 und davor konstant als ein zentraler
Fleck in der Fasermasse erscheint. Auf Objektträger 106, etwa 1!/» mm vor
Objektträger 95 (= Fig. 25) verwächst gerade diese Gegend der Stammbasis,
die Regio substriata, mit der Spitze der Hemisphäre, in welcher, wie Fig. 26
zeigt, sich die Rindenverdickung B bereits ausgebildet hat. Mit dieser
Verwachsung strömt nun die Stria in gewaltigem Zuge ventralwärts an der
ventralen oder ventro-medialen Seite von B entlang. Ein wenig weiter oral,
nachdem sich die Kerne T und M ausgebildet haben — (vergl. die Schilderung
bei der Nisslserie) — markieren sich diese Fasern als ein geschlossener
kompakter Zug, welcher in den kommaförmigen zellfreien Raum zwischen
B und T hineinstrahlt. Er gibt dabei massenhafte Fasern in B und weniger
reichliche in T ab. Erst erheblich weiter vorn wird der Zug undeutlich,
wie ja auch im Zellpräparat in den proximalen Ebenen B und T sich dicht
aneinander legten. Ein zweiter, noch breiterer Zug von Fasern schiebt sich
aus der Stria etwas mehr lateral zwischen T und M ein. Er gelangt hier
in den erst ein wenig weiter oral sich bildenden grosszelligen Kern T', in
welchem die Fasern, zusammen mit sogleich zu erwähnenden Fasern anderer
Provenienz sich in der mannigfachsten Weise verflechten, und dem sie
wiederum auch, indem sie vielfach zu kurzen Bündelchen geschnitten sind,
ein hermelinartiges Aussehen geben. Endlich gelangen schon von dem Be-
ginn der Ausstrahlung des ventralen Striaschenkels an Fasern in den ihm
direkt medial angelagerten Kern D, teils einzeln. teils aber auch zu einigen
feinen, den Kern durchziehenden Bündelchen geordnet. Gleichzeitig mit dem
Beginn der ventralen Ausstrahlung des kortikalen Striaschenkels sehe ich
einen ziemlich kompakten Faserzug längs der medialen Grenze des untersten
Teils des Putamens in vertikaler Richtung ebenfalls in das Gebiet zwischen
T und M ziehen. Der Faserzug ist über mehrere Objektträger zu ver-
folgen und kommt aus den dorsalen Teilen der Region E, wie einige Präparate
wohl mit Sicherheit erkennen lassen, aus dem Basalganglion. Und auch
weiter oral strömen immer wieder neue Fasern aus diesem Ganglion und,
wie ich bestimmt annehmen möchte, aus dem sich immer stärker entwickeln-
den Zellkomplex E in jenes Zwischengebiet zwischen T und M, in welches
der Kern T' eingelagert, und alle diese Fasern tragen mit den Striafasern
zur Bildung jenes Geflechtes innerhalb des grosszelligen Kerns bei, tragen
auch bei zur Bildung einer förmlichen Faserkapsel, welche diesen Kern von
dorsal, medial und lateral umgibt (Fig. 28). Ich fand im Zellpräparat einen
1) 1. e. p. 624.
AA Max Völsch:
merkwürdigen Fortsatz, den der grosszellige Kern in gewisser Frontalhöhe
lateralwärts zwischen M und die Formation E von seiner Kuppe aus hinaus-
sandte (p. 461), auch dieser Fortsatz ist im Faserpräparat kenntlich durch
die dichte Umflechtung mit Fasern (Fig. 28). Auf der Höhe der Entwicklung
des Mandelkerns zeigt sich mithin folgendes Bild (Fig. 28): Ein kräftiger
Faserzug umzieht D, konzentrisch zum Sulcus hemispaericus. Ventralwärts
senkt er sich wohl ein Stückchen weit zwischen den Rindenantheil B, der hier
schon stark reduziert ist, und T ein, scheint aber auch Fasern zwischen B und D
hindurch zur Tangentialfaserschicht des Lobus pyriformis zu schicken resp. von
dort aufzunehmen. Der Bezirk E wird von zahlreichen, zu einem erheblichen
Teil vertikal oder schräge vertikal verlaufenden Fasern durchzogen. Im
Mandelkernhauptkomplex selbst sieht man zwei Streifen von Fasern, die
sich mannigfaltig durchflechten, deren Hauptmasse aber doch von dorsal nach
ventral zieht. Die beiden Streifen scheiden den grosszelligen Kern vom
medialen und vom lateralen. Der grosszellige Kern ist auch dorsal von
einem streifenförmigen Fasergeflecht begrenzt; der erwähnte lateralwärts
abgehende Zellfortsatz ist sichtbar. T’ ist von einem reichen Geflecht von
Fasern durchsetzt, spärlicher sind sie in T, noch spärlicher in M In dem
ganzen Zellgebiet, am reichlichsten wohl wieder in dem grosszelligen Kern,
sieht man ferner lange, über weite Strecken zu verfolgende Fasern, welche
den Mandelkernhauptkomplex in vertikaler oder mehr oder weniger schräg
vertikaler Richtung durchsetzen ; man darf wohl annehmen, dass es sich
tatsächlich um Fasern handelt, welche lediglich durch den Kern hindurch-
ziehen, wenn auch wegen der Grösse des Objektes dieses Hindurchziehen der
einzelnen Faser nicht so vollkommen verfolgt werden kann, wie bei den
kleineren Tieren (spez. Igel). Jedenfalls sammeln sich sehr zahlreiche Fasern
aus dem Fasernetze des ganzen Gebietes an der halbkreisförmigen, ventral-
und lateralwärts gerichteten Zirkumferenz des Mandelkernhauptkomplexes
zu einer dichten Lage. In den Ebenen, wo der vorderste Rest des Ventrikel-
unterhorns diese Zirkumferenz noch von den Markmassen des Schläfelappens
trennt, sind es kurze, schräg getroffene Faserteile, in den oralen Ebenen,
wo der Mandelkern sich dem Mark des Schläfelappens unmittelbar anlagert,
sind es lange bogenförmige ventro-lateralwärts konvex gekrümmte in der fron-
talen Schnittebene verlaufende Fasern. Man wird annehmen dürfen, dass
die ganze ventralwärts gerichtete Oberfläche des Mandelkerns von einer
Markhülle überzogen ist, welche aus dem Mark des Lobus pyriformis stammt;
die Fasern, welche den frei in das Ventrikelunterhorn hineinragenden distal-
wärts sehenden Teil dieser Oberfläche überziehen, müssen natürlich von der
Verwachsungsstelle des Lobus pyriformis mit dem Mandelkern aus sich
distalwärts wenden und auch weiter auf dieser Oberfläche distalwärts verlaufen.
Die Fasern der Markhülle des Mandelkernhauptkomplexes aber biegen
nun allenthalben in das Innere des Kerns hinein, durchsetzen ihn vermutlich
zum Teil ohne Unterbrechung, zum Teil gehen sie mit den Zellen des Kerns
Verbindungen ein, aus welchen wieder neue dorsalwärts ziehende Fasermassen,
Neurone höherer Ordnung, entspringen, um sich in die Stria cornea, in das
Basalganglion, die Zellen der Regio substriata (E) und schliesslich auch in
die Basis des Putamens zu ergiessen. Denn aus dem lateralen Kern (M)
Anatomie des Mandelkerns ete. 475
dürften solche Verbindungen sicher bestehen. Wir sehen in Fig. 28 das Hinter-
horn der vorderen Kommissur stark entwickelt, sehen, wie dasselbe seine medial-
wärts gerichtete Spitze bereits weit bis zum Globus pallidus vorgeschoben
hat. Durch diese Entwicklung der Kommissur wird der Raum okkupiert,
der weiter hinten durch den basalsten Teil des Putamens bezw. durch die
Cauda nuclei caudati eingenommen wurde. Doch bleibt auch hier ventral
von der Kommissur ein Rest jener Gebilde erhalten, der Komplex Y, den
ich durch die ganze Reihe verfolgen konnte und den ich nach der Gestalt,
Grösse und Tinktion der Zellen eher als abgeschnittenen Teil des Putamens
ansehe (und nicht zu dem benachbarten Kern M gerechnet habe). Die Mark-
massen nun aus der mittleren und unteren Temporalwindung, sowie aus
dem Lobus pyriformis, soweit sie nicht bereits in den Mandelkern eingetreten
sind, strömen in gewaltigem Zuge zur vorderen Kommissur und zur Capsula
externa. Der Übergang in die letztere ist übrigens nicht sicher zu erkennen.
Die medialsten Fasern dieser Massen — darunter natürlich auch wieder die
Fasern der aus dem Lobus pyriformis stammenden Markkapsei des Mandel-
kerns — aber verkürzen sich den Weg etwas, indem sie zwischen dem
lateralen Kern des Amygdala und dem Komplex Y in Form einzelner Fasern
oder mehr weniger schräg getroffener Bündel hindurchgehen, um sich dorsal
auch in die Kommissur zu senken. Sie durchsetzen dabei übrigens teilweise
auch den Kern M selbst, besonders in den vor Fig. 28 gelegenen Ebenen;
jedenfalls finden sich an dieser Stelle die vorhin erwähnten Verbindungen
zwischem dem lateralen Kern des Amygdala und dem basalen, ventral von
der Kommissur liegenden Teil des Putamens (Y). Dieser letztere wird
übrigens unmittelbar vor Fig. 283 höchst unbedeutend, nicht mehr sicher
kenntlich, und man kommt leicht in die Lage, ein neu auftauchendes Grau
damit zu verwechseln. Es erscheint zuerst (Obj. 117) mitten im ventralen
Teil des Hinterhorns der Kommissur, vergrössert sich rasch, liegt immer in
dem Dreieck zwischen M, dem Olaustrum und dem Hinterhorn und hat dem-
entsprechend auch eine sphärisch dreieckige Gestalt. Nach etwa 1 mm
verschwindet es. Es handelt sich um das auch im Zellpräparat auffällige
und p. 462 erwähnte Gebilde X ; dass es nicht zur Vormauer gehört, wird hier
dadurch noch wahrscheinlicher, dass es von letzterer dauernd durch einen
Faserstreifen getrennt ist. Vielleicht darf man in ihm einen neuen kleinen
Teil des Mandelkerns, einen oralen mittelgrosszelligen accessorischen Kern sehen.
Mit dem Verschwinden des Mandelkerns, wobei sich der ganze Lobus
pyriformis schnell verkleinert, strebt das tiefe Mark aus den lateralen Teilen
dieses Lappens mit dem Mark aus den anliegenden Teilen des Temporal-
lappens zum Claustrum und zur Capsula extrema hin, welche beide mit
ihrem in diesen oralen Ebenen stark verbreiterten und medialwärts gekrümmten
ventralen Schenkel in dieses Gebiet hineinreichen. Aus den medialen
Partien des vordersten zu einem kleinen Oval reduzierten Endes des Lobus
pyriformis, aus der Gegend des „basalen Spitzenkerns“ steigen verhältnis-
mässig spärliche Fasern gegen die Basis des Striatums und die Capsula
externa hinauf. — Ich komme auf diese Gegend noch kurz zurück, muss
aber zunächst noch einen Blick auf einige dorsal vom Mandelkern resp. der
Regio substriata gelegene Faserkomplexe werfen.
476 Max Völsch:
Die Linsenkernschlinge sehe ich schon etwas hinter den Corpora
mammillaria. Ihre Fasern stammen hier und noch erheblich weiter vorn
im wesentlichen aus der Marklamelle zwischen zweitem und dritten Gliede
des — übrigens etwas weiter vorn deutlich viergeteilten — Linsenkerns.
Erst weiter vorn gesellen sich ihr auch Zuzüge aus der Marklamelle zwischen
Putamen und Globus pallidus zu, während der grössere Teil der aus dieser
Lamelle stammenden Fasern, zumal in den distaleren Ebenen, mit den Zellen
des Basalganglion in Verbindung zu treten scheint. Die Linsenkernschlinge
zieht sich in ihrem weiteren Verlauf medialwärts längs der Basis des Globus
pallidus hin, biegt sich in bekannter Weise dorsal-, dann wieder medial-
wärts und durchbricht den zur Capsula interna aufsteigenden Pedunculus.
Die von v. Monakow beschriebene Endigung im dorsalen Kapselfeld des
Corpus Luys, resp. im H?-Feld von Forel ist sehr deutlich, während ich
mich allerdings von dem „Anteil des Luys schen Körpers“ zu den venitralen
Teilen des letzteren (v.Monakow) nicht sicher überzeugen kann. Sehr
massig sind dann ein wenig dorsaler wieder die Fasern der „Hirnschenkel-
schlinge“ („Lisch b*“) in ihrem die Capsula interna umfassenden Verlauf
zum dorsalen Thalamus kenntlich. Aber auch hier kann ich mich dem
Eindruck nicht entziehen, dass Fasern aus der Linsenkernschlinge in der
Höhe, in welcher die letzten Fasern des Pedunculus dorsalwärts zur Kapsel
sich wenden, unter diesen Resten und über den Tractus opticus hinweg zur
Basis des Hypothalamus ziehen (der ventrale Anteil der Hirnschenkelschlinge).
Sie scheinen mir hier in Verbindung zu treten mit einem dorsal vom Tractus
opticus gelegenen kleinen Ganglion, welches etwa von der Frontalhöhe an
sichtbar wird, in welcher das Fornixsäulchen sich innerhalb des Corpus
mammillare ausbildet, und welches dann, etwas lateral von dieser Gegend,
etwa 1 mm weit verfolgt werden kann. Auch im Zellpräparat präsentiert
es sich, wie ich hier nachholen möchte, als ein Komplex ziemlich grosser
rundlicher Zellen, die gegen die länglichen quergestellten „Begleitzellen der
Linsenkernschlinge“ scharf kontrastieren (s. Fig. 27 dorsal vom medialen
Teil des Traetus opticus). Auch beim Affen scheint es mir, als ob ein Teil
dieser Fasern zur Commissura hypothalamica anterior, dorsal von der
Guddenschen Kommissur, hinabziehen. Jedenfalls erschöpft sich der
Faserzug, ebenso wie der Zellenzug im Zellpräparat, mit dem Auftreten des
unteren Thalamusstiels an der Basis des Stamms.
Zwischen der Frontalhöhe des letzteren und der viel distaler liegenden
Strahlung der Pedunculusfasern in die Oapsula interna präsentiert sich auch
das Feld, welches ich beim Igel das mediale Längsfaserfeld nannte. Das
(Gebiet liegt etwa in der Höhe der Fig. 590 bei Kölliker (II. Aufl., p. 431).
wo man sich das Fasergebiet nur etwas weiter unter dem Fornix hinweg
medialwärts ausgezogen denken muss. Es ist gewissermassen wie eine
medialwärts gerichtete Spitze dem Linsenkern aufgesetzt. Ein lateral davon
selegenes Feld, aus schräg geschnittenen ziemlich starkfaserigen Bündelchen
zusammengesetzt, dürftedem Ganserschen basalen Längsbündel entsprechen:
es wird durch die Fasern der Hirnschenkelschlinge und weiter vorn durch
die Bündel des Thalamusstiels durchsetzt (Fig. 28). Das aus sehr feinen
sagittal, aber zum Teil auch in der Ebene verlaufenden Fäserchen bestehende
—I
I
Anatomie des Mandelkerns ete. 4
mediale Feld schliesst sich medialwärts an (Fig. 28). Ungefähr an der
Grenze der Felder sehe ich auf beiden Seiten einen kleinen Komplex von
quergetroffenen feinen, nur grau gefärbten Bündelehen — hinter Fig. 28,
in der Höhe jener Figur von Kölliker — welcher auf Objektträger 105
latero-ventral vom Fornix auftaucht und ihn eine kurze Strecke auf seinem
dorsalwärts gerichteten Zuge begleitet, um sich schliesslich etwa °/; mm
nach seinem Erscheinen (durch den dorsalen Zuzug zur Commissura hypo-
thalamica anterior hindurch) in den Fornix zu ergiessen. Den Ursprung
(oder das Ende?) des kleinen Bündelkomplexes in der Basis des Hypothalamus
kann ich nicht sehen. — Man könnte versucht sein, an die Möglichkeit zu
denken, dass es sich um die Fortsetzung jenes von dorsal her an den Fornix
herantretenden, ebenfalls schwach grau gefärbten Bündelchens aus der Stria
terminalis handelt (s. p. 472).
Der untere Thalamusstiel, dessen schräg dorso-distalwärts gerichteten
Verlauf ich schon erwähnte, lässt sich nur über wenige Objektträger an
der Stammbasis verfolgen (die zellfreie Zone des Zellpräparates). Dann
treten in dieser Region, lateral vom Tractus, quer horizontal verlaufende
Fasern auf, das Gebiet des „lateralen Längsfaserfeldes* der niederen Tiere,
in welchem die Fasern zunächst sagittal verliefen, um dann in die trans-
versale Richtung umzubiegen. Beim Affen erfolgt diese „Umbiegung“ an-
scheinend unmittelbar vor dem unteren Thalamusstiel, und das übrigens
recht tiefe Gebiet unterscheidet sich durch den transversalen Faserverlauf
deutlich von dem darüber ‚gelegenen Linsenkerngebiet, in welchem die Fasern
kreuz und quer durcheinander laufen. Es ist gleichzeitig das Gebiet der
Substantia perforata anterior; die Fasern strahlen lateral gegen die sich
immer weiter medialwärts schiebende Kommissur und gegen den tief herab-
steigenden Kopf des Striatums hin. Ganz allmählich schiebt sich das Faser-
gebiet, in welchem sich ganz basal die Fasern auch hier zu einem dichteren
Zuge (S. p. a’, transversaler Faserzug) ordnen, auch medialwärts, erfüllt das
mediale Längsfaserfeld und tritt in Verbindung mit der vor der vorderen
Kommissur abwärts ziehenden Faserung des Septum pellueidum.
Sobald die Formation S. p. a., die Zellfaserplatte, wie ich sie nannte,
bis zur Medianlinie vorgedrungen ist, beginnt sie sich von einem Punkte an,
der ein wenig medial von dem Sulcus hemisphäricus gelegen ist, mit grauer
Rinde zu überziehen, der Rinde des Tuberculum olfactorium. Wiederum
schreitet die Ausbildung dieses Graus medialwärts fort, den transversalen
Faserzug gleichsam vor sich herschiebend, bis auch dieses Grau zuletzt die
Medianlinie resp. den Hemisphärenspalt der Frontalrinde erreicht. Indem
diese graue Rinde die Zellfaserplatte S. p. a. somit von ventral her verflacht
und indem andererseits von dorsal her das Striatum immer weiter hinab-
steigt, wiederum auf Kosten von S.p.a., wird diese Zellfaserplatte nach
vorn immer flacher und unbedeutender, präsentiert sich schliesslich im Quer-
schnitt nur noch als eine Anzahl flacher Inseln, welche durch Lücken unter-
brochen sind, in welchen die Formation ganz fehlt.
Wie oben erwähnt, strahlen die Fasern der Zellfaserplatte S. p. a.
lateralwärts in die Regio substriata hinein. Die Formation D ist hier längst
verschwunden, die Reste der grossen Zellen des Basalganglions vermischten
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. 31
478 Max Völsch:
sich im Zellpräparat in dieser Frontalhöhe mit den einrückenden Zellen S. p.a.
Die weiter noch vorhandenen Zellen konnten wohl als die oralen Ausläufer-
zellen des Zellkomplexes E angesehen werden. Die Region entspricht dem
dorsalen Teil des als „basaler Spitzenkern“ bezeichneten, im Zellpräparat
schlecht charakterisierten Gebietes, welches sich weiter oral, wenn der in
dieser Höhe zwar schon stark reduzierte, aber doch noch erhaltene Mandel-
kern verschwunden ist, ventralwärts auch in den von letzterem eingenommenen
Bezirk ausdehnt. Sie ist hier von einem reichen Fasernetz erfüllt, an dessen
Bildung Fasern verschiedenster Provenienz teilnehmen: 1. Die Fasern aus
der Substantia perforata anterior; 2. zahlreiche Fasern aus der Markkapsel
und aus den Marklamellen des Mandelkeıns; 3. Zuzüge aus dem Traetus
olfactorius, auf welche ich gleich noch zurückkomme. Während wenigstens
die Fasern ad 2 und 3 wesentlich als zuführende anzusehen sein werden,
dürfte der Hauptabschlussweg aus diesem Gebiet die Capsula externa sein.
Wie mehrfach erwähnt, krümmt sich der ventrale Vormauerschenkel je weiter
oral um so mehr medialwärts unter das Striatum hinunter, unter gleich-
zeitiger Verbreiterung dieses Schenkels. Genau dieselbe Krümmung macht
die Capsula externa mit; sie gelangt so tatsächlich an die Basis des lateralen
Teils des Striatums, verbreitert sich hier stark, so dass sich ihre Fasern
wie aus einem Füllhorn in die Regio substriata resp. die Region des basalen
Spitzenkerns !) ergiessen, die übrigens von auffallend zahlreichen Gefässdurch-
schnitten und sonstigen Basisgrenzen durchsetzt ist und in die sich von
dorsal her graue Massen, nämlich Teile des Striatumkopfes herabsenken.
Sie sind von dem kompakten Striatum geschieden durch einige breitere
Faserzüge, welche zwischen ihnen und der Basis des Striatums medialwärts
zum Tractus olfactorius hin ziehen. Wenn sie — in etwas oraleren Schnitten —
den letzteren erreicht haben, trennen sie diese Region schon makroskopisch
sehr deutlich vom Striatum ab.
Der Tractus olfactorius ist seit Objektträger 120, ca. '/. mm
vor Fig. 28 (und ca. 3'/s mm hinter der oralen Spitze des Lobus pyriformis)
in dem Sulcus hemisphäricus sichtbar, zunächst sehr unscheinbar, bald mehr
und mehr an Masse zunehmend. Eine Fissura rhinalis medialis ist nirgends
erkennbar und man muss annehmen, dass sie, wenn überhaupt angedeutet
vorhanden, ganz dicht an den Grund des Sulcus hemisphäricus herangerückt
ist. Der Tractus beginnt alsbald, erst spärlich dann immer reichlicher seine
Fasern oder Kollateralen senkrecht zu seiner Verlaufsrichtung über die
Oberfläche des Lobus pyriformis zu senden. Sehr bald auch fliessen einzelne
Fasern, recht reichlich, in die vorhin beschriebene Regio substriata ab und
schliesslich bildet sich auch das erwähnte oder die erwähnten kompakten
Bündelchen aus, welche direkt in die Capsula externa übergehen. Das von
Kölliker beschriebene und p. 727 II. Aufl. in Fig. 772 abgebildete Bündel
!) Nach dem Verschwinden des Mandelkerns kommen auch viele Fasern
aus dieser Gegend, d.h. also auch aus der vorderen Zirkumferenz desselben
in die Capsula externa, während, wie oben schon erwähnt, die Markfasern
aus den lateralen Teilen des proximalen Endes des Lobus pyriformis sich
mit denen des Temporallappens zur Capsula extrema wenden.
Anatomie des Mandelkerns ete. 479
zur vorderen Kommissur beim Menschen kann ich wenigstens als geschlossenen
Zug in einem Schnitt, wie Kölliker es abbildet, nicht sehen; doch zweigt
sich von der Kommissur auch in meinen Präparaten ein Bündel (oder einige
Bündel?) ab, das, wie die Verfolgung der Serie ergibt, ventralwärts, lateral-
wärts und — ziemlich weit — oralwärts zieht, um sich in der Nähe des
Traetus der Beobachtung zu entziehen; es könnte dieses Bündel dem
„Kommissurenbündel zum Traetus olfactorius“ entsprechen.
Ich habe bei der Nisslserie vom Macacus und noch ausführlicher
bei der vom Lemur beschrieben, wie das vordere Polende des Temporal-
lappens und das des Lobus pyriformis nunmehr „abgeschnürt werden“, d.h.
diese Polenden ragen über die Verwachsungslinien des Schläfenlappens mit
der Hirnbasis oralwärts hinaus, das des Lobus pyriformis allerdings nur ein
minimales Stück. Ich schilderte dort auch, wie nun die Zellformation
des Lobus pyriformis sich doch noch als ein schmaler Streifen ein Stück
weit auf der basalen Oberfläche des Stirnhirns oralwärts fortsetzt. Hier
lagert sich nun natürlich auch der Tractus in seinem weiteren Verlauf an,
den ganzen Streifen mit seiner lateralwärts ziehenden Faserung (der lateralen
Wurzel) überdeckend. Hier erst, scheint mir, ziehen nun auch ziemlich
spärliche Fasern medialwärts in das Tuberculum olfactorium hinein. Die
Grenze zwischen den beiden Gebieten wird hier immer durch die in die
Gegend des Tractus ziehende Capsula externa gebildet.
VI. Vergleichende Schlussübersicht.
1. Der Lobus pyriformis der niederen Säuger, welchem
der Gyrus Hippocampi oder ein Teil des Gyrus Hippocampi
der Primaten entspricht, wird lateralwärts überall begrenzt von
der Fissura rhinalis lateralis (ectorhinalis) resp. — bei den
Primaten — von dem vorderen Teil der Fissura collateralis s.
Suleus oceipito-temporalis (medialis).
Die distale Ausdehnung des Lobus pyriformis, als
eines makroskopischen Begriffes, ist in der Tierreihe äusserst
verschieden. Bei Erinaceus überragt er das Pallium distalwärts
um fast '/s mm, bei der Maus enden beide in fast genau denselben
kaudalen Ebenen. Beim Frettchen überragt das Pallium das distale
Ende des Lobus pyriformis bereits um ca. 3 mm, beim Halbaffen
annähernd um 30 mm, wenn man auch bei letzterem das kaudale
Ende der Fissura rhinalis lateralis als Grenze für den Lappen
ansieht. Histologisch freilich überragt die für den Lobus pyriformis
charakteristische Zellformation dieses makroskopische Ende des-
selben noch um 4—4!/; mm distalwärts. Beim Affen endlich
wird, wie gesagt, die Fissura rhinalis lateralis durch den proximalen
31*
480 Max Völsch:
Teil der Kollateralfurche repräsentiert; da diese Furche nun sich
distalwärts in andere Rindengebiete fortsetzt, und auch sonst
makroskopische Trennungsmerkmale des vorderen, dem Lobus
pvriformis histologisch entsprechenden Teils des Gyrus Hippocampi
gegen seine distaleren Teile nicht bestehen dürften, so Kann
beim Affen von einer makroskopischen kaudalen Abgrenzung des
fraglichen Gebietes nicht wohl die Rede sein. .
Oralwärts geht der Lobus pvyriformis resp. die ihn charak-
terisierende Formation bei allen untersuchten Tieren auf die
trontalen Hirnteile über, immer lateral vom Traetus olfactorius
resp. der ihn aufnehmenden Fissura rhinalis medialis (entorhinalis)
gelegen. Beim Igel und bei der Maus bildet er einen mehr oder
weniger hohen und mächtigen Bestandteil dieser frontalen Hirn-
teile, beim Frettchen noch emen relativ kleinen latero-basalen
Appendix dieses Hirngebietes, beim Halbaften und Affen erscheint
er — resp. die ihm eigentümliche Rindenformation — nur noch als
ein etwas breiterer oder schmälerer Streifen an der Basis des
Stirnhirns. Bei den niederen Säugern scheidet ihn auch im
Frontalhirn die wohlausgebildete Fissura rhinalis lateralis (die
Fissura rhinalis lateralis anterior — Ziehen) von den frontalen
Palliumteilen, bei Lemur ist diese orale Fortsetzung der Furche
wenigstens noch durch eine Molekulareinsenkung markiert, beim
Affen geht die Rinde des Streifens ohne solche Unterbrechung
in die benachbarte Stirnhirnrinde über. Gerade bei den letzt-
genannten Tieren ist übrigens die vordere Endigung eines
makroskopischen Lobus pyriformis durch eine kleine oralwärts
gerichtete Kuppe markiert, indem der vordere Pol des Lappens
ein wenig über seine Verwachsungsgrenze mit dem Stammteil
hervorragt, eine Temporalpolbildung en miniature. Dabei liegt,
wohl zu merken, dieser Pol des makroskopischen Lappens distal
von dem erwähnten Streifen an der Frontalhirnbasis; mit anderen
Worten: die Formation überschreitet auch hier die Grenzen
des makroskopischen Lappens.
Medialwärts endlich wird der Lobus pyriformis resp. die
ihn kennzeichnende Rindenformation in diesen frontalen Gebieten,
wie bereits erwähnt, durch die Fissura rhinalis medialis (resp. den
Tractus olfactorius) begrenzt; jenseits derselben liegt bei allen
Tieren das Tubereulum olfactorium und weiter distal die Substantia
perforata anterior. In seinen distaleren Teilen geht der Lobus
Anatomie des Mantelkerns ete. 481
pyriformis in die eingestülpte Ammonsrinde über, und letztere
bildet hier in transversaler Richtung die Brücke zwischen dem
medialen Ende des Lobus pyriformis und der Abschnürungsfurche
der Hemisphären (Suleus hemisphäricus — Ziehen, Stielfurche —
His). Vor dem proximalen Ende der Ammonswindung hingegen,
zwischen ihm und der Gegend der Substantia perforata anterior
zieht sich die Rinde des Lobus pyriformis bis in den Grund des
Suleus hemisphäricus hinauf, eine eigentümlich gebaute Rinde,
welche als „terminaler Teil der Rinde des Lobus pyriformis“
bezeichnet werden könnte. Sie ist für das eigentliche Thema
dieser Arbeit von besonderer Bedeutung, da sie die Amygdala
von der medialen Seite her umhüllt. — Bei den Tieren endlich,
bei welchen sich der Lobus pyriformis distalwärts über die
Ammonswindung hinaus erstreckt (Igel, Maus, Frettchen) geht
dieser distalste Teil medialwärts direkt in die Rinde der medialen
Palliumrinde über (s. Fig. 4 und 5).
Die Breitenausdehnung des — makroskopischen — Lobus
pyriformis ist eine sehr verschiedene. Zwar beginnt er überall —
nur vom Affen wird man nach dem oben Gesagten hier absehen
müssen — distal zugespitzt, erreicht dann entsprechend dem
Verlauf der Fissura rhinalis lateralis ziemlich schnell seine grösste
Breite, um sich nach vorn zu wieder zu verschmälern. Aber die
transversale Ausdehnung im Verhältnis zum Pallium ist eine
äusserst wechselnde. So verläuft die Fissura rhinalis lateralis
beim Igel ganz auf der lateralen Seite der Hemisphäre und sehr
hoch — der Lobus pyriformis übertrifft an Mächtigkeit weit das
Pallium. Bei der Maus ist die Fissur ebenfalls in ihrem ganzen
Verlauf von lateral sichtbar, doch verläuft sie in viel tieferen
Horizontalebenen. Beim Frettchen ist der distale Teil der Fissur
schon auf die mediale Hemisphärenseite herumgeschoben ; beim
Halbaffen liegen insofern eigentümliche Verhältnisse vor, als die
tindenformation des Lappens die Fissura rhinalis distalwärts
überragt: die letztere liegt ganz auf der lateralen Seite der
Hemisphäre. Beim Affen verläuft die Kollateralfurche ganz auf
der medialen Seite und hier liegt auch das ganze dem Lobus
pyriformis entsprechende Gebiet. — Auch in transversaler Richtung
fällt die Begrenzung der Zellformation, welche für das Gebiet des
Lappens charakteristisch ist, keineswegs streng mit seinen Grenzen
zusammen. Beim Frettchen z. B. hält sich in den distalen
482 Max Völsch:
Ebenen die Formation erheblich von der Fissura rhinalis ab
und erreicht die letztere erst in weit mehr oral gelegenen
Ebenen.
So kann man sagen: 1. Der Lobus pyriformis ist keines-
wegs überall makroskopisch scharf abgegrenzt; namentlich bei
den höheren Säugern (Halbaffen und besonders Affen) ist die
distale Begrenzung eine ganz unbestimmte. 2. Weite Gebiete
dieses Lappens sind durch eine höchst eigenartige Zellarchitektonik
ausgezeichnet, doch so, dass sich die Ausdehnung dieser Struktur
und die Ausdehnung des Lappens durchaus nicht decken. Bald
(z. B. im distalen Teil des Lappens bei Fötorius) erreicht die
Formation die Grenze des Lappens nicht, bald (distaler Teil bei
Lemur, oralster Teil beim Halbaffen und Affen) überschreitet sie
die Grenzen des makroskopischen Lappens.
Was nun den Zellaufbau des Lobus pyriformis betrifft,
so fand ich die weitgehendste Differenzierung beim Frettchen,
bei welchem ich von lateral nach medial fünf verschiedene
Regionen unterschied: 1. die prärhinencephale Rinde, 2. die
fissurale, 3. die olfaktive, 4. die intermediäre und 5. die mediale
(präsubikuläre) Rinde. Zur Orientierung über die Lage und un-
gefähre Ausdehnung dieser verschiedenen Regionen verweise ich auf
Fig. 5,p. 355. Das charakteristische Moment, welches die Regionen.
voneinander und von der angrenzenden Palliumrinde unterscheiden
lässt, ist stets das Verhalten der oberflächlichen Zellschichten,
vor allem der zweiten, teilweise auch der dritten und vierten
Schicht; daneben ist im Lobus pyriformis unter jenen Schichten
zumeist ein fast zellfreier Streifen, der tiefe Molekularstreifen,
deutlich ausgebildet; er tritt in gewissen Regionen besonders
stark hervor und dürfte der Lamina ganglionaris (V) entsprechen.
Allen Regionen gemeinsam ist eine stark ausgebildete und ge-
wöhnlich in zwei Unterschichten (VIa und VIb) zerfallende
Lamina multiformis. Die meisten der Regionen beschränken
sich auf den distalen Teil des Lappens, eine, die Hauptabteilung,
kann bis zum oralen Ende verfolgt werden, wobei sich eine
Teilung in sagittal aneinanderstossende Unterabteilungen ergibt.
Die Befunde bei den anderen untersuchten Tieren decken
sich, wie die folgende Zusammenstellung ergibt, nur zum Teil
mit dem Befunde beim Frettchen, immerhin besteht nach vielen
Richtungen hin eine ziemlich weitgehende Analogie.
Anatomie des Mandelkerns etc. 483
l. Die Regio prärhinencephalis liegt beim Frettchen
(s. Fig. 8 das laterale, unschraffierte streifenförmige (Gebiet) im
distalsten Teil des Lobus pvriformis auf der lateralen Seite der
für diesen Lappen charakteristischen Formation; zunächst (hinten)
noch ein Stück entfernt von der Fissura rhinalis lateralis, wird
es weiter nach vorn durch die Ausbreitung dieser Formation
lateralwärts geschoben und kann endlich im Grunde der Fissur
noch ein Stückchen oralwärts verfolgt werden. Die Region
charakterisiert sich dadurch, dass die II., III. und IV. Schicht
durch eine Gruppe kleiner strichförmiger Pyramiden mit
stark ausgesprochener radiärer Reihenstellung ersetzt wird. Sie
ist sehr schmal und gewöhnlich ein wenig lateral-konvex gebogen
(Frettchen: Fig. 4, lateral von den grossen Zellen, Fig. 5 und 6
im Grunde der Fissura rhinalis lateralis, o0). Eine ganz ähnliche
Zellgruppe an derselben Stelle beschrieb ich schon beim Igel
(I. Teil, p. 597 und Fig. 5, p. 596) und auch bei der Maus glaubte
ich eine entsprechende Formation zu erkennen (p. 666?). Endlich
sah ich auch beim Halbaffen einen solchen Zellkomplex auf vielen
Präparaten; er sah „wie gekämmt“ aus (p. 434, Fig. 19, an der
Stelle des Sternchens). Beim Affen fand ich ihn nicht wieder,
doch fehlen mir hier die Schnitte durch den distalen Teil des
Lobus pyriformis, auf welchen er sich überall zu beschränken
scheint.
2. Ebenfalls auf den distalen Lappenteil beschränkt, wenn
auch weiter oralwärts reichend, war die anschliessende Regio
tissuralis des Frettchens (in Fig. 5 der längsschraffierte Be-
zirk). Sie ist ebenfalls schmal und dadurch gekennzeichnet, dass
wiederum die Zellen der zweiten bis vierten Schicht ausschliess-
lich durch radiärgestellte mittelgrosse Pyramiden ersetzt sind,
weit grössere, als die der prärhinencephalen Rinde (Fig. 5 und 6,
”—9, Fig. 7: nur der lateralste an o anschliessende Teil). Die
Analogien dieser beim Frettchen immerhin recht auffälligen Region
sind bei allen andern untersuchten Tieren äusserst zweifelhafte.
Auch beim Frettchen verschwindet sie in den oralen Teilen des
Lappens und wird hier in die medial benachbarte Region ein-
bezogen. —
3. und 4. Weit wichtiger sind die folgenden Regionen: der
„zentrale“ Teil, wie ich ihn nannte. Ich unterschied darin in
transversaler Richtung zwei Unterabteilungen, den „äusseren zen-
484 Max Völsch:
tralen“ oder „olfaktiven“ Teil und den „inneren zentralen“ oder
„intermediären“ Teil. Innerhalb der olfaktiven Region unterschied
ich ferner in sagittaler Richtung drei Unterabteilungen, die
Regio retroolfactiva, die Regio olfactiva posterior und die Regio
olfactiva anterior.
Zur Identifizierung dieser verschiedenen Regionen mit den
von Ramön y Cajal unterschiedenen Bezirken ist folgendes zu
sagen: den inneren zentralen oder intermediären Bezirk scheidet
Uajal nicht als besondere Region ab; unter dem inneren zentralen
Bezirk Cajals ist vielmehr der weiter zu erwähnende fünfte
Abschnitt, die Regio medialis (präsubicalaris) zu verstehen.
Was ich Regio olfactiva nenne, setzt sich aber bei Cajal aus
zwei sagittal hintereinander liegenden und ganz voneinander ge-
trennt beschriebenen Gebieten zusammen, der „oberen oder spheno-
occipitalen Riechrinde* (l. e. p. 96), die, wie ich glaube, der
distalsten Unterabteilung der sich durch die ganze Länge des
Lobus pyriformis erstreckenden olfaktiven Region, der Regio retro-
olfactiva entspricht, und der „unteren Riechrinde“, resp. dem
„äusseren oder olfaktiven Teil der zentralen Region des Ammons-
horns“ (l. e. p. 31 ff.), deren Beschreibung bei Cajal, soweit sie
sich auf den Menschen bezieht, an die „Regio olfactiva posterior“,
soweit sie die niederen Säuger betrifft, mehr an die „Regio
olfactiva anterior“ erinnert. Ich glaubte, die Bezeichnungsweise
der verschiedenen Territorien, wie sie sich mir bei der Verfolgung
der Serien aufdrängte, beibehalten zu dürfen, nicht sowohl, weil sie
innerhalb des zwar nicht überall scharf begrenzten, aber schliesslich
doch höchst distinkten makroskopischen Lobus pyriformis liegen,
als vielmehr, weil sie sich durch gewisse architektonische Eigen-
tümlichkeiten, vor allem durch die Morphologie und die Anordnung
der Zellen der zweiten Schicht, gemeinsam gegen die Palliumrinde
scharf abzeichnen und sich dadurch trotz der regionären Differen-
zierungen jener Schicht, welche ihrerseits die Einteilung in Unter-
bezirke erforderlich macht, als etwas Zusammengehöriges charak-
terisieren. Gerade Ramön y Cajal tritt übrigens auch bestimmter
als andere Autoren für die funktionelle Zusammengehörigkeit
dieser Territorien ein.
3. Die Regio olfactiva in dem soeben definierten weiten
Sinne ist unstreitig die räumlich ausgedehnteste und wichtigste
Region des ganzen Lappens. Ich unterschied also drei Teile, die
Anatomie des Mandelkerns ete. 485
in sagittaler Richtung allmählich, wie mir scheint, ineinander
übergehen:
a)
b)
e)
Die Regio retroolfactiva des Frettchens (auf Fig. 5
weiss gelassen), bei Oajal die obere oder spheno-oceipitale
Riechrinde, ist charakterisiert durch ein Stratum zonale,
dessen Breite 0,2—0,22 mm beträgt, und unterhalb desselben
durch einen lockeren Streifen (kein dichtes Band!) grosser
eckiger, vielfach pyramidenförmiger Zellen (nach Cajal
Sternzellen), unregelmässig geformt und mit der Längsachse
unregelmässig, meist aber doch wohl radiär gestellt; darunter
folgt eine breite Schicht relativ spärlicher teils pyramiden-
förmiger, teils rundlicher Zellen (III + IV), welche vielfach
von der zweiten Schicht durch einen schmalen Molekular-
streifen, den oberflächlichen, getrennt ist, dann der mehr
oder weniger stark ausgesprochene tiefe Molekularstreifen
(wahrscheinlich = V, zellarmer Streifen), endlich die tiefe
Schichtung (VI, s. Fig.5 von x —*).
Weiter oral folgt die Regio olfactiva posterior (auf
Fig. S der distale Teil der mit Kreuzen bezeichneten Region):
Die Zonalschicht ist erheblich schmäler, 0,12—0,15 mm
breit, der oberflächliche Streifen der Regio retroolfaetiva
ist nicht mehr kenntlich; dagegen finden sich statt seiner
ein-, zwei-, selten mehrschichtige Reihen und Gruppen,
Inseln etwas kleinerer chromophiler sehr unregelmässig
geformter Elemente mit einer gewissen Neigung zur Trans-
versalstellung der Längsachse; sie sind von der folgenden
Schicht (III + IV) durch einen breiteren, oberflächlichen
Molekularstreifen getrennt, man könnte auch sagen, dass
die Zellinseln in der breiten Zonalschicht liegen; einzelne
Exemplare der Zellen sind bis dicht an die Oberfläche ver-
streut. Nach vorn zu werden die Reihen und Gruppen
etwas kontinuierlicher. Die tieferen Schichten bieten keine
erheblichen Abweichungen (Fig. 6, x — *).
Die Regio olfactiva anterior (Fig. 8: der orale Teil
der mit Kreuzen versehenen Region): Die-Zonalschicht wird
wieder breiter (0,2 mm), ist übrigens, zumal in den oralsten
Teilen, medial breiter als lateral, eine Folge des Eintritts
der Fasern des Tractus olfactorius. Unter der Zonalschicht
sammelt sich ein ganz dichtes, mehrschichtiges Band
486 Max Völsch:
meist länglicher chromophiler Zellen, die deutlich kleiner
sind, als die der vorigen Region. Das Band, durch Ein-
senkungen der Zonalschicht hie und da festoniert, erreicht
schliesslich die Fissura rhinalis lateralis; die Inseln der
Regio olfactiva posterior erhalten sich am längsten lateral,
da die Ausbildung des Bandes von medial nach lateral fort-
schreitet. Auch hier zeigen die tiefen Schichten keine
erheblichen Veränderungen gegen die Regio retroolfactiva
(Bier):
4. Die Abscheidung der Regio intermedia (Fig. 5, kreuz
und quer schraffiert) rechtfertigt sich durch folgende Eigentüm-
lichkeiten: In den distalen Teilen haben die Zellen des ober-
tlächlichen Zellenstreifens (II) ein anderes Aussehen, sie nähern
sich dem Typus der rundlichen, blasenförmigen Zellen, sind wohl
auch etwas dichter gelagert, als im entsprechenden Zellenstreifen
der Regio retroolfactiva. Weiter vorn verwischt sich dieser Unter-
schied in der Gestalt der einzelnen Elemente freilich, aber einmal
fehlen hier durchaus die Zellinseln der Regio olfactiva posterior,
andererseits erreicht der oberflächliche Zellstreifen nie auch nur
annähernd die Dichtigkeit des für die Regio olfactiva anterior
charakteristischen Bandes. Abgesehen von gewissen, wenig in
die Augen fallenden Differenzen der folgenden Schicht (IH + IV)
unterscheidet sich die Regio intermedia von der Regio olfactiva
dann aber auch noch durch die sehr viel stärkere Entwicklung
des tiefen zwischen III +1V und der sechsten Schicht gelegenen
Molekularstreifens, der in diesem Bezirk besonders in den distalen
Ebenen immer sehr deutlich, für den Bezirk geradezu charak-
teristisch ist (s. auch unten p. 493).
Weiter vorn wird dann die Regio intermedia bei allen
Tieren (ausser dem Affen) zu der Rinde, welche den Mandelkern
von der medialen Seite her umkleidet, resp. zu einem mehr oder
weniger erheblichen Teil dieser Rinde.
Das Hauptkennzeichen des dritten und vierten Bezirks ist
also der Ersatz der Lamina granularis externa durch weit grössere
bis sehr grosse, natürlich spärlichere Zellen, zwischen welchen
sich vielfach mehr oder weniger vereinzelte kleine Zellen nach-
weisen lassen, vielleicht Rudimente der äusseren Granularschicht;
sie treten jedoch durchaus hinter den grossen Zellen zurück und
eine Gruppen- oder „Plejaden“-Bildung von kleinen Zellen kann
Anatomie des Mandelkerns etc. 487
ich bei keinem der untersuchten Tiere nachweisen. Der gross-
zellige Streifen ist vielfach durch einen schmalen zellfreien Raum
von den folgenden Schichten getrennt. Ein ferneres Merkmal ist
die relativ starke Entwicklung eines tiefen Molekularstreifens, am
stärksten in den distalen Teilen der Regio intermedia.
Wenn ich nun die entsprechenden Gebiete bei den anderen
Tieren festzustellen suche, so scheinen mir, was zunächst die
Frage der Zulässigkeit der Trennung der Regio intermedia von
der Regio olfactiva anbetrifft, bei Igel und Maus sehr ähnliche
Verhältnisse vorzuliegen, wie beim Frettchen, wenn auch die
vielfach recht erheblichen Strukturdifferenzen der Zellen dort
und hier den Vergleich von Rindenbezirken, die nur unerheblich
voneinander abweichen, äusserst erschweren. Wenn ich Textfig. 5
des ersten Teils der Arbeit vom Igel (p. 596) in Vergleich stelle
zu Fig. 5 vom Frettchen, so entspricht der um die Furche d
herumliegende Bezirk der Pars intermedia, wobei die in ihrer
Ausbildung ja recht wechselnde Furche nicht die Grenze darstellt;
die Pars intermedia überragt sie vielmehr lateralwärts. Sehr
deutlich tritt ferner in den oraleren Ebenen, wo sich beim Igel
bereits das charakteristische Band der Regio olfactiva anterior
ausgebildet hat (s. unten), der Unterschied der Formationen
hervor; das Band hört immer schon in gewisser Entfernung vor
dem medialen Hemisphärenende auf und die Pars intermedia
bildet die mediale Umhüllung des sich ausbildenden Mandelkerns
(Fig. 3, Taf. XXXVI ersten Teils, mit welcher Fig. 13 vom
Frettchen in Parallele zu stellen wäre; die nicht ausgeführte
Rinde der Regio olfactiva sieht hier ganz so aus wie auf Fig. 7).
Auch bei der Maus differiert der basale Teil der Rinde des
Lobus pyriformis, wenigstens in den distalen Ebenen, in seinem
Bau ausgesprochen gegen die lateralen Teile, und es ist meines
Erachtens auf Fig. 14, Taf. XXXIX des ersten Teils die Analogie
dieser basalen Partie mit der Regio intermedia recht einleuchtend.
Bei Lemur wird die Abscheidung des intermediären vom
olfaktiven Bezirk recht schwierig und beim Affen sind im Zell-
präparat kaum noch Differenzen in der Struktur und im Aufbau
der Zellen aufzufinden, welche eine solche Scheidung anders als
in regionärem Sinne berechtigt erscheinen liessen.
Wichtiger scheint mir die Frage, ob und wie weit die bei
Fötorius vorgenommene Teilung der Regio olfactiva in drei
488 Max Völsch:
Unterabteilungen in sagittaler Richtung sich bei den übrigen
Tieren wiederfindet. Die Merkmale für diese Unterabteilungen
liegen, um es noch einmal mit ganz wenigen Worten zusammen-
zufassen, im wesentlichen in den Differenzen der Gestaltung der
oberflächlichsten Zellschicht (ID und der Zonalschicht (D. In
den distalsten Teilen der Region (Regio retroolfactiva) fand ich
eine breite Zonalschicht und einen lockeren Streifen sehr grosser
pyramidaler Zellen; in den mittleren Teilen (Regio olfactiva
posterior), in denen dieser Streifen sich verlor, Inseln von etwas
kleineren, immerhin noch recht stattlichen multiformen Zellen,
weit in die Zonalschicht gegen die Oberfläche vorgeschoben und
endlich in den oralsten Partien ein ganz dichtes und nach vorn
zu immer dichter werdendes Band noch etwas kleinerer, meist
länglicher Zellen unterhalb der breiten Zonalschicht.
Beim Igel finde ich in der durch Fig. 5 (Teil I, p. 596)
repräsentierten Höhe nun ein Bild, welches sehr lebhaft an die
Regio retroolfactiva erinnert: unter der breiten (0,19—0,2 mm)
Zonalschicht verläuft als zweite Schicht ein Streifen oder ein
lockeres Band grosser lebhaft gefärbter Zellen (R’), auf welche
dann die viel lockerere und mit viel spärlicheren Zellen versehene
R“-Schicht folgt (= III. + IV. Schicht). Bald vor dem durch
die Fig. 5 dargestellten Schnitt bildet sich dann aber von der
lateralen Grenze der Regio intermedia aus (welche also zwischen
d und y liegt), lateralwärts schnell fortschreitend ein ganz dichtes
Zellenband, dessen Elemente weiterhin gewisse Wandlungen er-
leiden (vergl. p. 608, Teil D, welches alsbald aber die ganze
fragliche Rindenpartie bis zur Fissura rhinalis lateralis umzieht.
Die Identität mit der Regio olfactiva anterior ist meines Er-
achtens evident. Es würde danach bei Erinaceus die zwischen
der Regio olfactiva anterior und der Regio retroolfactiva gelegene
tegio olfactiva posterior fehlen. Doch glaube ich hier daran
erinnern zu sollen, dass ich in der kaudalen Kuppe des Lobus
pyriformis des Igels noch eine oberflächlichste Zellenschicht
(R, vergl. p. 620, I. Teil) fand, welche den übrigen Schichten
sich gewissermassen auflegte und wenigstens auf der lateralen
Seite bis in die Höhe der Fig. 5 zu verfolgen war; auch in Fig. 5
sind noch Reste davon ventral von » erhalten. In der Tat ist
diese R-Schicht, wie ich auch jetzt bei der Nachkontrolle finde,
in die Zonalschicht vorgeschoben, die Breite der letzteren beträgt
Anatomie des Mandelkerns ete. 489
nur etwa 1,45 mm und zwischen R und den tieferen Schichten
(II ete.) ist vielfach ein zellfreier Streifen sichtbar. Zwar ver-
läuft der Zellenstreifen ziemlich kontinuierlich, doch fehlt es
nicht hie und da an Unterbrechungen und Gruppenbildungen.
Vielleicht ist der Befund identisch mit der Beobachtung Gansers,
wonach bei Talpa in der hinteren Region des Gehirns eine
Zerlegung der oberflächlichen Schicht in zwei Abteilungen statt
hat. In jedem Fall scheint mir die Analogie mit der Regio
olfactiva posterior naheliegend. Ist das richtig, dann darf man
vielleicht annehmen, dass beim Igel die Formationen der Regio
retroolfactiva und olfactiva posterior auf ein Gebiet zusammen-
gedrängt sind.
Auch bei der Maus ist der Lobus pyriformis in seinem
distalen Teil von einem lockeren Streifen grosser, stark gefärbter
pyramidaler Zellen umgeben (Schicht II) = Regio retroolfactiva.
Auch hier fanden wir ferner in gewissen Ebenen eine deutliche
Zerlegung dieser oberflächlichen Zellschicht in zwei Lagen, welche
durch einen zellfreien Streifen getrennt waren (I. Teil, p. 657, in
Fig. 13, Taf. XXXIX angedeutet), und ich kann hinzufügen, dass
auf einzelnen Präparaten der Zerfall der oberflächlicheren Lage in
einzelnen Gruppen recht deutlich zu Tage tritt. Dürfen wir hierin
also das Analogon zu den Zellinseln der Regio olfactiva posterior
des Frettehens sehen, so ist in den oraleren Teilen die Überein-
stimmung noch weit überzeugender; auch bei der Maus markiert
sich die Regio olfactiva anterior scharf durch ein dichtes Zellen-
band (s. Fig. 16—20, Taf. XL, Teil I); dessen Zellen haben auch
hier wieder ein recht wechselndes Aussehen.
Bei Lemur sehe ich in den distalsten Teilen die zweite
Schicht als einen vergleichsweise dichten Streifen grosser, gebläht
aussehender (wahrscheinlich artefiziell schwer veränderter) rund-
licher Zellen. Das Stratum zonale ist ziemlich schmal, 0,13 bis
0,14 mm breit (wahrscheinlich geschrumpft). Wahrscheinlich ent-
spricht dieses Gebiet der Regio retroolfactiva. Etwa in der Höhe,
in welcher die Rhinalis deutlich zu werden beginnt, scheint mir
eine gewisse Neigung zur Gruppenbildung in diesen Zellen auf-
zutreten, auch wird die Zonalschicht wohl noch etwas schmäler;
doch sind die erwähnten Abweichungen dieses Übergangsgebietes
(das der Regio olfactiva posterior entsprechen würde) recht un-
sicher. (Ganz deutlich bildet sich dann aber weiter oral das
490 Max Völsch:
für die Regio olfactiva anterior charakteristische dichte Band
kleinerer, und, wie mir scheint, nach vorn immer kleiner werdender
Zellen aus.
Der Lobus pyriformis des Macacus hat dagegen, wie mir
scheint, prinzipiell einen der Schilderung beim Frettchen ganz
analogen Aufbau. In den distalsten meiner Schnitte sehe ich als
zweite Schicht einen nicht sehr dichten. ziemlich kontinuierlichen
Streifen sehr grosser, massiger, tiefblau gefärbter, eckiger, viel-
fach pyramidenförmiger, aber auch unregelmässig geformter Zellen;
sie liegen zu 2—3—4 übereinander geschichtet; der Streifen
zeigt nur hie und da kleine Lücken. Die Zonalschicht ist ziemlich
breit, 0,16—0,19 mm. Ich glaube sicher zu sein, die Formation
der Regio retroolfactiva vor mir zu haben. Etwa in der Höhe
der Mandelkernentwicklung zerklüftet sich dann dieser Streifen
mehr und mehr, es bilden sich, je weiter nach vorn um so aus-
gesprochener streifenfürmige und kugelige Gruppen von Zellen,
die, wie ich bestimmt behaupten möchte, doch auch hier etwas
kleiner sind, als die weiter rückwärts liegenden; und endlich
rücken diese Zellinseln doch auch ein wenig gegen die Oberfläche,
die Zonalschicht verschmälert sich auf 0,14 mm und weniger. Diese
Formation, die also alle Kriterien der Regio olfactiva posterior
hat, erhält sich nur eine weite Strecke nach vorn. Erst da, wo
das frontale Ende des Mandelkerns liegt, verschwinden diese
immerhin doch noch recht grossen Inselzellen und von der Gegend
des Traetus olfactieius her überzieht sich der ganze Lappen mit
einem dichten Bande ausgesprochen kleinerer Zellen, welches dann
auch die orale streifenförmige Fortsetzung der Formation an der
Basis des Stirnhirns kennzeichnet. Diese letzteren beschreibt
Calleja') als „die unter der äusseren Wurzel gelegene Rinde“
(Mensch ?) in einer mit meinem Befunde übereinstimmenden Weise.
Nur, dass sich genau dieselbe Rinde, wenigstens genau dasselbe
„gewundene wellige Band“ (seiner dritten Schicht) auch noch auf
den oralsten Teil des makroskopischen Lobus pyriformis beim
Affen fortsetzt. Ich halte die ganze Formation für identisch
mit der Regio olfactiva anterior des Frettchens.
Leider ist es mir nicht möglich gewesen, die Differenzen
aufzuklären, welche sich zwischen dieser Darstellung und der
!) Zitiert nach Cajal, l.c. p. 28.
Anatomie des Mandelkerns ete, 491
Beschreibung und Abbildung der entsprechenden Gebiete bei
Brodmann') finden. Sein Typus 28 (Taf. 10 resp. p. 193) dürfte
wohl mit der Reg. olf. post. identisch sein. Nach dem Situations-
plan auf Taf. 12, Fig. 2 könnte der Typus 27 der Lage nach der
Regio retroolfactiva entsprechen; doch stimmt weder die Ab-
bildung (Taf. 10), noch die Beschreibung p. 193 genau damit überein.
Zur Verdeutlichung der von mir angenommenen Analogien
diene der folgende tabellarische Hinweis auf die entsprechenden
Abbildungen:
Reg. retroolfactiva Reg. olfact.post. Reg. olfact. ant.
Isele., ., =... Teil Textfigur 5 I. Teil, Rio. 3, Tf.XXXxVIi
Maul... 1. Teil Fig. 13, Taf. xXXIX I. Teil, Fig. 17, Taf.XL
Frettchen . Fig. 5 Fig. 6 Fig. 7
Halbaffe . . Fig. 22 _ Fig. 23 u. 24
ANIBRNKSTTS: Fig. 25 Fig. 27 (Ähnlich wie Fig. 24)
Ich glaube also, die Teilung der Regio olfactiva in drei
sagittal hintereinander liegende Unterabteilungen als eine mehr
oder weniger deutlich durch die ganze Säugetierreihe zu ver-
folgende Erscheinung ansprechen zu dürfen. Ohne bezüglich der
funktionellen Bedeutung der einzelnen Teile ein Urteil aussprechen
zu wollen, möchte ich nur darauf hinweisen, dass die Fasern des
Traetus olfactorius sich in erster Linie jedenfalls in der durch
den dichten Zellenkranz ausgezeichneten Regio olfact. anterior
und erst in zweiter Linie in der Regio olfactiva posterior aus-
breiten; die sich in der Regio olfactiva anterior bemerkbar
machende Verbreiterung der Zonalschicht ist der Ausdruck der
Einstrahlung der Tractusfasern. Ein Fingerzeig für die Bedeutung
der Reg. olf. ant. scheint mir ferner auch in dem Verhältnis ihrer
Ausdehnung zu den anderen Abteilungen der Regio olfactiva zu
liegen. Bei den untersuchten niederen Säugern bis zum Halb-
affen hinauf, durchweg makroosmatischen Tieren, nimmt die Regio
olfactiva anterior einen relativ sehr grossen Platz innerhalb des
Lobus pyriformis ein, bei dem anosmatischen Macacus fast nur
die vordere kleine Kuppe des Läppchens und den sich auf die
Basis des Stirnhirns fortsetzenden schmalen Streifen.
5. Endlich unterschied ich beim Frettchen als medialste
Region des Lobus pyriformis die Regio medialis resp. prä-
9) Beiträge zur histologischen Lokalisation der Grosshirnrinde. Dritte
Mitteilung: Die Rindenfelder der niederen Affen. Journal für Psychologie
und Neurologie, Bd. IV, Hft. 5/6, p. 177 ft.
492 Max Völsch:
subieularis (identisch mit dem inneren zentralen Bezirk des
Ammonshorns bei Cajal), (auf Fig. 8, der schmale unschraffierte,
medialwärts durch eine punktierte Linie begrenzte Streifen). Unter
einer breiten Zonalschicht folgt (Fig. 4 und 5 xx —-«) ein breiter,
aus durchweg kleinen, körnerartigen oder auch pyramidalen Zellen
zusammengesetzter Streifen, welcher den Schichten II, III und IV
des Grundtypus entspricht und sich medialwärts in die gleichen
Schichten der medialen Rinde fortsetzt. Darunter der breite
Molekularstreifen (V) und die Lamina multiformis.
Von den Frontalebenen an, wo die Einstülpung der tiefen
Schichten der Rinde des Lobus pyriformis in das Ammonshorn
in den Schnitt kommt, umgreift dieser mediale Rindenteil rinnen-
oder hakenförmig die Einstülpungsstelle und lässt sich als Rudi-
ment der äusseren Schichten noch ein Stück weit in das Ammons-
horn hinein verfolgen (Fig. 6). zugespitzt endigend. Erst in
dieser Höhe hat natürlich die Bezeichnung als präsubikuläre Rinde
ihre Berechtigung und gerade deshalb habe ich sie als „mediale“
bezeichnet, weil sich genau dieselbe Formation, wenigstens beim
Frettchen, schon in distaleren Ebenen findet, wo von einem Prä-
subiculum noch nicht die Rede sein kann. Hiervon abgesehen
deckt sich die Schilderung, die R. y Cajal!) von der präsubi-
kulären Rinde gibt (Kaninchen, Meerschweinchen, Maus), mit
meinen Bildern. — Je weiter nach vorn, um so mehr ver-
schmälert sich der Umschlagshaken, „zieht sich medialwärts zu-
rück“, um sich schliesslich ganz zu verlieren (Fig. 7). Die Gestalt
der Umschlagsplatte in toto verglich ich daher mit einem Blatt
Papier, welches man zu einer Düte einzurollen beginnt; besser,
mit dem Teil des Papiers, welches man bei dieser Prozedur mit
der linken Hand fasst; da, wo der Daumen der rechten Hand
liegt, ist die vordere Endigung der Umschlagsplatte.
Beim Igel und bei der Maus konnte ich mich von der
Existenz eines solchen medialen Teils des Lobus pyriformis,
resp. eines Umschlagshakens an dem ventralen Schenkel des
Ammonshorns nicht überzeugen (doch siehe unten die Zusammen-
fassung. über das Ammonshorn). Es hängt das vielleicht mit der
Kürze und Kleinheit dieses Schenkels bei den genannten Tieren
zusammen.
') l.e.p. 45 und Abbildung 16, p. 46.
Anatomie des Mandelkerns etc. 493
Beim Halbaffen und Affen hingegen findet sich der
mediale Teil in Form des Umschlagshakens in prinzipiell genau
derselben Weise wie beim Frettchen (Fig. 22 von Lemur, Fig. 25
und Fig. 26 vom Macacus). In der Form, wie in Fig. 4 und 5 vom
Frettchen, als Übergangsgebiet in die Rinde der medialen Pallium-
wand kann er bei diesen Tieren nicht existieren, weil in den
Frontalhöhen, in welchen der Lobus pyriformis distal beginnt, das
Ammonshorn bereits entwickelt und in seine beiden Schenkel
geteilt ist, mit anderen Worten. weil schon der distalste Teil der
Rinde des Lobus pyriformis sich in den ventralen Schenkel des
Ammonshorns einstülpt. —
Was nun schliesslich die Faserung des Lobus pyriformis
betrifft. so ist der zentrale Teil, die Regio olfactiva + intermedia,
bei allen nach Weigert-Pal untersuchten Tieren (Igel, Kanin-
chen, Frettchen, Affe) durch die starke Entwicklung der Radiär-
faserung ausgezeichnet, die einmal den Lappen sich gewöhnlich
auf den ersten Blick von den benachbarten faserärmeren Pallium-
teilen abheben lässt, und ferner auch die genannten Regionen
vor den sonst unterschiedenen Regionen des Lappens selbst aus-
zeichnet. Jedenfalls hat die Regio medialis, auf welche ich sogleich
noch eingehe, auch im Faserpräparat ein ganz anderes Aussehen,
die Regio prärhinencephalis, welche ich im Zellpräparat bei ver-
schiedenen Tieren fand, markiert sich im Faserpräparat nicht,
und beim Frettchen, bei welchem ich allein eine sichere Regio
tissuralis abtrennen konnte, ist die letztere viel faserärmer, als
die ersterwähnten (Gebiete. Innerhalb dieser Gebiete bringt nun
ferner das Faserpräparat beim Frettchen ein neues Kriterium
für die Abscheidung der Regio intermedia von der Regio olfactiva:
die starke Entwicklung zweier querverlaufender Faserstreifen,
entsprechend dem tiefen und dem oberflächlichen Molekularstreifen,
in der intermediären Region, wenigstens in ihren distaleren Teilen.
Namentlich der tiefe Faserstreifen (zwischen der III. + IV. und
der VI. Zellschicht und wohl als Ersatz der V. zellarmen
Schicht aufzufassen) ist beim Frettchen sehr stark ent-
wickelt, und auch beim Affen finden sich in den distalen
Teilen des Lappens unverkennbare Andeutungen dieses Faser-
streifens, bald in Gestalt eines wirklichen Streifens, bald in
Gestalt einzelner querverlaufender Fasern, die wohl eine ge-
nügende Handhabe geben, um auch bei den Primaten den
Archiv. f. mikr. Anat. Bd. 76. 33
494 Max Völsch:
intermediären Teil als ein qualitativ von der Regio olfactiva ver-
schiedenes Gebiet anzusehen.
Die Regio olfactiva ist ferner charakterisiert durch die reich-
liche, ja massenhafte Faserdurchflechtung der tiefen (VI.) Rinden-
schichten, durch welche sich dieselbe im Faserbilde, zumal in den
oralen Teilen des Lappens, als ein dichtes Fasergeschlecht präsen-
tiert. Vergleiche die Palbilder vom Igel auf Taf. XXXVIII und
XXXIX desI. Teils und die Fig. 18 und 19 vom Frettchen, auf denen
ich dies Geflecht anzudeuten versucht habe. Beim Affen freilich
ist es viel spärlicher entwickelt. Wie schon erwähnt, halte ich
es für identisch mit dem von R. y Cajal l.c. p. 85 beschriebenen
und Fig. 33 abgebildeten Geschlecht bei der Maus; wenn Cajal
dasselbe als ein Endgeflecht lediglich der Kommissurenfasern an-
sieht, so möchte ich doch glauben, dass auch andere, Projektions-
fasern, aus ihm ihren Ursprung nehmen.
Jenseits dieses Geflechtes sammeln sich nun die Fasern des
tiefen Markes an, über deren weiteren Verlauf ich folgendes sagen
kann: In den distalen Teilen des Lappens (Regio retroolfactiva
und vielleicht auch noch zum Teil Regio olfactiva posterior [?])
ist das Hauptabflussgebiet dieser Fasern das Ammonshorn, sowohl
des Alveus, in welchen das tiefe Mark des Lobus pyriformis
direkt umbiegt, als das Stratum zonale, wohin seine Fasern
mittelst der perforierenden Fasern gelangen (Frettchen).
In den oralen Teilen des Lappens, der Endigungsstätte des
Tractus olfactorius — ich wies bereits darauf hin, dass da in
erster Linie die Regio olfactoria anterior in Betracht kommt
— scheint mir der Verlauf der tiefen Markfasern ein recht mannig-
faltiger. Um das beim Igel (p. 634, 635 u. a.), beim Frettchen
(p. 422) und beim Affen (p. 474 ff.) hierüber Gesagte kurz zu-
sammenzufassen, glaube ich Verbindungen zu finden zu der den
Mandelkernhauptkomplex umgebenden Faserkapsel, ferner in den
Mandelkern hinein, sowie um ihn herum und durch ihn hindurch
zu dem mittelgrosszelligen (E) und grosszelligen (Basalganglion)
Kern der Regio lenticularis und zur Stria terminalis (vielleicht
auch in den Linsenkern), ferner direkte Verbindungen zu den
genannten Gebilden (so dicht vor dem Mandelkern zu den erwähn-
ten Kernen, so namentlich aus der in der Höhe des Mandelkerns
zu seinem Rindenanteil modifizierten Regio intermedia), sodann
Verbindungen zur Capsula externa und zur vorderen Kommissur,
Anatomie des Mandelkerns etc. 495
und endlich in den oralsten Teilen solche zur Capsula extrema
und zum Claustrum resp. zur „Rinde am Kopfe des Streifen-
hügels“.
(Ganz anders als im zentralen Bezirk ist der Rindenfaser-
bau inder Regio medialis resp. — in der Höhe der Ammons-
einrollung — präsubieularis. Hier fällt zunächst sowohl beim
Aften, als beim Frettchen die Massigkeit der Tangentialfaserung
auf, die sich bei letzterem in den distalen Teilen (hinter der Höhe
der Ammonseinrollung) in die Zonalschicht der medialen Pallium-
rinde, in den oraleren Teilen in das Stratum zonale des Ammons-
horns und zwar in seine oberflächliche Lage ergiesst. Es folgt
das mit einem feinen Fasernetz erfüllte Gebiet des die II., IH., IV.
Zellschicht repräsentierenden kleinzelligen Haufens oder Streifens
(in der präsubikulären Höhe als „Umschlagshaken“ erscheinend);
das Fasernetz dürfte aus dem tiefen Faserstreifen des lateral
angrenzenden intermediären (Grebietes stammen und ist, wie dieser,
beim Frettchen viel ausgesprochener wie beim Affen. Bei ersterem
setzt sich der Faserstreifen auch noch in das mediale Gebiet
hinein fort. In den noch tiefer gelegenen Schichten (VI) bilden
zahlreiche, sich verästelnde Fäserchen ein Netzwerk. Schliesslich
folgt das tiefe Mark, das sich hinten in das Mark der medialen
Palliumwand, vorn in das Ammonshorn fortsetzt.
II. Das Ammonshorn, worunter nur der eingerollte Teil
der Windung verstanden werden soll, zeigt prinzipiell überall die
gleichen, bekannten Verhältnisse. Nur auf wenige Punkte möchte
ich nochmals ausdrücklich aufmerksam machen. In bezug auf
die Lage bestenen sehr erhebliche Differenzen. Beim Igel und
bei der Maus steigt das Unterhorn des Ventrikels und mit ihm
das Ammonshorn ziemlich senkrecht hinab, eine Unterschiebung
beider Gebilde unter den Stamm bezw. den Stammteil der Hemi-
sphäre ist nur höchst rudimentär vorhanden. Vom Frettchen
aufwärts ist diese Unterschiebung des Unterhorns und des Am-
monshorns sehr ausgesprochen. Demgemäss lässt sich bei Igel
und Maus der dorsale Schenkel des Ammonshorns viel weiter oral-
wärts verfolgen, als der ventrale Schenkel, während bei den übrigen
untersuchten Tieren gerade das entgegengesetzte Verhältnis be-
steht (vergl. die genaueren Angaben p. 411 und 428).
Bei allen Tieren präsentiert sich die Zellschichtung
des Ammonshorns als die räumliche Fortsetzung ausschliesslich
496 Max Völsech:
der tiefsten Schichten der sich einstülpenden Rinde, d.h. der
Rinde des Lobus pyriformis und der medialen Palliumrinde, auf
welch letztere sich das Einstülpungsgebiet bei allen untersuchten
Tieren ausdehnt. Für den Igel habe ich diese Anschauung schon
im ersten Teil mehrfach betont (p. 590, 621) und für die andern
Tiere in den vorhergehenden Abschnitten ausführlich begründet.
Wahrscheinlich ist die Zellschichtung des Ammonshorns die
wesentlich modifizierte Forsetzung nur der multiformen Schicht ').
Wahrscheinlich ferner setzen sich die oberflächlichen Lagen
der multiformen Schicht (VIa) in die „Lage der Pyramiden-
zellen“ des Ammonshorns (v. Kölliker), die tiefen Lagen in
das übrigens sehr spärliche Stratum oriens fort. Die äusseren
Zellschichten der benachbarten Rinde (II—IV) aber machen die
Ammonseinrollung beim Affen, Halbaffen und Frettchen nur ein
Stück weit mit, um alsdann zugespitzt aufzuhören. Die Strecke,
über welche sie die tiefen Schichten bei der Einrollung begleiten,
ist in den distalen Teilen des Lobus pyriformis immer grösser
als in den oraleren Teilen; auf dem Frontalschnitt zieht sich
der durch die äusseren Schichten gebildete „Umschlagshaken“
(die Superpositio lateralis des Palaeocortex über den Archicortex
bei Ariöns Kappers?) je weiter nach vorn, um so mehr
medialwärts zurück, und schliesslich enden die äusseren
Schichten an oder dicht ventral unter der Einstülpungsstelle
des Lobus pyriformis in den ventralen Schenkel des Ammonshorns
(vergl. Fig. 6 und 7 vom Frettchen, Fig. 22 von Lemur, Fig. 25
und 26 vom Affen). Der Umschlagshaken stellt eine, wenigstens
innerhalb des Lobus pyriformis höchst auffällige Modifi-
kation der äusseren resp. der mittleren Zellschichten dar; sie
sind zu einem Streifen kleiner, nicht wesentlich voneinander
differierender Zellen umgewandelt, bei welchen eine Zerlegung
in Schichten unmöglich ist (s. oben „medialer Teil“ des Lobus
pyriformis). Beim Frettchen konnte ich die genau entsprechende
Bildung eines solchen Umschlagshakens auch für den Teil des
Ammonshorns nachweisen, welcher bereits im Gebiet der Rinde
', Anm. bei der Korrektur: Wie ich sehe, vertritt auch Brodmann
diesen Standpunkt. Leider ist mir sein Buch: Vergleichende Lokalisations-
lehre der Grosshirnrinde, Leipzig, 1909, erst nach Fertigstellung dieser
Arbeit bekannt geworden.
?) Folia neuro-biologica, I, 1908. Anat. Anz., XXXTIIIL, 1908.
Anatomie des Mandelkerns etc. 497
der medialen Palliumwand liegt, den Bogenteil der Ammons-
windung (vergl. p. 386 ff. und die Fig. 9 und 10); ob auch hier die
Zellen der äusseren Rindenschichten zu entsprechenden klein-
zelligen Elementen reduziert sind, vermag ich auf den Frontal-
schnitten nicht sicher zu entscheiden. Ich machte schon (p. 389
Anmerkung) darauf aufmerksam, dass beim Igel und, wie ich
hinzufügen möchte, auch bei der Maus sich an der Einrollungs-
stelle der Rinde in den dorsalen Schenkel der Ammonswindung
ein kleinzelliger Komplex findet, welcher das Analogon zu dem
Umschlagshaken der höheren Säuger darstellen dürfte.
Die Gegend, in welcher der kleinzellige Umschlagshaken
oder — als ganzes betrachtet — die oral zugespitzt endigende
Umschlagsplatte sich m das Ammonshorn hinein verfolgen lässt,
ist nichts anderes, als die Regio präsubicularis der Autoren.
Auf diese Gegend folgt in transversaler Richtung, in das
Ammonshorn hinein, das Subieulum, in dessen breiter Zonal-
schicht ich die von Cajal für den Menschen beschriebenen (1. c.
p. 38 und Fig. 13) Inseln kleiner Zellen, auch beim Affen, nicht
nachweisen konnte; übrigens fand auch Cajal diese Inseln bei
niederen Säugern nicht; mein Befund in dieser Gegend deckt
sich durchweg mit seinen p. 45 bezüglich dieser Tiere gemachten
Angaben. Es ist nach meiner Auffassung das Übergangsgebiet,
in welchem sich die Zellen der tiefen Schichten der sich ein-
rollenden Rinde zu denen der eingerollten Rinde, d. h. zu den
typischen Ammonszellen transformieren.
Über die Faserung des präsubikulären Gebietes siehe oben
„mediale Region des Lobus pyriformis“. Hier mag nur nochmals
erwähnt werden, dass das Stratum zonale des Ammonshorns beim
Frettchen wenigstens eine Strecke weit aus einer tiefen und
oberflächlichen Lage besteht, welche beide den Hauptteil ihrer
Fasern aus den perforierenden Fasern beziehen; daneben dürfte
die tiefere Schicht einen Faseranteil aus dem tiefen Faserstreifen
der Regio intermedia, die oberflächliche einen erheblichen Anteil
aus der starken Tangentialfaserung des präsubikulären (Gebietes
erhalten.
Infolge der Uncusbildung entstehen am oralen Ende des
ventralen Schenkels des Ammonshorns sehr eigenartige Frontal-
schnittsbilder beim Affen und Halbatften (vergl. p. 456 und 440 £.).
Auch beim Frettchen besteht bereits ein Uncus. Derselbe liegt
498 Max Völsch:
beim Frettchen und beim Halbaffen medial vom vorderen Ende
des Ammonshorns, beim Affen infolge der Drehung der Hemisphäre
um eine sagittale Achse dorso-medial, fast dorsal (vergl. Fig. 5,
22 und 25).
Il. Dass der Tractus olfactorius sein Hauptaus-
strahlungsgebiet in den oralen Teilen des Lobus pyriformis, in
erster Linie in der durch den kontinuierlichen dichten Zellenkranz
der zweiten Schicht ausgezeichneten vorderen olfaktiven Region
hat, darauf wurde schon oben hingewiesen. Die Regio retroolfactiva
kann meines Erachtens als direkte Endigungsstätte seiner Fasern
nicht in Betracht kommen. — Ferner kann ich nur bestätigen,
dass er in oralen Ebenen auch Fasern medialwärts schickt,
schon in der Höhe des „Kerns des sagittalen Längsbündels der
Stria terminalis“ (Kaninchen, Frettchen, nach Ganser auch
Talpa, während ich für den Igel diese Verbindung nicht auffinden
konnte), und noch weiter oral in das Tuberculum olfactorium
hinein, wenn auch nur eine kurze Strecke weit (Igel, Affe). Für
den Affen konnte ich ferner die von Kölliker für den Menschen
(l. e. p. 727 und Fig. 771) beschriebene Verbindung mit der
Capsula externa auffinden; dagegen blieb die Identität eines von
der vorderen Kommissur herkommenden, nur streckenweise ge-
troffenen Bündels mit dem an derselben Stelle von Kölliker
beschriebenen Kommissurenbündel zweifelhaft. — Sehr bemerkens-
wert scheint mir endlich eine Lageverschiebung des Traetus
olfactorius, die beim Halbaffen und Affen eintritt. Bei Igel,
Kaninchen, Frettchen verläuft er innerhalb des Lobus pyriformis
immer an der Grenze der Mandelkerngegend (resp. soweit er
dieselbe etwa distalwärts überragt) der Regio intermedia gegen
die olfaktive Region. Die ihn aufnehmende Fissura rhinalis
medialis bildet die allerdings nicht unmittelbare Fortsetzung der
Furche d, welche als ungefähre Grenze des olfaktiven und inter-
mediären Bezirks angesehen werden darf (Fig. 17—19 und I. Teil
10— 12, Taf. XXXIX, vergl. auch Kölliker l. c. p. 721; die Figuren,
auf welche er verweist, stammen durchweg von Kaninchen-
präparaten }. Beim Halbaffen und Affen verläuft der Traectus
vielmehr jenseits des Mandelkerns bezw. des intermediären Ge-
bietes, direkt im Sulcus hemisphäricus (Fig. 24). Auch hierfür
Ci Die Zahlen 717—719 sind offenbar irrig; es soll heissen 715—71.
Die Fig. 746 fehlt.
Anatomie des Mandelkerns ete. 499
gibt Kölliker (l. c. p. 725) einen Beleg durch Hinweis auf Fig. 596
(p. 434), welche sich nun aber auch auf den Menschen bezieht!
IV. Der Mandelkern. Für den Mandelkern der Primaten
(Affe) akzeptiere ich im wesentlichen bezüglich der groben Verhält-
nisse die Darstellung Köllikers, welche ich schon in der Einleitung
des ersten Teils wiedergab: es ist in der Tat eine „dicke graue
Masse unterhalb des vorderen Teils des Linsenkerns, welche die
Spitze des Unterhorns nach vorn begrenzt und als grosser,
vor der Spitze des Ammonshorns gelegener Wulst in das Unter-
horn vorspringt. An drei Seiten, medial, ventral, lateral wird
die graue Substanz dieser Anschwellung von weisser Substanz
umgeben und hängt nur an der dorsalen, medialen Seite mit der
Rinde der Spitze des Unterlappens zusammen.“
Die mikroskopische Untersuchung der Zellpräparate erweist
nun aber, dass dieses Gebilde keineswegs homogen gebaut ist,
dass es vielmehr aus mehreren sich durch Grösse, Gestalt, Färb-
barkeit und Lagerung der Zellelemente scharf gegeneinander ab-
hebenden Teilen besteht. Ich unterscheide am Mandelkern zunächst
drei, eine kompakte Kernmasse, den Hauptkomplex des
Mandelkerns, bildende Unterkerne (Fig. 27, auf welcher er
annähernd seine grösste Ausdehnung erreicht hat):
1. den lateralen mittelgrosszelligen Kern (M)!),
2. den zentralen grosszelligen Kern (T‘),
3. den medialen mittelgrosszelligen Kern (T). Vielleicht
könnten gerade in diesem Kerne noch weitergehende Differen-
zierungen vorgenommen werden; doch sind die Abgrenzungen so
unscharf, dass ich darauf verzichte. Der Kern T geht in der
Basis des ganzen Kerngebietes allmählich und ohne scharfe Son-
derung in den Kern Müber. Beide zusammen umfassen also gewisser-
massen den zentralen, grosszelligen Kern im Bogen von unten
her. Medialwärts an T schliesst sich
4. der Rindenanteildes Mandelkernsan, die Rinde
B, welche eng mit den Teilen ad 1—3 verschmolzen ist und
meines Erachtens unbedingt dazu gerechnet werden muss. — Aus
Gründen der phylogenetischen Entwicklung und wegen einer viel-
leicht vorhandenen funktionellen Verwandtschaft kann man
!) Er ist, wie ich vermute, identisch mit dem Corpus poststriatum
von Ziehen bei Didelphys, 1. c. Teil I, p. 575.
500 Max Völsch:
5. auch den kleinzelligen medialen sublenti-
kulären Kern (D) zum Mandelkern rechnen, obwohl er, wie
Fig. 27 zeigt, wenigstens beim Affen und in dieser Höhe nicht
in unmittelbarstem Zusammenhang mit dem übrigen Zellkomplex
steht. Vielleicht kommt
6. endlich auch noch ein lateraler accessorischer
Kern hinzu, welcher erst in oraleren Ebenen erscheint und auf
Fig. 27 nicht sichtbar ist.
Schliesslich könnte man auch daran denken, den beim Affen
überhaupt nicht aufgefundenen, aber bei allen andern Tieren scharf
markierten „Kern des sagittalen Längsbündels des Stria“ (D‘) als
einen oralen abgesprengten Teil des Mandelkerns aufzufassen ;
doch steht dieser Kern in gar keinem räumlichen Konnex mehr
mit dem letzteren und wird daher besser als besonderes Gebilde
angesehen. Ebenso möchte ich auch die lateralen sublentikulären
Kerngruppen (E) einstweilen nicht zum Mandelkern rechnen, aus
Gründen, welche weiter noch zu erörtern sind.
Wenn ich nun die Frage des Verhaltens aller dieser Gruppen
bei den untersuchten niederen Säugern aufwerfe, so bedarf es
eigentlich nur des Hinweises auf die entsprechenden Abbildungen,
um die weitgehende Analogie, ja vielfach die vollkommene prin-
zipielle Übereinstimmung der Befunde sofort in die Augen fallen
zu lassen. Nur den lateralen accessorischen Kern (6), dessen Be-
deutung und Zugehörigkeit zum Mandelkern übrigens auch beim
Affen äusserst zweifelhaft ist (vergl. p. 462 und 475, X), habe
ich bei keinem der niederen Säuger feststellen können. Alle
anderen Gruppen finden sich wieder. Die weitgehendste Ähnlichkeit
zeigt der Mandelkern des Halbaffen.
1. Bezüglich der ad 1—3 erwähnten Gruppen (T+ T’+M),
den Mandelkernhauptkomplex, habe ich für den Halb-
affen tatsächlich nur auf Fig. 23 zu verweisen. Beim Frettchen
ist M und T wiederum ohne weiteres zu identifizieren (Fig. 14),
T’ zeichnet sich nicht so scharf ab, markiert sich aber doch in
absolut überzeugender Weise durch die Grösse und Tinktion der
Zellen im dorsalen Gebiet von T als ein besonderer Komplex. —
Nicht ganz so augenfällig ist die Analogie mit den entsprechenden
Zellgruppen bei der Maus und beim Igel. Immerhin kann m. E.
kein Zweifel sein, dass die dort mit T und M bezeichneten Ge-
bilde tatsächlich den beiden mittelgrosszelligen Kernen entsprechen .
Anatomie des Mandelkerns etc. 501
die Identität der Lage des Kerns, das Anschwellen und Abschwellen
bei der Verfolgung der Frontalserie, auch die Differenzen der
Zellelemente und vor allem der völlig übereinstimmende Verlauf
der Faserung (s. u.) beseitigen alle etwaigen Bedenken (vergl.
Fig. 3 und 4, Taf. XXXVII und 16—19, Taf. XL, I. Teil). Auch
T’ ist bei beiden Tieren vorhanden, wenn auch nicht so scharf
abgegrenzt, wie beim Affen und Halbaffen. Ich erwähnte aber
p. 601 und 623 Teil I im dorsalen Teil von T grosse, „ausser-
ordentlich mächtige“ Zellexemplare, entlang der Ventrikelwand
des Igels, und p. 664 die Durchdringung des Haufens T bei der
Maus durch sehr grosse, dicke, plumpe, tiefblau gefärbte, meist
dreieckige Zellen in den oraleren Teilen der Zellgruppe.
So kann meines Erachtens jetzt mit voller Sicherheit gesagt
werden, was ich schon im ersten Teil als wahrscheinlich andeutete,
dass Ganser (I. Teil, p. 576) mit seiner Auffassung über den
Mandelkern des Maulwurfs Recht hat; inder Tatentsprechen
diese bei den niederen Säugern nicht so scharf
gegen das Striatumabgeschiedenen Gebiete(T,T‘,M)
dem Mandelkern resp. dem wesentlichsten Teil
des Mandelkerns der Primaten, und gehören nicht
zum Striatum, wie Kölliker, R. y Cajal!) mehr oder
weniger ausgesprochen annehmen.
Recht auffällig ist die Verschiedenheit der Lage der be-
sprochenen drei Gruppen, welche überall zusammen ein kompaktes
(ranzes, die Hauptmasse des Mandelkerns, bilden, in ihrem Ver-
hältnis zum Ventrikelunterhorn. Die. Zellmassen liegen bei Igel,
Maus und auch beim Frettchen, welches ja schon ein erheblich
unter den Stammteil der Hemisphäre von hinten nach vorn
hinuntergeschobenes Unterhorn besitzt (s. oben p. 495) mit ihren
distalen Teilen ventral und lateral vom Ventrikel, und bilden
nur mit ihren proximalen Teilen, von ventral nach dorsal sich
vergrössernd, die vordere Wand des Unterhorns. Beim Halbaffen
und Affen liegen sie durchaus in der vorderen Unterhornwand
und breiten sich, entsprechend der Krümmung des Unterhorns
von dorsal nach ventral aus. Die Spitze des Unterhorns erscheint
daher bei den erstgenannten Tieren dorsal vom Mandelkern
(s. Fig. 14), beim Halbaffen und Affen ventral davon (Fig. 23
und 24). Die Verlagerung dürfte sich durch die eine der beiden
1) Siehe die Zitate Teil I, p. 578.
502 Max Völsch:
Krümmungen erklären, welche der basale Teil der Hemisphäre
durch die Massenzunahme des Palliums der höheren Säuger in
immer stärkerem Maße erleidet, und zwar — im wesentlichen —
durch die Krümmung um eine transversale Achse herum, wodurch
die Zellgruppen des Mandelkerns nach vorn und nach dorsal
sewissermassen zusammengeschoben werden könnten. Die andere
Krümmung, deren ich bereits oben gedachte, die um eine sagittale
Achse herum, bewirkt dann nicht nur die Verschiebung des Lobus
pyriformis und seiner Rinde, wie sie sich bei einem Vergleich
der Fig. 23 und 27 präsentiert, sondern sie bewirkt wohl auch
in bezug auf den Mandelkern eine Gestaltsveränderung: Bei allen
untersuchten niederen Säugern umgibt der Komplex das Striatum
von unten her wie eine Schale, die Konkavität ist stets dorsal
oder dorso-medialwärts gerichtet; bei der Maus, beim Kaninchen,
beim Frettchen schien der mittelgrosszellige Kern in gewissen
Frontalhöhen einen länglichen Fortsatz latero-dorsalwärts zu
schicken, welcher das Putamen gewissermassen umhüllte; bei
Lemur verglich ich die Gestalt des Komplexes mit einer Wiege,
welche nach oben offen ist, beim Affen dagegen bekommt er eine
wirkliche Kugelgestalt (im Frontalschnitt), er sieht aus (Fig. 27),
als ob er durch die von lateral und dorsal einwirkende Kraft
zusammengepresst wäre. — Danach scheint die ersterwähnte
Krümmung früher einzutreten, die sie hervorrufende Kraft früher
einzuwirken.
Die Gestalt des Komplexes der drei Kerne lässt sich aus
Frontalschnitten, die mir allein zur Verfügung stehen, schwer
ableiten, und ich möchte mit genaueren Angaben darüber, besonders
für die niederen der untersuchten Tiere zurückhaltend sein. Bei
allen endet der Komplex offenbar distal mit einer Art Zuspitzung,
dann tritt mehr oder weniger schnell eine Anschwellung ad
maximum ein und nach vorn zu vermindert sich der Umfang
wieder ziemlich rapide. Beim Affen gewinne ich dabei den Ein-
druck, dass die Gesamtgestalt etwa die einer dicken Bikonvexlinse
ist; doch fehlen die Nachuntersuchungen an fortlaufenden sagittalen
und horizontalen Serien.
Betrefis der Grösse des Komplexes kann ich folgende
ungefähren Angaben machen, wegen weiterer Details auf die
einzelnen Abschnitte verweisend. Die sagittale Länge beträgt beim
Macacus ca. 4 mm, die grösste Höhe 6 mm, die grösste Breite 7 mm.
Anatomie des Mandelkerns etc. 503
Bei Lemur sind die entsprechenden Zahlen: 31/;—3'/z mm (Länge)
4'/s mm (Höhe) 6 mm (Breite). Beim Frettchen beträgt die sagittale
Länge nur ca. 1'/s mm, die Breite 3,2 mm, die Höhe 2,5 mm;
bei der Maus berechne ich die Länge auf ca. 1Y/’—1°/ı mm, die
anderen Maße lassen sich kaum zum Vergleich heranziehen, weil
M hier dem Kern T viel mehr dorsal aufgesetzt, als lateral
angelagert ist; das Gleiche gilt vom Igel, bei welchem der
Komplex eine Länge von 3'/s mm hat.
Was die Entstehungsweise des Komplexes anbetrifft,
so glaubte ich bei der Maus (I. Teil p. 661) ziemlich überzeugend
nachweisen zu können, dass der mediale mittelgrosszellige Kern
(T) als eine sich abschnürende Einsenkung der oberflächlichen
Zellschicht der Pars intermedia des Lobus pyriformis anzusehen
ist. Ist das richtig, so liegt natürlich die Versuchung nahe, den
ganzen Komplex sich in dieser Weise entstanden zu denken:
speziell bei dem grosszelligen Kern möchte man an die Zellen
der zweiten Schicht des Lobus pyriformis — oder auch der der
Lamina ganglionaris? — denken. Doch wären das Spekulationen.
Ich kann für diese Auffassung, wonach der Komplex eine Ein-
senkung resp. Abschnürung der Rinde darstellt, aber vielleicht
noch ein Moment anführen. In der Umgebung des Komplexes
finden sich bei allen untersuchten Tieren, am spärlichsten beim
Affen, mehr oder weniger reichliche Ansammlungen von ganz
kleinen körnerartigen Elementen (K), die ich als Gliakerne auf-
fasste. Sie treten bald als Streifen, bald als kleinere Häufchen,
bald aber auch als grosse Plaques auf, und bilden in ihrer Totalität
eine allerdings vielfach unterbrochene, den Kernkomplex gewisser-
massen einhüllende Schale; nur gegen die Rinde B hin (s. unten)
finden sie sich nie, da ja mit diesem „Rindenanteil“ der Konnex
überall erhalten bleibt. Am relativ konstantesten sehe ich die
Streifen zwischen dem Komplex und der Basis des Striatums
resp. der Regio sublentieularis, aber grössere in der Ebene des
Schnittes gelegene Haufen zeigen, dass auch die vordere (Frettchen)
und die hintere Fläche (Lemur) von der Hülle umgeben ist
(vergl. Fig. 3, 4, 6, 19 des ersten Teils auf den Tafeln, ferner
Fig. 14, 15, 23, 27). Die Gruppen erleichtern erheblich die Ab-
grenzung des Gebildes (T + T’+ M), namentlich gegen Linsen-
kern und die Zellgruppen der Regio sublenticularis.. Es würde
eine solche Gliaanhäufung in der Umgebung des Mandelkern-
504 Max Völsch:
hauptkomplexes, wenn man ihn als eine Einstülpung der Rinde des
Lobus pyriformis auffasst, durchaus den Anschauungen Weigerts
über „Kielstreifenbildungen“ der Glia etc. entsprechen.
Die Anschauung Mondinos'), der den Mandelkernhaupt-
komplex in drei durch die beiden von ihm erwähnten und beim
Affen tatsächlich vorhandenen Markblätter (s. unten) getrennte
Rindenfalten zerlegen will, deren äussere sich in das Claustrum
fortsetzen soll, kann ich nicht teilen; der histologische Bau der
drei Kerne, welche die Rindenfalten darstellen würden (vgl. Fig. 27),
ist ein äusserst verschiedener und andererseits in sich fast homogener,
so dass die Provenienz jedes dieser Kerne aus der ganzen Rinde
sehr unwahrscheinlich ist; bei den niederen Säugern aber lässt
die Lagerung der Kerne zueinander an eine solche Genese schon
gar nicht mehr denken, und endlich habe ich den Übergang der
„äusseren Rindenfalte* in das Claustrum in der ganzen Reihe
nicht gefunden. Ich lege vielmehr Wert auf die Feststellung,
dass ein solcher Übergang tatsächlich nirgends existiert. Dass
ich auch die weitere Annahme Mondinos, dass der Mandelkern
in den Schweif des Nucleus caudatus übergehe, und dass die
Fasern der Stria cornea nicht in dem Mandelkern endigten, für
irrig halte, mag gleich an dieser Stelle erwähnt werden.
Das histologische Verhalten der einzelnen, die drei
Kerne des Komplexes zusammensetzenden Zellelemente schliesslich
muss ich kurz abtun, indem ich auf die einzelnen Abschnitte
verweise: die phylogenetisch fortschreitende Tendenz der Gehirn-
zellen, sich aus mehr rundlichen, blasenförmigen, den Embryonal-
zellen ähnlichen Formen (dem Typus r im ersten Teil) zu immer
schärfer polardifferenzierten Formen (Typus p) umzugestalten,
macht sich auch in dem in Frage stehenden (Grebiet bemerkbar
und erschwert den Vergleich der Zellformen bei den einzelnen
Ordnungen. Ganz allgemein kann man sagen, dass die Zellen
des erosszelligen Kerns nicht nur auffallend grosse, sondern auch
stark leuchtend gefärbte schon bei den niedereren Tieren vor-
wiegend, bei den höheren ausschliesslich polardifferenzierte, eckige
(Gebilde sind. Auch die Zellen des medialen mittelgrosszelligen
Kerns T sind meist ziemlich gross und lebhaft gefärbt, während
die des lateralen, mittelgrosszelligen Kerns M ausgesprochen
kleiner und blasser erscheinen. Immerhin stechen sie doch noch
1) Siehe I. Teil, p. 575.
Anatomie des Mandelkerns ete. 505
deutlich gegen die noch kleineren und blasseren, bei den höheren
Tieren stets eckigen Striatumzellen ab. Dass die Zellen in T
recht verschiedenes Aussehen haben, ohne dass man doch
distinkte Untergruppen sicher unterscheiden könnte, wurde schon
gesagt.
2. Der Rindenanteil des Mandelkerns, durchgehend
mit B bezeichnet, deckt den unter 1 besprochenen Komplex von
medial resp. ventro-medial her. (Vergl. im I. Teil die Tafelfiguren
2, 3, 4 und 15—18, ferner in diesem Teil Fig. 13, 14, 23, 27.)
Er steht bei allen Tieren in Berührung mit dem lateral anstossenden
medialen mittelgrosszelligen Kern T, in dessen ventralen Teil er
ohne scharfe Grenze übergeht, während er im dorsalen (Gebiet
beider Zellgruppen überall von T durch einen zellfreien, meist
kommaförmigen Raum getrennt ist, wenigstens in den distaleren
Teilen, in den Höhen, in welchen, wie vorweg bemerkt werden
mag, die Stria terminalis sich in das Gebiet des Mandelkerns
ergiesst. Er überragt bei allen Tieren den Hauptkomplex nach
hinten, während oral die ihn kennzeichnende Formation in früheren
Ebenen aufhört, als jener. Der Rindenanteil legt sich also dem
„Komplex“ von medial und hinten an. Wegen des histologischen
Verhaltens dieser Formation muss ich aus den eben erwähnten
Gründen auf die einzelnen Abschnitte verweisen. Ich denke mir
diesen Rindenanteil des Mandelkerns aus zwei in transversaler
Richtung aufeinander folgenden Teilen bestehend. Der eine Teil,
der laterale, B, schien sich mir aus der intermediären Rinde des
Lobus pyriformis unter Umwandlung der Lagerung und wohl
auch der Form seiner Zellen zu entwickeln; er bildet gewisser-
massen die Wurzel des Rindenanteils. Der mediale Teil B‘ aber
entsteht in folgender Weise: da, wo die Rinde des Lobus pyriformis
sich in das Ammonshorn einrollt und wo, wie oben ausgeführt,
die äusseren Schichten des ersteren diese Einrollung entweder
(distal) nur eine Strecke weit oder (oral) garnicht mitmachen,
bildet das Ammonshorn die Brücke von dem medialen Ende dieser
Schichten zu „der Schnürfurche, durch welche sich die Hemisphären
gegen das übrige Vorderhirn absetzen“ (Ziehen),') zum Sulcus
hemisphäricus (Ziehen) oder der Stielfurche (His). Da, wo
') Hertwigs Handbuch der vergleichenden und experimentellen Ent-
wicklungsgeschichte der Wirbeltiere, Bd. II; Die Entwicklung des Zentral-
nervensystems der Säugetiere, p. 280.
506 Max Völsch:
nun die Ammonseinstülpung oralwärts aufhört, zieht sich die
Rinde als „terminaler Teil der Rinde des Lobus pyriformis“, wie
ich vorschlug, in den Suleus hemisphäricus hinein, und diese
terminale Rinde bildet den medialen Teil des Rindenanteils des
Mandelkerns, B’. Wie mir scheint, nimmt in der Tierreihe die
Bedeutung und Mächtigkeit des ersten lateralen aus der Pars
intermedia entstandenen Teils für den Rindenanteil mehr und
mehr ab, die des zweiten Teils, die „terminale Rinde“ mehr und
mehr zu, bis schliesslich beim Affen nur noch oder fast nur noch
die zweite Komponente in Frage kommt.
Die Ausdehnung des Rindenanteils ist, namentlich in
die Tiefe, eine recht wechselnde. Ich finde ihn stark entwickelt
beim Igel und bei der Maus, viel schwächer beim Frettchen,
etwas ausgedehnter bei Lemur, und beim Affen konstatierte ich
eine überraschend starke Entwicklung, wenigstens in der Tiefe;
in den vorderen Teilen des Mandelkerns scheint allerdings eine
wesentliche Verflachung einzutreten. — Wie ich glaube, ist ein
von Honegger!) beschriebenes Ganglion bei den Huftieren mit
dem Rindenanteil identisch.
3. In der Regio sublenticularis bilden sich unmittelbar,
nachdem das Unterhorn des Ventrikels sich geschlossen und der
ventrale oder kortikale Schenkel der Stria sich basalwärts ergossen
hat, konstant bei allen Tieren, die ich untersuchte, mehrere Zell-
gruppen, eine mittelgrosszellige laterale (E) und eine klein-
zellige mediale (D). Von dieser Stelle aus breitet sich die
letztere Gruppe ventralwärts in das Gebiet des Lobus pyriformis
aus, den Rindenanteil (B) gewissermassen vor sich her drängend
und ihn teilweise ersetzend. Auch diese Gruppe dürfte als der
medialste modifizierte Teil der terminalen Rinde in den vor dem
(rebiet des Rindenanteils gelegenen Frontalebenen aufzufassen
sein. Der Bau der Gruppe ist stets sehr einfach, sie ist durchweg
aus kleinen, bei den niederen Säugern rundlichen, bei den höheren
meist pyramidenförmigen Zellen zusammengesetzt. Beim Igel
bildet sie auf der Höhe ihrer Ausbildung eine ungefähr dreieckige
Masse in der ventro-medialen Spitze des Frontalschnitts der
Hemisphäre (Fig. 4. Taf. XXXVIL, Teil I), ganz ähnlich liegt sie
beim Kaninchen, nach den Abbildungen Köllikers, auf dessen
1) T.'Teil pa“
Anatomie des Mandelkerns ete. 507
Fig. 716 und 717 (II. Aufl.) sie dem mit NA beichneten (Gebiet
entspricht. Gerade diese Figuren sowie die von der Maus (Fig. 15,
Taf. XL, Teil D), wo sie den übrigen Teilen des Mandelkerns
dorso-medial als eine ziemlich kompakte Zellmasse anliegt, veran-
lassen mich zusammen mit der Tatsache, dass auch sie zum
Ausbreitungsgebiet der Stria terminalis gehört, sie zum Mandel-
kern der Primaten zu rechnen, obwohl nun gerade bei den höheren
Säugern die Gruppe ein mehr streifenförmiges Aussehen bekommt
und sich dem „Komplex“ nicht so nahe anlagert. Auch darin
besteht zwischen den letzteren und den niederen Säugern ein
Unterschied, dass bei diesen die Kerne des Komplexes, T und M,
weiter distal reichen, als der kleinzellige mediale sublentikuläre
Kern, bei jenen das umgekehrte Verhältnis besteht; als ob bei
der erwähnten oralen Verschiebung des Komplexes diese dicht
am Stamme und zum Teil noch im Stamme selbst gelegene
Gruppe die Verschiebung nicht mit machte, sondern an Ort und
Stelle bliebe. Dagegen gewinnt man den Eindruck, dass bei der
Verschiebung des basalen Teils der Hemisphäre um die sagittale
Achse (s. oben) gerade die Gruppe bei den höheren Säugern
medialwärts verschoben würde, so dass sie in Form jenes Streifens
sich um den Sulcus hemisphäricus herumlagert und selbst noch
eine kleine Strecke weit an der Basis des Stammes hinzieht.
(Vergl. betreffs der Gruppe D die Fig. 14, 23, 26, 27.)
Oralwärts vom Mandelkernhauptkomplex verliert sich auch
die besprochene Gruppe, und, da auch der Rindenanteil hier mehr
und mehr verschwindet, auch die laterale mittelgrosszellige
sublentikuläre Gruppe E (s. unten) sich nicht mehr deutlich
markiert, kommen wir hier in ein Gebiet von mässig zahlreichen,
ohne Ordnung und Gruppenbildung durcheinander gewürfelten
Zellen, welches sich gegen die Umgebung, speziell auch gegen
das dorsal anstossende Striatum schwer abgrenzbar erwies. Ich
nannte es den „basalen Spitzenkern“. Wenn ich beim Igel
dabei auch mehr an die medio-ventrale „Spitze“ der Hemisphäre
im Frontalschnitt dachte, so trifft die Bezeichnung für die höheren
Säuger doch auch in dem Sinne zu, dass unter dieser Spitze der
oralwärts sehende Pol des makroskopischen Lobus pyriformis ver-
standen werden könnte. Die Bezeichnung als „Kern“ verdient
diese ungeordnete Zellmasse allerdings nicht. In diesem Gebiet,
beim Halbaffen weit hinaufgeschoben, dicht über den Sulcus
508 Max Völsch:
hemisphäricus und noch innerhalb des S-förmigen Streifens D,
liegt aber schliesslich noch eine kleine, aber stark hervortretende
Zellanhäufung, D‘, welche ich beim Igel als End- oder Ursprungs-
stätte eines zur Stria terminalis ziehenden Bündels, als Kern
des sagittalen Längsbündels der Stria rekognoszierte
(Fig. 6, Taf. XXXVIH, Teil D. Auch bei der Maus (ebenda
Fig. 20, Taf. XL) und beim Frettchen (Fig. 16), fand ich die
(ruppe an fast genau derselben Stelle, beim Halbaffen, wie gesagt,
etwas medialwärts gegen die Stammbasis verschoben; nur beim
Affen konnte ich nichts davon entdecken. Sie ist wahrscheinlich
identisch mit dem Tractus olfactorius- Kern von Ganser und in
der Tat konnte ich für Kaninchen und Frettchen Faserzüge aus
dem Tractus olfactorius zu dem Kern nachweisen, wie Ganser
für Talpa, während mir das beim Igel allerdings nicht gelang.
Das erwähnte Zuzugs- oder Abflussbündel aus der oder in die
Stria hat auch schon Honegger für niedere Säuger gesehen.
Aus dem Kern entwickelt sich noch ein dritter Faserzug, welcher
medialwärts nach der Basis des Stammes und ihr entlang zieht.
Schliesslich noch einige Worte über die Faserung inner-
halb des eigentlichen Mandelkerngebietes und den Verlauf dieser
Fasern. Bei allen untersuchten Tieren umgibt sich der Mandel-
kernhauptkomplex mit einer mehr oder minder starken Faser-
kapsel, welche ihn von allen Seiten einhüllt, bis auf die an der
medialen Seite gelegene Übergangsgegend zum Rindenanteil (Igel,
Kaninchen, Frettchen, Affe). Aus der Faserkapsel dringen zahl-
reiche Fasern in den Komplex ein, bei weitem am reichlichsten
in den grosszelligen Kern; hier sind sie vielfach zu Bündelchen
gesammelt, welche durch den Frontalschnitt schräg getroffen
werden und dadurch dem grosszelligen Kern bei allen untersuchten
Tieren ein dem Fell des Hermelins vergleichbares Aussehen geben.
Der mediale mittelgrosszellige Kern ist viel faserärmer, der
laterale überall fast faserfrei. Innerhalb des Hauptkomplexes
und zwar in der Umgebung des grosszelligen Kerns sammeln
sich die Fasern zu kompakten längsgetroffenen Bündeln, so dass
beim Affen der Komplex durch die beiden bereits erwähnten
schräg vertikal in der Schnittebene verlaufenden Marklamellen
schon makroskopisch in seine drei Unterabteilungen zerlegt ist
(vergl. zu dem allen die Fig. 8—11, Teil I, auf den Tafeln, ferner
Fig. 17, 18 und 28).
Anatomie des Mandelkerns etc. 509
Ein starker Faserzug, welcher ebenfalls schräg vertikal ver-
läuft, schiebt sich in den distaleren Teilen des Mandelkerns von
oben her zwischen den Hauptkomplex und den Rindenanteil in
einen im Zellpräparat kommaförmigen Molekularraum hinein;
er gibt Fasern nach beiden Seiten hin ab. Im Rindenanteil
sieht man ebenfalls bei allen Tieren eine mehr oder weniger
stark hervortretende Fasernetzbildung, die aber stets viel
schwächer ist, als im grosszelligen Kern. Im medialen klein-
zelligen Kern (D) des Igels breiten sich von dorsal her aus der
Stria terminalis eintretende Fasern fächerförmig aus, die medialsten
sind zu einem schmalen Bündelchen gesammelt (Fig. 10, Taf. XXXIX,
I. Teil), in ähnlicher Weise beim Kaninchen und — nach Uajal —
bei der Maus („Tangentialbündel der Amyegdala“). Sehr spärlich
finde ich die Fasern zu dem kleinzelligen Kern des Frettchens,
auch beim Halbaffen und Aften sind sie nicht sehr auffällig; bei
letzterem zieht ein Bündel zwischen ihm und dem Rindenanteil
hindurch zur Tangentialfaserung des letzteren.
Was die Herkunft aller dieser Fasern betriftt, so stammen
die Faserkapsel des Hauptkomplexes und die ihn durchziehenden
Fasern einerseits aus dem Mark des Lobus pyriformis, und es
kann kein Zweifel sein, dass es die Radiärfaserung dieses Lappens
resp. ein Teil dieser Radiärfaserung ist, welche das Material für
die zuführenden Fasern liefert. Auf der anderen Seite treten
Fasern aus dem Komplex: 1. in die Stria terminalis, zum Teil
handelt es sich dabei um ein ununterbrochenes Hindurchtreten
jener zuführenden Fasern, zum Teil aber erleiden dieselben gewiss
in den Zellen der Kerne, namentlich des grosszelligen Kerns eine
Unterbrechung, und Bahnen neuer Ordnung gehen von ihnen aus.
Ebenfalls zur Stria gehen die Fasern aus dem kleinzelligen
medialen Kern und aus dem Rindenanteil; da beide ja als modi-
fizierte Rinde anzusehen sind, sind diese Fasern mit denen gleich-
geordnet, welche aus der Regio olfactiva direkt durch den Komplex
hindurch oder um ihn herum zur Stria ziehen. — Aus dem
Komplex ziehen ferner Fasern 2. zu den noch zu erwähnenden
Zellgruppen der Regio sublenticularis und 3. zum Putamen. Ob
damit die Abflusswege aus dem Mandelkern erschöpft sind, ist
fraglich.
Nach den positiven Ergebnissen aber halte ich den Mandel-
kern zum Teil (Rindenanteil und kleinzelliger Kern) für den
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. 33
510 Max Völsch:
Ursprungsort direkter Rindenfasern zur Stria, zum
Teil aber für eine Durcehgangsstätte und Unter-
brechungsstation von Fasern, welche aus der Regio
olfactiva zur Stria terminalis ziehen. (Vergl. Ariens
Kappersl.c. p. 276.)
V. Die Stria terminalis hat bei allen untersuchten
Tieren denselben typischen Verlauf, wie er von Kölliker!) für
Kaninchen und Mensch, von Cajal?) für die Maus beschrieben
ist. Überall verläuft der dorsale Schenkel im Suleus strio-thala-
micus nach hinten, um sich an der hinteren Grenze der Ver-
wachsungsstelle von Stamm und Hemisphäre, um den in die
letztere eintretenden Peduneulus herum als Bogenteil ventral
zu wenden. Bei den Tieren, welche ein unter den Stammteil
hinuntergeschobenes Ventrikelunterhorn nicht oder kaum besitzen
(Igel, Maus, Kaninchen), strömen die Fasern der Stria aus dem
Bogenteil direkt oder fast direkt an ihren Bestimmungsort (die
Mandelkerngegend). Wo hingegen ein solches Unterhorn existiert
(Frettchen, Halbafte, Affe) biegt die Stria, dorsal von ihm, als
ventraler Schenkel oralwärts um und tritt erst vor der vorderen
Spitze des Unterhorns ventralwärts in jene Gegend ein. — Ich
kann für alle jene Tiere bestätigen, dass das geschlossene Stria-
bündel viel graue bei Palfärbung ungefärbt bleibende Masse mit
sich führt; beim Igel sprach ich kleine strichförmige Zellen,
welche speziell im Bogenteil die Striafasern begleiteten, als einen
„begleitkern der Stria* (Ziehen) an. — Die Fasern der
Stria sind immer sehr fein und schwach gefärbt. Doch sieht man
in dem meist halbmondförmigen Querschnitt des dorsalen und,
wo er vorhanden, auch des ventralen Striaschenkels auch Bündel
stärker gefärbter Fasern, welche bald (Affe) nur kurze, bald
(Frettchen) über längere Strecken, beim Kaninchen fast im ganzen
Verlauf der Stria, durch den Bogenteil hindurch, zu verfolgen
sind. Aus dem Ensemble dieser Beobachtungen möchte ich
schliessen, dass es das sagittale Längsbündel der Stria ist (s. unten),
welches sich als geschlossenes stark gefärbtes Bündelchen durch
die ganze Stria terminalis zieht, um schliesslich oral von dem
dorsalen Schenkel aus, in welchen es dicht an den Thalamus
gelagert verläuft, in letzterem zu endigen (Frettchen). Ein zweites
ı\ 1.c. p. 624 und 629.
LICH
Anatomie des Mandelkerns etc. >17
im ventralen Schenkel dicht lateral vom Tractus opticus eine
Strecke weit zu verfolgendes Bündelchen schwarzer Fasern scheint
eine Fortsetzung des „Tangentialbündels der Stria* (Cajal) aus
dem medialen kleinzelligen Kern zu sein (Frettchen).
Über die hintere (Kölliker) oder besser kortikale
Endigung der Stria, welche jedenfalls im wesentlichen den
Ursprung des Bündels darstellt, kann ich fast ganz in Über-
einstimmung mit Kölliker folgendes sagen: Die Stria ergiesst
sich unmittelbar vor dem Ventrikelunterhorn, also in den distalen
Teilen des Mandelkerns in mächtigem Zuge basalwärts in jenen
kommaförmigen Raum zwischen Rindenanteil und Hauptkomplex
des Mandelkerns, Fasern nach aussen (Komplex) und innen
(Rindenanteil) abgebend. Viele Fasern strömen auch direkt zur
dorsalen Seite des Mandelkernhauptkomplexes, dringen in ihn ein,
namentlich in den grosszelligen Kern und tragen zur Bildung
seiner Kapsel in grossem Maße bei. Viele Fasern gelangen auf
dem einen oder anderen Wege (auch durch den Komplex hindurch)
zur Rinde des Lobus pyriformis, namentlich auch zu dem Über-
sangsgebiet der Regio olfactiva und intermedia. Reichliche
Fasern wenden sich — in den oraleren Abschnitten des Mandel-
kerns —, darunter (bei Igel, Kaninchen, Maus) das „Tangential-
bündel“ Cajals, zum medialen kleinzelligen Kern. Schliesslich
tritt beim Igel und Kaninchen, was für das letztere schon
Kölliker beschrieben hat, ein kräftiger Faserzug aus dem
ventralen Striaschenkel ventralwärts in den Lobus pyriformis,
biegt hier nach vorn und hinten um und bildet so das sagittale
Längsbündel der Stria. Der hintere, nur beim Igel als
kompaktes Bündelchen, beim Kaninchen als lockere Faserung
imponierende Schenkel zieht zum distalen Teil des Rindenanteils,
der vordere Schenkel zum Kern des sagittalen Längsbündels, dem
Tractus olfactorius-Kern von Ganser (D‘). Beim Frettchen ent-
spricht dem sagittalen Längsbündel wahrscheinlich ein sagittal
ziehender Zug in der Regio sublentieularis, welcher erst, etwa
in der Höhe des letzterwähnten Kernes angelangt, ventralwärts
zu ihm umbiegt (Fig. 18Q). Beim Affen konnte ich weder den
Faserzug noch den Kern finden. Über seine Fortsetzung in der
Stria s. oben (vergl. zur kortikalen Endigung der Stria die Fig. 9—12
auf den Tafeln Teil I, ferner Fig. 18 und 28). — Nicht be-
stätigen kann ich die von Kölliker und Cajal angenommene
Do
ul Max Völsch:
Endigung im Linsenkern; wahrscheinlich kommt die Differenz
daher, dass beide den Hauptkomplex zum Linsenkern rechnen.
Die subkortikale Endigung der Stria finde ich ebenfalls
fast ganz so, wie Kölliker es darstellt. Sie endigt 1. in den
„grauen Massen medial von der Capsula interna“ (Igel) resp. „ge-
wissermassen hinter dem schräge von oben hinten nach unten
vorn hinabziehenden unteren Thalamusstiel“ in der Regio sub-
thalamica („medialem Längsfaserfeld und dem ihm anliegenden
Grau“), hinter dem Mittelstück der vorderen Kommissur dorthin
hinabsteigend (Affe); 2. mit einem lateralen Bündelchen in der
hinteren Kommissur; 3. mit einem medialen Bündelchen wahr-
scheinlich im Fornix (Affe). Vergl. Fig. 12, Taf. XXXIX, Teil I
und Fig. 25: beide Schnitte liegen noch hinter der Kommissur.
Wahrscheinlich senken sich im Verlauf des dorsalen Stria-
schenkels einzelne Fasern in den Nucleus caudatus und den
Thalamus optieus.
VI. Unter der Regio sublenticularis (resp. substriata)
verstehe ich den Raum zwischen Corpus geniculatum laterale,
Traetus optieus und, wenn letzterer sich weiter oral an die Stamm-
basis gezogen hat, dem Suleus hemisphäricus einerseits und dem
basalsten Teil des Putamens (resp. der ihm anliegenden Cauda
nuclei caudati und dem zwischen ihnen verlaufenden sublentikulären
Mark), weiter oral dem Hinterhorn der vorderen Kommissur
andererseits. Der Raum entsteht dadurch, dass das Putamen bei
den höheren Säugern stets weiter basal herabreicht, als die Innen-
glieder des Linsenkerns. Er hat etwas isthmusartiges und wird
dorsal vom Globus pallidus, ventral vom Ventrikel resp., weiter
vorn, vom Mandelkernhauptkomplex begrenzt. Er ist hinten sehr
schmal, enthält hier nur den ventralen Striaschenkel mit dem ihm
anliegenden Grau; nach vorn verbreitert es sich um so mehr,
je weiter der Tractus opticus sich medialwärts zieht. Bei den
untersten Säugern (Igel, Maus), bei welchen das Putamen lange
nicht so tief hinabreicht, verläuft sein Breitendurchmesser nicht
horizontal, wie bei den höheren, sondern schräg von unten innen
nach oben aussen, der Raum ist nicht so scharf markiert, aber
prinzipiell doch vorhanden. Er enthält einige bemerkenswerte
Komplexe, unter welchen zunächst zu nennen ist:
1. Der uns bereits bekannte mediale kleinzellige Kern des
Mandelkerns (D).
Anatomie des Mandelkerns ete. 53
2. Der mittelgrosszellige laterale sublentiku-
läre Kern. Schon beim Igel fand ich in diesem „äusserst
schwierigen“ Gebiet grössere und kleinere Zellen, die sich schwer
einem der benachbarten Gebiete anreihen liessen (I. Teil, p. 605).
Bei der Maus fand ich die Zellenmasse noch weit hervorstechender
und bezeichnete sie mit E (I. Teil, p. 664, Fig. 19 und 20, Taf. XL).
Auch beim Frettchen fand ich die Gruppe E (p. 395, Fig. 14 und 15),
ihre Zellen ziemlich stark gefärbt und sich von den Striatumzellen
unterscheidend, desgleichen bei Lemur (s. Fig. 23) und beim Affen
(Fig. 26 und 27), bei welchem sich sogar einige Unterabteilungen
aufstellen liessen.
Schon aus morphologischen (Gründen ist man gezwungen, den
Komplex E vom Putamen zu scheiden. Durchweg sind die Zellen
stärker tingiert und, wenigstens zum Teil, deutlich grösser, als
die Striatumzellen. Während letztere ferner durchweg gleich-
mässig gross und eckig sind, variieren die E-Zellen vielfach in
Grösse und Gestalt. In den oralen Ebenen verlieren sich die
Zellen allmählich, zum mindesten verschwindet alles, was an ihnen
charakteristisch ist, die Zusammenfassung zu einer oder einigen
distinkten Gruppen, und sie gehen in das Gebiet über, welches
ich als „basalen Spitzenkern“ bezeichnete, bilden gewissermassen
die dorsale Etage desselben, während die ventrale Etage die orale
räumliche Fortsetzung des Mandelkernhauptkomplexes ist.
Schon im Zellpräparat erkennt man vielfach, am deutlichsten
beim Affen, dass die Zellgruppe von Fasern durchzogen wird, und
im Faserpräparat vom Frettchen und Cercopithecus wird das
sicher; man sieht zahlreiche Fasern in vertikaler Richtung durch
diese (Gegend hindurchziehen und es ist wohl sicher, dass ein
grosser Teil dieser Fasern in den Zellen derselben endet, während
andere zu dem sogleich zu erwähnenden Basalganglion ziehen
dürften. Diese Fasern stammen zum Teil aus der Faserkapsel
und aus dem Fasergeflecht in dem Mandelkernhauptkomplex, zum
Teil kommen sie, zumal in den oralen Ebenen, vor dem vorderen
Ende dieses Komplexes direkt aus dem tiefen Mark des Lobus
pyriformis (s. Fig. 15 und 19 Frettchen und Fig. 25 Affe).
Die Zellen des lateralen mittelgrosszelligen sublentikulären
Kerns können danach als eine Unterbrechungsstation der Markfasern
des vorderen (olfaktiven) Teils des Lobus pyriformis angesehen
werden, zu welcher diese Markfasern teils direkt, teils aber auch
514 Max Völsch:
indirekt durch den Mandelkern gelangen. Da nun die Möglichkeit
sehr nahe liegt, dass diese letztere Kategorie nicht zu den Fasern
gehört, welche den Mandelkern einfach durchziehen, sondern
zu denen, welche in ihm unterbrochen werden, so stellt die
Gruppe E, wenigstens zum Teil, eine zweite Unter-
brechungsstation für die Markfasern. des Lobus
pyriformis dar, ist also, teilweise wenigstens, dem Mandel-
kernhauptkomplex übergeordnet. Dieses Moment hat mich mit
veranlasst, die Gruppe nicht zum Mandelkern zu rechnen.
3. Völlig gleichwertig in bezug auf die soeben erwähnten
Fasern mit der soeben besprochenen Gruppe ist meines Erachtens
beim Aften ein dorsal davon gelegener Komplex grosser leuchtend
gefärbter, eckiger, ca. 20—25 u grosser Zellen, welcher dem von
Kölliker sogenannten Basalganglion Meynerts entspricht.
Er wählte diese Benennung statt der von Meynert gebrauchten
Bezeichnung „Ganglion der Hirnschenkelschlinge“ (Nucleus ansae
peduneularis). Ich kann für Macacus die von Kölliker!) ge-
gebene Schilderung (für den Menschen) in allem wesentlichen
bestätigen, sehe es zuerst in den Höhen, wo der Tractus opticus
gerade aus dem Corpus geniculatum laterale entstanden ist, als
ein schmales Häufchen zwischen Tractus und Putamen, und sehe
es auch weiter vorn, im gleichen Maße, wie der Tractus sich
medialwärts schiebt und der sublentikuläre Raum sich verbreitert,
breiter werdend, immer an der Basis des Globus pallidus zwischen
lateralem Ende des Tractus und Putamen resp. Hinterhorn der
vorderen Kommissur. Es bildet in diesen Höhen einen höchst
auffälligen Komplex. Die Schilderung Köllikers über seine
Ausbreitung in der Höhe des Septum pellueidum kann ich nicht
mehr bestätigen, ohne sie bestreiten zu wollen. Für mich ver-
mischen sich in der Höhe der Substantia perforata anterior die
Zellen des Basalganglions so innig mit denen der letzteren Region,
dass ich sie nicht mehr auseinanderhalten kann. Auch beim
Halbaften sind in manchen Präparaten, wie eine neuerdings vor-
genommene Revision mir zeigte, dorsal von E entsprechende
grosse stark tingierte Zellen vorhanden, die ich früher als zum
Innenglied des Linsenkerns gehörig ansah, die aber sicher nach
(Grösse und Lage dem Basalganglion entsprechen. Da die vor
mehreren Jahren geschnittene Serie aber doch schon recht ab-
1) 1. c. p. 456.
-
Anatomie des Mandelkerns etc. Hl
geblasst ist, möchte ich mir ein Urteil über dieses Ganglion im
ganzen ‚lieber versagen. Beim Frettchen und den niederen
Säugern finde ich derartig grosse Zellen an dieser Stelle höchstens
angedeutet.
Dagegen beschrieb ich bei allen untersuchten Tieren in
dieser Gegend Zellen, welche weit kleiner, als die soeben be-
sprochenen, meist strichförmigen Aussehens, die Faserzüge der
Linsenkernschlinge begleiteten; ich bezeichnete sie zunächst
als G, später als N. a.p. Ich habe mir von der Linsenkernschlinge
zunächst des Aften folgendes Bild gemacht. Die Fasern stammen
in den distalen Teilen der Schlinge wesentlich aus der Mark-
lamelle zwischen dem zweiten und dritten Gliede des Linsenkerns,
erst weiter oral nehmen auch Fasern aus der Marklamelle zwischen
Putamen und Globus pallidus daran teil. Auf der anderen Seite,
medialwärts, glaube ich eine Dreiteilung dieser Fasern zu sehen:
1. nur in den oraleren Ebenen die „Hirnschenkelschlinge“
(Lisch. b von v. Monakow), welche sich um die Capsula interna
herumschlingt und im dorsalen Thalamusgebiet endigt, 2. weiter
distal die Linsenkernschlinge sensu strietiori (Lisch.a v. Monakows),
welche den sich zur Capsula interna umwandelnden Pedunculus
durchquert, zu diesem Zweck sich erst dorsal-, dann wieder
medialwärts wendet, und nach der Durchquerung im Corpus Luysii
endigt (s. p. 476); 3. ich glaube aber auch Fasern zu sehen,
welche aus der Linsenkernschlinge unter dem dorsal strebenden
Pedunculus und über den Tractus optieus in S-förmiger Krümmung
zur Basis des Hypothalamus ziehen und dort vielleicht (?) in einem
kleinen Ganglion endet (s. p. 476 und Fig. 27, das Ganglion dorsal
vom medialen Teil des Tractus opticus resp. des Chiasma). —
Der Zug ist nur in distaleren Teilen der Region bis zum Auf-
treten des unteren Thalamusstiels erkennbar. Teils an der Hand
von Faserpräparaten (Frettchen), teils aber auch im Zellpräparat
nur geleitet durch die Lagerung der erwähnten Begleitzellen,
deren Einlagerung in Faserzüge aus dieser Lagerung und aus
ihrer meist länglichen, strichförmigen (Gestalt nahezu mit Sicher-
heit erschlossen werden kann, habe ich bei allen untersuchten
Tieren den ersten und dritten Teil der erwähnten Endigungen
wiedergefunden. Ich glaube also, dass bei ihnen allen eine „Hirn-
schenkelschlinge“ besteht ') im Sinne v. Monakows, und ebenso
!) Im Gegensatz zu der im I. Teil ausgesprochenen Meinung.
516 Max Völsch:
der („ventrale“) Anteil der Hirnschenkelschlinge, welcher sich
direkt über den Tractus optieus hinweg zum Hypothalamus begibt.
Die zweite Endigung, die Linsenkernschlinge s. str. (Lisch. a
v. Monakows) habe ich bei keinem der untersuchten Tiere,
ausser dem Affen, nachweisen können.
Ich will etwaige Beziehungen der Hirnschenkelschlinge (im
weiteren Sinne) zum Basalganglion keineswegs bestreiten; aber
ich meine doch, man sollte jene in ihrem Aussehen von den
Zellen des Ganglions höchst verschiedenen Begleitzellen der
Schlinge von ihm trennen und sie als „Begleitkern der
Hirnschenkelschlinge“ bezeichnen.
Da das Basalganglion, wie ich oben erwähnte, wohl sicher
direkte oder indirekte Zuzüge aus dem Mark des Lobus pyriformis
bekommt, und da andererseits die Verbindung der Linsenkern-
schlinge mit ihm durchaus plausibel ist, da zumal in den distaleren
Teilen der Gegend der Linsenkernschlinge beim Affen Fasern aus
der äusseren Marklamelle des Linsenkerns mir ziemlich sicher
zu dem Ganglion zu ziehen scheinen, so ist es mir nicht un-
wahrscheinlich, dass in dem System der Linsenkern-
schlinge (im weitesten Sinne) auch Fasern verlaufen,
die die aus dem Mark des Lobus pyriformis über-
mittelten Eindrücke weiter leiten.
Im ersten Teil habe ich bei Igel und Maus eine dorsale
Etage des Zellenzuges N.a.p. (G) beschrieben, in welcher die
Zellen eine maschenförmige Anordnung zeigten. Sie haben mit
der Linsenkernschlinge nichts zu tun, gehören vielmehr dem
innersten, von vielen Faserbündeln durchzogenen Teil des Linsen-
kerns an.
VH. Über den Linsenkern und den Schweifkern
habe ich nur weniges zu sagen. Das Putamen ist immer
durch relativ kleine blasse Zellen gebildet, bei welchen sich
übrigens die fortschreitende Tendenz, aus rundlichen embryonalen
und etwas grösseren Formen zu kleinen eckigen Zellen zu werden,
recht deutlich zeigt. Beim Igel besteht das Putamen aus rund-
lichen Zellen von 10—15 u Durchmesser, beim Affen aus sehr
typischen eckigen Zellen von 7—9 u Durchmesser. Das Putamen
ist stets von vielen Faserstreifen durchzogen, fällt dadurch schon
im Zellbilde sehr auf. Konstant fand ich unterhalb der vorderen
Kommissur und durch sie abgeschnürt einen kleinen Rest des
Anatomie des Mandelkerns ete. Halt
Putamens (y in den Figuren). Die Zellen dieses abgeschnürten
Haufens sind vielleicht etwas grösser, jedenfalls aber etwas
stärker gefärbt, als die Striatumzellen (?).
Der Globus pallidus zerfällt bei Igel, Maus und
Frettchen in zwei Glieder, welche durch Eigentümlichkeiten der
Morphologie und Lagerung der Zellen unterscheidbar sind. Das
äussere dieser Glieder enthält relativ vereinzelte, aber grosse,
eckige, leuchtend gefärbte Zellen (St‘); das innere Glied blassere
eckige, gleichfalls ziemlich grosse Zellen (St?), welche eine
maschenförmige Anordnung zeigen. In der Tat lehrt das Faser-
präparat, dass dieses Glied von massenhaften schräg und längs
verlaufenden Faserbündeln, wohl Anteilen der inneren Kapsel,
durchzogen wird. Beim Igel und bei der Maus rechnete ich
dieses Glied zunächst irrtümlich zum Kern der Hirnschenkel-
schlinge (dorsale Etage).
Bei Lemur schiebt sich zwischen das erwähnte äussere Glied
des Globus pallidus und des Putamen noch ein Streifen ein, der
fast zellfrei ist, nur ganz spärliche und ganz blasse mittelgrosse
Ganglienzellen enthält (St’), und beim Affen scheint dieses, also
das erste Glied, sogar über die St’-Zellen zu überwiegen.
Vom Nucleus caudatus ist der Kopfteil bei allen unter-
suchten Tieren gut ausgebildet, auch dürfen vielleicht gewisse
bei allen Tieren beobachtete Zellanhäufungen basal vom Striatum
als Schweifteil angesprochen werden. Sicher lässt sich das bei Igel,
Maus und Frettchen nicht unterscheiden, weil ein kontinuierlicher
Bogenteil fehlt; beim Frettchen finden sich übereinstimmend im
Zell- und im Faserpräparat, dort Haufen kleiner länglicher Zellen,
hier schwache Massen von Grau, welche unterbrochen sind und
weder mit dem Kopf noch dem supponierten Schweifteil in Ver-
bindung stehen, die ich aber doch als rudimentäre Anlage eines
Bogenteils ansehe. Erst beim Halbaften finde ich einen ausge-
sprochenen, kontinuierlich in typischer Weise verlaufenden, freilich
auch noch recht schmächtigen Schweif des Nucleus caudatus.
VIII. Das Claustrum ist beim Affen, Halbaffen und
Frettchen deutlich ausgebildet und vom Linsenkern durch eine
Capsula externa, von der Rinde durch eine mehr oder weniger
deutliche Capsula extrema geschieden. In den distalen Teilen
präsentiert es sich bei Affe und Halbaffe als ein länglich drei-
eckiges Gebilde mit ventralwärts sehender Basis und weit dorsal-
518 Max Völsch:
wärts ausgezogener Spitze; beim Frettchen hat es mehr Kolben-
form. Dieses Dreieck oder dieser Kolben ist als ein ventraler
Schenkel aufzufassen, welchem sich in oraleren Ebenen mit der
Grössenzunahme des Linsenkerns ein dorsaler Schenkel zugesellt;
beim Frettchen besteht der letztere wiederum aus einem Kolben,
dessen Anschwellung dorsalwärts sieht. So ist das Mittelstück
bei weitem schmäler, ja es fehlt beim Frettchen im Zellpräparat
bisweilen ganz, so dass die beiden Kolben, durch eine Lücke
unterbrochen, übereinander liegen (s. Fig. 13—16, 18, 19). Das
(Ganze umzieht in einem lateral-konkaven Bogen die Fissura
Sylvii — eine Inselbildung ist beim Frettehen noch nicht vor-
handen — resp. weiter oral die Fissura rhinalis lateralis, welche
mit jener verschmolzen ist. Sowohl durch die Breitenausdehnung,
als durch die starke Ausbildung des dorsalen Schenkels übertrifft
die Vormauer des Frettchens bei weitem die der anderen Tiere;
sie ist bei ihm weit am mächtigsten entwickelt. Beim Affen und
Halbaffen ist der dorsale Schenkel zu einem relativ dünnen Streifen
reduziert, welcher im Bogen sich um den dorsalen Rand der Insel
herumzieht; allerdings ist medial von diesem Rand der Streifen
medialwärts ein wenig ausgezogen, so dass er bei genauem Zusehen
doch die Gestalt eines ganz stumpfwinkligen Dreiecks mit dorsaler
Grundlinie bekommt. Auch hier ist in den distalen Frontal-
ebenen die Lateralkonkavität des (rebildes in toto noch angedeutet.
Weiter proximal aber krümmt sich beim Halbaften und besonders
beim Affen das ventrale Ende ausgesprochen medialwärts, zieht
sich auch medialwärts stärker aus und gelangt in die Nachbarschaft
des Mandelkerns; beim Affen deutete ich einige Zellkomplexe
zwischen beiden Gebilden als abgesprengte Teile des Claustrums,
nirgends aber konnte ein Übergang und ein Zusammenfliessen
der beiden Zellmassen beobachtet werden. Noch weiter oral
krümmte sich das orale Ende des Claustrums medialwärts in
den Raum zwischen Putamen und Mandelkern hinein und
schliesslich sehen wir, dass der um das Putamen herumgekrümmte
Schenkel in die streifenförmige Fortsetzung der Formation des
Lobus pyriformis an der Basis des Stirnhirns und lateral vom
Traetus olfactorius hineinragte, dass aus seinen Zellen die tiefe
Zellschicht dieses Streifens wurde (s. Fig. 24 von Lemur).
Abgesehen von dieser Beobachtung, welche mir für die
Deutung des Wesens der Vormauer beachtenswert scheint, sieht
Anatomie des Mandelkerns etc. 519
man nun häufig im Zellpräparat die Elemente derselben durch
die Capsula extrema hindurch mit denen der Lamina multiformis
in Berührung treten und sich vermischen (Frettchen, orale Ebenen).
Dazu kommt, dass diese Elemente sich wesentlich von den be-
nachbarten Zellkomplexen unterscheiden. In Frage kommt da
das Putamen und der Mandelkern, speziell der mittelgrosszellige
laterale Kern. Die Zellen beider Komplexe sind blasser und
kleiner, als der Durchschnitt der Claustrumzellen, die des Putamen
noch blasser und kleiner als die des lateralen Kerns. Vor allem
sind die Zellen dieser beiden Gebilde unter sich annähernd gleich,
die Vormauerelemente sind dagegen ausgesprochen multiform:
grössere und kleinere, Pyramiden-, Stern- und Strichformen, bald
stärker, bald schwächer tingiert, sind bunt durcheinander geworfen.
Ich muss nach alledem bei dem Streit über das Wesen des
Claustrums (s. Einleitung I. Teil p. 5850) mich unbedingt auf die
Seite derjenigen stellen, welche seine Zugehörigkeit zum Striatum
leugnen und es als einen — sei es abgespaltenen, sei es einge-
schnürten — Teil der multiformen Schicht der Rinde
ansehen.!) Ein Zusammenhang mit dem Mandelkern bestelıt
meines Erachtens nicht.
Besonders hervorheben möchte ich nochmals die relative
Mächtigkeit der Vormauer beim Frettchen, welche sich neben
den angeführten Momenten auch darin manifestiert, dass sie
den Linsenkern nach distal erheblich überragt, während sie beim
Affen ungefähr in derselben Höhe, wie das Putamen, ihr hinteres
Ende hat, beim Halbaffen sogar erst etwas davor. Vielleicht hat
es auch eine Bedeutung, dass das Claustrum gerade beim Frettchen
so stark entwickelt ist, bei welchem die Ausdehnung des Mandel-
kerns im Verhältnis zu der beim Igel und bei der Maus (s. die
Zahlen p. 502) eine ganz auffallend geringe ist.
Bei diesen Tieren existiert ein eigentliches, durch eine
Capsula extrema von der Rinde geschiedenes Claustrum nicht.
Dagegen fand ich beim Igel eine dem Linsenkern aussen ange-
lagerte Verbreiterung der tiefsten Rindenschicht, bestehend aus.
!) Vergl. die soeben erschienene Arbeit von de Vries: Bemerkungen
zur Ontogenie und vergleichenden Anatomie des Olaustrums, Fol. neurobiolog.,
Bd. IV, 1910, die ich ebenso wie desselben Verfassers Arbeit: Das Corpus
striatum der Säugetiere, Anatom. Anzeig., XXXVII, 1910, nicht mehr be-
nutzen konnte.
520 MrasxeaVgonlesteih®
sehr mannigfaltigen Zellen (S’ p. 608 und Textfig. 7, I. Teil). An
entsprechender Stelle kontrastierte das Aussehen der tiefsten Rinden-
schicht auch bei der Maus durch seine Zusammensetzung aus
meist grossen, stark gefärbten, verschieden geformten Zellen stark
gegen die übrigen Teile derselben Schicht (p. 666, Fig. 14, p. 668,
I. Teil). Siehe auch die Tafelfig. 7, 17—20, I. Teil. Beim Kaninchen
ist diese Zellanhäufung sehr stark, nach Honegger, dem ich
mich darin anschliesse, dass in diesen Verdickungen und Zellen-
anhäufungen der multiformen Schicht das Analogon des Clautrums
zu sehen ist. Doch möchte ich auf die Möglichkeit hinweisen,
die vielleicht mehr schon Wahrscheinlichkeit ist, dass der p. 611,
I. Teil erwähnte und Taf. XXXVIL, Fig. 7 abgebildete Zellhaufen X
ebenfalls der Beginn der Entwicklung eines ventralen Vormauer-
schenkels darstellt.
Was endlich die Faserung des Ulaustrums betrifft, so kann
ich nur sagen, dass beim Frettchen aus den lateralen Teilen der
vorderen Partien des Lobus pyriformis eine mässig starke Faserung
zum Claustrum und zu der ziemlich spärlichen Capsula extrema
zieht. Beim Affen gelangen dorthin Fasern aus dem Schläfen-
lappen, in den oralen Ebenen aber ebenfalls aus dem Lobus
pyriformis, speziell aus der oralen Fortsetzung seiner Formation
an der Basis des Stirnhirns. Danach ist es wahrscheinlich, dass
wenigstens Teile des Claustrums dieselbe funktionelle
Bedeutung haben, wie der Mandelkern.
IX. Substantia perforataanterior und Tuberculum
olfaetorium. Bei Erinaceus konnte ich an der Basis des
Stammes schon weit rückwärts immer an der Stelle, an welche
die Spitze des Frontaldurchschnitts der Hemisphäre sich an ihn
anlegt, das „basale Längsbündel“ Gansers erkennen.
Medial davon lag eine ebenfalls quergetroffene Fasermasse, die
aus sehr viel feineren Fasern zusammengesetzt war, in welche
eine lebhafte Faseraufnahme aus dem anliegenden Grau nach-
weisbar war, und welche ich bis in die Zona incerta verfolgen
zu können glaubte. In der Höhe, wo der Tractus optieus sich
ganz an die Stammbasis gezogen hat und nun mit dem ihm
anliegenden Ganglion opticum basale noch weiter medialwärts
zum Chjasma strebt, steigen aus dem Gebiet des Ganserschen
Längsbündels und des soeben geschilderten ihm medial anliegenden
„medialen Längsfaserfeldes“, sowie auch aus der dorso-lateral an
1
1
Anatomie des Mandelkerns etc. 5:
das erstere sich anschliessenden Region des Basalganglions und
des innersten Linsenkerngliedes massenhafte Fasern zum Thalamus
auf, der untere Thalamusstiel. Im Zellpräparat entsprach dieser
Region die sogenannte zellfreie Zone der Stammbasis. Bald davor
füllte sich diese Zone mehr und mehr mit Zellen, deren Haupt-
charakteristikum die Unregelmässigkeit der einzelnen Elemente
in Bezug auf Grösse, Gestalt, Tinktion und Lagerung war; ventral
aber sah man einen Zug relativ regelmässig transversal gestellter,
meist spindelförmiger Zellen. Im Faserpräparat aber erschienen
wieder, nachdem der untere Thalamusstiel sich erschöpft hatte,
das (ransersche Bündel und das mediale Längsfaserfeld, namentlich
das erstere erheblich verstärkt (laterales Längsfaserfeld). Mit
den Zellen zusammen bildete das letztere eine „Zellfaserplatte“,
die Zellen und die Fasern, letztere gewissermassen lateralwärts
und medialwärts umbiegend, drangen in das lateral gelegene
Gebiet des „basalen Spitzenkerns“ und in das medial gelegene
(rebiet des medialen Längsfaserfeldes und weiter bis zur Mittel-
linie vor, allmählich die ganze Basis von der Medianlinie bis
zum Traetus olfactorius überziehend, dorsal begrenzt von dem
lateral und medial tief hinabtretenden Striatum. Durch dieses
tiefe Hinabtreten des Striatums wurde die Zellfaserplatte nach
vorn immer flacher. Sie entspricht dem Gebiet der Substantia
perforata anterior.
In gewisser Frontalhöhe überzieht sich diese Substanz nun mit
einem Bande kleinster, dichtgelagerter Zellen, welches von lateral
nach medial allmählich bis zur Mittellinie fortschreitet; es ist
charakteristisch für das Tubereulum olfactorium; ich nannte
die Substantia perforata anterior, soweit sie von diesem Bande
überzogen ist, im Anschluss an Ganser die Rinde am Kopf des
Streifenhügels.
Die Fasern der Zellfaserplatte aber strömten inzwischen in
starken Zügen in das Septum pellueidum hinein. (Über die
Details s. die Darstellung beim Igel, I. Teil, p. 613, 627, 638 #t.,
651 sowie Textfig. 10, p. 629, Tafelfig. 7” und 9—12.)
Ich kann diese Darstellung auch nach Durchsicht der Serien
der übrigen Tiere aufrecht erhalten und habe ihr für die letzteren
kaum etwas wesentliches hinzuzusetzen. Es liegen vielmehr genau
dieselben prinzipiellen Verhältnisse vor bei der Maus, soweit aus
Zellpräparaten allein geschlossen werden kann, und bei dem
522 Max Völsch:;
Frettchen, welches tatsächlich in allen Punkten genau überein-
stimmend sich verhält. Beim Halbaften und Affen, bei welchen,
wie oben erwähnt, der Tractus olfactorius etwas medialwärts ver-
schoben ist, dringt die Zellfaserplatte nicht so weit lateralwärts vor,
wie bei den niederen Säugern, überschreitet aber doch ein wenig
die transversale Höhe des Tractus olfactorius. um zu den lateralen
Teilen des Kopfes des Streifenhügels zu gelangen. Da die Tuber-
culumrinde diese Grenze aber nicht überschreitet, so überragt
bei diesen Tieren die Zellfaserplatte das Band des Tuberceulum
ein wenig Jateralwärts. Aber auch bei ihnen finde ich, dass vor
der zellfreien Zone (der (Gegend des unteren Thalamusstiels)
zunächst die Zellfaserplatte an der basalen Oberfläche des Stammes
erscheint, und dass sie sich erst weiter oral mit dem Bande
kleiner Zellen umzieht, welche das Tuberceulum olfactorium kenn-
zeichnet. Wenn R. y Cajal (l.c.p. 117) des „Spatium perforatum
anterius“ des „Menschen“ dem Tubereulum olfactorium der
Tiere gleichstellt, so vermag ich dem nicht beizustimmen. Bei
den Tieren und zwar auch noch bei den niederen Aften findet
man durchweg eine Region, welche der Lage nach der Substantia
perforata des Menschen völlig entspricht, und welche sich durch
den Bau, durch das Fehlen der kleinzelligen Rindenschicht scharf
unterscheidet von dem erst weiter oral beginnenden Tuberculum
olfactorium. Dass ich mit Cajal, der mir sonst auf vielen der
behandelten Gebiete ein nie versagender Führer und Ratgeber
gewesen ist, bezüglich dieser Region auch in einigen anderen
Punkten nicht übereinstimme, habe ich bereits oben p. 466 aus-
geführt (vergl. für Abschnitt IX die Fig. 16, 18, 19, 24, 28).
Zeichenerklärung.
A — Ammonshorn.
Bg — Basalganglion.
B — „Rindenanteil“* des Mandelkerns, B' medialerer Teil desselben.
0.8. — Üommissura anterior.
CC. — Corpus callosum.
Cl. — Claustrum, C]' Cl" dorsaler und ventraler Schenkel desselben.
.g.l. = Corpus geniculatum laterale.
Ch. — Ühiasma.
G- 3: — Capsula interna.
Coll. — Fissura oceipito-tempor. med. s. Oollateralis.
F.d. —
Fo. =
Eorhinele —
Ib, Jul, in, ee
IHRaS: —
6 Re =
G. opt. b.
RK —
Don. —
IN
M —
N. c. —
Neaspı, —
Q
St. —
SS Sr
St. t. —
|
Anatomie des Mandelkerns etc. 525
Medialer kleinzelliger (sublentikulärer) Kern des Mandelkerns.
„Kern des sagittalen Längsbündels der Stria terminalis“.
„Basaler Spitzenkern‘“.
Fissura rhinalis medialis bezw. (distaler) eine in der Fort-
setzung derselben, aber nicht mit ihr verbundene Furche.
Mittelgrosszelliger lateraler sublentikulärer Kern, E' E? Teile
desselben.
Fascia dentata.
Fornix.
Fissura rhinalis lateralis.
Fissura rhinalis medialis.
Fossa Sylvii.
Grenzkern zwischen Thalamus und Hemisphäre.
Ganglion opticum basale.
Gliazellanhäufungen.
„Laterales Längsfaserfeld“ mit dem Ganserschen Längsbündel.
„Mediales Längsfaserfeld“.
Lateraler mittelgrosszelliger Kern des Mandelkerns.
Nucleus caudatus.
Begleitkern der Linsenkernschlinge (Nucleus ansae peduncularis).
Sagittales Längsbündel der Stria terminalis?
Putamen.
— Innenglieder des Linsenkerns.
Stria terminalis.
SED: — Septum pellueidum.
S.p.a. == Substantia perforata anterior.
S.p.a’ == ventraler Teil derselben.
T — medialer mittelgrosszelliger Kern des Mandelkerns.
2% — zentraler grosszelliger Kern des Mandelkerns.
Tb. olf., Tub. olf. — Tuberculum olfaetorium.
Th. opt. = Thalamus opticus.
Tr. off. = Tractus olfactorius lateralis.
Tr. opt. = Tractus opticus.
Une. — Üneus.
U. Th. St. = Unterer Thalamusstiel.
V — Ventrikel.
V' — Unterhorn desselben.
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Aus dem Anatomischen Institut der Universität Halle a. S.
Über eine zweite Zellart in den Brunnerschen
Drüsen des Menschen.
Von
Professor Dr. Albert Oppel in Halle a. S.
Hierzu Tafel XVII.
Unser Wissen über den feineren Bau des Vorderdarms des
Menschen und über die von diesem Darmabschnitte ausgehenden
Drüsenbildungen, zu welchen ich auch die Brunnerschen Drüsen
ihrer phylogenetischen Entstehung nach rechne, ist erst Jüngeren
Datums. Der feinere Bau des Vorderdarmes verschiedener Säuge-
tiere, besonders des Hundes, ist dagegen schon früher bekannt
geworden und man hatte sich daran gewöhnt, letztere Befunde
auch für den Menschen als massgebend zu erachten. So kam
es, dass fast jeder neue Fund, nach dem der menschliche Vorder-
darm ein von dem für die Säugetiere angenommenen Schema
abweichendes Verhalten zeigte, zunächst den Verdacht des
„Abnormen“, vielfach des „Rudimentären“ und neuerdings der
„Dekadenz“ erregte.
In meinen Darlegungen im I. und II. Bande meines Lehr-
buches (Oppel 96 und 97) sowie in meinen in den „Ergebnissen
der Anatomie und Entwicklungsgeschichte* (Oppel 97—07)
über ein Jahrzehnt fortgeführten, mein Lehrbuch ergänzenden
Aufsätzen habe ich die einschlägige Literatur inhaltlich zur Dar-
stellung gebracht, so dass ich hier nicht weiter darauf einzugehen
brauche.
Schon in jener Zeit habe ich die Empfindung gehabt und
derselben auch wiederholt Ausdruck gegeben, dass es nicht an-
gängig und auch gar nicht erforderlich ist, die dem Vorderdarm
des Menschen zukommenden eigentümlichen Strukturverhältnisse
auf diejenigen Gestaltungen zurückzuführen, welche uns heute
lebende Vertreter irgend eines Carnivoren-, Chiropteren-, Rodentien-
stammes oder einer anderen Säugetiergruppe zeigen.
Viel plausibler erschien es mir, und dies ist auch heute
noch meine Anschauung, dass sich die Struktur des Vorderdarmes
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. 34
526 Albert Oppel:
der Primaten und besonders des Menschen ganz unabhängig von
den Anordnungen, welche wir bei anderen Säugetiergruppen sehen,
für sich aus einfacheren Verhältnissen herausgebildet und dabei
in wesentlichen Punkten anders gestaltet hat, als dies bei den
erwähnten übrigen Säugetiergruppen der Fall war.
Solche Unterschiede sind nun in den Forschungen der
letzten Jahre in nicht geringer Menge zutage gefördert worden.
Durch die Güte des Herrn Geh. Rat W. Roux’, welchem
ich auch das Material zu dieser Arbeit und die Anregung zur
Veröffentlichung meiner Befunde verdanke, konnte ich in Halle a.S.
an vorzüglich konserviertem menschlichem Material (vom Hin-
gerichteten) eine Reihe der erwähnten in der neueren Literatur
enthaltenen Ergebnisse selbst nachprüfen. Dabei fand ich vor
allem die Untersuchungsresultate von J. Schaffer und anderen
bestätigt, nach denen das Vorkommen der Belegzellen im mensch-
lichen Vorderdarm viel weiter verbreitet ist, als man früher an-
nahm und ich habe mich auch von dem von Stöhr entgegen
den Einwänden der Kritik stets mit Bestimmtheit aufrecht er-
haltenen Vorkommen von Belegzellen im Endabschnitt des
menschlichen Magens mit eigenen Augen überzeugt. Es war
mir möglich, in den Pylorusdrüsen des Menschen, selbst noch
jenseits des Pylorus, also bereits im Anfang des Duodenums, an
mehreren Stellen zweifellose Belegzellen in den Drüsenschläuchen
aufzufinden.
Das Vorkommen von Belegzellen im menschlichen Duodenum
wurde schon von M. Kaufmann (06), und zwar im Anfangsteil
dieses Darmabschnittes festgestellt und von der Übergangsstelle
des Pylorus in das Duodenum 5,5 mm nach abwärts, soweit das
Präparat reichte, verfolgt. In der von überzeugenden litho-
graphischen Abbildungen begleiteten Arbeit wird darauf auf-
merksam gemacht, dass fast sämtliche Belegzellen des Duodenums
über der Muscularis mucosae (in der Richtung auf das Darm-
lumen zu) lagen; nur selten wurde eine Zelle entdeckt, die sich
unter ihr befand. „In frappanter Weise trat dies da in die Er-
scheinung, wo die Belegzellen haufenweise zu sehen waren. Die
Muscularis mucosae nahm sich da aus wie eine für Belegzellen
kaum passierbare Schranke.“ Der Kaufmannsche Fund scheint
auch in der 13. Auflage des Lehrbuchs der Histologie von
Stöhr (09) Aufnahme gefunden zu haben, wenigstens sagt der
ZU
Eine zweite Zellart in den Brunnerschen Drüsen. a7
letztere (S. 256, Anm. 3) bei Besprechung der Brunnerschen
Drüsen: „Beim Menschen sind auch einzelne den Belegzellen
gleichende Drüsenzellen gefunden worden“.
Ich bin nun weiter abwärts im menschlichen Duodenum,
also nicht in unmittelbarer Nähe des Pylorus auf eine Zellart
in den Brunnerschen Drüsen gestossen, welche ich in der
Literatur bisher nicht erwähnt finde und welche weder mit den
Kaufmannschen Zellen in ihrem Lageverhältnis zur Muscularis
mucosae noch überhaupt mit Belegzellen in ihrem feineren Bau
übereinstimmt. Ich fand diese Zellen in einem Abschnitt des
Duodenums, in welchem dasselbe die Besonderheiten einer „Über-
gangszone“, die es in der Gegend des Pylorus zeigt, bereits
verloren hat. Die Brunnerschen Drüsen schliessen hier nicht
mehr so dicht aneinander, wie unmittelbar am Pylorus. Sie liegen
fast ausschliesslich in der Submucosa, während noch Magenepithel
tragende Mucosaabschnitte, in denen zahlreiche kurze (d. h. die
Museularis mucosae nicht durchbohrende) Drüsenschläuche oft im
Zweifel lassen, ob wir es mit Pylorusdrüsen oder mit Ausführ-
gängen resp. über der Muscularis mucosae gelegenen Abschnitten
der Brunnerschen Drüsen zu tun haben, ganz fehlen. Die
Schleimhaut trägt an dieser Stelle durchaus den für den Dünn-
darm typischen Charakter, sie besitzt hohe Plicae eirculares, in
welche sich die Muscularis mucosae hineinzieht, den Verlauf der
Falte mitmachend. Die Brunnerschen Drüsen liegen hier mit
Vorliebe, d. h. in grösserer Menge in den Plicae circulares, so dass
die Falten im Querschnitt durch die oft nahe dem Faltengipfel
liegenden Konglomerate Brunnerscher Drüsen manchmal etwas
verbreitert sind. Die Schleimhaut trägt durchgehend gut ent-
wickelte Zotten und ist mit Lieberkühnschen Drüsen dicht
erfüllt.
Die Ausführgänge der Brunnerschen Drüsen münden ent-
weder sofort, nachdem sie die Muscularis mucosae durchbrochen
haben, in den Grund einer Lieberkühnschen Drüse, oder ihr
Epithel behält noch eine Strecke weit seinen Charakter, ehe es
in das der Lieberkühnschen Drüse übergeht. Zimmer-
mann (98), dessen Angaben über die Brunnerschen Drüsen
des Menschen ich in allen wesentlichen Punkten bestätigen kann,
spricht in diesem zweiten Falle von einem „besonderen Aus-
führungsgang, dessen Zellen alle Übergänge zeigen von dem
34*
528 Albert Oppel:
gewöhnlichen Darmepithel zu den typischen Zellen der Brunner-
schen Drüsen“, erwähnt jedoch die von mir im folgenden be-
schriebenen Besonderheiten nicht.
Die Lieberkühn schen Drüsen (s. Fig. 1 auf Taf. XVIII) be-
sitzen hier, also auch im Duodenum des Menschen, wie dies bereits
Zimmermann (98) erkannte, gut entwickelte Panethsche
Zellen (Fig. 1 bei P), deren Körnchen an meinem Präparat
durch ihre intensive Färbung mit Eosin in leuchtendem Rot
schon bei schwacher Vergrösserung aufs deutlichste hervortreten.
Das Präparat, vom Hingerichteten stammend, wurde unmittelbar
nach dem Tode mit Formalin fixiert, in Celloidin geschnitten
und mit Hämatoxylin und Eosin gefärbt.
Unter den bei dieser Behandlung in hellem blaurotem Tone
erscheinenden Zellen der Brunnerschen Drüsen fallen nun
einzelne auf, welche in ihrem Innern gefüllt sind mit intensiv rot
gefärbten grossen Körnchen (s. Fig. 1 bei b) und den Panethschen
Zellen ähnlich sehen, nur dass sie eben in den Brunnerschen
Drüsen liegen.
Bei dem unmittelbaren Übergange der Brunnerschen
in die Lieberkühnschen Drüsen liegt der Gedanke nahe, dass
es sich in dem von mir beschriebenen Vorkommen um tiefer
hinabreichende Panethsche Zellen handeln könnte. Schon
Zimmermann (95) hat darauf aufmerksam gemacht, dass
Panethsche Zellen auch in solchen Lieberkühnschen Drüsen
vorkommen können, welche hernach Brunnerschen Drüsen als
Ausführgang dienen.
In Fig. 2 (der Taf. XVIII) ist ein Schnitt wiedergegeben,
in welchem ein Ausführgang (Fig. 2 A) der Brunnerschen
Drüsen, wie er eben die Muscularis mucosae durchsetzt, getroffen
ist. Derselbe zeigt zahlreiche der von mir beschriebenen ge-
körnten Zellen und lässt deutlich erkennen, dass dieselben nicht
nur, wie Zimmermann sah, in den Lieberkühnschen Drüsen
an der Übergangsstelle in die Ausführgänge der Brunnerschen
Drüsen liegen, sondern in letzteren selbst. Auch diese Figur
lässt aufs deutlichste die ganz neue Tatsache erkennen, dass die
gekörnten Zellen nicht nur im Anfangsteil der Brunnerschen
Drüsen, also etwa nur in der Nähe von deren Einmündung in
die Lieberkühnschen Drüsen liegen, sondern dass diese eigen-
tümlichen Zellen im Ausführgange der Brunnerschen Drüsen
Eine zweite Zellart in den Brunnerschen Drüsen. 529
selbst liegen und dass sie auch jenseits der Museularis mucosae
in den submueös gelegenen Endgängen der Brunnerschen Drüsen
vorkommen, dass sie also durch die ganze Dicke des Drüsen-
paketes verbreitet sind, wie sie auch noch in den tiefsten Schichten
desselben überaus zahlreich gefunden werden. Ich habe somit
entschieden den Eindruck, dass es sich hier um eine den
Brunnerschen Drüsen eigentümliche Zellart handelt, deren
Vorkommen bisher noch nicht bekannt war.
Ich habe in Fig. 5 auf Taf. XVIII noch eine weitere Ab-
bildung wiedergeben lassen, welche (bei b) die von mir be-
schriebenen Zellen bei stärkerer Vergrösserung neben den bisher
bekannten Drüsenzellen der Brunnerschen Drüsen zur Dar-
stellung bringt. Die Figur zeigt Grösse und Anordnung der
Drüsenkörner in naturgetreuer Wiedergabe. Die dem Lumen
zunächst liegenden Körnchen sind etwas kleiner als die übrigen
näher gegen die Zellmitte und Zellbasis gelegenen Körner. Im
mittleren Teil der Zelle zeigt sich eine Reihenstellung (in der
Richtung von der Basis zur freien Oberfläche verlaufend) in der
Anordnung der Körnchen, wie dies besonders deutlich in dem,
einen Zellanschnitt darstellenden, Bilde Fig. 3 bei b‘’ zu erkennen
ist. In dickeren Schnitten machte sich von der Kernhöhe bis
gegen die Basis der Zelle zu eine fädige Struktur erkennbar,
welche an Basalfilamente oder an das Ergastoplasma Bouins er-
innerte, an dünneren Schnitten jedoch nicht so deutlich war.
Diese Struktur mag jedoch auf die beschriebene Anordnung der
Körnchen nicht ohne Einfluss sein. Beides, Körnchen und Basal-
filamente sprechen für die spezifische Drüsennatur dieser Zellen.
Die Körnchen sind im wesentlichen sehr ähnlich den Körnchen
der Panethschen Zellen, kommen jedoch deutlicher als diese
zur Anschauung, weil die Lage der Panethschen Zellen in den
blinden Drüsenenden weniger günstige räumliche Verhältnisse
darbietet, als für die neuen Zellen im Verlaufe der Brunnerschen
Drüsen bestehen. Die neuen Zellen haben eine grössere Ober-
tläche sensu strietiori (d. h. im Verhältnis zur Grösse der Seiten-
flächen und der Basis), als dies bei den Panethschen Zellen
am Grunde der Lieberkühnschen Drüsen der Fall ist. Dies
beeinflusst wohl auch die Form der ‘neuen Zellen überhaupt,
welche im ganzen mit der Form der bisher bekannten Zellen
der Brunnerschen Drüsen übereinstimmt. Sie stehen mit ihnen
530 Albert Oppel:
in derselben Reihe, sind annähernd ebenso breit wie jene, manche
vielleicht eher etwas schmäler. Sie reichen, sich von ihrer Basis
gegen die freie Oberfläche zu mehr oder weniger verjüngend,
stets bis zum Drüsenlumen, an dessen Begrenzung sie eben mit
ihrer ausgedehnten Oberfläche sensu strietiori überall deutlich
teilnehmen und rücken niemals nach Art der Belegzellen vom
Drüsenlumen ab. Übrigens ist ja, wie ich an Präparaten vom
Hingerichteten stets sah, auch die Oberfläche (sensu strietiori)
der Belegzellen beim Menschen, mit welcher dieselben an der
Begrenzung des Drüsenlumens teilnehmen, viel ausgedehnter als
man früher annahm, so dass die auch in neueren Auflagen der
meisten Lehrbücher der menschlichen Histologie figurierenden
Bilder hierfür nicht zutreffend sind.
Die Begrenzung der neuen Zellen gegen das Drüsenlumen
ist nicht durch eine Membran oder eine ähnliche Bildung, sondern
nur durch die Sekretkörnchen mit dem dazwischen liegenden
protoplasmatischen Netzwerk gegeben, ohne dass es zu einer
besonderen exoplasmatischen Verdichtung käme.
Was die Zahl der neuen Zellen betrifft, so fand ich im
(Juerschnitt eines Drüsenschlauches (s. Fig. 1 und 2) bisweilen
vier bis fünf gekörnte Zellen, so dass sie annähernd die Hälfte
der im Querschnitt vorhandenen Zellen ausmachten, während sie
an anderen Stellen nur vereinzelt, oft nur eine oder zwei im
Querschnitt eines Drüsenschlauches vorkamen, und schliesslich
an anderen Stellen ganz fehlten.
Die Deutung der von mir beschriebenen Zellen ist nicht
ganz leicht. Man könnte daran denken, dass auch weiter im
Duodenum nach abwärts noch Belegzellen vorkämen, welche in
ihrem Aussehen, namentlich in ihrer Form nicht mehr an die
englumigen Magendrüsen, sondern an die mit weiterem Lumen
versehenen Brunnerschen Drüsen dieses Darmabschnittes sich
angepasst hätten. Auffallend bliebe dann der immerhin einen
(Gegensatz zu den Kaufmannschen Befunden darbietende Um-
stand, dass die Zellen hier gerade in der Submucosa in grosser
Menge auftreten, während Kaufmann die Muscularis mucosae
als eine für Belegzellen kaum passierbare Schranke annehmen
will. Einer Identifizierung der von mir beschriebenen Zellen
mit den Belegzellen steht ferner der triftige Grund entgegen, dass
beiderlei Zellen in ihrem feineren Bau wesentliche Unterschiede
Eine zweite Zellart in den Brunnerschen Drüsen. Hal
zeigen. Vor allem sind die Granula der von mir beschriebenen
Zellen bedeutend grösser als in den Belegzellen.
Die Grösse der Granula weist eher auf eine Übereinstimmung
der neu beschriebenen Zellen mit den Panethschen Zellen hin,
welche solche grosse Granula besitzen. Metzner (07) hat die
Grösse der Granula gleichfalls als charakteristisch für die
Panethschen Zellen erkannt, wofür auch Zimmermanns (98)
Figuren von Panethschen Zellen und Belegzellen, sowie Be-
schreibungen und Abbildungen früherer Autoren sprechen.
Während aber die Panethschen Zellen in den Lieber-
kühnschen Drüsen gefunden wurden, liegen die von mir be-
schriebenen Zellen in den Brunnerschen Drüsen und in der
Submucosa, wie dies oben beschrieben wurde.
Was die Häufigkeit des Vorkommens der neuen Zellen
anlangt, so habe ich dieselben bisher erst bei einem Hingerichteten,
aber hier regelmässig in zahlreichen Präparaten aufgefunden.
Da das trefflich konservierte Objekt zur Anfertigung von Kurs-
präparaten dient, habe ich Gelegenheit gehabt, im Laufe einiger
Jahre mehrere hundert Schnitte durchzumustern, welche die neuen
Zellen bald in grossen Mengen, bald weniger zahlreich zeigten
und kaum einmal vermissen liessen.
Es bleibt noch die Frage zu erörtern, ob die gekörnten
Zellen nicht vielleicht nur ein besonderes Tätigkeitsstadium der
bisher bekannten Zellen der Brunnerschen Drüsen darstellen
könnten. Von dem Auftreten solcher sich so intensiv mit Bosin
tingierender scharf abgesetzter Körnchen ist allerdings in den
Zellen der Brunnerschen Drüsen während keines Tätigkeits-
zustandes bisher etwas bekannt geworden und auch ich selbst
bin in den Brunnerschen Drüsen aller von mir untersuchten
Säugetiere bis herunter zu den Marsupialiern und Monotremen
auf ein gleiches Verhalten noch nicht gestossen, obwohl ich dabei
mancherlei Funktionszuständen (sehr ausgesprochenen Gegensätzen,
z. B. bei Erinaceus europaeus) begegnete.
Immerhin erscheint es notwendig, das, was über diesen
Punkt bisher in der Literatur an positiven Angaben vorliegt,
sorgfältig zu prüfen.
Schwalbe (72) hat zuerst im Jahre 1872 darauf hingewiesen, dass
sich beim Kaninchen neben wirklichen unmittelbar hinter dem Pylorus ge-
legenen Brunnerschen Drüsen kleine Drüsen vom Bau des Pankreas in
532 Albert Oppel:
den Darmwandungen finden. Sie beginnen etwa 1 cm vom Pylorus und
reichen bis 50 cm vom Pylorus. Sie liegen, wie die Brunnerschen Drüsen,
in der Submucosa. Die Brunnerschen Drüsen reichen vom Pylorus soweit
im Darme nach abwärts, dass man eine Strecke weit beide Drüsenarten neben-
einander findet.
Dieses Vorkommen blieb bisher, obwohl auch andere nahestehende
Nager daraufhin untersucht wurden, alleinstehend. Die von Schwalbe in
der Literatur vorgefundenen Fälle, in welchen pankreatische Drüsen in der
Darmwand des Menschen vorkommen, sind die von Klob und Zenker be-
schriebenen und es werden die betreffenden Drüsenkörper als Nebenpankreas
bezeichnet. Es handelt sich in diesen (in meinem Lehrbuche, Bd. III, 5. 855.
genauer beschriebenen) auch in der neueren Literatur wieder erwähnten
Gebilden um linsen- bis talergrosse Drüsen, welche an verschiedenen Stellen
im Darm auftreten und in ihrem feineren Bau ganz mit dem Pankreas über-
einstimmen, also nichts mit den von mir beim Menschen beschriebenen Eigen-
tümlichkeiten der Brunnerschen Drüsen zu tun haben.
Vor allem handelt es sich beim Kaninchen und den Fällen von Neben-
pankreas beim Menschen, soweit bis jetzt bekannt ist, niemals um gemischte
Drüsen, wie es die von mir beschriebenen Drüsen sind, und nur Berdal (94)
konstatierte beim Kaninchen auch gemischte Drüsenschläuche.
Dagegen hat Schwalbe (72) beim Hunde ausser der gewöhnlichen
Art von Drüsenzellen noch eine zweite eigentümliche Zellform in den Brunner-
schen Drüsen beschrieben. Sie liegen ‚sehr vereinzelt eingekeilt“ zwischen
den gewöhnlichen Drüsenzellen. Sie besitzen eine keulenförmige Gestalt und
in der der Membrana propria zugekehrten kopfförmigen Anschwellung einen
runden, feingranulierten Kern. Diese Zellen unterscheiden sich von der von
mir beschriebenen zweiten Zellart beim Menschen namentlich darin, dass die-
selben der Körner ermangeln. Schwalbe wenigstens erwähnt derartige Körner,
wie ich sie beim Menschen beschrieben und abgebildet habe, beim Hunde weder
im Text, noch gibt er sie in den Abbildungen wieder, während er die Körn-
chen der Panethschen Zellen wohl erkannte und abbildete, und ich verstehe
nicht, wie Paneth, der die Schwalbesche Abbildung von den Panethschen
Zellen im Mausdarm kennt und widergibt, daran zweifeln kann, dass Schwalbe
die Körnchenzellen in den Lieberkühnschen Drüsen gesehen hat.
Da also Schwalbe die Körnchen in den Panethschen Zellen wohl
gesehen und klar in Wort und Bild wiedergegeben hat, während er für seine
Keulenzellen beim Hunde nichts derartiges zum Ausdruck bringt, so muss
man wohl annehmen, dass die Keulenzellen beim Hunde in ihrem Bau mit
der durch ihre Körnelung so frappant an die Panethschen Zellen erinnernden
zweiten Zellart der Brunnerschen Drüsen beim Menschen nicht übereinstimmen.
In späteren Jahren wurden von verschiedenen Autoren auf kleine
Unterschiede in dem Verhalten der Brunnerschen Drüsen namentlich auch
in ihrem Tinktionsvermögen aufmerksam gemacht. In der Regel ist aber
auch hier nur die Rede davon, dass ganze Schläuche (resp. deren Schnittbilder)
sich von anderen unterscheiden, und es wurden diese verschiedenen Erscheinungs-
formen in der Regel als verschiedene Funktionsstadien gedeutet.
Eine zweite Zellart in den Brunnerschen Drüsen. DE
Klein (79) unterschied zwei Zellarten, hellere mit basal liegendem,
schalenförmigem Kern und solche mit dichterem Netzwerk, so dass sie gekörnt
erscheinen. Letztere entsprechen einem Erschöpfungszustand; im Hunger-
zustand und bald nach der Nahrungsaufnahme zeigen die Zellen das erstere
Verhalten.
Dann erwähnte Schaffer (9/1) beim Menschen Unterschiede an den
in der Submucosa liegenden Drüsenkörpern im Vergleich zu den in der
Schleimhaut gelegenen Partien. Schaffer erkannte damals auch, dass die
Schleimnatur der Brunnerschen Drüsen eine wesentlich andere ist, als die
der Becherzellen im Dünn- und Mastdarm und der Schleimspeicheldrüsen.
Nach Stöhr (99) unterscheiden sich die Zellen der Brunnerschen
Drüsen der Katze von denen des Menschen, sie sind dunkler und machen
mehr den Eindruck von serösen Drüsen, während die des Menschen hell sind,
einen basal liegenden platten Kern und eine gewisse „äussere“ Ähnlichkeit
mit Schleimzellen besitzen, doch scheint nach den Färbereaktionen der Schleim-
gehalt jedenfalls nur ein minimaler zu sein. Einzelne solche hellere Zellen
finden sich auch bei der Katze, bisweilen in Gruppen stehend.
Bogomoletz (03) beschreibt (bei Pferd, Ochse, Schwein, Schaf,
Hund, Katze, Kaninchen, Ratte und Maus) zweierlei Läppchen und zwar
solche, deren Zellen eine Körnelung besitzen, andererseits solche, die ihr
Sekret scheinbar ausgeschieden haben. Erstere enthalten einen Ferment-
vorrat-Zymogen, letztere zeigen Reaktion auf Schleim (Metachromasie). Das
gleichzeitige Vorhandensein zweier Typen von Lobulis deutet auf die Ver-
schiedenheit des Funktionszustandes, in dem sich diese Lobuli befinden, hin.
Nach Anile (03) besitzen die Brunnerschen Drüsen (Fledermaus,
Maus, Maulwurf, Hund, Katze, Schwein) nur einerlei Epithel, dessen sezer-
nierende Tätigkeit unter einer muciparen Metamorphose einhergeht. Die
verschiedenen Bilder, welche die Drüsenzellen beim Kaninchen z. B. zeigen,
deutet Anile nicht als verschiedene Funktionsstadien, sondern als die ver-
schiedenen Momente einer einzigen Sekretionstätigkeit. Die Granula der
sezernierenden Zelle lösen sich dabei in dem Schleim auf, welcher aus einer
Umwandlung des Zellprotoplasmas entsteht.
Bensley (03a und 035) findet die Brunnerschen Drüsen bei 15
von ihm untersuchten Genera (Didelphys virginiana, Hund, Katze, Lutreola,
Procyon, Erinaceus, Erethizon, Meerschweinchen, Arctomys monax, Eich-
hörnchen, Muscardinus avellanarius, Fiber zibethicus, Maus, Ratte, Peromyscus,
Schaf, Schwein und Mensch) von rein mukösem Typus. Nur beim Kaninchen
dagegen haben diese Drüsen gemischten Typus und bestehen aus schleim-
haltigen und serösen Teilen.
Nach Deimler (05) zeigen die Zellen der Brunnerschen Drüsen
(Pferd, Esel, Rind, Ziege, Schaf, Schwein, Hund und Katze) Mucin- und
Eiweissreaktion. Vereinzelt findet er „Stöhrsche Zellen“, häufig bei Schaf
und Hund, und erklärt dieselben mit den Keulenzellen Schwalbes für
identisch. Die Drüsenzellen treten je nach ihrem Funktionszustande in
zwei verschiedenen Arten auf, zwischen denen alle möglichen Übergänge
vorkommen.
534 Albert Oppel:
Bensley (035) beschreibt dann unter den neueren Forschern die
dem verschiedenen Tätigkeitszustand der Drüsen entsprechenden Ver-
änderungen der Drüsen genauer. Im Stadium der grössten Ladung sind
die Zellen gross und hell und enthalten einen platten oder halbmondförmigen
basal gelegenen Kern, der im Zwischenstadium mehr oval wird, während
das basale Cytoplasma an Menge zunimmt. Im entladenen Zustand ist der
Kern rund oder oval und näher der Mitte der Zelle, und das basale Cyto-
plasma hat an Menge weiter zugenommen.
Auch an meinen Präparaten zeigten die Brunnerschen
Drüsen an verschiedenen Stellen des Darmes bei ein und dem-
selben Hingerichteten verschiedenes Aussehen. Ich konnte drei
durch Übergänge verbundene Haupttypen unterscheiden und halte
es für wahrscheinlich, dass es sich in ihnen um verschiedene
Tätigkeitszustände handelt und zwar um folgende:
1. Einmal fanden sich grosse Endstücke mit weitem Lumen,
hohen Zellen mit basal liegendem, etwas abgeplattetem
Kern, bei denen im darüber liegenden Teil des Zellleibes
die von Zimmermann beschriebene, dunklere, mittlere
Zone auch an Formalinpräparaten sich sehr deutlich gegen
die periphere und basale hellere Zone absetzte. Dieses
Stadium entspricht im wesentlichen Zimmermanns
(98) Figur 84.
2. Einen starken Gegensatz zu diesem Bilde zeigen andere,
oft ganze Drüsenpakete aufbauende Endstücke mit engem
Lumen, niedrigen Zellen und rundem Kern. Die Klein-
heit der Zelle beruht hier vor allem auf einem fast voll-
ständigen Fehlen des peripheren Teils der Zelle, so dass
der runde Kern von der Basis fast bis zur Oberfläche
der Zelle reicht, letztere also beinahe ganz ausfüllt.
3. Neben diesen beiden Gegensätzen finde ich Zwischenglieder,
mittelgrosse Endstücke mit mittelgrossem Lumen oder noch
kleinem Lumen aber mit bereits hohen Zellen, in denen je-
doch die Kerne noch rund sind und die Differenzierungen
des peripheren Teils der Zelle weniger ausgesprochen sind.
Es ist naheliegend, anzunehmen, dass das zuerst beschriebene
Stadium sekretgefüllte Zellen darstellt, während die beiden anderen
Stadien das morphologische Bild der allmählichen Ausarbeitung
des Sekrets oder von dessen Vorstufen zeigen.
Von weitergehendem Interesse scheint mir dabei der Umstand,
dass die Brunnerschen Drüsen des Menschen, wie ich dies auch
<
Eine zweite Zellart in den Brunnerschen Drüsen. 535
bei verschiedenen Säugetieren (z. B. beim Igel) aufs deutlichste
erkennen konnte, sich nicht alle gleichzeitig in derselben Tätigkeits-
phase befinden müssen, sondern bei ein und demselben Individuum
ganz verschiedene Funktionszustände aufweisen können. Es spricht
dies sehr für die von vielen neueren Physiologen behauptete all-
mähliche (nicht plötzliche) Überführung der Ingesta aus dem Magen
in das Duodenum. Es wäre hierfür nicht zweckmässig, wenn
alle Brunnerschen Drüsen auf einmal ihr Sekret abgeben würden,
sondern es erscheint zweckmässiger, wenn dies in kleinen Portionen
periodisch entsprechend dem allmählichen Verbrauch geschieht.
Alle diese beschriebenen, von mir beim Menschen wie bei
Tieren gesehenen Bilder haben nun in keiner Weise etwas zu
tun mit der von mir in den Brunnerschen Drüsen des Menschen
neugefundenen Zellart, sondern treten lediglich in der bisher
bekannten Zellart auf. Die neue Zellart, welche in den Endstücken
aller drei von mir beschriebenen Tätigkeitszustände gleichmässig
vorkommt, lässt sich in keiner Weise unter diese, funktionellen
Veränderungen entsprechenden Bilder der bisher bekannten Zell-
art einreihen.
Meine eigenen Befunde am Duodenum des Hingerichteten,
wie die von mir aufgezählten Schilderungen der verschiedenen
Autoren, bezüglich deren ich weiter auf meine ausführlichen
Referate in den „Ergebnissen“ (Oppel 97--06) und auf die
Originalarbeiten verweise, lassen es also in keiner Weise tunlich
erscheinen, die beiden von mir in den Brunnerschen Drüsen
des Menschen unterschiedenen Zellarten als verschiedene Tätigkeits-
zustände oder Sekretionsphasen einer und derselben Zellart auf-
zufassen. Allein schon das Verhalten des Kerns, der nach so
exakten Forschern, wie Stöhr, Bensley und anderen und nach
meinen eigenen Beobachtungen im Zustande der Ladung platt
oder halbmondförmig ist und basal liegt, lässt es ausgeschlossen
erscheinen, dass eine der beiden Zellarten diesem und die andere
dem anderen Tätigkeitszustande entsprechen könnte, da in den
von mir neu beschriebenen Zellen die Kerne rundlich sind, wie
auch andererseits in den bisher bekannten Zellen niemals solche
Körnchen auftreten, wie in den neuen Zellen. Auch nach dem
Aussehen des Protoplasmas kann ich mich nicht dafür entscheiden,
dass hier verschiedene Tätigkeitszustände einer und derselben
Zellart vorliegen müssten.
536 Albert Oppel:
Es gab eine Epoche in der histologischen Wissenschaft
(vgl. mein Lehrbuch Bd. I und III), in der man glaubte, die
Unterschiede, welche zwischen Haupt- und Belegzellen des Magens,
oder, um noch ein Beispiel aus späterer Zeit zu erwähnen, zwischen
den Randzellen und Schleimzellen der Speicheldrüsen bestehen.
so gering achten zu dürfen, dass man in diesen Zellarten je nur
verschiedene Tätigkeitsstadien einer und derselben Zellart erkennen
wollte. Die Erfahrungen an jenen beiden Objekten könnten doch
etwas vorsichtiger gemacht haben und veranlassen, dass die beiden
so sehr verschiedenen Zellarten der Brunnerschen Drüsen des
Menschen als das angesehen werden, was sie sind, nämlich als
spezifisch verschiedene Zellen.
Über die Funktion dieser Zellen lässt sich zunächst nur
allgemeines aussagen. Ich möchte dabei anknüpfen an einen
energischen Protest. welchen neuerdings Bensley (08) gegen
Prenant ausgesprochen hat. Prenant (07) hat durch das
ähnliche Verhalten von Schleim und den Körnchen der Paneth-
schen Zellen gegen manche Farbstoffe (Eisenhämatoxylin — Eosin —
Lichterün oder Eisenhämatoxylin — Eosin — Van Gieson) ge-
leitet, die Panethschen Körnchen für einen Schleim (mucus)
erklärt, der sich allerdings von dem von den Becherzellen sezer-
nierten Schleim unterscheiden würde. Bensley dagegen stellt
sich auf die Seite der älteren Autoren, indem er findet, dass sich
die Panethschen Körnchen mit guten schleimfärbenden Farben
(Mueikarmin und Mukhämatein) nicht färben. Auch ich möchte
gegen die Schleimnatur der Panethschen Körnchen mit Ent-
schiedenheit Stellung nehmen und bin der Ansicht, dass wir es
in den Panethschen Zellen mit spezifischen. den serösen Drüsen-
zellen nahestehenden Drüsenzellen zu tun haben, welche die
Enzyme des Darmsaftes bilden. In diese weitgefasste Gruppe
möchte ich auch die von mir in den Brunnerschen Drüsen des
Menschen in der vorliegenden Arbeit beschriebenen gekörnten
Drüsenzellen mit einreihen.
Es lässt sich ernstlich daran denken, dass die von mir be-
schriebenen Zellen als Bildner der von Scheunert und Grimmer
(06) in den Brunnerschen Drüsen verschiedener Säugetiere
nachgewiesenen Enzyme aufzufassen, darin also den Panethschen
Zellen gleich oder ähnlich sind, welche letztere auch nach den
Untersuchungen von Klein (06) spezifische Elemente (nicht junge
Eine zweite Zellart in den Brunnerschen Drüsen. 537
Schleimzellen) sind, die eine besondere Substanz, wahrscheinlich
ein Enzym sezernieren, welches der Verdauung dient.
Warum wohl andere Autoren diese eigentümlichen und so
scharf gekennzeichneten Zellen beim viel untersuchten Menschen
bisher nicht auffanden, kann verschiedene Gründe haben. Viel-
leicht liegt dies an dem Umstand, dass diese Zellen sich nur in
unmittelbar nach dem Tode gut fixierten Organen erhalten, oder
aber, dass sie nur in bestimmten, erst noch näher zu begrenzenden
Abschnitten des Duodenums vorkommen. Vielleicht kommen sie
auch nicht allen Menschen zu. Schliesslich muss man daran
denken, dass auch das heute von allen Nachuntersuchern be-
stätigte Vorkommen der Schafferschen Zellen im Ösophagus
doch erst verhältnismässig spät bemerkt wurde.
Wie dies bei jedem neu beschriebenen Vorkommen von
eigentümlichen Drüsenzellen im Vorderdarm des Menschen bisher
geschah, so werden sich wohl auch an die neuen Zellen in den
Brunnerschen Duodenaldrüsen phylogenetische Folgerungen und
Spekulationen knüpfen lassen, welche aber um so unsicherere
Resultate zeitigen dürften, als bei niederen Säugetieren ein ähnliches
Verhalten nicht bekannt ist und aus den zu Anfang dieser Arbeit
erwähnten Gründen vielleicht auch später nicht wird aufgefunden
werden können.
Ich möchte daher an dieser Stelle dem Gedanken Ausdruck
geben, welchen ich auch in meiner öffentlichen Antrittsvorlesung
in Halle a. S. im Jahre 1907 ausgesprochen habe, dass es nicht
als befriedigendes Endziel anatomischer Forschung zu betrachten
ist, Besonderheiten. welche der Mensch in seinem Baue zeigt.
nur dann für erklärbar zu halten, wenn es gelingt, dieselben
auf ähnliche Gestaltungen bei recenten oder fossilen Wirbeltieren
zurückzuführen. Das Vorhandensein neuer, bei Tieren nicht
beobachteter Gestaltungen, ist im menschlichen Körper ein so
weit verbreitetes, dass ein Verständnis für dieselben nur im
Menschen selbst gefunden werden kann. Solche Besonderheiten
brauchen, weil sie von einem überkommenen Schema abweichen.
weder Atavismen noch abnorme oder dekadente Bildungen dar-
zustellen, womit ich zum Ausgangspunkt meiner Untersuchung
zurückkehre. Dies gilt nicht nur für das Gehirn des Menschen,
sondern auch für seinen Verdauungsapparat, wie für alle seine
Organe. Vielmehr sehe ich in vielen dieser Eigentümlichkeiten
538 Albert Oppel:
und speziell in der von mir nachgewiesenen zweiten Zellart der
Brunnerschen Drüsen eine dem Menschen, soweit bisher bekannt,
allein zukommende, also von ihm erworbene und bei ihm bereits
vererblich gewordene, vermutlich seiner besonderen Tätigkeit
entsprechende Anpassung, welche zu ihrem Verständnis kausaler
Erklärung bedarf. Ob sie zuerst durch eine keimplasmatische
Variation gleich in einer ihrer jetzigen Ausbildung entsprechenden
Weise aufgetreten oder von unsichtbarer Differenz aus durch
qualitative funktionelle Anpassung ausgebildet worden ist, ist
die Alternative, welche aber viele Zwischenstufen möglich er-
scheinen lässt.
Dass die am Verdauungsapparat des Menschen sichtbaren,
dem Menschen allein eigentümlichen Strukturen bisher kausaler
Forschung noch so wenig zugänglich geworden sınd, begründet
nicht, dass sie ihr auch für die Zukunft verschlossen bleiben
müssen. Ich halte es daher für gerechtfertigt und erlaubt, ja
sogar für geboten und geradezu für eine Pflicht des kausalen
Morphologen, auch neue Beobachtungen rein deskriptiver Natur
bekannt zu geben, um sie dadurch weiteren Kreisen zu kausaler
Forschung zugänglich zu machen und so unserer Erkenntnis
näher zu bringen.
Ist doch die Kausalität, um mit den Worten von W. Roux (05),
des Begründers der exakten kausalen Morphologie zu schliessen,
„der Boden, auf dem später noch manche ungeahnte Verständigung
möglich werden wird. Sie ist die Basis, von der aus durch
vereinte empirische und philosophische Forschertätigkeit auch das
Gebiet des Ignorabimus der vorherigen Generation noch manche
wichtige Einschränkung erfahren kann“.
Zusammenfassung der Resultate.
In den Brunnerschen Drüsen des Duodenums beim
Menschen findet sich neben den bisher bekannten Drüsenzellen
eine zweite bisher unbekannte Drüsenzellart.
Die neue Drüsenzellart enthält grosse regelmässig an-
geordnete sich nach Formalinfixierung an Celloidinschnitten mit
Eosin leuchtend rot färbende Körnchen.
Die an diesem Orte neue Drüsenzellart zeigt im Bau Über-
einstimmung mit den im Grunde der Lieberkühnschen Drüsen
liegenden Panethschen Körnchenzellen, unterscheidet sich jedoch
Eine zweite Zellart in den Brunnerschen Drüsen. 539
von diesen durch den Ort. ihres Vorkommens in den Ausführ-
eängen und in den Endstücken der Brunnerschen Drüsen.
Während die Panethschen Zellen ausschliesslich in der Mucosa
liegen, finden sich die neu beschriebenen Zellen in der Submucosa.
Die neuen Zellen sind nicht Schleimzellen oder Jugend-
formen solcher, sondern spezifische Drüsenzellen, welche eine
besondere Substanz, wahrscheinlich ein Enzym sezernieren, das
der Verdauung dient.
Weitere an den bisher bekannten Zellen der Brunner-
schen Drüsen des Menschen gemachte Beobachtungen über das
Vorkommen verschiedener Tätigkeitszustände bei ein und dem-
selben Individuum unterstützen die Annahme einer allmählichen
(nicht plötzlichen) Überführung der Ingesta aus dem Magen in
das Duodenum und begründen anatomisch die Nützlichkeit dieser
physiologischen Einrichtung.
Das Auftreten der neubeschriebenen zweiten Zellart in den
Brunnerschen Drüsen des Menschen, ebenso der dimorphe
Charakter der Drüsenzellen des ganzen menschlichen Vorderdarms,
wie er sich in den Funden der letzten Jahrzehnte, besonders
auch in dem Nachweis des weitverbreiteten Vorkommens von
Belegzellen vom Ösophagus bis zum Beginn des Duodenums
zeigte, ist nicht notwendig als ein abnormes oder dekadentes
Verhalten zu deuten, sondern es kann auch als eine der eigen-
artigen Tätigkeit des menschlichen Vorderdarms entsprechende
Anpassung an besonderen Funktionsbedarf aufgefasst werden.
Die starke Ausbildung des dimorphen Charakters in den Vorder-
darmdrüsenzellen des Menschen findet ihr Verständnis nicht in
einer zu ergründenden hypothetischen Tierähnlichkeit, sondern
fordert kausale Erklärung für sich allein.
Halle a. S., im August 1910.
540 Albert Oppel:
Literaturverzeichnis.
Die gesamte einschlägige Literatur ist nach Inhalt und Titel in meinem
Lehrbuche der vergleichenden mikroskopischen Anatomie der Wirbeltiere
(Oppel 97), sowie in meinen ergänzenden Referaten in den Ergebnissen der
Anatomie und Entwicklungsgeschichte (Oppel 97—07, Bd. 6—16) wieder-
gegeben. Ich erwähne daher im folgenden nur die Titel der im Text im
besonderen herangezogenen Arbeiten.
Anile, Antonino (03): Le glandule duodenali o del Brunner. Con 8 tav.
e 23 fig. 127 Seiten. Napoli 1903.
Bensley, R.R. (03a): Concerning the glands of Brunner. 3 Fig.
Anat. Anz., Bd. 23, No. 20/21, Seite 497—507, 1903.
Derselbe (03 5): The structure of the glands of Brunner. The decennial
publications. University of Chicago. Vol. 10. Seite 279—326. Mit
6 Taf. 1903.
Derselbe (08): Professor Prenants Theory of the Nature of the granule
cells of Paneth. The Anatomical Record. Vol. I, No. 3. Seite 92—9.
Philadelphia 1908.
Berdal, H. (94): Nouveaux elements d’histologie normale. 4. edit. entierem.
revue et augmentee. 618 Seiten. Avec fig. nombr. Paris 1894.
Bogomoletz, A. A. (03): Beitrag zur Morphologie und Mikrophysiologie
der Brunnerschen Drüsen. 1 Taf. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 61, H. 4,
Seite 656—666, 1903.
Deimler, Konrad (05): Vergleichende Untersuchungen über die Pylorus-
drüsenzone des Magens und die Duodenaldrüsenzone des Darmkanals
der Haussäugetiere. Internat. Monatsschr. f. Anat. und Physiol., Bd. 22,
H. 4/6. Seite 209-229, 1905. (Vergl. auch die Inaug.-Diss. des Verf.,
Zürich 1904.)
Kaufmann, Marie (06): Über das Vorkommen von Belegzellen im Pylorus
und Duodenum des Menschen. Mit 1 Taf. und 3 Textfig. Anat. Anz.,
Bd. 28, No. 19 und 20. Seite 465—474, 1906.
Klein, E. (79): Observations on the structure of cells and nuclei. Quarterly
Journal of microsc. science. New Ser. Vol. 19. Seite 125—175. 1 Taf.
London 1879.
Klein, Sidney (06): On the Nature of the granule cells of Paneth in
the intestinal glands of Mammals. 5 Fig. American Journ. of Anat.
Vol. 5, No. 3, Seite 315—330, 1906.
Metzner, R. (07): Die histologischen Veränderungen der Drüsen bei ihrer
Tätigkeit. In Nagels Handbuch der Physiologie des Menschen, Bd. 2,
Hälfte 2, 1906/07.
Oppel, Albert (96 und 97): Lehrbuch der vergleichenden mikroskopischen
Anatomie der Wirbeltiere. Bd.I, Jena 1896, Bd. II, Jena 1897.
Eine zweite Zellart in den Brunnerschen Drüsen. 541
Oppel, Albert (97—07): Verdauungsapparat. Ergebnisse der Anatomie
und Entwicklungsgeschichte. Bd. 6—16. Wiesbaden 1897—1907.
Prenant (07): Sur les „cellules de Paneth“ dans les glandes de Lieberkühn
de ’homme. Compt. rend. hebdom. d. seances de la soc. de biol. Tome 62.
Paris 1907. Seite 1125—1128.
Roux, W. (05): Die Entwicklungsmechanik, ein neuer Zweig der biologischen
Wissenschaft. Mit 2 Taf. und 1 Textfig. Vorträge und Aufsätze über
Entwicklungsmechanik der Organismen. Herausgeg. von W. Roux, Heft 1.
283 Seiten. Leipzig 1905.
Schatfer, Joseph (91): Beiträge zur Histologie menschlicher Organe.
I. Duodenum. Mit 2 Taf. Sitz.-Ber. d. kais. Akad. d. Wiss. in Wien,
math.-nat. Kl., Bd. 100, Abt. III, Dec. 1591.
Scheunert, Arthur und Grimmer, Walther (06): Über die Funktionen
des Duodenums und die funktionelle Identität der Duodenal- und der
Pylorusdrüsen. Internat. Monatsschr. f. Anat. und Physiol, Ba.23, Heft 7/9,
Seite 335—358, 1906.
Schwalbe, G. (72): Beitrag zur Kenntnis der Drüsen in den Darmwandungen,
insbesondere der Brunnerschen Drüsen. Arch. f. mikrosk. Anat., Bd. 8,
Heft 1, Seite 92—140, Taf. V, 1872.
Stöhr, Ph. (99): Über Rückbildung von Duodenaldrüsen. Festschr. d. phys.-
med. Gesellsch., Würzburg, Seite 207—214, 1 Taf., 1899.
Derselbe (09): Lehrbuch der Histologie und der mikroskopischen Anatomie
des Menschen. 13. Aufl. Jena 1909.
Zimmermann, K.W. (98): Beiträge zur Kenntnis einiger Drüsen und
Epithelien. 3 Taf. und 14 Fig. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 52, Heft 3,
Seite 552— 706, 1898.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XVII.
Die Herstellung der auf der Tafel in den Originalfarben des Präparates
wiedergegebenen Abbildungen verdanke ich der kunstgeübten Hand von
Frl. K. Wangerin in Halle a. S.
Fig. 1. Duodenum vom Menschen (Iustificat.) Längsschnitt. Fixierung in
Formalin. Celloidinschnitt. Färbung: Hämatoxylin, Eosin. — Die
Figur zeigt eine Stelle von der Höhe einer Plicasemicircularis.
Links vom Beschauer die tiefste Schicht der Mucosa M mit den
blinden Enden der, Becherzellen Be enthaltenden, Lieberkühnschen
Drüsen L; am Grunde der letzteren zahlreiche Panethsche
Körnchenzellen P, davon getrennt durch die Muscularis mucosae
M. muc., rechts vom Beschauer die Submucosa S, in dieser zahl-
reiche Querschnitte von Brunnerschen Drüsen B, in diesen
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. 35
Albert Oppel: Eine zweite Zellart etc.
neben den stets vorhandenen hellblau-rot gefärbten Zellen a rot
gefärbte gekörnte Zellen b. — Gezeichnet mit Zeiss Obj. DD,
Ökular 1, in Objekttischhöhe.
Dasselbe. — Die Figur zeigt einen Ausführgang A einer Brunner-
schen Drüse, wie er eben die Muscularis mucosae durchbricht.
Buchstabenerklärung und Vergrösserung wie in Fig. 1.
Einige Zellen aus den Duodenaldrüsen vom Menschen (Iustific.)
bei stärkerer Vergrösserung. Behandlung wie Figur 1. a die
stets vorhandenen hellblau-rot gefärbten Zellen, b rot gefärbte
gekörnte Zelle, b' ebensolche, deren Kern nicht in die Schnittebene ge-
fallen ist. Gezeichnet mit Zeiss’ homog. Immers. "ız (130), Okul. 4.
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile bei der
Eireifung, Furchung und ersten Organbildung der
Echinodermen.
Von
Julius Schaxel.
Hierzu Tafel NIX— XXIII und 8 Textfiguren.
Inhalt:
Einleitung
I. Material ind: TechniE 5
II. Übersicht über den Bau des Oraniums der Echinodermen
= Das Ovarium .
. Die Follikel !
III. Die Bibildung der Eoodersucn,
1. Der Oocytenkern
a) Die en
b) Das Stadium der Emission .
c) Die Postemissionsstadien .
2. Der Nucleolus
3. Die Kernmembran
4. Der Zelleib der Oocyte
a) Echinoidea
b) Holothuroidea .
ce) Asteroidea
d) Ophiuroidea
e) Crinoidea .
5. Kern und Zelleib . s
6. Zusammenfassung der ErSchnisse über die bildung der
Echinodermen
IV. Die Furchung von ST anerlacentrets Toadk Brande
1. Die Besamung
2. Die Zellkerne der ee huse
3. Das Verhalten des Eileibehromatins bei der Hurchraß
4. Zusammenfassung .
V. Die Bildung des Skelets in der Piobeuslareh von een
trotus lividus . :
1. Die Zellkere des primären N enche { BIRHEE:
2. Die Vorgänge im Zelleib der skeletbildenden Mesen-
chymzelle
3. Zusammenfassung . h
4. Das Verhalten der en La enkellen
544 IMiibing Semass@all:
Seite
VI. Theoretische Ergebnisse . . . ee ae er RE 7
1. Methodologische Vorlagen, EN RE NER Be Ben, cc Ze
2. Die Eibildung der Echinodermen . . . . 582
3. Die Furchung und erste Organbildung von rennen
bEODUSErR N ee u. lo
4. Zur Theorie des Chromatins ES ARE Sid
VH. Die Angaben anderer Autoren . .. er 5
: Über die Eibildung der Bnvaeren! er 998
. Über die Beziehungen des Chromatins zu den Er scheinunzen
ImWzelleı Dee em. . Sl:
3. Über autonome Gebilde es Zeileibst CE)
4. Zur Ontogenesisdes Seeigels . . u.
Schluss } Fe a5 Ss
Verzeichnis der zitierten Eikeratur ee ee (N)
Erklärung der Abbildungen@r Ei. °.%. "N... Denn See ee
Einleitung.
In den Studien, die ich gelegentlich der Eibildung der
Meduse Pelagia noctiluca über die morphologischen Beziehungen
der Zellsubstanzen zueinander unternahm, behandelte ich bereits
Fragen und Ergebnisse, die ich im folgenden eingehender be-
schreibe, einen weiteren Bericht über den gegenwärtigen Stand
von Untersuchungen gebend, die sich noch im Gang befinden.
Als Ziel schwebt mir vor die Darstellung der Kooperation der
Zellkomponenten auf morphologischer Grundlage nach kritischer
Sichtung der gebrauchten technischen und methodischen (theore-
tischen) Mittel. Eibildung, Furchung und die Anfänge der Organo-
genesis eines, wie sich ergab, einfachen Typus, in solcher Dar-
stellungsweise enthält diese Mitteilung. Daran schliesst sich in
aller Kürze eine Bezugnahme auf Theoreme über ähnliche Er-
scheinungen, wie sie sich aus anderen Fragestellungen ergaben.
Die Bedeutung des Chromatins in seinen wechselnden Erscheinungs-
weisen, der Nucleolen, des Chromidialapparats, der Mitochondrien
u. dgl. ist hauptsächlich damit gemeint. Die ziemlich klar liegenden
Verhältnisse der Reifeteilungen bei den Echinodermen und den
Kernteilungen während der Furchung des Seeigeis duldeten es
nur gestreift zu werden. Der organogenetische Teil kann bei
dem gebrauchten Material cytologisch nicht über ein bestimmtes
Stadium hinaus erfolgreich untersucht werden; ich wählte es aber
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile. 545
von besonderen Gründen abgesehen doch, weil es im Dienste der
experimentellen Forschung viel verwandt. nach mannigfacher
Richtung hin Bezugnahmen erlaubt.
I. Material und Technik.
Alle Arten von Echinodermen, deren ich lebend habhaft
werden konnte, habe ich im Sommer 1908 in Wimereux-sur-Mer
(Pas-de-Calais, Nordfrankreich) und namentlich vom Oktober 1909
bis März 1910 in Villefranche-sur-Mer (Alpes maritimes, Süd-
frankreich) auf ihre Gonaden untersucht. Die folgenden Mit-
teilungen beziehen sich auf Ovarien und Laich nachgenannter
Vertreter der fünf rezenten Echinodermenklassen :
1. Echinoidea:
Strongylocentrotus lividus Brandt,
Sphaerechinus granularis Al. Agassiz,
Eehinus microtubereulatus Blainville,
Echinocardium cordatum Gray;
2. Holothurioidea:
Holothuria tubulosa Gmelin:
3. Asteroidea:
Echinaster sepositus Müller et Troschel,
Asterina gibbosa Forbes,
Astropeeten spinulosus Ludwig;
4. Ophiuroidea:
Ophioderma longicauda Müller et Troschel,
5. Crinoidea:
Antedon phalangium Marion,
Antedon rosacea Norman.
Von diesen gemeinen Arten standen mir grosse Mengen
zur Verfügung. Deshalb gab ich ihnen, um sie der Darstellung
zugrunde zu legen, vor anderen, die ich nur in einzelnen Stücken
erhielt, den Vorzug. Die Fixation der herauspräparierten Gonade
geschah immer unmittelbar nach dem Fang. Vor in Aquarien
gehaltenen Tieren ist zu warnen, da deren Geschlechtsorgane
degenerative Veränderungen aufweisen. Die Echinodermen sterben
bei unnatürlichen Bedingungen sozusagen allmählich und die
Gonaden scheinen zu den zuerst von nekrotischen Prozessen er-
griffenen Organen zu gehören. Aus denselben Gründen wird
546 Julius Schaxel:
man lebend über Land geschicktem Material gegenüber eine
gewisse Skepsis zu wahren haben. |
Höchstens erbsengrosse Stücke von Ovarien (von Antedon
fertile Pinnulae) fixierte ich auf die verschiedenste Weise stets
ohne Erwärmen und erhielt die besten Resultate mit den Gemischen
von Flemming (Eisessig, 2°/oige Osmiumsäure, 1°/oige Chrom-
säure gemischt im Verhältnis 1:5:15), Benda (wobei wegen des
geringen Zusatzes von Eisessig sich das langsame Eindringen des
Fixativs unangenehm bemerkbar macht), Hermann (Eisessig,
2°/oige Osmiumsäure, 1°/owässerige Platinchloridlösung gemischt
im Verhältnis 1:4:15), Zenker (zu Müllerscher Flüssigkeit
5 g Eisessig und 5 g Sublimat) und mit Sublimat-Eisessig. Von
den genannten Fixativen verdient keines einen absoluten Vorzug.
Man kann sagen, dass sie einander ergänzen. Mit Osmiumsäure-
gemischen kommt man am weitesten. Sie versagen nur für die
Kernstrukturen reifenaher Eier mit viel Dotter, an den die
Osmiumsäure, ohne den Kern zu erreichen, völlig gebunden zu
werden scheint. Ein gutes Färberesultat setzt tüchtiges Aus-
waschen voraus. Das nicht sofort weiter verarbeitete Material
konservierte ich in SO°/oigem Alkohol. Nach längerem Aufenthalt
darin ist namentlich bei Osmiumsäurematerial eine gewisse beim
Schneiden dünner Schnitte lästige Sprödigkeit unvermeidlich. Ich
brachte solche Objekte durch absteigenden Alkohol für 12 bis
24 Stunden in destilliertes Wasser, bevor ich sie weiter ver-
arbeitete und hatte damit besseren Erfolg. Vor dem Einbetten
benutzte ich Chloroform. Eine Erwärmung über 55° beim Ein-
betten vermied ich. Im Winter zog ich Paraffın von 52° Schmelz-
punkt vor. Meine Objekte waren der Wärmeeinwirkung nie
länger als eineinhalb Stunden ausgesetzt. Die Schnittdicke
betrug für gewöhnlich 4 u, für feinere Strukturen 3 «. Bei der
Tinktion ging ich von dem Prinzip aus, die verschiedensten
Farben mit den verschiedenen Fixationen zu kombinieren,
um durch Vergleichung desselben Objektes nach den mannig-
faltigen Behandlungsweisen das durch die Beharrlichkeit des
Erscheinens am meisten Wahrscheinliche zu ermitteln. Die
Überschätzung der sogenannten spezifischen Methoden teile
ich nicht.
Zum Studium der Zellverhältnisse bei der Ontogenesis
dienten mir Zuchten von Strongylocentrotus lividus, die ich- im
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile. 547
Laboratorium von Villefranche angelegt habe. Im folgenden ist
nur von der normalen Entwicklung aus dem befruchteten Ei die
Rede. Abkömmlinge von Kulturen, die nicht ausnahmslos jenes
Pluteusstadium erreichten, in dem für gewöhnlich das Schicksal
der gefangen gehaltenen Seeigeljugend infolge Nahrungsmangels
besiegelt ist, wurde zu dieser Untersuchung nicht verwendet.
Die ersten Stadien fixierte ich alle 5—10 Minuten, später alle
ganzen Stunden, so dass mir kein Stadium fehlt, und zwar mit
bestem Erfolg in Flemmingschem Gemisch, in das die Larven
gespritzt wurden. Das sonst für Seeigellarven viel angewandte
(remisch nach Boveris Angaben (Eisessig, konzentrierte Pikrin-
säure, Wasser im Verhältnis 3 : 100 : 200 gemischt) ergab keine
so wohl erhaltenen Plasmastrukturen. Beim Einbetten ist es von
Wichtigkeit, eine möglichst grosse Anzahl von Larven beieinander
zu haben, so dass man viele Hunderte zu einem Block vereinigt
hat und so im geschnittenen Präparat ohne weiteres jede nur
erwünschte Orientierung vorfindet. Herrn Th. Spitschakoff,
Assistenten am zoologischen Laboratorium in Villefranche, verdanke
ich folgende Angabe: Man giesst ein Uhrschälchen mit dem
Paraffin aus, das man zum Einbetten verwenden will. In der
Mitte der so erhaltenen Paraffinscheibe bringt man dann eine
trichterförmige Vertiefung ( "y ) an. Diese Vertiefung wird
mit den einzubettenden Objekten etwa zur Hälfte gefüllt, indem
man sie aus Xylol (Chloroform ist wegen heftiger Diffusionsströme
hier nicht zu gebrauchen) mit einer feinen Bibette überträgt
und, nachdem sie zu Boden, d.h. in den Hals des Trichters,
gesunken sind, das überschüssige Xylol absaugt. In dem Uhr-
schälchen, das der Scheibe als Form diente, kommt sie in dem
Thermostat in eine grössere offene Schale. Sobald das Paraffın
geschmolzen ist, wird in die äussere Schale kaltes Wasser ge-
bracht, so dass man das erstarrende Präparat ohne Gefahr durch
Erschütterung die kleinen Objekte zu zerstreuen, aus dem Ofen
nehmen kann.
Tinktoriell verfuhr ich mit den Larven wie mit den
Eiern. Hier wie dort ist eine möglichst grosse Anzahl Präpa-
rate verschiedener Behandlung die beste Gewähr sicheren Ver-
fahrens.
Die Mitarbeit meiner Frau an diesen Untersuchungen war
mir in jeder Hinsicht von grösstem Nutzen.
548 Julius Schaxel:
II. Übersicht über den Bau des Ovariums
der Echinodermen.
1° DasOarıum:
Die Echinodermen sind mit wenigen Ausnahmen getrennt-
geschlechtlich; doch unterscheiden sich die Geschlechter äusserlich
in keiner Weise und die Hoden sind von den Eierstöcken, von
Färbungsdifferenzen im reifen Zustand abgesehen, nur durch ihren
Inhalt verschieden.
Entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen müssen die
Integration der Geschlechtsdrüsen bei der Ontogenesis erst noch
genauer feststellen. Vorläufig kann als wahrscheinlich gelten,
dass unter den einzelnen Klassen lediglich die sozusagen als
Keimbahn fungierende Genitalrhachis unter den einzelnen Klassen
homolog im Sinne der vergleichenden Morphologie ist, während
das für den als Gonade fertilen Teil nur in beschränktem Maße
und gar nicht für die Ausmündungen gilt.
Bei den Holothuroideen liegen meist zwei Drüsenbüschel
zu beiden Seiten des dorsalen Mesenteriums und münden durch
einen einzigen Ausführgang im dorsalen Interradius.
Die regulären Echinoideen besitzen fünf grosse Drüsen im
aboralen Teil der Interradien. Bei den irregulären Seeigeln
kommt es zu Reduktionen der Gonadenzahl. Die Ausmündung
erfolgt durch die Grenitalporen der Interradialplatten des
Apicalfeldes.
Die Gonaden der Asteroideen bestehen aus ursprünglich
fünf interradialen Drüsen, die jederseits einen Ausläufer in die
in den Radien sich erstreckenden Arme senden. Die Geschlechts-
öffnungen liegen dorsal an den Armbasen. Mit Vermehrung der
Armzahl vermehren sich auch die Gonaden. Auch längs der
Arme können neue (ronoporen auftreten.
Bei den Ophiuroideen liegen zahlreiche Drüsen zu beiden
Seiten der Bursae, in die die (seschlechtsprodukte entleert
werden.
Bei den Crinoideen ist die Genitalrhachis der Arme fertil
im mittleren Teil der Pinnulae, wo sie zur Gonade anschwillt.
Die reifen Eier durchbrechen an vorbestimmten Stellen die
Körperwand und werden an der Aussenfläche der Pinnulae haftend
befruchtet.
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile. 549
Im histologischen Bau des nur aus der Keimzellen be-
reitenden mehr oder weniger verästelten Drüse und (mit Ausnahme
der Crinoideen) dem kurzen Ausführgang bestehenden Ovariums
stimmen die Echinodermen so sehr überein, dass das Beispiel
der Holothuria tubulosa für alle gelten kann. Textfig. 1 stellt einen
Querschnitt durch einen Endast eines noch nicht geschlechtsreifen
Mextuo. 4
Ovariums dar. Aussen überkleidet das bewimperte Peritoneal-
epithel der grossen Leibeshöhle, in der das Ovarium liegt, das
Organ. Darunter befindet sich eine dünne Muskelschicht, deren
Kontraktion wohl der Herausbeförderung der im Lumen der
Drüse flottierenden reifen Eier dient. Die folgende Schicht
besteht aus einem Lakunensystem schizocwlen Ursprungs, in dem
sich amöboide Zellen bewegen. Bei den dotterbildenden Formen ist
es viel mächtiger entwickelt wie bei denen, die kein Deutoplasma
speichern. Wo in starkem Wachstum begrifftene Eier liegen,
bildet es besondere Proliferationen, denen die Eier aufsitzen.
Es dient wohl hauptsächlich der Zufuhr der Nährsäfte. Darüber
dehnt sich das einschichtige Keimepithel aus, dessen Einzelzellen
in verschiedenem Maße entwickelt sind. Gegen Anfang März
fand ich in Villefranche ausser bei den Holothurien bei allen
550 Julius Schaxel:
Echinodermen reife Eier, aber auch noch jüngere und jüngste
Stadien, wenngleich diese mit Ausnahme der stets fruchtbaren
Seeigel mit dem Verlauf des Winters an Zahl abnahmen.
2, DievEollikel.
Die im Keimepithel heranwachsende Oocyte hebt bei Zu-
nahme ihres Volumens Nachbarzellen aus dem Verband der anderen
heraus, die ihr anliegen und denen sie Nahrung entzieht. Schon
vor erreichter Reife sind die Follikelzellen verschwunden, wohl
durch Resorption von seiten der Eizelle und auch abgedrängt
durch die ectoplasmatische Oberflächenschicht des Eies, die sich
später als Hülle von gallertiger Beschaffenheit einen Mikropylen-
kanal freilassend deutlich abhebt. Ob die Follikelzellen Geschwister
der Oocyte sind oder Zellen anderer Provenienz, sieht man den
Präparaten nicht an. Eine Einwanderung von Mesenchym oder
dergleichen ins Ovarium des geschlechtsreifen Tieres ist nicht
zu konstatieren. Mir scheint die Sache folgendermassen zu liegen:
Das Ovarıum ist ein fertiler Teil der im allgemeinen steril
bleibenden Genitalrhachis. An der fertilen Stelle werden nun
nicht alle Rhachiszellen zu Eiern, sondern nur verhältnismässig
wenige. Ein Teil der steril bleibenden Zellen liefert die Follikel;
andere verharren in diesem Zustand, um bei der nächsten Reife-
periode das Ausgangsmaterial der Eiproduktion zu liefern.
Die Follikel haben bei den
einzelnen Echinodermen eine ver-
schiedene Ausbildung, wie die
beigegebenen Übersichtsbilder
zeigen mögen. Textfig. 2 zeigt
L NE | bei stärkerer Vergrösserung eine
junge Oocyte von Holothuria, die
N / wachsend diejenigen Zellen, die
ursprünglich den von ihr jetzt
allein eingenommenen Raum
_ _.." Innehatten, mit sich nimmt. Die
Textfig. 2. Zellen breiten sich später flach
aus. Eine eigentliche Phago-
cytose durch die Eizelle findet nie statt. Die folgenden Figuren
sind ältere Stadien (mittlere auf dem Reifungsweg) und schwächer
(Zeiss Ob. D, Ok. 4) vergrössert. Textfig. 3 gehört Sphaerechinus
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile. Sa
(Echinoidea) an. Den Seestern-Oocyten liegen weniger, wie in
Textfig. 4 von Astropeeten, oder mehr, wie in Textfig. 5 von
Echinaster, dem Ophioderma fast gleicht, Follikelzellen an. Wird
aus Raummangel die Ooeyte gegen das Ovariallumen vorgedrängt,
wobei sie meist eine ei- bis flaschen-
förmige Gestalt annimmt, so bleibt sie EN
durch die Follikel mit dem nahrungs- >
führenden Lakunensystem in Verbindung. ;
Eine Art Eistiel wird so gebildet, der je
nach dem Zellreichtum bald mehr hohl, 3
bald solider erscheint. Bei den Crinoideen ö
%
GE 2)
Textfig. 4.
Textfig. 5. Textfig. 6.
sind die steril bleibenden Rhachiszellen besonders häufig. Sie
umgeben die Oocyte daher allseitig und manchmal sogar mehr-
schichtig. Einschichtig und dünn bleibt stets nur die der Ovarial-
wand zugekehrte Seite, durch die das reife Ei in der oben-
genannten Weise austritt. Textfig. 6 zeigt die follikelumhüllte
Oocyte von Antedon.
552 Julius Schaxel:
III. Die Eibildung der Echinodermen.
Die vergleichende Betrachtung der Ergebnisse über die Ei-
bildung der Stachelhäuter ergibt eine weitgehende Übereinstimmung
der zellulären Prozesse unter den einzelnen Klassen und Arten. Das
gilt besonders für die frühen Stadien der Reifung. Erst wenn
die Vocyte jene Umwandlungen durchmacht, die ihren Zelleib für
das bevorstehende Schicksal der Furchung vorbereiten, treten
Differenzen auf, die wir kennen lernen und auf einen Ausgangs-
punkt der Übereinstimmung zurückführen werden. Da im übrigen
nur Unterschiede in der Grösse des Eibildungsmaterials bestehen,
so nehmen wir nicht die Schilderung der untersuchten Arten für
sich vor, sondern wir folgen dem Reifungsprozess als solchem
und beziehen uns auf erläuternde Beispiele.
Ich fand im Keimepithel keine Zellen in Teilung, sondern
meine Präparate bieten nur Bilder, die sich nach, wie ich glaube,
sicheren Kriterien in jene fortlaufende Reihe bringen lassen, die
mit dem Reifei endet. Mit diesen werden wir uns sogleich ein-
gehend beschäftigen. Ausserdem finden sich im fertilen Teil
der (onorhachis der Crinoideen zwischen den wachsenden Oocyten
und an manchen Stellen des Keimepithels der anderen Echino-
dermen Zellen, deren Kern auf achromatischem Retieulum verteiltes
Chromatin und einen exzentrischen Nucleolus aufweisen. Fig. 22
zeigt dies von Holothuria. In der Grösse stimmen diese Zellen
mit den allerjüngsten Oocyten überein. Im Bau gleichen sie
denen der sterilen Rhachis bei den Urinoideen und den Follikel-
zellen, wenn diese durch ihren Anschluss an eine wachsende
Oocyte eben als solche erkennbar werden. Es muss natürlich
dahingestellt bleiben, ob wir es bei meinem Material mit Zellen
zu tun haben, die den letzten Teilungsschritt versäumten und
nun bei gegebener Gelegenheit zu Follikelzellen werden oder mit
Ruhestadien, die die gegenwärtige Reifungsperiode überdauernd
den Ausgang der nächsten bilden.
Was sonst im Ovar an Zellen anzutreffen ist, hat, sofern
die Reifeteilungen nicht schon vollzogen sind, als Doeyten erster
Ordnung zu gelten. Das Wachstumsei ist eine Zelle, die durch
Substanzvermehrung verknüpft mit bestimmten Umbildungen in
jenen Zustand versetzt wird, wo es nur eines auslösenden Faktors
bedarf, damit durch eine Reihe von Teilungen ein bestimmt
gefügtes Zellenaggregat entstehe. Wir disponieren die Ausbildung
, SE
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile. 553
des furchungsbereiten Eis nach Merkmalen, die von den Be-
ziehungen von Kern und Zelleib hergenommen sind. Schon bei
der Untersuchung der Eibildung der Aseidien (1909) und der
Meduse Pelagia (1910) erschien mir der Austritt chromatischer
Substanz aus dem Kern als ein wesentliches und besonders wohl
charakterisiertes Moment, eine Beobachtung, die sich mir inzwischen
vielfach und besonders auch bei der Echinodermen-Oogenese
bestätigte.
MaDer 00 ce ytenkern:
a) Präemissionsstadien.
Stadien, wie sie die Fig. 18 von Echinocardium, Fig. 47 von
Antedon und namentlich die Fig. 13 von Sphaerechinus wieder-
geben, veranlassen mich, zwischen die obengenannten Ruhestadien
und die folgenden Erscheinungsweisen des Oocytenkerns mindestens
eine Teilung einzuschieben. Ich betrachte die einseitig im Kern-
raum zusammengezogenen Fäden als hervorgegangen aus den
Chromosomen einer Oogonienmitose. Besonders das gegenseitige
Lageverhältnis zweier Zellen wie in Fig. 13 lässt sich ohne weiteres
an die Telophase einer Teilung anschliessen. Durch Streckung
der Einzelehromosomen und Auflockerung ihrer (resamtmasse
kommt es dann zur Ausbreitung chromatischer Fäden durch den
erst jetzt als deutliche Abgrenzung innerhalb der Zelle in Er-
scheinung tretenden Kern. An Fig. 13 schliesst sich 14 von
Sphaerechinus, an 18, 19 von Echinocardium und Fig. 23 ist das
entsprechende Stadium von Holothuria. Ich unterlasse es, von
Beobachtungen über Verdickung und Verdünnung, (uer- oder
Längsspalten der chromatischen Fäden in diesem und den nächst-
folgenden Stadien zu sprechen, da solche Erscheinungen für unsere
Probleme von keinem entscheidenden Wert sind und wir die
Fragen der zahlenmässigen Reduktion individualisierter Chromatin-
gebilde namentlich auch unserer Unkenntnis von Oogonien-Mitosen
wegen nicht berühren.
Die Stadien des durch den Kernraum in Fadenform verteilten
Chromatins sind häufig zu beobachten, so dass ein längeres Ver-
weilen der Kerne in diesem Zustand wahrscheinlich wird. Er
ist als beendigt anzusehen, wenn die Fäden aufhören eine gleich-
mässige Dicke zu zeigen. Das Chromatin gibt seine bisherige
Anordnung auf und zieht sich in nucleolenähnliche Ansammlungen
zurück, die der Kernoberfläche nahe liegen. Zuerst erscheinen
554 Julmuse Sstehmasszeile:
diese Nucleolen nur als kleine Klumpen an den Fäden, während
sie später die Hauptsache ausmachen und dann durch die Fäden
miteinander verbunden scheinen. Ihre Zahl nimmt solange zu,
bis sie miteinander zu verschmelzen beginnen. Irgend ein durch
zufällige Umstände grösseres solches Gebilde scheint durch die
Einschmelzung kleinerer den Anfang damit zu machen. Das
Resultat des ganzen Prozesses ist die Kondensation des gesamten
Chromatins in einem einzigen Nucleolus. In Fig. 1 ist bei
Strongylocentrotus die erste Spur einer chromatischen Verdichtung
zu sehen, während die Masse des Chromatins noch in Fadenform
den Kern erfüllt. Wenig weiter ist Fig. 27 (Astropecten),. In
den Fig. 2 und 3 von Strongylocentrotus, 20 von Echinocardium,
>24 von Holothuria, 34 von Asterina, 44 von Ophioderma, 48 und
49 von Antedon sind die Chromatinfäden. superficiell gelagert
und weisen zahlreiche kleine Nucleolen auf. Die etwas grösseren
erstrecken sich in den freien Raum des Kerninnern. Dahinein
verlagert sich schliesslich der persistierende, alles Chromatin um-
fassende Nucleolus (Fig. 4 von Strongylocentrotus).
Ein Zell- oder bloss Kernwachstum ist bis jetzt nicht zu
beobachten, wenn man davon absieht, dass ein deutlicher Kern
eben überhaupt erst dann erscheint, wenn die Chromatinfäden aus
der dem Teilungszustand folgenden dichten Lagerung sich lockerer
ausbreiten. Das im Nucleolus kondensierte Uhromatin beginnt
sich aber zu vermehren und wiederum in zentrifugalen Strassen
vom Nucleolus abzuströmen.
b) Das Stadium der Emission
wird damit erreicht. Das achromatische Kerngerüst wird jetzt
erkennbar und zwar weniger, weil es durch eine gewisse Färb-
barkeit hervortritt, sondern durch die auf ihm bewegten Chromatin-
partikel, die nach dem Aufenthalt im Nucleolus als einzelne er-
kennbar werden, während sie vordem an die eigenartige Anordnung
in fädigen Formungen gebunden waren. Inmitten des Kerngerüstes
liegt der Nucleolus, dessen Kondensation zuerst noch zunimmt,
indem er, wenn er zu Anfang der Emission noch als Konglomerat
kleinerer Nucleolen erscheint (bei den Asteroideen und Ophiuroideen),
doch noch ein einheitlich abgerundeter Körper wird. Schliesslich
aber verwischt sich mit fortschreitender Assimilation und Emission
des Chromatins durch die abströmenden Bahnen seine Kontur
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile.
mehr und mehr. Die Chromatinströme selbst verlaufen zuerst
ziemlich geradlinig zur Kernmembran. Mit dem Wachsen des
Kerns und dem Zunehmen der Emission kommt es unter den
chromatischen Strassen zu Vereinigungen und geringen Stauungen.
Das anfänglich klare Bild der Zentrifugie des Chromatins geht
dadurch in ein mehr netzartig aussehendes über. An der Kern-
membran kommt es zu keiner oder nur einer minimalen Stauung
des Chromatins. Sie wird allseitig von Strömen erreicht. Daher
erscheint sie zuweilen selbst chromatisch durch die Erfüllung von
passierenden Chromatinpartikeln. Ebenso ungehindert verteilt sich
das emittierte Chromatin ausserhalb des Kerns. Die anderweitig
beobachteten Kuppenbildungen finden sich so bei den Echinodermen
nicht. Die Dauer der Emission erreicht nicht die, wie ich sie
z. B. bei der Pelagia-Oogenese beobachtet habe. Der rasche
Verlauf und der Mangel an Kuppenbildungen machen den ganzen
Prozess unauffällig und liessen ihn bisher übersehen. Das Ende
der Emission ist kenntlich durch Veränderungen im Nucleolus,
andersartige Verteilung des Kernchromatins und Anzeichen im
Eileib, auf die ich zurückkomme.
Die noch zunehmende Kondensation des Nucleolus zu Beginn der
Emission zeigt Fig. 38 von Echinaster. Die geradlinig abziehenden
Chromatinbahnen zu Beginn der Emission weisen die Fig. 5 von
Strongylocentrotus, 21 von Echinocardium, 35 von Asterina, 38 von
Echinaster, 50 von Antedon auf. In den älteren Emissionsstadien
erscheint der Nucleolus durch das reichlich abströmende Chromatin
in das achromatische Kerngerüst hinein ausgezogen und die
Chromatinstrassen anastomosieren häufig (Fig. 6 Strongylocentrotus,
16 von Sphaerechinus, 28 von Astropecten, 39 von Echinaster,
45 von Ophioderma, 51 von Antedon). Zu den Holothurien ist
besonders zu sagen, dass hier der Nucleolus immer exzentrisch liegt,
weshalb die Zentrifugiefigur nicht so deutlich erscheint (Fig. 38).
c) Die Postemissionsstadien.
Zu den Anzeichen der Beendigung der Emission gehört
die Verwischung der Zentrifugiefigur infolge der andersartigen
Lagerung, in die das Kernchromatin nunmehr gerät. Zwar findet
noch ein weiteres Abströmen des Chromatins vom Nucleolus statt;
die Assimilation hat aber offenbar aufgehört; denn im Nucleolus
entstehen achromatische Gebiete, die solange an Grösse zunehmen,
356 ullatutsesichhrasenle
bis der Keimfleck überhaupt kein Chromatin mehr enthält. Er
zeigt von da an keine substanziellen Beziehungen zum Chromatin
mehr. Die Volumenvergrösserung des Keimbläschens, die schon
während der Emission statthatte, hält noch weiter an. Durch
die Weite des Keimbläschens verteilt sich das Chromatin und zwar
so, dass es mit fortschreitender Eientwicklung in immer deutlicher
in Erscheinung tretenden Verdiehtungen sich ansammelt. Zunächst
haben sie eine unregelmässige, klumpige Form, dann lässt sich
eher von fädigen Bildungen sprechen. Die unregelmässige Kontur
durch fein granulierte, verästelte Fortsätze der Chromatingebilde
halte ich für dadurch bedingt, dass das Chromatin sich auf dem
achromatischen Kerngerüst bewegt und seine Verdichtungen diesem
eingelagert bleiben. ‚Je mehr das Keimbläschen sich der Reife
nähert, desto individualisierter treten die Chromatinfäden hervor,
um bei der Auflösung der Kernmembran in die Richtungsspindel-
chromosomen überzugehen. Nicht alles Chromatin beteiligt sich
an der Chromosomenbildung, sondern einzelne Partikel und Klümp-
chen bleiben zwischen den sich formierenden Fäden liegen und
gelangen mit dem Abschluss der Kernreife im abströmenden Kern-
saft samt dem Nucleolus ins Plasma, wo sie alsbald verschwinden.
Der weibliche Vorkern hat einen bedeutend geringeren Umfang
wie der Kern des reifenden Eis. Wie diese Volumenverminderung
die Struktur des Eileibs beeinflusst. werden wir später sehen.
Den bekannten Vorgängen der Richtungskörperbildung selbst habe
ich nichts Neues hinzuzufügen.
Fig. 39 zeigt von dem Seestern Echinaster das Ende der
Emission, das vom Nucleolus abströmende Chromatin und die ersten
Anfänge der nenen Chromatinansammlungen an den Stellen, wo
Chromatinstrassen aufeinander treffen. Das nächste Stadium,
klumpige, extranucleoläre Chromatinkondensa, findet sich in
Fig. 29 von Astropeeten dargestellt. Daran schliesst sich Fig. 30.
dann 31, wo der Fadencharakter schon deutlich hervortritt und
schliesslich Fig. 32 als ein Keimbläschen, das vor dem Abschluss
der Kernreife steht. Die Fig. 25 bis 32 gestatten den Vergleich
der Kernbilder nach dem CUhromatinaustritt, wie sie bei Astropeeten
aufeinander folgen. Von Strongylocentrotus zeigt Fig. 7 ein
mittleres, Fig. 11 ein sehr spätes Stadium und Fig. 12 enthält
den weiblichen Vorkern. Postemissionskerne von Holothuria und
Asterina finden sich in Fig. 26 bezw. 36.
ou
—I
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile. 5)
3, Der Nucleolus.
Wir sahen, dass bei der präemissionalen Kondensation des
Chromatins aus fädigen Bildungen zunächst zahlreiche kleine
Nucleolen entstehen, die sich schliesslich zu einem einzigen ver-
einigen, der während der weiteren Vorgänge persistiert. Klumpige
(rebilde, die nach der Emission ausserhalb des Nucleolus zu sehen
sind, erweisen sich nur als vorübergehende Chromatinformungen,
so dass bei der OVogenese eigentlich nur ein Nucleolus als räumlich
scharf gesondertes (rebilde auftritt. Während der Emission spielen
sich in ihm die Assimilationsvorgänge des Chromatins ab, wie aus
der Vermehrung und dem Abströmen des Chromatins zu erkennen
ist. Gegen das Ende dieser Prozesse und vor allem bald danach,
während das Chromatin den Nucleolus verlässt, erscheinen in ihm
Stellen von nur geringer Färbbarkeit, die wie kleinste Vakuolen
aussehen und sich durch Zusammentliessen vergrössern. Schliesslich
ist der Nucleolus völlig chromatinfrei. Der Vakuolisationsprozess
schreitet noch fort und auch der Umfang des Nucleolus nimmt
noch zu. Im reifenahen Keimbläschen ist er nur noch ein ver-
zerrtes, schwach gefärbtes Gebilde, dessen Resorption im Plasma
bei der Keimbläschenauflösung schon erwähnt wurde. Wie eben-
falls gesagt, zeigt also der Nucleolus der Echinodermen-Eibildung
bei meinen Befunden nach den mit der Chromatinemission im
Zusammenhang stehenden Prozessen keine substanziellen Be-
ziehungen zum Chromatin mehr.
In der Reihe der Keimbläschen, die die Fig. 29 bis 32 von
Astropecten darstellen, ist die zunehmende Entfärbung des Nuc-
leolus deutlich zu sehen. Die erste Spur der Entchromatisierung
macht sich meist im Zentrum als helle Vakuole bemerkbar (Fig. 30
von Astropecten, Fig. 7 von Strongylocentrotus); dann treten mehr
dieser ähnliche auf (Fig. 26 von Holothuria, Fig. 36 von Asterina),
die zunehmen, so dass sie bald die Hauptmasse ausmachen und
nur noch eine schmale, stärker gefärbte Schicht kappenartig auf-
sitzt (Fig. 31), bis auch diese verschwindet und das Endstadium
erreicht wird (Fig. 32), das in Fig. 533 von Echinus und in Fig. 52
von Antedon stärker vergrössert abgebildet ist. Die hier am
hellsten erscheinenden Stellen sind die grössten Vakuolen, die
dunkleren bestehen aus zahllosen, durch Zwischenwände voneinander
geschiedenen kleinsten Bläschen. Die Vereinigung der gesamten
Bläschen bedeutet eben das Verschwinden des Nucleolus. Wahr-
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. 36
Julusesichlaneeil:
ot
oO
[6 s)
scheinlich geben dazu die veränderten Druckverhältnisse bei der
Keimbläschenauflösung den Anlass.
3. Die Kernmembran.
Im fixierten Präparat tritt die Kernmembran deutlich hervor,
sobald der „Ruhe“-Kern nach der Teilung vom umgebenden Plasma
sich überhaupt abgrenzt, also bei der Auflockerung der Masse
der Chromatinfäden in der jüngsten Oocyte. Während der
CUhromatinemission fällt sie auf durch ihre chromatische Tönung,
die hervorgerufen wird durch die hier offenbar langsamer passieren-
den Chromatinpartikel und die allerdings nur minimalen Chromatin-
stauungen (die ich ja anderweitig, z. B. bei Ascidien und Medusen,
sehr stark gefunden habe). Eine Unterbrechung ihrer Kontinuität
habe ich nie feststellen können. Ihr Spannungszustand ist bis
über die Emission hinaus straff und der von Kernsaft erfüllte
Kern daher kugelig. Gegen Abschluss der Reifung weist die
Membran kleine Fältelungen auf, die natürlich bei den Formen
mit grossen Eiern, also bei den dotterbildenden, stärker erscheinen,
als bei den anderen. Die Auflösung beim Abschluss der Reifung
muss wirklich eine Lösung, kein Zerreissen sein; denn sie geschieht
zwar äusserst rasch, doch ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen.
Ein Blick auf die Figuren illustriert das Gesagte.
Im Leben ist, sobald überhaupt ein Kern wahrzunehmen
ist, eben die Begrenzungslinie des als Kern erscheinenden helleren
Raumes als Membran anzusehen. Sie scheint eine dichtere Lagerung
desjenigen Protoplasmas zu sein, das die Grundstruktur von Kern
und Zelleib gleichermassen bildet.
4. Der Zelleib der Oocyte.
Bis zum Eintritt der Chromatinemission umgibt das Plasma
des Zelleibs in feinwabiger Schicht den Kern, ohne irgendwelche
Einlagerungen besonders gefärbter oder geformter Substanz zu
zeigen oder an Masse zu gewinnen. Es befindet sich im Zustand
der primären Achromasie. Die Fig. 1—4, 13—15, 18—20, 22 bis
24, 27, 34, 44 und 47—49 geben Bilder dieses Verhaltens bei
verschiedenen Arten.
Das aus dem Kern austretende Chromatin und das gleichzeitig
einsetzende Wachstum der ganzen Zelle gibt der folgenden Phase
der ooplasmatischen Prozesse bei der Eibildung ihr Gepräge. Das
emittierte Chromatin verbreitet sich zunächst im Eileib und ge-
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile. 559
winnt endlich eine bestimmte Lagerung, in der es beim Abschluss
der Reife verbleibt, oder es treten noch andere Reifungserscheinungen
dazu, die der Hauptsache nach in der Ausbildung und Speicherung
deutoplasmatischer Substanzen bestehen. Hierin differieren die
einzelnen Echinodermenarten. Doch sind die von uns zu näherer
Beschreibung ausgewählten Arten durch Übergänge miteinander
verbunden. Der Grad der Dotterbildung bestimmt das Volumen
des reifen Eies, und da die als Ausgang des Wachstums dienenden
jungen Ooeyten nicht schon in entsprechendem Verhältnis in der
Grösse differieren, ja bei einigen Dotterbildnern sogar kleiner
sind, als bei keinen Dotter produzierenden (man vergleiche die
unter gleichen Verhältnissen gezeichneten Fig. 47—49 von Antedon
mit Fig. 1-5 von Strongylocentrotus!), so ist die Intensität des
Wachstums und die Menge, Ausbreitungs- und schliessliche Ver-
teilungsweise des Emissionschromatins eine verschiedene. Immer
ist jedoch ein bestimmtes Stadium sicher anzugeben, nämlich die
nach beendigter Emission erreichte dichte Erfüllung des Eileibs
mit Chromatin, die maximale Chromasie, und der Endzustand
der Reifung, der da, wo reichlich Deutoplasma vorhanden ist,
den von mir früher eingeführten Namen der sekundären oder
vitellinen Achromasie wohl verdient, bei den Nichtdotterbildnern
aber besser relative Achromasie, im Hinblick auf die später zu
schildernden Erscheinungen bei der Furchung, genannt wird.
Untersuchen wir nun die speziellen Verhältnisse:
a) Echinoidea.
Das von der Kernmembran abströmende Chromatin ver-
breitet sich zunächst allseitig im Plasma. Wird nun durch das
nachrückende Chromatin die Menge in Kernnähe grösser, so kommt
es zu Stellen dichterer Lagerung, von denen aus weiteres Ab-
strömen stattfindet. Chromatische Körnelungen durch Stränge
feiner Granula miteinander verbunden sind Bilder, die dadurch
entstehen. Man betrachte dies auf den Fig.5 und 6. Mit er-
reichter Chromasie ist die starke Tinktion des Eileibs sehr auf-
fällig. Bei schwächerer Vergrösserung erscheint das gesamte
Ooplasma gefärbt; stärkere Vergrösserung lässt die dichteren
Stellen als Konglomerate allenthalben verteilter Körnchen er-
scheinen (Fig. 7) und genaue Analyse der Chromasie enthüllt bei
der Betrachtung dünner Schnitte die Einlagerung distinkter
36*
60 Julius Schaxel:
[db |
Chromatinpartikel in das Gefüge des Grundplasmas (Fig. 8). Die
der Chromasie folgenden Vorgänge bestehen bei den untersuchten
Seeigeln lediglich in allmählicher Kondensation von CUhromatin-
inseln des Plasmas. Fig. 9 zeigt ein mittleres Stadium dieses
Prozesses, auf dem zwar schon dichtere Ansammlungen doch noch
miteinander in vielfacher Verbindung wahrzunehmen sind. Schafft
nun beim Abschluss der Reifung die Keimbläschenauflösung plötzlich
freien Raum und führt der abfliessende Kernsaft zu einer gewissen
Lockerung des Eileibinhalts, so treten die Chromatinkondensa
relativ isoliert voneinander und wohl auch noch in sich verdichtet
hervor (Fig. 10). Fig. 11 zeigt die Strongylocentrotus-Oocyte
beim Austritt aus dem Keimepithel in das Ovariallumen schwächer
vergrössert und Fig. 12 das reife Ei. Die relative Achromasie,
hervorgerufen durch die Verteilung chromatischer Verdichtungen
auf der achromatischen Grundlage des Ooplasmas, ist im Vergleich
zur Chromasie der Fig. 7 und der primären absoluten Achromasie
der ersten Figur leicht festzustellen. Ich bezog mich bis jetzt
hauptsächlich auf Strongylocentrotus. Ähnliches gibt Fig. 16 von
Sphaerechinus, Fig. 21 von Echinocardium wieder.
b) Holothuroidea.
Bei der Verbreitung des Chromatins im Zelleib fällt hier
bereits die lineare Anordnung der Chromatinpartikel in konzen-
trischer Weise um den Kern einigermassen auf (Fig. 25), eine
Erscheinung, die wir bei den Seesternen noch deutlicher werden
kennen lernen. Zur Erreichung der CUhromasie führt eine an-
nähernd gleichmässige Verteilung, in der dichtere Ansammlungen
die Anfänge künftiger Kondensationen oder erst später sich ver-
teilende Verklumpungen sein können (Fig. 26). Leider enthielt
keine der Holothurien, die ich im vergangenen Winter fixierte,
ältere Eibildungsstadien, so dass ich über die Weiterbildung und
die Konstitution des reifen Eies hier nichts mitteilen kann.
c) Asteroidea.
Die Seesterne sind für unsere gegenwärtige Betrachtung
deshalb von besonderem Interesse, weil sich bei ihnen an wenigen
Formen eine verschieden starke Anreicherung des Eileibs mit
Deutoplasma zeigen lässt. Ich beginne mit dem für Echinodermen
reichlich dotterproduzierenden Echinaster. Ist die Emission dem
Ende nahe, so sieht man namentlich bei schwächerer Vergrösserung
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile. >6l
und diekerem Schnitte den Eileib von fädigen Bildungen durch-
zogen, die der Richtung nach ungefähr der Kernperipherie folgen
und namentlich in Kernnähe oft dessen Membran parallel laufen.
Auf den nächsten Stadien erscheinen die Chromatinfäden noch
deutlicher und damit tritt auch ihre Konzentrizität mehr hervor.
Das Chromasiestadium scheint von Wirbeln und Schleifen solcher
Gebilde erfüllt, die während der nun folgenden Dotterbildung an
Deutlichkeit bis zum Verschwinden verlieren, so dass im Reifei
nur noch chromatische Körnelungen zwischen den Dotterschollen
liegen. Sorgfältige Analyse lässt folgendes eruieren: die intra-
nucleären Chromatinbahnen führen durch die Kernmembran weiter
und verzweigen sich im Ooplasma mannigfaltig, so dass die
Chromatinpartikel, solange noch wenige vorhanden sind, hier
regellos zerstreut zu werden scheinen (Fig. 38). Mit dem Ende
der Emission kann das nun sehr reichlich vorhandene Chromatin
sich nicht einfach zerstreuen, sondern es kommt zu Ansammlungen
rund um den Kern herum infolge des Abrückens von den Durch-
trittsstellen durch die Membran. Zugleich wächst der Eileib,
wodurch eine Verbreitung des Chromatins auf immer grösseren
Raum möglich wird. Dabei wirken die zuerst gebildeten An-
sammlungen als Ausgang der neuen Ausbreitungen natürlich nur
nach der vom Kern abgewendeten Seite hin. So erklärt sich die
zuerst mehr regellose, bald nach der Emission aber strengere
Anordnung der Chromatinpartikel in Linien, die zur Kernoberfläche
konzentrisch liegen (Fig. 39 und 40, letztere stellt einen Sektor
des Eileibs nicht im ganzen Halbmesser dar). Die linearen Ver-
dichtungen sind nichts in sich abgeschlossenes, sondern stehen
durch wohl wahrnehmbare Chromatinstrassen zunächst noch mit
dem Kern und dann untereinander in Verbindung. Mit dem
Fortschritt des Wachstums verschiebt sich bald die parallele
Lagerung, während der Zusammenhang innerhalb der einzelnen
Massen von CUhromatinpartikel resistenter zu sein scheint. (Die
Agglutination chromatischer Partikel in den fixierten Präparaten
ist eine. ganz allgemeine Erscheinung.) Die Chromasie besteht
aus Chromatinherden, die ziemlich dicht in verschlungenen Wirbeln
dem achromatischen Grundplasma eingelagert sind. In den Herden
nun erscheinen als Ausscheidung des Cytoplasmas die ersten
Dotterspuren, die durch Apposition und Zusammenfliessen (eine
gewisse konzentrische Schichtung und die Langsamkeit der Ver-
562 Julius Schaxel:
einigung mehrerer Dotterelemente spricht dagegen, sie als blosse
Flüssigkeitstropfen anzusehen) ihre endgültige Grösse erreichen.
Die Vorgänge sind im wesentlichen dieselben, wie ich sie für
Ascidien und Medusen beschrieb. Eine gewisse Uhromatinmenge
wird dabei erschöpft, ohne dass aber nur ein annähernd gleiches
Massenverhältnis besteht. Fig. 42 weist verschiedene Stadien der
Dotterbildung auf und zeigt die morphologischen Beziehungen des
Chromatins dazu. Man erkennt gut die Auflösung der Chromatin-
herde und die partielle Anteilnahme des Chromatins an der Bildung
der im Plasma ausgeschiedenen Dotterelemente. Nach vollendeter
Dotterbildung liegt intervittelin dasjenige Chromatin, das daran
keinen Anteil nahm, in Verdichtungen isoliert (Fig. 43). Damit
ist die Reifung des Ooplasmas vollzogen.
Asterina und Astropeeten, die wir von Seesternen noch be-
trachten, zeigen im Grunde dasselbe, ähneln aber dadurch mehr
den von Strongylocentrotus geschilderten Verhältnissen, dass sie
weniger Dotter bilden und so das für Echinaster Beschriebene
nicht so ausgeprägt zeigen.
Asterina gleicht in den Stadien bis zur Erreichung der
Chromasie Echinaster so ziemlich, unterscheidet sich aber dadurch,
dass die Lagerungen des emittierten Chromatins stets lockerer
bleiben. Infolgedessen treten in der Chromasie die wirbelige
Anordnung und vorher schon die scheinbar fädigen Gebilde nicht
so deutlich hervor und der Zelleib erscheint gleichartiger mit
gefärbten Partikeln erfüllt. Fig. 36 gibt eine Übersicht davon.
Die Ausbildung der kleineren Dotterelemente erfolgt in derselben
Weise wie bei Echinaster. Die intervitellinen chromatischen Ver-
dichtungen des Reifeies haben mehr Raum zur Verfügung und
wahren vielfach den Zusammenhang miteinander. Fig. 37 gibt
einen Ausschnitt aus dem Zelleib einer Oocyte von Asterina, die
unmittelbar vor dem Abschluss der Kernreife steht und deren
Plasmakonstitution keine weiteren Umbildungen mehr erleidet.
Fig. 37 und Fig. 43 (letztere von Echinaster) sind unter denselben
jedingungen gezeichnet, so dass sie einen unmittelbaren Vergleich
gestatten.
Die erste Beschickung des Cytoplasmas mit Chromatin zeigt
bei Astropecten ebenfalls nichts Neues (Fig. 28). Fig. 29 zeigt
die Chromasie mit ungefähr linearer Anordnung des Plasma-
chromatins, die hier noch weniger ausgeprägt als bei Asterina
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile. 563
ist. Auch die Wirbel sind sozusagen offener und die Dotter-
bildungsherde lichter. Fig. 33 ist ein Ausschnitt aus der dotter-
bildenden Oocyte von der Oberfläche her kernwärts. Die am
weitesten innenliegende Zone (auf der Figur unten) zeigt noch
die scheinbar fädige Anordnung des Chromatins. Darauf folgt
gegen die Zelloberfläche hin die Zone der im Gang befindlichen
Dotterbildung, bestehend in locker verteiltem Chromatin und den
ersten Dotterspuren, während die Zelloberfläche schon ungefähr
den Charakter des Reifeies trägt. Nur kleine deutoplasmatische
Ausscheidungen sind vorhanden, zwischen denen sich Chromatin
erhalten hat. Es ist hier auch eine Gelegenheit, die feine ekto-
plasmatische, noch ausserhalb der Zone des fertigen Dotters in
diesem Stadium erscheinende Randschicht zu zeigen, die bald
mehr bald weniger deutlich die Eier aller Echinodermen umgibt
und die nach vollzogener Reife oder schon etwas vorher bei
Einwirkung des Spermatozoons oder der die künstliche Partheno-
genese hervorrufenden Agentien die sogenannte Befruchtungs-
membran zur Abscheidung bringt.
d) Ophiuroidea.
Die grossen Schlangensterne, von denen wir Ophioderma
longicauda unserer Betrachtung zugrunde legen, zeigen hinsichtlich
der Verhältnisse der EFireifung fast dasselbe wie die reichlich
dotterbildenden Seesterne. Für Ophioderma gilt das über Echinaster
Ausgeführte. Fig. 45 ist ein Stadium, in dem die Chromasie
noch nicht völlig erreicht ist. Man sieht das den Zelleib er-
füllende Chromatin in der bekannten Lagerung. Das reife Ei
weist grosse Dotterschollen auf (Fig. 46) und reichlich intervittelin
kondensiertes Chromatin, das wieder die für die Dotterbildner
charakteristische dichtere Fügung zeigt.
Etwas andere Verhältnisse fand ich bei der kleinen brut-
pflegenden Amphiura squamata, deren Dottermangel wohl mit
der geringen Grösse und eben der Brutpflege zusammenhängt.
e) Crinoidea.
Von den prinzipiellen Übereinstimmungen, die sich uns für
die Konstitution der vier beschriebenen Echinodermenklassen er-
gaben, weicht auch Antedon nicht ab. Trotzdem fallen einige
Besonderheiten auf.
564 iablkikus Sichhianszeil:
Die erste Ausbreitung des emittierten Chromatins zeigt
das Gewöhnliche (Fig. 50). Die dann erscheinenden dichteren
Lagerungen ähneln sehr den von Strongylocentrotus bekannten
Zuständen, wie ein vergleichender Blick auf die Fig. 51 und 5
lehrt. Die maximale Chromasie wird erreicht mit einer besonders
dichten Erfüllung des Zelleibs mit Chromatin. Zwischen den
gedrängt liegenden chromatischen Anhäufungen ist nur wenig
von dem achromatischen Grundplasma zu sehen (Fig. 53). Jetzt
setzt ein starkes Zellwachstum ein. Da die Emission schon be-
endet ist, also kein neues Chromatin mehr hinzutritt, so wird
dadurch die Verteilung im Plasma lichter. Fig. 54 stellt einen
Sektor aus dem reifenden Zelleib dar. Die Kernnähe zeigt noch
die Struktur der Chromasie. Die folgende breite Zone enthält
Chromatinpartikel in der Anordnung, die durch das Wachstum
des Grundplasmas hervorgerufen wird. Es befindet sich an den
einzelnen Stellen in verschiedener Dichtigkeit. An der Zellober-
fläche hat die Dotterbildung begonnen; von hier aus schreitet
sie weiterhin kernwärts fort. Die Produktion des Dotters bietet
nichts Besonderes. Merkwürdig ist aber an den Dotterelementen
des Reifeies, dass sie aus zwei Schichten zu bestehen scheinen.
Ein heller, dem ungefähr kugeligen Gebilde wie ein exzentrischer
Kern einliegender Teil von dem durchscheinenden Aussehen der
gewöhnlichen Dotterkörner wird von einer opaken Hülle um-
schlossen. Osmiumsäure schwärzt beide Teile. Bei anderer Fixierung
zeigt sich der Unterschied aber in der Tinktionsart. Im Reifei
befindet sich zwischen dem so beschaffenen Dotter reichliches
Chromatin in Verdichtungen, die den Zusammenhang untereinander
nicht verlieren.
Nicht im ganzen Zelleib verlaufen die Prozesse aber in
der beschriebenen Weise; sondern ein gewisser Teil, dessen Aus-
dehnung aus dem Übersichtsbild der Fig. 56 zu ersehen ist
(Stadium nach der Chromasie; Zelleibverhältnisse im allgemeinen
wie in Fig. 54), verharrt, wenn die Vorgänge der Dotterbildungen
anfangen, aut dem Stadium der Chromasie. Anfänglich eine
Kappe auf der Zelloberfläche bildend, wird das chromatische
Residuum wohl infolge des Zellwachstums ins Innere etwas ver-
lagert und erfährt dann eine allmähliche Reduktion, indem sein
Chromatin schliesslich doch noch sich weiter verteilend die Situation
des Reifeichromatins einnimmt. Den sogenannten Dotterkern, der
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile. 509
für die Crinoideen angegeben wird, glaube ich, da ich sonst nichts
dergleichen gefunden habe, mit diesem Gebilde identifizieren zu
dürfen, obwohl eine besondere Rolle gerade bei der Dotterbildung
das über deren Anfang hinaus abgesondert restierende Chromatin
nicht spielt.
Bei allen Echinodermen ist im Reifeileib die Verteilung der
dem Grundplasma eingelagerten Uhromatinkondensa und deuto-
plasmatischen Gebilde eine gleichartige. Nur Antedon scheint davon
eine Ausnahme zu machen, indem mit dem Verlassen des Ovars
eine in allen Eiern in bestimmter Weise vorhandene Schichtung
chromatin- und deutoplasmahaltiger (rebiete, die durch achromatische
dotterfreie Teile voneinander getrennt werden, eintritt. Ich komme
darauf bei Besprechung der theoretischen Ergebnisse zurück, wo
sich ergeben wird, dass eine Darlegung dieser Dinge im Zusammen-
hang mit der Ontogenesis sich fruchtbarer gestaltet. Da ich aber
bis jetzt noch keine Gelegenheit gefunden habe, die Entwicklung
von Antedon eytologisch zu untersuchen, so sei hier auch auf
die Darstellung der Architektonik des Ürinoideneies verzichtet.
Schliesslich will ich noch bemerken, dass in Fig. 55 das
schon (8. 563) bei der Asteroiden-Oocyte erwähnte Ektoplasma, die
Bildungsstelle der Befruchtungsmembran, ebenfalls zu sehen ist.
5. Kern und Zellerb:
Die Aufklärung über die Beziehungen der Zellsubstanzen
untereinander bahnen wir an durch den Vergleich der bei
der Schilderung der Kern- und Zelleibvorgänge unterschiedenen
Stadien. Die primäre Achromasie des Ooplasmas koineidiert
notwendig mit den Präemissionsstadien des Kerns, da die von
ihm aus eingeleitete Emission des Chromatins zur Chromasie
des Zelleibs führt. Während nun im Kern nach Abschluss der
assimilativen Phase des Chromatins die allmähliche Integration
der Reifeteilungschromosomen statthat, geht im Zelleib unter
dem Einfluss des Chromatins die Konstitution des furchungs-
bereiten Ooplasmas vor sich. Die Kernreife und die vitelline
bezw. relative Achromasie des Zelleibs sind gleichzeitig erreicht.
Die Voluminaverhältnisse von Kern und Plasma
bei der Oogenese der Echinodermen sind folgende:
Der Kern tritt deutlich vom umgebenden Plasma abgegrenzt
in der Oocyte zum erstenmal deutlich bei der Ausbreitung der
566 Julius Schaxel:
dünnen Chromatinfäden nach der postdivisionalen Zusammen-
ziehung in Erscheinung. Mit Einsetzen der Chromatinemission
wächst der Zelleib rasch, während der emittierende Kern lang-
samer zu folgen scheint. Mit Erreichung der Chromasie dehnt
sich der postemissionale Kern aus und bleibt nun bei den keinen
Dotter produzierenden Formen in einem konstanten Verhältnis
zum Zelleib, während er bei den Dotterbildnern überholt wird.
Die Auflösung des Keimbläschens mit der Ausstossung von Kern-
saft, Nucleolus und Chromatinresten und die beiden Reifungs-
teilungen schaffen den weiblichen Vorkern von geringem Umfang.
6. Zusammenfassung der Ergebnisse über die
Eibildung der Echinodermen.
Die aus den Chromosomen der letzten Vermehrungsteilung
hervorgegangenen Chromatinfäden des Kerns der jungen Oocyte
kondensieren sich nach einigem Verharren in dem fädigen Zustand
in Nucleolen, die sich zu einem einzigen persistierenden ver-
einigen. Der Nucleolus ist Assimilations- und Emissionszentrum
des Chromatins. Die diffuse Chromatinemission erfolgt durch die
Kernmembran ohne Kuppenbildung. Das im Kern verbleibende
Chromatin strömt vom Nucleolus ab, der als achromatischer Körper
deformierender Vakuolisation verfällt und, wenn das Keimbläschen
nach Integration der Chromosomen sich auflöst, im Plasma
resorbiert wird. Im Zelleib wird unter Anteilnahme des Chromatins
das Furchungsplasma konstituiert, wobei es entweder bei der
Formierung chromatischer Kondensa bleibt (Strongylocentrotus-
Typus) oder zu deutoplasmatischen Ablagerungen kommt, zwischen
die dann die Chromatinkondensa eingelagert sind (Echinaster-
Typus). Die Einlagerungen des Reifeileibs sind gleichmässig ver-
teilt, wovon nur Antedon durch eine gewisse Architektonik seines
Furchungsplasmas eine Ausnahme zu machen scheint.
IV. Die Furchung von Strongylocentrotus
lividus Brandt.
Nach der vorstehenden Schilderung des allmählichen Aufbaus
des reifen Fies wende ich mich dazu, die Beziehungen der Zell-
konstituenten bei der normalen ÖOntogenesis zu betrachten. Ich
berichte an dieser Stelle über Strongylocentrotus, der ein leicht
zugängliches Material darstellt und ja auch anderen Autoren zum
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile. 567
Studium der Massenverhältnisse von Chromatin, Kern und Zelleib
gedient hat. Ferner wählte ich diesen Seeigel, weil er, wie sich bei
den theoretischen Ergebnissen zeigen wird, ein einfacher Typus der
uns hier interessierenden Phänomene ist. Zunächst soll von der
Furchung die Rede sein, die auch eytologisch der späteren Entwicklung
gegenüber als besondere erste Phase der Ontogenesis erscheint.
Wir beschäftigen uns mit den Verhältnissen der einzelnen
Zellsubstanzen. Es sei deshalb vorher der Orientierung wegen
an die äusseren Vorgänge bei der ersten Entwicklung kurz erinnert:
Die erste Teilung halbiert das Ei. Die zweite verläuft recht-
winkelig zur Ebene der ersten und liefert vier gleich grosse
Blastomeren. Die dritte Teilung, wieder vertikal zu den beiden
ersten erfolgend, hat acht gleiche Blastomeren zum Ergebnis,
die in zwei Ringen von je vier Zellen aneinander liegen. In
einem dieser Ringe erfolgt wieder eine gleiche Teilung; in dem
anderen aber verläuft sie von der Zellmitte gegen die freie Zell-
seite hin verschoben, so dass durch diese beiden letzten Teilungen
16 Blastomeren entstehen und zwar acht mittelgrosse Mesomeren,
vier grosse Makromeren und vier kleine Mikromeren. Vom Acht-
zellenstadium an wird in dem von den Zellen umschlossenen
sphärischen Raum eine gallertige Masse ausgeschieden, um die
sich, nachdem die Teilungen nach der genannten ungleichen
wieder gleich und immer in tangentialer Richtung stattfinden,
die Blastomeren zur Formierung der Blastula gruppieren. Der
Unterschied in der Zellgrösse gleicht sich allmählich wieder aus,
indem die Makromeren am öftesten, die Mikromeren weniger oft
wie die Mesomeren sich teilen. und es wird schliesslich ein ziem-
lich gleichzelliges Stadium erreicht. Die Blastula bewimpert sich
dann, verlässt die von der Befruchtungsmembran und einer ober-
flächlichen an den Teilungsprozessen keinen Anteil nehmenden
hyalinen Plasmaschicht gebildete Eihülle und steigt im Zuchtglase
vom Boden, wo sie vorher lag, an die Wasseroberfläche.
1. Die Besamung.
Wir sahen, dass das reife Ei des Seeigels den weiblichen
Vorkern enthält, und dass sein Zelleib aus achromatischem Grund-
plasma besteht, in das keinerlei Deutoplasma, sondern lediglich
kernentstammtes Chromatin in allenthalben gleichmässig verteilten
Verdichtungen eingelagert ist. Morphologisch erkennbare Struktur-
565 Julius Schaxel:
difterenzen in einzelnen Eileibteilen, also eine besondere Archi-
tektonik des Furchungsplasmas existiert nicht. Der Boverische
Pigmentring, den auch ich in Villefranche an lebenden Eiern beob-
achtete, hinterlässt am fixierten Material keine Spur und zeigt keine
Beziehungen zu den ceytomorphologisch darstellbaren Substanzen.
Das Eindringen des Spermatozoons ändert nichts an den
bestehenden Verhältnissen, wenn wir davon absehen, dass jetzt
von der beim Seeigel nicht so deutlich wie bei den Reifungsstadien
der Seesterne sichtbaren Eetoplasmaschicht die Befruchtungs-
membran ebenso abgeschieden wird, wie bei der Einleitung künst-
licher Parthenogenese. Die Lebendbeobachtung lehrt, dass nur
der Kopf des Spermatozoons eindringt, während Mittelstück und
Schwanzfaden an der Eioberfläche bleiben und degenerieren. Die
Untersuchung fixierter und gefärbter Befruchtungsstadien in
Schnitten bestätigt, dass nur Spermakern und Centrosom dem
Eikern sich nähern. Ich wandte darauf meine besondere Auf-
merksamkeit, obwohl Field (1895) bereits dieselben Angaben
macht, um zu erfahren, ob bei der Besamung etwa extranucleäres
Chromatin importiert würde und welche weitere Rolle dies spiele
(— etwa zu den Chromatinkondensationen Beziehungen einginge,
sich vermehre oder dergleichen). Es ergab sich aber, dass keinerlei
extranucleäre Substanzen des Spermatozoons im Ei wahrzunehmen
sind. Lediglich die Vereinigung des Spermakerns mit dem Eikern
erfolgt und die Erscheinungen werden sichtbar, die den ersten
Teilungsschritt ankündigen. Mit der Befruchtung, die ja an
unserem Objekt entdeckt wurde, und den Teilungserscheinungen
(z. B. dem Centrosom, Herkunft der Spindel usw.) als solchen, die
an unserem Objekt ebenfalls vielfache Untersuchung erfuhren,
werde ich mich nicht weiter beschäftigen.
2. Die Zellkerne der Furchungsphase.
Das Verhalten der Furchungskerne in ihren Beziehungen
zum Cytoplasma der um sie abgegrenzten Zellen interessiert uns
hier. Dabei lassen wir die bestehenden Relationen der Volumina
von Chromosomen, Kernen und ganzen Zellen ausser acht und
schenken unsere Aufmerksamkeit den substanziellen Zusammen-
hängen, sofern sich diese morphologisch äussern. Es ergibt sich
sogleich, dass in den Phasen der Kerne in Teilung, wo das Chromatin
in deutlich individualisierten Chromosomen scharf umgrenzt ist,
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile. 569
keine derartigen Beziehungen bestehen. Kommen sie überhaupt
vor, so sind sie im sogenannten Ruhekern zwischen zwei Teilungen
zu vermuten, wo etwa ein Substanzaustritt in irgend einer Form
zu erwarten wäre. Nichts dergleichen ist aber zu bemerken.
Ein Blick auf die Fig. 70—75, die Blastomeren aus verschiedenen
Stadien der Furchung mit Ruhekernen zeigen, lehrt dies auch. Die
(Gewissheit darüber erhalten wir später noch durch das ganz anders-
artige Verhalten emittierender Kerne bei der Organbildung und
die genauere Verfolgung der Stadien eines Ruhekerns zwischen
zwei Teilungen. Wir wählen zunächst dazu eine noch ziemlich
grosszellige Blastula, in der aber die obengenannten Ungleichheiten
in der Zellgrösse so ziemlich wieder ausgeglichen sind. Fig. 60
ist ein Ausschnitt aus der Telophase einer Mitose, in der in jeder
Teilhälfte eine Anzahl der 36 Chromosomen zu sehen sind. Um
zum Ruhekern einzugehen, häufen sich diese eng zusammen und
sind noch deutlich im einzelnen erkennbar, wie Fig. 61 zeigt.
Die dort zu sehenden chromatischen (rebilde in einiger Entfernung
von dem Uhromosomenhaufen haben nichts damit zu tun, sondern
rühren von dem Eileibehromatin des Reifeies her, worauf wir noch
ausführlich zurückkommen werden. Im nächsten Stadium liegen
die Chromatinfäden weniger dicht. Gleichzeitig erscheinen sie
etwas gestreckt, von rauher Kontur und beginnen sich zu alveo-
lisieren. Kernsaft erscheint um sie und der ganze Komplex wird
gegen das umgebende Uytoplasma durch eine feine Membran ab-
gegrenzt (Fig. 62). Immer mehr verwischt sich nun die Faden-
lagerung des Chromatins und seine Ausbreitungsweise im Kern
zeigt, dass diesem ein achromatisches Gerüst zugrunde liegt. Die
Fig. 63 und 70 enthalten diese Stadien. Das Resultat der Vor-
gänge in dieser Richtung ist die Verteilung des Chromatins auf
einem chromatischen Reticulum in feinster Weise. Fig. 64 stellt
den Höhepunkt des feinnetzigen Ruhekerns dar. In diesem Zustand
wächst der Kern etwas, indem die chromatische Substanz sich
vermehrt. Dabei sammelt sich das Chromatin nach und nach
wieder in fädigen Bildungen (Fig. 65) und erreicht die chromo-
somale Lagerung gleichzeitig mit dem Verschwinden der Kern-
membran und der Einleitung der neuen Teilung des chromatin-
reicheren Kerns (Fig. 66). In dem teilungsnahen Kern der Blastula
dieses Alters bemerkt man bei sorgfältiger Untersuchung einen
ganz schwach gefärbten Nucleolus, der bei der Teilung im Plasma
10 Julius Schaxel:
[bj
verschwindet (Fig. 65 und 66). Er erscheint erst, wenn die Teilungs-
prozesse öfter wiederholt sind und ist immer sehr unscheinbar.
Ich habe ihn deshalb anfänglich übersehen und in einer vorläufigen
Mitteilung (Zool. Anz. Bd. 36, S. 35) gesagt, dass in den Ruhe-
kernen der Furchung kein Nucleolus auftrete, was also, wie aus-
geführt, in den späteren Stadien doch der Fall ist. Nach den
allerersten Teilungen gestaltet sich der Übergang vom Teilungs-
kern in den Ruhekern insofern etwas anders, als die Chromosomen
sich nicht dicht zusammenlagern, um gemeinsam einen Kern zu
bilden, sondern nach der Telophase als kleine schwachfärbbare
Bläschen erscheinen, indem sie einzeln und als Ganzes sich zu
alveolisieren scheinen (Fig. 57). Die kleinen Karyomeren ver-
schmelzen gruppenweise miteinander (Fig. 58) und auch die Gruppen
vereinigen sich wieder. Auf diese Weise kommt ein feinnetziger
Ruhekern von derselben Beschaffenheit zustande, wie in der älteren
Blastula, wo die Chromosomen von Anfang an vereinigt bleiben.
Fig. 59 zeigt einen solchen aus verschmelzenden Karyomeren sich
bildenden Ruhekern, der in seiner Struktur dem vorhin beschriebenen
völlig gleicht (Fig. 64)').
Ein Austritt chromatischer Substanz ist vom Ruhekern aus
also nicht zu konstatieren, sondern es handelt sich lediglich um
tekreationsstadien der von Mitose zu Mitose eilenden Kerne.
Dabei mag sowohl der andersartige Eingang des Chromatins in
den Ruhekern nach den ersten Teilungsschritten, wie die Nucleolen-
bildung im wachsenden Kern nach vielen Teilungen damit zusammen-
hängen, dass bei anfänglichem Chromatinreichtum dieses nur verteilt
wird, später aber immer erst wieder Chromatin ergänzend assimiliert
wird, ehe eine neue Teilung erfolgt.
3. Das Verhalten des Eileibchromatins bei der
Furchunge.
Nach vollzogener Befruchtung hat der Eileib noch dieselbe
Konstitution, die den Abschluss der Reifeprozesse bildete. Es
sei nochmals an Fig. 10 erinnert. Im Verlauf der Furchung
ändern sich diese Verhältnisse in auffälliger Weise; denn diese
') Der etwaige Einwand, die beschriebene Karyomerenbildung sei eine
pathologische Erscheinung, erledigt sich dadurch, dass ich sie auf den ent-
sprechenden Stadien regelmässig fand, zu meiner Untersuchung aber nur
Präparate von Kulturen verwendete, die ich bis über das Pluteusstadium
hinaus normal befunden hatte.
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile, Sara
hat ihr eytologisches Charakteristikum gerade darin, dass mit
ihrem Abschluss die dem Cytoplasma eingelagerten chromatischen
Kondensa verschwunden sind, womit sich auch die Beziehungen
der Kerne zu ihren Zellen ändern.
Betrachten wir nun, was sich über den Erschöpfungsweg
des Plasmachromatins ermitteln lässt.
In bezug auf die Lage, die die Blastomeren während der
Furchung zum Ganzen einnehmen, ist die Verteilung und der
Erschöpfungsgrad der Kondensa nach den drei ersten Teilungs-
schritten in den acht Zellen noch gleichmässig. Weiterhin ver-
halten sich nach der äqualen Teilung des einen Vierzellenringes
die acht Mesomeren unter sich gleichartig, während die Descendenten
des sich inäqual teilenden anderen Vierzellenringes insofern von-
einander abweichen, dass die vier Makromeren nicht nur absolut.
sondern auch relativ mehr und im einzelnen noch chromatin-
reichere Kondensa besitzen als die ihnen verschwisterten chromatin-
armen Mikromeren und auch die Mesomeren. Das Übersichtsbild
der Fig. 65, in dem der Schnitt natürlich nur einen Teil der
Zellen in grösster Ebene trifft, gibt davon ein ungefähres Bild.
Dieses Verhalten bleibt zu konstatieren bis die weiteren Teilungen
die Blastomeren im ganzen Habitus einander wieder angeglichen
haben, so dass schon in der grosszelligen und erst recht in der
kleinzelligen Blastula von einer annähernd gleichmässigen Aus-
stattung der Zellen mit chromatischen Einlagerungen freilich nur
mehr geringen (rehalts gesprochen werden kann. Erst die er-
reichte Erschöpfung der Kondensa macht wieder einen Unterschied,
indem sie zuerst in den Blastomeren eintritt, die als prospektives
Entoderm und Mesenchym anzusprechen sind, und zuletzt deren
Gegenpol, die späteren Scheitelzellen des Pluteus, betrifft, während
das dazwischen liegende seitliche Blastoderm eine Zwischenstellung
einnimmt.
Über das Verhalten der Kondensa innerhalb der einzelnen
Zellen ist folgendes zu sagen: Solange sie noch reichlich vor-
handen sind, liegen sie stets in Kernnähe am zahlreichsten und
in sich dichtesten. Die erstere Erscheinung rührt daher, dass
bei den Zellteilungen der Strahlenapparat des Teilungskerns in
den Telophasen die Masse der Kondensa gleichsam mitnimmt und
wohl überhaupt dichtere Substanz bei den Verlagerungen der
Cytoplasmateilung stets mehr in Kernnähe zu liegen kommt. Am
512 Julius Schaxeil;
dichtesten erhalten sich die Kondensa aber auch deshalb beim
Kern, weil er selbst in dieser Phase der Furchung in der vom
Blastocöl abgewendeten Zellregion Platz findet, wo an und für
sich das Chromatin länger vorherrscht. Es lässt sich nämlich
bereits auf dem Vierzellenstadium in dem Winkel, wo die Zellen
zusammenstossen und extracellulär die das Blastocöl erfüllende
Gallerte auftreten wird, eine Lichtung des kondensierten Chromatins
wahrnehmen (Fig. 67). Fig. 68 zeigt ebenfalls die helleren Blastocöl-
seiten und in Fig. 69 findet sich in der Blastocölseite einer Makro-
mere der allmähliche Übergang von dichterem zu lichterem
Chromatin gegen den freien Rand hin, während im übrigen Zelleib
noch dem Reifei näherstehende Zustände herrschen. Die wieder
eleichmässige Chromatinausstattung der ganzen Zelle besteht darin,
dass die Verhältnisse des Blastocölrandes für den ganzen Eileib
Geltung gewinnen (Fig. 70, eine Blastomere aus der grosszelligen
Blastula). Bei dieser Verteilung der Kondensa schreitet die
Teilung fort, während der Kern aus seiner bisherigen Lage gegen
die Blastocölseite hin rückt. Fig. 71 ist der kleinzelligen Blastula
entnommen. die noch in der Eihaut liegt. Mit Annäherung an
die absolute Achromasie machen sich auch innerhalb der Zelle
wieder Ungleichheiten in der Chromatinverteilung bemerkbar,
indem die Blastulaaussenseite mehr chromatische Partikel führt.
Fig. 72 gibt als Beispiel eine prospektive Scheitelzelle der die
Eihaut verlassenden Blastula. Jetzt ist auch die Zeit gekommen,
wo die Cilien der Blastomeren gebildet werden, mit denen die
freie Blastula im Wasser flottiert. Mit ihrem Erscheinen und
in Funktiontreten ist die Achromasie der Blastulazelle absolut
geworden. Die Kleinheit der Zellen erlaubte mir nichts Besonderes
über die Cilienbildung und die Insertion der Cilie in der Zelle
zu ermitteln, ausser ihrem Ursprung an der Stelle des letzten
Restes jenes Chromatins, das noch dem Oocytenkern entstammte.
Die absolute Achromasie einer Zelle aus dem seitlichen Eetoderm
einer nach anderen Prozessen schon nicht mehr der Furchungs-
phase angehörenden Larve ist in Fig. 73 dargestellt.
Die Erschöpfung der einzelnen Chromatinverdichtung, wie
sie vom Reifei in den Furchungsprozess übernommen wird, besteht
morphologisch in dem zunehmenden Abbau der aneinander
agglutinierend dem Cytoplasma eingelagerten Partikel. Da die
Chromatinkondensa in ihrem Aufbau dem Wabenwerk des fixierten
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile. ae:
Plasmas folgen, so erscheinen sie, je dichter sie sind, um so mehr
als verzweigte Klümpchen (Fig. 10 und 67), bei der weiter-
schreitenden Erschöpfung als granulierte, geknickte Stäbchen
(Fig. 70 und 71), dann treten mehr und mehr die isolierten
Partikel zutage, die, wenn sie sehr fein werden, dem Plasma
nur mehr einen chromatoiden Schimmer verleihen (Fig. 72).
4. Zusammenfassung der cytologischen Ergebnisse
über die Furchung von Strongylocentrotus lividus.
In der raschen Aufeinanderfolge der Zellabgrenzungen zeigen
die Kerne lediglich den Wechsel von Teilungs- und Rekreations-
phasen, wobei sie dann nach den ersten Teilungsschritten nach
Karyomerenbildung durch Vereinigung der Teilkerne oder wie
nach den späteren Teilungen durch gemeinsame Alveolisation der
Uhromosonen in den von einem feinen CUhromatinnetz erfüllten
Ruhekern übergehen. Nach den späteren Teilungen ist die er-
gänzende Chromatinassimilation im Rekreationskern durch ein ge-
wisses Wachstum und das Erscheinen eines schliesslich eliminierten
chromatinfreien Nucleolus deutlich zu erkennen. In Substanz-
abgabe, speziell Chromatinemission, bestehende Beziehungen der
Kerne zum umgebenden Cytoplasma existieren nicht. Die vom
Reifei in die Blastomeren übernommenen Chromatinkondensationen
des Zelleibs erleiden während der Furchung eine progressive Er-
schöpfung und zwar in bestimmter Weise, was Verteilung und
Kondensationsgrad in den vom Sechzehn-Zellenstadium an ver-
schiedenwertigen Blastomeren sowohl wie innerhalb des einzelnen
Blastomers betrifft. Prospektives primäres Mesenchym und Ento-
derm erreichen zuerst die absolute Achromasie ihres Cytoplasmas.
Die Cilienbildung findet vor dem Verlassen der Eihülle von der
chromatinführenden Aussenschicht der Blastulazellen aus statt.
V. Die Bildung des Skelets in der Pluteuslarve von
Strongylocentrotus lividus.
Unsere cytologische Betrachtung verfolgte den Entwicklungs-
gang bis zur frei im Wasser flottierenden Blastula, einem Stadium,
in dem alle Prozesse, die in die als Furchung bezeichnete Phase
der Ontogenesis fallen, abgeschlossen sind. Es folgen nun die
besonders auch cytologisch, also in bezug auf das Verhalten der
Einzelzellen und der intracellulären Vorgänge, andersartigen Er-
scheinungen der Organbildung, von denen wir die Produktion
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. 37
574 Yabins Semaxells
des Larvenskelets speziell verfolgen wollen. Zuvor sei wieder
an das Morphogenetische kurz erinnert: Aus dem Verbande des
Blastoderms lösen sich an der Stelle, wo bei der Furchung die
Mikromeren und mithin jetzt ihre Abkömmlinge liegen, etwa
50 Zellen. Sie stellen das sogenannte primäre Mesenchym dar
und lagern sich im Kreis um ihre Auswanderungsstelle, zweimal
in symmetrisch situierten grösseren Anhäufungen, von denen aus
die Skeletbildung vor sich geht, indem die genannten Zellen in
den von ihnen umschlossenen Hohlraum die Skeletsubstanz aus-
scheiden. Das bilaterale Skelet besteht aus zwei Dreistrahlern.
Die als Bildnerinnen fungierenden Mesenchymzellen folgen seiner
Ausdehnung wie Handwerker beim Turmbau höher steigen oder
wieder in tieferen Stockwerken Hand anlegen, wenn es nötig ist.
Während des Beginns der Skeletbildung findet die Gastrulation
statt, vom Urdarmgrund trennt sich das sekundäre Mesenchym
ab, die Cölomblasen werden abgeschnürt und die Larve gewinnt
durch den Durchbruch des Mundes in den Urdarm die Organisation
des Pluteus, dem die Metamorphose zum Seeigel noch bevorsteht.
Alle diese letzteren Prozesse interessieren uns hier nicht weiter,
da die komplizierteren Bildungsvorgänge wegen der Kleinheit
des ihnen dienenden Zellmaterials bei unserem Objekt sich der
evtologischen Analyse verschliessen.
1. Die Zellkerne des primären Mesenchyms.
In jenen Blastomeren, wo die absolute Achromasie des
Cytoplasmas zuerst erreicht ist, also in den Abkömmlingen der
Mikromeren, dauern zunächst die Vermehrungsteilungen an.
Hinsichtlich der Kerne handelt es sich also um den Wechsel
von Teilungs- und Rekreationsphasen, wie ich ihn S. 569 schilderte.
Doch erfolgen die Teilungen in diesem Bezirk nicht mehr rein
tangential, sondern vielfach gegen das Blastocöl hin und es teilen
sich noch Zellen, die bereits aus dem Fpithelverbande ausge-
schieden sind. Die Teilungen haben ein Ende für die einzelne
Zelle, sobald sie sich in einer gewissen Entfernung vom Mesenchym-
ursprung befindet, und für die ja beschränkte Gresamtheit der
Zellen, wenn sie die bilateralsymmetrische Lagerung, von der
eben die Rede war, eingenommen haben.
Der nach der letzten Teilung entstehende „Ruhe“-Kern hat
folgendes Schicksal:
[Dı
-1
ort
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile.
Um die nach der Telophase dicht gedrängt liegenden
Uhromosome grenzt sich der Kern ab. Wie bei den Rekreations-
phasen beginnt nun die Alveolisation der Chromosome (Fig. 73,
die man mit dem Rekreationskern der Fig. 62 vergleichen wolle)
und die Verteilung des Chromatins auf dem achromatischen Kern-
gerüst (Fig. 74), die jedoch nicht die Feinheit erreicht, die den
von hier sich zu neuer Teilung rüstenden Furchungskernen eigen
ist; denn eine alsbald einsetzende Uhromatinanreicherung wird
durch das Erscheinen wachsender Chromatinflocken angezeigt.
Gleichzeitig erscheinen völlig chromatinfreie Nucleolen. Meist
sind es gleich von hier an in alle Folge zwei, selten nur einer
oder mehrere. Der eine ist dann durch besondere Grösse auf-
fällig; wenn es mehr als zwei sind, so sind sie entsprechend
kleiner. Fig. 75 zeigt die beginnenden Chromatinfiocken und
die Nucleolen, Fig. 76 ein fortgeschritteneres Stadium, in dem
Chromatin und Nucleolen an Masse gewonnen haben. Mit an-
dauernder Zunahme chromatischer Substanz kommt es zu ihrem
Austritt aus dem Kern. Die Emission in den primären Mesenchym-
zellen ist die erste während der Ontogenesis und, wenn wir in
der Zellenfolge zurückgehen, seit der Geschlechtszellenbildung.
Sie erfolgt ohne durch Stauung veranlasste Kuppenbildung durch
die Membran einseitig aus dem exzentrisch in der Zelle liegenden
Kern in der Richtung der grösseren Uytoplasmamasse (Fig. 77).
Wenn die Zelle im Präparat eine entsprechende Lage einnimmt,
so sieht das emittierte Chromatin seitlich vom Kern wie dessen
Schatten auf dem Cytoplasma aus. Nach vollzogener Emission,
in der nur ein bestimmtes Quantum den Kern zu verlassen
scheint, erscheint der Kern farblos, denn er enthält nur noch
wenig Chromatin und die Nucleolen (Fig. 7S—80). Während
der unten beschriebenen der Emission folgenden Prozesse im
Uytoplasma behält der Kern dieses Aussehen.
Ausser dem Typus der einseitigen Emission findet sich
namentlich auf späteren Stadien der Skeletbildung auch häufig
der Typus der diffusen Emission auf ganzer Kernoberfläche, wie
wir ihn bei den Oocyten kennen lernten (Fig. 81). Weder in
den Präemissionsstadien des Kerns noch in der Art der folgenden
Cytoplasmavorgänge unterscheidet sich die Zelle mit diffuser
Emission von der mit einseitiger, nur dass die diffus emittierenden
Kerne nie eine so ausgeprägt exzentrische Lage in der Zelle
37*
576 iuläiusssaSseihtasszeile
haben wie die anderen. So ist es wohl lediglich die Zellform
und das Lageverhältnis des Kerns zum Cytoplasma, das zwischen
den genannten Emissionstypen entscheidet.
Zur Frage, ob dieselben Kerne mehrmals Chromatin abgeben
(ob also dieselbe Zelle überhaupt in mehreren Etappen skelet-
togenes Material liefert) ist zu bemerken: Es finden sich auch
in älteren Larven Zellen, deren Kernstruktur die der Präemissions-
stadien mit noch chromosomal gelagertem Chromatin aufweist,
die also nicht als Rekonstitutionsstadien nach einer Aktivitäts-
periode betrachtet werden können, sondern noch auf dem Wege
zur ersten Emission sind. Andererseits ist wegen der beschränkten
Anzahl skeletbildender Zellen und ihrer Wanderungen an dem
bereits weitergediehenen Skelet eine wiederholte Chromatin-
emission zur Einleitung der Produktion immerhin wahrscheinlich.
Den einseitigen (dem allerdings die ersten in Funktion tretenden
Mesenchymzellen immer folgen) und den diffusen Emissionstypus
im Sinne der ersten und der späteren Emissionen derselben
Zelle zu seriieren besteht keine Veranlassung.
9. Die: Vorgänge im.Zelleib der; ‚skeletbildenden
Mesenchymzellen.
Die mit dem Furchungsabschluss erreichte absolute Achro-
masie des Cytoplasmas besteht während der Gestaltsveränderungen,
die die Zellen wohl infolge von selbständigen Bewegungen durch-
machen, bis sie an den Ort ihrer formativen Leistung gelangen.
Die Fig. 73—76 zeigen solche Zellen, die an amöboide Formen
erinnern, und zugleich, dass die Kernprozesse während der Zell-
bewegungen verlaufen. Beim ersten Chromatinaustritt ist das
Cytoplasma immer in Form eines breiten Lobopodiums vor-
geflosssen (Fig. 77). Der einseitige Chromatinaustritt erzeugt
eine partielle Chromasie des Cytoplasmas, indem nur ein be-
grenztes (rebiet mit Chromatin beschickt wird. Die extranucleäre
Chromatinmasse rückt meist etwas vom Kern ab (Fig. 78).
Der so gebildete Chromatinherd bezeichnet die Bildungs-
stätte der Skeletsubstanz. Es erscheint nämlich im Zentrum
des chromatischen Herdes ein Körperchen, offenbar ein organisches
Substrat, an das die dem Meerwasser entnommenen Kalksalze
(Caleiumcarbonat) gebunden werden; denn im säurefixierten
Präparat bleibt es erhalten. Grösser geworden, zeigt es im Leben
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile. 57
die Gestalt eines Tetraöders (Fig. 79). Je grösser dieses (rebilde
wird, desto mehr Chromatin verschwindet und schliesslich besteht
es als einzige Einlagerung des Cytoplasmas, dessen Struktur an
der von ihm eingenommenen Stelle nicht zu erkennen ist (Fig. 30).
Im allgemeinen enthält jede Zelle nur einen chromatischen Herd
und nur ein Kalkkörperchen wird darin auf einmal gebildet. Ich
fand als Ausnahme davon unter vielen Tausenden von gewöhn-
lichen Fällen einige vielfache Bildungen. Ein Beispiel davon gibt
Textfig. 7 wieder, wo in einem ungewöhnlich grossen Zelleib vier
Anlagen auf vier voneinander gesonderte Chromatinherde ver-
teilt sind.
Die perinucleäre Emission liefert einen
Chromatinherd von derselben Beschaffenheit
und Funktion, indem es immer zu einer zentrali-
sierten Ansammlung des Chromatins kommt,
in der der oben beschriebene Prozess stattfindet.
Bei der Einleitung der Skeletbildung sind
die Mesenchymzellen gegenseitig so gelagert,
dass sie einen sphärischen Raum umschliessen.
Dahinein wird die intracellulär gebildete Skelet-
substanz ausgeschieden, wozu sie wieder in
Lösung gehen muss. Beim Weiterbau liegen
die Zellen den Stäben des dreistrahligen Skelets
an, und zwar an der Innenseite. Fig. 83 gibt Textfig. 7.
ein Bild aus einem Schnitt durch den jungen
Pluteus. Man sieht den infolge seiner organischen Grundlage
im fixierten Präparat erhaltenen Stab, dessen konvexe Seite dem
Eetoderm anliegt und dessen konkave Seite von den Mesenchym-
zellen besetzt ist. Mit dem Fortschreiten der Skeletbildung sind
die Zellen oft durch weite Zwischenräume voneinander getrennt
allenthalben auf den Stäben verteilt. Manche scheinen bei der
Fixation in Bewegung gewesen zu sein. Diese befinden sich dann
immer im Zustande der Achromasie. Wenn ein Wechsel von
Produktion im Oytoplasma und Rekonstitution des Kerns stattfindet,
fiele die letztere in den mobilen Zustand der Zelle, die als
Produktionsort die Bedarfsstelle aufsucht.
Hervorgehoben sei noch, dass, in welchem Stadium die
Skeletbildung sich auch befinden mag, die intracellulären Vor-
gänge stets in der beschriebenen Weise verlaufen.
578 Julius Schaxel:
3. Zusammenfassung der cytologischen Ergebnisse
über die Skeletbildung der Pluteuslarve.
Hat mit der Erschöpfung des Zelleibchromatins in den Ab-
kömmlingen der Mikromeren die blosse Zellabgrenzung ihren
Abschluss gefunden, so bereitet sich in den Zellkernen eine neue
Chromatinemission vor, während die Zellen als primäres Mesenchym
in das Blastocöl wandern und dort eine bestimmte Lagerung ein-
nehmen. Diese erste Emission der Ontogenesis führt zur Bildung
eines chromatischen Herdes im Cytoplasma, von dem die organ-
bildenden Leistungen ihren Ausgang nehmen. Die unter Er-
schöpfung des Chromatins im Cytoplasma gebildete Skeletsubstanz
formiert extracellulär das bilaterale dreistrahlige Larvenskelet.
Die Möglichkeit einer wiederholten Emission aus demselben Kern
ist nicht auszuschliessen. Eine Teilung findet nach der Emission
nie mehr statt.
4. Das Verhalten der übrigen Larvenzellen.
Nach der Gastrulation setzen die verschiedenen Gewebs-
differenzierungen ein, die meist epithelialen Charakter bewahren.
Allenthalben kommt es zur Bildung von meist zwei Nucleolen,
mit Ausnahme der Stellen noch anhaltender Zellvermehrung.
Die Zellen sind sehr klein. Daher und weil die Zucht der älteren
Larven von keinem guten Erfolg begleitet zu sein pflegt, soll auf
die Oytologie der weiteren Organbildung nicht eingegangen werden.
Ich hoffe, an anderem Material mehr zeigen zu können.
VI. Theoretische Ergebnisse.
1. Methodologische Vorfragen.
Ebensowenig wie es für müssig gehalten wird, wenn der
Forscher die Technik angibt, mit deren Hilfe er zu seinen
tesultaten gelangt, ist es nutzlos, sich über die Mittel Klarheit
zu verschaffen, deren er sich bei der Deutung der Tatsachen
bedient, d. h. bei dem Aufbau der Theorie, in der er das empirisch
Gewonnene zum sinnvollen Ganzen zu vereinigen bestrebt ist.
Eine solche methodologische Betrachtung wollen wir hier
der Zellenmorphologie in aller Kürze widmen.
Als die histologische Technik einen solchen Ausbildungsgrad
erreicht hatte, dass sie die Vornahme der intracellulären Anatomie
erlaubte, stand die makroskopische Morphologie, der damalige
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile. 579
Hauptzweig der Biologie, im Zeichen des Konstanten-Problems.
Man suchte (resetzmässigkeiten nicht in der Eruierung form-
bildender Faktoren, wie es dann die Entwicklungsmechanik ver-
langte, sondern von Formgebilden, die sich in den Reihen der
(renerationen (in den Etappen der Phylogenesis wie im Querschnitt
des Stammbaums) immer wieder erkennen lassen, sozusagen von
materiellen Ausgaben jener die Formenfülle beherrschenden Ideen
im Sinne Platos, die die vordarwinistische Typenlehre annalım.
Für die Zelle selbst hatte dieser Gedankengang schon in der
sogenannten Zellentheorie einen Ausdruck für die Tatsache ge-
funden, dass die morphologische Analyse eines Organismus bei
den Zellen auf letzte Einheiten stösst. Diesem Grundsatz wider-
sprach man nun dadurch, dass man die intracellulären Gebilde,
die unter der Einheit stehen, mit den Prinzipien der makro-
skopischen Anatomie betrachtete, also auch hier iormkonstante
Organelle analog den Vergleichsstücken der makroskopischen
Morphologie suchte. Alle Zellbestandteile ohne Unterschied
wurden und werden morphologisch auf diese Weise und damit
als untereinander prinzipiell gleichen Wesens aufgefasst. Schein-
problemen war so nicht zu entgehen. Natürlich beschränkte sich
die Zellforschung nicht auf die übernommenen morphologischen
Prinzipien, sondern empfing von der Entwicklungsmechanik und
der Physiologie Anregungen oder stellte sich in den Dienst dieser
Wissenschaften. Im Grunde sind wir aber immer noch der Haupt-
sache nach für die Zelle auf die morphologische Betrachtungs-
weise angewiesen, da im Leben sowohl die normalen wie die
experimentell beeinflussten Vorgänge unserer Beobachtung unzu-
gänglich sind und wir uns an fixiertes Material halten müssen.
Was wir mit letzterem leisten können, soll im folgenden einer
tevision unterzogen werden.!)
Unsere eytologische Technik liefert eine Sammlung erstarrter
Momentbilder, deren äussere Beziehung zum lebenden Organismus
wir zwar kennen, denen wir aber gerade hinsichtlich der intra-
cellulären Erscheinungen mit zwei Vorfragen gegenüberstehen.
Die erste ist die nach der Bedeutung der Fixation, der
Färbung usw., d.h. nach dem Verhältnis des technisch Dargestellten
!, Von der gleichen Absicht wie hier geleitet, habe ich einen Teil
der folgenden Ausführungen gelegentlich der Oogenese der Meduse Pelagia
(1910) S. 188 ff. mitgeteilt.
5S0 Julius Schaxel:
zum Leben. Es fehlt nicht an Versuchen, diese Frage durch
spezielle Untersuchungen zu klären. Allein unsere Kenntnis von
der chemisch -physikalischen Wirkungsweise unserer Technik ist
noch zu gering, um mit tatsächlichen Ergebnissen zu antworten.
Wenn sich aber durch Vergleichung ergibt, dass bei der Anwendung
verschiedener Mittel dasselbe gefunden wird, gelangen wir für
eine gewisse Breite der Erscheinungen zu einer stets kontrollier-
baren Sicherheit. Wir können sagen, dass wir in dem technisch
Dargestellten eine Funktion der vitalen Zustände
sehen. (Funktion im mathematischen Sinne). Bestimmte Ver-
änderungen, an fixierten Objekten konstatiert, sind also in Ab-
hängigkeit von verschiedenen Zuständen des lebenden Objekts
bei der jeweiligen Fixation zu denken — oder mit anderen Worten:
Wir schliessen bei verschiedener Reaktion in verschiedenen Zeit-
punkten (und dabei gleichsinnigem Ausfall der Vergleichsreaktionen)
auf vitale Veränderungen des uns im Leben unzugänglichen Objekts.
Die zweite Vorfrage ist die nach der Seriation der
Momentbilder, deren Hauptlinie uns zwar aus dem Gang der
Untersuchung bekannt sein wird und für die allerdings spezielle
Kriterien immer erst gefunden werden müssen. Doch auf der
Suche nach eben diesen werden wir bei rein phänomenalistischer
Betrachtungsweise die Begrifiskategorien der Üytomorphologie
kennen lernen. Wenn wir durch Vergleichung die Momentbilder
in Reihen ordnen, so finden wir nämlich, dass durch ihre Tinktion
charakterisierte Substanzen uns nacheinander als verschiedene
Formgebilde entgegentreten oder dass Formgebilde bald mit
dieser bald mit jener Substanz infiltriert scheinen oder gar über-
haupt erst als Formierung von Substanzen in Erscheinung treten
oder mit Aufgabe der Form verschwinden. Ich erblicke nun nicht
in der Form das phänomenalistisch verfolgbare Objekt in der
Zelle, sondern in den Substanzen und halte es für geraten, den
morphologischen Substanzbegriff von demtopographischen
der „Form“, den ich Lokal nannte, zu trennen.') Die verschiedenen
räumlichen Beziehungen der Substanzen zu den Lokalen entsprechen
') Um Form im Sinne der makroskopischen Morphologie, um in bestimmter
Weise geordnete Zellaggregate oder aus anderen erkennbaren Einheiten
konstituierte und bestimmt strukturierte Gebilde, handelt es sich eben nicht,
selbst wenn irgend eine sog. „Intim“-Struktur angenommen wird. Eigentlich
dürften auch unsere „Substanzen“ nicht als morphologische Begriffe sensu
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile. 581
den vitalen Bewegungen. Letztere sind entweder nur Ortsver-
änderungen oder die Substanz gewinnt auch an Masse (Vermehrung)
oder erleidet Umbildungen oder die Kombinationen der einfachen
Erscheinungen.
Wir unterscheiden also bei der Seriation der Momentbilder
bei phänomenalistischer Betrachtung:
I. Substanzen ABC... . (eytomorphologische Kategorie),
Lokale MNO.... (topographische Kategorie);
II. Bewegungen und zwar:
Ortsveränderung Ay wird zu Ay
Vermehrung A st AA
Umbildung A ab aspibs
Nach Erledigung der Vorfragen ist es möglich, ein vom Reichtum
des Beobachtungsmaterials in seiner Vollständigkeit abhängiges Bild
des cellulären (reschehens zu entrollen, ohne die phänomenalistische
Basis zu verlassen. Der Weg zur weiteren chemisch-physikalischen
Analyse der Erscheinungen, wie die Anknüpfung an allgemeinere
biologische Fragen ist gleichermassen möglich; denn durch keine
theoretische Vorwegnahme ist irgend eine Grenze gezogen.
Verfolgt man die intracellulären Prozesse in ihren morpho-
logischen Grundlagen, so erhält man ein Bild des lebendigen
Geschehens lediglich für die Einzelzelle, wenngleich in dieser
Erscheinungen auftreten werden, die über sie selbst hinausweisen.
DasuBröblem des Verhältnisses”der Zelle’zum
Organismus drängt sich hier unmittelbar auf. Um ihm in
Rücksicht anf die Intracellulärvorgänge näher zu treten, genügt
die folgende Orientierung über diesen Zusammenhang:
Die morphologische Analyse eines Organismus führt zu Zellen
und Zellprodukten (die sog. Zellentheorie). In dieser Hinsicht
muss also die Morphogenesis bestehen:
I. in Zell-Formation, d. h. die Zellen vermehren und ordnen
sich zu bestimmt gefügten Aggregaten; und
strenue gelten; denn von morphe enthalten sie nichts. Um eine besondere
Wortbildung zu vermeiden, sollen sie cytomorphologische heissen. Den Ob-
jekten der eigentlichen Morphologie analoge Gebilde sind die Organelle
ökologischer Funktion der als selbständige Organismen lebenden Protisten
und die Skelet- und Bewegungsapparate der Spermatozoen.
[db |
[0 2)
[886]
uuseSrchhramszene:
II. in Zell-Produktion, d. h. die Zellen erzeugen Stoffe, die
in ihnen verbleiben oder von ihnen abgeschieden werden.
Diese beiden Gruppen von Erscheinungen greifen derart
ineinander, dass die Formation die Zellen an den Ort der Produktion
bringt.
Im „fertigen“ Organismus ist prinzipiell nichts anderes zu
entdecken: denn die Organfunktionen sind in eytologischer Be-
trachtung Produktionen materieller oder hier auch energetischer
Art. Regenerationsprozesse sind wieder morphogenetische Er-
scheinungen und die Geschlechtszellenbildung nach der reinen
Vermehrungsphase, namentlich als Eibildung, neben Produktion
nur Vorbereitung der die Morphogenesis einleitenden Furchung
(Formation).
Wie nun die Zellsubstanzen in der Einzelzelle und beim
Zusammenwirken der Zellen eines Organismus sich nach den vor-
stehenden Prinzipien auf Grund der zuerst mitgeteilten Tatsachen
darstellen lassen, soll im folgenden gezeigt werden.
2. Die Eibildung der Echinodermen.
In der Ooeyte erscheint der Kern als eine regionale Ab-
erenzung des zunächst in sich gleichartigen Cytoplasmas um die
Örtlichkeit, wo sich die Chromatinprozesse abspielen. Er erscheint
nach der Telophase der letzten Teilung um die engliegenden
CUhromosome. Sein achromatisches (Linin-) Gerüst, das während
aller weiteren Prozesse beharrt und eben mit der Kernmembran
zusammen den Kern als distinktes Gebilde erscheinen lässt, als
wesentlich verschieden vom Üytoplasma des Zelleibs anzusehen,
besteht keine Veranlassung. Nur seine Fügung scheint lockerer
und feiner zu sein, wohl infolge einer reichlicheren Ansammlung
von Enchylema in eben der als Kern bezeichneten Zellregion.
Die Kernmembran hingegen halte ich unter Zugrundelegung der-
selben Substanz für dichter gefügt. So erklärt sich auch das
„Wachstum“ des Kernes einfach in der Weise, dass weitere
Uytoplasmagebiete die genannte kernartige Struktur annehmen.
Das Chromatin ist als eytomorphologische Substanz wohl
charakterisiert. Seine Kontinuität durch die Eiwachstumsphase
ergibt die Beobachtung direkt. Aus der chromosomalen Lokalisation
seht es in Nucleolen über, von denen einer, alle anderen in sich
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile. 583
vereinigend, persistiert. Er fungiert als Assimilations- und Emissions-
zentrum. Nach der Emission gibt das Chromatin die nucleoläre
Lokalisation wieder auf und es integrieren sich die Reifeteilungs-
chromosomen. Nicht alles Chromatin geht in die Chromosomen
ein, sondern ein Rest gerät bei der Keimbläschenauflösung zur
Resorption in den Zelleib. Es handelt sich hierbei wohl um
seinerzeit nicht emittiertes, nunmehr funktionsloses Emissions-
chromatin.
Der einzige Nucleolus der Emissionsphase wird nach dieser
vom Chromatin entblösst. In den Postemissionsstadien verfällt
er progressiver Vakuolisation und wird aus dem reifenden Kern
ausgestossen. In Erinnerung an die Oogenese der Meduse Pelagia
(Schaxel, 1910) werden wir seine chromatische Phase mit deren
Zentralnucleolen und seine chromatinfreie Phase mit deren ex-
zentrischem Nucleolus analogisieren. Wir sehen also im Nucleolus
der Echinodermen -Oocyte einen Amphinucleolus, der zuerst als
Lokal des assimilierenden Chromatins fungiert und dann zunächst
teilweise (das Chromatin strömt allmählich ab), dann völlig als
Ansammlung der Exkrete des Kernstoffwechsels erscheint. Seine
rein topographische Bedeutung schliesst die hier freilich nicht
zwingende Annahme nicht aus, dass zu seiner Formierung wie
als Grundlage der intranucleären Bewegungen überhaupt eine das
Liningerüst überkleidende Plastin- („Nucleolarsubstanz“-) Schicht
gedacht wird, wenngleich die phänomenalistische Betrachtungs-
weise auch ohne sie auskommt.
Die Chromatinemission selbst zeigt nichts besonderes
Neues der von mir für Pelagia genau beschriebenen gegenüber.
Der Ausfall der Stauung an der Kernmembran macht sie weniger
auffällig und beruht wohl auf einer weniger dichten Fügung
der Membran bei den Echinodermen. Die Bewegungsweise der
Chromatinpartikel erscheint im Präparat als durch dünner besäte
Strassen geschehend, die dichtere Ansammlungen miteinander ver-
binden. Innerhalb des Kerns herrscht die gleichmässige Ver-
teilung auf den Chromatinbahnen vor, während ausserhalb der
Wechsel ungleicher Lagerung deutlich wird. Das feinere Gefüge
des Grundplasmas im Kern und das gröbere ausser ihm kann
als Ursache davon betrachtet werden.
Im Cytoplasma besteht seit dem Beginn der Emission
eine starke Vermehrung. Die Art der Einlagerung des Chromatins
584 Julius Schaxel:
namentlich vor der Chromasie auf den Stadien der allmählichen
Verteilung ist, wie wir sahen, nicht bei allen Echinodermen
dieselbe. Doch besteht das Auffällige an ihr im wesentlichen
immer in Anhäufung der Chromatinpartikel in linearer Ordnung
und konzentrischer Lagerung dieser (rebilde um den Kern.
Letztere Erscheinung verschwindet schon mit der Chromasie und
die fädige Form der Chromatinmassen mit der Dotterbildung.
Es sind ja überhaupt nur die Dotterbildner, die die genannten
Erscheinungen deutlich zeigen, während bei den übrigen Arten
eine ungefähr gleichmässige Zerstreuung der einzelnen Partikel
die Chromasie herbeiführt. Ich wies bereits darauf hin, dass
sich die Anordnung des Emissums daraus erklärt, dass das
Textfig. 8.
stärkere Wachstum des Zelleibs erst einsetzt, wenn die Emission
etwas angedauert hat. Eine ja nur vorübergehende Infiltration
im Cytoplasma präformierter und an sich unsichtbarer Gebilde
mit Chromatin anzunehmen, halte ich bei phänomenalistischer
Betrachtung für unzulässig.
An die Chromasie schliesst sich die Konstitution des Furchungs-
plasmas, eine Zellproduktion, die die sich anschliessende Formation
der Furchung vorbereitet. Deutoplasmatische Umbildungen des
Uytoplasmas unter dem Einfluss des Chromatins finden sich in
verschiedenem Grade der Ausbildung in unmittelbarem Anschluss
an Formen, deren Reifeileib lediglich chromatische Kondensa
enthält. Die als Vorratsspeicherung aufzufassende Dotterbildung
führt zu einer bedeutenderen Zellgrösse als sie sonst erreicht
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile. 555
wird. Der Zellgrösse entsprechen proportional grössere Quanten
der einzelnen Substanzen und damit der sie enthaltenden Zell-
regionen (Kern, Nucleolus ete.). In Textfig. S ist das Reifei von
Echinaster, einem reichlich dotterbildenden Seestern, neben das
dotterfreie Ei von Strongylocentrotus bei derselben Vergrösserung
zum Vergleich gezeichnet.
Strongylocentrotus und verwandte Seeigel sind typische
Repräsentanten für diejenige Konstitution des Furchungsplasmas,
mit dessen weiterem Schicksal wir uns hier noch beschäftigen.
Ihre Eier sind nach den Befunden der Entwicklungsmechaniker
Regulationseier, d. h. sie dulden eine beliebige Verschiebung ihrer
Zelleibkonstituenten und der achte Teil ihres Plasmas genügt,
um noch normale Larven zu liefern. Morphologisch finden wir
in Übereinstimmung damit eine gleichmässige und reichliche
Einlagerung chromatischer Kondensa in das sonst einförmige
Cytoplasma. Über andersartige Verhältnisse, wo, es sich um
morphologisch verschiedenartig ausgestattete Zelleibterritorien mit
differenter prospektiver Bedeutung handelt, hoffe ich in Bälde
berichten zu können.
3. Die Furchung und erste Organbildung von
Strongylocentrotus.
Nach unseren Definitionen erblicken wir in der Furchung
eine Zellformation auf Grund des bei der Eireifung konstituierten
Furchungsplasmas. Weder eine morphologische Beziehung der vom
amphimiktischen Befruchtungskern herrührenden Furchungskerne
zum Uytoplasma noch eine direkte Anteilnahme des Spermatozoons
am Aufbau der Zelleiber durch bei der Besamung extranucleär
importierte Substanzen ist zu konstatieren, während die Zellab-
grenzungen einander folgen. Die Kerne eilen über die dazwischen
liegenden Rekreationsphasen von Mitose zu Mitose, wobei die
Chromosomen anfangs isoliert (Karyomerenbildung), später ge-
meinsam durch Aufnahme von Enchylema alveolisiert werden und
die ergänzende CUhromatinassimilation später unter Abscheidung
eines chromatinfreien Exkretnucleus in einem feinnetzigen Ruhe-
kern stattfindet. Die Chromatinkondensa des Zelleibs erleiden
gleichzeitig eine sukzessive Erschöpfung. Die Furchung ist dem-
nach cytologisch zu charakterisieren als die Phase der Erschöpfung
des Eileibchromatins bei blosser Zellabgrenzung. Die Organ-
556 Julius Sschhfamzeile:
bildung hingegen wird eingeleitet durch die erste Chromatin-
emission nach der Furchung. Die Skeletbildung der Seeigellarve
ist eine typische Zellproduktion. Nicht Zellen selbst bauen durch
eine Reihe bestimmt verlaufender Teilungsprozesse ein Gewebe
auf, sondern durch die Zellformation der Furchung in bestimmte
Lage gebracht, beginnen die Zellen die Skeletsubstanz zu produ-
zieren, dazu veranlasst vom Chromatin ihrer Kerne. Der Chromatin-
prozess ist der gewöhnliche: Assimilation in intranucleären Ver-
dichtungen, Abscheidung von Exkretnucleolen, Emission, Bildung
eines Chromatinherdes im Cytoplasma und Erschöpfung des
Chromatins bei der Produktion. Dass die Zellprodukte nicht
einfache Umwandlungen des Chromatins selbst sind, erhellt daraus,
dass einmal Dotter, das andere Mal Skeletsubstanz hervorgebracht
wird, von anderen Produkten, über die anderorts zu handeln sein
wird, gar nicht zu reden. In derselben Weise besteht die weitere
Morphogenesis im Wechsel von Formation und Produktion. Es
handelt sich dabei immer um dieselben. intracellulären Prozesse
und dieselbe Anteilnahme des nucleären Chromatins, d. h. um
passiven Transport bei der Formation und aktive Beteiligung
an der Produktion.
Rekapitulieren wir nochmals kurz, was an der Hand des
Echinodermenmaterials unsere cytomorphologische Analyse über
die Prozesse des individuellen Zellenlebens ermittelte:
Nach Vollzug einer Teilung wird um die Chromosomen im
Cytoplasma eine ihrem Umfang nach von dem (Quantum des
Chromatins abhängige Region als Kern abgegrenzt. Die achro-
matische Grundlage des Kerns und die Kernmembran scheint
sich vom Oytoplasma des Zellenleibs nur durch den verschiedenen
Gehalt an Enchylema zu unterscheiden, dessen Reichtum im
Kerninnern eine lockerere und das in der Membran infolge geringen
Gehalts eine besonders dichte Struktur erzeugt. Um in Aktion
zu treten, wird bei grosskernigen Zellen (z. B. den wachsenden
Oocyten) das Chromatin in Nucleolen lokalisiert, bei kleinen Zellen
nur auf dem Achromatingerüst verteilt. In dieser Lagerung ver-
mehrt es sich durch Assimilation, wobei die Exkrete des Stoft-
wechsels in später zu eliminierenden Nucleolen deponiert werden.
Steht der Zelle eine produktive Leistung bevor, so erfolgt eine
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile. 587
Chromatinemission, an die sich im Uytoplasma die betreffenden
Umbildungen schliessen. Handelt es sich um Zellen, die in blosser
Vermehrung begriffen sind, so geht das Uhromatin des Ruhekerns
direkt wieder in die chromosomale Lokalisation über. Zu letzterem
ist bei Kernen, die Chromatin emittiert haben, eine längere
Restitutionsphase (z. B. das Keimbläschenstadium der Oocyten)
nötig. Die Chromosomen sind die Lokale des beim Teilungs-
transport inaktiven Chromatins.
4..Z2ur Theorie des Chromatins
Nirgends wird es in der Biologie so nahe liegen, an Chemisch-
Physikalisches anzuknüpfen, wie bei Betrachtung der Intracellular-
prozesse. In der Tat hofft ja auch die mechanistische Biologie
der Anerkennung autonomer Lebensgesetze durch die der Zukunft
vorbehaltene Einsicht in die höchst komplizierten Verhältnisse
der Chemie des Protoplasmas entgehen zu können. Wir wollen
es hier aber bei unserer morphologischen Betrachtungsweise be-
lassen und auf chemische Spekulationen verzichten; denn mit der
beispielsweisen Erwähnung der Möglichkeit, dass das die cyto-
plasmatischen Produktionen veranlassende Emissionschromatin
vielleicht als Katalysator wirksam ist, ist noch wenig erreicht.
Aussichtsreicher ist die Bezugnahme auf allgemeinere Probleme
der Biologie, von denen das der Vererbung im weitesten Sinn
des Wortes in unserem Fall das nächstliegende ist, das ja auch
bisher schon mit eytologischen Ergebnissen in vielfache Verbindung
gesetzt wurde.
Wir sahen im vorstehenden die chromatische Substanz
sowohl in bezug auf die Einzelzelle wie auf das Verhältnis der
Zellen zum Organismus eine besonders auffällige Rolle spielen,
die wir biologisch am einfachsten so deuten, dass wir die Er-
scheinungen dem Chromatin als der Substanz von regu-
lativer Bedeutung untertan darstellen. Die Kooperation von
Kern und Zelleib löst sich dann in die Beziehungen der determi-
nierenden Substanz zu den determinierten auf und die Zellbestand-
teile erscheinen direkt oder als Hilfsapparate an den wohl unter
die Stoffwechselvorgänge zu subsumierenden Prozessen beteiligt.
Der Kern erscheint als der Apparat, der der Entfaltung der
Chromatinfunktionen dient. Der Ruhekern grenzt sich als distinktes
(Gebiet im Cytoplasma ab, damit von hier aus, den Fall einer
588 Julius Schaxel:
produzierenden Zelle angenommen, das Chromatin in gesetzmässiger
Weise zum Zelleib in Beziehung trete. Es assimiliert und wahrt
sich zugleich für den Transport in die folgenden Zellgenerationen.
Die Nucleolen sind dabei je nach ihrer Beziehung zum Chromatin
holochromatisch (die Zentralnucleolen der Pelagia-Ocoyte), mero-
chromatisch (der Amphinucleolus der Echinodermen-Oocyte) oder
achromatisch (der exzentrische Nucleolus der Pelagia-Oocyte, die
Nucleolen der Strongylocentrotus-Ontogenesis). Gelegentlich der
Emission findet die Beeinflussung des Cytoplasmas durch das
Chromatin statt, indem die Kinetochromidien (so nannte ich die
hier behandelte Erscheinungsweise des extranucleären Chromatins
den R. Hertwigschen Geschlechtschromidien [=Goldschmidts
Sporetien| gegenüber) ins Plasma gelangen. Soll für einen Augen-
blick in Weismanns Terminologie gesprochen werden, so wären
in den Kinetochromidien die determinierenden Biophoren enthalten
zu denken, die zur Aktivierung der Zellproduktion die im
Kern persistierenden Ide verlassen. Im Zelleib findet dann vom
Uytoplasma aus die betreffende produktive Leistung statt. Dass
nur bei den Zellproduktionen eine Chromatinemission statthat,
wurde wiederholt hervorgehoben. Im Teilungskern wird das
CUhromatin in exakter Weise halbiert und so durch die Zell-
generationen transportiert. Es waren ja gerade die Erscheinungen
der Mitose, die zuerst die besondere Bedeutung der chromatischen
Substanz erkennen liessen. Bei der reinen Zellvermehrung ver-
hält sich das Kernchromatin in der Weise passiv, als keine der
Emission entsprechenden Aktivitätsäusserungen zu konstatieren
sınd. Ein besonderer Fall von Zellformation ist die Furchung
durch die Anteilnahme der Chromatinkondensa des Zelleibs. Sie
ist lehrreich deswegen, weil sie das Hinübergreifen eines Zell-
individuums in Produktion (der Oocyte I) auf die folgende
Zellformation (die Furchung) zeigt. Dabei ist die Ausstattung
des Reifeileibs mit Chromatin und Deutoplasma eine durchaus
artcharakteristische nach Gehalt, Verteilungsweise usw. Erinnert
man sich hier des mütterlichen Charakters von Echinodermen-
Bastardlarven und der Larven aus mit fremdartigem Sperma be-
samten kernlosen Eistücken gerade während der Furchungsphase
in eytologischer Charakterisierung (S. 555), so wird man in der
Koinzidenz der Anwesenheit von Oocytenchromation, des Mangels
an Emission aus den kombinierte oder nur väterliche Erbmasse
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile. 589
enthaltenden Kernen und der mütterlichen Prävalenz eine neue
Stütze für die Auffassung des Chromatins als regulative („Ver-
erbungs“-) Substanz sehen. In der die Organbildung herbei-
führenden ersten Chromatinemission aus den Larvenkernen ist
dann der amphimiktischen Erbmasse Gelegenheit zur Einwirkung
gegeben. Noch im Gang befindlichen Untersuchungen nach ist bei
den durch sogenannte „organbildende Substanzen“ ausgezeichneten
Mosaik-Eiern (z. B. der Ütenophoren) eine den furchungsbestimmen-
den Gebieten des Eileibs entsprechende Architektonik in der Ver-
teilung der chromatischen Kondensa morphologisch zu konstatieren.
Alles in allem stehen die Tatsachen wohl im Einklang mit
der bei ihrer Kürze natürlich etwas schematisch formulierten
Auffassung von der grundlegenden Arbeitsteilung der eytomorpho-
logischen Substanzen: Im Uytoplasma werden äıe durch
das als regulative Substanz fungierende Chromatin
determinierten Bildungsprozesse ausgeführt.
Gleich hier sollen noch einige Theorien in ihrem Verhältnis
zu meinen Ausführungen Erwähnung finden.
Es ist das Verdienst Goldschmidts, die Aufmerksamkeit
auf die Chromidialprobleme der Metazoen gelenkt zu haben.
Wenn auch seine Befunde über die Muskelzellen von Ascaris,
von denen er ausging, den neuerdings auf sie gerichteten An-
griffen nicht standhalten, so werden dadurch natürlich die anders-
artigen Ergebnisse anderer Forscher an anderem Material nicht
getroffen; denn die Argumente der Prager Forscher beziehen sich
nur auf einen ganz speziellen Fall. Goldschmidt formulierte
seine Anschauung in der Hypothese vom Kerndualismus. Ich
führte früher schon (Ascidien, 1909) aus, dass es mir unnötig
erscheint, den dem Karyochromatin entstammenden Chromidial-
apparat jenem als äquivalentes Analogon gegenüberzustellen und
deshalb vor seinem Inerscheinungtreten eine Präformation im
Amphinucleus annehmen zu müssen. Ich halte daher die auf
neuen Tatsachen fundierte, bei phänomenalistischer Betrachtungs-
weise gewonnene Darstellung der Chromatinbedeutung, wie ich
sie vorstehend gegeben habe, für annehmbarer.
Die Theorie von der Individualität der Chromo-
somen hätte ihre scharfe Formulierung nicht erfahren, wenn sie
Archiv f.mikr. Anat. Bd. 76. 38
590 Julius Schaxel:
sich nicht eben aus jener Zeit der Zellforschung herleitete, wo
man mit der Aufdeckung der Persistenz konstanter Zellgebilde
etwas Besonderes gewonnen zu haben glaubte. Es ist irrtümlich,
anzunehmen, dass die viel bearbeiteten Zahlen - Reduktions-
Phänomene etwa die Individualitätslehre inducieren, sondern jene
Probleme sind vielmehr Fragestellungen, die sich aus der Annahme
individualisierter Gebilde im Kern ergeben. Und die Antworten
darauf darf man mit einer gewissen Vorsicht hören, eingedenk solcher
Fälle aus letzter Zeit, wie der, wo drei Forscher bei Untersuchung
derselben Präparate zu erheblich abweichenden Ansichten gelangten!
Aus unserer phänomenalistischen Betrachtungsweise ergibt
sich die Kontinuität der chromatischen Substanz durch Ruhekern
und Zellgenerationen ohne weiteres. Eine Persistenz der Chromo-
somen als solcher ist aber nicht zu beobachten. Wir fassen diese
vielmehr als Bildungen, in denen das inaktive Generationschromatin
zum Transport während der Teilung lokalisiert ist, auf. Trotzdem
soll in dieser Darstellung nicht ohne weiteres etwas der Manövrier-
hypothese Ficks Gleichendes gesehen werden; denn meine übrigen
Ausführungen zeigen wohl zur Genüge, dass ich die allzu pessi-
mistischen Ansichten dieses Autors nicht teile. Abgesehen von
der Möglichkeit der Annahme, dass die etwa als Plastingebilde auf-
zufassenden Chromosomen als chromatinleere Lokale fortbestehen,
während die Chromatinfunktionen des individuellen Zellebens vor
sich gehen, um nur zu Teilungs- und Reduktionszwecken sich mit
Chromatin zu infiltrieren (in welcher Form wir die Häckersche
Achromatinerhaltungshypothese annehmen könnten), scheint mir
folgendes zu gelten: Auf die Chromatinemission der Oocyte folgt
eine lange Restitutionsphase des Kerns, in der sich wieder Chromo-
somen formieren und restliches Chromatin eliminiert wird. Die
primären Mesenchymzellen des Pluteus, deren Kerne ein- oder
mehrmals emittiert haben, schreiten zu keiner Teilung mehr.
Diese Tatsachen sprechen dafür, dass die chromosomale Anordnung
nur einer quantitativ und qualitativ genau bestimmten Substanz
auf langem Wege gelingt, und die stete Wiederkehr besonders
gestalteter Chromosomen (für die Echinodermen von Baltzer
|1909] nachgewiesen) weist auf den spezifischen Charakter solcher
Lokalisation, d. h. auf eine bestimmte Zusammenordnung der
einzelnen Chromatinteilchen, hin. In diesem Sinne halte ich meine
Anschauung für wohl vereinbar mit dem, was historisch den
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile. 591
Namen der Individualität der Chromosomen erworben hat, aller-
dings nicht als ein direktes Untersuchungsergebnis, aber als mit
guten Gründen erschlossen.
Nach Rüzicöka (1906—1908) versteht man unter mor-
phologischem Metabolismus des Protoplasmas die
Fähigkeit zu autonomen, zweckmässigen, morphologischen Um-
wandlungen. Die Protoplasmadifferenzierungen gehen ineinander
über, sie differenzieren sich aus amorpher Grundsubstanz heraus
und verwandeln sich wieder in sie. Ich führe diese Ansicht deshalb
hieran, weil sie nach meinen Untersuchungen durchaus nicht zutrifft ;
denn die morphologische Betrachtungsweise kann sich nur mit mor-
phologisch Unterscheidbarem beschäftigen und dessen Beziehungen
nach möglichst viel Seiten aufdecken. Wo Umwandlungen statt-
finden, erscheint für uns Neues. Welche chemisch-physikalischen
Zusammenhänge unter den Substanzen bestehen und was die Physik
und Chemie der cytomorphologischen Substanzen für ein Licht auf
ihr Verhältnis zu unseren Lokalen werfen würde, sind freilich
interessante Fragen, zu denen aber hier nichts gesagt werden kann,
als dass sie aus dem Rahmen morphologischer Betrachtung fallen.
VII. Die Angaben anderer Autoren.
Die vorliegende Arbeit steht, wie gesagt, in engem Zu-
sammenhang mit meinem Aufsatz über die Eibildung der Meduse
Pelagia (1910). Dort findet sich eine Literaturbesprechung über
allgemeine Fragen der Eireifung, über die Bedeutung der
Nucleolen, über Emissionschromatin (Chromidialapparat, Kineto-
chromidien) und für autonom gehaltene chromatische Erscheinungen
des Zelleibs. Auf diese Darlegung sei, um Wiederholungen zu
vermeiden, verwiesen. Im Abschnitt VI, 4 dieser Abhandlung
habe ich bereits auf nahestehende Anschauungen Bezug genommen.
Hier soll nur die Eibildung der Echinodermen, sofern der Autor
die Wachstumsphase der Oocyte eingehender berücksichtigt, einiges
über die erste Ontogenesis und einige Abhandlungen über die
obengenannten Fragen, sofern sie mir seit dem Abschluss der
Pelagiaarbeit bekannt geworden sind, Platz finden.
1. Über die Eibildung der Echinodermen.
Bei der Aufstellung seiner Sekrettheorie des Nucleolus
spricht Häcker (1893) vom Echinodermentypus, um damit
38*+
592 Julius Schaxel:
den Fall zu bezeichnen, wo ein Nucleolus während des Keim-
bläschenstadiums persistiert, der bei der Keimbläschenauflösung
ins Plasma gelangt. Ich halte den Echinodermennucleolus für
einen Amphinueleolus, von dem der achromatische Teil und nach
seiner Entchromatisierung das ganze Gebilde eine Ansammlung
von Exkreten des Kernstoffwechsels darstellt. Die substantielle
Erklärung der Nucleolenphänomene glaube ich ja überhaupt aus-
schliessen zu müssen, wie sich in meinen Arbeiten näher ausge-
führt findet.
Für die Chromatinbeziehungen in der Oocyte ist die ge-
legentlich anderer Untersuchungen gemachte Beobachtung
R. Hertwigs (1896) interessant, dass in der Kernmembran
der Seeigeloocyte sich feine staubartige Chromatinteilchen diffus
verteilt finden und im Umkreis des Kerns sich im Plasma kleine,
mit Eisenhämatoxylin gefärbte Körperchen finden. 1904 spricht
R. Hertwig von den Protozoen-Chromidien ähnlichen Gebilden
in den Eiern von Seesternen.
M.und P. Bouin (1897), die bekannten Vertreter der Ergasto-
plasmalehre, beschreiben aus der Oocyte von Asterina gibbosa
des formations ergastoplasmique, die zuerst als filaments und nach
einigen Umformungen als corpuscules paranucl&aires erscheinen.
Die Gebilde sollen mit dem Erscheinen des Dotters verchwinden.
Ihre Entstehung geschieht au depens du reseau plasmatique und
sie sind differeneiations du cytoplasme. Nach der Schilderung
und den Abbildungen handelt es sich um die oben genau be-
schriebenen Erscheinungsweisen des Plasmachromatins, dessen
karyogene Herkunft ich nachgewiesen habe.
Hartmanns (1901) Befund an Asterias glacialis, dass der
Nucleolus beim Abschluss der Reifung als vakuolisiertes Gebilde
in den Zelleib gelangt, konnte ich bestätigen. Die Angabe aber,
dass bei der Eiablage aus dem alles Chromatin enthaltenden
Nuceleolus die Chromosomen entstehen, halte ich für irrtümlich;
denn bei dem Asterias nahestehenden Astropeeten ist im älteren
Ovarialei die Chromatinleere des Nucleolus sehr deutlich und die
Integration der Chromosemen aus dem vom Nucleolus nach der
Emission abgeströmten Chromatin leicht zu verfolgen (s. Fig. 23—32
bei mir und den Abschnitt IH, 2).
Günther (1903) sagt über den Nucleolus des reifenden
Echinodermeies: Er entsteht als eine Abscheidung des Kerngerüsts
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile. 593
in Gestalt eines Tropfens.. In diesen Nucleolus lagert sich
Chromatin auf Zeit ein, um zur Chromosomenbildung wieder aus-
zuwandern, wobei ein Restkörper (Häckerscher Metanucleolus)
hinterlassen wird. Von weiteren Deutungen abgesehen, ist diese
Angabe mit meinen Beobachtungen über den Amphinucleolus in
Einklang zu bringen.
Chubb (1906) beschreibt das Eiwachstum von Antedon.
Der Dotterkern ist ein Bezirk, worin überschüssiges Nucleolus-
material abgelagert ist. Der Nucleolus besteht aus einer acido-
philen Grundsubstanz mit basophilen Einlagerungen, welch letztere
wahrscheinlich dem Chromatin entstammen.
Jordan (1907—1908) kommt in seinen Untersuchungen
über die Beziehungen von Nucleolus und Chromosomen im reifenden
Ei von Asterias, Hipponoe, Echinaster und Ophiocoma zu folgendem
tesultat: Die Chromosomen bewahren zwar während des Eiwachstums
ihre Individualität, nehmen aber vor der Reife Chromatinmaterial
aus dem Nucleolus, einem Chromatin - Plastin- Körper auf. Vom
Nucleolus bleibt ein vakuolisierter Restkörper zurück.
Moroff (1908) kommt anmerkungsweise auf die Oocyte
von Holothuria zu sprechen und findet, dass nie alles Chromatin
im Nucleolus zusammengezogen wäre. Während des ganzen (?)
Eiwachstums fände eine lebhafte Chromidien-Auswanderung aus
dem Kerne statt. Der Dotterkern (?) scheine einen ausgewanderten
Nucleolus darzustellen. Diese Beobachtungen sind wohl nur ge-
legentlich ohne besondere Beachtung gewonnen.
2. Über die Beziehungen des Chromatins zu den
Erscheinungen im Zelleib.
Für unsere Anschauungen von Interesse ist die Bemerkung
von Conte et Vaney (1902) que le noyau participe directement
a la formation des grains de zymogene et des productions ergasto-
plasmiques et que, par suite, il a un röle d’une haute importance
dans les phenomenes de digestion aussi bien intra -cellulaires
qu’extra - cellulaires.
Von grösster Bedeutung sind ferner die ausgezeichneten
Untersuchungen Marziarskis (1904, 1910) über die Anteilnahme
des Chromatins an der Funktion der Drüsenzelle: das wichtige
Chromatin ist nicht an den Kern gebunden. Dieser ist nur eine
Cytoplasmabildung, un territoire du protoplasme dans lequel se
594 Julius Schaxel:
depose la chromatine. La chromatine &limmee se transforme
direetement en des vacuoles seeretrices, ou bien les grains de
seeretion sont &labores dans le sein du protoplasme aux depens
de ce materiel chromatique. Tous les changements morphologiques
de la structure nucl&öaire dependent exclusivement de la fonction
des noyaux qui accompagne les divers 6tats fonctionels du proto-
plasme cellulaire. Die Chondriosomen etc. von Meves hält
Marziarski für Oytoplasmagebilde, denen kerneliminiertes Chro-
matin zeitweise eingelagert ist. Die Befunde von Marziarskı
erweisen die determinierende Wirkung des Chromatins bei der
Zellproduktion im fertigen Organismus.
Distaso (1908) schildert die Anteilnahme des kernentstammten
Chromatins an der Pigmentbildung bei Mollusken.
Nowikoff (1909) spricht allerdings nicht mit Sicherheit
von einem Chromidialapparat in den Knorpelzellen von Haliotis,
dessen Herkunft aus dem Kern er für wahrscheinlich hält.
Jörgensen (1910) beschreibt für die junge Oocyte von
Syeon (Gebilde von Chromatinfarbe auf der Kernmembran (lange
wurstförmige Gebilde oder kleine und grössere Kügelchen), die
unter allmählichem Zerfall peripherwärts verlagert werden. Jör-
gensen nimmt sie als Chromidien in Anspruch. Nach meiner
Terminologie handelt es sich hier um Kinetochromidien. Das bei
der Ausbildung der Richtungsspindel degenerierende Chromatin
hält Jörgensen ebenfalls für Chromidien und vergleicht es mit
den Kinetochromidien. Nach meinen Befunden bei Ascidien,
Medusen, Echinodermen ist dieser Vergleich ganz unzulässig; denn
die Erscheinungsweise und das künftige Schicksal der Kineto-
chromidien und des Restchromatins in sich auflösenden Keim-
bläschen ist ein durchaus verschiedenes. Ersteren dient der in
seinen Vorstadien und Folgeerscheinungen so auffällige Apparat
der Chromatinemission und sie nehmen an der Konstitution des
Furchungsplasmas und der Furchung Anteil, während letzteres
nur im Kern sozusagen übergebliebenes, nicht emittiertes Emissions-
chromatin darstellt, das bei der Integration der Chromosomen
der Resorption im Plasma verfällt. Erst recht nicht als Chromidien
dürfen natürlich von gefressenen Nährzellen herrührende Chromatin-
brocken bezeichnet werden.
Nach Derschau (1910) gehen Pyrenoide und Chloroplasten
bei Chlorophyceen aus auswandernden Chromatinmassen hervor. Sie
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile. 595
entsprechen dem Macronucleus oder Chromidialapparat der tierischen
Zelle. Derschau kommt so zur Annahme der Zweikernigkeit
des pflanzlichen Zellkerns.
Stauffacher (1910) und Knoll (1910) bemühen sich,
zwischen Nucleolus und Kern und Cytoplasma von ihnen so be-
nannte Kernbrücken, strukturelle Verbindungen aus Oxychromatin,
auf denen Basichromatin wandert, nachzuweisen. Eine Kernmembran
existiere nicht. Auf die Konstanz solcher Gebilde legen diese
Autoren besonderen Wert. Nach meiner Meinung ist der Kern
nur ein der Chromatinfunktion dienender Apparat und je nach
dem Zustand dieser Funktion eine mehr oder minder scharf um-
grenzte Region in der Zelle (siehe VI, 1 und 4; ähnlich äussert
sich wie oben angeführt Marziarski). Damit erledigt sich die
Frage nach der „Membran“ und der Konstanz der bestehenden
Kommunikationswege unter den einzelnen Zellregionen.
Nach Günthert (1910) durchläuft das Chromatin in den
Nährzellen der Oocyten von Dytisciden zahlreiche Generationen
von Tetraden bis zur staubartigen Erfüllung des Kerns mit
Chromatinpartikeln, die dadurch als Chromidien ins Plasma treten,
dass die mit ihnen besetzte Kernmembran, unter Bildung einer
neuen von innen, vom Kern abrückt. Die Chromidien werden
der Eizelle als Nährmaterial zugeführt. Dieser Art von
Chromatinvermehrung gegenüber kann ich mich einer gewissen
Skepsis nicht erwehren; die Auffassung des Chromatinaustritts
aber muss ich nach meinen Erfahrungen für verfehlt halten.
Über die konzentrische Anordnung des Emissums siehe Ab-
schnitt TIL, 4°c.
3. Über autonome Gebilde des Zelleibs.
In den Anfängen der Chromidienlehre (Goldschmidt, 1904)
wurde die Identität vieler Erscheinungen des Zelleibs mit den
CUhromidien angenommen. Namentlich von den Vertretern der
Mitochondrienlehre werden dagegen bis in die neueste Zeit Ein-
wendungen laut. Ich habe in der vorliegenden Arbeit daher
Ausdrücke wie Mitochondrien, Chondriosomen u. dgl. überhaupt
vermieden, obgleich natürlich die fädig erscheinenden Verbreitungs-
stadien des Plasmachromatins, die Chromatinkondensationen der
Reifeier und der Blastomeren und die extranucleären Chromatin-
herde der Organbildung eine Bezugnahme auf die als autonom
596 JLurlaneseSichhlandeile
betrachteten Zelleibgebilde nahelegen und sich zugleich von den
karyogenen Kinetochromidien ableiten.
Wie sehr die Anteilnahme unseres Chromatins an der Dotter-
bildung derjenigen der Mitochondrien ähnelt, mag die folgende,
aus dem Jahre 1905 stammende Ausführung Van der Strichts
beweisen: Les mitochondries interviennent incontestablement dans
l’elaboration du deutoplasme et du vitellus plastique. Und dann
von den Formationen mitochondrialer Natur: dans les mailles de
ce systeme trabeculaire existe le eytoplasme proprement dit, au
sein duquel apparaissent les premieres vacuoles deutoplasmiques
et quelques rares boules graisseuses. Über die Rolle der Chondrio-
somen bei der Organbildung (Meves, 1909, 1910, Duesberg, 1910)
sprechen die Autoren von einer Umwandlung der Chondriosomen
in das betreffende Zellprodukt; so z. B. Duesberg: Chaque
myofibrille n’est qu’un chondriosome filamenteux modifie. Ich
war daher in meiner Pelagia-Arbeit (1910, S. 204) geneigt, solche
Chondriosomen als Vorstufen der endgültigen Bildung anzusehen
und sie selbst wieder als Plasmagebilde unter dem Einfluss von
Kinetochromidien entstanden zu denken. Neuerdings legen die
Plastosomenforscher nun den grössten Wert darauf, die Plasto-
konten von den Chondriosomen oder Mitochondrien der kopulierten
(Geschlechtszellen herzuleiten, so namentlich Duesberg (1910).
Meves (1905) nimmt sie als Vererbungssubstanz in Anspruch.
Auch Van der Stricht sagt 1909: Dotter (deutoplasme vacuolaire
et graisseux) und Mitochondrien der Säugetiereier differieren unter
den einzelnen Arten sehr. Cette constatation nous permet d’attacher
au vitellus une tres grande importance au point de vue de ’heredite
sans vouloir contester la part qui revient au noyau de la cellule
sexuelle.
Um auch den Anteil männlicher extranucleärer Erb-
masse nachzuweisen, kündigt Meves (1910) eine Arbeit über
die Aussaat männlicher Mitochondrien im Ei bei der Be-
fruchtung an.
Zu all dem sei nur folgendes bemerkt: Wird die Identität
des von mir beschriebenen kernentstammten Zelleibehromatins
mit den Mevesschen Plastosomen angenommen, so differieren
unsere Ergebnisse für allerdings verschiedene Objekte darin, dass
für meine Befunde die Abstammung vom Kernchromatin, nur
eine indirekte im Sinn einer Determinierung gedachte Anteilnahme
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile 597
an der Zellproduktion, kein Import extranucleären Chromatins bei
der Besamung und keine Kontinuität des Eileibschromatins bis
zur Organbildung in der Ontogenesis gilt.
Wir sahen, dass vom Reifei reichlich extranucleäres Chromatin
in die Blastomeren mitgeführt wurde. Es sollen hier noch einige
Fälle, die mir in der Literatur begegneten, angeführt werden, in
denen auffällig färbbare Substanzen in bestimmten Furchungszellen
namhaft gemacht werden. Ihre chromatische Natur und ihr Zu-
sammenhang mit dem Oocytenkern oder eine andersartige Provenienz
ist freilich erst zu prüfen.
Wierzejski (1905) beobachtet während der Furchung von
Physa fontinalis mit Chromatinfarben färbbare Körnchen im Zelleib
derjenigen Zellen, aus denen das Eetoderm hervorgeht. Sie er-
innern ihn selbst an die sogenannten Eetosomen, die Häcker
in der Keimbahn von Cyelops entdeckte und er erwähnt nach
Jennings (1896) von Asplanchna clouds of granules, die dort
ins Entoderm gelangen.
Hasper (1910) erwähnt stark färbbare rundliche An-
sammlungen von „Keimbahnplasma“ schon aus dem Ovarialei
von Chironomus. Es geht in die Urgeschlechtszellen ein.
Elpatiewsky (1910) und Buchner (1910) entdeckten
bei Sagitta ebenfalls einen besonderen Körper, der durch die
Keimbahn wandert, den aber Buchner freilich in eigenartiger
Weise von fremdem Zellmaterial herleitet.
4. Zur Ontogenesis des Seeigels.
Die Entwicklung des Seeigels hat bekanntlich den mannig-
faltigsten eytologischen Untersuchungen zum Objekt gedient.
Solehe über die morphologischen Beziehungen der Zellsubstanzen
untereinander und zu denen der kopulierten Geschlechtszellen
habe ich aber in der Literatur nicht vorgefunden; denn die be-
kannten Arbeiten Boveris und der R. Hertwigschen Schule
(Marcus, Erdmann) über die Massenverhältnisse von Chromatin,
Kern und Zelleib verfolgen andere Ziele.
Leider hat die Frage, welche Elterncharaktere die aus mit
fremdartigem Sperma befruchteten Echinideneiern gezogenen
Embryonen auf den einzelnen Entwicklungsstadien zur Schau
598 Julius Schaxel:
tragen, noch keine endgültige Beantwortung gefunden. Es wird
sowohl behauptet, dass die ganze Entwicklung bis zum fertigen
Pluteus von mütterlichen Charakteren allein beherrscht werde,
wie das von Anfang an Mischcharakteren auftrete. Diese Be-
hauptungen sollen entweder die Anteilnahme des Cytoplasmas an
der Vererbung dartun oder die präponderierende Rolle der Kern-
substanzen zeigen. Von vornherein sind solche Fälle auszu-
schliessen, wo es unterlassen wurde, durch eytologische Unter-
suchung festzustellen, ob eine wirkliche Kernverschmelzung nach
der Besamung stattfand oder nur eine zur künstlichen Partheno-
genese führende Entwicklungsanregung erzielt wurde. Dieser Fall
tritt z. B. für Loeb (1908) ein, wo rein mütterliche Echiniden-
plutei nach der Besamung mit Molluskensperma entstanden. Kupel-
wieser (1909) stellt bei der Entwicklungserregung der Seeigeleier
durch Molluskensperma die Kernverschmelzung ausdrücklich in
Abrede. Kommt es zu einer regelrechten Kernverschmelzung, wie
sie aodlewski (1906) bei der Besamung von Echinideneiern mit
Antedonsperma konstatierte, so erfolgt die Furchung bis zur
Bildung des primären Mesenchyms und die Gastrulation nach dem
mütterlichen Typus. Die Skeletbildung unterbleibt meistens oder
kommt sehr selten nach dem mütterlichen Typus vor. Überein-
stimmendes berichtet Peter (1907). In diesem Stadium zeigen
die Bastarde auch eine grosse Sterblichkeit. Es ist nun klar,
dass die mütterliche Prävalenz und die gesunde Entwicklung mit
der von mir beschriebenen emissionslosen Phase zusammenfällt
und Störungen erst auftreten, wenn der aus inkongruenten Teilen
konstituierte Kern zum erstenmal morphologische Beziehungen
zum Üytoplasma erkennen lässt, wie es bei der Skeletbildung
der Fall ist. Für die spätere Entwicklung sind fast für alle
Larventeile von Boveri (1903) schon seit längerem Mischcharaktere
nachgewiesen. Baltzer (1909) fand bei Bastardbefruchtung
dann rein mütterliche Charaktere in der Skeletbildung, wenn das
väterliche Chromatin entweder in den ersten Karyokinesen oder
im frühen Blastulastadium eliminiert wurde; während Misch-
charaktere auftraten, wenn sämtliche Chromosomen die ganze
Entwicklung mitmachten. Er schliesst daher mit Boveri, dass
das Chromatin bei der Skeletbildung die entscheidende Rolle
spielt. Wir sind also bei einem überblickenden Vergleich der
vorliegenden Berichte wohl zu der Annahme berechtigt, dass bei
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile. 599
der Bastardbefruchtung der Echiniden die Furchung (in cytolo-
gischer Charakterisierung) mütterliche Charaktere trägt, während
die Charaktere beider Eltern erst von der Organbildung an (ein-
geleitet durch die erste Chromatinemission in der Ontogenesis)
zur Wirkung kommen.
In bezug auf die Beziehungslosigkeit der Furchungskerne
zu ihren Zellen (von der Volumrelation abgesehen), die wir
konstatierten, ist folgende Bemerkung von Roux (1893) über
die Froschentwicklung von Interesse: In den Kernen der Furchungs-
zellen können sich eine gewisse Folge von Veränderungen weit
unabhängige von den normalen, ja von eventuellen pathologischen
Veränderungen des Protoplasmas dieser Zellen entwickeln.
Zu den feineren Vorgängen der Skeletbildung sei noch
gesagt, dass zuerst Selenka (1879) zwischen den Zellen ein
Kalkkörperchen auftreten sah, aus dem unter steter Ablagerung
von Kalksalzen und organischer Achsensubstanz der Dreistrahler
gebildet wird. Auch Selenka bemerkte, dass die an der Skelet-
bildung teilnehmenden Zellen sich nicht mehr teilen. Semon
(1887) beschreibt diese Vorgänge genauer, kommt aber zu der
Annahme, dass der intracellulär gebildete Tetraöder als solcher
aus der Zelle austrete. Nach meinem Befunde verlässt die skelet-
bildende Substanz die Zelle in gelöstem Zustand, wodurch das
Verständnis für die Art des Skeletwachstums nicht weiter er-
schwert wird.
Ich schliesse diese Zeilen mit dem Hinweis auf die nächsten
Aufgaben, die sich im Zusammenhang mit den hier behandelten
Fragen ergeben. Über einen weiteren Teil meiner Untersuchungen,
die sich hierüber in Gang befinden, hoffe ich bald berichten zu können.
An die hier gegebene Darstellung der Konstitution des
„Regulationseies“ schliesst sich naturgemäss die des „Mosaikeies“
mit den furchungsbestimmenden Keimbezirken. Ferner erscheint
es wünschenswert, die Zellgenerationen bei der Entwicklung aus
beiden Eitypen bis zu den differenten (reweben in der hier ver-
suchten Weise an günstigerem Material zu verfolgen und endlich
experimentelle Eingriffe in die phänomenalistisch bekannten Ver-
läufe vorzunehmen.
Jena, Jul F910,
600 Nulıns Scchhranxel:
Literaturverzeichnis.
Die mit * bezeichneten Literaturangaben beziehen sich auf die Eibildung
der Echinodermen.
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Derselbe (1910): Die Eibildung der Meduse Pelagia noctiluca Per et Less.
Untersuchungen über die morphologischen Beziehungen der Kernsub-
stanzen untereinander und zum Üytoplasma. Festschr. R. Hertwig,
Jena 1910, Bd. 1, S. 167—212, Taf. 10—13. 2 Textfiguren.
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile. 603
Schaxel (1910): Die Beziehungen des Chromatins zum Uytoplasma bei der
Eireifung, Furchung und Organbildung des Seeigels Strongylocentrotus
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Wierzejski (1905): Embryologie von Physa fontinalis L. Zeitschr. wiss.
Zool., Bd. 83, S. 502—706, Taf. 18—27.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XIX—XXII
Was die Farben der Figuren betrifft, so entsprechen sie nicht denen
der Präparate, sondern es ist zum Zweck übersichtlicheren Vergleichs und
einfacherer Reproduktion alles was sich als Chromatin auswies, in bläulichem
Tone gehalten, während die übrigen Farben (acidophiles Cytoplasma, Achro-
matin des Kernes, Nucleolen nach ihrer Entchromatisierung und deuto-
plasmatische Substanzen) durch Nuancen von Rot wiedergegeben sind.
Gezeichnet wurde mit Hilfe Zeissscher Instrumente (Optik, Zeichen-
apparat, Zeichentisch) auf der Höhe des Objekttisches. Die Figuren sind
in der Originalgrösse reproduziert.
Im folgenden gelten die Abkürzungen:
Ap. —= Apochromat-Immersion, n. A. 1,3, 2 mm,
Ob. — Objektiv,
0c2 7 Ocnlar,
Co. — Compensationsocular.
Die Fig. 1—56 beziehen sich auf die Eibildung der Echinodermen.
Fig. 1—12 Strongylocentrotus lividus.
Fig. 1. Ap., Co. 18. Die dünnen Chromatinfäden erstrecken sich durch
den Kernraum. Beginn der Nucleolenbildung.
Fig. 2. Ap., Co.18. Aus den verdiekten Chromatinfäden kondensiert sich
das Chromatin in mehreren Nucleolen.
Fig. 3. Ap., Co. 18. Weiteres Stadium der Bildung chromatischer Nucleolen,
die miteinander verschmelzen.
Fig. 4. Ap., Co. 18. Bildung des persistierenden einzigen Nucleolus.
Fig. 5. Ap., Co.18. Beginn der Chromatinemission vom Nucleolus aus.
Ende der primären Chromasie des Uytoplasmas.
Fig. 6. Ap., Co. 18. Späteres Emissionsstadium.
Julius Schaxel:
7. Ap., Co. 12. Abströmen des Chromatins vom Nucleolus, dessen
achromatischer Innentel nach der Emission sichtbar wird.
Chromasie des Cytoplasmas.
8. Ap., Co. 18. Sektor aus dem Oocytenplasma während der Chromasie.
9. Ap., Co.18. Sektor aus dem Oocytenplasma. Beginn der Konden-
sation des Chromatins.
ig. 10. Ap., Co.18. Ausschnitt aus dem Reifei. Die Chromatinherde
nahezu isoliert. voneinander. „Relative Achromasie.“
e. 11. Ap., Oc.2. Übersicht über die Ooeyte, wie sie das Keimepithel
verlässt, um sich zum Abschluss der Reifung in das Ovariallumen
zu begeben. Das Kernchromatin wieder in Fadenanordnung.
Nucleolus chromatinfrei.
. 12. Ap., Oc.2. Reifei mit weiblichem Vorkern.
g. 13—16. Sphaerechinus granularis.
'. 13. Ap.. Oc. 18. Zwei Oocyten nach der letzten Vermehrungsteilung
Um die sich streckenden dicht liegenden Chromosomen grenzt sich
der Kern gegen das umgebende Uytoplasma ab.
. 14. Ap., Oc.18. Ausbreitung der Chromatinfäden im Kern.
. 15. Ap., Oc. 18. Kondensation des Chromatins in Nucleolen.
. 16. Ap., Co. 18. Fortgeschrittene Chromatinemission und Ausbreitung
des Chromatins im Zelleib.
g. 17. Echinus microtubereulatus. Chromatinfreier Nucleolus bei der Auf-
lösung des Keimbläschens.
. 18—21. Echinocardium cordatum.
. 15. Ap., Co.18. Bildung des „Ruhe“-Kerns nach der letzten Ver-
mehrungsteilung.
ig. 19. Ap., Co.18. Chromatin in Fadenform.
ig. 20. Ap., Co. 18. Nucleolenbildung an der Kernoberfläche.
g. 21. Ap., Co. 18. Chromatinemission (Zentrifugie des Karyochromatins).
Fig. 22—26. Holothuria tubulosa.
Fig. 22. Ap., Co.18. Ruhestadien im (sterilen) Keimepithel.
Fig. 23. Ap., Co. 18. Chromatin in dünnfädiger Anordnung.
Fig. 24. Ap., Co.18. Das Chromatin lagert sich unter Auflockerung der
Fäden in Nucleolen um.
Fig. 25. Ap., Co. 18. Chromatinemission von dem persistierenden Nucleolus
aus, der seine exzentrische Lage behält. Ausbreitung des Chromatins
im Zelleib.
Fig. 26. Ap., Co. 18. Im Kern strömt das Chromatin allmählich vom
Nucleolus ab und gewinnt wieder Fadenform. Chromasie des
Cytoplasmas.
Fig. 27.—33. Astropecten spinulosus.
Fig. 27. Ap., Co.18. Fädiges Chromatin im Übergang zur Nucleolenbildung.
Fig. 28. Ap., Co. 18. Mittleres Stadium der Emissionsphase.
ig. 29.
all).
Mal.
ig. 32%
Fig.
. 3d—
. 34.
2. 36.
aM.
ig. 38—
. 88.
a:
. 40.
. 41.
ig. 42.
ig. 43.
. 44—
Fig.
44.
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile. 605
Ap., Co.12. Ende der Emission. Das Chromatin strömt vom
Nucleolus ab. Verbreitung des Chromatins in konzentrischen
Schichten vom Kern aus.
Ap.,Oc.4. Keimbläschen, dessen Nucleolus schon zum Teil chromatin-
frei ist. Das Chromatin sammelt sich in extranucleolären Ver-
dichtungen.
Ap., Oc.4. Dem vorigen folgendes Stadium. Der Nucleolus ist
fast chromatinfrei. Die Chromatinansammlungen lassen Fadenform
erkennen.
Ap., Oc.4. Keimbläschen vor der Auflösung. Der Nucleolus ist
chromatinfrei und vacuolisiert. Das Chromatin findet sich in fädiger
Anordnung, dem Vorstadium der Chromosome. Die Kernmembran
ist leicht gefältelt.
Ap., Co.18. Ausschnitt aus der dotterbildenden Oocyte vom Rande
her. Zu oberst befindet sich eine dünne Eetoplasmaschicht. Dann
folgen kleine deutoplasmatische Einlagerungen und intervittelines
Chromatin im Cytoplasma. Weiter nach innen Dotter in ver-
schiedenen Bildungsstufen bis zu den noch dotterlosen Verhältnissen
der Chromasie.
37. Asterina gibbosa.
Ap., Co. 18. Nucleolenbildung.
Ap., Co. 18. Beginn der Emission.
Ap., Oe.4. Übersicht über das Chromasiestadium. Beginnende
Entchromatisierung des Nucleolus. „Wirbelbildungen“ im Zelleih.
Ap., Co.18. Ausschnitt aus dem nahezu reifen Ei. Deuteplasma-
körper und intervittelines Chromatin.
43. Echinaster sepositus.
Ap., Co.18. Beginn der Emission.
Ap., Co. 18. Der Schnitt trifft die Oocyte nicht in grösster
Ausdehnung des Zelleibs, wohl aber das Keimbläschen, sodass dies
verhältnismässig zu gross erscheint. Emission dem Ende nahe.
Die Zentrifugiefigur des Kernchromatins verwischt sich. Kon-
zentrische Lagerung des sich verteilenden Plasmachromatins.
Ap., Co.18. Sektor aus dem Zelleib der Oocyte. Konzentrische
Anordnung des Chromatins.
Ap., Co.18. Ausschnitt aus dem Stadium der Chromasie. Regel-
mässige Verteilung der fädig geformten Chromatinherde.
Ap., Co. 18. Ausschnitt aus einem mittleren Stadium der Dotter-
bildung.
Ap., Co. 18. Ausschnitt aus dem reifen Ei. Vitteline Achromasie
des Öytoplasmas. Dotter und intervitelline Chromatinkondensationen.
46. Ophioderma longicauda.
Ap., Co.18. Zwei Oocyten auf verschiedenen Stadien der Kon-
densation des Chromatins aus den Fäden in Nucleolen.
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. 39
Fig. 45.
Fig. 46.
Julius Schaxel:
Ap., Co.12. Ende der Emission. Verteilung des Emissums im
Zelleib.
Ap., Co. 18. Ausschnitt aus dem Reifei. Dotter und intervittelines
Chromatin.
Fig. 47—56. Antedon phalangium.
Fig. 47.
Ap, (00.18. Ausgangsstadium der Oocyte.
Fig. 48 und 49. Ap., Co.18. Stadien der Nucleolenbildung.
Fig. 50.
Fig. 51.
Ap., Co. 18. Chromatin - Emission.
Ap., Co.18. Späteres Stadium der Emission. Verteilung des
Chromatins im Zelleib.
Ap., Co. 12. Mittleres Stadium der Vakuolisation des Keimbläschen-
nucleolus.
Ap., Co. 18. Sektor aus dem Stadium der Chromasie.
Ap., Co. 18. Sektor bei beginnender Dotterbildung.
Ap., Co. 18. Ausschnitt aus dem reifen Oravialei, Randzone mit
gewellter Oberfläche. Dotterelemente mit hyaliner und opaker Schicht.
Ap., Oc.2. Übersicht über die Ooeyte zur Zeit der als „Dotter-
kern“ anzusprechenden partiellen Chromasie.
Die Fig. 50—83 beziehen sich auf die Ontogenesis von Strongylo-
centrotus lividus.
Fie. 57.
58.
Fig. 59.
Fig. 60.
Fig. 61.
. 62.
Fig. 63.
Fig. 64.
Fig. 65.
Fig. 66.
Ap., 00.18. Alveolisation einzelner Chromosomen nach der Telo-
phase einer der ersten Furchungsteilungen (Karyomerenbildung).
Ap., Co. 18. Verschmelzende Karyomeren.
Ap., Co. 18. Ende der Karyomerenverschmelzung zur Ruhekern-
bildung.
Ap., Co. 18. Ausschnitt aus der Telophase der Mitose in der gross-
zelligen Blastula, der auch die folgenden Kernbilder entnommen sind.
Ap., C0.18. Verknäuelung der Chromosomen vor der Ruhekern-
bildung.
Ap., 00.18. Gemeinsame Alveolisation der Chromosomen.
AD Vol Verteilung des Chromatins auf dem achromatischen
Kernreticulum.
Ap., Co. 18 Feinnetziger Ruhekern.
Ap., 60.18. Der Kern hat an Umfang gewonnen. Integration der
Chromosomen. Achromatischer Exkretnucleolus.
Ap., Co. 18. Prophase der folgenden Teilung. Die Chromosomen
nehmen wieder ihre typische Gestalt an. Die Kernmembran und
der Nucleolus verschwinden.
Ap., Co.18. Berührungswinkel der vier ersten Blastomeren. In
dem Zellwinkel beginnt die Abnahme des Chromatingehalts.
Ap., Oc.2. Übersicht über die Chromatinverteilung in den Meso-,
Macro- und Miceromeren. Schnitt durch die 16zellige Blastula.
Ap., 00.18. Ausschnitt aus der Blastocölseite einer Macromere,
um die blastocölwärts zunehmende Chromatinerschöpfung zu zeigen.
»
&. 70.
|
DD
Das Zusammenwirken der Zellbestandteile. 607
Ap., Co.18. Annähernd gleichmässige Verteilung des etwa auf
der Mitte seines Erschöpfungsweges befindlichen Chromatins. Kern-
stadium zwischen dem der Fig. 63 und 64. Aus der grosszelligen
Blastula.
Ap., Co. 18. Blastomere aus der kleinzelligen Blastula. Weitere
Erschöpfung des Chromatins. Kernstadium zwischen dem der
Fig. 62 und 69.
Ap., Co.18. Blastomere aus der Blastula, die die Eihaut ver-
lässt und zwar aus dem prospektiven Ectoderm des künftigen
Pluteusscheitels. Der Kern liegt jetzt an der Blastocölseite. Nur
noch spärliches Plasmachromatin.
Ap., C0.18. Zelle aus dem seitlichen Eetoderm der freien Blastula
bei Einwanderung des primären Mesenchyms. Absolute Achromasie
des Cytoplasmas. Die Cilie ist zu sehen.
Ap., Co.18. Einwandernde Mesenchymzelle Das Cytoplasma ist
absolut achromatisch. Der Kern (Alveolisation der Chromosomen
wie in Fig. 62) verrät die vorhergehende Teilung.
Ap., Co.18. Ausbildung des Ruhekerns in der eingewanderten
Mesenchymzelle. Verteilung des Chromatins im Kern.
Ap., 00.18. Chromatinanreicherung des Kerns. Exkretnucleolen.
Ap., Co. 18. Chromatinreicher Präemissionskern mit achromatischen
Nucleolen. Die Zelle hat die für die Initialemission typische
Lobopodiumform.
Ap., Co. 18. Einseitiger Typus der Chromatinemission in der Zelle
des primären Mesenchyms.
Ap., 00.18. Partielle Uhromasie des Cytoplasmas (Produktions-
herd). Chromatinarmer Postemissionskern.
Ap., Co. 18. In dem Chromatinherd erscheint die produzierte
Skeletsubstanz.
Ap., Co. 18. Unter Erschöpfung des emittierten Chromatins ist
der intracelluläre Teil der Skeletbildung vollzogen.
Ap., Co. 18. Chromatinemission in der Mesenchymzelle nach dem
perinucleären Typus.
Ap., Oc.4. Übersicht über die Lage der skeletbildenden Mesen-
chymzellen zu ihrem extracellulären Produkt.
39*
608
Über den Bau der capillaren Milzvenen (Milzsinus).
Eine kritische Studie und eigene Beobachtungen.
Von
S. Mollier, München.
Hierzu Tafel XXIV und 42 Textfiguren.
Auch durch den letzten zwischen Weidenreich und Helly
ausgetragenen Streit über den feineren Bau des Gefäßsystems
der Milz ist die immer wieder aufgeworfene Frage, ob in der
Milz ein geschlossener oder zum Teil wenigstens offener Blut-
kreislauf sich findet, nicht endgültig gelöst worden. Nach wie
vor stehen sich die beiden Anschauungen gegenüber, und will
der Unbeteiligte sich ein Urteil bilden, zu welcher Lehre er sich
bekennen soll, so wird es zunächst nötig sein, die Streitpunkte
und das Beweismaterial beider Parteien kennen zu lernen und
kritisch zu betrachten.
Die Frage, um die es sich handelt, ist eine rein technische,
also zunächst morphologische. Sie lautet: Besitzt die Milz ein
in sich geschlossenes capillares Röhrensystem, wie wir dasselbe
auch sonst in den meisten Organen finden, oder ist dieses Röhren-
system in offene Verbindung mit der Nachbarschaft (Retieulum)
sebracht. Diese Verbindung ist nach Weidenreich in der
Weise vorhanden, dass die Kontinuität des capillaren Röhren-
systems dadurch eine Unterbrechung erfährt, dass stellenweise
Reticulum zwischengeschaltet wird. Es eröffnen sich arterielle
Capillaren in das Reticulum der roten Pulpa, aus dem wieder
venöse Capillaren ihren Anfang nehmen.
Helly leugnet nun ausdrücklich das Bestehen dieser Zwischen-
schaltung reticulären Gewebes, und es müssen also wohl neue
Untersuchungen abgewartet werden.
Welcher Art diese Untersuchungen sein müssen, ergibt sich
einmal aus dem Resultat der Injektionsversuche, welche lehren,
dass dieselben immer wieder sowohl zugunsten der einen wie
der anderen Anschauung Beweismaterial geliefert haben. Sie sind
also wohl nicht imstande, diese Frage zu entscheiden, und es ist
besser, von ihnen zunächst ganz abzusehen. Das gleiche zweifel-
Uber den Bau der capillaren Milzvenen. 609
hafte Resultat haben jene Untersuchungen geliefert, die darauf
abzielen, den Übergang einer Capillare in das Retieulum oder den
Beginn einer solchen aus dem Reticulum auf feinen Schnitten
nachzuweisen. Es wird immer möglich sein alle hierüber gegebenen
„beweisenden“ Bilder in ihrem Wert anzufechten.
Es kann also nach meiner Ansicht nur mehr die eine Unter-
suchungsmethode noch Hoffnung auf Erfolg haben, welche versucht,
aus der genauen Kenntnis des Baues der capillaren Wand selbst
diese Frage zu entscheiden. Ist diese Wand geschlossen oder
ist sie durchbrochen gearbeitet? Diese Frage muss auch aus dem
Studium von Schnitten exakt zu beantworten sein.
Es ist nun sehr auffallend, dass gerade in diesem Punkte
die Angaben Weidenreichs und Hellys, der beiden letzten
Vertreter der gegnerischen Lehren, übereinstimmen. Sie nehmen
beide für die capillaren Milzvenen, die Milzsinus, eine geschlossene
Rohrwand an.
Es scheint hierzu freilich wenig zu passen, was Helly auf
Seite 252 seiner Arbeit über die venösen Capillaren sagt: „Was
zunächst den Widerstand anlangt, welchen die Gefässwand dem
Durchtritte fester und flüssiger Bestandteile entgegenzusetzen
vermag, so ist ersichtlich, dass derselbe bei den venösen Capillaren
nur sehr gering, an gewissen Stellen der Wand überhaupt fast
gleich Null ist; gleicht sie doch, von der Fläche betrachtet, sehr
einem Gitter, dessen Lücken vielfach gross genug sind, um ein
rotes Blutkörperchen ohne jede merkliche Formveränderung durch-
treten zu lassen. Dem zwischen beiden Bestandteilen des Gitters
— den inneren, parallel zur Längsachse des Gefässes angeordneten,
stabförmigen Endothelzellen und den äusseren, quer um dasselbe
verlaufenden Kreisfasern, — befindlichen unmessbar dünnen
strukturlosen Häutchen kann wohl kein irgend nennenswerter
Einfluss im Sinn einer Behinderung der Diapedese zugeschrieben
werden und dies um so weniger, als das gedachte Häutchen sehr
hinfällig ist und ungemein leicht zerstört wird.“
Helly findet auch dementsprechend in Verfolgung eines von
Weidenreich zuerst gemachten Versuches, dass selbst fremde
und viel grössere in den Kreislauf eingebrachte Blutkörperchen
(Huhn, Frosch) anstandslos durch die Capillarwand treten.
Ob es freilich noch praktischen Zweck hat, von einer
geschlossenen Röhre zu sprechen, wenn sie fast ohne Widerstand
610 S. Mollier:
alle zelligen Elemente in unbegrenzter Menge hindurchlässt, könnte
zweifelhaft erscheinen. Weidenreich hält jedenfalls eine solche
Annahme für wertlos, wie ich aus seiner temperamentvollen
Äusserung entnehme: „Ein Sieb ist doch kein Topf.“
Ich meine aber, er vergisst hier, dass ein wesentlicher Teil
unserer Vorstellung über den Vorgang der Diapedese der ist, dass
Zellen durch die Capillarwand den Kreislauf verlassen, ohne dass
dabei nennenswerte Mengen des Plasmas mit austreten. Der Kreis-
lauf der Bluttlüssigkeit wird also kaum beeinflusst.
Von diesem Gesichtspunkt aus hat die Annahme Hellys
nicht nur ihre Berechtigung, sondern auch einen ganz bestimmten
technischen Wert. Ob die Bezeichnung Diapedese auch für den
Durchtritt roter Blutkörperchen ohne lokomotorische Eigenbewegung
gebraucht werden kann, darüber will ich hier nicht weiter sprechen.
Wir haben bloss damit zu rechnen, dass Helly den Durchtritt
roter Blutkörperchen (auch Froschblutkörperchen) durch die unver-
sehrte Wand der venösen Milzcapillaren gesehen hat und dass
er hierin ein Hauptargument für die Lehre vom geschlossenen
Kreislauf in der Milz erblickt.
Weidenreich nimmt eleichfalls für die Milzsinus eine
geschlossene Rohrwand an, die für weisse Blutkörperchen selbst-
verständlich infolge ihres Baues besonders leicht zu durchwandern
ist. Den Durchtritt roter Blutkörperchen aber hat er nie gesehen
und leugnet das Vorkommen desselben.
Diese Ansicht wird man auf Grund der neueren Befunde
Hellys mit Froschblutkörperchen wohl fallen lassen und auch den
Durchtritt von Erythrocyten zugeben müssen.
Weidenreich und Helly nehmen also eine geschlossene
Capillarwand an und erklären den Durchtritt von weissen, resp.
auch roten Blutkörperchen für Diapedese.
In diesem Punkte, meine ich, ist aber Weidenreich nicht
ganz konsequent, denn er beschreibt häufige, scharf geränderte
ovale Lücken der Capillarwand und erklärt sie veranlasst durch
den Durchtritt farbloser Blutelemente durch die Wand.
Bleiben aber solche Lücken noch nach dem Durchtritt der
Leucoeyten bestehen, dann ist die Wand eben keine geschlossene
mehr und die Blutflüssigkeit wird durch diese Lücken mit jener
der retieulären Maschenräume kommunizieren. Der Durchtritt
der Leucocyten kann dann nicht mehr als gewöhnliche Diapedese
Über den Bau der capillaren Milzvenen. 611
angesehen werden, denn es wird vorkommen müssen, dass eine
weisse Blutzelle (und auch rote) diese noch bestehende Lücke zum
Durchtritt benützt.
Sehen wir nun nach, was die Autoren über den feineren
Bau der Wandung dieser Milzsinus mitteilen, so haben wir uns
im folgenden nur mehr mit Weidenreich zu beschäftigen, der
eine eingehende Beschreibung derselben gibt, während Helly
sich mit der Bemerkung begnügt, dass er bezüglich der histo-
logischen Elemente der Milz mit Weidenreich vollständig
übereinstimme. Eine Angabe, die er wohl gerade in betreff dieser
Öffnungen der Capillarwand nicht wird aufrecht erhalten können.
Das Auffallendste an diesen Capillaren ist ihr besonderes
Endothel oder Epithel. Es wurde bekanntlich von Billroth
zum erstenmal genauer beschrieben. Dann war es Gegenstand
der Untersuchung für zahlreiche Forscher, von denen ich nur
Boehm, v. Ebner und Woronin nenne.
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Ich gebe zunächst ein Bild aus der Arbeit Boehms
(Fig. 1) und eines aus der Arbeit Woronins (Fig. 2) wieder,
an denen leicht erkennbar ist, dass ein Flächenschnitt durch die
612 S. Mollier:
Capillarwand ein Gitterwerk sichtbar werden lässt, das aus recht-
winklig gekreuzten Streifen gebildet erscheint. Die in der Längs-
richtung des Gefässes geordneten Streifen gehören zu den er-
wähnten Endothelzellen und erscheinen auf dem Querschnitt als
die zierliche Strichelung der Fig. 1. Die in eireulärer Richtung
das Gefäss umfassenden Streifen sind die Ringfasern. Zu den
endothelialen Streifen gehören Kerne, die auffallend stark in die
Lichtung vorspringen. Boehm gab zuerst folgende Erklärung
für dieses merkwürdige Bild. Es handelt sich nach ihm um lange
spindelförmige Zellen mit vorspringenden Kernen. Jede Zelle
besteht aus mehreren (3—7) längsverlaufenden Stäben, welche in
der dicksten Zellpartie am weitesten voneinander abstehen, gegen
die Enden der Zelle aber dünner und niedriger werden, zusammen-
laufen und wahrscheinlich verschmelzen. Der übrige, zwischen
den Stäbchen und um dieselben gelegene Zelleib der Spindelzelle
besteht aus feiner granulierter Masse (undifferenziertes Proto-
plasma), welche um den Kern stärker angehäuft ist. Die
Striche des Querschnittsbildes entsprechen den einzelnen Stäben
der Zellen.
Dieser Erklärung stimmt v. Ebner bei. Nicht so Woronin.
Er folgert vielmehr aus seinen Präparaten, dass jedes Stäbchen
einer einzigen Zelle entspricht und nicht mehrere derselben einer
Über den Bau der capillaren Milzvenen. 615
spindelförmigen Zelle zugehören. Danach sind also diese Zellen
als äusserst feine, schmale, stäbchenförmige Zellen aufzufassen,
welche zu einer verdickten Stelle den ins Lumen vorspringenden
Kern angelagert zeigen. Ferner sind nach Woronin diese
Zellen durch quere Intercellularbrücken verbunden.
Weidenreich gibt die neueste Beschreibung des capillaren
Epithels. Das Ergebnis ist eine Bestätigung der Woroninschen
Auffassung. 70 bis 120 « lange, schmale Stäbchen, die in der
Mitte ihrer Länge eine geringe spindelförmige Verdiekung und
hier einen sowohl seitlich wie nach unten stark vorspringenden
Kern besitzen, sind in gleichmässigen Abständen durch Ringfasern
zusammengehalten.
In betreff der Ringfasern ist zu bemerken, dass Boehm
darauf aufmerksam machte, es könnte Woronin vielleicht die
Ringfasern, die aussen um die Stäbchenzellen (Weidenreich)
herumlaufen, mit Intercellularbrücken verwechselt haben. Weiden-
reich schliesst sich dieser Auffassung Boehms an und macht
diese Frage mit der energischen Bemerkung ab: „Intercellular-
brücken, wie sie Woronin beschreibt, existieren nicht.“
Die Ringfasern werden von v. Ebner und v. Schumacher
als selbständige Elemente betrachtet, die mit den Reticulumfasern
nichts zu tun haben.
Hoyer (00) hingegen fand sie in unmittelbarem Zusammen-
hang mit dem Retieulum, und seine Erklärung, dass es sich hier
nur um einen Reticulumabschnitt handle, der durch die Aus-
weitung des Gefässes in bestimmte Form und Lagerung gebracht
wurde, ist auch von Weidenreich angenommen worden. Die
Bezeichnung „Ringfasern* stammt von Hoyer (94) und ist
wohl nicht ganz glücklich gewählt, denn diese Fasern bilden
wohl stets ein netziges Geflecht um die Capillarwand, in
dem nur manchmal (Mensch, Affe) die ringförmige Anordnung der
Fasern im Netz besonders ausgesprochen ist. Weidenreich
sagt, „ähnlich wie die Reifen eines Fasses“. Auch dieser Ver-
gleich sollte vermieden werden, weil gerade die netzförmige
Verbindung der Fasern charakteristisch ist. — „Netzfaser-
mantel“ wäre eine umständliche, aber vielleicht bessere Be-
zeichnung. Es wäre dann zulässig, von Ringfasern im Netzfaser-
mantel zu sprechen. Aus welchem Material die Fasern gearbeitet
sind, ist noch nicht entschieden.
614 S. Mollier:
Als weiteren Bestandteil der Capillarwand hat v. Ebner
ein strukturloses, unmessbar dünnes Häutchen beschrieben, dem
nach innen zu die Endothelzellen (Stäbchenzellen) anliegen und
in das der Netzfasermantel eingelagert sein soll. Danach wären
also alle von zwei nachbarlichen Stäbchenzellen und zwei nachbar-
lichen Ringfasern begrenzten Abschnitte der Wandung nur von
diesem Häutchen abgeschlossen.
Weidenreich hat auf Flächenschnitten durch die Capillar-
wand diese Membran gleichfalls gefunden und sie als leicht
granuliert beschrieben.
Für die Zuweisung dieser Membran gibt es bloss zwei
Möglichkeiten. „Entweder“, sagt Weidenreich, „handelt es
sich um eine differenzierte Protoplasmaschichte der Stäbchenzellen,
oder aber um eine selbständige Membran, die nach aussen den
Zellen anliegt“. Er entscheidet sich für das letztere, denn er
hat vergeblich nach Zellgrenzen innerhalb dieser Membran zwischen
zwei Stäbchenzellen gesucht, die nach seiner Meinung doch vor-
handen und nachweisbar sein müssten, falls die erste Erklärung
zutreffend sein sollte. Mit den Ringfasern ist das Häutchen nicht
verwachsen, dieselben sind keine Verdickungen des Häutchens
selbst. in dem sie liegen, sondern die Fasern liegen dem Häutchen
bloss fest an. Mit den Stabzellen sind sie ebenfalls eng ver-
bunden, so dass man an isolierten Zellen an ihrer Aussenseite in
bestimmten Abständen Eindrücke sieht. Weidenreich hält
also diese Unregelmässigkeiten des Seiten-
randes der Zellen für Reste der zerrissenen
Membran. Wenigstens verstehe ich seine in
diesem Punkt aussergewöhnlich vorsichtige
Ausdrucksweise so.
Warum aber diese Eindrücke des Seiten-
randes der Zellen dann in bestimmten Ab-
ständen sichtbar sind, wie Weidenreich
angibt, kann ich nicht einsehen.
Wir haben uns also den Bau der Capillar-
wand folgendermassen vorzustellen: Ein
strukturloses äusserst feines Häutchen in
Form einer Röhre ist von einem kräftigen
Netzfasermantel umfasst und gestützt. Nach
innen zu liegen dem Häutchen die Epithel-
Über den Bau der capillaren Milzvenen. 615
zellen als langgestreckte, schmale Stäbchen mit ihren Kernen
längsgeordnet an und lassen zwischen sich regelmässige Zwischen-
räume frei. Das Bild der Fig. 3, nach Kopsch etwas verändert
wiedergegeben, erläutert das (resagte.
Danach haben wir es also mit geschlossenen capillaren
Röhren zu tun, und es ist bei der Betrachtung der Abbildung
klar, dass diese geschlossene Form der Rohrwand nur durch
das feine Häutchen erreicht wird.
Denken wir uns dasselbe weg, so wäre die Wand nur von dem
sich kreuzenden System der Stäbchenzellen und Netzfasern gebildet
und würde ein regelmässiges Gitterwerk mit rechteckigen Maschen-
räumen darstellen. Das Rohr wäre durchbrochen, der Kreislauf often.
Es hängt also alles davon ab, ob die Existenz, die Anordnung
und die Struktur dieses Häutchens zuverlässig festgestellt ist.
Wenn wir die Literatur aufmerksam durchgehen, dann
können wir finden, dass für die menschliche Milz das Vorhanden-
sein der Membran von v. Ebner und Weidenreich beschrieben,
von v. Schumacher und Hoyer nicht festgestellt wurde. Auch
frühere Autoren haben schon auf das Vorkommen einer solchen
Membran hingewiesen oder eine solche nicht auffinden können.
Es ist jetzt eigentlich nur die Angabe von v. Schumacher
unbestritten, die lautet, dass beim Murmeltier diese Membran
ausserordentlich leicht nachweisbar sei.
Dieses Untersuchungsobjekt ist aber von keinem späteren
Forscher mehr verwendet worden.
Nehmen wir aber meinetwegen zunächst, mit Weidenreich,
die Existenz der Membran in den Capillaren der menschlichen
Milz an, so haben wir nach diesem Autor uns das Häutchen von
zahlreichen ovalen scharfgeränderten Lücken durchbrochen zu
denken. Die Grösse derselben wechselt, doch füllen sie stets den
ganzen Raum zwischen zwei Stabzellen aus, während sie in der
Längsrichtung nicht ganz von einer Ringfaser zur andern reichen.
Weidenreich hält, wie schon erwähnt, diese Löcher in der
Membran für vorübergehende Unterbrechungen der Kontinuität
des Häutchens, bedingt durch die Diapedese weisser Blutzellen.
Ich habe aber schon früher darauf hingewiesen, dass uns
das nicht hindern darf, die Capillarwand infolge dieser Löcher
technisch als durchbrochene Wand anzusehen, die dann wieder
für die Annahme eines geschlossenen Kreislaufes unbrauchbar ist.
616 8 MEonllifesr:
Wir sind wieder auf dem toten Punkt angelangt. Sollen
wir eine geschlossene Wand annehmen oder eine durchlöcherte ?
Wir finden zu wenig Anhaltspunkte in der Literatur zum
Entscheid.
Es wäre dann zu überlegen, ob aus einer vergleichend-
histologischen Betrachtung etwas zu holen wäre, aber die Literatur
lässt hier völlig im Stich. Endlich könnten wir daran denken,
ob nicht die Histogenese ein entscheidendes Wort mitsprechen
könnte. Aber auch in dieser Hinsicht sind keine Beobachtungen
veröffentlicht. Trotzdem möchte ich aber zur Erwägung geben,
wie man sich die Entstehung eines Rohres von der in Fig. 3
abgebildeten Bauart vorstellen soll? Ich kann mir die Ent-
wicklung des eigentümlichen Capillarendothels mit seinen selb-
ständigen Zellen, die alle voneinander abgerückt erscheinen, nicht
ausdenken.
Diese Anordnung kann wohl in der fertigen Form bestehen,
aber doch nie die Ausgangsform für die Entwicklung gewesen
sein. Hier müssen die Zellen doch wohl in querer Richtung zu-
einander in Beziehung gestanden haben. Diese Annahme wird
zur Gewissheit, wenn man bedenkt, dass die Endothelzellen jeden-
falls vor der Ausbildung des Netzfasermantels schon da sind und
dann schon aus technischen Gründen eines solchen queren Zu-
sammenhaltes bedürfen. Es kann also in dieser Hinsicht die
Weidenreichsche Anschauung vom Bau der Capillarwand nicht
befriedigen.
Wir werden vielmehr an die Woroninschen Intercellular-
brücken erinnert, welche die Stäbchenzellen quer verbinden sollen,
deren Existenz Weidenreich freilich leugnet.
Nehmen wir sie einmal an, dann könnte man das Endothel
als ein Netzsyneytium (mit sehr regelmässigen Maschen) auffassen.
Es wäre die retieuläre Form eines Endothels gegeben, wie ich
dieselbe für die embryonale Leber beschrieben habe.
Diese Deutung habe ich schon vor drei Jahren in der Vor-
lesung versucht, und ich habe dann, durch diesen theoretischen
Vergleich angeregt, ausgedehnte Untersuchungen über den Bau
der Milzcapillarwand unternommen, über die ich nun berichten
will. Zuvor sei noch mitgeteilt, dass in allerneuester Zeit Anna
Mangubi-Kudrjavtzewa in den Anatomischen Heften ihre
Studien über den Bau der capillaren Milzvenen veröffentlichte.
Uber den Bau der capillaren Milzvenen. 617
Sie kommt zu einem gänzlich anderen Resultat. Das Endothel
besteht wohl aus den bekannten langen, schmalen Endothelzellen,
den Stäbchenzellen Weidenreichs, aber dieselben sind zu einer
völlig geschlossenen Wandung zusammengefügt. Denn der Zwischen-
raum zwischen zwei Stäbchenzellen ist nicht leer, sondern von
einer feinkörnigen Protoplasmaschichte in ganzer Dicke der Zellen
erfüllt, und in dieser Schichte ist als feiner Mittelstreif die Kitt-
linie zwischen beiden Anteilen nachbarlicher Zellen erkennbar
und färbbar.
Das schematische Textbild 4 gibt
den Unterschied in der Anschauung
Weidenreichs und Anna
Mangubi-Kudrjavtzewas wieder.
Bei dieser Auffassung AnnaMangubi-
Kudrjavtzewas fällt natürlich das
entwicklungsgeschichtliche Bedenken
weg, aber es verstärkt sich jenes Be-
denken, dass eine so auffallende
Durchlässigkeit der Wandung für alle
Blutzellen bei dieser Bauart möglich
sein soll, denn diese Capillaren würden
dann eine dickere Wandung als alle
anderen besitzen.
Meine eigenen Untersuchungen
habe ich an der Milz des Menschen,
des Affen, des Hundes, der Katze, des
Rindes, Schafes, Schweines und des Hie.A,
Kaninchens angestellt. |
Ich arbeitete mit so verschiedenen Objekten, weil aus den
bisherigen Veröftentlichungen zu ersehen war, dass die Bauart
der Milz bei verschiedenen Säugetieren, selbst den nächst ver-
wandten, ausserordentlich wechselt, und so hoffte ich, aus dieser
Verschiedenheit vielleicht auf allgemeinere Prinzipien des Baues
aufmerksam zu werden.
Ich benützte die Woroninsche Technik der Unter-
suchung, die bekanntlich darauf beruht, zunächst die Milz von
den Gefässen her auszuspülen und dann unter Druck wieder
von den (Gefässen aus mit Fixierungsflüssigkeit zu injizieren.
Es wird also eine künstliche Stauungsmilz erzeugt und fixiert.
615 S. Mollier:
Um jeden Einwand gegen diese Methode von vornherein
zu entkräften, gebe ich an, dass ich jedesmal zur Kontrolle auch im
normalen Zustand fixierte Milzen untersucht habe und dass nichts
beschrieben ist, was nicht auch an solchen Präparaten zu sehen ist.
Zur Färbung verwendete ich alle gebräuchlichen modernen
Methoden, um collagene und elastische Fasern und protoplasmatisches
Reticulum darzustellen.
Ich beginne mit der Beschreibung der menschlichen Milz.
Ein Flächenschnitt durch die Wand eines capillaren Sinus ist in
Fig. 5 abgebildet.
Fie. 5.
Das Gitter aus rechtwinklig sich kreuzenden Streifen ist
auf eine längere Strecke zu übersehen. Die dunkleren Streifen
verlaufen eirculär und sind die Ringfasern der Autoren. Sie
bilden ein langmaschiges Netz. Die blasseren Streifen sind die
teihen der Stäbchenzellen Weidenreichs, die endothelialen
Zellen. In den hellen Zwischenräumen des Gitters ist von einer
feinsten Membran nichts zu sehen.
Dieses Bild spricht also zunächst für die Auffassung von
Weidenreich in bezug auf die Anordnung und Form der
Stäbchenzellen und des Ringfasermantels.
Über den Bau der capillaren Milzvenen. 619
Zu einem vollen Verständnis dieses eigenartigen Bildes kommen
wir aber erst durch vergleichend-histologische und histogenetische
Untersuchungen.
Vergleichen wir zunächst mit dem eben besprochenen Bilde
das Bild eines Flächenschnittes durch die Wand eines capillaren
Sinus der Hundemilz (Fig. 6), so ist das neue Bild dem früheren
in der Wiederkehr des regelmässigen Gitters ähnlich. Doch er-
kennt man sofort einen grossen Unterschied darin, dass beim
Hund die Fasern des Netzfasermantels viel schwächer sind, also
ein viel kleineres Kaliber besitzen, als beim Menschen.
Ferner sieht man bei stärkerer Vergrösserung (Fig. 7 und S),
dass die queren Streifen des Gitters nicht wie beim Menschen
bloss aus den Ringfasern bestehen, sondern vielmehr zum grösseren
Teil ihres Materials protoplasmatische Brücken sind, welche die
Längsstreifen (Stäbchenzellen) miteinander quer verbinden.
620 S. Mollier:
Die Fasern liegen diesen Brücken meist am Rande, oft auch
in ihrer Mitte nach aussen dicht an.
Denken wir uns nun zunächst diese Fasern alle weg, so
bleibt das rein protoplasmatische Gitterwerk übrig. Danach sind
also beim Hund die dem Längsverlauf des Ge-
fässes eingeordneten Längsreihen der Stäbchen-
zellen nicht selbständige Züge, einer vom
andern völlig getrennt, sondern hängen alle in
gleichmässigen Abständen durch Querbrücken
zusammen, die in der Mitte
ihrer Länge niemals eine
Andeutung einer Zell-
grenze, etwa in Form einer
Kittlinie, erkennen lassen.
Danach wären folglich
beim Hund die einzelnen
Stäbchenzellen Weiden-
Uber den Bau der capillaren Milzvenen. 621
reichs nieht isolierte, selbständige Elemente, sondern vielmehr
der Quere nach alle untereinander syneytial verschmolzen.
Doch sehen wir weiter. Nicht immer ist in den Milzeapillaren
des Hundes das Gitter ein so regelmässiges wie das der Fig. 6
und 7. In Fig. 9, 10 und 11 habe ich unregelmässigere Formen
abgebildet. Auf den beiden ersten (Fig. 9 und 10) sind die
Längszüge, wie sie den Reihen der Stäbchenzellen entsprechen
sollen, wohl noch zu sehen. Aber sie lassen sich nur auf kürzere
Strecken verfolgen, dann gehen sie ineinander über, laufen zu-
sammen, verschmelzen. Sie sind dabei sehr verschieden breit und
dick. Man sieht deutlich, dass stärkere Ansammlungen von Proto-
plasma als Längszüge vom Kern aus nach entgegengesetzter
Richtung ablaufen.
Auf der dritten Abbildung (Fig. 11) ist das Gitter eigentlich
schon ganz anders zu beschreiben. Es ist kein Gitter mehr, aus
Längs- und Querzügen gebaut, sondern vielmehr ein dünnes, aus-
gebreitetes protoplasmatisches, fast regelloses Netzwerk, in dem
die Netzfäden, oft sehr breit, die ganz verschieden grossen und
wechselnd geformten Maschenräume begrenzen. Und doch ist ein
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. 40
622 S. Mollier:
gewisser Versuch, Ordnung in dieses regellose Netz zu bringen,
schon ersichtlich an der Längseinstellung von Maschenfäden und
die dadurch erzielte Längsaufreihung von Maschenräumen. Wir
sehen ferner, dass mit dieser Reihenordnung ein Zusammenschieben
des Protoplasmas des dünnen Netzwerkes zu dickeren Längszügen
beginnt, die wieder die gleiche Lage zum Kerne zeigen wie in
der Figur 10.
Fig. 12.
Die nächsten drei Abbildungen sind der Milz des Schafes
entnommen. Die erste (Fig. 12) erinnert ausserordentlich an das
eben beschriebene Bild der Fig. 11 und findet mit dem darüber
Gesagten seine Erklärung. Nur ist hier die Form des proto-
plasmatischen Netzwerkes noch etwas regelloser. Eine weitere
Abnahme der Ordnung der Maschen in Längsreihen ist bei dem
Schnitte, der der Fig. 13 zugrunde liegt, zu erkennen, obwohl
die Zellkerne noch mit längsovalen Formen die Gefässverlaufs-
rY . . 09
Uber den Bau der capillaren Milzvenen. 625
richtung einhalten und in länglich gestalteten Protoplasmazügen
liegen.
Das Bild führt hinüber zu dem letzten der Reihe, Fig. 14
(Rind). Hier ist die Wand des Gefässes ein ungeordnetes proto-
plasmatisches Netzwerk (Reticulum), in welchem selbst die ein-
gelagerten Kerne nicht mehr ausschliesslich in einer Richtung
angeordnet sind. Es ist eine Form des Reticulums, die sich in
nichts von dem nachbarlichen Retieulum der Milzpulpa unterscheidet
und in dasselbe direkt übergeht. (Auch beim Hund sind solche
Gefässe vorhanden.)
40*
624 S. Mollier:
Die Gefässwand ist hier ein in die Fläche aus-
gebreiteter Anteil des7 allgemeinen Enrdipae
reticulums. Zellgrenzen innerhalb derselben gibt
es nicht.
Betrachten wir nun einen Schnitt durch das Pulpareticulum
zwischen den capillaren Gefässen, wie er in Fig. 15 dargestellt
ist. so sieht dasselbe viel weitmaschiger und lockerer aus als das
(Gefässwandretieulum der Fig. 14. Wir müssen uns aber vorstellen,
dass wir hier einen Schnitt durch ein räumlich ausgebautes Reti-
culum vor uns haben. Gewöhnlich wird angegeben, dass sich
dasselbe aus Zellen aufbaut, die durch Fortsätze miteinander
zusammenhängen. Das ist aber insofern nicht ganz richtig, als
diese Fortsätze, körperlich gedacht, nicht bloss dünnere und dickere
Fäden darstellen, sondern viel häufiger protoplasmatische dünne
Membranen sind, so dass die von ihnen begrenzten verschieden
grossen Räume (Maschenräume) durch wechselnd grosse und
verschieden geformte Öffnungen
(Fenster) verbunden sind. Auf
einem Schnitt werden also zahlreiche
| dieser Membranen quer getroffen
e. » sein und als fädige Fortsätze er-
| ® —@ A scheinen: andere werden mit ihrer
Ausbreitungsebene in die Schnitt-
& ebene fallen und dann, ganz oder
teilweise getroffen, verschieden aus-
gedehnte protoplasmatische Felder
Fig. 15. darstellen, wie das aus der Ab-
bildung ersichtlich ist.
Denkt man sich aber nun ein solches Material zur Umgrenzung
eines Hohlraumes tlächenhaft verwendet, so werden zahlreichere
dieser membranartigen Scheidewände in den Schnitt fallen müssen
und dem Retieulum ein geschlosseneres Aussehen geben, obwohl
auch dann noch das gleiche Verhalten besteht, dass nämlich aus
der Gefässlichtung zahlreiche Öffnungen (Fenster) in die aussen
zelegenen Maschenräume führen, die wieder, von Membranen
begrenzt, durch weitere Öffnungen in nachbarliche Räume sich
eröffnen.
Es ist die Gefässlichtung zu denken als eine
Reihe von zusammenhängenden Maschenräumen, die
Uber den Bau der capillaren Milzvenen. 625
samt densie verbindenden Öffnungen aufdas gleiche
Kaliber erweitert wurden.')
(sehen wir nun nochmals die ganze Reihe der Bilder in
umgekehrter Reihenfolge, also von Fig. 14 bis Fig. 6 durch, so
wird uns die Umwandlung eines regellos gebauten Reticulums der
Fig. 14 in das völlig regelmässige der Fig. 6 überzeugend dar-
getan. Wir begreifen, dass es sich nur um verschiedene Form-
erscheinungen derselben Gewebsformation handelt, die wir als
zelliges Syneytium bezeichnen, und zwar als Netzsynceytium.
Der histologische Begriff des Syneytiums ist aber gegeben
in dem Fehlen von Zellgrenzen in der einheitlichen, wenn auch ver-
schieden geformten, von Kernen durchsetzten Protoplasmamasse.
Lässt sich nun diese Vorstellung mit der allgemein gültigen
in Einklang bringen, dass die Längszüge der in Fig. 6 abgebildeten
Capillarwand der Hundemilz aus einzelnen, der Länge nach ver-
bundenen Stäbchenzellen bestehen sollten, wie bei der mensch-
lichen Milz ?
Nein. Davon kann hier gar keine Rede sein — und ich
habe nun zu beweisen, dass auch in der fertigen Form der Capillare
in der Milz des Hundes dieses Netzsyneytium nicht gelöst wird —
die Gefässwand also dauernd retienlär bleibt, dass es Stäbchen-
zellen gar nicht gibt.
Ich glaube, dass sich der Beweis an der Hand der Ab-
bildung 6 leicht führen lässt, denn erstens lassen sich Zellgrenzen
mit keiner darauf abzielenden Methode nachweisen und zweitens
sind in dem Retieulum der Fig. 6 viel zu wenig Kerne ent-
halten, um die nötige Zahl von Stäbchenzellen damit ausrüsten
zu können.
Es gehört eben zu jeder Zelle genetisch nicht bloss ein
Stück eines Längsstreifens, sondern ein bestimmter Bezirk des
Netzes, der hier nach der stärkeren Entwicklung desselben in
die Länge natürlich längliche Form haben wird. Aber von Zellen
zu reden geht nicht an. Wir müssen von einem protoplasmatischen
syneytialen Gitter reden, in dem stärker ausgestaltete Längsleisten
!) Ich kann hier anfügen, dass die Milz der Selachier ein im Bauprinzip
übereinstimmendes und überaus ähnliches Verhalten zeigt. Die Capillarwand
ist auch hier einfach Pulpareticulum, das, in der Fläche ausgebreitet, zur
Abgrenzung netzförmig zusammenhängender Röhren Verwendung findet,
626 S. Mollier:
durch schmälere Querbrücken verbunden sind. Die Kerne liegen
stets in der Richtung der Längsleisten.
Dieses syneytiale Gitter findet hier als Auskleidung von
(refässlichtungen, also als Endothel seine Verwendung — anders
gesagt: Das Endothel der capillaren Gefässe der Milz
des Hundes ist dauernd reticulär gebaut.
Bevor ich nun den Vergleich bis zur menschlichen Milz
fortfübre, muss ich noch auf die sogenannten Ringfasern und
damit auf das Fasersystem überhaupt zu sprechen kommen.
Wir wollen wieder vom Pulparetieulum ausgehen. Es ist
ja seit langem bekannt, dass das protoplasmatische Reticulum
durch ein Faserreticulum gestützt ist, und es ist über die Genese
und die feinere Anordnung desselben eine grosse Zahl von Unter-
suchungen veröffentlicht. Ich gehe hier auf eine Besprechung
derselben nicht ein, schliesse mich aber jenen Autoren an,
die den Faseranteil im protoplasmatischen Netzwerk zur ersten
Anlage kommen lassen. Ich kann ferner nur bestätigen, dass die
Fibrillen als allerfeinste Fäserchen sichtbar werden und hierauf
an Kaliber zunehmen.
Dieser Zustand, dass das Fasernetz im protoplasmatischen
Netz eingelagert ist, bleibt z. B. in der Milz der Katze dauernd
erhalten (Fig. 16).
In der Milz des Hundes werden die Fasern zum Teil viel
kräftiger, aber auch diese behalten ihre Lagebeziehung zum
Über den Bau der capillaren Milzvenen. 627
protoplasmatischen Netz bei, wie das die Fig. 17 und 18 zeigen.
Niemals sieht man die geringste Inkongruenz zwischen dem proto-
plasmatischen und dem Faserreticulum.
)
1
ä
D
ER
ER
Was die Topographie der Einlagerung der Fasern im proto-
plasmatischen Reticulum anlangt, so ist nur eine Beobachtung
628 Ss. Mollier:
regelmässig wiederkehrend, dass die stärkeren Fasern das Be-
streben zeigen, an die Maschenräume anzugrenzen, während die
feineren Fasern des Netzes die früher erwähnten protoplasmatischen
Membranen auch der Fläche nach durchziehen (Fig. 17 und 18).
In der Milz des Affen und Menschen werden die Fasern im
Pulpareticulum noch viel stärker als in der Milz des Hundes, und
ddamit erscheint es bei erster Betrachtung, als ob diese starken Fasern
völlig selbständig geworden seien, als ob man also hier von einem
protoplasmatischen Retieulum mit eingelagertem feinem Fasernetz
und einem selbständigen Netz aus groben Fasern sprechen müsse.
Ich glaube nicht, dass diese Auffassung richtig ist. Schon
die absolute Deckung beider Systeme, die völlige Kongruenz ihrer
Form, weist darauf hin, dass auch das starke Fasernetz seine
Beziehung zum protoplasmatischen nicht aufgegeben hat. Ich
glaube, dass auch diese starken Fasern durch einen feimsten
protoplasmatischen Überzug mit dem protoplasmatischen Retieulum
dauernd im Zusammenhang bleiben.
Durch diesen Zusammenhang ist es dann wieder möglich,
dass das Netz von starken Fasern in. das Netz feinerer Fasern
kontinuierlich übergeht.
Gerade dieser Übergang führt aber auf den Gedanken, die
starken Fasern mitunter als Bündel dicht gelagerter feinerer
Fasern aufzufassen, welche im protoplasmatischen Netz ihre erst-
malige Entwicklung nehmen. So gedacht, dürfen wir dem Proto-
plasma, das, zwischen den Fäserchen eingelagert, ihre Verbindung
zur starken Faser sichert, eime besondere Aufgabe und damit
wohl auch Differenzierung zuschreiben. Wir wollen es Bindemittel
nennen. Dieses Bindemittel umgibt auch in dünnerer Hülle die
Aussenoberfläche jeder, auch der stärksten Faser, bleibt aber
zunächst, obwohl besonders ausgestaltet, doch im Zusammenhang
mit dem übrigen Protoplasma des Pulparetieulums.
Nach dem Gesagten wiederholt also der Faseranteil die
Form des protoplasmatischen Anteils des Syneytiums, aus dem er
hervorgeht, nicht ohne später eine gewisse Selbständigkeit er-
langen zu können.
Es scheint mir also im Retieulum der Milz jener Zustand
völliger Abtrennung der Fasern vom Mutterboden, wie beim
collagenen Bindegewebe, doch nicht ganz erreicht zu werden, wie
ich anfänglich glaubte.
Über den Bau der capillaren Milzvenen. 629
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass ich der Lehre von der
Entstehung der Fasern aus einer amorphen, von dem protoplas-
matischen Retieulum (Mesenchym) abgesonderten Substanz nicht
beitrete.
Was von den Autoren als amorphe Substanz betrachtet
wird, ist nach unserer Anschauung eben Protoplasma (Exoplasma)
und strukturiert.
Ja, ich sehe in der Struktur des Protoplasmas
schon die einfachste Lösung jener technischen Aufgabe, die
später durch die Faserbildung in ihrer Leistungsfähigkeit ge-
steigert wird.
Gleichzeitig geht nach meiner Meinung die Faser aus eben
dieser Struktur des Protoplasmas hervor.
Gehen wir nun wieder zum Studium der Capillarwand über,
so können wir zunächst feststellen, dass die Capillaren mit unge-
ordneter reticulärer Wand vom Bau der Fig. 14 die gleiche
Faseranordnung wie das Pulparetieulum besitzen, nur dass es in
der Fläche geordnet ist. Bei den Capillaren mit regelmässiger
geordneter reticulärer Wand
ist die Übereinstimmung der af
Form des Faseranteils mit 7%
dem protoplasmatischen aus
den Fig. 19 und 20 eben-
falls leicht ersichtlich.
Für die Form des völlig
regelmässigen (ritters mit
rechtwinkliger Kreuzungder
Längs- und (@uerelemente
möchte ich noch auf be-
sondere Einzelheiten auf-
merksam machen. Zunächst,
dass die protoplasmatischen,
endothelialen Längsleisten
fast immer wesentlich breiter sind als die zugehörigen (uerleisten.
Das Umgekehrte gilt für die anliegenden Längs- und Querfasern.
Ferner, dass die Netzmaschenräume abgerundete Kontur besitzen,
dass also der Querschnitt jeder Längsleiste gegen die Übergangs-
stelle in eine (merleiste (Knotenpunkte des Netzes) sich ver-
breitert (Fig. 19 und 20).
630 S. Mollier:
Die Fasern machen diese Form nicht mit. Sie behalten
gleiches Kaliber. und deshalb ist hier an den Knotenpunkten der
syneytiale Zusammenhang der Längsleisten durch (uerleisten
selbst dann noch immer deutlich zu sehen, wenn in der Mitte
der @Querleiste die kräftige Ringfaser nur mehr einem geringen
Rest des Protoplasmas anliegt. Die Längsleisten zwischen zwei
(Juerleisten werden häufig von einer feinen Längsfaser begleitet,
die mit den Ringfasern zusammenhängt. Die Längsfaser liegt ent-
weder mehr gegen die Mitte zu oder dem Rand der Längsleiste an,
Weiter scheint mir an
den Längsleisten noch eine
sehr dünne, vielleicht ver-
dichtete Aussenschichte des
Protoplasmas vorhanden zu
sein, die sich etwas stärker
färbt, und mit dieser
Schichte scheinen die
Längsfasern und die Ring-
fasern zusammenzuhängen.
. ee) ER a ER zn
Ba
I) KV N (ern
ER 14 I x rn Be
[2 3 ER
L. a: a Kreuzen sich die Längs-
N ER und Ringfasern meist unter
Er Ki ß rechtem Winkel, so sehen
KR wir auf Querschnitten noch
si, a: ein drittes darauf senk-
Bi j rechtes Fasersystem mit
Su] diesem im Zusammenhang.
2 Es sind das die Fasern des
a nachbarlichen Retieulums,
Fig. 20. die meist mit den Ring-
fasern, seltener mit den
Längsfasern zusammenhängen und dementsprechend ein grösseres
oder kleineres Kaliber zeigen.
Endlich mache ich noch darauf aufmerksam, dass auch bei
sehr geordnetem Reticulum stellenweise noch die früher erwähnten
feinsten Fäserchen zu sehen sind, und auch hier dieselben in letzter
Linie als fibrilläre Strukturen des Protoplasmas erscheinen.
Fassen wir unsere Beobachtungen über das Fasernetz der
Capillaren zusammen, so können wir auch hier zunächst feststellen,
dass dasselbe, obwohl im protoplasmatischen Reticulum entstanden,
Über den Bau der capillaren Milzvenen. 651
doch eine gewisse Selbständigkeit erlangt, so dass wir bei voller
Ausbildung desselben sogar von einer Verbindung des groben
Fasernetzes durch das Bindemittel mit dem protoplasmatischen
Netz sprechen können. Diese Verbindung ist aber jedenfalls bei
der Milz des Hundes eine relativ feste, so dass eine Isolierung
der beiden Retieulumanteile, z. B. durch energische Durchknetung
des Organs, nicht gelingt. Auch einer leichten Maceration des
Gewebes, die beim Menschen sofort diese Isolierung durchführt,
leistet die Verbindung hier Widerstand. Es ist ferner ein ge-
wisses Massenverhältnis zwischen dem protoplasmatischen Netz
und dem Fasernetz vorhanden, so dass in der Längsrichtung des
Gefässes der protoplasmatische Anteil (Längsleisten) den Faser-
anteill überwiegt,
während in der
Querrichtung der
Faseranteil (Ring-
fasern) stärker aus-
gebildet ist, als der
protoplasmatische
Anteil (Quer-
brücken). Die An-
nahme liegt nahe,
dass die Zunahme
des Faseranteils mit
einem Verbrauch
des protoplasma-
tischen Anteils zu-
sammenfällt. Doch
ist die Erklärung
auch möglich, dass
mit zunehmender
Stärke der Quer-
fasern die proto-
plasmatische (uer-
brücke entbehrlich
wird und das Proto-
plasma sich immer
mehr in die Längs-
leisten zusammen- Fie. 21.
drängt.
032 S. Mollier:
Die Capillarwand der Affenmilz ist sehr ähnlich gebaut,
nur herrscht hier die völlig regelmässige Form des endothelialen
Gitters vor. Wir können zwei Formen desselben unterscheiden:
Die eine entspricht völlig der eben beschriebenen geordneten Form
und ist dureh die Fig. 21 und 22 illustriert.
Die Capillarwand besitzt also ein protoplasmatisches Netz-
syneytium von sehr regelmässiger Form. DBreitere Längsleisten
werden durch feine Querleisten rechtwinklig verbunden. Nach
aussen liegen denselben die starken Ringfasern und feinen Längs-
fasern an, von denen die ersteren ganz regelmässigen Zusammen-
hang mit den Retieulumfasern der anliegenden Pulpa zeigen. Die
Über den Bau der capillaren Milzvenen. 633
feinen protoplasmatischen @Querbrücken sind durch die breiten
Ringfasern fast völlig verdeckt, doch weist die Verbreiterung der
endothelialen Längsleisten an den Maschenknoten, ebenso wie die
abgerundeten Ecken der Maschenräume, auf ihr Vorhandensein
hin, das aber an geeigneten Stellen (Fig. 23) auch deutlich zum
Ausdruck kommen kann. Auf der Fig. 24 ist die Beobachtung
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Fig. 23. Fig. 24. Fig. 23.
von Wert, dass eine Verbindungsfaser zwischen zwei Ringfasern
stets auch eine Unterlage gleichlaufender querer Anastomosen der
protoplasmatischen Längsleisten besitzt. Die Fig. 25 hingegen
zeigt, dass auch in der Aftenmilz häufig noch ein feineres proto-
plasmatisches und Fasernetz vorkommt, das die sonst freien
Maschenräume erfüllt. Die Fig. 23 endlich stellt ferner das Vor-
handensein feiner Längsfasern an der Aussenfläche der Längs-
leisten fest.
Dass auch in der Affenmilz nicht von einzelnen „Stäbchen-
zellen“ gesprochen werden kann, beweist die Abbildung Fig. 21
durch das Verhältnis der Kernzahl zu der Flächengrösse des Reti-
culums, welch letzteres wieder, seinem Charakter als reticuläres
Syneytium gemäss, vielfache Abweichungen der regelmässigen
Form des Gitters aufweist.
Die zweite Form lässt eine wichtige neue Beobachtung
zu. Es sind nämlich hier die Ringfasern an Kaliber so ver-
stärkt, dass die protoplasmatische Querbrücke ganz verbraucht
erscheint. Infolgedessen fehlt auch die quere Anschwellung
der Längsleisten an den Kreuzungsstellen. Die Längsleisten und
Ringfasern bewahren fortlaufend ihr gleiches Kaliber und um-
634 S. Mollier:
grenzen regelmässig geformte rechteckige Maschenräume (Fig. 26
und 27).
Es war nun wichtig, festzustellen, ob wirklich das ganze
Protoplasma der Querbrücken in die Bildung der Ringfaser auf-
Fig. 26.
geht oder ein Rest überbleibt, denn damit entscheidet sich die
Frage, ob das bisherige protoplasmatische Netzsyneytium durch
Ausschaltung der Querbrücken gelöst wird und nur das Reihen-
syneytium (der Längsleisten)
allein erhalten bleibt.
Ich kann nach einer sehr
mühevollen und langwierigen
Beobachtung nur sagen, dass
es entschieden Uapillaren in der
Affenmilz gibt, in deren Wand
ausser den Ringfasern kein anders
färbbarer Rest des früheren
Protoplasmas der Querbrücke
nachgewiesen werden kann. Es
Fig. 27. ist hier also die Ringfaser das
einzige Querelement geworden.
Aber ein vorsichtiges, immer wieder ausgeführtes Studium
der Struktur der Ringfaser hat ergeben, dass dieselbe doch aus
einer stärker sich färbenden Innenfibrille und einer etwas heller
gefärbten Hülle sich aufbaut. Ferner meinte ich oft im Innern
der Faser nicht eine, sondern mehrere Fibrillen gesehen zu haben
Uber den Bau der capillaren Milzvenen. 655
und so wäre dann die Hülle sowie die interfibrilläre Substanz als
Bindemittel aufzufassen.
Aber jedenfalls gehört diese Hülle jetzt zur Ringfaser, mit
welcher sie aus dem syneytialen Verband ausscheidet. An den
Kreuzungsstellen muss diese Hülle natürlich den Längsleisten
ebensogut entnommen werden wie den (@uerleisten, und es ist
deshalb sehr begreitlich, dass die selbständige Ringfaser in einer
queren, rinnenförmigen Vertiefung der Längsleisten liegt, worauf
schon mehrere Beobachter aufmerksam gemacht haben, vor allem
A. Mangubi-Kudrjavtzewa.
Diese Hülle vermittelt dann wieder die Verbindung der
Ringfaser in dieser Rinne mit den endothelialen Längsleisten.
Hier kommen wir also auf eine Form des Endothels, die
kein Reticulum im früheren Sinne mehr ist, sondern aus einer
grösseren Zahl syneytialer protoplasmatischer Längsleisten besteht,
die durch umfassende und in sie eingelassene Ringfasern zusammen-
gehalten (oder auseinandergehalten) werden.
Aber auch jetzt dürfen wir nicht von Stäbehenzellen
sprechen, solehe gibt es nicht. Nur Bruchstücke der endothelialen
Längsleisten können dafür gehalten worden sein. Es war ein
Irrtum, Längenmaße für die Stäbchenzellen angeben zu wollen.
Die Leisten haben keine Grenzen und kein Ende. Sie sind in
sich geschlossene Systeme.
Es mag hier gleich bemerkt sein, dass die endothelialen
Längsleisten entsprechend ihrer Genese aus dem Netzsyneytium
auch jetzt nach ihrer Isolierung noch vielfach Unregelmässig-
keiten ihrer Dimensionen und ihrer Anordnung zeigen. So
ist es ein keineswegs seltener Befund, dass einzelne der Längs-
leisten zusammenlaufen und sich vereinigen. Solche Gabelungs-
stellen erinnern an ein früheres, regelloser geformtes Stadium
des Endothels.
Die Struktur der selbständig gewordenen Längsleisten in
der Capillarwand der Aftenmilz zeigt gleichfalls Besonderheiten, die
aber als eine Fortbildung jener Differenzierungsprozesse erscheinen,
die wir in der Milz des Hundes schon kennen lernten. Dort
blieben, an der äusseren Oberfläche der Längsleisten gelegen,
feine Längsfasern mit einer verdichteten Aussenschichte des Proto-
636 S. Mollier:
plasmas in Zusammenhang und stellten andererseits eine Verbindung
der Ringfasern her. In der Affenmilz ist nun diese verdichtete
Aussenschichte der Längsleisten viel ausgesprochener geworden
und mit ihrer ebenso starken Färbung wie die Längsfasern sind
die letzteren meistens nicht mehr als solche von dieser Schichte
abgrenzbar. Doch kommen auch noch selbständige Längsfasern
vor. Technisch. meine ich, muss man der ganzen verdichteten
Aussenschichte der Endothelleisten denselben Wert wie den Fasern
zuschreiben. Sie färbt sich auch fast in derselben Weise wie
die Ringfasern und ist auf Quer- und Längsschnitten stets ausser-
ordentlich deutlich zu sehen (Fig. 22). Diese verdichtete Schichte
wurde von Anna Mangubi-Kudrjavtzewa entdeckt und mit
„Basalplatte“ bezeichnet. Ich habe ihrer Beschreibung nichts
hinzuzufügen und bin gleichfalls der
Anschauung, dass dieses verdichtete
Aussenband zu der protoplasmatischen
Längsleiste gehört und kein selbst-
ständiges Element darstellt wie die
Ringfasern. Andererseits sehe ich
ihren Wert aber doch gerade wieder
in ihrer Verbindung mit den Ring-
fasern, durch welche ein zusammen-
hängendes stützendes Gitterwerk aus
rechtwinklig gekreuzten querver-
laufenden Rundstäben und längsver-
laufenden flachen Bändern geschaffen
wird. Letztere tragen nach innen zu
die protoplasmatischen kernhaltigen
Endothelleisten, welche wieder durch
die Rundstäbe an ihrer Aussenfläche
Fio. 28. rinnenförmig eingedrückt erscheinen.
| Die folgende Textigur erläutert die
Konstruktion der Capillarwand und die einzelnen Bauelemente.
Diese Darstellung kann auch für die übereinstimmend gebaute
Oapillarwand der menschlichen Milz gelten. Nur die Ringfasern
vären an Kaliber noch etwas stärker zu zeichnen.
Wenn ich im folgenden trotzdem noch einige Beobachtungen
über die Struktur der Capillarwand in der menschlichen Milz
mitteile, so geschieht das nur deshalb, weil gerade diese Form
Über den Bau der capillaren Milzvenen. 637
unser grösstes Interesse besitzt und die Hauptstreitfragen für
dieses Objekt aufgeworfen sind. Betrachten wir zunächst die
Abbildungen 5 und 2931,
so belegen dieselben unsere
Auffassung, dass in der
menschlichen Milz vor
allemjene Konstruktionder
Capillarwand sich findet,
die für die Affenmilz als
zweite Form (S. 633) be-
schrieben wurde, also die
Form des gelösten Netzsyn-
eytinmsaber fortdauernden
Reihensyneytiums.
Grosse Unregelmässigkeiten im Reihensyneytium der Längs-
leisten (Fig. 29) weisen aber auch hier auf ein früheres, wahr-
scheinlich ontogenetisch vorhanden gewesenes Netzsyneytium hin.
Die Abbildung 30 aber beweist durch die Abrundung der Ecken
der Maschenräume, dass auch in der menschlichen Milz noch
quere Verbindungsbrücken vorkommen. Es gibt also auch Capillaren
mit noch bestehendem Netzsyneytium.
f
&
=
Ei
Fig. 30.
Die Fig. 31 stellt einen Längsschnitt durch eine Capillare
dar, um die PBasalplatten zwischen den Ringfasern und die
an die Ringfasern laufenden Fasern des Pulpareticulums zu
zeigen.
Diese Bilder sind nur an ganz frisch konservierten Milzen
zu sehen. Schon wenige Stunden nach dem Tode wird durch die
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. 41
638 S. Mollier:
beginnende Maceration der Zusammenhang zwischen den Endothel-
leisten und den Ringfasern gelöst. Die Leisten fallen in die
Capillarlichtung herein und brechen in Stücke.
Wählt man sich nun
ein geeignetes Objekt
aus, das diesen Tren-
nungsprozess noch nicht
weit vorgeschritten
zeigt, so kann man aus
den Schnitten durch ein
solches Präparat die in
den Fig. 32—38 wieder-
gegebenen Bilder be-
obachten.
Fig. 32. Es sind zwei
Bruchstücke der Längs-
leisten mit Kernen, von
der Seite gesehen, ab-
gebildet. Die proto-
Fig. 31. plasmatische Leiste
(blau) ist aussen von
orangegefärbten kurzen, niederen Platten besetzt, die in nicht
ganz gleichmässigen Abständen den Rand der Leiste besetzen.
Jede Platte besitzt wieder einen sich stärker färbenden
Aussenrand.
Auf der Fig. 33 sind zwei Bruchstücke von Längsleisten in
der Ansicht von aussen abgebildet. Die Platten gehen jetzt quer
über die ganze Leiste und geben derselben ein quergestreiftes
Aussehen. Die etwas um ihre Längsachse gedrehte Leiste der
Fig. 34 zeigt den Übergang des ersten Bildes in das zweite. Ein
Querschnitt durch eine noch wohlerhaltene Capillare (Fig. 35) des
gleichen Präparates zeigt die Längsleisten entweder mit ihren
Basalplatten oder ohne dieselben. Die Schnittrichtung dieser
Capillare liegt also so, dass sie auf der linken Seite der Linie a,
auf der rechten Seite aber der Linie b auf Fig. 36 entspricht.
Damit ist aber gleichzeitig gezeigt, dass die blauen Streifen, die
den Rinnen zwischen zwei Basalplatten auf der Abbildung 32
entsprechen, von den Ringfasern eingenommen werden, was endlich
durch die Fig. 36 in schönster Weise demonstriert wird. Hier
Über den Bau der capillaren Milzvenen. 639
sind alle Ringfasern abgebrochen, aber mit der Endothelleiste in
Verbindung geblieben. Hier sieht man auch, wie die Basalplatten,
dem Ringfasernetz entsprechend, von verschiedener Form und
Grösse sein müssen. Zum Vergleich ist dann in Fig. 37 ein
Bruchstück aus einer macerierten Hundemilz abgebildet, um hier
die Reste der protoplasmatischen Querbrücken zu zeigen, die als
[E =
\‘ S
\ ö
»
£ “
Fig. 32.
re ar
Fig. 34. Fig. 35.
seitliche Fortsätze der Längsleisten erscheinen. Die letzte Ab-
bildung 35 ist gewählt worden, um auch für die menschliche Milz
zu zeigen, dass die Länge der Bruchstücke von Endothelleisten
die von Weidenreich angegebene Länge der Stäbchenzellen weit
übertreffen kann.
Ich kann also auch für den Menschen das Vorhandensein
von „Stäbehenzellen“ als Endothelzellen nicht zugeben und komme
mit meiner Auffassung von der syneytialen Struktur der endo-
thelialen Längsleisten beim Menschen in Widerspruch mit den
41*
640 S. Mollier:
Angaben Weidenreichs und A. Mangubi-Kudrjavtzewas.
Was letztere Autorin in ihren Präparaten gesehen hat, um die
Maschenräume des Endothelgitters oder die Zwischenräume zwischen
den Endothellängsleisten von Protoplasma erfüllt und durch feine
Grenzlinien geteilt zu beschreiben, ist schwer zu sagen. Ich
selbst habe diese feinen Längslinien zwischen zwei Epithelleisten
öfter, aber niemals regelmässig beobachtet. Sie waren be-
dingt entweder durch feine selbständig gewordene Längsfasern,
welche die Ringfasern verbinden, oder durch sehr dünne, feine
Abschnitte von Längsleisten.
B....
Ak
e
;
= BP; 4
& £
Fig 36 ä
1
Fig. 37. Fig. 38.
Hätte die Autorin einen einzigen Schnitt durch eine gedehnte
Milz gesehen oder aus Zufall ein Präparat einer Milz mit sehr
weiten Capillaren untersucht, so hätte sie sicherlich ihre Beobachtung
einzelner Stellen nicht generell verallgemeinert.
Aus unserer Darstellung ergibt sich der zwingende Schluss,
dass die Endothelform der menschlichen Milzcapillare mit den
Endothelleisten als Reihensyneytium ontogenetisch aus einer Vor-
stufe mit ausgesprochenem Netzsyncytium hervorgehen müsse.
Der Nachweis dieses Faktums war nicht schwer und bei einem
Über den Bau der capillaren -Milzvenen. 641
Embryo aus dem zweiten Monat durch die Beobachtung erreicht,
dass hier in dem regelmässigen, protoplasmatischen Endothel-
reticulum eben die erste Ausbildung der Fasern als feinste
Fibrillen im Protoplasma der schmalen @Querbrücken und der
Längsleisten sichtbar war. — Die Ringfasern nehmen dann sehr
rasch an Kaliber zu, so dass die fertige Form in kleinerem Maß-
stab bald erreicht wird.
Fig. 39.
Auch die Untersuchung der menschlichen Milz hat also in
keinem Punkte eine Beobachtung erbracht, die uns zwingen würde,
von der gewonnenen Auffassung des Baues der Wandung der
Milzeapillaren abzugehen, und es ist folglich möglich, als Ergebnis
des deskriptiven Teiles den Satz zu formulieren, dass die
Capillarwand in der Milz der Säugetiere und des
642 S. Mollier:
Menschen keine geschlossene Endothellage besitzt,
sondern durchbrochen gebaut ist.
Als Grundlage für diesen Bau dient das Reticulum, das von
der einfachsten regellosen Form des Pulpareticulums bis zur ge-
ordneten Form des Netzsyneytiums mit rechtwinkligen Maschen-
räumen und weiter bis zur Form des sekundären Reihensyneytiums
q.
Fig. 40, a—e.
Verwendung findet. Die zum protoplasmatischen Anteil gehörigen
Fasern wiederholen streng die Form der protoplasmatischen Vor-
lage, aus welcher sie hervorgegangen sind.
Über den Bau der capillaren Milzvenen. 645
Das Endothel ist und bleibt ein Syneytium, entweder ein
Netzsyneytium oder ein Reihensyneytium. Das letztere geht
sekundär aus dem ersteren hervor.
Der Faseranteil behält stets seine Netzform bei.
In den folgenden schematischen Abbildungen ist die Um-
gestaltung des protoplasmatischen Retieulums dargestellt. Aus-
gangsform ist das regelmässige Gitter mit sechsseitigen Maschen,
Fig. 40a, wie es z.B. ın der Milz des Hundes und Schafes an-
getroffen wird. Man vergleiche die Fig. 11, 12 und 19.
Durch stärkere Entwicklung der Längszüge wird die Ver-
wendung des Gitters in einer Richtung klar (Fig. b). Es ist aber
verständlich, dass dies nicht nur in dieser, durch den fettgedruckten
Pfeil auf Fig. 1 angedeuteten Richtung erfolgen kann, sondern
dass diese Umgestaltung auch in jeder anderen durch die übrigen
Pfeile angegebenen Richtung ebensogut möglich ist. Betrachten
wir von diesem (Greesichtspunkte aus nochmals die Fig. 39, so wird
uns klar, wie durch diese verschiedene Richtung der Ausgestaltung
des ersten indifferenten Gitters die verschiedenen Abgangswinkel
im capillaren Netz sich erklären.
Ein schöner Beweis dafür liegt später noch an jenen Stellen
vor, wo ein Sinus sich gabelt oder von einem Sinus ein anderer
unter verschieden grossem Winkel abzweigt. Ist dieser Winkel
ein rechter, so liegen die Längsleisten in dem einen Sinus in der
Richtung der (@uerleisten des anderen und die Querleisten des
ersten Sinus in der Richtung der Längsleisten der abzweigenden
Capillare. Es sind sehr lehrreiche Bilder, die solche Knotenpunkte
der Sinus für die Technik der Ausgestaltung des Reticulums
geben, und ich bilde eine solche Stelle zur Erklärung des Ge-
sagten ab (Fig. 39). Es sind förmliche Zwickel im Netz aus-
gebildet, um die Verlaufsrichtung der Leisten zu ändern.
In der dritten Figur ce sind die Längszüge rein ausgebildet
und die schmäleren queren Züge darauf senkrecht und alternierend
gestellt.
Durch weitere Umformung kommen die feinen Querzüge in
fortlaufende Reihen zu stehen und wird damit das regelmässige
Gitter geschaffen (Fig. d), das endlich (Fig. e) durch Verschwinden
der Querzüge aus dem Netzsyneytium zum blossen Reihensyneytium
werden kann.
644 S. Mollier:
Die nächste Reihe schematischer Figuren illustriert die Ent-
stehung und Umformung des Faseranteils (Fig. 41 1-6.)
Die erste Figur zeigt in dem regelmässigen protoplasma-
tischen Gitter ein ebenso regelmässiges, feines Fasergitter, das die
Umformung des protoplasmatischen Teiles mitmacht (Fig. 2 und 3).
Fig. 41, 1-6.
Dadurch werden in der Fig. 4 Längsfasern und Quer- oder
Ringfasern unterscheidbar. Die Ringfasern nehmen an Kaliber zu
und werden durch die feineren Längsfasern verbunden (Fig. 4).
Nach Verschwinden der protoplasmatischen Querbrücken sind
die nun sehr verdickten Ringfasern das einzige Querelement des
Systems (Fig. 5).
Uber den Bau der capillaren Milzvenen. 645
Die Fig. 6 zeigt, wie durch gewisse Unregelmässigkeiten bei
der Bildung des Systems die Ringfasern untereinander durch schiefe
/üge zusammenhängen, also ein weitmaschiges Netz bilden.
Rein durchlaufende Ringfasern sind ein sehr seltener Befund.
Zum Schluss des beschreibenden Teiles muss ich noch meine
Auffassung über das von v. Ebner entdeckte und von Weiden-
reich bestätigte strukturlose Häutchen äussern.
Es geht meine Ansicht wohl schon aus dem auf Seite 624
(esagten hervor und lautet, dass ich die Existenz einer geschlossenen
selbständigen Membran nicht zugeben kann, während einzelne
Maschenräume von einer feinen protoplasmatischen Membran mit
in- und anliegenden feinsten Fasern abgeschlossen sein können,
wie dies z. B. auf Fig. 9, 16 und 17 zu sehen ist.
Diese Röhren, die Capillaren, bilden also kein selbständiges
System, sondern sind bloss im Pulpagewebe ausgesparte Gänge.
Das diese Gänge begrenzende Pulpagewebe kann zu dieser
Abgrenzung entweder unverändert Verwendung finden oder be-
sonders ausgestaltet sein.
Wir können uns also die Milz als einen durch eine Kapsel
äusserlich abgedichteten Schwamm vorstellen, in dem aufeinander-
folgende Maschenräume, auf das gleiche Kaliber gebracht, netz-
förmig zusammenhängende Röhren mit durehbrochener Wand bilden.
Die Milz kann aber leicht dureh stärkere Füllung vergrössert
und ihre Maschenräume, sowie die Capillarlichtungen können er-
weitert werden. Das Reticulum ist folglich dehnbar.
Lässt der Füllungsdruck nach, so verkleinert sich das Organ
wieder, kehrt also auf einen bestimmten Gleichgewichtszustand
zurück. Das Reticulum ist folglich elastisch. Diese Elastizität
hat nichts mit der Wirkung der oftmals bei Säugern in die
Balken eingebauten glatten Muskulatur zu tun.
Es hätte grosses Interesse, den Gleichgewichtszustand des
Retieulums zu kennen, welcher an den Capillaren in einer be-
stimmten Kalibergrösse zum Ausdruck kommen muss.
Mit Bezug hierauf möchte ich darauf hinweisen, wie ausser-
ordentlich verschieden Schnitte durch menschliche Milzen aus-
sehen — eine allen Histologen und pathologischen Anatomen
geläufige Beobachtung.
Es kann dieser Unterschied der Form sehr gross werden.
Ich erinnere daran, wie das von Boehm und Davidoff in ihrem
b46 S. Mollier:
Lehrbuch erstmals gebrachte Selhnittbild der Milz in seiner
Richtigkeit angezweifelt wurde, ja Kölliker selbst sogar an
Verwechslung dachte.
Und doch war das Bild nur einer Milz mit besonders weiten
Capillaren entnommen, und wir wissen, dass gerade diese wechselnde
Kalibergrösse die Ursache dieser Erscheinung ist.
Während uns nun die maximale Dehnbarkeit der Milzcapillar-
wand nur insofern interessiert, als sie sicherlich für den Durch-
tritt von Zellen äusserst günstige Bedingungen schafft, so wäre
die Bestimmung der kleinsten Kalibergrösse von entscheidender
Bedeutung für die Frage, ob die Verengerung soweit möglich
ist, dass die Maschenräume der Wandung völlig zum Verschluss
gebracht werden, also aus einem durchlässigen Gefäss zeitweise
ein geschlossenes Gefäss wird.
Ich sehe keinen Grund ein, warum man diese letztere An-
nahme als unmöglich ablehnen sollte. Die Injektionsversuche,
die stets wechselweise ein geschlossenes und oftenes Gefäßsystem
bewiesen haben, sprechen dafür.
Dann könnte diese Konstruktion der Capillarwand auch für
den Kreislauf des Blutes in der Milz von Wert sein und es wäre
daran zu denken, ob diese Einrichtung nicht über das Organ
hinaus für den Pfortaderkreislauf eine regulatorische Bedeutung
haben könnte.
Die Milz könnte vielleicht in dem Sinne als regulatorischer
Apparat für den Blutdruck im Pfortaderkreislauf in Frage kommen,
wie etwa der elastische Sack, der bei Gasexplosionsmaschinen in
die Gaszuleitung eingeschaltet wird.
Dann könnte man sich vorstellen, dass z. B. eine Blutdruck-
steigerung im Darmkreislauf zu keiner wesentlichen Druckerhöhung
im Pfortaderkreislauf der Leber führen würde, wenn dieselbe zum
grössten Teil zu einer Ausdehnung der Milz aufgebraucht würde.
Die ausserordentlich grosse Dehnbarkeit und Elastizität der
Milz spricht ja gleichfalls für die Annahme einer solchen physi-
kalischen Aufgabe derselben.
Ich glaube nicht, dass es allzu schwierig sein würde, für
oder gegen diesen Gedanken experimentelle Beweise zu erbringen.
Selbstverständlich wäre es endlich notwendig, an eine viel-
leicht vorhandene Kontraktilität des Retieulums der Capillarwand
zu denken.
Über den Bau der capillaren Milzvenen. 647
Im folgenden Abschnitt möchte ich nun dem Resultat des
deskriptiven Teiles allgemeinere Betrachtungen folgen lassen.
Der alte Streit. ob die Milz aus dem Mesoderm oder dem
Entoderm sich entwickelt, ist ja jetzt wohl allgemein zugunsten
der ersten Anschauung entschieden.
Ich muss aus eigener Beobachtung für das Hühnchen, für
Lacerta muralis und für das Kaninchen eine Beteiligung des
Entoderms gleichfalls entschieden ablehnen.
Die Milz ist ein Produkt des Mesenchyms und geht in ihren
ganzen späteren geweblichen Bestand daraus hervor. Deshalb
kann die Milz geradezu als Beispiel für die Differenzierungs-
möglichkeit des embryonalen primären Mesenchyms genommen
werden. Stützgewebe, Endothel und Blutzellen gehen daraus
hervor und der Entwicklungsweg für die einzelnen Endprodukte
ist in allen seinen Einzelheiten hier von grösstem Interesse und
für den einen Teil beschrieben.
Kommen wir aber bei der Entwicklung der Milzeapillaren
zur Überzeugung, dass dieselben aus geordnet verwendetem
Mesenchymmaterial hervorgehen, so ist zu überlegen, ob diese
Bildungsweise etwas Besonderes für dieses Organ oder ein all-
gemein gültiger Vorgang ist.
Hier muss ich darauf hinweisen, dass in der embryonalen
Leber die Capillaren jedenfalls dieselbe Genese haben (Mollier)
und dass auch die ersten grossen embryonalen Gefässe der Wirbel-
tiere, wie Herz, Aorta, Kardinalvene etc. aus einer mesenchymatösen
Anlage sich herausbilden.
Ich bin der Ansicht, dass es sich hier um ein allgemeines
gestaltendes Prinzip handelt, dass überall die erste Entwicklung von
(refässen auf diesem Weg aus mesenchymatösem Material (Reti-
eulum) erfolgt. Wie ein grösseres (refäss durch die stärkere
Betonung und Entwicklung bestimmter Bahnen eines capillaren
Netzes ausgestaltet wird, so meine ich, ist der gleiche Vorgang
schon ontogenetisch früher tätig, um durch Betonung und Ent-
wicklung bestimmter Reihen von Maschenräumen im Mesenchym-
reticulum die ersten Capillarnetze zu schaffen.
Dafür sprechen meine Beobachtungen der Gefässbildung im
subeetodermalen embryonalen Mesenchym.
Es schliesst diese Vorstellung natürlich die Annahme nicht
aus, dass die ersten embryonalen Mesenchymzellen in loco ganz
648 S. Mollier:
zu (Gefässanlagen verbraucht werden und deshalb auch meistens
kurz „Gefässzellen“ genannt werden. Es ist im Gegenteil diese
Auffassung von der Genese der Gefässröhren nur im Anschluss
an die vor allem von Rückert begründete Lehre von der lokalen
Gefässbildung denkbar.
Es braucht deshalb aber selbstverständlich die Neubildung
von Gefässen durch Sprossung von schon vorhandenen nicht ge-
leugnet zu werden. Es sind genügend überzeugende Beobachtungen
dafür vorhanden. Ihre Erklärung ist nur so zu fassen, dass die
gefässbildende Tätigkeit des Mesenchyms mit der Ausbildung des
Grefäßsystems in der Regel immer mehr in dieses übergeht und
dann vielleicht nur in besonderen Fällen nochmals geweckt werden
kann. Die Gefäßsprossung ist dann als eine Produktion von
Mesenchymzellen unter gleichzeitiger Verwendung als Gefässzellen
aufzufassen.
Die Diskussion über die phylogenetische Ableitung dieses
ersten Blut- und Gefässmaterials lässt unsere Auffassung aber
zunächst ganz unberührt.
Der Lehre von der Bildung der ersten Gefässe durch fort-
dauernde Sprossung erster Anlagen kann ich mich nicht an-
schliessen. Ich glaube aber auch, dass das spätere Wachstum
der Gefässe, vielleicht jede Neubildung von Capillaren, auf die
besprochene Weise erfolgen kann. Jedenfalls wird es der Mühe wert
sein, sein Augenmerk hierauf zu richten. Ja, ich meine, es wird
die Struktur der Capillarwand in allen Organen einer genaueren
Untersuchung unterzogen werden müssen, als dies bisher geschah,
und ich bin überzeugt, es wird dadurch unsere Auffassung vom
morphologischen Wert des Endothels eine viel freiere werden, als
sie es zurzeit ist.
Dass wir in der Milz der Säugetiere Capillaren mit reticulärer
Form des Endothels finden, ist keine alleinstehende Beobachtung.
In einer früheren Arbeit konnte ich zeigen, wie auch in der
embryonalen Leber diese Bauart solange besteht, als das Organ
an der Blutbildung teilnimmt.
In der Milz erhält sich dieser Zustand aber dauernd und
es wäre demnach naheliegend, diese Erscheinung mit einer
dauernden blutbildenden Tätigkeit in Beziehung zu bringen.
Leider sind wir über diese Funktion der Milz noch sehr
ungenügend unterrichtet. Doch dürfen wir damit rechnen, dass
Uber den Bau der capillaren Milzvenen. 6449
die Milz mit der Bildung und mit der Zerstörung von Blutzellen
etwas zu tun hat, und nach unseren jetzigen Vorstellungen müssen
wir dabei dem Reticulum eine wesentliche Rolle zuweisen.
In welchem Sinne diese Arbeitsleistung des Pulpareticulums
zu denken wäre, kann hier zunächst unerörtert bleiben. Es
interessiert uns nur jene technische Bedingung für eine solche
Tätigkeit, welche eine Masseneinfuhr von Zellen aus dem Reti-
eulum in die Capillaren und event. eine Einfuhr von Zellen aus
der Capillarlichtung in das Retieulum ermöglicht.
Diese Bedingung ist eine durchbrochen gearbeitete Capillar-
wand, gleichgültig ob dieselbe von der Form des ungeordneten
Pulparetieulums ist oder ob sie die völlig geordnete Form in der
Aften- und Menschenmilz besitzt.
Jede derselben erfüllt ja die gestellte Bedingung.
Dann muss die geordnete Form der Capillarwand noch eine
andere Erklärung haben. Es könnte sich hier, wie schon gesagt,
vielleicht um eine Einrichtung handeln, die für die Zirkulation
von Wert wäre.
Vielleicht auch in dem Sinne, dass das Hin und Her
der Zellen durch die Capillarwand gehemmt oder gefördert
werden kann, je nach der Maschenweite des endothelialen Reti-
culums.
Es wird mit der starken Dehnung der Maschenräume eleich-
zeitig eine Verlangsamung der Blutbewegung zusammenfallen, als
Erscheinungen der Milzstauung. Beide Momente sind aber gleich
günstig für die Entnahme zu zerstörender Zellen und für die
Ausbildung neuer Elemente. Man könnte aber vielleicht auch
noch an eine andere Erklärungsmöglichkeit denken, dass nämlich
die Capillarwand den Zellen den Durchtritt durch ihre Maschen
nur nach einer bestimmten Auswahl gestattet. Ich meine jedoch,
dass dieser Gedanke zurzeit durch keine Beobachtungen gestützt
werden kann und deshalb von geringerem Wert ist. Eine Beob-
achtung nur ist leicht zu machen und auch schon beschrieben, dass
nämlich der Durchtritt von weissen und roten Blutkörperchen
durch die Capillarwand stets durch die Maschenräume erfolgt.
auch dann, wenn die letzteren bei stark zusammengezogenem
Gitter sehr eng sind.
Niemals fand ich eine Zelle durch eine endotheliale Längs-
leiste hindurchgehen.
650 S. Mollier:
Was die Maschengrösse des Gitters anlangt, so ist dieselbe
derart, dass bei starker Dehnung ein rotes Blutkörperchen oder
ein kleiner Lymphocyt eben hindurch kann.
Wichtig scheint es mir ferner, die Frage zu beantworten,
ob das protoplasmatische syneytiale Endothelmaterial, wenn es in’
ausgesprochen geordneter Form vorliegt, wie beim Hund, Kaninchen,
Affen und Mensch, noch Blutzellen zu liefern vermag. Selbst-
verständlich in dem Sinne, dass es wieder in jene indifferentere
Form des Reticulums (Pulpareticulum) zurückkehren kann, weiche
aus ihrem Zellbestand die Stammelemente der Blutzellen (Haemo-
gonien) auszuscheiden vermag.
Hier kann eine zufällige Beobachtung verwertet werden.
In der Milz eines Hundes fand ich einen grossen Teil der
capillaren Sinus verödet und eine genauere Beobachtung lehrte,
dass es sich um eine Wucherung des endothelialen Reticulums
in die Lichtung handelte. Diese Wucherung geschah unter Aus-
bildung eines charakteristischen regellosen Reticulums, in welchem
auch feine Fibrillen, wie immer, zur Ausarbeitung gekommen
waren (Fig. 42).
Es handelt sich in diesem Falle also um eine Vermehrung
des Reticulumbestandes in der Milz, und da diesem neu ent-
standenen Reticulum eine blutbildende und blutzerstörende Fähig-
‚keit nicht abgesprochen werden kann, so könnte die Ursache
dieser Erscheinung beispielsweise in einem Bedürfnis nach ge-
steigerter Tätigkeit reticulären Materials begründet sein. Doch
sind selbstverständlich andere Erklärungen möglich.
Ob eine ähnliche Umbildung auch in der Affen- und Menschen-
milz mit ihrer technisch noch spezialisierter ausgestalteten Form
der Capillarwand denkbar ist, kann ich nicht sagen. Es wäre
aber von Interesse darauf zu achten, auch von pathologisch-
anatomischen Gesichtspunkten aus. Ich darf hier nur an den
Prozess der Organisierung eines Thrombus erinnern.
Mit dieser Beobachtung erledigt sich die in meiner Arbeit
über die Blutbildung in der Leber aufgeworfene Frage, ob das
bereits zur Auskleidung einer capillaren Röhre verwendete und
besonders ausgestaltete Endothel trotzdem latent die beiden
anderen Entwicklungsmöglichkeiten, Stützgewebe und Blutzellen
zu bilden, noch bewahrt.
Uber den Bau der capillaren Milzvenen. 651
Fig. 42.
Wir erfahren auch dadurch, dass selbst die Ausgestaltung
funktionell so besonderer, einseitiger Strukturen den Entwicklungs-
wert der Mesenchymzelle nicht herabzudrücken vermag.
652 S. Mollier:
Können wir also einerseits den Entwicklungswert der Mesen-
chymzelle wie folgt ausdrücken:
Mesenchym (zelliges Retieulum)
a
Stützgewebe Endothel Blntzellen
so behält das Endothel durch seine Fähigkeit, wieder indifterentes
Reticulum zu bilden, den alten Entwicklungswert seines Mutter-
gewebes bei.
Endothel
Mesenchym
Stützgewebe Endothel Blutzellen.
Es wäre wünschenswert, auch über die beiden anderen End-
produkte des Mesenchyms — das Stützgewebe und die Blutzellen —
ähnliches zu erfahren.
Für das Stützgewebe käme ja bloss in Frage, ob es bei
der Ausbildung aller seiner technischen Substrate die alte Ent-
wicklungsfähigkeit beibehält. Zum Beispiel, ob die Zellen einer
Sehne, eines elastischen Bandes. eines Knorpels, eines Knochens
gegebenenfalls wieder Mesenchym zu bilden vermögen. Für den
Knorpel ist ja z. B. in jüngster Zeit durch Dantschakoff die
Frage wieder aufgeworfen worden, ob bei der Osteogenese an
der Knorpelknochengrenze die Knorpelzellen zugrunde gehen oder
erhalten bleiben und sich dem Mesenchym (Retieulum) des Knochen-
marks beigesellen. Tun sie das, wofür die Autorin eintritt, so
werden ihnen neuerdings alle Entwicklungswege des Mesenchyms
freistehen. Ich selbst habe mich niemals von dieser Umwandlung
überzeugen können.
Ebenso sind die Blutzellen zu beurteilen.
Hier ist zunächst wieder die Frage zu stellen, ob durch
die Ausgestaltuug der Zellen im Sinne besonderer Leistungen
der allgemeine Entwicklungswert derselben keine Einschränkung
oder Löschung erfährt.
Das letztere ist für die Erythrocyten sicher und für die
polymorphkernigen Granulocyten wohl als sehr wahrscheinlich
anzunehmen.
Über den Bau der capillaren Milzvenen. 655
Schwerer ist diese Frage für die basophilen Vorstufen gegen
die Stammzelle hin und für diese selbst zu beantworten.
Ich hatte anfänglich die Absicht, auch meine Beobachtungen
über die Entwicklung der zelligen Elemente des Blutes in der
Milz und embryonalen Leber hier anzufügen. Nachdem ich aber
die Notwendigkeit fühle, auch die Entwicklung der Lymphdrüsen
mit zu berücksichtigen, habe ich mich entschlossen, diesen ersten
Teil getrennt zu veröffentlichen und erst im zweiten Teile zu
versuchen, zu allen jenen Problemen Stellung zu nehmen, die
neuerdings in der hämatologischen Literatur so sehr unser
Interesse erregen.
Über die Erythropoese in der Milz kann ich mich kurz
fassen. Es ist bekannt, dass dieselbe zu sehr verschiedener
Zeit beginnt, sehr verschieden lange dauert und auch ganz
fehlen kann.
Beim Hund tritt dieselbe sehr energisch auf und wir sehen
in der Milz acht Tage nach dem Wurf ein Bild, das mit jenem
übereinstimmt, das ich in meiner Arbeit über die Erythropoese
der embryonalen Säugetierleber gegeben habe (Taf. XXIV). Gruppen
von Hämogonien, Hämoblasten I und II und Erythroblasten liegen in
den Maschenräumen zwischen den Reticulumzellen beisammen. Es
ist der dort gegebenen Beschreibung nichts hinzuzufügen.
Dass gleichzeitig mit dieser ausgiebigen Lieferung von
Erythrocyten auch eine ebenso energische Zerstörung derselben
nebenhergeht, erkennen wir daran, dass Reticulumzellen, beladen
mit roten Blutkörperchen und Resten derselben, stellenweise in
grosser Zahl zu beobachten sind.
Die Stammzelle, die Hämogonie, ist also auch in der Milz
die gleiche wie in der embryonalen Leber. Sie besitzt, wie dort,
noch Eigenheiten der im syneytialen Verband tätigen Mesenchym-
zelle neben jenen neuen, welche uns die Möglichkeit geben, sie
davon zu unterscheiden.
Ob diese Merkmale genügen, um die Zelle für sich stets
und ausschliesslich als Blutstammzelle zu erkennen, ist fraglich.
Nur am Orte ihrer weiteren Tätigkeit beobachtet, wird,
aus dieser heraus, die Diagnose richtig sein. Ob aber ein
aus dem Mesenchym frei werdender Osteoblast z. B. beim Aufbau
des Knochengewebes einer Hämogonie nicht zum Verwechseln
ähnlich werden könnte, ist gar nicht unmöglich.
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. 42
654 8. Mollier:
Ich meine also, in der Hämogonie braucht die besondere
Ausgestaltung, welche sie in die Blutzellenreihe einweist, noch
nicht so weit zum Ausdruck zu kommen, dass sie daran stets als
solche erkennbar sein muss. Das gleiche eilt natürlich für den
Hämoblast I und II, also für alle basophilen Vorstufen. Erst
das Ausarbeiten von Hämoglobin gibt ein Merkmal, das diese
Zelle allerorts erkennbar macht.
Trotzdem dürfen wir am Orte der Entwicklung und geleitet
durch die erstmalige Reihenfolge der Geschehnisse bei der Histo-
genese auch die nicht einseitig charakterisierten basophilen Vor-
stufen, hier die Hämoblasten und Hämogonien, dem Stammbaum
der Erythrocyten einreihen, und dann haben wir auch das Recht,
ihnen dementsprechende Namen zu geben.
Mit dieser Namengebung ist nun, wie mir scheint, Weiden-
reich nicht einverstanden. Es klingt aus dem Vorwort zur
Arbeit seines Schülers Freidsohn heraus, dass er mit meiner
besonderen Bezeichnung der Stammzellen der roten Blutkörperchen
beim Säugetier als „Hämogonie“ nicht einverstanden ist und
lieber aus prinzipiellen Gründen dieselben „Lymphocyten“ benannt
haben will. Gerade aus denselben Gründen habe ich mich aber
für diesen neuen Namen entschlossen. Ich tat dies, um die Be-
zeichnung „Lymphoeyten“ zunächst so lange wieder frei zu geben,
bis die genetischen Beziehungen aller zelligen Blutelemente be-
friedigend sichergestellt sein werden. Ich hätte gar nichts dagegen,
später, wenn dies geschehen ist, gegebenenfalls die Hämogonien
Lymphocyten zu nennen. Ich finde aber, dass zurzeit die Be-
obachtungen noch nicht zu jener Vollständigkeit vermehrt sind,
dass wir eine durch diese Bezeichnung ausgedrückte feste Anschauung
allen Fachgenossen als die einzig richtige hinstellen sollten. Ich
halte z. B. den Nachweis, dass Blutzellen vom Charakter der kleinen
Lymphocyten wieder zu grossen Stammzellen werden können, noch
nicht für sicher genug erbracht. Ebenso fehlt für die Säugetiere
der Beweis, dass Zellen vom Charakter der kleinen Lymphocyten
zu roten Blutkörperchen werden können, wie Freidsohn dies
für Amphibien beschreibt. Aber ich muss gestehen, ich bin mit
diesem von Freidsohn geführten Beweis nicht zufriedengestellt.
Der Autor stellt aus den im Blute zirkulierenden Zellen
unschwer eine ununterbrochene Entwicklungsreihe für diese Genese
roter Blutzellen aus dem typischen kleinen Lymphocyten auf.
Uber den Bau der capillaren Milzvenen. 655
Ich bin immer der Ansicht gewesen, dass wir Anatomen
zunächst vermeiden sollten, aus dem Durcheinander der im Blute
zirkulierenden Zellen sog. „tiessende Übergänge“ zusammen-
zustellen. Es kommt ein solches Vorgehen immer nur unter der
strengen Leitung einer vorher gefassten Ansicht von dem genetischen
Zusammenhang der Zellen zustande, anstatt dass die Zusammen-
hänge aus den Beobachtungsergebnissen abgelesen würden.
Es kann die Reihe, wie sie hier dargestellt ist, richtig sein, —
sie braucht es aber nicht zu sein, denn es liegt in dem Konstruktions-
prinzip derselben keine Gewähr für ihre Richtigkeit vor.
In das vieldentige Durcheinander der Zellen kann erst dadurch
ein später vielleicht eindeutiger Zusammenhang gebracht werden,
dass das zeitliche Geschehen in der Entwicklung zu einer Sichtung
dieser Elemente benützt wird. Diese Forderung wird aber immer
nur durch das Studium der Entwicklung der blutbildenden Organe
und auch hier nur durch oft wiederholte Untersuchung, also wohl erst
in fernerer Zeit erfüllt werden können. Die experimentelle Forschung
kann selbstverständlich ebenso geeignete Bedingungen setzen.
Ich halte die wichtige Frage, ob es unter jenen vielen Zell-
formen, die wir alle als Lymphocyten (grosse und kleine) bezeichnen
könnten, eine stabilere Form gibt, oder ob sie alle indifferente
Elemente sind, denen nach jeder Richtung die Entwicklung offen
steht, noch für unentschieden. Es muss aber diese Frage erst
für die Säuger entschieden sein, bevor über die Verwendung der
Bezeichnung Lymphocyt ein endgültiges Abkommen getroffen werden
kann. Ja, ich habe das Gefühl, als ob der Entscheid hierüber
nicht einmal allein von unserer Seite fallen wird, sondern die
bessere Kenntnis der biologischen Leistungen dieser Zellen, vor
allem der kleinen Lymphocyten im Wirbeltierkörper, den mass-
sebenden Standpunkt feststellen werden.
Bei der Freidsohn schen Entwicklungsreihe hat als leitender
Gedanke bei ihrer Zusammenstellung nur die Grösse der Zellen
gegolten und ist das Zahlenverhältnis nicht berücksichtigt worden.
Dasselbe ist nach der Angabe des Autors, wie zu erwarten, So,
dass die kleine Iymphocytäre Form die grössere an Zahl weit
übertrifft. Das spricht aber gegen die Richtigkeit der Reihe,
denn dann wäre hier die Stammform oder Ausgangsform an Zahl
ihren Nachkommen überlegen, was bei den zahlreichen Zellteilungen,
die stets beobachtet werden, kaum zu erwarten ist.
42*
656 S. Mollier:
Ich würde mich nie entschliessen können, aus Beobachtungen
der Zellen des strömenden Blutes allein die Entwicklung eines
Elementes zusammenzustellen, weil ja doch die verschiedenen
blutbildenden Organe durch ihre Tätigkeit das Zellenbild des
strömenden Blutes beherrschen. Es wäre möglich, die Freid-
sohnsche Reihe beliebig zu variieren und für jede Variante eine
scheinbar befriedigende Erklärung zu finden.
Weidenreich hat offenbar die Empfindung gehabt, dass
ich als Anhänger der Lehre von der monophyletischen Entwicklung
der Blutelemente energisch für diese Auffassung dadurch hätte
eintreten sollen, dass ich nach Maximow die Hämogonie
„Lymphoeyt“ genannt hätte.
Ich kann das letzere noch nicht tun, denn die Erkenntnis,
dass die Ursache eines jahrzehntelangen Misserfolges vor allem
auf der immer wechselnden Beschreibung und auf der wechselnden
Vorstellung vom Lymphoeyten beruht, hat mich veranlasst, diesen
Namen zunächst so lange nicht zu benützen, bis er einen nach
jeder Richtung gesicherten Vorstellungskomplex vertreten kann.
Die Arbeit Freidsohns hat mich hierin noch nicht um-
stimmen können.
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den Vögeln und über dessen Veränderungen bei Blutentziehungen und
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Woronin, W.W.: Eine neue histologische Methode. Arbeiten aus der
therapeutischen Klinik von Prof. P.M. Popoff. Moskau, 1898 (Russisch).
658
Aus dem Institut für Histologie, Embryologie und Stomatologie der
Universität Genf.
Kopf und bucconasale Bildungen eines mensch-
lichen Embryo von 14,7 mm Scheitelsteisslänge.
Studien und plastische Rekonstruktionen.
Von
J. L. Paulet
Chirurgien-dentiste diplom€ de la Confederation suisse, Liceneie en Chirurgie
dentaire de Geneve, Dentiste diplom& de l’Ecole dentaire de Paris.
Hierzu Tafel XXV und XXVI.
Der menschliche Embryo, dessen Kopfregion im nachfolgenden
beschrieben wird, stammt aus der Sammlung des Instituts für
Histologie, Embryologie und Stomatologie der Universität Genf.
Er misst 14,7 mm in Scheitelsteiss- und 13,8 mm in Nacken-
steisslänge. Er schliesst sich an den Nummern 17 und 18 der
Normentafeln von His und 20 der Normentafel von Keibel
(Embryo von Hochstetter).
Vergleichende Maßtabelle.
Il. Ganze Länge:
Genfer Embryo | | Embryo
Embryo His 17 | Embryo His 18
Paulet Keibel 20
Scheitelsteisslänge | | |
14,2 mm 14,7 mm | 15,2 mm | 15,5 mm
Nackensteisslänge | | |
» * - [3 > | ‘ el «
13,6— 13,7 mm 13.5 mm 13,5 mm 13,4 mm
II. Kopfmaße:
Ventro-dorsal
6,5 mm 70 mm | 7,6 mm 10,0 mm
Höhe 70 mm | 7,2 mm | 7.6 mm ‘5 mm
Da keine bestimmten Angaben über die Zeit zwischen der
letzten Menstruation der Mutter und dem Abortus vorliegen, so
haben wir uns für die Altersbestimmung an die Berechnungen
von His (6) gehalten und schätzen demnach den Embryo auf
35 Tage; er mag auch einige Tage älter sein.
Kopf und bucconasale Bildungen ete. 659
Wir haben fünf Rekonstruktionen ausgeführt: die
erste gibt die äussere Form des Kopfes, die zweite den naso-
buceo-pharyngealen Apparat mit dem Jacobsonschen Organ,
die Anlagen der Zahnleiste, der Speicheldrüsen, der Zunge und
des Meckelschen Knorpels wieder. Die dritte umfasst die Nasen-
gruben, die beiden letzten betreffen die Anlagen der Glandula
submaxillaris und der Parotis.
Die Rekonstruktionsmodelle wurden behufs ihrer Wieder-
gabe mit dem grossen photographischen Universalapparate von
Professor Eternod!) aufgenommen.
Technik.
Der Embryo wurde in Müllerscher Flüssigkeit und dann
in starkem Alkohol gefärbt, darauf wurde er mit Alaun-Karmin
durchgefärbt, in Celloidin eingebettet und mit dem Mikrotom in
Schnitte von 50 «u Dicke zerlegt. Der Kopf, der uns allein hier
beschäftigen soll, war zufällig vom Rumpfe getrennt worden; er
wurde in 134 frontale Reihenschnitte zerlegt.
Für die fünf Rekonstruktionen bedienten wir uns der Platten-
modelliermethode von His, Born und Strasser. Für die
Rekonstruktion der äusseren Kopfform wurden die Schnitte 30 fach
vergrössert und mit dem Edingerschen Projektionsapparate ge-
zeichnet. Die Originalzeichnungen sind als Belege aufbewahrt
worden.
Bei der Rekonstruktion fielen uns einige Deformationen
des Embryo auf, die wahrscheinlich auf die Härtung in Alkohol
zurückzuführen sind. Sie betreffen vorzugsweise die seitlichen
Partien des Kopfes und die Gegend des vierten Ventrikels. Wir
haben versucht, diese Abweichungen zu korrigieren, und zwar
in folgender Weise:
Das erste Modell (vom ganzen Kopfe) wurde unverändert
gelassen. Wir nahmen davon eine Gipsform, an der wir die
deformierten Teile überarbeiteten, um so zu den verbesserten
definitiven Modellen zu gelangen.
Maße des definitiven Modells:
Scheitelnackenhöhe a FLO SHEnN
BrEILE:.: 5%. ee er Hk:
Ventro-dorsale, länge 4,1: ar 00.2 BO
!) A. Eternod, Guide technique. 2&me Edit. Geneve 1898.
{op}
(ep)
oO
J. bHBiar let:
Das Verfahren für die anderen Rekonstruktionen weicht
ein wenig von dem eben beschriebenen ab. Die Schnitte wurden
mit Hilfe der Camera clava von Leitz gezeichnet und 40 mal
vergrössert. Da die Dicke der Schnitte ungefähr 50 « beträgt,
so kamen wir zu Wachsplatten von 2 mm Dicke. Die Modelle,
welche wir durch Aufeinanderlegen der Platten erhielten, zeigten
sich sehr zerbrechlich ; wir haben sie daher mit feinen Eisendraht-
fäden verstärkt und ihre Oberfläche mit Seidengaze, welche mit
Wachs bestrichen war, bedeckt. So gewannen wir sehr feste
und gut aufzubewahrende Modelle.
Um eine exakte Wiedergabe des Epitheliums der Naso-
bucco-pharyngial-hegion zu erzielen, haben wir seine Dicke in den
tiefen Lagen verstärken müssen, während wir auf das Sorgfältigste
seine äussere Oberfläche festgehalten haben; so gewannen wir
befriedigende Ergebnisse.
Wegen der Schwierigkeiten, eine Gips-Moulage der Modelle
zu gewinnen, oder auch nur Durchschnitte in verschiedenen
Ebenen, mussten wir einige Ergänzungsmodelle anfertigen; so
von den Nasenhöhlen zur Demonstration der Muscheln und des
Jacobsonschen Organs unter Verstärkung des Epitheliums wie
beim Hauptmodell. Endlich wurden die Anlagen der Submaxillar-
drüse und der Parotis besonders modelliert; dabei wurden aber
die epithelialen Konturen genau eingehalten, auch in den tiefen
Schichten.
I. Allgemeine äussere Formverhältnisse des Kopfes.
(Fig. 1 und: 27 Taf. XXV.)
Der Kopf zeigt sich stark gegen den Rumpf vornüber ge-
beugt, so dass beiderlei Achsen fast senkrecht aufeinander stehen.
Er hat eine längliche Form und ist transversal abgeplattet, ins-
besondere in der Hinterhauptgegend. Sein sagittaler Durchmesser
ist merklich grösser als der vertikale. Wir unterscheiden an
ihm sechs Flächen und zwar: 1. Die ventrale oder Gesichtsfläche.
2. Die dorsale Fläche, welche fast vollständig dem vierten Ventrikel
entspricht und darüber einem Teile des Mittelhirns.. 3. Die
Scheitelhirnfläche oder obere Fläche, die nach vorn dem höchsten
Punkte der Hemisphären des Gehirns entspricht, nach hinten und
oben dem Mittelhirn. 4. und 5. Die beiden Seitenflächen. Sie
entsprechen den seitlichen Partien des Mittelhirns und zum Teil
Kopf und bucconasale Bildungen ete. 661
auch dem vierten Ventrikel. Der ventrale Teil dieser Flächen
verliert allmählich seine Abplattung und rundet sich deutlich ab
im Niveau der Augenanlagen. 6. Die kaudale Fläche; sie ent-
spricht der Bruchstelle zwischen Kopf und Hals und würde sich
bei Erhaltung des Zusammenhanges unmittelbar in den letzteren
fortsetzen.
Unsere Modelle zeigen eine deutliche Asymmetrie, indem
die linke Seite, insbesondere in der Gesichtsregion, stärker ent-
wickelt ist als die rechte. Die linken Hälften der Kieferanlagen
und der Zunge, sowie die Stirn-Nasenfortsätze dieser Seite sind
grösser als rechts. Die Zunge zeigt zugleich eine Abweichung
und Torsion von links nach rechts, entsprechend dem von His
beschriebenen und modellierten Befunde.
II. Allgemeine äussere Form des Gesichts.
(Eie22, Taf. XXV.)
Das Gesicht des Embryo ist noch weit von seiner definitiven
Ausbildung entfernt. Es stellt nur eine Summe von Organanlagen
dar, die zu seiner vollkommenen Ausbildung bestimmt sind;
jedoch sind die verschiedenen Gesichtsfortsätze schon miteinander
verbunden.
Stirnfortsatz (Fig. 1 und 2).
Der Stirnfortsatz ist die am meisten vorspringende Partie
des Gesichts; er setzt sich nach unten in die Nasenanlage fort,
welche in diesem Stadium von der Stirn durch die stark aus-
gebildete quere Naso-frontal-Furche getrennt ist. Die dorsale
Partie der Nase ist noch sehr kurz, und so bekommt die ganze
äussere Nasenanlage eine breite Form. Das Nasenseptum ist
bereits gebildet, ebenso die äusseren Nasenlöcher. Letztere sind
noch direkt ventral gerichtet und weiter in ihrem medianen Teile
als in ihrem lateralen. Nach aussen zur Seite der Nasenlöcher
verläuft eine schwach ausgebildete Furche als letzte Spur der
Verwachsung des inneren Nasenfortsatzes und des ventralen Endes
des Oberkieferfortsatzes; diese Furche erstreckt sich zum inneren
Augenwinkel hin, sie ist die fälschlich sogenannte Tränenfurche.
Nach Ausbildung der äusseren Nasenanlage liefert der mediale
Stirnfortsatz die Anlage der Oberlippe. In ihrem ventralen Teile
zeigt diese schon eine mediane Raphe, während in ihrem dorsalen
Teile noch eine unvollständige Furche vorhanden ist, wodurch
662 J. L. Paulet:
die beiden Lippenhöckerchen (Processus globulares) deutlich von-
einander geschieden werden. (Fig. 4 und 7, Taf. XXV.)
Augen (Fig. 1 und 2, Taf. XXV).
Die Anlagen der Augen haben noch eine oberflächliche Lage
an den Seiten des Gesichts, wo sie stark vorspringen. Sie sind
von einer tiefen Furche umgeben, die sie von dem stark vor-
springenden Rande der Augenlider scheidet. In ihrem grössten
(ventro-dorsalen) Durchmesser haben sie 1,15 mm.
Ohren (Biesızund 2, TaXXV):
Das äussere Ohr zeigt sich in Gestalt einer breiten Spalte,
welche in schiefer Richtung von der ventralen zur oberen Fläche
des Kopfes verläuft und 0,95 mm in der Länge misst. Sie hat
auf beiden Seiten nicht dieselbe Lage; links liegt sie hinter der
Mundspalte in deren Niveau, während sie rechts hinter und unter
der Lippenkommissur gelegen ist. Links steht sie 400 u, rechts
500 « von dieser Kommissur ab. Man sieht an den Rändern
dieser Ohrspalte schon einige Höckerchen, die ersten Anlagen
der Ohrmuschel.
OÖberkieferfortsätze.
Die Oberkieferfortsätze sind oberflächlich nur unvollkommen
begrenzt, da ihre Verwachsung mit den Stirn-Nasenfortsätzen
bereits vollständig geworden ist. Die trennenden Grenzen sind
nur, wie wir bereits erwähnten, noch angedeutet in der soge-
nannten Tränenfurche und in den Furchen zwischen den Lippen-
höckerchen; eine Wangenregion ist noch nicht vorhanden, da
die Oberkieferfortsätze noch sehr schmal sind. Sie überragen
deutlich die Unterkieferanlage.
An Frontalschnitten treten die Oberkieferfortsätze viel
deutlicher hervor und zeigen in ihren verschiedenen Abschnitten
verschiedene Formen: Im ventralen oder vorderen Drittel er-
scheinen sie unregelmässig vierseitig, etwas höher als breit und
wie durch einen Stiel mit dem Stirnfortsatz verbunden; in ihrem
mittleren Teil, in einer Ebene, die durch die Mitte des Augapfels
geht, ist das Schnittbild deutlicher vierseitig, jedoch viel breiter
als hoch, ihre Insertion ist sehr breit; hinten nehmen sie auf
den Schnitten stetig an Höhe ab und erscheinen wie schmale
jänder zwischen den Augen- und Mundpartien.
Kopf und bucconasale Blldungen etc. 663
Es lassen sich an den Oberkieferfortsätzen vier Flächen
unterscheiden:
1. eine äussere Lippenfläche, die in zwei Regionen,
eine kraniale und kaudale zerfällt, beide getrennt durch eine
breite und seichte Furche. Die obere oder palpebrale Partie
dieser Fläche bildet einen starken Vorsprung und ist vom Aug-
apfel durch eine tiefe und schmale Furche getrennt, die erste
Anlage des Bindehautsackes. Die untere oder Lippenwangen-
partie geht in einen ansehnlichen Fortsatz über, in die erste
Anlage der Oberlippe. Die Wangenpartie ist kaum an-
gedeutet, die Lidwangenfurche steht fast ebensoweit vom Aug-
apfel wie von der Mundspalte ab, immerhin liegt sie dem
Augapfel ein wenig näher. Diese distale Fläche des Oberkiefer-
fortsatzes ist oberhalb der Mundöffnung breiter als weiter
nach hinten.
2. Die mediane Fläche; diese beteiligt sich einerseits
an der Bildung der lateralen Nasenhöhlenwand, andererseits zeigt
sie die Anlage der Oberkiefergaumenfortsätze, welche in ihrer
ventralen Partie an die Processus globulares des Stirnfortsatzes
grenzen, während sie nach hinten vollkommen frei bleiben. Das
Gaumendach ist also noch nicht vollkommen ausgebildet. Der-
jenige Teil der medianen Fläche, welcher den primitiven Nasen-
sruben entspricht, grenzt an die Nasenscheidewand; diese ist
von den Oberkiefergaumenfortsätzen durch eine seichte Furche
getrennt. Dieser Teil der medianen Fläche senkt sich und ver-
liert sich nach hinten, ebenso wie die Nasenscheidewand.
3. Die kraniale Fläche ist zum Teil eine virtuelle,
denn sie ist mit dem äusseren Nasenfortsatze verbunden. Im
Bereiche der Augapfelanlagen ist sie von diesem durch eine
schmale und tiefe Furche getrennt, die Anlage des unteren
Bindehautsackes, die sich nach vorn in die Augennasenfurche
fortsetzt. Diese Fläche trägt mit ihrem Rande zur Bildung der
Augenlider bei.
4. Die kaudale Fläche hat in ihrer vorderen Partie
eine mittlere Furche, die später zu beschreibende Zahnfurche.
Diese Zahnfurche trennt den medianen Rand, der den Oberkiefer-
saumenfortsätzen angehört, vom Lippenrande, der als ein ab-
gerundeter Vorsprung erscheint. Dieser Rand verjüngt sich zur
Lippenkommissur hin, wo er sich an den Unterkieferfortsatz
664 J. L. Paulet:
anlegt; in ziemlich grosser Ausdehnung bleibt eine seichte
Furche als letzte Spur der Lippenwangenvereinigung bestehen.
Unterkieferfortsatz.
Die beiden ersten Anlagen des Unterkiefers sind in der
Mittellinie bereits vollkommen verwachsen und gehen vollständig
ineinander über. Von einer Lippenkommissur zur anderen hat
die Unterkieferanlage eine etwas höckerige Oberfläche, ihre
kaudale untere Fläche erscheint leicht ausgehöhlt und erhebt
sich ein wenig über ihren Rand, insbesondere in der medianen
Partie. Dieser Rand hat eine ungleiche Dicke. In der Nachbar-
schaft der Kommissur ist er stärker als in der mittleren Partie,
die His als „Mittelkiefer“* bezeichnet hat; in der Medianlinie
selbst wird der Rand wieder etwas dicker.
Der Unterkieferfortsatz ist im ganzen erheblich gegen den
Oberkieferfortsatz zurückgeblieben; er ist rechtsseitig weniger
entwickelt, so dass die Mundspalte an dieser Seite etwas offen-
steht und die noch zweigespaltene Spitze der Zunge sehen lässt.
Man bemerkt gleichfalls auf der buccalen Fläche der Unter-
kieferanlage beiderseits die erste Spur der später zu beschreibenden
Zahnfurche, sie fehlt in der mittleren Partie.
Lippen.
Die Lippen sind noch wenig ausgeprägt, sie erscheinen in
Form einer rundlichen Wulstung der ventralen Ränder der beiden
Kieferfortsätze. Es wurde schon erwähnt, dass infolge der lang-
sameren Entwicklung des Unterkieferfortsatzes die Oberlippe mit
einem Teile des Gaumens vorspringt, sie überragt die Unterlippe
ungefähr um 500 u.
Die Lippenkommissuren liegen ein wenig unterhalb der
inneren Augenwinkel, die linke etwas mehr nach hinten und
näher dem äusseren Ohr infolge der allgemeinen Asymmetrie
des Gesichtes. Die Kommissuren setzen sich durch eine breite
Rinne bis nahe zum äusseren Ohr fort. Seichte Furchen trennen
die labialen Vorsprünge der künftigen Alveolarfortsätze; sie sind
weniger in der mittleren Partie als seitlich ausgeprägt.
a) Oberlippe.
Die Oberlippe ist lateral weiter entwickelt als median; sie
hat die Form eines \. Jederseits neben der Mittellinie zeigt
Kopf und bucconasale Bildungen etc. 665
sich eine schräge Furche als übriggebliebene Spur der Ver-
wachsung des mittleren Stirnfortsatzes (Processus globularis) mit
den beiden Oberkieferfortsätzen. Eine mediane Furche entspricht
der Raphe intermaxillaris zwischen beiden Processus globulares.
Im mittleren Teile ihrer ventralen Fläche bildet die Oberlippe
einen grossen Höcker, der sich kontinuierlich mit dem mittleren
Nasenfortsatz verbindet; es ist dies die erste Lippenanlage.
b) Unterlippe.
Die Unterlippe folgt fast genau den Konturen der Oberlippe.
derart, dass ihre mittlere Partie etwas höher steht als die seit-
lichen Teile. Sie zeigt in dieser mittleren Partie einen kleinen
Vorsprung, der in den Ausschnitt des \/ der Oberlippe hineinragt
und der die beiden Enden der gespaltenen Zungenspitze berührt.
Wie bei der Oberlippe, so ist auch der Unterlippenrand breiter
in der Nähe der Kommissuren und verschmälert sich allmählich
zur Mittellinie hin.
III. Vestibulum oris und seine Anhänge.
(Bio A Tate XRW
Das Vestibulum oris ist bei unserem Embryo noch auf den
Wangenblindsack beschränkt. Diese Tasche zeigt sich in Gestalt
einer Spalte zwischen dem Ober- und Unterkieferfortsatz. Sie
ist schmal, aber tief in ihrer ventralen Partie und setzt sich
dorsal in eine kompakte epitheliale Leiste fort.
Lippentasche.
Die beiden Kieferfortsätze zeigen in ihrer ganzen Aus-
dehnung eine glatte und einheitlich geformte epitheliaie Ober-
fläche; sie lassen ausser der Zahnfurche noch keine andere Furche
erkennen; die Lippenkieferfurche ist also noch nicht gebildet.
Speicheldrüsen (Fig. #4, Taf. XXV).
a) Submaxillardrüsen (Fig. 12 und 13, Taf. XXV).
Im Grunde der Zungenkieferfurche erkennt man, 1,7 mm
von der Zungenspitze entfernt, die ersten Anlagen der Sub-
maxillardrüsen. Sie liegen nach innen vom Meckelschen
Knorpel, näher jedoch der Zunge als diesem. Diese Anlagen be-
stehen aus zwei Teilen, und zwar aus einem kompakten, epithelialen
Strange, welcher dem Ausführungsgang entspricht, und aus einem
666 Damen:
rundiichen, kompakten, knospenförmigen Gebilde, welches den
Drüsenkörper darstellt. Die Anlage des Ausführungsganges (Ductus
submaxillaris) ist zweimal so lang als die des Drüsenkörpers;
letztere ruht im Grunde der Zungenkieferfurche, mit ihr verbunden.
Auf einem Durchschnitt zeigt der Drüsenkörper eine dreieckige
Form, deren Spitze gegen die Mundhöhle gerichtet ist.
Länge der ganzen Anlage einschliesslich
des Austührungseanges '. 2 .2220.7.8°008%
BEeITESe En N ET TERVER OR Oz
Entfernung vom Meckelschen Knorpel 300 u
Diese Drüsenanlagen sind also viel weniger entwickelt, als
die des Embryo Zw (18,5 mm) von W. His). Bei dem Hisschen
Embryo sind sie weit tiefer in das umgebende Gewebe vorgedrungen
und zeigen bereits einen längeren, leicht sinuösen Ausführungs-
gang. Bei unserem Embryo zeigt der Drüsenkörper nur ganz
schwache Einschnürungen als erste Spuren der primären Läppchen.
Die epitheliale Masse zeigt einige voluminösere, mehr durch-
scheinende ventrale Zellen, die sich auch schwächer in Karmin
färben, als die kleineren peripheren Zellen.
b) Sublingualdrüsen.
Ungeachtet genauester Nachforschung liess sich keine Spur
einer Anlage der Sublingualdrüsen entdecken; ihre erste Ent-
wicklung muss also in eine spätere Zeit fallen. Das stimmt nicht
mit der Behauptung Köllikers (9, p.860) überein, derzufolge die
Submaxillardrüsen zuerst erscheinen sollen, darauf die Sublingual-
drüsen und dann erst die Parotiden.
c) Parotiden (Fig. 12 und 13, Taf. XXV).
Im Grunde der Wangenfurche lässt sich eine Orista beobachten,
welche vorn in der Nähe der Lippenkommissur endet, hinten in
eine rundliche Sprosse übergeht, die in der Tiefe des Wangen-
blindsacks gelegen ist: dies ist die Parotisanlage. Wie bei den
Submaxillardrüsen, kann man auch hier zwei Abschnitte unter-
scheiden: einen epithelialen Strang, die Anlage des Ausführungs-
ganges und den rundlichen Sprossen, die Anlage der Drüse selbst.
Diese Bildungen entstehen in der am meisten zurückgelegenen
Partie der Vestibularfurche; die knospenförmige Anlage des
2) W: His, loereit.(Nr:0)2995,
Kopf und bucconasale Bildungen etc. 667
Parotiskörpers wendet sich zur äusseren Oberfläche, von der sie
0.5 mm entfernt ist.
Dimensionen der Parotis-Drüsenanlage:
Länge der ganzen Anlage mit dem Gange 300 u
Bremen Ne ONE
Abstand von der Lippenkommissur . . . 650 u
Die Ähnlichkeit dieser Befunde mit denen von His (6, p. 96)
bei seinem Embryo Zw beschriebenen ist frappant. Immerhin
sind die Drüsen bei unserem Embryo noch nicht so weit vor-
geschritten. Bei dem Embryo von His dringt die kompakte
epitheliale Drüsenmasse bereits in das umgebende Mesenchym-
gewebe schräg ein und der Ausführungsgang ist bereits deutlich
ausgebildet, er misst etwa 200 «. Bei unserem Embryo fanden
wir noch keine Spur von sekundären Läppchenanlagen. Sonach
scheint sich der Drüsenkörper der Parotis etwas später zueentwickeln,
als der der Submaxillardrüse.
Aus dem Vorhergehenden folgt eine Bestätigung der An-
gaben von Hammar (4, p. 571) über die Entwicklung dieser
Drüsen: bei Embryonen von S mm (Ende des ersten Monats)
erscheint im Jugalwinkel eine seichte, gut begrenzte Furche, die
sich bei Embryonen von 11,7 mm vertieft (Sulcus parotideus).
Diese Furche schliesst sich zu einem langen Kanal ab, der unter-
halb der Wangenfurche liegt ; dieser Kanal ist der Duetus parotideus.
Die Parotisanlage erscheint daher zuerst nicht ın Form einer
vorspringenden Knospe, wie Chievitz und His es darstellen,
sondern in Form einer Rinne, der Vorläuferin des Ductus parotideus.
Zusammenfassend kann man also sagen, dass die ersten Anlagen
der Speicheldrüsen in zweifacher Gestalt auftreten: als epithelialer
Strang, der zum Ausführungsgange wird und als rundliche Knospe,
die zum Drüsenkörper sich weiter entwickelt.
IV. Cavum oris.
Die eigentliche Mundhöhle des Cavum oris ist bei unserem
Embryo noch nicht vollständig ausgebildet. Zwar ist der Boden
der Mundhöhle durch die Anlage des Unterkiefers und der Zunge
schon gegeben, was jedoch das Dach anbetrifft, so ist der Gaumen
noch nicht gebildet; an seiner Stelle findet sich eine weite offene
Verbindung mit den Nasenhöhlen; das Cavum oris begreift also
noch keinen vollkommen abgegrenzten Raum, in dem sein Boden
668 I... sPamlet:
in unmittelbarer Beziehung zum Dache steht, da die Zunge sich
in die zur Nasenhöhle führende Ofinung. welche die Stelle des
späteren Gaumens einnimmt, hineinlegt.
1. Boden der Mundhöhle und Zunge (Fig. 5, Taf. XXV).
Der Boden der Mundhöhle ist, man kann sagen, noch ganz
von der Zunge eingenommen; die letztere ist begrenzt und
umschrieben durch die schon ziemlich tiefe Zungenkieferfurche,
besonders deutlich in ihrer ventralen Partie.
Bei unserem Embryo hat sie im allgemeinen eine vierseitige
Form, die Ränder sind mehr abgerundet in ihrem ventralen als
in ihrem dorsalen Teile und sie ist schmäler und länger als bei
den übrigen schon von anderer Seite beschriebenen Embryonen.
Sie zeigt sich bei unseren Modellen doppelt so lang als breit.
Die Spitze ist, wie bemerkt, durch eine tiefe Furche ungleich
zweigeteilt; der linke Zipfel ist grösser als der rechte, so kommt
es, dass die Spitze im ganzen nach rechts gewendet erscheint.
Die Zunge springt in ihrer ganzen Dicke über den Unterkiefer-
fortsatz vor und schiebt sich in die Gaumenspalte ein; daher ist
sie seitlich durch die beiden Gaumenanlagen begrenzt, ventral
stösst ihre Spitze an die Processus globulares und dorsal kommt
sie in Berührung mit der Schädelbasis.
Die Zungenkieferfurche folgt genau den Konturen der Zunge;
von oben gesehen scheint sie nur wenig ausgeprägt, da die aus-
kleidenden epithelialen Überzüge sich einander noch berühren,
auf Schnitten indessen sieht man sie weit in die Tiefe gesenkt
in Form einer epithelialen Leiste, die bis zur Anlage des Ductus
submaxillaris vordringt. Ventral ist diese Leiste dünn, in der
Richtung zur Submaxillar-Drüsenanlage nimmt sie an Dicke zu.
Einige Maße der Zunge:
Länge des rekonstruierten Teils (23 Schnitte) . . . 1,15 mm
Länge des freien Teils‘... . 0
Breite im Gebiet der Shnalardrüse a
Breite im Gebiet der Lippenkommissuren . . . . 100 „
Dicke‘ an’ derselben” Stelle er. Fr 5 I EEE
2. Dach der Mundhöhle (Fig. 4,: Taf. XXV).
Der Naso-bucco-pharyngeal-Raum ist noch nicht vollständig
in seine einzelnen Abschnitte geschieden, in der Medianlinie des
Kopf und bucconasale Bildungen etec. 669
künftigen Munddaches sieht man, wie erwähnt, noch einen klaffenden
Spalt von etwas grösserer Länge als Breite, der den späteren
Nasenhöhlen angehört, die jetzt nur in ihrer kranialen Partie
ausgebildet sind. Im Grunde dieses Spaltes erblickt man die
Schädelbasis sowie die tiefe Partie des Stirnfortsatzes (Septum
narium). Zu beiden Seiten des Septums öffnet sich die Nasen-
höhle durch zwei längliche Spalten. Lateral ist jede Nasenhöhlen-
hälfte von den Gaumenfortsätzen begrenzt, welche in ihren seitlichen
Teilen noch frei sind, während sie ventral mit den Processus
elobulares des Stirnfortsatzes bereits verschmolzen erscheinen.
Der Gaumen besteht also vollständig nur in der Intermaxillar-
region, nach vorn von dem späteren Foramen ineisivum. Hier
sieht man einen ziemlich tiefen Suleus in der Mittellinie als Rest
der Spalte zwischen beiden Processus globulares. Zwei andere
seitliche Furchen sind die Spuren der Verwachsung dieser Fortsätze
mit den Oberkieferfortsätzen. Diese Anlage des definitiven Gaumens
ist ventralwärts von der Lippenanlage begrenzt, dorsalwärts von
dem freien Rande der Processus globulares; sie liegt ein wenig
mehr zurück als die Ränder der Lippenanlage.
Wir haben nur zwei Submaxillarfortsätze finden können, im
Gegensatze zu Albrecht, der jeden dieser Fortsätze noch in
zwei sekundäre sich teilen lassen wollte.
An den seitlichen Teilen des Munddaches zeigt eine Furche
die oberen Zahnanlagen an; median von dieser bilden die beiden
Öberkiefergaumenfortsätze zwei regelmässig abgerundete Vor-
sprünge, die sich ventralwärts in die Processus globulares fort-
setzen und den Nasopharyngealraum umschreiben. Jederseits
sieht man an ihrem freien Rande hinten einen leichten Vorsprung,
der die erste Anlage einer Hälfte des späteren Zäpfchens
darstellt.
Da die Zunge noch vollkommen in dem Gaumenspalt steckt.
so berührt sie, wie gesagt, mit ihrer dorsalen Fläche die Schädel-
basis. Diese bemerkenswerte transitorische Lage ist, wie bekannt.
schon durch His gebührend gewürdigt worden.
3. Zahnanlagen.
Es ist kaum möglich, noch neue wichtige Tatsachen über
die erste Anlage der Zähne nach den Arbeiten von Röse (14, 15)
beizubringen. Röse war der erste, welcher die Verdickung des
Archiv f.mikr. Anat. Bd. 76. 43
670 J. L. Paulet:;
Epitheliums festgestellt hat, die der epithelialen Einsenkung noch
voraus geht. Lassen wir in kurzen Zügen die Beschreibungen
einiger Autoren von den ersten Entwicklungsstadien des Zahn-
apparates beim Menschen folgen:
Legros und Magitot (10) lassen gegen den 40.— 45. Tag
des intrauterinen Lebens einen epithelialen Sprossen auftreten,
der sich in das Mesenchymlager der Kieferfortsätze einsenkt.
W. His (6) beschreibt bei seinem Embryo Zw (18,5 mm)
an beiden Kieferanlagen eine Furche, deren epitheliale Auskleidung
verdiekt ist und in deren Grunde sich Papillen erheben.
C. Röse (14) hat das erste Auftreten der Zahnleiste bei
einem Embryo von 15 mm Nackensteisslänge gefunden — Alter
40 Tage. Auf diesem Stadium bilden die Kiefer und Lippen-
anlagen noch eine einheitliche mesodermale Masse, die durch ein
geschichtetes Epithel glatt bedeckt ist. Unmittelbar hinter der Mund-
spalte bemerkt man an beiden Kiefern eine epitheliale Verdickung,
die aus kubischen, nicht scharf gesonderten Zellen besteht. Diese
Verdiekung, die „Zahnleiste“, ist die erste „Zahnanlage“ (richtiger
wäre es, von einer „Zahnmatrix“ zu sprechen). Schon in diesem
Stadium bildet die Zahnleiste am Oberkiefer einen grösseren Bogen
als am Unterkiefer. Der Meckelsche Knorpel ist in diesem
Stadium noch nicht vollkommen differenziert. Röse zitiert ın
der in Rede stehenden Abhandlung eine Angabe von Keibel,
der schon bei einem menschlichen Embryo von 12 mm eine
Zahnleiste gefunden hat; er bezweifelt jedoch diese Angabe, in-
dem er sich auf die Tatsache stützt, dass in diesem Stadium
die Oberkieferfortsätze mit den Processus globulares noch nicht
verschmolzen waren. Dieser Grund erscheint uns nicht völlig zu-
treffend, da nichts das Auftreten der Zahnleiste vor der in Rede
stehenden Verschmelzung hindert und das um so mehr, als wir bei
unserem Embryo die Zahnanlage nur auf den Oberkieferfortsätzen
und noch nicht auf den Processus globulares gefunden haben.
Röse stützt ferner eine von ihm ausgesprochene Ansicht,
dass nämlich die menschlichen Zahnplacoide, d. h. die primitiven
Epithelverdickungen, welche die erste Spur der Zahnanlagen bilden,
nur der Rest einer Reihe von verschmolzenen primitiven Zahn-
anlagen der niederen Wirbeltiere wären, auf seine Rekonstruktions-
bilder und die Reihenschnitte eines menschlichen Embryo von
ll mm Länge, der von Hochstetter bearbeitet wurde.
Kopf und bucconasale Bildungen ete. 671
Bei diesem (Hochstetterschen) Embryo sieht man auf
den beiden Oberkieferfortsätzen zwei epitheliale Vorsprünge in
Form von mehr oder weniger abgeplatteten Papillen, die sich frei
auf der Oberfläche der Schleimhaut erheben; bei einem etwas
älteren Embryo (15 mm) zeigt sich bereits eine Zahnleiste ent-
wickelt und in das Mesoderm eingesenkt, an derselben Stelle,
wo in dem früheren Stadium sich die beiden primitiven Vor-
sprünge erhoben haben. Röse deutet diese Tatsachen so, dass
man bei diesem menschlichen Embryo von 11—12 mm Länge und
im Alter von 34 Tagen die Reste der kleinen ancestralen primi-
tiven Zähne in Form von zwei frei vorragenden epithelialen Papillen
noch antreffe.
Der von His beschriebene Embryo von 17 mm, den Röse
zitiert, ist weit mehr in seiner Entwicklung vorgerückt; der
Meckelsche Knorpel ist schon ausgebildet. Die epitheliale Be-
kleidung der Kiefer zeigt sich verdickt; an der Stelle der
Vestibularfurche ist sie in eine tiefe Lage zylindrischer Zellen
und in eine oberflächliche Lage platter Zellen differenziert. Die
Zahnmatrix ist in Form eines Stranges in das Mesoderm ein-
gedrungen (Leiste) und hat sich bereits in zwei sekundäre Leisten
gespalten. Die am meisten ventral gelegene, mehr abgeplattete,
senkrecht eindringende steht in Beziehung zur Bildung der
Lippenkieferfurche; es ist die Lippenfurchenleiste („mur
plongeant“ in der französischen Bezeichnung); die andere, grössere,
mehr dorsal gelegene Leiste, welche schief eindringt, bildet die
eigentliche Zahnleiste („mur dentaire proprement dit“ in der
französischen Bezeichnung). Diese Differenzierung lässt schon
in diesem Stadium einen „Kieferwall“ und einen „Lippenwall“
unterscheiden.
In einer zweiten Arbeit (15) betont Röse nochmals, dass
die Lippenfurchenleiste (mur plongeant) sich durch Spaltung einer
ursprünglich einfachen Zahnleistenanlage (cordon dentaire) bildet.
(Beim Menschen etwa 48 Tage nach der Befruchtung.)
Branca (1) beschreibt die ersten Stadien der Zahnent-
wicklung folgendermassen: Eine epitheliale Proliferation kenn-
zeichnet den Anfang der Zahnentwicklung. Diese Wucherung
liefert zweierlei Bildungen: 1. einen tief eindringenden Fortsatz,
die „Zahnleiste“, der als „mur dentaire“ oder „mur plongeant“
bezeichnet wird, und welche an bestimmten Stellen bestehen
43*
672 J. EL. Paulet:
bleibt; 2. einen oberflächlichen Sprossen (Zahnfleischsprossen oder
„vorspringende Leiste“ — bourrelet gingival ou mur saillant);
diese ist eine transitorische Bildung; sie spielt keinerlei Rolle
bei der Entwicklung der Zahnkeime. Die oberflächliche und die
tief eindringende Leiste erscheinen gleichzeitig. Beide entstammen
einer Wucherung des Mundhöhlenepithels durch Zellteilung. Die
epitheliale Verdickung, welche die erste Zahnanlage bildet, besteht
aus zwei Zellagen, einer tiefen Lage zylindrischer Zellen, deren
Kerne im oberen Abschnitte der Zellen liegen, und einer dünnen
oberflächlichen Schicht platter Zellen.
Nach dem voraufgehend aus der Literatur, insbesondere
nach Röse Mitgeteilten kann man also drei Stadien bei der
Bildung der Zahnanlage unterscheiden:
Als erstes Stadium zeigt sich eine einfache Verdickung
des Epitheliums („Zahnplacoid“). In diesem Stadium bemerkt
man noch nichts von einem Eindringen des Epithels in das
unterliegende Mesenchymgewebe.
Im zweiten Stadium bildet das Epithel eine Verdickung,
die auf dem Durchschnitt halbmondförmig erscheint und deren
konvexer Teil in das unterliegende Gewebe vordringt.
Diese „Zahnleiste“ erscheint im dritten Stadium
klar in zwei sekundäre Leisten geteilt: in eine Lippenfurchenleiste
und in die eigentliche Zahnleiste.
Der von uns untersuchte und hier beschriebene Embryo
steht, was seine Zahnbildungen anlangt, zwischen den Stadien II
und II von Röse, wie wir sie eben aufgezählt haben. Er zeigt
schon eine oberflächliche Lippenfurche an der Oberkieferanlage;
sie fehlt jedoch noch auf den Processus globulares. Am Unter-
kieferfortsatz gestattet uns leider der defekte Zustand des Epithels
in der mittleren Partie, wo die Zahnfurche sich findet, keine
genaue Verfolgung der Anlagen. Distal verlor sich die Furche
allmählich an beiden Kieferanlagen (Oberkiefer wie Unterkiefer).
Die Furche entsteht durch eine epitheliale Einwucherung, Invagi-
nation, die „Zahnleiste“. Furche wie Invagination sind deut-
licher ausgeprägt in der mittleren und hinteren Region der
Kieferanlagen. Die Zahnleiste bildet am Oberkiefer einen grösseren
5ogen als am Unterkiefer, entsprechend der von uns bereits
hervorgehobenen Entwicklung der betreffenden Kieferfortsätze.
Kopf und bucconasale Bildungen etc. 675
Auf Durchschnitten haben wir in der medianen Partie der
Kiefer keine sichere Spur einer Zahnleiste gefunden und auch
die Rekonstruktionen lassen nichts weiter als leichte wellen-
förmige Wellenbieguugen des Epithels in dieser Gegend erkennen.
An den Rekonstruktionen sieht man, dass die Zahnleiste
im ganzen gleichförmig ist, nur an ihrem unteren Rande zeigt
sie einige Verdickungen.
Beim Studium der Querschnitte erscheint die buccale Fläche
der Leiste senkrecht zur Mundschleimhaut gestellt, während die
labiale Fläche schief gerichtet ist.
Man bemerkt an unserem Embryo noch keine Andeutung
einer Teilung der epithelialen Leiste in einen Lippenfurchenteil
und in eine eigentliche Zahnleiste, wie das im dritten Röseschen
Stadium der Fall ist.
In der Medianregion und in den distalen Kieferpartien
besteht das Epithelium nur aus zwei einfachen Zellagen, aber
dazwischen im Gebiete der Zahnleiste ist es dicker und mehr-
schichtig. Die tiefe Zellenlage entspricht der Malpighischen
Schicht; sie besteht aus zylindrischen Zellen, deren Kerne näher
der Zellenbasis liegen. Die oberflächliche Lage zeigt zwei oder
drei Schichten mehr oder weniger buceischer Zellen. Die unmittelbar
an das Epithelium grenzenden Teile des unterliegenden Mesoderm-
gewebes sind dichter gefugt und seine Zellen färben sich lebhafter
in Karmin.
Die Höhe der Zahnleisten an der Stelle ihrer stärksten
Entwicklung, das heisst in ihrem mittleren Segment, beträgt
75 « für die obere und 100 « für die untere, ist also am Unter-
kiefer bedeutender.
V. Nasenhöhlen und Jacobsonsches Organ.
(Die 3, 10; 17, Taf: XXV, Schnitte LANE, Ta XRVT)
a) Nasenhöhlen.
Im ganzen stellen die Nasenhöhlen unregelmässige Spalten
dar, die mehr oder weniger einander parallel verlaufen; sie haben
durchweg ein Lumen, “welches im unteren Teile geräumiger ist.
Hinter den Nasenlöchern nehmen die Nasenhöhlen rasch an Höhe
zu, um ihr Maximum im Niveau der Öffnung des Jacobsonschen
Organs zu erreichen; dann nimmt ihre Höhe wieder ab.
674 Jen. Bankett:
Die Nasenhöhlen öffnen sich in die primitive Mundhöhle
mittels einer etwa 250 u langen engen Spalte, die mit den
primitiven Choanen in Verbindung steht. Ihre Seitenwände sind
in der Nähe der Nasenlöcher eben, weiter nach hinten erscheinen
sie durch Ausbildung der Nasenmuscheln unregelmässig gestaltet.
GrösstexHöhe sl. in...) sun WIE
Ganze, Lange 7 22.2 „u weile
b) Nasenlöcher.
Die Nasenlöcher erscheinen im Gesicht wie zwei unregel-
mässige ovale Vertiefungen; im Grunde derselben öffnet sich eine
Spalte von schräg medio-lateraler und kranio-kaudaler Richtung.
Diese Spalte ist mit Epithel ausgekleidet und ihr Lumen geht
frei in die Nasenhöhlen über. Beide Nasenlöcher sind direkt
nach vorn gerichtet, denn das Nasenläppchen ist noch breit ab-
geplattet.
c) Septum narıum.
Das Nasenseptum ist bereits gebildet. und zwar auf Kosten
des Stirnfortsatzes. Vorn ist es mit den äusseren Nasenfortsätzen
verschmolzen und setzt sich ventral in die Processus globulares
fort; es nimmt somit an der Bildung der Nasenlöcher teil. Im
Bereiche des Mundhöhlendaches beginnt bereits die Verwachsung
mit den Gaumenfortsätzen, doch ist das Septum in seiner grössten
Länge noch frei.
In seiner ganzen Ausdehnung zeigt sich das Nasenseptum
in Gestalt eines breiten knospenförmigen Fortsatzes von ungleicher
Höhe; ventralwärts ist die Höhe ziemlich die gleiche wie seine
Breite, dorsal aber nimmt es allmählich an Höhe ab, bis es ganz
schwindet.
Wir können an der Nasenscheidewand zwei Ränder und
zwei seitliche Flächen beschreiben. Der kraniale Rand setzt sich
in seiner ganzen Länge mit der Schädelbasis in Verbindung, von
der die Scheidewand ausgeht. Der kaudale Rand ist fast in
seiner ganzen Länge frei; er verdickt sich ventral mehr und
mehr in Form eines Wulstes, dieser Wulst entspricht der Stelle
des Jacobsonschen Organs; die Öffnungen dieser beiden Organe
befinden sich in einer Depression des Septums. Weiter ventral-
wärts erscheint der Rand wieder schmäler und verbindet sich
mit den Processus globulares.
Kopf und bucconasale Bildungen ete. 675
Die Seitenflächen der Nasenscheidewand sind noch stark
konvex und verlaufen schräg in kranio-kaudaler und latero-
medianer Richtung.
Maße
Grösste Breite im Bereiche des Jacobsonschen Organs 1,0 mm
Breite des unteren Teiles, nahe dem ventralen Rande 0,50
.„ oberen Teiles, nahe dem kranialen Rande . 0,75
Höhe im Bereiche des primitiven Gaumens . . . 1,0—1,25 .
Unmittelbar hinter den primitiven Choanen ist das lm
nur 1 mm hoch, von da nimmt es allmählich noch weiter ab in
folgender Progression:
200 u weiter hinter den primitiven Choanen, Höhe — 0.75 mm
AND: Ha 3: Pr .y ee ss 1100, 2080
600, 1.40, r he r e ME!
d) Nasenmuscheln.
Die Seitenwände der Nasenhöhlen zeigen noch eine fast
ebene Fläche; nahe bei jedem Nasenloche deutet ein hohler
epithelialer Fortsatz, der in halber Höhe jeder Höhle gelegen
ist, die Stelle an, wo sich später der Tränengang öffnen soll.
In den beiden hinteren Dritteln der Höhle sieht man einen
starken bogenförmigen Vorsprung, der an beiden Enden sich
verjüngt, es ist dies die Anlage der unteren Muschel. Der
Vorsprung ist ventralwärts von einer gut ausgeprägten Furche
begrenzt, an der Stelle der Vereinigung des Nasenbodens mit
der seitlichen Wand. Kranialwärts ist die Anlage der unteren
Muschel ebenfalls durch eine Furche abgegrenzt, die sich in eine
epitheliale Leiste fortsetzt, welche tief in das Mesoderm eindringt.
Oberhalb dieser Leiste zeigt ein zweiter bogiger Vorsprung die
Anlage der mittleren Muschel an. Diese Anlage ist ventral
durch die schon erwähnte Furche gut begrenzt; dorsal wird sie
durch eine einfache Epithelleiste mit dem Septum narium verbunden.
Die Furche, welche die Anlagen der mittleren und unteren
Muschel trennt, vertieft sich plötzlich in der Gegend der Mündung
des Jacobsonschen Organs in Form eines dicken, hohlen Epithel-
sprossen; wir halten diesen Sprossen für die erste Spur der Ober-
kieferhöhle. Diese Anlage muss wohl lange auf diesem Stadium
stehen bleiben, da die Kieferhöhle selbst sich erst viel später
entwickelt.
676 IA. PRratuelNeibe
Vor diesem Epithelsprossen erreicht jede Nasenhöhle ihre
grösste Höhe und die mittlere Muschel verliert sich an der am
meisten dorsal gelegenen Partie der Seitenwand. Die Furche,
welche die beiden Muscheln trennt, setzt sich vor der Anlage
der Kieferhöhle mittels einer seichten Rinne bis gegen die Anlage
der Öffnung des Tränenkanals fort.
Im ganzen können wir sagen, dass die Muschelanlagen, die
unser Embryo von 14,7 mm zeigt, vollständig denen entsprechen,
welche ©. Peter (13) an einem 15 mm langen menschlichen
Embryo beschrieben hat.
e) Primitive Choanen.
Die primitiven Choanen stellen zwei enge und längliche
Spalten dar von mindestens 0,1 mm Breite und 0,6—0,7 mm
Länge: durch sie stehen die Nasenhöhle und die Mundhöhle in
Verbindung; medianwärts sind sie durch die Ränder des Septum,
lateralwärts durch die Gaumenfortsätze begrenzt. Die buccale
Partie der Choanen krümmt sich allmählich nach hinten zu.
Der Embryo Sch II von His (6) (13,5 mm Länge) unter-
scheidet sich durch die Dimensionen seiner primitiven Choanen
erheblich von dem unsrigen; bei dem Hisschen Embryo sind sie
kurz und enge, bei unserem Embryo lang und enge.
Die Entfernung zwischen den Nasenlöchern und den Choanen be-
trägt ungefähr 600 u, die Länge des Septum hinter den Choanen 700 u.
f) Jacobsonsche Organe.
Da wir bereits in einer früher erschienenen Arbeit (10) die
Jacobsonschen Organe behandelt haben, werden wir sie hier
nur kurz besprechen. Sie erscheinen bei unserem Embryo in
Form zweier Kanäle von 350 « Länge, die dorsalwärts blindsack-
förmig endigen und sich ventralwärts in der bereits beschriebenen
Weise öffnen, so dass ihre Hauptrichtung eine ventro-dorsale ist
mit einer leichten Biegung kranialwärts. Sie sind mit einem
geschichteten Zylinderepithel ausgekleidet, Flimmerhaare waren
an demselben nicht wahrzunehmen; ebensowenig liess sich die
Spur einer knorpeligen Kapsel erkennen,!) sondern nur eine ein-
!) Prenant et Bouin (in ihrem Tr. d’Histologie, Bd. II, p. 526, 1911)
haben einen etwas zweideutigen Satz unserer ersten Publikation (10) falsch
aufgefasst: Wir sollten die Existenz des Jacobsonschen Knorpels verneint
haben! — In Wirklichkeit haben wir nur seine Abwesenheit in dem von uns
beschriebenen Stadium dargestellt (mensch. Embryo 14,7 mm).
Kopf und bucconasale Bildungen etc. 677
fache Wucherung von embryonalem Bindegewebe, um die epitheliale
Anlage herum, jedoch gänzlich unabhängig von derjenigen Ver-
dichtung dieses Gewebes, welches die Anlage des Skelettes der
Nasenscheidewand bildet.
Es sei noch erwähnt, dass zu dem Jacobsonschen Organe
unseres Embryo bereits Nervenfäden verfolgt werden konnten, die
direkt vom Vorderhirn ausliefen.
g) Nasenskelett.
Das Skelett der Nase lässt sich auf Schnitten bereits als
eine Verdichtung des Bindegewebes, sowohl im Septum als auch.
in der Seitenwand, als Anlage der „Nasenkapsel“ erkennen. Die
Zellen dieses dichteren Gewebes färben sich lebhafter; aber man
kann noch keine Spur von Knorpelbildung nachweisen.
VI. Meckelscher Knorpel.
Die Anlage des Meckelschen Knorpels stellt einen linken
und rechten knorpeligen Bogen vor, die in der Mitte durch
ein kompaktes prächondrales Mesenchymgewebe verbunden sind,
welches sich lebhafter färbt, als das umgebende (Gewebe. Dieses
prächondrale Gewebe liegt dem Mundepithel näher, als der
Epidermis; gegen das umgebende Bindegewebe zeigt es keine
scharfe Grenze. So sind beide Knorpelanlagen doch zu einem
kontinuierlichen Bogen verbunden. Die Differenzierung des
knorpeligen Gewebes gegen das prächondrale ist auch eine ganz
allmähliche. In seinem ventralen Teile zeigt der Knorpel einen
rundlichen Querschnitt, in seinem dorso-labialen einen ovalen:
auch verringert sich hier sein Durchmesser allmählich.
Im medianen und labialen Bereiche liegt der Knorpel sehr
nahe an der Hautoberfläche. Mehr nach hinten ist er gleich
weit vom Pharynx wie von der Hautoberfläche entfernt; die
Eustachische Tube, anfangs weit entfernt vom Meckelschen
Knorpel, nähert sich ihm gegen das Ohr hin und wird seine Be-
gleiterin. In der Mittelohranlage finden wir eine Verlängerung des
Meckelschen Knorpels, die mit einer sich stark färbenden Zellen-
gruppe endet, die wohl nichts anderes sein kann, als die Anlage des
Hammers. Es stimmt dies mit der Ansicht von J. Chaine (2).
Ein genaues Studium des Unterkieferfortsatzes zeigt, dass
bei unserem Embryo wenigstens, und auch wohl bei anderen
678 JEnSBlamuilet:
Embryonen dieses Stadiums, noch keine Spur von Knochengewebe
vorhanden ist, ebensowenig im Oberkieferfortsatze. Freilich finden
wir eine Verdichtung des embryonalen skelettbildenden Gewebes
um den ersten Kiemenbogen herum. Demnach ist der Meckelsche
Knorpel in diesem Stadium noch der einzige Skelettteil der
Unterkieferregion.
Dieulafe und Herpin (3) geben an, dass sie bei mensch-
lichen Embryonen von 8,12 und 14 mm Länge noch keine Spur
des Meckelschen Knorpels gefunden hätten und wiederum an
einer anderen Stelle, dass die Bildung des knöchernen Kiefers
‚ungefähr gleichzeitig mit der des Meckelschen Knorpels vor
sich gehe, denn sie hätten Knochenbildung schon bei den Jüngsten
Embryonen angetroffen, bei denen sie den Meckelschen Knorpel
gefunden hätten. Aus unseren eben mitgeteilten Befunden folgt,
dass wir dieser Ansicht nicht beipflichten können: Der knorpelige
Bogen geht dem knöchernen voraus.
Literaturverzeichnis.
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buccal. ©. R. du 13&me Congres international de Medecine. Section
d’Histologie et Embryologie. Paris 1900. p. 62—69.
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la Soc. de Biologie. Paris 1903. p. 207.
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Journal de l’Anatomie et Physiologie. Paris 1906. No. 3, p. 239—252.
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speicheldrüsen beim Menschen. Anat. Anz., Vol. 19. Jena 1901.
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Geschichte der Organe. Atlas. Leipzig 1885.
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VIII. Mensch. Jena 1908.
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(Traduction francaise). Paris 1882. p. 860.
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l’art dentaire de Harris, Austen & Andrieux. Paris 1884. p. 87.
10.
Kl.
13.
14.
Kopf und bucconasale Bildungen etc. 679
Paulet, J.L.: Contribution a T’etude de l’Organe de Jacobson, chez
l’Embryon humain. Bibliographie Anatomique. Paris 1908. Vol. XXVI,
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Röse, C.: Über die Entwicklung der Zähne des Menschen. Arch. f.
mikr. Anat., Bd. 38, p. 447. 1891.
Derselbe: Über die erste Anlage der Zahnleiste beim Menschen. Anat.
Anz., Vol. VIII, p. 29. 1893.
Erklärung der Figurenbezeichnungen.
B. front. — Stirnfortsatz.
B. max. sup. — Öberkieferfortsatz.
B. max. inf. — Unterkieferfortsatz.
B. nas. — Nasenfortsatz.
B. can. nas. lacr. = Anlage des Canalis naso-lacrymalis.
Can. Jac. — ‚Jacobsonscher Gang.
Can. Sten. — Duectus parotideus.
Can. Wh. — Ductus submaxillaris.
Cho. pr. — Primitive Choanen.
Com. lab. — Lippen-Kommissur.
Cor. inf. — Untere Muschel.
Cor. moy. — Mittlere Muschel.
Cr. dent. inf. — Unterkieferzahnleiste.
Cr. dent. sup. — Oberkieferzahnleiste.
C. Meck. — Meckelscher Knorpel.
C. Reich. — Reichertscher Knorpel.
E-7d2s.lab. — Lippenblindsack.
C.d. s. gen. — Wangenblindsack.
C.d.s. con). — Konjunctivalsack.
D. Can. Jac. — Mündung des Jacobsonschen Ganges.
Eh. sin. max. — Anlage des Sinus maxillaris.
F. buce. — Mundspalte
Fo. nas. onv. — Offene Nasenhöhle.
Gl. s. max. — Glandula submaxillaris.
Gl. par. —,.Pärotis.
H. nas. buc. — Hiatus naso-bucco-pharyngeus.
Lang. bif. — Zungenspitzenspalte.
Lob. nas. — Lobulus nasalis.
680
J:.E.0Bawlet:
N. Jac. — Jacobsonscher Nerv.
N. nas. in. — Ramus nasalis internus (N. ethm.).
Nar. — Nasenlöcher.
dc. — Auge.
Oe. s. max. sup. — Mündung des Sinus maxillaris.
Or. can. nas. lacr. — Mündung des Tränenganges.
Or. ext — Äusseres Ohr.
Org. Jac.
Plaf. buce.
Plaf. fo. nas.
Proc. glob.
Proc. max. pal.
Proem. max, sup.
Sil. nas. fr.
Sil. lab. lat.
Sil. lab. med.
Jacobsonsches Organ.
Mundhöhlendach.
Nasenhöhlendach.
Processus globularis.
Gaumenfortsatz.
Vorsprung des Oberkiefers.
Nasofrontalfurche.
Laterale Lippenfurchen.
Mediane Lippenfurche.
Sil. dent. — Zahnfurche.
Sept. nar. — Septum narium.
Sq. nas. — Nasenskelett.
Erklärung der Abbildungen auf Taf. XXV und XXVL
Fig.
Fig.
ig. 1 und 2.
-]
or
3).
(Gesamt - Rekonstruktionsbild des Kopfes im Profil (1) und
en face (2).
Rekonstruktionsbild des Epitheliums der Nasenhöhlen und des
Munddaches. Dorsal-Ansicht. Die linke Nasenhöhle ist eröffnet,
man sieht darin die Öffnung des Jacobsonschen Ganges, die innere
Offnung des Nasenloches (Nar.) und die primitiven Ohoanen.
Dieselbe Rekonstruktion von der ventralen Seite her gesehen.
Man sieht die bucco-nasale Fuge, die medianen und die lateralen
Lippenfurchen, die Zahnfurchen und den Wangenblindsack.
Rekonstruktionsbild des Mundhöhlenbodens und der Zunge, Dorsal-
Ansicht. Man sieht die Zahnfurche, die Zweispaltung der Zungen-
spitze und den Meckelschen Knorpel.
Dieselbe Rekonstruktion, Ventral-Ansicht. Die Zahnleisten, die
Meckelschen Knorpel.
Die beiden Rekonstruktionen der Fig. 3 und 5 aufeinandergelest.
Vorsprung der Oberkieferfortsätze über den Unterkieferfortsatz.
Mundspalte. Nasenlöcher. Meckelscher Knorpel. Submaxillar-
drüse. Parotis.
Epithelial-Rekonstruktion der Nasenhöhle.
Primitive COhoanen.
Dieselbe Rekonstruktion.
des Sinus maxillaris.
Jacobsonsches Organ.
Seitenfläche. Epitheliale Knospenanlage
Epithelialknospe des Tränennasenganges.
OR
ie. 11.
Kopf und bucconasale Bildungen etec. 681
Dasselbe Modell mit eröffneter Nasenhöhle. Epithel der Nasen-
scheidewand und Öffnung des Jacobsonschen Ganges.
Dieselbe Rekonstruktion. Seitenansicht. Untere und mittlere
Muschel. Öffnung des Tränennasenganges.
Rekonstruktion der Anlage der Submaxillardrüse. Leistenförmige
Epithelanlage des Ausführungsganges. Knospenförmige Anlage des
Drüsenkörpers.
Rekonstruktion der Parotisanlage. Ausführungsgang und Drüsen-
körper wie in Fig. 12.
Tafel XXVI (Schnittbilder).
(Schnitt Nr. 83.) Submaxillardrüsen. Wangenblindsäcke. Primitive
Mundspalte. Meckelscher Knorpel. Reichertscher Knorpel.
(Schnitt Nr. 93.) Wangenblindsack. Parotis. Ductus submaxillaris.
Meckelscher Knorpel. Zunge.
(Schnitt Nr. 102.) Unteres Ende des Septum narium. Konjunctival-
sack. Oberkieferfortsatz. Untere Zahnleisten. Meckelscher Knorpel.
Unterkieferfortsatz.
(Schnitt Nr. 104.) Konjunctivalsack. Untere und obere Zahnleisten.
Oberkieferfortsatz. Lippenkommissuren. Meckelscher Knorpel.
(Schnitt Nr. 105.) Nasenseptum. Zunge. Oberkiefergaumenfortsatz.
Zahnleisten. Vordere Enden der Meckelschen Knorpel.
(Schnitt Nr. 109.) Untere und mittlere Muschel. Oberkiefer-
fortsätze. Zunge. Obere und untere Zahnleisten. Nasenskelett.
Konjunctivalsack.
(Schnitt Nr. 114.) Mittlere und untere Muscheln. Oberkiefer-
fortsätze. Oberkiefergaumenfortsätze. Jacobsonsche Organe.
Jacobsonsche Nerven. Nasenscheidewand. Die doppelte Zungen-
spitze. Unterkieferfortsatz.
(Schnitt Nr. 118.) Öffnung des Jacobsonschen Ganges. Nasen-
septum, - Nasenmuscheln. Epitheliale Anlage des sinus maxillaris.
Drei Lippenfurchen mit den Processus globulares. Unterkiefer-
fortsatz. Innerer Nasennerv.
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683
Über die Beteiligung der Plastochondrien an der
Befruchtung des Eies von Ascaris megalocephala.
Von
Friedrich Meves in Kiel.
Hierzu Tafel! XXVII-XXIX.
Inhalt: Seite
IDEinleitunsn put ae 0, 7, VIER TIIREET EB an 21085
Isumntersuchunesmethoder rin... „10 ar ot
III. Bau der Eizelle unmittelbar vor Eintritt der Bene 689
IV Ban desaSper minus A 692
V. Verhalten der männlichen und weiblichen Plastochondrien bei der
Beiruehtunos er. 4-0 2 N 694
VI. Zur Entstehung der inneren Perivitellinschicht . . . . . 2... 706
BER SCHTaS Sal LE a I FT 2 LT FD 708
I. Einleitung.
Hensen, welcher 1881 in seiner „Physiologie der Zeugung“
die Vererbungslehre zum erstenmal in umfassender Weise physio-
logisch bearbeitet hat, kommt darin (S. 228) zu dem Resultat,
dass die bei der Vererbung waltenden Kräfte untrennbar an die
Form, also an feste Substanzen geknüpft seien. Von diesem Stand-
punkt aus bezeichnete er (S. 126) die Auffassung O0. Hertwigs,
welcher (1875) das Wesentliche beim Befruchtungsvorgang in der
Verschmelzung des Ei- und Samenkerns erblickte, als eine glück-
liche, insofern als sie „zu den bisher nur in Betracht gezogenen
chemischen und physikalischen Momenten noch hinzufügt das für
die Lebenserscheinungen (und die Vererbung) so bedeutsame
morphologische Moment, dass nämlich die Materie in bestimmter
Formung mitwirkt“; er betonte aber damals, dass kein Grund
vorliege, die protoplasmatische Substanz des Zoosperms zu ver-
nachlässigen.
Der gleiche Gedanke, dass die erblichen Anlagen nur durch
feste, nicht durch gelöste Stoffe übermittelt werden können,
liegt einer der scharfsinnigsten theoretischen Konstruktionen auf
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. 44
654 Friedrich Meves:
biologischem Gebiet, der Idioplasmatheorie Nägelis zugrunde.
Träger der Erblichkeit ist nach Nägeli (1884) nicht das ge-
samte feste Plasma, sondern nur ein bestimmter als Idioplasma
bezeichneter Teil desselben, in dem alle Eigenschaften des aus-
gebildeten Zustandes „potentiell“ enthalten sind. Diesem Idio-
plasma schreibt Nägeli die Gestalt von Strängen zu, welche
sich ihrerseits aus parallelen Reihen von „Micellen“ zusammen.
setzen. Er nimmt an, dass die Stränge im Organismus ein zu-
sammenhängendes Netz bilden, sei es nun, dass sie ohne Unter-
brechung miteinander anastomosieren oder als Stücke von
begrenzter Länge netzförmig zusammengeordnet sind.
Dieser rein spekulativ begründeten Theorie schien es nun
aber an einer morphologischen Grundlage zunächst völlig zu
fehlen. Letztere glaubten, alsbald nach dem Erscheinen des
Nägelischen Buches, OÖ. Hertwig und Strasburger, gleich-
zeitig und unabhängig voneinander, gefunden zu haben. Sie
sprachen die Hypothese aus, dass das Chromatin nach seinem
Verhalten bei der Befruchtung als Idioplasma betrachtet werden
müsse, dass der Zellsubstanz dagegen keine Bedeutung für die
Vererbung zuzuschreiben sei.
Es ist bekannt, einen wie ausserordentlichen Beifall diese
Hypothese gefunden hat und noch heute findet. Alle Mahnungen,
das Protoplasma nicht zu vernachlässigen, blieben ihr gegenüber
mehr oder weniger erfolglos. Das Chromatin schien allen An-
sprüchen an eine Vererbungssubstanz zu genügen. Vor allem
aber fehlte der positive Nachweis, dass sich im Protoplasma eine
spezifische Struktur, ein Idioplasma im Sinne Nägelis findet,
welches bei der Befruchtung mitwirkt.
Die Frage, welche Struktur hierfür in Betracht kommen
könnte, stellt uns vor die andere, welche Struktur dem Proto-
plasma überhaupt zukommt. Es ist bekannt, dass in dieser
Beziehung lange Zeit zwei Theorien einander gegenüber gestanden
haben, die Fadenlehre Flemmings (1882) und die Granulalehre
Altmanns (1890). Ich habe neuerdings beide in der Theorie
der Chondriosomen oder Plastosomen vereinigt, von denen ich
gezeigt habe, dass sie bald in Form von Fäden, Chondriokonten
oder Plastokonten, bald in derjenigen von Körnern, Mitochondrien
oder Plastochondrien, auftreten. Die Chondriokonten oder Plasto-
konten sind mit den Fila Flemmings von 1882, die Mitochon-
Die Beteiligung der Plastochondrien. 685
drien oder Plastochondrien mit den Körnern Altmanns identisch
(Meves, 1907, 2, 1908, 1910, 2; vgl. auch Samssonow, 1910).
Wenn es bisher nicht zu einer Einigung zwischen Faden-
und Granulatheorie gekommen war, so lag dies hauptsächlich
an folgendem: Zunächst mangelte die Erkenntnis, dass es eine
und dieselbe Substanz ist, welche die Flemmingschen Fila
von 1882 und die Altmannschen Granula bildet. Ferner legte
Altmann den Hauptnachdruck auf die Körnerform und erklärte
alle Fäden für Aneinanderreihungen von Körnern. Flemming
dagegen schrieb der Fadenform als solcher eine prinzipielle
Bedeutung zu und meinte, dass, wo Altmannsche Färbungen
lediglich eine Körnerreihe zeigen, ausserdem noch Substanz
da sei, welche die Körner der Reihe nach zusammenhält. Be-
sonders aber wurde eine Verständigung dadurch erschwert, dass
Flemming irrtümlicherweise die Fadenwerke, die hauptsächlich
nach saurer Fixierung in den Zellen sichtbar sind, mit den von
ihm am lebenden Objekt beobachteten Fäden, welche die Grund-
lage seiner Filartheorie bilden, identifizierte.
Benda hatte nun schon 1899 gezeigt, dass die von ihm
so genannten Mitochondrien sowohl im Spermium als auch im
Ei vorhanden sind, und hatte ihnen auf Grund dieser Fest-
stellung 1903 eine Rolle bei der Vererbung vindiziert.
Weiter fand ich selbst (1907, 1, 1908), dass Chondriosomen
oder, wie ich sie von nun an ausschliesslich nennen werde,
Plastosomen !) (d.h. Plastokonten oder Plastochondrien) in allen
embryonalen Zellen gegenwärtig sind und kam zu der Überzeugung,
dass sie die Anlagesubstanz für die verschiedensten Difterenzierungen
bilden, die im Lauf der Ontogenese auftreten. Daraufhin habe ich
dann meinerseits die Plastosomen als die Vererbungsträger des
Protoplasmas oder als protoplasmatisches Idioplasma angesprochen.
Eine Reihe von Autoren (Duesberg [1908, 1910], Van
der Stricht [1908, 1909], Giglio-Tos und Granata [1908],
3) Die Ausdrücke Plastosomen, Plastokonten, Plastochondrien habe
ich zuerst 1910, 1, S. 150 in Vorschlag gebracht. Die Bezeichnung Plasto-
somen hat allerdings den Nachteil, dass sie zu Verwechslungen mit den
Arnoldschen Plasmosomen Veranlassung geben könnte. Die Plasmosomen
mögen zwar zum Teil Mitochondrien oder Plastochondrien entsprechen, der
Mehrzahl nach aber dürften sie Artefakte darstellen, welche durch die von
Arnold hauptsächlich angewandte „vitale Färbung“ in den Zellen erzeugt
worden sind.
44*
686 Friedrich Meves:
Lams [1910] u. a.) haben der Annahme, dass die Plastosomen
bei der Übertragung erblicher Anlagen beteiligt sind, zugestimmt.
Während ich mich nun noch auf der Suche nach geeigneten
Objekten befand, an welchen sich die Mitwirkung der Plastosomen
bei der Befruchtung tatsächlich zeigen liesse, stiess ich, im Frühling
dieses Jahres (1910), auf eine Abhandlung der Gebrüder L. und
R. Zoja aus dem Jahre 1891, in welcher sie die Altmannschen
Bioblasten, von ihnen Plastidulen genannt, bei zahlreichen Proto-
zoen und in den verschiedensten Zellarten nahezu aller Metazoen-
gruppen nachweisen. Sie finden sie auch in männlichen und
weiblichen Geschlechtszellen, darunter Spermien und Eizellen von
Ascaris megalocephala, und konstatieren, dass bei der Befruchtung
dieses Tieres die Plastidulen des Spermiums sich mit denjenigen
des Eies vermengen.
Diese letztere Angabe war für mich die Veranlassung,
nun meinerseits die Befruchtung von Ascaris megalocephala mit
den geeigneten Methoden zu studieren. Es gelang mir sofort,
auf Grund von Präparaten, die zunächst allerdings noch zu
wünschen übrig liessen, die Tatsache, dass bei der Befruchtung
des Ascariseies eine Aussaat männlicher Plastochondrien statt-
findet, zu bestätigen. Ich habe darüber in einer vorläufigen Mit-
teilung (1910, 3) kurz berichtet und auf die Bedeutung des
Befundes hingewiesen. Diese war von den Gebrüdern Zoja
nicht gebührend gewürdigt worden. Überhaupt scheinen sie auf
ihre Entdeckung wenig Wert gelegt zu haben, wie daraus hervor-
geht, dass R. Zoja in seiner Habilitationsschrift aus dem Jahre 1896
(welche nach dem Tode des Autors von L. Zoja veröffentlicht
wurde) in sehr ausführlicher Weise auf mehr als 100 Druck-
seiten den damaligen Stand der Befruchtungsstudien auseinander-
setzt (wobei dem „Sitz der Vererbung“ ein besonderer Abschnitt
gewidmet wird), ohne auch nur mit einem einzigen Wort auf
den von ihm und seinem Bruder bei der Befruchtung des Ascaris-
eies erhobenen Befund zurückzukommen.')
!) Nachdem R. Zoja 1. c. anno 19, 1897, S. 17 auseinandergesetzt hat,
dass der Schwanz des Spermatozoons aus einem für die Vererbung un-
wirksamen Material zu bestehen scheine, welches vom Eikörper resorbiert
werde, sagt er mit Bezug auf Ascaris: „Anche negli spermatozoi privi
di coda (Ascaris) il protoplasma che & in quantit& piuttosto rilevante fa
l’ impressione di disaggregarsi ed essere assorbito dal vitello.“
Die Beteiligung der Plastochondrien. 687
II. Untersuchungsmethode.
Die Pferdespulwürmer, welche mir zur Untersuchung dienten,
kamen in den meisten Fällen ca. 1°/ı Stunden nach dem Tode des
Wirts in meine Hände. Sie wurden vom Schlachthof in das Institut
in einem abgebundenen Darmstück transportiert, welches sorgfältig
warm gehalten wurde. Letzteres ist nötig, weil, wie Carnoy
(1887, S. 283—285) und Boveri (1887, S. 20 und 1888, S. 14)
bereits dargelegt haben, an den reifenden Eiern, die sich normaler-
weise bei der Körpertemperatur des Wirts entwickeln, infolge von
Abkühlung leicht pathologische Veränderungen auftreten können.
Die Darstellung der Plastosomen (Plastochondrien) in den
Ascariseiern ist mir am besten mit der Altmannschen Methode
(1890) gelungen. Mit dem Altmannschen Gemisch (2°/oige
Osmiumsäure und 5°/oige Kaliumbichromatlösung zu gleichen
Teilen) erhält man von den ersten Entwicklungsstadien bis gegen
Ende der zweiten Reifungsteilung ausgezeichnete Fixierungen,
vorausgesetzt, dass man es auf die isolierten Eier einwirken lässt.
Ich verfahre dabei folgendermassen: Ich zerteile die oberen
zwei Drittel der beiden Uterusschläuche der Quere nach gemeinsam
in 3—4 Abschnitte und zerzupfe je zwei parallele Stücke, welche
die gleichen Entwicklungsstadien enthalten, nachdem ich sie der
Länge nach aufgeschnitten habe, mit Hilfe von zwei Nadeln in
einem Glasschälchen mit Fixierungsflüssigkeit.') Auf diese Weise
erhalte ich 3—4 Portionen von Eiern, welche ich ca. 24 Stunden
in der Fixierungsflüssigkeit belasse. Alsdann fische ich mit Hilfe
einer Pinzette die Fetzen der Schlauchwandung zwischen den
Eiern heraus und giesse die Eier mit der Fixierungsflüssigkeit in
Zentrifugengläser hinüber, lasse sie in diesen sedimentieren und
ersetze die Fixierungsflüssigkeit durch destilliertes Wasser, welches
nnerhalb der nächsten 24 Stunden verschiedene Male gewechselt
wird. Darauf werden die Eier in Alkohol von steigender Kon-
zentration übertragen (wobei sie in jedem Konzentrationsgrad
24 Stunden belassen werden) und dann in Paraffın eingebettet.
Hierbei muss man, wenn man Schrumpfungen vermeiden
will, mit äusserster Vorsicht zu Werke gehen, wie auch die Autoren
übereinstimmend angeben. Die noch innerhalb der Zentrifugen-
gläser befindlichen Eier werden zunächst ganz allmählich (im Lauf
!) Dabei ist Benutzung einer Schutzbrille dringend anzuraten.
685 Friedrich Meves:
von 24 Stunden) aus dem absoluten Alkohol in das Intermedium
übergeführt, als welches ich eine Mischung von 3 Vol. Chloroform
und 1 Vol. Äther benütze. Dann werden sie mit einem Teil der
Chloroform - Äthermischung in Porzellanschälchen ausgeschüttet,
welche in Glasdosen eingeschlossen werden. Zu der Chloroform-
Äthermischung werden nunmehr nach und nach kleine Stücke
Paraffin hinzugefügt, so lange, bis nach Ablauf einiger Tage eine
konzentrierte Lösung entstanden ist. Alsdann werden die Porzellan-
schälchen aus den Glasdosen herausgenommen und auf die obere
Fläche eines Wärmeschranks gestellt. Hier wird dasselbe Ver-
fahren (Zusatz von Paraffın bis zum Eintritt der Konzentration)
wiederholt. Weiter werden die Porzellanschälchen nacheinander
in das Innere zweier Thermostaten, von denen der eine auf
40—45°, der andere auf 58° erhitzt ist, aufim ganzen ca. 1'/» Stunden
hineingebracht, während welcher Zeit die Mischung von Chloroform-
Äther-Paraffin allmählich durch reines Paraffin von 56° Schmelz-
punkt ersetzt wird. Darauf wird ein Teil des Paraffins abgegossen
und der Rest mit dem von den Eiern gebildeten Bodensatz in
Gelatinekapseln hineingefüllt, und zwar habe ich meistens solche
von 30 mm Länge (ohne Deckel) und 11 mm Durchmesser ver-
wandt. Man bringt die Gelatinekapseln alsdann in die Temperatur
von 58° zurück und wartet, bis die Eier sich am Boden gesammelt
haben. Schliesslich kommen die Gelatinekapseln in kaltes Wasser,
in welchem das Paraffın erstarrt, während die Gelatine aufquillt,
so dass sie sich nunmehr leicht entfernen lässt.
Die 5 « dicken Schnitte, zu deren Herstellung ich ein vor-
zügliches Jun gsches Mikrotom neuester Konstruktion (H 3) benutzt
habe, werden mit Eiweiss, kombiniert mit Wasser, aufgeklebt.
Nachdem das Paraffın entfernt ist, wird der Objektträger nach
Altmannscher Vorschrift mit Säurefuchsin-Anilinwasserlösung ')
in hoher Schicht übergossen und über freier Flamme erwärmt,
bis Dämpfe aufsteigen; sodann lässt man abkühlen. Dieselbe
Prozedur wiederholt man noch ein- oder zweimal und lässt dann,
nach vollständigem Erkalten, die überschüssige Farblösung ablaufen.
Die Differenzierung mit Pikrinalkohol nehme ich in Gläsern
und in der Kälte vor. Ich bediene mich dabei der beiden von
Metzner (1910, S.34) empfohlenen Lösungen, von denen die erste
!) In 100 cem einer kalt gesättigten und filtrierten Lösung von Anilin
in Wasser werden 20 g Säurefuchsin gelöst.
Die Beteiligung der Plastochondrien. 689
aus 1 Vol. gesättigter Pikrinsäurelösung in absolutem Alkohol
und 4 Vol. 20°/oigem Alkohol, die zweite aus 1 Vol. gesättigter
alkoholischer Pikrinlösung und 7 Vol. 20°/oigem Alkohol besteht.
Mit der ersten Lösung werden zwei Gläser angefüllt; eins davon dient
dazu, die dem Öbjektträger anhaftende Farblösung abzuspülen,
wozu ca. 15 Sekunden ausreichen. Die darauf folgende eigentliche
Differenzierung mit Hilfe beider Lösungen nimmt im ganzen
meistens 2—3 Minuten in Anspruch; ich habe jedoch auch schon
Material verarbeitet, bei welchem sie früher beendet war.
Nach Abschluss der Differenzierung werden die Schnitte
sründlich mit 95°/oigem Alkohol ausgewaschen und dann durch
absoluten Alkohol und Xylol in Kanadabalsam übergeführt.
III. Bau der Eizelle unmittelbar vor Eintritt der
Befruchtung.
Das Ei, welches am Ende des Eileiters angekommen und
bereit ist, das Spermium aufzunehmen, zeigt bei Anwendung der
Altmannschen Methode den folgenden Bau.
Es enthält einen zentral gelegenen Kern, welcher infolge
der starken Osmierung völlig homogen aussieht; eine meistens
vorhandene Unregelmässigkeit des Konturs ist wahrscheinlich auf
Schrumpfung zurückzuführen.
Im Protoplasma fallen am meisten grosse kugelige (Gebilde
von verschiedenem Durchmesser auf, die „hyalinen Kugeln“
(spheres hyalines) von Van Beneden. Sie zeigen, wie Van
Beneden (1885, S. 76) bereits beschrieben hat, eine homogene
dunklere Rindensubstanz und ein gleichfalls homogenes helleres
Innere, das gewöhnlich exzentrisch verlagert ist und nach Van
Beneden wahrscheinlich eine mit Flüssigkeit erfüllte Vacuole
darstellt. Die Rindensubstanz schliesst häufig noch eine oder
zwei kleinere akzessorische Vacuolen ein.
Mitunter findet man vereinzelte Kugeln von gleicher Grösse
wie die spheres hyalines, welche die eben beschriebene Sonderung
des Inhalts nicht zeigen, sondern von einer gleichartigen Masse
erfüllt sind, die sich nicht so stark färbt wie die Rindensubstanz
der spheres hyalines, aber stärker als das helle Innere derselben.
Es sind die von Van Beneden so genannten gouttelettes
homogenes, welche einige Zeit nach dem Eintritt der Befruchtung
häufiger werden, während die spheres hyalines an Zahl abnehmen.
690 Friedrich Meves:
Die spheres hyalines erscheinen am lebenden Objekt ausser-
ordentlich blass; hier springen am meisten glänzende, durch den
ganzen Zelleib verstreute Dotterkörper in die Augen, welche von
Van Beneden (8. 30) unter dem Namen der corpuscules refrin-
gents beschrieben worden sind. Wenn man sie bei starker Ver-
grösserung untersucht, erkennt man, wie schon Van Beneden
angibt, dass es sich um kleine Klümpchen von punktförmigen
Granulis handelt, die durch einen Kitt von annähernd derselben
Lichtbrechung wie die Granula selbst verklebt werden. Diese
Klümpchen sind, wie ich finde, von einer feinen Membran um-
schlossen. Die punktförmigen Granula werden nach Van Beneden
durch Osmiumsäure nicht gefärbt. Ich habe jedoch öfters mit
Altmannschem Gemisch fixierte Eier geschnitten, an welchen
eine Schwärzung eingetreten war. Solche Eier sind für die Unter-
suchung nicht gut verwendbar, weil hier die corpuscules refringents
die Wahrnehmung der wesentlichen Strukturen verhindern. In
Kanadabalsampräparaten von anderem Material dagegen erscheinen
die corpuscules refringents als helle leere Bläschen (so an den Eiern,
welche meinen Abbildungen zugrunde liegen). Dies könnte daher
rühren, dass die geschwärzten Granula durch die weitere Be-
handlung zur Lösung gebracht sind. Wahrscheinlicher ist mir
aber, dass eine Schwärzung der Granula ausgeblieben und der
gesamte Bläscheninhalt infolge starker Aufhellung durch den
Kanadabalsam unsichtbar geworden ist.
Sicher sind aber nur ein Teil der kleinen hellen Bläschen,
die in meinen Figuren zu sehen sind, aufgehellte corpuscules
refringents; viele davon sind Protoplasmavacuolen, deren Wand
allerdings häufig so blass ist, dass man sie nur noch eben wahr-
nimmt. Es ist daher möglich, dass ihre Zahl tatsächlich viel
grösser ist, als sie in den meisten meiner Figuren erscheint, so
dass man, wie v. Erlanger (1897, S. 318) behauptet hat, be-
rechtigt sein würde, von einem Wabenbau der Zellsubstanz zu
sprechen.
Wenn man sich nun die deutoplasmatischen Gebilde und
die Protoplasmavacuolen weggenommen denkt, so bleibt eine
Grundsubstanz übrig, welche zahlreiche bereits am lebenden Ob-
jekt sichtbare Granula, die „Microsomen“ Van Benedens
einschliesst, die sich bei Anwendung der Altmannschen Methode
intensiv rot färben. Mit Hilfe dieser Methode sind sie schon
Die Beteiligung der Plastochondrien. 691
von den Gebrüdern Zoja (1891, S. 247) dargestellt worden,
welche sie als Plastidulen bezeichnet haben. Ich nenne sie
Plastochondrien. Sie finden sich durch den ganzen Zelleib ver-
streut. Stellenweise bilden sie Gruppen. Ausserdem sind sie,
wie die Gebrüder Zoja bereits konstatiert haben, unter der Zell-
oberfläche (an Eiern, die sich erst kürzlich von der Rhachis
gelöst haben, besonders in der Gegend des sog. disque polaire
von Van Beneden) und an der Membran des Kerns stärker
angehäuft. Sie bedecken ferner in grösserer Zahl die Oberfläche
der spheres hyalines.
Literatur. Von den bisherigen Untersuchern hat Van
Beneden bei weitem die genaueste Beschreibung von der Zell-
struktur des Ascariseies gegeben. Meine Darstellung stimmt mit
der seinigen der Hauptsache nach überein; die wesentlichste
Abweichung besteht darin, dass nach Van Beneden (1885,
S. 81—85 und 356—362) die Plastochondrien oder Microsomen
durch ausserordentlich zarte Fibrillen miteinander verbunden sind.
Auf diese Weise soll ein sehr enges Gitterwerk entstehen, dessen
Knotenpunkte die Plastochondrien darstellen. Ich habe meiner-
seits von derartigen Fäden nichts gesehen, und scheint mir ihre
Existenz durch die Art und Weise, wie die Plastochondrien im
Zellkörper verteilt sind, (besonders aber auch durch ihr späteres
Verhalten) so gut wie ausgeschlossen zu sein.
Boveri (1888, S. 60ff.) will nicht behaupten, dass er
imstande gewesen sei, die sehr komplizierte Konstitution des
Ascarideneies vollkommen zu analysieren: dies wird nach ihm
vor allem durch die ausserordentlich wechselnden Bilder erschwert,
die man mit verschiedenen Reagentien, ja mit einem und dem-
selben Reagens erhält. „Ich beschränke mich daher‘, sagt
Boveri, „auf die ganz allgemeine Angabe, dass nach den ver-
schiedenen Präparaten, die ich gesehen habe, die Zellsubstanz
aus einer homogenen Grundsubstanz gebildet wird, in der sich
ein feinfädiges, bald eng- bald weitmaschiges Gerüst ausbreitet.
Zwischen diesem Fadenwerk sind in die Grundmasse grössere und
kleinere Dotterkörper, sehr kleine regellos zerstreute Körnchen
und eine spezifische, je nach dem Entwicklungszustand des Eies
körnige oder fädige Substanz eingelagert“. Letztere wird von
Boveri als Archoplasma bezeichnet.
692 Friedrich Meves:
Zu dieser Schilderung bemerke ich zunächst, dass ich von
einem Faden- oder Netzwerk in der Grundsubstanz, wie es übrigens
auch Carnoy und Lebrun (1897, S. 66) dem Ascarisei zu-
schreiben, an meinen Präparaten nichts wahrgenommen habe.
Das ist allerdings durchaus kein Beweis gegen seine Existenz;
denn es wäre leicht möglich, dass es infolge starker Osmierung
unsichtbar geworden wäre. Ist aber ein solches Fadenwerk an
irgendwelchen anderen Reagentienpräparaten vorhanden, so kann
man andererseits nicht wissen, ob es bereits im lebenden Zu-
stand existiert.
Von den „sehr kleinen regellos zerstreuten Körnchen“,
deren Boveri Erwähnung tut, ist es möglich, dass sie den
Mierosomen Van Benedens, also Plastochondrien, entsprechen.
Sicher aber sind die „Archoplasmakörner“ nichts anderes als
Plastochondrien; jedoch sah Boveri diese erst „während der
Bildung des ersten Richtungskörpers“ auftreten, wo sie sich um
das Spermatozoon anhäufen.
IV. Bau des Spermiums. ‚
Van Beneden hat bekanntlich die Spermien, welche man
im Uterus von Ascaris megalocephala antrifft, in vier durch Zwischen-
stufen verbundene Typen eingeteilt; er unterscheidet (1883,
S. 119 ff.) kugelförmige, birnförmige, glockenförmige und kegel-
förmige Spermien, welche er als aufeinanderfolgende Entwicklungs-
stadien auffasst.
Es sei bemerkt, dass nach Alfred Mayer (1908, S. 523)
die Van Benedensche Entwicklungsreihe nicht in aufsteigender,
sondern in absteigender Richtung verläuft; „d. h. die einzelnen
Glieder derselben stellen Stufen in einem Umbildungsprozess
normaler Spermatozoen vom type conoide dar.“ Den type
spheroidale betrachtet Alfred Mayer (8.525 Anm.) als Kunst-
produkt; es handelt sich nach ihm um den Kopfteil eines Spermiums,
dessen Glanzkörper abgebrochen ist.
Jedenfalls besteht darüber Einigkeit, dass die kegelförmigen
Spermien die am vollständigsten ausgebildeten sind. Man unter-
scheidet an ihnen die Basis als vorderen oder Kopfteil, den zu-
gespitzten Abschnitt als hinteren oder Schwanzteil. Der Kopfteil
besteht aus Protoplasma und enthält einen rundlichen, stark färb-
baren Kern, während der Schwanzteil durch einen kegelförmigen,
Die Beteiligung der Plastochondrien. 693
im lebenden Zustand stark lichtbrechenden Körper, den sogenannten
Glanzkörper, gebildet wird, der nur von einer dünnen Protoplasma-
hülle bekleidet ist.
Das Protoplasma des Kopfteils ist von zahlreichen Körnern
erfüllt, welche sich bei Anwendung der Altmannschen und
Bendaschen Methode ebenso wie Plastochondrien färben und
zweifellos mit solchen identisch sind. Als Altmannsche Körner
oder Plastidulen sind sie bereits von L. und R. Zoja (1891,
S. 247), als Mitochondrien von Tretjakoff (1905, S. 425) und
Alfred Mayer (1908, S. 511) angesprochen worden. Mehr
vereinzelt finden sich Plastochondrien auch im Schwanzteil in der
den Glanzkörper umgebenden Plasmahülle.
Der Glanzkörper tingiert sich bei Anwendung der Altmann-
schen Methode ebenso wie die Plastochondrien intensiv rot, aber
vielfach in einer etwas anderen Nuance (mehr zinnoberrot, während
die Plastochondrien Karminton zeigen).
Die birn- und glockenförmigen Spermien unterscheiden sich
von denjenigen des type conoide ausser durch ihre äussere Form
dadurch, dass sie keinen Glanzkörper besitzen; nach Alfred
Mayer (S. 524) haben sie ihn durch Resorption verloren. Bei
vielen derselben enthält der Schwanzteil, wie Alfred Mayer
zuerst beschrieben hat, und wie ich bestätigen kann, eine helle
Partie, welche Lage und Grösse des Glanzkörpers nachahmt.
Literatur. Inder Literatur finden sich zahlreiche Angaben,
die von der eben gegebenen kurzen Schilderung abweichen oder
darüber hinausgehen. Ich registriere hier nur folgende:
Van Beneden beschreibt, dass der Kern von einer helleren,
fein punktierten (sog. perinucleären) Zone, welche aber auch
undeutlich sein oder fehlen kann, und einer dunkleren Rindenzone
umgeben sei. Die Rindenzone enthält Körner, welche nach Van
Beneden konzentrisch um den Kern herum angeordnet sind,
in der Weise, dass sie zugleich radiäre Reihen bilden. Sie sind
untereinander durch Fäden verbunden, so dass Systeme von Linien
entstehen, von denen die einen radiär, die anderen konzentrisch
sind. Ebenfalls an der den Glanzkörper umgebenden Plasmahülle
kann man nach Van Beneden zwei Systeme von sehr feinen
Linien unterscheiden, an deren Kreuzungspunkten Körner liegen;
die einen verlaufen in longitudinaler, die anderen in querer Richtung.
694 Friedrich Meves:
Ich habe weder eine derart regelmässige Anordnung der
Körner beobachtet, noch auch Fäden wahrgenommen, welche die
Körner untereinander verbinden.
Die Existenz von Fäden wird auch von L. und R. Zoja
in Abrede gestellt. Nach ihnen kann man beim Vergleich der-
jenigen Bilder, welche man mit der Altmannschen Methode
erhält, mit den Spermatozoenabbildungen Van Benedens auf
den Gedanken kommen, dass die von diesem Autor geschilderten
Granula nicht den Plastochondrien. sondern der Substanz zwischen
ihnen entsprechen, dass sie also gleichsam das Negativbild der
Plastochondrien darstellen. Jedoch will mir ein solcher Irrtum
von seiten Van Benedens nicht recht glaubhaft erscheinen.
v. Erlanger (1897, S. 316) schreibt dem Protoplasma des
Ascarisspermiums einen wabigen Bau zu; die Körner (nach
v. Erlanger „Deutoplasmakörner“) sollen in den Knotenpunkten
des Wabenwerks liegen.
Nach Carnoy und Lebrun (1897, S. 81) wird das Ascaris-
spermium seiner ganzen Länge und Breite nach von einem Netzwerk
erfüllt. dessen Knotenpunkte nur wenig verdickt sind. In den
Maschen desselben ist eine hyaline Masse, ein „Enchylem“ ab-
gelagert, und zwar im Kopfteil in geringerer Menge, im Schwanz-
teil dagegen in einer solchen Dichte, dass die Balken des Netzwerks
unsichtbar werden. Die Körner Van Benedens entsprechen
nach Carnoy und Lebrun Enchylemkügelchen, welche in den
Maschen des Netzwerks gelegen sind. — Ich habe von einem
solchen Netzwerk, wie Carnoy und Lebrun es beschreiben,
nichts wahrnehmen können.
V. Verhalten der männlichen und weiblichen Plasto-
chondrien bei der Befruchtung.
Bei der Darstellung des Befruchtungsprozesses beschränke
ich mich im wesentlichen darauf, das Verhalten der Plasto-
chondrien zu beschreiben. Dagegen lasse ich die Richtungs-
körperbildung beiseite, weil meine Präparate mir in dieser Be-
ziehung keine wesentlichen neuen Aufschlüsse gegeben haben.
Fig. 1 zeigt zwei Geschlechtszellen im Augenblick der
Kopulation; das Spermium ist bereits eine Strecke weit in die
Eizelle eingedrungen. Man konstatiert am Spermium eine schon
von Van Beneden (1883, 8. 162—163) bemerkte Abplattung
Die Beteiligung der Plastochondrien. 695
des Kopfteils, welche häufig mit einer Einbuchtung des Seiten-
konturs zwischen Kopf- und Schwanzteil einhergeht.
Van Beneden (1883, S. 179) hat beschrieben, dass
die Kerne sich an den eingedrungenen Spermien viel weniger
intensiv als an den freien färben In Übereinstimmung damit
finde ich an Präparaten, welche nach der Altmannschen Methode
behandelt sind, dass der Spermienkern bald nach Eintritt der
Kopulation den Farbstoff sehr leicht abgibt, während er ihn
vorher zähe festhielt; er erscheint daher in Fig. 1 und ebenso
in den folgenden Figuren als heller Fieck zwischen den ihn
umgebenden Plastochondrien. Das kopulierende Spermium in
Fig. 1 ist bei Einstellung auf den Kern gezeichnet und sind nur
diejenigen Plastochondrien wiedergegeben, welche bei dieser Ein-
stellung sichtbar waren. Um dem Leser eine Vorstellung von
der Menge der Plastochondrien zu verschaffen, welche im Kopf-
teil des Spermiums vorhanden sind, habe ich in Fig. 2 ein eben
vollständig eingedrungenes Spermium in der Ansicht von vorn,
ebenfalls bei Einstellung auf den Kern abgebildet.
In Fig. 1 ist die Oberfläche des Eikerns, welcher infolge
der starken Osmierung völlig homogen aussieht, nicht gleichmässig
gerundet, sondern höckerig. Diese Erscheinung ist möglicherweise
auf Schrumpfung zu beziehen. Dagegen sind die Spitzen und Zacken
der Kernmembran in Fig. 2 wohl der Ausdruck davon, dass die
achromatische Spindel, welche wahrscheinlich mehrpolig angelegt
wird (vgl. Boveri, 1887, S. 17—13), in Bildung begriffen ist.
Nach seinem Eindringen bleibt das Spermium zunächst unter
der Eioberfläche liegen, wobei es sich mit seiner Längsachse
schräg oder parallel (Fig. 4) zu dieser stellt (vgl. auch Van
Beneden, 1883, S. 181). Sodann begibt es sich immer tiefer in das
Innere des Eies hinein, bis es schliesslich den Mittelpunkt desselben
einnimmt, welchen es gewöhnlich mit dem Schwanzende zuerst er-
reicht (Fig. 5—10). Gleichzeitig steigt der Kern der Eizelle unter
Umbildung zur ersten Richtungsspindel an die Oberfläche empor.
Das Spermium nimmt auf dem Wege zum Eimittelpunkt
eine mehr oder weniger unregelmässige Form an, wobei es aber
das Bestreben zeigt, sich der Kugel zu nähern. Jedoch tritt die
Kugelform erst mehr hervor, nachdem das Spermium die Eimitte
erreicht hat (Fig. 10—12). Selbst dann behält es noch längere
Zeit einen stark höckerigen Kontur. Erst nachdem der erste
696 Friedrich Meves:
Richtungskörper ausgestossen ist, bildet es eine Kugel mit nahezu
glatter Oberfläche (Fig. 17, 18).
In der Protoplasmastruktur des Spermiums vollziehen sich
dabei folgende Veränderungen:
Wenn ein Glanzkörper vorhanden ist, so beginnt dieser
gleich nach dem Eindringen des Spermiums an Volumen abzu-
nehmen; dabei gibt er seine Kegelform auf und wird kugelig (vergl.
Van Beneden, S. 242). Die ihn umgebende Protoplasmaschicht
zieht sich in demselben Maß, wie er kleiner wird, um ihn zusammen,
wobei sie erheblich an Dicke zunimmt (Fig. 5 und 6). Manchmal
vermag sie aber anscheinend nicht schnell genug zu folgen, so dass
in der Umgebung des sich verkleinernden Glanzkörpers ein heller,
wahrscheinlich mit Flüssigkeit erfüllter Raum auftritt (Fig. 7).
Nach vollständigem Schwund des Glanzkörpers hinterbleibt vielfach
im Spermium anfangs noch eine kleine helle Höhle (Fig. 8). Später
ist auch von dieser nichts mehr wahrzunehmen.
Sobald das Spermium von der Eizelle aufgenommen ist,
treten Plastochondrien zuerst vereinzelt (Fig. 3), später (Fig. 4ff.)
in immer grösserer Zahl, aus dem Innern des Spermiums an die
Oberfläche desselben heraus, so dass diese schliesslich vollständig
von ihnen bedeckt ist. Die an die Oberfläche getretenen Plasto-
chondrien erscheinen auf einem optischen Schnitt durch das
Spermium wie ein Saum, welcher von den im Innern zurück-
gebliebenen, die hauptsächlich um den Kern gruppiert liegen,
durch einen grösseren Zwischenraum getrennt ist. Gleichzeitig
erfahren ein Teil der herausgetretenen Plastochondrien, besonders
alle diejenigen, welche an der Oberfläche des Schwanzteils liegen,
eine Zerlegung in kleinere Körner, welche nicht grösser sind
als diejenigen der Eizelle. Ebenso zerlegen sich die Plasto-
chondrien, welche im Innern des Schwanzteils zurückgeblieben
sind. Im ganzen Bereich des Kopfteils dagegen bleiben sie
durchweg mehr gross. Dieser Umstand ermöglicht es, Kopf- und
Schwanzteil des Spermiums noch mit Sicherheit zu unterscheiden,
nachdem die Gestalt des Spermiums sich bereits stark der Kugelform
genähert hat (Fig. 10). Auf einem weiteren Stadium (Fig. 11, 12)
zerlegen sich die grossen Plastochondrien im Innern des Spermiums,
welche hauptsächlich um den Kern angehäuft liegen, ebenfalls.
Das Spermium ist nun von kleinen Plastochondrien (von der
Grösse derjenigen der Eizelle) dicht durchsetzt.
Die Beteiligung der Plastochondrien. 697
Während diese Vorgänge sich am Spermium abspielen,
beginnen die Plastochondrien der Eizelle Lageveränderungen zu
zeigen, wesentliche aber erst dann, wenn die Richtungsspindel
die Eimitte verlässt, um dem Spermium Platz zu machen (Fig. 7).
Das Spermium dreht, indem es sich dem Eizentrum nähert, seine
Schwanzspitze regelmässig gegen dieses. Um diese Schwanzspitze
als Mittelpunkt beginnen nun die Plastochondrien der Eizelle
sich anzusammeln. Die Ansammlung wird immer stärker. Nach-
dem das Spermium den Mittelpunkt des Eies eingenommen hat,
häufen sich die Plastochondrien auf allen Seiten um das Spermium
an, so dass sie eine vollständige Umhüllung desselben bilden,
während sie sich aus den peripheren Teilen der Eizelle mehr und
mehr zurückziehen (Fig. 8—12). Es ist übrigens möglich, wenn
es sich auch nicht konstatieren lässt, dass männliche Plasto-
ehondrien sich schon auf diesen Stadien von der Spermienoberfläche
ablösen und sich unter die Plastochondrien der Eizelle mischen.
Nachdem die Plastochondrienansammlung um das Spermium
vollständig geworden ist, weist sie in der Regel gegenüber dem
zentralwärts gekehrten Ende der ersten Richtungsspindel eine
Einbuchtung auf. Sie wird von zahlreichen anscheinend leeren
Bläschen durchsetzt, welche wahrscheinlich aufgehellten corpus-
eules refringents entsprechen.') Die „hyalinen Kugeln“ Van
Benedens, unter denen solche mit gleichartigem Inhalt (goutte-
lettes homogenes) zahlreicher geworden sind. finden sich nunmehr
auf eine periphere Zone der Eizelle beschränkt, in welcher man
nur noch vereinzelte Plastochondrien wahrnimmt.
Auf einem weiteren Stadium (Fig. 13) zieht die Kugel der
Eiplastochondrien sich enger um das Spermium zusammen. Gleich-
zeitig beginnen die Plastochondrien, welche das Spermium durch-
setzen, offensichtlich in das Eiprotoplasma überzutreten. Zu-
nächst wird die Mitte des Spermiums von Körnern frei; dagegen
häufen sie sich in der Peripherie des Spermiums und in der
Umgebung desselben im Eiprotoplasma an. Auf diese Weise
entsteht folgendes Bild: Die körnerfreie Mitte des Spermiums
wird von einer sehr körnerreichen Zone eingefasst, welche über
!) Die corpuscules refringents sind an den Präparaten, welche meiner
Schilderung zugrunde liegen, von flüssigkeitshaltigen Vacuolen, wie ich bereits
oben bemerkt habe, nicht zu unterscheiden, so dass ich nicht in der Lage
bin, über ihr Verhalten bestimmte Auskunft zu geben.
698 Friedrich Meves:
den Rand des Spermiums in das Eiprotoplasma hinübergreift und
den Kontur des Spermiums verdeckt. Nach aussen grenzt sie
sich mit unregelmässig zackigem Kontur gegen eine weniger
körnerreiche Zone ab, in welche wahrscheinlich erst wenige oder
gar keine männliche Plastochondrien gedrungen sind (Fig. 13, 14).
Der Spermienkern, welcher auf den bisherigen Stadien nur als
ein von Plastochondrien freier heller Fleck wahrnehmbar war,
tritt nunmehr (bei Anwendung der Altmannschen Methode) als
bräunlicher Körper in der Mitte des Spermiums hervor (Fig. 14).
Während nun die erste Reifungsteilung ihrem Ende ent-
gegengeht (unter gleichzeitigem Schwund der gouttelettes homo-
genes, welche an Stelle der hyalinen Kugeln getreten sind), wandern
immer mehr Plastochondrien aus dem Spermium in das Ei-
protoplasma aus, so dass der körnerfreie Teil des Spermiums
immer grösser wird (Fig. 15, 16). Allmählich tritt der Kontur
des Spermiums wieder deutlich hervor (Fig. 16). Bald (Fig. 17)
sind im Innern nur noch vereinzelte Körner zurückgeblieben,
welche aber gleichfalls noch ihren Weg in das Eiprotoplasma
nehmen. Andere zahlreichere und zum Teil grössere Körner,
welche noch die Oberfläche des Spermiums besetzen, lösen sich
von dieser ebenfalls ab. Schliesslich hat das Spermium seine sämt-
lichen Plastochondrien an das Eiprotoplasma abgegeben (Fig. 18);
das Spermienprotoplasma, welches den Spermienkern umgibt, be-
steht nunmehr ausschliesslich aus „Grundmasse“ oder „Zwischen-
substanz“ (vergl. S. 708).
Schon vor diesem Zeitpunkt ist der Unterschied zwischen
den vorhin erwähnten beiden Körnerzonen vollständig geschwunden,
was als ein Zeichen dafür gelten kann, dass die männlichen
Plastochondrien sich gleichmässig überallhin verbreitet haben.
Aus theoretischen Gründen muss angenommen werden, dass,
nachdem die männlichen und weiblichen Plastochondrien sich ge-
mischt haben, früher oder später je ein männliches und weibliches
Korn miteinander verschmelzen. Es ist nun in der Tat vielfach
unverkennbar, dass die Plastochondrien, welche nach Beendigung
der ersten Richtungsteilung das Spermium umgeben, im Vergleich
mit denjenigen früherer Stadien nicht unerheblich grösser sind.
Ferner scheint mir, dass gleichzeitig eine Abnahme ihrer Zahl
stattgefunden hat. Immerhin muss man wohl die Möglichkeit im
Auge behalten, dass diese Erscheinungen auf Rechnung einer
Die Beteiligung der Plastochondrien. 699
(uellung zu setzen sind, welche eingetreten sein könnte, weil das
fixierende Reagens die auf diesen Stadien bereits stark verdickte
Dotterhaut erst nach Ablauf einiger Zeit zu durchdringen vermag.
Nachdem der Protoplasmakörper des Spermiums von sämt-
lichen Plastochondrien ausgeräumt ist, verlässt er, kleiner werdend,
mit dem in ihm enthaltenen Spermakern das Eizentrum und
steigt gegen die Eioberfläche empor; dort habe ich ihn häufig
in der Nähe der zweiten Richtungsspindel angetroften.
Seine weiteren Schicksale habe ich bisher nur an Präparaten
verfolgen können, welche nach anderen Methoden als der Alt-
mannschen hergestellt waren. Dabei ergab sich eine völlige
Übereinstimmung mit der Beschreibung Van Benedens (1883,
S. 304; vergl. auch Van Beneden und Neyt, 1887, S. 222),
welche auch Boveri (1888, S. 43 und 44) bestätigt hat.
Nach Van Beneden wird der Protoplasmakörper von dem
wachsenden Spermakern wie ein Kleidungsstück abgeworfen.
Zuerst bildet er noch eine partielle Umhüllung des Vorkerns in
Gestalt einer Kalotte mit unregelmässiger Oberfläche; später
trennt er sich vollständig von ihm ab. Sein Volumen wird als-
dann rapide kleiner. Schliesslich verschwindet er, indem er von
dem Eikörper resorbiert wird.
Literatur. Van Beneden hat die Veränderungen, welche
sich nach seinen Beobachtungen bei der Befruchtung des Ascariseies
am Protoplasma des Spermiums und an demjenigen der Eizelle
abspielen, ausführlich geschildert; jedoch ergeben sich hinsichtlich
der Plastochondrien zu meinen Befunden wenig Beziehungen.
Nach Van Beneden (1883, S. 176) gewinnt die proto-
plasmatische Substanz des Spermiums im Augenblick der Kopu-
lation, besonders aber hinterher, eine starke Affinität für Farb-
stoffe. Es hat wohlan der von mir vorwiegend benutzten Methode
gelegen, dass ich von dieser auch von anderer Seite (z. B. von
A. Schneider, 1883, S. 5) erwähnten Erscheinung nichts wahr-
genommen habe.
Dagegen kann ich Van Benedens Angabe (8. 177), dass
an den kopulierenden Spermien die von mir als Plastochondrien
bezeichneten Körner sich in regelmässigen Reihen anordnen, von
denen die einen parallei der Eioberfläche, die anderen senkrecht
dazu gestellt sind, nicht für zutreffend halten.
Archiv. f. mikr. Anat. Bd. 76. 45
700 Friedrich Meves:
Wenn Van Beneden weiter sagt, dass die Körner in den
freien Spermien verhältnismässig gross und stark glänzend sind,
nach erfolgter Kopulation aber viel kleiner und im allgemeinen
sehr wenig deutlich werden, so mag hier eine richtige Beobachtung
zugrunde liegen. Wenn er aber findet (S. 177), dass es an den
eingedrungenen Spermien häufig sogar unmöglich sei, die Körner
zu unterscheiden, und dass das Protoplasma wenigstens dem
Anschein nach homogen werde, so wird dieser Anschein durch
die Altmannsche Methode jedenfalls widerlegt.
Während der Bildung des ersten Richtungskörpers teilt sich
nach Van Beneden (S. 245) das Protoplasma des Spermiums (ab-
gesehen von der hellen „perinucleären Zone“,!) welche unverändert
bleibt) in zwei Teile: einen „chromophilen“ Teil, welcher sich
um die perinucleäre Zone in Form eines Hofes (aur&ole) ansammelt
und aus grossen glänzenden färbbaren Kügelchen besteht, und
einen an der Peripherie gelegenen „achromophilen“ Teil, dessen
äussere Grenze den häufig schwer zu unterscheidenden Kontur
des Spermiums bildet.
Von den „färbbaren Kügelchen“, welche nach Van Beneden
den Hof (aur&ole) zusammensetzen, wird man geneigt sein, an-
zunehmen, dass sie Plastochondrien entsprechen, wie sie in mehreren
meiner Figuren den Spermienkern in Form eines Kranzes umgeben.
Gegen diese Annahme spricht aber, dass das Aussehen des Sper-
mienprotoplasmas nach Van Beneden (S. 273—275) über das
Ende nicht nur der ersten, sondern auch der zweiten Reifungs-
teilung hinaus im wesentlichen dasselbe bleibt. Van Beneden
leitet seine „färbbaren Kügelchen“ ferner nicht von den Körnern
ab, welche im Protoplasma der freien Spermien vorhanden sind,
sondern hält sie augenscheinlich für Neubildungen.
Das Protoplasma des Eies gewinnt nach Van Beneden
(S. 235 und 236) im Beginn der ersten Richtungsteilung, nach-
dem das Spermium seine zentrale Lage angenommen hat, in der
Umgebung des letzteren eine körnige Beschaffenheit, welche, wenn
ich Van Beneden richtig verstehe, durch Dottergranula bedingt
sein soll, welche auf Kosten von gouttelettes homogenes entstehen.
Van Beneden hat demnach nicht erkannt, dass die Körner,
weiche sich um das Spermium anhäufen, bereits in der un-
!) Die Existenz derselben wurde von Boveri (1888, S. 42), welchem
ich mich anschliesse, in Abrede gestellt.
Die Beteiligung der Plastochondrien. 701
befruchteten Eizelle vorhanden sind und den von ihm so genannten
Microsomen entsprechen.
Boveri (1888, S. 19) findet, dass Van Beneden die Ver-
änderungen, welche das Spermium vom Moment des Eindringens
in das Ei bis zur Ablösung des zweiten Richtungskörpers in seiner
Form und Protoplasmastruktur erleidet, vorzüglich
beschrieben habe. Er erklärt, dass er dieser Schilderung nichts
hinzuzufügen wüsste. Auch er sei, gleich Van Beneden, zu
der Überzeugung gelangt, dass diese Umbildungen im Sinne einer
langsamen Entartung und Auflösung aufzufassen seien.
Im Eiprotoplasma bildet nach Boveri (1888, 8. 60 ff.)
die von ihm als Archoplasma bezeichnete Substanz, welche bei
Behandlung der Eier mit Pikrinessigsäure der Verquellung allein
Widerstand leistet, „nach der Ausscheidung der zweiten Perivitellin-
hülle“, d.h. nach Boveri „zwischen der Abtrennung des ersten
und zweiten Richtungskörpers“ einen dichten kugeligen Hof um
das im Zentrum des Eies gelegene Spermatozoon. Nachdem man
diese Substanz erst einmal als spezifisch erkannt hat, lässt sich
ihr Vorhandensein auch in jenen früheren Stadien der Eireifung,
wo die Pikrinessigsäure eine Isolierung noch nicht bewirkt, mit
Sicherheit konstatieren. „Schon während der Bildung des ersten
Richtungskörpers finden wir das Archoplasma, wenn auch weniger
verdichtet und nach aussen sich allmählich verlierend, um das
Spermatozoon angehäuft“; noch früher dagegen ist es nicht nach-
zuweisen. Damit soll jedoch seine Existenz auf früheren Stadien
durchaus nicht in Abrede gestellt werden. „Die optischen Eigen-
schaften dieser Substanz sind eben so wenig charakteristisch, dass
dieselbe unter den anderen Strukturen der Zelle nur in dichter
Häufung hervortreten kann.“
Es bedarf wohl keines Hinweises mehr, dass diese Archo-
plasmakugel Boveris mit der oben geschilderten Plastochondrien-
ansammlung identisch ist. Nach Boveri ist sie aber bis zuletzt
ausschliesslich ovogenen Ursprungs, während sie tatsächlich gegen
Ende der ersten Reifungsteilung einen erheblichen Zuwachs durch
Körner gleicher Art erfährt, welche aus dem Spermium auswandern.
Wenn Boveri das Archoplasma als eine „je nach dem
Entwicklungszustand des Eies körnige oder fädige Substanz“
bezeichnet, so ist dies in dem Sinne, in welchem Boveri es
meint, wahrscheinlich nicht richtig. Fädig soll es nach Boveri
45*
1702 Friedrich Meves:
im Beginn der ersten Furchungsteilung werden, wo die Archo-
plasmakörner, welche um die Centrosomen angesammelt sind, sich
in radialen Reihen anordnen; sie sollen alsdann durch Fäden mit-
einander in Verbindung treten. Ich glaube demgegenüber, dass
die um die Üentrosomen angesammelten Archoplasmakörner
zwischen den Fäden der Polstrahlung liegen; die grösste Anzahl
derselben bleibt überhaupt im Zellkörper verstreut. Immerhin
war die Bezeichnung des „Archoplasmas“ als einer bald körnigen,
bald fädigen Substanz zutreffend, insofern als dieselbe Materie,
aus welcher die Körner in den Ovocyten geformt sind, in den
Zellen der Wachstumsperiode, wie schon L. und R. Zoja (1891,
S. 246) angeben, lange, vielfach gewundene und verschlungene
Fäden bildet.
Die Gebrüder L. und R. Zoja haben 1891 zum erstenmal
auf die Tatsache hingewiesen, dass bei der Befruchtung des Ascaris-
eies eine Vermischung zwischen männlichen und weiblichen
„Plastidulen“ stattfindet. Ihre Beschreibung (S. 247 und 248)
lautet in freier Übersetzung, aber unverkürzt, folgendermassen:
Die Plastidulen des Spermatozoons behalten längere Zeit
ihre Anordnung und ihr charakteristisches Aussehen bei, indem:
sie viel grösser als diejenigen des Eies bleiben. Letztere, welche
zuerst nicht sehr zahlreich und in der Umgebung des Kerns, des
Spermatozoons und der hyalinen Kugeln zu sehen waren, wachsen
während der letzten Phasen der figure ipsiliforme von Van Beneden
(wenn die hyalinen Kugeln eine periphere Lage annehmen) ausser-
ordentlich an Zahl und hüllen das ganze Spermatozoon ein ebenso
wie, wenn auch in geringerer Anzahl, die figure ipsiliforme; um
diese herum sind sie schon auf den vorhergehenden Stadien
deutlich sichtbar; und zwar findet man sie entsprechend den
Radien der Strahlungen angeordnet, welche an den beiden Armen
des Y auftreten. Wenn im Ei ein radiäres Aussehen erkennbar
ist, beteiligen sich die Plastidulen in bemerkenswerter Weise daran,
es hervorzurufen. Sie liegen in dem grobmaschigen protoplasma-
tischen Reticulum, welches Van Beneden beschreibt, und ver-
mehren sich auch hier; auf denjenigen Stadien, wo sie im Ei
verstreut sind, ist es jedoch leicht zu erkennen, dass erhebliche
Teile in den verschiedenen Trabekeln des Reticulums frei von
ihnen bleiben. Wenn nun die zahlreichen Plastidulen das Sperma-
tozoon umschliessen, bleibt dieses zuerst noch gut individualisiert;
Die Beteiligung der Plastochondrien. 703
aber dann sieht man seine Plastidulen weniger deutlich werden
und sich unmerklich mit denjenigen des Eies mischen. Wie dies
vor sich geht, haben die Gebrüder Zoja nicht erkennen können.
Nachdem der weibliche Vorkern sich gebildet hat, sieht man ihn
auf einigen Stadien von einer breiten Zone umgeben, die fast
gänzlich frei von Plastidulen ist; diese häufen sich vielmehr noch
in der Umgebung des männlichen Elements an.
Auf S. 267 fassen die Gebrüder Zoja ihre Beobachtungen
noch einmal zusammen: „Per quanto riguarda la fecondazione,
abbiamo osservato, che, quando lo spermatozoo dell’ Ascaris
magalocephala entra in copulazione, ..... i plastiduli dello
spermatozoo restano individualizzati, fino a che, incominciando
la formazione del pronucleo femminile, pare si confondano con
quelli del protoplasma dell’ uovo; ma non abbiamo nessuna
osservazione sul come si comportino in seguito e quale impor-
tanza possano avere nel costituire la prima cellula dell’ embrione“.
Der eben wiedergegebenen Darstellung kann man wohl den
Vorwurf nicht ersparen, dass ihr Details allzusehr fehlen; ausser-
dem lassen die beigegebenen Figuren sehr zu wünschen übrig.
Dass die Plastochondrien der Eizelle, indem sie sich um das
Spermium ansammeln, gleichzeitig an Zahl zunehmen, kann ich
nicht als erwiesen ansehen: immerhin will ich es als möglich
zugeben. Dagegen ist es sicher irrtümlich, wenn der Zeitpunkt,
zu welchem die Mischung zwischen männlichen und weiblichen
Plastochondrien vor sich geht, von den Gebrüdern Zoja auf den
Beginn der Bildung des weiblichen Vorkerns festgesetzt wird‘
wie wir gesehen haben, erfolgt sie schon gegen Ende der ersten
Reifungsteilung.
Nach v. Erlanger (1897, S. 319—321) wird kurz nach
dem Eindringen des Spermiums die „Alveolarschicht des Schwanz-
fortsatzes“ aufgelöst, so dass der kugelförmig gewordene Glanz-
körper nunmehr unmittelbar im Eiplasma liegt. Wenn das Ei-
zentrum erreicht ist, zerfällt auch die protoplasmatische Hülle
des Spermakerns. Sie schickt zuerst pseudopodienartige Fortsätze
aus, welche dem Kopfteile das Aussehen einer Amöbe verleihen,
und wird dann aufgelöst, wobei die Körner, welche in den Knoten-
punkten der Alveolen gelegen waren, sich im zentralen Eiplasma
zerstreuen und um den Spermakern einen dunklen Hof bilden,
welchen v. Erlanger als Detrituszone bezeichnet. „Der Körner-
704 Friedrich Meves:
haufen im Eizentrum hat einen weit grösseren Durchmesser als
derjenige des Spermakopfendes, was darauf beruht, dass die
Körner im Eiprotoplasma anschwellen und weniger dicht an-
einandergelagert sind“ (S. 413). Zunächst liegt aber der Sperma-
kern nicht ganz frei in diesem Körnerhaufen, sondern steckt noch
zur Hälfte in einem Rest des Kopfteils, aus dem er sich erst
allmählich herausarbeitet. Der Rest des Kopfteils bleibt in Gestalt
eines vertieften Napfes oder einer Kalotte längere Zeit, öfters
noch eine Weile nach der Konjugation der Vorkerne, bestehen.
v. Erlanger lässt also die zentrale Körnerkugel aus-
schliesslich aus Körnern entstehen, welche aus dem Kopfteil
des Spermatozoons frei werden. Richtig ist, dass die Plasto-
chondrien des Spermiums, wenn auch wohl nicht von vornherein,
so doch von einem bestimmten Zeitpunkt an, am Aufbau der
Körnerkugel teilnehmen. Es ist daher immerhin möglich, dass
der Angabe v. Erlangers eine halbwegs zutreffende Beobachtung
zugrunde liegt. — Dass ich die Bezeichnung der Plastochondrien-
ansammlung als „Detrituszone“ ablehne, brauche ich nicht zu
erwähnen.
Carnoy wollte schon 1886 (S. 69) bei Behandlung der
Ascariseier mit Methylgrün, Bismarckbraun und anderen Farb-
stoffen konstatiert haben, dass sich bei der Befruchtung das
„mächtige Reticulum“ der männlichen Zelle innig mit demjenigen
des Eies vereinige, nachdem das Enchylem, welches in den
Maschen des Spermiumnetzwerkes enthalten sei, sich in dem
Eizellenenchylem gelöst habe.
Eine detaillierte Beschreibung dieses angeblich zu beob-
achtenden Vorgangs wird in einer Arbeit von Oarnoy und
Lebrun (1897, S. 85—93) gegeben. Nach Carnoy und Lebrun
verlieren der Kopfteil des eingedrungenen Spermiums und die
periphere Portion des Schwanzkegels sehr bald den grösseren
Teil ihres „Enchylems“, welches erweicht und sich allmählich
auflöst. Das Netzwerk des Spermiums breitet sich im Eiprotoplasma
aus, wobei es unregelmässige Fortsätze aussendet. Das Enchylem
löst sich entweder an Ort und Stelle oder es wird aus den Maschen
des Netzwerks nach aussen ausgetrieben, wo es den Netzbalken
in Form unregelmässiger schwarzer Körper anklebt. Man erkennt
nun alsbald in der Umgebung des Spermakerns zwei Höfe von
verschiedenem Aussehen: einen zentralen sternförmigen dunkleren
Die Beteiligung der Plastochondrien. 705
und einen äusseren helleren Hof; letzterer ist von sehr ver-
schiedener Breite; er kann bis an die Peripherie des Eies reichen.
In den Fortsätzen des zentralen Hofes bemerkt man Kügelchen,
die sich mit Eisenhämatoxylin stark schwarz färben; sie sind
durch Verschmelzung der kleinen, aus dem Spermium ausge-
triebenen enchylematösen Maschen entstanden, welche sich ver-
einigen, sobald sie einander begegnen. Der zentrale Hof kommt
durch eine Verschmelzung oder innige Mischung des Sperma-
reticulums mit dem Eiprotoplasma zustande. Im Bereich des
äusseren Hofes dagegen sind die Trabekel des Eiprotoplasmas
durch die Wirkung derjenigen Substanzen modifiziert, welche aus
dem Spermium in das Ei übergetreten sind.
Später verschwindet der Unterschied zwischen den beiden
Höfen, indem der zentrale Hof mit den in ihm enthaltenen
Enchylemgranula sich immer weiter ausbreitet, bis er schliesslich
die Eiperipherie erreicht. Das Eiprotoplasma, welches vorher
(zur Zeit der Richtungskörperbildung) von zum Teil sehr grossen
Vacuolen erfüllt war und ein sehr spärliches Netzwerk besass,
ist nunmehr umgekehrt arm an Vacuolen, sein Reticulum ist stark
gewuchert und sehr dicht.
Auf die „Wucherungsperiode“ folgt nach Carnoy und
Lebrun eine solche der „Ausarbeitung“, welche zur Bildung
eines Netzwerks mit grösseren und weniger zahlreichen Maschen
und dickeren Bälkchen führt.
Fragt man, ob das Netzwerk des Spermiums wirklich (wie
Carnoy 1836 behauptet hatte) mit demjenigen des Eiprotoplasmas
verschmilzt, so lässt sich nach Carnoy und Lebrun darauf
antworten, dass es jedenfalls, wenn es sich im Ei ausbreitet, mit
den Trabekeln des Eiprotoplasmas in Kontinuität tritt. Aber
selbst, wenn es schwinden sollte, so wird doch die ursprüngliche
Struktur des Eiprotoplasmas unter dem Einfluss des Spermiums
vollständig umgemodelt.
Diese Darstellung von Carnoy und Lebrun erscheint als
ein Versuch, eine Beteiligung des Protoplasmas bei der Befruchtung
zu erweisen, wobei die Hauptrolle einem angeblich in dem
Spermium enthaltenen Netzwerk zuerteilt wird; sie muss aber
schon deshalb als verfehlt bezeichnet werden, weil der Proto-
plasmakörper des Spermiums nach Ablauf der ersten Reifungsteilung
zwar seine Plastochondrien abgegeben hat, im übrigen aber noch
706 Friedrich Meves:
völlig intakt erscheint (Fig. 17). Nach Carnoy und Lebrun
(S. 89) soll dieser Körper, das spätere „Residuum des Spermien-
protoplasmas“ von Van Beneden, allerdings einen Teil des
Glanzkörpers darstellen; aber davon kann keine Rede sein.
VI. Zur Entstehung der inneren Perivitellinhülle.
Anhangsweise möchte ich hier noch einer Erscheinung ge-
denken, welche an den Eiern der Fig. 16—18 zu beobachten ist.
In Fig. 16, also auf einem Stadium kurz vor Ausstossung des
ersten Richtungskörpers, ist zwischen der Oberfläche des Eies
und der „äusseren Perivitellinhülle“ eine homogene, durch die
Altmannsche Methode stark bräunlich gefärbte Substanz auf-
getreten, welche offenbar eine Abscheidung der Eizelle darstellt.
Später, nach Beendigung der ersten und im Beginn der zweiten
Reifungsteilung (Fig. 17 und 18), wandern nun Plastochondrien,
die sich von der überwiegenden Mehrzahl der übrigen durch
geringere (Grösse unterscheiden, aus dem Eikörper aus und in
diese ausgeschiedene Substanz hinein. Wenn es richtig ist, dass
die durchschnittliche Vergrösserung der Plastochondrien in den
Fig. 17 und 18 darauf beruht, dass männliche und weibliche Körner
miteinander verschmolzen sind, so könnte man annehmen, dass
es sich bei diesen auswandernden Plastochondrien um solche
handelt, welche ungepaart geblieben sind.
Beide Erscheinungen, die Ausscheidung der homogenen
Substanz und die Auswanderung der Plastochondrien, stehen nach
meiner Meinung mit der Bildung der „inneren Perivitellinschicht“
in Zusammenhang. Diese Schicht besteht, nachdem sie ihre volle
Entwicklung erreicht hat, aus einer homogenen Grundsubstanz,
in welcher, wie Van Beneden (1883, S. 269) bereits beschrieben
hat, sich kreuzende Fibrillen liegen, welche dicht miteinander
verfilzt sind. Ich vermute nun, dass die Fibrillen innerhalb der
zuerst ausgeschiedenen Grundsubstanz durch eine Metamorphose
der eingewanderten Plastochondrien entstehen; sie würden dem-
nach die gleiche Genese haben, wie ich (1910, 1) sie für
die collagenen Fasern des Wirbeltierkörpers wahrscheinlich ge-
macht habe.
Literatur. Die früheren Untersucher, Van Beneden
und Boveri, lassen die innere Perivitellinhülle allerdings in
Die Beteiligung der Plastochondrien. 707
wesentlich anderer Weise, nämlich durch Umwandlung einer
oberflächlichen Protoplasmaschicht, entstehen; ich muss aber die
Richtigkeit ihrer Angaben entschieden in Abrede stellen.
Van Beneden (1883, S. 268) beschreibt, dass die Rinden-
schicht des Dotters, in welcher die gouttelettes homogenes im
Augenblick der Ausstossung des ersten Richtungskörpers ver-
schwunden sind, nach Bildung der zweiten Richtungsspindel von
neuem eine reticulierte Struktur annimmt. Diese Rindenschicht
soll nun durch eine kreisförmige, anfangs unbestimmte, später
immer deutlicher werdende Linie in eine äussere und innere
Zone geteilt werden. Wenn der zweite Richtungskörper eliminiert
wird, hat die äussere Zone sich vollständig in Form einer dicken
Membran, der „inneren Perivitellinschicht“, abgetrennt.
Nach Boveri (1887) ist die „homogene Substanz der Proto-
plasmavacuolen“ zur Zeit der Abtrennung des ersten Richtungs-
körpers an die Peripherie gerückt und „bildet hier unter der
Eimembran eine ziemlich mächtige Schicht, nur noch von spär-
lichen Protoplasmasträngen durchsetzt, welche die Membran mit
dem zentralen Protoplasma verbinden“ (S. 29). In einem Teil
der Fälle wird nun die periphere homogene Schicht als ein Be-
standteil des ersten Richtungskörpers mit abgetrennt und auf
diese Weise die innere Perivitellinschicht gebildet (S. 30—31).
Meistens aber (S. 33— 34) wird mit dem ersten Richtungskörper
nur ein ganz kleines Stück Zellsubstanz abgelöst, so dass die
Eimembran zur Zeit, wo die zweite Richtungsspindel sich ausbildet,
noch die äussere Perivitellinhülle berührt. „Die homogene Substanz,
welche bei dem zuerst erwähnten Verlauf schon seit längerer Zeit
das Ei als „innere Perivitellinhülle“ umgibt, bleibt hier von spär-
lichen Protoplasmasträngen durchsetzt in der Peripherie des Ei-
leibes liegen, und die zweite Richtungsspindel liegt anfänglich in
dieser Schicht.“ Dieser Zustand dauert jedoch niemals bis zur
Ablösung des zweiten Richtungskörpers, sondern „allmählich zieht
sich die Eimembran von der äusseren Perivitellinhülle zurück,
wobei eine entsprechende Menge homogener Substanz als innere
Hülle austreten muss. Vor der Ablösung des zweiten Richtungs-
körpers ist diese Kontraktion so weit vollendet, dass die innere
Perivitellinschicht der an anderen Eiern auf einmal abgelösten
an Mächtigkeit gleichkommt. Auf diesem Stadium lässt sich nicht
mehr entscheiden, wie der Prozess vor sich gegangen ist.“
708 Friedrich Meves:
VII. Schluss.
Auf Grund der vorliegenden Untersuchung kann es als er-
wiesen gelten, dass bei der Befruchtung geformte Bestandteile
des Protoplasmas, Plastosomen oder Plastochondrien, aus dem
Spermium in die Eizelle übertreten, in welcher sie Bestandteile
gleicher Art vorfinden. Von den Plastosomen habe ich bereits
früher, wie ich in der Einleitung gesagt habe, festgestellt, dass
sie die Elementarstruktur des Protoplasmas darstellen, und bin zu
der Überzeugung gekommen, dass sie die Anlagen für die ver-
schiedensten Differenzierungen bilden, welche im Lauf der ÖOnto-
genese auftreten. Halte ich dies mit der Tatsache ihrer Mitwirkung
bei der Befruchtung zusammen, so scheint mir die Annahme nicht
von der Hand zu weisen, dass sie bei der Vererbung beteiligt sind.
Die Plastosomen repräsentieren nach meiner Ansicht die Vererbungs-
substanz des Protoplasmas, wie das Chromatin diejenige des Kerns.
Allerdings entsprechen die Plastosomen wenig den An-
forderungen, welche wir an eine Erbmasse zu stellen berechtigt
schienen. Der Unterschied, welcher in dieser Beziehung zwischen
ihnen und dem Chromatin besteht, könnte aber seinen Grund
darin haben, dass beide eine ganz verschiedene Molekularstruktur
besitzen. In einer früheren Arbeit (1908, S. 853) habe ich es
für möglich erklärt, dass den Plastosomen der gleiche molekulare
Bau zukommt, welchen Nägeli seinen Idioplasmasträngen zu-
schreibt. Trifft diese Annahme zu, so können die Plastosomen
Erbmasse darstellen, ohne den Bedingungen, welche die Kern-
substanz in ihrer Eigenschaft als solche erfüllt, zu genügen.
Lässt sich aber zeigen, dass sie nicht zutrifft, so ist wohl nicht aus-
zuschliessen, dass noch eine andere Anordnung der „Micelle“ erdacht
werden könnte, welche den theoretischen Anforderungen entspricht.
Die Plastosomen des Spermiums trennen sich, wie wir gesehen
haben, bei der Befruchtung von der „Zwischensubstanz“, in der
sie enthalten waren, und wandern in diejenige des Eiprotoplasmas
ein. Diese Zwischensubstanz ist dieselbe Masse, welche Flemming
und Altmann, der Auffassung entsprechend, welche sie sich
von der Fundamentalstruktur des Protoplasmas gebildet hatten,
der eine als Interfilarmasse oder Paramitom, der andere als
Intergranularsubstanz bezeichnet haben.
Was nun die Zwischensubstanz des Ascarisspermiums an-
langt, so kann man wohl nicht bestimmt in Abrede stellen, dass
Die Beteiligung der Plastochondrien. 709
ihr fädige oder netzige Strukturen zukommen könnten; denn das
Ascarisspermium ist eine nur wenig modifizierte Zelle, und es
gibt sicher Zellen, deren Grundmasse eine feinfädige Beschaffenheit
als präformierte Struktur besitzt.") Entschieden bestreiten muss
ich aber, dass solche Strukturen, wenn sie im Spermienprotoplasma
existieren, aus diesem in den Eikörper übertreten und sich in
ihm ausbreiten, wie Uarnoy und Lebrun behauptet haben.
Aus meinen Beobachtungen scheint mir vielmehr hervorzugehen,
ebenso wie aus denjenigen von Van Beneden und Boveri,
dass die gesamte Zwischensubstanz des Ascarisspermiums, nachdem
sie als Vehikel für die in ihr enthaltenen wichtigeren Zellbestand-
teile (Plastosomen, Kern, Cytocentrum) gedient hat, von dem Ei-
körper resorbiert wird. Damit ist nicht gesagt, dass nicht noch
chemische Wirkungen von ihr ausgehen können. Diese sind
möglicherweise sogar sehr wichtig, z. B. für die Einleitung der
Entwicklung, kommen aber für die Übertragung der erblichen
Eigenschaften meines Erachtens nicht in Betracht. Denn ich bin
der gleichen Überzeugung, welche Hensen (1881) und Nägeli
(1884) zuerst ausgesprochen haben, dass die Vererbung nur durch
organisierte ungelöste Substanz erfolgen kann, und teile daher den
ablehnenden Standpunkt, welchen O0. Hertwig (1909) gegenüber
neueren Versuchen, den Befruchtungsvorgang chemisch-physikalisch
zu erklären (Miescher, Huppert. Loeb u. a.), einnimmt.
So erscheinen mir denn die Plastosomen überhaupt als der
einzige Bestandteil des Protoplasmas, welcher bei der Befruchtung
wirksam sein kann. Dass die Zwischensubstanz in dieser Beziehung
keine Bedeutung besitzt, geht wohl auch daraus hervor, dass sie
bei der Histogenese des Säugetierspermiums nach einer Beobachtung
von, mir. (189978. 359), ‚welche "Dwesb/ere (1908, S. 150)
bestätigt hat, bis auf einen kleinen Rest abgeschnürt wird, der
als Hülle um das sogenannte Verbindungsstück zurückbleibt.
Jedenfalls beweist dieser Befund, dass die Zelle als ganzes nicht
Sitz der Vererbungspotenzen sein kann.
Schliesslich sei noch einmal darauf hingewiesen, dass die
Mischung der männlichen und weiblichen Plastochondrien (und
wahrscheinlich auch ihre Verschmelzung) bei der Befruchtung von
!) Als Beispiel nenne ich die Leucocyten, bei denen ein Fadenwerk in
Form einer von dem Üytocentrum ausgehenden Strahlung vorhanden ist.
710 Friedrich Meves:
Ascaris megalocephala noch vor Beginn der zweiten Reifungs-
teilung erfolgt. Würde es gelingen, den Spermakern nach diesem
Zeitpunkt experimentell zu entfernen, so wäre anzunehmen, dass
der sich entwickelnde Embryo dennoch bereits väterliche Eigen-
schaften aufweisen würde.
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Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXVII-XXIX.
Die Abbildungen der Tafeln XXVII—XXIX sind mit Zeiss’ Apochromat
2 mm (Apertur 1,30 oder 1,40) und Kompensationsokular 12 unter Benutzung
des Abbeschen Zeichenapparates entworfen, wobei der Abstand der Zeichen-
ebene von der Ebene des Tisches 17!/e cm betrug; sie betreffen Schnitte
durch befruchtete Eier von Ascaris megalocephala, welche mit dem Altmann-
schen Gemisch fixiert und mit Säurefuchsin - Pikrinsäure nach Altmann
gefärbt worden sind.
Tafel XXVI.
Fig. 1. Eizelle und Spermium in Kopulation; letzteres bei Einstellung auf
den Kern gezeichnet, welcher als eine helle, von Plastochondrien
freie Stelle erscheint. Glanzkörper zinnoberrot gefärbt.
Fig. 2. Spermium vollständig eingedrungen, vom Kopfende gesehen, bei
Einstellung auf den Kern gezeichnet.
Fig. 3 und 4. Spermien unter der Eioberfläche; in Fig. 4 liegt die Längs-
achse des Spermiums, welchem ein Glanzkörper fehlt, der Eioberfläche
parallel.
Fig. 5 und 6. Spermium weiter in das Eiinnere vorgedrungen. Glanzkörper
(zinnoberrot) kugelig, in Fig. 6 stark verkleinert. In der Eizelle
der Fig. 5 hat die Richtungsspindel, welche sich in der Ansicht
vom Pol präsentiert, ihre zentrale Lage früher, als Regel ist,
aufgegeben.
Mit Bezug auf das Verhalten der Plastochondrien in den Spermien
der Fig. 3—6 vgl. Text S. 696.
Fig
Fig.
Fig
Die Beteiligung der Plastochondrien. 13
Tafel XXVIII.
Bezüglich des weiteren Verhaltens der Plastochondrien des Spermiums
in Fig. ”—12 siehe Text S. 696. In Fig. 12 sind sämtliche Plastochondrien
des Spermiums in kleine Körner zerlegt.
Fig. ? und 8. Ansammlung von Eiplastochondrien um die Schwanzspitze
. 13—
alter
9.
e. 10—
17.
des Spermiums als Mittelpunkt. In Fig. 7 Glanzkörper (zinnoberrot)
stark verkleinert, rechts von ihm ein heller Raum. In dem Spermium
in Fig. 8 ist nach Schwund des Glanzkörpers eine kleine helle
Höhle zurückgeblieben.
Ansammlung der Eiplastochondrien stärker geworden.
12. Spermium im Zentrum des Eies, auf allen Seiten von der
Ansammlung der Eiplastochondrien umgeben. Richtungsspindel
unter der Eioberfläche.
Tafel XXIX.
16. Auswanderung der Plastochondrien des Spermiums in das
Eiprotoplasma (Text S. 697—698). Von Fig. 14 an ist der Kern
des Spermiums als bräunlich gefärbter Körper sichtbar. Die durch
Ösmiumsäure geschwärzten Körper in Fig. 13—15, 17 und 18 sind
wohl Überbleibsel von corpuscules refringents. In Fig. 14 liegt links
vom Spermienkern noch ein Glanzkörperrest (zinnoberrot).
Erster Richtungskörper ausgestossen. Das Protoplasma des
Spermiums enthält nur noch wenige Plastochondrien. Die Plasto-
chondrien, welche in der Umgebung des Spermiums liegen, sind
augenscheinlich vergrössert. Auswanderung kleiner Plastochondrien
in die homogene Substanz, welche (schon in Fig. 16) zwischen Ei-
protoplasma und äusserer Dotterhülle aufgetreten ist.
Stadium der zweiten Richtungsteilung. Eiprotoplasma etwas ge-
schrumpft, wodurch zwischen seiner Aussenfläche und der Innen-
fläche der in Bildung begriffenen inneren Perivitellinschicht ein
Spaltraum entstanden ist. Protoplasmakörper des Spermiums gänz-
lich ohne Plastochondrien: hat sich verkleinert und der Eioberfläche
genähert.
714
Aus dem Anatomischen Institut der Universität Heidelberg.
Dir. Geheimrat Prof. Dr. Fürbringer.
Neue Methoden
zur Darstellung des Verlaufs der Blutgefässe bei
Amphibienlarven und Hühnerkeimscheiben.
Von
Dr. Franz Rost, Assistent.
Hierzu Tafel XXX und XXXI.
Seitdem in der Histologie die chemisch wohlcharakterisierten
Anilinfarben in Aufnahme gekommen sind, bemühte man sich,
mit ihrer Hilfe einmal die chemische Struktur des Protoplasma
zu ergründen, dann suchte man umgekehrt mit bestimmten
Farben bestimmte Gewebe elektiv zu färben und dadurch leichter
kenntlich zu machen. Leider sind die Erfolge dieser Bemühungen
nicht so glänzende gewesen, als die Erwartungen. Die Zahl der
„spezifischen Färbungen“ ist eine geringe geblieben und die rein
empirisch gefundenen entbehren oft der Begründung. Nun sind
aber doch immerhin die Gewebe im ausgebildeten Zustand mit
unseren bisherigen Methoden meist so gut darstellbar, dass man
neue elektive Färbungen entbehren kann, ja man hat schon manch-
mal den Eindruck, dass infolge der allzu bunten histologischen
Präparate für den Anfänger das mikroskopische Sehenlernen
erschwert ist.
Anders verhält es sich mit den embryologischen Geweben.
Sie sind in jüngeren Stadien chemisch wenig differenziert und
heben sich deshalb färberisch nicht immer genügend voneinander
ab. Methoden, die hier nachhelfen würden, sind deshalb recht
erwünscht, beispielsweise besonders, wenn es sich um die Dar-
stellung und das Studium des Verlaufs der Blutgefässe
handelt, da junge Blutzellen anderen embryologischen Gewebe-
zellen recht ähnlich sehen können.
Ich ging, um rote Blutzellen von anderen Gewebsarten zu
trennen, von dem Gedanken aus, dass es möglich sein müsste,
die Kerne geschädigter roter Blutkörperchen innerhalb des lebenden
Neue Methoden zur Darstellung des Verlaufs der Blutgefässe. 715
Tieres zu färben, was natürlich vollständig zu ihrer Erkennung
genügen würde. Eine solche elektive Färbung der Erythrocyten
war mir beim Frosch nach Vergiftung des Tieres mit Hydroxylamin
und anderen Blutgiften ausgezeichnet gelungen.') Dass auf diese
Art die Form und Struktur der Zelle Not leidet, will nicht viel
sagen. Wir studieren ja doch eigentlich niemals das Blut mor-
phologisch im Schnitt oder in den Gefässen, sondern stets im
Ausstrich. Wir werden solche Vergiftungen deshalb auch nur
dort vornehmen, wo es sich um Darstellung der Blutbahn, nicht
der Blutzellen handelt.
Die Versuche wurden an Larven von Rana tempor., Bufo
einereus und Bombinator igneus, auch Triton alpestris in ver-
schiedener Grösse angestellt. Die schönsten Präparate erhielt
ich von ersterer Kaulquappenart. Die Versuchszahl ist eine recht
beträchtliche. Es wurde eine grosse Zahl von Farben und auch
verschiedene Gifte angewendet. Die besten Resultate ergab
mir folgende Methode:
Man fügt zu 20 cem Brunnenwasser '/2 ccm Methylenblau,
1°/o Anilinblau Merk und 0,1 ccm einer 1°/oigen Lösung von
Hydroxylamin hydrochl.?) Man muss diese leicht saure Mischung
mit Sodalösung neutralisieren. Ich neutralisierte die Hydroxylamin-
lösung von vornherein mit 0,5°/o Sodalösung und nahm dann
anstatt O,l cem der reinen, 0,2 ccm der neutralisierten Lösung.
Methylenblau löst sich meist nicht zu 1°/, in Wasser; ich kochte
es zur besseren Lösung auf, aber auch dann fiel nach dem Erkalten
oft früher oder später etwas von der Farbsubstanz aus. Dann
muss man mehr Farbe nehmen; in praxi etwa so viel, dass man
in einer Zimmermannsschale noch eben die darin befindlichen
(segenstände, gegen weisses Papier gehalten, erkennt. In diese
Mischung tut man die Kaulquappen und beobachtet von Stunde
zu Stunde ihr Befinden, indem man sie reizt. Reagieren sie noch
prompt, braucht man sie kaum erst mikroskopisch zu beobachten.
Allmählich — etwa nach 5 Stunden, doch schwankt das sehr —
werden sie träge, sind wohl auch schon narkotisiert. Man legt
sie dann auf einen Objektträger und beobachtet die Blutgefässe
Yı) Erscheint in Pflügers Archiv d.J.
°)Binz: Toxikologisches über das Hydroxylamin. Virch. Arch.,
Bd. CXII, 1.
Lewin: Hydroxylamin. Arch. f. exp. Path. u. Pharm., Bd. 25, S. 306. 1888.
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. 46
716 Franz Rost:
im Schwanz. In der Regel sind dann schon eine Reihe Kerne
von roten Blutkörperchen gefärbt und auch das Protoplasma hat
einen grünlichblauen Farbenton angenommen. Später löst sich
ein Teil des Protoplasmas auf und man sieht freie, gefärbte Kerne
in den Blutgefässen kreisen. In einzelnen derselben kommt es
zu Stase.
Die Kernfärbung wird immer intensiver und beim Tode sind
ungefähr alle Kerne der roten Blutkörperchen gefärbt. Wann
der Tod eintritt, ist schwer zu sagen. Durchschnittlich hatten
die Blutzellen in meinen Versuchen die gewünschte Färbung in
10—12 Stunden erreicht. Man kann auch zuerst einige Stunden
das Gift einwirken lassen und dann Farbe hinzufügen. Das Resultat
ist das gleiche. Ausser Methylenblau erhielt ich gute Erfolge
noch mit Thionin und Toluidinblau:; eine grosse Zahl anderer
Farben war nicht so brauchbar (Neutralrot, Vesuvin und Bismarck-
braun, Eosin w. l., Indigkarmin, Nilblausulfat, Orange G., Safranin
alle 1°/o; von den Lösungen 0,1:20,0 Wasser; auch andere
Mischungsverhältnisse wurden versucht).
Eine elektive Kernfärbung durch spezifische Fixation war
damit erreicht und Beobachtung am lebenden Tier gut möglich.
Für Dauerpräparate zum Studium der Blutbahnen muss nun das
gefärbte Blut möglichst in die peripheren Gefässe getrieben und
dann fixiert werden. Nun war es bei dem Gift recht unangenehm,
dass die Tiere häufig in diastolischem Herzstillstand starben, und
dadurch die schön gefärbten Blutkörperchenkerne zum Schluss
in das Herz gepumpt wurden. Anwendung von infus. fol. digit.
in wechselnder, oft recht beträchtlicher Menge änderte daran
gar nichts. Wohl aber erhielt ich bessere, wenn auch nicht in
allen Fällen tadellose Resultate, wenn ich nach genügender Färbung
die Tiere lebend in gesättigte, wässerige Lösung von Pikrinsäure
brachte, die gleichzeitig zur Fixation der Färbung diente. Auf
diese komme ich noch zu sprechen. Starb dann das Tier in
Systole, so bekam man ein sehr schönes Bild der Gefässverzweigung;
denn nur Kerne der roten Blutkörperchen waren gefärbt. Nur
an wenigen Stellen kam es auch zur Färbung anderer und zwar
der Epithelkerne, die entweder physiologischer Weise abgestorben,
aber noch nicht abgestossen waren, oder die durch lange Ein-
wirkung der Farbe, ferner durch Druck (da das Tier durch
Hydroxylamin narkotisiert meist am Boden des Gefässes liegt),
Neue Methoden zur Darstellung des Verlaufs der Blutgefässe. 717
oder durch Säurewirkung (bei nicht genauer Neutralisation) ge-
schädigt worden sind. Alle diese letzterwähnten Fehler kann
man durch geeignete, selbstverständliche Gegenmassregeln auf-
heben oder einschränken. Die Fixation des Methylenblau bereitet
bekanntlich grosse Schwierigkeiten. Bei der vitalen Nervenfärbung
gelingt es allerdings mit molybdänsaurem Ammon. (5— 10 %/o), wie
Dogiel') angibt, sehr haltbare Präparate herzustellen. Bei der
Kernfärbung war ich weniger glücklich. Ich probierte alle mög-
lichen Modifikationen der Betheschen Fixierung”), auch die
jüngst von Michailow°) angegebene, erhielt aber die besten
Erfolge mit der Originalmethode, d.h. eine Viertelstunde Aufenthalt
der Präparate in gesättigter, wässeriger Pikrinsäure, darauf ohne
Abspülen für 24 Stunden in molybdänsaures Ammon. 4°/o, kurz in
dest. Wasser abspülen, übertragen in 96°/o Alkohol, absol. Alkohol,
Xylol, Balsam. Wenn man die Präparate nach der Ammon.-molybd.-
Behandlung nur kurz, wie es Bethe angibt, abspült, wird aller-
dings oft nachträgliche Niederschlagsbildung nicht verhindert,
wodurch die Präparate rasch verderben. Auch sonst sind sie nicht
übermässig haltbar ; schon nach 14 Tagen beginnen sie abzublassen
und zwar verliert, wie man auch an der Abbildung sieht (Taf. XXX,
Fig. 1), zuerst das Protoplasma seinen blauen Ton. Immerhin
genügt die Zeit, um genaue Untersuchungen am Präparat vor-
zunehmen und sich zu überzeugen, dass mit den oben gegebenen
Ausnahmen es in der Tat zu einer elektiven Färbung der Kerne
der roten Blutkörperchen gekommen ist, herbeigeführt durch ihre
Zerstörung mit Hydroxylamin. Ein Nachteil der Methode ist
zweifellos die schlechte Fixierbarkeit und, da man diese vielleicht
mit der Zeit wird verbessern können, noch mehr der diastolische
Herzstillstand. Für Schnitte war die Methode eigentlich aus
ersterem Grunde gar nicht recht brauchbar, sondern gab schöne
Bilder nur bei Totalpräparaten, wie Schwanzflosse und Extremität,
oder von den Stellen, wo man dünne Stückchen hatte abschneiden
oder abziehen können, wie bei Rumpfhaut, Därmen usw., wobei
-) Methylenblau zur Nervenfärbung. Encyel. d. mikr. Technik, Bd. II,
5.108. 1910.
?) Eine neue Methode der Methylenblaufixation. Anat. Anz., Bd. XII,
S. 438. 1896.
Das Molybdänverfahren etc. Zeitschr. f. wiss. Mikr., Bd. XVII, S.13. 1900.
®) Die Anwendung des Methylenblau in der Neurologie. Ztschr. f. wiss.
Mikr., Bd. 27.8.1. 1910.
46*
718 Rranzwost:
natürlich die topographische Lage zerstört war. Entfernung des
Pigments mit den üblichen Methoden (Eau de Javelle) hielt die
Färbung nicht aus. Alles das sind Gründe, die mich einer Ver-
wendung des Verfahrens in praxi vorläufig etwas skeptisch
gegenüberstehen liessen, während natürlich das prinzipielle Inte-
resse, das diese spezifische Fixation hat, unter diesen Tücken
des Objekts nicht leidet.
Ich suchte nun auf andere Weise, nämlich durch Erzeugung
von Thrombose, die Blutgefässe der Kaulquappen besser sichtbar
zu machen. Nach meinen Versuchen über Kernfärbung am lebenden
Frosch eignet sich hierzu gut das Toluilendiamin.') Ich stellte
mir eine 1°/oige Lösung in Wasser her, die ich genau mit 2°o
"Essigsäure neutralisierte. Von dieser Lösung tat ich 0,5—1 cem
in 20,0 Wasser und setzte die Larven in diese Mischung. Nach
24 Stunden, oft auch erst später, trat dann eine prächtige Injektion
der Blutgefässe im Schwanze mit einem Brei von Blutkörperchen
ein. Da Toluilendiamin besonders bei chronischer Vergiftung
lytisch auf die roten Blutkörperchen wirkt, so ist es empfehlens-
werter, die schwächere (0,5:20,0) Verdünnung anzuwenden, wenn
auch dann natürlich die Injektion länger dauert. Ich setzte auch
zu diesem Gifte, genau in derselben Weise wie oben, verschiedene
Farben und erhielt in der Tat eine schöne diffuse Färbung des
Blutkörperchenbreis. Im allgemeinen empfiehlt es sich aber nicht,
so vorzugehen. Denn erstens kann es leicht kommen, dass infolge
der Thrombose die Farbe nicht gleichmässig verteilt wird, dann
werden durch die lange Einwirkung des Toluilendiamin auch
andere, besonders Epithelzellen, geschädigt und infolgedessen ge-
färbt, schliesslich hat man natürlich dieselben Schwierigkeiten der
Fixation wie beim Hydroxylamin. Und besonders dieser letztere
Grund veranlasste mich, die Färbung nach vorhergegangener
Fixation zu versuchen. Fixiert wurden die durch Gift mit Blut-
körperchenbrei injizierten Kaulquappen in Formolalkohol. Zur
) Stadelmann: Das Toluilendiamin und seine Wirkung auf den
Tierkörper. Arch. f. exp. Path. u. Pharmakol., Bd. XIV, S. 331 u. 422.
Derselbe : Weitere Beiträge zur Lehre von Ikterus. Ebenda Bd. XVI,
S. 118. 1883.
Derselbe: Die chronische Vergiftung mit Toluilendiamin. Arch. für
exp. Path. u. Pharmakol., Bd. XXIII, S. 427.
Afanassiew: Über Ikterus und Hämoglobinurin, hervorgerufen durch
Toluilendiamin ete. Ztschr. f. klin. Med., Bd. XVI, S. 281. 1883.
Neue Methoden zur Darstellung des Verlaufs der Blutgefässe. 719
Färbung benutzte ich Plasmafarben und Kernfarben. Erstere aus
dem Grunde, weil sich bekanntlich alle nekrotischen Gewebe,
genau so wie andere gleichmässig strukturierte, organische oder
anorganische Gebilde, sehr stark mit Plasmafarben tingieren und
sich dadurch scharf von der blasser gefärbten Umgebung abheben.
Man kann dieses Verhalten sehr schön an der Abbildung 2 (Taf. XXX)
studieren, die nach einer Eosinfärbung gezeichnet worden ist.
Bei der zur Anfertigung des Bildes benutzten stärkeren Ver-
grösserung sieht man, dass sich auch die Kerne der zerstörten
Blutkörperchen stark mit Eosin gefärbt haben, ein Verhalten, das
andere Kerne, auch wenn sie fixiert sind, nicht zeigen. Dadurch
heben sie sich stark von den übrigen Grewebskernen ab und tragen
zur deutlichen Sichtbarmachung der Injektion auch bei schwächster
Vergrösserung bei. Zugleich sieht man aber an dem Bilde an
einzelnen Stellen Austritt von Erythrocyten aus den Gefässen,
bedingt durch die lange Einwirkung des Toluilendiamin. Es ist
ein zweifelloser Nachteil der sonst sehr bequemen Methode. dass
man die Kaulquappen so lange in dem Gift belassen muss, bis
sich die Blutbahnen injiziert haben. Dieser Fehler fiel fort bei
Vergiftung mit Arsenwasserstoff, bei deren Besprechung ich
auch die Erfolge mit Kernfarben anführen werde.
Man nimmt in ein Erlenmeyer-Kölbehen 1—1!/s gr acidum
arsenicosum auf 30,0 gr Wasser und setzt etwas Lauge hinzu;')
kocht bei schwacher Flamme so lange, bis sich das Arsen völlig
gelöst hat. Den Wasserstoffstrom bereitet man am besten in
einem Erlenmeyer-Kölbcehen mit doppelt durchbohrtem Stöpsel
aus Zink und Salzsäure. Bevor man die verdünnte Salzsäure
auf das Zink laufen lässt, hat man die Arsenlösung in den Kolben
gebracht. Dann giesst man durch einen Trichter die Säure zu
und leitet den kräftigen, sich rasch entwickelnden Strom von
Arsenwasserstoff zunächst in eine Waschflasche mit gewöhnlichem
Wasser, dann in das Gefäss, in dem sich die Tiere in Wasser
befinden. Man setzt die Tiere dem Gas so lange aus, bis alle
tot sind, was oft schon in sehr kurzer Zeit (!/ı—!/s Stunde) der
Fall ist. Bei Larven von Ranu temp. erhält man dann eigentlich
in jedem Exemplar eine gleichmässig schöne Injektion aller sicht-
'!) Stadelmann: Die Arsenwasserstoffvergiftung. Arch. f. exp. Path.
u. Pharmakol., Bd. XVI, S. 221, 1883.
720 Rranz Rost:
baren Blutgefässe mit Erythrocytenbrei. Bei Bufo einereus und
Bombinator igneus waren die Erfolge nicht so gleichmässig,
doch auch in der Mehrzahl der Tiere vorhanden. Bufo braucht
auch längere Zeit bis zum Exitus. Es sind also wohl die
einzelnen Blutsorten nicht gleichmässig empfindlich gegen das
Gift, was biologisch nicht ohne Interesse ist. Ich erinnere
daran, dass esbeim Menschen ca. 8 Stunden dauert, bis Hämolyse
eintritt.')
Die Tiere wurden dann wiederum mit Formolalkohol fixiert
und dann gefärbt. Will man Kernfärbung innerhalb des lebenden
Tieres haben, so muss man zunächst den Arsenwasserstoffstrom
langsamer zuführen, was man mit Klemmen gut regulieren kann.
Man nimmt in dem Falle auch vorteilhafter nur '/» gr acid. arsenic.
als Ausgangsmenge. Fügt man dann, genau wie bei Hydroxylamin,
dem Wasser, in dem sich die Tiere befinden, Methylenblau oder
eine derartige Farbe hinzu, so kann man in der Tat oft sehr
schöne Kernfärbung der Erythrocyten während des Lebens der
Larven bekommen, wobei sich zugleich nur sehr wenig Epithel-
kerne färben, da ja das gewaschene Gas nicht wie Toluilendiamin.
reizend auf die oberflächlichen Gewebe einwirkt. Doch ist auch
in diesem Falle wegen der häufig rasch eintretenden Thrombose
das Resultat der Färbung kein selır gleichmässiges und nicht
sicheres. Es empfiehlt sich deshalb im allgemeinen die Fixation
und nachträgliche Färbung mit Kern- oder Plasmafarben viel
mehr. Über letztere ist dem bei Toluilendiamin Gesagten nichts
mehr hinzuzufügen, als Beispiel der ersteren füge ich ein Bild (3,
Taf. XXX) von Hämalaunfärbung eines Kaulquappenschwanzes von
Rana temp. bei. Man sieht, wie die dicht beieinander liegenden
Kerne der aufgelösten Erythrocyten sich stark gefärbt haben und
dadurch in der Tat den Verlauf der Blutbahnen in einer Weise
schön und vollständig zur Darstellung bringen, wie es nicht besser
und vollkommner durch Injektion von Tusche oder Farbe vom
Herzen aus geschehen kann. Dabei lässt die Vergiftung mit
Arsenwasserstoff an Einfachheit der Ausführung nichts zu wünschen
übrig, während Injektionen von Larven sonst bekanntlich technisch
1) Bei feineren morphologischen Untersuchungen ist das Blut
einander nahestehender Tierklassen durchaus verschieden gebaut. cf. Meves:
Über die Wirkung gefärbter Jodsäure auf die roten Blutkörperchen der
Amphibien. Anat. Anz., Bd. 26, S. 102, 1905.
Neue Methoden zur Darstellung des Verlaufs der Blutgefässe.. 721
äusserst schwierig sind.) Es kann nun bei Kaulquappen, die
ohne jede vorherige Zerstörung der Blutkörperchen getötet, fixiert
und gefärbt worden sind, auch öfters beobachtet werden, dass
Erythrocyten in Reihenform angeordnet in den peripheren Ge-
fässen liegen bleiben und dadurch zu deren besseren Darstellung
beitragen. Bei starker Vergrösserung derartiger Stellen können
sich dann ähnliche Bilder ergeben, als wie bei den von mir dar-
gestellten. Um den Unterschied der beiden in ihrer Entstehungs-
ursache ja auch gänzlich verschiedenen Bilder deutlich zu zeigen,
füge ich noch zwei bei schwacher Vergrösserung gefertigte
Figuren bei von einer nicht vorbehandelten (Taf. XXXI, Fig. 1)
und einer mit Arsenwasserstoff vorbehandelten (Taf. XXXL Fig. 2)
Larve von Rana temporaria.
Bei der nicht vorbehandelten Kaulquappe sieht man ab und
an auf kurze Strecken etwas Blut in den Gefässen liegen. Die-
selben sind sehr eng, der genauere Verlauf ist nicht deutlich zu
sehen. Ich bemerke, dass ich aus einer grösseren Reihe von
Kaulquappenschwänzen dabei noch denjenigen ausgewählt habe,
wo das Blut auf die längsten Strecken hin in den Gefässen
lagerte.e Ganz anders sieht der Schwanz an dem mit Ärsen-
wasserstoff vergifteten Tiere aus. Während die kleinen Gefässe
schon mit Blutkörperchenbrei gefüllt waren, hatte das Herz immer
noch mehr zerstörte Erythrocyten nachgepumpt und dadurch die
Gefässe auf das äusserste gefüllt. Es sind deshalb bei diesen
injizierten Larven die Gefässe als breite Bänder auch bei schwacher
Vergrösserung deutlich zu sehen und es beschränkt sich diese
Thrombose nicht auf umschriebene Stellen, sondern es ist zu einer
vollständigen Injektion gekommen und dadurch die Gefässe in
ihrem gesamten Verlauf von der Aorta an dargestellt. Dabei
werden als Injektionsmaterial arteigene, zerstörte Zellen benutzt
und als treibende Kraft zur Verteilung der Masse dient das Herz.
Man kann sich eine „physiologischere“ Injektion nicht gut
vorstellen.
Im allgemeinen eignen sich alle guten Kernfarbstoffe auch
gut zur Färbung dieser Objekte. Besonders schöne Resultate
!, Herbert M. Evans. On the Earliest Blood-Vessels in the
Anterior Limb Buds of Birds and their Relation to the Primary Subeclavian
Artery The American Journal of Anatomy. Vol. IX, No.2. May 1909.
S. 283 und 284.
122 Franz Rost:
erhielt ich noch mit Thionin,!) Bismarckbraun’) und Toluidin-
blau,’) die ich sehr empfehlen kann. Bezüglich ihrer Anwendung
verweise ich besonders auf die angegebene Literatur.
Auch Schnitte fertigte ich von den mit Arsenwasserstoft
oder Toluilendiamin vergifteten Tieren an. Bei letzteren war
das Einbetten oft unvollständig (Paraffın), was ich bei ersteren
nicht bemerken konnte. Auf den Schnitten zeigten sich dann
die kleineren Gefässe meist mit Blut gefüllt, das zu einem Brei
verändert war. Aorta und Herz enthielten wenig und normale
Blutkörperchen. Es kann also in gewissen Fällen die Methode
wohl dazu dienen, feinere Verzweigungen der Blutgefässe sichtbar
zu machen, doch glaube ich nicht, dass das ihr Haupt-Anwendungs-
gebiet sein wird, dazu würde sich die erste Methode der vitalen
Färbung, die mit der Fixierbarkeit des Methylenblau steht und
fällt, besser eignen. Denn die Verzweigungen der Blutgefässe,
die man heutzutage bei Larvenstadien sucht, sind wohl mehr
Blutlachen als umschlossene Blutgefässe und lassen sich deshalb
durch Arsenwasserstoffvergiftung nicht gänzlich mit Blut füllen,
sind vielmehr sicherer auf Serienschnitten zu erkennen. Wichtig
ist aber eine Injektion immer, um die Abgangsstellen der Ge-
fässe sich im Totalpräparat gewissermassen plastisch vorzuführen
und die durch Serienschnitte gewonnene körperliche Vorstellung
des Verlaufes auf diese Art zu kontrollieren. Dazu eignet sich
die Methode der künstlichen Thrombosebildung durch Arsen-
wasserstoff' oder Toluilendiamin und nachträgliche Färbung aus-
gezeichnet. Das illustrieren ja die beigegebenen Abbildungen
deutlich, die von Schwänzen der Larven stammen. Will man
die Verzweigung der Blutgefässe im Rumpf studieren, muss man
bei jeder Art von Injektion die Amphibien depigmentieren. Das
ist bisher leider nur recht mangelhaft möglich, wie ich mich
!), Heidenhain: Neue Untersuchungen über das Zentralkörperchen.
Arch. f. mikr. Anat., Bd. XLIII, S. 433. 1894.
®) Weigert: Bismarckbraun als Färbemittel. Arch. f. mikr. Anat.,
Bd. XV, S. 258. 1878.
Born: Die Nasenhöhlen und der Tränennasengang etc. Morph.
Jahrb., Bd. V, S. 64. 1879.
3) Mann: Über die Behandlung der Nervenzellen für exp. hist. Unters.
Zeitschr. f. wiss. Mikrosk., Bd. XI, S. 479. 1894.
Harris: The Philadelphia and Journ. 1898. Ref. Zeitschr. f. wiss.
Mikrosk., Bd. XVI, S. 60. 1899.
Neue Methoden zur Darstellung des Verlaufs der Blutgefässe.
überzeugen konnte.') Ausgezeichnet kann man aber die Ver-
zweigung der Rumpfarterien an Hühnerkeimscheiben
beobachten. 60—72 Stunden bebrütete Hühnereier wurden an
einer Seite geöffnet, etwas Eiweiss mit der Schere entfernt
und das ganze Ei in Lockescher Lösung untergetaucht, die genau
auf 37° gehalten wurde. Es wurde dann der Arsenwasserstoff-
strom durch die Lösung geleitet, bis das Herz des Embryo zu
schlagen aufhörte, wozu oft mehrere Stunden erforderlich waren.
Da man Arsenwasserstoffversuche bei fehlendem Abzug im Freien
vornehmen muss und offene Flammen nicht anwenden darf, ist es
nicht immer ganz leicht, die erforderliche Temperatur einzuhalten.
Ich erreichte es dadurch, dass ich den Behälter mit dem Ei und
der Lockeschen Lösung in ein grösseres Gefäss hing, in dem
sich etwas höher temperiertes Wasser befand, in das ich einen
jener bekannten Taschenthermophore gebracht hatte. Da die
Versuche nur in die warme Jahreszeit fielen, konnte ich bei
häufiger Kontrolle und Nachfüllen von warmem Wasser die Tempe-
ratur über viele Stunden konstant halten. Bequemer ist es, das
eröffnete Hühnerei in eine Lösung von 2,5 com Toluilendiamin
(1°/0): 100,0 cem Lockescher Lösung in den Brutschrank zu
stellen. Es können die Keimscheiben in dieser Lösung 24 Stunden
leben und sind dann ebenfalls durch Thrombose prächtig injiziert.
Die Fixation erfolgt in beiden Fällen in Formolalkohol, dann
färbt man, wie üblich, oder kann auch die Keimscheiben ungefärbt
aufheben, nachdem man sie in steigendem Alkohol entwässert
und in Xylol aufgehellt hat. Der gelbliche Blutkörperchenbrei
hebt sich sehr schön von dem ungefärbten durchsichtigen Körper
ab und zeigt den Verlauf der Blutgefässe auf das deutlichste.
Zusammenfassung.
Zur besseren Sichtbarmachung der Blutgefässe bei Larven
von Amphibien kann man entweder die Blutkörperchen durch
Hydroxylamin schädigen und dabei ihre Kerne während des Lebens
der Tiere färben. Fixation der Methylenblaufärbung nach Bethe.
') Versuche über Depigmentation in grösserem Maßstabe und besonders
an jungen Exemplaren konnte ich noch nicht anstellen, da die Jahreszeit
schon zu weit vorgeschritten war, als ich den hier veröffentlichten Teil
meiner Versuche abgeschlossen hatte. Ich werde wohl später darauf noch
zurückkommen.
724
Franz Rost: Neue Methoden zur Darstellung etc.
Oder man bewirkt durch Vergiftung mit Toluilendiamin oder
Arsenwasserstoff Thrombose und färbt die fixierten Objekte. Die
Blutgefässe heben sich dann ebenso deutlich, wie bei künstlicher
Injektion, von der Umgebung ab. Dasselbe gilt für 6u—72 Stunden
bebrütete Hühnerkeimscheiben.
Erklärung der Abbildungen auf Taf. XXX und XXX1.
Fig.
189}
os
Tafel XXX.
Schwänze von Rana tempor.
Vergiftung mit Hydroxylamin, gleichzeitige Färbung mit Methylen-
blau. Fixation in gesättigter wässeriger Pikrinsäure und molybdän-
saurem Ammonium. Vergr.: Zeiss’ Obj. DD, Okul. 4, 380 : 1, gez. mit
Abbes Prisma.
Vergiftung mit Toluilendiamin. Fixation in Formolalkohol, Färbung
in Eosin. Vergr.: Zeiss’ Obj. D, Okul. 1, 160:1, Abbes Prisma.
Vergiftung mit Arsenwasserstoff, Fixation wie Fig. 2, Färbung mit
Hämalaun. Vergr.: Zeiss’ Obj. A, Okul. 4, 105 :1, Abbes Prisma.
Tafel XXX1.
Schwanz von Rana temp. Unvergiftet fixiert und mit Hämalaun
gefärbt. Man sieht nur sehr zart und nicht überall Blut in den
Gefässen. Zeiss’ Obj. a°, Okul. 4, Tubus auf 20 ausgezogen,
Vergr.: 60:1.
Schwanz von Rana temp. Vergiftet mit Arsenwasserstoff, Fixation
in Formolalkohol, Färbung mit Toluidinblau. Es ist zu vollständiger
Injektion der Gefässe mit Blutkörperchenbrei gekommen. Die
Gefässe sind als breite Bänder im ganzen Verlauf sichtbar. Zeiss’
Obj. a?, Okul. 4, Tubus auf 20 ausgezogen, Vergr.: 60:1.
Näheres im Text,
Herrn A. Vierling-Heidelberg spreche ich für die
künstlerische Ausführung der Bilder meinen besten Dank aus.
725
Die Spindelzellen des Amphibienblutes (Hayems
Hämatoblasten).
Von
Professor E. Neumann, Königsberg.
In meiner Abhandlung „Über Blutbildung bei Fröschen“
(Hämatologische Studien I, Virchows Archiv, Bd. 145, 1896) habe
ich im Anschluss an eine unter den Auspicien von Barfurth
verfasste Dorpater Doktordissertation ') Beobachtungen mitgeteilt,
welche die in dieser Arbeit enthaltene Angabe bestätigten, dass
sich bei Fröschen in jedem Frühjahr resp. Frühsommer bei dem
Beginne der Wiederaufnahme von Nahrung nach der langen
winterlichen Fastenzeit, gleichzeitig mit der den gesamten Stoff-
wechsel betreffenden Umwälzung, eine äusserst lebhafte Regene-
ration des Blutes vollzieht, welche vom Knochenmark ausgeht,
und dass diese physiologische Erneuerung der Blutmasse besonders
geeignet ist, um einen Einblick in die Entwicklung der morpho-
logischen Blutelemente zu gewinnen, eine Aufgabe, welcher sich
in anderen Jahreszeiten wegen des fast vollständigen Stillstandes
der Blutbildung, wenigstens bei erwachsenen Tieren, grosse
Schwierigkeiten entgegenstellen.
In bezug auf den Modus der Blutbildung konnte ich jedoch
Marquis’ Darstellung nicht durchweg beistimmen. Dieser hatte
die seit Golubew°) bekannten Spindelzellen des Froschblutes
(Hämatoblasten Hayems, Thrombocyten Deckhuyzens) in
Übereinstimmung mit Hayem, welchem wir die erste genauere
Beschreibung derselben verdanken, ”) als Vorstufen der roten Blut-
zellen hingestellt und ihren Ursprung auf die Gefässendothelien
des Knochenmarks zurückgeführt, einen genetischen Zusammen-
!) Marquis: Das Knochenmark der Amphibien in den verschiedenen
Jahreszeiten. Diss. inaug. Dorpat. 1892.
2) Golubew: Über die Erscheinungen, welche elektr. Schläge an den
farblosen Blutzellen hervorrufen. Wiener Akad. Sitzungsberichte, math.-
naturw. Cl.. Bd. 57, Abtl. 2. 1868.
3) Hayem: Recherches sur l’evolution des H&ematics dans le sang de
l’homme et des vertebres II. Sang des vertebres ä globules rouges nuclees.
Arch. de Physiol. norm. et pathol. 1879.
726 E. Neumann:
hang zwischen Leucocyten und Erythrocyten aber geleugnet. Das
Resultat meiner Untersuchungen lässt sich dagegen dahin zusammen-
fassen, dass die Spindelzellen eine Zwischenstufe zwischen
den kleinen Iymphocytären farblosen Zellen des Blutes und den
roten Blutkörperchen darstellen, und dass die Entwicklung der
ersteren zu Spindelzellen zwar vielleicht ununterbrochen während
des ganzen Jahres vor sich geht, dass aber die Ausreifung der
letzteren zu roten Blutkörperchen bei erwachsenen Tieren nur in
der bezeichneten Periode des Wiedererwachens der Lebenstätigkeiten
erfolgt; es gelang mir eine so vollständige Formenreihe der
einzelnen Entwicklungsstufen der roten Blutkörperchen aufzufinden,
wie es bisher weder bei den Menschen noch bei irgend einer
Tierspecies möglich gewesen war, und die früher zahlreiche An-
hänger zählende Lehre, dass die roten Blutkörperchen ausschliesslich
aus sich heraus durch Teilung sich vermehren und eine Ergänzung
derselben durch Umwandlung farbloser Elemente in hämoglobin-
haltige nicht vorkomme, schien mir hiermit definitiv widerlegt
zu sein.
E Gaupp hat sich in seinem hervorragenden Werke „Die
Anatomie des Frosches“ (Ecker und Wiedersheim, 3. Aufl.
1599| Marquis’ und meinen Angaben über den zyklischen Verlauf
der Erscheinungen der Blutbildung, über das Knochenmark als
Sitz derselben und die Bedeutung der Spindelzellen als Jugend-
formen roter Blutkörperchen angeschlossen und zugleich auch die
wesentliche Differenz, welche zwischen unseren beiderseitigen
Beobachtungen betreffs des Ursprungs der Spindelzellen besteht,
hervorgehoben. Heinz!) ferner bestätigte gelegentlich der Unter-
suchung der Blutregeneration nach Vergiftung von Fröschen mit
Blutgiften (Phenylhydracin) ebensowohl die Entstehung der roten
Blutzellen aus Spindelzellen als auch meine Beobachtungen über
die Entwicklung letzterer aus Lymphocyten. Dagegen ist in
einigen anderen, noch zu besprechenden späteren Arbeiten, welche
sich speziell mit der Blutbildung bei Amphibien beschäftigen,
freilich ohne Rücksicht auf die Periodicität im Leben des Frosch-
blutes und auf die Empfehlung des Knochenmarks als des günstigsten
Untersuchungsobjekts, die wichtige Rolle der Spindelzellen bei der
Blutbildung wieder in Zweifel gezogen worden.
') Heinz: Über Blutbildung und Regeneration. Zieglers Beitr.
z. Path. u. patholog. Anat., Bd. 29, 1901.
Die Spindelzellen des Amphibienblutes. 727
Da es sich hier um eine Frage handelt, welche für die
Hämatologie im allgemeinen von grösstem Interesse ist, nämlich
um die Feststellung des Verhältnisses zwischen farblosen und
gefärbten Blutzellen, eine Frage, deren Lösung auch nach der
Entdeckung der embryonalen roten Blutkörper im Knochenmark
die wichtigste Aufgabe für die mikroskopische Blutforschung ge-
blieben ist, so nehme ich auf Grund erneuter Prüfung den Gegen-
stand nochmals auf.
In die Mitte des Entwicklungsganges der roten Blutzellen
des Amphibienblutes habe ich, wie erwähnt, die Spindelzellen, an
den Anfangspunkt kleine Iymphocytäre Zellen gestellt. Hiermit
ist ebensowohl die Berechtigung der Annahme einer selbständigen
Stellung der Spindelzellen gegenüber den anderen Blutelementen
(Bizzozero, Eberth und Schimmelbusch, Deckhuyzen,
H. F. Müller) als auch die Richtigkeit der Ansicht derjenigen
Autoren, welche ihnen nur eine einseitige Beziehung, sei es
zu den Leucocyten (Stricker, Löwit teilweise), Giglio-Tos),
sei es zu den Erythrocyten (Vulpian, Hayem, Marquis,
Löwit teilweise), zuschreiben, in Abrede gestellt; in der folgenden
Darstellung mögen die Gründe, welche für ein Verwandtschafts-
verhältnis der Spindelzellen ebensowohl zu den ersteren wie zu
den letzteren sprechen, eine gesonderte Besprechung finden.
1. Spindelzellen und rote Blutzellen.
Die Entscheidung der Frage, ob die Spindelzellen Vorstufen
der roten Blutzellen darstellen, hängt selbstverständlich davon
ab, ob es Übergangsformen zwischen beiden gibt? Dies wird
noch neuerdings in einer Arbeit von Meves?) über die von ihm
nach dem Vorgange von Deckhuyzen als Thrombocyten be-
zeichneten Spindelzellen des Salamanderblutes entschieden in Ab-
rede gestellt; am Schlusse derselben heisst es: „meines Erachtens
handelt es sich bei den angeblichen Übergangsformen nicht um
') Zur Erläuterung des Zusatzes „teilweise“ sei daran erinnert,
dass Löwit (Über die Bildung roter und weisser Blutkörperchen, Wiener
Akad. Sitzungsberichte, Bd. 88, Abt. III, 1883, Neubildung und Zerfall weisser
Blutkörperchen, ibidem, Bd. 92, Abt. III, 1885) die Spindelzellen in zwei von-
einander unabhängige Kategorien sonderte, von welchen die eine der Leuco-
blasten-, die andere der Erythroblastenreihe angehören sollte.
?2) Meves: Zur Kenntnis der Thrombocyten des Salamanderblutes und
ihres Verhaltens bei der Gerinnung. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 68, 1906.
.
728 E. Neumann:
solche, sondern um rote Blutkörperchen, deren Randreifen
eine Läsion erfahren hat“. Diese Erklärung scheint mir
keineswegs zu genügen; ich gestehe wenigstens, dass es mir
durchaus unverständlich ist, wie irgend eine Art von Läsion des
zuerst von Dehler,'!) dann namentlich von Meves selbst?)
beschriebenen Randreifens imstande sein sollte, Deformationen
der Blutkörperchen zu erzeugen, welche eine Reihe von Über-
gangsformen zwischen Spindeln und roten Blutkörperchen vor-
täuschen könnten und dass ich ferner bezweifeln zu müssen glaube,
dass die von mir benutzten Untersuchungsmethoden das Zustande-
kommen einer Läsion befürchten lassen; eine genauere Auskunft
hierüber gibt Meves nicht. Unaufgeklärt bleibt auch die Frage,
weshalb die Läsionen nur in bestimmten Jahreszeiten erfolgen
und das Bild von Übergangsformen erzeugen. Bei allen anderen
Untersuchern aber, welche sich ablehnend hinsichtlich der Über-
gangsformen verhalten, fehlt selbst jeder Versuch, die gegen-
teiligen positiven Befunde, mit denen sie doch rechnen mussten,
zu erklären.
Es liegt gewiss nahe genug, zu vermuten, dass die negativen
Resultate der Autoren teils auf Vernachlässigung der Bedingungen,
an welche das Auftreten der Übergangsformen gebunden ist, teils
auf mangelhafte Untersuchungstechnik zurückzuführen ist; nur
bei bestimmten Objekten und bei Anwendung geeigneter Unter-
suchungsmethoden gelingt ihre Auffindung. Als Objekte kommen
nur solche Tiere in Betracht, bei welchen der Blutbildungsprozess
mit einer gewissen, das gewöhnliche Maß übersteigenden Leb-
haftigkeit vor sich geht, als Untersuchungsmittel nur Flüssigkeiten,
welche die Elemente eines dem lebenden Körper entnommenen
Blutstropfens oder des in die (refässe eines Organs eingeschlossenen
Blutes momentan fixieren.
Mit der grössten Sicherheit lassen sich sämtliche Zwischen-
stufen zwischen Spindelzellen und roten Blutkörperchen zur An-
schauung bringen, wenn man das Knochenmarksblut von Rana
fusca in der bezeichneten Jahreszeit (Mai und Juni) benutzt. Bei
!, Dehler: Beitr. zur Kenntnis des feineren Baues der roten Blut-
körperchen beim Hühnerembryo. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 46, 1895.
?) Meves: Zur Struktur der roten Blutkörperchen. Anat. Anzeiger,
Bd. 23 S. 212. — Die Hünefeld-Hensenschen Bilder der roten Blut-
körperchen der Amphibien, ibidem, Bd. 24, S. 465.
Die Spindelzellen des Amphibienblutes. 129
einem frisch getöteten Tiere wird der Oberschenkelknochen samt
Knorpelepiphysen berausgeschält, von allen Weichteilen durch
Schaben sorgfältig befreit und mit einer kleinen oben oder unten
angelegten Zange Blut aus ihm hervorgepresst; der aus der Mitte
der Diaphyse aus dem Foramen nutritium hervorquellende Bluts-
tropfen wird mit einer, etwas fixierende Flüssigkeit enthaltenden
capillaren Glasröhre aufgesogen und gelangt damit gemischt sofort
auf einen Objektträger, auf welchen ebenfalls ein Tropfen fixierender
Flüssigkeit aufgetragen ist. Die folgenden Operationen sind:
schnelles Trocknen des Präparates in dünner Schicht durch
Schleuder- und Schwenkbewegungen, wobei ein Teil der Flüssig-
keit abgeschleudert wird, Auftragen einiger Tropfen Alcohol
absolutus oder Alcohol absol. Äther ää, Abspülen mit destilliertem
Wasser, Trocknen durch Abtupfen mit Fliesspapier, Auftragen
einiger Tropfen Farbtlüssigkeit, wiederum Abspülen mit Wasser.
Als Dauerpräparat kann das nunmehr wieder trocken gewordene
Blut dienen, indem man beliebig oft nach dem Eintrocknen wieder
Wasser unter das Deckglas eintliessen lässt oder man konserviert
durch Einschluss in Canadabalsam. Was die Fixierungsflüssigkeit
betrifft, so. leistet bei dem beschriebenen Verfahren sehr gute
Dienste die 1°/o Osmiumsäure und die Hayemsche Sublimat-
lösung, welche zugleich schwefelsaures Natron und Kochsalz ent-
hält: aber auch Formol-Müller und Müller-Osmium sind sehr
brauchbar. Für die Färbung habe ich schon früher eine Kom-
bination des Hämatoxylin mit Heidenhain-Biondischer oder
mit Giesonscher Lösung empfohlen; diese letzteren Flüssigkeiten
erteilen dem Hämoglobin eine kupferrote resp. gelbe Farbe. Sehr
gute Präparate gibt auch das Jodserum, eine Mischung desselben
mit dem Blute macht jede weitere Behandlung (Trocknen, Färben)
unnötig, schliesst sie aber nicht aus.
Der charakteristische Befund in solchen Präparaten, be-
stehend in der Anwesenheit zahlreicher Zwischenglieder zwischen
grossen hämoglobinreichen roten Blutkörperchen und typischen
farblosen Spindelzellen ist sofort augenfällig und der Eindruck
ihrer Besonderheit wird noch verstärkt, wenn man etwa ein in
gleicher Weise behandeltes Präparat aus dem Blute eines Winter-
frosches, sei es dem Knochenmark oder einem anderen Teile ent-
nommen, als Vergleichsobjekt betrachtet. Während bei letzterem
sämtliche rote Blutkörperchen sich auf der Höhe ihrer Entwicklung
730 E. Neumann:
zeigen und in ihrer Grösse, Form und dem Hämoglobingehalt
demnach fast vollständig übereinstimmen, unterscheiden sich in
dem ersteren die hämoglobingefärbten Zellen durch sehr ver-
schiedene Grösse, wechselnde Formen und vor allem durch sehr
ungleiche Intensität der Färbung voneinander. Dass es sich hier
um aufeinanderfolgende Entwicklungsstufen handelt, bedarf für
den unbefangenen Beobachter keines Beweises, es ergibt sich
ohne weiteres, dass diese Entwicklungsreihe nach oben mit den
reifen roten Blutkörperchen, wie sie der Winterfrosch ausschliesslich
besitzt, abschliesst, nach unten aber in diejenigen Elemente aus-
läuft, welche als typische Spindelzellen bezeichnet werden müssen
und dass unter letzteren teils solche mit schwachem Hämoglobin-
gehalt, teils vollständig farblose sich befinden; ausserhalb der
physiologischen Regenerationsperiode gibt es aber nur farblose
Spindeln und alle Übergänge zu den roten Blutzellen fehlen.
Aus meiner früheren Darstellung geht übrigens hervor, dass die
Übergangsformen eine gewisse Mannigfaltigkeit zeigen, indem die
Umformung der Spindelzelle zum roten Blutkörperchen nicht
immer ganz dieselben Zwischenstadien durchläuft. Von einer
Erläuterung durch Abbildungen glaube ich äbsehen zu dürfen,
da sie keine wesentliche Ergänzung der Beschreibung bieten
können; übrigens liegen solche bereits vor von Hayem!) und
neuerdings von Heinz.?)
Gegen die Beweiskraft der Präparate lässt sich meines
Erachtens kein stichhaltiger Einwand erheben und sie erledigen
zugleich die viel diskutierte Frage, ob die Spindelzellen farblos
oder durch Hämoglobin gefärbt sind? Die für gewöhnlich farb-
losen Spindeln nehmen zur Zeit der physiologischen Blutregeneration
Hämoglobinfärbung an, was den ersten Schritt zu ihrer Umbildung
zu roten Blutzellen bedeutet. Hierin hatte Marquis (l. c.)
gefehlt, die Existenz hämoglobinloser Spindelzellen war ihm ent-
gangen, weil er bei der Untersuchung frischer Blutstropfen die An-
wendung fixierender Mittel versäumte, so dass nur die resistenteren,
bereits gefärbten Spindeln in seinen Präparaten erhalten waren
und weil an fixierten Organschnitten, wie er sie vorzugsweise
ı) Hayem, Arch. de Phys. normale et pathol. 1879. P1.I, Fig. 5 und
Pl. V, Fig. 4, 5.
2\/Heinz;,'l.c., Taf. XV, Rig.t.
Die Spindelzellen des Amphibienblutes. 731
benutzte, die Unterscheidung farbloser und gefärbter Spindeln
unsicher und schwierig ist. Hayem dagegen hatte die ganze
Skala der Entwicklung mit Hilfe der von ihm ausgebildeten
Fixierungsmethoden richtig erkannt, ihm war aber entgangen,
dass besser als das in den übrigen Organen zirkulierende Blut
das Knochenmarksblut sich zur Untersuchung eignet, auf dasselbe
haben sich, da er bekanntlich das Knochenmark als blutbildendes
Organ nicht anerkannte, seine Beobachtungen nicht erstreckt; auch
seine Angaben über die günstigste Jahreszeit waren unbestimmt
und wohl auch nicht ganz richtig, insofern er den Spätsommer
(August, September) bevorzugt findet.
Von einigen Untersuchern ist nun freilich angegeben worden,
dass die Kerne der Spindelzellen und der roten Blutkörperchen
eine spezifische durchgreifende Verschiedenheit darbieten und sie
haben darauf ihren Widerspruch gegen die Zusammengehörigkeit
beider begründet. Am bestimmtesten hat sich in dieser Beziehung
Deekhuyzen!') ausgesprochen ; indem er voneinander unabhängige
Gruppen von Blutelementen annimmt und für eine jede derselben
ein bestimmtes „Leitmerkmal“ angibt, stellt er den Erythroblasten,
d.h. den jungen und reifen roten Blutzellen, die Thromboblasten
und Thromboeyten, d. h. die jungen und reifen Spindelzellen
gegenüber, für erstere soll die Existenz eines Nucleolus im Kern,
für letztere ein sogen. „Mitochrom“, d.h. eine in dem Längs-
durchmesser des Kerns verlaufende streifen- oder schleifenartige
Chromatinanhäufung das charakteristische Leitmerkmal sein.
In meiner früheren Arbeit (l. c. S. 255) habe ich mich dahin
geäussert, dass die an dem Zellprotoplasma selbst zu beobachtenden
Erscheinungen zum Beweise dafür, dass die beiden scheinbar so
differenten morphologischen Elemente in genetischer Beziehung
zueinander gehören, genügten, so dass die Verfolgung der feineren
Struktur ihrer Kerne in dieser Beziehung kein besonderes Interesse
darböte, und man sich über die Schwierigkeiten, welche diese
Untersuchung darbiete, hinwegsetzen könne; ich glaube hier mich
darauf beschränken zu dürfen, zu konstatieren, dass die angeblichen
Differenzen in der Kernstruktur ebensowohl nach meinen eigenen
Untersuchungen als nach den Angaben anderer Autoren nicht
') Deekhuyzen: Über das Blut der Amphibien. Verhdlg. d. Anat.
Ges. zu Wien. 1892.
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. 47
132 E. Neumann:
bestehen. Ich berufe mich vor allem auf die Autorität Flemmings'),
welcher sich durchaus zugunsten einer grossen Übereinstimmung
zwischen den Kernen der Spindelzellen und der roten Blutzellen
ausspricht. An dem angegebenen Orte heisst es: „jedenfalls sind
die Kerne der Spindelkörper denen der roten Blutzellen sehr
ähnlich durch die Regelmässigkeit des Netzwerks und die Ver-
teilung der Verdiekungen, nur ist es etwas lockerer und deshalb
klarer, durch Reagentien wird die Zeichnung des Netzes an ihnen,
wie an den gewöhnlichen roten Blutkörperchen sehr deutlich.“
Diese Beschreibung Flemmings bezieht sich auf das Blut von
Salamanderlarven, dessen Spindeln er demnach auch geneigt ist,
als Jugendformen der roten Blutzellen zu betrachten.”) Von
besonderem Interesse ist es, zu sehen, dass Meves, ein entschiedener
(Gegner der Ableitung der roten Blutzellen aus den Spindelzellen,
von den Kernen der letzteren eine Beschreibung gibt, welche in
Betreff der Chromatinanordnung mit Flemmings Angaben über
die Erythrocytenkerne eine grosse Übereinstimmung zeigt: „im
Innern der Thrombocytenkerne (i. e. unserer Spindelzellenkerne)
finde ich an den fixierten und gefärbten Präparaten keine gröberen
Uhromatinbrocken, sondern zahlreiche feine Chromatinkörnchen,
von welchen anzunehmen sei, dass sie in den Strängen eines
(nicht sichtbar hervortretenden) Liningerüstes liegen.“ Das
scheint ganz zu der Beschreibung zu passen, welche Flemming
von dem Bau der Erythrocytenkerne gibt, wenn er sagt, dass sie
„ein so enges Gerüst mit so dichten Verdickungen enthalten,
dass auf den ersten Blick nur eine gleichmässige und dabei sehr
zarte, etwas verwaschene Granulierung erscheint, dass man jedoch
den Zusammenhang wenn auch nicht aller, doch vieler Körner
durch Zwischenbälkchen ausreichend mit starken Systemen er-
kennen könne.“
Was aber die von Deckhuyzen angegebenen Leitmerk-
male betrifft. so ist wohl zuzugeben, dass das sogenannte Mitochrom
') Flemming: Zur Kenntnis des Zellkerns. Zentralbl. f. d. med.
Wiss., 1877, Nr. 20. — Beitr. zur Kenntnis der Zelle und ihrer Lebens-
erscheinungen. Arch. f. mikr. Anat., Bd. XVI, S. 311. 1879.
?®) Einige Bedenken dagegen wurden Flemming nur durch die
Beobachtungen Strickers erregt, welche zeigten, dass die Spindelzellen
auch zu den Leucocyten in naher Beziehung stehen; dass diese Bedenken
ungerechtfertigt sind, wird sich aus dem Folgenden ergeben.
Die Spindelzellen des Amphibienblutes.
der Spindelzellen, möge dasselbe nun, wie bisher meistens an-
genommen worden, von einer longitudinalen, streifenförmigen
Chromatinanhäufung herrühren oder, wie nach den neuen Unter-
suchungen von Meves (l.c.) kaum mehr zu bezweifeln sein
dürfte, Längsfalten der Kernmembran darstellen, eine besondere
Eigentümlichkeit dieser Zellen ist, es liegt aber kein Grund gegen
die Annahme vor, dass diese Erscheinung bei weiterer Entwicklung
der Zellen verschwindet und nur eine vorübergehende Bildung
ist. Andererseits steht aber in bezug auf die angeblich für
Erythroblasten und Erythrocyten charakteristischen Nucleolen fest,
dass dieselben bei gewissen Behandlungsmethoden (Osmium, Jod-
jodkalilösung) ebensowohl bei roten Blutkörpern wie bei Spindel-
zellen zur Anschauung gebracht werden, also kein Unterscheidungs-
merkmal abgeben können.
Es bliebe noch übrig, hier einer in jüngster Zeit erschienenen
Arbeit von Freidsohn'), welche unter der Leitung von Weiden-
reich entstanden ist, zu gedenken. Der Verfasser vertritt die
Ansicht, dass die roten Blutkörperchen des Amphibienblutes aus
einer Metamorphose kleiner Iymphocytärer Zellen hervorgehen,
befindet sich insofern also in Übereinstimmung mit meiner früheren
Darstellung (1. e.), freilich ohne sich darauf zu beziehen; in der
von ihm gegebenen Beschreibung und den Abbildungen fehlt
jedoch die Spindelzelle als Zwischenstufe der Entwicklung, die
kleinen farblosen Lymphocyten behalten vielmehr nach Freidsohn
ihre runde Form bei, bis sie gleichzeitig mit dem Eintritt
der Hämoglobinfärbung oder kurz nachher die ellipsoidische
oder ovoide Form der roten Blutkörper annehmen; ein Übergangs-
stadium, in welchem die Zellen farblos und spindelförmig sind,
würde also nicht existieren. Da diese Beobachtungen nicht im-
stande sind, die positiven von Hayem und von mir erhobenen
Befunde von Zwischenstufen zwischen ungefärbten Spindelzellen
und roten Blutkörpern, welche der Verfasser nicht erwähnt und
nicht zu kennen scheint) und deren Nachprüfung daher gänzlich
!) Freidsohn: Zur Morphologie des Amphibienblutes. Arch. f. mikr.
Anat., Bd. 75, 1910.
?) Um diesen Ausspruch zu rechtfertigen, muss ich auf ein Versehen
indem von Freidsohn zusammengestellten Literaturverzeichnis hinweisen ;
er tritt in seiner Arbeit für die von der Ehrlichschen Schule ohne jeden
genügenden Grund bestrittene, von autoritativen Histologen aber stets fest-
47*
17134 E. Neumann:
vermisst wird, umzustossen, so muss die Frage entstehen, ob etwa
eine direkte und eine indirekte, durch Spindelzellen vermittelte
Entwicklung von Lymphocyten zu roten Blutkörpern nebeneinander
besteht und unter verschiedenen Verhältnissen bald die eine bald
die andere in Erscheinung tritt. Man wird eine solche Möglich-
keit nicht von vornherein in Abrede stellen können, aber, wie
mir scheint, sind die Freidsohnschen Beobachtungen ' keines-
wegs einwandfrei.
Seine Angaben über das von ihm angewandte technische
Verfahren müssen Zweifel erregen, ob er den bekannten, extra-
vasculär äusserst schnell eintretenden Veränderungen, welche die
Spindelzellen erfahren und durch welche sie sich zu Iymphocyten-
ähnlichen Rundzellen umgestalten, genügend Rechnung getragen
hat. Er hat nämlich das zu untersuchende Blut zuerst in eine
capillare Glasröhre aufgenommen und alsdann auf einen Objekt-
träger entleert, welcher vorher und ebenso auch nachher Formalin-
dämpfen einige Minuten ausgesetzt wurde, ich habe es dagegen,
wie beschrieben, um eine sofortige Einwirkung der fixierenden
Flüssigkeit zu ermöglichen, für erforderlich gehalten, das für die
Aufsaugung des Blutes bestimmte Glasröhrchen im voraus mit
einem kleinen Quantum dieser Flüssigkeit anzufüllen. Nach
Kontrollversuchen mit der Freidsohnschen Methode kann ich
die damit erhaltenen Resultate nicht als befriedigend bezeichnen,
die Spindelzellen waren weniger zahlreich und nicht so gut er-
halten, wie bei der von mir empfohlenen Methode; schon der kurze
Kontakt mit den Glasröhrchen schien einen schädigenden Einfluss
ausgeübt zu haben, vielleicht besitzen auch die Formalindämpfe
nicht eine so unmittelbar ertötende Wirkung wie Osmium und
Sublimat. Dass übrigens das von Freidsohn geübte Ausstreichen
des Blutes auf dem Objektträger eine gewisse Gefahr des Zer-
drücktwerdens der Blutelemente mit sich bringt, ist von ihm selbst
hervorgehoben; mein Verfahren, die Ausbreitung des Blutstropfens
gehaltene Lehre von der Entwicklung der polymorphkernigen Leucocyten aus
Iymphocytären Elementen ein und bestätigt meine früher hierüber gemachten
Angaben, zitiert aber hierbei meine Abhandlung „Hämatologische Studien I“,
Virchows Arch., Bd. 143, 1896, in welcher gerade die von ihm nicht er-
wähnten Beobachtungen über die Entwicklungsgeschichte der roten Blutzellen
enthalten sind, während über die Leucocyten meine spätere Arbeit „Häma-
tologische Studien II“, Virchows Arch., Bd. 174, 1903, handelt.
U
Die Spindelzellen des Amphibienblutes. {sX
in dünner Schicht durch Abschleudern und Hin- und Herschwenken
zu bewirken, vermeidet diese Gefahr.
Was nun ferner das von Freidsohn zur Untersuchung
gewählte Objekt betrifft, welches vorzugsweise in dem Herzblut
junger Frösche bestanden zu haben scheint (hierauf allein beziehen
sich die Abbildungen, von dem Knochenmarke begnügte er sich,
Ausstrichpräparate des Organs, nicht des ausgepressten Blutes
herzustellen!), so wäre dasselbe nach meinen Erfahrungen nur
dann als brauchbar zu bezeichnen, wenn die Untersuchungen
in eine Zeit lebhafter Blutregeneration gefallen wären, worüber
Angaben fehlen. Es ist zweifellos, dass man auf sicherere
Resultate rechnen darf, wenn man entweder das Blut bei Tieren
nach erlittenen grösseren Blutverlusten untersucht (hier gelingt
es, wie ich 1. c. gezeigt habe, selbst bei längere Zeit eingefangenen
Tieren im Herbst und Winter eine lebhafte Blutregeneration ein-
zuleiten) oder vor allem, wenn man in der oben beschriebenen
Weise das Knochenmarksblut der in der physiologischen Blut-
regeneration begriffenen Frösche zum Gegenstand der Unter-
suchung macht. In diesen beiden Fällen haben wir es mit einem
akut verlaufenden Neubildungsprozess im Blute zu tun, bei welchem
im Laufe weniger Wochen oder Monate der durch Hämorrhagie
verloren gegangene Teil des Blutes resp. die gesamte, während
des Winterschlafes vorhanden gewesene Blutmasse sich regeneriert
und somit die verschiedensten Entwicklungsstufen der Blut-
körperchen in sehr grosser Zahl im Blute auftreten müssen,
während die Vermehrung der Blutkörperchenmenge, welche mit
dem einfachen physiologischen Wachstum der Tiere einhergeht,
naturgemäss mit diesem gleichen Schritt hält, demnach in sehr
langsamem Tempo erfolgt.
Meine eignen, im verftlossenen Frühjahr vorgenommenen
Untersuchungen an jungen Fröschen und an einer grossen Serie
von Frosch- und Krötenlarven haben mich übrigens zu dem Er-
gebnis geführt, dass sich auch hier der Nachweis der Entstehung
der roten Blutzellen aus Spindelzellen führen lässt. Bei den
Larven beobachtete ich zunächst in vivo das in den Gefässen
enthaltene Blut bei noch bestehender, aber abgeschwächter
Zirkulation, sodann wurde durch einen raschen Scherenschnitt
der Schwanz abgetragen, das hervorquellende Blut sofort in einen
Tropfen fixierender Flüssigkeit aufgenommen und in oben be-
736 E. Neumann:
schriebener Weise weiterbehandelt. Dass hierbei zahlreiche
„embryonale“ rote Blutzellen zu finden sein würden, war von vorn-
herein zu erwarten, alle Beobachter stimmen darin überein, dass
die hämoglobingefärbten Blutzellen von Amphibienlarven zum
grossen Teil durch blassere Färbung, geringere Grösse und etwas
unregelmässige Form sowie vor allem durch die Häufigkeit karyo-
kinetischer Figuren sich vor den reifen Elementen erwachsener
Tiere auszeichnen. Die Frage aber, ob das Blut der Larven
typische Spindelzellen enthält, ist bisher nur wenig berücksichtigt
worden, selbst in dem von Hayem gelieferten, sehr reichhaltigen
Beobachtungsmaterial finde ich keine hierhergehörige Notiz,
ebenso sind andere Untersucher des Froschblutes stillschweigend
darüber hinweggegangen. Um so wertvoller ist die oben zitierte
Beobachtung Flemmings (Arch. f. mikr. Anat., XVI), welcher
über das sehr zahlreiche Vorkommen langer, farbloser spindel-
förmiger Elemente im Blute der Salamanderlarven berichtet.
Diese Angabe habe ich bei Fröschen und Kröten bestätigen und
mich von der Identität dieser Zellen mit den typischen Spindel-
zellen im Blute erwachsener Tiere mit Sicherheit überzeugen
können, ich habe dieselben bisweilen sogar in grossen dicht-
gedrängten Gruppen im Innern der Gefässe neben kleinen Leuco-
cyten und hämoglobinhaltigen Blutzellen mit Sicherheit beobachten
können. Aber es fällt auch nicht schwer, ebensowohl am lebenden
Objekt als auch bei künstlich hergestellten Präparaten die Existenz
von Zellen festzustellen, welche die Verbindung zwischen diesen
farblosen Spindelzellen und den roten Blutkörperchen herstellen: sehr
blassgefärbte, ebenfalls spindelförmige oder ıänglich-ovale, an den
Enden abgerundete Zellen. Nur insofern bin ich enttäuscht worden,
als die Zahl solcher vermittelnder Elemente immer nur eine geringe
zu sein schien, so dass ich annehmen muss, dass im Larvenleben die
Vermehrung der roten Blutzellen durch Teilung, gegenüber ihrer
Entstehung durch Umbildung farbloser Spindelzellen, vorherrscht.
2. Spindelzellen und Leucocyten.
Schon die frühesten Beschreibungen der Spindelzellen weisen
darauf hin, dass nahe Beziehungen zwischen ihnen und den
übrigen farblosen Blutzellen bestehen. Stricker‘) hat sie ohne
!) Stricker: Beobachtungen über die Entstehung des Zellkerns.
Wiener Akad. Sitzungsberichte, math.-naturw. Klasse, Bd. 76, Abt. III. 1877.
Die Spindelzellen des Amphibienblutes. 137
weiteres als eine „besondere Abart der weniger beweglichen ein-
kernigen farblosen Blutzellen“ hingestellt, Löwit (l. ec.) wurde,
wie schon erwähnt, durch seine Untersuchungen zu der Ansicht
geführt, dass es zwei Arten von Spindelzellen gebe, von denen
er die eine wenigstens mit den Leucocyten wegen der Überein-
stimmung der Kernstruktur zusammenstellt, während er der
anderen, durch ihre Kernbeschaffenheit den roten Blutzellen sich
anschliessende Art allerdings eine Verwandtschaft mit den übrigen
farblosen Zellen abspricht. Auch in der neuen Freidsohnschen
Arbeit werden die Spindelzellen den übrigen farblosen Blutzellen
als eine besondere Form derselben angereiht und das Vorkommen
von Mittelformen erwähnt, deren Zugehörigkeit zu der einen oder
der anderen Art schwer zu bestimmen sei. Von anderer Seite
ist eine solche Verwandtschaft überhaupt geleugnet worden und
es ist bemerkenswert, dass gerade diejenigen Autoren, welche
die Bedeutung der Spindelzelien als Jugendformen roter Blutzellen
richtig erkannten, sich entschieden für ihre Unabhängigkeit von
den Leucocyten erklärt haben, wie Hayem und Marquis.
In meiner früheren Arbeit habe ich mich bemüht, zu zeigen,
dass eine andere Herleitung der Spindelzellen als die Entwicklung aus
Leucocyten bisher nicht hat gegeben werden können und dass ferner
alle Merkmale, die man als charakteristische Unterschiede zwischen
beiden betrachtet hat, keine durchgreifende Gültigkeit haben.
Was den ersteren Punkt betrifft, so kann ich mich auf
meine damaligen Ausführungen beziehen, und es sei hier nur
hervorgehoben, dass die konstante Anwesenheit von Spindelzellen
im Amphibienblut zu jeder Jahreszeit die Annahme eines be-
ständigen (oder auch periodischen?) Ersatzes derselben durch
Neubildung erforderlich macht in dem Maße, als ihre Umbildung
zu roten Blutzellen stattfindet, dass dieser Ersatz aber, so lange
nicht erwiesen ist, dass sie sich durch Teilung vermehren (was
bisher nicht der Fall ist), auf eine Umbildung anderer Zellen
zurückgeführt werden muss. Als solche Stammzellen kommen
nun vor allem die Leucocyten in Betracht. Eine andere Ursprungs-
quelle, auf welche Marquis rekurrierte, habe ich zurückweisen
müssen, nämlich das Endothel der Capillargefässe des Knochen-
marks; weder besteht eine Ähnlichkeit zwischen Endothel und
Spindelzellen, noch liegen Beobachtungen dafür vor, dass ersteres
in der Periode der physiologischen Blutregeneration oder in
738 E. Neumann:
anderen Jahreszeiten sich in Spindelzellen umwandeln oder durch
Proliferation dieselben erzeugen könne.
Den Schwerpunkt meiner Beweisführung sah ich aber in
dem Nachweise, dass die Eigenschaften der Leucocyten oder,
genauer gesagt, der als Lymphocyten bezeichneten kleineren
Formen derselben (sämtliche anderen Leucocyten kommen füglich
nicht in Betracht) einerseits und die Eigenschaften der Spindel-
zellen andererseits eine scharfe Abgrenzung nicht zulassen; alle
Umstände, welche zugunsten einer prinzipiellen Trennung ange-
führt worden sind, erweisen sich als nicht stichhaltig; sie beweisen
nur, dass die Spindelzelle im Zustande typischer Ausbildung
wesentlich verschieden ist von den amöboiden Lymphocyten, ja
es kann sogar zugegeben werden, dass zwischen beiden ein ebenso
weiter Abstand ist als zwischen Spindelzelle und reifem Erythrocyt
(was einige Autoren verkannt zu haben scheinen), diese Ver-
schiedenheit schliesst aber nicht aus, dass beide nur verschiedene
Entwicklungsstufen ein und derselben Stammzelle sind.
Gehen wir auf die einzelnen Unterscheidungsmerkmale ein,
wie sie zuerst von Hayem, später von Bizzozero, Eberth-
Schimmelbusch, Deckhuyzen, Marquis u. a. aufgestellt
und als Beweis für eine unüberbrückbare Kluft zwischen beiderlei
Zellen betrachtet worden sind, näher ein, so ist zunächst auf die
Erscheinungen Bezug genommen worden, welche der frisch, ohne
Reagentien beobachtete Blutstropfen unter dem Mikroskop dar-
bietet: die Lymphocyten sind, wie die übrigen Leucocyten, ziemlich
dauerhafte Gebilde, auch bei längere Zeit fortgesetzter Beob-
achtung bleiben sie, wenn man das Präparat vor Verdunstung
schützt, unverändert. abgesehen natürlich von den bekannten,
ziemlich trägen amöboiden Formveränderungen, die Spindelzellen
hingegen sind äussert „vulnerabel“ (Hayem), sehr schnelle Her-
stellung des Präparats ist erforderlich, um sie in intaktem Zu-
stande zu sehen, binnen kürzester Frist innerhalb einiger Minuten
erhalten sie ein ganz verändertes Aussehen. Diese, seit Hayem
hinreichend bekannten, zuletzt von Meves in exaktester Weise
mit Hilfe einer verfeinerten Technik studierten Veränderungen
verlaufen in der Weise, dass zuerst, während die früher blasse
Zelle einen stärkeren Glanz annimmt, wie er den lebenden
Lymphocyten zukommt, eine Verkürzung und Abrundung, ver-
bunden mit einem Kugligwerden des seine Einfaltungen ver-
Die Spindelzellen des Amphibienblutes. 1739
lierenden Kernes (Meves), sowie auch eine Bildung kleiner Fort-
sätze an der Oberfläche eintritt und alsdann eine Verschmelzung
der so deformierten Zellen zu einer formlosen, nach allen Seiten
mit feinen Fibrinstrahlungen zusammenhängenden Masse, welche
die umgeformten Kerne einschliesst. Ein grösserer Gegensatz
lässt sich nicht denken, auf der einen Seite die lange Fortdauer
evidenter Lebenserscheinungen, auf der anderen Seite Vorgänge,
welche eher den Eindruck der „Agone“ (Deckhuyzen) machen
oder doch wenigstens nur im Beginn einen aktiven, alsbald aber
einen degenerativen Charakter an sich tragen (Meves).
Lässt sich nun aber mit Bestimmtheit sagen,
dass nur die Spindelzellen letzterem Schicksale ver-
fallen und dass die Lymphocyten davon durchweg
ausgeschlossen sind? Tatsächlich liegt die Sache so, dass
man sich an frischen, mit möglichster Schnelligkeit hergestellten
Präparaten direkt davon überzeugen kann, dass die ins Auge
gefassten Spindelzellen die beschriebene Metamorphose erleiden,
ebenso lässt sich positiv feststellen, dass es im Präparat zahl-
reiche Lymphocyten gibt, welche sich in unverändertem Zustande
erhalten, aber man kann nicht ebenso bestimmt behaupten, dass
alle Zellen, welche man in einem Stadium der Metamorphose
antrifft, früher Spindelform gehabt haben und dass keine, im
Blute als Lymphocyt zirkulierende Zelle dieselbe Alteration erfährt.
Die ausserordentliche Schnelligkeit, mit der die Veränderungen
sich entwickeln, und die grosse Ähnlichkeit, welche die Spindel-
zellen im Anfange derselben mit Lymphocyten gewinnen, verhindern
eine sichere Entscheidung hierüber. Es beruht ebenso auf einer
willkürlichen Voraussetzung, wenn Stricker behauptet, dass
Spindelzellen und Lymphocyten in gleicher Weise sich verändern
können, als wenn Hayem das Gegenteil annimmt, und gerade
in dem verschiedenen Verhalten beider Zellen in dieser Be-
ziehung das wichtigste und, wie er geradezu erklärt, bisweilen
das einzige Unterscheidungszeichen erblickt; Stricker konnte
nicht beweisen, dass die abgerundeten Zellen, an welchen er die
Veränderungen beobachtete, im Blute als solche präformiert, nicht
im ersten Stadium der Metamorphose begriffene Spindelzellen
waren, andererseits musste Hayem den Beweis dafür schuldig
bleiben, dass diese Zellen sämtlich früher Spindelzellen und nicht
im Blute präformierte Lymphocyten waren.
740 E. Neumann:
Dass auch das von Meves (l. c.) eingeschlagene Verfahren,
die Herstellung von Präparaten von Blutstropfen, welche zuerst
während einiger Minuten sich selbst überlassen blieben, dann,
nachdem der Eintritt der Veränderungen erwartet werden konnte,
fixiert und gefärbt wurden, keine sichere Entscheidung über die
in Rede stehende Frage zulässt, dürfte sich aus den Erfahrungen,
die Meves selbst damit machte, ergeben, wenigstens berichtet
er über gewisse, wie er meint, anormale Befunde, welche ihm
Zweifel erregten, ob die in der Metamorphose begriffenen Zellen
„wirklich veränderte Spindelzellen oder Leucocyten seien“ und
bei denen er die Diagnose „Spindelzellen“ nur durch die nach
allen Seiten hin abgehenden feinen Fibrinfäden für sichergestellt
hielt (I. ce. S. 332, Fig. 38); dass dieses Kriterium unbedingt zu-
verlässig ist, wird vielleicht keine allgemeine Zustimmung finden,
denn, wie leicht ersichtlich, wird die Entscheidung der alten Streit-
frage, ob nur die Spindelzellen die Ausgangspunkte für die Fibrin-
bildungim Blut abgeben und ob sie allein die Namen „Thrombocyten“
verdienen, ihrerseits stets davon abhängig bleiben, ob Spindelzellen
und Leucoceyten resp. Lymphocyten Zellen sui generis sind.
Schon bei meiner ersten Bearbeitung des Gegenstandes (|. c.)
habe ich auf einen Umstand hingewiesen, welcher es mir wenigstens
wahrscheinlich macht, dass auch ein Teil der Lymphocyten
von den extravasculär eintretenden Veränderungen betroffen wird:
in den lebenden Gefässen prävaliert nämlich meistens die Zahl
der kleinen, runden Lymphocyten bedeutend über die der Spindel-
zellen, in den mikroskopischen Präparaten des Blutstropfens findet
man dagegen häufig nach kurzer Zeit eine ausserordentlich grosse
Menge teils einzeln liegender, teils zu kleinen Gruppen oder
grösseren Haufen verschmolzener degenerierter Zellen, während
die Zahl der erhaltenen Lymphocyten abgenommen zu haben
scheint. Da ich über keine Zählungen verfüge, so kann ich auf
diese Beobachtung keinen allzu grossen Wert legen, es genügt
mir, auf einen Weg aufmerksam gemacht zu haben, der vielleicht
zum Ziele führt. Jedenfalls fehlt einstweilen die Berechtigung,
auf grund der besprochenen, im Blute nach seinem Austritt sofort
eintretenden Veränderungen eine scharfe Grenze zwischen Spindel-
zellen und Lymphoeyten zu ziehen.
Es lag nahe, die Deetjensche Agarmethode, welche für
die Untersuchung des Säugetierblutes so Vorzügliches leistet, auch
Die Spindelzellen des Amphibienblutes. 741
für das Amphibienblut nutzbar zu machen, um den Eintritt spontaner
Veränderungen der Blutelemente zu verhindern und sie in vitalem
Zustande zu erhalten; indessen hat Deetjen selbst!) berichtet,
dass seine darauf gerichteten Bemühungen vergeblich gewesen
sind; somit würde nur die Untersuchung des Blutes innerhalb
noch lebender Gefässe und die Untersuchung an fixierten und
gefärbten Präparaten des frisch dem Körper entnommenen Blutes
übrigbleiben. Erstere ist vielleicht bisher noch nicht genügend
für die Entscheidung der uns beschäftigenden Frage verwertet
worden, über letztere liegen dagegen sehr zahlreiche und sehr
subtile Angaben vor.
Auch meine eigenen, früher mitgeteilten Beobachtungen
bezogen sich hauptsächlich auf derartige Präparate, und ich glaube
durch dieselben erwiesen zu haben, dass sich eine lückenlose
Reihe von Übergangsformen zwischen Spindelzellen und Lympho-
cyten darstellen lässt. Von seiten späterer Untersucher scheint
eine Nachprüfung mittels der von mir empfohlenen Methoden
nicht stattgefunden zu haben, ich finde aber auch keine Angabe,
welche den von mir erlangten Resultaten widerspricht. Ich be-
schränke mich hier darauf, einige Punkte hervorzuheben.
Als besonders vorteilhaft für die Untersuchung erweist sich
auch hier das Knochenmarksblut von Rana temporaria in der
Periode der physiologischen Regeneration. Untersucht man des-
halb unmittelbar nach der Übertragung in 1°/o Osmiumsäure,
so fällt es sofort auf, dass die farblosen Blutzellen (abgesehen
von den grösseren, granuliert aussehenden Zellen, welche teils
eosinophile Zellen, teils Mastzellen sind) ein gleichmässig helles
Aussehen haben, in ihren Formen aber wechseln zwischen schmalen,
langen Spindeln, länglichen, kürzeren aber etwas breiteren und
mehr abgerundeten Spindeln und Rundzellen, also Spindelzellen
und Lymphocyten sind durch Mittelformen verbunden. Ihre
Zusammengehörigkeit ergibt sich auch aus einer, von Hayem
bereits erwähnten Eigentümlichkeit, welche ihnen gemeinsam zu-
kommt, ein grosser Teil dieser verschieden geformten Zellen zeigt
nämlich in dem übrigens homogen und transparent erscheinenden
Zellleibe ein einzelnes oder ein paarkleine, fettähnlich glänzende
Körnchen, meist in der Nähe des undeutlich durchscheinenden
!) Deetjen: Untersuchungen über die Blutplättchen-Habilitationsschrift.
Kiel. Virchows Archiv, Bd. 164. 1901.
742 E. Neumann:
Kerns liegen; welcher chemischen Natur sie sind, ist unbekannt;
gegen Fett (Hayem schrieb ihnen eine „nature vitelline“ zu)
spricht, dass sie sich in Osmium nicht schwärzen. Ihre Anwesenheit
in den Spindelzellen bei Rana ist, ausser von Hayem, auch von
vielen folgenden Untersuchern beschrieben. Auch ich habe sie
erwähnt und für Rana temporaria als fast konstant bezeichnet,
auch darauf hingewiesen (l. c. S. 271). dass dieser selbe Befund
sich auch auf einigen von Hayem gegebenen Abbildungen von
Lymphocyten („Leucocytes de la pr@miere variet&“) erkennen lässt
(Hayem, l.c., Pl. V, Fig. 1a und Fig. 2a) ohne von demselben
in seiner Beschreibung erwähnt und einer weiteren Beachtung
gewürdigt zu werden und doch ist hierauf Wert zu legen; das
Auftreten derselben Körnchen in vielen evidenten Lymphocyten
und in den Zwischenformen verrät die genetische Beziehung
dieser verschieden geformten Zellen zueinander.
Ebenso sind ferner die mit Osmium fixierten Präparate zu
empfehlen, um sich davon zu überzeugen, dass das Protoplasma
beider Zellarten basophile Beschaffenheit hat: man füge dem
in eine 1°/oige Osmiumsäurelösung aufgenommenen Blutstropfen
vom Rande des Deckglases aus einen Tropfen Methylenblau-
kochsalzlösung hinzu, lasse während der Ausbreitung desselben
das Präparat einige Zeit (12—24 Stunden) in einer feuchten
Kammer liegen und setze schliesslich Glycerin hinzu; hierdurch
erreicht man eine bessere Differenzieruug der ursprünglich gleich-
mässigen Färbung. Nach 24 Stunden zeigt sich folgendes Bild:
Die farblosen Zellen des Blutes sind in ihrer Form fixiert, die
einen glänzenden blauen Nucleolus enthaltenden selbst nur wenig
gefärbten Kerne der Lymphocyten, sowie ein Teil der Spindel-
zellen sind von dunkelblauem Protoplasma umgeben, dieses bildet bei
ersteren einen schmalen Ring oder Halbmond, bei letzteren erscheint
es in zwei polare Zipfel ausgezogen; bei den hämoglobinhaltigen
Spindelzellen versagt natürlich diese Färbung; sie erscheinen,
wie die roten Blutkörperchen, in einem grünlichgelben Farbenton.
Bemerkenswert bei diesen Präparaten ist, dass anfangs die Färbung
des Protoplasmas gleichmässig ist, bei längerem Liegen in Glycerin
sondern sich aus ihm kleine blaue Granula und tropfenähnliche
Kugeln aus, die an Zahl und Grösse mit der Zeit gewinnen, so dass
der Kern alsdann von einem Kranze dieser Gebilde umgeben
erscheint.
Die Spindelzellen des Amphibienblutes. 745
Was nun speziell die Beschaffenheit der Kerne betrifft,
so haben weder diejenigen Untersuchungsmethoden, welche sich
für die Darstellung des in ihnen gelegenen Chromatingerüstes
eignen, noch diejenigen, welche die Kerne hell und homogen mit
einem oder einem Paar centraien Nucleolen erscheinen lassen,
ein durchgreifendes Unterscheidungsmerkmal ergeben. Die von
Deckhuyzen (l. c.) und H. F. Müller (l. ec.) bezeichneten
Unterschiede in der Beschaffenheit des Kerngerüsts bei „Leuco-
blasten“ und „Thromboblasten“ resp. „Leucocyten“ und „Thrombo-
cyten“ sind, wie ihre eigenen Abbildungen lehren, nicht genügend,
worauf ich schon früher hingewiesen habe. Sehr frappant tritt
die Ähnlichkeit des Kernbaues bei Lymphocyten und Spindel-
zellen auf den schönen Abbildungen von Giglio-Tos') hervor,
welcher sich demnach auch für ihre Zusammengehörigkeit aus-
gesprochen hat. Ich verweise ferner auf meine obige Kritik der
Mevesschen Angabe, dass bei gerinnendem Blut bisweilen nur
aus der von den Zellen ausgehenden Fibrinstrahlung die Diagnose:
Spindelzellen gegenüber den Lymphocyten gestellt werden könne;
auch hieraus geht hervor, dass die Beschaffenheit der Kerne kein
ausreichendes Unterscheidungszeichen ist und das zeigt auch ein
Vergleich seiner Fig. 38 (als Spindelzelle gedeutet) mit dem von
ihm abgebildeten „freien Kerne“ Fig. 37, welcher doch wohl mit
einem Lymphocytenkern zu identifizieren ist. Die Chromatin-
anordnung, wie sie die von ihm benutzte Untersuchungsmethode
darstellt, ist im wesentlichen dieselbe. — Nucleolen aber kommen
bei den mit Osmium und Jodjodkalilösungen behandelten Präparaten
in den kleinen Lymphocyten konstant zum Vorschein und Meves
hat noch neuerdings Hayems und meine Angabe bestätigt, dass
dies in gleicher Weise auch bei den Spindelzellen der Fall ist.
Die von mir angeregte (l. c.) Frage, ob es sich dabei um prä-
formierte Gebilde oder um Kunstprodukte handelt, kann hier
unerörtert bleiben.
Die Mevessche Einfaltung der Kernwand bei den Spindel-
zellen fehlt unzweifelhaft den Lymphocytenkernen und es bedarf
noch einer genaueren Untersuchung, inwieweit sie sich an den
Übergangsformen nachweisen lässt. Die von Meves beobachtete
Tatsache, dass sie sich bei dem extravaseulären Übergange jener
!) Giglio-Tos: Tromboeiti degli Ittiopsidi e deiSauropsidi. Torino 1898.
744 E. Neumann: Die Spindelzellen des Amphibienblutes.
in eine abgerundete Form ausgleichen, lässt aber die Vermutung
zulässig erscheinen, dass bei der Entwicklung umgekehrt die
ursprünglich glatten Kerne Einfaltungen erleiden.
Es ergibt sich somit aus der gegebenen Darstellung des
Entwicklungsganges der roten Blutzellen unter Vermittlung der
Spindelzellen die bemerkenswerte Tatsache, dass zwischen eine
amöboide und eine stabile Zelle eiri Entwicklungsstadium ein-
geschaltet ist, in welchem die Zelle weder amöboid noch stabil
ist, sondern vielmehr einen Zustand äusserst labiler Vitalität
darbietet und sofort nach der Entfernung aus dem lebenden
Körper in „Agone®* (Deckhuyzen) verfällt und dem Zerfall
entgegengeht. Zugleich erweisen die mitgeteilten Beobachtungen
aufs neue die Irrtümlichkeit der Annahme, dass die „Blutplättchen“
des Menschen und der Säugetiere, welche sich in betreff der
Neigung zum Zerfall allerdings den Spindelzellen des Amphibien-
blutes ähnlich verhalten, Analoga derselben sind, einer Annahme,
welche noch gegenwärtig bei zahlreichen Autoren, neuerdings
auch bei Meves, Unterstützung findet, obwohl die Hayemsche
Lehre, dass die Blutplättchen der Säugetiere, ebenso wie es bei
den Spindelzellen der Amphibien der Fall ist, Entwicklungsstufen
der roten Blutzellen darstellen, kaum mehr Verteidiger findet.
Das Ganglion ciliare der Vögel.
Von
M. von Lenhossek, Budapest.
Mit 26 Textfiguren.
Die mitzuteilenden Untersuchungen wurden mit der Cajal-
schen Silbermethode am Ganglion ciliare des Huhnes, der Ente,
des Truthahnes und der Taube angestellt. Vom Huhne habe ich
ausser dem entwickelten Tier auch noch verschiedene Entwicklungs-
stadien untersucht. Den wesentlichsten Teil der Ergebnisse dieser
Untersuchung habe ich bereits im Form einer vorläufigen Mit-
teilung auf dem II. Internationalen Anatomenkongress in Brüssel
am 10. August 1910 vorgetragen.
Ich will meiner Darstellung die beim Huhne gefundenen
Verhältnisse zugrunde legen.
N. opt. Nn. eil. breves
N. eil. long.
Gangl. cil.
Rad. mot.
Er
M. rect. inf.
N. oculomot.
Eyo2T.
Das Ganglion ciliare und seine Verbindungen beim Huhn. Halbschematische
Rekonstruktion nach Serienschnitten, nach eigenen Untersuchungen, mit
Benützung einer Figur von Holtzmann.
Das Ganglion ciliare des Huhnes (Fig. 1) ist ein 1,5 mm
langes, ovales Knötchen, hinter dem Augapfel, dicht an der
lateralen Seite des Sehnerven gelegen. Eine bindegewebige
Kapsel umgibt das Gebilde. An den Horizontalschnitten des
746 M. von Lenhossek:
Augenhöhleninhaltes (Fig. 2) sieht man von hinten und etwas
von der medialen Seite her den kräftigen Oculomotoriusast in
das Ganglion eintreten. Die Angabe mehrerer Forscher, dass
beim Huhne das Ganglion dem Stamme des Nervus oculomotorius
ohne besondere motorische Wurzel unmittelbar angelötet sei.
kann ich nicht bestätigen. Wie Fig. 2 zeigt, ist eine motorische
Wurzel bestimmt vorhanden. !)
Das Ganglion verhält sich zu diesem Ast wie ein Spinal-
ganglion zur hinteren Wurzel: es erscheint als eine Anschwellung
dieses Astes. Auf der vorderen Seite sieht man zwei Nerven
aus dem Ganglion hervor-
treten: den kräftigen Nervus
ciliaris crassus (Holtz-
mann), der ungeteilt zum
Augapfel geht, um die Selera
in der Nähe des Sehnerven
zu durchsetzen, und medial
davon einen dünneren Ast,
der mit dem N. ciliaris
crassus parallel nach vorne
Fig. 2. läuft und unzweifelhaft eben-
Längsschnitt aus dem Ganglion ciliare des falls ein Ciliarnerv ist. Das
Huhnes, aus mehreren Schnitten kombiniert. Ganglion ciliare des
Von hinten tritt die motorische Wurzel an Huhnes hat ausser der
das Ganglion heran, vorn entspringen aus motorischen keine
dem Ganglion zwei Aste: der Nervus ciliaris
crassus und der Nervus ciliaris minor.
andere Wurzel; ich
habe mich ebensowenig wie
Schwalbe,?) Zaglinski°®, und Holtzmann‘) von der
Existenz einer sensibeln und einer sympathischen Wurzel über-
zeugen können. Ein der Radix sensitiva entsprechender Ast ist
') Auch bei der Ente ist dies der Fall; bei der Taube und dem
Truthahn dagegen ist das Ganglion auch nach meinen Beobachtungen dem
Stamme des Nervus oculomotorius unmittelbar angelötet.
?) G. Schwalbe: Das Ganglion oculomotorii. Jenaische Zeitschr.
f. Naturwissenschaften, Bd. XIII. 1879.
?) A. Zaglinski: Experimentelle Untersuchungen über die Iris-
bewegung. Arch. f. Anat. u. Physiol., Physiolog. Abt., 1885, 8.1.
*) H. Holtzmann: Untersuchungen über Ciliarganglion und Ciliar-
nerven. Morphol. Arbeiten. Herausgegeben von G. Schwalbe. Bd. 6,
S. 114. 1896.
Das Ganglion cliare der Vögel. 1747
nach den genannten Forschern allerdings auch hier vorhanden,
doch verbindet er sich nicht mit dem Ganglion, sondern distal-
wärts davon mit einem der Ciliarnerven (Fig. 1). Dies ist nach
den genannten Forschern nicht nur beim Huhne, sondern auch
bei den anderen von ihnen untersuchten Vogelarten !) der Fall.
Auch ich habe mich an den von mir untersuchten wenigen Vogel-
spezies überzeugen können, dass der zum Ganglion gehende
Oculomotoriusast bei allen die einzige Wurzel des Ganglions ist.
Somit gehört beim Vogel das Ganglion ciliare
in seiner vesamtheit zu dem Nervus oculomotorius;
es verdient demnach in vollem Maße den ihm schon vor 31 Jahren
von Schwalbe beigelegten Namen eines Ganglion oculo-
motorii. Hieraus folgt aber noch nicht, dass, wie Schwalbe
gemeint hat, es einem Spinalganglion entspricht. Ich werde auf
diese Frage am Schlusse meiner Arbeit noch zurückzukommen haben.
Schon mit schwacher Vergrösserung lässt sich an den
Horizontalschnitten des Augenhöhleninhaltes (Fig. 2) — besonders
beim 21tägigen Hühnchen — ein auffallender Unterschied zwischen
dem zutretenden Oculomotoriusast und den beiden abtretenden
Ciliarnerven feststellen. Der Oculomotoriusast besteht aus dicken
Achsenzylindern, die Ciliarnerven aus viel feineren. Die ein-
tretenden Nervenbündel der motorischen Wurzel schlängeln sich
zwischen den unregelmässig verteilten Nervenzellengruppen getlecht-
artig hindurch und fast unmerklich werden in der distalen Hälfte
des Ganglions die dicken Achsenzylinder durch die dünneren
ersetzt. Man bekommt schon hierdurch den Eindruck. dass die
Oculomotoriusfasern alle im Ganglion endigen und dass sich die
Ciliarnerven ausschliesslich aus postganglionären, d. h. im Ganglion
entspringenden neuen Fasern zusammensetzen. Bekanntlich hat
dies Apolant?) für das Ciliarganglion der Katze bestimmt nach-
gewiesen, indem er zeigte, dass nach Durchschneidung des
N. oculomotorius die Fasern nur bis zum Ganglion ciliare ent-
arten. Dasselbe haben aus ihren physiologischen Versuchen
!) Zaglinski täuscht sich, wenn er für die Taube das Vorhanden-
sein einer sensibeln Wurzel des Ganglion ciliare annimmt; ich habe mich
an Serienschnitten bestimmt überzeugen können, dass auch bei der Taube
nur der Oculomotorius Anteil an der Bildung des Ganglions nimmt.
?2) Apolant: Über die Beziehungen des N. oculomotorius zum Ganglion
ciliare. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 47, S. 655. 1896.
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. 48
748 M. von Lenhossek:
Langley und Anderson!), Langendorff?) und Bach?)
gefolgert.
Das Ganglion besteht aus einer mässig entwickelten Zwischen-
substanz, durch die sich die Nervenfasern hindurchwinden, und aus
Nervenzellen. Letztere sind ungefähr so gross oder um ein
geringes kleiner als die Nervenzellen der Spinalganglien; ihr
Durchmesser beträgt durchschnittlich 33,5 «. Den Zellen der
sympathischen Grenzstrangganglien sind sie beträchtlich an Grösse
überlegen. Sie sind alle unipolar:; der Fortsatz entspringt an
dem einen Pol der zumeist leicht elliptischen, plumpen Zelle und
geht dann ungeteilt in einen der Ciliarnerven über. Eine typische
T-Teilung des Fortsatzes, wie sie für die Spinalganglienzellen
charakteristisch ist, ist nicht vorhanden. Der Fortsatz entspringt
mit einem kleinen Kegel von der Zelloberfläche; er ist in seiner
ersten Strecke gewöhnlich recht dünn, verdickt sich aber in
einiger Entfernung von der Zelle etwas: an der Stelle nämlich,
wo er seine Markscheide erhält. Auch beim Vogel sınd nämlich,
wie beim Säugetier,*) die Fasern der Ciliarnerven mit dünnen
Markscheiden versehen.
Bei vielen Zellen weist der Zellkörper am Fortsatzpol eine
breite, flache, tellerförmige Vertiefung auf; in solchen Fällen
entspringt der Fortsatz am Rande der Vertiefung. Nimmt er
am proximalen Pol der Zelle seinen Ursprung, was nicht selten
vorkommt, so muss er sich natürlich früher oder später distal-
wärts umkrümmen, um in einen der Ciliarnerven zu gelangen.
(rewöhnlich erfolgt diese Umkrümmung schon in der Nähe der
Zelle. Er ist von Anfang an geradlinig und gestreckt; glomerulus-
artige Windungen, wie wir sie an den Spinalganglienzellen der
Säugetiere beobachten, sind an ihm nieht vorhanden. Übrigens
fehlen beim Vogel diese Glomeruli auch an den Spinalganglien-
1) 0. Langendorft: Ciliarganglion und Oculomotorius. Pflügers
Arch. f. d. ges. Physiologie, Bd. 56, S. 522. 1894.
?) L. Bach: Zur Lehre von den Augenmuskellähmungen und den
Störungen der Pupillenbewegung. Arch. f. Ophthalmologie, Bd. XLVI,
8.339. 189.
>) I. N.Langley and H.K. Anderson: The action of nicotin
on the ciliary ganglion and the endings of the third cranial nerv. Journ.
ot Physiology, vol. XI, pag. 281. 1890.
‘) W. Hahn: Untersuchungen über den Bau der Ciliarnerven. Wiener
klin. Wochenschr., 1897, Nr. 31, S. 714.
Das Ganglion ciliare der Vögel. 149
zellen; auch bei diesen zeigt der Fortsatz einen geradlinigen
Verlauf.
Der Zellkörper ist bei der Mehrzahl der Zellen ganz glatt,
abgesehen von den kaum merklichen Vertiefungen, die die gleich
zu erwähnenden Amphicyten an ihnen hervorrufen können.
Dendriten sind niemals vorhanden. Aber an einzelnen grösseren
Zellen (Fig. 3) beobachtet man eine merkwürdige Schlingen-
bildung an der Oberfläche, wie sie
bekanntlich auch an den Spinal-
ganglienzellen der Säugetiere (nicht
aber der Vögel) häufig vorkommt.
Die Zahl dieser scharf gezeichneten
Schlingen kann sieben bis acht be-
tragen. Sie können sich auf den
ganzen Umfang der Zelle verteilen,
gewöhnlich sind sie aber, wie bei der
in Fig. 3 dargestellten Zeile, nur ein- —
seitig entwickelt. Auch Spuren einer Fig. 3.
„Fenestration“ lassen sich nachweisen Nervenzelle mit Schlingen-
in Form von Vacuolen innerhalb des DPildung an der Oberfläche. Fort-
Protoplasmas des Fortsatzpoles der a en ae
Schnitt. Vom Huhn.
Zelle. Alle diese Unregelmässigkeiten
kommen aber nur recht selten und nur bei vollkommen ent-
wickelten Tieren vor; beim jungen Huhne ist nichts derartiges zu
beobachten. Es handelt sich also um sekundäre Veränderungen,
vielleicht um Alterserscheinungen der Zelle.
Die Zelle ist von Amphieyten („Satellitenzellen“) umgeben,
und zwar in Form eines dünnen, niedrigen Mantels.. Nur an
einer Stelle zeigen diese Zellen eine stärkere Entwicklung: in
der Gegend des Fortsatzpoles. Hier bilden sie eine schwächere
oder stärkere kegelförmige Ansammlung, deren Basis der Zelle
zugekehrt ist. Die Zelle bildet mitsamt diesem Kegel ein birn-
förmiges (Grebilde. Ist der Amphieytenkegel stark entwickelt,
wie dies z. B. in extremer Form bei Fig. 13 zu sehen ist, so
bleibt dies nicht ohne Einfluss auf die Grösse und Form der
Zelle: die Zelle erscheint in solchen Fällen mit einer breiten
und tiefen polaren Aushöhlung versehen, niedrig, mützenförmig;
oft ist sie so reduziert, dass sie gerade nur die Konvexität des
birnförmigen Zellkomplexes einnimmt, alles übrige dagegen von
48*
750 M. von Lenhossek:
den Amphieyten gebildet wird. Diese Reduktion und Formver-
änderung, vor allem die Bildung der polaren Aushöhlung ist ohne
Frage eine Folge der Wucherung der Amphicyten in der Gegend
der Ursprungsstelle des Fortsatzes; beim jungen Tier, wo diese
Wucherung noch nicht Platz gegriffen hat, fehlt stets auch die
Aushöhlung.
Der Amphieytenmantel wird nach aussen von einer scharf
gezeichneten Bindegewebsmembran, der Kapsel der Zelle begrenzt.
Natürlich ist diese Kapsel nichts anderes als die innerste Lage
des interstitiellen Bindegewebes der Ganglien, mit dem sie auch
unmittelbar zusammenhängt.
Zelle und Fortsatz sind fibrillär gebaut; im Zellkörper bilden
die Fibrillen ein dichtes Netz, im Fortsatz laufen sie parallel
miteinander.
Interessant ist die Endigungsweise der Oculomo-
toriusfasern an den Zellen.
Betrachten wir die Verhältnisse zuerst bei dem eben aus
dem Ei geschlüpften 21tägigen Hühnchen (Fig. 4—7). Hier
finden wir eine höchst einfache Form ‘der interneuronalen Arti-
kulation. An jede Zelle tritt nur eine einzige Oculomotoriusfaser,
und zwar erfolgt ihr Herantreten stets in der Nähe des Fortsatzes,
so dass sich die beiden wie das Vas afferens und eferens eines
Nierenglomerulus verhalten, mit dem Unterschied nur, dass während
bei dem Nierenglomerulus die beiden Gefässe ungefähr von gleicher
Fig. 4. Fig. 5. Fig. 6. Fig. 7.
Nervenzellen aus dem Ciliarganglion des 21tägigen Hühnchens. Die Amphi-
eyten bilden noch keine polare Ansammlung. Einfache gabelförmige Endigung
der Oculomotoriusfaser an der Zelle. In Fig.5 und 6 künstlicher, durch
Schrumpfung entstandener Spaltraum um den Zellkörper.
Dicke sind, hier der eine Ast, nämlich die Oculomotoriusfaser,
den anderen, den Zellfortsatz, um ein beträchtliches an Dicke
übertrifft.
Das Ganglion cliare der Vögel,
—I
O1
-_
An der Zelle teilt sich die Oculomotoriusfaser in zwei oder
viel seltener in drei Äste, die an der Zelle in entgegengesetzter
Richtung meridianartig herumlaufen, ohne sich aber am gegen-
überliegenden Pol zu erreichen. Sie sind stets unverästelt; der
eine ist gewöhnlich stärker als der andere, oft, wie in Fig. 5, mit
sehr ausgesprochenem Dickenunterschied. Sie laufen genau an
der Zelloberfläche, nur wenn sie hie und da eine kleine wellen-
förmige Biegung beschreiben, können sie sich etwas von der Zelle
abheben, um sich zwischen die Amphieyten zu lagern.
An der Stelle, wo sich die Faser in ihre beiden Äste teilt,
lässt sie stets eine schwächere oder stärkere, manchmal recht
plumpe dreieckige Verdickung erkennen. Sehr häufig ist diese
Verdickung unregelmässig gestaltet, nämlich in den Fällen, wo
der eine Teilungsast beträchtlich stärker ist als der andere. In
solehen Fällen zieht sich die Verdiekung nach dem kräftigeren
Aste hin, während sich der dünnere Zweig nur als Nebenast von
ihr ablöst.
Gewöhnlich imprägniert sich die Verdieckung tieischwarz ;
bleibt sie ausnahmsweise etwas heller, so lässt sich klar ein
fibrillärer Bau in ihr nachweisen, mit geflechtartiger Anordnung
der Fibrillen.
Die Verdickung steht in einem Teil der Fälle mit dem
Zellkörper in unmittelbarer Berührung und liegt ihm, wenn sie
stärker entwickelt ist, wie eine Mütze auf. In anderen Fällen
erscheint sie von der Zelle etwas abgehoben. Hier sind aber
wieder zwei Fälle zu unterscheiden. In einem Teil der Fälle,
wie in den Fig. 5 und 6, liegt bestimmt ein Kunstprodukt, das
Ergebnis einer Schrumpfung des Zellkörpers vor, was man daran
erkennt, dass zwischen Zelle und Verdickung ein leerer Spaltraum
vorhanden ist. In anderen Fällen ist ein solcher Verdacht aus-
geschlossen, da der Zwischenraum von dem Protoplasma der
Amphicyten erfüllt ist.
Fassen wir jetzt die Verhältnisse beim vollkommen ausge-
bildeten Huhn ins Auge. Die im Obigen geschilderte einfache
sabelförmige Endigung der Oculomotoriusfasern ist immer
noch zu beobachten, aber nur mehr an einem Teile der Zellen.
In welcher Verhältniszahl diese „primitive Form“ vorkommt,
vermag ich nicht anzugeben; jedenfalls beschränkt sie sich auf
eine Minderheit der Zellen. Für die Mehrzahl der Zellen hat
132 M. von Lenhossek:
also diese, noch beim 21tägigen Hühnchen die Regel darstellende
gabelförmige Endigungsweise bloss die Bedeutung eines Ent-
wicklungsstadiums. Immerhin wird man auch beim entwickelten
Tier auf jedem Schnitt mehrere Zellen mit solcher Faserendigung
finden. Die Fig. 8—10, die alle nach Präparaten aus dem Ciliar-
ganglion eines alten, kräftigen Hahnes gezeichnet sind, vergegen-
wärtigen die Verhältnisse bei solchen Zellen. In Fig. 9 ist der
Fig. 8. Fig. 9. Fig. 10.
Nervenzellen aus dem Ciliarganglion eines kräftigen, alten Hahnes. Gabel-
förmiger, primitiver Endigungstypus der Oculomotoriusfaser an der Zelle.
grosse Diekenunterschied zwischen den beiden Teilungsästen be-
merkenswert. In Fig. 10 liegt die Teilungsstelle des Fortsatzes
weitab von der Zelle, fast in der Spitze des Amphieytenkegels;
auch fällt es auf, dass sich der eine Ast an der Zelle in mehrere
schwächere Zweige teilt; hier haben wir schon eine Übergangs-
form zu dem weiter unten zu besprechenden komplizierteren Ver-
halten der Oeulomotoriusfaser. In allen drei Figuren befindet sich
die Stelle, wo die Faser an die Zelle herantritt, dicht neben der‘
Ursprungsstelle des Fortsatzes. Die Faser betritt den Amphieyten-
kegel an seiner Spitze und durchsetzt ihn dann seiner Achse
nach; der Kegel schliesst sich entschieden mehr der Oculomo-
toriusfaser als dem Fortsatz an, der den Kegel gewöhnlich schon
vor seiner Spitze verlässt.
Die Teilungsäste laufen meridianartig dicht an der Oberfläche
der Nervenzelle, ohne mit deren innerer Struktur in fibrillären
Zusammenhang zu treten. Die substanzielle Unabhängigkeit der
Das Ganglion ciliare der Vögel.
Faser von der Zelle ergibt sich auch aus dem Umstande, dass sich
die Faser an den Stellen, wo sie kleine Krümmungen beschreibt,
ohne weiteres von der Zelloberfläche etwas abheben kann.
Diese einfache Art der Endigung erinnert einigermassen an
die Heldschen Endkelche im Trapezkern der Säugetiere.') Auch
an die Endigungsweise der Acusticusfasern an den Haarzellen der
Maculae und Cristae acusticae sowie des Cortischen Organes
zeigt sie Anklänge. Die meiste Ähnlichkeit aber hat sie unzweifel-
haft mit der kürzlich von Cajal?) im Nucleus vestibularis tangen-
tialis der Vögel und Knochenfische beschriebenen Endigung des
Nervus acusticus. Der Unterschied des Cajalschen Befundes
gegenüber der soeben beschriebenen Endigungsweise besteht darin,
dass in Cajals Beobachtung die Fasern des N. vestibularis stets
nur als Seitenäste oder gar nur als seitliche Verdickungen die
Endscheiben an die Zellen des Tangentialkerns abgeben, sie selbst
aber noch weiter ziehen, um erst in anderen Nervenzellengruppen
ihr eigentliches Ende zu finden, während im Ciliarganglion die
geschilderten Endgabeln die definitiven Endigungen der Oculomo-
toriusfasern bilden. In zwei Fällen allerdings — einmal beim
Huhn und einmal beim Truthahn (Fig. 22) — habe ich ein
analoges Verhalten beobachtet, wie es Cajal für den Nucleus
tangentialis beschreibt: die an der Zelle endigende Faser stellte
einen Nebenast einer dicken Oculomotoriusfaser dar, die noch
weiter zog, offenbar um an einer anderen Zelle des Ganglions
zu endigen. Solche Fälle kommen aber im Ciliarganglion sehr
selten vor. Meiner Ansicht nach dürfte die Zahl der Nervenzellen
des Ciliarganglions beim Vogel ungefähr der Zahl der Nerven-
fasern in der Radix motoria gleichkommen, event. sie um ein
geringes übertreffen.
Bei der Mehrzahl der Zellen liegen kompliziertere Verhält-
nisse vor, indem die Oculomotoriusfaser in der Umgebung des
polaren Teiles der Zelle und des Anfangsstückes des Fortsatzes
in ein ganzes Büschel von Fasern aufgelöst erscheint. Dieses
') H. Held: Die zentrale Hörleitung. Arch. f. Anat. u. Physiol. Anat.
Abteilung. 1893. S. 201.
?) S.R. Cajal: Sur un noyau spe&cial du nerf vestibulaire des poissons
et des oiseaux. Travaux du laboratoire de recherches biologiques de l’Uni-
versit@ de Madrid. T. VI, pag. 1. 1908. Derselbe: Les ganglions terminaux
du nerf acoustique des oiseaux. Ibidem, pag. 195.
754 M. von Lenhosseck:
Verhalten hat sich aus dem einfachen Bilde der Endgabel offenbar
unter Mitwirkung der in der Polgegend der Zelle wuchernden
Amphievten entwickelt, jedenfalls Hand in Hand damit. Durch
die Vermehrung dieser Zellen wird die Teilungsstelle der Oculomo-
toriusfaser zunächst von der Zelle abgedrängt; so gelangt sie in
die Spitze des Kegels. Zweitens lösen sich dann die beiden Äste
in ein ganzes Büschel von feineren Zweigen auf, möglicherweise
durch Längsspaltung, viel wahrscheimlicher aber in der Weise,
dass aus dem Terminalknoten und seinen beiden Ästen neue
Zweige nach Art des embryonalen Wachstums hervorspriessen.
Von diesem Gesichtspunkte aus kann man die manchmal recht
ansehnliche Verdickung an der Teilungsstelle der Stammfaser bei
jungen Tieren als Substanzvorrat für die weiteren Entwicklungs-
vorgänge auffassen.
Das Verhalten des Endbüschels kann aber etwas verschieden
sein. Man kann in der Mannigfaltigkeit der Bilder drei Grund-
typen unterscheiden: den Typus des polaren Geflechtes, den des
Fig. 11. Fig. 12.
Aus dem Ciliarganglion des Huhnes. Geflechtartige Endigung der Oculo-
ımotoriusfaser im Amphicytenkegel und in der Polgegend der Zelle.
polaren Büschels und den des Pericellulargeflechtes. Diese Typen
sind allerdings durch zahlreiche Übergangsformen miteinander
verbunden.
Der Typus des polaren Geflechtes kommt vielleicht
von allen am häufigsten vor. Ich habe ihn in den Fig. 11—15
zur Ansicht gebracht. Die dicke Oculomotoriusfaser teilt sich
Das Ganglion cliare der Vögel.
an der Spitze des Amphieytenkegels in ihre Aste, oder sogar schon
etwas früher, so dass in den Kegel schon mehrere distinkte Äste
eintreten.
Schnitte, so kann der Anschein ent-
stehen, als ob mehrere Fasern zu der
Zelle in Beziehung treten würden.
Dies wäre ein prinzipieller Irrtum;
auch beim entwickelten Tier findet
an jeder Nervenzelle nur eine einzige
Faser ihre Endigung. Selten sind
die Teilungsäste gleich stark; oft
findet man enorme Dickenunterschiede,
so dass der eine Ast die direkte
Fortsetzung des Faserstammes dar-
stellt, die anderen sich dagegen nur
als schwache hReiserchen von der
Stammfaser ablösen (siehe z. B. Fig. 15
von der Taube, auch Fig. 13). Im
Kegel teilen sich die Aste noch weiter
und winden sich unregelmässig durch-
einander. So entsteht ein richtiges
Fasergeflecht. Die beste (resamt-
anschauung dieses Plexus erhält man
an solchen Stellen, wo die Schnitt-
richtung den Amphieytenkegel quer
getroffen hat, wo man also von der
Spitze her auf den Kegel und seinen
Faserplexus blickt. Das (reflecht
breitet sich um den Fortsatz aus,
erstreckt sich aber teilweise auch auf
den polaren Teil der Zelle, wo dann
die Äste mit freien Spitzen endigen.
Einzelne Äste laufen an der Zelle
noch etwas weiter und können sogar
bis zum entgegengesetzten Pol ge-
langen.
Nicht selten kommt es vor (Fig. 15
und 14), dass ein dickerer Ast des
treflechtes den Zellfortsatz in Form
Liegt die Teilungsstelle in solehen Fällen nicht im
Fig. 13.
Ciliarganglion des Huhnes.
Nervenzelle mit Spiralfaser, aus
mehreren Schnitten rekon-
struiert. Bei dieser Zelle fällt
die mächtige Entwicklung des
Amphicytenkegels und die
starke Reduktion des Zell-
körpers auf. In der Polgegend
der Zelle ist eine Schlinge zu
sehen. Die ausserordentlich
dicke Spiralfaser umwindet den
geradlinig verlaufenden, zarten
Zellfortsatz bis zur Zelle und
endigt einfach zugespitzt, un-
verästelt an letzterer. Neben
der Spiralfaser mehrere zarte
Teilungsäste der Oculomotorius-
faser, die zwischen den Amphi-
cyten ein feines Geflecht bilden.
56 M. von Lenhossek:
einer regelmässigen Spirale umwindet, oft von der Spitze des
Kegels bis zur Ursprungsstelle des Fortsatzes hin. Manchmal
sind es auch zwei Fasern, die sich an dieser Spirale beteiligen.
Diese „Spiralfaser“ kommt niemals allein vor; immer
bildet sie nur einen der Teilungsäste der Oculomotorius-
faser und unter-
scheidet sich bloss
durch ihren Verlauf
und gewöhnlich auch
durch ihre Dicke von
den übrigen Ästen
des (reflechtes, mit
denen sie die gleiche
Provenienz hat.
Wir haben die alt-
bekannte Spiralfaser
vor uns, dieselbe
Bildung, die schon
vor langer Zeit von
Beale (1863) an
den sympathischen
Zellen des Frosches a ee
Vom Huhn. Ciliarzelle mit Aus dem Ciliarganglion
entdeckt, und dann Spiralfaser. Zelle nur aus der Taube. Kombi-
von Arnold (1867), einem Schnitt abgebildet, nationsform der gabel-
Ehrlich (1886), daher von der Spiralfaser förmigen und geflecht-
(1887) nur Bruchstücke zu sehen. artigen Endigung. Die
Arnstein a ee
> BR: = : 2 s starKe ceUlOEMOTOTIUS-
Retzius (1889), Warfwinge (1906, faser teil ee
Archiv f. mikr. Anatomie, Bd. 1906) u.a. an Zelle in zwei grobe End-
demselben Objekt ausführlicher beschrieben äste, gibt aber schon
worden ist. An den Zellen des Frosch- früher zarte Reiserchen
sympathieus scheint sich aber die Spiral- &» die unter weiterer
faser am Zellkörper in einen pericellulären Vernebelmun Lu
; flechtbildung zur Pol-
Plexus aufzulösen, während sie an den gegend der Zelle hin-
Ciliarzellen des Huhnes, wie die beiden ziehen.
Figuren zeigen, unverästelt bleibt oder sich
höchstens in zwei Äste teilt, die sich in der Polgegend der Ober-
tläche des Zellkörpers anschliessen und dann nach kürzerem oder
längerem Verlauf auf der Zelloberfläche endigen. In einigen Fällen
schien mir die Spiralfaser der Zellkörper kaum zu erreichen.
Das Ganelion ceiliare der Vögel. 1)
te} >
Aus dieser spiralförmigen Umwindung des Fortsatzes müssen
wir folgern, dass der erste, noch im Amphieytenkegel gelegene
Teil des Fortsatzes receptive Eigenschaften besitzt, d. h. ebenso
wie die Zelloberfläche und speziell deren wie es scheint besonders
empfindlicher polarer Teil zur Aufnahme der von der Oculomotorius-
faser dem Ganglion zugeführten Reize geeignet ist. Offenbar
gibt die Spiralfaser während ihres gewundenen Verlaufes allmählich
ihre Erregung an den Fortsatz ab. Dieser Annahme scheint der
Umstand einige Schwierigkeiten zu bereiten, dass die Spirale den
von ihr umwundenen Fortsatz an den wenigsten Stellen unmittelbar
berührt. Man kann aber hier mit einer gewissen Distanzwirkung
rechnen, um so mehr als der Fortsatz im Amphieytenkegel noch
von keiner Hülle umgeben, sondern unmittelbar zwischen die
Amphieyten eingebettet ist, die, wie es scheint, für die Übertragung
der Reize kein Hindernis darstellen. Ja, schon die Anordnung des
ganzen Geflechtes weist auf den receptiven Charakter der ersten
Fortsatzstrecke hin. Denn man kann sich überzeugen, dass nicht
alle Äste des Plexus die Zelle erreichen, vielmehr viele, ja sogar
die meisten Fäserchen schon früher in der Umgebung des Fort-
satzes ihr Ende finden. Möglicherweise liegt eine Art von Induktions-
wirkung vor.
Vielleicht hängt diese physiologische Eigenschaft des Anfangs-
stückes des Fortsatzes damit zusammen, dass dieser erste Teil
nicht zu dem primären, durch Hervorwachsen aus der Zelle
embryonal entstandenen Teil des Fortsatzes gehört, sondern erst
nachträglich, vielleicht unter Mitwirkung der wuchernden Amphi-
eyten, durch unmittelbare Umbildung des Protoplasmas der Nerven-
zelle entsteht, somit also gewissermassen noch einen Teil der
Zelle und speziell ihres empfindlichen polaren Teiles bildet.
Beim jungen, eben aus dem Ei geschlüpften Tier ıst von
dieser Faserspirale noch nichts zu sehen: erst im postovalen Leben
muss sich dieses Verhalten allmählich herausbilden.
Der zweite Typus, die Büschel- oder Quastenform,
kommt besonders bei Zellen mit breiter polarer Aushöhlung vor.
Diese Form (Fig. 16—18) kennzeichnet sich dadurch, dass die aus
der Verästelung der Oculomotoriusfaser entstandenen Zweige nicht
unregelmässig durcheinander gewirrt, nicht geflechtartig verschränkt
sind, sondern mehr oder weniger parallel miteinander oder leicht
divergierend, ohne stärkere Windungen und Kreuzungen innerhalb
158 M. von Lenhossek:
des Amphicytenkegels geradeaus auf die polare Aushöhlung der
Zelle losgehen. Hier endigen sie entweder einfach zugespitzt,
oder aber mit je einer kleinen knötchenartigen Verbreiterung,
die durch den Anschluss an die Zelloberfläche eine dreieckig ab-
Fig. 18.
Büschelförmige Endigung der Oculomotoriusfaser. Die zarten Astchen endigen
an der Zelle teilweise “mit kleinen discusartigen Verdieckungen. Vom Huhn.
geflachte Gestalt annehmen und dadurch eine gewisse Ähnlichkeit
mit den Held-Auerbachschen Endfüsschen, Cajals „massues
terminales“ aufweisen kann. Einzelne von diesen Asten sind
Das Ganglion cliare der Vögel. 759
stets viel dicker als die anderen; diese dicken Zweige bilden dann
auch an den Zellen breitere, mehr discusartige Endplatten. Diese
Büschelform ist aber durch viele Übergänge mit dem oben be-
schriebenen Geflechtstypus verbunden.
Bei der letzten Form, dem Typus des pericellulären
Getflechtes (Fig. 19 und 20), beschränkt sich die Verästelung
Fie. 19.
Endigung der Oculomotoriusfaser in
einem zarten, dichten Pericellular-
geflecht. Kleine Nervenzelle, hoher
Amphicytenmantel, kein Amphi-
cytenkegel. Vom Huhn.
Übergangsform zwischen dem polar-
geflechtigen und dem pericellulär-
geflechtigen Typus. Der Zellfort-
satz von einerSpiralfaser umwunden.
Vom Huhn.
und Endigung der Oculomotoriusfaser nicht auf die Polgegend,
sondern umfasst gleichmässig die ganze Zelle. Für diesen Zell-
typus ist einerseits der geringere Durchmesser des Zellkörpers,
andererseits die starke und gleichmässige Entwicklung des Amphi-
cytenmantels charakteristisch. Die Amphieyten sind protoplasma-
reich und bilden einen ziemlich hohen Belag im ganzen Umfang
der Zelle; dafür aber fehlt ihre besondere Anhäufung in der
Polgegend oder ist nur schwach ausgesprochen. Das eirceuläre
(reflecht ist im ganzen Umkreis der Zelle gleichmässig ausgebildet.
Es ist feinfaserig und dieht. Das Geflecht liegt der Oberfläche
der Zelle nicht unmittelbar auf, sondern breitet sich in der Haupt-
sache innerhalb des Amphieytenmantels, zwischen dessen Zellen
aus, und nur einzelne Äste des Geflechtes kommen mit der Zell-
760 M. von Lenhossek:
oberfläche in unmittelbare Berührung. Auch hier ist also kein
eigentlicher Kontakt, sondern nur eine starke Annäherung, ein
„Subkontakt“ vorhanden und als Grundlage der physiologischen
Einwirkung anzunehmen.
Auf den ersten Blick scheint dieser Zelltypus von den anderen
wesentlich verschieden zu sein und doch glaube ich, dass es un-
begründet wäre, diese Zellen als eine ganz besondere Zellenkategorie,
etwa als besondere „sympathische“ oder „sensible“ Zellen den
übrigen motorischen gegenüberzustellen. Man findet nämlich
zwischen dieser Zellform und den vorher geschilderten alle Über-
gänge. So ist z. B. in Fig. 20 eine Zelle wiedergegeben, die man
diesem Zelltypus zuteilen muss, da sie mit dem typischen hohen
Amphieytenmantel und dem cireulären Geflecht versehen ist,
und doch weist sie in der Polgegend auch alle Charaktere des
Geflechtstypus: den Amphicytenkegel, den polaren Plexus und sogar
eine Faserspirale um den Fortsatz herum auf. Wir haben hier
meiner Überzeugung nach ebenfalls nur motorische Zellen, wie
die übrigen, vor uns, nur mit etwas verschiedener Disposition
und etwas reicherer Entfaltung der Faserendigungen an der Zelle.
Allerdings hat diese Zellform eine erwähnenswerte Besonderheit:
die frühe Ausgestaltung ihrer pericellulären Endigungen. Wie
ich nämlich jetzt nachträglich, in Ergänzung des auf Seite 750
mitgeteilten, erwähnen möchte, findet man schon beim 21 tägigen,
eben aus dem Ei geschlüpften Hühnchen Zellgruppen, die durch
die eintretenden Oculomotoriusfasern in der Weise durchflochten
werden, dass um die einzelnen Zellen pericelluläre Plexus entstehen.
Diese Zellen liegen gruppenweise, besonders in den peripherischen
Teilen des Ganglions. Sie sind meiner Ansicht nach identisch
mit den soeben beschriebenen Nervenzellen des ausgebildeten
Ganglion ciliare.
Es ist anzunehmen, dass bei den einzelnen Vogelarten gewisse
kleine unwesentliche Unterschiede im Typus der Endigungsweise
der Oculomotoriusfasern vorhanden sind. Ich habe einen Anhalts-
punkt dafür: beim Truthahn kommt die als „primitive Form“
bezeichnete einfach gabelförmige Endigung nur sehr sporadisch
vor. Dagegen begegnen wir sehr häufig dem in den Fig. 21
und 22 dargestellten Typus, der eine Übergangsform zwischen
der Fasergabel und dem polaren Geflecht darstellt: die Faser
teilt sich an der Spitze des Kegels in eine Anzahl (5—7) von
Das Ganglion ceiliare der Vögel. 761
Ästen, die sehr regelmässig divergierend an den Polteil der Zelle
herantreten, um ihn kelchartig zu umfassen. Die Teilung der
sehr dicken Oculomotoriusfaser erfolgt beim Truthahn manchmal
ganz plötzlich, so dass förmliche Penieilli nervosi, wie in Fig. 21.
entstehen. In Fig. 22 sehen wir das schon auf Seite 753 erwähnte
Fig. 21. Fig. 22.
Aus dem Ciliarganglion des Truthahnes. Büschelförmige Endigung der Oculo-
motoriusfaser. In Fig. 22 gibt die Stammfaser die Endfasern als Nebenäste
ab; sie selbst zieht weiter, offenbar um an einer zweiten Zelle zu endigen.
sehr seltene Verhalten, dass die Faser, nachdem sie an die Zelle
ihre Äste abgegeben hat, noch weiter zieht, offenbar um dann
an einer zweiten Zelle ihr definitives Ende zu erreichen. — Bei
der Taube und der Ente habe ich gegenüber dem Huhne keine
Besonderheiten an den Zellen und ihren Faserendigungen nach-
weisen können.
Welchen Charakter haben wir nun den Nervenzellen des
Ciliarganglions beim Vogel beizulegen? Sind sie sympathische,
cerebrospinale oder anderweitige Elemente? Mit dieser Frage
deckt sich so ziemlich auch die Frage nach der morphologischen
Bedeutung des Ciliarganglions.
Bekanntlich geht die verbreitetste Ansicht dahin, dass das
Ciliarganglion dem sympathischen System angehöre, d.h. das
162 M. von Lenhossek:
cranialste Ganglion des Grenzstranges darstelle. Der erste, der
(diese schon vor ihm von anderen ausgesprochene Ansicht histo-
logisch zu begründen suchte, war Retzius, zuerst im Jahre 1880 !)
und dann 1894 in einer zweiten Arbeit,”) die schon auf An-
wendung der Golgischen Methode beruhte. Von den neuesten
Forschern, die dieser Auffassung beitreten, möchte ich Müller
und Dahl’) erwähnen, die sich bei ihren Untersuchungen schon
der Bielschowskyschen Methode bedient haben.
Alle diese Angaben beruhen auf dem Studium des Ciliar-
ganglions der Säugetiere. Beim Vogel ist das Ganglion, soweit
mir bekannt, bisher nur von einem einzigen Forscher, nämlich
von Holtzmann im Jahre 1896 ?) histologisch untersucht worden,
und zwar nur mit den gewöhnlichen Färbungsmethoden,’) die
bekanntlich für das Studium der Formverhältnisse der Nerven-
zellen durchaus ungenügend sind, indem sie nur von dem Zell-
körper befriedigende Anschauungen geben, die Zellfortsätze aber,
auf die doch bei der Beurteilung des Typus einer Nervenzelle
alles ankommt, und ebenso die etwa vorhandenen pericellulären
Faserendigungen überhaupt nicht oder nur in sehr unvollkommener
Weise zur Ansicht bringen. Nun haben aber beim Vogel die
Nervenzellen des Ciliarganglions keine Fortsätze ausser dem
einzigen Nervenfortsatz, und so kam es, dass Holtzmann trotz
seiner ungenügenden Methodik sich von der Wahrheit nicht all-
zusehr entfernt hat, indem er wenigstens einen Teil der Zellen
als unipolar bezeichnete. Die typische Form der Zellen soll nach
ihm allerdings die bipolare sein mit nahe beieinander entspringenden
Fortsätzen, eine Angabe, die wir uns heute leicht erklären können:
der von Holtzmann beobachtete zweite Fortsatz ist unzweifel-
haft nichts anderes, als die an die Zelle herantretende Oculomo-
') G. Retzius: Untersuchungen über die Nervenzellen der cerebro-
spinalen Ganglien und der übrigen peripherischen Kopfganglien. Arch. f,
Anat., Jahrg. 1880, S. 369.
2) G.Retzius: Über das Ganglion ciliare. Anat. Anz., Bd. 9, 8.633. 1894.
3) L.R. Müller und W. Dahl: Die Beteiligung des sympathischen
Nervensystems an der Kopfinnervation. Deutsch. Arch. f. klin. Med., Bd. 99,
S.48. 1910.
*) H. Holtzmann: Untersuchungen über Ciliarganglion und Ciliar-
nerven. Morphol. Arbeiten, herausgegeben von G. Schwalbe, Bd.6, S.114. 1896.
5) Holtzmann hat auch die Golgische Methode versucht, aber
ohne Erfolg.
Das Ganglion cliare der Vögel. 763
toriusfaser, die bei gewöhnlichen Färbungen mit der Zelle zu
verschmelzen scheint und so einen zweiten Fortsatz vortäuschen
kann. Dies geht ganz bestimmt aus der Fig. 14 der Holtzmann-
schen Arbeit hervor. Für die sporadischen unipolaren Zellen
nahm Holtzmann eine baldige T-förmige Teilung des Fortsatzes
an, eine Angabe, für die ich in meinen Untersuchungen keine
Bestätigung fand. Holtzmann gelangt schliesslich dazu, sich
der bekannten Ansicht Schwalbes!) anzuschliessen, dass das
Ciliarganglion das Homologon eines Spinalganglions sei. Diese
Anschauung hat ausser Holtzmann auch noch mehrere andere
Anhänger gefunden, so Antonelli?) und Van Gehuchten.’)
Was soll nun aber nach unserem heutigen Einblick in den
Zusammenhang der Neurone ein sensibles, nach Art eines Spinal-
ganglions gebautes Ganglion an einem motorischen Nerven be-
deuten? Das wesentliche des Spinalganglions besteht bekanntlich
darin, dass seine Nervenzellen zwei Fasern, eine zentrale und
eine peripherische entsenden ; der Komplex der zentralen Ausläufer
bildet die hintere Wurzel. Die Fasern dieser letzteren haben
also im Zentralorgan keine Ursprungszellen, sondern endigen im
Zentrum mit freien Endbäumchen, ihre Ursprungszellen liegen
im Spinalganglion. Derartige Verhältnisse können nun im Ciliar-
ganglion unmöglich obwalten, da die Fasern des Nervus oculomo-
torius bestimmt nicht im Ciliarganglion entspringen, sondern
Fortsätze der grossen motorischen Zeilen des Oculomotoriuskerns
im Mittelhirn sind. Man wüsste nicht, was man bei dieser Sach-
lage mit einem Spinalganglion in der Bahn des Oculomotorius
anfangen sollte. Eine Homologie des Ciliarganglions mit einem
Cerebrospinalganglion wäre allerdings in dem Falle denkbar,
wenn der Oculomotorius, wie dies Krause*) seinerzeit für das
Kaninchen behauptet hat, auch eine sensible Wurzel besässe, der man
dann das Ganglion ciliare zuteilen könnte, wie etwa das Ganglion
geniculi dem Nervus intermedius, oder wenn das Ciliarganglion
'), G. Schwalbe: Das Ganglion oculomotorii. Jenaische Zeitschr. f.
Naturw., Bd. XIII. 1879.
°) Antonelli: Giornale d. assoc. naturalisti e medici di Napoli,
pag. 3. 1890.
®) A. Van Gehuchten: Le systeme nerveux de l’homme. 1893.
) W.Krause: Über die morphologische Doppelnatur des Ganglion
ciliare. Morphol. Jahrbuch, Bd. 7, 8. 43. 1882.
Archiv f mikr. Anat. Bd. 76. 49
764 M. von Lenhossek:
mehr zu dem Trigeminus als zu dem Oculomotorius gehörte und so
gewissermassen ein vorgeschobenes, abgelöstes Stück des Ganglion
Gasserii darstellte. Keines von beiden trifft aber zu. Die Krause-
sche sensible oder dorsale Oculomotoriuswurzel scheint ganz nur auf
einer Täuschung zu beruhen und was die Beziehung zum Trige-
minus betrifft, so genügt es, darauf hinzuweisen, dass beim Vogel
das Ganglion eiliare mit dem Nervus trigeminus überhaupt keine
Verbindung hat. Der der Radix sensitiva entsprechende Ast
schliesst sich, wo er vorhanden ist, stets distal vom Granglion,
oft sogar in ziemlicher Entfernung davon einem der Ciliarnerven
an. Holtzmann rechnet allerdings mit der Möglichkeit, dass
ein Teil der sensiblen Fasern rückläufig durch die Ciliarnerven
schliesslich doch in das Ganglion gelangen könnte. Ich halte
diese Annahme für recht unwahrscheinlich; meine eigenen Beob-
achtungen bieten keine Anhaltspunkte dafür.
Eine Reihe von Forschern vertritt die Anschauung, dass
das Ganglion ciliare die Kombination eines sympathischen und
eines spinalen Ganglions sei. Der Urheber dieser Ansicht ist
W. Krause (1882 a. a. O.). Sie hat viele Anhänger gefunden,
sowohl im Lager der Anatomen (Onodi,') Carpenter’) wie
besonders in dem der Pathologen und Physiologen (Marina,?)
Bernheimeir,*) Fritz,’) Bumm.°) Histologisch lässt sie sich
aber wenigstens für die Vögel keineswegs begründen. Ich habe
nur eine einzige Zellart, nur unipolare Zellen im ganzen Ganglion
ı) A.Onodi:Das Ganglion eiliare. Anat. Anz., Bd. XIX, S. 118. 1901.
?) F.W. Carpenter: De development of the oculomotor nerve, the
ciliary ganglion and the abducent nerve in the chick. Bulletin of the Museum
of Comparativ Zoology of Harvard College, Vol. XLVII, No. 2.
5) A. Marina: Studien über die Pathologie des Ciliarganglions beim
Menschen. Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. 20, S. 369. 1901.
*, H. Bernheimer: Experimentelle Studien zur Kenntnis der inneren
und äusseren vom Oculomotorius versorgten Muskeln des Auges. Graefes
Arch. f. Ophthalmologie, Bd. XLIV, S. 481. 1897.
5) K. W. Fritz: [Untersuchungen über das Ganglion ciliare. Diss.
Marburg 1899.
6) A. Bumm: Über die Atrophiewirkung der Durchschneidung der
Ciliarnerven auf das Ganglion ciliare. Sitzungsber. der Ges. f. Morphologie
u. Physiologie in München, Bd. XVI. 1899. — Derselbe: Über die Beziehungen
des Halssympathieus zum Ganglion ciliare. Daselbst, Bd. XVII. 1901. —
Derselbe: Experimentelle Untersuchungen über das Ganglion ciliare der Katze.
Allg. Zeitschr. f. Psychiatrie, Bd. 59, S. 713. 1902.
Das Ganglion ceiliare der Vögel. 765
gefunden. Ausserdem hat das Ganglion, wie wir sahen, nur eine
motorische Wurzel; weder mit dem Trigeminus, noch mit dem
Sympathicus bestehen Beziehungen. Ja nach Szakäll!) soll
eine sympathische Wurzel auch bei unseren Haussäugetieren
anatomisch nicht nachweisbar sein.
Bei der Bestimmung des Charakters der Nervenzellen des
Ciliarganglions ist es natürlich unerlässlich, sie mit den Spinal-
ganglienzellen und den sympathischen Zellen derselben Tierklasse un-
mittelbar zu vergleichen. Ich habe es aus diesem Grunde nicht unter-
lassen, die letzteren beiden Zellgattungen beim Vogel einer Prüfung
zu unterziehen, wobei ich mich der Cajalschen Fibrillenmethode
bedient habe. Meine Angaben beziehen sich speziell auf das Huhn.
Die Spinalganglienzellen habe ich aus einem Oervical- und
einem Lumbalganglion untersucht (Fig. 23—25), Sie sind beim
Huhne plump, rundlich oder leicht elliptisch, von etwa 35 u
längerem Durchmesser, also kaum oder nur um ein geringes
grösser als die Zellen des Ciliarganglions. Die Zelle ist von
einem zusammenhängenden Kranze sehr niedriger, flacher Amphi-
cyten umgeben; diese bilden aber abweichend von den Ciliar-
zellen keine besondere polare Anhäufung. Damit im Zusammen-
hange fehlt auch die Aushöhlung am Polarteil des Zellkörpers;
die Zelle geht einfach kegelförmig in den Fortsatz über. Die
typische Form ist die unipolare; Dendriten fehlen stets. Der
Fortsatz verläuft von Anfang an geradlinig, ohne glomerulus-
artige Windungen, um sich bald mit einer Markscheide zu um-
geben und sich dann in grösserer Entfernung von der Zelle in
bekannter Weise T-förmig zu teilen. Obgleich ich vollkommen
entwickelte Tiere untersucht habe, habe ich in den Spinalganglien
des Huhnes weder multipolare Zellen, noch eine Schlingenbildung
oder Fenestration beobachtet; alle Zellen erschienen an meinen
Präparaten von glatter Oberfläche.
Alle diese Verhältnisse sind bereits von Timofeew in einer
1898 erschienenen tüchtigen Arbeit ?) sehr gut beschrieben worden,
nebst manchen anderen Details, auf die ich hier einzugehen keine
!) S. Szakäll: Über das Ganglion eiliare bei unseren Haustieren.
Arch. f. wissenschaftl. und prakt. Tierheilkunde, Bd. 28, S. 476. 1902.
°) D. Timofeew: Beobachtungen über den Bau der Nervenzellen der
Spinalganglien und des Sympathicus beim Vogel. Intern. Monatsschr. f. Anat.
a. Physiol., Bd. XV, S. 273. 1898.
49*
766 M.von Lenhosseck:
Veranlassung habe. In einer Beziehung muss ich aber Timofeews
3eschreibung ergänzen. Ich habe mich nämlich überzeugen können,
dass ausser den typischen Unipolarzellen in den Spinalganglien
des Huhnes auch bipolare Zellen w
vorkommeu, d. h. Zellen, an MEN
denen der bekannte Unipolar- ge
isationsvorgang nicht zum Ab-
schluss gekommen ist. Solche
Zellen sind gar nicht so selten;
man wird ihnen häufig begegnen,
besonders wenn man sich die
Mühe nimmt, das Verhalten der
einzelnen Zellen durch mehrere
Schnitte hindurch zu verfolgen.
Es kommt nämlich nicht selten
vor, dass sich der eine Fort-
satz in dem einen, der andere
in dem anderen Schnitt befindet.
Die beiden Fortsätze entspringen Fig:
Fig. 24. Fig. 25.
Nervenzellen aus einem cervicalen Spinalganglion des Huhnes. Fig. 23
unipolare Zelle, Fig. 24 und 25 bipolare Zellen. Der dünnere Fortsatz ist
der zentrale.
gewöhnlich dicht nebeneinander oder unweit voneinander (Fig. 24
‘und 25). Der eine Fortsatz ist stets schwächer als der
andere; wie ich das im Jahre 1886 in meiner Frstlings-
Das Ganglion cliare der Vögel. 767
arbeit!) beim Frosche nachgewiesen habe, ist der dünnere Fort-
satz der zentrale. Die soeben dargelegte Beobachtung schliesst
sich an die neuen Befunde Cajals an; dieser Forscher hat
nämlich kürzlich?) für die Spinalganglien des Frosches und des
Fig. 26.
Aus einem lumbalen Grenzstrangganglion des Huhnes. Typisch multipolare
sympathische Zelle. Der rechts abtretende Fortsatz ist der Neurit.
Menschen nachweisen können, dass auch hier neben den typischen
Unipolarzellen immer auch noch einzelne rückständige bipolare
Formen gefunden werden.
Die Zellen des Sympathicus des Huhnes habe ich aus
cervicalen und lumbalen Grenzstrangganglien geprüft. Ich habe
durchwegs die zahlreichen Beschreibungen bestätigen können, die
hierüber vorliegen. Die Zellen (Fig. 26) sind nicht unbedeutend
kleiner als die der Spinalganglien und des Ganglion ciliare; aller-
dings beträgt ihr Längsdurchmesser immer noch 30 «, doch gibt
dieses Maß keine richtige Vorstellung von ihrem Umfang, da sie
im Gegensatz zu den plumpen Spinal- und Ciliarzellen zumeist
) M. v. Lenhossek: Untersuchungen über die Spinalganglien des
Frosches. Arch. f. mikrosk. Anat., Bd. 26, S. 370, efr. S. 430. 1886.
®) S.R.Cajal: Histologie du systöme nerveux de l’homme et des
vertebres. T.]I,pag. 441 (Mensch) und 456 (Frosch). 1900.
768 M. von Lenhosseck:
von länglicher, schlanker Gestalt sind. Sie sind echte Multipolar-
zellen mit vier bis fünf oder noch mehr langen, kräftigen Dendriten,
die weit in die bindegewebige Zwischensubstanz hinausstrahlen,
um sich wiederholt spitzwinklig zu verästeln. Der Amphicyten-
mantel fehlt hier; die Zellen sind unmittelbar in das Bindegewebe
eingebettet. Man findet allerdings manchmal in der Umgebung
der Nervenzellen einzelne offenbar bindegewebige protoplasma-
reiche Zellen, die an Amphieyten erinnern, doch zur Bildung
eines zusammenhängenden Mantels kommt es nicht.
Aus dem Vergleich der Zellen des Ciliarganglions mit diesen
zwei Zellgattungen geht also hervor, dass die Ciliarzellen weder
mit den Zellen des Sympathicus, noch mit denen der Cerebro-
spinalganglien identisch sind, sondern von beiden in gewissen
Beziehungen abweichen; sie stellen einen besonderen Typus,
Zellen sui generis dar. Den Spinalzellen stehen sie aber ent-
schieden näher als den sympathischen Elementen, weichen aber
auch von ihnen in gewisser Hinsicht ab. Von den sympathischen
Zellen unterscheiden sie sich durch ihre Grösse, ihre plumpe Form,
ihre Unipolarität und den Besitz eines Amphicytenmantels, der
in der Polgegend der Zelle eine oft sehr starke kegelförmige
Anhäufung zeigt; auch die typische Endigungsweise der Oculo-
motoriusfasern an ihnen unterscheidet sie von den Zellen des
Grenzstranges. (Gegenüber den Nervenzellen der Cerebrospinal-
sanglien weisen sie wieder darin Difterenzpunkte auf, dass ihr
Amphieytenmantel stärker entwickelt ist als bei diesen und einen
Polarkegel bildet, der bei den Spinalzellen des Vogels niemals
vorhanden ist, womit im Zusammenhange auch die Aushöhlung
in der Polgegend der Zelle an den Spinalzellen fehlt. Auch
scheinen Faserendigungen an den Spinalzellen nicht vorhanden
zu sein, jedenfalls liegen solche typischen Verhältnisse, wie wir
sie an den Ciliarzellen gefunden haben, nicht vor.
Nach all dem muss ich mich bezüglich der Vögel zu der
Ansicht bekennen, dass es histologisch nicht begründet ist, das
(anglion ciliare als ein typisch sympathisches Ganglion hinzu-
stellen. Auch morphologisch scheint es mir nicht gerechtfertigt,
das Ganglion einfach als den obersten Knoten des Grenzstranges
aufzufassen. Haben wir doch gesehen, dass das Ganglion bei dem
Vogel überhaupt keine Verbindung mit dem Sympathicus hat.
Ich glaube, dass wir am wenigsten Gefahr laufen, den Tatsachen
Das Ganglion ciliare der Vögel. 769
(ewalt anzutun und in einen Irrtum zu verfallen, wenn wir das
Ganglion weder dem Sympathicus noch dem System der Cerebro-
spinalganglien zuteilen, sondern es als ein besonderes Ganglion
mit eigenen histologischen Merkmalen gelten lassen. Die
Natur lässt sich nicht in Schemata zwängen und es scheint, dass der
Bau und Charakter der peripherischen Ganglien mit der Alternative
Sympathiceus-Öerebrospinalganglion nicht erschöpft. ist. Wir haben
hier ein Ganglion, das mit dem Sympathicus und Trigeminus nichts
zu tun hat, sondern ganz und gar dem Oculomotorius angehört:
ein rein motorisches Ganglion, dessen Zellen den Enden der
Oculomotoriusfasern angefügt sind, mit der Bestimmung, die durch
diese Fasern ihnen zugeführte Erregung in einer bestimmten
Weise zu beeinflussen oder umzugestalten. Es scheint, dass die
von den zentralen Oculomotoriuszellen ausgehende Erregung im
Urzustande nicht geeignet ist, die inneren Augenmuskeln in der
gewünschten Form zur Aktion zu veranlassen, sondern dass dazu
noch die Einschaltung eines zweiten Neurons zwischen das Faser-
ende und den Muskel notwendig ist. Diese Verhältnisse sind
schon von v. Michel!) richtig dargestellt worden, nur kann ich
mich diesem Forscher bezüglich der Vögel in der Auffassung des
Ciliarganglions als eines sympathischen Ganglions nicht anschliessen.
Das Ganglion ciliare ist ein motorisches Schaltganglion, es gehört
in seiner Gesamtheit zum Oculomotorius als ein Anhang dieses
Nerven. Mit den Nervenzellen des Sympathicus der Vögel haben
seine Zellen keine Ähnlichkeit, eher zeigen sie noch einen Anklang
an die sympathischen Zellen der Amphibien.
1) J. v. Michel: Über die feinere Anatomie des Ganglion ciliare.
Transactions of the VIII. Internat. Ophthalmolog. Congress. Edinbourgh 1894.
—]
—1
>)
Aus dem anatomisch-biologischen Institut zu Berlin.
(Geheimrat Professor Dr. 0. Hertwig.)
Kompressionsversuche am befruchteten Ei von
Ascaris megalocephala.
Von
Dr. S. S. Girgolaff, St. Petersburg.
Mit 30 Textfiguren.
Seitdem die Embryologie eine Experimentalwissenschaft
geworden ist, nehmen die Untersuchungen über den Einfluss
äusserer Faktoren auf die Teilung der Eizelle ununterbrochen
ihren Fortgang. Dank diesen Untersuchungen ist es einerseits
gelungen, einige physiologische Gesetze der Eiteilung zu ergründen,
andererseits ist durch sie eine grosse Menge Material über die
Frage zusammengetragen worden, inwieweit die Zellenelemente
unter anormalen Bedingungen zur Betätigung von Lebensfunktionen
fähig sind. Von grossem Interesse und hoher Bedeutung in rein
embryologischer Beziehung ist auch eine Parallele zwischen den
ersten Veränderungen in der Eiteilung und den Abweichungen
von der Norm im vollendeten Bau des Embryos.
Die normale Entwicklung des befruchteten Eies von. Ascaris
megalocephala war Gegenstand eingehenden Studiums in den
Arbeiten von van Beneden, Boveri, Strasser, Zoja,
Müller u.a. Diese Forschungen ergaben nicht nur ein ab-
geschlossenes Bild von der Eientwicklung des erwähnten Tieres,
sondern dienten auch zur Aufklärung einer ganzen Reihe feiner
Prozesse in dem sich teilenden Ei überhaupt. An diesem Material
sind in letzter Zeit Versuche angestellt worden über den Ein-
tluss der Zentrifugierung und Einwirkung der Strahlenenergie
auf die Teilung.
Die Untersuchungen über den Einfluss der Kompression des
befruchteten Eies beginnen mit den klassischen Arbeiten von
Pflüger, Roux, Driesch und OÖ. Hertwig. Die Versuche,
die Pflüger an Bombinator igneus und Rana esculenta anstellte,
führten zur Aufstellung des Satzes, dass sich die komprimierte
Eizelle in einer zur Drucktläche parallelen Richtung teile, woraus
Kompressionsversuche am befruchteten Ei. Tl
sich nach Pflügers Meinung die Möglichkeit ergibt, der Teilung
die gewünschte Richtung zu geben: „So war ich dazu gelangt,
die Zellen zu zwingen sich zu teilen, wie ich es wünschte“.
Pflügers Arbeit betrifft hauptsächlich die ersten Stadien der
Entwicklung. Driesch kam auf Grund seiner Versuche an
Seeigeleiern zum Schluss, dass es möglich sei, 16 Blastomeren
in einer Fläche kreisförmig zu verteilen, und zwar auf zwei Kreise,
sodass acht auf den einen und acht auf den anderen entfallen.
Derartige Eier waren gleichwohl imstande, schliesslich normale
Plutei zu ergeben. Die Arbeiten von Roux und O. Hertwig
wurden an Rana esculenta und hRana fusca vorgenommen und
spielten, wie bekannt, eine hervorragende Rolle in der Experimental-
Embryologie. Die Kompressionsversuche zwischen parallelen Platten
bilden nur einen Teil der ganzen Arbeit, wo die verschieden-
artigen Formen des äusseren Einflusses auf die Teilung der
Eizelle untersucht werden. Hierbei wurde die gesetzmässige
Abhängigkeit der Teilungsfurchenlage von der Richtung der
Drucktfläche endgültig festgestellt und ihr Entstehen aus der Form
der Zelle und der Verteilung des Protoplasmas und Protoplasma-
einschlüsse begründet. Ferner wurde die Unabhängigkeit der
ersten Teilungsfurche von der Richtung der Medianebene des
Embryos nachgewiesen.
Weiter beschäftigen sich ganz oder zum Teil mit ent-
sprechenden Fragen die Arbeiten von Ziegler, Schultze,
King, Wetzel, Wilson, Heider, Braem, von denen die
beiden letzteren hauptsächlich die unter dem Einfluss der Kom-
pression des Eies erhaltenen Veränderungen erörtern. Die Unter-
suchungen wurden in erster Linie an Frosch- und Echinodermen-
eiern ‚vorgenommen.
In allerletzter Zeit, als meine Versuche bereits vollständig
abgeschlossen waren, erschienen in der Literatur gleichzeitig
drei Arbeiten, die über den Einfluss des Druckes auf das be-
fruchtete Ei handeln. Es sind dies die Arbeiten von Dederer,
Brown und Morgan. Bei den Untersuchungen von Dederer
entwickelten sich unter der Einwirkung des Druckes die Eier
von Cerebratulus lacteus bis zu acht Blastomeren, wobei diese,
ähnlich wie bei den Versuchen von Driesch, in einer einzigen
Fläche verteilt lagen. (Dasselbe konnte man auch bei meinen
Versuchen beobachten.) Die Endresultate der Teilung, wie sie
112 9.8. GUBEoOlAfE:
sich nach Aufhebung des Druckes ergaben, unterscheiden sich in
nichts von den normalen, woraus der Autor schliesst, dass bis
zum Stadium 8 einschliesslich die einzelnen Blastomeren eine
gleichartige Bedeutung haben. Sehr starker Druck übt eine
solche Wirkung auf das Eiprotoplasma aus, dass dieses unfähig
wird zu weiterer Teilung, während die Kernelemente sich noch
zu teilen fortfahren. Brown beobachtete an den Eiern der
Molluske Cumingia anstatt einer inäqualen eine äquale erste
Teilung; in der äqualen Teilung sieht dieser Autor eine der
Besonderheiten der Kompressionsteilung. Irgendwelche Ab-
weichungen von der Norm hat der Autor im Bau des ausgebildeten
Embryos nicht beobachten können. (Der Druck wurde gesteigert
bis zu Stadium 4.) Bei der Arbeit von Morgan diente als
Material Eier von Ciona und Nereis. Bei der Anwendung eines
Druckes im Stadium 4—S erzielte der Autor anormale Embryonen.
Die Anormalität bestand in allgemeinen Defekten und in der
Verdoppelung der Teile. Bei mässigem Druck hatten die Ver-
änderungen den Charakter von Unvollkommenheiten in der An-
ordnung und Differenzierung der Organe.
Die Kompressionsversuche an Ascaris megalocephala zu
wiederholen, erschien in doppelter Hinsicht interessant. Einer-
seits war es wünschenswert, die Veränderungen an diesem ganz
vorzüglichem Material zu erforschen, das sich noch dazu in den
Anfangsstadien der Entwicklung durch eine gewisse Eigenartigkeit
auszeichnet. Andererseits erregte die Frage Interesse, inwieweit
es gelingen dürfte, eine entsprechende Abhängigkeit der späteren
Abweichungen von der Norm im Embryo von den ursprünglichen
durch Druck hervorgerufenen Veränderungen im Ei festzustellen.
Da meine Versuche nach der technischen Seite hin einige
durch die individuellen Eigenschaften dieser Eier hervorgerufene
Besonderheiten aufwiesen, möchte ich mir erlauben, etwas bei
der Methodik zu verweilen. Die Eikapsel von Ascaris megalo-
cephala leistet, wie dies bereits zu wiederholten Malen von ver-
schiedenen Forschern beschrieben worden ist, sowohl chemischen
wie auch mechanischen Einwirkungen aut das Ei heftigen Wider-
stand und bei meinen Untersuchungen ist es mir erst nach
wiederholten Versuchen gelungen, die Stärke des Druckes in aus-
reichender Weise zu normieren. Ich lasse in allgemeinen Zügen
die Technik folgen:
—]
—ı
a,
Kompressionsversuche am befruchteten Ei.
Eben gewonnene Eier von Ascaris megalocephala wurden
in einem Tropfen Wasser auf den ÖObjektträger gebracht, und
zwar so, dass sie möglichst in einer einzigen Schicht zu liegen
kamen, und dann mit einem Deckglas bedeckt. Durch Druck
auf dieses Deckglas wurden die Eier zwischen den beiden Glas-
platten fest eingepresst. Anfänglich glaubte ich, mich nur auf
das Gewicht des Deckglases beschränken zu können, doch bald
ergab sich die Notwendigkeit eines viel stärkeren Druckes.
Oftenbar haben die allerersten Veränderungen im Entwicklungs-
gang der Ascarideneier eine Minimalbelastung des Deckglases in
Höhe von 400—500 gr zur Voraussetzung.
Infolge der Schwierigkeit, solchen beträchtlichen Druck auf
die verhältnismässig kleine Oberfläche des Deckglases auszuüben,
musste ich zur Anwendung von Klemmen und Kompressorien
schreiten. Bei meinen Versuchen bediente ich mich kleiner
Klemmen, wie sie gewöhnlich bei Operationen an kleinen Tieren
zum Erfassen der Blutgefässe Verwendung finden. In diesem
Falle befanden sich die Eier zwischen zwei Deckgläsern, die von
zwei an entgegengesetzten Seiten angebrachten Klemmen zu-
sammengepresst wurden. Um die Gläser bequemer wieder aus-
einander nehmen zu können, legte ich sie so zusammen, dass der
Rand des einen über den Rand des anderen hinausragte. Das
Kompressorium bestand aus zwei Metallplatten. In der unteren
war an den beiden Enden je eine Schraube angebracht und die
obere war mit entsprechenden Öffnungen versehen. Jede der
Schrauben hatte eine Schraubenmutter, mit der man die beiden
Platten beliebig stark zusammenpressen konnte. Im Interesse
der Gleichmässigkeit und Feinheit des Druckes erschien es mir
ferner angebracht, zwischen das Deckglas und die obere Platte
einen Kork zu legen, damit durch diesen der Druck der oberen
Platte auf das Präparat übertragen würde. Da nun der Kork
(bei starkem Druck) am Deckglas leicht haften bleibt, so empfiehlt
es sich, zwischen beide noch ein Deckglas zu legen.
Die Platten müssen sehr stark zusammengeschraubt werden,
es kam bei meinen Versuchen öfters vor, dass sie hierbei zer-
brachen. In den unter dem Kompressorium erhaltenen Präparaten
rief der Druck die allergrössten Veränderungen hervor; ja man
konnte in der Regel ausnahmslos eine grössere oder geringere
Menge: zerplatzter oder stark gedrückter Eier wahrnehmen.
—]
1
Ha
S:..8. Gum oladt;
Demnach können wir bezüglich des Zusammenpressens drei
Verfahren unterscheiden, je nachdem der Druck durch Belastung,
durch Klammern oder durch das Kompressorium ausgeübt wird.
In allen Fällen wurden die Eier in feuchtem Zustande dem
Druck ausgesetzt. Wenn normaliter eine Teilung der Eier auch
bei trockenen Präparaten vor sich geht, so wird doch offenbar
die Eischale hier noch widerstandsfähiger und fester, selbst nach
einmaligem Trockenwerden.
Das Wasser zwischen beiden Glasscheiben erhielt sich ge-
wöhnlich während der ganzen Dauer des Versuchs, und die
Präparate unter dem Kompressorium wurden direkt in den
Thermostat gestellt. Die übrigen Präparate (unter Klammern
oder Belastung) wurden in feuchte Kammern eingeschlossen und
zusammen mit diesen bei einer Temperatur von 35—40° in den
Thermostat gestellt.
Die Versuche lassen sich auch bei Zimmertemperatur vor-
nehmen, doch geht in solchem Falle die Teilung viel langsamer
vor sich. Nach drei bis fünf Tagen erhält man dann im Thermostat
bereits fertige Würmer.
Selbstverständlich wurden bei jedem einzelnen Versuche auch
Platten mit Kontrolleiern verwendet, deren Entwicklung unter
den gleichen Bedingungen vor sich ging, nur dass die Eier keinem
Druck ausgesetzt wurden. Diese Platten dienten einerseits zum
Zweck der Vergleichung, andererseits als Beweis dafür, dass die
Veränderungen in den Präparaten nur durch den Druck ver-
ursacht wurden. In Anbetracht dessen, dass unter dem Deckglase
der Zutritt von Sauerstoff zu den Eiern erschwert wird, wurden
auch einige Kontrollpräparate in gleicher Weise bedeckt. Irgend-
welche Abweichungen vom normalen Typus der Entwicklung rief
dieser Umstand nicht ein einziges Mal hervor.
Die Fixation der Präparate erfolgte in einer Lösung von
drei bis vier Teilen absoluten Alkohols mit einem Teil Essigsäure.
Die Fixationsdauer schwankt zwischen einer halben bis zwei
Stunden je nach dem Entwicklungsstadium. Zur Färbung der
Präparate diente eine heiss gesättigte Lösung von Bismarckbraun,
in der die Präparate 24—48S Stunden verblieben. Von hier
wurden sie in ebensolche Lösung gelegt, die jedoch durch Zu-
satz von Glycerin um ein Drittel verdünnt wurde. Zum Zwecke
der definitiven Einbettung wurde dieselbe Lösung verwendet.
I
—
DL
Kompressionsversuche am befruchteten Ei.
Bei der Beschreibung der durch Druck hervorgerufenen
Veränderungen in den Eiern der Ascariden muss man vor allem
die äusserste Verschiedenartigkeit derselben hervorheben. Da die
genaue Regulierung des Druckes im höchsten Grade schwierig
ist, so war bei den verschiedenen Präparaten und an den ver-
schiedenen Teilen ein und desselben Präparates der Grad des
Druckes verschieden, was natürlich zur Folge hatte, dass in einem
Teile eine andere Veränderung der Eiteilung vor sich ging, als
im benachbarten. Um gleichartige Veränderungen zu erhalten,
wäre es nicht nur erforderlich, ein und dieselbe Belastung anzu-
wenden, sondern vielmehr sich auch immer für die Versuche
einer gleichen Zahl von Eiern zu bedienen, da der entscheidende
Einfluss auf die Veränderung im Ei durch den Druck hervor-
gerufen wird, der sich als Quotient aus der Teilung der Gesamt-
belastung (oder des Druckes der Klammer oder des Kompressoriums
(Belastung)
(Zahl der Eier)
darstellt. Um gleiche Veränderungen hervorzurufen, müsste dieses
Verhältnis ein konstantes sein. Eine nicht geringe Rolle spielen
natürlich auch andere Bedingungen, wie z. B. die Wassermenge
zwischen den Gläsern, sonstige von aussen hereingeratene Teilchen,
der sich individuell verändernde Grad der Widerstandsfähigkeit
der Eischale, die (Grösse derselben usw.
: x Ä 2 P
in Gramm) durch die Anzahl der Eier. d. h. Z
Die Verschiedenartigkeit der beobachteten Formen machte
sich bereits unter analogen Bedingungen bei den von OÖ. Hertwig
untersuchten Eiern der Amphibien und bei den Eiern von Ascaris
megalocephala bei den Zentrifugierungsversuchen Hogues be-
merkbar. Der Einfachheit halber möchte ich zunächst auf die
unter Anwendung starken Druckes erzielten Veränderungen —
auf diejenige Teilung, welche sozusagen bereits die äusserste
Grenze der Lebensfähigkeit der Eizelle streift, näher eingehen.
Bei der Teilung des Eies in zwei Blastomeren konnten
irgendwelche Abweichungen von der Norm nicht wahrgenommen
werden. Die beiden ersten Blastomeren AB und Pıı (nach der
von Zoja beschriebenen Nomenklatur) haben gleichfalls ein
normales Aussehen. Die Zelle Pır erscheint etwas dunkler infolge
des reichlichen Gehalts an Eidotter und hat gewöhnlich keine
Richtungskörperchen; ausserdem ist sie ein wenig kleiner als AB.
Der Unterschied beider Blastomeren in der (rrösse variiert ziemlich
1776 8. 8.!Girgolaff:
beträchtlich; vielleicht sind bei den verschiedenen Ascariden die
Beziehungen der Zellen zueinander verschieden. Bei den Kom-
pressionspräparaten war dieser Unterschied bisweilen zwar sehr
wenig bemerkbar; es liegt jedoch kein Grund vor, diesen Umstand
von einem äusseren Faktor in Abhängigkeit zu bringen. Die
allerersten Veränderungen unter der Einwirkung des Druckes
lassen sich beim Übergang aus dem Stadium von zwei Blastomeren
in das von vier konstatieren. Wie bekannt, teilt sich normaliter
die Zelle AB senkrecht zu ersten Teilungsfläche, Pr dagegen
parallel, wobei sich die für dieses Stadium charakteristische T-Figur
bildet. Unter der Einwirkung des Druckes werden die beiden ersten
Blastomeren nach der Peripherie des Eies hin abgedrängt und
bei ihrer Teilung an die innere Wand der Schale gepresst, wobei
die Spindeln in ihnen zueinander in einem solchen Winkel zu
liegen kommen, dass man bei der Teilung eine bogenförmige
Zellenlinie erhält (Fig. 1 und 2).
Alle vier Zellen liegen natürlich in einer Fläche. Des
weiteren wird irgendwelche Bewegung der Zellen, wie dies bei
den Zellen EM und Pır unter normalen Umständen der Fall zu
sein pflegt, nicht beobachtet. Da man unter normalen Voraus-
setzungen nicht selten sich die Blastomere Pıı früher als AB
teilen sehen kann, darf man auch in dem Umstand, dass unter
der Einwirkung des Druckes eine solche Verzögerung in der
Teilung der Blastomeren AB öfters eintritt, nichts Anormales
Sehen, nicht selten geht auch die Teilung in beiden Blastomeren
gleichzeitig vor sich. Etwas mehr nähert sich die Teilungsfigur
—1
—
—1
Kompressionsversuche am befruchteten Ei.
der Norm, wenn die vier Blastomeren in einem nicht regel-
mässigen Bogen, sondern unter einem Winkel zueinander zu
liegen kommen, wie bei Zeichnung 5.
In der dargestellten Figur kann man die typische T-Figur
sehen, deren vertikaler Teil stark nach einer Seite abgedrängt
ist. Auf dieser Figur sehen die Blastomeren etwas mehr zu-
sammengedrängt aus, ihr Bestreben, bis zu einem gewissen Grade
die kugelige Form zu be-
wahren, erscheint stark be-
einträchtigt.
Bei den weiteren Ent-
wicklungsstadien tritt das Be-
streben der Zellen deutlich
hervor, den in der Bildung
begriffenen Zellenkreis zu
schliessen, ohne dies ist jede
weitere Entwicklung des Eies
unmöglich. Daher haben wir
im Stadium der Sechs- und
Achtteilung solche Figuren,
bei denen der Kreis immerhin
noch nicht geschlossen ist.
In einer bestimmten Reihe von Fällen im Achtzellenstadium
wird die Schliessung des Kreises bereits möglich und dann ergibt
178 SB Girgollarrt:
das Ei folgendes Bild (Fig. 6). In den Fällen, wo bei diesem
Stadium die Schliessung des Kreises immerhin noch nicht vor sich
gegangen ist, konnte ich eine weitere Teilung nicht wahrnehmen
und offenbar setzen diese Eier schwerlich ihre Entwicklung fort.
Fig. 6.
Ist einmal die Schliessung des Kreises, gleichgültig in
welchem Stadium, bereits erfolgt, so kann man bei der weiteren
Teilung beobachten, dass die Blastomeren nunmehr den mittleren
taum ausfüllen, und dann zeigt das Ei folgendes Bild (Fig. 7 und 8):
Fig. 8.
Fig. 7.
In selteneren Fällen kann man ausnahmsweise eine gleich-
zeitige Ausfüllung und Schliessung des Kreises beobachten, wie
dies Fig. 9 zeigt.
Kompressionsversuche am befruchteten Ei. I)
In allen diesen Fällen verbleiben natürlich die Zellen in
einer Ebene. Die Folgemässigkeit sowie die Richtung der Teilung
erscheint im Vergleich zur Norm
in hohem Maße abgeändert; ich
werde weiter unten darauf zurück-
kommen.
Die Fälle, in denen beim Acht-
zellenstadium die Bildung des
Kreises und dessen Ausfüllung zum
Abschluss gelangt sind (Fig. 10
und 11), zeigen eine grosse Ähnlich-
keit mit eben diesen Teilungs-
stadien bei den Kompressionsver-
suchen von Driesch an Seeigel-
eiern. Diese Fälle bilden bereits
einen Übergang zu jenen Formen, welche sich beim Ei von Ascaris
megalocephala unter Anwendung eines weniger starken Druckes
wahrnehmen lassen, der hauptsächlich nur eine dichtere Ver-
Fig. 10. Fig. 11.
teilung der Blastomeren in einer Ebene zur Folge hat. ohne
dass sich die Vorstadien des Bogens und des Kreises bilden. Zu
diesen Formen wollen wir nun übergehen.
Nach ihrer Entwicklung sind sie den vorhergehenden völlig
analog und auf der (Grenze liegen die Eier, bei denen im Vier-
zellenstadinm innerhalb des geschlossenen Kreises eine nicht grosse
Öffnung vorhanden ist (Fig. 12 und 13).
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 76. 50
780 8.8: Gireolatt:
Oftenbar geht auch diesen Formen die in Zeichnung 1 dar-
gestellte Figur in dieser oder jener Gestalt voraus. Somit stellt
sich als Abweichung dieser Formen von der Norm die strikte
Lage der Blastomeren (Stadium 4) in einer Ebene dar, während
sie sich von den oben beschriebenen Formen dadurch unter-
scheiden, dass bei ihnen die mittlere Öffnung fehlt oder im Vier-
zellenstadium nur kurze Zeit vorhanden ist. Im weiteren Verlauf
ergibt die Teilung folgende Figuren (Fig. 14—16):
Die Verschiedenartigkeit der Bedingungen, unter denen sich
die Eier in ein und demselben Präparat befinden und folglich
auch die Mannigfaltigkeit der beobachteten Bilder macht es
äusserst schwierig, die Teilung mit derselben mathematischen
(Genauigkeit und einwandfreien Gesetzmässigkeit zu untersuchen,
Kompressionsversuche am befruchteten Ei. 781
wie dies unter normalen Bedingungen von Boveri, Zoja,
Müller und anderen geschehen ist. Indessen treten einige Ab-
weichungen von der Norm bezüglich der Folgemässigkeit der
Teilung und ihrer Richtung ziemlich klar und deutlich hervor.
Zoja sagt an der Stelle seiner Arbeit, wo er den Übergang
von Stadium 4 zu Stadium 6 schildert: „Nur in einigen wirklich
ausnahmsweisen Fällen sah ich,
dass die Teilung zuerst in den
beiden anderen (d.h. EM und Pınm)
sich andeutete.“ Bei meinen Prä-
paraten stellt gerade eine solche
Teilung offensichtlich die Regel
dar (Fig. 14).
Was die Anordnung der Zellen
anbetrifft, so ist sie äusserst ver-
schiedenartig. und eine bestimmte
(resetzmässigkeit liess sich nicht
feststellen. Beim Achtzellenstadium
sind am häufigsten die Figuren mit einer Zelle in der Mitte,
die von den übrigen sieben umgeben sind (Fig. 15). Auf die
Frage, welche Zelle in die Mitte zu liegen kommt, kann man
antworten: diejenige, welche sich beim Schluss der Teilung als
die letzte der vier Zellen bildet. Am häufigsten ist dies eine
Zelle aus der Teilung A oder B. Bei etwas eingehenderer
Betrachtung lässt sich in dieser Figur eine Ähnlichkeit mit der
Normalfigur dieses Stadiums konstatieren, wo die vier aus AB
hervorgehenden Zellen einen Rhombus bilden, während die vier
Zellen aus Pır sich um diesen bogenförmig herumlegen. Natürlich
muss man sich dies in einer Ebene vorstellen. Die auf Zeichnung 16
dargestellte Figur kann als solche angesehen werden, welche sich
ursprünglich aus einem Bogen gebildet hat, wo die Schliessung
des Kreises und seine Ausfüllung gleichzeitig vor sich gehen
(s. oben). Somit kann man sich der Erkenntnis nicht verschliessen,
dass das Prinzip der gegenseitigen Lage der Zellen zueinander
konstant ist und das Ei dasselbe nach Möglichkeit zu bewahren
sucht, indem es sich nur den veränderten äusseren Verhältnissen
anpasst. Hieraus folgt, dass die normale Teilung mit der Teilung
des Eies unter Anwendung von Druck durch eine ganze Kette
von Übergangsformen verbunden ist.
Fig. 16.
50*
—1
19)
Ss: 8..GIrgiolaft:
Zum Schluss verlohnt es sich noch auf eine bei Anwendung
eines nicht allzu starken Druckes sehr oft beobachtete Erscheinung,
nämlich auf die Teilung der Blastomere Pr in einer der Norm
entgegengesetzten Richtung näher einzugehen. In den Fällen,
wo der Druck eine angemessene Stärke hat, kann man derartige
Bilder recht oft antretfen, besonders bei den Eiern, bei welchen die
Teilung der Zelle AB in A und B normalerweise früher vor sich geht
als die Teilung der Zelle Pr oder doch gleichzeitig mit ihr. Wie
bereits oben erwähnt, kann man bei den Kompressionsversuchen
eine Verzögerung in der Teilung der Blastomeren AB öfters
beobachten als dies unter normalen Umständen geschieht. Die
Zeichnungen 18, 19 und 20 zeigen dieses Bild. Interessant ist
Fig. 19. Fig. 20.
die Tatsache, dass bei eben jenen Präparaten unmittelbar neben
der Stelle, wo die Teilung AB eine Verzögerung erfuhr, die Teilung
von Pr in normaler oder fast normaler Weise vor sich geht.
Kompressionsversuche am befruchteten Ei. 1853
Indem ich mich jetzt der Untersuchung seltenerer Formen
zuwende, sehe ich mich veranlasst, bei derjenigen Formveränderung
der gruppierten Zellen zu verweilen, welche aus der normalen
T-Figur entsteht, wenn diese überhaupt Platz greift. In diesen
Fällen (vorausgesetzt, dass der Druck ausreichend ist) bleibt die
übliche Umbiegung des vertikalen Teils der T-Figur aus, was
zur Folge hat, dass auch die zeitlich auf sie folgende Figur, der
Rhombus, nicht zur Bildung gelangt, während die Vermehrung
der Zellen A, B, Pınr und EM an ihren ursprünglichen Stellen
erfolgt. Es entstehen Figuren von höchst unregelmässiger Form,
in denen die Zahl der Zellen bis zu 8, 10 und 12 steigt. Die
Zellen selbst indessen verlieren ihren kugelförmigen Charakter
bereits im Stadium 4 und sehen wie die auf Zeichnung 3 dar-
gestellten aus. Die geringe Menge der in den frischen Präparaten
beobachteten Figuren solcher Art veranlasst mich, sie nicht näher
zu beschreiben, obwohl es nicht zu verkennen ist, dass sie mit
der Figur 3 viel Gemeinsames haben.
Ferner gelang es mir, im ganzen nur einige Male Figuren
zu beobachten, die von aussen betrachtet aus drei bis vier
Blastomeren bestanden, wobei eine von diesen auch nicht einmal
Spuren von Uhromatin enthielt, während in den übrigen solches
in völlig normaler Weise vorhanden war (Fig. 21 und 22).
Fig.,22.
Besonders deutlich ist das Chromatin in Fig. 21 sichtbar, wo es
ein leichtes ist, je vier Chromatinfäden in jeder der beiden
Blastomeren festzustellen. Nach ihrem Äusseren zu urteilen,
haben diese Bildungen keine Ähnlichkeit mit den von Boveri
784 SS. GirgolaTTe
und Hogue beschriebenen protoplasmatischen Bildungen, die an
den Eiern von Ascaris megalocephala bei Zentrifugierung in einer
zu seiner Achse senkrechten Richtung wahrnehmbar sind. Nur
einzelne Beobachtungen an derartigen Präparaten lassen mit
grosser Vorsicht ihre Entstehung von dem auf das Ei ausgeübten
Druck ableiten.
In allen oben beschriebenen Fällen schien die Lebens-
fähigkeit der Elemente unmittelbar nach Anwendung der Kom-
pression keineswegs herabgemindert, und wenn sich aus ihnen
in der Folge ein Embryo nicht entwickelte, so zeigten sich
Degenerationserscheinungen in späteren Stadien (s. unten). Bei
den Kompressionsversuchen konnte man jedoch beständig an
einigen Stellen des Präparats besonders stark zusammengepresste
Eier sehen, von denen ein Teil nicht selten zerplatzte und end-
gültig abstarb. Bei einigen derartigen Eiern, die einer starken
Kompression ausgesetzt worden waren, die jedoch natürlich keine
allzu grossen äusseren Beschädigungen aufwiesen, Konnte man
deutlich beobachten. wie ein Teil der Blastomeren zugrunde
gegangen war, während andere lebensfähig geblieben waren
und sich teilten (Fig. 23—25).
Präparate, die solche Bilder ergaben, erhielt ich am häufigsten,
wenn der durch das Kompressorium ausgeübte Druck besonders
stark war. Im Stadium 2 (Fig. 23) ging eine der Zellen (AB) zu-
erunde; im Augenblick der Beobachtung konnte man in ihr bereits
keine typischen Chromatinfäden mehr wahrnehmen ; ihre Teilchen
zerstreuten sich über die ganze Zelle und ergaben bei der Färbung
Kompressionsversuche am befruchteten Ei. 785
mehr oder weniger intensiv gefärbte Pünktchen. Die andere
Blastomere Pr bewahrte ihre Lebensfähigkeit, setzte ihre Teilung
weiter fort und bildete an der Peripherie der absterbenden
Blastomere ein hübsches Band völlig lebensfähiger Zellen mit sehr
schönen Chromosomen. Bei der Abbildung 24 ging offenbar eine
der vier Blastomeren zugrunde, während sich die drei übrigen
auf dem Wege zu weiterer Teilung befinden In Fig. 25 ist
zu sehen, dass Pır wie auch in
Fig. 23 ihre Teilung mit normaler
Intensität fortsetzt, während A B
in der Teilung zurückblieb, aber
nichtsdestoweniger immerhin die
Zellen A und B ergab: in einer
von diesen ist das typische Bild
der Degeneration vorhanden,
während die andere fähig ist,
ihre Teilung auch weiter fort-
zusetzen.
Damit ich auf diese Figuren nicht nochmals zurückzukommen
brauche, möchte ich gleich hier hervorheben, dass es mir nicht
gelungen ist, nach Aufhebung des Druckes die Entwicklung eines
ausgewachsenen Wurmes aus diesen Präparaten zu beobachten.
Eine geraume Zeit schritt die Teilung des lebensfähigen Teils
des Eies neben dem abgestorbenen Teile fort, indem sie eine
mehr oder weniger grosse Gruppe von Zellen ergab, aber darauf
hörte die Teilung auf und es trat eine lange Pause in der Ver-
mehrung der Elemente ein, welche bisweilen mit einer allgemeinen
Degeneration endete; bisweilen war ich jedoch gezwungen, das
Präparat zu fixieren, um die anderen Eier zu untersuchen. Daher
findet die Frage, ob die Entwicklung eines ausgewachsenen
Individuums aus einem Teil des Eies von Ascaris megalocephala
möglich ist, auf Grund meines Materials keine positive Beant-
wortung, andererseits erscheint jedoch in Anbetracht der erfolg-
reichen Versuche von Driesch, Zoja, Hertwig u.a. und des
allgemeinen Eindrucks, den man durch die Untersuchungen über
die Teilung des lebensfähigen Teils des Eies gewinnt, auch eine
negative Beantwortung der obigen Frage zum mindesten verfrüht.
Aus der Literatur möchte ich die Arbeit von Stevens anführen,
die eine gewisse Neigung der Blastomeren zu einer selbständigen
Fig. 25.
756 58 Giweelsa tif:
Entwicklung im Ei der Ascaris megalocephala unter dem Einfluss
der Einwirkung von ultravioletten Strahlen auf dieses beobachtete.
In den Fällen einer sehr beträchtlichen Kompression gelingt
es sehr oft in unmittelbarer Nähe der vollständig zerdrückten
Eier eine Verteilung des Chromatins über die ganze Zelle und
ihre sofortige Teilung in mehrere Teile zu beobachten, wobei in
vielen Fällen keine Teilung des Protoplasmas eintritt. In diesen
Fällen büsst die Eizelle vollständig ihre Kugelform ein und be-
kommt ein eckiges Aussehen (Fig. 26 und 27).
Der in solchem Falle vor sich gehende Prozess erinnert in
hohem Maße an das, was bei den Versuchen Hertwigs über
den Einfluss von niedriger Temperatur und Chininlösungen auf
die Teilung geschildert worden ist. Dieselbe Erscheinung beob-
achtete Loeb bei seinen Versuchen über den Einfluss von
Magnesiumchlorid- und Natriumchloridlösungen, sowie Ziegler
nach Zusatz von Alkohol zum Wasser, in dem sich Seeigeleier
entwickelten.
Somit zeigen diese Figuren eine interessante Analogie in
der Einwirkung von Temperatur-, chemischen und mechanischen
Momenten auf die Teilung der Eizelle. Es handelt sich hier also
um bedeutende Schädigung der Eizelle, indem das Protoplasma
schon nicht mehr imstande ist, der Kernteilung zu folgen und
der Kern sich unvollständig und unregelmässig vermehrt. Bei
meinen Versuchen unterschieden sich diese Eier nur äusserst
wenig von denjenigen, bei denen man schon keine Äusserungen
Kompressionsversuche am betruchteten Ei. TOT
der Lebensfähigkeit und selbst des Lebens wahrnehmen kann.
Einen weiteren Entwicklungsgang bei diesen Eiern vermochte ich
nicht zu beobachten.
Was die Lebensfähigkeit aller oben erwähnten Eier angeht,
so erwiesen sich die Eier der ersten und zweiten Kategorie,
d. h. die mit ebener Lage der Blastomeren und einer Öffnung
in ihrer Mitte sowie einer dichtgedrängten ebenen Lage der
Zellen in der Mehrzahl der Fälle als völlig lebensfähig und er-
gaben schliesslich ein vollständiges Bild der Entwicklung, die bis
zur Bildung eines selbständig bewegungsfähigen Wurmes führte.
Weiter oben war die Teilung dieser Eier bis zum Achtzellen-
stadium geschildert, in einzelnen Fällen gelang es 12, ja selbst
16 in einer Ebene verteilte Zellen zu erhalten, ohne dass es
jedoch möglich gewesen wäre, ihre Entwicklung bis zur Bildung
eines Wurmes zu verfolgen. In der Regel wurden jedoch auf
dem Präparat, das Eier verschiedener Stadien mit unregelmässiger
Verteilung der Blastomeren enthielt, einzelne Exemplare sorg-
fältig gekennzeichnet (mit Hilfe des Kreuztisches von Zeiss), der
Druck auf das Ei vollständig aufgehoben und dann die Entwicklung
jedes einzelnen Eies beobachtet. Hierbei ergab sich, dass die
Eischale von Ascaris megalocephala, die dem Druck ausgesetzt
gewesen war, in der Mehrzahl der Fälle nicht in der Lage war,
ihre frühere kugelförmige oder eiförmige (restalt wieder anzu-
nehmen; die Enden bleiben gewöhnlich denn auch bei ihr mehr
oder weniger abgeplattet. Nichtsdestoweniger begann die weitere
Teilung in der allerersten Zeit in der Weise fortzuschreiten, dass
die Zellen nicht mehr in eine Ebene zu liegen kamen. In
einigen Fällen konnte man dagegen sogar eine leicht veränderte
Verteilung der Zellen beobachten, die sich unter der Einwirkung
des Druckes gebildet und bis dahin genau in einer Ebene gelegen
hatten. Bei den Eiern, wo die Lage der Zellen eine dichtge-
drängte war, schreitet die weitere Entwicklung in der Regel
schneller fort als bei den Eiern, wo die Blastomeren eine innere
offene Figur bildeten. Gewöhnlich konnte man schon an den
ersten Eiern nach 24 Stunden eine kugelförmige Anordnung der
Zellen beobachten. Wo dagegen eine Öffnung vorhanden oder
die Figur nicht geschlossen war. wurde die Zeit zur Ausfüllung
verwandt, so dass die Teilung noch eine geraume Zeit in einer
Ebene vor sich ging und erst im weiteren Verlauf den ersten
788 3.8. GireolaFft:
ähnliche kugelförmige (oder eiförmige) Bildungen ergab. Über-
haupt entwickelten sich im allgemeinen die Eier dieser Kategorie
langsamer und unter ihnen konnte man nicht selten Exemplare
antreffen, denen die Fähigkeit abging, eine vollendete Form eines
Embryos hervorzubringen. Zu den Übergangsformen kann man
solche zählen, bei denen man allerdings einen Wurm erhielt,
dieser jedoch eine höchst unregelmässige Form mit ganz sonder-
baren Konturen aufwies, keine aktive Bewegungsfähigkeit zeigte,
vielmehr im Gegenteil sofort Degenerationserscheinungen erkennen
liess. Die Ausfüllung des Hohlraumes erforderte nicht selten eine
längere Zeit: bisweilen erwiesen sich 24 Stunden als noch nicht
ausreichend zur Herstellung einer diehtgedrängten Verteilung der
Zellen. Hiernach dauerte die Teilung der Zellen fort und es
bildete sich ein Embryo von normaler Gestalt.
Bei diesen Formen liess sich stets die Entwicklung eines
Wurmes beobachten, der in hohem Grade vom normalen abwich.
Solche Würmer bildeten sich wenigstens aus den Eiern, deren
Entwicklung unter ständiger Beobachtung vor sich ging; anderer-
seits konnte ich auch an den Versuchen, die eine grosse Menge
anormal geteilte Eier aufwiesen,
in entsprechender Zahl auch
anormale Würmer beobachten.
Die Würmer von anormaler Form
lassen sich in zwei Gruppen ein-
teilen. Die eine Gruppe (Fig. 28)
umfasst völlig regelmässig ge-
formte Würmer mit glatten Kon-
turen, die an ihrem Kopfende eine
stark hervortretende kugelige
Erweiterung zeigten, die für die
Ascariden charakteristische Zu-
spitzungbeider Enden fehlte gänz-
lich. vielmehr bildete sich anstatt
einer Verdünnung eine Verdickung. Der Wurm hatte die auf
Zeichnung 28 dargestellte Form. Wie hieraus ersichtlich, habe ich
im gegebenenFalle bereits einen Wurm von beträchtlicher Grösse
und keinen eben erst zur Bildung gelangten im Auge. Bei der
anderen Gruppe kann man wie bekannt auch unter normalen
Voraussetzungen an den Enden dann und wann eine gewisse
Kompressionsversuche am befruchteten Ei. 159
Verdiekung wahrnehmen, welche bei weiterem Wachstum rasch
durch eine Verdünnung abgelöst wird. Die Verdiekung, wie sie
bei den sich anormaliter entwickelnden Würmern auftritt, hat
eine flach kugelige Form, und der Wurm selbst bewegt sich
lebhaft. In einigen recht seltenen Fällen war diese Verdiekung
nicht unmittelbar am äussersten Ende des Wurmes zu sehen, und
ganz vereinzelt konnte man sogar zwei Verdickungen an beiden
Enden wahrnehmen. Eine andere Form des anormalen Wurmes
ist folgende: Die eine Hälfte des Wurmes war völlig normal
entwickelt, während man an
Stelle der anderen Hälfte eine
ziemlich formlose oder besser
gesagt höchst seltsame Bildung
mit unregelmässigen kantigen,
auch im allgemeinen abge-
tlachten Formen bemerkte
(Fig. 29). Trotz dreitägiger
Beobachtung liess sich an
diesem Wurm keine Neigung
zu weiterer Entwicklung oder
Formveränderung erkennen.
Der Wurm selbst bewegte sich. |
wie auch in der vorher Fig. 29.
gehenden Gestalt, lebhaft. in
erster Linie mit Hilfe seines regelmässig gebildeten Schwanzes.
Selbstverständlich liessen sich zwischen diesen reinen Vertretern der
ersten und zweiten Gruppe zahlreiche Übergangsformen erkennen.
Diese Formen in Verbindung mit den auf verschiedenen Stadien
stehen gebliebenen Embryonen, in Verbindung, ferner mit den Eiern,
welche in dem Entwicklungsstadium gleichsam erstarrten, indem
sie aus dem Kompressorium genommen wurden, ohne deutliche
degenerative Erscheinungen, aber auch ohne eine für eine weitere
Teilung ausreichende Lebensfähigkeit zu zeigen, verliehen dem
Präparat ein äusserst buntes Bild, das sich in hohem Maße von der
gleichzeitig vor sich gehenden regelmässigen Entwicklungder Eier
der Ascaris megalocephala unter normalen Voraussetzungen abhob.
Was die Entstehung der Missbildungen in beiden Gruppen
betriftt, so entsprachen den Würmern mit glatten Konturen jene
Eier, bei denen die Blastomeren in einer ebenen Fläche verteilt
90 SIS Gireoakaftr:
waren ohne Bildung eines Hohlraumes oder nur mit einer kleinen
vorübergehenden Öffnung im Stadium 4 (Fig. 13), während den
Würmern mit formloser Hälfte schärfere ursprüngliche Formen
mit einer grossen Öffnung entsprachen. In einem Falle gelang
es mir übrigens, die Verwandlung der Figur mit Öffnung im
Achtzellenstadium in einen Wurm mit regelmässiger flachkugeliger
Verdickung an einem Ende zu beobachten. Offenbar handelt es
sich hier um einen Stillstand in der Entwicklung eines Teils der
Blastomeren in einem der späteren Entwicklungsstadien, wobei
diese Zellen, die die Fähigkeit, eine abgeschlossene Bildung ins
Leben zu rufen, eingebüsst haben, eben die erwähnte unregel-
mässige Verdickung bilden. In Abhängigkeit von der Anzahl
der sie bildenden Elemente ist die Grösse und die Form derselben
höchst verschieden. Als Beispiel kann man folgende Verhältnis-
zahlen anführen. Die Achsenlänge des ganzen Wurmes betrug
68 « (Zeiss’, Obj. D, Oc. 3), wobei auf den verdickten Teil 20 «#
entfielen, während der Rest den
Körper des äusserlich normal
erscheinenden Wurmes bildete.
In anderen Fällen hatte der ver-
dickte und unregelmässig ent-
wickelte Teil eine noch grössere
Ausdehnung. Bei längerer Be-
obachtung (2—3 Tage) konnte
man eine Zunahme der Länge
des normalen Teils konstatieren,
während der anormale Teil keine
Veränderungen aufwies.
Irgendwelche Verdoppelung eines Teils des Wurmes oder
des Wurmes im ganzen vermochte ich bei sorgsamer Untersuchung
der Präparate nicht wahrzunehmen. Bei den Massenversuchen
konnte man Formen sehen, die grosse Ähnlichkeit hatten mit
der Verdoppelung eines Wurmendes (Fig. 30), indessen fehlt in
Anbetracht der grossen Verschiedenartigkeit und Absonderlichkeit
der oben beschriebenen unregelmässigen Verdickungen sowie unter
Berücksichtigung der oberflächlichen Beobachtung des ganzen
Entwicklungsganges solcher Eier jede Unterlage, irgendwelche
positive Behauptungen aufzustellen, und man möchte eher geneigt
sein. eine negative Antwort zu geben.
Fig 30.
Kompressionsversuche am befruchteten Ei. To
Bei der Betrachtung der Präparate von komprimierten Eiern
fallen einige charakteristische Besonderheiten ins Auge. Vor allem
kann nicht entgehen die konstante Verzögerung in der Entwicklung
der komprimierten Eier im Vergleich zu den sich unter normalen
Voraussetzungen entwickelnden Eiern. Diese Verzögerung ist
zum Teil dem Mangel an Sauerstoff (King) zuzuschreiben, und
in der Tat entwickelten sich die im Zentrum des Präparates
liegenden Eier langsamer als die an der Peripherie befindlichen.
Indessen zeigten die Kontrollpräparate mit den von Deckgläsern
überdeckten Eiern, die sich mithin, was den Zutritt von Sauer-
stoff anbetrifft, unter gleichartigen Voraussetzungen befanden,
zwar ebenfalls eine gewisse Verzögerung, doch bei weitem nicht
in so hohem Maße, wie dies bei den Kompressionseiern der Fall
ist. Bei einigen Präparaten, die 24 Stunden im Thermostat ge-
blieben waren, erhielt ich beim Herausnehmen derselben aus dem
Kompressorium fast ausschliesslich Eier im Zweiteilungsstadium
oder solche, welche sich noch nicht einmal zu teilen begonnen
hatten, während bei den Kontrolleiern nach Verlauf dieser Zeit
weit spätere Stadien zutage traten. Sodann ging infolge des
verschieden starken Druckes an den verschiedenen Teilen des
Präparats ebenso wie infolge der verschiedenen Voraus-
setzungen für den Zutritt des Sauerstoftes zu den einzelnen
Eiern ihre Entwicklung äusserst unregelmässig vor sich. Bei
einigen Exemplaren geschah dies so langsam, dass sie in das
Stadium 16 gelangten, während bei anderen sich bereits ein
Wurm vollständig entwickelt hatte, der fähig war, sich frei zu
bewegen.
Die oben beschriebenen Veränderungen im vollendeten Bau
des Wurmes traten ausnahmslos in dem Fall ein, wenn dem
Kompressorium Präparate entnommen wurden, die aus sechs bis
acht oder doch zum mindesten aus vier Zellen bestanden. Die
Versuche, bei denen nur die erste Teilung vor sich ging, endeten
immer mit der Entwicklung eines äusserlich völlig normalen
Wurmes; daher gelang es denn auch bei meinen Kompressions-
versuchen nicht, die erste Teilung irgendwie zu verändern, wie
dies bei den Versuchen von Boveri und Hogue an eben jenen
Eiern mit Zentrifugierung und bei Brown mit den Eiern der
Molluske Cumingia der Fall war. Andererseits scheinen die Eier,
die sich unter Einwirkung der Kompression bis zu zwölf und
192 Ss.S. Ga neolarfte
mehr Zellen entwickeln, nicht die Fähigkeit zu besitzen, ihre
Entwicklung bis zu einem sich bewegenden Wurm fortzusetzen.
Beim Vergleich meiner Ergebnisse mit den Resultaten, die
Boveri und Hogue bei Zentrifugierung erzielten, muss eine
Ähnlichkeit in der Entwicklung des Eies unter Einwirkung dieser
beiden Faktoren — mit Ausnahme nur jener in den sogenannten
„Balleiern“ stattfindenden protoplasmatischen Bildung — auf-
fallen. Fine Ähnlichkeit ergibt sich auch in den Endresultaten
insofern, als die auf einigen Zeichnungen dargestellten Würmer
mit unregelmässiger Verdickung an einem Ende den von mir
erhaltenen Formen sehr nahe kommen. Allein Würmer mit
glatter regelmässiger Verdiekung konnten bei diesen Versuchen
gar nicht wahrgenommen werden (Fig. 25). Die letzteren Formen
entwickelten sich, wie bereits erwähnt, dann, wenn der Embryo
keine Beschädigungen zeigt. Die starke Zentrifugierung hin-
gegen, die sich als stärkerer Eingriff darstellt, als die einfache
Kompression, wirkt natürlich auch stärker auf das Ei ein.
Morgan sieht bei der Beschreibung der Ursache der unter
der Kompression stattfindenden Veränderungen die Bedeutung des
Druckes darin, dass er einen unregelmässigen Gang der Teilungs-
furche bedingt, welche bei einer bestimmten Spezifizierung der
Eiteile zu einem gewissen anormalen Plus in den einen und zu
einem Defekt in den anderen Teilen führt. Betrefis der Spezi-
fizierung bei der Entwicklung des Eies kommt dieser Autor auf
Grund seiner Versuche zu dem Schluss, dass dieselbe vor oder
während der Teilung erfolgt, die Wirkung durch die Beziehung
der Blastomeren zu den anderen unterhalten werde, während
diese Beziehung nur durch die gegenseitige Beziehung der Zellen
bedingt werde und keineswegs eingeführt sei. Das weitere Fort-
schreiten der Spezifizierung in den frühzeitigen Entwicklungsstadien
erschwere es den isolierten Blastomeren, ihre Schritte wieder zurück
zu machen und hierin eben sei der Unterschied zwischen Eiern
mit früher und solehen mit allmählicher Spezifizierung zu sehen.
Aus einer ganzen Reihe von Versuchen, die seitens ver-
schiedener Autoren vorgenommen wurden, ergibt sich, dass in
den frühen Stadien der Entwicklung eine Spezifizierung der
einzelnen Blastomeren nicht zu finden ist. Solche Spezifizierung
tritt erst in viel späteren Entwicklungsstadien ein. Ferner hat
die vom Ei so konservativ bewahrte, streng bestimmte Verteilung
Kompressionsversuche am befruchteten Ei. 195
der Blastomeren in ganz bestimmter Beziehung zueinander (zum
Teil auch bei Ascaris megalocephala) unzweifelhaft auch eine
bestimmte Bedeutung für den Bau des ausgewachsenen Embryos.
Der Druck verändert diese übliche Lage der Blastomeren, und
in den Fällen, wo in den weiteren Stadien der Entwicklung nach
Aufhebung des Druckes die mehr oder weniger normale gegen-
seitige Lage der Zellen nicht wieder hergestellt wird, bedingt
dieser Umstand Abweichungen vom normalen Bau. Zahlreiche Ver-
suche haben gezeigt, dass die Entwicklung von Zwillingenund die
Verdoppelung in den Fällen eintritt, in denen der normale Zusammen-
hang zwischen den Blastomeren mehr oder weniger zerstört war.
Endlich übt der Druck auf die Zelle einen deutlich hervor-
tretenden hemmenden Einfluss aus. Meine Versuche lassen den
Schluss zu. dass die verschiedenen Blastomeren nicht dieselbe
Lebensfähigkeit besitzen. Unter gleichen Voraussetzungen gehen
die einen zugrunde, während die anderen das deutliche Bestreben
zu weiterer Vermehrung zeigen. Hieraus folgt, dass bei weniger
starkem Druck von einem Zugrundegehen der Zelle keine Rede
sein kann, vielmehr nur eine Hemmung eintritt. Die verschiedenen
Blastomeren können auf Grund ihrer verschiedenen Lebensfähigkeit,
ja ausserdem auch auf Grund der veränderten gegenseitigen Lage
zueinander sich mit ungleicher Kraft entwickeln ; infolgedessen kann
man auch jene seltsamen Formen des ausgewachsenenEmbryos be-
obachten, bei denen das eine Ende ein normales Aussehen hat, das
andere dagegen eine unregelmässige Anhäufung von Zellen darstellt,
welche nicht bis zur normalen Grenze der Entwicklung gelangt sind.
Zum Schluss halte ich es für meine angenehme Pflicht,
Herrn (reheimrat Professor Hertwig meinen tiefsten Dank aus-
zusprechen für die Stellung des Themas und das mir in liebens-
würdigster Weise bei jeder Gelegenheit gezeigte Entgegenkommen.
Ferner bin ich zu vielem Dank verpflichtet, Herrn Professor
Krause, der mir mit seinem wertvollen Rat jederzeit hilfreichst
zur Seite stand.
Ergebnis.
1. Der Druck auf die Eizelle, welcher der Teilung der
letzteren stets eine zur Druckfläche senkrechte Richtung
gibt, verändert die gegenseitige Beziehung der Blastomeren
zueinander und bedingt dadurch Abnormitäten in dem
endgültigen Bau des Embryos.
794
[S9)
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Dies letztere ist dann der Fall, wenn das Ei, dessen
Teilung nach Aufhebung der Kompression vor sich geht,
nicht imstande ist, die normale gegenseitige Beziehung
der Blastomeren wieder herzustellen
In den Fällen, in denen eine Verletzung nicht eintrat,
hatte die durch den Druck hervorgerufene Verteilung
der Blastomeren in einer Ebene eine Verdickung dieses
oder jenes Teils des Embryos zur Folge.
Die Entwicklung des Eies, die unter der Einwirkung der
Kompression vor sich geht, zeigt eine bestimmte Gesetz-
mässigkeit zwischen dem Bestreben des Eies, den Typus
seiner Entwicklung zu bewahren und der unmittelbaren
Einwirkung äusserer Momente
Die Lebensfähiekeit der einzelnen Blastomeren im Ei ist
verschieden: der Untergang und die Degeneration der
einen schliesst die Möglichkeit der Fortdauer der Teilung
in anderen nicht aus.
Im Entwicklungsgang des der Kompression ausgesetzten
Eies von Ascaris megalocephala sind solche Fälle möglich,
wo ein Teil der Zellen, indem sie in der Entwicklung
zurückbleiben, in einem bestimmten Entwicklungsstadium
verharren, während andere Zellen ihre Teilung bis zu
Ende durchführen.
Die Kompression der Eizelle verringert im allgemeinen
ihre Lebensfähigkeit und hemmt den Gang der Ent-
wicklung. Der äusserste (Grad dieser Erscheinung besteht
in der Unfähigkeit des Protoplasmas zur Teilung, während
der Kern die Neigung, sich zu teilen, noch erkennen
lässt. In dieser Beziehung führt die Kompression zu
Resultaten, die denen sehr ähnlich sind, welche sich bei
der Einwirkung chemischer Stoffe und niedriger Tempe-
raturen auf die Eizelle ergaben.
Die Hemmung der Entwicklung und die Herabminderung
der Lebensfähigkeit. die mit der Anwendung der Kom-
pression des Eies Hand in Hand gehen, bleiben auch
nach Aufhebung der Kompression bestehen; infolgedessen
gelangt ein Teil nicht zum Abschluss seiner Entwicklung.
Hat das Ei von Ascaris megalocephala unter Einwirkung
der Kompression erst seine erste Teilung durchgemacht,
10.
ak
12.
13.
14.
Kompressionsversuche am befruchteten Ei. 28)5)
so unterscheidet sich der aus solchem Ei zur Entwicklung
gelangende Wurm nach seiner äusseren Form nicht vom
normalen. Wenn dagegen das Ei unter Einwirkung der
Kompression das Stadium S—10 überschritten hat, so
scheint es nicht zum Abschluss der Entwicklung zu
gelangen.
10. Die Teilung des Eies von Ascaris megalocephala unter
Einwirkung der Kompression und solche bei Zentri-
fugierung weisen einige gemeinsame Züge auf.
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