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ARCHIV
für
Mikroskopische Anatomie
I. Abteilung
für vergleichende und experimentelle
Histologie und Entwicklungsgeschichte
II. Abteilung
für Zeugungs- und Vererhungslehre
herausgegeben
von
O. Hertwig und W. von Waldeyer-Hartz
in Berlin
Neunzigster Band
IL. Abteilung
Mit 2 Tafeln und 33 Textfiguren
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BONN
Verlag von Friedrich Cohen
1918
Inhalt.
Abteilung I.
Drittes Heft. Ausgegeben am 30. November 1917. Seite
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. Eine historische Studie
als Abschluss eigener Forschung. Von Oskar Hertwig. Hierzu
DIWERESEHIR OD ee a a pe ui Tee RR ee 1
Viertes Heft. Ausgegeben am 30. April 1918.
Über die Samenkörper der Libellen. I. Die Spermien und Spermiozeugmen
der Aeschniden. Von E. Ballowitz in Münster i. W. Hierzu
area undeEl und32Texthgurenn. cr 21.0. vater 19
633%
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre.
Eine historische Studie als Abschluss eigener Forschung.
Von
Oskar Hertwig.
Hierzu 25 Textfiguren.
Inhaltsverzeichnis.
Einleitung . !
I. Zur Geschichte dor tler Sun seit 1870.
Die erste Periode
A Zur Geschichte der Kame Sr
. Zur Geschichte des Befruchtungsprozesses
3, Zur Geschichte des Kernteilungsprozesses
Zusammenfassung . 2
Die zweite Periode (neue akeckneen 3 4
1. Fortschritte in der Erforschung der Kandkmese
2. Fortschritte in der Erforschung der Eireife und Bemrhrng
II. Zur Geschichte der führenden Theorien und Hypothesen .
2 Die Kernidioplasmatheorie .
. Das Reduktionsproblem .
a) Das Reduktionsproblem En Ed van a de
Hypothese des Zellenhermaphroditismus
b) Das Reduktionsproblem und Weismanns Ahnen.
plasmatheorie .
c) Das Reduktionsproblem ni fe Verhtinug Mer a
mierung der Erbmasse (Hertwig) .
3. Meine Stellung zur Annahme einer Pelsıstenz der hedimbe
somen .
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Archiv f.mikr. Anat. Bd. 9%. Abt. II. 1
> Oskar Hertwie:
Einleitung.
Als der berühmte belgische Zoologe Ed. van Beneden
1910 starb. hinterliess er ein schon 1901 hinterlegtes Testa-
ment, in welchem er den Wunsch ausgesprochen hat, dass seine
Freunde Flemming und C. Rabl eine kritische Analyse seines
wissenschaftlichen Lebenswerkes verfassen und in einer deutschen
Zeitschrift veröffentlichen möchten. Da auch Flemming bei der
Testamentseröffnung nicht mehr lebte, entschloss sich Rabl, die
Aufgabe allein zu übernehmen. So entstand seine 1915 er-
schienene und im Archiv für mikrosk. Anatomie (Abteilung II
für Zeugungs- und Vererbungslehre) veröffentlichte, umfangreiche
Abhandlung: Eduard van Beneden und der gegenwärtige
Stand der wichtigsten von ihm behandelten Probleme. Ihr Stu-
dium rief bald in mir den Entschluss zu der vorliegenden Schrift
wach. Denn unter den von van Beneden behandelten Pro-
blemen steht weit obenan das Problem der Zeugung und Ver-
erbung. Dasselbe berührt meine eigene wissenschaftliche Tätigkeit
auf das unmittelbarste. Wenn irgendwo, so glaube ich hier aus
reichster eigener Erfahrung und aus persönlicher Teilnahme an der
Frörterung aller hier zusammentreffenden und sich verknüpfenden
wissenschaftlichen Fragen sprechen zu können. Als Nächstbetei-
ligter aber scheint mir das Bild, welches Rabl von der Anteil-
nahme van Benedens am Zeugungsproblem entwirft, einseitig
ausgefallen zu sein und einer auf den literarischen Dokumenten
beruhenden Ergänzung zu bedürfen, sofern man auch in der
Geschichte der Wissenschaften auf eine Darstellung der wirklichen
Zusammenhänge einigen Wert legt.
Karl Rabl ist bei seiner Darstellung (1915 1. c.) nicht
unbeeinflusst geblieben von der Situation, in welche er durch
den testamentarisch ausgesprochenen Wunsch seines Freundes,
eine kritische Analyse seines wissenschaftlichen Lebenswerks zu
verfassen, versetzt war. Zum kritischen Richter berufen, war
er, wie mir scheint, vor eine nicht leicht zu bewältigende
Aufgabe gestellt, die besondere Schwierigkeiten noch insofern
bot, als manche der beteiligten Personen am Leben waren.
Hatte sich doch van Beneden bei seinen wissenschaftlichen
Untersuchungen in zahlreiche, von ihm selbst meist be-
sonnene Prioritätsstreitigkeiten verwickelt. Daher machte sich
Rabl bei der Übernahme der Aufgabe zugleich auch zum
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. B)
Testamentsvollstrecker in den von van Beneden veranlassten
Prioritätsfragen, die auf diese Weise auch nach dem Tode
ihres Urhebers wieder neues Leben erhielten. Rabl hat bei
der Beurteilung derselben einen möglichst objektiven Stand-
punkt einzunehmen versucht. Wenn ich dies gleich anerkennend
hervorhebe, will ich damit nicht sagen, dass es ihm auch wirklich
überall gelungen ist. Die unangenehme Seite der ihm über-
wiesenen undankbaren Aufgabe hat Rabl gelegentlich auch
selbst gefühlt. Als er das Thema der van Benedenschen
Prioritätsstreitigkeiten in einem Anhang (S. 90—100) behandelte,
hat er in der Einleitung bemerkt: „Leider muss ich noch einige
Prioritätsfragen besprechen. Van Beneden war ein Mann von
ausgesprochenem Rechtsgefühl, zugleich aber auch von grosser
Empfindlichkeit in Prioritätsfragen. Daher konnte es nicht aus-
bleiben, dass er sich wiederholt in Prioritätsstreitigkeiten ver-
wickelte. Ja, ich könnte leicht zeigen, dass er die Vermeidung
weiteren Streites in manchen Fällen nur dem Umstande zu ver-
danken hatte, dass die oft recht derb Angegriffenen den Angriff
nicht erwiderten. Man mag ja über Prioritätsfragen verschiedener
Meinung sein. Auf keinen Fall wird man es einem Forscher,
der mit Eifer und Fleiss gearbeitet und dabei neue Tatsachen,
oft Tatsachen von grosser allgemeiner Bedeutung gefunden hat,
übelnehmen dürfen, wenn er auf sein geistiges Eigentum stolz
ist und dasselbe mit aller Entschiedenheit verteidigt. Wie sehr
Männer, wie Goethe oder Schopenhauer, an deren Geistes-
und Charaktergrösse wohl niemand zu zweifeln wagen wird, auf
die Wahrung ihrer Priorität bedacht waren, ist allgemein bekannt.
Es ist durchaus ungerecht, die Namen der Männer, welche grosse
Wahrheiten gefunden oder Entdeckungen gemacht haben, im Ver-
gessenheit geraten zu lassen ; noch viel ungerechter aber ist es,
andere, etwa gar auf deren eigene Versicherung hin und ohne
nähere Prüfung, für die Urheber jener Wahrheiten und Ent-
deckungen auszugeben“.
Das von Rabl in seinem letzten Satz betonte Gerechtig-
keitsgefühl billige ich vollkommen und habe für dasselbe um so
mehr Verständnis, als ich selbst auf diesem Gebiet Erfahrungen
zu sammeln Gelegenheit gehabt habe. Gleichwohl habe ich in
einer 40 jährigen Tätigkeit, in der ich vor und gleichzeitig mit
van Beneden einen massgebenden Einfluss auf den gegen-
ı*
4 Oskar Hertwig:
wärtigen Stand unserer Kenntnisse von der Zeugungs- und Ver-
erbungslehre durch zahlreiche mikroskopische und experimentelle
Arbeiten ausgeübt zu haben glaube, es stets vermieden — und
zwar mit Absicht und oft nicht ohne Zurückhaltung — mich in
unerfreuliche Prioritätsstreitigkeiten hineinziehen zu lassen. Meist
mit neuen Aufgaben beschäftigt, habe ich mich in einigen Fällen
(8841. c. S. 19, 189071. €.8. 87,99) 1898) Bd. 18.297) darıız
beschränkt, den in den Dokumenten der Literatur gegebenen Tat-
sachenbestand noch einmal zusammenzustellen und aus ihm das
nach meinem Urteil sachgemässe Ergebnis zu ziehen. Und so
werde ich es auch jetzt halten. Da ich meine Arbeit auf
diesem Gebiet als abgeschlossen betrachte, werde ich in einem
Rückblick auf die Reihe meiner hierher gehörigen Abhandlungen
zu zeigen versuchen, inwieweit sie Bausteine für das gegen-
wärtige Gebäude der Zeugungs- und Vererbungslehre geliefert, wo
sie auf Abwege geführt und wo sie einen Fortschritt angebahnt
haben, welche Stellung sie zu den Arbeiten der konkurrierenden,
mit gleichen Aufgaben beschäftigten Forscher einnehmen und in-
wieweit sie von diesen durch neue Tatsachen und Ideen gefördert
worden sind.
Wenn ich mir den Zustand der mikroskopischen Anatomie
vor 50 Jahren in das Gedächtnis zurückrufe, so lag das Studium
der feineren Organisation der Zelle damals noch sehr darnieder:
auch waren die hierfür erforderlichen Untersuchungsmethoden
noch wenig ausgebildet. Auf die Wirkung der Reagentien bei
der Fixation, auf die vorteilhafte Handhabung von Farbstoften
zur Unterscheidung und Hervorhebung mikroskopischer Struk-
turen-begann man eben erst zu achten, lernte ihren Wert zur
Erreichung wissenschaftlicher Resultate erst allmählich erkennen
und schätzen. Physiologen und Histologen richteten bei der
Untersuchung pflanzlicher und tierischer Zellen ihr Interesse fast
ausschliesslich teils auf die mikroskopischen Formveränderungen
und die Lebenseigenschaften des Protoplasmas, teils auf die bei
der Gewebebildung von ihm erzeugten Protoplasmaprodukte. Vom
Kern wusste man nicht viel mehr, als dass er in den meisten
Zellen als ein kleines Bläschen vorgefunden wird und von einer
auffällig gleichartigen Form ist; man machte sich aber im allge-
meinen wenig Gedanken darüber, was für eine Rolle er im
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. #)
Lebensprozess der Zelle spielt, oder begnügte sich mit leichthin
aufgeworfenen Hypotbesen. Zwar hatten schon Schleiden
und Schwann einmal den Kern zum Mittelpunkt der Zellbil-
dung in der Lehre von der Öytogenesis zu machen gesucht, doch
waren ihre Beobachtungen und die aus ihnen gezogenen Schluss-
folgerungen so irrtümlich, dass ihre Widerlegung mit Recht zu
den wichtigeren Fortschritten in der Geschichte der Zellentheorie
gerechnet wird. Waren doch Schleiden und Schwann durch
sie zu der Lehre von „der freien Zellbildung* geführt worden,
zu der Vorstellung, dass die pflanzlichen und tierischen Elementar-
teile sich wie Kristalle in einer Mutterlauge, so aus einem
Hlüssigen unorganisierten Bildungsstoft, aus einem (ytoblastem,
teils im Innern schon bestehender Zellen, teils ausserhalb derselben,
z. B. in den Interzellularsubstanzen und in den Flüssigkeiten
des Körpers entwickeln sollten. Demgegenüber war durch die
Aufstellung des Grundsatzes „Omnis cellula e cellula* schon ein
wichtiger Fortschritt erzielt worden. Doch blieb die Rolle des
Kerns bei der Zellteilung auch jetzt noch lange Zeit eine unge-
klärte, da es an einwandfreien Beobachtungen fehlte. Während
manche Forscher eine Teilung des Kerns durch Zerschnürung
in zwei Tochterkerne vor der Zellteilung annahmen, lehrten
andere wiederum mit nicht minderer Entschiedenheit, dass vor
jeder Zellteilung eine Kernauflösung oder eine Karyolyse, wie sie
Auerbach nannte, stattfände, und dass sich erst später in
jeder Tochterzelle wieder ein Kernbläschen ganz von neuem im
Protoplasma bilde.
Derselbe Streit herrschte über das Schicksal des Keim-
bläschens im Ei. Angesehene Forscher behaupteten auf Grund
lückenhafter Beobachtungen, die dem wahren, erst später ent-
deckten Tatbestand nicht entsprachen, seinen Fortbestand bis
zum Beginn des Furchungsprozesses: die Mehrzahl aber war.
durch ihre Studien an anderen Objekten geleitet. der festen
Ansicht, dass es vor der Befruchtung entweder durch Kernauflösung
im Dotter als morphologisches Gebilde zu Grunde gehe, oder dass
es durch Ausstossung aus dem Eiinhalt ganz entfernt werde.
Das Ei, so lehrte man, sollte vor Beginn seiner Entwicklung ein
kernloses Stadium durchmachen. Häckel bezeichnete dasselbe
als Monerula und suchte es auf Grund seiner Rekapitulations-
theorie. des biogenetischen Grundgesetzes, als einen Rückschlag
6 Oskar Hertwig:
zur einfachen Urform des Lebens, der Monere, zu erklären
(Anthropogenie 1874, S. 141). „Hier wollen wir“, lautet sein
Ausspruch, der lange Zeit für weite Kreise massgebend gewesen
ist (l. e. S. 142), „nur einstweilen die höchst merkwürdige Tat-
sache betonen. dass in der Keimesgeschichte ebenso wie in der
Stammesgeschichte der Tierorganismus seine Entwicklung als
strukturloses Schleimkügelehen beginnt. Auch der Organismus
des Menschen und der höheren Tiere existiert kurze Zeit hindurch
in dieser denkbar einfachsten Form, und seine individuelle Ent-
wicklung nimmt von dieser einfachsten Form ihren Ausgang.
Dass unser ganzer Körper in diesem Stadium wirklich eine ganz
gleichartige und strukturlose Masse. eine weiche Protoplasmakugel
ohne Kern darstellt. ist nach den genauesten Untersuchungen
der neuesten Zeit nicht mehr zu bezweifeln. Das ganze hoftnungs-
volle Menschenkind ist jetzt weiter nichts als ein einfaches
Kügelchen von Urschleim“. „In dieser strukturlosen Proto-
plasmakugel bildet sich nach kurzer Zeit von neuem ein Zellen-
kern.“
Um eine Vorstellung von dem Tiefstand unseres Wissens
über die mikroskopischen Veränderungen des Eies vor und während
der Befruchtung zu bekommen, ist es lehrreich, sich zu vergegen-
wärtigen, dass selbst in dem Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte
(1861) von Kölliker, aus welchem meine Altersgenossen ihre
ersten Kenntnisse über das Gesamtgebiet der Entwicklung ge-
schöpft haben, überhaupt kein besonderer Abschnitt den ersten
fundamentalen Vorgängen über Reifung und Befruchtung des Eies
zuteil geworden ist. In wenigen Sätzen wird die Angelegenheit
erledigt durch die Angaben, dass die Eier der Säugetiere gewöhnlich
im Eileiter befruchtet werden, wo man in ihrer Zona pellueida
häufig Samenfäden ansitzen sieht, dass das Keimbläschen und der
Keimfleck als erste Folge der Befruchtung schwinden und dass nach
einiger Zeit sich wieder von neuem der Kern der ersten Furchungs-
kugel ausbilde. Bei Erwähnung der Richtungskörperchen (1861.
S. 30) wird von ihnen nur bemerkt, dass sie von manchen Forschern
für Abkömmlinge des Keimflecks, von andern für Inhaltsteile des
Keimbläschens und wieder von andern für losgelöste Teile der
mehr flüssigen Substanz des Dotters gehalten werden. Noch in
der zweiten, fast ganz umgearbeiteten und viel umfangreicher
gewordenen Ausgabe des Lehrbuchs aus dem Jahre 1579 finden
|
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre.
sich fast unverändert die entsprechenden Angaben, und erst in
einem Zusatz am Schluss des Werks ist nachträglich noch ein
kurzer Bericht über die seit 1575 erschienenen Arbeiten über
3efruchtung (S. 1005—1008) aufgenommen; er wird mit der
Bemerkung eingeleitet: „Seit dem Erscheinen der ersten Abteilung
dieses Werkes sind zahlreiche Beobachtungen über die Vorgänge
im reifen Ei vor und nach der Befruchtung veröffentlicht worden,
durch welche unsere Anschauungen über diese Erscheinungen
eine gänzliche Umgestaltung erfahren haben.“
Nicht viel besser als um die Morphologie stand es in der
damaligen Zeit um die Physiologie der Zeugung und Vererbung.
Sie bildete ein vernachlässigtes und im Rückstand gebliebenes
Kapitel, während zur selben Zeit auf anderen Gebieten, in der Lehre
von den Sinnesorganen, von der Ernährung. von der Sekretion
und Exkretion, der Blutzirkulation ete., schon ein erfolgreicher
Fortschritt, eine Vervollkommnung der Untersuchungsmethoden
und eine schärfere Erfassung der zu lösenden wissenschaftlichen
Aufgaben Platz gegriffen hatte.
Unter der Herrschaft einer chemisch-physikalischen. auf
vielen Forschungsgebieten äusserst erfolgreichen Richtung und
infolge des Versagens der mikroskopischen Forschung glaubte
man damals wohl fast allgemein. dass das Wesen der Be-
fruchtung in einem chemischen Prozess besteht,
sei es, dass die Samenfäden eine befruchtende Substanz mit
der Oberfläche des Eies in Berührung bringen (Kontakttheorie
von Bischoff), sei es, dass sie in den Dotter in grösserer
Anzahl hineindringen, sich in ihm auflösen und mit ihm chemisch
vermischen. Die am Anfang der achtziger Jahre herrschende
Auffassung gibt W. Wundt in seinem Lehrbuch der Physiologie
(1573 S. 250) wieder, wenn er schreibt: „Die wesentliche Be-
dingung der Befruchtung ist höchst wahrscheinlich das Eindringen
der Samenkörperchen in den Eiinhalt, das in den verschiedensten
Wirbeltierklassen nachgewiesen werden konnte. Nachdem die
Samenkörperchen in das Ei eingedrungen sind, verlieren sie sehr
schnell ihre Beweglichkeit und lösen sich im Dotter auf. Eine
Theorie oder auch nur irgend begründete Hypothese über die
Natur der Vorgänge, durch welche die Samenelemente nach ihrem
Eindringen in den Dotter in diesem den Entwicklungsprozess
anregen, besitzen wir nicht.“
8 Oskar Hertwig:
Ähnlich lautet das Ergebnis, welches J. Sachs für das
Pflanzenreich zieht. „Nach dem gegenwärtigen Stand der Beobach-
tungen“, bemerkt er in seinem Lehrbuch der Botanik (1874,
S. 871—872), darf man annehmen, dass die Befruchtung
immer in einer Vermischung der befruchtenden Substanz der
männlichen Zelle mit dem Protoplasma der weiblichen besteht:
bei der Konjugation ist die Vermischung durch die Verschmelzung
beider Zellen gegeben; bei der Befruchtung der Oedogonien und
Vaucherien wurde von Pringsheim das Eindringen des
Spermatozoids in das Protoplasma der Eizelle und
seine Auflösung in diesem beobachtet.“
Zur besseren Orientierung über die seit 1870 erzielten
Fortschritte auf dem Gebiet der Zeugungs- und Vererbungslehre
scheint es mir zweckmässig, zwei Perioden zu unterscheiden. Die
erste verschafft uns die mikroskopischen Grundlagen unserer
gegenwärtigen Kenntnis von der Reifung und Befruchtung des
Eies und von der Kernteilung. In der zweiten Periode werden
durch Entdeckung neuer besonders geeigneter Beobachtungsobjekte
(Salamanderlarven, Eier von Ascaris megalocephala) tiefere Einblicke
in viele feinere Vorgänge der Karyokinese, der Reifung der
Geschlechtsprodukte und des Befruchtungsprozesses gewonnen.
Gleichzeitig aber wird durch das Bestreben, die auf mikroskopischem
(Gebiet aufgefundenen Tatsachen theoretisch zu erklären, namentlich
aber durch Versuche, sie für das Problem der Vererbung
nutzbar zu machen, eine spekulative Richtung der Forschung
wachgerufen, welche zur Aufstellung von verschiedenen und
sich zum Teil widersprechenden Hypothesen geführt hat. Daher
habe ich auch an den geschichtlichen Abschnitt, welcher die in der
zweiten Periode gemachten Entdeckungen neuer Tatsachen be-
handelt, noch einen besonderen Abschnitt über die Geschichte
der führenden Hypothesen angeschlossen.
I. Zur Geschichte der Entdeckungen seit 1870.
Die’ erste Periode,
Die Forschungsperiode, die zu unserer gegenwärtigen Kenntnis
der Befruchtung, Vererbung und Kernteilung geführt hat, beginnt
mit dem Anfang der achtziger Jahre: sie wird von Schneider,
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. I
Bütschli, Auerbach und Strasburger eröffnet durch die
Entdeckung einiger neuer interessanter und wichtiger Tatsachen,
deren Bedeutung indessen von ihnen zuerst noch verkannt wurde.
A. Schneider entdeckte an sich teilenden Eiern von
Plathelminthen (Mesostomum) wichtige Stadien der Karvokinese.
Er beobachtete, dass der Kern
seine Kontur verliert und sich in
einen Haufen feiner, lockig ge-
krümmter, nur auf Zusatz von
Essigsäure sichtbar werdender BIS
Fäden umwandelt“, die in der
Aquatorialebene „eine Rosette“
bilden (Fig. la und b); er sah dann
bei beginnender Zweiteilung sich Fyä us
die Stränge so anordnen, dass ein ah)
Teil nach dem einen Pol, der
andere nach dem anderen sich Fir. 1.
Ziehen (ig. 1eund.d) und schliess- Sommerei von Mesh nen Ehren-
lich in eine Tochterzelle gelangt, pergii in 4 Furchungsstadien a, b,
wo wieder ein bläschenförmiger, c und d nach A. Schneider.
mit Granulationen gefüllter Kern seitliche, b polare Ansicht der
an seine Stelle tritt. Schneider Kernfigur, c späteres Stadium in
erblickt in seinen Be chenden N ne
i Durchschnürung des Eies mit der
einen schon längst erwünschten Auf- Teilung der Kernfigur. (1873, 1. c.
schluss über die Zellteilung; er Taf. V, Fig. 5b-e.)
spricht von „einer umständlichen
Metamorphose, welche der Kern (resp. Keimbläschen) hierbei
eingehen kann“ und vermutet, „dass diese Metamorphose sehr
wahrscheinlich immer dann eintritt, wenn der Kern scheinbar
verschwindet.“ (1873, I. ce. S. 113—115.) Schneiders kurze,
aber wichtige Mitteilung blieb jahrelang so gut wie unbeachtet,
da sie in einer Arbeit über Systematik und Anatomie der Plathel-
minthen und in den wenig verbreiteten Berichten der Ober-
hessischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde veröffentlicht
wurde; so hat sie erst spät die ihr gebührende Anerkennung
gefunden.
Bütschli (1873 und 1875) und Auerbach (1574) sahen
fast zu gleicher Zeit, wie im befruchteten, angeblich kernlos
gewordenen Ei von Würmern und Mollusken sich zwei neue Kerne
ce d
10 Oskar Hertwig:
allmählich bilden und bald untereinander verschmelzen. Ferner
beobachteten Bütschli und Strasburger an mehreren ge-
eigneten Objekten die Umwandlung des bläschenförmigen Kernes
in eine Kernspindel und eröffneten so die Reihe der ergebnis-
reichen Untersuchungen über tierische und pflanzliche Karyo-
kinese auf neuer Grundlage. Noch bevor indessen ihre ausführ-
lichen und mit Abbildungen versehenen Schriften (Strasburger:
Über Zellbildung und Zellteilung 1875, Bütschli: Über die ersten
Entwicklungserscheinungen der Eizelle, die Zellteilung etc. 1576)
veröffentlicht worden waren, hatte ich im März, April und Mai 1575
unabhängig von ihnen und ohne Kenntnis ihrer Arbeiten meine
Untersuchungen über die Bildung, Befruchtung und Teilung des
tierischen Eies begonnen. Ihre Veröffentlichung erfolgte noch
im Herbst 1875, sowohl als Habilitationsschrift. als auch im ersten
Band des von Gegenbaur neubegründeten morphologischen
Jahrbuchs.
Der Wunsch, mich mit den Veränderungen des Kerns im
Ei am Anfang seiner Entwicklung zu beschäftigen, war in mir
durch das Studium von Auerbachs Untersuchungen (1874. Heft 2)
wachgerufen worden, wie ich schon 1875 (l. c. S. 348) hervor-
gehoben habe. Seine Ausführung aber wurde durch einen glück-
lichen Zufall. wie er zuweilen in das menschliche Schicksal
bestimmend eingreift, ermöglicht. Am Ende des Wintersemesters
wurde ich durch raschen Entschluss veranlasst, meine Assistenten-
stelle am Anatomischen Institut in Bonn niederzulegen und an einer
zoologischen Forschungsreise teilzunehmen, welche Häckel und
mein Bruder nach Korsika anzutreten im Begriffe waren.
In Ajaccio bot sich mir für meine Zwecke ein vorzüglich
geeignetes Untersuchungsmaterial in den Eiern des am Mittelmeer
überall leicht erhältlichen Seeigels, Toxopneustes lividus, dar.
Er ist seitdem ein Lieblingsobjekt für zahlreiche Forscher geworden,
welche sich mit den ersten Entwicklungsprozessen des Eies
beschäftigen wollen, geeignet nicht allein für mikroskopische
Studien, sondern ebenso, und vielleicht noch mehr, für Experimente
zur Beantwortung physiologischer Fragen der verschiedensten Art.
Daher ist auch über das Seeigelei eine so umfangreiche Literatur
entstanden, dass sie sich nach 40 Jahren schon schwer be-
wältigen lässt.
Die in Ajaccio von mir begonnenen Untersuchungen wurden
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 14
Ende April und während des ganzen Mai in Villafranca bei Nizza
fortgesetzt, wohin mein Bruder und ich mich noch begaben, als
Professor Häckel zur Eröffnung des Sommersemesters von
Korsika nach Jena zurückkehrte. In Villafranca, wo wir vom
frühen Morgen bis zur Dämmerung an das Mikroskop gebannt
waren — mein Bruder mit seinen Untersuchungen über Radio-
larien, ich mit dem Seeigelei beschäftigt — glückte mir dann
auch die erste Entdeckung des Befruchtungsvorganges am lebenden
Ei und die genauere Feststellung seines Verlaufes an konservierten
und mit Karmin gefärbten Präparaten. Indem ich die Konser-
vierung von befruchteten Eiern in kleinen Zwischenräumen bis zur
Vierteilung vornabhm, erhielt ich zugleich Serien von einem
Untersuchungsmaterial, welches ich, zu Präparaten verarbeitet,
auch noch nach meiner Rückkehr nach Jena zu weiteren Studien
benutzen konnte.
Die verschiedenen Aufgaben, welche damals beim Studium
der ersten Entwicklungsprozesse des Eies noch ihrer Lösung
harrten, nahm ich gleich in ihrem ganzen Umfang in Angriff
und teilte daher bei der schriftlichen Ausarbeitung der Er-
gebnisse meine Abhandlung in drei Abschnitte ein, welche ich
auch meiner jetzigen historisch kritischen Besprechung zu Grunde
legen werde. Von ihnen handelt der erste: „über das Eierstocksei
und die Umwandlung desselben in das reife befruchtungsfähige
Ei“, der zweite: „über die Eibefruchtung“ und der dritte: „über
die Eifurchung“.
1. Zur Geschichte der Eireifung.
Auf manchen Umwegen und nach einer Reihe von Missgriften
ist der wahre Sachverhalt über die Eireife erst allmählich
ermittelt worden. Auch ich wurde zuerst auf einen durch die
Natur des Untersuchungsobjekts veranlassten Abweg geführt. Bei
Durchmusterung von vielen hunderten von Eiern, teils aus dem
Ovarium, teils im reifen und befruchtungsfähigen Zustand nach
der Ablage, fand ich nie ein kernloses Stadium, dagegen zwei
auftällig verschiedene Formen des Kerns (Fig. 2), entweder ein
grosses Keimbläschen mit einem einzigen Keimfleck (Fig. 2a), oder
an seiner Statt, wenn die Eier zur Befruchtung reif waren, ein viel-
mals kleineres homogenes Gebilde, das ich Eikern nannte (Fig. 2b).
Durch die Erwägungen geleitet, dass ein kernloses Stadium
12 Oskar Hertwig:
des Eies niemals beobachtet werden kann, dass der Eikern dieselbe
Grösse wie der Keimfleck besitzt und sich wie dieser nach Fixation
mit Osmiumsäure in Karmin färbt, dass ich endlich bei Durch-
musterung vieler Eierstockseier zuweilen Befunde erhielt, die
ich als Übergangsbilder glaubte deuten zu können, sprach ich
als Ergebnis meiner Untersuchungen über die Eireife die Ver-
mutung aus, dass der Eikern, der aus dem Keimbläschen frei
gewordene oder ausgewanderte Keimfleck sei, während alle übrigen
Bestandteile desselben (Membran, Kernnetz, Kernsaft) aufgelöst
werden. Die an meinem Untersuchungsobjekt gewonnene Hypothese
verallgemeinernd, stellte ich unter den Thesen, die der Habilitations-
schrift nach akademischem, in Jena herrschendem Brauch bei-
gefügt und verteidigt wurden, als dritte die These auf: „Die
Eizelle durchläuft in ihrer Entwicklung kein Monerenstadium.“
Zu dieser Annahme, durch welche ich in einen Gegensatz zu der
damals unter den Biologen vorherrschenden Ansicht trat, wurde
ich auch durch die Erwägung veranlasst, dass ein im Vergleich zum
Keimbläschen so verschwindend kleines (Gebilde, wie der Eikern,
ohne Anwendung von Kernfarbstoffen selbst in kleinen Eiern
leicht zu übersehen, in sehr grossen Eiern aber überhaupt nicht
nachzuweisen ist. Ferner wurde ich durch die im zweiten und
dritten Abschnitt meiner Untersuchung gewonnenen Ergebnisse
in meinem Standpunkt noch besonders bestärkt.
In seiner Entwicklungsgeschichte des Menschen (1861, S. 32)
hat Kölliker bei Besprechung der ersten Stadien die Alternative
aufgestellt: „Wäre der Kern der ersten Furchungskugel in der
Tat nichts anderes als das Keimbläschen oder der Kern der Eizelle,
a Fig. 2. b
Unreifes Seeigelei mit Keimbläschen aus dem Eierstock, reifes Ei mit Eikern
nach O0. Hertwigs Originalfiguren auf °/ı verkleinert. Aus 0. Hertwig
1879 Lac Targus:
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 13
so ergäbe sich ein vollständiger Zusammenhang aller zusammen-
gehörenden Generationen und wären nicht bloss die Zellen des
Embryo Abkömmlinge der Eizelle, sondern auch alle Kerne des-
selben Nachkommen des Kerns derselben. Im andern Falle
dagegen fände eine Unterbrechung der Generationen mit Bezug
auf die Kerne statt, und wäre jedes Individuum wenigstens in
dieser Beziehung vom mütterlichen Organismus unabhängig.“ Bei
Prüfung aller Beobachtungstatsachen entschied sich Kölliker
selbst für die zweite Alternative. Dagegen war ich schon damals
vom Gegenteil, von dem ununterbrochenen Zusammenhang der
Kerngenerationen im Entwicklungsprozess und von der Gültigkeit
des jetzt allgemein als gültig anerkannten Satzes „Omnis nucleus
e nucleo* fest überzeugt. Hierzu trug nicht wenig auch die
Ansicht bei, die mein Bruder und ich uns über das Wesen des
Kerns gebildet hatten, und die mein Bruder bald darauf in
seinen „Beiträgen zu einer einheitlichen Auffassung der ver-
schiedenen Kernformen“ (1876) ausgesprochen hat. Wie bei der
Zelle (Cellula) hielten wir auch bei ihrem Kern (Nukleus) nicht
die Bläschenform, sondern die in ihr enthaltene, vom Protoplasma
verschiedene Substanz für das Wesentliche. Wir nannten sie
Kernsubstanz oder Nuklein und unterschieden sie vom Protoplasma
durch ihre mikrochemischen Reaktionen, besonders durch ihr Ver-
halten gegenüber Farbstoffen, „unter denen die gebräuchlichsten,
das Karmin und das Hämatoxylin, bei richtiger Anwendung die
Kernsubstanz ausserordentlich viel rascher und intensiver imbibieren,
als das umgebende Protoplasma“ (l. ec. S. 70). Daher erblickte
ich auch im dritten Abschnitt meiner Abhandlung in dem dort
beschriebenen Verhalten des Kernes bei der Zellteilung keine
Karyolyse, sondern nur eine Kernmetamorphose, beruhend auf
eigentümlichen Umlagerungen ihrer Kernsubstanzen.
Nachdem jetzt 40 Jahre verflossen sind, kann das Endurteil
in dieser Angelegenheit wohl keinem Zweifel unterliegen. Meine
Ansicht. dass bei der Eireife die Kontinuität der Kerngenerationen
keine Unterbrechung erleidet. und dass das Ei zu keiner Zeit
ein Monerenstadium durchläuft, hat sich als durchaus richtig
erwiesen, falsch dagegen war die durch irrige Verknüpfung von
Beobachtungen gewonnene Vermutung, dass während der Eireife
der Eikern direkt vom Keimfleck des Keimbläschens, nach Auflösung
aller übrigen Bestandteile desselben, abstammt. Es war ein Trug-
14 Oskar Hertwig:
schluss, zu dem die Verhältnisse beim Seeigelei wohl leicht ver-
leiden konnten. Hatte doch, wie ich selbst nachträglich bei der
schriftlichen Ausarbeitung meiner Untersuchungen beim Studium
der einschlägigen Literatur fand, kein geringerer als K. E. v. Baer
es ebenso für sehr wahrscheinlich gehalten, dass der Kern im
reifen Seeigelei aus dem Keimfleck des Keimbläschens hervorgeht.
Auch noch andere Forscher sind bei Eiern aus verschiedenen
Tierklassen, ohne dass einer vom andern wusste, auf denselben
Gedanken gekommen, so Derbes bei Echinodermen, Leydig
bei Piscicola, Bischoff beim Kaninchen, P. E. Müller bei
der Siphonophore Hippopodius. Und auch Fol wirft bei der
Beschreibung der ersten Entwicklung eines Meduseneies (Geryonia)
die Frage auf: „Es wäre interessant zu wissen, ob der Kern
des befruchteten Eies vom Kern oder vom Kernkörperchen des
unbefruchteten abstammt, oder ob diese Gebilde bei der Be-
fruchtung verschwinden, um einer Neubildung Platz zu machen ?*
Auch die Forscher, welche sich um dieselbe Zeit mit der
Frage der Eireife beschäftigten, van Beneden, Bütschli und
Strasburger, gerieten auf Abwege, auf die sie durch ihr
gewähltes Studienobjekt und ihre Untersuchungstechnik geführt
wurden, wohl das beste Zeichen für die Schwierigkeiten, mit denen
gerade dieses Problem damals noch umgeben war.
E. van Beneden hat die ersten Entwicklungsstadien des
Eies bei Säugetieren (Kaninchen und Fledermaus) (1875) und
auch an lebenden Seesterneiern (1876) untersucht. Die an diesen
Objekten gebildeten und sehr deutlich hervortretenden Richtungs-
körper suchte er mit der Rückbildung des Keimbläschens in
ursächlichen Zusammenhang zu bringen. Durch Kombination der
Befunde, die er an konservierten, verschieden alten Kaninchen-
eiern machte, glaubte er schliessen zu müssen, erstens, dass der erste
Richtungskörper aus dem Keimfleck (corps oder plaque nucleo-
laire) entsteht und aus dem an die Oberfläche des Eies gewanderten
Keimbläschen in den perivitellinen Raum ausgestossen wird,
zweitens, dass der zweite Richtungskörper vom ersten substantiell
verschieden ist, da er sich nicht wie dieser mit Pikrokarmin
färbt; er wird daher vom Nukleoplasma und den Pseudonukleolen
des Keimbläschens abgeleitet, welche zu einem „corps nucleo-
plasmique“ verschmolzen, etwas später gleichfalls aus dem Ei heraus-
befördert werden: Zuletzt lässt van Beneden auch den Rest
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 15
des Keimbläschens, indem er sich mit der Rindenschicht des Eies
vermischt, verschwinden und auf diesem Wege das Ei infolge
der Reife, die sich unabhängig von der Befruchtung und vor
ihr vollzieht, vollständig kernlos werden. „L’oeuf redevient“
lautet das zusammenfassende Endurteil (1875 1. ec. S. 692) „un
cytode et merite le nom de Monerula qui a et@ donnd par
Häckel a l’oeuf depourvu de sa vesicule germinative.“
In einer zweiten vorläufigen Mitteilung, die durch das Er-
scheinen meiner Abhandlung veranlasst und sofort nach der
ersten veröffentlicht wurde (1876 Il. c.) wiederholt van Beneden
teils die oben besprochenen Ergebnisse, teils ergänzt er sie
durch Untersuchungen, die im April 1574 an lebenden Eiern
einer Seesternart (Asteracanthion rubens) angestellt, ihm ein
gleiches Ergebnis wie die Säugetiereier geliefert hatten. (Man
beachte hierzu auch Anmerkung 1 am Schlusse dieser Schrift,
Seite 143.)
Eine bevorzugte Stellung in der Geschichte der Eireifung
nimmt Bütschli durch seine Untersuchungen ein. Denn wenn
er damals auch bei der Formulierung seiner Gesamtergebnisse
in denselben Irrtum wie van Beneden, Auerbach und
Strasburger verfiel, so entdeckte er doch bei Behandlung
der lebenden Objekte mit Essigsäure zwei wichtige Tatsachen,
durch welche die Frage nach der Eireifung aus dem Bereich der
Hypothese wieder auf das Gebiet des Tatsächlichen zurück-
geführt wurde. Erstens beobachtete er, dass aus dem Keimbläschen
sich eine Kernspindel von derselben Art bildet, wie er sie an
verschiedenen Objekten auch bei der Teilung des Zellkerns und
bei Umwandlung des Nebenkernes der Infusorien aufgefunden
hatte. In seiner ersten Mitteilung liess er sie anfangs im
Cueullanusei wahrscheinlich aus dem Keimfleck, später aber in
seiner Hauptabhandlung aus einer Metamorphose des ganzen
Keimbläschens entstehen. Zweitens konnte er feststellen, dass die
Spindel, indem sie an die Oberfläche des Eies rückt, bei der
Bildung der Richtungskörper in hervorragender Weise beteiligt
ist (Fig. 3a). Dagegen iırte er bei der Deutung und Erklärung
dieser Prozesse, teils weil seine Beobachtungen noch unvollständig
und nur teilweise richtig waren, teils weil falsche Erwägungen
allgemeiner Art ihm das richtige Verständnis erschwerten und
ihn auf Abwege führten. Denn wie van Beneden, Fol und
16 Oskar Hertwig:
wohl alle Forscher der damaligen Zeit erblickte er in den Rich-
tungskörperchen Substanzen, die aus dem Ei als etwas Unbrauch-
bares ausgestossen werden. In seiner Abhandlung (1876) und
auch noch in einem Anhang, welchen er‘ ihr zur Besprechung
meiner 1875 erschienenen Untersuchungen über das Ei von Toxo-
pneustes hinzugefügt hat (S. 220—240), erklärt er (8. 224):
„Nach den von mir mitgeteilten Beobachtungen kann es nicht
mehr im geringsten zweifelhaft sein, dass bei den untersuchten
Objekten (Würmern, Mollusken) der Eikern — so bezeichnet
Bütschli öfters auch das Keimbläschen — nach seiner spindel-
förmigen Metamorphose aus dem Dotter hinausgetrieben wird
(Fig. 3b und Fig. 4). Aus meinen Beobachtungen muss ich diesen
Schluss ziehen und zwar finde ich in demselben keinen Anhalts-
punkt zur Annahme, dass diese Ausstossung keine vollständige
sei und dass ein Teil des Kerns im Dotter zurückbleibe.“ Zwei
Seiten später (S. 226) nimmt Bütschli indessen Gelegenheit,
diesen Ausspruch noch durch den Satz einzuschränken: „Wiewohl
meine Beobachtungen mich zu dem Schlusse führten, dass das
Keimbläschen in den von mir untersuchten Eiern gänzlich.
eliminiert wird, so habe ich dennoch kein Bedenken, auch die
Möglichkeit zuzugestehen, dass in gewissen Fällen nur ein Teil
©
a Fig. 3. b
Erste Entwicklungsvorgänge im Ei von Nephelis vulgaris nach Bütschli,
1876 1. e., Taf. I, Fig. 2 u. 3. a Austritt des Eikerns (resp. des Keim-
bläschens, das zur Kernspindel umgewandelt ist): ein exzentrisch, ziemlich
nahe der Dotteroberfläche gelegener Zentralhof mit Strahlung ist entstanden.
b Die Ausstossung des Eikerns ist vollendet, der neu entstandene Zentralhof
samt der Strahlung ist in das Zentrum des Dotters gerückt, und zwei junge
Kernchen haben sich gebildet.
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 127
desselben diesem Schicksal unterliege, der im Dotter bleibende
Rest hingegen als Kern weiter fungiere.“ Aber auch diese für
möglich erklärte Ausnahme wird wieder in Frage gestellt durch eine
noch bei der Lesung des Korrekturbogens hinzugefügte Anmer-
kung, die durch das Erscheinen von van Benedens Mitteilung
über Asteracanthion veranlasst wurde: „Ich muss hervorheben,
dass dieselbe die Tragweite der Hertwigschen Mitteilungen be-
denklich erschüttert.“ Bei der Ausstossung aus dem Ei lässt
Bütschli das zur Spindel umgewandelte Keimbläschen sich ein oder
zweimal einschnüren und dadurch die Form der Richtungskörperchen
annehmen, die sich in der Zahl von zwei oder drei, durch einen feinen
Stiel verbunden, zwischen Ei und Dotterhaut finden (Fig. 3 u. 4).
Da durch die Ausstossung des
Keimbläschens das Ei vorübergehend RN
kernlos geworden ist, sieht sich
Bütschli vor die Frage nach der Neu-
bildung des Eikerns gestellt. Er lässt
auf Grund seiner Ermittelungen „die
Neubildung immer mit einem sehr hellen, Bed
nahezu homogen erscheinenden Proto- gi von N auri-
plasma in Zusammenhang stehen, welches cularis nach Bütschli
sich unterhalb der Austrittsstelle der 1876 1. ce. Taf. IV, Fig. 6.
Richtungsbläschen an der Oberfläche des Pie Richtungsbläschen sind
Dotters anhäuft“ und das Zentrum einer en
Dotterstrahlung bildet (Fig. 4 u. Fig. 3b). anzahl kleiner Kernchen
In ihm treten mehrere Kernchen als kleine neu entstanden.
Vakuolen oder Bläschen auf, die allmäh-
lich grösser werden und sich durch Verschmelzung zum Kern der
ersten Furchungskugel vereinigen. Das homogene Protoplasma
kann sich entweder an einer oder mehreren Stellen der Dotter-
oberfläche bilden und dementsprechend können sich auch die
neuen Kerne entweder an sehr verschiedenen Stellen (Nema-
toden, Hirudineen) (Fig. 3b) oder dicht beieinander (Limnaeus,
Phallusia) bilden (Fig. 4) (1876, S. 179).
Im Gegensatz zu dem von mir eingenommenen Standpunkt
erblickt daher Bütschli in seinen ersten Abhandlungen „in den
Zellkernen Gebilde, die nicht wie die Zellen nachweislich stets
von ihresgleichen abstammen, sondern welche sich in vielen Fällen
als etwas völlig neues bilden“ (l. ec. S. 207). Nach seiner Ansicht,
Archiv f.mikr. Anat. Bd. 9%. Abt. Il. 2
18 Oskar Hertwig:
die durch seine Stellung zur chemisch-physikalischen Theorie seiner
Zeit mitbestimmt ist, „wird überhaupt der Begriff des Kerns
und damit seine Bedeutung für das gesamte Zellenleben erst dann
eine sichere und feste Gestalt annehmen, wenn es gelingt, die
chemisch-physikalischen Bedingungen seiner Entstehung und damit
auch seine Natur genau festzustellen. Rein morphologische Be-
trachtungsweise ist hier nicht mehr zulässig und wird nichts
Neues zu Tage fördern.“ (l.c. S. 197.)
Weniger glücklich als Bütschli ist Strasburger (1875)
bei seiner Untersuchung über die ersten Stadien der Entwicklung
des Phallusiaeies gewesen. Den zwei wichtigen Fragen der Rück-
bildung oder Metamorphose des Keimbläschens und der Bildung der
Richtungskörper ist er nicht näher getreten. Denn der erste Prozess
spielt sich hier schon innerhalb des Ovariums ab: Strasburger
aber beginnt seine Beobachtung erst mit der Befruchtung des reifen
Eies. Er erklärt das Ei für kernlos, da von dem ursprünglichen
Kern in ihm auch nicht die Spur mehr zu erkennen sei (18751. c.
S. 189). Die Befruchtung lässt er die Bildung eines neuen Zell-
kernes, aber erst etwa zwei Stunden nach der Vermischung der
beiden Geschlechtsprodukte, zur Folge haben (S. 192). Den neuen
Kern leitet er von der Hautschicht des befruchteten Eies ab,
worunter er die oberflächlichste, mehr oder minder körnchenfreie
Rinde im Gegensatz zu dem übrigen körnchenreichen Dotter
versteht (l. ec. S. 190— 193). In der Hautschicht wird nämlich eine
kreisförmig umschriebene und von einer Strahlenfigur umgebene
TORE Anschwellung wahrnehmbar; sie stülpt sich
a & N als Sack nach innen ein (Fig. 5), trennt sich
Ban ‘von der übrigen Hautschicht ab und wandert
in das Zentrum des Dotters, dessen neuer
' Kern sie wird. Während der Wanderung taucht
in der hellen Substanz eine kleine Vakuole
auf, zuweilen auch deren zwei. Indem dann
Fig. 5. die Vakuole sich vergrössert und ein oder
Anlage und Wande- zwei Kernkörperchen erhält, bildet schliess-
rung des Kerns im J]ich die eigentliche Kernmasse oder die ur-
befruchteten Ei von sppüngliche Rindenschicht des Eies nur noch
men die Kernwandung. Wie aus dieser Beschrei-
1875 lc. Taf. vır. bung klar hervorgeht und wie auch von
Fig. 5). Bütschli (1876, 1. c. S. 182) gleich bemerkt
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 19
worden ist, hat Strasburger „bei Phallusia den Kernhof,
das helle Protoplasma. in welchem die jungen Kernchen entstehen,
für den eigentlichen Kern gehalten, die jungen Kerne selbst jedoch
für Vakuolen innerhalb des vermeintlichen Kerns erklärt, die
schliesslich den letzteren ganz ausfüllten. Dieser Kernhof aber.
der ohne bestimmte Grenzen in das umgebende Protoplasma über-
geht, kann unmöglich als Kern betrachtet werden.“ (Bütschli,
1876, 1. c. S. 182.) In denselben Irrtum ist Strasburger auch
in seiner Beschreibung der Kernteilungsfiguren während des
Furchungsprozesses verfallen.
Strasburger hat bald darauf, schon in der 1876 ver-
anstalteten zweiten Neuausgabe seines Buches über Zellbildung,
seine Darstellung von der Kernlosigkeit und von der Neubildung
des Kerns in den reifen Eiern von Phallusia fallen lassen. Er
selbst schreibt hierüber: „Die Hertwigsche Publikation ver-
anlasste mich, die betreffenden Eier auf dem mir fraglich ge-
wordenen Punkt nochmals vorzunehmen; ich behandelte zu diesem
Zwecke meine Alkohol-Präparate nach dem Hertwigschen Vor-
bilde mit Osmiumsäure und Bealeschem Karmin, dann ausser-
dem mit Glyzerin und Karbolsäure, und das Resultat war, dass
sich auch in ihnen ein Eikern fand, der dem von Hertwig
beobachteten durchaus entsprach.“ Indem er die von mir ver-
mutete Abkunft vom Keimfleck verwirft, neigt er mehr der An-
sicht zu, „dass ein Teil des alten Keimbläschens stets im tierischen
Ei verbleibt“ (1876, 1.c.S. 304). Doch hat er nicht versucht,
eigens auf diesen Punkt gerichtete Untersuchungen bei Phallusia
oder einem andern Objekt vorzunehmen.
Die Einwürfe von Strasburger und v. Beneden gegen
meine Ableitung des Eikerns, vor allen Dingen aber die interessante
Entdeckung Bütschlis von der Umwandlung des Keimbläschens
in eine Spindel und von ihrer Verwendung bei der Bildung der
Richtungskörper veranlassten mich zu einer Ausdehnung meiner
Untersuchungen auf eine grosse Anzahl von Tieren aus den ver-
schiedensten Klassen des Tierreichs. Schon im Jahre 1876 konnte
ich eine zweite Abhandlung veröffentlichen, in welcher ich mich
mit der Reifung und Befruchtung des Eies von Hirudineen und
von Rana fusca beschäftigte. Das erste Objekt hatte ich im
Hinblick auf die oben erwähnten, ganz neuen interessanten Be-
funde von Bütschli, das zweite aber in der Absicht gewählt,
2%*
20 Oskar Hertwieg:
an Eiern von Tieren, die wie Fische, Amphibien, Reptilien und
Vögel ein Riesenkeimbläschen mit sehr vielen Keimflecken besitzen,
die Frage nach dem Schwund desselben und einem etwaigen Zu-
sammenhang mit der Neubildung des Eikerns zu prüfen. Hatten
doch Goette und Bambeke gerade bei Amphibien, Oellacher
bei Fischen und Vögeln einen vollständigen Untergang des
Keimbläschens beschrieben und zwar auf Grund von Befunden, die
sie mit der modernen Methode der Schnittechnik erhalten hatten.
Da bei Nephelis die Eier in den frisch abgelegten Kokons
bereits die Spindel gebildet haben, muss ihre Entstehung aus
dem Keimbläschen noch im Eierstock selbst vor sich gehen. Also
suchte ich sie dort zu verfolgen und wählte zu dem Zweck den
Eierstock von Haemopis, der sich leichter präparieren lässt. Wie
Fig. 6a. Fig. 6b.
—__ 8 ©” Drei Stadien (a—c) aus der ersten Ent-
> wicklung des Eies von Nephelis nach
; ©. Hertwig 1876 1. e.: a Tat Hokez
bu.c Taf. II Pige.2u3:
a ?/ı Stunde nach der Eiablage. Abschnürung
des ersten Richtungskörpers
b 2!/2 Stunden nach der Ablage. Abschnü-
rung des zweiten Richtungskörpers. Der-
selbe enthält eine Spindelhälfte, die andere
Hälfte mit ihrem Strahlenkranz liegt in der
- Eiperipherie. Das isolierte Strahlensystem
Fig. 6c. ist in das Zentrum des Eies gerückt.
c 2°/ı Stunden nach Ablage. Im zweiten
Richtungskörper und an der Eiperipherie ist ein Haufen kleiner Vakuolen
aus der Verdichtungszone jeder Spindelhälfte entstanden. Ebenso ist eine
kleine Kernvakuole im Mittelpunkt des isolierten Strahlensystems bemerkbar.
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 21
aus einer Reihe von Übergangsbildern zu erkennen ist, wandelt
sich jedenfalls das Keimbläschen nicht als Ganzes, wie Anfangs
Bütschli beschrieben hatte, in eine Kernspindel um. vielmehr
wird seine Membran aufgelöst und der Kernsaft mit dem Dotter
vermischt: gleichzeitig aber entsteht an der Stelle, wo es
schwindet, aus einzelnen seiner Bestandteile eine erheblich kleinere
Spindel. Später wandert diese an die Oberfläche des Dotters, wo sie
stets gegenüber der Anheftungsstelle des Eies am strangförmigen
Ovarium aufgefunden wird. Ihre Rolle bei der alsbald beginnenden
Bildung der Riehtungskörper studierte ich sowohl am lebenden
Objekt, als auch an konserviertem Material (1. Behandlung mit
1° Essigsäure, absol. Alkohol und Aufhellung in Glyzerin,
2. Osmiumsäure, Bealeschem Karmin und Glyzerin). Ich er-
weiterte und berichtigte die Angaben von Bütschli dahin, dass
bei ihrer Bildung, wie es schon Robin beschrieben hatte, auch
das Protoplasma des Eies sehr wesentlich beteiligt ist, indem
es sich zu einem kleinen Hügel emporwölbt, in welchen die
Richtungsspindel zur Hälfte mit aufgenommen wird (Fig. 6a). Ich
stellte fest, dass gleichzeitig die in der Mitte der Spindel gelegene
Scheibe oder Platte von Körnchen (den jetzigen Chromosomen),
die ich von der färbbaren und verdichteten Kernsubstanz ableitete,
sich in zwei Scheiben von Körnchen trennt, die gegen das Ende
der Spindel auseinanderweichen. Ich zeigte, dass der Protoplasma-
hügel sich abschnürt und die Hälfte der Spindel mit einer der
beiden Körnchenscheiben (die Tochterchromosomen der gegen-
wärtigen Terminologie) in sich aufnimmt, während die andere
Spindelhälfte in der Eirinde zurückbleibt und sich bald wieder
zu einer zweiten Richtungsspindel mit zwei Protoplasmastrahlungen
an ihren Enden ergänzt (Fig. 6b). Darauf entsteht in genau der-
selben Weise wie das erste das zweite Richtungskörperchen. Auch
hier teilt sich wieder die mittlere Körnchenplatte in die zwei
Tochterplatten, von denen die periphere in den zweiten Richtungs-
körper aufgenommen wird, die zentrale in der Eirinde zurückbleibt
(Fig. 6c). Sowohl in den beiden Richtungskörperchen, wie in der
Eirinde wandeln sich die drei Körnchenplatten in bläschen-
förmige Kerne um, in der Weise, dass die einzelnen Körnchen
(die Tochterchromosomen) durch Imbibition mit Kernsaft zu
kleinen Vakuolen anschwellen, die später untereinander ver-
schmelzen (Fig. 6.c).
IV
WW
Oskar Hertwig:
Gestützt auf diese an Nepheliseiern gemachten Beobachtungen
fasste ich das allgemeine Ergebnis dahin zusammen, „dass die
3ildung eines jeden Richtungskörpers nach Art der
Zellteilung erfolgt. Wenn wir hierzu noch weiter in Be-
tracht ziehen, dass die Teilprodukte von so ungleicher Grösse
sind, dann werden wir den Prozess genauer als Zellknospung
bezeichnen müssen.“ (1876, l. c. 5.28.) Nur ein Punkt. der
die Bildung der zweiten Spindel betrifft, war mir noch unklar
geblieben. „Nach dem gewöhnlichen Teilungsverlauf“, bemerkte ich
in meiner zweiten Abhandlung „müsste die Spindelhälfte, welche
nach der Abschnürung des ersten Richtungskörpers in der Dotter-
rinde zurückbleibt (Fig. 6a), sich zunächst zu einem homogenen
Zellkern umbilden, und dieser erst müsste wieder sich strecken
und zur zweiten Spindel (Fig. 6b) werden, welche sich bei der
Entstehung des anderen Richtungskörpers beteiligt. Ich habe
auch Präparate erhalten, welche mir für einen solchen Vorgang
zu sprechen schienen: Präparate, an denen die Körnchen der im
Fi gebliebenen Spindelhälfte sich mit Kernsaft etwas imbibiert
hatten und kleine Vakuolen bildeten. Da ich indessen die übrigen
Zwischenstadien nicht aufgefunden habe, so kann ich die andere
Möglichkeit, dass vielleicht die Spindelhälfte auf direktem Wege
zur zweiten Spindel sich ergänzt, nicht ganz von der Hand weisen.
An Objekten, die eine kontinuierliche Beobachtung gestatten, wird
sich dieser zweifelhafte Punkt leicht entscheiden lassen.“ (]. ce. S. 27.)
Ein solches Objekt lieferte mir auch bald darauf das Ei des
Seesterns (Asteracanthion): seine Untersuchung, die mir durch die
entgegengesetzten Angaben van Benedens besonders erwünscht
war, wurde mir noch in demselben Jahr durch einen Winter-
aufenthalt in Messina (1876 bis Ostern 1877) ermöglicht. Ich
konnte jetzt bei Asteracanthion, wie ich in meiner dritten, noch
1877 veröffentlichten Abhandlung berichtet habe (l. ec. S. 156):
„vom Schwund des Keimbläschens bis zur Bildung des Furchungs-
kerns Schritt für Schritt alle Veränderungen am lebenden Ei
verfolgen und durch Behandlung mit verschiedenen Reagentien
die einzelnen Stadien fixieren und genauer untersuchen, wie es
mir in keinem anderen Falle möglich war. Ich habe daher hier die
vollständigste Umwandlungsreihe erhalten.“ Bei ihrem Studium
konnte ich feststellen, dass nach der Abschnürung des ersten
Richtungskörpers die im Ei zurückgebliebene Hälfte der Strahlen-
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 23
figur sich direkt „im Laufe einer viertel Stunde wieder zu einer
Doppelstrahlung umwandelt“, dass sich in derselben Weise wie der
erste so auch der zweite Richtungskörper bildet und dass wieder
von der Doppelstrahlung die zentrale Hälfte in der Dotterrinde
zurückbleibt. Durch Fixation der lebend beobachteten Eier auf
den geeigneten Stadien und durch Färbung mit Karmin konnte
ich an einer fortlaufenden Präparatenserie ermitteln, dass wie bei
Nephelis die mittlere Körnerzone in der Spindel jedesmal während
der hügelförmigen Hervorwölbung des Protoplasmas sich in zwei
Zonen von färbbaren Nukleinkörnchen (Chromosomen der gegen-
wärtigen Terminologie) teilt, dass „diese auseinanderrücken und
auf die beiden Teilprodukte sich verteilen (Fig. 7a—c). Man
erhält daher zuletzt drei Körnchenzonen, je eine in den beiden
Richtungskörpern und eine dritte in der Dotterrinde. Diese letztere
gibt die Grundlage ab, aus der sich der Eikern entwickelt“,
und zwar so, dass sich die einzelnen Körnchen (Chromosomen)
mit Kernsaft reichlich imbibieren und zu Vakuolen werden, die
schliesslich während ihrer Vergrösserung zu einer einzigen Kern-
blase verschmelzen (l. ec. S. 166). Durch Behandlung mit Osmium-
säure, Färbung mit Bealeschem Karmin und Aufhellung durch
Salzsäureglyzerin führte ich, wie schon früher bei Nephelis, so auch
bei Asteracanthion und anderen Objekten (Mytilus) den Beweis,
dass die in der Spindel sichtbaren Körnchen aus verdichteter
Kernsubstanz oder Nuklein bestehen, welchem Flemming später
den jetzt allgemein eingebürgerten Namen Chromatin gegeben hat.
Auch habe ich an den oben aufgeführten Objekten die
Verteilung dieses „Uhromatins“ zuerst in vollkommen zutreffender
Weise für die Eireife festgestellt. Man vergleiche ausser den
schon angeführten Stellen auch Abhandl. III (l. c., 1878, S. 202).
Eio7.
Bildung des zweiten Richtungskörpers und des Eikerns von Asteracanthion
nach Oskar Hertwig, 1877, III. Abhandl., Taf. VIII Fig. 10—12.
24 Oskar Hertwie:
wo es heisst: „Während das Protoplasma sich fast vollkommen
entfärbt, bleiben die Verdichtungszonen dunkel gefärbt, so dass
sie mit ausserordentlicher Deutlichkeit zu erkennen sind. So
findet man nach der Abschnürung des ersten Richtungskörpers zwei
Kreise von fünf bis sieben aus Kernsubstanz bestehenden Kügelchen
(Chromosomen), den einen Kreis in der Mitte des Richtungs-
körpers, den zweiten unter ihm in der Eirinde (Taf. X, Fig. 5).
Nach der Abschnürung des zweiten Richtungskörpers ist die
Kernsubstanz dann weiter in drei untereinander liegende Teile
gesondert (Taf. X, Fig. 3).“
Bei meinen in Messina ausgeführten, auf viele Tierklassen
sich erstreckenden Untersuchungen über Eireife hatte ich auch
Gelegenheit, den Trugschluss aufzuklären, zu dem mich das Ei
von Toxopneustes verleitet hatte. Wie es in meiner aus Messina
Febr. 1877 datierten vorläufigen Mitteilung heisst (1577 b, l.c. S. 275),
veranlassten mich „die bei Asteracanthion erhaltenen Ergebnisse,
die Umwandlung des Eierstockseies bei den Seeigeln noch einmal
zu untersuchen. Auch jetzt glückte es mir nicht, weder an ab-
gelegten Eiern eine Spur von Richtungskörpern zu entdecken,
noch bei Zerzupfung des Ovariums und Durchmusterung zahlreicher
Präparate zwischen unreifen und reifen Eiern Entwicklungszustände
wie bei Asteracanthion aufzufinden. Ich stellte daher den Versuch
an, ob nicht vielleicht auch bei den Seeigeln der Reife nahestehende
Eier sich weiter entwickeln, wenn sie in das Meerwasser gebracht
werden. Ich legte Ovarienstücke in ein Uhrschälehen und durch-
musterte bei schwacher Vergrösserung nach einiger Zeit von
den ausgetretenen Eiern diejenigen, welche noch ein Keimbläschen
besassen. Der Versuch glückte. Bei einer Anzahl von Eiern
trat in der Tat eine Weiterentwicklung ein. Indem ich nun
solche Objekte isolierte, wurde es mir möglich, bei Sphaerechinus
brevispinosus sowohl am lebenden Ei die Umwandlung auf dem
Objektträger zu verfolgen, als auch einige Entwicklungszustände
mit Reagentien zu fixieren, und ich kann den Nachweis führen,
dass mir bei meinem früheren Untersuchungsverfahren wichtige
Umbildungsstadien nicht zur Beobachtung gekommen sind und
dass die von mir früher als wahrscheinlich hingestellte Deutung
eine verfehlte ist.“ Denn die Eireife vollzieht sich bei den See-
igeln in ganz der gleichen Weise wie bei Asteracanthion. Ihre
Richtungskörper waren von mir, wie auch von allen anderen
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 25
Forschern (C. E. von Baer, Derbes etc.), übersehen worden,
weil sie sich schon im Eierstock bilden und nach ihrer Hervor-
knospung mit dem Ei in keinem Zusammenhang bleiben, sondern
in die umgebende Ovarialflüssigkeit geraten.
Der schwierigste Punkt bei der Untersuchung der Eireife
ist onne Frage die Entstehung der ersten Richtungsspindel aus
dem Keimbläschen. Auch hier gelang es mir während meiner
weitergeführten, auf ein grösseres Material ausgedehnten Studien,
noch genauere Einblicke, als es bei Nephelis möglich war, in den
genetischen Zusammenhang. zwischen den beiden Kerngebilden
zu gewinnen, besonders bei Asteracanthion, bei Pterotrachea und
bei Phyllirho6. Asteracanthion ist ja für unsere Frage insofern
ein ganz vorzügliches Objekt, als sich hier am lebenden, im
Meerwasser isolierten Ei die Umwandlung in verhältnismässig
kurzer Zeit vollzieht und daher die einzelnen Stadien in lücken-
loser Serie nach Fixation und Benutzung von Kernfarbstoffen
genau untersucht werden können. Wie sich auf diese Weise
feststellen liess, bildet sich die Richtungsspindel an einer kleinen,
der Oberfläche des Eies zugekehrten Stelle des Keimbläschens,
an welcher eine kleine Strahlung im angrenzenden Protoplasma
auftaucht. Nach ihr wandern ausserordentlich geringe Mengen
von Kernbestandteilen hin, unter ihnen auch solche vom Keimfleck.
der hier aus zwei chemisch verschiedenen Substanzen besteht; sie
nehmen am Aufbau der allmählich deutlicher werdenden Zentral-
spindel Teil, während die Hauptmasse des Keimbläschens und ein
Teil der Macula germinativa teils zerfällt, teils sich ganz
auflöst, allmählich im Dotter verteilt und spurlos verschwindet.
Ähnliche Bilder, wie ich sie in den Fig. 1, 3, 4, 13 und 18 auf
Taf. VIII meiner Abhandlung gegeben habe, sind später auch
von Hartmann und von Retzius, von diesem an Schnitt-
präparaten, die mit den besten Färbungsmethoden behandelt und
mit den stärksten Immersionssystemen beobachtet wurden, gleich-
falls beschrieben worden.
Einen ebenso schlagenden Beweis für den genetischen
Zusammenhang zwischen Keimbläschen und Richtungsspindel fand
ich gleichzeitig während meines Aufenthalts in Messina an den
Eiern von Pterotrachea und Phyllirho&. Denn in dieser Abteilung
der Mollusken entsteht die Richtungsspindel im Innern des noch
wohl erhaltenen Keimbläschens zur Zeit, wo die Eier einzeln,
26 Oskar Hertwig:
aber zu langen Gallertschnüren untereinander verbunden, abgelegt
werden. Die Spindel (Fig. 5) entspricht hier in ihrer Länge dem
Durchmesser des verhältnismässig kleinen Keimbläschens, sie
stösst daher mit ihren Enden an die Kernmembran an, die an
diesen Stellen zuerst aufgelöst wird, und verbindet sich hier mit
zwei Strahlenfiguren, die im angrenzenden Protoplasma entstehen.
Wie die Spindelfasern können daher auch die färbbaren Körner in
ihrer Mitte (die Chromosomen) nur aus dem Inhalt des Keim-
bläschens hervorgegangen sein, während die Strahlungen dem
Protoplasma angehören. Im Hinblick auf derartig beweisende
Bilder schien mir ein Zweifel am nukleären Ursprung der Spindel
ausgeschlossen zu sein. Durch Auflösung des bei ihrer Bildung
nicht verwandten Hauptteils des Keimbläschens kommt die
Richtungsspindel direkt in den Dotter zu liegen (Fig. Sb), steigt
dann nach seinem animalen Pol empor und gibt hier zur Knospung
der Polzellen den Anstoss.
[0.e)
er
a Fig.
Keimbläschen aus dem frisch abgelegten Ei von Pterotrachea, Essigsäure-
präp. nach O. Hertwig, III. Abhandl., Tafel XI, Fig. 1u.3. a Im Keimbläschen
hat sich ein faseriger, spindelförmiger Körper gebildet, um dessen Enden das
angrenzende Protoplasma strahlig angeordnet ist. b Ein auf a folgendes
Stadium, auf welchem die Richtungsspindel durch Auflösung der Membran
des Keimbläschens frei geworden ist.
Obwohl ich jetzt auf der einen Seite die Ableitung des
Eikerns vom Keimfleck als eine falsche Deutung der bei Toxo-
pneustes gemachten Beobachtungen aufgeben musste, war ich
trotzdem durch meine erneuten und erweiterten Untersuchungen
auf der anderen Seite in den Stand gesetzt, das von mir be-
hauptete Prinzip der Kontinuität der Kerngenerationen nicht nur
aufrecht zu erhalten, sondern auch durch sichere Beobachtungen
beweisen zu können. „Wir erhalten“, hob ich in verschiedenen
Publikationen zusammenfassend hervor, „das wichtige Resultat.
[86)
u |
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre.
dass vom Keimbläschen bis zum Furchungskern ein ununter-
brochener Zusammenhang zwischen den verschiedenen Kerngene-
rationen herrscht.“ (II. Abhandl. S. 30.)
Durch meine Untersuchungen an den Vertretern der ver-
schiedensten Tierabteilungen (Echinodermen |Seesterne, Seeigel|,
Würmer [Nephelis, Sagitta], Coelenteraten [Medusen, Syphono-
phoren], Mollusken [Tellina, Pterotrachea, Phyllirho@] etc.) und
durch das Studium der einschlägigen Literatur belehrt, glaubte
ich nunmehr annehmen zu dürfen, dass auch in der Ent-
stehung der Polzellen durch Zellenknospung sich eine allgemeine
Übereinstimmung im Tierreich würde nachweisen lassen. (Siehe
Anmerkung 2 auf S. 144.)
Auch machte ich schon damals auf die auffällige und, wie
sich später zeigte, physiologisch wichtige Tatsache aufmerksam,
dass zwischen der Bildung der ersten und der zweiten Polzelle das
einer gewöhnlichen Karyokinese stets folgende bläschenförmige
Ruhestadium ausfällt und dass die im Ei zurückgebliebene halbe
Kernspindel sich auf direktem Weg in die zweite volle Richtungs-
spindel umwandelt.
Mit der in Fluss gebrachten Frage der Eireifung waren
zu derselben Zeit auch Bütschli und Fol beschäftigt. Bütschli
veränderte seine noch in den Studien 1876 festgehaltene Ansicht.
Bei der Molluske Neritina wandte er zur Untersuchung der
Richtungskörperchen jetzt auch Färbemittel an, und zwar Beale-
sches Karmin mit nachfolgender Entfärbung durch Salzsäure-
glyzerin. Auf diesem Weg konnte er jetzt gleichfalls feststellen,
dass „die Richtungsbläschen von Neritina nicht allein aus Kern-
substanz bestehen, sondern als kleine, aus Protoplasma und Kern
bestehende Zellen aufzufassen sind.“ (1877, l. e. S. 235.) Seine
frühere entgegengesetzte Deutung führte er teils auf den Einfluss von
Öllachers Lehre, teils auf die Vernachlässigung guter Färbungs-
methoden zurück und knüpfte hieran die Hoffnung, dass durch
weitere Beobachtungen die Frage der Richtungsbläschen ihrer
definitiven Lösung entgegengehen werde.“ (Siehe Anmerkung 5
auf S. 144.)
Fol hat in seinen ersten Arbeiten von den Veränderungen
am Kern, also von der eigentlichen Karyokinese, nichts wahr-
genommen und sein Interesse nur den begleitenden Strahlungs-
figuren im Protoplasma, sowohl am lebenden Objekt. als auch
28 Oskar Hertwige:
nach Behandlung mit Essigsäure, zugewandt. Auf Grund seiner
Beschreibung des Furchungsprozesses des Kies der Meduse Geryonia
(1873) nimmt er die Priorität für die Entdeckung der Protoplasma-
strahlung für sich in Anspruch, indem er bemerkt (1376, Hetero-
poden, S. 8): „Personne n’a vu et compris avant moi ces ctoiles
chez aucun &lement cellulaire vegetal ni animal.“ Hieraus ergibt
sich von selbst die Stellung, die Fol in der Bibliographie zu
seiner grossen Arbeit (1879, l. c. S. 67) ganz richtig in den
Sätzen charakterisiert: „Le corps fusiforme n’a pas attire mon
attention, de meme que les &toiles ont echapp& a Bütschli; chacun
de nous a vu une moitie des phenomenes, et nos deux observations
se completent l’une l’autre.“
In seinen Abhandlungen über Geryonia (1873), über Ptero-
poden (1875) und Heteropoden (1876) lässt Fol das Ei kernlos
sein und ebenso bei jeder Zellteilung wieder kernlos werden.
Hierbei gehen jeder Kernneubildung im Ei Protoplasmastrahlungen,
„etoiles mol&culaires“, voraus, deren Mittelpunkt als ein Attraktions-
zentrum (centre d’attraction) gedeutet wird. Zwei nebeneinander
gelegene Protoplasmastrahlungen, wie sie im Laufe jeder Kern-
und Zellteilung bei tierischen Eiern auftreten, nennt Fol einen
„Amphiaster“ („Doppelstern, Doppelstrahlung“*). Sein Standpunkt
bietet daher viel Ahnlichkeit mit demjenigen von Auerbach.
(Siehe Anmerkung 4 auf S. 145.)
Als später Fol mit der Entdeckung der Spindelfigur durch
Bütschli bekannt geworden war, suchte er sie in seiner Ab-
handlung über Heteropoden (1876) aus seinen Protoplasmastrah-
lungen zu erklären. Die Spindelfasern hielt er für nichts anderes,
als dickere Protoplasmafäden der Strahlenfigur (Heteropoden S. 8),
(„filaments de sarcode“), und auch die an ihnen beobachteten
Körner aus Chromatin erklärte er nur für Varikositäten dieser
Fäden, welche keinerlei Beziehung zu den Nukleolen des Kerns
haben. Er schlug vor, alle diese Teile mit dem Namen des
Forschers, welcher sie entdeckt hat, als „Filaments et renflements
de Bütschli“ (1376, Heterop. S. 38) zu bezeichnen.
Auch die Richtungskörper liess Fol, sowohl in seiner Ptero-
podenarbeit (1875), als auch später in der Abhandlung über Hetero-
poden, aus den Strahlenfiguren entstehen, die im Ei vor und
während ihrer Bildung auftreten. Eine Doppelstrahlung, welcher
die von ihm übersehene Richtungsspindel zugrunde liegt, be-
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre 29
zeichnete er als einen „Amphiaster de rebut“. (Vergleiche hierzu
auch Anmerkung 5 auf S. 145.)
Einen besseren Einblick in die Rolle, welche der Kern bei
der Richtungskörperbildung spielt, hat Fol erst durch weitere
Untersuchungen gewonnen, die er in Messina in den Frühjahren
1876 und 1877 an den Eiern verschiedener pelagischer Meertiere
(Asterias, Toxopneustes, Pterotrachea, Sagitta) ausgeführt und in
seinem grossen 1879 erschienenen Werk veröffentlicht hat. Dasselbe
reiht sich durch seine Ausdehnung auf viele Abteilungen des Tier-
reichs, ferner durch die Sorgfalt der Beobachtungen und durch die
zahlreichen, auf zehn Tafeln zusammengestellten mustergültigen
Figuren ebenbürtig an die wenige Jahre zuvor erschienenen Werke
von Strasburger (1875) und Bütschli (1876) an. Indessen
waren die grundlegenden Entdeckungen, von denen Fol eine
auf eigene Untersuchungen gegründete, vorzügliche, zusammen-
fassende Darstellung gibt, schon mehr oder minder geraume Zeit
vor seiner Veröffentlichung von anderen Forschern gemacht und
von ihm teils nur bestätigt, teils auch in mehreren Punkten
erweitert worden. Dementsprechend hat auch Fol selbst in seinem
Vorwort bemerkt: „Bien qu’une grande partie des resultats que
jobtins, ne soit plus nouvelle pour la science, gräce surtout aux
publieations de Bütschli und de O. Hertwig, je crois qu'il
ne sera pas inutile de les fair connaitre en entier. Ils jetteront,
je Tespere, de la lumiere sur quelques points discutes et feront
eonnaitre, ou tout au moins entrevoir, un nouvel ordre de faits.“
(1879, 1. c. S. 2.) (Vergleiche hierzu auch Anmerkung 6a, S. 145.)
Was den Reifeprozess des Eies betrifft, so kommt Fol
jetzt zu genau denselben Ergebnissen, zu denen ich auf Grund
meiner vorausgegangenen Untersuchungen am Ei von Nephelis
gelangt war. Indem er die Beobachtung des lebenden Objekts
jetzt auch durch Untersuchung der einzelnen Stadien mit Reagentien
(Osmiumsäure, Pikrinsäure), mit Farbstoffen (Karmin, Pikrokarmin)
und durch Aufhellung in Glyzerin ergänzte, überzeugte er sich,
dass in den Protoplasmastrahlungen, seinem Amphiaster, eine Kern-
teilungsfigur, die Kernspindel mit ihren chromatischen Körnern,
eingeschlossen ist und einen Kernteilungsprozess durchmacht, aus
dem dann auch der Eikern hervorgeht.
Fols Untersuchungsobjekte sind die Eier von Asterias glac.,
von Toxopneustes, von Pterotrachea, von Sagitta, auf die sich
30 Oskar Hertwig:
auch seine Abbildungen beziehen. Dasselbe Material diente gleich-
zeitig auch mir zum Gegenstand von Studien, die ich im Herbst 1876
in Messina begann und während eines sechsmonatlichen mit meinem
Bruder daselbst genommenen Aufenthaltes zu Ende führte. Damals
lernte ich zum ersten Male auch Herrn Fol kennen, der gegen
Ende des Jahres 1576 mit seiner Familie in Messina zur Aus-
führung eines gleichen Arbeitsprogramms eintraf. Da jeder von
seinen eigenen Arbeiten in Anspruch genommen war, sahen wir
uns nur selten und gelegentlich. So sind damals in Messina zwei
Paralleluntersuchungen, die zu ähnlichen Ergebnissen in sehr er-
freulicher Weise geführt haben, ganz unabhängig voneinander
entstanden. Da meine Resultate mit Abbildungen in meiner
dritten Abhandlung (1877) früher veröffentlicht wurden, hatte
Fol in seinem 1879 erschienenen Werk noch Gelegenheit, in
einem Nachtrag (supplöment bibliographique) auf sie einzugehen
und hervorzuheben: „La maturation de l’oeuf pondus, la formation
des globules polaires, la naissance du noyau femelle sont deerits
en somme d’une maniere conforme a mes propres observations.“
(l.e. S. 257.) Ich füge noch hinzu, dass auch die Entstehung der
Richtungsspindel im Innern des Keimbläschens von Pterotrachea
noch vor seiner Auflösung von Fol beobachtet und mit ähnlichen
Abbildungen (18791. c. Taf. VIII, Fig. 13—18), wie ich sie schon
früher gegeben habe (1878, II. Abhandl. 1. c. Taf. XI, Fig. 1, 3),
belegt wurde.
2. Zur Geschichte des Befruchtungsprozesses.
Dass für die Entwicklung des Eies, von den Fällen der
Parthenogenese abgesehen, die Einwirkung von Samenfäden
unbedingt erforderlich ist, galt nach den Experimenten von
Spallanzani, Leuckart u.a. als eine ausgemachte Tatsache
in der Wissenschaft. In welcher Weise aber der Samenfaden
befruchtet, blieb bis zum Jahre 1875 unbekannt. Denn die direkte
mikroskopische Beobachtung des Vorgangs, welche allein hier hätte
Klarheit schaffen können, hatte trotz vielfacher Bemühungen zu
keinem Ergebnis geführt. Allerdings hatten einzelne Forscher
sich die Samenfäden an der Oberfläche des Eies und seiner Hüllen
ansetzen sehen, andere hatten sie in dem perivitellinen Raum
zwischen Dotter und Eihaut in grosser Zahl beobachtet oder
hatten auch berichtet, dass sie im Dotter selbst einmal einen
eingedrungenen Samenfaden aufgefunden hätten. Damit aber war
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. ol
[e} ?
die kardinale Frage, was aus dem Samenfaden bei der Befruchtung
wird. noch nicht beantwortet.
Eine ausführliche Zusammenstellung der hierauf bezüglichen
Literatur findet der Leser sowohl in meiner ersten Abhandlung 1875
(1. e.. S. 390— 398), als auch besonders in Fols Monographie (1579).
Wie ich am Schluss meiner Übersicht erklärte (S. 397): „Keiner
der angeführten Forscher hat die weiteren Schicksale eines in
den Dotter eingedrungenen Samenkörpers richtig beobachtet“, so
bemerkte Fol gleichfalls in seiner Einleitung: „Malheureusement
l’observation (directe de la fecondation) n’a guere et& faite jusqu’a
ces tout derniers temps. Üette assertion &tonnera peut-etre le
leeteur; j’cprouvais en tous cas une profonde surprise, lorsqu’apres
avoir parcouru consciencieusement la bibliographie, je dus me
convaincere que les idees, qui ont cours a cet egard dans la science.
ne sont pas fonddes sur des observations bien satisfaisantes.“
Ein Fortschritt in dieser Beziehung wurde auch erschwert
durch das in der Wissenschaft herrschende Dogma, dass die Be-
fruchtung ein chemisch-physikalischer Prozess sei, dass entweder
die Samenfäden als Träger einer entwicklungserregenden, katalytisch
wirkenden Substanz durch Kontakt befruchten (Bischoff u. a.),
oder dass sie einzeln oder in grösserer Zahl mit der Dotterober-
fläche verschmelzen, sich auflösen und ihre Substanz mit dem
Eiinhalt vermischen. Auch Bütschli, Auerbach, van Beneden
und Strasburger standen noch auf diesem Standpunkt und
wurden wohl aus diesem Grund an der richtigen Deutung einiger,
später noch zu besprechender Erscheinungen verhindert.
Damit eine Entdeckung gelingt, kommt es viel auf die
geeignete, oft vom Zufall bestimmte Wahl eines dem betreffenden
Zweck dienlichen Untersuchungsobjektes an. Mir glückte es bei
meinem Aufenthalt am Meer im Frühjahr 1875 ein solches in
den Eiern des Toxopneustes lividus zu finden. „L’espece choisie
pour ces observations“ — bemerkt Fol, der meinem Beispiel
folgend bald nach mir das gleiche Objekt für seine Befruchtungs-
studien gewählt hat — „le Toxopneustes lividus, est du reste
admirablement propice a ce genre d’etudes.“ (1879, 1. c., S. 154.)
Mehrere grosse Vorzüge, wie sie selten nebeneinander gefunden
werden, vereinigen sich bei ihm.
Einmal ist es eine Tierspezies, die einen grossen Teil des
Jahres reife Geschlechtsprodukte in ungeheuren Mengen liefert
32 Oskar Hertwig:
und zugleich in jedem Ort an der Meeresküste leicht zu erhalten
ist. Männliche und weibliche Organe sind auf verschiedene In-
dividuen getrennt; eine künstliche Befruchtung kann daher leicht
ausgeführt werden, und ihre Vornahme wird noch dadurch be-
sonders begünstigt. dass sowohl die reifen Eier wie die reifen
Samenfäden in einer Weise, wie es bei sehr wenigen Objekten
der Fall ist, mehrere Stunden im Seewasser verweilen können,
ohne ihre normale Beschaffenheit und ihre Befruchtungsfähigkeit
zu verlieren. Ferner sind die Eier klein, membranlos und wegen
ihres feinkörnigen Dotters sehr durchsichtig, so dass sie mit den
stärksten Vergrösserungen nach allen Richtungen auch während
des Lebens durchmustert werden können. Sie sind leicht zu
konservieren, mit Reagentien und Farbstoffen zu behandeln, durch
welche auch färbbare Teilchen von der Grösse eines Bakterium
sich auf das deutlichste sichtbar machen lassen. Da das Eimaterial
in grosser Menge zur Verfügung steht, kann es auch zur Paraflin-
einbettung benutzt und in feinste Serienschnitte zerlegt werden.
Wegen dieser zahlreichen Vorzüge, wie sie selten vereint vor-
kommen, ist das Echinodermenei, nachdem ich die Aufmerksamkeit
auf dasselbe gelenkt habe, ein Lieblingsobjekt nicht nur für
mikroskopische Untersuchungen der ersten Entwicklungsvorgänge,
besonders des Befruchtungsprozesses, sondern auch für die ver-
schiedenartigsten biologischen Experimente geworden.
Die Befruchtung des Seeigeleies beginnt fast unmittelbar
nach der Vermischung mit der Samenflüssigkeit und hat ihren
Abschluss schon etwa nach einer Viertelstunde gefunden. Man muss
daher nicht nur rasch arbeiten, sondern auch von Anfang an
darüber orientiert sein, an welchen Erscheinungen man die Be-
fruchtung erkennen kann. Denn wenn auch die Eier klein sind,
so kann der Beobachter bei starken Vergrösserungen, die unbe-
dingt erforderlich sind, nur einen sehr kleinen Bezirk von der
Oberfläche und vom Inhalt des Eies bei scharfer Einstellung über-
blicken. Unter den zahlreichen Samenfäden, die sich ringsum an
die Oberfläche ansetzen, erhält er ein scharfes Bild natürlich
auch nur von der kleinen Zahl, die sich in der Ebene der schärfsten
Einstellung des Linsensystems befinden. Daraus erklärt es sich,
dass bei Beginn meiner Studien, trotzdem ich mich über den
Verlauf der Befruchtung unterrichten wollte, mein Bemühen ohne
Erfolg blieb. Über die Ursache meines ersten Misserfolges habe
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 33
ich mich in meiner ersten Abhandlung in folgender Weise aus-
gesprochen :
„Oftmals habe ich Spermatozoen, welche mit der Spitze ihres
Kopfes der Eihülle ansassen, längere Zeit verfolgt, ohne je einen
Fortschritt in ihrem Vorwärtsdringen bemerken zu können. Die
unausgesetzte Beobachtung der an der Eihaut anhaftenden Sper-
matozoen hat mich am Anfang meiner Untersuchungen eine Anzahl
Vorgänge ganz übersehen lassen, die bald nach der Vermischung
der Geschlechtsprodukte sich im Eidotter abspielen. «.erade diese
Vorgänge aber sind es, die uns einen tieferen Einblick in den
Befruchtungsakt gestatten. Einmal auf dieselben aufmerksam
geworden, gelang es mir später, sie an jedem Ei, auf welches ich
meine Aufmerksamkeit richtete, zu verfolgen, so dass meine Mit-
teilungen über diesen Gegenstand sich nicht auf vereinzelte und
zufällige, sondern auf zahlreich angestellte Beobachtungen stützen.
Fig. 9 a—e.
Stadien vom Befruchtungsprozess von Toxopneustes lividus nach OÖ. Hertwig
(1875, 1. c. Taf. XI, Fig. 7, 8, 10, 13, 14). a, b, c am lebenden Ei beobachtet.
d,e Nach Behandlung mit Osmiumsäure und Färbung in Bealeschem Karmin.
au. b 5 Minuten nach der Befruchtung. Einwandern des Spermakerns.
c 10 Minuten nach der Befruchtung. Ei- und Spermakern berühren sich.
d 5 Minuten, e 10 Minuten nach der Befruchtung.
Archiv f.mikr. Anat. Bd.90. Abt. II. 3
34 Oskar Hertwiege:
Da das von mir benutzte Untersuchungsobjekt so leicht zu er-
langen und bequem zu handhaben ist, so wird jeder am Meer
sich aufhaltende Forscher selbst sich von dem Vorgang der Be-
fruchtung, wie ich ihn jetzt schildern werde, überzeugen können,
obne auf erhebliche Schwierigkeiten bei der Beobachtung zu
stossen.“ (1875, S. 379.)
Wenige Minuten nach Vornahme der Besamung bemerkte
ich an dem lebenden Ei „ganz nahe an seiner Oberfläche
eine kleine helle Stelle. aus welcher die Körnchen verschwunden
sind“ und in deren Umgebung sich immer schärfer eine ausser-
ordentlich charakteristische Strahlenfigur ausbildet (Fig. 9a—c).
Bald konnte ich in dieser bei aufmerksamer Betrachtung noch
ein kleines homogenes Körperchen von fast der gleichen Licht-
brechung wie das umgebende Protoplasma erkennen. Von ihm
sah ich einige Male „noch eine zarte Linie bis zur Eiperipherie
reichen und sich hier in ein kurzes feines Fädchen verlängern,
welches in den freien Raum zwischen Dotter und Eimembran hinein-
ragte.“ Bei ununterbrochener Beobachtung desselben Eies wurde
ich dann, wie es in meiner Abhandlung beisst, durch ein inter-
essantes Phänomen gefesselt. Während die Strahlenfigur gleich
nach ihrer ersten Entstehung an Ausbreitung rasch zunimmt,
beginnt sie „mit deutlich wahrnehmbarer Geschwindigkeit sich
von der Eiperipherie zu entfernen, in der Richtung nach dem
Eikern weiter in den Dotter einzudringen, am Kern endlich an-
zulangen und sich von einer Seite an ihn anzulegen“. Auch der
Eikern verändert langsam seinen Ort. „Das Resultat dieser
Vorgänge ist, dass beide Körper sich treffen entweder in der
Eimitte oder wenigstens in ihrer Nähe.“ Hier werden sie jetzt
zusammen von der Protoplasmastrahlung eingeschlossen, die so
lange sich weiter ausbreitet, bis sie die ganze Dottermasse in
ihren Bereich gezogen hat (Fig. 9c). „Die Erscheinungen vom
Auftauchen des kleinen hellen Flecks an der Eiperipherie bis zu
seiner völligen Annäherung an den Eikern haben sich in einem
Zeitraum von etwa fünf Minuten vollzogen (1375, l. ec. S. 381).
„Um von den hier vorgetragenen Verhältnissen eine noch
sicherere Vorstellung zu gewinnen, brachte ich Reagentien in
Anwendung, von denen mir mit Meerwasser verdünnte '/ı0°/oOsmium-
säure (2—5 Minuten) und nachfolgende Färbung mit Bealeschem
Karmin die besten Ergebnisse lieferte.“ Bei diesem Verfahren
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 35
gerinnt der Dotter ganz homogen und wird nur sehr wenig ge-
schwärzt. Durch ein baldiges Einlegen in Bealesches Karmin
wird einerseits die bei Osmiumanwendung sonst eintretende Nachı-
dunkelung der Eier vermieden, andererseits werden die Kerne
rot imbibiert, während der Dotter nur sehr geringe Färbung
annimmt und daher vollkommen durchsichtig bleibt. Auf diesem
Wege konnte ich mir Färbungsbilder von überzeugender
Klarheit verschaffen“ und ermitteln, dass auch der in der
Strahlenfigur gelegene kleinere Körper sich in Karmin wie
der Eikern dunkelrot färbt (Fig. 9d und e). Ich schloss hieraus,
dass er auch aus Kernsubstanz besteht, dass sich mithin in der
Eizelle zwei Kerne, ein grösserer und ein kleinerer, befinden.
Da sich dann weiter durch die Färbungsmethode auch die Ver-.
schmelzung der aufeinander zugewanderten Kerne erweisen liess,
ergab sich für mieh „die wichtige Tatsache, dass der unmittelbar
vor der Furchung in der Eizelle vorhandene Kern, um welchen
die Dotterkörnchen in Radien angeordnet sind, aus der Kopulation
zweier Kerne (Fig. 9e) hervorgegangen ist“ (1875, l. c. S. 383).
Zur Deutung der so bemerkenswerten Erscheinungen über-
gehend, die ich bei unzähligen, in mehreren Wochen täglich aus-
geführten Befruchtungen an vielen hundert Eiern stets in genau
der gleichen Weise beobachten konnte, bemerkte ich in meiner
ersten Abhandlung: „Schon der Umstand, dass alle die besprochenen
Veränderungen mit Konstanz fünf bis zehn Minuten nach der Ver-
mischung der Geschlechtsprodukte in fast allen Eiern auftreten,
lässt den sicheren Schluss zu, dass wir es mit einem durch
die Befruchtung hervorgerufenen Vorgang zu tun
haben. Da ich nun sogar in einigen Fällen von dem an der
Eioberfläche gelegenen kleinen Kern eine zarte Linie nach der
Dotterperipherie habe verlaufen und sich über dieselbe in ein
kleines Fädchen verlängern sehen, so trage ich nicht das geringste
Bedenken, die ganze Erscheinung direkt von dem Eindringen
eines Spermatozoon in den Dotter abzuleiten. Der in den
homogenen Plasmaansammlungen liegende kleine Kern ist alsdann
der Kopf oder der Kern des eingedrungenen Spermatozoon. Zum
Unterschied von dem Eikern werde ich daher denselben auch
fortan nach seiner Abstammung als Spermakern (oder Samenkern)
bezeichnen® (l. c. S. 384). Die Strahlenfigur, welche sich
unmittelbar nach dem Eindringen um den Kopf des Samenfadens
3*+
36 Oskar Hertwig:
bildet, erklärte ich aus einer Reizung, die er auf das Ei ausübt.
Der Samenkern schien mir auf das homogene Protoplasma im
Dotter eine Anziehung auszuüben und so als Attraktionszentrum
zu wirken. Vom Schwanz des Samentierchens aber sprach ich die
Vermutung aus, dass er entweder unmittelbar beim Eindringen
in den Dotter oder während der nachfolgenden Wanderung auf-
gelöst werde.
Meine am Seeigelei gemachte Entdeckung bezeichnete ich
als einen tieferen Einblick in das Wesen der Be-
truchtung (S. 386). Denn „wenn man früher die Befruchtung
einfach auf eine Kopulation zweier Zellen zurückführte, so haben
wir jetzt erkannt, dass der wichtigste Vorgang hierbei
die Verschmelzung der beiden Zellkerne ist.“ Daher
stellte ich auch in meiner Habilitationsschrift als erste These den
Satz auf: „Die Befruchtung beruht auf der Verschmelzung von
geschlechtlich differenzierten Zellkernen.“
In meiner Darstellung des Befruchtungsprozesses befand sich
noch eine Lücke, auf welche ich in meiner Abhandlung aufmerksam
zu machen nicht unterlassen habe. Ich habe damals den Akt
des Eindringens eines Spermatozoon in den Dotter nicht unmittelbar
beobachtet. Mit Recht konnte ich aber wohl die Bemerkung hinzu-
fügen, dass diese Lücke gegen die von mir gegebene Deutung
nicht schwer in die Wagschale fällt (l. c. S. 384). Denn es sei
mir nur nicht geglückt, „unter den vielen am Ei haftenden
Spermatozoen gerade im geeigneten Moment auf den glück-
lichen Eindringling das Mikroskop einzustellen; erst durch
die Veränderungen, die er im Ei hervorrief, wurde ich auf den
Ort des Eintritts aufmerksam gemacht“ (S. 385). Daher habe
ich auch in meiner ersten und den beiden nachfolgenden Schriften
meine Theorie der Befruchtung, dass ein Samenfaden in das Ei
eindringt und sein Kopf zu einem Samenkern wird, der mit dem
Eikern kopuliert, nicht als eine Hypothese, sondern als das Er-
gebnis wirklich beobachteter Tatsachen behandelt. Hierbei konnte
ich mich sowohl auf einen experimentellen als auf einen mikro-
skopischen Beweis stützen. Der erstere lehrt, dass jede künstlich
ausgeführte Besamung an allen für derartige Beobachtungen
geeigneten Eiern das Auftreten einer einzigen Strahlenfigur in
der Dotterrinde in ebenso sicherer Weise wie der Blitz den Donner
zur unmittelbaren Folge hat. Der mikroskopisch an Osmiumkarmin-
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 37
präparaten geführte Beweis aber lässt erkennen, dass die Proto-
plasmastrahlung durch ein kleines Körperchen hervorgerufen wird,
welches etwa die Grösse und Form und die gleiche Färbbarkeit
in Karmin wie die Köpfe der an der Dotterhaut sitzenden Samen-
fäden besitzt, mithin aus Kernsubstanz besteht, sich durch
Imbibition mit Saft allmählich vergrössert und zu einem bläschen-
förmigen Kern umwandelt.
Nach meiner Entdeckung beim Seeigel lag es nahe, dass ich
das Auftreten zweier Kerne und ihre Verschmelzung, welche schon
vor mir Warneck, Bütschli und Auerbach bei Mollusken
und Würmern beobachtet hatten, jetzt gleichfalls mit dem
Befruchtungsprozess in Zusammenhang brachte und wie bei Toxo-
pneustes erklärte. Ausserdem aber war ich in den Jahren 1876
und 1877 selbst weiter bemüht, die allgemeine Gültigkeit der
Entdeckung für das ganze Tierreich durch ausgedehntere Unter-
suchungen zu erweisen. Zu dem Zwecke studierte ich die Eireife
und den Befruchtungsprozess bei Nephelis und bei Amphibien,
beim Seestern. bei Sagitta, bei verschiedenen Abteilungen der
Mollusken. wie bei Tellina, Cardium, Mytilus — bei Tiedemannia
und Cymbulia —, bei Pterotrachea und Phyllirhoe. Überall fand
ich dasselbe Ergebnis mit einigen Variationen, von denen die bei
Cymbulia und Tiedemannia sowie bei Rana fusca beobachteten
das meiste Interesse besitzen. In den Eiern von Oymbulia und
Tiedemannia (Fig. 10a und b) sah ich bald nach der Befruchtung
.)
L
E
8
a Fig. 10. b
Eier von Tiedemannia Neap. Nach dem lebenden Objekt gezeichnet. Nach
0. Hertwig. a Ein Stück vom animalen Pol, in welchem Ei- und Samen-
kern (e und s) eben als kleine Vakuolen bemerkt werden. Vom Samenkern
geht ein feiner Faden (f) aus (III. Abhandl., Taf. XI, Fig. 9). b Das ganze
Ei mit konjugiertem Ei- und Samenkern. Von diesem geht ein vielfach
gewundener feiner Faden (f) aus (Taf. XI, Fig. 5).
38 Oskar Hertwig:
bei Beobachtung des lebenden Objektes von dem als kleines
Bläschen eben sichtbar werdenden Samenkern einen sehr langen,
in viele Windungen gelegten, gut erhaltenen Geisselfaden aus-
gehen, aus dem protoplasmatischen in den dotterhaltigen Abschnitt
des Eies eintreten und sich hier zwischen den grossen Dotter-
kugeln der Wahrnehmung entziehen. „Es scheint mir“, bemerkte
ich damals in meiner dritten Abhandlung (1878, l. c. S. 206),
für den im befruchteten Ei entdeckten Faden „keine andere
Erklärung möglich zu sein, als dass er der Geisselfaden des in
das Ei eingedrungenen Spermatozoon ist. Hierfür spricht auch die
Untersuchung reifer Spermatozoen aus der Samenblase. Dieselben
sind von ganz ausserordentlicher Länge, so dass sie bei starker
Vergrösserung zahlreiche Gesichtsfelder einnehmen. Sie gleichen
hierin dem vielfach geschlängelten Faden im Ei“. So habe ich den
ersten Fall beschrieben, den Kostanecki (1896 1. c.) bei einer
anderen Molluskenart bestätigt und ebenfalls abgebildet hat, dass
ein Samenfaden, der den Durchmesser des Eies an Länge vielmals
übertrifft, vollständig in das Ei eindringt und sich im Protoplasma
bis über die Zweiteilung hinaus erhält. während aus seinem Kopf
der Samenkern entsteht. Eine entsprechende Entdeckung ist bei
Ascaris megalocephala erst sechs Jahre später durch Schneider,
Nussbaum und van Beneden gemacht worden.
Die andere von mir bei den Amphibien beobachtete Eigen-
tümlichkeit des Befruchtungsprozesses (Fig. 11a und b) hängt
mit der Pigmentierung des animalen Eipoles zusammen. Schon
1576 war von van Bambeke gefunden worden, dass infolge der
Besamung eine kleine Grube, das ‚‚trou vitellin“, in der Pigment-
yinde des animalen Poles auftritt und dass an Schnittpräparaten
eine kleine Pigmentstrasse von ihr ausgeht, in deren erweitertem
Ende ein heller Raum mit einem kleinen, nukleolusartigen Gebilde
eingeschlossen ist. Mit Recht hat van Bambeke damals das
„trou vitellin“ und die Pigmentstrasse auf das Eindringen eines
Samenfadens in den Dotter zurückgeführt; infolge meiner Ent-
deckung des Befruchtungsprozesses beim Seeigel hat er dann die
terminale Erweiterung der Pigmentstrasse der von der Oberfläche
einwandernden Strahlenfigur des Seeigeleies und das nukleolus-
artige Gebilde darin dem Spermakern verglichen; doch hält
er es bei seinem Untersuchungsobjekt im Anschluss an die damals
herrschende Meinung für das Wahrscheinlichste, dass der Samen-
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 39
faden in der Pigmentstrasse sich bald ganz auflöst und mit dem
umgebenden Protoplasma vermischt, dass daher der Furchungskern
später neu gebildet wird. Hier konnte meine Untersuchung (II. Ab-
handl.1.c.S. 44)ergänzend und berichtigend eingreifen; denn ich wies
nach, dass am Ende der Pigmentstrasse, die den Weg des eingedrunge-
a Fig. 11. b
Ausschnitte aus dem Ei von Rana fusca von OÖ. Hertwig. a 1 Stunde
nach der Befruchtung mit der Pigmentstrasse, an deren Ende der Samenkern
liegt (II. Abhandl. 1. c. Taf. IV, Fig. 2). b 2 Stunden nach der Befruchtung.
Am Ende der tiefer eingedrungenen Pigmentstrasse liegt neben dem grösser
gewordenen Samenkern ein gleich grosser Eikern (Taf. IV, Fig. 5).
nen Samenfadens bezeichnet (Fig. 11a), nicht nur ein deutlicher.
bläschenförmiger Samenkern liegt, sondern auch als solcher erhalten
bleibt, sich allmählich stark vergrössert und auf einen zweiten,
gleichgrossen Kern zuwandert, der in einiger Entfernung von ihm
und ohne Pigmenthülle im Dotter gefunden wird. Auch hier ver-
binden sich schliesslich Eikern und Samenkern miteinander (Fig. 11b)
und verschmelzen. Die Abstammung des Eikerns aus dem Inhalt
des Keimbläschens, die ich vermutete, konnte damals von mir
wegen der grossen Schwierigkeiten der Untersuchung noch nicht
nachgewiesen werden; erst viel später ist auch dieser Punkt
zugleich mit der Entdeckung der Richtungskörper bei den
Amphibien durch die vortrefflichen Untersuchungen von Oskar
Schulze, Fick, Carnoy und Lebrun aufgeklärt worden.
(Siehe auch Anmerkung 2 auf Seite 144.)
Wie schon früher (S. 36) erwähnt, enthielt meine Entdeckung
des Befruchtungsprozesses noch eine Lücke, die beseitigt werden
musste, um den höchsten Grad der Sicherheit zu erlangen, wie ihn
die Naturwissenschaft anstrebt. Der unmittelbare Akt. des Ein-
dringens einesSamenfadens.in dasEi war selbst noch nicht beobachtet
worden. Es ist das besondere Verdienst von Fol, ein Jahr nach
Veröffentlichung meiner Entdeckung und im Anschluss an dieselbe,
40 Oskar Hertwig:
durch eine vorzügliche Untersuchung die Beweiskette an diesem
Punkte geschlossen zu haben (siehe Anmerkung 6b). Seine Unter-
suchungsobjekte waren die von mir benutzten, Toxopneustes liv.
und Asterias gläc. Mit Nachdruck betont Fol die Schwierigkeiten,
die er zu überwinden hatte, um sein Ziel zu erreichen: „La
difficulte, bemerkt er, „que j’eprouvai ä voir directement sous
le microscope la r&eunion du zoosperme a l’ovule, dans des
conditions normales, fut si grande que je ne pus y reussir
qu’apres des mois d’efforts infructueux. Aussi ne puis-je
m’etonner beaucoup lorsque je m’apercois par une etude soigneuse
de toute la bibliographie du sujet, qu’a une ou deux exceptions
pres — et ces exceptions memes sont douteuses, personne n’a
encore observe avant moi cette penetration physiologique chez
aucun animal.“ (1879, 1. ec. S. 87, 88.) Um zum Ziel zu ge-
langen. findet er den Gebrauch eines von ihm konstruierten
Kompressoriums für unerlässlich. Auf die untere Platte desselben
brachte er einen verdünnten Samentropfen, auf die gegenüber
gelegene Stelle an der unteren Fläche der oberen Platte einen
Tropfen Meerwasser mit Eiern. Durch Annäherung der beiden
Glasplättchen führte er die Vermischung der Eier und Samenfäden
herbei und konnte mit diesem Hilfsmittel bei sofort einsetzender
Beobachtung (Fig. 12a—c) das fast unmittelbar nach der Ver-
mischung erfolgende Eindringen eines Samenfadens in das Ei
verfolgen, die Bildung eines cöne d’attraction oder, wie ich ihn
später nannte, eines Empfangshügels an der Stelle, wo sich ein
Samenfaden dem Ei am nächsten genähert hat, das Einbohren
Fig. 12 a—c.
Kleinere Abschnitte von Eiern von Asterias glacialis. Nach Fol. (1877,
Commencement de l’henogenie Fig. 14, 16, 18.)
a, b, ce drei verschiedene Stadien vom Eindringen eines Samenfadens in das Ei.
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 41
des Kopfes, die Abhebung einer Membran, welche zuerst an der
Eintrittsstelle erfolgt und sich rasch über die ganze Oberfläche
des Dotters ausdehnt (Fig. 12e).
Die Entstehung der Strahlenfigur in der Eirinde, ihre Ver-
grösserung und Wanderung bis zum Eikern behandelt Fol
weniger ausführlich; die von mir hierüber gegebene Darstellung
bezeichnet er als „un expose coneis, clair et parfaitement exact“.
(1879 1. c. S. 155.) Auch er behandelt die verschiedenen Stadien der
Befruchtung mit Reagentien (Essigsäure, Osmiumsäure und Beale-
schem Karmin) und weist mit ihrer Hilfe als Mittelpunkt der
Strahlung ein kleines, färbbares Körperchen auf, von dem er
bemerkt: „C'est le corps (S. 101) du zoosperme facile-
ment reconnaissable a la teinte foncee que lui a
donnee lecarmin;la comparaisondecetelementmäle
avec ceux qui se trouvent en grand nombre dans la
preparation, autour desoeufs, nelaisse aucun doute
sur la nature; car l’aspect de tous est identique,
Sil’on pouvaitencoreconserverquelque incertitude,
elle sevanouirait a l’aspect de la queue dont ce
corps conique est surmont6 et qui est tres visible
tant que la preparation n’est pas trop ancienne.“
Fol gebührt die Priorität, das Eindringen des Samenfadens
in das Ei, die Bildung des Empfängnishügels. die Abhebung der
Membrana vitellina auf das Genaueste verfolgt zu haben, und
zwar an einem Objekt, an welchem die Beobachtung dieses
Anfangsstadiums der Befruchtung als eine recht schwierige be-
zeichnet werden kann. Wenige Jahre später sind wir in den
Eiern von Ascaris megalocephala mit einem sehr viel günstigeren
Objekt bekannt geworden; das Eindringen des Samenkörpers in
das Ei ist hier so leicht zu verfolgen, dass ich es im embryo-
logischen Unterricht schon oft an Kurspräparaten den Studenten
habe demonstrieren können.
Wenn Fol in der Beobachtung des Tatsächlichen im all-
gemeinen zu denselben Ergebnissen wie ich in meinen drei
Abhandlungen gelangt ist und zugleich eine Lücke in der Be-
schreibung des Eindringens des Samenfadens in das Ei ausgefüllt
hat, so ist er in der Erklärung des Befruchtungsprozesses und in
dem Versuch eine Theorie der Befruchtung aus seinen Beobach-
tungen abzuleiten, zu einem anderen Endergebnis gelangt.
42 Oskar Hertwig:
Während durch alle meine über einen längeren Zeitraum aus-
gedehnten Untersuchungen wie ein roter Faden das Bemühen
hindurchläuft, eine Kontinuität der Kerngenerationen von Zelle
zu Zelle nachzuweisen und das Wesen der Befruchtung in einer
Vereinigung zweier Kerne zu erblicken, von denen der eine von
mütterlicher, der andere von väterlicher Seite herrührt, weswegen
ich sie auch als Ei- und Samenkern benannte, wird Fol von
dem Bestreben geleitet, die Protoplasmastrahlungen, seine centres
d’attraction, zum Mittelpunkt seiner Theorie zu machen und
kein Gewicht auf die Kontinuität der Kerngene-
rationen zu legen. Indem er die schon früher erschienenen
Angaben von Kölliker, Schweiger-Seidel und La Valette,
nach denen der Kopf des Samenfadens aus dem Kern einer Samen-
bildungszelle entsteht, nicht berücksichtigt, glaubt er aus neueren
Untersuchungen schliessen zu müssen, dass der Kern der Samen-
mutterzelle in die Zusammensetzung des Samenfadens nicht mit
eingeht, dass dieser daher aus Zellprotoplasma nach Ausschluss der
Kernsubstanz gebildet wird (1879, 1. e. S. 251). Von dem Kern,
der in der vom eingedrungenen Samenfaden hervorgerufenen
Strahlung beobachtet wird, erklärt er, dass er aus einer Ver-
mischung vom Spermakopf. mit dem homogenen Protoplasma
(sarcode vitellaire) im Strahlenzentrum entsteht.
„Ce pronucleus, qui a tous les characteres d’un veritable
novau, est donc form‘ par TYalliance de deux protoplasmes
qui n’ont subi aucun melange avec la substance de noyaux
preformes. Le pronucl&eus mäle ne descend ä aucun
titre, pas m&me en partie, d’un noyau plus ancien; il
est de formation nouvelle.“ (S. 252.) Aus der Verschmelzung
von Samenprotoplasma mit Dotterprotoplasma entstehe ein Kern-
körper, welcher eine Menge von Eigenschaften besitze, die dem
isolierten Samenfaden fehlen. (S. 261.) Vom Eikern gibt Fol
zwar zu, dass er von einem Rest der Substanz des Keimbläschens,
welche bei der Bildung des zweiten Richtungskörpers in der
Eirinde zurückbleibt, anfänglich abstammt, fügt aber hinzu, dass
die Menge dieser Substanz sehr klein ist und sich erst durch Auf-
nahme von homogenem Protoplasma (sarcode vitellin) aus dem
Zentrum der Strahlung erheblich vergrössert. „Bref, le pronucl&us
femelle est un alliage d’une tr&s petite quantit& de substance
derivee de la vesicule germinative avec une grande quantite de
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 43
protoplasme eellullaire.“ Überhaupt lässt Fol bei jeder Zellteilung
die Tochterkerne nur zum kleineren Teil vom alten Kern, in
der Hauptmasse aber vom homogenen Protoplasma der Strahlen-
figur ihren Ursprung nehmen.
Indem in dieser Weise Fol bemüht ist, das Protoplasma zur
Grundlage auch für die Erklärung der Befruchtung und der
Kernteilung zu machen, schliesst er seine Abhandlung mit einer
„Theorie &lectrolytique des mouvements protoplasmiques“, auf
welche einzugehen ausserhalb meiner Aufgabe liegt.
Die von Fol eingeschlagene Richtung zur Erklärung des
Befruchtungsprozesses hat keine Nachfolger gefunden.
Da es sich bei biologischen Theorien meist um die Zu-
sammenfassung vieler Tatsachen unter einen einheitlichen Gesichts-
punkt handelt, kann es nicht überraschen und spricht nur für
die Wichtigkeit des Gegenstandes, dass von einigen Seiten
Prioritätsansprüche geltend gemacht worden sind. Sie wurden
in der Hauptsache darauf begründet, dass vor Beginn der Ent-
wicklung im befruchteten Ei zwei oder mehr Zellkerne und eine
Verschmelzung derselben in verschiedenen Tierabteilungen schon
vor meiner Abhandlung über Toxopneustes beobachtet worden
waren, so schon von Warneck (1850) bei Mollusken, von
Bütschli bei verschiedenen Wirbellosen, von Auerbach bei
Ascaris nigrovenosa, von van Beneden bei Säugetieren. An
der Richtigkeit der Beobachtungen selbst. auf die schon früher
hingewiesen wurde, ist nicht zu zweifeln; um aber hierauf einen
Prioritätsanspruch auf eine Befruchtungstheorie begründen zu
können, kommt es doch vor allen Dingen darauf an, inwieweit
und in welcher Weise die in Frage kommenden Forscher überhaupt
die beobachteten Erscheinungen mit der Befruchtung in Zusam-
menhang gebracht und zu ihrer Erklärung benutzt haben. Das
in der Literatur vorliegende Aktenmaterial gestattet eine klare
Antwort hierauf zu geben:
Warneck scheidet von vornherein aus der Erörterung aus.
Denn man kann höchstens, wenn wir uns einem Urteil von Fol an-
schliessen wollen, von ihm sagen: „S’il n’a pas compris la signification
veritable de ces noyaux par rapport a la fecondation, il est tout au
moins le premier observateur qui les ait vus; sa description ren-
ferme tout ce qu’il est possible de voir sans l’aide des r6actifs chez
des oeufs mediocrement favorables* (Fol 1879, ]. e. S. 131.)
44 Oskar Hertwige:
Bütschli, der die Verschmelzung von Kernen im lebenden
Ei am häufigsten und bei verschiedenen Tieren beobachtet hat,
kommt im vierten Kapitel seines Buches, das seine „allgemeinen
Betrachtungen und Rückblicke“ gibt. zu dem Endergebnis, dass
der Kern der ersten Furchungskugel durch eine Neubildung ent-
steht und zwar aus ganz minutiösen, eben noch bemerkbaren
Anfängen (1876, 1. c. 5.179. Man beachte ferner die Anmerkung 7,
S. 146 dieser Schrift).
Im übrigen hat sich Bütschli selbst noch in einem An-
hang seines 1876 herausgegebenen Werkes (l. c. S. 225) zu meiner
ersten Abhandlung, da sie schon Ende 1875 erschienen war, in
folgenden Sätzen geäussert: Ich komme nun zu dem wichtigsten
Abschnitt der Hertwigschen Arbeit, nämlich dem eigentlichen
Akt der Befruchtung. — Wie man aus dem betreffenden Kapitel
meiner Abhandlung, das ohne Kenntnis der bezüglichen Arbeiten
Strasburgers und Hertwigs.gesehrieben worden ist, ersehen
haben wird, hatte ich mir auch schon die Frage aufgeworfen,
ob nicht die sich neubildenden Kerne der ersten Furchungskugel
von dem Kern des Spermatozoon abzuleiten seien, und die Ver-
gleiche, welche sich in dieser Hinsicht zwischen dem Befruchtungs-
vorgang und dem Konjugationsprozess der Infusorien ziehen liessen,
waren nicht ungeeignet, die Frage in bejahendem Sinne zu ent-
scheiden.“ „Es fehlte jedoch meiner in dieser Arbeit vermutungs-
weise ausgesprochenen Ansicht über die Schicksale des oder der
Spermatozoen die tatsächliche Begründung, welche nun durch
Hertwigs Untersuchung in einer Weise gegeben wurde, die, wenn
auch noch nicht vollkommene Sicherheit, so doch sehr grosse Wahr-
scheinlichkeit besitzt. Ich halte es daher für nahezu sicher er-
wiesen, dass, nach dem Verschmelzen des oder der Spermatozoen
mit der Eizelle, der Spermakern eine Weiterbildung erfährt und
zu der Bildung des ersten Furchungskerns beiträgt: in welcher
Weise dies geschieht. wird nun der Gegenstand unserer weiteren
Betrachtung sein müssen. Hertwig fällt hinsichtlich des
Nachweises dieses Vorganges alles Verdienst zu,
welches demjenigen allein gebührt, der einen Vor-
gang zum ersten Mal wirklich nachweist, gegenüber
denjenigen, die ihn vermutungsweise, als wahrschein-
liches Produkt blosser Überlegung, erschlosssen
haben.‘ .(l..e. 8.225) |
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 45
Auch nach Kenntnisnahme meiner Toxopneustes-Abhandlung
bemerkt Bütschli von den beiden Kernen, welche er zuerst in
dem Ei kleiner, freilebender Nematoden entstehen sah, dass sie,
wie auch Auerbach bestätigte, nicht die geringste Differenz
zeigen und in ganz gleicher Weise entstehen. „Es liege also
vorerst gar keine Berechtigung vor, im Sinne Hertwigs den
einen derselben als Eikern, den anderen als Kern des Spermatozoon
zu deuten.“ (l. c. S. 228.)
Auch Auerbach ist nicht auf diese Deutung gekommen,
obwohl er eine vorzügliche Beschreibung von dem ersten Auf-
treten der beiden Kerne, von ihrer Wanderung und Verschmelzung
im Ei von Ascaris nigrovenosa (1874) gegeben hat. Als Vertreter
der Karyolvse lässt er eine Zeitlang das reife Ei vor Beginn der
Ontogenese kernlos sein. Über die Neuentstehung der beiden
Kerne, die an den entgegengesetzten Polen des langgestreckten
Eies vor sich geht, macht er die Bemerkung: „Das Material des
einen Polarkernes stammt aus der vorderen Eihälfte, an welcher
die befruchtenden Zoospermien eingedrungen waren; —
der andere Kern stammt aus der hinteren, in jeder Beziehung
weniger gut bedachten Eihälfte“ Durch ihre Ver-
schmelzung lässt Auerbach diese Differenzen ausgeglichen werden
und bemerkt hierzu: „Nach dieser Auffassung ist das Bedürfnis
zu diesem ganzen Komplex von Leistungen wesentlich durch
diebesondereBeschaffenheit der befruchteten Nema-
todeneier bedingt, nämlich durch ihre längliche Gestalt und
durch die eigentümlichen Verhältnisse beim Befruchtungsakte,
indem sie, durch einen engen Kanal sich durchzwängend, zunächst
nur ihre vordere Polargegend den Zoospermien darbieten.“
Auerbach fasst daher den von ihm beobachteten Prozess nicht
als einen allgemeinen, für das ganze Tierreich gültigen auf, son-
dern sieht in ihm nur einen einzelnen Spezialfall des von ihm
untersuchten Nematodeneies. (Zur Prioritätsfrage verweise ich
auch auf Anmerkung S auf S. 147.)
Da Strasburger zuerst den Nachweis geführt hat, dass auch
im Pflanzenreich bei einigen von ihm untersuchten Arten der
Befruchtungsprozess in gleicher Weise wie im Tierreich auf der
Vereinigung des Eikerns mit einem durch den Pollenschlauch ein-
geführten Samenkern beruht. sei noch in einigen Sätzen auf
das Verhältnis von seinen und meinen Untersuchungen ein-
46 Oskar Hertwig:
gegangen. In seinem berühmten 1375 erschienenen Werk über
Zellbildung und Zellteilung, welches für die Karyokinese im
Pflanzenreich grundlegend ist, hat Strasburger das Problem
der Befruchtung noch nicht berührt. Erst nachdem
meine Abhandlung 1875 erschienen war, hat er seiner ein Jahr
später veranstalteten zweiten Auflage (1576) ein besonderes Kapitel:
Die Befruchtungsvorgänge und ihr Verhältnis zur Zellbildung und
Zellteilung, hinzugefügt.
Seine Ansichten haben im Laufe der Jahre mehrfach ge-
wechselt. Von den neuen Untersuchungen auf tierischem Gebiet
durch schriftlichen und mündlichen Verkehr mit Bütschli und
mit mir unterrichtet (Näheres in Anmerkung 9, S. 147), hat er
auf der Naturforscherversammlung in Graz (September 1875) zwei
Vorträge „über Vorgänge bei der Befruchtung“ in der botanischen
und in der zoologischen Sektion gehalten und in ihnen eine ver-
mittelnde Stellung zwischen Bütschli und mir eingenommen.
(Vergleiche Anmerkung 10, S. 147.)
Bald darauf hat Strasburger in der zweiten Auflage
seines Werkes (1876) seine ursprünglichen Angaben über die ersten
Entwicklungsvorgänge im Ascidienei berichtigt, nachdem er seine
Alkoholpräparate nach meiner Methode noch mit Osmiumsäure
und Bealeschem Karmin nachbehandelte (1576, 1. ce. S. 302).
Das Vorhandensein eines Eikerns konnte jetzt noch nachgewiesen
und hierauf die Vermutung ausgesprochen werden, dass ein Teil
des alten Keimbläschens stets im tierischen Ei verbleibt (S. 301).
Auch der 1Yg2—2 Stunden nach der künstlichen Vermischung der
Geschlechtsprodukte auftretende Spermakern wurde jetzt auf-
gefunden (S. 306). Während so Strasburger auf der einen
Seite meine das Seeigelei betreffenden Angaben bestätigte, glaubte
er auf der anderen Seite nicht, „dass es bei der Befruchtung auf
den Kern des Spermatozoiden als solchen ankommt, vielmehr nur
auf die Substanz desselben.“ „Für Phallusia hält er es (im
Gegensatz zu der von mir gegebenen Darstellung) für durchaus
denkbar, dass die Substanz der Spermatozoiden durch die Eihülle
diffundiere und in den Dotter eindringend sich zum Sperma-
kern sammle, was hier an der Stelle, wo der Eikern liegt, zu
geschehen hätte.“ (l. c. S. 307.) Infolgedessen erklärte er sich
auch mit van Benedens Darstellung der Befruchtung bei Säuge-
tieren insofern einverstanden, dass es bei der Befruchtung „nicht
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 47
um die Kerne der Spermatozoiden als morphologische Elemente,
sondern um die Substanz dieser Kerne als physiologisches Element
zu tun sei.“ Analoge Vorgänge bei den Pflanzen glaubt er für
diese Auffassung ins Feld führen zu können. Denn in das kern-
haltige Ei der Farne werde der ganze Körper des Spermatozoiden
aufgenommen; dieses Spermatozoid selbst enthalte aber sicher
keinen Kern. Bei der Kiefer und der Fichte könne die Be-
fruchtung unmöglich anders als durch Diffusion vor sich gehen
(ec. S.308).
Zu einer längeren Erörterung nötigt mich leider die Stellung
van Benedens zum Befruchtungsproblem. Der von mir wegen
seiner Verdienste hochgeschätzte belgische Forscher hat unmittelbar
hintereinander im Dezember 1575 und im Januar 1576 zwei vor-
läufige Mitteilungen, in denen er auch auf den Befruchtungsprozess
im Säugetierei eingeht, in den Sitzungsberichten der belgischen
Akademie veröftentlicht. Auf Grund derselben hat er acht Jahre
später in seinen 1884 erschienenen Recherches sur la maturation
de l’oeuf, la fecondation etc. mir gegenüber sehr ungerechtfertigte
Prioritätsansprüche geltend gemacht, auf die auch K. Rabl in
seiner jüngsten Schrift zurückgekommen ist. Van Benedens
Worte lauten: „En &tablissant que les deux &lements nucleaires
different entre eux par leurs caracteres aussi bien que par leur
origine et par leur lieu de formation, en exprimant l’idee que le
pronucleus central est un &lement ovulaire, l’autre un derive des
zoospermes, j’ai donne, et cela avant que le travail de OÖ. Hertwig
ait paru, l’interpretation universellement admise aujourd’hui de
la signification des pronucleus.“ „La plupart des auteurs recents
attribuent exclusivement ä OÖ. Hertwig la theorie actuellement
admise de la fecondation. On ne rend pas justicee a Bütschli
et sans vouloir enlever aHertwig rien de ce qui lui appartient,
je tiens ä revendiquer en partie pour Bütschli (man vergleiche
hierzu S. 44 und Anmerkung 7), en partie pour moi-meme, la
part, fort inegale d’ailleurs, qui nous revient ä l’un et ä l’autre.‘
Zunächst wäre zu bemerken, dass van Benedens Aussage:
er habe die Erklärung über die Bedeutung der beiden Pronuclei
schon gegeben, bevor die Arbeit von O. Hertwig erschienen
sei, auf einem leicht nachweisbaren Irrtum beruht. Denn er
selbst hat uns, was später seinem Gedächtnis ganz entschwunden
sein muss, mitgeteilt: „Au moment oü je terminais la redaction
48 Oskar Hertwig:
de ma communication preliminaire sur la maturation de l’oeuf, la
fecondation et le developpement du Lapin paraissait en Allemagne un
important travail de M. O. Hertwig sur la formation, la fecon-
dation et la division de l’oeuf d’un echinoderme“ (van Beneden.
1876, I. c. S. 39). Also war van Beneden schon bei der
Redaktion seiner ersten vorläufigen Mitteilung in der Lage, sich
auch mit dem Inhalt meiner im November erschienenen Habili-
tationsschrift bekannt zu machen. (Anmerkung 1lla, S. 148.)
Wenn hierdurch die Prioritätsfrage wenigstens in formaler
Hinsicht entschieden ist, lege ich doch den grösseren Wert auf die
Feststellung auch der sachlichen Verhältnisse. Und in dieser Be-
ziehung besteht doch in fundamentalen Dingen ein sehr grosser
Unterschied zwischen dem, was ich am Toxopneustes-Ei ermittelt
habe, und den Befunden, die van Beneden am Kaninchenei
gemacht hat, und der Deutung, die er ihnen damals glaubte
geben zu können.
In seiner ersten von den beiden oben erwähnten, nach
Kenntnis meiner Schrift abgefassten, vorläufigen Mitteilungen
lässt van Beneden das Ei kernlos werden und nennt es eine
Monerula (1875, l.c. S. 692). An etwa hundert Eiern, die er
unter den Augen hatte, sah er zahlreiche tote Samenfäden, teils
in der Zona pellucida, teils in dem perivitellinen Raum, aber er
konnte trotz aller Bemühungen niemals ein Spermatozoon im
Innern des Dotters selbst nachweisen und glaubte daher, dass
die Befruchtung im Wesentlichen in der Verschmelzung von
Samensubstanz mit der oberflächlichen Lage der
Dotterkugel bestehe (8. 695). In befruchteten Eiern hat
van Beneden, wie schon Bütschli und Auerbach, auf die
er verweist, öfters zwei Kerne auffinden können. Dieselben hatte
er schon mehrere Jahre früher einige Male beobachtet, aber in
seiner preisgekrönten Schrift (1870) von ihnen angenommen, dass
sie durch Teilung des Keimbläschens, an dessen Fortbestand er
damals noclı glaubte, entstanden und daher dem ersten Stadium
des Furchungsprozesses hinzuzurechnen seien. Diese Ansicht
berichtigte er jetzt dahin, dass beide Kerne Neubildungen sind
und dass der eine von ihnen an der Oberfläche, der andere im
Zentrum des Eies entsteht. Er unterschied sie daher als Pro-
nucleus peripherique und Pronucleus central (1875, 1. c. S. 697).
Da später nur ein einziger Kern vorhanden ist, leitete van Beneden
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 49
ihn aus ihrer Vereinigung ab, obwohl er eine solche im Unter-
schied zu Bütschli, Auerbach und mir selbst nicht beobachtet
hat; er liess es daher auch unentschieden, ob der auf späteren
Stadien vorgefundene einfache Kern sich durch die Verschmelzung
der beiden Pronuclei bildet, oder ob sich der eine von ihnen auf
Kosten der Substanz des andern entwickelt (S. 699). In diesen
Beobachtungen bestätigte er für das Säugetierei, was vor ihm
schon Bütschli, Auerbach und ich auf Grund zusammen-
hängender und daher überzeugender Beobachtungen an lebenden
Eiern entdeckt hatten.
Van Beneden knüpfte zum Schluss an die mitgeteilten
Befunde lediglich noch eine Vermutung an, auf die er später
seinen Prioritätsanspruch begründet hat: „Il resulte de ce qui
precede que le premier noyau de l’embryon se developpe aux
depens de deux pronuclei, l’un peripherique qui derive de la
couche superficielle d’oeuf, l’autre form& au milieu de la masse
centrale du vitellus. Comme j’ai etabli que les spermatozoides
s’accolent aA la surface du vitellus pour se confondre avec la
couche superficielle du globe, il me parait probable que le pro-
nucleus superficiel se forme au moins partiellement aux d@pens
de la substance spermatique. Si comme je le pense, le pronueleus
central se constitue exclusivement d’el&ments fournis par l’oeuf.
le premier noyau de l’embryon serait le resultat de l’union
d’el&ments mäles et femelles. J’&nonce cette derniere idee
comme une simple hypothese, comme une inter-
pr&etation que l’on peut ou non accepter“ (S. 700).
Seine zweite Mitteilung hat van Beneden nur einige
Wochen später als die erste sofort in der nächsten Januarsitzung
der belgischen Akademie erscheinen lassen. Da sie durch meine
Abhandlung veranlasst worden ist, beschäftigte er sich in ihr fast
ausschliesslich mit meinen Ergebnissen, von denen er nachzuweisen
versuchte, dass sie teils in wesentlichen Punkten auf Irrtümern
beruhen, teils in der Beantwortung ‚gewisser Fragen von höchster
Bedeutung‘‘ mit dem Inhalt seiner ersten vorläufigen Mitteilung
Übereinstimmung zeigen. Zu den Irrtümern rechnete er meine
Behauptung, dass das Ei kein Monerenstadium durchläuft. Zum
Beweis des Gegenteils veröffentlichte er jetzt schon früher ausge-
führte Untersuchungen über die Reifung des Seesterneies und wieder-
holte, wenigstens an drei verschiedenen Stellen (1876, 1. c. S. 40,
Archiv f.mikr. Anat. Bd.%. Abt. II. 4
50 Oskar Hertwig:
43 und 75) die Behauptung, dass nach seiner Untersuchung von
Säugetier- und Seesterneiern kein genetischer Zusammenhang
zwischen dem zentralen Pronucleus (dem Eikern Hertwigs) und
dem Keimbläschen oder irgend einem seiner Teile bestehe und
dass der nach der Befruchtung auftretende zentrale
Pronucleus ein ganz neugebildetes Element sei.
Ebenso suchte er meine Angabe, dass der Kopf des eingedrungenen
Samenfadens zum Spermakern werde, zu widerlegen; denn was
ich als solchen bezeichne, sei nur ein später entstandener Nukleolus,
während der ihn umschliessende körnchenfreie Hof der Strahlungs-
figur der wirkliche Kern sei und seinem peripheren Pronukleus
entspräche.
Da jetzt meine Lehre von der Kontinuität der Kern-
generationen und meine Beobachtungen, auf die ich sie begründet
habe, von der Wissenschaft als die richtigen allgemein anerkannt
worden sind. erübrigt es sich, hierüber noch ein Wort zu ver-
lieren. Somit wende ich mich zu den angeblichen Punkten der
Übereinstimmung, oder dem. was van Beneden als die identische
Lösung gewisser Fragen von kapitaler Bedeutung bezeichnet.
Van Beneden fasst sie dahin zusammen (1876, 1. ec. S.43 und 82):
„Nous avons reconnu, l’un et l’autre, que le noyau du premier
globe de segmentation appel& par moi premier noyau embryonnaire,
par Hertwig noyau de segmentation, se d&veloppe aux depens
de deux elements nucleaires apres que ceux-ci se sont rejoints
et accoles au centre du vitellus. Nous avons admis, l’un et l’autre,
que la formation du premier noyau embryonnaire est le resultat
de l’union d’un element mäle et d’un element femelle et quoique
je n’aie pas prononc‘e le mot conjugaison pour exprimer le fait
qui caracterise essentiellement la formation du premier noyau,
l’idee n’en existait pas moins dans mon esprit.‘ Und
zum Schluss wiederholt van Beneden nach ausführlicher Auf-
klärung meiner Irrtümer (S.43—82) noch einmal zusammenfassend:
„Mais quoiqu’il en soit des divergences d’opinions qui existent
entre M. Hertwig et moi sur certains faits etudies par nous
et sur l’interpretation qu’il convient de leur donner, il reste
etabli que travaillant indöpendamment l’un et l’autre, lui le
developpement d’un Echinoderme, moi l’ontogenie du Lapin, nous
sommes arrives aux m&mes conclusions sur les points suivants:
1° Immediatement apres la fecondation il existe dans l’oeuf deux
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. öl
elements nucleaires differents: Tun superficiel et peripherique,
l’autre central; 2° le premier noyau embryonnaire rösulte de l’union
de ces deux pronuclei; 3° ce premier noyau est le produit d’une
veritable conjugaison entre un el&ment mäle (pronucleus peripherique)
et un &löment femelle (pronucleus central)“ (S. 82).
In dieser Zusammenfassung von van Beneden liegt eine
vollständige Verschleierung des historischen Verlaufs vor, wie
sich unsere Einsicht in den Befruchtungsprozess wirklich ent-
wickelt hat.
Die Verschmelzung zweier ursprünglich getrennt auftretender
Kerne in der Eizelle haben zuerst Bütschli und Auerbach
nach dem Vorgang von Warneck bei Nematoden beobachtet.
Hierfür kommt ihnen allein die Priorität zu. Dass aber diese
beiden Kerne und in welcher Weise sie mit dem Befruchtungs-
prozess in Beziehung stehen, habe ich zuerst und kein anderer
vor mir erkannt. Denn der Eikern ist schon vor der Befruchtung
im Ei bei Toxopneustes vorhanden und daher auch, abgesehen
von seiner Abstammung vom Keimbläschen, ohne Frage von
mütterlicher Herkunft. Wenn ich mich auch in seiner Ableitung
vom IXeimfleck des sich auflösenden Keimbläschens in meiner
ersten Abhandlung geirrt habe, so habe ich doch schon ein Jahr
darauf bei Nephelis den richtigen genetischen Zusammenhang
erkannt, indem ich ihn bei der Bildung des zweiten Richtungs-
körpers von der Chromosomengruppe der im Ei zurückbleibenden
Spindelhälfte ableitete. Von dem zweiten, erst infolge der Be-
fruchtung auftretenden Kern aber führte ich als erster den
Nachweis, dass er von einem in das Ei eindringenden Samenfaden
abstammt und zwar von seinem Kopf, der die Kernsubstanz seiner
Bildungszelle enthält. Somit habe ich als erster auf Grund wirklich
beobachteter Verhältnisse, welche die Kontinuität der Kerngene-
rationen sowohl in weiblicher, wie in männlicher Linie lehrten,
den zentralen und den peripheren Kern als Ei- und Samenkern
bezeichnet und an ihre Verschmelzung die Theorie geknüpft, dass
das Wesen der Befruchtung auf der Verschmelzung (Kopulation)
zweier Zellkerne beruht, von denen der eine mütterlicher, der
andere ‚väterlicher Herkunft ist. Zu dieser Auffassung war ich
durch‘die von mir aufgefundenen Tatsachen vollkommen berechtigt.
Sie war eine kurze Formulierung derselben.
Worin besteht nun, frage ich, die von van Beneden
4*
3) Oskar Hertwig:
behauptete „Übereinstimmung in der identischen Lösung gewisser
Fragen von kapitaler Bedeutung“? Van Beneden stellt die von
mir nachgewiesene Kontinuität der Kerngenerationen nach beiden
Richtungen in Abrede und entzieht damit meiner Lehre ihre
Grundlage und ihre Pointe, indem er die
des Keimbläschens behauptet und auch die Samenfäden bei der
Berührung mit der Eioberfläche sich auflösen und nur ihre
aufgelöste Substanz sich mit dem Dotter vermischen lässt. Wenn
er gleichwohl glaubt, die Vermutung aussprechen zu dürfen, dass
ein Gegensatz zwischen dem zentralen und dem peripheren Kern
bestehen könne, dass dieser vielleicht von der gelösten sperma-
tischen Substanz, jener vom Eiinhalt sich ableiten und daher als
männliches und als weibliches Element unterscheiden lasse, so hat
er damit nur eine Vermutung geäussert, für welche sich ein Beweis
mit den heutigen mikroskopischen und chemischen Hilfsmitteln
der Wissenschaft überhaupt nicht führen lässt. Denn nach
Unterbrechung des morphologischen Zusammen-
hangs lässt sich mit chemischen Methoden nicht
mehr feststellen, ob von den miteinander gemisch-
ten Substanzen die eine mütterlichen oder väter-
lichen Ursprungs ist. Zurzeit ist unsere chemische Wissen-
schaft, mag man ihre Leistungsmöglichkeiten so hoch schätzen
wie man will, noch nicht in der Lage, dass sie ein männliches
von einem weiblichen Eiweiss voneinander unterscheiden kann.
So verliert denn meine auf dem Nachweis eines
morphologischen Zusammenhangs begründete Lehre
auf der von van Beneden angenommenen chemischen
Basis überhaupt Sinn und Bedeutung. Allerlei unbeweis-
baren Vermutungen ist dann Tür und Tor geöffnet. Man kann
ebensogut vermuten, dass jeder der beiden Kerne von vornherein ein
(zemisch von weiblicher und männlicher Substanz, wie dass der zentrale
Kern die ganze männliche und der periphere die ganze weibliche
Substanz enthält. Eine Widerlegung auf chemischem Wege ist
weder im einen, noch im anderen Fall möglich. — Van Beneden
selbst hat in seiner ersten Mitteilung es als wahrscheinlich erklärt,
dass der periphere Kern sich wenigstens teilweise auf
Kosten der spermatischen Substanz bilde, also nur
teilweise männlich sei; (il me parait probable que le pronucleus
superficiel se forme au moins partiellement aux depens
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 93
de la substance spermatique). Aber ebensogut ist die
umgekehrte Vermutung möglich, dass der zentrale Kern ganz
oder teilweise die männliche Substanz birgt. Zwar wird eine
solche Vermutung wohl von jedem, der eine Vermischung der
aufgelösten Spermasubstanz mit der Dotterrinde annimmt, für die
am wenigsten wahrscheinliche gehalten werden; und doch lässt
sich aus den Ergebnissen der vergleichenden Morphologie beweisen,
dass gerade dieser vom chemisch-physikalischen Standpunkt
unwahrscheinliche Fall im Tierreich am weitesten verbreitet ist,
nämlich überall da, wo die Befruchtung vor und während der
Bildung der Richtungskörper erfolgt. Denn dann ist das Sperma-
tozoon, wie uns Asteracanthion, Nephelis, Sagitta, viele Mollusken,
Ascaris megalocephala etc. lehren, schon mehr oder weniger weit
in das Innere des Eies eingedrungen, während die Polzellen
noch an der Oberfläche entstehen. Wenn unter diesen Verhält-
nissen Ei- und Samenkern anschwellen und als Bläschen sichtbar
werden. findet sich der Samenkern schon mehr zentral, während
der aus dem Rest der zweiten Richtungsspindel abstammende
Eikern unmittelbar unter der Oberfläche des Dotters gelegen ist.
(Man vergleiche die Fig. 3 und 6.) Im Vergleich zum See-
igelei (Fig. 9) sind dieRollen geradezu umgetauscht,
der periphere Pronukleus ist hier der Eikern, der
zentrale Pronukleus der Samenkern, und es muss der
erstere nach einwärts wandern, um diesen zu treffen. Wenn
bei derartigen Fällen ein Unkundiger wetten wollte, dass der in
der Peripherie sichtbar werdende Kern aus spermatischer Substanz
bestände, weil dort eine Vermischung mit den aufgelösten Samen-
fäden stattgefunden habe, so würde er Einsatz und Wette
verloren haben.
Bei der Begründung seiner Priorität hat van Beneden
das ihm verborgen gebliebene Missgeschick gehabt, die Säugetiere
studiert zu haben, beidenen nach den Angaben verschiedener Forscher
die Befruchtung des Eies noch vor der Bildung der zweiten Polzelle
erfolgt. Daher werden auch bei ihnen die Verhältnisse gerade umge-
kehrt wie bei Toxopneustes liegen und den bei Nephelis, bei Sagitta,
bei Nematoden etc. beobachteten entsprechen; also wird hier der
periphere Pronukleus der an der Austrittsstelle der zweiten
Polzelle entstehende Eikern sein, der zentrale Pronukleus aber
wird von dem schon tiefer in den Dotter eingedrungenen Samen-
54 Oskar Hertwig:
faden abstammen, dessen Kopf sich erst längere Zeit nach seinem
Eindringen in einen bläschenförmigen Kern umwandelt. Die
Bezeichnung „männlicher und weiblicher Kern“
müssen bei den Säugetieren gerade in wmgekehrter
Riebtung als es van Beneden in seiner völligen Un-
kenntnisder wirklichen Vorgänge vermutet hat, für
den peripheren und den zentralen Pronukleus ge-
seben werden.
Schon Fol hat einen derartigen Irrtum in der Deutung
der beiden Kerne durch van Beneden für wahrscheinlich ge-
halten, indem er hierzu bemerkt (1879, 1. c.S. 159): „L’origine
de ce noyau a la peripherie, au point d’ou les globules polaires se
detachent, a completement &chappe a son observation. L’on ne
peut des lors pas etre parfaitement sür que ce qu’il deerit comme
le pronuel&eus peripherique, ne corresponde pas, pour quelques
uns de ces cas, au pronucleus femelle en voie de formation.“
In seiner Schrift für van Beneden berührt auch Rabl
(1915, 1. c.S. 43) die uns hier beschäftigende Streitfrage und hebt
als nicht uninteressant hervor, dass van Beneden in Beziehung
auf die Theorie der Befruchtung sehr energisch Prioritätsansprüche
gegen O0. Hertwig erhoben habe. Er entschuldigt sein Vor-
gehen damit, dass man damals nicht so scharf wie heute zwischen
der morphologischen und der chemischen Seite der Frage unter-
schieden habe. Denn wäre er sich dieses Unterschiedes klar
bewusst gewesen, so „hätte er unmöglich seine Prioritätsansprüche
so formulieren dürfen, wie es tatsächlich von ihm geschehen ist“.
Denn während meine Theorie der Befruchtung als eine morpho-
logische, müsse seine als eine chemische bezeichnet werden.
Mit dieser von Rabl aufgestellten Formel eines Ver-
gleichs ist der von van Beneden in leichtfertiger Weise
provozierte Prioritätsanspruch nicht gelöst; denn er
bleibt auch bei der Auffassung der Befruchtung als eines chemischen
Prozesses nicht minder ungerechtfertigt. Wenn wir auf Grund
der vorausgeschickten Aufnahme der Tatsachen und ihrer Er-
läuterung jetzt das Resume ziehen, so ergibt sich:
1. Van Beneden gründet seine Priorität auf eine vor-
läufige Mitteilung, bei deren Schlussredaktion er bereits meine
Abhandlung mit der von mir scharf formulierten Befruchtungs-
theorie nach seiner eigenen Angabe in Händen hatte.
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 1)
2. In dieser vorläufigen Mitteilung verwertet er eine Reihe
von Vermutungen in einem drei Zeilen umfassenden Satz zu einer
Hypothese, zu deren Aufstellung ihm jede Unterlage fehlte; daher
er denn auch gleichsam entschuldigend hinzufügt: J’enonce cette
derniere id&e comme une simple hypothese, comme une interpretation
que l’out peut on non accepter.
3. In einer zweiten, schon nach Monatsfrist nachfolgenden
Schrift macht sich van Beneden zur Hauptaufgabe, wichtige
Ergebnisse meiner Abhandlung als falsch oder unzuverlässig hin-
zustellen und sie zu diskreditieren, hebt aber zugleich bei dieser
Gelegenheit auch hervor, dass obwohl er in seiner ersten Mitteilung
das Wort Konjugation für die Vereinigung des männlichen und
des weiblichen Kerns nicht ausgesprochen habe, die Idee davon
nichtsdestoweniger schon in seinem Geiste existiert habe.
4. Wie seitdem über jeden Zweifel festgestellt ist, sind die
von van Beneden in seinen beiden Schriften geäusserten An-
sichten und Vermutungen zum grössten Teil falsch. Falsch ist,
dass das Keimbläschen bei der Reifung des Eies sich vollständig
auflöst und das Ei kernlos wird; falsch ist, dass die Samenfäden,
in Mehrzahl befruchten, sich auflösen und in der Dotterrinde
chemisch verteilen.
5. Selbst wenn die Vermutung van Benedens richtig wäre,
dass sich der periphere Vorkern aus der in der Rinde verteilten
spermatischen Substanz, der zentrale Vorkern aus Dotterbestand-
teilen neu bilde, so würde ein wissenschaftlicher Beweis zurzeit
hierfür nicht zu erbringen sein, da die Chemie nicht über Mittel
verfügt, um weibliche und männliche Eiweisskörper zu unter-
scheiden.
6. Die Befruchtungstheorie, dass der Furchungskern aus der
Konjugation eines Ei- und eines Samenkerns oder eines Kerns
mütterlicher und väterlicher Herkunft entsteht, lässt sich nur vom
morphologischen Standpunkt aus, wie es durch meine Unter-
suchungen geschehen ist, als richtig beweisen und erhält nur
dadurch überhaupt erst einen wissenschaftlichen Wert.
7. Wenn endlich van Beneden bei den Säugetieren den
peripher und den zentral als Bläschen entstehenden Kern als
Samenkern und als Eikern bezeichnet, so hat er, verleitet durch
meine Beobachtungen am Seeigelei, wo die Verhältnisse anders
als beim Kaninchenei liegen, aller Voraussicht nach darin ebenfalls
96 Oskar Hertwig:
geirrt und die Bedeutung der beiden Kerne vertauscht. Denn
bei den Eiern, die vor beendeter Bildung der Polzellen befruchtet
werden, entsteht der Eikern erst einige Zeit nach der Befruchtung
unter der Austrittsstelle der zweiten Polzelle als peripherer
Pronukleus, der befruchtende Samenfaden aber hat inzwischen
Zeit gehabt, ohne sich erst stark zu verändern, tiefer in das
Ei einzudringen und wird dann erst als zentraler Pronukleus
leichter wahrnehmbar.
3. Zur Geschichte des Kernteilungsprozesses (der Karyokinese).
Es wird gegenwärtig für jeden Biologen überraschend sein,
dass das genauere Studium der Zell- und Kernteilung erst spät
durch die mikroskopische Forschung in Angriff genommen worden
ist, und dass Strukturen, von denen man mit den damaligen
Hilfsmitteln der Mikroskopie schon mancherlei ohne Schwierigkeit
hätte feststellen können, dennoch so lange Zeit vollständig über-
sehen wurden. Die entgegengesetzten Behauptungen, auf der einen
Seite die Behauptung, dass bei jeder Zellteilung der alte Kern
zunächst aufgelöst wird und darauf zwei neue Kerne im Protoplasma
sebildet werden, auf der anderen Seite die Behauptung, dass der
Kern erhalten bleibt und durch einfache Zerschnürung sich in zwei
Tochterkerne teilt, hätten doch, so sollte man meinen, Anreiz
genug sein müssen, den Streitfall durch gründliche und aus-
gedehnte Untersuchungen zu entscheiden. Ein wirklicher Fort-
schritt trat indessen erst im Jahrzehnt von 1870 bis 1880 ein
und wurde jetzt plötzlich von mehreren unabhängig voneinander
arbeitenden Forschern gleichzeitig herbeigeführt. Er begann damit,
dass man mit den Strahlungserscheinungen im Protoplasma, welche
den Kernteilungsprozess, namentlich bei tierischen Eizellen be-
gleiten, genauer bekannt wurde. Obwohl Strahlungen schon früher
von verschiedenen Forschern (C.E. v. Baer, Derbes, Kowalevsky)
beschrieben worden waren, so haben doch erst Fol und Auerbach
dieselben zum Gegenstand eines genaueren Studiums gemacht, der
eine bei seinen Untersuchungen der ersten Entwicklungsstadien
der Eier von Geryonia (1873), von Pteropoden und Heteropoden,
der andere in seiner Arbeit über das Ei von Ascaris nigrovenosa
(1874). Fol nannte die an zwei entgegengesetzten Polen des
bläschenförmigen Kerns auftretende Strahlung einen Stern oder
Aster und beide in ihrer vollen Ausbildung zusammen einen
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 97
Doppelstern oder Amphiaster (Fig. 15b); den Mittelpunkt eines
jeden Strahlensystems betrachtete er als ein Attraktionszentrum.
Vollkommen zutreffend ist auch jetzt noch die mit vorzüglichen
Abbildungen versehene, von Auerbach (1574) gelieferte Be-
schreibung der allmählich auftretenden, sich bis zu einem Höhe-
punkt steigernden und dann wieder abschwellenden Protoplasma-
strahlungen bei der Furchung von Ascaris nigrovenosa. Indessen
versucht Auerbach, abweichend von Fol, das eigentümliche
Phänomen auf Diffusionsströme zurückzuführen, die sich vom
bläschenförmigen Kern bei seiner Auflösung in den Dotter ergiessen.
a Fig. 13. b
a Frisch abgelegtes Ei von Cymbulia, mit Essigsäure behandelt, im Augenblick,
wo der erste Richtungskörper (x) ausgestossen wird. Unter ihm ist ein
Attraktionszentrum oder ein Molekularstern (centre d’une £toile mol6culaire)
zu sehen. b Ei von Cymbulia, bei beginnender Teilung mit Essigsäure be-
handelt, zeigt das Auftreten der molekularen Strahlungen (Ampbhiaster).
+ Demarkationslinie zwischen den Territorien der beiden Strahlungen.
Nach Fol (1875, 1. c. Taf. VIII, Fig. 1 u. 5).
Da am lebenden Ei, an dem die Strahlungserscheinungen
sehr deutlich hervortreten, der Kern allmählich undeutlich wird
und bald spurlos verschwunden ist (Fig. 13 b), und da nach einiger
Zeit zwei neue bläschenförmige Kerne an zwei getrennten Stellen
des Amphiasters erst klein, dann allmählich grösser werdend, wieder
zum Vorschein kommen, so lag die Annalıme einer Kernauflösung
oder Karyolyse, wie sie Auerbach nannte, sehr nahe; sie
entsprach ja auch in jeder Beziehung den während des Lebens
wirklich beobachteten Verhältnissen. Die Annahme irrte nur
dadurch, dass „viele Vorgänge bei der Beobachtung des lebenden
Objektes, wie ich in meiner Abhandlung 1875 bemerkte, sich der
Wahrnehmung deswegen entziehen, weil auf gewissen Entwicklungs-
stadien der Kern und die ihn zunächst umgebenden Dotterteile
von so gleichartiger Lichtbrechung werden, dass sie selbst mit
re)
95 Oskar Hertwig:
guten Mikroskopen nicht mehr unterschieden werden können.“
Hier ist es denn geboten,‘ fügte ich hinzu, „die in der mikro-
skopischen Technik gebräuchlichen Reagentien bei der Unter-
suchung mit zu Hilfe zu ziehen. Durch sie allein können wir die
im frischen Zustande nicht mehr wahrnehmbaren Verschiedenheiten
zwischen dem Kern und der ihn umgebenden Substanz künstlich
steigern und für unser Auge wieder erkennbar machen, indem
wir entweder durch Säuren die Eiweisskörper zur Gerinnung
bringen oder ihre verschiedene Imbibitionsfähigkeit in Färbungs-
flüssigkeiten zu ihrer Unterscheidung benutzen“ (1575, 1. c. S. 399).
Diesen Weg schlugen fast gleichzeitig und unabhängig von-
einander Schneider, Bütschli, Strasburger und ich ein
und lieferten den Beweis, dass der Kern nicht durch Auflösung
verschwindet, sondern nur sehr eigentümliche Metamorphosen
eingeht, die ihn vorübergehend am lebenden Objekt unsichtbar
machen. Schneiders Beobachtungen an Mesostomum (1873)
wurden früher besprochen (S. 9). Ohne diese Abhandlung zu
kennen, veröffentlichte Bütschli (1873—1875) in einigen vor-
läufigen Mitteilungen seine Entdeckung der Spindelfigur in einigen
tierischen Zellen; bald darauf erschien das klassische Buch von
Strasburger über Zellbildung und Zellteilung im Sommer 1875,
ausgezeichnet durch den Reichtum von sorgfältigen Beobachtungen
an den verschiedensten pflanzlichen Zellen, wie Eiern, Pollen-
mutterzellen und vegetativen Zellen von Phanerogamen und
Kryptogamen, von niederen Algen (Spirogyra usw.) und Pilzen.
Wenige Monate später folgte dann meine Abhandlung über das
Seeigelei (Herbst 1875). Zuletzt wurde im Laufe des Jahres 1876
das schon durch vorläufige Mitteilungen angekündigte, grund-
legende Werk von Bütschli herausgegeben.
Die Priorität, die Spindelfiguren mit der Mittelplatte und
den beiden Seitenplatten zuerst entdeckt zu haben, gebührt
Bütschli für das Tierreich, Strasburger für das Pflanzen-
reich, doch kann ich für meine Untersuchungen in Anspruch
nehmen, dass sie noch vor dem Erscheinen von Strasburgers
3uch und ohne Kenntnis von seinen und Bütschlis Ergebnissen
ausgeführt wurden und auch einige, über sie hinausgehende
Entdeckungen geliefert haben.
Die von Schneider, Bütschli, Strasburger und mir
gemachten Beobachtungen haben die erste wichtige Grundlage für
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 59
die moderne Lehre von der Karyokinese geschaffen; sie lassen sich
kurz in folgende Punkte zusammenfassen: Das Undeutlichwerden
und Verschwinden des Kerns zur Zeit, wo sich an zwei Polen
desselben zwei Strahlenfiguren in dem ihn einhüllenden Proto-
plasma schärfer zu entwickeln beginnen, beruht auf einer eigen-
tümlichen Metamorphose, durch die er sich zu einer Spindel
umwandelt (Fig. 14, 15). Die Kernspindel, die bei Pflanzen und
Tieren in ihrer Form einige Verschiedenheiten (z. B. Tonnengestalt
bei Spirogyra) aufweist und schon bei Infusorien während ihrer
Konjugation von Bütschli beobachtet worden war, setzt sich
aus parallelen Fasern zusammen, die sich im lebenden Zustand
vom umgebenden Protoplasma nicht unterscheiden lassen. In ihrer
Mitte sind sie zu dunklen Körnern oder Stäbchen angeschwollen,
denen Fol, ihrem Entdecker zu Ehren, den Namen „Renflements
de Bütschli“ in seinen Schriften gegeben hat. Ihre Gesamtheit
wird von Strasburger und Bütschli als Kernplatte bezeichnet
und von ihnen angegeben, dass sie an manchen Objekten (in den
embryonalen roten Blutkörperchen vom Hühnchen, in den Pollen-
mutterzellen von Allium) untereinander verschmolzen sind. Die
Spindelfigur mit ihren Körnern wurde von ihnen durch Behandlung
der Präparate mit Reagentien, von dem einen durch absoluten
Alkohol und Aufhellung in Glyzerin, von dem andern durch
1°/o Essigsäure sichtbar gemacht. Ich selbst habe mich zu ihrer
Fun
wu
Zweigeteiltes Ei von Toxopneustes in
Vorbereitung zur Vierteilung. Chrom-
säure-Karmin-Präparate nach O. Hert-
Fig. 14. wig. In jede Eihälfte ist ein ver-
Ei von Nephelis. Nach Bütschli. schiedenes Stadium der Kernteilung, in
Ausgebildete Kernspindel, schon die eine Hälfte eine Spindel mit mittlerer
mit geteilter Kernplatte, deren Kermplatte, in die andere eine Spindel
Hälften in die Spindelenden ge- wit den zwei Seitenplatten eingezeichnet
rückt sind (Bütschli, 18%, Hertwig, 1875, Taf. XII, Fig. 24).
Taf. I, Fig. 11).
60 Oskar Hertwig:
Darstellung zum ersten Mal der Färbungsmethode
bedient und zwar mit Boraxkarmin nach vorausgegangener Konser-
vierung der Eier mit 1°/o Chromsäure oder Osmiumsäure, einem
Reagens, das von Max Schultze eingeführt, wegen seiner vielen
Vorzüge im Bonner anatomischen Institut damals viel verwendet
wurde. Der hierauf bezügliche Passus meiner Abhandlung lautet
(1875, 1. c. 8. 408):
„Auf einem noch etwas weiter vorgerückten Stadium lässt
der verdickte mittlere Teil der Spindel eine Anzahl dunkler
geronnener, in Karmin stark gefärbter Fäden oder Stäbchen
erkennen, welche parallel zu seiner Längsachse angeordnet sind
(Fig. 15 oben). Wenn man nun das Präparat so wendet, dass die
Spitze der Spindel nach oben sieht, so erblickt man bei Einstellung
des Mikroskops auf die Mitte derselben einen kreisförmigen Haufen
dunkelrot gefärbter Körner. Diese sind die optischen Durchschnitte
der Stäbchen. Wie die stärkere Färbung in Karmin lehrt, bestehen
die Stäbchen aus verdichteter Kernsubstanz.“
In der färbbaren Kernsubstanz oder dem Nuklein erblickten
schon damals mein Bruder (1876 1. c.) und ich den wesentlichen
Bestandteil des Kerns, durch den er sich vom Protoplasma unter-
scheidet, und in der Färbbarkeit das wichtigste Mittel, ihn in der
Zelle kenntlich zu machen. Später hat dann Flemming das
durch seine Färbbarkeit ausgezeichnete Nuklein, das er eine Zeit-
lang auch mit diesem Namen bezeichnete, in Chromatin umgetauft
und Waldeyer (1888, 1. c. S. 27) hat den aus Chromatin
bestehenden Stäbehen den Namen Chromosomen gegeben. Auch
auf die von Bütschli, Strasburger und mir entdeckten
Bestandteile der karyokinetischen Figur würde diese Namengebung
schon damals anwendbar und zutreffend gewesen sein. Anstatt
Kernplatte (Strasburger, Bütschli) nannte ich den so eigen-
artig differenzierten, aus färbbaren Stäbchen zusammengesetzten
Teil der Kernspindel ihre mittlere Verdichtungszone.
Obwohl dieser Name sich in der Literatur nicht eingebürgert
hat, drückt er doch ganz richtig eine für die Karyokinese sehr
charakteristische Eigenschaft der chromatischen Substanz aus,
die ja im ruhenden Kern überall verteilt sich bei fortschreitender
Kernteilung nicht nur auf die Mitte der Spindel zu den Chromo-
somen konzentriert, sondern diese selbst werden, wie die späteren
Untersuchungen Flemmings und anderer gelehrt haben, durch
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 61
zunehmende Verkürzung dicker, kompakter und in demselben
Maße stärker färbbar, zugleich aber auch im Farbbild am besten
wahrnehmbar. In der Tat hat also das Chromatin in der Kern-
platte, die dem Mutterstern von Flemming entspricht, eine
wirkliche und sehr auffällige Verdichtung erfahren.
Der weitere Verlauf der Karvokinese vollzieht sich dann
nach der Darstellung von Bütschli (Fig. 14) und Strasburger
in der Weise, dass die Kernplatte sich gleichsam in zwei Hälften
spaltet (Strasburger, 1875,1.e.S. 211) und dass diese langsam
bis in die Enden der Spindel auseinander rücken. Hierbei wird ein
Teil der Substanz der ursprünglichen mittleren Platte in die
sogenannten Kernfäden (l. c. S. 212) auseinander gezogen und
dadurch noch eine Verbindung zwischen den Körnern der beiden
Seitenplatten hergestellt {l.c. S. 212). Ähnliche Befunde habe ich
am Seeigelei erhalten (Fig. 15 unten), aber in etwas abweichender
Weise beschrieben. Die Spindei bezeichnete ich von jetzt ab, da
sie sich sehr verlängert und auch in ihrer Form etwas verändert
hat, als Kernband, welchen Ausdruck auch Bütschli auf
späteren Stadien als bezeichnender gefunden und gebraucht hat.
Wie die Kernplatte lasse ich die mittlere Verdichtungszone sich
in zwei seitliche Hälften teilen und auseinander rücken. Diese
repräsentieren sich, vom Ende des senkrecht gestellten Bandes
aus gesehen, wie es auf S.409 (l.c.) heisst, „als zwei in einiger
Entfernung übereinander gelegene Körnerkreise‘“, die an Karmin-
Osmiumpräparaten ebenfalls dunkelrot gefärbt sind.
Auf diesem Stadium konnte ich aber auch noch auf zwei
wichtige Strukturverhältnisse der karyokinetischen Figur auf-
merksam machen, auf Verhältnisse, die von Bütschli und
Strasburger nicht beachtet waren, dann aber auch von Fol
in gleicher Weise beschrieben wurden und jetzt als allgemein
giltig festgestellt sind. Das eine Verhältnis betrifft die Seiten-
platten. Bei ihrem Auseinanderrücken entlang den Fasern nehmen
sie nicht das Ende der Spindel ein, wie es Bütschli und Stras-
burger ursprünglich beschrieben haben, sondern kommen schon in
einiger Entfernung-vor ihm zu ihrer Ruhelage (Fig. 15 unten).
Diese entspricht am Amphiaster oder an der Hantelfigur der
lebenden Eizelle der Stelle, wo der Stiel der Hantel in die homogene
Mittelpartie der Strahlung übergeht. Hier entsteht denn auch
gegen Ende der Teilung der Eizelle wieder der bläschenförmige
62 Oskar Hertwig:
Tochterkern, wie es schon Auerbach beim lebenden Objekt
ganz richtig beobachtet und beschrieben hat.
Über die Entstehung der bläschenförmigen Tochterkerne aus
der karyokinetischen Figur sind die älteren Forscher in manchen
Einzelheiten zu verschiedenen Ansichten gelangt, stimmen aber
darin überein, dass die Seitenplatten oder die seitlichen Ver-
dichtungszonen die Grundlage für sie abgeben. Bütschli und
ich lassen die chromatischen Körner sich durch Aufnahme von
Kernsaft vergrössern und dadurch schon an der lebenden Zelle
als helle Vakuolen sichtbar werden. Durch ihre noch weitere
Vergrösserung und nachfolgende Verschmelzung entsteht allmählich
der bläschenförmige Tochterkern, der somit wesentlich ein Produkt
der in zwei Hälften geteilten chromatischen Kernsubstanz_ ist.
Dagegen lässt Strasburger das im Strahlenzentrum des
Amphiaster eingeschlossene, homogene Protoplasma, in welches er
auch die Entstehung der Tochterkerne eine Zeitlang hineinverlegte,
ausser der Kernplatte mitbeteiligt sein. Hierin stimmte ihm dann
später auch Fol (1879, l.c.) bei, der ja schon früher, als er
nur die Strahlungserscheinungen im Protoplasma kannte, sich die
Tochterkerne aus den centres d’attraction neu bilden liess. Um
nun seinen alten Standpunkt mit den neuen, durch Reagentien-
behandlung und Färbung gewonnenen Erfahrungen zu vereinen,
nahm er eine Entstehung der Tochterkerne aus zwei Quellen an.
Einen Teil leitete er, wie Bütschli und ich, von der Substanz
des alten Kerns, von den Bütschlischen Körnern ab, den zweiten
Teil aber liess er das im Mittelpunkt jeder Amphiasterstrahlung
gelegene Protoplasma (amas sarcodique de l’aster, 1. c. S. 263)
liefern. Seine Aufnahme in den alten Kernbestandteil geschieht
nicht auf dem Wege der Ernährung, sondern durch Beimischung
(alliage, 1. c. S. 263).
Im Hinblick darauf, dass sich das Ende der Spindel noch
über die Seitenplatten oder über die Stellen, wo schliesslich die
beiden Tochterkerne entstehen, eine Strecke weit bis in die Mitte
der beiden Protoplasmastrahlungen fortsetzt, habe ich an der
karyokinetischen Figur auf der Höhe ihrer Ausbildung fünf Ab-
schnitte unterschieden (1875, l.c. 8. 409): 1. die beiden Ver-
dichtungszonen (seitliche Kernplatte Strasburgers, Tochtersterne
Flemmings); 2. das Mittelstäck oder die Verbindungsfäden
Strasburgers und 3. die beiden Endstücke, die bis ins Strahlen-
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 63
zentrum hineinragen. An diesen wurden auch schon damals von
mir und Fol die kleinen Körperchen, die jetzt als Zentrosomen
eine so wichtige Rolle spielen, beobachtet, beschrieben und ab-
gebildet. „Die Spitze der Spindel“, heisst es in meiner ersten
Abhandlung (1875, S.408), „nimmt gerade die Mitte der körnchen-
freien Stelle ein und tritt als ein besonders deutlich erkennbares,
dunkles, geronnenes Korn hervor“ (Fig. 15 oben). Auch die
Streckung des Zentrosoms auf dem Hantelstadium, wie sie später
von Boveri genauer untersucht und als Übergang zur Teilung
gedeutet worden ist, habe ich ebenfalls gesehen (Fig. 15 unten),
wie aus den Fig. 23, 24, 23b meiner Abhandlung (1875, 1. c.)
und dem dazugehörigen Text (siehe Anmerkung 11b) hervorgeht.
Ebenso hat Fol in seiner Monographie die jetzt als Zentro-
somen bezeichneten Körperchen in vielen seiner Figuren, die nach
Osmiumkarmin- oder Pikrokarminpräparaten gezeichnet wurden.
deutlich abgebildet (1879,1.c. Taf. VII, Fig. 3, 4, 5, 6 und 10 ac usw.)
und als „corpuscule central de l’aster* an sehr vielen Stellen
BamesurBextes. (18793 rc. 83171 175,178 18054191, 223)
beschrieben. Am Schluss der Zellteilung lässt er sie in die jungen
Tochterkerne mit aufgenommen werden (siehe Anmerkung 12). In
seiner Bibliographie geht Fol auch auf die Körperchen ein, die ich
noch an Osmiumpräparaten an den Enden der Spindel in der Mitte
der Strahlung gefunden und abgebildet habe, und identifiziert sie mit
seinen Beobachtungen, indem er von meinen Figuren sagt: „Le
corpuscule de l’extr&mit‘ du fuseau repond A ce qui jJai nomme
le corpuscule central de l’aster“ (1879, l.c. 8.223).
Auf diese Strukturverhältnisse bin ich etwas ausführlicher
eingegangen, weil sie in Schriften, die sich mit der Geschichte
des Kernteilungsprozesses beschäftigen, ganz in Vergessenheit
geraten sind. (Vergleiche Anmerkung 13. Seite 149.)
Zusammenfassung.
Wie aus unserer kritisch-historischen Untersuchung hervor-
geht, war auf einem Gebiet der mikroskopischen Anatomie, das
lange Zeit fast ganz brach gelegen hatte, plötzlich eine sehr rege
und erfolgreiche Forschertätigkeit wachgerufen worden; durch sie
wurde in wenigen Jahren eine sichere Grundlage für die Lehre
der Kernteilung, der Eireifung und des Befruchtungsprozesses
gelegt. Unter den neuen Errungenschaften sind folgende für die
allgemeine Biologie die wichtigsten:
64 Oskar Hertwig:
1. Bei der Teilung der Zelle findet keine Karyolyse sondern
eine eigentümliche Kernmetamorphose, eine Karyokinese, statt.
Denn der bläschenförmige Kern des Ruhezustandes wandelt sich
in eine faserige Spindel um, in deren Mitte sich die färbbare
Kernsubstanz als eine Scheibe von Körnchen oder Stäbchen
ansammelt und die Kernplatte (Mittelplatte oder mittlere Ver-
dichtungszone) bildet. Durch Teilung der Mittelplatte werden
zwei Seitenplatten gebildet, die bis auf eine geringe Entfernung
vom Ende der Spindel auseinanderweichen und das Material liefern,
aus dem sich die neuen bläschenförmigen Kerne der beiden
Tochterzellen herleiten. Bei den Embryonalzellen tierischer Eier
finden sich an den Enden der Spindel kleinste, an Osmiumkarmin-
präparaten besonders deutlich wahrnehmbare Körperchen, die das
Zentrum der auffälligen, im Laufe der Karyokinese verschieden
stark ausgeprägten Strahlenfiguren im Protoplasma einnehmen
und später Zentrosomen genannt worden sind. Zwei Strahlen-
figuren bilden zusammen einen Amphiaster.
2. Beim Reifeprozess des Eies entsteht aus Bestandteilen
des Keimbläschens die Richtungsspindel, die sich an der Entwicklung
der zwei Richtungskörperchen beteiligt. Diese bilden sich aus dem
Ei auf dem Wege der Zellteilung, die wegen der ausserordentlich
ungleichen Grösse ihrer Teilprodukte besser als eine Zellknospung
bezeichnet wird. Bei der letzten Teilung bleibt die zentrale Hälfte
der zweiten Richtungsspindel in der Eirinde zurück und lässt
hier aus der färbbaren Substanz ihrer seitlichen Körnerplatte den
Kern des reifen, zur Befruchtung jetzt vorbereiteten Eies oder
den Eikern hervorgehen. Die Richtungskörperchen sind wirkliche.
rudimentäre, am animalen Pol gelegene Polzellen.
3. In der Entwicklung des Eies besteht zu keiner Zeit ein
kernloses oder ein Monerula-Stadium. Das Gesetz der Kontinuität
der Kerngenerationen ist erstens durch die Entstehung des Ei-
kerns infolge der Eireifung aus dem Inhalt des Keimbläschens.
zweitens durch die Herkunft des Kopfes des Samenfadens vom
Kern der Spermatide (La Valette), drittens durch die Wider-
legung der Karyolyse durch die Metamorphose des Kerns bei der
Teilung schon fest begründet worden. Omnis nucleus e nucleo.
4. Die Befruchtung erfolgt unter normalen Verhältnissen
durch das Eindringen eines einzigen Spermatozoon in den Dotter.
Der wesentliche Vorgang hierbei ist die Umwandlung seines aus
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 65
der Kernsubstanz der Spermatide gebildeten Kopfes in einen
bläschenförmigen Samenkern und seine Kopulation und Ver-
schmelzung mit dem Eikern. Samen- und Eikern liefern zusammen
den Furchungskern, von welchem die zahllosen Kerngenerationen
des sich entwickelnden Eies in ununterbrochener Kontinuität
abstammen.
Von dem Anteil der verschiedenen, auf den vorhergehenden
Blättern genannten Forscher und vondem historischen Zusammenhang
der Entdeckungen und der Deutungen der neu beobachteten Tat-
sachen glaube ich den richtigen Nachweis durch das Studium der
einschlägigen Literatur geliefert zu haben.
Die zweite Periode.
(Neue Entdeckungen.)
Es ist in hohem Grade erfreulich zu verfolgen, wie auf der
in der ersten Periode geschaffenen Grundlage jetzt zahlreiche
neue Fortschritte, zum Teil von grosser Tragweite, fast Schlag auf
Schlag einander folgen. Ein rühmlicher Wetteifer beginnt auf allen
drei der oben besprochenen Forschungsgebiete, auf dem Gebiet der
Karyokinese, der Reifung der Greschlechtsprodukte und der Befruch-
tung. Eine Zeitlang tritt hierbei das Studium der Karvokinese in
den Vordergrund. Flemming, Retzius, Rabl, van Beneden,
denen sich eine rasch anwachsende Zahl von Forschern auf
tierischem und botanischem Gebiet anschliesst, liefern ausgezeichnete
Untersuchungen, die eine vervollkommnetere Beherrschung der mi-
kroskopischen Methoden leicht erkennen lassen.
1. Fortschritte in der Erforschung der Karyokinese.
Eine Zeitlang hat auf diesem Gebiet Flemming, dessen
erste bahnbrechende Arbeiten sich in den Jahren 1879, 1880,
1882 rasch aufeinander folgten, die Führung übernommen. Auch
die von ihm erzielten Fortschritte sind nicht zum wenigsten durch
eine bessere Methode und durch die Wahl eines geeigneten Objektes
ermöglicht worden.
Flemming hat nicht nur die Einwirkung verschiedener
heagentien (Essigsäure, Chromsäure, Pikrinsäure, Osmiumsäure,
chromsaure Salze und ihre Gemische) auf die Struktur der Zelle
und besonders ihres Kerns zum Gegenstand kritischer Studien
Archiv f mikr. Anat. Bd. 90. Abt.1II. 5
66 Oskar Hertwig:
gemacht, sondern auch die Kernfärbemethoden, die Verwertung
von Hämatoxylin und Anilinfarben, wie Safranın, zu einem höheren
(rad der Vollendung als vor ihm gebracht; er hat dadurch von
dem Verhalten der färbbaren Kernsubstanz auf den einzelnen
Teilungsstadien Bilder von so überraschender Schärfe gewonnen,
dass sie damals alles Vorangegangene weit übertrafen. Der Ersatz
der Einbettung in Glyzerin durch Kanadabalsam und Damarlack
und die Verwendung des Abbeschen Beobachtungsapparates beim
Studium des farbigen Kernbildes haben ebenfalls zum Fortschritt
das ihrige beigetragen.
Nicht minder aber verdankt Flemming seine Ergebnisse
auch der Gunst des von ihm gewählten und seitdem immer und
immer wieder studierten Untersuchungsobjektes, das eine wertvolle
Ergänzung zu den Objekten der vorausgegangenen Periode bildet,
nämlich den Gewebszellen von Salamanderlarven. Bei den früher
untersuchten Teilstadien der Eier wirbelloser Tiere sind die
chromatischen Kernfiguren sehr klein und ausserdem in eine dicke
Hülle von Protoplasma eingeschlossen, welches die Anwendung von
Farbstoffen zur Erzielung scharf ausgeprägter Farbbilder sehr
erschwert. Bei den Gewebszellen der Salamanderlarven dagegen
zeichnen sich die chromatischen Kernfiguren infolge des Chromatin-
reichtums ihrer grossen Kerne durch aussergewöhnliche Grösse
aus, zugleich sind sie an geeigneten dünnen Teilen des Körpers (wie
Kiemenblättchen, Flossensaum) in den protoplasmaarmen Epithel-
und Bindegewebszellen durch Färbung so deutlich zu machen, dass
sich viele neue Tatsachen, welche früher der Beobachtung ent-
gangen waren, jetzt genau und leicht ermitteln liessen.
Der Fortschritt, den Flemmings Arbeiten bewirkt haben,
beruht im wesentlichen auf einer genauen Feststellung der
komplizierten Metamorphosenreihe, welche die chroma-
tische Substanz während der Karyokinese vom Mutterkern
beginnend bis zur Vollendung der neuen Tochterkerne durchläuft
und welche sich in der von ihm erreichten Vollständigkeit nur an
einem so vorzüglich geeigneten Objekt wie die Salamanderlarve er-
kennen liess. Flemming zeigte mit seiner verbesserten elektiven
Färbetechnik, wie das Chromatin im ruhenden Kern in feinen
und gröberen Körnchen auf einem Gerüst nicht färbbarer Fäden
verteilt ist, zuweilen auch dickere Netzknoten bildet und sich ın
der Art der Färbung von den echten Nukleolen unterscheidet.
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 67
Es gelang ihm zu verfolgen, wie die ursprünglich getrennten
Uhromatinkörnchen sich im Vorstadium einer beginnenden Karyo-
kinese zu einem oder wie sich später richtiger herausstellte, zu
mehreren feinen, geschlängelten Fäden verbinden. Aus dem Knäuel-
stadium leitete er durch Übergänge die wichtige chromatische
Figur ab, welche in der ersten von mir unterschiedenen Periode
Kernplatte oder Verdichtungszone, jetzt aber Äquatorialplatte
und wieder später Mutterstern (Monaster) bezeichnet wurde. Die
früher als Körner und Stäbchen (Hertwig) beschriebenen Ele-
mente erwiesen sich ihm als u-förmig zusammengebogene Fäden,
die von Waldeyer mit dem jetzt gebräuchlichen Namen „Uhromo-
somen“, von mir auch Kernsegmente benannt wurden. Sie liefern
zusammen, wie alle chromatischen Figuren der Salamanderkerne
während der Karyokinese, so regelmässige und zierliche, von
Flemming genau erforschte Bilder, dass sie als Ausdruck einer
auffällig gesetzmässigen Struktur ein allgemeines Aufsehen und
Interesse bei ihrem ersten Bekanntwerden hervorriefen.
Als die weitaus wichtigste Errungenschaft dieser muster-
haften mikroskopischen Untersuchungen ist ohne Frage die schon
1879 von Flemming entdeckte Tatsache anzusehen, dass die
chromatischen Fäden „sich der Länge nach halbieren“
(1879, 12 e. 82 379) Taf! XV), Fig. 9, 10,'11).. Gleich in seiner
ersten Mitteilung hat Flemming in „der Längsspaltung“
einen typischen Vorgang (l. ec. S. 379) und „ein wesentliches,
konstant durchlaufenes Stadium“ erblickt, und mit Recht bemerkt,
dass „vor ihm von einer derartigen Spaltung der Fäden bisher
kein Untersucher der Kernteilung etwas mitgeteilt habe“. Aller-
dings hat Flemming selbst aus seiner Entdeckung noch nicht
die so naheliegende und theoretisch so wichtige Folgerung ge-
zogen, dass durch die Längsspaltung der im Mutterstern vereinten
Fäden das chromatische Material für die beiden Tochtersterne
(Seitenplatten) und in weiterer Folge für die beiden Tochter-
kerne voneinander gesondert werde. Aber er hat schon 1879
an diese Möglichkeit nicht nur gedacht, sondern sie auch reiflich
erwogen, indem er die Frage aufwarf (l.c. S. 384): „Was bedeutet
die Längsspaltung der Fäden überhaupt? Als ich sie auffand,
habe ich zunächst daran gedacht, dass sie vielleicht ein Homologon,
wenn auch in sehr abweichender Form, der Zweiteilung darstellen
könne, welche nach Strasburgers, Bütschlis und O. Hertwigs
5»*
65 Oskar Hertwig:
Befunden die Elemente der „Kernplatte“ in den betreffenden Zellen
eingehen: dass die eine Längshälfte jedes Fadens in die eine. die
andere in die andere Hälfte der Kernfigur, resp. in je einen künftigen
Teilkern hineinrücken könnte.“ „Ich habe diese Hypothese hier
angeführt, weil mir die Längsspaltung der Fäden doch zu merk-
würdig erscheint, als dass man nicht versuchen sollte, sich Ge-
danken darüber zu machen. Einstweilen werfe ich sie aber als
eine reine Möglichkeit hin, ohne dafür irgendwie präokkupiert
zu sein.“ Auch in seiner zweiten Mitteilung aus dem Jahre 1580
geht Flemming noch einmal auf die Längsspaltung der Fäden
ein, die er seitdem an vielen Zellarten von Salamandra als
konstantes Phänomen der Kernteilung beobachtet hat; obwohl er
ein Kunstprodukt für ausgeschlossen hält, gibt er doch auch jetzt
noch seine Meinung dahin ab: „die Längsspaltung ist mir in
ihrer Bedeutung ebenso vollkommen rätselhaft geblieben wie
früher“ (1880, 1.c.S. 211). Auch in seinem zusammenfassenden
Werk über Zellsubstanz, Kern- und Zellteilung 1882 hat er
seinen Standpunkt in dieser Frage, die er wieder erörtert, nicht
geändert.
Die von manchen Forschern, unter ihnen auch von Stras-
burger, anfangs angezweifelte Längsspaltung der Fäden erlangte
rasch allgemeine Anerkennung. G. Retzius beobachtete sie
in seinen Studien über Zellteilung (1551) bei Tritonlarven, schloss
sich aber auch der Ansicht von Flemming darin an, „dass noch
keine direkten Beweise dafür vorliegen, dass. die zwei Zwillings-
fäden jedes Mutterfadens nach den beiden entgegengesetzten
Zentren sich trennen und ziehen lassen“. Andere Bestätigungen
folgten; zugleich ergab sich jetzt die Beantwortung der von
Flemming wiederholt aufgeworfenen Frage, welche zu entscheiden
er und Retzius wohl durch ihre grosse Gewissenhaftigkeit und
Bedenklichkeit, aus einer Reihe fixierter Stadien wichtige Schlüsse
auf den ihnen zugrunde liegenden Vorgang zu ziehen, verhindert
wurden. Denn wenn die Zell- und Kernteilung im Ganzen auf
einer Halbierung in zwei einander gleichartige Hälften besteht,
so konnte es wohl aller Wahrscheinlichkeit nach bei der Längs-
spaltung der Fäden sich auch um nichts anderes in bezug auf
die chromatische Substanz handeln. Schon in der ersten Forschungs-
periode haben Bütschli, Strasburger, Hertwig, Fol die
beiden Seitenplatten durch Spaltung der Mittelplatte und durch
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 69
Auseinanderweichen der beiden Hälften entstehen lassen. Daher
lag von jetzt ab die Entscheidung, wie C. Rabl (1915, 1. ec. S. 94)
mit vollem Recht sich ausdrückt, „sozusagen in der Luft“, nach-
dem einmal die nicht leicht zu beobachtende Längsspaltung der
Chromosomen als ein gesetzmässiger Vorgang in der Karyokinese
durch Flemming und Retzius nachgewiesen worden war.
Die Entscheidung wurde auch unmittelbar darauf im Jahre
1883 von mehreren Forschern herbeigeführt, die gleichzeitig und
unabhängig voneinander an verschiedenen Objekten arbeiteten, von
Heuser. Guignard, Rabl, van Beneden, Nussbaum.
Und noch vor ihnen entschied sich Roux, ohne eigene Unter-
suchungen gemacht zu haben, aus rein theoretischen Gründen für
Flemmings zweifelhaft gelassene Hypothese in seiner gedanken-
reichen. kleinen Schrift: „Über die Bedeutung der Kernteilungs-
figuren. eine hypotbetische Erörterung.“ (1883.)
Von mechanischen Betrachtungen und von den Angaben
Pfitzners (1882, 1. c. S. 290) ausgehend. nach denen der
Chromatinfaden aus aneinandergereiltten Körnern zusammen-
gesetzt ist, glaubt Roux sich zu der Annalıme berechtigt, dass
das Chromatin eine aus qualitativ sehr verschiedenen Stoften
zusammengesetzte Substanz und in dem Kerngemisch auf zahl-
reiche verschiedene Kügelchen in der Art der von Pfitzner
beobachteten (Gebilde gesondert ist. Die Aufgabe, eine solche
Substanz in zwei gleichartige Hälften zu teilen, ist dann
technisch zu lösen, wenn die qualitativ verschiedenen Körner
sich zu einem feinen Faden, wie es im Knäuelstadium geschieht,
in einer einfachen Reihe aneinander fügen und sich in der Mitte
der Kernteilungsfigur als Fadenschleifen zum Mutterstern anordnen.
Nach solehen Vorbereitungen muss eine Verteilung der qualitativ
sehr verschiedenartigen Kernsubstanzteilchen in zwei gleiche Hälften
erfolgen, wenn die Mutterkörner sieh in Tochterkörner zerlegen
und eine Längsspaltung des Fadens hervorrufen und wenn beide
Hälften noch durch geeignete Vorrichtungen nach entgegenge-
setzten Richtungen auseinander entfernt werden. Den Zweck der
Ikarvokinese fasst daher Roux kurz dahin zusammen: „Die
Kernteilungsfiguren sind Mechanismen, welche es ermöglichen.
den Kern nicht bloss seiner Masse, sondern auch der Masse und
3eschaftenheit seiner einzelnen Qualitäten nach zu teilen. Der
wesentliche Kernteilungsvorgang ist die Teilung der Mutterkörner,
70 Oskar Hertwig:
alle übrigen Vorgänge haben den Zweck, von den durch diese
Teilung entstandenen Tochterkörnern desselben Mutterkorns immer
je eines in das Zentrum der einen, das andere in das Zentrum
der anderen Tochterzelle sicher überzuführen.“ Roux setzt
also bei seiner hypothetischen Erklärung als notwendig voraus,
dass an die Längsspaltung der Fäden eine Verteilung ihrer Spalt-
hälften auf die beiden Tochterzellen sich anschliessen muss,
ein Vorgang, den auch schon Flemming und Retzius als
möglichen Fall besprochen hatten, aber als einen hypothetischen
behandeln mussten, da sie ihn durch ihre Beobachtungen nicht
glaubten entscheiden zu können. Aber auch bei Roux handelt
es sich nur um das Schlussglied in einer Kette von Hypothesen.
wie er ja auch ganz richtig seine kleine Schrift als eine hypothe-
tische Erörterung bezeichnet. Das letzte Wort hatte auch jetzt
noch die Beobachtung zu sprechen; diese fiel denn alsbald, wie
bei der ganzen Sachlage zu erwarten war, zugunsten der schon
mehrfach geäusserten und sehr naheliegenden Vermutung aus.
Auf botanischem Gebiet brachte die Untersuchung des
Wandbelegs von Fritillaria, eines sehr geeigneten und damals
viel studierten Objekts, die Lösung der Frage: „Im August dieses
Jahres (1883)“, schreibt Strasburger in seinen Kontroversen
der indirekten Kernteilung (l.c. S. 255), „teilte mir Emil Heuser
mit, dass er die Längsspaltung der Kernsegmente an mehreren
Präparaten gesehen und konstatiert habe, dass die Längshälften
jedes Segments sich auf verschiedene Tochterkerne verteilen. Er
zeigte mir seine Zeichnungen der diesbezüglichen Zustände, die
in der Tat mit Evidenz seine Behauptung stützten“. Heuser
veröffentlichte seine Entdeckung noch am Anfang des Jahres 1554
im fünften Band des Botanischen Zentralblattes. Vor Ausgabe
des betreffenden Heftes war aber auch schon eine vorläufige
Mitteilung von Guignard in der Septembernummer der Comptes
rendus (1883) erschienen, in welcher von einer Verdoppelung
der Kernsegmente durch Längsspaltung bei Fritillaria berichtet
und hierzu weiter bemerkt wird: „Jede Hälfte der Segmente,
welche an der Bildung der beiden 'Tochterkerne sich beteiligen
sollen, wendet das eine ihrer mehr oder weniger umgebogenen
Enden oder den Winkel, den ibre beiden Schenkel bilden, falls
die Krümmung in der Mitte erfolgt, nach der Richtung der Pole,
welche zwei neue Attraktionszentren darstellen, um welche die
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 71
verdoppelten Segmente eine strahlige Anordnung annehmen.“ Bei
einer Nachuntersuchung an demselben Material hat Strasburger,
welcher eine Zeitlang gegen die Längsspaltung der Kernsegmente
Zweifel ausgesprochen hatte, noch im Jahre 1884 die Angaben von
Heuser und Guignard in seinen Kontroversen der indirekten
Kernteilung vollauf bestätigen können.
In ähnlicher Weise fand zu derselben Zeit eine mehrfache
selbständige Entdeckung der Verteilung der Tochterschleifen bei
tierischen Zellen von Rabl, van Beneden und Nussbaum
statt. Am 20. September 1383 hielt C. Rabl, wieer zur Klar-
stellung der Greschichte dieser Entdeckung selbst berichtet, auf
der Naturforscherversammlung in Freiburg i. B. einen Vortrag
über Zellteilung, in welchem er seine Beobachtungen am Sala-
mander und Proteus mitteilte und seine Präparate demonstrierte.“
Er war bei seinen Untersuchungen, die erst später im Morpho-
logischen Jahrbuch (1885) ausführlich veröffentlicht wurden, zu
demselben Resultate wie Heuser und ganz unabhängig von ihm
gelangt.
Van Beneden stellte den Sachverhalt an den Eiern von
Ascaris megalocephala in erschöpfender Genauigkeit vollständig klar.
An seinem aussergewöhnlich günstigen Studienobjekt, das nur
vier auffallend grosse Chromosomen besitzt, konnte er die Längs-
spaltung der Mutterfäden und das allmählich in entgegengesetzten
Richtungen erfolgende Auseinanderweichen der Tochterfäden sowie
ihre Verteilung auf die beiden Zellhälften (1884, 1. c. Taf. XIXter,
Fig. 4, 5, 7—10) sehr viel leichter als bei Fritillaria und Salamandra
mit ihrer hohen Zahl sehr viel kleinerer Chromosomen feststellen.
„C'est cette simplicite relative“, bemerkt daher mit Recht
van Beneden in bezug auf diesen Punkt (l. c. 1884, Separat-
a b c
Fig. 16.
Schematische Darstellung der Längsspaltung der Mutterchromosomen in 2
Tochterchromosomen und ihre Verteilung auf 2 Tochterzellen. Nach van
Beneden und Neyt (1887, 1.c. Taf. VI, Fig. 7, S, 10).
12 Oskar Hertwig:
ausgabe, S. 328): „qui m’a permis de trancher positivement ce point
si important pour l’histoire de la division indirecte des cellules.“
Van Benedens berühmte Untersuchung ist im Früh-
jahr 1554 erschienen. Einige Wochen vorher aber hatte schon
Nussbaum über das gleiche Untersuchungsobjekt eine Ab-
handlung veröftentlicht, nachdem er im Jahre 1883 eine vorläufige
Mitteilung in den Sitzungsberichten der Niederrheinischen
(Gesellschaft Auch Nussbaum beschreibt
und bildet von Asc. megaloc. (Fig. 17a)
mit nur vier Chromosomen ab
(1884,.1. ce. Taf. X, Fig. 43, 45,47):
Über ihr Verhalten im weiteren Ver-
lauf der Karyokinese (Fig. 17b)
spricht er sich zwar kurz, aber in
einer Weise aus, die sich auch nur
im Sinne der von van Beneden
viel genauer ausgeführten und be-
gegeben hatte.
den
Mutterstern
gründeten
1aay, 307%
a Ei von Ascaris megalocephala
mit 4 nach aussen offenen Schenkel-
paaren der Fadenfigur. Nach
Nussbaum (1884, Taf.X, Fig. 43).
b Ei von Ascaris megalocephala
im Beginn der ersten Durch-
furchung, nach M. Nussbaum.
Es haben sich die dicken Fäden
der Fig. 17a gespalten und so
umgelagert, dass die offenen Seiten
der Schenkelpaare in den beiden
Kernhälften einander zugekehrt
sind. Die zwei unteren Schenkel-
paare lassen sich bei anderer
Lagerung des Eies ebenfalls in 4
auflösen (1884. Taf. X, Fig. 46).
Botaniker Guignard in
Darstellung verstehen
lässt. (Vergleiche Anmerkung 14.)
Auf die Geschichte der
Längsspaltung der Chromosomen
und der Verteilung ihrer Spalt-
hälften auf zwei Tochterkerne bin
ich ausführlicher deswegen ein-
gegangen, weil van Beneden
auch aus diesem Anlass mit dem
einen
erbitterten Prioritätsstreit ver-
wickelt worden ist, der nach dem
Urteil von Rabl (1915, 1. ce. S. 92)
„einen recht unerquicklichen
Eindruck macht“. Van Beneden
musste dabei erfahren, dass
die Botanische Gesellschaft von Frankreich ihm die Aufnahme
eines gegen Guignard gerichteten Artikels in ihre Berichte
verweigerte mit der Motivierung, dass er „une communication
blessante pour un de ses membres“ sei (van Beneden 1889,
l. ec. S. 488 und 495). Nach den oben mitgeteilten historischen
Tatsachen wird sich jeder sein eigenes Urteil auch in dieser
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 75
Angelegenheit bilden können. (Man vergleiche hierzu auch Rabl
1915, 1. c.S. 92—94, dessen Ausführung ich vollständig beistimme.)
Als einen zweiten grossen Fortschritt betrachte ich die
Ermittelung des Zahlengesetzes der Chromosomen.
Schon Flemming (1582. 1. c. S. 51 und 52) hat sich bei seinen
Untersuchungen bemüht, die genaue Zahl der Chromosomen in
den Kernfiguren von Salamandra zu bestimmen. In drei Fällen
fand er mit Sicherheit 24 Elemente, in 20 andern konnte er
dagegen ihre Zahl nur auf 17—22 schätzen. Trotz dieser ungleich-
artigen Ergebnisse scheint ihm „immerhin der Befund vorläufig
bemerkenswert, schon um zu zeigen, wieviel sich mit den Kernen
von Salamandra machen lässt“. Wie er indessen etwas später
in seinem Hauptwerk (1582) erwähnt, hat er schon bald die
Hoftinung auf das Vorhandensein eines Zahlengesetzes und damit
auch „das zeitraubende Zählen aufgegeben, weil er von vornherein
salı, dass es sich um ein ganz durchgehendes Zahlengesetz
nicht handeln kann“. Denn nicht nur sei bei den Hodenzellen
von Salamandra die Zahl der Schleifen bedeutend geringer als
bei den Hautepitliel- und Bindesubstanzzellen, sondern es seien
auch bei verschiedenen Tier- und Pflanzenarten die Zahlenver-
hältnisse sehr verschieden.
Auch Strasburger hat viele Zählungen der chromatischen
Elemente ausgeführt (1882, 1. e. S. 494 und 504) und bei den
Liliaceen die Zahl 12 vorherrschend gefunden, bei Funkia mehr
als 24, bei einer Amarvllidee S und bei Psilotum sogar etwa 140.
Mit grösseren Hoffnungen auf Erfolg nahm Rabl die Be-
mühungen Flemmings wieder auf. Nach seinen Bestimmungen
hält er die Zahl 24 für die Epithel- und Bindegewebszellen der
Salamanderlarven für konstant. Um eine Gesetzmässigkeit in den
Zahlen zu finden, sei es „nicht erlaubt, die Zellen und Gewebe weit.
voneinander stehender Tierkreise miteinander zu vergleichen‘.
Auch habe man sich „mit Rücksicht auf die Frage. ob die
Schleifenzahl konstant sei, jedesmal an ganz bestimmte Zellen
zu halten. und in dieser Beziehung spricht Rabl die Überzeugung
aus, dass für jede Zellenart ein ganz bestimmtes
Zahlengesetz existiert. „So bin ich“, fährt er fort (1885, 1. c.
S. 250), „aus den oben angeführten Gründen überzeugt, dass in den
Epidermiszellen der Salamanderlarve ganz konstant 24 Schleifen
auftreten, dass ferner diese Zahl auch für die Bindegewebszellen
4 Oskar Hertwig:
gilt und dass endlich in den Hodenepithelien die Schleifenzahl
stets eine geringere, aber gleichfalls ganz konstante ist. Bei
anderen Tieren kann und wird die Zahl eine grössere oder kleinere
sein. Aber ich bin zu sehr von der (resetzmässigkeit aller, auch
der unscheinbarsten Vorgänge überzeugt, als dass ich glauben
könnte, die Schleifenzahl könne bei ein und demselben Tiere und
ein und demselben Gewebe einem Wechsel unterworfen sein.“
In dieser Bestimmtheit und Klarheit hat vor Rabl kein
anderer Forscher sich über das Zahlengesetz der Chromo-
somen ausgesprochen und es als notwendig gefordert. Seine
Richtigkeit konnte allerdings erst durch viel umfassendere Unter-
suchungsreihen, als sie damals vorlagen, bewiesen werden, wie es
in der Folge durch die Zusammenarbeit zahlreicher Forscher
geschehen ist. Auch gewann das Gesetz noch vor dem Erscheinen
von Rabls Abhandlung (1855) eine viel bessere Grundlage, als
Nussbaum und van Beneden in den Blastomeren und Ur-
geschlechtszellen von Ascaris megalocephala bivalens den Mutter-
stern regelmässig nur aus vier Chromosomen, deren Zählung nicht
die geringsten Schwierigkeiten bereitet, zusammengesetzt fanden.
Vor allen Dingen aber wurde jetzt durch van Benedens wich-
tigste Entdeckung, auf deren (Geschichte ich später noch aus-
führlicher zurückkommen werde, die geringere Zahl der Chromo-
somen in der letzten Generation der Geschlechtsprodukte, wie in
den Hodenzellen, durch welche Flemming wohl hauptsächlich
in der Annahme einer konstanten Chromosomenzahl irre gemacht
worden war, vollständig aufgeklärt: denn ihm gelang der Nach-
weis, dass die Kerne der reifen Geschlechtszellen nur halb so
viel Chromosomen als die (rewebszellen besitzen. Van Beneden
muss daher unter den Forschern, welche das Zahlengesetz der
Chromosomen begründet haben, mit in erster Reihe genannt
werden. Die Art seiner Anteilnahme bleibt aber besser einer
späteren Stelle vorbehalten, an der wir uns im Zusammenhang
mit den Fortschritten beschäftigen werden, welche durch van
Benedens Untersuchungen über Ascaris megalocephala veran-
lasst worden sind.
Mit der Geschichte der Chromosomen und mit dem Nachweis
eines Zahlengesetzes derselben steht in engem Zusammenhang
eine Frage, welche bis in die Gegenwart die Forscher viel
beschäftigt und zu Kontroversen geführt hat; es ist dies die
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 75
Hypothese von der Kontinuitätoder Persistenz der Chro-
mosomen, oder wie ich sie zu nennen vorgeschlagen habe
1890,17 e2 52104) die Hypothese von der Chro-
mosomenindividualität. Eine klare Fassung hat dieselbe
zuerst durch ©. Rabl in derselben Abhandlung, die vom Zahlen-
gesetz handelt, erhalten (1885, 1. c. S. 322—328). In einem
Rückblick auf seine Beobachtungen will er noch den Versuch
machen, „alle die verschiedenen Kernformen auf ein gemeinsames
Schema zurückzuführen“. Er nimmt an, dass die Kernfäden, die
am Schluss einer Teilung in die ruhenden Kerne eintreten, und
die Fäden, die aus ihm bei einer erneuten Teilung wieder hervor-
gehen, ein und dieselben Gebilde sind. „Niemand“, meint er,
„werde annehmen wollen, dass die Fäden im Mutterknäuel
anschiessen, wie die Kristalle in einer Mutterlauge, oder dass,
beim Übergang des Tochterknäuels zur Ruhe, die Fäden sich
vollständig auflösen oder in Stücke zerfallen.“ Das zeitweilige
Verschwinden der Chromosomen im ruhenden Kernnetz glaubt er
in der Weise erklären zu können, dass dieselben bei dem Wieder-
aufbau des Tochterkerns „seitliche Sprossen treiben, welche ihrer-
seits selbst wieder Fortsätze aussenden können, und dass längs dieser
Sprossen und Fortsätze sich wieder die chromatische Substanz
mehr gleichmässig durch den ganzen Kern verteilt“ (l. c. S. 324).
(Fig. 18.) Den umgekehrten Prozess lässt Rabl beim Beginn
einer Karyokinese stattfinden; auf vorgebildeten Bahnen strömt
dann die chromatische Substanz in die primären Kernfäden und
baut dadurch in der einfachsten Weise den Mutterknäuel wieder
auf. Zugunsten seiner Hypothese verwertet Rabl die von
Fig. 18.
Schema eines ruhenden Kernes zur Erläuterung der Persistenz der Chromo-
somen nach K. Rabl. a von der Seite, b vom Polfeld gesehen. In der
linken Kernhälfte sind nur die primären Kernfäden gezeichnet, in der rechten
das Kernnetz (Rabl, 1915, 1. c. Fig. 3, Seite 106).
76 Oskar Hertwig:
ihm gemachte Entdeckung eines Polfeldes und eines Gegenpol-
feldes am bläschenförmigen Kern. Nach jenem sind alle Kern-
schleifen mit ihren Umbiegungsstellen, nach diesem mit ihren
freien Fadenenden gesetzmässig orientiert. „Die Teilung der
chromatischen Substanz des Kerns“, schliesst Rab seine Erörterung
(l.c. S. 324), „ist also in letzter Instanz auf eine Längsspaltung
der Knäuelfäden zurückzuführen, und ich kann mir — voraus-
gesetzt, dass meine Hypothese des Zellkerns richtig ist — keinen
einfacheren Modus der Kernteilung denken, als den, welchen wir
tatsächlich beobachten.“
Auch über die Hypothese der Chromosomenkontinuität ist
zwischen Rabl, Boveri und van Beneden ein Prioritätsstreit
entstanden. Indem Rabl in seiner Schrift über Eduard
van Beneden (1915, I. c. S. 100-109) denselben ausführlich
bespricht, gibt er am Schluss seiner Erörterung mit aller Ent-
schiedenheit die Erklärung ab: „Die Theorie oder Hypothese der
Chromosomenkontinuität nehme ich als mein ausschliesslich
geistiges Eigentum in Anspruch und teile mich weder mit
Boveri, noch mit irgend einem anderen in die Priorität derselben.“
Was Boveri betrifft, so liegt der Sachverhalt sehr einfach
und klar. Man muss ©. Rabl darin vollkommen Recht geben,
dass vor einem Areopag über Prioritätsfragen Boveri seine
Ansprüche nicht würde mit Erfolg verfechten können, da er erst
mehrere Jahre nach Rabl und in voller Kenntnis seiner Abhand-
lung (1884) überhaupt erst begonnen hat, sich gleichfalls über
die „Chromosomen-Individualität“ auszusprechen (1387 und 1855):
er hat sich dabei auch ursprünglich seinem Vorgänger im wesent-
lichen angeschlossen. (Siehe Anmerkung 15 auf S. 150.)
Schwieriger ist es, die Stellung van Benedens zur Lehre
von der Kontinuität der Chromosomen in bezug auf die Priorität
zu präzisieren. (Man vergleiche hierüber die Anmerkung 16
und spätere Abschnitte, in denen die Entdeckungen und Ansichten
van Benedens noch eingehender erörtert werden.)
Bei Besprechung der Fortschritte, die in der Erkenntnis
der Karyokinese während der zweiten Periode erzielt worden sind,
ist bis jetzt von der Kernspindel und den beiden Protoplasma-
strahlungen an ihren Enden, den Attraktionszentren, nicht die
tede gewesen. Es liegt dies daran, dass das Interesse der Kern-
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. IM
forscher vorübergehend fast ganz durch das Studium der chro-
matischen Kernfigur absorbiert wurde. Dies gilt namentlich von
Flemming. In seiner ersten grundlegenden Untersuchung
(18791. e.) hat dieser nichts von Spindelfasern, nichts von Zentral-
körperchen, nichts von Protoplasmastrahlungen in seinen zahl-
reichen Kernteilungsfiguren abgebildet und auch im Text aus-
drücklich hervorgehoben: „Bei Salamandra ist bei den schärfsten
Tinktionen, wo die Kernfigur leuchtend gefärbt ist. nichts von
solchen Dingen zu sehen.“ „So lange aber dieselben nicht demon-
striert sind, muss für mich ein Zweifel bestehen, ob alle diese
Dinge als wesentlich für eine Zellteilung anzusehen sind.“
(1879, 1. c. S. 420.) Er findet es zwar für „durchaus erklärlich,
dass man (in der ersten Periode der Kernforschung) gerade „die
Kernspindel“ als allgemein und besonders wesentlich bei der Zell-
teilung hingestellt hat. — Die Erfahrungen bei den tierischen
(rewebszellen scheinen ihm aber zu lehren, „dass es bei einer Zell-
teilung auch ohnedem abgehen kann.“ (1879, 1.c.8.419.) Flemming
hat damals die genannten Strukturen nicht beachtet, weil sie bei
(rewebszellen von Salamanderlarven überhaupt wenig ausgeprägt
und bei Anwendung „reiner“ Kernfärbemittel, bei Aufhellung in
3jalsam und beim Arbeiten mit weiter Blende des Beleuchtungs-
apparates kaum oder gar nicht zu sehen sind.
Schon nach kurzer Zeit hat indessen Flemming seine
erste Ansicht geändert. Nachdem er die Spindelfigur bei Pflanzen-
zellen und bei Seeigeleiern selbst studiert und auch die Zentral-
körperchen an einem Präparat von Fol aus eigener An-
schauung kennen gelernt hatte, überzeugte er sich, dass ent-
sprechende Strukturen auch an Gewebszellen von Salamandra etc.
vorhanden sind. Er wurde dadurch veranlasst, zwei Substanzen
im Kern als Chromatin und Achromatin (1880, l. ec. S. 158) und
dementsprechend bei der Teilung auch eine chromatische und eine
achromatische Kernfigur zu unterscheiden. Wenn die Tatsachen,
auf Grund deren dies geschah, auch nicht neue waren, so war
jedenfalls die Unterscheidung eine recht zweckmässige und hat
zur leichteren Beschreibung und zum besseren Verständnis der
Kernfiguren mit beigetragen. Auch werden von jetzt ab die
chromatische und achromatische Kernfigur von Flemming in
seine Definition der Karyokinese (1582, Zellsubstanz etc. S. 194)
mit aufgenommen.
u |
n
Oskar Hertwig:
Vorübergehend geriet die Lehre von der Kernspindel auf
Abwege, als van Beneden und Neyt (1887 1. c.) die Behaup-
tung aussprachen, dass die Spindel entgegen den Angaben der
Forscher, die sie entdeckt hatten, sich aus zwei polaren Hälften
oder aus zwei Kegeln von Fasern zusammensetzen soll. die sich mit
ihrem einen Ende an das Zentrosom, mit ihrem anderen an eine
chromatische Schleife anheften. In jeder Halbspindel sahen
sie mithin nichts anderes, als nur einen besonders differenzierten
Teil der protoplasmatischen Sternfigur, welcher sich nur durch
eine etwas grössere Dicke der Fasern vor den übrigen aus-
zeichnet. Indem ferner die Fasern mit quergestreiften Muskelfibrillen
verglichen wurden (1. c.S. 67) und ihnen Kontraktilität zugeschrieben
wurde, deutete van Beneden die zwei Sternfiguren mit den
Spindelhälften gleichsam als eine Art von radiärem Muskelsystem
(une sorte de systeme musculaire radiaire), in welchem das Zen-
trosom die Rolle eines Insertionsorgans spielt. Die Spindelfasern
liess er wie aktive Zugstränge wirken, die durch ihre Verkürzung
die Tochterchromosomen nach den beiden Attraktionszentren hin-
ziehen. Die achromatische Kernfigur erschien ihm also als ein
Mechanismus, welcher derZellteilung dient, wie unser Muskelsystem
der Lokomotion (1887, l. c. S. 51—54, 60, 66—68). Boveri
(1888) hat sich gleichfalls zugunsten dieser Auffassung ausge-
sprochen.
Es liegt ausserhalb meiner Aufgabe. hier auf die von mir
nicht geteilte Hypothese des Teilungsmechanismus von Kern und
Zelle einzugehen; nur das eine sei festgestellt, dass man, belehrt
durch verbesserte Darstellungs- und Färbungsmethoden, auf
die ursprüngliche Auffassung der Spindel als eines einheitlichen,
von den Protoplasmastrahlen auch stofflich verschiedenen Gebildes
wieder zurückgekommen ist. Dasselbe wird zum Unterschied
von der Darstellung van Benedens und Boveris häufig
auch als „Zentralspindel“ bezeichnet; diese ist aber nichts anderes
als die Kernspindel in der älteren Literatur. Der Zusatz „Zentral“
ist ein überflüssiger, da es ausser der von Bütschli, Strasburger
und mir unterschiedenen Spindel eine andere nicht gibt.
Indessen ist auch auf dem Gebiete der achromatischen
Kernfiguren ein wichtiger Fortschritt in der zweiten Forschungs-
periode erzielt worden. Er betrifft das jetzt als Zentrosom be-
kannte Gebilde. Wie schon früher nachgewiesen ist (S. 63),
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 18!
wurde dasselbe schon 1575 von mir an Osmiumkarminpräparaten
beschrieben und abgebildet, und von Fol, der meine Befunde
bestätigte, „corpuseule central de l’aster“ genannt. 1876 be-
obachtete es van Beneden in Dicyemideneiern, bildete es aber
weniger deutlich als seine Vorgänger ab, da die Dieyemidenzellen
und ihre Kerne sehr klein sind; er bezeichnete es als corpuscule
polaire. Auch für das Studium dieser Gebilde sind die Furchungs-
stadien der Eier von Ascaris megalocephala vorzüglich geeignete
Objekte. Denn hier sind die Zentralkörperchen erheblich grösser als
anderswo; sie sind auch leichter als gewöhnlich zu färben: mit
Malachitgrün (van Beneden), mit Säurefuchsin (0. Hertwig),
mit Eisenhämatoxylin (Heidenhain).
Diesem Umstand haben wir eine wichtige Entdeckung über
die Vermehrung der Zentralkörperchen durch Teilung zu ver-
danken. Boveri und van Beneden, zwei gleich geübte und
scharfsinnige Forscher, mit dem Studium desselben Gegenstandes
beschäftigt, sind gleichzeitig zu entsprechenden Ergebnissen gelangt.
Boveri hat seine erste kurze vorläufige Mitteilung ohne Figuren
drei Monate vor van Beneden und Neyt veröffentlicht, diese
wiederum gaben einen ausführlicheren und zugleich mit Abbildungen
versehenen Bericht. Von beiden Seiten wurde festgestellt, dass
die Zentralkörperchen nach der Teilung der ersten Embryvonalzellen
ausserhalb desKernsim Protoplasma
bestehen bleiben und sich hier bald
durch Selbstteilung (Fig. 19a) zu
vermehren beginnen, indem ein
jedes sich streckt, in der Mitte ein- H Fig. 19. h
schnürt und in zwei Tochterkörper- che Darstellung dee
chen zerfällt, zwischen denen sichdie meilung der Zentrosomen nach
Spindel für die nächste Kernteilung van Beneden und Neyt (1887,
ausbildet (Fig. 19b. Boveri & Anfangsstadium der Teilung,
gab jetzt dem Zentralkörperchen b) nach vollendeter Teilung, l2c:
r TER, Taf. II, Fig. 13 u. 14).
den sich rasch einbürgernden
Namen „Zentrosom“ und der es einhüllenden homogenen Proto-
plasmakugel den Namen „Archoplasma“. Van Beneden wiederum
verallgemeinerte seine Entdeckung und gab ihr eine grössere wissen-
schaftliche Tragweite durch Verbindung mit einer Theorie, die
ich mit seinen eigenen Worten wiedergebe: „Nous sommes donc
autorises a penser que la sphere attractive avec son corpuscule
s0 Oskar Hertwig:
central constitue un organe permanent, non seulement pour les
premiers blastomeres, mais pour toute cellule; qu’elle constitue
un organe de la cellule au m&me titre que le noyau lui-meme;
que tout corpuscule central derive d’un corpuscule anterieur;
que toute sphere procede d’une sphere anterieure, et que la
division de la sphere precede celle du noyau cellulaire*“.
„I est clair que la cause immediate de la division cellulaire ne
reside pas dans le noyau, mais bien en dehors du noyau, et
specialement dans le corpuscule central des spheres.“
Die von den beiden Forschern gleichzeitig gemachte Ent-
deckung der Teilbarkeit der Zentrosomen führte in der Folge
leider auch wieder zu einem wenig erfreulichen Prioritätsstreit, ob-
wohl der Sachverhalt hierzu eigentlich keinen Anlass geboten hätte.
(Das Nähere hierüber findet man in Anmerkung 17 auf S. 152.)
Wenn wir zum Schluss noch die Ergebnisse der ersten und
der zweiten Periode in der Erforschung der Karvokinese mit-
einander vergleichen, so wird man finden, dass die dort gelegten
Grundlagen sich in der Folgezeit bewährt haben, wenn sie auch
nach verschiedenen Richtungen weiter und reicher ausgebaut
worden sind. Unter dem ersten Eindruck der an Salamander-
zellen gewonnenen Bilder dachte man in dieser Beziehung vielfach
anders, besonders Flemming selbst, der im zweiten Teil seiner
Beiträge (1880, 1. ec. S. 193, 194) often erklärt: „Nach den ersten
Arbeiten von Bütschli, Strasburger und OÖ. Hertwig schien
sich ein Schema (für die Karyokinese) ziemlich einfach zu ergeben:
man kannte nur die Kernplatten und Kernspindeln, man glaubte
sonach zu haben: eine längsfaserige Differenzierung des Kerninhalts,
darin eine Anhäufung von Körnern im Äquator, eine Teilung
dieser Körner und ein Abrücken ihrer Hälften gegen die Pole. —
Nach den neueren Arbeiten über Tierzellenteilungen ist dies
Schema nicht mehr zu halten; zum mindesten nicht als Allgemein-
gültiges. Es ist ohne Erläuterung klar, dass die Knäuel- und
Sternformen gar nicht darin unterzubringen sind. — Bei solcher
Sachlage muss man eben fast von vorn anfangen“. —
Von dieser Stellungnahme ist Flemming wohl später selbst
zurückgekommen, nachdem er Strukturen, die er bei Salamander-
zellen anfangs übersehen hatte, Spindel und Zentrosomen, durch
Verbesserung seiner Färbungsmethoden auch hier nachweisen
konnte.
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. sl
Bei einem historischen vergleichenden Rückblick ist vielmehr
festzustellen, dass alle typischen und wesentlichen Bestandteile
und Stadien der karyokinetischen Figuren schon in der ersten
Periode richtig entdeckt waren: die aus Fasern zusammengesetzte
Spindel, die aus Nuklein- oder Chromatinkörnern aufgebaute
Äquatorialplatte und ihre Spaltung in zwei Seitenplatten, welche auf
den Spindelfasern auseinanderweichen und ihre Ruhelage in einigem
Abstand von den Spindelenden finden; ferner die Entstehung
der Tochterkerne aus den chromatischen Elementen der Seiten-
platten; endlich die Ausbildung der Strahlenfiguren im Protoplasma
(Aster und Amphiaster) und das ihnen zum Mittelpunkt dienende
Pol- oder Zentralkörperchen. Wie wir jetzt wissen, gleichen bei
den meisten Pflanzen und Tieren (bei Wirbellosen. bei den
kleinkernigen Embryonal- und Gewebszellen der Fische, Vögel
und Säugetiere), sogar die kleinen Kernteilungsfiguren mit ihren
zahlreichen, kurzen Chromosomen, zumal, wenn sie nicht mit den
allerstärksten Vergrösserungen betrachtet werden, mehr den
älteren Abbildungen, als den Kernteilungsfiguren von Salamandra
und Ascaris mit ihren aussergewöhnlich grossen schleifenförmigen
Elementen.
Auf der anderen Seite ist trotzdem die Kenntnis der Karyo-
kinese während der zweiten von mir unterschiedenen Periode
nach allen Richtungen noch sehr vertieft und gefördert worden.
Die Technik des Konservierens und der Gewinnung scharfer Farb-
bilder machte grosse Fortschritte, ebenso unsere Unterscheidung
der verschiedenen Kernsubstanzen, ferner die Trennung der karyo-
kinetischen Figur in einen chromatischen und achromatischen
Bestandteil. Neu entdeckt wurde das schon im bläschenförmigen
Kern sich ausbildende Knäuelstadium von Flemming, d.h. die
Anordnung der im Kernraum zerstreuten Chromatinkörnchen zu
einigen langen, feingewundenen Fäden: die starke Verkürzung
derselben zu den stark färbbaren, schleifenförmigen Chromosomen.
Aber am wichtigsten sind drei Entdeckungen: 1. Das Zahlengesetz
der Chromosomen. 2. die Längsspaltung der Chromosomen des
Muttersterns und die Verteilung ihrer Tochterhälften in entgegen-
gesetzten Richtungen, 3. die Vermehrung der Zentrosome durch
Teilung und die hierauf sieh stützende Deutung derselben als
selbständige Zellorgane. Endlich wurde noch durch Einführung
einer besonderen griechischen Terminologie (Chromosomen resp.
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 90. Abt. I. 6
82 Oskar Hertwig:
Kernsegmente, Zentrosomen resp. Zentralkörperchen) eine gewisse
Selbständigkeit der einzelnen Bestandteile der Kernfiguren schärfer
zum Ausdruck gebracht.
2. Fortschritte in der Erforschung der Eireife und Befruchtung.
Die Fortschritte auf dem Gebiet der Eireife und Befruch-
tung hängen auf das innigste mit dem tieferen Einblick zusammen,
den man in das Wesen der Karyokinese, besonders in das Zahlen-
gesetz und in die Längsspaltung der Chromosomen inzwischen
gewonnen hatte. Daher tritt jetzt auch ein Untersuchungsobjekt,
das durch die Grösse und geringe Zahl der Chromosomen wie
kein anderes ausgezeichnet ist, eine Zeitlang ganz in den
Vordergrund des Interesses. Es sind dies die Geschlechts-
produkte von Ascaris megalocephala. Nachdem diese schon früher
mehrfach untersucht worden waren, wird jetzt aufs neue die Auf-
merksamkeit auf sie durch drei Arbeiten gelenkt, die Schneider,
Nussbaum und van Beneden unabhängig voneinander be-
gonnen und in den Jahren 1883 und 1884 veröffentlicht haben.
A. Schneider hatte sich in seinem Buch: „Das Ei und
seine Befruchtung“ (1883) eine gross angelegte Aufgabe gestellt,
indem er nicht nur mehrere Nematoden, unter ihnen Ascaris
megaloc., sondern auch Echinodermen (Seesterne und Seeigel) und
Plattwürmer (Mesostomum, Nephelis, Aulostoma, Piseicola) auf ihre
ersten Entwicklungsvorgänge untersuchte; aber er blieb hinter
seinem Ziel so weit zurück, dass seine Ergebnisse einen grossen
Rückschritt gegenüber den Errungenschaften seiner Vorgänger
bezeichnen. Denn ungenaue und falsche Beobachtungen, verkehrte
Deutungen und Urteile werden von ihm zur vermeintlichen
Widerlegung schon wohl begründeter und allgemein anerkannter
Entdeckungen verwertet. So konnte gleich 1854 van Beneden
es mit Recht „als wahrhaft unbegreiflich bezeichnen, dass mit
einem. so günstigen Material Schneider nicht die falsche
Richtung des von ihm eingeschlagenen Weges erkannt hat“ (1884,
l. c. S. 408). Indessen hebt sich von den zahlreichen Irrtümern,
auf die einzugehen kein Interesse vorliegt, doch vorteilhaft eine
gute Beobachtung Schneiders über die Befruchtung von Ascaris
ab: denn er sah und beschrieb ganz richtig das Anheften eines
Samenkörpers an das Ei, sein allmähliches Eindringen und seine
längere Zeit dauernde Erhaltung im Dotter im unveränderten
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 83
Zustand und gab hiervon zutreffende Abbildungen; doch kam er
zuletzt auch hier wieder zu dem falschen Resultat, dass der
Samenkörper sich ganz auflöst und dass die später zu beobachtenden
zwei Kerne durch Teilung des Keimbläschens entstanden sind.
Vorteilhaft von Schneiders Werk hebt sich die an-
spruchslosere Untersuchung von M. Nussbaum ab. Dieser
liess noch vor der Veröffentlichung von van Benedens Buch
eine Mitteilung im Sommer 1883 in den Sitzungsberichten der
Niederrheinischen Gesellschaft und bald darauf die mit Tafeln aus-
ausgestattete Abhandlung Anfang 1384 erscheinen. (Anmerkung 15.)
Er wies nach, dass bei der Vermehrung der Oogonien und Sperma-
togonien, sowie bei der Teilung des befruchteten Eies nur vier
grosse, schleifenförmige Chromosomen in den Embryonalzellen
gebildet werden (Fig. 17a), dass das Ei nur durch einen einzigen
Samenkörper befruchtet wird, den er auf allen Phasen des Ein-
dringens und im Ei verfolgen konnte, dass ferner aus dem Keim-
bläschen eine Spindel entsteht, die durch ihre Teilung zwei
Richtungskörper und den Eikern liefert und dass neben diesem
sich ein zweiter bläschenförmiger Kern entwickelt, der dem ein-
gedrungenen Samenkörper entstammt. Nussbaum nannte diese
beiden Kerne Eikern und Samenkern, indem er sich meiner
Darstellung der Eireifung und Befruchtung anschloss.
Nussbaums verdienstliche Abhandlung wird allerdings von
van Benedens gleich nachfolgenden Untersuchungen noch weit
übertroffen. Wie van Beneden seinen Gegenstand ohne Frage
viel intensiver als Nussbaum beobachtet und durchdacht hat,
so hat er auch dementsprechend wichtigere Ergebnisse gewonnen;
vor allen Dingen aber hat er die Befruchtungslehre durch zwei
neue glänzende Entdeckungen ganz wesentlich gefördert. Diese
wurden ihm ermöglicht teils durch die inzwischen erfolgten Fort-
schritte auf dem Grebiet der Karyokinese, teils durch die schon
betonte aussergewöhnliche Gunst seines Beobachtungsobjektes,
das ausser den genannten auch noch den Vorzug darbietet, dass
sich Ei- und Samenkern längere Zeit getrennt nebeneinander
erhalten. Gerade infolge ihres Getrenntbleibens aber konnte
van Beneden tiefere Einblicke, wie sie keinem seiner Vorgänger
möglich gewesen waren, in die feinere Zusammensetzung der
beiden Kerne gewinnen: er konnte nachweisen, — was ich als
die erste seiner beiden Entdeckungen bezeichne — dass jeder
6*
[0 6)
4 Oskar Hertwig:
Pronukleus sich aus zwei chromatischen Elementen entwickelt.
der eine aus der chromatischen Substanz der im Ei zurück-
bleibenden Hälfte der zweiten Richtungsspindel, der andere aus
dem eingedrungenen Samenkörper. In jedem verteilt sich das
Chromatin vorübergehend in einem Netzwerk, sammelt sich aber
nach einiger Zeit wieder, noch während die Pronuklei bläschen-
förmig bleiben, in zwei Schleifen. Also besitzt das befruchtete
Ei zwei Chromosomen weiblicher und zwei Chromosomen männ-
licher Herkunft. Diese treten alsbald nach Auflösung der Kern-
blasen zum Mutterstern der ersten Teilspindel zusammen. Dadurch.
dass sie sich später der Länge nach spalten (vgl. S. 71) und
nach den Spindelpolen auseinanderweichen, erhält bei der Teilung
des Eies jede Hälfte vier Tochterchromosomen, von denen zwei
vom Eikern, zwei vom Samenkern abstammen. Van Beneden
knüpft hieran die Hypothese, dass, wie die vier Chromosomen in
den beiden ersten Embryonalzellen bis zur Bildung der beiden
bläschenförmigen Tochterkerne getrennt bleiben. sie auch in diesen
sich nicht vermischen und ebenso im ganzen weiteren Verlauf
der Entwicklung. Er nennt diesen Zustand einen Hermaphroditis-
mus der Zelle (1884 I. c. S. 313) und sucht die auf den ersten Blick
fremdartig anmutende Ansicht wahrscheinlich zu machen durch einen
Hinweis auf die Protozoen und Protophyten, die ihrer Mehrzahl nach
Hermaphroditen sind (Konjugation der Infusorien. Nach der
Auffassung van Benedens sind also infolge der Befruchtung
die Kerne aller Zellen hermaphrodit. „Les cellules des tissus“,
heisst es auf Seite 404, „partagent ce caractere avec les protozoaires
etles protophytes.“ Die hier kurz besprochene, durch van Beneden
neu entdeckte Tatsache ist von fundamentaler Wichtigkeit, wenn
sie auch mit einer Hypothese verknüpft ist, die wir später als
unbegründet werden zurückweisen müssen.
Nicht minder grundlegend ist seine zweite Entdeckung, aber
auch hier mit der oben gemachten Einschränkung. Sie gibt uns den
ersten Einblick in eigentümliche, wichtige Verhältnisse der chro-
matischen Substanz bei der Ei- und Samenbildung. Wenn nämlich
infolge der Befruchtung die als hermaphrodit bezeichneten Kerne
aller Zellen bei Ascaris meg. vier Chromosomen besitzen, dagegen
der männliche und der weibliche Vorkern nur ihrer zwei, so liegt
die Frage nahe, wie ist dieser Zustand der verringerten Chromo-
somenzahl entstanden. Indem van Beneden sie aufwarf, glaubte
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 85
er die Erklärung bei einem eingehenden Studium der Ei- und
Samenbildung in einem Vorgang gefunden zu haben, den er öfters
als Reduktion bezeichnethat. Er ist dadurch der Begründer
der Lehre vom Reduktionsprozess geworden.
Was zunächst die Vogenese betrifft, so verwarf van Beneden
den von mir gelieferten Nachweis, dass die beiden Richtungs-
körper kleine rudimentäre Zellen sind und dass der zu ihrer
Bildung führende Prozess mit seinen eigentümlichen Kernfiguren
einer Karvokinese entspricht. Er erblickte vielmehr in den
Richtungskörpern ausgestossene Kernteile des Keimbläschens,
wenigstens bei den von ihm untersuchten Eiern von Ascaris
megalocephala. Indem er so an seiner älteren, schon besprochenen
irrigen Ansicht (S. 14) teilweise festhielt, bat er sie jetzt, ge-
stützt auf bessere Beobachtungen, in eine neue Form gebracht.
Nach seiner Darstellung, die ich kurz wiedergebe, ist das Chromatin
des Keimbläschens auf zwei nebeneinander gelegene Scheiben
verteilt. von denen eine jede aus vier Kügelchen zusammengesetzt
ist; sie wird im Ganzen dem Keimfleck verglichen. Sie ist von
einer homogenen Substanz umgeben, dem Protohyalosoma. Dieses
kommt mit seinen beiden Chromatinscheiben nach der Auflösung
der Membran des Keimbläschens in den Dotter zu liegen, nimmt
eine faserige Beschaffenheit an, rückt an die Oberfläche des Eies
und bildet hier anstatt einer typischen Spindel eine y-förmige
Figur. Der erste Richtungskörper entsteht auch nicht durch eine
Zellteilung irgendwelcher Art, sondern durch „eine wirkliche
Ausstossung aus einer Art von Öffnung“. (Vergleiche Anmerkung 19a
auf S. 157.) Ausgestossen wird die Hälfte von jeder chromatischen
Scheibe und die Hälfte des faserig differenzierten Prothyalosoma.
Dieses teilt sich, wenn man es einer Kernspindel vergleichen
will. nicht quer zu seiner Längsachse, sondern tangential.
(Anmerkung 19b.) Die im Ei zurückgebliebene Hälfte des Prothya-
losoma wird jetzt Deuthyalosoma genannt und enthält die Hälfte.
jeder Scheibe. Aus ihm entsteht dann in derselben Weise wie der
erste der zweite Richtungskörper. Es wird wieder die Hälfte sowohl
vom Deuthyalosoma wie von jeder der beiden chromatischen Scheiben
ausgestossen, während die andere Hälfte im Ei zurückbleibt und das
Material für den Eikern liefert. Die Zellnatur der Richtungs-
körperchen wird aus zwei Gründen entschieden bestritten, 1. weil sie
kein Protoplasma enthalten, sondern nur aus ausgestossener Kern-
56 Oskar Hertwig:
substanz (Prothyalosoma und Chromatin) bestehen sollen (1. c.S. 394),
2. weil der von mir an anderen Objekten als typische Karyokinese
beschriebene Prozess nur eine Pseudokaryokinese mit
tangentialer Halbierung der y-Figur sei. Der Zweck der Aus-
stossung von Kernteilen aber wird in einer Art Reinigung des
Eies erblickt. (Siehe Anmerkung 19c.)
Worin liegt nun trotz der verschiedenen Irrtümer der durch
van Beneden auch hier herbeigeführte Fortschritt? Er beruht
wieder auf dem tiefern Einblick, der durch ihn in die Zusammen-
setzung und Verteilung der chromatischen Substanz dank der
erheblichen Grösse ihrer Elemente bei der Ovogenese gewonnen
wurde. Denn die vier Stücke, aus denen sich jede der chroma-
tischen Scheiben der ersten Ypsilonfigur aufbaut, verteilen sich
bei der Ausstossung des ersten Richtungskörpers zu gleichen
Hälften auf diesen und das Ei. In derselben Weise werden die
im Ei zurückgebliebenen zwei Gruppen von je zwei Elementen
wieder auf den zweiten Richtungskörper und den weiblichen
Vorkern verteilt, so dass seine chromatische Substanz auf ein
Viertel der ursprünglich im Keimbläschen enthaltenen reduziert ist.
(Siehe Anmerkung 19d.)
Diese wichtige Entdeckung von bleibendem Wert verwendete
van Beneden zu einer minder wertvollen Hypothese, die man
als einen weiteren Ausbau seiner schon früher besprochenen
Hypothese vom Hermaphroditismus der Zellen kennzeichnen kann.
Er folgerte nämlich so: Wie bei Ascaris alle Gewebszellen, die
infolge der Befruchtung zwei männliche und zwei weibliche Chro-
mosomen erhalten haben, hermaphrodit sind, so gilt dies auch
noch von den unreifen, weiblichen und männlichen Geschlechts-
zellen. Sie müssen daher erst noch durch irgend einen Vorgang
rein weiblich oder rein männlich werden, oder wie es van Beneden
ausdrückte, sich in eine gonocyte femelle (l. ec. S. 311) und in eine
gonocyte mäle umwandeln. Dies geschieht im einen Fall durch
die Eireife, im andern durch die Samenreife. Bei der Eireife
werden durch die Ausstossung der beiden Richtungskörper die
männlichen Bestandteile der ursprünglich hermaphroditen Zelle
wieder entfernt, zum Beispiel also die männlichen Chromatin-
schleifen, die bei der Befruchtung durch den Samenkörper ins
Ei eingeführt und von Zelle zu Zelle durch Teilung übertragen
worden sind. Der Eikern ist infolgedessen nur noch ein halber
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 87
oder reduzierter, ein eingeschlechtlich (unisexu&) gewordener Kern
(deminoyau) (l. ec. 5. 401) und wird Pronukleus oder Vorkern ge-
nannt. Das Ei aber hat erst von jetzt ab durch die Ausstossung
der Richtungskörper seinen weiblichen Geschlechtscharakter er-
halten und ist zur gonocyte femelle geworden (l. c. S. 395) (An-
merkung 19e), und ebenso sind, von diesem physiologischen Gesichts-
punkt aus betrachtet, die Richtungskörperchen nichts anderes als
die aus dem Ei entfernten männlichen Elemente des ursprünglich
hermaphroditen Keimbläschens (l. ce. S. 395). (Anmerkung 19 e.)
Eireifung und Befruchtung stehen hierdurch in einem engen Zu-
sammenhang in der Weise, dass die dort eingetretene Reduktion
wieder einen Ersatz durch die Befruchtung findet. Somit gibt
jetzt van Beneden von der Befruchtung folgende Definition
(l. e. S. 401): „Fecondation consiste dans la transformation du
gonocyte femelle dans une cellule complete (hermaphrodite), dans
le remplacement des elements expulses par des el&ments nouveaux
apportes par le zoosperme.“ (Anmerkung 19f.) Durch sie wird
gleichsam das Ei wieder belebt und mit der ganzen Energie ver-
sehen, die für seine Umwandlung in ein den Eltern gleiches
Individuum notwendig ist (l. ec. S. 311).
Es war nur folgerichtig von van Beneden gedacht, als
er vermutete, dass ein der Bildung der Richtungskörperchen ent-
sprechender Vorgang auch während der Samenbildung stattfinden
müsse, dass die Mutterzellen der Samenfäden, da sie gleich dem
unreifen Ei hermaphrodite Kerne besitzen, sich durch irgend einen
Prozess der weiblichen Kernschleifen entledigen müssen, um zu
einer männlichen Geschlechtszelle (gonocyte mäle oder Samenfaden)
zu werden, der der weiblichen Geschlechtszelle (gonoeyte femelle
oder Reifei) identisch ist.
Um den Nachweis für die Richtigkeit seiner Vermutung zu
führen, unternahm van Beneden gemeinsam mit Julin das
Studium der Spermatogenese bei Ascaris megalocephala und ver-
öffentlichte seine Beobachtungen schon im Jahre 1884, kurze Zeit
nach der Herausgabe seiner „Recherches“ in einer vorläufigen
Mitteilung ohne Abbildungen. Dieselbe trägt in jeder Beziehung
den Charakter einer vorläufigen und unfertigen Arbeit. Denn
durch seine als Leitmotiv vorausgefasste Hypothese verführt,
benutzte van Beneden richtige Beobachtungen mit falschen
kombiniert zu einer Reihe verfehlter Deutungen. Er suchte
tete) Oskar Hertwig:
nach ausgestossenen Teilen und glaubte sie auch gefunden zu
haben; nur waren es nicht diejenigen Elemente, welche wirklich den
Richtungskörperchen des Eies entsprachen; denn den wirklichen
Prozess, unter dem sich die Reduktion in der Spermatogenese
vollzieht, hat er vollständig übersehen.
In ihrer Schrift, deren Inhalt ich kurz wiedergebe, haben
van Beneden und Julin eine Nomenklatur angewandt, welche
von der üblichen durch La Valette begründeten, auch von
Nussbaum beibehaltenen und jetzt allgemein eingebürgerten
abweicht, so dass man bei der Lektüre sich vor Verwechslungen
hüten muss. Denn die Spermatogonien nannten sie spermatomeres,
die Spermatozyten dagegen spermatogonies und die Spermatiden
schliesslich spermatocytes. Sie verurteilten daher auch Nussbaums
richtige Namengebung als einen offenbaren Irrtum (erreur manifeste).
Um Verwechslungen vorzubeugen, werde ich mich in meiner
Darstellung der Lehre van Benedens der jetzt üblichen Namen
bedienen.
Im Anfangsteil der Hodenröhre (Region formative) beobachtete
van Beneden zahlreiche Teilungen der Spermatogonien und
unter ihnen besonders häufig das schon vor ihm durch Nussbaum
beschriebene Spindelstadium mit vier grossen Chromatinschleifen.
Ausserdem aber entdeckte er als erster in den Lücken zwischen den
Spermatogonien hie und da auch noch vereinzelte, sehr viel kleinere
Körperchen, die aus einem Klümpchen Chromatin und einer
dünnen Hülle achromatischer Substanz bestehen. Er nannte sie
„globules residuels“ und deutete sie fälschlicherweise als Gebilde,
die den Richtungskörperchen der Eier gleichwertig seien, wie
er es nach der Hypothese des Zellenhermaphroditismus und der
Ausstossung ja im voraus erwartet hatte. Für diese Erklärung
schien ihm zu sprechen, dass er zuweilen unter den Spermato-
gonien mit Muttersternen anstatt der üblichen vier nur zwei oder
drei Kernschleifen zählen konnte. Auf dieser Grundlage entstand
dann der Lehrsatz: „Nous incelinons a croire que chaque spermato-
mere (spermatogonie) expulse successivement apres avoir subi
une metamorphose caryocinetique deux globules residuels. Le
noyau reduit, ä la suite de cette expulsion, ne renferme plus
aue deux anses chromatiques* (l. ec. S. 15). „L’anse chromatique
rejet6e est invariablement entouree d’une couche de substance
hyaline qui parait deriver du corps achromatique du noyau. Cette
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. sg
expulsion parait se faire dans le plan “quatorial. Tant par leur
eonstitution que par leur genese les globules rösiduels rappellent
les globules polaires de l’oeuf* (l. c. S. 15). Wie wenig indessen
die Beobachtungsgrundlagen für diese Schlussfolgerungen wirk-
lich beweisend waren, geht aus einer einschränkenden Be-
merkung hervor, die etwas später van Beneden und Julin
noch machten. „Nos observations sur l'origine des corpuscules
rösiduels et sur la multiplication des spermatogonies ne sont
cependant pas suffisantes pour nous permettre de nous prononcer
definitivement sur ces points“.
Im weiteren Verlauf der Samenentwicklung glaubte nun
aber van Beneden noch eine Beobachtung gemacht zu haben,
welche ihm für die Richtigkeit seiner Reduktionshypothese ganz
offenbar zu sprechen schien. Beim Studium der Spermatozyten,
ehe sie durch zweimalige Teilung die vier Spermatiden entstehen
lassen, fand er in ihren bläschenförmigen Kernen bei der Vor-
bereitung zur Karyokinese anstatt vier Chromosomen nur zwei
eigentümlich geformte Chromatinkörper. Es sind das die Gebilde,
die wir jetzt Vierergruppen nennen. Er beschrieb sie als pyramides
quadrilateres tronquees (l. ec. S. 20) und liess sie den primären
Kernschleifen eines sich teilenden Kerns entsprechen. Da es aber
ihrer anstatt vier nur zwei sind, erkannte er auch hierin wieder
einen Hinweis auf die vorausgegangene Reduktion. (Vergleiche
Anmerkung 20.)
In seinen zwei Schriften aus dem Jahre 1884 hat sich
übrigens van Beneden für die Annahme einer doppelten
Reduktion bei der Reifung der weiblichen und der männlichen
Keimzellen ausgesprochen. Ebenso wie für den Kern, nahm er
auch für das Protoplasma eine Ausstossung bestimmter Bestand-
teile und einen entsprechenden Ersatz durch neue an; mit der
„nuklearen“ verband er also — wenn auch mehr vermutungsweise —
noch eine „protoplasmatische Ersatztheorie“. Es geht dies nicht
nur aus der von mir in Anmerkung 21 gegebenen Dar-
stellung. sondern auch aus den beiden, die Ansicht van Bene-
dens kurz zusammenfassenden Aussprüchen hervor, auf die
schon C. Rabl (1916, l. ec. S. 74) die Aufmerksamkeit gelenkt
hat: „Le fait, qu’une partie du protoplasme ovulaire est expulsee,
en meme temps que les residus nucl&aires que nous appelons globules
polaires, permet de supposer que le spermatozoide fournit, lors
90 Oskar Hertwig:
de la fecondation de l’oeuf, non seulement un element nucleaire,
le pronucleus mäle, mais aussi des &l&öments protoplasmiques
destines a remplacer les substances perivitellines. Il est certain
que le zoosperme apporte dans le vitellus non seulement un noyau,
mais aussi du protoplasme. Rien n’autorise a affirmer que
le röle du protoplasme spermatique est secondaire
dans la fecondation“ (1884, l. c. S. 397). Eine Ergänzung
hierzu bildet eine zweite Stelle (l. e. S. 404): „La fecondation
implique essentiellement une substitution, c’est a dire le remplace-
ment d’une partie de la vesicule germinative par des elements
nucleaires provenant du zoosperme et peut @tre aussi d’une portion
du protoplasme ovulaire (substances perivitellines) par du proto-
plasme spermatique“.
Wie in unserer historischen Darstellung voll anerkannt
worden ist, hat van Beneden in seinen drei Abhandlungen
über Ascaris einen sehr bedeutenden Fortschritt, sowohl in der Lehre
von der Befruchtung, wie in der Lehre von der Ei- und Samenreife
herbeigeführt durch mehrere glänzende Entdeckungen, deren Be-
deutung schon von mir hervorgehoben und auch früher anerkannt
worden ist. Aber das Wertvolle findet sich in seinen Arbeiten
mit vielerlei falschen Beobachtungen, mit ungerechtfertigten
Deutungen und mit allgemeinen Hypothesen verbunden, welche
als verfehlte und zum Teil sogar als Rückschritte hinter das
bereits Erworbene bezeichnet werden müssen. Die Berichtigung
und Klarstellung dieser Irrtümer erfolgte denn auch sehr bald
durch Nachuntersuchungen an demselben Objekt, an dem sie
entstanden waren. Denn mit vollem Recht wurde jetzt während
längerer Zeit Ascaris megalocephala von zahlreichen Forschern,
von Zacharias, Carnoy, Gehuchten, Kultschitzki,
Boveri, von mir, von Brauer u. a. wegen seiner günstigen
Eigenschaften bevorzugt.
Zuerst ist hier auf die Reihe von Untersuchungen einzu-
gellen,. die Boveri schon drei Jahre nach van Benedens
erster Abhandlung unter dem gemeinsamen Titel: „Zellstudien“
herausgegeben hat. Wenn dieselben.auch zunächst vorwiegend
Nachuntersuchungen sind, so trat Boveri doch mit ihnen durch
die Genauigkeit und kritische Beurteilung der gesammelten Be-
obachtungen, durch die Zuverlässigkeit seiner vorzüglichen Ab-
bildungen seinem Vorgänger ebenbürtig an die Seite. Während
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 91
er die oben aufgeführten wichtigen Entdeckungen, die van
Beneden als erster gemacht hat, bestätigte, deckte er anderer-
seits zugleich einige seiner Fehler auf; er erkannte, dass die
Figuren und Beschreibungen van Benedens sich auf zwei
verschiedene Varietäten von Ascaris beziehen, von deren Vor-
handensein ich mich gleich darauf (1390) ebenfalls überzeugte und
die ich als univalens und bivalens benannt habe. Merkwürdiger-
weise war der belgische Forscher über diesenPunkt ganz mit Still-
schweigen hinweggegangen, obwohl die Bilder der Kernfiguren
bei beiden Varietäten sehr verschieden aussehen und von ihm
auch beobachtet und abgebildet worden sind. Ferner hat Boveri
die Erklärung van Benedens von der Genese der Richtungs-
körperchen durch Ausstossung von Kernteilen (Chromatinstäbchen,
Prot- und Deuthyalosoma) als einen Irrtum, der zum Teil durch
das Studium pathologischer Kernteilungsfiguren entstanden ist,
zurückgewiesen und die Richtigkeit der älteren Beobachtungen
auch für dieses neue Objekt bestätigt.
In einem Punkt blieb indessen Boveri im Unklaren und
liess sich auf einen Abweg verleiten. Es betrifft das Verständnis
der im Keimbläschen und im Kern der Spermatozyten vor Beginn
der letzten Teilperiode beobachteten Chromatinkörper, die man
jetzt Vierergruppen (Tetraden) nennt. Schon van Beneden
hatte sich durch die verschiedene Deutung, die er ihnen in seiner
Darstellung der Eireife und Spermiogenese gab, in einen Widerspruch
verwickelt, den er selbst nicht einmal bemerkt hat. Denn im
Keimbläschen liess er durch sie die gesamte Chromatinmenge
repräsentiert, und diese erst später durch die Ausstossung der
zwei Richtungskörper reduziert werden: im Kern der Spermatozyte
dagegen deutete er die dort beschriebenen Vierergruppen (pyra-
mides quadrilateres), als bereits reduzierte Gebilde, da seiner
Meinung nach ja schon zwei Chromatinschleifen als corps residuels
auf einem viel früheren Stadium ausgestossen worden sind. Zu
einem anderen Ergebnis als van Beneden kam wieder
Boveri, was das Verhalten des Keimbläschens betrifft. Er fasste
nämlich eine jede im Kern der Keimzellen auftretende vierteilige
Chromatinportion (Tetrade) als ein chromatisches Element auf
und hielt es für gleichwertig den Bildungen, welche bei Beginn
einer Karyokinese als Chromosome, als Kernsegmente, Schleifen.
Stäbchen etc. bekannt sind und „durch ihre Teilung in zwei
92 OaHertwig:
Hälften die Bausteine für die Tochterkerne liefern“ (1887, I,
l. ec. S. 14).
Da nun die Zahl dieser Elemente nur die Hälfte von der
Zahl beträgt, die man nach der Teilung aller anderen Zellen der
betreffenden Tierart erwarten sollte. nahm er an, dass schon vor
der Bildung der Richtungskörper die Chromosomen im Keim-
bläschen in reduzierter Zahl zum Vorschein kommen; er ver-
mutete, dass die Reduktion sich durch Atrophie der halben
Zahl von Chromosomen während der Ausbildung des Keim-
bläschens vollzieht, und hielt für derartig degenerierte Chromo-
somen zwei kleine, kuglige, intensiv färbbare Körperchen, welche er
im Keimbläschen neben den beiden vierteiligen, für die erste Richtungs-
spindel bestimmten chromatischen Elementen vorfand und welche
er später auf eine ihm noch unbekannte Weise verschwinden sah.
Auf die zwei Arbeiten Boveris folgte im Jahre 1857
die dritte Abhandlung von van Beneden und Neyt über Ascaris,
die schon früher gelegentlich mit erwähnten Nouvelles recherches etc.
In ihnen hielt van Beneden an seiner alten Auffassung, dass
die Richtungskörperchen keine Zellen sind und dass ihre Bildung
nicht auf dem Wege der Karyokinese erfolgt, mit Entschiedenheit
fest (l. e. S. 17), allerdings aus teilweise anderen Gründen als
ursprünglich. Seinen Gedankengang hat er jetzt in wenigen
Sätzen so zusammengefasst : „Uhaque fois qu’une cellule de l’Ascaris
se divise, on constate dans la plaque equatoriale de la figure
dicentrique l’existence de quatre anses chromatiques, et les noyaux
derives se constituent aux depens de quatre anses secondaires.
La division karyokinetique n’a donc pas pour effet de reduire le
nombre des &löments chromatiques du noyau, mais seulement de
dedoubler ces elements. Au contraire, la genese des globules
polaires a pour r6sultat de reduire de moitie le nombre des
elöments chromatiques du noyau ovulaire. Le noyau ovulaire,
aprös le rejet des globules polaires, n’est plus qu’un demi noyau.
Ce fait capital, &etabli pour la premiere fois dans le mömoire sur
la maturation de l’oeuf et la fecondation chez l’ascaris, montre
a l’evidence qu’il existe une difference radicale entre une division
cellulaire et la formation des globules polaires.“
Da ausserdem van Beneden auch meine Befruchtungs-
theorie durch seine eigene, mit einigen anderen Ideen verbundene
Theorie ersetzen wollte, so benutzte ich bei meiner 1888 erfolgten
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 93
Berufung und Übersiedelung nach Berlin sofort die sich mir
hier darbietende, günstige Gelegenheit, die Keimbildung bei Ascaris
megalocephala zu untersuchen in der Absicht, mir an einem so
überaus geeigneten Objekt ein eigenes Urteil über verschiedene
noch strittig gebliebene Fragen zu bilden. In Berlin konnte ich,
was in Jena nicht möglich war, vom grossen Pferdeschlachthof
fast jeder Zeit frisches Material für Studienzwecke erhalten.
Schon 1890 veröffentlichte ich meine Ergebnisse unter dem Titel:
„Vergleich der Ei- und Samenbildung bei Nematoden, Eine Grund-
lage für zelluläre Streitfragen“. Beim Studium dieses Themas
lernte ich ausser den schon früher aufgeführten noch einen
anderen unschätzbaren Vorteil von Ascaris kennen, der darin
besteht. „dass in der Samenröhre alle Entwicklungsstadien von
der einfachsten Ursamenzelle bis zum ausgebildeten Samenkörper
ohne Lücke aufeinander folgen. Man ist hier nie in Verlegenheit
über die Reihenfolge, in welcher sich die einzelnen Stadien an-
einander schliessen müssen, und wenn man Geduld und Ausdauer
zur Beobachtung mitbringt, kann man sich bis ins kleinste Detail
über die Veränderungen unterrichten, welche Zelle und Zellkern
in den verschiedenen Phasen der Samenbildung erleiden.“ (1890,
10182)
Durch eine fast lückenlose Untersuchung gelang es mir
denn auch an diesem Objekt bis ins Einzelne den Vergleich
zwischen den einander entsprechenden Stadien der Ei- und Samen-
reife durchzuführen, die Irrtümer von van Beneden aufzu-
klären und ein Schema aufzu-
stellen, welches jetzt allgemein an-
genommen ist. Ich wies nach, dass
die von van Beneden entdeckten
Zwischenkörperchen in der Keim-
zone der Hodenröhre (Fig. 20)
nicht ausgestossene Chromatin- Fig. 20.
schleifen sind, dass sie auch nicht Zwischenkörperchen (corps resi-
den Richtungskörperchen ent- duels, verkümmerte Spermato-
sprechen ‚können, schon aus dem gonien) aus verschiedenen Ab-
einfachen Grund, weil sie ‘eben- schnitten, der, Hodenröhre, Nach
: : E Age O0. Hertwig (1890, 1. c. Taf. II,
so in der Keimzone der Eiröhre Fig. 35). a, b Zwischenkörperchen
aufgefunden werden. Aber auch „usderTeilzone;c,dausderWachs-
hiervon abgesehen. können sie tumszone; e, f aus der Teilzone.
34 Oskar Hertwig:
in keiner Beziehung zu einer Reduktion des Chromatins stehen,
da der Reduktionsprozess erst auf einem viel späteren Stadium
der Ei- und Samenbildung, nämlich im dritten Abschnitt der
Keimdrüsen, in ihrer Reifezone, stattfindet. Ich deutete daher
die Zwischenkörperchen der Nematoden (Fig. 20) als rudimentär
gewordene weibliche und männliche Keimzellen, wie sie auch bei
anderen Tieren von mehreren Forschern (Flemming) beschrieben
worden sind. Gleichzeitig und unabhängig von mir wurden Corps
residuels auch von Lameere und von Boveri in der Keimzone
des Eierstocks von Ascaris aufgefunden und daraus gleichfalls
der Schluss gezogen. dass sie nicht den Richtungskörperchen
entsprechen können.
Zweitens entdeckte ich als erster den wirklichen Reduktions-
vorgang in der Spermiogenese von Ascaris, der von van Beneden
und Julin ganz übersehen worden war. Denn wie die Ver-
gleichung der entsprechenden Abschnitte der männlichen und der
weiblichen Geschlechtsorgane mir in voller Klarheit lehrte, ist
die Spermatozyte gleichwertig oder homolog dem unreifen Ei mit
Keimbläschen, der Ovozyte. Ihre Übereinstimmung schien mir,
von anderen Punkten abgesehen, allein schon daraus hervorzu-
gehen, dass in den Kernen von beiden der eigentümliche Chromatin-
körper auftaucht, den man jetzt Vierergruppe nennt, und zwar
einer bei Ascaris megal.-univalens, zwei bei A. m. bivalens. Weder
in dem Keimbläschen, wie es Boveri annahm, noch in dem
Spermatozytenkern, wie es van Beneden und Julin behaup-
teten, konnte schon eine Reduktion nach meiner Ansicht statt-
gefunden haben; sie konnte vielmehr nicht früher als beim
Abschluss der Ovo- und Spermiogenese erfolgen, bei jener durch
die Bildung der zwei Polzellen, bei dieser durch die Teilung der
Spermatozyte in vier Spermatiden. Denn durch genaues Studium
der bei Ascaris lückenlos aneinander gereihten Stadien gelang es
mir zum ersten Mal festzustellen. dass bei den ohne Unterbrechung
sich folgenden zwei Teilungen der Spermatozyte die vier Ele-
mente jeder Vierergruppe des Kerns genau in derselben Weise
verteilt werden, wie bei der Entstehung der: zwei Polzellen aus
dem Ei. Wenn nämlich die Kernspindel der Spermatozyte sich
gebildet hat, trennen sich die vier Elemente jeder Tetrade in
zwei auseinanderweichende Tochtergruppen von zwei zu einem Paar
(Dyade) vereinten Elementen, je eine Gruppe für eine der beiden
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 95
Präspermatiden, die aus der Teilung hervorgehen. Diese schicken
sich sofort unter Überspringung des bläschenförmigen Ruhe-
stadiums zur nächsten Teilung an, indem wieder eine Spindel
entsteht. in deren Mitte die Zweiergruppen ihren Platz nehmen
und alsbald sich in ihre auseinanderweichenden, einfachen
Elemente trennen. Infolgedessen erhält jetzt jede Spermatide
nur ein Element von jeder der ursprünglichen Vierergruppen der
Spermatozyte, also nur ein Viertel der gesamten ursprünglichen
Uhromatinmasse, genau so, wie es bei der Bildung der Polzellen
geschieht. Hiermit war in der Spermiogenese ein Vorgang,
welcher der Reduktion in der Ovogenese vollkommen gleichwertig
ist, auf das genaueste nachgewiesen. Die Vergleichung der einander
entsprechenden Zellgenerationen ergab sich nun von selbst. Denn
wie leicht zu sehen, entspricht die Spermatocyte dem unreifen Ei,
der Ovozyte. Die durch Teilung entstandenen zwei Präspermatiden
entsprechen dem Ei und der ersten Polzelle; die vier Spermatiden
aber sind gleichwertig dem Reifei. der zweiten Polzelle und den
beiden Tochterzellen, die sich durch eine nochmalige Teilung der
ersten Polzelle bei den meisten Tieren bilden. Daher haben die
Richtungskörper den morphologischen Wert rudimentärer Eizellen.
(1890, 1. c. S. 61—71.)
Kurz vor dem Erscheinen meiner Arbeit war schon Platner,
ein talentvoller Forscher, dessen wissenschaftliche Tätigkeit leider
ein frühes Ende fand, durch Untersuchungen an Schmetterlingen
und Mollusken zu ähnlichen Schlussfolgerungen gelangt. Er
erkannte, dass die Spermatozyten den Eiern und die zwei Tei-
lungen, welche sie noch eingehen, denen der beiden Richtungs-
spindeln entsprechen, dass in beiden Fällen eine Reduktion der
chromatischen Substanz stattfindet, indem die zweite Teilung
ohne eingeschaltetes Ruhestadium sofort an die vorhergehende
sich anschliesst (1889b, 1. c. S. 139, 144). Platners Beweis-
führung an den kleinen, mit zahlreichen Chromosomen ausge-
statteten Spermatozyten von Paludina, Helix und Limax agrestis
ist indessen keine lückenlose; die Darstellung, nur auf wenige
Abbildungen gestützt, ist sehr kurz gefasst und wirkt daher
nicht so überzeugend, wie es die Wichtigkeit des Gegenstandes
erfordert.
Den bei Ascaris bis ins kleinste durchgeführten Vergleich
und die aus ihm gewonnene Tatsache, dass die vier Samenzellen
96 Oskar Hertwig:
(Spermatiden) dem Reifei mit seinen drei Richtungskörperchen
entsprechen, benutzte ich als eine durchschlagende Widerlegung
des bis zuletzt von van Beneden verteidigten Irrtums, dass
die Richtungskörperchen keine Zellen seien. Denn wollte man
letzteres zugeben, dann müsste man folgerichtig zu der Ansicht
kommen, dass auch die vier Samenzellen, die sich in die Sperma-
tozoen umwandeln, keine Zellen mehr sind, ebensowenig wie
das Reifei, welches ja einer Samenzelle gleichwertig ist und von
welchem dann bei der Entwicklung alle nachfolgenden Zellgene-
rationen wieder abstammen. Ebenso wandte ich mich in Billigung
der schon von Boveri gegebenen Beweisführung gegen die
ebenso zäh festgehaltene Behauptung van Benedens. dass die
Vorgänge am Kern bei der Eireife keiner Karyokinese entsprächen,
sondern als Pseudokaryokinese zu bezeichnen seien. In voller
Anerkennung der Unterschiede, welche in der Bildung der Vierer-
gruppen und in dem Ausfall des bläschenförmigen Ruhestadiums
zwischen den beiden Reifeteilungen bestehen, sind die Merk-
male, die mit dem Ablauf einer Kernteilung übereinstimmen —
die Ausbildung einer Kernspindel mit ihren Protoplasmastrahlen
(also eines Amphiasters. Fol), die Bildung von Chromosomen,
ihre Anordnung in der Spindelmitte und ihre Verteilung auf zwei
sich trennende Gruppen — so überwiegend, dass mir jeder triftige
Grund zu fehlen scheint, den Vorgang nicht als Kernteilung
ansehen zu wollen.
Ich bin auf diesen Punkt nur deswegen noch einmal einge-
gangen, weil Rabl in seiner Abhandlung aus dem Jahre 1915
den Ansichten van Benedens in dieser Angelegenheit wenigstens
halb beipflichtet. Zwar gibt er, gestützt auf eigene Untersuchungen
(1915. 1. e. S. 111) zu, dass die erste Richtungsteilung ganz dem
Verlauf einer typischen Mitose entspricht. Denn er findet, dass sich
vor Beginn derselben die chromatische Substanz des Keimbläschens
zu einem Knäuel mit längsgespaltenen chromatischen Elementen und
deutlichem Polfeld anordnet und dass sich auf der ersten Richtungs-
spindel die Spalthälften eines jeden Uhromosoms nach den Polen
der Figur zu trennen. Der zweiten Reifeteilung aber spricht
Rabl den Charakter einer wirklichen Mitose aus dem einzigen
Grund ab, weil sich die beiden Elemente jeder Dyade nicht wieder
der Länge nach spalten, sondern als solche unverändert nach
entgegengesetzter Richtung, wie es auch sonst die Spalthälften
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. a7
tun, auseinanderweichen. Indem er Boveri bekämpft, wendet
er sich an ihn mit der Frage (l. c. S. 128): „Wäre es nicht
richtiger gewesen, einfach zu sagen, die zweite Richtungsteilung
sei keine Mitose, sie sei ein Vorgang, der mit einer wirklichen,
typischen Mitose nur eine gewisse äussere Ähnlichkeit hat? Die
zweite Mitose sei also, kurz gesagt, als Pseudomitose oder Pseudo-
karyokinese zu bezeichnen, um den von van Beneden ge-
brauchten Ausdruck zu benutzen? Freilich würde sich Boveri
mit einem solchen Eingeständnis der Auffassung van Benedens,
die er doch im Jahre 1887 so heftig und entschieden bekämpft
hatte, genähert haben“.
Wie ich schon auf Seite 91 näher begründet habe, hat
Boveri eine Reihe falscher Beobachtungen und durch sie ver-
anlasster Deutungen van Benedens richtig gestellt und mit
dem schon früher an anderen Objekten durch mich, Fol und
andere Forscher ermittelten Sachverhalt in Einklang gebracht.
Die Richtigkeit der Ansicht, dass die Richtungskörper ebenso wie
die Spermatiden Zellen sind und durch Zellenbildung entstehen,
habe ich durch meinen Vergleich der Ei- und Samenbildung der
Nematoden noch mehr erhärtet. Wenn Rabl den Standpunkt
van Benedens für die erste Richtungsteilung aufgibt, warum
nicht auch für die zweite? Dieselbe gleicht doch in ihrem ganzen
Verlauf, zumal bei Echinodermen, Mollusken und den meisten
Tierklassen, äusserlich der ersten zum Verwechseln, und sie bietet
auch sonst alle wesentlichen Merkmale der indirekten Kernteilung
dar, mit der einzigen Ausnahme, dass die Längsspaltung der
Chromosomen infolge des Ausfalls des bläschenförmigen Ruhe-
stadiums des Kerns unterbleibt und daher die Chromosomen von der
vorausgegangenen Teilung noch einmal zu gleichen Hälften ver-
teilt werden. Wird diesem einzigen, wenn auch wichtigen Unter-
schied, den ich schon in meinen ersten Abhandlungen bei Astera-
canthion und anderen Objekten feststellen konnte, nicht durch die
Einführung des Begriffes „Reduktionsteilung“ vollkommen und in
bester Weise Rechnung getragen? Ich glaube ja!
Nach dieser Darlegung der Unterschiede, die zwischen van
Beneden und mir in den Beobachtungen und Deutungen über
den Reduktionsprozess bei der Ovo- und Spermiogenese bestehen,
kann ich dem summarischen Urteil Rabls über die Verdienste,
die sich van Beneden durch seine Schrift „La spermatogendse
Archiv f. mikr. Anat. Bd.90. Abt.II. 7
95 Oskar Hertwig:
chez l’Ascaride“ erworben hat, nicht beipflichten. Rabl (1915,
l. e. S. 75—76) teilt dem belgischen Forscher mehr zu,
als ihm in Wirklichkeit zukommt, sowohl was die Richtigkeit der
Beobachtungen und ihrer Deutungen, als auch die leitende Gesamt-
idee betrifft. Allerdings hat van Beneden, von seiner Lehre
des Hermaphroditismus der Zellkerne und von der durch ihn ent-
deckten Tatsache ausgehend, dass der Samenkern bei Asc. meg.
bivalens nur zwei Chromosomen besitzt, folgerichtig die Ansicht aus-
gesprochen, dass auch das Spermatozoon eine reduzierte Zelle sei,
und hat sich daher bemüht, einen Reduktionsprozess in der
Spermiogenese aufzufinden. Dies Verdienst soll ihm in keiner
Weise bestritten werden. Bei der Ausführung seines Versuches
aber ist er in jeder Beziehung gescheitert, wie ich schon 1890
und jetzt wieder in der mir aufgedrungenen historischen Dar-
stellung auseinandergesetzt habe. Auch hat van Beneden in
seiner Schrift überhaupt nicht versucht, einen Parallelismus
zwischen Ei- und Samenreifung von Stadium zu Stadium durch-
zuführen, wie es von mir bei Ascaris und teilweise auch von
Platner an anderen Objekten geschehen ist. Hätte er wirklich
einen kritischen Vergleich angestellt, dann hätte er auch auf seinen
Irrtum aufmerksam werden müssen, in den Corps residuels etwas
den Richtungskörperchen Vergleichbares entdeckt zu haben. Da-
gegen hat sich der von mir 1890 bis ins einzelne genau durch-
geführte Vergleich zwischen Ovo- und Spermiogenese bei Ascaris
und der hierbei ermittelte Parallelismus in der Folgezeit in jedem
Punkte als richtig erwiesen: das Schema, welches ich in einer
Zusammenstellung von Figuren später zur Veranschaulichung des
Parallelismus in meinem Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte
gegeben habe (Fig. 21), entspricht noch heute dem Sachverhalt,
den alle mit Spermiogenese seitdem beschäftigten Forscher be-
stätigt haben. Auch Boveri hat die von mir ermittelten Tat-
sachen zu einem recht brauchbaren Schema benutzt, welches in
viele Lehrbücher Eingang gefunden hat und in solchen auch von
mir öfters reproduziert worden ist.
In meiner historischen Darstellung ist schliesslich noch ein
Verhältnis zu erörtern, welches damals den Forschern grosse
Schwierigkeiten bereitet hat und auch jetzt noch nicht nach allen
Richtungen aufgeklärt ist, trotzdem es zur Grundlage für weit-
tragende Hypothesen benutzt worden ist. Es handelt sich um
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 99
Erstes Stadium.
0! und 0°. Oozyte erster
Ordnung mit 2X4 Chromo-
somen.
$% 52 T Ci >
f 72) S! und S°’. Spermatozyte
IN > L erster Ordnung mit 2x4
Chromosomen.
Zweites Stadium.
03 und 0%. Ovozyte zweiter
Ordnung und erste Polzelle.
Jede mit 2x 2Chromosomen.
S®und.S*. 2Spermatozyten
zweiter Ordnung (Präsper-
matiden).. Jede mit 2x2
Chromosomen.
Drittes Stadium.
eık 0 und 0%. Reifei und 3 Pol-
zellen. Jede Zelle mit2 Chro-
mosomen.
5° und S®. 4 Spermatiden.
Jede mit 2 Chromosomen.
6
4 - -
Ar, & ® S” Reifer Samenkörper mit
2 Chromosomen.
Fig. 21.
Schema zum Vergleich der Ei- und Samenbildung bei Nematoden.
(Nach O. Hertwig.)
0:—-0° sind sechs aufeinanderfolgende Stadien aus dem Reifeprozess des
Eies. Unter jedem derselben ist das entsprechende Stadium aus der Spermio-
genese S!—,8% dargestellt. O0! Ovozyte erster Ordnung mit Keimbläschen,
in welchem das Chromatin auf acht zu zwei Vierergruppen (Tetraden) ver-
bundenen Chromosomen verteilt ist: S! Spermatozyte erster Ordnung mit
entsprechender Anordnung der acht Chromosomen; 0° Ovozyte mit der aus
dem Keimbläschen entstandenen Kernspindel (Polspindel) mit 2 x 4 Chromo-
7*
100 Oskar Hertwig:
somen; ‚S? Spermatozyte mit Kernspindel mit 2 x 4 Chromosomen; 0° Ovo-
zyte zweiter Ordnung mit der ersten Polzelle. Bei der Kernteilung hat jede
Tochterzelle 2X 2 Chromosomen erhalten, die paarweise (Dyaden) verbunden
sind; ‚S? Teilung der Spermatozyte in zwei Präspermatiden mit 2 x 2 Chromo-
somen; O* Ovozyte zweiter Ordnung in Vorbereitung zu einer zweiten
Teilung (zweite Polspindel); S* Vorbereitung der Präspermatiden zu einer
zweiten Teilung; 0° Reifei mit zweiter Polzelle (p»2°); erste Polzelle in zwei
Tochterzellen geteilt (p2? u. pz*); jede der vier Zellen enthält nur zwei
einzelne Chromosomen; S? die zwei Präspermatiden sind in vier Sperma-
tiden geteilt, von denen jede ebenfalls nur zwei einzelne Chromosomen ent-
hält; 0% Reifei mit Eikern und drei Polzellen ; ‚S* die vier Spermatiden haben
sich voneinander getrennt; ‚S” aus der Spermatide entstandener Samenkörper
mit Kern und Glanzkörper; ? Tetrade, Vierergruppe der Chromosomen; sp!
erste Teilspindel der Ovozyte und Spermatozyte; d Dyade, Zweiergruppe
der Chromosomen; sp® zweite Teilspindel der Ovozyte und Spermatozyte
zweiter Ordnung (Präspermatide); 92! erste Polzelle; »z” zweite Polzelle;
pz° und pz* aus Polzelle ' entstandene zwei Tochterzellen; eök Eikern; s/
Samenkern: g Glanzkörper der Spermatosomen.
die Entstehung und Bedeutung der sogenannten Vierergruppen,
die zuerst bei Ascaris und später bei zahlreichen anderen Objekten
beobachtet wurden, und wahrscheinlich sogar sich auf einem be-
stimmten Stadium in der Reifung der Geschlechtsprodukte über-
all finden werden.
Das Auftreten von Vierergruppen in den Kernen der Ovo-
zyten und Spermatozyten und der Umstand, dass ihre Zahl stets
nur die Hälfte der Chromosomenzahl beträgt, die sich im Mutter-
stern von sich teilenden Gewebszellen findet, ist etwas so Eigen-
artiges, dass es die Aufmerksamkeit der Forscher auf sich ziehen
und zu Erklärungsversuchen anregen musste. Während van
Beneden sich über diesen Punkt nicht genauer aussprach, sind
seine Nachfolger zu verschiedenen Deutungen gelangt. Carnoy
(La cellule 1886, 1887) und van Gehuchten (1887, 1. c.
S. 753 und 756) erblickten in den Stäbchen jeder Vierergruppe
selbständige Elemente oder, wie wir jetzt sagen würden, Chromo-
somen, die sich nach ihrer Entstehung aus dem Kernfaden durch
Querteilung immer zu vier zusammengeordnet haben. Boveri
dagegen deutete jede Vierergruppe als ein einheitliches
Chromosoma, das durch doppelte Spaltung vierteilig geworden
ist (1890, Heft 3, S. 52), so dass schon im Keimbläschen die
„Tochter- und Enkelelemente vorbereitet sind, welche durch die
beiden nun folgenden Teilungen voneinander getrennt werden.“
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 101
Infolge dessen hielt er die im Keimbläschen auf-
tretende Zahl der Chromosomen schon auf die
Hälfte reduziert und konnte in der Bildung der
Richtungskörper keinen Reduktionsprozess mehr
erblicken. Aus diesem Grund erschien es ihm auch „nicht
verständlich, wie Platner dazu kommt, zu behaupten, dass
durch die Bildung des zweiten Richtungskörpers eine Reduktion
der Chromosomen auf die Hälfte ihrer Zahl zustande kommt“
(1890, Heft 3, S. 62). „Noch viel weniger aber verstehe ich“,
fügt Boveri hinzu, „wie Platner mich selbst als Gewährsmann
für diese Behauptung anführen kann, nachdem ich doch gerade
das Gegenteil als ein Hauptergebnis meiner Unter"
suchungen über Eireifung betrachte und dies mehrfach
und, wie mir scheint. deutlich genug zum Ausdruck gebracht
habe“. Und zum zweitenmal bemerkt er: „Der Sinn des
Platnerschen Ausspruchs bleibt mir einstweilen dunkel“ (S. 65).
Auf Grund meines Vergleichs der Ei- und Samenbildung
bei Nematoden war ich gezwungen, auch dieser Auffassung von
Boveri entgegenzutreten. Denn ich verlegte den Zeitpunkt, in
dem die Zahl der Chromosomen und die Masse des Chromatins
auf die Hälfte eines Normalkerns herabgesetzt wird, bei der
Ovogenese in die zweite Richtungsteilung und bei der Spermio-
genese in die Teilung der Präspermatiden in die Spermatiden,
wie es ja jetzt auch allgemein gelehrt wird (1890, l. c. S. 69).
Im ganzen Verlauf der Ei- und Samenbildung konnte ich auf
keinem früheren Stadium auch nur die geringste Andeutung einer
Reduktion wahrnehmen, weder eine Ausstossung von Kernschleifen
nach van Beneden (vgl. S. 85—90), noch eine Atrophie von
Chromosomen nach Boveri (vgl. S. 90—92). Daher schloss ich,
dass in den Kernen der Ovozyten (Keimbläschen) und der Spermato-
zyten de Chromatinmasse gleich gross wie in jedem
andern Kern vor der Teilung, aber in etwas ab-
weichender Weise für den Teilungsprozess vor-
bereitet ist (1890, 1. ec. S. 67—73). (Siehe auch Anmer-
kung 22a.)
Somit löst sich das neue Problem in die Frage auf, wie
wird am Ende der Wachstumsperiode von Ovozyte und Sperma-
tozyte die Chromatinmasse für die zwei letzten Teilungen vor-
bereitet, wie entsteht vor allen Dingen die merkwürdige Vierer-
102 Oskar Hertwig:
gruppe? Diese konnte ich nicht wie Boveri u. a. als ein ein-
ziges, nur vierteilig gewordenes Chromosom deuten, sondern sah
in Ihm eine Gruppe von vier selbständigen Chromosomen, die
durch achromatische Substanz (Linin) zu einem Bündel vereinigt
sind. Indem ich die Entstehung der Bündel möglichst weit rück-
wärts verfolgte, fand ich, dass sie durch Verkürzung langer,
feiner, schon teilweise durch Linin verbundener Chromatinfäden
entstehen (Fig. 22a, b, c.).. (Anmerkung 22b.)
nn
Fig. 22.
Spermatozyten von Ascaris megalocephala biyal. aus dem Anfang der Teil-
zone mit drei Stadien aus der Bildung der Vierergruppe. (Nach O. Hert-
wig 1890, 1. c. Taf. II. Fig. 8, 10, 18.) a Zwei Gruppen von langen Chroma-
tinfäden, die in der Mitte eng zusammenliegen, durch Linin verbunden,
während ihre freien Enden auseinanderweichen. b Die Fäden sind mehr
verkürzt. c Zwei Vierergruppen von kurzen gebogenen Chromosomen. In
b und e sind ein resp. zwei Zentrosomen aufgetreten.
Auf jüngeren Stadien untersucht, verlieren die Fäden die
glatte Beschaffenheit ihrer Oberfläche und sind öfters paarweise,
nur durch eine feine Linie getrennt. parallel zusammengeordnet
(Fig. 23b). Daher hielt ich es für sehr wahrscheinlich, dass diese
Fadenpaare in gleicher Weise, wie es zuvor schon Flemming
für die Spermatozyten des Landsalamanders beschrieben hatte,
durch eine sehr frühzeitig erfolgte Längsspaltung eines zuvor ein-
fachen Mutterfadens gebildet worden sind (1890 1. c. S. 65). Ich er-
wog bei dieser Gelegenheit die Frage, ob der Mutterfaden sich nur
einmal oder zweimal seiner Länge nach spaltet, da durch die
zweite Annahme sich das Zustandekommen einer Vierergruppe
auch würde erklären lassen (S. 65). Eine bestimmte Antwort auf
diese Frage konnte ich jedoch damals nicht geben, da die Bilder
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 103
auf jüngeren Stadien immer undeutlicher wurden und nicht mehr
zu entwirren waren, zumal jetzt das Fadenwerk sich an einer
Stelle der Kernmembran zu einem Knäuel oder einem dichten
Klumpen zusammendrängt (l.c.S.65, 21 und 23) (Fig. 23a). Daher
schloss ich meine Nachforschungen
und meine Erwägungen über die YN 2
- n Aararor « 7 . su
Entstehung einer „Vierergruppe DB San
mit der Bemerkung ab (l. c. te ee
S. 67): „Wie man aus vorstehenden 2 Fig. 23. h
Betrachtungen ersehen haben wird, „ Kern einer Spermatozyte aus
sind viele Möglichkeiten vorhanden, der Wachstumszone. Die chroma-
wie sich die Verhältnisse würden tische Substanz ist an einer Stelle
erklären lassen. Sache der Be- der Kernmembran zu einem
obachtung ist es, unter diesen une ar er En
den Fäden zusammengedrängt
Möglichkeiten die richtige heraus- Stadium der Synapsis). b Spä-
zufinden. Am richtigen Objekt teres Stadium, auf welchem aus
und mit geeigneten Methoden dem Klumpen vorragende, paar-
wird sich die Angelegenheit ge- weise verbundene Chromatinfäden
lem Miete der ‚Beoh: zu sehen sind. (Aus 0. Hertwig,
= 1890, 1. c. Taf. II, Fig. 31 und 30.)
achtung entscheiden lassen“.
In der Folgezeit ist dies auch geschehen. Schon 1896 wurde
das von mir beobachtete und nicht mehr genauer analysierte
Stadium, in welchem das chromatische feine Fadenwerk zu einem
Klumpen an einer Stelle der Kernmembran zusammengedrängt
ist, von Moore in einer Arbeit über die Spermatogenese der
Selachier als Synapsis benannt. Seitdem hat sich durch das
Zusammenwirken vieler Forscher, die den noch dunkel gebliebenen
Sachverhalt zum besonderen Gegenstand mühsamer Untersuchungen
machten, die Auffassung mehr und mehr Bahn gebrochen, dass
im Synapsisstadium und im Anschluss an dasselbe ursprünglich
getrennte Chromatinfäden sich paarweise nähern und parallel
aneinanderlegen. Man hat diesen Vorgang vielfach als eine Art
von Konjugation von einander entsprechenden Chromosomen väter-
licher und mütterlicher Abstammung gedeutet. Eine Vierergruppe
aber kommt dadurch zustande, dass ausserdem noch jeder der
Paarlinge eine Längsspaltung in zwei Tochterchromosomen erfährt.
„Die Vorbereitung der chromatischen Substanz für den Teilungs-
prozess“ am Ende der Oo- und Spermiogenese zeigt also nach
dem Stand unserer heutigen Kenntnisse zwei Besonderheiten:
104 Oskar Hertwig:
einmal tritt die Längsspaltung der Mutterchromosomen in zwei
Tochterchromosomen, wie zuerst Flemming bei der Spermio-
genese von Salamandra beobachtet hat, sehr frühzeitig noch im
bläschenförmigen Kern ein, zweitens aber legen sich je zwei längs-
gespaltene Chromosomen, was sonst nirgends vorkommt, zu einer
Gruppe aneinander und werden durch Linin verbunden. Auf die
Geschichte dieses schwierigen, noch keineswegs abgeschlossenen
Kapitels, mit dem sich die Forschung erst in den letzten 20 Jahren
beschäftigt hat, noch näher einzugehen, liegt ausserhalb der
Aufgabe, die ich mir gestellt habe.
II. Geschichte der führenden Theorien und
Hypothesen.
(Mein Anteil und meine Stellung zu denselben.)
l. Die Kernidioplasmatheorie.
Von Erwägungen geleitet, deren Vorgeschichte auf ältere
Arbeiten zurückführt, veröffentlichte Nägeli 1884 in seinem
letzten grossen Werk eine Theorie vom Idioplasma als dem
Träger der erblichen Anlagen. Er ging hierbei von dem Grundsatz
aus, dass „die Kinder im allgemeinen gleich viel vom Vater wie
von der Mutter erben“ (l. c. $. 109), und dass die Übertragung
der Eigenschaften durch die Substanz der weiblichen und der
männlichen Keimzellen geschieht. Für diese nahm er eine ihnen
eigentümliche spezifische Organisation an, für welche er eine
Mizellarhypothese aufstellte. Gelöste Stoffe können seiner Ansicht
nach nicht Träger von bestimmten erblichen Eigenschaften sein
(S. 111). Denn es sei beim Menschen „für die eigenartige
Entwicklung vollkommen gleichgiltig, woher das Eiweiss, durch
welches das Kind wächst, stammt, ob von der Mutter, von
der Amme, von der Kuhmilch oder vom Kindermehl, wiewohl
diese Nahrungsmittel wegen ihrer Mischung mehr oder weniger
zuträglich sein können“. Hieraus und aus anderen Erwägungen
zog Nägeli den Schluss, „dass der befruchtende Stoff niemals
in der indifferenten Form der Lösung (wie so oft für die
phanerogamischen Pflanzen angenommen wurde) eindringen kann“
(S. 112). Da nun aber Ei und Samenfaden als zwei im wesent-
lichen gleichartige Potenzen bei der Übertragung erblicher
Eigenschaften auf das aus ihnen entstehende Kind anzusehen
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 105
sind, so verlangt ihre so ausserordentlich verschiedene Grösse
eine Erklärung. Nägeli suchte eine solche in seiner Idio-
plasmatheorie zu geben, indem er in den beiderlei Keim-
zellen zwei verschiedene Arten von Zellsubstanzen unterschied,
eine Art, welche in ihnen in gleichen Mengen vorhanden und
Träger der erblichen Eigenschaften ist, und eine zweite Art,
welche zwar im Ei in grosser Masse angehäuft ist, dem Samen-
faden aber ganz oder so gut wie ganz fehlt und welche vor-
zugsweise den Ernährungsprozessen dient. Die eine bezeichnete
er als Idioplasma, die zweite als Ernährungsplasma und
begründete die Notwendigkeit ihrer Unterscheidung in folgender
Weise (l. ce. S. 27): „Ich habe beide als verschieden angegeben,
weil mir dies der einfachste und natürlichste Weg scheint, um
die ungleichen Beziehungen der Plasmasubstanzen zu den erblichen
Anlagen zu begreifen, wie sie bei der geschlechtlichen Fortpflanzung
deutlich werden. An die befruchtete und entwicklungsfähige
Eizelle hat die Mutter hundert- oder tausendmal mehr Plasma-
substanzen, in denselben aber keinen grösseren Anteil an erblichen
Eigenschaften geliefert, als der Vater. Wenn das unbefruchtete
Ei ganz aus Idioplasma bestände, so würde man nicht begreifen,
warum es nicht entsprechend seiner Masse in dem Kinde wirksam
wäre, warum dieses nicht immer in ganz überwiegendem Grade
der Mutter ähnlich würde.“
Die Idioplasmatheorie trägt einen rein spekulativen Charakter.
Denn Nägeli hat überhaupt nicht die Frage erwogen, ob sich
vielleicht in der Zelle die beiden Substanzen, welche als Idioplasma
und welche als gewöhnliches Ernährungsplasma zu bezeichnen
sind, unterscheiden lassen. Er hielt es nur für eine „kaum von
der Hand zu weisende Annahme (S. 41), dass das Idioplasma durch
den ganzen Organismus als zusammenhängendes Netz ausgespannt
sei; dasselbe wird in den Zellen selbst“, führte er weiter aus,
„je nach der Beschaffenheit derselben eine verschiedene Gestalt
annnehmen, in den grösseren Pflanzenzellen aber gewöhnlich
innerhalb der Membran die Oberfläche überziehen, ferner auch
häufig durch den Zellraum verlaufen und besonders auch im
Kern zusammengedrängt sein! Der in Pflanzenzellen so häufig
. vorkommenden netzförmigen Anordnung des Plasmas und der
netzförmigen Beschaffenheit der Kernsubstanz liegt wahrscheinlich
das Idioplasmanetz zugrunde“ (S. 41).
106 Oskar Hertwig:
An dem rein spekulativen Charakter der Idioplasmatheorie
liegt es, dass sie eine sehr verschiedene Beurteilung in der
Wissenschaft erfahren hat, hier als völlig unbrauchbar, wie vom
Botaniker Sachs, in schärfsten Ausdrücken abgelehnt, dort wegen
ihrer fruchtbaren Gesichtspunkte und als logische Gedankenarbeit
beifällig aufgenommen und als geeignete Grundlage für wissen-
schaftliche Untersuchungen anerkannt wurde. Von dem ideen-
reichen Buch angeregt, versuchte ich, gleich nach seinem
Erscheinen. den fruchtbaren Gedanken der Idioplasmatheorie mit
meinen durch das Studium des Befruchtungsprozesses gewonnenen
Erfahrungen in Verbindung zu setzen. Es geschah in meiner ebenfalls
schon 1884 erschienenen Schrift: „Das Problem der Befruchtung
und der Isotropie des Eies, eine Theorie der Vererbung“. Gleich -
zeitig und unabhängig von mir hat Strasburger in demselben
Jahr einen ähnlichen Versuch gemacht in seiner grösseren Ab-
handlung: „Neue Untersuchungen über den Befruchtungsprozess
bei den Phanerogamen als Grundlage für eine Theorie der
Zeugung“.
Gleich in der Einleitung zu meiner Schrift hob ich als ihr
Leitmotiv hervor, dass meine Befruchtungstheorie in der ihr
1875 gegebenen Fassung, wenn sie weiter durchgeführt wird,
auch noch eine Vererbungstheorie in sich einschliesse. Denn
der von mir als These aufgestellte Satz: Die Befruchtung beruht
auf der Verschmelzung von Ei- und Samenkern, „schliesse zweierlei
Behauptungen in sich ein, erstens dass die Kernsubstanz, und
nicht das Protoplasma der befruchtende Stoff ist und zweitens,
dass die Kernsubstanz als ein geformter, organisierter Bestandteil
zur Wirkung kommt, dass mithin die Befruchtung ein morpho-
logischer, der Beobachtung direkt zugänglicher Vorgang ist. Da
nun mit der Befruchtung die Übertragung der Eigenschaften des
Vaters auf das aus dem Ei entstehende Tier notwendig verknüpft
ist, lässt sich aus der aufgestellten Theorie noch die weitere, nahe-
liegende Folgerung ziehen, dass die Kernsubstanzen
zugleich die Träger der erblichen Eigenschaften sind,
welche von den Eltern auf ihre Nachkommen vererbt
werden®.(l. e. 8.1).
Nach Beweisen für diese Auffassung suchend, nahm ich den
von Nägeli zuerst klar ausgesprochenen Grundsatz an, dass
Samenfaden und Ei trotz ihrer oft gewaltigen Grössenunterschiede
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 107
in bezug auf ihre erblichen Eigenschaften zwei wesentlich gleiche
Potenzen sind, dass man daher, um ihre Grössenunterschiede zu
erklären, zwei Substanzen von ungleichem Wert für den Ver-
erbungsprozess unterscheiden müsse, eine als Erbmasse wirksame
und im Ei und Samenfaden in gleicher (Quantität vorhandene
Substanz, das Idioplasma von Nägeli, und eine zweite, nicht
idioplasmatische Substanz, deren Anhäufung im Ei seine ausser-
gewöhnliche Grösse veranlasst hat. Ich suchte nachzuweisen, dass
in der Tat beim Studium des Befruchtungsprozesses organisierte
Gebilde beobachtet werden, welche der theoretischen Forderung
einer „Aquivalenz der wirksamen Keimstoffe“, wie ich
das Nägelische Vererbungsaxiom nannte, vollkommen ge-
nügen, nämlich die sich verbindenden Kerne der männlichen und
der weiblichen Keimzellen. Die Grössenunterschiede, die beide
beim Beginn der Befruchtung zuweilen darbieten, erklärte ich
dadurch, dass der Samenkern aus einer festeren Kernsubstanz
besteht. die nur eine geringe Menge von Kernsaft aus dem Proto-
plasma aufzunehmen braucht, um dasselbe Volumen wie der Eikern
zu erreichen. Hatte ich doch bei Asteracanthion (1878, Beiträge III,
l. ec. S. 171 und 1884, 1. ec. S. 13) den experimentellen Beweis
führen können, dass sich die Grösse des Samenkerns durch
den Zeitpunkt der Befruchtung beeinflussen lässt und dass der
Samenkern, abweichend von dem Befund beim Seeigel, zu der
Grösse des Eikerns anschwillt, wenn der Samenfaden schon vor
der Bildung der Richtungskörper in das Ei eindringt. Besonders
aber erblickte ich eine Bestätigung der Äquivalenz von Ei- und
Samenkern in der kurz vor dem Erscheinen meiner Schrift ver-
öffentlichten, wichtigen Entdeckung van Benedens, dass aus
dem Chromatin von Ei- und Samenkern sich je zwei gleichgrosse
Chromosomen bilden, sich zu gleichen Teilen am Aufbau des
Muttersterns der ersten Furchungsspindel beteiligen und dann
nach ihrer Längsspaltung in Tochterchromosomen auch zu gleichen
Hälften auf die beiden Tochterzellen und weiter wahrscheinlich
auf die Nachkommen derselben überliefert werden. Daher hielt
ich es „zum wenigsten auch für sehr wahrscheinlich, dass das
Nuklein (Chromatin) die Substanz ist, welche nicht allein befruchtet,
sondern auch die Eigenschaften vererbt und als solche dem Idio-
plasma Nägelis entspricht“ (1854, 1. ec. S. 15).
Als ein zweites Moment zugunsten meiner Auffassung be-
108 Oskar Hertwig:
trachtete ich das von mir und Fol zuerst ermittelte Gesetz,
dass „die normale Befruchtung, welche eine regelmässige Ent-
wicklung anregt, stets nur durch ein einziges Spermatozoon
ausgeführt wird“ (1884, l. c. S. 14).
Auf Grund meiner schon seit 1875 gesammelten Erfah-
rungen stimmte ich ferner mit Nägeli, Hensen und Anderen
auch in der für das Wesen der Vererbung grundlegenden Ansicht
überein, für welche ich durch wirkliche Beobachtungen zuerst
die Beweise beigebracht hatte, „dass die Befruchtung nicht nur
ein chemisch-physikalischer Vorgang, wie die Physiologen meist
anzunehmen pflegten, sondern gleichzeitig auch ein morpho-
logischer Vorgang ist, insofern ein geformter Kern-
teil desSpermatozoon in das Ei eingeführt wird, um
sich mit einem geformten Kernteil des letzteren zu
verbinden“ (1884, 1. c. S. 16).
Und so fasste ich denn meine Ansicht von der Bedeutung der
Kernsubstanzen in den Satz zusammen (l. c. S. 27): „Als die An-
lagen von komplizierter molekularer Struktur, welche die mütter-
lichen und väterlichen Eigenschaften übertragen, können wir die
Kerne betrachten, welche in den Geschlechtsprodukten sich als die
einzigen einander äquivalenten Teile ergeben, und an welchen
wir bei dem Befruchtungsakt allein ausserordentlich bedeutsame
Vorgänge beobachten“. Zugunsten dieser Auffassung suchte ich
auch die Tatsachen der Karyokinese zu verwerten, indem ich mich
ganz den Anschauungen anschloss, welche Roux ein Jahr zuvor
(1883) in seiner wohl durchdachten, schon auf Seite 69 be-
sprochenen Schrift entwickelt hatte. Auch Roux hat daraus,
dass dem Protoplasma kompliziertere Einrichtungen zur Teilung
fehlen, gefolgert, wie ich meine mit Recht, „dass der Zellenleib
in viel höherem Maße durch Wiederholung gleich beschaffener
Teile gebildet wird als der Kern“ und „dass für die Entwicklung
des Embryo sowie vielleicht auch für das Regenerationsvermögen
der niederen Tiere der Kern wichtiger ist als der Zellenleib,
eine Folgerung, welche in vollkommener Übereinstimmung mit
den neueren Ergebnissen über den Vorgang der Befruchtung steht“.
Zu derselben Zeit hat sich Strasburger, wohl ebenfalls
durch das neuerschienene Buch von Nägeli bestimmt, auf dessen
Gedanken er sich häufig in zustimmender Weise bezieht, für die
Kernidioplasmatheorie ausgesprochen. Er gab jetzt einen Teil
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 109
seiner früher geäusserten Ansichten auf: 1. dass die Befruchtungs-
stoffe in gelöster Form wirken (1876, 1. c. S. 308), 2. dass das Wesen
der Befruchtung in der Vereinigung der gleichartigen Stoffe zweier
Zellen, also sowohl zweier Protoplasmen, als auch zweier Kerne
bestehe; dagegen stellte er jetzt, durch seine erneuten Unter-
suchungen über die Befruchtung bei Koniferen veranlasst, die
Lehre auf, dass „von dem väterlichen Organismus nur ein Sperma-
kern in das Ei eingeführt zu werden braucht und oft auch allein
nur eingeführt wird“. „Da das Kind somit nur durch Vermittlung
des Zellkerns die Eigenschaften von dem Vater erbt, so müssen
auch in den Eigenschaften der Zellkerne die spezifischen Charaktere
der Organismen begründet sein“ (1884, 1. c. S. 104). (Vergleiche
Anmerkung 23.)
In einem Punkt wich aber Strasburger von meiner Dar-
stellung ab. Indem er am Kernfaden färbbare Mikrosomen und
farbloses Nukleohyaloplasma unterschied, wollte er nur dieses als
„aktives Gestaltungsplasma“ ansehen und dem Nägelischen Idio-
plasma entsprechen lassen (1584, S. 106). Auch nahm er ausser
dem Nukleoidioplasma noch ein im Zelleib verbreitetes Idioplasma
zweiten Ranges an, das er als Zytoidioplasma bezeichnete (S. 110).
Wenn schon hierdurch seine der Kernidioplasmatheorie gegebene
Fassung an Konsequenz verliert, so hat er neue Schwierigkeiten
ihr auch noch insofern geschaffen, als er sehr angreifbare Hypo-
thesen in sie hineingeflochten hat, auf die ich erst später bei
Besprechung der Geschichte vom Ahnenplasma eingehen werde.
Die von mir und Strasburger zuerst durchgeführten
Versuche, die Entdeckungen, die auf dem Gebiet der Befruchtung
und Karyokinese gemacht worden waren, mit dem Problem der
Vererbung und besonders mit der von Nägeli aufgestellten Idio-
plasmalehre zu verknüpfen, fanden sofort nach ihrer Veröffentlichung
lebhafte Zustimmung von vielen Seiten. Ohne auf seine Vor-
gänger Bezug zu nehmen, sprach sich Kölliker in einer kurzen
Mitteilung „Über die Bedeutung der Zellkerne für die Vorgänge
der Vererbung“ zugunsten einer solchen Annahme aus. Van
Beneden nahm auch bei dieser Frage nachträglich in seinen
1887 erschienenen Nouvelles recherches wieder Anlass, im Hinblick
auf seine 1884 veröffentlichte Abhandlung über Ascaris megalo-
cephala eine Art von Prioritätsanspruch für die Lehre, dass die
Kerne Träger der Erbmasse seien, zu erheben. (Anmerkung 24.)
110 Oskar Hertwig:
Unter allen Forschern ist aber niemand mehr als Weismann
in seiner Forschungsriehtung durch die Kernidioplasmatheorie
beeinflusst worden. Hier fand sein für eine spekulative Natur-
betrachtung sehr empfänglicher Sinn einen fruchtbaren Boden.
Schon 1883 hatte sich Weismann mit der Vererbungsfrage
beschäftigt und war zur Überzeugung gekommen, dass die Literatur-
angaben über die Vererbung neu erworbener Eigenschaften auf
die Nachkommen sehr unglaubwürdig seien, und dass überhaupt
der Vorgang der Übertragung von solchen auf die Keimzellen
und durch diese auf das Kind naturwissenschaftlich kaum vor-
zustellen sei. Dagegen hielt er das Vererbungsproblem für sehr
vereinfacht und unserem Verständnis näher gerückt durch die
Annahme, dass von der Keimsubstanz, aus welcher sich ein neues
Individuum entwickelt, ein Teil unverbraucht und unverändert bleibt
und wieder zur Grundlage für die nächste Generation und so fort
für alle folgenden Generationen wird. Weismann nannte den Vor-
gang, dass während der Entwicklung sich ein Teil des „Keimplasma“
unverändert erhält und eine Rolle bei der Vererbung spielt,
„die Kontinuität des Keimplasmas“ (1885). Schon vor ihm
hatten in England Galton, der Autor von der Lehre vom
„Stirp“, und in Deutschland Jäger und Nussbaum (18841. c.)
ähnliche Gedanken ausgesprochen. Besonders Nussbaum hatte auf
Grund verschiedener Beobachtungen die einst mit grossem Beifall
aufgenommene Theorie vertreten, dass schon früh die Geschlechts-
zellen für die nächste Generation sich von dem Zellenmaterial
des gefurchten Eies abtrennen und dass von da an, wie er sich
bildlich ausdrückte, „die Konti des Individuums und der Art
völlig getrennt sind“. Wie er, nimmt auch Weismann einen
scharfen Gegensatz zwischen den Keimzellen und der übrigen
Gesamtheit aller Körperzellen, dem „Soma“ an und lässt „die
Keimzellen aufeinanderfolgender Generationen sich ähnlich ver-
halten, wie eine Generationsfolge von Einzelligen, welche durch
fortgesetzte Teilungen auseinander hervorgehen“ (1885 1. c. S. 10);
aber er betrachtet hierbei nicht die ganze Keimzelle als das
Wesentliche, was von einer zur nächsten Generation direkt und
unverändert übergeht, sondern nur einen Teil von ihr, das Keim-
plasma, welches schon alle Anlagen für die Ausbildung eines neuen
Geschöpfes der gleichen Art in sich vereinigt. Auf der „Keim-
bahn“, wie er sich ausdrückt, wird es von Zelle zu Zelle über-
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 111
tragen, bis es sich wieder vom Soma ablöst und zum Ausgangs-
punkt eines neuen Individuums wird.
In diese Vorstellungsreihen von Weismann fielen wie
zündende Funken die Lehre Nägelis vom Idioplasma und
namentlich die durch mich und Strasburger herbeigeführte
Umwandlung derselben in eine Kernidioplasmatheorie. Während
Weismann in seinen früheren Schriften, wie er selbst bemerkt
(1885 l. ec. S. 13), „nur einfach von Keimplasma gesprochen hat,
ohne sich näher darüber auszulassen, in welchem Teil der Zelle
dieser Träger der spezifischen Natur der Art und des Individuums
zu suchen ist“, sprach er sich jetzt auch entschieden für die An-
sicht aus, dass „nur die Kernsubstanz Träger der Vererbungs-
tendenzen sein kann“, dass also auch die Substanz, die er bisher
Keimplasma nannte, in den Kernen der Keimzellen lokalisiert ist
(Anmerkung 25). Indem er aber die Lehre vom Idioplasma und
ihre Übertragung auf die Kernsubstanzen annahm, wandelte er
beide in einer Reihe von Schriften mehr und mehr zu einem
eigenartigen Hypothesengebäude um, welches von den durch
Nägeli und mich vertretenen Ansichten sehr wesentlich abweicht;
er passte sie eben seinen schon früher von anderen Gesichts-
punkten aus entwickelten Ansichten an, die er teils beibehielt,
teils änderte und fortbildete, bis schliesslich als Abschluss seiner
Richtung die Schriften über das Keimplasma, eine Theorie der
Vererbung (1892) und über Germinalselektion (1896) entstanden.
Weismanns Idioplasma, von ihm gewöhnlich als Keimplasma
bezeichnet, wurde jetzt etwas vollständig anderes, als was Nägeli
und ich unter diesem Begriff verstanden. Dies zeigt sich namentlich
in zwei Richtungen. Die eine Richtung betrifft die Verbreitung
des Idioplasma im Organismus. Nägeli liess das einer Spezies
eigentümliche Idioplasma durch alle Teile des Körpers als ein
unsichtbares Netzwerk von mizellaren Strängen zwischen den
nichtidioplasmatischen Substanzen (dem Ernährungsplasma und
seinen Differenzierungsprodukten) verbreitet sein. Und ebenso
vertrat ich in prinzipieller Übereinstimmung hiermit die An-
schauung, dass das Kernidioplasma des befruchteten Eies auf alle
von ihm abstammenden Zellen durch erbgleiche Teilung über-
tragen werde, und dass diese auch dann im Besitz ihres gemein-
samen Erbes bleiben, wenn sie im Laufe der Ontogenese durch
Übernahme bestimmter Funktionen sich in verschiedene Organe
112 Oskar Hertwig:
und Gewebe differenzieren. Weismann dagegen entwickelte
die vollständig entgegengesetzte Ansicht, dass nur der Kern des
befruchteten Eies den gesamten Anlagekomplex der Art besitzt,
dass dann aber während des Furchungsprozesses eine Trennung
in die beiden oben erwähnten Konten erfolgt. Auf dem einen
Konto, der Keimbahn, wird das volle Keimplasma von Zelle zu
Zelle übertragen, bis es als Bestandteil von Ei und Samenfaden
einer nächsten Generation zur Grundlage für die Entwicklung
eines neuen Organismus dient. Auf dem anderen Konto aber
wird das Keimplasma bei der Kernteilung in seine einzelnen An-
lagen immer weiter zerlegt und auf die Kerne der somatischen
Zellen verteilt, welche sich erst infolgedessen zu den verschiedenen
Geweben und Organen differenzieren. Weismann unterschied
daher jetzt abweichend von Nägeli und mir zwei Arten von
Idioplasma, resp. von Kernplasma, das eigentliche Idioplasma oder
Keimplasma, den gesamten Anlagekomplex zur Erhaltung der
Art, und das histogene Kernplasma, welches durch Zerlegung
aus ersterem entstanden, nur noch Bruchteile von ihm enthält.
Demgemäss nahm er auch zwei Arten von Kernteilungen an,
deren eine er als erbgleiche oder integrelle, die andere als erb-
ungleiche oder differentielle bezeichnete.
Die zweite Abweichung von Nägeli und von mir betrifft die
Annahme von besonderen Ahnenplasmen in der Zusammensetzung
des Idioplasma einer Art. Schon Strasburger (1884) war
als erster auf diesen Gedanken verfallen; Weismann hat ihn
dann weiter ausgebaut (1887). Beide gingen von der allgemein be-
kannten Vererbungsregel der Tierzüchter aus, welche auch Galton
als Grundlage seiner Theorie benutzt und in einem Schema,
das ich in meinem kürzlich erschienenen Buch: „Das Werden der
Organismen“ in Fig. 36 reproduziert habe, graphisch anschaulich
zu machen versucht hat. Wie nun der Züchter früher lehrte
und zum Teil auch jetzt noch lehrt, dass das Kind zur Hälfte
mütterliches, zur Hälfte väterliches Blut enthält, dass sich väter-
liches und mütterliches Blut wieder ebenso zusammensetzt und,
dass daher der Enkel von seinen zwei väterlichen und zwei
mütterlichen Grosseltern je ein Achtel Blut als Erbe in sich
trägt und dass in diesem Verhältnis der Erbanteil von jeder älteren
Ahnengeneration weiter zu berechnen ist, so wurde jetzt auch
für das Idioplasma (resp. Keimplasma) eine entsprechende Rech-
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. k13
nung aufgemacht. Strasburger (18841. c.S. 143, 144) spricht
es offen aus, dass in dem sich zur Karyokinese vorbereitenden
Kern der Keimzelle sein Chromatinfaden aus grösseren und
kleineren Abschnitten zusammengesetzt sei, die in den angegebenen
Grössenproportionen von den Idioplasmen der vorausgegangenen
Ahnengenerationen abstammen und dass, „je älter die Generation,
um so kleiner die Abschnitte ausfallen, die im Kernfaden ver-
treten sind“. Daher könne von den Vorfahren in der zwanzig-
sten Generation ihr Anteil in dem Kernfaden kaum ein Millionstel
betragen. „Die Zusammensetzung des Kernfadens aus Stücken,
welche verschiedenen Generationen des betreffenden Organismus
entstammen, machen ihn“ — wie Strasburger sich ausdrückt —
„zum Wächter über die spezifischen Eigenschaften der Organismen
besonders geeignet“ (l. c. S. 145).
Auch Weismann (1887, S. 30—35) bekennt sich zu
dieser Hypothese und veranschaulicht sie durch untenstehendes
Schema (Fig. 24), über dessen Bedeutung die beigefügte
Erklärung Auskunft gibt. Er nimmt demnach an (l. ce. S. 31),
„dass das Keimplasma der vierten Generation aus 16, das-
jenige der zehnten Generation schon aus 1024 verschiedenen
Ahnenplasmen, das der n‘®" schon aus n? zusammengesetzt sein
müsse“. „Schon in der zehnten Generation also würde jedes
einzelne Ahnenplasma nur noch den 1024ten Teil der Gesamt-
masse des in einer einzelnen Keimzelle enthaltenen Keimplasmas
bilden können.“ „Bei Fortsetzung dieses Teilungsprozesses aber
müsse ein Zeitpunkt kommen, von dem ab eine weitere Halbierung
nicht mehr möglich sei, weil eben Einheiten ihrem Begriff
nach nicht mehr teilbar sind, d. h. nicht mehr teilbar. ohne ihre
Natur als Vererbungssubstanz zu verlieren.“ Weismann sah
hierin mit Recht eine Schwierigkeit in der Vorstellbarkeit des
Ahnenplasma, glaubte aber eine Hilfshypothese gefunden zu haben,
welche diese Schwierigkeit beseitigt und welche im nächsten Ab-
schnitt über das Reduktionsproblem von mir noch besprochen
werden wird.
Durch die Annahme von Ahnenplasmen, welche Strasburger
und Weismann in Anlehnung an den Vorstellungskreis von
Galton und von manchen Tierzüchtern für erforderlich hielten,
ist das Kernidioplasma ein ausserordentlich kompliziertes Mosaik-
werk geworden, zusammengesetzt aus zahllosen, ihrer Natur nach
Archiv f. mikr. Anat. Bd.90. Abt. II. 8
114 Oskar Hertwig:
unteilbaren und mit anderen nicht mischbaren Einheiten, den
Ahnenplasmen, von denen jedes wieder zusammengesetzt ist aus
zahlreichen Anlagen, die zur Hervorbringung eines vollständigen
Individuums notwendig sind (Hertwig, 1893, Zelle I, 1. c. S. 282).
Der Fassung, welche Weismann der Kernidioplasmatheorie
gegeben hat, bin ich in einer Reihe von Schriften (1890) ent-
gegengetreten; denn ich erblickte in ihr einen Abweg, der die
ganze Lehre durch die Unzahl unbegründeter, von Weismann
aufgestellter Hilfshypothesen in Misskredit zu bringen drohte.
Schon bei der Erörterung zellulärer Streitfragen in meinem
„Vergleich der Ei- und Samenbildung bei Nematoden“ (1890)
Vater Mutter Kind
Gen. I, : cr
Gen. II
Gen. III
Gen. IV
Das Schema von Weismann zeigt die Zunahme der Ahnenplasmen in vier
aufeinanderfolgenden Generationen (I—IV). Links sind die Keimplasmen von
Vater und Mutter in jeder Generation, rechts das durch ihre Vereinigung
entstandene Keimplasma des Kindes dargestellt. Wenn dieses in der Gene-
ration I nur aus zwei Ahnenplasmen, ist es in Generation II aus vier, in
Generation III aus acht, in Generation IV aus 16 Ahnenplasmen zusammen-
gesetzt, deren Verschiedenheit in den Kernfäden durch besondere Abzeichen
kenntlich gemacht ist.
Aus Weismann (1887). Über die Zahl der Richtungskörper S. 32, Fig. 1.
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 115
habe ich auf den Gegensatz hingewiesen, der in den ersten
hierher gehörigen Schriften Weismanns hervortrat, indem
ich bemerkte: „Als ich den Kern wegen seines Verhaltens beim
Befruchtungsprozess als den Träger der Vererbungssubstanzen
erklärte, sah ich einen grossen Vorzug dieser Theorie gerade
darin, dass der Kern eine Substanz ist, die in derselben Form
und Beschaffenheit in jeder Zelle wiederkehrt, eine Substanz,
die den gröberen Vorgängen des Stoffwechsels durch ihren Ein-
schluss in ein besonderes Bläschen mehr entzogen ist, eine Substanz,
die durch einen komplizierten Teilungsprozess, wie es scheint,
in gleicher Menge von der Mutterzelle auf die Tochterzellen aus-
geteilt wird und keine Differenzierung eingeht. Wie Nägeli
sein hypothetisches Idioplasma durch den ganzen Körper als
(rerüstwerk verbreitet sein lässt, so erhält nach meiner Theorie
auch jede Zelle des Körpers als Abkömmling des Eies Erbmasse
in ihrem Kern, während die spezifischen Leistungen an die Ent-
wicklung der Plasmaprodukte gebunden sind. Durch den Besitz
dieser Erbmasse trägt jede Zeile die Möglichkeit in sich, unter
geeigneten Bedingungen das Ganze aus sich zu reproduzieren.
Daraus lässt sich eine Fülle von Erscheinungen der Zeugung
und Regeneration erklären. Weismann hat diesen Vorzug
beseitigt, indem er die von Strasburger und mir unabhängig
und in etwas verschiedener Weise begründete Vererbungstheorie
kurze Zeit nach ihrer Veröffentlichung auf seine Keimplasmatheorie
übertragen hat, die von ganz anderen Gesichtspunkten aus
(Reflexionen über die Unsterblichkeit der Infusorien und Fort-
pflanzungszellen) entstanden ist usw.“ (l. ce. S. 99).
Hiervon abgesehen, trennte mich von Weismann auch die
ungehemmte Art der Spekulation, mit welcher er seine Lehre
auszubauen versuchte. Nicht genug mit seiner einen inneren
Widerspruch enthaltenden Annahme eines vollen und eines zer-
legten Idioplasmas, mit seiner Annahme einer grossen Serie von
Ahnenplasmen, die er „Ide“ nannte, unterschied er im „Id“ auch
‚noch Systeme von zahlreichen untergeordneten Erbeinheiten als
Determinanten und Biophoren und verarbeitete sie zu seiner Keim-
plasmaarchitektur. Je mehr diese Weismannsche Naturphilo-
sophie in manchen Kreisen Anklang fand, habe ich ihr gegenüber
in meinen Schriften immer wieder von neuem die Schwierigkeiten
betont. die dem Naturforscher der Begriff „einer erblichen Anlage“
S*+
116 Oskar Hertwig:
bereitet, besonders wenn er ihn von morphologischen Gesichts-
punkten aus zu bearbeiten versucht. Ich habe stets darauf hin-
gewiesen, „dass man in der Vererbungslehre mit dem Wort ‚An-
lage‘ doch nicht mehr als die unbekannte, in der Beschaffenheit
der Erbmasse gelegene Ursache oder den unbekannten Grund
für eine Erscheinung bezeichnet, welche im Verlauf des Ent-
wicklungsprozesses in einer bestimmten Organisation des Ent-
wicklungsproduktes mit Gesetzmässigkeit zutage tritt. So be-
rechtigt es nun auch auf der einen Seite zu sein scheint, den
unbekannten Grund in der materiellen Beschaffenheit der Erbmasse
zu suchen, so willkürlich und darum fehlerhaft würde es sein,
zu glauben, dass er dann nur auf der Anwesenheit eines be-
stimmten materiellen Teilchens, eines besonderen Bio-
blasten oder Determinanten etc. beruhen könne; kann er doch
ebenspgut «1. in dem, was man als die Konfiguration des
materiellen Systems oder einzelner seiner zusammengesetzten
Teile bezeichnen kann, gegeben sein.“ „Für tiefere Einblicke
auf diesem Gebiete fehlen dem Biologen leider noch die dem Vor-
gehen des Chemikers entsprechenden und gleichwertigen Methoden
exakterer Forschung etc. Ersinnen lassen sich aber solche
schwierigen Verhältnisse stofflicher Organisation nicht, wie es
Weismann in seiner Architektur des Keimplasmas versucht
hat.“
Es liegt ausserhalb der Aufgabe meiner vorliegenden Schrift,
auf die weitere Geschichte der Kernidioplasmatheorie einzugehen.
Denn diese hängt mit vielen Kardinalfragen der Biologie (mit
Präformation und Epigenese, mit den Ergebnissen der Mendel-
forschung und Erblichkeit etc.) so innig zusammen, dass fast
das ganze Gebiet der allgemeinen Biologie gestreift werden müsste.
Ich begnüge mich daher, auf einige meiner Schriften zu ver-
weisen, in denen ich auch die historische Entwicklung vieler
Fragen erörtert und einen grossen Teil der Literatur zusammen-
gestellt habe: 1. auf die verschiedenen Auflagen der „Allgemeinen
Biologie* (1906, 1909, 1912), 2. „Zeit- und Streitfragen der Bio--
logie“ (Heft 1, 1894), 3. „Der Kampf um Kernfragen der Entwick-
lungs- und Vererbungslehre“ (1909, S. 16), 4. „Das Werden der
Organismen, eine Widerlegung von Darwins Zufallstheorie“ 1916.
Kap. XII. „Der gegenwärtige Stand des Vererbungsproblems“
(besonders S. 555 — 566).
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. EV
2. Das Reduktionsproblem.
Die Geschichte des Reduktionsproblems ist ein interessanter
Fall, um an ihm zu zeigen, wie auch scheinbar Geringfügiges
einen grossen Wert in der Wissenschaft gewinnen kann. Als
Carus 1824 bei einer Molluskenart Limnaeus zuerst die Richtungs-
körper entdeckte, konnte er nicht ahnen, in wie hohem Maße
diese unscheinbaren Gebilde noch Gegenstand wissenschaftlicher
Untersuchungen werden und welche grosse theoretische Bedeutung
sie einst für die Lehre von der Zeugung und Vererbung gewinnen
würden. Ihre weite Verbreitung im Tierreich wurde allmählich
durch Dumortier, dem älteren J. v. Beneden, v. Kölliker,
Fr. Müller, Quatrefages, Warneck, Rathke, Loven,
Gegenbaur, Frey, Robin, Barry, Bischoff u. a. nach-
gewiesen, aber ihre Entstehung und Bedeutung blieb jahrzehnte-
lang unbekannt. Während sie Rathke für bedeutungslose, aus
dem Dotter ausgepresste Kügelchen hielt, glaubte sie Loven für
den ausgestossenen Keimfleck des der Auflösung verfallenden
Keimbläschens deuten zu müssen. Fr. Müller gab ihnen zuerst
den noch jetzt oft gebrauchten Namen Richtungsbläschen, da er
sie immer am animalen Pol des Eies, an der Stelle, wo bei der
ersten Teilung die Furchenbildung beginnt, auftreten sah. Einen
erheblichen Fortschritt führten Robin, Fol und Bütschli
herbei: Robin gab nach Beobachtung am lebenden Ei eine sehr
genaue Beschreibung, wie sich die Körperchen, die er „globules
polaires“ nannte, vom Dotter abschnüren, in der Art, wie sich
am Insektenei die Blastodermzellen bilden; Fol beobachtete die
Strahlenfigur im Dotter des Pteropodeneies an der Austrittsstelle
des Kügelchens, für das er den Namen corpuscule exceröte oder
de rebut am geeignetsten hielt, weil es ganz und gar keine Rolle
in der Entwicklung zu spielen habe; Bütschli bahnte gleich-
zeitig einen neuen Fortschritt an durch seine wichtige Entdeckung
der Richtungsspindel, verfiel aber hierbei in den Irrtum, dass sie
durch Umwandlung des ganzen Keimbläschens entstanden sei und
dass dieses in der Spindelform aus dem Ei ausgestossen und dabei
zu den Richtungskörperchen werde, indem es sich ein- bis zweimal
einschnüre (vgl. S. 15).
An Bütschlis Untersuchungen anknüpfend entdeckte ich
zuerst, dass die Richtungskörperchen sich aus Protoplasma und
Kern zusammensetzen, also kleine Zellen sind, die durch Zell-
115 Oskar Hertwig:
knospung entstehen, dass ferner die Spindel Bütschlis nur
aus einem kleinen Teil der Substanz des Keimbläschens, das selbst
der Auflösung verfällt, gebildet wird und sich in der für jede
Karyokinese charakteristischen Weise bei der ersten und zweiten
Zellenknospung beteiligt (vgl. S. 20— 27). Zugleich stellte ich auch
die beiden fundamentalen Tatsachen fest: 1. dass zwischen der Ab-
schnürung der ersten und der zweiten Polzelle das bläschenförmige
Ruhestadium ausfällt, und 2. dass von der im Dotter zurück-
gebliebenen Hälfte der zweiten Richtungsspindel der Eikern
abstammt. Die Zellnatur der Richtungskörperchen wurde jetzt,
trotz des Widerspruchs von van Beneden, fast allgemein an-
erkannt von Giard, Bütschli, Whitman, Mark, Trinchese,
Nussbaum, Boveri u.a. Mark und Boveri nannten jetzt
die Polzellen rudimentär gewordene Eier.
Ein neuer fundamentaler Fortschritt in der Richtungskörper-
frage wurde durch die seit 1583 beginnenden Untersuchungen
an Ascaris megalocephala, diesem ungemein günstigen Studien-
objekt, hervorgerufen. Ed. van Beneden entdeckte 1884, wie
auf S. 85 besprochen worden ist, den Reduktionsprozess, indem
er nachwies, dass Eikern und Samenkern nur die halbe Zahl der
Chromosomen von der nach dem Zahlengesetz zu erwartenden Zahl
besitzen. Da er zugleich die Frage nach dem Grunde für diese
auffällige Erscheinung aufwarf, führte er das seitdem viel erörterte
Reduktionsproblem in die Wissenschaft ein. Seitdem sind drei
verschiedene Hypothesen zur Erklärung desselben aufgestellt worden:
1. die Hypothese des Zellenhermaphroditismus (van
Beneden),
die Hypothese von der Reduktion der Ahnenplasmen
(Weismann),
3. die Hypothese von der Reduktion als einer Ein-
richtung zur Verhütung einer Summierung der Erb-
massen.
[S6}
a) Das Reduktionsproblem und E. van Benedens
Hypothese des Zellenhermaphroditismus.
Ed. van Beneden geht von der Ansicht aus, die in etwas
anderer Weise schon früher von Sedgwick Minot, Bal-
four u.a. ausgesprochen worden war, dass die Gewebszellen als
hermaphrodit oder zweigeschlechtlich zu bezeichnen sind, weil
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 119
ihre Kerne und vielleicht auch ihr Protoplasma aus einem männ-
lichen und einem weiblichen Bestandteil zusammengesetzt sind
(1884, 1. c. S. 313 u. 395) (pourvu de deux &leöments nucl6aires
a caracteres sexuels differents |l. ec. S. 400]). Wenn auch auf den
ersten Blick der Begriff des Zellenhermaphroditismus — fügt
van Beneden zur Erläuterung hinzu — fremdartig erscheinen
möge, so verliere er doch sehr viel von seiner Unwahrscheinlich-
keit, wenn man sich erinnere, dass die Mehrzahl der Protozoen
und Protophyten offenbar geschlechtlich sind. So seien die Vorti-
cellen, ehe sie sich in eine Makro- und eine Mikrospore teilen,
Hermaphroditen und würden auch wieder zu solchen nach der
Befruchtung der Makro- durch die Mikrosporen. Die Mehrzahl
der Infusorien aber verhalte sich während der Konjugation offen-
bar wie wahre Hermaphroditen (l. c. S. 314).
Von solchen Ideen erfüllt, erklärt er in der schon früher
geschilderten Weise die Reduktion der Eizelle durch Ausstossung
ihrer männlichen Chromosomen als Richtungskörper und nimmt
einen entsprechenden Vorgang für die Samenzelle durch Aus-
stossung ihrer weiblichen Kernbestandteile an. Darum erblickt
er auch das Wesen der Befruchtung in einem Wiederersatz (rem-
placement) der ausgestossenen männlichen Chromosomen durch
solche einer anderen Samenzelle, da auf diesem Wege das reduzierte
und entwicklungsunfähig gewordene Ei wieder verjüngt, herm-
aphrodit und entwicklungsfähig werde. Während noch 1884 van
Beneden auch eine Reduktion und einen Ersatz protoplasmatischer
Bestandteile ausser solchen des Kerns als wahrscheinlich angenom-
men hatte, änderte er in seiner zweiten Abhandlung aus dem Jahre
1887 seine Ansichten in diesem Punkte und beschränkte jetzt die
Reduktion und den Ersatz nur auf die Kernsubstanz. In direktem
Gegensatz zu früheren Äusserungen (vgl. S. 89) erklärt er (1887,
l.c. S. 24): „Il resulte avec une absolue certitude de l’&tude des
l’Ascaris, que le corps protoplasmique du Spermatozoide degenere
et n’intervient pas dans l’edification du corps protoplasmique de
la premiere cellule embryonnaire, que le noyau du zoosperme est
le seul element paternel fourni a l’oeuf fecond&e“. In diesem
Meinungswechsel macht sich der Einfluss der 1884 von mir auf-
gestellten und von vielen Forschern beifällig aufgenommenen
Theorie geltend, dass in den Kernen das vererbende Prinzip zu
suchen sei (Kernidioplasmatheorie).
120 Oskar Hertwig:
In seinem grossen Referat über Karyokinese und Befruchtung
hat Waldeyer die oben skizzierte Lehre van Benedens als
die „nukleäre Ersatztheorie“ (1888, l. c. S. 107) und ebenso
hat er ihn als „den tatsächlichen Begründer der Lehre vom
Zellenhermaphroditismus bezeichnet, da er ihr durch seine
Beobachtungen für die doppelgeschlechtliche Natur der beiden
ersten Furchungszellen eine feste Unterlage gegeben habe“.
Van Benedens nukleare Ersatztheorie hat indessen nur eine
kurze Lebensdauer gehabt. Denn sie geriet auf der einen Seite
mit den Tatsachen in Widerspruch, die teils schon beobachtet waren,
teils als neue Entdeckungen bald noch hinzukamen; auf der
anderen Seite liessen sie sich nicht mit den Anschauungen ver-
einigen, zu denen die Betrachtung der geschlechtlichen Zeugung
vom Standpunkt des Vererbungsproblems führte.
Gestützt auf Tatsachen habe ich die nukleare Ersatztheorie
und die Lehre vom Zellenhermaphroditismus schon 1890 in meinem
Vergleich der Ei- und Samenbildung bei Nematoden bekämpft,
indem ich die Ergebnisse des Vergleichs als Grundlage für eine
Erörterung zellulärer Streitfragen benutzte. Ich gebe meine da-
malige kurz gefasste Beweisführung im Wortlaut wieder. Sie
entspricht auch heute noch meinen gegenwärtigen Ansichten
(1890 1. c. S. 82—84): „Am besten lässt sich an den Richtungs-
körpern zeigen, wie die Lehre von dem Hermaphroditismus des
Kerns und von der Ausstossung weiblicher, resp. männlicher Ele-
mente nicht durchführbar ist. Nach van Beneden ist von den
chromatischen Elementen des Kerns die Hälfte männlich, die
Hälfte weiblich. Das Keimbläschen des Eies vor der Reife ent-
hält nun acht Chromosomen, von denen demnach vier männlich,
vier weiblich sein müssten. Die ersteren müssten nach van
Beneden in Form von Richtungskörpern ausgestossen werden.
Schon Carnoy hat gegen diese Hypothese den sehr richtigen
Einwurf erhoben, dass mit den Richtungskörpern sechs chroma-
tische Elemente entfernt und somit nur zwei im Ei zurückbehalten
werden. Van Beneden müsste daher entweder annehmen, dass
drei Viertel der chromatischen Substanz im Keimbläschen männlich
und nur ein Viertel weiblich ist, was seiner Ausgangshypothese
zuwider laufen würde, oder er müsste annehmen, dass durch die
Richtungskörper auch die Hälfte der weiblichen Chromosomen mit
entfernt würde.“
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 121
„Ein zweiter Einwurf ist, dass es sich bei der Bildung der
Richtungskörper, wie schon früher nachgewiesen wurde, nicht
um eine Ausstossung von Kernteilen, sondern um Zellteilungen
oder richtiger um Zellknospungen handelt. Am meisten aber
scheint mir folgende Beweisführung der Ersatzhypothese und der
Lehre vom Hermaphroditismus des Zellkerns den Boden zu ent-
ziehen: Samenmutterzellen (Spermatozyten) und unreife Eizellen
(Ovozyten) sind homologe Gebilde. Die einen wie die anderen
enthalten bei Ascaris megalocephala bivalens acht chromatische
Elemente. Wenn von diesen in dem Ei vier weiblich und vier
männlich sind, so muss das gleiche auch für die Samenmutter-
zelle gelten. Da nun hier die acht chromatischen Elemente
durch zwei sich folgende Teilungen auf vier Samenkörper
verteilt werden, so ist hierdurch über allen Zweifel festgestellt,
dass, sie bei der Befruchtung alle in gleicher
Weise wirken und dass daher eine Einteilung in
weibliche und männliche Elemente nicht statthaft
ist. Wenn aber die acht chromatischen Elemente der Samen-
mutterzelle in keinem geschlechtlichen Gegensatz zueinander stehen,
so kann das auch bei den entsprechenden Elementen des Eies
nicht der Fall sein. Mit anderen Worten: es gibt im Kern
keine männlichen Chromosomen. Die Richtungskörper,
weit entfernt, die ausgestossenen männlichen Elemente des Eies
zu sein, sind nichts anderes als rudimentäre Eizellen.“
Von meinem Standpunkt aus, der von dem durch van
Beneden vertretenen so völlig verschieden ist, musste ich mich
folgerichtig auch gegen die von ihm gebrauchte Terminologie:
„männlicher und weiblicher Vorkern (Pronukleus)“ aussprechen ;
denn hiermit sollte ja ausgedrückt werden, dass sie keine Voll-
kerne sind, da sie nur die Hälfte der Eigenschaften und Bestand-
teile eines solchen haben, wie ihnen denn auch die Fähigkeit der
Teilung abgesprochen wurde. Dass das letztere keineswegs der
Fall ist, hatten mein Bruder und ich durch ein Experiment
(1890, 1. c. S. 85) gezeigt, indem wir kernlose Bruchstücke von
Seeigeleiern, die man durch Schütteln erhalten kann, mit Samen
befruchteten. Wir konnten dann vom eingedrungenen Samen-
faden feststellen, dass sein Kern sich in eine kleine, typisch
gebaute Spindel umwandelt und in zwei bläschenförmige Kerne
teilt, dass überhaupt die so neubekernten Eibruchstücke durch
122 Oskar Hertwig:
wiederholte Furchung zu einem Haufen vieler kleiner Embryonal-
zellen werden. Daher empfahl ich angesichts dieser Tatsachen,
die Namen „weiblicher und männlicher Vorkern“ ganz fallen zu
lassen und nur von einem Eikern und einem Samenkern zu
sprechen. Es würde dies auch nur der wissenschaftlichen Sitte
entsprechen, da letztere Bezeichnungen den beiden Kernen von
mir schon gleich bei meiner Entdeckung des Befruchtungsprozesses
gegeben worden sind und daher auch gegenüber den Namen
van Benedens die Priorität besitzen. Zugleich aber gab ich
bei der Bezeichnung „Ei- und Samenkern“ auch noch die aus-
drückliche Erklärung ab (1890, l. ec. S. 85), „dass die Annahme
einer geschlechtlichen Differenz der Kerne in diesen Worten nicht
ausgedrückt ist; denn Eikern bezeichnet nicht mehr und nicht
minder als den Kern, der dem Ei angehört, und Samenkern den
Kern, der vom Samenelement abstammt. Der eine ist der
Träger der Erbmasse des weiblichen Organismus, der andere der
Träger der Erbmasse des männlichen Organismus. Diese Auf-
fassung schliesst nicht die andere Auffassung mit ein, dass Ei-
und Samenkern selbst in einem geschlechtlichen Gegensatz
zueinander stehen.“
Wie durch die richtige Auslegung der Tatsachen, wird
van Benedens Lehre vom Zellenhermaphroditismus und seine
nukleare Ersatztheorie auch auf Grund allgemeiner Erwägungen
über das Wesen der Geschlechtlichkeit und der Erblichkeit wider-
legt. Hier zeigt sich so recht, wie durch die Hereinziehung des
Erblichkeitsproblems die ganze Befruchtungslehre vertieft worden
ist. Der richtige Weg der Betrachtung ist bereits von Nägeli,
der sich auch hierbei wieder als logischer Denker bewährt, ein-
geschlagen worden, als er bemerkte (1884, l.c. S. 211), „dass
alle geschlechtlichen Eigentümlichkeiten der Mutter ebensogut
durch den Sohn als durch die Tochter, alle geschlechtlichen
Eigentümlichkeiten des Vaters ebensogut durch die Tochter als
durch den Sohn auf die Enkel übergehen“. Unter Hinweis auf diesen
Ausspruch von Nägeli sprach sich auch Strasburger in
dem gleichen Sinne aus, „dass nicht die spezifisch männlichen
Eigenschaften nur in den vom Vater, die spezifisch weiblichen
Eigenschaften in den von der Mutter stammenden Zellkernen
vertreten seien“, dass vielmehr sowohl der Spermakern wie der
Eikern die Eigenschaften, die zur Ausbildung der beiden Ge-
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 125
schlechter notwendig sind, vereinigt“ (1884, l. c. S. 154, 155).
Ebenso hielt Weismann die Ersatztheorie widerlegt, „da nach-
weislich von der Eizelle auch männliche, wie von der Spermazelle
auch weibliche Eigenschaften vererbt werden, daher beide Keim-
plasmen geschlechtlich indifferent sind“ (1885, 1. ce. S. 73).
Indem ich mich auf denselben durch die Logik der Vererbungs-
tatsachen geforderten Standpunkt stellte, habe ich schon in der ersten
Auflage meines Lehrbuchs der Entwicklungsgeschichte 1886 den
(regensatz in der verschiedenen Ausbildung der männlichen und
weiblichen Geschlechtszellen nach dem Prinzip der Arbeitsteilung
und histologischen Differenzierung erklärt (l. c. S. 17 und 15)
und dieses Thema noch einmal in meinem Vergleich der Ei- und
Samenbildung (1890, S. 114—117) unter der Überschrift „Über
die Bedeutung der Befruchtung und der geschlechtlichen Diffe-
renzierung“ ausführlicher besprochen. Am erschöpfendsten aber
habe ich später meine Ansichten in meinen Grundzügen der
allgemeinen Anatomie und Physiologie (1893) im VII. Kapitel
(S. 218—233) dargelegt. Ich gebe aus ihm zur Bezeichnung
meines Standpunktes einige der wichtigsten Stellen wieder: „Die
Lehre vom Hermaphroditismus des Kerns und die mit ihr zusammen-
hängende Ersatztheorie lässt sich bei genauerer Prüfung nicht
aufrecht erhalten“ (221). „Es gibt keine spezifisch weiblichen
und keine spezifisch männlichen Befruchtungsstoffe. Die zum
Befruchtungsprozess zusammentreftenden Kernsubstanzen sind nur
insofern verschieden, als sie von zwei verschiedenen Individuen
abstammen.“ „Die Ausdrücke männliche und weibliche Geschlechts-
zellen, männliche und weibliche Kerne bezeichnen keinen im
Wesen der Zeugung begründeten Gegensatz, sie beziehen sich
vielmehr nur auf sekundär entstandene Verschiedenheiten unter-
geordneter Art ..... Denn sagen wir es gleich, was später
noch genauer zu erweisen Ist: Die Ausbildung zweier verschiedener
(seschlechter ist nicht die Ursache der geschlechtlichen Zeugung;
das ursächliche Verhältnis ist ein umgekehrtes. Alle Geschlechts-
differenzen, wenn wir sie bis zu ihren Wurzeln zurückverfolgen,
sind entstanden, weil die Verbindung zweier Individuen einer
Art, die ursprünglich gleichartig und daher geschlechtslos sind,
für die Erhaltung des Lebensprozesses Vorteile darbietet; ohne
Ausnahme dienen sie nur dem einen Zweck, überhaupt die
Vereinigung zweier Zellen zu ermöglichen; nur deswegen haben
124 Oskar Hertwig:
sich die Gegensätze, welche man als weiblich und als männlich
bezeichnet, herausgebildet.“
„Bei der Befruchtung kommen zwei Momente in Betracht,
die miteinander konkurrieren und in einem Gegensatz zuein-
ander stehen. Erstens ist es von Nutzen, wenn die Kernsubstanzen
zweier Zellen gemischt werden; die Zellen müssen daher in der
Lage sein, sich aufzusuchen und zu verbinden. Zweitens aber ist
die Befruchtung auch der Ausgangspunkt für einen neuen Ent-
wicklungsprozess und für einen neuen Zyklus von Zellteilungen ;
insofern ist es nicht minder von Nutzen, wenn gleich von Anfang
an viel entwicklungsfähige Substanz vorhanden ist, welche nicht
erst auf dem zeitraubenden Umweg der Ernährung herbeigeschaftt
zu werden braucht.“ „So konkurrieren zwei Momente miteinander,
von denen das eine die Zelle beweglich und aktiv, das andere
dagegen unbeweglich und passiv zu machen sucht. Die Natur
hat beide Zwecke erreicht, indem sie Eigenschaften, die ihrer
Natur nach in einem Zellkörper unvereinbar, weil gegensätzlich
zueinander sind, nach dem Prinzip der Arbeitsteilung auf die
beiden zum Befruchtungsakt verbundenen Zellen verteilt hat. Sie
hat die eine Zelle aktiv und befruchtend, das heisst männlich,
die andere dagegen passiv und empfangend, das heisst weiblich
gemacht.“ „Von den so geschlechtlich differenzierten Zellelementen
können wir die Ausdrücke „männlich und weiblich“ auf die in
ihnen enthaltenen Kerne übertragen, auch wenn dieselben an
Masse und Qualität ihrer Substanz einander äquivalent sind.
Nur dürfen wir unter der Bezeichnung männlicher und weiblicher
Kern nichts anderes verstehen, als einen Kern, der von einer
männlichen oder einer weiblichen Zelle abstammt.“ (Anmerkung 26.)
Als Stütze für seine Lehre vom Zellenhermaphroditismus
hat van Beneden sich auf die Protophyten und besonders auf
die Vorticellen, die sich in Makro- und Mikrosporen teilen, be-
rufen. Indessen mit Unrecht. Denn bald darauf wurden die
3efruchtungserscheinungen der Infusorien durch die 1889 gleich-
zeitig erschienenen, ausgezeichneten Untersuchungen von meinem
Bruder und von Maupas aufgeklärt. Beide lehnten hierbei die
Lehre vom Zellenhermaphroditismusab. „Bei den meisten Infusorien,
bemerkt mein Bruder, „kopulieren weder sexuell differenzierte
Kerne, noch auch Kerne sexuell differenzierter Tiere, sondern
gleichwertige Kerne, welche in gleichwertigen, aber unabhängig
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 125
voneinander entwickelten Tieren entstanden sind“. Ebenso spricht
sich Maupas dahin aus: „Les differences appel&es sexuelles,
portent sur des faits et des ph@nomenes purement accessoires de la
fecondation. La fecondation consiste uniquement dans la r&union
et la copulation de deux noyaux semblables et “quivalents, mais
provenants de deux cellules distinctes.“
b) Das Reduktionsproblem und Weismanns Ahnen-
plasmatheorie.
In der Erklärung der Richtungskörper hat Weismann seine
Ansichten mehrmals gewechselt. Seine in der Kontinuität des
Keimplasma 1885 aufgestellte Hypothese ergänzte er schon 1887
durch eine zweite Hilfshypothese, und auch diese hat er wieder
in einer seiner letzten Schriften 1913 aufgeben oder wenigstens
von Grund aus umändern müssen. Wie schon auf Seite 110—116
besprochen wurde, waren Weismann und ich zu einer ganz ver-
schiedenen Auffassung vom Kernidioplasma gekommen. Weis-
mann nahm ein solches nur in einem kleinen Teil der vom be-
fruchteten Ei abstammenden Zellengenerationen an, aus dem
schliesslich wieder Keimzellen hervorgehen. Diese allein liess er
mit der vollen Erbmasse ausgerüstet sein, dagegen alle zu Ge-
weben differenzierten oder somatischen Zellen je nach ihrer Diffe-
renzierung eine besondere Art vonhistogenem Kernplasma
besitzen. Da nun aber auch Ei- und Samenzellen vor der Be-
fruchtung ebenfalls für besondere Aufgaben differenzierte Zellen
sind, hielt Weismann für sie ausser ihrem Gehalt an Keim-
plasma noch eine Beigabe von histogenem Kernplasma
für erforderlich und meinte, dass diese Beigabe vor der Be-
fruchtung durch Kern- und Zellteilung entfernt werden müsse,
damit das Keimplasma überhaupt zu seiner vollen Wirkung
kommen könne (l. c. S. 72). Von solchen Spekulationen geleitet,
glaubte Weismann als eine Ausstossung des histogenen Kern-
plasmas aus dem Ei die Bildung der beiden Richtungskörper
deuten zu können, und zwar seien zwei sukzessive Teilungen
hierfür erforderlich, weil das histogene Kernplasma wahrschein-
lich voluminöser als das Keimplasma sei; auch vermutete er —
was übrigens van Beneden schon direkt nachzuweisen versucht
hatte — einen entsprechenden Vorgang für die Samenzellen.
Auf seine Erklärung der Entfernung histogenen Kernplasmas
126 Oskar Hertwig:
durch die Richtungskörper legte Weismann einen grossen Wert,
weil seine Theorie von der Kontinuität des Keimplasma an der
Annahme einer Vereinigung von zwei Nukleoplasmen verschiedener
Qualität in einem und demselben Kern geradezu hänge. Jetzt
sah er schon diese Annahme durch die Ausstossung der Richtungs-
körper, wenn sie in seinem Sinne verstanden werde, „gewisser-
maßen ad oculos demonstriert“ (1885, 1. c. S. 74).
Aber schon 1887 hatte sich die Situation verändert. Weis-
mann hatte, wie gleichzeitig auch Bloehmann, beobachtet, dass
während sonst überall zwei Richtungskörper entstehen, bei par-
thenogenetischen Eiern (Daphniden) nur ein solcher gebildet wird.
Er zog jetzt hieraus den Schluss, dass zur Ausstossung des
histogenen Kernplasma ein Richtungskörper, nämlich der erste,
vollkommen genüge; also müsse der zweite eine andere Bedeutung
haben und diese bestehe offenbar darin, dass er eine Reduktion
des Keimplasmas selbst auf die Hälfte bewirke (1887, 1. c. S. 14).
Dass aber eine solche bei der geschlechtlichen Zeugung notwendiger-
weise habe einmal eintreten müssen, folgerte er — im Gegensatz
zu der von van Beneden schon 1884 aufgestellten „nukleären
Ersatztheorie“ — aus seiner auf Seite 112 besprochenen Ahnen-
plasmatheorie. — Denn es müsse der bei jeder neuen (reneration
sich wiederholende Teilungsprozess der Ahnenplasmen schliesslich
zu so kleinen Stoffeinheiten führen, dass „sie nicht mehr teilbar
sind, ohne ihre Natur als Vererbungssubstanz zu verlieren“
(1887, l.c.S. 31). Weismann suchte dies durch das auf S. 114
wiedergegebene Schema (Fig. 24) anschaulich zu machen. „In
(eneration I ist väterliches und mütterliches Keimplasma noch
völlig homogen und enthält noch keine differenten Vererbungs-
qualitäten; das Keimplasma des Kindes aber enthält zu gleichen
Teilen zwei Arten von Keimplasma. In der zweiten (Generation
vereinigt sich dieses kindliche Keimplasma mit einem von andern
Eltern abstammenden, aber ebenfalls nur aus zwei Ahnenplasmen
zusammengesetzten Keimplasma und die daraus hervorgehende
dritte Generation beherbergt nun in ihren Keimzellen vier ver-
schiedene Keimplasmen usw. Das Schema reicht nur bis zum
Kind der vierten Generation, dessen Keimzellen also 16 ver-
schiedene Ahnenplasmen enthalten. Wenn wir uns aber vorstellen,
die Keimplasmen-Einheiten seien so gross, dass nur 16 in dem
Kernfaden Platz hätten, dann würde also die Grenze der Teilbar-
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 127
keit mit der fünften Generation schon erreicht sein und eine
weitere Halbierung der Ahnenplasmen wäre unmöglich“ (1887,
lc. 8..31,%32).
Da nun alle heute lebenden Arten jedenfalls schon so viele
verschiedene Ahnenkeimplasmen einschliessen, als sie überhaupt
zu bergen fähig sind, knüpfte Weismann an diesen Umstand
„die Frage, wie denn nun heute die geschlechtliche Fortpflanzung
vor sich gehen kann, ohne dass die Masse des Keimplasmas,
welche zu einer Keimzelle gehört, sich mit jeder neuen (reneration
verdoppelt?“ Und er gab hierauf die Antwort: „durch eine in
jeder Generation sich wiederholende Reduktion der Zahl der
Ahnenplasmen. Das muss so sein.“ (l. e. S. 33.) Die Reduktion
aber liess er bei dem Reifeprozess der weiblichen und der männ-
lichen Keimzellen stattfinden, ehe sie sich zu einer neuen Einheit
durch den Befruchtungsakt verbinden; also bei der Eizelle durch
Abscheidung des zweiten Richtungskörperchen, durch welches so
viel Ahnenplasma entfernt, als durch die Befruchtung wieder ein-
geführt wird. Infolgedessen unterschied Weismann von der
gewöhnlichen Karyokinese, durch welche die Mutterchromosomen
durch Längsspaltung in zwei Tochterchromosomen geteilt werden,
eine zweite Art, bei welcher die Mutterchromosomen im Aquator
der Spindel ungespalten sich in zwei Gruppen sondern, so dass
jeder Tochterkern nur die Hälfte der Gesamtzahl des Mutterkerns
erhält. Die erste nannte er Äquationsteilung, die zweite
Reduktionsteilung (Il. c. S. 35, 36).
Auf diesem Wege glaubte Weismann die von van
Beneden entdeckte Reduktion der Chromosomen-
zahl bei Ascaris megalocephala besser als durch
die nukleare Ersatztheorie desselben Forschers
erklären zu können. Die vier Schleifen des ersten Richtungs-
körpers deutete er in der ursprünglichen Weise als das ausge-
stossene histogene Kernplasma, in der Ausstossung des zweiten
Richtungskörpers dagegen erblickte er eine Reduktionsteilung,
durch welche die Hälfte der verschiedenen Ahnenkeimplasmen in
Gestalt von zwei Kernschleifen ausgestossen wird (l. c. 5. 39). Wie
bei seiner früheren Beweisführung hielt Weismann auch bei dieser
„die theoretische Forderung einer bei jeder (reneration sich wieder-
holenden Reduktion der Ahnenplasmen für so sicher
begründet, dass die Vorgänge. durch welche dieselbe bewirkt
128 Oskar Hertwig:
wird, gefunden werden müssen, wenn sie auch in den bis jetzt be-
kannten Tatsachen noch nicht enthalten sein sollten“ (l. c. S. 41).
Weismanns Erklärung des Reduktionsprozesses durch die
Ahnenplasmatheorie habe ich ebenso wie van Benedens
nukleare Ersatztheorie von Anfang an für einen Missgriff gehalten ;
wie zum erstenmal in meinem Vergleich der Ei- und Samen-
bildung (1890), so habe ich mich auch bei anderen (Gelegenheiten
(1594 und 1909) und in den verschiedenen Auflagen meiner Allge-
meinen Biologie (1906, 1909, 1912) gegen sie ausgesprochen. Mein
Bestreben war, sie durch eine einfachere, weniger spekulative
und hypothetische Erklärungsweise, von welcher der nächste
Abschnitt handelt, zu ersetzen.
c) Das Reduktionsproblem und die Verhütung der
Summierung der Erbmasse (Hertwig).
Eine viel einfachere Erklärung als Weismann hat schon
Nägeli gegeben, dem überhaupt das Verdienst gebührt, das
durch die Vereinigung zweier Idioplasmen entstehende Problem
bei seinen theoretischen Erörterungen zuerst erkannt und einen
Versuch zu seiner Erklärung gemacht zu haben. „Wenn bei
jeder Fortpflanzung durch Befruchtung“, bemerkte er (1884, 1. c.
S. 224), „das Volumen des irgendwie beschaffenen Idioplasmas
sich verdoppelte, so würden nach nicht sehr zahlreichen Gene-
rationen die Idioplasmakörper so sehr anwachsen, dass sie selbst
einzeln nicht mehr in einem Spermatozoid Platz fänden. Es ist
also durchaus notwendig, dass bei der digenen Fortpflanzung die
Vereinigung der elterlichen Idioplasmakörper erfolge, ohne eine
den vereinigten Massen entsprechende, dauernde Vergrösserung
dieser materiellen Systeme zu verursachen“. Nägeli suchte
diese Schwierigkeit durch die Annahme zu beseitigen, dass das
Idioplasma aus Strängen bestehe, die er in besonderer Weise
so miteinander verschmelzen lässt, dass der Querschnitt des Ver-
schmelzungsproduktes derselbe wie im einfachen Faden bleibt,
dagegen eine Zunahme in der Länge erfolgt. Hierbei nimmt er
eine Durchdringung oder Vermischung der Micellen an und zwar
in der Weise, dass die entsprechenden väterlichen und mütter-
lichen Anlagen sich aneinander lagern.
Auf einem gleichen Boden wie Nägeli stehend, habe ich
die Ahnenplasmatheorie von Weismann mit ihren Konsequenzen
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 129
als eine überflüssige Komplikation der Frage in meinem Vergleich
der Ei- und Samenbildung (1590) und ebenso später abgelehnt.
Ich bin dabei von der einfachen Erwägung ausgegangen, dass
sich die vom Vater und die von der Mutter ererbte Masse aus
wesentlich denselben Anlagen zusammensetzt, da sich die Eltern
im Vergleich zu der Übereinstimmung ihrer Gesamtorganisation
doch jedenfalls voneinander nur durch geringfügige Differenzen
unterscheiden und dass dasselbe von den elterlichen Erbmassen
im Vergleich zu den Erbmassen ihrer Vorfahrenreihe gilt (1390,
l. ec. S. 110). Ich habe es als nicht unwahrscheinlich bezeichnet,
dass gleiche Anlagen väterlicher und mütterlicher Herkunft sich
durch Verlagerung und Mischung enger aneinander schliessen
und durch gegenseitige Beeinflussuug eine Mittelform bilden
werden. Daher könne man jetzt nicht mehr sagen, diese Kern-
hälfte sei väterlich und jene sei mütterlich, vielmehr sei jetzt
aus väterlicher und aus mütterlicher Kernmasse ein Neues ent-
standen, ein Mittelding von beiden, die kindliche Kernmasse.
In meiner Allgemeinen Biologie (1893, Bd. I, S. 283) habe ich
sie daher auch geradezu eine „Mischanlage“ genannt. Schon
vor mir war zur Erklärung der Erblichkeit eine gleiche Ansicht
von Hensen (1885) in die Worte gefasst worden: „Von den
Eltern gehen allerdings Formen und Massen auf das Kind über,
aber sehr bald schwinden die Massen vollkommen dahin
und werden durch die vom Kinde gebildeten Massen ersetzt.
Vollkommen schwinden die Massen deshalb, weil die Anfangs-
masse verschwindend klein ist gegen die im Verlauf der Ent-
wicklung sich bildende Masse und weil diese Massen, soweit sie
wirksam sind, einen Stoffwechsel, also partielle Verbrennung er-
leiden“. „Die Form nur bleibt bestehen.“ „Die Zeugungsmasse
des Sohnes ist also nicht Erbmasse des Vaters und der Mutter,
sondern seine eigene Erbmasse, allerdings eingefügt in die ver-
erbten Formen.“
Auf diesem Wege war der gordische Knoten, den Weismann
durch seine Annahme einer Summierung zahlreicher Ahnenplasmen
und einer periodischen Reduktion derselben künstlich geschürzt
hatte, in einfacher Weise wieder gelöst worden. Vom theore-
tischen Standpunkt aus betrachtet, muss jetzt die Frage
lauten: „Wie wird durch die bei jeder Zeugung erfolgende Ver-
bindung zweier Idioplasmen eine Summierung derselben in der
Archiv f.mikr. Anat. Bd.90. Abt. II. 9
130 Oskar Hertwig:
(senerationenfolge verhütet? Die Antwort darauf kann unter
Zugrundelegung der beobachteten Tatsachen bei dem Reifeprozess
der Keimzellen nur lauten: weil das väterliche und das mütter-
liche Idioplasma kurz vor der Befruchtung ein jedes in zwei
Hälften geteilt wird; teilbar aber muss ein jedes seiner Entstehung
nach sein, da es, aus zwei gleichartigen Anlagekomplexen der
Eltern hervorgegangen, alle Anlagen, die zur Hervorbringung
eines vollständigen Entwicklungsproduktes erforderlich sind,
wenigstens in doppelter Zahl enthält.
Noch präziser lässt sich die Frage und Antwort bei Annahme
der Kernidioplasmatheorie formulieren. Die Frage lautet dann:
Durch welchen Vorgang wird die Masse des Chromatins und die
Zahl der Chromosomen, obwohl eine Verdoppelung der genannten
Teile durch die Befruchtung und hierbei stattfindende Verbindung
zweier Kerne erwartet werden müsste, trotzdem auf der gleichen
Höhe erhalten, wie es das empirisch ermittelte Zahlengesetz der
Chromosomen für jede Tier- und Pflanzenspezies verlangt ?
Die Antwort auf diese Frage fasste ich 1890 (l. e. S. 112
und 126) und in den verschiedenen Auflagen meiner Entwicklungs-
geschichte und Allgemeinen Biologie dabin zusammen: „Der Sum-
mation des Chromatins, welche durch Verschmelzung zweier Kerne
bei der Befruchtung erfolgen müsste, wird im Leben der Zelle
durch einen entgegengesetzten Vorgang, durch eine Reduktion,
entgegengewirkt. Sie erfolgt bei der Reifung der Geschlechts-
produkte, für welche uns ein Verständnis erst dadurch, dass wir
sie zum Befruchtungsprozess in ursächliche Beziehung setzen,
eröffnet wird. Eine Reduktion wird in einfachster Weise dadurch
erreicht, dass dieselbe Kernmasse, welche sonst durch eine einzige
Teilung auf zwei Zellen verteilt worden wäre, hier durch zwei
ohne Pause aufeinander folgende Teilungen auf vier Zellen ver-
teilt wird. Die Kernmasse der Samen- und der Eimutterzelle
(Spermatozyte und Ovozyte) wird anstatt halbiert, geviertelt, die
Summe der chromatischen Elemente durch die zweite Teilung
auf die Hälfte der Normalzahl herabgesetzt. Das Ruhestadium
zwischen zwei Teilungen fällt weg, damit sich die chromatische
Substanz nicht wieder auf dem Wege der Ernährung ergänzen kann.
Alle vier von der Samenmutterzelle abstammenden Samenzellen
erhalten gleichwertige Erbmasse und ebenso das Ei und die drei
Richtungskörper, welche rudimentäre Eizellen sind“ (1890, 1. c.
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 151
S. 113). „Ei- und Samenkern sind durch die Reduktion in bezug
auf die Masse des Chromatins und die Zahl der Chromosomen
gleichsam Halbkerne, die durch Verschmelzung wieder zu einem
Vollkern, dem Keimkern, werden“. „Die Annahmen von van
Beneden, Weismann und Boveri kommen in Wegfall, die
Ausstossung männlicher und weiblicher Kernfäden, die Ausstossung
von Ahnenplasmen, die Atrophie chromatischer Elemente.“
Auch deutete ich schon 1890 den Weg an, auf welchem
vielleicht noch ein weiterer Einblick in das Wesen des Reduktions-
prozesses zu gewinnen sei, indem ich sagte: „Das letzte Teil-
stadium der Geschlechtsprodukte hat also den Charakter eines
Vorbereitungsprozesses für den Befruchtungsakt. Dieser Vor-
bereitungsprozess beginnt sich sogar schon am bläschenförmigen
Kern der Samen- und Eimutterzelle geltend zu machen, da hier
bereits die chromatischen Elemente (als Vierergruppen) für die
zwei einander folgenden Teilungen angelegt werden. Durch
ein genaueres Studium der Art und Weise, wie
dies geschieht, kann vielleicht in Zukunft noch
eine Vertiefung unserer Kenntnisse von dem Wesen
des ganzen Vorbereitungsprozesses herbeigeführt
werden“ (1890, ]l. c. S. 127).
Diesen Auseinandersetzungen entsprechend, hat auch die
Erklärung der Parthenogenese von Weismann und mir eine
verschiedene Fassung erhalten. Nach Weismann „tritt Par-
thenogenese ein, wenn die ganze Summe der von den Eltern er-
erbten Ahnen-Idioplasmen im Kern der Eizelle verharrt“* (1887,
l. ec. S. 74). Nach meiner Fassung dagegen „hat bei Eiern, die
zu parthenogenetischer Entwicklung bestimmt sind, eine Reduktion
der Kernmasse, die ja eine nachfolgende Befruchtung zur Voraus-
setzung hat, keinen Zweck mehr. Daher unterbleibt bei ihnen
die Bildung des zweiten Richtungskörpers, durch welche sonst
die Reduktion bewirkt wird, entweder ganz (gewöhnlicher Vor-
gang bei der Parthenogenese), oder es legt sich noch die zweite
Richtungsspindel an, zwei Kerne entstehen aus ihr. verschmelzen
aber nachträglich untereinander (wie ich bei Asteracanthion,
Boveri bei Ascaris beobachtet hatte). So wird der Vorbereitungs-
prozess für die Befruchtung wieder rückgängig gemacht. (Über-
gang zu parthenogenetischer Entwicklungsweise.) Endlich scheint
es auch möglich zu sein, dass Eier, die nach Bildung zweier
9*
132 Oskar Hertwig:
Richtungskörper reduzierte Kerne enthalten, sich doch noch par-
thenogenetisch weiter entwickeln können (Blochmann, Platner),
da das Teilvermögen der Kerne nach einer statt-
gefundenen Reduktionsteilung nicht gänzlich auf-
gehoben ist, wie am schlagendsten die Experimente mit den
Samenkernen lehren“ (1890, l. ce. S. 127).
Man beachte den Unterschied in den von Weismann und
von mir befolgeten Methoden bei der Erklärung des Reduktions-
problems. Meine Erklärung beschränkt sich auf die Chromatin-
masse und auf die Zahl der Uhromosomen, also auf Verhältnisse,
welche wirklich Gegenstand mikroskopischer Untersuchungen sein
können. Insofern kann meine Erklärung als quantitative
Reduktion bezeichnet werden. Sie ist der einfachste Ausdruck
für wirklich beobachtete Tatsachen. Weismanns Erklärung
dagegen beruht auf einer mikroskopisch nicht zu beweisenden
Hypothese, nämlich auf der Zusammensetzung des Keimplasmas
aus einer Garnitur unsichtbarer Ahnenplasmen und auf Entfernung
einer Anzahl derselben, wobei die entfernten Ahnenplasmen in
jedem einzelnen Fall qualitativ verschieden ausfallen. Infolge-
dessen erblickte ja Weismann in seiner „Germinalselektion“
eine Aufgabe der Reduktion auch darin, geringfügige Unterschiede
zwischen den Keimzellen eines Individuums hervorzubringen und
so durch nachfolgende Amphimixis ein vielfach variierendes Aus-
gangsmaterial für Naturzüchtung zu liefern. Seine Hypothese
ist daher eine solche der qualitativen Reduktion. Bei der
Erklärung des ersten Richtungskörpers war schon nach derselben
Methode von Weismann verfahren worden. Denn auch die
Ausscheidung des histogenen Kernplasmas geht von der An-
nahme qualitativer, durch Beobachtung nicht nachweisbarer
Unterschiede in der Zusammensetzung der chromatischen Kern-
substanz aus. Solche Annahmen entziehen sich dem Forschungs-
bereich des Morphologen, „da Anlagen im Idioplasma“ mikroskopisch
nicht sichtbar zu machen sind.
Es gibt indessen einen Weg, auf welchem sich die
Hypothese qualitativer Unterschiede in einer ent-
wiecklungsfähigen Substanz zuweilen beweisen oder
widerlegen lässt. Dieser Weg ist die entwicklungs-
geschichtliche Analyse und das in geeigneten Fällen an-
gestellte Experiment; durch die Prüfung der Frage, was aus
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 135
der betreffenden Substanz bei der Entwicklung wird, ist eine ge-
nauere Ermittelung ihrer Qualitäten in das Bereich der Möglichkeit
gerückt.
In dieser Weise glaube ich schon 1890 die Hypothese
Weismanns von der Ausstossung histogenen Kernplasmas durch
den ersten Richtungskörper widerlegt zu haben. Ich gebe
die Beweisführung aus meinem Vergleich der Ei- und Samen-
bildung bei Nematoden wörtlich wieder: „Wir haben gesehen, dass
im Keimbläschen des Eies acht chromatische Elemente (in zwei
Vierergruppen angeordnet) angelegt werden, die genau in der-
selben Weise entstehen, dieselbe Grösse und chemische Zusammen-
setzung zeigen. Nach Weismann sind diese chromatischen
Elemente ihrer Natur nach verschieden; diejenigen, welche dem
ersten Richtungskörper durch die erste Zellteilung zugewiesen
werden, sollen einen einfacheren molekularen Aufbau besitzen,
aus sterblicher somatischer Substanz bestehen und nur fähig sein,
bestimmte Vorgänge im Zellkörper zu beherrschen, ein anderer
Teil aber soll echtes unsterbliches Keimplasma von komplizierterer
Molekularstruktur sein und die Anlagen für eine neue Embryonal-
entwicklung einschliessen. Die von Weismann angegebenen
Unterschiede entziehen sich jeder Wahrnehmung. Wenn von
ihm gesagt werden sollte, welches von den acht Elementen im
Keimbläschen nur diese oder jene Substanz besitzt, so würde er
nicht in der Lage sein, diese Aufgabe zu lösen. Und ebenso
kann er von keinem Kern in keinem Gewebe sagen, was ist
histogenes Kernplasma und was ist Kernkeimplasma. Es sind
eben nicht aus Erfahrung und auf Grund von Beobachtungen
gewonnene Begrifte, sondern sie sind auf dem Boden reiner
Spekulation gewachsen. Es ist nicht leicht, durch
Tatsachen solche Spekulationen zu widerlegen. Hier ist es
zufälligerweise möglich.“
„Die Samenmutterzelle (Spermatozyte) schliesst in ihrem
bläschenförmigen Kern, genau wie das Keimbläschen des Eies,
acht chromatische Elemente ein. Diese müssen alle in gleicher
Weise aus Kernkeimplasma zusammengesetzt sein, da durch die
folgenden zwei Teilungen je zwei auf je einen der vier Samen-
körper, die aus der Samenmutterzelle entstehen, übertragen
werden. Denn es wird wohl niemand die Annahme machen
wollen, dass von den Samenkörpern nur die Hälfte Keimplasma
134 Oskar Hertwig:
besitzt und somit als Befruchtungskörper wirken kann, die andere
Hälfte aber das histogene Plasma erhalten hat und darum zur
Befruchtung nicht dienen kann .... — — Nun haben wir früher
durch Vergleichung festgestellt, dass die Richtungskörper in
genau derselben Weise wie die Samentochter- und Samenenkel-
zellen (Präspermatiden und Spermatiden) gebildet werden und
dass vier aus einer Mutterzelle entstandene Samenkörper dem
Ei mit den drei Richtungskörpern entsprechen. Folglich schliessen
wir, dass auch die Richtungskörper, der erste so gut wie der
zweite, Kernkeimplasma führen und dass die Annahme, das erste
Richtungskörperchen diene zur Entfernung von ovogener histo-
gener Kernsubstanz, keine Berechtigung hat.
Wie Weismanns Hypothese über die Bedeutung des
ersten Richtungskörpers durch Vergleichung von Beobachtungs-
reihen, so kann jetzt auch seine der Ahnenplasmatheorie ent-
nommene Erklärung des zweiten Richtungskörpers durch die
experimentellen Ergebnisse der Mendelforschung noch besser als
durch meine theoretischen Einwendungen als widerlegt gelten.
Nach der Lehre von Mendel und seiner Schule sind in
der befruchteten Keimzelle die väterliche und die mütterliche
Erbmasse zu einer gemischten Anlage vereint, derart, dass von
den korrespondierenden väterlichen und mütterlichen Genen
„Merkmalspaare“ (Paarlinge, Allelomorphs) gebildet werden. Bei
der Erzeugung neuer Keimzellen für die nächstfolgende Generation
werden die zu Merkmalspaaren verbundenen Gene wieder von-
einander getrennt (Mendels Spaltungsregel. Da ferner die
(Gene im Idioplasma eine gewisse Selbständigkeit besitzen,
werden sie auf die reifen weiblichen, resp. männlichen Keimzellen
in gleichen Zahlenverhältnissen, aber in verschiedenen Kombi-
nationen der heterozygoten Merkmale verteilt. (1. Gesetz der Un-
abhängigkeit und 2. Gesetz der Mischbarkeit der erblichen An-
lagen.) — Durch die genaue Analyse der erblichen Eigenschaften
eines Bastards durch das Studium seiner Nachkommen während
mehrerer reingezüchteter Generationen ist also experimentell
festgestellt, dass die in einem elterlichen Idio-
plasma vereinten Anlagen keine untrennbare Ein-
heit, also kein „Id“ bilden, wie es in der Ahnen-
plasmatheorie von Weismann heisst, sondern dass sie
wegen einer gewissen, ihnen zukommenden Unabhängigkeit und
. DY=
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 135
Mischbarkeit ausgetauscht und neu kombiniert werden können.
Mit dieser Erkenntnis ist sowohl Galtons Lehre vom Ahnenerbe,
als auch Weismanns Hypothese, dass das Keimplasma aus
zahllosen Ahnenplasmen oder Iden aufgebaut sei, hinfällig ge-
worden. Dagegen hat die von Nägeli, Hensen, mir u.a.
vertretene Auffassung ihre experimentelle Stütze gefunden.
Weismann hat dies später auch selbst erkannt; anstatt aber
seine Ahnenplasmatheorie nun durch eine offene Erklärung auf-
zugeben, hat er sie in seinen Vorträgen über Deszendenz-
theorie (1. Auflage, 1902. 3. Auflage, 1913) allmählich einer
teilweisen Veränderung unterzogen, allerdings so, dass sie zuletzt
so gut wie aufgehoben war und nur dem Namen nach noch be-
stehen blieb.
In der ersten Auflage (1902) versuchte Weismann seine
alte Lehre noch teilweise aufrecht zu erhalten (Bd. I, S. 381,
382). Er gab ein in Fig. 25 reproduziertes Schema zur Ver-
anschaulichung der Wirkung der Amphimixis auf die Zusammen-
setzung des Keimplasmas aus verschiedenartigen Ahnenplasmen
oder Iden, von denen jedes alle Anlagen zu einem vollständigen
Individuum in sich begreift. Für das Schema hat er das Stadium
der Äquatorialplatte einer Kernspindel mit ihren in einem Kranz
angeordneten Iden gewählt, da nach seiner Ansicht ein Id in
vielen Fällen morphologisch einem Chromosom entspricht. Um
anschaulich zu machen, wie eine Zusammensetzung des Keim-
plasmas aus mehreren individuell verschiedenen Iden allmählich
durch geschlechtliche Fortpflanzung entstehen kann, machte er
die Annahme, „es gäbe noch keine Amphimixis, und wir könnten
ihre Einführung in die ÖOrganismenwelt miterleben, die Ver-
erbungssubstanz der bisher lebenden und durch Teilung sich
fortpflanzenden Wesen bestände aus mehr oder minder zahlreichen,
aber untereinander gleichen Chromosomen oder Iden, deren Zahl
z.B. 16 betrage. Wenn nun zum erstenmal Amphimixis statt-
fände, und zwar so wie heute, d.h. nach Reduktion der Iden-Zahl
auf die Hälfte, so würden sich also in der ersten Amphimixis acht
väterliche mit acht mütterlichen Iden zum Keimplasma des neuen
Wesens vereinigen, wie dies in Fig. 25 A durch einen Kreis von
Kügelchen angedeutet ist, von denen als Zeichen ihrer Ver-
schiedenheit zehn weiss und zehn schwarz angegeben sind. Wenn
nun zwei Wesen dieser (sreneration mit zwei Idarten sich wieder
136 Oskar Hertwig:
in Amphimixis verbinden nach vorhergegangener Reduktion der
Ide, so erhalten wir die Fig. B, in welcher links vom Strich die
väterlichen Ide (p J), rechts davon die mütterlichen sich be-
finden (m J), während jeder Halbkreis wieder von zweierlei Id-
arten, den grosselterlichen, zusammengesetzt ist (p’J und p*J',
m?J und m?J'). Die Figuren C und D veranschaulichen die zwei
folgenden Generationen, in welchen die Zahl der identischen Ide
jedesmal um die Hälfte abnimmt, weil wieder acht fremde Ide
beigemischt werden; in C sind nur je zwei Ide noch identisch,
in D aber sind alle Ide individuell verschieden, weil sie von
verschiedenen Ahnen derselben Art abstammen.“ So betrachtete
Weismann bei Artemia salina, das 168 kleine Chromosomen
besitzt, jedes derselben als Id, als „eine biologische Einheit von
Ahnenplasma*“.
Fig. 25.
Schema zur Veranschaulichung der Wirkung der Amphimixis auf die Zu-
sammensetzung des Keimplasmas aus verschiedenartigen Ahnenplasmen oder
Iden nach Weismann (Vorträge über Deszendenztheorie, I. Aufl., Bd. I,
S. 380, Fig. 87). A—D die Ide des Keimplasmas von 4 sich folgenden
Generationen, A aus nur 2 Arten von Iden bestehend, B aus 4, C aus 8,
D aus 16 Arten; 9J und »2./ väterliche und mütterliche Ide, p°./ gross-
väterliche, p°-J urgrossväterliche, p*.J ururgrossväterliche Ide. Die Zeichen
in den Iden deuten ihre individuell verschiedene Natur an.
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 18%
Trotzdem begann sich schon jetzt ein Wandel in den An-
sichten von Weismann anzubahnen, wie sich aus der Definition
erkennen lässt, die er im XXII. Vortrag (S. 43) den Begriffen
Id und Ahnenplasma gab, wenn er bemerkte: „Ich habe die
Ide früher Ahnenplasmen genannt, und der Name trifft auch
insofern zu, als ja bei jeder Befruchtung die gleiche Anzahl Ide
vom Vater und von der Mutter her in der Eizelle vereinigt
werden, somit also das Kind aus den Iden seiner beiden nächsten
„Ahnen“ aufgebaut wird. Da nun aber die Ide der Eltern von
denen der Grosseltern herrühren, diese wieder von denen der
Urgrosseltern, so sind die Ide in der Tat Idioplasmen der Ahnen.“
„Man hat indessen den Ausdruck vielfach dahin missverstanden,
als sollte damit gesagt sein, dass die Ide für alle Zeiten un-
verändert den Charakter des betreffenden Ahn beibehalten ete.
Auch ist es ja klar, dass, wenn wir einmal ganz absehen
von einer möglichen Abänderung der Ide. ein jedes derselben
nicht nur einem, sondern einer langen Reihe von Vorfahren
angehört und bei deren Bildung mitgespielt haben muss, dass es
also schon deshalb nicht das Idioplasma eines be-
stimmten Ahnen ist, sondern nur Ahnenplasma im
allgemeinen Sinn. In diesem Sinn könnte man die Bezeich-
nung für das Id ganz wohl beibehalten.“
Hier möchte es wohl erlaubt sein, die Frage aufzuwerfen,
ob „Ahnenplasma im allgemeinen Sinn“ nicht schliesslich dasselbe
wie Erbmasse oder Idioplasma bedeutet und ob Weismann seine
ursprüngliche Lehre nicht schon bereits verlassen hat? Hierüber
gibt uns seine dritte Auflage noch einen besseren Aufschluss. In
derselben versuchte Weismann sich mit den Ergebnissen der
Mendelforschung abzufinden, zu deren Besprechung er ein be-
sonderes Kapitel (XXII) neu eingeschoben hat. Er hat jetzt das
Schema, Fig. 25, über die Vermehrung der Ahnenplasmen mit dem
dazugehörigen Text weggelassen; anstatt durch die Ahnenplasma-
theorie versuchte er jetzt die Mendelschen Gesetze vom Boden der
Determinantenlehre aus zu erklären (1913, Bd. II, S. 40).
Auf Grund der so vollzogenen Neuorientierung warf er abermals die
Frage auf, ob wir nach dieser Erfahrung die Bezeichnung „Ide“
beibehalten können. Nach seiner früheren Definition würde nur
eine vollständige Gruppe aller Determinanten des Organismus
ein Id heissen. —.... Es scheint ihm jetzt besser, die Definition
138 Oskar Hertwig:
selbst dahin zu erweitern, dass wir unter Iden allgemein die
selbständigen, in sich geschlossenen Determinanten-
gruppen verstehen, mögen sie nun die ganze Erb-
masse der Art in sich einschliessen, oder nur einen
Teil davon“ (1913, Bd. II. S. 47). Je nachdem das eine oder
andere der Fall ist, unterscheidet Weismann „Vollide“ und
„lLeilide“. Teilide z. B. sind Determinantengruppen für das
Geschlecht oder für das Entoderm, oder für das Nervensystem.
Noch mehr aber, als durch diese und ähnliche Abänderungen
seiner ursprünglichen Lehre wird die Ahnenplasmatheorie preis-
gegeben durch die Erklärung (l. c. Bd. II, S. 60): „Ich habe
früher die Ide als Ahnenplasma bezeichnet; man könnte auch
die Determinanten so nennen; genau genommen aber gibt
es in den heutigen Organismen keine grosselter-
lichen oder irgendwie noch ältere Ahnenplasmen. —
Eine Determinante des Grosselters stammt von einer solchen des
Urgrosselters her, diese von einer des Urahns ete. — Omne
determinans e determinante*“. „Aber die Determinanten können
sich vermehren oder verändern, gerade wie die Biophoren, und dar-
auf beruht die phyletische Entwicklung der Organismenwelt“ (S.60).
Aus solchen hier und dort eingestreuten Bemerkungen hat
sich Weismann dem von Nägeli, Hensen und mir ver-
tretenen Standpunkt immer mehr genähert. Die Begriffe
Idanten, Ide (Vollide und Teilide), da sie ihre ur-
sprüngliche Definition verloren haben, sind damit
auch entbehrlich geworden. Das Wort „Determinant“
aber ist besser durch das althergebrachte Wort „Anlage“ oder
nach der Terminologie von Johannsen durch das Wort Gen zu
ersetzen, und da die Forschung erst kaum begonnen hat, den
Versuch zu machen, in das Wesen der „Anlagen“ oder „(rene“
durch experimentelle Untersuchungen einzudringen, ist vollends die
Zeit noch nicht gekommen, sich über die „Architektur des Keim-
plasma“ oder des Idioplasma eine bestimmte Vorstellung zu bilden.
3. Meine Stellung zur Annahme einer Persistenz der
Chromosomen.
Zu gewissen Zeiten sieht man im Leben der Zelle, besonders
aber während ihrer Teilung, sehr eigentümliche Strukturen auf-
treten, wie Spindelfasern, Zentrosomen, Protoplasmastrahlen,
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 139
Chromatinfäden in bestimmter Zahl und Anordnung. Wie sie in
bestimmten Perioden für bestimmte Aufgaben entstanden sind,
so beginnen sie, nachdem sie meist eine Reihe von Metamorphosen
durchlaufen haben, ihre charakteristische Form zu verlieren und
neuen, anders gearteten Strukturen Platz zu machen. Viele
Forscher sind durch die gewiss wundervolle Gesetzmässig-
keit der verschwindenden und nach einiger Zeit
genau ebenso wieder auftauchenden Strukturen
veranlasst worden, eine Kontinuität oder Persistenz derselben
anzunehmen, auch auf solchen Stadien, wo ein Beweis hierfür
nicht zu führen ist. Namentlich ist eine Persistenz auch während
des Ruhestadiums des Kerns für die Chromosomen, den wichtig-
sten Bildungen während der Karyokinese, von K. Rabl, von
van Beneden. Boveri und vielen anderen Forschern behauptet
worden. Der Begründer und energischste Verfechter der Chromo-
somenpersistenz, K. Rabl, hält es für nicht denkbar, dass in
der ruhenden Zelle keine Spur von der Anordnung in Chromo-
somen mehr vorhanden sein sollte, indem er bemerkt: „Niemand
wird annehmen wollen, dass die Fäden im Mutterknäuel an-
schiessen, wie die Kristalle in einer Mutterlauge, oder dass beim
Übergang des Tochterknäuels zur Ruhe die Fäden sich vollständig
auflösen und in Stücke zerfallen“ (1915, 1. e. S. 105).
Die Theorie der Chromosomen-Kontinuität oder Individualität
hat zu vielen Kontroversen geführt, die auch jetzt noch fortbe-
stehen und nicht leicht auszugleichen sind. Hierauf will ich jedoch
nicht näher eingehen, sondern nur meine Stellung kurz darlegen,
die ich zur Frage der Persistenz gewisser Zellstrukturen, besonders
aber der Chromosomen eingenommen habe und auch jetzt noch
glaube einnehmen zu müssen.
In vielen Fällen kann zunächst als sicher angenommen
werden, dass Strukturen in der lebenden Zelle schwinden und
nach einiger Zeit sich in derselben Form wieder neu bilden.
Die Kerne gehen als bläschenförmige Zellorgane während der
Karyokinese zugrunde, wobei einzelne strukturierte Bestandteile,
wie die Membran und die Nukleolen, zerfallen, eventuell ganz
aufgelöst werden und der Kernsaft sich im Protoplasma ver-
teilt. Die Tochterkerne werden dann aus den umgelagerten Be-
standteilen des alten Kerns unter Bezug von neuen Teilen aus
dem umgebenden Protoplasma zur Bildung einer Kernmembran
140 Oskar Hertwig:
und Kernsaft neu aufgebaut. Wie ferner ebensowenig in Zweifel
gezogen werden kann, entstehen bei der Karyokinese verschiedene
fädige Strukturen durch Umbildung aus andersartig angeordneter
Substanz, die achromatischen Spindelfasern und die radiär um die
Pole angeordneten Protoplasmafibrillen, die am Beginn einer
Karyokinese auf die allernächste Umgebung der Zentrosomen
beschränkt, sich auf immer weitere Bezirke des Zellkörpers durch
Verlängerung ausdehnen. In besonders überzeugender Weise
aber lehren die so formenreichen und dabei doch streng gesetz-
mässigen pathologischen Kernteilungen, dass die allerkomplizier-
testen Strukturbilder aus vorher in anderer Form vorhandenen
Bestandteilen der Zelle durch Umwandlung hervorgehen; ich
meine die Triaster, Tetraster und Polyaster. In ihnen treten
Protoplasmastrahlen, Spindelfasern in den allerverschiedensten
Gruppierungen auf, die lediglich durch die abnormen Bedingungen
hervorgerufen sind, und ebenso sind dementsprechend die Chromo-
somen in drei, vier und mehr Muttersternen (Äquatorialplatten)
und doch nach einer gewissen Regel verteilt.
In dieser allgemeinen Metamorphose der Kernsubstanzen
wird von vielen Forschern für die Chromosomen eine Art Aus-
nahmestellung gelehrt; es wird ihnen eine Persistenz im ruhenden
Kern zugeschrieben auch auf Stadien, wo man bei sorgfältigstem
Studium nur ein feines, achromatisches Netzwerk mit zahlreichen,
aufgelagerten kleinsten Chromatinkörnchen und eventuell einzelnen
grösseren kompakten Uhromatinkörpern nachweisen kann, oder
wo im Kopf der Samenfäden nur eine dichte, homogen erscheinende
chromatische Substanz zu erkennen ist. Unter diesen Verhältnissen
ist die Frage berechtigt: Ist die Annahme der Persistenz der
Chromosomen, für deren Vorhandensein im ruhenden Kern jeden-
falls die Beobachtungstatsachen nicht sprechen, aus logischen
Gründen geboten? Ich glaube die Frage verneinen zu müssen,
da die Chromosomenbildung sich auch in anderer Weise, die dem
Verlauf der Erscheinungen besser entspricht, erklären lässt.
Gewiss ist es der Ausdruck einer grossen Gesetzmässigkeit,
wenn bei einer Pflanzen- und Tierart in jeder Karyokinese immer
wieder dieselbe Zahl von Chromosomen, in derselben Form und
Anordnung aus dem ruhenden Kern hervorgeht. Ist es aber
nicht zum mindesten eine ebenso grosse, wenn nicht noch grössere
und schwerer zu verstehende Gesetzmässigkeit, wenn bei einer
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 14
Pflanzenart, um ein schon von Fick (1907, 1. ec. S. 55) gewähltes
Beispiel zu gebrauchen, aus einer jüngsten, noch ganz ungeformten
Blütenanlage von wenigen embryonalen Zellen, schliesslich Pollen-
fäden, gefärbte Blumen- und grüne Hüllblätter in festen Zahlen-
verhältnissen und in ihren für die Spezies charakteristischen
Formen das eine wie das andere Mal entstehen? Wie man hier
zu keiner Präformation, so braucht man auch dort zu keiner
Persistenz der Chromosomen aus logischen Gründen seine Zuflucht
zu nehmen, um die Gesetzmässigkeit zu erklären.
Ausserdem möchte ich den Anhängern der Persistenz noch
folgendes zu erwägen geben. Bei Ascaris megalocephala bivalens
kommen in den Spermatogonien und Ovogonien, im befruchteten
Ei und in den Embryonalzellen der Keimbahn nur vier Chromosomen
von ganz aussergewöhnlicher Grösse vor. Durch den als Chromatin-
diminuition bekannten Prozess entstehen dann aber während der
Furchung bläschenförmige Kerne, die bei jeder Karyokinese nicht
wieder Spindeln mit den vier typischen grossen Uhromosomen,
sondern ebenso gesetzmässig Spindeln mit sehr viel kleineren
und zahlreicheren Chromosomen bilden. Infolgedessen ist man
übereingekommen, die vier grossen Chromosomen als Sammel-
chromosomen zu benennen. Man fasst sie also jetzt als zu-
sammengesetzte Elemente auf, die aus der Vereinigung von
zahlreichen kleineren zustande gekommen sind. Es liegt der
Gedanke nahe, dass, wie die Sammelchromosomen von Ascaris,
sich überhaupt die Chromosomen aus dem ruhenden Kern durch
Sammlung von kleinen Chromatinteilchen oder Chromatin-
einheiten aufbauen, die im ruhenden Kern auf dem achromati-
schen Gerüst verteilt gefunden werden.
Die eben näher begründete Stellung habe ich gegenüber
den Vertretern der Kontinuitäts- und Individualitätshypothese der
Chromosomen schon 1890 (l. ec. S. 104—109) eingenommen.
„Durch die Individualitätshypothese“ — schrieb ich — „werden
die Erscheinungen der Kernteilung nicht verständlicher gemacht,
als es durch manche andere Annahme geschehen kann. Die fädige
Struktur tritt nicht allein an den Chromosomen, sondern fast an
allen Substanzen ein, die bei dem komplizierten Prozess beteiligt
sind ete. In unseren Augen sind alle diese Strukturen vorüber-
gehend bei der Kernteilung unter dem Einfluss der dann in
Wirksamkeit tretenden Kräfte hervorgerufen worden. — — Es
142 Oskar Hertwig:
ist eine beliebte Vorstellung, dass die chromatische Substanz in
morphologischer Hinsicht aus zahlreichen Pfitznerschen Körnern
(Chromomeren) aufgebaut sei. Nehmen wir an, dass diese Teilchen
Polarität erhalten, wenn Kräfte, die im Ruhezustand des Kerns
latent waren, bei Beginn der Teilung in Wirkung treten, dann
scheint es mir recht gut verständlich zu werden, dass die an-
genommenen morphologischen Einheiten der Kernsubstanz, die
Körner, sich in Reihen hintereinander anordneten etc. Eine
weitere Verfolgung dieser Annahme führte zu einer weiteren,
nicht unwichtigen Konsequenz. Bei der Längsspaltung der Fäden
nämlich müssen die Mutterkörner in Tochterkörner zerlegt werden,
die sich in absolut gleichem Verhältnis auf die Tochterkerne
in der von Roux geforderten Weise verteilen. So würde ge-
nau dasselbe Endresultat wie durch die Lehre von der Indivi-
dualität der Chromosomen, erreicht werden, dass bei jeder Teilung
die mütterliche und die väterliche Erbmasse in gleichen Mengen-
verhältnissen und Qualitäten auf alle Tochterkerne verteilt wird.
Und trotzdem ist eine Vermischung und Verlagerung der Mutter-
körner nicht ausgeschlossen, wie bei der Individualitätshypothese.“
„In gleicher Weise hat sich schon Hensen geäussert: Für den
Fall, dass bei der Zerstreuung und nachfolgenden Sammlung der
Kernfäden die einzelnen Körner, resp. deren wesentliche Grund-
substanz als solche bestehen bleiben, würde, ganz einerlei, wie
immer sich die vom Ei und Samen herstammenden Körner an-
einander anordnen, in jeder Zelle des Körpers noch der Träger
der Vererbung beider Eltern in gleichem Maße mit mathematischer
Notwendigkeit vorhanden sein müssen.“
Die Kontinuität der Chromosomen bekämpfend, hat R. Fick
zuerst im Jahre 1899 (l. c. S. 70, auch 1907, l.c. S. 114—117)
sich eines recht anschaulichen Beispiels bedient. Er vergleicht
die Chromosomen mit Kompagnien von Soldaten, die nur im
Dienst zur Erfüllung besonderer Aufgaben zum Kompagnieverband
zusammentreten und sich in Reih und Glied sammeln, nach er-
füllter Aufgabe sich aber wieder zerstreuen. Er hat daher die
der Persistenz der Chromosomen entgegengesetzte Ansicht nicht
unpassend als Manövrierhypothese (Fick, 1907,1. ec. S. 114)
bezeichnet. Hier ist auch die Möglichkeit gegeben, dass die
Elemente der verschiedenen Kompagnieen bei ihrer Auflösung
sich vermischen und dann bei einer neuen Sammlung zu taktischen
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 143
Verbänden nicht immer genau dieselben Mannschaften wieder
zusammentreten, sondern ein Austausch einzelner Elemente zwischen
der einen und der anderen Kompagnie stattfindet.
Die von Mendel aufgestellten Regeln der Unabhängigkeit
der Merkmale, ihre Mischbarkeit und Vereinigung zu neuen
Kombinationen würde sich hiermit in bester Harmonie befinden,
dagegen würde die Theorie der Persistenz der Chromosomen
Hilfshypothesen erfordern, wie sie für das Synapsisstadium auch
aufgestellt worden sind: die Kopulation homologer mütterlicher
und väterlicher Chromosomen und ein zwischen ihnen stattfindender
Austausch von Anlagen.
Den hier berührten Verhältnissen Rechnung tragend, hat
Boveri seine Theorie der Chromosomenindividualität in einer
Schrift aus dem Jahre 1907 so wesentlich geändert, dass man
sich fragen muss, ob er nicht richtiger gehandelt hätte, sie ganz
fallen zu lassen. Ursprünglich stellte er sich ohne Zweifel ganz
auf den Standpunkt von Rabl, wie dieser mit Recht bemerkt
hat (1915, 1. ec. S. 102). Boveri war also ein Anhänger der
Persistenz der Chromosomen und insofern bezeichnete er sie als
selbständige Individuen im Organismus der Zelle. — Dass er
dann später eine Persistenz im Sinne von Rabl nicht mehr an-
nahm oder jedenfalls über diesen Punkt sehr zweifelhaft geworden
war, wurde schon bei früherer Gelegenheit und aus anderem
Anlass auf S. 76 und in Anmerkung 15 (S. 150) nachgewiesen.
Anmerkungen.
Anmerkung 1 zu Seite 15.
Bei Asteracanthion, einem sehr günstigen Untersuchungsobjekt, glaubte
van Beneden den Zerfall des Keimflecks in kleine Stücke, ferner die voll-
ständige Auflösung desselben ebenso wie der Pseudonukleolen und des Corps
nucleoplasmique im Kernsaft, zuletzt die Auflösung des ganzen Keimbläschens
im Dotter sicher festgestellt zu haben. Auch die hiermit zusammenhängende
Entstehung der Richtungskörperchen und das Erscheinen eines neuen Kerns
vor der ersten Furchung hatte er am lebenden Objekt beobachtet, aber nicht
ermitteln können, weder wie sich die Richtungskörperchen bilden, noch wie
der erste Kern des Embryo entsteht (1876, 1. c. S. 75). Doch spricht er
auch jetzt für Säugetiere und Echinodermen als seine feste Überzeugung
aus (l. c. S. 40): „Il ne peut y avoir, chez le lapin, aucun lieu genetique
entre la vesicule germinative ou l’une de ses parties et le noyau em-
144 Oskar Hertwig:
bryonnaire qui apparait dans l’oeuf apr&s la fecondation.“ Und später, die
Ergebnisse am Asteracanthion-Ei mit einschliessend, wiederholt er (l. e. S. 75):
„Chez le lapin comme chez l’&toile de mer la vesicule germinative disparait
en tant qu’el&ment morphologique ; aucune partie form6e de la vesicule ger-
minative n’existe plus dans l’oeuf au moment oü l’on voit apparaitre le
premier noyau embryonnaire; aucun lien genetique ne peutdonc
exister entre la vesicule germinative ou l’une de ses par-
tieset le premiernoyau del’embryon.“
Anmerkung 2 zu Seite 27.
Einer derartigen Verallgemeinerung bereiteten allerdings noch die
Eier der Fische, der Amphibien, der Reptilien und Vögel mit ihren riesen-
grossen und zahlreiche Keimflecke bergenden Keimbläschen grosse Schwierig-
keiten. Wenn ich auch an Schnitten, die ich durch das abgelegte Froschei mit
freihändiger Messerführung anfertigte, einen kleinen Eikern nach vollständigem
Schwund des Keimbläschens nachweisen konnte, so blieben mir doch, ebenso
wie anderen Forschern auf diesem Gebiet, Oellacher, Bambeke,
Götte, die schwer zu erkennenden Veränderungen verborgen, die auch
hier zur Entstehung einer Richtungsspindel und zur Hervorknospung zweier
Polzellen führen. Erst nachdem die Zerlegung grösserer Eier in lückenlose,
feine Serienschnitte durch Einführung der Paraffintechnik und der Mikrotome
ermöglicht und die Färbemethode weiter verbessert worden waren, haben
Oskar Schultze, Rückert, Born, Fick, Carnoy und Lebrun es
durch ihre vorzüglichen Arbeiten ermöglicht, auch diese schwierigen Objekte
dem allgemeinen Schema einzuordnen.
Anmerkung 3 zu Seite 27.
Zu dem Ergebnis meiner inzwischen erschienenen zweiten Abhandlung
über Nephelis erklärt Bütschli seine Zustimmung in einer Anmerkung,
die er seinem Manuskript noch vor der Drucklegung beifügen konnte und
die ich im Wortlaut wiedergebe:
„Kaum hatte ich die obigen Zeilen niedergeschrieben, so wurde auch
die oben ausgesprochene Hoffnung durch die in diesen Tagen erschienene
schöne Untersuchung Oskar Hertwigs über die ersten Entwicklungs-
vorgänge bei Nephelis erfüllt. Hertwig hat die, in den obigen Zeilen von
mir über die Bedeutung der Richtungsbläschen ausgesprochenen Vermutungen
durch seine Untersuchungen vollkommen sicher nachgewiesen, und dadurch
die von mir früherhin über die Bedeutung und das Wesen dieser Körperchen
geäusserte Ansicht in dem Sinne korrigiert, zu dem auch ich durch die ge-
schilderten Erfahrungen bei Neritina gelangt bin. Da ich nun ganz unab-
hängig gleichfalls meine frühere Anschauung in gleicher Richtung korrigiert
habe und die Abfassung obiger Zeilen schon geschah, bevor die Hertwigsche
Arbeit erschien, so habe ich dieselben gerade so stehen lassen, wie ich
dieselben ursprünglich niederschrieb. Wie gesagt, schliesse ich mich
0. Hertwig völlig an, was die Entstehung und das Wesen der Richtungs-
bläschen bei den Hirudineen und Gastropoden betrifft“ (1877, 1. c. S. 236).
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 145
Anmerkung 4 zu Seite 28.
Als Belegstellen für Fols Ansichten in den Jahren 1875 und 1876
zitiere ich: „Avant chaque segmentation le nucleus disparait pour &tre rem-
plac& par deux &toiles mol6&culaires qui prennent naissance dans son interieur.
Le centre de chacune de ces 6&toiles peut ätre consider comme un centre
d’attraction. Apres la segmentation un nucl&us reparait au milieu de chaque
etoile“ (1875, Pteropoden, S. 198). Und was die Kernlosigkeit des Eies
vor und nach der Bildung der Richtungskörperchen betrifft, so heisst es:
„Le nucl&us avait deja disparu chez tous les oeufs que j’ai observes pour
reparaitre avant et apres la sortie des corpuscules de rebut.“ (Heteropoden,
8.7.) Oder: „C’est donc une erreur complete que de croire que le nucl&us
de l’ovule persiste et donne naissance par sa division aux noyaux des
spherules de segmentation. Non seulement le noyau disparait avant chaque
segmentation, mais encore il se fusionne deux fois avec le protoplasme en-
vironnant, et s’individualise deux fois avant la premiere segmentation.“
Anmerkung 5 zu Seite 29.
In seiner Bibliographie aus dem Jahre 1879 (l. c. S. 83) hebt Fol als
maßgebend für seinen in der Heteropodenarbeit eingenommenen Standpunkt
folgende Stelle aus ihr hervor: „Le vitellus possede apres la fecondation un
noyau central dont l’origine est encore inconnue. Aux deux cötes oppos6es
de ce nucleus apparaissent des centres d’attraction d’oü partent des fila-
ments sarcodiques dispos6s en @toiles. Les plus gros de ces fila-
ments s’etendent dans l’intörieur du nucl&us d’un centre d’attraction a l’autre
centre... L’un des centres se rapproche de la surface du vitellus et l’autre
le suit, quoique plus lentement. Le centre qui se trouve le plus pres de la
surface sort du vitellus sous forme de globule, extrainant avec lui une partie
de ce que je crois &tre la substance du noyau primitif. Puis le centre, qui
est rest dans l’interieur du vitellus, se divise ä nouveau et sa moiti6 p£ri-
pherique sort du vitellus de la m&me maniere pour former le second corpus-
ceule de rebut ... . L’etoile restde dans le vitellus reprend ensuite la forme
d’un noyau avec son nucl6eole et va se reunir A un second noyau, qui s’est
form&e au milieu du protoplasme pres du pol oppos@ ou pöle nutritif du
vitellus.“ (Heteropoden, S. 40.) In den Figuren, welche Fol seiner Ptero-
podenarbeit auf zehn Tafeln beigefügt hat, sind einzig und allein die Proto-
plasmastrahlungen, sehr fein ausgeführt, abgebildet. In der Abhandlung
über Heteropoden findet sich auch nur eine Zeichnung von einemlebenden
Ei von Pterotrochea zur Zeit der Abtrennung des zweiten Richtungskörpers.
Sie lässt dementsprechend auch nur wenig feineres Detail erkennen.
Anmerkung 6a zu Seite 29.
Dem Schluss seines Werkes hat Folnoch im Hinblick auf die vor und
während der Drucklegung erschienenen Untersuchungen einen umfangreichen
bibliographischen Nachtrag hinzugefügt und zur Begründung desselben be-
merkt (1879,1.c.S. 279): „Les etudes que je fis en d@cembre 1876, janvier et
fevrier 1877 amenerent des r&sultats importants qui, en modifiant mes opinions,
m’obligerent & remanier complötement une partie de mon manuscript. La
Archiv f. mikr. Anat. Bd.90. Abt. II. 10
146 Oskar Hertwig:
publication du me&moire actuel, qui &tait 6erit au printemps de l’an 1877,
ayant ete retardie au delä de toute attente par les lenteurs de la gravure
et de l’impression, j’aurais pu encore faire subir ä ce travail un second
remaniement pour tenir compte des m&moires nombreux et importants
qui ont paru dans l’intervalle.... Je me suis done deeide & laisser mon
manuscript sans changements et ä donner les explications n&cessaires ä
mesure que je comparerai mes r6sultats avec ceux d’auteurs plus r¢s.“
Anmerkung 6b zu Seite 40.
Das Verhältnis von Fols Untersuchung zu der meinigen geht deutlich
aus den Sätzen hervor, mit denen er in seiner vorläufigen Mitteilung (Commen-
cement de l’henogenie 1877, ]. c. S. 455) seine Beschreibung des von ihm
beobachteten Befruchtungsprozesses einleitet:
„Un pas tres-important vient d’etre fait dans la connaissance de ce
phenom£ne primordial. OÖ. Hertwig a montre, dans son beau travail sur
le premier developpement de l’oursin, que le spermatozoaire penetre dans l’oeuf
et entre dans la composition du noyau de l’oeuf feconde. J’ai r&pete les
observations du savant allemand et puis en garantir l’exactitude A quelques
details pres qui ressortiront de ma propre description.“
Anmerkung 7 zu Seite 44.
Zur Kennzeichnung von Bütschlis Standpunkt verweise ich noch
auf folgende Aussprüche: „Soweit ich es zu ermitteln vermochte (1876, 1. e.
S. 179), steht die Neubildung der Kerne immer mit einem sehr hellen, nahezu
homogen erscheinenden Protoplasma im Zusammenhang, welches sich unterhalb
der Austrittsstelle der Richtungsbläschen an der „Oberfläche des Dotters
anhäuft“ oder weit entfernt von ihrer Austrittsstelle im körnigen Dotter
selbst, wie bei Nephelis. Innerhalb dieses Protoplasmas, das gewöhnlich
das Zentrum einer Dotterstrahlung ist, „bilden sich nun die neuen Kerne
entweder an sehr verschiedenen Stellen der Dotteroberfläche (kleine Nema-
toden und auch Cucullanus) oder dicht beiemander (Limnaeus, wahrscheinlich
auch Succinea).“ Bütschli zog aus seinen Betrachtungen noch den Schluss,
dass der von ihm beschriebene „Prozess der Kernneubildung der ersten
Furchungskugel ein in der Tierwelt sehr verbreiteter, möglicherweise an be-
fruchteten Eiern ganz allgemeiner ist.“ Auch die Frage, ob diese Erscheinungen
mit der Befruchtung zusammenhängen können, hatte Bütschli erwogen und
seiner Ansicht in zwei kurzen Äusserungen Ausdruck gegeben. 1875
(l.c. 8.210) glaubte er nach seinen Untersuchungen am befruchteten Eivon Nema-
toden und Schnecken wohl einigen Grund zu dem Ausspruch zu haben, dass das
Wesentliche der Befruchtung in der Entfernung des alten und der Neubildung
eines neuen Nukleolus, in welchen Bestandteile des Spermatozoon eingingen,
liege. (1876, 1. ec. S.109). Zu der kurz zuvor erschienenen Theorie van Benedens
vom geschlechtlichen Gegensatz des äusseren und des inneren Keimblattes,
bemerkte er: „Das Wesen der Befruchtung ist in einer ganz anderen Richtung
zu suchen. Meine Untersuchungen jüngster Zeit sind wesentlich dazu geeignet,
meine schon vermutungsweise geäusserte Ansicht, dasses
sich dabei um eine gänzliche oder teilweise Erneuerung
des Kerns der Eizelle handele, mehr zu befestigen“.
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 141
Anmerkung 8 zu Seite 45.
Bei dieser Sachlage lässt es sich nicht rechtfertigen, wenn Born vom
2. Heft der organologischen Studien Auerbachs bemerkt (1898, 1. c. S. 261):
„Dieser Beitrag hat der modernen Lehre von der Befruchtung
ihr erstes dauerndes Fundament geliefert: es sollte nie ver-
gessen werden, dass dieses Verdienst durchaus Auerbach
zugehört.“
Born übersieht hier zweierlei: erstens, dass schon Warneck und
vor allen Dingen Bütschli das Entstehen und die Verschmelzung zweier
Kerne im befruchteten Ei vor Auerbach beobachtet und beschrieben
haben und zweitens, dass Auerbach bei einer Besprechung meiner Ab-
handlung in der Literaturzeitung selbst den Unterschied zwischen seiner
und meiner Abhandlung angedeutet hat. Er sagt: „Besonders eigentümlich
ist das Resultat des Abschnittes II. Diese Beobachtungen entsprechen, wie
Verfasser hervorhebt, betreffs der Konjugation zweier selbständig entstandener
Kerne im Ei, denjenigen des Referenten, weichen jedoch darin ab, dass er sie
nicht als Neubildungen betrachtet, sondern vielmehr in dem einen einen
morphologischen Rest des Keimbläschens, in dem anderen einen solchen der
Spermazelle sieht. Es ist offenbar, dass falls diese — in Weiter-
entwicklung der Ergebnisse des Referenten — vom Verfasser ge-
wonnenen Resultate sich bestätigen sollten, damit ein
neues Licht auf den Befruchtungsvorgang fiele, als dessen
Endziel sich demnach eine Kopulation der Kerne einer mäÄnn-
lichen und einer weiblichen Sexualzelle herausstellen
würde.“ Wie am Schluss seiner Besprechung Auerbach noch erklärt,
kann er meine in Abschnitt II und III entwickelten Ansichten nicht mit neueren
Beobachtungen in Einklang bringen. (Jenaer Literaturzeitung 1876, 8. 107.)
Die Stellung Auerbachs zu meiner Befruchtungstheorie dürfte
nach diesen Hinweisen wohl genügend aufgeklärt sein.
Anmerkung 9 zu Seite 46.
Ich verweise auf Strasburgers Vorwort vom März 1876 zur zweiten
Auflage seines Zellbuchs, wo es heisst: „Die nach dem Erscheinen der ersten
Auflage dieses Buches erschienenen Arbeiten von F ol über die Entwicklung
der Pteropoden, von OÖ. Hertwig über Bildung, Befruchtung und Teilung
des Eies von Toxopneustes lividus, sowie weitere briefliche und mündliche
Mitteilungen des Herrn Dr. Bütschli, sind nicht ohne Einfluss auf den
Inhalt einzelner Kapitel geblieben, wie man das an den betreffenden Stellen
stets eingehend erörtert finden wird“. Ferner verweise ich auf Strasburgers
Bemerkung auf Seite 223: „O. Hertwig hat die Seeigeleier auch künstlich
und zwar nach einer vorzüglichen Methode, mit Ösmiumsäure und Bealeschem
Karmin behandelt und dabei sehr instruktive Präparate erhalten, wie ich
das nach eigner eingehender Ansichtsnahme derselben bezeugen kann.“
Anmerkung 10 zu Seite 46.
Genaueres ist über den Vortrag Strasburgers nicht veröffentlicht
worden, ausser den kurzen Sitzungsberichten. In dem einen heisst es: „Der
10*
148 Oskar Hertwie:
Vortragende sucht nachzuweisen, dass die Vorgänge der Befruchtung im
Tier- und Pflanzenreich übereinstimmend verlaufen und darauf beruhen, dass
sie, nachdem ein sich eigentümlich differenzierender Teil des Kern- („Keim-
bläschen“-) Inhalts zuvor ausgestossen wurde, ein neuer, dem befruchtenden
Stoffe entstammender Kern in das Ei eingeführt wird.“ (l. c.S. 100.) Der
Bericht in der zoologischen Sektion hat eine noch etwas unbestimmtere
Fassung erhalten. „Die im Tier- und Pflanzenreich identisch verlaufenden .
Befruchtungsvorgänge sollen darauf beruhen, dass ein dem Befruchtungsstoffe
entstammender Zellkern, respektive wo kein Zellkern individualisiert wird,
eine demselben entsprechende Substanz in das Ei eingeführt wird. Dieser
Neubildung geht vor oder während des Befruchtungsvorgangs die Beseitigung
des alten Zellkerns mit Ausstossung sich eigentümlich differenzierender
Substanzteile, respektive die Ausstossung den Zellkern vertretender Masse
voraus“ (l. c. S. 150).
Anmerkung 1lla zu Seite 48.
In diesem Zusammenhang scheint mir auch die folgende, sonst un-
‘verständliche Bemerkung van Benedens ihre Erklärung zu finden: „Je
pourrai faire paraitre prochainement un memoire “tendu accompagne de
nombreuses planches, sur les pr@miers phenomenes embryonnaires du lapin.
Diverses raisons m’engagent & donner des & pr6sent un
resum& de mes recherches. (1875, 1. c. S. 689.)
Anmerkung 11b zu Seite 63.
Ich führe hierfür die folgenden zwei Belegstellen an (1875, 1. e. S. 409
und 410): „1. Die Enden des Kernbandes weichen bis in die Mitte der beiden
Sonnen und erscheinen hier, da sie sich in Osmiumsäure stärker schwärzen
und in Karmin sich tiefer imbibieren, als dunkle, scharf begrenzte
Streifen.“ Und von dem Stadium kurz vor der Zweiteilung heisst es:
2. „Das Ende des Bandes ist etwas verbreitert und seine Ecken sind in zwei
Spitzen ausgezogen, welche wieder als dunklere Körner aus der hellen Figur
hervorleuchten“. Man vergleiche zu diesen Beschreibungen die solche Stadien
darstellenden Figuren 30, 31 und 32 auf Tafel III oder die Figuren 45, 49,
50 auf Tafel IV von Boveris Zentrosomenarbeit. Zuweilen habe ich an
einzelnen Karmin-OÖsmiumpräparaten, die ich als weniger gelungen bezeichnete,
auch nur die Kernenden und die seitlichen Verdichtungszonen wahrnehmen
können, „indem die zwischen ihnen liegenden Abschnitte durch ihre Färbung
sich nicht genug von der Umgebung abhoben“. Ein derartiges Präparat hat
Flemming, der es von Fol geschenkt erhielt, in Fig. 30, Taf. II im dritten
Teil seiner Beiträge abgebildet und in der zugehörigen Erklärung bemerkt:
„Die Polarkörper sind recht deutlich, eines scheint aus mehreren zu bestehen.
Die achromatischen Fäden sind hier nicht gut erkennbar“ (1882, 1. ce. S. 40).
Anmerkung 12 zu Seite 63.
Ich gebe hierfür zwei Belegstellen wieder: „Les corps du centre de
l’aster paraissent, dans l’acide osmique, assez homogenes et de petites
dimensions. Places d’abord au centre de l’aster (Pl. VII, Fig. 6ac), ils se
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 149
rapprochent ensuite des jeunes noyaux (Fig. 7ac) auxquels ils finiront par
se r&unir“ (l. e. S. 180), Und ebenso Seite 191: „Le corpuscule central de
laster a disparu, sans doute par absorption dans le noyau.“
Anmerkung 13 zu Seite 63.
In dem Handbuch über Plasma und Zelle hat Heidenhain ein aus-
führliches Kapitel der Geschichte der Zentren gewidmet. Er führt hier (l. c.
1907, S. 217), „wie auch bisher allgemein angenommen worden sei, Ed. van
Beneden als den ersten Entdecker der zellulären Zentren auf“ und be-
zieht sich hierbei auf seine Beschreibung einer Spindelfigur in seinen 1876
veröffentlichten Untersuchungen über Diey@miden. Die Stelle lautet: „Il
apparait aux deux pöles du noyau un corpuscule refringent (corpuscule
polaire), autour duquel s’accumulent des granulations trös-fins. Ces deux
pöles se differencient en un disque polaire granuleux, dans lequel vont se
perdre par leurs extremites les fibrilles meridionnes.* (1876, 1. ce. S. 49.)
Alsdann geht Heidenhain auf Flemming als auf den Forscher ein,
welcher im Jahre 1882 die Polkörperchen zuerst etwas genauer besprochen
und auch abgebildet habe. Flemming hat nämlich in dem dritten Teil
seiner Untersuchungen an jedem Pol der Spindel von Salamanderzellen an
guten Safraninpräparaten ein früher von ihm übersehenes „mattglänzendes
Körperchen fast ohne Spur von Färbung“ beschrieben und von ihm bemerkt
(l. ce. 8. 49), dass es „offenbar das Äquivalent der Polarkörperchen sei, welche
H. Fol an Eizellen bekannt gemacht hat“. Auch bildet er ein von Fol
erhaltenes Osmiumkarminpräparat vom Hantelstadium des Seeigeleies ab
(l. ec. Fig. 30 und S. 40), welches die Polkörperchen sehr viel deutlicher als
sein Salamanderpräparat zeigt. 1882 bezieht sich also Flemming, ohne
van Beneden zu erwähnen, direkt auf Fol, als seinen Vorgänger, wie
dieser sich wieder auf die von mir gegebene Beschreibung und auf die Figuren
in meiner ersten Abhandlung beruft. Daher muss ich es für mich
inAnspruch nehmen,dieZentrosomenandenPolenderkaryo-
kinetischen Figuren 1875 zuerst gesehen, alskörperlicheEle-
mente wiederholt beschrieben undinvielenFigurenaufver.
schiedenen Stadien abgebildet zu haben, wenn ich ihnen
auch nicht den jetzt gebräuchlichen Namen gegeben undsie
nicht als selbständige Zellorgane indem Sinn gedeutet habe, wie
es später van Beneden und Boveri getan und dadurchin
ihrer Erkenntnis einen neuen Fortschritt herbeigeführt
haben.
Wenn van Beneden jetzt gewöhnlich in der Literatur, wie von
Heidenhain u. a., als der Entdecker der Zentrosomen aufgeführt wird,
so scheint mir dies durch eine Äusserung von van Beneden in seinen
Recherches (1884, 1. c. S. 331) und in seiner mit Neyt 1887 herausgegebenen
Abhandlung verursacht zu sein. 1884 bemerkt van Beneden: „J’ai le
premier signal& l’existence dans certaines cellules (oeufs des Diey@mides en
segmentation) au centre de chaque £toile, d’un petit corpusceule et je lui a;
donn€ le nom de ‚corpuscule polaire‘.“ Er wiederholt es 1887 im $ III seiner
Schrift, der vom Ursprung der Spheres attractives von Ascaris handelt (1887,
150 Oskar Hertwig:
l. ce. S. 50): „I est facile de voir aussi, qu’un corpuscule teinte en vert
clair siege ä chacune des extr&mites du fuseau; c’est le corpuscule polaire
que l’un de nous a le premier signal& dans les cellules en voie de division
mitosique (1).* Hier verweist er auch wieder in einer Anmerkung auf seine
„Recherches sur les Dicy&mides, Bull. Acad. roy. Belg. 1874*, begeht aber in
diesem Zitat einen Irrtum, der auch in Rabls Schrift (1915, 1. c. S. 87, An-
merkung 1) wiederkehrt, indem er die Jahreszahl 1874 angibt, während die
Diey&midenarbeit erst in der Julisitzung 1876 der belgischen Akademie der
Wissenschaften vorgelegt und im 7. Heft der Berichte gedruckt worden ist.
In den Nouvelles recherches von 1887 bemerkt dann auch noch van
Beneden (S. 52), dass man die „corpuscules polaires“ besser „corpuscules
centraux“, also mit einem Namen bezeichnen sollte, den schon Fol für die
zentral gelegenen Körperchen der Strahlenfiguren gebraucht hat, die ich 1875
als erster beschrieben und abgebildet habe.
Anmerkung 14 zu S. 72.
Nussbaum sagt (. c. S. 170) über die Spaltung und Verteilung der
Chromosomen: „Die Schenkelpaare (des Chromosoms) sind flache Bogen mit
der Öffnung nach der Peripherie der Spindel gestellt (Fig. 43). Man ist
gezwungen anzunehmen, dass bei den weiteren Umbildungen die Fadenschenkel
der Kernfigur der Länge nach gespalten werden und von der Mitte der
Spindel zuerst an die Aussenfläche und schliesslich an die Pole derselben
wandern. Für die Spaltung spricht die Dickenabnahme der Fäden, die in
ursprünglicher Länge in der Vierzahl später an beiden Polen der Spindel
gelagert sind. Die Wanderung über die Aussenfläche der Spindel kann an
den Präparaten demonstriert werden.“ ete. Die Ausführung hierzu gibt die
Erklärung von Fig. 46, in welcher sich die dicken Fäden der Fig. 43 ge-
spalten und so umgelagert haben, dass die offenen Seiten der Schenkelpaare
in den beiden Kernhälften einander zugekehrt sind.
Anmerkung 15 zu S. 76.
In der Einleitung zum zweiten Heft seiner Zellstudien (1888, 1. c. S. 5)
beruft sich Boveri direkt auf die „mit bewunderungswürdiger Ausdauer
und Beobachtungskraft angestellten Untersuchungen“ von Rabl und er
erblickt die Bedeutung seiner Befunde in der durch ihn „eröffneten Wahr-
scheinlichkeit, dass die chromatischen Elemente selbständige Individuen sind,
die diese Selbständigkeit auch im ruhenden Kern bewahren‘.
Ohne Frage baut hier Boveri nur auf der von Rabl bereits
gelegten Grundlage fort, doch geht er in einem Punkt etwas weiter als sein
Vorgänger, indem er bemerkt, es werde durch die Individualitätshypothese
eine gewisse Aussicht für die Berechtigung der Idee eröffnet, „dass die Zelle
selbst wiederum aus noch elementareren Organismen zusammengesetzt sein
könne, die sich zu ihr verhalten, wie sie selbst zum Metazoenleib“ (1888,
l.c. 8.5 und 6). Bei dieser Meinung handelt es sich aber um eine zweite
Hypothese, die zu der ersten noch hinzugefügt wird und die zurzeit sich
überhaupt nicht zum Gegenstand von Forschungen verwerten lässt, ebenso-
wenig wie Altmanns Hypothese, dass die Granula Elementarorganismen
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 151
seien, durch deren Zusammenfügung die Zelle einmal entstanden sei. Mit
ihr beschäftigt sich im übrigen Boveri selbst nicht weiter, dagegen hat er
sich scharfsinnig bemüht, die Rablsche Hypothese „auf zweierlei Wegen
zu erweisen“, wie er selbst sagt (1888, 1. c. S. 5), „einmal in der von Rabl
vorgezeichneten Richtung durch die Vergleichung des entstehenden mit dem
zur Teilung sich anschickenden Kern, zweitens durch die Verfolgung des
Schicksals von chromatischen Elementen, welche infolge von Verschleppung
oder sonstwie als überzählige einem Kern zuteil geworden sind.“ So
hat denn Boveri bei jeder sich bietenden Gelegenheit (1880, 1. ec. S. 145— 154)
ohne Frage zur Stütze und Popularisierung der Hypothese von der Persistenz
der Chromosomen durch seine Arbeiten viel beigetragen, was auch von
Rabls Seite gewiss zugegeben und anerkannt werden wird.
Im Laufe seiner späteren Untersuchungen hat allerdings Boveri
seinen Standpunkt in der Lehre von der Persistenz der Chromosomen so
geändert, dass er wohl berechtigt war, seine neue Individualitätstheorie,
wenn man sie als solche jetzt überhaupt noch bezeichnen kann, als verschieden
von der Rablschen Strukturtheorie anzusehen. Denn jetzt erklärt er „das
Fortbestehen einer bestimmten Anordnung im ruhenden Kern für gleich-
gültig“ ; er will durch seine Individualitätstheorie „nur eine Identität jedes
neuen Chromosoma mit einem alten in irgend einem Sinn
behaupten. (Heft 6, 1907, S. 229.) Sie lasse ausser der speziellen Vorstellung
von Rabl, für die auch er sich zuerst allein ausgesprochen hatte, noch
manche andere Möglichkeiten zu, wie dievon Hertwig ausgesprochene Ansicht,
dass ein Chromosom aus noch kleineren Elementen aufgebaut sei, die sich
zu gewissen Zeiten voneinander trennen und zu anderen wieder neu vereinigen
können. Sie umfasse daher zugleich die Ficksche Manövrierhypothese (. c.
S. 230). Durch diesen Ausspruch nähert sich Boveri dem von mir (1890 1. ce.)
und von Fick (1899, 1907) vertretenen Standpunkt; er gibt also seine Indivi-
dualitätshypothese in ihrer alten Fassung auf und reformiert sie so wesentlich,
dass sie der Rablschen Strukturtheorie nicht mehr entspricht. Der Prioritäts-
konflikt mit Rabl würde nicht haben entstehen können, wenn Boveri sich
über die Änderung seines ursprünglichen Standpunktes deutlicher ausge-
sprochen und nicht versucht hätte, unter dem gemeinsamen Namen „Indi-
vidualitätshypothese“ doch wohl heterogene Vorstellungen zu vereinigen.
Anmerkung 16 zu Seite 76.
Van Beneden macht in seinen Briefen an Rabl und Fick ohne
Frage Prioritätsrechte für sich geltend, wenn er schreibt, 1. an Rabl: „Je
pense done, que vous m’accordez trop peu, quand vous &crivez dans votre
manuscrit: ‚Die Ansicht, dass die Zahl der Chromosomen konstant bleibt,
wurde schon von van Beneden ausgesprochen.‘ J’ai fait plus que de con-
stater la constance du nombre; j’ai pense que la cause de cette constance
pouvait &tre la continuite, dans le sens rappel@ plus haut. — Je vous de-
manderai du vouloir bien relire les pages citees plus haut de mon m&moire
de 1884 et je pense que vous reconnaitrez que jai vu loin que la constation
de la constance du nombre des chromosomes.*“ 2. An Fick: „Vous y
trouverez tr&es clairement exprim& l’idee de la continuit& des chromosomes
152 Oskar Hertwig:
qui se degage de tous les faits observes par moi. J’estime que e’est absolu-
ment A tort que Boveri revendique la paternite.* In der Tat hat van
Beneden Aussprüche getan, die sich in dem Sinne einer Kontinuität der
Chromosomen auffassen lassen, wie folgende: „Il y a des raisons de croire
que m&me dans ces noyaux la chromatine mäle reste distincte de la chroma-
tine femelle* (l. ec. S. 404). „Les elements d’origine mäle et femelle ne se
confondent pas en un noyau de segmentation et peut-etre restent ils distincts
dans tous les noyaux d£rives“ (S. 404). Van Beneden hat auch in ähn-
licher Weise wie Boveri versucht, die Kontinuität während des Ruhe-
stadiums des Kerns nachzuweisen, ist aber hierbei weder zu einem ent-
scheidenden noch auch günstigen Ergebnis gekommen. Denn er schreibt
(1887, 1. c. 8. 48, 49): „I resulte clairement de nos observations, que les
anses chromatiques aux depens desquelles s’edifi& un noyau, ne se retrouvent
pas comme telles dans les anses chromatiques qui se formeront, au moment
de la division subsequente aux depens de ce noyau, etc. Si nous designons
par a, b, c, d les quatre anses d’un dyaster, le noyau au repos, form&e aux
depens de ces anses, peut-tre repr@sent6 par la formule ab, cd. Si nous
appelons m, n, p, q les anses chromatiques qui se formeront aux depens de
ce noyau, au moment de la division subsdäquente, m n’est pas egal aa, nä&
b,,p & «© et qy® d, mais m =. ab,ın = 1/atah, PI=rlpred 7 Tale
Daraus geht jedenfalls hervor, dass van Beneden nicht eine Persistenz
der Chromosomen in der von Rabl zuerst scharf formulierten Theorie an-
nimmt. Das ist auch das Urteil von Rabl selbst. Man vergleiche hierüber
auch Hertwig (1890, 1. c. S. 104—105) und K. Rabl (1915, 1. ec. 84—87,
100—109).
Anmerkung 17 zu Seite 80.
Zu dem Prioritätsstreit — Boveri, van Beneden, Rabl —
über die Entdeckung der Teilbarkeit der Zentrosomen und ihre Bedeutung,
lasse ich noch eine genauere Darstellung der Sachlage in einer Anmerkung
folgen.
Am 3. Mai 1887 berichtete Boveri in der Gesellschaft für Morphologie
und Physiologie in München über „Die Befruchtung der Eier von Ascaris
megalocephala“ und verschickte die Abzüge des kurzen, ohne Figuren ge-
druckten Berichtes Anfang August auch an E. van Beneden. Wie
hierin kurz mitgeteilt wird (S. 78), konnte Boveri die Bildung der ersten
Spindel auf sehr frühe Anfänge zurückverfolgen, auf eine Zeit, wo Ei- und
Samenkern noch nebeneinander im Ei liegen. Er fand im Mittelpunkt einer
grob granulierten Protoplasmaanhäufung ein kleines, stark lichtbrechendes,
„von einem hellen Hof umgebenes Korn“ ; etwas später erkannte er „statt
des einen Korns deren zwei, anfangs sehr nahe beieinander“, konnte aber
nicht entscheiden, ob die zwei „aus dem einen durch Teilung entstanden
sind“. „Die beiden Körner“, fährt Boveri fort, „sind die Polkörperchen
der ersten Furchungsspindel. Sie rücken immer weiter auseinander, wobei
sie an Grösse beträchtlich zunehmen. Indem sich die Protoplasmaanhäufung
um ein jedes als Zentrum kuglig abzurunden sucht, nimmt sie bei grösserer
Entfernung der Polkörperchen voneinander allmählich Hantelform an.
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 153
Schliesslich erfolgt eine völlige Durchschnürung und wir haben nun im Ei
zwei gleichgrosse, scharf begrenzte, gleichmässig granulierte Kugeln, jede
mit einem stark aufgequollenen Polkörperchen als Zentrum.“
Zum Schluss der Mitteilung erwähnt Boveri noch ausserdem (8. 79),
dass nach der ersten Teilung des Eies „das Polkörperchen persistiert und
fügt hinzu: „ich habe dreimal beobachtet, dass die Polkörperchen der nächsten
Spindel aus diesem einen durch Teilung hervorgehen‘.
Wie nicht zu verwundern, sondern als etwas Natürliches eher von
vornherein zu erwarten ist, war gleichzeitig van Beneden zu entsprechen-
den Ergebnissen gelangt, da er dasselbe Objekt mit ähnlichen Reagentien
und Färbemethoden von neuem zum Gegenstand gründlicher Untersuchungen
gemacht hat. Nachdem er schon brieflich und mündlich an Flemming,
Weismann und andere einige Ergebnisse mitgeteilt hatte, reichte er seine
mit Neyt ausgeführten Nouvelles Recherches am 6. August 1887 der belgi-
schen Akademie als Communication preliminaire mit sechs Tafeln ein, liess
aber ausserdem noch, wohl durch den inzwischen erhaltenen Separatabdruck
von Boveri veranlasst, im Moniteur belge vom 20. August eine kurze Zu-
sammenfassung der Ergebnisse in mehreren Paragraphen erscheinen, von
denen Rabl (1915. S. 78 u. 79) einen Abdruck gegeben hat. Der Moniteur-
bericht beginnt mit den Worten: „Les auteurs sont arrives & des resultats
nouveaux, completement inattendus, en ce qui concerne l’origine et la destinde
des spheres attractives et des corpuscules polaires qui siegent au centre de
ces spheres.“ Die wesentlichen, uns hier interessierenden Ergebnisse lassen
sich kurz dahin zusammenfassen, dass im Ei mit zwei netzförmigen Pronuklei,
wie es auch schon Bo veri berichtet hatte, die beiden Sphären gleichzeitig
nachweisbar sind, dass sie später mehr zusammenrücken und die Pole der
„dizentrischen Figur“ werden, indem sie zwischen sich den grössten Teil
der achromatischen Spindel und um sich je eine Strahlenfigur (aster) entstehen
lassen. Während die Strahlenfigur, auf protoplasmatischer Grundlage gebildet,
eine vorübergehende (&ph&m£re) Struktur ist, stellen die beiden Sphären, welche
den zentralen Partien der Sterne entsprechen, im Gegenteil permanente
Organe der Zelle dar, welche auch nach dem Schwund der Strahlenfigur
fortbestehen bleiben. Das in der Sphäre eingeschlossene Zentralkörperchen
wird auf dem Dyasterstadium der Karyokinese stabförmig, schnürt sich ein
und teilt sich in zwei Körperchen. Von diesen heisst es dann weiter: Ceux-ci
deviennent les centres de deux spheres nouvelles adjacentes entre elles et
situces d'un m&me cöte du noyau dans la cellule au repos; les deux
spheres derivees proviennent de la division de la sphere anterieure. Lorsque
la cellule se pr&pare de nouveau ä sa division, les spheres filles s’ecartent
l’une de l’autre, gagnent deux points opposees du noyau, donnent naissance
ä une nouvelle figure dicentrique et determinent la division de la cellule
suivant un plan perpendiculaire au plan de s¶tion des cellules meres.“
Auf diese Feststellungen gründet dann van Beneden die Theorie, die
ich nach der Fassung in den Nouvelles recherches (1887, 1. c. S. 67) schon im
Haupttext (S. 79) wiedergegeben habe.
Boveris ausführliche Abhandlung erschien erst ein wenig später als
vanBenedens Nouvelles recherches (1887), als zweites Heft der Zellstudien
154 Oskar Hertwig:
(1888). Sie steht durch die Genauigkeit und Gründlichkeit der mitgeteilten
Beobachtungen und durch die Vorzüglichkeit der Figuren, was die uns hier
beschäftigenden Verhältnisse betrifft, in keiner Beziehung hinter der Schrift
von van Beneden und Neyt zurück. Wie der Text, ergibt auch ein
Vergleich der zahlreichen Abbildungen hier und dort eine weitreichende
Übereinstimmung. Diese wird auch von beiden Seiten als ein Beweis für
die Zuverlässigkeit ihrer Untersuchungen mit Recht hervorgehoben. Van
Beneden, im Besitz des Münchener Vortrags vom Mai. hatte noch Gelegen-
heit, seinen Nouvelles Recherches ein kurzes Postskriptum (S. 76-78)
hinzuzufügen, in welchem er auf die übereinstimmenden Beobachtungen von
Dr. Boveri hinweist und sich auch besonders über die Punkte, die später zum
Gegenstand des Prioritätsstreites geworden sind, in folgenden Schlußsätzen
ausspricht: „De plus, plusieurs des faits relat&s ci-dessus, en
ce quiconcernel’origine, ladestinde des spheres attractives
etnotamment la division descorpuscules centraux, ont 6&t&
observes par M. le Dr. Boveri. C'est une grande satisfaction
pour nous de constater, que cette de&couverte a &t& faiteen
möme tempsquepar nous m@mes, parunobservateurtravail-
lant d’une manitre tout ä fait ind&ependante, et c’est avec
une vive impatience que nous attendons la publication de l’ouvrage in
extenso et des planches que M. le De Boveri nous fait esp6erer et dont il
annonce l’apparition prochaine*“.
Ebenso betont Boveri in seiner, die vorläufige Mitteilung näher
ausführenden und ergänzenden Abhandlung die vollkommene Übereinstim-
mung der beiderseitigen Resultate in den Hauptpunkten (l. e. S. 60 u. 167)
und als solche besonders, dass das Zentrosoma ausserhalb des
Kerns bestehen bleibt, dass es sich nach einiger Zeit teilt.
dass die beiden Hälften sich voneinander entfernen und
dementsprechend eineStreckung und schliessliche Teilung
der Archoplasmakugel (sph&re attractive) eintritt“ (8. 167).
Die tägliche Erfahrung lehrt, wie leicht eine bestehende Harmonie
zwischen zwei Forschern, die sich mit demselben Problem, zumal an dem
gleichen Objekt, beschäftigen, auf die Dauer nicht Stand hält und wie geringe
Anlässe genügen, Konflikte und Prioritätsstreite hervorzurufen. 1901 (l. ce.
S. 86) beschwert sich Boveri, dass in der Literatur von Anfang bis in die
neueste Zeit eine Anzahl von Forschern, welche über diese Frage schreiben,
von einem Anteil seinerseits, trotz Kenntnis seiner Arbeiten, gar nicht zu
wissen scheinen; besonders aber führt er als neuen Beleg hierfür eine Be-
merkung von Flemming in der Berliner Klinischen Wochenschrift 1890,
betreffend die Zentrosomen an: „Entdeckt von E.van Beneden 1875—76;
alsbald bestätigt von Boveri“. 1905 richtet Boveri im Anatomischen An-
zeiger (Bd. 27, S. 222) eine Anfrage an Herrn und Frau Dr. Schreiner wegen
ihrer Angabe: „van Beneden lieferte im Jahre 1887 die erste Schilderung
der Teilung der Zentralkörperchen der Blastomeren von Ascaris“. 17
(S. 29) wendet er sich gegen Rabl, der in seinem Vortrag über organ-
bildende Substanzen (1906, S. 63) wieder nur „van Beneden als den Be-
gründer der Lehre von der Kontinuität der Zentrosomen“ genannt habe.
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 155
Aber auch van Beneden hat in der Zwischenzeit seinen ursprüng-
lichen, auf S. 154 dargelegten Standpunkt geändert, wie sein an Rab1 (1909)
gerichteter und von diesem veröffentlichter Brief (Rabl, 1915, 1. c. S. 96-100)
durch die Bemerkung lehrt: „Si donc la conception de la continuite du
corpuscule central et l’id&e qu’il constitue un organe permanent de la cellule
se trouvait formulde dans cette notice Boveri pouvait legitimement soutenir
que la d&couverte a et€ faite ind&pendamment l’un de l’autre par lui et par
moi. Mais en realit€e qu’y a-t-il dans cette brochure ? Cette seule et unique
phrase: ‚Ich habe dreimal beobachtet, dass die Polkörperchen der nächsten
Spindel aus diesem einen durch Teilung hervorgehen“. Rien n’indique que
Boveri a vue la portee de ce fait, rien qui autorise & penser qu’il a vu
dans le corpuscule polair ni un organe cytocentral, ni un organe permanent
de la cellule“. Und nun vergleiche man hiermit den auf S. 154 wieder-
gegebenen und durch Sperrschrift hervorgehobenen Ausspruch aus dem Jahre
1887, der doch wesentlich verschieden lautet und in einem scharfen Gegen-
satz zu dem Urteil aus dem Jahre 1909 steht.
Für den, der sich durch diese bedauernswerten, persönlichen Streitig-
keiten nicht beirren lässt, kann ein gerechtes, historisches Urteil wohl nicht
anders lauten, als dass Boveri und van Beneden gleichzeitig und unab-
hängig voneinander die Vermehrung der Zentrosomen durch Teilung und
ihr selbständiges Auftreten ausserhalb des Zellkerns bei Ascaris megaloce-
phala entdeckt haben und sich daher in dieses Verdienst teilen. Dabei be-
stehen allerdings zwischen beiden auch Unterschiede. Van Beneden hat
seine Entdeckung, ohne den Versuch einer näheren Begründung zu geben, zu
der Hypothese verallgemeinert, dass das Zentrosom ein permanentes Organ in
jeder Zelle in derselben Weise wie der Zellkern sei. Boveri lässt das in
dem befruchteten Ei zuerst zu beobachtende Zentrosoma vom Samenkörper
geliefert werden (1888, 1. ec. S. 167) und von ihm durch Teilung die gleich-
namigen Gebilde der späteren Teilprodukte abstammen. Er begründet
hierauf eine Befruchtungshypothese, die er schon in einer vorläufigen Mit-
teilung (20. Dez. 1857) andeutet und später ausführlicher entwickelt. Er
hat ferner in seiner Abhandlung der Substanz der Attraktionssphäre den
Namen Archoplasma (1588, 1. c. S. 62) und dem in ihr eingeschlossenen
Zentralkörperchen den seitdem eingebürgerten Namen „Zentrosom“ ge-
gegeben (1888, 1. c. S. 68).
Im Anschluss an den Prioritätsstreit sei schliesslich auch noch auf
vier Punkte hingewiesen, die bei einer historischen Würdigung der Zentro-
somenfrage nicht übersehen werden sollten. 1. Die Entdeckungen von van
Beneden und Boveri fügen sieh an eine Reihe schon früher gemachter
Beobachtungen und durch sie veranlasster Reflexionen an. Das an der
Grenze des mikroskopisch Wahrnehmbaren liegende, mit Farbstoffen erkennbar
werdende Körperchen wird doch nur dadurch zu einem Zentrosom, dass
es entweder schon der Mittelpunkt einer Strahlungsfigur ist, oder eine solche
in seiner Umgebung vorübergehend hervorrufen kann. Ein anderes charakte-
ristisches Merkmal als dieses gibt es nicht. Dadurch hängt die Lehre
von den Zentrosomen mit der Lehre von den Attraktionszentren oder
der Strahlenfiguren (Aster) zusammen, die schon eine wichtige Rolle in den
156 Oskar Hertwig:
älteren Abhandlungen von Fol, Bütschli, Auerbach, ©. Hertwig
spielen. Von Fol und mir wurden, abgesehen von der Kernteilung, auch
schon im Protoplasma selbständig auftretende Strahlensysteme beobachtet ,
so die einfache Strahlung beim Eindringen eines Samenfadens in das Ei
oder zahlreichere Spermazentren, wie sie von Fol genannt wurden, bei
der Mehrfachbefruchtung. Ferner wurde schon 1576 ein einzelnes Strahlen-
system, das im Dotter nahe der Membran des Keimbläschens auftritt und
ihre Auflösung einleitet, von mir und Fol bei der Reifung des Asteracanthion-
eies beschrieben. Sowohl von diesem einfachen Ovozentrum, wie vom einfachen
Spermazentrum wurde eine Verdoppelung der Zentren, die Verwandlung in
einen Amphiaster und die Entstehung einer allmählich sich vergrössernden
Spindel zwischen den beiden Strahlensystemen festgestellt. (Zum Beispiel
vom Ovozentrum am Keimbläschen bei Asteracanthion, vom Spermazentrum
bei der Befruchtung kernloser Dotterstücke und bei der Polyspermie.)
2. Zweitens sollte man auch nicht aus dem Auge verlieren, dass wir
trotz der Zentrosomenlehre wohl kaum behaupten dürfen, eine irgendwie
begründete Vorstellung von den Kräften, die in der Reihenfolge der achroma-
tischen Figuren einen für uns sichtbaren Ausdruck finden, bis jetzt gewonnen
zu haben. Man erinnere sich an die verschiedenen sich widersprechenden
Erklärungsversuche, an die Erklärung durch Diffusionsströme (Auerbach),
an die oft angestellten Vergleiche mit magnetischen Figuren und an den
Gedanken, vielleicht in dieser Richtung einmal zu einem Verständnis zu
gelangen, an Fols theorie electrolytique des mouvements protoplasmiques;
ferner an die von van Beneden aufgestellte und von Boveri ängenom-
mene Theorie kontraktiler Fibrillen, die an den Zentrosomen einen Stütz-
punkt finden.
3. Nicht minder herrscht über die Natur der Zentrosomen, trotz der
umfangreichen Literatur, die über sie entstanden ist, noch manches Dunkel.
Auch bei Anwendung der gleichen Technik hat es bis jetzt noch nicht gelingen
wollen, Zentrosomen in den Zellen der Phanerogamen weder während der
Ruhe des Kerns, noch während der Karyokinese nachzuweisen. Durch
chemische Reizstoffe sind ferner zahlreiche Strahlenfiguren, in denen Zentro-
somen ebenfalls vermisst werden, in Eizellen experimentell hervorgerufen
worden. Endlich hat der Nachweis eines noch kleineren Zentriols im Zentro-
som nur Schwierigkeiten mit sich gebracht schon durch die hieraus ent-
standene Unsicherheit, ob man in manchen Fällen das Zentralkörperchen
als Zentrosom oder als Zentriol deuten soll.
4. Der Theorie, dass das Zentrosom ein dem Kern gleichwertiges, selb-
ständiges, nie fehlendes Organ der Zelle sei, lässt sich entgegenhalten, dass
es, abgesehen von den phanerogamen Pflanzen, auch in tierischen Zellen nicht
überall während der Ruhe aufzufinden ist, dass ferner auch in grösserer
Zahl Beobachtungen vorliegen, nach denen das Zentrosom bei einzelligen
Organismen dem Kern als Inhaltsbestandteil (nucl&ole centrosom) angehört
und dass ein Austritt desselben aus dem bläschenförmigen Kern bei Beginn
der Karyokinese auch für tierische Zellen hie und da beschrieben worden ist.
So scheint in vielen Richtungen noch Vorsicht in der Behandlung der Zentro-
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 157
somenfrage geboten; auch ist zu beachten, dass die fraglichen Körnchen über-
haupt an der Grenze des mikroskopisch Erkennbaren stehen.
Anmerkung 18 zu Seite 83.
Nussbaums vorläufige Mitteilung geht zeitlich der Veröffentlichung
van Benedens voraus. Ich glaube dies umsomehr betonen zu müssen, als diese
verdienstlichen Untersuchungen von van Beneden sowohl 1884 wie 1887
in seinen Publikationen mit Stillschweigen übergangen und auch sonst wenig
berücksichtigt worden sind. Nur Flemming hebt in seiner Besprechung
des Buches von van Beneden (1885, 1. ce. S. 176) die Priorität Nussbaums
in vielen Dingen unter Bezugnahme auf seine vorläufige Mitteilung vom
August 1883 hervor. Auf der anderen Seite ist aber auch nicht zu verkennen,
dass die drei fast gleichzeitig hintereinander veröffentlichten Untersuchungen
von Schneider, Nussbaum und van Beneden unabhängig an demselben
Gegenstand ausgeführt worden sind und dass eine nachweisbare Beeinflussung
des einen vom anderen hierbei nicht stattgefunden hat.
Anmerkung 19 zu Seite 85.
gibt einige Belegstellen zu meiner Darstellung aus der Abhandlung van
Benedens (1884) wörtlich wieder:
19a. „Veritable expulsion du globule polaire par une sorte d’orifice, par
une döchirure eirculaire du centre de disque.“ (l. c. S. 230.)
19b. „Ce n’est pas l’un des pöles du fuseau qui est &liminee, mais dans
le plan &quatorial que se fait l’&limination.“ (l. c. S. 228.)
19e. „Cette expulsion ne peut-etre concue que comme une €puration.“
(E4154287.)
19d. „Sans jamais se confondre ces disques fournissent chacun une
portion de leur substance & chacun des globules polaires et ils se retrou-
vent, r&duits au quart, dans les amas chromatiques du pronucleus
femelle.“ (1. c. S. 287.)
19e. „Le charactere sexuel femelle de l’oeuf prend naissance seulement
apres l’expulsion des globules polaires; dans la fecondation les @l&ments
mäles de 'l’oeuf sont remplaces par des @l&ments nouveaux apportes par le
zoosperme“ (l. c. 8. 395). — „Pendant sa maturation il rejette ses @löments
mäles.“ (l. ce. S. 39).
19f. In einer Parallelstelle hierzu heisst es: „Je pense que la fecon-
dation consiste essentiellement dans l’achövement du gonocyte femelle et sa
transformation en une cellule, c’est A dire dans le remplacement des elements
expulses par des &l&ments nouveaux apportes par le zoosperme.“ (l. c. 8. 402).
Anmerkung 20 zu Seite 89.
Durch seine falsche Deutung und Kombination wird van Beneden
zu der Erklärung veranlasst: „On est autoris6 ä penser que la reduction du
nombre des segments de quatre A deux et leur forme si particuliere ont leur
raison d’etre dans l’expulsion d’une partie de la chromatine nucl&aire lors
de la formation des corpuscules r&siduels.“ An der Richtigkeit dieser An-
sicht wird auch noch in den mit Neyt 1887 herausgegebenen Nouvellcs
158 Oskar Hertwig:
recherches festgehalten (l. c. S. 18): „Tandis que dans les spermatomeres en
cinese la plaque &quatoriale se constitue de quatre anses chromatiques,
identiques & celles que l’on observe dans un blastomere en voie de division,
dans les spermatogonies l’on ne trouve plus, au stade de la metaphase, que
deux @l&ments chromatiques primaires, et il en est de m&me dans les sperma-
tocytes et par cons&quent dans les spermatozoides.“
Anmerkung 21 zu Seite 89.
Als eine protoplasmatische Reduktion des Eies deutet van Beneden
die bei der Befruchtung erfolgende Ausstossung der perivitellinen Substanz
(l. e. S. 311— 313). Für die Samenkörper aber nimmt er einen entsprechenden
Prozess in der Abstossung des Zytophors an, die bei der Umwandlung der
Spermatiden zu den Spermatozoen zu beobachten ist. Es bleiben nämlich infolge
des Vorhandenseins einer Rhachis, welche für die Nematoden so charakte-
ristisch ist, die vier durch doppelte Teilung einer Spermatozyte entstandenen
Spermatiden eine Zeitlang noch durch kurze, protoplasmatische Stiele mit-
einander verbunden und erzeugen so ein Gebilde, das van Beneden eine
Spermatogemme (Fig. 26a) genannt hat. Die
Verbindungsstiele beschreibt er als ceytophore
und substance cytophorale. Wenn dann später
die reifenden Samenkörper sich ven ihren
Stielen ablösen, deutet er die Substanz des
Zytophors (Fig. 26b) als ein von ihnen ausge-
stossenes Zellprodukt und den Vorgang als
eine zweite protoplasmatische Reduktion. Er
a Fig. 26. b
a) Vier Spermatiden zu
einer Spermatogemme durch
den Uytophor vereint. Nach
van Beneden (1884, 1. c.
Tafel XIXter, Fig.19). Der
Cytophor besteht aus vier
einzelnen Teilen.
b) Vier von den Sperma-
tiden abgelöste Samen-
zellenträger (Öytophor) aus
dem Anfang des Samen-
leiters. Nach Hertwig
(1890 1. c. Taf. III, Fig. 35).
meint, wie sich das hermaphrodite Ei durch die
Ausstossung der Richtungskörperchen und der
perivitellinen Substanz seiner männlichen Be-
standteile, so müsse auch die hermaphrodite
Samenzelle sich durch eine doppelte Reduktion,
die bei ihr auf zwei Stadien der Entwicklung
erfolgt (Spermatogenese 1884, 1. ce. S. 33), der
weiblichen Bestandteile von Kern und Proto-
plasma entledigen; erst dadurch seien beide
eingeschlechtlich (unisexuell) und befruch-
tungsreif geworden (gonocyte femelle und gono-
cyte mäle). Seiner Theorie der Befruchtung
gibt daher van Beneden auch die erweiterte Fassung: „La f&econdation
implique essentiellement une substitution, c’est & dire le remplacement d’une
partie de la v6sicule germinative par des elements nucl&aires provenant du
zoosperme, et peut-“tre aussi d’une portion du protoplasme ovulaire (sub-
stances p£rivitellines) par du protoplasme spermatique (l. c. S. 404).
Anmerkung 22a zu Seite 100.
Es ist daher nicht richtig und das Gegenteil des historischen Sach-
verhaltes, wenn Boveri 1904 in seinen Ergebnissen über die Konstitution
der chromatischen Substanz des Zellkerns mich zum Teilhaber seiner
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 159
ursprünglichen falschen Deutung des ganzen Reduktions-
vorganges macht, indem er erklärt: „Für Ascaris megalocephala, von
wo die ganze Frage ihren Ausgang nahm, ist meine Auffassung, dass in den
ÖOozyten und Spermatozyten erster Ordnung aus dem ruhenden Kern die
reduzierte Zahl von Elementen hervorgeht, die dann eine zweimalige Längs-
spaltung erleiden, durch OÖ. Hertwig und A. Brauer noch weiter be-
kräftigt worden“ (1904, 1. ec. S. 77). Wie unrichtig diese Behauptung für
meine Person ist, geht sowohl aus meiner schon vorausgehenden, als der
noch folgenden historischen Darstellung des Inhalts meiner Abhandlung aus
dem Jahre 1890 hervor. Nur über die Vorgeschichte der vier zu
einem Bündel vereinten Uhromosomen konnte ich damals zu
keinem abschliessenden Urteil kommen (l. ec. S. 64—66), weil an diesem
Punkt meine Beobachtungen nicht ausreichten.
Anmerkung 22b zu Seite 102.
Brauer (1893 1. c.) hält meine in den Figuren 22a, b, c wieder-
gegebenen Bilder für nicht normal: er führt das Auseinanderbiegen der
Enden der vier Chromatinfäden einer Gruppe auf Verzerrungen zurück, die
durch die Art der Konservierung entstanden und durch Kontraktion der sich
ansetzenden Lininfäden zu erklären seien (l. c. S. 172, 173). — Wie mir
scheint, hat sich Brauer hierbei durch die zwar damals noch diskutable,
jetzt aber allgemein aufgegebene, von ihm vertretene Ansicht bestimmen
lassen, dass jede Vierergruppe ein einziges, zweimal der Länge nach ge-
spaltenes Chromosom sei. Wir wissen jetzt, dass das Synapsisstadium die
Erklärung liefert, dass ferner nach der Synapsis die vier Chromosomen sich
je nach der Tierspezies in der verschiedensten Weise, zuweilen sogar zu
Ringen, zusammengruppieren. — Tretjakoff, der 1905 zum dritten
Mal die Spermatogenese von Asc. meg. mit allen Kautelen guter Konser-
vierung untersucht hat, bestätigt denn auch die Bilder, in denen auf frühen
Stadien die längsgespaltenen Chromosomen mit ihren häufig verdickten Enden
y-förmig auseinanderweichen (Seite 402). Bei Ascaris meg. univa-
lens bezeichnet er die betreffenden, sehr verschiedenen Chromatinfiguren
„als Variationen einer Hauptform, die durch vier aus einem Zentrum aus-
gehende Bälkchen von annähernd gleicher Länge und Dicke charakterisiert
wird. Dabei ist jedes Bälkchen der Länge nach in zwei Fäden gespalten,
die nicht selten am Ende desselben auseinandergehen, so dass eine
Bildung mit vielen Ausläufern entsteht (l. ce. S. 393). Für die Verschiedenheit
in der Darstellung zwischen Brauer und mir aber gibt Tretjakoff
folgende Erklärung (S. 398): „Während OÖ. Hertwig die Anfangsstadien
der Chromosomenentwicklung nur in allgemeinen Zügen behandelt. da er
das Hauptgewicht auf die vollständig entwickelten Chromosomen als Resultat
aller Veränderungen legt, dabei jenem Stadium die Aufmerksamkeit
schenkt, in dem die Enden der paarigen Fäden auseinander-
weichen, widmet im Gegenteil A. Brauer seine besondere Aufmerksamkeit
denjenigen Stadien, wo die Längsspaltung auf den Plan tritt und illustriert
dieselben durch eine grosse Anzahl von entsprechenden Zeichnungen.“ Figuren,
welche meinen Fig. 22a, b, c entsprechen, geben Brauer, l. c. Taf. XI,
160 Oskar Hertwig:
Fig. 105, 106, 107 und Tretjakoff, l.c. Taf. XXII, Fig. 20, 37—39 und
Taf. XXII, Fig. 93—98.
Anmerkung 23 zu Seite 109.
Bezeichnend für den neuen Standpunkt Strasburgers sind auch
folgende zwei Sätze: 1. „Der Träger der erblichen Eigenschaften ist eben der
Zellkern und sein festes Gefüge, wie auch sein komplizierter Teilungsvorgang
folgen aus dieser Funktion“ (l. ec. S. 110). 2. „Die gleiche Beteiligung des
Vaters und der Mutter an den Eigenschaften der Kinder fordert die Ver-
einigung gleicher Substanzmassen“ (8. 111).
Anmerkung 24 zu Seite 109.
In seinen 1887 erschienenen Nouvelles recherches bemerkt van
Beneden zur Frage der Erblichkeit durch die Kerne (I. c. S. 24): „Si l’on
rapproche l’un de l’autre ces trois faits: 1° le fait bien connu que le des-
cendent h£rite, a &galit& de titres et par parts 6gales, des characteres pater-
nels et de characteres maternels, qu’il tient &galement du pere et de la mere;
2° le fait, resultant avec une absolue certitude de l’&tude du d&öveloppement
de l’Ascaris, que le corps protoplasmique du spermatozoide degenere et
nintervient pas dans l’edification du corps protoplasmique de la premiere
cellule embryonnaire, que le noyau du zoosperme est le seul &l&ment paternel
fourni & l’oeuf feconde; 3° que les noyaux des deux premiers blastomöres
et tous les noyaux subsöquents se constituent aux döpens de quatre anses
chromatiques semblables entre elles, dont deux paternelles et deux mater-
nelles, on en arrive & cette double conelusion: 1° que le noyau est le support
exclusif des proprietes hereditaires et l’organe direceteur du developpement.
de la forme et de la fonction; et 2° que l’heredit6 se concoit, chez les etres
les plus compliques, au m&me titre et de la m@me maniere que chez les
Protozoaires qui se multiplient par division. La premiere de ces con-
clusions a &t& surtout miseenlumitre,apr&slapublication
de nos recherches sur la f&condation chez l’Ascaris, par
Strasburger, par O. Hertwig, par Weismann et par Kölliker.* (L. ce. S. 24.)
In dieser kurzen, aber inhaltsreichen Bemerkung aus der vorläufigen
Mitteilung von van Beneden und Neyt sind zwei Punkte richtig zu
stellen: Der eine betrifft den Anlass für die 1884 aufgestellte Kernidio-
plasmatheorie. Hier kann es nicht zweifelhaft sein, dass ich zur Abfassung
meiner Schrift durch Nägelis neuerschienenes Werk mit seinen Erörte-
rungen über Erblichkeit und Idioplasma veranlasst worden bin; und auch
bei Strasburger scheint mir dies der Fall gewesen zu sein. Kölliker,
Weismann und andere griffen dann erst nachträglich in die Diskussion
ein. Für niemand aber war es, wie ich in der Einleitung meiner Schrift
bemerkte, damals näherliegend, die Idioplasmalehre auf die Kernsubstanzen
zu übertragen, als für mich, der ich als das Wesen der Befruchtung die
Verschmelzung von Ei- und Samenkern schon 1875 bezeichnet, die Kontinuität
der Kerngenerationen in der Oogenese nachgewiesen und als allgemeines
Gesetz für die Zellvermehrung überhaupt gelehrt habe. Mit Recht hat
daher auch Rabl bei Besprechung der oben aufgeführten Sätze van
Benedens bemerkt (l. c. 8. 81): „Übrigens glaube ich, dass die erwähnten
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 161
Autoren weniger durch die Untersuchungen van Benedens, die
doch die Möglichkeit einer Teilnahme des Protoplasmas
(man vergl. hierüber S. 89) keineswegs bestimmt ausschliessen,
als durch ihre eigenen Untersuchungen, namentlich aber durch diejenigen
OÖ. Hertwigs, haben leiten lassen.“ Dass ich dabei auch die wichtige
Entdeckung van Benedens von der Verteilung der zwei väterlichen
und der zwei mütterlichen Chromosomen bei der Zellteilung von Ascaris
zugunsten der Kernidioplasmatheorie nach Gebühr verwertet habe, war die
Folge meiner schon vorher durch andere Umstände bestimmten Stellung
zum Befruchtungs- und Vererbungsproblem, nicht aber die Veranlassung zu
derselben.
Van Beneden selbst — und das ist der zweite Punkt, den ich
noch hervorheben will — hat in seinen Recherches aus dem Jahre 1884
das Problem der Erblichkeit durch die Zellkerne mit keinem Wort berührt.
Auch hielt er es damals noch für wahrscheinlich, dass ausser dem Kern
auch das Protoplasma des Samenkörpers bei der Befruchtung beteiligt ist
(l. ec. S. 397, 404). Beweis hierfür ist sein kategorischer Ausspruch: „Il est
certain, que le zoosperme apporte dans le vitellus non seulement un noyau,
mais aussi du protoplasme. Rien n’autorise & affirmer que le röle du
protoplasme spermatique est secondaire dans la f&Econda-
tion (8. 397).* Erst drei Jahre später hat van Beneden seinen Standpunkt
in dieser Frage verändert, indem er unter Berichtigung seiner älteren Angabe
das Protoplasma des Samenkörpers im Ei degenerieren liess und hieraus den
Schluss zog, dass der Samenkern die einzige väterliche Mitgift und daher
der ausschliessliche Träger der vererbbaren Eigenschaften ist.
Rabl, der selbst ein Gegner der Kernidioplasmatheorie ist, erblickt
hierineinensachlich nichtbegründeten Meinungsumschwung
und sucht ihn dadurch zu erklären, dass sich hier van Beneden von
den von ihm zitierten Autoren habe ins Schlepptau nehmen lassen
(1915, 1. e. S. Si). Ebenso hat Weismann in zutreffender Weise hervor-
gehoben, dass van Beneden zwar durch seine Entdeckungen mit eine
Basis für die Theorie der Vererbung durch die Zellkerne gelegt, aber selbst
diese Konsequenzen nicht gezogen habe (1885. Die Kontinuität ete. 8. 18
und 19). In der Tat hatte ja auch damals und später van Beneden
sich von der Frage der Vererbung durch die Richtung seiner Spekulationen
ablenken lassen, indem er die von ihm entdeckten Vorgänge mit dem Sexuali-
tätsproblem und einem angeblichen Hermaphroditismus der Kerne in Ver-
bindung brachte und durch seine verfehlte Ersatztheorie zu erklären suchte.
Doch diese wird uns erst an anderer Stelle (S. 118) noch beschäftigen.
Anmerkung 25 zu Seite 111.
In den letzten Auflagen meiner Allgemeinen Biologie habe ich im
Kap. XXXI eine kurze historische Besprechung der wichtigsten Vererbungs-
theorien gegeben und dabei bemerkt: Im Jahre 1884 veröffentlichten gleichzeitig
und unabhängig voneinander Oskar Hertwig und Ed. Strasburger zwei
Schriften über Befruchtung und Vererbung: 1. Das Problem der Befruchtung
und der Isotropie des Eies, eine Theorie der Vererbung; 2. neue Unter-
Archiv f. mikr. Anat. Bd.90. Abt. II. al
162 Oskar Hertwig:
suchungen über den Befruchtungsprozess bei den Phanerogamen als Grundlage
für eine Theorie der Zeugung. Anknüpfend an ihre früheren Untersuchungen
des Befruchtungsprozesses und an das kurz vorher erschienene Werk von
Nägeli kamen beide zu dem Ergebnis, dass die Kerne, welche bei der
Befruchtung allein eine Rolle spielen, die Träger der erblichen Eigenschaften
sind, daher das Idioplasma von Nägeli beherbergen“ etc. „In seiner ein
Jahr später (1885) erschienenen Schrift: „Die Kontinuität des Keimplasmas
als Grundlage einer Theorie der Vererbung“ trat Weismann der Ansicht
bei, dass die Kernsubstanz das Idioplasma sei, baute aber im übrigen in der
von Galton eingeschlagenen Richtung weiter“ ete. — „Durch die
Weismannsche Kontinuitätslehre war die Nägelische Vorstellung vom
Idioplasma in ihren wesentlichen Grundzügen preisgegeben und der Gegensatz
der Ansichten, welcher bei den nachfolgenden polemischen Erörterungen eine
so grosse Rolle gespielt hat, festgestellt“.
Gegen diese Darstellung der Geschichte der Kernidioplasmatheorie
hat Weismann in einer Anmerkung zur Ill. Auflage seiner „Vorträge“
1913, 1. c. S. 285 eine verspätete Verwahrung eingelegt, als ob sie nicht den
Tatsachen entspreche. „Ich kann“, erklärt er, „nicht wohl auf das
Verdienst verzichten, eine der wichtigsten Entdeckungen
unserer Zeit auf eigenen Wegen und gänzlich unabhängig von
Strasburger, wievon OÖ. Hertwig, gemacht zu haben, eine Erkenntnis,
welche zudem die Grundlage meiner ganzen Keimplasmatheorie bildet‘.
Als Beweis der Selbständigkeit seiner Entdeckung führt er seine Schrift
aus dem Jahre 1885: Die Kontinuität des Keimplasma etc. an und bemerkt
hierzu: „Wenn dieselbe einige Monate später erschienen ist, als die beiden
betreffenden Schriften von Strasburger und OÖ. Hertwig, so hat dies
seinen Grund in Verhältnissen, die ich jetzt nicht berühren will“. Unter
Hinweis auf die Reihe seiner zu verschiedenen Zeiten veröffentlichten Schriften
über Vererbung und verwandte Fragen meint Weismann ferner, „wäre es
seltsam gewesen, wenn ich selbst an dem wichtigsten dieser Probleme achtlos
vorbeigegangen sein sollte, der Lokalisation der Vererbungs-
substanz in den Chromosomen. Was ist nicht alles aus dieser Erkenntnis
gefolgt!“ Meine von Weismann beanstandete historische Darstellung
muss ich voll und ganz aufrecht erhalten. Nach den genaueren Angaben,
die mir auf eine Anfrage von G. Fischers Verlag gemacht worden sind, ist
Strasburgers „Neue Untersuchungen etc.‘ im November 1884, meine
Schrift: „Das Problem der Befruchtung ete.‘“ im Dezember 1884 als Sonder-
ausgabe erschienen und zugleich auch, wie bei vielen meiner in Fischers
Verlag erschienenen biologischen Abhandlungen in der ‚„Jenaischen Zeitschrift‘
abgedruckt worden, deren betreffendes Heft im Februar 1885 zur Ausgabe
gelangte. Weismann dagegen hat seine Schrift: „Die Kontinuität des
Keimplasma etc.“ erst sieben Monate später, im Juli 1885, veröffentlicht und
zugleich in ihr sich an verschiedenen Stellen über Strasburgers und
meine Ansichten über die Kernidioplasmatheorie, zum Teil auch in ab-
weichender Weise, geäussert. Das ist der Tatbestand. Dagegen entzieht
es sich meiner Kenntnis natürlich vollständig, auf welchen Wegen Weismann
zu seinen theoretischen, uns hier interessierenden Vorstellungen gelangt ist,
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 163
inwieweit er insbesondere von Nägeli, von Strasburger und von mir be-
einflusst worden ist. Ein Ausgangspunkt bildet jedenfalls Galtons Lehre vom
stirp und Nussbaums ähnliche Hypothese, wodurch er zur Leugnung der
Vererbung erworbener Eigenschaften in verhängnisvoller Weise veranlasst
wurde. Nicht unerwähnt mag es aber bleiben, da es ebenfalls zu dem
Tatsachenmaterial in unserer Frage gehört, dass Weismann selbst, im
Gegensatz zu Strasburger und mir, zu der Entdeckung der grundlegen-
den Tatsachen, auf denen die Kernidioplasmatheorie fusst, zur Entdeckung
des Befruchtungsprozesses, der Kontinuität der Kerngenerationen, der
Karyokinese durch eigene Beobachtungen keinen Beitrag geliefert hat.
Anmerkung 26 zu Seite 124.
In meiner Abhandlung aus dem Jahre 1875, aus einer Zeit, wo die
Befruchtungsprozesse der Infusorien nur unvollkommen bekannt waren, bin
ich auf Grund ungenügender Kenntnis des wirklichen Sachverhaltes verleitet
worden, in einer Anmerkung auf Seite 40 den Haupt- und Nebenkern der
Infusorien oder, wie es damals gewöhnlich hiess, ihren Nukleus und Nukeolus
dem Ei und Spermakern der befruchteten Eizelle zu vergleichen und die
unrichtige Ansicht zu äussern: „Von diesem Gesichtspunkt aus können dann die
Infusorien als hermaphrodite, einzellige Organismen aufgefasst werden, insofern
bei ihnen die geschlechtliche Differenzierung der Kernsubstanz, die bei
anderen Organismen sich in zwei getrennten Zellen vollzogen hat, in einer
Zelle eingetreten ist.“ Ich habe aber dieser unklaren Vorstellung damals
keine weiteren Folgen gegeben und habe den Trugschluss bald auch als
solchen erkannt (1886, 1890.)
Literaturverzeichnis.
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Derselbe, 1874b: Organologische Studien, 2. Heft, Breslau.
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ciens. — 1. Oeuf mür non feconde. — 2. Oeuf f&conde. Bulletins
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du 8 janvier 1876.
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fication de l’oeuf. Bruxelles.
Derselbe, 4. Dezember 1875: La maturation de l’oeuf, la fecondation et
les premieres phases du d&eveloppement embryonnaire des mammiferes
d’apres des recherches faites chez le lapin. Bulletins de l’Acad. Roy.
des sciences de Belgique. Bruxelles 1875. S&ance du 4 decembre.
Nr. 12.
Derselbe, 8. Januar 1876a: Contributions ä l’histoire de la vesicule germina-
tive et du premier noyau embryonnaire. Ebenda 1876. Seance du
5 janvier 1876.
11%
164 Oskar Hertwig:
Derselbe, 1876b: Recherches sur les Diey&mides ete. Bull. de l’Acad. Roy.
de Belg., 2 ser., t. 42, 1876.
Derselbe, 1884: Recherches sur la maturation de l’oeuf, la f6condation et
la division cellulaire. 1884.')
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cephale. Bull. d. l’Acad. Roy. de Belg., 3 ser., t. VII, No. 4, 1884.
Derselbe und A. Neyt, 1887: Nouvelles recherches sur la f&condation et la
division mitosique chez l’ascaride m6galoc6phale. Bull. d. l’Acad. Roy.
de Belg., 3 ser., t. XIV, No. 8, 1887.
Derselbe, 1889: Monsieur Guignard et la decouverte de la division longi-
tudinale des anses chromatiques. Archives de Biologie, t. IX, 1889.
Born,G., 1895: Leopold Auerbach f. Anatomischer Anzeiger, Bd. XIV,
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körper bei Ascaris megalocephala und Asc. lumbrie. Jena 1887.
Derselbe, 3. Mai 1887b: Über die Befruchtung der Eier von Ascaris megalo-
cephala. Gesellschaft für Morphologie und Physiolog zu München,
Bd. III, Heft 2.
Derselbe, 20. Dezember 1887c: Über den Anteil des Spermatozoon an der
Teilung des Eies. Gesellsch. f. Morph. u. Phys. zu München.
Derselbe, 1888: Zellen-Studien, Heft 2. Die Befruchtung und Teilung des
Eies von Ascaris megalocephala. Jena 1888.
Derselbe, 1890: Desgl., Heft 3. Über das Verhalten der chromatischen Kern-
substanz bei der Bildung der Richtungskörper und bei der Befruch-
tung.
Derselbe, 1901: Desgl., Heft 4. Über die Natur der Zentrosomen.
Derselbe, 1904: Ergebnisse über die Konstitution der chromatischen Substanz
des Zellkerns.
Derselbe, 1907: Zellen-Studien, Heft 6. Die Entwicklung dispermer See-
igeleier. Ein Beitrag zur Befruchtungslehre und zur Theorie des
Kerns. S. 29, 228 etc.
Brauer, Aug.. 1893: Zur Kenntnis der Spermatogenese von Ascaris
megalocephala. Arch. f. mikrosk. Anat., Bd. 42.
Bütschli, O., 1873: Beiträge zur Kenntnis der freilebenden Nematoden.
Nov. Acta Ac. Cs. Leop., Bd. 36.
'), Anmerkung: Diese als besonderes Werk im Buchhandel erschienene
Monographie van Benedens ist die Vereinigung von zwei Abhandlungen, die im
Archives de Biologie, Bd.IV, 1833, veröffentlicht wurden : a) L’appareil sex.femelle
de l’Ascaride megalocephale, Seite 95—142; b) Recherches sur la maturation
de l’oeuf et la fecondation, Seite 265—640. Obwohl der Band IV des Archives
erst im Jahre 1884 verausgabt worden ist, trägt er die Jahreszahl 1883, und
ebenso ist die im April 1884 erschienene Monographie ein Jahr voraus-
datiert. Aus diesem Grund hat ©. Rabl (1915, 1. c. S. 11) in seinem Ver-
zeichnis aller Schriften van Benedens sowohl den vierten Archivband als
auch die Monographie unter der Jahreszahl 1884 aufgeführt und dies Ver-
fahren auf Seite 45 seiner Abhandlung (1915, 1. c.) näher begründet.
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 165
Derselbe, 1875b: Vorläufige Mitteilungen über Untersuchungen betreffend die
ersten Entwicklungsvorgänge im befruchteten Ei von Nematoden und
Schnecken. Zeitschrift f. wiss. Zool., Bd. 25, 1875.
Derselbe, 1875b: Vorläufige Mitteilung einiger Resultate von Studien über die
Konjugation der Infusorien und die Zellteilung. Ebenda, Bd. 25, 1875.
Derselbe, 1876: Studien über die ersten Entwicklungsvorgänge der Eizelle,
die Zellteilung und die Konjugation der Infusorien. Abhandl. der
Senckenberg. Naturf. Gesellschaft, Bd. X. Frankfurt a. M.
Derselbe, 1877: Entwicklungsgeschichtliche Beiträge. Zeitschrift für wissen-
schaftliche Zoologie, Bd. XXIX.
Derselbe. 1885: Gedanken über die morphol. Bedeutung der sogenannten
Richtungskörperchen. Biolog. Zentralbl., Bd. IV, 1885.
Carnoy, J. B.: La ceytodieröse de l’oeuf: La vesicule germinative et les
globules polaires de l’Ascaris megalocephala. La cellule. Tome II.
Fick, R., 1899: Mitteilungen über die Eireifung bei Amphibien. Verhandl.
der Anat. Gesellsch. 1899.
Derselbe, 1907 a: Betrachtungen über die Chromosomen, ihre Individualität,
Reduktion und Vererbung. Arch. f. Anat. u. Physiol., Anat. Abt.
Derselbe, 1907b: Über die Vererbungssubstanz. Ebenda.
Derselbe 1907c: Vererbungsfragen, Reduktions- und Chromosomenhypothesen,
Bastardregeln. Merkel-Bonnets Ergebnisse, Bd. XVI, 1906.
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erscheinungen. I. Teil eingereicht 17. September 1878. Arch. für
mikrosk. Anatomie, Bd. XVI, 1879.
Derselbe, 1880: II. Teil, eingereicht Dezember 1879. Arch. f. mikrosk.
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Derselbe, 1882 a: III. Teil, Arch. f. mikrosk. Anat., Bd. XX, 1882.
Derselbe, 1882 b: Zellsubstanz, Kern- und Zellteilung. Leipzig 1882.
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tierischen Eizelle. Biolog. Zentralbl., Bd. III, 1883/84, Nr. 21 und 22.
Derselbe, 1886: Besprechung von van Benedens Recherches sur la
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Hertwig, Oskar, 1875: Beiträge zur Kenntnis der Bildung, Befruchtung
und Teilung des tierischen Eies. 1. Abhandlung. Morph. Jahrbuch,
Bd. I (August 1875 eingereicht). Auch selbständig als Habilitations-
schrift Oktober 1875 erschienen.
Derselbe, 1877a: 2. Abhandlung. Morphol. Jahrbuch, Bd. III (eingereicht
Sept. 1876).
Derselbe, 1877b: Weitere Beiträge zur Kenntnis der Bildung, Befruchtung
und Teilung des tierischen Eies (eingereicht Februar 1877).
Derselbe, 1878: 3. Abhandlung. Morphol. Jahrbuch, Bd. IV (eingereicht Mai
1877).
Derselbe, 1884: Das Problem der Befruchtung und der Isotropie des Eies,
eine Theorie der Vererbung. Jenaische Zeitschr., Bd. XVIIL (N. F. Bd.XTJ).
(Die Abhandlung ist auch als selbständige Schrift in Fischers Verlag
im Dezember 1884 erschienen.)
Derselbe, 1890: Vergleich der Ei- und Samenbildung bei Nematoden. Eine
Grundlage für zelluläre Streitfragen. Arch. f. mikrosk. Anat., Bd. 36.
Derselbe, 1893: Die Zelle und die Gewebe. Bd. I, 1893.
Derselbe, 1894: Zeit- und Streitfragen der Biologie. Heft 1. Präformation
oder Epigenese.
Derselbe, 1898: Die Zelle und die Gewebe. Bd. II, 1898.
Derselbe, 1909: Der Kampf um Kernfragen der Entwicklungs- und Ver-
erbungslehre.
Hertwig, R., 1876: Beiträge zu einer einheitlichen Auffassung der ver-
schiedenen Kernformen. Morphol. Jahrb., Bd. II, 1876. 2. Dez. 1875
eingereicht.
Derselbe, 1888: Über die Gleichwertigkeit der Geschlechtskerne bei den
Seeigeln. Sitz.-Ber. d. Ges. f. Morph. u. Phys. in München, Bd. IV.
Derselbe, 1889: Über die Konjugation der Infusorien. Abhandl. d. bayr.
Akad. d. Wissensch., II. Kl., Bd. XVII, 1889.
Heuser, E., 1884: Beobachtungen über Zellkernteilung. Botanisches Zentral-
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Kölliker, Th, 1861: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der
höheren Tiere. Akademische Vorträge, Leipzig 1861.
Derselbe, 1879: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Tiere.
Zweite, ganz umgearbeitete Auflage, 1879.
Derselbe, 1885: Die Bedeutung der Zellkerne für die Vorgänge der Ver-
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Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. 167
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genannten chromatischen Substanz im befruchteten Ei. Nach Beob-
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Lameere, Aug.: La reduction karyogamique dans l’ovogenese. Bull. de
l’acad. de Belgique, 3me ser., t. XVIII, 1889.
Maupas, 1889: Le rajeunissement karyogamique chez les cili&s. Archives
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Nussbaum, Mor., 1880: Zur Differenzierung des Geschlechts im Tierreich.
Arch. f. mikr. Anat., Bd. XVIII, 1880.
Derselbe, 1883: Über Befruchtung. Vorläufige Mitteilung. Sitzungsber. d.
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Derselbe, 1884: Über die Veränderungen der Geschlechtsprodukte bis zur
Eifurchung;; ein Beitrag zur Lehre der Vererbung. Arch. f. mikrosk.
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von Nägeli, C., 1884: Mechanisch-physiologische Theorie der Abstam-
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auftretenden fadenförmigen Differenzierungen des Zellkerns. Morphol.
Jahrb., Bd. 7, 1882.
Platner, Gust., 1886: Die Karyokinese bei den Lepidopteren als Grund-
lage für eine Theorie der Zellteilung. Internat. Monatsschr. f. Anat.
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Derselbe, 1889a: Beiträge zur Kenntnis der Zelle und ihrer Teilungserschei-
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Derselbe, 1889b: 5. Samenbildung und Zellteilung im Hoden der Schmetter-
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Rabl, Karl, 1885: Über Zellteilung. Morphol. Jahrbuch, Bd. X, Seite 214.
Derselbe, 1915: Edouard van Beneden und der gegenwärtige Stand der
wichtigsten von ihm behandelten Probleme. Arch. f. mikrosk. Anat.,
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Waldeyer, W., 1888: Über Karyokinese und ihre Beziehungen zu den
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Weismann, Aug., 1883: Über die Vererbung. Ein Vortrag. Jena.
Derselbe, 1885: Die Kontinuität des Keimplasmas als Grundlage einer
Theorie der Vererbung. (Im Juli 1885 verausgabt.)
Derselbe, 1887: Über die Zahl der Richtungskörper und über ihre Bedeutung
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Derselbe, 1892: Das Keimplasma, eine Theorie der Vererbung. Jena 1892.
Derselbe, 1896: Über Germinalselection.
Derselbe, 1902: Vorträge über Descendenztheorie, Bd. I u. I, I. Aufl.
Derselbe, 1913: Dasselbe. III. Aufl.
169
Über die Samenkörper der Libellen.
I. Die Spermien und Spermiozeugmen der Aeschniden.
Von
E. Ballowitz in Münster i. W.
Hierzu Tafel I und II und 8 Textfiguren.
Über die Samenkörper der Libellen ist bisher wenig bekannt
geworden. Nur G. Retzius!) hat in neuerer Zeit im 14. Bande
seiner „Biologischen Untersuchungen“ einige Beobachtungen ver-
öffentlicht, welche er seiner Angabe nach an drei Arten, nämlich
Aeschna grandis, Lestes sponsa und „einer kleinen Libellula“,
gemacht und auf Tafel XXI des genannten Bandes in mehreren
Figuren illustriert hat.
In einer im 36. Bande des „Biologischen Centralblattes“
von mir erschienenen vorläufigen Mitteilung ?) konnte ich indessen
schon darauf hinweisen, dass die Bestimmung der von G. Retzius
untersuchten Libellen keine richtige gewesen ist. Insbesondere
hat ihm keine Aeschnide zur Untersuchung vorgelegen. Die
Figuren 10—19 der genannten Tafel, welche von ihm der
Aeschna grandis zugeschrieben werden, stammen unzweifelhaft
von irgend einer Spezies der Gattung Libellula. Ebensowenig
ist es zutreffend, dass die in den Figuren 1—5 dargestellten
Spermien von einer Art der Gattung Libellula herrühren, vielmehr
zeigen sie die typische Form und Struktur der Agrioniden und
sind wahrscheinlich einer der zahlreichen Arten der Gattung
Agrion entnommen.
In Verfolg meiner früheren Studien über die Samenkörper
der Insekten”) habe ich in den letzten Jahren auch die Sper-
') G. Retzius, Biologische Untersuchungen. Neue Folge, Bd. XIV
1909, Tafel XXI.
°) E. Ballowitz, Spermiozeugmen bei Libellen. Mit 13 Textfiguren.
Biologisches Centralblatt, Bd. XXXVI, Nr. 5, 20. Mai 1916.
®) Vgl. E. Ballowitz, Zur Lehre von der Struktur der Sperma-
tozoen. Anatomischer Anzeiger, Jahrg. I, 1886, Nr. 14. Derselbe, Unter-
suchungen über die Struktur der Spermatozoen, zugleich ein Beitrag zur
Lehre vom feineren Bau der kontraktilen Elemente. Die Spermatozoen der
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 90. Abt. II. 12
170 E. Ballowitz:
mien der Libellen einer eingehenden und sehr ausgedehnten
Untersuchung unterzogen. Ich konnte fast alle nordwestdeutschen
Gattungen und zahlreiche Arten in vielen Exemplaren zer-
gliedern. Dieses Material war nicht so leicht zu beschaffen, da
viele Libellen bekanntlich äusserst gewandte und schnelle Flieger
sind und daher nur schwer gefangen werden können. Auch sind
für diese Studien nur frisch gefangene Tiere verwendbar, welche
lebend in das Laboratorium geliefert werden müssen und erst
kurz vor der Untersuchung getötet werden.
Die Samenkörper wurden meist den Ductus deferentes der
reifen Männchen, bisweilen auch den befruchteten Weibchen
entnommen. Die zu ihrer Untersuchung angewandten Methoden
sind die gleichen wie bei meinen früheren Arbeiten; ich verweise
mit Bezug darauf auf die oben angeführten Veröffentlichungen von
mir.
Meine Untersuchungen führten zunächst zu dem interessanten
Resultat, dass jede der drei Unterfamilien der Libellen (Aeschniden,
Agrioniden, Libelluliden) eine besondere, für sie charakteristische
Spermienform besitzt; bei den Aeschniden, und zwar nur bei diesen,
wurden ausserdem noch sehr eigenartige Spermiozeugmen von
mir aufgefunden.
Ich will daher die Form und Struktur der Samenkörper
nach den Familien gesondert beschreiben und mit den Aeschniden
in dieser Abhandlung beginnen. Von diesen wurden die folgenden
Gattungen und Arten von mir berücksichtigt:
Anax formosus Linden
Aeschna grandis L.
eyanea Müll.
= pratensis Müll.
Gomphus pulchellus Selys.
»
Insekten. I. Colevpteren. Zeitschr. f. wissensch. Zoologie, Bd. 50, 18%.
Derselbe, Die Doppelspermatozoen der Dytisciden. Zeitschr. f. wissensch.
Zoologie, Bd. 60. Derselbe, Zu der Mitteilung des Herrn Professor L. Auer-
bach in Breslau über „Merkwürdige Vorgänge am Sperma von Dyticus
marginalis.“ Anat. Anzeiger, VIII. Jahrg., 1893. Derselbe, Über eigenartige,
spiralig strukturierte Spermien mit apyrenem und eupyrenem Kopf bei
Insekten. Archiv f. Zellforschung, Bd. XII, 1914. Derselbe, Die Spermien
der Haarmücken, Bibionidae. Ein Beitrag zur Kenntnis der Samenkörper
der Dipteren. Archiv f. Zellforschung, Bd. XIV, 1916. Derselbe, Die Spermien
der Stubenfliege. Archiv f. Zellforschung, Bd. XIV, Heft 3, 1916.
Über die Samenkörper der Libellen. 171
Die Bestimmung nahm ich nach Tümpels Monographie ')
über die Geradflügler Mitteleuropas vor.
A. Form und Struktur der Samenkörper.
Die Samenkörper der Aeschniden sind im Vergleich mit den
meist sehr langen Spermien anderer Insekten klein und stellen
kurze, feine Fäden dar, wie die Figuren 1—3 der Tafel I zeigen.
Fig. 1 stammt von Aeschna grandis L., Fig. 2 von Anax formosus
Linden und Fig. 3 von Gomphus pulchellus Selys. Diese Figuren
sind in demselben Grössenverhältnis gezeichnet, wie die Abbildungen
meiner früheren Arbeiten über Insektenspermien; ein jeder Teil-
strich des Winkelschen Okular-Mikrometers Nr. 2, mit welchem
die Objekte mit Winkels homogener Immersion !/sı (Tubus nicht
ausgezogen) gemessen wurden, und bei welchem dann jeder Teil-
strich = 0,001 mm wirklicher Objektgrösse beträgt, wurde in der
Zeichnung gleich 1 mm gesetzt. Die längsten traf ich bei Aeschna
(Fig. 1), die kürzesten bei Gomphus (Fig. 3) an. Bei Aeschna
grandis L. betrug ihre Länge 0,1 mm, bei Anax 0,075 mm,
bei.Gomphus pulchellus selys 0,05 mm; bei einer anderen Gomphus-
art waren sie etwas länger.
Jedes Spermium besteht aus einem Kopf und einer Geissel.
Der Kopf besitzt bei Aeschna und Anax die Form einer
langen, feinen, ziemlich starren Nadel mit fein ausgezogener Spitze.
(Siehe die Figuren der Tafel I von Aeschna und Anax). In frischem
Zustande färbt er sich mit Gentianaviolett intensiv; lässt man
die Präparate aber unter dem Deckglase nach Anlegung eines
Wachsringes einige Zeit, etwa 24 Stunden, liegen, so entfärbt
sich der Kopf vollständig; nur die äusserste Spitze bleibt dunkel-
violett und stellt das Spitzenstück des Kopfes dar. (Fig. 4 und 5
bei Sp.) An dem letzteren sind bisweilen zwei Absätze angedeutet,
wie die etwas stärker vergrössert gezeichnete Figur 4 erkennen
lässt. Das Spitzenstück wird in solchen Präparaten auch nach
vorheriger Fixierung durch Osmiumsäuredämpfe regelmässig
deutlich. Färbt man Präparate, welche ohne Fixierung einige Zeit
in physiologischer Kochsalzlösung unter dem Deckglase gelegen
hatten, nachträglich mit Gentianaviolett, so nimmt der Kopf eine
dunkelviolette Färbung an, während das Spitzenstück heller bleibt.
(Fig. 6—S der Tafel I bei Sp.) Dasselbe tritt auch in mit Gentiana-
') Dr. R. Tümpel, Die Geradflügler Mitteleuropas. Gotha 1908.
172 E. Ballowitz:
violett tingierten Deckglastrockenpräparaten ein. (Fig.10 und 11
der Tafel I bei Sp.) Dies gilt für die Gattungen Aeschna und
Ananx.
Die Geissel ist bei diesen Gattungen nur wenig länger
als der Kopf, bei den von mir untersuchten Arten etwa 1'/a bis 2
mal so lang. Nach hinten schärft sie sich fein zu, ohne dass.
ein Endstück deutlich abgesetzt erscheint. Durch Mazeration
in Kochsalzlösungen unter dem Deckglase zerfällt sie sehr leicht.
nicht selten der ganzen Länge nach, in Fasern, welche in ihr
parallel nebeneinander angeordnet sind. Häufig ist der Zerfall
in zwei Fasern, von denen die eine dünner und heller gefärbt
als die andere erscheint. (Fig. 6 der Tafel I.) Noch häufiger:
zerlegt sich die Geissel in drei Fasern, wobei sich die dickere..
dunkler gefärbte Faser in zwei gleich dicke spaltet; die letzteren
bleiben aber noch dieker und dunkler gefärbt als die zuerst sich
lösende feine Faser. Bei Anax (Fig. S und 9) sind diese Unter-
schiede der drei Fasern oft nicht so deutlich.
An der dünnen Faser lässt sich nun in den Mazerationen
leicht eine weitere Struktur nachweisen, insofern, als diese Faser
sehr oft in feinste Elementarfibrillen zerlegt ist: ich zählte 6—7
Fibrillen. Der fibrilläre Zerfall kann an jeder Stelle der dünnen
Faser eintreten, die Fibrillen durchsetzen die Faser ihrer ganzen
Länge nach. An den beiden dunkleren Fasern konnte eine weitere
Zusammensetzung nicht erkannt werden. Die Figur 7 der Tafel I
zeigt diesen fibrillären Zerfall bei Aeschna grandis L.; hier hat
sich die dickere, dunkle Faser auch in zwei gleichdicke Fasern
gespalten. Auch bei Anax formosus Linden wurde der fibrilläre
Zerfall der einen Geisselfaser sehr oft beobachtet. (Fig. 8 der:
Tafel 1.) Bisweilen werden auch zwischen den drei Hauptfasern
isolierte Fibrillen angetroffen, welche jedenfalls wohl von der
helleren Hauptfaser stammen und sich von ihr abgelöst haben.
Es gelang mir nun, an der Geissel bei Aeschna und Anax noch.
eine weitere Differenzierung nachzuweisen, der ich einige Wichtig-
keit beilegen möchte. Ich fand nämlich an ihr dieht hinter dem
Kopfe einen sehr deutlich abgesetzten Abschnitt auf, welcher die-
grösste Ähnlichkeit mit dem sogenannten „Verbindungsstück*
der Spermien anderer Tiere, z. B. der Säugetiere, hat. In den
Figuren 10 und 11 ist dieser nur kurze Abschnitt bei V unter
starker Immersionsvergrösserung dargestellt. Er erscheint in
Über die Samenkörper der Libellen. 173
‚diesen Figuren, welche nach mit Gentianaviolett tingierten
Deckglastrockenpräparaten gezeichnet sind, etwas dunkler gefärbt
als die intakte Geissel und etwas helier als der Kopf. An den
letzteren stösst sein vorderes Ende, während das hintere Ende
quer abgestutzt und von der übrigen Geissel scharf abgesetzt
erscheint. Ich habe dieses „Verbindungsstück“ zuerst in mit
(Gentianaviolett nicht zu stark gefärbten Deckglastrockenpräparaten
aufgefunden. In den frisch mit Gentianaviolett gefärbten feuchten
Präparaten ist es gewöhnlich nicht unterscheidbar, da es sich
alsdann ebenso intensiv tingiert wie die übrige Geissel, und der
hinteren Grenze keine Einkerbung entspricht. Doch fällt hier
schon auf, dass die Spaltung der Geissel nicht bis zum hinteren
Kopfende erfolgt, sondern in einiger Entfernung davon, entsprechend
der hinteren Grenze des „Verbindungsstückes“, aufhört. Hiervon
erhielt ich auch einige Male sehr überzeugende Bilder an isolierten
Geisseln, wie Fig. 9 der Tafel I illustriert. Die Geissel ist hier
dicht hinter dem Kopfe abgebrochen und in ihre drei vollständig
voneinander getrennten Fasern zerfallen. Der Zerfall hat aber
am hinteren Ende des „Verbindungsstückes“ (bei V der Figur)
halt gemacht, so dass dieses intakt geblieben ist und sehr deut-
lich hervortritt.
Bekamntlich ist ein deutlich abgesetztes „Verbindungsstück*
an den Insektenspermien bisher noch nicht beobachtet worden.
Andeutungen davon!) sind nur selten, fast immer ist keine Spur
davon wahrnehmbar.
'Selbstverständlich muss es der spermiogenetischen Forschung
überlassen bleiben, festzustellen, ob es sich hier in der Tat um
ein „Verbindungsstück“ handelt, und welchen Anteil daran auch
die Zentriolen haben. Unter diesem ausdrücklichen Vorbehalt
habe ich diesen Abschnitt, den ich bei Anax sowohl wie bei allen
von mir untersuchten Aeschnaarten gleich deutlich ausgebildet
antraf, als „Verbindungsstück“ bezeichnet.
Etwas anders als bei Aeschna und Anax verhalten sich die
Spermien, sowohl was den Kopf als auch die Geissel anbetrifft, bei
der Gattung Gomphus. (Fig. 12—1S der Tafel Il.)
Fig. 12 zeigt ein ganzes, unversehrtes Spermium von
“omphus pulchellus Selys nach Fixierung durch Osmiumsäure-
') Z. B. bei Gryllus; vgl. Internationale Monatsschrift für Anatomie
und Physiologie, Bd. XI, Heft 5, 1894, Seite 10.
174 E. Ballowitz:
dämpfe und Färbung mit Gentianaviolett. Der Kopf hat sich
nach einigem Liegen unter dem Deckglase wieder entfärbt und
ist ganz hell geworden. Ein Spitzenstück ist hier kaum an-
gedeutet. In solchen Präparaten sah ich nur die äusserste
Kopfspitze punktartig dunkel gefärbt. In Präparaten, welche
einige Zeit unter dem Deckglase in physiologischer Kochsalzlösung
gelegen hatten und dann gefärbt wurden, war an der Kopfspitze
nicht die geringste Differenzierung wahrzunehmen. (Fig. 15—17.)
In den Kochsalzpräparaten quillt nun der hintere Teil des
Kopfes sehr leicht und schwillt blasenartig an, so dass der ganze
Kopf dadurch ein eigenartiges Aussehen erhält. (Fig. 14—17.)
Auch sah ich einige Male diesen noch ungequollenen hinteren
Kopfteil intensiv gefärbt und scharf abgegrenzt, während der
vordere grössere Abschnitt hell geblieben war. (Fig. 13.) Dieser
Befund, zusammengehalten mit den Figuren 14—17, könnte die
Vermutung nahe legen, dass der ganze vordere, nicht quellende
Kopfteil einem Spitzenstück entspräche und nur der quellbare
Teil den eigentlichen chromatinhaltigen Kopf darstellte. Diese
Vermutung wird aber widerlegt durch die Ergebnisse der Färbung
mit Alaunkarmin und Hämatoxylin, wobei sich der ganze Kopf
in beiden Abschnitten intensiv färbt, also chromatinhaltig ist.
Die Textfiguren 6—S zeigen in Schnittbildern den ganzen
nadelföürmigen Kopf von Gomphus mit Hämatoxylin intensiv
dunkel tingiert.
Was die Geissel anbetrifit, so weist sie die gleichen Zerfall-
bilder auf, wie bei Aeschna und Anax. In der Figur 12 ist die
Geissel noch intakt. Ihr hinteres Ende ist bei Gomphus etwas
länger fein ausgezogen, ein deutlich abgesetztes Endstück ist aber
auch hier nicht zu unterscheiden. Die Fig. 13—15 zeigen die
Geissel in zwei ungleich dicke Fasern zerlegt, von denen die dünnere
etwas länger ist als die andere und wohl die erwähnte fein aus-
gezogene Geisselspitze allein bildet. Diese Teilung der Geissel
in zwei Fasern tritt sehr leicht ein. In Fig. 16 beginnt die
dickere Faser an ihrem hinteren Ende in zwei gleich lange, fein
zugespitzte Teilfasern zu zerfallen, die in der Figur 17 in ganzer
Länge von einander getrennt sind. Die Fig. 17 lässt schliesslich
noch den fibrillären Zerfall der feinen Faser erkennen, wie er
auch bei Gomphus oft beobachtet wurde.
Während in dem Geisselzerfall die Gomphusspermien denen
Über die Samenkörper der Libellen. ih7i)
von Aeschna und Anax gleichen, zeigt die Insertion der Geissel
auffällige Unterschiede. Das vordere (Geisselende ist nämlich nicht
quer abgeschnitten, wie bei den übrigen Aeschniden, sondern
schräg und ist so dem entsprechend abgeschrägten hinteren Kopf-
ende angeheftet. (Fig. 12 und 13.) Ist der hintere Kopfabschnitt
gequollen und aufgehellt, während die Geissel ihre intensive Färbung
beibehalten hat, so erkennt man auf das deutlichste, dass sich
das vordere Geisselende in eine feine, stiftartige Spitze auszieht,
welche dem Kopfrande eingefügt ist und sich an ihm eine kurze
Strecke hochzieht. Die Figuren 14, 15 und 17 der Tafel I,
sowie die Textfigur 1 zeigen die Spitze in verschiedener Lage des
Kopfes. In den Figuren 14 und 17 der Tafel und in Textfigur 1
liegt sie am einen Kopfrande, in Fig. 15 blickt man schräg auf sie.
Nachdem ich bei Aeschna und Anax einen dem „Verbindungs-
stück“ ähnlichen Abschnitt aufgefunden hatte, suchte ich natur-
semäss auch bei Gomphus danach. In den gewöhnlichen feuchten,
mit Grentianaviolett intensiv gefärbten Präparaten war aber nichts
davon zu sehen. Erst in guten Deckglastrockenpräparaten, die
nicht zu stark mit Gentianaviolett tingiert waren, entdeckte ich
einen sehr deutlich unterscheidbaren, differenten Abschnitt, der
vielleicht eine Art Verbindungsstück darstellt. In den Figuren
14 und 18 ist es bei V abgebildet. Fig. 14 zeigt den vorderen
Teil eines Spermiums aus einem mit Gentianaviolett gefärbten
Deckglastrockenpräparat. Das vordere Geisselende ist sehr dunkel
gefärbt und fällt dadurch sofort auf, während der Kopf und die
übrige Geissel nur blauviolett erscheinen. Vorne setzt es sich
von dem hellen Kopfe scharf ab, hinten dagegen ist es nicht
scharf abgegrenzt, sondern geht vielmehr unter Verschmälerung
allmählig in die dunklere, dickere Teilfaser der Geissel über. Die
dünnere, helle Geisselteilfaser dagegen ist unvermittelt gegenüber
der dunkleren Faser dem Verbindungsstück angeheftet und lässt
sich nicht in das letztere hinein verfolgen.
In der Textfigur 1 erkennt man, dass die Spaltung der Geissel
in die beiden Teilfasern stets am hinteren Ende des Verbindungs-
stückes halt macht. Die Figur 15 der Tafel I führt den vorderen
Teil einer Geissel bei noch stärkerer Immersionsvergrösserung
vor, deren zugehöriger Kopf völlig aufgelöst und verschwunden
ist, wie es in nicht durch Osmiumsäure fixierten Deckglastrocken-
präparaten nicht selten vorkommt. Man erkennt deutlich die
176 E. Ballowitz:
Gestalt des intensiv tingierten „Verbindungsstückes“, die Zu-
schärfung seines vorderen Endes und das Verhalten des hinteren
Endes zu den beiden Teilfasern. Das Fehlen der hinteren scharfen
Aberenzung unterscheidet es besonders von demjenigen bei Aeschna
und Anax.
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Fig. 1.
Spermium von Gomphus ‚pulchellus Selys. Der hintere Teil des Kopfes ist
Die Geissel ist bis an das „Verbindungsstück“ in
blasenartig gequollen.
Zeiss homogene Immersion 1,5 mm,
zwei ungleieh dicke Fasern zerlegt.
Kompensationsokular Nr. 12.
Über die Samenkörper der Libellen. 1
Das Vorhandensein eines einem „Verbindungsstück“* ähnlichen
Abschnittes charakterisiert also ganz besonders die Spermien der
Aeschniden. Im übrigen stimmt ihre Geisselstruktur im wesent-
lichen mit den Befunden überein, die ich auch bei anderen Insekten
erhielt. z. B. bei den Haarmücken (Bibioniden) !) und der Stuben-
tliege?). Auch bei diesen Insekten konnte ich eine Zusammen-
setzung aus drei ungleich dicken Fasern und einen fibrillären
Zerfall der dünneren Faser nachweisen. Das Gleiche zeigen auch
nach meinen früheren Untersuchungen ?) die Spermien mancher
Coleopteren. z. B. von Hydrophilus, wenn auch bei vielen Coleopteren
die Geisselstruktur durch die Ausbildung einer Stützfaser und
durch das Auftreten einer Wimpelfaser und besonders isolierbarer
Fibrillen noch verwickelter wird.
B. Form und Struktur der Spermiozeugmen.
Wie ich in meiner vorläufigen Mitteilung‘) schon kurz mit-
geteilt habe, fand ich bei allen von mir untersuchten Aeschniden
ausnahmslos eigenartige Spermiozeugmen auf, wie ich in meinen
früheren Arbeiten °) die Vereinigung zahlreicher Spermien zu frei
beweglichen Körpern genannt habe. Bei den beiden anderen
Libellen-Familien konnte ich sie dagegen nicht beobachten. Sie
kommen nur bei den männlichen Tieren vor.
Legt man die Ductus deferentes einer reifen männlichen
Aeschnide frei und betrachtet sie mit einer Lupe, so sieht man
durch die dünne Wandung der Gänge zahlreiche kleine, weissliche
Punkte hindurchschimmern. Zerzupft man ein Stück des Aus-
führungsganges in phvsiologischer Kochsalzlösung auf dem Objekt-
') E. Ballowitz, Die Spermien der Haarmücken, Bibionidae. Ein
Beitrag zur Kenntnis der Samenkörper der Dipteren. Mit einer Tafel und
17 Textfiguren. Archiv für Zellforschung, Bd. 14, 1916, Heft 3.
?) E. Ballowitz, Die Spermien der Stubenfliege. Mit einer Tafel.
Archiv für Zellforschung, Bd. 14, 1916, Heft 3.
») Vergl.E. Ballowitz, Untersuchungen über die Struktur der Sper-
matozoen, zugleich ein Beitrag zur Lehre vom feineren Bau der kontraktilen
Elemente. Die Spermatozoen der Insekten. I. Coleopteren. Zeitschr. f. wissensch.
Zoologie, Bd. 50, 1890. Derselbe, Die Doppelspermatozoen der Dytisciden.
Zeitschr. f. wissensch. Zoologie, Bd. 60.
*)E. Ballowitz, Spermiozeugmen bei Libellen. Biologisches Central-
blatt, Bd. XXXVI, Nr. 5, 20. Mai 1916.
el. €.
178 E. Ballowitz:
träger, so kann man diese Pünktchen und Körnchen. welche zahl-
reich in der Flüssigkeit herumschwimmen, schon mit. blossem
Auge deutlich erkennen. Stellt man diese Körper unter dem
Mikroskop bei schwacher Vergrösserung, etwa bei Leitz Objektiv III
und Okular III, ein, so erhält man Bilder, wie sie in den Figuren
19— 21 auf Tafel I dargestellt sind. Fig. 20 und 21 stammen von
Aeschna cyanea Müll.. Fig. 19 von Gomphus pulchellus Selys.
Die Figuren 19 und 20 sind Flächenansichten und zeigen radartig .
ausgebreitete Bildungen von kreisförmiger, selten etwas länglicher
Begrenzung. Die Mitte erscheint bei tieferer Einstellung meist
hell und wird von einem breiten, dunkleren Ringe umgeben. Die
Figuren 23—30 der Tafel II und die Textfigur 2 sind gleichfalls
Fig. 2.
Spermiozeugma von Aeschna grandis L., von der Fläche gesehen, lebensfrisch
in physiologischer Kochsalzlösung untersucht. Leitz Objektiv VII, Okular III.
Über die Samenkörper der Libellen. 179
Flächenansichten bei stärkerer Vergrösserung und verschieden
tiefer Einstellung.
In. den mit einem Deckgläschen bedeckten mikroskopischen
Präparaten lagern sich diese Spermiozeugmen alsbald so, dass
ihre grössten Oberflächen parallel den Glasflächen gestellt sind
und man nur die geschilderte Kreisform sieht. Untersucht man
die Bildungen aber in Kantenstellung, wie sie in der Figur 21
bei schwacher Vergrösserung und in den Fig. 23 und 24 der
Tafel I, sowie in den Textfiguren 3—5 bei stärkerer Vergrösserung
abgebildet sind, so stellt man fest, dass die Körper mehr oder
weniger abgeplattet sind. Die abgerundeten Ränder und die eine
Oberfläche erscheinen konvex; hier ragen überall die Geisselenden
der zahlreichen den Körper zusammensetzenden Spermien hervor
und sind lebensfrisch in lebhaft schlagender, wogender Bewegung
begriffen. Die entgegengesetzte, in den Zeichnungen untere Ober-
fläche ist eingedrückt, konkav. Aus ihrer Mitte ragt gewöhnlich
Fig. 3 und 4.
Zwei Spermiozeugmen von Aeschna cyanea, nach Fixierung durch Osmium-
säuredämpfe, von der Kante gesehen. Leitz Objektiv VII, Okular III.
150 E. Ballowitz:
ein stielartiger, abgerundeter, breiter Fortsatz hervor, gleich dem
Stiel eines Blumenstrausses. Dieser Fortsatz kann verschieden
lang sein und beeinflusst dadurch die Form der Spermiozeugmen.
Wird er länger, so ähneln die von der Kante gesehenen Spermio-
zeugmen mehr einem Blumenkorbe (Fig. 23 der Tafel T) oder
auch einem Blumenstrausse (Fig. 24 der Tafel I, Textfigur 3 und 5).
Der Stiel kann aber auch fehlen, wofür die Figur 22 der Tafel I
und die Textfigur 7 Beispiele liefern. Die Form dieser Spermio-
zeugmen ist also etwas verschieden.
Auch ihre Grösse schwankt etwas, zwischen 0.09—0,2 mm.
Die sehr zahlreichen Spermien werden nun zu diesen eigen-
artigen Spermiozeugmen ge-
wöhnlich vereinigt und zu-
sammengehalten durch eine Haft-
substanz von hellglänzendem
oder auch etwas körnigem Aus-
sehen, die sich mit Gentiana-
violett und Eosin intensiv färbt.
Sie erinnert mich ihrem Aus-
sehen nach ‘an die Klebesub-
stanz, welche bei den Dytis-
ciden die Köpfe je zweier
Spermien zu den von mir be-
ee Fig. 5. .. schriebenen Doppelspermien !)
en a Hk verbindet. Bei. den Libele
säuredämpfe, Kalium aceticum. Leitz stellt diese Haftsubstanz eine
Objektiv VII, Okular II. Platte dar, in deren einer Fläche
die Spitzen der Spermienköpfe
senkrecht eingebohrt stecken, wie die Nadeln in einem Nadelkissen.
Fig. 31 der Tafel II illustriert dies in anschaulicher Weise. Die Ab-
bildung führt den mittleren Teil eines radförmigen Spermiozeugmas
bei starker Immersionsvergrösserung im optischen Durchschnitt
vor. Der helle, an der unteren Seite offene Streifen ist die
Haftsubstanz, in deren konvexer Oberfläche die Köpfe der zahl-
reichen Samenkörper stecken.
Bei den korb- und straussartigen Spermiozeugmen ist die
Form der Haftplatte einfach. Bei den radförmigen ohne ausge-
') Vergl. E. Ballowitz, Die Doppelspermatozoen der Dytisciden.
Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoologie, Bd. 60.
Über die Samenkörper der Libellen. 181
bildeten Stiel dagegen erscheint die Platte oft mehr oder weniger
gebogen; die Biegung kann recht beträchtlich sein. (Fig. 22 und
25 der Tafel I, Fig. 31 der Tafel II, Textfiguren 6 und 7.)
Der Höhlung dieser gebogenen Platte entspricht bei den Flächen-
ansichten in tiefer Einstellung die helle Mitte. (Vergleiche die
Fig. 19 und 20 der Tafel I, Fig. 27 der Tafel II und die Text-
figuren 2 und 8.) Auch der eigentümliche Kreis der Fig. 30
der Tafel II, welche bei tiefer Einstellung gezeichnet ist. wird
durch die gebogene Platte der Haftsubstanz hervorgerufen. Die
letztere erscheint bei dieser tiefen Einstellung der Flächenansichten
gewöhnlich nicht vollkommen geschlossen ringförmig (Textfigur 8),
sondern meist an einer Stelle unterbrochen, vgl. Fig. 22 und 25
der Tafel I, Fig. 31 der Tafel 11.
Bisweilen fehlt die Haftsubstanz, besonders an den strauss-
förmigen Spermiozeugmen oder ist nur undeutlich wahrzunehmen.
(Fig. 24 auf Tafel I und Textfigur 5.) Jedenfalls löst sie sich
auch leicht auf und gibt dadurch die Spermien frei. So erklärt
sich, dass die Spermiozeugmen nur bei den Männchen gefunden
werden, nicht aber bei den befruchteten Weibchen, bei denen ich
nur isolierte Spermien oder höchstens Bruchstücke der Spermio-
zeugmen feststellte. Das war auch schon der Fall bei einer weib-
lichen Aeschna grandis L., die in der Kopulation gefangen war
und mehrere Stunden darauf untersucht wurde.
Sehr instruktiv sind auch mit Hämatoxylin gefärbte Schnitt-
bilder durch die Spermiozeugmen, wie sie die Textfiguren 6—8
Fig. 6 und 7.
Aus einem mit Hämatoxylin gefärbten Schnittpräparat von durch Zenkersche
Flüssigkeit fixiertem Material. Senkrecht zu den beiden Flächen gefallene
Durchschnitte durch zwei Spermiozeugmen von Gomphus pulchellus Selys.
Man sieht die Haftsubstanz, die darin steckenden, intensiv gefärbten Köpfe
und die helleren Geisseln der Spermien. Leitz Objektiv VII, Okular III.
182 E. Ballowitz:
vorführen. Es wurden dazu mit Eisessig-Sublimat und mit
Zenkerscher Lösung fixierte Ausführungsgänge frisch getöteter
Exemplare von Aeschna und Gomphus genommen. In den Figuren
6 und 7 ist der Schnitt senkrecht zur Oberfläche, in der Figur 8
parallel der Oberfläche gefallen. Man erkennt drei Zonen. Zu äusserst
liegen die heller gefärbten, hin und her gebogenen Spermiengeisseln.
Alsdann folgt die breite, sehr auffällige Zone der intensiv dunkel
violett tingierten Spermienköpfe. Zu innerst liegt dann der
schmale Streifen der Haftsubstanz, die in Figur 8 ringförmig
geschlossen erscheint. Es wurde schon erwähnt, dass sich diese
Haftsubstanz in den Schnitten mit Eosin intensiv rot färbt.
Die gleiche intensive Färbung nimmt auch eine zwischen den
Spermiozeugmen im Ductus deferens reichlich vorhandene, unregel-
mässig geronnene Zwischensubstanz an.
Was die Entwicklung der Spermiozeugmen anbetrifft, so
konnte ich in Serienschnitten durch den Hoden und den’ Ductus
deferens feststellen, dass die sämtlichen Spermatiden einer
Spermiozyste sich zu je einem Spermiozeugma zusammenlegen,
so dass aus einer Zyste stets je ein Spermiozeugma hervorgeht.
Fig. 8.
Aus einem mit Hämatoxylin gefärbten Schnittpräparat von durch Zenkersche
Flüssigkeit fixiertem Material. Parallel den beiden Flächen gefallener Durch-
schnitt durch ein Spermiozeugma von Gomphus pulchellus Selys. Man sieht
die helle Haftsubstanz, die darin steckenden, intensiv gefärbten Köpfe und
die helleren Geisseln der Spermien. Leitz Objektiv VII, Okular III.
Über die Samenkörper der Libellen. 183
Die Haftsubstanz ist dabei schon innerhalb der Zyste an dem
Spermiozeugma ausgebildet.
Mit Bezug auf die Stellung, welche senliesslich diese Spermio-
zeugmen der Libellen unter den ähnlichen, bei anderen Insekten
vorkommenden Bildungen einnehmen, verweise ich auf meinen
zitierten, im „Biologischen Centralblatt“ ') erschienenen Aufsatz,
in welchem ich hierüber schon nähere Ausführungen gemacht habe.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel I und Il.
(Tafel 1.)
Die Figuren 1—3 sind in demselben Grössenverhältnis gezeichnet, wie
die Abbildungen meiner zitierten früheren Arbeiten über Insektenspermien;
ein jeder Teilstrich des Winkelschen Okularmikrometers Nr. 2, mit welchem
die Objekte mit Winkels homogener Immersion 1:24 (Tubus nicht ausge-
zogen) gemessen wurden, und bei welchem dann jeder Teilstrich — 0,001 mm
wirklicher Objektgrösse beträgt, wurde in der Zeichnung gleich 1 mm gesetzt.
Alle anderen Spermienzeichnungen der Tafel I und II sind in wesentlich
grösserem Mafßstabe dargestellt worden.
Fig. 1. Ganzes Spermium von Aeschna grandis L. Osmiumsäuredämpfe,
Gentianaviolett.
Fig. 2. Ganzes Spermium von Anax formosus Linden. Osmiumsäuredämpfe,
g pP
Gentianaviolett.
Fig. 3. Ganzes Spermium von Gomphus pulchellus Selys. Osmiumsäure-
dämpfe, Gentianaviolett.
Fig. 4. Vorderer Teil des Samenkörpers von Aeschna grandis L. Sp. dunkel
gefärbtes Spitzenstück an dem farblos gewordenen Kopf. Osmium-
säuredämpfe, Gentianaviolett; das Präparat hatte 24 Stunden unter
dem Deckglase gelegen. Zeiss homogene Immersion 1,5 mm,
Kompensat.-Okular Nr. 12.
Ganzes Spermium von Aeschna grandis L. Sp. dunkel gefärbtes
Spitzenstück an dem farblos gewordenen Kopf. Zeiss homogene
Immersion 1,5 mm, Kompensations-Okular Nr. 8. Behandlung wie
bei Fig. 4.
Fig. 6 und 7. Zwei Spermien von Aeschna grandis L. aus Mazerationspräpa-
raten, welche einige Zeit in physiologischer Kochsalzlösung unter
dem Deckglase gelegen und alsdann mit Gentianaviolett gefärbt
waren. Sp. helles, kleines Spitzenstück an dem dunkel gefärbten
Kopf. In Fig. 6 ist die Geissel ihrer ganzen Länge nach in zwei
ungleiche Fasern gespalten, eine dickere, dunkel gefärbte und
eine helle, dünnere. In Fig. 7 ist die dünnere, helle Faser in Fibrillen
zerfällt, während die dickere Faser in zwei Teilfasern gespalten ist.
Zeiss homogene Immersion 1,5 mm, Kompensations-Okular Nr. 8.
2 es
for!
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
10.
E. Ballowitz:
Ein Spermium von Anax formosus Linden. Helles kleines Spitzen-
stück an dem dunkel gefärbten Kopf. Die Geissel ist ihrer Länge
nach in drei parallel nebeneinander liegende Fasern zerlegt. Die
eine Faser davon ist fibrillär zerfallen. Behandlung und Färbung
wie bei den Figuren 6 und 7. Zeiss homogene Immersion 1,5 mm,
Kompensations-Okular Nr. 8.
Isolierte Spermium-Geissel von Anax formosus Linden. V der vordere,
deutlich abgesetzte, einem „Verbindungsstück“ ähnliche Abschnitt
der (eissel, bis zu welchem diese in drei Fasern zerfallen ist.
Behandlung, Färbung und Vergrösserung wie in der Figur 8.
Vorderer Teil eines Spermiums von Aeschna grandis L. Sp. helles,
kurzes Spitzenstück an dem dunkel gefärbten Kopf. V sehr deutlich
abgegrenzter, einem „Verbindungsstück“ ähnlicher, vorderer Ab-
schnitt der Geissel. Aus einem mit Gentianaviolett gefärbten
Deckglastrockenpräparat. Zeiss homogene Immersion 1,5 mm,
Kompensations-Okular Nr. 12.
Vorderer Teil eines Spermiums von Aeschna grandis. V sehr
deutlich abgegrenzter, einem „Verbindungsstück * ähnlicher, vorderer
Abschnitt der Geissel. Aus einem mit Gentianaviolett gefärbten
Deckglastrockenpräparat. Vergrösserung wie bei Fig. 10.
12 bis 15 von der Gattung Gomphus.
12.
13.
14.
Ein ganzes intaktes Spermium von Gomphus nach Fixierung mit
ÖOsmiumsäuredämpfen und Färbung mit Gentianaviolett. Zeiss
homogene Immersion 1,5 mm, Kompensations-Okular Nr. 12.
Ganzes Spermium von Gomphus pulchellus Selys. Der hintere Teil
des Kopfes hat sich mit Gentianaviolett dunkel gefärbt. Die Geissel
ist in zwei ungleiche Fasern zerfallen, von denen die dünnere länger
ist als die dickere. Aus einem Mazerations-Präparat, welches
mehrere Tage in physiologischer Kochsalzlösung unter dem Deck-
glase gelegen hatte. Vergrösserung wie in der Fig. 12.
Vorderer Teil eines Spermiums von Gomphus pulchellus Selys.
Der hintere Teil des Kopfes ist gequollen. Bei V der intensiv
gefärbte, einem „Verbindungsstück* ähnliche, vordere Abschnitt
der Geissel. Aus einem mit Gentianaviolett gefärbten Deckglas-
trockenpräparat. Vergrösserung wie in der Figur 12.
. 15—17. Ganze Spermien von Gomphus pulchellus Selys, aus Mazerations-
Präparaten, welche in physiologischer Kochsalzlösung mehrere
Tage unter dem Deckglase gelesen hatten und mit Gentianaviolett
gefärbt waren. Vergrösserung wie in der Figur 12. Der hintere
Teil des Kopfes ist blasenartig gequollen. In den Figuren 15 und 16
ist die Geissel in zwei ungleiche Fasern zerspalten, von denen die
eine etwas dünner und länger ist als die andere; in Fig. 16 ist
auch das hintere Ende der dickeren Faser in zwei Teilfasern aus-
einander gegangen. In der Fig. 17 ist die Teilung der dickeren
Faser vollständig geworden und zeigt dann noch die fibrilläre
Struktur der dünneren Faser.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Über die Samenkörper der Libellen. 155
18. Vorderes Ende einer isolierten Geissel, deren Kopf aufgelöst ist.
Gomphus pulchellus Selys. V der intensiv gefärbte, einem
„Verbindungsstück“ ähnliche, vordere Abschnitt der Geissel, hinter
welchem die letztere sich in die beiden ungleichen Fasern zerlegt,
Aus einem mit Gentianaviolett tingierten Deckglastrockenpräparat.
Etwas stärker vergrössert als die vorigen Figuren. Zeiss homo-
gene Immersion 1,5 mm, Kompensations-Okular Nr. 18,
ige. 19—21. Lebensfrisch in physiologischer Kochsalzlösung untersuchte
Spermiozeugmen bei schwacher Vergrösserung, Leitz Objektiv 3
Okular III, Tubus ausgezogen. In den Figuren 19 und 20 sind
die Spermiozeugmen von der Fläche, in Fig. 21 von der Kante
gesehen. Fig. 20 und 21 stammen aus dem Ductus deferens von
Aeschna cyanea Müll, Fig. 19 von Gomphus pulchellus Selys.
22. Spermiozeugma aus dem Ductus deferens von Gomphus pulchellus
Selys, frisch in physiologischer Kochsalzlösung untersucht, bei tiefer
Einstellung im optischen Durchschnitt. Man sieht die helle, platten-
artige Haftsubstanz, in welcher die Spermiumköpfe stecken. Zeiss
Apochromat Obj. 8 mm, Kompensations-Okular Nr. 12.
23. Blumenkorbartiges Spermiozeugma von Anax formosus Linden,
von der Kante gesehen, aus dem Ductus deferens von Anax formosus.
Zeiss Apochromat Objektiv 8 mm, Kompensations-Okular Nr. 12.
24. Straussförmiges Spermiozeugma aus dem Ductus deferens von
Aeschna grandis L., von der Kante gesehen, frisch in physiologischer
Kochsalzlösung untersucht. Leitz Obj. 7, Okular III.
. 25. Spermiozeugma aus dem Ductus deferens von Gomphus pulchellus
Selys. Wie Fig. 22.
Tafel II.
26. Ein von der konvexen Fläche gesehenes, lebensfrisch in physiolo-
gischer Kochsalzlösung untersuchtes Spermiozeugma aus dem
Ductus deferens von Aeschna pratensis Müll., bei mehr oberflächlicher
Einstellung. Leitz Objektiv VII, Okular II.
27. Desgleichen von Gomphus pulchellus Selys, bei etwas tieferer
Einstellung. Leitz Objektiv VII, Okular III, Tubus ausgezogen.
28-30. Drei frisch in physiologischer Kochsalzlösung untersuchte
Spermiozeugmen aus dem Ductus deferens von Anax formosus
Linden, von der konvexen Fläche gesehen.
28 und 29 bei mehr oberflächlicher, Fig. 30 bei tiefer Einstellung.
Zeiss Apochromat Obj. 8 mm, Kompensations-Okular Nr. 12,
31. Mittlerer Teil eines Spermiozeugmas von Gomphus pulchellus Selys,
im optischen Durchschnitt gesehen. Man erkennt die helle Haft-
substanz, in welcher die Kopfspitzen stecken, wie die Nadeln in
einem Nadelkissen. Zeiss homogene Immersion 1,5 mm, Kompen-
sations-Okular Nr. 12.
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