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f ibrarn of t^c Pustum
OF
COMPARATIYE ZOÖLOGY,
AT HARVARD COllEGB, CAMBRIDGE, lASS.
JFountieli b2! jirtbate subscttptton, (n 1801.
Deposited by ALEX. AGASSIZ.
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Archiv
für
Mikroskopisclie Anatomie
herausgegeben
O. Hartwig in Berlin,
V. la Valette St. George in Bonn
■and
W. Waldeyer in Berlin.
PtriMtung un lai SekiUze's Arehif fir aikr^ikepiieke AnUiri«.
Achtunddreissigster Band.
Mit 34 Tafeln und 5 Holzschnitten.
Bonn
Verlag von Friedrich Cohen
1891.
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Inhalt
Seite
Untersuch ung-en über die mikroskopische Fauna Argentiniens.
Vorläufiger Bericht von Prof. Joh. Frenz el. Hierzu Tafel I. 1
Epithelreste am Opticus und auf der Retina. Von Dr. med.
Alexander Ucke. (Aus dem vergleichend-anatomischen
Institut in Dorpat.) Hierzu Tafel U 24
lieber Zellbrücken glatter Muskelfasern. (Nach einem Vortrage
in der anatomischen Section des X. Internationalen Congresses
in Berlin 1890.) Von D. Barfurth. (Aus dem vergleichend-
anatomischen Institut in Dorpat.) Hierzu Tafel III. ... 38
Beiträge zur vergleichenden Anatomie u. Entwickelungsgeschichte
der Uterusmuskulatur. Von Dr. J. Sobotta. (Aus dem
I. anatomischen Institut der Universität Berlin.) Hierzu
Tafel IV 52
Untersuchungen über das centrale Nervensystem der Cladoceren.
Von Dr. phil. et med. Paul Samassa. (Aus dem zoologi-
schen Institute zu München.) Hierzu Tafel V, VI und VII. 100
Beiträge zur Kenntniss der Zahnentwicklung. Von Dr.
A. v. Brunn, Professor in Rostock. Hierzu Tafel VHI. . 142
Vergleichend-anatomische Untersuchungen über Rückenmarks-
faserung. Von Dr. Karl Schaff er aus Budapest. (Aus
dem Senckenberg'schen Institut zu Frankfurt a. M.) Hierzu
Tafel IX und ein Holzschnitt 157
üeber die Zungendrüsen von Anguis, Pseudopus und Lacerta.
Ein Beitrag zur Kenntniss der einzelligen Drüsen. Von Dr.
Rudolf Frh. v. Sei Her, Assistent am zoologisch-vergl.-
anatom. Institut der Universität Wien. (Aus dem histologi-
schen Institut der Universität Wien.) Hierzu Tafel X— XIII. 177
Vom Aufbau des Rückenmarks. Histologisches über die Neu-
roglia und die Nervensubstanz. Von M. Lavdowsky in
St. Petersburg. Hierzu Tafel XIV— XVIII ' . . 264
Leidyonella cordubensis nov. gen. nov. spec. Eine neue Tricho-
nymphide. Von Prof. Joh. Frenzel. Hierzu 4 Figuren in
Hölzschnitt 301
Ueber die nervösen Elemente in der Retina des Menschen. Erste
Mittheilung. Von A. S. Dogiel, Professor an der Univer-
sität Tomsk (Sibirien). Hierzu Tafel XIX— XXII. . . 317
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IV
Seite
Untersuchungen über die Milz. I. Die Milz der Katze. Von
Dr. Bannwarth, I. Assistent der Anatomie Bern. Hierzu
Tafel XXIII— XXVI 345
Ueber die Entwicklung der Zöhne des Menschen. Von Dr.
Carl Rose. (Aus dem II. anatomischen Institute zu Berlin.)
Hierzu Tafel XXVII u. XXVIII 447
Die H^ntwicklung und Structur der Nebennieren bei den Vög-eln.
Von Hans Kabl, cand. med. (Aus dem histolog^ischen In-
stitut der Universität Wien.) Hierzu Tafel XXIX—XXXI. . 492
Die Anordnung und Neubildung von Leukoblasten undErythro-
blasten in den Blutzellen bildenden Organen. Von Prof. Dr.
M. Löwit, Innsbruck. (Aus dem Institute für experimentelle
Pathologie in Innsbruck.) Hierzu Tafel XXXII— XXXIV. . 524
Ueber die eosinophilen Zellen des Kaninchenknochenmarkes.
Von J. von Scarpatetti, Dr. med. (Aus dem Institute für
experimentelle Pathologie in Innsbruck.) 613
Zur Kenntniss der Grundsubstanz und der Saftbahnen des
Knorpels. Zur Richtigstellung von Dr. Max Wolters, Assi-
stenzarzt der Klinik für Hautkrankheiten zu Bonn 618
Verbesserungen.
Seite 186, Zeile 9 statt „Zungeiischleimhaut** zu setzen: „Lmigen-
schleimhaut".
Tafel XI Fig. 6 rechts statt d zu setzen; e.
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Untersuchungen über die mikroskopische
Fauna Argentiniens.
Vorläufiger Bericht
Prof. Joh. Frensel.
Hierzu Tafel T.
Schon vor einer Reihe von Jahren war ich der Ansicht,
dass es wohl wünschenswerth erscheine, auch ausserhalb Europas
derjenigen Fauna eine besondere Beachtung angedeihen zu lassen,
welche sich aus den Protozoen und den kleineren Formen der
Würmer und Crustaceen zusammensetzt, und welche demnach
zumeist mit Hilfe des Mikroskops zu erforschen ist. Im Beson-
deren hielt ich es v(»n hervorragendem Interesse, die Frage zu
erörtern, ob und in wie weit diese Fauna eine kosmopolite
sei. Durch die Arbeiten namentlich nordamerikanischer Forscher, es
sei nur Jos. Leidy genannt, wissen wir ja bereits, dass eine
grosse Zahl mikroskopischer Wesen eine sehr weite Verbreitung
hat, wie etwa von den Rhizopoden die Amoeba proteus (princeps)
niid A. verrucosa, von den Heliozoen Actinosphaerium und Acti-
nophrys, von den Flagellaten die Euglenen und so fort. Konnte
man nun mit Recht aus diesen Thatsachen den Schluss ziehen,
dass diese Formen kosmopolite seien, so lag freilich der Ge-
danke nahe, diesen Schluss zu verallgemeinern und auf das ge-
sammte Gebiet zu erstrecken. Meine oben genannte Ansicht
fand daher wenig Zustimmung, ja, sie wurde wohl oft genug
mitleidig belächelt. *
Als ich vor einigen Jahren an die hiesige Universität über-
siedelte, glaubte ich nun endlich meinen alten Wunsch der Ver-
\rirklichung nahe zu sehen. Jedoch eine Reihe äusserer Um-
stände verhinderte in der ersten Zeit erfolgreiche Studien. Zudem
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 38 1
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2 Joh. I^ronzel:
nmss ich gestehen, dass das, was ich zunächst an Protozoen
fand, mir so bekannt erschien, dass ich kaum noch hoffen durfte,
viel Neues zu entdecken. Allein der umstand, dass andere aus-
ländische Foi*schcr, wie etwa Leidy, Carter, James Clark
u. A., darin vom Glück begünstigt waren, dass femer selbst noch
in Deutschland hin und wieder eine bisher nicht bekannte Form
zum Vorschein kommt, gab mir neuen Muth und Hess mich
meine bereit« angefangenen Forschungen wieder aufnehmen.
Leider lagen und liegen noch die hiesigen Verhältnisse für
derartige Arbeiten wenig günstig. Einmal ist es die ausser-
ordentlich trockene Lage Cordoba's, andererseits aber der völlige
Mangel an den nothwendigsten Hilfsmittehi, an Litteratur u. s. w\,
was jedem Fortschritt hemmend entgegentritt.
Was das Erstere anbetrifft, so muss ich kurz erwähnen,
dass Cordoba, etwa im Centrum Argentiniens, in einer weiten
dtlrren und trockenen Ebene liegt, die sich aufwärts bis an den
Fuss des Gebirges, der Sierra de Cordoba, erstreckt. Während
der ganzen kalten Jahreszeit, also fast der Hälfte des Jahres
vom Mai bis zum October hin, fehlt es an feuchten Nieder-
schlägen, und in dieser Zeit trocknen alle Teiche, Pfützen und
Wasserlöcher yl)\lig aus. In der anderen Jahreszeit treten oft
starke Regengüsse ein, allein die beständige Hitze sorgt schnell
dafür, dass die spärlichen Wasseransannnlungen wieder verschwin-
den, mit einigen wenigen Ausnahmen, wie gleich zu sehen
sein wird.
Meine Untersuchungen mussten sich daher auf folgende
Punkte beschränken:
1) Wasserleitungswasser (aqua corriente). Dies wird vom
Fluss abgeleitet, woher es kommt, dass es nach starken Regen
sehr trübe ist, indem es zahlreiche pflanzliche und auch thie-
rische Substanzen enthält, nämlich Diatomeen, Spirogyren, Amoe-
ben etc. Namentlich der Bodensatz war stets reichhaltig,
2) Eni kleines, offenes, etwa 50 1 haltendes Wasserbecken
auf dem Dach der Akademie, von Leitungswasser gespeist und
mit Abfluss. Die Wände sind mit einer dicken Algenvegetation
besetzt. Da dieses Becken völlig den brennenden Sonnenstrahlen
ausgesetzt ist, so scheint sich daraus zu erklären, dass es kein
reiches Thierleben enthielt, jedoch einige sehr interessante Formen.
3) Ein kleines Springbrunuenbecken im üniversitätsgarten,
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Untersuchungen über die mikroskopische Fauna Argentiniens. 8
uur etwa 15 1 Wasser enthaltend, aber immer von oben her von
irischem Leitungswasser durchströmt. Proben davon, einige Tage
im Aquarium gehalten, waren sehr reichhaltig.
4) Der Fluss (Rio primero). Dieser enthält meist, auch in
der Sommerzeit, nur wenig Wasser, welches schnell über kie-
sigen Grund fliesst. Nach heftigen Regengüssen schwillt er stark
an und ist von reissender Strömung, so dass er im Allgemeinen
also der Entwickelung einer Flora und Fauna nicht günstig ist.
5) Brunnenwasser aus einem etwa 15 m tiefen Brunnen.
Reich an Nuclearien, daneben Müokenlarven etc.
6) Ein kleiner Teich im Westen der Stadt in der Nähe
des Hospital-Neubaues. Derselbe soll erst vor etwa 2 Jahren
entstanden sein, wahrscheinlich durch Verlegung eines Wasser-
grabens. , Er ist theilweise beschattet und auch im Sommer immer
voll Wasser, daher sehr reich an Thieren und Pflanzen. Fast
seine ganze Fläche ist von Spirogyren bedeckt. Von Thieren
fand ich hier verschiedene Amöben (Mastigamoeba), viele Heliozoen
(Actinosphaerium), die meisten Flagellaten (Euglenen), Choano-
flagellaten (Salpingaeca) , zahlreiche Infusorien (Paramaecium),
femer von Würmern einige Turbellarien, NaYden etc., von Cru-
staceen den nie fehlenden Cyclops, sowie besonders Cladoceren
und Ostracoden.
7) Ein Tümpel in der Vorstadt General Paz, an der Eisen-
bahn; enthielt fast nur — ausser grünen Anurenlarven —
Estherien etc.
8) Ein grosser Tümpel in General Paz, am Kloster, mit
einer Branchipusspecies, ferner einem grossen Apus und einigen
Copepoden.
9) Laguna Peitiadu. Als solche, mit dem Zusatz chica
(kleine), wird ein ständiger Teich bezeichnet, welcher sich ca.
1,5 Meilen unterhalb der Stadt am Flussufer hinstreckt. Er ist
völlig von grossen Bäumen (Salix Humboldtiana) beschattet und
dicht mit Lemna und Wolffia bewachsen. Hier fand ich haupt-
sächlich verschiedene Amphipoden, Ostracoden etc., einige Wasser-
käfer u. s. w. — Abseits davon auf der anderen höheren Seite
der Landstrasse, in der Regenzeit jedoch mit der erstgenannten
Laguna zusammenhängend, befindet sich ein anderer viel grösserer
Teich, der eigentlich den Namen „Laguna Peitiadu'* führen soll.
Er ist nicht beschattet und trocknet im Sommer fast ganz ein.
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4 Joh. Frenzel:
Im frisch geschöpften Wasser fand ich nichts Besonderes; im
Aquarium gehalten entwickelten sich jedoch einige neue Helio-
zoen, zahlreiche Amöben etc.
10) Bäche in der Sierra, fast nur kleine Amphipoden ent-
haltend.
11) Lösungen von SalzefBorescenzen aus Salzlagunen der
Provinz. Es entwickelten sich in einer starken Lösung ein
Branchipode, sowie kernlose Amöben und in absterbenden Spiro-
gyren andere amöbenartige Wesen.
12) Zum Schluss erwähne ich noch, dass ich eine Anzahl
Schmarotzer fand, so Amöben etc. im Darmkanal von Kaul-
quappen; Gregarinen in Käfern und in Blabera, und im Dann
eines Termiten ein Wesen, das eine mittlere Stellung zwischen
Flagellaten und Rhizopoden einnimmt. (Die äussere Foim und
der Cilienbesatz am spitzen Körperpol erinnern etwas an Lopho-
monas Blattarum Stein, oder auch an Trichonympha agilis Leidy.)
Bis jetzt haben sich meine Untersuchungen hauptsächlich
auf die Sarcodinen (Rhizopoden und Heliozoen) erstreckt, deren
Formenreichthum hier ein ganz überraschender ist. Weiterhin
nahm ich die Mastigophoren in AngriflF, sodann die eigentlichen
Infusorien, deren Studium jedoch noch nicht zum Abschluss ge-
diehen ist, wie auch das Gleiche von den übrigen Formen höher
hinauf, den Würmern und Krebsthieren gilt. Wenn ich nun mein
Hauptaugenmerk auf die zuerst genannten, die Sarcodinen, rich-
tete, so geschah dies vor Allem deshalb, weil gerade von dieser
Thierklasse nicht allzuviel Arten aus dem Süsswasser sicher be-
kannt und beschrieben sind. Ist doch ihre Artenzahl kaum viel
mehr als 150 bis 160. Ich glaube es daher als einen schönen
Erfolg bezeichnen zu können, dass ich hier nicht weniger als
etwa 110 verschiedene Arten aufgefunden habe, von denen frei-
lich ein grosser Theil zu den bekannten gehört, mithin als
kosmopolit anzusprechen ist, während der Rest als neu und
der argentinischen Fauna eigenthttmlich zu betrachten sein dürfte,
abgesehen von einer Reihe von Formen, deren sichere Bestim-
mung mir noch nicht gelang. Namentlich sind es die sonst so
spärlichen Heliozoen, welche hier viele Vertreter finden, und
während bis jetzt nur etwa 40 bis 50 Arten bekannt waren, ein-
schliesslich der des Salzwassers, so konnten hier allein mehr als
30 festgestellt werden.
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Untersuchungen über die mikroskopische Fauna Argentiniens. 5
Nnr mehr nebenbei sind unter den Sporozoen einige Gre-
garinen behandelt worden, wovon eine, im Mitteldarm von Der-
mestcB vulpinus lebend durch ihren aus Krystallen bestehenden
Körperinhalt interessant ist.
Reich vertreten ist die Klasse der Mastigophoren. Es
scheint mir aber, dass die meisten der Formen, die mir bis jetzt
begegnet sind, identisch mit den europäischen sind, was ich auch
von den Infusorien behaupten möchte, von denen mir freilich
bis jetzt nnr ein geringeres Material zur Verfügung stand. Ebenso
wenig kann ich mir schon heute über die niederen Würmer und
Crustazeen ein klares Bild machen, da mir die einschlägige Lit-
teratur fehlt und hier zur Beschaffung derselben keine Aussicht
vorhanden ist^).
Um nun aus dem Mitgetheilten einen Schluss zu ziehen, so
können wir jedoch schon jetzt zu dem Resultat gelangen, dass
fast alle diejenigen Formen, welche in Europa und Nordamerika
häufig auftreten, auch hier anzutreifen sind, mit grossism Rechte
also als kosmopolite bezeichnet werden dürfen. Jene Formen,
welche anderswo selten sind, fehlen hier entweder ganz oder
sind durch andere, venvandte, vertreten, was sich namentlich
auf die Heliozoen bezieht. Dann aber werden wir noch einiger
anderer zu gedenken haben, deren Platz im System sich vor
der Hand nicht bestimmen lässt.
Wir wenden uns nun zur Besprechung der einzelnen Ab-
theilungen und halten uns dabei möglichst an Bütsch li 's Proto-
zoenwerk*), mit Ausnahme einiger Abänderungen, die wir uns
erlauben wollen. Rücksichtlich der Sarcodinen (Rhizopoden im
weitereu Sinne) sei das Werk Jos. Leid y 's**) zu Grunde ge-
legt, das für uns von doppeltem Interesse ist, da es ebenfalls
1) Leider gelang es mir auch nicht, den Vorstand der hiesigen
Akademie der Wissenschaften davon zu üherzeugen, dass die An-
schaffung eines Werkes üher niedere Tliiere nicht mit mehr Kosten
verhunden sei, als die eines ornithologischen Werkes, welches man
eigens auf den Wunsch eines Uaiterheamten anschaffte.
2) Dr. H. G. Bronn 's Klassen und Ordnungen des Thier-Reichs
etc. I. Bd. Protozoa von Dr. 0. Bütschli, Professor der .Zoologie in
Heidelberg, etc. — Leipzig und Heidelb(»rg. 1880—1889.
3) Fresh-Water Rhizopods of North America by Joseph Leidy
M. D. etc. Washington 1879. — Ich verdanke dieses Pracht werk der
Liebenswürdigkeit meines CoUegen, Dr. Fr. Kurtz.
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6 Joh. Frenze!:
amerikanische Formen behandelt. Da mir, wie ich schon
angedeutet habe, die einschlägige Litteratur gi-ossentheils fehlt,
so bin ich leider noch nicht in der Lage, die folgenden
Untersuclmngen ausführlicher und mit Abbildungen veröffent-
lichen zu können. Wiewohl ich nun hoffe, in meinem Leben
noch einmal dazu zu gelangen, will ich doch schon jetzt eine
üebersicht meiner Resultate geben, obschon dieselbe nur eine
ganz oberflächliche bleiben muss.
Um mit der Familie der Amoebaea lobosa zu beginnen,
sei zunächst bemerkt, dass ich, wenn auch sehr selten, kern-
lose Amöben sicher angetroffen habe, wie ich auch bei der ge-
wöhnlich kernhaltigen Amoeba verrucosa, die häufig ist, wieder-
holt grosse und kleine Exemplare ohne Kern sah. üeberall, wo
der Kern am lebenden Objekt nicht sofort zu erkennen war,
brachte ich die Färbung zur Anwendung, wobei ich derartig
verfuhr, dass ich entweder zuerst mit verdünnter Essigsäure oder
mit Alkohol behandelte, und dann, trat der Kern noch nicht her-
vor, mit Carmin oder Methylgrün oder dergl. färbte. Im Allge-
meinen aber sei betont, dass ich bei den meisten Rhizopoden
einen Kern, und zwar gewöhnlich in der Einzahl, antraf. Meh-
rere Kerne waren nur häufig bei Amoeba proteus und einer an-
dern, dieser sehr ähnlichen Amöbe.
In einer starken Lösung von Sabc, das aus einer Saline
herstammte, entwickelten sich nun auf und in einem todten
Branchipoden sehr kleine amöbenartige Körperchen, welche einige
lange, verschieden dicke Pseudopodien aussandteu, die hie und
da spindelförmige Anschwellungen zeigten, sich auch wohl gabelig
theilten, nie aber eine Netzbildung entstehen Hessen. Der In-
halt des Thierchens war ein sehr homogener, matt glänzender,
und eine Vacuole, die aber keine Contraktionen ausführte. Kern-
artige Gebilde liessen sich nicht nachweisen (Tafel 1, Fig. 3).
Immerhin aber schien es mir, als wenn sich einige kleine Körn-
chen besonders stark färbten, woraus nUiglicher Weise der 8chluss
zu ziehen ist, sie seien kemartiger Natur oder beständen aus
Nuclein. Doch möchte ich bei dieser Gelegenheit meiner An-
sicht dahin Ausdruck geben, dass hierbei die Färbbarkeit allein
doeli auch nicht maassgebend ist, wenn dieselbe nicht durch an-
dere mikrochemische Reactioneu unterstützt wird, die auszuführen
sich leider nicht immer Gelegenheit bietet.
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Untersuchungen über die mikroskopische Fauna Argentiniens. 7
Eine ähnliche Fonn fand ich auch im Schlamme des Hospi-
talteiches, mit dem Unterschiede, dass diese gleichfalls sehr kleine
Amöbe mehrere Vacuolen ftthrte, die sich abwechselnd kon-
trahirten. Femer hat sie eine lange, mehr spindelartige G^talt
und ist an jedem Ende in einen Faden ausgezogen, der sich
langsam bewegt. Auch hier ist kein morphologisches Aequiva-
lent eines Kernes vorhanden.
Von den eigentlichen Amöben, deren Auflösung in schärfer
geschiedene Genera sehr erwünscht ist, fand ich zunächst eine
Reihe bekannter Arten. Als erste sei die Amoeba proteus (Leidy)
genannt, welche häufig zu sehen ist. Den Kern traf ich zumeist
bläschenförmig, einen grossen rauhen Körper führend, selten so,
wie Leidy ihn beschreibt^). Nächstdem, und wohl ebenso ge-
mein, ist Amoeba verrucosa, von welcher ich eine grosse Zahl
von Exemplaren in Teich-, Leitungs-, Brunnenwasser u. s. w. an-
traf. Sie entwickelte sich mit Vorliebe im Aquarium. Ferner
sei aufgeführt: Amoeba villosa undPelomyxa villosa (?), A. limax,
A. guttula und einige andere noch nicht genauer bestimmte. Von
sonstigen Formen, die wahrscheinlich neu sein werden, und die
ich vorläufig bei dem Genus Amoeba belasse, nenne ich eine in
Blumeninfusionen lebende, ausserordentlich hyaline Art, die ausser
einigen Fremdkörpern höchstens ganz feine, spärliche und wenig
glänzende, daher schwer siclitbare Körperchen enthält. Sie bildet
fingerf()rmige lange Pseudopodien und besitzt eine langsam ar-
beitende Vacuole und einen grossen bläschenartigen Kern
(Tafel I, Fig. 1 und 2)*). Eine andere, etwas seltnere Amöbe
hat eine flache, fast dreieckige Gestalt, oft an einen Kreissektor
erinnernd. Sie bewegt sich mit der convexen Breitseite nach
vom, während sie an der hinteren Spitze dichtstehende, halb-
lange, fingerartige Pseudopodien entwickelt, die fast wie ein
Bündel Rüben aussehen. Der vordere Theil des Ganzen besteht
aus völlig hyalinem Ectoplasma (Hyaloplasma), während die hin-
tere Hälfte meist eine schaumige Struktur hat, indem sie aus
zahlreichen vacuolenartigen Flüssigkeitsräumen besteht, welche
ihrerseits von Plasmasphaeren umhüllt sind, in denen kleine glän-
1) 1. c. Tafel I und II.
2) Vgl. Amoeba flava. Grub er, Studien über Amöben; Zeit-
schrift für wisö. Zoologie 41, pag. 220.
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8 Joh. Frenzel:
zende Kügelchen oder Körnchen eingelagert sind. Auch hier ist
der Kern ein Bläschen mit grossem Körper. Ausser jenen Va-
cuolen sieht man noch eine oder zwei andere, sich langsam con-
trahirende.
Eine andere Amöbe, deren zu gedenken ist, hat eine ge-
wisse Aehnlichkeit mit A. verrucosa; jedoch ist die umhüllende
Substanz nicht so scharf hautartig markirt, wie bei dieser. Das
Thier ist oft mehr oder weniger niaulbeerförmig, oft „spritz-
kuchenartig", d. h. stets isodiametrisch, rings herum mit grossen,
breiten und kurzen, sackartigen Fortsätzen. Immer führt es
grosse, glänzend gelbe Krystalle und eine grosse Vacuole.
Sehr häufig beobachtete ich eine sehr grosse Amöbe, welche
in allen Punkten der A. proteus nahe steht. Sie unterscheidet
sich von dieser nur durch Ausbildung einer massig dicken,. aber
weichen, biegsamen und dehnbaren Hautschicht, welche, ziemlich
stark glänzend und an die Cuticula der Gregarinen erinnernd,
den Körper allseitig und gleichmässig umgiebt. Meist ist hier
ein grosser bläschenförmiger Kern vorhanden; doch kommen auch
zwei oder vier Kerne vor. Einige Male beobachtete ich den
Verlauf einer Kerntheilung, welche in einer direkten Abschnürung
des Bläschens wie des Kemkörpers besteht.
Recht merkwürdig erwies sich eine andere, ebenfalls der
A. proteus nahestehende und nackte Form. Dieselbe zeigte sich
unter dem Deckglas etwas abgeflacht, fast kreisrund und hatte
an der kleineren Hälfte des ümfanges eine eigenthümliche Zotten-
bildung in Gestalt kleiner gestielter Kugeln, welche theils ein-
zeln, theils zu zweien auf einem kurzen dicken Stiel sassen.
Ferner sei noch ein leider nur selten beobachtetes amöben-
artiges Wesen erwähnt. Dasselbe zeigte einen dichten köniigen
Inhalt und deutlichen Kern, doch keine Vacuolen. Die Gestalt
des Ganzen war eine rund-eckige, und an den Ecken wurden
kurze sackartige Pseudopodien hervorgetrieben. Zeitweilig lag
das Wesen ruhig da, dann gericth es in zitternde Bewegung und
machte pKUzlich einen Sprung, um nach einiger Zeit dasselbe
Spiel zu wiederholen.
Im Darm hiesiger Anurenlarven fand ich beständig eine
kleine Amöbe, deren plasmatischer Inhalt fast ganz „schaumig"
war, indem er aus zahlreichen Vacuolen bestand. Nur die sackartig
breiten Pseudopodien waren frei davon und ganz hyalm.
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Untersnchungen über die mikroskopische Fauna Argentiniens. 9
Die nächste Amöbe, die erwähnt sein möge, ist wegen der
Struktur des Plasmas interessant. Sie lebt namentlich im Boden-
satz des Leitungswassers. Ihre Form ist eine mehr oder weniger
kugelige, wobei nach allen Seiten spärliche, massig breite und
kurze Pseudopodien heraustreten, welche am freien Ende theils
abgeplattet, theils gar eingedrückt erscheinen, so dass sie im
optischen Schnitt gewöhnlich quadratisch aussehen. Man bemerkt
meist einige kleinere und eine grosse Vacuole, abwechselnd lang-
sam wachsend, um sich dann, dem Rande zugerückt, mit kreis-
förmigem grossen Riss zu entleeren. Rings um diese Vacuolen
herum zeigen nun die dem Plasma eingelagerten Kömchen eine
genau radiäre Anordnung, die sich weit ausdehnend fast durch
den gesanmiten Zellkörper ei-streckt (Tafel I, Fig. 4).
Indem wir hier einige weitere Erscheinungen übergehen,
welche der Gruppe der eigentlichen Amöben angehören, nenne
ich von anderen Gattungen noch Dactylosphaera, wovon etwa
zwei Arten vorhanden sind, deren eine D. radiosa sein dürfte^).
Sie ist sehr gemein.
Wir gelangen nunmehr zu einer Gruppe von geisseltra-
genden Amöben, die ich aber nicht mit Bütschli zu den Fla-
gellaten, sondern mit F. E. Schulze^) zu den Amoebea zählen
möchte.
In einer noch nicht näher bekannten grünen Anurenlarve
— wahrscheinlich gehört sie zu Hyla pulchella — fand ich ein-
mal im Enddarm eine grosse Anzahl höchst merkwürdiger Amöben
von beträchtlicher Grösse. In der Gestalt gleichen diese wohl
der A. Umax; doch sind sie mehr gestreckt, etwa walzenförmig,
vom und hinten abgerundet, am Gegenpol des Kerns oft zuge-
spitzt. Am entgegengesetzten Pol, dicht unter dem Rande, aber
durch eine schmale Schicht Hyaloplasma davon getrennt, liegt
der kugelige Blasenkern, den bekannten grossen Körper um-
schliessend. Auf dem, dem abgemndeten Ende der Amöbe zu-
gewendeten Pole dieser Blase sitzt nun ein kurzer, wimper-
oder geisselartiger, spitz endender Faden, dessen Länge kaum
viel mehr beträgt als der Durchmesser der Kerablasse. Man
1) Leidy, I.e. Tafel IV (Amoeba radiosa).
2) Rhizopodenstudien V. — Archiv für mikroskop. Anatomie
Bd. XI, pag. 583 flf. — Durch die Güte des Verfassers erhielt ich einen
Sonderabdruck dieser Abhandlun«»;.
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10 Joh. Frenzel:
sieht ihn deutlich die zarte Ectoplasmaschicht durchsetzen und
ins Freie herausragen, ohne dass er aber geisselnde oder über-
luiupt schwingende Bewegungen ausführt. Der Kern sammt
diesem Faden bleibt hei allen Bewegungen des Thieres an der-
selben Stelle liegen, und nur durch den später zu erwähnenden
heftigen Anprall der Inhaltsmassen gerathen beide Gebilde ins
Zittern.
Die Ortsveränderungen dieser Amöbe geschehen immer vor-
oder rückwärts in der Richtung der Längsachse, wobei sie oft
schlängelnde Bewegungen vollftlhrt. Ganz unabhängig davon
findet nun noch im Innern eine ausserordentlich lebhafte Plasma-
strOmung statt, wie ich sie bei keinem Thiere bis jetzt gesehen
habe; sie erinnert an den gleichen Vorgang in den Staubßlden-
haaren der Tradescantia virginica. Das Plasma enthält zahl-
reiche, grftne oder anders beschaffene Nahrungsbestandtheile.
Diese schiessen mit grosser Geschwindigkeit in einer centralen
Säule dem Kerne zu, theilen sich dicht vor ihm und schiessen
nun in einer äusseren Mantelschicht nach dem andern Körperende
zurück, um denselben Weg von neuem zu beginnen, ohne irgend
welche Unterbrechungen, und ganz gleichgültig, ob das Thier
sich vorwärts, i*ückwärts oder gar nicht von der Stelle bewegt.
Die demnächst zu erwähnende, geisseltragende Amöbe fand
ich im Teichwasser. Sie ist fast kugelig und kann allseitig
massig lange fingerförmige Pseudopodien ausstrecken. Sie ist
dicht mit grünen Ballen u. dergl. erfüllt. Am vorderen Ende
ragt der bekannte Zapfen hervor, eine massig lange, ruhig wellig
schwingende Geissei tragend, welche nicht den Durchmesser des
Thieres übertrifft. Dies letztere schwimmt oft frei mit der
Geissei voran, hält dann still, kriecht eine Weile amöboid und
schwimmt darauf wohl weiter. Die Gcissel sitzt hier nicht auf
dem Kern.
Nunmehr haben wir einiger Formen mit langen Geissein
zu gedenken.
Im Regenwasser, welches einer Tonne entnommen wurde,
fand sich eine ähnliche Amöbe wie die vorhergehende. Sie voll-
führte jedoch nur kriechende Bewegungen, das Geisselende hin-
ten lassend, wo sich ausserdem nach zahlreiche kleine, fast ku-
gelige Zöttchen zeigten, zwischen denen die lange Geissei ihren
Ursprung nahm.
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Untersnchungen über die mikroskopische Fauna Argentiniens. 11
Sodann beobachtete ich eine Amöbe, ohne Pseudopodien-
bildnng und daher der A. liniax ähnelnd, mit farblosem Inhalt.
Der bläschenartige Kern liegt auch hier an einem spitzen Ende
und ihm aufsitzend die lange, kaum schwingende Geissei. Die-
selbe führt, wie auch bei der nachfolgenden Mastigamoeba und
anderen, mehr ztingelnde Bewegungen mit dem freien Ende aus.
Dies zeigt sich bei der jetzt zu erwähnenden Art. — Es
ist dies eine grosse Amöbe mit einer deutlichen, aber von dem
umgebenden Medium schwer zu unterscheidenden Htillschicht,
welche eine regelmässige Quei-streifung zeigt, als wenn sie von
Poren durchsetzt wäre. Der kugelige, bläschenartige Kern liegt
auch hier immer in der Nähe des Randes und führt gleichfalls
eine lange Geissei. Er kann jedoch mit derselben vielfach
wandern, wobei er aber inmier dicht unter der Oberfläche bleibt.
Das Thier bildet ausserdem oft nur sackartige Pseudopodien,
oft auch lange Fäden ohne die Hüllschicht, welche zwar nicht
durchbrochen wird, sondern sich dünn auszieht.
Die nächste Form möchte ich zu der von F. E. Schulze
aufgestellten Gattung Mastigamoeba stellen und nenne sie daher M.
Schulzei. Zwar hat sie grosse Aehnlichkeit mit M. aspera^),
doch ist der Kern auch hier bläschenförmig und meist elliptisch-
oval, wie ich mich an zahlreichen Exemplaren tiberzeugen konnte.
Er trägt gewöhnlich die lange Geissel. Zuweilen kommen aber
auch geissellose Individuen vor, die demnach sehr mit der
Dinamoeba mirabilis Leidy's^) tibereinstimmen. Es wtirde leider
zu weit führen, auf die Artunterschiede an dieser Stelle im Ein-
zelnen einzugehen.
Zum Schluss sei noch eine nackte Amöbe angeführt, welche
mehrere Geissein führen kann, die von verschiedenen Körper-
enden entspringen. Hier liegt der Keni jedoch central und
hat keinen nachweisbaren Zusammenhang mit jenen Geissein.
Diese stehen vielmehr, seien es zwei oder drei, auf besonderem
Zapfen, oft an ganz entgegengesetzten Körperstellcn.
Von nackten Amöben, welche Bütschli als Amoebaea reti-
culosa aufführt, deren Pseudopodien also wirkliche Netze bilden,
fand ich nur eine einzige Art, die ich für Hiomyxa vagans^) halte.
1) Rhizopodenstudien V, 1. c.
2) 1. c. Tafel 6 und 7.
3) Leid y, I.e. Tafel 47 und 48.
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12 Joh. Frenze!:
Sehr reich hingegen ist die Cordobeser Fauna an beschäl-
ten Amöben (Testacea imperforata), und ich fand die meisten
Arten, welche auch Leidy von Nord-Amerika aufführt. Sie
alle einzeln aufzuführen, würde zu weit führen; nur auf die häu-
figeren sei daher hingewiesen.
Als üebergangsform werde zunächst eine oder zwei Amöben
vorausgeschickt, welche von einer losen, biegsamen Sandhülle
theilweise überzogen sind. Als eine sehr gemeine Erscheinung
schliesst sich Cochliopodium bilimbosum und C. pellucidum an,
feiner die Arcellen, Diflflugien fpyriformis, constricta etc.), sodann
Centropyxis, Euglypha, Trinema, Pseudodiflflugia etc., dann etwa
zwei Gromien u. s. w.
Ehe ich nunmehr zu den Heliozoa übergehe, möchte ich
bemerken, dass ich mich mit der Eintheilung Bütschli's nicht
ganz einverstanden erklären kann^). Ich möchte daher alle die
Formen, welche der Gruppe der Vampyrellen, Xuclearien etc.
angehören, aus den Heliozoen ausscheiden und zu einer neuen
Unterklasse, welche derjenigen der Rhizopoda folgend zwischen
dieser und der der Heliozoa steht, vereinigen, die etwa den Na-
men der Helioamoeben zu führen hätte. Sie unterscheidet
sich von den Amöben zunächst dadurch, dass ihre Pseudopodien
zumeist dünn sind und spitz enden, dass sie mehr radiär stehen,
in der Regel nur aus Hyaloplasma bestehen und bei Ortsverände-
rungen des Thieres keine sichtbare Rolle spielen, wie dies im
Allgemeinen bei den echten Amöben der Fall ist. Von den
Heliozoen unterscheiden sie sich durch ihre mehr oder weniger
unregelmässige Körpergestalt, welche oft amöboider Verände-
rungen fähig ist, femer durch die relativ dicke Basis der Strahlen
und durch den Mangel an jenen glänzenden K(")mchen, welche
wir stets auf den Strahlen der Heliozoen entlang gleitend finden.
Von den hierhergehörigen Formen beobachtete ich mehrere
sehr eigenthttmliche. Zunächst sei ein Vampyrella-artiges Wesen
genannt. Es besteht aus einem grossen kugeligen Centralkörper,
der als gelbes Endoplasma scharf von dem hyalineren
Ectoplasma geschieden ist. Dies umfliesst in dünner Schicht
1) Vgl. Zoolog. Anzeiger Nr. 313, XII. Jahrp:. (1889). — Morpho-
logische und bioloofisehe Studien über Nuelearia delicatula Cienk. von
Alex. Artari.
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Untersuchungen über die mikroskopische Fauna Argentiniens. 13
das erstere und bildet allein die langen, spitz endenden, selten
verästelten Pseudopodien. Das Eudoplasnia führt eine exeen-
triseh gelegene grosse, langsam pulsirende Vacuole. Ein Kern
ist wahrecheinlich vorhanden^).
Sodann fand ich sehr häutig in Teich-, Leitungs- und
Brunnenwasser eine grosse einkernige Nuclearia, die eine derbe,
stark glänzende Hautschicht zeigt und sich dadurch von den be-
kannten Arten untei-scheidet. Sie vollführt langsame Gestalts-
veränderungen und lässt ein hyalineres Ectoplasma wohl erkennen,
welches die meist langen, spitzen, sich zuweilen gabelnden, aber
nicht anastomosirenden Pseudopodien bildet. Der Inhalt des
Endoplasmas ist ein sehr verschiedenartiger, oft schaumig, oft
dicht mit Stärkekömeni erfüllt, oft Algen etc. enthaltend. Con-
tractile Vacuolen sind wahrscheinlich nie vorhanden, ein Kern
(Bläschen) immer (Tafel I, Fig. 8 u. 9).
Eine andere, kleinere, ebenfalls einkernige Art steht der
Nuclearia simplex oder delicatula sehr nahe. Sie bleibt stets
kugelig, und die Strahlen stehen fast genau radienartig, spitz
endend. Oft ist dies Thier nackt, oft von einer breiten Hülle
umgeben, die jedoch nicht unmittelbar sichtbar ist und auch
durch kein Mittel sichtbar gemacht werden konnte. Man. er-
kennt sie nämlicIT nur daran, dass zahlreiche Bacillen etc., an
ihrer äusseren Peripherie kleben bleibend, diese markiren.
Im Brunnenwasser fand ich sodann eine nahe stehende
Form, welche jedoch eine Hülle aus Sandkörnern bildet, aus der
die Strahlen hervorbrechen. Diese gabeln sich nicht selten.
Sehr räthselhaft ist mir bis jetzt noch seiner systemati-
schen Stellung nach ein bohnen- oder nierenförmiges, von einer
glashellen dünnen, aber festen Schale umgebenes Thierchen, ans
dessen Nabel ein-, auch zwei dünne, lange Fäden heraustraten,
welche sich gleichfalls gabeln konnten.
Eine andere, sehr häutige Art ist ebenfalls recht merk-
würdig. Es ist dies ein sehr kleines, kugeliges oder elliptisches
Wesen, umgeben von einer chitinigen, braungelben, aus einzelnen
Kügelchen bestehenden Schale, deren optischer Durchschnitt
1) Vgl. K. Mob ins, Bruchstücke einer Rhizopodenfauna der
Kieler Bucht. — Tai'. 1, Fig. 1, Physikalische Abhandlungen der Kgl.
Akademie der Wissenschalten zu Berlin. 1888/89.
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14 Joh. Frenzel:
einem Rosenkränze gleicht. Es waren stets nur ein oder zwei
sehr lange, ganz dünne Fäden vorhanden, welche anscheinend
von beliebigen Stellen entsprangen.
Wir wenden uns nunmehr zu den echten Heliozoen, unter
welchen wir mithin diejenigen Sareodinen verstehen wollen, deren
„Pseudopodien fein, wenig gestaltsveränderlich und verhältniss-
mässig wenig zur Verschmelzung geneigt, von der Gesammtober-
fläche des Köii)ers allseitig ausstrahlend" ^), in der Regel kleine
stark glänzende Könichen führen. Oft sind freilich diese Körn-
chen so klein und fein, dass sie nur noch als Unterbrechungen
des Strahles erscheinen.
Sehr gewöhnlich ist im klaren Teichwasser, Leitungswasser
etc. Actinophrys sol, selten Actinosphaerium Eichhornii. — Von
einfacher gebauten Heliozoen fand ich häufig ein kleines Wesen,
welches wohl der Gattung Actinophrys unterzuordnen ist. Es
ist ein kleiner, rundlicher, nackter Köri)er mit massig zahl-
reichen, feinen Strahlen und deutlichem Kern. Eine ähnliche,
aber grüne Form schliesst sich an (Tafel I, Fig. 7).
Dann beobachtete ich recht häufig eine sehr kleine, glänzend
grüne Heliozoe mit so feinen Strahlen, dass man dieselben kaum
noch sah. Sie enthielt stets nur einen einzigen grünen Köi*per,
von einer Gestalt, wie C. Brandt^) ihn als Zoochlorella be-
schrieb. Ob wir es hier mit einer ähnlichen Symbiose zu thun
haben, bleibe noch dahingestellt, da ich in oder an diesem grünen
Körper weder einen Kern, noch eine Vacuole, noch ein Stärke-
koni fand. In dem freien Theil der Heliozoe jedoch liegt ein
deutlicher Kern (Tafel I, Fig. 6).
Im Schlamm der Laguna Peitiadu grande lebt ferner ein
schönes, fast wie Actinophrys sol aussehendes Sonnenthier. Wäh-
rend aber bei jenem die Strahlen relativ dick sind, sind sie hier
äusserst fein, nadelartig und ganz dicht gedrängt stehend. Die
glänzenden Körnchen sind ebenfalls sehr fein.
Obwohl die systematische Stellung des nachfolgenden Thier-
chens (Tafel I, Fig. 5) noch eine unsichere ist, so möge es hier
1) Bütschli, Protozoen pag. 2.
2) Uober die morphologischo imd physiologische Bodeutmig des
Chlorophplls bei Thieren. — Arch. für Anat. u. Physiologie 1882. —
Physiol. Abtheil. pag. 125 ff. — Tafel I, Fig. 5.
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Untersuchungen über die mikroskopische Fauna Argentiniens. 15
aufgeftlhrt werden, da es gleichfalls nackt ist. Es hat sehr
grosse Aehnlichkeit mit Diplophrys, so dass ich es zuerst damit
ideutificivte. Seine Gestalt ist ebenfalls kugelig bis elliptisch ,
und es entspringen die Strahlenbtischel an zwei entgegengesetzten
Punkten. Allein diese Strahlen sind nicht lappig, sondeni nadel-
artig gerade, lang und fein und tragen eben noch sichtbare
glänzende Kömchen, wie die anderen Heliozoeu. Aus diesem
Gnmde möchte ich dieses Thier denHeliozoen einordnen. Merk-
würdig freilich ist, dass die Strahlen sich oft dichotomisch theilen
und sogar ganz wie gefiedert sein können. Oft ist nur ein ein-
zelner Strahl, oft ein ganzes Büschel vorhanden. — Zwei Arten
sind davon zu unterscheiden. Die eine enthält einen grossen
gelben Körper, aUo ähnlich wie Diplophrys, welcher aber nicht
fett-, sondern eiweissartiger Natur ist. Bei der anderen Art be-
steht der Inhalt bald aus grünen, bald rothen, braunen etc. Kör-
nern oder Kugeln. Namentlich bei den gelben Zellen sieht man
oft eine Zweitheilung, wobei auch die Inhaltskugel in zwei Theile
zerfallt. Stets ist ein Keni vorhanden, sowie zwei kleine, regel-
mässig pulsirende Vacuolen.
Zum Beschluss der Aphrothoraca sei noch eine sehr häu-
fige Form genannt, das ei-ste Sonnenthier, welches ich hier über-
haupt sah. Es ist so gross wie enie kleine Actinophrys und
ähnelt dieser vielfach. Ausser den langen, feinen, kömchen-
fiihrenden Strahlen besitzt es nun noch ein Netzwerk nicht körn-
chenführender Fäden, welche die Strahlen theils unter sich, theils
mit der Peripherie des Körpers verbinden. Sie spielen beim
Beutemachen eine Rolle. Hier sind mehrere contraktile Vacuolen
und ein centraler Kern. Verwandt damit ist eine ähnliche, klei-
nere Form.
Auch unter dem Chlamydophoren haben wir hierselbst meh-
rere Vertreter. Von der Gattung Heterophrys findet sich zu-
nächst eine Form, welche der H. marina sehr nahe steht. Ausser-
dem beobachtete ich öfter ein Sonnenthier, welches Aehnlichkeit
mit Astrodisculus hat, aber nicht zu Pompholyxophrys gehört*).
Es ist eine der schönsten Erscheinungen, die ich hier gesehen
habe. Der Körper ist inuner genau kugelig oder elliptisch mit
glattem, scharfbegrenztem ümriss, welcher seinerseits von einer
1) Bütßclili, Protozoen, pag. 325.
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16 Joh. Frenzel:
schmalen, gallertig ei-scheinenden Hülle umgeben ist, die eine
massig deutliche Schichtung zeigt . und sich vom imigebenden
Medium nur wenig abhebt. Der Inhalt der Kugel besteht zu-
meist aus kleinen grünen Algensporen etc., welche bei der Ver-
dauung die prächtigsten Farbenveränderungen zeigen, wobei sie
sich in kleine glänzende runde Könier auflösen. Oft ist ihre
Farbe eine prächtig purpurrothe, oft eine braunrothe, goldgelbe
u. s. w. Eine contraktile Vacuole fehlt; ein Kera ist jedoch vor-
handen. Die Strahlen sind fein und spärlich, und es gelingt
selten, ihre Kömer zu sehen.
Es schliesst sich hier wieder ein absonderliches Wesen an,
das vielleicht der Actinomonas mirabilis an die Seite zu stellen
ist, obgleich es eine Hülle hat und nicht •festgewachsen ist.
Letztere beiden Umstände veranlassen mich, es hier einzureihen.
Es ist kugelig, und die Hüllschicht hat eine ähnliche Beschaflfen-
heit wie bei der vorigen Form, abgesehen davon, dass sie dünner
ist. Feiner stehen die Strahlen hier sehr dicht und sind noch
feiner. An einem Pole der Kugel entspringt nun eine massig
lange Geissei, welche kurzwellige Schwingungen macht, ohne da-
bei das Thier vorwärts zu treiben.
Wir lassen nunmehr zwei Formen mit noch zarterer Gallert-
hülle folgen. Die eine ist ziemlich gross, während die Hülle
sehr fein ist. Sie ist auch hier kaum direkt zu sehen und wird
nur durch die aussen sitzenden Bacterien-Stäbchen und anderen
Fremdkör|)er deutlich gemacht. Die spärlichen Strahlen durch-
brechen diese Hülle mid tragen deutliche Körnchen. Die andere
Form ist sehr viel kleiner und kommt meist in Colonien von
zwei, vier, sechs oder acht Individuen vor, indem dieselben dicht
gedrängt liegen und meist zwei zusammen von einer gemein-
samen Hülle umschlossen sind. Die Colonie hat also eine ober-
flächliche Aehnlichkeit mit Mikrogiomia socialis. Die Hülle ist
relativ dick, aber strukturlos und ganz durchsichtig. Jede Zelle
führt einen oder zwei gelbgrüne, glänzende Körperchen und eine
kleine regelmässig pulsirende Vacuole. Die Strahlen sind frei,
treten oft büschelt<()rmig aus und können sich verästeln, ohne
aber Anastomosen zu bilden.
Sehr reich und mannichfaltig erscheint hier die Fauna der
beschälten Heliozoen (Chalarothoraca). Von bereits bekann-
ten fanden sich die Gattungen Pompholyxophrys, Raphidiophrys
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Untersuchungen über die mikroskopische Fauna Argentiniens. 17
(zwei Arten), Pinacocystis (?), sowie Pinaciophoi-a und Acantho-
cystiß.
Ausserdem aber beobachtete ich eine Reihe von Arten,
welche zwar gewisse Aehnlichkeit mit obigen Gattungen haben,
andererseits aber doch wieder manche Verschiedenheiten auf-
weisen. Sie bilden eine ganze Gruppe, welche sich dadurch aus-
zeichnet, dass sie bald einschichtige, bald mehrschichtige, theils
farblose, theils gelb oder bräunlich geßlrbte Schalen haben, die
nun ihrerseits nackt sein, oder feine grade oder gekrümmte Na-
deln, oft auch kurze Borsten u. s. w. tragen können. Pie Schale
besteht zumeist aus einzelnen, lose gefügten, halbmondfönnig ge-
krümmten Plättchen, welche oft leicht abblättern. Die eigent-
lichen Strahlen sind lang und dünn. Ein Kern ist immer vor-
handen, die contraktile Vacuole jedoch variabel. Die Nahrungs-
aufnahme geschieht, indem die Schale sich öffnet und die Beute
ins Innere aufnimmt.
Von derartig beschaffenen Heliozoen werde ich etwa o bis
6 Arten zu untei-scheiden haben.
Es folgen nunmehr mehrere Formen, bei denen die Schale
aus tangential gelagerten Kieselstäbchen besteht, welche theils
gerade, theils gekrümmt sein können. Darunter ist eine, welche
mit der von Leidy^) gemuthmaassten Raphiodophrys viridis
grosse Aehnlichkeit hat. Ferner lässt sich oft im Brunnenwasser
eine grosse Art von kugeliger oder elliptischer Gestalt finden,
deren Schale aus dicht gelagerten, ziemlich dicken und langen
farblosen Stäbchen besteht, die alle schwach gebogen erscheinen.
Die spärlichen Strahlen tragen zahlreiche dicke Könier. Im
Innern bemerkt man femer mehrere contraktile Vacuolen.
Zum Schluss erwähnen wir noch einige Heliozoen, deren
Schale aus einzelnen grossen und farblosen Kieselplatten gebildet
wird. Darunter findet sich eins mit grünem Inhalt.
Wie in Nordamerika, so ist auch hier von den Desmotho-
raca die Clathrulina elegans vertreten. Auch einer der Orbuli-
nella nahestehenden Form haben wir zu gedenken.
Es lag nicht in meiner Absicht, die Sporozoen eingehender
zn behandeln. Daher habe ich nur eine kleine Anzahl von Gre-
garinen aufzuzählen. Von diesen sei eine grosse bandartige Po-
1) 1. c. Tafel 46, Fig. 1 und 2.
Archiv fOr mikroak. Anat. Bd. 38
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18 Joh. Frenze!:
lyeystide erwähnt, aus dem Mitteldarm von Dermcstes vnlpinus,
deren Inhalt zumeist aus starkglänzenden Kry st allen besteht,
welehe dem Körper bei durchfallendem Licht ein schwärzliches
Ansehen geben. Oft sind aber an ihrer Stelle ebenso beschatfene
rundlich-eckige Kömer vorhanden. Das mikrochemische Ver-
halten dieser Gebilde ist ein recht abweichendes. Nur die Körner
werden durch Jod charakteristisch gefärbt, nicht die Krystallc.
Diese werden durch starke Salpetersäure chemisch verändert
mid in eine Substanz tibergeführt, welche in dieser Säure nicht
oder sehr, schwer löslich ist. Nicht nur der Inhalt, sondern auch
die Cuticula wird durch Speichel bei ca. 42® C. gelöst.
Indem wir nunmehr zu den Mastigophora gelangen,
muss ich hier darauf verzichten, auf dieselben genauer einzu-
gehen, da dies viel zu weit führen würde. Im Allgemeinen
kann ich erklären, dass ich zumeist bekannte Formen antraf, so
etwa: Oikomonas, Codonoeca, Bicosoeca, Poteriodendron ; Monas,
Dendromonas, Anthophysa, Dinobryon, üroglena; Coelomonas,
Euglena, Eutreptia, Ascoglena, Phacus, Astasiopsis (?), Peranema,
Petalomonas, Astasia, Zygoselmis, Sphenomonas; Bodo, Phyllo-
mitus, Anisonema; Synura, Chlorogoniura, Polytoma, Carteria,
Phacotus, Gonium, Pandorina, Valvox, CoUodictyon, Trichomonas
und Cryptomonas.
Aehnlich verhält es sich mit den Choanoflagellaten.
Von diesen sind vertreten: Codosiga, Codonocladium , Proto-
spongia und Salpingoeca. Ausserdem fand ich einige andere,
noch nicht genauer zu bestimmenden Formen, und unter diesen
eine, welche einen doppelten Kragen aufweist. Die Nahrungs-
aufnahme sah ich mehrfach innerhalb des Kragens vor sich
gehen.
An dieser Stelle möchte ich noch eine kurze Bemerkung
über einen Bacillus einfügen, welchen ich oft im Darm einer
Anurenlarve antraf. Derselbe, einzeln oder zu zweien lebend,
hat eine ganz bedeutende Grösse, indem er etwa 30 bis 50 ^
lang wird, bei einer Breite von ca. 4 bis 8 ^. Nach dem Vor-
gang von (). B titsch li gelang es mir, einen oder zwei längliche,
relativ kleine Kerae nachzuweisen, die oft mehr central, oft mehr
distal liegen. Sie färbten sich mit Carmin und Hessen ein tra-
jektorisches Netzwerk erkennen. Aus diesen Kernen gehen nun
—r und das scheint mir werth, besonders hervorgehoben zu
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Untersuchungen über die mikroskopische Fauna Argentiniens. 19
werden — die Sporen hervor, indem sich der Inhalt einen jeden
Kerns allmählich „verdichtet" und grünlich färbt. Schliesslich
findet man an Stelle des Kerns eine etwa ebenso grosse und
ebenso geformte glänzend flaschengrüne, wie eine Glasperle aus-
sehende Spore, während der übrige Zellinhalt, der zuerst blass-
grttn erschien, in bekannter Weise verblasst.
Bevor wir jetzt zur Klasse der Infusorien übergehen, möchte
ich zuerst eine Trichonymphide anführen, und zwar deswegen,
weil die Stellung dieser Gruppe im System der Protozoen noch
eine recht schwankende ist*). Dieselbe lebt in grosser Menge
im Darm eines Termiten*), der dem Eutemies inquilinus Fr.
Müll, ähnelt. Das Vorderende ist zugespitzt und trägt einen
langwogenden Haarbusch. Von ihm geht ferner ein längslaufendes
Leistensystem aus, das sich nach hinten hin entweder verliert
oder in einen Busch starrer Haare übergeht. Es ist also eine
gewisse Aehnlichkeit mit der (angeblichen) Jugendform von Tri-
chonjTnpha agilis Leidy'*j vorhanden. Der bläschenartige Kern
liegt in der vorderen Hälfte. Die Cuticula enthält eingelagert
in ziemlich regelmässiger Anordnung, flach aufliegende, kurze,
stark glänzende Stäbchen, woher ihr Rand wie gekerbt aussieht.
Leider habe ich die nun folgende Unterklasse der Ciliata
noch nicht dergestalt durcharbeiten können, um ein einiger-
maassen umfassendes Bild davon zu geben. Doch war ich be-
reits in der Lage, eine *^ grosse Anzahl schon bekannter, europäi-
scher Formen hier anzutrefl^en. So kann ich nachfolgende Gat-
tungen anführen: Holophrya, ürotricha, Enchelys, Chaenia (V),
Prorodon, Lacrymaria, Coleps; Amphileptus, Lionotus, Loxo-
phyllnm, Trachelius, Loxodes, Nassula, Chilodon, Ae^yria (?);
Glaucoraa, Colpidium, Uronema, Colpoda, Cinetochilum, Micro-
thorax, Paramaecium, Pleuronema, Discophrya, Opalina; Nycto-
theros, Blepharisma, Balantidium, Bursaria, Stentor; Urostyla,
Stichotricha, üroleptus, Onychodromus (?), Pleurotricha, Stylo-
nychia, Euplotes, Aspidisca; Trichodina, Scyphidia, Vorticella,
Carchesium, Zoothamnium, Epistylis, Opercularia, Ophrydium und
Cothumia.
1) Bütsehli, Protozoen, pag. 1775.
•2) Zufolge einer Bestimmung, die ich meinem verehrten CoIIegen
Prof. Dr. Carl Berg in Montevideo verdanke.
3) Bütsehli, Protozoa, Tafel 76, Fig. 4b.
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20 Joh. Frfenzel:
Ausser den etwa 60 schon bekannten Arten beobachtete
ich femer einige, die ich vor der Hand noch nicht unterzubringen
vermag. Darunter findet sich eine Vorticelle, die dicht mit in
Essigsäure lösliclien Krystallen erltlllt ist; eine andere ähnliche
Form besitzt eine lebhaft gelbe Cuticula. Von den übrigen seien
noch zwei recht räthselhafte Erscheinungen erwähnt. Die eine
betrifft ein massig grosses, mit der einen Körpei-spitze fest-
sitzendes Wesen, bei dem am entgegengesetzten freien Pol des
etwa eirunden Körpers ein Schopf von tentakelartigen langen
Fäden herausragt, die nicht wie die Pseudopodien der Rhizo-
poden eingezogen werden können, dagegen langsam geisselnde
und schlängelnde Bewegungen ausführen, etwa wie die Tentakeln
der Hydra. Das andere Thier ist noch sonderbarer. — Gleich-
falls festsitzend hat es eine ähnliche Gestalt, ist aber allseitig
fein bewimpert und ist am freien Ende in zwei dicke, sich plötz-
lich verjüngende röhreuartige Fortsätze ausgezogen, die an die
Saugröhren der Suctorien erinnern. Am Ursprung jeder dieser
beiden Röhren entspringt dann noch eine kürzei-e, halb seitlich
abstehende Borste. Der Kern ist deutlich zu sehen, doch keine
Vacuole. Ich fand diese Form an Lemna sitzend.
Die Zahl der hier gefundenen Suctorien, um diese nun-
mehr zu besprechen, ist bis jetzt eine spärliche geblieben. Zu
verzeichnen habe ich: Sphaerophrya, Endosphaera, Podophrj^a,
Acineta und Trichophrya. Dazu gesellt sich schliessUch eine
kugelige, gestielte Acincte, welche sich dadurch auszeichnet, dass
sie eine feine Wimperung trägt. Diese umzieht einen schmalen
dreieckigen Spalt, der sich abwechselnd am freien Pole der Kugel
öffnet und schlicsst. Beim Oeffnen sieht man das Spiel der
kurzen feinen Wimpern.
Bei der Aufzählung der Protozoenfauna habe ich es ver-
mieden, ausser der* Bestimmung der Gattungen noch die der
Species zu geben, da mir bei dem Mangel an Litteratur leicht
hätten Irrthümer begegnen können. Ebenso habe ich es vorge-
zogen, diejenigen Formen, welche ich für neu halte, noch nicht
genauer zu beschreiben und mit einem Namen zu belegen. Da
zum Glück das prächtige Werk 0. Bütschli's über die Protozoen
fertig vorliegt, so konnte ich mir keinen besseren Wegweiser
auf einem so ausgebreiteten Gebiete wünschen, und wenn diesen
Untersuchungen ein geringes Verdienst zukommen sollte, so
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Untersuchungen über die mikroskopische Fauna Argentiniens. 21
gestehe ich gerne dem Verfasser jenes Werkes einen grossen
Antheil daran zu.
Um zum Schluss dem übrigen Theil unserer Mikrofauna
einige Worte zu widmen, sei zunächst bemerkt, dass bis jetzt
wenigstens von den Spongien und Coelenteraten weder ein
Sttsswasserschwamm, noch eine Hydra zu finden war. Der Mangel
an seenartigen Wasseransammlungen erklärt wohl das Erstere
hinlänglich.
Nur wenige Worte seien hier den Würmern gemidmet. —
Von Bandwürmern ist Taenia saginata (mediocanellata) als Darm-
parasit des Menschen ausserordentlich gemein, seltener T. so-
lium, da Schweine hier wenig zur Volksnahrung dienen. Andere
Bandwürmer, die noch der Bearbeitung harren, fand ich vielfach
im Darm von Wasservögeln (Totanus melanoleucus, Tringa Bairdi
etc.). Von Distomeen bemerkte ich ein Monostomum als Cer-
carie in einer Planorbis u. s. f. Von Turbellarien fanden sich
im Teich wasser etc. oft Catenula u. A. Im Allgemeinen sind mir
aber Planarien und ähnliche Formen selten begegnet, häufiger
dagegen Nematoden. Ascaris lumbricoides ist nicht selten. Im
Magen der Iguana (Podinema teguixin) fand ich Ascariden in
grosser Zahl, die denen der Taube ähnlich zu sein schienen. Im
Enddarm der Blabcra Claraziana traf ich oft eine sehr grosse
Oxyuris an. Ein Gordius aus der Wanderheuschrecke (Acridium
paranense Burm.) ist bereits von H. Weyhenberg beschrieben
worden. Von Anguilluliden lebt eine ganze Reihe im Teich-
schlamm.
Die Zahl der hiesigen Rotatorien ist eine sehr bedeutende,
scheint aber zumeist aus kosmopoliten Arten zu bestehen. So
fand ich: Floscularia, Lacinularia, Rotifer (sehr gemein), Calli-
dina, Philodina, Brachionus, Lepadella, Notammata, Asplanchna u. a.
Aehnlich ist es wohl zum Theil auch mit den Borsten-
wtirmem. Im Teichsehlamm u. s. w. leben mehrere Formen, die
sich an Tubifex anschliessen. Von NaYden sah ich oft Nais,
Dero, Aeolosoma (A. quatemarium?) u.a. — Zum Schluss möchte
ich noch einen sehr kleinen Wurm erwähnen, den ich oft be-
obachtete, ohne ihn systematisch unterbringen zu können. Er
ist länglich, zeigt jedoch keine Segmentirung. Die flache Bauch-
seite ist mit feinen Wimpern dicht besetzt, wodurch das Thier-
chen sich schnell vorwärts bewegt. Auf dem Rücken trägt es
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22 Joh. Frenzel:
an der vorderen Hälfte kürzere, an der hinteren Hälfte längere,
nach hinten gekrflmmte starke, griflfelartige, bewegungslose Bor-
sten, in 6 Reihen. Zwei besonders dicke Griflfel ragen nach
hinten schwanzartig heraus. Von den inneren Organen lässt sich
ein langgestreckter gerader Darmkanal erkennen, welcher am
ovalen Pol mit einem dickwandigen Oesophagus beginnt, der
hierauf zu einem zwiebeiförmigen Bulbus anschwillt, um dann
in den weiteren Mitteldarm tiber/ugehen. Der After liegt am
Körperende. Bei manchen Exemplaren sieht man sodann noch
in der hinteren Hälfte über dem Darme ein riesig grosses Ei,
so dass dadurch der Rücken buckelartig hochgewölbt wird. Im
Ei erkennt man deutlich den centralen grossen Kern.
Auch der Besprechung der Crustaceen können hier nur
wenige Worte gewidmet werden.
Von Branchiopoden entwickelten sich einige wenige Indi-
viduen eines Branchipus-artigen Krebschens in einer starken Salz-
lösung. Sodann sei Branchipus (Chirocephalus) ccrvicornis Welt-
ner ^) genannt, den ich auch im Süsswasser (Klosterteich, Ge-
neral Paz) antraf. Daselbst sammelte ich ferner einen kleineren
ähnlichen Branchipus mit gleichfalls bedeutend entwickelten
appendices frontales, zugleich mit einem sehr grossen Apus,
dessen geringelter langer Hinterleib keine Schwanzklappe er-
kennen lässt.
Im zweiten Regentümpel von General Paz fanden sich
massenhaft Estheria u. a. — Von Cladoceren seien genannt:
Daphnia, Daphnella u. a., von den sehr zahlreichen Ostracoden :
Cypris u. s. w., von Copepoden: der gemeine Cyclops. Zum
Schluss sei noch einer Reihe von Amphipoden gedacht, die näher
zu behandeln mir leider noch nicht möglich war.
1) Sitzuiigs-Bericht der Gesellschaft naturforsch. Freunde zu
Berlin, 1890, Nr. 3.
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Untersuchungen über die mikroskopische Fauna Argentiniens. 23
Erklärung der Abbildungen auf Tafel I.
Fig. 1. Amoeba peilucida n. sp. — Ecto- und Endoplasma hyalin, je-
doch durch verschiedene Lichtbrechbarkeit unterschieden.
Letzteres mit gelbgrünlichen z. Th. krystallinischen Körnchen
und mehreren Flüssigkeitsvacuolen. — Vergr. - 2 x B :=
ca. 1200.
Fig. 2. Dieselbe Art; fast ganz ohne Inhaltskörnchen, ausser einem
grünen Fremdkörper, einer contraktilen und mehreren an-
deren Vacuolen und dem bläschenförmigen Kern, der einen
kugeligen hohlen (?) Nucleolus birgt. — Vergr. 2 X B.
Fig. 3. Protamoeba flava n. sp. — Eine Flüssigkeitsvacuole , kein
Kern. Körperoberfläche rauh ; Pseudopodien z. Th. dichoto-
mi.sch verzweigt und spindelförmig angeschwollen. Inhalt
gleichmässig schwach gelblich-glänzend. — Vergr. - 2V2 ^ ^
ca. 1500.
Flg. 4. Amoeba cubica n. sp. — Eine grosse contraktile Vacuole, von
• welcher radienartige Körnchenreihen ausgehen. Kern oval
mit kleinem runden, glänzenden Nucleolus. — Vergr. 2 x B.
Fig. 5. Sarella diplophrys n. g. n. sp. — An zwei entgegengesetzten
Polen tritt je ein Büschel feiner z. Th. verzweigter Strahlen
heraus, welche ganz feine Körnchen tragen. In der Nähe der
Pole je eine regelmässig pulsirende Vacuole. Der Inhalt be-
steht hier aus glänzenden braunen Körnern, denen gegenüber
der Kern excentrisch liegt. — Vergr. ^ 2V2 x B-
Fig. 6. Phythelios viridis, n. g. n. sp. — Kleine kugelige Helizoe mit
scharfem ümriss (Contour) und sehr feinen, langen Strahlen.
Innen ein grosser, grüner Körper (Symbiose?). Vergr. -
2V2XB.
Fig. 7. Ein einfach gebautes, sehr kleines, noch nicht bestimmtes
Heliozoon, nackt und von etwas rauher, runzeliger Oberfläche.
Strahlen massig zahlreich und mit gr ossen Körnchen. Kern
excentrisch, bläschenförmig. — Mehrere contraktile Vacuolen.
— Vergr. 3 X B — ca. 1800.
Fig. 8. Nuciearella variabilis. n. g. n. sp. Ein fa.st kugeliges Exemplar
mit allseitig entspringenden, zahlreichen hyalinen Pseudo-
podien, welche bei a eingezogen werden. Einige gabeln
sich (b). Inhalt mit zahlreichen Flüssigkeitsvacuolen und
Fremdkörpern (Krystallen etc.). — Vergr. IV2 x B ^'a- ^^•
Fig. 9. Dieselbe Art. — Hier nur ein spitzer Fortsatz. Haut dick."
Innen im Endoplasma eine grosse Nahrungsvacuole, welche
den grossen bläschenförmigen Kern halb verdeckt. Vergr.
- IV2 X B.
Cördoba (Argeutinien) , Februar 1891.
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24 Joh. Frenz el: Unters, über die mikrosk. Fauna Argentiniens.
Nachtrag.
• Das im Texte erwähnte Würmchen, dessen systematische
Stellung mir noch zweifelhaft erschien, steht offenbar in der
Nähe der Gattung Chaetonotus, unterscheidet sich aber von den
bekannten Gastrotrichen in wesentlichen Punkten. So ist jedes
der Furkalfortsätze in einen oberen und einen imtcren gespalten.
Femer befinden sich auch um die Afteröffnung herum lebhaft
schlagende Zilien, welche länger als die der Bauchfläche sind,
und schliesslich bemerkt man an der Mundöffnung noch zwei
längere, unbewegliche feine Zirren, welche, nach vorne gerichtet,
als Fühler zu dienen scheinen. Ich hatte dieselben zuerst tiber-
sehen.
D. Verf.
(Aus dem vergleicheud-auatoinisclien Institut in Dorpat.)
Epithelreste am Opticus und auf der Retina.
Von
l>r. med. Alexander Ucke*
Hierzu Tafel IL
Bei den Untersuchungen, die ich behufs Abfassung meiner
Dissertation anstellte, fand ich Gelegenheit, die Art der Umbil-
dung des Augenblasenstiels zum Opticus etwas näher kennen zu
lernen. Abgesehen von dem noch scheinbar streitigen Punkte,
aus welchen Elementen die Opticusfasern sich bilden, traten mir
in der Litteratur zwei Hauptansichten über die Umbildung ent-
gegen, die kurz in Folgendem zusammengefasst werden können.
Eine Anzahl Autoren nimmt eine Trennung der Conti-
nuität der Pigmentlamelle der secundären Augenblase bei
ihrem Uebergange in die äussere resp. dorsale La-
melle des Augenblasenstiels an, die meist mit dem Auf-
treten der Nervenfasern und der Obliteration der Stielhöhle in
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Alexander Ucke: Epithelreste am Opticus und auf der Retina. 25
Zusammenhang gebracht wird. Nach diesen Forschem geht das
Gewebe des ursprünglichen Augenblasenstiels vorzugsweise in
Sttitzgewebe des Nervus opticus auf.
Andere Forscher suchen die Lamelle des Pigmentblattes
auch bis in die spätesten Stadien des Embryonallebens, ja
bis zum ausgewachsenen Zustande auf dem Opticus in continuo
mit dem Pigmentepithel der Retina.
W. Müller (XI, pag. 36) führt flir Petromyzon die Oblite-
ration des Lumens der Augenstielhöhle auf eine Vermehrung der
dasselbe auskleidenden Epithelien zurück. Durch das Auftreten
von Fasern würde dann der Zusammenhang dieser Epithelien,
die als Axenstrang noch längere Zeit erhalten bleiben, mit dem
Pigmentepithel „unterbrochen". Der übrige Augenstiel wird zu
Stützzellen umgewandelt.
C. K. Hoffmann (VI, pag. 54, VII) schliesst für Knochen-
fische und Reptilien a priori, „dass die Continuität der Pigment-
lamelle und der dorsalen Wand des Augenblasenstiels erst sehr
spät unterbrochen wird" und zwar erst, wenn der ganze Stiel
faserig geworden ist. Er stellte für Knochenfische und später
fftr Reptilien (VII) den Modus der Faserbildung so fest, dass sie
an der ventralen Seite des Opticusquerschnittes zuerst auftreten
und dann dorsalwärts an Terrain gewinnea. Diesen Process
glaubt er auf Grund seiner üntei-suchungen an diesen beiden
Thierklassen für alle Wirbelthiere als gleichartig annehmen zu
können.
R ad w an er dagegen vertritt die Meinung (XII, pag. 35),
dass Zellen des ursprünglichen Augenblasenstiels sich bis zum
alusgewachsenen Zustande auf dem Opticus erhalten. Er be-
schreibt bei Forellenembryonen „oberhalb und unterhalb der Op-
ticusfasem je eine zusammenhängende Lage" Zellen, die „mehr
weniger cubisch geformt sind" und „gleichsam ein präformirtes
Gehäuse bilden, in welchem sich die Sehnervenfasem ent-
wickelten und in's Auge hineingelangten". Diese Zellen könnte
man in der „auskleidenden Membran des rings um den Opticus
befindlichen Lymphraumes (Schwalbe, AxelKey und R e t z i u s) "
wiederfinden.
Für die Reptilien beschreibt ein ebensolches „Gehäuse"
Beraneck (II, pag. 534) und betont, dass es aus Zellen be-
steht, die dem Ectoderm angehören: „Ce n'est que plus tard
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26 Alexander Ucke:
qu'ä ces cellules viennent s'en ajouter d'autres appartenant au
mcsoderme."
Forster und Balfour (V, pag. 104) sagen vom Hühnehen,
dass nach Entwiekelung der Nervenfasern im Opticus diese nur
mit der inneren Wand oder der eigentlichen Retina in Verbin-
dung stehen.
In der vergleichenden Embryologie von Balfour (I, pag,
438) hcisst es, dass „aller Zusammenhang zwischen der äusseren
Wand des Augenbechers und dem Sehnerv aufgehoben ist, so-
bald die Fasern auftreten'^
Wiedersheim (XV, pag. 412) erwähnt, dass gleichzeitig
mit dem Verwachsen der beiden Wandungen der Retina das
Lumen des Augenblasenstiels schwindet.
Lieberkühn (X) nimmt, wenn ich ihn recht verstehe,
auch eine Unterbrechung der Continuität in der äusseren La-
mella der secundären Augenblase an der Uebergangsstelle auf
den Stiel an.
Bergmeister (III) hat an Kaninchenembryonen bis zum
16. Tage ein einschichtiges, aus unpigmentirten Cylinderzellen
bestehendes Stratum als Fortsetzung des Pigmentepithels auf
dem Opticus beobachtet, lässt aber die Frage offen, was aus
diesen Zellen wird.
K öl liker's Ansicht (VIII, pag. 297) geht dahin, dass, nach-
dem der Augenstiel solide geworden ist, „auch der Theil des
Opticus, der bisher mit dem Pigmentblatte vereint war, mit der
Anlage der Retina sich verbindet, so dass nunmehr der ganze
Nerv mit der distalen Wand der Augenblase zusammenhängt".
Erwähnen will ich noch die Angabe von Kuhnt (IX,
pag. 205), der „an einer ganzen Reihe von Präparaten längs der
scharf begrenzten Innenfläche der Pia optici deutlich ovale Kerne
in membranartiger Verbindung sah", sowie von Falchi (IV,
pag. 94), der die Zellen der proximalen Lamelle sich in die-
jenigen fortpflanzen lässt, „welche zum grössten Theil das Stütz-
gewebe des Nervus opticus bilden".
Schwalbe (XIII, pag. 397) glaubt beim Huhn an einer
etwas excentrisch gelegenen Stelle des Opticusquerschnittes ein
Rudiment der Stielhöhle gefunden zu haben.
Besonderes Interesse verdient jedoch, wie ich später nach-
zuweisen versuchen werde, ein Injcctionsbefund, den Schwalbe
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Epithelreste am Opticus und auf der Retina. 27
in seinem Lehrbuch der Anatomie des Auges als „merkwürdige^
bezeichnet (XIV, pag. 111). Es findet nämlich bei Injectioncn
unter die Pia optici zuweilen eine Ablösung des Pigment-
epithels von der Retina und Eindringen der Injectionsmasse
in diesen der primitiven Augenblasenhöhle entsprechenden
Raum st^tt.
In meiner Dissertation (XV) stellte ich fest, dass bei Huhn
und Schaf ein üebergi*eifen der Pigmentirung des äusseren
Blattes des Augenbechers auf den Augenblasenstiel stattfindet.
Zugleich constatirte ich aber, dass dieser Befund nur ein vor-
tlbergehender ist, und dass bei älteren Embryonen das Pigment,
wie die Autoren tibereinstimmend mittheilen, am Opticuseintritt
aufhört. Bei dieser Gelegenheit fand ich 1) dass, wenn auch
das Pigment aufhört, das Epithel keineswegs sein Ende
zu erreichen braucht, sondern sich auf den Op-
ticus fortsetzt und 2) dass ein analoger Epithel-
rest sich in derExcavation der Papille erhält, der
von Bergmeister als „innere Lage von Cylinderzellen" be-
schrieben wurde und den ich im weitem kurzweg als „Berg-
meister'schen Epithel zapfen^^ bezeichnen werde.
Während aber Bergmeister nur Kaninchenembryonen
untersuchte, war ich bemüht, soweit mein Material es mir er-
laubte, die ontogenetischen Verhältnisse mit phylogenetischen Er-
hebungen zu vergleichen.
Petromyzon, bei dem ich a priori die Verhältnisse am
einfachsten und klarsten zu finden hoflfte, stand mir leider nur
in sehr alten Exemplaren zu Gebote, so dass ich in Bezug auf
das Epithel an der Aussenfläche des Opticus die Cyclostomen
ganz unberücksichtigt lassen muss.
Dagegen fand ich an Forellenembry onen die Rad-
w a n e r ' sehen Angaben voll bestätigt. Zwei Embryonen von
Trutta fario von etwa 15 mm Länge hatte ich in Schnittserien von
ca. 7 li Schnittdicke senkrecht zur Läugsaxe des Objectes zer-
legt. Es war mir nicht gelungen, den Sehnerv in seiner ganzen
Liänge vom Gehirn bis zum Auge auf einem Schnitt zu treflfen,
doch kam die Schnittrichtung dieser gewünschten Ebene sehr
nahe, so dass man durch Vergleich weniger Schnitte sich leicht
ein Bild von den Verhältnissen machen konnte.
Ich ertaube mir in Fig. 1 den Sehnerveneintritt in die Re-
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28 Alexander Ucke:
tina mit einem Theil des Optiens (Of) bei starker Vergrösserung
(Immersion V12) wiederzugeben, wenngleich das Bild vollkommen
den bei schwacher Vergrösserung dargestellten Figuren von Rad-
waner (XII, Figg. 6 u. 7) entspricht. Wir sehen hier den
Opticus fast ausschliesslich aus Fasern (Of) bestehen; nur wenig:
Kerne (st), die unzweifelhaft dem embryonalen Gewebe des
Augenblasenstiels entstammen, sind zwischen die Fasern einge-
lagert, und es scheint mir wahrscheinlich, dass sie zu dem spä-
teren Sttltzgewebe des Opticus werden. Die ventrale Seite des
Opticus ist von einer einfachen Lage von Zellen begrenzt (E. v.),
deren Form man nicht eigentlich genau angeben kann, da die
Zellgrenzen keineswegs scharf ausgeprägt sind; dass dieselben
aber epithelialer Natur sind, können wir aus zwei Gründen be-
haupten: erstens, weil sie sich deutlich, ich möchte sagen auf-
fallend durch Grösse und Form von den dicht anliegenden me-
sodermalen Zellen der Anlage der Pia optici unterscheiden, und
zweitens, weil sie ein ganz continuirliches Stratum vom Gehirn bis
zum üebergange in's Pigmentepithel der Retina bilden. An der
dorsalen Fläche ist ein solches Stratum in dem wiedergegebenen
Object nicht deutlich, sondern man sieht nur in Zwischenräumen
Keine (E. d.), die einer gleichen Lage von Zellen entsprechen
könnten. Dass aber auch an der dorsalen Seite des Opticus die
Lage continuirlich ist, sieht man an den benachbarten Schnitten
desselben Objectes, die die Verhältnisse mit evidenter Deutlich-
keit zeigen. Genau dasselbe konnte ich, wenn möglich, in noch
grösserer Deutlichkeit, an dem andern Object von Trutta con-
statiren, das mir vorlag.
Weiter sieht man an's Auge herantretend die Nervenfasern
sich zusammendrängen und bei 0 durch die Retina in's Auge treten.
Gerade dieser Schnitt wurde von mir für die Zeichnung
gewählt, weil er zeigt, dass auch die andern Flächen des Op-
ticus ausser der ventralen und dorsalen mit Epithelzellen ausge-
kleidet sind: in der Gegend um den Punkt x finden wir sich
anschliessend an das ventrale Epithelstratum und an die Zellen
des Pigmentepithels einen Haufen Zellen; es ist dies die seit-
liche Wandung des Sehnerven, die dadurch in dieser Weise in
die Erscheinung tritt, dass der Opticus etwas schräg und flach
getroffen ist, wobei die erwähnte Zcllgruppe die Fasern theil-
weise deckt.
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Kpithelreste am Opticus und auf der Retina. 29
Nach dem Gesagten scheint es mir keinem Zweifel zu
unterliegen, dass wir bei Salmo ein „Gehäuse" von Epithelzellen
haben, in welchem die Nervenfasern vom Gehirn zur Retina ver-
laufen. Wie lange sich dies „Gehäuse" erhält und was aus ihm
im Laufe der weiteren Entwickelung wird, muss vorläufig der
weiteren Forschung anheimgestellt werden. Erwähnen muss ich
jedoch einen Befund an denselben Objecten von Trutta, der uns
zum Schluss der Arbeit auf einen gewissen Zusanmienhang zwi-
schen diesem „Gehäuse" und dem Bergmeister'schen Epithel-
zapfen leiten wird.
Verfolgen wir die Nervenfasern des Opticus bei ihrem
Durchtritt durch die Retina in's Innere des Auges, so sehen wir
dieselben sich in zwei Lagen auseinanderbiegen und an der
Innenfläche der Retina nach beiden Seiten hinlaufen. Bei die-
sem Auseinanderbiegen kommt ein kleiner Trichter zu Stande,
der der physiologischen Excavation der Papille entspricht und
hier von einer Lage von Zellen ausgefüllt war, die der Lage-
rung nach dem Bergmeister'schen Zapfen bei Säugcthieren
entsprechen wtü'den.
Ich konnte an beiden mir vorliegenden Exemplaren von
Salmo constatiren, dass diese Zellen ihrem Aussehen nach voll-
kommen den Epithelzellen, wie sie am Sehnerv und auch in der
Retina vorlagen, glichen. Wohl zu unterscheiden sind sie je-
doch auch von den mesodermalen Zellen, die hier im Trichter
mit der Arteria centi'alis resp. hyaloidea in den Glaskörperraum
eintreten.
Der Character des erwähnten Epithels, das von Berg-
raeister bei Säugcthieren als ein cylindrisches beschrieben wird,
war in meinen Präparaten nicht genau festzustellen, da das
epitheliale Gewebe überhaupt hier noch embryonale Charactere
bewahrt hatte und man daher auf eine Bestimmung der Zell-
grenzen verzichten muss. Was die Ausdehnung betrifft, so war
es auf die Trichtergegend beschränkt und war nicht auf die Re-
tina weiter zu verfolgen.
Die Amphibien (Axolotl, Frosch, Triton) haben einen so
ungemein dünnen Opticus, dass die Feststellung eines „Gehäuses"
um denselben, wie ich mich tlbers^eugen musstc, sehr schwer
fallt. In dieser Hinsicht erwiesen sich meine Präparate als nicht
^ überzeugend, weshalb ich von ihnen ganz absehe; allein in Bezug
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30 Alexander llckei
auf den BergmeiHter'schen Zapfen boten sie einen interessan-
ten Befund Ein Triton taeniatus von 24 mm Länge war in
eine Serie von Querschnitten zerlegt. An der Eintrittsstelle des
Sehnerven in die Netzhaut war folgendes Verhalten zu beob-
achten. Man sieht auf den bezüglichen Schnitten die Fasern
des Sehnerven durch die schon zum Theil diflferenzirten Schichten
der Retina durchtreten und etwas unter dem Niveau der inneren
Netzhautoberfläche sich in zwei Bündel spalten, die nach beiden
Seiten hin an die Oberfläche der Retina gelangen und auf ihr
weiterziehen. Auch hier kommt der Trichter zu Stande, der an-
gefüllt ist von einem Haufen von Zellen, die sich durch nichts von
den Zellen der Retina selbst unterecheiden. Ich glaube daher auch
hier für ihre epitheliale Natur einstehen zu können und berech-
tigt zu sein, die Analogie der Befunde für Fische, Amphibien
und Säugethiere festgestellt zu haben, um so mehr, als es mir
gelang, auch bei einer Larve von Rana fusca von 20 mm Länge
die epitheliale Auskleidung des Trichters zu constatiren.
Kehre ich zu der Frage des Epithelnachweises auf dem
Opticus zurück, so möchte ich im Anschluss an die Angaben von
Forster und Balfour und Schwalbe hier an der Hand meiner
Präparate für das Hühnchen den Modus des Auftretens von Fa-
sern im Augenblasenstiel als den gleichen hinstellen, wie ihn C.
K. Ho ff mann für Knochenfische und Reptilien festgestellt hat.
An einem Hühnchenembryo von 119 Stunden fand ich
auf einem Schnitt der Serie den Augenblasenstiel in seiner ganzen
Länge getroff'en; die dorsale Wand des Stiels bestand aus cylin-
drischen Epithelzellen, die in cOntinuirlicher Lage in's Pigment-
epithel übergingen (das letztere war noch nicht in ganzer Aus-
dehnung pigmentirt, sondern der an den Augenstiel grenzende
Theil pigmentfrei); ventralwärts von dieser Epithellage war ein
spaltftirmiger Hohlraum zu beobachten, die Stielhöhle, die mit
der primitiven Augenblasenhöhle communicirte und ventral von
einer zweiten Lage Epithelzellen begrenzt wurde. An diese
schloss sich ein Strang von Fasern, die an ihrer ventralen Seite
einen zweiten Epithelbelag aufwiesen-, dieser stand wiederum mit
der Pigmentlamelle der Retina in Zusammenhang, während der
central gelegene Epithelstrang zusammen mit den Fasern zur
inneren Lamelle der secundären Augenblase, zur eigentlichen
Retina zu verfolgen war. Dieser Schnitt war offenbar nahe an,
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Epithelreste am Opticus und Auf der Retina. äl
die Axe des Augenblasenstiels, aber uieht in die von mir in
meiner Dissertation aufgestellte Nullmeridianebene ^) gefallen, son-
dern stand zu derselben unter einem spitzen Winkel, den ich als
kleiner als einen halben rechten taxire.
Aus der Beschreibung des Bildes mit Hinzuziehung dieser
Orientirung scheint mir hervorzugehen, dass die Faserbildung
auch beim Hühnchen an der ventralen Seite des Augenstiels be-
^nnt und dorsalwärts sich verbreitet; dabei wird jedoch auch
die Stielhöhle mit dem sie auskleidenden Epithel allmählich dor-
salwärts gedrängt, wobei die dorsale Lamelle einschichtig wird,
die ventrale Begrenzung der Höhle durch die Zunahme der Fa-
sern dieselbe Verdtinnung bis auf eine Schicht crtahrt.
Bei diesem Process bleibt aber stets auch ventral von den
auftretenden Fasern eine einschichtige Lage Epithel erhalten —
das „Gehäuse" ist vollständig.
In diesem Stadium waren Fasern im Verlauf des ganzen
Augenstiels sichtbar.
Eine Stufe weiter ist das Präparat, dessen Schnittserie die
Fig. 2 entnommen ist.
Es ist dies dasselbe Object von 134 Stunden (Hühnchen)
und derselbe Schnitt, der bereits eine Beschreibung in meiner
Dissertation gefunden hat, weil er ein üebergreifen des Pigments
auf den Opticus aufweist (Fig. 2, P). Hier interessirt uns der
Umstand, dass der Augenstiel schon ganz faserig geworden ist;
zwischen den Fasern findet sich allerdings noch eine grosse Zahl
Zellkerne, die dem Gewebe des Augenstiels entstammen. Ein-
gefasst sind jedoch die Sehnervenfasern von beiden Seiten von
einer einschichtigen Lage cylindrischer Epithelzellen, die vom
Pigmente])ithel bis an's Gehirn zu verfolgen sind (Fig. 2, Ed.
u. Ev.).
Ein geringer Rest der Stielhöhle ist bei Sh noch erhalten,
der jedoch bei einer günstiger ausgefallenen Schnittrichtung etwas
grösser zu erwarten wäre. Uns gentigt es zu constatiren, dass die
Stielhöhle ganz an die dorsale Seite des Opticus gedrängt ist.
Weiter sehen wir auch an diesem Schnitt an der Durch*
1) Als NuUineridianebene bezeichne ich beim Embryo eine Ebene,
die durch die Axe des Aii«:enblasenstiels und die Mitte der Auofen-
» ^ &
blaseuspalte beHtimnU ist.
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32 Alexander Uckei
trittsstelle der Sclinerveufaseru durch die Retiua dieselben sich
in zwei Bündel spalten und einen Trichter bilden. Dieser Trichter
ist auch hier von Zellen ausgefüllt, die vollkommen den ectoder-
nialen Zellen der Retina gleichen, auch ist von Blut oder Blut-
gefässen in der Gegend nichts wahr/uuehmen.
Die Continuität des E[)ithcls der äusseren Lamelle der
secundären Augenblase konnte ich auch an einem Hühncheu-
enibryo von 150 Stunden beobachten.
Bei Säugethieren kam ich zu einem Resultat dank einem
Präparat, das seine Darstellung in der Fig. 3 gefunden hat. Es
stammt die Schnittserie von einem Schafembryo von etwa 2;") mm
Länge; in dem abgebildeten Schnitt ist der Opticus in ganzer
Länge vom Auge bis zum Gehirn getroffen. Die Schnittrichtung
in Bezug auf den Kopf des Embryo entspricht ungefähr Quer-
schnitten, in Bezug auf das Auge und den Augenstiel nicht genau
der Xullmeridianebene, wenn es noch erlaubt ist, diese Bezeich-
nung auf einen so weit entwickelten Augenstiel resp. Opticus
anzuwenden.
Einen Schnitt weiter sieht man nämlich einen Mesoderm-
zapfen von der ventralen Seite her dicht am Auge in den Op-
ticus eindringen, diesen und die Retina in leichtem Bogen durch-
setzen und zur Arteria hyaloidea gelangen: hier ist also die
Rinne des Opticus getroffen. Die andere Linie für die Bestim-
mung der Ebene, die Axe des Augcnblasenstiels resp. Opticus
liegt, wie ich gleich zeigen werde, in dem Schnitt, der in Fig. 3
wiedergegeben ist.
Fig. 3 stellt den Opticus und einen Theil der Retina dar.
Die obere Seite der Figur entspricht der dorsalen des Embryo.
Da sehen wir das Pigmentepithel bis an den Opticus, aus stark
pigmentirten cubischcn Zellen bentehend, reichen; von hier zieht
sich eine Reihe von Zellen, an's Pigmentepithel sich unmittelbar
anschliessend, eine kurze Strecke weit längs dem dorsalen Rande
der Opticusfasermassen; dann aber biegt diese Zellreihe, indem
sie zweischichtig wird (Sh), in leichtem Bogen in die Substanz des
Opticus ein und ist bis etwa zur halben Länge des letzteren zu ver-
folgen, wo wir die Zellen etwas unregelmässig angeordnet finden.
Ausserdem findet sich von der Stelle an, wo dieser Zapfen in's
Fasergewebe eindringt, eine zweite einschichtige Lage von gellen,
die längs dem dorsale Rande des Opticus hinzieht (E. d.). Beide
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Epithelreste am Opticus und auf der Retina. SA
Zellstränge kann ich nicht umhin, für ectodermalen Ursprungs,
also echte Epithelien anzusehen.
Ich glaube aber auch nicht fehl zu gehen, wenn ich be-
haupte, dass der erwähnte Epithelza[)fen der Rest der früh-
embryonalen Stielhöhle ist und zwar spricht dafür auch der um-
stand, dass er ziemlich genau in der Nullmeridianebene des Stieles
sich findet.
Da der Opticus die Andeutung einer Spiralwindung auf-
weist, so ist natürlich diese Ebene nicht genau aufrecht zu er-
halten, allein aus einem Vergleich mit den nebenliegenden Schnitten
der Serie ist dies zum mindesten sehr wahrscheinlich gemacht,
indem es sich ergibt, dass dies der mittelste aller den Opticus
aufweisenden Schnitte ist.
Eine andere Frage ist aber, wie es kommt, dass die Stiel-
höhle hier so nahe an die dorsale Seite des Opticus zu liegen
konmit, und ob das nicht gegen meine Auffassung dieses Ge-
bildes als Stielhöhle spricht? Mir erscheint im Gegentheil diese
• Lagerung wieder mit Aufrechterhaltung der Theorie der Faser-
bildung von C. K. Ho ff mann als ganz natürlich. Treten die
Fasern zuerst ventral auf, verbreiten sie sich dann dorsalwärts,
so wird, vorausgesetzt, dass in der dorsalen Wand des Stiels
keine Fasern auftreten, die Stielhöhle oder das sie auskleidende
einschichtige Epithel doi-salwärts gedrängt und kommt zuletzt
dicht unter dem Epithel zu liegen, welches den Opticus an der
dorsalen Seite deckt.
Eine derartige Auffassung scheint mir keinerlei Thatsachen
zu widersprechen, sondern im Gegentheil durch die Präparate
vom Hühnchen, die ich vorhin beschrieb, eine Bestätigung zu
finden, so dass ich geneigt bin, den Modus für alle Wirbelthiere
als den gleichen mit geringen Abweichungen anzunehmen.
Auf der Fig. 3 ist die die dorsale Fläche des Opticus
deckende Epithellage nicht unanfechtbar deutlich ausgeprägt. Ich
mnss gestehen, dass die Constatirung dieses Continuums von
Zellen an so alten Embryonen keineswegs leicht ist; daher habe
ich, um mich Täuschungen nicht hinzugeben, nur solche Prä-
parate in den Kreis meiner Betrachtungen gezogen, die die Ver-
hältnisse vollkommen deutlich zeigen. Zum Zwecke des Nach-
weises, dass diese Zelllage wirklich vorhanden, soll die Fig. 4
dienen, die einem Object von derselben Länge und Behandlungs-
Archiv für mikrosk. Anat Bd. 38 3
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34 Alexander Uckei
weise, wie das vorige, entlehnt ist* Der Opticus ist hier stampf
abgeschnitten. An der dorsalen Seite sieht man bei Ed da«
Epithel von der Pignientlamelle aasgehen und, weil der Schnitt
den Opticus flach getroffen hat, scheinbar continuirlich in 's Me-
soderm übergehen. Die Continuität der Epithellage auf Retina
und Opticus an ihrer doi-salen Fläche ist aber aus diesen beiden
Figuren ersichtlich. Dieselben zeigen aber auch die Epithelans-
kleidung des Trichters der Papille, die Bergmeister als Cy-
linderepithel bei Kaninchen beobachtet hat. Bei Durchmuste-
rung der Serien lässt sich der Verlauf der Centralgefässe durch
Sehnerv und Retina feststellen, wobei es sich herausstellt, dass
sie in denselben Trichter zu liegen kommen. Nun ist in meinen
Präparaten der cylindrisch-epitheliale Character der Auskleidung
des Trichters keineswegs so deutlich ausgeprägt, wie Berg-
meister ihn beschreibt und würde mir daher die Entscheidung
schwer fallen, ob ich diese Zellen zum ectodermalen Gewebe des
Augenblasenstiek nehmen, oder sie von dem mit den Blutgefässen
eingedrungenen Mesodenn ableiten soll. Allein hier, glaube ich,
tritt die Phylogenie in ihre Rechte; was wir bei tischen, Am-
phibien und VOgeln deutlich wahrgenommen haben, sollten wir
auch bei Säugethieren erwarten, zumal w^enn uns die Angabe
eines Autors vorliegt, der die Dinge deutlich gesehen hat.
Am Schlüsse meiner Beobachtungen möchte ich kui"z zu-
sammenfassen, was mir aus denselben hervorzugehen scheint, und
zwar: 1) dass auf der Opticusoberfläche lange Zeit
sich eine Epithelauskleidung erhält (Gehäuse —
Radwaner), 2) dass der Trichter der Papille eine
gleiche Epithelauskleidung längere Zeit behält,
3) dass die Höhle des Augenblasenstiels dorsal-
wärt s verdrängt wird.
An dies anschliessend möchte ich für den Modus der Um-
bildung des Augenblasenstiels zum Opticus eine Theorie auf-
stellen, die theilweise schon von 0. K. Hoffmann, Radwaner,
Birakeck und Bergmeister ausgesprochen ist.
Mir scheint es am wahrscheinlichsten, dass die Faserb il-
dung im Augenblasenstiel an seiner ventralen Fläche
auftritt, jedoch nicht in der äussersten an's Mesoderm dicht an-
grenzenden Epithelzellenlage, sondern tiefer im Gewebe des Stiels
mit Einschaltung eines einschichtigen Epithels zwi-
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Epithelreste am Opticus und auf der Retina. 35
sehen Fasern und Mesoderm. Indem die Faserbildung dann
dorsalwärts und auch nach beiden Seiten an Umfang gewinnt,
kommt das zu Stande, was Radwaner als Faserbildung
im „präforrairtenGehäuse" bezeichnet, zugleich aber wird
die von einem Epithel ausgekleidete Stielhöhle dorsalwärts
verdrängt. Hier nun erscheint es mir im Hinblick auf
Schwalbe's „merkwürdige Injectionsergebuisse" (I.e.) wahr-
scheinlich, dass irgend eine Art Verschmelzung mit dem sub-
pialen Lymphraum zu Stande kommt, der es uns verstünd-
lich macht, warum bei Injectionen unter die Pia eine Ablösung
des Pigmentepithels von der Retina stattfindet. Wo wir zuletzt
am ausgewachsenen Opticus den Rest der Stielhöhle zu suchen
haben, darüber. möchte ich noch keine Vermuthungen aussprechen.
Für die Radwaner'sche Ansicht jedoch, dass wir in der „aus-
kleidenden Membran* des rings um den Opticus befindlichen
Lymphraumes (Schwalbe, Axel Key und Retzius)" das „prä-
formirtc Gehäuse" wiederfinden, glaube ich eine kleine Stütze
geliefert zu haben.
Führen wir nun diese Theorie consequent durch, so müssen
wir auch in der Rinne des Augenstiels eine Epithel-
auskleidung der Fasern erwarten und wo wir sie deut-
lich wiederfinden und mit Sicherheit nachweisen können, ist der
Trichter der Papille. Bergmeister hat den Befund zuerst
bei Kaninchenembrj'onen beschrieben, mir gelang es, seine Angaben
durch Erhebungen bei Trutta, Triton, Rana, Huhn und Schaf zu
bestätigen.
Allein ich gehe noch einen Schritt weiter: ich postulire
auch auf der innersten Lage der Retina, die ja nächst der limi-
tans interna die Faserschicht ist, eine Epithellage. Hier nun
lassen uns unsere hochentwickelten Wirbelthiere im Stich. Nur
eines scheint einen so primitiven Bau aufzuweisen, dass es viel-
leicht im Sinne des (iesagten verwerthet werden könnte. Es ist
dies Ammocoetes. Hier finden wir die Faserschicht nicht zu
imierst von allen andern Schichten, sondern ihr sitzt ein zwei-
schichtiges Epithel auf, wie ich es an zwei Exemplaren zu
beobachten Gelegenheit hatte und wie es auch von W. Müller
beschrieben wird. In der Weiterentwickelung ist dies Epithel
offenbar verloren gegangen, so dass man bei den Embryonen der
anderen Wirbelthiere den Rest nur noch als B er gm eiste r-
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36 Alexander Ückei
sehen Epithelzapfen in dem Trichter der Papilla nervi optici
findet.
Die Belege fttr die vorliegende Arbeit sind den Sammlungen
des vergleichend-anatomischen Instituts einverleibt.
Zum Schluss sei es mir gestattet, Herrn Prof. Dr. D. ßar-
furth für die mir mit Rath und That erwiesene Unterstützung
auch an diesem Ort meinen besten Dank auszusprechen.
Dorpat, im Mära 1891.
Nachdem die vorliegende Arbeit schon druckfertig war, er-
schien im Märzheft des anatomischen Anzeigers (VI. Jahrgang,
1891, 6, pag. 155) eine Publikation von Froriep: „lieber dicEnt-
Wickelung des Sehnerven'^, wo dieser Autor die W. Mü Herrsche
Theorie der Faserentwickelung im Opticus von der Retina in's
Gehirn als richtig nachweist. Einerseits stimmen seine schemati-
schen Abbildungen (von einem Torpedoembryo) mit meiner Ansicht,
dass die Stielhöhle dorsalwärts verdrängt wird, überein, denn diese
ist überall excentrisch verlagert gezeichnet, andererseits steht da-
mit auch im Einklang die Theorie des Hereinwachsens der Fa-
sern aus der Retina. Es ist danach ganz natürlich, dass dorsal
von der Stielhöhle im Augenstiel keine Fasern auftreten.
Ich glaube deshalb, dass meine Befunde mit denen Fori ep's
in gutem Einklang stehen.
LItteratur-Verzeichniss.
1. Balfour, Fr. M., Handbuch der vergleichenden Embryologie.
Deutsch von Vetter. Jena 1881.
2. BiVraneck, E., Recherches sur le d6veloppement des nerfs cra-
niens chez les lezards. Recueil zool. Suisse I. 4 p. pag. 419.
3. B er gm ei st er, 0., Beiträge zur EntwickeUmgsgeschichte des
Säuge thierauges. Mittheil, aus d. embryol. Inst, der k. k. Univ. in
Wien. Schenk. 1877, VI.
4. Falchi, Fr., lieber die Histiogenese der Retina und des Nervus
opticus. Arch. für Ophth. Bd. 34, II.
5. Foster u. Balfour, Grundzüge der Entwickelungsgeschichte der
Thiere. Deutsch von Kleinenberg. Leipzig 1876.
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Epithelreste am Opticus und auf der Ketina. 37
6. Hoffmann, C. K., Zur Ontogenie der Knochenfische. Arch. für
mikr. Anat. Bd. 23, 1884.
7. Derselbe, Weitere Untersuchungen zur Entwickelungsgeyschichte
der Reptilien. Morph. Jahrb. Bd. 11.
8. Kölliker, A., Grundriss der Entwickelungsgeschichte des Men-
schen und der höheren Thiere. 2. Aufl. 1884.
9. K u h nt , Zur Kenntniss des Sehnerven und der Netzhaut. 1. Structur
Mes Sehnerven. Arch. für Ophth. Bd. 25, Abth. 3, pag. 179—288.
10. Lieberkühn, N., Ueber das Auge des Wirbelthierembryo.
Schriften der Gesellschaft zur Beförderung d. ges. Naturwissen-
schaften zu Marburg. Bd. 10, 1875.
11. Müller, W., Ueber die Stammesgeschichte des Sehorgans der
Wirbelthiere. Festschrift an C. Ludwig. 1875. Heft II der Bei-
träge zur Anatomie und Physiol.
12. Radwaner, J., Ueber die Entwickelung der Sehnervenkreuzung.
Mittheil, aus d. embryol. Inst. d.. k. k. Univ. in Wien. Schenk.
1877. II.
13. Schwalbe, G., Mikroskopische Anatomie des Sehnerven und der
Netzhaut inGraefe-Saemisch, Handbuch der gesammten Augen-
heilkunde I, 1.
14. Schwalbe, G., Lehrbuch der Anatomie des Auges. 1887. Erlangen.
15. Ucke, A., Zur Entwickelung des Pigmentepithels der Retina.
Diss. St. Petersburg. 1891.
16. Wiedersheim, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der Wir-
belthiere. Th. I. Jena 1882.
Erklärung der Abbildungen anf Tafel II.
Fig. 1 ist der Schnittserie eines in Picrinschwefelsäure fixirten
und mit alkoholischem Boraxcarmin in toto gefärbten Forellenembryo
entnommen. Gezeichnet mit einem Abbe 'sehen Zeichenapparat. Ver-
gTösserung 500 : 1 (homogene Immersion Vi2> ^c. II, Zeiss).
Der Sehnerv bei seinem Eintritt in die Retina.
Abkürzungen: R :=^ Retina.
Pe — Pigmentepithel.
Ch =^ Anlage der Chorioidea.
Ed =^ Epithel an der dorsalen Seite des Opticus.
PI =r Anlage der Pia.
St = Kerne des Augenstiels, die zu l?^ützzellen des
Opticus werden.
Of =r Opticu.sfasern.
O ~. Eintritt der Opticusfasern in die Retina.
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38 Alexander Ucke: Epithelreste am Opticus und auf der Retina.
E. V. Epithel an der ventralen Seite des Opticus.
X - flach getroffenes Epithel der seitlichen Wand des
Opticus.
Fig. 2 ist ein Schnitt von einem 134 Stunden alten Hühnchen,
das in Picrinschwefelsäure fixirt und im Schnitt mit Hämatoxylin nach
Kleinenberg tingirt wurde. Vergrösserung 50 : 1. Querschnitt durch
den Kopf. Beide Sehnerven mit ihrem Eintritt in die Netzhaut ge-
troffen.
Abkürzungen ausser den vorher erwähnten:
Zh Zwischenhirn.
S Schlundbucht, der vorderste Theil.
Ch. d. ^ Chorda dorsalis.
C. C. die beiden Carotiden.
B Berg meist er 's Epithelzapfen.
P Grenze des Pigmentes auf dem Augenblasenstiel (beschrieben XV,
pag. 20).
Sh -- Stichhöhle.
Fig. 3. Schafembryo von etwa 25 mm Länge. Carminfärbung.
Querschnitt durch den Kopf. Der Sehnerv in ganzer Länge bis zum
Gehirn. Bezeichnungen wie vorhin.
Fig. 4. Schafembryo von etwa 25 mm Länge. Carminfärbung.
Querschnitt durch den Kopf. Der Sehnerv stumpf abgeschnitten. Die
Continuität des Epithels an der dorsalen Seite (E. d.) mit dem Pigment-
epithel. Bei A. h. die Arteria hyaloidea, deren Durchtritt durch den
Sehnerv auf dem vorhergehenden Schnitt derselben Serie zu sehen war.
(Aus dem vergleichend-anatomischen Institut in Dorpat.)
Ueber Zellbrücken glatter Muskelfasern.
(Nach einem Vortrage in der anatomischen Section des X. Internationalen
Congresses in Berlin 1890.)
Von
D. Barfnrth.
Hierzu Tafel III.
Bei einer zufölligen Durchmusterung feiner Längsschnitte
vom Dünndarm der Katze fielen mir an den quergeschnittenen
Ringmuskelfasem eigenthümliche zahnartig(5 Vorsprünge auf, die
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D. Barfurth: lieber Zellbrüeken glatter Muskelfasern. 39
eine grosse Aehnlichkeit mit den durch Max Schnitze*) n. A.
bekannt gewordenen „Stachehi und Riffen" hatten. Die genauere
Untersuchung ergab, dass es sich in derThatum „Zellbrüeken",
wie ich sie mit Flemming*) kurz nenne, handelte.
Solche Zellbrücken an glatten Muskelfasern bei Säuge-
thieren hat zuerst Kultschitzky*) in der Muscularis externa
des Hundedarmes gefunden. Später beschrieb Busach i*) ähn-
liche Bildungen in hypertrophischen Muskelfasern des Kaninchen-
darms nach künstlicher Stenose. Ich selber fand sie bei der
Katze in der äussern Muskelschicht des Magens, in der Längs-
und Ringmuskulatur am Duodenum, Dünndarm und Dickdarm,
ganz vor kurzem auch beim Menschen in der Längs- und Ring-
muskulatur der Flexura sigmoidea. Letzteres Präparat ver-
danke ich einer Operation des Herrn Geheimrath Prof. Dr.
König in Göttingen; es wurde ganz frisch von Herrn Assistenz-
arzt Dr. Maass in Flemming'scher Mischung fixirt und mir
freundlichst überlassen.
Was die Methode der Untersuchung anbetrifft, so
habe ich stets die Darmstttcke unter massigem Drucke injicirt
und sie dann in die>selbe Fixirungsflüssigkeit, die zur Injection
verwandt wurde, gelegt. Als die besten Fixirungsmittel ergaben
sich Chromessigsäure nach Flemming, Chromsäure i^U^lo),
und Palladiumchlorür. Weniger geeignet erwies sich Osmium-
chromessigsäure; ungeeignet war Alkohol, Müller 'sehe Flüssig-
keit, Pikrinschwefelsäure; auch mit Sublimat (nach Heiden-
hain) und gesättigter wässeriger Pikrinsäurelösung habe ich
keine günstigen Resultate erzielt. Die Färbung geschieht am
besten mit Borax-Carmin allein; will man die Kerne stärker
hervorheben, so kann man noch nachträglich mit Hämatoxylin
filrben. Eosin, Vesuvin etc. tarben die Kittsubstanz so stark,
l)MaxSchultze, Die Stachel- und Riffzelleii der tiefen Schichten
der Epidermis, dicker Pfiasterepithelien und der Epithelialkrebse. Vir-
chow's Archiv, 30. Bd., 1864, pag. 260 ff.
2) W. Flemming, Zellsubstanz, Kern- und Zelitheilung. Leipzig
1882, pag. 52.
3) Kultschitzky , lieber die Art der Verbindung der platten
Muskelfasem mit einander. Biolo^irisches Centralbl., VIT. Bd., pa^. 572 ff.
4) Busach i, Ueber die Neubildun«!: von glattem Muskelj^ewebe.
— Ziegler und Nauwerck, Beiträge zur pnth. Anat. und zur allg".
Pathol. IV. Bd., 1888.
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40 D. Bar fürt h:
dciss man von den Zellbrttcken nur in besonders günstigen Fällen
etwas sieht.
Zur Demonstration der Zellbrücken ist femer erforderlieh,
dass die Schnitte richtig angefertigt sind. Schnitte, die dicker
sind als 5 jui, kann man im allgemeinen ohne Schaden für die
Wissenschaft entfernen. Noch wichtiger ist, dass die Schnitt-
richtung genau senkrecht auf die Längsaxe der Muskel-
fasern fällt. Da die Muskelleisten sehr niedrig sind, kommen sie
nicht zu Gesicht, wenn der Schnitt nicht genau quer, sondern
schräg föllt. Für skeptische Anfänger will ich noch bemerken,
dass man diese Bildungen nur bei scharfer Einstellung des Be-
leuchtungs-Apparates (Abbe) und der Irisblende und bei voller
Beleuchtung (weisse Wolke) zu sehen pflegt.
Ueber die Anordnung und den feineren Bau der Muskel-
brücken bemerke ich folgendes:
Die Muskelfaseni erscheinen auf Querschnitten als polygonale,
runde oder ovale, dunklere oder hellere Felder, zwischen denen überall
geringe Abstände, Intercellularräume, auftreten. Diese Zwischen-
räume werden überbrückt durch schmale und niedrige Fortsätze der
Muskelsubstanz, welche die Muskelfasern mit einander verbinden.
Die Zellbrücken finden sich an sämmtlichen Querschnitten der
Muskelfasem, überziehen dieselben also in ihrem ganzen Verlauf.
Kultschitzky bezeichnet sie als „kleine protoplasmatische
Brückchen", Busach i hält sie für „sehr zarte Flimmerhaare,
die sich mit gleichartigen Gebilden der benachbarten Elemente
verbinden und so Flinnnerräume bild^". Nach meiner Ansicht
bestehen sie aus niedrigenLeisten, die in ziemlicher Ausdeh-
nung die Oberfläche der Muskelfasern überziehen. Zu dieser Ansicht
führt mich die Untersuchung feiner Längsschnitte. Wären die
Zellbrücken Flimmerhaare, so müsste bei geeigneter Einstellung
die Oberfläche der Muskelfasern fein punktirt erscheinen. Man
sieht aber thatsächlich nur feine, etwas unregelmässig ver-
laufende Längslinien, die ich als optischen Ausdruck der
Muskelleisten aufl'aase. Ob freilich diese Leisten der Längs-
streifung entsprechen, die von vielen Forschern an den glatten
Muskelfasern gesehen wurde, muss ich dahingestellt sein lassen.
Kölliker sagt z.B.: „Noch will ich bemerken, dass die Faser-
1) Kölliker, Beiträge zur Keimtniss der glatten Muskeln. Zeit-
schrift f. wiss. Zool. l.Bd., pag.48fr. (pag. 57).
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Ueber Zellbrücken glatter Muskelfasern. 41
Zellen der Gedärme nicht selten eine undeutliche Längsstreifung
zeigen und mit und ohne Zusatz von Essigsäure oft den Anschein
darbieten, als ob sie aus einer Hülle und einem bald mehr ho-
mogenen, bald mehr streifigen Inhalt beständen." Hier wird
die Streifung offenbar nicht an die Oberfläche der Faser,
sondern unter die „problematische'' (pa^- 49) Hülle verlegt.
Schwalbe^) beschreibt die Oberfläche isolirter glatter Muskel-
fasern aus der Harnblase des Hundes als „fein gestrichelt^*
(pag. 402 und 406, Erklärung der Abbildungen: Fig. 2 und 5)
und gibt auch eine entsprechende Zeichnung davon (Tafel XXIV,
Fig. 2 u. 5). Nach Schwalbe existirt zwischen contractiler
Substanz und Kittsubstanz keine besondere, dem Sarco-
lemma vergleichbare Membran (pag. 402). Dem ent-
sprechend verlegt Schwalbe die Strichelung in die äusserste
Schicht der contractilen Substanz und sieht an der Peripherie
optischer Querschnitte der Fasern „einen Kranz dunkler
Punkte, offenbar die optischen Querschnitte der
feinen Strichelchen". Schwalbe lässt unentschieden,
was die letzteren bedeuten; es ist aber nach meiner Ansicht
wohl möglich, dass es sich um dieselben Gebilde handelt, die
ich oben beschrieben habe.
Eine Längsstreifung erwähnt femer J, Arnold*), ohne
über ihre Bedeutung etwas auszusagen. Dagegen beziehen sich
die Aeusserungen vonMargo*), G. Wagner^) und Kölliker^)
offenbar auf eine fibrilläre Structur der glatten Muskelfaser,
die auch von R a n v i e r ^) u.a. angenommen wird.
1) Schwalbe, Beiträge zurKenntniss der glatten Muskelfasern.
Dieses Archiv, 4. Bd., pag. 392 fiF.
2) J. Arnold, Gewebe der organischen Muskeln. Strfcker's
Handbuch der Lehre von den Geweben pag. 137 ff. (pag. 138).
3) Marge, Neue Untersuchungen über die Entwickelung, das
Wachsthum, die Neubildung und den feineren Bau der Muskelfasern.
Denkschriften der kaiserl. Akad. der Wiss., 20. Bd. Wien, 1862.
4) G. R. Wagener, Ueber die Muskelfaser der Evertebraten.
Hier sind auch die Fibrillen der glatten Muskelfasern von Sftugethieren
(Kaninchenmagen) erwähnt und gezeichnet. Tafel V, Fig. 24. Müller's
Archiv, 1863.
5) Kölliker, Handbuch der Gewebelehre. 6. Aufl. 1889, pag. 136,
Fig. 97 (Muskelzellen des Vas deferens des Menschen).
6) Ran vi er, Trait{* technique d'histologie, pag. 524.
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42 D. Barfurth:
üeber ähnliche Bildungen (Längsstreifung, Fibrillen) bei
Wirbellosen finden rieh Angaben bei J. v. Holst^), Ley-
dig«), Efcerth»), Schneider*), G. R. Wagener»), Engel-
mann ^), C o r i ') u. a. Auf dieselben hier genauer einzugehen
ist nicht meine Absicht. Nur auf eine besonders interessante
Beobachtung Leydig's®) muss ich aufmerksam machen. Ley-
dig sagt von den Muskelfasern der Hirudineen: „Häufig, bei
unversehrt bleibender Spindelform, verbinden sich die neben-
einander herziehenden Muskeln von Stelle zu Stelle durch zarte
Querbr ticken, und auf solche sind wohl auch die uns oft
begegnenden Zacken des Randes der Faserzellen zu beziehen:
es sind Reste der abgerissenen Verbindungsbalken'^ (pag* 127).
Solche Querbrttcken zeichnet Leydig Tafel IV, Fig. 69 an Mus-
kelfasern von Aulocostomum nigrescens. Bei aller Verschieden-
heit im einzelnen wird man mit mir die üeberzeugung ge-
winnen, dass es sich hier um dieselben Bildungen handelt,
die oben in Bezug auf die glatten Muskelfasern der Säuger be-
sprochen wurden.
Man könnte nun vermuthen, dass die erwähnten Muskel-
leisten den von anderen Autoren beschriebenen Fibrillen ent-
sprächen, da ja letztere auch ganz besonders in der Peripher ie-
(der contractilen Substanz der Rindenschicht zum Unter-
schied von der Marksubstanz nach Schwalbe) sich finden.
Diese Vermuthung ist aber nicht haltbar, da die Untersuchung
guter Querschnitte mit Immersion (Leitz, V12 Immersion, Ocul. 3)
1) J. von Holst, De striictura inusculoriim in genere annula-
torum rauseulis otc. Dissertation. Dorpat, 1846 (Fig. 1 u. 2).
2) Loydi«:, Zur Anatomie von Piscicola ^eometrica etc. Zeit-
schrift für wiss. Zool. 1. Bd., pag. 103 AT. (pag. 108). Dann besonders:
Zelle und Gewebe. Bonn, 1886, pag. 124 ff.
3) Eberth, Beiträge zur Anatomie und Physiologie des Tricho-
cephalus dispar. Zeitschr. für wiss. Zool. 10. Bd., pag. 233 AT. (pag. 243;
Tafel XVn, Fig. 14).
4) A. Schneider, lieber die Muskeln und Nerven der Nema-
toden. Müller's Archiv, 1860, pag. 224 (pag. 227, Tafel V, Fig. 9).
5) G. R. Wagenor, a. a. 0.
6) Engelmann, Contractilitftt und Doppelbrechung. Pflüger's
Archiv, XI. Bd., pag. 432 ff.
7) Cori, Untersuchungen über die Anatomie und Histologie der
Gattung PhoroniK. Zeitschr. für wiss. Zool. 51. Bd., pag. 480 ff. (pag. 51 1).
8) Leydig, Zelle und Gewebe, pag. 127.
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Ueber Zellbrticken glatter Muskelfasern. 43
ganz dentlich zeigt, das^ zahnartige Vorsprünge der
Fasern sich mit benachbarten entsprechenden Einrichtungen ver-
binden. Von Fibrillen ist hier nichts zu sehen.
Auch den Gedanken an eine auffallend regelmässige
Schrumpfung in Folge mangelhafter Fixirung muss ich a
limine abweisen.
Die Muskelleisten finden sich am schönsten an denjenigen
Stellen, die der Einwirkung der Fixirungsflüssig-
keit am leichtesten zugänglich waren, also in der
Längsmuskulatur und den periphersten Theilen der Ringnmsku-
latur. Sie sind aber auch gerade an Querschnitten solcher Fa-
sern sehr schön erhalten, die durch Contraction den Zu-
sammenhang mit benachbarten Faserntheilweise
verloren haben (Tafel III, Fig. 2 u. 3).
Es fragt sich nun, wie sich die Zellbrticken zu der Kitt-
substanz verhalten, die von den meisten Forschern zwischen
den Muskelfasern gefunden wurde. So sagt ganz neuerdings
noch Gruenhagen*): „Zu den characteristischen Merkmalen
des glatten Muskelgewebes gehört die Kittsubstanz, welche die
einzelnen Elemente desselben, die Muskelzellen, unter einander
verklebt.'^ Kultschitzky ist dagegen der Ansicht, dass die
einzelnen Zellen der glatten Muskulatur nicht durch eine Kitt-
substanz, sondern eben „durch kleine protoplasmatische Brück-
chen mit einander verbunden sind". Ich hoffe durch meine
nachfolgend mitzutheilenden Beobachtungen einen Beitrag zur
Lösung dieser Differenz liefern zu können.
Ich untersuchte den Dünndarm eines nur 3 Tage alten
Kätzchens, der in derselben Weise fixirt war, wie der Darm der
früher erwähnten Katze. Im Magen war noch geronnene Milch
enthalten, die Chylusgefasse waren deutlich, die Peristaltik leb-
haft. Die Muskulatur war schwach entwickelt. Zwischen den
Muskelfasern war die Kittsubstanz sehr deutlich durch ihren
Glanz, aber Zellbrücken und -Iticken waren nicht
vorhanden.
Eine erwachsene Katze wurde 4^j^ Stunden nach der letzten
Fütterung getödtet. Im Magen fanden sich nur geringe Speise-
1) Gruenhagen, Ueber die Muskulatur und die Bruch' sehe
Membran der Iris. Anatomischer Anzeiger, 3. Bd., pag. 27.
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44 D.Barfurth:
reste, das Duodenum war fast leer, schlaff, erst beim Ansehneiden
trat wieder Peristaltik ein. Bei der Untersuchung des Duode-
nums fand sich zwischen den Muskelfasern eine sehr gut ent-
wickelte Kittsubstanz, aber Zellbrtlcken waren selbst
bei bester Beleuchtung mit starker Vergrösserung (Leitz Obj. 7,
Oc. 3), die sonst die Zellbrttcken deutlich zeigt, nicht zusehen.
Ferner untersuchte ich Duodenum und Dünndarm einer
Katze, die 24 Stunden gehungert hatte. Die mikroskopische
Besichtigung ergab, dass die Zellbrticken schwach entwickelt
und nur an einzelnen Stellen zu sehen waren; da-
gegen war die Kittsubstanz deutlich.
Ich habe dann mehrere Katzen (4) etwa 2 — 3 Stunden
nach der letzten Fütterung untersucht und bei diesen die Zell-
brücken deutlich, die Kittsubstanz wenig oder
gar nicht gesehen.
Ich ziehe aus diesen Beobachtungen den Schluss, dass bei
der Katze je nach Umständen, die vor allen Dingen vom phy-
siologischen Zustand des Darmes abhängig sind, die
Kittsubstanz in dem Maasse stärker eqtwickelt
ist, als die Zellbrücken deutlich werden und um-
gekehrt.
Es fragt sich nun femer, ob eine, wenn auch sehr spärliche,
Kittsubstanz zwischen den Zellbrücken und -lücken nachweisbar
bleibt. Diese Frage ist wegen der Kleinheit dieser Bildungen
sehr schwer zu entscheiden. Dass in den Zelllücken Reste der
Kittsubstanz vorhanden sind, glaube ich aus einem leichten Glanz
der Ränder schliessen zu dürfen; dass sie aber zwischen je zwei
Intercellularbrücken, gewissermaassen als Kitt zwischen den
Spitzen^), vorhanden ist, muss ich nach Untersuchung mit meinen
besten optischen Hülfsmitteln verneinen*). Demgemäss erkläre
ich mir die Architectonik der Zellbrücken und -lücken folgen-
dermaassen: An der Oberfläche (dem Rindentheil,
1) Der Ausdruck „Spitze" bezieht sich auf Querschnitte der
Muskelfasern; in Wirklichkeit handelt es sich, wie oben hervorgehoben
wurde, um Leisten.
2) Auch Flemming (a.a.O. pag. 5B) kam zu diesem Resultate.
Er sah an den grossen und deutlichen Brücken bei Salamandern
keine differente Stelle in der Mitte, sondern sie erschienen als
directe Verbindungen zwischen der beiderseitigen Zellsubstanz.
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Üeber Zellbrücken glatter Muskelfasern. 45
Ectoplasma) der Muskelspindelu erheben sich
langgestreckte niedrige Leisten, die mit ent-
sprechenden Bildungen anstossender Muskel-
fasern direct zusammenstossen; zwischen ihnen
liegen langgestreckte anastomosirende Inter-
cellnlarräume, die ein vielfach verzweigtes Ca-
nalsystem darstellen. Die Kittsubstanz zwischen
den Muskelfasern ist sehr reduQirt und kleidet
in dünner Schicht die Intercellulargänge aus.
Hier ist wohl der Ort für einige Bemerkungen über die
physiologische Bedeutung der Muskelbrticken und ihres
Canalsystems. Wenn schon die früheren Angaben über die Ab-
hängigkeit dieser Bildungen von der Verdauung schliessen Hessen,
dass es sich hier um Lymphbahnen handelt, so wird diese
Anschauung noch mehr gestützt durch einen Vergleich mit an-
deren ähnlichen Einrichtungen, wie sie in den geschichteten Epi-
thelien vorkommen.
Als Max Schnitze die Stacheln und Riffe an den Epi-
thekellen der tieferen Schichten des Stratum mucosum in der
Epidermis entdeckte, glaubte er, dass dieselben mit den Spitzen
oder Riffen in einander gi-ifFen und so die benachbarten Zellen
fest mit einander verbänden, „wie zwei mit den Borsten in ein-
ander gepresste Bürsten" (pag. 260). Bizzpzero sprach da-
gegen die Ansicht aus, dass die Stacheln und Riffe vielmehr auf
einander sässen, so dass zwischen ihnen eine Lücke entstände.
Aehnlich äusserten sich Ranvier, Flemming, Heitz-
mann, Leydig, Pfitzner, Carrifere, Mitrophanow,
Frei SS u. a.*) Dass letztere Ansicht die richtige ist, ergibt
sich erstens aus der Thatsache, dass es Klein, Ret z ins und
H e n 1 e jr. *), der unter M e r k e T s Leitung arbeitete, gelang,
interstitielle Injectionen in die Intercellularräume zu machen.
1) Die Litteratm* findet man bei Flemming (l. c), bei Pfitzner
(Die Epidermis der Amphibien, Morphol. Jahrbuch, B. Bd., pag. 484),
bei Leydig (i.e. pag. 110) und Mitrophanow (Zeitsehritt für wiss.
Zool. 41. Bd., pag. 302).
2) A. Henle, Das plasmatisehe Canalsystem des Stratum mu-
cosum. Nachrichten von der königl. Gesellschaft der Wissensch. zu
Göttingen, 1887, Nr. 14. Referat in W. Krause's Jahresbericht der
Histologie (Jahresbericht der gesammten Medicin, 1887, Bd. 1) pag. 49.
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46 D. Bart'urth:
Zweitens haben die Untersuchungen von Leydig, Flemming,
Pfitzner und Mitrophanow au niederen Wirbelthieren
mit Sicherheit ergeben, dass zwischen den Epithelzellen der
Epidermis dieser Thiere oft auffallend grosse, manchmal sehr
unregelmässig geformte lutercellularräume mit entsprechenden
Zellbrücken bestehen. Mitrophanow fand hi den Räumen
sogar Leukocyten und Pigmentzellen.
Hält man mit ^Jiesen Thatsachen meine Beobachtungen zu-
sammen, dass die Zellbrücken bei lebhafter Thätigkeit
des Darmes am deutlichsten sind, so wird man wohl
das richtige treflFen, wenn man die Lücken zwischen den glatten
Muskelfasern für Intercellularräume hält, die dazu bestimmt sind,
der Lymphe schnellen Zu- und Ab flu SS zu ermög-
lichen. Dafür sprechen noch einige Beobachtungen, die ich
bei weitereu l][ntersuchungen über das Vorkommen der ZcU-
brücken in den glatten Muskelfasern machte. Im Darm von
Ratten und Mäusen, dessen Muscularis bekanntlich sehr dünn
ist, fand ich keine Muskelbrücken. In der Muskulatur des
Uterus, der Blase und der Aorta der Katze habe ich sie eben-
falls vergeblich gesucht. In diesen Organen sind die Muskel-
bündel von Bindegewebe reichlich durchsetzt, die
leichte Circulation der Lymphe ist also gesichert (von Reek-
linghausen, His). Andererseits ist die Muscularis erwach-
sener Raubthiere (Hund und Katze) ausserordentlich dick*) und
die Muskelfasern sind so dicht an einander gelagert, dass man
nur spärlich Stränge von Bindegewebe, wenige GefUsse, Ca-
pillaren, Nerven etc. findet. Hier stösst die Circulation der
Lymphe auf ähnliche Schwierigkeiten, wie in den geschichteten
Epithelien, und deshalb sind als besondere Einrichtungen dafür
die Intercellulargänge vorhanden. Aus diesem Grunde sehe ich
in den Zellbrücken und -lücken der glatten Muskulatur eine
function eile Anpassung, die das Bedürfniss geschaffen hat.
Wenn es also nach dem jetzigen Stande unserer Kennt-
nisse als sicher gelten kann, dass die Intercellulargänge
1) Freilich folgt nun daraus nicht, dass überall da, wo grosse
Mengen von Muskelfasern zusammengedrängt liegen, auch Intercellular-
gänge vorhanden sein müssen. Ich habe z. B. den Muskelmagen eines
Enterich vergeblich auf diesen Punkt hin untersucht.
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lieber Zellbrücken glatter Muskelfasern. 47
zur Circulation der Lymphe dienen, so kann man die weitere
Frage aufwerfen, ob nicht auch die Zellbrückcu an sich,
also die Protoplasmaverbindungen benachbarter Zellen, eine be-
stimmte Function haben. Diese Frage hängt mit der weiter-
gehenden, öfter ventilirten Frage zusammen, ob nicht überhaupt
sämmtliche Zellen des Organismus unter einander
verbunden sind. Durch diese Einrichtung würde die bei
der fortgesetzten Theilung der Eizelle und ihrer Entwickelung
zum Organismus verloren gegangene Individualität wieder
hergestellt, aus dem „Zellenstaat" würde wieder ein Individuum.
Solche Anschauungen finden wir besonders bei den Botanikern.
Für den Botaniker Sachs ist jede Pflanze im Grunde ein ein-
ziger zusammenhängender Protoplasmakörper. Nägel i machte
bei Darlegung seiner Theorie des Idioplasmas die Annahme,
dass überall im Pflanzenkörper die Zellen durch feine Stränge
in Verbindung stehen. Während diese Meinungen lediglich der
Speculation angehören, machten Bornet, Tangl, Strasburger,
Gardiner, Hillhouse, Russow, Schmitz, Ricks und Ter-
letzki^) directe Beobachtungen über die pflanzlichen Zell-
brücken, und Terletzki, wie auch Russow kamen auf Grund
ihrer Untersuchungen zu der Ueberzeugung, dass wenigstens im
cambialen Zustande das Protoplasma sämmtlicher Zellen im Zu-
sammenhang steht.
In Bezug auf thierische Objecto sprach sich schon Rei-
chert 2) für eine „Continuität" der Gebilde des gewöhnlichen
Bindegewebes unter sich und auch mit anderen Geweben dcs
Körpersaus. Während Reichert gerade beim Nervensystem
Halt machte (pag. 102), wies Pflüger^) den directen Zusam-
menhang der Epithelien der Speicheldrüsen mit den Secretions-
nerven nach und vertrat mit grosser Energie die Lehre, dass
1) Ich entnehme diese Angaben einem Aufsatz von Klebs:
Ueber di^ neuern Forschungen betreffs der Protoplasmaverbindungen
benachbarter Zellen. (Botanische Zeitung, 1884).
2) Ripichert, Bemerkungen zur vergleichenden Naturforschung
im Allgemeinen und vergleichende Beobachtungen über das Binde-
gewebe und die verwandten Gebilde. Dorpat, 1845.
3) Pflüger, lieber die Nervenendigungen in den Speichel-
drüsen. Centralblatt für die med. Wiss., 1865. Die Endigungen der
Absondei-ungsnerven in den Speicheldrüsen. Bonn, 1866,
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48 1). Bar für th:
überhaupt zwischen Nervenfaser und ihrem Endapparat (Drüsen,
Epithelien, Muskeln) Continuität bestehe.
Neuerdin^ hat Pflüger^) in einem geistvollen Vortrage
diesen Gegenstand wieder berührt. Er macht darauf aufmerk-
sam, dass die Zellbrücken im thierischen Kr)rper oft als sehr
lange und dünne Fäden (Nerven) auftreten. „Alles was wesent-
lich zum Nervensysteme gehört, wie gewisse Theile der Sinnes-
organe, des Gehirns und Rückenmarks, der Muskeln, vielleicht
aller Drüsen und elektrischen Organe bilden ein einziges System
vieler Millionen Zellen, die durch Fäden mit einander zusam-
menhängen" (pag. 9). „Abgesehen von diesen ein isolirfes Da-
sein führenden Zellen (Blutkörperchen, E])idermisschüppchen)
bleibt es beim thierischen Körper fraglich, ob die vielen Milliar-
den Zellen, welche ihn zusammensetzen, nicht doch nur aus ein
oder höchstens zwei Systemen von Zellen bestehen, die alle unter
einander stetig durch oft sehr feine und schwer nachweisbare
Brücken zusammenhängen" (pag. 9). Pflüger hebt weiterhin
hervor, dass eine grosse Zahl von Lebenserscheinungen, welche
sich nicht bloss auf dem Gebiete des Nervensystems abspielen,
1) Pflüg er, Die allgemeinen Lebenserscheinungeu. Rectorats-
rede. Bonn, 1889. Wie man sich in physiologischer Beziehung^
den Zusammenh<ang der Nerveuelemente vorstellen kann, hat Pf lüg er
schon früher erörtert: „Es hat also gar keine principielle Schwierig-
keit sich zu denken, dass im lebenden Org-anismus die Polymerisirung
in infinitum vorschreitet, so dass grosse schwere Massen entstehen, die
— abgesehen von den iu wässeriger Lösung befindlichen nicht orga,-
nisirten nährenden Molekülen — faktisch nur ein einziges chemischem
Eiweissmolektil enthalten. Vielleicht besteht das ganze Nervensystem
mit allen wirksamen Theilen aus einem einzigen solchen chemischen
Riesenmolekül." — Ueber die physiologische Verbrennung in den
lebendigen Organismen. Ptlüger's Archiv, 10. Bd., pag. 251 ff. (pag. 307).
Ueber den morphologischen Zusammenhang zwischen Nerven-
elementen und zugehörigen Drüsenzellen äusserte sich Pflü-
ger neuerdings in folgender Weise: „Da . . . die verschiedenen Zellen
des Alveolus vielleicht durch Commissuren zu einem ehiheitlichen Organ
verbunden sind, wie ja auch die elektrische Platte, ein virtuelles Mul-
tiplum vieler Zellen, nur eine Nervenfaser bei Malacopterurus erhält,
so kann eine Faser für einen ganzen Alveolus genügen, obschon sie
scheinbar nur zu einer Speichelzelle geht." — Zusammenstellung der
Ergebnisse und Erörterung der Prinzipien der Zeugung. Pflüger's
Archiv, Bd. 32, pag. 542 ff. (pag. 555, Anmerkung).
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Ueber Zellbrücken glatter Muskelfasern. 49
sondern auch das Wachsthum betreffen, sich nur von diesem Ge-
sichtspunkte aus begreifen lassen.
Vom Standpunkte des Mikroskopikers aus hat bekanntlich
Heitzmann*) den Gedanken einer allgemeinen Verbindung der
Zellen im Organismus am entschiedensten ausgesprochen. Er
sagt z. B.: „Jedes Gewebe ist eine Zellencolonie" (pag. 136).
„Der Thierkörper als Ganzes ist ein Protoplasmaklumpen'' (pag.
136). „Dass alle Gewebs-Elemente des Thierkörpers überhaui)t
„Stachelzellen ", alle Kerne „Stachelkerne" und alle Kernkörper-
chen „Stachelkernkörperchen" sind, geht aus den Schilderungen
ohnedies hervor" (pag. 135). Diese weitgehende Verallgemeine-
rung wird von Flemming^) und Kölliker^) nach meiner An-
sicht mit Recht bekämpft. Denn wenn ich auch überzeugt bin,
dass Pflüger's physiologisches Postulat schliesslich durch die
mikroskopische Untersuchung in irgend einer Weise Bestätigung
finden wird, so hat doch Heitzmann für seine Behauptungen
keine zureichenden Beweise geliefert. Und ferner ist es, wie
meine Beobachtungen beweisen, durchaus nicht nöthig, dass die
postulirte Verbindung immer die Fonn von „Stacheln" besitzt,
wie Heitzmann so stark betont. Die Natur hat mehr Mittel
zur Erreichung ihrer Ziele, als wir ahnen können, und das wird
sich auch wohl wieder in diesem Falle bewahrheiten. Denn,
dass wir mit unseren heutigen Hülfsmitteln noch sehr viele Zell-
verbindungen finden werden, kann jetzt schon als sicher gelten.
Ausser den schon bekannten Verbindungen erwähnt Kölliker^)
solche von gewissen Muskelzellen der Insekten, vom Epithel der
Graafschen Follikel des Barsches, von den Elementen niederer
Thiere (Spongien), Heidenhain •^) von den basalen Theilen der
Epithelzellen des Dünndarms, Flemraing, Ret z ins ^) und Pa-
1) Heitzmann, Mikroskopische Morphologie des Thierkörpers
im gesunden und kranken Zustande. Wien, 1883.
2) Flemming, a.a.O. pag. 14, 58 etc.
3) Kö 11 ik er, Handbuch der Gewebelehre. 1. Bd. Leipzig, 1889,
pag. 8, 9.
4) Kölliker, a.a.O. pag. 9.
5) Heidenhain, Beiträge zur Histologie und Physiologie der
Dünndarmschleirahaut. Supplement zum 43. Bd. von Pflüger's Archiv.
6) Retzius, Die Intercellularbrücken des Eierstockeies und der
Follikelzellen etc. Verhandlungen der Anatomischen Gesellschaft in
Berün, 1889. Jena 1889, pag. 10 ff.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 38 4
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50 D. Bar fürt h:
ladino*) von den FoUikelepithelien des Eies durch die Poren
der Zona pellucida hindurch zur Substanz der Eizelle, Nnel und
Cornil von den Endothelzellen der ('ornea ^Archives de biologie,
10. Bd., 1890) u. 8. w.
Nach diesen Erörterungen ist es möglich, die oben aufge-
worfene Frage, ob nicht auch den Zellbrttcken eine bestimmte
Function zukomme, dahin zu beantworten, dass dieselben je nach
Umständen wahrscheinlich Bahnen für die Leitung von Rei-
zen oder fttr die Ernährung sind.
So sind manche Botaniker ((iardiner, Russow)*) der
Meinung, dass die Zellbrücken in den Polstern der Mimosa pu-
dica, wo dieselben besonders entwickelt sind, den Ring des
Stosses schnell fortpflanzen und dadurch das bekannte
Phänomen des Zusannnenklappens der Blätter vermitteln. Ich
halte es ebenso für wahrscheinlich, dass die Zellbrücken der
glatten Muskulatur im Raubthierdann den Nervenreiz, der
die ungeheuer starke Peristaltik auslöst, schneller und
gleichmässiger weiterleiten, als es die nicht sehr zahlreichen
Nervenfasern des Auerbach 'sehen Plexus vermögen; denn dass
die Zahl dieser Fasern in keinem Verhältniss zur Menge der
dicht an einander gelagerten Muskelfasern steht, lehren die mi-
kroskopischen Präparate.
Andere Beobachtungen sprechen für eine Ernährung durch
Vermittelung der Protoplasmabrücken. Mein College, Professor
Dr. Russow, machte in einer der letzten Sitzungen der Dor-
pater Naturforschergcsellschaft Mittheilungen über pflanzliehe
Zellbrücken, nach welchen er Protoplasmaströmungen in denselben
beobachtet hat, die aus einer Zelle Material in eine andere we-
niger begünstigte schaffen. Klebs vermuthet, dass dieselben bei
der merkwürdigen Wanderung des Oels bei keimenden Kürbis-
samen und bei der Wanderung der sogenannten transitorischen
Stärke als directe Leitungsbahnen fungiren (pag. 448). Aehn-
liches findet wohl auch bei thierischen Objecten statt. Von den
Zellbrücken zwischen dem Ei und dem Follikelepithel vermuthet
1) Paladine, I ponti intercellulare tra Tuovo ovarico e le cd-
lule follicolari etc. Auat. Anzeiger, 5. Bd., pag. 254 flf. Paladino ver-
weist hier auf frühere Mittheilungen von ihm über diesen Gegen-
stand (1887).
2) Klebs, a.a.O. pag. 448.
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Üeber Zellbrücken glatter Muskelfasern.. 51
Paladino^), dass sie bei der Ernährung des Eies und der Bil-
dung des Liquor folliculi eine Rolle spielen.
Man sieht, dass auf diesem interessanten Gebiet sowohl für
die anatomische, als physiologische Forschung noch mancherlei
Räthsel zu lösen sind.
Erklärung der Figuren auf Tafel III.
Alle Figuren wurden mit einem Zeichenapparat (nach N a c h e t)
in der Höhe des Objecttisches gezeichnet.
Fig. 1. Aus dem Duodenum einer erwachsenen Katze, 2 Stunden
nach der letzten Fütterung. ChromessigsHure, Borax Carinin.
Längsschnitt, 5 ^i. Leitz, Objectiv 7, Oc. 1. 1 Lilngsmuskeln,
r Ringmuskeln, A. PI. A u e r b a c h'scher Plexus, d dunklere,
h hellere Muskelgruppen, zb Zellbrücken.
Fig. 2. Eine Partie aus demselben Schnitt bei starker Vorgrösserung:
Leitz, Vi2 Immersion, Oc. 4. h helle, d dunkle Muskeln, zb Zell-
brücken. In der Mitte ist ein Muskelfaserquerschnitt durch
schlechte Fixirung axis dem Verbände gelöst, die Zellbrücken
ragen frei hervor.
Fig. 3. Dünndarm einer erwachsenen Katze, 2 Stunden nach der
letzten Fütterung. Chromessigsäure, Borax-Cannin. Leitz,
Obj. 7, Oc. 1. 1 Längs-, r Ringmu.skeln, G Gefäss, g Ganglien-
zelle.
Fig. 4. Aus demselben Schnitt bei V12 Immersion, Oc. 4. Wie oben;
c Capillare. Auch mit dieser sind die Muskelfasern durch
Zellbrücken verbunden.
Fig. 5. Aus der Flexura sigmoidea eines Mannes; durch Operation
gewonnen. F 1 e m m i n g ' s Mischung. Borax-Carmin. Leitz,
V12 Immersion, 0c. 3.
1) Paladino, a.a.O. pag. 255.
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52 J. Sobotta:
(Aus dem I. anatomischen Institut der Universität Berlin.)
Beiträge zur vergleichenden Anatomie und
Entwickelungsgeschichte der üterus-
muskulatur.
von
Dr. J« Sobotta.
Hierzu Tafel IV.
Einleitung.
Die Frage nach der raenschlielien üterusnniskulatur, nach
ihrer Zusammensetzung und Schiclitung, ist eins der ältesten
Probleme der Mediciii. Die ersten Angaben über diesen Punkt
indess sind sehr spärliche und sehr weclisehide, entsprechend
den mangelhaften Untersuchungsmethoden. Vor allem aber be-
ziehen sich diese Angaben nur auf den schwangern Uterus.
Das gilt auch von einer ganzen Reihe von Untersuchungen,
welche sich bis auf die neueste Zeit erstrecken. Hierhin
gehört hauptsächlich W. H unter 's grosses Werk „Anatomia
uteri humani gravidi", welches genaue Abbildungen der schwän-
gern menschlichen (Tcbärrautter giebt. Die Arbeit stammt aus
dem Jahre 1774. Hunter kennt schon einen nicht geringen
Tlieil der später beschriebenen Muskelschichten des schwängern
Uterus.
In ähnlicher Weise behandeln die' übrigen Arbeiten die
Uterusmuskulatur, vor allem die von Calza(lO) und Pappen-
heim (67). Beide erwähnen die Gefässschicht des menschlichen
Uterus als die auflFallendste Erscheinung an seiner Muskulatur,
aber auch die übrigen Schichten der schwängern Gebärmutter.
Alle diese Arbeiten übertrifft das epochemachende Werk
Helle 's (29). Es entstand auf Grund jahrelanger genauester
Untersuchungen über den Faserverlauf in der schwangern mensch-
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Beitr. zur vergl. Anat. u. Entwickelungsgesch. d. Uterusmuskulatur. 53
liehen Gebärmutter und ist eigentlich bis auf den heutigen Ta^
in diesem Punkte maasagebeud geblieben.
Indess selbst Helie beschränkt sich auf den schwängern
Uterus. Die Präparation und das Studium der Muskulatur des
nichtsch wangern Uterus blieb fast völlig unbekannt, bis es 1871
Kreitzer (48) unternahm, sich dieser vorher fUr unüberwindlich
gehaltenen Aufgabe zu unterziehen. Ebenso wie Hol ie 's Unter-
suchungen über den schwängern Uterus, so sind Kreitzer's
über den nichtschwangern fast in alle Hand- und Lehrbücher
der Anatomie und Geburtshülfe, in die anatomischen Sammelwerke
und Encyclopädien etc. übergegangen und bilden noch heute für
die rein descriptive Seite dieser Frage den Hauptanhaltspunkt.
Kreitzer unterscheidet auf Grund makroskopischer Prä-
parationen vier Schichten am nicht schwängern Uterus: eine
subseröse (Stratum subserosum), eine supravasculäre (Str.
supravasculare), eine Gefässschicht (Strat. vasculare) und eine
submucöse Schicht (Str. submucosum). Die subseröse Schicht
überzieht Corpus und Fundus uteri, entsprechend dem Peritoneal-
überzuge und direct unter diesem, mit Längsbündeln, welche
auch schon im Lig. latum zur Seite des Uterus liegen.
Die supravasculäre Schicht ist hauptsächlich diejenige,
welche sich auf die Adnexa des Uterus fortpflanzt, vor allem auf
die Ligg. lata und uterosacra (Mm. retractores uteri), ausserdem
auch auf die Tuben. Die Hauptrichtung dieser Schicht ist eine
quere; nur über Corpus und Fundus uteri läuft ein medianer
Längsmuskelstreif. In der Cervix ist diese Muskelschicht die ober-
flächlichste und regelmässiger angeordnet als im Corpus uteri.
Die Richtung der Fasern ist hier eine vorwiegend longitudinale.
Dieselben gehen von hier aus in die Scheidenwandungen über.
Den mittleren Längsstreif will Kreitzer als etwas vom
Uterus eigentlich unabhängiges ansehen. Er führt ihn auf das
Ende des Gubemaculum Hunten zurück, welches sich an die
Müller sehen Gänge inserirt und auf den obliterirten Theil der
AUantois, welcher zwischen beiden Müller'schen Gängen lag.
Bei ungenügender Rückbildung dieses Theils soll ein Uterus
bicomis entstehen, an welchem dann der Längsstreif des Stratum
supravasculare fehlt, dagegen ein starkes fibromusculäres Band
von -der Harnblase über die Commissur der Uterushömer zum
Rectum läuft und mit den Uterushömern verwachsen ist.
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54 J. Sobotta:
Die Muskelfasern, welche auf die üterusadnexa übergehen,
endigen nach Kreitzer frei im lockeren Bindegewebe und gehen
nirgends zum Skelet. Auch hängen die stark entwickelten
Muskelzttge der Ligg. uterosacra nicht mit der Muskulatur des
Rectum» zusammen, in dessen Nähe sie sich verlieren.
Die Gefassschicht ist bei weitem die stärkste. Sie besteht
aus ausserordentlich complicirt verlaufenden dichten Muskelzügen,
deren Richtung zum grossen Theil durch die Gefilsse beeinflusst
wird, indem Muskelfasern diese umkreisen. Die Muskulatur ist
am Fundus, wo sie am wenigsten von Gefilssen durchbrochen
wird, ziemlich deutlich eine quere, die unmittelbar in die Ring-
fasersehicht der Tuben übergeht. Die quere Richtung ist ara
Corpus noch deutlich, wenn auch nicht so wie am Fundus. Deut-
lich dagegen wird sie am Orificium internum, wo ein vollstän-
diger Muskelring gebildet wird und zwar wesentlich in dem ober-
flächlichen Theil der Gefässsehicht. In der Cervix ist die Ffese-
rung wieder weit regelmässiger. Die ganze Schicht setzt sich
in die Scheidenmuskulatur fort.
Die submucöse Schicht ist zwar viel schwächer als die Ge-
fössschicht, indess stärker als die supravasculäre und subseröse
Schicht. Die Richtung der Fasern ist am Coi-pus und Collum
uteri longitudinal, am OrificiUm internum und an den Tuben-
mündungen circulär.
Den Ausgangspunkt der ganzen üterusmuskulatur sucht
Kreitzer in dem von der Gefössschicht gebildeten Ring am
innem Muttermund. Wie schon oben gesagt, hat die auf s Sorg-
fältigste ausgeführte Arbeit Kreitzer's fast allen folgenden Dar-
stellungen der üterusmuskulatur zu Grunde gelegen. Die Lehr-
bücher der Anatomie und Geburtshülfe beschränken sich des-
wegen auch meist auf diese Darstellung. Nur W. Krause (47)
giebt eine etwas abweichende Darstellung, welche ims hier be-
sonders interessirt, weil sie auf den Zusammenhang der Musku-
latur des Uterus mit der der Tuben näher eingebt.
Krause unterscheidet drei Schichten: 1) Stratum subsero-
sum am Corpus und Fundus bis zum inneren Muttermund; 2)
Strat. medium; dasselbe zerfiillt in a) Strat. supravasculäre, b)
Strat. vasculare, c) Strat. infravasculare; 3) Strat. submncosum
im Körper und bis in die Cervix.
Das Strat. supravasculäre entspricht nach Krause der
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Beitr. zur vergl. Anat. u. Entwickelungsgesch. d. Uterusmuskiilatur. 55
äusseren loogitudinalen Schicht, das vasculare und infravasculare
der inneren circulären Schicht der Tube. Diese drei Strata
sollen also die eigentliche Uterusmuskulatur darstellen. Bei
Thieren mit langen üterushömern werden diese beiden Schichten
der Eileiter in den Hörnern nur noch durch schräge Bündel ver-
bunden.
Die Cervix hat nach Krause eine äussere longitudinale,
mittlere circuläre und innere longitudinale Schicht.
Wir finden hier bei Krause das erste Mal eine Angabe,
welche die Schichten des Uterus auf die Schichten der Tuben-
muskulatur zurückführt und zugleich auf die Uteri der Thiere
Bezug nimmt. Wir werden im Laufe unserer Untersuchungen
sehen, dass, abgesehen von der Unmöglichkeit einer solchen
Gliederung der Uterusmuskulatur, die Rückführung der künstlich
getrennten Schichten auf Schichten der Tubenmuskulatur die
Frage nach der genetischen Entwickelung dieser Schichten durch-
aus nicht lösen hilft.
Ungefähr zur selben Zeit erschien ein Aufsatz von Wil-
liams (96), betitelt: „The mucous membrane of the body of
the Uterus", in dem der Verfasser auf Grund einer vergleichend-
anatomischen Untersuchung eine ganz neue Auffassung für die
menschliche Uterusmuskulatur entwickelt. Von der Betrachtung
des Baues anderer mit Schleimhaut versehener Hohlräume, be-
sonders der des Magens, ausgehend, stellt er die Bedingung des
gleichen Baues für die Uteruswand. Er verlangt vor allem an
letzterer eine Submucosa. Zu diesem Zweck untersucht er nicht
den menschlichen Uterus, sondern den von Thieren und zwar
Durchschnitte durch die Homer des Reh- und Schafuterus. Er
findet hier die innere circuläre Muskellage dieser Uteri fest mit
der eigentlichen Schleimhaut verwachsen und Muskelzüge von
ihr sich in diese erstreckend. Das veranlasst ihn, diese Musku-
latur als eine Muscularis mucosae anzusehen. Diese Schicht ist
von der äusseren wesentlich longitudinalen Muskelschicht getrennt
durch eine bindegewebige Schicht, in welcher die hauptsächlich-
sten Geßlsse des Uterus liegen.
Diese gefUsshaltige Schicht ist nach Williams die Sub-
mucosa des Uterus, die äussere Muskelschicht die eigentliche
Muscularis. Aus dieser Untersuchung zieht der Autor den
kühnen Schluss, dass sich dieselben Verhältnisse auch bei der
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56 J. Sobotta:
menschlichen Utemsmuskulatur fänden, dass das Stratum vas-
culare, in dem die grossen Gefösse liefen, der angeblichen
Submiicosa des Schafuterus entspräche und somit eigentlich eine
Submucosa uteri sei. Alles, was von Muskulatur innerhalb
dieser Schicht läge, sei die Muscularis mucosae des mensch-
lichen Uterus, alles, was ausserhalb läge, die eigentliche Mus-
cularis.
Ganz von andern Gesichtspunkten ausgehend giebt um die-
selbe Zeit G. V. Hoff mann (34) eine Darstellung der mensch-
lichen üterusmuskulatur mit Berücksichtigung der Entstehung
ihrer Schichtung. Hoff mann geht auf entwicklungsgeschicht-
lichem Wege vor. Das Ende der Entwickelung des mensch-
lichen Uterus sucht er nicht mit der Geburt, auch nicht mit
der Pubertät, sondern in der Schwangerschaft. Er untersucht
zunächst Uteri von Kindern aus den ersten Lebensjahren, an
denen er den kurzen Körper und das lange Collum bemerkt.
Eine Gefassschicht, wie sie für den erwachsenen Uterus so charak-
teristisch ist, existirt hier noch nicht, wie auch die Art. uterina
noch sehr dünn und eng ist. Dann untersucht er auf Durch-
schnitten den jungfräulichen Uterus und den Uterus während
der Schwangerschaft.
Auf Grund dieser Untersuchungen kommt v. Hoffmann
zu dem Resultat, dass bei weitem die grösste Menge der üterus-
muskulatur aus einer Verschmelzung der Ringmuskulaturen der
beiden Tuben entsteht. Die so entstandene Muskulatur wird in
ihrer Regelmässigkeit durch zwei Umstände gestört: 1) durch
das schräge Zusammentreffen beider Tuben, wodurch sich die
schräge Richtung eines grossen Theils der Uterusmuskulatur er-
klärt, und 2) durch die Entwickelung der grossen Gefässe in
der Uterusmuskulatur, welche wesentlich den Verlauf derMuskel-
faseni beeinflussen. Für das Zustandekommen der ersten Stö-
rung giebt V. Hoffmann ein eigenthümliches Schema, indem er
drei verschiedene Art und Weisen annimmt, auf welche die
beiden Ringmuskulaturen der Tuben in einander übergehen; näm-
lich die äussersten Faseiii ohne Rücksicht auf die veränderte
Richtung der Eileiter parallel, die mittleren Faseni in der Rich-
tung der Tuben umbiegend, die innersten im halben rechten
Winkel in die Axe des Uterus übergehend.
Hoffmann 's Erörterungen sind die ersten, welche gegen-
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Beitr. zur vergl. Anat. u. Entwickelung-sgesch. d. Uterusmuskulatur. 57
tiber der strengen älteren Eintheilung der üterusniuskulatur in
verschiedene gesonderte Schichten, die sich doch nicht auch
nur einigermaassen sondeni lassen, die üterusmuskulatur des
Menschen als eine einheitliche Masse auffasst. Auch er leitet
sie im wesentlichen von der Muskulatur der Tuben ab.
Diese selbe Auffassung der üterusmuskulatur und zwar des
schwängern Organs als etwas Ganzes und Zusammengehöriges,
besonders in Bezug auf ihre physiologische Funktion, liegt der
Arbeit von C. Rüge (78, 79) zu Grunde, welche wesentlich als
die neueste Auffassung der schwängern üterusmuskulatur in die
Lehrbücher der Geburtshülfe übergegangen ist. Rüge nimmt
ftlr den schwängern Uterus Muskellamellen an, welche vom Pe-
ritoneum schräg zur Decidua laufen und durch quere Züge zu
schiefen Muskelrhomben verbunden sind.
Die Hypothese Williams' gab noch einmal Veranlassung
zu derselben Auffassung der menschlichen üterusmuskulatur,
welche in einer vergleichend -anatomischen Arbeit von Ellen-
berg er (18) vertheidigt wird. Da ich bei meinen eigenen
Untersuchungen auf diese Arbeit näher eingehen muss, will ich
hier nur in Kürze die Resultate erwähnen, zu denen der Ver-
fasser gekommen ist. Durch die Williams' sehe Arbeit an-
geregt, untersucht derselbe auf mikroskopischem Wege eine
ganze Reihe von Uteri der verschiedensten Säugethiere bis
zum Affen. Den menschlichen Uterus selbst berücksichtigt er
nicht. Er schliesst aus seinen Untersuchungen dasselbe wie
Williams. Die innere Ringmuskulatur der thierischen Uteri
ist die Muscularis mucosae, die äussere Längsmuskulatur die
eigentliche Muscularis, die dazwischen liegende Schicht die Sub-
mucosa. Das verfolgt Ellenberger bis zum Affen und über-
trägt es dann ohne weiteres auf den Menschen.
Die nächste Arbeit, welche sich mit der Frage nach der
menschlichen üterusmuskulatur, ihrer Zusammensetzung und Ent-
stehung beschäftigt, ist die Bayer's (5). Die Arbeit trägt mehr
den geburtshülflichen als rein anatomischen Rücksichten Rech-
nung. Indess versucht auch Bayer, an v. Hoffmann's Unter-
suchungen anknüpfend, eine genetische Erklänmg der mensch-
lichen üterusmuskulatur zu geben. Er thut das nun fast ohne
Berücksichtigung der Entwickelungsgeschichte und ohne jede
Berücksichtigung der vergleichenden Anatomie. Ich glaube, dass
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58 J. Sobotta:
hierin ein schwacher Punkt der Arbeit Bayerns liegt (d.h. des
in Frage kommenden anatomischen Theils der Arbeit). Die
Hchlüsse, welche Bayer aus dem Studium des erwachsenen
menschlichen Uterus macht, gewinnt er durch Zerlegung ganzer
Uteri in Serienschnitte. Diese Schlüsse lassen sich in vielen
Beziehungen nicht mit den Resultaten vereinigen, welche man
durch das Studium der Entwickelungsgeschichte, vor allem aber
der vergleichenden Anatonne der Uterusmuskulatur erhält.
Auch Bayer verwirft die genaue Trennung der Utems-
muskulatur in einzelne Schichten. Als Grundstock der Musku-
latur sieht er el)enso wie Hoffmann die Tubenmuskulatur an,
ohne jedoch die Schemata seiner Faserkreuzung zu acceptiren.
Ausser dieser Muskelquelle aber nimmt Bayer eine Reihe anderer
an, welche man wesentlich in den Uterusadnexis zu suchen haben soll.
Von der Tubenfaserang geht nach Bayer die innerste
dünne longitudinale Lage in spiraliger Drehung der Faserzüge
in. die submucöse Muskelschicht des Uterus über. Die circuläre
Tubenfaserung geht in die mittlere Hauptmasse der Uterusmus-
kulatur ^in, die longitudinale äussere Schicht verbreitet sich
wahi-scheinlich auf der Oberfläche in derselben spiraligen An-
ordnung wie die submucöse Schicht.
Soweit leitet in sehr erklärlicher Weise Bayer ohne die
.schematische Darstellung v. Hoffmann 's die Uterusmuskulatur
von der Tubenfaserung ab. Ausser dieser aber sollen einen sehr
bedeutenden Antheil der Uterusmuskulatur die Fasern liefern,
welche von den Ligg. rotunda, ovarica und vor allem den Ligg.
rectouterina auf den Uterus übergehen. Letzterer Muskulatur
schreibt Bayer eigenthümlicher Weise eine fast ebenso grosse
Rolle beim Aufbau der Uterusmuskulatur zu wie der Tuben-
faserung. Dieses ganze Fasersystem, welches Bayer aus den
Retractores uteri herleiten will, hat seinen Ausgangspunkt an
der hinteren Corpus-Cervixgrenze, da, wo diese Muskeln an den
Uterus herantreten; von hier aus sollen nun im wesentlichen
excentrische Ringe um die Cervix und einen grossen Theil des
Corpus uteri herumlaufen. Auf dieselbe Fasenmg führt Bayer
einen grossen Theil des ganzen mittleren Flechtwerks des Uterus
zurück, welches diese Fasern, durchkreuzt von den Zügen der
Tubenfaserung, darstellen.
Die Ligg. rotunda und ovarica sollen dann den Rest der
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Bcitr. zur vergl. Anat. u. Entwickelungsgesch. d. Uterusmuskulatur. 59
Mnskulatur liefern und zwar erstere an der vordem Corpuswand
und im ganzen supravaginalen Theil der Cervix sich ausbreiten,
letztere die Hauptmasse der hinteren Corpuswand und die Theile
um die Tubenwinkel bilden.
Wiederum von anderm und zwar wesentlich vergleichend-
anatomischem Standpunkt aus beschäftigt sich A. Pilliet (68)
mit der Uterusmuskulatur. Ausser der bereits citirten Arbeit
von Ellenberger (welche Pilliet nicht bekannt war) bieten
diese Untersuchungen das Hauptmaterial für die vergleichende
Anatomie der Uterusmuskulatur. Pilliet untersucht eine ganze
Reihe thierischer Uteri bis zum Chimpansen und Menschen, aller-
dings mit fast vollständiger Uebergehung der wichtigsten Ver-
mittlungsglieder, der Fledermäuse und der nicht anthropoiden
Affen. Ausserdem untereucht er noch die Muskulatur an Uterus-
myomen und am Uterus masculinus. •
Auf die einzelnen Untersuchungen Pilliets werde ich bei
meinen eigenen Beobachtungen zurückkommen. Ich möchte nur
hier die hauptsächlichsten Schlüsse mittheilen, zu denen der
Autor gelangt. Er schreibt jedem Müller' sehen Kanal eine
doppelte Muskulatur zu, welche dieselbe Richtung hat wie die
Muskulatur des. Darms. Eine Muscularis mucosae fehlt im Uterus.
Alle Uteri, auch die von complicirtester Structur, entstehen nur
durch Verschmelzung der beiden Schichten der Müller'schen
Gänge. Die äussere Lage geht in die Ligg. lata über; die
innere bildet durch Verschmelzung mit der äusseren bei den
höheren Säugethieren mit einfachem Uterus eine geflechtartige
Schicht, welche durch die Anwesenheit der Blutgefässe be-
dingt wird.
Die neuesten Angaben rühren von Veit (92) her. Veit
hält besonders gegenüber allen früheren Arbeiten die Ansicht der
üntrennbarkeit der Uterusmuskulatur in einzelne Schichten auf-
recht. So wendet er sich auch gegen den Versuch v. Hoff-
mann's, die Uterusmuskulatur auf die verschiedenartige Ausstrah-
lung der Tubenfasern zurückzuführen, mit Worten, welche mir
viel mehr noch der Ansicht Krause's gegenüber gerechtfertigt
scheinen; er sagt: „Mir scheint es richtiger, zu betonen, dass die
ursprüngliche Anlage, die Herkunft aus den Müller'schen Gängen,
identisch sei und dass die Anlage der muskulösen Wand in dem
verschmolzenen Organ — Uterus — sich ganz besondere stark
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60 J. Sobotta:
entwickelt habe, während die Ausbildung in den nicht vereinigten
Abschnitten^ — Tuben — eine geringfügigere geblieben. Es ist
danach nicht nothwendig, weil in den letzteren die Trennung
in zwei (resp. drei) Schichten leicht möglich ist, dass dies auch
am Uterus noch statt hat. Aus der Wand des Müll er 'sehen
Ganges hat sich die Uterusmuskulatur heraus entwickelt und die-
selbe Abstammung hat auch die Tubenmuskulatur; dass ausser
dem in dieser Entwickelung beider Organe gewisse Aehnlich-
keiten liegen, ist nicht so wichtig wie die ei-stgenannte Thatsache.'^
Aehnlich wendet sich Veit gegen die Arbeit Bayer' s.
Er verwirft dessen eigenthttmliche Ansicht, den grössten Theil
der Uterusmuskulatur aus der Muskulatur seines Bandapparates
abzuleiten mit vollem Recht. Wenn man in den Bändern die-
selbe Richtung der Muskulatur wie im Uterus fände, in dessen
Faserung ' diese Muskelzüge übergingen, so sei es immer viel
wahrscheinlicher anzunehmen, dass diese Muskeln der Bänder
aus dem Uterus und seiner Muskulatur stammten, als umgekehrt.
Veit selbst scheint mir andererseits auch in der einheit-
lichen Auffassung der Uterusmuskulatur etwas zu weit zu gehen.
Wie wir im Laufe unserer Untersuchungen sehen werden, muss
man allerdings bei weitem den grössten Theil der Uterusmusku-
latur als eine einheitliche Schicht auffassen; daneben aber lassen
sich einige allerdings verhältnissmässig viel schwächere Faser-
züge isoliren, wenn auch nicht mechanisch, so doch ver-
möge ihrer besonderen Stellung. Veit stellt die Muskulatur des
nicht schwängern Utems nach demselben Princip dar, wie Rüge
die des schwängern. Der ganze Uterus soll aus Lamellen be-
stehen, die vom Peritoneum entspringen und an der Schleimhaut
inserircn. Diese Lamellen sollen am Peritoneum dicht aneinander
liegen, gegen die Schleimhaut hin sich aber immer weiter von
einander entfernen. Die dadurch entstehenden Zwischenräume
werden nun nach Veit von Verbindungsfasern ausgefüllt, welche
zwischen den Lamellen zum Theil schräg, zum Theil fast quer
verlaufen. In den unteren Abschnitten des Uteruskörpers neh-
men nur wenige Lamellen ihren Ursprung vom Peritoneum, wäh-
rend sich lockeres Bindegewebe zwischen sie einschiebt. Die
Lamellen enden am Peritoneum in einer bald dichteren, bald
dünneren Längs faserung.
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Beitr. zur vergl. Anat. u. Entwickelungsgesch. d. UteniHmuskulatur. Gl
Methode der Untersachung«
Ehe ich mich zu den Resultaten meiner eigenen Unter-
suchungen wende, möchte ich den Gang derselben und die an-
gewandten Methoden kurz berühren. Dieselben wurden so an-
gestellt, dass die vergleichende Anatomie von mir haupt-
sächlich-berücksichtigt wurde. Ich ging dabei von der Uterusform
aus, welche sich unter allen von mir untersuchten Thierspecies
als die einfachste in Bezug auf ihre Muskulatur darstellte. Ellen-
berg er hat sich an eine aus irgend welchen anderen Gründen
aufgestellte Reihe der Säugethiere gehalten und ist in dieser
Reihenfolge vorgegangen. Das halte ich nicht für geeignet. Dass
natürlich der einfache Uterus des Afifen in seiner ganzen Ent-
wickelung und auch in seiner Muskulatur dem menschlichen
Uterus näher stehen vrird, als irgend ein Uterus bicornis, ist
selbstverständlich. Warum aber der Uterus der Nager oder Car-
nivoren dem menschlichen und AfFenuterus ähnlicher sein soll
als der der Hufthiere, dafür ist a priori gar kein Grund vor-
handen. So fing Ellenberge r seine Untersuchungen mit einem
verhältnigpmässig complicirtcn Uterus an, um von diesem auf
einfachere Formen und schliesslich auf die allercomplicirtesten
Oberzugehen. Pilliet dagegen nimmt in seiner Darstellung fast
dieselbe Reihenfolge, zu der auch ich gelangt bin. Nur geht er
gegen das Ende seiner Untersuchungen etwas sehr sprungweise
vorwärts und übergeht dadurch die wichtigsten Verbindungs-
glieder. Immerhin sind seine Resultate denjenigen, welche man
bei Berücksichtigung auch dieser Glieder erhält, sehr ähnlich.
Ausser der vergleichend-anatomischen Untersuchung wurde
aber noch eine entwickelungsgeschiclitliche unternommen
und zwar wesentlich am menschlichen Uterus. Wenn man bei
dieser doppelten Untersuchungsweise dieselben, resp. vergleich-
bare Resultate erhält, so glaube ich, kann man daraus Schlüsse
auf die Zusammensetzung des menschlichen Uterus ziehen, so
complicirt dieselbe auch ist. Durch das Studium eines so com-
plicirtcn Organs allein im erwachsenen Zustande ohne jede Be-
rücksichtigung der vergleichenden Anatomie dagegen kann man
wohl kaum zu sicheren Schlüssen gelangen. Deswegen muss
auch der Versuch Bayerns als verfehlt bezeichnet werden, zu-
mal da sich absolut kein Anhaltspunkt datlUr finden lässt, die
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62 J. S o b 0 1 1 a :
Hälfte der Uterusmuskulatur aus der Muskulatur seiner Bänder
abzuleiten, ganz abgesehen von der ünwahrseheinlichkeit einer
solchen Auffassung.
Was die eigentlichen Methoden der Untersuchung betrifft,
so wurden dieselben fast ausschliesslich auf mikroskopischem
Wege angestellt. Dieselben waren, da es sich nicht um feinere
Strukturverhältnisse, sondern wesentlich um Uebereichtsbilder
handelte, ziemlich einfache. Die zu untersuchenden Uteri wurden
fast sämmtlich in Müller' scher Flüssigkeit und Alkohol ge-
härtet, durch absoluten Alkohol wasserfrei gemacht und mit Cel-
loidin oder Photoxylin durchtränkt. Dann wurden sie mit dem
Mikrotom in massig dünne Schnitte zerlegt. Die Einbettung in
Paraffin wurde nur ganz ausnahmsweise bei ganz kleinen Stücken
vorgenommen, da bekanntlich selbst massig starke Massen glatter
Muskulatur in Paraffin steinhart und fast unschneidbar werden.
Die Färbung geschah fast ausnahmslos mit Böhmer'schem Hä-
matoxylin und Eosin. Letzteres nehmen die glatten Muskel-
fasern besonders leicht an und sind dann auch bei schwachen
Vergrösserungen stets leicht zu erkennen. Palladiumchlorid er-
wies sich zum Behandeln ganzer Stücke als vollst^dig un-
brauchbar. In den äusseren Abschnitten, in die das Reagens
überhaupt nur eindringt, war alles gelb gefärbt, das Bindegewebe
colossal gequollen und immer noch intensiver gelb als die Mus-
kulatur in den mittleren oder gar inneren Schichten. Dagegen
wurden Schnitte junger embryonaler Uteri mit sehr geringer
Muskulatur vortheilhaft zur Darstellung der wenigen glatten
Muskelfasern mit einer schwachen Palladiumchloridlösung nach-
träglich behandelt.
Tergleichend-anatomisclie Untersuchung.
Man kannte die zweihörnigen Uteri der Hausthiere, Hunde
etc., viel früher als den menschlichen, welchen man lange eben-
falls für einen Uterus bicornis gehalten hat. Da Galen wahr-
scheinlich nur Affenanatoraie getrieben hat, so wurde der mensch-
liche Uterus in seiner eigentlichen Gestalt erst von Vesalius
erkannt und von ihm zuerst beschrieben.
Indess wurden bis in die neueste Zeit die Muskulaturver-
hältnisse fast ganz vei-nachlässigt. Man legte wie natürlich sein
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Beitr. zur vergl. Anat. u. Entwickelungsgesch. d. Uterusirniskulatur. 6ä
Hauptaugenmerk auf die mannigfachen Formverbältnisse des thie-
risehen Uterus. Auf diese Angaben beschränken sich auch die
Lehrbtlcher der vergleichenden Anatomie. Einige wenige An-
gaben macht Milne-Edwards (62). Eine Eintheilung der Uteri
der Säugethiere giebt Rapp (70). Er unterscheidet: 1) eine
einfache Oebärmutter mit einfachem Muttermund (Mensch, AflFen),
2) eine einfache Gebärmutter mit doppeltem Muttennund (Faul-
thier, Ameisenfresser), 3) Gebärmutter mit 2 Höraem (Maki,
fleischfressende Thiere, Pachydeimen, Delphine), 4) dopj)elte Ge-
bärmutter; jedes Hom hat eine besondere Mündung in die Scheide
(die meisten Nager, Beutelthiere, Orycteropus), 5) zwei gegen ihr
inneres Ende erweiterte Röhren in einer Cloake (Monotremen).
Dieser Eintheilung folgen auch die meisten Lehrbücher der
vergleichenden Anatomie. Die 5. Klasse Rapp 's muss man als
Uterus allerdings streichen. Die fruchthaltenden Abschnitte des
Genitalkanals der Monotremen sind ebensowenig als Uteri zu be-
zeichnen wie die erweiterten Eileiter mancher viviparen Amphibien
(Salaraandra maculata) und Reptilien (Lacerta vivipara, Anguis
fragilis, Pelias bems, Anakonda). Vom Uterus im Sinne des
menschlichen und thierischen Uterus darf man ei'st sprechen,
wenn eine Sonderung des Genitalschlauches in Tuben — einen
eigentlich fruchthaltenden Abschnitt — den Uterus und in Scheide
erfolgt ist. Dasselbe ist bei den Monotremen noch nicht der
Fall, dagegen schon bei den Beutelthieren. Es bleiben dann,
indem wir der von Wieder sheim (95) gegebenen Eintheilung
folgen, folgende Formen übrig; 1) Utenis duplex, d.h. zwei
^trennte Uteri laufen in eine mehr oder weniger gemeinsame
Scheide aus (Beutelthiere), 2) Uterus bipartitus : zwei Uteri laufen
eine Strecke weit vollständig getrennt, legen sich aber vor ihrer
Einmündung in die Scheide aneinander, so aber, dass ihr Lumen
nicht verschmilzt. Es besteht hier also auch ein doppelter
Muttermund (ein Theil der Nager [Lepus, Sciurus], Orycteropus
[Rapp 70], einige Cheiropteren [Robin 75]), 3j Uterus bicornis:
zwei Uterushömer, die auf kürzere oder längere Strecke ge-
trennt verlaufen, vereinigen sich, indem auch ihr Lumen einfach
Vfvri. Der Muttermund ist also hier ein einfacher (einige Nager
[Mus, Cavia], ein Theil der Cheiropteren, alle übrigen Säuger
bis auf unter Nr. 4), 4) Uterus simplex, ein Uterus mit voll-
ständig einfachem Lumen und einfachem (Mensch, einige Chei-
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64 J. S 0 b 0 1 1 a :
ropteren, Aflfen) oder doppeltem Muttermund (einige Edentaten
[Rapp 70, K. E. v. Baer 2]).
Diese verschiedenen Formen des Uterus gehen natürlich
mannigfach in einander über. Es ist das besonders flir den
Uterus bicornis der Fall. Bei denjenigen Nagern z. B., welche
bereits einen Uterus bicornis haben, liegt die Vereinigungsstelle
der Lumina unmittelbar über dem einfachen Muttermund, so dass
sich diese Utenisform nur äusserst wenig von dem Uterus bipar-
titus der übrigen Nager unterscheidet. Andererseits werden die
HöiTier bei den Rindern, Einhufern, Halbaffen und den meisten
Fledermäusen sehr kurz, bei einigen, besonders den Einhufern,
so, dass man ihren Uterus auch wohl als Uterus bifundalis unter-
schieden hat. Das Lumen bleibt jedoch auch bei diesem Uterus
eine nicht unerhebliche Strecke weit getrennt und nur die äussere
Vereinigung erstreckt sich fast über die ganze Länge des Uterus.
Ausserdem sieht man aus der vorstehenden Eintheilung,
dass namentlich bei den Edentaten und Cheiropteren innerhalb
derselben Ordnung eigenthümliche Verschiedenheiten in der Uterus-
form vorkommen. Diese Verschiedenheit ist mehr ein Curiosum,
als dass sie besondere Bedeutung hätte, denn auch hier handelt
es sich meist nur um eine mehr oder weniger erhebliche Aus-
bildung der mittleren Scheidewand, weniger um eine fundamen-
tale Verschiedenheit des ganzen Uterus.
Die hier folgenden Untersuchungen über die Muskulatur der
verschiedenen Uteri erstrecken sich nicht auf alle Ordnungen der
Säugethiere; auf einige deswegen nicht, weil es mir nicht mög-
lich war. Uteri derselben zu erhalten (Edentaten und Beutler),
auf andere deshalb nicht, weil sie weder in ihrer Form noch in
ihrer Muskulatur von solchen, die zur Besprechung kommen, ab-
weichen. Es wurden untersucht: Rodentia a) mit Uterus bi-
partitus, b) mit Uterus bicornis, Carnivoren, A rtiodactyla,
Prosimiae, Chiroptera, Primates und der Mensch.
Wie schon gesagt, gehen die Untersuchungen von der ein-
fachsten Uterusfonn dieser Reihe aus, und als solche stellt sich
die der Nager dar. Der Uterus bipartitus des Kaninchens ver-
hält sich in Bezug auf seine Muskulatur genau so wie der Uterus
bicornis der Maus, wie überhaupt der Unterschied beider nur in
der Duplicität des Muttermundes bei ersterem und der geringeren
Länge der Hörner bei letzterem besteht. Der Bau dieses Uterus
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Beitr. znr vergl. Anat. u. Entwiekelungsgesch. d. Uterusmxiskulatur. ß5
muss meiner Ansicht nach im Vergleich zum Corpus uteri des
Menschen zunächst im Hörn studirt werden, nicht an der Ver-
eiuigungsstelle der Hönier. Das llorn des Mäuseuterus resp. die
eine Hälfte des Kaninchenuterus sind also der Ausgangspunkt
unserer Untersuchungen. Die Structur desselben ist eine sehr
einfache. Zunächst dem meist etwas excentrisch gelegenen Lu-
men liegt unter dem cylindrischen Epithel eine ziemlich dicke,
an Lymphzellen sehr reiche Schleimhaut mit massig zahlreichen
langen tubulösen Drüsen. Dieser sitzt dicht auf eine ziemlich
starke Ringfaserschieht glatter Muskelfasern, w^elche einen com-
pacten Ring um die Schleimhaut bilden. Einige aber nur wenige
Fasern der Ringmuskelschicht gehen auch bis in die tieferen
Schichten der Schleimhaut selbst. Auf die Ringmuskulatur folgt
eine mindestens ebenso starke Lage lockeren Bindegewebes mit
vielen grossen Gefässen. Dann schliesst sich eine meist sehr
deutlieh zu Bündeln angeordnete Längsmuskulatur an, welche
namentlich bei Mäusen , die öfters trächtig waren, die Ring-
muskulatur an Stärke übertriflft. Bei jungfräulichen, besonders
aber bei jungen Thieren ist indess die Ringmuskulatur erheblich
stärker. Die Längsbündel der longitudinalen Muskelschicht geben
dem Uterus schon makroskopisch ein deutlich streifiges Aussehen,
welches sich gegen den unteren Abschnitt des Uterus mehr und
mehr verliert. Zwischen beiden Muskelschichten laufen mit den
Gefössen sehr vereinzelte Muskelfasern von einer Schicht zur
anderen.
Unmittelbar auf der Längsmuskulatur und untrennbar mit
ihr verwachsen folgt das Peritoneum, welches vom Lig. latum
her den Uterus überzieht. Beide Muskelschichten nun verhalten
sich verschieden in Bezug auf ihren Uebergang in das Ligamen-
tum latum. Die Schleimhaut und Ringmuskulatur liegen abge-
schlossen für sich und nehmen keinen Theil an der Bildung des
Ligamentum latum. Die Zwischenschicht dagegen geht ohne
Grenze in das zwischen den Platten des Ligamentum latum ge-
legene Bindegewebe über und ebenso die zwischen den Platten
des Mesometriums herantretenden Gefässe ; kurz die bindegewebige
Gnmdlage des Ligamentum latum und die intermuskuläre Zwi-
schenschicht sind eins.
Die äussere longitudinale Muskelschicht ist, wie schon ge-
sagt, durch (Jieses Bindegewebe des Ligamentum latum getrennt
Archiv f. mikrusk. Anat. Bd. 38 5
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66 J. S 0 b 0 1 1 a :
von der inneren circulären Schiebt und liegt unmittelbar unter
der Serosa und zwar nicht nur im Umfange des Uterus, sondern
in gleicher Stärke eine nicht geringe Strecke vom Uterus
entfernt. Erst weit vom eigentlichen Uterus verliert sich die
hier gleichfalls zu Längsbündeln angeordnete Muskulatur all-
mählich im Ligamentum latum, indem die Bündel immer schwächer
werden. Diese Muskelschicht steht also in unmittelbarer Be-
ziehung zum Peritoneum. In ihrer Richtung sowohl wie in ihrer
Ausdehnung wird sie nicht durch den Uterus, sondern durch die
Serosa bestimmt. Sie tritt schon als starke Muskelschicht an
den Uterus heran imd überzieht denselben zugleich mit der
Serosa, letzterer unmittelbar anliegend.
Figur 1 zeigt den Durchschnitt des Uterushoms der Maos.
Dasselbe hat in seiner ganzen Ausdehnung denselben oben ge-
schilderten Bau.
Gegen die Tuben hin wird der Uterus des Kaninchens, der
Maus etc. in seinem Kaliber nicht wesentlich schwächer und
setzt sich scharf gegen die Tuben ab. Das ist allerdings bei
Thieren, die noch nicht geworfen haben, nicht so sehr der Fall
wie bei älteren. Es hängt das mit der schwächeren Entwick-
lung der Längsrauskulatur zusammen, welche, wie wir gleich
sehen werden, auf die Tuben nicht mit übergeht.
Macht man einen Längsschnitt durch die Uterustubeugrenze
des Kaninchens, so sieht man die ebenfalls zu Bündeln ange-
ordnete Ringmuskulatur in derselben Richtung zur Schleimhaut,
wie man es auf dem Querschnitt erkennt, direkt in die Musku-
latur der Tuben übergehen, indem die Bündel kleiner werden.
Die Zwischenschicht entwickelt hier an der Uterustuben^enze
oft Fettgewebe, wodurch die Längsmuskulatur abgehoben und
mitsammt dem Peritoneum in Falten gelegt wird. Die Fasern
der Längsmuskulatur werden gegen die Tube hin plötzlich
schwächer, um sich schliesslich ganz zu verlieren. Ebenso findet
man an der Tube der Maus in geringer Entfernung vom Uterus
schon keine Längsmuskelfasern mehr. Die Ringmuskulatur selbst
wird ßtellenweisc bis auf wenige Zclllagen reducirt. Auch die
Schleimhaut der Tuben besteht fast nur aus dem Epithel, das
mit seiner Basalmembran von der Muskulatur nur durch einige
Bindegewebsfasern feinster Art getrennt wird. Selbst die zahl-
reichen Falten der Tuben werden fast nur von einem doppelten
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Beitr. zur ver^l. Anat. u. Entwickelungs^esch. d. Üterusmuskulatur. 67
Epithel gebildet, deren Basalmembranen eine Capillare mit wenig
mehr als ihrer eigenen Wand trennt.
Wenden wir uns nun vom oberen Ende des Uterus zu sei-
nem unteren. Wie bekannt, findet bei all diesen Uterusformen
(mit Ausnahme des der Beutelthiere), seien es Bicomes oder Bi-
partiti, eine äusserliche Vereinigung beider Hörner schon lange
vor der Vereinigungsstelle beider Lumina statt. Die beiden
Homer liegen hier so nebeneinander, dass man von der Dupli-
cität des Lumens an der Stelle auch bei den grössten Uteri
(Kuh etc.) nichts sieht. Diese Strecke der rein äusseren Ver-
einigung ist meist weit länger als man gewöhnlich denkt. Es
liegen hier beide Hörner nebeneinander: 2 Lumina, 2 Schleim-
häute, 2 Ringmuskulaturen gänzlich von einander gesondert. Da-
gegen umgiebt die getrennten Ringmuskelschichten, welche sich
in der Mittellinie gerade noch berühren, eine gemeinsame Binde-
gewebsschicht mit den Geßlssen, welche jetzt von beiden Seiten
her mit dem in der Mittellinie vereinigten Ligamentum latum
herantreten. • Ebenso wie das Peritoneum jetzt einen einfachen
Ueberzug bildet, so auch die Längsmuskulatur. Beiderseits geht
dieselbe jetzt nach links und rechts in das Ligamentum latum
über, zeigt aber sonst genau dieselben Verhältnisse wie am
freien Hörn. Durch diesen gemeinsamen Ueberzug des Perito-
neums und der subperitonealen Längsmuskulatur erhält der Uterus
auch äusserlich das einfache Aussehen, während sein Lumen
noch doppelt ist. So verhält sich die Längsmuskulatur nun auch,
wenn das Lumen bei der Maus ein einfaches geworden ist. Die
beiden Ringmuskulaturen, Schleimhäute und Lumina sind nun
verschmolzen. Der Sporn, der beide Lumina trennt, enthält erst
noch die sich vereinigenden Ringfaserschichten, schliesslich aber
nur noch Schleimhaut. Geht man noch weiter abwäi*ts gegen ;
den Muttermund und die Scheide, so sieht man die Längsmusku-
latur in demselben Maasse, wie das Peritoneum erst lockerer
aufliegt und schliesslich den Genitaltractus ganz verlässt, ganz
aulhören, indem sie allmählich schwächer wird. Die Ring-
muskulatur bleibt bestehen und setzt sich direkt in die Scheiden-
muskulatur fort, nur behält sie nicht ihr compactes Aus-
sehen, sondern sie wird durch trennende Bindegewebszüge lamellen-
artig gespalten.
Beim Kaninchen, wo beide Uteri getrennt bleiben, ver-
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68 J. S o I) o 1 1 a :
einigen sich natürlich die Ringmuskulaturen erst in der Scheide.
Letztere 'sendet einen kurzen Blindsaek zwischen beide Mutter-
niundsöffnungen; hier begiimt dann schon die Bildung der Schei-
denniuskulatur^ indem von beiden Ringmuskulaturen Faserbündel
den Scheidenblindsack umgeben. Die Ringmuskulatur hat hier
schon ihr lamellenartiges Aussehen, die Längsmuskulatur fehlt
an der Stelle gänzlich.
Diese Anordnung der Muskulatur im Uterus der Nager ist
das Schema für alle anderen von mir untersuchten Uteri, und in
der richtigen Deutung dieser Verhältnisse liegt auch der Schlüssel
zum Verständniss der Uterusmuskulatur der höheren Säugethiere,
selbst der Aflfen und des Menschen. Diejenige Muskulatur, welche
Tuben, Uterus und Scheide gleielnnässig angehört, also dem Ver-
lauf des ursprünglichen Müller'schen Kanals genau folgt und
in seiner Wand sich entwickelt, die Ringmuskulatur der thieri-
schen Uteri möchte ich als die eigentliche fundamentale Musku-
latur des Uterus ansehen. Ganz abgesehen davon, dass sie allein
sich auf Tuben und Scheide fortsetzt, ist sie auch wesentlich
vom Uterus abhängig und mit seiner Schleimhaut eng verbunden.
Sie folgt dem Verlauf derselben in allen Einzelheiten und ver-
schmilzt z. B. bei der Vereinigung der Uterushömer erst, wenn
auch die Schleimhaut und das Lumen einfach wird. Ferner ist
sie vor allem diejenige Muskulatur, welche sich bei der Ent-
wickelung zuerst anlegt und lange Zeit allein bestehen bleibt.
Bei neugeborenen Kaninchen findet man nur diese Muskulatur,
von der Längsmuskulatur noch keine Spur. Letztere ist zwar
mitunter etwas stärker als die Ringmuskulatur, aber auch in
ihrem ganzen Verhalten fast unabhängig vom Uterus. Auf die
Tuben geht sie gar nicht, ebensowenig auf die Scheide über.
Sie entsteht, fest mit dem Peritoneum verwachsen, schon eine
ganze Strecke ausserhalb des Uterus im Ligamentum latum und
ist von den übrigen Theilcn des Uterus stets leicht und streng
zu sondern. Wenn der Uterus mit seiner Schleimhaut schon
getrennt ist, wird diese Muskulatur mit dem Peritoneum ein-
fach; sie stellt dann einen einfachen peritonealen und musku-
lösen Ueberaug beider Uterushömer dar, kurz diese Muskelschicht
ist in allen ihren Beziehungen eng an das Peritoneum geknüpft
und stellt eine „Muscularis serosae" dar. Sie ist in ihrem Ver-
halten vom eigentlichen Uterus nur insofern abhängig, als sie
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Beitr. zur ver^l. Anat. u. Entwickolungsgesch. d. üterusniuskulatur. 69
überhaupt als Uterusmuskulatur funktionirt und zwar bei den
Nagern nicht minder als die innere Ringmuskulatur, denn sie
wird während der Träehtigkeitsperiode noch stärker als diese.
Die gefässreiche Zwischenschicht, welche beide Muskel-
8chichten trennt und welche sich in die Zwischenschicht der
Ligg. lata fortsetzt resp. eins mit ihnen ist, kann nur als eine
Subserosa aufgefasst werden. Wie man an vielen anderen Or-
ganen Serosa und Subserosa von der daruntergelegenen Musku-
laris abziehen kann, so auch hier am Uterus. Nur sind in der
Serosa hier Muskelfasern entwickelt, welche natürlich mit abge-
zogen werden.
Williams verleiteten diese Verhältnisse am Uterus des
Schafs und Rehes, welche keine wesentlich anderen sind, zur
Annahme einer Submucosa. Obwohl er nur das Uterushorn
untersuchte und in Folge dessen auch die eigenthttmlichen Ver-
hältnisse der subserösen Längsmuskulatur bei der Vereinigung
der Homer nicht kannte, so hätte ihn doch schon das Studium
des Uterushoms allein, ja seine eigene Abbildung eines Bessern
belehren müssen. Gerade die Analogie der Schichten mit dem
Darmkanal, vorzugsweise dem Magen, die er sucht, hätte ihm
zeigen müssen, wie verschieden eine Submucosa von jener gefUss-
reichen Zwischenschicht ist, welche, wie wir sahen, eine Sub-
serosa darstellt, wenn man durchaus Analogien mit andeni mem-
branösen Organen suchen will. Am Magen bildet die Submu-
cosa einen continuirlichen Ring um die ganze Schleimhaut und
folgt, wie schon ihr Name sjigt, genau dem Verlauf derselben.
Man versteht eben unter einer Submucosa eine Schicht lockeren
Bindegewebes, welche die Schleimhaut von der darunter gelegenen
Schicht trennt und sich in ihrem Verlauf und Verhalten ganz
nach der Schleimhaut richtet. Die vermeintliche Submucosa des
Uterus aber erstreckt sich zwischen die Platten der Serosa ganz
wie die Subserosa am Magen und Darm. Mit der Schleimhaut
hat sie gar keinen Zusammenhang.
EUenberger hat denselben IiTthum begangen. Auch er
untersucht nicht den Uterus in ganzer Ausdehnung, sondern ein-
zelne Stellen, vornehmlich inmier den vereinigten Theil zwei-
hömiger Uteri, den Theil also, in dem bei der Mehrzahl der
Thiere die Früchte nicht getragen werden, der also auch nicht
dem menschlichen Uteruskörper entspricht. EUenberger sucht
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70 J. Sobotta:
Williams und seine Hypothese dadurch zu unterstützen, dasa
er die Submucosa als etwas Nothwendiges zu jeder Schleimhaut
fordert. Das ist an und für sich schon eine unbillige Forderung.
Der Begriff der Submucosa verknüpft sich fast ausschliesslich
mit den Verhältnissen des Darmkanals, und nur weil man die
ausgebildeten Verhältnisse dieses Tractus als Muster eines röhren-
iormigen Organs anzusehen gewohnt ist, verknüpft man mit dem
Begriff der Mucosa auch den der Submucosa. Die Submuco^
im Darmkanal aber hat ihre ganz besonderen Zwecke. Sie schützt
die Schleimhaut mit ihren Drüseneinrichtungen bei den stetigen
Contractionen des Darms vor Compression. Und da, wo die
Schleimhaut mit der Muskulatur mitbewegt werden soll, z. B.
an der Zunge, dem Gaumen und Pharynx, da fehlt auch im
Darmkanal die eigentliche Submucosa, da tritt festes straffes
Bindegewebe an die Stelle des lockeren.
Andere Schleimhäute, z.B. die der Nasenhöhle, besitzen
überhaupt gar keine Andeutung einer Submucosa. Warum soll
nun die Uterusschleimhaut eine Submucosa haben? Soll denn
hier die Schleimhaut vor den Contractionen der Muskulatur ge-
schützt werden oder soll nicht vielmehr der Uterus bei seinen
Contractionen, d. h. bei der Geburt, die Schleimhaut oder wenig-
stens ihre Umbildungsprodukte und Reste geradezu comprimiren
und direkt auf sie wirken. Ich sehe also nicht nur keine Noth-
wendigkeit für das Vorhandensein einer Submucosa im Uterus
ein, sondern vermisse sie gern, noch dazu, da die vermeint-
liche Submucosa des Uterus keine .Analogie mit der des Darms
besitzt.
Der Hauptgrund, welcher Williams und Ellenberg er
zur Annahme einer Submucosa und Muscularis mucosae bewogen
hat, ist der enge Zusammenhang der inneren Ringmuskelschicht
mit der Mucosa des Uterus. Williams hat sich zwar mit der
Untersuchung von Uteris begnügt, bei denen diese Muskulatur,
welche beide Autoren als Muscularis mucosae ansehen, verhält-
nissmässig dünn ist, wenigstens kaum dicker als die Längsmus-
kulatur, für eine Muscularis mucosae aber immerhin enorm stark.
Elle nb erger dagegen führt seine Untersuchungen bis zum
Aflfen fort, wo dann die Musculaiis mucosae mindestens 5 mal so
stark sein würde als die eigentliche Uterusmuskulatur.
Ein zweiter Grund, der EUenberger veranlasst, jene binde-
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Beitr. zur vergl. Anat. ii. Entwickelungsgesch. tl. Uterusmuskulatur. 71
gewebige Zwischenschicht zwischen beiden Lagen der Uterus-
muskulatur der Thiere für eine Submucosa anzusehen ^ ist der,
dass diese Schicht vorzugsweise die grossen Gefiisse des Uterus
enthält, wie die Submucosa des Magens und Darms. Letztere
fahrt allerdings Gefasse in reichlicher Anzahl, aber nicht die
grossen Stämme. Das Gefassnetz der Submucosa des Darma
versorgt ganz wesentlich nur die eigentliche Schleimhaut, nicht
die Muskulatur. Beim Uterus der Maus und ebenso auch der
tibrigen Thierklassen aber versorgen die grossen Gefässe der
fraglichen Schicht sowohl alles, was innerhalb der Schicht ist,
also Schleimhaut und Ringmuskulatur, als auch die ausserhalb
gelegene Längsmuskulatur. Wie beim Darm treten die Gefösse
zwischen den Platten des Mesenteriums an das Eingeweide heran.
Beim Darm nun liegen die grössten Gefiisse natürlich zunächst
in der Subserosa, denn mit dieser kommen sie aus den Platten
des Bauchfells hervor. Ganz ebenso i^t es am Uterus. Auch
hier liegen sie in der Schicht, die, wie wir schon sahen, eigent-
lich eine Subserosa rfepräsentirt. Nie trifft man am Uterus auch
nur kleine Gefösse zwischen Serosa und Längsmuskulatur. Dieses
Verhalten der Gefiisse spricht auch schon für den engen Zusam-
menhang der Uteruslängsmuskulatur mit der Serosa selbst.
Es besteht also auch keine Analogie der Muskelschichten
des thierischen Uterus und der des Darms, wie das auf den
ersten Blick scheinen möchte und oft behauptet worden ist. Am
Darm bilden beide Muskelschichten, eng miteinander verbunden
und nur durch ein dünnes Fascienblatt getrennt, einen continuir-
lichen Ring um die Schleimhaut. Das ganze überzieht dann die
Serosa deutlich durch lockeres Bindegewebe (Subserosa), von der
Muscularis getrennt. Die Längsmuskulatur des Darms gehört
also diesem selbst ebenso an wie die Ringmuskulatur und wird
auch von aussen her von Gefässen versorgt.
Ellenberger hat sehr wohl den engen Zusammenhang der
Längsmuskulatur des Uterus mit dem Peritoneum selbst erkannt
und giebt ihr sogar den Namen einer Muscularis serosae. Um so
weniger lag also Veranlassung vor, die Williams 'sehe Meinung
zu stützen. Auch Körner (45) nennt bei Gelegenheit der Unter-
suchungen über die Uterusnerven beim Kalb und Kaninchen diese
Muskulatur ^Muskulatur des Mesometriums^.
Krause will beide Muskelschichten des thierischen Uterus
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72 J. S o b 0 1 1 a :
von Muskelschichten der Tube ableiten und beim menschlichen
Uterus auf die Längsmuskulatur sein Stratum supravasculare und
auf die Ringmuskulatur sein Stratum vasculare und infravasculare
zurückführen. Dagegen ist zunächst einzuwenden, dass eine ganze
Reihe von Thieren keine Längsmuskulatur an den Tuben besitzt und
unmöglich diese nicht vorhandene Muskulatur der Tube die
Gnmdlage einer mächtigen Uterusmuskelschicht abgeben kann.
Pilliet konstatirt den einfachen Befund des Nageruterus,
ohne weitere Schlüsse auf die Abstammung der Muskelschichten
zu ziehen. Er sieht beide Muskelschichten als zum Uterus selbst
gehörig und in ihm entstanden an. Eine Muscularis mucosae
oder Submucosa erkennt er in keinem Theil der Uterusmuskulatur.
Nachdem wir so die Verhältnisse des Nageruterus kennen
gelenit haben, sehen wir uns bei einer Reihe anderer Säugethiere
um, ob wir hier dieselben Verhältnisse wieder finden.
Wenn wir uns zunächst zu den Carnivoren wenden, so
haben wir hier ganz ähnliche Zustände. Als Beobachtungsobjekt
möge der Uterus der Katze dienen. Derselbe ähnelt in seinem
Aeussem dem der Maus. Auch er hat lange aber gerade Homer,
die sich erst äusserlich, dann auf eine ungefähr Centimeter lange
Strecke auch mit ihrem Lumen vereinigen. Die Tuben setzen
sich sehr scharf vom Uterus ab und zwar so, dass vom Ende
des Uterushorns aus eine straffe Falte durch das Ligamentum
latum gegen die Beckenwand zieht. Dieselbe wird von der
äusseren Längsmuskulatur gebildet, welche hier sich auf das Li-
gament, nicht aber auf die Tuben fortsetzt. Dadurch entsteht
dieser schroffe Absatz zwischen Uterushom und Tube.
Studiren wir nun die Verhältnisse der Muskulatur. Wir
finden um die Schleimhaut heinim wieder eine starke compacte
Ringmuskelschicht derselben fest anliegend. Darauf folgt die
verbindende Zwischenschicht und die meist etwas schwächere
Längsmuskulatur mit der Serosa. In der subserösen Schicht
liegen beim Katzenuterus zahlreiche und mächtige Gefä-sse mit
starken Muskelwandungen, weit ausgebildeter als bei den Nagern.
Zwischen den Gefassen hindurch gehen zahlreiche kleine Muskel-
zttge, welche ganz bedeutend stärker sind als am Nager-
aterus. Insbesondere liegt constant ein longitudinaler Muskelzug
an der Stelle, wo das Ligamentum latum mit seiner Muskulatur
herantritt. Dieser Zug, von grossen Gefössen durchsetzt, ver-
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Beitr. zur ver^l. Anat. ii. Entwickehin^s^esch. d. Utenismuskulatur. 73
bindet mit lockeren Bündeln Ring- und Längsmuskulatur. Letz-
tere ist nicht erheblich schwächer als die Ringmuskulatur, aber
weniger deutlich zu Bündeln angeordnet als bei der Maus. Die
Bündel sind gröber und daher spärlicher, geben aber dem Uterus
immerhin noch das charakteristische längsstreifige Aussehen.
Diese Muskulatur steht auch hier im innigsten Zusammenhang
mit der Serosa und beginnt wieder eine erhebliehe Strecke vom
Uterus entfernt im Ligamentum latum. Anfangs liegen die
Schichten beider Peritonealblätter dicht aneinander, nur durch
wenig Bindegewebe getrennt; je weiter dem Uterus zu, desto
mehr weichen sie auseinander, um eine*n grossen GefUsscomplex
in sich einzuschliessen.
Wir sehen also auch- hier im Allgemeinen wieder dieselben
Verhältnisse wie wir sie bei den Nagern fanden. Nur sind die
Gefässe viel mächtiger entwickelt und werden von besonderen .
Mnskelzügen umgeben, welche vorzugsweise Längsrichtung haben
und eine Art von Verbindung zwischen beiden Muskellagen dar-
stellen. Dieses Verhältniss hat zum Vergleich der subserösen
GefSssschicht des thierischen Uterus mit dem Stratum vasculare
des menschlichen Veranlassung gegeben, und namentlich Pilliet
will so die Zusammensetzung des menschlichen Uterus erklären.
Auch nach Williams und Ellenberg er entsteht auf diese
Weise das Stratum vasculare. Die Verhältnisse des Katzenuterus
allein mögen zu einer solchen Annahme allerdings sehr verlocken ;
die weitere Untersuchung aber, insbesondere der Affenuteri,
widerlegt diese Auffassung, namentlich in der Weise, wie die
beiden letzteren Autoren sie annehmen, vollständig.
Die Längsmuskulatur zeigt am Katzenuterus dasselbe Ver-
hältniss wie bei der Maus. Sie wird nach Aneinanderlagerung
der Hörner einfach und umfasst^nun jederseits die grossen Ge-
fäßsbündel. Ebenso verhält sie sich natürlich, wenn das Lumen
einfach geworden ist. Die Gefösse sind hier ganz besonders
stark. Fig. 2 — 4 zeigen Durchschnitte durch das Hörn, den un-
vereinigten und vereinigten Theil des Katzenuterus.
Ellenberger untersucht zuerst den Kalbs- und Pferde-
uterus und geht von diesen erst auf die einfacheren Formen
mit den langen Hörnern über. Bei ersteren nun untersucht er
den vereinigten Theil, welcher hier allerdings einen erheblichen
und wohl auch wesentlichen Abschnitt darstellt. In Folge dessen
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74 J. S 0 b o 1 1 a :
untersucht er nun auch bei Nagern, Insectivoren, beim Schwein
und den Raubthieren den vereinigten Theil als den Haupttheil,
obwohl derselbe hier keineswegs der eigentlich fruchthaltende,
sondern nur ein ausführender Abschnitt des Uterus ist. Letzteres
ist zwar für das Resultat der Untersuchungen gleichgültig, in-
dess kommt Ellenberger durch diese Reihenfolge erst am
Schlüsse seiner Untersuchungen auf die merkwürdige Thatsache,
dass am Uterus des Hundes eine Strecke weit beide Schleim-
hauttractus in dasselbe äussere Muskelrolir gehüllt sind, was
aber auch schon beim Kalb und allen anderen von ihm unter-
suchten Thieren der Fall ist. Er verkennt nicht das AuflUllige,
dass hier zwei getrennte Musculares mucosae und eine gemein-
same eigentliche Muscularis existiren sollten.
Wenden wir uns vom Uterus der Raubtliiere zu dem der
Hufthiere. Diejenige Form, welche sich ihrer äusseren Gestalt
nach am nächsten an die Uteri der Raubthiere und Nager an-
schliesst, ist der Uterus des Schweines. Derselbe stellt ein
starkes muskulöses Organ mit langen gewundenen Hömeni dar.
Die Hörner laufen, wie wir es schon bei den vorher besprochenen
Formen gesehen hatten, zusammen, indem sie anfangs von der
gemeinsamen Längsmuskulatur umhüllt werden, später aber auch
die Ringmuskelschicht und das Lumen verschmilzt. Die Ring-
muskulatur ist auch hier schon etwas stärker als die Längs-
muskulatur. Beide stellen sehr dichte und compacte Schichten
dar und lassen keine scharfe Trennung in einzelne Bündel er-
kennen. Die gefössftthrende Zwischenschicht ist hier merkwürdig
schwach entwickelt und fast nur neben der Ansatzstelle des Li-
gamentum latum deutlich. An den anderen Stellen, namentlich
gegenüber dem Ansatz des Ligaments , liegen beide Muskel-
schichten dicht aneinander, wjenn auch immerhin noch scharf
gesondert, namentlich in Bezug auf ihre Richtung. Die Längs-
muskulatur geht continuirlich in die Muskulatur des Ligamentum
latum über, welches in der Nähe des Utenis so stark muskulös
ist, dass fast die ganze Masse des dicken Bandes aus Musku-
latur besteht.
Die Tube des Schweines ist ebenfalls im Gegensatz zu den
Nagern und Carnivoren auffallend stark muskulös. In der Nähe
des Uterus zeigt sie noch dieselbe Structur wie dieser, d. h. auch
noch eine allerdings sehr schwache subperitoneale Längsmusku-
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Beitr. zur vergl. Anat. u. Entwickelung-siiresch. d. Uterusmuskulatur. 75
latur neben einer viel stärkeren, der Schleimhaut dicht aufliegen-
den Ringnmskelschicht. Weiter vom Uterus entfernt, besonders
an der eigentlichen Ampulle, ist nur noch die letztere übrig.
Sonst sind die Verhältnisse des Schweineuterus von denen der
vorher besprochenen Uteri nicht verschieden.
Mit dem Schweineuterus verlassen wir die Uteri mit langen
Hörnern, welche mehrere, meist eine ganze Reihe von Früchten
aui7.unehmen bestimmt sind und deswegen auch, wie wir später
sehen werden, etwas Gemeinsames in der Anordnung ihrer Mus-
kulatur haben. Wir wenden uns nun zu Uteri von Thieren,
welche in der Regel nur 1 oder 2 Früchte beherbergen und des-
wegen auch wesentlich kürzere Homer haben. Als Ausgangs-
punkt diene hier der Uterus des Schafes und Kalbes, welche
fast genau dieselben Verhältnisse darbieten und deswegen hier
zusammen abgehandelt werden sollen.
Im allgemeinen finden wir auch hier die Verhältnisse, die
wir bereits bei den voraufgehenden Species gesehen haben. Beide
Homer vereinigen sich nach verhältnissmässig kurzem Verlauf
wieder unter eine gemeinsame äussere Muskelschicht, während
die Lumina noch eine Strecke weit getrennt bleiben, um endlich
ebenfalls einfach zu werden. Eigenthümlich ist der Abgang
der Tube vom Utems. Dieselbe verlässt das Uterashora unge-
fähr in der Hälfte seiner Länge, nicht an seiner Spitze, und
zwar an der äusseren Seite. Macht man oberhalb dieser Ab-
gangsstelle einen Querschnitt durch das Uterushora, so sieht man
hier zwei Lumina mit zwei Schleimhäuten und zwei unabhän-
gigen Ringmuskelschichten, ein weites, das de^ Utems, und ein
enges, das der Tube. Beide aber werden von der Serosa und
der ihr anhaftenden Muskulatur gemeinschaftlich umschlossen,
80 dass dieser Abschnitt äusserlich wie ein einziger Kanal er-
scheint. Die Tube geht nämlich, wie man sich durch einen
Längsschnitt des oberen Endes des Uterashorns (Fig. 5) über-
zeugen kann, allmählich aus dem Utemshorn hervor und zwar
80, dass letzteres an seinem Ende umbiegt und nun als Tube
neben dem eigentlichen Uterushora eine Strecke weit vorläuft.
Dann erst tritt die Tube seitlich vom Utemshorn hervor und
scheint hier aus demselben zu entspringen.
Was nun die Verhältnisse der Muskulatur am Schafuteras
betrifft, so findet man unter der* ziemlich dicken Schleimhaut
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76 J. S o b o 1 1 a :
eine ihr anliegende ziemlich starke und compacte RingmnBko-
latur. An dieselbe grenzt nach der Peripherie zn eine Schicht,
welche reichlich glatte Mnskelfaserzüge und Gefösse enthält. E>
ist das die bereits bekannte subseröse Zwischenschicht, welche
noch deutlich als solche zu erkennen ist, obwohl ihre Muskel-
ztlge besonders stark entwickelt sind und sehr verschiedene Rich-
tungen zeigen. Nahe der Ringmuskulatur ist dieselbe überwie-
gend longitudinal, nahe der äusseren subserösen Muskelsehicbt
oft rein circulär. Dazwischen liegen GefUsse, welche wieder durch
schiefe oder quere Bttndel getrennt werden. Dann folgt unter
der auffallend dicken Serosa die bekannte longitudinale Muskel-
schicht, welche in der oft erwähnten Weise auch hier auf die
Ligg. lata übergeht. Die beiden Hauptmuskelschichten, die Ring-
und Längsmuskulatur, sind an der dem Ansatz der Serosa ent-
gegengesetzten Seite innig miteinander verbimden, indem hier
weniger Gefässe liegen und ebenso die diese umgebenden Muskel-
fasern der Zwischenschicht fehlen. Die subperitoneale Muskel-
schicht ist am Uterus des Schafes und Kalbes noch wohl ent-
wickelt und mit den übrigen Schichten doch nicht so fest ver-
bunden, dass sie sich nicht mit der Serosa leicht abziehen Hesse.
Ihre Richtung ist durchaus longitudinal. EUenberger rechnet
zwar die nicht constanten queren Fasern der Zwischenschicht,
welche der Längsmu^kulatur meist aber doch nicht im ganzen
Umfange des Uterus anliegen, mit zu dieser Muskulatur und
unterscheidet an ihr nun zwei Schichten. Da EUenberger
nun den Kalbsuterus als Ausgangspunkt seiner Untersuchungen
nimmt, so vermeint er auch an anderen Uteris, z.B. denen der
Nager und Carnivoren, nach innen von ihrer Längsmuskulatur
eine allerdings sehr schwache Ringmuskulatur annehmen zu sollen.
Auf Ellen her ger's Figuren tritt jedoch eine solche Anordnung
nicht recht hervor. In Wirklichkeit ist auch bei der Maus z. B.
die Faserung in der subperitonealen Schicht ausschliesslich eine
longitudinale. Wäre EUenberger von diesem Uterus ausge-
gangen, so hätte er eine Ringfaserschicht an dieser Stelle nicht
gesucht.
Die Zugehörigkeit der subserösen Längsmuskulatur zur
Serosa kennzeichnet am Kalbs- und Schafsutenis ganz besonders
auch das Verhalten am obern Ende des Uterushoms. Hier liegt,
wie wir schon gesehen hattAi, Uterus und Tube neben einander
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Beitr. zur verg-l. Anat. u. Entwickelungsgesch. d. Utcrusmuskulatur. 77
mit getrennten Schleimhäuten und Ringmuskelschichten. Die letz-
teren werden von den queren Fasern der gefassführenden Zwi-
schenschicht verbunden und von einer gemeinschaftlichen Längs-
mnskulatur mit der Serosa umgeben. Es liegt hier dasselbe
Verhältniss vor wie an der Stelle der aneinandergelagerten, aber
noch nicht vereinigten Uterushörner der vorher besprochenen
Uteri sowohl, als auch des Kalbs- und Schafsuterus. Nur tritt
das Ligamentum latum hier nicht von beiden Seiten heran, son-
dern überzieht mit seiner Muskulatur in einer gemeinsamen Schlinge
Uterus und Tube. Es scheint mir gerade dieser Umstand einer
der Hauptbeweise für die Unabhängigkeit dieser Muskulatur vom
Uterus zu sein und für ihre enge Zugehörigkeit zur Serosa.
Die übrigen Verhältnisse des Schafuterus unterscheiden sich
nicht wesentlich von denen des Raubthieruterus. Die unver-
einigten aber genäherten Homer erhalten eine gemeinschaftliche
Längsmuskulatur, die zur Seite des Uterus im Ligamentum latum
schwächer ist als am Uterus selbst. Dann vereinigen sich die
Ringmuskelschichten allmählich. Besonders entwickelt sind hier
auch die Muskelztige der Zwischenschicht, welche hier besonders
an der Grenze zwischen Ring- und Längsmuskulatur vollständige
muskulöse Scheiden um die mächtigen Gefiisse bilden.
Die Serosa reicht auf der vorderen Fläche des Schafuterus
nicht bis gegen den Muttermund herab. Schon vorher liegt sie
und mit ihr die auf dieser Seite schwächer gewordene Längs-
mnskulatnr dem Utenis nur locker an, um sich schliesslich ganz
auf die Blase hinüberzuschlagen. Der Uterus hat also hier in
seinem alleruntersten Abschnitt nur auf einer Seite Serosa und
subseröse Längsmuskulatur.
Die Tube hat da, wo sie neben dem Uterushorn liegt, mit
diesem gemeinsam eine äussere Längsmuskulatur. Wenn sie den
Uterus verlassen hat, besonders aber an ihren stark gewundenen
Abschnitten, besitzt sie nur eine Ringmuskulatur und auch keine
Andeutung von longitudinalen Fasern. Auch hier ist die Serosa
auffallend dick, und unter ihr, also in die Subserosa, laufen die
Gefösse ohne besondere Muskelztige, die sie einschliessen.
Pilliet untersucht diese Verhältnisse am Antilopenuterus.
Er legt besonderes Gewicht darauf, dass hier zum ersten Male im
Laufe seiner Untersuchungen longitudinale Fasern auftreten, welche
die circulären umgeben und umgekehrt. Dieses Verhalten soll
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78 J. S 0 b 0 1 1 a I
sich überall da finden, wo grössere Mengen glatter Muskulatur
zusammentreffen. Vom Uterus der Antilope geht nun Pilliet
nur durch Vermittlung eines jungen Chimpanseuuterus auf den
Menschen über. Seine ganze Untersuchung erscheint hier über-
haupt sehr tibereilt. Er constatirt merkwürdigerweise an dem
Chimpanseuuterus dieselben Verhältnisse wie an einigen anderen
Affenuteris. Ja, dieselben Muskelschichten findet er sogar beim
Menschen in ungefähr demselben Verhältniss wie beim Kalb, nur
mit mächtigerer Entwickelung der Zwischenschicht und ihrer
Muskulatur, in der er das Stratum vasculare des menschlichen
Uterus wiedererkennt. Die Arbeit Pilliet 's enthält leider keine
Abbildungen, welche diese meinen Ergebnissen nach ganz unzu-
treffenden Resultate widerlegen müssteu.
Bevor ich mich zu den einfachen Uterusformen des Menschen
und der Affen wende, möchte ich noch auf den Uterus zweier
Säugethierordnungen kurz eingehen, nicht weil dieselben wesent-
lich andere und besondere Verhältnisse böten, sondern mehr der
Vollständigkeit der Reihe halber, auf den Uterus der Halbaffen
und Fledermäuse. Von ei-steren wurde der Uterus des L e m u r
rubrifrons zur Untereuchung verwandt. Derselbe ist ein Uterus
bicornis mit kurzen Hörnern. Was seine Muskulatur betrifft, so
ist die innere Ringmuskulatur mehrmals stärker als die Längs-
muskulatur. Beide sind durch eine ganz geringe Lage von
Bindegewebe und GefUssen getrennt, stellenweise aber ganz eng
verbunden. Die Tube enthält nur ringförmig angeordnete Mus-
kelfasern.
Was die Uteri der Fledermäuse betrifft, so sind die Verhält-
nisse derselben, wie bereits erwähnt wurde, sehr wechselnde, so
dass fast alle Uterusfoimen, selbst schon der Uterus simplex, bei einer
oder der andeni Species sich findet. Eine genaue Angabe über die Ver-
theilung der Fonnen auf die verschiedenen Gattungen und Species
giebt die monographische Arbeit von Robin (75). Ich konnte
für meine Untersuchungen nur einen Pteropusuterus bekommen,
welcher ein gewöhnlicher Uterus bicornis ist. Auch er zeigt im
Grossen und Ganzen die gewöhnlichen Verhältnisse. Die Ring-
muskulatur überwiegt bedeutend und ist mit der Längsmuskulatur
fest verbunden. Eine Zwischenschicht fehlt. Andeutungen finden
sich nur noch an der Ansatzstelle des Peritoneums und ab und
zu in einigen Gefassen, die aber auch ihrerseits nicht mehr so
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Beitr. ztlr vergl. Anat. u. Entwickehiiigsgesch. d. Uterusmiiskulatur. 79
typisch zwischen beiden Muskelschichten liegen, sondern meist
schon in den peripherischen Theilen der Ringmuskulatur selbst.
Eigenthümlich war an dem untersuchten Uterus das Vorhanden-
sein pigmentirter Bindegewebszellen in der Schleimhaut der Uterus-
hOraer, besonders aber der Tuben, und im Ovarium, so dass letz-
tere schon äusserlich ganz dunkelgraubraun aussahen. Die Tuben
zeigten unter der Schleimhaut eine dünne Ringmuskelschicht.
Wir kommen nun zum Uterus der Affen. Bei Untersuchung
desselben zeigt sich ein bedeutender Unterschied zwischen den
nicht anthropoiden und anthropoiden AflFen. Was die erstere Ab-
theilung betrifft, so wurden ein Macacus und mehrere Cerco-
pithecusuteri verschiedener Species untersucht, welche so gut
wie dieselben Verhältnisse boten. Der Uterus dieser Affen ist
ein ausgesprochener Uterus simplex seiner ganzen Gestalt nach.
In seiner Form weicht er vom menschlichen Uterus dadurch ab,
dass er mehr keulenförmig, nicht bimförmig ist, dass das Corpus
nicht abgeplattet, sondern auf dem Querschnitt fast kreisrund ist.
Auch zeigt er keine Anteversio, vor allem aber keine Anteflexio.
Ein sehr dickes, mächtiges Corpus wird von einem kaum halb
so starken Collum getragen, welches sich wieder nicht unerheb-
lich zur Portio vaginalis verdickt. Letztere ragt als ein dicker
Wulst in die äusserst starkwandige Scheide hinein. Auch ein
ausgeprägter Fundus ist dem Affenuterus eigen, indem die Uterus-
waud zwischen beiden Abgangsstellen der Tuben weit vorspringt.
Dieser Theil, den man äusserlich nur als Fundus bezeichnen kann,
ist der einzige Abschnitt des Affenuterus, der noch ein Septum
besitzt. Man trifft hier auf dem Querschnitt zwei Lumina, welche
continuirlich in die Tubcnluraina tibergehen.
Die Tuben sind auffallend kui-z, aber ziemlich weit uod
stark. Die Ovarien sitzen in Folge dessen dem starken Uterus-
körper ziemlich dicht an.
Was die Muskulatur des Uterus der nicht anthropoiden
Affen betrifft, so findet man auch hier noch die beiden Haupt-
mnskelschichten, welche wir bei den übrigen Säugethiercn an-
trafen, aber schon wesentlich modificirt. An dem Septum, wel-
ches man im oberen Abschnitt des Affenuterus gew{')hnlich findet
(dasselbe war an dem Uterus des Macacus besonders deutlich),
betheiligt sich nur die Schleimhaut mit ihren Drüsen, nicht die
Muskulatur. Beim Uterus des Macacus, welcher den Abbildungen
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80 J. S 0 b o 1 1 a :
ZU Grunde gelegt wurde, machte sie die grösste Masse der Dicke
des ganzen Uterusköi'pei*» aus. Bei einem Cercopithecusuterus
dagegen, der sicli durch ein ganz auflfällig starkes Corpus aus-
zeichnete, war die Schleimhaut viel dünner, die Muskulatur aber
ganz enorm entwickelt. Der Macacusuterus wurde einerseits wegen
der leichteren Darstellung und grösseren Klarheit der Muskulatur
zur genaueren Untersuchung und zu den Abbildungen gewählt,
andererseits weil er ganz besonders frisch fixirt und gut er-
halten war.
Auf die meist sehr dicke Schleimhaut folgt eine sehr stark
entwickelte Ringmuskulatur, welche sich von der der früher unter-
suchten Säugethiere dadurch unterscheidet, dass sie keine com-
pacte Lage mehr bildet, sondern deutlich in im Allgemeinen con-
centrische Lamellen gespalten ist. Die ganze Muskelschicht ist,
wie man auf Längsschnitten sehr deutlich sieht, wieder in gröbere
Bündel getrennt. Die circuläre Richtung wird nur von wenigen
queren oder schiefen, auch vereinzelten longitudinalen Faserbündeln
unterbrochen, wodurch die Spaltung in die Lamellen zu Stande
kommt. Diese Fasern, besonders die longitudinalen, liegen fast
immer in der Umgebung kleinerer oder grösserer GefUsse, welche
zwischen den Lamellen liegen.
Auf die Ringmuskulatur folgt unmittelbar und zwar fast in
ganzer Ausdehnung fest verwachsen die subseröse Längsmuskulatur.
Sie beginnt ziemlich schwach beiderseits neben dem Uterus im
Ligamentum latum, wird auf letzterem stärker, bleibt aber hinter
der Ringmuskulatur immer ganz bedeutend zurück. Mit letzterer
ist sie so fest verwachsen, dass man sie nicht mehr mit der
Serosa vom Uterus abziehen kann, wie dies bei fast allen Uteris
bicornibus möglich ist. Bei dem schon erwähnten Cercopithecus-
uterus betrug die Dicke der Ringmuskulatur das fünf- bis sechs-
fache der Längsmuskulatur. Beide Muskelschichten sind, wie
schon gesagt, an der vordem und hinteni Fläche des Organs
fest und untrennbar mit einander verbunden, und zwar so, dass
auch die Faserrichtung an der Grenze sich nicht plötzlich ändert.
An der Peripherie der Ringmuskulatur findet man immer schon
einige schräge und longitudinale Züge.. Zu beiden Seiten des
Uterus und zwar am Ansatz des Ligamentum latum selbst exi-
stirt noch ein Rest der gefässführenden Zwischenschicht, welche
uns bei fast allen Säugethieruteris begegnet ist. Hier liegen die
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Googl*^
Beitr. zur vergl. Anat. u. Entwickelungsgesch. d. Utenismuskulatur. 81
grossen Gefassbündel des Uterus theils von den äussern Schichten
der Ringmuskulatur umgeben, theils frei an der Basis des Liga-
ments. Die übrigen Geftlsse des Uterus, d. h. also wesentlich
die Aeste dieser grossen Stämme bilden keine zusammenhängende
Schicht, sondern liegen zerstreut in der Muskulatur selbst, und
zwar die grösseren wesentlich zwischen den äusseren Lamellen
der Kingmuskulatur.
Es ist also am Aflfenuterus das, was schon am Uterus des
Pteropus und Lemur angedeutet war, deutlich zu erkennen, näm-
lich das fast vollständige Fehlen der subserösen Zwischenschicht.
Längs- und Ringmuskulatur verwachsen vollständig mit einander,
so dass auch ihre Faserrichtung an der Grenze in einander tiber-
geht. Eigenthümlicher Weise ist diese „Submucosa" auf Ellen-
berger's Abbildung des Aflfenuterus (er hat dieselben Gattungen
untersucht wie ich) sehr wohl entwickelt. Allerdings hat Ellen-
b erger keine genaue Angabe darüber, aus welcher Gegend des
Uterus dieser Schnitt entnommen ist, welcher der Abbildung
zu Grunde lag. Der Autor bezeichnet ihn als Schnitt durch das
Corau uteri des Aflfen.
Diese Verhältnisse des Corpus uteri der Aflfen werden aber
wesentlich anders im Collum. Die Schleimhaut ist hier dünn,
drüsenarm, die Muskulatur verhältnissmässig sehr stark. Die
Hauptmasse der Muskulatur ist aber jetzt longitudinal. Daran
hat aber die subseröse longitudinale Muskelschicht nur den ge-
ringeren Antheil. Denn von der Masse der longitudinalen Fasern,
welche fast die äusseren zwei Drittel der Uteruswand einnehmen,
lässt sich deutlich eine äusserste Lage abgrenzen, welche mit
schwachen Zügen in den Platten der Ligamenta lata beginnt,
dann auf dem Uterus allmählich stärker wird und ihre grösste
Mächtigkeit an der vorderen und hinteren Wand des Uterus er-
reicht. Diese Muskulatur, welche also auch hier noch sieh als
Muscnlaris serosae zu erkennen giebt, ist am Collum viel stärker
als am Corpus. Unter dieser Schicht nun liegt eine nicht uner-
hebliche Masse longitudinaler und schräger Faserzüge. Nach
der Peripherie zu tiberwiegen die ersteren, nach dem Innern zu
die letzteren. Die allerinnersten Fasern gehen schliesslich ohne
Grenze in die unter der Schleimhaut gelegene Ringmuskulatur
über. Diese ganze Muskclmasse gehört mit den innersten cireu-
lären Zügen zusammen und stellt trotz ihrer vielfach abweichenden
Archiv f. mikrosk. Anat Bd. 38 ß
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82 J. Sobotta:
Richtung nur die Verlängerung der Ringmuskulatur des Corpus
uteri dar, in welche sie sich auch direct fortsetzt. Die longi-
tudinalen Ztige liegen besonders stark am Ansatz des Ligamentum
latum zu beiden Seiten des Uterus, ohne aber auf das Band
tiberzugehen und von ihm abhängig zu sein. Viehnehr grenzt
sich an dieser Stelle die Muskulatur des Uterus scharf vom
Bindegewebe des Ligamentum latum ab.
Dass die ganze Muskelmasse der Cervix uteri der Affen,
soweit sie nicht der subperitonealen Schicht angehört, aus der
Ringmuskelschicht des Corpus uteri hervorgeht, ist deutlich an
Längsschnitten der Cervix zu erkennen. Im obem Theil des
Collum nehmen nur die äusseren Faseni der Ripgmuskulatur allein
allmählich Längsrichtung an; je weiter nach unten aber, desto
mehr ändern die Faserzüge ihre Richtung. An der Portio selbst
sind fast alle Bündel der Ringmuskulatur des Corpus in die
Längsrichtung übergegangen und nur die dem Lumen und der
Schleimhaut unmittelbar benachbarten Fasern sind noch circulär.
Die Tuben der Affen sind ziemlich muskulös und zeigen
neben einer starken circulären inneren Schicht eine schwächere
äussere subperitoneale Längsfaserlage.
EUenberger nennt am Affenuterus die enorm Starke Ring^
muskulatur immer noch eine Muscularis mucose, die dünne Längs-
muskulatur die eigentliche Muscularis. Die dazwischen gelegene
GefUssschicht ist in ihrer Annahme nicht sicher begründet. Von
dem wesentlichen Unterschied der Muskulatur des Corpus und
Collum sagt EUenberger nichts. Er scheint auch hier nur
einen Theil, nicht den ganzen Uterus zum Gegenstand seiner
Untersuchung gemacht zu haben.
Was den Affenuterus vor dem aller vorher betrachteten
Säugethiere auszeichnet, das ist die auch fttr den menschlichen
Uterus so charakteristische und überaus wichtige Trennung in einen
eigentlich fruchthaltenden Abschnitt des Uterus, das Corpus und
einen lediglich ausführenden, das Collum. Auch am Affenuterus
ist diese Trennung nicht allein durch die äussere Gestalt und
das Verhalten der Schleimhaut, sondern auch durch die Anord-
nung der Muskulatur gegeben. Gerade die Zunahme der Längs-
muskulatur in der Cervix uteri, welche, wie wir sahen, durch
zwei verschiedene Quellen zu Stande kommt, seheint mir für den
Zweck der Cervix von ganz besonderer Bedeutung zu sein. Am
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Beitr. zur vergl. Anat. u. Entwickelungsgesch. d. Uterusmuskulatur. 83
Corpus uteri soll bei der Geburt ein mehr gleichmässiger Druck
von allen Seiten auf die Frucht ausgeübt werden, um dieselbe
tiefer zu pressen. Dieser Druck erfolgt natürlich von oben und
von der Seitenwand. Am Collum dagegen soll eine ganz andere
Aufgabe erfüllt werden. Während der Trächtigkeit dient es
beim Affen ebenso wie beim Menschen dazu, die schwere Frucht,
welche auf dem unteren Uterusabschnitt lastet, zu halten. Bei
der Geburt dient die Muskulatur der Cervix wesentlich dazu,
erstlich den Muttermund zu erweitem, was auch nicht rein me-
chanisch geschieht; zweitens aber soll sich das untere Uterus-
segment über den auszutreibenden Theil hinwegziehen. Um beides,
besonders aber das letztere zu erreichen, ist eine starke Längs-
muskulatur absolut nöthig.
Ausserdem ist dem Affenuterus eine starke Zunahme der
Ringmuskulatur, Mangel der Gefilssschicht und lamelläre Anord-
nung der Ringfaserschicht eigen. Die Anordnung der Muskulatur
ist jedoch so, dass alle Verhältnisse der Uteri der tibrigen Säuge-
thiere noch zu erkennen sind.
Wesentlich andere Verhältnisse zeigt der Uterus des Chim-
pansen. Das untersuchte Exemplar gehörte einem ungefähr drei-
jährigen Thiere an. Der Uterus war ein abgeplattetes, dem
menschlichen und zwar dem kindlichen Uterus sehr ähnliches
Organ. Auffallend waren die stark geschlängelten und mit star-
ken Ampullen versehenen Tuben, die aber weit länger waren
als die der nicht anthropoiden Affen und somit auch wiederum
dem Verhältniss des menschlichen Organs viel näher kamen.
Die Cervix des Chimpansenuterus war 2 — 3 mal so lang als das
Corpus, was wohl, wie beim Menschen, auf den infantilen Tjt)us
zu beziehen ist. Der Uterus hatte also im Allgemeinen die Form
des Uterus eines neugeborenen Kindes, nur war er kleiner. Auch
abgesehen von den äusseren Formverhältnissen kommt der Chim-
pansenuterus in seiner ganzen Structur dem menschlichen Uterus
näher (d. h. das untei-suchte Exemplar dem kindlichen) als dem
Uterus der nicht anthropoKden Affen. Auch zeigt er bereits die
typische Anteversio und Anteflexio des menschlichen Uterus.
Was den Bau des Chimpansenuterus betrifft, so zeigte das
Organ des untersuchten Thieres im Corpus eine dünne, nur An-
deutungen von Drüsen enthaltende Schleimhaut und unmittelbar
mit ihr verwachsen eine dicke Schicht glatter Muskelfasern von
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84 J. Sobotta:
scheiubar regellosem Verlauf. Schiefe, circuläre, longitudinale
und vollständig quere Faserztige bilden ein unentwirrbares Ge-
flecht, welches von der Serosa umschlossen wird. Letztere ent-
hält keine Muskelfasern. Die Gefösse laufen zerstreut in der
Muskulatur ohne jede bestimmte Vertheilung.
In der Cervix uteri des Chimpansen ist eine weit regel-
raässigere Anordnung der Muskulatur zu erkennen. Dicht unter
der Schleimhaut, welche hier die typischen Falten der Arbor
vitae bildet, liegen, und zwar in diesen Falten selbst, deutliche
wenn auch schwache Längsbündel. Dann folgen stärkere circu-
läre Faserzüge in concentrischen Lamellen, von vielen schiefen
und longitudinalen Zügen durchbrochen. Ganz nach aussen, be-
sondei*8 an den Seitentheilen des Uterus, folgen wieder starke
longitudinale Faserzüge.
Was die Faserrichtung im Corpus uteri betriflft, so ist die-
selbe zwar sehr complicirt, indess lässt sich doch dreierlei mit
Bestimmtheit sagen: 1. Dicht unter der Schleimhaut liegen, ent-
sprechend den Längsfalten der Plicae palmatae der Cervix, dünne
Längsfaserzüge auch im Corpus uteri. 2. Die übrige Hauptmasse
der Muskulatur ist der Hauptrichtung nach circulär und ent-
spricht der circulären Schicht des AflFenuterus. Sie enthält auch
zwischen ihren Muskelfasern die Gefösse des Uterus, welche viel-
fach durch ihren Verlauf die Richtung der Fasern beeinflussen.
3. Die Serosa des Chimpansenuterus hat keine Muskelfasern, und
die subseröse Längsmuskulatur fehlt ebenso wie die subseröse
Zwischenschicht, welche hier nicht einmal mehr wie beim Aff'en-
uterus angedeutet ist. Dass die Ringfaserschicht des Chimpansen-
uterus im Corpus nicht vollständig ringfxJrmig ist, kann uns nach
den bisher schon gemachten Erfahrungen nicht wundem. Erst-
lich sind es die Gefösse, welche störend auf den Verlauf der
Muskelfasern einwirken, besonders wenn sie die Muskulatur quer
durchsetzen, zweitens aber findet man bei einigennaassen starker
Anhäufung von glatter Muskulatur im Uterus nie in der Masse
die gleiche Richtung, wie wir das schon am Uterus der nicht
anthropoiden Aff'en sahen, wie das aber am Chimpansenutems,
ganz besonders aber am menschlichen Organ, wo die stärksten
Muskelmassen sich vorfinden, in viel höherem Maasse der Fall
ist. Am Collum des Chimpansenuterus geht wieder ein nicht un-
bedeutender Theil der Hauptmnskelschicht, und zwar wieder die
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Beitr. zur vergl. Anat. u. Entwickelungsgesch. d. üterusmuskulatur. 85
peripherischen Theile, in die Längsrichtung über, wie wir das
schon am Macacusuterus kennen gelernt haben. Auch die sub-
mucöse Längsmuskulatur ist hier stärker entwickelt als am Corpus
und bildet hauptsächlich die Falten der Plicae palmatae.
Wir erkennen also auch am Chimpansenuterus im Grossen
und Ganzen noch dieselben Verhältnisse, wenn auch schon we-
sentlich modificirt. Die äussere subseröse Muskelschicht, aber
auch die gefassfilhrende Zwischenschicht ist ganz verloren ge-
gangen. Die ganze Muskulatur des Chimpansenuterus wird also
von der modificirten inneren Ringmuskelschicht gebildet, die wir
auch bisher als die eigentliche üterusmuskulatur anzusehen Grund
hatten. Ausserdem tritt eine neue Muskellage hinzu, die unmit-
telbar unter der Schleimhaut gelegen, hauptsächlich die Falten
der Plicae palmatae bildet. Diese Schicht entspricht in jeder Be-
ziehung dem Stratum submucosum^) der menschlichen üterus-
muskulatur.
unmittelbar an den Uterus der anthropoiden AflFen schliesst
sich der des Menschen an. Ob die Verhältnisse des erwachsenen
Chimpansenuterus denen des ausgebildeten menschlichen Organs
ebenso entsprechen, wie das zwischen jugendlichem Chimpansen-
uterns und dem kindlichen Organ der Fall ist, weiss ich aller-
dings nicht zu sagen. Jedenfalls haben beide uteri das gemein-
sam, dass fast ihre ganze Muskulatur die modificirte Ringmusku-
latur des Uterus der übrigen Säugethiere ist. Diese Umwandlung
geschieht bei beiden in gleichmässiger Weise so, dass die Muskel-
masse selbst einen enormen Umfang erreicht und mehr den Cha-
rakter eines Muskelgeflechtes annimmt. Beiden üterusformen
ausserdem eigen ist die submucöse Muskulatur, welche allen an-
deren, auch den nicht anthropoiden Afifenuteris vollständig fehlt.
Was den menschlichen Uterus selbst betrifft, so sehe ich hier
von einer detaillirten Schilderung seiner Muskulatur ab. Ich habe
nichts in ihrer Anordnung finden können, was von der Beschrei-
bung Kreitzej;Js (48) wesentlich abwiche. Nur möchte ich mich
auf den Standpunkt stellen, dass sämmtliche Schichten der üterus-
muskulatur des Menschen mit Ausnahme der allerinnersten (Strat.
1) Der Ausdruck „submucös** soll nur im Sinne Kreitzcr's
(Strat. suhmucosem) und der Lehrbücher angewandt werden, ohne
jeden Bezug auf den Begriff einer Submucosa.
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86 J. Sobotta:
siibmucosum Kreitzer's) und alleräussersten (Strat. subserosum)
also das Stratum supravasculare und vasculare Kreitzer's als
eine gemeinsame Muskelschicht aufgefasst werden müssen, die
sich nicht in einzelne Schichten trennen lassen. Diese Musku-
latur, eine mannigfach modificirtc Ringmuskulatur, wie wir be-
reits sahen, setzt sich continuirlich von den Tuben her auf den
Uterus fort und geht von hier aus auf die Scheide tiber, gehört
also dem ui-sprünglichen Müll er 'sehen Gang in seiner ganzen
Ausdehnung an. Ihre stärkste Entwicklung erfährt sie natürlich
am Uterus und eine für den Zweck dieses Organs besondere Um-
gestaltung.
Da diese Anschauung der menschlichen Uterusmuskulatur
wesentlich durch die Verhältm'sse ihrer Entwickelung unterstützt
wird, möchte ich zunächst auf diese eingehen, um dann im Zu-
sammenhang wieder auf den menschlichen Uterus zurückzukommen.
Entwlcklongsgeschlchtliche UnterHuchong.
Die Entwicklungsgeschichte des Uterus ist seit der grossen
Entdeckung Johannes Müller' s, welcher in dem nach ihm be-
nannten Kanal die Anlage des uns hier beschäftigenden Organs
erkannte, Gegenstand zahlreicher Untersuchungen gewesen. Die-
selben beschäftigen sich jedoch ausschliesslich mit dem Verschmel-
zungsprozess der Müller'schen Gänge, der Sonderung in Tuben,
Uterus und Scheide, der Einmündung der Gänge in die Cloake,
den Verhältnissen der Schleimhäute und des Epithels etc. Weder
die Abhandlungen über die Entwicklung des gesammten Uro-
genitalsystems von Rathke (71, 72, 73), Balfour (3), Wal-
deyer (94), Für.bringer (22), Mihalkovicz (61), Janosik
(37), Nagel (64) U.A., noch die speciell auf die Uterusentwiek-
lung beschränkten von Dohrn (15, 16), Gasser (23), Imbert
(38), Cadiat (9) und Tourneux und Legay (89) machen
ausser ganz vereinzelten Bemerkungen über die Muskulatur der
Müller'schen Gänge irgend welche Angaben. Ebensowenig bieten
in dieser Beziehung die entwickelungsgeschichtliehen Notizen in
den Arbeiten über die Missbildungen des Uterus von Kussmaul
(50) und Kubassow (49). Die postfoctale Entwickelung der
Uterusmuskulatur berücksichtigen hauptsächlich von Hoffmann
und Bayer in ihren bereits besprochenen Arbeiten.
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Beitr. zur vergl. Anat. u. Entwickelungsgesch. d. Uterusniuskulatur. 87
Die einzigen verwerthbaren Notizen über die Entwickelung
der üterusniugknlatur Staramen von Tourneux und Legay, ver-
einzelte Angaben macht Imbert und einige vollständig wider-
sprechende Cadiat. Nach ersteren zeigen sich deutliche Muskel-
fasern im Mtiller'schen Gang erst gegen Anfang des fünften Monats.
Bei einem Foetus vom Anfang des sechsten Monats fanden sie
Muskelfasern in mannigfacher Richtung. Die Hauptrichtung war
innen circulär und aussen longitudinal. Im Ganzen war die
Dicke der Muskulatur etwa ^1 mm. Im achten Monat fanden sie
im Corpus hauptsächlich Ringfasem, im Collum ausserdem noch
anastomosirende Längsfaserzttge. Gegen Ende der Schwanger-
schaft ist die Richtung der Muskulatur nach Tourneux und
Legay eine so complicirte, dass sie jeder Beschreibung spottet.
Nach Imbert entwickelt sich die Muskulatur des Uterus
im sechsten Monat der Schwangerschaft. Cadiat dagegen findet
schon bei 2V2 monatlichen Embryonen eine innere longitudinale
geflechtartige Schicht und eine äussere Ringfaserschicht am
Uterus, der sich aber nach seinen eigenen Angaben erst im vierten
oder fünften Monat aus dem Müll er 'sehen Gange diflFerenicirt!
(vergl. V. Ackeren).
Der Uterus ist eins derjenigen Organe, deren Entwickelung
mit der Geburt keineswegs zum Abschluss kommt. Seine Haupt-
entwickelung, sowohl was äussere Gestalt und Grösse, als auch
was die Structur anlangt, gehört vielmehr in das extrauterine
Leben. Der Uterus entsteht bekanntlich aus der Verschmelzung
der beiden Mtiller'schen Gänge. Dann tritt gegen das Ende
des fünften oder den Anfang des sechsten Schwaugerschaftsmonats
eine Sonderuug in Tuben (die unverschmolzenen Theile), Uterus
und Scheide ein. Der Uterus ist jedoch auch nach der schein-
bar vollendeten Verschmelzung und meist auch noch etwas später
durch ein kurzes Septum in seinem oberen Abschnitt getheilt
und somit noch in geringem Grade bicomis.
Muskelfasern treten in der Wand des Mtiller'schen Ganges
erst gegen drt- Mitte des fttnften Monats auf, also zu einer Zeit,
wo die Verschmelzung beider Gänge zwar schon stattgefunden
hat, die Sonderung in Uterus und Scheide aber noch nicht aus-
gesprochen ist. Man findet jetzt nur ganz wenige c i r c u 1 ä r e Fasern
in der Wand des späteren Uterus sowohl als in der der Seheide.
Die Muskulatur der benachbarten Harnblase ist um diese Zeit
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88 J. Sobotta:
unl (las Zehnfache stärker als die des Mttller'schen Ganges.
Deutlicher wird die Muskulatur erst in den späteren Monaten.
Im siebenten Monat und deutlicher noch im achten kann
man leicht im Corpus uteri eine ausgeprägte Ringmuskulatur er-
kennen, welche lamellös angeordnet ist, der dünnen Schleimhaut
diclit anliegt und sehr an die Ringmuskulatur der AflFenuteri er-
innert. Nach der Serosa zu liegt eine bindegewebige Schicht
mit den grösseren Gefössen. Muskulatur enthält dieselbe
nicht. Der Uterus ist nicht selten jetzt noch im obersten Ab-
schnitt bicomis, d. h. nicht bei der äusserlichen Betrachtung.
Man findet zwei Lumina mit zwei sich eng berührenden Ring-
muskelschichten, die sich unmittelbar in die Ringfaserschichten
der Tuben fortsetzen. Beide Ringmuskelschichten verschmelzen
weiter unten und bilden die gemeinsame üterusmuskulatur des
Corpus uteri. Im Collum geht auch jetzt schon, ganz- wie wir
es bei den Affen gesehen hatten, ein nicht unbeträchtlicher Theil
der Ringmuskulatur und zwar immer die nach der Peripherie zu
gelegenen Schichten in die Längsrichtung über. Ausserdem liegen
schon unter der Schleimhaut in den Längsfalten der bereits wohl
entwickelten Plicae palmatae deutliche longitudinale Muskelbündel,
die erste Anlage des Stratum submucosum.
Ein solcher Uterus aus der Mitte des achten Schwanger-
schaftsmonats, wie er dieser Betrachtung zu Grunde liegt, ist
2,3 cm lang, 9 mm breit und 7 mm dick. Das Collum ist länger,
dicker und muskulöser als das Corpus, welches ungefähr nur ein
Viertel der Länge des ganzen Uterus einnimmt. Es ist stark
abgeplattet und antevertirt. Die Tube enthält einige wenige
circuläre glatte Muskelfasern.
Nicht wesentlich anders verhält sich ein foetaler Uterus aus
dem neunten Schwangerschaftsmonat von 2,7 cm Länge. An
demselben ist die Cervix und Portio vaginalis besonders stark
entwickelt, das Corpus sehr klein und abgeplattet. Die Musku-
latur verhält sich in Bezug auf ihre Schichtung und Anordnung
fast genau so wie im achten Monat. Nur der Charakter der
Schichten hat sich schon etwas geändert. Die Ringmuskulatur
des Corpus hat nicht mehr so deutlich circuläre Richtung, Ge-
fasse durchsetzen sie der Quere nach, schiefe und schräge Fasern
mischen sich unter die circulären. Kurz, die Muskulatur erhält
mehr und mehr den Charakter der Riugmuskulatur des Chim-
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Beitr. zur vergl. Anat. u. Entwickelungsgesch. d. Uterusmuskulatur. 89
panseu. Am Collum dagegen ist die circuläre lamellöse Anord-
nung der Muskulatur noch sehr deutlich, die submucösen sowohl
wie die äusseren Längsbündel stärker entwickelt. Die Tube ent-
hält eine massig starke Ringfaserschicht. Die Muskulatur ist
in ihrer stärksten Ausdehnung schon gegen SVg mm dick. Die
Schleimhaut ist etwas dicker als in den früheren Monaten, ge-
fiissreich, aber ohne Drüsen.
Der Uterus des neugeborenen Kindes ist im Durchschnitt
3,5cm lang. Den grössten Theil, mehr als zwei Drittel, macht
die Cervix aus, das Corpus kaum ein Drittel. Der bei weitem
stärkste Theil ist die Portio vaginalis selbst. Sie ist im Durchschnitt
18 mm breit und 15 mm dick. Das Corpus ist bloss 14 mm breit
und 7 mm dick. Dabei kommen sogar gut 2 mm auf das weite,
mit einem Schleimpfropf gefüllte Lumen des Corpus, während
das Lumen der Cervix weit enger, das der Portio vaginalis, also
der eigentliche äussere Mutteraiund, ganz eng ist.
Die Muskulatur am Uterus des Neugeborenen ist schon stark
entwickelt. Am Corpus finden wir dieselbe modificirtc Ringmus-
kulatur, wie wir sie schon kennen gelernt haben, aber immerhin
mit recht deutlich circulär^r Hauptrichtung. Eine Zerlegung in
mehrere Schichten ist unmöglich. Submucöse Längsbündel sind
noch nicht entwickelt. Die Gefässe liegen zum grossen Teil an
den seitlichen Abschnitten des Uterus, zum Theil von der Ring-
muskulatur mit umschlossen. Einzelne grössere Gefässe liegen schon
zwischen den Zügen dieser Schicht. Die Hauptmasse der Ge-
iUsse jedoch liegt in einer bindegewebigen Schicht unter der
Serosa. Letztere enthält noch keine Muskulatur. Auf die Ligg.
rotanda gehen auch jetzt schon Muskelfasern vom Uterus über,
auf die Ligg. uterosacra jedoch so gut wie gar keine. Die Tuben
enthalten massig entwickelte circuläre Fasern, welche continuir-
lieh in die grosse Ringmuskelschicht des Uteruskörpers über-
gehen.
Am Collum enthält die Schleimhaut schon drüsenartige Ein-
sttllpnngen. Unter ihr liegt die dünne submucöse Längsfaser-
schicht, dann folgt eine sehr deutliche und sehr starke Ring-
maskelschicht, in ihren peripherischen Abschnitten von Längs-
bttndeln durchsetzt. Letztere werden nach unten zu immer stärker
und bilden an der Portio vaginalis eine continuirliche starke
äussere Längsfaserschicht.
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90 J. Sobotta:
Was also die Uterusmnskulatur des Neugeborenen von
der des Erwachsenen hauptsächlich unterscheidet und was
auch allen Voruntersuchem aufgefallen ist, das ist der vollstän-
dige Mangel der für den ausgebildeten Uterus so charakteristi-
schen Gefösssehicht. Die Gefiisse liegen hier zum geringen Theil
innerhalb der Ringmuskulatur, zum grössten Theil ausserhalb
derselben im subserösen Bindegewebe. Die Verhältnisse der Cervix
uteri des Neugeborenen dagegen sind von denen der ausgebil-
deten nicht wesentlich verschieden.
Der Uterus nimmt bekanntlich in den Lebensjahren bis zur
Pubertät nicht an Grösse zu. Man findet ihn bei 2 — 1 1 jährigen
Mädchen sogar regelmässig etwas kleiner als beim Neugeborenen.
Kurz vor der Pubertät beginnt das eigentliche Wachsthum des
Uterus zu seiner vollen Ausbildung. Ein solcher Uterus zu Beginn
der Pubertätszeit stand mir leider, nicht zur Verfügung, da Mäd-
chen dieses Alters äusserst selten zur Section kommen. Dagegen
wurden Uteri von 2 — 10 jährigen Mädchen in Bezug auf ihre
Muskulatur untersucht. Dieselbe war an denselben fast voll-
ständig gleich entwickelt und zeigte nahezu dieselben Structur-
verhältnisse.
Ich wähle hier zum Ausgangspunkt der Betrachtung den
Uterus eines 2V2Jährigen Mädchens. Derselbe unterscheidet sich
von dem des Neugeborenen dadurch, dass das Corpus uteri viel
stärker abgeplattet, das Lumen viel enger ist. Am Corpus ist
die submucöse Längsmuskulatur auch jetzt nur angedeutet. Die
Ringmuskulatur dagegen hat ihr Verhalten nicht unwesentlich
verändert. Sie ist vielfach von grossen Geßlssen durchsetzt und
umgiebt auch die Hauptgefässbündel an beiden Seiten des Uterus.
Diese Geftlsse haben einen ziemlich erheblich störenden Einfluss
auf die Anordnung der Muskulatur. Sie bilden näher der Peri-
pherie als dem Lumen einen nicht ganz continuirlichen Ring um
den Uterus inmitten der Muskulatur selbst. Es ist das die Anlage
des Stratum vasculosum. Die Gefiisse dieser Schicht beeinflussen
die Richtung der umgebenden Muskelztige. Sie laufen quer "und
schräg mit denselben durch die Uterussubstanz. Die innersten Schich-
ten der Muskulatur dagegen und zum Theil auch die äusseren
behalten ziemlich genau ihre circuläre Richtung. Dadurch ent-
steht der Anblick einer ganz unentwirrbaren regellosen Muskel-
massc, wie man sie ailch vom Uterus der Erwachsenen gewohnt
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Beitr. zur vergl. Anat. u. Entwickeluiigsgeseh. d. üterusmtiskulatur. 91
ist. Eigenthtimlich ist nur die Anordnung der grossen Gefilsse,
insbesondere der grossen Venen zu einer fortlaufenden zusammen-
hängenden Schicht inmitten der Muskulatur. Vielleich soll durch
diese Lage besonders der grossen Venenstämme die Möglichkeit
ihrer Compression bei der Geburt erleichtert werden.
Der Uterus der Erwachsenen und zwar der nullipare, auf
den sich meine Untersuchungen beschränken, zeigt eigentlich die-
selben Verhältnisse wie der eben besprochene Uterus, nur in aus-
gebildeterem Maasse. Vor allem ist die submucöse Muskulatur
auch im Corpus uteri und im Anfangstheil der Tube entwickelt,
die Gefösse sind grösser und stärker geworden und damit auch
die Gefössschicht. Unter der Serosa sind als Reste der subserösen
Longitudinalschicht der Thiere einzelne longitudinale Fasern zu
erkennen, die am virginalen Uteinis aber nicht einmal eine con-
tinuirliche Muskellage bilden. Dieselben scheinen während der
Schwangerechaft zu hypertrophiren und auch nach der Gravidität
noch am multiparen Uterus eine deutlichere Schicht auszumachen.
Die Cervix zeigt eigentlich dieselben Verhältnisse wie die des
vorher untersuchten kindlichen Uterus. Wie sich also auch schon
äusserlich in Bezug auf die Grösse die Hauptentwicklung dcf;
Uterus in der Pubertät am Corpus abspielt, so auch in Bezug
auf die feineren Structurverhältnisse der Muskulatur.
Die Tube der Erwachsenen enthält in der Nähe des Uterus
noch longitudinale Fasern der submucösen Schicht. Die Haupt-
masse ihrer Muskulatur macht die schon im embryonalen Leben
angelegte Ringfasei-schicht aus. Ausserdem liegen einige longi-
tudinale Bündel unter der Serosa.
Werfen wir nun, bevor wir mit dem menschlichen Uterus ab-
schliessen, einen Rückblick auf die Uteri, welche wir im Laufe
dieser Untersuchungen kennen gelernt haben, so finden wir, dass
alle Formen eine Muskelschicht gemeinsam haben, die in allen
ihren Beziehungen nicht allein an den Uterus, sondern an den
ganzen Genitaltractus, überhaupt an den ursprünglichen MttUer-
scben Gang geknüpft ist, die innere Ringmuskulatur der
Uteri bicornes und bipartiti, die Hauptmuskelschicht
des Affenuterus, die eigentlicheUterusmuskulatur des
Chimpansen und Menschen.
Zu dieser Muskulatur gesellen sich longitudinale Faserzüge
der Serosa, welche, rein morphologisch betrachtet, mit dem Uterus
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92 J. S 0 b o 1 1 a :
nichts weiter gemeinsam haben, als dass sie da, wo ihn die Se-
rosa mit ihrer Muskulatur tiberzieht, am stärksten sind, sonst
aber in ihrem Verlauf und ganzen Verhalten unmittelbar an die
Serosa geknüpft sind. Als eine besondere unbedeutende Schicht
gesellt sich dazu das Stratum submucosum beim Chimpansen und
Menschen. Woher dasselbe abzuleiten ist, lässt sich nicht er-
kennen. Es scheint dem Uterus selbst eigen zu sein ohne Bezug
auf seine Adnexa.
Die Entwickelung der beiden Hauptmuskelschichten der
Uterusmuskulatur wechselt ungeheuer in der Reihe der hier unter-
suchten Thiere. Bei den Nagern mit langen Uterushörnern ist
die longitudinale subseröse Schicht oft stärker als die eigentliche
circuläre Uterusmuskulatur; fast ebenso stark ist sie bei den
Raubthieren und Schweinen, deren Uterushörner gleichfalls lang
sind und meist eine grosse Anzahl von Früchten beherbergen.
Beim Schaf und Kalb wird diese Muskulatur schon zu Gunsten
der inneren Schicht erheblich schwächer und bildet aber auch
hier noch eine vollkommen selbständige Schicht. Beim AflFen
verliert sie diese Selbständigkeit, verwächst mit der inneren
l^chicht und tritt gegen diese schon erheblich in den Hinter-
grund. Beim Menschen schliesslich findet man nur noch spär-
liche Reste.
Die Thiere mit langen Uterushömern , die viele Junge
werfen, befördern die letzteren durch eine einfache Peristaltik
aus dem Uterus und das ermöglicht wesentlich die starke Ent-
wickelung der Längsmuskulatur. Diese Thiere haben dann auch
eine dem Darm in ihrer Schichtung analoge Uterusmuskulatur,
die sich aber, wie wir gesehen hatten, genetisch wie rein mor-
phologisch anders verhält als die des Darms. Beim Schaf und
Rind ist für die Geburt der meist einfachen Frucht eine reine
Peristaltik nicht so sehr erforderlich wie ein mehr gleichmässiger
continuirlicher Druck. Hier tritt denn auch die Längsmuskulatur
in den Hintergrund und ausser der Muskulatur der Zwischen-
schicht entwickelt sich besonders die Ringmuskulatur stärker.
Noch viel mehr ist das letztere bei den Affen der Fall. Bei
diesen aber tritt zugleich mit der Abgrenzung des Uterus in
Corpus und Collum die Längsmuskulatur an letzterem auf, welcher
die Erweiterung und Verkürzung des unteren Uterinsegments
zufällt.
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Beitr. zur vergl. Anat. u. Entwickelungsgesch. d. Uterusmuskulatur. 93
Der Chimpansenuterus schliesslich nähert sich sehr dem
menschlichen. Das liegt wohl auch in den physiologischen Ver-
bältnissen des Geburtsacts begründet. Der Schädel der anthro-
poiden Affen ist gegenüber dem der übrigen Säugethiere ein weit
schwieriger zu überwindendes Geburtshinderuiss. und wenn auch,
wie V. Hoffmann (35) nachgewiesen hat, das Verhältniss zwi-
schen Schädel und Becken des Chimpansen erheblich günstiger
ist als beim Menschen, so ist doch der Unterschied gegenüber
den übrigen Säugethieren ein noch erheblich viel ungünstigerer
für die anthropoiden Affen. Bei fast allen anderen Thieren
macht der Kopf, wenn auch nicht immer den kleinsten, so doch
einen ebenso unbedeutenden Theil aus wie jeder andere Abschnitt
des Körpers. Die Früchte fallen hier einfach durch das Becken
hindurch. Beim Chimpansen aber und noch mehr beim Men-
schen muss der Schädel in bestimmter Richtung das Becken
passiren, um überhaupt hindurchgebracht zu werden. Und ge-
rade bei beiden finden wir die ähnliche complicirte, von allen
anderen Formen abweichende Anordnung der Muskulatur. Man
ist nun zwar noch weit davon entfernt, aus der Anordnung der
menschlichen Uterusmuskulatur sich einigeimaassen genau ihre
Wirkung construiren zu können, indess scheint die Anordnung
doch keine so ganz willkürliche zu sein, wie das auf den ersten
Anblick aussieht. Gerade diese complicirte Anordnung wird wohl
gerade die verschiedensten Contractionen eimöglichen, deren der
menschliche Uterus eben bedarf, um den grossen Schädel in den
verschiedenen Stellungen durch das Beken zu pressen.
Zusammenfassung.
1. Die eigentliche fundamentale Uterusmuskulatur ist eine
continuirlich von den Tuben auf den Uterus und auf die Scheide
sich fortsetzende Ringmuskulatur. Sie ist die primitive Musku-
latur der Müller 'sehen Gänge.
2. Zu dieser gesellt sich eine dem Ligamentum latum an-
gehörige Längsmusknlatur, welche in ihrem ganzen Verlauf stets
der Serosa folgt. Dieselbe ist bei niederen Uterusformen mit
langen Hörnern sehr stark entwickelt, beim Affenuterus erheblich
schwächer, beim menschlichen Organ nur noch rudimentär. Auf
die Tuben setzt sich diese Muskelschicht entweder gar nicht
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94 J. S o b o 1 1 a :
oder nur eine Strecke weit fort. Auf die Scheide geht sie für
gewöhnlich ebensowenig wie das Peritoneum über.
3. Zwischen beiden Muskelsehichten, in der eigentlichen
Subserosa des Uterus liegen die grossen Gefössstämme, welche
meist von mehr oder weniger starken Zügen glatter Muskelfasern
umgeben und eingeschlossen werden. Ihre höchste Macht erreicht
diese Muskulatur bei den Raubthieren und Zweihufern; bei Fle-
dermäusen und Aflfen wird sie rudimentär, beim Menschen fehlt
sie ganz.
4. Die menschliche üterusrauskulatur ist ganz wesentlich
ans der modificirten Ringmuskulatur hervorgegangen, deren Rich-
tung vielfach durch die in ihr gelegenen grossen Gefösse be-
stimmt wird. Letztere werden allmählich in den Bereich dieser
Muskulatur hineingezogen.
5. Dem Menschen- und Chimpansenuterus eigen ist eine
submucöse Längsmuskulatur, welche den Falten der Schleimhaut
folgt und dieselben bilden hilft.
6. Eine Submucosa und eine Muscularis mucosae existirt
im thierischen Uterus ebensowenig wie im menschlichen.
7. Die Schichtung der menschlichen Uterusmuskulatur,
wie sie bisher angenommen wurde, ist eine willkürlich construirte
und nur durch die starke Entwickelung der Gefässe bedingte.
Deswegen lassen sich auch diese künstlich gemachten Schichten
nicht als Ausgangspunkt einer genetischen Erklärung der Uterus-
muskulatur wählen.
Am Schlüsse dieser Arbeit erfülle ich die angenehme Pflicht,
meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Geh. Medicinal-Rath Prof.
Dr. Waldeyer, sowohl für die Anregung zu dieser Arbeit als
auch für gütigste Unterstützung bei Anfertigung derselben meinen
innigsten Dank auszusprechen.
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Beitr. zur vergl. Anat. u. Entwickelungsgesch. d. Uterusmuskulatur. 95
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57. Luschka, Anatomie, 2. Bd., 2. Abth.
58. Meckel, H., Zur Morphologie der Geschlechtsorgane der Wirbel-
thiere. Halle 1848.
Archiv f. mikrosk. Anat Bd. 38 7
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98 J. S o b 0 1 1 a :
59. Meckel, J. F., Handb. der monschlichen Anatomie, 41. Bd., 1820.
60. Meyerstein, lieber die Eileiter einiger Säuo^ethiere. Henle's
und Pfeufer's Zeitschrift für ration. Medicin Bd. XXUI.
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62. Milne -Edward 8, Le^ons sur la Physiologie et T Anatomie com-
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63. Müller, J., Bildungsgeschichte der Genitalien. Düsseldorf 1830.
64. Nagel, W., lieber die Entwickelung des Urogenitalsystems des
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66. Obernier, Experimentelle Untersuchungen über die Nerven des
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66. Oser und Schlesinger, Experimentelle Untersuchungen über die
Uterusbewegungen. Medicin. Jahrbücher von Stricker, 1872.
67. Pappenheim, S., Vorläufige Mittheilung über den Verlauf der
Muskelfasern in der schwangern menschlichen Gebärmutter. Roser
und Wunderliches Archiv für physiologische Heilkunde, 3. Jahrg.,
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68. Pilliet, A., Texture musculaire de l'uti^rus des mammif^re^. Bul-
letin de la societi^ zoologique de France. Paris 1886.
69. Pouch et, Sur le d^veloppement des organs g^nito-urinaire^.
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70. V. Rapp, W., Untersuchungen über die Edentaten. Tübingen 1852.
71. Rathke, H., Beobachtungen und Betrachtungen über die Ent-
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Schriften der naturforschenden Gesellschaft zuDanzig, Bd. I, 1825.
72. — Entwickelungsgeschichte des Menschen u. der Thiere. Leipzig
1861.
73. — Ueber die Bildung der Samenleiter, der Fallopi'schen Trom-
peten und der Gartner'schen Kanäle der Gebärmutter und Scheide
der Wiederkäuer. Meckel's Archiv 1832.
74. Remak, Untersuchungen über die Entwickelung der Wirbelthiere.
Berlin 1855.
75. Robin, Organisation des chiropt^.res. Annales der sciences na-
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76. Ro od er er, Icones uteri humani. 1759.
77. Rouget, Recherches sur les organs ^rectiles de la femme et sur
Tappareil musculaire tubo-ovarien dans leurs rapports avec Toru-
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quard. I, 1858.
78. Rüge, C, Ueber das untere Üterinsegment. 52. Versammlung
deutscher Naturforscher und Aerzte in Baden-Baden. Archiv für
Gynäkologie XV, 1880.
79. — Ueber die Contractionen des Uterus in anatomischer und klini-
scher Beziehung. Zeitschrift für Geburtshülfe und Gynäkologie
V, 1880.
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80. Rnnge, M., Die Wirkung hoher und niederer Temperaturen auf
den Uterus des Kaninchens und Meerschweinchens. Archiv für
Gynäkologie Bd. XIII, 1878.
81. Sappey, Traite d'anatomie descriptive.
82. Schenk, Lehrbuch der vergleichenden Embryologie der Wirbel-
thiere. Wien 1874.
83. Schröder, Lehrbuch der Geburtshülfe. 10. Aufl. von Olshau-
sen u. Veit. Bonn 1888.
84. Schwartz, Gh., Uterus; Anatomie. Dictionnaire de m6dicine et
de Chirurgie pratiques. XXXVII, 1885.
85. Sernoff, Zur Frage über die Entwickelung der Samenröhrchen,
des Hodens und des MüUcr'schen Ganges. Centralblatt für die
med. Wissensch. 1874.
86. Siebold und Stannius, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie.
87. Snow Beck, The structure of the Uterus. Obstetrical transact.
Vol. XIII.
88. Spiegelberg, Experimentelle Untersuchungen über die Nerven-
centra und die Bewegung des Uterus. Zeitschrift für rationelle
Medicin 1858.
89. Tourneux et Legay, Memoire sur le d^.veloppement de l'uterus
et du vagin. Journal de l'anatomie et de la physiologie. 1884.
90. Tourneux und Hermann, Art. Ut^nis; Anatomie et Develop-
pement. Dictionnaire encyclop^dique des sciences m<'*dicales. 188G.
91- Valentin, G., Handbuch der Entwickelungsgeschichte des Men-
schen etc. Berlin 1835.
92. Veit, J., Zur normalen Anatomie der Portio vaginalis uteri. Zeit-
schrift für Geburtshülfe und Gynäkologie Bd. V.
93. — Uterusmuskulatur in Müller's Handbuch der Geburtshülfe Bd. T.
Stuttgart 1888.
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96. Williams, The mucous membrane of the body of the uterus.
The obstetrical Journal of Great Britain and Ireland III, 1875/76.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel IV.
Fig. 1. Querschnitt durch das Uterushorn der Maus. ^j\, a Schleim-
haut, b Ringmusculatur, c Längsmuskulatur, d Serosa, e Lig.
latum, g Gefässe mit Blut.
Fig. 2. Querschnitt durch das ITterushorn der Katze. 7i- ^ Schleim-
haut, b Ringmuskulatur, c LUngsmuskulatur, d Serosa, e Lig.
latum, g GefHsse der subserösen Zwischenschicht.
Fig. 3. Querschnitt durch die äusserlich vereinigten Hörner desselben
Uterus. ^Ii, a die beiden Schleimhäute, b die Ringmuskel-
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lÖO J. Sobotta: Beiträge zur vergleichenden Anatomie etc.
schichten, c die gemeinschaftliche Längsmuskulatnr, d Serosa,
e Lig. latum, g Gefässe der Subserosa.
Fig. 4. Querschnitt durch den einfachen Theil desselben Uterus, ^/i-
Bezeichnungen wie oben.
Fig. 5. Längsschnitt durch die Uterushorn-Tubengrenze des Schäfers.
Vi- L Lumen des Uterushorns, 1 Lumen der Tube, A Schleim-
haut des Uterus, a der Tube, B Ringmuskulatur des Uterus,
b der Tube, cc gemeinsame Längsmuskulatur, d Serosa,
g Gefässe.
Fig. 6. Querschnitt durch das Corpus uteri des Macacus. */i- * Schleim-
haut, b Ringmuskulatur, c Längsmuskulatur, d Serosa, e Lig.
latum, f Wo Iff 'scher Gang, g Gefässe.
Fig. 7. Querschnitt durch das Collum desselben Uterus. Vi* Bezeich-
nungen wie 6.
Fig. 8*). Querschnitt durch das Corpus uteri des Neugeborenen. Vi-
a Schleimhaut, b modificirte Ringmuskelschicht, d Serosa,
e Lig. latum, f Wölfischer Gang, g Gefässe.
Fig. 9. Querschnitt durch das Corpus uteri eines 2V2Jährigen Mäd-
chens. Vi- ^ Schleimhaut, b modificirte Ringmuskulatur mit
Anlage der Gefässschicht, d Serosa, e Lig. latum, g Gefässe.
(Aus dem zoologischen Institute zu München.)
Untersuchungen über das centrale Nerven-
system der Oladoceren.
Von
Dr. phil. et med. Paul H^amassa.
Hierzu Tafel V, VI, VII.
Nachdem von den Forschern, die bisher das Nervensystem
der Cladocercn untersucht hatten, einige Punkte nicht ganz auf-
geklärt worden waren und auch die Schwierigkeit der Unter-
suchung mit den von ihnen angewendeten Methoden hervorge-
hoben wurde, so schien es mir einiges Interesse äu bieten, dieses
1) Die Muskulatur ist bei stärkerer Vergrössening eingezeichnet.
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Paul Samassa: Unters, über das centrale Nervensystem etc. 101
Object mit den Mitteln unserer modernen Technik einer erneuten
Untersuchung zu unterziehen. Versuche, die ich mit Methylen-
blau unternahm, fiihrten zu keinem Resultat. Ich wendete mich
daher hauptsächlich dem Studium von Schnittserien zu, obwohl
auch diese Methode mich bezüglich des Ursprungs einiger Gehim-
nerven, die entweder sehr fein sind oder einen complicirten Ver-
lauf haben, im Stiche Hess. Als ich mii* dieses Mangels bewusst
wurde, stand mir jedoch lebendes Material nicht mehr zur Ver-
fögung; andererseits konnte ich auch nicht hoffen, hier weiter
zu kommen wie meine Vorgänger, die ja diesen Punkt bereits
auf das Eingehendste untersucht hatten. Als Conservirungsmittel
leistete mir Osmiumessigsäure sehr gute Dienste; man erzielt da-
mit eine sehr distinkte Graufilrbung der Nervensubstanz, ohne
die TinctionsfUhigkeit der Ganglienzellen zu beeinträchtigen.
Was die Dauer und Stärke der Einwirkung betrifft, so ist
die individuelle Verschiedenheit ausserordentlich gross; ja, es sind
sogar am selben Thiere gewöhnlich Bauchmark und Gehirn in
ihrem Verhalten verschieden, so dass bald das eine, bald das
andere besser conservirt erscheint. Eine systematische Durch-
arbeitung der Cladoceren in Bezug auf das Nervensystem lag
nicht in meiner Absicht; ich zweifle nicht, dass eine solche, ins-
besondere eine Untersuchung der Lynceiden, noch manche inter-
essante Thatsache zu Tage fördern würde.
Es ist mir eine angenehme Pflicht meinem verehrten Lehrer,
Herrn Professor Hertwig, für die vielfache Anregung und für
den lebhaften Antheil, mit dem er diese Arbeit verfolgte, auch
an dieser Stelle meinen tiefgefühltesten Dank auszusprechen.
Herrn Privatdocenten Dr. Hof er bin ich für das liebens-
würdige Entgegenkommen, durch das er mir das Arbeiten in
jeder Weise erleichterte, gleichfalls zu Dank verpflichtet.
Sida crystaHina^ Strans.
Ich stelle die Beschreibung dieser Art voran, da dieselbe
den phylogenetisch nächstverwandten Phyllopoden, wie mir scheint,
am nächsten steht; die Betrachtung des Nervensystems dieser
Form wird uns dann das Verständniss so aberranter Formen, wie
Leptodora, erleichtem.
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102 Paul Samassa:
Das centrale Nervensystem aller Cladoceren lässt sich
passend in folgende vier Theile eintheilen: Das Gangl. opticum,
das Gehirn, die Schlundcommissuren und das Bauchmark. Die
topographischen Beziehungen des Kopfnervensystems zum Bauch-
mark sind bei Sida wesentlich beeinflusst durch die steile Lage
des Oesophagus. Die Verhältnisse sind nach in toto-Präparaten
von Leydig bereits vortrefflich abgebildet, zur Orientirung kann
jedoch auch Fig. 8 dienen, welche einen Sagittalschnitt, der ge-
rade durch die Mitte des Thieres geht, wiedergiebt. — Wir
sehen hier den Darm, der mit seiner dorsalen Wand die Decke
des Kopfes erreicht-, aus seiner ventralen Wandung entspringt
der Oesophagus, der fast senkrecht zur Mundöffnung herabsteigt,
welche von der mächtig entwickelten Oberlippe nach vorne hin
abgegrenzt ist. Das Gehirn, das Sehganglion und das Auge
sind auf den Raum vor dem Darm und Oesophagus angewiesen,
und es ergiebt sich daraus die aus Fig. 8 leicht ersichtliche
Thatsache, dass das Gehirn direkt unter, sogar etwas vor dem
Sehganglion liegt, ein Verhältniss, das sich z. B. bei Daphnia
umkehrt. — Infolge dessen haben auch die beiden Schlundcom-
missuren, welche aus dem unteren Theile des Gehirns entspringen
und der ventralen Darmwand zustreben, eine stark schiefe Rich-
tung, die übrigens nicht constant bleibt, sondern mehrere Bie-
gungen besitzt. Das Bauchmark besteht aus zwei Längssträngen,
die durch neun Quercommissuren verbunden sind. Erstere sind
mit Ganglienzellen belebt, verlieren jedoch diesen Belag in der
Gegend der letzten Fusspaare, verlaufen dann als einfache Nerven-
stränge zu beiden Seiten des Darmes, treten schliesslich auf die
dorsale Seite und in zwei ansehnliche Ganglien, welche am
Grunde der beiden Steuerborsten am Postabdomen liegen und
eine Commissur besitzen. Die Form des Bauchmarks ist haupt-
sächlich beeinflusst durch die Bauchrinne, die offenbar für die
Nahrungszufuhr ehie grosse physiologische Bedeutung hat. Da
die Bauchstränge zu beiden Seiten der Bauchrinne liegen und
die Commissuren sie bogenförmig verbinden, so ist das Studium
des Bauchmarkes einigermaassen erschwert, eine sichere Präpa-
ration ist wegen der Kleiaheit des Objectes unmöglich, anderer-
seits ist es wegen der starken Krümmung der Commissuren nicht
möglich, die Bauchstränge mit den Commissuren auf einem Fron-
talschnitt zu erhalten; man ist hier daher auf die Reconstruction
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Untersuchungen über das centrale Nervensystem der Cladoceren. 103
von Quei-8chnitten angewiesen. Da sich auch zur Schilderung
der übrigen Verhältnisse Querschnitte als am brauchbarsten er-
weisen, so will ich zu der eingehenderen Beschreibung einer
Querschnittserie übergehen, wobei ich mich jederzeit auch auf
Sagittal- und Frontalschnitte beziehen werde.
Im ersten Schnitte, in dem wir den Opticus sehen, sind die
Einzelaugen bogenförmig um denselben gestellt. Derselbe tritt
von hinten in das Auge ein und ergiebt daher auf dem Quer-
schnitte das Bild eines Spitzbogens, dessen Spitze nach vorne
sieht und dessen Oeffnung dem Oesophagus zugewendet ist. Da
es mehrerer Abbildungen von Quei-schnitten bedürfen würde, um
dieses Verhältniss klarzulegen, so ziehe ich es vor, auf den
Sagittalschnitt Fig. 8 zu verweisen. Wir sehen hier das Seh-
ganglion (S. G.), aus dessen hinterer Hälfte der Opticus breit
entspringt, um dann, etwas schmäler werdend, an den Retinulae
zu enden. Zwischen den einzelnen Nervonfascrn tritt hierbei allmäh-
lich immer dichter werdend Pigment auf. Fig. 1 zeigt einen Fron-
talschnitt aus dem dorsalen Theile, aus dem ersichtlich ist, dass
der Opticus aus der ganzen Breite des Ganglions entspringt,
üeber das Sehganglion selbst geben Querschnitte wenig Aufschluss.
Der erste Schnitt geht durch die obere Ganglienzellenschicht,
der zweite und dritte durch die Punktsubstanz und die sie um-
gebenden Ganglienzellen des Randes, der vierte durch die untere
Ganglienzellenschicht, woraus bei einer Schnittdicke von 10 )la die
Höhe des Sehganglions mit 40 }i hervorgeht. Der Querschnitt
hat ovale Gestalt mit einer leichten Einbuchtung an der Stelle,
wo der Oesophagus daran stösst. Reconstruirt hat das Ganglion
die Form einer platten Bohne. Mehr Aufschlüsse geben Sagittal-
und Frontalschnitte, wie sie den Figg. 1 und 8 zu Grunde liegen.
Der histologische Bau des Sehganglions steht bei den Cladoceren
in ganz genauem Verhältniss zum mehr oder minder hoch ent-
wickelten Baue des Auges. Während das Sehganglion von
Daphnia im Vergleich zu den sicher ursprünglicheren Verhält-
nissen bei Sida bereits degenerirt erscheint, erreicht mit der
höchsten Vollendung des Auges bei Bythotephes auch der Bau
des Sehgauglions seine höchste Complicirtheit. Die Diflferenzirungen
beziehen sich dabei hauptsächligh auf die Punktsubstanz. Diese
besteht bei Sida immer aus drei Schichten (o. M., m. M., u. M.).
Die oberste mid die unterste weisen eine dichtere Anordnung der
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104 PaulSamassa:
PuDktsubstauz anf, die mittlere sie trennende Schicht stellt sich
an mit Osmium geschwärzten Präparaten bedeutend heller dar
und entspricht offenbar einer mehr lockeren Anordnung der Punkt-
substanz. Dorsal und ventral gehen die obere und die untere
Schicht in einander ttber, nicht aber an den beiden Seiten. Die
Punktsubstanz des Sehganglions ist umgeben von Ganglienzellen,
die meist in zwei Reihen angeordnet sind; doch treffen sich auf
der dem Gehirn zugekehrten Seite auch drei Ganglienzellenrcihen
tlbereinander, lateral oft nur eine Reihe. Dieselben gehören dem
kleinsten Typus von Zellen an, besitzen einen grossen Kern,
während der Protoplasmaleib meist nicht zu erkennen ist. Sie
sind durchaus unipolar. Was den ürspning des Opticus aus dem
Sehganglion anlangt, so sind die Verhältnisse hier nicht so klar
wie bei Bythotrephes, immerhin lässt sich folgendes mit Sicher-
heit erkennen. Der grösste Theil der Opticusfasem entspringt
aus den Ganglienzellen dgr oberen Schicht, daneben finden sich
hauptsächlich in den hinteren Partien Fasern, welche durch die
Ganglienzellenschicht hindurch au die Punktsubstanz treten, wo
sie schon an der ersten Schicht enden, während sie bei Bytho-
threphes bis an die dritte Schicht zu verfolgen sind. Da das
Nervensystem der Cladoceren sich bei der Conservirung als »ehr
wechselnd erweist, bin ich nicht sicher, ob dieses Verhalten nicht
durch schlechte Conservirung vorgetäuscht wird; immerhin sind
die direct an die Punktsubstanz herantretenden Fasern bei Sida
viel zarter als bei Bithotrephes und Leptodora. Die Art des Ab-
ganges der Fasern, welche direct von den Ganglienzellen ent-
springen, ist in einigen Fällen in der Weise zu sehen, dass sich
der Fortsatz der Ganglienzelle bald nach seinem Abgange theilt;
die eine Faser tritt in die Punktsubstanz des Sehganglions, wäh-
rend die andere zu einer Opticusfaser wird. Meist ist die Faser,
die zur Punktsubstanz tritt, stärker und daher deutlicher zu sehen.
Immerhin gelingt es auch häufig, die Abzweigung der in den
Opticus tretenden Faser mit starker Vergrösserung zu erkennen.
Wahrscheinlich dürfte dieses Verhältuiss die Regel darstellen.
Aus dem Sehganglion entspringen lateral in der Frontal-
ebene die beiden Comuiissuren zum Gehirn, die ich als Sehcom-
missuren bezeichnen will. Dieselben (Fig. 1, 0. C.) bestehen .aus
zwei Säulen von Punktsnbstanz, die auf der äusseren Seite mit
Ganglienzellen belegt sind; es handelt sich hier um eine Ver-
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Untersuchungen über das centrale Nervensystem der Cladoceren. 105
bindung der untersten Punktsubstauzschicht des Schganglions
mit der Punktsubstanz des Gehirnes, welche jedoch nicht durch
ein nervenartig angeordnetes Bündel von Verticalfasern her-
gestellt wird, sondern durch Punktsubstanz, in der allerdings
die Längsfasem überwiegen. Fig. 2 stellt einen Querschnitt in
der Gegend der Commissuren dar. Auf der linken Seite ist die
Commissur allein getroffen, während man rechts bereits die Ein-
trittstelle der Commissur in die Punktsubstanz des Gehirns wahr-
nimmt. Die lateralwärts und vorne liegenden Zellen stehen mit
der Commissur in Verbindung, während die in der Mitte frei-
liegenden Zellen der oberen Decke des Geliinis angehören.
Der Verlauf der Umhüllungsmembran für Auge und Opticus
mnss hier im Zusammenhange besprochen werden. Wie aus Fig. 1
ersichtlich, entspringt bei 1 von der Körperwand eine Membran;
dieselbe besitzt hier einige Kerne, die offenbar der Hypodermis an-
gehören, die ich jedoch in das Bild nicht eingetragen habe, um
es übersichtlicher zu erhalten. Diese Membran begleitet nun,
oberhalb des Sehganglions hinziehend, den Opticus bis zur Stelle
seiner Endigung an den Retinulae, schlägt sich dort um, um
hierauf das ganze Auge zu überziehen. Sie bildet also einerseits
die Opticusscheide, andererseits die Scheide für das Auge. Diese
beiden Theile liegen natürlich von den Punkten 2 u. 2' an fest
aneinander; man erkennt nur an einem erhöhten Lichtbrechungs-
vermögen, dass man es mit zwei Membranen zu thun hat. Ich
habe sie daher auch in der Zeichnung einfach dargestellt. Diese
Membran dient aber gleichzeitig auch als Umhüllung für das Seh-
ganglion. Man sieht in Fig. 1 zwischen Sehganglion und Gehirn
den scharf hervortretenden Durchschnitt einer Membran, die je-
doch hier, durch die Commissuren unterbrochen, mit der oberen
Scheide keine Verbindung zeigt. In den folgenden Schnitten je-
doch, wo die Commissuren bereits verschwunden sind, sieht man,
wie die Membran, mit zahlreichen Kernen versehen, eine Strecke
weit längs der Körperwand verläuft, dann jedoch unter das Seh-
gang-lion tritt, um sich an der anderen Seite in gleicher Weise
an der Körperwand zu befestigen. Betrachten wir fenier Fig. 8,
so sehen wir, wie diese Membran sich doreal am Oesophagus
befestigt und längs desselben nach oben verläuft, wobei sie wegen
ihrer innigen Verbindung mit dem Oesophagus nur scliwer zu
erkennen ist. Aus diesen Beobachtungen ist es leicht, sich ein
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106 Paul Sainassa:
Bild dieser Membran zu machen. Es handelt sich nm einen
häutigen Sack, der Auge und Opticus fest umschliesst und da-
durch eine tiefe Falte bildet, die sich zwischen Auge und Op-
ticus einschiebt. Seitlich an der Kopfwand und dem Oesophagus
l)efestigt, besitzt er an seiner unteren Wand zwei dreieckige
Einschnitte, welche die Durchtrittsstellen für die Sehcommissuren
bilden. So dient diese Membran dem doppelten Zwecke, einer-
seits Auge und Opticus zu umhüllen, andererseits, das Sehganglion
mit den darauf ruhenden Theilen suspendirt zu erhalten^).
Das Gehirn weist einen deutlich bilateralen Bau auf und
besteht aus zwei birnfönnigen Hälften, die durch eine breite
Brücke mit einander verbunden sind. In der Punktsubstanz des
Gehirns finden sich dichtere Anhäufungen derselben, die ich
Markballen nennen will 5 dieselben zeigen grosse Gesetzmässig-
keit in ihrem Auftreten, und es ist leicht, nach ihrer Lage die
Regionen des Gehirns zu unterscheiden. Verfolgt man die Reihe
der Querschnitte, so sieht man in dem der Fig. 2 folgenden die
Quercommissur, die auf Fig. 2 auf der rechten Seite bereits zu
sehen ist, die beiden Hälften bereits vollständig verbinden.
Die Sehcommissuren sind in die beiden Hauptmarkballen (H. B.),
wie ich dieselben nennen möchte, tibergegangen. Da die Quer-
commissur sich dorsal befindet, so bleibt zwischen derselben ein
Raum, der mit Ganglienzellen erfüllt ist. Hinter der Quercom-
missur finden sich nur mehr wenige Ganglienzellen. Bereits im
zweitnächsten Schnitt finden sich dorsal keine Ganglienzellen
mehr, während bereits der obere Rand der Schlundcommissur in
denselben fiillt. Die Punktsubstanz stellt hier eine H-förmige
Figur dar, wie etwa die graue Substanz im menschlichen Rücken-
marke. Die Hauptmarkballen haben die Form der Vorderhömer,
während die Schlundcommissuren den Hinterhörnern ähneln.
Zwischen den Markballen findet sich immer noch eine ansehn-
liche Menge von Ganglienzellen, während dorsal in der Mitte
1) Diese Darstellung weicht von derjenigen Grobbens (Ent-
wickelungsgeschiclite der Moina rectirostris. Wien, Arbeiten a. d. zool.
Instit. IT, 1870) wesentlich ab. Ohne hier auf den Bau des Auges
nilher einzugehen, will ich nur bemerken, dass ich weder eine der
Kopfhaut innen anlie^^ende zweite Membran noch irgend welche Häu-
tungsproducte in dem Raum zwischen dem Auge und der Körper-
wand jemals beobachtet habe.
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Untersuchungen über das centrale Nervensystem der Cladocereu. 107
ein neuer Markballen auftritt, den ich den centralen (c. B.) nennen
will. Den nächsten Schnitt stellt Fig. 3 dar. Wir finden in
demselben dort, wo sich in den vorhergehenden Schnitten die
Anhäufung von Ganglienzellen fand, das unpaare Auge (u. A.),
das auf Punktsubstanz aufliegt, welche gleichsam landzungenförmig
in die Masse der Ganglienzellen vorspringt ; es stellt einen ovalen
schwarzen Pigmentfleck dar, der nicht unmittelbar unter der
Haut liegt, scmdern auch vorne noch von Punktsubstanz umgeben
ist. Hinter dieser Punktsubstanzbrflcke, die zum unpaaren Auge
führt, finden wir den centralen Markballcn. Hinter demselben
finden sich einerseits Fasern, welche die beiden Hauptmarkballen
verbinden, andererseits solche zwischen den Schlundcommissuren.
Diese Commissur der Schlundcommissuren (u. C.) gewinnt in den
folgenden Schnitten immer mehr an Umfang. Der nächste Schnitt
zeigt noch eine Spur des unpaaren Auges, an die Stelle der
Punktsubstanzbrücke sind aber wieder Ganglienzellen getreten.
Der centrale Markballen liegt jetzt zwischen den beiden Haupt-
markballen, die in diesem und im nächsten Schnitte ihr Ende
erreichen. Den ganzen dorsalen Theil des Gehirns ninmit die
Commissur zwischen den Schlundcommissuren ein, worunter ich
natürlich nicht ein System vo.n gestreckt verlaufenden Fasern
verstehe, sondern jenen Theil der Punktsubstanz, der gegen die
Hauptballen abgegrenzt sich direct in die Schlundcommissuren
fortsetzt. Im nächsten Schnitte, den Fig. 4 wiedergiebt, über-
wiegen allerdings in derselben die direct von einer Seite zur an-
deren verlaufenden Fasem sehr, was aber in den vorhergehenden
Schnitten nicht der Fall war. Fig. 4 zeigt ferner das Auftreten
eines neuen Gebildes, des Centralkörpers (C. K.). Dereelbe stellt
einen schmalen, fast rechteckigen, gegen die Dorsalseite schwach
abgebogenen Körper dar, der sich gegen die Umgebung sehr
scharf abgrenzt. Er besteht aus einer dichten Anhäufung von
Punktsubstanz und repräsentirt offenbar auch einen Markballen
von eigenartiger Struktur. Als ein System von Faserzügen,
welche, aus verschiedenen Richtungen konnnend, durch ihn hin-
durchtreten sollen, kann ich ihn nicht ansehen, da er dann doch
in irgend einer Richtung allmählich in diese Faserzüge über-
gehen müsste. Dieses ist aber nicht der Fall, da er auf Fron-
tal- imd Sagittalschnitten (Figg. 7 u. H) dieselbe abgeschlossene
Lage hat wie auf Querschnitten, womit natürlich nicht gesagt
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108 Paul Samassa:
sein soll, dass nicht einzelne Fasern an ihn herantreten. Es ist
ferner auch die Lage des Centralkörpers keine einer solchen
Durchkreuzung von Fasern günstige, da er nicht etwa in der
Mitte der Punktsubstanz des Gehirns gelegen ist, sondern am
Grunde: der nächste Schnitt geht bereits durch das untere
Ganglienzcllenlager hindurch und auch nach vorne trennt ihn
nur eine kleine Schicht von Punktsubstanz vom vorderen Ganglien-
zcllcnbelag. Wir werden übrigens noch weitere Gründe gegen
eine derartige Auffassung bei Bythotrephes und Leptodora finden,
lieber die Bedeutung des Centralkörpers kann ich mir keine
Vorstellung bilden; die eigenthümlich dichte Anordnung der
Puuktsubstanz, die, wie wir von den höheren Krebsen her wissen,
für das Centrum des Gemchsinnes so charakteristisch ist, könnte
auf die Vermuthung führen, dass es sich um die Ursprungsstätte
des Riechnerven handelt. Nachdem jedoch die Markballen, aus
denen die Riechnerven entspringen, leicht und sicher nachzu-
weisen sind, so musste ich diese Vermuthung fallen lassen. Der
Schnitt, den Fig. 4 abbildet, zeigt auf der linken Seite den Mark-
ballen (R. C), aus dem der Nerv der Riechantenne entspringt;
auf der rechten Seite zeigt ihn der nächste Schnitt, da die
Schnitte nicht ganz genau die Querebene getroffen haben. In
Fig. 4 fiillt ferner eine Reihe starker Fasern auf, die ich mit
Sicherheit als Nervenfasern anspreche, da man sie zum Theil
an Ganglienzellen herantreten sieht. Der nächste Schnitt geht
durch die Ganglienzellenschicht am Boden des Gehirns. In der
Mitte desselben sehe ich zwei grosse Ganglienzellen (Figg. 6, 7,
gr. Z.) mit deutlich umfangreichem Protoplasmaleib, während die
dieselben umgebenden kleinen Ganglienzellen denselben nicht er-
kennen lassen. Ich glaube übrigens auch eine dritte Ganglien-
zelle gesehen zu haben, die sich durch bedeutendere Grösse au»-
zeichnete; es würde dies dann eine vollständige üebereinstim-
mung mit den Verhältnissen bei Branchipus ergeben*). Be-
trachten wir nun noch die Lagerungsverhältnisse im Gehirn auf
Frontalschnitten (Figg. I u. 7), so sehen wir zu beiden Seiten
die Hauptmarkbaileu, in der Mitte den centralen Markballen,
1) S. Claus, Untcr.suchun«2en über die Organisation und Ent-
wickelung von Branchipus und Arteinia. Arb. ans dem zool. Institut
zu Wien Bd. II, 1886.
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Untersachungen über das centrale Nervensystem der Cladoceren. 109
unter demselben den Centralkörper, zu unterst die beiden oben
erwähnten und beschriebenen grossen Ganglienzellen, links davon
das Riechcentrum. Man bemerkt femer, dass sich an der oberen
Seite einige grössere Ganglienzellen mit deutlichem Protoplasma-
leib und multipolarem Charakter befinden. Charakteristisch für
den Bau des Gehirns erscheint mir vor allem, dass die Haupt-
markballen von oben bis unten gleichmässig die symmetrischen
Seitenlappen des Gehirns erfüllen, so dass man am Gehirn von
Sida wohl sehr gut einen mittleren Theil und zwei Seitenlappen
unterscheiden kann, während eine Gliederung in der Richtung
von oben nach unten ohne Zwang nicht durchzuführen ist.
Verfolgen wir nun die Schlundcommissuren auf Querschnitten,
so müssen wir uns vor Augen halten, dass wir entsprechend
den verschiedenen Biegungen bald Querschnitte, bald Schief-
sehnitte derselben zu Gesichte bekommen. Unmittelbar unter,
bezw. hinter dem Gehirn findet sich die Austrittsstelle der Nerven
der zweiten Antenne; es findet sich hier ein Ganglion (Figg. 4 und
9), in dem Zellen des grösseren Typus der Commissur aussen und
zum Theil sogar innen aufliegen. Diesen Ganglienzellenbelag
kann man nicht als eine Fortsetzung der Ganglienzellenschicht
des Gehirns betrachten, da dieselbe, wie aus Fig. 4 ersichtlich
ist, durch eine Einschnürung an der Hinterseite des Gehirns, die
durch die Muskel der Riechantenneu (M.Ai) hervorgerufen wird,
von den Ganglienzellen der zweiten Antenne scharf geschieden
wird. Desgleichen hat das Ganglion, wie wir später sehen wer-
den, nach hinten zu eine scharfe natürliche Grenze, so dass man
mit vollem Recht von einem distincten Antennenganglion sprechen
kann. Die Muskulatur der Antennen besitzt zwei verschiedene
Nerven. Der eine tritt zu den Adductoren, die, ein mächtiges
Muskelbttndel bildend, von der Basis der einen Antenne zu der
der anderen zwischen Darm und Oesophagus ziehen (Fig. 3, M. Ag),
so dass der Nahrungstract gewissermaassen auf diesem Muskel-
bündel reitet. Der Nei-v für diese Muskclgruppe tritt zuerst ab
und hat natürlich einen sehr kurzen Verlauf, da er in die An-
tenne gar nicht eintritt. Der Nerv für die Abductoren (Fig. 9, N. Ag)
tritt in die Antenne ein, in der der Haupttheil dieser Muskulatur
liegt; er dürfte auch sensible Zweige abgeben. Zu Fig. 9 ist
zu bemerken, dass sie einen Schnitt wiedergiebt, der in einem
Winkel von ca. 30** zur Frontalebene geneigt ist; man sieht da-
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110 Paul Samassa:
her auf der rechten Seite bereits das Gehirn mit dem Riechcen-
trum angeschnitten, auf der linken Seite das Ganglion, aus dessen
Punktsubstanz der Abdnctorennerv entspringt. Der Verlauf der
Schlundcommissuren weist bestimmte Beziehungen zu der Mus-
kulatur auf, nach denen er sich leicht beschreiben lässt. Be-
trachten wir Fig. 5, so sehen wir am Oesophagus vier Muskel
entspringen, von denen zwei ventral nach aussen verlaufen, zwei
dorsal. Seitlich stösst der Muskel der Riechantenne an den
Oesophagus und verbindet sich sogar äusserlich mit demselben;
beobachten wir ferner, dass sich hinter dem Oesophagus noch
der Adductor der Ruderantenne befindet, so sehen wir, dass die
Commissuren sich in einem von diesen Muskeln eng begrenzten
Räume befinden. In Fig. 5 liegt nun immer noch das Antennen-
ganglion vor; besonders stark sieht man hier die direct durch-
gehenden Commissurenfasem hervortreten. Bereits im nächsten
Schnitte haben diese vollständig die Oberhand gewonnen, und
die Commissuren besitzen hier keinen Ganglienzellenbelag mehr.
Es ist dies die oben erwähnte Abgrenzung des Antennenganglions
nach der dorsalen Seite. Im nächsten Schnitte treten neuerdings
Ganglienzellen auf, an die Stelle der Commissurfasern tritt Punkt-
substanz, die zum Theil von zwei Reihen von Ganglienzellen um-
geben ist, so dass es sich zweifellos um ein neues Ganglion han-
delt (Fig. 12, r. G.), das ich, da es an die Hinterseite des Oeso-
phagus tritt, als retrooesophageales bezeichnen will. Dasselbe
lässt sich durch vier Schnitte hindurch verfolgen und weist im
dritten davon eine Commissur auf (Fig. 12, C). Auf einem Sa-
gittalschnitt (Fig. 13) sehen wir die Schlundcommissur (S. C),
die aus gestreckt verlaufenden Fasern besteht und sich nach
unten aus später zu erörternden Gründen verschmälert; an die-
selbe scheinbar nur angelegt sehen wir an der ürsprungsstelle
der Oberlippe das retroocsophageale Ganglion in Form eines
Dreieckes, dessen Basis von Ganglienzellen gebildet wird und
der Commissur anliegt. Aus der Punktsubstanz desselben ent-
springt ein starker Nerv, der in die Oberlippe zieht und nach
kurzem Verlaufe in ein neues Ganglion, das Oberlippenganglion,
eintritt (0. G.). Dieses entsendet nun sensible Aeste in die Ober-
lippe, von denen einer mit einer langgestreckten Hypodermis-
zellc sich in Fig. 13 klar darstellt. Das Oberlippenganglion finden
wir in Fig. 10 am Querschnitt getroffen. Fig. 12 ist nun leicht
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Untersuchungen über das centrale Nervensystem der Cladoceren. 111
rerständlich; zn bemerken ist nur, dass der Schnitt, der etwas
schief geführt ist, auf der linken Seite bereits unter den Boden
der Kopfwand gerathen ist; daher ist die dicht anliegende Man-
dibel angeschnitten. Auf Frontalschnitten sehe ich einen feinen
Nerven aus dem Ganglion austi-eten, der möglicher Weise zur
Innervirung der Oesophagusmuskulatur dient; doch konnte ich
denselben nicht verfolgen. Dass die Commissur zwischen den
retrooesophagealen Ganglien nicht auf die Antennenganglien be-
zogen werden kann, ist aus Vorstehendem wohl klar, ganz ab-
gesehen davon, dass eine so z«arte Commissur den physiologi-
schen Bedürfnissen der Antennenganglien gar nicht genügen
könnte und wir andererseits am Grunde des Gehirns eine starke
Commissur gefanden haben (Fig. 4 u. C), die offenbar diesem
Zwecke dient. Nach dem retrooesophagealen Ganglion verjüngen
sich die Schlundcommissuren auf Sagittalschnitten auffallend
(Figg. 13, 15). Diesem Verhalten entspricht auf Querschnitten
eine bandartige Auffasernng und Auseinanderlagerung der Com-
missuren, die sich dadurch in der Medianlinie sehr nähern, was
aus Fig. 10 erhellt, wo übrigens die Fasern dicker gezeichnet
sind, als der Wirklichkeit entspricht, um sie mehr hervortreten
zu lassen. Dieses eigenthümliche Verhalten scheint hauptsächlich
durch das Andrängen der Matidibclmuskulatur bedingt zu sein,
die so die der Körperwand eng anliegende Commissur gewisser-
maassen platt gedrückt hat.
Unmittelbar unter dieser Region endet die Schlundcommissur
im Mandibelganglion (Fig. 15, Md. G.), das unter der Mandibel
in der Vorwölbung, welche der Ansatz der Maxille bedingt, ge-
legen ist. Dasselbe besteht in einer Ansammlung von Ganglien-
zellen und einer Vorwölbung der Punktsubstanz an der ventralen
Seite, während die direct nach abwärts verlaufenden Fasern sich
an der dorsalen Seite befinden. Diese Form ist für die Bauch-
ganglien überhaupt charakteristisch und findet sich ja auch in
b^onders excessivem Grade an dem retrooesophagealen Ganglion
(Fig. 13). Hinter dem Mandibularganglion erkennt man eine
leichte Anschwellung, die ich als Maxillenganglion deute (Mx.
G.), doch fehlt diesem Ganglion eine Commissur. Die Commissur
der Mandibelganglien befindet sich am oberen Ende derselben,
also an der Eintrittstelle der Schlundcommissur, ein Verhalten,
das hier durch mechanische Verhältnisse bedingt ist. Unmittelbar
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112 Paul Samassa:
unter der Oommissur beginnt nämlich die Bauehrinne als tiefer
und enger Spalt, der sich zwischen den Erhebungen, von denen
die Maxillen entspringen, gebildet hat; da nun das Ganglion in
der Basis der Maxille selbst liegt, so ist der Weg über der
Bauchrinne für die Commissuren der nächste (s. Fig. 16, wo es
sich bereits um das Maxillarganglion handelt); aus demselben
tritt der Bauchstrang in bogenförmigem Verlauf zum Ganglion
des ersten Fusses, das bereits dem Darme anliegt (Fig. 15).
Zwischen den Maxillen ist die Bauchrinne mit langen Borsten
besetzt (Fig. 16), was offenbar zur Nahrungszufuhr Beziehung hat.
Wie aus Querschnitten zu ersehen ist, entspringt der Mandibel-
nerv seitlich aus dem Ganglion. Der MaxillennerV entspring
aus seinem Ganglion ventral.
Der Theil des Bauchmarks, der der Innervining der Beine
dient, besteht aus sechs den Beinpaaren entsprechenden Ganglien-
paaren, die durch ebenso viele Quercommissuren mit einander
verbunden sind. Doch ist zu bemerken, dass auch der zwischen
den Ganglien liegende Theil des Bauchmarks einen continuir-
liehen Belag von Ganglienzellen aufweist, und die Ganglien
nur in einer Ansammlung von Ganglienzellen und Punktsubstanz
an der ventralen Seite des Bauchstranges bestehen (Figg. 14, 21).
Die beiden Längsstränge liegen in den Längsleisten, von denen
die Beine entspringen. Eine Ausnahme hieiTon macht nur das
Ganglion des ersten Beinpaares, das wenigstens in seinem oberen
Theile an der Seite des Darmes liegt (Fig. 11), ein Verhalten, das
dadurch bedingt wird, dass in der Gegend des ersten Beinpaares die
Bauchrinne sehr breit ist und die Beine weiter seitwärts ent-
springen; daher zeigt dieses Ganglion auch auf dem Querschnitt
eine kreisfiirmige Gestalt, während die anderen Ganglien seitlich
comprimirt erscheinen. Die Oommissur des ersten Ganglions ist
von allen die breiteste und lässt sich durch vier Schnitte hin-
durch verfolgen. Hinter der Commissur tritt das Ganglion in die
Fussleiste ein und giebt hier erst seine Nerven ab. Dieselben
sind natürlich je nach ihrem Verlauf bald auf Querschnitten,
bald auf Sagittalschnitten deutlicher. Mit Sicherheit konnte ich
bei allen Ganglien vier Nerven beobachten: einen Nerv, der
den höchsten Ursprung am Ganglion hat, in den Fuss eintritt
und sich hier in zahlreiche Muskeläste auflöst (Fig. 14, 0. N3,
0.N4, Fig. 21, 0.N4, 0.N5, Fig. 20, o.N.). In Fig. 14 kann man
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Untersuchungen über das centrale Nervensystem der Cladoceren. 113
einen Zweig dieses Nerven am dritten Fuss bis iu eine Endigung
im Muskel (N. E.) verfolgen. Ein zweiter Nerv, den ich den mitt-
leren Fussnerven nenne (m. N. Fig. 14, Fig. 21), entspringt unter
dem vorigen aus einer Vorwölbung an der unteren Seite des
Ganglions. Derselbe zieht an den unteren Rand der Fussinser-
tion und tritt hier in den Fuss ein. Der dritte Nerv (Fig. 14,
F. 21 u. N.) entspringt gleichfalls an der unteren Seite des Gan-
glions. Der Ursprung dieses Nerven liegt im ersten Fussganglion,
etwas hinter dem Ursprung des mittleren Fussnerven; in jedem
weiteren Ganglion rücken sich die Ursprünge näher, bis im fünften
Fussganglion die beiden Nerven gemeinsam aus dem Ganglion
austreten. Dieser untere Nerv zieht an die Körperwand unter
der Fussinsertion und ist ein Eintritt desselben in den Fuss be-
stimmt auszuschliessen. Etwas Genaues konnte ich über die
Function der beiden letzteren Nerven nicht ermitteln, doch ver-
muthe ich, dass der mittlere Nerv die Endglieder des Fasses
innervirt, da der obere sich bereits in der Basis ganz in seine
Muskeläste auflöst; der untere dürfte der sensible Nerv der Bauch-
haut sein. Auf Querschnitten findet man femer noch einen seit-
lichen Nerven, der aus der unteren Seite des Ganglions entspringt,
um die Längsmuskeln des Körpers herumbiegt und die Körper-
muskulatur versorgt (Fig. 20, s. N.). Aus dem letzten Fuss-
ganglion tritt ein Nervenstrang, der keinen Beleg von Ganglien-
zellen besitzt und sich um den Darm herum auf die dorsale Seite
schlägt (Fig. 18, N.). Von diesem Strange tritt, nachdem er
schon dorsal liegt, ein Nerv ab, der zum After hinzieht (Fig. 22,
A. N.). Er selbst tritt am Grunde der Steuerborsteu in ein ziem-
lich ansehnliches Ganglion ein, das sich durch mehrere Schnitte
verfolgen lässt und auch eine Quercommissur besitzt. Dasselbe
ist in Fig. 19 (B. G.) dargestellt. Es liegt den Sehnen, welche
an die Borste herantreten, dicht an, so dass eine äussere Grenze
nicht zu ziehen ist. Doch ist aus dem histologischen Verhalten
zu ersehen, dass der mediale Theil dem Ganglion entspricht,
während der laterale aus Sehnen besteht. Eine allgemeine Ueber-
sicht über den Bauchstrang giebt die schematische Fig. 22.
Wenn ich das Gefundene kurz zusammenfasse, so handelt
es sich um ein retrooesophageaies Ganglion, welches einen Nerv
zum Oberlippengangliou abgiebt, mit einer Commissur, ein Man-
dibelganglion mit Commissur, ein Maxillenganglion ohne solche,
Archiv für nükrosk. Anat Bd. 38 8
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114 PaulSamassa:
sechs Fussganglien mit je einer Commissur, endlich das dorsale
Steuerborstenganglion, gleichfalls mit einer Commissur.
Daphnia sima^ 0. F. Müller.
Vom Genus Daphnia stand mir leider nur die in der Um-
gebung von München gemeine Daphina sima zur Verfügung, die
sich einerseits wegen ihrer geringen Grösse als ein ungünstiges
üntersuchungsobject erwies, andererseits der mir bei den übrigen
Cladoceren so brauchbaren Conser\'irung mit Osmium-Essigsäure
einen beharrlichen Widerstand entgegensetzte. Immerhin gelang
es mir auch hier die wesentlichsten Punkte klarzustellen.
Der allgemeine Habitus und die topographische Lage des
Nervensystems steht hier nicht unter jenem raumbegrenzenden
Einflüsse, wie er für Sida so charakteristisch ist. — Die Ver-
laufsrichtung des Oesophagus ist eine auffallend wechselnde,
nähert sich oft sehr der horizontalen, während er in anderen
Fällen stark gegen den Darm ansteigt. Doch erreicht dies nie
jenen hohen Grad wie bei Sida und hat daher auch auf die
Lage des Gehirns wenig Einfluss. Die Schlundcommissuren sind
in keiner Weise durch Muskulatur an die Körperwand angepresst,
und die Bauchrinne hat nicht die schmale und rechteckige Form
wie bei Sida; die Beine entspringen mehr lateral, so dass die
Ganglien des Bauchstranges nicht in den Fussleisten liegen, son-
dern frei unter dem Darme. Die Commissuren liegen in gleicher
Ebene mit den Ganglien, so dass man auf Frontalschnitten die
Bauchstränge mit den Commissuren erhalten kann, was die Unter-
suchung sehr erleichtert. Das Gehirn mit dem Sehganglion liegt
über dem Oesophagus vor den paarigen Blinddännen, bedeutend
hinter dem Auge.
Das Sehganglion (Fig. 23, S. G.), das die obere Fläche des
Gehirns nicht bedeckt, liegt auf der dorsalen Seite dem Gehirn
auf und ist hier sehr ausgesprochen paarig. Es besteht aus zwei
vollständig kugeligen Ballen von Punktsubstanz, welche in der
Mitte aneinander stossen, ohne jedoch, soweit ich beobachten
konnte, Fasern auszutauschen. Die Punktsubstanz ist von Gan-
glienzellen umgeben, die meist in einfacher, zum Theil auch
mehrfacher Reihe angeordnet sind. An der dorsalen Seite des
Ganglions treten aus jeder Hälfte getrennt die Opticusfasern aus,
die daher unmittelbar nach ihrem Austritte einen dreieckigen
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Untersuchungen über das centrale Nervensystem der Cladoceren. Il5
Spalt zwischen sich lassen. Doch treten sie bald zusammen und
ziehen nach vorne gegen das Auge, in das sie von hinten ein-
treten. Die Fasern sind auffallend dick. In der Punktsubstanz
konnte ich keinerlei Struktur entdecken, die derjenigen bei Sida
entsprechen würde.
Zwei Commissuren verbinden die beiden Hälften des Seh-
gangliohs mit dem Gehirn. Dieses hat bei seitlicher Ansicht
eine viereckige Gestalt. Die symmetrische Zusammensetzung
spricht sich hier mehr in seinem oberen Theile aus, wo eine
tiefe Einsenkung die beiden Hälften scheidet, während sie in
ihrem unteren Theile in einen sich vorne vorwölbenden Bogen
in einander übergehen (Figg. 24, 25). Von Markanhäufüngen
treten die beiden Hauptmarkballen besonders hervor. Desglei-
chen findet sich der Centralkörper in ähnlicher Gestalt und nach
allen Seiten hin gut abgegrenzt, wie bei Sida. Auch den über
dem Centi-alkörper gelegenen centralen Markballen finde ich an-
gedeutet. Das unpaare Auge zeigt eigenthümliche Verhältnisse.
Es geht nämlich von der Mitte des Gehirns, in dessen oberem
Theile (Fig. 27) ein schmaler Streifen von Pigment aus, der in
der Nähe der Haut zu einem kolbenförmigen Gebilde anschwillt,
welchem zwei Krystallkörper eingelagert sind. An diesen Kolben
tritt aus dem unteren Theile des Gehirns ein bogenförmiger Zug
von Punktsubstanz (Fig. 26, 1. N.) heran. Dieser Bogen giebt
eine Reihe von Fasern an die Körpei-wand ab und kann seiner
ganzen Beschaffenheit nach nur als ein vorgelagerter Theil des
Gehirns angesehen werden. Wenn es nun auch nahe liegt, den-
selben mit dem medianen Vorsprung der Punktsubstanz, auf dem
bei Sida das unpaare Auge liegt, zu homologisiren, so lässt sich
doch auch die Schwierigkeit des so weit herabgerückten Ur-
sprungs nicht verkennen. Am vorderen Ende des unpaaren Auges
sehe ich zwei längliche Zellen, in denen ich den Ursprung des
Frontalnerven vermuthe (Fig. 26, F. N.). Der Riechnerv (Fig.
28, R. N.) entspringt in ähnlicher Lage wie bei Sida im unteren
Theile aus dem vorne gelegenen Riechcentrnm (R. C.) und ver-
läuft in sanfter Steigung zur Riechantenne. Der NackenneiT
(Fig. 23, N. N.)? den ich bei Sida trotz seiner zweifellosen Existenz
nicht nachweisen konnte, besitzt bei Daphnia sein Centrum in
einem an der oberen und dorsalen Seite gelegenen Markballen.
Er tritt seitlich aus dem Gehirne aus, um in nahezu verticaler
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116 PaulSamassa:
Richtung zum Nacken aufzusteigen. Die eingefallene Körper-
wand in Fig. 23 ist natürlich Kunstproduct.
Die beiden Schlundcommissuren treten wie bei Sida aus
dem hinteren Theile des Gehirns und besitzen nur an den Stellen,
von denen die beiden Nerven für die Ruderantenne abgehen, An-
sammlungen von Ganglienzellen (Fig. 30). Der obere dieser beiden
Nerven ist stärker, entspringt unmittelbar nach dem Austritte der
Commissuren aus dem Gehirne und tritt in die Antenne ein. Der
untere schwächere Nerv entspringt bedeutend tiefer. Zu Fig. 29
ist zu bemerken, dass der Schnitt von der Frontalebene etwas
abweicht, so dass auf der rechten Seite bereits die Hinterwand
des Gehirns angeschnitten ist. Man beachte auch, dass wir uns
in diesem Schnitte bereits zwei Schnitte hinter der Mundöffnung
befinden, und daher der Oesophagus, der in diesem Falle einen
sehr steilen Verlauf nimmt, nahe seiner Einmtindungsstelle in den
Darm getroffen ist. Ueber das Kopfnervensystem gelang es mir
auch einige entwickelungsgeschichtliche Autklärung zu gewinnen.
Am Embryo (Fig. 29) sieht man die paarigen Augen (A.), in denen
sich bereits Pigment abgelagert hat. Unter denselben eine An-
häufung von kleinen Zellen und als erste Anlage des Gehirns
eine quere Commissur (G. A.); von derselben geht auf der linken
Seite ein Augennerv ab, der seitlich an das Auge herantritt; nach
unten sieht man längs des steil nach abwärts ziehenden Oeso-
phagus die beiden Schlundcommissuren verlaufen, von denen über
der Mundöffhung je ein Antennennerv abgeht.
Hinter dem Oesophagus gestalten sich die Verhältnisse genau
so wie bei Sida. Ein stark vorspringendes Ganglion (Figg. 28 u.
31 V. G.), das mit dem der anderen Seite durch ' eine Commissur
verbmiden ist (Fig. 30 r. C), entsendet einen Nerven zum Ober-
lippenganglion (0. G.). Da auch die beiden Oberlippenganglien
durch eine Commissur mit einander verbunden sind, so bildet sich
um den Mund herum ein fönnlicher Nervenring. Voji dem Ober-
lippenganglion strahlen Nerven aus, die in feinen Sinneshaaren
an der Spitze der Oberlippe enden. Vom retro-oesophagealen
Ganglion aus zieht die Schlundcommissur etwas nach hinten zum
Mandibelganglion (Fig. 32 Md. G.), das in der Basis der Maxille
liegt. Der Nerv zur Mandibel tritt seitlich aus, der Nerv zur
Maxille unter demselben, aber vorne. Die Commissur liegt am
oberen Ende des Ganglions über der hier beginnenden Bauch-
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Untersuchungen über das centrale Nervensystem der Cladoceren. 117
rinne; bisher also durchaus ähnliche Verhältnisse wie bei Sida.
Als Unterschied ist jedoch zu bemerken, dass sich keinerlei An-
schwellung findet, die man als Maxillenganglion deuten könnte.
Aehnlich wie bei Sida macht der Bauchstrang eine dorsale
Biegung, um erst in der Gegend des ersten Beinpaares unter den
Darm zu gelangen. Das Bauchmark (Figg. 33, 34) von Daphnia
unterscheidet sich sehr wesentlich von dem von Sida, indem es
eine hochgradige Vereinfachung erfahren hat. Es besteht nämlich
aus zwei Fasersträngen, welche allseitig mit Ganglienzellen be-
deckt sind. Während wir nun bei Sida jedem Fusspaare ent-
sprechend eine deutliche Anschwellung an der ventralen Seite
des Bauchstranges sahen, finden sich hier nur an den Austritts-
stellen der Nerven mehr Ganglienzellen angehäuft. Dieselben
entspringen jedoch für das erste und zweite Fusspaar ganz ge-
trennt aus dem Bauchstrange, so dass hier jedem Fuss mehrere
derartige kleine Anschwellungen entsprechen. Erst beim dritten
und vierten Fusspaare macht sich eine grössere Concentration
der Nervenaustrittsstelien bemerkbar (Fig. 34), so dass man hier
schon eher von Ganglienanschwellungen sprechen kann. Das letzte
Ganglion (Fig. 34, G. F5) ist bereits vollkommen gesondert und
durch den Bauchstrang, der hier stark verdünnt ist und fast gar
keine Ganglienzellen besitzt, mit dem vorherigen verbunden. Ein
ähnlich unregelmässiges Verhalten weisen auch die Commissuren
auf. Es finden sich im Bereiche des ersten Beinpaares drei, in
dem des zweiten Paares zwei Commissuren, die Ganglien des
dritten und vierten Beinpaares besitzen je eine, während ich
beim Schlussganglion keine auffinden konnte. In den Commissuren
finden sich aucl^ Ganglienzellen; in Fig. 33 und 34 insbesondere
in der ersten, zweiten und sechsten, doch scheint dieses Verhalten
kein gesetzmässiges zu sein.
Was schliesslich die Nerven anlangt, so treten dieselben
entsprechend der lateralen Insertion der Beine auch lateral aus
und nicht ventral wie bei Sida. Der seitliche Nerv (s. N.) sowie
der obere und mittlere (0. N., m. N.) sind auch hier mit ganz
ähnlichen Functionen wie bei Sida leicht nachzuweisen (t'ig. 34).
Der untere Nerv ist mir entgangen, was wohl mit seiner Zart-
heit und seinem Verlaufe in Zusammenhang steht. Den Nerv,
der zu den Steuerborsten zieht, habe ich gleichfalls aus dem
Schlussganglion treten sehen. Doch konnte ich über seine Endi-
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118 PaulSamas.sa:
giing an den Borsten keine Beobachtungen machen, da das Ob-
ject hierzu zu ungünstig ist.
Bythotrephes longimanus, Leydig.
Wie dem ganzen Aeusseren von Bythotrephes die bei ihm
von allen Cladoceren am weitesten vorgeschrittene Entwickelung
des Auges ihr Gepräge verleiht, so ist auch das centrale Ner-
vensystem davon am meisten beeinflusst. Das Sehganglion bildet
hier den weitaus massigsten Theil desselben und übertrifft das
Gehirn bei weitem. Die Lagebeziehungen dieser Theile sind we-
sentlich bedingt durch die mehr oder weniger stark ausgebildete
Nackenbeuge. Hierin giebt es alle üebergänge: in einigen we-
nigen Fällen liegt der Kopf in derselben Achse wie der Rumpf
des Thieres; derartige Objecte sind daher zum Studium von
Querschnitten sehr geeignet. Es kann aber auch die Kopfachse
mit der Rumpfachse alle Winkel bis zum rechten bilden. In
diesem letzteren extremen Falle bekommt man daher bei Frontal-
schnitten durch den Rumpf Querschnitte durch den Kopf und
umgekehrt. Am Bauchmark ist ferner bemerkenswerth, dass das
Mandibelganglion hart an das retro-oesophageale herantritt, da-
gegen vom Bauchmarke der Beingegend durch eine lange Com-
missur, die keinen Ganglienzellenbelag besitzt, geschieden wird.
Das Sehganglion hat die Gestalt einer ovalen, gegen das
Auge zu convexen Platte-, mit seiner ventralen Seite liegt es über
dem Gehirne wie ein überhängendes Dach (Fig. 38). Dorsal, wo
die Commissuren zum Gehirne entspringen, zeigt es auf der un-
teren Seite eine kuppenförmige Hervorwölbung. Um den histo-
logischen Bau desselben zu verstehen, muss ich hier den Rahmen,
den ich mir gesteckt, überschreiten und auf den Bau des Auges
eingehen, dessen interessante Verhältnisse bisher noch nirgends
genau beschrieben wurden. Wir sehen auf dem Bilde eines
Sagittalschnittes (Fig. 36) zwei Gruppen von Einzelaugen: eine
keilförmige und eine kugelförmige. Im keilförmigen Abschnitte,
der dem Sehganglion zunächst liegt, sind die Rhabdome mit
Pigmenfbechem und die Krystallkegel zu ausserordentlicher Länge
entwickelt und reichen bis an den vorderen Rand des Auges.
Die Enden der Pigmentbecher liegen alle in einer Kreislinie. Die
Krystallkegel haben gleichfalls eine ausserordentliche Länge und
werden durch eine bindegewebige Platte (S. P.) gestützt, welche
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Untersuchungen über das centrale Nervensystem der Cladoceren. 119
vom Bindegewebe des Kopfes entspringt und bogenförmig in
gleichmässigem Abstände von den Enden der Pigmentbecher nach
vorne zieht und sich hier an der HOllmembran des Auges be-
festigt. Durch diese Stützplatte treten die Krystallkegel hindurch;
sie sind der dorsalen Seite des Thieres zugewandt und dienen
zur Aufnahme der Eindrücke, die das Thier von hinten empfUngt.
Der Durchschnitt des kugelföi-migen Theils stellt sich in Fig. 36
als ein Kreissegment dar, dessen Sehne das Einzelauge des keil-
förmigen Teils bildet, dem es aufliegt. Die Pigmentbecher haben
eine constante Länge, welche etwa ein Drittel der vorerwähnten
beträgt. Die Länge der Krystallkegel nimmt von hinten nach
vorne zu allmählich ab und die hinteren treten noch durch die
Stützplatte. Das Studium von Embryonen ergiebt, dass in sehr
frühen Stadien, wo im Auge noch kein Pigment abgelagert ist,
alle Einzelaugen gleiche Länge besitzen und im Kreise angeordnet
sind, ebenso wie beim ausgewachsenen Thiere diejenigen der
kugelförmigen Zone. Bald aber bekommen die dorsalen Einzel-
augen im Wachsthum das Uebergewicht, bis sie endlich den vor-
deren Augenrand erreichen. Es begreift sich, dass dadurch die
Einzelaugen der vorderen Partie immer mehr in die Höhe ge-
hoben werden und dadurch das Missverhältniss zwischen dem
grossen Raum, den die wenigen Einzelaugen des keilförmigen
Abschnittes einnehmen, im Vergleich zu dem der zahlreichen des
kugelförmigen, immer grösser wird.
Zu den Augen des keilförmigen Abschnittes treten nun die
Nervenfasern aus dem vorderen Theil der ventralen Hälfte des
Sehganglions (Fig. 36, 38 v. 0.), der Nerv für den kugelförmigen
Abschnitt hingegen entspringt aus der ganzen dorsalen Hälfte
desselben (Fig. 36, 38 h. 0.). Derselbe tritt zwischen den Pig-
mentbechem der keilförmigen Schicht hindurch, um an die Re-
tinnlae des kugelförmigen Abschnittes zu gelangen. Dieses Ver-
hältniss, das zwar auch aus dem Sagittalschnitt der Fig. 36
ersichtlich ist, wird besonders klar aus dem Frontalschnitte, den
Fig. 37 darstellt: wir sehen den Pigmentbecher der kugelförmigen
Schicht, welche die keilförmige allseitig umgiebt, in der Längs-
richtung durchschnitten, während diejenigen der keilförmigen quer
getroffen sind. Zwischen diese hindurch treten Bündel von Ner-
venfasern, welche sich baumförmig verzweigen, so dass an jedes
Rbabdom eine Primitivfaser tritt. Die Nerven sind von ihrem
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120 Paul Samassa:
Eintritt in das Auge an von Pigmentscheiden umhüllt. Mit diesen
Eigenthümlichkeiten des Baues des Auges steht der Bau des
Sehganglions im engsten Zusammenhange. Dasselbe setzt sich
aus einer ventralen (Fig, 36 v. A.) und einer dorsalen (Fig. 36 d. A.)
Hälfte zusammen, welche einen histologisch sehr verschiedenen
Bau zeigen. Zwar zieht sich durch das ganze Ganglion jene
Scheidung der Punktsubstanz in drei Schichten, die wir bereits
bei Sida kennen gelernt haben, eine obere und untere dichtere,
eine mittlere lockerere. Die obere Schicht hat hier jedoch eine
weitere Differenzirung erreicht. Im ventralen Abschnitt sind in
ihr drei Züge von dichterer Punktsubstanz angedeutet, die durch
zwei hellere Züge von einander getrennt werden. Die Punkt-
substanz ist hier von zwei bis drei Reihen kleiner Ganglienzellen
umgeben, die jedoch vorne eine Lücke lassen; auch die obere
und untere Schicht der Punktsubstanz gehen hier nicht in ein-
ander über. Die Sehfasern, die jedoch nur aus dem vordersten
Theil des ventralen Abschnittes austreten, lassen sich zum Theil
durch die obere und mittlere Markschicht bis an die untere ver-
folgen, wo sie sich in der Punktsubstanz aufzulösen scheinen.
Ein Theil der Fasern tritt aber jedenfalls bereits an die Ganglien-
zellen der oberen. Schicht, sowie auch von diesen Zellen aas
Fasern an die untere Markschicht ziehen. Die Fasern erreichen
nie die Stärke wie im hinteren Abschnitte des Ganglions. In
diesem (Fig. 36 d. A.) ist der Punktsubstanzkem weitaus grösser
als im vorderen und erreicht stellenweise die Höhe wie im ven-
tralen Theile die Punktsubstanz und . der untere Ganglienzellen-
belag zusammengenommen. Diese Vermehrung der Punktsnbstanz
wird zum Theile durch eine etwas breitere mittlere Schicht be-
wirkt, hauptsächlich aber durch die Vergrösserung der oberen.
Diese wiederholt gleichsam den Bau des ganzen Sehganglions,
indem sie gleichfalls aus einer dichteren oberen und unteren und
aus einer lockereren mittleren Schicht besteht. Die Ganglien-
zellen dieses Abschnittes sind an der dem Auge zugekehrten
Seite grösser als im ventralen Theile. Doch erreichen besonders
in der Gegend der Sehcommissuren auch die unten gelegenen
Ganglienzellen dieselbe Grösse und denselben Charakter (Fig. 38).
Bei geeigneter Conservirung (Fig. 35) sieht man den grossen
Protoplasmaleib dieser Zellen sehr deutlich. Die Opticusfasem
treten auch hier durch die Ganglienzellendecke, die obere und
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Untersuchungen über das centrale Nervensystem der Cladoceren. 121
mittlere Markschicht an die untere heran, einige Fasern konnte
ich aber direct durch die untere Ganglienzellenschicht hindurch
in die Sehcommissuren eintreten sehen. Für das Verhalten dieser
durchtretenden Fasern erweist sich ein Querschnitt (Fig. 35) sehr
lehrreich; derselbe bleibt natürlich wegen der Wölbung des
Ganglions nicht durchaus in einer Schicht. Wir sehen in dem-
selben die durchtretenden Fasern (d. F.) als schwarze Punkte in
Lücken der umgebenden Punktsubstanz. Man sieht, dass die
Nervenfasern im vorderen T heile dünner, die Lücken kleiner,
hingegen viel zahlreicher sind. Im dorsalen Abschnitt liegen die
Lücken in viel grösseren Abständen, sind grösser und besitzen
derbere Nervenfasern in ihrer Mitte. Ob der Rand einer Lücke
wirklich einer Nervenscheide entspricht, in der der Nerv flottirt,
oder ob es sich um ein durch Schrumpfen des Nerven verur-
sachtes Kunstprodukt handelt, muss ich dahingestellt sein lassen.
Betrachten wir nun die Verhältnisse des Sehganglions und
des Auges im Zusammenhange, so ist es höchst wahrscheinlich,
dass bloss die aus dem dorsalen Abichnitte des Ganglions ent-
springenden Fasern dem Opticus von Sida und Daphnia homolog
sind, der ja auch in dieser Region seinen Ursprung nimmt. Die
aus dem vorderen Theile entspringenden Fasern müssen wir als
etwas Neues betrachten, das durch den eigenthümlichen Bau des
Auges bedingt ist. Denn dass diese Verhältnisse etwa dadurch
entstanden sein könnten, dass die im Embryo paarig angelegten
Augen im Laufe der Entwickelung eine Drehung erfahren hätten,
so dass schliesslich das eine Auge nach vorne, das andere nach
rückwärts gelangt wäre und der vordere und hintere Sehnerv
somit den beiden symmetrischen Sehnerven in der ersten Em-
bryonalanlage entsprächen, lässt sich deshalb nicht annehmen,
weil wir in der Entwickelung eine Andeutung einer derartigen
Drehung nicht finden und die beiden Sehcommissuren, welche
dieselbe doch mitgemacht haben müssten, ihre normale symme-
trische Stellung ganz ebenso wie bei Sida bewahrt haben. Ein
Anklang an die Durchkreuzung der Sehnervenfasern, wie sie filr
Insekten und Malacostracen so charakteristisch ist, lässt sich
aber nicht verkennen: denken wir uns nämlich, dass die langen
Einzelaugen des keilförmigen Abschnittes auf die normale Grösse
reducirt, hierbei aber nach wie vor vom vorderen Theile des
Sebganglions innervirt würden, so würden diese Fasern mit den
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122 Paul Samassa:
Fasern des hinteren Opticus ein Chiasma bilden, ähnlich dem-
jenigen höherer Arthropoden. Ja es mtisste dieses Chiasma
auch in der Entwicklung von Bithotrephes in jenem Sta-
dium auftreten, wo alle Einzelaugen noch gleichmässig ent-
wickelt sind. In demselben liegt jedoch das Sehganglion dem
Auge so dicht an, dass es mir nicht gelang zu entscheiden, ob
Fasern schon vorhanden sind oder nicht. Den Zweck der eigen-
thümlichen Anordnung der Einzelaugen vermuthe ich in Folgen-
dem: Die langen Einzelaugen des keilförmigen Abschnittes be-
sitzen infolge des grösseren Durchmessers ihrer Crystallkegel ein
viel grösseres Gesichtsfeld, als die kurzen Augen des kugelför-
migen Abschnittes. Es ergiebt sich also, dass nach hinten zu
durch wenige lange Einzelaugen ein ebenso grosses Gesichtsfeld
beherrscht wird wie durch viele kurze. Andererseits leuchtet
ein, dass dadurch, dass die Lichteindrttcke eines viel grösseren
Bezirkes durch ein Einzelauge in einen Nervenreiz umgesetzt
werden, die Schärfe der Wahrnehmung wesentlich beeinträchtig
ist. Nehmen wir jedoch an, dass das Thier nur von den rück-
wärts nahenden Feinden, die doch eine beträchtlichere Grösse
haben müssen, als es selbst, benachrichtigt zu werden braucht^
während es vorne und seitlich auf ein Erkennen der jedenfalls
kleineren Beute angewiesen ist, so sehen wir in diesem Auge
das Problem mit einer gegebenen Anzahl von Einzelaugen ein
möglichst grosses Gesichtsfeld zu beherrschen und dabei auch
noch den Lebensbedürfnissen des Thieres in Bezug auf Sehschärfe
Rechnung zu tragen, in der vollkommensten Weise gelöst. Eine
genaue physiologische Untersuchung wird hier gewiss noch sehr
interessante Details zu Tage fördern.
An den Sehcommissuren ist bemerkenswerth, dass dieselben
keine directe Verbindung zwischen der Punktsubstanz des Gehirns
und derjenigen des Sehganglions herstellen, sondern aus der An-
sammlung Ton Ganglienzellen an der unteren Seite des Sehgang-
lions entspringen (Fig. 37, 38 O.C.). Jedoch kann man einige
von den derberen Opticusfasern durch die Ganglienzellen hin-
durch in die Commissuren eintreten sehen. Die Punktsubstanz
des Gehirns ist im Wesentlichen ähnlich angeordnet wie bei
Sida. In den Hauptmarkballen fällt eine hintere Partie auf, die
hauptsächlich derbere Fasern führt, die eine Fortsetzung der
Seheommissureu sind (Fig. 38). Der Centralkörper rückt hier
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Untersuchungen über das centrale Nervensystem der Cladoceren. 123
ganz an die Vorderwand des Gehiras, und liegen vor demselben
keine Ganglienzellen (Fig. 38, 39 C. K.). In Folge dessen liegt
der centrale Markballen nicht so sehr über als hinter ihm. An
der oberen Seite des Gehirns ragt der Ganglienzellenbelag sehr
tief in die Punktsubstanz hinein (Fig. 37), so dass es auf Quer-
schnitten häufig den Anschein gewinnt, als ob einzelne Zellen
mitten in der Punktsubstanz lägen (Fig. 39). An Bythotrephes
gelang es mir auch, den Nerven für die Augenmuskel zu finden
(Fig. 39 A. M. N.), der hier entsprechend der stärkeren Entwicke-
lung der Augenmuskel ansehnlicher ist. Der Riechnerv entspringt
an gewohnter Stelle trotz der hoch nach oben gerückten Riech-
antenne, lieber einen Nackennerv konnte ich nichts ermitteln.
Durch zwei Muskeln der Oberlippe wird das Gehirn an seiner
Basis in die zwei Schlundcommissuren getheilt (Fig. 40), welche
sehr mächtig sind und eine Abgrenzung gegen das Gehirn nicht
haben. Die Commissur ist mit auffallend grossen Ganglienzellen
belegt und schwillt alsbald zum Ganglion der zweiten Antenne
an, das in der gewöhnlichen Weise zwei Nerven an dieselben
abgiebt, die hier sehr nahe beisammen entspringen (Fig. 42). Das
Antennenganglion reicht weit nach unten, so dass es in der
Gegend, wo ventral bereits das retro-oesophageale Ganglion der
Conmiissur aufliegt, dorsal und seitlich noch immer zu bemerken
ist (Fig. 38, 41). Da auf das retro-oesophageale Ganglion un-
mittelbar das Mandibelganglion folgt, so hat das Nervensystem
hier ein concentrirtes und gewissermassen übereinandergeschobenes
Aassehen. Das retro-oesophageale Ganglion (Fig. 41) hat dieselbe
Lage wie bei Sida und besitzt eine Commissur. Knapp um den
Oesophagus herum verlaufen die Oberlippennerven, die vor dem
Oesophagus einen Beleg von Ganglienzellen besitzen, so dass man
hier eigentlich nur von einem Oberlippenganglion sprechen kann,
aus dem seitlich die Nerven entspringen (0. N.), die in ihrem
Verlaufe auch wiederum Ganglien aufweisen. Aus Fig. 41 geht
besonders klar hervor, wie sehr das retro-oesophageale Ganglion
von der Schlundcommissur geschieden ist, so dass die retro-
oesophageale Commissur nur auf ersteres bezogen werden kann.
Dicht bei diesen und zwar mehr hinter als unter derselben be-
findet sich die Commissur des Mandibelganglions. Letzteres
(Fig. 44) liegt in der Basis der Mandibel selbst, da ja bei Bitho-
trephes die Maxille auf einen Stummel, der eine Borste trägt.
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124 Paul Samassa:
reducirt ist. Die hohe Lage der Commissur lässt sich auch hier
durch die tiefe Spalte, welche in der Mittellinie die Ansätze der
Mandibeln trennt, erklären. Am unteren Ende des Ganglions
entspringt der Nerv (M. N.), der horizontal in die Mandibel ver-
läuft. Vom Mandibelganglion aus zieht ein einfacher Nerven-
strang (Fig. 38, 43) zu den Fussganglien und zeigt auch unter
der Maxille keinerlei Anschwellung oder Ganglienzellenbelag. Die
Ganglien der Fusspaare bilden starke cylindrische Stränge, welche
auch an den Austiittsstellen der Nerven fast keine Anschwellung
besitzen. Entsprechend der Zahl der Fusspaare finden sich vier
einfache Commissuren; in der Gegend derselben entspringt der
Seitennerv, etwas unter derselben die beiden Nerven fttr den Fuss;
da die Bauchstränge schon unter dem dritten Beinpaare ihr Ende
erreichen, so findet sich hier bereits die Commissur des vierten
Beinpaares; die Nerven derselben entspringen am Ende des Bauch-
stranges und verlaufen in der Richtung desselben gegen den
vierten Fuss. Die Fussganglienkette von Bythothrephes ist oflfen-
bar schon als ziemlich concentrirt zu betrachten.
Leptodora hyalina^ Lilljeborg.
Dass bei Leptodora der eigenthttmlichen Körperbildung ent-
sprechend auch das Nervensystem eine Umgestaltung erfahren
würde, Hess sich wohl erwarten. Das Ganglion opticum und das
Gehirn liegen unmittelbar unter dem Auge. Entsprechend der
ausserordentlichen Länge des Kopfes sind auch die Schlundcom-
missuren sehr gestreckt; dieselben sind auffallend schwach. Unter
dem Oesophagus finden sich die Ganglien der zweiten Antenne
und der Mandibel, die der Schlundcommisjmr fast an gleicher
Stelle dorsal und ventral aufsitzen (Fig. 52). Zwei Längscom-
missuren verbinden dieselben mit dem Bauchmark, das zu einer
Platte äusserlich verschmolzen, unter dem zweiten Fusspaare liegt
und in seiner Länge die Breite des Ansatzes dieses Fusses kaum
übersteigt.
Das Ganglion opticum (Fig. 45) gewinnt seine Eigenthüm-
lichkeit dadurch, dass es in der Höhendimension viel mehr ent-
wickelt ist als bei anderen Formen; es hat die Gestalt eines
Würfels, der nach unten durch eine halbkugelf()rmige Fläche
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Untersuchungen über das centrale Nervensystem der Cladoceren. 125
abgegrenzt ist. Es wird von zwei bis drei Reihen von Gan-
glienzellen umgeben, die einen deutlichen Protoplasmaleib zei-
gen. Die Punktsubstanz ist auch hier in drei Schichten ge-
sondert, von denen jedoch keine eine höhere Diflferenzirung er-
langt hat. Der Opticus tritt mit seinen Fasern aus der ganzen
Breite des Sehganglions mit Ausnahme des vordersten Theils;
die Fasern vereinigen sich bald zu einem lateral comprimirten
Strange, der in einen dorsoventral verlaufenden Spalt des Auges
eintritt. Im Ganzen hat der Opticus nicht einen direct nach oben,
sondern nach oben und vorne gerichteten Verlauf (Fig. 45). Auch
hier tritt ein Theil der Opticusfasem durch die obere Markschicht;
in der mittleren Schicht ist der Verlauf der Fasern bereits wenig
deutlich. Auf einem Querschnitte stellen sich die Fasern ganz
ähnlich dar wie bei Bythotrephes, doch sind sie hier weit zarter.
j Das Gehirn (Fig. 46) hat eine birnförmige Gestalt und lässt von
seinem bilateralen Bau äusserlich nichts mehr bemerken. Es ist
durch zwei Commissuren mit dem Sehganglion verbmiden; die-
selben entspringen direct aus der Punktsubstanz des Sehganglions
(Fig. 45 0. C). Die Anordnung der Punktsubstanz schliesst sich
im Wesentlichen an diejenige an, die wir bisher so typisch
überall wiedergefunden haben. Wir sehen (Fig. 46) die beiden
Hauptmarkballen, die durch eine über und eine unter dem Cen-
tralkörper verlaufende Commissur verbunden sind. Der Central-
körper hat seine gewohnte Lage; seine Form ist gedrungen.
Seine Beziehungen zu seiner Umgebung konnte ich an einem
Präparate gut erkennen, an dem künstlich eine Lockerung ein-
getreten war (Fig. 50). Wir sehen denselben durch einen Spalt
von der darüberliegenden Punktsubstanz getrennt, und da die
Abgrenzung des Centralkörpers eine ganz scharfe ist, so lässt
sich durchaus nicht annehmen, dass hier etwa Fasern abgerissen
wären. Unter demselben sind schon einige Ganglienzellen der
vorderen Gehimwand angeschnitten, hingegen tritt seitlich ein
sehwaches Faserbündel an den Centralkörper heran. Unter dem
Centralkörper verbindet eine Punktsubstanzbrücke die beiden
Riechcentra (Fig. 46, R. N.). Eine Eigenthündichkeit von Lepto-
dora besteht darin, dass sich über dem centralen Markballen noch
eine Ansammlung von Punktsubstanz befindet (0. B.), die durch
eine Schicht von Ganglienzellen von ersterem getrennt ist und
meist auch allseitig von solchen umgeben wird. Die Ganglien-
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126 PanlSamassa:
Zellen, welche in ein bis zwei Reihen an die Punktsabstanz gren-
zen, bieten keinerlei Eigenthümlichkeit.
Mehr Interesse nimmt eine Schicht von grossen Zellen in
Anspruch, welche die ganze obere Hälfte des Gehirns bedeckt.
Die Zellen (Figg. 47, 48, 49) sind von beträchtlicher Grösse, be-
sitzen einen rundlichen bis ovalen grossen Kern und eigenthüm-
liehe Einschlüsse (E), welche in ihrer Form ausserordentlich
wechseln. Bei Osmiumbehandlung besitzen sie eine intensiv dunkle
Färbung, die jedoch nicht der charakteristischen Fettreaction
entspricht, sondern mehr in's Braune spielt. Die Form ist sehr
wechselnd: klumpen-, bisquit- oder bohnenförmig; häufig findet
sich auch eine Form, die man am besten mit der einer Appen-
dicularie vergleichen könnte (Fig. 49), ein kugeliger Kopf mit
einem nach vom geschlagenen Anhang. Mitunter besitzt der
Einschluss im Innera wieder eine Figur von lichterer Färbung-,
welche die Form desselben in kleinerem Maassstabe wiederholt
(Fig. 47). In einem Falle sah ich denselben sehr scharf als einen
vierstrahligen Stern her^'ortreten (Fig. 48). In diesen Zellen
kommen bei einigen Exemplaren grosse Vacuolen vor (Fig. 49),
bei anderen fast gar keine. Die Vacuole kann den ganzen Raum
der Zelle einnehmen, so dass man nur den plattgedrückten Kern
an der Wand findet. Doch ist dieses Extrem nicht häufig. Es
finden sich üebergänge, wo sich neben einem Einschlüsse auch
eine Vacuole findet, während bei stark ausgebildeter Vacuole
Einschlüsse fehlen. Zwischen den Zellen finden sich keine Zwi-
schenräume, wie z. B. zwischen Ganglienzellen, die Zellen stossen
aneinander und ist ihre Form davon auch beeinflusst, indem sie
häufig vieleckig erscheinen. Weder auf Schnitten noch im iso-
lirten Zustande lassen sie irgend welche Fortsätze erkennen. An
die Punktsubstanz stösst dieser Deckzellenbelag nur am oberen
Punktsubstanzballen (Fig. 46 o. B.). Doch kommt dies nur g-e-
legentlich vor, und ist dieses Verhalten kein gesetzmässiges, da
gewöhnlich auch dieser Theil der Punktsubstanz allseitig von
Ganglienzellen umgeben ist. Die Sehcommissuren treten durch
diese Schicht hindurch, ohne mit den Zellen irgend welche Ver-
bindung einzugehen; in ihrem oberen Theile sind sie übrigens
noch von Ganglienzellen des Sehganglions umgeben (Fig. 49, G. Z.).
Als Ganglienzellen kann mau diese Zellen unmöglich deuten; nach
ihrer Lage und Form ist jede Beziehung zu nervösen Erregungs-
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Untersuchungen über das centrale Nervensystem der Cladoceren. 127
Vorgängen höchst unwahrscheinlich. Ich enthalte mich jeder Ver-
muthung über die Bedeutung derselben, da sie noch in keiner
Weise erschöpfend untersucht worden sind und insbesondere phy-
siologische und entwickelungsgeschichtliche Beobachtungen über
dieselben fehlen.
Aus der Unterseite des Gehirns, die eine conische Gestalt
hat, treten die Schlundcommissuren in der Medianlinie dicht neben
einander ab, und zwar auffallender Weise von Ganglienzellen und
nicht von der Punktsubstanz (Fig. 50 S. C). Sie ziehen hierauf
durch den langen Kopf und treten endlich in die beiden Kopf-
fettlappen. Sie bilden über denselben keine Conunissur. In den
Fettlappen liegen sie unter der Begrenzungsmembran derselben
und sind nur wenig abgeplattet.
Das Verhältniss des Ganglions der zweiten Antenne zum
Mandibelganglion wird durch das Bild eines Sagittalschnittes
(Fig. 52) leicht verständlich. Wir sehen das Ganglion der zweiten
Antenne (G. A^), welches der aus dem Fettlappen unter den Oeso-
phagus tretenden Schlundcommissur rückwärts aufsitzt. Vorne tritt
dieselbe in das Mandibelganglion (Md. G.); es ist dies offenbar
eine Art Zusammenschiebung, wie wir sie schon bei Bithotrephes
angedeutet gefunden haben. Das Mandibelganglion ist mit dem
retro-oesophagealen Ganglion verschmolzen. An dem vorderen
Theile desselben entspringt der Oberlippennerv (Fig. 52 O. N.),
der sich um den Oesophagus nach vorne schlägt und über dem-
selben das wenig ansehnliche Oberlippenganglion bildet. Seitlich
tritt aus dem Mandibelganglion der Mandibelnerv (Fig. 51 M. N.).
Die einzige Commissur, die sich hier findet, ist diejenige der
Mandibelganglien (F. 51 C); sie ist mit Ganglienzellen besetzt,
trägt also einen ähnlichen Charakter wie die Commissuren im
Bauchmark. Eine Commissur zwischen den Antennenganglien
kann ich mit aller Bestimmtheit in Abrede stellen, auch ist das
Antennenganglion als vollkommen gegen das Mandibelganglion
abgegrenzt zu betrachten (Fig. 51). Aus demselben entspringt
bloss ein Nerv für die zweite Antenne, was wohl mit den gleichen
Verhältnissen bei der Fussinnervation in Beziehung zu bringen
ist. Aus dem Mandibelganglion entspringt vorne ein dünner
Banchstrang (Fig. 51 B. S.), der, bloss aus Nervenfasern be-
stehend, dasselbe mit der Ganglienmasse der Beine verbindet.
Ich habe ihn in Fig. 52 durch eine unterbrochene Linie an der
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128 Paul Samassa:
Stelle, wo er in den folgenden Schnitten zu sehen ist, angedeutet
(B. S.). Ist es nun einerseits für das Antennen- und Mandibel-
ganglion charakteristisch, dass dieselben dem Oesophagus fest
anliegen und mit ihrer Hülle mit dem Bindegewebe desselben
verwachsen sind, so ist es eine Eigenthümlichkeit des Bauch-
stranges, dass derselbe im Perimysium der umgebenden Muskeln
verläuft. An der Stelle, deren Querschnitt Fig. 54 wiedergiebt,
inseriren die dorso ventralen Muskeln an der Körperwand, während
sich in einiger Entfernung davon zwischen denselben eine Sehne
ausbreitet; in dem Winkel, den der Muskel mit dieser Sehne
bildet, liegt von derselben vollständig umgeben der Bauchstrang.
Diese Einrichtung, die offenbar sehr geeignet ist das Nerven-
system in Seiner Lage zu erhalten, war mir auch deshalb inter-
essant, weil ich dadurch eine Fehlerquelle kennen lernte, die
hier auch bei der sorgföltigsten Präparation ohne das Studium
von Schnittserien nicht zu vermeiden ist. Da beim Flächenprä-
parat die Muskeln weggeschnitten sind, so machte es mir unbe-
dingt den Eindruck, dass es sich hier um eine Nervencommissur
handle und konnte ich mich erst durch genaues Studium der
Schnittserien eines Besseren belehren.
Die Ganglien der Füsse sind zu einer Platte verschmolzen,
die Weismann sehr gut mit der Form eines Stemums ver-
gleicht. Am Ansätze der Längsstränge, ziemlich platt, nimmt
das Bauchmark nach unten immer mehr an Dicke zu, so dass
es in der Gegend des Abganges des vierten Fussnerven einen
fast kreisförmigen Querschnitt bietet (Fig. 56). Die Nerven für
die drei ersten Beinpaare treten seitlich aus; während aber der
Nerv des ersten Fusscs einen nahezu horizontalen Verlauf hat,
nähert sich die Richtung der folgenden Nerven entsprechend dem
immer tiefer liegenden Ansätze der Beine mehr und mehr der
verticalen. Die Nerven des 5. und 6. Beinpaares sind mit ein-
ander verschmolzen, entspringen am untersten Rande des Bauch-
markes und verlaufen senkrecht zu ihren Extremitäten; vom Ner-
ven des sechsten Fusses endlich zweigt sich der Nerv fftr das
Postabdomen ab. Während äusserlich die bilaterale Zusammen-
setzung der Fussganglienplatte gar nicht zu erkennen ist, ist die-
selbe im inneren Baue des Ganglions deutlich ausgesprochen.
Wir sehen zwei Längszüge von Punktsubstanz (Fig. 55), welche
durch Ganglienzellen von einander getrennt werden. Entspre-
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Untersuchungen über das centrale Nervensystem der Cladoceren. 1^
chend den Austrittstellen der Nerven finden sich Commissuren
(Fig. 55, 56 C.) und zwar, wie man an Fig. 56 ersieht, etwas
der dorsalen Seite genähert. Man sieht femer, wie die Nerven
für das 5. und 6. Fusspaar in der Punktsubstanz getrennt ent-
springen und sich erst an der Austrittstelle des Nerven vereinigen.
Auffallend sind grosse Ganglienzellen (Figg. 55, 56, gr. Z.), welche
meist in der Einzahl an der Austrittstelle, der Nerven liegen.
Dieselben besitzen einen grossen Protoplasmaleib, der sich sehr
intensiv förbt, und einen kleinen Kern. Dass es sich hier um
Ganglienzellen handelt, konnte ich daraus schliessen, dass ich in
einem Falle einen deutlichen Nervenfortsatz an derselben be-
obachtete. Die Grösse der übrigen Ganglienzellen unterliegt be-
trächtlichen Schwankungen.
Lltteratnr.
Da von den Forschem, welche sich bisher mit diesem Thema
beschäftigt haben, zum Theil andere Formen untersucht wurden
als diejenigen, deren Nervensystem ich im Vorstehenden be-
schrieben habe, so sehe ich mich genöthigt, die Litteratur hier
im Zusammenhange zu besprechen.
Der erste, der das Nervensystem der Cladoceren theilweise
beschrieb, war Leydig^). Den Bauchstrang konnte er nicht
sehen, im übrigen sind aber seine Abbildungen noch heute als
mustergiltig zu betrachten und sind höchstens einige Details ab-
weichend dargestellt, die übrigens grösstentheils bereits von An-
deren berichtigt worden sind.
Der erste, der auch das Bauchmark einer Cladocere be-
schrieb, war Claus^), der dasselbe bei Evadne mediterranea ge-
sehen und präparirt hatte. Das Nervensystem dieser Art schliesst
sich den Polyphemiden an.
1) Leydig, Naturgeschichte der Daphniden. Tübingen 1860.
2) ClauSi Ueber Evadne mediterranea etc. Würzburg, Nat.
Zeitschrift Bd. III, 1862.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. SS, 9
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idÖ Pau\ äamassa:
Klunzinger^) bildet einen Theil des Banehstranges von
Daphnia longispina ab. Jedes Fussganglion ist durch zwei ziem-
lich weit abstehende Commissuren mit dem der anderen Seite
verbunden.
G. 0. Sars*) stellt einige Fussganglien von Sida mit ein-
fachen Commissuren dar.
P. E. Müller') giebt zwei Abbildungen des Nervensystems
von Leptodora. Er hält den Fettkörper für ein Ganglion, zeichnet
aber unter dem Oesophagus zwei Ganglien; da er im flbrigen
dieselbe Darstellung giebt wie später Weismann, kann ich auf
die Besprechung letzterer Arbeit verweisen.
Weismann*) sah die Deckzellen im Gehirn, bezweifelt aber
deren zellige Natur; er giebt an, an derselben Stelle bei jugend-
lichen Individuen grosse Ganglienzellen gefunden zu haben. Die
Angabe Weismann's, dass die Schlundcommisduren als gemein-
samer unpaarer Strang aus dem Gehirn entspringen und sich erst
weit unten im Kopfe theilen, kann ich nicht bestätigen (Fig. 50).
Desgleichen kann ich eine Commissur zwischen denselben vor
dem Eintritt in den Fettkörper mit Bestimmtheit in Abrede
stellen.
Das untere Schlundganglion beschreibt Weismann als ans
zwei übereinander geschobenen Nervenknoten bestehend; wenn
auch die in Fig. 5 von ihm gegebene Abbildung von einem jugend-
lichen Individuum mit meiner Darstellung vom erwachsenen
Thiere sehr gut übereinstimmt, kann ich hingegen das Unter-
schlundganglion (Usg.), das er in Fig. 10 A abbildet, wegen seiner
Grösse und Lage nicht für ein solches halten. Der Nerv der
zweiten Antenne entspringt nach Weismann aus dem unteren
Schlundganglion, was ihn sehr überrascht. Da er doch den Bau
desselben als aus zwei Nervenknoten bestehend beschreibt, und
1) Rlunzinger, Einiges zur Anatomie der Daphniden, nebst
kurzen Bemerkungen über die Stisswasserfauna der Umgebung Cairos.
Zeitschrift für wiss. Zool. XIV, 1864.
2) Sars, Norges Ferskvandskrebdyn I. Cladocera, Ctenopoda,
Christiania 1865.
3) P. E. Müller, Danroarks Cladocera. Kjobenhaven 1867.
4) Weismann, Ueber Bau und Lebenserscheinungen von Lepto-
dora hyalina. Zeitschrift für wiss. Zool. 1874.
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Untersuchungen über das centrale Nervensystem der Cladoceren. 1^1
dieses Verhalten auch in Fig. 5^ wenn auch nicht so deutlich, zu
sehen ist, so wundert es mich, dass er nicht den oberen Nerren-
knoten als Ganglion der zweiten Antenne in Ansprach nimmt.
Ob sich übrigens Weismann das Unterschlundganglion als eine
median yerschmolzene Masse vorstellt, oder paarig, kann ich aus
seiner Darstellung nicht entnehmen; eine Quercommissur ist we-
nigstens nicht erwähnt. Vom Bauchmark lässt Weismann sechs
Nervenpaare ihren Ursprung nehmen, was, wie aus meiner Dar-
stellung hervorgeht, wenigstens für das erwachsene Thier nicht
zutrifft.
Claus^) beschreibt das Nervensystem des Genus Daphnia
und legt hierbei hauptsächlich Daphnia similis zu Grunde. Be-
zflg^ich des Opticus wendet er sich gegen Weis mann, der jene
Fasern, welche aus dem Ganglion in das Auge ziehen, Opticus
nennt, während Clans die Stränge, welche das Gehirn mit dem
.Sehganglion verbinden, als solchen bezeichnet wissen will und
alles übrige als zur Retina gehörig ansieht; auch Spangen-
berg*) gebraucht diese Bezeichnungen. Ich habe mich hierin
Weismann angeschlossen und ausserdem die Verbindung des
Gehirns mit dem Ganglion opticum als Sehcommissur bezeichnet,
um dadurch diese gegen einander gut abgegrenzten Gebilde leicht
unterscheiden zu können. Den Ausdruck Retina habe ich des-
halb vermieden, weil derselbe, von Wirbelthieren entnommen,
leicht zu Missverständnissen führt. Es bedarf ja nur des Hin-
weises darauf, dass dieses Gebilde bei Wirbelthieren, durch eine
Gehimansstülpung entstanden, absolut keine Homologisirung mit
den Verhältnissen bei Arthropoden gestattet. Eine weitere An-
sicht, die gleichfalls von Claus und von Spangenberg ver-
treten wird, geht dahin, dass an jedes Rhabdom eine denTheil-
stttcken desselben entsprechende Zahl') von Primitivfasem her-
1) Claus/ Zur Renntniss der Organisation und des feineren
Baues der Daphniden und verwandter Cladoceren. Zeitschr. fär wiss.
Zool. XXVII, 1876.
2) Spangenberg, Das Centrainer vensystem von Daphnia magna
und Monia rectirostris. Habilit.-Schr. München 1877.
3) Claus giebt in dieser Arbeit die Zalil der Theilstücke der
Rhabdome und Krystallkegel auf vier an, berichtigt dies jedoch in
einer späteren Arbeit auf die richtige Zahl fünf.
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Id^ Paul Samassa:
antritt und dass daher durch ein Rhabdom eine dem entsprechende
Anzahl vcsrschiedener Lichteindrticke geleitet werden könne.
Gegen diese Ansicht erheben sich physiologische Bedenken: wir
müssen doch das ßhabdom als jenes Organ ansehen, in dem^
ähnlich wie in den Zapfen und Stäbchen der Wirbelthierretina, der
Lichteindruck in eine nervöse Erregung umgewandelt wird*),
und damit ist auch die Einzahl der Empfindung, die hier erzeugt
wird, gegeben, üebrigens erscheint mir auch das Herantreten
von 5 Fasei*n nach dem Bilde, das ich bei Bythotrephes erhalten,
nicht wahrscheinlich (Fig. 32). Im Sehganglion, das bei Di^hnia
similis offenbar complicirter gebaut ist, als bei Dapbnia sima,
will Claus im granulären Kern, der von peripherischen Ganglien-
zellen umlagert ist, keineswegs ausschliesslich Punktmasse, son-
dern auch dichtgedrängte Ganglienzellen gefunden haben, was
ich nicht bestätigen kann. Auch im Innern des Gehirns glaubte
Claus eine Anzahl von Ganglienkeruen erkannt zu haben, die
er ohne Schwierigkeiten herauspräparirte und sich von ihrer Zu-
sammensetzung aus Zellen überzeugte. In einer späteren Arbeit')
berichtigt er jedoch diese Ansicht, nachdem vorher schon Span-
genberg sich gegen dieselbe ausgesprochen hatte, und giebt
speciell von dem in der ersten Arbeit als oblonger Kern (Fig. 10,
0. C.) .bezeichneten Gebilde an, dass es mit dem für Arthropoden
so charakteristischen Centralkörper identisch sei. Derselbe soll
dadurch zu Stande kommen, dass in denselben Fasern der ver-
schiedensten Richtung einstrahlen: ich glaube nachgewiesen za
haben, dass es sich hier um einen scharf abgegrenzten Kern von
dichter Punktsubstanz handle, an den nur wenige Fasern heran-
treten. Die Nerven der Ruderantennen lässt Claus (Fig. 10)
einem Ganglienpaare entspringen, das unter dem Schlünde ge-
legen und durch eine starke Conmiissur vejrbunden ist. Die bei-
den Nerven treten dicht beisammen aus und lassen durch ihren
schief nach unten gerichteten Verlauf annehmen, dass die Ruder-
antenne weit unter dem Munde gelegen ist. Ich habe ein der-
1) Siehe Exner, Die Physiologie der facettirten Augen von
Krebsen und Insekten. Leipzig u. Wien 1891.
2) Claus, Untersuchungen über die Organisation und Entwick-
lung von Branchipus und Artemia nebst vergleichenden Bemerkungen
über andere Phyllopoden. Arb. aus dem zoolog. Institut zu Wien,
Bd. II, 1886.
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Untersuchungen über das centrale Nervensystem der Cladoceren. 133
artiges Verhalten nie beobachten können. Unter den Mandibeln
beschreibt Claus eiti Ganglion, das Mandibeln und Maxillen in-
nervirt, Was mit dem von mir bei Daphnia sina gefundenen Ver-
hältnisse abereinstimmen würde. In einer späteren Arbeit*) be-
richtigt er diese Angabe dahin, dass sich auch für die Maxille
ein gesondertes Ganglion findet und betont die Schwierigkeiten,
welche gerade diese Region der Untersuchung bietet. Nach letz-
terer Angabe würde sich also Daphnia similis mehr an Sida an-
schliessen. Schliesslich giebt er an, dass die Nerven der Tast-
borsten des Abdomens durch je zwei spindelförmige Ganglien-
zellen unter den Borsten treten, was offenbar von dem von mir
bei Sida beschriebenen Verhalten principiell sehr abweicht.
In seiner Arbeit über die Polyphemiden*) beschreibt Claus
dem Ganglion des ersten Fusses anliegend ein MaxiUarganglion,
das ich mit Bestimmtheit in Abrede stellen kann. Hierbei be-
merkt er, dass auch bei Daphnia das MaxiUarganglion dem
Ganglion des ersten Fussies anliege, was ich für Sida nicht be»
stätigen kann, wo dasselbe mit dem Mandibelganglion vereinigt,
vom Ganglion des ersten Fusses aber sowohl durch seine Lage
als durch eine Längscommissur deutlich abgegrenzt ist. Zu der
stark schematischen Fig. 5 bemerke ich femer, dass die Fuss-
ganglien \iel weiter unter dem Maxillenrudiment liegen, als dies
dort dargestellt ist. Desgleichen konnte ich die Commissur, die
auf Fig. 5 die beiden Maxillenganglien verbindet, nicht auffinden,
und habe ich auch die Commissuren aller Fussganglien einfach
gefunden und nicht, wie Claus es für das erste und zweite
Ganglion abbildet, doppelt. Auch liegen die Commissuren durch-
aus etwas höher, als die Austrittstellen der betreffenden Nerven
und nicht tiefer. Am Auge hebt Claus die verschiedene Länge
der Krystallkegel und Rhabdome hervor, worauf bereits Weis-
mann*) hingewiesen hatte, macht jedoch über den Bau der
Augen keine genaueren Angaben.
1) Claus, Zur Kenntniss dos Baues und der Organisation der
Polyphemiden. Denkschr. der k. k. Akad. d. W., Math.-nat. Ol., 37. Bd.
Wien 1877.
2) I. c.
3) 1. c.
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134 Paul Samassa:
Gleichzeitig mit der Polyphemidenarbeit Clans' erschien
eine Arbeit von Spangenberg ^), in der eine eingehende Be-
schreibung über das Nervensystem der Daphnia magna gegeben
ist, der sich eine Notiz über das von Monia rechirostris anschliesst;
die Abhandlung entbehrt leider der Abbildungen. Einige Diffe-
renzpunkte habe ich bereits früher zu erwähnen Gelegenheit ge-
habt. Ich bemerke noch, dass er das Schlundnervensystem be-
schreibt, doch wurde ihm nach seiner eigenen Angabe das Ver-
bal tniss desselben zu den Schlundcommissuren nicht klar. Die
retrooesophageale Commissur bezieht er auf das Ganglion der
zweiten Antenne. Femer fand er ein Mäxilienganglion, das mit
dem der anderen Seite durch eine Connnissur verbunden war,
was weder mit meinem Befunde bei Sida, noch bei Daphnia sima
übereinstimmt. Die Ganglien findet er durchaus durch Doppel-
commissnren mit einander verbunden. Da ich ein derartiges Ver-
halten niemals beobachtet habe, möchte ich nur darauf hinweisen,
dass die quer unter dem Darme verlaufenden Muskelsehnen bei
präparirten Bauchsträngen leicht eine Commissur vortäuschen
können (s. Fig. 54). Von den Nervensträngen, welche zu den
Tastborsten des Abdomens treten, sagt Spangenberg zwar an
einer Stelle, dass sie „zu einer Ganglienmasse unter einand^
verschmelzen", doch macht er später eine, wie mir scheint, dem
widersprechende Angabe. Für Moina giebt er an, dass sich das
Nervensystem eng an das von Daphnia anschliesse. Er konnte
hier auch das Schlundnervensystem als einen die Mundöffiiung
umgebenden Ring auffinden. Ueber eine Commissur, die die
Ganglien der zweiten Antenne verbinden sollte, macht er jedoch
keine Angaben.
Vor Kurzem machte Wiedersheim*) die Entdeckung, dass
sich im Gehirne von Leptodora eigen thümliche Bewegnngserschei-
nungeu abspielen.
Ich^) bezog diese Erscheinungen auf die Einschlüsse in den.
1) 1. c.
2) Wiedersheim, lieber Bewegungserscheinungen im Gehirn
von Leptodora hyalina. Anat. Anz. V. Bd., Nr. 23, 1890.
3) Samassa, Ueber eigenthümliche Zellen im Gehirn von Lepto-
dora. Anat. Anz. IL Bd., Nr. 2, 1891.
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Untersuchungen über das centrale Nervensystem der Cladoceren. 136
Deckzellen des Gehirns and konnte mich aus diesem Grunde den
weitgehenden Folgerungen, dieWiedersheim aus seinen Beob-
achtungen zog^ nicht anscbliesBen*
Zusammenfassung.
Wenn ich aus diesen Untersuchungen allgemeine Schlüsse
ziehen soll, so ist wohl von vornherein klar, dass dieselben nach
der phylogenetischen Seite hin wenig Neues bringen werden.
Die nahen Beziehungen der Cladoceren zu den echten Phyllopoden
sind durch so viele morphologische Thatsachen so fest begründet,
dass es weiterer Beweise wohl nicht bedarf. Dass von den Cla-
doceren Sida den Phyllopoden am nächsten steht, ergiebt sich
ebenso sehr aus der noch wenig rudimentären Gestalt der Maxille
und aus der gestreckten Form des Abdomens, als aus dem Baue
des Nervensystems. Was die phyllogenctischen Verhältnisse unter
den Cladoceren selbst anlangt, so wurde ja von Claus bereits
in trefflicher Weise die Annahme Weismann's zurückgewiesen,
dass man in Leptodora eine Urdaphnide vor sich habe, die am
Ausgangspunkte der Cladoceren stehe; es genügt darauf hinzu-
weisen, dass auch das concentrirte und so ausserordentlich von
dem der echten Phyllopoden abweichende Nervensystem eine
Stütze für die Claus'sche Annahme bietet. Im Uebrigen sehliesse
ich mich der Ansicht Spangenberg's an, dass Leptodora sich
bereits sehr früh von Sida-ähnlichen Formen abgezweigt hat,
während die Entwickelung von Bythotrephes in anderer Weise
sich eigenartig vollzog. Von Interesse ist schliesslich der Ab-
schluss des Nervensystems durch eine dorsale Commissur bei
Sida, was an die Verhältnisse bei Peripatus erinnert. Ziehen
wir in Rücksicht, das ein so bedeutender Kenner der Crustaceen
wie Claus die Vermuthung aufstellt^), dass die Annelidenformen,
von welchen Crustaceen und Tracheaten ihren Ursprung genommen
haben, nahe ver>vandt sind, so wird man wohl dieser Rücken-
commissur eine gewisse Bedeutung zuschreiben dürfen. Doch
1) Claus, Neue Beiträge zur Morphologie der Crustaceen. Arb.
aus dem zool. Inst, zu Wien IL Bd., 1886.
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136 Paul Samassa:
müssten diese Verhältnisse erst bei echten Phyllopoden genauer
untersucht werden, bevor sich daraus weitergehende Schlüsse
ziehen lassen.
Sind nun die phylogenetischen Beziehungen zwar auch im
Nervensysteme nicht zu verkennen, so tritt uns doch andererseits
eine gewisse Mannigfaltigkeit in demselben entgegen, der wir
unsere Aufinerksamkeit zuwenden wollen. Wir sehen, wie ausser-
ordentlich das Nervensystem von der äusseren Form und von
der Lage und Gestaltung der anderen Theile und Organe beein-
flusst wird. Es handelt sich um ein eminent anpassungsfähiges
Organ. Das Gehirn, das bei Daphnia durch nichts behindert
hinter dem Sehganglion liegt, ist bei Sida durch den steilen Ver-
lauf des Oesophagus fast vor dasselbe geschoben; der Oi»ticus,
der bei ersterer einen nahezu horizontalen Verlauf hat, steigt bei
letzterer vertical zum Auge empor. Während bei Sida die Schlund-
commissuren schief von vorne nach hinten verlaufen, ist bei
Daphnia gerade das umgekehrte der Fall. Wir beobachten bei
Sida eine bandartige Abplattung der Commissur, die durch Ranm-
beeugung herbeigeführt wird. Während bei Sida die Bauch-
commissuren einen stark bogenförmigen Verlauf haben, liegen
dieselben bei Daphnia mit den Ganglien in einer Ebene. Bei
Sida treten die Nerven für die Füsse ventral aus, während bei
Daphnia die seitliche Verlagerung der Beine einen lateralen Ner-
venursprung bedingt. Das Antennenganglion und die ünterschlund-
ganglieu, die bei Sida scharf von einander abgegrenzt sind, sind
bei Bythotrephes äusserlich zu einer Masse zusammengeschoben,
was bei Leptodora einen noch viel höheren Grad erreicht. Die
Längscommissur, die das Mandibelganglion mit den Fussganglien
verbindet, ist bei Sida und Daphnia kurz und besitzt Ganglien-
zellen, während sie bei Bythotrephes und Leptodora lang und
verschmälert ist und des Ganglionzellenbelags entbehrt. Während
diese Thatsachen nur Verlagerungen des Nervensystems betreffen,
glaube ich auch solche anführen zu können, welche das Ver-
schwinden einzelner Teile des Nervensystems im engsten Zusam-
menhange mit der Umgestaltung und Rückbildung von Glied-
massen oder anderen Veränderungen im Körperbau beweisen.
Entsprechend der im Vergleich zu den echten Phyllopoden wenig
ausgebildeten Maxille ist das Ganglion derselben bei Sida mit
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Untersuchungen über das centrale Nervensystem der Cladoceren. 137
dem Mandibularganglion fast verschmolzen und* nur durch eine
kleine Anschwellung angedeutet. Offenbar infolge der mechani-
schen Behinderung durch die tiefe Bauchrinne hat es jedoch die
Commissur bereits verloren. Infolge der v^eiteren Reduction der
Maxille bei den übrigen von mir untersuchten Arten ist bei den-
selben auch jede Andeutung des Ganglions verschv^runden. Bei
Leptodora ist infolge der allgemeinen Concentration des Nerven-
systems das Mandibelganglion mit dem retro-oesophagealen Gan-
glion verschmolzen und die Quercommissur dieses Ganglions, die
jetzt offenbar bei der Nähe der Mandibelcoiömissur überflüssig
geworden ist, verschwunden.
Ein weiterer Schluss, den ich aus den mir vorliegenden Be-
obachtungen ziehe, ist, dass das Nervensystem immer das Be-
streben hat, sich zu concentriren, und dieser Tendenz auch folgt,
sobald es die übrigen Verhältnisse, insbesondere der im Körper
vorhandene Raum, gestatten. Den ersten Grad einer derartigen
Concentration sehe ich bei Daphnia darin, dass die Commissuren
hier unregelmässig werden und auch Ganglienzellen besitzen; es
ist aber leicht zu ersehen, dass eine stärkere Concentration in
Form eines Aneinanderrückens der Bauchstränge durch die Bauch-
rinne verhindert werden würde. Die Verschmelzung der Fuss-
ganglien von Bythotrephes bietet einen weiteren Beitrag zu diesem
Punkte. Bei Leptodora finden wir die Concentration in ihrer
höchsten Ausbildung, indem hier das Bauchmark räumlich in keiner
Weise beengt, zu einem in dorso ventraler Richtung beträchtlich
dicken Knoten wird. Der Grund dieser Erscheinung mag wohl darin
zu suchen sein, dass je kür/er die Commissuren sind, desto mehr Ma-
terial am Aufbaue des Köi^pers erspart und vielleicht auch die
Function der Nervencentren verbessert wird, und dass also diese
Erspamiss sogleich eintritt, wenn der Bau des Körpers dies ge-
stattet. Dass aber diese Concentration z. B. bei Sida nicht statt-
finden kann, wird durch die starke Ausbildung der Bauchrinne
leicht begreiflich, die für die Nahrungszufuhr eine so hohe Be-
dentung hat. Dieser Tendenz muss in dem Umstände eine Grenze
gesetzt sein, dass durch die dadurch bedingte übermässige Ver-
längerung der zu den Füssen ziehenden Nerven die Vortheile
wieder aufgewogen werden. Leptodora scheint hart an dieser
Grenze zu stehen. Die im Vorstehenden erörterten Thatsachen
drängen zu dem Schlüsse, dass das Nervensystem der Cladoceren
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138 Paul SamasBa:
grosser Veränder.ungen und Anpassungen fUhig ist, die in enger
Correlation mit der Umgestaltung des übrigen Körpers stehen.
Von diesem Standpunkte aus kann ich mich Claus und
Spangenberg nicht anschliessen, wenn ersterer bei Bythotrephes
ein Ganglion mit Commissur und einen Nerven von beträchtlicher
Grösse für eine auf einen Stummel reducirte Maxille gesehen
haben will oder Spangenberg das Fehlen eines Ganglions für
die beim erwachsenen Thiere gar nicht vorhandene zweite Maxille
auffallend findet. Ziehen wir aus dieser Auffassung die Conse-
quenz, so kommen x wir ohne weiteres zur Annahme von Ganglien-
zellen und Nervenfasern ohne Function, deren Existenz mir nicht
wahi-scheinlich erschehit. Ein ähnlicher Gedankengang leitet
Spangenberg, wenn er die zarte retrooesophageale Commissur
für das Ganglion der zweiten Antenne in Anspruch nimmt und
daraus den postoralen Charakter dieser Gliedmasse ableitet.
Ein Vergleich dieser Commissur mit denjenigen der Fussganglien
beweist, dass dieselbe unmöglich den physiologischen Bedürfnissen
eines so grossen Ganglions wie das der zweiten Antenne genügen
könne. Wenn also jemals eine Commissur unter dem Emährungs-
canal bestanden haben sollte, so ist dieselbe offenbar mit der
Verlagerung der Antenne einer näheren Verbindung gewichen,
die ich auch im Gehirn nachzuweisen in det Lagje war; welche
Aufgabe sollte aber dann noch eine Commissur hinter dem Oeso-
phagus haben?
In Bezug auf histologische Fragen nach dem Ba«ie der
Punktsubstanz, dem Ursprung der Nerven etc. enthalte ich mich
jeder Aeusserung; es wäre gerade jetzt, wo durch neue Methoden
und neue Gesichtspunkte grosse Umwälzungen auf dem Gebiete
der Nervenlehre bevorzustehen scheinen, ein müssiges Beginnen,
diese Fragen an einem so ungünstigen. Objecte wie das vor-
liegende lösen zu wollen.
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Untersuchungen über das centrale Nervensystem der Cladoceren. 139
Erklärung der Abbildungen auf Tafel Y, YI n. YII.
Tafel V.
Sida crystallina, Straus.
Fig.l. lOOf. Frontalschnitt. Kopf.
Fig. 2. lOOf. Querschnitt. Sehcoramissuren.
Fig. 3. lOOf. Querschnitt. Gehirn.
Fig. 4. lOOf. Querschnitt. Gehirn.
Fig. 5. lOOf. Querschnitt. Schlundcommissuren.
Fig. 6. 365f. Querschnitt. Grosse Ganglienzellen am Boden des
Gehirns.
Fig. 7. lOOf. Frontalschnitt. Gehirn.
Fig. 8. lOOf. Sagittalschnitt. Kopf.
Fig. 9. lOOf. Frontalschnitt, etwas abweichend. Ursprung des Nerven
der 2. Antenne.
Fig. 10. lOOf. Querschnitt. Schlundcommissuren.
Fig. 11. lOOf. Querschnitt. Ganglion des 1. Fusses.
Fig. 12. lOOf. Querschnitt. Retrooesophageales Ganglion.
Fig. 13. lOOf. Sagittalschnitt. Retrooesophageales und Oberlippen-
ganglion.
Fig. 14. 220f. Sagittalschnitt. Ganglien des 2.-4. Fusspaares.
Fig. 15. lOOf. Sagittalschnitt. Ganglien der Mandibel und Maxille.
Fig. 16. lOOf. Querschnitt. Maxillenganglion.
Fig. 17. lOOf. Querschnitt. Ganglion des 6. Fusses.
Fig. 18. lOOf. Querschnitt durch das Postabdomen.
Fig. 19. 220f. Ganglion der Steuerborsten.
Tafel VI.
Fig. 20. lOOf. Querschnitt. Ganglion des 2. Fusses.
Fig. 21. lOOf. Sagittalschnitt. Ganglion des 4. und 5. Fusses.
Fig. 22. lOOf. Schematische Darstellung des Bauchmarks (nach Quer-
schnitten reconstruirt).
Daphnia sima, O. F. Müller.
Fig. 23. lOOf. Frontalschnitt. Gehirn und Sehganglion.
Fig. 24. lOOf. Querschnitt. Gehirn.
Fig. 25. lOOf. Querschnitt. Gehirn.
Fig. 26. lOOf. Querschnitt. Gehirn und unpaares Auge.
Fig. 27. lOOf. Sagittalschnitt. Gehirn und unpaares Auge.
Fig. 28. lOOf. Sagittalschnitt. Gehirn und Schlundcommissur.
Fig. 29. 220f. Frontalschnitt. Kopf eines Embryo.
Fig. 30. 220f. Frontalschnitt. Ursprung der Nerven der 2. Antenne.
Fig. 31. lOOf. Sagittalschnitt. Gehirn und Schlundcommissur.
Fig. 82. lOOf. Querschnitt. Mandibelganglion.
Fig. 33. lOOf. Frontalschnitt. Vorderer Theil des Bauchmarkes,
Pig.84. lOOf. Frontalschnitt. Hinterer Theil des Bauchmarks.
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HO
Paul Samassa:
Bythotrephes longimanus, Leydig.
Fig. 35. 220f. Querschnitt. Sehganglion.
d. A. -- dorsaler Abschnitt des Sehganglions.
V. A. ^ ventraler » » n
Fig. 36. lOOf. Sagittalschnitt. Auge und Sehganglion.
d. A. ^- dorsaler, v. A. ventraler Abschnitt des Seh-
ganglions; h. 0. -— hinterer, v. O. ^^ vorderer Opticus.
Fig. 37. lOOf. Frontalschnitt. Kopf.
Fig. 38. lOOf.
Fig. 39. lOOf.
Fig. 40. lOOf.
Fig. 41. lOOt!
Fig. 42. lOOf.
Flg. 43. lOOf.
Fig. 44. lOOf.
Fig. 45. 220f.
Fig. 46. lOOf.
Fig. 47. 365f.
Fig. 48. 365f.
Fig. 49. lOOf.
Fig. 50. lOOf.
Fig. 51. lOOf.
Fig. 52. lOOf.
Fig. 53. 40f.
Fig. 54. lOOf.
Fig. 55. lOOf.
Fig. 56. lOOf.
Tafel VII.
Sagittalschnitt. Nervensystem.
V. 0. - vorderer, h. 0. r- hinterer Opticus.
Querschnitt. Gehirn.
A. M. ■- Augenmuskel , A. M. N. == Augenmuskelnerv.
Querschnitt. Schlundcommissur.
Retrooesophageales u. Oberlippenganglion.
Ursprung der 2. Antenne.
Bauchstrang zwischen Mandibel u. 1. Fuss-
Querschnitt.
Querschnitt.
Querschnitt.
ganglion.
Querschnitt.
Mandibelganglion.
Leptodora hyalina, Liljeb.
Sagittalschnitt. Sehganglion.
Frontalschnitt. Gehirn.
o. H. : oberer Markballen.
Deckzellen des Gehirns.
Deckzelle des Gehirns.
Querschnitt. Gehirn.
V. ~ Vacuole.
Frontalschnitt. Gehirn.
Frontalschnitt. 2. Antennen- und Mandibelganglion.
Sagittalschnitt. Bauchmark.
U. L. -^ Unterlippe.
Fiächenpräparat. Bauchmark.
Querschnitt. Bauchstrang.
Frontalschnitt. Bauchstrang.
Querschnitt. Bauchstrang.
A. Auge.
Aj. 1. Antenne.
Aj. 2. Antenne.
A.N. Analnerv.
B. Bauchmark.
B. o. Steuerborste.
B. D. Blinddarm.
B. G. Borstenganglion.
B. R. Bauchrinne.
B. S. Bauchstrang.
C. Commissur.
c. B. centraler Markballen
C. K. Centralkörper.
D. Darm.
d. F. durchtretende Fasern.
D. Z. Deckzellen.
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Untersnchungen über das centrale Nervensystem der Cladoceren. 141
e. D. einzellige Drüsen.
Fl, 2, 8, A 1-, 2., 3., 4. Fuss.
F. M. Fnssmuskulatur.
F.N. Frontalnerv.
F.K. Fettkörper.
G. Gehirn.
G. Aj Ganglion der 2. Antenne.
G. Fl, 2 . . . Ganglion des 1., 2
Fusses.
gr. Z. grosse Ganglienzelle.
G. Z. Ganglienzelle.
H. B. Hauptmarkballen.
H. M. Hüllmembran.
H. K. Hypodermiskern.
K. Keni.
K.K. Krystallkegel.
K.W. Körperwand.
IN. lateraler Nerv.
L.M. Längsmuskulatur.
M. Muskel.
M. A| Muskel der 1. Antenne.
M.Aa Muskel der 2. Antenne.
Md. Mandibel.
Md. G. Mandibularganglion.
M. M. Mandibelmuskel.
M. N. Mandibelnerv.
m. M. mittlere Markschicht,
m. N. mittlerer Nerv.
M.O. Oberlippenmuskel.
Mx. Maxüle.
Mx. G. Maxillenganglion.
Mx.M. Maxillenmuskel.
N. Nerv.
N. Aa Nerv der 2. Antenne.
N. B. Nervenbündel.
N. E. Nervenendigung.
N. F. Nervenfasern.
N. N. Nackennerv.
0. Opticus.
0. C. obere Himcommissur.
0. C. Commissur zwischen Seh-
ganglion und Gehirn.
Oe. Oesophagus.
Oe. M. Oesophagusmuskel.
p. G. Oberlippenganglion.
0. L. Oberlippe.
0. L. M. Oberlippenmuskel,
o. M. obere Markschicht,
o. N. oberer Nerv.
0. N. Oberlippennerv.
P. B. Pigmentbecher.
P.S. Punktsubstanz,
r. C. retrooesophageale Commissur.
r. G. retrooesophageales Ganglion.
R. C. Riechcentrum.
R. N. Riechnerv.
R. Rhabdom.
S. Sehne.
S. C. Schlundcommissur.
S. G. Sehganglion,
s. N. seitlicher Nerv.
S.P. Stützplatte,
u. A. unpaares Auge,
u. C. untere Himcommissur.
u. M. untere Markschicht,
u. N. unterer Nerv.
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142 A. V. Brunn:
Beiträge zur Kenntniss der Zahnentwicklimg.
Von
Dr. A. V. Brunn, Professor in Rostock.
Hierzu Tafel VIII.
1. Zur Frage nach den Vorgängen bei der Wurzelblldung.
Die Vorgänge bei der Anlage und dem Waehsthum der
Zahnwur/eln sind früher wenig erforscht und beschrieben worden,
zum Theil gewiss in Folge davon, dass die Entstehung des Zabn-
follikels und die Bildung der Gewebe in ihm die Auimerksam-
keit der Forscher völlig fesselte. Die wohl allgemein geltende
Ansicht war die, wie sie auch von Kölliker in seiner Entwick-
lungsgeschichte, 2. Aufl., 1879, S. 819 ausspricht: ^üm diese Zeit^
(d. h. wenn die Krone ziemlich fertig ist und der Zahn sich zum
Durchbruche anschickt) „wächst der Zahnkeim stark in die Länge,
während das Schmelzorgan verkümmert, und lagert sich auf
seinen neu hervorsprossenden Theilen nur Elfenbein ab, nämlich
das der Wurzel." Im Jahre 1887 berichtete ich^) über neue
Untersuchungen dieses Gegenstandes, deren Resultat war, dass,
wie bei der Bildung des schmelzfreien, der Kaufläche abgewen-
deten Theiles der Krone, so auch bei der der Wurzeln das
Schmelzorgan betheiligt sei. Während es über denjenigen Theilen,
welche einen Emailüberzug erhalten, aus den vier typischen
Schichten — innerem Epithel, intermediärer Schicht, Pulpa und
äusserem Epithel — besteht, überzieht es den schmelzfrei blei-
benden Theil der Krone nur mit einer zarten, aus zwei Schichten
abgeplatteter Zellen, welche dem inneren und äusseren Schmelz-
epithel entsprechen, zusammengesetzten Fortsetzung. Diese letz-
tere lässt die Stelle, an denen Wurzeln aus der Krone hervor-
wachsen, frei. Beginnt die Bildung einer Wurzel, so schickt
dieses zarte Schmelzepithel zuerst eine röhrenförmige, aus den-
selben beiden Zellschichten bestehende Fortsetzung in das Binde-
1) Dieses Archiv Bd. XXIX.
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Beiträge zur Kenntniss der Zahnentwicklnng. 143
gewebe hinein, die wie ein Locheisen vordringt. Diese ,,Epi-
thelscheide" umgrenzt einen Cylinder mesodermatischen Gewebes,
welcher die Struktur des Zahnkeimes annimmt und an dessen
Aussenfläche Odontoblasten, an die der Krone sich anschliessend,
in regehnässiger Lagerung auftreten und Dentin, als Fortsetzung
des Kronendentins, bilden. Darauf schwindet wie an der Wurzel-
fläehe der Krone, so auch am ältesten Theile des neugebildeten
Wurzelstückes das Epithel und wird durch das Bindegewebe des
Zahnsäckchens ersetzt, welches sich unmittelbar an das Elfenbein
ansetzt, vermuthlich indem seine interfibrilläre Kittsubstanz mit
dessen Oberfläche verklebt; am untersten Rande aber erhält sich
die Epithelscheide und wuchert immer in Eöhrenform gegen die
Wurzelspitze zu, während ihrem Vorrücken das der Odontoblasten
und des Dentins folgt, — und in dessen Gefolge immer wieder
die Atrophie des oberen Theiles des Epithels. So geht der
Prozess bis zur Wurzelspitze, wo schliesslich das Epithel ganz
zu Grunde geht.
Ich habe, da ich niemals Odontoblasten an anderen Stellen
auftreten sah als an der Innenfläche von Theilen des Schmelz-
epithels, die Hypothese aufgestellt, dass dasselbe zur Entstehung
und Anordnung der Odontoblasten und so der Formation der
Wurzel nothwendig sei, dass ihm da, wo es keinen Schmelz
bilde, eine fonnbestimmende Thätigkeit zukomme, und dass man
diese, weil sie überall, auch bei vollkommen schmelzlosen Zähnen,
gefunden werde, als mindestens ebenso wichtig ansehen müsse,
als seine schmelzbildende.
Mein Material fttr diese Untersuchungen waren in Bildung
begriffene Zähne der Ratte, des Hundes, der Katze und des
Kalbes.
Zu einem von dem meinigen abweichenden Resultate ist
seitdem Mahn^) gekommen. Er hat die Entwicklung der Mahl-
zähne von Mus musculus untersucht; sein Resultat (S. 659) ist
folgendes: „Sowie die Wurzelbildung einmal ordentlich begonnen
hat, sind weder am .Grunde der Papille noch an den Seiten-
flächen der Wurzel Reste ektodermaler Schmelzzellen zu ge-
wahren. An die Dentinwurzel stossen innen nur Odontoblasten,
1) Bau und Entwicklung der Molaren bei Mus und Arvicola.
Morph. Jahrb. Bd. 16, 1890.
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144 A. V. Brunn:
aussen die Bindegewebszellen des Alveolarperiostes. Die epithel-
artig geordneten Odontoblasten schlagen sich am Wurzelgrunde
deutlich in die äussere Bindegewebsschicht um." Er stellt da-
nach folgende Hypothese auf: „Nachdem die Emaildecke der
Krone von der Schmelzkappe nahezu fertig gebildet ist, wächst
die Papille an den Stellen, wo Wurzeln angelegt werden sollen,
in einer der Kaufläche abgewandten Richtung weiter, ohne von
einer ektodermalen Scheide umhüllt zu sein. Die Odontoblasten
sind wohl befUhigt, ohne Leitung der Epithelscheide die zur Bil-
dung des Dentins erforderliche Gruppirung anzunehmen."
Da die Hausmaus sich unter den früher von mir unter-
suchten Thieren nicht befand und es mir bei der Wichtigkeit
des Gegenstandes von Interesse war zu erfahren, ob wirklich
solche Ausnahmen von der Regel vorkämen, habe ich die ein-
zelnen Jungen eines Wurfes der weissen Maus am 7., 10., 13.
und 17. Tage getödtet, ihre Kiefer in Müller'scher Flüssigkeit
14 Tage liegen lassen, dieselben dann in 0,5proc. Ghromsäure
entkalkt, in verschiedenartiger Weise gefärbt und in Frontal-
schnittserien zerlegt. Die Untersuchung hat mich in meiner üeber
Zeugung von der allgemeinen Giltigkeit meines Fundes nicht
schwankend machen können, sondern im Gegentheil sie noch
stärker befestigt. Ueberall, auch noch an der 0,83 mm langen
vorderen Wur/el des ersten bereits durchgebrochenen Mahkahns
im Unterkiefer des 17tägigen Thieres zeigte sich die Epithelscheide
zwar zart — zarter als bei der Ratte — , aber doch mit so
grosser Deutlichkeit, dass es mir unverständlich ist, wie sie von
Mahn hat übersehen werden können. Man kann sie (s. Fig. 1)
nach oben bis an die Aussenfläche des jungen Elfenbeins ver-
folgen, die beiden Blätter des Epithels namentlich nach unten
hin verfolgen und am Rande ineinander übergehen sehen. Ebenso
ist es leicht festzustellen, dass die epithelartige Gnippirung der
Odontoblasten hinter dem unteren Rande der Scheide zurück-
bleibt und dass nicht um den Rand des Dentins, sondern um
den des Epithels herum der Uebergang der oberflächlichen Zahn-
keimschichten in die innersten Schichten des umhüllenden Binde-
gewebes erfolgt. Ausserdem will ich zu bemerken nicht unter-
lassen, dass auch die Membrana praeformativa wohl erkennbar
ist, dass sie als Foi-tsetzung des zugeschärften Dentinrandes auf
die Aussenfläche der jungen Odontoblasten verfolgt werden kann«
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Beiträge zur Kenntniss der Zahnentwicklung. 145
Diese Untersuchung war also nur dazu angethan, um mich in
der Ueberzeugung zu bestärken: wo keine Epithelscheide, da
keine Odontoblasten, keine Dentinbildung.
Gern hätte ich dieser Mittheilung eine solche über die Ver-
hältnisse der Epithelscheide der menschlichen Zähne beigefügt.
Leider aber habe ich bisher keine Gelegenheit gehabt, genügend
frisches menschliches Material zu untersuchen. Die Milchschneide-
zähne eines P/ Jährigen Kindes (der Kopf hatte längere Zeit in
dünnem Spiritus gelegen) genügten allerdings dazu, festzustellen,
dass auch hier die Wurzelspitze eine Epithelscheide besitzt, die
histologischen Einzelheiten aber waren wegen bereits eingetreten
gewesener Maceration nicht mehr deutlich zu erkennen. Es
schien, als ob hier die Zellen des Epithels, namentlich gegen den
üebergang der beiden Blätter in einander, nicht so stark abge-
plattet seien wie bei den untersuchten Thieren, sondeni mehr
cylindrisch.
Immerhin ist auch dieses geringe Resultat insofern werth-
voll, als es die von v. Ebner^) beklagte Lücke — wenn auch
nicht so vollkommen als wünschenswerth — ausfüllt. Dieser
Autor hat selbst bei der Untersuchung des Milchzahnes eines
3V2Jährigen Kindes die Epithelscheide vermisst. Indessen halte
ich es nicht für ganz ausgeschlossen, dass die Wurzel, von der
das in der Fig. 104 wiedergegebeue Präparat stammt, schon
ihre endgültige Länge besass imd also nicht zum Beweise her-
angezogen werden kann. Dafür scheint mir zu sprechen die be-
trächtliche Dicke des unteren Dentinrandes und die Ausdeh-
nung des Cementüberzuges bis au denselben, auch die kräftige
Ausbildung des an den unteren Rand der Wurzel gehenden
Theiles der Wurzelhaut. Auch das Alter des Kindes würde
dieser Angabe nicht entgegen sein: ZuckerkandP) giebtS. 241
an, dass bei einem wenige Monate über 3 Jahre alten Kinde
auch die Eckzahnwurzeln schon zugespitzt waren; jedenfalls er-
reichen sie in dieser Zeit ihre schliessliche Länge.
1) Histologie der Zähne mit Einschluss der Histogenese. S e h e f f 's
Handb. der Zahnheilkimde Bd. T. Wien 1890.
2) Makroskopische Anatomie. Ebenda.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 38 10
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146 A. V. Brunn:
2. Die Verbindung des wachsenden Zahnes mit der Alreole«
Der Nachweis, dass alle Theile eines Zahnes ursprünglich
von Epithel bekleidet gewesen sind, bedingt eine Aenderung der
bisherigen Anschauung über die Entstehung der Verbindung zwi-
schen Zahn und Alveole. Ich erlaube mir zunächst vorzutragen,
was ich unter dieser bisherigen Anschauung verstehe; — denn
klar ausgesprochen finde ich sie eigentlich nirgends. Wenn ich
mich wieder an die oben angeführte v. Köiliker'sche Darstel-
lung der Wurzelbildung — dieselbe, welche von Mahn ange-
nommen ist — halte, so soll der einleitende Vorgang ein Längs-
wachsthum des Zahnkeimes in der Richtung der späteren Wurzel
sein. Wie hat man sich das vorzustellen? Wie mir scheint, so,
dass von einer scharfen seitlichen und unteren Abgrenzung der
entstehenden Sprosse nicht die Rede sein kann; denn nur so-
weit, als das Schmelzorgan reicht, ist der Zahnkeim mit scharfer
Grenze versehen, von der Membrana praeformativa überkleidet;
soweit er an mesodennatisches Gewebe, aus dem er sich erhebt,
grenzt, unterscheidet er sich von demselben zwar durch seinen
grossen Zellenreichthum, aber von einer deutlichen linearen Grenze
kann man nicht sprechen. Bindegewebsfibrillen der Umgebung
gehen aus der Nachbarschaft in den Zahnkeim hinein, die inter-
fibrilläre amorphe Substanz derselben hangt mit der im Zahn-
keime befindlichen zusammen. Eine von dieser Fläche ohne Be-
theiligung des Epithels ausgehende Sprosse müsste an ihren
Seitenflächen selbstverständlich ebenso beschaffen sein, eine Grenz-
haut, Membrana praeformativa, müsste jedenfalls fehlen. — Stellt
man sich nun vor, dass die in der Peripherie eines solchen
Wurzelzahnkeims befindlichen Zellen, indem sie Form und An-
ordnung der Odontoblasten annehmen, die Membrana ebumea bil-
den, so wird man sich auch deren Oberfläche nicht glatt denken
können, sondern vielmehr annehmen müssen, dass die früher vor-
handenen Fibrillen .der Intercellularsubstanz zwischen ihnen durch
von aussen nach innen gehen. Träte nun die Bildung des Den-
tins ein — welche sich von dem des Kronendentins dadurch
unterschiede, dass die äusserste Schicht nicht wie dort die ver-
kalkte Membrana praeformativa sein könnte — so müsste das-
selbe jene Fibrillen einschliessen, also von Anfang an eine mit
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Beiträge zur Kenntniss der Zahnentwicklung. 147
solchen bestandene Oberfläche haben ^ von vornherein mit seiner
Umgebung verbunden sein. Das Wurzelperiost bestände dann
also von Anfang an. — Dies, glaube ich, ist die in den Einzel-
heiten unausgesprochene Ansicht über die Entstehung der Wurzel-
befestigung gewesen, die wohl fttr so selbstverständlich gehalten
worden ist, dass von ihrer genaueren Darstellung Abstand genom-
men wurde.
Der Nachweis der Epithelscheide, der Begrenzung des jedes-
maligen jüngsten Stückes der Wurzeloberfläche durch Epithel
und des Vorhandenseins der Membrana praeformativa auf der
Aussenfläche des Wurzeldentinkeimes weist die ünhaltbarkeit
einer solchen Vorstellung nach; er besagt; dass die Wurzeln, ge-
rade so wie mit Schmelz bedeckte Zahntheile, ursprünglich glatte
Oberfläche haben müssen, und dass auch Verbindungen der Wurzel
mit ihrer Umgebung sekundäre sind. Dadurch stellt sich diese
Verbindung in eine Reihe mit denjenigen, welche bei Zähnen mit
Schmelz und Kronencement. bei der Bildung des letzteren zwi-
schen der Schmelzoberfläche und den umgebenden Bindesubstanz-
sefaichten eintreten müssen, — und letztere verlieren damit ihre
bisherige Ausnahmestellung.
Ich komme jetzt zur Darstellung der Entstehung dieser Ver-
bindungen und trenne hierbei die Besprechung der Verhältnisse
bei schmelzfreien und bei schmelzbedeckten Stellen.
An den mannigfachen Lokalitäten der ersten Art sind die
Verhältnisse die gleichen; hierher gehören: die Wurzeln und
Wurzelflächen der Kronen bei Wurzelzähnen, die oralen Flächen
der Sehneidezähne sowie die Cementstreifen der Backzähne bei
Nagethieren — (vermuthlich auch die ganzen Oberflächen solcher
2iähne, die des Schmelzes überhaupt entbehren — letztere wäh-
rend ihrer Entwicklung zu untersuchen hat mir aber bisher die
Gelegenheit gefehlt). In Bezug auf solche Fälle habe ich nun
eigentlich Neues nicht beizubringen, sondern kann nach wieder-
holter Untersuchung nur bestätigen, was ich in meiner obigen
Mittheilung anführte; dass, nachdem an der Wurzelspitze bez.
an der oralen Nagezahnfläche die Bildung der äusserst dünnen ersten
Elfenbeinlage stattgefunden hat, der älteste Theil der Epithelseheide
vom Bindegewebe durchwachsen wird, indem Fasern und Bündel
desselben, mit solchen in der Nachbarschaft im Zusammenhange
stehend, zwischen den Epithelzelleu auftreten, sich an die Ober-
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148 A. V. Brunn:
fläche des Dentins unter annähernd rechten Winkebi anlegen und
sich mit derselben verbinden. Während anfangs diese Fibrillen-
bündel äusserst zart und an Zahl gering sind, nehmen sie später
au Menge und Dicke zu; die Epithelzellen verlieren dadurch ihren
Verband, gerathen vereinzelt zwischen die Bindegewebsbündel,
gehen vielleicht auch wirklich völlig zu Grunde, — jedenfalls
sind sie später nicht mehr als solche zu erkennen, — kurz, das
Resultat ist eine straffe Verbindung zwischen Zahnoberfläche und
Alveole durch Bindegewebsbündel mit zwischengelagerten zahl-
reichen Zellen von vorwiegend runder Form.
Besonders gut erkennbar habe ich diesen Durchwachsungs-
vorgang au den Schneidezähnen der Nagethiere gefunden und
gebe hier noch zwei Abbildungen desselben: Fig. 2 stellt seinen
Anfang, Fig. 3 das Resultat dar; beide Figuren sind nach Schnitten
durch einen unteren Schneidezahn der weissen Maus von 13 Tagen
gezeichnet, ersterer aus dem hinteren, letzterer aus dem mittleren
Theile desselben. Dass ich gerade . dieses Thier gewählt habe,
geschah, um dm-ch die Darstellung der Präparate die Behauptung
Roetter's^) zurückzuweisen, dass bei den dauenid wachsenden
Schneidezähnen der Nagethiere die ganze Schmebskappe während
des ganzen Lebens erhalten bleibe als eine continuirliche Lage
platter Zellen, und dass eine Verbindung zwischen der Alveole
und der oralen Fläche der Schneidezähne niemals und nirgends
vorkomme, also auch von einer Durchwachsung des Epithels
seitens des Bindegewebes, wie ich sie geschildert hätte, nicht
die Rede sein könne. Roetter giebt an, dass der Nachweis
der abgeplatteten Epithellage nicht leicht gelinge; desto mehr
wäre es meiner Ansicht nach angezeigt gewesen, dass er seine
Methode angegeben hätte, welche ihn schliesslich zu diesem, wie
er sagt, aus theoretischen GrUnden längst geforderten Resultate
geführt hat, und dass er eine Abbildung dieser bisher noch nicht be-
kannten Zellenlage geliefert hätte. Mir scheint, dass, wie sein Re-
sultat ganz bestimmt unrichtig ist, so auch seine theoretischen Gründe
wenig stichhaltig sind. Er schliesst nämlich folgendermaassen :
Der Schneidezahn wächst fortwährend; dabei muss er sich in
der Alveole vorschieben; das ist unvereinbar mit der Vorstellung
1) Uebor Entwicklung und Wac-listhum der Schneidezähne von
Mus musculus. Morphol. Jahrb. 15. Bd., 1889.
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Beiträge zur Kenntniss der Zahnentwicklung. 149
einer directen Verbindung seiner oralen Fläche mit dem Periost
der Alveole, weil entweder durch eine solche das Wachsthum
gehindert oder durch das Wachsthum die Verbindungsfasem zer-
rissen werden müssten und beides nicht in Wirklichkeit beob-
achtet sei; folglich besteht keine solche Verbindung. Der hierin
liegende Schluss, dass von zwei mit einander durch directe Fasern
verbundenen Flächen sich die eine an der anderen nicht ver-
schieben könne, ist unberechtigt; zahlreiche Thatsachen gerade
aus der Zahnanatomie sprechen mit lauter Stimme dagegen. Sind
etwa die über und über mit Kronencement bedeckten immer-
waxjhsenden Backzähne des Kaninchens und zahlreicher anderer
Nagethiere, soweit sie im Kiefer stecken, nicht rundum durch
straffes Bindegewebe befestigt und sehen wir sie nicht trotzdem
sich hervorschieben, — was gewiss nur durch fortwährende Lösung
von Fasern und Neuanlagerung anderer an den Zahn erklärlich
ist? Findet nicht bei den Mahlzähnen von Arvicola, die jüngst
von Mahn^) beschrieben und abgebildet sind, der gleiche Pro-
zess an den Cementstreifen statt? Finden wir nicht bei Wieder-
käuern und Einhufern u. a. Kronencement, dessen Ausscnfläche
vor dem Durchbruche des Zahnes mit dem Bindegewebe, aus
dem es hervorgeht, fest verbunden ist und nachher doch sich
von demselben löst? Ist nicht auch bei menschlichen Zähnen
der Wurzelhals vor dem Durch bruch in der Tiefe der Alveole.
an deren Innenfläche schon durch das Periost befestigt, er, der
doch beim Durchbruche auch in die Höhe rücken und so seine
ersten Verbindungen lösen muss? — üeberall sehen wir be-
stehende bindegewebige Verbindungen gelöst werden. Wie das
geschieht, ist freilich zur Zeit nicht zu sagen, dass es geschieht,
unzweifelhaft. — Uebrigens kann man sich ja auch durch einen
sehr einfachen, gewiss Vielen bekannten Versuch von der That-
sache überzeugen, dass die beiden Hauptflächen eines Nagezahnes
sich rücksichtlich ihrer Befestigung verschieden verhalten. Man
präparirt bei einem Kaninchen einen oberen Nagezahn von oben,
den anderen von unten frei: der erstere sitzt dann mit seiner
concaven Seite sehr fest und zeigt, wenn man ihn gewaltsam
losgerissen hat, die concave Seite rauh, mit Knochenbröckchen
. 1) a. a. 0.
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150 A. V. Brunn:
nnd Bindegewebsfasern besetzt; der andere filllt von selbst heraus
nnd zeigt eine glatte, glänzende, convexe Fläche ^).
Ist nnn in der angegebenen Weise das Alveolodentalperiost
gebildet, so kann sein dem Zahne zunächst gelegener Theil ver-
knöchern, zu Cement werden, was ganz wie bei der Osteogenese
durch Osteoblasten erfolgt und wobei die an das Dentin heran-
getretenen Bindegewebsbtindel zu Sharpey 'sehen Fasern werden,
— oder die Verhältnisse bleiben, wie bei den Nagezähnen der
Maus und Ratte u. a. in dem geschilderten Zustande.
Die Frage nach der Entwicklung der Verbindung zwischen
dem schmelzbedeckte Stellen überkleidenden Kronencement
und der Alveole ist identisch mit der nach der Entstehung dieses
Cementes. Erfolgt dieselbe in derselben Weise wie die des Wurzel-
cementes?
Vor der Darstellung dessen, was in Bezug hierauf meine
Untersuchungen ergeben haben, möchte ich nun zunächst be-
merken — wie ich schon in dqr Versammlung der Anatomischen
Gesellschaft in Würzburg') mitgetheilt habe, — dass es zweierlei
Arten von Kronencement giebt: die eine bei weitem häufigere,
bisher als einzige angenommene, welche mit Knochen identisch
ist, Knochencement, und eine zweite, aus verkalktem Hyalin-
knorpel bestehende, Knorpelcement. Letztere habe ich bis-
her nur an den Backzähnen des Meerschweinchens gefunden.
1) Roetter stellt die These auf: weil der Nagezahn erfahrungs-
gemäss sich vorschiebt, kann er in keiner Verbindung mit der Alveole
stehen und sucht nun ihr zu Liebe das continuirliche Epithel der ora-
len Fläche. Wie wäre es, wenn man, sich auf einen breiteren that-
sächlichen Boden stellend, sagte: weil der Zahn auf der oralen Fläche
in Folge seiner Verbindung mit der Alveole weniger leicht verschieb-
bar ist als auf der entgegengesetzten, bewegt er sich mit der letzteren
schneller vorwärts als mit der ersteren; in Folge davon istdasWachs-
thum an der der Mundhöhle abgewandten Seite stärker als an der ihr
zugewandten, und daher bekommt der Zahn seine charakteristische
nach der Mundhöhle zu concave Krümmung? — Ich bin mir sehr wohl
bewusst, damit keine Erklärung des Vorganges zu geben — - (denn die
müsste ja — falls sie überhaupt auf dem Wege mikroskopischer For-
schung zu geben 4st und nicht auf dem vergleichend-anatomischer
Untersuchung — damit anheben festzustellen, weshalb der Zahn in
dieser Weise befestigt ist), — aber mit den Thatsachen stinmit diese
Hypothese jedenfalls mehr überein als jene Roetter'sche.
2) Anatomischer Anzeiger III. Jahrg., 1888.
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Beiträge zur Kenntniss der Zahnentwicklung. 151
Hier füllt sie die von der lingualen wie der buccalen Seite
zwischen die Schmelzfalten eindringenden Spalten aus und findet
sich femer auf den freien Flächen des Zahnes, soweit sie Schmelz
besitzen, in Gestalt zahlreicher halbkugeliger isolirter, ca. 0,05 mm
im Durehmesser haltender Auflagerungen, welche ziemlich un-
gleichmässig vertheilt sind (s. Fig. 4). Man erkennt diese perlen-
artigen Gebilde leicht mit blossem Auge als (vermuthlich durch
die Nahrungsstoffe) gräulich gefärbte Pünktchen, welche etwa
0,5 mm von der freien Schlifffläche des Zahnes — vermuthlich,
weil sie durch die Nahrungsmittel abgerieben werden — auf-
hören. Den Bau dieses Knorpelcementes anlangend, so unter-
scheidet er sich von gewöhnlichem verkalktem Hyalinknorpel
durch die geringe Menge der Intercellularsubstanz und dement-
sprechend dichte Lagerung der Zellen, welche theils regellos ver-
streut erscheinen und meist eckige Formen aufweisen, theils auch
um gewisse Punkte oder auch Axen concentrisch gruppirt sind;
Stellen letzterer Art sehen auf dem Querschnitt ausserordentlich
zierlich, rosettenartig aus. Die kleinen Perlen auf der Hinter-
und Vorderfläche enthalten wenige längliche, senkrecht zur Zahn-
oberfläche stehende Zellen, zeigen eine deutliche Faserung in
derselben Richtung, sind aber auch, mit Ausnahme der Zellen,
durch und durch verkalkt.
Die Entstehungsgeschichte dieses Knorpelcementes ist nun
fftr die grösseren Füllmassen der Spalten nicht ganz dieselbe
wie für die kleinen Perlen, auch die Gewebe, welche beiden
vorangehen, sind nicht ganz die gleichen. Im Grunde der Alveole
sind die Spalten des Zahnes (Fig. 4) in ihrem äusseren Theile
von wohlcharaktcrisirtem Schleimgewebe mit sternförmigen, ana-
stomosirenden Zellen und reichlichen Blutgefässen, im inneren
Theile von Schmelzpulpa angefüllt. Letztere wird allmählich
durch das Schleimgewebe verdrängt und weiter nach der Mund-
höble zu allmählich durch zellenreiches, dichtes Bindegewebe
ersetzt; in diesem treten alsbald zahlreiche kleine kugelige Knor-
pelinseln auf, leicht kenntlich an der homogenen Beschaffenheit
der Intercellularsubstanz und der Form der fortsatzlosen Zellen,
die bald mit benachbarten Körpern von gleicher Beschaffenheit zu-
sammenfliessen. Ist nun die Schmelzbildung beendet, so treiben
diese Knorpelmassen kegelförmige oder cylindrische Fortsätze von
ca. 0,05 mm Dicke nach der Zahnoberfläche hin-, diese durch-
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152 A. V. Brunn:
dringen das Schmelzepithel und breiten sich auf der Schmelzober-
fläche aus; man bekommt unwillkürlich den Eindruck, als platteten
sie sich auf der harten Fläche aus, so wie sich ein Weich bleigeschoss
allfeiner eisernen Scheibe plattdrückt. Durch diesen Prozess kommen
nun die freien Ränder der auf dem Schmelz sich ausbreitenden Knor-
pelplatten an einander, verschmelzen mit einander, eine zusammen-
hangende Knorpel bekleidung des Zahnes bildend. Wie verhält sich
dabei das Schmelzepithel? Dasselbe, bis dahin ganz vollständig
erhalten, wird durch die Ausbreitung der Knorpelfortsätze auf dem
Schmelz von letzterem abgedrängt, gelangt durch die Vereinigung
der Kuorpelplatten ganz in die Bindesubstanz hinein und verschwin-
det allmählich vollkommen, während sein Platz von dem Knorpel-
cement eingenommen wird. Allmählich vereinigen sich dann alle
Knorpelinseln mit einander, die meisten Blutgefösse, die vorher
da waren, gehen zu Grunde, bis schliesslich die ganze Spalte
von einer compacten Knorpelmasse gefüllt ist, in deren Grund-
substanz nun endlich die Ablagerung von Kalksalzen erfolgt.
Die Entstehung der Knorpelperlen auf der freien Zahnfläche
(Fig. 4 C*) unterscheidet sich hiervon hauptsächlich dadurch,
dass an der Stätte ihrer Bildung von Anfang an straflFfaseriges
Bindegewebe von der Oberfläche des Schmelzepithels zur Alveole
zieht; dieses sendet nach Beendigung der Schmelzbildung Fort-
sätze, — ebenfalls von Kegelform und ca. 0,05 mm Dicke — durch
das Schmelzepithel auf die Schmelzoberfläche oder vielmehr
die dieselbe bedeckende Cuticula dentis, welche sich hier be-
festigen und zu gleicher Zeit Knorpelbeschaffenheit annehmen,
später verkalken und sich bei dem Hinausrücken des Zahnes aus
der Alveole von dem umgebenden Bindegewebe ablösen*).
1) Präparate , welche das oben geschilderte Vordringen der
Bindesubstanzcylinder durch das Schraelzepithel zeigen,- sind vorzüg-
lich belehrend in Bezug auf das Sehmelzoberhäutchen und seine Be-
ziehung zum Schmelzepithel und Cement. Man sieht nämlich auf das
Klarste, wie jene Cylinder diese Membran von der Oberfläche der
Schmelzzellen abheben und wie dieselbe sich als vollkommen homogene
und vollkommen gleich dünne Schicht festonartig von einem Cylinder
zum anderen hinüberzieht. Dadurch ist der Beweis geliefert, dass die
Cuticula dentis 1) kein Kronencement ist (John und Charles Tom es,
Tomes-Hollaender), indem sie von letzterem klar abgesetzt ist,
zwischen ihm und dem Schmelz liegt, und dass sie 2) nicht aus der
Abplattung und Verhornung der Schmelzzellen nach Beendigung der
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Beiträge zur Kenntniss der Zahnentwicklung. 153
Rücksichtlich des Knochencementes der Zahnkrone
möchte ich meine Erfahrungen am Kaninchenbackzahne mittheilen
und zwar deshalb, weil sie von den von Legros und Magitot^)
gemachten in einigen Punkten abweichen. Aus der Beschreibung
dieser Autoren, welche sich speziell auf den Pferdezahn bezieht, sei
Folgendes hervorgehoben. Vor Vollendung des Schmelzes findet
sieh unmittelbar auf der Aussenfläche des Schmelzorganes, zwi-
schen ihm und dem Zahnsäckchen, eine weiche, gelatinöse, halb-
durchsichtige, weissliche, sehr blutgefössreiche Schicht, die sich
von der Substanz des Zahnsäckchens durch geringere Festigkeit
auszeichnet und Cementorgan genannt wird. Diese geht später
in Faserknorpel tiber. Ist die Schmelzschicht fertig, so atrophirt
das Schmelzorgan, dadurch kommt das faserknorpelige Cement-
organ auf die Zahnoberfläche, verknöchert gleichzeitig und er-
reicht damit seine endgültige Lage und Beschaffenheit.
Meine Resultate sind folgende. Jeder Kaninchenbackzahn
mit Ausnahme des ersten und letzten hat bekanntlich einen ovalen
Querschnitt, die Längsachse des Ovals senkrecht zur Kieferaxe
stehend. Er setzt sich zusammen aus 1. zwei Dentinplatten,
welche, indem sie an der buccalen Seite verbunden sind, eine
nach der lingualen Seite offene Rinne bilden, in die sie in ziem-
lich regelmässigen Abständen Längsleisten vortreten lassen, so
dass dadurch der Querschnitt der Rinne ein zierlich gekräuseltes
Ansehen hat; 2. einer diese Platten überziehenden Schmelzlage,
welche nur an zwei einander parallel laufenden, an der buccalen
Seite befindlichen schmalen Streifen fehlt und an der vorderen
Wand der genannten Spalte und der lingualen Fläche am mäch-
tigsten ist, und 3. dem Cement, welches die Rinne vollkommen
ausfüllt und sich von deren Mündung aus über die vordere,
hintere und buccale Fläche hinzieht, dieselben als sehr dünne
Schicht überkleidend. Im Inneren der Rinne und an der medialen
Seite ist die Cementschicht dick und zeigt vollkommene Knochen-
stnictur mit Knochenkörperchen und Ha vers 'sehen Kanälen, an
den übrigen Flächen entbehrt sie derselben.
Schmelzbildung liervorgeht, indem sie auf den unveränderten Schmelz-
zellen liegt. Sie kann also nur als ein letztes Sekret des Schmelz-
epithels aufgefasst werden.
1) Contribut. k l'^tude du developp. des dents. Journal de
Tanat. et de la phys. T. XV. u. XVII.
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154 A. V. Brunn:
Die Entstehungsgeschichte besagter Cementmassen lehrt die
Untersuchung von Horizontalschnittreihen durch den Zahn des
erwachsenen Thieres. Im Grunde der Alveole zeigt sich der
Dentinkeim von der Form des späteren Zahnbeines, rings um-
hüllt vom Schmelzorgan, dessen inneres Epithel ihm unmittelbar
aufliegt, dessen Pulpa im Allgemeinen von geringer Mächtigkeit
ist, indessen die Furche vollständig ausfüllt und dessen äusseres
Epithel demnach die Form der späteren Zahnperipherie ein-
schliesslich des Gementes hat. Allmählich schiebt sich nun von
der lingualen Seite her eine zellen- und faserarme, aber an weiten
Blntgeßlssen reiche Bindesubstanz in diesen Spalt hinein, wobei
gleichzeitig unter Schwund der Zahnpulpa das äussere Schmelz-
epithel gegen das innere herantritt, und bald darauf zeigt sich,
ebenfalls wieder zuerst im medialen Theile des Spaltes, in der
Mitte der denselben ausfüllenden Bindegewebsplatte Knochen-
cement, das sich unter Betheiligung von Osteoblasten ohne die
Zwischenstufe von Faserknorpel bildet. Mittlerweile ist nun die
Schmelzauskleidnng der Spalte auf der hinteren Seite, wo sie
dtinner bleibt als auf der vorderen, beendet; damit gleichzeitig
wird daselbst das Schmelzepithel flacher und flacher, endlich ist
dasselbe vollständig geschwunden und damit die nach dieser
Seite hin sich verdickende Gementplatte in unmittelbare Be-
ziehung mit dem Schmelz, oder vielmehr dem Schmelzoberhäut-
chen, getreten. An der vorderen Wand des Spaltes schreitet in-
dessen die Emailbildung noch fort, und das Epithel ist in voller
Höhe erhalten. Erst in weiter nach der Mundhöhle hin gelegenen
Schnitten erreicht der Schmelz seine endgiltige Dicke und nun
wird das Epithel auch ein wenig niedriger. Die Anlagerung
des Gementes aber geschieht hier auffallenderweise anders als an
der gegentlberliegenden Wand, nämlich ganz ähnlich wie oben
beim Meerschweinchen beschrieben, mit dem Unterschiede, dass
hier nicht Knorpel-, sondern Knochenzapfen an den Schmelz
herantreten: man sieht vom Gement abgehende breite Fortsätze
ebenfalls die Phalanx der Schmclzzellen durchbrechen, sich auf
dem Zahn ausbreiten und dort ihre Ränder mit denen benach-
barter Fortsätze zusammenstossen, — das Schmelzepithel von
seinem Er/eugniss abdrängen und dieses selbst inmitten des Ge-
mentes zu Grunde gehen, — wobei selbstverständlich Osteoblasten,
die hier sehr stark abgeplattete Form haben, auf den Gement-
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Beiträge zur Kenntniss der Zahnentwicklung. 155
sprossen zn sehen sind. Indessen möchte ich besonders bemerken,
dass solche niemals auf der dem Schmelz zugewandten Seite,
sondern nur auf den Seitenflächen der Fortsätze, und nach Ver-
breiterung derselben auch auf ihrer dem Schmelz abgekehrten
Fläche bemerkt werden können. — Man bekommt hier, wie beim
Meerschweinchen, den Eindruck, dass nicht die Atrophie des
Schmelzepithels das Herantreten des Oementes bedingt, sondern
dass letzteres aktiv das Schmelzepithel von der Zahnoberfläche
abhebt, womit natürlich nur eine Beschreibung des Bildes ge-
geben, nicht eine Ansicht über den wirklichen Vorgang ausge-
sprochen sein soll.
An der buccalen, vorderen und hinteren Fläche, denen nur
eine sehr dünne zellenlose Cementlage zukommt, ist der Vorgang
seiner Bildung so, dass das Schmelzepithel zunächst ganz niedrig
wird, dass mit seinem Verschwinden gleichzeitig das Alveolar-
periost an die Schmelzoberfläche herantritt und dann die der
letzteren zunächst gelegene Schicht verknöchert.
Vergleicht man diese Ergebnisse der Untersuchung der
Cemententwicklung bei den genannten beiden Nagethieren mit
denen der obengenannten beiden französischen Forscher, so ist
hervorzuheben, dass eine üebereinstimmung sich insofern zeigt,
als an denjenigen Stellen, die sich später durch dickere Cement-
bekleidung auszeichnen, die auf das Schmelzepithel folgende Lage
eine Beschaffenheit zeigt, welche von ihnen als die des ^Organe
du cement" bezeichnet wird; von einer scharfen Absetzung nach
aussen, welche an ihren Objecten gegenüber dem Zahnsäckchen
vorhanden war, ist freilich bei den meinigen nicht zu sprechen,
indem hier ein Zahnsäckchen nicht nachzuweisen ist. Von den
Resultaten jener Autoren weichen die meinigen aber in zahl-
reichen Punkten ab; nämlich indem beim Meerschweinchen die
Umwandlung des „Cementorganes" zwar in Knorpel, aber nicht
in Knochen erfolgt, beim Kaninchen sich zwar Knochen daraus
bildet, aber ohne die Zwischenstufe des Knorpels, indem die Bil-
dung der dünnen Cementlagen und — beim Meerschweinchen —
der isolirten kleinen Cementperlen direct aus gewöhnlichem straffem
Periostgewfebe erfolgt, indem endlich die Verbindung des Cementes
mit dem Zahn bei letzterem Thiere nirgends, beim Kaninchen
nur stellenweise erst nach dem völligen Schwunde des Schmelz-
epithels erfolgt.
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156 A. V. Brunn: Beiträge zur Kejintniss der Zahnentwicklung.
Hinsichtlich der Bildung des Cementes und seiner Anlagerung
an den Schmelz giebt es also offenbar bei verschiedenen Thieren
beträchtliche Differenzen im Einzelnen, wenn auch die Haupt-
züge: Atrophie des Schraclzepithels, Anlagerung und Verknöche-
rung resp. Verknorpelung des Bindegewebes immer dieselben sein
müssen.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel Till.
Fig. 1. Längsschnitt des unteren Endes der vorderen Wurzel des
ersten Backzahns im Unterkiefer dcrlTtügigen weissen Maus.
Od : Odontoblasten; E verkalktes, E* unvcrkalktes Dentin,
nach unten in die Membr. präform. übergehend, AP - AI-
veolodentalperiost; SE* Epithelscheide. Winkel Obj. 6, Oc. 4.
Fig. 2. Theil eines Querschnittes des unteren Nagezahns einer 13 tag.
weissen Maus, von der oberen Peripherie desselben, nahe
dem offenen hinteren Ende. AP Bindegewebsfasern des Al-
veolodentalperiostes, welche zwischen die inneren Schmelz-
zellen SE** hineindringen und sich an die Aussenfläche des
Elfenbeins E ansetzen. E* unvcrkalktes Elfenbein. Winkel
Obj. B ä imm. Oc. 2.
Fig. 3. Querschnitt aus der mittleren Partie desselben Zahnes, obere
Peripherie. AP ^ : Alveolodentalperiost, E - : Dentin. Die-
selbe Vergrösserung.
Fig. 4. Querschnitt eines oberen Meerschweinchenbackzahns. E -:
Dentin, S Schmelz, C Knorpelcement der Spalte, C* ^-^
Knorpelcementperlen, der Oberfläche. Lupe.
Fig. 5a u. b. Knorpelcement des Meerschweinchens; a bei Hartnack
Obj. 4, Oc. 2, b bei Obj. 9 A imm. Oc. 2.
Fig. 6. Theil vom Querschnitt eines Meerschweinchenbackzahns, etwa
dem Kreise f der Fig. 4 entsprechend, aber aus der Tiefe
der Alveole. P Pulpa, E Dentin, S ~ Schmelz (der
in Folge der Entkalkung aus dem Präparate verschwunden
war), SE Schmelzepithel, auf dessen Oberfläche die Cuticula
(Cd) liegt. Kn ^ Knorpelinseln, im Bindegewebe der Spalte
auftretend, bei ** Zapfen gegen die Schmelzoberfläche vor-
treibend, welche die Cuticula aufheben.
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Karl Schaff er: Vergl.-anat. Unters, über Rückenmarksfaserung". 157
(Aus dem S enckenberg'schen Institut zu Frankfurt a.M.)
Vergleichend - anatomische Untersuchungen
über Rückenmarksfaserung.
Von
Dr. Karl HehalTer aus Budapest.
Hierzu Tafel IX und ein Holzschnitt.
Mit vollßtem Recht wird die feinere Anatomie des Central-
nervensystems in neuerer Zeit durch die Bearbeitung niederer
Thierklassen, also in vergleichender Richtung gepflegt, da der
höchst verwickelte Bau der Säugethiere eine Entwirrung der ver-
schiedenen Faserzüge nur schwer zulässt. Bei der vergleichenden
Richtung der Faserungsforschung handelt es sich darum, an mög-
lichst einfachen, beinahe schematischen Nervensystemen der nie-
deren Thiere gewisse bestimmte Züge als sicher festgestellt her-
auszugreifen und dieselben an höher organisirten Exemplaren
wieder zu erkennen. Ist einmal der Verlauf gewisser Bahnen
z. B. am einfachen Rückenmarke festgestellt, so ist die Deutung
ähnlicher Faserzüge am complicirteren Rückenmarke unschwer.
Somit kommt der vergleichenden Forschungsrichtung die wich-
tige Aufgabe zu, das Schema eines einfachen Nervensystems fest-
zustellen. — Mit feineren und neueren Methoden ist diese Rich-
tung nur durch wenige Forscher vertreten, und selbst diese, als
in erster Reihe der hochverdiente Kölliker, ferner M. v. Len-
hossek, richteten ihr Augenmerk fast ausschliesslich auf die
bereits so complicirten Säugethiere; beinahe einzig Edinger's,
weiterhin Köppen's Arbeiten zeigen die zielbewusste Absicht,
auf der Basis von Ergebnissen an niederen Wirbelthieren den
Bau des hochorganisirten Säugethiermarks zu erschliessen.
Die hier anzuführenden eigenen Untersuchungen steckten
sich das Ziel, das Rückenmark einiger niederer Vertebraten zu
bearbeiten, das Schema derselben herauszufinden und somit den
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158 Karl Schaffer:
Bau des Säugethiermarks leichter und zwanglos zu interpretiren.
Dieser Aufgabe versuchte ich durch die Bearbeitung vom Rücken-
marke einerseits der Blindschleiche, der Ringelnatter, der Schild-
kröte und Eidechse, andererseits des Kaninchen, der Fledermaus
und Katze gerecht zu werden. Um die vergleichende Tendenz
möglichst scharf heiTortreten zu lassen, werde ich vor Allem nur
das Rückenmark der Blindschleiche und Ringelnatter (da Schild-
kröte und Eidechse nichts von diesen wesentlich Abweichendes
boten) beschreiben, worauf ich eine gedrängte Schilderung des
von mir untersuchten Säugethiermarks folgen lasse, um zu zeigen,
wie viel von der Faserung des niederen Rückenmarks beim
höheren sich wiederfinden lässt.
Bei der Ausarbeitung des Themas wendete ich verschiedene
Mittel an und verfuhr nach gewissen Gesichtspunkten. Als Me-
thode gebrauchte ich beinahe ausschliesslich das Weigert'sche
Kupferlack- Verfahren, während die Golgi-Cajal'sche Impräg-
nation absichtlich weniger in Anwendung gebracht wurde. Es
ist nur selbstverständlich, dass bei meinen Untersuchungen aus-
schliesslich vollkommen lückenlose Serienschnitte zur Ver-
wendung kamen, wobei mir das Weigert 'sehe CoUodiumplatten-
Verfahren zur Anfertigung von Serien als ausgezeichnetes und
müheloses Mittel die Aufgabe sehr erleichterte. Am Rückenmark
untersuchte ich vorzüglich die Hals- und Lumbaianschwellung,
mit besonderer Vorliebe jedoch richtete ich mein Augenmerk
auf das Sacralmark, und zwar auf Grund folgender Erwägung:
Während die mittleren und oberen Theile des Rückenmarks durch
Hinzutreten von verschiedenen Spinalbahnen und dorsalen Wurzel-
fasem bereits complicirt erscheinen, repräsentirt das distale Mark
den relativ einfachsten Theil. In der Höhe der ersten Wurzel-
Ein- und letzten Austrittszonen (d. h. die erste dorsale und letzte
ventrale Wurzel) sind, zumal die weisse Substanz nur in geringer
Masse vorhanden ist, die Verlaufsverhältnisse in der grauen Sub-
stanz verhältnissmässig noch einfach. Dazu kommt, dass das
kleine Sacralmark, über geringeren Verlaufsraum verfligend, die
Faserzüge auch gedrängter, auf wenige Schnitte vertheilt. Es
erscheint somit leichter und sicherer reconstruirbar. Diese Re-
construction gestaltete sich durch meine Zeichenmethode (Die
Rcconstruction mittelst Zeichnung. Eine Methode Äum Studium
der Faserung im Centralnervensystem. Zeitschr. für wissenschaftl.
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Vergl.-anatomißche Untersuchungen über Rückenmarksfaserung. 159
Mikroskopie Bd. VII) bedeutend exacter, als sie bisher ausgeübt
wurde, indem dureb die genauen Copien der auf einander fol-
genden Rückenmarksumrisse sowie der Faserztige und durch
deren Aufeinandersetzen die zusammengehörenden Fasern sich
leicht herausfinden Hessen, während durch dieselbe Methode In--
thümem vorgebeugt wurde.
I. Bflekenmark niederer Vertebraten.
1. Blindschleiche — Anguisfragilis.
Die klarsten Verhältnisse bot das Rückenmark des Blind-
schleichenfoetus, weshalb ich auch mit dessen Schilderung be-
ginne.
Die weisse Substanz erscheint markhaltig, nur die Grenz-
schicht des Seitenstranges ist mit spärlicheren markhaltigen Ner-
venfasern als jene der entwickelten Blindschleiche versehen. In
den Lücken des Gliagewebes finden sich hier Zellen mit einem
bläschenförmigen Kern und einem granulirten Protoplasma —
Fettkömchenzellen-ähnliche Gebilde — vor. Die Nervenfasern
des Vorderstrangs sind die breitesten, die schmälsten jene des
Hinterstranges, während die Fasern des Seitenstranges eine mitt-
lere Stärke aufweisen. An dem ventralen Aussenrand des Seiten-
stranges zeigt dieser das sogenannte Lateralband, ein einer
bieonvexen Linse ähnliches Feld, in welchem Gebilde gleich
Nervenzellen liegen. Der Vorderstrang ist durch die hier stark
entwickelte Vordercommissur in ein viel grösseres ventrales Bündel,
in den eigentlichen Vorderstrang, und in ein dorsales, sehr kleines,
nmdliches Faserbündelchen, den sog. Fascic. meduUaris inferior
8. ventralis, geschieden. Durch directe verbindende Fasern zwi-
schen Vorderstrang und ventralem MeduUarfascikel wird deren
engste Zusammengehörigkeit bewiesen.
Die graue Substanz ist stark entwickelt. Bemerkens-
werth erscheint der Umstand, dass die Homer in der ganzen
Länge des Rückenmarks dieselbe Configuration zeigen; nur im
caudalsten Theile erscheint eine allmähhche Verkleinerang; ver-
schiedene Massenverhältnisse der grauen Substanz je nach der
proximalen oder distalen Hälfte des Markes (analog derCervical-
und Lumbaianschwellung) finden sich hier nicht vor. Die Vorder-
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160 Karl Schaffer:
hörner sind ventral abgerundet, während die Hinterhörner durch die
geringe Entwickelung der Hinterstränge sowie durch die äusserst
breite graue Hintercommissur beinahe plump erscheinen. Im
Vorderhorn sind hauptsächlich drei Zellgruppen zu unterscheiden:
eine mediale, eine laterale und eine centrale. Besonders stark
entwickelt erscheint die laterale Gruppe. Bemerkenswerth sind
jene ungewöhnlich grossen Nervenzellen, welche spärlich zerstreut
zwischen den gewöhnlichen Zellen liegen und deren Grösse das
Vier- oder Fünffache der übrigen Gebilde beträgt. Solche riesigen
Zellen giebt es zerstreut auch im Hinterhoni.
Der elliptische Centralkanal ist von einem mehrfach ge-
schichteten Zellring umgeben.
Bevor ich die Rückenmarkswur/eln beschreibe, erscheint
mir betonenswerth deren Verhältniss zum Ganglion spinale.
Dieses hat am Frontalschnitt eine dreieckige Gestalt mit abge-
rundeten Spitzen und ist in sagittalcr Richtung ungefähr einer
gedrängten Spindel ähnlich. Die Vorder wurzel streicht am ven-
tralen Rand des Ganglion vorbei, während die Hinterwurzel mit
einem ventral convexen Bogen die Mitte desselben durchzieht.
Den Körper des Ganglion selbst durchqueren zwei Bündelchen,
welche sich daselbst kreuzen. Der stärkere Fascikel erscheint
als Ramus communicans anterior s. ventralis, als moto-
risches Element der Hinterwurzel, das schmächtigere Btlndel ist
der Ram. commun. post. s. dorsalis, als sensibles Element
der Vorderwurzel. Die Wurzeln selbst ziehen zwischen Wirbel
und Rückenmark zu resp. ab von demselben (s. Fig. 1).
Die Vorderwurzel erscheint am Rande des Markes noch
als compactes Bündel, in der Substanz des Vorderstranges wei-
chen deren Fasern fächerförmig auseinander und strahlen pinsel-
förmig in das Vorderhorn ein. Hier vertheileu sich die Fasern
folgendermaassen :
1) Sie verlieren sich im Vorderhorn derselben Seite.
2) Sie ziehen tief in das Vorderhoni, nahe am Hinter-
home, ein.
3) Sie passiren die Vordercommissur und treten in das con-
tralaterale Vorderhorn ein.
4) Es entwickeln sich aus dem Fasernetz des Vorderhoms
Faseni, welche in den coutralatcralen ^'orderstrang ziehen.
Den wichtigsten Knotenpunkt der Faserung stellt die Vorder-
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Vergl. -anatomische Untersuchungen über Rückenmarksfaserung. 161
commissnr dar. Dieselbe wird aus lauter Quer- und Sehräg-
fasem gebildet und wird aus folgenden Fasern constituirt:
1) Aus Faseni, welche, wie oben erwähnt, aus der Vorder-
wurzel zum gekreuzten Vorderhorn und aus dem Fasenietz des
Vorderhoms zum contralateralen Vorderstrang gelangen.
2) Aus Fasern, welche aus dem Seitenstrange durch die
graue Substanz hindurch zum gekreuzten Vorderstrang ziehen.
Dieselben stellen einen bedeutenden und wichtigen Antheil der
Vordercommissur-Faserung dar und sind als solche bisher unbe-
kannt. Auf die genauen Verlaufsverhältnisse dieser Fasern ein-
gehend, sei vor Allem bemerkt, dass sie aus allen Gegenden des
Seitenstranges entspringen; sie tauchen zumeist knapp am Rande
des ventralen, mittleren oder dorsalen Drittels des Seitenstranges
auf, durchqueren denselben, ziehen in das Vorderhoiii hinein, und
indem sie sich der Vordercommissur nähern, gelangen die Fasern
immer enger aneinander rückend durch die Vordercommissur in
den gekreuzten Vorderstrang. Durch diesen filcher- oder radien-
förmigen Verlauf (der Knotenpunkt der Radien liegt in der Vorder-
commissur) wird das Vorderhorn von einer Anzahl von Fasern
durchquert, welche natürlich nicht alle als einzige, ununterbrochene,
den Seitenstrang mit dem gekreuzten Vorderstrang verbindende
Faser sich repräsentiren. Doch da es mir gelungen ist an zahl-
reichen Präparaten den oben beschriebenen Verlauf an conti-
noirlichen Zügen zu eruiren und zweifellos zu constatiren, so
kann auch über die Bedeutung der Fragmente kein Zweifel ob-
walten. — Es sei gleich hier erwähnt, dass diese Fasern nicht
etwa eine Verbindung zwischen der Seiten- und Vorderpyramide
darstellen, schon deshalb, weil sie aus den verschiedensten Punkten
des Seitenstranges entspringen, auch weil die Blindschleiche als
extremitätenloses Thier über eine nennenswerthe Pyramide nicht
verfügt (s. Fig. 4).
3) Aus Fasern, welche in S-förmiger Krümmung
aas dem Hinterhorn durch die Vordercommissur zum
contralateralen Vorderstrang verlaufen. Es sei sofort
bemerkt, dass ich die Fasern als solche unzweifelhaft constatiren
konnte, d.h. ich sah solche, welche einestheils aus dem late-
ralen^ andererseits aus dem medialen Theil des Hinterhoms plötz-
lich auftauchend, durch die Vordercommissur zum gekreuzten
Vorderstrang zogen (s. Figg. 2 u. 3). Ich vermochte aber die
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 38 U
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162 Karl Schaffert
Verbindung dieser Fasern mit der Hinterwuiv-el resp. Hinterstrang
nicht sicher zu eruiren. Aus manchen Bildern konnte ich nur die
Vermuthung aufstellen, dass die besprochenen Fasern mit jenen
an der Grenze des Seitenstranges im lateralen Theil des Hinter-
hoiTis befindlichen Längsbtindelchen zusammenhängen, in welche
eigentlich die laterale Portion der Hinterwurzel übergeht.
Der Fase, medull. inf. s. ventralis empfängt Fasern
aus dem contralateralen Seitenstrang, und zwar auf doppelte
Art: a) die Faser zieht in derselben Schnitt ebene, also in einer
frontalen Ebene zum Seitenstrang, oder b) die Faser verläuft in
sagittaler Richtung in der Vordercommissur bis zum nächsten
Rückenmarkssegment, woselbst sie dann, in die frontale Ebene
umbiegend, zum gekreuzten Seitenstrang zieht. Dieser Verlauf
ist natürlich nur an Längsschnitten zu sehen.
Die Hinterwurzeln zweigen in zwei gleich starke Por-
tionen, sobald sie an das Rückenmark herantreten, ab (s. Fig. 1):
1) In die mediale Portion, deren Fasern direct in den
Hinterstrang strahlen, indem sie theils in den äusseren, theils in
den inneren Abschnitt desselben gelangen.
2) In die laterale Portion, welche in Bogenform den
dorsalsten Theil des Seitenstranges umkreisend, die gelatinöse
Substanz des Hinterhoms passirend, sofort in die Längsrichtung
umbiegt, sobald die Fasern in das Hinterhom gelangt sind ; diese
bilden sodann jene schmächtigen Bündelchen, welche an der
Grenze des Seitenstranges und Hinterhoms sich befinden — Längs-
bündelchen der Hinterwurzeln. —
Diese Verhältnisse sind besonders an Schrägschnitten leicht
zu demonstriren, woselbst der directe Uebergang der lateralen
Portion in die Längsbündelchen der Hinterwurzeln klar zu sehen
ist. An solchen Schnitten bemerkt man noch zwei wichtige
Thatsachen. Vor allem, dass die Längsbündelchen eigentlich in
die Grenzschicht des Seitenstranges übergehen, womit gesägt ist,
dass daselbst entschieden sensible Elemente enthalten sind. So-
dann, dass spärliche Fasern von der medialen Hinterwurzel-Por-
tion zur lateralen verlaufen. Diese Verhältnisse waren besonders
an Schnitten, welche von rechts nach links (oder umgekehrt)
schief angelegt waren, sichtbar.
An schrägen Sagittalschnitten, deren Richtung vom Vorder-
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Vergl.-anatomische Untersnchungen über HückenmarksfaserUng. 163
hörn zum Hinterhorn hinabftllt, zeigen sich die Verhältnisse der
Hinterwnrzeln folgendermaassen :
Die laterale Portion biegt bogenförmig in die Längs-
bündelchen der Hinterwurzeln um und senkt sich nach bereits
kurzem Verlauf in den Seitenstrang.
Die mediale Portion strahlt in den Hinterstrang ein,
woselbst der äussere Antheil der medialen Portion abwärts,
der innere Antheil aufwärts sich wendet. Aus der lateralen
Portion biegen Fasern abwärts in den Hinterstrang, gleichwie
Fasern aus der medialen Portion aufwärts zur lateralen Portion
ziehen. Es herrscht daher eine volle Reciprocität in den Faser-
abzweigungen der beiden Hinterwurzel-Portionen. Dieselben Ver-
hältnisse sind besonders klar an Längsschnitten zu sehen, welche
durch die Eintrittszone der Hinterwurzeln gelegt sind (s. Fig. 5).
Bemerkenswerth ist, dass an schrägen Frontalschnitten Fasern
von den Längsbündeln der Hinterwurzeln gegen den Centralkanal
abzweigen, und somit meine Vennuthung, dass Fasern aus der
lateralen Portion der Hinterwurzeln zum gekreuzten Vorderstrang
vor dem Centralkanal ziehen, bestärken. In denselben Schnit-
ten sind deutlich Längsfasem zu sehen, welche aus dem Sei-
tenstrang plötzlich in die Querrichtung umbiegend, zur Vorder-
commissur gelangen. Aus den Längsschnitten, welche durch die
Eintrittszone der Hinterwurzeln gelegt worden sind, erhellt, dass
die letzteren sofort nach dem Eintritt in die Rückenmarkssub-
stanz in zwei Richtungen, in dnen auf- und einen absteigenden
Sehenkel abzweigen. Aus dem absteigenden Schenkel verlaufen
einestheils gewisse Fasern abwärts im äusseren Antheil des
Hinterstranges, andemtheils im inneren Antheil des Hinterstranges
aufwärts. Somit ist der descendirende Schenkel mit der me-
dialen Portion der Hinterwurzeln identisch. Aus dem aufstei-
genden Schenkel übergehen die Fasern überwiegend in die Längs-
btlndel, womit der aufsteigende Zweig mit der lateralen Portion
der Hinterwurzeln identisch ist. Es ist zu bemerken, dass ein-
zelne Fädchen in absteigender Richtung aus der lateralen Hinter-
wurzel-Portion in den Hinterstrang, wie auch aus der medialen
Portion in aufsteigender Richtung in die Längsbündelchen ge-
rathen.
Eine weisse Hintercommissur ist äusserst schwach ent-
wickelt und nur durch einige Fäserchen repräscntirt. Sie ziehen
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164 Karl Schalter:
quer von den LängsbUndelchen der Hintcrwurzeln der einen Seite
zur anderen. Diese Züge sind besonders an den CajaT sehen
Präparaten zu erkennen.
2. Rückenmark der entwickelten Ringelnatter —
Tropidonotus natrix.
An diesem Thiere untei-suchte ich hauptsächlich die distalen
Theile des Rückenmarks. Besonders interessant und abweichend
von der Blindschleiche gestalteten sich hier die Verhältnisse der
Hinterwurzeln.
An den Hinterwurzeln kann man drei Portionen, und
zwar die stark entwickelte mediale und mittlere, sowie die
bedeutend schwächere laterale unterscheiden. Die Hinterwurzel-
fasem entspringen dem lateralen Antheil des Hinterstranges. Die
medialen Fasern schmiegen sich dem inneren Rand des Hinter-
homs an und wenden sich einestheils in elegant geschwungenen
Bögen, deren Coneavität dem Centralkanal zugekehrt ist, in das
Vorderhom, zu dessen vorderer Zellgruppe; hier lösen sich die
bis dorthin zumeist compacten Bündel in zahlreiche Fasern auf.
Andemtheils, und dies gilt tittr die medialsten Fasern, umkreisen
sie den Centralkanal, um sich in die Vordercommissur einzu-
senken. Somit hat die mediale Portion der Hinterwurzeln einen
zweifachen Verlauf: die mehr äusseren Fasern derselben bilden
die sog. Anteroposteriores, d. h. die direct in das Vorder-
hom einstrahlenden Hinterwurzeln; die mehr inneren Fasern der
medialen Portion hingegen wenden sich mit einem auswärts con-
vexen Bogen, den Centralkanal umkreisend, zur Vordercommissur,
um in den contralateraleh Vorderstrang sich einzusenken.
Die Fasern der mittleren Portion bieten folgende Ver-
laufsverhältnisse. Dem äusseren Antheil des Hinterstranges ent-
springend, durchschneiden sie die innere Hälfte der gelatinösen
Substanz des Hinterhorns; ein Theil der Fasern wendet sich
bogenförmig den Längsbündeln der Hinterwurzeln zu, um in den-
selben zu enden, wobei sie so ziemlich am vorderen Rand der
gelatinösen Hinterhomsubstanz vorbeiziehen, während der andere
in gestrecktem Verlauf die laterale Zellgruppe des Vorderhoms
erreicht und zwischen diesen sich auflöst. Die erwähnten Längs-
bündel der Hinterwurzeln erscheinen als kreisrunde Querfascikeln
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Vergl.-a natomische Untersuchungen über Rückenmarksfaaerung. 165
entlang dem ganzen vorderen Rande der gelatinösen Masse, sich
beinahe bis zum Hinterstrang erstreckend, in der spongiösen Sub-
stanz eingebettet.
Die schwach entwickelte laterale Portion erscheint in er-
kennbarer Form eigentlich . erst am hinteren Rande der gelati-
nösen Substanz, welche hart an die Peripherie des Rückenmarks
heranrückt, ohne von nennenswerther Marksubstanz bedeckt zu
sein. Daselbst verlaufen sehr feine Fäserchen in spärlicher An-
zahl, um in die Lissauer'sche Randzone überzugehen, welche
als ein dreieckiges Feld zwischen den vorderen und lateralen
Rand der gelatinösen Substanz des Hinterhoms und dem hinteren
Rand des Seitenstranges, am Rande des Rückenmarks erscheint
(8. Figg. 6, 7, 8).
Bedeutend ist der Antheil der Hinterwurzeln an der Bil-
dung der hinteren Commissur. Ich konnte drei Portionen
der Hintercommissur unterscheiden. Es giebt nämlich einen dor-
salen (hinteren), einen mittleren und einen ventralen (vorderen)
Antheil derselben. Die dorsale Portion ist aus einigen Fasern
gebildet, welche, dem Hinterstrange entspringend, eng dem inne-
ren Rande des Hinterhornes sich anschmiegend, die Mittellinie
passiren, um im contralateralen Hinterstrange, fortwährend an
dessen innerem Rande verlaufend, sich zu verlieren. Viel mäch-
tiger erscheint die mittlere Portion der Hintercommissur, welche
in einer elegant geschlängelten flachen Wellenlinie von den Längs-
bündeln der Hinterwurzeln der einen Seite zur anderen zieht (s.
Fig. 6). Der Wellenberg ist gegen den Centralkanal gewendet,
die beiden Wellenthäler liegen zwischen den einzelnen Häufchen
der Längsbündel. Am schwächsten entwickelt präsentirt sich
die ventrale Portion der Hintercommissur, welche in der Forni
von 2 — 3 Bogenfädchen mit ventraler Concavität den Central-
canal umfassen. Sie entspringen anscheinend der centralen grauen
Masse, es gesellen sich jedoch Fasern hinzu, welche, aus dem
Hinterhome entspringend, entlang der Mittellinie zum dorsalen
Pol des Centralcanals gelangen (s. Figg. 7 u. 8).
Die Fasern der Vorderconmiissur stammen zum Theil, wie
bereits ei*wähnt, aus der medialen Portion der Hintcrwurzcln.
Ein beträchtlicher Antheil jedoch wird aus Scitenstrangfasern ge-
bildet, ähnlich wie dies bereits für die Blindschleiche zweifellos
nachgewiesen wurde. Es entspringen nämlich aus jedem Theile
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166 Karl Schaffer:
des Seitenstranges denselben quer durchsetzende Fasern, welche
insgesammt einem Centralpunkt, der Vordercommissur zustreben.
Auf diesem Weg bilden die dorealsten Fasern einen nach innen
und rückwärts, die ventralsten einen nach aussen und rückwärts
convexen Bogen. Die meisten Fasern ziehen vom Rande des
Seitenstranges durch die graue Substanz und Vordercommissur
direct in den contralateralen Vorderstrang ein. Besonders be-
achtenswerth erscheinen jene Faserzüge, welche aus der Gegend
der Longitudinalbündel und dem diesen benachbarten Seiten-
strange in gestrecktem, geradem Verlaufe direct dem Central-
canal resp. Vordercommissur zusteuern.
Ein fernerer Antheil der Vordercommissur-Fasem stammt
aus dem Vorderhome resp. Vorderwurzeln. Dieselben zerfahren
ebenso pinselförmig im Vorderhorne und verlieren sich zwischen
den motorischen Nervenzellen, als dies bei der Blindschleiche
Uebersicht.
Vergleichen wir nun das Rückenmark beider untersuchten
Thiere, so fällt vor Allem auf, dass es in Bezug auf den Faser-
verlauf in der grauen Substanz eine erfreuliche üebereinstimmung
zeigt. Diese Uebereinstimmung konnte theils durch directes
Wiedererkennen gewisser Züge constatirt werden, theils dadurch,
dass die richtige Deutung gewisser Fasern durch den bereits
festgestellten Verlauf des schematischen Rückenmarks der Blind-
schleiche vollzogen wurde. Letztere Art der Feststellung bezieht
sich insbesondere auf die Fasern der Ringelnatter, welche aus
dem Seitenstrange durch die graue Substanz, die Vordercommissur
passirend, in den Vorderstrang ziehen. Es war nämlich dieser
Zug am Rande der Blindschleiche mit einer derart überzeugenden
Klarheit zu sehen, dass kein Zweifel an der Existenz solcher
Fasern aufkommen konnte. Nun sah ich im Rückenmarke der
Ringelnatter Faserzüge, welche aus dem Seitenstrange in die
graue Substanz mit einer unverkennbaren Tendenz zur Vorder-
commissur verliefen. Wai*en diese Züge daselbst nicht immer
ununterbrochen zu sehen, so erkannte man leicht an den folgen-
den Scrienschnitteu die dazu gehörigen Fragmente, welche zur
Vordercommissur zogen.
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Vergl .-anatomische Untersuchungen über Kückenmarksfaserung. 167
Am präcisesten Hessen sich am RUckenmariie der Ringel-
natter die Verhältnisse der Hinterwurzeln feststellen. Es sei mir
gestattet, an diesem Orte hervoiv.uheben , dass die folgenden
Faserzüge: 1) directe Hinterwurzelfaser durch die Vordercom-
missor zum gekreuzten Vorderstrange und 2) directe Hinterwurzel-
fasem zum Vorderhorn derselben Seite, für die Ringelnatter sicher
constatirte Thatsachen repräsentiien. Ad 1) bemerke ich, dass
derart directe zweifellose Faserzttge, wie an der Fig. 8, in reinster
Form im caudalsten Theil des Rückenmarks sich finden liessen,
während in den höheren Niveaux bereits die Zusammengehörig-
keit solcher Faserfragmente, welche von den Hinterwurzeln zur
Vordercommissur zogen, ei-st durch meine Reconstructionsmethode,
mittelst welcher sie genau zusammengefügt wurden, demonstrirbar
war. Sachen wir nun eine ähnlich verlaufende Faser im Blind-
schleichen-Rückenmarke, so fällt uns sofoi-t die mit 4 und 4' be-
zeichnete im Schema der Blindschleiche auf. Dieselbe zieht eines-
2
Anguis fragilis-Schema.
theils von jenem Abschnitte des Hinterhoms, woselbst die sog.
Längsbündel liegen, andemtheils vom etwa der spongiösen Sub-
stanz der Ringelnatter entsprechenden Theile des Hinterhoms,
dorch die Vordercommissur zum gekreuzten Vorderstrang. Bei
der Deutung dieser Faser müssen folgende Umstände in Betracht
gezogen werden. Die Faser 4' kann als eine aus dem Seiten-
strang zum gekreuzten Vorderstrang ziehende betrachtet werden,
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168 Karl Schaffer:
wofllr jenes Bild sprechen könnte, an welchem — wie dies auch
im Schema angedeutet ist — die Faser hart an der Grenze des
Seitenstrangs gegen diesen in der Gegend der Längsbllndel eine
kleine Biegung macht. Doch hier ist zu bemerken, dass die
Faser durch diese Biegung eben in jenen Grenztheil des Seiten-
stranges gelangt, wohin die Längsbttndel der lateralen Hinter-
wurzelportion einstrahlen. Somit kann Faser 4' zwanglos als
eine durch die medialste Randzone des Seitenstrangs verlaufende
Hinterwurzelfaser betrachtet werden. Dass aber Faser 4 eine
zweifellos aus dem Hinterhome zum gekreuzten Vorderstrang
ziehende sei, ist sicher, nur ist hier wieder die Art des Zusam-
menhanges derselben mit der Hinterwurael nicht klar. Ob nun
diese Faser eine Edinger'sche, d. h. eine aus der spongiösen
Hinterhomsubstanz entwickelte oder aber eine directe Hinter-
wurzelfaser in jenem Sinne, wie für die Ringelnatter bereits
nachgewiesen, konnte ich nicht entscheiden. — Nach alldem gilt
als sicher, dass directe Faseni aus dem Hinterhom zur Vorder-
comnüssur ziehen, während als höchst wahi-scheinlich Hinterwurzel-
fasern, welche, die mediale Randzone des Seitenstrangs passirend,
durch die Vordercommissur in den gekreuzten Vorderetrang ge-
langen, anzunehmen sind. — Letzteren Hinterwurzelfasem analoge
Züge sind bei der Ringelnatter ebenfalls aufzufinden. Es sind
dies jene Fasern, welche aus der Gegend der Längsbündel in
geradem Verlauf der Vordercommissur zusteuern. Ich bin daher
der Meinung, dass die Hinterwurzelfasem -der mittleren Portion
bei der Ringelnatter in die Längsbündel- resp. in die Grenz-
schicht des Scitenstrangs übergehen, und nach einem gewissen
sagittalen Verlauf in die Frontalebene umbiegen, das Vorderhom
durchqueren, um zur Vordercommissur zu gelangen. Weiter unten
weise ich nach, dass die laterale Hinterwurzel-Portion der Blind-
schleiche ein Analogon der mittleren Hinterwurzel-Portion der
Ringelnatter ist.
Ad 2) waren die sog. Anteroposteriores am Rückenmarke
der Ringelnatter sicher zu constatiren. Ich verweise einfach auf
Fig. 6, wo sie deutlich hervortreten. Am Rückenmarke der
Blindschleiche kommen diesbeztlglich die Fasern 5 und 5' in Be-
tracht. Dieselben entspringen von der Gegend der Longitudinal-
bündcl und ziehen cincstheils zur lateralen, andemtheils zur me-
dialen Zellgi-uppe des Vorderhorns. Ihren Zusanunenhang mit
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Vergl.-anatomische Untersuchung'en über Rückenmarksfaserung. 169
der Hinterwurzel konnte ich nicht eruiren, wohl aber vermuthen,
dass sie einfach die Fortsetzung der Längsbündel, also der late-
ralen Hinterwurzel-Portion darstellen. Somit repräsentiren die
Fasern 5 und 5' die Anteroposteriores der Blindschleiche.
Es erübrigt mir nur noch, die engeren Verhältnisse der
Hinterwurzeln und der Hintercommissur zu erörtern.
Die Hinterwurzeln der Ringelnattern weisen, wie gezeigt
wurde, drei Portionen auf, eine mediale, eine mittlere und eine
laterale. Es wurde beschrieben, dass die mächtigen medialen
Bündel einestheils tief in den Hinterstrang eindringen, anderntheils
als directe Fasern in die Vordercommissur und in das Vorder-
hom derselben Seite ziehen; dass die gleichfalls starke mittlere
Portion vor der Substantia gelatinosa in die Längsbündel über-
geht; die verschwindend kleine laterale Portion am äusseren
Rand des Hinterhoms zur vorne liegenden Liss au er'schen Rand-
zone zieht. Bei der Blindschleiche Hessen sich sicher nur zwei
Portionen der Hinterwurzeln, welche aus gleichen und starken,
grobkalibrigen Nervenfasern bestehen, unterscheiden; die mediale
strahlte direct in den Hinterstrang und zwar in dessen lateralen
wie medialen Abschnitt ein, während die laterale, in die Längs-
bündel übergehend, schliesslich in der medialen Randzone des
Seitenstrangs ihren Platz fand. Dabei Hessen sich gegenseitig
communicirende Zweige zwischen den einzelnen Portionen be-
stimmen. Eine voUkommene Parallele zwischen den Verhältnissen
der Hinterwurzeln der Blindschleiche und Ringelnatter ist nicht
zu ziehen. Ich vermisste eine Lissauer'sche Randzone bei der
Blindschleiche, was sich daraus erklären Hess, dass sich in den
Hinterwurzeln lauter gröbere Nervenfasern vorfanden, feinere
fehlten total; femer fehlt die Fortsetzung der medialen Hinter-
wnrzel-Portion in Anteroposteriores bei der BHndschleiche, letztere
müssen hingegen als aus der lateralen Hinterwurzel-Portion ent-
springend angenommen werden. Doch dieser Einwurf ist nur
ein scheinbarer, indem die laterale Portion bei der Blindschleiche
vermöge ihres directen Ueberganges in die Längsbündel als der
unanfechtbar eigentliche Vertreter der mittleren Hinterwurzel-
Portion der Ringelnatter zu betrachten ist. Durch diesen Um-
stand wird die Parallele voHständiger, da bei der Ringelnatter
einestheils die Anteroposteriores auch aus der mittleren Portion
stammen, anderntheils — wie oben bemerkt — die aus dem
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170 Karl Schaffer:
Seitenstrang resp. Längsbündelu der Vordercommissur zustreben-
den Fasern der mittleren Portion entspringen.
Die hintere Commissur erwies sich bei der Ringelnatter
aus drei Portionen bestehend, von welchen die schwächste, un-
bestimmten Ursprungs, die ventrale, die stärkste die aus den
LongitudinalbUndeln stammende mittlere, die mittelstarke von
einem Hinterstrang zum andern ziehende dorsale Portion ist. Bei
der Blindschleiche Hessen sich mit der Weigert 'sehen Kupfer-
lackmethode nur einzelne, die Mittellinie passirende kurze Faser-
fragmente entdecken, während ich nach der Cajal'schen Im-
prägnation mehrere, der mittleren Portion der Ringelnatter ent-
sprechende, gestreckt von einem Seitenstrang zum anderen ver-
laufende Fasern sah.
Alles zusammengefasst kann ich mich bei dem
Vergleich der beiden Rückenmarke folgend äussern.
Blindschleiche wie Ringelnatter weisen Fasern vom
Seitenstrang zum gekreuzten Vorderstrang gemeinsam
auf, ebenso besitzen sie sicher Anteroposteriores, wie
auch Fasern aus dem Hinter hörne zur Vordercommissur.
Während jedoch die Ringelnatter dlrecte mediale Hin-
terwurzelfasern zur Vordercommissur sendet, ist es
bei den Blindschleichen noch nicht endgültig festge-
stellt, wie ähnlich verlaufende Fasern aus der Subst
spongiosa des mittleren Hinterhornabschnittes mit den
Hinterwurzeln zusammenhängen. Ich muss vielmehr
als die Reconstruction einzelner Beobachtungen als
directe Beobachtung jene Auffassung dahin stellen,
dass die Fasern der lateralen Portion in die Längs-
btindel resp. in die Grenzschichte des Seitenstranges
tibergehend, durch die Vordercommissur in den contra-
lateralen Vorderstrang gelangen.
II. Bflekenmark höherer Yertebraten.
(Kaninchen, Katze und Fledermaus.)
Da das Rückenmark der Katze und des Kaninchens bereits
durch mehrere Autoren, in letzterer Zeit durch Lenhossck, ein-
gehend beschrieben wurde, so kaim es nicht meine Absicht sein,
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VergL-anatomische Untersuchungen über Rückenmarksfaserung. 171
eine detaillirte descriptiv-anatomische Schilderung für diese Thiere
zu liefern. Ich versuche hingegen jenes Schema, welches ich
bei niederen Vertebraten auffand, mit dem Rückenmarke der von
mir untersuchten höheren Wirbelthiere zu vergleichen, um heraus-
zufinden, wie viel Uebereinstimmung zu constatiren sei. Es han-
delt sich darum, die bereits gefundenen Faserzüge der niedriger,
daher einfacher organisirten Thiere im complicirten Rückenmarke
wieder zu erkennen.
Hauptsächlich drei Züge sind es, deren Existenz bei den
höheren Thieren nachzuweisen ist: 1) die Fasern aus dem Seiten-
strange zum gekreuzten Vorderetrange, 2) Fasern der Hinter-
wurzeln zum gekreuzten Vorderstrang und 3) Hinterwurzelfasera
in das gleichnamige Vorderhorn (Anteroposteriores).
Ad 1) waren am Rückenmarke einer vier Tage alten Katze
folgende Verhältnisse sichtbar. Es findet sich hier eine stark
und distinct entwiickelte Vordercommissur vor. Dieselbe wird
aus spitzwinklig sich kreuzenden Fasern gebildet, welche in den
Vorderstrang ziehen. Aus dem Seitenstrang, und zwar aus dessen
ventraler, mittlerer wie dorsaler Partie, zumeist von dessen Peri-
pherie, hier und da aber auch aus dessen Grenzschichte, ziehen
Fasern in die graue Substanz, woselbst sie mit dorsal gewendeter
Convexität um den Centralkanal zur Vordercommissur gelangen.
Diese Convexität ist an Fasern, welche aus der dorsalen Partie
des Seitenstrangs entspringen, stärker ausgesprochen wie an jenen,
welche aus der ventralsten Partie stammen und einen mehr ge-
streckten Verlauf aufweisen. Besonders erwähne ich eine Beob-
achtung, welche ich im Halsmarke machte. Daselbst sah ich
eine Faser vom Rande des Seitenstrangs durch die graue Sub-
stanz und Vordercommissur direct und ohne Unterbrechung in
den Vorderstrang ziehen. Auf diesen Befund lege ich ein um so
grösseres Gewicht, als durch diese eine continuirliche Faser die
Existenz von Fasern zwischen Seitenstrang und Vorderstrang wie
bei der Blindschleiche nachgewiesen ist.
Das Rückenmark des entwickelten Kaninchen bot ähnliche
Verhältnisse dar. Man sieht Fasern aus dem Seitenstrang in die
graue Substanz ziehen, welche im Niveau des Centralcanals ihre
Biegung machen, um zur Vordercommissur zu gelangen. Obschon
diese Züge so manche Unterbrechung erleiden, da sie in einem
ununterbrochenen Verlauf an einem Schnitte nicht anzutreffen sind,
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172 Karl Schaffer:
SO ist die Deutung derselben auf Grund der vorangegangenen
Befunde unschwer.
Bei der Fledermaus erscheinen diese Fasern weniger
distinct, da ihre Fragmente mehr zerstreut, nicht so eng und so
zahlreich neben einander liegen, als bei der Katze und bei dem
Kaninchen.
Ad 2) Bei der Katze treten die medialsten Fasern der
Hinterwurzeln in schön geschwungenen Bögen in den Kopf des
Hintcrhorns ein und verlaufen ununterbrochen zum Centralcanal,
woselbst sie mit jenen Fasern confluiren, welche oben erwähnt,
vom Seitenstrang zum gekreuzten Vorderstrang ziehen. Ein
derart zweifelloser Zug der Hinterwurzelfasem zur Vordercom-
missur wie bei der Ringelnatter konnte hier nicht nachgewiesen
werden.
Ganz dieselben Verhältnisse konnte ich beim Kaninchen
auffinden. Daselbst Hessen sich gleichfalls starke Züge aus den
medialen Hinterwurzelfasem mit einer entschiedenen Tendenz
zur Vordercommissur verfolgen (S. Fig. 10). Doch der unmittel-
bare Uebergang durch die Vordercommissur in den gekreuzten
Vorderstrang konnte nicht sicher constatirt werden. Bemerken
möchte ich hier aber, dass ich etwa eine Umbiegung dieser Fasern
in lateraler Richtung zum Vorderhorn derselben Seite, wie dies
Lenhossek ausdrücklich hervorhebt, entschieden nicht beob-
achten konnte, somit in denselben Anteroposteriores nicht er-
blicken kann.
Bei der Fledermaus war aber dieser Zug am schwäch-
sten vorhanden, so dass ich die um den Centralcanal bogenförmig
verlaufenden Faserfragmente ohne vorangehende Kenntniss ahn-
lieber Verhältnisse zu deuten nicht im Stande gewesen wäre. Es
kommen nämlich aus den medialen Hinterwurzelfasem Züge,
welche in den Scrienschnitten in der Form einzelner Fragmente
den Centralcanal umgeben; die Fragmente bilden in toto einen
auswärts convexen Bogen; ihr sicherer Uebergang in die Vorder-
commissur wurde hier ebenfalls nicht zweifellos constatirt.
Viel positivere Angaben kann ich ad 3) d. h. über Fasern
aus den Hinterwurzeln zu dem Vorderhorn derselben Seite an-
ftlhren. Die Anteroposteriores treten besonders distinct entwickelt
und in klarer Form in der Cerviealansch wellung der Fleder-
maus (s. Fig. 9j auf. Sie stammen aus der medialen Portion
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Vergl.-anatomische Untersnchnngon über Rückenmarksfaaerung. 173
der Hintenvurzeln, welche zumeist aus dem lateralen Antheil des
Hinterstrangs ausgehend, in einem continuirlichen Zug zur late-
ralen Gruppe der Vorderhornzellen verlaufen. Inwiefern Fasern
Ton den Anteroposteriores in den Seitenstrang abzweigen, kann
ich nicht sicher entscheiden, vermag jedoch die Bemerkung nicht
zu unterdrücken, dass ich Bilder sah (s. Fig. 9), an welchen
sich Aeste für den Seitenstrang abzuspalten schienen.
Genügend klar repräsentiren sich die Anteroposteriores des
Kaninchens, während bei der vier Tage alten Katze die Frag-
mente derselben nicht mit erwünschter Klarheit zu sehen waren.
Die Fasern der mittleren Hintei-wurzel-Portion ziehen bei den
erwähnten drei Thierspecies ebenfalls zur Grenzschicht des Seiten-
stranges und gehen in die Längsbündel über. In Anbetracht
dessen, dass sich hier Fasern aus dem Seitenstrang zum ge-
kreuzten Vorderstrang entschieden nachweisen Hessen, und dass
femer Fasern aus der mittleren Hinterwurzel-Portion in den Seiten-
strang übergehen, bin ich der Ansicht, dass die Hinterwurzel-
kreuzung beim Kaninchen, bei der Fledermaus und Katze durch
den längeren Weg: mittlere Hinterwui-zel — Seitenstrang —
Vordercommissur — Vorderstrang — repräsentirt ist.
Bei einem Vergleich der Schemata von den untei*8uchten
niederen wie höheren Vertebraten sei vor Allem constatirt, dass
dieselben eine gewisse, jedoch nicht vollständige üebereinstim-
mung zeigen. Der Mangel gibt sich besonders darin kund, dass*
ich bei den höheren Vertebraten den continuirlichen üebergang
der Hinterwurzelfasem, oder nach Kölliker's Auffassung: Hinter-
wui-zel-Collateralen in die Vordercommissur nicht mit jener Sicher-
heit nachweisen konnte, mit welcher mir dies bei der Blind-
schleiche, insbesondere am Rückenmark des Tropidonotus natrix
gelungen ist.
Auf Grund meiner Angaben wird also die Edinger'sche
Behauptung, dass im Vorderseitenstrang die gekreuzten Hinter-
wurzelfasem verlaufen, bekräftigt, jedoch mit der Modification,
dass diese Fasern (zumindest beim Tropidonotus natrix) ohne
eine zellige Unterbrechung im Hinterhornc diesen Weg zurück-
legen; sie wird aber auch erweitert, indem ich jene Auffassung
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174 Karl Schaffer:
»tatuirtC; dass gewisse Hinterwurzelfasem, d. h. deren mittlere
Portion (resp. laterale der Blindschleiche) erst die Grenzschichte
des Seitenstrangs passiren müssen, um wieder in die graue Sub-
stanz umzubiegen, und aus dieser durch die Vordercommissnr
zum gekreuzten Vorderstrang zu gelangen. Diese Art der Hinter-
wurzel-Kreuzung möchte ich bei den höheren Thieren auch als
vorhanden bezeichnen. Durch letztere AuflFassimg bekommt der
Scitenstrang des Rückenmarks theilweise einen vorzüglich sen-
siblen Charakter und Bedeutung, für welche auf anatomischen
Verhältnissen beruhende Ansicht auch die Thier- Experimente
sprechen, wonach im Seitenstrang gewiss ein Theil der sensiblen
Rückenmarksbahn verläuft.
Eine erfreuliche Coincidenz zeigte hingegen der Faserzug
zwischen Seitenstrang und gekreuztem Vorderstrang der verschie-
denen Thiere, denn für di6 Katze ist die Existenz desselben fast
so sicher, wie er für die Blindschleiche über allem Zweifel steht.
Beim ersten Blick dürfte diese Faser den Seitenstrang-Collateralen
Kölliker's entsprechend, indem jedoch dieselbe aus dem Seiten-
strang austreten, nicht frei in der grauen Substanz endet, son-
dern per commissuram in den Vorderstrang sich einsenkt, muss
sie als ein von den Collateralen abweichender, höchstwahrschein-
lich central verlaufender Zug aufgefasst werden. Diese Fasern
sind ursprünglich Längsfasem des Seitenstranges, welche theils
am inneren, theils am peripheren Rand desselben bogenförmig
in die Querebene umbiegen, um in die Vordercommissnr resp.
Vorderstrang zu gelangen.
Aus obigen Angaben ist es ersichtlich, dass ich im Rttcken-
marke eine doppelte Hinterwurzelkreuzung annehme: 1) eine
kürzere, die Edinger'sche, d. h. Hinterwurzel — Vordercom-
missur — Vorderstrang, und 2) eine längere: Hinterwurzel —
Seitenstrang — Vordercommissnr — Vorderstrang, wo also die
Hinterwurzel den Umweg durch den Seitenstrang zu machen hat.
Auf die oben entwickelten Verhältnisse und Deutungen
wäre ich nicht gekommen, falls ich als Ausgangspunkt meiner
Untei-suchungen das complicirte Säugermark gewählt hätte. Das
überraschend einfache Rückenmark des Blindschleichen-Foetos,
welches in Folge seiner wirklich schematischen Faserung zum
Erkennen der Verlaufsverhältnisse ein vorzügliches Object abgiebt,
erleichterte mir die Aufgabe ungemein; die mit den einfachen
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Vergl.-anatomische Untersuchungen über Rückenmarksfaserung. 175
Fasemngsverhältnissen verbundene Klarheit des Objectes lässt
aber auch die vergleichend anatomische Untersuchung beim
Studium der Faserung als eine der verlässlichsten Methoden er-
scheinen. Eben im Verlaufe meiner Arbeiten über Rückenmarks-
faserung konnte ich mich vollinhaltlich von der Wahrheit des
E ding er 'sehen Ausspruchs überzeugen: Es muss eine Anzahl
anatomischer Anordnungen geben, die bei allen Wirbelthieren in
gleicher Weise vorhanden sind, diejenigen, welche die einfachsten
Aeusserungen der Thätigkeit des Centralorgans ermöglichen. Es
gilt nur immer dasjenige Thier oder diejenige Entwickelungsstufe
irgend eines Thieres ausfindig zu machen, bei der dieser oder
jener Mechanismus so einfach zu Tage tritt, dass er voll ver-
standen werden kann. Hat man das Verhalten einer solchen
Einrichtung, eines Faserzugev ^^^ Zellanordnung, nur einmal
irgendwo ganz sicher gestellt, so findet man sie gewöhnlich leicht
auch da wieder, wo sie durch neu Hinzugekommenes mehr oder
weniger undeutlich gemacht wird. — Das Auffinden solcher
Grundlinien des Himbaues aber scheint die nächstliegendste und
wichtigste Aufgabe der Himanatomie. Kennen wir nur erst ein-
mal sie, so wird es leichter sein, die complicirten Einrichtungen
zu verstehen, mit denen das höher organisirte Gehini arbeitet.
Erklärmig der Abbildungen auf Tafel IX.
Blindschleiche.
Fig. 1. ra ^rz Vorderwurzel, x -- Kreuzung der Wurzelantheile im
Spinalganglion, rp — Hinterwurzcl, Ggl sp^ Spinalganglion.
Fig. 2. Faser aus dem Hinterhorn direct in den contralateralen Vorder-
strang ziehend.
Fig. 3. Dasselbe.
Fig. 4. Fasern aus dem Seitenstrang zum gekreuzten Vorderstrang.
Fig. 5. Längsschnitt in der Ebene der beiden Hinterwurzeln, rp --
Hinterwurzel, hk — : Längsbündelchen, fp --: Hinterstrang.
Ringelnatter.
Fig. 6. Deutlich sichtbar die mittlere Portion der Hintercommissur,
die Anteroposteriores, die mittlere Portion der Hinterwurzeln.
Fig. 7. Sichtbar die ventrale Portion der hinteren Commissur, ferner
die kürzere Kreuzung der Hinter^nirzeln.
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176 Karl Schaffer: Vergl.-anatomische Untersuchungen etc.
Fig. 8. Kürzere Kreuzung der Hinterwurzeln, d. h. Hinterwurzel-
faseni, welche ohne Unterbrechung in den gekreuzten Vorder-
strang einstrahlen. Distales Mark.
Fledermaus.
Fig. 9. Distinct entwickelte Anteroposteriores,
Kaninchen.
Fig. 10. Directe Hinterwurzelfasem zur Vordercommissur strebend.
Sämmtliche Figuren sind mittels Zeichenapparat (Zeiss) genau
copirt.
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177
(Aus dem histologischen Institut der Universität Wien.)
Ueber die Ziingendrüsen von Anguis,
Pseudopus und Lacerta.
Ein Beitrag zur Kenntniss der einzelligen Drüsen.
,Von
Dr. Rudolf Frh. v. 8eiller,
Assistent am zoologisch-verffi.-anatom. Institut der Universität Wien.
Hierzu Tafel X-XIII.
Vorliegender Arbeit, welche unter der Leitung des Herrn
Geheimraths Leuckart in Leipzig begonnen und in den Insti-
tuten der Herren Hofrath Claus und Professor v. Ebner in Wien
fortgesetzt und beendet wurde, lag ursprünglich ein weit ausge-
dehnterer Plan zu Grunde. Ihr Gegenstand sollte eine verglei-
chend-histologische Untersuchung der Saurierzunge sein. Bald
musste ich mich einerseits von der Schwierigkeit eines solchen
Unternehmens sowie von der Unmöglichkeit, es in absehbarer
Zeit zu Ende zu führen, überzeugen; andererseits waren gleich
die ersten Befunde bezüglich der Drüsenverhältnisse bei obenge-
nannten Thieren dazu angethan, den Beobachter zu fesseln, so
dass ich meine Untersuchungen auf dieses Gebiet beschränkte.
Ueber die Zungendrttsen der von mir untersuchten Thiere
fand ich zu meiner Ueberraschung nur spärliche und theils sich
widersprechende Angaben; sie vertheilen sich auf nur vier Ar-
beiten. L.eydig (40) sagt von Lacerta, „dass die Zunge drü-
siger Bildungen in ihrer Substanz entbehrt". — Nach Reich el
(56) verhalten sich die Zungendrüsen der Saurier ähnlich wie
bei den Amphibien, nur seien sie bei den mit gabiig getheilter
Zunge versehenen Sauriern spärlicher und auf das hinter der
Theilstelle befindliche Stück beschränkt. Weitere Angaben finden
sieh bei Reichel nicht vor.
Prinz Ludwig Ferdinand von Bayern (49) erwähnt
bei Lacerta viridis eigenartige grössere Epithelzelleu, welche in
Archiv fOr mikrosk. Anftt Bd. 38 12
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178 V. Seiller:
weiten Buchten unter dem Seitenrande der Zunge vorkommen
und die man als Drüsen deuten könnte. Ueber die Zungen-
schleimhaut von Anguis sagt er unter anderem: „Der Epithel-
belag deckt die Zotten gleichmässig von der Tiefe bis zur freien
Oberfläche. Er besteht aus einer mehi-schichtigen Lage, einer
oberflächlichen mit langgestreckten Zellen und einer tieferen mit
kleineren Zellen. Die tiefsten Buchten zwischen diesen Zotten
kann man aus mehrfachen Gründen als Drüsen deuten." Auch
hält es Prinz Ludwig Ferdinand für zweifellos, dass an der
Schleimhaut der Zunge von Pscudopus Pallasii die Buchten zwi-
schen den zottigen Gebilden — er meint mit den letzteren die
zotteuartigen Papillen — Drüsen darstellen, deren untere blinde
Enden ein- oder mehrfach erweitert sind. Gründe für seine An-
schauung giebt er weder hier noch dort an.
Auch die Beobachtungen H o 1 T s (28), welche zum grossen
Theil zutreflFen, sind nur morphologischer Natur. Holl sagt
über die Zunge von Lacerta agilis :„.... in den Buchten zwi-
schen den Falten ist im hinteren Abschnitte der Zunge Becher-
epithel, wie Fig. 5 lehrt. Die Buchten zwischen den Falten sind
demnach als Krypten aufzufassen, welche geeignet sind, die
Stelle der Drüsen zu vertreten, sie tragen meist weitere Aus-
buchtungen. Während die Falten, welche die Krypten begrenzen,
weiter vorne in der Nähe der freien Ränder Pflasterepithel tragen,
findet man weiter rückwärts, dass die Ausbreitung des Becher-
epithels immer mehr um sich greift, so dass hinten nur die freien
Säume der Falten mit Pflasterepithel bekleidet sind. Die Kryp-
ten sind aber nicht nur an der oberen Fläche der Zunge, son-
dern auch an deren unteren Fläche im hinteren Antheile zu
finden, so dass man sagen rauss, ein grosser Abschnitt der Zunge
besitzt secretorische Funktion." .... „man kann die Krj-pten
der Lacertilierzunge nicht mit den Zungendrüsen der Amphibien
vergleichen, da die letzteren tubulöse, verzweigte, mit Cylinder-
epithel ausgekleidete Schläuche darstellen."
Im Allgemeinen wird der Autorität Leydig's gefolgt und
die Zunge von Lacerta und Anguis als drüsenlos bezeichnet.
Meine Beobachtungen weichen von den hier angeführten —
diejenigen von Holl ausgenommen — wesentlich ab; im di-
recten Gegensatz zu L e y d i g ' s Behauptung habe ich gefunden,
dass die Zunge von Lacerta und Anguis (wie Pseudopus) einen
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üeber die Zungendrüsen von Anguis, Pseudopus und Lacerta. 179
ungeheueren Reichthum an drüsenartigen Elementen birgt, welche
jedoch nicht im Sinne Reicher s aufzufassen sind.
Methodik.
Stets wurden die Gewebe vor dem Studium derselben an
Schnitten im frischen Zustande, womöglich ohne Zusatzflüssigkeit,
untei-sucht und die Befunde an Schnitten durch jene am lebenden
Gewebe controlirt. Als indifferente Zusatzflüssigkeit verwendete
ich 0,75 ^/o Kochsalzlösung^). Als Fixirungsmittel kamen in An-
wendung warme essigsaure Sublimatlösung, Fl emm Ingusche Lö-
sung, Müller'sche Flüssigkeit und concentrirte wässerige Pi-
crinsäure.
Die Structur der Becherzellen, um die es sich im vor-
liegenden Falle hauptsächlich handelt, wird bei Anguis und Pseu-
dopus nur durch Picrinsäure naturgetreu conservirt. Für Lacerta
fand ich kein Härtungsmittel, welches die Drüsenzellen unver-
ändert erhält. Für Tinctionspräparate eignet sich die vorher-
gehende Fixirung in Müller 'scher Flüssigkeit wohl am besten;
Flemming'sche Lösung macht die Zellgrenzen sowohl bei
Epithel- wie Drüsenzellen sehr deutlich und eignet sich da-
her sehr gut für morphologische Untersuchungen; für die Unter-
suchung feinerer histologischer Verhältnisse gab ich dem Celloi-
din, als einem die Structur weit mehr schonenden Einbettungs-
mittel, vor dem Paraffin den Vorzug; letzteres diente hauptsächlich
zur Anfertigung von Serien. — Unter den Färbungen leistete die
Doppelfarbung mit Delafield'schem Hämatoxylin und wässe-
rigem Eosin ausgezeichnete Dienste; Safl*ranin lieferte bei Cel-
loidinpräparaten schlechte, bei Paraffinschnitten manchmal recht
schöne Resultate. Die Methoden der Doppelförbungen nach List
(45) erwiesen sich für meine Objecte sehr wenig brauchbar. —
Fixirung in Ueberosmiumdämpfen mit nachfolgender Färbung in
1) Leider gestatten meine Objecte nicht leicht eine Untersuchung
ohne jede Zusatzflüssigkeit; besonders die Zunge von Lacerta, mit
ihren dachziegelförmig sich deckenden Papillen, Setzt jener meist grosse
Schwierigkeiten entgegen. Um dem Bedenken, welches mehrere For-
scher gegen die „Indifferenz" der sog. „indifferenten Flüssigkeiten"
hegen, Rechnung zu tragen, muss ich erwähnen, dass ich mich von
der vollkommenen Unschädlichkeit der 3/4 % Chlornatrium-
lösung für meine Objecte überzeugt habe,
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180 V. Seiner:
Methylenblau nach Langley (67) wurde einige male mit Erfolg
in Anwendung gebracht^).
1) Ich glaube nichts Ueborflüssiges zu thun, wenn ich die von
mir am meisten angewendete Methode detaillirter beschreibe: Die so-
fort nach Tödtung des Thieres demselben entnommene Zunge kommt
auf 24 Stunden in concentrirte wHsserige Picrinsäure. Hiernach
wird 24 Stunden in fliessendem Wasser ausgewaschen; die Objecte er-
halten dann einen leicht gelblichen Stich ; sollte die Gelbfarbe noch in-
tensiver sein, kann man ohne Gefahr noch 6— 10 Stunden auswaschen.
Hierauf wird mittelst 70% und 96% in absoluten Alcohol übertragen
und nach den gewöhnlichen Regeln in Celloidin eingebettet. (Es em-
pfiehlt sich, die Objecte nicht eher in 96% Alcohol zu geben, als bis
der 70% A., der die durch das Wasser meist nicht ganz zu entfer-
nende Picrinsäure auszieht, höchstens nur einen ganz leichten gelblichen
Ton angenommen hat, was durch mehrmaliges Wechseln des Alcohols
meist innerhalb eines Tages zu erreichen ist.) — Die Schnitte kommen
aus 70% Alcohol auf ungefähr Vi Stunde in destillirtes Wasser und
hierauf in die Farbstofflösung. Es kann vorkommen, dass selbst nach
noch so sorgfältigem Auswaschen ein, wie es scheint, ziemlich grosser
Ueberschuss von Picrinsäure zurückbleibt, der sich nachträglich an
den Schnitten dui-ch eine ziemlich intensive Gelbfärbung kundgiebt;
es ist dann rathsam, dieselben noch 24 Stunden in 70% Alcohol zu
lassen und hierauf in destillirtem Wasser, dem eine Spur Lithioncarbon
zugesetzt ist, eine Stunde auszuwaschen, um womöglich den letzten
Rest der Säure zu beseitigen. Hierauf gelangen die Schnitte in eine
sehr schwache Lösung von Delafield'schem Hämatoxylin
(auf 100 ccm dest. Wasser 3—4 Tropfen der concentrirten Farbstoff-
lösung), wo sie 12—15 Stunden belassen werden, nach welcher Zeit sie
ziemlich intensiv gefärbt sind; dann kommen sie in Brunnen-
wasser, 24 Stunden oder länger, wodurch ihre blaue Farbe an In-
tensität und Reinheit zunimmt, was bei Delafield*schemHämatoxylii|
durch destillirtes Wasser im gleichen Maasse bekanntlich nicht zu er-
reichen ist. Die Nachfärbimg mit Eosin geschieht am besten auf dem
Objectträger. Man giebt auf den Schnitt nach Absaugung der über-
schüssigen Flüssigkeit einige Tropfen einer wässerigen, concentrirten
Eosinlösung und lässt ungefähr 2—3 Minuten einwirken ; man geht hier-
auf mit 96 ^/o Alcohol nach, bis fast kein Irisiren mehr bemerkbar ist;
dann Bergamottöl und Einschluss in Balsam. — Warnen möchte ich
vor einer Ueberfärbung mit Hämatoxylin, die sehr leicht eintreten
kann, wenn man die geeignete Concentration der Lösung nur um we-
niges überschreitet.
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lieber die Zungendrüsen von Anguis, Pseudopus und Lacerta. 181
I. Theil.
1. Die Zungendrttsen von Anguis fragilis.
Ich sehe von einer makroskopischen Beschreibung der Zunge,
als hier überflüssig, ab und verweise statt dessen auf die beige-
gebene Abbildung (Fig. 1). Nur Einiges will ich vorausschicken,
was vielleicht zum Verständniss des weiteren nothwendig sein
dürfte.
Der grösste Theil der Zungenoberfläche wird von Papillen
bedeckt, die, wie Leydig bemerkt, an blattförmige Darmzotten
erinnern; nur ein dreieckiges Feld, vor dem Kehlkopf, zu dessen
Aufnahme das hintere Zungcmende eingekerbt ist, und die dunkel-
pigmentirten Zungenspitzen werden von ihnen freigelassen. An
den Seiten setzen sie sich auf die untere Fläche des Zungen-
randes fort. Ihre Länge ist in der Mitte der Zunge am grössten
und nimmt von hier g:egcn das vordere und hintere Ende hin ab.
Am rückwärtigsten Abschnitt der Zunge werden sie an den
Seitenflächen so klein, dass sie auch als blosse Faltungen der
Schleimhaut aufgefasst werden können.
Bei der mikroskopischen Untersuchung der Papillen im fri-
schen Zustande erhält man zumeist ihre Seitenflächen zur An-
sicht und somit das sie bedeckende Epithel in der Aufsicht. Man
sieht polygonale, in der Regel 6 eckige*) Felder als die freien
Enden von Zellen (Fig. 2 a). Ihre Grösse kann sehr verschieden
sein, doch wechselt dieselbe innerhalb bestimmter Abschnitte meist
nicht erheblich, so dass man gewöhnlich Gruppen von nur grösse-
ren und solche von kleineren Feldern findet, wenn auch an an-
deren Stellen Felder verschiedenster Grösse neben einander
liegen. Sie sind stets von einem stark lichtbrechenden Contour
begrenzt. Durch Verrückung der Schraube kann man sich über-
zeugen, dass — wie es erst den Anschein hat — die Felder
nicht flach, sondern nach oben hin sachte gewölbt sind. Ihr In-
halt erscheint in der Form von deutlich wahrnehmbaren Köm-
chen; in der Mehrzahl der Felder sind sie ziemlich fein, doch
1) Ausserdem finden sich 5 eckige, sehr selten 3- und 4 eckige
Felder; ferner solche, die an einer, an mehreren Seiten oder schliess-
lich allseitig ausgebaucht, bis kreisrund sind. Eine Erscheinung, die
später erklärt werden soll.
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182 V. Seiller:
kann man andererseits alle Stufen zwischen einer sehr groben
und einer feinsten Granulirung unterscheiden; in manchen Fel-
dern lässt sich selbst mittelst sehr starker Vergrösserung eine
Granulirung sehr schwer oder gar nicht nachweisen, der Inhalt
erscheint homogen. Ziemlich constant beobachtete ich dies am
Grunde der interpapillären Buchten, sowie an den unteren Theilen
der Papillen ; Körnchen werden hier sehr selten angetroffen, wäh-
rend sie an allen übrigen Stellen, also bei der überwiegenden
Mehrzahl der Felder, die Regel bilden. Ich wurde erst nach
längerer Beobachtung auf diese Abhängigkeit der Beschaffenheit
ihres Inhaltes vom Standorte aufmerksam, da es in Folge der
sehr dichten Lagerung der Papillen selten gelingt, eine solche
von ihrer Spitze bis zu ihrem Fusse zu verfolgen.
Gegen die Spitze der Papillen hin macht sich eine andere
Anordnung der Felder geltend. Ihr allseitig directer Contact
wird allmählich gelöst dadurch, dase andere Zellen, wie sie in
den oberen Lagen geschichteter Plattenepithelien vorkommen,
zwischen sie treten. Im Zusammenhang damit geben sie ihre
polygonale Form auf und nehmen eine rundliche Gestalt an; ein
stark lichtbrechender Grenzcontour ist nicht mehr wahrnehmbar.
Die Abrundung erfolgt allmählich und hält mit der zunehmenden
Isolirung gleichen Schritt (Fig. 2 a). An manchen Stellen lässt
sich dies sehr schön beobachten; man kann sich überzeugen, dass
die geringste beginnende Rundung mit der directen Nachbar-
schaft einer der vorhin erwähnten Zellen zusammenföUt. Zuerst
stumpfen sich die Ecken an der der Spitze der Papille zug^
kehrten Seite der Felder ab, während diese an der entgegenge-
setzten Seite, mit welcher sie noch an die durchaus polygonalen
Felder grenzen, scharfe Ecken und Kanten zeigen; die weiter
vorgeschobenen Felder nehmen eine rundliche bis kreisförmige
Gestalt an. Zugleich treten die Epithelzellen in immer steigender
Anzahl auf, bis die Spitze der Papille nur mehr Plattenepithel
aufweist. — Findet diese mit der Lockerung ihrer geschlossenen
Anordnung stets verbundene Gestaltsveränderung an den Spitzen
der Papillen fast immer statt, so lässt sich dieselbe Erscheinung
weit weniger häufig an den tiefen Theilen der Papillen beob-
achten und zwar mit dem Unterschiede, dass hier die Felder nur
von ein bis zwei Epithclzellen getrennt werden, um dann wieder
in geschlossener Anordnung als scharf regelmässige Polygone zu
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Ueber die Zun^endrüsen von Anguis, Pseiidopiis und Lacerta. 183
erscheinen (Fig. 26). — Was den Inhalt betriflft, stimmen runde
und polygonale Felder mit einander Uberein; hier wie dort lässt
er die erwähnten Unterschiede erkennen.
Am Rande der Papillen erscheint das Epithel derselben im
Profil; die den polygonalen Feldern entsprechenden Zellkörper
erweisen sich als Cylinder/ellen, deren freies Ende in der Form
eines flachen Hügels vorgewölbt ist (Fig. 2 c). Die Rundung der
Papillen macht es unmöglich, an Längsansichten der Zellen ihren
unteren Abschnitt zu erkennen. Soweit sie sichtbar, scheinen sie
mit Körnchen erfüllt, die in einer helleren Zwischensubstanz ein-
gebettet sind; auch hier lassen sich die bezüglich der Granuli-
rung erwähnten Abstufungen — obwohl nicht so deutlich — be-
obachten. Der Kern ist, weil im unteren Theile der Zelle ge-
legen, meist nicht zu sehen oder zum mindesten so wenig deut-
lich, dass ich auf seine Beschreibung verzichten muss. An den
Seiten, welche hier und da etwas ein- resp. ausgebaucht sind,
werden die Zellen von einem stark lichtbreehendcn Contour be-
grenzt. Auch ihr freies Ende zeigt einen scharfen, das Licht
stark brechenden Rand; bei genauerer Untersuchung ergiebt sich
jedoch, dass die Körnchen selbst die obere Grenze bilden, dass
also das dem Contour entsprechende Gebilde sich nicht über das
freie Zellende fortsetzt. Der Contour ist der Ausdruck einer
Zellmembran, und der das freie Ende der Zelle begrenzende
scharfe Contour die Projection des oberen Randes dieser Mem-
bran, wie dies auch bei den Magenepithelzellen von Bieder-
mann (3) nachgewiesen wurde. — Nicht selten sieht man aus
den freien Enden der Zellen einen homogenen, blassen, halb-
kugeligen Propf austreten, an anderen Stellen hat er fast Kugel-
form angenommen, indem er von der Zelle theilweise abgeschnürt
und mit ihrem Innern nur durch eine schmale Brücke verbun-
den ist.
Wie in der Aufsicht, so lässt sich auch hier die allmäh-
liche gegen die Spitze der Papille fortschreitende, durch Dazwi-
schenlagerung anders gestalteter Elemente, der Plattenepithelzellen,
bedingte Lockerung des Cylinderepithels im Zusammenhang mit
der Abrundung seiner Zellen beobachten. Wie sich dort die
Ecken des Polygons allmählich abrunden, weicht hier die cylin-
drische einer bauchigen bis biraförmigen Gestalt. Die Aus-
bauchung der Cylinderzellen nimmt mit der Menge der sie tren-
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18i V. Seiller:
nenden Plattencpithelzellen zu und führt schliesslich zu Formen,
wie sie typischen Becherzellen entsprechen.
Die beschriebenen Zellformen lassen keinen weiteren durch-
greifenden histologischen Unterschied erkennen. Immerhin ist
die Frage discutirbar, ob wir es hier mit zwei Zellarten zu thun
haben. Was die morphologischen Unterschiede betrifft, so lassen
sich dieselben ungezwungen durch Zuhülfenahme mechanischer
Ursachen erklären. Die polygonalen Cylinderzellen werden da-
durch, dass sich anders gestaltete Elemente zwischen sie ein-
schieben, gezwungen, ihre cylindrische Gestalt sowie ihre poly-
gonale Abplattung, welche andererseits wieder ein nothwendiges
Ergebniss ihrer allseitigen Berührung ist, aufzugeben und eine
abgerundete Form anzunehmen. Bezüglich des verschiedenen
Aussehens des Zelliuhaltes haben wir vor allem gesehen, dass
die verschiedene Granulirung, sowne die Homogenität bei den
polygonalen wie bei den runden Formen zu finden ist. DieVer-
muthung, es mit seccrnirenden Zellen zu thun zu haben, fand
sich durch spätere Beobachtungen und Versuche bestätigt. Mit
Hinsicht auf das Gesagte sowie nach dem, was man von Drüsen-
zellen weiss, ist es wohl das Nächstliegende, die von der groben
Granulirung bis zum homogenen Aussehen der Zellen führenden
Abstufungen als den Ausdruck von verschiedenen Zuständen der
Zellen zu deuten, welche Auffassung spätere Befunde auch recht-
fertigten. Das Vorgebrachte lässt wohl die Annahme einer Zell-
art als nothwendig, zum mindesten als sehr wahrscheinlich er-
scheinen. — Am hintersten Abschnitt der Zunge werden ihre
Ränder von Flimmerepithel bedeckt, in welches zahlreiche
Bechcrzellen eingestreut sind; die Gruppirung der Elemente er-
innert sehr an die entsprechenden Verhältnisse der Froschzunge.
Ich erwähnte vorhin, Becherzellen sehr ähnliche Formen
beobachtet zu haben; dass jene in grosser Zahl an unserem Ob-
jecte vorhanden sind, beweist die Behandlung mit Silberuitrat.
Das Gelingen der Imprägnation wird dadurch sehr erschwert,
dass die äusserst dichte Aneinanderlagerung der Papillen das
Eindringen der Flüssigkeit und insbesondere des Lichtes in die
interpapilläreu Buchten nicht in genügendem Maasse gestattet;
es ist daher rathsam, durch eine massige Spannung der Quere
nach ein Auscinanderweiehcn der Papillen zu bewirken. Man er-
reicht dies am besten dadurch, dass man die Zunge mit Nadeln,
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üeber die Zungendräsen von Anguis, Pseudopus und Lacerta. 185
die unterhalb des seitlichen Zungenrandes beiderseits schief ein-
gestochen werden, auf einem Wachsteller befestigt, um dann
durch ein massiges Herabdrücken der Nadeln die erwünschte
Spannung zu erzeugen. In dieser Lage des Objectes wird dann
die Imprägnation vorgenommen. Die Becherzellen treten an auf
diese Weise verfertigten Präparaten, in Glycerin untersucht, auf
die bekannte Art in die Erscheinung: als rundliche, helle Blasen
mit einem von den benachbarten Epithelzellen begrenzten Stoma.
Vor allem überrascht die Massenhaftigkeit ihres Auftretens; sehr
selten bekommt man ein Stückchen Epithel zur Ansicht, das frei
von ihnen wäre. Meist liegen zwischen je zwei Becheraellen
nur 1 — 2 Epithelzellen-, oft berühren sich 2 — 3 Stomata di-
rect, nicht selten thun dies 4 — 5, ich beobachtete sogar Gruppen
von 8 — 9 aneinander liegenden Stomata. Sehr oft berühren sich
Becherzellen, deren Stomata durch eine Epithelzelle getrennt sind,
an ihrer Peripherie, wodurch es häufig zu gegenseitiger Abplat-
tung kommt; schliesslich können sie sich in ihrer ganzen Länge
berühren, in welchem Falle sie dann eine mehr cylindrische Ge-
stalt annehmen (vgl. Fig. 3 a, b, c).
Die Form der Stomata erweist sich im Gegensatze zu den
gewöhnlichen Angaben als eine sehr mannigfaltige. Es möge
mir gestattet sein, einige von diesen Angaben anzuführen, theils
mit Hinblick auf die Autorität ihrer Verfasser, theils wegen der
Bestimmtheit, mit welcher sie gemacht wurden. F. E. Schulze
beschrieb in seinen für die Becher/ellenlehrc grundlegenden Unter-
suchungen (58) die Stomata der Becherzellen als eine rund-
liche, auffallend scharf begrenzte OeflFnung. Eimer (14)
weist ausdrücklich auf die stets regelmässig runde und scharf i
contourirte BeschaflFenheit der Stomata hin: „Besonders muss ich
noch auf die Vacuolen mit unregelmässiger gerissener Begren-
zung auftnerksam machen. Es erklären sich aus ihrer Verwechs-
lung mit Becheröffhungen theilweise die Angaben verschiedener
Autoren über unregelmässige, geschlitzte, zerrissene, sternförmige
etc. Becheröffnungen. Becheröffnungen solcher Art kommen nie-
mals vor: Die Stomata sind immer und ohne Ausnahme
scharf geschnittene Löcher. Setzt man einem Präparat,
nachdem sich darin Vacuolen gebildet haben, Osmiumsäure zu,
so erhält man deutlich die scharf gezeichneten, untadelhaft run-
den Becheröffnungen, die scheinbar gerissenen sind verschwunden."
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186 V. Seiller:
Leydig, der Becherzellen verschiedenster Provenienz untersucht
hat, sprach sich meines Wissens niemals genau über die Form
der Storaata aus. Unter den neueren Bearbeitern der Becher-
zellen hat ein durch den Tod zu früh hinweggeraffter Forscher
J. H. List (46) bei seinen umfassenden Beobachtungen nur
kreisrunde, scharf begrenzte, „wie mit einem Locheisen herge-
stellte" Stomata beschrieben, und so thun dies auch die Mehr-
zahl der Autoren. — KöUiker (34) beschreibt die Becherzellen
in der Zungenschleinihaut des Menschen und sagt über die Sto-
mata: „lieber jeder Becher/eile erscheint ein heller, rundlicher
oder länglich runder Fleck, der den Eindruck einer Oeffnung*
macht." Unter den seiner Arbeit beigegebenen Abbildungen
weist die Fig. 2 eine ziemliche Formenmannigfaltigkeit der Sto-
mata auf; die kreisrunden Formen sind gegenüber den läng-
lichen, unregelmässig runden in der Minderzahl. — Die Beob-
achtungen Merk 's (50) an den Becherzellen der Oberhaut von
Forellenembryonen stehen in directem Gegensatze zu jenen von
Eimer: während dieser überhaupt nur runde, scharf geschnittene
Stomata vorkommen lässt, hat Merk dieselben nur als „drei-
eckige oder polygonale oder meist spalt- und schlitzförmige
Lücken" beschrieben. „Dabei", filhrt Merk fort, „waren die
Contouren nicht scharf, sondern gezackt, wie ausgenagt
Ich kann nicht umhin darauf aufmerksam zu machen, dass ge-
rade das Studium der Stomata ein äusserst schweres ist, da einer-
seits dieselben meist in der Tiefe zwischen den Epithelzellen
liegen, und andererseits Täuschungen unvermeidlich sind, wenn
man nicht an einer grossen Zahl von Präparaten sichere Bilder
auswählen kann". Ich kann Merk diesbezüglich nur beistim-
men; es war mir niemals gegönnt, an den Becherzellen meiner
Objecte im frischen Zustande etwas zu sehen, was ich mit voller
Bestimmtheit für ein Stoma hätte erklären können. Nur einmal
nahm ich mittelst Reichert's Apochromat 2 mm Oc. 18 eine
unregelmässige zackige Figur wahr, welche mit der von Merk
in Fig. 3 gegebenen Abbildung grosse Aehnlichkeit besass. Doch
berechtigt mich dieser vereinzelte Befund selbstverständlich nicht
zu einer Beschreibung der Stomata intra vitam.
An Silberpräparaten ist die Kreisform allerdings die häu-
figste, aber durchaus nicht die ausschliessliche. Dass sich Sto-
mata berühren und sich dabei an den Berührungsflächen ab-
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Ueber die Zungendrtisen von Anguis, Pseudopus und Lacerta. 187
platten^ habe ich bereits erwähnt; doch anch isolirt liegende be-
sitzen eine ovoide, elliptische, linsenförmige Gestalt; andererseits
finden sich unregelmässig runde, drei- bis viereckige Formen.
Bei letzteren entspricht jede* Seite des Drei- resp. Viereckes dem
betreffenden Randtheile der das Stoma begrenzenden Epithel-
zellen. Die Grösse der Stomata kann sehr verschieden sein;
mitunter ist sie fast gleich dem grössten Querschnitt der Zelle,
ziemlich häufig treten sie als kleiner, brauner, unregelmässiger
Fleck, manchmal als eine quere Linie auf (Fig. 3 a, b). Die
Begrenzung der Stomata sieht manchmal eigenthttmlich uneben,
wie gFanulirt, aus. Die Ursache dieser Erscheinung dürfte in
dem Umstände zu suchen sein, dass Partikelchen des Inhaltes
beim Hervorquellen des letzteren hängen geblieben sind und sich
mit geßlrbt haben, wie dies bereits Eimer bemerkt hat. Frei
von diesen Inhaltstheilchen sind sie meist scharf contourirt, doch
kann man hier und da bei sehr genauer Einstellung feine Zäck-
chen am Begrenzungsrand wahrnehmen. — Ich habe die Stomata
einer eingehenden Beschreibung unterzogen, da die Formen der-
selben zu einem späteren Punkt vorliegender Untersuchungen in
Beziehung stehen. Vorläufig will ich nur betonen, dass das Vor-
kommen von schlitzförmigen und ausgezackten Stomata an Silber-
präparaten im Zusammenhang mit den Beobachtungen von Merk,
der solche Formen bei lebenden Becherzellen gesehen, der Be-
hauptung Eimer's, dass man es hier mit durch Vacuolen von
zerrissener Begrenzung bedingten Vortäuschungen zu thun habe,
seine Stütze entzieht^).
Es lässt sich wohl kaum bezweifeln, dass die durch die Ver-
silberung dargestellten Becherzellen jenen an frischen Präparaten
beobachteten rundlichen Gebilden entsprechen. Wie dort, so
läöst sich auch an Silberpräparaten ein allmählicher Uebergang
von runden zu polygonalen resp. prismatischen Formen beob-
achten^ zunächst an den Stomata. Diese nehmen an Grösse zu
und platten sich an ihrem Rande ab. Die Abplattung erfolgt
vice versa auf dieselbe Weise, wie dies früher für die Abrun-
1) Die Vacuolen, welche Eimer offenbar meint, kann man an
Becherzellen stets beobachten; sie treten auf, wenn die Zellen abzu-
sterben beginnen und können mit den Bildern, die Merk von den
Stomata giebt, wohl kaum verwechselt werden.
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188 V. Seiller:
dung beschrieben wnrde. Die die Becher trennenden Epithel-
zellen werden kleiner und undeutlicher, sehen wie zerdrückt ans
und finden sich nur mehr zwischen den obersten Theilen der
Becherzellen, deren Körper sich zum grössten Theil direct be-
rühren. Schliesslich lagert Zelle an Zelle, und sie präsentiren damit
ihre freien Enden in der Aufsicht als polygonale Felder, welche
Spuren einer Granulation hier und da erkennen lassen (Fig. 3 c, d).
An den Rändern von Epithelstücken sieht man oft die den Fel-
dern entsprechenden Zellen; dieselben haben eine cylindrische
Gestalt, an welcher hier und da noch die Andeutung der poly-
gonalen Abplattung des Zellkörpers bemerkbar ist, wefche in
Folge der quellenden und macerirenden Wirkung des Glycerins
allmählich verloren geht und sich eben nur an den freien Enden
deutlich erhalten hat.
Wir sehen hier jene cylindrischen, polygonalen Zellen, welche
bereits an frischen Objecten beobachtet wurden. Der allmähliche
üebergang jener in Becherzellen berechtigt uns, ihre freien Enden
als den sogenannten Stomata der Becherzellen entsprechende
Zellenmüudungen aufzufassen; die sich darbietenden Unterschiede
ergeben sich als nothwendige Folgen der verschiedenen Anord-
nung der Zellen. Vor allem sind die Ränder der polygonalen
Mündungen niemals und nirgends so intensiv gebräunt, als die
Stomata der Becher/ellen. Diese Erscheinung lässt sich damit
erklären, dass jene an keine Epithelzellen grenzen, deren Ränder
an der Bräunung der Stomata jedenfalls den grössten Antheil
nehmen, wovon man sieh durch Betrachtung von Complexen, zu-
sammenhängender Epithelzellen leicht überzeugen kann^). Zum
Unterschiede von den Stomata der Becherzellen, welche meist ganz
1) Ein Verwechseln dieser mit den freien Enden an Cylindcr-
zellcn ist nicht gut möglich. Während nämlich erstere durchaus mit
scharten, gebräunten Kanten und Ecken aneinandergrenzen , zeigen
die Begrenzungskanten der polygonalen Mündungen häufig sachte
Einkerbungen, in welche dann entsprechende Ausbuchtungen der an-
grenzenden Zellen hineinpassen; auch sind die Ecken zuweilen stumpf
und können sich sogar abrunden. Auch fehlt, wie bereits erwähnt,
die intensive Bräunung; wir erkennen vielmehr an der stärkeren Licht-
brechung des Randes jenen, am frischen Präparate beschriebenen,
hellen Contour wieder, der sich hier deutlich als der Ausdruck einer
Zellhaut erweist.
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lieber die Zungendrüsen von Anguis, Pseudopus und Lacerta 189
hell sind, nimmt die Mehrzahl der polygonalen Mündungen
eine lichtbraune Farbe an. Aber auch die Stomata resp. sogar
der ganze Inhalt der Becherzellen können sich nach stärkerer
Einwirkung des Silbers bräunen, wie schon Kölliker (34) und
Eimer (14) hervorgehoben. Dass diese Bräunung bei den in
Rede stehenden Cylinderzellen bei weitem häufiger der Fall ist,
resultirt aus der Grösse der frcieti Fläche, welche sie der Ein-
wirkung des Reagens darbieten.
Um die Zellen im isolirten Zustande zu studiren, verwendete
ich Drittel- Alcohol und Müll er 'sehe Flüssigkeit. Behandelt man
ein Stückchen Zungenepithel mit Drittel-Alcohol auf dem Wege
der Drainage, so kann man an den polygonalen Cylinderzellen,
die ich zuerst auf ihr Verhalten gegenüber dem Reagens prüfte,
schon nach einer Viertelstunde eine schwache Trübung des In-
halts erkennen; diese nimmt mit der Dauer der Einwirkung des
Reagens zu und damit die Deutlichkeit der Granulirung ab.
Diese Veränderung vollzieht sich jedoch in den einzelnen Zellen
nicht mit gleicher Schnelligkeit. Nach drei bis vier Stunden
hat es den Anschein, als ob sich die Ecken der Polygone all-
mählich abstumpfen wollten. Dieser Erscheinung geht eine ähn-
liche am Zellkörper voraus; während man nämlich in der Auf-
sicht bei hoher Einstellung die freien Enden der Zellen noch als
Polygone sieht, gewahrt man bei tieferer Einstellung als optischen
Querschnitt einer jeden Zelle eine Figur von noch polygonalem
ümriss, jedoch mit theilweise abgerundeten Ecken.
Lässt man ein Stückchen Zunge 24 Stunden in Drittel-
Alcohol, so ist dasselbe mit einer schleimigen, fadenziehenden
Masse umzogen. Die microscopische Untersuchung zeigt, dass
diese Masse aus einer ungeheuren Menge meist isolirter Becher-
zellen (nebst gewöhnlichen Epithelzellen und Flinunerzellen) be-
steht und offenbar auch aus deren Secret, dessen Entleerung das
Reagens bewirkt hat. Merk (50) hat uns die Wirkung der ge-
bräuchlichsten Reagentien auf lebende Becher/eilen der Forcllen-
embryonen mitgetheilt, und ich kann seine Beobachtungen be-
züglich des Drittel-Alcohol zum grössten Theil an meinem Objecte
bestätigen.
Die Formen der isolirten Becherzellen zeigen eine grosse
Mannigfaltigkeit. Abgesehen von den verschiedenen Varianten
der Becherform findet man sehr häufig cylindrische Becherzellen,
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190 V. Seiller:
deren Stomata ebenso oder fast ebenso weit sind, als der grösste
Querschnitt der Zelle. Das untere Ende der Zelle kann entweder in
einen kürzeren oder längeren, den Kern enthaltenden Fortsatz aus-
laufen oder abgerundet sein. Die Fortsätze sind zuweilen winkelig
abgeknickt und, wenn derartige Zellen neben einander liegen,
dachziegelförmig über einander geschoben. Der Kern stellt meist
eine stark glänzende, structurlose Masse dar; er ist gewöhnlich
von einer granulären Masse, die sich oft an den Wänden der
Theca hinaufzieht, umgeben und liegt meistens im tiefsten Theile
der Theea. Die meisten Becherzellen sehen leer aus, ziemlich
häufig ist innerhalb der Theca ein feines Fadenwerk sichtbar,
einige enthalten noch wenige Kömchen, sehr wenige zeigen eine
deutliche Granulirung. Die Theca erscheint als ein das Licht
stark brechender Schlauch und ist oft besonders in ihrem obe-
ren, verengten Abschnitt gefältelt. Das Stoma ist bei den Becher-
formen weniger weit als nach Einwirkung von Müller'scher
Flüssigkeit, bei den cylindrischen Zellen zumeist gross (Fig. 5a).
Nicht selten gelangt ein zusammenhängender Complex der
polygonalen Cylinderzellen in der Aufsicht zur Anschauung. An
den meisten ist ein deutliches Hinneigen zur Abrundung ^) bemerk-
bar, einige haben sogar Kreisform angenommen. In Folge dessen
ist ihr allseitiger Contact aufgehoben, so dass dort, wo ehemals
drei derselben zusammenstiessen, ein dreieckiger Spalt entstanden
ist (Fig. 5 c). Ihre freien Enden sind oflfen und führen in einen
cylindrischen Schlauch; ihr Inneres ist — wie bei den Becherzellen
die Theca — leer oder enthält wenige, sehr selten viele Körn-
chen. Die cylindrisch-polygonalen Zellen haben sich in Folge
der Einwirkung des Drittel-Alcohol in cylindrisch-runde Formen
umgewandelt; in allen anderen Punkten ist ihr Verhalten dem
Reagens gegenüber demjenigen der Becherzellen vollkommen
gleich.
Ein grösseres Interesse bieten die Veränderungen, die an
1) Die Ursache der Abrundung ist offenbar eine Quellung des
Inhaltes im Zusammenhang mit der Maceration der die Zellen verbin-
denden Kittsubstanz. — Man erhält auch Kelch- oder Trinkglas-ähn-
liche Formen, sowohl isolirt wie in situ; so fand ich sie an einem Drai-
nage-Präparat an convexen Umbiegungsstellen der Papillen, wo ihren
oberen Enden mehr Raum zur Ausbreitung geboten ist als an ihrem
unteren Abschnitte (Fig. 5 b, c).
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Ueber die Znngendrüsen von Anguis, Pseudopus und Lacerta. 191
unseren Zellen nach Einwirkung von Müller 'scher Flüssigkeit
auftreten. Sie vollziehen sich, wie Merk hervorhebt, sehr lang-
sam, und lohnt es sich kaum der Mühe, die Objecte nach kür-
zerer als 24 stündiger Maceration zu untersuchen. Die Isolation
durch Mülle rasche Flüssigkeit ist keine so vollständige und
rasche wie nach Drittel-Alcohol ; man ist daher genöthigt, das
betreflfende Epithelstückchen zu zerzupfen.
Nach genannter Zeitdauer der Einwirkung erscheinen die
Becherzellen etwas gequollen, das Stoma ist meist scharf begrenzt
und kreisrund ; Kern und um ihn die granulirte Masse sind deut-
lich sichtbar. Bezüglich der verschiedenen Zellformen gilt dasselbe,
was beim Drittel-Alcohol gesagt wurde. Die Mehrzahl der Zellen
zeigen ihren granulirten Inhalt noch sehr deutlich, doch erschei-
nen die einzelnen Kömchen etwas weniger distinct, in manchen
Zellen hat es den Anschein, als ob sie im BegriflFe wären, zu
zerfliessen. — Nach 48 Stunden waren die Zellen mehr gequollen,
die Deutlichkeit der Granulirung hat im Ganzen abgenommen,
die Kömchen hatten ein eigenthümlich verwaschenes Aussehen;
einige Zellen enthielten statt ihrer eine homogene Masse. — Nach
vier- bis sechstägiger Einwirkung zeigten viele Zellen eine netz-
artige Structur ihres Inhaltes-, oft nur durch einzelne, in einer
undeutlich granulirten Masse liegende Fäden vertreten, nimmt sie
in anderen Fällen die obere Hälfte der Zellen ein, während der
untere Abschnitt noch mit Kömchen geftlllt ist. Unter starker
Vergrösserang scheint es, dass von den zerfliessenden Körnchen
spitz zulaufende Ausläufer ausgehen, sich mit einander in Ver-
bindung setzen, und dass auf diese Weise das Netzwerk zu
Stande kommt. Nach acht- bis zehntägigem Verbleiben in Müll er-
gcher Flüssigkeit war das Netzwerk bei der Mehrzahl der Zellen
weit mehr ausgebildet, und die Körnchen hatten an Zahl be-
deutend abgenommen-, in den Knotenpunkten des Maschenwerkes
konnte man Kömchen erkennen; die Zahl der homogenen Zellen
war eine viel grössere, sie waren stark gequollen, der schwach
lichtbrechende Inhalt ragte zum Theil aus dem Stoma heraus;
letzteres war in den meisten Fällen von sehr bedeutender Weite.
— Nach vollständiger Härtung in Mü Herrscher Flüssigkeit, also
nach vierwöchentlicher (oder bei einer Temperatur von 30 bis
40** C. achttägiger) Einwirkung erscheinen die meisten Zellen
vollständig homogen, der gequollene Inhalt liegt zum grossen
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192 V. Seiller:
Theil vor dem Stoma. In manchen Zellen sind noch Spuren
eines Netzwerks wahrnehmbar, so auch hier und da in dem her-
vorgequollenen Inhalt; manche Zellen zeigen in ihren unteren
Theilen noch Körachen, andere sind von einem unregelmässigen
Maschenwerk erfüllt; endlich finden sich auch Zellen mit mehr
oder weniger deutlich granulirtem Inhalt. — Alle diese Verände-
rungen vollziehen sich in gleicher Weise an Becherzellen wie an
den Cylinderzellen; letztere haben wie unter dem Einfluss des
Drittel- Alcohols ihre polygonale Abplattung verloren (vergl. Fig. 4
a — f). Die Mannigfaltigkeit der Veränderungsbilder ist eine viel
zu grosse, als dass sämmtliche hier beschrieben werden könnten;
ich habe nur diejenigen herausgegriffen, die mir für das Ver-
ständniss des Processes von Wichtigkeit schienen.
Aus der Reihenfolge der Veränderungen ersehen wir, dass
die homogenen Zellen in dem Verhältnisse zahlreicher auftreten,
in welchem diejenigen mit körnigem Inhalt seltener werden; als
Resultat des Processes ergiebt sich also die Umwandlung der
Kömchen in eine homogene Masse. Als Ausdruck eines Mittel-
stadiums können wir ein Netzwerk annehmen, das sich allem
Anscheine nach durch das Zerfliessen der Kömchen gebildet hat.
Die Veränderungen vollzogen sich an den einzelnen Zellen nicht
gleich schnell, so dass zu jedem Zeitpunkte sämmtliche Stadien
— nur in verschiedener Zahl — vertreten waren. Da nun der
Umwandlungsprocess an Zellen eines und desselben Objectes
beobachtet wurde, da femer die Bedingungen vom Beginne bis
zum Ende des Processes die gleichen blieben, muss man wohl
annehmen, dass die Zellen sich in verschiedenen Entwicklungs-
zuständen befanden, als das Reagens auf sie einzuwirken begann.
Es mag an der Zeit sein, uns die Frage vorzulegen, als
was wir die polygonalen Cylinderzellen aufzufassen haben. Ihr
allmählicher üebergang in Becherzellen wurde sowohl an frischen
als an Silberpräparaten constatirt; Maceration in Drittel- Alcohol
bedingte bei Becher- wie Cylinderzellen die gleichen Verände-
mngen; bei Einwirkung von Mülle rascher Flüssigkeit unterliegen
beide Zellformen demselben Umwandlungsprozess. Von der diffe-
reuten Gestalt abgesehen, stimmen beide Zellformen in allen ihren
Eigenschaften überein. Bedenken wir nun, dass eine Abplattung
ein nothwendiges Ergebniss der directen Aneinanderlagerung
quellungsföhiger Gebilde ist, dass ferner die Annahme, Becher-
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Üeber die Zungendrüsen von Anguis, Pseudopus und Lacerta. 19ä
zeUen könnten neben einander entstehen, eine gewiss nicht un-
mögliche ist, so werden wir dahin geführt, die polygonalen
Cylinderzellen als den Becherzellen gleichwerthige
Gebilde zu betrachten, als Becherzellen, die in Folge des er-
wähnten ümstandes, die ihnen sonst eigenthümliche Gestalt nicht
annehmen konnten. Sie sind also genau genommen keine „Becher-
zellen", da sie nicht die Form eines „Bechers" haben; inwieweit
nun diese für die „Becherzellen" eine wesentliche Eigenschaft
ist, soll in einem späteren Capitel untersucht werden, dem ich
hier nicht vorgreifen will. Es soll uns zunächst das .Studium
unserer Objecte an Schnitten beschäftigen.
Für den Zweck der topographischen Orientirung an Schnitt-
präparateu eignen sich am besten in Müller 'scher Flüssigkeit
gehärtete Objecte, wegen der nach diesem Conservirungsmittel
stets sehr distinct auftretenden Färbung (Doppelförbung mit
Hämatoxylin und Eosin).
Von den secemirenden Zellen abgesehen wird die Ober-
flächenbedeckung der Zunge von Anguis von einem geschichteten
Platt^nepithel gebildet. Es nimmt, ohne von ersteren unter-
brochen zu werden, ungeföhr etwas weniger als das erste Drittel
der Zunge ein und gewinnt an den Spitzen, besonders an ihrer
ventralen Fläche, eine bedeutende Mächtigkeit. Der allmähliche
üebergang der Schleimsehicht in die Hornschicht ist hier sehr
hübsch ersichtlich. Letztere ist von beträchtlicher Dicke; sie
besteht aus fünf bis sechs Lagen verhornter, als ganz flache
Schüppchen erscheinender Zellen, deren Grenzen kaum mehr zu
erkennen sind. Sie ist in solcher Gestalt mithin nicht dem
Stratum corneum, wie es sich gewöhnlich präsentirt, gleichzu-
stellen, sondeni vielmehr als ein wahres Homgebilde aufzufassen.
Es erscheint makroskopisch in der Form von zwei die Unter-
seite der Zungenspitzen bedeckenden Homplatten, die sich median
und seitlich gegen die obere Fläche der Zunge allmählich ver-
lieren. Nach rückwärts setzen sie sich etwas über die Theilungs-
stelle hinaus fort und grenzen sich hier ziemlich scharf und
mit einem ovalen Contour ab (vergl. Fig. 16 b). Die Epithel-
zellen haben eine polygonale oder cubische Gestalt ; in der Region
der Zungenspitzen sind sie durchschnittlich etwas flacher und
liegen, die unterste Schichte ausgenommen, mit ihrer Längsachse
parallel zur Epithelfläche. Der ziemlich grosse Kern ist rund
Archiv für mikrosk. Auat. Bd. 38 13
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194 V. Seillei^:
oder oval und enthält ein oder auch zwei Kemkiirperehen. Auf
der oberen Fläche nimmt die Schleimhaut, soweit sie die Spitzen
bedeckt, auch eine ziemlich feste, hornartigc Beschaffenheit an
und ist vollkommen glatt. Hinter der Theilungsstelle treten an
der oberen Fläche sowie an den Seitenflächen die ersten welligen
Erhebungen auf, die bald den Character von Papillen annehmen.
Die Höhe derselben nimmt anfangs an den Seitenflächen rascher
zu als an der oberen Fläche, und in den dortigen interpapillären
Buchten treten auch, ungefähr im Anfange des zweiten Drittels der
Zunge, .die ersten Becherzellen auf; sehr bald folgen sie aucb
zwischen den oberen Papillen und zwar zuerst in kleineren Gruppen
zu zwei bis drei Zellen; ihre Anzahl nimmt rasch zu, bis sie, un-
gefähr in der Mitte der Zunge, den grössten Theil des Platten
epithels verdrängt haben, welches sich nun nur mehr auf den
äussersten Spitzen der Papillen und theilweise an der Unterfläche
des Zungenkörpers frei von Drüsen erhalten hat (Fig. 6). Nicht
selten hat sich das Becherepithel in dem Kör])er der Papillen
— besonders im unteren Theile der interpapillären Buchten —
in Form von mulden- bis grubenformlgen Vertiefungen eingesenkt,
so dass Schnittbilder zuweilen den (ilauben erwecken können,
man hätte es hier mit quergetroffenen Drtisenschläuchen zu thnn.
— Das Ei)ithel des dreieckigen, papillenlosen Feldes ist in allen
seinen Schichten dicht mit Becherzellen duixjhsetzt. Zu beiden
Seiten desselben werden die Papillen etwas niedriger, gehen auch
in die Breite und decken sich besonders an den Seitenrändem
der Zunge dachziegelfßrmig. Hier wie an den in dieser Region
stets kleinen Papillen der Seitenfläche der Zunge bilden die
Becherzellen nicht durchweg den ausschliesslichen Belag; es
wechseln häufig Partien, in welchen sie direct an einander lagern,
mit anderen, in welchen sie in ihrer ganzen Länge durch Platteu-
epithelzellen getrennt sind; doch stehen sie auch dann meist sehr
dicht, so dass die zwischen ihnen liegenden zusammengedrückten
Epithelzellen oft nur schwer als solche zu erkennen sind (Fig. 7).
Das Flimmerepithel nimmt die hinteren und äusseren Ränder
beider Lappen, in welche die Zunge endigt, sowie die diesen
Rändern nächstgelegene Zone der Zungenobei-fläche ein. Unter-
halb der die oberete Schichte bildenden Flimmerzellen liegen
mehrere Schichten von meist spindelförmigen, grosskemigen Zellen,
welche mit ihrer Längsachse senkrecht zur Epitheloberfläche
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lieber die Zungeudrüsen von Anguis, Pseudopus und Lacerta. 195
gerichtet sind. Zwischen die Flimmerzellen sind Becherzellen in
grosser Menge eingestreut. In der Schleimhaut des Mundbodens
sind, soweit dieselbe die Glandula subungualis bedeckt, die Becher-
zellen zu drüsigen Complexen angeordnet, die sehr an die Haut-
drüsen der Batrachier erinnern (Fig. 6 bei d).
Innerhalb des mittleren Drittels der Zunge sind die inter-
papillären Räume fast vollständig von secernirenden Zellen ^) aus-
gekleidet (Fig. 6); sie bedecken die Papillen bis ungefähr vier
Fünftel ihrer Höhe fast ausschliesslich, indem nur hier und da
eine oder zwei kleine Epithelzellen zwischen ihre unteren Enden
treten. Längs getroffen erscheinen sie in cylindrischer Gestalt,
quer getroffen in der eines Polygons, entweder mit durchaus
scharfen Ecken und ebenen Kanten oder an der einen oder der
anderen Seite etwas abgerundet. Wie an frischen Präparaten,
so lässt sich auch an Schnitten in der Nähe der Papillenspitze
die allmähliche Auflösung ihrer geschlossenen Anordnung und
der damit verbundene Uebergang ihrer cylindrischen in die becher-
förmige Gestalt verfolgen; sie erscheinen dann im Epithel als
echte Becherzellen (Fig. 8). Auf den Kuppen der Papillen kom-
men sie, wie erwähnt, in der Regel nicht vor; doch kann zu-
weilen auch hier das Epithel reichlich von ihnen durchsetzt sein.
Sie sitzen meist der Cutis direct auf und sind nur selten und
nur auf sehr kurze Strecken durch eine bis zwei Lagen Epithel-
zellen von jenen getrennt. Häufiger ist letzteres in der rück-
wärtigen Partie der Zunge der Fall, wo das geschichtete Pflaster-
epithel von ihnen durchsetzt wird. Ein allmähliches Abrücken
der Becherzellen von der Cutis geht häufig mit ihrer sich gegen
die Papillenspitze vollziehenden Auflösung Hand in Hand (Fig. 8).
Sämmtliche secernirenden Zellen der Zunge werden durch
Delafield'sches Hämatoxylin intensiv blau gefärbt; vor ihren
Mündungen liegt oft -eine ebenso gefUrbte Masse, die zuweilen
mit dem Zellinneren noch in Verbindung steht. Es ist wohl
kein Zweifel möglich, dass jene Masse der ausgetretene Zellinhalt
ist; es lässt sich somit, selbstverständlich unter Anwendung der
gebotenen Vorsicht, aus der Intensität der Färbung auf den
1) Ich will, soweit es die Darstellung erlaubt, den Ausdruck
Becherzellen für die polygonal-cylindrischen secernirenden Zellen vor-
läufig noch vermeiden und denselben unter Anführungszeichen setzen,
wenn es sich um die gewöhnlichen Formen der BecherzeUen handelt.
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196 V. fteiHer:
Füllungszustand der Zelle schliessen. — An den Papillen der
Unter- resp. lateralen Fläche der Zunge ist die Lagerung der
seceiTiirenden Zellen eine ganz ähnliehe; doch ist hier die Zahl
der isolirten im geschichteten Plattenepithel liegenden „Becher-
zellen" eine viel grössere, als an den Papillenspitzen der oberen
Zungenfläche.
Hinsichtlich der Gestalt der Zellen sind so ziemlich alle
Abstufungen zwischen dem Cylinder und der Kugelform vertreten.
Die meisten Zellen endigen in einen, in der Regel kurzen, Fort-
satz mittelst welchem sie der Cutis direct aufsitzen. Dass bei
geschlossener Anordnung dieselben ihre Fortsätze winkelig abge-
knickt und dachziegeltormig über einander geschoben werden
können, wurde bereits erwähnt (Fig. 8 bei b). Im geschichteten
Plattenepithel besitzen manche der in den oberen Lagen befind-
lichen Zellen einen langen, dolchartigen, oft fadendünnen Fort-
satz, durch welchen sie sich mit der Cutis in Verbindung setzen
(vgl. Fig. 9 b). Einer ziemlichen Anzahl kommt eine sich mehr
oder weniger verjüngende abgerundete Basis zu, mit oder ohne
sachte mittlere Auskerbung zur Aufnahme des Kernes (Fig. 8
bei a); oder sie können mit einer flachen Basis endigen, so dass
die Seitenwände der Thoca mit jenen fast einen rechten Winkel
bilden (vgl. Fig. 18 bei a); in diesem Falle sitzen sie der Cutis
stets direct auf. Der Kern lässt meist keine Structur mehr er-
kennen und characterisirt sich durch seine intensive blaurothe
Färbung. Der Kern nimmt, wenn kein unverändertes Protoplasma
in der secernirenden Zelle wahrnehmbar ist, den tiefsten Theil
in der Theca ein und passt sich dann in seiner Gestalt der Form
des unteren Zellendes an. Ist dasselbe abgerundet, so ist er
halbmondförmig, mit seiner coneaven Seite nach oben gekehrt,
mit seiner convexen an die untere Thecawand angepresst (Fig. 8
bei a, Fig. 11 g, i, 1); besitzt die Zelle einen Fortsatz, so liegt er
entweder ganz oder zum grössten Theil in demselben; er ist dann
dolchartig oder linsenförmig und erscheint mit dem Fortsatze
als eine Masse (Fig. 8 bei b); bei flacher Zellbasis ist er stab-
fr)miig und hat seine Längsachse quer zu jener gerichtet (vgl.
Fig. 18 bei a). Besitzt die Zelle einen räumlich deutlich abge-
grenzten [)rotoplasmatischen Abschnitt, so liegt der Kern, mehr
weniger von der Basis abgerückt, innerhalb desselben, er ist
dann rund, bedeutend grösser, lässt eine deutliche Kernmembran
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Ueber die Zungendrüsen von Ang'uis, Pseudopus und Lacerta. 197
und 1 — 2 Kemkörpercheu erkennen und förbt sich so wie die
Kerne der Epithelzellen (Fig. 9a; vgl. ferner Fig. 15, 16a). —
Paneth (51), der ähnliche morphologische Unterschiede anftlhrt,
misst ihnen nur wenig Bedeutung bei; ich auch; jedenfalls inso-
fern, als ich ihnen keinen systematischen Werth zuerkennen kann.
Xach Härtung in Müller' scher Flüssigkeit erscheint, wie
es ja vorauszusehen ist, auch an Schnitten der Inhalt der mei-
sten secemirenden Zellen homogen (Fig. 8, 9 a), nur sehr wenige
lassen ein Netzwerk oder eine ausgesprochene Granulirung er-
kennen. Nicht selten jedoch haben sich die Kömchen im un-
teren Theile der Zelle erhalten und gehen allmählich in die, den
viel grösseren oberen Abschnitt einnehmende, homogene Masse
über (vgl. Fig. 16 a). Der schleimige Inhalt wird, wie bemerkt,
durch die blaue Farbe gekennzeichnet. Die Anwesenheit von
unverändertem Protoplasma wird durch die Eosinfilrbung er-
wiesen ; in den weitaus meisten Fällen kann man nur einen röth-
lichen Schimmer in der Umgebung des Kernes wahrnehmen;
dieser Schimmer zieht sich oft an der inneren Thecawand empor
und nimmt an Schnitten so die Gestalt eines Halbmondes an.
Sein Ausdehnungsgebiet variirt innerhalb gewisser Grenzen, die
Intensität seiner Färbung nimmt gegen »den schleimhaltigen Theil
der Zelle hin ab, so dass die beiden Farben in einander über-
gehen. Schon bei dem Vorhandensein einer so minimalen Quan-
tität von Protoplasma scheint der Kern nicht so dicht an die
Basis der Zelle angepresst zu sein und lässt Spuren einer Ab-
rundung erkennen. Selten nimmt das Protoplasma einen räum-
lich grösseren Abschnitt der Zelle ein und grenzt sich dann ziem-
lich deutlich von dem schleimhaltigen Theile ab. Das Proto-
plasma reicht auch dann an der oberen Wand etwas höher hin-
auf rfnd zeigt in Folge dessen eine nach oben concave Begren-
zung (Fig. 9 a). Wir treflfen somit hier ähnliche Verhältnisse,
wie sie schon Von F. E. Schulze, dem Begründer der mo-
dernen Becherzellenlehre, beschrieben wurden. — Mit der Zu-
nahme des Protoplasmas gehen die Veränderungen am Kerne
Hand in Hand, bis er endlich die oben beschriebenen Eigen-
schaften angenommen hat. Wir werden darauf noch zurück-
kommen.
Ich möchte noch auf eine nach Härtung in Müllcr'scher
Flüssigkeit an geförbten Schnitten oft auftretende Eigcnthttm-
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198 V. Seiller:
lichkeit aufmerksam machen. Die in der Tiefe der interpapillä-
ren Räume lieg;enden Becherzellen filrhen sich in der Re^el viel
stärker, als die an den oberen Theilen der Papillen, vcm denen
die der Spitze nächstliegenden manchmal kaum einen bläu-
lichen Schimmer zei^i^en. Dabei sind die unteren Theile der
Buchten mit einer homog:enen blau gefärbten Masse angefüllt.
Diese Erscheinung ist offenbar auf eine in den unteren Ab-
schnitten der interpapillären Räume eingetretene Stauung der aus-
gestossenen Inhaltsmasse der secernirenden Zellen zurückzuführen.
Die entleerten und sich ansammelnden Secretmassen dürften das
weitere Hervorcpiellen des in den Zellen etwa noch befindlicheu
schleimigen Inhaltes erschweren, eventuell auch die Einwirkung
des Reagens auf die Zellen abschwächen. Dafür, dass eine
Stauung des Secretes die Ursache einer intensiveren Färbung
der betreffenden Zellen ist, spricht auch der Umstand, dass dort,
wo durch ein weiteres Auseinanderstehen der benachbarten Pa-
pillen ein leichteres Abfliessen ermöglicht wird, die Zellen blasser
gefärbt sind. Oft zieht der ausgestossene Inhalt in der Form
eines breiten, blauen Bandes über die Mündungen der Zellen
hin. — So unwichtig auch an und für sich dieser Tinctions-
unterschied sein mag — • da er ja in letzter Instanz doch nur
auf eine verändernde Wirkung des Reagens zurückzuftlhren ist
— habe ich dennoch eine Erklärung desselben zu^ geben ver-
sucht in Hinblick darauf, dass das Verhältniss zwischen Oert-
lichkeit und Färbung der secernirenden Zellen nach Härtung in
Picrinsäure ein direct entgegengesetztes ist und dieser Gegensatz
möglicher Weise zu Missverständnissen führen könnte.
Die vorstehenden Beobachtungen beziehen sich lediglich
aif die Verhältnisse bei Thieren, welche längere Zeit weder
feste noch flüssige Nahrung zu sich genommen. Dass die secer-
nirenden Zellen der Zunge hauptsächlich während der Nahrungs-
aufnahme in Thätigkeit treten werden, ist wohl a priori anzu-
zunehmen. Ich untersuchte daher die Zunge einer Blindschleiche,
die kurz vor ihrem Tode gefüttert worden war, in der Hoffnung,
bei dieser Gelegenheit etw^as über die Veränderungen zu erfahren,
die eine gesteigerte Secretion zur Folge haben dürfte. Doch bat
es mit der Fütterungsmethode seine Schwierigkeiten. Vor allem
nehmen die Thiere in der Gefangenschaft nicht selten Wochen
lang keine Nahrung zu sich, oder es kann die genossene
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Ueber die Zun^endrüsen von Angnis, Pseudopus und Lacerta. 199
Nahrnng wieder so gerin^!^ sein, das» der durch sie gesetzte
Reiz keine wesentlichen Veränderungen in den Zellen ver-
ursacht. Schliesslich scheint selbst bei reichlicherer Nahrungs-
aufnahme die Reizintensität nicht auszureichen, um die Zellen in
dem Grade zu erschöpfen, dass die durch ihre Thätigkeit her-
beigeführten Veränderungen für das Studium des Secretionspro-
cesses hinreichend wären; zum mindesten treten sie nicht genügend
zu Tage. Immerhin will ich dieselben der Vollständigkeit halber
hier anführen.
Die Drüsenzellen der Zunge eines gefütterten Thieres Hessen
frisch untersucht keine besonderen Eigenthümlichkeiten erkennen.
Im Grossen und Ganzen war die Granulirung etwas weniger deut-
lich. Femer erschien eine grössere Anzahl Zellen, als im Ruhe-
stande, homogen; auch konnte man häufiger vor ihren Mün-
dungen einen homogenen Schleimpfropf erblicken. — Obwohl,
wie wir gesehen haben, die Müller'sche Flüssigkeit die Becher-
zellen sehr stark verändert, verwendete ich dieselbe auch hier
zur Härtung, um einen Vergleich mit den gleichfalls in Müller-
scher Flüssigkeit gehärteten, ungereizten Zellen zu ermöglichen.
An gefUrbten Schnitten . durch die Zunge eines gefütterten Thieres
characterisiren sich die secernirenden Zellen durch ihre meist
sehr blasse Färbung, die auch hier — wenn auch weniger oft
— in den tieferen Partien der interpapilläreu Räume an Inten-
sität zunimmt. Letztere sind vollständig mit einer blass blauen,
homogenen Masse ausgefüllt (Fig. 10). Die secernirenden Zellen
an den seitlichen Papillen resp. Schlcimhautfalten waren durch-
schnittlich stärker gefärbt; man muss wohl annehmen, dass sie
weniger intensiv secemirt haben, was sich wohl durch ihre seit-
liche Lage erklären lässt, in welcher sie dem chemischen wie
mechanischen Einfluss der Nahrung weniger ausgesetzt sein dürf-
ten, als die Zellen auf der oberen Fläche der Zunge. Bei den
„Becherzellen", mit denen, wie erwähnt, die seitlichen Schleim-
hautfalten reichlich durchsetzt sind, mag noch der Umstand hin-
zukommen, dass sie in Folge ihres kleineren Stomas in der Zeit-
einheit durchschnittlich nicht so viel sccerniren können, als die
cylindrischen Formen der secernirenden Zellen. Besonders
unter jenen findet man viele mit halbkugeligen Sccretpfröpfen ;
oft haben sie sich abgeschnürt und liegen als kugelige Gebilde
frei vor den Zellen. In der Nähe der Papillenspitzen scheinen
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200 V. Seiller:
die Zellen nach ihrer auflFallend blassen Färbung resp. Farblosig-
keit zu urtheilen, ihren schleimigen Inhalt zum grössten Theil
oder ganz entleert zu haben, was ja bei ihrer wenig geschützten
Lage leicht erklärlich ist. Bei vielen von ihnen hat der proto-
plasmatischc Abschnitt an Grösse zugenommen, bei manchen so-
gar um beträchtliches. Selbst solche finden sich vor, die ganz
zu protoplasmatischen Zellen geworden waren. Der Kern besitzt
dann stets die erwähnten, für solche Fälle characteristischen
Eigenschaften.
Aus dem Vergleich der Befunde an Zungen von hungern-
den und gefütterten Thieren geht hervor, dass die secernirenden
Zellen der Zunge während der Nahrungsaufnahme ihren schlei-
migen Inhalt zum grossen Theil oder ganz entleeren; ferner lässt
es sich als sehr wahrscheinlich annehmen, dass sie einer proto-
plasmatischen Regeneration fähig sind, und dass dieselbe nach
gesteigerter Secretion häufiger eintritt.
Merk (50), der die Wirkung der Reagentien auf die Becher-
zellen der Forellen-Embryonen studirte, kam zu der Schlussfolge-
rung, dass kein Härtungsmittel bekannt sei, welches die Becher-
zellen in ihren natürlichen und unveränderten Formverhältnissen
conserviren würde. Josef Pancth, der Wissenschaft zu früh
durch den Tod entrissen, giebt an (51), dass der Inhalt der
Becherzellen des Darmes nur durch Picrinsäure erhalten wird.
Was die Becherzellen meines Objectes anlangt, kann ich die An-
gabe Paneth's bestätigen, allerdings mit einigen Restrictionen,
die sich aus den mitzutheilenden Beobachtungen ergeben werden.
Ein Schnitt durch eine in Picrinsäure gehärtete Zunge zeigt
uns sehr deutlich die granuläre Beschaflfenheit des Becherzellen-
inhaltes: er besteht wie im frischen Zustande aus scharf contou-
rirten Kömchen und einer homogenen Zwischensubstanz (Fig. IIa).
Nach Doppelförbung mit Hämatoxylin und Eosin förben sich die
Körnchen intensiv, die Zwischensubstanz blass-blau; der Kern
nimmt eine blau-rothe oder hell-rothe Farbe an. Von solchen
Zellen werden stets die Papillen der oberen Zungenfläche be-
kleidet. Nicht so die Papillen der Zungenunterfläche. Hier
(Fig. 6 bei a) fallen „Becherzellen" auf, deren Thecainhalt aus
einem, wie die Kr)rnchcn, tief gefärbten Netzwerk besteht und
aus einer die Maschen der letzteren ausfüllenden homogenen,
blasser gefärbten Zwischensubstanz (Fig. 12). Der Unterschied
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Ueber die Zungendrtisen von Anguis, Pseudopus und Lacerta. 201
zwischen derartigen und den cylindriseben, deutlieh granulirten
Zellen der Zungenoberfläche ist sowohl bezüglich der Gestalt als
auch des Inhaltes ein so augenfillliger, dass der Gedanke, zwei
specifisehe Zellarten annehmen zu müssen, sehr nahe liegt. Die
genauere Untersuchung führt zu einem anderen Resultat.
Vor allem kann man sich leicht von dem Vorhandensein
von „Becherzellen" überzeugen, deren Inhalt sowie derjenige der
meisten cylindrischen Zellformen aus Kömchen besteht (Fig. IIa,
13). Femer trifft man in den interpapillären Räumen der Zungen-
unterfläche häufig genug Complexe der cylindrischen Zellformen,
die ein ähnliches Netzwerk wie die meisten „Becherzellen" dieser
Region besitzen (Fig. 12 bei a); die dem Zungenkörper nächst-
liegende — von ihm nach einer Seite hin begrenzte — Bucht
(Fig. 6 bei e) ist fast nur mit solchen Zellen ausgekleidet. Auch auf
den der Zungenoberfläche näher gelegenen Papillen kann man
sie beobachtcB; hier kommen sie neben cylindrische Zellen mit
granulärem Inhalt zu liegen, so dass Zellen mit körnigem Inhalt
und solche mit Netzwerk oft in bunter Reihe neben einander
lagern (Fig. 13 a, b); es kommen also beide Inhaltsarten den
„Becherzellen" wie den secemirenden Cylinderzellen zu.
Schon nach Durchsicht einer geringen Anzahl von Schnitten
überzeugt man sich von der Unmöglichkeit, jene beiden Inhalts-
structuren scharf von einander abzugrenzen. Man sieht Zellen,
deren Kömchen keinen scharfen Contour erkennen lassen (Fig.
IIb, c). Die Kömchen können sich etwas in die Länge strecken
oder sonst eine unregelmässige, oft eigenthümlich geschweifte
Gestalt annehmen, so dass man das Bild ebenso als den Aus-
druck einer undeutlichen Granulation wie als den optischen
Durchschnitt der Fäden eines Netzes deuten könnte; ferner prä-
sentiren sich Zellen mit einem undeutlichen Netzwerk, dessen
Knotenpunkte sich mehr oder weniger deutlich als in ihrer Ge-
stalt veränderte Körnchen erweisen. — Vergleichen wir nun die
ausgebildeten (e, g, h, i, k) Netze der einzelnen Zellen mit ein-
ander, so fallt uns zunächst die Inconstanz in der Zahl, Grösse
und Anordnung der Netzbalken auf. Die Balken können eine
grosse Zahl kleiner Maschen bilden, sie sind dabei kurz und
dünn und schwellen nur in der Nähe der Knochenpunkte etwas
an oder die Maschen sind geringer an Zahl, mehr in die Länge
gestreckt, die Balken dabei länger und dicker. In ein und der-
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202 V. Seiller:
selben Zelle kann ein Abschnitt der Theca von einem dichteren,
ein anderer von einem weitmaschigen Netzwerk eingenommen
werden (i). Manchmal sieht man in einer fast homogenen tief
gefärbten Grundmasse nur mehr Spuren eines Balkenwerkes (k).
Die Farbe der die Maschenräume erfüllenden Substanz kann vor- .
schiedene Grade der Intensität annehmen.
An Längsschnitten von „Becherzellen", welche ein Netz-
werk besitzen, sieht man sehr häufig eine tief blau geförbte
Masse pfropfartig aus der Mündung der Zelle herausragen (i, k, 1).
Stets convergiren dann die im oberen Abschnitte der Theca lie-
genden Netzbalken gegen das Stoma hin, so dass es den An-
schein hat, als confluirten sie zu dem vor dem Stoma liegenden
Pfropf; oder es ist der dem Stoma zunächst liegende Theil der
Theca mit einer blauen Masse erfüllt, in welcher man Spuren
eines Balkenwerkes unterscheiden kann. — Vor der Mündung
der cylindrischen Zellen, welche ein Netzwerk zei^n, liegt sehr
häufig eine netzartig verflochtene Masse, deren Fäden man häufig
in das Innere der Zellen verfolgen kann (Fig. 12). Kleiden die
Zellen eine Bucht aus, so kann dieselbe vollständig mit jener
netzartigen Masse erfüllt sein.
Das Netzwerk als Reste unveränderten Protoplasmas auf-
zufassen geht nicht an. Dagegen spricht vor allem die blaue
Farbe sowie das Confluiren der Stränge zu einem Secretpfropf;
ferner die so verschiedene Anordnung der Stränge und Maschen,
besonders die verschiedene Stärke jener; denn es ist a priori
ja sehr unwahrscheinlich, dass bei ein und derselben Zellart ein
protoplasmatisches Netzwerk ^) derart variiren sollte. Es müssten
femer Zellen, welche ihren Inhalt entleert haben, das Vor-
handensein von Protoplasmasträngen erkennen lassen. Solche
Zellen enthalten in der Regel nur wenige, äusserst dünne blaue
Fäden (Fig. 111), welche zum Stoma hinziehen und sich hier in
einen homogenen Pfropf, wenn ein solcher vorhanden, verlieren.
Man kann auch nicht annehmen, dass bei der Entleerung des
Secretes oder in Folge einer Quellung (die ich übrigens nach Pi-
1) Eine durch die Einwirkung des Reafj:ens bedingte Quellung'
des Zellinhaites könnte wohl ein Zerreissen, aber keine andere Anord-
nung des Netzwerkes herbeiführen. Es kann also auch von keinem
mit Seeretniasse umhüllten protoplasmatischem Balkenwerk die Rede sein.
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Ueber die Zungendrüsen von Angnis, Pseudopus und Lacerta. 203
crinsänre niemals bemerken konnte) stets sämmtliehe Proto-
plasmafUden mit Stumpf und Stiel abgerissen und ausgcstosscn
werden, ohne dass die geringste Andeutung von ihnen zurück-
bliebe. Auch der Einwand, dass man in solchen entleerten Zellen
ein Protoplasmawerk, weil möglicher Weise nicht gefärbt, nicht
sehen könne, wäre nicht stichhaltig; ich würde nicht einsehen,
warum sich innerhalb der Theca das Proto])lasma nicht ebenso
färben sollte wie in der Umgebung des Kenies oder wie das-
jenige der Epithelzellen. — Es lässt sich vielmehr bemerken,
dass die deutlich granuläre Beschaffenheit und das ausgebildete
Netzwerk durch eine Reihe -Uebergangsstufcn verbunden sind.
Durch meine Beobachtungen, positiver wie negativer Natur, werde
ich veranlasst anzunehmen, dass das Netzwerk durch das Zer-
fliessen der Kömchen entstanden ist und dass innerhalb der Theca
kein unverändertes Protoplasma existirt.
KöiTichen, Netzwerk, sowie sämmtliehe Uebergangsstufcn
kommen den „Becherzellen" wie den secemirenden Cylinderzellen
zu; es besteht also auch an Schnitten bezüglich ihres Inhalts
kein Unterschied zwischen den beiden Zellfonnen. •
Auf die Bedeutung des Netzwerkes kommen wir später zu
sprechen.
Es sollen nun die Beobachtungen über die Zungendrtisen
von Pseudopus Pallasii mitgetheilt werden. Die secemiren-
den Elemente sind hier dieselben wie bei Anguis, doch treten
manche Verhältnisse bei Pseudopus viel schärfer hervor, so dass
ich von ihrer Beschreibung bei Anguis gänzlich absah.
2. Die ZiingendrÜsen von Pseudopus Pallasii.
Die Zunge von Pseudopus P. stimmt in der äusseren Form,
in der Gestalt und Anordnung der Papillen, sowie in der Ver-
theilung der secemirenden Elemente mit derjenigen von Anguis f.
im Grossen und Ganzen überein. Die langen schlanken Papillen
stehen innerhalb des mittleren Drittels der Zunge durchschnitt-
lich ebenso dicht wie bei Anguis und zeigen — wie dort — an
ihrem unteren Theile viele Einbuchtungen, die stets mit secer-
nirenden Zellen ausgefüllt sind (Fig. 14). Zu beiden Seiten des
dreieckigen, papillenlosen Feldes sind sie ziemlich niedrig, un-
regelmässig von Gestalt und mit zahlreichen kleinen, mit Drüsen-
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204 V. Seiller:
Zellen ausgekleideten Buchten versehen. Auch die hinteren
Seitenflächen der Zunge sind mit niedrigen Papillen ausgestattet.
An den Seitenflächen des Mittelstücks haben sie dieselbe Lage
und Gestalt wie auf der oberen Fläche der Zunge.
Die mikroskopische Untersuchung der secemirenden Zellen
im frischen Zustande ergab keine bemerkenswerthen Verschieden-
heiten von jenen bei Anguis; ich kann daher auf die dort ge-
gebene Beschreibung verweisen. Im Ganzen sind die Zellen bei
Pseudopus grösser und die Granulirung des Zellinhaltes eine
noch distinctcre. Ihre Vertheilung ist, wie gesagt, derjenigen bei
Anguis vollkommen analog, doch ist bei Pseudopus das Platten-
epithel auf noch geringere Mengen reducirt, indem die secemi-
renden Zellen (in der mittleren Partie der Zunge) die interpapil-
lären Räume bis zur Spitze der Papillen ausfüllen und an dieser
das Epithel viel häufiger als bei Anguis durchsetzen. Die Ge-
stalt der Becherzellen, die Foi-m ihrer Enden und Kerne zeigen
dieselben Verschiedenheiten — die allmähliche Auflösung ihrer
geschlossenen Anordnung und die damit verbundene Gestaltsver-
ändcrung lässt sich an frischen Objecten wie an Schnitten ebenso
beobachten wie • bei Anguis. Nach Härtung in Müller' scher
Flüssigkeit haben sich die Kömchen in einer relativ grösseren
Anzahl von Zellen erhalten, mindestens soweit, dass man die Zu-
sammensetzung ihres Inhaltes aus Kömchen und Zwischensubstanz
erkennen kann. Im Ganzen scheint die Umwandlung desselben
nicht soweit fortgeschritten und eine geringere Menge der Secret-
masse aus den Zellen ausgetreten zu sein; an Schnitten sind die
interi)apillären Räume nicht in dem Maasse mit hervorgequolle-
nem Secrete gefüllt wie bei Anguis. Es dürfte wohl selten
eine Retention eingetreten sein. Jedenfalls differiren die secer-
nirenden Zellen in den oberen und unteren Abschnitten der
interpapillären Räume nicht bedeutend in der Intensität ihrer
Färbung. Der bei fast allen deutlich wahmehmbare proto-
plasmatische Abschnitt nimmt in den meisten Fällen einen
räumlich messbaren, oft ziemlich grossen Theil der Zelle ein
(Fig. 15). Gegen den oberen, schleimhaltigcn Theil der Zelle
grenzt er sich nicht scharf ab; wo noch Körnchen sichtbar sind,
verlieren sich diese im Protoplasma, oft lässt sich ihre all-
mähliche Abnahme an Zahl und Deutlichkeit der Conturen sehr
schön verfolgen. Die Gestalt und Stellung des Kei-nes, das Her-
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Ueber die Zung'endrüsen von »Anguis, Pseudopus und Lacerta. 205
vortreten seiner Elemente entspricht der Grösse des protoplasma-
tischen Abschnittes, wie dies bereits erwähnt wurde. Ziemlich
regelmässig finden sich vollkommen protoplasmatische Zellen an
den Spitzen der Papillen. Zuweilen lässt sich hier der Ueber-
gang zum protoplasmatischen Zustand an einer Reihe von Zellen
verfolgen (Fig. 16 a).
Unter den Härtungsmitteln ist auch hier die concentrirte
wässerige Picrinsäure, wie es scheint, das einzige, welches be-
hufs Studium der histologischen Structur in Anwendung gebracht
werden kann. Die Becherzellen gruppiren sich bezüglich der
wahrnehmbaren Verechiedenheiten ihres Inhaltes wie bei Anguis:
an der Unterfläche der Zunge sowie in den benachbarten, seit-
lichen interpapillären Räumen herrscht eine netzartige Masse, an
den Papillen der oberen Fläche die Granulirung vor. Die ein-
zelnen Phasen der Netzbildung aus den Kömchen sind hier nicht
so schön ersichtlich, wie bei Anguis. Desto mehr interessiren
uns die Zellen mit granulärem Inhalt.
An Querschnitten durch das mittlere Drittel der Zunge kann
man schon bei oberflächlicher Beobachtung <ler Papillen des Zun-
genrttckens ein ziemlich constantes Verhältniss zwischen der Oert-
lichkeit und der Structur des Inhaltes der seceniirenden Zellen
erkennen. Von der Spitze bis ungefähr zur Mitte der Papillen
sind jene mit scharf contourirten Kcirnchen erfüllt; je tiefer sie
von hier aus zu liegen kommen, desto mehr weicht die Granu-
lirung einem unregelmässigen feinen Fadenwerk (Fig. 17, l^<).
Worauf diese Erscheinung zurückzuführen ist, soll später erörtert
und zunächst die Zellen selbst näher betrachtet werden, und zwar
zuerst an Längsschnitten von ihnen.
Bei einer grossen Mehrzahl von Zellen mit granulärem In-
halt sind die Körnchen ziendich fein und gleichmässig vertheilt
(Fig. 19a), bei vielen anderen liegen in ihrem äussersten, den
interpapillären Räumen zugekehrten Endstück unter feineren
einige gröbere imd zugleich stärker gefärbte Körnchen (b, c) ; in
anderen Fällen fehlen hier die feineren, so dass die Zelle an ihrem
freien Ende von ein oder zwei Reihen gröberer, stärker gefärbten
Granula begrenzt wird (d, e); häufig sieht man an dieser Stelle
statt der Körnchen einen ziemlich breiten, tief blauen, saum-
artigen Streif (e); er erscheint meist homogen, lässt jedoch manch-
mal eine granuläre Zusammensetzung erkennen. Meist liegen
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ÖÖG V. Seiller:
(laim unter diesem dunkeln Streif gröbere, tief gefärbte Köm-
chen, die albnählich an Zahl abnehmend, sieh mehr oder weniger
weit gegen das untere Zellende hin verfolgen lassen und meist
eine mediale Lage lieibehalten; die peripherische, d.h. die der
inneren Tiiecawand zugekehrte. Partie der Zelle ist noch mit
feinen Körnchen erftlllt. Bei anderen Zellen erhebt sich über
ihr freies Ende ein halbkugeliger, tief gefärbter Pfropf (f ), er ist
meist homogen, hat jedoch hier und da ein granulirtes Aussehen,
er kann sich in die Länge strecken und so eine stabförmige Ge-
stalt annehmen (g). Derartige Pfropfe von benachbarten Zeilen
fliessen miteinander zusammen oder senden Fäden aus, die sich
netzartig mit einander verflechten (g).
Ungefähr von der Mitte der interpapillären Buchten an be-
ginnen in den Zellen die Contouren der Körnchen weniger deut-
lich zu werden. Statt der Pfr(i})fe ragen aus den Mündungen
dünnere oder dickere Fäden heraus, die mit einander netzartig
verflochten sind. Auch im Innern der Zellen zeigen sich ein-
zelne Fäden zwischen undeutlich contourirten Könichen (Fig. 18
bei b). Je näher die Zellen dem Grunde der Bucht zu liegen
konnnen, desto mehr ninnnt die Ausbildung des Fadenwerkes zu
und die Deutlichkeit und Zahl der Körnchen ab; viele der tiefst
gelegenen Zellen enthalten nur wenige oder gar keine Kömchen,
die meisten ein Netzwerk (Fig. 18 bei c, 19i,.k), bei dessen
Anblick man besonders nach der Beobachtung der Uebergangs-
stadien sich des Eindruckes nicht erwehren kann, dass es seine
Entstehung einer eigenthümlichen Veränderung, wahrscheinlich
einem Zerfliessen der Kömchen verdankt (Fig. 18 a, ?>). Neben
solchen Zellen trifft man andere nn't deutlich granulärem Inhalt in
sehr geringer Zahl an. Fadenwerk, Körnchen, sowie die Pfropfe
färben sich deutlich mit Hämatoxylin; die Fäden ausserhalb der
Zellen färben sich meist schwächer.
Ergänzende Befunde liefern die Beobachtungen an Quer-
schnitten der Zellen.
Sehr wenige Querschnitte zeigen eine feine und gleieb-
mässige (franulirung (Fig. 20 a). Zwischen den feinen Körnchen
sind wie an Längsschnitten, und zwar weit häufiger als bei die-
sen, gnibcre, stärker gefärbte eingestreut, sie nehmen stets eine
centrale Lage ein; es können ihrer eine grössere Anzahl vor-
handen sein, so dass sie auch einen grösseren Theil des Quer-
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Ueber die Zungendrüsen von Anguis, Pseudopus und Lacerta. 207
Schnittes oder diesen auch ganz ausfüllen. Der letztere Fall
lässt sich jedoch selten beobachten. Viel häufiger unterscheidet
man eine dunklere centrale und eine lichtere periphere Zone; in
der centralen Zone stehen die Körnchen dichter, sind stärker ge-
tarbt und meist gröber als in der peripheren (b — d). Bei tiefer
Einstellung verkleinert sich die centrale Zone, während die peri-
phere an Grösse zunimmt; beim Heben des Tubus kann man
die Erscheinung im entgegengesetzten Sinne beobachten und zu-
weilen die periphere Zone sich bis auf einen schmalen Rand
reduciren (e) oder ganz verschwinden sehen; dann ist die ganze
Fläche des Zellquerschnittes mit dunkel gefärbten Körnchen er-
füllt, die jedoch vom Centrum gegen die Peripherie des Zellquer-
schnittes an Grösse abnehmen können. Auch erscheinen in der
dunkeln Zone bei Einstellung auf eine höhere Ebene gröbere Körn-
chen als in einer tieferen Ebene. Im Centrum können einige Gra-
nula die benachbarten bedeutend an Grösse ttberwiegen und haben
dabei eine unregelmässige Gestalt: statt deutlich contourirter Körn-
chen sehen wir dann grobköniige Klümpchen; man kann sie nur
selten beobachten (vgl. Fig. 21). Man erhält hier und da den Ein-
druck, als ob ein solches Klümpchen durch das Verschmelzen
zweier oder mehrerer Granula entstanden wäre. In anderen
Fällen lassen sich in der fast homogenen centralen Zone nur
Spuren einer Granuliruug nachweisen, oder es liegen einige tief
geförbte grobe Körnchen in einer anscheinend homogenen, dunkel
gefärbten Masse; schliesslich kann der ganze Quei-schnitt mit
einer durchaus homogenen Substanz ausgefüllt sein (Fig. 20 f).
Innerhalb der centralen Zone scheint sich auch die Zwischensub-
stanz dunkler zu färben als in der peripheren; ob dies inuner
der Fall ist, lässt sich nicht mit Sicherheit behaupten, da die
Zwischensubstanz in Folge der bedeutenderen (iHisse und der
oft sehr dichten Lagerung der Körnchen in der centralen
Zone sehr spärlich vorhanden ist und somit ihre dunkle Fär-
bung vielleicht durch diejenige der Körnchen vorgetäuscht sein
kann.
Es ist nun an der Zeit etwas nachzutragen, was der Ord-
nung nach eigentlich hätte schon früher gesagt werden sollen.
Die vorstehend mitgetheilten Beobachtungen gelten im Grossen
und Ganzen auch für Anguis; ich habe betretf enden Orts den
Gegenstand absichtlich nicht behandelt, da die Details nicht in
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208 V. Seiller:
der Anzahl und nicht so schön wahrnehmbar sind, wie bei Pseu-
dopus. Auch scheinen einige der Befunde bei Anguis überhaupt
nicht vertreten zu sein, wie sich auch allerdings dort Einiges
beobachten lässt, woftlr ich bei Pseudopus nichts Entsprechendes
finden konnte.
Vor allem vennisste ichbci Anguis den blauen, homogenen
Streif am freien Ende der Zellen, ebenso die halbkugeligen und
8ta))lormigen Pfropfe. An Querschnitten ist die centrale dunk-
lere und periphere lichtere Zone nicht so schön zu sehen; auch
ist das allmähliche sich Vermehren der central gelegenen, grö-
beren, liefer gefärbten Kömchen an den einzelnen Querschnitten
nicht so schön zu verfolgen. Andererseits sind an letzteren, so-
wie an den freien Enden der Längsschnitte die gröberen Gra-
nula viel häufiger anzutreffen, die klumpigen, grobkörnigen Massen
finden sich öfter — selbst auch an Längsschnitten vor (Fig. 21
a, b), ebenso in viel zahlreicheren Fällen stärker gefärbte grö-
bere Könichen in den unteren Partien der Zellen. — Während
bei Pseudopus nur die Pfropfe und der schmale Streif nächst
dem Lumen eine h(nnogene Beschaffenheit besitzen, kann sich
letztere bei Anguis auf einen viel grösseren Theil des Zellinhalte«
erstrecken, so dass das obere Drittel, die Hälfte oder zuweilen
die ganze Zelle mit einer gleichartigen, tief blau gefärbten Masse
gefüllt erscheint. Der homogene Theil ist dann vom unteren
noch granulirten niemals scharf abgegrenzt. Die nächst der
üebergangsstclle meist gröberen Körnchen werden gegen den
homogenen Abschnitt hin allmählich undeutlicher, um schliesslich
in ihm zu verschwinden. Ist der homogene Abschnitt von ge-
ringer Ausdehnung, so lassen sich Spuren seiner ursprünglich
granulären Zusammensetzung wahrnehmen. — Die Zellen in den
unteren Partien der interpapillären Räume bei Anguis unter-
scheiden sich von diesen bei Pseudopus dadurch, dass in ihnen
die Körnchen viel seltener erhalten sind. Ihr Inhalt besteht aus
einem sehr dichten, unregelmässigen Fadenwerk, welches auch
die betreffenden Abschnitte der interpapillären Buchten erfallt;
die freien Enden der Zellen, aus denen man das Fadenwerk oft
herausragen sieht, sind oft nicht scharf abgegrenzt und sehen
nicht selten wie zerrissen aus.
Es bestehen somit zwischen den secemirenden Zellen der
Zunge von Anguis mid Pseudopus manche Verschiedenheiten;
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Ueber die Zungendrüsen von Anguis, Pseudopus und Lacerta. 209
deren Erklärung soll anlässlieh der Deutung der gemachten Be-
obachtungen versucht werden.
3. Discnssioii der Befände.
Vor allem ist es nothwendig festzustellen, in wie weit wir
dieselben als maassgebend fttr die natürlichen Verhältnisse be-
trachten dürfen. Die verschiedene Grösse der Körnchen, die
grobkörnigen* Massen und die homogene Beschaffenheit des Zell-
inhaltes lassen sich am lebenden Gewebe mit voller Deutlichkeit
feststellen (vgl. pag. 181 u. 182). Die analogen Befunde an
Schnitten kann man daher als beweiskräftig ansehen; andere
lassen sich auf die intra vitam gemachten, angeführten Beob-
achtungen zurückfuhren. — Von einem Netzwerk war an leben-
den Zellen niemals etwas zu sehen; wo uns ein solches an ge-
härteten Objecten erscheint, ist zum mindesten die Möglichkeit
eines Kunstproductes nicht auszuschliessen.
Aus den angeführten Thatsachen ergiebt sich zunächst,
dass der granuläre Inhalt in den secerairendeu Zellen mannig-
fache Verschiedenheiten aufweist; dass ferner diese Verschieden-
heiten von einander nicht scharf abzugrenzen sind, sondern viel-
mehr eine continuirliche Reihe von Veränderungen darstellen. Es
scheint in vorliegendem Falle die Deutung, dass hier eine Reihe
von Entwickelungs- oder Functioaszuständen vorliege, wohl als
die wahrscheinlichste.
Bei einer Anzahl der seccrnirenden Zellen mit granulärem
Inhalt besteht dei*selbe aus feinen, gleichmässig gelagerten K(')rn-
chen und einer zwischen diesen liegenden homogenen Zwischen-
substanz. Wir sehen am freien Ende der Zelle grcibere, stärker
geförbte Körnchen auftreten, dieselben mehren sich an Zahl und
füllen einen schmalen Streifen nächst dem Lumen aus und können
sich mehr oder weniger tief in das Innere der Zelle erstrecken.
Während sie sich hier noch distinct hervorhebeu, werden dort
ihre Contouren immer undeutlicher, bis der von ihnen gebildete
Streif homogen erscheint, oder es erhebt sich über dem freien
Ende der Zelle ein homogener, tief blau gefärbter Pfropf, der
hier und da noch Spuren einer granulären Beschaffenheit zeigt.
An Querschnitten sehen wir ebenfalls die gröberen Körnchen in
geringerer und grösserer Anzahl und zwar meist innerhalb einer
centralen Zone, welche sich in Folge der intensiveren Farbe der
Archiv f. mikrosk. Anat Bd. 38 14
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210 V. Seiller:
Körnchen von einer helleren peripheren, fein granulirten Zone
ahliebt; diese kann dnrch die Aus])reitung der stärker geiarbten
Körnchen bis an den Rand der Zelle verdrängt werden, oder es
ist der ganze Querschnitt mit groben Körnchen, grobkörnigen
Massen oder endlich mit einer homogenen KSubstanz erfüllt.
Diese Reihenfolge von Veränderungen lehren uns zunächst,
dass die Kömchen nicht das fertige Secret darstellen. Niemals
sind Körnchen aus der Zelle ausgetreten, sondern stets eine sich
mit Hämatoxylin stark blau filrbende Masse, die zuweilen ihre
granuläre Abkunft erkennen lässt. Es ist dies eigentlich nur die
Bestätigung der betreffenden Beobachtung am lebenden Objecte,
nämlich des Austretens eines homogenen oder schwach granu-
lirten Pfropfes ^). Wir entnehmen ferner, dass die Zellen sich in
verschiedenen Stadien der Secretbildung befinden. Dem jüngsten
Stadium dürfte eine feine gleichmässige Granulirung entsprechen.
Die Bildung des Secretes wird durch das Auftreten von grö-
beren, stärker gefärbten Kömchen vorbereitet. Ob sie durch
das Anschwellen oder durch das Verschmelzen der feineren Gra-
nula entstehen, kann ich nicht entscheiden. Bei Körnchen,
welche eine geringe Grössenzunahme zeigten, konnte ich niemals
etwas sehen, was eine F^rkläruug im letzteren Sinne gerechtfer-
tigt hätte ; andererseits erhielt ich bei solchen grösseren Kalibers,
wie sie der Bildung von grobkörnigen Massen voraus zu gehen
scheinen, Bilder, die sehr deutlich für ein Zusammenfliessen von
Körnchen sprechen. Aus den grobkörnigen, klumpigen Massen
dürfte die homogene Substanz entstehen, welche als Secret aus
der Zelle entleert wird. Niemals konnte ich bei Pseudopus be-
obachten, dass eine gnissere Menge desselben sich innerhalb der
Theca angesammelt hätte, es scheint vielmehr kurz nach seiner
Bildung entleert zu werden: viele der Zellen mit Pfropfen waren
durchaus granulirt, die Homogenität erstreckte sich überhaupt
nur auf jenen blauen Streif nächst dem Lumen; die. ümwand-
1) Leider war es mir nicht möglich, das Secret unserer Becher-
zcllen auf seine chemische Beschaffenheit zu untersuchen; ick kann
mich daher über dieselbe nicht aussprechen. Es ist allerdings sehr
wahrscheinlich, dass sie Mucin absondern; es wären dann die Körn-
chen als Mucigen anzusprechen. Wenn dem so ist, so findet die Be-
hauptung Klein's (29) und Watney^s, dass sich Mucigen mit Hä-
matoxylin nicht färbt, keine Bestätigung.
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Ueber die Zungen drüsen von Anguis, Pseudopus und Lacerta. 211
lang des Inhalts in das Secret scheint allerdings schon tiefer vor-
bereitet zu werden (Auftreten von gröberen, stärker gefärbten
Körnchen unterhalb des blauen Streifens und in den tieferen Par-
tieen der Zelle), jedoch erst in der Nähe des freien Zellendcs
(vielleicht erst im Momente der Absonderung) zum Abschluss zu
kommen. Wie sich die Zwischensubstanz diesem Processc gegen-
über verhält, vermag ich nicht anzugeben; selbstverständlich
lägst sie mit der zunehmenden Auflösung der Körnchen sieh
immer weniger von diesen unterscheiden und dürfte wahrschein-
licher Weise an der Bildung des Secrets wohl auch Antheil
nehmen.
Die Querschnittsbilder zeigen, dass die Secretbildung von
der medianen, der Längsachse der Zelle zunächst gelegenen Partie
ausgeht und peripheriewärts fortschreitet. Die groben Kömchen
treten central auf, während sie an der Peripherie noch fehlen:
niemals konnte ich eine dieser entgegengesetzte Lagerung der
Kömchen beobachten. Auch die übrigen Veränderungen neh-
men, wie aus den mitgetheilten Befunden hervorgeht, in der me-
dianen Partie der Zellen ihren Anfang.
Ich muss bemerken, dass ich am frischen Objecte die Sta-
dien des Processes niemals mit der Vollständigkeit beobachten
konnte, wie an Schnitten. Immerhin waren Thatsachen, die für
seinen Verlauf characteristisch sind, intra vitam mit Deutlichkeit
zn erkennen, so die Verschiedenheit in der Grösse der Kön\-
chen, die grobkörnigen Massen, das Austreten eines homogen
oder schwach granulirtcn Pfropfes und das homogene Aussehen
der Zellen in der Aufsicht, welches an Längsschnitten dem blauen
Streif nächst dem Lumen entsprechen würde und wie dieser zu-
weilen noch Spuren einer granulären Structur aufweisen kann.
Da nun mehrere und zwar marcantc Stadien durch Controlle am
lebenden Objecte sichergestellt sind, so liegt wohl kein Grund
vor, die anderen, deren scheinbares Fehlen an Zellen im frischen
Zustande in der Schwierigkeit der Beobachtung seine Erklärung
finden dürfte, die sich ferner zwischen die als vorhanden con-
statirten zwanglos einfügen lassen, als Kunstproducte zu be-
trachten.
Die für Anguis erwähnten Eigenthümlichkeiten dürften auf
einen trägeren Gang des Processes hindeuten. Die Metamorphose
des Secretionsmaterials geht wahrscheinlich langsamer vor sich,
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212 V. Seil 1er:
wenigstens glaube ich das Läufigere Vorkommen von grobkör-
nigen Massen, das so seltene von Pfropfen und vielleicht auch
die homogene Beschaffenheit eines zuweilen grösseren Theiles
des Inhaltes nach dieser Richtung hin auffassen zu können.
Die Mehrzahl der secernirenden Zellen an der Zungenunter-
fläche besitzen, wie gesagt, ein in seiner Gestaltung sehr va-
riirendes Netzwerk. Es wurden bereits die Gründe angegeben,
warum dasselbe nicht als eine präformirte Structur anzuseheu
sei. Meiner Ansicht nach ist das Netzwerk in seinen verschie-
denen Bildungsphasen der Ausdruck für eine regere, rascher ab-
laufende Secretbildung.
Der Process, welcher hier den Erscheinungen zu Grunde
liegt, ist seinem Wesen nach nicht verschieden von demjenigen,
welchen wir bei den secernirenden Zellen mit granulärem Inhalt
beobachtet haben. Hier wie dort findet eine Umwandlung der
Körnchen in eine zur Absonderung bestimmte Substanz statt; in
dem einen Falle geschieht dies nur mit einem kleinen, dem Lu-
men jeweilig zunächst liegenden Theil derselben, und das Um-
wandlungsproduct erscheint als homogene Masse, während im
anderen Falle, ein viel gnisserer Theil, meist sogar der ganze
Inhalt von der Metamorphose ergriffen wird und sich dann an
Schnitten als ein Netzwerk, dessen Maschen eine homogene Sub-
stanz erfüllt, präsentirt. — Das häufige Auftreten von Pfropfen
an den „Becherzellen*' dieser Region, sowie das Herausragen des
Netzwerkes aus den Mündungen cylindrischer Becherzellen deutet
auch auf eine regere Secretion.
Ein Gerüstwerk oder etwas dem ähnliches konnte ich an
den Becherzellen im frischen Zustande nicht sehen; jedenfaUs
entspricht es den veränderten Körnchen und somit einem Theil
des Secretionsmaterials; ob sie jedoch während des Lebens der
Zelle eine derartige Veränderung eingehen, muss dahin gestellt
bleiben. List (44,46) hat dieses an Schnitten auftretende Netz-
werk, von ihm „Filarmasse'* genannt, eingehend beschrieben und
erwähnt zu wiederholten Malen, dasselbe auch an lebenden Zellen
gesehen zu haben. Merk (50) sagt über den Inhalt der Beclier-
zellcn der Oberhaut von Forellenembryonen: „Der stets dunkle
Inhalt ist bei schwächerer Vergrösserung wie gekörnt, zeigt aber
mit starken Trockensystemen, deutlicher mit Immersionssystemen
betrachtet ein Gerüstwerk. Doch sind es durchaus nicht alle
Becherzellen, an denen man ein solches Balkenwerk bemerken
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Ueber die Zungendrüsen von Anguis, Pseudopus und Lacerta. 213
kann; bei vielen ist der Inhalt mehr weniger homogen, mit
hellereu und dunkleren Flecken. Es ist höchst wahrscheinlich,
dass dieses verschiedene Aussehen mit der Secretionsfähigkeit der
Zellen zusammenhängt, und ich will davon weiter unten sprechen.'^
Leider hält Merk sein Versprechen nicht und kommt auch nicht
mehr auf das Gerüstwerk zurück, üebrigens scheint er — nach
der Schilderung des von ihm beobachteten Secretionsprocesses zu
schliessen — den Inhalt der Becherzellen für einen granulären
zu halten. Femer sah Merk an dem Inhalte aller Becher/ellen
eine eigenthümliche, sehr träge Bewegung: „Einzelne Flecken
und Körner wurden heller und dunkler oder verwandelten ihre
Formen; so wird aus einem ankerfi5rmigen Fleck eine Figur, die
einem L gleicht u. s. w." Mittels Reichert's Apochromat 2 mm
Oc. 18 glaubte ich einige male eine träge Bewegung der Körn-
chen unterscheiden zu können; doch lag die Erscheinung an der
Grenze des Wahrnehmbaren, so dass ich in diesem Punkte meiner
Sache nicht ganz sicher bin.
Nach fremden sowie eigenen Beobachtungen scheint es mir
zweifellos, dass die Körnchen bei der Secretbildung in den Becher-
zellen irgend einen Auflösungsprocess eingehen; das Secret wird
aus dem Endproducte dieses Processes, an welchem höchst wahr-
scheinlich auch die Zwischensubstanz Antheil nimmt, bestehen.
Es ist ja immerhin möglich, dass bei dieser Umwandlung die
Kömchen intra vitam zu einer Art Maschen- oder Gerüst-
werk zerfliessen; schon a priori wäre es dann sehr wahrschein-
lich, dass dasselbe in seiner Form nicht constant sein, sondern
dass diese einer steten, die Auflösung der Körnchen begleitenden
Veränderungen unterliegen würde; damit würden auch — abge-
sehen von den Beobachtungen Merk 's — die mannigfachen
Variationen des Maschenwerkes am gehärteten Objecte über-
einstimmen. Doch lässt sich, so lange ein Netzwerk an den
Zellen im frischen Zustande nicht zu finden ist, die Möglichkeit
eines Kunstproductes nicht von der Hand weisen. Ob das eine
oder das andere richtig ist, halte ich — was die Hauptsache
anbelangt — für ziemlich irrelevant; jedenfalls ist das sich an
Schnitten meiner Objecte präsentirende Netzwerk keine präfor-
mirte Structur, sondern als der Ausdruck der sich in Becher-
zellen vollziehenden Umwandlung aufgehäufter Secretstoffe aufzu-
fassen, eine Umwandlung, welche, da sie meist den ganzen Inhalt
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214 V. Seiller:
oder zum mindesten den grössten Theil desselben ergreift, auf
eine regere Seeretbildung hindeutet.
Für diese Anschauung spricht noch ein gewichtiger Umstand,
der mir anfangs entgangen war. Der an allen Schnitten zwischen
den secernirenden Zellen der Zungenunterfläche und denjenigen
des Zungenrückens zu beobachtende Unterschied bezüglich ihres
Inhaltes Hess auch eine entsprechende Verschiedenheit zwischen
ihnen im frischen Zustande vermuthen; und ich konnte mich
auch davon überzeugen, dass die meisten Becheraellen der Zun-
genunterfläche, frisch untersucht, ein homogenes Aussehen hatten;
bei einer Minderzahl konnte man einen granulären Inhalt mehr
oder weniger deutlich erkennen. Ein homogener Inhalt ist nun,
soviel wir über die Secretbildung bei unseren Zellen erfahren
haben, als der Ausdruck eines späten, weit vorgeschrittenen
Stadiums anzusehen; es werden somit die Befunde an Schnitten
durch diejenigen an den lebenden Zellen bestätigt.
Das rücksichtlich der Bedeutung des Netzwerkes Gesagte dürfte
auch für die im unteren Theilc der inteqmpillären Buchten ge-
legenen Zellen in Anspruch zu nehmen sein. Anfangs war ich
versucht, hier postmortale Erscheinungen anzunehmen, die, wie
ich glaubte, dadurch entstanden sein möchten, dass die eindrin-
gende Conscrvirungsfltissigkeit die Zellen erst zu einer Zeit er-
reichte, als dieselben schon abzusterben begannen. Grund dieser
Auflfiissuug war zunächst das hier und da destruirte Aussehen
der betreffenden Zellen bei Anguis, sowie die hier sehr grosse
Unregelmässigkeit und ündeutlichkeit des Fadenwerkes. Anderer
Ansicht wurde ich ei*st, nachdem ich die entsprechenden Ver-
hältnisse bei Pseudopus gesehen, auf welche die erwähnte Deu-
tung nicht angewendet werden kann. Hier ist der allmähliche
Uebergang von Körnchen zum Netzwerk sehr deutlich wahrnehm-
bar. Allerdings erreicht dieseä den Grad der Ausbildung nicht, den
wir an den Becherzellen der Zungenunterfläche beobachtet haben;
^ es sind anch die Fäden meist dünner. Zwischen ihnen liegen oft noch
einige unregelmässig contourirtc Kömchen. Im allgemeinen herrscht
jedoch zwischen diesen und jenen Befunden eine zu marcante Ana-
logie, als dass nicht auf alle die gleiche Erklärung Anwendung
finden könnte.
Es besteht also zwischen den secernirenden Zellen an der
Zungenunterfläche und in den Tiefen der interpapillären Räume
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Ueber die Zungen drüsen von Anguis, Pseudopus und Lacerta. 215
einerseits und denjenigen an den oberen Theilen der Papillen
andererseits ein gewisser Unterschied, der darin seinen Ausdruck
findet, dass die einen sieh unter gewöhnlichen Verhältnissen im
Zustande regerer Secretbildung und Secretion befinden, bei den
anderen diese Processe langsamer und wie es scheint weniger
energisch ablaufen. Doch berechtigt dieser Unterschied nicht
zu der Aufstellung specifisch diflferenter Zellarten. Abgesehen
von ihren Functionszuständen stimmen die Zellen in allen wesent-
hchen Momenten mit einander überein, zu denen ich übrigens
ihre Gestalt aus theils erwähnten, theils noch anzugebenden
Gründen nicht rechne. Ferner ist der Secretbildungsprocess
bei den • beiden Zellkategorien — um mich vorläufig so auszu-
drücken — soviel aus allen Befunden hervorgeht, nur graduell
und nicht qualitativ verschieden, die beiden Arten der Secret-
bildung sind extreme Formen ein und desselben Processes, welche
durch eine Reihe von Zwischenformen mit einander verbunden
sind, indem an einer und derselben Zelle Anzeichen der einen
und der anderen Art auftreten können; schliesslich sind hier wie
dort beide Formen der Secretbildung vertreten, nur ist es die
eine stets in sehr geringem Maasse.
Warum nun diese eigenthtimliche Vertheilung der Functions-
intensitäten vorherrscht, ist schwer zu sagen. Man könnte höch-
stens auf eine Analogie bei Drüsen hinweisen.
Obwohl die interpapillären Räume in physiologischer Hin-
sicht Drüsen vollständig gleichwerthig sind, so kann man sie
gewiss nicht mit diesem Namen bezeichnen, da ihnen dasjenige
Merkmal, welches sämmtlichen acinösen und tubulösen Drüsen
zukömmt — (von den einzelligen und den Drüsen ohne Aus-
ftthrungsgang ist hier selbstverständlich abzusehen) — nämlich
ein nach einer Seite hin offener Hohlraum, welcher hier durch
einen röhrenförmigen Gang (Ausführungsgang) nach aussen mündet
— fehlt. Nun weicht das den Ausführungsgang auskleidende Epithel
von den Zellen des Drüsenkörpers sowohl in seiner Beschaffenheit
als auch functionell mehr oder weniger ab. — Im vorliegenden
Falle haben wir es mit Falten zu thun, die eine gewisse Aehn-
lichkeit mit Drüsenschläuchen nicht verkennen lassen; die Falten
würden den Schläuchen selbst, das Bindgewebe der Schleimhaut
der Tunica propriaund die oberen, von den Papillenspitzen begrenz-
ten Endstücke der interpapillären Räume, den Ausführungsgängen
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216 V. Seiller:
der Schläuche entsprechen. Vielleicht liegt hier eine morpholo^sehe
UebergangSHtufe zur Drttsenbildung vor, worauf übrigens schon die
ganze Configuration der Elemente hindeutet; es würde sich dann
eine functionelle Verschiedenheit zwischen dem unteren und dena
oberen Abschnitte der interpapillären Räume angebahnt haben.
Vielleicht lässt sich von diesem Gesichtspunkte aus das
eigenthümliche Phänomen erklären.
Auch daflir, dass bei den Beeher/ellen der Zungenunter-
fläche ein regerer Secrctionsprocess vorherrscht, lässt sich eine
Ursache kaum mit Sicherheit angeben. Es ist wohl möglich,
dass durch die bei dem oftmaligen Vorstrecken der Zunge erfol-
gende Reibung der betreflFenden Partieen an dem Mundboden
und an den Rändern des Unterkiefers ein Reiz gesetzt wird, wel-
cher die Zellen zu einer energischeren Thätigkeit veranlasst;
auch ist es denkbar, dass das Secret der sehr nahe gelegenen
Unter/ungendrüse auf die Zellen einwirkt. Wir können hier
jedenfalls über Vennuthungen nicht hinausgehen. Zweifelsohne
lassen sämmtliche secernirenden Zellen der Zunge von Anguis
und Pseudopus keine spccifischen Unterschiede erkennen und
müssen daher als eine Zellart aufgefasst werden.
Ich habe, um die Continuität der Darstellung nicht zu
stören, einschlägige Angaben nur insoweit angeführt, als mir be-
hufs bess(Ten Verständnisses des Ganzen zweckmässig erschien.
Es sollen nun die Beobachtungen anderer Autoren mit den meini-
gen verglichen und, wenn nöthig, näher besprochen werden. Von
einer Berücksichtigung der gesammten Becherzellenlitteratur rauss
ich natürlicher Weise absehen; es sollen hauptsächtlich diejeni-
gen Fragen in den Kreis der Erörterungen gezogen werden,
welche mit den von mir discutirten im Zusammenhange stehen.
Wer sich mit der Geschichte der Becherzellen des näheren
bekannt machen will, den verweise ich auf die ausführlichen und
sorgfaltigen Litteratur Verzeichnisse von List (46) und Paneth (51).
Nur wenige Autoren thun der kömigen Beschaffenheit des
Becherzelleninhaltes keine Erwähnung.
Die Angaben von Edinger beziehen sich theil weise, die
von Haller und BoU nur auf Wirbellose. Nach Edinger (12)
ergiessen die Becherzellen im Oesophagus von Torpedo aculcata
eine glasige, schleimige Substanz; diejenigen von Pterotrachea (13)
sind mit einer glasshellen Masse erfüllt. Hall er (21) beschreibt
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Ueber die Zungendrüsen von Anguis, Pseiidopus und Lacerta. 217
den Inhalt der Becherzellen (aus der Mundhöhle der Rhipido-
g^lossen) nicht, scheint aber — nach seinen Angaben zu schliessen
— keine Körnchen in der Theca gesehen zu haben.
Nach Boll (7) ist die Thcca bei den Becherzellen der
Mollusken mit einer durchsichtigen, fadenziehenden, schleimigen
Substanz erfüllt.
Auf die Beobachtungen Kleines (29, 30), der in den Ma-
genepithelzellen von Triton cristatus und in den Becherzellen der
Darmzotten und der Lieberkühn'schen Drüsen ein Netzwerk feiner
Fibrillen (intracellular network) und eine die Maschen der letzte-
ren ausfüllende, homogene Zwischensubstanz, das Mufein, beschreibt,
kommen wir später zurück.
Drasch (10), der die Becherzellen des Epithels der Haut
von Amphibien und Fischen und diejenigen des Trachealepithels
als Gebilde ganz verschiedener Natur ansieht, leugnet bei ersteren
jede Structur im Inneren und bezeichnet ihren Inhalt als fast
homogen, während er im Zellenleibe der letzteren ein ausgepräg-
tes, mit Knotenpunkten versehenes Netzwerk fand.
Holl (26) bezeichnet den Inhalt der Theca bei den Becher-
zellen im Mundhöhlenepithel von Salamandra maculata als eine
helle, leichtkörnig getrübte Masse. Sj)äter, in seiner Arbeit über
die Anatomie der Mundhöhle von Rana ternporaria (27), scheint
er an der kömigen Natur des Becherzelleninhaltes wieder irre
zu werden und zwar in Folge des ümstandes, dass er hier Be-
cherzellen, in denen keine Könichen zu erkennen sind, sowie
andere Zellen antriflFt, die sich von jenen durch die Weite ihres
Stomas, ihre mehr cylindrischc Gestalt sowie eine verschiedene
Zahl von Ausläufern an ihrem unteren Ende und schliesslich
durch einen kömigen Inhalt unterscheiden. Diesen scheint er
nun für die Becherzellen nicht zugeben zu wollen. Holl citirt
zunächst Leydig: „Bei Leydig finde ich nicht angegeben,
dass der Inhalt der Becher/eilen körniger Natur ist . . . ", es folgt
nun eine Beschreibung der Bccherzellen aus Leydig's Werk „Zelle
nnd Gewebe" (42), in welchem dieser Forscher allerdings nichts
von Kömchen spricht, den Secretraum der Becherzellen vielmehr
von einem Maschenwerk durchziehen lässt. Jedoch erwähnt
Leydig den Köracheninhalt der Becherzellen zu wiederholten
Malen; so gleich bei seiner ersten Beobachtung derselben (38),
wo er die von ihm sogenannten „Schleimzellen" als grössere oder
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218 V. Seiller:
kleinere, mit einem „feinkörnigen oder auch ganz hellen Inhalt
versehene Blasen" beschreibt. Ebenso in seinem Lehrbuche der
Histologie (39): „Die kleinsten (Schleimzellen) ttbertreflfen (bei
Knochenfischen) die ordinären Obcrhautzellen nur um weniges,
die grössten aber, wie sie an ungewöhnlich schlflpfrigen Fischen
(Aal, Schleie, Aalraupe) auffallen, sind bedeutende, mit einem
zähen, körnigen oder auch ganz hellen Fluidum gefüllte Blasen".
In seinen Untersuchungen über die Sinnesorgane der Schlangen
(41) bemerkt Leydig, dass zum Unterschiede von den Schleim-
zellcn des becherförmigen Organes, welche ein helles, körnchen-
loses Secret b(?sitzen, den i^chleimzellen des umliegenden Epithels
ein körniger Inhalt zukömmt. Aus diesen Angaben geht hervor,
dass Leydig den körnigen Zustand der Becherzellen wohl ge-
kannt hat. Holl beruft sich ferner auf List: „Auch List
spricht in seinen neuen Abhandlungen nicht von einem kömigen
Inhalte der Becherzellen"; erwähnt jedoch früher, dass nach
List die Becherzellen vom Blasenepithel des Frosches, frisch be-
trachtet, mattglänzende Kömer enthalten. Um nicht falsch ver-
standen zu werden, muss ich hervorheben, dass Holl mehrere
Beobachtungen (Schiefferdecker, Eimer, Arnstein), sowie
das schwerwiegende Zeugniss von Fr. E. Schulze anführt,
nach welchem der Inhalt der Becherzellen (zum mindesten in
einem bestimmten Stadium) ein granulärer ist. Holl sieht sich
genöthigt, auf Gmnd des verschiedenen Inhaltes sowie morpho-
logischer Momente die Becherzellen in der Mundhöhle von Rana
temporaria und die von ihm beschriebenen „Kömchenzellen"
als zwei specifisch verschiedene Zellarten zu betrachten.
Toldt (60) bezeichnet den Inhalt der Becherzellen des
Darmes beim Menschen als völlig homogen, hell und durchsichtig.
Von den zahlreichen Autoren, denen die granuläre Natur
des Bechcrzelleninhaltes bekannt war, kannten die meisten auch
seine homogene Beschaffenheit; auch der Unterschied der Körn-
chen bezüglich ihrer Grösse wird zu wiederholten Malen betont.
Leydig, der Entdecker der Becherzellen und zugleich der
erste, welcher sie als einzellige Drüsen auflFasste, wurde be-
reits citirt.
Gegenbaur (19) beschreibt die Becherzellen in der Lnn-
genschleimhaut von Fröschen und Tritonen: der obere Abschnitt
der Zellen ist mit dicht gedrängten, in einer spärlichen Grund-
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Ueber die Zungendrüsen von Anguis, Pseudopus und Lacerta. 219
Substanz eingebetteten Körnchen gefüllt; der untere ent-
hält Protoplasma und Kern; bei Triton sind die Körnchen etwas
feiner; Gegen baur traf dieselben auch im Innern der Lunge
in kleinen Klümpchen an.
Dönitz (8) sagt von den „Zellmänteln" (nach Brettauer
und Steinach (6) aus dem Darmepithel: „Häutig scheint jegliche
Spur des ursprttnglich granulirten Inhaltes zu fehlen, indem das
ganze Gebild hyalin aussieht.
Nach A r n s t e i n (2) ist der Inhalt der Becherzellen der
Darmschleimhaut bei hungernden Thieren häufig vollkommen
glänzend, manchmal schwach körnig; bei Thieren, die in der
Verdauung begriffen sind, stark körnig. Die B e c h e r z e 1 1 e n
verhalten sich je nach der Verschiedenheit
ihres Inhaltes verschieden gegen Reagentien.
Fries (18) unterscheidet an den Becherzcllen des Darmes
mehr keulen- oder becherförmige, den Rhein-
weingläserij ähnliche und mit einem matt-
glänzenden homogenen Inhalt erfüllte und
mehr cylindrische Formen, dieeine leicht kör-
nige Masse enthalten.
Nach Knauff (32) entstehen die Becherzellen der Bron-
chialschleimhaut durch Schleimmetamorphose aus den Flimmer-
zellen. Die Flimmerzelleu lassen in ihrem Innern feine oder
feinste Körnchen (Tröpfchen) erkennen: „üeberschreitet die
Menge dieser feinen Tröpfchen ein gewisses Maass, so erleidet
die Flimmerzelle wesentliche Veränderungen. Zuerst fallen die
Cilien ab und der ursprünglich cylindrische oder schlanke, kegel-
förmige Zellkörper wird dicker, mehr eirund. Bei noch stär-
kerer Ansammlung der feinen Tröpfchen bilden dieselben meist
unmittelbar über dem Kerne ein ziemlich abgegrenztes Häufchen
oder confluiren auch zu einem oder mehreren
grossen Tropfen. Diese dringen dann gegen den Ciliar-
rand vor, verdünnen und durchbrechen denselben endlich, so dass
der Rest der Zelle einen nach oben offenen Trichter bildet."* An
fertigen Bechern ist der Inhalt oft nicht wahrnehmbar,
lässt sich jedoch durch Silberbehandlung als eine vollständig
homogene, gallertige Masse erweisen; an einzelnen Bechern
ist er eine feinkörnige Masse. — Es ist wohl ersichtlich,
dass Knauff als das am weitesten vorgerückte Stadixmi der
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220 V. Seiller:
Sclileimmetamori)hose den mit homogenem Inhalt erfüllten Becher
ansieht.
Nach den classischen Untersuchungen von F. E. S c h u 1 z e
(58) erscheint der Inhalt der Theca bei den Becherzellen aus
der Oberhaut der Fische und Amphibien sowie dem Respirations-
und Verdauungstracte der Wirbelthiere als eine aus zahlrei-
chen, massig stark lichtbrechenden, matt-
glänzenden Körnchen und einer helleren, zäh-
flüssigen Zwischensubstanz. Nach Einwirkung
von Mtt Herrscher Flüssigkeit ist der körnige
Inhalt aufgehellt, die Körnchen verblassen
und sind nur noch an der Innenseite der Wan-
dung und in derNähe desProtoplasmarestes deut-
lich zu erkennen.
Kölliker (33) sagt in seinem Handbuche der Gewebe-
lehre: „In der Haut vieler Fische kommen .... mit zähem,
kömigem oder auch ganz hellem Inhalt geflillte , Zellen vor, die
ihr Secret durch Bersten entleeren. Hierher gehören auch die
im Drüsenepithel vieler Thiere vorkommenden Körnerzellen, denen
ich auch die von Gegenbau r in der Lunge von Batrachiem
gefundenen Secretionszellen anreihe."
Eimer (14) sagt von dem Inhalt der Becher: „. . . .
Doch muss ich den Inhalt betreflFend hier kurz anführen, dass
derselbe in einem späteren Stadium nicht mehr glasglänzend, bei-
nahe homogen, sondern dass er hellkönaig, noch später aber dun-
kelkörnig ist." Darnach zu schliessen scheint* E i m e r in dem
körnigen Inhalt den Ausdruck eines älteren Entwickelungszustandes
zu sehen ; doch widersprechen dieser Anschauung die Erklärungen
(p. 545) der Abbildungen Taf. XII, Fig. 9, 10, 11, 12.
Rabl-Rtickhardt (54) beobachtete in der Kiemenhöhle
und im Fuss von Buccinum undatum Becherzellen mit theils
körnigem, theils homogenem Inhalt.
Aus dem von Schiefferdecker (57) geschilderten Bil-
dungsprocesse der Becher/eilen der Krötenblase geht hervor, dass
in einem ziemlich frühen Stadium dunkle Körn-
chen auftreten, welche sich in den späteren Stadien an Zahl
vermehren.
Biedermann (4, 5) untersuchte die Drüsen und Becher-
zellen der Zunge des Frosches sowie die Nickhautdrüsen dieses
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Üeber die. Zungendrüsen von Ang^is, Pseudopus und Lacerta. Ö21
Thieres auf ihren histologischen Bau und auf die Art und Weise
der Seeretbildung und gelangte bei den genannten Objeeten zu
ziemlieh tibereinstimmenden Resultaten.
Neben hellerenfeingranulirten und homogenen
Zellen erscheinen andere, deren vorderer Abschnitt von dun-
keln, stark lichtbrechenden Körnchen erfüllt ist.
Es handelt sich hier nicht um zwei von einander
verschiedene Zellarten, sondern um verschie-
dene Entwickelungsstufen einer und derselben
Zcllform, wofür unter anderem auch der Umstand spricht,
dass die Zellen nach Einwirkung der zu Isolation verwendeten
Reagentien (Drittel Alcohol, Müller'sche Flüssigkeit, Osmium-
säure) ein durchaus gleichartiges Aussehen gewinnen, indem sie
sich unterbedeutenderQuellung undvöUigeAuf-
hellung deslnhaltes zuBechern mitdeutlichem,
runden Stoma umwandeln. Von der ursprünglichen
Vei*schiedenheit bleibt höchstens die gestrecktere, schwä-
chere Form der früheren Körnerzellen bemerkbar.
Diese Umwandlung vollzieht sich jedoch nicht bei allen
Zellen mit gleicher Leichtigkeit und bleibt bei eini-
gen ganz aus. Es sind dies diejenigen Zellen, deren Inhalt
schon im frischen Zustande sehr fein gekörnt und
eigenthümlich mattglänzend erscheint; diese sind die
jüngsten Entwickelungsformen, die Mehrzahl der Kör-
nerzellen aber Zwischenformen zwischen jenen und
den hellen Zellen. — Von den Becherzellen des Darmes sagt
Biedermann: Untersucht man wiederholt das Darm-
cpithel des Frosches in indifferenten Flüssigkeiten,
so gewinnt man bald die U eberzeugung, dass die
Zellen mit dunkelkörnigem Inhalt in der That nur
Entwickelungsstufen echter Becherzellen mit hel-
lem, homogenem Inhalt und rundem Sto-ma sind. Denn
sowie es Strecken der Schleimhaut gibt, wo die Körn-
chenzellen fast gänzlich fehlen und dafür helle Be-
cher in Menge auftreten, so findet man oft auch in
einem und demselben Präparate alle möglichen Ueber-
gangsstufen zwischen beiden Zellformen.
Von dieser wichtigen Arbeit hatte ich erst Kenntniss er-
langt, nachdem ich den gnissten Theil meiner Untersuchungen
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222 V. Seiller:
bereits abgeschlossen, und freue mich, die meisten der in ihr
niedergelegten Beobachtungen bestätigen zu können. Die Auf-
fassung der Zellen mit körnigem Inhalt als Becherzellen in einer
bestimmten Phase ihrer Entwickelung, des feinköraigen als des
jüngsten Zustandes, des Bechers mit homogenem Inhalt als des
Endstadiums der Mucinmetamorphose, haben unsere üntersuchnn-
gen als gemeinsame Resultate; die ungleich schnelle Umwand-
lung der Körner/eilen im Zungenepithel des Frosches durch
Rcagentien findet ihre Analogie in der vei-schieden schnellen Ver-
änderung der granulären Zellen der Zungenschlcimhaut von Angnis
und Pseudopus nach Einwirkung von Müller^scher Flüssigkeit;
unsere Abbildungen der Zellen mit Körncbeninhalt gleichen ein-
ander auffallend.
Die Ansicht Merk 's (50), dass das verschiedene Aussehen
des Zellinhaltcs der Becherzellen mit ihrer Secretionsfahigkeit in
Zusammenhang steht, wurde bereits erwähnt (p. 213).
Nach den Untersuchungen von Paneth (ol) über die Be-
chcrzellen des Dünndarms (Triton, Maus) erscheint der Inhalt
der Becherzellen im frischen Zustande theils homogen, theils
mehr oder weniger körnig. Derselbe wird nur durch Pi-
crinsäure conservirt. An Schnitten erscheinen die Becherzellen
zum grössten Theil mit vollkommen scharf contourirten
Körnchen erfüllt. An anderen sind die Körnchen etwas in
die Länge gezogen. Man sieht die Körnchen ausserhalb der
Theca im Lumen des Darmes liegen und dort zu einem wolki-
gen Sc er et confluiren. Paneth verwendet als Färbemittel
hauptsächlich Satfranin. Nach Härtung in Picrinsäure färbt sich
dann der Inhalt der Theca braunroth bis rostbraun mit einem
deutlichen Umschlag in das Gelbe. Bei der Maus sind die Be-
cherzellen mit homogenem Sccret häufiger, als die mit körnigem.
Paneth erhält den Eindruck, als ob es diesbezüglich individuelle
Verschiedenheiten gäbe. Am menschlichen Darm sind die Köm-
eben in der Theca sehr deutlich zu sehen. Beim Hunde war
der Inhalt der Becherzellen nach jeder Behandlung nahezu homo-
gen und ungefärbt. Es liegen (Triton) oft Becherzellen mit kör-
nigem, gelblichen Inhalt der Theca, andere mit körnigem,
rothen und solche mit homogenem, kaum gefärb-
ten neben einander auf einem Schnitte, so dass
also die Vermuthung, diese Unterschiede beruhten auf kleinen
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Ueber die Zungendrüsen von Anguis, Pseudopus und Lacerta. 223
Unregelmässigkeiten der Behandlung, abgewiesen werden muss.
„Becherzellen mit körnigem'', föhrt Paueth fort, „und solche mit
homogenem Secret sind ja bereits im überlebenden Zustande zu
unterscheiden, wie erwähnt. Die Härtung und Färbung lässt
uns also noch weitere Unterschiede bezüglich des Inhalts der
Theca erkennen. '^ — Aus seinen Beobachtungen ergiebt sich im
Zusammenhang mit den Resultaten früherer Beobachter für Pa-
neth der Schluss, dass das Secret bei den Becherzellen der
Wirbelthiere in Form von Körnchen (Pfröpfchen) auftrete. — Ol)
Paueth die verschiedene Beschaffenheit des Inhalts als den Aus-
druck verschiedener Zustände ansieht, lässt sich nicht mit Sicher-
heit feststellen.
Langley (35) fasst die nach seinen sowie nach den Be-
obachtungen anderer Autoren den Zellen gewisser Drüsen gemein-
sam zukommenden Eigenthümlichkeiten der Structur und der
Veränderungen, die während der Secretion in ihnen Platz greifen,
zusammen. Zu diesen Drüsen rechnet er unter anderen die se-
rösen und Schleimspeicheldrüsen, sowie alle ähnlichen Drüsen
der Schleimhäute der Wirbelthiere^). Wenn auch die Becher-
zellen hier nicht speciell erwähnt sind, so scheint es mir doch
— zumal sie von den meisten Autoren als einzellige Drüsen auf-
gefasst werden, welcher Ansicht ich mich anschliesse — in Folge
ihres häufigen Vorkommens in den angeführten Kegionen nicht
unwichtig, die Differenzen zwischen Langley's und meinen Be-
obachtungen hervorzuheben. Langley sagt: y,ln alF diesen
Zellen" (Zellen der genannten Drüsen) „finden während der Se-
cretion folgende Veränderungen statt: Die Granula nehmen an
Zahl und gewöhnlich, wenn auch nicht immer, an (Inissc ab, die
hyaline Substanz nimmt an Menge zu. . . . Ueberdies sind die
Details der Veränderungen bei der Mehrzahl der Zellen dieselben.
Die hyaline Substanz wächst hauptsächlich in der äusseren Re-
gion der Zellen, und die Granula verschwinden in dieser Re-
gion, so dass eine äussere nicht granuläre und eine innere gra-
nuläre Zone entsteht"^). Die Behauptung Langley's bezüglich
1) . . . the serous and mucous salivary glands and the similar
glands Ol* the mucous membrane of the mouth, noso, pharynx, Oeso-
phagus etc.
2) In all these ceüs, during active secretion the following chauges
take place. The granules decrease in number and usualiy it not all-
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224 V. Seillerj
der Grösscnvcränderung der Granula bei der Secretbildung 0
kann für die Bcelierzellen nielit in Anspruch genommen werden.
Bei letzteren ist der feinkörnige Inhalt der Ausdruck eines frühen
Stadiums der Sccretbildung und somit in seiner BeschaflFenheit
ziemlich weit entfernt von dem fertigen Sccret, dessen Bildung
durch das Auftreten von gröberen Körnchen gekennzeichnet wird.
Eine Abnahme der Körnchen an Zahl muss mit ihrer Grössen-
zunahmc, falls der Fassungsraum der Zelle nicht grösser wird,
nothwendigerweise Hand in Hand gehen. Ein Wachsen der
hyalinen Substanz sowie ein Verschwinden der Granula in der
äusseren Region der Zelle (Langley meint damit den unteren
basalen Abscbnittj konnte ich weder bei massig, noch bei inten-
siver secemirenden Becherzellen beobachten^}.
Ich wollte schiesslich die Veränderungen kennen lernen,
welche an Becherzellen nach intensiver Secretion auftreten. Diese
wurde durch subcutane Injectionen von Pilocarpin herbeigefllhrt,
welches Mittel zu dem gleichen Zwecke Klose (81) bei den
Becherzellen des Darmes und Biedermann (5) bei den Becher-
zellen der Froschzunge mit günstigem Erfolge angewendet ha-
ben. Die Versuche wurden an Pseudoj)Us angestellt; er eignet
sich wegen seiner grösseren Widerstandsfähigkeit für dieselben
besser als Anguis, welche meist schon nach Einverleibung eines
geringen Quantums des Giftes zu Grunde geht. Leider vereitelte
das Eintreten der kälteren Jahreszeit die Anschaftimg des zu
einer ausgedehnten Versuchsreihe nothwendigen Materials; unter
ways in sizc; thc liyaline substaneo increases in aniount. . . More-
ovor in tlie niajority of the cclls tlie dotails of thc t-hanges which take
place are mnch the sarne. Tlie. hyahin» substance increases chiefiy in
the outer region of the cells, and the grannles dissepear froin this
region, so that an outer non-granular zone and an inner granulär
zone are fornied.
1) Langley sagt von den Körnchen, dass sie dazu bestimmt
seien, die organischen Substanzen der Secretion zu erzeugen: The
cell-granules are .... substances stored up in the cell and destined
to give rise to the organic substances of the secretion.
2) Selbstverständlich fällt es mir nicht ein, die Richtigkeit der
Behauptungen Langley 's, welche sich ja auch auf Forschungen an
derer Autoren, wie H e i d e n h a i n (Pancreas) (24), L a v d o w s k y (Scideim-
drüsen der Mundhöhlenschleimhaut) (87) beziehen, bezüglich der von
ihm angeführten Drüsen zu bezweifeln.
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lieber die Zungendrüsen von Anguis, Pseudopus und Lacerta. 22ä
solchen Umständen war es mir nicht möglich, durch Erzeugung
verschieden starker ReizziLStände den Gang der Veränderungen
zn verfolgen, und musste ich mich mit der Beobachtung der bei
maximaler Reizung auftretenden Erscheinungen begnügen. Dass
somit meine Befunde manche Lücken aufweisen, ist wohl selbst-
verständlich-, doch konnte ich immerhin zu bestimmten Resultaten
kommen.
JDie Versuchsthiere waren vollkommen lebenskräftig und
von gleicher Grösse. Jedem derselben wurde eine gleiche Menge
Pilocarpin (0,14 gr in Dosen zu 0,02 gr früh und Abends au auf-
einanderfolgenden Tagen) subcutan injicirt. Die Vergiftung hatte
eine grosse Mattigkeit und starke Salivation zur Folge : die Unter-
suchung der Flüssigkeit erwies einen ziemlichen Gehalt an Mucin.
Die Becherzellen der Zungenschleimhaut eines auf die an-
gegebene Weise behandelten Thieres lassen, frisch und in situ
betrachtet, im Ganzen eine bedeutende oder geringere Abnahme
an Grösse, sowohl, wie mir schien, der Breite als Höhe nach er-
kennen, doch finden sich auch solche, bei welchen man eine Ver-
minderung des Volumens nicht annehmen kann. Viele zeigen als
Inhalt eine krümlige, wie fein granulirte Masse, die man auch
als ein sehr engmaschiges Netzwerk deuten könnte. Bei man-
chen Zellen ist der obere Theil heller als der übrige Zellinhalt
und hat eine mehr gleichartige Beschaffenheit; dieser Abschnitt
kann verschieden gross sein und sich auch bis auf einen schmalen
Streifen nächst dem freien Ende rcducircn. — Unter dem Auge
des Beschauers treten homogene kugelförmige Pfropfe aus den
Zellen und schnüren sich von ihnen ab, so dass sie an manchen
Stellen frei vor den Zellen liegend in grosser Menge anzutreflfen
sind (Fig. 22 a). Da der zum grossen Theil entleerte schleimige
Inhalt die Zellen bedeckt, so erhält man sehr selten' eine reine
Ansicht von ihnen; klare Bilder lassen an den polygonalen Fel-
dern, welche den freien Zellenden entsprechen, hier und da eine
leichte Abrundung der Ecken erkennen, welche bei aneiuander-
grenzenden Zellen zu der Entstehung von kleinen, dreieckigen
Spalträumen geführt hat. Die Felder sind theils mit jener krüm-
ligen Masse gefüllt, theils mehr weniger homogen, oder sie zeigen
eine ausgesprochen granuläre Beschaffenheit; wie in der Längs-
ansicht, sind auch hier Vacuolen bemerkbar (Fig. 22 b).
Besser lassen sich die Zellen an in 0,75 '^/o Kochsalzlösung
Archiv f. mikrosk. Anat Bd. 38 15
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Ö26 V. Seillert
angefertigten Zupfpräparaten beobachten. Der obere Theil der
Zellen zeigt manchmal eine mehr oder weniger deutliche Granu-
lirung und lässt sich in diesem Falle von dem unteren^ dunk-
leren Abschnitt nicht scharf abgrenzen. Vacuolen sind in grösserer
Anzahl sichtbar; man findet Zellen, welche von hellen Vacuolen
ganz durchsetzt siud, zwischen denen sich ein feines Netzwerk
ausbreitet (Fig. 23 b). Mittelst starker Vergrösserung lässt sich
erkennen, dass die Fäden desselben aus reihenartig aneinander
gelagerten Körnchen bestehen. Ich halte es in Folge dessen
für die Reste des kömigen Inhalts der. ungereizten Zelle, welche
durch das Auftreten von Vacuolen zu einer derartigen Anordnung
gezwungen werden. Sehr auffallende Veränderungen haben sich
am Kerne vollzogen. Derselbe hat im Vergleich zu jenem der
ungereizten Zelle an Grösse zugenommen; er ist oval, mit zu
jener der Zelle parallel gerichteten Längsachse, oder rund ; stets
erscheint er mehr oder weniger weit von der Zellbasis abge-
rückt; Kemkörperchen sowie Kemmembran sind deutlich wahr-
nehmbar und stark lichtbrechend. Was die Gestalt der 2iellen
anlangt, finden wir im Ganzen mehr becherartige Formen als
unter den Zellen im ungereizten Zustande (Fig. 23 a).
Es ist klar, dass die Wirkung des Pilocarpin eine gestei-
gerte Secretion verursachte, und die Zellen zum mindesten einen
grossen Theil ihres schleimigen Inhalts entleert haben. Die
Masse, welche die meisten Zellen theilweise oder ganz ausftillt,
hat ein anderes Aussehen als der Inhalt der ruhenden Zelle. Der
obere mehr weniger homogene oder granulirte Abschnitt ent-
spricht dem noch innerhalb der Zellen befindlichen Secretions-
material und characterisirt somit diejenigen Zellen, welche sich
desselben noch nicht ganz entledigt haben. Es hat also das Gift
nicht auf alle Zellen den gleichen Einfluss ausgeübt, so dass man
mehrere Stadien der Veränderung unterscheiden kann. Wahr-
scheinlich hängt diese Erscheinung mit der erwähnten Thatsache
zusammen, dass die Zellen auch unter gewöhnlichen Verbält-
nissen sich in verschiedenen Zuständen der Entwickelung und
Function befinden; doch gestattet mir die geringe Anzahl meiner
Versuche nicht, mich über diesen Punkt bestimmt auszusprechen.
Die Umwandlung der Secretstoffe in das Secret geschieht
nach Biedermann (5) an den Becher zellen der Froschzange
auf dem Wege der Vacuolenbildung: Die Vacuolen, welche das
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üeber die Zungendrüsen von Anguis, Psendopus und Lacerta. 207
Seeret darstellen, werden entweder einzeln ausgeschieden oder
fliessen zu grösseren Massen zusammen; ersteres scheint unter
gewöhnlichen Verhältnissen, letzteres bei beschleunigter Secretion
der Fall zu sein. Biedermann betont femer, dass die von
ihm beobachteten vacuolenähnlichen Tropfen nicht Folgeerschei-
nungen des Absterbens, sondern der Ausdruck einer unter phy-
siologischen Verhältnissen eintretenden Veränderung der Drüsen-
zellen seien, da man auch an ganz normalen, frisch gefangenen
Fröschen sehr häufig sämmtliche noch in situ befindliche Zellen
der Zungendrüsen mehr oder weniger stark mit jenen hellen
Tropfen erflillt findet. — Ran vi er (55) sagt, dass die Becher-
zellen im Epithel der den retrolingualen Lymphsack des Frosches
bedeckenden Schleimhaut Vacuolen enthalten, „welche ihren Platz
wechseln, in einander aufgehen, an Volumen zu- oder abnehmen,
erscheinen oder verschwinden und dass diese Bewegung der
Vacuolen bei Einwirkung der Electricität an Lebhaftigkeit zu-
nimmt"*), üeber die Rolle, die diesen Vacuolen bei der Se-
cretion zufUUt, spricht er sich folgendermaassen aus: „Wenn
man die Becherzellen der retrolingualen Schleimhaut im frischen
Zustande untersucht, bemei*kt man, dass einige Vacuolen mehr
oder weniger schnell verschwinden, ohne jedoch an die Ober-
fläche der Schleimhaut zu gelangen. Es ist wahrscheinlich, dass
sie, indem sie im Innern der Zelle selbst platzen, die Flüssig-
keit, welche sie einschlössen, längs des protoplasmatischen Bal-
kenwerkes ergiessen und dass die Flüssigkeit, welche die muci-
gene Masse durchtränkt, einen Theil derselben mit sich fort-
führt. Indem sie sich also mit Mucin beladet, gelangt sie, in
Schleim umgewandelt, an die Oeflfhung der Zelle, d. h. an die
Oberfläche" *) eine Ansicht, die allerdings ziemlich merk-
1) J'ai montrö sur les cellules caliciforines Vivantes contiennent
des vacuoles qui se deplacent, s'ouvrent les une dans les autres,
augmentent ou diminuent de volume apparaissent ou disparaissent et
que ce mouvement vacuolaire est activ6 par Texcitation 616ctrique-
2) Lorsqu^on examine a T^tat vivant les cellules caliciformes de
la membrane retrolinguale, on remarque, que quelques - imes des
vacuoles qu'elles contiennent disparaissent plus ou moins rapitement
Sans arriver pourtant k la surface de la muqueuse. II est probable,
que, se rompant dans l'intörieur mftme de la cellule, elles d6versent,
le long de ses trav6es protoplasmatiques, le liquide, qu*elles renfer-
maient et qne ce liquide, baignant les masses de roucig^ne, en entraine
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228 V. Seilleri
würdig ist und für die der Autor eigentlicli gar keine Belege
erbringt.
Meine Beobachtungen lassen mich keine endgültige Ansieht
fassen. Eine so starke VacuoHsation, wie ich sie in Fig. 2;$b
abbildete und wie sie Biedermajin stets bei einer grossen An-
zahl von Zellen vorfand, konnte ich nur bei wenigen sehen;
viele Zellen enthielten gar keine, andere nur eine oder wenige
Vacuolen. Auch wollte es mir scheinen, als ob an Becheraellen
von Zupfpräparaten die Vacuolen stets in vermehrter Anzahl vor-
handen waren, so dass die Vermuthung naheliegt, man habe es
hier mit durch mechanische Insulte verursachten Kunstproducten,
somit mit Erscheinungen zu thun, welche das Absterben der Zelle
andeuten. Allerdings muss man die Möglichkeit in Betracht
ziehen, dass die Vacuolen an den Zellen in situ nicht so leicht
gesehen werden können. — Zwar konnte ich auch an Becher-
zellen unter gewöhnlichen Verhältnissen Vacuolen beobachten,
doch so selten und in so geringer Zahl, dass mich dieses Factum
zu keinem Schluss berechtigt. Immerhin möchte ich mit Rück-
sicht auf die überzeugenden und in der Hauptsache mit denen
von Ran vier*) übereinstimmenden Beobachtungen von Bieder-
mann die Möglichkeit zugeben, dass auch im vorliegenden Falle
die Vacuolen der Ausdruck einer physiologischen Erscheinung
sind; doch kann ich für eine derartige Annahme meine Befunde,
die zur Lösung der Frage nicht hinreichen, als nicht genügend
beweiskräftig ansehen. Jedenfalls könnten die beschriebenen
Schnittbilder normaler Zellen mit einer solchen Auffassung der
Secretbildung in Einklang gebracht werden. Wir erfahren durch
dieselben zunächst nur Einiges über die Veränderungen, welche
die Granula durchmachen, um (mit oder ohne ZwischensubstÄnz)
zum Secrete, resj). zu Vacuolen zu werden. Auch ist in den Be-
funden anschnitten nichts enthalten, was an und flir sieh einem
der endlichen Bildung des hcmiogenen Secrctes vorangehenden
Auftreten von Vacuolen widersprechen würde. Immerhin dürfen
wir nicht vergessen, dass wir es dort mit einem unter normalen,
hier mit einem unter künstlichen Bedingungen ablaufenden Pro-
cesse zu thun haben, und dass wir beide, wenn sie auch zu dem-
selben Resultate führen, nicht ohne weitere als nur graduell
UDO. partie. So chargeant ainsi de nmcine, il arrive k Touverture de
la eellulft, c'est k dire k la surface, transfornie en mucus.
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Ueber die Zungendrüsen von Angnis, Pseudopus und Lacerta. 229
von einander verschieden betrachten dürfen; es ist ja denkbar,
dass die Körnchen in Folge eines abnormalen Reizes sich anf
andere Weise in das Secret umwandeln, als unter gewöhnlichen
Verhältnissen.
An Zupfpräparaten findet man Zellformen, welche gewissen
Zellen, die Heidenhain (23) an der Submaxillaris des Hundes
nach maximaler Reizung derselben beobachtete, so auffallend
gleichen, dass ich mich behufs ihrer Beschreibung der Worte
Heidenhain's bedienen könnte und es theilwcise auch thun
werde. Es sind dies: Runde Zellen von sehr verschiedener
Grösse, in welchen ein Kern nur in undeutlichen Umrissen zu be-
merken ist (Fig. 24 a), ebensolche Zellen mit zwei ziemlich deut-
lichen Kernen (b); zweikemige Zellen mit einer deutlich zwi-
schen den Kernen durchgehenden Trennungslinie, also eigentlich
zwei Zellen, die übrigens nicht immer dieselbe Grösse haben (c).
— Nach Heidenhain entstehen diese Zellen bei der Subma-
xillaris während der Secretion durch Zellenvermehrung aus den
Complexen der Randzellen und werden theils als Speichelkörper-
chen entleert, theils gehen sie durch Schleimmetamorphose ihres
Protoplasmas in Schleimzellen über.
Im vorliegenden Falle sind bezüglich ihrer Bedeutung zwei
Annahmen möglich. Entweder sind sie durch Theilung aus ge-
wöhnlichen Epithelzellen — wahrscheinlich aus denjenigen, welche
zwischen den unteren Enden der secemirenden Zellen liegen —
entstanden; in diesem Falle dürften sie wohl als Ersatzzellen
für die bei der Secretion zu Grunde gegangenen Bechcrzellen zu be-
trachten sein, oder sie stammen aus der sehr nahe gelegenen
ünterzungendrüse und sind durch Zufall auf die Zungeuober-
fläche gekommen. Ich bin nicht im Stande, eine Entscheidung
zu fällen. Für die erstere Anschauung spricht das regel-
mässige Vorkommen dieser Zellen an Zupfpräparaten, sowie
die an Schnitten stets zu beobachtende vermehrte Anzahl der
zwischen den basalen Enden der Becherzellen liegenden, unter
gewöhnlichen Verhältnissen meist sehr spärlichen Epithelzellen,
gegen sie das scheinbare Fehlen von Theilnngsfiguren. — Es
ist meine Absicht, darüber weitere Untersuchungen anzustellen.
Einen besseren üeberblick über die eingetretenen Verände-
rungen gewinnen wir an Schnitten. Das Objcct wurde in con-
centrirter Picrinsäure gehärtet und auf die angegebene Weise
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I
230 V. Seiller:
mit Hämatoxylin und Eosin gefärbt. Um bei der Vergleichung
der gereizten und ungereizten Zellen den Verdacht auszuschliessen,
dass die sich ergebenden Unterschiede etwa auch durch eine
üngleichmässigkeit in der Behandlung bedingt wären, wurde ein
Stückchen Zunge eines nicht pilocarpinisirten Thieres gleichzeitig
in denselben Gefilssen gehärtet und geförbt und als Vergleichs-
object verwendet.
Die Präparate liessen auffallende Abweichungen vom Bilde
einer normalen Zelle erkennen. Auf den ersten Blick sieht man,
dass die Veränderungen bei den einzelnen Zellen variiren, und
man findet meist viele Veränderungsstadien auf einem Schnitte
beisammen. Im allgemeinen haben die Becherzellen an Höbe
wie an Breite abgenommen; in den interpapillären Räumen liegt
häufig eine blau gefärbte Masse, zu welcher aus dem Innern der
secemirenden Zellen Fäden hinziehen.
Man findet: cylindrische Zellen, deren Inhalt dem der ge-
wöhnlichen Epithelzellen gleich sieht, somit Protoplasma ist; es
wird wie jenes der Epithelzellen durch Eosin gefärbt; der Kern
ist gross, meist rund, er erscheint stets mehr oder weniger von
der Zellbasis abgerückt, der Nucleolus tritt deutlich hervor; das
Zellprotoplasma hat ein längsstreifiges Aussehen (Fig. 25 a) —
jenen gleichgestaltete Zellen, deren oberer dem freien Ende za-
gekehrter Abschnitt wie leer aussieht und ungefärbt ist; er nimmt
nicht mehr, häufig weniger, als die Hälfte der Zelle ein und
kann auch auf einen schmalen Streifen beschränkt sein. Der
untere Abschnitt enthält Protoplasma; dasselbe hat nach oben
hin eine concave Begrenzung, indem es an den Wänden der
Zelle höher hinaufreicht als in der Mitte. Der obere Abschnitt
weist zuweilen eine leicht röthliche Farbe auf; durch oberfläch-
liche Einstellung lässt sich feststellen, dass dieselbe durch die
Anwesenheit von Protoplasma bedingt ist, welches in einer dünnen
Schicht oder in Fäden an der Innenwand der Zelle hinau&ieht
(b) ; — Zellen, welche man sofort als Becherzellen erkennt. Das
Protoplasma erstreckt sich auf einen unteren, verschieden grossen,
manchmal mehr als die Hälfte der Zelle umfassenden Abschnitt;
der obere Theil ist mit mehr oder weniger deutlich contourirten,
blau gefärbten, in einer bläulichen Zwischensubstanz eingebetteten
Kömchen erfüllt; nächst dem freien Ende der Zellen sind jene
manchmal intensiver gefärbt, confluiren hier und da zu einer
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Ueber die Zungendrüsen von Angiiis Pseudopus und Lacerta. 231
Masse, die als pfropfartiges Gebilde oder in Form von Fäden
aus der Zelle heransragen kann; statt aas Eömehen kann der
Inhalt des oberen Abschnittes aus einer bläulichen Masse be-
stehen, die homogen sein oder noch die Spuren einer Granuli-
rung erkennen lassen oder eine netzartige Structur besitzen kann
(c); — Becherzellen — grösser als alle vorgenannten Zellen —
in welchen das Protoplasma nur die stumpfe oder in einen Fort-
satz auslaufende Basis einnimmt; der übrige Zellkörper ist unge-
fUrbt, sieht wie leer aus oder lässt in seinem Innern feine, matt-
glänzende, ebenfalls ungefärbte, unregelmässig lagernde Fäden
erkennen. Der Kern ist kleiner als bei den vorgenannten Zellen,
aber grösser als bei den meisten Zellen im normalen Zustande;
sie haben ein eigenthümlich deformirtes Aussehen, sind zuweilen
wie zerknittert, ihr freies Ende ist zerrissen (d); — ^ Becherzellen,
welche — bei sehr kleinem protoplasmatischem Abschnitt — mehr
oder weniger intensiv gefUrbte Kömchen enthalten ; diese können
in der Nähe der Zellöfinung gröber sein, zu einer homogenen
Masse zusammenffiessen, welche zuweilen ihre granuläre Abkunft
erkennen lässt (e); — oder es besteht der Inhalt der Zellen aus
einer netzartigen blau gefärbten Masse, die auch in den inter-
papillären Räumen zu sehen ist; der Kern ist klein und lässt
einen Nncleolus nicht oder nur sehr undentlich erkennen. Auch
diese Zellen sind meist deformirt, ihr vorderster Abschnitt scheint
manchmal ganz zu fehlen (f, g); — endlich Becherzellen, deren
Aussehen sich von dem normalen kaum merklich unterscheidet.
Diese Befimde lehren uns folgendes: Eine grosse Anzahl
der Becherzellen haben ihr Secret zum Theil oder ganz entleert;
damit im Zusammenhang ist eine Vermehrung ihres Protoplasmas
vor sich gegangen, welches schliesslich die ganze Zelle ausfüllen
kann; zugleich sind Veränderungen am Kern aufgetreten, wie
sie durch Heidenhain für eine grosse Zahl von Drüsenzellen
nachgewiesen wurden.
Auch bei seinem Wachsthum behält der protoplasmatische
Abschnitt seine nach oben concave Begrenzung bei. Die Ver-
mehrung des Protoplasmas scheint von der Peripherie auszugehen;
jedenfalls deuten darauf die Bilder hin, welche an der Innen-
wand der Theca eine Schicht oder Fäden von Protoplasma er-
kennen lassen, während man in gleicher Höhe central die An-
wesenheit desselben noch nicht constatiren kann. — Ebensowenig
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232 V. Seiller:
wie unter normalen Verhältnissen konnte ich hier etwas erblicken,
was mir die Existenz eines protoplasmatischen Fadenwerks inner-
halb der Theca hätte beweisen können. Das Pilocarpin hat
nicht bei allen Zellen die gleichen Veränderungen hervorgebracht.
Des wahrscheinlichen Zusammenhanges dieser Thatsache damit,
dass die Bechcrzellen in dem Zeitpunkte, als das Gift auf sie
einzuwirken begann, sich in verschiedenen Zuständen befanden,
wurde bereits Erwähnung gethan. Für diesen Zusammenhang
spricht eine an allen Schnitten wiederkehrende Eigenthlimlich-
keit. Fast alle Becherzellen in den tieferen Theilen der inter-
papillären Räume sind zu protoplasmatischen Zellen geworden.
Jene Zellen befinden sich, wie erwiesen wurde, unter gewöhn-
lichen Verhältnissen in einem Zustande fortgeschrittener Secret-
bildung. Dass solche Becherzellen bei einem gleich starken Reize
und unter sonst gleichen Umständen eher eine protoplasmatische
Regeneration erfahren werden, als diejenigen, welche sich in
einem jüngeren Entwickelungszustande befinden, ist wohl a priori
anzunehmen; dass dieses der Fall ist, beweisen unsere Befunde.
— Der Secretionsprocess scheint häufig rascher vor sich zu gehen,
als das Wachsthum des Protoplasmas; dafür sprechen die halb
protoplasmatischen halb leeren, sowie die anscheinend secret-
leeren Zellen mit sehr kleinem protoplasmatischen Abschnitt. Die
Umwandlung der Körnchen zum Beeret scheint sich bei künst-
lich erzeugter Reizung auf eine ähnliche Weise zu vollziehen,
wie unter gewöhnlichen Verhältnissen; dafür sprechen das häu-
fige Confluiren der Körnchen nächst dem Lumen, das Auftreten
von pfropfartigen Bildungen und netzartigen Massen. Jeden-
falls wird in beiden Fällen das Secrct in Form von homogenen
oder schwach granulirten kugelförmigen Gebilden ausgeschieden,
wie die Untersuchung der Zellen im frischen Zustande ge-
lehrt hat.
Zweifellos läuft der Secretionsprocess unter dem durch die
Pilocarpinvergiftung gesetzten Reiz sehr vehement und rasch ab;
ich glaube darauf die Formveränderungen und das eigenthtimlich
destruirte Aussehen vieler Becherzellen zurückführen zu können.
Biedermann ist im Wesentlichen derselben Ansicht. Nach ihm
kommt es, wenn durch Reizung der Drüsennerven oder durch
Pilocarpinvergiftung die Thätigkeit der Zellen über die Norm
gesteigert wird, sehr häufig zu einer förmlichen Sprengung und
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Ueber die Zungendrüsen von Anguis, Psoudopus und Lacerta. 233
Auflcigung desselben, indem der schleimige Inhalt rasch her-
vortritt.
So deformirt auch die Zellen sein mochten, niemals machte
es den Eindruck, als ob sie sich aus ilirem gegenseitigem sowie
aus ihrem Verbände mit der Cutis lösten. Dieser Umstand so-
wie die Thatsache, dass die Becher/ellen einen protoplasmati-
schen Zustand anzunehmen im Stande sind, beweist, dass die
Seeretion an und für sich den Untergang der Zellen nicht her-
beiftihrl. Von einer Zerstörung dieser durch jene kann nur in
dem Sinne die Rede sein, dass Becherzellen, welche in P^olge
ihrer geringen Lebensfähigkeit einer energischeren physiologi-
schen Function nicht mehr genügen können, bei der Secretion zu
Grunde gehen.
Obwohl kein directer Beweis vorliegt, /lass sich aus dem
Protoplasma der regenerirten Becherzelle wieder Secretstoflfe ent-
wickeln und jene somit wieder zu ihrem ursprünglichen Zustande
zurückkehrt, erscheint eine solche Annahme schon a priori kaum
als zweifelhaft.
Die Vorgänge in den Becherzellen sind somit cyclische.
Nehmen wir die Herkunft der Becherzellen von Epithelzellen an,
so würde sich aus einer solchen durch schleimige Metamorphose
des Protoplasmas eine Becherzelle entwickeln, diese nach Abgabe
ihres Secrets durch Wachsthum des in ihr noch befindlichen un-
veränderten Protoplasmas zu einer Zelle werden, welche in allen
Stücken einer Epithelzelle gleicht, und aus dieser würde durch
mucinoide Umwandlung wieder eine Becherzelle entstehen. Es
gebt natürlicherweise nicht an, anzunehmen, dass die Becher-
zellen stets ihr ganzes Secret entleert haben, ehe eine protoplas-
matische Regeneration eintritt; es dürften vielmehr der Secre-
tionsprocess und die Regeneration Hand in Hand gehen, wenn
auch jene häufig einen rascheren Verlauf nimmt. — Wie oft sich
nun dieser Turnus vollzieht, ehe die Zelle zu Grunde geht, muss
dahingestellt bleiben. — Es muss bemerkt werden, dass im ge-
schichteten Epithel viele Becherzellen die Veränderungen
nur in einem geringen Grade zeigen; es lässt sich diese Erschei-
nung aus dem Umstände erklären, dass die meisten der dort be-
findlichen Zellen mit ihrem unteren Ende nicht bis zur Cutis
reichen, und dass in Folge dessen das Gift, welches doch wohl
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234 V. Seiller:
nur durch die Gefässe weiter befördert wird, nicht in genügender
Quantität zu ihnen dringen kann.
Fast regelmässig triflFt man zwischen den basalen Enden
der Becherzellen oder zwischen diesen und der Cutis runde Kerne,
welche rundlichen Zellen anzugehören scheinen; oft glaubt man,
eine zusammengeflossene Schicht kemführenden Protoplasmas vor
sich zu haben. Wahrscheinlich handelt es sich hier um eine —
ofl^enbar durch den Reiz bedingte — Zellvermehrung, die von
den zwischen den basalen Enden der Becherzellen liegenden Epi-
thelzeilen ausgegangen sein dürfte. . Vielleicht finden wir hier jene
runden Zellen wieder, die wir an Zupfpräparaten angetroffen haben.
Die Ansicht, dass die Becherzellen nach Entleerung ihres
schleimigen Inhaltes zu Grunde gehen, hat nur wenige Vertreter
aufzuweisen.
Knauff sagt in der bereits citirten Arbeit (32), dass die
Schleimmetamorphose der Flimmerzellen, welche in der Regel
unter der Becherbildung vor sich geht, mit der nachfolgenden
Abstossung derselben die Schleimsecretioa selbst ist. „Man kann^,
deducirt er, „also auch nicht in der Becherzelle eine elementare
Drüse sehen; ein einzelliges Gebilde, dessen Existenz mit dem
Secretionsvorgange seinen Abschluss findet, verdient diesen Namen
ebensowenig, als das Epithel der Samenkanälchen oder der Talg-
drüsen.**
Fries (18) ist der Meinung, dass die Becherzellen nach
dem Entleeren des Inhaltes zu Grunde gehen. — Im J. 1868
erschienen die Untersuchungen Heidenhains über die Speichel-
absonderung, in welcher dieser Forscher den Standpunkt vertritt,
dass die Schleimzellen der ünterkieferdrüse mit der Secretion
ihren Untergang finden. Er hebt ferner hervor, „da^s auch die
Becherzellen der Häute nichts als Zellen mit schleimig metamor-
phosirtem Protoplasma sind und auf ganz derselben Linie mit
den Schleimzellen der Drüsen stehen . . . ." Nach seinen Beob-
achtungen stimmen die Becherzellen der Haut von Fischen mit
den Schleimzellen der Drüsen in allen wesentlichen Punkten
überein. Die Becherzellen seien geradeso transitorischer Natur,
wie etwa die Epithelzellen der Talgdrüsen. Später misst Hei-
denhain, wie aus seiner Physiologie der Absonderungsvorgftnge
(24) hervorgeht, den Schleimdrtlsenzellen eine grössere Persistenz
bei. Nach Eimer (15) gehen die Becherzellen zu Grunde, „nachdem
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üeber die Zimgendrüsen von Anguis, Pseudopus und Lacerta. 235
sie ihren Inhalt entleert, nachdem sie damit ihre Aufgabe, als
einzellige Drüssen zu wirken, erfüllt haben".
Die Mehrzahl der neueren Beobachtungen stimmen wohl
darin überein, dass die Secretion nicht den Untergang der Becher-
zellen herbeiffthrt, dass sie vielmehr im Stande sind, den Secre-
tionsact öfter zu wiederholen.
Hebold (22) spricht sich ziemlich bestimmt fttr eine mehr-
malige Secretion der Becherzellen aus: „Abgesehen davon, dass
es ja nicht einmal ausgemacht ist, ob die Becherzelle sich auf
einmal ganz entleert, und immerhin die Möglichkeit besteht, dass
das Entleerte auf dem Wege des unbekannten Secretmechanis-
mus ersetzt werden könne, so spricht doch schon die Wahr-
scheinlichkeit für ein gerade nicht ephemeres Dasein dieser Zel-
len. Soviel ist sicher, die Becherzellen werden als Ganzes zu-
gleich mit ihrem Inhalt nicht ausgestossen." — Kölliker (34)
hält es fftr denkbar, dass die Becherzellen, nachdem sie ihren
Inhalt abgegeben, wieder Protoplasma bilden und aus diesem
Schleim erzeugen. — List (46) betont, dass die Becheiv.ellen
mehrmals zu secemiren im Stande sind. Die Abstossung der
Becherzellen steht nach ihm einzig und allein mit der Regenera-
tion des Epithels im Zusammenhang. — Aus der von Merk (50)
gegebenen Darstellung des Secretionsprocesses bei den Becher-
zellen aus der Oberhaut der Forellenembryonen geht hervor, dass
der Verfasser nichts finden konnte, was auf den Untergang der
Becherzellen bei der Schleimabsonderung schliesen Hesse ^).
Klose scheint der erste gewesen zu sein, welcher bei den
Becherzellen eine protoplasmatische Regeneration direct nachwies;
nach ihm haben Patzelt, Schief f er decker und Paneth
eine solche beobachtet, während sich andere Forscher, wie z. B.
List, gegen dieselbe aussprechen. — Auch bezüglich der Frage,
ob in der Theca der Becherzellen intra vitam ein Netzwerk
1) Anschliessend möchte ich hier bemerken, dass ich einen Se-
cretionsvorgang, wie ihn Merk unter dem Namen des „Kömchen-
platzens^ beschreibt, oder eine jenem Vorgange analoge Erscheinung
niemals beobachten konnte; bei meinen Objecten konnte ich wie F.
E. Schulze nur eine Pfropfausstossung bemerken und muss daher
annehmen, dass die Pfropfe erst nach ihrer Ausstossung aus der Zelle
sich in flüssiges Secret imiwandeln.
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236 V. Seiller:
existirt, uud als was dasselbe aufzufassen sei, weichen die An-
sichten der Autoren von einander ab.
Klose (31) gibt an, dass nach, durch Injection von Pilo-
carpin hervorgerufener, lebhafter Absonderung der Darmschleini-
haut die Becherzellen in den Dickdarm- und Dünndamidrtisen
sowie der Oberfläche des Darniepithels verschwinden. „Statt
ilirer *) ist der Schlauch von schmalen längsstreifigen, stark förb-
baren Zellen mit runden oder ovalen Kernen ausgekleidet, voll-
kommen ähnlich den Zellformen, welche die typische Auskleidung
der Darmdrttsen bilden Die Schleimzellen haben ihr Mucin
entleert, gleichzeitig hat Zunahme ihres Protoplasmas und die
für alle Drttsenzellen bei starker Thätigkeit typische Verände-
rungen ihres Kernes stattgefunden. — Bei geringgradiger Abson-
derung sind die Veränderungen nicht soweit vorgeschritten, so-
dass man alle Uebergänge von dem Typus der gewöhnlichen Be-
cher/.ellen zu dem Tjqius der oben beschriebenen, vollständig
veränderten Zellen vorfindet."
P a t z e 1 1 (53) gewinnt bei seinen Untersuchungen über die
Em bryonalerit Wickelung der Dickdarmschleimhaut die Anschauung,
dass sich das Protoplasma derBecherzellen nach Ent-
leerung ihres schleimigen Inhaltes allmählich regenerirt und
der Process der Bccherzellenbildung auf's neue beginnt; es ist
nicht zu eruiren, wie oft sich dieser Wechsel schleimiger Um-
wandlung und Regeneration wiederholt.
S Chief ferdecker (57) beobachtete an den Becherzellen
der Krötenblasse nach Färbung mit Eosin und Anilingrün Unter-
schiede, die er für den Ausdruck von Thätigkeitszustän-
d c n ansieht. Als Anfangsstadium erscheint ihm eine protoplas-
matische, kömige, sich mit Eosin rosa färbende Zelle, der Kern ist
gross und zeigt Kernkörperchen. Die nächste Veränderung be-
steht in dem Auftreten von dunkelnPünktchen, wobei der
Kern an die Wand rückt und platter wird. Im nächsten Sta-
dium treten neben den bisherigen feinen, dunkeln Pünkt-
chen gröbere auf, welche zerstreut in der Zelle liegen und
dunkler aussehen. Die dunkeln Punkte mehren sich,
und es treten zuerst einzelne Maschen eines Netz-
1) Folgende Darstellung ist Heidenhain's Physiologie der Ab-
sonderungsvorgänge entnommen (24).
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Üeber die Zungendrüsen von Anguis, Pseudopns und Lacerta. 23t
Werks auf, das ebenso dunkel gefärbt ist wie die dun-
keln Punkte. Der Kern ist ganz platt geworden. Das
Netzwerk wird nun immer dichter, zwischen den Maschen liegt
nun eine ganz blass rosa gefärbte StTbstanz; in d e n M a s c h e n
sieht man noch dunkle Pünktchen. Der Kern liegt platt
an der Wand. Das Netzw^erk wird in einem Theile dann in der
ganzen Zelle ein grobmaschiges. Endlich löst sich das Netz-
werk wieder auf, an seine Stelle treten wieder massig dunkle
Pünktchen, der Kern wird wieder breiter. Dieses Stadium bildet
den Uebergang zum Anfangsstadium der Zelle.
Diese Bilder deutet S c h i e f f e r d e c k e r auf folgende Weise :
„Wir finden in dem Blascnmittel von Frosch und Kröte zerstreut
eine Anzahl grobkörniger, protoplasmatischer Zellen. In diesen
wird wahrscheinlich ein Netzwerk vorhanden sein, deim nach
unseren jetzigen Kenntnissen ist ja anzunehmen, dass eine jede
Zelle eine derartige Structur besitzt, und die grobe Körnung fin-
det hierdurch vielleicht ihre Erklärung, Nun, jedenfalls färbt sich
dieses Netzwerk mit Eosin, mit Anilingrün aber nicht. Es tritt
nun in der Zelle die Umänderung ein, dass eine Substanz in ihr
sich bildet, vielleicht als eine Modification des alten Netzwerkes,
welche sich mit Anilingrfln färbt. Diese Substanz nimmt au
Masse immer zu, bis sie schliesslich die ganze Zelle als Netzwerk
durchzieht. Es wäre ja sehr wohl mr)glich, dass auf diesem
Gipfel der Veränderung nun endlich das ganze alte Netzw^erk in
die neue Modification übergegangen ist, doch lässt sich darüber
nichts Sicheres aussagen. Während diese Veränderungen vor sich
gehen, wandelt sich auch der Inhalt der Netzmaschen um, die
intrareticuläre Substanz. Dieselbe erscheint heller, mehr flüssig,
und die intensiv rosa Färbung macht einer leicht rosabläulichen
Platz. Der Kern verändert seine Lage, seine Form und seine
Färbung. Seine Lageveränderung lässt darauf schliessen, dass
bei den erst beschriebenen Veränderungen in der Zelle ein Stoff
sich bildet, welcher luehr Platz einnimmt als der früher vorhan-
dene, wodurch der Kern dann an die Wand und platt gedrückt
wird. Die Aenderung der Färbung lässt annehmen, dass auch
der Kern chemisch sich verändert. Wir müssen diese Umwand-
lung der rothen, jn^otoplasmatischen Zelle als den Ausdruck ihrer
Thätigkeit auffassen. Die Stoffe, welche bei dieser Umwandlung
gebildet werden, als das Secret der Zelle." Ferner sagt er-:
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238 V. Seiller:
^Will man hierbei einen thätigen and einen nnthätigen Znstand
unterscheiden, so mnss man als den ersten wohl den betrachten,
in. welchen sich die Zelle umwandelt, und als den Gipfelpunkt
der Thätigkeit also den, in welchem diese Umwandlung am
meisten vorgeschritten ist, in welchem die Zelle von jenem dun-
keln Netzwerk ganz erfüllt ist; als Zustand der Ruhe würde
dementsprechend die protoplasmatische Zellform aufzufassen sein,
doch sind die Ausdrücke Ruhe und Thätigkeit hierbei wohl über-
haupt nicht recht passend, da die Zelle de facto wahrscheinlich
niemals ruhen, sondera immer in irgend welcher Veränderung
sich befinden wird; und es dürfte daher wohl richtiger sein,
von einem „secretleeren" und einem „secretgefllUten" Zustande
zu reden."
Es gleichen somit, wie aus dem Angefahrten zu ersehen ist,
die Beobachtungen Schiefferdecker's den meinen in vielen
Punkten, wenn wir auch in der Deutung derselben von einander ab-
weichen. Schiefferdecker misst meiner Ansicht nach dem sich
in den Becherzellen bildenden Netzwerke (welches er intra vitam
nicht beobachten konnte), insofeme zu viel Bedeutung bei, als er
den Werth desselben als Structureigenthümlichkeit
demjenigen des in der protoplasmatischen Zelle befindlichen Netz-
werkes gleicht stellt, aus welchem er es sich auch entwickeln lässt.
Ich bin, wie gesagt, der Meinung, dass es aus dem entweder
intra vitam oder in Folge der Reagenswirkung zerfliessenden Köm-
chen entstanden ist — (deren Auftreten ja auch Schieffer-
decker als für ein gewisses Stadium characteristisch ansieht) —
so dass man ihm einen eigentlichen Structurwerth nicht bei-
messen kann. Im übrigen stimmen so viele Details in unseren
Befunden mit einander überein, lassen sich mehrere seiner Folge-
rungen, wie: dass in dem von ihm als Thätigkeit angesprochenen
Zustande der Becherzelle sich in ihr ein Netzwerk und eine
sich schwächer färbende Substanz in den Maschen desselben
bilde; dass das Netzwerk sowohl wie der Mascheninhalt auf dem
Gipfel der Ausbildung des ersteren, einem Stadium, das wohl
auch dem Gipfel der Zellthätigkeit entspricht, durch einen Poms
austrete; dass die Menge des Mucins in einem Secrete propor-
tional der Ausbildung des Reticulums sei — so ungezwungen auf
die von mit vertretene Ansicht zurückführen, dass ich mich ver-
leitet ftihle, seine Befunde auf meine Art zu deuten.
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lieber die Zungendrüsen von Angnis, Pseudopus und Lacerta. ?3d
Anknüpfend an das Bedenken Schiefferdecker's bezüg-
lich der Anwendung der Ausdrücke Ruhe und Thätigkeit auf
die Fnnctionszustände der Drüsenzelle möchte ich erwähnen,
dass, wenn auch das Argument Schiefferdecker's, dass clie
Zdle de facto niemals ruhen, sondern immer in irgend welcher
Yeränd^mng sich befinden wird, vollkommen zutrifft — (es gilt
dies ja^ ftir jede lebende Zelle) — die Beibehaltung der obigen
Ausdrücke dennoch ihr Gutes hat. Ich möchte mit dem Aus-
dracke „Thätigkeit** diejenige Function der Drüsenzelle bezeich-
nen, welche ihrer endgiltigeq, für den Organismus, in dessen
Diensten sie steht, wichtigsten Angabe entspricht, also der Aus-
scheidung von dem Organismus nützlichen oder für denselben un-
brauchbar gewordenen Stoffen. Auf dieselbe Weise möchte ich
auch den Ausdruck „Secretion" gebrauchen. Die Anwendung
des Ausdruckes „Ruhezustand** ergibt sich dann von selbst (in
ihm könnten wir dann — wenn sich eine weitere SpeciaKsirung
als zweckmässig erweisen sollte — einen protoplasmatischeii
und einen Zustand der Secretbildung unterscheiden). Auf diese
Art würde zugleich durch passende Bezeichnungen diejenige
Function, welche als Thätigkeit wahrnehmbar ist, von
allen anderen Functionen unterschieden werden, welche den Ein-
druck einer Bewegung nicht hervorrufen, den Zustand der Ruhe
vortäuschen und somit als „Ruhezustand'* bezeichnet werden.
M^rk wendet sich gegeVi die Ausdrücke Schiefferdecker's
„secretleer" und secreterfüllt", da es keine secretleeren und secret-
erfüllten Becherzellen gibt, „sondern die Zellen sind immer ge-
filllt, wenn auch nicht mit Secret, so doch mit einer Masse, die
sieh unter lebhafter Bewegung der Bestandtheile in das Secret,
den Schleim umwandelt." Das mag wohl, nach den üntersuchun-
geb Merk 's ftir die Becherzellen in der Oberhaut der Forellen-
embryonen vollkommen zutreffen. Dass die Becherzellen niemals
„leer" sind, ist wohl nicht zu bezweifeln; doch kann man des-
wegen den protoplasmatischen Zustand als einen secretleeren
bezeichnen, da Protoplasma, oder — besser gesagt — diejenige
Substanz, die wir mit dem Namen Protoplasma schlechweg be-
zeichnen, kein Secret ist.
Nach den Untersuchungen Paneth's (51) verwandelt sich
jede Epithelzelle des Darms von Zeit zu Zeit in eine Becherzelle,
und diese wüi'de, nachdem sie ihr Secret entleert hat, wieder zu
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240 V. Seillci*!
einer Epithelzelle werden, und zwar auf dem Wege der „schma-
len Zellen", die Paueth als Reste von Becherzeller ansieht.
„Diese Zellen haben ein Protoplasma, welches sich von dem-
jenigen der anderen Epithelzellen unterscheidet, wie das der Be-
cherzellen; sie sind schmal; ihr Kern zeigt alle ücbergänge zwi-
schen der Beschaffenheit des Kerns der Epithelzellen und der-
jenigen der Becherzellen." Im Hinblick auf diese Eigenschaften
der „schmalen Zellen" glaube icli, dass Paneth hier in proto-
plasmatischer Regeneration begriffene Becherzellen gesehen bat.
— Nach seinen Beobachtungen am Darm des Triton gelangt er
zu der Ansicht, dass in den Becherzellen pari passu mit dem
Auftreten des Secrets das Protoplasma zu Grunde geht, anders
ausgedrückt, dass sich das Protoplasma in Secret verwandelt und
dass zwischen denSecrettröpfchen irgend etwas
liegt, vielleicht eine an organischen Substanzen
sehr arme Flüssigkeit — aber kein Protoplasma.
Für das von ihm untersuchte Object vertritt er die Ansicht,
„dass das Gerüst in der Theca — die Filarmasse, fibrilläre Sub-
stanz derselben — aus den zerflossenenKörnchen her-
vorgegangen ist. Dieses Zerfliessen der Körnchen ma^
schon intra vitam vorkonunen oder es geschiebt
unter dem Einflüsse des Reagens".
Nach Klein (29, 80) entstellen die Becher/eilen derDaVm-
sclileimhaut dadurch, dass sich die interfibrilläre Substanz der
Epithelzellen in Mucin verwandelt und durch Quellung die Zellen
zur Annahme der Becherform zwingt. Der Inhalt besteht daber
nach Klein aus einem Netzwerk (entsprechend der Filannasse
Flemming's resp. dem Protoplasma Kupffer's, Spong^o-
plasma L e y d i g ' s) und aus einer schleimigen homogenen Sub-
stanz (welche durch Umwandlung der Intertilarmasse (Fleni-
m i n g) resp. Paraplasma (K u p f f e r), Hyaloplasma (L e y d i g)
entstanden ist). Klein hat — wie es scheint — das Netzwerk
der Becherzellen nur nach Behandlung derselben mit Reagentien
erhalten, es an Zellen im frischen Zustande aber niemals g-e-
sehen; auch scheint er den kr^rnigen Zustand dieser, der ja
gerade an den Becher/cllen des Darmes von vielen Autoren be-
obachtet wurde, nicht gekannt zu haben.
List (46) hat Bccherzellen verschiedenster Provenienz unter-
sucht. Nach ihm besteht bei allen der Inhalt aus einer in Form
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lieber die Zungendrüsen von Angnis, Pseudopus und Lacerta. 241
eines Gerüstwerkes die Theca durchziehenden, FarbstoflFe
sehr begierig aufnehmenden Substanz, Filarmasse, und aus einer
zwischen den Maschen letzterer befindlichen, anscheinend homo-
genen, Farbstoffe nur in sehr geringem Maasse aufnehnieiiden
Substanz, Interfilarmasse. Die Stränge der Filarmasse variiren
bezüglich ihrer Form, Länge und Dicke mannigfach; die einzelnen
Maschen erscheinen ^Is polygonale Felder, deren Ecken durch
kuotenartigeVerdickungen markirt sind. — List spricht
sich ganz entschieden gegen Schiefferdecker's Annahme
eines protoplasmatischen beziehungsweise unthätigen, secretlecren
Zustandes aus. — Die Secretion beruht nach List auf einer
Art Quellungsprocess, der vorwiegend die Interfilarmasse ergreift.
Schon beim Beginn der Secretion kann man eine bestimmte
Orientirung der Maschen bemerken, indem dieselben mit ihrem
Längsdurchmesser gegen das Stoma convergiren. Die
Stränge der Filarmasse ei*scheinen an dem oberen Theile der
Thecawand als scheinbar dichte und compacte Massen, indem
sich auch die Interfilarmasse daselbst stärker tingirt. Es wird
znnächst ein Theil des Zellinhaltes (Filar- und Interfilar-
masse) ausgestossen und lagert nun als p f r o p f a r t i g e M a s s e
über dem Stoma, zum Theil auch die benachbarten p]pithelzellen
überdeckend ; oder es können auch die Stränge selbst bei
dem Stoma herausragen. — List 's und meine Be-
funde an Schnitten stimmen somit in vielen Punkten überehi,
wenn auch die Deutung derselben in Rücksicht auf unsere diflfe-
rente Auffassung der „Filarmasse" verschiedeYi ist.
Stöhr(59) sagt in seiner Arbeit tiber Schleimdrüsen unter
anderem: „Bekanntlich besteht die Zellsubstauz (das Protoplasma
der älteren Autoren) aus einem feinen Fadenwerke, der Filar-
masse, und einer zwischen dieser befindlichen Substanz, der
Interfilarmasse Die Secretbildimg geht bei vielen
DrUsenzellen, besonders bei den Schleimdrflsenzellen, in der Weise
vor sich, dass viele Vacuolen entstehen, welche mit einer schleim-
werdenden (mucigenen) oder schon schleimigen (mucöscn) Flüssig-
keit gefüllt sind. Durch diese Vacuolen wird die Zellsubstanz,
indem sie den Raum zwischen den Vacuolen ausfüllt, gezwungen,
die Form eines Netzes anzunehmen. Man könnte sich nun beim
ersten Anblick versucht fühlen, das Netzwerk mit der Filarmasse, die
in den Maschen befindliche Substanz mit der Interfilarmasse zu
Archiv f. mikrosk. Anat Bd. 38 16
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242 V. Seiller:
identificiren, ein bedenklicher Fehler; denn jeder Strang des
Netzwerkes ist ja Zellsubstanz, d. h. er besteht aus Filarma^se
und Intei-filarmasse.
In diesen Irrthum ist nun in der That Klein und neuer-
dings auch List gerathen. Letzterer nennt gerade zu etc."
Es hat nun weder Stöhr noch sonst jemand nachgewieseu,
woher dieVacuolen bei der Schleinibildung stammen, ob sie der
Filannasse, der Interfilarmasse, beiden oder irgend einer anderen
Substaiiz inner- oder ausserhalb der Zelle ihren Ursprung verdanken.
Somit ist est wohl nicht gerechtfertigt, wenn Stöhr*) es als
einen bedenklichen Fehler bezeichnet, dass Jemand ein in den
Becherzellen befindliches Netzwerk mit der Filarmasse, die in
dessen Maschen befindliche Substanz mit der Intei'filarmasse identi-
ficirt. Nun thut dies List nicht einmal, was er in seiner Ent-
gegnung auf den 'Angi-iflF Stöhr's auch mit vollem Recht be-
merkt (48). Ich habe die Arbeiten List 's aufmerksam gelesen,
ehe ich die betreffende Arbeit Stöhr's kannte und kam zur
üeberzeugung, dass List niemals auch im entferntesten an die
ihm vindicirte Identificirung gedacht, sondern' unter der Filar-
und Interfilarmasse den von ihm untersuchten Drtisenzellen zu-
kommende, aus der umgewandelten Zellsubstanz hervorgegangene
Stnictureigenthümlichkeiten verstanden hat, wenn er ihnen auch
— allerdings unvorsichtiger Weise — die Namen, die von Flem-
niing bereits ftir die Bestandtheile der Zellsubstanz in Anwen-
dung gebracht wurden, beigelegt hat.
Biedermann (5) gibt an, in frischen Becheiv.ellen der
Zungenschleimhaut des Frosches zwischen den in ihnen befind-
lichen Vacuolen, wenn dieselben sehr dicht standen und fast den
ganzen lunenraum der Theca aust*üllten, ein feines protoplasma-
tisches Netzwerk gesehen zu haben.
Leydig (42) sagt, dass der obere Theil der Becherzelle,
welchen der Secretraum einnimmt, von einem Maschenwerk durch-
zogen wird, lässt sich jedoch nicht weiter auf dasselbe ein.
Holl (27) hat an den Körner- und Becherzellen aus der
Mundhöhle von Rana temporaria nach Behandlung mit Osmium-
1) Stöhr beruft sich hierbei auf Fiemming (17), der es aber
selbst dahin gestellt sein lässt, ob das Netzwerk der Becherzellen aus
Filannasse oder aus dieser und Interfilarmasse besteht (1. c. p. 66).
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Üober die Zungendrüsen von Anguis, Pseudopus und Lacerta. 243
säure ein feines Fadengerüst (Filarmasse) gesehen, welches an
den Kfirnerzellen nur dann erkenntlich war, wenn die KOmchen
(luterfilannasse) ganz oder theilwcise entleert waren. Bei den
Becher/eilen ist die Filannasse homogen.
Nach Drasch (9, 10) besitzen die Bechcraellcn des Tra-
chealepithels ein ausgeprägtes Netzwerk (nach Isolation in Mflll.
Flüss.). Dasselbe ist bald grobmaschig, bald feinmaschig und nimmt
sehr begierig Farbstoffe auf. An den Becherzellen der Haut von
Amphibien und Fischen konnte Drasch weder im frischen Zustande
noch nach Zusatz von Essig oder Chromsäure ein Netzwerk er-
blicken; bei Anwendung von Färbemitteln eiV.ielt man nur eine
diffuse Färbung; im frischen Zustande erscheint ihr Inneres
wie homogen.
Nach den Untersuchungen von Merk (50) ist in den Be-
cherzellen in der Oberhaut der Forellcnembryonen ein p r ä -
existentes Faden netz une r we islich. Die „Filar-
masse'' ist ein Kunstproduct, entstanden durch Einwirkung von
Reagentien ^).
Nach Abschluss vorliegender Untersuchungen gelangte ich
zur Kenntniss zweier Arbeiten, auf deren Resultate ich hier noch
kurz eingeben möchte.
Die eine, von Langley (^10), beschäftigt sich hauptsächlich
mit dem Wesen und der Aufgabe der Granula der Schleimdrü-
senzellen. Langley kommt zunächst zu dem Schluss, dass
den Gran Ulis bei der Schlei nibereitung eine we-
sentliche Rolle zufällt. Elr untersucht ferner die Gra-
nula bezüglich ihres Verhaltens gegenüber Reagentien : Bezüg-
lich der Ergebnisse wäre als characteristisch hervorzuheben, dass
auch nicht in einem einzigen Falle Netzwerk und Gra-
nula an ein und demselben Präparate zugleich beob-
achtet werden konnten. — An der Haut des Regenwurmes
beobachtete Langley transparente Bccherzellen und Zellen, welche
distincte Granula von verschiedener, aber im allgemeiiien ziem-
lich bedeutender Grösse enthielten. Die grösseren dieser Zellen
1) Dass übrigens die fibriliJire Struetur der Zellsubstanz, welche
g^eradezu Mode geworden ist, in neuerer Zeit durchaus nicht unange-
fochten dasteht, dass man vielmehr beginnt als activen Elementarbe-
st^ndtheil der Zelle das Gramilum in's Auge zu fassen, zeigen die
Untersuchungen von Alt mann (1).
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244 V. Seilleri
waren in ihrer Gestalt den Beeherzellen sehr ähnlich. Langley
ist der Meinung, dass die Bec herz eilen aus diesen gra-
nulären Zellen entstehen. Wird das Thier gereizt, tritt
an der Oberhaut heftige Schlciinabsonderung ein; an gehärteten
Präparaten von ausgiebig gereizten Thieren sind Beeherzellen und
granuläre Zellen in viel geringerer Zahl zu sehen. Langley
gelangt zu der Annahme, dass die Granula behufs Schleira-
bildung ausgeschieden wurden, und dass die Becher-
zellen die mehr oder weniger erschöpften granulären
Zellen darstellen, wenn er auch, wie er selbst sagt, dafür
keinen sicheren Böweis erbringen kann. Er giebt an, dass die
Granula durch Osmiumsäure und nach Miss Greenwood's Aus-
sage (überraschender Weise!) durch alle (!) Reagentien erhalten
werden ^).
1) In tlie epidermis of tlie worin, both transparent goblet cells
containing discrcte granulös of* varying but generally largo size are
present, the largor granulär eolls are in shape like the
goblet cells. . . Apparently (Iramilar colls give rise to goblet cells.
When a worin is stirnulated with internipted shocks, it rapidly secrctes
a nuicous siibstance. It' a worm — or portion of a worin — be thus
stirnulated at iutorvals during" an liour or two, until Httle or no se-
cretion in obtained, and tlie be hardened it will be seon tliat both
goblet cells and granulär cells are niuch fewer in number, froni tlic
above mentioned facts it seetns to nie probable that the granulös are
turned out to form the mucous substance and that the groblet cells
are the more or less eniptied granulär cells but 1 liave not been
able to obtain conipletoly satisfactory proof of this They are
roadily preserved by osmic acid — and as Miss Groenwood has pointed
out to nie — by nearly all hardening agents.
2) I have niade a few obsorvations upon mucous cells in many
otlier positions and it appears to nie that no common aeount is possiblo
for them all. 1 am inclined to think that the most general descriptiou
applicable to them is, that originally protoplasmatic colls containing
smali protoid granulös form sphores of mucous substance, these niay
occupy nearly the whole of the cell or leave free a basal portion
In some cases the mucous sphores incroase at the exponse of the finely
granulär protoplasm and run together, so that the protoplasm is then
present as a network running through the man of mucin. The amonut
of protoplasm left as a network varies in diiferent cases and it mav
be nearly, and possible entirely, absent from the luminar portion of
the colls. In otlier cases the sphores increase at the expense of the
cell substance, without running together, so that they are separated
from one another for the most part by fluid and not by cell substance.
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Ueber die Zungendrüsen von Anguis, Pseudopus und Lacerta. 245
Langley gelangt zu der Ansicht, dass bezüglich des
histologisclien und physiologischen Verhaltens der Schleimdrüsen-
zellen eine allgemein gültige Regel nicht aufgestellt werden
Icönme; von den Sätzen, welche er auf alle Schleimzellen am
ehesten noch für anwendbar hält, führe ich folgende an: In
der ursprünglich protoplasmatischen Zelle bilden sich Vacuolen
von Schleimsubstanz, welche fast den ganzen Zellraum einnehmen
oder eine basale Partie freilassen. In manchen Fällen wachsen
die Sehleimvacuolen auf Unkosten des fein granulirten Proto-
plasma und fliessen zusammen, so dass das Protoplasma als ein
Netzwerk gegenwärtig ist, welches sich durch die Schleimmasse
ausbreitet. Der als Netzwerk zurückgebliebene Betrag von Pro-
toplasma variirt in den verschiedenen Fällen und kann fast ganz
und möglicher Weise gänzlich in dem luminaren Theil (Secret-
raum) der Zellen fehlen. In anderen Fällen wachsen die Vacuo-
len auf Kosten der Zellsubstanz ohne zusammenzufliessen, so
dass sie grösstentheils durch Flüssigkeit und nicht durch Zell-
substanz von einander getrennt werden.
Die zweite Arbeit gehört eigentlich nicht hierher. Der Um-
stand, dass sie offenbar zur Belehrung aller derjenigen geschrie-
ben ist, welche noch Drüsenzellen untersuchen wollen, möge eine
kurze Erörterung rechtfertigen.
In einem Aufsatze über den Mechanismus der Secretion
kann van Gebuchten (20) in einer ziemlich bombastischen
Einleitung zunächst nicht oft genug betonen, dass trotz der zahl-
reichen Untersuchungen über Drttsenzcllen, trotz der vielen Ar-
beiten — besonders der neueren — über die innersten Vorgänge
in Drüsenzellen während der Secretion unsere Kenntnisse über
den Mechanismus des Secretion sehr unvollständig sind. Bezüg-
lich vieler Fi^en herrschen noch die divergentesten Ansichten
(les divergences d'opinions les plus complötes): Kann eine Drü-
senzelle mehnnals secemiren ohne zu Grunde zu gehen oder ist
mit der Secretion der Untergang der Zelle nothwendig verbun-
den? Nimmt der Kern thätigen Anthcil an der Secretion oder
nicht? Dringt das Secret auf osmotischem Wege (!) durch die
Zellmembran oder wird die Zelle zum Theil zerstört, um dem
Secret seinen Weg nach Aussen zu verschaffen? Wie werden
die Zellen, wenn sie nach mehimaliger Secretion zu Grunde
gehen, ersetzt und woher kommen die Ersatzzellen? Aber
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246 V. Seiner:
der Grund dieser schauderhaften Unwissenheit liegt ja auf der
Hand! Man hat es eben nicht verstanden, ftir die Erforschung
dieser Dinge die richtigen Objecte zu wählen! Die S])eicheldrü-
sen der Säugethiere sind zu coniplicirt, die einzelligen Schleinidrüsen
und die liecher/ellen sind zu klein! ^). Dieses für das Studium
der betreffenden Fragen durchaus geeignete Obj'ect (cet objet
tout particulier d'etude) glaubt nun van Gebuchten gefunden
zu haben in der epithelialen Bekleidung des Mitteldarmes der
Larve von Ptychoptera contaminata. Was ist nun eme
der hauptsächlichsten Eigenschaften dieses ObjectesV Lassen wir
den Autor selbst sprechen: „Les cellules epitheliales du niediin-
testin de notre larve ne nous perniettent pas d'etudier les divers
phenom^nes du processus et leur succession reguliere directenient .
sur le vivant. Pour rc^soudre la (juestion nous devons couiparer
entre eux tous les Stades de la secrction, que Ton trouve dans
les coupes niicrotomiques et tacher de reconstituer avec eux la
marche reguliere du ])henoni{»ne." Das heisst auf Deutsch: man
sieht am frischen Gewebe gar nichts, denn wenn van Gebuch-
ten etwas gesehen hätte, so hätte er es gewiss angegeben; von
Beobachtungen am überlebenden Objecte thut der Autor aber
auch nicht mit einem Worte Erwähnung. Van (Je buchten
scheint nicht zu wissen, dass die Drtisen/ellen, insbesondere die
Schleimzellen von den meisten Härtungsmitteln verändert werden;
er hätte es wenigstens aus mehreren neueren Arbeiten, z. B.
denen v(m Merk, Biedermann, Langley, Paneth und an-
deren ersehen können, wenn er in den neuen Arbeiten auch
sonst nichts findet, was für die Erforschung der physiologischen
Processe bei Drüsen von Bedeutung wäre. Van Gebuchten
hätte femer wissen können, dass fast alle neueren Verfasser von
Arbeiten über Histologie und Physiologie von Ditfsenzellen die
Befunde an Schnitten mit den Beobachtungen am lebenden Ob-
jecte vergleichen, um sich vor Täuschungen zu bewahren. Wenn
nun die Larve von Ptychoptera contaminata, wie es seheint,
ein derartiges Verfahren nicht gestattet, so ist sie ftir das Stu-
dium des Secretionsmechanismus jedenfalls ein recht schlechtes
1) . . . les auteiirs se sont adrcssc^s k dos organes aussi cooiplexes
que le sont les glandes salivairs des mamiiüferes ou k des eleraents
petits comme les glandes mucipares unicellulaires ou cellules
caliciformes.
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Ueber die Zungendrüsen von Anguiö, Pseudopus und Lacerta. 247
Ohject. Für die Schlüsse, zu denen van Gebuchten gelangt,
sind seine Befunde nicht beweisend, abgesehen davon, dass jene
zum Theil längst Bekanntes, an anderen Objecten besser Erwie-
senes wiederholen, und wir haben alle Ursache, recht froh zu
sein, dass andere Beobachter ihre Untersuchungen an den Speichel-
drüsen der Sängethiere und an den einzelligen Schleimdrüsen
angestellt haben.
Der Name „ Becherzelle '^ stammt bekanntlich von F. E.
Schulze. Er bezeichnet damit Zellen „mit einer bauchig auf-
getriebenen, oben verengten, mit einer runden Mündung ver-
sehenen und mit mehr oder minder heller, zähflüssiger Masse er-
füllten Theca und einem unteren, kömiges Protoplasma mit einem
bläschenförmigen Kerne enthaltenden Fusstheile" (64). Der Name
ist von Schulze jedenfalls sehr passend gewählt, indem er ein
leicht erkennbares, fast allgemein vorkonnnendes und sonst keine
weitere histologische Structur präjüdicirendes Merkmal als Aus-,
gangspunkt für die Nomenclatur benützte. Doch macht man all-
gemein — wie ich glaube — den Begriff der Becherzelle zu
sehr von ihrer Gestalt abhängig, indem die Becherform als eine
mit der Bechcrzelle eng verbundene, ihr gleichsam schon a priori
zukommende Eigenschaft angesehen wird, so zwar, dass man
Zellen nur im Hinblick darauf, dass sie keine becherähnliche Ge-
stalt, d. h. keine bauchige Theca mit oberer Verengerung be-
sitzen, schon als von den BecherzcUen specifisch verschiedene
Zellen betrachtet. So lässt es F. E. Schulze (58) als zweifel-
haft erscheinen, ob die Magenepithelzellen zu den Becherzellen
gerechnet werden dürfen, „da trotz vieler Aehnlichkeiten eine
so characteristische Eigenthümlichkeit jener, nämlich die bauchige
Theca und deren obere Verengerung, fehlt". List (46) bezeichnet
die Magenepithelzellen auf Grund des Mangels einer bauchigen
Theca als Zellen sui generis. Noch weiter geht Drasch (9).
Er beschreibt Becherzellen aus dem Trachealepithel, welche an-
einander stossen, so dass sie sich gegenseitig abplatten und sich
die Tendenz nicht verkennen lässt, dass sie überhaupt der poly-
gonalen Gestalt zustreben. Er fahrt fort: „Schon diese Bilder
allein, glaube ich, sind hinreichend, der Auifassung der Becher-
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248 V. Seiller:
Zellen als selbständige Gebilde vollständig den Halt zu entziehen,
weil an ihnen Veränderungen der „Becherzellen'^ zu Tage treten,
welche das Charaeteristicuni derselben theilweise verwischen.
Denn der Begriff der Becherzelle ist in der Literatur so genau
päcisirt — absolut runde, flaschenformige Erweiterungen nach
oben — , dass, wenn man ihn festhält, Zellen, ähnlich den Stellen
a und b" (Tafel II, Fig. 7), „consequent" jenen nicht beigezähU
werden kOnnen und daher Gruppen von ihnen gänzlich unver-
ständlich bleiben müssen.'^
Ich gelange zu der Auffassung, dass die runde, der Ecken
entbehrende Form der Thcca ein nothwendiges Ergebniss rein
physikalischer Momente ist, die nicht nur in der Becher/eile
selbst, sondern auch in ihrer Umgebung zu suchen sind. Durch
Aendenmg in der Beschaffenheit der Umgebung der Becherzellen
werden auch die physikalischen Bedingungen, unter welchen jene
existiren, modificirt, was auf ihre Formgestaltung einen Einflnss
ausübt.
Zunächst eine theoretische Erörterung.
Eine von einem elastischen lläutchen eingeschlossene Flllssig-
keitsmasse wird eine Form annehmen, die eine Function des
inneren Druckes der Flüssigkeit, der Schwere, der Gleichmässig-
keit der Elasticität des Häutchens und solcher äusserer Factoren
ist, welche der Ausdehnung des Systems einen Widerstand ent-
gegensetzen. Abgesehen von der P^lasticität des Häutchens und
von äusseren Widerständen ist die Form bloss abhängig von dem
Verhällniss des inneren Druckes zur Schwere d : S. Ist der
Druck klein im Verhältniss zur Schwere, so wird die Gestalt des
Systems eine cylinderähnliche, sackförmige werden. Mit wach-
sendem inneren Drucke wird sich das System immer mehr der
kugelförmigen Gestalt nahem. Im idealen Fall, wenn d : S = oc,
muss die kugelftirmige Gestalt erreicht werden. Dies ist der
Fall bei einer der Schwere entzogenen Flüssigkeitsmasse, wie
dies der Plateau 'sehe Versuch lehrt (Oo). Als characteristische
Ucl)ergangsformen ergeben sich die flaschentormige, eiförmige
und keulenffirmige Gestalt, je nach der Vertheilung der Ge-
schwindigkeit des Wachsens des inneren Druckes.
Von der Elasticität des Häutchens hängt die Gestalt des
Systems nur insofern ab, als ceteris paribus an Stellen grösserer
Ausdehnbarkeit auch eine grössere Ausbauchung entstehen wird.
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lieber die Zungendrüsen von Anguis, Pseudopus und Lacerta. 249
Bei Vorhandensein eines äusseren Widerstandes hängt die
Form des Systems ab von der DiflFerenz des inneren und äusseren
Druckes. An jenem Punkte, an welchem die DiflFerenz positiv
ist, wird eine Ausbauchung, wo sie negativ ist, eine Verenge-
rung zu Stande kommen; ist die Differenz -- 0, bleibt die Ober-
fläche des Systems an dieser Stelle erhalten. — Wirkt der äussere
Dmck in einer bestimmten Richtung vorherrschend, so muss
senkrecht auf dieselbe eine Abplattung eintreten; sie muss so
lange daueni, bis die DiflFerenz des äusseren und inneren Druckes
gleich 0 ist. Dieser Fall tritt ein, wenn solche Systeme so nahe
von einander liegen, dass sie sich bei ihrer Ausdehnung berühren :
sie platten sich, vorausgesetzt, dass der innere Druck nicht aufhört,
so lange ab, bis der zwischen ihnen befindliche Raum ausgefüllt ist.
Eine Becherzelle bildet ein solches System. Die Theca,
bei welcher auf jeden Fall Elasticität vorausgesetzt werden muss,
entspricht dem Häutchen, der Zellinhalt, der jedenfalls als flüssig
anzusehen ist, der eingeschlossenen Flüssigkeit. Die sich der
Ausdehnung des Systems entgegensetzenden Widerstände sind in
dem Druck der die Becherzelle umgebenden Epithelzellen ge-
geben. Jedenfalls findet bei der schleimigen Metamorphose des
Zellinhaltes eine Volumszunahme desselben statt wohl hauptsäch-
lich durch Aufnahme von StoflFen aus der Umgebung der Zelle;
es muss also der innere Druck steigen. Da die zur Erreichung
der Kugelgestalt nothwendigen Bedingungen niemals vorhanden
sein können, wird die Becherzelle die vollkommene Kugelgestalt
niemals annehmen; dagegen können die Uebergangsformen sehr
wohl bestehen, da die m ihrer Entstehung nothwendigen Bedin-
gungen vorhanden sind.
Entstehen nun Becherzellen in einer so geringen Entfernung
vou einander, dass sie sich während ihres Wachsthums berühren,
so ist der oben erwähnte Fall verwirklicht, und es muss sich so-
mit eine gegenseitige Abplattung ergeben. Die Anzahl der Ab-
plattungen an einer Zelle hängt ab von der Anzahl und der Art
der Lagerung der benachbarten Becherzellen, von der DiflFerenz
ilirer Wachsthumsgeschwindigkeiten und von ihrer ursprünglichen
Grösse. Im einfachsten Falle, d. h. wenn sich stets sechs Zellen
um eine Zelle herumlagern ^), wenn ihre Grösse und ihr Wachsthum
1) Von J. O. Hennum (25, siehe auch pag. 251) als trianguläre Ord-
nung bezeichnet.
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250 V. Seiller:
gleich sind und ihre Gestalt eine regelmässig eylindrisclie ist,
müssen regelmässige sechsseitige Prismen entstehen. Variationen
dieser Umstände haben auch V^erändernngen dieser Grnndfoi-m
zur Folge: verschieden grosse prismatische Formen, solche mit
melir oder weniger als sechs Seitenflächen, mit ein- oder mehr-
seitiger Ausbauchung u. s. w. ^). (S. Anm. 2.)
Das Stoma der Becherzellen entsteht — ob nun intra vitam
oder in Folge der Reagentienwirkung — jedenfalls durch den
Druck des quellenden Inhalts gegen die Theca an dem Punctum
minoris resistentiae derselben. Da in Flüssigkeiten der Druck
nach allen Richtungen hin gleichmässig wirkt, wird das Stoma
die Kreisform annehmen, sofern nicht andere umstände, wie der
Widerstand der angrenzenden Zellen oder die Adhäsion zwischen
letzteren und dem flüssigen Zelliuhalte hindernd entgegentreten.
Auf diese Weise finden die kreisförmige und die anderen Gestal-
ten der Stomata ihre Erklärung.
IHcdermann (5) und Fries (18) geben an, dass die Be-
cherzellen (im Epithel) mit körnigem Inhalt eine gestrecktere,
mehr eylindrische, diejenigen mit homogenem Inhalt meist eine
bauchige Gestalt besitzen; ich kann diese Beobachtung bestäti-
gen. Es muss bei den Formen mit bauchiger Theca der innere
Druck ein grösserer gewesen sein, was auf eine Volumszunahme
des Bccherzclleninhaltes bei seiner Verflüssigung — (Entstehen
des homogenem Inhaltes aus dem kömigen) — schliesscn lässt.
— Auf dieselbe Weise lassen sich die nach Einwirkung von
Müller' scher Flüssigkeit und Drittel-Alcohol erfolgenden Form-
verändenmgen erklären.
Wir gelangen somit zu dem Schluss, dass die bauchige
Form der Theca und deren obere Verengerung keine den Bc-
cherzellen a priori zukommende, mit ihrem Wesen noth wendig
verbundene Eigenschaft ist, da sie nicht nur durch die Natur
der Zellen, sondern auch durch äussere Ursachen bedingt wird.
1) Siehe pa<?. 181, Anm. 1-, vgl Fig. 2 a, 2 b, 26.
2) Da«s der Inhalt auch in den cylindrisch-polygonalen (prisma-
tischon) Becherzellen flüssi<>* ist, beweist der sich über das freie Ende
derselben vorwölbe'nde Meniscus. — Der Umstand, dass die prismati-
schen Beclierzellen am freien Ende keine Membran besitzen, bildet
keinen Einwand freien das Gesagte, da die Capillarwirkung' mindestens
von dersen)en Grössenordnun*»; ist, wie die Festigkeit der Zellmembraa.
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lieber die Zungendrüsen von Anguis, Pseudopus und Lacerta. 251
Sie ist ein Ergebni^s bestimmter physikalischer Umstände; ändern
sich diese, so ändert sich auch die Form der Theca.
Consecinentcr Weise müsste also der Ausdimck „Bechcr/el-
len^^ fallen, da es auch Bccherzellen gibt, die mit dem Tyjms
der „Bccherzellen" morphologisch durchaus keine Aehnlichkcit
besitzen. Doch abgesehen davon, dass man es sich überlegen
soll, ohne dringende Xothwendigkeit eine neue Benennung in
unsere an Namen schon so reiche Wissenschaft einzuführen, mag
die Beibehaltung der alten Bezeichnung schon aus dem Grunde
gerechtfertigt sein, dass die überwiegende Majorität der Becher-
zellen uns in einer becherartigen Gesfalt erscheinen.
Es haben bereits mehrere Forscher versucht, die Zellenfor-
men vom physikalischen Standpunkte aus zu erklären. J. D.
Hennum (25) hat sich mit dieser Frage eingehend auf experi-
mentellem wie theoretischem Wege beschäftigt. Er Hess auf
feuchte, gleich grosse Thonkugeln, die theils neben, theils über-
einander gelegt waren, in regelmässiger Weise einen Druck wir-
ken und prüfte die dabei entstandenen Formen mathematisch den
Flächen wie dem Inhalte nach. Der Druck wirkt entweder in
senkrechter oder in horizontaler Richtung oder gleichmässig von
allen Seiten. Die sich ergebenden Grundformen sind ausser den
Kugeln: Der Würfel, das gerade, regelmässige, sechsseitige
Prisma, dessen Höhe gleich dem doppelten Radius des in die
Grundfläche eingeschriebeneu Kreises ist, das Rhombendodekaeder,
das Tesserakaidekaeder. Je nach der Richtung des Druckes
und je nachdem die Kugeln in einer, zwei, drei oder mehr
Schichten liegen, ergeben sich aus den angeführten Grundformen
verschiedene Combinationen. — Von seinen Experimenten sei hier
nur eines erwähnt: Die Kugeln liegen in einer einzigen Schicht
in triangulärer Ordnung, d, h. wobei durch lineare Vereinigung
der Mittelpunkte dreier aneinderstossenden Kugeln ein Dreieck ent-
steht; der Druck wirkt allseitig: es entstehen gerade, regel-
mässige, sechsseitige Prismen, deren Höhe doppelt so gross ist
als der Radius des in die Grundfläche eingeschrieben Kreises.
— In einer zweiten Abhandlung untersucht Hennum, inwieweit
die Resultate seiner Experimente sich in der Natur bestätigen,
und wendet seine Aufmerksamkeit hauptsächlich dem Epithel zu.
Die Grundform der Epithelzellen ist die Kugel. Alle verschie-
denen Formen der Epithelzellen können in befriedigender Weise
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252 V. Seiller:
nach rein mechanische Bedingungen, durch Zuhilfenahme von
Druckkräften erklärt werden. Diese Behauptung prüft der Ver-
fasser eingehend an der Hand der in der Literatur niedergeleg-
ten Arbeiten und eigener Untersuchungen. Insbesondere verweist
er auf die Arbeiten von Arnold, Pfltiger, Stricker, Flem-
ming, Lott, Drasch, Vossius, v. Ebner, Kölliker, His,
Paneth London, Detlefsen. — Cylindrische Zellen entstehen,
wo auf einer Oberfläche die triangulär geordneten Zellenkugelu
dicht gedrängt stehen und nun sehr energisch wachsen; durch
gegenseitigen Druck entstehen sechsseitige Prismen
mit platten Basal- und ebensolchen Seitenflächen, aber convexen
Aussenflächen.
L.Errera(16) wendet Plateau 's Princip der Gleichgewichts-
figuren (66) auf die Formgestaltung der Zellen an. Er geht von der
Voraussetzung aus, dass die Zellmembranen im Momente ihrer Bil-
dung sich unter denselben Bedingungen befinden wie die flüssigen
Lamellen ohne Schwere von Plateau iitid somit betreffs ihrer Form
und ihrer Anordnung denselben Gesetzen unterworfen sind. Wenn
sich eine Zelle theilt, entspricht die Gesammtheit der Scheidewände
einem Systeme laminairc von Plateau. Die Grundregeln Pla-
teau's, dass in einem solchen System drei Lamellen in einer Kante
unter Winkeln von 120^ endigen, und dass vier Kanten in einem
und demselben Punkte unter Winkeln von beiläufig 109® 5' zu-
sammenstossen, lassen sich mit bedeutender Annäherung bei der
Zelltheilung (Pflanzenzellen) wiederfinden. — Berthold (63) ver-
sucht die vitalen Processc und Erscheinungen im Protoplasma
auf mechanischem Wege abzuleiten. 't)er Theorie liegt die Vor-
aussetzung zu Grunde, dass der Protoplasmakörper sammt seinen
morphologischen Einschlüssen als eine Flüssigkeit und zwar
als eine complicirte Emulsion von zähflüssiger Consistenz aufzu-
fassen ist. Verf. sucht nachzuweisen, dass viele Formbildungs- und
Bewegungserscheinungen des lebenden Protoplasmas auf die
flüssige Natur des Plasmakörpers hindeuten, resp. nur unter An-
nahme derselben erklärt werden können. — Es sei hier insbe-
sondere auf folgendes hingewiesen . Bei der Zelltheilung müssen
für die Anordnung und Richtung der Zellwände dieselben Prin-
cipien maassgebend sein, welche den Bau flüssiger Schaumgewebe
bedingen, nämlich Plateau' s Princip der kleinsten Flächen.
„Die Lamellensysteme ordnen sich so an, die einzelnen Lamellen
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lieber die Zungendrüsen von Ang^uis, Pseudopiis und Lacerta. 2&3
krümmen sich in der Weise, dass die Summe der Oberflächen
aller unter den gegebenen Verhältnissen ein Minimum wird. Die
treibende Kraft ist die Spannung, die in der flüssigen Oberfläche
ihren Sitz hat." Es können sich zwar Theilungsrichtungen er-
geben, „die mit den Forderungen des Princips der kleinsten
Flächen nicht in Uebereinstimmung stehen"; doch auch dann
wird dasselbe niemals ganz unwirksam. — Berthold versucht
die verschiedene Fonngestaltung behäuteter Zelle auf mecha-
nischem Wege abzuleiten. Dass die Zellen beim Wachsthum eine
von derjenigen der Kugel verschiedene Gestalt annehmen, hat
nach der Ansicht des Verfassers, da der Turgordruck auf alle
Punkte der Zellmembran gleichmässig wirkt, seinen Grund in
den verschiedenen Widerständen, welche die Membran an ver-
schiedenen Punkten dem gleichen Druck entgegensetzt: der
Wandbelag ist an denjenigen Stellen der Membran, welche dem
Turgordruck mehr nachgeben, qualitativ geringer und auch qua-
litativ ein anderer als derjenige an den übrigen Stellen. — Die
gesammten Wachsthumsvorgänge, „die Ausgestaltung der Formen
von Zellen und Organen, die Richtungen, nach denen Wachs-
thum stattfindet, die Neubildung von Vegetationspunkten u. s. w."
sind abhängig von äusseren Factor cn: Schwerkraft, Licht,
Wärme etc. Diese Abhängigkeit hat ihren Grund in Verände-
rungen der Symmetrieverhältnissc des Plasmakörpers durch diese
Factoren; es stellen sich daher dem l^rincip einer mechanischen
Auffkssung keine Schwierigkeiten entgegen, wenn uns auch im
Einzelfalle die Art der Verknüpfung von Ursache und Wirkung
unbekannt ist. — (Die Ergebnisse dieser Arbeit bezichen sich
hauptsächlich auf pflanzliche Zellen.) — Nussbaum ((52) scheint
die Becherform der Schleimzellen auf rein mechanische Momente
zurückzuführen, wie ich einer Anmerkung aus seiner Arbeit über
den Bau und die Thätigkeit der Drüsen entnehme: „Die Hülle
der Becher/eilen ist an der freien Fläche kreisftinnig durchbro-
chen; bei den Schleinrzellen der Magenoberfläehe ist diese Oeff-
uung meist sechseckig, weil hier gleichartige Zellen aneinander
gelagert sind, und die gleichzeitige Dehnung aller Zellen jeder
einzelnen einen gewöhnlich sechseitigen Querschnitt giebt. Sind
nicht alle Zellen gleichzeitig mit Schleim gefüllt, also mit wei-
chen, protoplasmatischen, nackten oder bewimperten Zellen ge-
mischt, so kommt die Becherform der Schleimzelleu zu Stande,
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254 V. Seiller:
aus der sich durch ideelle Verlängerung der Mündung die ein-
zellige Drüse mit langem Ausführungsgang ableiten lässt."
Zum Schlüsse noch einige Worte über Theca, Fuss und
Stiel der Becherzellen.
Ich glaube nicht, dass man die Theca als eine Zellnicin-
bran bezeichnen kann, wenn man unter einer solchen eine Hülle
versteht, welche ihrer BeschaflFenheit nach von dem Zcllj)rot<)-
plasma verschieden ist. An den F^pithelzellen lässt sich keine
Membran nachweisen; auch am protoplasmahaltigen Abschnitt
der Becherzellen ist eine membranöse Begrenzung nicht sichtbar;
ebensowenig an den ])rotoplasmatisch regenerirten Becherzellen;
die Theca erscheint nur als die Hülle des schleimhaltigen Ab-
schnittes. Es wäre somit richtiger, sie als einen Rest nicht meta-
morphosirten Protoplasmas aufzufassen. Dafür spricht auch der
Umstand, dass die i)rotoplasmatische Regeneration von der Innen-
wand der Theca auszugehen, diese somit an der Regeneration
Antheil zu nehmen scheint. Das von dem Protoplasma der
Epithelzcllen verschiedene o|)tische Verhalten der Theca kann
wohl kein Gegenstand eines Einwandes sein, da die Vei*schieden-
heit der optischen Eigenschaften allein keine diflFerente chemische
Zusanmiensetzung voraussetzt, vielmehr in physikalischen Ursachen
ihre Erklärung finden kann*).
Als „Fuss" bezeichnet F. E. Schulze den unteren, als
verschmälerten Anhang erscheinenden, Protoplasma und Kern ent-
haltenden Abschnitt der Bechcr/ellen. Dieser Anhang kann sich
zu einem schmalen bis fadendüimen, längeren oder kürzeren Fort-
satz, dem „Stiel" gestalten, dann liegt der Kern oft innerhalb
der Theca, am Boden derselben; oder es kann auch jeglicher
Anhang fehlen und die Zelle mit mehr oder weniger abgeninde-
ter Basis endigen. List legt auf diese morphologischen Eigen-
thümlichkeiten einen besonderen Werth und verwendet die Be-
schaffenheit des basalen Endes als Eintheilungsgrund für die
Becherzellen; er unterscheidet unbefusste (gestielte und unge-
stielte) und befusstc Formen, letztere dadurch ausgezeichnet, „dass
der nucleus stets in der unteren handhabenförmigen Fortsetzung
der Theca, dem „Fusse" liegt^^
1) Siehe auch v. Ebner's Untersuchungen über die Ursachen
der Amisotropie organisirter Substanzen (11).
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lieber die Zungen drüsen von Angnis, Psoudopua und Lacerta. 255
Ich glaube, dass diese morphologischen Unterschiede eine
rein mechanische Erklärung zulassen, und messe ihnen aus die-
sem Grunde, wie deswegen, weil sie oft auf einem Schnitte neben
einander zu finden sind, wie bereits gesagt, keinen systematischen
Werth bei. Der „Stiel" ist wohl (gleich dem Fussc) ein Rest
nicht metamorphosirten Protoplasmas, welcher durch den Druck
des Epithels zu einem schmalen fortsatzartigen Anhang umge-
staltet worden ist. In seinem Tinctiousverhaltcn stimmt er, wie
List richtig bemerkt, mit den umliegenden Epithelzcllen überein.
Nach List characterisiren sich die gestielten Bechcrzelleu dadurch,
„dass der Kern stets in der Theca zu liegen kommt". Ich habe
den Kern sehr oft im Stiele liegen gefunden; List sagt
übrigens selbst, dass man sehr häufig in den verschiedensten
E])ithelieu Becherzellen antrifft, welche man mit demselben
Rechte für „gestielte" wie „befusste" Formen halten könnte.
Es ist möglich, dass bei der schleimigen Umwandhmg des
Zclliuhaltes der Kera durch den Druck in den Thecaraum gc-
presst wird; oder es kann die verschiedene Lage des Kernes
bei „gestielten" Becherzellen mit seiner ursprünglichen höheren
oder tieferen Stellung in der Epithelzelle zusammenhängen. Dans
bei Anwesenheit eines grösseren protoplasmatischen Abschnittes
der Kern in demsell)en liegt, kann uns wohl kaum Wunder
nehmen. Die verschiedene Form des Kernes hängt jedenfalls mit
dem Drucke zusammen^ den er von Seiten der Epithelzcllen und
des Thecaiuhaltes zu erleiden hat. — „Ungesticlte" Becherzcllen
würden dann entstehen, wenn der weitaus grösstc Theil des
Zellprotoplasmaö die Schleinmietamorphose eingegangen ist.
Es ist wohl kaum nöthig, an die auffallende Aehnlichkeit
der beschriebenen, abgei)latteteu Becherzellcn mit den Magen-
epithelzellen der Wirbelthiere, sowie mit den v<m List (47) be-
schriebenen Epithelzcllen der Blase von Testudo graeca zu er-
inneni. Die Frage bezüglich der Verwandtschaft dieser Zellen
mit einander soll uns in einem späteren Autsatze beschäftigen.
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256 V. Reillcri
ZusammenfaHSung.
Die Zuii^c von Anp:ui9 Fragilis und Pseudopus
Pallasii ist sehr reieli an Hecernircnden Elementen, welche
als einzellige Drüsen und zwar als Jiecher/ellen aufznfafisen
sind. Sic bedecken mehr als 2/3 der Zungenobcrfläche. Ihr
haui)tsäehlicbster Sitz sind die l^apillen; die epitbeliale Beklei-
dung dieser l)estcbt fast ausschliesslich aus Bccherzellcn; sie
platten sich hier in Folge ihrer directen Aneinanderlagermig zu
polygonal-cylindrischen P^)rmen ab; zwischen der typischen Be-
cherform und der der vollkommenen Abplattung finden sich die
verschiedensten Uel)ergänge. — Der Inhalt der Theca erscheint
in der Form von Kömchen und einer gleichartigen Zwischeu-
substanz, oder er ist homogen. Der homogene Inhalt geht aus
dem k(*»migen hervor und ist der Ausdruck eines älteren, der
körnige der Ausdruck eines jüngeren Entwickelungszustande.s.
Der Üebergang von diesem in jenen geschieht durch eine con-
tinuirliche Reihe von Zwischenstadien.
Dieser Punkt ist meiner Ansicht nach der Verallgemeine-
rung für die Becherzellen aller. Wirbelthiere fähig.
Aus dem Körncheninhalt entsteht durch Umwandlung des-
selben das homogene Secret, welches in Form von kugeligen
Ballen (Pfropfen) ausgeschieden wird. — Die Umsetzung der
Secretstoffe (Körnchen und Zwischensubstanz) beginnt am freien
res]), am der Epitheloberfiäche zugekehrten Ende der Zelle inner-
halb einer centralen Zone und sehreitet von hier aus gegen die
tiefer gelegenen und i)eripheren Inhaltspartien weit^^r. An der
Zungenunterfiäche und in den tieferen Abschnitten der interpa-
pillären Räume ist die Secretbildung und die Secretion eine leb-
haftere. — Das an gefärbten Schnitten sichtbare Netzwerk ent-
steht durch das Zei*fliessen der Kömchen, entweder schon intra
vitam oder durch Einwirkung der Reagentien; es ist der Aus-
druck eines vorgeschrittenen Stadiums der Secretbildung. — Die
Becherzellen gehen bei der Secretion nicht zu Grunde; sie regene-
riren sicli durch Zunahme ihres Protoplasmas und unter den für
die Regeneration von Drüsenzellen typischen Veränderungen des
Kernes. — Die Gestalt der Becherzellen ist auf physikalische
Ursachen zurückzuführen. Direct aneinander gelagert erhalten
sie die Gestalt von meist sechsseitigen, prismatischen Formen
mit convexen oberen Flächen. Die bauchige Erweiterung der
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Üeber die Zungendrüsen von Aiiguis, Pseudopus und Lacerta. 25t
Theca und ihre obere Verengerung ist daher für den Begriff der
Becben&ellen nicht nothweudig. — Die mit Drüsenzellen ausge-
kleideten interi)apillären Räume der Zunge von unguis und Pseu-
dopus können vom morphologischen Standpunkte nicht als Drüsen
aufgefasst werden ; sie sind Epithelcinsenkungen, bei denen jedoch
eine beginnende, zur DrUsenbildung hinführende Diflferenzirung
nicht zu verkennen ist. —
lieber meine Beobachtungen an der Zunge des Genus La-
certa gedenke ich demnächst zu berichten.
Ich komme schliesslich einer angenehmen Pflicht nach, in-
dem ich meinen verehrten Lehrern, den Herren Geheimrath
Leuckart, Hofrath Claus und Professor v. Ebner für die
Unterstützung, welche sie meinen Bestrebungen zu Theil werden
Hessen, meinen aufrichtigsten, wärmsten Dank sage.
LMeratnr-Nachweis.
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dorf's Annalen Bd. 55, 56, 82, 107, 114, 130, 141.
67. Langley, T. N., On the preservation of mucous granules in se-
cretory cells. Proceed. of the Plnsiol. Society. 1889. Vol. H.
Cambridge. March 9.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel X— XIII.
Sämmtliche Schnittpräparate sind auf die angegebene Weise mit
Delafield*8chem Hämatoxylin und Eosin gefärbt.
Fig. 1 auf Tafel X. Zunge von Anguis fragilis.
Fig. 2. a) Spitze einer Zungenpapille von Anguis; das Epithel zum
grössten Theil in der Aufsicht, frisch. Vergr. 440. Die Gra-
nulirung der Felder ist eine verschiedene; einige haben ein
homogenes Aussehen. — b) Epithel vom unteren Theile einer
Papille, frisch in 0,75% Kochsalzlösung. Vergr. dieselbe. Die
Mehrzahl der Felder ist homogen. — c) Die den Feldern ent-
sprechenden Zellen, frisch. Vergr. dieselbe.
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Ueber die Zungendrüsen von Anguis, Pseudopus und Lacerta. 261
Fig. 3. Epithel der Zungenpapillen nach Behandlung mit Silbernitrat,
in verdünntem Glycerin untersucht. — a) Vergr. 440; b) bei
hoher Einstellung; Vergr. 600, um die verschiedene Gestalt
der Stomata zu demonstriren. — c) Vergr. 440. Die Stomata
platten sich in Folge ihrer gegenseitigen Berührung ab; einige
sind von beträchtlicher Grösse. — d) Vergrösserung dieselbe.
Polygonale Stomata aneinanderlagemder Becherzellen, deren
Körper seitlich ersichtlich sind; an der unteren Seite der Ab-
bildung üebergang der polygonalen in runde Formen.
Fig. 4 auf Tafel X. Veränderungsstadien der Becherzellen nach Ma-
ceration in M ü 1 1 e r * scher Flüssigkeit, a — f ) Vergr. 440. Unter-
sucht in der Macerationsflüssigkeit.
Fig. 5 auf Tafel X. ßecherzellen nach Maceration in Drittel- Alcohol.
Vergr. 440. Untersucht in der Macerationsflüssigkeit. —
a) Isolirte Formen; das Stoma ist bei der einen Becherzelle gross,
bei der anderen klein und die Theca im Halstheile gefältelt. —
b) Complex polygonaler Formen. Die Zellen haben sich abge-
rundet; die zwischen ihnen entstandenen dreieckigen Spalt- .
räume sind dunkel gezeichnet. — c) Trinkglasähnliche Formen.
Fig. 6 auf Tafel XL Querschnitt durch die mittlere Partie der Zunge
von Anguis. Härtung in Picrinsäure. Schwache Vergrösse-
rung. Das Drüsenepithel bedeckt die Papillen fast bis zu ihrer
Spitze. Wo die Papillen allseitig von demselben umgeben
werden, hat sie der Schnitt schief getroffen. Bei a) und b)
(an der Zungen-Unter- und Seitenfläche) Region der Becher-
zellen mit Netzwerk; c) Glandula subungualis (schematisch);
d) drüsige Complexe der Becherzellen- in der epithelialen Be-
deckung der Gl. subungualis; e) die dem Zungenkörper nächst-
liegende interpapilläre Bucht.
Fig. 7 auf Tafel XI. Querschnitt durch den hinteren Abschnitt der
Zunge von Anguis. Härtung in Müll er 'scher Flüssigkeit.
Schwache Vergrösserung. Bei a) das dreieckige papillenlose
Feld, reichlich durchsetzt mit Becherzellen.
Fig. 8 auf Tafel XII. Längsschnitt durch eine Papille der mittleren
Zungenpartie von Anguis. Härtung in Müller' scher Flüssig-
keit. Vergr. 320. Der Inhalt der Becherzellen ist blau ge-
färbt und homogen; bei vielen tritt er aus ihrer Mündung.
Am unteren Theile der Papille haben die Becherzellen, da sie
aneinanderlagern, eine cylindrische Gestalt; gegen die Kuppe
der Papille nähern sie sich mit dem Dazwischentreten von
Epithelzellen mehr und mehr der Becherform. Bei a) ihre
basalen Enden flach und breit, der Kern platt oder halbmond-
förmig; bei b) endigen sie in Spitze, den Kern enthaltende
Fortsätze, die sich dachziegelförmig übereinanderschieben.
Fig. 9 auf Tafel XII. a) Becherzelle aus der Zunge von Anguis.
Härtung in Müller 'scher Flüssigkeit. Vergrösserung 600.
Der protoplasmatische Abschnitt reicht an der inneren Theca-
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262 V. Seiller:
wand höher hinauf als in der Mitte der Zelle; der Kern ist
rund, von der Basis der Zelle abg:erüekt und zei^t einen Kem-
körper. — b) Becherzellen aus der Zunge von Pseudopus.
Härtung dieselbe. Verjfr. 440. Der protoplasmatische Ab-
schnitt läuft in einen langen Fortsatz aus, welcher sich zwi-
schen den Kernen der Epithelzellen verliert oder deutlich bis
zur Cutis reicht; der Kern ist schmal und stärker gefärbt als
die Kerne der Epithelzellen, der Kernkörper undeutlich wahr-
nehmbar.
Fig. 10 auf Tafel XII. Schnitt durch zwei Zungenpapillen einer An-
guis, welche kurz nach der Fütterung getödtet wurde. Här-
tung in Müller 'scher Flüssigkeit. Vergr. 440. Charakteri-
stisch ist die blasse Färbung des Becherepithels sowohl als
des übrigen Gewebes. Der Zwischenraum ist mit einer blass-
blauen fadigen Masse gefüllt; die Zellgrenzen sind undeutlich
wahrnehmbar.
Fig. 11 auf Tafel XII. Mehrere Stadien der Netzbildung in den
Becherzellen (Anguis). a — k) Härtung in Picrinsäure. Vergr.
600. — In der Zelle b) hat es den Anschein, als ob die Köm-
chen zerfliessen wollten. — c) Neben undeutlich contourirten
Körnchen sind einige Fäden sichtbar. — d) Die Knotenpunkte
der sich bildenden Maschen sind hier und da als Körnchen
zu erkennen.
Fig. 12 auf Tafel XIII. Papille der Zungenunterfläche von Anguis.
Härtung in Picrinsäure. Vergr. 440. Sämmtliche Becherzellen
zeigen ein mehr oder weniger deutliches, meist unregelmässiges
Netzwerk, welches aus dem weiten Stoma der cylindrischen
Formen bei a) hinausragt; bei b) zwei Becherzellen, aus deren
enger Mündung der Inhalt als homogene, tief gefärbte Masse
austritt.
Fig. 13 auf Tafel XII. Stück Epithel von der Zungenunterfläche von
Anguis. Härtung in Picrinsäure. — a) „Becherzellen** mit
scharf contourirten Körnchen und mit Netzwerk liegen neben
einander. Die Zelle bei b) lässt in ihrem linken unteren Ab-
schnitt noch Körnchen erkennen, während der grössere TheU
von Fäden eingenommen wird, welche zum Stoma hinziehen
und dort zu einer homogenen, tief gefärbten Masse confluiren.
In der Zelle c) Andeutungen von Fädchen. Vergr. 600. —
b) Cylindrische Zellen mit Netzwerk und Körnchen neben
einander.
Fig. 14 auf Tafel XI. Mittlerer Theil eines Querschnittes durch die
Zunge von Pseudopus; Papillen der oberen Fläche und die
angrenzende MuskeHage. Härtung in Müller'scher Flüssig-
keit. Schwache Vergrösserung. In Folge der Wirkung de*
Reagens ist der Inhalt der Becherzellen zum Theil ausgetreten.
Fig. 15 auf Tafel XII. Becherzellen mit ziemlich grossem protoplas-
matischen Abschnitt aus dem Zungenepithel von Pseudopus.
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lieber die Zungendrüsen von Ang-uis, Pseudopns und Lacerta. 263
Härtung in Müller'scher Flüssigkeit. Vergr. 440. Die Körn-
chen haben sich xiemlieh deutlich erhalten; sie setzen sich in
der Mittellinie der Zelle weiter gegen das Protoplasma fort,
deren rothe Farbe zwischen ihnen durchscheint, als an der
Thecawand. Dei* Kern ist oval oder rund und von der Basis
der Zelle mehr oder weniger abgerückt. Kernkörper ziemlich
deutlich wahrnehmbar.
Figr. 16 auf Tafel XIL a) Schnitt durch die Epithelbekleidung des
oberen Endes einer Zungenpapille von Pseudopus. Härtung
in Mülle rascher Flüssigkeit. Vergr. 440. Alhnählicher Ueber-
gang der Becherzellen in protopiasmatische Zellen; die ober-
sten haben fast den gleichen Habitus wie die Epithelzellen.
Die Kerne zeigen einen bläulichen Ton. — b) Zungenspitze
von Pseudopus. Ventrale Fläche. Bei a) Homplatten. Schwache
Vergrösserung.
Fig. 17 auf Tafel XIII. Längsschnitt durch das obere Ende einer
Zungenpapille (obere Zungenfläche) von Pseudopus. Härtung
in Picrinsäure. Vergr. 600. Die Becherzellen sind mit feinen
Kömchen erfüllt; bei a) erscheinen sie in Querschnitten als
polygonale Felder, bei b) die Abrundung derselben deutlich
erkennbar ; Inhalt der Becherzellen blau, Kerne blauroth, das
übrige Gewebe roth gefärbt.
Fig. 18 auf Tafel XIII. Tiefster Theil eines interpapillären Raumes
(obere Zungenfläche, Pseudopus). Härtung in Picrinsäure.
Vergr. 6(K). Bei a) enthalten die BecherzcUen noch Körnchen ;
die tiefer liegenden Zellen (bei b) zeigen ein unregelmässiges
Fadenwerk nebst spärlichen Körnchen; bei c) Zellen mit ziem-
lich deutlichem Netzwerk. Aus vielen Zellen ziehen dichtge-
drängte Fäden, die sich hier und da mit einander verflechten.
Die Becherzellen am Grunde der Bucht sind schwächer ge-
färbt als an den oberen Theilen der Papillen.
Fig. 19 auf Tafel XIII. Stadien der Secretbildung. Längsschnitte,
Härtung in Picrinsäure. Vergr. 600. — a— k) Obere Zungen-
fläche, h— k) (aus den tieferen Theilen der interpapillären
Buchten) und g) Stadien der Netzbildung, h) Im obersten Al^-
schnitt der Zelle feine unregelmässig gelagerte Fädchen, im
unteren, grösseren Theile , Körnchen, k) Netzwerk ziem-
• lieh ausgebildet, in dessen Maschen spärliche Körnchen. Netz-
werk, Fäden und Körnchen sind blau gefärbt; das Protoplasma
der Becherzellen reducirt sich auf minimale Quantitäten in der
Umgebung des Kerns.
Fig. 20 auf Tafel XIII. a— f ) Stadien der Secretbildung (obere Zungen-
fläche) Querschnitte. Härtung in Picrinsäure. Vergr. 600.
Fig. 21 auf Tafel XIII. Grobkörnige Massen in Bccherzellen von
Anguis. Längs- und Querschnitt. Härtung in Picrinsäure.
Vergr. 600.
Fig. 22 auf Tafel XIII. Becherzellen der Zunge von Pseudopus nach
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264 V. Seiller: lieber die Zungendrüsen von Anguis etc.
anhaltender Reizung, frisch. Vergr. 440. — a) Im Profil. Der
obere Abschnitt ist' bei einigen Zellen hell und homogen; hier
und da eine Vacuole; aus den Zellen sind Schleimballen aus-
getreten. ~ b) In der Aufsicht. Die Zellen haben sich an
ihren Ecken abgerundet; zwischen ihnen dreieckige Spalt-
räume, a) Eine Zelle mit Kömcheninhalt; die übrigen zeigen
theils eine körnige Masse (Protoplasma) wie die meisten in
Fig. 22 a, theils sind sie hell und mehr weniger homogen.
Fig. 23 auf Tafel XIIT. Becherzellen (Pseudopus) nach anhaltender
Reizung aus einem in 0,75% Kochsalzlösung angefertigten
Zupfpräparat. Vergr. 600. a) Der Kern ist gross, oval oder
rund und steht höher als in ungereizten Zellen; Kernkörper,
stark lichtbrechend, und Kemmembran sind deutlich wahr-
nehmbar; im übrigen wie in Fig. 22 a. — b) Die Zellen sind
mit Vacuolen durchsetzt, zwischen welchen sich die Körnchen
zu einem Maschenwerk angeordnet haben.
Fig. 24 auf Tafel XIIT. Runde Zellen nach Tsolirung in 0,75% Koch-
salzlösung. Vergr. 600. a — c.
Fig. 25 auf Tafel XIIT. Becherzellen nach anhaltender Reizung. Här-
tung in Picrinsäure. Vergr. 600. a — f.
Fig. 26 auf Tafel XIII. Verschiedene Formen aneinanderlagernder
Becherzellen als Folge ihrer ungleichmässigen Ausdehnung
(Pseudopus). Härtung in M ü 1 1 e r 'scher Flüssigkeit. Vergr. 440.
Vom Aufbau des Rückenmarks.
Histologisches über die Neuroglia und die Nervensubstanz.
Von
M. liavdowsky in St. Petersburg.
Hierzu Tafel XIV-XVIII.
I. Die Untersachnngsinethodik.
Wie in früherer Zeit, so zeigen sich auch in unseren Tagen
die Hauptansichten über den Bau des Centralnervensystems , so-
wie anderer histologischer und entwickelungsgeschichtlicher Dinge
in enger Abhängigkeit von der Güte der gebrauchten Unter-
suchungsraethode. Allein bei der Beobachtung des Centralnerven-
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M. Lavdowsky: Vom Aufbau des Rückenmarks. 265
Systems verhält sich die Sache um so schwieriger, als die ver-
schiedensten üntersuchungsverfahren angewendet werden müssen.
Meine gegenwärtige Untersuchung ist hauptsächlich auf
Grund des Princips recht vielseitiger Prüfung ausgeführt. Doch
entschliesse ich mich noch nicht, meine Beobachtungen als end-
gültige auszugeben, trotzdem sie vieles Aeltere und Neuere in
üebereinstimmung bringen.
Die früheren Forschungen, wie die von Deiters (1), Ger-
lach (2), Meynert (3), Flechsig (4), enthalten ja nicht We-
niges, welches man mit den Ergebnissen neuerer nach Weigert
(5) und Golgi (6) ausgeführten Arbeiten in Einklang zu bringen
hat. Einen Theil dieses Versuches habe ich hier auszuführen
unternommen.
Von den Methoden, welche ich anwandte, wären nun
anzugeben: Drei von mir für Zupfpräparate benutzte Flüs-
sigkeiten, nämlich: 1) diluirter Alkohol Ran vier 's, 2)
Schiefferdecker'sche Mixtur und 3) Landois'-Gierke'sche
Flüssigkeit (14, pag. 446). Die erste und dritte von ihnen er-
wiesen sich als die besten Macerationsmittel. Sie werden be-
nutzt entweder wie sie gewöhnlich zu Gebrauch kommen, oder,
was erfolgreicher ist, in Verbindung mit einigen in Wasser leicht
lösbaren Farbstoffen. Die besten, schnellsten und sichersten Fär-
bungen geben: a) wässerige 1 ^/o Lösung von Siebert-Nörner's
Magdalaroth (7) und b) wässerige 0,5<*/o bis l^o Lösung
von „Methylblau II'', von welchen ich 5 — 10 und mehr Tropfen
auf 10 cbcm der Macerationsflüssigkeit hinzuflige. Allerdings ftlr
die in der L andois'-Gierk ersehen Flüssigkeit macerirten Stücke
erfolgt ein Farbstoffzusatz besser nach dem Maceriren, sobald
die Stücke ein oder zwei Mal mit Wasser gewaschen sind. Für
diluirten Alkohol aber eignet sich gut eine Mischung der beiden
Farbstoffe mit der Macerirungsflüssigkeit. (Es ist kaum nöthig zu
notiren, dass die für das Maceriren bestimmten Gewebsstücke immer
einem ganz irischen, womöglich noch warmen Rückenmarke ent-
nommen wurden.) Wenn die Färbung, z. B. in der Mitte der
Gewebsstücke, noch ungenügend ist, so bringt man bei Zer-
zupfen einen Tropfen des Farbstoffes, vermischt mit gleichem
Theüe Glycerin, auf den Objectträger, um die Färbung im Laufe
der Zupfprocedur ausreichend zu erzielen. Näheres später. Bei
dem Zerzupfen mit Magdala-Roth der in diluirtem Alkohol mace-
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266 M. Lavdowsky:
rirten Stücke erhielt ich schöne Bilder der Nerven- und Neu-
ro^lia/ellen auf die Weise, dass ich auf den Objectträger zu der
Farbe einen kleinen Tropfen 0,5**/o Ueberosmiumsäure zufügte
und das Präparat weiter zer/upfte.
Am besten aber, obschon dies schwer auszuführen ist, kittet
man nach sehr schonendem Aufsaugen der Farbstoff flüssigkeit
das Zupfmaterial durch eine Art Ranvier'sche „Demidessication"
auf das Objeetglas, behandelt es mit Alkohol, indem man den-
selben tropfenweise auf das Glas bringt, sodann hellt man es
mit Terpentin, Xylol u. dgl. auf und schliesst es endlich in Ca-
nadabalsam ein. Die lehrreichsten Bilder erhielt ich bei der De-
midessication, indem ich das mit dem oben angegebenen Me-
thylblau II (nicht zu verwechseln mit Methylenblau) tingirte
Zupfmaterial noch mit Fuchsin- oder Saffraninlösung auf dem
Objectglase nachfärbte und dann in Canadabalsam einschloss.
Bei diesem Verfahren zeigen sich die Nervenzellen, so-
wie die immer sich schwächer färbenden Neuroglia-
zellen sehr schön und gut gefärbt, an manchen Stellen
tritt eine prachtvolle Doppelfärbung hervor und sind alle
Nervenzellen mit ihren reichen Verästelungen, das
Nervennetz und die feinsten Verzweigungen der Neu-
rogliazellen leicht aufzufinden (Tafel XIV, Fig. 1).
Für die Schnitte, die mit Hülfe des von mir verbesserten
Leyser'schen oder eines grossen Jung 'sehen Mikrotoms ausge-
führt waren, brachte ich folgendes Verfahren in Anwendung. Als
Farben zu den grösstentheils durch Müller'schc Flüssigkeit oder
doppelchromsaure Salzlösung erhärteten Schnitte dienten mir:
1) Gerlach'sche neutrale Carminlösung , saures Carmin und
Pikrocarmin; 2) dieselben Farben und Hämatoxylin; 3) Benzo-
azurin; 4) in Wasser löslich es und in Spiritus nicht lösbares Ani-
linblau; 5) dasselbe Blau und Eosin oder Magdalaroth; 6) Congo-
roth und Schwefel- oder Salzsäure; 7) Hämatoxylin-Kupfer nach
Weigert (o, b) und Galleln nach Aronson (8); 8) dichrom-
saures Silberoxyd nach mir, Golgi und Ramon yCajal(9, b),
9) Sublimat nach Mondin 0 und Golgi, 10) dichromsaures Silber-
oxyd mit nachfolgender Färbung durch Magdalaroth und 11) Gold-
fUrbung nach üpson.
Von den angegebenen Tinctionsarten, die man fttr das
Rückenmark zu den besten zählen kann, kommen persönlich mir
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Vom Aufbau des Rückenmarks. 267
zu, da ich sie zuerst angewandt habe, die, welche mh No. 4,
5, 6 erwähnten, theilwcise auch die No. 8 und 10, weil ich das
Golgi'sche Verfahren bereits im Jahre 1879 anwandte (10, a,
pag. 916), also fast gleichzeitig mit Golgi.
Zur Färbung No. 1 sei nur gesagt, dass man der Anwendung
von saurem Carmin eine sehr verdünnte (kaum gefärbte) wässerige
Lösung anwenden solle und die Schnitte darin 1—2 Wochen in einem
etwas kühlen Orte belasse. Dann bekommt man, ausser den Nerven-
und Neurogliazellen, auch die feinen Verzweigungen der Zellenfort-
sätze mit dem „Nervennetze/* zu sehen, dessen Existenz ich anerkenne.
Die Färbungen, welche sub No. 3. 4, 5 und 6 angedeutet
sind, gaben uns in kürzester Zeit sehr treffliche Bilder für Nerven-
zellen und Nervenfaser der grauen und weissen Substanz, am vorzüg-
lichsten füi* die Keratinscheiden der Nerven. Dies zeigt sich nament-
lich bei denjenigen Schnitten, welche mit dem oben angegebenen Ani-
linblau und Eosin, noch besser Magdalaroth, doppelgefärbt sind (Tafel
XIV, Fig. 4). Lässt man eine Reihe guter Schnitte zuerst in der blauen,
dann in der rothen Färbungslösung einige Minuten liegen (ich nehme
starke Lösungen befder Farbstoffe), so werden in der weissen Substanz
die Axencviinder blau oder lila, die Mark(Keratin)scheiden und das
Axolemma schön rosa. In der grauen Substanz erscheinen die erste-
reu als lila oder auch rosa tingirte Fasern, welche sich von der übrigen
tief blau gefärbten Substanz, den Nerven- und Neurogliazellen, deut-
lich unterscheiden. Fast dieselbe Färbung erzielte ich mit Magdala-
roth, als ich statt Anilinblau das bei den Zupfpräparaten erwähnte
^Methylblau II" anwandte.
Was die Färbung sub No. 6, mit Congoroth, anlangt, so ist
mit derselben eine augenblickliche Färbung zu erzielen, gleich der
Benzoazurinfärbung (No. 3), welche entschieden der Färbung mit Nigro-
tin vorzuziehen ist. Das Congoroth brauche ich in eigenartiger Weise,
indem ich die mit wässeriger Congorothlösung tingirten Schnitte durch
schnelles Eintauchen derselben in schwefel- oder salzsäurehaltiges
Wasser (1 Tropfen concentr. Säure auf lOcbcm Wasser) in eine tief
blaue Farbe überführe. Sodann folgt Abspülen in Wasser und Ein-
schluss in Canadabalsam.
Zu No. 7, d.h. der ausgezeichneten Färbung Weigert's mit
Hämatox ylin-Kupferlack und Aronson's mit GalleYn will ich
bemerken, dass, wenn die Differeuzirungsflüssigkeit, namentlich die Blut-
laugesalzlösung, noch mehr verdünnt ist, als es Weigert empfohlen
hat, die Entfärbung zwar langsamer vor sich geht, aber die Nerven
um so deutlicher blau-schwarz hervortreten, da die Neurogliasubstanz
vollkommen ungefärbt oder blassgelblich bleibt. — Für die Differen-
zirung der Galle Ynpräparate nehme ich lieber Chlorkalklösung,
denn im ersteren Falle erhalten die Nerven den klarsten Rosa- oder
Lilaton und bekommen nicht nur die Markscheiden, sondern auch die
Axencviinder nebst dem Axolemma — wie ich dies ja auch bei Hä-
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268 M. Lavdowsky:
matoxylinkupferlackfärbung erzielt habe — eine deutliche Nuancirung
für sich.
Das Silber- und Sublimat-Verfahren. Die im doppel-
chromsauren Kali oder -Ammoniak, am besten aber in Müller*scher
Flüssigkeit, der auf je 20 cbcm 2—4 Theile 1 % Ueberosmiiunsäure zu-
gesetzt ist, erhärteten Rückenmarkstüeke imprftgnire ich im Laufe von
24—48 Stunden in 1 % Lösung von salpetersaurem Silberoxyd bei etwa
20— 30® Celsius, also ähnlich wie Golgi und Ramon y Cajal. Wenn
ich zum Imprägniren die Mülle r'sche Lösung nehme, so verstärke ich
die Concentration derselben auf die Weise, dass auf jede 100 ccm
Wasser bis 3— 3V2 g^ Doppelchromsalz und wie gewähnlich 1 gr schwe-
felsaures Natron kommt. Bei diesem Verfahren erhielt ich viel mehr
gelungene Präparate.
Die vollkommen gut mit dichromsaurem Silber imprägiiirten
und in 95^1^ Alkohol erhärteten Rückenmarks- oder Gehimstücke
wurden bekanntlich mikrotomirt, die fertigen Schnitte aufgehellt
und in Lack eingeschlossen. Die mit Silber imprägnirten Schnitte
können auch durch einige Farbstoffe tingirt werden, um noch
diejenigen Nerven hervorzurufen, welche vom Silber und Osmium
nicht oder zu schwach hervorgerufen wurden. Für diese schwie-
rige DoppelfUrbung verwendete ich eine kurze Tingirung der
eben mikrotomirten Schnitte in alkohol-wässeriger Lösung von
Magdalaroth, wo sie fast momentan durchfärbt wurden. Die mit
Magdalaröth durchfärbten Schnitte müssen nun gebeizt werden,
um die Farbe nur auf den Nerven zu fixiren, wie es bei der
Weigert'schen Procedur geschieht. Ich lege die Magdalaroth-
Schnitte für einige Secunden bis eine Minute in 5 cbcm Wasser,
dem einige Tropfen (3 — 6) l**/o Chlorgoldlösung zugesetzt ist.
Die Silberbilder bekommen nun einen Lilaton, ohne irgendwie
gestört zu werden, üeberdies treten nicht selten massenhaft die
Neuroglia- und Nervenzellenkeme hervor. Leider gelingen gute
Doppelfilrbungen selten.
Bei dem Einlegen der Stücke aus der Silberlösung in Spi-
ritus zur Härtung müssen sie durch Fliesspapier abgetrocknet
werden, zu gleicher Zeit werden sie von oberflächlichen Nieder-
schlägen befreit. Die Procedur soll natürlich sehr schonend aus-
geführt werden. Die zum Schneiden bestimmten Stücke müssen
in mit starkem Alkohol benetzter Leinwand oder in Hollunder-
mark eingewickelt sein, oder sie werden mit Celloidin durch-
tränkt (in letzterem Falle müssen die Celloidinblöcke mit den
Himstücken in Chloroform erhärtet werden), und so werden sie
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Vom Aufbau des Rückehmarks. 269
in das Mikrotom eingeklemmt und geschnitten, indem das Messer
mit reinem starken (90 — 95®/o) Alkohol zu benetzen ist. Die
fertigen Schnitte werden nun in demselben Alkohol gesammelt
und dann durch Terpentinöl oder eine Mischung von gleichen
Theilen Kreosot und Xylol aufgehellt. Meist aber helle ich so-
fort mit dem Einschlusslack selbst auf. Zum Einschliessen be-
nutzte ich mit Vortheil einen Resina-Sandarack-Lack^). Ich
stelle selbst letzteren Lack in zwei Concentrationsgraden her: einmal
löse ich 25 — 30 gr reinsten Sandarackharz in 40—50 cbcm ab-
soluten Alkohols auf (Lack Nr. II). Dann verdünne ich eine
Portion desselben Lackes noch mit. einem Theile Alkohol (Lack
Nr. I), da ich es praktischer gefanden habe, die Aufhellung mit
der verdünnten Lösung zu beginnen. Da der Lack die Fähig-
keit hat, die Schnitte aufzuhellen und zu gleicher Zeit einzu-
schliessen, so kann man bequem auf einem grossen Objectglase
vermittelst desselben Lackes 10 bis 50 Rückenmarkschnitte
auf einmal einkitten. Mittelst eines guten biegsamen Spatels
führt man die Schnitte direkt aus dem Alkohol auf denOb-
jectträger über. Sobald der Alkohol fast ganz vom Glase ver-
dunstet ist, übergiesst man die Schnitte mit dem Lacke Nr. I
und lässt das Glas horizontal bei Zimmertemperatur oder im Ter-
mostaten ruhig liegen. Sobald der Lack ganz flach ausgebreitet
und eben eingedickt ist, erscheinen die Schnitte gut aufgeklebt
und sind schon etwas aufgehellt, so dass sie bei schwacher Ver-
grösserung durchmustert werden können. Jetzt folgen neuere
Uebergiessungen mit dem Lacke Nr. II, indem man denselben
mit einem dicken Glasstabe sehr schonend und fläch ausbreitet
und wieder den Objectträger horizontal ruhig liegen lässt. Nie-
mals braucht man bei der Procedur irgend welchen Pinsel, um
Luftbläschen fortzuschafifen. Je feuchter die Luft ist, desto
schwerer hellt der Lack auf und dickt ein. Jedenfalls geht die
Verdunstung der Sandaracklösung so schnell von statten, dass
die mit Lack bedeckten Schnitte schon nach ^4 — ^U Stunden
fertig sind, d.h. der Lack mehr oder weniger eingedickt und
alle die Schnitte in idealer Weise aufgehellt sind. (Die Luft-
bläschen, welche bei dem Uebergiessen der Schnitte mit Lack
1) In St. Petersburg bei der Firma Marks (Irüher Po y teiiiingh),
Gorochowaia Nr. 39 zu haben.
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270 M. Lavdowsky:
entstehen können, entferne ich nach einiger Eindickung des
Lacktiberzuges mit einem Tropfen absoluten Alkohols. Indem
letzterer über der Lackdecke zerfliesst, werden die Luftbläschen
entfernt, der Alkohol aber stellt die glatte Lackebene wieder her.)
Es giebt aber einen üebelstand bei dem Lacke, nämlich,
dass mit vollkommener Eindickung stellenweise Sprünge ent-
stehen, was man möglichst sofort beseitigen muss, indem man
über den Lack noch eine oder zwei dünne Schichten von sehr
flüssigem Damarlack- oder Canadabalsamlösung in Benzin auf-
giesst und dann die Objectträger im Schrank oder Kasten hori-
zontal für einen Tag liegen lässt. Nach der Balsamüberziehung
sind die Präparate vollkommen fertig. — Fertige Objectträger
bedecke ich endlich mit dickeren Etiquetten oder schneide aus
dickerem Carton eme der Form der Objectträger entsprechende
Platte, in welcher in der Mitte, gemäss der Zahl und Anord-
nung der Schnitte eine runde oder viereckige Oeflfnung ausge-
schnitten ist, und klebe die Platte dem Objectträger mit dem
Lacke Nr. I an. Speciell für dickere Schnitte brauche ich die von
mir vorgeschlagenen Ilolzobjectträger, in welchen auch eine
viereckige Oeffnung geschnitten ist. In diese Oeffnung ist das
Deckgläschen wie in einen Fensterrahmen eingefasst (10, b). Den
Schnitt nun bringe man auf das Deckgläschen, bedecke ihn, wie
oben gesagt wurde, mit dem Lacke (Sandarack), und sobald der
Schnitt angeklebt und aufgehellt ist, untersucht man ihn von
beiden Flächen.
lieber die Imprägnation mit Sublimat nach Mondino-
Golgi will ich hier speciell nicht handeln, denn im Verhältnisse
zur Silbermethode nimmt sie viel Zeit in Anspruch und gibt
Bilder, welche den durch Silber hervorgerufenen nachstehen.
Cox, dessen Verfahren (12) mir nicht s(mderlich emijfehlenswerth
erscheint, bringt als Einschlussmittel auch Sandarackharzlösung
in Anwendung. Meine Methode dürfte aber wohl die ein-
fachere sein.
Ich füge noch an, dass der von mir empfohlene Sandarack-
lack sich auch trefflich zur Aufhellung, und Einkittung anderer
histologischer sowie embryologischer Präparate eignet, von letz-
teren vorzüglich für ganze Keimscheiben von Hühnerembryouen;
nur müssen dieselben mit Farbstofl^en tingirt werden, welche in
Spiritus ungelöst bleiben. Ich habe in neuester Zeit auch die
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Vom Aufbau des Rückenmarks. 271
von Mersier mitgetheilte ^) üpson'sche Methode geprüft und
kann dieselbe sehr empfehlen, obwohl sie nicht beständige Re-
sultate liefert. Sie eignet sich am besten Itir Stücke, welche,
aus Chromsalzlösungen kommend, längere Zeit in Spiritus ver-
weilt haben.
II. Das NenrogliaHtfltzgerflst.
Structur der Neurogliasubstanz. „Die genauere Ana-
lyse dieser Snstanz," sagt Toi dt auf pag. 180 der .-5. Auflage
seiner Gewebelehre, „begegnet ganz ausserordentlichen Schwie-
rigkeiten und dies ist Ursache, dass trotz der angestrengten Ar-
beit hervorragender Histologen (Henle, M. Schnitze, Kölliker,
Deiters, Golgi, Ranvier, Schwalbe, Gierke) noch kein
unbestrittenes Ergebniss erzielt worden ist." Und diese „Schwie-
rigkeiten" — möchte ich hinzufügen — sind um so weniger zu
beseitigen, als manche Forscher am liebsten das centrale Ner-
vensystem an Schnitten erhärteter Gewebe untersuchen, nicht aber
an Zupfpräparaten, welche schon durch die Untersuchungen Ran-
vier's (13, b) und Gierke's (14) unsere Aufmerksamkeit auf
sich ziehen müssen.
Von den verschiedenen Ansichten über die Neurogliasub-
stanz herrschen nun die, dass in den weissen Strängen des Rücken-
marks die Neuroglia hauptsächlich aus den Deiters-Boirschen
vielstrahligen Zellen und Faseni besteht, in den grauen Theilen
aber nicht nur aus der geformten, sondern auch aus der ,,unge-
formten" Substanz, die nach Gierke als „homogen, structurlos
nnd von weicher aber fester Consistenz" anzusehen ist. „Die ihr
gewöhnlich zugeschriebenen Einlagerungen, die „Molekel" (Körn-
chen) „cxistiren nicht." Nach der Ansicht Ran vi er 's aber (13, b),
stellt die Neurogliasubstanz einfach ein Geflecht feiner Fribrillen
vor, welche mit lU'otoplasmatischen kenihaltigen Zellen verbunden
sind, jedoch so, dass sie das Protoplasma frei durchsetzen, nicht
als Ausläufer desselben erscheinen; es kann ein und dieselbe
Gliafaser mehrere Zellenleiber durchsetzen. Gegenüber dem hat
Golgi die Ansicht von der Existenz wirklicher, mit zahlrei-
chen, nicht selten sehr langen Fortsätzen versehenen Dei-
ter&'schen Gliazellen (Cellula raggiata Golgi 's), deren Aus-
1) Zeitschritt für wisüensch. Mikroskopie, Bd. VlI, pag. 474.
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Ö?2 M. Lavdowskyj
läufer eben das Neurogliageflecht bilden, vertreten. An dem Ge-
flechte nehmen auch die Nervenfasern und die Protoplasmafort-
sätze der Nervenzellen Theil; es scheinen nach Golgi sogar die
Nervenzellen mit den Gliazellen in Verbindung zu sein und finden
sich letztere auch im Zusammenhange mit den Gef&ssen, was
namentlich an Silberschnitten evident zu Tage tritt.
Die Rtickenmarksgliazellen finde ich bei den höheren
Wirbelthicren zweifacher Art (Taf. XIV). Einmal sind es Zellen
(Fig. 1 b, 2 a), welche sehr feine, glatte, oder mit Varikositäten
versehene lange Fortsätze entsenden (Fig. Ic, 3 c); ein andermal
haben sie etwas dickere, stark gekörnte Auswüchse (etwa wie sie
bei den Pigmentzellenzellen vorkommen) (Fig. 2 b, 3cO, welche
nicht selten getheilt erscheinen. Die mit Magdalaroth oder Me-
thylblau II tingirten Gliazellen haben einen fein punktirten Kör-
per, enthaltend einen runden oder ovalen Kern mit Kemkör-
perchen und ChromatinfUden. Eine Karyokinese ist aber in dem-
selben äusserst sparsam zu finden. Was nun die Punktining
anlangt, so beruht dieselbe theils auf kleinsten Kömchen, die im
Zellkörper zerstreut sind, grössten theils aber auf optischen
Querschnitten der im Zellkörper beginnenden Fort-
sätze. Der Zellkörper hat eine abgeplattet-runde, ovale oder
dreieckige Gestalt und es scheint, dass er blos dem Gliafaser-
filze anliegt (Fig. 4 b', c). Trotzdem, dass die Fortsätze der Glia-
zellen gar dünn sind, konnte ich an ihnen eine Röhrchen-
natur bemerken und glaube somit, dass diese Elemente, seien
sie bindegewebiger, oder epithelialer (mesoblastischer oder ecto-
blastischer) Entstehung, jedenfalls ganz eigenartige Zellen sind.
Jede Zelle bildet einen protoplasmatisch-keratoiden Körper und
kann solche lange Fortsätze haben, dass einige von ihnen durch
die ganze Dicke der weissen Substanz und theilweise der grauen
unversehrt durchziehen.
Die Gliazellen von mehr kömigem, protoplasmatischem Aus-
sehen findet man grösstentheils im noch in Entwicklung begriflFe-
nen Rttckenmarke und im Gehirne (man vergl. darüber Vi gnal's
Untersuchungen 26, a, b) ; die Zellen aber, welche schon mit den
glatten und so zu sagen derben, jedenfalls nicht so zarten Fort-
sätzen versehen sind, kommen bei den erwachsenen Thieren vor,
obschon auch bei letzteren die andern Zellenformen nicht fehlen.
Ich habe nie gesehen, dass die Fortsätze in den Kern der
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Vom Aufbau des Rückenmarks. 273
Zelle einti'äten oder vom Kern ausgingen, wie es Ranvier glau-
ben will; wobl aber dringen die Fortsätze oder Röhrchen ins
Innere der Zellkörper ein oder gehen direct von den Rändern
des Zellprotoplasma aus und breiten sich dann gerade oder wel-
lenartig aus (Fig. 2). Die Beweise von der Röhrchennatur der
Gliazellenfortsätze entnehme ich: 1) den oben angeführten opti-
schen Querschnitten derselben, welche mehr oder weniger Durch-
schnitten anderer thierischeu Capillarkanälchen, z. B. Knochen-
kanälchen gleichen ; 2) einem besonderen derberen („Keratoiden")
Habitus der Fortsätze, einem Habitus, der dem der feineren
elastischen Fasera ähnlich ist, so dass einige Autoren (Gerlach),
dieselben Fortsätze eben zu den elastischen Geweben des Ge-
hirns zu zählen versuchten ; 3) der äusserst leichten Imprägnirung
der Gliazellen und ihrer Verlängerungen mit dichromsaurem Sil-
beroxyd, von dem noch die Rede sein wird; 4) der Neigung der
Gliazellen vermittelst ihrer Fortsätze im Rttckenmarke, sowie
tiberall im Hirne in engster Verbindung mit den Blutgefässen zu
stehen, obschon die Verbindung der Art ist, dass die Gliazellen
im Zusammenhange mit der Wandung der Gefasse, nicht aber
mit dem Lumen derselben zu sein scheinen, und 5) der Neigung
(ler Gliazellen vermittelst derselben Fortsätze sich zu vereinigen
und so fast durch das ganze Rückenmark ein ausgebreitetes
äusserst dichtes und zartes netzartiges Geflecht zu bilden.
Ich sehe also den „Neuroglia-Nervenkitt"
(Virchow's)als einfundamentalesStütz- und viel-
leicht Nutritionsgerüst des Rü ckeumarks undGe-
hirns an, in welchem die Nervenfasern und Ner-
venzellen ihre Lage finden.
Einige dieser Sätze erfordern eine weitere Begründung und
Erörterung. Was die chemische Beschaffenheit der Neuroglia
anbetrifft, so verweise ich auf die bekannten Untersuchungen
von Kühne und Ewald (15), sowie auf die Gierke'sche
Arbeit.
An Zupf Präparaten der grauen Substanz des Rückenmarks,
die in oben angegebener Weise behandelt wurden, bemerkt man
zwischen den Nervenzellen und Gefässeu ein wie Spinngewebe
ausgebreitetes feines, netzartiges Geflecht dünner Fasern, welche
von strahligen Neurogliazellen ausgehen (Fig. 1 a). Das Bild er-
innert uns lebhaft an das fibrinöse Netz des Blutes, welches
Archiv für mikrosk. Anat. Bd. 38 18
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2?4 M. Lavdowsky:
z. B. nach der Methode Ranvier's hergestellt ist. Je frischer
das Präparat ist und je früher das Zupfinaterial der Macerations-
flüssigkeit entnommen wurde (2 — 4 Tage für Landois-
G i e r k e * sehe Flüssigkeit), desto entwickelter und besser tritt
das Neurogliageflecht hervor. Und umgekehrt, nach längerem
Aufenthalt der Stücke in der Macerationsflüssigkeit, schwinden
die Gliafasem fast si)url()8 und es bleibt nur eine Kömeluug als
Zerfallproduct jener Fasern.
Untersucht man gut ausgefallene Präparate, wie z. B. Fig. 1
auf Taf. XIV, so bemerkt man grosse Verschiedenheiten sowohl
in Bezug auf den Bau des Geflechtes, als auch auf die Dicke
und die Anordnungsart der das Geflecht zusammenstellenden Fa-
sern und der Vertheilungen der Gliazellen selbst. Die frei blei-
benden Felder des Geflechts haben ganz unregelmässige Form
und sehr verschiedene Grösse. Die Fäden des Geflechtes sind
opak, nicht glänzend, ganz glatt oder köniig und im Vergleich
mit denjenigen an erhärteten Querschnitten scheinen sie zart,
mehr oder weniger gelockert. Die Versuche mit Zerzupfen wei-
sen darauf hin, dass die Fäden dehnbar und elastisch sind; in
den von mir gebrauchten Flüssigkeiten erhalten sich diese Eigen-
schaften der Neurogliafasern einige Tage unversehrt.
In dem Netze fand ich folgende morphologische Elemente:
1) die oben beschriebenen Gliazellen (Fig. la, b, c), deren Fort-
sätze mit denselben anderer ähnlichen Zellen zusammenzuhängen
scheinen, sich vei-flechten und so das netzartige Bild herstellen;
2) „freie runde und ovale Kerne", welche in Wahrheit nur die
Reste der gelockerten und zerfallenden Zellen vorstellen (a");
3) kleine köniige Anhäufungen' an den Knotenpunkten der im
Netze verfilzten P^asem (a'), — als Reste des noch erhaltenen
Protoplasma der kleineren Gliazellen, und 4) grosse körnige Hau-
fen, welche massenhafte Kerne in sich enthalten und nur aus
nicht ganz aufgelockerten und nicht zeraupften Neuroglianetzen
bestehen. — Diese scheinbar körnige Haufen gleichen ganz den
bekannten „kömig-gelatinösen" Substanzen der Hinterhömer und
des Canalis centralis des Rückenmarks und haben das Aus-
sehen der letzteren Himstellen, wie sie sich an den Querschnitten
aus bichromsaurem Kali und Alkohol immer vorfinden.
Betrachtet man aber solche Schnitte des Rückenmarkes,
wie sie nach dem Golgi 'sehen oder Ramön y Cajarschen Ver-
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Vom Aufbau des Rückenmarks. i%
fahren gut imprägnirt sind, so ist ersichtlich, dass beide obigen
körnig-gelatinösen Substanzen gar nicht das „kömige" Aussehen
haben, sondern aus einem dichten Geflechte von Neurogliafasem
und Verästelungen der Protoplasinafortsätze von Nervenzellen
und Nerven selbst bestehen, kurz aus allen den morphologischen
Bestandtheilen, die an den Zupfpräparaten vom grauen Theile des
Rockenmarks gefunden werden (vergl. Fig. 1 mit 6 und 7).
Jetzt ist die Frage zu erheben: ob das von mir beschrie-
bene ein wirkliches Netz (Gierke) ist, oder nur ein dichtes
Geflecht darstellt, wie z. B. Golgi auf Grund der Silberbil-
der betont.
Ich finde die Gierke'sche Meinung nicht ganz zutreffend,
weil nur die Zupfpräparate, und bei weitem nicbt bei allen
Thieren, uns solche Bilder geben, welche man als „Netz" be-
trachten kann. Am vorzüglichsten bei dem Kalbe und nament-
lich in der grauen Substanz des Rückenmarks findet man in der
That solche netzartige Structur. Die in der weissen Substanz,
aber auf dem Wege der bekannten Neurogliasepten liegenden
strahligen Gliazellen entsenden viel längere Fortsätze in der
Richtung der Pia und der grauen Substanz des Rückenmarks,
die Fortsätze begegnen und vei-flechten sich mit einander, bilden
aber kein Netz, sondern nur ein wirres Geflecht.
Von der Betheiligung der Nervenzellen an dem Neuroglia-
netze oder Geflechte ist est bekannt, dass Golgi in demselben
eine Verzweigung der protoplasmatischen Fortsätze findet und
die letzteren mit den Neurogliazellen, sowie mit den Blutgefässen
in Zusammenhang bringt. Meiner Erfahrung nach aber ist die
Meinung Golgi 's betreffend die Nervenzellen, trotzdem sie in
einer Arbeit seines Schülers Martinotti (16) eine Bestätigung
gefunden hat, sehr zweifelhaft. Ich finde nämlich die genannten
t^'ortsätze der Nervenzellen in keiner Verbindung weder mit Glia-
zellen, noch mit Blutgefässen (man vergl. Fig. 1, d), wohl aber
bangen die Gliazellen und die Gefässe fast überall
unter sich zusammen (Fig. 3c, c', d).
Manchmal treten die Fäden von einer und derselben Glia-
zelle mit zwei oder drei nebenliegenden Gefässen in Verbindung.
Auch entspringen einem und demselben GefUsse mehrere einfache
oder büschelartige kurze Sprossen oder Stacheln, die mehr oder
weniger den Sprossen bei der Entwicklung der Blutcapillaren
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0^6 M. Lavdowskyj
gleichen. Die Fasern der Sprossen hangen mit den Neuroglia-
zelleu zusammen. Endlich gibt es nicht selten auch solche Bil-
der, wo einer Stelle der Gefasswand eine von den Gliazellen
platt angelegt und mit der Wand verkittet zu sein scheint.
An den Quer- und Längsschnitten des in Chromsalzen er-
härteten und mit verschiedenen Farbstoffen tingirten Rückenmar-
kes sind die eben beschriebenen Verhältnisse der Neuroglia zu
den GefUssen nur selten zu sehen, öfter aber an den Zupfpräpa-
raten mit dem Unterschiede, dass hier alle die Beziehungen nicht
so exact erzielt werden können, als es bei der Silberimprägna-
tion der Fall ist. In dem grossen und kleinen Gehirn (nament-
lich in den pedunculus cerebelli) habe ich immer dieselben Ver-
hältnisse geftmden, also muss man dies wohl als vollkommen
bewiesen betrachten. Die ungenügenden Ergeljnisse an den ein-
fach mit Farbstoffen tingirten Schnitten, Ergebnisse hinsichtlich
der Neurogliazellen, namentlich ihrer Fortsetzungen und Bezie-
hungen zu den Gefässen erklärt sich durch Schrumpfung und
schwächere Färbung der Zellenfortsätze.
Von den Forschem, welche einen Zusammenhang zwi-
schen Gliazellen und Gefässen gesehen haben, erinnere
ich an Gierke (14, Bd. XXVI, pag. 221), Golgi, Petrone
(Die Gliazellen des Nervus opticus, 29, Taf. II, Fig. 2) und in
letzterer Zeit Buchholz (17, pag. 385). Von einer besonderen
Form der GefUsswandungen des Gehinis, namentlich von dem
Besitze einer Reihe von Sprossen, Stacheln etc., die wahreohein-
lich abgerissene Fortsätze der Gliazellen darstellen,, sprechen
auch A. Key und Retzius in ihren berühmten „Studien in der
Anatomie des Nervensystems" (18, erste Hälfte, pag. 150). Doch
sind die Bilder der Autoren nicht hinreichend, weil sie fftr ihre
Studien noch kein Imprägniren durch Dichromsäuresilber in An-
wendung bringen. Es ist aber sehr bemerkenswerth, dass nach
der Imprägnation alle die gefärbten Zellen mit ihren Ausläufern,
sowie die Gefösse mit den oben beschriebeneu Sprossen, Stacheln
u. dergl. nicht nur scharf braun oder braun-schwarz gefilrbt sind,
sondern es scheinen auch alle die Dimensionen der Elemente
grösser, wesshalb die letzteren leichter als sonst durch die ganze
Ausdehnung der Rückenmarkschnitte aufgefunden und verfolgt
werden können.
Beziehung der Neurogliazellen zu der Pia
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Vom Aufbau des Rückenmarks. 277
and dem Epithel des Centralkanals. An den Silber-
schnitten sieht man auch eine ausgezeichnete Färbung der Pia
und des Epithels des Centralkanals (Golgi,Ram6ny Cajal,
Kölliker, v. Leuhossek, Retzius). Die Pia erscheint
immer tief schwarz und entsendet in die weisse Substanz, sowie
in beide Hirnspalten schwarz gefärbte, bindegewebige Falten,
und Blutgefässe, mit denen die Gliazellen innig zusammenhän-
gen. Von den Piafalten verdient besondere Aufmerksamkeit die-
jenige, welche in den Fissuren mit den Gefassen eingelagert ist.
Wie an der Fig. 7 (Taf, XVI) abgebildet ist, besteht die Pia
aus einer Reihe von tief geschwärzten Fasern (Pcc — P'cc),
welche geradlinig oder zikzackig oder wellenförmig und mehr
oder weniger einander parallel in den Furchen zwischen den
weissen Strängen der Rückenmarkshälften verlaufen und das
Piagewebe (P, P') mit dem Epithel des Centralkanals (Cc) ver-
binden. Diese bemerkenswerthe Thatsache ist der Art, dass es
sich hier um einen wirklichen Uebergang der Epithelformationen
in die des Bindegewebes handelt. Fast an jedem gelungenen
Präparate bemerkte ich die Fähigkeit des dichromsauren Silber-
oxyds, nicht nur die Nerven, die Glia- und Nervenzellen zu im-
prägniren, sondern sich auch in den Epithelzellen des Central-
kanals abzulagern.
Die Ablagerung des Silbersalzes geschieht in dem Proto-
plasma der Epithelzellen, welche sich mit ihren Auswüchsen tief
schwarz ßlrben und nur der Zellkern, wie es auch bei den Ner-
venzellen nicht selten der Fall ist, bleibt völlig ungefärbt. So-
mit bildet das Epithel um den Centralkanal herum einen charak-
teristischen Kranz, bestehend aus schwarzen spindelförmigen und
eylindrischen Zellen. Einige, namentlich innere oder cilientra-
gende Fortsätze der Zellen berühren den Centralkanal selbst,
andere, äussere, dagegen laufen in der grauen Substanz und
dringen in beide Fissuren ein (Fig. 7 cc). Also theilt sich das
Epithel des Centralkanals in vier histologisch verschie-
dene Bezirke: Zwei laterale substantiale und zwei
mediale fissurale.
Von den Zellen der medialen Bezirke gehen dtlnne,
sich theilende Fortsätze aus, die in lange, tief schwarze Fäden
sich hinziehen und so in beiden Fissuren ein Büschel wellenartiger
Fasern ausmachen. Die Fasern verbinden eben das Epithel des
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278 M. Lavdöwsky:
Centralkanalö mit der Pia in medialer Richtung. Einige von
den Zellen der lateralen Bezirke biegen mit ihren fadenförmigen
Fortsätzen noch nach der Richtung der Fissuren um und haben
die Neigung mit den Fäden des Hauptbüschels sich zu vereini-
gen, wodurch die Fadenbtischel beider Fissuren eine conische
Form erhalten.
Andere verhalten sich die Epithelzellen der lateralen
Bezirke. Sie haben auch dünne, verzweigte Fortsätze, aber
die letztem verflechten sich mit den Verästelungen der Gliazellen,
welche den Centralkanal umkränzen und sie scheinen sich dann
in die graue Substanz des Rückenmarks zu verlieren. Ich habe
nie beobachtet, dass die Verlängerungen der lateralen Epi-
thelzellen durch das ganze Rückenmark bis an die, die Seiten-
stränge bedeckende Piaschicht durchgelaufen wären, doch will
ich die Möglichkeit nicht in Abrede stellen.* Allein, es liegt
das Bemerkenswerthe vor uns, dass dieEpithelzellendes
C entralkanals, gleichend den Neurogliazellen,
einen nicht unbedeutenden Theil an dem Bau des
Rückenmarksstützgerüstes nehmen und neben
den Gliazellen mit derPia im engsten Zusammen-
hange stehen.
Diese Beobachtungen stehen im Einklänge mit denen von
Ramön y Cajal (9a, Taf. XI, Fig. J), sowie mit denen Kol-
li ker's, indem der Letztere sagt: „In dem Marke" (der
Schaf- und Schweinsembryonen) „durchziehen Ausläufer der so-
genannten Epithelzellen des Centralkanals in kürzerem und län-
gerem Verlaufe je nach den verschiedenen Gegenden das ganze
Mark und enden an dessen Oberfläche dicht an der Pia mit klei-
nen oder grösseren Verbreiterungen" (Kölliker, 19c, pag. 7).
Soviel über die Glia- und die Epithelzellen des Rücken-
marks der höheren Wirbelthiere.
Von der Gliasubstanz des Rückenmarks der
Amphibien. Seit den bekannten Untersuchungen Stieda's
(20) ist das Rückenmark der Amphibien, namentlich der
Frösche, in histologischem Bau bis jetzt ausflihrlich und be-
sonders vermittelst der neueren G o 1 g i 'sehen Methoden nicht
untersucht. Auch Golgi, Ramon y Cajäl und andere For-
scher, welche die Silbermethode angewandt haben, erwähnen
gar nicht des Amphibienrückenmarks. Oyarzun (21) hat das
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Vom Aufbau des Rückenmarks. 279
Vorderhim der Amphibien kurz bearbeitet. Ich habe selbst keine
Zeit gehabt, um die Amphibien hinreichend genau zu unter-
suchen und bitte deshalb meine Bemühungen in der Hinsicht
nicht einer zu strengen Kritik zu unterwerfen, obschon die Bil-
der, welche ich erhalten habe und theilweise hier darzulegen
versuche, äu den gelungensten zu zählen sind (Taf. XVII u. XVIII).
Die Neurogliasubstanz in dem Rückenmarke der Bufo-Species
und der Rana temporaria, welche ich untereuchte, ist relativ gleich-
massig zerstreut. Die Gliazellen haben eine zweifache oder dreifache
Form und zeichnen sich im Vergleich mit denen der höheren Wirbel-
thiere durch bedeutende Grösse aus (Fig. 8A und 9 a, g, 8B,
zi). Eine Art derselben nimmt denjenigen ovalen Centralraum
des Rückenmarks ein, welcher unter dem Namen „Substantia
reticularis" bekannt ist (s. bei Stieda, 20, Taf. XVII, Fig.
la und meine Fig. 8A, g). Ich werde den Theil des Rücken-
marks als „Substantia glialis centralis" bezeichnen, weil in dem
Räume mehr Gliazellen vorkommen als Nervenfasern und fast
keine Nervenzellen.
Die Gliazellen des in Rede stehenden Raumes er-
innern uns an die oben beschriebenen Epithelzellen des Central-
kanals höherer Wirbelthiere, besonders aber an diejenigen Zellen,
welche Oyarzun als „Keulenzellen" (vielleicht besser „Keil-
zellen" ?) beschrieben hat (21, pag. 384). Im Rückenmarke des
Frosches haben sie eine unrcgelraässig länglich-ovale oder birnför-
mige Gestalt mit abgestumpfter Basis gegen den Centralraum
des Markes und langen peripherischen Fortsätzen, welche zahl-
reich sich verästeln und so die ganze graue Substanz, sowie die
weissen Stränge durchziehen. Die zweite Art der Gliazellen
(Fig. 8A, a, 8B^ zi) gleicht sehr den Pigmentzellen (obschon
ßie mit diesen ja nicht zu verwechseln sind). Sie sind gross,
ßtrahlenartig oder sternförmig verästelt: die Verästelungen ziehen
in Form kömiger, dann glatter und scharf ausgeprägter Fasern
durch die graue Substanz des Rückenmarks, dringen femer in
die weissen Stränge hinein, wo sie mit den Stieda 'sehen
„stiftförmigen" Fasem der Pia zusammenhangen (Fig. 8B, za).
Die dritte Form der Gliazellen stellen die eben genannten
„stiftförmigen" Fasem dar, welche, meiner Erfahrung nach,
kerne Fasem, sondern fasernartige Zellen sind. Siebestehen
nämlich aus einem in die Länge sehr ausgedehnten, stiftfüraiigcn
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280 M. Lavdowsky:
Zelleiikörper, der mit der Substanz der Pia verkittet ist, und
aus sehr langen und dtinnen faserähnlichen Verlängerungen,
welche als „stiftftirmige Fasern" die weisse Substanz durchziehen,
um sich mit den unterliegenden Gliazellen zu verbinden. End-
lich bemerkt man unter resp. vor dem Canalis centralis ein
Conglomerat kleiner Gliazellen (Fig. 8 A, a), die alle durch Silber-
oxyd gef&rbt werden und so eine grosse Masse bilden. Von
dieser nun gehen in die beiden unteren Hörner des Rückenmarks
unzählige dünne Fasern aus, von welchen ein Theil, wie im
Marke der höheren Wirbelthiere, in die untere-obere Markspalte
(untere Fissur) eintritt und mit der Pia sich verbindet. Es sind
indessen nicht nur in gewissen Stellen des Rückenmarks, so>vie
des grossen Gehirns verschiedener Thiere solche Conglomerate
der Gliazellen aufzufinden, sondeni sie können zerstreut in ver-
schiedenen Stellen der grauen als auch der weissen Substanz vor-
kommen (z. B. bei a auf der Fig. 10, Tafel XVIII). Da ich die
Zellenanhäufungen auch in gelungenen Zupfpräparaten mitunter
gesehen habe, so bin ich der Ansicht, dass dies Vorkommen
nicht von einfachen Silbemiederschlägen hervorgerufen ist, son-
deni präexistirt und noch weitere Untersuchungen verdient.
Aehnliche Conglomerate von Neurogliazcllcn hat auch Vignal
(26, b) von dem noch in Entwickelung begriffenen Hirne des
Menschen wahrgenommen (1. c. Tafel 6).
III. Die Nervenzellen und Nerven in ihrem Bau und ihrer
gegenseitigen Beziehung.
Die Nervenzellen des Rückenmarkes, seien sie von beiden
Hörnern oder vom medialen Theile der grauen Substanz isolirt,
zeigen immer eine Strichelung, sobald sie frisch entnommen
waren. In BetreflF der Strichelung oder Streifung, welche nach
den Untersuchungen von Walde y er (22), Max Schnitze (23),
Axel Key und Retzius (18a), Hans Schnitze (24), Ran-
vier (13 a), Kupffer (25), Vignal (26 a) und anderen als
fibrilläre Structur der Nerven und Nervenzellen schlechthin aner-
kannt ist, bin ich nunmehr zu folgenden Ergebnissen gelangt.
Von wirklichen, fadenartigen und isolirbaren Fibrillen in den
Körpern der Nervenzellen sieht man nichts, wohl aber zeigt
das „Zellprotoplasma" eine reihenartige Kömelung, innerhalb
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Vom Aufbau des Rückenmarks. 281
ein grosser Kern mit Kernkörperchen und mit noch unbekannten
anderen Körnchen (Gaules „Plasmosomen" und „Karyosomen")
liegt (Tafel XIV, Fig. 1 und 4 d).
Bemerkenswerth ist es, dass der Kern bei Anwendung der
Silbermethode bisweilen sich gar nicht färbt, und wenn das Proto-
plasma der Zellen vollkommen geschwärzt ist, dann tritt der
Kern wie ein ganz heller Kreis oder wie eine helle, manchmal
re^lmässig runde oder ovale Oeflfhung in dem Zellkörper her-
vor (Tafel XV, Fig. 6 k, Tafel XVI, Fig. 7 k). Bei unvollkom-
menem Imprägniren des Zellprotoplasmas erscheint in der ober-
flächlichen schwarzen oder braun-schwarzen Schichte desselben
eine netzartige Structur, die auch in den dickeren zelligen Fort-
sätzen bemerkbar ist (Tafel XIV, Fig. 3, b).
Man findet nämlich im Protoplasma ein Gitter von braun-
schwarzen und sehr kurzen Bälkchen oder Stäbchen, die aber
mit den Fibrillen der Zellen kaum etwas zu thun haben: die
Bälkchen sind dafür zu grob, ganz unregelmässig vertheilt und
kommen in ähnlicher Zeichnung auch in den Wandungen der
Blutgefässe vor.
Bekanntlich sind seit Deiters unsere Kenntnisse von den
Nervenzellen soweit fortgeschritten, dass man fast allgemein die
„protoplasmatischen" und 7,axencylindrischen" Fortsätze der Zellen
unterscheidet; obschon selbst Deiters an den ersteren Zellen-
verlängerungen feine Aestchen gesehen und abgebildet hat, die
er auch als nervöse Bestandtheile, namentlich als Theile des
Axencylinders zu betrachten versucht. Deiters sah nämlich die
feinsten Verästelungen der Protoplasmafortsätze bisweilen von
einer dnnkelrandigen doppelten Contour umgeben und dieselben
in einzelnen Fällen sich selbst noch weiter theilen. „Wäre Dei-
ters noch einen Schritt weiter gegangen", wie es richtig Ger-
lach angiebt (2, pag. 683), „so hätte er zur Entdeckung des
feinen Nervenfasemetzes der grauen Substanz gelangen müssen",
eine Entdeckung, die nun Gerlach selbst gethan.
Dagegen hat in späterer Zeit Golgi nicht nur das Ger-
lach'sche Netz in Abrede gestellt, sondern auch die Unterschiede
zwischen den beiden Arten von Nervenzellenfortsätzen soweit
durchgeführt, dass nach ihm die axencylindrischen Fortsätze
allein nervöse Verlängerungen der Nervenzellen darstellen sollen,
die protoplasmatischen aber mit dem Zellenkörper selbst nur eine
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282 M. Lavdowsky:
nutritive, nicht nervöse Bedeutung hätten. Den von Deiters
entdeckten nervösen Aestchen legt Golgi keine Bedeutung bei.
Es ist aber sonderbar, dass Golgi seine Theorie hauptsächlich
auf die Untersuchungen des grossen Gehirns basirt, wie das aus
seiner Arbeit: „Sulla fina Anatomia degli organi centrali etc." (6)
ei-sichtlich ist. Was aber das Rückenmark anbetrifft, so spricht
er sich darüber nur beiläufig aus und erst 1890 im „Anatomi-
schen Anzeiger" (6, b) giebt er uns seine früheren Untersuchungen
über das Rückenmark, Untersuchungen, die meiner Ansicht nach
gar nicht weiter seine Hauptergebnisse bekräftigen.
Die Beobachtungen jedoch von Kölliker, Ramön y
Cajal und mir über das Rückenmark geben uns nicht wenige
Facta, welche man nicht anders erklären kann, als wenn wir
voraussetzen, dass alle die Verlängerungen der Nerven-
zellen mit Nerven in Verbindung treten können und
somit nervöser Natur sei^n.
In obigen Zeilen war die Ansicht ausgesprochen, der Körper
der Nervenzellen zeige keine eigentliche fibrilläre Structur. Es
ist jedoch kein Grund, um in den Zellenkörpem eine fibrillen-
ähnliche (oder „fibrinoide" — Ballowitz, 27) Stioictur zu
leugnen, da in einzelnen Fällen die Körnchen in den Zellen so
gelagert sind, dass ein fibrillenähnliches Bild ins Auge springt
(Tafel XIV, Fig. 1 und 4 d. Man vergl. darüber auch bei Vignal,
26, a, Tafel 9, Fig. 34, 35). Femer sieht man in den Ausläufern
der Nervenzellen — seien sie protoplasraatische oder axencylin-
drische Fortsätze — wie die oben angegebenen Kömchen mehr
und mehr zusammenrücken und so in diejenige Strichelung der
Fortsätze übergehen, welche als „fibrilläre Stractur" anerkannt
ist. An den isolirten Nervenzellen geben die mehr und mehr
sich verästelnden Foiisätze auch solche Aestchen ab (Tafel XIV,
Fig. 1 f, f), welche man nicht anders als einzelne, oder zu zwei
bis drei zusammengestellte Fibrilloidenbündel betrachten kann*).
Anders verhalten sich die axencylindrischen Verlängerungen
1) Indem ich bestrebt bin so viel als möglich der Wahrheit g-e-
mäss zu berichten, muss ich hinzufügen, dass solche Erscheinungren
am häufi«:sten vorkommen, wenn die ausgewählten Rückenmarkstücke
mehrere Mal in der Macerirungsflüssigkeit geschüttelt wurden, d. h.
ich will damit sagen, dass bei der Gewinnung ähnlicher Verzweigungen
einzelner fibrinoider Theile im gewissen Grade eine künst-
liche Zerfaseruug d e r Z el 1 en su b sta n z betheiligt ist.
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Vom Aufbau des Rückenmarks. 283
der Nervenzellen. Wie schon Deiters richtig bemerkte, theilen
sich die Fortsätze in der grauen Substanz des Rückenmarks
nicht. Wenn an den in Rede stehenden Fortsätzen Theilungen
vorkommen, so geschieht es nur, wenn die Axencylinder in die
weissen Stränge, namentlich in die coUateralen Nerven über-
gehen, um in die absteigenden und aufsteigenden Aestchen sich
zu verzweigen (Ramön y Cajal, Kölliker). Nach den neueren
Angaben von Ramön y Cajal, sowie Lenhossek (28) ist uns
auch bekannt geworden, dass bei Htihnerembryonen es solche
Nervenfasern giebt, „die aus lateralen Vorderhomzellen entsprin-
gend, durch das ganze Rückenmark, Hinterwurzel, Spinalganglien
hindurch zur Peripherie verlaufen, ohne Verbindung mit den
Ganglienzellen" und wahrscheinlich ohne Theilung. Es ist also
möglich, zwei Arten von axencylindrischen Fortsätzen anzuneh-
men : eine, die früher oder später nervös^ Aeste abgiebt und die
andere, welche ungetheilt bleibt. Nach der Meinung Golgi's
sollen die Axencylinderfortsätze sich immer theilen, wie es wirk-
lich im grossen Gehirne zu sehen ist, und aus den wiederholten
Theilungen sollen, wie im Gehirn, so auch im Rückenmark Netze
entstehen. Die Protoplasmafortsätze nehmen nach Golgi an
dem Nervennetze keinen Theil und gehen auch nie in Nerven-
fasern über. Sie sollen nur, wie oben gesagt wurde, „mit der
Gliasnbstanz in Verbindung stehen und nutritive Bedeutung ha-
ben" (Golgi).
Ich bin aber ganz entgegengesetzter Meinung und finde,
da^s wenigstens im Rückenmark sich die protoplasmatischen Fort-
sätze in das „Nervennetz" verästeln und mehrere von ihren Aesten
in die Nerven der weissen Stränge und in die Wurzeln selbst
übergehen; andererseits setzen sich einige von den Ausläufern
direct und ungetheilt in die Nerven fort gleich den „Axencylin-
dem" der Nervenzellen (Tafel XIV, Fig. 4, Tafel XV, XVI,
XVII und XVIII). Der letzte Umstand lehrt uns: zwischen
den protoplasmatischen und axencylindrischen Fort-
sätzen findet kein principieller Unterschied statt. Auf
diesen Umstand hat auch Kölliker hingedeutet, indem er sagte
(19, a, pag. 6): „die Protoplasmafortsätze könnten ja ebenso gut
wie der Axencylinderfortsatz mit ihren letzten. Enden in dunkel-
randige Nervenfasern übergehen" .... und dann .... „zwi-
schen den sogenannten Protoplasmafortsätzen und den Axen-
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284 M. Lavdowsky:
cylinderfortsätzen bestehen keinerlei Unterschiede". Und diese
Kölliker'schen sowie meine Behauptungengehören nicht nur
den Dichromsäuresilberbildem an, sondern bestätigen sich durch
die Schnitte und Zupfpräparate, welche nach ganz anderen,
z. B. auch nach der Weigert'schcn Methode, behandelt worden
waren. Zeichnet man an ein und derselben Stelle des Papiers
zwei Bilder, auf welchen Schnitte, entnommen von einer R^ion
und von einem Thiere, zu sehen sind. Schnitte, von welchen
aber der eine ein gelungenes Silberbild zeigt, der andere dagegen
die mittelst Hämatoxylinkupferlack , GaleYn oder Magdalaroth
ausgeprägten Nerven, oder nimmt man einen und denselben
Schnitt, sobald er zwei der angegebenen Bilder darstellt, — so
bemerkt man zur Erläuterung der Beziehungen zwischen den
Nerven und Nervenzellen Folgendes (Tafel XV, Fig. 6, Tafel
XVII, Fig. 8 A).
In dem Nervengewebe der grauen Substanz des Rücken-
markes unterscheiden sich zwei histologisch und physiologisch
verschiedene Bestandtheile: einmal sind es die Nervenzellen mit
ihren Ausläufern, deren Aestchen ein markloses „Netz" bilden,
das andere Mal sind es Nerven resp. Axencylinder, die mit Myelin-
seheide bedeckt sind und theils Aestchen von myelinhaltigen
Zellenausläufem darstellen, grösstentheils aber diejenigen myelin-
haltigen Nerven sind, welche den collateralen Nerven beider
Wurzeln, sowie der weissen Stränge angehören. Es ist mithin
in der grauen Substanz des Rückenmarks ein eigentlich
grauer Theil und ein weisser Theil zu unterscheiden.
Wollte man aber die Golgi'sche Meinung annehmen, so mtisete
man den eigentlich grauen Theil des Rückenmarkes aus der Neu-
roglia mit Nervenzellen und deren Protoplasmafortsätzen bestehend
betrachten, den weissen Theil der grauen Substanz aber nur aus
den axencylindrischen Fortsätzen, die eine Myelinscheide besitzen.
(Weiterhin wird noch die Rede davon sein, ob die an den mit
Hämatoxylin, GaleYn oder Magdalaroth gefärbten und gebeizten
Präparaten sich befindende Färbung der Nerven wirklich ihrer
„Myelinscheide" angehört, oder es sich nur um die Ablagerung
der Farbe in der Axencylindersubstanz selbst handelt.)
Welche von angegebener Theilung der grauen Substanz der
Wahrheit näher ist, das ist eine Frage, die zur Zeit noch als
offen anzusehen ist.
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Vom Aufbau des Rückenmarks. S85
An Rückenmarks-, Gross- und Kleinhimschnitten habe ich
oft gesehen, dass die protoplasmatischen Fortsätze immer mehr
oder weniger kömig sind, an den Rändern bürstenartig gezähnt,
relativ dick, und dass sie charakteristische (dichotomische) Ver-
ästelungen haben. Die Aestchen strahlen theils von einem Pole
(die Pyramidenzellen der Hemisphären, die Purkinje 'sehen
Zellen des Cerebellum), theils von beiden Polen aus (die Pyrami-
denzellen des Ammonshom). Umgekehrt haben die axencylin-
drischen Fortsätze überall ein mehr homogenes Aussehen. Von
einer Zelle ausgehend, gewöhnlich in Form einer regelmässigen
konischen Verlängerung des Zellenleibes (Golgi, Martinotti
und andere), gehen sie durch die graue und weisse Himsubstanz
wie dünne, glatte, mehr oder weniger gerade Fädern hindurch.
Sie haben auch die Eigenschaft sich zu theilen, wie Golgi
richtig angibt; der Modus der Theilung aber ist der Art, dass
die abgehenden Aeste unter verschiedenem, öftere unter rechtem
Winkel entspringen, nicht selten mit den nebenlaufenden Aesten der
anderen Nervenfasern anostomosiren, so ein dichtes Nerven-
netz im Gehirn, Ammonshom, Cerebellum u. s. w. bildend und
darauf in die markhaltigen Fasern übergehen.
So verhalten sich die Zellenfortsätze beider Art im grossen
Gehirn. Auch im Rückenmarke kann man einen Unterschied
zwischen den beiderartigen Fortsätzen entdecken, allein nicht bei
jeder Zelle, nicht an allen Stellen, ja, nicht in allen Präparaten;
und fast von jeder Zelle des Rückenmarks gehen so viele Fort-
sätze ab, dass es gar nicht möglich ist, alle diese als Axencylinder
anzunehmen (Fig. 6, 7, 8A, 9, 10). Wenn aber Martinotti
angibt (16, pag. 76), um die Theorie Golgi' s zu bekräftigen,
dass die Protoplasmafortsätze „keine Tendenz" hätten zu den-
jenigen Hirubezirken hinzulaufen, wo sich die Nervenfasern vor-
finden, — so ist diese Behauptung unrichtig und irrthüm-
lieh, weil wir in dem grossen Gehim und im Rückeumarke
(eben in den Hirnwindungen und in den weissen Strängen) fast
an jedem gelungenen Präparate finden, wie die meisten von den
Protroplasmafortsätzen zu denjenigen Theilen hinlaufen, wo Ner-
ven, namentlich markhaltige Fasern vorhanden sind. Bei ande-
ren Methoden sowie an den Zupfpräparaten konnte ich auch
keinen nennenswerthen Unterschied zwischen den beiderlei Zel-
lenfortsätzen wahrnehmen. Nimmt man noch dazu, dass in den
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286 M. Lavdowskyj
Spinal- sowie in anderen Nervenganglien, wo die bipolaren
Nervenzellen sich finden, Niemand daran denkt, den einen die-
ser Zellenfortsätze für einen Protroplasraa-, den anderen för
einen Axencylinderfortsatz anzunehmen, so ist ersichtlich, dass
die schon von Deiters eingeleitete Eintheilung der Nerven-
zellenfortsätze nur mit grosse Reserve noch fest zu halten ist,
wenn sie nicht gar aus der* histologischen Terminologie anszu-
schliessen wäre.
Jedenfalls finde ich die Meinung 6olgi*s und Marti-
nott i ' s über die nichtnervöse Bedeutung der Protoplasmafort-
sätze und über das Nichttibergehen derselben in die Nerven ganz
unzutreffend und werde dasselbe gleich beweisen, indem ich die
Leitungsbahnen des Rückenmarks in Verbindung mit den Ner-
venzellen möglich genau darzustellen versuche.
Macht man eine ganze Reihe von Quer- und Längsschnitten
eines gut mit dichromsaurem Silberoxyd imprägnirten Rückenmarkes,
die nicht zu dünn sein dürfen, so wird man zwischen den
Zellen, die deutlich in Verbindung mit den Nerven zu Tage tre-
ten, folgende als oft vorkommende und vielleicht typische bei
den höheren Wirbel thieren auffinden (Fig. 6 und 7).
1) Zellen der vorderen-unteren Hörner und des medialen
Theiles des Rückenmarkes, die einen Theil ihrer Fortsätze an
die vordere Commissur, die anderen an die Vorder- und Seiten-
stränge, sowie an die vordere Wurzel absenden.
2) Zellen dei-selben Hörner, die knapp an den Seitensträn-
gen liegen und einige von ihren Ausläufern an der inneren Seite
der Seiten- und Vorderstränge bogenförmig gehen lassen und
darauf in die angegebenen Stränge, in die vordere Commissur
und vorderen Wurzeln umbiegen*).
3) Zellen des medialen Theiles, deren Fortsätze in die hin-
teren Hörner, hinteren Stränge und in die beiden Commissuren
ziehen.
4) Zellen des vorderen und medialen Theiles, deren Fort-
sätze in die hinteren und vorderen Wurzeln eintreten.
5) Zellen der hinteren-obereu Hönier, deren Fortsätze in
die hinteren Stränge und hinteren Wurzelnerven übergehen. Die
Beziehungen von sensiblen Wurzel- oder Strangfasem zu den ent-
1) Die Bezeichnungen „vordere" — ^untere** und „hintere" —
„obere" erlaube ich mir hier und da promiscue zu gebrauchen.
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Vom Aufbau des Rückenmarks. 28?
sprechenden Nervenzellen haben die Forscher (z.B. Kölliker,
Ra-mön y Cajal) nicht beobachtet, doch fand ja Kölliker
(19 c, pag. 7) „in seltenen Fällen Zellen der substantia gelatinosa,
deren Axencylinderfortsatz eine kurze Strecke weit dorsalwärts
verlief und dann abgeschnitten endete". Ich habe die Gelegen-
heit gehabt, die fragliche Beziehung, sobald die Wurzelfasern
etwas schräg durchschnitten waren, ziemlich genau zu verfolgen
(man vergl. z. B. meine Fig. 7).
6) Zellen des neben den hinteren Hörnern liegenden Thei-
les, deren Fortsätze theils auch in die hinteren Wurzeln, theils in
die hinteren Stränge hinziehen.
Bei dem Rückenmarke von Bufo ist mir gelungen (Fig. 8 A)
7) solche Zellen zu sehen, deren Fortsätze zwischen den
vorderen und hinteren Strängen sich ei-strecken und den einen
ihrer Fortsätze in die hinteren, den anderen in die vorderen
Stränge hineinlenken.
8) Zellen, von welchen einige mehrere ihrer Fortsätze zu
den vorderen Strängen und vorderen Wurzeln, die anderen zu
den hinteren und wieder andere zu den Seitensträngen hin-
schicken. Die Zellen liegen grösstentheils an der inneren Seite
der weissen Stränge und haben bisweilen sehr grosse Dimen-
sionen. Einige von den Fortsätzen der Zellen sub Nr. 7 und 8
laufen auch in die Commissuren.
9) Kleine Zellen, welche relativ dünne Fortsätze haben
und theils dieselben in die hinteren und vorderen Stränge, theils
in die Commissurfasern und in das Nervennetz der grauen Sub-
stanz entsenden.
Speciell an den Längsschnitten des Buforückenmarkes
finde ich a) in sagittaler Ebene (Fig. 10):
10) Zellen, deren Fortsätze in die oberen-hinteren und vor-
deren Stränge (os, us) umbiegen und hier ungetheilt oder getheilt
(in vordere und hintere Aestchen) weiter verlaufen.
11) Zellen, deren Fortsätze die graue Substanz in weiter
Strecke durchziehen und einerseits in das graue Nervennetz über-
gehen, andererseits in die weissen Stränge eindringen.
,b) in medial-frontaler Ebene (Fig. 9):
12) Zellen, deren Fortsätze zum Theil neben dem Central-
kanal der Länge des Rückenmarks nach hinlaufen, zum Theil
aber in die Seitenstränge umbiegen, wo sie sich auch theilen
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288 M. Lavdowßky!
können, oder sie theilen sich schon früher und lassen alsdann
ihre Aeste in die Seitenstränge ziehen.
Es ist jetzt Sache des Experiments zu prüfen, welche von
den hier angegebenen Leitungsbahnen den bisher bekannt ge-
wordenen Bahnen entsprechen, und welche von den Bahnen noch
unbekannt sind und weiterer experimenteller Prüfung bedürfen.
Die Frage über das sogenannte graue Nervennetz.
Bei der Untersuchung all' der in Rede stehenden Quer- und
Längsschnitte bemerkt man fast überall einen Theil der proto-
plasmatischen Fortsätze gleich den axencylindrischen mit den-
jenigen Fasern in Verbindung, welche das sogenannte Nerven-
netz der grauen Substanz ausmachen und an den Silberpräraten
zu erkennen sind.
Vorerst möchte ich darauf aufmerksam machen, dass von
dem Netze wie von dem Neuroglianetze schwer genau zu er-
mitteln ist, ob es ein wirkliches „Netz" oder Geflecht darstellt.
Das sogenannte graue Nervennetz fand ich entwickelter in der
grauen Substanz der hinteren Hiirner, wo dasselbe durch die
reichen Verästelungen der hier sich findenden kleineren Nerven-
zellen hergestellt ist (Fig. 6 und 7, hintere-obere Hönier ow).
Da diese kleinen Zellen, im Vergleich mit denen der vorderen
Hörner, auch kürzere Ausläufer haben, so nimmt das von ihnen
hergestellte Netz einen geringeren Raum ein.
Die Fasern oder Fäden des Netzes habe ich immer mit
mehreren Varikositäten versehen gefunden und glaube somit,
dass diese Eigenthümlichkeit keine postmortale künstliche Er-
scheinung ist, denn sie kommt an den Schnitten vor, die von
den frisch, ja noch warm in die Erhärtungsflüssigkeit gelegten
Rückenmarkstücken entnommen worden waren. Ganz dieselben
Varikositäten sieht man auch an den lebenden Nerven des peri-
pherischen Nervensystems, welche nach dem Einspritzen von
Methylenblau ins Blut so prägnant hervortreten (10, e). Am
schönsten sah ich solche variköse oder perlschnurartige Fasern
in dem Nervennetze der grauen Substanz des Froschrückenmarks
(Fig. 9 und 10). Sie sind hier ziemlich dick und hangen so
unter einander zusammen, dass das von ihnen gebildete Netz
(oder Geflecht) ein relativ lockeres Maschenwerk darstellt, durch
welches andere dickere und stellenweise mit grossen Varikositä-
ten versehene Nervenzellenfortsätze und Axencylinder frei weiter
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Vom Aufbau des Rückenmarks. 289
gehen. Mehr oder weniger gleichend dem beschriebenen Netze
des Froschmarkes ist auch dasjenige Netz gebaut, welches sich in
der grauen Substanz des medialen Theiles und der vorderen
Hörner des Rückenmarkes der von mir untersuchten höheren
Wirbelthiere (Kalb, Hund, Katze) voi-findet. An der Fig. 7
sieht man dasselbe Netz, bestehend aus sehr dünnen Nerven-
fäserchen, welche dicht unter einander sich kreuzen, verflechten
und in einem Zusammenhange sowohl mit denselben der hinte-
ren Homer stehen, als auch mit denjenigen NervenfUden, welche
zerstreut in der Substantia gelatinosa centralis vorkommen. In
dem letzteren Orte, wie in der gelatinösen Rol and o 'sehen Sub-
stanz der hinteren Hörner, sind leider die Nervenfasern und die
Fortsätze der Nervenzellen, sowie dieNeurogliafasern
so unter einander vermischt, dass man die eine von den anderen
nicht unterscheiden kann und muss man solche Objecte haben,
etwa wie die Fig. 6 und 7 sind, um die nervösen Bestand-
theile von den nicht nervösen abgrenzen zu können. Bei all'
dem erinnere ich nochmals daran — dass ich gar nichl meine
Beobachtungen als endgültige ausgeben will, denn öftersja
sind dieNeurogliafasern sehr den feineren Ner-
venfäden gleich, daher muss man solche Imprägnations-
stellen aufsuchen, wo der Faseni nicht zu viel sind, die Im-
prägnirung derselben aber sich vollkommen herausgestellt hat;
trotzdem sind die verschiedenen Fasern zu verwechseln.
Indem wir ferner die durch Silber imprägnirten Fasern des
Nervennetzes mit denjenigen zu vergleichen versuchen, welche
nach dem Weigert 'sehen Verfahren mittelst Hämatoxylinlack,
oder Aronson 'sehen GalleYn, oder Magdalaroth gefärbt sind,
so ist noch Folgendes in Betracht zu ziehen. Nach der Silber-
imprägnation haben die feinen Fasern aller Gegenden dfer grauen
Substanz einen mehr zickzackigen oder wellenartigen Verlauf,
sie sind nicht selten geknickt oder sogar gebrochen, wie es
noch öfter mit den dickeren Fortsätzen der Nervenzellen der
Fall ist. Bei dem Weigert 'sehen oder Aronson 'sehen Ver-
fahren aber laufen die Fasern, namentlich diejenigen von ihnen,
welche zu den feineren Nerven der sogenannten Gewirre zu zäh-
len sind, mehr bogenartig, nicht selten geradlinig, jedenfalls
regelmässiger, wie es an den Figuren 6 und 8A zu sehen ist.
Fast dieselben Bilder konnte ich auch von dem Rückenmarke
Archiv f. mikrosk. Anat Bd. 38 19
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Ö9Ö M. Lavdowskyt .
erhalten, welches nach Härtung in Müll er 'scher Flüssigkeit
und Alkohol, sodann mittels Anilinblau und Magdalaroth mög-
lichst gut geförbt wurde (Fig. 4 auf Taf. XlVn'O- Also es hegt
uns in allen angegebenen Unterschieden der feinsten Verzweigun-
gen der Nerven der grauen Substanz ein Umstand vor, welcher
ganz und gar durch die Eigenschaft der Impräg-
nirungs- und Tinctionsmittel hervorgerufen ist. Nach
der Silberimprägnation zeigt sich in der grauen Substanz ein
„Netz", welches um so weniger verwickelt ist, je weniger Ner-
venfaseni imprägnirt erscheinen, nach dem Weigert 'sehen
Verfahren aber, bei welchem die Nervenfasern ohne Zweifel
besser conservirt sind, wurden immer alle Fasern unverletzt und
vollkommen gefärbt, und man enthält das „Gewirre'*, welches
von dem Silbemetze kaum zu unterscheiden ist*).
Da ich hier nur die Untersuchungen über den Bau des
erwachsenen Rückenmarkes in Betracht ziehe, so kann ich natür-
lich nicht die verschiedenen embryologischen Beobachtungen be-
rühren. Bezüglich des Nervennetzes finden wir in den bekannten
neuen Untersuchimgen von His (30) Folgendes: „Seit Ger-
lach' s Arbeiten geht die herkömmliche Vorstellung dahin, dass
die Dendritenfasern" (d. h. die protoplasmatischen Fortsätze)
„motorischer Nervenzellen sich zu terminalen Netzen verbinden,
in welche von der anderen Seite her die gleichfalls sich theilen-
den sensiblen Fasern eintreten. In einem früheren Aufsatze
(Abhandl. d. K. Sachs. Gesellschaft der Wissenschaft. 1886,
Bd. XIII, Nro. 6) habe ich darauf hingewiesen, dass die An-
nahme eines freien Auslaufens der Zellenverzweigungen entwick-
lungsgeschichlich wahrscheinlicher und physiologisch ebenso an-
nehmbar ist, als die Vorstellung netzförmiger Verbindungen. Auch
stimmt dieselbe mit den bekannten Bildern G o 1 g i ' scher Prä-
parate." (Pag. 293.) Meine Beobachtungen aber, gestützt auf
1) Fast dasselbe „Gewirre" in den Quer- und Längsschnitten de>8
Kückenmarkes des Hundes hat schon Schiefferdecker (28, a) nach
der Chlorpalladium- und Chlorgoldbehandlung erhalten. Leider werden
bei der Methode, welche sehr unconstante Bilder giebt, bei Weitem
nicht alle Nervenfasern gefärbt. Nichtsdestoweniger sind die Schief-
ferdeck er'schen Längsschnitte so weit befriedigend, als sie mir er-
sparen, hier noch die nach der W e i g e r t ' sehen Methode behandelten
beizufügen.
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Vom Aufbau des Rückenmarks. 291
die Untersuchungen des entwickelten Markes, haben zu den Er-
gebnissen geführt, dass die H i s ' sehen Dendritenfasern
der Xervenzellen nach mehreren Theilungen eben-
so gut in die Nervcn-Le-itungsbahnen tibergehen,
wie die „Axencylinder" selbst.* Die richtige Deutung
der G o lg i' sehen Bilder habe ich in obigen Zeilen dargelegt.
Die Varikositäten an den feineren Nervenfasern, betreifs
welcher bis jetzt einige Forscher noch zweifeln, ob sie physio-
logisch präexistent sind, bin ich der Ansicht, dass sie Verdickun-
gen derjenigen Schichte der Axcncylinder darstellen, welche mit
Hämatoxylinlack blau, mit GallaYn oder Magdalaroth aber rosa
tingirt ist. Die blaue Färbung der Nerven bei dem Wei-
gert'sehen Verfahren, wie es Schieffer dccker (28, b) an-
gegeben hat, rührt von der Färbung der Rinde des Axencylin-
ders her (Mau thner 'sehe Schicht). An meinen Präparaten,
die nach Härtung in Chromsalzen und einem Aufenthalte im
essigsauren Kupfer, mit Hämatoxylin oder GalleYn geförbt und
dann gebeizt wurden, zeigen die dicken und feinen Nerven,
theils der ganzen Länge nach, theils an kürzeren Strecken, eben
an den Varikositäten eine tiefblaue Farbe, welche, die Rinden-
schichte der Axencylinder lokalisirt. Also die Varikositä-
ten, von denen bisher so Verschiedenes und sich
Widersprechendes angegeben wurde, beruhen
auf localen Verdickunugen der Axenc y linder-
rinde, daher wurden sie so glänzend und homogen als auch
schön durch verschiedene Farbstoffe tingirt.
Irgend welche andere Scheide au den feineren Fasern
habe ich nie bemerkt; was aber die dickeren Axencylinder an-
betriflft, so halte ich an meiner früheren Ansicht fest, dass sie
eine eigene Scheide — „Axencylinderscheide" (Kühne)
oder „Axolemma^^ (10, c und d) haben. Schiefferdecker
will diese Scheide als besonderes Häutchen nicht anerkennen
und betrachtet dieselbe als eine Abblätterung der Markschicht
in Folge der Reagentien, unter denen die Ueberosmiumsäure, mit
welcher ich deutlich die Axencylinderscheide gesehen habe, in
erster Linie stehen soll. Ich bin mit Schiefferdecker nur
in so weit einverstanden, als ich zugeben will, dass man die
„Axencylinderscheide" als die innerste Schicht der Markscheide,
namentlich der Ewald-Kühne 'sehen Keratin- oder Honascheide
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ÖÖ2 k. Lavdowslcy*
betrachten kann. Die sogenannte Marksubstanz der Nerven be-
steht aus blätterartig angelagerten Keratinscheiden, zwischen denen
das Mark im eigentlichen Sinne des Wortes (Myelin, Myelinogene-
substanz) als eine homogene, chelnisch von den Scheiden diife-
rente Masse eingelagert ist. Nach der Behandlung des Hirns
mittels Chromkalisalzen und Färben mit Hämätoxylin, GalleYn, .
Magdalaro th u. s. w., wurden an den Schnitten die Keratinschei-
den theils quer und längs geschnitten, theils platzen sie in Folge
der Wirkung verschiedener Flüssigkeiten (Blutlaugensalzlösung
mit Borax, Chorkalklösung) und zeigen charakteristische Bilder,
welche ich an den Figuren 4 bei f und 5 bei a, b, c abgebildet
habe. Die innerste Schicht solcher ausgebreite-
ter Keratinmembranen stellt diejenige Scheide
dar, welche als Axolemma oder Axencylinder-
scheide bekannt ist. Sie gehört aber ja einerseits der
Marksubstanz, andererseits dem Axencylinder an. Also ist der
„Irrthum", in welchen ich nach der Schieffer de cker'schen
Angabe betreifs der „Axencylinderscheide" gerathen sein soll
(28 b, pag. 482) nicht so gross für ein solch feines Ding, und
Schiefferdecker selbst ist ja mit seiner Auseinandersetzung
der in Rede stehenden Scheide nicht weiter alsMauthner und
ich gegangen^).
Ganz vorzügliche und lehrreiche Bilder der „Axencylinder-
scheide", die zu gleicher Zeit eine von den innersten Blättern
der Nervenkeratinscheide darstellt, gaben mir die oben ange-
führten Schnitte, welche mit Anilin- oder Methylblau und
Magdalaroth oder Eosin doppelt geförbt waren. Die Axencylin-
der erhalten unter dieser Bedingung einen blauen Ton, die Mark-
(Keratin-)scheide aber erscheint rosa-roth (Fig. 4 und 5). An
den Querschnitten wurden die blaugcförbten Axencylinder durch
einige oder mehrere rothe Ringe von Keratinblättem der Mark-
1) Wenn ich, wie Schiefferdecker angiebt, in meinem Auf-
satze in dem medic. Centralblatte keine Abbildungen beigefügt, so ist
dasselbe nur deshalb nicht geschehen, als in dem Central-
blatte gewöhnlich keine Abbildungen beigefügt wer-
den. Meine Präparate des Axolemma waren aber sehr gleich den
Hans Schnitze' sehen Zeichnungen derselben Scheide (24, a, Taf. X,
Fig. 13), welche jedoch Schiefferdecker (28 b, pag. 483) auch zu
bezweifeln versucht.
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Vom Aufbau des Rückenmarks. 293
scheide umgeben (Fig. 4 a); an den Längschnitten sieht man
die innerste von den Blättern, indem sie einen oder den anderen
Axencylinder in die graue Substanz des Rückenmarks begleiten,
als eine wahre Axencylindenscheide fast der ganzen
Länge der Fasern nach zu Tage treten (Fig. 4f, 5 a, b, c).
Die Scheide hat ein membranartiges, dünnes und, wie es
scheint, ziemlich starres structurloses Häutchen, welches theils
blau, theils roth gefärbt ist. Das Häutchen charakterisirt
sich dadurch, dass es an einer Stelle der Axencylindersubstanz
knapp anliegt, an der anderen sich dagegen von den Axen-
cylindem abhebt und flügelartig ausbreitet. Die flügelarti-
gen Hervorragungen sind gewöhnlich an den freien Rändern zu-
gespitzt, weshalb uns solche Axencylinder an gewisse Pflanzenstiele
erinnern (Fig. 5f). Also, wenn ich ganz genau sehe, wie die innerste
keratinmembranöse Schicht der markhaltigen Nervenfasern als
eine die Axencylinder begleitende Membran tief
in die graue Substanz des Rückenmarkes mit
den Cylindern selbst eindringt, so kann ich die Scheide
nicht anders, als „Axencylinderscheide" oder Axo-
1 e m m a betrachten. Ihr besonderes Aussehen mit den genann-
ten flügelartigen Ausbreitungen beruht wahrscheinlich darauf,
dass die Scheide sich in der grauen Substanz des Rückenmarks
in Verbindung (Verkittung) mit Neurogliasubstanz befindet und
früher oder später dem Axencylinder selbst freien Weg gibt.
An den Kanten ist die Scheide immer intensiver gefärbt (roth,
blauroth oder violett), die Kanten sind oft verdickt oder etwas
eingerollt, daher ihre intensive Färbung zu Tage tritt.
An Hämatoxylin- und GalleXnpräparaten (vorausgesetzt, dass
sie gut gebeizt sind) sieht man dieselben Bilder, nur zeigt die
Scheide keine doppelte, sondern einfache violette, blaue oder
dunkelrosa Färbung. Manchmal erscheint die Scheide wie eine
der Länge nach durchschnittene Röhre, aus der der Axencylin-
der herausgefallen ist. In allen den Fällen sind die Kanten der
Röhre scharf und intensiv gefärbt.
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294 M. Lavdowsky:
Weiteres über die Anordnung der Nerven- und Neuroglia-
zellen, sowie die Nervenfasern an der Hand der Beschreibung
meiner Zeichnungen statt der „Erklärung der Abbildungen^.
Sämratliche Zeichnun<^en, Fi*?. 1, 2, 4, 5 ausg'eschlossen, stellen
mikrotomirte Schnitte dar, welche theils von in doppelchromsaurem
Kali allein (Fi*?. 6), theil» in Verbindiin«»: desselben mit Ueberosmium-
öfture oder in Müller'scher Flüssijrkeit mit derselben Säure (Fig^. 7,
8 A und B, 9, 10) dem erhärteten Rückenmarke entnommen und mit
im Texte angeriebener Methode der DichromsäiiresilberimprägTiation
unterworfen werden. Alle die schwarzen und braunen Bilder ent-
sprechen den. Silberimprä<rnationen, die rothen Zeichnungen da^^ej^en
den mit GalleYn iind Ma^dalaroth «gefärbten und gebeizten Schnitten,
von welchen im Texte die Rede war. Also differiren meine schwarz
und roth gezeichneten Abbildungen von denjenigen Golgi's in der
Weise, als bei ihm die Nerven willkürlich roth gezeichnet sind (ich
meine hier die Golgi'schen Bilder aus dem grossen Gehirn und Cere-
bellum), bei mir aber stellen dieselben Nerven an den
schwarz imprägnirten Schnitten die natürlich roth
gefärbten oder gebeizten Nervenfasern dar. Bezüg-
lich der G o 1 g i 'sehen Bilder wurde richtig gesagt (K ö 1 1 i k e r), das«
sie der Nerven entbehren, weil an den Bildern nur die Neuroglia- und
Nervenzellen, aber keine Nerven (deren Roth schematisch angedeutet
ist) sichtbar sind; was aber meine Abbildungen anbelangt, so sieht
man an ihnen die Neurogliazellen braun oder braim-schwarz, die Ner-
venzellen mit ihren Verästelungen schwarz imd Nerven theils auch
schwarz, grösstentheils aber roth naturgetreii gezeichnet. Für alle Ab-
bildungen sind folgende Bezeichnungen gültig: ow — obere — (hin-
tere) Nerven wurzeln), uw — untere — (vordere) Nerven wurzeln, os,
Is, US — obere (hintere), laterale, untere (vordere) weisse Stränge, oc
— obere (hintere) Rückenmarksspalte, uc — untere (vordere) Spalte,
ec — Canalis centralis, der an der Fig. 6 durch Silberniederschlag
vollständig verstopft, an den anderen Zeichnungen dagegen geöffnet
ist. Um die zusammengesetzten Bilder nicht zu stören, sind sehr wenig
Buchstaben angegeben. Alles Schematische ist möglichst ausgeschlossen.
Tafel XIV, Fig. 1. Ein Zupfpräparat der grauen Substanz
des Rückenmarkes vom Kalbe nach Maceration in Landois-Gierke-
scher Flüssigkeit und Färbung mit Methylblau und Fuchsin. Ein-
schluss in Canadabalsam nach der Methode „Demidessiccation". a —
das Neuroglianetz, bestehend aus kleineu a' und grösseren b, c Glia-
zellen, von welchen zahlreiche Fasern ausgehen und als ein dicht ge-
filztes Netz oder Geflecht zusammenhängen, a" — scheinbare freie
Kerne in demselben, d — zwei fast unversehrt isolirte Nervenzellen
mit sogen, protoplasmatischen Fortsätzen — bei e und axencylindri-
sehen — en, f — die feinen Verzweigungen der protoplaamatischen
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Vom Aufbau des Rückenmarks. 295
Fortsätze, g — scheinbarer Uebergang letzterer Fortsätze in das Neu-
roglianetz. Vergrösserung 1000.
Fig. 2. a, b — zwei Neurogliazellen des Kalbrtickenmarks,
isolirt aus der grauen Substanz vermittelst Ranvier'schen diluirten
Alkohols und gefärbt in starker wässeriger Lösung von Magdalaroth.
Vergr. 1000.
Fig. 3. Die Nerven- und Neurogliazellen aus dem Rückenmark
einer Katze nach der Imprägnation durch Dichromsäuresilber. b —
die im Texte bestrichene netzartige Structur der Nervenzellen, cc'
— Neurogliazellen in wirklichem Zusammenhange mit dem Capillar-
gefäss d. Vergr. 650.
Fig. 4. Querschnitt des vorderen Hornes vom Rückenmark
eines Hundes nach Erhärtung in Müller'scher Flüssigkeit und mehr-
jährigem Aufenthalt im Alkohol. Gefärbt mit Anilinblau (unlöslich in
Alkohol) und Magdalaroth. Die Doppelfärbung ist etwas verschieden,
wenn man die weisse Substanz mit der grauen vergleicht. In der
weissen Substanz bei a sind die quergeschnittenen Axencylinder blau,
uuQkreist durch die roth gefärbte Markscheide (Keratinscheide); in der
grauen Substanz sind die Axencylinder theils blau oder violett (n'),
grösstentheils aber schön rosa (n) tingirt. Einige von ihnen, f, behalten
eine innerste Schicht der Keratinblätter bei und tragen also die so-.
genannte Axencylinderscheide (Axolemma). b — blau gefärbter Neu-
rogliafilz der grauen Substanz mit Gliazellen c. b' — die Gliazellen
der weissen Substanz, d — Nervenzelle, welche ihren Axencylinder-
fortsatz an die vordere Wurzel entsendet, n'' — feinste Fasern des
grauen „Nervengewirres", gefärbt durch Magdalaroth. Einige von
den Fasern dringen in die Neurogliasepten, zwischen die Abtheilungen
der vorderen weissen Stränge (n", rechts). Vergr. 650.
Fig. 5. Eine Reihe isolirt dargestellter, aber in den Schnitten
sich findender Nervenfasern (Axencylindern), zur Demonstration des
Axolemmas. a, c — gefärbt, wie es bei der Fig. 4 angegeben ist. b —
nach Färbung mit GalleYn. Ueberall ist bei f die innerste Schicht der
Keratinblätter zu sehen, welche als Axencylinderscheide bekannt ist.
Bei c sind zuerst drei, dann zwei solche Blätter, die um die Axen-
cylinder zu Tage treten, bis an das Ende des Cylinders, wo er nur
mit den innersten der Scheide (Axolemma) bedeckt erscheint. Ver-
grösserung 650.
Tafel XV, Fig. 6. Ein Querschnitt durch die Lumbalanschwel-
lung des Rückenmarks eines jungen Kätzchens. Die weisse Sub-
stanz ist nur retouchirt und zeigt allein die Gefässe a, Neuroglia-
zellen b und einzelne Nerven c. Zwischen denselben sind zu unter-
scheiden: die (schwarzen) Verlängerungen der Nervenzellen desselben
Querschnittes — c, die (rothen) collateralen Nervenfasern — d, on— on^
und die (braun angedeuteten) Neurogliafasern — f. Bei g — eine Ver-
bindung der letzteren Fasern mit den Capillargefässen. In der
grauen Substanz: c — die Fortsätze der Nervenzellen zu den
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296 M. Lavdowsky:
weissen Sträng-en, h — dieselben zu der unteren — vorderen Com-
missur und i — zu der oberen — hinteren Commissur. k — die Ner-
venzellen der vorderen Homer, in deren Zellkörpern statt des Kernes
eine weite Oeifnun^, in Folge der Nichtablagrerung des Silbersalzes in
der Kernsubstanz, zu sehen ist. 1 — die Nervenzellen, welche den
Seitensträngen knapp anliegen, m — die Neurogliazellen der grauen
Substanz, n — kleine Nervenzellen der hinteren Hörner, die von den
Neurogliazellen (m) zu unterscheiden sind, on — die collateralen Ner-
ven, welche von den hinteren Wurzeln ausgehen, in die hinteren
Hörner eindringen und hier in das reich entwickelte Netz der Aus-
läufer der Nervenzellen übergehen, on*, on^ — dieselben collate-
ralen Fasern, die durch die hinteren Hörner den medialen Theil und
vorderen Hörner passiren und theils in die Seitenstränge, theils in die
vordere Wiirzel on* links, uw hinziehen, on^, on* rechts — dieselben
Nerven, welche nach der vorderen und hinteren Commissur hinlaufen,
h — die sich kreuzenden Nerven der vorderen Commissur, welche
theils aus Axency lindern, theils aus den protoplasmatischen Fortsätzen
der Nervenzellen bestehen, i — die Nerven der hinteren Commissur,
die in zwei Reihen angeordnet sind imd auch die Protoplasmafortsätze
der benachbarten Nervenzellen in sich enthalten. An vielen Stellen
sieht man überdies, dass die schwarzen und rothen Nerven eine und
dieselbe Richtung halten und so den feineren Bau des Schnittes ver-
vollkommnen. Vergr. 300.
Tafel XVI, Fig. 7. Ein Querschnitt durch die Halsanschwel-
lung des Rückenmarkes einer erwachsenen Katze. Von der weissen
Substanz ist hier auch nur so viel gezeichnet, um die Umrisse der
markhaltigen Nerven zu zeigen, a — die Neurogliasepten, in welchen
die Gliazellen b ziemlich regelmässig zerstreat sind, c — die Fort-
sätze der Nervenzellen. Pn — ein stark imprägnirt(»T Theil der Pia-
fortsetzung, mit der die Ausläufer der Gliazellen in Verbindung stehen.
Graue Substanz: Von den geschwärzten Nervenzellen verdienen be-
sondere Aufmerksamkeit diejenigen, welche ihre Fortsätze an der
inneren Seite der Seiten- und Vorderstränge, theils in die vordere Com-
missur umbiegen, wo sie mit denen der anderen Seite sich kreuzen (d).
Gerade durch diese Stelle, sowie durch den entgegengesetzten Bezirk
der hinteren Commissur laufen der Pia nach (P,^ PO die Verlängerungen
des Epithels des Centralkanals hin. Ep — dieselben Epithelzellen,
deren Fortsätze sich nach dem medialen Theile der grauen Substanz
umwenden und sich mit den den Kanal umkränzenden GliazeDen
verflechten, m — grössere Neurogliazellen des hinteren Hörnen, die
das Hörn peripherisch (d. h. nahe der weissen Stränge und der hin-
teren Wurzel) umkreisen und ihre dünnen und langen Fortsätze in's
Innere desselben hinschicken. In dem Home selbst haben die kleinen
Nervenzellen mehrere Ausläufer, welche reichlich sich theilen und ein
dichtes „Netz" bilden. Ein gleiches „Netz" findet sich auch im ganzen
medialen und vorderen Theile der vorderen Homer, bestehend aus
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Vom Aufbau des Rückenmarks. 297
dünneren varikösen Fäden. In einigen Stellen gehen die Protoplasma-
fortsätze der Nervenzellen in das Netz über, on — die durchschnittenen
Nervenfasern der Hinterwurzeläste, wo sie in die collateralen Nerven
umbiegen. Von diesen sieht man in das hintere Hörn feine Axen-
cylinder hineinziehen, welche sich durch ihre schwarze Färbung und
ihren wellenartigen Verlauf von den braunen geradlinigen Neurogli»-
fasern ziemlich scharf imterscheiden. Vergr. .300.
Tafel XVn, Fig. 8A. Querschnitt des Rückenmarks vonBufo
spec, nahe der Medulla oblongata. Die weisse Substanz ist ziemlich
dunkel in Folge der Färbung durch Osmiumsäure und Imprägnirung
mittelst Silberoxyd. Alle Stränge dieser Substanz sind theils von den
Neurogliazellenfortsätzen b (stiftförmigen Fasern), grösstentheils aber
von den Fortsätzen der Nervenzellen c durchzogen. In den linken
oberen (hinteren) Strängen os neben der entsprechenden Fissur oc
finden sich reiche Verästelungen grösserer Gliazellen, die der Reihe
nach der Substantia glialis centralis g eingelagert sind. An der rech-
ten Seite des Schnittes zeigt der periphere Theil aller weissen Stränge,
sowie die Enden der unteren (vorderen) Stränge viele quer und
schräg durchgeschnittene, schraubenförmig oder wurmförmig ge-
bogene Nervenfasern, die mit Nervenzellenfortsätzen in Verbindung
sind und zu den longitudinalen in die collateralen übergehenden Fa-
sern gehören. Gegen die genannten Enden der vorderen Stränge in
der grauen Substanz bei a — ein Conglomerat schwärzerer Gliazellen,
das die vordere Commissur gänzlich einnimmt und mit einer com-
pacten Reihe von (rothen) Nervenfasern durchsetzt ist. Die Fasern
sind in mehrere transversale Bündel getheilt, von welchen die hinteren
(oberen) nach den hinteren Hörnern und Wurzeln uw und dem medialen
Theile des Markes bis an die Seitenstränge einschliesslich ihre Rich-
tung nehmen, die medialen — nach den Seitensträngen imd vorderen
Hörnern und Wurzeln uw, endlich die vorderen nach den vorderen
Hörnern und Wurzeln hinziehen. Man bemerkt von den hinteren Wur-
zeln ausgehende (rothe) Fasern, welche in einzelnen Bündeln durch
die hinteren Stränge und hinteren Hörner passiren und theils nach
den Seiten- und Vordersträngen, sowie vorderen Wurzeln und nach
der vorderen Commissur hinlaufen, theils in die Substantia glialis
ziehen und zwischen den hier liegenden Gliazellen frei endigen (wahr-
scheinlicher ist es aber, dass sie auch durch die Gliasubstanz von
einer Seite des Marks nach der anderen hindurchziehen). Von den
Nervenzellen der grauen Substanz sind bei c die grossen, bei d die
mittelgrossen und bei f kleinere Zellen abgebildet, von denen im Texte
gub Nr. 7, 8, 9 die Rede ist. Von den Neurogliazellen sieht man in
doppelter Reihenfolge in die Substantia glialis centralis eingelagerte
vierzehn grosse Zellen /?g, deren Fortsätze sich verästelnd durch
die graue Substanz bis an die weissen Stränge hinziehen und einige
andere weiter gelegene a, die dieselbe Richtung halten und in die
stiftförmigen Fasern b übergehen. Vergr. 300.
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298 M. Lavdowsky:
Fi^. 8B. Stück eines Querschnittes des Rückenmarks einer
Rana temporaria im oberen -hinteren Theile. za — die stift-
förmif^en Faserzellen oder Neurog-liazellen der weissen Substanz. Sie
ziehen theils einzeln, theils zu zwei, zu drei und mehr durch die
weissen Strände hin, sich verästelnd und in die graue Substanz eindrin-
g-end. zi — die Neurogliazellen der grauen Substanz mit ihrer rei-
chen Verästelung und Verbindung mit den Stiftfasern. Vergr. 450.
Tafel XVIII, Fig. 9. Frontaler Längsschnitt des Rückenmarks
vonBufo spec. Nur die eine Hälfte ist gezeichnet. In der Mitte des
Schnittes (an der Figur rechts) — Canalis centralis, a — Reihe von
Neurogliazellen, die den Kanal umranden und von da nach der grauen
Substanz und den weissen Strängen s, sich verästelnd, ziehen, um
sich mit den stiftförmigen Faserzellen zu verbinden, b — die Fortsätze
der Nervenzellen, welche in die dem Centralkanal naheliegenden Ner-
venfasern verlaufen, d — die Ausläufer derselben Zellen, welche in
den weissen Seitenstrang umbiegen und in markhaltige Fasern über-
gehen, n — dünne variköse Nervenfasern, als Verzweigungen der
protoplasmatischen Fortsätze der Nervenzellen c, von welchen sich in
der grauen Substanz ein „Netz" bildet. Vergr. 300.
Fig. 10. Sagittaler Längsschnitt des Rückenmarks von dem-
selben Bufo, der sowohl die graue Substanz als auch den hinteren
(oberen) os und vorderen (imteren) us Seitenstrang in sich fasst.
a — drei Conglomerate von Neurogliazellen in Form grosser, mit zahl-
reichen Fortsätzen versehenen Körper, b, c, d — die Nervenzellen,
deren Fortsätze theils in die hinteren Stränge eindringen, theils schrä*::
durch die graue Substanz hinziehen und in ein Nervennetz übergehen,
e, f — Nervenzellen, deren Fortsätze in die unteren Stränge eindringen,
n — die feinen varikösen Fasern des grauen Nervennetzes, welches
an dem Schnitte vollständig gefärbt ist. Die schwach braun ange-
deuteten queren Fasern, welche von beiden Strängen ausgehen, sind
nur durch Ueberosmiumsäure gefärbte collaterale Nerven, own, uwn
— die Nervenfasern der beiden Wurzeln, namentlich die coUateralen
Fasern, welche mit den Fasern des Nervennetzes in Verbindung stehen.
Die Fortsätze einiger Nervenzellen gehen auch deutlich in die Fasem
beider Wurzeln über. Vergr. 300.
Die im Texte citirte Literatur.
1. Otto Deiters, Untersiichungen über Gehirn und Rückenmark
des Menschen und der Säugethiere. Braunschweig 1865.
2. J. Gerlach, Von dem Rückenmarke. XXX. Capitel in Strickers
Handbuch der Gewebelehre. 1872, pag. 665.
3. Th. Meynert, Vom Gehirn der Säugethiere. XXI. Capitel. Eben-
daselbst, pag. 694.
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Vom Aufbau des Rückenmarks. 299
4. P. Flechsig:, Die Leitungsbahnen im Gehirn und Rückenmark
des Menschen auf Grund entwickelungsgeschichtlicher Unter-
suchun«:. heipzig 187ß.
5. C. Weigert, a) Ausführliche Beschreibung der neuen Färbungs-
methode für das centrale Nervensystem. Fortschritte der Medicin.
1884, Bd. IT, pag. 190. — b) Eine Verbesserung derselben Metiiode.
18a5, Bd. III, pag. 236. — c) lieber Aufbewahrung von Schnitten ohne
Anwendung von Deckglftschen. Zeitschrift für Wissenschaft]. Mi-
kroskopie 1887, Bd. IV, pag. 209. — d) Bemerkungen über dasNeu-
rogliagerüst des menschlichen Centralnervensystems. Anatom. An-
zeiger 1890, No. 19, pag. 543.
6. C. Golgi, a) Sulla fina Anatomia degli organi centrali del sistema
nervoso. Rivista sperimentali di freniatria e di medicina legale.
1882, pag. 165, 361. 1883, pag. 1, 161, 385. Dasselbe in einer Extra-
Ausgabe 1886. Napoli-Milano-Pisa. Mit 24 Tafeln. Dasselbe in
einem Referate im Arch. italiennes de biologie 1883, Bd. 3 u. 4.
1886, Bd. 7. — b) Heber den feineren Bau des Rückenmarks.
Anatom. Anzeiger 1890, Nr. 13, 14, 15.
7. C. Nörner, Beitrag zur Behandlung mikroskopischer Präparate.
Arch. für mikrosk. Anat. Bd. 21, pag. 351.
8. H. Aronson, Ueber die Anwendung des GalleYn zur Färbung
des Centralnervensystems. Centralblatt für die medic. Wissensch.
1890, Nr. 31, 32.
9. S. Ram6n y Cajal, a) Oontribution al estudio de la estructura
de la m^dula espinal. Revista trimestral de Histologia Normal y
Patologica. 1 de Marzo de 1889, 3. u. 4. — b) Nuevas aplicationes
del metodo de Coloration de Golgi. Barcelona 1889. — c) Nuevas
observationes sobre la estructura de la m^dula espinal de los ma-
miferos. Trabajos del laboratorio anatomico de la Facultad de
Medicina. 1 obr. 1890.
10. M. Lavdowsky und Ph. Owsjannikow, a) Lehrbuch der mi-
kroskopischen Anatomie des Menschen und derTHiere. St. Peters-
burg 1888, Bd. II, pag. 916 (Herausg. K. Ricker). — b) M. Lav-
dowsky, Bemerkungen zur mikrosk. Technik. VI: Die Object-
träger zur Untersuchung der mikrosk op. Präparate von beiden
Flächen. Der Arzt („Wratsch", russisch), 1885, Nr. 40—41. Hof-
mann u. Schwalbe's Jahresberichte, Bd. 14, pag. 481. — c) Der-
selbe, Zum Nachweis der Axencylinderstructurbestandtheile von
markhaltigen Nervenfasern. Centralblatt für d. medic. Wissensch.
1879, Nr. 48, 49. — d) Derselbe, Neue Thatsache zur Histologie,
Entwickelungsgeschichte und Physiologie der peripherischen Ner-
ven und der nervösen Endgebilde. Der Bau der Nervenfasern.
Milit.-med. Journal 1884, Januar- April, 1885 Mai. Hofmann u.
Schwalbe's Jahresberichte Bd. 14, pag. 481— 498. — e) Derselbe,
Weitere Untersuchungen über die Nervenendigung mit Hülfe der
Färbung lebender Nerven. Suppl. zum 61. Bd. der Bullet. derAka-
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300 M. Lavdowsky:
demie der Wissensch. zu St. Petersburg 1889. Mit 1 Tafel. Hof-
mann u. Schwalbe's Jahresberichte Bd. 18, pag. 113.
11. E. Sehrwald, Zur Technik der Go lg i'schen Färbung. Zeitschr.
für wiss. Mikroskopie 1884, Bd. 6, pag. 443.
12. W. Cox, Imprägnation des centralen Nervensystems mit Queck-
silbersalzen. Arch. tür mikrosk. Anat. Bd. 37, pag. 16.
13. L. Ran vier, a) Traite technique d'histologie. — b) De la nevroglie.
Laboratoire d'histologie du CoMge de France. Travaux de Tann^e
1883. Paris 1884.
14. H. Gierke, Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. Archiv
für mikrosk. Anat. Bd. 25, pag. 441 ; Bd. 26, pag. 129.
15. Ewald u. Kühne, Ueber einen neuen Bestandtheil des Nerven-
systems. Verhandl. d. nat.-histor. Vereins zu Heidelberg 1877,
Bd. 1 (Neue Folge).
16. C. Martin otti, Beitrag zum Studium der Hirnrinde und dem
Centralursprung der Nerven. Internation. Monatsschrift für Anat.
und Physiol. 1890, Bd. 7, pag. 69.
17. Buchholz, Beitr. zur Kenntniss der Hirngliome. Arch. für Psy-
chiatrie 1890, Bd. 22, pag. 385.
18. Axel Key u. Retzius, a) Studien in der Anatomie des Nerven-
systems und des Bindegewebes. Stockholm 1875—1876, 1. und
2. Hälfte. — b) Gust. Retzius, Der Bau des Axencylinders der
Nervenfasern. Biologiska Föroningens Förhandlingar. Verhandl.
des biolog. Vereins in Stockholm 1889. (Man vergl. auch die „Un-
tersuchungen über die Nervenzellen der cerebrospinal. Ganglien*
im Arch. für Anatomie und Entwickelungsgeschichte 1880, Heft 6,
pag. 369.)
19. A. Kölliker, a) Ueber Golgi's Untersuchungen, den feineren
Bau des centralen Nervensystems betreffend. Sitzungsber. der
Würzburger physik.-med. Gesellschaft vom 21. Mai 1887. — b) Die
Untersuchungen von Golgi über feineren Bau des centralen Ner-
vensystems. Anatomischer Anzeiger 1887, Nr. 15. — c) Ueber den
feineren Bau des Rückenmarks. Sitzungsber. der Würzburger
physik.-med. Gesellschaft vom 8. März 1890.
20. L. Stieda, Studien über das centrale Nervensystem der Wirbel-
thiere. Leipzig 1870.
21. A. Oyarzun, Ueber den feineren Bau des Vorderhirns der Am-
phibien. Arch. für mikrosk. Anat. Bd. 35, pag. 380.
22. W. Wald eye r, Untersuchungen über den Ursprung und den
Verlauf des Axencylinders. Zeitschr. für rationelle Medicin 1863,
Bd. 20, pag. 193.
23. Max Schnitze, Ueber die Structurelemente des Nervensystems.
Strickers Gewebelehre pag. 108.
24. Hans Schnitze, a) Axency linder und Ganglienzelle. Arch. für
Anat. und Entwickelungsgesch. 1878, pag. 259. — b) Die fibrilläre
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Vom Aufbau des Rückenmarks. 301
Structur der Nervenelemente bei Wirbellosen. Arch. für mikrosk.
Anat. Bd. 16, pag. 57.
25. C. Kupffer, Ueber den Axencylinder raarkhaltiger Nervenfasern.
Sitzungsber. d. k. bayer. Akad. 1883, III.
26. W. Vignal, a) Sur le d^veloppement des 6l6ments de la moele
de mammiferes. Laborat. d'histol. du College de France. Travaux
de rannte 1884, pag. 43. — b) Recherches sur le d6veloppem. des
616ments du cerveau et du cervelet etc. Ebendaselbst 1888, p. 54.
27. M.Lenhoss6k, Ueber Nervenfasern in den hinteren Wurzeln
etc. Anatom. Anzeiger 1890, pag. 360.
28. P. Schi effer decke r, a) Beitr. zur Kenntniss 9es Faserverlaufs
im Rückenmark. Arch. ttir mikrosk. Anat. Bd. X, pag. 471. — b)
Beitr. zur Kenntniss des Baues der Nervenfasern. Ebendaselbst
• Bd. 30, pag. 435.
29. Fr. B oll, Die Histologie und Histogenese der nervösen Central-
Organe. Arch. für Psychiatrie 1873.
30. L. Petrone, Sur la structure de nerfs cer6bro-rachidiens. Inter-
nationale Monatsschr. Bd. 5, pag. 39.
31. W. His, Die Neuroblasten und deren Entstehung im embryonalen
Mark. Arch. für Anatomie und Entwickelungsgeschichte. Anat.
Abth. pag. 249.
Leidyonella cordubensis nov. gen. nov. spec.
Eine neue Trichonymphide.
Von
Prof. JFoh. Frensel.
Hierzu 4 Figuren in Holzschnitt.
Als Anhang zum System der Ciliaten führt 0. Bütschli
in seinem Protozoeuwerk ^) die kleine Gruppe der Trichonym-
phidae Leidy auf. Dies sind eigenthümliche Schmarotzer, welche
1) Bronn 's Klassen und Ordnungen des Thierreichs. I. Bd. Pro-
tozoa von Dr. 0. Bütschli etc. ITI. Abtheilung. Infusorien etc. Leipzig
1887 bis 1889, pag. 1774 ff.
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302 Job. Prenzel:
bis jetzt ausschliesslich im Darm von Orthopteren, und zwar zu-
meist in Termiten gefunden sind. Bütschli erkannte bereits
richtig, dass (1. c. p. 1775 Zusatz) „die Trichonymphiden mit
den Ciliaten nicht direkt blutsverwandt sind", und wiewohl der-
selbe auch nicht geneigt ist, sie als Familie den Flagellaten ein-
zureihen, so scheint ihm doch sicher, dass sie „einen selbst-
ständigen Ursprung aus flagellatenartigen Formen nahmen".
Wie man schon hieraus ersieht, sind unsere Kenntnisse von
diesen Protozoen noch ausserordentlich lückenhafte, und eine
sichere Unterbringung im System ist vor der Hand noch nicht
möglich. Am passendsten dürften sie daher wohl vorläufig zwi-
schen die Mastigophoren und die Ciliaten eingereiht werden,
wenn man nicht gezwungen sein wird, die Trichonymphiden
selbst wieder zu spalten, und zwar in solche ohne und in
solche mit Cilien. Erstere würden sodann die Genera Lopho-
monas Stein, Joenia Grassi und Trichonympha Leidy, aber nicht
mehr die Genera Pyrsonympha Leidy und Dinennympha Leidy
umfassen, welch' letzteren, wie auch eine angebliche Jugendform
von Trichonympha eher den Ciliaten anzuschliessen wären.
In hiesigen Termiten, welche wahrscheinlich die Geschlechts-
thiere von Eutermes inquilinus^) sind, entdeckte ich nun eine Form,
welche der Trichonympha Leidy nicht unähnlich ist, jedoch auch
an Lophomonas Stein erinnert. Sie ähnelt namentlich der von
Leidy als Jugendform von Trichonympha^) beschriebenen, unter-
scheidet sich jedoch hinreichend von ihr, um sie zu ehiem be-
sonderen Genus Leidyonella^) zu erheben.
Leidyonella nov. gen.
Mittelgross bis gross (ca. 0,2 bis 0,45 mm lang).
Farblos. Contraktil und metabolisch, nament-
lich das Vorderende. Dieses konisch zuge8i)itzt
mit einem dichten Busch von fast körperlangen
1) Siehe Untersuchungen über die mikrosk. Fauna Argentiniens.
— Vorläiifiger Bericht. Dieses Arch. ßd. 38 (1891), pag. 19.
2) Siehe Bütschli, Protozoa TU, 1. c. Tafel 76, Fig. 4b.
3) Zu Ehren Jos. Leidy 's, des Entdeckers der meisten Tri-
chonymphiden.
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Leidyonella cordubensis nov. gen. nov. spec. . 303
geisselartigen Cilien, welche sich wogend be-
wegen. Sonst ohne Wimperkleid. Gestalt des
normalen Thieres eiförmig, vorne spitzer, des
grossen Thieres beuteiförmig. Hinterende mit
schranbig gedrehtem Schopf. Cuticulamit schräg-
laufenden Längsleisten, welche in diesen Schopf aus-
laufen. — Nahrnngsanfnahme sicher. — Nucleus ein-
fach, rund, in der vorderen Hälfte. Nebenkern (Mi.N.)
fehlt, ebenso konlr. Blase. — Bei zunehmender Grösse
geschieht Umwandlung des Thieres unter Verlust des
Cilienbusches und des Schwanzschopfes. — Bewegun-
gen träge mit wogendem Wimperbusch.
Eine Art: L. cordubensis n. sp., im Enddarm von
Eatermes inquilinusC?) — Cordoba (Argentinien). —
Abends bei Lampenlicht kamen mir hin und wieder die
schon genannten Termiten zugeflogen, deren Darm von zahlrei-
chen Parasiten wimmelt. Namentlich gilt dies vom Euddarm;
doch auch der Mitteldarm beherbergt eine reichliche Anzahl von
Flagellaten, zu denen sich zuweilen unsere Trichouymphide ge-
sellt, während der Vorderdarm stets frei von Parasiten ist. Lei-
der hielten sich diese kleinen und recht flinken Termiten in der
Gefangenschaft schlecht, mul es gelang mir auch nicht, sie im
Freien unter Tags aufzufinden, so dass meine nachfolgenden Be-
obachtungen sehr viele Lücken enthalten imd zu meinem grossen
Bedauern nicht in allen Beziehungen abgeschlossen werden konn-
ten. Namentlich über die Fortpflanzung, welche grade bei die-
ser Protozoengruppe von grösstem Interesse wäre, weiss ich eben-
sowenig wie meine Vorgänger etwas auszusagen. — Die Termiten
ertrugen zwar die Gefangenschaft einige wenige Tage lang, star-
ben dann aber Hungers. In solchen hungernden oder verhun-
gerten Thieren verschwanden auch die Parasiten, namentlich
unsere Leidyonellen sehr schnell. Bei vielen derselben konnte
man das allmähliche Absterben beobachten. Sie zeigten dann
bald so starke Veränderungen, dass man sie als ganz oder theil-
weise verdaut bezeichnen muss. Dies ist derselbe Vorgang,
welcher auch bei anderen Dannschmarotzern stattfindet, wie ich
dies an anderer Stelle ausfllhrlicher mittheilen werde*).
1) Die Verdauung lebenden Gewebes und die Dannparasiten.
Archiv für Anat. u. Physiol.; Physiol. Abth. 1891, p. 293 ff.
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ä04 • Joh. Frenzeli
Konnte hingegen die Untersuchung an möglichst ftisch ein-
gefangenen Termiten vorgenommen werden, so war der Enddarm
stets erfüllt ^on einer grossen Anzahl normaler Leidyonellen,
neben denen sich zumeist noch vereinzeltere grössere und ver-
änderte Individuen zeigten. Als normale Form möchte ich
daher diejenige bezeichnen, welche mir am häufigsten be-
gegnete und welche alle Charaktere wohl ausgebildet aufwies.
Wir wenden uns dieser zunächst zu.
Die äussereGestaltdes Thieres ist etwa eine eiförmige.
Vom ist sie zwar konisch ausgezogen, doch liegt der grösste
Breitendurchmesser des sich nicht contrahirenden und nicht aus-
streckenden Thieres nicht in der hinteren Hälfte, sondern viel-
mehr im hinteren Theil der vorderen Hälfte (Fig. 1). Zieht sieh
der Körper mehr zusammen, so findet solch ein Unterschied kaam
noch statt, dehnt er sich aber aus, so ist er hinten breiter,
indem die Ausdehnung und Verlängerung hauptsächlich in der
vorderen Hälfte geschieht (Fig. 4). Es kann aber auch eine so
starke Contraktion in der Längsachse erfolgen, dass die Form
fast zu einer kugeligen wird, auf welcher nur noch am Vorder-
ende eine Art von Kegelzapfen aufsitzt, der den Wimper-
busch trägt.
Damit ist uns zugleich ein Theil der Bewegungs-
erscheinungen gegeben. Beobachtet man ein Individuum län-
gere Zeit, so wird man niemals eine Ortsveränderung wahrnehmen.
Da die Thierchen infolge ihrer nicht ganz geringen Grösse leicht
durch Druck des Deckglases festgehalten werden könnten, so
stützte ich dies durch Füsschen. Aber auch dann lagen sie
still, und nur der halsartige Vordertheil war in unaufhörlicher,
ziemlich lebhafter Bewegung, indem er sich bald streckte und
einzog, bald sich, wie umhertastend, drehte und den Wim-
perbusch sein Wogenspiel ausfllhren liess. Die Bewegungen
äussern sich also vornehmlich in der vorderen Körperhälfte.
Dies gilt auch im Allgemeinen von den metabolischen Gestalts-
veränderungen, welche lebhaft an die der Astasien erinnern,
jedoch freilich bei weitem nicht so energisch sind wie dort. Bei
den schon oben erwähnten starken Verküraungen in der Längs-
achse nimmt nun auch noch die hintere Hälfte Theil, indem sie
sich gleichfalls verdickt, wodurch die bereits genannte Kugel-
gestalt entsteht.
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Leidyonella cordubensis növ. gen. nov. spec. . 305
Die Grösse der von mir beobachteten Individuen war
eine ziemlieh konstante ; die Länge des normalgestalteten Thieres
war selten unter 0,2 mm (Fig. 1 und 4). Kleinere oder Jugend-
formen vermochte ich nicht aufzufinden. Andererseits dagegen
hatten die grossen, starkveränderten Exemplare oft die doppelten
Dimensionen (Fig. 3).
Der Wimper busch befindet sich ausschliesslich
am vorderen Ende, wo er an der Basis eines knopfartigeu Zap-
fens entspringt, welcher das vordere Ende des Thieres bildet.
Daran schliesst sich, zunächst etwas verjüngt, der nach hinten
breit auslaufende Hals. Die Anordnung des Wimperbusches zeigt
mithin manche Aehnlichkeit mit dem gleichen Gebilde sowohl
von Lophomonas wie auch von Joenia. Nur dem äusseren An-
sehen nach erinnert sie aber an Trichonympha, denn dort sollen
die Geissein in 3 bis 4 Kränzen von der terminalen Papille ent-
springen und unter sich von verschiedenem Werthe sein. Dies
ist hier nun nicht der Fall, diewcil sie nur von einem Kranz ent-
springen und alle etwa von gleicher Beschaffenheit, insbesondere
von gleicher Länge und Dicke sind. Ihre Länge beträgt mehr
alrt die Hälfte des massig gestreckten Körpers. Sie sind von
grosser Feinheit, die namentlich im Verhältniss zu ihrer Länge
auffallend Ist. Auch bildet jede Cilie ein in der ganzen Länge
gleichmässig dickbleibendes Härchen, mit Ausnahme des freien
Endes, welches etwas zugespitzt erscheint; der Fusstheil ist nicht
erheblich dicker als der Schaft und nicht besonders davon diife-
renzirt. Die Cilien sind daher wohl nicht den Flagellen der
Mastigophoren ohne Weiteres gleich zu setzen , denn diese
sind bei entsprechender Länge bedeutend dicker und enden im
Allgemeinen stumpf oder doch nicht spitz auslaufend. Aber auch
die Cilien der Ciliaten bieten ein anderes Bild dar, denn — von
einigen aberranten Foi-men wie Grassia oder Multicilia abgesehen
— sind sie an keiner Stelle von einer so mächtigen Längenent-
wicklung. Die beträchtliche Länge, welche sie bei unserer Lei-
dyonella haben, bedingt nun auch ihre Bewegungsßlhigkeit und
beeinträchtigt dieselbe in hohem Masse-, denn es ist offenbar
leichter, eine kürzere Wimper in lebhafte Schwingungen zu ver-
setzen, als einen langen Faden, welcher in dem umgebenden Me-
dium einen hohen Widerstand findet. Daher haben die Bewegun-
gen unseres Cilienbusches nichts mit der lebhaften Wimperung
Archiv f. mikrosk. Anat Bd. 38 20
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ä06 Joh. Frenssel:
der Ciliaten gemein, sondern sind schon von anderen Autoren
ganz richtig als ein „Wogen" bezeichnet worden, das etwa an
das eines Pferdeschweifes erinnert. Oft sieht man nur eine, oft
auch mehrere, aber immer kurze und niedrige Wellen über die
Härchen hinweglaufen.
Zu bemerken ist femer noch, dass diesö Härchen sehr
dicht stehen. Meist und in ihrer Mehrheit sind sie mehr nach
hinten gerichtet;, doch kann ein Theil auch nach den Seiten und
nach voiTie schlagen, ohne dass sich aber irgendwie eine scharfe
Grenze zwischen den einzelnen Eichtungen markirt, wie dies
bei Trichonympha der Fall sein soll. Sie können vielmehr nach
allen Seiten gleichmässig ausstrahlen, so dass ihre äussere Begren-
zung fast eine Kugelfläche bildet, deren Radien sie somit dar-
stellen. Für gewöhnlich jedoch laufen sie, wie schon bemerkt,
nach hinten zu, so dass ihre Begrenzungsfläche einen Kegel-
mantel bildet und sie den Körper des Thieres wie mit einem
weiten Faltenrock umkleiden. Dies findet besonders dann statt,
wenn der Hals des Thieres sich streckt und drehende Bewegun-
gen ausführt, woran nun der ganze Wimperbusch Theil nimmt und
infolge der letzteren um den Köi-per herumwirbelt wie ein Feuer-
rad um seine Achse.
Die Cilien führen daher zweierlei Arten von Bewegun-
gen aus, erstens eine sclbststäudige, wellenförmige, und zweitens
eine vom Kopfende des Thieres bewirkte herumwirbelnde oder
-wogende.
Das Hinterende des Körpers wird gleichfalls von einem
Haarschopf überragt, welcher aber bedeutend kürzer als der
Wimperbusch ist. Femer sind die Härchen des Schopfes völlig
starr und bewegungslos, geradlinig und gleichfalls sehr fein. Am
Ende scheinen sie sich zuzuspitzen und besitzen ebenso wenig
wie die Cilien ein besonderes Fussstück. Sie sind vielmehr, wie
noch zu zeigen sein wird, die unmittelbaren Fortsetzungen der
leistenartigen Streifen, welche die Cuticula von vorne nach hin-
ten überziehen.
Oifenbar entspricht dieser Schwanzanhang dem gleichen Ge-
bilde, welches Leidy als vierten Kranz bei seiner Tricho-
nympha beschrieb^). Hier wie dort stellt er einen schraubig
1) Bütschli, Protozoa III., pag. 1777 imd Tafel 76, Fig. 4 a und b.
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Leidyonella cordubensis nov. gen. nov. spec. 307
gedrehten Haarkomplex um das Hinterende vor. Es ist mir aber
leider nicht klargeworden, obLeidy demselben gleichfalls eine
selbstständige Beweglichkeit zuschreibt, die ich für Leidyonella
ganz entschieden in Abrede stelle. Leidy lässt femer diesen
Schopf vom an der Papille entstehen und über den Körper nach
hinten laufen. Diese Beobachtung . deckt sich mit der von mir
gemachten, später noch zu erörtemden, vollständig. Nur finde
ich nicht, wie schon angedeutet, freie, über den Körper lau-
fende Härchen, sondern vielmehr eine Leistenbildung der Cuticula.
Die Cuticula, zu der wir uns jetzt wenden, zeigt nämlich
eine doppelte Skulptur. Zuerst besitzt sie eine Längsstrei-
fung, welche in einer steilen Schraubenwindung nach hinten zu
schräg verläuft. Die Längsstreifen ziehen unter sich parallel über
den Körper hin, vome sich jedoch in einem Punkte vereinigend.
Sie liegen deutlich der Cuticula auf und bilden somit ein Leisten-
system, und zwar derart, dass die vom zugleich dichter stehen-
den Leistchen hoch sind und sich nach hinten hin allmählich
abflachen (Fig. 1). Wenn es glückt, den vorderen Theil des
Thieres im optischen Schnitt zu sehen, so erkennt man die
Leistenbildung sehr schön; doch auch bei hoher Einstellung des
Mikroskops kann man sich davon einen völlig klaren Begriff
machen.
Das knopfartige Ende, die Papille, welche die Cilien trägt,
ist gleichfalls von diesen Leistchen überzogen, die im Mittel-
punkt derselben zu einer Spitze zusammenlaufend sich vereinen.
Am hinteren Ende hingegen ragen sie kaum noch über die
Oberfläche der Cuticula hervor, wcsshalb sie eigentlich nur noch
als Linien zu bezeichnen wären. Sie setzen sich nun, wie dies
bereits angedeutet ist, nach hinten hin über den Köi-per des
Thieres fort in Gestalt jener starren Härchen, welche den Schopf
bilden; und da die Leistchen in einer Schraube verlaufen (was
leider in der Figur 1 nicht ganz richtig ausgedrückt ist), so er-
hält dieser Schopf hierdurch die eigenthümliche schraubige Dre-
hung (Fig. 1 und 4), die sich ja auch bei Trichonympha vor-
findet.
Stellt man nun das Mikroskop ein wenig tiefer ein, so ge-
wahrt man eine weitere Struktur der Cuticula, welche im Leben
meist schwer sichtbar, deutlichst beim Absterben der Thiere her-
vortritt. Eingelagert enthält sie nämlich zahllose, gleich grosse
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308 Joh. Frenzel:
und gleich dicke, etwas glänzende Stäbchen, in wirrem Dmch-
einander, welclie fast wie Bacillen aussehen. Sie erinnern auch
an die Stäbchenlage in der Hautschicht der Mastigamoeba F. E. S.,
wo sie, wie ich an anderen Orten zu beschreiben gedenke,
gleichfalls der Haut ziemlich flach aufliegen. Dort aber haben
sie eine viel regelmässigere Anordnung als bei unserer Leidyonella.
Cuticula wie Stäbchen sind völlig farblos. Die eigentliche
Substanz der ersteren ist wenig glänzend und nicht etwa so
glatt umschrieben wie bei den Gregarinen. Die Stäbchen sind
ungefähr 4 bis 5 mal so lang als breit und vom und hinten
etwas abgerundet. Durchgängig sind sie gerade. Sie glänzen
etwas mehr als ihr Substrat, und ihr Glanz scheint sich, wie
schon bemerkt, beim Absterben zu vermehren, wenn sich nicht,
was auch möglich ist, das Verhalten des Substrates hierbei ver-
ändert.
Geht man jetzt mit dem Tubus des Mikroskops noch wei-
ter herunter und stellt den Rand des Thierkörpers scharf ein, so
sieht man, dass die Stäbchen innerhalb der Substanz der Cu-
ticula liegen, welche ihrerseits eine ganz beträchtliche Dicke hat
(Fig. 4). Auch jetzt kann man sich von dem planlosen Durch-
einander der Stäbchen tiberzeugen, welche übrigens, was nicht
unerwähnt bleiben darf, sich niemals berühren oder gar decken,
sondern ungefähr einen gleich weiten Abstand von einander inne-
halten (Fig. 2). Sie sind theils gerade, theils auch schief zur
Dicke der Cuticula gerichtet. — Möglicherweise haben wir somit
hier dieselbe Erscheinung vor uns, welche vonGrassi bei Joenia
annectens angetroffen wurde. Da aber jener Autor nicht bei
hoher Einstellung beobachtet zu haben scheint, so möchte ihm
die wahre Struktur der Cuticula entgangen sein. Vielleicht ist dort
indessen auch die Lage und Richtung der Stäbchen eine andere,
und es kann daher recht wohl die Darstellung der „Alveolar-
schicht" der Haut gerechtfertigt sein^).
Die Dicke der Cuticula ist ungefähr eine gleichmässige.
Gegen Reagentien ist sie wenig widerstandsfähig und geht sogar
bei Zusatz von dcstillirtem Wasser zu Grunde. Durch sehr ver-
dünnte Salpetersäure wird sie jedoch nicht gelöst, sondern viel-
mehr gehärtet; denn wird nachher Wasser hinzugefügt, so bleibt
1) Bütschli, Protozoa. III., Tafel 76, Fig. 3a und b.
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Leidyonella cordubensis nov. gen. nov. spec. 309
sie nun erhalten. Mit Jod wird sie wie der Inhalt gelblich. Im
Allgemeinen scheint mitbin diese cuticulare Bildung derjenigen der
Ciliaten näher zu stehen als der der Mastigophoren. Doch kann
darauf wohl nicht allzuviel Gewicht gelegt werden. Jeden-
falls aber sind die ihr eingelagerten Stäbchen nicht etwa den
Trichocysten verwandt, wie wir sie besonders bei Paramaecium
antreflFen; denn einmal lässt sich ein Hervorschiessen derselben
niemals wahrnehmen und zweitens ist ja auch ihre Anordnung,
Lagerung und Struktur eine ganz andere.
Ebenso wenig femer liegt hier eine wabige Alveolar-
schieht vor, wie sie nach mehreren Beobachtern und besonders
nach B ü t s c h 1 i 1) bei vielen Ciliaten anzutreflFen ist ; denn
Bütschli belehrt uns, dass z. B. bei Bursaria u. a. in der
Flächenansicht „alle scheinbaren Bälkchen durch zartere Wände
wabenartig untereinander verbunden — die Bälkchen also die
radiären und etwas verdickten Kanten einer Lage von Waben
oder Alveolen sind. Bei Bursaria sind diese Alveolen im Allge-
meinen recht regelmässig, sowohl in Grösse wie Gestalt; letztere
ist hier ziemlich regulär hexagonal". Auch macht dieser Autor
darauf aufmerksam, dass nach innen eine Grenzlamelle oft nicht
ausgebildet ist, wie überhaupt diese Alveolarbildung weniger eine
cuticulare als vielmehr eine ectoplasmatische Bildung ist, wäh-
rend wir ja bei Leidyonella eine deutlich innen und aussen be-
grenzte Hautschicht haben.
Das nächste Analagon finden die Stäbchen, wie schon er-
wähnt, in denen der Mastigamoeba F. E. S., die ich aber nicht
zu den Mastigophoren, sondern zu den Rhizopoden ziehen möchte*).
Somit würde weder die Cuticula, noch der Wimperbusch
einen näheren Aufschluss über die Verwandtschaftsbeziehungen
der LeidyoneUa ergeben.
Das Plasma. Während die bisher besprochenen Organi-
sationselemente manche Einzelheiten von Interesse boten, so lässt
sich dies von dem Körperinhaltc der Leidyonella kaum behaup-
ten. Die so vielfach beobachtete Scheidung des Plasmas in ein
Ecto- und ein Entoplasma lässt sich hier nicht statuiren, was
vielleicht um so auffallender ist, als Leidy bei seiner Tricho-
1) Bütschli, Protozoa. IlL, pag. 1258fr.
2) Diese „Untersuchungen", vorläufiger Bericht, 1. c. pag. 9 fif.
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310 Job. Frenzel:
nympha agilis eine recht deutliche helle Ectoplasmaschicht vorfand,
die sogar im vorderen Abschnitt besonders dick ist. Bei den
sogen. Jugendforraen freilich, wie auch bei anderen Trichonym-
phiden scheint zwar ein gesondertes Ectoplasma ebenso wenig
aufzutreten, wenn man nicht die Alveolarschicht darauf beziehen
will. Es wäre auch denkbar, dass unsere Cuticula ganz oder
theilweise ectoplasmatischer Natur sei, so etwa, dass die Leisten-
schicht eine Pellicula im Sinne Bütschli's dai-stellte. Ihre ge-
ringe Widerstandsfähigkeit würde darauf wohl hindeuten. Anderer-
seits verlangt man aber vom Ectoplasma doch gemeinhin, dass
es sich aus eiweissartigen Bestandtheilen zusammensetze. Diese
vermag ich nun in unserer Cuticula nicht mit Sicherheit nachzu-
weisen; denn die Jodgelbfarbung sagt nichts, ebenso wenig wohl
die Wirkung der Salpetersäure. Verdünnte Essigsäure aber, oder
Alcohol, rufen keine bemerkbaren Gerinnungserscheinungen in der
Hautschicht hervor. Da meine Beobachtungen gerade in dieser
Hinsicht leider so lückenhafte geblieben sind, so ist es vorläufig
allerdings unmöglich,, iiber diesen Punkt zur völligen Sicherheit
zu gelangen.
Der protoplasmatische Inhalt der Leidyonella ist ein
heller und durchsichtiger. Durchgängig erhält er feine, mehr
oder weniger glänzende Körnchen eingelagert, welche namentlich
im Halstheil deutlich sind, wo sie von den übrigen Inhaltsbe-
standtheilen nicht verdeckt und verdrängt werden. Diese Köm-
chen sind aber doch im Vergleich zur Masse des Plasmas spär-
lich und verstreut, so dass sie die hyaline Natur des letzteren
wenig beeinträchtigen.
Das halsartige Vorderstück zeigt oft keine weiteren Ein-
schlüsse. Diese finden sich vielmehr regelmässig im hinteren
Körpertheil, in der Nähe des Kernes beginnend und den Körper
bis an die Cuticula durchsetzend. Entnimmt man die Parasiten
frisch eingefangenen Termiten, so sind sie oft ganz vollgepfropft
(Fig. 4); entnimmt man sie hingegen einem hungernden Wirths-
thier, so beschränkt sich der Inhalt mehr auf die hintere Hälfte.
Daraus schon lässt sich erkennen, dass derselbe mit der Nah-
rungsaufnahme innig zusammenhängt. In der That lässt er genau
dieselben Bestandtheile wie der Darminhalt des Termiten nach-
weisen, nämlich zumeist längere und kürzere stäbchenförmige auf
Holzfragmente hindeutende Stückchen (Fig. 3 und 4) und zwischcn-
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Leidyonella cordubensiö növ. gert. höv. speö* 811
durch auch fetttröpfchenartige Kügelchen u. s. w. Aus diesem
Befunde kann man mit Sicherheit grade wie bei den verwandten
Formen auf eine Nahrungsaufnahme schliessen, auf eine Auf-
nahme fester Stoffe, welche direct aus dem Termitendarme
stammen. Wie und wo aber der Fressakt vor sich geht, ver-
mochte ich nicht zu ergründen. Sehr wahrscheinlich ist wohl
eine MrfndöfiFnung vorhanden, die ich an die äusserste Spitze des
Körpers verlegen würde. Gesehen habe ich sie jedoch nicht,
und eine andere Lage ist mithin auch denkbar.
Da der Inhalt grösstentheils aus unverdaulichen und un-
nützen Substanzen besteht, so muss auch eine Entleerung statt-
finden können. Es gelang mir leider ebenso wenig in diesem
Falle, eine bestimmte AfteröflFnung oder überhaupt eine Defäka-
tion zu beobachten. Auch bei den anderen Trichonymphiden
scheint übrigens niemals eine Afteröffnung gefunden zu sein; und
es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass der Mund als solche
funktionirt.
Die bis jetzt bekannten Trichonymphiden zeichnen sich
durch das gänzliche Fehlen einer contraktilen Vacuole aus. Unsere
Leidyonella macht hiervon keine Ausnahme. Und wie überhaupt
vacuolenartige Flüssigkeitsräume oder gar eine Vacuolisirung des
Plasmas in dieser Gruppe gleichfalls vermisst wurden, so gilt
dies auch in unserem Falle.
Ein Kern ist stets, aber nur in der Einzahl vorhanden.
Er liegt immer an derselben Stelle, nämlich central am Grunde
der vorderen Hälfte (Fig. 1 und 4). Niemals rückt er so weit
nach vorne wie der Keni von Lophomonas oder Joenia. Seine
Lage stimmt also mit der bei Trichonympha überein. Seine Ge-
stalt ist gleichfalls eine genau kugelige.
Nach den vorliegenden Abbildungen zu urthcilen scheint
der Kern von Trichonympha, Joenia u. a. eine eigenartige Struk-
tur zu besitzen. Anders ist es bei der Leidyonella; denn hier
stellt der lebende Kern nichts anderes als ein helles wasser-
klares Bläschen, ohne irgendwelche geformten Einschlüsse vor.
Er hat jedoch eine gewisse Festigkeit und wird von einer membran-
artigen Grenzschichte überzogen, so dass er, wenn aus dem Kör-
per herausgequetscht, nicht platzt. Erst beim allmählichen Ab-
sterben, ausser- oder innerhalb des Körpers, entstehen in ihm
ganz feine und spärliche Granulationen, welche weder stark glän-
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312 Joh. Frenzel:
zen noch eine markirte Färbbarkeit besitzen. Auch durch Essig-
säure und stark verdünnte Salzsäure (2 pro Mille) werden sie
ausgefällt. Sie mögen recht wohl als Nuclein aufzufassen sein,
sind aber im Verhältniss zum sog. Kernsaft, der sich übrigens
kaum tingirt, von ganz verschwindendem Volumen.
Damit wäre das erschöpft, was wir über den Körperinhalt
der Leidyonella zu sagen hätten. Es erübrigt nur noch bestätigt
zu werden, dass weder ein Nebenkem (Micronucleus Bütsehli),
noch ein Schlundrohr, noch andere Organisationselemente ver-
wandter Formen nachzuweisen sind.
Es möchte nur wenig Ciliaten von so einfachem Körperbau
geben, abgesehen etwa von den Opalinen, die ja auch Schma-
rotzer sind und nicht einmal eine MundöflFnung besitzen. Aber
auch die meisten Flagellaten sind verhältnissmässig hoch
organisirte Thiere, abgesehen wieder von vielen kleinen Formen,
die gleichfalls als Parasiten leben. Manche Aehnlichkeiten hin-
gegen führen zu den Gregarinen hin, was ich aber nur, ich möchte
sagen, als . eine physiologische Verwandtschaft bezeichnen
möchte, die durch das beiden Formen eigenthümliche parasitäre
Leben bedingt wird. Es gab in der Zoologie eine Zeit, wo
man sich besonders an der Construction schöner Stammbäume
ergötzte, die einem mittelalterlichen Ritter zur Ehre gereicht
hätten. In unbefangener Kurzsichtigkeit stellte man aber nur
aufsteigende Reihen dar, ohne daran zu denken, dass zahl-
reiche Formen rein durch den physiologischen Einfluss ihrer Le-
bensweise verkümmert sein mussten und daher absteigenden
Reihen angehörten. Einer der Ersten, die hierauf aufmerksam
wurden, war Anton Dohrn*); aber noch heutzutage wird der
regressiven Metamorphose ein viel zu geringes Gewicht beigelegt,
wenn man die Verwandtschaftsbeziehungen der Thiere unter sich
vergleicht. Dies sind die Beweggründe, welche es mir wahr-
scheinlich machen, dass unter den Protozoen die parasitischen
Gregarinen wie auch vermuthungsweise die Trichonymphiden
von höher organisirten Formen herzuleiten seien. Bei den erste-
ren müssen ja schon die so complicirteu Fortpflanzungserscheinun-
gen darauf hindeuten. Leider ist über diese nun bei den Tri-
1) Der Ursprung der Wirbelthiere und das Prinzip des E\uik-
tionswechsels etc. von Anton Dolirn. Leipzig 1875.
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Lddyonellii cordubensis nov. gen. nov. spec. 313
chonynipliideu nichts bekannt, so dass sich weitere Spekulationen
von selbst verbieten. Ich möchte daher nur kurz über weitere
Veränderungen berichten, welche ich an der Leidj onella wahrnahm.
Bereits Leidy fand in Termes flavipes zwei resp. drei ver-
schiedene Formen, von denen die eine recht wohl die Jugend-
forni der andern sein mag. Dementsprechende Jugendstadien fand
ich nun nicht. Alle Individuen zeigten viehnehr die oben bespro-
chene Organisation (Fig. 1 und 4) und annähernd dieselben
Grössenverhältnisse. Allseitig oder theilweise bewimperte Orga-
nismen vermochte ich insbesondere im Tennitendarm niemals zu
entdecken. Dagegen fand ich gar nicht selten eine andere Er-
scheinung, welche ich als eine senile Veränderung bezeichnen
möchte.
Neben den obigen als normal betrachteten Thierchen kamen
nämlich bedeutend grössere vor, welche einen höchst traurigen
Eindruck macbten, sodass ich zuerst eine Beschädigung dersel-
ben vermuthete. Allein bei sorgfältigster Präparation von frisch
gefangenen Termiten zeigte sich dasselbe. Die Parasiten bilden
nun eine unförmlicbe sackartige Masse (Fig. 3). Die früher kräf-
tigeren metabolischen Contraktionen haben einem matten Hin-
und Hei'schlappen der sackartigen Htllle Platz gemacht. Wenn
man einen mit Flüssigkeit nur massig angefüllten Sack auf
seiner Unterlage etwas hin- und herbewegt, so kann man sich
von dieser schlappenden Bewegung eine ungefähre Vorstellung
machen.
Manche Individuen besassen ferner weder einen Cilienbusch
noch einen Schwanzschopf. Auch die leistenartige Längsstrei-
fung war bloss noch am Vorderende in Spuren anzutreffen. Nur
der Plasmainhalt und der übrige Theil der Cuticula boten das
normale Verhalten. In dieser waren die Stäbchen, in jenem der
Kern und die Nahrungsbestandtheile unverändert sichtbar. Manche
dieser Thiere hatten etwa die doppelten Dimensionen der norma-
len, nämlich eine Länge bis zu 0,4 mm. Sofort musste nun
der Gedanke entstehen, dass hier nicht eine neue Form, sondern
nur eine mit vermehrtem Wachsthum verknüpfte Umänderung der
schon bekannten vorlag. Und in der That gelang es mir wei-
terhin auch, die Zwischenglieder aufzutinden, nämlich gleichfalls
schon sackartige Formen mit Rudimenten des Cilienbusches und
Schwanzschopfes (Fig. 3).
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314 Joh. Frenzi'l:
Das Interessanteste bei diesen Vor^än*cen ist, dass unsere
Leidyonella in einer Gestalt, wo sie am hänti^rsten auftritt und
am vollkommensten erselieint, nielit den Absehluss ihrer Orgauisa-
tionsfähi^keit erreicht hat. Sie bildet sich vielmehr
w e i t e r u m , u n d z w a r in r ü c k s c h r e i t e n d e r M e t a -
niorphose. Wir können uns ja vorstellen, dass sie in ihrem
Schmarotzerleben nicht mehr des Cilienbusches, noch des Scliwanz-
schopfes bedarf, wessweg:en beide verkümmern. Was hilft auch
noch der riesige Busch schwerfällig sich bewegender Wimpern
in einem Räume, der so beengt ist, dass er uaserem Thiere nicht
mehr eine selbständige Ortsveränderung gestattet? Anders ver-
hält es sich mit den übrigen Organisationselementen. Die Cuti-
cula mag einen Schutz gegen die mechanische Wirkung des
Termitendarmes gewähren, und der Keni wird sehr wahrschein-
lich seine Thätigkeit erst bei den Fortpflanzungserscheinungen
kundgeben. Beide Gebilde zeigen sich daher durchaus normal,
und vor allem der Kern ist dasselbe klare Bläschen wie sonst. Nur
hat er an dem Wachsthum des Ganzen in gleichem Maasse theil-
genommen, während die Stäbchen der Cuticula in Anordnung,
Form und Grösse die gleichen geblieben sind. Bei dem Wachs-
thum hat sich mithin nur ihre Anzahl vermehrt.
Seilen wir von dem etwas zweifelhaften Munde ab, so bietet
die erwachsen-degenerirte Leidyonella ein Bild dar, das ganz be-
sonders an eine monocyste Gregarine erinnert. Hier wie dort
eine Cuticula, hier wie dort ein Kern. Eine behäutete Amöbe
freilich, namentlich wenn sie der contraktilen Vacuole entbehrt,
zeigt keine andere Organisation und ein Flagellat, der auf seine
Geissei verzichtet, was ja vorkommt, hat auch nicht mehr aufzu-
weisen, als die wohl nie fehlende Vacuole.
Nachdem wir nunmehr gesehen haben, dass die von uns
als normal betrachteten Individuen noch nicht den Absehluss
ihrer Organisation erreicht hatten, lässt sich begreifen, dass au
ihnen keine Fortpflanzungserscheinungen wahrnehmbar sind. Lei-
der waren dieselben aber auch an den grossen Individuen nicht
aufzufinden, sodass hier die grösste Lücke in meinen Beobach-
tungen anhebt. Der Kern namentlich, auf den ich ganz beson-
ders achtete, war und blieb derselbe.
Die Empfindlichkeit unserer Thierchen gegen äussere Ein-
flüsse ist schon erwähnt worden. Die?; ist ein Grund mehr, wess-
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Leidyonella cordubensis nov. g-eu. nov. spec. 315
halb die Beobachtungeu nicht längere Zeit hindurch fortgesetzt
werden konnten, da allemal ein recht rasches Absterben eintrat,
das normale wie degenerirte Individuen in gleichem Maasse er-
griflF. Xamentlich Zusatz von Walser wurde gar nicht vertra-
gen, denn derselbe bewirkte ein kugeliges Aufblähen des Kör-
pers, eine Art von Quellung; auch Speichel erwies sich als
schädlich, und ebenso ^/^ bis Iprocentige Kochsalzlösung. Waren
die Thiere einmal todt, so geschah sehr schnell ihre Auflösung,
die ich in erster Linie der Einwirkung des Darmsaftes
zusehreiben möchte; denn es ist, wie ich an anderer Stelle be-
sprechen möchte, die Widerstandsfähigkeit der Dannparasiten
überhaupt gegen Verdauungsfermente keine so absolute, wie man
gemeinhin annimmt, und wenn auch das lebende Gewebe ge-
wöhnlich widersteht, so unterliegt das todte Gewebe doch den
allgemeinen Verdauungsgesetzen. Die Verhältnisse liegen hier
etwas anders als bei den Geweben anderer Thiere, die ja be-
kanntlich noch während des Lebens des Gesammtorganismus ver-
daut werden können^).
Cordoba (Argentinien), im März 1891 '^).
1) Verdauung lebenden Gewebes und Selbstverdauiing. Von
Job. Frenzel. Biolog. Centralblatt Bd. VI, Nr. 22 (1887), \mg. G81 ff.
2) Diese Mittheilung ist eine derjenigen, welche sich auf meine
^Untersuchungen über die mikroskopische Fauna Argentiniens" be-
ziehen. Die monographische Bearbeitung derselben soll in der „Bi-
bliotheca zoolog^ica" erfol^-en.
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31G Joli. FiM'iizel: Loi(l\ fniclla cordiilicn^ift nov. treu. nov. spec.
^.
0^ '
hm4m
Figuren-Erklärung.
Fi<i'. 1. Leidyonella covdubensis n. g. n. sp. B(m hoher P^iiistelhing
des Mikroskops, um die lvii)])eiil)ildun*>- der Ciiticula zu"2eigen.
Verirr. -- 300 mal.
Fi<»'. 2. Halbschematisehe Darstellung der Cutieula von der Fläche
gesehen.
Fig. 3. Grosses, dej^-enerirtes Exemi)Iar. Der vordere Zilienschopf
und der Schwanz sind stark reducirt. Mittlere Einstellung
des Mikroskops. Vergr. 150 mal.
Fi^-. 4. Normales Individuum im oj>tischen Durchschnitt, etwa in der
Höhe des Kernes. Veri»*r. 300 mal.
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Sil
Ueber die nervösen Elemente in der Retina
des Menschen.
Von
A. 19. Dosrlel,
Professor der Histologie an der Universität Tomsk (Sibirien).
Erste Mittheilung.
Hierzu Tafel XIX-XXH.
In meiner bereits 1883 erschienenen Arbeit ^) über den Bau
der Retina der Knorpelfische (Ganoiden) habe ich zuerst darauf
hingewiesen, dass einer der äusseren Zellfortsätze der Nerven-
zellen des Ganglion retinae stets mehr oder weniger senkrecht zur
Neuroepithelschicht verläuft und, zwischen den Elementen dieser
Schicht in die Höhe steigend, die Membrana limitans externa er-
reicht, um an deren äusserer Oberfläche mit einer knöpf- oder kol-
benförmigen Anschwellung zu endigen. Die Endanschwellung des
erwähnten intraepithelialen Zellfortsatzes entsendet gewöhnlich
einen feinen varicösen Faden, der sich nicht selten eine ziem-
liche Strecke ausserhalb der M. lim. externa — bis an die Basis
des Aussengliedes der Stäbchen verfolgen lässt. Was die übrigen
äusseren — horizontalen — Fortsätze anlangt, so durchziehen
sie die äussere reticuläre Schicht und laufen in eigenthümliche
kömige Klttmpchen aus, welche letzteren in den Nischen der
kegelförmigen Anschwellungen der Stäbchen- und Zapfeufüsse
liegen.
Meine weiteren Beobachtungen^) zeigten, dass auch bei
Urodelen die äusseren Fortsätze der bipolaren Nervenzellen sich
zu den Elementen der Neuroepithelschicht in ähnlicher Weise
verhalten wie in der Retina der Knorpelfische, wobei es sich zu-
gleich erwies, dass die bereits von Landolt beschriebenen und
1) Die Retina der Ganoiden. Archiv für mikrosk. Anatomie
Bd. XXII, 1883.
2) Zur Frage über den Bau der Retina bei Triton eristatus.
Archiv für mikrosk. Anatomie Bd. XXIV, 1884.
Archiv f. mikrosk. Anat Bd. 88 21
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818 A. S. Do^iel:
seitdem unter dem Namen Landolt'sehe Kolben bekannten Ge-
bilde nichts anderes sind, als die intraepithelialen Fortsätze der
bipolaren Nervenzellen des Gangl. retinae.
Letzter Zeit gelang fs mir*), mit Hülfe der Methylenblan-
färbung, meine früheren Beobachtungen an den nervösen Ele-
menten der Retina bei Ganoiden mid ürodelen (Triton cristatus)
zu bestätigen und zu vervollständigen, sowie andererseits die
Existenz der intraepithelialen Fäden auch in der Retina der
Anuren (Rana esculenta und temporaria), Reptilien (Emys euro-
paea) und Vögel (Taube, Eule) nachzuweisen, woselbst der ge-
nannte Faden einem der Zweigchen angehört, welche aus der
Theilung der äusseren Zellfortsätze der bipolaren Nervenzellen
hervorgehen.
Fast gleichzeitig mit mir gelangte Ramon y Cajal*), der
die Retina der Vögel nach der von ihm modificirten G olgi-
schen Methode untersuchte, zu Resultaten, welche die Richtig-
keit meiner, mittelst des Methylenblau gemachten Beobachtungen
bestätigen.
Somit war zur Zeit nur noch eine Klasse der höheren
Wirbelthiere, d. h. die der Säuger, übrig geblieben, deren Retina
in Bezug auf die besagten Structurverhältnisse von mir nicht
untersucht war.
Da mir aber neulich eine ziemlich grosse Zahl hinreichend
frischer menschlicher Augäpfel zur Verfügung gestellt wurde,
sah ich mich endlich in den Stand gesetzt, diese Lücke auszu-
füllen und meine früheren Beobachtungen bezüglich der nervösen
Elemente in der Menschenretina zu vervollständigen. Hierbei
richtete ich unter Andciin meine besondere Aufmerksamkeit auch
auf die „intraepithelialen Nervenföden" die, wie bereits erwähnt,
bei sämmtlichen Wirbelthierklassen, mit Ausnahme der Säuger,
von mir beschrieben worden waren.
Im Nachstehenden beabsichtige ich nun die Resultate meiner
Untersuchungen betreffs der nervösen Elemente der Neuroepithel-
1) lieber das Verhalten der nervösen Elemente in der Retina
der Ganoiden, Reptilien, Vögel und Säugethiere. Anat. Anzeiger
Nr. 4 und 5, 1888. — Ueber die nervösen Elemente in der Netzhaut
der Amphibien und Vögel. Anatom. Anzeiger Nr. 11 u. 12, 1888.
2) Sur la morphologie et les connexions de la rötine des oiseaux
Anatom. Anzeiger Nr. 4, 1889.
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Ueber die nervösen Elemente in der Retina des Menschen. 319
Schicht, des Gangl. retinae, des Gangl. nervi optici und der
W. M ü 1 1 e r'schen Spongioblasten darzulegen.
Die Nearoeplthelsehlcht (Scliicht der Sehzellen) (Fig. 1
u. 2 i). Als Bestandtheile dieser Schicht treten, abgesehen von
den Stäbchen und Zapfen (den langen und den kurzen Sehzellen),
noch besondere Nervenzellen auf, die, zwischen den Füssen der
Neuroepithekellen liegend, an die Aussenfläche der äusseren re-
ticulären Schicht stossen (Fig. 2 d).
Die Stäbchen (langen Sehzellen) werden durch Methylen-
blau nur in dem Falle gefUrbt, dass eine möglichst frische Re-
tina einer ziemlich lange dauernden Einwirkung des Farbstoffes
ausgesetzt wird, hierbei nehmen aber nur die Innenglieder der
Stäbchen den FarbstoflF auf, während die Aussenglieder unge-
iarbt bleiben (Fig. 1 u. 2 b). Was das Innenglied der Stäb-
chen betrifft, so färben sich nicht alle Theile desselben gleich
intensiv: soviel ich bemerken konnte, färbt sich das Stäbchen-
ellipsoid viel intensiver als die übrigen Theile der Zelle. Die
Stäbchenkeme sind anfangs fast gar nicht tingirt, nehmen aber
nach und nach stärkere Färbung an, bis sie endlich blau er-
scheinen. Die in spärlicher Menge den Kern umgebende Zell-
substanz der Sehzelle färbt sich stets intensiver als der letztere
selbst. Die kegelff)rmigen Anschwellungen der Stäbchenfttsse
werden schwach gefärbt und erscheinen nicht scharf begi-enzt,
mit Ausnahme einer eng umschriebenen Stelle, welche an dem
der äusseren reticulären Schicht zugewandten inneren Ende der
Zelle gelegen ist und hier in Gestalt eines intensiver tingirten
Punktes oder Klümpchens erscheint (Fig. 1 u. 2 b).
Die Zapfen (breiten Sehzellen) werden durch Methylen-
blau in ähnlicher Weise, obgleich schwächer gefärbt als die
Stäbchen; am intensivsten färbt sich das Zapfenellipsoid, welches
gewöhnlich kömig oder längsgestreift erscheint. Die Zapfen-
keme sind, je nach der Intensität der Färbung überhaupt, ent-
weder ganz farblos oder aber intensiv blau tingirt. Die Zapfen-
füsse sowie deren kolbige Anschwellungen nehmen eine schwache
Färbung an, "wobei die, der äusseren reticulären Schicht zu-
gekehrten Oberflächen der Zapfenkegel ausgehöhlt sind und
daher in der Profilansicht sichelförmig erscheinen (Fig. 1 und
2 c). Von den Fäden, wie sie Tartuferi^) (vergl. dessen
1) Sulla anatomia della retina. Torino 1887.
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320 A. S. D o g i e 1 :
Fig. 1 a, Tafel VIII a) an dem Rande der kegelförmigen Ver-
breiterungen der SehzellenfUsse abbildet, ist an Metbylenblau-
präparaten nichts zu sehen.
Obgleich ich eine grosse Zahl von Präparaten mit sehr
vollständiger Färbung der nervösen Elemente der Retina sorg-
tUltig durchmusterte, gelang es mir deimoch keinmal, den di-
recten Zusammenhang zwischen den Füssen der Neuroepithel-
zellen und den Ausläufern der Zellenelemente des Gangl. retinae
zu bemerken. Der Umstand, dass unter gewissen Bedingungeu
die Stäbchen und Zapfen sich durch Methylenblau förben, spricht
an und für sich noch keineswegs zu Gunsten ihrer nervösen Na-
tur, da nicht selten viele Zellen des Epithelialgewebes, glatte
Muskeln u. a. auf ähnliche Weise gefärbt werden, besonders
wenn das betreffende Gewebe einer längeren Einwirkung des
Farbstoffes ausgesetzt war.
Die Schicht der subepithelialen Nervenzellen
(Fig. 2 d) besteht aus einer einfachen Lage runder, binifOrmiger
oder ovaler Elemente, die, wie wir weiter unten sehen werden,
den bipolaren Zellen des Gangl. retinae nicht nur sehr ähneln,
sondeni mit denselben sogar vollkommen identisch sind. Der
innere, nicht selten mehr oder weniger verjüngte Theil des Zell-
körpers liegt entweder der Aussenfläche der äusseren reticulären
Schicht an oder ragt sogar in die genannte Schicht vor, wäh-
rend der übrige, grössere Theil des Zellkörpers innerhalb der
Neuroepithelschicht, zwischen Stäbchen- und ZapfenfÜssen liegt.
Die Grösse dieser Zellen beträgt etwa 0,007— 0,010 mm.
Eine jede dieser Zellen enthält einen ziemlich grossen run-
den Keni, der in Methylenblau sehr intensiv gefärbt wird, wo-
gegen die Zellsubstanz selbst eine schwächere Färbung annimmt.
Der innere, der reticulären Schicht zugewandte Theil der Zelle
entsendet gewöhnlich mehrere feine varicöse Fortsätze, von denen
die einen (3 — 4) im Niveau der genannten Schicht hinziehen,
während ein anderer in verticaler Richtung in die innere Kömer-
schicht tritt und sich von hier hi die innere reticuläre Schicht
einsenkt. Die ersteren dieser Fortsätze können äussere oder ho-
rizontale, letzterer aber der innere oder verticale Fortsatz ge-
nannt werden (Fig. 2 d).
Die äusseren (horizontalen) Fortsätze gehen gleich
nach ihrem Austritte aus dem Zellkörper nach verschiedenen
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Ueber die nervösen Elemente in der Retina des Menschen. 321
Richtungen auseinander^ wobei sie der Netzhautoberfläehe pa-
rallel^ innerhalb der äusseren reticulären Schicht verlaufen; ein
jeder dieser Fortsätze zerfilllt schliesslich in mehrere, überaus
feine, varicöse Zweige ; diese letzteren lösen sich ihrerseits in je
2 — 3 oder noch mehr dünne varicöse Fäden auf. Diese, den
äusseren Zellfortsätzen entstammenden Fäden bilden ein Flecht-
werk und verschmelzen schliesslich sowohl mit einander als auch
mit den Nervenfäden, welche den gleichartigen Fortsätzen der
bipolaren Nervenzellen des Gangl. retinae entstammen. Derart
entsteht ein innerhalb der äusseren reticulären Schicht gelegenes
dichtes Netzwerk (Fig. 2).
Abgesehen von den horizontalen Fortsätzen besitzen sämmt-
liche subepitheliale Nervenzellen noch einen feinen varicösen Fort-
satz, der an dem in die Neuroepithelschicht vorragenden Zell-
theile entspringt und in senkrechter Richtung nach aussen geht,
so dass er zwischen den Innengliedem der Stäbchen und Zapfen
eine Strecke weit zu verfolgen ist (Hg. 2e). Nicht selten geht
ein solches intraepitheliales Aestchen aus einem der äusseren Zell-
fortsatze hervor, oder der letztere verläuft anfangs horizontal in
der äusseren reticulären Schicht und biegt dann nach aufwärts
um, indem er selbst in ein intraepitheliales Aestchen sich ver-
wandelt. Die schon beschriebenen intraepithelialen Nervenäst-
chen sind, wie wir weiter unten sehen werden, den entsprechen-
•• den Fortsätzen der bipolaren Nervenzellen des Gangl. retinae
völlig homolog.
Der innere (verticale) Fortsatz begiebt sich, ohne in
der äusseren reticulären Schicht sich zu verästeln, direct durch
die innere Kömerschicht hindurch in die innere reticuläre Schicht,
durchsetzt fast die ganze Dicke dieser letzteren, um schliesslich
an deren Innenfläche, ähnlich den inneren Fortsätzen der bipo-
laren Nervenzellen des Gangl. retinae, in ein ganzes Büschel feiner
varicöser Fäden zu zerfallen (Fig. 2).
Manchmal trägt der verjüngte innere Theil der Zelle einen
einzigen, derben und kurzen Fortsatz, der innerhalb der äusseren
reticulären Schicht mehrere feine varicöse Seitenästchen abgiebt,
wie es z. B. aus Fig. 2 ersichtlich ist; drei oder vier von ihnen
verlaufen in der genannten Schicht, während ein anderer als di-
recte Verlängening des Hauptfortsatzes in die innere reticuläre
Schicht eindringt und als verticaler Fortsatz ei-scheint.
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322 A. S. Do^iel:
Es können also in der That die subepithelialen Nerven-
zellen nicht als Gebilde sui generis betrachtet werden, sondern
sie sind lediglich durch ihre eigenthümliche Lage niodificirte bi-
polare Nervenzellen des Gangl. retinae, da sie sowohl in ihrer
Form und Grösse, als auch — und das ist die Hauptsache —
in dem Verhalten ihrer Ausläufer zu den beiden reticulären
Schichten und zu der Neuroepithelschicht mit den letztgenannten
Nervenzellen tibereinstimmen.
Angesichts der vollkommenen Aehnlichkeit der beschrie-,
benen Zellen mit den bipolaren Zellen des Gangl. retinae er-
scheint die Annahme sehr wahrscheinlich, dass die varicösen
Endverästelungcn der inneren Zellfortsätze der erstgenannten
Zellen in der Tiefe der inneren reticulären Schicht durch gegen-
seitige Verbindung unter einander ein Nervennetz bilden,
Köruerschlcht (Innere Körnerschicht H. Müller) (Fig.
1 u. 2, 3). Sämmtliche Zellenelemente der Kömerschicht lassen
sich, je nach dem Verhalten ihrer Ausläufer zu den äusseren
und inneren Schichten der Retina, in zwei Gruppen theilen. Zu
der ersten Gruppe (Ganglion retinae W. Müller) gehören die-
jenigen Zellen, deren Fortsätze grösstentheils in den äusseren
Netzhautschichten (in der Neuroepithel- und in der äusseren re-
ticulären Schicht oder aber ausschliesslich in dieser letzteren)
verlaufen, während der übrige, kleinere Theil der Fortsätze in
den inneren Schichten der Retina (in der inneren reticulären und *•
in der Nervenfaserschicht oder aber ausschliesslich in letzterer)
zu finden ist. Zur zweiten Gruppe rechne ich diejenigen Zellen,
deren Fortsätze zu den äusseren Netzhautschichten in keiner di-
recten Beziehung stehen, sondern sämmtlich in der inneren re-
ticulären Schicht liegen. Die zu letztgenannter Gruppe gehö-
rigen, von W.Müller „Spongioblasten" genannten Zellen stehen
dem Gangl. n. optici viel näher als dem Gangl. retinae. In Be-
tracht dessen, dass sämmtliche Fortsätze der Zellen letztgenannter
Gruppe mit denen der Zellen des Gangl. n. optici in der inneren
reticulären Schicht liegen, und dass femer einige dieser Zellen
denen des Gangl. n. opt. durchaus gleich erscheinen und mit
selbigen in nahem Zusammenhange stehen, halte ich es fllr rich-
tiger, die fraglichen Zellen ganz aus der Körnerschicht auszu-
scheiden und sie im Anschluss an die Beschreibung der nervösen
Elemente des Gangl. u. opt. als gesonderte Gruppe aufzuftihren.
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Ueber die nervösen Elemente in der Retina des Menschen. 323
In den Bestand der ersten Gruppe treten, wie dies z. Th.
schon von Tartuferi^), mir*) und Eamön y CajaP) darge-
legt wurde, drei Arten von Zellen, nämlich:
1) die grossen sternförmigen Zellen (grosse cellule super-
fieiali — Tartuferi);
2) die kleinen sternförmigen Zellen (cellule superficiali di
grandezza media o cellule stellate — Tartuferi);
3) die bipolaren Zellen (cellule a pennachia — Tartuferi).
Die Zellen der ersten und zweiten Art bilden eine ein-
fache Lage, welche an die Innenfläche der äusseren reticulären
Schicht angrenzt, dagegen trifft man die die Hauptniasse des
Gangl. retinae bildenden Zellen der dritten Art in verschiedener
Entfernung von der äusseren reticulären Schicht, zwischen dieser
letzteren und der inneren reticulären Schicht.
1) Die grossen sternförmigen Zellen (Fig. 1 d, ' Fig.
3 a, Fig. 4 und 5) liegen nahe bei einander und berühren die
Innenfläche der äusseren reticulären Schicht. Gewöhnlich ragt
sogar der Zellkörper dieser Zellen etwas in die genannte Schicht
vor und erscheint hier plattgedrückt, während der in dem Gangl.
retinae liegende grössere Theil des Zellkörpers nicht selten mehr
oder weniger ausgedehnt erscheint, so dass die ganze Zelle die
Form einer Pyramide darbietet, mit zur äusseren reticulären
Schicht gekehrter Basis (Fig. 1 d u. 3 a). Im mittleren Theile
der Zelle liegt ein grosser, runder oder ovaler Kern, der durch
Methylenblau sehr intensiv gefärbt wird, wohingegen die Zell-
substanz eine schwächere Färbung annimmt. Die Grösse der
sternförmigen Zellen schwankt zwischen 0,010 — 0,020 mm. Die
Zahl derselben muss eine sehr beträchtliche sein, da vornehm*
lieh oder fast ausschliesslich diese Zellen es sind, welche als Be-
stand theil der äusseren Schicht des Gangl. retinae auftreten. Oft
liegen mehrere dieser Zellen so nahe bei einander, dass sie sich
fast berühren.
Eine jede sternförmige Zelle entsendet 7 — 10 — 15 und noch
mehr Fortsätze. Ein Theil (5 — 14 und mehr) von diesen Fort-
sätzen bleibt ausschliesslich im Bereiche der äusseren reticulären
1) 1. c.
2) 1. c.
3) 1. f.
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324 A. S. D 0 ff i e l :
Schicht — äussere oder horizontale Fortsätze — , andere
dagegen (in der Zahl von 1 — 3) dringen senkrecht oder schräg
in die innere reticuläre Schicht ein — innere oder verticale
Fortsätze — , und einer endlich senkt sich in die Nervenfaser-
schicht ein — , Axencylinderfortsatz.
Die äusseren Fortsätze (horizontale Fortsätze nach
Tartuferi) (Fig. 1 d, Fig. 3 a, Fig. 4 a) entspringen gröss-
tentheils von demjenigen Theile des Zellkörpers, welcher in
der äusseren reticulären Schicht liegt. Sie gehen nach verschie-
denen Richtungen hin, behalten aber dabei einen horizontalen,
der Netzhautoberfläche parallelen Verlauf, Die Dicke di^er
Fortsätze ist sehr verschieden, und gewöhnlich trifft man neben
ziemlich darben Fortsätzen sehr feine, welche in Gestalt dünner
Fäden erscheinen. In grösserer oder geringerer Entfernung von
dem Zellkörper, nicht selten aber fast dicht an seiner Ursprungs-
stelle, zerfallt ein jeder dieser Ausläufer in mehrere, bald kürzere,
bald ziemlich lange varicöse Zweige, welche sich mit den Fort-
sätzen und secundären Verzweigungen der benachbarten stern-
förmigen, subepithelialen und bipolaren Zellen des Gangl. retinae
mannigfach durchkreuzen und verflechten. Nicht selten streift
einer der Fortsätze einer sternförmigen Zelle im Vorbeiziehen die
Oberfläche einer anderen gleichartigen Zelle, und daher gewinnt
es besonders an Flächenpräparaten oft den Anschein, als ob meh-
rere sternförmige Zellen durch ihre Fortsätze mit einander direct
zusammenhingen (Fig. 4).
Sämmtliche durch Theilung der Zellfortsätze entstandenen
Verästelungen senden während ihres Verlaufes eine gewisse Zahl
meist kurzer, varicöser lateraler Fäden, Avelche den entsprechen-
den Fäden der nächstliegenden sternförmigen Zellen entgegen
laufen. Gewöhnlich treten 2 — 3 verschiedenen Zellen angehörige
Fäden zusammen und lösen sich sodann in Bündel kurzer und
äusserst feiner Fibrillen auf. Letztere verbinden sich mit ein-
ander und bilden ein dichtes Netz, welches einen geringen, eng
umgrenzten Raum einnimmt. Diese terminalen Netzchen liegen
in der äusseren reticulären Schicht (Fig. 3 c, Fig. 4 d). Die zu
den Terminalnetzen zusammentretenden Fibrillen zeigen oft einen
mehr oder weniger gewundenen Verlauf und sind beständig mit
kleinen Varicositäten besetzt. Die dichten, eng umschriebenen
Netzchen ähneln daher körnigen Klümpchen, in denen die Aus-
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lieber die nervösen Elemente in der Retina des Menschen. 325
läufer der sternförmigen Zellen zu enden scheinen. Indess haben
wir es hier thatsächlich mit eng umschriebenen terminalen
Nervennetzen zu thun, von denen ein jedes die gegenseitige
Verbindung der äusseren Fortsätze mehrerer grosser sternförmiger
Zellen vermittelt.
Bei unvollständiger Nervenfllrbung will es oft scheinen, als
ob viele von den Theilungsfäden der sternförmigen Zellen direct
in Btlndel feiner und kurzer Fibrillen zerfelen, ohne mit ein-
ander in irgend einer Weise zusammen zu hängen (s. mehrere
solche in Fig. 4).
Was die Lageverhältnisae der äusseren Fortsätze nebst
deren Verästelungen innerhalb der äusseren reticulären Schicht
anlangt, so ist es an Schnitt- und Flächenpräparaten ersichtlich,
dass die Fortsätze von grösserer Länge zunächst parallel der
Netzhautoberfläche in der genannten Schicht dahinziehen und
dann nach aussen umbiegen, um in Gemeinschaft mit den gleich-
artigen Fortsätzen der Nachbarzellen die oben beschriebenen ter-
minalen Netzchen zu bilden. Letztere liegen an der äusseren
Fläche der reticulären Schicht, dicht unter den kegelförmigen
Verbreiterungen der Sehzellenfttsse (Fig. 3). Die anderen, ver-
hältnissmässig kürzeren Fortsätze und deren secundäre Verzwei-
gungen wenden sich gewöhnlich gleich von ihrem Ursprünge an
schräg oder vertical nach aussen und gehen in einem Niveau
mit den längeren Fortsätzen in die terminalen Netze über
(Fig. 3). Welch eine Bedeutung die beschriebenen terminalen
Netzchen haben, ist vorläufig schwer zu sagen ; indess ist es sehr
wahrscheinlich, dass namentlich diese Netzchen es sind, die von
mir bereits längst unter dem Namen „körnige Kltlmpchen" so-
wohl in der Retina der Ganoiden*) und Urodelen*) als auch in
der Mensehtnretina^) beschrieben wurden.
Einen Zusammenhang der fadenförmigen Endverästelungen
der äusseren Fortsätze der sternförmigen Zellen mit den Ausläu-
fern der bipolaren Zellen des Gangl. retinae, wie ihn Tartu-
1) 1. c.
2) 1. c.
3) Ueher die Retina des Menschen. Internat. Monatsschr. Bd. I,
Heft 2 und 3, 1884.
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326 A. S. D 0 g i e 1 :
feri*) auf seiner Taf. VIII* Fig. 3a abbildet, konnte ich nicht
gewahren.
Die inneren Fortsätze — verticale Fortsätze (Tartn-
feri) (Fig. 1, 3 und 4b), deren Zahl 1—2, selten 3 beträgt
entspringen an dem inneren, mehr oder weniger lang ausgezogenen
Theile des Zellkörpers, d. h. an dem in das Gangl. retinae vor-
ragenden Zelltheile-, indess sehen wir diese Fortsätze bisweilen aus
einem der dicken äusseren Zellfortsätze hervorgehen, wie dies
auch Tartuferi mit Recht angibt. Sie sind nicht selten von
beträchtlicher Stärke und durchsetzen in verticaler oder in schrä-
ger Richtung die ganze Dicke der Kömerschicht, bis sie endlich,
grösstentheils in einigem Abstände von der Aussenfläche der
inneren reticulären Schicht, in mehrere feinere Aeste zerfallen.
Letztere dringen in die innere reticuläre Schicht ein und theilen
sich hier auf's Neue in eine gewisse Anzahl feiner varicöser Fä-
den. Diese Theilungsfäden schlagen in der Tiefe der reticulärai
Schicht, nahe deren Innenfläche, eine horizontale Richtung ein,
verflechten sich unter einander und bilden durch Vereinigung
mit gleichartigen Theilungsfilden benachbarter sternförmiger
Zellen ein Nervennetz. Dieses Netz liegt constant in einer ge-
wissen Höhe der reticulären Schicht und steht zur Nervenfaser-
schicht in keiner näheren Beziehung, d. h. es dient nicht mit
zur Bildung der Axencylinder der Nervenfasern.
In vielen Fällen spaltet sich der innere Fortsatz fast dicht
an seinem Ursprünge in 2 — 3 Zweige (Fig. 3) oder er durch-
setzt ungetheilt die Dicke der inneren reticulären Schicht und,
an dem oben erwähnten Niveau der genannten Schicht ange-
langt, zerfällt er plötzlich in ein ganze« Bflndel varicöser Fäden,
die sich an der Bildung des Nervennetzes betheiligen.
Der Axencylinderfortsatz (Fig. 4c) entspringt direet
von dem Zellkörper der sternförmigen Zelle oder manchmal von
der Basis eines der dicken äusseren Zellfortsätze und in sehr
seltenen Fällen endlich an. der Basis des inneren Fortsatzes.
Gewöhnlich erscheint der an dem Zellkörper entspringende
Fortsatz au seinem Ursprünge verdickt, wird darauf rasch
dünner, um aber bald wieder seine ursprüngliche Stärke fast
zu erreichen und behält nun in seinem ganzen weiteren Ver-
1) 1. c.
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Ueber die nervösen Elemente in der Retina des Menschen. 827
laufe eine beträchtliche Stärke. Nicht selten bietet der Axen-
cylinderfortsatz bereits von Anfang an die Gestalt einer mehr
weniger dicken Faser, die oft varicös ist. Die varicösen Ver-
dickungen erscheinen als runde oder ovale Gebilde von verschie-
dener Grösse.
Seinem Aussehen und sogar seiner Dicke nach unterechei-
det sich der Axencylinderfortsatz der sternförmigen Zellen keines-
wegs von den anderen, in den Bestand der Nervenfaserechicht
der Retina tretenden Axencylindem.
Die Axencylinderfortsätze sämmtlicher Zellen verlaufen an-
fangs innerhalb der äusseren reticulären Schicht, mit den äusse-
ren Fortsätzen der genannten Zellen, in horizontaler Richtung,
d. h. parallel der Netzhautoberfläche (Fig. 4). Während ihres
Verlaufes in der reticulären Schicht zeigen sie häufige Biegun-
gen nach der oder jener Seite hin, kreuzen sich mit einander
sowie mit den äusseren Fortsätzen, streifen hierbei nicht selten
die Oberfläche der am Wege liegenden Zellen und sammeln sich
manchmal in gesonderte Bündel. An Flächenpräparaten können
die beschriebenen Fortsätze leicht auf gi-össeren Strecken ver-
folgt werden (Fig. 4). Soweit ich bemerken konnte, gehen diese
Fortsätze nicht nach einer, sondern nach verschiedenen Richtun-
gen hin; indessen gelang es mir, trotz einer grossen Zahl sorg-
fältig untersuchter Präparate, dennoch nie, an dem oder an jenem
dieser Fortsätze einen lateralen Ausläufer wahraunehmen. Ein
jeder Axencylinderfortsatz ändert, nachdem er vorher eine grosse
Strecke in der äusseren reticulären Schicht zurückgelegt, seine
ursprüngliche horizontale Richtung, indem er umbiegt und mehr
oder weniger vertical fast die ganze Dicke der Retina bis an
die Nervenfaserschicht durchsetzt, woselbst er nebst anderen
Nervenfasera wiederum in horizontaler Richtung weiterzieht.
Manchmal treten mehrere Axencylinderfortsätze, bevor sie
in die äussere i:eticuläre Schicht eindringen, zu einem Bündel
zusammen und durchsetzen dann in verticaler Richtung die
Kömerschicht und die innere reticuläre Schicht, um sich schliess-
lich in die Nervenfaserschicht einzusenken. Um den Verlauf
des Axencylinderfortsatzes in seiner ganzen Länge verfolgen und
klarlegen zu können, sind Flächenpräparate der Retina erforderlich,
und eignet sich hierzu namentlich der dünnere, an die Ora serrata
angrenzende Theil der Netzhaut; — hat man an einem solchen
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328 A. S. Dogiel:
Präparate einen der Axencylinderfortsätze zur Beobachtung aus-
gewählt, 80 lässt sich dessen Verlauf bei entsprechender Aende-
rung der Focalstellung leicht bis in die Nervenfaserschicht ver-
folgen. An Schnittpräparaten dagegen gelingt es nie, den ganzen
Verlauf des Axencylinderfortsatzes zu veranschaulichen, da er,
wie bereits erwähnt, schon vor seinem Austritte aus der äusseren
reticulären Schicht, eine sehr grosse Strecke in derselben durch-
läuft.
2) Die kleinen sternförmigen Zellen (Fig. 3b;
Fig. 6) liegen, gleich den grossen Zellen, der Innenfläche der
äusseren reticulären Schicht unmittelbar an, wobei nicht selten
ein Theil des Zellkörpers mehr weniger weit in die genannte
Schicht vorragt. Sie haben eine unregelmässige sternförmige
Gestalt und unterscheiden sich, an Flächenpräparaten betrachtet,
von den daneben liegenden grossen sternförmigen Zellen haupt-
sächlich durch ihre geringere Grösse und ausserdem noch da-
durch, dass ihre äusseren Fortsätze eine Menge feiner varicöser
Fäden und Zweigelchen entsenden, was diesen 2iellen ein beson-
ders reich verzweigtes Aussehen verleiht.
Der Zellkörper beherbergt einen kleinen, runden oder ova-
len Kern, der durch Methylenblau viel intensiver gefllrbt wird
als die tlbrigen Bestandtheile der Zelle. Die Grösse der be-
schriebenen Zellen beträgt 0,0070 — 0,0102 mm., und ihre Zahl
ist meinen Beobachtungen zufolge weit geringer als die der
grossen sternförmigen Zellen. Die kleinen sternförmigen Zel-
len entsenden, ähnlich den grossen, 4 — 12 und noch mehr
äussere oder horizontale Fortsätze, einen oder zwei, bisweilen
drei innere (verticale) und einen AxencylinderfortsatÄ. Was die
Lage sämmtlicher, soeben aufgeftthrter Fortsätze, ihr Verhalten
zu den verschiedenen Netzhautschichten etc. anlangt, so wieder-
holt sich hier das Nämliche, was bereits hinsichtlich der ent-
sprechenden Fortsätze der grossen sternförmigen Zellen darge-
legt wurde.
Die äusseren Fortsätze (Fig. 3, Fig. 6a) lösen sich in
der äusseren reticulären Schicht in eine Menge feiner varicöser
Zweigelchen und Fäden auf, die ihrerseits wiederum in Btischel
kurzer und äusserst feiner Fibrillen zerfallen. Letztere vereini-
gen sich mit ähnliehen Fibrillen, welche benachbarten, grossen
und kleinen sternförmigen Zellen entstammen und solcherweise
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tteber die nervösen Elemente in der Retina des Menschen. ä2d
kommt es zur Bildung der bereits oben beschriebenen Ter-
minalnetze.
Die inneren Fortsätze (Fig. 3) treten in die innere reti-
enläre Schicht ein, um in der Tiefe derselben mit den entspre-
chenden Fortsätzen der grossen sternförmigen Zellen an der Bil-
dung des Nervennetzes Theil zu nehmen.
BetreflFend schliesslich den Axency linder fortsatz (Fig.
6 c), so entspringt derselbe unmittelbar an dem Zellkörper, seltener
an einem der dicken äusseren Fortsätze und erscheint in Gestalt
eines feinen, mit varicösen Vei*dickungen verschiedener Grösse
besetzten Fadens. Er zieht eine beträchtliche Strecke weit in
der äusseren reticulären Schicht dahin, tritt dann aus derselben
aus und dringt gleich den Axencylinderfortsätzen der grossen
sternförmigen Zellen in die Nervenfaserschicht ein.
Mithin unterscheiden sich die kleinen sternförmigen Zellen
von den grossen, abgesehen von ihrer geringeren Grösse, noch durch
grössere Feinheit ihrer Ausläufer, von denen die äusseren in eine
Masse feiner Zweigelchen zerfallen. Mittelst der angegebeneu
Merkmale lassen sich die beschriebenen Zellen leicht von den in
einer Höhe mit ihnen li^enden grossen sternförmigen Zellen
unterscheiden.
Tartuferi^) sondert die kleinen sternförmigen Zellen als
eine besondere Kategorie der zelligen Elemente der Retina aus
und gibt ihnen, wie wir bereits gesehen, den Namen „cellule
superficiali di grandezza media o cellule stellate" ; seiner Mei-
nung nach besitzen diese Zellen nur äussere (horizontale) Fort-
sätze. Aus der von uns gelieferten Beschreibung aber ist es
ersichtlich, dass die kleinen stcrnfönnigen Zellen mit vollem
Rechte in die Kategorie der grossen sternförmigen Zellen eingereiht
werden können, da sie nur als eine Modification desselben Zellen-
typus erscheinen.
Abgesehen von dem soeben Dargelegten muss ich noch
hinzufügen, dass man an der Oberfläche des in der äusseren reti-
culären Schicht liegenden Theiles der grossen sowie der kleinen
sternförmigen Zellen nicht selten eine eigenthümliche, mehr oder
weniger breite Streifung wahrnimmt. Diese Streifungen färben
sieh, wie es z. B. aus Fig. oa ersichtlich, recht intensiv und treten
1) 1. c.
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330 A. S. Dogiel:
dann um so schärfer hervor; sie sind übrigens schon längst von
mir^) beschrieben worden und stellen wahrscheinlich nichts an-
deres dar, als Leistchen an der Zellenoberfläche, hervorgebracht
durch den Di-uck seitens eng anliegender Fortsätze der Nach-
barzellen.
Der directe Uebergang der Axencylinderfortsätze der grossen
und kleinen stemfiirmigen Zellen in die Nervenfaserschicht der
Retina und die völlige Aehnlichkeit der genannten Zellen mit
den kleinen Nervenzellen des Kleinhirns (Golgi, RamonyCa-
jal) sprechen unzweifelhaft zu Gunsten der nervösen Natur die-
ser Zellen.
3) Die bipolaren Zellen (Fig. le) bilden die Haupt-
masse der Kömerschicht. Ihre Form und Lage sind bereits
von fast allen den Beobachteni, welche die Retina zum Ob-
ject ihrer Untersuchungen machten, mit genügender Ausführ-
lichkeit erörtert worden. Was die Gestalt dieser Zellen betriflTt,
so wird selbige durch ihre Lage beeinflusst: diejenigen von ihnen,
welche der äusseren reticulären Schicht näher liegen, haben eine
unregelmässige, abgerundete Form, während die übrigen Zellen
sämmtlich eine ovale oder spindelige Form darbieten. Unter
dem Einflüsse des Methylenblaus iärbt sich die Zellsubstanz
meist schwächer als die Kerne, welche letztere eine tiefblaue
Farbe annehmen. Eine jede bipolare Zelle sendet einen oder
aber mehrere äussere (horizontale) und einen inneren (verticalen)
Fortsatz.
Die äusseren Fortsätze (Fig. 1 und 2) gehen aus dem
Zellkörper selbst hervor. Eine jede dieser Zellen besitzt ent-
weder einen oder mehrere (2 — 5 und mehr) äussere Fortsatze,
je nachdem wie weit der Zellkörper einer gegebenen Zelle von
der Innenfläche der äusseren reticulären Schicht absteht: tritt die
Zelle sehr nahe an die Oberfläche der genannten Schicht oder
liegt sie derselben sogar dicht an, so sehen wir gewöhnlich
mehrere Fortsätze, welche sämmtlich an dem, der genannten
Schicht zugekehrten Zelltheile entspringen; im entgegengesetzten
Falle aber läuft das äussere Zellende in einen einzigen, ziemlich
dicken und mehr weniger langen Fortsatz aus; letzterer tritt
meist ungetheilt an die äussere reticuläre Schicht heran und zer-
1) l. c.
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Ueber die nervösen Elemente in der tletina des Mensehen. 331
fallt hier oder erst nach seinem Eintritte in die genannte Schiebt
in eine gewisse Zahl feiner varicöser Fäden.
Im ereteren Falle dringen die äusseren Fortsätze in Gestalt
sehr feiner Zweige in verticaler oder schräger Richtung in die
reticuläre Schicht ein und durchsetzen selbige fast bis an ihre
äussere Oberfläche (Fig. 1 und 2), woselbst einer dieser Fort-
sätze in die Neuroepithelschicht eindringt — intraepithelialer
Zweig — während die übrigen innerhalb der reticulären Schicht
horizontal verlaufen — horizontale Zweige. Der intraepitheliale
Zweig verläuft nach seinem Eintritte in die Epithelschicht mehr
oder weniger gewunden zwischen den Ftlsschen und den Innen-
gliedern der Stäbchen und Zapfen und kann bis an die m. 1.
externa verfolgt werden, in deren Niveau er nicht selten mit
einer variösen Verdickung endet (Fig. If).
Manchmal sah ich, wie dieser oder jener intraepitheliale
Zweig, bevor er in die Epithelschicht eingedrungen war, in der
äusseren reticulären Schicht horizontal verlief und, nachdem er
in dieser letzteren eine gewisse Strecke durchlaufen hatte, schliess-
lich nach aussen umbog und in das Neuroepithel eindrang. Ge-
wöhnlich fUrben sich die intraepithelialen Zweige oder, richtiger
gesagt, Fäden ähnlich den tlbrigen äusseren Ausläufeni in Me-
thylenblau sehr intensiv und sind daher zwischen den ungefärb-
ten oder nur schwach gefärbten Stäbchen und Zapfen sehr leicht
heraus zu finden.
Im zweitgenannten Falle, d. h. wenn die bipolare Zelle,
wie bereits erwähnt, mit einem einzigen äusseren Fortsatze ver-
sehen ist, wendet sich dieser letztere gegen die reticuläre Schicht,
dringt in dieselbe ein und sendet sofort mehrere feine varieöse
Seitenäste — horizontale Zweige — (Fig. 1); letztere ziehen in
der genannten Schicht weiter, während hingegen der Hauptfort-
satz selbst nicht selten in Gestalt eines ziemlich dicken varicösen
Fadens in die Neuroepithelschicht eindringt und zwischen den
Zellen dieser Schicht bis an das Niveau des m. 1. externa empor-
• steigt, d. h. also in einen intraepithelialen Nervenfaden sich um-
wandelt (Fig. 1).
Anlangend die horizontalen Zweige sämmtlicher bipolarer
Zellen überhaupt, so ziehen sie der reticulären Schicht entlang,
verflechten . sich mit den gleichartigen Aestchen sternförmiger,
Bubepithelialer und anderer bipolarer Zellen und zerfallen darauf
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3ä2 A. S. Üogieh
in eine Menge kurzer und überaus feiner varicöser Fädchen. Letz-
tere verschmelzen mit ähnlichen Fäden, die den äusseren Fort-
sätzen subepithelialer und anderer bipolarer Zellen entstammen
und bilden schliesslich ein, in der äusseren reticulären Schicht
gelegenes, dichtes Nervennetz. Bis jetzt ist es mir noch kein-
mal gelungen, den Zusammenhang der äusseren Fortsätze bipo-
larer Zellen mit denen der sternförmigen Zellen oder mit den
Elementen der Neuroepithelschicht zu constatiren.
Gewöhnlich ist der Bezirk, auf welchen sich sämmtliche
äussere Fortsätze einer bipolaren Zelle mit den secundären Ver-
ästelungen erstrecken, sehr begrenzt und namentlich weit kleiner
als der, welcher von den Verästelungen einer sternförmigen Zelle
beansprucht wird.
Der innere (verticale) Fortsatz (Fig. 1 und 2) entspringt
an dem, der inneren reticulären Schicht zugewandten Theile des
Zellkörpers der bipolaren Zelle oder seltener an der Basis eines
ihrer äusseren Fortsätze und erscheint in Gestalt eines sehr fei-
nen, varicösen Fadens.
Er geht gewöhnlich in fast verticaler Richtung zur inneren
reticulären Schicht, dringt in dieselbe ein und zerfällt darauf in
ein ganzes Büschel nach verschiedenen Seiten auseinander gehen-
der feiner und kurzer varicöser Fädchen, wie dies zuerst von
Tartuferi*) (beim Menschen und den Säugern), mir*) (bei
Säugern, Vögeln, Reptilien, Amphibien und Knorpelfischen) und
Ramon y CajaP) (bei Vögeln) nachgewiesen worden ist.
Die Stelle, an der der innere Zellfortsatz in die einzel-
nen Fäden zerfällt, bildet an Flächenpräparaten eine stemfönnige
Figur, deren Mittelpunkt dem etwas verdickten Ende des inne-
ren Fortsatzes und deren Strahlen den, von diesem gemeinsamen
Mittelpunkte nach allen Seiten ausgehenden Theilungsfäden ent-
sprechen.
Das Niveau, in dem der innere Fortsatz in der reticulären
Schicht in das Fadenbüschel zerfällt, ist meinen Beobachtungen
zufolge nicht für alle bipolaren Zellen gleich. Die der äusseren
reticulären Schicht am nächsten liegenden Zellen senden ihre
1) 1. c.
2) 1. c.
3) 1. c.
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lieber die nervösen Elemente in der Retina des Menschen. 33B
inneren Fortsätze fast durch die ganze Dicke der inneren reti-
culären Schicht; hier zerfallen die genannten Fortsätze nahezu
in einem und demselben Niveau in die Fadenbttschel, welche
letzteren durch Vereinigung mit einander ein engmaschiges Ner-
vennetz bilden. Gehen wir zur nächstfolgenden Zellenreihe
tlber, so bilden deren innere Fortsätze resp. deren Theilungs-
föden in ähnlicher Weise, wie die ersteren, ein zweites Ner-
vennetz, welches dem erstbescliriebenen zunächst und etwas
nach aussen von demselben liegt u. s. w. Von den inneren Aus-
läufern endlich, welche der, der inneren reticulären Schicht am
nächsten liegenden Zellenreihe entstammen, wird in entsprechen-
der Weise ein Nervennetz gebildet, welches letztere der Aussen-
fläche der genannten Schicht fast unmittelbar anliegt.
Solcherweise gehen die inneren Fortsätze einer jeden Zcllen-
reihe der bipolaren Zellen des Gangl. retinae auf einem gewissen
Niveau der inneren reticulären Schicht in ein dichtes Nervennetz
über, und es entstehen so in der genannten Schicht mehrere Rei-
hen tlbcr einander gelagerter Nervennetze. Wie in der Retina
des Menschen, so verhält sich das soeben Dargelegte auch in
der Retina der anderen Thicrklassen, namentlich bei Vögeln,
Reptilien, Amphibien und Knorpelfischen. Ob die beschriebenen
Nervennetze unter einander zusammenhängen oder ob im Gegen-
theil ein jedes von ihnen, so zu sagen, unabhängig von den
übrigen da steht, darauf lässt sich bis jetzt noch keine bestimmte
Antwort geben. Indess sah ich mehrmals, wie von dem oder
jenem, aus einem inneren Zellfortsatze entstandenen Fadenbttschel
eines oder auch zwei kurze Fädchen , anstatt in das ihnen zugehö-
rige, in das tiefer liegende, benachbarte Nerveunetz sich einzu-
senken schienen.
Das Ganglion n. optici (Fig. 7). Als Bestandtheile des
Gangl. n. optici treten in der Menschenretina 3 Arten von Ner-
venzellen auf. Sie unterscheiden sich von einander erstens
durch die für einen jeden dieser Typen charakteristische Veräste-
lungsweise ihrer protoplasmatischen Fortsätze, zweitens durch den
grösseren oder geringeren Umkreis, in welchem sich sämmtliche
protoplasmatische Fortsätze einer jeden Zelle des gegebenen
Typus verbreiten und drittens endlich dadurch, dass die Endver-
äßtelungen der Protoplasmafortsätze eines jeden der drei Zell-
typen in der inneren reticulären Schicht eine verschiedene
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 38 22
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334 A. S. Dogiel:
Lage einnehmen. Dies sind meines Eracbtens die Hauptmerk-
male, welche uns bei der Klassification der Zellen des Gangl. n.
optici leiten müssen; abgesehen davon, unterscheiden sich letztere
noch durch ihre Form, theilweise auch durch ihre Grösse nnd
sogar durch die vei-schiedene Intensität ihrer Färbung durch
Methylenblau.
Die Nervenzellen eines jeden dieser Typen entsenden meh-
rere protoplasmatische und einen Axencylinderfortsatz (nervöser
Fortsatz).
1) Die Zellen des ersten Typus (Fig. 7a, 8 und 9) haben
eine unregelmässige, stern- oder pyramidenförmige Gestalt, ähn-
lich den Zellen der Rindenschicht der Hemisphären. Die Grosse
der Zellen schwankt zwischen 0,020 — 0,070 mm. Die Proto-
plasmafortsätze (Fig. 8 und 9a), in der Zahl von 3 — 12 nnd
mehr, liegen in der Tiefe der inneren reticulären Schicht, d. h.
in dem der Nervenfaserschicht zugewandten Theile derselben-, hier
verlaufen sie in horizontaler, d. h. der Netzhautoberfläche mehr
weniger paralleler Richtung (Fig. 7 a). Während seines Verlau-
fes in der reticulären Schicht theilt sich ein jeder der Proto-
plasmafortsätze allmählich in eine gewisse Zahl, unter scharfem
Winkel abgehender feiner, varicöser Aestchen, welche letzteren
eine beträchtliche Länge erreichen und ihrerseits in sehr lange,
feine, varicöse Fäden zerfallen. Letztere vereinigen, sich mit
den gleichartigen Theilungsfäden der Protoplasmafortsätze an-
derer Zellen desselben Typus zu einem weitmaschigen Nerven-
netze (Fig. 9). Dank der beträchtlichen Länge der Proto-
plasmafortsätze der Zellen des ersten Typus ist der Verbrei-
tungsbezirk sämmtlicher Fortsätze einer jeden dieser Nervenzellen
sehr gross.
2) Die Zellen des zweiten Typus (Fig. 7 b) stellen rund-
liche, ovale oder birnfönnige Gebilde dar, welche den Pur-
kinje'schen Zellen ähneln. Die Grösse dieser Zellen ist in der
Nähe der ora serrata gewöhnlich etwas über 0,020 — 0,040 mm,
während sie in den übrigen Theilen der Netzhaut eine etwas ge-
ringere Grösse aufweisen, indem ihr Durchmesser hier im Mittel
0,020 — 0,030 mm gleich ist. Der Abstand zwischen den einzelnen
Zellen beträgt in dem Gebiete der Ora serratÄ im Mittel 0,207
mm, in den übrigen, mehr oder weniger von dem Randtheile
entfernten Theilen der Retina liegen diese Zellen näher bei ein-
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Üeber die nervösen Elemente In der Hetina des Menschen. S35
ander, in einem gegenseitigen Abstände von 0,107 mm. Die
Protoplasmafortsätze (Fig. 10a), deren Zahl sich auf 1 — 3 — 4
und mehr beläuft, haben meist eine beträchtliche Dicke und drin-
gen senkrecht oder schräg in die innere reticuläre Schicht ein;
etwa an der Grenze des mittleren mit dem inneren Drittel dieser
Schicht biegen sie um und schlagen eine, der Netzhautoberfläche
parallele Richtung ein (Fig. 7 b). Sämmtliche Protoplasmafoi-t-
sätze zerfallen in dem angegebenen Niveau der inneren reticulären
Schicht in eine Menge sehr feiner Aeste, welche sich ihrerseits
wiederum in eine Unmasse feinster varicöser Fäden auflösen.
Letztere verflechten sich mannigfach unter einander, sowie auch
mit den gleichartigen Fäden benachbarter Zellen desselben Typus
und verbinden sicTi mit diesen Fäden zu einem dichten eng-
maschigen Netze (Fig. 7 und 10). Gewöhnlich lässt sich an den
mit Methylenblau gefärbten Flächenpräparaten der Retina leicht
ersehen, dass eine jede der beschriebenen Zellen mit einer Gruppe
benachbarter Zellen desselben Typus unmittelbar zusammenhängt,
wobei eine derartige Gruppe von 4—5 — 7 Zellen gebildet wird
(Fig. 10). Da die Protoplasmafortsätze der Zellen des zweiten Typus
eine viel geringere Länge besitzen, als die des ersten, so ist
auch die Region, auf welche sich die Fortsätze einer einzelnen
Zelle des zweiten Typus erstrecken, eine relativ viel kleinere.
3) Die Zellen des dritten Typus (Fig. 7c u. 12) haben eine
runde oder ovale Form, wobei an dem, der inneren reticulären
Schicht zugewandten Zellpole gewfihnlich 1 — 2, viel seltener 3
Protoplasmafortsätze entspringen. Die Grösse der Zellen beträgt
0,0105—0,030 mm.
Die Protoplasmafortsätze (Fig. 7c u. 12a) durchsetzen in
verticaler oder schräger Richtung fast die ganze Dicke der reticu-
lären Schicht und zerfallen nahe an deren Aussenfläche in
mehrere (3 — 4 und mehr) kurze Aestchen, die nach verschie-
denen Seiten auseinander gehen und in horizontaler, der Netz-
hautoberfläche paralleler Richtung weiter ziehen. Doch bald
zerföllt ein jedes dieser Aestchen in eine gewisse Zahl feiner
Zweige, welche letzteren ihrerseits in eine Masse varicöser und
nicht selten wiederum sich theilender Fäden aufgehen. Durch
Vereinigung der Fäden benachbarter Zellen unter einander bildet
sich schliesslich ein, den Elementen des dritten Typus entstam-
mendes, engmaschiges Netz (Fig. 7 und 12). Der Bezirk, wel-
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33Ä A. S. D o g i e 1 :
eher dureh alle protoplasmatisehen Fortsätze einer Zelle des be-
schriebenen Typus eingenommen wird, ist viel geringer als der
betreifende Bezirk irgend einer Zelle des ersten oder des zweiten
Typus.
Die Protoplasmafortsätze der Nervenzellen sämmtlieher oben
aufgeführter drei Typen gehen völlig in die Bildung der Nerven-
netze auf und stehen zu den Blutgefässen der Retina in keiner
näheren Beziehung.
Was den Axencylinderfortsatz (nervösen Fortsatz) (Fig.
8, 9, 10 und 12) anlangt, so entspringt er, gleichviel welchem
der drei oben genannten Typen die gegebene Zelle des Gangl. n.
optici angehören möge, entweder unmittelbar an dem Zellkörper
selbst oder an der Basis eines der dicken Protoplasmafortsätze
oder endlich — und zwar nicht selten, zumal in den Zellen
dritten Typus, an einem secundären Theilungsaste des Proto-
plasmafortsatzes (Fig. 10, 12b; Fig. IIa und a'). In allen oben
genannten Fällen tritt der Axencylinderfortsatz in die Nerven-
faserschicht ein und wird zum Axencylinder einer Nervenfaser
(Fig. 7). Manchmal entsendet der Axencylinderfortsatz unweit
seiner Abgangsstelle von dem Zellkörper mehrere feine laterale
Aestchen (Fig. 1 1 a), welche ähnlich den Protoplasmafortsätzen, in
der inneren reticulären Schicht in varicöse Fäden zerfallen. Diese
letzteren senken sich in das Nervennetz ein, welches von den
Protoplasmafortsätzen der Zellen desselben Typus gebildet wird
(Fig. 11).
Mithin sehen wir, dass zahlreiche Ganglienzellen des Gangl.
n. opt. keine Axencylinderfortsätze im gewöhnlichen Sinne, d. h.
in Gestalt selbstständiger, von dem Zellkörper selbst abstammen-
der Ausläufer besitzen, sondern dass dieser Fortsatz in vielen
Fällen nur als eine der zahlreichen Verästelungen eines Proto-
plasmafortsatzes erscheint und von letzterem sich nur dadurch
unterscheidet, dass er, ohne seine Individualität zu verlieren, in
den Axencylinder einer Nervenfaser übergeht.
Da der Axencylinderfortsatz von einem der Protoplasma-
fortsätze entspringen kann oder vielfach auch selbst laterale Aest-
chen entsendet, so wird hierdurch ein directer Zusammenhang
hergestellt zwischen dem genannten Fortsatze und. dem Nerven-
netze, welches in besagter Weise von den Protoplasmafortsätzen
der Zellen des G. n. optici gebildet wird. Mithin erscheint die
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Ueber die nervösen Elemente in der Retina des Menschen. 337
Ansicht von Golgi^), Nansen*) u. A. betreflfs der scharfen DiflFe-
renz zwischen dem Axencylinderfortsatze einerseits und den Pro-
toplasmafortsätzen andererseits unbegründet; im Gegen theil, diese
letzteren müssen, wie Kölliker^) mit Recht bemerkt, gleich
dem Axencylinderfortsatze den nervösen Zellfortsätzen beigezählt
werden.
unter Einwirkung des Methylenblau's auf die Retina filr-
ben sich gewöhnlich die Nervenzellen des Gangl. n. opt. nicht
alle gleich rasch : zuerst förben sich, soweit ich bemerken konnte,
die Zellen des zweiten Typus, darauf folgen die Zellen dritten
Typus und zuletzt die des ersten Typus.
Die Sehicht der W. Müller' sehen Spongioblasten
(mittlere gangliöse Schicht vonA. Dogiel (Fig. 13).
Angesichts der von Tartuferi^), mir^), Ramön y Cajal^)
und zum Theil der von Baquis^) angestellten Untersuchungen
hat, wie mir scheint, die von W. Müller dieser Schicht ge-
gebene Benennung ihre Bedeutung verloren, da ja die in den
Bestand dieser Schicht tretenden Elemente unzweifelhaft ner-
vöser Natur sind. Daher halte ich es für sachgemäss, diese
Schicht die „mittlere gangliöse Schicht" zu nennen, weil sie
ja in der That zwischen dem Gangl. n. optici einerseits und
dem Gangl. retinae andererseits gelegen ist.
Obwohl K u h n t *) , auf Grund seiner an der Menschen-
retina, theils nach der Weigert'schen Methode, theils bei Behand-
lung mit Osmiumsäure angestellten Untersuchungen, bis zuletzt
die Ansicht vertritt, dass die W. MüUer'schen Spongioblasten
nicht den Charakter von Nervenzellen tragen, so ergibt dennoch,
1) Ueber den feineren Bau des Rückenmarkes. Anatom. An-
zeiger Nr. 13, 14 u. 15, 1890.
2) The structure and combination of the histological Clements of
the central nervous System. Bergen. John Grieg. 1887.
3) Handbuch der Gewebelehre. 6. Aufl. Bd. I, 1S89.
4) 1. c.
5) 1. c.
6) 1. c.
7) La Retina della Faina. Anatom. Anzeiger Nr. 13—14, 1890.
8) Histologische Studien an der menschlichen Netzhaut. Jenaische
Zeitschrift Bd. XXIV, Heft 1, 1889.
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338 A. S. D o g i e 1 :
wie bereits erwähnt, die Anwendung neuer und zum Studium
des Nervensystems geeigneter Mittel und Methoden ganz ent-
gegengesetzte Resultate.
Sämmtliche Zellen der mittleren gangliösen Schicht liegen
in einer Reihe neben einander; sie können in 2 Untergruppen
gctheilt werden: 1) zur ersten Untergruppe gehören diejenigen
Zellen dieser Schicht, welche derselben durchaus eigenthümlich
und, so zu sagen, characteristisch sind, während 2) die zweite
Untergruppe von solchen Elementen gebildet wird, die eigent-
lich als Zellen des Gangl. n. optici anzusprechen und um- weiter
nach aussen vorgerückt sind, als alle anderen Zellen dieser letz-
teren Schicht, indem sie der Aussenfläche der inneren reticulären
Schicht anliegen.
Im vorliegenden Falle lassen sich die Zellen der zweiten Unter-
gruppe mit den oben beschriebenen subepithelialen Nervenzellen
vergleichen, die ja gleichfalls als nach aussen vorgerückte Zellen
des Gangl. retinae zu betrachten sind.
1) Zur ersten Untergruppe zähle ich zwei Arten von
Nervenzellen, die sich von einander erstens durch ihre Grösse
unterscheiden, wesshalb sie a) grosse und b) kleine Nervenzellen
genannt werden können (Fig. 13a und b; Fig. 14, 15 und 16).
Sowohl die ersteren als auch die letzteren dieser Zellen tra^n
nur protoplasmatische, ausschliesslich in der inneren reticulären
Schicht sich verzweigende Fortsätze.
a) Die grossen Nervenzellen (nervöse Form der Spon-
gioblastenzellen von Tartuferi) (Fig. 13 a; Fig. 14 und 15) sind
runde, ovale oder bimförmige Gebilde; nebst den kleinen Ner-
venzellen bilden sie die Hauptmasse der zelligen Elemente der
mittleren gangliösen Schicht. Sie liegen gewöhnlich nahe bei
einander, wobei der innere Theil des Zellkörpers die Aussen-
fläche der inneren reticulären Schicht berührt oder nicht selten
sogar in diese Schicht hineinragt. Die Grösse dieser Zellen be-
trägt nahezu 0,010—0,0105 mm.
In dem Zellkörper einer jeden dieser Zellen liegt ein ziem-
lich grosser, runder oder ovaler Keni, der durch Methylenblau
sich sehr intensiv tingirt, wogegen der Zellkörper selbst eine
schwächere Färbung annimmt. Die Färbung der betrachteten
Zellen tritt meinen Beobachtungen zufolge stets sehr rasch ein,
d. h. gleich bei Beginn der Einwirkung des Methylenblau's und
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üeber die nervösen Elemente fn der Retina des Menschen. 339
fast zu gleicher Zeit mit der Tinction der Nervenzellen des
zweiten Typus des Ganglion n. optici.
Von der, der inneren reticulären Schicht zugewandten Zel-
lenoberfläche entspringen entweder ein einzelner oder aber mehrere
(4 — 6 und mehr) Fortsätze, die senkrecht oder schräg in die
genannte Schicht eindringen. Gewöhnlich sind die einen dieser
Fortsätze von mehr weniger beträchtlicher Dicke, während die
anderen in Gestalt feiner varicöser Fäden erscheinen. Nach sei-
nem Eintritte in die innere reticuläre Schicht zerfallt ein jeder
dieser Fortsätze allmählich in eine gewisse Zahl feiner varicöser
Fäden: letztere dringen weiter nach innen vor, durchkreuzen
und verflechten sich mit einander, sowie mit ähnlichen Fäden
welche den Nachbarzellen entstammen und lösen sich schliess-
lich ihrerseits in eine Masse feinster varicöser Fibrillen auf.
Diese, der Innenfläche der reticulären Schicht anliegenden Fibril-
len verflechten sich in mannigfacher Weise und bilden schliess-
lich einen dichten nervösen Plexus (Fig. 14). Manchmal schien
es mir, dass die aus der Theilung der Zellfortsätze hervorgehen-
den feinsten Fäden mit einander verschmelzen und, ähnlich den
Verzweigungen der Zellen des G. n. optici, ein Netz bilden; aber
bei sorgfaltigerer Untersuchung erwies es sich stets, dass diese
Fäden sich nur plexusai'tig verflechten.
Das soeben beschriebene Geflecht ist gewöhnlich so dicht,
und die in beschriebener Weise den grossen Nervenzellen ent-
stammenden feinen Fäden dieses Plexus so sehr mit einander
verwickelt, dass es äusserst schwer föllt, sich in dem Gewirr
dieser Fäden zurecht zu finden und den oder jenen Faden bis
zu einer Zelle hin zu verfolgen.
Bei Untersuchung des dünneren peripherischen Theiles der
Netzhaut konnte ich mich davon überzeugen, dass einige von
den in die Nervenfaserschicht tretenden Axencylindem dem so-
eben beschriebenen Nervenplexus entstammen (Fig. 15B). Gröss-
tentheils treten mehrere feine varicöse Nervenfaden des Plexus
zusammen, um einen Axencylinder zu bilden; letzterer erschien,
m(A meiner Beobachtung, constant als ein feiner varicöser Fa-
den, der bei weitem schmächtiger war als die, direct aus dem
Zellkörper der grossen sternfiJrmigen Zellen oder aus den Zellen
des G. n. opt. hervorgehenden Axencylinder.
b) Die kleinen Nervenzellen (Fig. 13b und Fig. 16)
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340 A. S. Doffiel:
sind zahlreich zwischen den grossen Nervenzellen zerstreut nnd
ähneln ihrer Grösse nach mehr Kernen als Zellen. Die Mehr-
zahl dieser Zellen ist von sehr geringer Grösse, welch letz-
tere zwischen 0,005 — 0,001 mm schwankt. Indessen triflFt man
darunter auch Zellen von 0,010 mm im Durchmesser. Diese
Zellen erscheinen sämmtlich von runder oder ovaler Form, und
der Zellkörper beherbergt einen relativ sehr grossen, gewöhnlich
den grössten Theil der Zelle einnehmenden, runden Kern, dea-
somit nur von einem schmalen Saume von Zellsubstanz umring
erscheint. Die Färbung der kleinen Zellen in Methylenblau tritt
fast gleichzeitig mit der der grossen Nervenzellen ein, wobei ihre
Kerne stets eine sehr intensive, tief-blaue Färbung annehmen.
Der an die Oberfläche der inneren reticulären Schicht angren-
zende Theil der Zelle trägt mehrere (2 — 4—5) fadenförmige Aus-
läufer, welche mehr weniger schräge in die reticuläre Schicht
eindringen und, sich in dieselbe einsenkend, allmählich in eine
Menge feinster varicöser Fibrillen zerfallen (Fig. 16). Diese letz-
teren lassen sich bis in die tiefen (inneren) Theile der inneren
reticulären Schicht hin verfolgen, woselbst sie sich mit einander
zu einem dichten Gewirr verbinden. Es gelang mir aber bis
jetzt nicht ihr weiteres Schicksal festzustellen, so dass ich nicht
anzugeben vermag, ob sie in der genannten Schicht ein Nerven-
netz oder einen Plexus bilden.
Die grossen und kleinen Nervenzellen der mittleren gan-
gliösen Schicht trifft man sowohl in der Retina der Säuger als
auch in der der Vögel, Reptilien und Amphibien. Die genann-
ten Zellen treten an Methylenblaupräparaten gewöhnlich mit
grosser Deutlichkeit hervor. i
2) Anlangend die zweite Untergruppe der Nerven-
zellen der mittleren gangliösen Schicht (Fig. 13 c, c', c")? so
lassen sich in dieser Untergruppe drei Typen von Zellenelemen-
ten unterscheiden, wie sie von mir bereits in dem G. n. optici
beschrieben worden sind. Die erste und die zweite Gruppe der
Spongioblasten von Tartuferi^) gehören namentlich in diese
Zellenuntergi-uppe. Diese Zellen findet man zwischen den grossen
und kleinen Zellen der mittleren gangliösen Schicht verstreut, und
1) 1. c.
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Ueber die nervösen Elemente in der Retina des Menschen. 341
sind sie hier in viel spärlicherer Menge vertreten als in dem
Gangl. n. optici.
Eine jede Zelle der betreffenden Untergruppe sendet, ähn-
lich den Zellen des G. n. optici, mehrere Protoplasmafortsätze
und einen Axencylinderfortsatz, wobei die ersteren in einer den
entsprechenden Zellfortsätzen des G. n. optici entgegengesetzten
Richtung, d. h. von aussen nach innen verläuft.
Die Protoplasmafortsätze der Zellen des ersten Typus besitzen
eine ausserordentliche Länge und durchsetzen in schräger Richtung
fast die ganze Dicke der inneren reticulären Schicht, um schliesslich
an der Bildung des Netzes theilzunehmen, welches von den Fort-
sätzen der Zellen des ersten Typus des G. n. optici gebildet wird.
Aehnlich verhält es sich auch mit den Protoplasmafortsätzen der
ZeUen des zweiten Typus; diese Fortsätze betheiligen sich an der
Bildung des Nervennetzes, welches den Fortsätzen der Zellen des
zweiten Typus des G. n. optici angehört. Was endlich die Zellen
des dritten Typus anlangt, so verlaufen ihre Protoplasmafort-
sätze, deren Zahl sich auf 3 — 4 beläuft, zuerst ganz an der
Aussenfläche der inneren reticulären Schicht und lösen sich
dann allmählich in ganz dünne Zweige und in varicöse Fäden
auf; letztere verschmelzen mit den gleichartigen Fäden, welche
den Protoplasmafortsätzen der Zellen des dritten Typus des G. n.
optici entstammen und bilden in Gemeinschaft mit diesen Fäden
das oben beschriebene Nervennetz (s. unter G. n. optici).
Das soeben erörterte Verhalten der Protoplasmafortsätze
der Zellen der zweiten Untergruppe der mittleren gangliösen Schicht
zu denen der entsprechenden Zellen des G. n. optici kehrt in
der Retina fast aller Wirbelthiere wieder und ist besonders deut-
lieh bei den Vögeln, Reptilien und Amphibien ausgesprochen.
Der Axencylinderfortsatz einer jeden Zelle der uns be-
schäftigenden Untergruppe entspringt ähnlich wie auch bei den
Zellen des G. n. optici, von dem Zellkörper selbst oder aber von
einem der Protoplasm^ifortsätze der Zelle, wendet sich darauf nach
innen, durchsetzt die innere reticuläre Schicht und geht in die
Nervenfaserschicht der Retina über.
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342 A. S. Dogiel:
Auf Grund alles Mitgetheilten glaube ich alle Nerven-
elemente der Netzhaut des Menschen in drei besondere gangliöse
Schichten grnppiren zu können, nämlich in die äussere,
mittlere und innere Schicht, wobei die erste wieder aus
subepithelialen, sternförmigen und bipolaren Nervenzellen besteht.
Somit können bei dem Durchmustern der Netzhautschnitte der
Reihe nach folgende Schichten wahrgenommen werden:
Pigmentepithel (I).
*'^'"''eXi?"'*°"- Neurocpithelschicht (II).
Aeussere reticuläre( Subepitheliale Nervenzellen (a)j Aeusnere
Schicht. \ Sternförmige Nervenzellen (b)>A. gangliöse
Bipolare Nervenzellen (c) J Schicht.
[(Schicht d. Spon-
Tnnere refioulJlre f Mittlere gangliöse Schicht. — B.{ o^ioblasten,
ScMcht * ^- ^^'*«r-)
l Innere gangliöse Schicht. -— C.
Nervenfaserschicht. — — D.
Membr. limitans interna ->
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XIX— XXIL
Die Abbildungen sind sämmtlich mit Hülfe der Camera lucida
nach Präparaten der Retina gezeichnet, welche durch Methylenblau
gcl'ärbt und mit pikrinsaurem Ammoniak oder Ammonium-Pik rat-Os-
miumsÄure-Mischung fixirt worden waren.
Fig. 1. Querschnitt durch die Retina. 1) Neuroepithelschicht; 2) Äussere
reticuläre Schicht; 3) Körnerschicht; 4) innere reticuläre
Schicht; a) Membr. lim. externa; b) Stäbchen; c) Zapfen;
d) grosse sternförmige Zellen mit äusi^ren und inneren Fort-
sätzen; e) bipolare Zellen mit den äusseren (horizontalen), dem
intraepithelialen (f) und dem inneren Fortsatze; letzterer aer-
fällt in der inneren reticulären Schicht in ein Fibrillenbüschel.
Reichert, Obj, 8a.
Fig. 2. Querschnitt der Retina in der Nähe der Ora serrata. 1) Neuro-
epithelschicht; 2) äussere reticuläre Schicht; 3) Körnerschicht;
4) innere reticuläre Schicht; a) Membr. lim. externa, b) Stäb-
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üeber die nervösen Elemente in der Retina des Menschen. 343
chen, c) Zapfen, d) subepitheliale Nervenzellen mit den äusse-
ren, dem intraepithelialen (e) und dem inneren Fortsätze, f)
bipolare Zelle mit dem äusseren und dem inneren Fortsatze;
die inneren Fortsätze bilden in der inneren reticulären Schicht
zwei Nervennetze. In dem Neuroepithel sieht man einen intra-
epithelialen varicösen Faden, der wahrscheinlich einer der bi-
polaren Zellen angehört. Reichert, Obj. 8 a.
Fig. 3. Querschnitt der Retina nahe der Ora serrata. 1) Aeussere
reticuläre Schicht; 2) Körnerschicht ; 3) innere reticuläre Schicht;
a) grosse sternförmige Zellen mit den äusseren (horizontalen)
und inneren Fortsätzen; b) kleine sternförmige Zellen mit den
äusseren (horizontalen) und inneren Fortsätzen; c) terminale
Netze, in welche die äusseren Fortsätze der sternförmigen
Zellen übergehen. Reichert, Obj. 8a.
Fig. 4. Flächenpräparat der Retina, nahe der Ora serrata. Grosse
sternförmige Zellen mit den äusseren (a), den inneren (b) und
den Axencylinderfortsätzen (c); d) terminale Netze, gebildet
von den Verzweigungen der äusseren Fortsätze. Reichert,
Obj. 8a.
Fig. 5. Grosse sternförmige Zelle mit einer Leiste (a). Reichert,
Obj. 8a. Tubus halb ausgezogen.
Fig. 6. Kleine sternförmige Zelle mit den in die Endnetze (b) tiber-
gehenden äusseren Fortsätzen (a); c) Axencylinderfortsatz.
Flächenpräparat. Reichert, Obj. 8a.
Fig. 7. Querschnitt der Retina. 1) Innere reticuläre Schicht; 2) Gan-
glion nervi optici; 3) Nervenfaserschicht; a) Nervenzellen des
I. Typus; b) Nervenzellen des II. Typus; c) Nervenzellen des
III. Typus. Protoplasmafortsätze, welche in der inneren re-
ticulären Schicht Nervennetze bilden. Reichert, Obj. 6.
Fig. 8. Nervenzelle des ersten Typus aus dem Gangl. n. optici, a)
Protoplasmafortsätze, b) Axencylinderfortsatz, der in die Ner-
venfaserschicht tibergeht. Flächenpräparat aiis der mittleren
Region der Retina. Reichert, Obj. 6.
Fig. 9. Zwei Nervenzellen des ersten Typus aus dem Ganglion *n.
optici, a) Die Protoplasmafortsätze der Zelle bilden ein Netz ;
b) Axencylinderfortsatz. Flächenpräparat. Reichert, Obj. 6.
Fig. 10. Nervenzellen des zweiten Typus aus dem Gangl. n. opt. a)
Protoplasmafortsätze, welche ein Netz bilden; b) Axencylinder-
fortsätze; c) Zelle des dritten Typus mit Axencylinderfort-
satz. Mittlerer Th eil der Retina. Flächenpräparat. Reichert,
Obj. 6.
Fig". 11. Zwei Nervenzellen des zweiten Typus aus dem Gangl. n.
optici, a) Axencylinderfortsatz mit lateralen Ausläufern,
welche letzteren in ein Netzwerk übergehen; a') Axencylinder-
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344 A. S. Dogiel: Ueber die nervösen Elemente in der Retina etc.
fortsatz, dessen Ursprung" an einem der Protoplasmafortsätze
ersichtlich ist; b) Protoplasmafortsätze. Flächenpräparat.
Reichert, Obj. 6.
Fig. 12. Zwei Nervenzellen des dritten Typus aus dem G. n. optici,
a) Protoplasmafortsätze; b) A xency linder f ortsätze ; c) Nerven-
fasern. Mittlerer Theil der Retina. Flächenpräparat. Rei-
chert, Obj. 6.
Fig. 13. Durchschnitt der Netzhaut: 1) Mittlere gangliöse Schicht
(.Schicht der W. Müll er 'sehen Spongioblast^m); 2) innere re-
ticuläre Schicht; a) grosse Nervenzellen; b)* kleine Nerven-
zellen; c, c', c") Nervenzellen der II. Untergruppe: c) Zellen
des I.Typus; c') Zelle des II. Typus; c") Zellen des Ili. Typus.
Reichert, Obj. 8a.
Fig. 14. Flächenpräparat: Nervenplexus, gebildet von den Fortsätzen
der grossen Nervenzellen der mittleren gangliösen Schicht.
Mittlerer Theil der Retina. Reichert, Obj, 6.
Fig. 15. A und B) Zwei grosse Nervenzellen aus der mittleren gangliö-
sen Schicht; in B Nervenfäden, hervorgegangen aus der Thei-
lung eines der Aestchen der Zelle und zu einem Axencylinder
(a) sich vereinigend. Reichert, Obj. 8a. (Flächenpräparat.)
Fig. 16. Kleine Nervenzelle aus der mittleren gangliösen Schicht. Rei-
chert, Obj. 8a. (Flächenpräparat.)
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345
Untersuchungen über die Milz.
Von
Dr. Bannwarth,
I. Assintent der Anatomie Bern.
I.
Die Milz der Katxe.
ffierzu Tafel XXIH- XXVI.
Von der Vermuthung ausgehend, dass die vielen sich wider-
sprechenden Angaben über die Milz zum Theil aus dem Vorkom-
men verschiedener Verhältnisse bei verschiedenen Thieren sich
erklären und herleiten lassen, habe ich vorerst nur bei einer
Thierart Bau und Wachsthum der Milz genau untersucht.
Aus äusseren und inneren Gründen wählte ich daflir die
K atzen milz. Die folgenden Befunde beziehen sich, wo nichts
besonderes gesagt ist, nur auf diese, und ich möchte gleich von
vornherein ausdrücklich hervorheben, dass das, was flir die Katze
gefunden wurde, nicht ohne Weiteres auch für die Milz anderer
Thiere als zu Recht bestehend angenommen werden darf.
Die vorliegende Arbeit wurde abgeschlossen, obwohl ich
mir wohl bewusst bin, dass eine genaue und vollständige Unter-
suchung sich auch auf hier nicht behandelte Fragen hätte aus-
dehnen sollen, vor allem die der ersten Entwickelung, dann die
der Circulationsverhältnisse bei anderen Thieren u. s. w. Ich
hoflfe in späteren Arbeiten diese und jene Lücke der vorliegen-
den Untersuchung ausbessern und ausfüllen zu können.
Technik.
Als Conservirimg 8 mittel für diejenigen Milzen oder Milz-
Stücke, welche zur Erkennung der Struktiir des Organes dienen sollen,
empfiehlt sich am meisten Kalibichromat in dünner, etwa 2 % Lösiing.
Beilligung von Glaubersalz lässt keinerlei Wirkungsunterschied er-
kennen.
Die Milzen wurden entweder mit der Chromkalilösnng injicirt,
oder, wo eine natürliche Füllung wünsehenswerth war, in toto einge-
legt, nach Unterbindung des ganzen Milzstiles. Die Milz der Katze
ist selbst bei alten Thieren nicht dicker als V2 ^'ti? ^^^^ nicht zu gross
für die Durchdringung mit Chromkali. Uebrigens habe ich die Milzen
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346 Bannwart h:
nach einiger Zeit der Einwirkung auch noch in mehrere Stücke zer-
legt. Die Stücke liess ich gerne längere Zeit, bis drei Wochen, in der
Lösung. Dann wusch ich mit Brunnenwasser oder physiologischer
Kochsalz- oder 5% Glaubersalzlösung aus, aber nicht lange (1—2 Stun-
den); darauf legte ich die Stücke in allmählich verstärkten Alkohol,
mit 25®/oigem beginnend. Nach 6— 12 Stunden kamen sie in 70%igen
Alkohol, in welchem sie einige Tage blieben.
Chromsäurepräparate missrathen zu oft bei der Färbung, so dass
ich dieses Conservlrungsmittel seltener anwandte. Bei sorgfältiger
Ueberwachung der Einwirkung der Reagentien erhält man gar
keine schlechten Resultate durch die Behandlung mit Säuren, speciell
Chrom-Osmium-Essigsäure während längerer Zeit, und hierauf folgender
kurzer Behandlung mit Chromkali und Glaubersalz, nach Pfitzner^s
Vorschrift. Auf jeden Fall tingiren sich die so behandelten Präparate
gut, scharf und gleichmässig, welch' letzteres für Chrom-Osmium-
Essigsäurepräparate, die nicht in ganz dünnen Stücken der Einwirkung
der Fixationsfiüssigkeit ausgesetzt werden können, bekanntlich nicht
der Fall ist. Quellungen kommen allerdings manchmal vor.
Alkohol empfiehlt sich im Allgemeinen weniger als Fixations-
mittel für Milzgewebe. Wenn Milzstücke aber frisch in eine ge-
nügende Menge wirklich absoluten Alkohols kommen, erhält man
sehr naturgetreue Bilder. Durch Fixirung in Alkohol von steigender
Concentration (nach Arnold bei 25"/o beginnend) habe ich keine gün-
stigen Resultate gewonnen.
Alkoholfixirung ist nicht zu umgehen, wenn man Milzen nicht
ganz frisch erhält. Es ist dann immer besser, eine Milz in Alkohol
etwas geschrumpft, als in Chromkali gefault zu erhalten. Der neueste
Bearbeiter der Milz, Sokoloff, behauptet zwar, Alkohol dringe zu
langsam ein, langsamer als Chromkali!
Es muss bei der Milz die äusserste Sorgfalt auf die Conservirung
verwendet werden ; denn wir erhalten sehr früh Fäulniss-Erscheinungen.
Als die am frühesten auftretenden erwähne ich die Lösung der Intima
in den Gefässen; auch He nie giebt eine Lockerung der zelligen Ele-
mente an. Zu welchen Trugschlüssen dies führen kann, erhellt von
selbst.
Fixirung durch Säuren oder Alkohol habe ich überall da ver-
mieden, wo es sich um sorgfältige Erhaltung der Form und Farbe
der rothen Blutkörperchen und deren Vorstufen handelte, welcher An-
forderung das Chromkali bekannter Weise vollkommen entspricht
Was die Färbung anbetrifft, so habe ich neben anderen Tink-
tionen vorwiegend neutrales Carmm und darauf Delafield'sches
Hämatoxyün angewendet (Vorschrift der Färbung ist in Stöhr'.s
Technik enthalten). — Eosin habe ich wegen der intensiven Tinktion
der rothen Blutscheiben vennieden.
Aiich Durchfärbungen nach dieser Methode gelingen leicht, wenn
die Präparate vollkommen säure- und spiritusfrei in die Farben
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Untersuchungen über die Milz. 347
kommen. Vor und. nach der Hämatoxylinfürbung empfiehlt sich län-
g-eres Auswaschen in Alaunlösung.
Nun noch ein Wort die Einbettung betreffend. Ich habe als
Hauptmittel Paraffin angewendet, selten Celloidin. Es kann hier nicht
der Platz sein, die Vor- und Nachtheile jeder Methode anzuführen.
Das Folgende diene nur als Antwort resp. Ergänzung zu Sokoloff's
Ausführungen, die Celloidin allein nur gelten lassen wollen: Es soll
natürlich nicht bestritten werden, dass man bei Celloidinschnitteu volle
Sicherheit dafür hat, dass eine Verschiebung von Zellelementen nicht
stattfinden konnte. Man muss aber bei einer gründlichen Milzunter-
suchung eine grosse Anzahl von Serienschnitten anfertigen. Es ist
dies nun doch für Celloidintechnik eine bedeutend schwierigeare und
zeitraubendere Arbeit, als bei der Paraffintechnik. Werden nun an
und für sich schon recht wenig Zellen aus dem Zusammenhang ge-
löst, wenn wir nicht mit Celloidin durchtränkte Schnitte in Färb- und
anderen Lösungen frei fiottiren lassen, so wird dieser Fehler gewiss
auf ein Minimum reducirt, wenn wir die Schnitte aufkleben und even-
tuell auch noch mit Klebemasse oder mit CoUodium überstreichen
oder übergiessen. Eine Verschiebung könnte sich da nur noch durch
die Schnittführung eingeschlichen haben, was bei der Anwendung
scharfer Me^sser als unwahrscheinlich auszuschliessen ist. Im Uebrigen
kann man sich ja durch ein Control-Celloidinpräparat von der Inte-
grität des Gewebes überzeugen.
Die Paraffineinbettung nahm ich in folgender Weise vor:
Entwässern in absolutem oder fast absolutem Alkohol, Einlegen in
Bergamottöl für 1—2 Stunden, in Paraffin von 56® 6—12 Stunden. War
das Stück noch nicht getllrbt, so folgte Behandlung mit warmem Ter-
pentin, Chloroform, starkem Alkohol (es genügt auch schon 70%iger)
und dann die Färbung. Celloidintechnik nach den bekannten Vor-
schriften.
Injektion.
Ausser der Injektion mit Argentum nitricum, die mir in der
Pulpa stets unangenehme Niederschläge lieferte, kommen hier zweierlei
Massen in Frage. Gelatine und die neuerdings von Hoyer em-
pfohlene Oelmasse. Was den geeigneten Zeitpunkt für die Injektion
betrifTt, so ist darauf zu achten, dass dieselbe nicht lange nach dem
Tode des Thieres vorgenommen werde. Nur dann können wir mit
Sicherheit postmortale Erscheinungen ausschliessen , die hier that-
sächlich sehr frühe auftreten und der Injektionsniasse durch Locke-
rung der Endothelien z.B. anormale Wege öffnen können. Anderer-
seits finden wir noch njcht die ebenfalls frühe auftretenden Blut-
gerinnsel, welche der Injektionsmasse stellenweise den Weg verlegen.
Ich habe aus diesen Gründen den in tiefer Chloroformnarkose lie-
genden Thieren noch ante mortem die Milzvene oder Pfortader er-
öffnet und in die Aorta descendens die Canüle eingebunden. Ich habe
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348 Bannwarth:
fast stets mit der Spritze injicirt, natürlich mit m/)glichster Langsam*
keit. Es kann hier die Spritze sehr gut angewendet resp. die Injek-
tion mit constantom Druck umgangen werden, weil wir den Verlauf
und die Folgen der Injektion sehr gut mit den Augen verfolgen
können. Am zweckmässigsten erschien mir die Injection bis an die
arteriellen Capillarenden resp. etwas weniges darüber hinaus. Dieser
Grad der Füllung ist erreicht, sobald man kleine farbige Pünktchen der
Injektionsmasse an der Oberfläche der Milz bemerkt, was überhaupt
mit dem ersten Sichtbarwerden des Injektionserfolges zusammenfällt.
Des weiteren hat man es natürlich in der Hand, die Injektion aui
einen Theil der Pulpa, oder auf die ganze Pulpa und bis in die Venen
auszudehnen. Als Injektionsmasse verwandte ich gewöhnlich Berliner-
blau in Gelatinelösung. Das Genauere findet sich weiter unten an-
gegeben.
Um die mit Leimlösungen stets verbundene Schrumpfung zu
vermeiden, schlägt Hoyer Oelfarbenmasse vor. Die vom Autor ange-
führten Vorzüge sind bestechend. Es sind diejenigen einer Injektion
mit einer kaltflüssigen Masse, mit dem Unterschiede, dass die Masse
nicht flüssig bleibt und ausfliesst, sondern bei der geeigneten Behand-
lung dennoch erhalten bleibt.
Jedenfalls geben die so gewonnenen Präparate eine werth volle
Ergänzung für die mit Leim injicirten, weil die Farbmasse sich an der
Wandung der Gefässe oder Hohlräume niederschlägt, während die Ge-
latine je nach dem Concentrationsgrad zu einem dünneren oder dicke-
ren Faden geschrumpft in der Mitte des Gefässes oder Hohlraumes
liegt. Man bekommt bei der Oelmassen-Injektion ein getreuerem Bild
von den Grenzflächen der Hohlräume als bei Leiminjektionen. Aller-
dings muss man sich, wie Hoyer selbst sagt, an die Injektionsbilder
erst gewöhnt, d. h. gelernt haben, sich das ganze Gefäss aus der nur
wandständigen, theilweisen Füllung zu reconstruiren. Die Büder, die
ich selbst nach dieser Methode erhielt, waren jedenfalls ein werth-
v olles Ergänzungsmaterial zu den übrigen Injektionsbildera.
Selbständig konnte ich meine Bilder nicht verwenden, da ich leider,
vermuthlich in Folge mangelhafter Technik, Zerreissungen in fast
jedem Präparate erhielt. Es soll damit in keiner Weise diese Me-
thode zurückgewiesen werden; es soll nur gesagt werden, dass, so
einfach dieselbe gegenüber Leim-Injektionen zu sein scheint, sie den-
noch sehr geübt sein will. Auf jeden Fall werde ich weitere Versuche
anstellen. Ho yer's Vorschrift lautet: 5,0 käuflicher Oelfarbe (Berliner-
blau) werden mit 5,0 altem eingedicktem Leinöl gut verrieben, dann
wird allmählich 30,0 eines ätherischen Oeles zugesetzt. W^ährend 24
Stunden lässt man die Masse sich abklären, dann werden die flüssigen
Theile vom Bodensatz abgegossen. Bei der Injektion hat man sich
davor zu hüten, den sich immer wieder bildenden Bodensatss in die
Spritze einzuschlürfen.
Mit der ebenfalls empfohlenen Injektion von Meta-Gelatine er-
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Untersuchungen über die Milz. 349
hielt ich recht ßchöne Resultate, habe dieselbe aber selten ange-
wendet.
Was nun den Werth der Injektion betriflFt, so wurde der-
selbe neuerdings ganz in Frage gestellt. Den Standpunkt, den ich
einnehme, kann ich kurz dahin präcisiren ; Die künstlichen Fül-
lungen der Milz, auf das ganze Organ oder einen
Theil sich erstreckend, sind unerlässlich als Weg-
weiser für das Studium der natürlichen Füllung.
Auf die Verhältnisse der letzteren gehe ich weiter unten ein.
Eines muss hervorgehoben werden, dass wir nämlich durch Unter-
bindung des Milzstiles stets nur einen den vitalen Verhältnissen sich
nähernden, keinen diesen vollständig entsprechenden Befund haben;
vorwiegend deshalb, weil sich das Organ in Folge der ganzen Pro-
cedur (Blosslegung, Unterbindung u. s. w.) contrahirt, dann aber auch,
weil wir bei der Injektion von der Arterie her die natürlichen Druck-
verhältnisse im Innern des Organes nicht genau so wie im Leben her-
stellen können.
Grobes Gerüstwerk der Milz.
Das gröbere Gerüstwerk der Milz setzt sieh zusammen aus
Kapsel, Balken und Gefässscheidcn. Diese sind im erwachsenen
Thiere von wesentlich gleichem Bau. Das Gerüst bei jungen Thieren
ist viel spärlicher entwickelt, besonders sind die Balken seltener.
Ich komme weiter unten specicll hierauf zu spreclicn. W. Mül-
ler's Angabe, dass bei der Katze in den tieferen Schichten der
Kapsel die Muskulatur vorwiegt, in den äussern mehr das Binde-
gewebe, kann im Allgemeinen als richtig gelten. Das Binde-
gewebe der Kapsel, Balken und Scheiden zeigt einen sehr straffen
Bau und ist manchmal wie die Muskeln in parallelen Längsztigen
angeordnet. Elastische Fasern finden sich reichlich, vorwiegend
in den Bindegewebslagen. In den Balken und Geßlssscheiden sehe
ich die glatten Muskelfasern vorwiegend durch Bindegewebe zu-
sammengehalten, wenn ich auch dann und wann eine zwischen-
gelagerte elastische Lamelle finde. Ausserdem kommen, wie
Müller angibt, kleine feinere, rein muskulöse Bälkchen vor.
Ein allmählicher Uebcrgang des im Vorigen beschriebenen,
groben Gerüstwerkes in das feinere reticuläre, wie es sich öfter
beschrieben findet, kommt bei der Katze nicht zur Beobachtung.
Ueberall ist eine Unterscheidung und Abgrenzung beider Gewebe
leicht möglieh.
In der Kapsel finden sich Gefässe. Sie liegen vorwiegend
Archiv f. mikrQsk. Anat Bd. 38 23
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350 Bannwarth:
näher der Serosa als der Pulpa. Es handelt sich hauptsächlich
um Capillaren, während die vorkonnncnden p-Osseren Venen
mehr in den tieferen Schichten liegen und funktionell zur Pulpa
zu rechnen sind. Oberflächliche, hart unter der Serosa liegende
Lymphgefasse glaube ich ebenfalls gesehen zu haben. Eine In-
jektion derselben gelang nicht. Lymphgefösse der Balken kamen
mir bei der Katze nicht zur Beobachtung.
Während in BetreflF der Kapsel und Balken alle Bearbeiter
einig sind, so dass es hier kaum einer genaueren Beschreibung
bedarf, habe ich über die GefUssscheiden einiges hinzuzufügen.
Am Hilus der Milz erhalten die Gcfiisse einen Ueberzug von der
Kapsel. Die Venenwand verbindet sich nun direkt mit diesem
straffen, muskulösen Gewebe, die Arterie aber behält eine grössere
Selbständigkeit bei, da eine starke Adventitia sie von der Scheide
trennt. Während so die Vene sich gegenüber der Scheide und
dem ganzen, sich contrahirenden Organ nicht verschieben kann,
ganz abhängig geworden ist von den Muskeln des Organes, ist
die Arterie frei verschieblich geblieben. Ihre Wandung kann
sich also selbständig zusammen ziehen und ausdehnen und es
kann fenier die Milz sich über den Arterien etwas zürtick-
ziehen.
Wir haben hier also, namentlich im Hinblick auf die Mus-
kulatur, einen besonderen der Milz der Katze und einiger an-
derer Thiere eigenthümlichen Apparat. Dass die Arterie locker,
die Vene fest liegt, ist eine weit verbreitete Erscheinung.
Merkel hat in seiner topogr. Anatomie ganz besonders auf diese
Verhältnisse hingewiesen. Besonders deutlich ist übrigens dies
an der Milz menschlicher Embryonen zu sehen. Es hebt sich,
besonders bei Grundirung von Hämatoxylinpräparaten mit neu-
tralem Carmin, das tiefer tingirte, lockere, kemärmere, gewellte
Bindegewebe der Adventitia von dem weniger tingirten, gestreckt
verlaufenden, straffen Gewebe der eigentlichen, hier aus Binde-
gewebe Zusammengesetzen Scheide ab.
Diese Adventitia ist stärker entwickelt an grösseren Arte-
rien, bedeutend schwächer an kleineren.
In verschiedenen histologischen Lehrbüchern findet sich die
Angabe, dass die Venen nicht in Balken liegen, das begleitende
feste Gewebe sei nur als Gefassscheide aufzufassen und stelle
eine dem Balkensystem fremde Bildung dar. Dem gegenüber
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Untersuchungen über die Milz. ^ 351
ist an Müll er 's Angabe festzuhalten, dass beide Gewebe,
dasjenige der Balken und das der Scheide vollkommen gleich-
geartet sind und mit einander in Zusammenhang stehen. Man
kann in der That ein Eintreten der Venen in Balken direkt be-
obachten. Nachdem z. B. eine Vene zunächst eine Strecke weit
einseitig einem Gerüstzug anliegt, sehen wir sie weiter stromab
ganz von dem gleichen Gewebe eingehüllt. Ueber die Muskel-
anordnung und Wirkung habe ich mir wohl Rechenschaft zu
geben versucht, ich möchte mich aber über diesen Gegenstand
erst äussern, wenn ich von der Arbeit Funke's: Muskelmechanis-
mus der Milz, werde Einsicht genommen haben. Nur dies soll
hier schon erwähnt werden. Die Muskelzüge der Kapsel durch-
oder überkreuzen sich. Diejenigen der Getlissscheiden liegen
vorwiegend in der Längsrichtung dieser Gcfässe, welche nach
dem Hilus zu gerichtet sind, diejenigen der Balken sind derartig
angeordnet, dass durch eine Contraktion aller dieser Elemente
das Blut des Organes in die Venen getrieben wird, ein Experi-
ment, das beim Eiidegen jeder frischen, muskelhaltigen Milz in
die Conservirungsflüssigkeit sich vollzieht; wir beobachten näm-
lich dabei eine Contraktion des ganzen Organes und ein Aus-
flicssen von Blut aus der Vene, und zwar einer viel grösseren
Menge, als in den Venen enthalten sein konnte.
Beim Eintritt in den Hilus und noch eine Strecke weiter
in das Innere liegen Arterie und Vene beisammen, d. h. in einer
„gemeinsamen Scheide" (Müller), zugleich mit den stets vor.-
handenen Nerven. Ich habe ein Bild beigegeben, um das ver-
schiedene Verhalten der Arterie und Vene zu dieser Scheide
klarzulegen. (Taf. XXIII, Fig. 1.) Wir haben hier bei der Katzen-
milz etwas Aehnlichcs, wie bei der Milz des Ochsen nach Asso-
lant, wo die Arterie mit den beiden Nerven von einer scheiden-
förmigen Hülle umgeben und an die Vene befestigt wird. Inner-
halb dieser Hülle ist die Arterie etwas verschieblich. Von der
gemeinsamen Scheide aus erstrecken sich Ausläufer zu den Bal-
ken der Pulpa. Die Vene ist stets viel weiter als die ihr ange-
heftete Arterie. Sie erreicht oft den 5 — 6 fachen Durchmesser
der letzteren. Bis zu einem Durchmesser des Lumens von 96 |lx
finden wir die Arterie durchweg noch mit der Vene vereinigt.
Dann trennen sich die Gefasse, um sich gesondert baumfönnig
zu verzweigen. Bei einem Durchmesser von 52 jli ist die Arterie
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I,
3&2 ßannwarth:
in der Regel von der Vene getrennt, zunächst aber sind beide
Gefasse von einer Fortsetzung der festen Scheide begleitet. Wäh-
rend nun die Venenscheide ihre Dicke beibehält, oder nur lang-
sam durch Abgabe von Seitenzweigen sich verdünnt, wird die-
jenige der Arterie merklich schwächer, ebenso wie ihre Adventitiju
Feines Gerfistwerk und seine Beziehung zur Blntbahn.
Zum Begriff Pulpa wird gewöhnlich die ganze Masse der
Milz gerechnet mit Ausnahme der Keimlager^) und der Tra-
bekel. Unter „Pulpa im engeren Sinne" werde ich im Fol-
genden nur das eigentliche lymphadenoide Gewebe ohne Keim-
lager und ohne die Gefässe verstehen. Man findet, darin sind alle
Untersucher einig, zwischen den Keimlagern und den Trabekeln,
ausserhalb der Arterien, arteriellen Endbäumchen und Venen mit
deren Anfängen, ein Netzwerk feiner, ungleich dicker Fäden, in
dessen Spalten lymphoide Elemente, unter Umständen auch rothe
Blutkörperchen gelagert sind. Die Meisten geben kernhaltige
Knotenpunkte an diesem Netzwerk an. Eine vollständige Eini-
gung hinsichlich der Zusanunensetzung dieses Gewebes wurde
jedoch nicht erzielt. Während die einen ein feines, fibrilläres
Stützgerttst annehmen, dem die an den Knotenpunkten sicht-
baren Zellleiber mit ihren Kernen als epithelialer Belag ange-
heftet sind, nehmen die anderen nur eine Art Gewebe an : stern-
förmige Zellen, die durch ihre Ausläufer zusammenhängen. Die
zweite Frage ist bekanntlich, ob diese Lücken alle oder zum
Theil Blut enthalten, eine dritte, ob das Blut aus den Arterien
allenfalls in sämmtliche Lücken, und durch dieselben in die
Venen gelangen kann. Eine derartige Blutbahn könnte ihrer
Besonderheit wegen als eine „intemiediäre" bezeichnet werden.
Ob sie eine offene oder geschlossene genannt werden kann, hängt
nach der Meinung der meisten Forscher davon ab, ob sie von
Endothel eingefasst ist oder nicht. Lässt sich ein solches nach-
weisen, so würde die Blutcirculation der Milz nach der Meinung
eben dieser nicht gar so eigen thümlich darstehen. Wir hätten
gleichsam ein Capillarnetz mit grösster Ausweitung der Capillaren
1) Keimlager - - Malpighi'sches Körperchen.
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Untersuchungen über die Milz. 353
und denkbar gerin^ter Entwickelung des trennenden Gewebes,
ein Capillarnetz, welches das Ltickensystem zwischen den schlan-
ken einzelnen Balken und Knotenpunkten eines bindegewebigen
Reticuluras ausfüllt. Man hätte dann auch hier gleichsam eine ge-
schlossene Blutbahn. Ich glaube nun, es würde viel zur Klärung
der Begriffe beitragen, wenn man unter geschlossener
Blut bahn nur eine von den Lymphlücken geson-
derte Bahn verstehen wollte, die wirklich in
ihrer Entwickelung einem, wenn auch stark er-
weiterten, von lymph durchs trömtem Gewebe um-
gebenen Capillarnetz entspricht. Die Vermuthung
liegt nahe, dass bei blosser Ausweitung eines von Anfang an ge-
schlossen angelegten Capillametzes nicht an allen Stellen, ja nir-
gends, das intervasculäre Gewebe so stark zurücktritt, dass es
nur je aus einem einfachen bindegewebigen Balken besteht, dass
vielmehr stellenweise, ja tiberall, zusammengesetzte Gewebspartien
zwischen den Capillaren bleiben. Es würden diese, in sich selbst
wieder locker gebaut, sich als ein Bindegewebsgerüst mit Lücken
und freien lymphoiden Zellen darstellen. Solche Bezirke mttssten
dann durch eine besondere Wand gegenüber der Blutbahn abge-
grenzt sein. Ich meine also, dass man nur dann von einem er-
weiterten oder nicht erweiterten Capillarnetz
und einer geschlossenen Blutbahn sprechen sollte, wenn
das intervasculäre Gewebe saftdurchströmte, lückenhafte, abge-
grenzte Bezirke darstellt, so dass eine Trennung von Lymph-
nnd Blutwegen vorhanden ist.
Ist aber die Blutbahn bloss von einfachen bindegewebigen
Balken umgrenzt und durchsetzt, ist Lymphweg und Blutweg ge-
meinsam, dann kann meiner Meinung nach von einem erweiter-
ten Capillarsystem nicht gesprochen werden und ebenso-
wenig von einer geschlossenen, d.h. gegenüber denLymph-
wegen abgeschlossenen Blutbahn. Für diesen und
nur für diesen Fall soll, wie mir scheint, von einer offenen
oder lacunären Blutbahn die Rede sein. Ob der einzelne
Balken dabei von einem besonderen Epithelbelag bekleidet ist
oder nicht, scheint mir von nebensächlicher Bedeutung.
Meiner Meinung nach kann man nun jeden einzelnen Balken
und Knotenpunkt des Pulpareticulums bei der Katze und auch beim
Menschen unter normalen Verhältnissen von Blut umspült finden.
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354 Bannwarth:
Ob wir nun rings von Blut umspülte einzelne Balken und Knoten-
punkte eines Gerttstes vor uns haben, die nicht von besonderem
Endothelbelag bekleidet sind, oder ob ein solcher da ist, in
beiden Fällen ist die Bezeichnung des zwischenliegenden Lücken-
systems als erweitertes Capillametz doch nicht wohl aufrecht zu
erhalten, weil, wie ersichtlich, eine Trennung zwischen Gefiu^wand
und lymphdurchströmtera intervasculären Gewebe nicht vorhanden
ist. Wir werden also bei der Katzenmilz die Blutbahn als
eine wandungslose, d.h. besonderer Wandung entbehrende,
oder als eine offene Blutbahn bezeichnen dürfen. Das Blut
fliesst in Gewebslttcken, die wir den Lymphspalten und
Saftlücken oder den Lymphsinus gleichstellen.
Was den Endothelbelag des Reticulums anbetrifft, so habe
ich bis jetzt im Pulpagcwebe keine einfachen, ringsherum von
Endothel urascheideten, Balken nachweisen können, noch ist es
mir gelungen, durch Schütteln oder Pinseln ein intaktes kern-
loses, oder doch auffallend kernärmeres Gerüstwerk als an Schnitt-
bildern ohne Pinselung darzustellen. Einer Verdauung allein
(E. H 0 y e r) ohne andere Beweismittel glaube ich nicht ge-
nügend Beweiskraft zutrauen zu dürfen. Diese Verdauungsver-
suche wurden übrigens von dem Genannten nur auf Lymph-
drüsen angewandt, und es ist nicht einmal gesagt, dass ein
Verhältniss, das beim Gerüst der Lymphdrüsen sicher constatirt
ist, nun ohne Weiteres auch für die Milzpulpa Geltung hat. Im
Gegentheil erschien mir das Gewebe der Milz auch ohne Pinse-
lung deutlich zarter als dasjenige der Lymphdrüsen.
Was nun die Frage betrifft, ob man aus theoretischen
Gründen an einem vom natürlichen Blutstrom durchflossenen Ge-
webslttckensystem einen Epithelbelag der Balken wohl erwarten
darf oder nicht, so erscheint eine Erörterung derselben vielleicht
als eine müssige, doch erlaube ich mir folgende Bemerkung.
Wir stellen uns vor (ich vertrete im Folgenden wesenthch
den Ideengang des Herrn Prof. S t r a s s e r), dass ein Endothel-
belag auch eine bestimmte Funktion vertritt, an den Gefassen
z. B. Beeinflussung des Stoffaustausches der Unterlage mit der
Geßlssfüllung, Bildung einer continuirlichen, sich selbst trotz der
Abnützung immer wieder vervollständigenden Tapete, welche der
mechanischen Inanspruchnahme durch den wechselnden
Blutdruck und Strönmngsanprall Stand hält, dabei das Gewebe
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Untersuchungen über die Milz. 355
schützt, den Strom eindämmt und ihm eine glatte Gleitfläche
liefert. Eine Rückbildung erfolgt, sobald die Funktionsgelegen-
heit verloren geht.
Bei den Lymphwegen haben wir die beiden ersten Arten
der Begrenzung mit oder ohne besonderen Endothelbelag der
Wand. Stellenweise kommt es zur Bildung besonderer Belag-
zellen, an anderen Stellen finden wir nur nackte Gewebslücken.
Dass letzteres jedenfalls häufiger in der Lymph- als in der Blut-
bahn vorkommt, ist ganz selbstverständlich, da die Blutbahn
eben die Bahn einer stärkeren Strömung, des grösseren und
stärker wechselnden (Blut-) Druckes ist, während an den Lymph-
wegen diese mechanischen Verhältnisse nicht tiberall gegeben sind.
In der Milz aber, wo die Bindegewebsbalken und Lamellen
sehr dünn, fast isolirt und rings von Blut und Lymphe umspült
sind, ist die mechaniche Inanspruchnahme eine andere als sonst
bei den Blutwegen, an den bloss einseitig vom Blut getroffenen
Membranen und auch eine andere als bei den feinen, an benach-
barten Theilen gleitenden Balken des Omentums. Reibung und
Strömungsanprall sind gering; auch zur Unterhaltung des Stoflf-
austausches zwischen den einzelnen dünnen Balken des Reticu-
lums und dem umspülenden Blut oder der Lymphe ist ein be-
sonderer Zellbelag kaum nothwcndig. Ein Endothelbelag er-
scheint also wenigstens hier weniger nothwendig als anderswo.
Andererseits wird man zur Vorsicht gemahnt, da auch noch
sehr dünne Balken des Omentum und der Arachnoidea geson-
derten Endothelbelag oder doch wenigstens Kittlinien zeigen kön-
nen. Soviel aber darf man wohl sagen: es erscheint nicht von
vornherein undenkbar, dass ein derartiges, wie ein Schwamm
durchströmtes Gerüst von Anfang an nackt ist und nackt bleibt.
Ein gerüstartiges Gewebe mit mehr oder weniger weiten
Lücken besteht also. Bei der Katze und anderen Thieren fin-
den wir rothe Blutkörperchen in diesen Lücken und es sind um-
gekehrt bei der Katze (so auch beim Menschen) die rothen Blut-
körperchen der Milzpulpa nur durch einfache Elemente eines
Bindegewcbsgcrtistes (mit oder ohne Epithel) von einander ge-
trennt. Wir haben eine „lacunäre Blutbahn". Es ist nun durch-
aus nicht a priori gesagt, dass der Blut«5trom nachträglich erst
unter Sprengung der ursprünglich umscheidenden Röhren in die
Lacunen des Gewebes eingebrochen ist. Es kann sehr wohl das
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35f5 Bannwarth:
Blut durch natftrliche We^e, welche eine eontinuirliche Fort-
setzung der geschlossenen Arterienhahn darstellen, hineingclangen,
während zugleich durch die Seitenwandungen aller henachbarten,
noch geschlossenen arteriellen Endbahnen Lymphe (an bestimm-
ten Stellen vielleicht besonders reichlich) hineinsickem kann.
Man wird sich erinnern, dass die Gefössröhren bei ihrer ersten
Bildung intercertuläre Bildungen sind. Während sich die begren-
zenden Zellen in der Regel zu geschlossenen Röhren zusammen-
fügen, und gegenüber dem weiter abliegenden Gewebe sondern,
könnten sie sich wohl in einzelnen Fällen von Anfang an bloss
zu einem einfachen Gertist zusammenfügen, resp. zu einem Ge-
rtist zugleich zusammen und auseinander geschoben werden.
Bevor hierauf näher eingetreten werden kann, erhebt sich
nun aber doch vor Allem die Frage, ob dieses bluthaltig gefun-
dene Lückensystem auch unter natürlichen Verhältnissen
wirklich Blutbahn ist und in der Richtung nach den Venen hin
von Blut durchströmt wird, oder ob der Befund von Blutkörper-
chen in demselben auf andere Weise zu erklären ist. Im letzte-
ren Falle hätte das Lückensystem die Bedeutung von LjTuph-
lücken allein.
Dass die Lymphe hier hineingelangt, erscheint mir un-
zweifelhaft.
Bei der reichlichen Zellenentwickelung in den Keimlagern und
dem continuirlichen üehergang der letzteren in das Gewebe der
Pulpa s. s., niuss eine Durchströmung von den Keimlagern-. her ange-
nommen werden. Anders ist die Sache bei der Spitzmaus, wo be-
sondere Lymphgefösse den Arterien entlang zurücklaufen (siehe wei-
ter unten). Da genügt dies vielleicht. In allen anderen Fällen aber
müssen die in den Centren gebildeten Zellen peripher in die Pulpa
gespült werden oder hineinwandern. Aus der Pulpa muss der Lymph-
strom unter Fortschiebung der lymphoiden Zellen weiter gehen.
Die einzigen hier zur Verfügung stehenden Ablei-
tungswege sind die Venen. Also auch, wenn die engere
Pulpa bloss von Lymphe durchsickert wird, muss eine Ausmün-
dung der Pulpalücken in das Venensystem als sehr wahrscheinlich
angenommen werden. Während sonst der LjTnphstrom erst nahe
dem Heraen wieder mit dem Blutstrom sich vereint, ginge hier in
der Milz dies viel früher vor sich, sofort nach Durchströmnng der
Pulpa. Eine solche offene Communication der Pulparäume
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Untersuchungen über die Milz. 357
mit den Venen lässt sich direkt beobachten. Für den
Mechanismus des Wegspülens in die Venen kann man nur den
natürlichen Flüssigkeitsstrom verantwortlich machen. Zwei Hypo-
thesen über die anderen Wege, auf denen die Leukocyten in
die Venen gelangen könnten, ergeben sich als wenig plausibel.
Eine amoeboide Einwanderung kann nicht angenommen werden,
da mir wenigstens einmal bei solch' reichlicher Durch Wanderung
das Bild einer solchen hätte vorkommen müssen, nämlich in
Präparaten, deren Venen mit Fixationsmitteln injicirt waren.
Die Vermuthung aber, dass durch die Contraktionen der Milz
ein plötzliches und rasches Einpressen von Elementen in die ge-
schlossene Venenbahn zu Stande komme, ist hinfallig, weil die
Milzen sehr vieler Arten muskelarm oder sogar muskellos sind.
Aber auch wenn die Pulparäume nach den Venen hin im
Sinne von Abzugskanälen (für die durchsickernde Lymphe und
Zellen) mit den Blutgefässen communiciren, so könnten sie doch
allein als Lymphlücken entstanden sein und funktioniren und nur
nach den Venen hin offen mit dem Blutgefässsystem communi-
ciren, und es könnten andererseits doch unter ungewöhnlichen
Umständen rothe Blutkörperchen hineingelangen, entweder durch
Diapedese oder durch Rückstauung. Das erstere ist als etwas
Normales und regelmässig Vorkommendes ohne besondere
Permeabilität der geschlossenen GefUsswand resp. ohne nachträg-
liche Ausbildung von Communicationen zwischen geschlossenen
Gefässen und Gewebslücken nicht wohl anzunehmen. Dass aber
Blutkörperchen wirklich von den Arterien oder arteriellen Capil-
laren aus in die Maschenräume hineingelangen, unter natür-
lichen Verhältnissen und nicht bloss durch Rückstauung von den
Venen her, dafür wird im Folgenden der Beweis erbracht werden.
Die Gründe für diese Annahme sind folgende:
1) Das reticuläre Gewebe der Pulpa ist in jedem natürlichen
Injektionspräparat dicht gefüllt mit Blutscheiben. Dagegen ist
dasselbe ganz oder fast ganz leer von Blutscheiben, sobald man
die Milz ausbluten lässt.
2) Es sind mit Sicherheit arterielle, in die Pulpa sich öffnende
Endigungen zu sehen
3) Gesonderte Injektionen der arteriellen Bahnen ergeben
(schon bei schwachem Druck) Austritt von Injektionsmasse in
die Pulpa.
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358 Bannwarth:
4) Silber-Injektionen ergaben mir nirgends einen mit En-
dothel versehenen von der übrigen Pulpa gesonderten Ver-
bindungsweg zwischen arterieller und venöser Strombahn.
5) Durch Aussptllen einer Milz von den Arterien her mit
physiologischer Kochsalzlösung, unter geringem, constantem Druck
werden die Leukocyten aus dem Gewebe geschwemmt. Auf diese
Weise behandelte Präparate ergeben gleiche Bilder wie ausge-
pinselte oder ausgeschüttelte Schnitte.
Wenn nun das Blut unter natürlichen Verhältnissen von
den arteriellen Endigungen her in die Gewebslticken des Pulpa-
gerüstes und von da in die Venen gelangt, dann verdient dieses
Lückensystem mit Recht den Namen einer intermediären,
lacunären Blut bahn.
Ich halte also aus obigen Gründen die oifene, inter-
mediäre Blutbahn in der Milz der Katze fftr erwiesen,
aber durchaus nicht damit auch fUr andere Thiere.
Wie aus dem Vorhergehenden ersichtlich, sind also streng
auseinander zu halten die Communication der arteriellen Endi-
gungen mit den Pulpalacunen und die Communication der letz-
teren mit den Venen: offene Abflusswege aus der
Pulpa in die Venen sind sicher so gut wie bei der
Katze auch bei vielen anderen Thieren und beim
Menschen nachweisbar. Sie allein geben aber der enge-
ren Pulpa noch nicht den Charakter einer intermediären Blut-
bahn. Es darf diese erst angenommen werden, wenn eine wirk-
liche Durchspülung des nackten Pulpagerüstes mit Blut,
wenn also neben Abzugswegen nach den Venen auch Einmün-
dung der arteriellen Endigungen in das Pulpal ücken werk sich
nachweisen lässt. Es ist gut möglich, dass diese nicht immer vor-
handen ist, oder dass zugleich intermediäre Bahn und geschlossene
üebergänge sich finden.
Fernere Unterschiede könnten dann wieder in den Fällen,
wo intermediäre offene Blutbahn vorkommt, darauf beruhen, ob die
mit besonderen Wänden versehenen arteriellen und venösen Endi-
gungen weit in die Pulpa hinein und zu einander heran reichen
oder nicht. Nur ein kleiner Theil der Pulpamaschen ist im ersten
Fall dann zugleich Blutbahn. Sind aber Arterien und Venen
in der Pulpa relativ kür/er, ihre Enden also weiter von einander
entfernt, dann ist ein grösserer Theil oder fast die ganze
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Untersuchmigen über die Milz. 859
Pnlpa von Blut durchströmt. Das letztere ist bei der Katze
der Fall.
Aber auch hier werden wir im einzelnen Fall Schwankun-
gen zu verzeichnen haben hinsichtlich der Ausdehnung des von
dem Blut thatsächlich durchströmten Bezirkes der Pulpa, je nach
dem Blutdruck, dem Contraktionszustand der Septen n. s. w.
Nachdem hierdurch eine Uebersicht über die Art der Frage-
stellung und ihre Beantwortung gegeben ist, muss nachträglieh
auf die einzelnen Punkte näher eingegangen werden. Zunächst
folgt eine
Historische Uebersicht der Litteratar fiber die Blatbahn.
Versuchen wir auch die Litteraturangabeu nach dem obigen
Schema zu gUedern, so ergeben sich, wen« ich die ältesten Angaben
von Malpighi, Rnysch, Delasone, Joh. Müller bei Seite lasse,
drei Gruppen.
I. Welche Autoren nehmen neb.en einer beson-
deren, geschlossenen Blutbahn eine Einmündung
der Pulpal ymph weg e in die Venen an?
II. Welche anerkennen die „intermediäre, lacunäre
Blutbahn*^ in unserem Sinne, so dass also Blut und Lymphe durch
dieselben Gewebslacunen in die Venen fliessen?
III. Welche Autoren endlich treten für, auch im ve-
nösen Gebiet, vollständig geschlossene Blutbahn ein, also
für eine Sonderung der Lymphräume von der Blutbahn?
I. Gruppe. Die genau präcisirte Angabe, dass die Intercellu-
larrftume des Milzparenchyms mit den Venen in Verbindung stehen,
tritt zum ersten Male bei Tigri auf. Er schreibt: „Die rothe Pulpa
bildet an einigen abweichenden Stellen die Venenwand ganz oder
t heil weise und ist von dem Lumen nur durch eine sehr zarte und
durchsichtige mit spindelförmigen Epithelien bekleidete Schichte ge-
trennt, welche durchbrochen ist und durch welche das Venenblut
in die Maschen des mikroskopischen Netzes übertritt.**
Gray, welcher der gleichen Meinung ist, sagt: „Die Venen be-
ginnen in dreierlei Weise: 1) als Fortsetzung der
arteriellen Capillaren, 2) durch Int er c el 1 ul arr äum e ,
3) durch besondere blindsackförmige Ausstülpungen. Billroth, der
zuerst für die intermediäre Blutbahn eintrat, entschied sich später für
geschlossene Bahn, glaubte aber, dass „unter hohem Druck in den
Venen möglicherweise die Blutkörperchen durch feine Oeifnungen in
der Venenwand durchpassiren können". Einen ähnlichen Standpunkt
für die Venen nimmt Frey ein. Er nennt die Epithelzellen der Venen
„unverwachsen" und glaubt, dass sie bei einer stärkeren Ausdehnung
des venösen Ganges auseinander rücken können. Rindfleisch
will in einer krankhaft vergrösserten Milz wirklich Zwischenräume ge-
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860 Bannwarth:
sehen haben. Sokoloff endlich versucht zu diesen Angaben die ex-
perimentelle Grundlag-e zu schaffen. Ich gehe weiter unten speciell
darauf ein.
Zu der zweiten Gruppe der Autoren, welche für eine allseitig
offene intermediäre, lacunäre Blut bahn eintreten, gehören
Stieda, W. Müller, Peremeschko, M. Schnitze, Schenk,
Henle, Klein, Frey und seine Schülerinnen Olga Stoff und
Sophie Hasse, Hoyer. (Frey mit der oben erwähnten Ansicht über
die Venen wand.) Henle stimmt W.Müller bei, wenn er neben
dieser intermediären Bahn noch einzelne direkte ITebcrgänge für die
Säugethiermilz als möglich dahinstellt; für die Vogelmilz sind nach
W. Müller solche direkte Uebergänge sicher nachzuweisen.
Auf die Angaben W. Müller's, der die gründlichste Milzarbeit
geliefert, und auf die Hoyer*s gehe ich weiter unten speciell ein.
Zur dritten Gruppe endlich gehören: Axel Key, Schweig-
ger-Seidel, Basler, Tomsa, Kölliker, Toldt, Kyler,
Wedl. Sie alle erklären sich für durchwegs, also
auch an den Venen, geschlossene Blutbahn, zum Theil,
wie z.B. Wedl, auf Grund einzelner Beobachtungen eines direkten
Ueberganges einer arteriellen in eine venöse Capillare.
Ich gehe zunächst noch auf die Angaben W. Müller's und
Hoy er's über die
Anfänge der Tenenbahn
genauer ein.
W. Müller schreibt: „Aus den Blutbahnen der Pulpa ent-
wickeln sich die Venen mit gitterförmig durchbrochenen
Anfängen." Mehrere, nur von den Elementen der Pulpa begrenzte
Einzelströmchen der natürlichen oder künstlichen Füllmasse münden
in ein allmählich sich erweiterndes Strömchen zusammen, welches An-
fangs durch dasselbe Fasernetz mit anliegenden Kernen und lymph-
körperartigen Zellen begrenzt ist, wie es in der übrigen Pulpa sich
vorfindet. Nach kurzem Verlauf nehmen die begrenzenden Fäden an
Breite zu, wodurch der Binnenraum eine zwar zarte, aber vollkom-
mene Abgrenzung gegen die Pulpa erhält. Diese selbständig gewor-
denen Zweige vergrössern sich durch seitliche Einmündung ähnlich
gestalteter und gehen sodann in die Epithel führenden feinsten Venen-
zweige über, indem ihre zarte Wand in die netzförmig umspinnende
Bindegewebsschicht dieser continuirlich sich fortsetzt, während die
Innenfläche einen Beleg spindelförmiger Epithelien erhält. Die dem
Epithel anliegende Bindegewebsschicht verdichtet sich mehr und mehr,
die fibrilläre Intercellularsubstanz bildet zuletzt ein ziemlich enges
Netzwerk (in Henle abgebildet und beschrieben II, pag. 580). Auch
ziemlich plötzliche Uebergänge einer venösen Capillare in das Pulpa-
netz hat Müller beobachtet.
Die Venenanfänge sind in der Pulpa ziemlich gleichförmig ver-
theilt (Hund, Katze); ein Theil liegt stets in unmittelbarer Nähe der
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Untersuchungen über die Milz. 361
Malpig'hi'sehen Körperchen und verläuft eine ^össere oder geringere
Strecke weit mit durchbrochener Wandung an deren Peripherie.
Der Uebergang der Venen in die eigentlichen Venenanfänge er-
folgt bei einem Durchmesser von 0,016—0,01 mm.
Die kleineren Venenzweige vereinigen sich baumformig zu
grösseren, an welchen frühzeitig eine aus längsverlaufenden Binde-
gewebsfibrillen mit eingeschalteten Zellelementen bestehende Adven-
titia auftritt. An diese Zweige legen sich von benachbarten Balken
cylindrische Muskelbündel der Länge nach an, welche mit der Wand
sofort fest verwachsen. Indem dies nach und nach von mehreren Sei-
ten geschieht, erhalten die sich vergrössernden Venenzweige ihre schon
früher beschriebene starre, den Hirnhautsinus ähnliche Wandung,
welche sie bis zu ihrem Austritt aus dem Organ beibehalten. Bis-
weilen münden die kleinsten Venenzweige direkt in die grossen um-
Rcheideten Venen.
Anastomosen fehlen in der gesammten venösen Bahn. Dieselben
sind auf unrichtige Deutung von Injektionsbildern zurückzuführen.
Eine Verbindung einer Venenbahn mit einer anderen ist nur durch
die intermediäre Blutbahn hergestellt. Daraus würde sich zur Genüge
erklären, warum die in eine der Milzvenen eingetriebene Injektions-
niasse aus einer anderen wieder abfliesst.
Ich muss diese Angaben Müller's für die Katze im Grossen
und Ganzen für zutreffend anerkennen.
Gegen die Ausführungen W. Müller's besonders bezüglich der
Anastomosen wendet sich H. Hoyer. Er erklärt W. Müller's Dar-
stellung betreffs der venösen Bahnen und Anfänge für unzureichend,
weil er die bei Mensch und Nageni reichlich zum Vorschein tretenden,
netzf(5rmig unter einander anastomosirenden venösen Sinus für Netze
lacunärer Anfänge hält und das zwischen diesen Sinus liegende Ge-
webe für (noch) nicht mit Injektionsmasse gefülltes reticiiläres Gewebe.
Den Beweis für die intermediäre Blutbahn sieht er in der Art und
Weise, wie sich die Injektionsmasse bei Venenfüllung an den Enden
der venösen Capillaren zeigt. F^r erhielt die gleichen Bilder auch an
den arteriellen Finden. Ausserdem lagen arterielle und venöse Enden
stets durch einen beträchtlichen Zwischenraum getrennt. Hoyer hat
ferner den Unterschied erkannt zwischen den Milzen der Thiergattun-
gen mit reichlichen venösen Sinus und solchen mit spärlichen. Unter
diesen Sinus versteht Hoyer Bluträume, die nur von dem bekannten
Endothel umwandet sind, welchem das Pulpagewebe direkt aufliegt.
Solche Sinus sind, wie bereits von Müller hervorgehoben wor-
den ist, sehr sparsam ausgebildet bei allen Thieren, bei welchen die
Trabekel eine starke Entwickelung zeigen, so bei Wiederkäuern, dem
Schwein, bei Raubthieren. Beim Menschen und den Nagern, Vögeln,
Amphibien und Fischen ist das Trabekelsystem nur schwach ent-
wickelt, die Venenscheiden umschliessen nur die stärkeren Venenäste,
die feineren Venen aber bilden dichte Verzweigungen. Bei Mensch
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362 B a n n w a r t h :
und Nagern finden sich entschieden Anastomosen. Bei Hund und
Katze sind die aus den bindegewebigen Scheiden heraustretenden
Venen von capilläreni Bau sehr sparsam, vereinigen sich im Allge-
meinen nicht zu Netzen und endigen mit mehr oder weniger zuge-
spitzten Ausläufern an der Peripherie der Follikel oder auch an der
Peripherie der Milz unter der Kapsel, wohin auch ein grosser Theil
der arteriellen Capillaren zieht. Die Auflösung der arteriellen Capil-
laren und die Anfänge der venösen beschreibt Hoyer genauer für
die Umgebung der Keimlager: Die Enden der arteriellen Capillaren
in den „Follikeln" reichen an die VenenanfUnge niemals heran. An
tingirten Präparaten hebt sich diese periphere Zone durch schwächere
Tinktion deutlich ab vom centralen Theil des Follikels, welcher die
reichlichsten arteriellen Capillarverzweigungen einschliesst. (Ich ver-
muthe, dass Hoyer unter dieser heller tingirten Zone den ümhüllungs-
raum der Keimcentren versteht.) Die Capillarenden entsenden in den
peripheren Saum meist vereinzelte, auch verzweigte Fortsätze. An
denjenigen Stellen, an welchen die Masse weiter vorgedrungen ist,
findet man ein dichtes Netz unregelmässig ausgebuchteter Kanäle,
welches den ganzen Saum der Follikel einnimmt. Stellenweise sieht
man deutlich den Uebergang der die Arterie erfüllenden Masse durch
diese intermediären Bahnen hindurch in die Venenanfänge an der Pe-
ripherie der „Follikel". Dieser Befund ergiebt sich schon bei gerin-
gem Druck. Bei stärkerem Druck kann die Injektionsmasse sowohl
von den arteriellen als venösen Capillaren aus bis weit in das Keim-
lager hineingetrieben werden. Der die venösen Enden von den ar-
teriellen trennende Zwischenraum ist bei Katze und anderen Thieren
relativ breiter als bei Mensch und Nagern. Besonders hier läs.st sich
beobachten, dass eine Venenfüllung nur zu Stande kommt, wenn dieser
Zwischenraum von der Masse erfüllt ist. Dies ist aber nur bei stär-
kerem Injektionsdruck der Fall.
Wären also unmittelbare capilläre Verbindungen zwischen Venen
und Arterien voriianden, so müssten sich diese eher füllen.
W. M U 1 1 e r hat dadurch die Kritik H o y er 's hervorgerufen,
dass er vereucht hatte, eine allgemein gültige, auf alle Milzen
passende Beschreibung zu geben. Dass dies unzulässig ist, habe
ich schon früher erwähnt. Während z. B. für die Milz der Katze
Anastomosen der geschlossenen Venen gar nicht in Frage kom-
men, erscheinen solche für Kaninchen u. s. w. wenigstens sehr
wahrscheinlich. Während man bei Kaninchen von „Pulpasträn-
gen" (bei dem im Schnitt als iutervasculären Streifen erscheiflen-
den Gewebe) reden kann, lallt eine solche Bezeichnung für die
Milz der Katze, wo die venösen Sinus sehr spärlich sind, eben-
falls dahin.
Es ergiebt sich nun doch aus alle dem, dass zwar hin-
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Untersuchungen über die Milz. 363
sichtlich des Baues und der Vertheilung der Venenstämme
verschiedene Meinungen herrschten und eben hen-schen mussten,
während andererseits die Grundidee der offenen VenenanfUnge
von Müller und Hoyer die gleiche ist.
Was meine eigenen Befunde bei der Katze betrifft, so
will ich, dem Gang der eigenen Untersuchungen entsprechend,
zunächst ein Injektionsbild der Venen beschreiben und dann
auf die Einzelheiten am nicht injicirten Präparate eingehen. Am
lehrreichsten sind diejenigen Präparate, in denen die Vene längs-
geschnitten ist. Siehe Tafel XXIV, Fig. 2. Wir sehen ein Injek-
tionsbäumchen mit feinen Verzweigungen. Es münden in die
weite Hauptbahn ganz kurze seitliche Zweige, die schon nach
sehr kurzem Verlauf in ein Netz sich auflösen. Ein ähnliches
Bild bietet der Schrägschnit Taf. XXVI, Fig. 3. Es ist aus beiden
Figuren ersichtlich, dass die Seitenzweigchen unter rechtem Win-
kel abbiegen. (Das Zusammenfliessen grösserer Venen erfolgt
unter spitzem Winkel.) In Beziehung auf die Gefässvertheilung
habe ich noch nicht den nöthigen Ueberblick. Eines ist sicher,
dass die Veuenanfänge nicht oder nur selten in direkter Fort-
setzung der arteriellen Enden liegen. Jedenfalls sind bei der Katze
die Zwischenräume so gross, dass die lujektionsmasse eine be-
trächtliche Strecke des Pulpagewebes durchlaufen muss, bis sie
in die Venen gelangt. Bei gesonderter lujektion von Arterie
und Vene erhielt ich Injektionsnetze am arteriellen Ende und am
venösen Anfang, die beide bei kurzer Injektionsdauer durch einen
nicht injicirten Bezirk retieuläreu Gewebes getrennt waren. Die
Netze von Injektionsmasse am arteriellen Ende und venösen An-
fang haben die gleiche Gestalt. Diejenigen der venösen Anfange
zeigen manchmal (bei Füllung durch die Venen) breitere ein-
zelne Netzbalken aus dem Grunde, weil der Zufluss von den
Venen her ein reichlicherer ist, als aus den arteriellen Enden.
Hier und da sind die Netze am arteriellen Ende von deiyenigen
der venösen Anfänge auch dadurch zu unterscheiden, dass die
aus den arteriellen Capillaren austretende Masse einen geraden,
gestreckten) in direkter Fortsetzung der Capillare liegenden Weg
zu durchlaufen strebt, also ein mehr gestreckteres Netz erzeugt,
während die aus der venösen Capillare austretende Masse sich
diffus sofort nach allen Richtungen verbreitet.
Wird die venöse Injektiou länger und mit höherem Druck
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S64 Bannwarthj
ausgeführt, so füllt sich die ganze Palpa. Es bleiben frei die
Keimlager und die Capillarhülsen. Der Rand des mit Ma«se
gefüllten Feldes gegenüber diesen ist nicht scharf, sondern ge-
zackt. Wird ein sehr hoher Druck bei der Injektion angewen-
det, so kann man die Masse sehr oft tief in die Keimlager ein-
treiben. Diesen Weg in die Keimlager wird der Blutstrom intra
vitam nicht einschlagen können.
Die Injektionsbilder werden erläutert und eventuell rectifi-
cirt durch die Beobachtungen an nicht injicirten Präparaten.
Fig. 4, Taf. XXIV stellt die Abbildung eines Venenanfanges
vor und zwar handelt es sich hier offenbar um einen „plötzlichen
Uebergang in die Pulpa'^, wie ihn Müller als Ausnahmefall be-
schreibt. Es öifnet sich das Lumen des Getasses direkt in die
Pulpalücken. Die Ausläufer der Pulpazellen stehen in Verbindung
mit den letzten Partien der Gefösswand. Am natürlichen Füllungs-
präparate sieht man, wie das Blutströmehen sich theilt und in eon
tinuirlicher Linie in die Pulpalücken übergeht. Es wird hierbei
sogar oft schwer, zu entscheiden, wo das Gefilss beginnt und die
Pulpazellen aufhören, um so mehr als das Gefasslumen gerade etwa
die Weite der Maschenräume der Pulpa hat. Die Gefilsswand selbst
stellt eine geschlossene, ausserordentlich zarte Lamelle dar, iu
der, nicht gerade reichlich, platte, wenig prominente Kerne liegen.
(Es ist hier die Rede von nicht contrahirten Venen.) Unter
der geschlossenen Wand verstehe ich, dass die sie bildenden
Endothelzellen dicht aneinander schliessen und mehr oder w eniger
in der Flucht der wurzelwärts nächstfolgenden Theile liegen.
Ein Auseinanderweichen oder wenigstens ein nicht
festes Geschlossensein des Endothels dieser Bahnen kann ich
nicht annehmen. Hingegen finden sich präfomiirte weite Lücken,
die allerdinjgs nach Contraktion der Gefässe (bei Verblutung)
enger erscheinen können. Es muss hier gleich Einiges über die
eigenthümliche Form der venösen Endothelzellen angeschlossen
werden. Vor allem ist zu erwähnen, dass die beschriebene,
charakteristische Form (langer, spindelförmiger Leib, stark in das
Innere prominirender Kern) sich vorwiegend in denjenigen Milzen
zeigt, bei denen die cavernösen Milzvenen reichlich vorbanden
sind. Bei der Katze war jene Prominenz der Kerne au grossen
Venen gar nicht, an den kleineren nur spurweise vorhanden.
War durch eine gute künstliche oder natürliche Füllung und
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Untersuchung en über die Milz. 365
ebenso durch treffliche Conservirung die Vene gedehnt, so
prominirten die Kerne nicht mehr in das Innere als in anderen
Gefassbezirken. Aber auch bei Betrachtung der Menschenmilz
(Neugeborener) zeigte sich bei Dehnung der Venen ein ge-
ringeres Prominiren. Ausserdem konnte ich auch durchweg
einen ziemlich breiten Protoplasmasaum um die vorstehenden
Kerne wahrnehmen. Ich sehe mich dadurch veranlasst, anzu-
nehmen, dass dieses Prominiren der Kerne einfach ein Zusammen-
sinken der Intima darstellt, genau so, wie wir es auch an der
Intima der arteriellen Strombahn, hier in der Milz besonders
deutlich an den Capillaren (postmortal) finden. Jede einzelne
Endothelzelle hebt sich als Falte ab, schiebt sich (oder fliesst)
gegen ihre Mitte zusammen, wo auch, etwas gegen das Lumen
zu, der Kern liegt. Man sieht dies schön an Querschnitten.
Zwischen diesen einzelnen Längsfalten oder Erhebungen ist dann
die Verbindungsstelle zweier Intimazellen so dünn, dass es leicht
erklärlich ist, wie die Täuschung eines Auseinanderweichens
hervorgerufen werden konnte. Ich verweise übrigens auf Wedl's
Arbeit, der Silbergrenzen in den Venen darstellte.
Besondere Einschnitte an der Aussenseite der Intimazellen,
wie sie Heule beschreibt, konnte ich bei der Katze nicht nach-
weisen. Es hängt dies wohl damit zusammen, dass hier auch
ein Netz circulärer Fasern von der Regelmässigkeit, wie es
He nie und Frey abbilden, fehlt. Ich habe an Querschnitten
bei anderen Arten (Hund z. B.) recht deutlich eine circuläre,
umspinnende Faserlage gesehen, a))er bei der Katze schien eine
solche in vielen Fällen ganz zu fehlen. In anderen wiederum
sah ich als Adventitia, wenn man sie so nennen darf, vereinzelte,
stemfiirmige Zellen des Pulpareticulums.
Auf Grund dieser Befunde kann ich auch das Bild He nie 's:
„Querschnitt einer capillärcn Milzvenc" nicht ftir die Katze gel-
ten lassen. Es findet sich hier ein solches Bild mit so dicker
Gefasswand und prominirenden Kernen nur an Arterien. Wenn
eine Vene eine solche dicke Wand aufweisen soll, müsste sie
enorm contrahirt sein.
Ich habe im Vorhergehenden mich nur an diejenige Art
venöser Anfänge gehalten, die in direkter Fortsetzung der klein-
sten Venen in der Ebene des Schnittes verlaufen und deren
Lichtung man continuirlich bis in die Pulpa verfolgen kann. Es
Archiv für mikroak. Anat. Bd. 38 24
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äG6 Bannwarth:
sind (lies eben diejenigen Bilder von Venenanfängen, die keine
anderen Deutungen zulassen, die auch jedenfalls die häufigsten
sind. Es soll damit nicht gezweifelt werden an den von Müller
beschriebenen seitlichen OeflFnnngen, welche aus einer Venenbahn
nach der Seite direkt und plötzlich in das Lückensystem sieh
öffnen. W. Müller hat insbesondere den an den Keimlagem
vorbeiziehenden Venen eine derartige durchbrochene Wand vin-
dicirt. Es lassen aber solche Bilder eben auch noch andere
Deutungen zu, so dass ich mir ein endgültiges ürtheil nicht er-
laube. Jedenfalls habe ich an concentrisch an einem Keimlager
verlaufenden Venen stets noch ganz kurze Seitenästchen wahr-
genommen, die sich dann auflösten, so dass ich eigentlich von
einer durchbrochenen Wand nicht sprechen kann.
Im einen wie im anderen Fall handelt es sich um einen
verhältnissmässig „plötzlichen üebergang" (W. Müller). Mit
Sicherheit habe ich eben auch nur diesen gesehen. Müller be-
schreibt ausserdem das Vorkommen eines allmählichen Ueber-
ganges. An meinen Injektionspräparaten schien mir das gleiche
vorzuliegen. Ich glaube aber (für die Katze) annehmen zu müssen,
dass ein derartiges allmähliches Zusammentreten von Gerüstele-
menten der Pulpa allein zur Bildung einer immer mehr continuir-
lichcn röhrigen Wand, oder umgekehrt, dass die Fortsetzung des
Venenlumens zuerst in langgezogene gangartige, sich verzwei-
gende Lücken der Pulpa, die dann wieder mit mehr gleichmässi-
gen Lücken zusammenhängen, doch eben vielfach nur scheinbar
an Injektionspräparaten sich zeigt.
Den gleichen capillären Bau wie die kleinsten Zweigchen
von 11 )Li zeigen auch noch Venen von circa 70 )li. Zu diesen
weiten Venen ziehen dann ursprünglich von der Kapsel abge-
zweigte Balken und zwar so, dass ein solcher zunächst strecken-
weise der Vene einseitig anliegt. Im weiteren Verlaufe treten
noch weitere solche hinzu. Es erscheint dann die Vene ganz in
einen Balken eingebettet, gleichsam als eine Lücke, die mit
Endothel austapezirt ist.
Eigenthümlich ist, dass selbst in diese grossen weiten Venen-
räume noch ganz kurze venöse Aufangsästchen einmünden.
Das Endothel der grössten Venen ist ebenso beschaffen,
wie an den Venen anderer Organe.
Während ich also in Uebereinstimmung mit W. Müller
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Untersuchungen über die Milz. 367
und Hoyer eine offene, intermediäre lacunäre Blutbahn (vorei-st
für die Katze) annehme, behauptet Sokoloff (Virchow's Ar-
chiv, 112. Band) das Gegentheil. Er glaubt den Beweis für ge-
schlossene Blutbahn in der Milz des Hundes, Kaninchens, der
Katze (p. 218) erbracht zu haben. Für den Menschen hält er
das gleiche für sehr wahrscheinlich. Sein Resum6 lautet:
„Es zeigt sich, 1) dass in der normalen Milz der Blutstrom sich
unzweifelhaft in einem geschlossenen Gefässnetz bewegt;
2) dass geringe Grade der venösen Hyperämie in der Milz führen
zu einer Blutüberfüllung der Venen der Pulpa, zu einer ö d e m a t Ö s e n
Erweiterung der Maschen räume des reticulären Pulpagewebes
und zu einem allerdings sehr spärlichen Uebertritt rother Blut-
körper aus den Blutgefässen in die Räume der Pulpa;
3) dass bei hochgradigen venösen Stauungen ausserdem rothe
Bliitkörper in grossen Massen in die Maschenräume des reticulHren
Pulpagewebes gelangen, während gleichzeitig in ausgesprochener
Weise das Bild des venös hyperämischen Milztumors entsteht; ferner
4) dass bei venösen Stauungen kurzer Dauer kleinere und
grössere Lücken zwischen den Endothelien der Pulpavenen erkennbar
werden und
5) dass diese Lücken zwischen den Endothelien den rothen Blut-
körpern bei venöser Stauung den Eintritt in die Pulpa gestatten."
Die Art und Weise, wie Sokoloff zu Werke geht, ist folgende.
Er untersucht die normale Milz, dann Milzen mit geringerer und
h oberer Hy perämie. Die Hyperämie bringt er durch Unterbin-
dung der Milzvene während einer Dauer von 4 bis 30 Minuten
zu Stande.
Auch bei normaler Milz findet Sokoloff „rothe Blutkör-
perchen in geringer Zahl in der Pulpa. Sie sind aber sehr
sparsam zerstreut und recht schwer nachzuweisen". Bei
geringeren Graden von Hyperämie (Unterbindung der Venen von 4
bis 10 Minuten) enthält die Pulpa „einzelne rothe Blutkörper, aber
allerdings sehr wenige", hingegen ist sie ödematös geschwellt in Folge
einer ausgiebigen Transsudation von Blutplasma aus den Venen. B(»i
hochgradiger Hyperämie, durch V2 stündige Unterbindung der Vene
bei Kaninchen erhalten, zeigt sich die Pulpa nun auch mit rothen
Blutkörperchen durchsetzt.
Sokoloff's Meinung kann ich mich nicht an-
schliessen, aus dem Grunde, weil er auf einer nach meiner
Ansicht unhaltbaren Basis weiter baut, nämlich der Annahme
einer vollständigen oder doch fast vollständigen Blutleere der
Pulpa s. s. in der Norm. Ich fand in einem sehr grossen üuter-
suchungsmaterial stets das Gegentheil, nämlich eine massenhafte
Einlagerung von rothen Blutscheiben. Es zeigte sich der gleiche
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368 B a n 11 w a r t h :
Befund auch bei Celloidinpräparaten, wo der Einwand Soko-
loff 8 dahinfällt, dass es sieh um ein künstliches üebei*schwem-
men der rotheu Bhitkörperchen handeln könne. Da nach meiner
Ansieht also die ]hm», auf der Sokoloff baut, unhaltbar ist, so
gcräth auch das übrige Gebäude bedenklich ins Schwanken.
Im üebrigen will ich gerne glauben, dass es bei einem,
durch V« ständige Unterbindung der Vene erreichten Blutdruck in
der Milz zu solch tief greifenden Veränderungen und unter gewissen
Bedingungen zu einem Auseinanderweichen der Tntimazellen der
Venen kommen mag, wenn ich auch der Ansicht bin, dass in
den letzten Bildern Sokoloff 's (Fig. 10 und 11) der gänzlichen
Lösung der Intima eine ziemlich vorgeschrittene Maceration zn
Grunde liegt. Inwieweit ich die sonstigen glücklichen Ideen
(Venenöffnungen bei geschlossener Blutbahn, getrennte
Betrachtung des Circulationsvcrhältnisses der einzelnen Blutbe-
standtheile in der Milz u. s. w.) bestätigen kann, erhellt aus dem
Vorhergehenden und Folgenden.
Es muss hier kurz noch eines vorhin erwähnten Punktes
Erwähnung geschehen, nämlich der Durchspülungen der Mik
mit sogenannten physiologischen Lösungen und der daraus zu
ziehenden Schlüsse. Ich glaube nämlich, dass man auf diesen
Punkt nicht zu viel Werth legen darf, da immerhin angenommen
werden kann, dass durch die Procedur eine Schädigung, Zcr-
rcissung oder Maceration der Endothelien erfolgt, wodurch wie-
derum dem intravasculärcn Strom der Weg zu dem intervasculären
Gewebe geöffnet wird.
Die Form der Injektionsströmehen an den venösen Anfän-
gen ist schon kurz besprochen, diejenige an den arteriellen Enden
folgt weiter unten. Ist die ganze Pulpa gefüllt, so sehen wir
das oft beschriebene Netzwerk der Injektionsmasse, in
dessen Maschen die Bälkchen des Gewebsnetzes und
(im Schnitt) je ein bis zwei Leukocyten liegen. Je con-
centrirter die Leimiösung war, desto geringer ist die Schrumpfung
und desto enger sind die Maschen des Injektionsnetzes. Die mit
Hoyer's Masse injicirte Pulpa bedarf eines ziemlich sorgfältigen
Studiums (aus früher schon erwähnten Gründen). Bei genauer
Untersuchung erkennt man aber, dass sie die aus gewöhnlichen
Injektionsbiidem gewonnenen Anschauungen bestätigen.
Es kommen nun manchmal Bilder in Injektionspräparaten,
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Untersuchungen über die Milz. 369
wenn auch nicht bei der Katze, zu Gesicht, welche eine direkte
Einmündung von arteriellen in venöse Bahnen vortäuschen. Es
sind zweifelsohne dieselben Bilder, die zu der Annahme von
„TJebergangsgefässen*' führten. Es zeigt sich ein fast gerader
Streif von Injectionsmasse, der von einer arteriellen Capillare
aus bis in eine Vene oder venöse Capillare zieht. Ist die Injek-
tionsmasse wenig geschrumpft, so glaubt man wohl auch ein
Endothel am Rand des Streifens zu sehen. Es sind die gleichen
Bilder, durch welche auch Hoyer (nach seiner eigenen Aussage)
ursprünglich irre gefilhrt wurde. Diese „Uebergangsgefässe"
zeigen sich natürlich nur an Milzen, die von den Arterien aus
bis in die Venen, mithin unter ziemlich hohem Druck injicirt
wurden. Es ist nun eine leicht zu constatirende Thatsache, dass
durch den, unter einigem Druck eindringenden Injektionsstrom
die Zellelemente des Pulpamaschenwerkes bei Seite und flach
gedrückt werden.
Das einzige , aber auch sichere Mittel , sich von dem
Fehlen einer besonderen Endothelröhre an diesem „Gefiisse"
zu überzeugen, ist das von S. Seidel empfohlene Erwärmen des
in Glycerin liegenden Schnittes. Es wird der Leim gelöst und
man überzeugt sich leicht, dass die scheinbare Wand discontinuir-
lich, theils von Leukocyten, theils von Gerüstzellen gebildet ist.
Im üebrigen stellt sich nur ganz ausnahmweise einmal ein sol-
ches fragliches Bild ein. In der Mehrzahl der Fälle ist ein sol-
ches „TJebergangsgefass" sofort als Trugbild zu erkennen. Der
Injektionsstreif hat keine geradlinige Begrenzung, sondern ist ge-
zackt; er ist ungleich dick, ausserdem stets dicker als die arterielle
und manchmal auch als die dazu gehörige venöse Capillare. Die
Erklärung, warum in diesen Fällen die Injektionsmasse in fast ge-
rader Linie, und ohne in namhafter Weise die Pulpa zu füllen,
zur venösen Bahn zieht, scheint mir nicht schwierig.
Es sucht sich eben -die Injektionsmasse den bequemsten
Weg, den Weg des leichtesten Abflusses. Diese Auffassung hat
auch Hoyer, da er von „künstlich gebahnten kurzen Verbin-
dungsbrücken zwischen beiden GefUssbezirken" spricht.
Ein Bild, das auch nur entfernt für wirkliche
„üebergangsgefässe*' sprechen würde, habe ich am
nichtinjicirten Präparate nicht gesehen.
Noch eine Angabe Hoyer 's will ich kurz besprechen.
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370 B a n n w a r t h :
Derselbe glaubt, dass die in der ümgebnng der Keimlager schon
nach schwachem Druck auftretende Injektionsmasse den Capilla-
ren des Keimlagers entstamme. Dies ist gewiss flir viele Fälle
richtig, da ja die Capillaren der Keimlager eben hier frei aus-
mtinden, wie ich weiter unten zeigen werde. Die Erklärnng
passt aber nicht für alle Fälle. Meine Iiyektionen sprechen da-
ftlr, dass sich die Capillaren der Keimlager (wenigstens derjeni-
gen mit Keimcentren) erst bei höherem Druck füllen, gewöhnlich
erst, nachdem schon aus den übrigen Capillaren das Blut in die
Pulpa tibergetreten ist. (Es erklärt sich diese Eigenthümlichkeit
wohl hinreichend aus dem in den Keimcentren herrschenden,
grösseren Gewebsdruck, s. u.) Ich muss desshalb annehmen
und ich habe es oft direkt beobachtet, dass die Pulpafüllung in der
Umgebung der Keimlager zuerst von den ausserhalb dieser lie-
genden Capillaren herrtihrt und erst später auch von den Capil-
laren des Keimlagers.
Etwas, was gewöhnlich auch als Beweis fftr die offene
Blutbahn angeführt wird, ist die bekannte Thatsache, dass es
nicht gelingt, die Arterien von den Venen aus zu füllen (Hlasek,
Stieda, Schweigger-Seidel). Nur wenn die Arterie
vorher injicirt wird, soll es in manchen Fällen gelingen, die In-
jektionsmasse von den Venen aus in die Arterien zu treiben.
Mir ist auch dies nicht gelungen.
Als einen Beweis für die intermediäre Blutbahn kann ich
diese Thatsache aber nicht bietrachten, da eine Compression der
arteriellen Enden eben auch durch ein Convolut dicht geföUter
venöser Capillaren, welche direkt aus den arteriellen hervor-
gehen, aber die zai-tcn arteriellen Enden rings umgeben, bedingt
sein könnte. Wohl aber ersehen wir daraus, dass in der Milz
eine Einrichtung vorliegt, um einen Rücktluss des venösen Blutes
zu verhindern, was besonders bei äusserer Compression des Or-
ganes durch die umgebenden Eingeweide (Massage) oder bei
activer Contraktion des Organes von Nutzen sein möchte.
Auch einer früheren Angabe Kölliker's und der zuge-
hörigen Erwiderung W. Müller 's muss ich gedenken. Kölli-
ker glaubte einen Grund für die geschlossene Blutbahn in der
sauren Reaktion der Pulpa gefunden zu haben. W. Müller fand
aber eine alkalische Reaktion der Pulpa. Auch ich habe die
Pulpa alkalisch reagirend getroffen, sehe hierin aber keinerlei
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Untersuchungen über die Milz. 371
Beweis für irgend etwas. Dies ist ein negativer Befund, der
nichts beweist, während saure Reaktion allerdings flir das Vor-
handensiein reichlicher, blutleerer Theile sprechen würde. Es ist
tlbrigens bei Kenntniss des Baues der Milz selbstverständlich, dass
wir das wirklich extra vasculär liegende Gewebe allein gar
nicht prüfen können. Stets wird zugleich auch eine grössere
Menge Blut aus den inliegenden Gefassen mit dem Lakmusplätt-
chen in Berührung kommen.
Arterlelle Endtgnngen.
Es folgt zunächst die Besprechung der Angaben W. Mül-
ler's. Ich schlicsse mich diesem Autor zwar an, indem ich
Capillaren mit „Hülsen" oder „Scheiden** von httlsenloscn unter-
scheide, aber dies nur fllr jüngere Thiere.
Wo diese Hülsen bestehen, und es ist dies noch eine be-
trächtliche Zeit nach der Geburt der Fall, sind die zugehörigen
Capillaren und deren Endigungen nur im Zusammenhang mit die-
sen Hülsen verständlich. Sie werden also im Capitel „Capillar-
hülsen" besprochen werden.
Mit dem Auswachsen der Milz werden die Capillaren aber
unabhängiger von der Hülse, vor allem ragen sie im Gegensatz
zu jungen Stadien ^ine grössere Strecke über die Hülse hinaus.
Diese Strecke zeigt dann genau den gleichen Bau, wie die hül-
senlosen Capillaren, so dass die Boschreibung, die W. Müller
von diesen gegeben, auch auf jene passt. Derselbe schreibt:
Die (hülsenioseii) Capillaren verlaufen gestreckt , ohne Ana-
stomosen unter einander zu bilden. Sie bestehen alle aus dem eigent-
lichen Endothelrohr und einer dieses umgebenden Adventitia. Die
Capillaren zeigen an ihrer homogenen Wand doppelte Contour und
eingelagerte, alternirend gestellte Kerne. Bei einem Theile sind die
eUiptischen Kerne dichter als gewöhnlich gestellt, oder die Wand lässt
sich eine Strecke weit als direkte Fortsetzung der Arterienintima auf-
fassen, indem die spindelförmigen Zellleiber nicht zu der homogenen
Membran des gewöhnlichen Befundes verschmelzen. Die Adventitia
dieiier Capillaren wird bei den Capillarhülsen besprochen werden. Der
Uebergang der Capillaren in die Lücken der Pulpa erfolgt endlich
nach vorheriger Verdünnung und Auffaserung der sogenannten Ad-
ventitia, deren Bindegewebselemente ohne scharfe Grenze in die zarte
Zwischensubstanz der Pulpa übergehen. Die Art des liebe rgan<z;es
ist bei allen Capillaren dieselbe. Die Gefässwand wird bei Verlust der
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372 Bannwarth:
doppelten Contour sehr zart, wie fein granulirt. Die lang elliptischen
Kerne werden breiter, dichter gelagert, mit rundlichen untermischt.
Dabei zeigt sich oft eine leichte Verbreiterung. Die Wand des Ge-
fässes spaltet sich nun in eine Anzahl zarter, kurzer, sich verschmä-
lernder Fortsätze, welche je einem Kerne anliegen und in das zarte
Fasernetz der Pulpa continuirlich übergehen. In der Wandung treten
dadurch eine Anzahl inindlicher und spaltförmiger Lücken auf, durch
welche das Lumen der Capillare continuirlich mit den von den Zellen
und Fasernetzen der Pulpa begrenzten Hohlräumen zusammenhängt.
Auch Spaltung des Gefässes kurz vor dem Uebergang in die Pulpa
kann vorkommen. Die von Schweigger-Seidel beschriebenen
Uebergangsgetässe glaubt Müller in den Bildern der Auifasenmg der
Capillargefässe mit spindelförmigen Wandzellen zu erkennen.
Vom Injektionspräparat giebt W. Müller folgende Beschrei-
bung: An den gestreckten Capillarenden der Arterien zeigt die In-
jektionsmasse eine scharfe Abgrenzung und gleichmässige^i Caliber
„An der Uebergangsstelle verbreitert sich der Strom in der Regel
etwas, um sodann mit 2—4 kurzen, seitlich sich abzweigenden Ström-
chen in die von den Zellen und Fasernetzen der Pulpa begrenzten
Hohlräume sich zu ergiessen. Die Injektionsmasse bildet hier ein
charakteristisches Netz kurzer ungleich weiter, unter rechten und
spitzen Winkeln anastomosirender Strömchen, mit Erweiterungen an
den Knotenpunkten. In den Maschen dieses Netzes liegen Zellen ein-
zeln oder in Gruppen, welche mit den Fäden oder Membranen des
Pulpagewebes dieselben ganz ausfüllen."
Die Angaben Ho y er 's beziehen sich nur auf Injektions-
präparate. Er schreibt: es fanden sich bei vorsichtiger arterieller In-
jektion der Milz verschiedener Thierklassen an den Enden der gut
gefüllten arteriellen Capillaren erweiterte, rundliche, ovale verzweigte
oder maulbeerförmige injicirte Räume (bei Oelmasseninjektion) ohne
Spur von Verbindung mit den Anfängen der venösen Gefässe, welche
von jenen Capillarenden durch einen relativ nicht unbedeutenden, aus
gleichartiger adenoider Zwischensubstanz gebildeten Saum geschieden
waren.
Sokoloff, der letzte Milzbearbeiter, beschreibt die arteriellen
Enden nicht, weil seine Ergebnisse „sich nicht wesentlich von denen
anderer unterscheiden". Er spricht von einer Einmündung „der End-
verzweigung der Arterien in kleine Venenzweige". Es betreffen seine
Untersuchungen vorwiegend Hund und Kaninchen. Sein Resume,
zu dem er auf schon besprochene Weise kommt, lautet: „Auf Grund
dieser Untersuchungen darf man für die Milz des Hundes und des
Kaninchens mit Sicherheit, und für die Milz des Menschen mit grosser
Wahrscheinlichkeit behaupten, dass der Blutstrom in dem normalen
Organe sich in geschlossenen mit Endothel ausgekleideten Bahnen be-
wegt." Bedauerlicher Weise giebt er kein Bild der oben beschrie-
benen direkten F^änmündung.
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Untersuchungen über die Milz. 373
Was Sokoloff's TJrtheil über Hund, Kaninchen und
Mensch betrifft, so kann und will ich noch kein TJrtheil föllen,
trotzdem ich noch eine beträchtlich grössere Menge von Milzen
dieser Arten untersucht habe. Wenn der Verfasser aber zu dem
TJrtheil kommt, dass er bei der Katze „im Wesentlichen die glei-
chen Befunde" erhielt, so beruht dies auf tiefer gehendem Miss-
verständniss. — Ich bin schon bei Gelegenheit der venösen An-
fange auf eine Kritik der So kol off 'sehen Angaben eingegangen.
— Aber auch bezüglich der arteriellen Endigungen sind meine
Befunde mit den seinigen im Widerspruch und muss ich, wie ge-
sagt, in allen wesentlichen Theilen den Angaben
W. Müller's beistimmen.
Indem ich zu meinen eigenen Untersuchungen ttber diesen
Gegenstand übergehe, möchte ich mich noch gegen die öfter
auftretende Meinung wenden, da«s die ganze arterielle Endaus-
strahlung mit den Keimlageni in Beziehung stehe. Es ist er-
sichtlich, dass diese einen grossen Theil der arteriellen Endver-
ästelung in Anspruch nehmen, dass sie mehr als andere Bezirke
mit arteriellem Blut versorgt sein müssen.
Es erhellt dies wohl schon daraus, dass sehr früh, bevor
überhaupt noch alle arterielle Capillaren gefllllt sind, sich Injek-
tionsmasse in der Peripherie der Knötchen zeigt. Dass aber um
diese allein sich der ganze Kreislauf dreht, kann ich bei der
Katze nicht annehmen, da ich im ganzen Schnitt durch eine
Milz, fast in gleichmässiger Vertheilung durch die ganze Pulpa,
Capillarenden finde. Es ist dies besonders deutlich in jun-
gen, 3 Wochen alten Milzen (wo wir schon voll ausgebildete
Keimlager finden). Ebenso, um es gleich hier zu sagen, finde
ich die VenenanfUnge auch nicht nur um diese Keimlager an-
geordnet, sondern ich finde sie ebenso oder wenigstens fast so ^
zahlreich an Stellen, die so weit von diesen entfernt sind, dass
man sie nicht mehr in direkte Beziehung zu diesen zu bringen
berechtigt ist. (Vergl. auch M ü 1 1 e r ' s und H o y e r 's Angaben.)
Von der Beschreibung der Capillaren der Malpighi'schen
Körperchen sehe ich vorerst ab. Die Endigung derselben ist
übrigens die gleiche, wie diejenige der übrigen Capillaren.
Betreffs der Beschreibung der Capillaren nun
und ihrer Einmündung in das Pulpamaschenwerk
kann ich W. Müller voll und ganz beitreten. Vor
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374 Bannwarth:
allem ist festzuhalten, dass die arterielle Capillare von der venö-
sen leicht kenntlich ist durch die dickere, starrere, gestrecktere
und auch wohl kemreichere Wand. Wir gliedern diese Wand
in ein Endothelrohr und eine Adventitia, trotzdem recht oft eine
Grenze zwischen beiden nicht erkennbar ist. Ich verweise in
dieser Beziehung auf das Capitel „Capillarhtilsen". Diese kern-
haltige Adventitia sendet tiberall Ausläufer zum Pulpanetz.
Die Auflösung der Capillare erfolgt durch
direkten üebergang des Capillarlu mens in einen
Pulpamaschenraum oder in eine Mehr/ahl solcher, wobei die
aufgefaserte, gespaltene Capillarwand continuirlich in das Netz-
werk der Pulpa übergeht. Am schönsten konnte ich diese Auf-
lösung bei Katzen von 3^2 Monaten verfolgen (Tafel XXIV, Fig.l).
Die Adventitia wird durch reichliche Ausstrahlung zum Faser-
netz der Pulpa rasch dünner. Die Kerne werden spärlicher oder
können ganz fehlen. Nun spaltet sich das GefUssrohr in mehrere,
in vSchnitten gewöhnlich 3 bis 4 sich verjüngende Fasern, die
ebenfalls continuirlich in das Pulpanetz übergehen. Es ist ein
ähnliches Bild, wie wenn man einen Strohhalm spaltet und die
Röhrenstücke etwas ausbiegt. Jede dieser Fasern ist stet« mit
einem Kern versehen, gewöhnlich derart, dass das Gefass gerade
in der Höhe der Kerne sich spaltet. Dass dies wirklich die Zel-
len der Capillarwand, also der Intima sind, scheint mir festge-
stellt. Schwieriger wäre zu sagen, ob nicht kleine Bindegewebs-
ztige, adventitiaartige Theile, diesen noch anhaften und ob diese
Leisten oder Streifen von anscheinend homogener bindegewebi-
ger Grundsubstanz vielleicht allein mit dem Pulpanetz in Verbin-
dung treten, während der Belag von Endothelzellen vorher auf-
hört. Während nun in vielen Fällen, wie in der Abbildung
(Tafel XXIV, Fig. 1), das Vorhandensein einer Adventitia nachweis-
bar war bis an die Auflösung der Capillare (und zwar als Fort-
setzung des Gewebes der Hülse, wenn eine solche noch vorhanden),
geht feie an anderen Capillaren viel früher verloren. In diesen
Fällen erscheint dann die Capillare viel zartwandiger. Charak-
teristisch bleibt das Aussehen der arteriellen Capillare gegenüber
der venösen aber dennoch vermöge der früher schon erwähn-
ten Eigenschäften. Ich möchte hier aber noch erwähnen, dass
die charakteristische Dicke der arteriellen Capillare vielfach nur
eine scheinbare ist, insofern als die Capillarwand am conservirten
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Untersuchungen über die Milz. 875
Präparate fast durchweg in Längsfalten gelegt ist. Der Grund
ist darin zu suchen, dass die arteriellen Capillaren intra vitam
an Stellen des höchsten Gcwebsdruckes liegen, dabei aber durch
den Blutdruck mehr oder weniger ausgedehnt sind (offen ge-
halten werden). Sobald der vitale Blutdruck aufhört, müssen
sie natürlich compromirt werden, um so mehr, je verschieb-
heher die Umgebung ist.
Die Kerne, die sich schon durch ihre oblonge, länglichere
Form von den Kernen der capillaren Venen unterscheiden, wer-
den hier oft, wie auch Müller angibt, kürzer, rundlicher, ähn-
lich den Kernen der Adventitia. Ferner begegnete es mir öfter,
dass die Grenzen der Intimazellen ohne besondere Imprägnation
der Kittlinien erkennbar waren und bis zur Auflösung des Gc-
fasses erkennbar blieben (siehe die Angaben Müller's). Die
Form der Zellen ist dann eine mehr oder weniger breite spin-
delföimige.
Es muss hier nochmals crAvähnt werden, dass durch die
Faltenlegung der Intima bei Ansichten von der Innenfläche ein
Bild hervorgerufen wird, das den erwähnten Befund vortäu-
schen kann.
Die hier geschilderte Form der Auflösung ist nicht nur die
von mir am häufigsten beobachtete, sondern auch diejenige, die
keine anderen Deutungen zulässt.
Nach Angabe M ü 1 1 e r 's entstehen femer mancherorts durch
seitliche Auifaserung „eine Anzahl rundlicher und spaltförmiger
Lücken in der Gclasswand". Man erhält nun allerdings sehr
häufig Bilder, wo der Eintritt des Gefiisslumens in den entspre-
chenden Pulparaum eine rundliche, ovale oder spaltfOnnige Lücke
darstellt, aber diese Lücke ist dann nur auf einer Seite von der
Gefasswand begrenzt, auf der anderen Seite oder Hälfte schon
vom Pulpanetz, so dass man nicht eigentlich von einer „Lücke
in der Gefasswand" reden darf, wenn man sich genau ausdrücken
will. Dass die zuletzt beschriebene Art des Ueberganges vorkommt,
halte ich fttr erwiesen. Nachuntersncher wollen nicht etwa an-
nehmen, dass Müller und ich den Anfang einer an der Wurzel
abgeschnittenen, aus dem Präparate heraustretenden Capillarvcr-
zweigung für einen üebergang in die Pulpa gehalten haben. Der-
artige Theilungen der Capillare kommen, wie auch aus Müller's
Arbeit ersichtlich ist, allerdings, wenn auch selten, vor, so dass
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376 Bannwarth:
man bei oberflächlicher Betrachtung Täuschungen ausgesetzt ist,
besonders da diese Theilungen kurz vor der Auflösung auftreten.
Bei alledem hält man sich am besten nun doch an die-
jenigen Bilder, wo die Auflösung des Gefilsses im Längsschnitt,
und zwar in einem Schnitt durch die Längsaxe des Geftsses,
liegt. Es ist dabei ganz gut möglich, dass auch früher schon
seitlich am Geföss Spalten vorhanden sind, wie Müller will.
Gesehen habe ich derlei absolut einwandsfreie Bilder nicht, auch
nicht bei injicirten Präparaten.
Mithin komme ich auf Grund sorgfältiger
Untersuchungen zu dem Schlüsse, dass eine freie
Ausmündung der arteriellen Capillaren in das
Pulpanetz sich wirklich nachweisen lässt. Ob da-
neben noch ein direkter TJebergang in die Venen durch ge-
schlossene Bahnen vorkommt, kann ich nicht entscheiden. Bei
der Katze kam mir eine solche nie zur Beobachtung; ich kann
ein solches Vorkommniss bei der Katze im Hinblick auf die noch
genauer zu besprechenden Lageverhältnisse der arteriellen Enden
und venösen Anfänge auch nicht für wahrecheinlich halten. Bei
dem Hunde habe ich in der That übrigens einmal wirklich eine
sehr verdächtige Stelle gesehen. Ich komme darauf an an-
derem Orte zu sprechen.
Auf die Beschreibung der Injcktionsbilder der arteriellen
Endigungen glaube ich im Hinblick auf Müller 's und Hoyer's
Angaben verzichten zu dürfen. Ich verweise nur auf die Fig.
(4), 5 und 6, Tafel XXIII. Es stellen diese die aus der Ca-
pillare in die Pulpa eintretenden Injektionsströmehen dar, wie
sie sich bei wenig über die arteriellen Enden hinaus ausgedehn-
ten Einspritzungen ergeben.
Eeimlager.
Kurz nachdem die Arterien die gemeinsame Scheide ver-
lassen haben, oder auch eine Strecke weiter stromab, finden wir
die unter dem Namen der Malpighi'schen Körperchen
bekannten Anhäufungen lymphoider Elemente.
Malpighi selbst sprach von „Körperchen", gab aber schon an,
dass, wenn auch mit freiem Auge sich keine Höhlung in ihnen er-
kennen lasf-e, doch eine solche desshalb angenommen werden inüitse,
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Untersuchungen über die Milz. ^ 37?
weil die Körperchen beim Anstechen zusammenfallen. Joh. Müller,
der wesentlich die Milz der Pflanzenfresser im Auge hatte, bei deneji
nach Kemak die Umgrenzungsschicht der Körperchen besonders deut-
lich hervortritt, betrachtet diese Bildungen als Bläschen mit ziemlich
dicker Wandung, was. nicht ausschliesst, dass er einen weichen zelligen
Inhalt annahm (vgl. Luschka's Bläschen der Steissdrüse). Remak
vindicirt diesen Körperchen eine Kapsel, die aber bei Mensch und
fleischfressenden Thieren oft so wenig entwickelt sei, dass die Grenze
sich häufig der Wahrnehmung entziehe. Ecker, Gray und Kol-
li k er entschieden sich für eine strukturlose lunhüllende Membran.
Nach Henle fehlt eine solche stets, wohl aber wird unter Umständen
das „Bindegewebsnetz" an der Peripherie zu einer festeren Schicht
zusammengedrängt, welche trotz der Spalten den zähen Inhalt
zusammenzuhalten vermag. Dies ist wesentlich der Standpunkt, den
wir in späteren Arbeiten finden mit der Modifikation, dass seit der
Entdeckung von Keimcentren in diesen Bildungen eine Permeabi-
lität der etwa vorhandenen Rindenschicht angenommen wurde. Den
unglücklieh gewählten Namen „Follikel" (Remak) verwirft Fl emming
und empfiehlt dafür ebenso wie t1ir die gleichen Bildungen in den
Lymphknoten den Namen „Keim lag er" (Brücke) als der Stätte,
in der sich die Keimcentren bilden. Was den Inhalt dieser Keim-
lager betrifft, so ist schon von Remak die Identität ihrer Zellelemente
mit denen der Pulpa erkannt worden.
Die Beziehung der Keimlager zu den Arterien wurde ebenfalls
schon frühe richtig gedeutet. J. Müller bezeichnet dieselben als Aus-
wüchse einer „weissen" Scheide der Arterien und erwähnt, dass sie
mit den durchsetzenden Arterien selbst nichts zu thun haben. Re-
mak unterscheidet „Milzparenchym in dreifachem Lagerungsverhält-
niss" : 1) eingekapseltes Parenehym, das Parenchym der M a 1 p i g h i-
schen Körperchen, 2) Scheidenparenchym im Verlaufe der Arterie und
3) Pulpa. Henle sieht das Wesentliche in einer Infiltration des locke-
ren, der Arterie anliegenden Bindegewebes mit lymphkörperartigen
Zellen und schreibt dem Auftreten von circumscripten Keimlagern
eine untergeordnete Bedeutung zu. Eine solche könne entweder zu
Stande kommen durch stärkere, lokale Vermehrung der im penarte-
riellen Bindegewebe enthaltenen Zellgebilde oder durch eine stärkere
Durchtränkung desselben mit Tntercellularflüssigkeit. Schweigger-
Seidel stellt sich auf den gleichen Standpunkt. Es giebt ausführliche
Angaben über die gewöhnlich excentrische Lagerung der Arterie in
dem Follikel. Er bespricht austührlich das Verhältniss des von Köl-
liker entdeckten Capillarnetzes der „Follikel". Mit seinen Angaben
stimmen die Befunde Billroth's, Kölliker's, im Ganzen auch die
H u X 1 e y *s und W. M ü 1 1 e r's überein. (Kowalevsky wollte eine Cen-
tralvene statt der Arterie gesehen haben.) Auch die neueren Bear-
beiter stellen sich wesentlich auf jenen Standpunkt. Ein Netzgewebe
im Innern der Keinilai^er wird ebenfalls von Allen anerkannt. Dagegen
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378 ^ Bannwarth:
variiren bei den neueren Beobachtern einigermaassen die Ansichten
über die äusseren, begrenzenden Faserlagen und überhaupt über die
Frage, ob die Knötchen und lymphadenoiden Scheiden auf Grund
einer Infiltration der Arterieuscheiden oder einer solchen
der Adventitia entstanden zu denken sind. Während Leydig die
Adventitia als Sitz der Knötchen und Lymphinfiltrationen annimmt,
verficht W. Müller die Ansicht, dass es die Arterienscheide sei, die
sich cytogen (Kölliker), oder adenoid (His) umwandle, und zwar
diejenige Gefässscheide, die von der Kapsel aus den eintretenden Ge-
fässen mitgegeben wird und sich nach unserer Auffassung in keiner
Weise von den Balken unterscheidet. Eine Mitbetheiligung der Ad-
ventitia trete allerdings für viele Fälle hinzu.
In dieser Frage miisste eine Entscheidung möglich sein, sobald
sich die Entwickelung eines solchen Keimcentrums verfolgen lÄsst.
Eine Andeutung über den Modus dieser Entwickelung giebt hypo-
thetischer Weise Möbius. Ich komme später darauf zurück.
Bei Untersuchung einer Reihe von Milzen verschiedenen Alters
ist es ein leichtes, den Verlauf der Bildung der Keiinlager zu ver-
folgen. Noch in der Milz eines 12 cm Kätzchen finden wir nur
wenig weit vorgeschrittene Bildungsstadien der Keiuilager; aber
auch bei fast erwachsenen, ja möglicherweise auch noch bei
schon erwachsenen Katzen, können wir sämmtliche verschiedene
Entwickelungsstadien neben einander beobachten. Bevor ich auf
die Darstellung dieser Entwickelung eingehe, muss ich erst einige
andere Punkte klarstellen. Zunächst ist festzuhalten, dass wir
bei Katzen nur höchst selten einmal eine über eine grössere
Strecke hin continuirlich inlfitrirte Scheide finden. Höchstens
finden wir einzelne langsam an- und abschwellende, spindelförmige
Anhäufungen lymphoider Zellen oder eine Mehrzahl auf einander
folgender und mehr oder weniger mit einander confluirender,
kugeliger Anhäufungen.
Es muss andererseits auf jeden Fall, wie auch Stöhr
verlangt, ein unterschied gemacht werden zwischen den (ge-
wöhnlich nicht scharf nach aussen abgegrenzten) locker lie-
genden Anhäufungen in rundlicher Form, bei denen im Schnitte
auf der ganzen Fläche die Zellen gleichmässig vertheilt lie-
gen, und denjenigen circumscripten , kugeligen, dichtgedräng-
ten Zellenanhäufungen, die mit einem hellen Inneren, einer
Stelle weiter auseinander liegender Zellen und einem dunklen
Hof, einer Stelle sehr dichtgedrängter Zellen versehen sind.
Es ist nun wahrscheinlich, dass die Bildungen der letzten Art
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Untersuchungen über die Milz. 379
aus den Bildungen der ersten Art ihre Entstehung nehmen,
vielleicht auch wieder zu solchen werden können. Durch eine
Reihe von Untereuchungen Flemming's stellte sich näni-
Kch heraus, dass in den lymphoiden Anhäufungen mit hellem
Centrum die Theilungsfigurcn bedeutend vennehrt sind gegenüber
solchen ohne helles Centrum. Wir werden also annehmen müssen,
dass in den lymphoiden Anhäufungen das eine Mal ein regeres,
das andere Mal ein minder reges Wachsthum vorhanden ist.
Ohne Rücksicht hierauf in allen Fällen von ^Hyperplasien" zu
Äprechen, wie W. Müller es zu seiner Zeit that, scheint mir
nun nicht mehr zweckmässig zu sein. Ich werde vielmehr, nach
dem Vorgange Flemming's, zwischen Keimlagern mit Keim-
centrum und solchen ohne Keimcentnim unterscheiden. Dabei
verstehe ich unter Keimcentrum nicht eine Stelle des ausschliess-
lichen Wachsthums, sondern nur eine solche von besonders grosser
Wachsthumsintensität im Vergleich zu derjenigen der Umgebung,
da wir eben auch ein, wenn auch bedeutend geringeres, Wachs-
thum in der Umgebung und in den Keimlageni ohne helles Cen-
trum annehmen dürfen. Kommen uns ja doch auch noch ausser-
halb eines Keim eentrums Theilungsfigurcn zu Gesichte.
Welches sind nun die verschiedenen Bilder von Keimlagern,
die uns bei der Milz der Katze auffallen?
Zwei verschiedene Bilder sind schon erwähnt:
1) Wir finden unter anderen nicht scharf abge-
grenzte, immerhin rundliche, von Capillaren durchzogene
Lymphk()rperchen -Anhäufungen mit wenig ausgeprägtem
Keimcentrum. Stärkere Bindegewebszüge, besonders solche fibril-
lären Charakters, sind nicht nachweisbar, es macht den Ein-
druck, als ob wir einfach in dem reticulären Pulpanetz eine
dichtere Zellanhäufung hätten.
In diesen erscheint manchmal am geförbten Präparat eine
noch dunklere, gewöhnlich central gelegene Stelle 1 a), oder wir
finden im Innern dieses dunkleren Feldes auch noch ein ganz
kleines helles Feld (Fig. 1 b).
2) Im Gegensatz zu diesen Bildern finden wir nun andere
scharf abgegrenzte Knötchen mit grossem, hel-
lem Keimcentrum, gewöhnlich mit noch reichlicherem Ca-
pillametz, als bei 1). Bei genauerem Zusehen kann hier noch
nnterschieden werden^ ob die begrenzende* Faserlage von straffe-
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380 Bannwarth:
rem, fibrillärem Charakter ist, und die BeBchaifenheit des Binde-
gewebes der Kapsel und Balken hat 2 a), oder ob diese ab-
grenzende Schicht aus dem zarten Gewebe der Pulpagrundsub-
stanz gebildet ist, resp. sich als ein Maschenwerk daratellt, das
wir aus einer Zusammcndrängung des reticulären Gewebes der
Pulpa herleiten können 2b).
Diese zweite Art: scharf abgegrenzte Knötchen mit grossen
Keiracentren, fand ich besonders ausgesprochen in den Milzen
von Katzen, welche zwar anscheinend ausgewachsen waren, an
Grösse aber aus verschiedeneu Gründen (Pigmentmangel u. s. w.)
vielleicht nicht zu den ganz ausgewachsenen, fertig ausgebildeten
gezählt werden können. Ich werde kurz, meinen Präparaten ent-
sprechend, von 3^2 Monat-Milzen (der Katze) reden.
Es gesellen sich zu den zwei besprochenen Hauptformen
von Knötchen noch zwei weitere, an Grösse ihnen nachstehende
Arten von Knötchen, die man vorzüglich bei ganz jungen Thieren
trifft. Wir finden nämlich
3) in der jungen Katzenmilz Knötchen mit concen-
trischen Faserlagen fibrillären Charakters, mit
schrägen Verbindungszügen. In den hierdurch gebildeten Lücken
liegen die Lymphkörperchen spärlich. Das eine Mal findet man
diese Fibrillenzüge durch die ganze Masse des Knötchens 3 a).
Dann aber zeigen sich etwas anders beschaffene, auch etwas
grössere Knötchen der jungen Katzenmilz, welche als ältere,
höhere Eutwickelungsstaclien der soeben genannten aufzufassen
sind 3 b). Dieselben zeigen Zeichen eines schnelleren Wachs-
thums von innen nach aussen. Wir finden nämlich eine dichtere
Lagerung der Zellen im Inneren; nur ein zartes (junges) Netz-
gewebe dient ihnen zur Grundlage, während die stärkeren, fibril-
lären Züge nach der Peripherie verschoben sind ; ja öfters finden
wir letztere nur in den äusserten Lagen des dann besonders scharf
abgegrenzt erscheinenden Knötchens oder Keimlagers. Capillaren
finden wir bei diesen älteren Typen gewöhnlich schon entwickelt,
während sie in den jüngeren Formen in der Regel noch fehlen.
Während diese dritte Art von Knötchen gegenüber der Pulpa
scharf abgcgi-enzt erscheint, finden wir
4) bei einer zweiten Art von in der Entwickelung be-
griffeneu, durch Faserztlge ausgezeichneten Knötchen vorwie-
gend die Pulpa betheiligt, und keine scharfe Grenze zwischen
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Untersuchungen über die Milz. • ä8l
Knötchen und Pulpa. Es zeigen sich in der Umgebung einer
Arterie zunächst dieser aufgefaserte, fibrilläre Züge der Scheide,
zwischen denen Lyinphkörpercheu liegen, aber um dieses Gebiet
herum ist auch das Pulpanetz mit freien Zellen infiltrirt. Kommt
es hier zu raschem Wachsthum, so geht dies auf Grond des in
der Pulpa liegenden Thciles der Zcllanhäufung vor sich. Zu-
gleich mit der Infiltration des Pulpanetzcs geht Hand in Hand
eine Dehnung des Pulpagewebes im Centrum des Herdes, eine
Zusammendrängung der Maschen gegen die Peripherie desselben.
Capillaren finden wir auch hier gewöhnlich erst mit dem Auf-
treten eines schnell wachsenden (Keim) Centrums.
5) Endlich haben wir noch die Verhältnisse zu untersuchen
der allerjüngsten und kleinsten Knötchen resp. der Bildungen,
die zu solchen werden. Wir finden solche z. B. bei einem 12
cm Kätzchen. Sie zeigen sich als geringe Infiltration der binde-
gewebigen Hülle einer Arterie. Es können dabei auch in den
nächstliegenden Maschen der Pulpa die Zellen etwas dichter
g^edrängt liegen.
Capillaren sah ich hier noch nicht.
Bei allen diesen -Angaben muss ich mich natürlich gegen
den Vorwurf verwahren, als habe ich etwa ein Segment eines
Knötchens, das durch den Schnitt nur von der äussersten Rand-
partie eines solchen entnommen war, für eine besondere Art ge-
halten. Man entgeht dieser Täuschung nur dadurch, dass man
sich an Serienschnitte hält.
Mutatis mutandis kehren diese verschiedenen Bilder in der
Milz sämmtlicher, von mir untersuchten Thiere wieder. Meine Un-
tersuchungen hierüber können nicht als abgeschlossen gelten, d. h.
es fehlt mir bis jetzt das genügende Material, um diejenigen
Verhältnisse, welche für eine Milz bleiben, von denen zu unter-
scheiden, die einer Schwankung unterworfen sind. Es ist be-
kanntermassen von Flemming ein Keimcentrum als ein
variables Gebilde aufgefasst worden. Ich bin von dieser
Variabilität überzeugt, kann aber noch nicht beurtheilen, ob ein
solches Keimcentrum sich auch unter normalen Verhältnissen
bilden und rückbilden kann oder ob dies nur unter krankhaften
Verhältnissen geschieht, etwa bei Blutverlusten. Feiner kann
ich noch nicht unterscheiden, ob solche Centren vielleicht vica-
Archiv für mikrosk. Anat. Bd. 38 25
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ä82 ß a n n w a r t h :
riirend für andere iii anderen Organen, oder vielleieht auch für
das Knochenmark eintreten resp. Rieh entwickehi können.
Nach dem, was ich Im jetzt ^CHchen, nuiss ich mich den
meisten Milzbearbeitern anschliessen, und erstens Thierarteu mit
^abgegrenzten Follikehi" der Milz unterscheiden und zweitens
solche mit „continuirlichen lymjdiadenoiden Scheiden und Hyper-
plasien in solchen".
Manchen Beobachtungen zu Folge scheinen sich die mehr
oder weniger scharf abgegrenzten Knötchen in denjenigen Milzen
zu finden, wo das lymphadenoide Gew^ebe vorwiegt, die nicht ab-
gegrenzten Scheiden dagegen bei Thieren, in deren Milzpulpa das
Capillametz gegenüber dem adenoiden Gewebe tiberwiegt. Es ist
nun freilich oft recht schwer, eine scharfe Grenze zwischen den
Knötchen und der Pulpa zu ziehen, aus dem Grunde, weil die aus
der Peripherie des Knötchens austretenden Zellen oft noch weit
hin das ganze, umliegende Pulpagewebe überschwemmen und ver-
decken.
Man kann jedenfalls mit vollem Recht dasjenige Gebiet zur
Pulpa rechnen, in welches der frei ausserhalb der Gefässe circu-
lirende Blutstrom bei möglichst wenig gehindertem Abfluss und
geschwächtem, arteriellem Druck noch hineingelangt. Wie weit
solches der Fall ist, ersehen wir an den natürlichen Injektions-
präparaten, welche dadurch gew onnen sind, dass das ganze (kleine)
Thier ohne Unterbindung des Milzstieles in die Conservirungs-
flüssigkeit gebracht wurde oder an künstlichen Injektionspräpa-
raten, welche dadurch hergestellt sind, dass bei schwachem Druck
und bei offen gehaltenen Venen von der Arterie aus flüssige,
aber rasch erstarrende, Injektionsmassen in die Milz eingespritzt
worden sind.
Gerade bei der 3^/2 Monat-Milz fand ich die so bestimmten
Grenzen der Pulpa mit denjenigen der Knötchen übereinstimmen,
indem ausserhalb dieser Grenze keine dichtere Zelleinlagemng
sich fand, hingegen aber ein dichter Injektionskranz. Was hier
als Knr>tchen der Milz erschien, entspricht dann genau dem, was
von F 1 e m m i n g bei den Lymphdrüsen ebenfalls als Knötchen
bezeichnet wird, also das ^Keimcentrum" mit der „dunkeln
Schale". Nicht mit eingerechnet ist aber die von ihm in den
Lymphdrüsen beschriebene „äussere helle Zone".
Nun ist aber anderseits auch bei der Milz die Abgrenzung
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Untersiichungen über die Milz. 383
der Lymphzcllenauhäufung vielfach sehr undeutlich und ferner
schwankend. Das eine Mal föllt sie zusammen mit den Grenzen
der blutgeftillten Lacunen, das andere Mal greift sie weit in das
letztere Gebiet. Unter allen umständen erscheint die Abgren-
zung zwischen den unter schwachem Druck sich füllenden Pulpa-
räumen und der dunkeln Schale um das Keimcentrum als das
weniger Veränderliche und Schärfere. Will man die Bezeichnung
Knötchen, worunter doch etwas in weicherer Umgebung schärfer
Begrenztes, Compakteres zu verstehen ist, beibehalten, so kann
man sie meiner Meinung nach auch in der Milz nur flir diejeni-
gen Complexe, die vom freien Blutstrom für gewöhnlich nicht
durchsetzt werden, anwenden. Die helle Zone aber, welche in
der stark entbluteten Milz entsprechend dem sonst mit Blut ge-
füllten Bezirke der Pulpa zunächst dem Keimlager entsteht, kann
nicht wohl zum Knötchen im engeren Sinne, sondern eben nur
zur Pulpa gerechnet werden. Dies erhellt auch schon daraus,
dass ich in der Milz des Ochsen in diese helle Zone reichlich
Capillarhülsen eingelagert fand. Am besten wäre es natürlich,
den Ausdi-uck Milzknötchen, Milzkörperchen u. s. w. ganz fallen
zu lassen. Auf keinen Fall ist die Annahme zulässig,
dass das, was die Autoren bis jetzt darunter verstan-
den haben, stets tibereinstimmenden Bezirken ent-
spreche und eine besondere und von der Pulpa ver-
schiedene Einlagerung darstelle. Ich gebrauche also, wie
es Flemming, nach Brücke's Vorgang, empfiehlt, für den gan-
zen Bezirk der „lymphatisch infiltrirten reticulären Bindesubstanz",
gleichgültig, ob es sich um die Arterienhtillc oder Pulpa handelt,
das Wort „Keimlager'^. Besonders markirte Heerde in denselben
werde ich (als „Sekundärknötchen" oder) ihrem physiologischen
Verhalten gemäss als „Keimcentren" bezeichnen.
Nach diesen Ausführungen will ich versuchen, auf Grund
der beschriebenen nebeneinander oder an verschieden alten Milzen
beobachteten Bilder, ein Bild der Entwickelung der Keim-
lager zu construiren.
Den Beginn der Entwickelung von Keimlagern stellen dar
Fig. 2 und 3, Taf. XXIII. Wir sehen im Längs- und Quer-
schnitt eine Arterie. Die innerste Schicht wird durch die Intima
mit ihren oblongen Kernen gebildet. In Figur 3 erscheint sie in
Falten gelegt. Daran stösst eine noch relativ muskelschwache,
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ä84 B a 11 11 w a r t h :
kernarnie Media. Schon bis an diese reicht an manchen Stellen
die lyniphoide Infiltration des umgebenden Gewebes heran. Eine
Anheftung des fibrillüren Gewebes an die Media ist zwar fiberali
nachweisbar, aber zwischen diesen Anheftestellen dringen die
Leukocjten bis an die Muscularis. In einigen Fällen hat die
Infiltration nur das die Arterie einhüllende faserige Bindegewebe
ergritfen, während in anderen Fällen auch das umliegende, reti-
culäre Gewebe dichter mit Zellen gefüllt ei'scheint. Da im ersten
Fall die Heerde kleiner sind als im letzteren, so glaube ich an-
nehmen zu dürfen, dass hier in diesem letzteren eine ältere Phase
der Entwickelung vorliegt und dass also die erste Ent-
wickelung eines Keimlagcrs stets in dem periarteriel-
len Bindegewebe erfolgt. Ich rede nur von Bindegewebe,
weil eine Sonderung des periarteriellen Gewebes in Scheide und
Adventitia in diesem Alter nicht nachweisbar, wohl auch noch
nicht vorhanden ist.
Von diesem ersten Grade der Infiltration des periarteriellen
Bindegewebes aus stehen nun zwei Wege offen für die Wei-
terentwickelung von Keimlagern. Es entwickeln sieh
dieselben entweder vorwiegend in der Arterienhülle
oder vorwiegend in der Pulpa; im zweiten {""alle mit
grösserer oder geringerer Mitbetheiligung der arteriellen Hülle.
Dabei kann als Regel festgehalten werden, dass von einer be-
schränkten Stelle, einem Centrum aus, das Wachsthum
erfolgt, ganz ähnlich wie es sich Möbius etwa vorgestellt hat.
Es ergibt sich hieraus von selbst der Grund, warum in
ausgebildeten Keimlageni die Arterie excentriseh liegt.
Besprechen wir nun zuerst die Entwickelung von
Keim läge min der bindegewebigen Arterienhülle
allein. Wir finden da bei älteren, als der genannten Phase eine
stärkere Lockerung und dichtere Infiltration mit Lympbzellen.
Zugleich beginnt auch das Wachsthum des Bindegewebes, das
nun bald deutlich concentrische Anordnungs-Linien , circuläre
Züge fibrillären Charakters mit spitzwinkelig abgehenden Verbin-
dungszügen aufweist. Bei genauer Betrachtimg solcher Stadien
lässt sich jetzt öfters ein Unterschied zwischen Scheide und
Adventitia machen.
Dies war z. B. der Fall bei einer 6 monatlichen Menschen-
milz. Auf einer Seite lag die Arterie mit dem straffen Scheide
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Untersuchungen über die Milz. 385
und der mehr gewellten Adventitia. Man sah beide Schichten von
der Arteric ans abbiegen. Die Scheide verlief unaufgefasert ein
Stück weit an der Peripherie des Keinilagers, während die Ad-
ventitia unter AuflFaserung die Grundlage für dasselbe abgab.
Dies war einer der Fälle, wo man sagen konnte, dass allein
nur, oder vorwiegend auf Grund der Adventitia ein Keim-
lager sich zu bilden begann.
Für die Mehrzahl der Fälle aber hat man wirklich den
Eindruck, dass das Anwachsen zu grösseren Keimlagern
vorwiegend auf Grund der Auffaserung der Scheiden er-
folgt, allerdings unter mehr oder weniger tief grei-
fender Betheiligung der Adventitia. Man sieht nämlich
die Scheide eine Strecke weit vor dem circumscripten Keiralager
locker werden, in einzelne Fasern (unter denen ich selbst noch
einmal glatte Muskelfasern fand) aus einander weichen und mit
Lymphzellen sich infiltriren. So geht die straffe Scheide ganz
allmählich in die Stelle der stärksten. Anhäufung von Lymph-
elementen über. Wir haben hier einen direkten üebergang der
Scheide in Keimlagergewebe, nicht eine Substitution durch infil-
trirtes Pulpagewebe.
Diese Auflockerung der Scheide ist eine vollständige, so
dass auch die ßandpartien keine continuirliche Lage, keine ab-
schliessende Membran vorstellen, sondeni auseinander liegende,
durch schräge Züge in Verbindung stehende Fasem und Platten.
Liegen irgendwo an der Grenze eines Keimlagers mehrere Faser-
züge dicht beisammen, so haben wir es nur mit einem zum
gröberen Gerüstwerk der Milz sich abzweigenden Balken zu thun.
Ob und wie weit die Adventitia mit betheiligt ist, ist oft
schwer zu beantworten, indem auch schon im Stiel des Keim-
lagers durch die Lymphzellen-Infiltration die Grenze zwischen
Scheide und Adventitia verwischt wird. Müller schreibt:
„Verläuft die Arterie in einer einfach cytogen iinigewandelten
Scheide oder liegt sie seitlich an einem Follikel, so unterscheidet sich
die Adventitia A'oni gewöhnlichen Verhalten in der Regel nur durch
eine Lockerung der Bindegewebsfibrillen und das reichlichere Vor-
handensein elliptischer Kerne, neben spärlichen lymphkörperartigen
Zellen. Die Lockerung ist geringer au den inneren als an den äusseren
Lagen, welche o h n e s c h a r f e G r e n z e in d i e u m g e b e n d e S c h e i d e
überg'ehen. Verläuft der Arterienzwei«: dagegen excentrisch oder cen-
tral (ich habe hier anzuführen und es erhellt dies auch aus der Art
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386 B a n n w a r t h :
der Entstehung:, dass eine Arterie central nur in den ersten Bil-
dun^fsstadien getroffen werden kann, nicht mehr aber, sobald ein Keim-
centrum sich gebildet) durch eine hyperplastische Stelle der Scheide,
so verändert sich das Aussehen der Adventitia gewöhnlich in höherem
Grade. Die Lockerung^ der Bindegewebsfibrillen wird beträchtlicher
und erstreckt sich auch auf die inneren Lagen selbst bis an die Mus-
cularis heran ; die zwischen den Fibrillen liegenden Lymphkörper wer-
den reichlicher, und nur in unmittelbarer Umgebung der Muscularis
bleibt eine Anzahl elliptischer Kernfornien; zugleich werden die auf-
gelockerten Fibrillen, je weiter nach aussen, um so blasser und zarter
und gehen unmerklich in die zarte zwischen den Zellen des Follikels
vorhandene Zwischensubstanz über. An beiden Stellen ist dieses Ver-
halten jedoch mir Regel; die Adventitia kann bei centralem Verlauf
der Arterie durch einen Follikel in ihren innersten Schichten ausnahms-
weise fast unbetheiligt bleiben, und sie kann bei seitlicher Lagerung
eine beträchtliche, durchgreifende Auflockerung darbieten."
Es erhellt aus dem Obigen, dass auch W. M tili er schon
eine Mitbecinflussung der Adventitia als Regel angenommen hat
und zwar derart , dass die Lockerung und Infiltration von
aussen her beginnt; dieser Prozess schreitet oft bis an die Mus-
cularis heran fort, oft aber auch nicht. Müller gibt ferner zu,
dass die Adventitia ohne scharfe Grenze in die Fasern der Scheide
tibergeht.
Bei dem genannten Stadium der Entwickelung von Keim-
lagem (auf Grund der bindegewebigen Hülle) finde ich ebenfalls
das von Müller beschriebene Verhalten der Mitbetheiligung der
Adventitia. Wir finden öfter ein Heranreichet der Infiltration,
eine Lockerung der Adventitia bis in die inneren Schichten als
keine solche. Eine dünne Lage von Bindegewebsfibrillen ist an
der dem Keimlager abgewendeten Seite bei excentrisch liegenden
Arterien aber immer noch zu sehen. Es tnuss aber nochmals be-
tont werden, dass eine scharfe Unterscheidung der Fasern der
Adventitia und Scheide gewöhnlich nicht zu treffen ist, wenig-
stens nicht an unausgepinselten Präparaten.
Ich muss nun aber doch hervorheben, dass es Fälle gibt,
wo die Adventitia ausschliesslich betheiligt ist, die straflFe Scheide
ganz imbetheiligt.
Was erhellt nun aus der grösseren oder geringeren Betheili-
gung der Adventitia an der Infiltration mit LjTnpbzellen? Wir
sehen, dass die Angabe Müll er 's, die Keimlager entstehen
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Untersuchungen über die Milz. 387
durch cytogene Umwandlung der Scheide, nicht ausreicht. Wir
müssen vielmehr sagen : Die Keimlager entstehen als lymphoide
Infiltrationen der gesammten Arterienhülle, d. h. sie
nehmen ihren Ui^sprung aus der bindegewebigen Hülle der Arte-
rien, durch Lockerang und Einlagerung von Leukocyten in die-
selbe. Das weitere Wachsthum geht aber vor sich, ohne sich
um das Gewebe zu kümmern, so dass wir also die Keimlager
im Laufe der Entwickelung wesentlich auf Grund der
Seheide, oder auf Grund der Adventitia, oder der
Pulpa sich weiter entwickelnd finden können.
Ich glaube, dass diejenige Partie der bindegewebigen Hülle,
welche der Pulpa zugewendet ist, die von der Infiltration zuerst
ergriffene ist. * Wodurch ist nun diese Infiltration bedingt? Haben
die Arterienhüllen in sich schon die Eigenschaft, sich an bestimmten
Stellen in dieser Weise weiter zu entwickeln? Entwickeln sich
auch die ersten lymphoiden Keimzellen in den Arterienhüllen
selbst ?
Es wäre im Gegentheil sehr verführerisch, eine einfache
Einwanderung von Keimzellen von der Pulpa her anzunehmen.
Nach unseren jetzigen Kenntnissen müssten diese Zellen fort-
pflanzungsfahige, lymphoide Zellen sein. Es müssten dann aber
doch bei solcher Einwanderung noch ganz besondere Verhältnisse
der Bindegewebshüllen an einzelnen Stellen der Arterien gegeben
sein; denn wir finden ja z. B. auch in Balken oder Venenwand
thatsächlich eingewanderte Leukocyten, aber eine Auffaserung,
Lockerung folgt deren Einwanderung nicht, trotzdem das Ge-
webe der Venen u. s. w. doch anscheinend ganz gleich be-
schaflFen ist, wie dasjenige der Arterienscheide.
Wir haben bis jetzt Fälle besprochen, wo in dem
Keimlager dieZellen noch locker und gleichmässig ver-
theilt sind, wo wir als Substrat des Keimlagers ent-
weder nur fibrilläre Züge finden, oder nur klei-
nere Partieen ly mph adenoi den Gewebes. Das
weitere Wachsthum geht in der Weise vor sich, dass
von einem Punkteaus ein rascheres Wachsthum
beginnt. Hier zeigt das Keimlager einen dunkleren Fleck
(am tingirten Präparate), an welcher Stelle die Zellen
dichter liegen. Dieser Fleck wird bald grösser und es er-
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388 Bannwarth:'
scheint ein helles Centrnm, das Keinieentrum, durch welches der
ursprdnglich geschlossene dunkle Fleck gleichsam zu einer dunk-
leren Schale auseinander getrieben wird. Mit dem Entstehen
der dunkleren Flecke schon wird das fibrilläre (rcwebe nach
aussen peripher verschoben und zusammengedrängt, so dass wir
es bei ausgebildetem Keimcentrum nur noch als äussere Um-
grenzung der dunklen Schale finden. Im Inneren dieses
ganzen Bezirkes ist nur ly mphadenoides Gewebe
zu finden.
(Wir finden nun auch Keimlager mit Keimcentrum und
dunkler Schale, bei welchen um letztere herum ein hellerer, aus
lymphadenoidem Gewebe bestehender Hof sich findet, der dann
aussen gegen die Pulpa durch ein engeres Flechtwerk von Fi-
brillen abgegrenzt ist. Wir müssen uns hier vorstellen, da«
das Keimlager nur auf Grund der äusseren Schichten der Binde-
gewebshülle (also Scheide) entstanden ist, und zwar derart, dass
erst ein grösserer lymphadenoider Bezirk sich gebildet hat, in
dessen Inneren später ein Keimcentrum auftrat.)
Diese abgegrenzten Keimlager können in diesem Stadium
gegen die Pulpa mit deutlicher Grenzlinie authören, so dass bloss
„Sekundärknötchen" Flemming's vorliegen; es können aber
auch auf grössere oder geringere Entfernung die nächstliegenden
Pulpamaschen dicht von Leukocyten erfllllt sein, so dass wir
Bilder haben, wie sie in Schleimhäuten sich finden. Solche
unterschiede hängen offenbar davon ab, ob die peripheren Zellen
rascher oder weniger rasch weggespült werden und wegwandern.
Etwas dichter liegen die Leukocyten hier immer als in der
übrigen Pulpa, aber da sie bei guter Erhaltung natürlicher Ver-
hältnisse stark mit rothen Blutscheiben untermischt sind, so fällt
diese Zone in der Regel gegenüber ihrer Umgebung nicht durch
tiefere Tinktion auf. Die exarterielle künstliche . Injektionsmasse
reicht auch bei geringerem Dmck gewöhnlich bis an die dunkle
Schale, (bei vollkommen entwickeltem Keimcentrum) heran. Zu
Täuschungen führen nicht injicirte Präparate, die nicht ganz
sorgfältig vor Schrumpfung bewahrt sind, und in denen die na-
türliche Füllung nicht mehr vorhanden ist. Uebrigens kommt
eine solche Anhäufung in einer grossen Zahl von Fällen wirk-
lich bei gut conservirten Präparaten vor.
Die Capillaren werde ich weiter unten besprechen.
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Untersuchungen über die Milz. 389
Es gibt nun aber Fälle, wo die Keimla^er sieh wesent-
lich auf Grundlage des Pulpanetzes entwickeln. Auch
diese nehmen ijjren ersten Ursprung von einer Infil-
tration der Arterienhülle, aber schon sehr frühe fin-
den wir daneben eine dichte Infiltration des nächst-
liegenden Maschenwerkes der Pulpa. Auf jeden Fall
entsteht das später auftretende Keimcentrum ausser-
halb der Hülle. Die Entwickelung ist kurz folgende. Von
der einfachen Infiltration der Hülle aus beginnend häufen sich
lymphoide Zellen ringsum oder einseitig an der Arterie, voi*wie-
geud in der Pulpa an. Die Zellen liegen im Anfang im ganzen
Bezirke locker und gleichmässig vertheilt. Das localisirte,
raschere, regere Wachsthum macht sich dann zuerst bemerkbar
durch das Auftreten eines dunkleren Fleckes, gewöhnlich in der
Mitte des grösseren oder kleineren Feldes der Pulpainfiltration.
Dann folgt das Auftreten eines helleren Fleckes im Inneren dieses
Feldes (eigentliches Keimcentrum). Mit der Localisation des
regeren Wachsthums auf einen Punkt sind auch verschiedene
Einflüsse auf das bindegewebige Substrat erkennbar: der dunkle
Fleck und dann die dunkle Schale schieben die Pulpamaschen
vor sich her und drücken sie flach , bis schliesslich der ganze
frühere Raum der locker liegenden lymphoiden Anhäufung in
das dichtere Keimcentrum resp. dessen dunkle Schale mit ein-
bezogen ist. Injektionsmasse der off^enen Pulparäume findet auch
hier ihren Weg bei nicht übermässigem Druck nur bis zu den
flachgedrückten Maschen der Peripherie, obschon dieselben ur-
sprünglich Pulpabezirk waren, indem hier die engliegenden
Lymphzellen nebst dem zusammengedrängten Netzwerk dem
Weiterdringen sich entgegenstellen.
Auf die in den Keimcentren herrschenden Druckver-
hältnisse ist F 1 e m m i n g in seiner grundlegenden Arbeit
eingegangen. Flemming fasst, gestützt auf eingehende Unter-
suchungen, die Keimcentren als variable Gebilde auf. Er glaubt,
dass sie in Lymphkörperanhäufungen, wo auch immer
sich diese finden mögen, temporär auftreten, von kleinen An-
fängen aus wachsen und sich vergrössem, eventuell wieder ver-
schwinden können. Ich glaube, dass die vorhergehenden Be-
funde an der Milz des wachsenden Thieres einen Beweis ergeben
für die Richtigkeit der von Flemming mit grosser Reserve auf-
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390 Bannwarth:
gestellten Hypothese von der Eiitwickelung von Keimcentren in
kcimcentrenlosen Keimla^ern des erwachsenen Thieres. Eine
Rüekhildung, wie sie Flemniing in weiterer Ausführung seiner
Hyi)othe8e annehmen zu müssen glaubt, wird allerdings schwer
als solche erkennbar sein. Wir werden ein in Rückbildung be-
griffenes Keimcentrum von einem sich entwickelnden Keimcen-
trum kaum unterscheiden können, es sei denn durch den Mangel
an Mitosen. Vielleicht sind auch Keimlager mit einer bedeu-
tenden Hypertrophie des reticuläreu Gewebes und fast absoluter
Abwesenheit von beweglichen Zellen im Inneren der Knötchen,
die mir öfter begegneten, hierzu zu rechnen.
Ueber das Gerüstwerk schreibt Flemming:
„Das Reticulum ist im Bereich einer Kugelschale dichter und
eini^ermaassen eoiicentrisch anireordnet, welche Schale dem Orte nach
p:erade der dichtgedrängten, dunkel tingiheln Grenzzone des Keim-
centnuns entspricht. Es sind ähnliche Bilder, wie sie z. B. in der Ab-
hildunj^ Kölliker's von dem Grenzreticulum eines Malpip:hi'schcn
Milzknötchens ^e^eben sind. Nur dass hier in den Lymphdrüsen nach
aussen von der verdichteten Stelle das Netzwerk wieder ebenso locker
wird, wie im Innern. Selbstverständlich sind seine Lücken im Bereich
der Schale nur verengert, nicht etwa g-eschlossen." Es vindicirt nun
Flemming dem binde^ewebi|^en Gerüstwerk eine physiologische Pia-
sticität, vermög'e welcher „das Reticulum im Inneren allmählich ge-
dehnt, in der Peripherie aber, wo es durch die kleinen Tochterzellen
stärker verstopft gehalten wird, mehr zusammengedräng-t wird; ähn-
lich würde ja auch, um einen g-roben Vergleich zu gebrauchen, eine
ins lockere Bindegewebe gemachte Einstichinjektion die Fibrillen und
Gewebslamellen vor sich hertreiben, zu einem Filz verdichten und sich
eine künstliche Schale machen". In der Ausführung dieser Idee schreibt
Flemming weiter: Es muss in den Keimcentren eine Art langsamer,
centrifugaler Druckmechanik geben, auf der es beruht, dass die jungen
Tochterzellen nach der Peripherie zusammengedrängt und weiter
durch die Lücken des Reticulums herausgetrieben werden. Die nächste
Ursache hierfür kann man darin suchen, dass eben überhaupt dort
im Centrum Zellen sich theilen und dass, wie es überall dabei ge-
schieh^, die Tochterzellen auch wachsen und zusammen mehr Masse
gewinnen, als die Muttcrzelle sie hatte. Dies muss schon an sich zivr
Folge haben, dass die Zellenmasse sich ganz allmählich centrifugal
gegen die Lymphbahn zu hinausdrängt, wobei allerdings die gleich
zu besprechenden Verhältnisse eines stärkeren, inneren Trans-
sudati onsdruckes, vielleicht auch Auswanderung von Leukocyten
des Blutes im Innern eine Rolle sjiielen." Bei der Frage, warum nun
aber grerade im Centrum eines Knotens eine rege Zellbildung statt-
finde, kommt der von T o 1 d t , St ö h r und ihm selbst beobachtete
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Untersuchungen über die Milz. 391
regelmässige Befund in Betracht, dass die Capillaren der Sekundär-
knötchen besonders zur Extravasation disponirt sind. Aus dieser
Eigenthümlichkeit glaubt Flemniing auf eine besondere lokale Be-
schaffenheit der Capillaren schliessen zu dürfen, welche eine stärkere,
das rege Wachsthum in dem umliegenden Gewebe bedingende Trans-
sudation ermögliche.
Im üebrigen hält Flemming die Capillaren für ebenso
variable Gebilde, wie das reticuläre Maschenwerk. Als Analogon
führt er das Capillarsystem von Fettgewebe an.
Die vorstehende Hypothese Fleniming's giebt eine solch'
treffliche Erklärung für meine vorhergehenden Befunde, dass ich
sie einlach statt einer eigenen Beschreibung derselben hier einge-
schaltet habe. Ich möchte nur noch beifügen, dass vielleicht
auch das Reticulum selbst variabel ist bis zu einem gewissen
Grade, gewissermaassen mit der sich ausbreitenden Zellbrut sich
ausdehnt, durch Neubildung aber immer wieder sich ver-
vollständigt. Es ist dies eine Annahme, die auch Flemming
als möglich hinstellt in seiner neuesten Arbeit, wenn auch nicht
gerade als wahrscheinlich.
Es ist erklärlich, dass diese Theorie der Druckmechanik
für alle Arten von Keimlagem oder bessei* gesprochen für alle
Keimlager gelten muss, gleichviel in welcher Art von Grund-
gewebe sie entstehen. Wir werden also hier in der Milz diesen
Druck verantwortlich machen können für die Dehnung im Inne-
ren und das Zusammendrängen der Maschen weiter aussen, und
zwar nicht nur bei den auf Grundlage der Pulpa, also auf Grund
eines vor der Entwickelung des Keimlagers schon bestehenden
Gewebes, sondern auch für die, welche auf Gnindlage der
Bindegewebshülle entstanden sind, also auf Grundlage eines mit
dem Keimlager erst entstehenden reticulären Gewebes.
Natürlich nimmt bei der zweiten Art auch dasjenige Gewebe
Theil, welches noch von der ursprünglichen Hülle abstammt und
fibrillär geblieben ist.
Was nun die Capillaren der Keimcentren anbelangt,
so glaubt Flemming, dass die zu diesen Centren gehörige
Anordnung erst mit ihnen entsteht und eventuell mit ihnen wie-
der untergeht. Die Entstehung der Capillaren zugleich mit der
Bildung der Keimcentren kann man nun direkt erschliessen aus
der Betrachtung einer Serie jüngerer Milzen verschiedenen Alters.
Ja aus einer beträchtlichen Anzahl Bilder glaubt man — es
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392 Bannwarth:
ist verführerisch genug schliessen zu sollen, — dass
die Capillarentwickclung das primäre ist und dass
eben diese den Anstoss zur Bildung eines Keinicen-
trunis ergebe. Dabei ist es ganz gleichgültig, ob die Capil-
laren von aussen, also von der Pulpa her, oder von der perfori-
renden Arterie kommen. Es schien mir, als ob bei den nicht
abgegrenzten Keimlagern und solchen, die nur eine Pulpahülle
als Grenzschicht haben, sich häufiger von aussen eindringende
Capillaren finden als bei solchen, die in der Arterienhtille ent-
standen sind und in derselben liegen.
Anastomosen zwischen den Capillaren finden sich erst in
späteren Stadien, wohl erst nach Entstehimg eines eigentlichen
Keimcentrums, also zu der Zeit, wo das Keimlager sich zu einem
selbständigen Gebilde von seinem Mutterboden emancipirt hat.
Auf diese Selbständigkeit muss es also wohl zurückgeführt wer-
den, dass wir in Keimlagem zahlreiche Anastomosen finden, nicht
aber in der übrigen Pulpa.
Die Richtung derselben , auch der von aussen eindrin-
genden Capillaren ist vorwiegend eine radiäre. Sie werden in
dieser Lage am wenigsten durch den centrifugalen Druck in der
ungest()rten Circulation geschädigt.
Es erübrigt noch, das im Inneren dieser Keimlager vor-
handene reticuläre Gewebe zu besprechen. Es ist ohne Wei-
teres klar, dass auch hier, ähidich wie in den Lymphknoten,
ein Unterschied zwischen dem adenoiden Gewebe der
Keimlager und demjenigen der Pulpa, also der Strom-
bahn, gemacht werden konnte, wie dies von verschiedener Seite
geschehen ist. Für denjenigen Theil der Keimlager, die nun
vorwiegend auf Grund des Pulpagewebes entstanden sind, föllt
diese Unterscheidung dahin.
Für den anderen Theil der Keimlager aber, die rein auf
Grund der Arterienhülle entstehen, müssen wir entweder eine
Umwandlung des fibrillären Gewebes oder eine Substitution resp.
Neubildung annehmen. Wie dies geschieht, kann ich nicht sagen.
Neuerdings ist von E. Hoyer die Frage discutirt worden, ob
wir als Reticuhmi der Kcimlager der Lymphdrüsen ein binde-
gewebiges, kernloses Fasernetz haben, dem die Zellen nur an-
tai)ezirt sind, oder ob wir ein Gerüstwerk von sternförmigen
Zellen haben, die mit ihren feinen Ausläufeni zusammenhängen.
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üntersuchuiigon über die Milz. 393
Der Streit ist nicht neu. Es würde zu weit führen, auf alle
darauf bezüglichen Angaben einzugehen. Hey er glaubt sich für
das erstere entscheiden zu müssen, auf Grund von Verdauungs-
versuchen. Ohne nun bezweifeln zu wollen, dass durch die Ver-
dauung auch bei dem Reticulum der Keimlager der Milz die
Bilder Iloyer's zu erhalten sind und dass unter Umständen ein
lockeres tibrilläres Gewebe sich in das zartere Reticulum des
lymphadenQJiden Gewebes umwandeln kann und umgekehrt, darf
ich ihm doch für die Milz nicht beipflichten. Es scheint mir
nämlich nicht genügend erwiesen, dass dem von Hoyer ange-
wandten Trypsin oder Fankreasauszug die spezifische Wirkung
zukommt, nur die auskleidenden Zellen zu verdauen, die
Kerne der freien Bindegewcbszellen aber und das umgebende
Protoplasma intakt zu lassen, sofern letzteres allmählich in
modificirte Stützsubstanzen übergeht. Ist also durch
Verdauung ein Netzwerk zu erhalten, das nirgends mehr Keine
und jugendliches Protoplasma aufweist, so kann es sich doch
möglicherweise auch hier um ein kernhaltiges Reticulum gehan-
delt haben, von welchem die Kerne und junge protoplasmatische
Theile wegverdaut sind.
Ich fasse wirklich beides, das durch Verdauung zu erhal-
tende Gerüst nebst den wegverdauten Thcilen als ein intra yiUun
zusammengehöriges, untrennbares Ganzes auf, da ich auch durch
Silberbehandlung keine Kittgrenzen nachweisen konnte. Ich ver-
weise übrigens auf den alten Streit über diese Verhältnisse.
(Reichert — Donders — Henle — Kölliker.) Auf eine
neuere Arbeit Oi)pers über vergoldete Gitterwerke der Milz
will ich an dieser Stelle nur hinweisen. Es scheinen mir seine
Resultate ganz gut neben den meinen gelten zu krmnen.
So viel scheint mir sicher, dass man in jüngeren Eut-
wickelungsstadien ein kernreicheres, in älteren ein kernäimeres,
aber nie ein kernloses Gewebe als Netzwerk findet, dass ferner
die Maschen im Inneren, also im Keimcentrum, weiter und ge-
dehnt sind, während sie in der dunkeln Schale vcm innen nach
aussen flach gedrückt erscheinen. Das Gewebe selbst ist durch-
aus ähnlich dem der Pulpa, erscheint aber grösstcntheils etwas
zarter, succulcnter. Theilungsstadien dieser Zellen habe ich selten
beobachtet, und dann gewöhnlich in den Keimcentren. Es stellen
diese wohl den durch die Dehnung der Maschen und ihre Ver-
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394 Butinwarth:
Schiebung nach aussen bedingten Nachwuchs des Reticulnms dar.
Insofern dieser Nachwuchs nicht überall ausreicht, niuss es zur
Verlängerung und AuflFaserung der Reticulum-Lamellen und Balken
kommen, wobei über weitere Strecken weg und auch oft an
Theilungsstellen resp. Knotenpunkten der Balken Kerne fehlen.
Saftlficken und Lymphgetasse der Keimlager.
Flemming erklärt den hellen Fleck in den Keimcentren
einfach durch die bedeutendere Grösse der im Inneren gelegenen
Zellen. Indem insbesondere der Zellenleib grösser ist, rücken
die Kerne weiter auseinander, als dies in der dunklen Zone,
der jüngeren und kleineren Zellen der Fall ist.* Dass ein sol-
cher Unterschied besteht, ist richtig. Aber die grössere Hel-
ligkeit erscheint mir nicht allein- hierdurch bedingt, vielmehr
kommt auch noch eine stärkere Durchtränkung der Centren mit
Flüssigkeit in Betracht, indem durchweg die im Inneren liegen-
den Zellen durch grössere, manchmal sogar die Hälfte des Zell-
durchmessers betragende Zwischenräume getrennt liegen. Es
zeigt sich dies auch an Celloidinschnitten, wo ein Ausfallen der
Zellen ausgeschlossen werden konnte.
Es muss nun noch einiger rundlicher oder gestreckter Hohl-
räume Erwähnung geschehen, die sich sehr oft in Keimlagem
und Keimcentren finden. Es sind dies die gleichen Bildungen,
die W. Müller auffielen bei Schaf und Kaninchen, und die er
für diejenigen Bildungen hielt, welche His von den Lyniph-
drüsenfoUikeln des Ochsen als „Vacuolen" beschrieb. Es liegt
hier ein Missverständniss Müller's vor. Flemming ist der
Meinung, dass seine Keimcentren, also makroskopische Ge-
bilde den His' sehen Vacuolcn entsprechen, Müller aber be-
zeichnet als Vacuolen mikroskopische, zellenfreie, mit Flüssig-
keit gefüllte Hohlräume, die zahlreich im Innern der Keimlager
vorhanden sind. Sie sollen im Keimcentrum oder in dessen
dunkler Schale liegen. Manchmal glaubt man eine Abgrenzung
durch eine Membran mit kleinen, in der Wandung liegenden
Kernen zu sehen. Die Kenie sind dann denen des Gerüstwerkes
gleichgestaltet. Obwohl diese Bilder einer wirklichen Endothel-
wandung gleichsehen, glaube ich doch, dass wir es nur mit einer
gedehnten, zellenleeren Gerüstlücke zu thun haben, die mit dem
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TTntersuchungen Über die Milz. 395
übrigen Lttckensystem und eventuell mit anderen derartigen er-
weiterten Lücken in Verbindung steht. Durch starke Fltissig-
keitsfttUung können sehr wohl Gewebstheile des Gerüstes eine
Strecke weit plattgedrückt sein. — Prof. Strasser machte mich
darauf aufmerksam, dass in den Keimlagera die Masse der Zellen
oft strangartig angeordnet schehie, und dass die dazwischen-
liegenden gangartigen Lücken vielleicht bleibende oder vor-
übergehende Rinnsale, bevorzugte Abflusswege für die Lymphe
dieses Lückensystems darstellen, und so funktionell etwa dem
System der Lymphsinus gleichwerthig seien. Jedenfalls würden
nur die Hohlräume der Pulpa als Fortsetzung dieser Lymph-
kanäle aufzufassen sein; denn besondere Lymphgefasse der Pulpa
fand ich nicht, ebensowenig Lymphwege, die aus den Keim-
lagern, etwa den Arterien entlang, zum Hilus zurückführen, ab-
gesehen von der Spitzmaus (siehe unten), f^s muss nun hervor-
gehoben werden, dass, wie in der Peripherie der Keimlager den
Elementen der Lymphe allseitig sehr zahlreiche Wege in die
Pulpa oflen stehen, sich eben sowohl auch gelegentlich, wenn
anch bedeutend seltener, vorübergehend besondei's bevorzugte
Abflussrinnsale bilden könnten, und dass ebenso auch im Inneren
eventuell der Abfluss an circumscripten Stellen leichter zu Stande
kommt.
. Es ist in der Litteratur ein Fall von Axel Key erwähnt,
in welchem ein aus einem Malpighi'schen Knötchen austreten-
des, prall mit Lymphkörperchen gefülltes, zur Pulpa gehendes
üefUss beobachtet wurde. Obgleich ich ein derartiges Bild nicht
zu Gesicht bekam, so kann ich mir doch ganz gut denken, dass
einer der von mir im Imieren der Keimlager oft gesehenen,
strangartigen Pfropfe oder Lymi)hmassen sich in toto durch eine
günstige Grenzmaschenstelle durchgearbeitet habe, statt dass
dessen einzelne Bestandtheile, Stück für Stück, sich durchzu-
pressen versuchten.
Wenn nun etwas an den lymphadenoiden Gewebsherden
vorübergehender Natur ist, so ist es das Vorhandensein solcher
über gewisse Strecken hin besser ausgegrabener Lymphwege
oder Rinnsale. Haben wir ja doch — und damit vertrete ich
auch die Anschauungen meines verehrten Lehrers — in den
Keimcentren die Baumeister gleichsam vor uns, welche der aus-
spülenden und aushöhlenden Wirkung des Flüssigkeitsstromes eut-
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396 B a n n w a r t h :
gegenarbeiten, indem sie stets neues Material von Zellen in die
Lücken schieben und wohl auch eine Verdichtung des ausge-
weiteten Reticulums wieder zu Wege bringen.
Die Bildung eines Endothels an der Wand der in Rede
stehenden Gänge kann sehr leicht vorgetäuscht werden. Wurde
doch auch die Grenzmaschenschicht der Keiralager von verschie-
denen Seiten für Veuenendothel gehalten! üebrigens haben wir
derlei nur mit Flüssigkeit gefüllte Räume in sehr vielen lymphoi-
den Bildungen der verschiedensten Thiere. Ich muss nur IjNe-
merken, dass ich eigentlich nie einen längeren Strang dieser
Hohlräume gesehen habe, was zwar schliesslich einen nicht wun-
dern könnte, da z. B. ja auch die wirklich geschlossenen L}Tnph-
gefasse vorwiegend in Schlangenlinien verlaufen.
Mit Capillaren sind diese Gänge keinenfalls zu verwechseln,
da ihr Lumen das Dreifache desjenigen der Blutcapillaren aus-
macht. Venen sind es nicht.
Ich komme nun auf einen weiteren Befund zu sprechen,
nämlich auf den von wirklichen Lymphgefässen in den
Keim lagern. In den Keim lagern keiner der untersuchten
Thierarten mit Ausnahme der Spitzmaus habe ich irgend ein
Gebilde getroffen, das als Lymphgefäss angesprochen werden
konnte. Bei dieser einen Art aber fand ich Lymphgefasse der
Keimlager in solcher Deutlichkeit, dass sie am tingirten Präpa-
rate bei den schwächsten Vergrösserungen sogar mit Seibert's
Obj. I Ocular 0 sichtbar waren. Obwohl ich in vorliegender
Abhandlung nur die Untersuchungen der Katzenmilz als etwas Ab-
geschlossenes geben kann, glaube ich dennoch der Vervollständi-
gung des Verständnisses der Keimlager halber auf diesen Befund
bei der Spitzmaus näher eingehen zu sollen. Man kann die Milz,
der Spitzmaus zu denjenigen mit sogenannter weisser Pulpa
rechnen, da die Keimlager einen sehr grossen Bruchtheil des
ganzen Organes bilden. Wir bemerken bei der Betrachtung der
frischen ganzen Milz 12 — 20 kleine, rundliche, von einem Blut-
hof umgebene Bildungen, die sich deutlich von der übrigen Masse
abheben. Sie erweisen sich bei mikroskopischer Untersuchung
als scharf gegen die Pulpa abgegrenzte Keimlager, die perlschnur-
artig an der Arterie aufgereiht sind. Die periphersten, d. h. am
weitesten stromabwärts liegenden sind die kleinsten. Im Ver-
hältniss zu der Kleinheit des Thieres haben die Keimlager eine
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tTntersuchungon über die Milz. 397
enonne Grösse. Aus diesen Keiralageiii sah ich nun deutliche
Lymphgefösse sich entwickeln. Ein so eigenthttmlicher Befund
erforderte eine genaue Controle.
Ich hahe desshalb durch die ganze Milz dieses Thieres
Serien von 7 mal 80 Schnitten angelegt und erhielt nur in weni-
gen Keimlagern keine Lymphgeßtsse. Man betrachte die Abbil-
dungen Tafel XXV. Diese Lymphgefasse waren in der Mehr-
zahl dicht gefüllt mit Leukocyten, zum kleinen Theile leer.
Man sah in allen Fällen eine deutliche, doppelt contourirte Wand,
mit inliegenden, gegen das Lumen wenig vorstehenden Kernen.
Serienschuitte durch eine zweite und dritte Milz derselben
Thiergattung ergaben das gleiche Resultat, mit dem Unterschiede,
dass in der zweiten Milz die LymphgetUsse absolut leer, in der
dritten wieder prall mit Leukocyten, und nur mit solchen gefüllt
waren. In den Schnittserien konnte ich ferner diese Lymph-
gefösse bis in den Milzstiel verfolgen. Fig. 4, Taf. XXV gibt
einen Querschnitt durch die Milz mit der naturgetreuen (nicht
schematischen) Vertheilung von Arterien, Lymphgefössen und
Venen. Fig. 5 stellt einen Querschnitt durch den Milzstiel allein
dar. Die Lymphgefösse stehen in dem gleichen Grössenverhält-
nisse, wie die Arterien der Keimlager, etwa so, dass sie an den
am weitesten vom Hilus entfernt liegenden Keimlagern am klein-
sten sind, und grösser werden mit der Arterie. Die Arterien der
Keimlager gehen nicht vollständig durch Theilung in denselben
auf, sondern setzen jenseits ihren Weg noch weiter fort über
das letzte Keimlager der Perlschnurreihe hinaus, verlieren aber
an Weite wesentlich durch reichliche Abgabe von Capillaren für
die Keimlager, so dass man sie dennoch vorwiegend als Ernäh-
rungsgefösse für die Keimlager auffassen darf. Die Lymphge-
fösse laufen, nachdem sie die Keimlager verlassen haben, hilus-
wärts den Arterien entlang. Sie sind am Anfang öfter
mehrfach angelegt, umspinnen die Arterie und verschmelzen
schliesslich zu einem mehr oder weniger gewunden verlaufenden
Hauptstämmchen.
Dass es sich hier unzweifelhaft um Lymphgefösse handelt,
ist ersichtlich aus der Füllung mit Lymphkörperchen. In zwei
Fällen waren die Gefösse so prall geföUt, dass sie gegen das
lichtere Centrum der Keimlager schon bei schwacher Vergrösse-
rnng als tief dunkle Streifen abstachen (Fig. 1 bis 3). Dass
Archiv f. inikrosk. Anat. Bd. »8 26
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598 Bannwarth:
es sich nicbi um Venen handelte, ging vor allem auch aus dem
Umstand heiTor, dass wir Venen in genügender Zahl und Grösse
ausserhalb der Keimlager in der Pulpa finden. Und zwar waren
diese Venen, besonders in einem Falle, deutlich mit rothen Bint-
scheiben und ganz wenig Leukocyten geilillt. Da sich im Uebri-
gen die Spitzmausmilz mit Ausnahme der Grössenverhältnisse der
einzelnen Theile zu einander absolut gleichgestaltet zeigt, wie
die Milzen der übrigen Säugethiere, so erscheint es ausserdem
schon an und für sich als unwahrscheinlich, dass hier Venen in
den Keimlagem selbst vorhanden sein sollten.
Ein Lymphabfluss aus den Keimlagern muss ja tiberall an-
genommen werden; das Eigenthümliche für die Spitzmaus wäre
nur, dass er nicht ausschliesslich durch die Pulpa nach den Milz-
venen hin sich eflfectuirt, sondern, zum Theil wenigstens, in der
gleichen Weise, wie in anderen Organen, nämlich in Lyraph-
bahnen, die erst weit ausserhalb des Oiganes in die Blutbabn
wieder einmünden, unter Umgehung der Pulpalücken.
Wie diese LymphgefUsse in den Kcimlagera der Spitzmaus-
milz beginnen, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Es schien
mir, dass sie etwa ähnlich wie die Venen der Milz, „mit durch-
brochener Wandung" beginnen, aber in den Lymphlücken der
Keimlager und nicht im Ltickensystem der Pulpa.
Capillarhfilsen oder Oapillarscheiden.
Wir finden nun an den Gefössen der arteriellen Strombahn
noch eine zweite eigenthümliche Bildung, die schon mehrfach
erwähnten Capillarhülsen. Schweigger-Seidel entdeckte sie
bei den Säugethieren und gab ihnen diesen Namen. Bei den
Vögeln hatte Billroth dieselben Bildungen schon vor ihm ge-
sehen. Später beschreibt sie auch Kyber.
Es finden sich diese durch ihre viel geringere Grösse als
diejenigen der Keimlager auflFallenden Bildungen sowohl an den
peripheren Enden der Arterien, die durch ein oder mehrere Keim-
lag(^r gegangen sind, als auch an kurzen Seitenzweigchen, welche
von der Arterie abgehen, noch bevor dieselbe in ein Keimlager
gelangt. Besonders schön zeigte sich erstere Art des Vorkom-
mens in einer 3 Wochen alten Katzenmilz und beim Ochsen.
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Untersuchungen über die Milz. 399
Die Arterie theilt sich kurz nach dem Austritt aus dem Keim-
lagcr. Wir finden dann bei beiden Thierarten im Schnitte
gewöhnlich drei zu einem Büschel gruppirte, stark geschlängelte
Theiläste. An jedem der Zweigchen hängt wie eine Beere
eine Hülse. Meistentheils hat das Geföss bis zur Hülse den
Charakter der Arterie, um in der Hülse zur Capillare zu wer-
den. Die Adventitia geht unmittelbar in das Gewebe der Capil-
larhülse über. Die Zweigchen, an denen die Hülsen sich befinden,
sind in jungen Milzen ganz kurz, werden aber in älteren bedeu-
tend länger. Die Hülsen, die in jungen Milzen oft hart beisam-
men (und auch in der Nähe der Keimlager) liegen, kommen da-
durch weit auseinander zu liegen.
Es muss hier gleich hervorgehoben werden, dass wenigstens
in der erwachsenen Milz bei weitem nicht alle Gapillaren mit
Hülsen versehen sind. — Feiner besteht eine gewisse Wechsel-
beziehung zwischen der Ausdehnung der Keimlager, entlang den
Arterien, gegen die Arterienenden hin und dem Vorhandensein
von Capillarhülsen, in dem gerade da die Capillarhülsen fehlen,
wo das lymphadenoide Gewebe sich weiter gegen die arteriellen
Enden hin verfolgen lässt. Wenn demnach Klein an einer
Stelle sagt:
„Nicht alle arteriellen Zweige werden von Malpigh loschen Kör-
perchen eingehüllt; denn einige wenige leine arterielle Aeste münden
direkt in die Hohlräume der Piilpagrundsubstanz und sind von einem
eigenthümlichen reticulären oder concentrisch angeordneten (nicht
adenoidem) Gewebe umgeben. Dies sind die „Capillarhülsen von
Schweigger- Seidel."
und an einem anderen Ort ebenfalls von der Milz im Allge-
meinen behauptet, dass die Scheiden von adenoidem Ge\<^ebe
(unsere Keimlager) sich bis zu den arteriellen Enden verfolgen
lassen, so kann dies nicht richtig sein. Entweder hatte Klein
die Verhältnisse beim Menschen im Auge : dann ist zwar die
Schilderung der Keimlager zutreffend, aber die Angabe über die
Capillarhülsen (s. weiter unten) unrichtig, oder er spricht von
httlsenhaitigen Thiermilzen : dann ist zwar die Angabe über die
Capillarhülsen zutreffend, aber es muss bestritten werden, dass
die Keimlager sich bis an die arteriellen Enden verfolgen lassen.
Ich führe nun zunächst die ersten Litteraturangaben
betreffs Vorkomnaen und Gestalt der Capillarhülsen
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406 B a n n w a r t h :
an. Ihrer Entdeckung bei den Vögeln durch Billroth ist be-
reits Erwähnung geschehen. Genauer auf sie ging zuerst
Schweigger-Seidel ein.
Er sah beim Schwein in der Milzpulpa „kleine bimförmige,
oder mehr elliptische Körperchen liegen". Bei Essigsäurezusatz
zeigen die Bindegewebskerne an Querschnitten eine, allerdings
nicht sehr ausgesprochene, concentrische Lagerung. Diese Ca-
pillarhülsen bestehen aus einem ziemlich dichten, aber zarten Ge-
webe, welches sich nur durch starke Vergrösserung in ein sehr
feines Netscwerk auflösen lässt. Werden die Capillarhtilsen quer
durchschnitten, so erhalten wir rundliche Scheiben, in deren
Mitte ein Centralgefass erkannt wird; es zeigen sich aber
bei genauer Betrachtung öfter mehrere einfache Lücken in dem
Gewebe der Hülse, wonach man sich der Ansicht hingeben kanu,
dass mehrere Kanälchen in der Capillarhülse verlaufen. Allem
Anscheine nach gehe die Adventitia unmittelbar in die Capillar-
hülse über. Aehnliche Bildungen sollen sich finden bei Hund,
Katze und andeutungsweise Kalb. Auch beim Menschen hat
S.-S. dieselben in einem Falle als ziemlich gleichraässige „Er-
weiterungen" der arteriellen Gefässe gesehen (s. dessen Fig. 4).
Hier erhielt S.-S. Austritt der Injektionsmasse in die Hülse. Siud
die Hülsen nicht gefüllt, so sind sie schwer vom umliegenden
Gewebe zu unterscheiden. Am ähnlichsten meinen eigenen,
weiter unten angegebenen Befunden vom menschlichen Embryo
ist seine Figur IV, 3, während ich mir von den Bildern VI, 1
und 2 keine rechte Voretellung machen kann. S.-S. bezieht auf
seine Befunde auch eine Angabe Axel-Key's: Unmittelbar
bevor die Arterien sich so in Capillarzweige auflösen, tragen sie
oft eine kleine Erweiterung. Gerade an diesen Stellen entstehen
bei Injektion von den Arterien aus so leicht Extravasationcn."
S.S. glaubt annehmen zu müssen, dass der Innenraum der Ca-
l)illarhttlsen bei allen Arten mit dem Capillarlumen in irgend
einer Communication steht. Die körnigen Injektionsmassentbeile
sollen dabei aber im Gefösse liegen bleiben und nur die dünneren
sollen austreten. Dass diese Bildungen vor ihm nicht beschrie-
ben wurden, erklärt sich S.-S. daraus, dass dieselben mit sieh
bildenden Malpighi'schen Körperchen verwechselt wurden. Stellt
sie doch auch Billroth, ihr Entdecker bei den Vögeln, den
M a 1 p i g h i 'sehen Körperchen wenigstens funktionell gleich.
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Untersuchung-en über die Milz. 401
Diese Hülsen kommen, wie wir hervorgehoben haben, nicht
allen Capillarcn zu.
•W. Müller, der sich nach Schweigger-Seidel genauer
mit dieser Frage beschäftigt hat, constatirt ihr Vorkommen beim
Schwein, Hund, Igel und bei der Katze.
„Bei diesen Thieren ist ein Theii der (arteriellen) Endzweig:e
von denselben kap sei form igen Auftreibung^en der Ad-
ventitia umhüllt, welche in grosser Ausdehnung
bei den Vögeln als Capillarscheiden sich finden.
Beim gefärbten Präparate heben sich diese wie die Malpighi'schen
Körperchen «b." Kurz vor oder an der Eintrittsstelle nehmen die ar-
teriellen Gefässe den eigentlichen Charakter von Capillaren an.
Sie verschmälern sich während des Verlaufes durch die Scheide durch
Abgabe eines oder mehrerer zarter Seitenzweige. Ihre Wand ist nahe
dem Eintritt ziemlich zart, aber deutlich abp^egrenzt, homogen, etwas
g-länzend mit inliegenden altemirenden Läng-skernen. Im weiteren
Verlauf wird sie beträchtlich zarter, so dass sie von der Umgebung
oft kaum zu unterscheiden ist, und zug:leich kernreicher; die Kerne
lieg-en bisweilen dicht aneinandergereiht und sind von geringerer Grösse
als nahe der Eintrittsstelle. Die umhüllende Substanz ist sehr weich
und zähe, schwach lichtbrechend, äusserst feinkörnig", an der Grenze
undeutlich streifig und hier und da von sehr blassen, fein granulirten
Fasern durchsetzt. Sie enthält sehr blasse, zarte bläschenförmige
Kerne. An den Rändern ist die Gestalt der Kerne elliptisch, sie bilden
mit den spärlichen hier liegenden Fibrillen eine lockere unvollkom-
mene Beg-renzung, von der feine Fasern zur Umgebung" ausstrahlen.
Am Injektionspräparat findet nicht selten ein Austritt von Injektions-
masse durch die zarte Capillarwand hindurch in das Innere der Scheide
statt, wo dieselbe entweder diffus sich verbreitet oder in Form eines
unregelraässigen Netzes sicrh vorfindet. Die nicht mit diesen Hülsen
ausgestatteten Capillaren haben ebenfalls eine, aber viel wenig*er
mächtige Adventitia. Bisweilen ist diese Adventitia viel stärker ent-
wickelt und zugleich in ihrem Bau etwas modificirt. Sie besteht an
diesen Stellen entweder aus deutlichen Bindegewebsfibrillen, oder die
deutlichen Bindeg"eweb8züge treten mehr zurück und beschränken sich
auf die peripheren Lagen, während die inneren entweder aus dicht
gehäuften, spindelförmigen, längs verlaufenden Zellen oder aus einer
fein granulirten, hier und da von feinen, netzförmig verbundenen Fi-
brillen durchsetzten Zwischensubstanz bestehen. Im letzteren Falle
bietet die Adventitia oft eine grosse Aehnlichkeit mit echten Capillar-
scheiden. Müller traf solche zu unvollkommenen Scheiden ent-
wickelte Adventitien bei der Katze, wo sie neben wirklichen Capil-
larscheiden sich vorfanden. Diese letzteren Bildung"en fand er
beim Menschen, wesshalb er schliesst, dass eben diese Bildungen von
Schweiof^er-Seidel als wirkliche Capillarhülsen aufg"efasst wor-
den sind. Ferner fand er Andeutung"en solcher Bildungen bei Maul-
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402 Bannwarth:
wurf und Kaninchen. Er i^laubt, dass sich auch wirklich Uebergän^
zwischen diesen Scheiden und eigentlichen Capillarhüllen finden lassen.
An den mit wirklichen Scheiden versehenen Capillaren erfolgt nach
W.Müller der Uebergang in die Pulpa an der Grenze der Hülse oder
jenseits derselben, bei den übrigen Capillaren erst nach Auffaserung
der Adventitia. Dies ist, was W. Müller über die Capillarscheiden
der Säugethiermilz sagt. Zu bemerken ist noch, dass er diese Hülsen
ausser bei Säugern und Vögeln auch bei Fischen und Reptilien und
zwar in netzartiger Form gesehen und beschrieben hat. Mit Rück-
sicht auf die Frage des Austrittes der Injektionsmasse in die Hülsen
muss ich auch seine ausführliehen Angaben über die Capillarschei-
den der Vogel milzen zur Betrachtung heranziehen. Form, Grösse
und Bau dieser Scheiden sind bei allen Vögeln annähernd die gleichen.
Zu innerst in der ellipsoiden Scheide liegt ein Capillargefftss, aussen
eine dichtere, begrenzende Faserlage. Beide sind verbunden durch
ein Netzwerk mit Kernen an den Knotenpunkten, dessen Räume mit
Lymphkörperchen infiltrirt sind. Das Capillargefäss zeigt häufig einen
vom gewöhnlichen Verhalten abweichenden Bau. Meist verliert das-
selbe innerhalb der Scheide die scharfe Contourirung. Die vorher
mehr elliptischen (etwas prominirenden) Kerne werden rundlicher, die
Zwischensubstanz fein granulirt. Das Gefäss kann sich innerhalb der
Scheide auch in zwei bis drei Aestchen theilen. Abweichend von dem
eben genannten Verhalten kann das Gefäss aber auch noch mit scharfer
doppelter Contour aus der Scheide treten, um dann aber rasch dop-
pelten Contour und elliptische Kerne zu verlieren und mehr rundliche
Kernformen aufzuweisen, die von einer zarten Zwischensubstanz zu-
sanmiengehalten werden. Bei einer jungen Schleiereule fand Müller
statt Lymphkörperchen rothe Blutzellen in den Maschenräumen. Bei
erwachsenen Thieren (Vögeln) können modificirte Pulpaschichten in
der Umgebung der Hülsen constatirt werden, ein Befund, der sich an-
nähernd mit demjenigen an der Schildkrötenmilz deckt. Es handelt
sich erstens um eine lockere Schicht, die mit dem Umhüllungsraum
der LymphdrüsenfoUikel Aehnlichkeit hat, und zweitens um eine nach
aussen darauf folgende dichtere Schicht, in der Netz und Zellen dichter
liegen als in der umgebenden Pulpa. Diese Schichten enthalten nur
spärliche rothe Blutkörperchen. Bei jüngeren Thieren werde diese
Unterscheidung schwieriger, weil beide Schichten von Blut durchströmt
seien. Aber auch bei erwachsenen Thieren sollen sich wechselnde Be-
funde ergehen, indem z. B. die dichtere Umhüllungsschicht das eine
Mal kaum angedeutet war, das andere Mal beide Schichten, wie bei
jugendlichen Thieren, von Blut durchströmt waren, so dass es nicht mehr
möglich war, eine scharfe Grenze gegenüber der Pulpa zu ziehen.
Was die künstliche Injektion betrifft, so führe diese leicht zu Extra-
vasation in diese Hülsen. Leichter zu verhüten seien diese Extrava-
sationen bei jungen Thieren. Das Extravasat bilde ein unregel-
mässiges Netz. In allen Fällen bilde die begrenzende Faserlag'e ein Hin-
derniss für das Durchtreten der Injektionsmasse in die Pulpa.
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Untersuchungen über die Milz. 408
Eigener Befand.
Diese soeben angeführten Beschreibungen geben ein ziem-
lieh deutliches Bild der Capiilarhttlsen. Insbesondere die Be-
schreibungen von den Hülsen der Säugethiere decken sich voll-
kommen mit meinen eigenen Befunden aus der Milz der Katze.
Nur können und müssen noch Unterschiede je nach den verschie-
denen Entwickelungs- resp. Altersstufen des Thieres gemacht
werden. Während wir nämlich z. B. bei ganz jungen (auch bei
scbon geborenen) Kätzchen ein mehr zusammenhängendes homo-
genes Gewebe in diesen Cqpillarhülsen vor uns haben, und höch-
stens an der Peripherie eine mehr oder weniger ausgesprochene
faserige Lage treffen, welche die Hülse gegenüber der Pulpa ab-
grenzt, finden wir bei älteren Thieren statt dessen sehr oft im
Bereich der ganzen Hülse ein deutlich ausgesprochenes Netz, wel-
ches continuirlich in dasjenige der Pulpa übergeht und sich in
manchen Fällen nur noch durch die grössere Dicke der Netzbal-
ken und durch engere Maschen von demjenigen der Pulpa unter-
scheidet. Es sind diese Unterschiede ersichtlich aus den Abbil-
dungen auf Tafel XXVI, 3 — 7 (Fig. 1 und 2 stellen schematische
Querschnittte dar durch die Milz eines etwa 14tägigen Kätzchens.
Sie sind beigegeben, um die Grössenverhältnisse der Hülsen gegen-
tlber den Keimcentren und ihre Vertheilung zu zeigen.) Die 4
ersten Bilder zeigen Capillarhülsen aus der Milz eines embr^'onalen
Kätzchens von etwa 15 cm Länge. Wir sehen hier im Längs-
schnitt eine ellipsoide, im Querschnitt eine runde, feinkörnige,
kernhaltige Substanzpartie um eine Capillare angeordnet. Bei
vielen Capillarhülsen dieser Milz erschien dieser ganze Bezirk
mehr gleichartig, fast strukturlos mit regelloser Lagerung der
Kerne. Bei manchen zeigte sich die Andeutung einer concen-
trischen Lagerung der Kerne und Grundsubstanz. In anderen
Fällen wieder sah man Spuren von Lücken als Andeutungen der
späteren Netzmaschen, und wieder in anderen ein schon ziemlich
deutliches Netzwerk. Diese verschiedenen Bilder können alle in
der gleichen Milz sich finden. Es kann trotzdem nicht bestritten
werden, dass vielleicht bei vollkommen gelungener Conservirung
und Tinktion sich an allen Capillarhülsen ein Netzcharakter würde
nachweisen lassen. Es stammen eben gerade meine jtingsten
Stadien aus Alkoholpräparaten. Es wird in diesen sehr leicht
die Andeutung eines Netzwerkes durch die körnige Gerinnung
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404 Bannwarth:
des Gewebes in Alkohol verdeckt, üeberhanpt gehört bei der
grossen Zartheit dieser Bildungen eine sehr gnte Technik dazu,
um nur einigermaassen klare und schöne Bilder zu erhalten.
Am besten diente noch Chromkali-Conservirung und nachfolgende
Färbung des Fadenwerkes dieser Hülsen mit neutralem Camiio.
Bei Behandlung mit Chromsalzen erscheint das Gewebe der Hülse
mehr homogen, während bei Säurebehandlung (Kemfixationsmit-
teln) eine Capillarhtilse häufig nur wie ein Kömchenhaufen aus-
sieht.
Betrachten wir im Gegensatz zi^den genannten Bildern nun
Figur 7, eine Capillarhülse einer ausgewachsenen Katze, so fin-
den wir kaum mehr eine Aehnlichkcit mit den genannten. Es
ergiebt sich, dass die Capillarhülse nur noch aus einem Netzwerk
besteht, dem an den verbreiterten Stellen Kerne eingelagert sind.
Etwas massiger ist das Netz in der Umgebung des Gcftsses, nach
aussen aber haben wir einen fast unmerklichen Uebergang in das
reticuläre Gewebe der Pulpa. So erscheint also das Lückenwerk
dieser Capillarhtilse in continuirlicher Verbindung mit demjenigen
der Pulpa. Ein Hauptuntei-schied ergiebt sich in Beziehung auf
das centrale GefUss. Wir haben eine massivere deutliche, doppelt
contourirte Wandung mit viel spärlicheren Intimakemen, als in
den analogen GefUssen jüngerer Individuen. Theilweise würde
sich dieser Unterschied daraus erklären, dass embryonale (resp.
neugebildete) Capillaren überhaupt zarter gestaltet sind, als solche
ausgewachsener Individuen. Ich glaube jedoch, dass wir den
wirklichen Grund des Unterschiedes darin suchen müssen, da«
die Capillare sich zur Arterie umzubilden im Begriffe steht. Es
spricht dafür neben anderem hauptsächlich der Befund von ein-
zelnen (quergestellten) Muskelkernen innerhalb der Hülse. Es
findet sich ein solcher auch in der Abbildung (Fig. 7). Wie
schon erwähnt, haben wir bei jüngeren Thieren die Muskulatur
nur bis an diese Hülse heranreichen sehen.
Beginnen wir nun mit der genauen Beschreibung der hül-
senhaltigen Capillaren bei jungen Thieren. Schon bei Müller
findet sich die Angabe, dass dieselben öfter innerhalb der Hülsen
enorm zart gestaltet sind, und dass ihre Wand nach aussen nicht
scharf begrenzt ist. Dies ist nun wirklich so bei jüngeren Indi-
viduen, während bei älteren Thieren die Wand relativ deutlieh
ist. Bei jüngeren Thieren ist, wie auch aus den Abbildungen
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Untersuchungen über die Milz. 405
hervorgeht, die äussere Wand in der Mehrzahl der Fälle so wenig
kenntlich, dass die Capillaren nur als einfache Spalten oder röhr-
ehenähnliche, in die Capillarhülse eingegrabene Kanäle erscheinen.
Dass diese Röhrcheu ein Endothel haben, kann und muss man
aus den reichlichen, in das Lumen prominirenden Kernen schlies-
sen. Die Prominenz der Kenie ist sehr auffallend. Wir haben
in Querschnitten sehr oft das Lumen einer Capillare durch einen
in das Innere ragenden Kern bis auf ein Viertel des Durchmes-
sers eingeengt. Es ist dies besonders deutlich in Fig. 6 und
Fig. 3. In letzterem Bilde bleibt bei den stark vorspringenden,
altemirenden Kernen als freier Weg nur eine Zickzacklinie. Es
ist hieraus ohne Weiteres verständlich, wie man auf die Meinung
kommen konnte, dass man es hier vielleicht mit einer Art Filter
zu thun habe; in dem Sinne nämlich, dass durch diese Verenge-
rung der Blutbahn eine Verlangsamung des Ab- resp. Durchflusses
der corpusculären Elemente des Blutes gegeben sei, während
die ungefonnten Bestandtheile ungehindert weiter fliessen können.
Ohne dass ich die Möglichkeit einer solchen Filtration leugnen
kann, bin ich doch nicht in der Lage, eine solche als wahrschein-
lich anzunehmen, vorwiegend deshalb nicht, weil ich auf Grund
später noch zu besprechender Befunde annehmen muss, -dass das
enge Lumen der genannten Gefilsse auf einer postmortalen Colla-
birung und Faltenlegung der Wand beruht.
Dies bezieht sich alles natürlich nicht nur auf die eine in
der Mehrzahl der Fälle vorliegende, centrale Capillare, sondern
auch auf die aus dieser in der Hülse selbst abzweigenden Neben-
ästcheu. Ich will alle diese mit Endothel ausgekleideten Ca-
pillaren der Hülse ein für alle Mal als Hauptbahnen bezeichnen.
Es finden sich aber neben diesen sehr oft noch deutliche, vom
Hauptlumen sich abzweigende Kanälchen, die sich in dem Ge-
webe der Hülse verlieren (s. Fig. 5 und 3), und denen,, wie aus
Fig. 5 ersichtlich ist, die Endothelkerne fehlen. Sollten Kerne
doch vorhanden sein, und gerade am Schnitt über eine grössere
Strecke weg nicht getroffen sein, so wäre dies m()glich, aber es
ist nicht wahrscheinlich, weil grade die Wandungen der Haupt-
bahnen in den Hülsen sehr^ kemreich sind. Man könnte ferner
annehmen, dass es sich vielleicht um sich bildende Capillaren
handle. Die Bildung der Capillaren konnte dann kaum nach
dem gewöhnlichen Schema erfolgen, wo gerade ein reichliches
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406 Bann warth:
Auftreten von Kemcn zu erwarten ist. Ftir die Mehrzahl der
Fälle glaube ich jedenfalls eine besondere Art von Kanälen an-
nehmen zu müssen, die von der Capillare in das Masclienwerk
der Hülse führen, das wiederum mit demjenigen der Pulpa in
Verbindung steht. Wieweit sie Endothel haben, kann ich nicht
angeben. Ich neige mich eher zu der Ansicht, dass sie kein sol-
ches besitzen und ihren Anfang einfach als Lücken zwischen
dem Endothel der Capillaren nehmen. Ich konnte auch mit
Serienschnitten die Frage nicht entscheiden, da mir nicht mög-
lich war, in jüngeren Milzen^ und vorwiegend diese kommen f&r
die Nebenbahnen in Betracht, über eine längere Reihe von Schnit-
ten weg immer wieder die gleiche Hülse zu finden, wegen ihrer
Kleinheit und der Reichlichkeit, mit der sie in den Schnitten
liegen. Silberimprägnationen könnten hier zum Ziele führen; sie
missglückten mir aber durchweg; Ich komme auf diese Verhält-
nisse noch besonders zu sprechen.
Ausser diesen feinen Kanälen sieht man nun drittens ge-
wöhnlich noch viel breitere Lücken (Fig. 3), Stellen, die den
späteren Hohlräumen in dem Netzwerke der Capillarhttlsen älte-
rer Thiere entsprechen. Eine direkte Communication dieser gT<)s-
scren Ltteken mit der Blutbahn war nicht imch weisbar; gewöhn-
lich liegen sie auch etwas seitab von dieser. Immerhin ist es
möglich und wahrscheinlich, dass diese Lücken mit den genannten
Nebenbahnen in Verbindung stehen. Für diesen Fall wäre also
anzunehmen, dass der Uebergang der Blutbahn der Capillarhülsen
in ein offenes Netzgewebe schon in diesen Hülsen sich vollzieht.
Es würde hiefür der gar nicht seltene Befund sprechen, dass die
Capillarhülsen dicht mit rothen Bluttheilen gefüllt sind. Ich er-
innere in dieser Beziehung vor allem an den Befund Müllers
bei einer jungen Schleiereule. Ich selbst fand eine starke Blut-
füllung vorwiegend bei Thieren, denen ich nach der Tödtung-
(durch Chlorofonn) die Milz nicht sofort exstirpirte, sondern in
situ bei eröffneter Bauchhöhle der Conservirungsflüssigkeit eine
Zeit lang aussetzte. Jedenfalls scheint mir durch diese Behand-
lung erwiesen, dass unter normalen Verhältnissen eine Blut-
füllung der Capillarhülsen vorkommen kann. Es waren aber
gerade bei diesen Milzen die rothen Blutkörperchen so dicht ge-
lagert und die sämmtlichen Bahnen des Blutstromes derartig ge-
dehnt, dass ich nicht im Stande war, eine sichere Angabe über
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' Untersuchungen über die Milz. 407
die vom Blut benutzten Communicationswege zu machen. Ich
konnte zwar die Capillaren der Hülse noch über diese hinaus
verfolgen, ob aber die rothen Blutkörperchen durch die fraglichen
Nebenbahnen oder durch die Wandung der Capillare auf irgend
eine Art von Diapedese oder schliesslich von aussen in alle Lücken
der Hülse hineingetrieben waren, war nicht zu entscheiden. Am
unwahrscheinlichsten erscheint mir das letztere, aus Gründen, die
ich weiter unten bei Besprechung der Injectionsbefunde erörtern
werde. Die beiden ersten Annahmen würden nach dem Vorher-
gehenden vielleicht ungefähr auf dasselbe hinauslaufen.
Diese starke Blutfüllung hatte mich ursprünglich auf die
ganz irrige Ansicht geführt, dass wir in den Capillarhülsen eine
Brutstätte rother Blutkörperchen vor uns haben. Bestärkt wurde
zunächst diese Meinung dadurch, dass in ihnen dann und wann
Kemtheilungsfiguren, und zwar relativ reichlich vorkommen. Ich
glaube nun aber, diese Mitosen auf fixe Zellen (Reticulumzellen)
beziehen zu müssen, während wirklich charakteristische Jugend-
formen rother Blutzellen sich in den Capillarhülsen meiner Prä-
parate nicht finden lassen.
Anderseits konnte ich in der Mehrzahl der Fälle absolute
Blutleere der Capillarhülsen constatiren, überhaupt Freisein von
beweglichen Zellen. Eine Häufung lymphoider Zellen in densel-
ben habe ich überhaupt nie gesehen, wie es Müller an Vogel-
milzen beobachtete, wenn auch einzelne lymphoide Zellen in dem
Maschenwerk der Hülse liegen können.
Seltsam contrastirt mit meiner Annahme von Nebenbahnen,
die eine Verbindung der Geftlsslumina mit dem Inneren der Hülse
und von hier aus mit den Lücken der Pulpa ergeben, Müllers
Angabe einer festeren Umhüllungsschichte. Für junge und jüngste
Stadien mag etwas derartiges vielleicht vorliegen, auch mir schien
es in einem der Präparate, einem 12 cm Kätzchen, das in Al-
kohol conservirt war, als ob die Sache sich so verhalte. Lücken
als Ausgänge für Nebenbahnen könnten in dieser Hülle dann
immerhin noch ausgespart sein. Für ältere Säugethier-Individuen
mid zwar schon von der Zeit kurz nach der Geburt an kann eine
solche Begrenzungsschicht aber nicht nachgewiesen werden.
ümhüUungsräume ferner, wie sie Müller für die Vogelmilz
beschreibt, konnte ich bei der Katze nicht finden. In nächster
Nähe der Hülse erscheint das reticuläre Gewebe der Pulpa aller-
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408 Bannwarth:
dings etwas weitniaßchiger. Es kann in erster Linie ein solcher
Eindruck aber dadurch hervorgerufen sein, dass gerade der den
Hülsen zunächst liegende Raum von beweglichen Zellen leer ist.
Eine wirkliche, wenn auch massvolle Ausweitung des Maschen-
werkes mag dann hinzukommen. Stehen doch die Räume in der
Umgebung der Hülsen oflFenbar unter einem hohen Flüssigkeits-
druck. Es münden mehrfach gerade hier die Capillaren der Hül-
sen aus, und namentlich bei jüngeren Thieren sind die aus-
tretenden Capillaren relativ kurz. Dass gerade diese Ränme
vorwiegend vom circulirenden Blute durchspült sind und zwar
noch unter einem Drucke, der alles wegspült, was im Wege lieg-t,
würde erklären, warum wir in ihnen gewöhnlich keine Leuko-
cyten finden. Auch eine dichtere Lagerung der beweglichen
zelligen Elemente in einem etwas weiter peripher, concentriscb
um die Hülse herum liegenden Kreise, wie es mitunter vorkommt,
würde verständlich werden. Die in den Keimcentren massenhaft
entstehenden Leukocyten, die nach allen Richtungen peripher von
den Keimcentren wegwandem und weggeschoben werden, müssen
mehr oder weniger durch den ihnen aus den Capillarhülsen ent-
gegenquellenden Blutstrom am Weiterrücken gegen jene Hülse
hin verhindert und können wohl unter Umständen völlig zusam-
mengestaut werden. Eine solche zweite Zone lässt sich übrigens
nicht immer, sondern nur dann und wann nachweisen. Anderer-
seits wird der innere lockere ümhüllungsraum, wie es mir scheint,
recht oft deutlich gemacht, wenn nicht überhaupt hergestellt dureh
Schrumpfung des zarten Hülsengewebes bei nicht peinlichst voll-
zogener Conservirung und bei starker Blutentleerung der Pulpa
nach dem Tode. Nach der Meinung des Herrn Prof. St ras» er
könnte es sich hier vielleicht auch um den Excursationsraum bei
Pulsationen der Hülse handeln.
Aehnliche Resultate wie Müller erhielt ich nun auch bei
den künstlichen Injektionen. Wir können entweder bloss die
Capillaren der Hülse gefüllt haben ohne irgend welchen Dureh-
oder Austritt der Injektionsmasse. Oder aber es zeigt sich, dass
neben der Füllung der Capillaren auch etwas Injektionsmasse in
die Hülse eingetreten ist. Oder endlich die Capillarhülsen sind
dicht gefüllt und die ausgetretene Injektionsmasse hat dabei eine
ähnliche Net/fonn, wie sie die injicirte Pulpa aufweist. Während
wir m<yichmal überall in derselben Milz nur das eine oder das
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ITntersUchung'en über die Milz. 409
andere dieser Bilder voi-finden, kommen in anderen Milzen alle
drei Fälle vor. Es wäre dies ganz analog dem für die Pulpa
zu eonstatirenden Befunde, dass die Pulpa bei ktinstlichcu Injek-
tionen stellenweise fast leer bleibt, während sie an anderen Stellen
fast als tiberfüllt bezeichnet werden kam. Hinsichtlich der Fül-
lung der Capillarhülsen stimmen also meine Befunde mit denen
MtlUers tiberein. Nun hat Müller aber ausdrücklich (allerdings
nur fUr Vögel) diesen Capillarhülsen eine impermeable ümhüllungs-
schicht vindicirt. Er r^mmt an, dass durch diese Schicht keine
Injektionsmasse in die Pulpa dringen kam, und ferner erklärt
er, damit im Zusammenhange, jede in der Capillarhülse liegende
Injektionsmasse, die nicht einer der deutlich sichtbaren, durch
reichliche Endothelkei ae markirten Capillaren angehört, für Ex-
travasat. Bei jüngeren Thieren gelinge es leichter als be^' älteren,
die Capillaren der Hülsen allein zu füllen.
Was die impermeable Grenzschichte betrifft, so konnte im
Gegentheil, wie schon erwähnt, bei nicht mehr gan^ ji^'»gen Thie-
ren, von einigen Wochen nach der Geburt, das gänzliche Feh-
len einer solchen constatirt vnd beobachtet werden, so dass also
das Lückenwerk der Hülse in offener Communication mit dem-
jenigen der Pulpa stand. Fig. 7 Taf. XXIV. Für dieses Alter
fehlte auch jede Andeutung einer concentrischen Lagerung von
Gewebsfasem oder Zellkernen, wie wir sie bei ganz jungen Thie-
ren allerdings finden. Aber auch bei letzteren glaube ich, keine
Grenzschicht amehmen zu dürfen, da ich die Injektionsbäumchen
der Hülsen sehr oft in direkter Verbindung mit dem Injektions-
netz der Pulpa sah. Taf. XXVI Fig. 4 — Taf. XXVI Fig. 8. Im-
merhin sah man recht oft eine nicht injicirte Gewebsschicht, welche
die Injektionsmasse der Hülse von derjenigen der Pulpa trennte,
welche Schichte dann natürlich von den 2 bis 3 Capillaren der
Hülse durchbohrt war.
Was ferner die Deutung des Austrittes der Injektionsmasse
in die Hülse als Extravasat betrifft, so möchte ich dieser Mei-
nung nur bedingt beipflichten. Ich gebe zu, es kommt bei
künstlicher Injektion in diesen Hülsen sehr leicht zum Aus-
tritt von Injektionsmasse in Bahnen, welche der Strom der Blut-
körperchen unter natürlichen Verhältnissen nicht oder doch nur
ausnahmsweise benützt. Damit ist aber nicht ausgeschlossen, dass
vorgebildete Nebenkanäle bestehen", welche vielleicht zunächst nur
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410 Bann wart h:
vom Blutplasma benutzt werden. Es bleibt eben doch eigenthflm-
lieh, dass fast keine einzige, noch so vorsichtige, Injektion ge-
lingt, die nicht in einem Theilc der Hülsen wenigstens zu einem
Austritte der Masse (in die Hülse) ftthrte. Allerdings kann ich
nicht sagen, wie notorisch alte Thiere sich in dieser Hinsicht
verhalten, da mir keine solchen zur Disposition standen. Und
dass ausnahmsweise auch unter nonnalen Bedingungen ein Aus-
tritt von Blut in die Hülse erfolgen kann, wie die schon erwähn-
ten Befunde von Anhäufungen rother Blutkörperchen in den H fll-
sen lehren, spricht ebenfalls zu Gunsten vorgebildeter Neben ka-
näle. Eine derartige, aber spärliche natürliche BlutfÜllung fand
ich noch bei einem 3V2 Monat alten Thiere, wo die Capillare
eine bedeutend stärkere Wand aufwies, als in früherem Alter.
Aber auch die nächste Partie der Pulpa (also Müllers lockerer
Umhüllungsraum der Vögel) war hier blutgefüllt, so dass hier
nicht mit Sicherheit die Annahme zurückgewiesen werden konnte,
dass die Blutzellen von aussen, von der Pulpa her, eingetrieben
waren.
Zu Gunsten der Annahme, dass eine Injektion der Lücken
der Capillarhülsen nur dadurch zu Stande kommt, dass ganz neue
künstliche Wege gebahnt werden, könnte allerdings der Umstand
in's Feld geführt werden, dass es kaum jemals selbst bei
vorsichtiger Injektion gelingt, sämmtliche Capillarhülsen gleich-
massig zu füllen. In der That wechseln, wie schon erwähnt, die
Injektionsbilder der Capillarhülsen in sehr mannigfaltger Weise.
Während z. B. in der einen, durch die Arterie injicirten Milz
von circa 3 Wochen post natum bei dichter Füllung der Arterien,
der Capillaren, der Pulpa und wieder der Venen die Capillarhülsen
bis auf 1 bis 3 Capillaren frei waren von Injektionsmasse, fand ich
in einer anderen gleichalterigen, gleichinjieirten, dichte Injektions-
büschel in den Hülsen neben massiger Füllung der Pulpa. Das
Pulpanetz stand allseitig in Verbindung mit allen Strömchen des
Injektionsnetzes der Hülse. Wieder in einer anderen, auch etwa
gleichalterigen, war die ganze Milz durchweg gefüllt, frei Ovaren
natürlich die als helle Felder erscheinenden Keimcentren. (In die-
sen aber wieder prall gefüllt die Capillaren.) Diese Verschieden-
heiten erklären sieh zum Theil bei genauer Würdigung der
verschiedenen bei künstlicher Injektion überhaupt in
Betracht kommenden Verliältuissc
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Untersuchungen über die Milz. 411
Wir können, wie schon Müller sagt, geringen oder höheren
Druck anwenden, wir können concentrirte und wasserreichere Leim-
lösungen anwenden. Ein ferneres wichtiges Moment ist der Wärme-
grad der Masse. Dies sind die Faktoren, mit denen man bei Leim-
injektionen rechnen muss. Weiter muss berücksichtigt werden, dass
Leimlösungen eine ganz andere Consistenz besitzen als das Blut. Es
ist eben ganz gut möglich, dass ein Theil der arteriellen Lücken in
den Hülsen ganz gut für dünnflüssige Tnjektionsmassen und für einen
Eestandtheil des Blutes, nämlich das Serum, passirbar, lür die Blut-
körperchen aber und für dichtere künstliche Injektionsmassen un-
durchgängig sind.
Was den Unterschied zwischen dünn- und dickflüssigen Leim-
lösungen betrifft, so gilt hier Folgendes : Dünnflüssige, d. h. weniger
leimhaltige Leimlösungen fliessen leichter durch die Gefässe und Hohl-
räume und erstarren später, bleiben also länger flüssig im Vergleich
zu dickereji Lösungen. Kunstprodukte, wie sie durch zu hohen Druck
bei dickeren Leimlösungen zu Stande kommen, sind hier weniger zu
fürchten. Hingegen erhält man hier eigenthümliche Trugbilder durch
die bedeutenden, nachträglichen Schrumpfungen der Leimmasse. Die
ganze Füllung einer Arterie kann zu einem so dünnen Faden zusam-
menschrunipfen, dass man ohne Prüfung des Gewebes eine Capillare
vor sich zu haben glaubt; nicht zu selten sieht man dabei noch einen
Kolchen Faden mehrfach in der Quere durchgerissen und in eine Stäb-
chenreihe zerfallen; oder, was gerade bei arteriellen Endigungen zu
unliebsamen Täuschungen führen kann, wir finden den Faden längs
gespalten in zwei oder mehrere Balken mit dünnen Verbindungs-
brücken. Leimreichere Lösungen aber sind, da man die Erwärmung
nicht zu hoch treiben darf, schon eo ipso dickflüssiger als die leim-
ärmeren und erstarren deshalb früher als diese. Sie werden rasch
consistenter, sobald sie in dem ja immerhin kühleren Gewebe fein ver-
theilt werden. Man darf also hier die Injektion nur ganz kurze Zeit
dauern lassen, wenn nicht noch während der Injektion selbst eine Er-
starrung der zuerst eingetriebenen und zuvorderst fliessenden Masse
erfolgen .soll. Ich habe deshalb auch bei dicken Leimlösungen die
Injektion mit constantem Druck trotz ihrer zweifellosen Vortheile nicht
angewandt, weil bei dem noch ziemlich niedrig zunehmenden Druck
eine längere Injektionsdauer erforderlich wäre. Es besteht hier, wie
gea>j die Gefahr, dass die vorausfliessende Injektionsmasse noch
während der Injektion erstarrt, nachdem sie bis in die Capillaren oder
allenfalls bis in die Pulpa gelangt ist. Rückwärts davon, wo die
Masse noch flüssig ist, steigt nun der Druck überall bis auf dieselbe
Höhe an, was nicht geschieht, so lange die Masse noch an einigen
Stellen leicht weiterfliessen kann, und es kommt zu Extravasaten an
den Stellen geringerer Resistenz. Solche Stellen sind die Capillar-
hülsen.
Mittel gegen zu rasche Erstarrung sind mehrfach empfohlen
worden, so z. B. Einlegen des Organes oder des ganzen Thieres in
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412 Bannwart h:
warmes WaHser, bis (*8 eine Temperatur von 37— 38^ C. hat, eventuell
Injiciren unter warmem Wasser. Bei muskelhaltigen Milzen muss das
Untertauchen in Wasser aber vermieden werden, da die Milz sieh con-
trahirt. Längeres Verweilen des ganzen Thieres im Brütofen (trocken)
schien mir von nachtheiliger Einwirkung auf das Gewebe begleitet zu
sein. Vielmehr empfiehlt es sich das lebenswarme Organ zu injiciren,
M'ie es ja für kleinere Thiere leicht möglish ist. Es sind für diese
kleinen Thiere so wie so die Fehlerquellen nicht so gross. Eine Er-
starrung der Masse ist bei nicht zu langsamer Injektion dann kaum
zu befürchten. Die einzige Fehlerquelle ist hier in der Anwendung
von zu grossem Druck zu suchen resp. darin, dass man eine zu grosse
Menge einspritzen will. Hebung allein führt hier zum Ziel, mit allge-
meinen Regeln ist nicht gedient. Für ganz kleine Thiere mag, wie es
Müller empfiehlt, von Vortheil sein, wenn man statt direkt in die
Lienalis, in die Aorta descendens injicirt, weil dann unerwartete plötz-
liche Drucksteigerungen auf ein grösseres Gebiet elastischer Wände
verschiebend wirken und weil die Injektionsmasse neben der Lienalis
vorbei auch nach anderen Arteriengebieten abfliessen kann. So wird
der Druck in der Lienalis selbst herabgemindert und annähernd con-
stant gemacht. Gewarnt muss werden vor Verstärkung des Druckes,
wenn sich ein Widerstand entgegenstellt, den man gar zu gerne auf
die Mechanik der Spritze bezieht, wenn man sich nicht ganz auf die-
selbe verlassen kann.
Die Thatsache, dass eine Injektion nicht weit über die arteriellen
Enden hinausreicht, beweist im einzelnen Falle durchaus noch nicht,
dass der angewandte Druck unschädlich und gering gewesen ist, und
dass speziell auf den Capillarwandungen der Hülsen z. B. ein geringer
Druck gelastet hat.
Ich glaube nun, dass man in der Mehrzahl der Fälle ganz gut
aus dem mikroskopischen Bilde allein imu Extravasat in der Milz von
einer Füllung präformirter Blutbahnen unterscheiden und dass man
ferner aus diesem Bilde einige Hinweise auf die Bedingungen, unt<»r
denen das Extravasat entstanden ist, entnehmen kann. Tritt durch
übergrossen Druck Injektionsmasse aus den Gelassen, so geht dies
stets einher zuerst mit Dehnung der Gefässwand und dann mit
Auseinanderzerrung des Gewebes. Ein derartiges Extravasat ge-
staltet sich in der Milz genau so wie in anderen Organen. Das Be-
sondere liegt nur darin, dass dass(^lbe eben an Stellen auftritt, wo
muthmasslich schon normaler Weise endothellose Kanäle aus den Ca-
pillaren abzweigen. Wir können deutlich einen Unterschied macheu,
wenn das eine Mal diese Kanäle oder Nebenbahnen gefüllt sind ohne
Extravasat, und wenn das andere Mal daneben noch ein Extravasat
vorhanden ist. An einer Milz ferner, die in langer Serie tadellose^
extravasatfreie Bilder bot, zeigen sich oft plötzlich an einer Stelle
deutliche Extravasate. Dies möchte ich daraus erklären, da.ns vom
Hilus an gerechnet der Weg zu der einen Capillarhülse eben weiter
ist, als zu einer anderen. Bei dem natürlichen Blut- und Flüssigkeits-
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Untersuchungen über die Milz. 413
stronne ist dies ja gleichgültig, nicht aber bei dem künstlichen, wo
eben die Injel^tionsmasse durch jede weitere zu durchlaufende Strecke
mehr und mehr, unter Umständen schliesslich bis zur Erstarrung ab-
gekühlt und eingedickt wird. Das kann zur Folge haben, dass eine
weiter stromab liegende Capillarhülse noch unberührt von der im
Vordringen erstarrten Injektionsmasse sein, oder nur die Hauptbahnen,
die Capillaren gefüllt zeigen kann, während gleichzeitig an einer an-
deren, weiter rückwärts liegenden Stelle die noch dünnflüssigere, aber
unter höherem Druck stehende Masse in alle natürlichen Nebenwege,
ja in falsche Bahnen hineingezwängt wird. Es ist also plausibel, dass
nicht an der Stelle der stärksten Erstarrung, wo die erstarrte Masse
schon allein durch die Einkeilung in die grösseren Gefässe festgehalten
wird, sondern rückwärts davon, wo der Leim noch flüssiger ist, und
die Druck Steigerung bis in die feinsten Kanäle hinein sich geltend
macht, eine vollständigere Füllung der natürlichen Wege oder ein
Extravasat zu Stande kommt. Erstarrt z. B. die Masse irgendwo jen-
seits der Capillarhülse beim Eindringen in die Pulpa, so steigert sich
der Druck der Masse in den Hauptbahnen der Capillarhülse. Bleibt
die Masse hier noch flüssig, so beginnt sie in die feinen Nebenbahnen
einzuströmen. Und während dies möglicherweise noch durch natürlich
vorgebildete Spalten und Lücken der Capillarwand geschieht, bahnt
sich die Masse vielleicht von den Nebenbahnen aus durch Gewebs-
zerreissung falsche Wege, insbesondere wenn die vorauseilende Masse
auch hier wieder erstarrt. Ks werden zum mindesten diese Neben-
bahnen abnorm gedehnt, sie confluiren und man ist nicht mehr im
Stande, einzelne Kanälchen zu unterscheideil. Ein derartig injicirter
Bezirk erscheint wie ein Klecks mit verwischtem Ilande. Im Inneren
ist dabei aber gewöhnlich das stark erweiterte Gefäss als Merkmal des
zu hoch angewachsenen Druckes zu erkennen.
Durch diese Ausführungen wird, wie mir scheint, genügend er-
klärt, warum in einem Fall in den Capillarhülsen nur die Capillaren
sich füllen trotz dicht gefüllter Pulpa, in einem anderen aber die
Capillarhülse schon ein Injektionsnetz zeigt, während die Pulpa wiederum
keine nennenswerthe Füllung aufweist. Aber auch wenn die Injek-
tionsmasse wirklich durch die Pulpa durchgetrieben wird, kann in
einem Falle rückwärts davon eine Füllung der Nebenbahnen, ja eine
Extravasatbildung in den Capillarhülsen auftreten, im anderen unter-
bleiben, je nach der grösseren oder geringeren Consistenz der Injek-
tionsmasse. Eine dünne Masse findet natürlich leichter ihren Abfluss,
schon bei geringerem Druck in den Arterien. Es gelingt bei geringem
Injektionsdruck und bei dünner, lange flüssig bleibender Masse öfter,
auch bei nxm theilweiser Füllung der I*ulpä eine vollständige Füllung
der Venen zu erhalten, indem hier die Injektionsmasse nur den be-
quemsten und kürzesten Weg wählt und dabei doch genügend freien
Abfluss findet. Ist die Injektionsmasse dicker, leimreicher, so kann
sie selbst noch innerhalb der' geschlossenen, mit Endothel versehenen
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 3« 27
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4l4 Bannwarth:
OeniRsbahn nicht so rasch wie eine dünnere, weniger consistente durch-
tiiessen. Es ist mithin hier notliwendi«rer Weise ein etwas höherer
Druck nöthig, der dann die Injektionsniasse in alle vorhandenen Lücken
und Nebenbahnen treibt.
Die Ergebnisse der vorausgegangenen Auseinandersetzungen
über die Tnjektionsniechanik lassen sich kurz folgendennassen fornm-
liren : Bei vorsiclitigeni Druck dringt die (niflssig dicke) Injektions-
masse nur auf gewissen Hauptbahnen der Milz vor, in den Hülsen
nur durch die Hauptbahnen. Natürlich muss Pulpa und die venöse
Biutbahn frei, d. h. offen sein für den andringenden Strom. Der
schon höhere vitale Blutdruck nimmt bereits die Nebenbahnen in An-
spruch, treibt vielleicht aber für gewöhnlich nur Blutplasma hinein.
(Jebemormaler Druck ergiebt die Bilder, welche Sokoloff nach Unter-
bindung der Venen (auf längere Zeit) erhält. Höchster Druck bei
künstlichen Massen, namentlich wenn sie jenseits der Hülsen erstarren,
ergiebt Extravasate in den Hülsen.
Haben wir nun bei künstlichen Injektionen je nach der ge-
wählten Lösung und dem angewandten Druck, und an demselben
Objekt je nach der Stelle verschiedene Verhältnisse der Injek-
tion, so finden sich ähnliche Unterschiede bis zu einem gewissen
Grade auch bei der normalen Circulation: dünnflüssigere nnd
dickflüssigere Bestandtheile sind gegeben, ferner verschiedener
Druck zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Stellen.
So wird es dann verständlich, dass dem Blutstrom je nach den
localen und allgemeinen Verhältnissen des arteriellen Blutdruckes,
je nach dem Widerstände in den Venen, in der Pulpa und in den
arteriellen Endigungen, je nach der Infiltration in der Pulpa nnd
dem Contractionszustande der Trabekel verschiedene Wege offen
stehen und dass insbesondere von den verschiedenen Bestand-
theilen des Blutes stellenweise verschiedene Wege benutzt werden.
Sokoloff hat diesem Gedanken für die Venen Rechnung ge-
tragen: ich möchte ihn allseitiger durchgeführt wissen.
Wenn Müller sagt, dass es ihm nur bei „langsamem Druck"
und kurzer Injektionsdauer gelang, einen Austritt der Masse in
die Hülsen zu verhindern, so können wir dem nur beistimmen.
Dieser Satz bewährt sich fast durchweg. Er beweist aber nicht,
dass die bei höherem Druck und ebenfalls kurzej^ Injektions-
dauer gewonnenen Resultate Kunstprodukte sein müssen. Man
kann nur sagen, dass die von Müller bei langsamem Druck und
kurzer Injektionsdauer erhaltenen Injektionsströmehen den ftlr
die künstlichen Massen bequemsten Weg darstellen. In der
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Untersuchungen über die Milz. 415
That glaube ich auf Grund meiner Befunde annehmen zu müssen,
dass für den Blutstrom auch noch andere natürliche Bahnen in
der Hülse vorliegen, als die der Capillaren.
Ich fasse die Gründe dafür, recapitulirend, folgendermaassen
zusammen :
1) Befund rother Blutkörperchen im Gewebe der Hülse
ausserhalb der Capillaren (ein Fall in Müller, mehrere eigene).
Es könnte hierbei in Frage kommen, ob die rothen Blutkörper-
chen nicht von aussen, von der Pulpa her eingetreten seien. Es
kann dies, glaube ich, deshalb als unwahrecheinlich ausgeschlossen
werden, weil dabei die nächste Umgebung der Hülsen sehr oft
absolut leer von Blutkörperchen war.
2) Befund von in der Mehrzahl der Fälle wiederkehrendem
Austritt von Injektionsmasse in die Hülse, auch ohne besonders
ausgedehnte Füllung der Pulpa.
3) Diese ausgetretene Injektionsmasse hat eine ähnliche
Gestalt, wie das Injektionsuetz der Pulpa (Tafel XXIII, Fig. 4
und Tafel XXVI, Fig. 7).
4) Wirkliche Extravasate, also Austritt von Injektionsmasse
auf Bahnen, die dem Blutstrome sonst nicht offen stehen, sind
als solche kenntlich und von den früher genannten unterscheidbar.
5) Nachweis von Lücken, Kanälchen, welche wie seitliche
Abzweigungen der Capillaren der Hülse erscheinen. Die Kanäl-
chen schienen ein engeres Lumen als das der Capillaren zu be-
sitzen. Endothelkerne schienen zu fehlen.
Meine Meinung, speciell die Circulationsverhältnisse der
Capillarhülsen betreffend, formulire ich folgendermaassen: Die
1 — 3 Capillaren der Hülse fördern ungehindert alle
Blutbestandtheile weiter. Durch die Nebenbahnen,
jene Kanälchen, welche von den Capillaren ausgehen
und in der Hülse resp. deren Maschenwerke endigen,
wird vorzugsweise nur Blutplasma passiren resp. es
werden rothe Blutkörperchen trotz ihrer grossen Plasticität sich
in nur geringer Zahl durchwinden können. Mindestens werden
während gleicher Zeitdauer diese Nebenbahnen weniger von
Blatköi-perchen durchlaufen als die Hauptbahnen, während das
Plasma ungehindert durchrinnt. Dass aber durch diese Neben-
bahnen ausser Plasma wirklich unter normalen Verhältnissen auch
körperliche Blutbestandtheile durchgetrieben werden können, da-
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416 B a n n w a r t h :
für spricht die nicht Bclten vorkomraende Füllung des Maschen-
werkes der Hülse mit rothen Blutkörperchen.
Schliesslich muss erwähnt werden, dass Hoyer bei der
Beschreibung seiner Oelinjektioncn in keiner Weise der Capillar-
hülsen gedenkt. Nun aber bemerkt Hoyer ausdrücklich, dass er
von einer Beschreibung des Gewebes absehen müsse und sich
hauptsächlich mit der offenen Endigung der GefUsse in der Palpa
befasse. Es ist ferner zu erwähnen, dass alle die Angaben über
die Capillarhülsen für Thiere höheren Alters wahrscheinlich
gar nicht mehr passen (s. weiter unten), ferner dass Hoyer sich
vorwiegend auf Präparate bezieht, bei denen durch äusserst
schwachen Druck die Injektionsmasse kaum über die arteriellen
Capillaren hinaus ging, so dass nur „rundliche oder ovale ver-
zweigte, oder maulbeerförmige Räume" entstanden. Es scheint
wahrscheinlich, dass die zwar etwas consistente, aber eben doch
flüssig bleibende Oelmasse hier ganz freien Abfluss hatte und
dabei nur den bequemsten, breitesten Weg gewählt habe. Ich
glaube dies auch daraus schlicssen zu dürfen, dass ich bei der
Injektion einer Katzenmilz mit Hoyer's Masse, die ich auch
nur bis zu den arteriellen Capillarenden ausdehnte, keine Füllung
der Hülsen, mit Ausnahme von deren Capillaj-en, erhielt. Das
sind natürlich ganz andere Verhältnisse, als bei Hochdruck-In-
jektion von dichten Leimmassen, die beim Eintritt in die Palpa
erstarren.
Ich glaube annehmen zu müssen, dass die oben besprochenen
Circulationsverhältnisse der Capillarhülsen nicht zeitlebens per-
• sistiren, da ich in mehreren Fällen eine Umwandlung der zarten
Capillaren der Hülsen in ein festes Arterienrohr gesehen zn
haben glaube. Es stellen ferner die Capillaren der Hülse in der
erwachsenen Katze viel dickwandigere, solidere Röhren dar, sie
besitzen gewöhnlich eine dickere, ziemlich geschlossene Biude-
gevvebslage, welche von den innersten Lagen der Hülse stammt.
Da ich nun femer beim natürlichen Füllungspräparat und an
künstlich injicirten Milzen keine solchen Nebenbahnen mehr zu
Gesicht bekam, wie ich sie von jugendlichen Milzen beschrieben
habe, glaube ich eine tiefgreifende Veränderung an den Ca-
pillaren in späterer Zeit annehmen zu müssen. Es be-
zieht sich dieser Befund aber nur auf zwei Thiere, deren Milzen
allerdings gut conservirt waren.
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Unter suehxinp^en über die Milz. 417
Andeutungen, Spuren von Capillarhülsen lassen sieh, wie es
seheint, allerdings immer finden, ihre relativ geringe Zahl in der
alten Milz gegenüber der jungen fällt aber in die Augen. Dar-
aus darf man wohl sehlicssen, dass ihnen beim Erwaehsenen
keine wichtige Funktion zukommt.
Man wird jedenfalls annehmen müssen, dass sich im spä-
teren Leben, obschon die Milz sich noch vergrössert, keine neuen
Capillarhülsen mehr bilden, so dass die ursprünglich sehr dicht
stehenden Hülsen nun weiter auseinander zu liegen kommen und
sich nur noch spärlich dem Blicke zeigen.
In einem Falle sah ich in einer älteren Milz ein Kleiner-
werden der Hülsen. Es scheint mir hier ein Befund vorzuliegen,
wie ihn Müller beschreibt: „Die Umhüllung einer Capillare mit
einem dichteren Bindegewebsnetz, das den Uebergang zwischen
einer wirklichen Capillarhülse und einer gewöhnlichen binde-
gewebigen Adventitia darstellt." Müller nimmt allerdings kei-
nerlei Umwandlung, sondern bloss ein Nebeneinandervorkommen
wirklicher Capillarhülsen und „modificirter Adventitien" an.
Ws8 die Lageverhältnisse der Capillarhülsen gegenüber
dem ganzen Organ oder einzelnen Bestandtheilen betrifft, so
scheint keinerlei specielle Anordnung vorzuliegen. Wir haben
diese Hülsen über das ganze Organ hin verstreut. Eines nur
zeigt sich immer wieder: wir finden diese Gebilde nie so nahe
an Balken oder Venenwand oder Kapsel angelagert, und nie so
nahe bei einander, dass nicht ein freier Pulparaum von etwa der
halben Breite der Hülse noch dazwischen läge. Sehr häufig
liegen die Hülsen in jungen Thieren (14 Tage) so regelmässig
vertheilt an der Peripherie des Organs, dass sich bei oberfläch-
licher Betrachtung eine gewisse Aehnlichkeit mit einer Lymph-
drüse und ihren peripher gelagerten Rindenknötchen ergiebt.
Eine besondere Bedeutung kann dieser Lagebeziehung wohl nicht
weiter beigemessen werden. In Milzen, die bereits vollkommen
ausgebildete und abgeschlossene Keimlager besitzen, finden wir
femer öfter eine gewisse concentrische Anordnung der Hülsen
um diese Keimlager. Ich glaube, dass auch .dieser allerdings
auffallenden Lagebeziehung keine Bedeutung in Beziehung ihrer
Funktion zugemessen werden kann. Diese Lagerungsverhält-
nisse erklären sich aus den Wachsthumsverhältnissen der Artcrien-
bäumchen, an deren Enden die Capillarhülsen liegen und aus
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418 Bannwarth:
denjenigen der Keimlager. Die Anordnung rings um die Keim-
lager hat übrigens ihr Analogen in ähnlicher Verlagerung, d. h.
Ausbiegung und Verdrängung von Balken und Venen.
Zunächst bespreche ich die über die Hülsen hinaus-
ragenden arteriellen Endstücke. Es ist früher schon bei
dem Passus: „arterielle Endigimgen" erwähnt worden, dass die
Capillaren, wenigstens in der jungen Milz, eingetheilt werden in
Capillaren mit und ohne Hülsen. Es muss hier nun vor Allem
gesagt werden, dass das Mengenverhältniss der hülsenlosen zu
den behülsten in den verschiedenen Lebensaltern desselben Thie-
res variirt. Vor allem sah ich bei ganz jungen Thieren mit
Sicherheit keine hülsenlose Capillare. Dagegen waren einige
scbon deutlich bei einem vierzehntägigen Kätzchen. Sicher zahl-
reich sind dieselben in der erwachsenen Milz vorhanden. Ein
sicheres ürtheil ist kaum möglich, da die Capillaren nach ihrem
Austritt aus der Hülse nach irgend einer Richtung ausbiegen und
sich oft noch weit durch das Gewebe erstrecken können. So-
viel scheint mir erwiesen, dass die hülsenlosen Capillaren vor-
wiegend später erst sich bildende, seitliche Abzweigungen dar-
stellen.
Es ist in Kürze schon früher gesagt worden, dass die Ca-
pillaren in gleichem Maasse anwachsen mit den Hülsen.
Bei Betrachtung der jüngeren Milzen ergab sich, dass die
innerhalb der Hülse liegenden Capillai'cn durchweg so zart ge-
staltet sind wie das Gewebe der Hülse selbst, ja dass die äussere
Contour der Wand nicht scharf abgegrenzt erscheint von dem
Gewebe derselben. Man glaubt in der Mehrzahl der Fälle nur ein-
fache Spalten oder röhrenähnliche, in die Capillarhtilsen einge-
grabene Kanäle vor sich zu haben. Dass diese Röhren ein En-
dothel haben, nicht einfach ausgesparte Lücken im Hülsengrund-
gew^ebe darstellen, kann man aus den reichlichen, in das Innere
des Geßlsses prominirenden Kernen schliessen.
Ist nun innerhalb der Hülsen eine scharfe Grenze zwischen
Gefasswand und Hülsengewebe nicht vorhanden, so ist dies eben
auch ausserhalb der Hülse der Fall. Es tritt zwar die Capillare
in der Mehrzahl der Fälle scharf abgesetzt hervor, aber die
Wandung erscheint von dem gleichen zarten Gewebe wie dem der
Capillarhülse gebildet. Da nun Züge und Fasern des Pulpa-
gewebes aber coatinuirlich in dieses überzugehen scheinen, so
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Untersuchungen über die Milz. 419
sah W.Müller (der übrigens keinerlei Altersunterschiede machte)
sich veranlasst eine Adventitia anzunehmen, deren Grenze
gegen das Endothelrohr zu unbestimmbar sei. Ich zweifle nun
nicht daran, dass wirklieh die äusserste Lage des ganzen Ca-
pillarrohrcs als Adventitia aufgefasst werden darf oder besser,
dass diese Lage später zur definitiven Adventitia wird. Halten
wir aber dazu, dass diese Wand aus genau dem gleichen Ge-
webe besteht wie die der Hülse, welches mm einmal, wie weiter
anten gezeigt werden wird, als jugendliches, als Keimgewebe
aufgefasst werden muss; halten vnr ferner dazu, dass diese sehr
kurzen, über die Hülsen hinausragenden End-Stücke als junge,
vorsprossende Capillaren aufzufassen sind, wie sofort gezeigt
werden wird, so wird man nicht fehlgehen, wenn man nicht,
wie es Müller thut, von Endothel und Adventitia mit
verwischter Grenze spricht, sondern von einem gemein-
samen Keim- oder Grundgewebe für die Capillarwand, so-
wohl im Capillarhtilsentheil wie jenseits desselben, das sich
erst später stellenweise zu diesen beiden Schichten,
nämlich zu einem Endothelrohr und zu einer adven-
titiellen Bildung differenzirt, sei diese nun dünn: eine ge-
wöhnliche Adventitia wie an den Endstücken, oder behalte sie
einen grösseren umfang und entwickele sich in besonderer Weise
wie in der Capillarhülse.
Es sind in der That die über die Hülsen hinaus-
ragenden Endstücke erst allmählich deutlicher und
länger werdende Fortsätze des Capillarhülsengewebes.
In der jüngsten Milz (12 cm langes Kätzchen) öffnen sich
die Capillaren noch entweder an der Grenze der Httisen in die
Pulpa, oder erstrecken sich doch nur eine ganz kurze Strecke
weit darüber hinaus. Etwas später (in der Milz des 3w^öchent-
lichen Kätzchens) finden wir diese Capillaren schon von der halben
bis ganzen Länge einer Capillarhülse über diese hinausragen.
In der erwachsenen Milz endlich erstrecken sich die Capillar-
Endstücke oft noch weit in die Pulpa.
Zugleich mit dieser Verlängerung der die Capillarhülse
überragenden Gefässenden schreitet auch die Differenzirung und
Festigung des Gefässrohres vor, so dass schliesslich das die Ca-
pillarhülse durchsetzende und verlassende Hauptgefäss deutlich
ein Endothelrohr und eine Adventitia, eventuell eine Muscularis
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I
420 Bannwarth:
aufweist. Auch die Hülse nimmt dabei an Grösse zu. Dabei
kann als Regel gelten, dass sie stammaufwärts und -abwärts nicht
plötzlich, sondern langsam abschwillt und also deutlich in die
eigentliche Adventitia des Gefössrohres übergeht.
Yorkommen der CaplUarhfilsen.
Ich habe diese Bildungen zunächst bei all den Thieren ge-
sehen, bei denen sie von den Autoren schon beschrieben wur-
den, also vor allem bei den Vögeln, dann beim Hund, wo eigen-
thttmliche Beziehungen zu den Venen sich zeigen, die in einer
besonderen, noch nicht abgeschlossenen Untersuchung von mir
weiter verfolgt werden. Ferner sah ich sie beim Ochsen (jün-
geren Thieren V), Schwein, Fuchs, auch wohl, aber wenig aus-
gebildet und sehr spärlich bei der Spitzmaus.
Besonders wichtig scheint mir aber der Befund beim
menschlichen Embryo. Leider standen mir einigermaassen frisch
nur ein 4- und ein 7 monatlicher Foetus, eine 7 monatliche Frfih-
geburt und Neugeborene zu Gebote. Während nun die Milz der
Neugeborenen sich kaum von der Milz der Erwachsenen unter-
schied, bot die 4monatIiche ein eigenthttmlichcs Bild.
Ausser 2 bis 3 dunkleren Stellen mit grösserem Geföas-
Quer- oder Längsschnitt, die man als in Bildung begriffene
Keimlager auflFassen darf, finden wir das ganze Gewebe um ein-
zelne Centren geordnet. Solche Centren zeigten sich auf einem
Querschnitt durch die Milz etwa in der Anzahl von 10 bis 12.
Die Centra stellten Capillarschnitte dar, so dass ich auf die Mei-
nung kam, auch hier Capillarhttlsen gefunden zu haben. Diese
einzelnen rundlichen Felder zeigten ein dicht mit Blutkörperchen
gefülltes Bindegewebstgerüst mit einigermaassen concentrischer An-
ordnung um das centrale Gefass. In der einen 7 monatlichen,
von mir injicirten Milz konnte ich dann noch kurz vor der arte-
riellen Auflösung manchmal ein dichteres Bindegewebsgefüge er-
kennen, das vielleicht der Ueberrest der supponirten CapUlar-
hülse sein konnte. In den anderen Milzen vom 7 monatlichen
Foetus (Frühgeburt) und von dem Neugeborenen fehlte aber nicht
nur jede Spur oder jeder Rest einer Hülse, sondern es war auch
das, um und an der Capillare liegende Gewebe dicht mit Leu-
kocyten gefüllt, also zur „weissen Scheide", zum Keimlager ge-
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Untersuchungen über die Milz. 421
worden. Wenn also hier wirklich im Embryonalstadinm Hülsen
sich entwickeln sollten, so wären sie jedenfalls eine vergängliche
Bildung.
Es bedarf zur Feststellung dieser Frage auf jeden Fall
jüngerer menschlicher Embryonen, die mir im hiesigen Institute
nicht zu Gebote standen.
Es sahen diese Gebilde aber doch ganz anders aus, als die
bei der Katze sich findenden Capillarhttlsen. Lücken oder Ne-
benbahnen sah ich nirgends; doch war das ganze Gebilde dicht
mit Blutscheiben gefüllt, so dass eben eine Permeabilität der Ca-
pillarwand möglicherweise auch hier vorhanden war.
Gerade hier scheint es aber, als ob von dem die Capil-
laren umhüllenden Bindegewebe aus das Wachsthum der
Pulpa vor sich geht. (Ich komme darauf' noch zurück. Es
wurde auch schon von anderer Seite einmal behauptet, die Milz-
pulpa sei nur veränderte, ausgewachsene Adventitia, allerdings
heisst es dort der Venen.)
Dies bestärkt mich in der Meinung, dass die „Capillar-
hülsen" des Menschen einfach Wachsthumsknos-
pen darstellen, während vielleicht bei niederen Thieren, wo sie
zeitlebens bestehen bleiben, mechanische Verhältnisse (Regulation
der Circulation) mehr in den Vordergrund treten.
Fanktlon der Caplllarhfilsen.
Die älteste Ansicht über die Bedeutung der Capillarhülsen
war diejenige Schweigger-SeideTs, dass man es hier mit
einer Art Filtrir- Apparat zu'thun habe. Er glaubt dies daraus
schliessen zu dürfen, dass der Innenraum der Hülsen mit dem
Lumen der Capillaren in irgend einer Communication steht imd
dass bei Injektionen die Masse in die Körperchen austritt. „Ist
wenig ausgetreten, so verfolgte die Masse mehr bestimmte Bah-
nen, so dass die Capillaren innerhalb der Hülsen ganz feine
Zweigchen abzugeben scheinen." Bei Füllung der ganzen Hülse
bemerkte er femer mitunter ein „Zurückbleiben der kör-
nigen Bestandtheilc" und nur „Austreten der
flüssigen Theile".
Es musste ihm um so weniger bedenklich erscheinen, ein
Filter anzunehmen, als er sich für geschlossene Blutbahn ent-
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422 Bannwarth:
scbied. Die durchgesickerten Bestandtheile würden hier also aus
dem Blute ausgeschaltet und vielleicht auf Lymphwegen weiter-
geführt.
Von einem Filter muss allerdings gesprochen werden, weno
für gewöhnlich ein Theilelement des Blutes (Blutkörperchen) zu-
rückgehalten wird und nur das andere (Plasma) austritt, gleich-
gültig, ob dies bei offenen oder geschlossenen Blutbahnen ge-
schieht. Doch fragt sich, ob dies nicht eine Nebenerschei-
nung ist.
Dafür, dass eine Filtration im oben . bezeichneten Sinne
thatsächlich stattfindet, scheint nicht nur die Enge der Neben-
bahnen, sondern auch die der Capillaren, die noch durch das
starke Prominiren der Endothelkeme vermehrt wird, zu sprechen.
Für die Capillaren allerdings glaube ich die^e Enge nur auf eine
mortale Veränderung, nämlich auf eine Faltenlegung, der Länge
nach, zurückführen zu müssen, die wohl intra vitam nicht be-
stand, da hier ein höherer Druck im Blutstrome vorhanden war.
Eine andere, ältere Auffassung ist die W. Müller 's, dass
die Capillarhülsen mit Nerven im Zusammenhang stehen, viel-
leicht sogar nervöse Endapparate seien. Wenn man nun zwar
auch die Nerven, die ja thatsächlich reichlich in der Milz vorhan-
den sind, bei einer gewissen Dünne vollkommen aus den Augen
verliert, so hat doch anderseits noch Niemand ein Herantreten
einer Nervenfasser an eine solche Hülse beobachtet. Auch mir
ergaben eine Anzahl Goldpräparate negative Resultate.
Eine dritte Auffassung, die von Billroth zuerst angenom-
men worden ist, ist die, dass diese Hülsen vielleicht Brutstätten
von beweglichen Zellen seien. •
Dieser Auffassung kann ich mich nicht anschliessen, eben-
sowenig einer solchen, die diese Hülsen als junge „M alpig hi'sche
Körperchen" auffasst: es fehlt hier/u jeder Anhaltspunkt.
Auf die Anregung von Herrn Prof. Strasser prüfte ich
die Frage, ob die Capillarhülsen zum Mechanismus des
Anwachsens der Milz und der Ausbildung der eigen-
thüm liehen Bauverhältnisse in Beziehung stehen.
Man könnte zunächst den Capillarhülsen nur die mechanische
Rolle zuschreiben, an der sich bildenden, zum mindesten noch
unfertigen Milz einen Pulpa bezirk offen und ausge-
spannt zu halten, den Blutabfluss in dieselbe zu er-
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Untersuchungen über die Milz. 423
leichtern und zu regeln, das Wachsthum und die
Ausgestaltung des Orgaues in ganz bestimmter mecha-
nischer Weise zu beeinflussen, dadurch dass sie mit den
Gefitesenden vorwachsen.
Man könnte aber fenicr daran denken, dass es sich in den
CapiUarhtilsen selbst um Stellen eines besonders intensiven Län-
gen wachsthums der Geßlsse handelt, oder gar um ein Keim -
gewebe, das sich in Pulpa umwandelt und das Aus-
wachsen der Pulpa und der Gefösse zugleich vermittelt.
In beiden Fällen könnte man von Wachsthumsknos-
pen sprechen.
l)ass die dicht stehenden, scharf umgrenzten Capillarhülsen
der sich entwickelnden Milz in mechanischer Weise auf die
Circulationsverhältnisse und für die Ausgestaltung der Organ-
structur von Bedeutung sind, lässt sich kaum von der Hand
weisen. Als polsterartig verdickte Theile an den Enden der
arteriellen Gefössverzweigung vermögen sie vielleicht, insbeson-
dere wenn der arterielle Baum vermöge der Eigenfestigkeit seiner
Wand und der pulsatorisch erfolgenden stärkeren Füllung sich
festigt, wie Säulenkapitäle zu wirken, die peripheren Theile vor
sich her zu schieben, die centralen auszuweiten und zu ent-
lasten. Nur in gewissem Sinne beengen sie den Blutabfluss.
Wegen ihrer umschriebenen fast kugeligen Gestalt ist die Bil-
dung überall annähernd gleich weiter Pulparäume zwischen
ihnen so gut an der Wurzel der Arterienbäumchen als an der
Peripherie ermöglicht. Die Hülsen bewirken zugleich, dass
Flüssigkeit in der Pulpa in bestimmten Richtungen, und in ein-
zelnen Strömchen strömt, wodurch eine bestimmte Richtung der
Durchspülung gegeben ist: namentlich Abfluss in Sammelströmen
gegen die Wurzeln des arteriellen Baumes, den Hilus. Die Aus-
bildung einer Muskulatur unterstützt dann die Entleerung und
Ausspülung der Pulpa.
Wir können die auf diese Weise geschaffenen Circulations-
verhältnisse unserem Verständniss vielleicht noch etwas näher
rücken, wenn wir jede einzelne Hülse nebst dem Ge-
biet, welches das aus ihr und ihren Capillaren
abfliessende Blut in der Pulpa einnimmt, uns als
besonderen Bezirk, gleichsam ein Läppchen der
Milz, aus dem Ganzen herausgeschält denken. Dann
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424 Bannwarth:
haben wir eine Art Kolben oder cylindrische Röhre, in deren
Axe die zuführende Arterie nebst der Hülse liegt, während der
ganze übrige Raum zum Abfluss oder Rückfluss des Blutes dient.
An den Grenzen dieser Bezirke vorwiegend gegen die Basis
zu liegen die Venenanfilnge und Venen. Es ist diese Anordnung
am leichtesten an den peripher liegenden Capillarhülsen jüngerer
Milzen zu übersehen. Aehnliche Verhältnisse liegen aber auch
bei den mehr central liegenden Hülsen vor, überhaupt in allen
den Milzen, bei welchen die ganze Masse vorwiegend aus sol-
chen Hülsen besteht (12 cm Kätzchen). Auch für die viennonat-
liche Foetusmilz des Menschen seheint dasselbe angenommen wer-
den zu dürfen. Diese Eintheilung und Gliederung ist nur eine
provisorische, sie verschwindet bei älteren Thieren, wo diese
Hülsen in spärlicher Zahl vorhanden sind und vor allem weit
auseinander liegen. Dafür treten in regelmässiger Anordnung
zwischen den arteriellen Endbäumchen die Septen und Trabekel
auf. In ihnen und neben ihnen entstehen gerade bei Steigerung
des arteriellen Druckes am meisten entlastete Räume, nach wel-
chen hin die Flüssigkeit strömt. Durch die Trabekel einerseits,
die Arterien, Malpighi'schen Körperchen anderseits wird die Milz
nun gleichsam nach Bau und Funktion in neue Bezirke, wenn
auch unvollkommen gegliedert. Dies hat zur Folge, dass das
stärkste Gefölle nicht mehr auf der Strecke von den arteriellen
Enden zur Pulpa, sondern von der Pulpa zu den Venen des Tra-
bekelsystems liegt.
Diese Anordnung wird doch wohl zur Folge haben, dass der
Abfluss aus der Pulpa in die Venen überall, auch mitten drin im
Organ, ein grösseres Gefillle bekommt, insbesondere auch, wenn
die Kapsel und Trabekel sich contrahiren.
Die Capillarhülsen aber würden also in provisori-
scher Weise die der Milz eigenthümlichen Circula-
tionsverhältnisse eingeleitet haben.
Es ist in der That auflFällig, wie bei der Katzenmilz Hül-
sen und Balken sich gleichsam gegenseitig ereetzen, so dass zu
der Zeit, wo die Capillarhülsen die Hauptmasse der Milz aus-
machen (12 cm Kätzchen), keine oder nur sehr spärliche Balken
vorhanden sind, während später, wo die Masse der Capillarhülsen
der ganzen Milz gegenüber zurücktritt, das Balkenwerk sehr ra-
pid zuzunehmen beginnt. Schliesslich findet sich in ausgewach-
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Untersuchungen über die Milz. 425
senen Milzen bei ganz spärlichem Vorkommen von Hülsen ein
enorm starkes Balkenwerk. Betrachten wir als Gegensatz hierzu
z. B. die Vogelmilz, so finden wir, dass hier zeitlebens die Ca-
pillarhtilsen persistiren, dass zugleich aber das Balkenwerk sehr
spärlich ist, wenn ein solches tlberhaupt vorhanden.
Eine ähnliche treibende Kraft wie bei starker Injektion,
nur langsam wirkend, ist wohl auch in dem vorwiegend arteriel-
len Wachsthum dieser Theile gegeben.
Ich verweise hier auf die von Strasser genau aualysirten,
mechanischen Verhältnisse an auswachsenden Extremitäten insbe-
sondere von Salamandern und Tritonen. Auch dort hat man ein
Vorsprossen einzelner Theile und eine dadurch bedingte Ent-
lastung anderer, in denen sich dann die Circulationsbahnen ent-
wickeln.
Ein solches Vorsprossen einzelner Theile muss von reguliren-
dem Einfluss sein auf die Ausgestaltung des Organes, insbeson-
dere auf Art und Ort der Entwickelung der Venen und Trabe-
kel in der Milz.
Mit der Annahme aber, dass die Capillarhttlsen als polster-
artig verdickte Enden des Arterienbaumes, die Pulpawege theils
einengen, theils offen halten und' entlasten, und bestimmend auf
die Circulation, auf die Umgestaltung des Organes einwirken,
dürfen wir uns nun nicht begnügen. Die einzelnen Faktoren,
welche bei der Umgestaltung der Milz eine Rolle spielen, müssen
vielmehr genau aus einander gehalten und für sich untersucht
werden. Zunächst fragt es sich, ob die Capillar hülsen bloss
passiv vorgeschobene Theile des Arterienbaums sind, oder ob in
ihnen selbst dieser Baum wächst. Ferner: welche Beziehungen be-
stehen zwischen den Capillarhülsen und der Bildung der Pulpa,
der Gefössübergänge ?
Für Betheiligung der Capillarhülsen bei der Bildung der
. Pulpa sprechen vor allem die angeführten Bilder der von aussen
her sich lockernden Capillarhülsen an älteren Katzenmilzcn, dann
aber namentlich das Aussehen der viermonatlichen Foetusmilz
und der Milz des 12 cm langen Kätzchens. Es besteht in die-
sen beiden letzteren das ganze Milzgewebe nur aus rundlichen
Snbstanzparthien, die an den arteriellen Gefassbäumchen hängen.
Es bleibt hier kaum eine andere Annahme übrig, als
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426 Bannwarth:
dass von diesen Capillarhülsen als Wachsthumsknos-
pen aus sich das Pulpagewebe bildet.
Anderseits muss hervorgehoben werden, dass sich auch noch
in annähernd ausgewachsenen Milzen des Kätzchens Capillarhülsen
finden und zwar ähnlich gestaltete wie in der jungen Milz, und
ferner, dass bei manchen Thieren, z. B. dem Schwein, die Ca-
piMarhülsen in der ausgebildeten Milz besonders gross
und zahlreich sind. Trotzdem glaube ich eine Bethei-
ligung der Capillarhülsen bei der Bildung der Pulpa
nicht ausschliessen zu dürfen.
In welcher Art und Weise sollen wir uns nun diesen Vor-
gang des Wachsthums der Pulpa vorstellen?
H. Prof. Strasser hat nach Ansicht meiner diesbezüglichen
Präparate die Fragestellung genauer formulirt und folgende
leitende Gesichtspunkte für weitere Untersuchungen aufgestellt:
In der wachsenden Milz findet eine Vergrösserung des arteriellen
und venösen Gefässbaumes, ferner eine Vermehnmg der Zahl der ar-
teriellen und venösen Endigungen in der Pulpa, und endlich eine Ver-
grösserung des Pulpagebietes statt.
Es macht keine Schwierigkeit, sich vorzustellen, wie bei Ver-
grösserung des Pulpagebietes die Venenbahnen überall in die Pulpa
hinein auswachsen und sich verzweigen durch Zusammenschluss und
Vervollständigung der Wand vorher getensterter, mit den Pulpalücken
reichlich communicirender venöser Anfänge (Rinnsale der Pulpa).
Eine besonders intensive Wucherung von gefässwandständigen
Zellen an der Venenseite ist nirgends zu bemerken, so dass von den
Venenwänden aus sicher nicht eine intensive Vermehrung des Pulpa-
ge webes erfolgen kann.
Andererseits finden wir um die Endigungen der arteriellen Bahn
H(».rde jugendlichen, zelligen Gewebes mit Kernfiguren, die als Keim-
bezirke erscheinen. Der Gedanke liegt nahe, dass von ihnen aus die
Pulpa besonders erheblichen Zuwachs erfährt und dass sich zugleich
mit der neuen Pulpa auch neue Uebergänge der arteriellen Bahn
in die Pulpalücken bilden, indem ja frühzeitig diese Capillarhülsen
nur eine lockere Umgebung für den Blutstrom bilden und früh
Lücken zeigen, die nach aussen allmählich weiter werden, innen aber
durch feine Communicationen mit der arteriellen Bahn zusammen-
hängen.
Es liegen nun bestimmte Beweise dafür vor, dass eine Auflösung
der Hülsen in Pulpagewebe wirklich stattfindet, indem an älteren
Kätzchen alle Stadien der peripheren Auflösung in weitmaschigem
Pulpagewebe bis zur völligen Aufbrauchung der Capillarhülsen ge-
funden werden. Andererseits sind, abgesehen von den Wucherungs-
erscheinungen der Gefässwand, die sich in den Capillarhülsen und im
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Untersuchungen über die Milz. 427
Anschluss an dieselben zeigen, nirgends sonst Zeichen zu sehen, die
als secundäre Gelltssbildung gedeutet, oder mit diesem Vorgang ver-
glichen werden könnten. Im Allgemeinen geschieht wohl auch an der
arteriellen Seite die Vergrösserung des Arterien baumes nur zum Theilc
durch interstitielles Wachsthum. Mit letzterem combinirt sich wohl
eine Hinzufügung neuer Endstücke, eine Neubildung von Endver-
zweigungen, während die rückwärts liegenden Theile nicht bloss der
Länge, sondern auch der Dicke nach wachsen und aus feineren Ge-
fässen überall zu gröberen werden.
Da nun kaum eine andere arterielle Endigung als diejenige mit
Capillarhülsen zu einer gewissen Zeit besteht, so muss zu dieser Zeit
gerade in den Capillarhülsen die Hinzufügung neuer Endtheile sich
abspielen.
Verlockend ist es auch, das Gewebe, wenigstens der jungen Ca-
pillarhülsen, dem Zellmaterial, das anderwärts zur secundären Gefäss-
bildung verwendet wird und zu Gefässsprossen auswächst, gleichzu-
setzen, nur dass dieses Material lockerer ist und nicht bloss trichter-
artig ausgehöhlt, sondern mehrfach kanalisirt wird, sich auch nicht
mit einem zweiten anliegenden Spross zur Schlinge verbindet, sondern
in Pulpagewebe übergeht und die durchströmende Flüssigkeit auf
mehrfachen Wegen in die Pulpa gelangen lässt.
Vielleicht lassen sich übrigens auch bei der gewöhnlichen se-
cundären Gefässbildung Anklänge an solches Verhalten finden. (Es
ist dies eine der Revision bedürftige Frage.)
Die Hauptfragen die sich nun aufdrängen sind folgende :
1) Erfolgt im Allgemeinen eine Festigung und Verlängerung
der Wände der Capillarhülse? Wie bleibt dann die rundliche
Form der Hülsen erhalten und wie wird eventuell ihre Vergrösse-
rung verhindert, ihre Zahl vermehrt. Erfolgt beim Kätzchen
Verlängerung und Festigung der Gefilsswand und Auflösung der
Peripherie in Pulpagewebe wesentlich von der Stammseite her,
unter Auflösung des aussen gelegenen Hülsengewebes (Uebergang
in Pulpa) — und ein Wachsthum des Herdes an der von dem
Stamm mehr abliegenden Seite?
Auf diese Weise wäre eine Spaltung anfanglich einheitlicher
Herde, von der Wurzel (Stiel) aus und eine Vermehrung der
Zahl der Herde möglich. Bei dem Kätzchen scheint sich dies in
Wirklichkeit so abzuspielen.
Es könnten sich diese Herde dabei ganz auflösen aber auch
längere Zeit constant halten, obschon sie dabei fortwährend zur
Bildung der Gefösse und Pulpa beitragen, indem an der einen
Seite durch Wucherung ersetzt wird, was auf der andern Seite
zur Pulpabildung verbraucht wird. Dabei würden die Herde sich
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428 Bannwarth:
absolut von den Arterienwurzeln entfernen, stromabwärts rücken
resp. sie könnten immer an gleich weit entwickelten Stellen der
arteriellen Gefiisse, z. B. an den Enden der Gapiiiaren verblei-
ben. Ferner könnte die Zahl der Hülsen zeitweise constant blei-
ben, indem entsprechend der Zahl der sich in Pulpa auflösenden
CapillarhOlsen auf Grund des schon vorhandenen Blastems
durch Spaltung oder Abspaltung sich neue bilden.
(Der Zeit der Abnahme der Zahl der Gapillarhülsen geht
thatsächlich eine Zeit der Constauz, und dieser eine Zeit der
Vermehrung der Zahl voraus.)
Wie nun die grössere Zahl aus einer kleineren Zahl durch
Auflösung von der Stammseite her sich bildet, so könnte die
Bildung der ereten umschriebenen Hülsen durch Sonderung eines
einheitlichen continuirlichen Keimgewebes entstanden sein, das
den Raum zwischen den Endverzweigungen der Arterien und
Venen ganz ausfüllte und lückenhaft canalisirt war.
Es scheint aber thatsächlich auch eine Auflösung resp. eine
Lappung und Zerspaltung der Gapillarhülsen (des Pulpa- und Gefäss-
waud-Keimgewebes) von der Peripherie her statt zu finden. So
erklären wir uns das Länger- und Deutlicherwerden von Verlän-
gerungen des Gapillarhülsengewebas in der Richtung der Haupt-
bahn, die successive Verlängerung, Festigung dieser Verlängerung
und Umbildung zu einem nackten Geföss, welches den Rest des
Keimgewebes, die Gapillarhülsen überragt. Soll dann aber der
hiluswärts gelegene Bezirk nicht an solchen Hülsen verarmen,
so müsste ein allseitiges Vorwachsen der Gapiiiaren in sämmt-
lichc Regionen der Milz hinein möglich sein.
Eine andere Möglichkeit ist endlich die, dass nach gänz-
licher Auflösung einzelner Gapillarhülsen und Gonsolidirung der
Bahnen nachträglich an einer rückwärts oder vorwärts liegenden
Stelle der Wand der nackten arteriellen Bahn ein neuer Wu-
cherungsherd auftritt. Es ist wohl möglich, dass solches vor-
kommt, aber doch wohl nur Gapiiiaren, die noch einen jugend-
lichen Gharakter haben. Die Frage ist namentlich, wie weit
stammaufwärts solches noch möglich ist. Dann kann die Mög-
lichkeit der Spaltung und Rückbildung von der Peripherie ans
rückwärts in einzelnen Fällen in Frage kommen.
2) In allen Fällen, wo von beschränkter Stelle aus em
Wucherungsherd auswächst, kann nun derselbe sehr wohl
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üiitersiichung'en über die Milz. 429
von Anfang an als sich ausbreitender Knotenpunkt des Pulpa-
netzes mit diesem in Contiuuität stehen und bleiben; dabei könnte
er aber doch mehr oder weniger die Umgebung verdrängen und
bei Seite schieben, und sich das eine mal in Folge dessen schär-
fer, das andere mal weniger scharf abgrenzen.
Ebenso könnte aber auch in allen solchen Fällen diese Wu-
cherung von vorn herein sich frei gegen Pulpa oder Venenlücken
verschieben, gleichsam als Sprosse in Lücken auswachsend.
Soweit wir gesehen haben, kommt von diesen Möglichkei-
ten beim Kätzchen namentlich die erstere in Betracht, ohne dass
wir uns aber in dieser Frage bestimmt äussern könnten.
3) Dabei ist nun festzuhalten, dass die Wucherung der
Wandzellen der arteriellen Endbahnen ein selbstständiger Prozess
sein kann, und nicht immer die Canalisation im gleichen Ver-
hältniss mit der Wucherung vorzusehreiten braucht. Wovon
hängt es nun ab, ob solche Lücken sich entwickeln oder nicht,
ob der Herd sich festigt oder lockert, ob dies im Centrum oder
an der Peripherie geschieht, ob er grösser wird oder nicht, ob er
sich schärfer abgrenzt oder nicht? Warum werden die Herde
im Allgemeinen kugelig, zu gleicher Zeit annähernd gleich gross,
warum sind sie gleichmässig durch den ganzen Raum der Milz
vertheiltV
Einer der Faktoren, der hierbei jedenfalls eine Rolle spielt,
ist die verschieden grosse Proliferationsfilhigkeit des gefässwand-
ständigen Gewebes; ein "Zweiter die gnissere und geringere
Raschheit, mit welcher an dem wuchernden Blastem sich pheri-
phere Stützsubstanzeu differenziren, so dass das Blastem sich zu
einem fester geordneten Stützgewebe umwandelt. Von Einfluss
sind dann aber drittens wohl die Gefilllverhältnisse der in der
jugendlichen Gewebsmasse von aussen oder innen her sich aus-
bildenden Flttssigkeitsströme.
Wir wagten der Vemmthung Raum zu geben, dass ein
junges Blastem von bestimmter Weichheit bei grösserem Unter-
schied des mitten durchgehenden und der auasen vorbeigehenden
Flüssigkeitsströme leichter kanalisirt und hi ein Netz ausgeweitet
wird, als wenn dieser Unterschied gering ist. Dabei kommt wohl
auch hier, wie bei wirklichen Gewässern, der grösseren lebendi-
gen "Kraft auch hauptsächlich die wegspülende, wegbah-
nende, ausgrabende Wirkung zu, also an Stelle des grössten
Archiv f. mikrosk. Anatomie, lid. 38 28
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43Ö B a n II w a r t h :
Gefällefi und der grössten Stromgeschwiiidigkeit, und es vertieft
sich auch hier wohl (resp. erweitert sich) das Strombett fort-
schreitend stromaufwärts, während oberhalb der noch nicht über-
wundenen Widerstände Stauung und Druckausgleich stattfindet.
Es wird aber auch eine bestinmite Grösse des Gefölles und der
Strömungsgeschwindigkeit dazu gehören, damit überhaupt. kleine
Saftkanäle über ein gewisses Maximum hinaus erweitert werden,
von wo an Erweiterung zur vollständigen Ausweitung und Spren-
gung des Blastems in Pulpanetz führen rauss, während vorher
der Zusammenhang erhalten blieb. Das führt weiter zu der
Ueberlegung, dass die arterienwärts, d. h. stromauf fortschrei-
tende Umwandlung des Blastems in Pulpa nicht über eine ge-
wisse Strecke weit von den Stellen minimalen Druckes der schon
gebildeten Pulpa aus weiter gehen kann, weil jenseits dieser Grenze
bei Längerwerden des Stromweges ohne entsprechende Vergrösse-
rnng der DruckniveaudiflFerenz das Gefälle zu klein wird, um das
junge Gewebe zu sprengen. Auf Grund dieser üeberlegungen
wird verständlich, dass bei dem Kampf zwischen gewebsfesti-
genden und gewebssprengenden Prozessen ziemlich scharfe Grenz-
lücken entstehen zwischen dem Gebiet, wo der eine, und dem-
jenigen, wo der andere Prozess den Sieg davon trägt.
Ferner veretcht man, dass da, wo das Proliferatiousgewebe
an arteriellen Stromwänden überall ähnlich beschaflfen ist, ander-
seits die Zwischenräume zwischen dem Arterienbaum überall gleich
entlastet sind — dass da auch überall annähernd gleich breite
Pulparäume entstehen müssen, dass femer die sich fest erhalten-
den Capillarhülsenbezirke um so mehr überall Kugelgestalt und
gleiche Grösse annehmen werden, und wie Beeren an Stie-
len hängen müssen, je mehr und gleichmässiger die Wuche-
rn ngstUhigkeit auf die Endbezirke der arteriellen Bahnen be-
schränkt ist.
Endlich machen diese üeberlegungen noch verständlich,
warum bei frühzeitiger Entwickelung von Trabekeln, zu einer
Zeit, wo das Capillarhülsengewebe noch jugendlich ist, mitten
durch die Substanz der Milz hindurch besonders gut entlastete,
hirnsinusartige Venenabzugskanäle geschaffen sind, und aus der
Pulpa, wenigstens bei pulsatorischer Drucksteigerung, nach den
Venen hin ein leichterer Abfluss mit stärkerem Gefälle zu Staude
kommt, als ohne die Trabekelbildung — dass hier das CapiUar-
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Untersuchungen über die Milz. 431
hülsengcwebe besonders stark und weithin von der Peripherie an
beginnend, gesprengt wird, ja dass ferner geradezu die Auf-
lösung der Capillarhtilsen mit dem Fortschritt der Trabekel-
bildung gleichen Schritt hält, dass die Capillarhülsen dabei
kleiner bleiben resp. statt zugleich mit der Milz zu wachsen
sich spalten und theilen, während andereeits bei unvollkommener
oder fehlender Trabekelbildung die Capillarhülsen besser erhal-
ten bleiben, sich festigen, schärfer abgrehzen und auch nach
Massgabe des Wachsthums des ganzen Organes unter Umständen
sich vergrössern..
Zusammenfassung: Dies ist unsere Hypothese, nach
welcher die jungen Capillarhülsen als Proliferationsherde aufge-
fasst werden, welche durch die durch sie hindurchgehende Fil-
tration kanalisirt und unter Umständen von der Peripherie an
beginnend gesprengt und in Pulpagewebe aufgelöst werden, wäh-
rend central und unter Umständen vielleicht auch an gewissen
Stellen der Peripherie die Wucherung weiter gehen kann. Je
nach Umständen erfolgt nun Festigung der axialen und centra-
len Theile, das eine Mal in grösserem Umfang, das andere Mal
in geringerem. So erfolgt durch Umwandlung in festes Gewebe
in einigen Fällen die Bildung constanter polsterartiger Gebilde,
welche vielleicht nur noch die Funktion der Einengung der
Pulpaströme haben; in anderen Fällen handelt es sich um provi-
sorische Bildungen, die mit Aenderung der Strömungsverhältnisse
(Trabekelbildung u. s. w.) verschwinden, sei es spurlos, sei es,
dass ihre Axentheile sich zu Adventitien festigen.
Ich habe im Vorigen die Hypothese, wie sich H. Prof.
Strasser die Art und Weise der Umwandlung der Capillarhülsen
im Pulpagewebc mechanisch erklärt, wörtlich wiedergegeben.
Zum Beweise ist nun freilich erst noch Manches festzustellen. Wir
behalten uns in dieser Beziehung gemeinsame Untersuchungen vor.
Von ganz besonderer Bedeutung für die in Rede stehenden
Fragen ist die Untersuchung der ersten Bildung des Mikgewebes
und der ersten Entstehung der Capillarhülsen. Es steht der
Nachweis aus, dass und wie (im Anfang wenigstens) ein jugend-
liches Blastem zwischen die arteriellen und venösen Endigungen
eingeschaltet ist. Gerade dies ist in der vorliegenden Arbeit noch
nicht verfolgt worden.
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432 ßaniiwarth:
Anhang.
Leukocyten der Milz.
Die Kenntniss der einschlägigen Litteratnr setze ich als
bekannt voraus^).
In Beziehung auf die Technik möchte ich kurz envähnen,
dass selbst bei reichlichem Material nur eine relativ kleine Zahl
von Objekten tadellos aus der Conservirung hervorgeht.
Die besten Resultate erhielt ich durch Injektion von Säure-
gemischen in die Gefässe der Milz. Es wurden hierzu vorwiegend die
Venen gewählt. Fast durchweg wurde Chrom-Osraium-Essig-
säure in schwächerer Concentration Flemniings ange-
wandt. Die Flemming'sche Anilinfarbung kam dagegen selten
zur Anwendung, weil es mir nicht nur auf die Struktur der Kenie,
sondern auch auf die Lagebeziehungen der Kerne resp. Zellen zu
den Gefössen, dem Pulpanetz u. s. w\ ankam, wozu diese Tiuktion
eben nicht genügt. Aus dem gleichen Grunde wurde auch öfters
nach Pfitzner's Methode conservirt, d. h. es wurden die in der
Säure fixirten Stücke auf kurze Zeit in Müller'sche Flüssigkeit
gelegt. Die so gewonnenen Präparate färben sich schön und
gleichmässig, auch mit Hämatoxylin und neutralem Carmin,
was bei Säurepräparaten bekanntlich öfter nicht gelingt. Es ist
aber eine genaue Ueberw^achung der Einwirkungsdauer der Rea-
gentien von Nöthen, da recht oft eine Quellung des Chromatiiis
die Präparate unbrauchbar macht. Jedenfalls sind die schönsten
meiner Präparate auf diese Weise gewonnen.
Eine Achromatinfixation jedoch anzunehmen, wie esPfitz-
ner thut, habe ich keinen Grund, den Vortheil dieser Methode
suche ich nur in der gi-ündlichen Auswaschung der Säure aus
dem Präparate.
Dagegen zeigte sich, dass die Müller'sche Flüssigkeit ver-
mr)ge des darin enthaltenen Glaubersalzes in anderer Weise spe-
cifisch wirkt. Sobald nämlich das Glaubersalz in stärkerer Con-
centration auf die Präparate eingewirkt hat, sind die Kemkörper-
chen befähigt, das (wasserlösliche) Eosin aufzunehmen. Die^e
1) Bemerkt muss werden, dass ich selbst das Juniheft 1889 der
Wiener Sitzungsberichte (mit einer einschlägigen Arbeit F. Müller's)
hier bis jetzt noch nicht erhalten konnte.
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Untersuchung'en über die Milz. 433
rothe Färbung sticht dann gegen die von mir angewandte Hä-
matoxylinßlrbung des Chromatingerüstes schön ab. Es zeigen sich
diese Kernkörperchen in der Form von einem oder mehreren vorwie-
gend central gelagerten, von dem ChromatingerUst gefassten Sub-
stanzkltimpchen in den Stadien des ruhenden Kernes und der
Knäuelfiguren vor und nach der Theilung, nicht in den Stadien
der Theilung, wo die Schleifen stemartig um einen oder zwei
Pole angeordnet sind. Dagegen halten in diesen Stadien die
Schleifen selbst nicht bloss das Hämatoxylin, sondern stärker das
Eosin fest, so dass die von mir als Kernkörperchen gedeutete
Substanz, die während des Hauptaktes der Theilung verschwindet,
in die Substanz der Schleifen aufgenommen zu werden scheint.
Es entspricht dies genau den Angaben Reinke's, nach Befunden
an Präparaten anderer Conservirung und anderer Färbung. (Ebenso
färben sich auch abgestorbene Kerne.)
Diese Tinktion gelang mir gewöhnlich auch auf folgende ein-
fache Weise: Schnitte, gleichviel welcher Conservirung, werden in
(altem, sehr verdünntem Delafield'schem) Hämatoxyliu gefärbt, aus-
gewaschen, dann nachgefärbt in wässeriger Eosinlösung, dem eine
Dose Glaubersalz zugesetzt wurde. (Ich kann diese Tinktion auch für
Hodendoppclfärbungen empfehlen; es färben sich dort ausser den ge-
nannten Substanzen schön roth die Spermatozoon.)
Befund.
Löwit hat bekanntlich zwei Leuk ocy ten-Ty-
pen aufgestellt: Erythroblasten undLeukoblasten.
Für den Kern der Erythroblasten giebt der-
selbe einen charakteristischen netzförmigen Bau
(eventuell mit Verdickungen) und das Fehlen eines Nu-
cleolus an. In dem Kern der Leukoblasten sieht
er ein System radiär gestellter Sttitzstrahlen, die
von einem in der Mitte liegenden Chromatinhau-
fen ausgehen und nach der Kernperipherie zu in
kleinen Chromatinhäufchen enden.
Ich habe nun mit absoluter Deutlichkeit die typischen Bil-
der von Löwit's Leukoblasten gesehen. Es gelang mir
femer, die Vermuthung Löwit's, dass diese Nucleolen eben
wirklich Nucleolen seien, durch distinkte Tinktion nachzuweisen.
Auch in Betreff der Erythroblasten glaubte ich eine
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434 Bannwarth:
Zeit lang L ö w i t's Angaben beistimmen zu müssen. leh konnte
nämlichnicht an allen Leukoeyten Kernkörperehen
nachweisen. Es zeigten sich zwar klümpchenartige Verdickun-
gen des Kemgerüstcs, die in ihrer Tinktion aber nicht von der
des Kerngerüstes verschieden waren. Dann glaubte ich bei
menschlichen Embryonen Erythroblasten gefunden zu haben. Es
zeigten sich hier nämlich neben den deutlichen Typen der Leu-
koblasten, also grösseren Kernen mit klarem Chromatingerüst und
Nucleolen, kleinere Kerne, die entweder absolut diffus
tingirt waren, oder in denen noch ein enges aber
verwischtes Chromatingerüst, ohne Nucleolen,
sichtbar war. Ich glaubte nun, da menschliche Miken nie
frisch zur Couservirnng kommen und diflFuse Tinktion der Kerne
allgemein als Absterbeerscheinung vorkommt, allerdings hier eine
postmortale Veränderung vor mir zu haben, aber im Hinblick auf
die gute Erhaltung der Struktur der Leukoblastenkeme ver-
muthete ich, dass die Veränderungen sich nur an einer gewissen
Sorte von Leukoeyten geltend machen, welche allenfalls den Lö-
wit'schen Erythroblasten entsprechen können. Es würde dann
diese früh auftretende Verändenmg ein weiteres Charakteristicum
der Erythroblasten darstellen.
Dieser Schluss ist nun an sich, wie mir jetzt seheint, nicht
zwingend, da der Einwand nicht widerlegt werden kann, es
handle sich hier um verschiedene Abänderungsgrade der gleichen
Leukocytenart, nämlich der „Leukoblasten".
Ich vermag also das Vorkommen einer zweiten, von den
„Leukoblastcn" specifisch verschiedenen Leukocytenart zur Zeit
weder bestinmit zu beweisen, noch mit Sicherheit zu bestreiten.
Wenn nun aberLöwit meint, dass von den zwei
Formen, die hier allein in Betracht kommen, die
eine Art, die ohne Kernkörperchen, sich indirekt
theilen, die anderendirekt, sokannichihmhierin
nicht folgen. Denn gerade diejenige Art, die sich direkt
theilen soll, die Leukoblasten mit Nucleolen, habe ich in indi-
rekte Theilung übergehen sehen. Und dabei habe ich öfter
noch im Stadium des segmentirten Mutterknäuels die Kernkörper-
chen erhalten gefunden (s. Fig. 13 Taf. XXIII).
Andererseits bin icb aber auch gegen die Bilder, welche
eine direkte Theilung beweisen sollen, recht misstrauisch gewor-
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Untersuchungen über die Milz. 435
den, seitdem ich mit den Fixationsmitteln injicire und fast alle
zur Bewegung; befähigten Zellen gleichsam auf Wanderung er-
tappe. Man sieht da alle möglichen Bilder, die eine direkte Thei-
Inng oder deren Beginn vortäuschen; Einschnürung des Zellleibes,
des Kernes und des Kemkörperchens, s. Fig. 7 und 8 Taf. XXIII.
Ein Bild aber, welches für eine wirklich vollendete Kemdurch-
schnürung beweisend ist, also getrennte Kerne in einem durch
eine schmale Brücke verbundenen Zellleib, habe ich am fixir-
ten Präparate nie mit genügender Deutlichkeit gesehen.
Ich habe wohl an sogenannten überlebenden Präparaten
solche Durchschnürungen unter dem Mikroskop sich volkiehen
gesehen, was aber natürlich keinen Schluss erlaubt auf ein häu-
figes Vorkommen dieses Prozesses unter normalen Bedin-
gungen.
Noch ein weiterer Punkt kommt hier in Betracht. Wir
haben in den Keimcentren der Milz ein abgegrenztes Feld, in
dem wir eine recht beträchtliche Menge von Mitosen beweg-
licher Zellen finden. Hier müssten wir nun auch eine
wenigstens eben so reichliche Menge von „Ery-
throblasten" finden, und das ist nun eben nicht
der Fall. Wenn ich nun von all den Leukocyten, deren Kerne
klein, und bei engem Chromatingertist dunkel tingirt sind und in
denen kein Kemköi-perchen sich nachweisen lässt, alle diejenigen
abrechne, deren Kerne sich später bei Anwendung der Oelimmer-
sion als Tochterknäuel erwiesen haben, — so bleiben sehr we-
nige übrig. Aber auch diese wenigen, von den Löwit'schen
^Leukoblasten" abweichenden, ruhenden Zellen der Keimcentren
könnten junge Zellen (Tochter^ellen) sein, deren Kern noch klein
ist, so klein, dass das darin enthaltene Kemkörperchen nicht ge-
sehen werden kann, oder in denen vielleicht ein Kemkörperchen
noch nicht gebildet ist.
Wir finden nämlich bei der karyokinetischen Thcilung der Leu-
kocyten der Milz bedeutende Schwankungen gegenüber der Norm.
So finden wir also zunächst einmal eine sehr lange Persistenz des
Nucleolus bis in das Stadium des segmentirten Mutterknftuels fast als
Regel. Es kann sich ferner der Nucleolus später als in der Norm
oder früher wieder bilden. Fast als Regel kann die frühe Theilung
des Zellleibes schon im Stadium des Diasters gelten (Fig. 16, Tafel XXIII),
(welche schon von anderer Seite e^wähnt wurde). Ebenso findet sich
öfter eine einseitig verzögerte Umordnuug (s. Fig. 15, Tafel XXIII). Auch
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436 B a n n w a r t h :
der relativ kurzen Spindel möchte ich Erwähnung thun (Fig. H). Es
war diese Kürze vielleicht der Grund, dass Arnold dieselbe in der
Milz vermisste (oder selten fand?).
Ebenso möchte ich an dieser Stelle auch der eigenthümlichcn Fi-
guren 11 und 12, Tafel XXIII gedenken, welche wohl der von Reinke
als neue Form der Mitose bezeichneten Rad- oder Melonen-
form entspricht. (Reinke giebt kein Bild; nach seiner Beschreibung
glaube ich aber dieselbe in meinen Bildern zu sehen.)
Vom einen Pol, an welchem der oder die Nucleolen liegen, zieht
zu dem anderen ein System gleich dicker (manchmal verzweigter)
Chromatinfäden. Es ist diese Form, wie auch Reinke angiebt, zwi-
schen Ruheform und KnÄuel eingeschaltet.
Weitere Schicksale der in den Keimcentren gebildeten
Leal(Ocyten.
Ich will kurz das Resultat vorweg nehmen:
Es scheint mir, dass die innerhalb der Keim-
lagcr gebildeten Zellen zu einem grossen Theile
sofort in der Pulpa zu Zellen werden, die den
Ehrlich'sehen eosinop hilen Zellen und denSehmidt-
Seramer'schen Leukocyten gleichzusetzen sind. Die
Körner dieser Zellen tingiren sich mit den von
Ehrlich als Reagentien für Hämoglobin ange-
gebenen Farbstoffen. Am nicht tingirten Prä-
parate zeigt der Zcllenleib eine ähnliche grün-
liche Tinktion wie die rothen Blut Scheiben.
Meine Befunde sind nun folgende : Rings um dieKeim-
lager der erwachsenen Milz der Katze finde ich
einen dichtenKranz von Zellen mit polymorphem
oder mehrfachem Kern^).
Soweit ich mit meinen Vergrösserangsmitteln die Kem-
struktur in den gelappten Kernen oder in den einzelnen, oft recht
kleinen Kernstücken erkennen kann, halte ich sie für die gleiche,
wie in den Leukocyten der Keimlager. leh sehe Kemkörperchen,
gefasst von Htützstrahlen, die an ihrem peripheren Ende, au der
Kernmembran in Chromatinklumpen enden. Der Zellleib erscheint
verschieden, je nach dem angewandten Conservirungsmittel. In
1) Einen wirklichen Lochkern (s. Flemming's u. Reinko's Ar-
beit) habe ich an dieser Art Zellen nicht beobachtet.
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Untersuchnn^eu über die Milz. 437
Chrom-Osluium-Essigsäure-Präparaten, in Trockenpräparaten und
im überlebenden Zustande scheint derselbe aus einzelnen groben Gra-
nulis zu bestehen. Es entsprechen aber diese Granula hier nicht opti-
schen Durchschnitten von Stäbchen, wie sich solche in den gleichen
Elementen der Vögel finden. Diese Granula zeigen an denjenigen
Chrom-Osmium-Essigsäure-Präparaten, in denen die Farbe der
rothen Blutscheibe erhalten ist, den gleichen Farbton wie diese.
Färben wir nun noch den Zellenleib mit Eosin, so nehmen gerade
die genannten Granula und nur diese die Farbe intensiv an. Diese
Eosinfärbung zeigt sich rein und schön am Trockenpräpa-
rate, wie dies Ehrlich für die eosinophilen Zellen angegeben
hat. Nach Sublimat-Conservirung und Anwendung der
Ehrlich-Biond i'schen Tinktion finde ich (ebenso wie P o u -
eh et und Hoyer), dass diese Granula sich mit Aurantia tin-
giren, welches von Ehrlich als Reagens für Hämoglobin ange-
geben wurde und von anderer Seite als solches anerkannt ist.
Auch pikrinsaures Ammoniak wurde von Ehrlich als Reagens
auf Hämoglobin angegeben. Es fUrben sich auch in diesem Farb-
stoflF die Granula intensiv gelb. (In wieweit auch heute noch
Ehrlich in den genannten StoflFen Reagentien auf Hämoglobin
sieht, vermag ich nicht anzugeben, da mir die diesbezüglichen Ar-
beiten Ehrliches nicht zu Gebote stehen.) MerkeTs und M er-
be Ts Tinktion habe ich ebenfalls angewandt und erhielt die Gra-
nula bald grünlich, bald mehr bläulich, aber stets im Farbton
der rothen Blutkörperchen.
Auch an Chromkai ipräparaten kann man diese
Zellen erkennen, doch ist die Granulirung nicht so prägnant wie
an Säurepräparaten. Die Zellen zeigen nicht so deutlich das Bild
der „Brombeere" (Ehrlich), sondern erscheinen mehr abgerun-
det. Hingegen zeigt sich an derlei Präparaten besonders schön
der grünliche Eigenton desZellenleibes. Es ist dies
von besonderem Interesse, da von vielen Seiten, und auch neuer-
dings erst von Bizzozero das Chromkali resp. die Müller'sche
Flüssigkeit als ein Fixationsmittel für Hämoglobin anerkannt
wurde*).
Färben wir nun an diesen Präparaten die Zellenleiber mit
1) Genau genommen findet allerdings eine Umwandlung in M e t-
Hä moglob in statt.
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438 Bannwarth:
neutralem Carmin, so bleiben diejenigen farbioS; die grünlieh er-
scheinen, selbst dann noch, wenn die anderen bereits intensiv
tingirt sind.
Zugleich mit diesen vollständig von Carmin frei bleibenden
Zellen mit grünlichem Protoplasma finde ich aber eine gleich
grosse Menge, die alle üebergänge von schwacher Cannintinktion
resp. dem grünlichen Naturton bis zu tief dunkler Färbung zeigen.
Dabei ist von entscheidender Bedeutung, dass die mit Carmin
tiefer tingirten Zellenleiber einen einfacher gestalteten, die farb-
loseren einen gelappten oder getheilten Zellkern aufweisen. Bei
den wenig und nur spurweise tingirten glaube ich zu sehen,
dass sich der zwischen den Granulis liegende Theil des Zell-
leibes geförbt hat (der sich eben nicht mit Eosin u. s. w. tingirt).
Da nun, wie gesagt, an Chromkalipräparaten eine undeut-
lichere Kömerstruktur an diesen Zellenleibem sich zeigt, als an
den Osmium-Präparaten, so könnte man den Schluss ziehen, dass
Chromkali ein schlechtes Fixationsmittel für diese Granula sei,
trotzdem es sonst ein gutes für rothe Blutkörperchen ist. Doch
muss unterschieden werden zwischen dem Werth eines Reagens
für die Erhaltung der Form und Struktur und dem eines Reagens
zum Nachweis der besonderen chemischen Substanz.
Wenn wir nun auch bei Chromkali auf die genaue Erhal-
tung der Struktur verzichten müssen, so ist doch die Farben-
reaktion fein und empfindlich, so dass wir auf das Vorhanden-
sein bestimmter, durch die "betreffende Farbe gekennzeichneter,
protoplasmatischer Bestandtheile /Hämoglobin oder eines Deri-
vates) schliessen dürfen. Die ungenaue, verwaschene Zeichnung
der Granula führe ich auf Quellung zurück.
(Versuchen wir auch an Chrom-Osmium-Essig-Sänre-Präpa-
raten die Tinktion mit neutralem Carmin, so gelingt diese ge-
wöhnlich nur an solchen, die nach Pfitzner nachträglich noch
kurz mit Müller'scher Flüssigkeit behandelt sind. Ich habe
hier ähnliche Resultate erzielt wie an Chrom-Kali-Präparaten.)
Ich glaube hiermit annehmen zu dürfen, dass wir
in den Granulis dieser eosinophilen Zellen Hämoglo-
bin oder ein Derivat derselben vor uns haben. Bei den
Zellen, deren Leib sich noch intensiv mit Carmin tingirt, haben
wir auch noch einen einfachen Kern. Je blasser der Zellenleib
sich färbt, desto vorgeschrittener ist die Fragmentirung des
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Untersuchungon über die Milz. 439
Kernes: wir finden erst Zwei, dann Vier- oder auch Mchrfach-
theilung.
Unter diesen granulirten Zellen haben wir nur die mit gleich
grossen Granulis im Ange. Daneben finden wir nun, beiläufig ge-
sagt, noch eine zweite Art beweglicher Zellen mit ungleich grossen
Granulis. E. Hoyer rechnet diese auch zu den eosinophilen Zellen.
Ich will nun nicht leugnen, dass diese Zurechnung in vielen Fällen
richtig sein mag, in anderen Fällen wiederum liegt entschieden eine
Verwechselung vor mit Flemming's Zellen, die tingible
Körner enthalten. Die Unterscheidung beider ist nicht schwer
zu treffen, da die Zellen mit tingibeln Körnern fast durchweg einen
einfachen Kern haben, die mit Granulis einen mehrfachen.
Am Chrom-Osmium-Essig-Säure-Präparate, das nach P fitzner
nachbehandelt ist, zeigen diese tingibeln Körner auch eine intensive
Eosin-Färbung, wenn alle anderen Zellenleiber farblos sind^). Es ist
dies gewöhnlich nicht der Fall an Trockenpräparaten, von welchen
allein die Befunde Ehrlich's herrühren.
Was zunächst noch den Punkt betrifft, ob diese
Art Zellen wirklich in den Keimlagern gebildet wer-
den, so spricht hierfür eben, und wie mir scheint,
auch genügend beweiskräftig die dichte Lagerung um
diese Keiralager. Immerhin könnte eingewendet werden,
dass sie dorthin durch die Milzarterien geftihii; wurden. Ich
habe auch wirklich in manchen Fällen innerhalb der geschlossenen
Arterienbahn der Milz solche Zellen gesehen. Die Zahl der
eosinophilen Zellen, die im Kranze um die Keimlager liegen, ist
aber eine zu bedeutende, als dass sie allein darauf zurückgeführt
werden könnte, besonders da die Stellen, wo sie liegen, nicht
etwa Stellen sind, wo der Blutstrom stagnirt, sondern solche,
wo der Flüssigkeitsstrom vom Inneren der Keimlager her weg-
spülend wirkt, wo ferner die arterielle Injektionsmasse zuei-st in
die Pulpa tritt. Ferner ist dafür, dass diese Zellen über-
haupt in der Milz gebildet werden, von Bedeutung,
dass sie in wirklich verblüffender Menge an und in
den Venenanfängen liegen. Spricht das Angeführte für die
Abstammung der Zellen aus den Keimlagern, so fehlt anderer-
seits der Beweis der Umbildung von Keimlagerzellen in gra-
nnlirte, eosinophile Zellen mit Kemfragmentirung.
1) Es finden sich diese Zellen mit tingibeln Körnern auch reich-
lich in den Keinicentrcn, die eosinophilen Zellen dagegen nie.
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440 Bannwarth:
Die Zellen in den Keiralagern f heilen sich mitotisch. An
deren Zellenleib habe ich, so lange sie innerhalb des Keimeen-
trums liegen, nie eine Granulirung wahrgenommen *), ebensoweDig
eine Kemfragmentirung. Es müsste mithin in der dunkeln
Zone die Umwandlung vor sich gehen; es würde das
zusammenfallen mit der Zeit, wo die vorderen Zellen
zuerst direkt mit dem circulirenden, intermediären
Blutstrom in Berührung kommen.
Bei der enorm dichten Lagerung in eben der dunkeln Zone,
der Kleinheit der Zellen und dem ohnehin noch schmalen Proto-
plasmasaum und ferner bei der grossen Schwierigkeit, eine wirk-
lich gute Fixirung und zugleich Färbung des Protoplasma her-
zustellen, bin ich nicht im Stande meine Annahme zu beweinten.
Ein Einwurf, den nun Heidenhain und Hoyer erhoben
haben, betrifft die Frage, ob diese Zellen nicht dem Untergang
geweiht sind? Heidenhain giebt eine tiefe Tinktion als cha-
rakteristische Erscheinung bei „in der Wärme absterbenden
Zellen" an. Eine ähnliche Angabe findet sich auch schon früher
bei Ehrlich. Dagegen scheint mir nun entschieden die That-
sache zu sprechen, dass diese Zellen massenhaft in den Venen-
antängen liegen. Auch wenn sich nachweisen lässt, dass diese
Zellen aus den Keimlagern stammen, so spricht das ebenso gegen
die Annahme des Absterbens, denn ein so rasch und häufig auf-
tretender Zerfall der soeben neu entstandenen Zellen wäre doch
etwas eigenthümlich.
Ein weiterer Einwurf wird den „grünlichen Xaturton"
betreffen. Es wird entgegengehalten werden, dass bei Erkennung
solcher feiner Farbnüancen leicht Täuschungen mit unterlaufen
können, insbesondere da die Gebilde sehr klein sind. Wir müssen
im Allgemeinen vollkommen dem beistimmen, was Bizzozero
über diesen Punkt sagt (Mikroskop. Archiv 35). Täuschungen wer-
den auch häufig dadurch hervorgerufen, dass rothe Blutscheiben
über der betreffenden Zelle, darunter oder auch nur daneben lie-
gen. Indessen ermöglichen Vorsicht, Selbstkritik und üebung
ein sicheres Urtheil, so dass ich insbesondere den zuletzt erwähn-
ten Täuschungen sicher nicht zum Opfer gefallen bin. Dass
1) Auch E. Hoyer sieht Korne eosinophiler Zellen in den Keim-
centren.
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ITntersuchungon über dio Milss. 441
diese „grünlich erscheinenden Gebilde" sich gerade
auch mit den für Hämoglobin charakteristischen Far-
ben tingiren, muss als eine sehr bemcrkenswerthe und
wichtige Thatsache hervorgehoben werden.
Nach dem Yoraasgesehiekten halte ich das Yorhan-
densein eines besonderen Stoffes in diesen Zellen, der in
seinen Reaktionen dem Hämoglobin der rothen Blutkör-
perchen gleicht, für erwiesen. Ich werde diese Zellart der
Kürze halber als „Erythrocyten" bezeichnen. Ich will mir
auch erlauben, den betreffenden Stoff der Granula bis auf wei-
teres als Hämoglobin zu bezeichnen, wenn auch der vollkommene
Beweis der Hämoglobinnatur noch nicht erbracht ist^).
Die Fragen, die sich nun zunächst aufdrängen, sind, wo-
her dieses Hämoglobin stammt; dann, ob diese Zellen auf dieser
Stufe der Entwickelung bleiben, oder ob sie vielleicht als Vor-
stufen rother Blutscheiben betrachtet werden dürfen.
Was zunächst die erste Frage betrifft, so wird man vor
Allem daran denken, dass diese Hämoglobingranula durch Phago-
cytose aufgenommene und halbverdaute, zertheilte, zertrümmerte
Blutkörperchen darstellen. Es müsstc sich dann eine Reilien-
folge von Zellen finden lassen, in denen wir Schritt für Schritt
diesem Verdauungsgang folgen könnten. Wir mttssten finden:
ganze Blutscheiben, grosse Granula, kleine Granula. Der schliess-
Hche Ausgang in Pigmentbildung wäre wohl der einzig zu er-
wartende.
Ich glaube diesen Vorgang der Phagocytose allerdings
sich abspielen zu sehen, aber er steht ganz ausserhalb, er erfolgt
ganz unabhängig von diesen Erythrocyten. Man sieht nämlich
in der That ehizelne grosse Granula oder Partikel in Zellenlci-
bem, welche die verschiedenen Hämoglobinförbungsmittel be-
sonders intensiv annehmen, dieselben aber auch behalten, wenn
rothe Blutscheiben und Erythrocyten längst entfärbt sind. (Sie
theilen diese Eigenschaft bei verschiedeneu Tinktionen mit den
„tingibeln Köi-pem" Flemming's, von denen ich sie zu unter-
I) Die „Cyanmethftmoglobinmethodo" (Kobort), welche den evi-
denten chemischen Nachweis liefern könnte, gelingt nicht an unver-
sehrten Blutkörperchen resp. Erythrocyten.
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442 Bannwarth:
scheiden öfter überhaupt nicht im Stande bin.) Ich finde diese
Gebilde besonders reichlich in pigmenthaltigen Milzen, wo also
auch das letzte Stadium des vennutheten Prozesses vorhanden ist
(während ich in absolut pigmentlosen Milzen die Erj'throcyten
gleich häufig wie in pigmenthaltigen finde).
üeberhaupt liegen hier alle geforderten Stadien der Reihe
vor. Aber an diesen Zellen haben auch schon diejenigen Körner,
welche am meisten den beschriebenen Granulis der Erythrocyten
gleichen, entschieden einen anderen Farbton als letztere, sie sind
ferner fast durchweg un regelmässig kugelig gestaltet. Es
steht ferner die relativ geringe Zahl dieser Zellen mit Hämoglo-
bintrtlmmern in gar keinem Verhältniss zu der Menge der Ery-
throcyten.
Es gäbe nun vielleicht eine zweite Möglichkeit, dass näm-
lich in die Leukocyten resp. Erythrocyten eine Aufnahme von
(gelöstem) Hämoglobin aus angelagerten ßlutscheiben stattfinde,
nachdem auf letztere eine verdauende Wirkung ausgeübt worden
ist, oder dass gelöstes Hämoglobin aus dem Blut resorbirt werde,
wobei immerhin natürliche Altersschwäche bei den das Hämoglo-
bin abgebenden rothen Blutkörperchen in Frage kommen könnte.
Eine besondere Lagebeziehung der Erythrocyten zu rothen Blut-
scheiben konnte ich jedoch nicht entdecken. Dass hier und da
rothe Blutscheiben freien Zellen glatt und als sehr dünne Be-
lege angeheftet sind, möchte kaum in diesem Sinne zu verwer-
then sein. Auch ist nicht einzusehen, welche Bedeutung einer
solchen Hämoglobinresorption und Einlagerung des aufgenomme-
nen Hgl in die Zelle als Granula zukonunen könnte.
Ebenso wahrscheinlich mindestens erscheint die
Annahme, dass das Hämoglobin in den Zellen erst
gebildet wird. Dies könnte wiederum als ein natürlicher
Prozess der Zelle oder als Alterserscheinung aufgefasst werden.
Für die Annahme einer allgemeinen, an den Leukocyten
und anderen Geweben des Körpers vorkommenden „Hämoglo-
bindegeneration" im Sinne von Pouch et, liegen nicht genügend
sichere Anhaltspunkte vor. Eher möchte man sich fragen, ob
vielleicht die Fähigkeit, Hämoglobin zu bilden, in Spuren wenig-
stens, allen oder vielen jungen Leukocyten zukomme. An ge-
wissen Keimstellen würde sich diese Fähigkeit weiter ausgebil-
det haben, bis zur Auszüchtung von rothen Blutkörperchen, an
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Untersuchungen über die Milz. 443
anderen Orten aber könnten Leukocytenfamilien entstanden sein,
deren Glieder zwar Hämoglobin bilden, aber es nicht bis zur
Produktion von rothen Blutkörperchen bringen.
Sind nun die Erythrocyten der Milz solche angehende
Hämoglobinbildner oder entwickeln sich aus ihnen wirk-
lich rothe Blutkörperchen?
Verfolgen wir den Gegenstand etwas genauer: Die Art
nnd Weise der Bildung rother Blutkörperchen könnte eine ver-
schiedene sein. Die Hauptsache ist dabei, ob ein oder mehrere
rothe ßlutköi-percken aus je einem Erythrocyten entstehen ?
Betrachten wir zunächst den Kern. Wir finden stets poly-
morphe Kerne, die entweder wirklich fragmentirt sind oder doch
einen fragmentirten Kera vortäuschen. Es kann itämlich im
Hinblick auf die neuen Angaben Flemming's nicht von der
Hand gewiesen werden, dass die „Fragmente" noch durch feine
Brücken mit einander in Verbindung stehen. Eine fernere,
von mir nicht selten beobachtete Erscheinung ist die, dass der
Kern sich blasser und blasser färbt und schliesslich nicht mehr
durch Farbreaktionen nachweisbar ist. Es könnten diese Bilder
also auf Erscheinungen des Kemzerfalles und Kernschwundes
deuten; die Zellenleiber könnten zu Blutkörperchen werden, und
zwar je eine Zelle zu einem Blutkörperchen, unter Verschmel-
zung der Granula (A. Schmitt und Semmer) oder andereeits
ein Zellenleib zu mehreren durch Anwachsen einzelner oder
Verschmelzung mehrerer Granula (Sedwigk-Minot)*). Die Ana-
logie nut Amphibien, Reptilien^ Vögeln weist darauf hin, dass
jede Säuger-Blutscheibe einer Zelle entspricht. Entständen dess-
halb in einem Erythrocyten mehrere „Piastiden", so wäre dies
einer Theilung des Zellenleibes gleichzusetzen und man kömite
vcraucht sein, in der Kernfragmentation die zugehörige Kernthei-
lung oder wenigstens den halbwegs unterbrochenen Vereuch zu
einer solchen zu sehen. Nun ist aber zu erwähnen, dass gerade
an denjenigen Zellen, deren Aussehen flir die Plastidcntheorie
sprechen könnte, der Kern durchweg einfach war. Diese Zellen
selbst rechne ich der Reihe der Zellen mit phagocytisch aufge-
nommenem, halbverdautem Hämoglobin zu. Ihre Zahl ist fer-
1) Derselbe spricht allerdings nur von Auszüchtung rother Bhit-
körperchen in fixen Bindegewebszellen.
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444 Bannwarth:
ner, wie schon erwähnt, zu gering, als dass man eine
regelrechte Umwandlung der zahlreichen Erythrocyten
in diese Formen annehmen dürfte. Viel plausibler er-
schiene die Schmidt-Semmer 'sehe Hypothese, die
eine Umwandlung eines Erythrocyten in je ein
Blutkörperchen annimmt. Es würde dabei immer noch
erlaubt sein, in den Erscheinungen der Kernfragmentirung*), welche
dem eigentlichen Schwund vorausgeht, einen missglückten Versuch
zur Kemtheilung zu sehen.
So wäre auch in dem Modus der direkten oder mindestens plu-
ripolaren Kerntheiiung schon ein Symptom dafür gegeben, dass die
Tochterkerne dem Untergang geweiht sind.
Bei der Erklärung dieser Erscheinungen muss auch auf die
Verhältnisse bei den Amphibien Rücksicht genommen w^erden.
Dort bleibt der Kern bei der Bildung von rothen Blutkcirper-
chen erhalten: Dabei aber finden wir gerade im Knochenmark
(Frosch) Erythrocyten mit Granulis und fragmentirten
Kernen. Sind das wirklich Vorstufen rother Blutkrirperchen, so
blieben nur zwei Möglichkeiten für die Deutung der Kemsprossung:
entweder ist dieselbe eine vorübergehende Erschei-
nung, die vielleicht mit gesteigerter Assimilationsthätigkeit (Kor-
chclt), hier vielleicht Hämoglobinbildung, zusammenhängt und der
Kern vereinfacht sich wieder, oder sie ist eine wirkliche Kem-
theilung, der die Zelltheilnng folgt.
Das erstere erscheint im Hinblick darauf, dass eine voll-
kommene Trennung des Kernes in einzelne Stücke vorkommt
(s. das früher Gesagte), zum. mindesten als nicht erwiesen, das
zweite im Hinblick auf die stets ungleich grossen Fragmente als
ganz unwahrscheinlich.
Mit Rficksicht auf die Verhältnisse bei Amphibien u. s. w. ist
es mithin zur Zelt nicht erlaubt, sich bestimmt zu Gunsten der einen
oder anderen der besprochenen Annahmen bezüglich der Erythrocyten
des Säugers zu entscheiden*
Die Untersuchung de,s Gegenstandes uiuss auf breiterer Grund-
lage in Angriff genommen werden.
1) In seltenen Fällen sah ich eine pluripolare Mitose, siehe
Deckhuizen).
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Untersuchunaren über die Milz. 445
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXIII— XXVI.
Tafel XXm.
Fig. 1. Querschnitt einer umscheideten Arterie und Vene. S mus-
kulöse Scheide mit der Vene fest verwachsen, von der Ar-
terie (A) durch lockeres, fibrilläres Gewebe (Adv.) getrennt.
Katze von 3V2 Monaten. Chrom-Osmium-Essig-Säure.
Fig. 2 u. 3 zeigen in Längs- und Querschnitt den Beginn der Infil-
tration der bindegewebigen Arterienhülle mit Leukocyten aus
der Milz eines 14tägigen Kätzchens. In Fig. 3 liegt die In-
tima in Ijängsfalten ; die Media ist sehr schwach; das um-
hüllende Bindegewebe geht aussen unmerklich in das Pulpa-
gewebe über, seine Kerne sind ebenso wie der einzig vor-
handene Muskelkern (m) im Schnitt längs getroffen; zwischen
den concentrisch gelagerten Zügen des periarteriellen Gewebes
dringen die Leukocyten bis an die Media heran.
Fig. 4 zeigt arterielle Injektionsbäumchen in Capillarhülsen.
Fig". 5 u. 6. Injektionsbild an arteriellen Endigungen beim 2 Monate
alten Kätzchen. (Fig. 6 stärker vergrössert.)
Fig. 7— 16 Leukocj'ten aus der Milzpulpa. (Chrom - Osmium-
Essig-Säure; Hämatoxylin-, Glaubersalz-Eosin.) Fig. 7 und 8
Leukocyten in Wanderung; in Fig. 8 sieht man das in die Länge
gezogene Kernkörperchen. Fig. 9 u. 10 Ruheform (aus den
Keimcentren). Fig. 11 u. 12 Melonen- (oder Rad-)Form Rein-
k c ' s. Die in Fig. 13 dargestellte Kemfigur halte ich für einen
segmentirten Mutterknäuel; eigenthümlich ist die Erhaltung
des Kernkörperchens. Fig. 14 Aequatorialplatte mit niederer
Spindel. Fig. 15 einseitig verzögerte Umlagerung der Chro-
matinfäden. Fig. 16 frühe Thellung des Zellenleibes.
Tafel XXIV.
Fig. 1. Auffaserung einer arteriellen Capillare. Uebergang des Lu-
mens derselben in das reticuläre Gewebe der Pulpa (3V2 Mo-
nate alte Katze).
Fig. 2 u. 3. Längs- und Querschnitt der venösen Injektionsbäumchen
vom gleichen Thier.
Fig. 4. Venöser Anfang: Rechts das Lumen der capillären Vene.
Nach links zu Uebergang derselben, hauptsächlich nach zwei
Richtungen, in das Maschenwerk der Pulpa.
28*
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yv
•044' Bannwarth; Untersuchungen über die Milz.
Tafel XXV.
Lymphgefässe in der Milz der Spitzmaus.
Fig. 1—3. Schwache Vergrösserung. Man sieht je drei „conflnirende
Follikel" oder Herde weisser Pulpa, in denselben die Arterie,
begleitet von schwarz gezeichneten Lymphge fassen.
Fig. 4. Querschnitt durch das ganze Organ. Er zeigt genau nach
dem Präparat die Vertheilung der Arterien, Venen und Lymph-
gefässe. M - weisse Pulpa. Arterien in grauem Ton, schwarz
die Venen, fein schraffirt die Lymphgefässe.
Fig. 5. Querschnitt durch den Milzstiel. Bezeichnung wie oben.
Fig. 6. Stelle aus Fig. 1 bei starker Vergrösserung.
Tafel XXVI.
Capillarhtilsen aus der Katzenmilz.
Fig. 1 u. 2. Schnitte durch die Milz eines 3 Wochen und eine^ 14 Tag-e
alten Kätzchens. Man sieht in Fig. 1 zwei Malp. Körperchen
und viele Capillarhülsen, ebenso weite Venenlumina, im in-
jicirten und ungefärbten Präparat, Fig. 2 sehen wir weiss —
frei geblieben von Injektions-Masse — die Keimlager und Ca-
pillarhülsen. In diesen sind aber wieder gefüllt Arterien und
Capi Ilaren. Man sieht hier ebenfalls 3 Venenlumina.
Fig. 3—6. Capillarhülsen aus dem 12 cm grossen Kätzchen. Man sieht
im Innern das stark verengte Lumen der Capillare. Fig. 3
u. 5 zeigen die endothel(kern)losen Nebenbahnen. In Fig. 4
und 5 sieht man die Andeutung eines feinen Netzcharakters,
auch eine annähernd concentrisclie Lagerung der Kerne und
des Fadennetzes. Das Gewebe der Hülsen geht aussen in
das Reticulum der Pulpa über.
Fig. 7. Injektionsbild einer Capillarhülse aus einer 2 Monate (?) alten
Katze.
Fig. 8. Capillarhülse einer 3V2 Monate alten Katze. Auflösung in
Pulpagewebe. Man bemerke das starke Gefässrohr mit dem
einen quergestellten Muskelkern.
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JAN 23 ITOO 447
(Aus dem II. anatomischen Institute zu Berlin.)
Ueber die Entwicklung der Zähne des
Menschen.
Von
Dr. Carl RÖMe.
Hierzu Tafel XXVII u. XXVITT.
Die vorliegende Arbeit wurde im II. anatomischen Institute
zu Berlin begonnen und dort grösstentheils beendet. Einige zur
VervollBtändigung der Untersuchung nöthigen Arbeiten sind dann
im anatomischen Institute zu Erlangen zum Abschlüsse gebracht
worden. Anfangs hatte ich nur die Absicht, einige Serien zu
eigener Orientirung zu schneiden. Erst als ich auf mehrere Wi-
der>;prüche und Ungenauigkeiten in der neuesten Literatur auf-
merksam wurde, kam mir der Plan, die Entwicklung der mensch-
lichen Zähne durchgehend zu bearbeiten.
Das Material zu meinen üntersucimngen floss anfangs sehr
Bpärlich, da die kgl. Frauenklinik trotz persönlicher Vermittclung
von Herrn Professor II e r t w i g nur ungern Foetcn zur Verfügung
stellte. Nach und nach gelang es mir trotzdem das zur Unter-
snchung nöthige Material zusammenzubringen theils durch Ver-
mittlmig einiger Berliner Collegen, Dr. Hellner, Dr. Müller
und Dr. Schreiber, theils durch Dr. Cirincione aus Neapel.
In der liebenswürdigsten Weise wurden auch von Herrn Professor
Born in Breslau, sowie von Herrn Privatdocent Dr. Nagel in
Berlin verschiedene gut conservirte menschliche Embryonen und
Foeten zur Verfügung gestellt.
Für die Untersuchung der Zalmentwicklung nach der Ge-
burt stand mir infolge der ausserordentlichen Liberalitüt Herrn
Geheimrath Waldeyer's das grosse Material des I. anatomischen
Instituts in Berlin zu Gebote.
Archiv f. mikrosk. AuaL Bd. 38 29
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448 Carl Rose:
Allen den genannten Herren, sowie speciell noch den Herren
Professoren Hertvvig und Ger lach und Herrn Dr. Burgck-
liardt in Berlin, welche mich bei meiner Arbeit mit Rath und
That unterstützten, spreche ich hiermit öffentlich meinen Dank aus.
I. Material and Methodik.
Als Untersuchungsobjekte zu vorliegender Abeit dienten
fast ausschliesslich menschliche Embryonen. Solche von
niederen Säugern und Vertebraten wurden nur zur Vergleichung
herangezogen. Das mir zur Verflügung stehende frische Material
ist theils in Chromessigsäure, theils in Picrinsalpetersäure fixirt,
theils einfach in Alcohol gehärtet worden. In ähnlicher Weise
waren die Embryonen von Professor Born und Dr. Nagel eon-
servirt. Nach vorheriger Entkalkung in Picrinsalpetersäure wurde
sodann meist mit Boraxcamiin durchfärbt, mit Hilfe der Paraffin-
methode geschnitten.
Die Schnittserien sind dann behufs DoppelfUrbung mit
Bleu de Lyon nachgefärbt worden. Die letztere Methode ver-
danke ich der Empfehlung Dr. Burgckhardt's, habe sie jedoch
in der Weise moditicirt, dass ich nicht eine wässerige, ziem-
lich concentrirte Lösung nahm, sondern nur eine Spur von dem
Farbstoff in absolutem Alcohol löste, so dass derselbe nur leicht
bläulich gefärbt erschien. Darin blieben die Schnittserien 12 — 24
Stunden und wurden dann definitiv in Daraarlack eingeschlossen.
Als Resultat ergab sich eine sehr discrete Blaufärbung des
Knochengewebes und der Bindegewebsfibrillen. Besondei-s intensiv
färbt sich auf diese Weise auch das entkalkte Dentin, und kann
man die feinste Ablagerung desselben auf diesem Wege nach-
weisen.
Die Dicke der Serienschnitte betrug durchschnittlich ^'^o
Millimeter (20 Mikra). Bei den kleinsten Stadien wurden die
ganzen Köpfe geschnitten, theils sagittal, theils horizontal. Von
grösseren Foeten theils ganze Kiefer, theils Kieferhälften, immer
aber Oberkiefer und Unterkiefer zugleich. Besonders günstig,
speciell fllr den Unterkiefer, erschienen mir Frontalschnitte.
Durch Vergleich dieser verschiedenen Schnittserien war es
mir zwar möglich, ein körperliches Bild von der Zahnent-
wicklung des Menschen zu erhalten. Um jedoch diese Ansehau-
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Ueber die Entwicklnnfj: der Zähne des Menschen. 449
Uligen zum Allgemeingut zu niaelieii, unternahm ich auf Wunsch
Prof. Hertwig's die mühsame Arbeit, sechs Modelle aus Wachs
herauztellen. Herr Dr. Burgckhardt hatte die ausserordentliche
Liebenswürdigkeit, mich in die Mysterien der Born 'sehen Mo-
dellirtechnik einzuweihen und mir auch später einige Zeichnun-
gen anzufertigen, wodurch ich ihm zu liesonderem Danke ver-
pflichtet bin! — Die meisten meiner Figuren sind von dem aka-
demischen Zeichner C. Krapf in München thcils verbessert, theils
neu gezeichnet worden.
Die Stadien nach der Geburt w urden theils ebenfalls ge-
schnitten, grösstentheils aber makroskopisch mit Hilfe der Lupe
untersucht.
Es folgt hier kurz ein Verzeichniss der von mir untersuch-
ten Embryonen und Kinder. Das Alter der Jüngsten Stadien
wurde nach der Xormentafcl von H i s bestimmt.
r. E ni b r y o n e n :
1) I2V2 ^^^^^ Steisssclieitellünge, ca. 35 Tage alt.
2) 15 ,
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450 Carl Rose:
6) Kind, 1 Jahr 6 Monate alt.
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8) T» 2 „ — „ „
9) n 3 , 3 „
Ausserdem wurden noch mehrere Kiefer von Embryonen
und Kindern untei-sucht, deren Alter sich nicht mehr genau be-
stimmen liess.
Modellirt mit Hilfe der Born 'sehen Plattenmodellinnethode
wurden von den Embryonen die Stadien 6; 9; 11; 13; 15; 18.
Modell I und II wurden nach Sagittalschnitten, III und IV nach
Horizontalschnitten, V und VI nach Frontalschnitteu reconstniirt.
In den ersten vier Modellen sind nur die epithelialen Gebilde
der Zahnanlageu dargestellt, in den letzten beiden ausserdem
noch die Schicht fertig gebildeten Zahnbeins. Zur besseren
Uebersicht sind die Modelle colorirt und zwar das Mundhöhlen-
epithel sowie die Schmelzpulpa rosa, die Zahnleiste und das
äussere Schmelzepithel grtln, das innere Schmelzepithel zinuober-
roth, der fertige Schmelz gelb, das Zahnbein blau. Die binde-
gewebige Papille resp. Pulpa stellt sich als Hohlraum dar. Die
ersten vier Modelle haben eine Vergrösserung von 25 fach; das
fünfte 40 fach, das sechste 15 fach.
II. Darstellung des thatsächlichen Bettendes.
Bekanntlich geht bei allen Vertebraten die Entwicklung
der Zähne aus von der Entstehung eines epithelialen Organs,
welches in das Mesoderm der Kiefer eindringt und theilweise
später die härteste Substanz des Körpers, den Schmelz, erzeugt,
Kölliker nannte daher das betreffende Gebilde „Schmelz-
organ''. Dasselbe findet sich ganz constant bei allen Thieren,
welche wirkliche Dentinzähne besitzen, selbst bei den Edentaten,
wo die Zähne keine Spur von Schmelz aufweisen. Bei Tatusia
peba war dies durch Tomes schon lange bekannt. Kürzlich
konnte ich dieselbe Erscheinung auch bei anderen Edentaten
nachweisen. Die Form dieses Schmelzorgans wurde meist be-
schrieben in Gestalt einer Platte (lame epitheliale der Franzosen j
oder einer Leiste. Letztere Bezeichnung stammt von Waldeyer
und Hertwig her und scheint mir am meisten bezeichnend zu
sein für das vorliegende Gebilde, so dass ich vorschlagen möchte.
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lieber die Eiitwieklunpr der Zähne des Menschen. 451
die Bezeichnung Sehmelzleiste oder besser Zahnleiste in Zu-
kunft allgemein anzunehmen. Alle übrigen Bezeichnungen, wie
Schmelzorgan, Schmelzfalte, Primitivfalte, Epithelialverband etc.
sind theils zu allgemein, theils incorrect.
Wann zeigt sich nun speciell beim Menschen die erste Spur
dieser Zahnleiste? Die bisherigen Angaben der Autoren waren
sämmtlich sehr ungenau und schwankten zwischen 40 — 50 Tagen
(Magitot) und 60 — 70 Tagen (Kollmann), Dabei war noch
besonders der Uebelstand zu bemerken, dass z. B. von Magitot
das Alter seiner Embryonen meist etwas zu jung angenommen
wird. Kurz ich kam nach Einsicht der Litteratur zur Ueber-
zeugung, dass die erste Anlage der Zahn leiste beim
Menschen überhaupt noch nicht beschriebenwor-
d e n ist. Diese Thatsache kann nicht befremdend sein, wenn
man erwägt, wie schwer es ist menschliche Embryonen so jugend-
lichen Alters unversehrt zu erhalten. Meist sind dieselben ja
immer ein wenig macerirt, das Epithel abgelöst und zerstört.
Daher auch bekanntlich der Irrthum Goodsir's, Herr Dr. Na-
gel in Berlin stellte mir nun aus seinem reichen Schatze vorzüg-
lich conservirter Embryonen einige Köpfe zur Verfügung und
gelang es mir auf diese Weise, die erste Anlage der
Zahnleiste beim Menschen zu finden. Dieselbe zeigt sich
bei einem Embryo von 15 mm Steissscheitellänge. Derselbe ent-
spricht nach der Normentafel etwa Embryo Sg Fig. 21, und
hat ein Alter von ca. 40 Tagen i).
Es ist hier die Zunge schon deutlich ausgebildet; dagegen
bilden die Kiefer- und Lippenanlage noch ein einheitliches Me-
sodermgebilde , über welches eine mehrschichtige Epithellage
glatt hinwegzieht. In Fig. 1 sind diese Verhältnisse im Durch-
schnitte dargestellt. M ist der Mundeingang. Direct dahinter
zeigt sich nun in beiden Kiefern eine flache bis halbkugelige
1) Herr Privatdocent Dr. K ei bei in Freiburg besitzt einen Em-
bryo von 12 mm Länge im Alter von ca. 34 Tagen stehend, zwischen
Embryo SI u. CII, Fig. 16 u. 17 von His. Auch bei diesem Embryo
ist schon stellenweise eine Andeutung der Zahn leiste vorhanden,
während ich in meinem entsprechenden, allerdings nicht vorzüglich
conservirten ersten Stadium noch keine Wucherung des Epithels sehen
konnte. Man würde demnach die erste Anlage der Zahn-
leiste zwischen 34. bis 40. Tag zu setzen haben.
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452 Carl Rö8e:
Epithelwucherung ZL, welche ins Kiefermesoderm eindringt. Die
Wucherung besteht ebenso wie die ganze Epithellage aus weni-
gen rundlichen oder kubischen Zellen. Eine Differenzirung der
letzteren ist noch nicht eingetreten. Die betreffende Wucherung
stellt im Querschnitte die erste Anlage der Zahnleiste dar. ' F^iit-
sprechend der Oestalt der Kieferlippenwtllste verläuft die Leiste
bogenfi)rniig; und wie später der Bogen der Zahnreihe im Ober-
kiefer grösser ist als der im Unterkiefer, so bildet auch schon
bei der ersten Anlage die Zahnleiste im Oberkiefer einen gW>8ge-
ren Bogen als im Unterkiefer. — Der MeckeUsche Knoqiel ist
bei vorliegendem Embryo noch nicht völlig differenzirt, doch
findet sich an seiner Stelle bereits in diflFuser Weise eine stär-
kere Anhäufung von runden Mesodermzellen, aus welchen sich
später die Knorpelzellen differenziren.
Das nächste Stadium von 17 mm Länge zeigt wesentliche
Fortschritte. Der MeckeTsche Knorpel ist völlig ausgebildet,
und in beiden Kiefern finden sich schon die ersten Spuren zarter
Knorpelbälkchen, bestehend aus osteoidem Gewebe, welches durch
Bleu de Lyon intensiv blau gefärbt eracheint. Wenn Kobin
und Magitot im Oberkiefer Knorpel gefunden zu haben glaub-
ten, aus welchem dann der Knochen hervorgehen soll, so liegt,
wie schon K oll mann angibt, bestimmt eine Verwechselung vor
mit dem osteoiden Gewebe. Auch im Unterkiefer geht die Ver-
kalkung und Knori)elbildung vor sich ganz unabhängig vom
Meckerschen Knorpel. In Fig. 2 sind im Querschnitte die
Verhältnisse des Mundeinganges vom vorliegenden Embryo zu
sehen. Das ganze Epithellager hat sich verdickt, am meisten
direct vor der hier zuerst auftretenden seichten Lippenfurche LF.
Wenn man diese geringgradige Epithel verdickung Zahn wall
genannt hat, so ist das nicht ganz correct. Mit der Anlage der
Zähne hat diese Verdickung gar nichts zu schaffen, sondern
stellt lediglich das verdickte Epithel der späteren Lippen dar.
Ein Zahn wall, wie ihn Kölliker u. a. bei Wieder-
käuern im Bereiche der Backzähne beschreiben,
existirt beim Menschen zu keiner Zeit, wie ich in
Uebereinstimmung mit Waldeyer und Kollmann hier noch-
mals hervorheben muss.
Die tiefste Lage des Einthels ist durchgehend zu hohen
Cylinderzellen angewachsen, während die oberflächlichen Lagen
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Ueber die Entwicklung der Zähne des Menschen. 453
mehr abgeplattet erscheinen. Die vorhin im Querschnitte halb-
kugelige Zahuleiste hat sich in zwei Divertikel gespalten. Das
vordere, flachere dringt ziendich senkrecht in die Kieferlippen-
anlage ein und steht mit der Bildung der Lippenfurche in Be-
ziehung. Das grössere hintere geht ziemlich vvagerecht nach
hinten und bildet im Querschnitte die eigentliche Zahn-
te i s t e.
Erst im vorliegenden Stadium kann man von einem Kie-
ferwalle und einem Lippenwalle reden. Die An-
gabe der meisten Lehrbücher, wonach diese bei-
den Wälle schon differenzirt sein sollen zur Zeit
der ersten Anlage der Zahnleiste, ist durchaus
unrichtig. Die Anlage der Lippen entsteht vielmehr später
und infolge der Zahnanlagen.
Beim Embryo von 25 mm Länge finden sich noch dieselben
Verhältnisse, wie soeben beschrieben wurde. Nur ist die Lippen-
fnrche mehr vertieft durch Resorption der oberflächlichen Epithel-
schichten, und die Lippen selbst treten mehr hervor. Mein Mo-
dell I stellt den Mundeingang dieses Embryo dar und zwar nur
die epithelialen Partieen desselben. Fig. 3 zeigt dieses Modell
in halber Grösse.
In beiden Kiefern sieht man an dem Modelle hinter den
leicht gewölbten Lippen die seichten Lippenftirchen. Diesen ent-
sprechend dringt eine bogenförmige Epithelleiste je senkrecht in
die Kiefer ein. Zur Unterscheidung von der Zahnleiste bezeich-
net man dieselbe am Besten als Li ppen furchen leiste. In
meinen beiden ersten Modellen wurde dieselbe gleich dem übri-
gen Mundhöhlenepithel rosa, die Zahnleiste dagegen der besseren
Uebersicht wegen grün colorirt. Die letztere steht nahezu im
rechten Flächenwinkel zur vorhin beschriebenen Leiste und ver-
läuft parallel dem Mundhöhlenboden wagerecht
nach hinten in den nunmehrigen Kieferwall hinein. Ihr
freier Rand hat im Oberkiefer (Fig. »3) leichte unregelmässige
wellenförmige Erhebungen, im Unterkiefer lassen sich schon ziem-
lich deutlich 10 Erhebungen und dazwischenliegende Vertiefun-
gen abgrenzen. Der freie Rand der Leiste zeigt hier schon eine
ziendich regelmässige Wellenlinie. Während früher die Zahn-
leiste anscheinend am höchsten in ihren mittleren Partieen war,
so gestaltet sich schon im vorliegenden, noch mehr aber im II.
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454 Carl Rose:
Modelle die Sache gerade umgekehrt, indem die grösste Wachs-
thumnenergie in den seitliehen Partieen, die Mitte selbst dagegen
ziemlich flach ist.
An den beiden ersten Modellen lässt sich deutlich nach-
weisen, dass die Zahnlciste des Oberkiefers einen weiteren und
gleichmässigeren Bogen beschreibt als die des Unterkiefers. Die
letztere hat anfänglich hinter der Anlage des späteren Eck-
zahnes beidei*seits eine schärfere Biegung nach hinten.
Weitere Differenzirungen der Zahnleiste findet man beim
Embryo von 3,2 cm Länge. Hier haben sich die vorhin be-
schriebenen Erhebungen der Leiste kolbig verdickt und
in diese Verdickungen sttllpen sich die binde-
gewebigen Papillen ein. Ich sehe hier in jedem Kiefer
8 eingestülpte Papillen in ziemlich gleichmässiger Entwicklung.
Beim nächsten Stadium von 4 cm Länge sind bereits alle 10
Papillen des Milchgebisses vorhanden. Modell 11 ist nach einer
Sagittalserie dieses Embryo modellirt und in Fig. 5 in halber
Grösse dargestellt. Fig. 4 gibt einen Sagittalschnitt durch den
Mundeingang dieses Embrjo. Durch Resorption des oberfläch-
lichen Epithels hat sich die Lippenfurche erheblich vertieft und
entsprechend ist die epitheliale Lippenfurchenleiste weiter senk-
recht in die Tiefe gewachsen. Die tiefste Lage des Epithels
bildet tiberall eine ziemlich hohe Cylinder/ellenschicht. Letztere
Zellen umgrenzen auch die ganze Zahnleiste und setzen sich so-
dann, etwas niedriger werdend, bald in einfacher, bald in mehr-
facher Lage als Schleimhautepithel der Mundhöhle fort. Die
mehr oder minder abgeplatteten, aber noch kernhaltigen oberen
Epidermiszellen bilden auf der Höhe der Lippenwälle ein ziem-
lich mächtiges Lager und finden sich auch in der Tiefe der
Lippenfurche. Diese Zellen sind es, welche mehr und mehr ab-
gestossen und resorbirt werden, derart dass sich die Lippenfurche
mehr und mehr vertieft.
Die Zahnleiste hängt an ihrem Grunde noch völlig mit der
Lippenfurchenleiste zusammen und erstreckt sich wagerecht nach
hinten in den Kieferwall hinein. In ihre kolbig verdickten Par-
tieen haben sich, wie schon erwähnt, die bindegewebigen Pa-
pillen eingestülpt. Von wesentlicher Bedeutung bei diesem
Processe ist nun Folgendes: Die Papillen stülpen sich
nicht am tiefsten Punkte der verdickten Leiste
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Ueber die Entwicklung der Zähne des Menschen. 455
ein, sondern mehr seitlich, also im Oberkiefer von oben
hinten nach nnten vorn, im Unterkiefer von unten hinten nach
oben vorn. Auf diese Weise ist es ennöglicht, dass bei dem nun
folgenden Abschnür ungsproeesse der Milchzähne von der Zahn-
leiste diese letztere hinter den Zähnen ungehindert weiter in die
Tiefe wachsen kann.
Ob bei dem geschilderten Einsttilpungsprocesse nach
der bisherigen Ansicht dem Bindegewebe die active Rolle gebtlhrt,
oder ob, wie ich glaube, das Bindegewebe passiv ist, und die
späteren Papillen gleichsam von den Epithelmassen der Zahn-
leiste umwachsen werden, dies ist eine bisher noch offene
Frage. Meiner Ueber/eugung nach hat vom morphologischen Stand-
punkte aus letztere Anschauung eine grössere Berechtigung.
Beim Fötus von IIV2 cm Länge sind die Knochenbälkchen
der Kiefer schon in grosser Ausdehnung vorhanden und bilden
um das Schmelzorgan herum eine flache Mulde. Das Wachsthum
der Kiefer geht jetzt hauptsächlich in der Höhenrichtung vor
sich und dem hat sich die Zahnleiste angepasst derart, dass sie
jetzt nicht mehr wagerecht nach hinten, sondern in leichtem Bogen
nach hinten und unten resp. nach hinten und oben hinter den
Milchzähnen sich in den Kiefer hinein erstreckt. Zugleich
wird durch das enorme Wachsthum der Milchzähne die Configu-
ration des Kiefers in solcher Weise verändert, dass die Verbin-
dungslinie der Zahnleiste mit dem Kieferepithel nicht mehr vom
in der Nähe der Lippenfurche, sondern bei älteren Foeten vom
6. Monate an hinten, an der lingualen resp. gutturalen Fläche
des Kiefers bogenförmig verläuft. Diese Verbindungslinie bildet
dann eine seichte, mit blossem Auge sichtbare Vertiefung, welche
meist von zwei niedrigen wallartigen Erhöhungen begrenzt wird.
Diese letzteren könnte man vielleicht mit Kollmann Zahn-
wälle nennen, falls überhaupt eine Bezeichnung nöthig ist, die
Furche selbst würde man dann Zahn furche heissen.
Im vorliegenden Stadium von IIV2 ^^ Länge ist die Lip-
penfarche noch nicht völlig ausgebildet. Modell III stellt die
Zabnleiste des Oberkiefers dar und Figur 6 die halbe Grösse des
Modells. Die Leiste als solche besteht continuirlich fort und ihr
freier unterer resp. oberer Rand bildet eine Wellenlinie. An den
Vorsprüngen der Wellenberge hängen labialwärts, also nach vorn
zu, die Milchzahnanlagen noch breit mit der Leiste zusanmien
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456 CarlRöse:
und haben ungeföhr das Aussehen von Schwalben-
nestern, welche an ein Brett angebaut sind.
Die weitere Entwicklung geschieht nun in
d e r W e i s e , d a s s die Milclizähne sich mehr und mehr toü
der gemeinsamen Zahnleiste abschnüren. Die Leiste selbst
besteht in continuo fort und endet hinter dem zweiten Milch-
molaren frei im Mesoderm des Kiefers als dünne, glatte Epithel-
platte. In ihren vorderen Partieen aber zeigen sich schon überall
transversale Wucherungen, welche der Zahnleiste eine höckerige,
unebene Oberfläche verleihen. In der Medianlinie des Kiefers
ist die Leiste ausserordentlich niedrig und flach. Schon im 6.
Monate ist an dieser Stelle die Verbindung zwischen den beiden
Leistenhälften fast völlig aufgehoben und wird nur noch durch
einige Epithelreste angedeutet.
Bisher bestanden die Zahnanlagen aus einem Haufen rund-
licher Epithelzellen, welche ringsum von einer Schicht hoher
Cylinder/ellen umsäumt sind. Beim Fötus von IIV2 cm zeigen
sich im Innern dieses Zellenhaufens die ersten Sternzellen
und es lassen sich die Uebergänge beider Zellarten aufs Schönste
verfolgen. In der weiteren Entwicklung wachsen bekanntlich
diese epithelialen Sternzellen zu einem mächtigen Lager an, zur
Schmelzpulpa. Dieselbe hat meines Erachtens den Zweck,
zunächst eine bessere Saftcirculation für die Schmelzzellen zu
ermöglichen und femer gleichsam als Platzhalter für den sich
entwickelnden Schmelz zu dienen, wie schon Waldeyer an-
gab. Am mächtigsten ist die Schmelzpulpa zur Zeit der ersten
Schmelzablagerung entwickelt, später bildet sie sich progressiv
zurück. Die Entstehung der Stemzellen erkläre ich mir in der
Weise, dass die Intercellularsubstanz in grösserer Masse ausge-
schieden wird und damit die Protoplasmabrttcken, wie sie sich
ja auch an den Riifzellen des Rete Malpighi constant finden,
lang ausgezogen werden.
Beim Fötus von 18 cm Länge ist die Lippenfurche nahezu
vollendet. Die Verbindungslinie der Zahnleiste mit dem Kiefer-
epithel, die Zahnfurche, befindet sich im Bereiche der Vorder-
zähne fast genau auf der höchsten Kante des Kiefers. Im Be-
reiche der Molaren verläuft sie noch immer auf der Vorderfläche
des Kiefers in der Nähe der Lippenftirche. Die Abschnü-
rung der Milchzähne von der Leiste geht inpro-
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Ueber die Entwicklung der Zähne des Menschen. 457
gressiver Weise von vorn nach hinten vor sich.
tVähreud die Schneidezähne nur noch eine oder mehrere schmale
Verbindungsbrücken aufweisen, sitzen die Milchmolaren noch ganz
breit der Leiste auf, gerade wie im vorigen Stadium. Die so-
eben erwähnten Verbind ungs brücken sind dieselben Ge-
bilde, welche auf Schnittbildem theilweise nach dem Vorgange
Waldeyer's als ,,11 als des Schmelzorgans" bezeichnet
wurden. Dieser Name ist für Schnittbilder ganz zutreffend, weil
hier die Milchzahnanlage durch ihre Grösse so hervortritt, dass die
dünne Zahnleiste nur als Anhängsel erscheint. Wenn man die
Sache aber im Modelle körperlich und zugleich vom morphologi-
schen Standpunkte aus betrachtet, so erscheint die Zahnleiste als
einheitlich Ganzes, mit dem die einzelnen Milchzähne nur noch
durch mehr oder weniger breite Verbindungsbrücken zusammen-
hängen. Demgemäss möchte ich in üebereinstimmuug mit Wal-
deyer vorschlagen statt „Hals des Schmelzorgans" künftig zu
sagen: „Verbindungsbrücken der Milchzähne mit
der Leiste". Eine neue Bezeichnung ist schon desshalb nöthig,
weil die Autoren mit „Hals des Schmelzorgans" sowohl Durch-
schnitte durch die Verbindungsbrücken (Morgensternes Ver-
bindungswurzel), als auch durch Theile der Zahnleiste selbst
(Morgensternes Basis) bezeichnen.
An den vorderen Zähnen sind öfters, an den Backzähnen
fast regelmässig mehrere Verbindungsbrücken vorhanden, die
entweder völlig getrennt von einander verlaufen oder strecken-
weise mit einander zusammenhängen.
Schon im vorliegenden fötalen Stadium finden sich im vor-
deren Theile der Zahnleiste weitere Modificationen derart, dass die
selbe nicht nur in gi'össerer Ausdehnung Verdickungen und Höcker
zeigt, sondern an den dazwischenliegenden Stellen auch sehr ver-
dünnt, ja an einigen Stellen sogar schon in ihrer Continuität ge-
trennt, durchl()chert ist. Auch dieser Process geht conti-
nuirlich von vom nach hinten weiter in der Weise, dass z. B.
zur Zeit der Geburt und später, wo auf Schnittbildern (Fig. 12)
der vordere Theil der Leiste nur noch aus anscheinend zusam-
menhanglosen Epithelresten besteht, der hinterste Theil immer
noch als glatte undurchbrochene Leiste sich darstellt (Fig. 11).
Hinter dem letzten Milchbackzabne wächst die Leiste, als
freies, schmales Band, ohne feinere Verbindung mit dem Mund-
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458 Carl Rose:
höhleneplthel nach hinten ins Kieferniesoderm hinein. Ihr freie«
Ende ist heim Fötus von 18 em kolbig verdickt und in diese
Verdickung stülpt sich wiederum seitlieh im Unter-
kiefer von unten und vorn die Papille für den
ersten bleibenden Molaren ein.
Beim Fötus von 24 cm Länge verläuft die Zahnfu rehe,
wie man am Besten die eben erwähnte Verbindungslinie von
Zahnleiste und Kieferepithel nennt, im Bereiche der Vorderzähne
schon auf der hinteren, lingualen Kieferseite, im Bereiche der
Milchmolaren auf der Höhe des Kiefers, das Ende im Bereiche
des bleibenden Molaren, aber immer noch auf der Vorderseite
des Kiefers. Der I. bleibende Molar selbst beginnt schon sich
abzuschnüren; hinter und über ihm geht die Zahnleiste als dünnes
Epithelband noch eine kurze Strecke frei in den Kiefer hinein.
Eine wesentliche Neuerung bietet vorliegendes Stadium da-
durch, dass an den beiden Schneidezähnen sich die ersten Spuren
von Verknöcherung zeigen. Das Zahnscherbchen vom zweiten
Milchschneidezahn ist noch sehr winzig. Der gangbaren Ansicht,
dass von den festen Zahnsubstanzen zuerst das Zahnbein ver-
kalke und der Schmelz sich erst auf das fertige Zahnbein ab-
lagere, kann ich nach meinen bisherigen Untersuchungen nicht
ganz beipflichten. Beim Menschen werden die beiden Substan-
zen in den meisten Fällen zu gleicher Zeit angelegt. Aller-
dings ist das Zahnbein entsprechend seinem späteren grösseren
Volum von Anfang an in dickerer Lage als mehr oder weniger
verkalkter Zahnbeinknorpel vorhanden, während der Schmelz
darüber eine dünne Lage krümeliger Kalksalze bildet, die erst
später mehr und mehr consolidirt. Vom morphologischen Stand-
punkt, aus ist es übrigens sehr nebensächlich, ob sich eine
von den beiden Substanzen früher anlegt oder ob dies gleich-
zeitig geschieht. Meine Untersuchungen über die feineren Vor-
gänge bei genanntem Verkalkungsprocesse sind noch nicht abge-
schlossen, doch möchte ich gleich an dieser Stelle bemerken,
dass die Beschreibung , welche Morgenstern^) in seiner
neuesten Arbeit hierüber gibt, als vollständig verfehlt zu be-
trachten sind.
Das äussere Schmelzepithel ist im vorliegenden
1) Scheff's Handbuch der Zahnheilkunde. Wien 1890.
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lieber die Entwicklung der Zähne des Menschen. 459
Stadium von 24 cm noch erhalten als zusammenhängende, die
Schmelzpulpa rings umkleidende einschichtige Lage von kubischen
Zellen, welche sich unten direkt in die Cylinderzellenschicht des
inneren Schmelzepithels fortsetzt. An einzelnen Stellen, beson-
dere nach der Spitze des Zahnes zu, beginnt dieses äussere Epi-
thel jedoch schon zu wuchern und niedrige pa pillenartige
Auswüchse zu bilden. Im nächsten Stadium von 30 cm
Länge haben diese Wucheraugen an Zahl und Grösse bedeutend
zugenommen und zwischen ihnen finden sich hier und da Continui-
tätstrennungen der EpithelzcUenschicht, so dass hier Schmelzpulpa
und Mesoderm des Zahnsäckchens sich direkt berühren. Um die-
selbe Zeit findet auch eine lebhaftere Wucherung des Capillar-
netzes an diesen Stellen statt, doch konnte ich mich nie davon
überzeugen, dass die Capillaren in die Schmelz-
pulpa selbst eindringen, wie einige Forscher, Bö-
decker u. a. behaupten. Bei der sehr unregelmässigen Ab-
grenzung beider Gewebe und bei Untersuchung stärkerer Schnitte
ist übrigens eine Täuschung in dieser Hinsicht leicht begreiflich.
Mein V. Modell stellt bei 40 facher Vergrösserung von einem
30 cm langen Fötus grössere Theile der beiden Schneidezähne
in Verbindung mit der Zahnleiste und dem Mundhöhlenepithel
dar. Die Zahnfurche liegt bei diesem Stadium schon ganz auf
der Hinterfläche des Kiefers.
Der erste bleibende Molar ist ziemlich rasch gewachsen
und hat schon eine ausgeprägte Schmelzpulpa.
Ausser an den Schneidezähnen finden sich auch schon an
den Eckzähnen sowie an den vorderen Kronenhöckern der bei-
den Milchmolarcu winzige Zahnscherbchen. Die Zahnleiste hat
sich weiter verändert. Die partiellen Wucherungen und Rarefi-
cationen derselben sind deutlicher geworden, kurz, während die
Leiste im Bereiche der Molaren noch eine solide Platte darstellt,
ist sie im Bereiche der Vorderzähne vielfach Hiebartig durch-
löchert und in sehr uuregelmässiger Weise mit Vorsprüngen
und secundären Leistchen versehen. Auch der Zusammenhang
mit dem Kieferepithel ist theilweise geschwunden. Dieselben
Veränderungen haben an den Verbindungsbrücken Platz ge-
griflFen und zwar in noch höherem (kade. Die letzteren bilden
zur Zeit nur noch ein Sparrenwerk netzartig mit einander ver-
bundener Epithelstränge (Fig. 10). Auf Durchschnitten sieht mau
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460 Carl Rose:
meist, ebenso wie vielfach bei der Zahnleiste, nur noch an-
scheinend zusammenhanglose Epithelreste. Die Ver-
bindung derselben zu einem zusammenhängenden Netzwerke Hess
sich zwar von vornherein vermuthen, aber erst mit Hilfe der Re-
constructionsmethode sicher nachweisen.
Beim Fötus von 18 cm Länge (Fig. 7, Modell IV) reichte
die Zahnleiste noch tief hinter die verhältnissraässig kleinen
Milchzähne herab. Während nun die Leiste ihre absolute Lage
ziemlich unverändert beibehält, sind die Milchzähne und mit
ihnen der Kiefer enorm in die Tiefe gewachsen. So kommt e«,
dass die Leiste im vorliegenden Falle, beim Fötus von 30 cm,
schon sehr in die Ilöhe gerückt erscheint und nicht einmal an
ihren tiefsten Punkten bis zur Hälfte der Milchzahnhöhe herab-
reicht. Im Laufe der weiteren Entwicklung nimmt dieses Ver-
hältniss noch zu in der Weise, dass zur Zeit der (leburt die
Reste der Leiste direkt unter dem Zahnfleische liegen, während
die im Verhältnisse zu ihr jetzt enonn grossen Milchzähne tief
in den Kiefer hinabgewachsen sind.
Die Durchlöcherung der Zahnleiste ist aber nicht an allen
Stellen gleichmässig vorhanden. Der untere Rand der Leiste
stellt nach wie vor eine Wellenlinie dar. Die Wellenberge fallen
aber nicht mehr genau hinter die Michzähne, sondern sind etwas
distal nach den Zwischenräumen der letzteren verschoben. An
diesen Stellen (Kölliker's „secundärer Schmelzkeim", Mor-
gcnstern's „Scheitelfortsatz") ist die Leiste niemals durch-
löchert, sondern hat sich kolbig verdickt. In die epithelialen
Anschwellungen stülpen sich nun ebenfalls wieder
seitlich, von vorn und unten resp. vorn und oben
die Papillen für die bleibenden Zähne ein (Fig. 8;
9; 10). In den meisten Fällen wird beim Menschen der gaiize
epitheliale Rest der „secundären Schmelzkeime" zur Bildung des
Schmelzorgans der permanenten Zähne verwandt. Man kann sich
jedoch bei der oben beschriebenen Anordnung sehr leicht vor-
stellen, dass der ganze Process der Abschnürung sich nochmals
wiederholt , tertiäre Schmelzkcime zurückbleiben und
Anlass zu einer dritten Dentition geben, entweder einer
totalen oder einer partiellen. Herr Dr. Sanstatt theilte mir
aus Rocha in Uruguay einen Fall mit, wo eine Eingeborene bis
zum 17. Lebensjahre ihr regelmässiges bleibendes Gebiss hatte.
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lieber die Entwicklung* der Zähne des Menschen. 461
Von da ab stellte sich hinter der schon vorhandenen eine neue
Zahnreihe ein, so dass die Frau zuletzt 64 gutausgebildete, wohl-
eonservirte Zähne im Munde hatte.
Jeder Rest der Zahnleiste, soweit er nicht zu den
speciell von Serres, Magitot etc. genau beschriebenen
Cysten,. Epithelperlen etc. entartet ist, l^ann Veran-
lassung geben zur Bildung eines Zahnes oder unvoll-
ständigen zahnähnlichen Gebildes. Alle jene Schmelztro-
pfen, Schmelzperlen, accessorischen Zähnchen sowie die besonders
von Baume beschriebenen Dentinstiftchen nehmen ihre Entstehung
von solchen Resten der Zahnleiste. Dentin entwickelt sich
nie frei im Mesoderm, sondern stets nur unter der
Haube eines, wenn auch noch so rudimentären epi-
thelialen Schmelzorgans. Ob dieses jemals Schmelz abson-
dert, das ist ganz nebensächlich. Wie v. Brunn ganz richtig
sagt, hat das Schmelzorgau zunächst den Zweck, die Form, die
Matrize fllr den künftigen Zahn zu liefern, die Schmelzbildung
ist nur eine nebensächliche Funktion.
Es kann auch vorkommen, dass der secundäre Schmelz-
keim eines bleibenden Zahnes sich abnoiiuer Weise in viele kleine
Keime spaltet. Dann entwickelt sich statt eines nr^rmalen Zah-
nes ein Conglomerat von rudimentären Zähnchen und Schmelz-
tropfen.
Im weiteren Laufe der Entwicklung nehmen nun von der
Mitte der Zahnreihe aus nach hinten fortschreitend die Verände-
rungen der Zahnleiste ihren weiteren Verlauf. Das Sparrenwerk
der Epithelstränge wird spärlicher und dünner, die Maschen des
Netzes werden grösser und weiter, es treten theilweise Zerreissun-
gen des Netzwerks ein, so dass nun auch Epithelreste ohne Ver-
bindung frei im Bindegewebe liegen. Solche Reste bleiben ent-
weder unverändert bestehen, oder sie werden ni epitheliomähn-
liche Epithelperlen sowie in kleine Cysten und Atherome um-
gewandelt, welche man als „glandulae tartaricae" beschrie-
ben hat. Morgenstern gibt an, dass aus solchen Epithelresten
vielfach Nervenendorgane entstünden, doch scheint er sich in-
zwischen von der völligen Haltlosigkeit dieser Annahme selbst
tiberzeugt zu haben.
Denselben Verändemngen wie die Zahnleiste unterliegen
die Verbindungsbrücken. Was das äussere Schmelzepithel be-
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462 Carl Rose:
trifft, so bildet dasselbe schon beim Fötus von 30 cm Länge
keine zusammenhängende Schicht mehr, sondern zeigt etwa
das Aussehen eines netzgeknoteten Unterkleides. Die Knoten
des Netzes entsprechen den oben erwähnten papillenähnlicheu
Excrescenzen. Itei der Bildung der bleibenden Zähne wieder-
holen sich dieselben Verhältnisse beim äusseren Epithel und die
Reste desselben sowie auch Reste der Zahnleiste und der Ver-
bindungsbrtlcken bleiben zeitlebens auch beim erwachsenen Men-
schen in der Umgebung der Zahnwurzeln bestehen mid geben,
wie Malassez nachwies, oft Gelegenheit zur Entstehung von
Kiefercysten, gutartigen und bösartigen Tumoren.
Zur Zeit der Geburt sind die Kronenscherben der Milch-
schneidezähne und Milcheckzähne schon ziemlich weit entwickelt.
Auch die einzelnen Kronenscherbchen der Milchmolaren sind zu
einer gemeinsamen Kuppe zusammengewachsen. -An dem von
mir untersuchten Neugeborenen von 46Vä ^^ Länge besass der
erste bleibende Molar im Gegensatze zu den Angaben anderer
Autoren noch keine Spur irgend einer Verknöcherung, In dem
Unterkiefer eines anderen Neugeborenen aus dem hiesigen ana-
tomischen Institute, welchen ich soeben untersuchte, besitzt die
Pulpa des L bleibenden Molars 5 gut ausgebildete Kronen-
höcker, aber nur auf einem derselben ein winziges Zahnscherb-
chen, welches aus Schmelz und Zahnbein besteht. Es lässt sich
danach wohl annehmen, dass die erste Verknöcherung
dieses Zahnes ungefähr zur Zeit der Geburt erfolgt.
Meine frühere Annahme, dass sich der Schmelz zunächst
in ziemlicher Menge ablagere, bevor die Bildung des Zahn-
beins beginne, hat sich durch weitere Untersuchungen nicht be-
stätigt. Wie schon oben erwähnt wurde, geschieht die erste
Ablagerung der beiden Hartsubstanzen beim Menschen fast immer
zu gleicher Zeit.
Bei dem in Erlangen untersuchten Neugeborenen beträgt
an den Milchschneidezähnen die Höhe der verkalkten Kronen-
scherbchen 4^2 miüj die Breite 3 mm. Am Eckzahn beti'ägt die
H(ihe des Scherbchens 2^2 iw'u, am ersten Milchmolaren 2 bis
3 mm. Am zweiten Milchmolaren sind erst zwei von den vor-
handenen f) Scherbchen mit einander verwachsen; die Höhe
schwankt zwischen 1^2 — 2^2 »lui. Das eine Scherbchen des
bleibenden Molaren ist etwa Va ^^ hoch.
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Ueber die Entwicklung der Zähne des Menschen. 4G3
Die Knochenmasse des Kiefers bildet zur Zeit der Geburt
eine tiefe, oben theilweise offene Rinne, welche die Reihe der
Milchzähne, sowie die Keime der Ersatzzähne gleichmässig uni-
schliesst (Fig. 12). Die knöchernen Septa z\vischen den ein-
zelnen Zähnen sind noch nicht vollständig entwickelt und ent-
halten Lttcken, welche durch Bindegewebe ausgefüllt erscheinen.
Später sind die Milchzähne sowohl als auch die bleibenden Mo-
laren allseitig von der knöchernen Alveole umgeben. Nur auf
der Oberfläche, an der späteren Durchbruchstelle der Zähne,
schliesst sich die Alveole nicht, sondern hier bleibt stets bis zum
Durchbruche des Zahnes ein kreisrundes Loch in der knöchernen
Um Wandung bestehen. Wenn Baume in Fig. 42 seines Lehr-
buches der Zahnheilkunde die knöchenie Alveole des Milch-
zahns ringsum geschlossen und die Ersatzzahnanlage ausserhalb
derselben liegend darstellt, so ist diese Darstellung als durchaus
unrichtig zu bezeichnen.
Die Keime der Ersatz zahne liegen anfangs
constant innerhalb der Alveole ihres Milch-
zahns und werden erst später ringsum von einer eigenen Al-
veole umgeben. Auch hier bleibt an der Spitze meist eine mehr
oder weniger enge Oeffnung bestehen, durch welche das Gubcr-
naculum dentis eintritt. Dieses Leitbaud besteht lediglich aus
Bindegewebszügen, welche epitheliale üeberreste der frühereu
Zahnleiste einscheiden und es hat keine weitere physiologische
Bedeutung.
Zur Zeit der Geburt sind die Keime der bleibenden Schneide-
zähne und des Eckzahns, schon mit eigenem Zahnsäckchen ver-
sehen, als senfkomgrosse Knötchen hinter den entsprechenden
Milchzähnen mit blossem Auge sichtbar. Schon jetzt liegt der
Keim des Eckzahnes viel tiefer im Kiefer als diejenigen der
Schneidezähne. Von den Prämolaren ist noch keine Spur vor-
handen. Die Zahuleiste hat sich an der Stelle ihrer späteren
Entstehung eben ei-st ganz leicht verdickt (Modell VI, Fig. 11).
Mit dem Kieferepithel steht die Leiste nur noch stellenweise in
Verbindung, verläuft zuletzt als ziemlich schmales Band noch
eine Strecke weit im Bindegewebe des Zahnfleisches, steht auf
der Oberseite des L bleibenden Molaren mit dessen Schmelz-
organ durch eine breite Verbindungebrücke in Beziehung und
endet dann kurz abgestutzt. Von der Anlage des IL Mo-
Archiv f. mikruHk. Anat. Bd. 38 30
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644 C a r l R ö 8 e t
laren findet sich zur Zeit der Geburt noch keine
Spur, wie ich in Uebereinstinimmig mit Mag i tot gegenüber
den irrigen Angaben Morgensternes ausdrücklich hervor-
heben muss.
Was meine Untersuchungen über die weitere Entwicklung
der Zähne bei Kindern betrifft, so kann ich mich ganz kurz
fassen, da die makroskopischen Ergebnisse fast völlig mit den
Angaben übereinstimmen, welche Zuckerkandl in seiner um-
fangreichen Arbeit in Sc he ff 's Handbuch der Zahnheilknnde
(Wien 1890) giebt. Wo Abweichungen vorkommen, da beruhen
dieselben lediglich auf den grossen Variabilitäten, welche über-
haupt und speciell nach der Geburt in der Entwicklung der
Zähne vorkommen.
Kind, 4 Monate alt. Oberkiefer.
Die Krone des I. Milchschneidezahns ist 6 — 7 mm hoch.
Geringe Wurzelbildung.
II. Milchschneidezahn: Krone 5 mm hoch.
Milcheckzahn: Krone 4^1^ — 5 mm.
Bei den Milchmolaren schwankt die Höhe zwischen 4 bis
5 mm und 3 — 4 mm. Der erste bleibende Molar zeigt 4 getrennte
Zahnscherbchen von 1 — 2^2 mm Höhe. Alle enthalten Zahnbein
und Schmelz. Das Ende der Zahnleiste ist über
dem I. bleibenden Molaren weiter nach hinten
gewachsen und kolbig angeschwollen. Die Zahn-
säckchen der bleibenden Schneidezähne haben einen Durchmesser
von 3 — 4 mm, dasjenige des Eckzahns 2 mm. Zahnscherbchen
sind bei ihnen noch nicht vorhanden.
Kind, 6 Monate alt. Unterkiefer.
I. Milchschneidezahn: Krone dem Durchbruch nahe, 2 bis
2V2 ™ra ttber der des Nachbarzahns stehend. Wurzel S'/« bis
4 mm lang. Ihr tiefster Punkt steht höher als der des Nach-
barzahns. Foramen apicale 2 mm weit.
II. Milchschneidezahn: Wurzel IV2 — 2^2 nim lang. Fora-
men apicale 2 mm weit.
Milcheckzahn: Krone 6mm hoch. Es zeigt sich die erste
Spur von Wurzelbildung.
I. Milchmolar: Krone fast völlig ausgebildet, 4 — 5 mm hoch.
II. Milchmolar: Krone 3 — 4^» nim hoch.
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lieber die Entwicklung der Zähne des Menschen. 46ft
I. bleibender Molar: Die einzelnen Zahnscherbchen sind
noch nicht mit einander verwachsen, 2 — 3^2 nim hoch.
In das kolbig angeschwollene Ende der Zahn-
leiste hat sich von unten und vorn, also wiederum
seitlich, die Papille des II. bleibenden Molaren
eingestülpt.
Die Zahnsäckchen der bleibenden Schneidezähne haben
etwa 5 mm Durchmesser. Es finden sich Zahnscherbchen von
2^1 2 — 3 mm Höhe. Auch der bleibende Eckzahn hat ein Zahn-
scherbchen von 1 mm Höhe. In der Gegend der späteren Prä-
molaren ist die Zahnleiste kolbig angeschw^ollen.
Im Oberkiefer desselben Kindes ist die Krone des I. Milch-
schneidezahns noch 2 mm von der Zahnfleischoberfläche entfernt.
Kind 10 Monate alt. Oberkiefer.
I. Milchschneidezahn: Krone 5mm weit durchgebrochen.
Wurzel 7 mm lang. Foramen apicale P/amm weit.
IL Milchschneidezahn: Krone 2mm weit durchgebrochen.
Wurzel 6 — 7 mm lang. Foramen apicale 2 mm weit.
Milcheckzahn : Krone vollendet, 2 mm vom Durchbruche ent-
fernt. Wurzel 3 mm lang. Foramen apicale 4 mm weit.
I. Milchmolar: Krone vollendet, dem Durchbruche nahe.
Wurzeln schon von einander getrennt 4 mm lang. Foraraina api-
calia IVs — 2V2 nim weit.
II. Milchmolar: Krone völlig entwickelt. Wurzeltheil 1 bis
2^2 nim lang. 3 Dentinspangen wachsen in die noch einheitliche
Pulpa vor, wodurch die Abgrenzung der 3 Wurzeln von einander
bewerksteUigt wird.
I. bleibender Molar: Die früher getrennten Zahnscherbchen
sind zu einer 5 — 6 mm hohen Krone verwachsen. Das Alveolarsep-
tum zwischen dieser und dem IL Milchmolar ist vollendet (Zucker-
kandl fand dies erst 2 Monate später).
Am zweiten bleibenden Molaren ist keine bedeutende Aende-
rung eingetreten.
I. bleibender Schneidezahn : Krone 6 — 7 mm hoch, 9 mm breit.
IL bleibender Schneidezahn: Krone 4 mm hoch, liegt in
schiefer Stellung hinter den beiden Nachbarkronen.
Bleibender Eckzahn: Krone 5 mm hoch. ,
L Prä molar: ist soeben angelegt durch seit-
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]
466 C a r l R Ö 8 e :
liehe Einstülpung der Papille in die verdickte
Partie der Zahnleiste. Die Anlage des IL Prämolareu
befindet sich noch im Keulenstadium.
Kind 1 Jahr 6 Monate alt. Oberkiefer.
I. Milchschneidezahn: Wurzel 9 — 10mm lang. Foramen
apicale 1 mm weit.
II. Milchschneidezahn : Wur/el 7 — 8 mm lang. Foramen
apicale von derselben Weite.
Milcheckzahn: Wurzel o — 6mm lang. Foramen apicale
3 mm weit.
I. Milchmolar : Krone 4 mm weit durchgebrochen. Wurzeln
getrennt 6 mm lang. Foramina apicalia IV2 — 2 mm.
II. Milchmolar: Krone noch 3 mm vom Durch bruche ent-
fernt. Wurzeln 2 — 4 mm lang, noch nicht völlig getrennt von
einander.
I. bleibender Molar: Krone 5 mm hoch.
II. bleibender Molar: besitzt ein eigenes Zahnsäckchen von
1 V2 nini Durchmesser und liegt im Zahnfleische an der oberen
hinteren Kante seines Vorgängers.
I. bleibender Schneideeckzahn: Krone 6 mm hoch.
IL bleibender Sehneideeckzahn: Krone 3 V» tum hoch. Diese
beiden Zähne sind demnach im Vergleich zu vorigem jüngeren
Stadium weniger weit entwickelt.
Bleibender Eckzahn: Krone 5mm hoch.
I. Prämolar: hat ein eigenes Zahnsäckchen von 2mm Durch-
messer mit eigener unvollständiger 1 mm hoher Alveole. Er liegt
an der Grenze von Wurzel und Krone des IL Milchmolaren und
besitzt noch kein Zahnscherbchen.
IL Prämolar: wurde soeben angelegt durch Ein-
stülpung seiner Papille in den verdickten Schmelzkeim.
Kind 1 Jahr 8 Monate alt. Oberkiefer.
Gegenüber dem vorigen Stadium machen sich keine bedeu-
tenden Aenderungen geltend. Nur der zweite Prämolar hat be-
reits auch ein eigenes abgegrenztes Zahnsäckchen von 1 — IV^mm
Durchmesser.
Kind 2 Jahre alt. Oberkiefer.
Die* Wurzeln der Milchschneidezähne sind völlig ausgebildet
10 — 11 mm lang.
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Ueber die Entwicklung der Zähne des Men.schen. 467
Milcheckzahn : Wurzel 9 mm lang. Foramen apicale noch
2V2 nim weit oflFen.
I. Milchmolar: Wuraeln etwa 9 mm lang. Foramina api-
calia V2 — 1 ^^ weit.
II. Milchmolar: Krone durchgebrochen. Wurzeln 6mm lang
stehen in gleicher Höhe mit dem unteren Ende des Zahnsäck-
chens vom Prämolar II. Foramina apicalia 2 — 3 mm weit.
I. bleibender Molar: Krone vollendet. Erste Spur von Wur-
zelbildung.
II. bleibender Molar: Zahnsäckchen erbsengross, liegt an
der hinteren Fläche der Tuberositas des Oberkiefers in einer
tellerförmigen Vertiefung. Von dieser aus läuft eine Knochen-
furche zur Alveole des Vorgängers, in welcher die Reste der Zahn-
leiste eingebettet liegen. Es finden sich 4 Zahnscherbchen
von 1— 2V2 mm Höhe.
I. bleibender Schneidezahn: Krone vollendet etwa 8 mm
hoch.
IL bleibender Schneidezahn: Krone 6 — 7 mm hoch. Ihre
Basis liegt in gleiche Höhe mit der Wurzelspitze des Milchzahns.
Bleibender Eckzahn: liegt sehr tief im Kiefer verborgen.
Die Spitze seiner 6 — 7 mm hohen Krone steht in gleicher Höhe
mit dem Wurzelende des Milchzahns.
I. Prämolar: Das etwa 6 mm dicke Zahnsäckchen liegt von
eigener Alveole umschlossen zwischen den Wurzeln des I. Milch-
molaren. Es sind 2 getrennte Zahnscherbchen vorhanden.
Das labiale ist grösser 4 mm hoch, das linguale 2 mm.
II. Prämolar: hat noch keine eigene Alveole, sondern liegt
frei innerhalb derjenigen seines Vorgängers dessen Gaumen wurzel
angelagert. Zahnsäckchen 5 mm dick. Labiales Zahnscherbchen
2V2 nam, linguales 1 mm hoch.
Der Unterkiefer desselben Kindes bietet einige Abweichun-
gen, indem hier beim IL bleibenden Molaren noch keine Zahn-
scherbchen vorhanden sind. Der erste Prämolar hat nur ein
3V2 mm hohes Zahnscherbchen auf dem labialen Höcker; der
zweite Prämolar ein eben solches von 1 mm Höhe.
Kind 3V4 Jahre alt. Oberkiefer.
Die Milchschneidezähne sind wie im vorigen Stadium in ihrer
Ausbildung vollendet mit etwa 11 mm langer Wurzel. Dagegen
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4ß8 Carl Rose:
ist die ebenfalls 11 nun lange Wurzel des Milcheekzahnes noch
nicht fertig gebildet, sondern hat noch ein 1 mm weites Foramen
apicale.
Die Wurzelbildung am I. Milchmolar ist vollendet. Wurzeln
8 — 9 mm lang.
II. Milchmolar: Wurzeln noch nicht vollendet 6—7 mm lang.
Foramina apicalia 1 — 2 mm weit.
I. bleibender Molar; Krone völlig entwickelt. Wurzelbil-
dung 1 — lV2mni lang. Noch keine Andeutung von Trennung
der Wurzeln.
II. bleibender Molar: zeigt fast dieselben Verhältnisse, wie
im vorigen Stadium. Doch sind Zahnscherbchen nur rechts vor-
handen, während sie links noch fehlen, lieber dem Molar II
frei im Zahnfleische liegt das leicht verdickte Ende
der Zahnleiste. Die Einstülpung der Papille ftir
den Weisheitszahn hat noch nicht stattgefunden.
I. bleibender Schneidezahn: Krone vollendet 8 — 9 mm hoch.
Wurzel 1 mm lang entwickelt.
II. bleibender Schneidezahn : Krone 7 mm hoch, noch nicht
ganz vollendet.
Bleibender Eckzahn: liegt ganz in der Tiefe, zum Theil
unter dem I. Prämolar. Krone 8 — 9 mm Höhe.
I. Prämolar: liegt von eigener Alveole umschlossen zwischen
den Wurzeln seines Vorgängers. Beide Zahnscherbchen zu einer
einheitlichen 5 — 6 mm hohen Krone verschmolzen.
IL Prämolar: hat dieselbe Lagerung wie der vorige. Zahn-
scherbchen noch getrennt, labiales 2 — 2^2 mm, linguales 1 mm
hoch.
Was die erste Anlage des Weisheitszahnes betrifft, so kann
ich darüber keine eigenen Angaben machen. Magitot giebt an,
dass derselbe im 3. Lebensjahre entstünde. Bei meinem Stadium
von 3V4 Jahre war die Einstülpung der Papille noch nicht er-
folgt. Dieser Vorgang wird sich selbstredend wieder genau
ebenso gestalten, wie bei Entstehung des Molar II, indem sich
die Papille von unten resp. oben und vom, also seitlich in das ver-
dickte Ende der Zahnleiste einstülpt. Es ist somit die Möglichkeit
gegeben, dass die Leiste hinter und über dem Weisheitszahne hori-
zontal nach hinten weiter wächst und somit vielleicht Anlass giebt
zur Entstehung eines vierten Molaren. In der That fand
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Ueber die Entwicklung der Zähne des Menschen.. 469
ZackerkandP) bei einem Kinde von 12 Jahren hinter dem
Weisheitszahne ein Knochengrttbchen und darin einen Fortsatz der
Kieferschleimhaut, welchen er ganz richtig als rudimentäre Anlage
eines 4. Molaren, also als letzten Rest der Zahnleiste deutet. Ob
nun das Ende der Zahnleiste öfter hinter dem Weisheitszahne
etwas weiter wächst, oder, wie wahrscheinlich, meist ganz in der
Anlage des Weisheitszahnes aufgeht, dartlber können nur weitere
zahlreiche Untersuchungen von 10 — 20jährigen Menschenkiefern
Aufschluss geben. Zuckerkandl fand die erste Anlage des
Weisheitszahnes im 5. Lebensjahre, und dürfte dies nach meiner
Anschauung in der That das Durchschnittsalter für die Entstehung
dieses Zahnes sein.
Meine Untersuchungen tlber die feineren Details in der Histo-
genese der Zähne sind noch nicht zum Abschlüsse gediehen.
Doch stimme ich im Grossen und Ganzen den Anschauungen bei,
welche V. v. Ebner in dem oben erwähnten Hand buche der
Zahnheilkunde darlegt. Die Darstellung von der Histogenese des
Schmelzes und Zahnbeins, welche Morgenstern in demselben
Werke giebt, ist, wie schon erwähnt, als vollkommen verfehlt zu
betrachten. Die Fehlerquellen liegen für jeden Unbefangenen so
auf der Hand, dass es unnöthig erscheint, näher darauf einzu-
gehen.
Bekanntlich sind die Autoren bezüglich der Entwicklung von
Zahnbein und Schmelz in zwei Lager geschieden mit den Devisen :
Secretion (Kölliker u. a.) oder Umwandlung (Waldeyer
u. a.). Wie v. Ebner ganz richtig ausführt, liegt hierin gar
nicht der springende Punkt der Frage, sondern es handelt sich
zunächst darum: Sind es von Anfang bis zu Ende die-
selben Zellen, welche die Bildung der Hartsub-
stanzen besorgen, oder treten immer neue Zellen
anstelle der durchUmwandlungvöllig zuGrunde
gegangenen? Nach meinen bisherigen Beobachtungen muss
ich mich der ei-steren Ansicht anschliessen. Ob nun die Enden
der Zellen die Grundsubstanz der Hartgebildc einfach secemiren
oder, wie wahrscheinlich, sich direct in dieselbe umwandeln und
die Zellen dann am entgegengesetzten Pole, wo der Kern liegt,
1) Dr. Julius Scheff's Handb. der Zahnheilkunde. Wien 1890.
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470 C a r l R ö s e :
immer weiter wachsen, dies ist eine bisher offene, aber mehr
untergeordnete Frage.
Gleichwie das schon Waldeyer einmal vorgeschlagen
hat, möchte ich mir noch einmal den Vorschlag erlauben, das
Schreckgespenst der „membrana praeformativa" aus der Litteratur
zu verbannen. Einemembrana praeformativa in Form
eines speci fischen Häutchens giebt es nicht; sie
ist stets ein Kunst product, nämlich entweder eine Schicht
noch unverkalkten Zahnbeins oder eine Schiebt unverkalkten
Schmelzes. Will man durchaus den Namen beibehalten, so mnss
man stets darüber in Klarheit sein, dass es dann zwei membranae
praeforaiativae giebt, die äusserste Schicht des Schmelzes und die
innerste des Zahnbeins. Zur Zeit, wo sich Zahnbein und Schmelz
gleichzeitig entwickeln, liegen diese beiden sogenannten Membra-
nen selbstredend unmittelbar aufeinander und in diesem Zustande
hat sie meiner Auffassung nach Rasch kow beschrieben. Sollte
sich einmal das Dentin ein wenig früher angelegt haben als der
Schmelz oder umgekehrt, so würde man natürlich für kurze Zeit
nur eine sogenannte membrana praeformativa haben. Je mehr
sich Schmelz und Zahnbein ablagern, desto weiter rücken diese
sogenannten Membranen auseinander, hängen aber an der Basis
des sich entwickelnden Zahnes immer noch zusammen, ähnlieh
wie zwei in einander geschachtelte Kegelmäntel von ungleicher
Höhe aber gleicher Grundfläche. Vollkommen getrennt von ein-
ander werden sie erst von dem Augenblicke an, wo die Schmelz-
ablagerung aufhört und die Wurzelbildung beginnt. Das äussere
Häutcheu nennt man auch Huxley'sches Häutchen. Das-
selbe ist identisch mit Nasmyth's Membran und wird schliess-
lich zum Schmelzoberhäutchen, welches nichts weiter
darstellt, als das letzte etwas modificirte unverkalkte
Um wandlungsproductder Schmelz Zellen. Das innere
Häutchen, die eigentliche Rase hkow'sche Membran, besteht aus
dem noch unverkalkten Dentinknoi*pel und liegt demgemäss immer
an der Grenze von Pulpa und Dentin. Wie schon Baume er-
wähnt, kann man dies Häutchen jederzeit darstellen, indem man
Schliffe von embryonalen Zähnen macht. Während dann die ver-
kalkten Zahnbeinschichten gleichmässig abgeschliffen werden,
bleibt die Knorpelschicht als zähes, elastisches Häutchen in con-
tinuo bestehen und bleibt am Schliffe in Fetzen hängen, ebenso
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lieber die Entwicklung der Zähne des Menschen. 471
etwa wie die theilweise hängenbleibende Schale einer Obstfrucht
oder gekochten Kartoffel, wenn man dieselbe durchschneidet.
Betrachtet man dieses Häutchen unter dem Mikroskope, so er-
scheint es vielfach siebartig durchlöchert. Diese scheinbaren
Löcher stellen den Querschnitt der Toms'schen F'aseni dar.
Waldeyer nahm früher an, dass das Schmelzoberhäutchen
durch Umwandlung aus dem äusseren Schmelzepithel entstünde.
Schon Kollmann wies das Irrige dieser Anschauung nach. Es
findet sich allerdings in vielen Fällen bei durchbrechenden
Zähnen über dem Schmelzoberhäutchen noch eine Schicht ab-
geplatteter Epithelzellen, die Reste des Schmelzorgans. Diese
Schicht ist es auch, welche bei Säuglingen die schmutzig gelbe
Farbe der durchbrechenden Zähne bedingt. Diese Schicht, welche
sich z. B. in ähnlicher Weise auch auf den noch unbenutzten
Zahnplatten von Protopterus findet, wird aber bald abgestreift
und hat mit dem Schmelzoberhäutchen nichts zu schaffen. Auch
die Ansicht von Tomes, Wedl, Magitot und Baume, wo-
nach jenes Häutchen aus Krone ncement bestehen
soll, ist unhaltbar, seitdem mehrfach nachgewiesen wurde,
dass z. B. bei Nagern unter dem Kronencement noch ein eigentliches
Schmelzoberhäutchen existirt. Ob überhaupt beim Menschen Kronen-
cement je vorkommt, oder ob die Vermuthung von v. Ebner und
Schwalbe richtig ist, wonach die von Tomes, Baume u. a.
gefundenen Knochenlacunen eingekeilte Zellen aus dem Steinkeme
einer Birne sind, darüber sind die Akten noch nicht geschlossen.
Aber selbst wenn das letztere nicht der Fall wäre, und sich
ausnahmsweise auch beim Menschen ab und zu Kronencement
vorfände, so würden dadurch unsere Ansichten von der wahren
Natur des Schmelzoberhäutchens in keiner Weise beeinflusst wer-
den können.
Wie ich schon oben erwähnte, ist die Bildung von Zahn-
bein stets abhängig von der Anwesenheit einer epithelialen
Schmelzmembran. Vor einigen Jahren wies v. Brunn ^) nach,
dass bei Zähnen von Nageni nach Abschluss der Schmelzbildung
das Schmelzepithel weiterwachse und gleichsam die Ma-
1) A. v. Brunn, Ueber die Ausdehnung des Schmelzorgans
und seine Bedeutung für die ZahnbiJdung. Archiv für mikrosk. Anat.
Bd. 29, 1887. "
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472 C a r 1 R ö s e :
trize abgebe für die Form der Wurzeln. Hart-
wig i) nannte bei Amphibien diesen nicht zur Schmelzbildung
verwendeten Theil des Schmelzorgans Epithelscheide, einen
Namen, welchen v. Brunn adoptirt. Tom es*) wies diese Epi-
thclscheide nach bei den schmelzlosen Zähnen von Tatusia peba,
Pouchet et Chabry^) bei Bradypus tridactylus, ich selbst
neuerdings bei Tatusia hybrida, Dasypus novemcinctus, sowie
beim Opossum. V. v. Ebner giebt an, dass er bei einem Kinde
von 3^2 Jahren am Milcheckzahne diese Epithelscheide nicht auf-
finden konnte. Demgegenüber kann ich auf Grund mmner Un-
tei-suchungen die Angaben, welche v. Brunn von Na-
gerzähnen macht, auch beim Menschen in jeder
Hinsicht bestätigen.
Bei Säugethieren mit bewurzelten Zähnen
findet sich Schmelz nur in der Ausdehnung, als
vorher die Sternzellenschicht der Schmelzpulpa
angelegt war. Nun zeigen sich beim Neugeborenen an der
Basis der sich bildenden Krone vom Milcheckzahne und laterale
Schneidezahne noch Reste der Schmelzpulpa. An deren unterstem
Ende gehen die umsäumenden Schichten des inneren und äusse-
ren Schmelzepithels, wie auch früher, direct ineinander über; die
Schmelzbildung ist eben noch nicht abgeschlossen. Das äussere
Epithel ist allerdings nach oben zu nur eine kurze Strecke in
seiner Continuität erhalten und wird dann in der früher beschrie-
benen Weise aufgelöst.
Beim mittleren Milchschneidezahne liegen die Verhältnisse
anders. Hier ist die Schmelzbildung soeben abgeschlossen, der
letzte Rest der Schmelzpulpa verschwunden. Inneres und äusse-
res Epithel liegen nun direct aufeinander und bilden um die nach
unten wachsende Wurzelpulpa ringsum eine epitheliale Scheide,
welche unterhalb der Schmelzgrenze nach innen zu zunächst eine
kleine Strecke Zahnbeins, weiterhin die sich bildende Odonto-
blastenschicht begrenzt. Aehnlich wie das v. Brunn in Figur 5
1) O. Hertwig, Ueber das Zahnsystem der Amphibien etc
Archiv für mikr. Anatomie Bd. 11, 1874. Supplementheft.
2) Ch. Tom es, On the Existence of a Enamel Organ in Arma-
dillo. Quart, Joum. of microsc. sc, S. 44.
3) Pouchet et Chabry, Contributions k Todontologie de mam-
miferer. Journ. de Tanat. et de la pliysiologie, XX, r49.
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lieber die Entwicklung der Zähne des Menschen. 473
und 6 seiner Arbeit darstellt. Im vorliegenden Stadium lassen
sich die beiden Epithelsehichten noch deutlich erkennen und
haben ihren früheren Charakter gewahrt. Später wird daraus eine
einzige Schicht mit ziemlich abgeplatteten Zellen von derselben
Form, wie sie früher das äussere Schmelzepithel besass. Diese
Schicht ist, wie v. Brunn ganz correct beschreibt und in Figur 7
abbildet, immer nur eine kurze Strecke von der Spitze der wach-
senden Wurzel aus nach oben hin verfolgbar und wird sodann
durchwachsen und aufgelöst von den Zellen des nun in Function
tretenden Cementorgans. Die Epithelscheide und mit ihr das
Zahnbein wächst so lange weiter, bis die Wur^elbildung nahezu
vollendet ist. Die Spitze der Wurzeln wird bekanntlich nur von
Cement gebildet. Dieses Letztere, scheint sehr spät erst gebildet
zu werden, wenigstens fand ich es z. B. auf der 6 — 7 mm langen
Wurzel eines eben durchgebrochenen lateralen Milchschneidezahns
vom 10 monatlichen Kinde nur in ganz dünner Schicht. Meine
Untersuchungen hierüber sowie über das Verhältniss des Zahn-
säckchens zum späteren Periost der Alveole sind noch nicht ab-
geschlossen.
Die Principienfrage des Diphyodontismus will ich hier
nur kurz berühren. Verschiedene Forscher, besonders Archäolo-
gen, behaupten, dass dieser Diphyodontismus nur scheinbar sei
und sich in Wahrheit kein principieller Unterschied zwischen
Milchzähnen und bleibenden Zähnen finde. Auch Baume ver-
tritt diese Ansicht mit einem grossen Aufwand von Dialektik.
Diese Forscher stützen sich besonders auf die Thatsache, dass
bei den Beutelthieren, Cetaceen und Edentaten kein oder nur ein
theilweiser Zahnwechsel stattfindet.
Die Möglichkeit zugegeben, dass die vielreihige Bezahnung
der niederen Vertebraten bei den früheren Zwischenformen zwi-
schen Reptil und Säuger sich völlig zurüekgebildet haben könne
bis auf eine Reihe, wie sie bei Edentaten und Beutlem vor-
kommt, dann müsste doch das Schmelzorgan ganz in der Bil-
dung dieser einen Zahnreihe aufgehen. Nun fand ich aber, dass
auch bei Tatusia, Dasypus und Didelphys die in Entwickelung
begriffenen Zähne sich abschnüren von der Zahnleiste und diese
letztere als zusammenhängendes Band fortbesteht, ganz ähnlich,
wie dies beim Menschen der Fall ist. Dass bei jenen Thieren
sich meistentheils keine zweite Zahnreihe ausbildet, ist eine
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474 C a r 1 R ö 8 e :
ganz secundäre Abänderang, ein weiterer Rückbildungspraces».
Dass bei den direeten Vorfahren jener weit seitlich vom Hanpt-
stamme abgezweigten Thiergattungen ein wirklicher Zahnwechsel
vorkam, das beweist das Vorhandensein einer gut erkennbaren
Zahnleiste hinter der Reihe der ausgebildeten Zähne.
Im Gegensatze zu dem reducirten Zahntypus der Edentaten
stellt nach meiner Ansicht der wurzellose, im m er-
wachsende Zahn das höchste Princip der Zahn-
entwicklung dar. Hier ist thatsächlich der betreflFende Theil
der Zahnleiste ganz in der Bildung des Zahnes aufgegangen.
Diese Zähne schnüren sich nie von der Leiste ab, derart, dass
dieselbe hinter ihnen weiter wächst.
Also kurz: Die Zahnentwicklung ist beim Men-
schen und bei Säugern im Princip genau dieselbe,
wie bei den niederen Vertebraten, nur mit dem
Unterschiede, dass der vielfache Zahnwechsel
jener Thiere bei Säugern meist zu einem einfa-
chen Zahnwechsel zusammengedrängt erscheint.
Auch bei Sellachiern wächst die Zahnleiste nicht allein naeh
hinten, sondern dehnt sich auch allmählich seitlich aus, so dass
die hinteren Zahnreihen zahlreichere Zähne haben, als die vor-
deren. Es finden sich also in den hinteren Reihen distalwärts
Zähne, welche in den vorderen Reihen keine Vorgänger haben.
Aehnlich verhält es sich mit den bleibenden Molaren des Men-
schen. Die Milchzahnreihe entspricht den ersten zasanunen-
gedrängten Zahnreihen der niederen Vertebraten. Die
Reihe der bleibenden Zähne ist entstanden dnreh allmäh-
liche Ueduction aller folgenden Zahnreihen in eine einzige.
III. Zusammenfassung der Resultate und Vergleich mit den
Angaben früherer Autoren.
Die Zahl der bisher über Zahnentwicklung und Histogenese
geschriebenen Arbeiten ist ausserordentlich gross. Zahlreiche
Litteraturangaben finden sich in den Arbeiten von Kölliker*),
1) Kölliker, „Entwicklungsgeschichte des Menschen" 1879. —
„Handbuch der Gewebelehre" 1889.
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Ueber die Entwicklung der Zähne des Menschen. 475
Waldeyer^), Kollmann^), Herz^), Morgenstern*), v. Ebner
(Handbuch der Zahnheilkunde). Ebenda wird nächstens ein voll-
ständiges Litteraturverzeichniss von Dr. Sternfeld erscheinen.
An dieser Stelle werde ich daher nur auf die wichtigste neuere
Litteratur etwas näher eingehen.
Bekanntlich war es Marcusen, welcher zuerst 1849 die
epitheliale Herkunft des Schmelzorgans entdeckte und schon sehr
genaue Beschreibung des äusseren Epithels etc. giebt. Gegen-
über der herrschenden Ansicht von Goodsir konnte dereelbe
aber ebensowenig durchdringen als wie Huxley, der sich ihm
anschloss.
Im Jahre 1863 endlich stellte Kölliker diese epitheliale
Abstammung ausser Zweifel in seiner bekannten Arbeit: „Die
Entwicklung der Zahnsäckchen der Wiederkäuer." Kurz nach-
her erschienen mehrere Arbeiten von Waldeyer, worin der-
selbe die Angaben von K T) 1 1 i k e r beim Menschen bestätigte und
erweiterte. Die erste Entwicklung hat Waldeyer nicht ge-
sehen und pflichtet daher ebenfalls der irrigen Ansicht von Robin
und Magitot bei, wonach sich die Zähne im Unterkiefer früher
entwickeln sollen als im Oberkiefer. Die erste Anlage geschieht,
wie oben erwähnt, in beiden Kiefern ziemlich gleichzeitig. Richtig
ist allerdings, dass die Zahnleiste in der Gegend des Zwischen-
kiefers bei weiterem Wachsthum stets relativ niedrig bleibt und
hier auch in ihrer Continuität am frühesten unterbrochen wird.
Da W a 1 d e y e r die gemeinsame Anlage von Lippenfurchen-
leiste und Zahnleiste nicht gesehen hatte, so deutet er die meist
durch Resorptions- oder auch Macerationserscheinungen aufge-
quollenen Epithelien der Lippenfurche und des späteren Lippen-
walls nicht als Reductionsvorgänge, sondern als neue Wucherung,
ein Irrthum, der dann schon von Kollmann erkannt und richtig
gestellt wurde.
Waldeyer sagt ganz richtig: Beim Menschen ist zur Zeit
1) W. Waldeyer, „Bau und Entwicklung der Zjllme" in Stricker's
Handbuch der Lehre von den Geweben. 1871.
2)J. Kollmann, „Entwicklung der MilCh- und Ersatzzähne
beim Menschen". Zeitschrift für wiss. Zoologie Bd. 20, 1870.
3) Hertz, Untersuchungen über don feineren Bau und die Ent-
wicklung der Zähne. Virehow's Archiv Bd. 37, 1866.
4) Morgenstern, Untersuchungen über den Ursprung der
bleibenden Zähne. Monatsschrift für Zahnheilkunde. 1885.
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476 C a r l ß o 8 e :
der ersten Zahnanla^e der Kiefer glatt vom Epithel tiber-
zogen, ohne Furchen und Leisten; die erste Zahnanlage ist
also früher da, als irgend eine Zahnfurche oder ein Zahnwall.
In seinen Figuren (auf Tafel IV der Königsberger medicinischeu
Jahrbücher vom Jahre 1864) stellt Waldeyer das wagerecht
nach hinten gerichtete Wachsthum der Zahnleiste, sowie die seit-
liche Einstülpung der Papille sehr correct dar, ohne freilich die
wesentliche Bedeutung dieses Vorganges zu kennen. Bezüglich
der ersten Anlage der secundären Schmelzkeime hat sich Wal-
deyer geirrt. Was er in seinen Figuren 4 und 5 als solche
darstellt, sind bedeutungslose Ausstülpungen der Leiste resp. der
Zahnanlage. Bei den angegebenen jungen Stadien hat eine Ab-
schnürung der Milchzahnanlagen von der gemeinsamen Leiste
noch nicht stattgefunden. In einer späteren Arbeit beschreibt
dann Waldeyer die Entstehung der Ersatzzähne ebenso wie
Kölliker und Kollmann durch „Wucherung aus dem Habe
des Schmelzorgans." Bezüglich der weiteren Schicksale der
Zahnleiste theilt Waldeyer den Irrthum von Köllicker,
Kollmann und allen bisherigen Forschem, indem er die CJon-
tinuität dei-selben sehr früh zu Grunde gehen lässt, sodass schon
in der 14. bis 15. Woche (nach K oll mann) die ein z ein cd
Schmelzorgane völlig von einander isolirt seieo
und jeder einzelne nur noch durch einen schlauchförmigen Ver-
bindungsstrang mit dem Epithel des Kiefers zusammenhinge.
Diesen Strang nennt Waldeyer „Hals des Schmelzor-
gans", ein Name, der dann später auch auf die Querschnitte der
Verbindungsbrücken übertragen worden ist. Es wurde
schon oben auseinandergesetzt, wie wenig geeignet dieser ans
einer irrigen Anschauungsweise entstandene Name für die Dar-
stellung des thatsächlichen Befundes ist.
Hertz kommt in seiner Arbeit im Allgemeinen zu densel-
ben Resultaten, wie seine beiden Vorgänger, nur verwechselt er
den bei Wiederkäuern im Bereiche der Backenzähne vorhandenen
epithelialen Zahnwall KöUiker's mit dem Kieferwall Wal-
de y e r's und übt an der sehr correcten Darstellung des letzteren
Autors ungerechtfertigte Kritik, ohne zu bedenken, dass in viel-
facher Hinsicht doch noch Unterschiede existiren in der Entwick-
lung von Mensch und Rind. Die erste Anlage der Ersatzzäbne
glaubt Hertz zu finden thcils in einer doppelten Anlage der
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lieber die Entwicklung der Zähne des Menschen. 477
Zahnleiste (Fig. 2), theils in Wucherungen der Leiste direet unter
der Schleimhaut (Fig. 4). Beides ist unrichtig, wie schon Koll-
mann nachwies. Was Hertz darstellt, ist theils die Anlage
der Subungualis, theils eine unwesentliche Wucherung der Leiste,
wie sie ja später vielfach auftritt. Von der Anlage der Ersatz-
zähne ist in Wahrheit bei so frühen Embryonalstadien nichts zu
sehen.
Auch K oll mann hat die erste Anlage der Zahnleiste
nicht beobachtet. Er findet diese zuerst um die achte Woche
(60 — 65. Tage) als Jenen zusammenhängenden, an einzelnen
Stellen knotig angeschwollenen Strang von Epithelien , der huf-
eisenförmig auf dem ähnlich angelegten Kiefer liegt und schon
längst den deutschen Beobachtern bekannt ist". Auch diesem
Autor ist die früher gemeinsame Anlage von Zahnleiste und
Lippenfurchenleiste unbekannt , doch schildert er gegenüber
Waldeyer die Anlage der Lippenfurche sehr correct als her-
vorgegangen durch oberflächliche Resorption der in die Tiefe
gewachsenen Epithelien. Auch K o 1 1 m a n n giebt irriger Weise
an, dass die Zahnanlage im Unterkiefer früher entstünde als im
Oberkiefer. Ferner theilt er die irrige Anschauung, dass die
Zahnleiste in continuo sehr früh zu Grunde gehe und nun jedes
Schmelzorgan abgeschlossen für sich fortbestehe. Hinsichtlich
der Anlage der Ersatzzähne theilt K oll mann die Annahme
Kölliker's, wonach dieselben durch seitliche Wucherung der
Epithelzellen im sogenannten „Halse des Schmelzorgans" hervor-
gehen sollen. Kollmann giebt aber ausdrücklich an, dass
die Zellen, welche Kölliker's „secundäre Schmelzkeime" bil-
den, nicht aus der Milchzahnanlage heraus gewuchert sind.
Aus seiner Darstellung geht deutlich hervor, dass er die secun-
dären Schmelzkeime für directe Fortsetzungen der Reste der ur-
sprünglichen Zahnleiste hält, die er sich allerdings nicht als sieb-
artig durchlöcherte Platte, sondern in 20 völlig isolirtc schlauch-
artige Epithelgebilde zerlegt denkt. Ferner hat K oll mann
die progressive Entwicklung der Zahnanlagen von vorn nach
hinten schon ganz richtig erkannt, eine Thatsache, die ich gegen-
über Morgenstern betonen muss, weil derselbe die Priorität
jener Entdeckung für sich in Anspruch nimmt. Die Darstellung,
welche K o 1 1 m a n n von der bei älteren Föten sichtbaren
Zahn für che und den sie begrenzenden Zahn wällen giebt.
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478 C a r 1 n ö s 0 :
stimmt mit meinen eigenen Beobachtungen im Princip genügend
ttberein. Auch schreibt K o 1 1 m a n n gleich mir jedem Reste der
Zahnleiste die Fähigkeit zu, gelegentlich zu wuchern und An-
lass zur Entstehung von Zahngebilden jeder Art zu geben.
Die relativ meisten Arbeiten über Entwicklung und Histo-
genese der Zähne hat unstreitig M a g i t o t geschrieben, theils in
Verbindung mit R o b i n , theils mit L e g r o s. Nächst mir hat
der französische Forscher die meisten menschlichen Fötalstadien
untersucht hinsichtlich ihrer Zahnentwicklung. Auch er sah die
erste Anlage nicht, wie ich aus seiner letzten Arbeit vom Jahre
1881 ersehe. Die erste Anlage lässt er zwischen dem 40. bis
50. Tage entstehen, wobei jedoch zu betonen ist, dass das Alter
seiner kleineren Embryonen viel zu gering taxirt wurde. So ueont
er einen Embrj'o von 3 cm Länge 7 Wochen alt statt 97« — 10;
einen Embryo von 3 — 4 cm Länge 9 Wochen statt 11 etc. Ma-
gitot überzeugte sich erst ziemlich spät von der Wahrheit der
Darstellung, welche unsere genannten deutschen Forscher über
die Entwicklung der Zahnleiste gaben. Bezüglich der Anlage
der Ersatzzähne schliesst er sieh später an Kolli k er an und
betont besonders , dass die Zellen der secundären
Schmelz keime aus den Verbindungssträngen
der Milchzähne herauswuchern sollen. Ob diese Ver-
bindungsstränge, „der Hals des Schmelzorgans", zum Milclizahne
gehöre oder zur Leiste, darüber spricht sich Magitot vorsich-
tiger Weise nicht näher aus, ebenso wenig wne Waldeyer,
Kölliker und Hertz. Im Uebrigen beschreibt Magitot die
Wucherungen des äusseren Schmelzepithels, sowie die Wuche-
rungen und Rückbildungen der Zahnleiste sehr correct, ohne
freilich ein genügendes köri)crliches Bild von diesen Vorgängen
zn haben. Dies kann man sich eben im vorliegenden Falle fast
nur durch Reconstruction verschaffen.
Morgenstern fusst ganz auf den Untersuchungen von
Magitot, geht aber noch weiter als der französiche Forscher,
indem er die sogenannten „Vcrbindungswurzeln'^, die Querschnitte
meiner oben beschriebenen Verbindungsbrücken, durchaus zum
Milchzahne rechnet und somit die bleibenden Zähne durch Wu-
cherung aus dem Schmelzorgane der Milchzähne hervorgehen
lässt. Wie verfehlt diese Anschauung ist, geht aus den oben
mitgetheilten Befunden hervor. Weiter betont Morgenstern
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lieber die Entwicklung der Zähne des Menschen. 479
die schon von Kollmann genügend erkannte und eigentlich
selbstveretändliche continuirliche Entwicklung der Zahuleiste und
Zähne von vorn nach hinten. Endlich gibt er eine ziemlich un-
klar gehaltene Schilderung über die Entstehung der beiden letz-
ten Molaren. Danach soll der erste und dritte Molar direkt aus
der Zahnleiste, der zweite aber schon im 6. oder 7. Fötalmonate
aus dem Schmelzorgane des ersten Molaren entstehen. Nach
Magitot entsteht der zweite Molar aus dem Halse des ersten
im dritten Monate nach der Geburt, der Weisheitszahn in ähn-
Ucher Weise aus dem zweiten Molaren im dritten Lebensjahre.
Es ist möglich, dass die genannten Keime in den Präparaten
Magitot's um diese Zeit schon vorhanden waren; ich selbst habe
sie erst später nachweisen können.
Eine bemerkenswerthe Arbeit über Zahnentwicklung in der
Neuzeit stammt von R. Baume^). Derselbe geht von der durchaus
nnbegründeten Annahme aus, dass die meisten früheren Forscher
die Ersatzzähne als Abkömmlinge der Milchzähne betrachteten.
l^Mit Ausnahme von Morgenstern sowie anscheinend von To-
mes thut dies keiner der früheren Autoren in ausgesprochener
Weise.) Nun hat Baume vergleichend anatomische Forschun-
gen angestellt und hat den ganz richtigen Grundgedanken, dass der
bleibende Zahn direkt aus der Epithelleiste entstehen müsse und
nicht vom Milchzahne abstammen könne. Dass schon K oll mann
dieselbe Ansicht hatte und überhaupt von allen Forschern der
Wahrheit am nächsten kam hinsichtlich Entstehung der bleiben-
den Zähne, dies und noch einige andere Angaben der Litteratur
übersah Baume oder hebt sie wenigstens nicht genügend hervor.
Baume hat alle möglichen Thierspecics untersucht, aber, wie
mir scheint, keines mit der nöthigen Gründlichkeit und in der
nöthigen fortlaufenden Reihenfolge. Bezüglich der ersten Ent-
wicklung schliesst er sich eng an Waldeyer und Kölliker
au. Dagegen lässt er Kölliker 's secundäre Schmelzkeime ent-
gegen den Angaben aller bisherigen Autoren nicht zum Keime
der Ersatzzähnc werden, sondern behauptet, diese Keime gingen
ebenso zu Grunde wie der grösste Theil der Zahnleiste und wie
1) Baume, Odontologische Forschungen. 1882. — Lehrbuch
der Zahnheilkunde. 1890.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 3H 3]
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48Ö Carl ßöse:
ihre Vcrbindungsbrtickeii. Nun seien die Milchzähne völlig isolirt.
„Ein Verbindungsstrang des Milchzahnes mit dem bleibenden
ist, wie ich (Baume) nochmals hervorheben muss, längst ver-
loren gegangen. Die Autoren, welche hier einen Verbindungs-
strang abbilden, haben sich nicht recht orientirt. Ein dunkler
Saum, wie wir ihn stets in der Umgebung der Zahnanlagen fin-
den, täuscht sehr leicht einen Zusammenhang mit dem Mond-
höhlenepithel in Form eines Verbindungsstranges vor. Diesscr
Saum erweist sich aber bei genauer Betrachtung nicht als Epi-
thel, sondern als Bindegewebe der Umgebung." Die bleibenden
Zähne lässt Baume nach seiner Schätzung im letzten Vier-
tel der Schwangerschaft entstehen und zwar direkt unter dem
Zahnfleische aus den Resten der Zahnleiste, welche mit dem
Mundhöhlenepithel mehr oder minder in Verbindung geblie-
ben sind.
Die Fehlerquellen Baume' s liegen oflFen zu Tage. Baume
hat nicht in genügender Reihenfolge die verschiedenen embrj-ona-
len Stadien, speciell der späteren Zeit untersucht, verfügte auch
anscheinend damals noch nicht über die feine mikroskopische
Technik, um in jedem Falle Epithelreste von verdichteten Binde-
gewebssträngen unterscheiden zu können. Und so kam er in-
folge seiner nicht genügenden Untersuchungen aber reichen Phan-
tasie zu falschen Deutungen.
G. Pouchet et L. Chabry (contributions k Todontolo-
gie des Mammifferes, J(mrnal de Tanatoraie et de la physiologie
Bd. XX 1884) geben bei der Zahnentwicklung vom Schaaf und
anderen Mammalien über die Entstehung der Lippenfurche genau
dieselbe Darstellung, wie ich sie oben beim Menschen entwickelt
habe. Den Epithelwall im Bereiche der Backenzähne der Wie-
derkäuer nennen sie „mur saillant", die Lippenfurchenleiste
„mur plongeanf^. Von der letzteren behaupten sie sehr
correct, dass sie sich in der ganzen Ausdehnung des Kiefers er-
streckt, selbst an Stellen, wo später keine Zähne stehen z. B. in
der Schneidezahnregion des Oberkiefers. In Ueberstimmung mit
Waldeyer und mir kommen die beiden Autoren zu dem Schlüsse,
dass die Zahnwälle, auf welche frühere Autoren soviel Werth
legten, auch bei Wiederkäuern keine wesentlichen Beziehnngen
zur Entwicklung der Zähne haben. „En effet ce mur plougeant
occupe chez lembryon de 4 cent (mouton) la place, que preudra
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Ueber die Entwicklung" der Zähne des Menschen. 481
plus tard la sillon labio-gingival; il en präsente la forme et les
dimensions."
Zuekerkaudl und v. Ebner, welche in ihren Arbeiten
die Zahnentwicklung auch leicht streifen, stehen auf demselben
Standpunkte wie Kölliker, Kollmann und Waldeyer.
Zum Schlüsse möchte ich die Punkte noch einmal hervor-
heben, welche in meiner Arbeit neu oder näher präcisirt er-
scheinen :
1) Die erste Spur der Zahnleiste findet sich gleichzeitig in
beiden Kiefern in Gestalt einer auf Durchschnitten halbkugeligen,
aus noch nicht differenzirten rundlichen Zellen bestehenden Wu-
cherung des Kieferepithels und zwar im embroynaleu Alter von
34 — 40 Tagen. Der MeckeTsche Knorpel beginnt um die Zeit
gleichfalls sich anzulegen.
2) Schon beim Embryo von 17 mm im Alter von etwa 48
Tagen hat sich die einfache Leiste in zwei senkrecht zu ein-
ander liegende secundäre Leisten gespalten. Die flachere lot-
recht in den Kiefer hinein verlaufende ist die Lippenfurchen-
leiste, die höhere wagerecht nach hinten gehende ist die
eigentliche Zahnleiste. Um diese Zeit besteht die tiefste
Schicht des Epithels schon aus hohen Cylinderzellen.
3) Die Lippenfurche und damit die Abgrenzung des Lip-
penwalles vom Kieferwalle entsteht in der Weise, dass entspre-
chend dem weiteren Wachsthum der Lippeufurchenleiste in die
Tiefe die oberflächlichsten Schichten des Epithels der Leiste
resorbirt werden. Infolge dessen kommt es zur allmählich von
der Mitte nach beiden Seiten fortschreitenden völligen Trennung
von Zahnleiste und Lippenfurchenleiste, von Lippe und Kiefer.
4) Die Zahnfurche, wie man am Besten die seichte Furche
bezeichnet, welche entlang der Verbindungslinie von Zahnleiste
und Kieferepithel verläuft, findet sich anfangs auf der Vorder-
seite des Kieferwalls und wandert dann, ebenfalls wieder pro-
gressiv von der Mitte nach hinten fortschreitend, in Form einer
Schraubenlinie über die Höhe des Kiefers nach dessen hinterer
Fläche.
5) Die Zahnleiste, welche anfangs im Kiefer horizontal nach
hinten verläuft, verändert infolge des Wachsthums der Milchzähne
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482 Carl Rose:
gleichzeitig ihre Lage und stellt sieh in leichtem Bogen mehr
und mehr senkrecht.
6) Die Zahnleiste nimmt an ihrer freien Kante einen wellen-
fiimiigen Verlauf. Die 10 Wellenherge wachsen zu kolbigen
Epithelverdickungen an und stellen die erste Anlage der Milch-
zähne dar.
7) In der 10. Woche, beim Embryo von 3,2 cm, beginnt
entweder gleichzeitig oder in rascher Reihenfolge die Einstül-
pung der Papillen in die vorhin erwähnten Verdickungen, und
zwar stülpen sich diese bindegewebigen Papillen
nicht am tiefsten Punkte jener ein, sondern seit-
lich. Auf diese Weise kann die Zahnleiste bei dem in der
14. Woche beginnenden Abschntirungsprocesse der
Milchzähne hinter denselben ungehindert weiter in die Tiefe
wachsen.
8) Schon in der 14. Woche zeigt die Zahnleiste gering-
gradige, unregelmässige Wucherungen. In der 17. Woche sind
dieselben deutlich ausgesprochen und zugleich beginnt zunächst
im Bereiche der Schneidezähne eine partielle Durchlöchenmg der
Leiste Platz zu greifen.
9) In der 24. Woche ist im Bereiche der Vorderzähnc die
Zahnleiste eine vielfach siebartig durchlöcherte, mit Zacken und
Vorsprüngen versehene Platte; im Bereiche der Backenzähne ist
sie dagegen noch ganz glatt und wenig durchlöchert. Die wel-
lenförmige Gestalt des unteren Randes hat sich erhalten. Die
Milchzähne sitzen jetzt vor und etwas medial von den undurch-
löchei-ten und verdickten Wellenbergen. In diese Verdickungen
stülpen sich ebenfalls wieder seitlich, von der Seite der Milch-
zähne her, die Papillen der bleibenden Zähne ein und zwar zu-
nächst an den Schneidezähnen.
10) Hinter dem zweiten Milchmolaren ist die Zahnleiste
schon in der 14. Woche nach hinten gewachsen. In der 17. Woche
hat sich ihr Ende verdickt. In diese Verdickung stülpt sich
ebenfalls seitlich die Papille des I. bleibenden Molaren ein.
11) Zur Zeit der Geburt hat sich auf Molar I soeben das
erste Zahnscherbchen angelegt. Die Zahnanlage selbst hängt noch
durch eine breite Verbindungsbrücke mit der Leiste zusammen.
Gleich dahinter hört die Leiste als nicht verdickte kurze Platte
auf, welche im Zahnfleische hinten über Molar I liegt.
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lieber die Entwicklung der Zähne des Menschen. 483
12) Im sechsten Lebensmonate des Kindes ist die Leiste
tlber Molar I hinweg weiter nach hinten gewachsen, ihr Ende
hat sich verdickt. Wiederum seitlich, also im Unterkiefer von
vom unten, hat sich die Papille von Molar II eingestülpt.
13) Beim Kinde von 3^4 Jahren bietet die Leiste über
dem zweiten Molar dasselbe Bild dar, wie zur Zeit der Geburt
über Molar I (siehe Modell VI). Der Weisheitszahn entsteht in
derselben Weise durch seitliche Einstülpung in das verdickte
Leistenende, wie seine beiden Vorgänger, durchschnittlich im
5. Jahre. Danach ist auch die Möglichkeit für das Entstehen
eines Molar IV leicht gegeben, ebenso wie im Bereiche der
Vorderzähne die Entstehung einer dritten Dentition. Bei der
ausserordentlichen AdaptationsiUhigkeit der Zahnleiste ist sogar
die Möglichkeit vorhanden, dass hinter resp. über den bleibenden
Molaren Reste der Leiste bestehen bleiben und auch hier zu
weiteren Zahnbildungen Veranlassung geben.
14) Die Beobachtungen, welche v. Bruns bei Nagern über
die Hertwig'sche Epithelscheide machte, kann ich beim Men-
schen voll und ganz bestätigen. Auch hier findet sich eine Epi-
thelscheide, welche gleichsam die Matrize für die Wurzelbildung
abgiebt. Sobald das Wachsthum dieser Wurzelscheide aufhört,
ist auch die Bildung des Zahnbeins zu Ende, und die Wurzel-
spitze >vird daher nur von Cement dargestellt*).
1) Nach mündlichem Berichte Dr. Fleischman n's in Erlangen
hat derselbe ebenso wie sein Schüler Dr. Mahn sich nachträglich
ebenfalls von der Existenz der Epithelscheide bei Nagern und Raub-
thieren (Katze) überzeugt.
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490 Carl Rose:
Erklärung der Figuren auf Tafel XXVU u. XXVin.
Fig. 1. Mundeingan«: eines menschlichen Embryo von 15 mm Steis«-
scheitellänge, ungefähr 40 Tage alt. OK — Oberkiefer, UK —
Unterkiefer, M — Mundeingang, ZL — Querschnitte der Zahu-
leiste. Vergr. 120 fach.
Fig. 2. Mundeingang eines menschlichen Embryo von 17 mm Länge.
OK — Oberkiefer, UK — Unterkiefer , M — Mundeingang, LF
— Lippenfurche, ZL — Zahnleiste. Vergr. 120 fach.
Fig. 3. Menschlicher Embryo von 2,5 cm Länge. Modell I in halber
Grösse. Es ist die Seite des Oberkiefers dargestellt. Die am
unteren Rande schwach wellige Zahnleistc ist gelb-grün colo-
rirt. Vom Unterkiefer ist von hinten her die Lippenfurche
sichtbar. LF — Lippenfurche, LFL — Lippen furchenleiste,
ZL — Zahnleiste. Vergr. 12V2fach.
Fig. 4. Mundeingang eines Embryo von 4 cm Länge. M — Mundein-
gang, OK — Oberkiefer, UK — Unterkiefer, OL — Oberlippe,
UL — Unterlippe, LF — Lippenfurche, LFL — Lippenfurchen-
leiste, ZL — Zahnleiste, Pp — Papille. Vergr. 60 fach.
Fig. 5. Menschlicher Embryo von 4 cm Länge. Modell II in halber
Grösse. Es ist wiederum die Oberkieferseite dargestellt und
sieht man jederseits 5 roth colorirte Papillen seitlich in die
betreffenden Verdickungen der Zahnleiste eingestülpt. Pp —
Papille, ZL — Zahnleiste, LFL — Lippenfurchenleiste. Vergr.
12V2fach.
Fig. 6. Menschlicher Fötus von IIV2 ^'i^ Länge. Modell ITI in halber
Grösse, die Zahnleiste des Oberkiefers darstellend mit den
daran wie Schwalbennester hängenden Milchzahnanlagen.
Hinter dem 2. Milchmolar geht die I^eiste als freie Platte noch
eine Strecke weit in's Kiefermesoderm hinein. Vergr. 12^l^fHc\\.
Fig. 7. Menschlicher Fötus von 18 cm Länge. Modell IV in halber
Grösse, darstellend die Hälfte des Unterkiefers. Die Milch-
zahnanlagen sind schon in grosser, wechselnder Ausdehnung
von der Leiste abgeschnürt. Am Ende der Leiste rechts die
erste Anlage des bleibenden Molar I. SK^ — Sekundärer
Schmelzkeim, MI — I. bleibender Molar. Vergr. 12Vifach.
Fig. 8. Frontalschnitt durch den lateralen Schneidezahn eines mensch-
lichen Fötus von 30 cm Länge. ZL — Zahnleiste vielfach ge-
wuchert und durchbrochen, streckenweise in Epithelperlen
umgewandelt, SK^ — Sekundärer^ Schmelzkeim , D — Dentin,
VB — Verbindungsbrücke , S — Schmelz, SP — Schmelzpulpa,
RM — Rete Malpighi, K — Kieferknochen.*^ Das äussere Epi-
thel zeigt vielfach die beschriebenen papillenartigen Wuche-
rungen, stellenweise Durchbreehungen und steht in vorlie-
gendem Schnitte noch in directem Zusammenhange mit der
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Ueber die Entwicklung der Zähne des Menschen. 491
Schmelzleiste durch das epitheliale Band einer Verbindungs-
brücke. Vergr. 30 fach.
Fig. 9. Menschlicher Fötus von 30 cm Länge. Modell V in halber
Grösse von unten. Man sieht in die Pulpenhöhlen der Milch-
schneidezähne hinein. Hinter, in der Figur über denselben
ist die durchlöcherte Zahnleiste mit den Anlagen der bleiben-
den Zähne SK2 — sekundärer Schmelzkeim. Vergr. 20 fach.
Fig. 10. Dasselbe Modell von der Seite gesehen, um die vielfachen
Durchlöcherungen der Leiste und Verbindungsbrücken zu
zeigen. S — Schmelz, D — Dentin, VB — Verbindungsbrückeu,
SK^ — Anlage der bleibenden Zähne (sekundärer Schmelz-
keim), RM — Rete Malpighi. Vergr. 20 fach.
Fig. 11. Neugeborener, 4672^"^ lang. Halbe Grösse von Modell VI,
darstellend grössere Theile vom II. Milchmolar Mm II und
I. bleibenden Molar — M I. ZL — Zahnleiste , VB — Verbin-
dungsbrücke, RM — Rete Malpighi resp. Schleimhaut. Vergr.
7V2fach.
Fig. 12. Frontalschnitt durch den Unterkiefer eines Neugeborenen,
hat die seitlichen Theile des mittleren Michschneidezahnes ge-
troffen. SK2 — Anlage des bleibenden mittleren Schneide-
zahns, ZL — Reste der Zahnleiste, ZLj — ebensolche Reste,
welche weiterhin mit der Anlage des lateralen bleibenden
Schneidezahns zusammenhängen, S — Schmelz, D — Dentin,
K — knöcherne Alveole.
Fig. 13. Unteres Ende vom mittleren Schneidezahn eines Neugebo-
renen. Die senkrechte Linie deutet an, dass ein Theil der
Pulpa weggelassen wurde. S — Schmelz, D — Dentin, Od —
Odontoblastenschicht, SE — Schmelzepithel, ESeh — Epithel-
scheide Hertwig's. Hartnack 4, Oc. 2.
Fig. 14. Schnitt durch das Wurzelende vom II. Milchschneidezahn eines
10 monatlichen Kindes, bestimmt, um bei stärkerer Vergrösse-
rung die Epithelscheide zu zeigen. D — Dentin, Od — Odonto-
blastenschicht, C — Cemeutorgan, ESch — Epithelscheide.
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492 Hans Rabl:
(Aus dem histologischen Institut der Universität Wien.)
Die Entwicklung und Structur der Neben-
nieren bei den Vögeln.
Von
Hans Rabl, cand. med.
Hierzu Tafel XXIX— XXXI.
Die Nebennieren sind Organe, welche durch das Räthsel-
hafte ihres Baues und ihrer Function schon seit langem die
Forscher zur Untersuchung angeregt haben. Darum ist auch die
Literatur über dieselben zu einer äusserst umfangreichen ange-
wachsen; leider wurden aber nahezu ausschliesslich Säugetbiere
untersucht und darum konnten auch manche irrthümliche Ansich-
ten unterlaufen, welche bei Vergleichung mit der Structur der
Nebennieren bei den Sauropsiden sicher entfallen wären.
In neuerer Zeit hat sich besonders die Literatur tlber die
Entwicklung dieser Organe sehr vermehrt. Noch im Jahre 1872
konnte sich mit Recht v. Brunn (1) über die Aennlichkeit der-
selben beklagen; seitdem ist aber eine Reihe von Arbeiten er-
schienen, welche das dunkle durch seinen Znsanmienhang mit
den UrogenitÄlorganen aber höchst interessante Feld der Ent-
wicklung der Nebennieren in fruchtbringender Weise bebaut
haben, und uns wenigstens einigermaassen einen Einblick in diese
complicirten Verhältnisse gestatten. Bevor ich zur Mittheilung
meiner eigenen Befunde gehe, ist es daher nothwendig, einen
kurzen Abriss der neuesten Publicationen auf diesem Gebiete m
geben.
Die Annahme von His (2), welcher sich Waldeyer (3)
und Leydig (4) anschlössen, dass die Nebennieren Reste des
Wolffschen Körpers seien, lässt sich gegenwärtig nicht mehr
aufrecht halten. Die Selbstständigkeit dieser Organe ist durch
ihr frühes, von der Umiere unabhängiges Auftreten, sowie durch
die zahlreichen Kemtheilungsfiguren, die man sowohl in der Rinde,
wie im Mark findet, genügend bewiesen. Auch existirt nirgends
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Die Entwicklung und Structur der Nebennieren bei den Vögeln. 493
ein üebergang der Nebenuierenstränge in die Kanäle des Neben-
hodenS; respective des Parovariums, eine Tliatsache, welche* ich
insbesondere Brandt (5) gegenüber constatiren muss, der einen
solchen in jüngster Zeit bei Vögeln beschrieben hat.
Abgesehen von diesen älteren Angaben herrschen gegen-
wärtig über die Entstehung der Nebennieren zwei grundsätzlich
verschiedene Anschauungen, indem sie von der einen Seite als
Organe bindegewebigen Ursprungs, von der anderen als epitheliale
Gebilde aufgefasst werden.
Die erstere Anschauung findet sich vertreten von Bal-
four (6), V. Brunn (1), Kölliker (7), Braun (8), Mitsu-
kuri (9) und Gottschau (10), welche bei den verschiedensten
Wirbelthieren (Selachier, Reptilien, Vögel, Säugethiere) nach-
weisen zu können glaubten, dass die Nebenniere als eigenes
Organ aus einem bindegewebigen Blastem, welches zwischen
Aorta und ürniere gelegen sei, ihren Ursprung nehme. Es be-
ruhen die irrthümlichen Resultate dieser Forscher vor allem dar-
auf, dass sie zu späte Stadien untereucht haben, indem es in der
Entstehungsweise der Nebennieren gelegen ist, dass sie sich sehr
bald von ihrem Mutterboden trennen und dann als isolirtc Stränge
und Zellhaufen ihre Abkunft nicht erkennen lassen.
So gibt auch Weldon (11) an, dass er die Herkuj(ft der /'^
Nebennierenzellen bei Vögeln nicht habe eruiren können, obwohl
er bei den Reptilien zu positiven Ergebnissen gelangt war.
In neuester Zeit hat sich jedoch die Ansicht, dass die Rin-
densubstanz epithelialer Herkunft sei, und sich auch das ganze
Leben hindurch als epitheliales Organ behaupte, immer weiter
Bahn gebrochen, und es sind daher entsprechend der Lage der
Nebennieren 2 Gebilde, welche für ihre Abstammung in Frage
kommen konnten : Die M a 1 p i g h i ' sehen Körperchen und Kanäle
der Umiere und das Peritonealepithel.
Der erste, welcher die Umiere als das Ursprungsorgan der
Nebennieren betrachtete, war Weldon (11). Seine Untersuchun-
gen erstreckten sich auf Selachier (Pristiurus), Reptilien (Lacerta)
und Vögel. Bei den Selachiern entwickelt sich die Nebenniere
in Form eines Divertikels, welches gleich hinter der auf das
Nephrostom folgenden Verengerung des Segmentalkanales in me-
dialer Richtung auswächst. Die Anordnung ist entsprechend den
Umiereukanälchen eine segmentale. Die Divertikel erreichen
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494 Hans Rabl:
eine bedeutende Grösse, dringen gegen die Wurzel des Mesen-
teriums vor, verlieren ihr Lumen und bilden durch Confluenz der
ui-sprünglich getrennten Anlagen das bleibende Organ, das sich
über die ganze Länge des Mesoncphros erstreckt.
Bei Lacerta ist es das Mal pighi'sche Körperchen, welches
den Nebennieren ihren Ursprung giebt. Schon B r a u n (9) hatte
an einer Reihe von Reptilien „blattartige Zellbalken '^ beschrieben,
die ans der Wand des Malpigh i'schen Köi-perchens hervor-
sprossen, sich bei den Männchen in die Hodenkanälchen umwan-
deln, bei den Weibchen jedoch wieder rtickbilden sollten. Wel-
don konnte diesen Angaben nun hinznftlgen, dass sich der von
der medialen Wand des Malpigh i'schen Körperchens entsendete
Fortsatz in 2 Zellstränge theilt, von denen der eine dorsal ge-
richtet ist und die Anlage der Nebenniere darstellt, während der
andere dem Peritonealepithel zuwächst und die Coni vasculosi des
Hodens bildet.
Die Angaben von W e 1 d o n über die Reptilien wurden von
Hoffmann (12) vollinhaltlich bestätigt. Er findet bei jungen
Embryonen in der ganzen Ausdehnung der Geschlechtsfalte, die
sich über 10 — 11 Somiten erstreckt, von den Malpigh i'schen
Körperchen zwei Fortsätze abgehen, die sich zu Nebennieren und
Genitalsträngen diflferenziren. An älteren Embryonen erstreckt
sich die Geschlechtsfalte sammt den Genitalsträngen nur über
5 — 6, in noch älteren kaum über 2 — 3 ürsegmente. Es haben
sich somit diese Theile wieder zurückgebildet, während die Ne-
bennieren ihre ursprüngliche Länge beibehalten. Am distalen
Ende der Uniiere entwickeln sich die Mal pigh i'schen Körper-
chen entweder gar nicht oder kommen jedenfalls nur sehr spät
zur Ausbildung. Noch bevor dies geschieht, geht von dem me-
dialen, blind geschlossenen Ende eines jeden Unüerenkanälchens
ebenfalls ein Zellenspross ab, welcher sich vollständig so, wie
die mehr nach vorn gelegenen verhält. Hier aber schwindet sowohl
der ventrale, wie der dorsale Fortsatz.
Was W e 1 d 0 n und H o f f m a n n bei Reptilien beschrieben,
konnte auch Sefhon (13) bei Vpgeln beobachten. Er sah beim
Hühnchen gewöhnlich schon am 4. Tag, ausnahmslos aber am
5. an der medialen Seite der ürniere in dem anstossenden Binde-
gewebe „eigenthümliche, unregelmässig geformte Zapfen oder
Stränge liegen, die bald auf Quer-, bald auf Schief-, bald aut
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Die Entwicklung und Structur der Nebennieren bei den Vögeln. 49ft
Längsschnitten getroflfen sind, jfiSig man die Schnitte durch den
Embryo legen, wie man will." Sie haben zu dieser Zeit das
Keimepithel noch nicht erreicht. Da Semon der einzige ist,
der bei Vögeln die Herkunft dieser Zellstränge, welche den bei
Reptilien und Säuge thieren beschriebenen Sexual- (Mihälcovics)
respective Segmentalsträngen (Braun) entsprechen, von der Ur-
niere behauptet, citire ich den wichtigsten Passus wörtlich. Er
sagt pag. 27: ^Bei aufmerksamer Durchmusterung einer grossen
Anzahl von Schnitten (Quer- und Frontalschnitte sind am geeig-
netsten) wird man immer Bilder treflfen, die die Abstammung der
fraglichen Stämme von Kanälchen der Umiere, bei älteren Em-
bryonen auch von den Kapseln der M a 1 p i g h i 'sehen Körperchen
ganz unzweideutig erweisen." Man sieht, „dass sich ab imd zu
aus der Wandung einer Kapsel ein solider Zapfen vorbuchtet,
der unter mannigfachen Krümmungen, unregelmässigen Theilun-
gen, Netzbildungen weiterwächst. Diese Unregelmässigkeit des
Wachsthums macht die Beobachtungen überaus schwierig, denn
höchst selten und nur zuföllig wird ein Zapfen auf eine grössere
Strecke hin in seiner Längsrichtung getroffen." Pag. 28 fahrt
er fort: „Von der ganzen medialen Seite der ürniere wuchern
die Zapfen in der eben geschilderten Weise nach der Mittellinie
zu, ein Stück weit in das benachbarte Bindegewebe. Sie werden
bei der Bildung zweier sehr diflferenter Organe verwendet, der
Keimdrüse und der Nebenniere. Zur Bildung des Drüsentheiles
der letzteren werden die mehr dorsalwärts gelegenen Zapfen ver-
braucht. Auf ihre weiteren Schicksale soll hier nicht weiter ein-
gegangen werden."
Dieser, durch die citirten Forscher vertretenen Ansicht, dass
die Nebenniere von der Urniere stamme, steht die zweite entgegen,
dass ihre Matrix im Bauchhöhlenepithel zu suchen sei.
Janosik (14) findet die Anlage der Nebenniere in einer
Prominenz, welche dicht der Spitze jenes Winkels anliegt, den
der Wolffsche Körper mit dem Mesenterium bildet. An einem
Schweinsembryo von 25 mm Körperlänge ist das Coelomepithel
an dieser Stelle verdickt, die Zellen zeigen deutliche Prolifera-
tion dorsal und etwas medial gegen die Aorta zu und auch die
Kerne der nicht unmittelbar freien Epithelzellen färben sich in-
tensiv roth wie die letzteren, woraus der Zusammenhang beider
Zellarten erkennbar ist. An einem Embryo von 27 mm, bei wel-
Archiv f. mikrosk. Anat Bd. 38 32
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496 HansRabl:
ehern eben die erete Andeutung des Synipathicus erscheint, hängt
die Nebenniere am proximalen Tlieil noch mit dem Peritoneal-
epithel und der Geschlechtsleiste zusammen; sie liegt vor der
Aorta und reicht kopfwärt.s weiter als der MüUer'scbe Gang.
Bei einem nur wenig älteren Schweinsembryo ist der Zusanimeu-
hang mit dem Peritonealepithel schon geschwunden, jener mit
der Geschlechtsleiste in Folge zahlreicher dazwischen geschobe-
ner Blutgefässe nur mehr schwach erhalten. Später wird die
Nebenniere von der Geschlechtsdrüse entsprechend ihrer endgil-
tigen Lage gänzlich getrennt. %
Zu ähnlichen Resultaten gelangte v. Mihälcovics (15).
der in einer sehr ausführlichen Arbeit sowohl Sauropsiden ak
Säugethiere in den Bereich seiner Untersuchungen zog. Nur fin-
det er, dass sich die Nebenniere bei den höheren Amnioten nicht in
grösserer Ausdehnung, sondern an circumscripter Stelle am proxi-
malen Ende der Geschlechtsleiste aus dem Keimepithel entwickeh.
Bei Reptilien dagegen greift ihre Anlage auch noch auf den
oberen 3. oder 4. Theil derselben über. Der Zusammenhang
zwischen Nebennierenzellen und Zellen der Keimdrüse (Sexual-
stränge) ist kein directer, wie er von W e 1 d o n angegeben wurde,
sondern wird nur dadurch bedingt, dass beide Gebilde dem Keim-
epithel entstammen, indem die Nebennierensubstanz direct als
Einwucherung, die Sexualstränge hingegen secundär als Abkömm-
linge der aus dem Keimepithel ins Mesoderm eingewanderten
grossen Geschlechtszellen angelegt werden.
Durch die mannigfachen Differenzen angeregt, welche sich
unter den Forschei-n bei Beobachtung der Entwicklung dieser
Organe ergeben hatten, unternahm es Janosik (16) nochmals,
»eine Serien von Säugethierembiyonen und diesmal auch von
Vögeln, welche ihm zur Beantwortung der gestellten Frage noch
geeigneter scheinen als die ersteren, durchzumustern. Eine Abstam-
mung der Nebennieren von den Kapseln der Malpighi'schen
Krirperchen konnte er in keinem Stadium, ebensawenig wie
V. Mihälcovics nachweisen. lieber die Stelle, von welcher
der erste Anfang der Nebenniere ausgeht, nmsste er seine frühere
Ansicht aufrechterhalten, nämlich: ^Die erste Nebennierenanlage
erscheint hier als eine leichte Hervorragung an der medialen
Seite des Wolffschen Körpers und zwar ganz dorsal gelegen,
dicht jener Stelle anliegend, von welcher das Mesenterium abgeht."
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Die Entwicklung und Structur der Nebennieren bei den Vögeln. 497
Zu Resultaten, welche denen J a n o 5 i k's ganz nahe stehen,
ist endlich Valenti (17) gelangt. Die Nebenniere erscheint
nach ihm beim Hühnchen bei der 97. Brütstunde als Vorbuch-
tnng des Peritonealepithels in der Höhe der Grenze zwischen
oberem und mittleren Drittel des Wolffschen Ganges. Es treten
dort 2 Prominenzen auf, von denen die laterale, der ürniere an-
liegende, die Keimleiste, die mediale, die Anlage der Nebenniere
darstellt. Die Zellen, welche diese Leiste bilden, sind rund,
dicht gedrängt, mit hellem Protoplasma, deutlichem Kern und
in lebhaftester Theilung begriffen. Mit fortschreitender Entwick-
lung schnüren sich diese Zellenmassen vom Coelom-Epithel ab,
nehmen rundliche Formen an und treten in immer engere Be-
ziehungen zu den Wandungen der M a 1 p i g h i 'sehen Körperchen.
Einen genetischen Zusammenhang konnte er zwischen diesen bei-
den Bildungen jedoch nicht erkennen. Ganz dieselben Verhält-
nisse, welche Valenti beim Hühnchen beschreibt, sollen nach
Masamaro Inaba (2ö) auch bei der Maus vorliegen. Dieser
Autor findet daselbst das Nebennierenblastem am 11. Tag un-
mittelbar neben dem für die Geschlechtsdrüse, im Winkel des
Mesenteriums. Es verschmilzt in seinem obersten Theil mit dem
Keimdrüsenblastem, weiter distal dagegen trennt ein bindegewe-
biges Septum beide Organanlagen, welche in gleicher Weise
als Producte des Bauchhöhlenepithels aufgefasst werden.
So wie die Nebenniere der Amnioten soll' auch die der
Selachier nach den neuesten Untersuchungen aus dem Coelom-
epithel stammen, v. Wijhe (18) findet, dass der Interrenal-
körper als Product des Peritonealepithels über der Radix Mesen-
terii auftrete, die paarigen, segmentalen jguprareualkörper dagegen
sich als drüsige Partie von dem eigentlich nervösen Abschnitt
des sympatischen Ganglion abscheiden, so gerne er a priori eine
Betheiligung der Mesomeres angenommen hätte. Es scheint da-
durch im Hinblick auf die eben citirten Arbeiten von Janosik,
Mihälcovics und Valenti die von Balfour (6) angenommene
Homologie zwischen Interrcnalkörper der Selachier und Rinden-
substanz der Nebenniere der Amnioten neu befestigt, nachdem
sich jenes Fundament, auf welches Balfour zuerst seinen Aus-
spruch gegründet hatte (bindegewebiger Ursprung von Rinden-
substauz (Reptilien, Braun) und Interrcnalkörper (Balfour),
als unhaltbar erwiesen hatte.
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498 HansRabl:
Von grosser Wichtigkeit für die ganze Auffassung der Ne-
benniere endlich sind die Befunde, welche Semon(19) an Lar-
ven von Ichthyophis glutinosus gemacht hat. Sie lassen die
Nebenniere plötzlich in ganz anderem Lichte erscheinen und fäh-
ren sie unserem Verständniss durch die merkwürdige Stellung,
welche sie nach diesen Untersuchungen bei den Wirbelthieren
besässe, um ein Bedeutendes näher. Es scheint nämlich, dass
sich hier das Epithel des Malpighi'schen KOrperchens der Vor-
niere in die Nebennierenstränge umbildet, während einerseits die
zuführenden Geßlsse, andererseits die Kanälchen sammt den zu-
gehörigen Innen- und Aussentrichtern zu Grunde gehen. Leider
stand S e m o n nicht eine genügende Anzahl von Serien zur Ver-
fügung, um den genauen Uebergang von Vomiere in Nebenniere
verfolgen zu können. Durch Vergleich der Bilder, welche Em-
bryonen von 35, 65 und 100 mm Länge lieferten, Hessen sich
jedoch 2 merkwürdige Thatsachen erkennen: 1. Dass functio-
nireude Vomiere in Nebenniere übergeht, weil man die Neben-
niere genau als Fortsetzung des in mehrere Zipfel gespaltenen
Malpighi'schen Körperchens der Vorniere gelegen findet, die
Schläuche häufig noch Lumina zeigen, das Epithel täuschend
dem Knäuelepithel des Malpighi'schen Körperchens gleicht,
endlich das ganze Organ segmentale Anschwellungen, entspre-
chend den Malpighi'schen Körperchen der üraiere besitzt.
2. dass diese Metamorphose an der distal gelegenen Region beginnt
und kopfwärts fortschreitet. S e m o n fasst die Ergebnisse seiner
Untersuchungen folgendemiaassen zusammen : Ichthyophis demon-
strirt uns so zu sagen ad oculos, dass die inten-enale Nebenniere
nichts anders ist, als d^r distale, umgebildete Leibeshöhlenab-
schnitt des Malpighi'schen Körperchens der Vomiere ....
Als Product des Malpighi'schen Körperchens ist sie ebenfalls
eine paarige Bildung, die bei Selachiem allerdings bald seeundär
uni)aar wird, bei Ichthyophis ab und zu Neigung zum Zusam-
menfliessen zeigt, aber hier, wie im allgemeinen bei Amphibien
und Amnioten, als dauernd paarige Bildung zu bezeichnen ist.
Aus den vorstehenden Literaturaugaben geht hervor, dass
jeder nachfolgende Untersucher vor allem auf zwei Punkte seine
Aufmerksamkeit richten musste: Auf das Malpighi'sche Körper-
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Die Entwicklung und Structur der Nebennieren bei den Vögeln. 499
eben der Urniere und auf das Keimepithel. Es handelt sich
hier darum: 1) in welcher Nachbarschaft erscheinen die Neben-
nierenstränge zuerst?
2) Mit welchem der beiden Gebilde stehen sie in innigem
Zusammenhang, von welchem lassen sie sich hingegen scharf ab-
grenzen?
Ich habe mich bei meinen Untersuchungen ausschliesslich
auf Hühnerembryonen beschränkt, die ich zum grössten Theil im
Laufe des Wintere 1890/91 im Brütofen bei 38^0. erhalten hatte.
Nur die im Sommer 1890 gesammelten Eier konnte ich sofort
einer Henne unterlegen.
Zur Härtung bediente ich mich des gebräuchlichen Subli-
mat-Picrinsäure- Gemisches nach Angabe Prof. RabTs. Die
Stücke wurden darin durch ca. 24 Stunden fixirt, dann in
Wasser kurz abgespült und in Alkohol von nur allmälig stei-
gender Conccntration nachgehärtet. Die Färbung geschah in toto
in dem von Czokor empfohlenen Cochenille- Alaun.
In Bezug auf das Alter vertheilt sich das Material in fol-
gender Weise. Ich untersuchte:
Embryonen von der 2. Hälfte des 3. Tages 7
vom 4. Tag 6
„ Anfang des . . 5. Tages 4
„ Ende „ . . 5. „ 1
6. Tag 2
7. . 1
n "• n ^
16. „ 1
Die einzelnen Embryonen vom 3., 4. und 5. Tag waren
aus dem Brütofen, respective der Henne in Zwischenräumen von
1 — 4 Stunden weggenommen worden, sodass ich ein ziemlich
vollständiges Bild der Entwicklung des Hühnchens in jenem
Alter gewinnen konnte.
üeber die Zeit des ersten Auftretens der Nebennieren lau-
ten die neueren Angaben der Autoren ziemlich übereinstimmend:
sie werden zwischen 4. und 5. Tag zuerst gesehen.
Ich finde sie durchgchends schon im Beginn des 4. Tages.
Es sind Zusammenlagerungen von Zellen, welche durch die
Grösse ihres Zellleibes, ihre abgerundeten Contouren und ihre
grössere Tinctionsßlhigkeit sehr deutlich vom umliegenden 6e-
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500 H a n s R a b l :
webe unterscheidbar sind. Es sind das offenbar dieselben Stränge,
welche bisher zum Theil als Mark-, Segmental- oder Sexnalstränge
beschrieben worden waren.
Diese Bezeichnungen hingen mit der Ansicht zusammen,
dass sie Bausteine ftlr 2 Organe enthielten: för die Nebenniere
und für die Keimdrtise. Da ich aber der Meinung bin, dass
diese erste Generation von Strängen ausschliesslich zum Aufbau
der Nebennierensubstanz .verwendet werde, will ich auch von
diesen Bezeichnungen Abstand nehmen.
Durchmustert man eine Serie eines ca. 76 Stunden alten
Embryos, so triflft man das proximale Ende der Nebenniere
Vs mm hinter dem letzten freien Glomerulus der Vomiere. Sie
liegt vollkommen frei im Mesodermgewebe, ventral und medial
von der ürniere, nahe jenem Winkel, welchen diese mit der ver-
breiterten Wurzel des Mesenteriums bildet. (Figur 5, Nns.) Von
Ureiern im Bauchhöhlenepithel, sowie von einer als Keimleiste zu
deutenden Prominenz ist an dieser Stelle noch nichts zu sehen;
beide Bildungen erscheinen erst weiter distal. Das Keimepithel
ist zweischichtig, das Mesodermgewebe unter demselben zeigt
deutliche Proliferation. Die Nebennierenstränge liegen auch dort,
entsprechend der Kleinheit der Region, zwar in grosser Nähe des
Bauchhöhlenepithels wie der Malpighi'schen Körperchen, sind aber
tiberall deutlich von diesen Gebilden getrennt. An manchen Stellen
findet man sie dem Bauchhöhlenepithel allerdings ganz janliegend,
doch kann man immer noch eine feine dazwischen laufende Grenz-
linie des Coelom-Epithels erkennen. Die Nebenniere reicht di-
stalwärts etwas über den Abgang der Arteriae omphalo-meseraicae
hinaus, bleibt aber nach dieser Richtung hin in ihrer Ausdehnung
hinter der Länge der Keimleiste etwas zurück. Die Malpighi-
schen Körperchen sind an diesem Embryo schon vollkommen
entwickelt, die Stränge liegen ihnen zwar an manchen Schnitten
ganz dicht an, ein üebergang des Kapselepithels in dieselben ist
jedoch nirgends zu beobachten. Ich kann mich hier nur an
Mihälcovics anschliessen, „dass man bei genauem Zusehen
stets eine Grenze zwischen Zapfen und Umierenkanälchen, resp.
Kapseln wahrnehmen könne".
An einem, um 3 Stunden älteren Embryo (ca. 79 Stun-
den) sind die Verhältnisse wesentlich die gleichen. Ich theile
von demselben ein Bild mit (Fig. 6), wie es ganz der Auffassung
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Die Entwicklung" und Structur der Nebennieren bei den Vögeln. 501
jener Autoren entspricht, die eine Einwucherung des Coelom-
epitbels in Form von Strängen annehmen. Es ist dies das ein-
zige Präparat unter zahlreichen, durchsuchten Serien, auf dem
ein so inniger Contact zwischen Nebennierensubstanz und Coe-
lomepitbel vorliegt; ausserdem kann man am vorhergehenden,
wie am nachfolgenden Schnitte die erwähnte feine Grenzlinie
ganz gut erkennen. Ich glaube es also nur dem Zufall, dass
dieser Schnitt ausnahmsweise dünn ausgefallen ist, zuschreiben
zu mtlssen, dass eine solche hier fehlt. Der Nebennierenstrang
(Nns) liegt hier jenem Winkel an, welchen der Wolflf'sche Kör-
per mit der eben auftretenden, aber noch sehr flachen Geschlechts-
leiste bildet. Er ist hier ausserordentlich wenig ausgesprochen,
erscheint jedoch an Schnitten, welche durch den proximalen Theil
der ümiere gehen, als tiefe Einbuchtung.
Ich glaube durch Beschreibung dieser 2 Stadien, in wel-
chen zuert solide Stränge, die als Nebenniere gedeutet werden
mtlssen, auftreten, nachgewiesen zu haben, dass eine Herkunft
derselben von der Umiere sowohl als vom Coelomepithel ausge-
schlossen werden muss.
Wo hat man somit ihre Quelle zu suchen?
um darüber ins Klare zu kommen, war es selbstveretänd-
lich noth wendig, auf noch jüngere Embryonen zurückzugreifen.
Bei Hühnchen zwischen der 60. und 70. Brütstunde waren
mir ^viederholt in der Umierengegend unter dem Coelomepithel
Querschnitte von Kanälen aufgefallen, welche ich anfangs für
Kanälchen des WolflF'schen Körpers nahm, die sich aber durch
ihre Lage insofern auszeichneten, als sie jenem Winkel anlagen,
welchen die in die Bauchhöhle prominirende ümiere mit der
verbreiterten Ansatzstelle des Mesenteriums bildet. Bei genauerer
Untersuchung findet man, dass ein derartiger Kanal nach allen
Richtungen hin völlig abgeschlossen ist, insbesondere mit den
Umierenkanälcljen oder dem WolflF'schen Gang durchaus nicht
commonicirt. Er ei-scheint auf 1 — 5 Schnitten (jeder Schnitt
~ ^/75 mm), beitzt im Allgemeinen einen kreisrunden Querschnitt
und ein ziemlich weites 'Lumen, häufig findet man ihn auch
gegen den Wolfi"schen Gang zu verlängert, zwischen Anlage
des Malpighi'schen Körperchens und Keimepithel sich hinschie-
bend, ohne jedoch den Wolflf 'sehen Gang zu eiTcichen. Wäh-
rend dieser Kanal auf den meisten Präparaten in der geschilder-
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502 Hans Rabl:
ten Weise ein allseitig geschlossenes Rohr darstellt (vgl, Fig. 2
bis 4 V. K.), findet man ihn an den jüngsten Embryonen, bei
welchen er vorhanden ist, in offener Communication mit der Bauch-
höhle (Fig. 1 V. K.). Er muss somit als Einstülpung des Peri-
toneal-Epithels aufgefasst werden, welche sich aber wieder rasch
abschnürt, und noch durch kurze Zeit als Bläschen persistirt, bevor
sie eine weitere Metamorphose eingeht.
Die Kanälchen erscheinen an sieben untersuchten Embryo-
nen von annähernd gleichem Alter immer an derselben Stelle.
Als zufällige Faltenbildung im Wolff sehen Körper können sie
deshalb nicht betrachtet werden.
Sie liegen in der proximalen Hälfte desselben. Ihre Zahl
schwankt entsprechend ihrem raschen Auftreten und ebenso raschen
Verschwinden ziemlich bedeutend. Man findet ungleiche Anzahl
derselben sowohl bei Embiyonen, deren Alter nur um wenige
Stunden diflferirt, als auch auf den beiden Seiten eines und des-
selben Embryos. Ob auf jedes Körpersegment nur 1 Kanälchen
entfällt, oder ob unter Umständen 2 in einem auftreten können,
wage ich nicht mit Bestimmtheit zu entscheiden. Da sie, abge-
sehen von ihrem Wachsthum, in ventro-dorsaler Richtung auch
ein Längenwachsthum besitzen, ist die Annahme berechtigt, dass
eine Obliteration ihres Lumens unter Umständen auch an einer
solchen Stelle ihres Verlaufes ei*scheinen kann, welche den schon
früher von der Peritonealhöhle abgeschnürten Kanal in zwei
kleinere Bläschen theilt. Dadurch wäre das vereinzelte Vorkom-
men zweier, unmittelbar einander folgender, aber dennoch ge-
trennter Kanälchen innerhalb eines Segmentes erklärt. Die grösste
Zahl, welche ich auf einer Seite beobachtet habe, betrug 8.
Da die Kanälchen niemals mit der Umiere in Contact treten,
kann man sie auch nicht zu ihr in genetische Beziehung bringen.
Dagegen scheint ihre Lage einen Fingerzeig in Betreff ihrer Be-
deutung zu geben.
Untersucht man die Vomierengegend von Embryonen von
ca. 60 Stunden, so findet man genau an jener Stelle, in welcher
weiter distal die fraglichen Einbuchtungen des Peritoneums auf-
treten, die Vomierenkanälchen. Es sind offene Trichter, welche
von der Bauchhöhle in den Wolff 'sehen Gang führen, in deren
mediale Wand ein Glomerulus eingestülpt ist. Gewöhnlich ragt
ein Theil desselben frei in die Leibeshöhle, während sich der
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Die Entwicklung und Structur der Nebennieren bei den Vögeln. 503
andere schon in einer Anfiweitnng des Kanales ausbreitet, welche
vollkommen den Bau einer B o w m a «'sehen Kapsel zeigt. Manch-
mal ist der freie, das andere Mal der abgeschnürte Theil des
„gemischten* Knäuels" der grössere. Dem entsprechend erscheint
in dem letzteren Falle der freie Theil als vorgefallener Zipfel des
inneren, während der erstere den üebergang zu den vollkommen
freien Glomerulis, wie sie gewöhnlich erst nach Schwund des
Kanälchens auftreten, bildet.
Durch die Untersuchungen von Rttckert (20) und v. Wijhe
an den Selachiem ist festgestellt, dass die Vomiere und die ür-
niere, so homolog sie sich ihrem Baue nach verhalten, in ihrer
Entwicklung vollkommen von einander abweichen. Die Vornie-
renkanälchen entwickeln sich bei den Knorpelfischen aus dem
Hypomer als segmentale Ausstülpungen der Somatopleura. Das-
selbe geben Ho ff mann fttr die Reptilien und Mol Her (21) für
die Amphibien an^).
Ich glaube darum nicht fehl zu gehen, wenn ich die be-
sprochenen Kanäle in der ürnierengegend, welche sich in Bezug
auf Entstehung und Lage mit den sich früher entwickelnden
Kanälen des Pronephros decken, als einen rudimentären, distalen
Abschnitt des Pronephros auffasse.
Er erscheint erst, wenn die Glomeruli des proximalen Pro-
nephros entwickelt sind.
Bekanntlich geht — wie Sedgwick gezeigt hat — der
proximale Abschnitt des Pronephros bei denjenigen Thieren, welche
kein oder nur ein ganz kurzes Larvenstadium besitzen, rasch wie-
der zu Grunde. Die freien Glomenili, welche die letzten Theile
desselben sind, die angelegt werden, persistiren auch am läng-
sten. Mihälcovics giebt an, dass dieselben bei Vögeln bis
1) Felix (22) deutet segmentale Ausstülpungen des Urwirbels
als Anlage der Vornierenkanälchen bei den Vögeln. Ihr Ausgangs-
punkt ist der Theil des Ursegnientes, der unmittelbar an die Seitenplatten
anstösst. In einer demnächst erscheinenden Arbeit haben wir eine
ausführlichere Beschreibung dieses interessanten Fundes zu erwarten.
Ich glaube einstweilen diese Beobachtung neben die von Ho ff mann
an Reptilien gemachte stellen zu müssen, wonach bei diesen die Vor-
nierenkanälchen zu einer Zeit entstehen, in der der Urwirbel mit der
unsegmentirten Leibeshöhle noch connnunicirt; sie schnüren sich dann
zuerst von letzterer ab, bleiben jedoch mit dem Urwirbel noch in
offener Verbindung.
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504 Hans Rah 1:
zum 7. Tage sichtbar wären. Die Kanälchen hingegen beginnen
ihre regressive Metamorphose schon im Verlauf des dritten Tages.
Sie zerfallen in unregelmässige Haufen und Stränge, der
Ausführungsgang ist nur mehr stückweise erhalten und an wenig
älteren Embryonen sind auch die letzten Reste der Kanälchen
gänzlich geschwunden.
Anders verhalten sich die distalen Kanälchen.
An den jüngsten derselben setzt sich das Peritonealepithel
als einfache Lage cubischer, stark gefärbter Zellen in dieselben
fort, ohne seinen Character zu ändern. Während nun die proxi-
malen Kanälchen des eigentlichen Pronephros bei beginnender
Atrophie in ihrer ganzen Ausdehnung das Lumen verlieren und
sich in einzelne Zellcomplexe auflösen, die rasch verschwinden,
schnüren sich — wie schon erwähnt — die distalen Kanälchen
vom Epithel ab, während sich ihr Lumen erweitert, sodass all-
seitig geschlossene Bläschen gebildet werden. Bevor aber die
Obliteration derselben eintritt, beginnen schon die Zellen sich zn
vermehren. Man kann Kemtheilungen in denselben wahrnehmen
und findet einzelne Zellen im Mesodermgewebe, in nächster Nähe
der Kanälchen, welche ganz dasselbe Aussehen zeigen, wie die-
jenigen, welche den Kanal selbst auskleiden. Sie sind wohl durch
Sprossenbildung aus dem abgeschnürten Kanal entstanden. Die
Obliteration beginnt nahezu regelmässig an der dem Peritoneal-
Epithel zugewendeten Spitze, indem dort die Zellen einander ent-
gegenrücken und mit der ursprünglich freien Seite verkleben.
Man findet somit im folgenden Stadium nur mehr einen 2 — 3
Zellen breiten Strang unter dem Coelomepithel und hiervon
gleichsam abgesprengte Epithehlzellenhaufen , welche nnregel-
mässig zerstreut sind und ein Bild geben, wie es ein Embryo
zwischen 70. und 80. Brütstunde liefert, von dem wir bei unserer
Betrachtung ausgegangen sind.
Wie man sieht, stehen diese Beobachtungen in vollstem
Einklang mit den Befunden, welche S e m o n bei Ichthyophis fest-
gestellt hatte. Bei den Vögeln, wie bei den Amphibien ist es
der distale Theil des Pronephros, der sich in Nebennierensubstanz
umbildet. S e m o n legt allerdings ein Gewicht darauf, dass sich
dieselben bei den Coeeilien aus dem M a 1 p i g h i'schen Körper-
chen der Vorniere entwickelt, während es im distalen Theil der
Vomiere bei den Vögeln gar nicht bis zur Bildung eines solchen
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Die Entwicklung" und Structur der Nebennieren bei den Vögeln. 505
kommt. Ich glaube aber, die abgeschnürten Kanälchen daselbst
ohne Bedenken der Kapsel des Vornierenglomus bei den Amphi-
bien homologisiren zu können, weil beides Producte des Leibes-
höhlenepithels sind. Ausserdem besitzen die proximalen Kanäl-
chen, in deren mödiale Wand nahe der PeritonealöflFnung ein
Blutgefässknäuel eingestülpt ist, denselben Bau wie die distalen,
sodass man auch diesen die Eignung zuschreiben muss, unter
gleichen Verhältnissen die Structur einer B o w m a naschen Kapsel
anzunehmen.
Ich glaube, dass S e m o n durch seine Befunde an Ichthyo-
phis von seiner ureprünglichen Meinung, der Abstammung der
Nebennierenstränge von der ümiere, zurückgekommen ist. Wenn
man dieselben für umgebildete Vorniere hält, ist es nicht mög-
lich, eine Entwicklung derselben (i. e. der Vomiere) aus der ür-
niere anzunehmen.
Die Anlagerung der Nebennierenstränge an die Kapseln der
Malpighi'schen Körperchen halte ich für eine durchaus zu-
fallige, durch die Topographie dieser Region bedingte. Wenn
sie eine genetische Bedeutung besässe, müsste sie von Anfang an
vorhanden sein und nicht erst secundär auftreten. Die platten,
eng ineinander greifenden Zellen der Bowraan'schen Kapsel
bilden wie die Endothelien der Gefösse eine gewisse Stütze für*
die Zellen ihrer Umgebung, sodass sich diese ihrer ganzen Breite
nach an dieselben anlegen. Ein ähnliches Verhalten kann man
auch bei der Anlage des Visceralplexus des Sympathicus beob-
achten, der gleichfalls in directen Contact mit dem Malpighi-
schen Körperchen tritt, wenn er in den schmalen Raum zwischen
Aorta und ümiere eindringt.
Kehren wir nach dieser kurzen Abschweifung wieder zur
Nebenniere zurück, so finden wir, dass die Epithelzapfen am Ende
des 4. Tages dorsalwärts immer tiefer in das Mesodermgewebe
zwischen Aorta und ümiere einwachsen, wobei die räumlichen
Beziehungen derselben zu den Kapseln der Malpighi'schen
Körperchen immer innigere werden. Eine Anlagerang existii-t,
solange die M a 1 p i g h i'schen Körperchen der ümiere vorhanden
sind. Da Semon in letzteren auch die Quelle für die Zellen
der Hodenkanälchen sieht, nimmt er auch an, dass die Mal-
pighi'schen Körperchen während des ganzen Embryonallebens
dieselben produciren, weil die „Segmentalstränge" gleichfalls mit
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506 Hfliis Rabl:
den Malpighi'schen KOrperchen in dauerndem Zusammenhang'
bleiben. Doch kann ich eine Abstammung der letzteren von ihnen
ebenso wenig annehmen, als ich sie für die Nebenniere glaube.
Es würde die Grenzen dieser Arbeit überschreiten, wollte
ich hier auf die Entwicklung der Geschlechtsdrüsen eingeben.
Doch scheint es mir mehr als wahrscheinlich, dass die Stroma-
zellen der Keimdrüse vom Peritonealepithel herstammen und in
breiter Masse die Keimleiste infiltriren, wie dies Nagel (22) ftlr
den Menschen beschreibt. Abgesehen von der Bestimmtheit, mit
der man die Betheiligung eines jeden anderen Gewebes dabei
ausschliessen kann, sprechen hierfür einerseits das Vorkommen
von 1 — 2 Zellen breiten Vorbuch tungen des Keimepithels gegen
die Drüse zu, welche zu Abschnürung einzelner Zellen führen
dürften, andererseits Kemtheilungsfiguren, bei welchen der eine
Tochterknäuel im Keimepithel, der andere schon unter demselben
gelegen ist. An den üreiern hat man ja schon lang gekannte
Beispiele von der Einwanderung einzelner Zellen oder Zellnester
(üreiernester, Semper) aus dem Epithel ins Bindegewebe:
ein Typus, welchem auch die einfachen Peritonealzellen folgen
dürften.
Die Nebenniere reicht mit ihrer Spitze über das proximale
Ende der Keimdrüse hinaus und ist vom Epithel schon vollstän-
dig getrennt (Fig. 7. Nns.). Weiter nach abwärts triflFt man die
Geschlechtsleiste, gleichmässig von epithelialen Zellen erfüllt
(Fig. 8. K.), dorsal davon die Nebennierenstränge (Nns.). Sie
liegen anfangs den Zellen der Keimdrüse sehr nahe an, und es
ist deshalb ziemlich schwierig, hier eine Grenze zu ziehen. Einen
Unterschied zwischen beiden Organen kann man nur in dem
Punkt sehen, dass die Zellen der Nebenniere eng an einander
gelagert und scharf von dem umgebenden Gewebe getrennt sind,
während man, wie dies auch Janosik angibt, bei der Keim-
drüse einen allmählichen üebergang ihrer Zellen in das um-
gebende Mesodermgewebe wahrnehmen kann, und ein deutlicher
Grenzcontour in Folge der lockeren BeschaflFenheit ihres Gewebes,
dessen epitheliale Bestandtheile noch nicht zu Strängen geordnet
erscheinen, fehlt.
An der Basis der Geschlechtsdrüse finden sich vom 4. Tage
an weite Blutgefässe, welche die Nebenniere von der Keimdrüse
abzudrängen beginnen. Indem der Stiel der letzteren im Ver-
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Die Entwicklung" und Structur der Nebennieren bei den Vögeln. 507
gleich zur bedeutenden Volnmszunahme der Drüse im Wacbsthum
zurückbleibt, und dieselbe dadurch in. den Bauchraum herausge-
rückt wird, sowie durch Zunahme des Bindegewebes an der Basis
wird die Nebenniere im Verlauf des 6. und 7. Tages endgiltig
von der Genitaldrüse getrennt. Während sie ursprünglich aus
Strängen und Haufen bestand, welche keine bestimmte Structur
zeigen, ordnen sich nun die Zellen in den Strängen regelmässiger
zusammen, das Bindegewebe wird durch Neubildung von Epithel-
zellen verdrängt und in die Lücken zwischen den Nebennieren-
strängen dringen Capillaren ein.
Es hat dadurch die Nebenniere ein Aussehen erlangt, wie
es mit geringer Modificatiou dem ausgebildeten Organ eigen ist,
mit Ausnahme dessen, dass man nur einerlei Zellen darin findet,
indem die Marksubstanz noch fehlt.
Die Marksubstanz der Nebennieren wird bekanntlich vom
Sympathicus abgeleitet. Es haben dies Balfour, v. Wijhc
für die SelacBier, Braun, dem sich Weldou und Hoff-
mann anschlössen, für die Reptilien, Mitsukuri und Masa-
raaro Inaba für die Säugethiere nachgewiesen.
Hiervon abweichende Angaben machten v. Brunn, der ein
bindegewebiges Blastem als Quelle der Marksubstanz annahm,
Semper (23), welcher die von Balfour später der Marksub-
stanz homologisirten Suprarenalkörper sich aus dem Mesoderm
entwickeln Hess, endlich J a n o g i k und V a I e n t i , welche sie
von der gleichen Epithelanlange wie die Rindensubstanz ab-
leiteten.
Einen ganz abweichenden Standpunkt nimmt G ottschau
ein, der bei Säugethieren zeitlebens eine Umwandlung der Rin-
denzellen in MarkzeUen und Zerfall der letzteren annehmen zu
müssen glaubt. Diese Hypothese ist jedoch durch die Unter-
suchungen von C a n a 1 i s (24) hinfallig geworden, dem zu Folge
Kemtbeilungen in der Marksubstanz existiren. Ich kann diese
Beobachtungen für Säugethiere (junge Maus) und Vögel (Hühn-
chen) bestätigen.
Die Untersuchung über die Herkunft der Marksubstanz ist
wohl eine der schwierigsten Fragen der Embryologie. Sie hängt
innig mit der Entwicklung des sympathischen Nervensystems zu-
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508 Hans Rah l:
sammeu, welche zwar seit Onody (25) in grossen Zügen be-
kannt, in ihren Details jedoch noch lange nicht aufgehellt ist*).
Der Sympathicus erscheint in der Gegend • der Nebenniere
sehr bald nach dem Auftreten der Stränge. Man findet an Em-
bryonen vom Beginn des 4. Tages lateral von der Aorta, an
Querschnitten in gleicher Linie mit ihrer dorsalen Peripherie einen
Zellhaufen, der sich durch die dichtere Lagerung seiner Kerne
vom Mesodermgewebe abhebt; es idt dies die Anlage des sym-
pathischen Ganglions. Von ihm aus ziehen ventralwärts, entlang
der Aorta Zellstreifen, die häufig in weiten Lücken des Meso-
dermgewebes liegen und bis in die Gegend des Malpighi*schen
Körperchens der üniiere reichen.
Die Zellen besitzen im Allgemeinen eine Stemform; ihre
Kerne sind etwas chromatinreicher als die des Bindegewebes. Sie
vennehren sich rasch und bilden bei älteren Embryonen einen ge-
schlossenen Bogen rings um die Aorta.
Bei ihrem, in ventraler Richtung fortschreitenden Wacbs-
thum gelangen sie schon gegen Ende des 4. Tages in unmittel-
bare Nachbarschaft zur Nebenniere, sodass es an manchen Schnit-
ten sehr schwer ist, die einzelnen, dunkler tingirten Zellhaufen
zu differenziren. Es ist dies jenes Stadium, von welchem Ja-
n 0 s i k sagt, dass hiebei leicht die Vermuthung auftauchen könnte,
dass sich das Nervensystem bei der Entwicklung der Nebenniere
betheilige. Diese enge Aneinanderlagerung von epithelialem Theil
der Nebenniere und Nervenzellen bleibt von nun an bestehen. Die
Nervenzellen beginnen am Ende des 6. Tages in ihrem Character
deutlicher hervorzutreten, indem sich bei einigen von ihnen die
Kenie vergrössern. Bläschenform erhalten und ein deutliches Kern-
ig Ich kann die Angaben von Onody in Bezug auf die Ent-
wicklung des Sympathicus, soweit ich sie zu verfolgen Gelegenheit
hatte^ in allen Punkten nur bestätigen und glaube speciell His (Histo-
genese und Zusammenhang der Nervenelemente, Referat in der anat.
Sectiqn des internat. medic. Congresses zu Berlin, Sitzung vo^i 7. Aug.
1890) gegenüber betonen zu müssen, dass die Rami communicalktes bei
den Vögeln erst nach den Ganglien des Grenzstranges erscheinen, also
die Zellen'Jdesselben nicht entlang den Nervenfasern hinüber gewan-
dert sein können. Auch in Bezug auf die Entwicklung des Viscferal-
plexus stimme ich vollkommen mit Onody überein und wiU mich da-
her nur so kurz fassen, als es zur ErkUlning der Entstehung der
Marksubstanz nöthig; ist.
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Die Entwicklung und Struetur der Nebennieren bei den Vögeln. 50d
körperchen entwickeln. Die kleinsten als Ganglien erkenntlichen
Zellen besitzen einen Kein von 7 in Durchmesser.
Dieser Entwicklungsprocess vollzieht sich nicht bei allen
Zellen zu gleicher Zeit, imtier trifft man solche mit kleinen run-
den, ovalen oder polygonalen Kernen von 4 ^ Durchmesser, die
sich in Cochenille-Alaun stark färben, mit den echten Ganglien-
zellen zusammengelagert sind und welche jenen Zellen gleichen,
aus denen, entsprechend ihrer Lage, die echten Ganglienzellen
hervorgegangen sein müssen.
Noch am 9. Tage finde ich das Ganglion des Grenzstran-
ges des Sympathicus zum grossen Theil aus solchen Zellen zu-
sammengesetzt, während daneben schon echte Ganglienzellen,
deren Kern bis zu einer Grösse von 11 ^ unterdessen angewach-
sen ist, sichtbar sind.
Der Remak'sche Geschlechtsnerv tritt durch dasselbe hin-
durch und zieht in horizontaler Ebene in medialer Richtung nach
vom, wo er lateral von der Aorta zu einem neuen zellrcichen
Ganglion anschwillt. Dieses liegt in breiter Masse medial unmittel-
bar der Nebenniere an (Fig. 9, S. G.), liefert jedoch Abzwei-
gnugen, welche sich auch auf ihre dorsale Seite erstrecken. Diese
Zellanhäufung dürfte theils durch Theilung der zuerst eingewander-
ten Zellen (worauf auch die grosse Zahl karyokinetischer Figuren
in derselben hindeutet), theils durch fortwährenden Zuzug von
Seite der Zellen des Ganglions des sympathischen Grenzstranges
entstanden sein, da man einen continuirlichen Zellstreifen von
ihm bis zur Nebenniere wahrnehmen kann.
Bei einem Embryo von 16 Tagen prominirt die Nebenniere
noch nicht in die Leibeshöhle, es geschieht dies erst, wenn die
Umiere atrophirt ist. Sie grenzt lateral an die ürniere, medial
an Nervensubstanz, zwischen ihr und der Wirbelsäule schiebt
sich der proximalste Theil der bleibenden Niere ein.
Die Zahl der Stränge am Querschnitt hat sich vermehrt,
offenbar eine Folge der durch die Vermehrung ihrer Elemente
bedingten Schlängelung derselben. Das grosse Ganglion zwi-
schen Nebenniere und Aorta ist vollkommen entwickelt, doch
findet man gerade in seinem lateralen Theil, welcher unmittel-
bar an die Nebenniere angrenzt, eine reichliche Anhäufung jener
Zellen, welche ich bisher als embrj'onale Ganglienzellen gedeutet
habe. Von dieser Stelle ausgehend ziehen sie sich zwischen der
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510 H a n s R a b 1 :
epithelialen Masse und der Kapsel sowohl an der medialen^ als
an der doi-salen Seite hin (Fig. 11, Z.) und schieben sich an man-
chen Punkten auch schon zwischen die oberflächlichsten Strände
ein. Ihre Kerne sind ziemlich gross, lin eine blass grau-gelbliche,
feine gestreifte Grundsubstanz eingelagert und zeigen ein deut-
liches Gerüst. Von bestimmten Zellgrenzen kann man nichts
wahrnehmen.
Manchmal erscheinen sie auch in Begleitung von Nerven-
fasern, die gleichsfalls ihren Weg zwischen den Strängen suchen.
Hier und da liegt auch eine Ganglienzelle unter sie eingestreut.
An einem Taubenembryo von 18 Tagen liegen die Ver-
hältnisse ebenso, indem auch hier die Nebenniere aus epithelia-
len Strängen besteht, zwischen welchen sich weite Blutcapil-
laren verzweigen und nur an der Peripherie Nervensubstanz
angelagert ist. An den Strängen lässt sich häufig schon eine regel-
mässige Anordnung der Zellen nachweisen, indem sie im Längs-
schnitt zwei Zellreihen enthalten, während an anderen Punkten
ihre Elementartheile noch dicht und unregelmässig zusammenge-
ordnet sind und dann 3 — 6 Kerne im Durchmesser der Sträng^e
erscheinen.
Leider besitze ich keine Zwischenstadien zwischen diesem
Präparate und der Nebenniere eines eben aus dem Ei geschlüpf-
ten Hühnchens, bei welchem schon die 'Marksubstanz voll ausge-
bildet ist. Ich war also nicht im Stande, das Einwachsen der
Markstränge Schritt für Schritt zu beobachten. Aus ihrem späten
Auftreten glaubten sich Valenti und andere berechtigt, den
Schluss abzuleiten, dass sie vom epithelialen Theil der Neben-
niere herstammten. Es müsste die Abspaltung von der Peri-
pherie der Stränge eben zu jener Zeit geschehen, zu welcher
sich die Umordnung der unregelmässigen Zellstränge in die
geschlossenen, lumenlosen Drüsenschläuche vollzieht. Ich glaube
aber dieser Anschauung aus dem Grunde nicht beipflichten zu
können, weil sich schon vor dem Auftreten der Marksubstanz an
manchen Punkten ebenso wohl geordnete Epithelstränge finden,
wie bei einem Hühnchen von 1 Tag, bei welchem sicher
keine Umwandlung von Strangzellen in Markzellen mehr statt
hat. Es ist darum auch nicht anzunehmen, dass bei der Um-
ordnung der übrigen Stränge in der dazwischen liegenden Periode
eine Abspaltung von Markzellcn eintritt.
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Die Entwicklung und Structur der Nebennieren bei den Vögeln. 511
Abgesehen von dem epithelialen Theil der Nebenniere
könnte auch noch das Gewebe der ürniere für die Herkunft
der Marksubstanz in Betracht kommen. Doch fehlt mir aus
meinen Präparaten jeder Anhaltspunkt für eine derartige An-
nahme. Ich habe meine Aufmerksamkeit speciell auf die Mal-
pighi'schcn Körperchen gerichtet, da diese bei älteren Embryonen
in die Substanz der Nebenniere geradezu eingegraben sind ; doch
mu88 eine Betheiligung derselben schon deshalb ausgeschlossen
werden, weil sie bei dem 1 Tag alten Hühnchen mit schon
wohl entwickelter Marksubstanz noch unverändert erhalten sind.
Es bleibt also nichts übrig, als die Mark-
zellen für abgetrennte Ganglienzellen zu neh-
men, welche insoferne einen, dem embryonalen
nahe stehenden Zustand zeigen, als ihr Kern
nicht den Charakter des Zellkernes einer ausge-
bildeten Ganglien z eile besitzt und das Proto-
plasma keine Nerven fortsätze entwickelt hat.
Als positive Beweise für diese Ansicht möchte ich, abge-
gesehen von der bisher gegebenen Beschreibung der Nebennieren
der Embryonen noch folgende Punkte anführen:
1) An der distalen Spitze, sowie an zahlreichen Punkten
der Peripherie finden sich bei ausgewachsenen Thieren Zellen,
welche durch ihr Aussehen eine ununterbrochene Kelte zwischen
der Ganglienzelle und Markzelle erkennen lassen').
2) Die Zahl der als embiyonale Ganglienzellen gedeuteten
Gebilde ist auch bei den ältesten Embryonen gegenüber der Zahl
der Ganglienzellen vom erwachsenen Thier noch eine so grosse,
das» eine Umwandlung aller jener in echte Ganglienzellen nicht
anzunehmen ist^).
3) Weist auch das Lageverhältniss von Rinde und Mark-
substanz bei den 3 Klassen der Amnioten auf ein successivcs
Einwucheni von Zellen von der Peripherie in das Innere des
Organes hin, indem die Marksubstanz bei den Reptilien zum
grössten Theil doreal an der Peripherie, bei den Vr»geln durch
1) Weiter unten soll Genaueres übca* diese Zellen mittet heilt
werden.
2) Ein gleiches VerhRltniss besteht nacli den Untersuchungen
Braun 's auch bei den Keptilien.
Archiv f. mIkroBk. Anat. Bd. 38 33
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512 HanA Rabl:
das ganze Organ vertheilt, bei den Sängetliieren endlich im
Inneren desselben gelegen ist.
Zum Beweis wie genau in den HauptzUgen die Entwicklung
der Marksubstanz bei Vr»geln und Säugetbieren tibereinslininit, er-
laube ich mir die Art des Eindringens derselben bei Säugetbie-
ren nach Mitsukuri anzufügen. Er schreibt darüber pag. 26
folgendes : The method of entrance of the medullary substance
into the suprarenal bodies may be stated briefly as follows:
— The peripheral sympathetic plexus, whieh is formed ventrally
to the aorta in the abdominal region, sends in processes iuto
the body of suprarenals at various points — the onc at the poste-
rior end of the*organ being by far the largest — and the cells
thus carried in become gradually transformed into the cells of
the medullary substance."
Die Nebenniere ist ein Organ, welches, wie wir gesehen
haben, aus zwei ganz verschiedenen Geweben zusammengesetzt
ist, von denen eines in letzter Linie aus dem Coelomepithel, das
andere aus den Anlagen sympathischer Ganglien abstammt. Beide
sind, wie bekannt, bei- den Vögeln in gänzlich ungeordneter Weise
durcheinander geschlungen. Den Hauptbestandtheil des Organes
bilden die breiten Epithelstränge, welche ich deshalb „Haupt-
stränge" nennen möchte. Zwischen ihnen breiten sich die in ihrer
Anordnung regellosen nervösen Zellen aus, welche als Zwischen-
stränge alle Lücken des Organes ausfüllen. Es ist schon oft
über das Unpassende der von den Säugetbieren hergenommenen
Bezeichnungen von Rinde und Mark geklagt worden. Ich glaube
daher nicht Unrecht zu thun, wenn ich für die Vögel eine andere
Bezeichnung dieser Bildungen vorschlage.
Ich habe mich bei der Untersuchung der Structur der Ne-
bennieren nicht ausschliesslich auf das Huhn beschränkt, sondern
dieselbe auch auf Taube, Fink, Kanarienvogel, Lerche und Ente
ausgedehnt. Trotzdem beziehen sich die nachstehenden Mitthei-
lungen ausschliesslich auf das Huhn, von welchem ich die meisten
Prä])arate angefertigt habe, und nur in denjenigen Fällen, in
welchen sich abweichende Verhältnisse bei anderen Vogelarten
vorfanden, bin ich auch auf jene genauer eingegangen.
Die Nebenniere besitzt bei einem ausgewachsenen Hubn
eine ungefähre Länge von 8 — 10 Millimeter. Sie liegt unmitteK
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Die Entwicklung und Structur der Nebennieren bei den Vögeln. 513
bar unter den Geschlechtsdrttsen, bei jungen Thieren nur in ihrer
unteren Hälfte, bei ausgewachsenen in ihrer ganzen Ausdehnung
von den Hoden, respective dem gi-ossen, linken Ovarium tiber-
deckt. Von der Bauchhöhle betrachtet zeigt sie sich als flache
Pyramide, deren Grundfläche ein gleichseitiges Dreieck ist; mit
ihrer oberen Spitze liegt sie in der Höhe der unteren Lungen-
grenze, ihre untere Spitze verlängert sich beim Hahn gegen das
Vas deferens, welches aus der, an ihrer medialen Seite gelegenen
Epididymis austritt.
Das Organ ist von einer dünnen, nur in einzelnen Streifen
verdichteten Kapsel umhüllt, welche sowohl die Kontouren der
aus Strängen zusammengesetzten Läppchen, als auch seine Farbe
— weiss-gelb bis dottergelb — durchscheinen lässt.
Diese Farbe rührt von einer iMenge feinster Tröpfchen her,
welche in den Epithelzellen enthalten sind. Wenn man das Or-
gan frisch, unter Zusatz von Kochsalz zeiv.upft, ist es ganz un-
möglich, einen Einblick in die Structur der Stränge zu erhalten.
Sie sind von diesen Tröpfchen, welche dann auch in grosser
Menge frei in der Flüssigkeit schwimmen, und offenbar bei der
Präparation aus ihren Zellen ausgefallen sind, dicht erfüllt.
Die Tröpfchen sind zumeist äusserst klein, doch trifl't man
auch grössere, und kann eine continurliche Reihe von den klein-
sten bis zu solchen von ansehnlicher Grösse wahrnehmen. Sie
sind stark lichtbrechend, lösen sich in Alkohol, Aether, Chloro-
form, färben sich mit Osmiumsäure schwarz, mit Alkcinna roth:
kurz lassen keinen Zweifel über ihre Fettnatur übrig.
Schon Braun (8) hat auf die merkwürdige Thatsache
hingewiesen, dass sich diese Fetttropfen in verdünnter Chrom-
säure lösen; er schliesst daraus, dass hier nur eine dem mikros-
kopischen Verhalten nach fettähnliche Substanz vorliege. Ich
möchte dieser Beobachtung noch folgende beifügen.
Durch Dekhuyzen (Centralblatt für Physiologie 1889.
Nr. 21) und Flemming (Zeitschrift für' wissenschaftliche Mi-
kroskopie und mikroskopische Technik VL Bd., pg. 39 u. 178)
wurde aufmerksam gemacht, dass sich osmirtes Fett in Terpen-
tin, Aether absol., Xylol und terpentinigen Lacken löse. Da-
gegen findet nach Flemming in Chlorofonn und Nelkenöl
keine Lösung des osmirten Fettes statt. Ich finde nun, dass die
Fetttropfen in den Hauptsträngen der Nebenniere zwar nicht in
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514 Hans Rabl:
Nelkenöl, jedoch in Cbloroform und Bergamottöl löglich sind.
An Präparaten, die in reiner Osmiumsäure oder in Flemming-
schem Gemisch gehärtet waren, und zum Behuf der ParaflRii-
einbettung in reines Chloroform gelegt, sowie an solchen, welche
in Celloidin geschnitten und in Bergamottöl aufgehellt worden
waren, ist das Fett der Stränge vollkommen extrahirt, wahreud
die Fettzellen in der Kapsel und dem angrenzenden Bindegewebe
pechschwarz gefärbt ^ind.
Ich glaube, daraus folgern zu dürfen, dass das Neben-
nierenfett mit dem normalen Köi-perfett nicht identisch ist, ohne
aber — nach den anderweitigen Reactionen — seine Natur als
Fett leugnen zu können.
Eine zweite Art von Kömchen finde ich neben diesen Fett-
tröpfchen in der* Nebenniere nicht. Braun beschreibt bei den
Reptilien ausserdem gelbe Körchen, mit welchen die kleinsten
dieser Fetttröpfchen leicht zu verwechseln wären. Sie sollten es
auch sein, welche die gelbe Farbe des Organes bedingen. Ich
war nicht im Stande, weder bei Vögeln, noch auch bei mehreren
untersuchten Reptilien (Lacerta, Tropidonotus, Stcllio) solche
Körnchen zu sehen und muss daher auch die gelbe Farbe des
Organes als Wirkung des Fettes auflFassen.
Die Hauptstränge besitzen an Schnitten eine Dicke von
0,04 — 0,066 mm. Sie zeigen den Bau von Drüsensehlänchen.
Die Zellen sind in Form eines einschichtigen Cylinderepithels
mit ihren Axen senkrecht zur Wandung angeordnet, doch fehlt
den Schläuchen ein Lumen. Ein solches existirt nur an den pe-
ripheren Strängen bei der Taube.
Ebensowenig besitzen sie eine eigene Membrana propria.
Die Zellen liegen dem Endothel der weiten Kapillaren scheinbar
direct auf, nur eine Lage feinster Fibrillen trennt sie von dem-
selben. Häufig findet man auch innerhalb der Stränge kemartige
Gebilde, welche Bindegewebszellen angehören, deren feinste Aus-
läufer Maschen bilden, in welchen die Epithelzellen enthalten sind.
Dieses feine Fasernetz in den Strängen war es auch, wel-
ches V. Brunn (1) zur Annahme bewog, die Strangzellen als
modificirte Bindegewebszellen aufzufassen, indem er einen Zu-
sammenhang dieser Zellen mit den Fasern zu erkennen glaubte.
Achnliche Netze finden sich auch in der Rinde der Säugethier-
uebenniere, nur sind sie dort noch reichlicher entwickelt, sodass
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Die Entwicklung und Structur der Nebennieren bei den Vögeln. 515
die einzelnen Epithelzellen einen höheren Grad von Selbststän-
digkeit erlangen, während sie hier noch zu Strängen zusammen-
geordnet sind. Dadurch aber, dass die Hauptstränge nur von
einer sehr dünnen Faserlage umbüllt sind und einer Membrana
propria entbehren, verHeren sie dort, wo sie zusaramenstossen, den
Charakter eines soliden Schlauches und erzeugen den Eindruck
von Zellhaufen, wofern nicht die reihenweise Anordnung der
Kerne auf einen specicllen Bau hinweist.
Die Kerne sind rand oder oval, gehärtet im Durchmesser
ungefähr 0,008 mm messend. Sic liegen parallel neben einander,
von der Wand circa um ihren doppelten Durchmesser entfernt.
Einen bestimmten Character besitzen die Zellen bei der
Taube. Man muss hier zwischen den peripheren und mehr cen-
tral gelegenen Hauptsträngen unterscheiden. Sie zeichnen sich
vor denen der anderen Vögel durch ihren Pigmentgchalt aus.
Fig. 15 zeigt einen Abschnitt aus einem peripheren Hauptstrang.
Die Zellen sind schmal, cylindrisch, nach innen zu sich verbrei-
ternd, und mit halbkreisförmiger Rundung gegen das Lumen ab-
schliessend. In der Mitte der Zelle ihre ganze Breite einnehmend
liegt der Kern. Im freien Theil einer jeden findet sich ein gelb-
braunes, rundes Korn. Die Hauptstränge, welche central gelegen
sind, entbehren des Lumens und ihre Pigmentkömer sind je näher
dem Centrum um so kleiner. Ich glaube demnach das Auftreten
von Lumina mit dem Pigmentgehalt, respective dem Anwachsen
des Pigmentes in den Zellen in Beziehung bringen zu müssen.
Bei Behandlung des Pigmentes mit Schwefelammonium und nach-
folgender Abspülung der Schnitte in Glycerin trat keine Aende-
rong seiner Farbe auf ^).
Bei einer Taube von 4 Tagen fand ich noch keines.
Das Wachsthum der Stränge erfolgt durch Vermehrung der
Zellen im ganzen Verlauf derselben und durch Vergrössening
ihrer Elementartheile. Ein Spitzenwachsthum, wie es Braun
bei Reptilien beschreibt, existirt bei den Vögeln nicht. Es sind
die Kemtheilungen in den Hauptsträngen ganz unregelmässig zer-
streut, die Theilungsaxe liegt immer parallel der Kanälchenwand.
Sie finden sich das ganze Leben hindurch, in der embryonalen
1) Eisenhaltiges Pigment färbt sich dadurch dunkelgrün bis
schwarz. Siehe Quinke, Archiv für klinische Medicin Bd. 27 (1880)
und Bd. 33 (1883).
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516 Hans Rab I.-
Periode, sowie bei Jugendlieben Tbieren in reicblicber Menge,
bei erwacbsenen spärlieb; docb sind in jedem Scbnitt durch das
Organ welebe aufzufinden. Da trotzdem keine merkbare Ver-
grösserung der Nebenniere beim ausgewachsenen Huhn erfolgt^
weist die Thatsache, sowie die ganz gleiche, von Canalis (24)
bei Säugethiereri beobachtete auf einen, jiber die ganze Lebens-
dauer sich erstreckenden Process hin, dem zu Folge Zellen zn
Grunde gehen, zu deren Ersatz neue gebildet werden. Bei den
Säugethieren vollzieht sich diese Neubildung nach den Unter-
suchungen von Canalis und Gottschau (10) ausschliesKÜch
in der Rinde. Bei den Vögeln dagegen spielt sich jener, wahr-
scheinlich durch die Function bedingte Process ohne Unterschied
im ganzen Organ ab. Ob das Vorkommen von Fettkörnchen in
den Strangzellen auf eine fettige Degeneration der letzteren hin-
deutet, welche eben als Schwund eines Theiles der Zellen auf-
zufassen wäre, lasse ich dahingestellt. So sehr das Aussehen
dieser „Kömchenzelleu" für diese Annahme sprechen würde, so
ist doch das allgemeine Vorkommen der Fettkömchen in sämmt-
lichen Rindeuzellen ein wichtiges Argument dagegen.
Während die Zellen der Hauptstränge bei Anwendung von
Härtungsmitteln wie Flemming'sches Gemisch oder reine Os-
miumsäure, Sublimat, Sublimat-Pikrinsäure und Alkohol cylindrisch
erscheinen, und keinerlei Unterschiede unter ihnen erkennbar sind,
treten bei Härtung in P/o Chromsäure zwei Zellarten hervor.
Die eine characterisirt sich durch eine weitbauchige, becher-
zellenartige Form des Zellleibes, in der nur wenig Protoplasma
und ein runder Kern mit Kernkör|ierchen enthalten ist, die
andere förbt sich gelbbraun, scheint zusammengedrückt und nur
die Lücken zwischen den Blasenzellen auszufüllen. Behandelt
man die Schnitte mit Essigsäure-Hämatoxylin (Kultschitzky)
und darauf mit Ferrid-Cyankalcium (Schaffer), so nehmen die
ersteren einen blassblauen, die letzteren einen dunkelschwarzblanen
Ton an. Die Vertheilung der Blasenzellen in den Strängen Lst
eine wechselnde. An manchen Punkten constiluiren sie dieselben
beinahe ausschliesslich, an manchen fehlen sie vollständig. An
der Peripherie finden sich häufig Zellcomplexe, welche den bei
anderwärtiger Härtung erhaltenen Bildern entsprechen. Doch kann
man daraus nicht auf ungleiche Einwirkung der Chromsäure ent-
sprechend ihrem Eindringen in das Organ schlie^sen, denn wie
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Die Entwicklung und Structur der Nebennieren bei den Vögeln. 517
aus Fig. 16 hervorgeht, finden sich Blasenzellen auch in der
Peripherie. Es besitzt also die Chromsäure eine specifisch quel-
lende Wirkung auf gewisse Zellen der Hauptstränge. Da aber
gar keine Regelmässigkeit in dem Auftreten dieser Reaction liegt
und bei anderen Fixirungsmethoden ein Unterschied zwischen den
Zellen der Hauptstränge fehlt, möchte ich derselben keine weitere
Bedeutung beilegen.
So unverlässlich die Ergebnisse sind, welche die Hauptstränge
bei der Chromsäure-Behandlung liefern, so maassgebend sind sie
für die Zwischenstränge.
Die Chromsäure ist durch He nie in die Technik der Ne-
bennierenuntersuchung eingeftthrt worden und muss immer einen
wichtigen Bestandtheil derselben bilden, da sie Mark und Rinden-
substanz dadurch scharf von einander zu trennen vennag, dass
sie jene bräunt. Die Bräunung betrifft das ganze Protoplasma.
Eine etwa in Kömchenform eingelagerte Substanz, fttr welche
diese Reaction specifisch wäre, konnte ich nicht wahrnehmen
(B. Z. Fig. 14 und 16).
Ausser mit der Chromsäure vermag man aber auch fast mit
jeder Färbemethode die beiden Substanzen zu unterscheiden, weil
die Zellen der Zwischenstränge die Eigenschaft besitzen, Kem-
förbestoffe mit gleicher Leichtigkeit aufzunehmen, wie die Kerne,
sodass man schon bei einfacher Anwendung, von Hämatoxylin
oder Carmin, noch besser natürlich bei Doppelfärbungen stets
deutliche Bilder über die Vertheilung der beiden Substanzen
erhält.
Ausserdem enthalten sie kein Fett, lassen sich also auch
durch Osmiumsäure von den Hauptsträngen diflferenciren.
Die Zellen liegen in den Zwischensträngen in Maschen von
lockerem Bindegewebe und zwar derart, dass eine jede eine
eigene bindegewebige Hülle besitzt. Von einer regelmässigen
Anordnung wie innerhalb der Hauptstränge ist hier keine Rede.
Ihre Vertheilungsform ist eine höchst wechselnde. Sie können als
einzelne Zellen einem Hauptstrang angelagert sein oder sich auch
in grossen Complexen zwischen die Hauptstränge einschieben
(Fig. 12). An der Peripherie des Organes bilden sie bei allen
untersuchten Species eine 1 — 3 Zellen breite Zone. Dort findet
man auch jene Zellen, welche als Zwisehenstadien zwischen Gang-
lien und Markzellen aufgefasst werden müssen (Ü. Z' Fig. 14 u. 16).
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518 Hans Rabl:
Die echten Markzellen besitzen einen Durchmesser von
0,017 — 0,019 mm und sind rund bis oval, polygonal oder nn-
regelmässig sternförmig gebildet. Ihr Kern ist klein, mnd, der
Zellleib förbt sich intensiv mit Kernftlrbemitteln und gelblich-
braun in Chromsäure und chromsauren Salzen.
Solche Zellen liegen jedoch nicht ausschliesslich im Inneren
des Organes, sondern finden sicli auch eingestreut unter den
Ganglienzellen der Kapsel (Fig. 14).
Man trifft dort neben echten Ganglienzellen mit kreisrundem
Kern von 0,012 mm Durchmesser ziemlich grosse Zellen mit grau-
bräunlichem gekrönten Protoplasma und einem Kern, der häufig
das Aussehen des Kernes einer Ganglienzelle besitzt, der kreis-
rund ist und ein Kernkörperchen enthält, welches sich den Fär-
bungs-Eeactionen gegentlber wie das einer echten Ganglienzelle
verhält. Manchmal fehlt jedoch diese typische Beschaffenheit des
Kernes und es kann an Stelle eines besonders hervortretenden
Nucleolus ein deutliches Gerüst erscheinen. Es liegen also hier
Zellen vor, von denen die einen den entschiedenen Eindruck
kleiner Ganglienzellen machen, während man tlber den Character
anderer, welche sich von jenen nur in den feiasten Details un-
terscheiden, keine bestimmte Aussage machen kann. Ob die
Zellen der ersten Art mit Nerveufasem zusammenhängen, müsste
mit Hilfe anderer Methoden als der angewandten untersucht
werden.
Wie aus Fig. 16 hervorgeht, setzen sich diese „üebergangs-
zellcn" continuirlich in die Zwischenstränge fort. Neben solchen,
deren Protoplasma nur einen schwach bräunlichen Ton besitzt,
liegen Zellen, welche sich mit Chromsäure schon intensiv gelb-
braun üirben; ausserdem nimmt auch der Kern an Grösse ab und
zeigt an den typischen Zwischenstrangzellen bei dieser Fixirungs-
methode ein homogenes Aussehen (B. Z. Fig. 14 u. 16).
Echten Ganglienzellen und Nervenfasern begegnet man nur
selten im Inneren des Organes. Die ersteren liegen dann — wie
Fig. 13 (G. Z.) zeigt — inmitten von Markzellen. Die Nen^en-
fasern, die man hie und da zwischen den Strängen trifft, gehören
nachweisbar zu diesen einzelnen, zerstreuten Ganglienzellen und
besitzen keine Beziehung zu den Zellen der Zwischenstränge.
Ich glaube daraus, dass die Hauptmasse der Zwischenstrang-
zellen in der Rindenzone des Organes mit Cebergaugszellen und
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Die Entwicklung und Structur der Nebennieren bei den Vögeln. 519
manchmal auch, sowohl im Inneren als auch in der Kapsel mit
echten Ganglienzellen innig vermengt liegt, schliessen zu können,
dass keine genetische DiflFerenz zwischen diesen Zellarten existirt.
Es wird ein dankbares Feld künftiger Forschung sein, jene
embryonalen Studien, in welchen sich die Markzellen aus der
Masse der Ganglienzellen ablösen, beim Hühnchen also die Sta-
dien vom 17. — 20. Brüttag mit Hilfe feinerer histologischer Me-
thoden zu Studiren. Vorerst mttsste wohl nach der vonRamon
y Cajal für die Spinalnervenentwicklung angewendeten, modifi-
cirten Methode vou Golgi auch die Entwicklung des sympa-
thischen Nervensystems untersucht werden. Dann steht zu erwarten,
dass wir auch für die Details der Bildung der Markzellen ein
Verständniss gewinnen werden.
Zum Schluss erfülle ich eine angenehme Pflicht, indem ich
meinem hochverehrten Lehrer Herrn Professor v. Ebner für die
warme Förderung und vielseitige Unterstützung, die er mir bei
meinen Untersuchungen zu Theil werden Hess, an dieser Stelle
meinen aufrichtigen Dank ausspreche.
Erst nach Beendigung vorstehender Untersuchungen ist mir
die Arbeit von Walter Felix: „Die erste Anlage des Excre-
tionssystems des Hühnchens, Zürich 1891" in die Hände gekom-
men, über deren wichtigste Ergebnisse der Verfasser bereits eine
vorläufige Mittheilung gemacht hatte. Es zeigt sich, dass auch
hier die erste Anlage der Vorniere in segmentalcn Ausstülpungen
der in diesem Stadium (8 Urwirbel) noch ungetrennten Seiten-
platten besteht, die an jener Stelle liegen, an welcher sie an das
Ursegment anstossen. Dass wir darin wirklich die beginnende
Bildung der Excretions-Organe zu erblicken haben, geht unzwei-
felhaft aus den völlig gleichen Verhältnissen bei sämmtlichen
übrigen Wirbel thieren hervor.
Nach der von Felix aufgestellten engen Umgrenzung des
Begriffes Vorniere ist es selbstverständlich, dass diejenigen Bil-
dungen, aus welchen ich die Nebenniere ableite, von diesem Autor
nicht als distaler Theil der Vomiere anerkannt werden können.
Dass ein grosser Unterschied zwischen denjenigen Kanälen, welche
das proximale Stück des Wolffschen Ganges bilden, und den-
jenigen, welche gar nicht mit ihm in Zusammenhang treten, exi-
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520 HansRabl:
ßtirt, liegt auf der Hand. Solange jedoch die übrigen Vertebraten
in Bezug auf die Genege dieser letzteren Kanälchen noch nicht nn-
tersucht sind, glaube ich vorläufig meine Ansicht aufrecht halten
zu sollen, da sie, abgesehen von jenen Modificationen, welche das
späte Auftreten am rasch gewachsenen Embryo mit sich bringt,
in Bezug auf Bildung und Lage mit den proximalen Vomieren-
kanälchen übereinstimmen.
Yerzeichniss der citlrten Aufsätze.
1. A. V. Brunn, Ein Beitrag zur Kenntniss des feineren Baues und
der Entwicklung der Nebennieren. Archiv für mikr. Anat. VllL Bd.
2. W. His, Untersuchungen Über die erste Anlage des Wirbelthier-
Icibes. I. Die Entwicklung^ des Hühnchens im £i. Leipzig 1868.
3. Wl Waldeyer, Eierstock und Ei, Ein Beitrag zur Anatomie und
Entwicklungsgeschichte der Sexualorgane. Leipzig 1870.
4. Fr. Leydig, Die in Deutschland lebenden Arten der Saurier.
Tübingen 1872.
5. A. Brandt, Ueber den Zusammenhang der Glandula suprarenalls
mit dem Parovarium resp. der Epidid^^mls bei Hühnern. Biolog.
Centralblatt Bd. IX, Nr. 17.
6. F. M. Balfour, A Monograph on the Development of Elasmo-
branch Fishes. London 1878.
Derselbe, Ueber die Entwicklung und Morphologie der Supra-
renalkörper (Nebennieren). Biolog. Centralbl. 1881, Nr. 5.
Derselbe, Handbuch der vergleichenden Embryologie. Aus dem
Englischen übersetzt von Dr. B. Vetter. Jena 1881.
7. A. V. Kölliker, Entwicklungsgeschichte des Menschen und der
höheren Thiere. 2. Aufl. Leipzig 1879.
8. M. Braun, Bau und Entwicklung der Nebennieren bei Reptilien.
Arbeiten aus dem zoot.-zool. Institut Würzburg. Vol. 5.
9. Mitsukuri, On the Development of the Suprarenal-Bodies in
Mammalia. Quarterly Journal of microsc. sc. Vol. 22.
10. M. Gottschau, Structur und embryonale Entwicklung der Neben-
nieren bei Säugethieren. Archiv für Anatomie und Physiologie.
Anat. Abth. 1883.
11. Weldon, Note on the Origin of the Suprarenal-Bodies of Verte-
brates. Proceed. of the royal society. Vol. XXXVII.
Derselbe, On the Suprarenal-Bodies of Vertebrata. Quart
joum. of microsc. sc. Vol. XXV. 1885.
12. C. K. Hoffmann, Zur Entwicklungsgeschichte der Urogenital-
Organe bei den Reptilien. Zeitschrift für wlssenschaftl. Zoologie.
48. Bd. 1889,
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Die Entwicklung und Structur der Nebennieren bei den Vögeln. 621
13. R. Semon, Die indifferente Anlage der Keimdrüsen beim Hühn-
chen und ihre Differenzirung zum Hoden, Habilitationsschrift.
Jena 1887.
14. J. Janofiik, Bemerkungen über die Entwicklung der Neben-
nieren. Archiv für mikrosk. Anat. 1883. 22. Bd.
15. G. V. Mihj^lco vics, Untersuchungen über die Entwicklung des
Harn- und Geschlechtsapparates der Amnioten. Internationale
Monatsschrift für Anatomie und Histologie. Bd. IL 1885.
16. J. JanoSik, Bemerkungen über die Entwicklung des Genital-
systems. Sitzungsberichte der k. Akademie der Wissenschaften.
Mathem.-naturwissensch. Classe. XCIX. Bd. 1890.
17. G. Valenti, Sullo sviluppo delle capsule surrenali nel pollo ed
in aicuni mammiferi. Pisa 1889.
18. J. W. van Wijhe, lieber die Mesodermsegmente des Rumpfes
und die Entwicklung des Excretionssystems bei Selachiem. Arch.
für mikrosk. Anat. 33. Bd.
19. R. Semon, Ueber die morphol. Bedeutung der Urniere in ihrem
Verhältniss zur Vomiere und Nebenniere und über ihre Verbin-
dung mit dem Genitalsystem. Anatom. Anzeiger 1890.
20. J. Rückert, Ueber die Entstehung der Excretionsorgane bei den
Selachiem. Archiv für Anatomie und Physiologie. Anatom. Ab-
theilung. 1888.
21. Moll i er, Ueber die Entstehung des Vornierensystems bei Am-
phibien. Archiv für Anatomie und Physiologie. Anatom. Abthei-
lung. 1890.
Vgl. dazu die Referate von Rückert in der „Münchener
medicin. Wochenschr.** 1889, pag. 524 und in den ,,Sitzungsberich-
ten der Gesellschaft für Morphologie und Physiologie zu München".
22. W. Nagel, Ueber die Entwicklung des Urogenitalsystems des
Menschen. Archiv für mikr. Anat. Bd. XXXIV, 1889.
23. C. Sem per, Das Urogenitalsystem der Plagiostomen und seine
Bedeutung für das der übrigen Wirbelthiere. Arbeiten aus dem
zool.-zoot. Institut Würzburg. 1875.
24. P. Canalis, Contribution k l'^tude du d^veloppement et de la
Pathologie des capsules surr6nales. Internationale Monatsschrift
für Anatomie u. Physiologie. IV. Bd.
25. A. D. Onody, Ueber die Entwicklung des sympathischen Nerven-
systems. Archiv für mikrosk. Anatomie. XXVI. Bd. 1886.
26. Masamarolnaba, Notes on the Development of the Suprarenal
Bodies in the Mouse. Journal of the coUege of science, Japan.
Vol. IV, Part. I.
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522 Hans Rabl:
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXIX— XXXI,
Tafel XXIX.
Fig. 1. Querschnitt durch einen Hühnerembryo von der Mitte des
dritten Tages in der Höhe der Theilungsstelle der Aorta.
Ocular 3 (Reichert), Objectiv 4 (Hartnack). V. K. = Vornieren-
Kanälchen, welches hier offen in die Bauchhöhle mündet.
Wg. r^ Wolf f* scher Gang. M. ^ Anlage des Malpigh loschen
Körperchens. A. = Aorta, V. c. = Vena cardinalis, R. m. — Ra-
dix mesenterii.
Fig. 2—4. 3 auf einander folgende Querschnitte durch den ventralen
Abschnitt der Urnierenregion, Vs™*^ oberhalb des Abganges
der Art. omphalo-meseraicae bei einem 3 Tage alten Embryo.
Reichert: Ocular 3, Objectiv 7 a. V. K. =^ Vom Coelomepithel
schon vollständig abgeschnürtes Vornierenkanälchen, auf 2
und 3 ein Lumen führend,, auf Fig. 4 bereits obliterirt, M. --
Malpighi*sche8 Körperchen. Nns. = durch Sprossung aus
dem Vornierenkanälchen entstandene und bereits von ihm ab-
getrennte Nebennierenstränge. A. = Aorta, Big. = Blutgefäss.
Fig. 5. Querschnitt durch einen Hühnerembryo von 76 Stunden;
Ocular 3 (Reichert), Objectiv 4 (Hartnack). Nns. = Neben-
uierenstränge, frei im Bindegewebe zwischen Aorta, ümiere
und Peritoneal-Epithel. M. = Malpighi'*sches Körperchen,
Wg. = Wo Iff 'scher Gang, A. = Aorta, V. c. - Vena cardi-
nalis, R. m. ~- Radix mesenterii.
Fig. 6. Querschnitt durch dieselbe Gegend wie die Fig. 2—4 bei einem
Embryo von 79 Stünden. Reichert: Ocular 3, Objectiv 7 a.
Nns. — Nebennierenstrang, direct unter dem Keimepithel.
K.E. =: Keimepithel, Big. = Blutgefäss, Wg. = Wolf fescher
Gang, Uk. =: Urnierenkanälchen.
Fig. 7. Querschnitt durch einen ca. 99 Stunden alten Embryo, Pro-
ximaler Abschnitt der Nebennierenregion. Vergr. wie bei
Fig. 5. Nns. = Nebennierenstrang. M. = Malpighi'sches
Körperchen, Wg. = Wolff 'scher Gang, Uk. == Urnierenkanäl-
chen, R. m, = Radix mesenterii, Ch. = Chorda, Sp. = Spinal-
nerv.
Tafel XXX,
Fig. 8. Querschnitt durch den distalen Theil der Nebennierenregion
desselben Embryos. Reichert: Ocular 3, Objectiv 7 a. Nns.
— Nebennierenstränge, theilweise der Kapsel eines Malpighi-
schen Körperchens unmittelbar anliegend. M. = Malpighi-
sches Körperchen. Uk. = Urnierenkanälchen. K. = Keim-
drüse, K. E. — Keimepithel, Ue. — Ur-Ei, Sy. — Sympathicus,
A. — Aorta, B. — Blutgefäss.
Fig. 9. Querschnitt durch die Rückengegend eines 9 Tage alten Em-
bryos (^). Vergr. 35. Nn. = Nebenniere, U. = Umiere, N.
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Die Entwicklung und Stnictur der Nebennieren bei den Vögeln. 623
— bleibende Niere (oberstes Ende). D. = Dorsaler Wirbel-
bogen, W. ™ Wirbelkörper, R. — Rückenmark, H. - Hintere
Wurzeln, V. - Vordere Wurzeln, Sp. G. - Spinal-Ganglien,
Ri. — Rippe, G. — Geschlechtsnerv, S. -- Ganglion des Grenz-
stranges des Sympathieus. S. G. — Sympathisches Ganglion,
medial von der Nebenniere, A. Aorta.
Fig. 10. Das histologische Detail von Nebenniere und sympathischem
Ganglion aus Fig. 9, linke Seite. Vergr. 320. Nns. - Neben-
nierenstränge, G. : Ganglienzelle, g. unentwickelte Ganglien-
zelle, Nf. Nervenfasern, Bg. — Bindegewebe, B. — Blutgefäss.
Fig. 11. Dorsale Partie der Nebenniere eines Hühnerembryos {^) von
16 Tagen. Vergr. 375. H. — Hauptstränge, deren Zellen sich
bei a schon in 2 Reihen zu ordnen beginnen, Z. = Anlage
der Zwischenstränge, welche sich hier zwischen Kapsel und
Hauptstränge einschieben. Bg. ~ Bindegewebe, B. = Blut-
gefäss.
Fig. 12. Partie aus der Nebenniere eines erwachsenen Huhnes (Al-
koholhärtung). H. = Hauptstränge. Z. — Zwischenstränge,
B. " Blutgefäss.
Tafel XXXI.
Fig. 13. Aus dem Inneren der Nebenniere eines Huhnes. G. Z. =
Ganglienzellen mit den zugehörigen Nervenfasern (— Nf.) in
einem Zwischenstrang ( - Z.) eingelagert. H. = Hauptstrang.
Vig, 14. Aus der Kapsel der Nebenniere eines erwachsenen Huhnes
(Chromsäurehärtung). G. Z. — Ganglienzellen, B. Z. -- braune
Zellen, welche auch die Zwischenstränge constituiren, hier an
der Peripherie aber mit Ganglienzellen vermengt sind. Ü. Z.
- Uebergangszellen. Der stärkere und schwächere Grad von
Bräunung, welcher zugleich für die Natur der Zellen entschei-
dend ist, wurde durch die Schattiining wiederzugeben versucht.
Fig. 15. Hauptstrang mit Lumen aus der äusseren Zone der Neben-
niere einer Taube. K. -- Kern, P. - Pigmentkorn, B.r Blut-
gefäss.
Fig. 16. Kapsel und peripherste Partie der Nebenniere eines Huhnes.
Härtung in Chromsäure, Färbung in Kult seh itzky^schem
Hämatoxylin mit nachfolgender Differenzirung in Weigert-
scher Entfärbungsflüssigkeit. Die Hauptstränge (H.) zeigen
die Blasenzellen (Bl. Z.), welche bei der angewandten Me-
thode blass blau erscheinen, während die dazwischen liegen-
den dunklen Zellen im Präparate schwarz-blau gefärbt sind.
In den Zwischensträngen erscheinen Uebergangszellen (Ü. Z.)
und braune Zellen (B. Z.), die ersteren in grösserer Zahl in
der Kapsel, die letzteren dem Inneren des Organ es zuge-
kehrt. Bg. -- Bindegewebe der Kapsel, B. - Blutgefäss.
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524 M. Löwit:
(Aus dem Institute für experimentelle Pathologie in Innsbruck.)
Die Anordnung imd Neubildimg von Leuko-
blasten und Erythroblasten in den Blutzellen
bildenden Organen.
Von
Prof« Dr. M • liHwit, Innsbruck.
Hierzu Tafel XXXII- XXXIV.
I. Eiiileitang und Untersachangsmethode.
Die Unterscheidung der Leukoblasteii und Erythroblasten
in den Blutzellen bildenden Organen wurde bei meinen bisherigen
Untersuchungen von mir nur auf Grund gewisser Protoplasma-
charaktere und einer difFerenten morphologischen Kemstruktur,
sowie auf Grund eines diflferenten Theiluugsmodus der beiden
Zellenarten vorgenommen. Dieser Trennung der hämatopoeti-
schen Elemente schlössen sich auch andere Autoren an (Denys,
Howell, van der Stricht), welche die gleiche Sonderung der
lymphoiden Elemente der Blutzellen bildenden Organe eVkannten.
Die von mir am Krebsblute, am Blute einiger niederer Wirbel-
thiere, an den Zellen der Lymphdrüsen und des Ductus thora-
cicus beim Kaninchen durchgeftthrten Untersuchungen *) machten es
jedoch wahrscheinlich, dass neben der morphologischen Struktur-
difFerenz auch eine chemisch diflFerente Zusammensetzung der
„chromatischen" Kemsubstanz der beiden Zellenarten vorhanden
ist. Dieser Umstand legte den Gedanken nahe, auf Grund der
geschilderten difFerenten Reaktionen *) einen besseren Einblick in
die Anordnung der Leuko- und Erythroblasten innerhalb der
Blutzellen bildenden Organe zu gewinnen, als es bisher mOglieb
war. Diese Versuche scheiterten jedoch durchgehends an dem
Umstände, dass alle jene Reagentien, welche die „chromatische"
Substanz der einen Zellenart ganz oder theilweise zur I^ösung
1) Ziegler's Beiträge etc. 1891, Bd.X, S. 213 f.
2) a. a. 0. S. 252 f.
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leukoblasten u. Ery throblasten etc. 525
brachten^ anch an den Zellen der andern Art keine guten
Fixirungen bewirkten, so dass auf Schnittpräparaten eine scharfe
Trennung des Zellenniaterials unmöglich war.
Bei einer gelegentlichen Durchsicht meiner alten ans dem
Jahre 1885 stammenden Präparate fand ich nun an Schnitten
aus dem Knochenmark und dem Pancreas Asellii von Kaninchen,
die nach Rabl in 0,3 ^/o Platinchlorid gehärtet und mit Safranin
gefärbt waren, eine eigenthümliche Differenzirung der zelligen
Elemente, die mir von früher (1885) wohl erinnerlich war, die
mir aber seiner Zeit unverständlich erschien, weshalb ich auf
eine weitere Verfolgung dieser Beobachtung damals verzichtete.
In den genannten Präparaten waren nämlich die vorhan-
denen Mitosen in allen bekannten Stadien nicht so tadellos wie
an Schnitten aus Flemming'scher Flüssigkeit, aber doch immer-
hin gut kenntlich und mit Safranin duukelroth und distinkt ge-
filrbt. Ebenso zeigte eine grosse Anzahl von Zellen mit kleinen
ruhenden Kernen, die ich ihrer ganzen Beschaffenheit nach als
Erythroblasten ansehen musste, eine scharfe Kemfärbung, wäh-
rend zahlreiche andere Zellen, die ich nach den von mir geschil-
derten Charakteren als leukoblastäre und leukocytäre Elemente
ansprechen musste, eine mehr diffuse und nur blass röthlicho
Kernfärbnng aufwiesen. Dieser mehr gelegentlich gemachte Be-
fund wurde nun systematisch weiter verfolgt.
Da Platinchlorid in Lösungen von 0,1 und 0,3**/o, die fttr
die folgenden Untersuchungen stets zur Verwendung kamen, das
Hämoglobin nahezu aus allen in Betracht kommenden Zellen ex-
trahirt, so wurde, um Verwechslungen von hämoglobinfreien und
hämoglobinhaltigen Zellen auszuschliessen, der Schwerpunkt der
Untersuchung in das Studium der eigentlichen Lymphdrüsenzellen
verlegt, da innerhalb der Lymphdrüsen, wie frühere Unter-
suchungen*) ergeben hatten, überhaupt keine Hämoglobinbildung
stattfindet. Knochenmark und Milz dienten für die hier ver-
folgten Zwecke mehr als Vergleichsobjekt.
Ueberträgt man nun Lymphe aus den grossen, die mesen-
terialen Lymphdrüsen eben getödteter Kaninchen verlassenden
Lymphgefässen oder aus dem Ductus thoracicus, wobei aber, um
1) Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wiss. in Wien 1887, III. Abth.,
Bd. 95.
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526 M. Löwit.-
die Beimengung fremder, später noch genauer zu erörternder
zelliger Elemente zu vermeiden, auf die Lymphdrüsen selbst
keinerlei Druck ausgeübt werden darf, in Platinchlorid von der
oben angegebenen Concentration, so kann man schon an unge-
färbten Präparaten mittels guter Systeme die Anwesenheit zweierlei
Zellenarten von vei*schiedenem Aussehen constatiren, die sich
hauptsächlich durch eine diflferente KernbeschaflFenheit von ein-
ander unterscheiden lassen. Der Kcni der einen Zellenart (Fig.
1 a, b, c, d) ist durch die Gegenwart einer scharf contourirten,
stark glänzenden Inhaltsmasse ausgezeichnet; bei der Kleinheit
der Kerne ist eine genaue Angabe über die Anordnung dieser
Inhaltsmasse nicht möglich, in den kleineren Zellen (Fig. 1 a)
wird der Eindruck einer bälkchenartigen Anordnung dieser Sub-
stanz hervorgerufen, in den grösseren Zellen (Fig. 1 b) liegt wahr-
scheinlich ein Convolut von Bälkchen oder Schlingen dieser Sub-
stanz vor, über deren näheren Zusammenhang keine Angabe ge-
macht werden kann. Das aber kann schon an ungefärbten
Präparaten mit Bestimmtheit ausgesagt werden, dass die in der
Lymphe vorhandenen, in Mitose begriffenen Zellen (Fig. 1 b, c, d)
ihrer Kernbeschaffenheit nach dieser Zellenart angehören. Das
Protoplasma dieser Zellen ist an den kleinen Exemplaren oft
kaum angedeutet, oft als schmaler, homogener blasser Saum um
den scharf begrenzten runden Kern sichtbar, an den grösseren,
in den verschiedenen Stadien der Mitose begriffenen Zellen wird
das Protoplasma deutlicher und erscheint dann meistens mehr
oder weniger deutlich granulirt. Die in indirekter Theiluug be-
findlichen Zellen zeigen die verschiedenen Stadien dieser Thei-
lungsart, sie sind klein und nicht scharf fixirt^ immerhin aber mit
genügender Deutlichkeit kenntlich, üebt man bei der Gewinnung
der Lymphe aus dem Lymphgange auf die Lymphdrüsen selbst
einen nur geringen Druck, so können innerhalb der Lymphe
analoge, aber weit grössere Zellen in der Regel nachgewiesen
werden, die gleichfalls mitotische Theilung, aber in weit grösseren
und deutliclicren Bildern erkennen lassen. Auf die Beschreibung
und Bedeutung dieser grösseren Zellen komme ich später zurück,
hier hebe ich nur hervor, dass sie nicht zu den Blutzellen bil-
denden Elementen des Lymphdrttscngewebcs gehören und unter
normalen Verhältnissen in der Lymphe nicht enthalten sind.
Die soeben erörterten kleineren Zellen kann ich ihrem
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leukoblasten u. Erytliroblasten etc. 527
ganzen Verbalten nach nur als die in der Lyinplie enthalteneu
Erythroblasten ansprechen.
Die zweite der früher erwähnten in der Lymphe enthal-
tenen Zellenarten (Fig. 2 a — e) ist vorwiegend durch das blasse,
gelegentlich sogar mehr homogene Aussehen des Kernes ausge-
zeichnet, in welchem meistens vereinzelte Granula von einem weit
geringeren Lichtbrechungsvermögen erkannt werden können, als
sie der gesammten Inhaltsmasse des Keines der ersten Art zu-
kommt. Eine deutliche Kemstruktur ist nicht kenntlich, nur in
einzelnen grösseren Zellen treten gelegentlich im Kern (Fig. 2 d)
matte Fäden und Streifen hervor. Mitotische Theilungsfiguren
von entsprechend blasser KembeschaflFenheit konnten nicht auf-
gefunden werden, wohl aber kamen Bilder zur Beobachtung,
welche als Amitose angesprochen werden konnten. Das Proto-
plasma dieser Zellen ist meistens matt granulirt, in einzelneu
grösseren Exemplaren (Fig. 2 d, e) wurden im Zellleib eigenartige
nabel- oder nicrenfOrmige nicht bewegliche Körper gesehen, die
in den Zellen der ersteren Art nicht constatirt werden konnten,
von denen ich nicht entscheiden kann, ob sie den von mir ander-
wärts*) beschriebenen pyrenogenen Körpern, oder den von Fl cm-
ming^) in Leukocyten zueret beschriebenen Attractionssphären
entsprechen, oder welche Bedeutung sonst ihnen zukommt. In
den in gleicher Weise behandelten (einkeniigen) Leukocyten des
Tritonenblutes und der Milz des gleichen Thieres, sowie an ein-
zelnen Leukocyten des Krebsblutes treten diese Gebilde weit
schärfer als beim Kaninchen hervor.
Ich kann diese Zellen der zweiten Art ihrem Aussehen und
ihrer Beschaffenheit nach nur als die Leukoblasten der Lymphe
ansehen. Leukoblasten und Erythroblasten der Kaninchenlymphc
werden daher durch Platinchlorid von 0,1 — 0,3 ^/^ schon in un-
gefärbten Präparaten unterscheidbar. Weit deutlicher treten die
Unterscheidungsmerkmale an gefärbten Präparaten hervor; diese
wurden in folgender Weise hergestellt.
Ein Tropfen der durch Platinchlorid fixirten Lymphe wird
auf dem Deckglas in dünner Lage aufgestrichen und in luft-
trockenem Zustande in Wasser gut ausgewaschen. Hierauf wird
1) Ziegler's Bcitri1«:e etc. X, .S.272f.
2) Archiv für iiiikroskop. Aiiat. XXXVIT, S.240 f.
Archiv f. nilkro.sk. Auat. Bd. 38 34
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528 M. Löwit:
das Deckglas in Alcohol tibertragen und in demselben einige
Zeit belassen. Wird nun mit Safranin (2 — 3 Minuten) geförbt
und in neutralem Alcohol entfärbt, bis keine sichtbaren Farb-
stoffwolken vom Präparate sich entfernen, hierauf in Nelkenöl
oder Balsam untersucht, so zeigen die Zellen der einen Art,
welche den früher erwähnten Erythroblasten entsprechen, eine
dunkle Kernfärbung mit ungefärbtem Zellleib. In einzelnen Zellen,
namentlich in den kleinen Exemplaren, ist der Kern gleichmäßig
roth gefärbt, in anderen ist jedoch auch in den kleinen Zellen
eine deutliche Netz- oder Gerüststruktur der „chromatischen^
Substanz im Kern sichtbar. Die vorhandenen Mitosen sind dunkel
roth gefärbt, und wenn auch die „chromatischen" Schleifen nicht
scharf hervortreten, so ist für den Geübten doch die mitotisclic
Theilungsfigur selbst hinlänglich deutlich kenntlich.
Die Zellen der zweiten Art, welche den früher erwähnten
Leukoblasten entsprechen, zeigen einen diffus und matt rosa ge-
färbten Kern, in welchem ab und zu vereinzelte „chromatische''
Körner, wie am ungefärbten Präparat, hier aber in einer blass
rosa Färbung heiTortreten. Schon bei dieser einfachen Safranin-
farbung tritt eine deutliche Sonderung der beiden erwähnten
Zellenarten in der Kaninchenlymphe hervor, die im Wesentlichen
den oben erwähnten Befunden aus den Blutzellen bildenden Or-
ganen entspricht. Uebergänge zwischen den beiden Zellenarten
der Kaninchenlymphe wurden bei der beschriebenen Unter-
suchungsmethode nicht aufgefunden; auch werden die Unter-
schiede zwischen diesen beiden Zellenarten noch manifester, wenn
man DoppelfUrbungen anwendet, auf deren Besprechung ich später
zurückkommen werde.
Das Platinchlorid differenzirt also unter den Zellen der
Kauinchenlymphe zwei Formen durch Einwirkung auf den Zell-
kern dei-selben. In der einen Form, den Erythroblasten, wird
der Kern gut fixirt, und er bleibt gut färbbar, in dor anderen
Foi-m, den Leukoblasten, gehen gewisse Veränderungen im Zell-
kern vor sich, die ihren Ausdruck in einer diffusen und schlechten
Färbbarkeit des „Chromatins" gefunden haben. Dies gilt aber
vorläufig blos für das Safranin. Ich komme hierauf noch zurück.
Da nun durch vorausgegangene Untersuchungen ^) wahr-
1) Zipffler's Beiträge X, S.259.
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leukoblasten u. Erythroblasten etc. 529
scheinlich geworden war, dass die „chromatische" Kemsubstanz
in den Leukoblasten der Hauptmasse nach als Nucleolin (Pyrenin),
die der Er}^throblastcn jedoch der Hauptmasse nach als Chro-
matin (Nuclein) aufzufassen ist, so liegt es nahe, die differente
Wirkung des Platinchlorids auf die Kerne der beiden Zellenarten
mit der wahrscheinlich gemachten diflFerenten chemischen Zu-
sammensetzung des „Kemchromatins" der beiden Zellenarten in
Zusammenhang zu bringen. Auf Grund dieser Voraussetzung
würde dann gefolgert werden müssen, dass das Platinchlorid in
der genannten Concentration das Chromatin (Nuclein) der Zell-
kerne gut fixirt und in seiner Färbbarkeit nicht beeinträchtigt,
während das Nucleolin (Pyrenin) der Zellkerne schlecht fixirt
und in seiner distinkten Färbbarkeit (mit der früher bereits ge-
machten Einschränkung) wesentlich beeinträchtigt wird.
Um einen näheren Einblick in die durch das Platinchlorid
bewirkte Veränderung der Kerne der Leukoblasten und der ein-
kernigen Leukocytcn zu gewinnen, wurde auch das Verhalten
des Krebsblutes und des zelligen Inhaltes der Tritoncnmilz gegen
das genannte Reagens in der bereits bei einer anderen Gelegen-
heit*) geschilderten Weise geprüft. Ich kann das Ergebniss
dieser Untersuchungen kurz dahin zusammenfassen, dass in den
Kernen der Krebsblutzellen und zwar, was besonders betont wer-
den muss, in allen ganz analoge Veränderungen durch das Platin-
chlorid hervorgerufen werden, wie sie soeben für die Leukoblasten
der Kaninchenlymphe beschrieben wurden. An den relativ grossen
Kernen der Krebsblutzellen, an welchen die durch das genannte
Reagens bedingten Veränderungen besser als an den kleinen Ele-
menten der Kaninchenlymphe studirt werden können, habe ich
den Eindruck empfangen, dass es sich nicht um eine Lösung des
Nucleolin im Kerninhalte handelt. In einzelnen Zellkernen er-
scheint zwar die charakteristische Anordnung des Nucleolin (Py-
renin) im Kerne verschwunden, und man- erblickt nur einen mehr
oder minder dichten fein granulirten Niederschlag im Kerne, in
welchem ab und zu noch ein oder mehrere Nucleolinklumpen
sichtbar sein können. Ob nun gleichzeitig mit einer „Fällung"
im Kerninhalte eine theilweise Lösung desselben durch das Platin-
chlorid stattgefunden hat, vermag ich nicht zu entscheiden. Das
1) Ziegler'H Boitrilge X, S. 252 f.
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530 M. Löwit:
eine ging aber mit Evidenz aus den diesbezüglichen Beobach-
tungen hervor, dass in allen Krebsblutzdlen durch das Platin-
chlorid eine entschiedene Veränderung des Keminhaltcs bedingt
wurde, die sich in einer mehr oder minder deutlichen Vernich-
tung oder Abänderung der charakteristischen Kemstruktur, in
dem Verluste distinkter Färbbarkeit und in dem Auftreten einer
diffusen blassen Kerafarbung (dem Safranin gegenüber) kundgab.
Bei der Untersuchung des zelligen Inhaltes der Tritoncn-
milz wurden, abgesehen von den dem reticulären Milzgewebe ange-
hörigen Zellen, auf die ich später noch eingehend zurückkomme,
an den zelligen Elementen des Blutes und an dem in der Milz
enthaltenen Bildungsmateriale derselben folgende Verhältnisse
unter der Einwirkung von Platinchlorid constatirt.
Das Hämoglobin war aus- den meisten rothen Blutkörper-
chen ausgelaugt, in vereinzelten war es erhalten ; ich bin auf die
Untersuchung der Frage, welche Zellen das Hämoglobin zurück-
halten und welche es abgeben, nicht weiter eingegangen. Aber
auch unter den hämoglobinfreien Zellen können die (veränderten)
rothen Blutkörperchen in der Regel an der Zellform, an der
scharfen Abgrenzung des Zellleibes und an dem homogenen und
infolge der Auslaugung farblosen Aussehen des letzteren siclier
erkannt werden. Der Kern dieser Zellen erschien an ungefärbten
Präparaten stark glänzend von homogener Beschaffenheit. An
mit Safranin in der angegebenen Weise gefärbten Präparaten
war der Kern tief dunkel roth, meist gleichmässig gefärbt, an
einzelnen Kernen konnten Andeutungen einer gerüst- oder netz-
fiirmigen Anordnung des Chroraatin (Nuclein) erkannt werden.
Da nun das Platinchlorid das Hämoglobin in den Zellen
nicht fixirt, so war eine auf den Hämoglobingehalt gegründete,
für alle Fälle giltige Unterscheidung der hämoglobinhaltigen von
den in Betracht kommenden hämoglobinfreien Zellen de« Bhit-
zellenbildungsmaterialcs aus der Tritonenmilz nicht zu erzielen.
Es stellte sich aber auch bei diesem Objekte heraus, dass das
Platinchlorid, abgesehen von den ausgebildeten soeben geschil-
derten Erythrocyten, noch zwei Zellformen hervortreten lässt.
Die eine Form ist charakterisirt durch einen runden oder leicht
ovalen Zellleib mit relativ grossem Kern, der an gut mit Safranin
gefärbten Präparaten in vereinzelten Fällen homogen erscheint,
meistens jedoch ein distinkt und dunkel roth gefärbtes chroma-
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leukoblasten u. Erythroblasten etc. 531
tisches Netzwerk erkennen lässt. Das Zellprotoplasraa ist in der
Regel auf einen sehmalen homogenen oder schwach granulirten,
nach aussen gut begrenzten Saum um den Kern herum beschränkt.
An derartigen Zellen sind namentlich bei frisch im Frühjahre
eingefangenen Tritonen (Trit. crist. und tacniatus) alle Stadien
mitotischer Kerntheilung zu constatiren. Einzelne Phasen der-
selben, namentlich der Mutterknäuel, der Monaster und das Sta-
dium des Dispirems erscheinen durch Verbackung derKernfilden
oft schlecht, aber doch immerhin gut kenntlich fixirt, während
andere Stadien, namentlich jenes des Doppelsternes, in der Regel
scharf fixirt erscheinen. Wo immer aber die einzelnen chromati-
schen Schleifen der mitotischen Figur deutlich erkannt werden
können, erscheinen sie als verhältnissmässig dicke, plumpe und
gleichmässig dunkelrothe Gebilde. Die achromatische Figur konnte
ich bei der verwendeten Methode nicht auffinden. Das Zell-
protoplasma wird während der mitotischen Theilung durch Vo-
lumzunahipe in der Regel deutlicher kenntlich, imd die Granuli-
rung desselben tritt dann meistens scharf hervor. Diese Zell-
form glaube ich auf Grund der bis jetzt von mir ermittelten Be-
obachtungen in Uebereinstimmung mit meinen früheren Unter-
suchungen als Erythroblasten oder im Allgemeinen als das zur
Neubildung rother Blutkörperchen in inniger Beziehung stehende
Zellenraaterial ansprechen zu können.
Die zweite Zellform zeigt jene eigenartigen Veränderungen
des Kernes, die oben bereits für die Leukocyten des Krebsblutes
beschrieben wurden, diese Zellform glaube ich daher mit gutem
Grunde als Leukoblasten oder im Allgemeinen als das zur Neu-
bildung weisser Blutköri)erchen in inniger Beziehung stehende
Zellenmaterial ansprechen zu können. Es sei gleich an dieser
Stelle bemerkt, dass die Kerne der auch im Blute der Triton-
milz enthaltenen mehrkernigen (polymoi-phen) Leukocyten durch
das Platinchlorid nicht in der gleichen Weise beeinflusst werden,
wie die Leukoblasten und die einkernigen kleinen und grossen
Leukocyten des gleichen Thieres; die Kernstruktur in den ein-
zelnen Kernfragmenten bleibt in der Regel gut sichtbar, des-
gleichen sind die einzelnen Kernabschnitte mit Safranin distinkt
färbbar. Ich komme auf dieses Verhalten später nochmals zurück.
Bei längerer Einwirkung des Platinchlorids von der ge-
nannten Concentration, oder bei kurzer Einwirkung stärker con-
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532 M. L ö w i t :
centrirter Lösungen (0,5 — 1,0 ^/o) des gleichen Plafinsalzes auf
die lenkocytären Elemente des Krebsblutes, sowie auf die leuko-
cytären und leukoblastären Elemente der Tritonmilz treten nicht
in allen, aber doQh in ziendich zahlreichen Kernen eigenartige
Fadenstrukturen auf, die bei oberflächlicher Betrachtung einige
Aehnlichkeit mit der netzförmigen Struktur des Chromatin (Xueleini
in den Kernen der erythroblastären Elemente bieten ^). Vor einer
Verwechslung kann man sich jedoch leicht durch Beachtung fol-
gender Verhältnisse schtitzen : Die genannten Fadcnstmkturen
sind stets durch einen eigenartigen geradlinigen Verlauf ausge-
zeichnet, die einzelnen Fäden sind meistens lang und auch im
gefUrbten Zustande deutlich doppelt conturirt, sie sind mit Safranin
nur schlecht förbbar und geben den Farbstoff leicht an Alcohol
ab, eine auf mitotische Theilung hinweisende Anordnung der
Fadenstrukturen konnte nicht constatirt werden. Schon gelegent-
lich der Vornahme der verschiedenen mikrochemischen Reaktionen
an den Krebsblutzellen ^) habe ich das Erscheinen derartiger
födiger Bildungen im Kern constatiren können. Da ich sie da-
mals unter Verhältnissen auftreten sah, wo ein mehr oder we-
niger vollständiges Verschwinden des Nucleolin (Pyrenin) con-
statirt w erden konnte, so sprach ich dieselben damals mit Wahr-
scheinlichkeit als Lininföden an. Auf die nähere Untersuchung
dieser Veimuthung bin ich auch diesmal nicht eingegangen. Die
Verwechslung dieser durch Platinchlorid in der genannten Weise
veränderten leukoblastären mit den gut fixirten erythroblastären
und erythrocytären Elementen dürfte auf Grund des soeben Er-
örterten leicht vermieden werden können. An den in der Ka-
ninchenlymphe enthaltenen Zellen konnten (Ibrigens die eben ge-
schilderten Fadenbildungen in den leukoblastären Zellen, wahr-
scheinlich wegen der Kleinheit derselben nur sehr undeutlich
(Fig. 2 d), vielfach gar nicht constatirt werden.
Auf Grund der eben gemachten Befunde halte ich mich zu
der Annahme berechtigt, dass das Platinchlorid ein gutes Reagens
zur specicllen DiflFerenzirung der leukoblastären von den erj^thro-
1) Ich habe aus diesem Gnmdc und auch deshalb, weil stärkere
Platinchloridlösungen nur langsam in das Gewebe einzudringen sehei-
nen, zu den folgenden Untersuchungen hauptsächlich nur Concentra-
tionen von 0,1— 0,3®/o angewendet.
2) Ziegler's Beiträge etc. X, S. 253 f.
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leukoblaj^ten u. Erythroblasten etc. 533
blastären Elementen infolge der diflFerenten Beeinflussung der
wahrscheinlich chemisch differenten Kemsubstanzen der beiden
Zellenarten darstellt. Da nämlich im Krebsblute, wo der Haupt-
sache nach nur einkernige Leukocyten vorhanden sind, auch alle
diese Zellformen durch das Platinehlorid in der beschriebenen
Weise beeinflusst werden, da ferner bei jenen Thieren, wo be-
reits ein doppeltes Blutzellenmaterial (für rothe und weisse Blut-
körperchen) in den hämatopoetischen Organen vorhanden ist, nur
ein Theil desselben und zwar jener Theil, der seinem Baue und
seiner Beschaffenheit nach mit den Krebsleukocyten übereinstimmt,
durch das Platinchlorid in der genannten Weise verändert, ein
anderer Theil aber, der mit den von mir und auch von anderen
Autoren beschriebenen Erythroblasten gut übereinstimmt, nicht
verändert, vielmehr in normaler Weise fixirt wird, so halte ich
die obige Annahme für hinlänglich begrtlndet. Das Platinchlorid
dürfte mithin unter jene Reagentien einzureihen sein, welche das
Chromatin (Nuclein) gut fixiren und seine Färbbarkeit nicht al-
teriren, während sie das Nucleolin (Pyrenin) wesentlich verändern
und seine Färbbarkeit hochgradig beeinflussen. In wie fern
dieses Verhalten auch zur Difl^erenzirung anderer Zellenarten Ver-
wendung finden kann, müssen erst weitere Beobachtungen ergeben.
Die vorausgehenden Untersuchungen ermuthigten zu dem
Versuche, auf Grund einer Art von diflferenzirender Härtung mit
Platinchlorid eine Unterscheidung der beiden Zellenarten inner-
halb der Blutzellen bildenden Organe der höheren Thiere und
auf diese Weise eine Nachprüfung der von mir bereits früher
ermittelten Angaben über diese beiden Zellenarten vorzunehmen,
sowie neues Material über ihre Anordnung innerhalb dieser Or-
gane zu gewinnen.
Zu diesem Behufe wurde folgende Methode ausgearbeitet.
Kleine (ca. 3 — 5 mm Seitenlange) Stückchen der zu untersuchenden
Organe werden 12 — 24 Stunden in 0,1 — 0,3 ^/o Platinchloridlösung
belassen. Ich ziehe im Allgemeinen die schwächere Lösung vor,
mit der man für die weichen Organe (Knochenmark, embryonale
Leber) vollständig das Auslangen findet, nur für die consisenten-
teren Gewebe (Lymphdrüsen, Milz) habe ich mehrfach auch die stär-
kere Lösung herangezogen, obzwar auch hier 0,1% Platinchlorid
gute Resultate liefert. Ein längeres Verweilen in der Lösung
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534 M. Löwit.-
schadet nicht, ist aber nicht nöthig. Nach der Fixirung in
Platinchlorid wird das Präparat durch 24 Stunden in fliessendem
Wasser gut ausgewaschen, hierauf in Alcohol von steigender
Concentration schliesslich in absolutem Alcohol gehärtet und in
der gebräuchlichen Weise in . Paraffin eingebettet. Die Schnitte
werden durch 2 — 4 Minuten in einer alcoholischen Safraninlösang
(nach Fl eniming's Vorschrift) gefärbt und in Alcohol gut abge-
spült, bis keine sichtbaren Farbstoffwolken mehr vom Präparat ab-
treten. Saurer Alcohol muss vermieden werden, da in diesem voll-
ständige Entfärbung binnen kürzester Zeit erfolgt.
Schon in diesem Zustande können zwei Zellenartcn unter-
schieden werden; die eine zeigt dunkelroth distinkt, die andere
blassrosa diffus gefärbte Kerne; mit Bezug auf das früher
Erörterte kann wohl die erstcre Zellenart als Erythroblasten, die
letztere als Leukoblasten angesprochen werden. Bei dem Versuche,
den Unterschied der beiden Zellenarten durch eine Nachfarbung
der Leukoblasten markanter zu machen, stellte sich heraus, dass
diese Zellen durch die Behandlung mit Platinchlorid überhaupt
die Fähigkeit, sich mit einer der bekannteren kemfUrbenden
Substanzen distinkt zu färben, verloren haben; eine scharfe
DoppelfUrbung wollte auf diesem Wege nicht gelingen.
Dagegen gelingt es durch Nachbehandlung der mit Safranin
gefärbten und in Alcohol gut abgespülten Schnitte mit Jodpicrin-
alcohol scharfe und, wie ich glaube, überzeugende Bilder zu er-
halten. Der Jodpicrinalcohol wird in folgender Weise hergestellt:
Eine P/o alcoholische Picrinsäurelösung sowie die gewöhnliehe
officinelle Jodtinctur werden in Vorrath gehalten, das Gemenge
beider, der Jodpicrinalcohol, wird jedoch jeweilig frisch bereitet.
Zu diesem Behufe werden zu 3 — 5 ccm der alcoholischen Picrin-
säurelösung, d. i. etwa die Menge eines ührschälchens, 1 — 2
Tropfen Jodtinctur zugesetzt, so dass eine schwach bräunlich-
gelbe Flüssigkeit beim Umrühren entsteht. Hierin bleibt jeder
einzelne Schnitt 10 — 15 — 20 Sekunden, worauf derselbe gut in
Alcohol abgespült, in Nelkenöl aufgehellt und in Lack montirt wird.
Das Wesentliche dieser Nachbehandlung mit Jodpicrinalcohol
liegt darin, dass bei richtiger Anwendung derselben das adenoide
Sttttzgewebe von Lymphdrüsen, Milz und Knochenmark mit Ein-
schluss zahlreicher fixer Zellen desselben (Bindegewebs- und Endo-
thclzcllen), sowie die Leukoblasten und das etwa noch vorhandene
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Die Anordnung u. Neubildung" v. Leukoblasten u. Erythroblasten etc. 535
Hämoglobin in eleu Zellen ^) gelb gefärbt sind, während die Kerne
der Erythroblasten sowie einiger fixer Zellen in der ursprünglichen
Safraninfiirbung leuchtend roth erscheinen. Durch die gegensätz-
liche Färbung und durch die im Weiteren noch genauer zu er-
örternde differente ßeschafFenhcit der einzelnen Zellenarten treten
die Unterscheidungsmerkmale derselben deutlich hervor. Auch für
die Untersuchung der embryonalen Organe nach dieser Methode er-
gaben sich gut ausgeprägte analoge Ditferenzirungen. Lässt man
die Schnitte zu lange in Jodpicrinalcohol, so tritt zunächst eine
eigenthtlmliche braunrothe Färbung aller jener Elemente ein, welche
das Safranin auch dem Jodpicrinalcohol gegenüber lauge zurück-
zuhalten vermögen, schliesslich nehmen aber auch diese Elemente
eine scharfe Gelbfärbung an, womit natürlich jede Differenzirung
der einzelnen zelligen Elemente hinfallig geworden ist. Der gleiche
Effekt tritt auch bei Hinzufügen einer zu grossen Jodmenge zum
Picrinalcohol ein, selbst wenn die Präparate nur während der
früher geuannten kurzen Zeit der Einwirkung des Gemenges aus-
gesetzt bleiben. Uebung und Erfahrung lehren hier bald das
richtige Maass treffen; im Vorausgehenden konnten nnr die allge-
meinen Grundzüge der angewandten Methode angeführt werden.
Ausser dem Safranin wurden noch eine Anzahl von kem-
förbenden Substanzen mit nachträglicher Behandlung von Jod-
picrinalcohol angewendet, die Resultate waren nicht so befrie-
digend, weil, wie es scheint, nur das Safranin aus den früher
genannten Elementen unter Vermittlung des Jodpicrinalcohol voll-
ständig entfernt wird, worauf reine Gelbfärbung eintritt, wäh-
rend bei Anwendung von Gentianaviolett, Methylenblau, Häma-
toxylin etc. durch den Jodpicrinalcohol nicht sämmtlicher Farb-
stoff aus den Leukoblasten und den früher genannten Zellen ex-
trahirt wurde, wodurch Mischfarbungen resultirten, welche die
scharfe Unterscheidung der einzelnen Zellenarten wesentlich er-
schwerten.
Mit der im Vorausgehenden beschriebenen Methode wurden
untersucht Lymphdrüsen, Milz und Knochenmark von alten, gut
g-enährten Kaninchen, Katzen und Mäusen, die Peyer'schen Pla-
ques und Sollitärfollikel im Coecum und Dünndarm ausgewachsener
und heranwachsender Kaninchen und Katzen, Knochenmark und
1) Auch Bizzozero verwendet eine alcohoJische Pikrinsäure-
lösung zum Nachweis des Hämoglobin in den Zellen.
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536 M. Löwit:
Milz von ausgewachsenen gut genährten Tauben, die Milz von
frisch gefangenen Tritonen, sowie die Leber von Mäuse- und
Kaninclienembryonen in verschiedenen Entwicklungsstadien.
Die Fixirung der genannten Objekte mit Platinchlorid ge-
währt der Anwendung des Sublimates und der Fle mm Inguschen
Säuregemische gegenüber den grossen Vortheil, dass das adenoide
Gewebe, die Trabeculai*substanz der genannten Organe, mit grosser
Prägnanz hervortritt; das Verhältniss der hämatopoetischen Zellen
dieser Organe zu dem bindegewebigen Stützgewebe, sowie zu
den fixen zelligen Elementen derselben tritt bei keiner andeni
der von mir in Anwendung gezogenen Conservirungsmethoden
(Sublimat, starke und schwache Flemming'sche Flüssigkeit)
mit solcher Schärfe zu Tage wie beim Platinchlorid, üeber die
gi-osse Menge und die eigenartige Anordnung der in den genannten
Organen vorhandenen fixen Gewebselemente (im Gegensatze zu
den eigentlichen lymphoiden Elementen) gewähren thatsächlieh
nur derartige Präparate eine klare Voi-stellung. Von den Ar-
beiten jüngeren Datums haben jene von Baumgarten*) und
Ribbert*) sich am eingehendsten mit diesen Gewebselementen
beschäftigt. Wenn nun auch die soeben beschriebene Methode
der Härtung und Färbung keine unbedingt geltenden ünterscliei-
dungsmerkmale der verschiedenen Zellenarten innerhalb der Blnt-
zellen bildenden Organe bietet, so gew^ährt sie doch hinlängliche
Anhaltspunkte, um diese Zellenarten bei eingehendem Studium
besser auseinanderhalten zu können, als dies bisher thunlich war.
II. Die einzelnen Zellenformen innerhalb der Blntzellen
bildenden Organe.
A) Fixe Zellen.
Würden in den Blutzellen bildenden Organen ausschliesslich
Leukoblasten und Erythroblasten enthalten sein, oder wären inner-
halb dieser Organe die Erythroblasten die einzigen chromatin-
(nuclein)haltigen Zellen, die sich durch Mitose vermehren und
bei der angewandten Färbungsmethode roth färben, die Leuko-
blasten aber die einzigen nucleolin(pyrenin)haltigen Elemente, die
sich amitotisch theilen und gleichzeitig gelb färben, so wäre die
1) Zeitschrift für klin. Medizin Bd. IX u. X.
2) Ziegler's Beiträge etc. 1889, Bd. VI, S. 187 f.
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leukoblasten u. Erythroblasten etc. 537
Unterscheidung der verschiedenen zelligen Bestandtheile innerhalb
der Blutzellen bildenden Organe auf Grund der angeführten Methode
eine sehr einfache und leichte. Dem ist aber nicht so. Wie
bereits erwähnt wurde, sind innerhalb der genannten Organe
Bindegewebszellen und Zellen von endothelialem oder epithelialem
Charakter in grosser Menge vorhanden, was bereits von Ribbert
scharf hervorgehoben wurde. Diese können entweder roth oder
gelb gefUrbt erscheinen, worauf ich später noch genauer zurück-
zukommen haben werde, und diese Zellen sind es auch, welche
bei der Unterscheidung von Erythroblasten und Leukoblasten
eine besondere Beachtung finden müssen.
Ob es nun geboten ist, eine durchgreifende Trennung zwischen
den bindegewebigen und den epi- oder endothelialen Elementen
des adenoiden Gewebes vorzunehmen, wie dies Ribbert für die
Lymphdrüsen gethan hat, möchte ich mit Sicherheit nicht ent-
scheiden. Ich habe aus meinen Präparaten den Eindruck em-
pfangen, als ob eine scharfe Trennung in jedem einzelnen Falle
nicht durchführbar wäre, und ich werde mich daher begnügen, von
den fixen zelligen Elementen des adenoiden Gewebes in Lymph-
drüsen, Milz und Knochenmark überhaupt zu reden, unter welcher
Bezeichnung dann die beiden genannten zelligen Elemente zu-
sammengefasst erscheinen. Allerdings hat Ribbert die endothe-
lialen Zellen in den Lymphdrüsen nicht als ein fixes Gewebs-
element angesprochen, weil er in Uebereinstimmung mit Baum-
garten die Anschauung vertritt, dass aus ihnen durch mitotische
Theilung die innerhalb der Lymphdrüsen gebildeten Leukocyten
hervorgehen, eine Annahme, die in veränderter Form auch für
die andern Blutzellen bildenden Organe von vei-schiedenen Seiten
gemacht wird [Geelmuyden^), HowelP), Lovell Gulland^)].
Ich konnte aber auch diesmal, ebenso wie bei meinen frühem
Untersuchungen, keinerlei Anhaltspunkt für eine solche Annahme
finden; auch Denys^), van d^r Stricht^), und bis zu einem
1) Virchow's Archiv Bd. 105, S. 13B flF.
2) Journal of Morphol. Boston 1890, Vol. IV, pag. 57 s.
3) Laboratory Reports issued by the Roy. College of Physicians.
Edinburgh 1891, Vol. III, pag. 106 f.
4) La Cellule. 1887. T. IV, pag. 203 ss.
5) Le developperaent du sang dans la foie embryonnaire. Liege
1891, pag. 41.
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538 M. Löwit:
gewissen Grade auch Flemming^), haben sich gegen eine solche
Umwandlung der fixen Gewebselemente in lymphoide Zellen aus-
gesprochen.
Würde eine solche Entstehung der leukoblastären Elemente
aus fixen Zellen angenommen werden, so müsste auf Grund meiner
Befunde die weitere Annahme gemacht werden, dass das Kcm-
chromatin(-nuclein) der fixen Zellen eine Umwandlung zu Nucleolin
(Pyrenin) durchmacht, wofür ich aber keinerlei Anhaltspunkte
auffinden konnte, wie ja überhaupt der Uebergang des einen
Körpers in den andern bisher noch für keinen Fall wahrscheinlich
gemacht, viel weniger noch bewiesen wurde 2). Zwischen den
fixen Zellen aber einerseits und den erythroblastären Elementen
anderseits bestehen, wie sich aus dem Folgenden ergeben wird,
doch immerhin so hervorstechende Unterschiede, dass ich die An-
nahme einer Entstehung der letzteren aus den ersteren als sehr
unwahrscheinlich bezeichnen muss. Es hat übrigens bereits
Flemming^) darauf hingewiesen, dass die von Baumgartcn-
Ribbert angenommene Umwandlung fixer in lymphoide Zellen
weder direkt bewiesen, noch direkt widerlegt werden kann.
Welches sind nun die Charaktere dieser fixen Gewebs/ellon
innerhalb der Blutzellen bildenden Organe in den nach der ange-
gebenen Methode behandelten Präparaten? Ich bemerke im Vorhin-
ein, dass in den folgenden Figuren (Tafel XXXII— XXXIV:» die
Kerne der Erythroblasten roth, jene der Leukoblasten gelb, und
die der fixen Gewebselemente schwai-z gezeichnet sind; dadurch
soll eine grössere Uebersichtlichkeit der Zeichnungen er/ielt
werden. In den Präparaten erscheinen allerdings die ruhentlcn
Kerne der fixen Zellen meistens gelb, ab und zu auch schwach
röthlich, in den zugehörigen mitotischen Figuren meistens roth
gefärbt, gelb gefilrbte Mitosen fixer Zellen sind jedoch gelegent-
lich gleichfalls zu finden. Wenn man sich aber erst einmal mit
den Charakteren der fixen Zellen in den Präparaten vertraut ge-
macht hat, so wird es immer möglich sein, dieselben auch bei
vorhandener gelber oder rother Färbung ihrer Kerne zu erkennen.
Sie sind vor allem durch die Gnisse ihres Kernes, auch im
ruhenden Zustande, gegenüber den Kernen der leuko- und ery-
1) Archiv für mikroskop. Auat. Bd. XXXVII, S. 271 f.
2) Vgl. Zicgler's Beiträge etc. Bd.X, S.264f.
3) a. a. O. S. 273.
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leukoblasten u. Ery throblasten etc. 539
throblastären Elemente ausgezeichnet (Fig. 3 — 33), die Kerne
selbst zeigen im ruhenden Zustande meistens ein sehr zartes und
chroniatin(nuelein)armes Gerüst- oder Netzwerk, in dem vielfach
ein oder mehrere kernkörperchenartige Gebilde sichtbar sind; an
den grossem derartigen Zellen, namentlich an den entsprechenden
Elementen aus der Tritonenmilz, sind oft mehr oder minder tiefe
Einkerbungen und Einbuchtungen der Kernperipherie sichtbar
(Fig. 14, 18, 20, 23, 25), die den Eindruck hervorrufen, als ob
man eingebuchtete und mehrkernige Leukocyten, oder in amito-
tischer Theilung begriffene Kerne vor sich hätte. Beides ist je-
doch nicht der Fall. Gerade die mehrkeraigen Leukocyten er-
scheinen, wie bereits erwähnt wurde, bei der angewandten ünter-
suchungsmethode in der Regel roth gefilrbt, während die be-
schriebene Art der fixen Zellen in der Regel gelb gefärbt iat;
auf diese Färbungsdifferenzen komme ich noch eingehender zu-
rück. Dass man es aber bei derartigen Einbuchtungen nicht mit
einer Amitose zu thun hat, zeigt der Umstand, dass man an der-
artigen gelappten Kernen ab und zu ein deutliches Chromatin-
(Xuclein)gertist(Fig 14, 25) und, wie auch schon Flemming^) an-
gegeben hat, die Zeichen echter mitotischer Theilung nachweisen
kanu^). In den Kernen jener (leukoblastären) Zellen, welche
innerhalb der Blutzellen bildenden Organe auf Grund meiner
Untci-suchungen Amitose zeigen, sind bei Anwendung von Platin-
chlorid netz- oder gerüstartige Bildungen überhaupt nicht nach-
Mcisbar, sie erscheinen vielmehr gleichmässig diffus gelb gefärbt
und lassen allenfalls noch als Reste der Kerastruktur ein oder
mehrere etwas intensiver gefärbte gelbe (Nucleolin-, Pyrenin-)
Kliimpchen im Kerne erkennen. Gerade darin liegt ja im Wesent-
lichen der grosse Vortheil bei der Anwendung des Platinchlorid
als Fixirungsmittel für die genannten Organe. Für die Erkennung
der fixen Elemente wird daher nicht blos die Grösse der Zelle,
sondera auch die Beschaffenheit des Zellkernes verwerthet wer-
den können. Die Leukoblasten zeigen in der Regel einen homo-
genen (gelb gefärbten) Kern, die fixen Zellen lassen ein meistens
sehr zartes Gerüstwerk im Kern bei gelber oder blassröthlicher
1) a. a. 0. S. 259, Tafel XTII, Fig. 5.
2) Aehnlicho Bilder dürften wahrscheinlich Carnoy (La Ccllule
1885, T. I, S. 359 f., Tafel I, Fig. 1—5, Fig. 8 b) zu der Annahme eines
üeborg-anf^es zwischen Amitose und Mitose veranlasst haben.
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540 M. Löwit:
Färbung erkennen, die Erythroblastenkeme sind wesentlich kleiner
als jene der fixen Zellen und dunkelrotli gefärbt.
Die Neubildung der genannten fixen Zellen erfolgt aus-
schliesslich durch Mitose, die innerhalb aller untersuchten Organe,
mit Ausnahme der Milz von Triton, in welcher bei reichlich vor-
handener Mitose der Erythroblasten nur sehr spärliche indirekte
Theilung der fixen Elemente gefunden wurde (Fig. 20), in sehr
reichlichem Grade vor sich geht. Die Mitosen der fixen Zellen
sind durchgehends, ganz abgesehen von ihrer Lage, im Gewebe
schon durch ihre Grösse gegenüber den Mitosen der Erythro-
blasten kenntlich, demzufolge sind auch die Mitosen der fixen
Zellen in ihren einzelnen Stadien weit besser fixirt, die Chromatin-
(Nuclein)schleifen derselben weit besser unterscheidbar, als in den
Mitosen der Erythroblasten.
Die früher bereits erwähnte Chromatinarmuth der ruhenden
Kenie der fixen Zellen ist auch an den Mitosen derselben kennt-
lich, die einzelnen chromatischen Elemente der indirekten Thei-
lungsfigur erscheinen dementsprechend schlanker und schmächtiger,
als die gleichen Elemente bei den Erythroblastenmitosen (Fig. 3,
9, 10, 11, 12, 14, If), 16, 29, 32, 33, 39, 43, 45). In der
relativen Chromatin(Nuclein)armuth der Kerne der fixen Zellen
dürfte wahrscheinlich auch die Ursache für die bald blassröthliche,
bald rein gelbe Färbung derselben gelegen sein. Der Kern, das
Kemgerüst und die Kemfigur werden wahrscheinlich in den
Erythroblasten wie in den fixen Zellen durch das Platinchlorid in
gleichem Sinne beeinflusst, beide werden, die einen wegen ihrer
Grösse besser, die andern wegen ihrer Kleinheit undeutlicher
durch das Platinchlorid fixirt. Untersucht man die Präparate
nach der Safraninßlrbung, ohne dass die Doppeltärbung durch
Jodpicrinalcohol vorgenommen wurde, so zeigen auch die Kerne
der fixen Zellen, die nfian bei einiger Uebung auch an derartigen
Präparaten erkennen lernt, gegenüber den diffus roth geförbten
leukoblastärcn Elementen ein deutlich, aber blassroth gefärbte«
chromatisches Netzwerk und distinkt roth gefärbte Mitosen. Durch
den Jodpicrinalcohol wird dann das Safranin aus den durch
PtCl^ veränderten leukoblastärcn Elementen stets vollständig,
aus den nicht veränderten fixen Zellen, wahrscheinlich wegen
der Zartheit ihrer Kemfiiden und der relativen Chromatin(Nu-
clein)anmith derselben, doch ab und zu vollständig entfernt;
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leukoblasten u. Erythroblasten etc. 541
je kürzer die Einwirkung des Jodpieriualcohol gewährt hat, je
geringer der Jodzusatz zur alcoholischeu Picriusäurelösung war,
desto unvollständiger geht die Entfernung des Safranin aus den
Kernen der fixen Zellen vor sich, und umgekehrt. Doch ist auf
das Bestehenbleiben der Safraninfarbung und auf das Eintreten
der Gelbfilrbung nach der Behandlung mit Jodpieriualcohol ge-
wiss auch die jeweilige Beschaffenheit des Kerngerüstes von
Eintluss, derart, dass ruhende Kerne fixer Zellen weit leichter
als in der Mitose begriffene vom Safranin befreit werden. Je
nach der Dauer der Jodpicrinalcoholeinwirkung können daher
einzelne fixe Zellen, sowohl ruhende als in Theilung begriffene,
roth, andere gelb gefärbt erscheinen. Die Kerne der Erythro-
blasten werden durch Jodpicrinalkohol wahrscheinlich wegen der
grr»sscra Dicke der einzelnen „chromatischen'^ Elemente und wegen
des (relativ) grösseren Chromatin(Nuclein)gehaltes derselben weit
langsamer entfärbt als die Keine der fixen Zellen.
Was nun die Beschaffenheit des Protoplasmaleibes der fixen
Zellen anbelangt, so ist hierüber folgendes zu erwähnen. Die
auf Grund der vorausgehend geschilderten Charaktere als die
Kerne fixer Zellen erkannten Gebilde sind vielfach von einem
deutlichen, sehr fein granulirten Zellleib umschlossen (Fig. 4, 5,
9, 13, 14, 16, 23, 26, 27, 30, 31, 33), der in zahlreichen Fällen
zackige, fortsatzartige Contouren, in andern Fällen aber einen
glatten runden fortsatzlosen Contour aufweist. Ich kann mich da-
her der von verschiedener Seite aufgestellten Unterscheidung
zwischen den fixen Zellen und den freien (lymphoiden) Zellen
der Blutzellen bildenden Organe nicht anschliessen , wonach
die fixen Zellen ausschlieslich verästelte Elemente des Reti-
culärgewebes, die freien Zellen aber runde oder länglich runde
Gebilbe ohne Ausläufer darstellen. Auf Grund meiner Beob-
achtungen können auch fixe Zellen diese letzgenannten Charak-
tere besitzen, wovon man sich namentlich leicht an den fixen
Zellen des Hilusstroma ^) und auch der grossen Lymphsinus im
Allgemeinen überzeugen kann. Hält man sich ausschliesslich an
diese Charaktere, so scheint mir eine Verwechslung fixer Zellen
und der in ihnen vorkommenden Mitosen mit den eigentlichen
Lymphoidzellen innerhalb der Blutzellen bildenden Organe unver-
meidlich, zumal wenn man Untersuchungsmethoden verwendet,
1) vgl. His, ZeitRchrift für wiss. Zoologie Bd. XI, 1802, S. 05 f.
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542 M. Löwit:
welche die Diflfercnzcn der einzelnen Zellenarten und ihre gegen-
seitige Beziehung zu einander innerhalb der genannten Organe
nicht scharf genug hervortreten lassen. Die Vergleichung von
Präparaten, die in Fl ein ming^scher Flüssigkeit oder in Sublimat
gehärtet und dann in der üblichen Weise gefärbt, mit solchen,
die nach der hier beschriebenen Methode dargestellt wurden, zeigte
mir, dass die Möglichkeit einer derartigen Verwechslung sehr
naheliegend ist.
Bei zahlreichen Kernen fixer Elemente ist aber ein distink-
ter Protoplasmaleib nicht zu erkennen, es liegen scheinbar nackte
Kerne vor (Fig. 6, 7, 8, 15, 17, 26, 27, 29, 32, 41), die dem
Reticulärgewebe mehr oder minder anliegen, und von welchen
vielfach mehrere zarte Trabecularstränge abzustrahlen scheinen
(Fig. 13). Derartige Bilder mr)gcn es wohl insbesondere gewesen
sein, welche zur Aufstellung der fixen verästelten Zellen innerhalb
des Reticulärgewebes und zur Absonderung derselben von den
mit einem deutlich sichtbaren Protoplasmaleib (mit oder ohne
Fortsätzen) versehenen und als Endo- oder Epithelzellen bezeich-
neten Elementen Veranlassung gegeben haben. Ich möchte mich
nun durchaus nicht im Principe gegen eine solche Sonderung der
fixen Elemente des Reticulärgewebes in zwei Gruppen aussprechen,
ich glaube nur, dass das vorliegende Material zu einer derartigen
Trennung nicht ausreicht. Bereits His^) und v. Reckling-
hausen*), namentlich aber Bizzozero^) und Ran vi er*) haben
die grosse Verbreitung der Endothelzellen innerhalb der Lymph-
drüsen erkannt. Gerade aus den Untersuchungen der beiden
letztgenannten Autoren, namentlich jener von Bizzozero, ging
hervor, dass auch die dem Reticulärgewebe dicht anliegenden
scheinbar freien Kerne Endothelzellen angehören können, deren
Protoplasmaleib sich innig dem Reticulärgewebe, dasselbe um-
spinnend, anlegt. Bizzozero^) hat dies Vcrhältniss dahin formu-
lirt, „dass die zelligen Elemente des Sinusreticulum nicht inner-
halb der Trabckeln in deren Masse eingebettet sind, sondcni auf
1) Zeitschrift für wiss. Zoolog. Bd. X, 1860, S. 333 ff. Bd.XI,
a. a. O. Bd. XIII, 1863.
2) Stricker 's Handbuch der Lehre von den Geweben 1871,
Bd.I, S. 214 ff.
3) Moleschott's Unters, zur Naturlehre 1876, Bd.XF, S.SOOf.
4) Technisches Lehrbuch der Histologie 1888, S. 637f.
5) a.a.O. S. 301.
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Die Anordnung ü. Neubildung v. Leukoblasten u. Erythroblasten etc. 543
deren Oberfläche aufliegen, oder in den von den Trabekeln ge-
bildeten Masehen schleierartig ausgespannt sind". Es kann also*
anf Grund dieser Angaben von Bizzozero, die ich vollständig
zu bestätigen in der Lage bin, die eigenartige Form der freien
Kerne und sogenannten verästelten Bindegewebszellen dadurch
bedingt sein, dass in Folge der Lagerung des Zellenleibes oder
in Folge der Sehnittrichtung das Zellprotoplasma unsichtbar ist,
oder entsprechend dem Trabekulargewebe eine verästelte Form
angenommen hat, dass mithin trotz der scheinbar für die verästelten
Bindegewebszellen charakteristischen Form eine Endothelzelle vor-
liegt. Damit will ich durchaus nicht in Abrede stellen, dass dem
Trabekulargewebe innerhalb der Blutzellen bildenden Organe
echte Bindegewebszellen zukommen, ich meine nur, dass unter
den gegebenen Umständen nicht in jedem einzelnen Falle die
Unterscheidung, ob eine Bindegewebszelle oder eine Endothelzelle
vorliegt, durchführbar ist, weshalb ich mich auf die Bezeichnung
einer fixen Zelle im Allgemeinen gegenüber den eigentlichen
hämatopoetischen oder lymphoiden Zellen der genannten Organe
beschränke.
Was nun die Verbreitung und Lagerung dieser fixen Zellen
innerhalb der Blutzellen bildenden Organe, namentlich innerhalb
der Lymphdrüsen anbelangt, so hat bereits His die Gegenwart
von Epithelzellen innerhalb der Lymphsinus und Ljinphbahnen
der Rindensubstanz und des Hilusstroma nachweisen können; ob
solche Zellen auch auf dem Reticulum der Marksubstanz vor-
handen sind, konnte von His*) nicht entschieden werden. Auch
V. Recklinghausen lässt diese Frage unentschieden , wäh-
rend B i z z 0 z e r o und R a n v i e r sich mit Sicherheit von der
Gegenwart von Endothelzellen auch au der Oberfläche der Fol-
licularstränge, sowie auf dem Reticulargewebe innerhalb der Fol-
licularstränge überzeugen konnten.
Bizzozero hat bereits, wie aus der oben mitgetheilten
Bemerkung hervorgeht, die sich jedoch nur auf das Reticulum
der Lymphdrüsensinus bezieht, zwischen Endothelzellen unter-
schieden, die auf der Oberfläche des reticulären Gewebes ge-
legen sind, und solchen, welche in den von den Trabekeln ge-
bildeten Maschen schleierartig ausgespannt sind. An dem Fol-
likulargewebe scheinen sowohl Bizzozero als auch R a n v i e r
1) Zeitschrift für wiss. Zool. Bd. Xlll, 1863, 8. 469.
Archiv f. mikrosk. Anat Bd. 38 35
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544 M. L ö w i t :
nur die auf der Oberfläche des reticulären Gewebes gelegenen
Endothclzellen gesehen zu haben.
Auf Grund meiner Untersuchungen muss ich betonen, dass
auch innerhalb des eigentlichen Drüsenparenchynis der Lymph-
drtlsen (Follikel und Follikularstränge) zwischen dem reticulären
Gewebe desselben fixe Zellen (Endothclzellen) „schleierarlig" aus-
gespannt sind (Fig. 4, 8, 12, 14, 18, 26, 27, 30^ 31). Ich habe
den Eindruck empfangen, dass die „lymphatische Endothelmem-
bran" (Ranvier) nicht nur eine Abgrenzung gegen die das Par-
enchym umgebenden Lymphsinus und Lymphbahnen bildet, son-
dern dass sich dieselbe auch innerhalb der Follikel und Folli-
kularstränge selbst vorfindet und hier zur Auskleidung kleinster
durch das Reticulärgewebe selbst gebildeter Spalten und sinns-
artiger Räume beiträgt, die vielleicht in ihrer Gesammtheit die
Wurzeln der aus den Lymphdrüsen abführenden Lymphgefösse
darstellen.
Ohne nun im Einzelnen auf eine detaillirtere AusfUhmng
dieses Verhältnisses jetzt schon eingehen zu können, glaube ich
doch betonen zu sollen, dass der Nachweis grosser Mengen fixer
zwischen dem reticulären Gewebe gelegener (Endothel-)Zellen
innerhalb der Follikel und Follikularstränge doch wohl auf die
Annahme einer nahen Beziehung dieses Gewebes zu den abf&b-
renden grösseren Lymphgefässen hinweist, durch welche ja die
innerhalb der Lymphdrüsen neugebildeten zelligen Elemente dem
allgemeinen Lymph- und Blutstrome zugeführt werden. Auf
Grund dieser soeben erwähnten Annahme könnte dann auch das
eigentliche Lymphdrüsenparenchym als eine Fortsetzung oder
vielleicht geradezu als eine Auflösung der grösseren zuführenden
Lymphgefasse in ein weitverzweigtes und complicirtes Spalt-
system kleinster Lymphcapillarcn und sinusartiger Lymphräume
angesehen werden. Ich komme später bei Besprechung der
eigentlichen hämatopoetischen Zellen dieser Organe nochmals auf
diesen Punkt zurück.
Bezüglich der fixen (Endothel-)Zellen in dem reticulären
Gewebe der Solitärfollikel und der Peyer'schen Plaques im Darme
fand ich eine ganz analoge Anordnung und Vertheilung wie in
den Lymphdrüsen selbst (Fig. 9, 29, 46). Auch hier konnte
eine reichliche Anwesenheit derartiger Zellen bis in die kleinsten
Spalträume des adenoiden Gewebes hinein constatirt werden; so
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Die Anordnung' ü. Neubildung v. Leukoblasten u. Erythroblasten etc. 545
dass wahrscheinlich hier die gleichen Verhältnisse wie in den
Lymphdrüsen herrschen dürften.
Innerhalb Milz und Knochenmark, namentlich aber inner-
halb der Milz, treten die Beziehungen der fixen (Endothel-)Zellen
zu dem reticulären Gewebe nicht so markant wie in den Lymph-
drüsen hervor. Indessen vermochte ich doch auch in den beiden
genannten Organen reichliche Mengen fixer (Endothel-)Zellcn zwi-
schen den Lymphoidzellen zu erkennen. Besonders an solchen
Stellen, wo innerhalb Milz und Knochenmark die lymphoideu
Zellen (Leukoblasten und Erythroblasten) in nicht zu dichter An-
ordnung vorhanden sind, konnten zwischen den Lymphoidzellen
mehr oder minder zahlreiche fixe (Endothel-)Zellen gesehen wer-
den, welche mit Bezug auf das Reticulärgewebe die gleiche An-
ordnung wie in den Lymphdrüsen erkennen Hessen. Ich habe
bei mehreren Kaninchen eine intravenöse Injection grösserer
Mengen von 1 *^/o Kochsalzlösung durch die Vena jugularis ex-
terna vorgenommen, in der Erwartung, dass möglicher Weise
durch die raschere Blutdurchströmung auch eine energischere
Ausspülung der lymphoiden Zellen aus den Blutzellen bildenden
Organen erfolgen würde, wodurch die fixen (Endothel-)Zellen besser
sichtbar werden raüssten. Für Lymphdrüsen und Knochenmark
hat sich die ausgesprochene Erwartung auch bestätigt, für die
Milz trat jedoch ein eclatanter Erfolg nicht ein^). Es ist aber
der erwähnte Kunstgriff auch gar nicht erforderlich, da auch an
den genannten Organen selbst unter vollständig noimalen Ver-
hältnissen immerhin genug Stellen aufgefunden werden können,
an denen in Folge dünn gesäetcr Lymphoidzellen die fixen (En-
dothel-)Zellen und ihr Verhältnis« zum reticulären Gewebe mit
hinlänglicher Deutlichkeit hervortreten.
Wenn nun aber auch wahrscheinlich in Milz und Knochen-
mark eine analoge Endothelauskleidung des die lymphoiden
Zellen enthaltenden reticulären Gewebes vorhanden ist, so besteht
doch gerade für die beiden Organe gegenüber den Lymphdrüsen
insofern eine DiflFerenz, als das eigentliche Milzge^ebe (Pulpa-
1) Auch in der von K o e p p e (Archiv für Physiol. 1890, Suppl.
S. 174 f.) durchgeführten Untersuchung tritt das Reticulärgewebe mit
seinen massenhaften fixen Zeilen sehr deutlich nach Unterbindung der
Lymphgefässe von Lymphdrüsen hervor, wodurch die lymphoiden
Zellen im Organe zum Schwunde gebracht werden.
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546 M. Löwit:
stränge und Malpighi'sche Körperchen) sowie das eigentliche
Knocbenmarksgewebe, soweit es als Bildungsstätte lymphoider
Zellen in Betracht kommt, mit der Ausbreitung des Bhitgefass-
systcras und nicht, wie bei den Lymphdrüsen, mit der Ausbrei-
tung des Lymphgefässsystems in näherer Beziehung steht, was
übrigens für Milz und Knochenmark schon vielfach ausgesprochen
wurde, seitdem ihre hämatopoetische Funktion bekannt ist. Es
wird eben das in den Lymphdrüsen gebildete lymphoide Zellen-
material dem allgemeinen Blutstrome durch die Lymphe, das
in Milz und Knochenmark gebildete Zellenmaterial seiner Haupt-
masse nach durch das aus den Venen dieser Organe abfliessende
Blut zugeführt*). Als eine allen drei untei-suchten Blntzellen
bildenden Organen gemeinschaftliche Eigenschaft ist aber, wie
ich glaube, hervorzuheben, dass fixe (Endothel-)Zellen bis zwi-
schen die feinsten Ausläufer des reticulären Gewebes verfolgt
werden können, wodurch die Annahme feinster mit Endothel
ausgekleideter Spalträume oder mehr sinusartiger Gänge für
alle drei Organe nahe gelegt wird, die in den Lymphdrüsen wahr-
scheinlich zu den Lymphgefössen, in Knochenmark und Milz
wahrscheinlich zu den (venösen) Bluträumen in nähere Beziehung
treten. Die Lagerung der Lymphoid- oder hämatopoetiscben
Zellen dieser Organe innerhalb der genannten Spalträume und
Gänge soll im nächsten Abschnitt im Zusammenhange erörtert
werden.
Bezüglich der Neubildung der fixen (Endothel-)Zellen in den
verschiedenen Abschnitten der hämatopoetiscben Organe habe
ich noch zu bemerken, dass in allen untersuchten Organen mit
Ausnahme der Tritonenmilz sehr reichliche Mitosen derselben
gefunden wurden. In den Lymphdrüsen sind sie sowohl in den
Follikeln, wo sie namentlich in den Fl emming' sehen Keim-
zentren sehr gut gesehen werden, als auch in den FoUikular-
strängen in wechselnden, meistens aber in beträchtlichen Mengen
vorhanden, aber auch innerhalb des Hilusstroma können indirekte
Theilungen ^derselben in grosser Zahl constatirt werden. Ich
habe eine mesenteriale Lymphdrüse eines normalen Kaninchens
untersucht, bei welcher eine enorme Neubildung der fixen Zellen
1) Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wiss. in Wien. Matli.-naturw.
Klasse 1887, lIl.Abth., Bd. 95.
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leukoblasten u. Erythroblasten etc. 547
im Hilusstroma vorbanden war, während eine solche bei anderen
Thieren am gleichen Orte fehlte oder nur in massigem Grade
nachweisbar war. Bestimmte allgemein giltige Angaben lassen
sich überhaupt, wie ich glaube, über diesen Gegenstand nicht
machen, ausser jener, dass Mitosen der fixen Zellen tiberall, wo
derartige Zellen vorhanden sind, beobachtet werden können. Es
ist allerdings auflfällig, dass man in den sogenannten Flem-
ming'schen Keimcentren nahezu stets reichliche Mitosen der
fixen Zellen vorfindet, ich habe indessen in vereinzelten Fällen
auch solche Sekundärknötchen angetroffen, in welchen nur ganz
spärliche Mitosen der fixen Zellen nachgewiesen werden konnten.
Es ist mir sehr wahrscheinlich geworden, dass das reichlichere
Hervortreten der fixen Mitosen, wie ich sie kurz den Erythro-
blastenmitosen gegentiber bezeichnen möchte, innerhalb der Keim-
centren hauptsächlich darauf zurtickzuftihren ist, dass an dieser
Localität, wie schon F 1 e m m i n g angab, die einzelnen lymphoi-
den Elemente meistens mehr auseinandergedrängt erscheinen,
weshalb die fixen Zellen und ihre Mitosen besser sichtbar werden.
Es können aber, wie bereits erwähnt wurde, auch in den Mark-
strängen, in den Lymphsinus und Lymphbahnen um die Follikel
und FoUikularstränge herum und im Hilusstrome reichliche, ja
geradezu massenhafte fixe Mitosen hervortreten.
Beztiglich der Anordnung, Lagerung und Neubildung der
fixen Zellen innerhalb Milz und Knochenmark bestehen mu-
tatis mutandis im Wesentlichen die gleichen Verhältnisse, wie
innerhalb der Lymphdrüsen, weshalb ich eine detaillirtere Schil-
derung hier übergehen zu dürfen glaube. Eine Vergleichung der
diesbeztiglichen Abbildungen auf den Tafeln bestätigt die nahe
TJebereinstimmung der in Betracht kommenden Verhältnisse.
Bei dem Studium der Neubildungsvorgänge an den fixen
Zellen der Blutzellen bildenden Organe fallen häufig Bilder auf
(Fig. 3, 14, 24, 25), welche an jene erinnern, die ich frtiher^)
für die Neubildung von Leukoblasten innerhalb der hämatopoeti-
schen Organe und später auch für die Neubildung der Leuko-
cyten des Krebsblutes*) angegeben habe; namentlich an den
grösseren fixen Zellen der Tritonenmilz kann die äussere, formale
1) Sitzungsber. der k. Akad. d. Wiss. in Wien, 1885, III. Abth.,
Bd. 92.
2) Ziegler's Beiträge etc. Bd. X.
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548 M. L ö w i t :
Aehnlichkeit der genannten Zellenarten sehr prä^ant her\'or-
treten, so dass die Annahme der Abstammung der leukoblastären
und der einkernigen leukocytären Elemente der Lymphe und des
Blutes von den genannten fixen Zellen gerade durch diese Aehn-
lichkeit der Kernbilder gestützt werden könnte.
Ich könnte aber eine solche Annahme nicht als begründet
ansehen. Die Kerne der fixen Zellen, von denen hier die Rede
ist, weisen auch im ruhenden Stadium ein Kemgerüst auf, das
wohl als ein Chromatin-(Nuclein-)Gerüst angesprochen werden
darf. Während der die Mitose einleitenden Stadien treten nun
innerhalb dieses dünnen und zarten Netzwerkes dickere Chro-
matin-(Nuclein-)Klumpen und Stränge auf, wodurch gerade die
erwähnte äussere Aehnlichkeit mit den Kernen der leukoblastären
Elemente hervorgei'ufen wird. Als unterscheidendes Moment muss
aber betont werden, dass an derartigen Kernen der fixen Zellen
bei genügender Häufung der Beobachtung zahlreiche Uebergänge
zum Stadium des dicht gewundenen Mutterknäuels gefunden wer-
den können, und dass weiterhin gerade die angewendete Fixi-
rung der Objekte mit Platinchlorid ein ausreichendes Mittel
an die Hand giebt, um die fixen Zellen von den leukoblastären
Elementen zu trennen, indem durch die eigenartige Wirkung des
Reagens die Kemstruktur in den Leukoblasten wie verwischt
und ausgelöscht erscheint. Ich würde es daher nicht für be-
gründet ansehen können, auf Grund einer äusseren, formalen
Aehnlichkeit eine Abstammung der Leukoblasten von den ge-
nannten fixen Zellen annehmen zu wollen, da trotz dieser Aehn-
lichkeit durch die verschiedene chemische Beschaffenheit der
beiderseitigen Kemsubstanzen eine, wie ich glaube, ausreichende
Differenz begründet erscheint, welche gegen eine solche Abstam-
mung spricht. Die Frage nach dem Uebergänge der einen Sub-
stanz in die andere habe ich bereits bei einer anderen Gelegen-
heit*) und höher oben berührt, und auf die weitere Frage, ob
durch das Platinchlorid alle leukoblastären Elemente hinlänglich
beeinflusst werden, so dass auf Grund dieser Beeinflussung die
Unterscheidung von den fixen Zellen in jedem Falle möglich ist,,
komme ich später noch zurück.
1) Z i e g 1 e r 's Beiträge Bd. X, S. 264 f.
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leukoblasten u. Erythroblasten etc. 549
B) Erythroblasten.
Um Missverständnisse zu vermeiden, bemerke ich gleich
von vornherein, dass ich, wie in mehien früheren Arbeiten, auch
jetzt noch als Erythroblasten nur die hämoglobinfreien Vorstufen
der rothen Blutkörperchen bezeichne, nicht aber, wie dies Bizzo-
zero^) und auch van der Stricht^) thun, die bereits hämo-
globinhaltigen Jugendformen der rothen Blutkörperchen, die nach
meiner Auffassung schon ein weiteres Entwickclungsstadium der
erstgenannten Vorstufe bilden. Es dürfte nur zur Entstehung
arger Verwirrungen Anlass gegeben sein, wenn man den gleichen
Namen für verschiedene Dinge verwendet. Auf Bizzozero's
Einwand, dass es überhaupt keine hämoglobinfreien Vorstufen der
rothen Blutkörperchen giebt, komme ich später zurück.
Die von mir als Erythroblasten bezeichneten, in meinen
früheren Arbeiten bereits charakterisirtcn Lymphoidzellen sind,
wie auch diese Untersuchungen neuerdings ergeben haben, in
allen Blutzellen bildenden Organen, in Lymphdrüsen, Milz, Kno-
chenmark, in den einzelnen und gruppirten Follikeln des Darmes,
in der embryonalen Leber von der gleichen Beschaffenheit. Sie
stellen bei den untersuchten Warmblütern kleine, rundliche, meist
kreisrunde Zellen dar, in welchen der Kern den grössten Theil
des Zellleibes einnimmt, welch letzterer vielfach nur auf einen
schmalen Randsaum von homogener oder schwach granulirter Be-
schaffenheit um den Kern beschränkt ist. Nimmt bei der wei-
teren Entwicklung die ganze Zelle an Grösse zu, dann wird
auch das Zellprotoplasma deutlicher sichtbar, die granulirte Be-
schaffenheit desselben tritt dann namentlich während der indi-
rekten Theilung der Zelle mit Deutlichkeit vielfach hervor. Ich
habe mich bei meinen früheren Untersuchungen^) davon über-
zeugt, dass dem Zellleib der Erythroblasten, im Gegensatze zu
jenen der Leukoblasten, die Fähigkeit, amöboide Bewegungen
auszuführen, abgeht, dass an denselben unter Einwirkung der
Wäi-me höchstens das Auftreten schwacher Buckel constatirt
1) Archiv f. mikroskop. Anat. Bd. XXXV, S. 424 f.
2) a. a. 0.
3) Sitzungsber. d. k. Akad. d. W., math.-nat. Klasse, III. Abth.,
1885, S. 66 f.
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550 M. L ö w i t :
werden kann. Denys*) glaubt sich hingegen an den Erythro-
blasten des Kaninchens von der Gegenwart amöboider Beweg-
lichkeit in einem Falle überzeugt zu haben, er giebt jedoch selbst
zUj dass ihre „Contraktilität" weit geringer als jene der Leuko-
blasten ist, und dass nur den letzteren die Fähigkeit, Fremd-
körper in ihren Zellleib aufzunehmen, zukommt, was auch von
van der Stricht betont wird. Damit scheint mir aber im
Wesentlichen doch eine Bestätigung meiner Angabe über die
Differenz des Protoplasma der beiden ZcUenarten erbracht, wes-
halb ich auf diesen Gegenstand nicht näher eingehen will.
In meinen früheren Untersuchungen hatte ich als ein be-
sonderes Kennzeichen der Erythroblasten die netz- oder gerüst-
artige Struktur des Kernchromatins gegenüber der mehr häufigen
Anordnung des „Chromatins'* in den Leukoblastenkernen be-
tont. Diese Differenz tritt allerdings nicht so prägnant zu Tage,
wenn man, wie ich bereits an einer anderen Stelle*) auseinander-
gesetzt habe, zur Sichtbarmachung der Kernstruktur die Trocken-
methode verwendet, die H. F. Müll er 3) auch in seiner letzten
Arbeit vorwiegend wieder in Anwendung gebracht hat.
Durch die Resultate der inzwischen vorgenommenen mikro-
chemischen Untersuchung des ^iternchromatins" von Leuko-
blasten und Erythroblasten glaube ich nun die dilferente Kem-
struktur mit grosser Wahrscheinlichkeit als den Ausdruck einer
diflFerenten chemischen Beschaffenheit der chromatischen Kem-
substanzen und die Gegenwart von Chromatin -(Nuclein) als ein
wesentliches Cliarakteristikon der Erythroblastenkerne gegenüber
der Anwesenheit von Nucleolin (Pyrenin) in den Leukoblasten-
kernen ansprechen zu dürfen. Dadurch erscheint auch ein wei-
teres Unterscheidungsmerkmal der beiden Zellenarten gewonnen
zu sein.
Der Umstand nun, dass es gelingt, in allen Blutzellen bil-
denden Organen, also auch in den Lymphdrüsen, Erythroblasten
nachzuweisen, ist für die Lehre von der Bildung der rothen
Blutkörperchen gewiss von Bedeutung; ich hatte bereits bei
meinen früheren Untersuchungen über diesen Gegenstand Ge-
1) La Cellule 1887, T. IV, pag. 223.
2) Ziegler's Beiträge etc. Bd. X, S. 224f.
3) Deutsches Archiv für klin. Med. 1891, Bd. 48, S. 51 ff.
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leukoblasten u. Ery throblasten etc. 551
legenheit, auf diesen Punkt hinzuweisen. Die Annahme aber,
dass die Hämoglobinbildung ausschliesslich im Zellleibe der
Erythroblasten, nicht aber in jenem der Leukoblasten vor sich
geht, kann als eine weitere Stütze der Anschauung ttber die
differente Beschaffenheit der beiden Zellenarten angesehen werden.
Allerdings kann mittels der von mir gewählten und im Vor-
ausgehenden beschriebenen üntersuchungsmethode das Hämoglo-
bin in den Zellen nicht nachgewiesen werden, allein der all-
mähliche Uebergang der Erythroblasten in hämoglobinhaltige
Jugendformen ist bereits früher nicht nur von mir, sondern auch
von verschiedenen Seiten festgestellt worden *) und der Umstand,
dass es mit voller Sicherheit gelingt, innerhalb der Lymphdrüsen
Erythroblasten nachzuweisen, schützt wohl von vornherein gegen
den Einwand, dass es sich nicht eigentlich um hämoglobinfreie,
sondern nur um durch die Methode ihres Hämoglobingehaltes
beraubte Zellen handelt, nachdem ja bisher noch von Niemandem
hämoglobinhaltige Jugendformen rother Blutköi-perchen in den
LymphdiUsen unter normalen Verhältnissen constatirt wurden,
diese Organe bisher (abgesehen von den älteren Literaturangaben)
ausser von mir und von Gibson^), auf dessen Arbeit ich bei
einer anderen Gelegenheit zurückzukommen haben werde, über-
haupt nicht zur Neubildung rother Blutkörperchen in Beziehung
gebracht wurden, üebrigens dürfte es wahrscheinlich möglich
sein, eine Methode ausfindig zu machen, durch welche nicht nur
die charakteristische Kembeschaffenheit der Zellen der erythro-
blastären und leukoblastären Reihe, sondern auch der Hämoglo-
bingehalt der ersteren, sobald ein solcher bereits vorhanden ist,
sichtbar gemacht werden kann^).
1) Vgl. die Zusammenstellung bei 0. van der Stricht, a. a. 0.
2) Journ. of Anatomy and Physiol. 1885/86, Vol. XX, pag. 100.
3) Gelegentlich der Untersuchung von v. Searpatetti (vgl.
die folgende Abhandlung) hatte es sich gezeigt, dass in gesättigtem
Sublimat gehärtetes Knochenmark, bei nachträglicher Färbung mit
Orange und Dahlia, sehr exquisite Differenzen der Leukoblasten und
Erythroblasten erkennen lässt, während gleichzeitig das Hämoglobin
in den Zellen gut fixirt ist. Die Leukoblastenkerne erscheinen dann
schwach bläulich, die Erythroblastenkenie dunkelblau gefärbt. Diese
Differenz kam aber in scharfer Weise nur bei Verwendung von Dahlia
zum Vorschein. Auch durch Mischimg von Platinchlorid und Sublimat
dürften in der angegebenen Richtung gute Resultate zu erzielen sein.
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552 M. L ö w i t :
Bezüglich der Erythroblasten innerhalb der Blutzellen bil-
denden Organe ist nun zu bemerken, dass man unter den ruhen-
den Formen derselben in jedem einzelnen Organe solche Kerne
vorfindet, welche vollständig homogen roth gefärbt erscheinen,
andere aber, bei denen die gertistförmige Kernstruktur mit mehr
oder minder grosser Deutlichkeit hervortritt. HowelP) hat
ähnliche Beobachtungen an den kernhaltigen rothen Blutkörper-
chen im Knochenmark gemacht und die diflferente Kembeschaffen-
heit mit der von ihm angenommenen Ausstossung des Kernes
aus den kernhaltigen Erythrocyten in Zusammenhang gebracht,
indem nur die homogenen Kerne zum Ausstossen reif (mature)
sein sollten, jene mit der Netzstruktur des Kernes als unreife
(immature) Formen noch weitere Theilungsstadien eingehen können.
Dieser Anschauung von Ho well kann ich mich schon deshalb
nicht anschliessen, weil innerhalb der Lymphdrüsen, wo ja
gleichfalls vollständig homogene und netzförmig gezeichnete Ery-
throblastenkerne zur Beobachtung kommen, von einem Kern Ver-
lust seitens der Erythroblasten nichts zu constatiren ist; können
doch noch im Ductus thoracicus an allen Erythroblasten gut ent-
wickelte Kerne nachgewiesen werden.
Ich glaube, dass auf eine Reihe von Umständen bei der
Auffassung der erwähnten Eigenthümlichkeit der Erythroblasten-
keme Bedacht zu nehmen sein wird. 1) Ist es immerhin mög-
lich, dass bei der Kleinheit des Objektes durch das angewandte
Reagens eine Anzahl von Zellkernen schlecht fixirt wnrde, die sich
dann homogen, nicht distinkt färbt; das kann auch bei den
grösseren Erythroblastenkernen der Tritonenmilz eintreten. 2) Kann
man sich bei Verwendung guter Systeme davon überzeugen, dass
in zahlreichen homogen gefärbten Kernen bei genügender Ent-
färbung und DiflFerenzirung das Kernnetz sichtbar gemacht wer-
den kann. 3) Liegen die Erythroblasten innerhalb der Blut-
zellen bildenden Organe vielfach, wie später noch auseinander
zu setzen sein wird, in einem sehr engen Spaltsystem, in wel-
chem sehr wahrscheinlich Verschiebungen der Zellform und auch
wohl eine Art Pressung der Zellen selbst zu stände kommen
können. Sehr häufig zeigen nämlich gerade die in dem engen
1) a. a. 0. pag. 94.
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leukoblasten u. Erythroblasten etc. 553
Spaltsystem vorhandenen Erythroblasten homogen gefärbte Kerne,
vielleicht hauptsächlich infolge der eben angedeuteten Umstände,
während die in den breiteren Spalt- oder den mehr sinusartigen
Räumen der gleichen Organe gelegenen Erythroblasten in der
Regel deutliche Netzstruktur ihrer Kerne erkennen lassen (Fig.
6, 11, 27, 39). Ich kann auf Grund dieser Beobachtungen jene
Differenz für die Erythroblasten mit homogenen Kernen und sol-
chen mit deutlich strukturirten ruhenden Kernen nicht annehmen,
die Ho well für die gleichen Formen der kernhaltigen Eiythro-
cyten im Knochenmark acceptirt hat, wobei ich übrigens die
Möglichkeit zugebe, dass die Kerne der kernhaltigen rothen Blut-
körperehen vor ihrem Verschwinden gewisse Veränderungen erleiden
können, welche den Verlust der distinkten Färbbarkeit bedingen.
Was nun die Neubildung der Erythroblasten anbelangt, so
geht dieselbe ausschliesslich durch Mitose vor sich, die Zellen
selbst sind aber (beim Warmblüter) so klein, dass das Bild der
Mitose meistens undeutlich und durch Verbackung der einzelnen
Fadensegmente vielfach nicht leicht zu erkennen ist. Nament-
lich gilt das für jene Erythroblasten, welche innerhalb enger Spalt-
räume gelegen sind, wo eine gehörige Entfaltung der Zelle wahr-
scheinlich durch den engen Raum behindert sein dürfte, während
die in den weiten Maschen und sinusartigen Räumen befindlichen Ery-
throblasten weit deutlichere indirekte Theilungsfiguren aufweisen.
Wegen der Gleichheit des Theilungsmodus könnte man da-
ran denken, dass die Erythroblasten von den früher beschriebenen
fixen Gewebselementen der Blutzellen bildenden Organe abstam-
men. Es sind aber doch, wie schon aus der Berücksichtigung der
beiderseitigen im Vorausgehenden beschriebenen Eigenschaften der
genannten Zellen, noch mehr aber bei eingehendem Studium der-
selben hervorgeht, so markante Unterschiede zwischen denselben
vorhanden, dass ohne zwingendere Gründe eine solche Annahme
nicht acceptirt werden könnte. Solche sind aber, so weit ich
zu beurtheilen vermag, bisher noch nicht erbracht worden. Selbst
wenn man sich über die äussere Unwahrscheinlichkeit der An-
nahme hinwegsetzen wollte, dass aus dem Protoplasma der fixen
Zelle, das kein Hämoglobin enthält und in dem auch die Hämo-
globinbildung als solche bisher nicht constatirt werden konnte,
ein hämoglobinbildendes Protoplasma entsteht, und selbst wenn
man sich blos damit begnügen wollte, eine solche Umwandlung
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554 M. L ö w i t :
auf Grund der Aufstellung^ von üebergangsstadien zwischen den
beiden Zellenarten anzunehmen, selbst dann scheinen mir immer
noch gewichtige Bedenken gegen eine solche Umwandlung vorzu-
liegen. Ich selbst Jiabe ebenso wenig wie Denys und van der
Stricht derartige üebergangsstadien auffinden können, und kann
auch nicht zugeben, dass die unter anderen von HowelP) über
diesen Gegenstand beigebrachten Gründe eine solche Umwand-
lung beweisen. Ho well hält die Erythroblasten des Knochen-
markes ftlr Abkömmlinge der sogenannten Markzellen, die er als
ein embryonales Gewebe, und zwar als Zellen des Mesoblast an-
spricht, die sich nach verschiedener Richtung hin (durch Mitose)
vermehren und unter anderm auch durch allmähliche Veränderung
ihrer Charaktere innerhalb mehrerer Generationen zur Entstehung
von Erythroblasten Veranlassung geben sollen. Auch hier liegt
wohl eine Annahme vor, die nicht direkt bewiesen, aber auch
direkt nicht widerlegt werden kann. Ich habe aber doch noch
specielle Bedenken dagegen, dass die Erythroblasten gerade von
den Markzellen abstammen sollen. Ich kann auf Grund meiner
Untersuchungen, worauf ich im Folgenden noch zurückkomme,
die Markzellen und die sogenannten fixen Zellen des Knochen-
markes nicht als die gleichen Gebilde und nicht als zusammen-
gehörige Zellenformen ansprechen. Unter den fixen Zellen des
Knochenmarkes begreife ich, wie bei den Lymphdrüsen und der
Milz, die dem retieulären Gewebe anliegenden Bindegewebs- und
Endothelzellen, die Markzellen aber stellen sehr wahrscheinlich,
wie sofort näher begründet werden soll, eine der leukocytären
Reihe zugehörige Zellenform dar, deren Umwandlung in Erythro-
blasten ebenso unwahrscheinlich ist, wie überhaupt die Umwand-
lung der weissen Blutkörperchen und ihrer Vorstufen und Ab-
kömmlinge in rothe und in die Vorstufen derselben.
Was nun die farblosen Zellen innerhalb der Embryonalleber
anbelangt, die Ho well mit den obengenannten Mesoblastzellen
im Knochenmark erwachsener Thiere in Parallele bringt, und die
in der Embryonalleber als die Mutterzellen der Erythroblasten
angesprochen werden, so muss ich Ho weil*) auf Grund meiner
1) a. a. O. S. 87 f.
2) a. a. 0. 91.
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leukoblasten u. Erythroblasten etc. 555
eigenen Untersuchungen beipflichteu, wenn er diese Zellen inner-
halb der Geßlsse der Embryonalleber nicht als Leukoblasten be-
zeichnet; ich kann dieselben nur als Endothelzellen ansprechen,
die in sehr reichlichem Maasse Mitose erkennen lassen (Fig. 36).
Eine Umwandlung dieser Zellen in Erythroblasten konnte ich
auch innerhalb der Embryonalleber nicht constatiren.
Ich halte es vorläufig für durchaus nicht geboten, die Ery-
throblasten von einer andern Zellenart abzuleiten, sie durch eine
Umwandlung aus irgend einer Zellenart hervorgehen zu lassen.
Ich glaube vorderhand mit der Annahme auszukommen, dass die
Erythroblasten selbst ein keimfähiges, bereits bei der embryonalen
Blutzellenbildung vorhandenes Gewebselement darstellen, das im
postembryonalen Organismus an einzelne Localitäten (Lymphdrüsen
und verwandte Gebilde, Milz, Knochenmark) deponirt ist, sich hier
durch Mitose vermehrt und entweder an dieser Localität selbst,
oder innerhalb der allgemeinen Blutbahn durch Hämoglobinbildung
im Zellleibe eine Umwandlung in kernhaltige Erythrocyten und
(beim Säugethier) durch Kemschwimd in kernlose Erythrocyten
durchmacht; ich komme hierauf noch zurück.
Auch über die Anordnung der Erythroblasten innerhalb der
Blutzellen bildenden Organe soll später im Zusammenhange mit
jener der Leukoblasten berichtet werden.
C) Leukoblasten.
Als das hervorstechendste Merkmal der Leukoblasten muss
in den nach der voranstehend beschriebenen Methode angefertigten
Präparaten das eigenthttmliche Verhalten des Kernes und seine
nahezu homogen gelbe Färbung bezeichnet werden. Worin die
Ursache dieses eigenartigen Verhaltens der Leukoblasten mit
Wahrscheinlichkeit zu suchen ist, habe ich im Vorausgehenden
bereits angegeben, und es wäre an dieser Stelle nur die Frage zu
erörtern, ob denn alle leukoblastären Elemente innerhalb der Blut-
zellen bildenden Organe durch das Platinchlorid und die nach-
trägliche Färbung in der Wfise beeinflusst werden, dass eine
Erkennung und Unterscheidung derselben sicher durchgeführt wer-
den kann.
Nun hatten allerdings die Untersuchungen des Krebsblutes
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556 M. L ö w i t :
und der lymphoiden Zellen innerhalb der Kaninchenlymphe er-
geben, daas im Krebsblute alle einkernigen Leukocyten, in der
Lymphe alle von mir mit grosser Wahrscheinlichkeit als Leuko-
blasten erkannten Zellen die beschriebenen Veränderungen er-
kennen lassen. Nichts destowcniger habe ich ein besonderes
Augenmerk darauf gerichtet, ob nicht vielleicht doch das Platin-
chlorid das zu fixirende Gewebssttick nicht vollständig, oder nicht
gleichmässig durchdringe, wodurch leicht eine grössere oder ge-
ringere Zahl von Leukoblasten der Einwirkung des Platinchlorids
entzogen und als durch das Platinchlorid nicht diflferenzirte Zellen
den Erythroblasten oder den fixen Zellen zugezählt werden könnte.
Wäre das aber der Fall gewesen, dann hätte auch die an-
gewandte Methode nicht mehr jene Bedeutung für die Unter-
suchung der Blutzellen bildenden Organe gehabt, die ihr höher
oben beigelegt worden war. Ich habe aber im Verlaufe einer
ausgedehnten Untersuchungsreihe die Ueberzeugung gewonnen,
dass das Platinchlorid bei nicht zu grossen Gewebsstücken gleich-
mässig in die Tiefe eindringt, und dass auch innerhalb der an-
geführten Gewebe alle leukoblastären Elemente der geschilderten
Wirkung des Platinchlorids anheimfallen. Ich will im Einzelnen
auf diese Untersuchungen nicht eingehen, sondeni nur das Folgende
hervorheben: 1) Man kann auf Querschnitten der untersuchten
Orgaue gerade in den innersten Partien derselben ununterbrochene
Lager von durch Platinchlorid typisch beeinflussten Zellen, also
Leukoblasten, nachweisen. Wenn nun gelegentlich mitten unter
diesen Zellen, oder ihnen benachbart, die Kerne von nicht beein-
flussten Zellen auftauchen, die ihre Kernstruktur und ihre Färbbar-
keit beibehalten haben, so kann meiner Auffassung nach nicht
die Annahme gemacht werden, dass hier eine unvollständige Platin-
chloridwirkung auf das gleiche zellige Element, sondern dass hier
eine andere Zellenart vorliegt, die sich dem Platinchlorid gegen-
über verschieden verhält. Die Lagerung und Vertheilung der
durch Platinchlorid diflferenzirten und nicht diiferenzirten Kerne,
das Studium der Platinchloridwirkung auf die isolirten Kerne des
Krebsblutes und der Kaninchenlymphe macht, wie ich glaube,
eine solche Schlussfolgerung im -hohen Grade wahrscheinlich,
2) Es trifft sich gar nicht so selten, dass an der Peripherie des
Schnittes, d. i. also dort, wo das Platinchlorid auf die Gewebs-
zellen direkt einwirken konnte, die gleichen Erscheinungen der
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leukoblasten u. Erythroblasten etc. 557
diflferenzirten und nicht diiferenzirten Zellen in derselben Weise
wie im Innern des Schnittes zum Vorschein kommen.
Ohne nun weiter in das Detail derartiger Unterscheidungen
einzutreten, die doch nur bei der eigenen Untersuchung der Prä-
parate und bei Verwendung der Methode selbst klar erkannt wer-
den können, betone ich, dass mir keine Beobachtung in allen
meinen Präparaten aufgestossen ist, welche als Stütze der An-
nahme dienen könnte, dass das Platinchlorid nicht sämmtliche
leukoblastären Elemente innerhalb der Blutzellen bildenden Organe
in der angegebenen Weise beeinflusst, dass mithin die durch das
Platinchlorid gewonnenen DiflFerenzirungen nicht zur Unterscheidung
der leuko- und erythroblastären Elemente verwendet werden
dürfen. Aber es muss hierbei sofort bemerkt werden, dass, abge-
sehen von der Lagerung zur Unterscheidung der Leukoblasten,
nicht nur die Gelbförbung, ebenso wenig wie zur Unterscheidung
der Erythroblasten nicht nur die Rothförbung genügt. Speziell
für die Leukoblasten muss besonderer Nachdruck darauf gelegt
werden, dass in gelungenen Präparaten die charakteristische Keru-
struktur derselben wie ausgelöscht und verwischt erscheint, und
dass aus dem mehr oder weniger gleichmässig gelb gefärbten
Kern allenfalls nur noch einzelne Nucleolin-(Pyrenin-)Körner auf-
tauchen (Fig. 10, 17). '
Ueber die Beschaffenheit und Neubildung der Leukoblasten
innerhalb der Blutzellen bildenden Organe bin ich nicht in der
Lage, auf (Jrund meiner Präparate neue Befunde niittheilen zu
können, das liegt ja zum Theile im Wesen der in Anwendung
gezogenen Methode begründet. Nur das eine geht, wie ich glaube,
mit genügender Sicherheit aus den Präparaten hervor, dass die
Leukoblasten in diesen Organen sich nicht durch Mitose vennehren.
Was bisher von verschiedener Seite als Mitose der Leukoblasten
oder Leukocyten in den haematopoetischen Organen angesprochen
wurde, glaube ich zurückführen zu dürfen auf fixe Mitosen oder auf
Erythroblastenmi tosen. Ich habe mich höher oben bereits dahin
ausgesprochen, dass kein Grund vorliegt, die in den Präparaten
etwa vorhandenen gelb gefärbten Misosen (der fixen Zellen) auf
Leukoblasten zu beziehen. Sowohl die bereits öfter erwähnte
chemische Differenz der Leukoblastenkeme und der Kerne der
fixen Zellen spricht gegen eine solche Annahme, als auch der
Umstand, dass bei Fixirung mit Platinchlorid innerhalb der etwas
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558 M. L ö w i t :
grössern, ruhenden fixen Zellen ein exquisites „chromatisches"
Kerugertlst nachgewiesen werden kann, von welchem aus die
weitern Stadien der indirekten Theilung leicht abgeleitet werden
können, was bei den Kernen der Leukoblasten nicht der Fall ist.
Ich muss auf Grund meiner frühem Untersuchungen daran
festhalten, dass die Leukoblasten der Blutzellen bildenden Orgaue
sich durch Amitose neubilden und habe auch bei der Fixinmg
mit Platinchlorid mehrfach Bilder gesehen, welche ich auf ami-
totische Theilung zurückzuführen mich für berechtigt halte (Fig.
12, 17, 28, 38, 42 b). Indessen gewährt gerade diese Art der
Fixirung hierüber wegen der eigenartigen Beeinflussung der Leu-
koblastenkeme durch das Platinchlorid keinen klaren Aufschluss.
Auch für die Enstehung der Leukoblasten aus den fixen
Zellen oder aus den Erythroblasten der Blutzellen bildenden Or-
gane konnte ich keinerlei Anhaltspunkte gewinnen, es kommen
hierfür die gleichen Verhältnisse in Betracht, die höher oben för
die Erythroblasten auseinander gesetzt wurden.
Bezüglich der Mitosen in dem Blutzellen bildenden Organe
möchte ich hier noch Folgendes hervorheben. Zwei Formen der-
selben müssen hier nach meiner Auffassung auseinandergehalten
werden. Die eine Form, entsprechend den grossen Mitosen, ge-
hört den fixen Gewebselementen, und nurnlie zweite kleine Form
den eigentlichen lymphoiden Zellen dieser Organe an. Diese
lymphoiden Zellen nun glaube ich auf Grund meiner Unter-
suchungen als Vorstufen der rothen Blutkörperchen, und nicht
als Zellen der leukoblastären Reihe ansprechen zu müssen. Die
Gründe hierfür habe ich bereits in meinen früheren Mitheilungen
über diesen Gegenstand eingehend erörtert, wesshalb ich hier
diesen Gegenstand nicht nochmals erörtern will, zumal ich im
Verlaufe dieser Untersuchung noch des Oeftern Veranlassung
haben werde, auf diesen Punkt zurückzukommen.
Eine besondere Erwähnung bedürfen die innerhalb der Blut-
zellen bildenden Organe, namentlich in den Lymphdrüsen oft in
grosser Zahl befindlichen, allem Anscheine nach auf der Durch-
wanderung durch das Organ (Stöhr) befindlichen mehrkemigen
Leukocyten, da sie bei jenem Grad der Diiferenzirung und Ent-
färbung, in dem alle Leukoblasten gelb erscheinen, der Mehr-
zahl nach roth gefärbt erscheinen. Diese Differenz der Fär-
bung ki'mnte dahin gedeutet werden, dass die mehrkernigen
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Die Anordnung" u. Neubildung v. Leukoblasten u. Erythroblasten etc. 55d
Leukocyten nicht von Elementen der leukoblastären Reihe
abstammen, da sie durch das Platinchlorid nicht in der ent-
sprechenden Weise beeinflusst werden, dass ihre rothe Färbung
vielmehr auf einen Gehalt an Chromatin (Nuclein) im Kerne, mit-
hin auf die Entstehung aus einer Zellenreihe hinweist, welche im
Kerne Chromatin (Nuclein) enthält. Am nächstliegendsten wäre es
dann wohl in dieser Beziehung an fixe Zellen überhaupt zu denken
und den genannten Befund als eine Sttltze jener Anschauung an-
zusehen, nach welcher die mehrkemigen Leukocyten des Blutes
und die mit ihnen identischen Wanderzellen in den verschiedenen
Geweben, Abkömmlinge fixer Zellen, namentlich der Bindegewebs-
zellen, darstellen, die nur in Folge ihrer Wanderung (Lovell
Gulland^), Flemming*) jene eigenthtimliche Kemfoim ange-
nommen haben, die man jetzt meistens als mehrkemig oder als
polymorph bezeichnet, und die auch noch einer weitern Neubil-
dung, und zwar durch Mitose, fähig sein sollen.
Ich will nun den Umstand, dass aus fixen Zellen wandernde
Elemente hervorgehen können, an dieser Stelle nicht weiter be-
rühren, er soll später die entsprechende Berücksichtigung finden,
sondern mich hier nur auf die Erörterung des obigen Befundes
beschränken. Und in dieser Beziehung liegt, wie ich glaube,
auch bei voller Würdigung desselben, kein Grund vor, von der
in meinen vorausgegangenen Untersuchungen begründeten und
seither von mehreren* Seiten acceptirten Annahme abzuweichen,
dass die mehrkernigen Leukocyten Abkömmlinge der Leukoblasten
darstellen und sich aus ihnen durch einen Kemfragn\entirungs-
prozess entwickeln. Nach dieser Auffassung unterliegen die in
die Blutbahn gelangten einkernigen Leukoblasten einem eigenar-
tigen Umwandlungsprozesse ihres Zellleibes und ihres Zellkernes;
gerade die Vorgänge am Zellkern lieferten Anhaltspunkte für
die Auffassung, dass ein mit Kerneinschnürung und Kemfragmenti-
rung einhergehender degenerativer Vorgang sich im Kern abwickelt^
welcher wahrscheinlich als Vorläufer eines später eintretenden
Zellzerfalles anzusehen ist. Es ist mir nun sehr wahrscheinlich,
dass bei den Veränderungen der Keraform sich auch Verände-
rungen des Kerninhaltes, namentlich seiner „chromatischen" Sub-
1) a. a. O. pag. 130 f.
2) Archiv für mikroskop. Anat. Bd. 36, S. 272.
Arohiv f Or mikrosk. Anat Bd. 38 36
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560 M. L 6 w i t :
stanz (Nucleolin, Pyrenin) einstellen, durch welche die erwähnt«
Differenz der Färbnng begründet sein könnte, ohne das» das
Resultat der Färbung in den niehrkernigen Leukocyten gerade
mit Nothwendigkeit auf die Gegenwart von Chroniatin (Nuelein)
in den Kernen bezogen werden müsste. Ich könnte zur Begrün-
dung dieser Auffassung auf eine Reihe von analogen Vorgängen
hinweisen, bei denen innerhalb einzelner Riesenzellen, deren Kerne
unzweifelhafte Zeichen der Degeneration aufweisen, bei dem
angegebenen Härtungs- und Färbungsverfahren eine tief duiikel-
rothe Färbung eintritt, und weiterhin auf Bilder, bei denen die
wahrscheinlich durch Phagocytose in den Zellleib der grösse-
ren Leukoblasten und der Endothelzellen hineingelangten, wohl
dein Untergänge geweihten lenkoblastären und erythroblastä-
ren Elemente eine gesättigte rothe Färbung annehmen und
zur Entstehung von Bildern Veranlassung geben, die Flemming*8
„tingibeln Körpern" sehr ähnlich sind (Fig 37). Doch ich will
auf alle diese Verhältnisse nicht näher eingehen, sie würden
mich zu weit abseits von dem eigentlichen Gegenstande meiner
Mittheilung führen. Mir kam es nur darauf an zu zeigen, dass
die erwähnte Färbung der mehrkernigen Leukocyten eine Auf-
fassung zulässt, die nicht im Widerspruche steht mit der An-
nahme, dass dieselben von den lenkoblastären Elementen der
Blutzellen bildenden Organe abstammen.
D) M a r k z e 1 1 e n (Anhang).
Die drei bisher geschilderten Zellenarten lassen sich mittels
des angewendeten üntersuchungsverfahrens gut auseinanderhalten,
und gerade in diesem Punkte liegt ein wesentlicher Vortheil
desselben. Auch bezüglich einer vierten Zellenart, die allerdings
nur im Knochenmarke in grösserer Menge vorkommt, den soge-
nannten „Markzellen" möchte ich hier noch meine Befunde mit-
theilen, da dieselben in manchen Punkten wesentlich von den
jüngst v(m IL F. Müller^) über diesen Gegenstand mitget heilten
abweichen. Bezüglich der Literatur über diesen Gegenstand, so-
wie bezüglich der bis jetzt bekannten Charaktere der Markzellen
1) Deutsches Archiv für klin. Med. 1891, S. 51 ff.
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Die Anordnung n. Neubildung v. Leukoblasten u. Erythroblasten etc. 561
(Medullocelles Robin's, Cellules m^duUaires CorniTs) sei auf
die eingehende Zusammenstellung Müll er 's verwiesen.
Müller hat in einem Falle von Leukämie im strömenden
Blute allerdings an Trockenpräparaten, deren Beweiskräftigkeit
ich, soweit es sich um Strukturverhältnisse der Leukocytenkeme han-
delt, aus den bereits angeftthrten Gründen nicht anerkennen kann,
eigenthümliche grosse hämoglobinfreie Zellen mit einem grossen
Kerne und einem deutlichen chromatischen Gitterwerk in dem-
selben beschrieben, welche schon durch ihre Grösse von den
übrigen hämoglobinfreien Zellen des leukämischen Blutes auf-
fielen. Ausserdem fand er zwei Stadien mitotischer Kernthei-
lung, die gleichfalls wegen ihrer Grösse von Müller nicht den
mehrfach aufgefundenen Mitosen hämoglobinfreier und hämoglo-
binhaltiger Blutzellen im leukämischen Blute zugezählt, sondern
in näherer Beziehung zu jenen erstgenannten grossen Zellen ge-
bracht werden. Auf Grund gewisser übereinstimmender Merk-
male zwischen diesen grossen Zellen aus dem Blute des leukä-
mischen Menschen und den im Knochenmarke des Meerschwein-
chens näher studirten Markzellen spricht sich nun Müller dahin
aus, dass im leukämischen Blute „Markzellen'' enthalten sind,
die infolge der pathologischen Vorgänge im Kuochenmarke bei
der Leukämie in das Blut gelangen, während sie im normalen
Blute des Menschen niemals enthalten sind. Es kommt also nach
Müller diesen Markzellen im (leukämischen) Blute bis zu einem
gewissen Grade auch eine diagnostische Bedeutung zu.
Dieser Auflfassungsweise von Müller kann ich mich in
keinem Punkte vollständig anschliessen. Dass die von Müller
geschilderten Charaktere in den grossen ruhenden hämoglobin-
freien Zellen des leukämischen Blutes mit Nothwendigkeit auf
eine Abstammung derselben von den Markzellen des Knochen-
marks hinweisen, wird gewiss nicht behauptet werden können,
wobei gar nicht bestritten werden soll, dass eine mehr oder minder
grosse Aehnlichkeit der beiden Zellenarten bestehen kann, die
aber doch nicht als ein ausreichender Beweis fttr die Abstam-
mung der beiden Zellenarten von einander angesehen werden
kann. Es wird doch immerhin berücksichtigt werden müssen,
dass Veränderungen der Zellform und der Zellenbeschaffenheit
der Leukocyten im leukämischen Blute sich doch möglicher Weise
im leukämischen Blute selbst entwickeln können, das doch be-
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ftr>S> M. Löwit:
zu t?! ich seiner Zusammensetzung gewiss nicht dem normalen Blute
gleicliwerthig ist, so dass selion durch dieses Moment Leuko-
cytenfonncn im leukämischen Blute vorhanden sein, die im nor-
malen Blute fehlen können. Es erscheint mir durchaus nicht aus-
geschlossen zu sein, dass die „hypertrophischen" Leukocyten
Hayem's und die mehrfach bereits von anderer Seite beschrie-
benen „grosskernigen farblosen Elemente" (Markzellen, Müller)
im leukämischen Blute selbst aus den kleineren, auch im nor-
malen Blute enthaltenen leukocytären Elementen entstehen können,
nicht aber durch den Uebertritt gewisser farbloser Zellen aus den
Blutzellen bildenden Organen, namentlich aus dem Knochenmark
in das Blut hineingelangt sein müssen. Ich selbst habe früher
bereits*) die auffallende Armuth der grossen farblosen Elemente
des leukämischen Blutes an „Chromatin" betont, die ja auch von
Müller als ein wesentliches Merkmal der Markzellen herv^or-
gehoben wird und auf die Möglichkeit hingewiesen, dass es sich
um Verhältnisse handeln könne, die sich im leukämischen Blute
selbst entwickeln^). G. Roux^) hat in einer interessanten Studie
über Leukämie einen ganz analogen Standpunkt eingenommen.
Müller beruft sich indessen weiterhin darauf, dass die
Keme der „Markzellen" im leukämischen Blute eine ganz eigen-
artige Struktur besitzen, die im Wesentlichen übereinstimmt mit
der von Müller an einem andern Orte^) beschriebenen Kem-
struktur der sogenannten „theilungsreifen ruhenden Zellen, die
Müller als das Anfangsglied einer Zellenreihe ansieht, aus wel-
chem sich weisse und rothe Blutköq)erchen entwickeln sollen.
Ich habe bereits an einer anderen Stelle ^) meine Bedenken gegen
diese sogenannten „theilungsreifen ruhenden Zellen" Müller's
ausgesprochen und will auf diesen Gegenstand hier nicht noch-
mals zurückkommen. Indessen hat doch Müller auch innerhalb
des Knochenmarkes von Meerschweinchen, das an passend be-
1) Sitziingsbcr. dor k. Akad. d. Wiss. in Wien 1885, III. Abth.,
Bd. 92, S. 114.
2) a. u. O. S. 121.
ii) La Provincc niedicale. Lyon 1890, No. 20, 22, 24.
4) Ritzungsber. d. k. Akad. d. Wiss. in Wien 1889, III. Abth.,
Bd. 98.
5) Ziegler's Beiträge etc. Bd.X, S. 226 f.
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Die Anordnung n. Neubildung v. Leukoblasten u. Ery th rohlasten etc. 563
handelten Sclinittpräparaten untersucht wurde, Zellen gefunden,
die eine ganz analoge Kernstruktur zeigten, wie die grossen farb-
losen Zellen aus dem leukämischen Blute des Menschen an Trocken-
präparaten, und gerade diese üebereinstimmung war ja für
Müller mitbestimmend für seine oben bereits erwähnte Anschauung
über die Zusammengehörigkeit der beiden Zellenarten.
Ehe ich nun in der Erörterung der für die Lehre von der
Blutzellenbildung beachtenswerthen Befunde von Müller weiter
gehe, ei*8cheint es geboten die Resultate mitzutheilen, welche ich
bezüglich der sogenannten Markzellen an den mit Platinchlorid
fixirten und in der geschilderten Weise gefärbten Knochenmarks-
schnitten erzielte.
Die Markzellen besitzen auf Grund (Fig. 38 — 45) dieser
Beobachtungen die Eigenschaften der leukoblastären oder leuko-
cytären Zellenreihe. Ihre Kernstruktur ist wie ausgelöscht und
verwischt, der Kern, nahezu homogen gelb geförbt, zeigt die
auch von Müller erwähnte plumpe Hufeisen-, Quersack-, Blind-
sack-, Wm'stform etc., neben welchen auch Zellen mit einem
grossen runden Kern vorkommen; die ganze Zelle ist verhält-
nissmässig gross und von einem mehr oder minder grob granu-
lirten Protoplasma erfüllt, über dessen nähere Beschaffenheit
schon deshalb keine Angabe gemacht werden kann, weil bei der
nachträglichen Behandlung mit Jodpikrinalkohol vielfach Gelb-
färbung der Granula eintritt.
Mitotische Kemtheilung konnte ich an diesen „MarkzcUen'*
ebensowenig wie an den leukoblastären oder leukocytären Ele-
menten überhaupt nachweisen. Wohl können mitten unter den
„Markzellen" Mitosen vereinzelt oder in beträchtlicherer Zahl,
sowie solche ruhende Zellen mit einem dünnen, zarten und re-
lativ chromatin(nuclein)armen Kemgeröst angetroffen werden, von
welchen aus alle Stadien der mitotischen Kernfiguren abgeleitet
werden können. Allein diese Mitosen und diese Zellenform ge-
hören auf Grund meiner Beobachtungen nicht der Reihe der
„Markzellen", sondern jener der fixen Zellen an, welche zu den
„Markzellen", soweit ich ermitteln konnte, in keiner Beziehung
stehen, von ihnen gut unterscheidbar und auch durch keine
üebergangsformen mit ihnen verbunden sind. Wenn nun Cor-
nil, Müller, Bizzozero und Andere indirekte Theilung der
„Markzellen" beschrieben haben, so dürfte hierbei meiner Auf-
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564 M. Löw.it:
fassung nach wahrscheinlich eine Verwechslung mit einer in-
direkten Theilung fixer Elemente stattgefunden haben, welche bei
den bisher in Anwendung gezogenen Methoden nicht genügend
von den „Markzellen" und auch von den übrigen lymphatischen
Zellen der hämatopoetischen Organe unterschieden werden konnten.
Auf die Mitosen der sogenannten eosinophilen oder a-Zellen
nach Ehrlich komme ich später noch zurück.
Die Kerne der fixen Zellen im Knochenmark sind es nun,
welche im ruhenden Zustande an Präparaten aus Platinchlorid eine
Beschaffenheit besitzen, die eine gewisse üebereinstimmung mit
jenen Zellen zeigt, die Müller (vgl. seine Figuren 8 und 9) als
die theilungsreifen, ruhenden ^Markzellen" an den Anfang der
durch Mitose sich vermehrenden „Markz^llenreihe" setzt, die ich
aber auf Grund meiner Befunde nicht den „Markzellen" zuzählen
kann^).
Untersucht man die Kemstruktur der „Markzellen" mit
einem grossen runden Kern an Präparaten aus Flemming'scher
Flüssigkeit oder Sublimat, so giebt sich an diesen jene charak-
teristische Ablagerung von mehr oder minder grossen Nucleolin-
(Py renin- )Haufen neben einem zarten Netzwerk kund, das ich be-
reits früher^) eingehend geschildert habe. Diese Nucleolin-(Py-
renin-)Haufen treten in den eigenthümlich polymorphen Kem-
formen der „Markzellen" mehr in den Hintergrund, und es kann
dann auch auf Schnittpräparaten der Eindruck eines an „Chro-
matin" armen Gitterwerkes im Kern einzelner „Markzellen" her-
vortreten, wodurch die Möglichkeit einer Verwechslung derselben
mit fixen Zellen naheliegend ist, welche allerdings an Präparaten
aus Platinchlorid ausgeschlossen erscheint. An Trockenpräparaten
werden aber, wie ich das bereits mehrfach betont habe, die Kem-
bilder der leukoblastären und vielfach auch der leukocytären
Elemente in einer Weise zur Anschauung gebracht, die ich nicht
als die richtige ansehen kann. Es hat daher für mich auch gar
nichts Befremdendes, wenn Müller') weder an Leukocyten, noch
1) Es muss darauf hingewiesen werden , dass diese Figuren 8
u. 9 Müller' 8 durch die Trockenmethode fixirt sind.
2) Sitzungsber. der k. Akad. d. Wiss. in Wien 1885, III. Abth.,
Bd. 92, und Ziegler's Beiträge etc., 1891, Bd. X.
3) Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 48, S. 59, 61. 71, 74.
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leukoblasten u. Erythroblasten etc. 565
an den „Markzellcn" in Trockenpräparaten die von mir be-
schriebene Kernstruktur auffinden konnte. Dafür aber, dass
die von mir in Anwendung gezogenen Fixirungs- und Härtungs-
methoden keine Kunstprodukte liefern, habe ich bereits bei einer
anderen Gelegenheit^) die Gründe erörtert.
Auf Grand dieser Auseinandersetzungen halte ich mich zu
dem Schlüsse berechtigt, dass die Zusammengehörigkeit der von
Müller im leukämischen Blute als „Markzellen" angesprochenen
Gebilde zu den „Markzellen'' im Knochenmarke nicht erwiesen
ist, und dass daher auch alle weiteren Schlussfolgerangen, die
Müller auf Grund seiner Annahme über das Wesen des leukä-
mischen Prozesses zieht, nicht genügend gestützt erscheinen.
Die „Markzellen" innerhalb des Knochenmarkes vermehren
sich gar nicht durch Mitose, und daher können auch die inner-
halb des leukämischen Blutes von Müller angetroiTenen
grossen chromatinarmen Mitosen den „Markzellen'' nicht zuge-
zählt werden. Die von Müller und Anderen erwähnten Mitosen
der „Markzellen" des Knochenmarkes dürften wahrscheinlich
den fixen Zellen angehören; über die Bedeutung der grossen
„chromatin"annen Mitosen Müll er 's aus dem leukämischen Blute
vermag ich keinen bestimmten Aufschluss zu geben, indessen
liegt es, wie ich glaube, doch nahe, an Veränderangen der Grösse,
Form und des Gehaltes an „Chromatin" zu denken, welche inner-
halb des leukämischen Blutes selbst in ähnlicher Weise, wie dies
früher bereits erwähnt wurde, an mitotisch sich theilendeu Zellen
entstehen könnten. Ob das nun veränderte Erythroblastenmitosen
sind, vermag ich nicht zu entscheiden.
Bei der Untersuchung des Knochenmarkes in Sublimat und
nachträglicher passender Färbung in sauren Anilinfarben (Ehr-
lich) oder passenden Farbengemischen konnte ich die bereits
von verschiedenen Seiten gemachte Angabe bestätigen, dass die
eosinophile Substanz Ehrliches vorwiegend in den „Markzellen"
gelegen ist; in einzelnen Fällen fand ich die a-Köraung Ehr-
liches auch in Zellen, die ihrer Beschaffenheit nach auf mich
den Eindrack von fixen Zellen machten. Auch Ehrlich hat
analoge Beobachtungen gemacht, worauf ich später noch zurück-
komme. Da man nun an passenden Präparaten sich leicht da-
1) Z i e g 1 e r's Beiträge etc. Bd. X, S. 227.
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566 M. L ö w i t :
von tiberzeugen kann, dass in den „Markzellen" alle Uebergangs-
stadien von einer eben merklichen a-Kömung bis zu den groben
a-Köraem nachgewiesen werden können in ähnlicher Weise, wie
ich das für die Körnung des Krebsblutes gezeigt hatte, so scheint
mir die Annahme gerechtfertigt, die Markzellen als leukoblastäre
und leukocytäre Elemente des Knochenmarkes aufzufassen, welche
zur Secretion der a-Substanz in innigster Beziehung stehen, üeber
einkernige „Markzellen" mit €-Körnung (Ehrlich) stehen mir
eigene Erfahrungen nicht zu Gebote, ebenso wenig wie über die
„Reifung" der €-Substanz in die a Substanz Ehrlich 's. Die
von M tiller und Rieder^) beigebrachten Beobachtungen tiber
die Differenz der im normalen und im leukämischen Blute ent-
haltenen eosinophilen Leukocyten sollen bei einer anderen Ge-
legenheit erörtert werden.
III. Die Anordnung von Erythroblasten und Leakoblasten
in den Blatzellen bildenden Orf^anen.
Die angewandte Untersuchungsmethode gewährte nicht nur
Mittel an die Hand zur deutlichen Unterscheidung der verschie-
denen, innerhalb der Blutzellen bildenden Organe befindlichen
zelligen Elemente, sondern sie gewährte dadurch, dass das re-
ticuläre Gewebe der genannten Organe wahrscheinlich durch die
Pikrinßlrbung scharf hervortritt, auch Aufschluss über die Lage-
nmgsverhältnisse der beiden Lymphoidzellenarten zum reticulären
Gewebe und über die Anordnung und Vertheilung dieser Zellen-
arten innerhalb der genannten Organe überhaupt.
Ich habe bereits höher oben darauf hingewiesen, dass
durch die allenthalben bis in die feinsten Maschen des Reticulär-
gewebes nachweisbare Gegenwart von fixen (Endothel-)Zellen,
welche mit jenen der grossen Lymphsinus und Lymphbahnen in
den Lymphdrüsen und jenen der grossen lakunären und capil-
lären Bluträume von Milz und Knochenmark im Wesentlichen
übereinstimmen, die Annahme eines innerhalb der genannten Or-
gane befindlichen weit verzweigten, von Endothelzellen begrenzten
1) Deutsches Archiv für klin. Med. Bd. 48, S. 100 flF.
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leukoblasten u. Ery throbl asten etc. 567
engeren, oder weiteren, die Lymphoidzellen enthaltenden Spalt-
systems nahegelegt wird, das innerhalb der Lymphdrüsen wahr-
scheinlich eine nähere Beziehung zu den zu- und abführenden
Lymphwegen, innerhalb Milz und Knochenmark aber wahrschein-
lich zum Blutgefösssystem besitzt. Auf eine nähere Schilderung
des- reticulären Gewebes gehe ich hier nicht ein, da ich zu den
von Bizzozero und Ranvier und in letzter Zeit vonHoyer^)
und MalP) über die Anordnung des reticulären Gewebes ermit-
telten Verhältnissen im Wesentlichen nichts Neues hinzuzufügen
habe. Ich möchte nur besonderen Nachdruck darauf legen, dass
die Anordnung des Reticulum in Lymphdrüsen, Milz, und bis zu
einem gewissen Grade auch im Knochenmark im Wesentlichen
die gleiche ist; fttr Lymphdrüsen und Milz wurde das auch von
MalP) hervorgehoben.
Das Spaltsystem des reticulären Gewebes zeigt nun in seinen
verschiedenen Theilen eine sehr verschiedene Weite; es sind
vielfach Spalten vorhanden, deren Weite durch eine Lymphoid-
zelle vollständig ausgefüllt, in welchen auch sogar die einzelne
Zelle an ihrer vollen Entfaltung behindert erscheint (Fig. 4, 26,
30, 31, 40, 41). Ob derartige enge Spalten, sei es durch Druck
von innen, sei es durch andere Momente, einer Erweiterung fähig
sind, vermag ich nicht anzugeben. Anderseits kommen aber auch
weite Spalten vor, in denen mehrere Lymphoidzellen gleichzeitig
nebeneinander Platz gefunden haben (Fig. 6, 7, 10, 11, 16, 27,
39, 45), und solche, bei denen eine starke Ausbuchtung der
Randeontouren und mehrfach die Abwesenheit einer strengen Um-
grenzung constatirt werden kann, und die vielleicht als lacunäre
oder cavernöse Spalträume angesprochen werden können (Fig. 6
im unteren Theile, 33, 34, 44, 45). Auch von Reckling hau-
sen^) hat sich auf Grund von Silberinjektionen in das Vas eflFe-
rens von Lymphdrüsen zur Annahme eines cavemösen Plexus
veranlasst gesehen, den er zu den Wurzeln des Vas efferens in
1) Archiv für mikrosk. Anat. Bd. 34, S. 208 ff.
2) Sitzungsber. der kgl. sächs. Gesellschaft der Wiss. Math.-
phys. Klasse 1891, Bd. 17, S. 299 ff.
3) a. a. O. S. 328.
4) Strick er's Handbuch der Lehre von den Geweben Bd. I,
S. 243.
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568 M. Löwit:
nähere Beziehung bringt. Vielfach empfing ich den Eindrnck,
dass ein vorliegender Spaltraum in einem Lymphdrüsenscbnitte
bereits als Lymphcapillare, und bei Milz und Knochenmark be-
reits als Wurzel einer Blutcapillare angesprochen werden könne
(Fig. 6, 7, 30, 31, 40, 41). Ich habe aber diese Beziehungen
der Spalträume des reticulären Gewebes innerhalb der Blutzellen
bildenden Organe zu den Lymph- und Blutbahnen nicht weiter
verfolgt, um von dem eigentlichen Gegenstande meiner Unter-
suchungen nicht zu weit abseits geführt zu werden.
Es erhebt sich nun die Frage, ob Erythroblasten und Leu-
koblasten in gesonderten Theilen des Spaltsystems gelegen sind,
wie dies Denys^) für das Knochenmark der Vögel beschrieben,
Bizzozero*) aber für die gleiche Localität bestritten hat, oder
ob die beiden Lymphoidzellenarten untermengt in dem Spaltsystem
liegen, ohne eine bestimmte Gesetzmässigkeit, sei es einer geson-
derten, sei es einer untermengten Anordnung, erkennen zu lassen?
In dieser Beziehung ist nun zu bemerken, dass einzelne
Bilder aus Lymphdrüsen, Milz und Knochenmark sehr zu Gunsten
der von- Denys beschriebenen gesonderten Anordnung der beiden
Zellenarten in den Spalträumen dieser Organe sprechen (Fig. 3,
6, 7, 8, 30, 31, 40, 41). Der von Bizzozero gegen die Be-
funde von Denys erhobene Einwand, dass durch die ünter-
suchungsmethode von Denys eine Auslaugung des Hämoglobins
aus den jugendlichen Erythrocyten innerhalb des Knochenmarkes
der Vögel bewirkt und dadurch die Gegenwart von hämoglobin-
freien Erythroblasten da vorgetäuscht wurde, wo auf Grund der
Untersuchungen von Bizzozero hämoglobinhaltige Zellen nach-
gewiesen wurden, kann auf die Befunde innerhalb der Lymph-
drüsen der Säugethiere aus den bereits früher angegebenen Grün-
den keine Anwendung finden. Bei den Vögeln, wo den Lymph-
drüsen für die Bildung lymphoider Zellen nur eine sehr geringe
Bedeutung zuzukommen scheint, da diese Organe überhaupt bei
den Vögeln nur in beschränktem Maasse (am Halse) gefunden
werden^), wird die Möglichkeit einer derartigen Verwechsliöig
1) La Cellule 1887, T. IV, pag. 203 s.
2) Archiv für mikrosk. Anat. Bd. 35, S. 424 f.
3) Vgl. Leydig, Histologie S. 421 undGegenbaur, Grundriss
der vergl. Anatomie 1874, S. 659.
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Die Anordnung u. Nenbildnng v. Leukoblasten u. Erythroblasten etc. 569
im Knochenmarke unter den von Biz/ozero angegebenen Ver-
hältnissen immerhin zu berücksichtigen sein (Fig. 38). Ich muss
es übrigens auf Grund meiner Untersuchungen am Knochenmark
der Taube als höchst wahrscheinlich bezeichnen, dass auch in
diesem Organe echte Erythroblasten, mithin hämoglobinfreie Vor-
stufen der rothen Blutkörperchen enthalten sind (Fig. 39, 40, 41),
wenn auch durch die nicht vorgenommene Untersuchung der
lyinphoiden Zellen aus den Lymphdrüsen dieser Thiere, falls
diesen Organen überhaupt eine Bedeutung für die Blutzellenbil-
dnng zukommt, ein näherer Anhaltspunkt fttr diese Annahme
durch die Vergleichung mit sicher hämoglobinfreien Zellen der
gleichen Art nicht erbracht werden kann*).
Innerhalb der Lymphdrüsen der untersuchten Säugethiere,
wo die soeben erörterte Verwechslung wohl sicher als ausge-
schlossen betrachtet werden kann, kommen thatsächlich Bilder
zur Beobachtung (Fig. 3, 4, 6, 8), welche einer gesonderten An-
ordnung der Erythroblasten und Leukoblasten sehr das Wort
reden ; ganz analoge Verhältnisse werden auch in Milz und Kno-
chenmark (Fig. 30, 31, 40, 41) wiedergefunden. Man constatirt
nämlich vielfach enge oder weite Spalträume, in denen ausschliess-
lich Erythroblasten liegen, während in anderen, den ersteren
mehr oder weniger benachbarten Spalträumen ausschliesslich Leu-
koblasten enthalten sind. Auf diese Weise können reihenweise
geordnete Erythroblasten in ganz engen Spalten, ebenso wie
breite Züge von Erythroblasten in breiteren Spalten und lacu-
nären Räumen angetroflfen werden, und das Gleiche gilt auch für
Leukoblasten, wenn auch — und das dürfte wohl auf die ange-
wandte Färbung zurückzuführen sein — das eben geschilderte
Verhältniss an den Erythroblasten markanter als an den Leuko-
blasten hervortritt.
1) Auf die Beobachtung, dass durch die Differenzirung mit Jod-
picrinalcohol eine Gelbfärbung des hämoglobinhaltigen Zellleibes (Fig.
18, 20) und selbst in zweifellos ausgelaugten kernhaltigen und kern-
losen rothen Blutkörperchen ein deutlicher gelber Ring (Fig. 36, 38,
42 b, 44) am Zellenrande markirt wird, will ich in meinen Präparaten
keinen grösseren Werth legen. Auch Bizzozero vei'w endet, aller-
dings bei einer anderen Härtungsmethode, die Pikrinsäure zur Diffe-
renzirung des hämoglobinhaltigen Protoplasma.
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570 M. L ö w i t :
Allein diese gesonderte Anordnung von Erythroblasten und
Leukoblasten konnte ich nur stellenweise auffinden, sie ist auf
Grund der bisher gesammelten Erfahrungen keine für das ganze
Organ durchgreifende Erscheinung, und sie ist auch nicht ge-
setzmässig auf bestimmte Theile des Organes beschränkt. In
dieser Beziehung ist allerdings zu bemerken, dass die relativ
spärlichen Erythroblasten, welche im inneren centralen Theile
der Flemming'schen Keimcentren gelegen sind, stets gesondert
in engen Spalträumen angetroflfen wurden. Ich entsinne mich
nicht, in den genannten Spalträumen dieser Localität je Erythro-
blasten und Leukoblasten untermengt angetroflfen zu haben. Ob
eine analoge gesonderte Anordnung von Erythroblasten und Leuko-
blasten auch innerhalb des Eandtheiles der Secundärknötchen
vorhanden ist, vermochte ich wegen der dichten Lagerung der
beiden Zellenarten an diesem Orte nicht zu entscheiden. Das
Gleiche gilt überhaupt fttr alle Stellen, an denen die Lymphoid-
zellen eng bei einander liegen. Da nun aber die Lymphoidzellen
nahezu überall in sehr dichter Anordnung gelagert sind, so wird
die Entscheidung der Frage über die gesonderte Anordnung der
beiden Lymphoidzellenarten in solange kaum zu erlangen sein,
als nicht die Untersuehungsmethoden eine weitere Vervollkomm-
nung erfahren haben. Ich glaube vorläufig wenigstens den obigen
Ausspruch festhalten zu sollen, dass die gesonderte Anordnung
von Erythroblasten und Leukoblasten, von der eben erwähnten
Localität abgesehen, keine gesetzmässige Vertheilung innerhalb
bestimmter Theile der Blutzellen bildenden Organe erkennen lässt.
Meistens findet man Erythroblasten und Leukoblasten unter-
mengt in den verschiedenen Spalträumen vor. Hierbei können
nun wieder die verschiedenartigsten Anordnungen auftreten. Ent-
weder man findet nur vereinzelte Leukoblasten zwischen den
Erythroblastenzügen (Fig. 7, 29) und umgekehrt, oder es ist eine
mehr gleichmässige üntermengung der beiden Lymphoidzellen-
arten nachweisbar (Fig. 9, 33, 34), immerhin können aber auch
Lymphoidzellenlager angetroflfen werden, in denen vorwiegend
die eine oder die andere Zellenart überwiegt (Fig. 12, 16, 28,
31, 48). Die letztere Art der Anordnung finde ich mehrfach in
der Umgebung von Gefassen vertreten. Auf Grund aller dieser
Verhältnisse bin ich vorläufig nicht in der Lage, innerhalb der
Blutzellen bildenden Organe eine durchgreifend gesonderte An-
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Die Anordnung u. Neubildung v Leukoblasten u. Erythroblasten etc. 571
Ordnung der beiden Lymphoidzelleuarten, wie dies Denys für
(las Knochenmark der Vögel angab, vertreten zu können. Da-
gegen ist darauf hinzuweisen, dass an einzelnen Loealitäteu der
genannten Organe eine derartige Anordnung bestehen kann, was
darauf hinzuweisen scheint, dass die üeberftthrung der innerhalb
der Blutzellen bildenden Organe neugebildeten Erythroblasten und
Leukoblasten gegen die abführenden Lymph- und Blutgefässe
möglicherweise auf gesonderten Bahnen für die beiden Lymphoid-
zellenarten erfolgt. Das zu entscheiden wird aber erst auf Grund
weiterer Untersuchungen möglich sein.
Hier erhebt sich nun sofort die weitere Frage, ob, wenn
schon die Vertheilung der beiden Lymphoidzellenarten innerhalb
der hämatopoetischen Organe keine durchgreifende Sonderung
erkennen lässt, nicht vielleicht die Neubildung der beiden Zellen-
arten an gesonderten Localitäten, oder doch vielleicht an ganz be-
stinmiten Localitäten stattfindet, zumal ja Flemming^) und seine
Kieler Schüler die sogenannten Keirazentren innerhalb Rinde und
Mark der Lymphdrüsen und die analogen Gebilde der Milz
als die eigentlichen Herde der Lymphzellenbildung erkannt hatten,
neben welchen die Lymphzellenneubildung in anderen Partien
der genannten Organe mehr in den Hintergrund tritt.
Ich habe bereits früher darauf hingewiesen, dass die Ueber-
zahl der innerhalb der sogenannten Keimzentren nachweisbaren
Mitosen nach meiner Auffassung fixen Mitosen angehört, was Baum-
garten und Ribbert bereits früher erkannt hatten; auch Flem-
ming*) giebt in seiner letzt erschienenen Arbeit über diesen Gegen-
stand an, dass mitotische Theilungen fixer Zellen in den Keim-
zentren häufiger sind, als er es ursprünglich annahm. Ich leugne
nun durchaus nicht, dass nicht auch Erythroblasten innerhalb der
Keimzentren in mitotischer Theilung begriffen angetroffen werden
können, aber gegenüber der grossen Zahl fixer Mitosen werden Ery-
throblastenmitosen an der genannten Localität nur selten gefunden.
Ich bin, wie ich bereits früher erwähnt habe, nicht in der Lage,
jede runde oder länglich runde Zelle ohne Ausläufer innerhalb
des Reticulum als eine Lymphoidzelle anzusprechen, und ich
habe bereits oben betont, dass die Verwechslung von echten
1) Archiv für mikrosk. Anat. Bd. 24, S. 50 ff.
2) Archiv für mikrosk. Anat. Bd. 37, S. 271.
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572 M. Löwit:
Lymphoidzelleu mit fixeu (Endothel-)Zellen zu einer nach meiner
Auffassung irrthümliehen Anschauung über die Neubildung der
lyraphoiden Eleraeute innerhalb der Blutzellen bildenden Organe
geführt hat, Dass nun anderseits die innerhalb der Keimzentren
nachweisbaren Mitosen nicht den Leukoblasten angehören, habe
ich gleichfalls bereits höher oben erörtert.
Nach Flemming's*) Auffassung ist die Gegenwart der in
einzelnen lymphoiden Organen so reichlich vorhandenen Follikel
hauptsächlich auf die gerade im Centrum dieser Bildungen ge-
häuft vorkommenden mitotischen Theilungen lymphoider Elemente
zurückzuführen, indem durch den stärkeren Druck der wachsen-
den, grossen, in Mitose begriffenen Lymphoidzellen im Innern des
Follikels eine Verdrängung der kleinem jungem Tochterzellen
nach der Peripherie und eine Ansammlung an der Peripherie des
Knotens stattfindet, w.obei vielleicht noch eine stärkere Auswan-
demng von Leukocyten im Innern des Knötchens und vielleicht
auch eine stärkere Transsudation aus den BlntgefiLssen im Innern
des Knötchens an dem Auftreten reichlicher Mitosen an dies^
Stelle und an der Steigerung des Druckes im Centmm des
Knötchens mitbetheiligt sind.
Es ist im Sinne Flemming's wohl möglich, dass die im
Innern des Keimcentrums heii'schenden Wachsthumsverhältnisse,
welche die Gegenwart zahlreicher grosser wachsender und in Mi-
tose begriffenen (fixer) Zellen bedingen ^), au der Ausbildung der
knötchenartigen Bildungen im Innern des Organes mitbetheiligt
sind, ich möchte aber doch der Vermuthung Ausdrack geben,
dass die Lagerung und Anordnung des reticulären Gewebes in
diesen Theilen, wie sie schon von His beschrieben und durch
1) Archiv für mikrosk. Anat. Bd. 24, S. 67 f.
2) An diesen günstigen Wachsthumsbedingungen können wohl
gelegenth'ch auch die Erythroblasten und wahrscheinlich auch die
Leukoblasten betheiligt sein; aber die lymphoiden Zellen überhaupt,
und unter ihnen vor allem die Erythroblasten, können innerhalb der
sogenannten Keimcentren den fixen Zellen gegenüber in der Minder-
zahl vorhanden sein. Ich habe Keimcentra gesehen, in denen neben
massenhaften fixen Zellen weit weniger Lymphoidzellen enthalten
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leukoblasten u. Ery throbl asten etc. 573
die Untersuchungen von Hoyer^) und von Mall* bestätigt wurde,
das wesentlich Mitbestimmende für die Ausbildung der Follikel
darstellt. Eine ähnliche Anschauung hat auch LovellGulland^)
ausgesprochen. Ich verkenne nicht, dass diese eigenartige An-
ordnung des Reticulum in den verschiedenen Theilen des Follikels
auch secundär durch die Wachsthumsverhältnisse im sogenannten
Keimcentrum bedingt sein kann, aber der Umstand, dass gar
nicht so selten innerhalb der Follikularstränge und im Hilus-
stroma nicht minder zahlreiche Mitosen, ja gelegentlich sogar weit
zahlreichere Theilungen fixer Elemente angetroffen werden als
in den Keimzentren, ohne dass hier um die reichlichen Mitosen
herum eine analoge Knötchenbildung wie im Follikel constatirt
werden kann, gerade dieser Umstand lässt mich vermuthen, dass
der Anordnung des Reticulum eine nicht unwesentliche Bedeutung
für die Knötchenbildung zufallen dtlrfte.
Ich kann überhaupt über das Zustandekommen und die
Bedeutung der Secundärknötchen in vielen lymphatischen Organen
eine bestimmte Anschauung nicht geben. Der Umstand, dass sie
in gewissen lymphatischen Organen (Knochenmark)' ganz fehlen,
wo doch die Neubildung fixer und lymphoider Zellen nicht minder
zahlreich als in Lymphdrüsen und einzelnen verwandten Organen,
sowie in der Milz ist, weist darauf hin, dass das Zellenwachs-
thum und die Zellenneubildung allein für das Zustandekommen der
Knötchenbildungen nicht ausreichen. Ich will nur noch erwähnen,
dass ich mehrfach im Innern der Follikel in zusammenhängenden
Schnittreihen überhaupt keine Mitosen auffinden konnte, und
dass die Neubildung fixer Zellen auch in den andern Theilen
des Organes in ebenso intensiver Weise oft noch weit stärker
als innerhalb des FoUikes vor sich gehen kann.
Die Anschauung von Lovell Gulland^), dass innerhalb
1) a.a.O. S.212.
2) a.a.O. S.328.
3) a. a. O. S. 125, 134.
4) a. a. 0. S. 149. In den mesenterialen Lymphdrüsen der Maus
fand ich vielfach eine Anordnung der Lympholdzellen vor, welche an
die sogenannten Follikel im hohen Grade erinnerte (Fig. 49). Es Hessen
sich mehr oder weniger follikuläre Gebilde unterscheiden, an deren Pe-
ripherie die Lympholdzellen dichter als im Innern gelagert waren, wie
das ja auch von den echten Follikeln bekannt ist. Bei genauerer
Untersuchung stellte sich aber heraus, dass in diesen Bildungen, die
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574 M. L ö w i t :
der FI emming 'sehen Keimcentren die Auswanderung' mehr-
keniiger Leukocyten in besonders intensiver Weise vor sieh geht,
die sich in demselben in grosse einkernige Gebilde umwandeln
und nachträglich durch Mitose vennehren sollen, besitzt, wie er
selbst zugiebt, nur den Werth einer unbeweisbaren Hypothese,
weshalb auf die nähere Erörterung derselben hier nicht weiter ein-
gegangen werden soll. Die Gegenwart reichlicher wohl auf der
Durchwanderung durch das Gewebe begriffener mehrkemiger
Leukocyten habe auch ich mehrfach in Lymphdrüsen constatiren
können, doch konnte ich solche Zellen niemals in grösserer Menge
innerhalb der Follikel auffinden, was auch Lovell Gullaud
beobachtet hat. Eine nähere Beziehung dieser mehrkemigen
Leukocyten zu den Zellenneubildungsvorgängen innerhalb der
Lymphdrüsen vermochte ich nicht zu ermitteln.
Eine wesentliche Unterscheidung konnte ich auch bei meinen
Untersuchungen zwischen den Follikularsträngen und den Follikeln
der Lymphdrüsen und den analogen Gebilden in der Milz nicht
auffinden, worauf ja auch schon von verschiedenen Seiten hinge-
wiesen wurde; v. Recklinghausen ^) hat die Follikel dement-
sprechend geradezu als keulenffirmige Anschwellungen der FoUi-
kularstränge angesprochen. Ich würde einer solchen Auffassung
ohne Vorbehalt beipflichten, wenn ich nicht gerade innerhalb
des centralen Theiles der Follikel mit grosser Eegelmässigkeit
jene gesonderte Anordnung von Erythroblasten und Leukoblasten
beobachtet hätte, die früher bereits erörtert wurde, und die bis
zu einem gewissen Grade doch eine Sonderstellung der Follikel
rechtfertigen würde. Anderseits wurde aber, wie früher gleich-
falls bereits betont worden ist, eine gleiche gesonderte Anordnung
der beiden Lymphoidzellenarten auch ausserhalb der Follikel in
ich als Pseudofollikel bezeichnen möchte, die für die echten
Follikel doch charakteristischen fixen Zellen und deren Mitosen nahezu
vollständig fehlen, und dass beinahe ausschliesslich kleine Lymphoid-
zellen in follikulärer Anordnung vorliegen. Ob irgend eine nähere
Beziehung zwischen den Pseudofollikeln und den echten Follikeln be-
steht, vermag ich nicht zu entscheiden. Dass aber die follikuläre An-
ordnung der Lymphoidzellen in den Pseudofollikeln wesentlich durch
das reticuläre Gewebe der Drüse bedingt sein dürfte, kann wohl als
sehr wahrscheinlich bezeichnet werden.
1) Strick er' 8 Handbuch der Lehre von den Geweben Bd. I,
S. 243.
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leukoblasten u. Erythroblasten etc. 575
Lymphdrüsen, Milz und Knochenmark gefunden; ich muss es
vorläufig noch als eine offene Frage bezeichnen, ob gerade die
Follikel eine nähere Beziehung zur gesonderten Ueberführung der
beiden Lymphoidzellenarten in die Lymph- oder Blutbahucu be-
sitzen, oder ob dem genannten Befunde diese Bedeutung nicht zu-
kommt.
. Die Neubildung der Erythroblasten durch mitotische Thei-
lung kann innerhalb der Blutzellen bildenden Organe auf Grund
meiner Beobachtungen überall da vor sich gehen, wo Erythro-
blasten gelagert sind. Eigene Keimcentren der Erythroblasten-
bildung bin ich daher innerhalb der genannten Organe nicht in
der Lage annehmen zu können. Wohl trifft man innerhalb der
Markstränge, der Lymphbahnen und Lymphsinus sehr häufig ge-
häufte Erythroblastcnmitosen, die aber gegen ihre Umgebung so
wenig abgegrenzt sind, dass ich sie als eigene ^Centrcn" nicht
auffassen möchte, wenn auch diese Stätten mit den von Flem-
ming als Keimccntrum angesprochenen Localitälen den Charakter
des Wechselnden und Unbeständigen im hohen Grade gemeinsam
haben. Andei-seits trifft mau auch Erythroblastcnmitosen mehr
oder weniger vereinzelt an. Bezüglich der Reichhaltigkeit an
Erythroblastcnmitosen, mithin bezüglich des Grades der Erythro-
blastenneubildung, glaube ich Lymphdrüsen und Knochenmark auf
eine Stufe setzen zu dürfen. Allerdings ist es bei der ange-
wandten Untersuchungsmethode, wie bereits erwähnt wurde, nicht
möglich, im Knochenmarke die hämoglobinfreicn von den hämo-
globinhaltigen Zellen zu sondern, ich habe aber bei dieser Verglei-
chung von Lymphdrüsen und Knochenmark hauptsächlich solche
Zellen innerhalb des Knochenmarkes im Auge, welche mit den
analogen gewiss hämoglobinfreien Zellen der Lymphdrüsen voll-
ständig übereinstimmen. Auch in der Milz ist die Erythro-
blastenneubildung i-echt zahlreich, aber auf jeden Fall unter nor-
malen Verhältnissen geringer als in Lymphdrüsen und Knochenmark.
Bezüglich der Leukoblastenneubildung innerhalb der Blut-
zellen bildenden Organe bin ich nicht in der Lage, weitere Er-
gänzungen zu meinen frühern Angaben zu machen. Es liegt ja
im Wesen der angewandten Methode, dass die Erythroblasten
mehr in den Vordergrund treten als die Leukoblasten. Nur über
die Lagerung dieser letzteren Zellenart innerhalb der Blutzellen
bildenden Organe ergaben sich weitere Aufschlüsse; die genauere
Archiv f. inikrosk. Anatuinic. Bd. 38 37
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576 M. Löwit:
Struktur der Zellenkeme und zum Theil auch des Zellleibes der
Leukoblasten aber wird durch die Untersuchuugsmethode nicht
gut erhalten, worin ja gerade der diflFerenzirende Werth dieser
Methode begründet ist. Dass aber die Leukoblasten der genannten
Organe sich nicht durch Mitose vermehren, scheint mir durch die
im Voranstehenden mitgctheilteu Beobachtungen hinlänglich be-
gründet worden zu sein. Auf Grund meiner frühern Untersuchungen
glaube ich daran festhalten zu sollen, dass sich die Leuko-
blasten durch Amitose innerhalb der Blutzellen bildenden Organe
neubilden.
Die Untersuchung der Blutzellenbildung in der embiyonalen
Leber wurde diesmal ausschliesslich auf die Frage der Anwesen-
heit der beiden von mir in den Blutzellcn bildenden Organen er-
wachsener Thiere beschriebenen Lymphoidzellenarten in möglichst
frühen Stadien beschränkt. In dieser Beziehung bemerke ich
bloss, dass ich in zwei nach der gleichen im Vorausgehenden be-
schriebenen Methode behandelten Lebem von 15 mm grossen
Mäuseembr}^onen ausschliesslich Erj^throblasten (Fig. 35, 36) von
der gleichen Beschaffenheit wie in Lymphdrüsen und Milz der
gleichen erwachsenen Thiere und in reichlicher mitotischer Thei-
lung begriflfen, dagegen keine Leukoblasten fand. Hingegen
waren in der Leber eines 25 mm grossen Kaninchenembryo be-
reits Eiythroblasten und Leukoblasten nachweisbar. Es erscheinen
durch diesen Befund die analogen Beobachtungen von Mosso^)
imd van der Stricht^) bestätigt, dass bei der embryonalen
Blutbildung in der Leber die rothen Blutkörperchen früher vor-
handen sind als die weissen. H. E. Ziegler^) hatte bereits
früher die gleichen Verhältnisse für die embryonale Blutbildnng
überhaupt bei der ersten Blutbildung aus dem „Bildungsgewebe** des
mesenchymatischcn Gewebes angegeben. Nach seinen Unter-
suchungen entstehen die Erythroblasten intravasculär, während
die ei*sten Leukoblasten extravasculär gefunden werden und wabr-
1) Arch. ital. de Biolog. T. X, pag. 48 s.
2) a. a. O. S. 14 f.
3) Archiv für niikr. Anat. 1887, Bd. 30. Forner: Die Entstehung
des Blutes der Wirbeithiere. Ber. der naturf. Geseilsch. zu Freibnrg
i. B., 1889, Bd. 4.
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leuko blast en u. Erythroblasten etc. 577
schemlich durch Einwanderung in die Blutbahn gelangen. Auf
Grund dieser Untersuchungen ist mithin auch während einer
gewissen Zeit des Embrj'onallebens eine gesonderte Anordnung
der beiden Blutzellenarten vorhanden, wodurch die früher erwähnten
►Angaben von Denys und die im Vorausgehenden mitgctheilten
Befunde tlber eine gesonderte Anordnung der beiden Lymphoid-
zellenarten auch im postembryonalen Organismus eine nicht un-
wesentliche Stütze erhalten.
Auf die Frage, in welchem Theile der embryonalen Leber
die Blutzellenbildung vor sich geht, ob dieselbe, wie van der
Stricht annimmt, in einem eigenen hämatopoetischen intratrabe-
cular gelegenen Capillarnetz mit gesonderten zu- und abführenden
Capillaren vor sich geht, in welchem sich fixe Erythroblasten
befinden, die durch den Blutstrom nur allmählich entfernt wer-
den, soll hier nicht weiter erörtert werden*). Ich kann nur
angeben, dass Erythroblasten sowohl als Leukoblasten , wenn
sie vorhanden waren, innerhalb der embryonalen Leber in einem
zwischen Leberzellen gelegenen Spaltsystem gefunden wurden
(Fig. 35), das in der Regel mit Endothelzellen reichlich ausgekleidet
war (Fig. 36). Die Differenzen zwischen den einzelnen Zellen-
arten treten an dem embryonalen Material ebenso deutlich her-
vor, wie innerhalb der Organe des ausgewachsenen Thieres,
und dementsprechend konnten auch die Erythroblastenmitoscn
gut von den fixen Mitosen unterschieden werden. Diese fixen
Zellen innerhalb der Lebercapillaren dürften es wohl sein,
die HowelP) als „Embryonalzellen" bezeichnet, und von denen
er die Entstehung der. Erythroblasten ableitet. Ich habe auch
1) 0. van der Stricht (a.a.O. S.41f.) hat auf Gnmd seiner
Untersuchungen an der embryonalen Leber die Anschauung aufgc-
8teilt, dass die kernlialtigen rothen Blutkörperchen allerdings von hftmo-
globinfreien Vorstufen abstammen, dass aber die ersten Erythroblasten
der embryonalen Leber selbst wieder von liämoglobinhaltigen Ele-
menten abstammen, welche im strömenden Blute vorhanden sind, sich
in der Leber festsetzen und durch indirekte Theiluug zur Entstehung
von h.ämoglobinfreien kernhaltigen Zellen Veranlassung geben. Ich
konnte jedoch in der Arbeit von van der Stricht keinen bestimmten
Beweis für eine solche Annahme finden und habe auch bei meinen
eigenen Untersuchungen keine Anhaltspunkte für eine solche Auf-
fassung auffinden können.
2) a. a. 0. pag. 91.
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578 M. Löwit:
an der Embryonalleber keine Anhaltspunkte für eine derartige
Annahme auflSnden können; ich muss auf Grund meiner Unter-
suchungen die Erythroblasteu und die Leukoblasten im embryo-
nalen sowohl als im ausgewachsenen Organismus als ein keim-
fähiges Gewebe ansehen, das im embryonalen und im aur^gc-
wachsenen Organismus zum Aufbau und zum Wiederersatz des
Blutzellenmateriales verwendet wird.
IT. Die Neubildung rother Blutkörperchen.
Die von mir durchgeführten üntersnchungen über die Neu-
bildung der rothen Bhitkörperchen haben mich zu der Annahme
geführt, dass die Entwicklungsreihe der rothen Blutzellen ihren
Ausgang von einer hämoglobinfreien Voi-stufe der rothen Blut-
körperchen oder den von mir sogenannten Erythroblastcn nimmt,
die sich durch Mitose vermehren und sich in jedem Stadium
ihres Theilungsprozesses, auch im ruhenden, durch das Erscheinen
von Hämoglobin im Zellleibe zu kernhaltigen rothen Blutkörper-
chen umwandeln können, die selbst noch durch Mitose theilungs-
nnd entwicklungsfähig sein können, bei den Thieren mit keni-
losen rothen Blutkörperchen aber allmählich durch einen eigen-
artigen Process ihren Kern verlieren und sich auf diese Weise
zu den definitiven kernlosen Erythrocyten umbilden. Da ich nun
die von mir geschilderten Erythroblastcn in den verschiedenen
nntersuchten Blutzellen bildenden Organen (Lymphdrüsen, Milz,
Knochenmark) vorfand, so war ich bereits bei meinen ersten
Untersuchungen^) zu der Annahme gelangt, dass die genannten
Organe sich in nahezu gleicher Weise an der Neubildung rother
Blutkörperchen betheiligen.
Gegen diese Ergebnisse wurden von verschiedenen Seiten
mehrfache Bedenken geltend gemacht, die sich im Wesentlichen
sowohl gegen die Annahme gesonderter hämoglobinfreier Vor-
stufen (Erythroblastcn) der rothen Blutkörperchen, als auch gegen
die Art und Weise der Umwandlung derselben in die kernhal-
1) Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wiss., iiiatli.-nat. Klasse» 1885,
III. Abth., Bd. 92,' S. 12.
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leukoblastcn u. Erythrobiasten etc. 579
tigen rothen Blutkörperchen riclitetcn. Auf diese Bedenken soll
nnn im Folgenden genauer eingegangen werden.
Vor allem war es B i z z o z e r o ^), der sich bei seinen Unter-
suchungen über das Knochenmark der Vögel von der Gegenwart
hämoglobinfreier Vorstufen der rothen Blutkörperchen, also meiner
Erythrobiasten, nicht überzeugen konnte, vielmehr zu dem Schlüsse
gelangte, dass auch die allerjttngsten Stadien der rothen Blut-
körperchen, sowie „sämmtliehe Mitosenfiguren der rothen Blut-
körperchen auch in ihren allerersten Stadien" bereits Hämoglo-
binförbung erkennen lassen. Die Annahme „ungefärbter Erythro-
biasten" ist daher für Bizzozero^) überflüssig, denn, so fragt
er, wie kann man eine solche Annahme machen, „wenn man
Zellen schon gefilrbt sieht, welche noch im BegriflFe sind, sich
durch Mitosis zu theilen? Kanu es wohl ein jüngeres Element
geben, als eine Zelle, welche noch nicht selbständig geworden
ist, weil sie noch einen Theil einer anderen Zelle bildet, von der
sie abstammt"? Bizzozero's Einwände gegen die Annahme
hämoglobinfreier Erythrobiasten bezichen sich nun allerdings vor-
wiegend auf die Untersuchungen von Denys, nur zum aller-
geringsten Theile gegen meine eigenen Arbeiten. Da aber
Bizzozero die Annahme, dass es keine hämoglobinfreien Ery-
throbiasten giebt, auch auf die übrigen Thierklassen ausdehnt^),
sehe ich mich doch veranlasst, auf diesen Punkt hier selbst ein-
zugehen.
Die Gründe, welche Bizzozero zu dem eben erwähnten
Ergebnisse geführt haben, lassen sich im Allgemeinen folgender-
maassen zusammenfassen: 1) Die von Denys angewandten Me-
thoden lassen den Einwand zu, dass Hämoglobin aus den Zellen
ausgelaugt worden ist; die hämoglobinfreien Erythrobiasten sind
daher nach Bizzozero theilweise als veränderte (ausgelaugte)
kernhaltige rothe Blutkörperchen aufzufassen^), zum Theil aber
zählt er sie der Reihe der Leukocyten zu'*), die Denys irr-
thümlicher Weise als hämoglobinfreie Vorstufen der rothen Blut-
körperchen angesprochen hatte. 2) Bizzozero findet kern-
1) Archiv für mikrosk. Auat. Bd. 35, S. 424 ff.
2) a. a. O. S. 456.
3) a. a. 0. S. 459.
4) a. a. 0. S. 434.
5) a. a. 0. S. 443 f.
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580 M. Löwit:
haltige rothe, also hämoglobinhaltige Blutkörperchen in allen
Stadien der Theilung, von der ruhenden Zelle angefangen, durch
alle Stadien der Mitose, so dass ihm die Annahme einer hämo-
globinfrcien Vorstufe überflüssig erscheint*). 3) An passend be-
handelten Deckglaspräparaten aus dem Knochenmark findet
Bizzozero eine auf einen Hämoglobingehalt hinweisende Be-
schaffenheit im Zellkörpcr sämmtlicher Mitosenfiguren der rothen
Blutkörperchen auch in ihren allerersten Stadien; ^dies lässt sie
auf den ersten Blick von den Leukocyten unterscheiden, mit
denen sie allenfalls verwechselt werden könnten"^).
Was den ersten der hier aufgezählten Einwände Bizzo-
zero's anbelangt, so habe ich kaum Veranlassung näher auf
denselben einzugehen, da er doch vorwiegend gegen die von
D e n y s angewendeten Untersuchungsmethoden gerichtet ist. Eine
Verwechslung von (hämoglobinfreien) Erythroblasten mit ver-
änderten kernhaltigen rothen Blutkörperchen erscheint mir bei
meinen Beobachtungen ausgeschlossen, da ich die gleichen Zellen,
die ich im Knochenmark und in der Milz als Erythroblasten an-
gesprochen habe, in gleicher BeschaflFenheit auch innerhalb der
Lymphdrüsen vorfand, wo Anwesenheit von Hämoglobin inner-
halb des Zellprotoplasma auf Grund unserer gegenwärtigen Kennt-
nisse überhaupt nicht in Betracht kommt. Dass aber die (hämo-
globinfreien) Erythroblasten gut und scharf von den Leukocyten
unterschieden sind, daher mit ihnen nicht verwechselt werden
können und von ihnen auch nicht abzuleiten sind, dafttr habe
ich wohl in dieser Arbeit und in den vorausgegangenen ge-
nügende Anhaltspunkte beigebracht. Ich stimme daher Bizzo-
zero^) vollinhaltlich darin bei, dass er sich gegen die Abstam-
mung der rothen Blutkörperchen und ihrer Vorstufen von den
Leukocyten mit Entschiedenheit ausspricht, wie ich das früher
gleichfalls bereits gethan hatte*), nur sehe ich mich gegen
Bizzozero allerdings veranlasst, eine hämoglobinfreie Zellen-
art, die Erythroblasten, welche den Leukocyten nicht zugezählt
1) a.a.O. S.456.
2) a. a. 0. S. 457.
3) a. a. 0. S. 464 f.
4) Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wiss. in Wien etc. 1885, Bd. 92,
S. 60 f.
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Die Anordnung II. Neubildung:: v. Leukoblasten u. Erythrobiasten etc. 581
werden können, als das Anfangsglied in der Entwieklungsreihe
der rothcn Blutkörperchen anzusprechen.
Was nun den zweiten Einwand von Bizzozero anbe-
langt, 80 kann ich nicht finden, dass die in demselben ausge-
sprochene zweifellos richtige Beobachtung die Annahme hämo-
globinfreier Vorstufen der rothen Blutkörperchen überflüssig macht
oder gar ausschliesst. Dass die kernhaltigen rothen Blutkörper-
chen sich durch Mitose theilen, ist seit den eingehenden zahl-
reichen Untersuchungen von Bizzozero eine der bestconsta-
tirten Beobachtungen aus dem weiten Gebiete der Blutphysiologic
und Pathologie. Aber warum diese Beobachtung die Annahme
hämoglobinfreier Voi-stufen der rothen Blutkörperchen überflüssig
machen soll, ist mir unerfindlich. Mit der höher oben erwähnten,
allerdings etwas dunkeln Fragestellung hat Bizzozero wahr-
scheinlich die üeberflflssigkcit der Annahme hämoglobinfreier
Vorstufen dadurch begründen wollen, dass er die Abstammung
der kernhaltigen rothen Blutkörperchen immer wieder auf das
gleiche Formclcmcnt, mithin auf hämoglobinhaltige Zellen zu-
rückführen konnte. Aber alles das zugegeben, so erscheint mir
damit immer noch nicht ausgeschlossen oder überflüssig, dass
die theilungsföhigen kernhaltigen rothen Blutkörperchen von thei-
lungsföhigen hämoglobinfreien Zellen abstammen können, die sich
entweder als hämoglobinfreie Zellen neubilden, oder die in jedem
Theilungsstadium sich in hämoglobinhaltige Zellen umwandeln
können. Hämoglobinfreie und hämoglobinhaltige Zellen dürfen
dann allerdings nicht als zwei principiell diff'erente Zellenarten
angesehen werden; die hämoglobinfreie Zelle geht vielmehr in die
hämoglobinhaltige über, wahi-scheinlich dann, wenn gewisse Be-
dingungen die Hämoglobinbildung im Zellleib ermöglichen; ich
komme auf diese Umwandlung noch einmal zurück. Dass nun
hämoglobinfreie Vorstufen der rothen Blutköi-perchen vorhanden
sind, dass sie sich durch Mitose theilen, dass sie sich in kem-
haltige rothe, selbst noch theilungsföhige Blutkörperchen um-
wandeln können, das glaube ich in meinen vorausgegangenen
Untersuchungen und auch in den vorliegenden genügend erhärtet
zu haben.
Der dritte Einwand Bizzozero's besagt, dass er sämmt-
liche Mitosenfiguren der rothen Blutkörperchen auch in ihren
allerersten Stadien hämoglobinhaltig fand. Aber Bizzozero
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582 M. L ö w i t :
nimmt doch selbst an, dass die Leukocyten sieh durch Mitose
vermehren, er muss mithin doch auch Mitosenfigruren gesehen
haben, die nicht hämoglobinhaltig sind. Wodurch untei'scheidet
nun Bizzozero die Mitosenfiguren der rothen Blutkörperchen
von jenen der weissen Blutkörperchen? Doch im Wesentlichen
durch den Hämoglobingehalt der erstem gegentlber der Hänio-
globinlosigkeit der letzteren, denn er sagt ja selbst, dass diese
Unterscheidung die Auseinanderhaltung der beiden Mitosenfiguren
gestattet, die sonst allenfalls verwechselt werden könnten. Das
heisst aber doch mit anderen Worten, dass nur jene Zellen als
rothe Blutkörperchen oder deren Voi-stufen angesprochen werden
können, die hämoglobinhaltig sind, während die in Betracht
kommenden hämoglobinfreien Zellen den Leukocyten angehören.
Es ist selbstverständlich mttssig, sich ttber hämoglobinfreie Vor-
stufen der rothen Blutköi-perchen in's Einvernehmen setzen zu
wollen, wenn man an dem eben erörterten Satze festhält, wie
das B i z z o z e r o in der mehrfach erwähnten Arbeit in entschie-
dener Weise thut. Sieht man alle Lymphoidzellen, die nicht
hämoglobinhaltig sind, als Leukocyten oder als der leukocytären
Reihe angehörige Elemente an, dann giebt es keine hämoglobin-
freien Vorstufen rother Blutkörperchen, wie dies Bizzozero
behauptet. Dann wird aber der Nachweis erbracht werden
mttssen, dass die von mir und seither auch von Andern (Denys,
Howell, van der Stricht) gefundenen Anhaltspunkte für
die Zugehörigkeit der (hämoglobinfreien) Erythroblasten zur Ent-
wicklungsreihe der rothen Blutzellen, und andei'seits die Anhalts-
punkte, welche die von mir und auch von anderer Seite urgirte
scharfe Abtrennung der (hämoglobinfreien) Erythroblasten von
der Entwicklungsreihe der leukocytären Elemente bedingen^ nicht
stichhaltig sind, oder es werden neue Thatsachen bekannt werden
müssen, welche mit der Annahme hämoglobinfreier Vorstufen der
rothen Blutköi-perchen unvereinbar sind. Das ist aber bisher
nicht, auch durch Bizzozero nicht erfolgt. Bizzozero's
bisher erörterte Einwände beziehen sich nur auf die Annahme,
dass es keine hämoglobinfreien Vorstufen der rothen Blutkörper-
chen giebt, wobei er allerdings den Nachweis der Erythroblasten
in den Lymphdrüsen nicht berücksichtigt. Dass die von Bizzo-
zero zur Stütze dieser Annahme beigebrachten Angaben zur
Widerlegung dieser Annahme nicht ausreichen, habe ich im Vor-
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leukoblasten u. Erythroblasten etc. 583
ftusgehcnden erörtert. Indem aber Bizzozero sich auf den
Standpunkt stellt, dass nur solche Zellen als Vorstufen der rothen
Blutkörperchen anfgefasst werden können, die selbst bereits
häinoglobinhaltig sind, hat er eine neue Annahme aufgestellt, die
selbst erst bewiesen werden müsste. Gerade diese letztere An-
nahme erscheint mir aber völlig unerwiesen, da doch jetzt be-
reits eine ganze Reihe theils von mir, theils von den früher ge-
nannten Autoren erbrachten und seither nicht Aviderlegten Be-
funden und Beobachtungen fllr die Zugehörigkeit der (hüraoglo-
binfreien) Erythroblasten zur Entwicklungsreihe der rothen Blut-
körperchen sprechen. Ich halte demnach auch die dritte Ein-
sprache Bizzozero's gegen die Annahme hämoglobinfreier
Vorstufen der rothen Blutkörperchen nicht für ausreichend gestützt.
Was nun die Bedenken anbelangt, die hauptsächlich von
Bizzozero^), Neumann ^) und zum Theil auch von F 1 e m-
ming^) gegen die Art und Weise der Umwandlung der Ery-
throblasten in kernhaltige rothe Blutkörperchen anbelangt, so
habe ich bereits an einem anderen Orte^) den Einwand Neu-
mann's zurückgewiesen, dass die von mir beschriebenen^) so-
genannten „gekernten rothen Blutkörperchen", die ich im strö-
menden Blute bestimmter Gefässabschnitte vorfand, und die sich
meiner Auffassung nach aus den Erythroblasten durch Hämo-
globinbildung innerhalb des strömenden Blutes bestimmter (venöser)
Geßlssabschnitte bilden, Kunstprodukte darstellen. Ich will da-
her auf diesen Gegenstand hier nicht näher eingehen und be-
merke nur, dass ich bei einer jetzt vorgenommenen Nachprüfung
der seiner Zeit über die ,, gekernten rothen Blutkörperchen" ge-
machten Angaben dieselben vollständig bestätigt fand, diese Art
der kernhaltigen rothen Blutkörperchen daher nicht, wie Neu-
mann, als „Timgbilder" auffassen kann.
Nun haben sowohl N e u m a n n als auch Bizzozero und
F 1 e m m i n g darauf hingewiesen, dass man, selbst wenn die Um-
wandlung der aus den Lymphdrüsen auf dem Wege der Lymphe
1) a. a. 0. S. 466.
2) V i r c h o w' 8 Archiv 1890, Bd. 119, S. 385 f.
3) Archiv für mikrosk. Anat. Bd. 37, S. 268 f.
4) Ziegler's Beiträge etc. Bd. X, S. 220.
5) Sitzungöber. der k. Akad. d. Wiss. in Wien 1887, Bd. 95,
S. 129 f.
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584 M. Löwit:
in die Blutbahn gelangenden Erythroblastcn in rothe Blutkörper-
chen in der von mir beschriebenen Weise vor sich gehen würde,
zu dem ,,selt8araen Ergebniss kommen würde, dass die rothen
Blutkörperchen sich noimaler Weise durch zwei vollkommen ver-
schiedene Vorgänge entwickelten" (Bizzozero), nachdem ja
die Umwandlung der Erythroblastcn in Knochenmark zur Bil-
dung der kernhaltigen rothen Blutkörperchen führe, die sich nach
meinen eigenen Angaben von den sogenannten „gekernten rothen
Blutkörperchen" in gewissen Beziehungen unterscheiden lassen *).
Es ist aber bei der Feststellung dieses „seltsamen Ergebnisses'^
übersehen worden, dass ich sowohl bei der nach bestimmten
Methoden vorgenommenen Untersuchung des Knochenmarkes und
der Milz, als auch in dem aus der Milz und dem Knochenmarke
abfliessenden Venenblute in einzelnen Fällen nur wenige, in an-
deren aber sehr zahlreiche „gekernte rothe Blutkörperchen" auf-
fand ^) ; es ist also die Bildung der „gekernten rothen Blutkörper-
chen" durchaus nicht auf die Lymphdrüsen und deren Antheil-
nahme an der Bildung rother Blutkörperchen beschränkt, son-
dern sie findet sich auch in Milz und Knochenmark vertreten.
Gerade die beiden letztgenannten Organe habe ich neuerdings in
Isolationspräparaten nach der andernorts beschriebenen Methode
auf die Gegenwart von „gekernten rothen Blutkörperchen" ge-
prüft und dabei ebenso wie bei den früheren Untersuchungen in
zwei Fällen nur wenige derartige Formen aus den Organen zur
Darstellung bringen können; in zwei anderen Fällen fand ich
jedoch in zahlreichen Zupfpräparaten aus Milz und Knochen-
mark massenhaft „gekernte rothe Blutkörperchen" vor. Ich
möchte mich daher gegenwärtig noch bestimmter als bei mei-
nen früheren Untei*suchungen dafür aussprechen, dass auch
innerhalb Milz und Knochenmark eine Umwandlung der Erythro-
blastcn in „gekenite rothe Blutkörperchen" in reichlichem Maasse
stattfinden kann. In welchem Theile der genannten Organe diese
Umwandlung vor sich gehen dürfte, soll sofort näher besprochen
werden. Lymphdrüsen, Milz und Knochenmark zeigen daher
auch bezüglich der Umwandlung der Erythroblastcn in rothe
1) a. a. O. S. 159.
2) a. a. 0. S. 156 f.
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leukobiasten u. Erythroblasteü etc. 585
Blutkörperchen durch die Zwischenstufe der „gekernten rothen
Blutkörperchen" eine nahe Zusammengehörigkeit.
Nun könnte man aber immer noch den Einwand von Neu-
mann, Bizzozero und F 1 e n\ m i n g darin begründet finden,
dass zwischen „gekernten rothen" und „kernhaltigen rothen Blut-
körperchen" gewisse Unterschiede vorhanden sind, und dass man
im Knochenmark regelmässig, in der Milz gelegentlich „kern-
haltige rothe" neben den „gekernten" rothen Blutkörperchen vor-
findet, während in den Lymphdrüsen keine von den beiden For-
men enthalten sind, die Umwandlung der Erythroblasten in „ge-
kernte rothe Blutkörperchen" sich vielmehr hauptsächlich im
venösen Blute jener GefUssbezirke vollzieht, in welche sich die
Lymphe ergiesst.
Aber auch diese Verhältnisse reichen zur Begründung des
Einwandes von Neumann, Bizzozero und Flemming
nicht aus. Zunächst muss ich bemerken, dass die Unterschiede
zwischen den „kerahaltigen" und den „gekernten rothen Blut-
körperchen" durchaus nicht solcher Art sind, dass man an eine
principiell verschiedene Art der Hämoglobinbildung in den Ery-
throblasten der Lymphdrüsen und jenen des Knochenmarkes den-
ken müsste. Ich habe bereits bei meinen früheren Untersuchungen
über diesen Gegenstand') das hervorstechendste Unterscheidungs-
merkmal zwischen „kernhaltigen" und „gekernten rothen Blut-
körperchen" dahin fixirt, dass in den ersteren der Kern sofort
ohne weitere Reagentien Wirkung, in den letzteren aber erst nach
mehrstündiger Behandlung mit der modifieirten Pacini'schen
Flüssigkeit sichtbar ist, und darauf hingewiesen 2), dass die Kerne
in den „gekernten rothen Blutkörperchen" durch Hämoglobin
verdeckt sind und erst sichtbar werden, wenn das Hämoglobin
gegen den Rand der Zelle verdrängt wird, was wahrscheinlich
durch die modificirte Pacini'sche Flüssigkeit geschieht. Das
deutet allerdings auf „gewisse Unterschiede" zwischen den beiden
kernhaltigen Formen der rothen Blutkörperchen, „die möglicher
Weise doch auf einen bis zu einem gewissen Grade differenten
Vorgang der Hämoglobinbildung im Knochenmark und Milz einer-
seits und im circulirenden Blute anderei-seits hinweisen könn-
1) a. a. 0. S. 159.
2) a. a. 0. S. 161.
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686 M. Löwit.-
ten"*), aber eine principielle Differenz, oder wie Bizzozero*)
meint, „zwei vollkommen verschiedene Vorgänge^ liegen hierbei,
so weit ich das beurtheilen kann, nicht vor. In beiden Fällen
geht die Hämoglobinbildnng in der gleichen Zellenart (Erythro-
blast) vor sich; in dem einen Falle aber (Knochenmark und zum
Theil auch Milz) bleibt in zahlreichen Zellen der Kern längere
Zeit sichtbar („kernhaltige rothc Blutkörperchen"), wahrscheiu-
lich weil er durch das Hämoglobin des Zellleibes nicht gedeckt
wird, in dem zweiten Falle (circulirendes Blut, das zu gewissen
hämatopoetischen Organen in Beziehung steht) wird der Kern
sehr rasch unsichtbar, weil er wahrscheinlich durch Hämoglobin
gedeckt ist, er kann nur durch bestimmte Mittel sichtbar ge-
macht werden („gekernte rothe Blutkörperchen"). Es liegt wohl
am nächsten, für die Auffassung dieser Differenz an eine ver-
schieden rasche und vielleicht auch verschieden intensive Hämo-
globinbildung in den beiden Fällen zu denken; eine principielle
Differenz vermag ich hierin nicht zu erblicken, zumal doch dar-
auf Bedacht genommen werden muss, dass ja auch in Milz und
Knochenmark „gekernte rothe Blutkörperchen" in der Regel
nachzuweisen sind, und dass möglicher Weise doch auch die
„gekernten" Formen aus den „kenihaltigen" hervorgehen können,
worauf aber hier nicht weiter eingegangen werden soll.
Indessen könnte noch immer eine Differenz der Erj-thro-
cytenbildung in den genannten Organen darin erblickt werden,
dass die „kernhaltigen rothen Blutkörperchen" doch vorwiegend
auf das Knochenmark beschränkt sind und dass innerhalb der
Lymphdrüsen überhaupt keine Hämoglobinbildung in den Erythro-
blasten erfolgt, sondern dass diese erst ausserhalb dieser Organe
in der Blutbahn gewisser Gefassabschnitte vor sich geht. Aber
auch diese Differenzen können, wie ich glaube, die Annahme
nicht begründen, dass die Erythrocytenbildimg in Knochenmark
und Lymphdrüsen durch zwei vollkommen verschiedene Vor-
gänge erfolgt.
Zunächst muss ich bemerken, dass ich auch diesmal, ebenso
wie bei meinen früheren Untersuchungen'), in der Milz erwach-
1) a. a. 0. S. 159.
2) a. a. O. S. 467.
3) Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wiss. in Wien, math.-nat. Klabso,
1883, Bd. 88, lII.Abth., S. 389, und Bd. 95, 1887, S. 158.
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leukoblasten u. Erythroblasten etc. 587
sener Kaninchen gelegentlicb, namentlich bei reger Blutzellen-
bildnng, „kernhaltige rothe Blutkörperchen" in ziemlich beträcht-
licher Zahl angetroffen habe, ja dass ich sogar gelegentlich einer
sorgfältigen Untersuchung des Milzvenenblutes bei einem Kanin-
chen auch vereinzelte „kernhaltige" Erytbrocyten noch au dieser
Stätte vorfand. Es ist mir sehr wahrscheinlich, dass, wenn man
sich der Mühseligkeit derartiger Untersuchungen öfter unterziehen
würde, man den genaimten Befund auch öfter constatireu könnte
und dass man nicht nur im Milzvenenblute, sondern wahrschein-
lich auch in anderen (venösen) Gefössbezirken, die zu hämato-
poetischeu Organen in Beziehung stehen, analoge Befunde machen
könnte. Ich selbst habe nur bei zwei Kaninchen das Blut der
linken Vena cava sup. sin. und des rechten Herzens auf diese Verhält-
nisse geprüft und nach langem Suchen zwei typische „kernhaltige"
Erythrocyten im Blute des rechten Hei-zens (an Trockenpräparaten)
gefunden, während an der gleichen Localität zahlreiche „gekernte"
Formen nachgewiesen ^crden konnten ^). Ich will nun auf diese
Verhältnisse hier nicht weiter eingehen, aber so viel geht doch
aus diesen Beobachtungen hervor, dass sich auch im strömenden
Blute gelegentlich, w^enn auch in vereinzelten Exemplaren, „kern-
haltige rothe Blutkörperchen" vorfinden können; hierher gehört
wohl auch die Beo^^achtung Tornier's*), der aus einer Pan-
crcasvene der Maus ein kenihaltiges rothes Blutkörperchen ab-
bildet. Es ist also der Befund „kernhaltiger rother Blutkörper-
chen" durchaus nicht auf das Knochenmark allein beschränkt,
wenn man auch in diesem Organe, wahrscheinlich wegen der
regen Betheiligung desselben an der Erythrocytenbildung, so-
1) Auch P r i n 8 (vgl. später) hat bei der Untersuchung des Blutes
der Vena cava infer. bei Kaninchen vereinzelte kernhaltige rothe Blut-
körperchen gefunden.
2) Das Knochenmark. Inaug.-Diss. Breslau 1890. Die Beob-
achtung von Tornier (a.a.O. S. 30), dass gewisse farblose Zellen des
Knochenmarkes erst unter dem Deckglase hUmoglobinhaltig wer-
den können, dürfte wohl zu jenen interessanten Versuchen der Dor-
pater Schule (Schwartz, Anthen, Hoffmann, Knüpf f er,
H ö h 1 e i n , W. F i c k) in Beziehung zu bringen sein, welche für die
Frage der Hämoglobinbildung im Protoplasma von grosser Bedeutung
zu werden versprechen. Tornier hat übrigens selbst erwähnt, dass
er die „kernhaltigen" rothen Blutkörperchen nicht für ein „bedeutungs-
loses Kunstprodukt" erklären möchte.
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588 M. L ö w i t :
wie wahrscheinlich wegen besonderer, den längeren Bestand der
„kernhaltigen*' Formen begünstigender Verhältnisse in diesem Or-
gane nahezu regelmässig grössere Mengen der „kernhaltigen"
Erythrocyten, als an den anderen erwähnten Localitäten auffindet.
Es erübrigt nun noch jenen Umstand zu erörtern, dass in
den Erythroblasten der Lymphdrüsen keine Hämoglobinbildung
vor sich geht, sondern dass diese erst in der venösen Blutbahn
gewisser Gefössbezirke erfolgt. In dieser Beziehung muss ich
bemerken, dass auch innerhalb Knochenmark und Milz von Ka-
ninchen kernhaltige rothe Blutkörperchen hauptsächlich innerhalb
der Gefässe vorgefunden wurden, dass mithin die Hämoglobin-
bildung in den Erythroblasten dieser Organe nur endovasculär,
niemals im eigentlichen Parenchym dieser Organe ausserhalb der
Blutgefässe vor sich geht. Davon überaeugt man sich am besten
an gut in Sublimat gehärteten Präparaten, die entweder nach der
von mir^) für die Hämoglobinfärbung angegebenen, oder nach
jener von Bizzozero*) angegebenen Methode behandelt wer-
den. Die hämoglobinhaltigen kernhaltigen Zellen liegen, wie
das ja B i z z 0 z e r 0 für das Knochenmark der Vögel eingehend
beschrieben hat, auch beim Kaninchen, das ich bisher ausschliess-
lich auf diese Verhältnisse untersucht habe, der Hauptmasse nach
innerhalb von Gefössen, und wo immer ich scheinbar frei im
eigentlichen Parenchym ein kernhaltiges rothes Blutkörperchen
vorfand, lagen immer in unmittelbarer Nachbarschaft kernlose,
voll entwickelte rothe Blutkörperchen, so dass bei der eigen-
artigen Gefässanordnung in diesem Organe eine sehr nahe Be-
ziehung dieser kernhaltigen Erythrocyten zum Blutstrome ange-
nommen werden durfte, selbst wenn man in jedem einzelnen Falle
nicht im Stande war, die BlutgefUsswandung zu erkennen. Im
Knochenmark tritt übrigens die soeben geschilderte Anordnung
viel deutlicher als in der Milz hervor.
Bezüglich der endovasculären Lage der hämoglobinhaltigen
Vorstufen der Eiythrocyten im Knochenmark*) (und in der Milz)
stehe ich mithin vollständig auf der durch die Arbeiten Bizzo-
zero's geschaffenen Grundlage. Bezüglich der hämoglobin-
1) Sitzungsber. der k. Akad. d. Wiss. Wien 1883 etc., S. 364 f.
2) a. a. O. S. 456 f.
3) a. a. 0. S. 460 f.
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Die Anordnung n. Neubildung v. Leukoblasten u. Erythroblasten etc. 589
freien Vorstufen (Erythroblasten) der rothen' Blutkörperchen weiche
ich aber auf Grund meiner Untersuchungen von Bizzozero
ab. Diese Erythroblasten im Knochenmark (und Milz) liegen der
Hauptmasse nach in der früher geschilderten Weise im soge-
nannten Parenchym (ausserhalb der Blutgefässe), in vereinzelten
Exemplaren auch innerhalb der Blutgefässe. Ich kann mich da-
her in dieser Beziehung nicht auf den Standpunkt von Bizzo-
zero^) stellen, dass das Parenchym des Markes der Vögel *),
wie jenes der Säugethiere, nur ein Aufspeicherungsort für das
Fett und ein Herd für die Produktion von Leukocyten ist, ich
muss vielmehr in dasselbe auch die Produktion der Erj'throblasten
verlegen, die aus dem Parenchym in die Blutbahn gelangen, hier
bämoglobinhaltig werden und sich auch noch in diesem Zu-
stande durch Mitose theilen können.
Die Beobachtung nun, dass auch im Knochenmarke (und
auch in der Milz) die Hämoglobinbildung in den Erythroblasten
hauptsächlich im Gefösssystem dieser Organe stattfindet, weist
darauf hin, dass auch in diesen Organen „dem strömenden Blute,
dem Blutplasma, eine wesentliche Rolle bei der Hämoglobinbil-
dung zufällt"^). Damit scheint mir aber ein Veretändniss der
eigenartigen Verhältnisse innerhalb der Lymphdrüsen angebahnt
zu sein.
Wie ich früher bereits betont habe, steht das (secemirende)
Parenchym von Milz und Knochenmark in inniger Beziehung zu
den aus diesen Organen abführenden Blutbahnen, das (secemi-
rende) Parenchym der Lymphdrüsen aber zu den aus diesen Or-
ganen abführenden Lymphgefässen. Die Erythroblasten aus Milz
und Knochenmark finden daher, nach dem soeben Erörterten,
die Bedingungen der Hämoglobinbildung bereits innerhalb der
genannten Organe, die Erythroblasten der Lymphdrüsen aber
erst ausserhalb dieser Organe, da, wo sich die Lymphe in die
Blutbahn ergiesst. Ich glaube also, dass auch in dieser Be-
ziehung eine principielle Differenz der Bildung rother Blutkörper-
1) a. a. 0. S. 460.
2) Bezüglich des Knochenmarkes der Vögel kann ich vorläufig
nur mit Bestimmtheit aussagen, dass auch im Parenchym desselben
(hämoglobinfreie) Erythroblasten vorkommen (Fig. 40, 41).
3) Sitznngsber. etc. 1887 etc., S. 15G.
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590 M. Löwit:
chen in den verschiedenen Blutzellen bildenden Organen nicht be-
steht und dass die bis jetzt ermittelten Befunde über die Bildung
rother Blutkörperchen mit der Annahme hämoglobinfreier Vor-
stufen dieser Zellen (Erythroblastcn) in Einklang gebracht werden
können.
Auf die älteren Angaben von Ran vier*) und Schäfer^)
tiber die Bildung kernloser rother Blutkörperchen aus den vaso-
fomiativen Zellen, die auch von L a n d o i s ^) acceptirt werden, so-
wie auf die neueren Angaben von K u b o r n '*), M i n o t ^) und
Edington^) über die Blutzellenbildung soll, da mir eigene
Erfahrungen über dieselben fehlen, hier nicht weiter einge-
gangen werden.
T. Die Neubildung weisser Blutkörperchen.
Die Untersuchungen über die Neubildung weisser Blut-
körperchen hatten mir die Annahme ergeben, dass innerhalb der
Bhitzellen bildenden Organe Vorstufen der weissen Blutkörper-
chen, die von mir sogenannten Leukoblasten, enthalten sind, die
durch eine charakteristische Kernstruktur, durch eine chemisch
differente BeschaflFcnheit des „Kernchromatin" (Nucleolin, Pj renin)
und des Zellprotoplasma von den Erythroblastcn unterschieden
sind, und die sich innerhalb der genannten Organe durch Ami-
tose, nicht durch Mitose theilen. Diese Leukoblasten gelangen
nach meinen Beobachtungen durch die Lymphe oder durch das
aus gewissen hämatopoetischen Organen abfliessende Venenblut
in den allgemeinen Kreislauf, wo sie als einkernige Leukocyten
angesprochen werden. Diese erleiden im Blute wahrscheinlich
gewisse Veränderungen ihrer Kern- und Protoplasmabeschaffen-
heit und bilden sich zu den sogenannten mehrkernigen oder poly-
morphen Leukocyten um, die ich nicht als in regenerativer Thei-
lung begriffen ansehen kann, die vielmehr nach meiner Auffassung
1) Arch. de phys. norm, et pathol. 1874, S. 429, 1875, S. 1.
2) Proceed. of the Roy. See. 1874, pag. 243.
3) Lehrbuch der Physiol. Wien 1891, S. 28 f.
4) Anat. Anzeiger V., 1890, S. 277 f.
5) Ebendaselbst V., 1890, S. COl f.
6) British med. Journ. 1890, I., pag. 1233.
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Die Anordnung ii. Neubildung v. Leukoblasten u. Erythroblasten etc. 591
zur Neubildung weisser Blutkörperchen iu gar keiner Beziehung
stehen^ sondern wahrscheinlich dem Zerfalle entgegengehen.
Auch gegen diese Ergebnisse wurden eine Reihe von Ein-
wendungen geltend gemacht, von denen ich jedoch an dieser
Stelle nur jene erörtern will, die sich auf die Neubildung der
weissen Blutkörperchen bezielien und auch für diese eine mito-
tische Theilung postuliren.
Seitdem F 1 e m m i n g *) in seiner bekannten Arbeit auch
für die Leukocyten in den Lymphdrüsen die Neubildung durch
Mitose in Anspruch genommen hat, wurde die gleiche An-
schauung in einer grossen Reihe von seither erschienenen Ar-
beiten vertreten 2). Ich will hier nun auf jene Arbeiten nicht
weiter eingehen, welche sich mit der mitotischen Theilung der
Leukocyten innerhalb der Blutzellen bildenden Organe beschäf-
tigen. Ich habe meinen Standpunkt in dieser Frage bereits in
den vorausgehenden Abschnitten eingehend erörtert; ich will
raieh hier vielmehr auf die Besprechung jener in letzterer Zeit
erschienenen Arbeiten beschränken, welche sich vorwiegend mit
der mitotischen Theilung der Leukocjien ausserhalb der Blut-
zellen bildenden Organe beschäftigen und unter diesen jene von
Flemming^), Spronck^), Prins''), üekhuyzen^) und
Wertheim^) berücksichtigen.
Flemming hat an verschiedenen Localitäten im Binde-
gewebe von Salamanderlarven „Wander/ellen** gefunden, von
denen einzelne deutliche mitotische Theilung erkennen Hessen.
Da nun diese Wandcrzellen in der Regel in der Nähe von Blut-
gefässen gelagert waren, da sie eine grosse Uebereinstimmung
mit den in den Gefässen vorhandenen Leukocyten darboten, da
1) Archiv für mikrosk. Anat. Bd. 24, S.50ff.
2) Vgl. die Literaturzusammenstellung in Ziegler's Beiträgen
etc. Bd. X, S. 219.
3) Archiv für mikrosk. Anat. Bd. 37, S. 249 ff.
4) Nederlandsch Tijdschrift voor Geneeskunde. 29. März 1889,
Nr. 20. Diese Abhandlung kenne ich nur aus Referaten.
5) G. P r i n s , Karyokinese in het bloed bij uitgebreidc etterings-
processen. Inaug.-Diss. Utrecht 1890. Prof. Flemming war so lie-
benswürdig, mir die Arbeit zuzusenden; ich bin ihm dafür zu beson-
derm Dank verpflichtet.
6) Anatom. Anzeiger VI, 1891, S. 220 f.
7) Zeitschrift für Heilkunde 1891, Bd. XII.
Archiv für mikrosk. Anat Bd. 38 38
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592 M. LÖwit:
sie weiterbin von den fixen Bindegewebszellen gut unterscheidbar
waren, so spricht F 1 e m m i n g die im Bindegewebe vorhandenen
„Wanderzellen" mit grosser Wahrscheinlichkeit als ausgewanderte
Leukocyten des Blutes an. Im Zusammenhalte mit seinen früheren
Untersuchungen sieht Flemming auch[^diesen Befund als eine
Stütze seiner Anschauung an, dass Leukocyten sich durch Mitose
neubilden können, wobei er aber die amitolische Theilung dieser
Zellen nicht in Abrede stellt^).
Flemming*) hat nun selbst die Frage eingehend er-
örtert, ob die „Wanderzellen" gleichwerthig mit den im Blntc
strömenden Leukocyten, oder ob die crstcren nicht Abkömmlinge
der fixen Bindegewebszellen sind, mithin einen anderen Ursprung
haben, als die letzteren. Flemming Hess jedoch diesen Ge-
danken auf Grund seiner Untersuchungen wieder fallen, er ver-
mag keinen Anhaltspunkt dafür aufzufinden, dass mit Rücksieht
auf die Abstammung etwa zwei Arten von Leukocyten zu unter-
scheiden sind. Auch ich bin über diesen Punkt, allerdings von
anderen Voraussetzungen wie Flemming ausgehend, zu einem
analogen Ergebnisse gelangt.
Ich habe bereits in einer früheren Untersuchung*) und auch
im Vorausgehenden eingehend darauf hingewiesen, dass die Kerne
der einkernigen Leukocyten eine chemisch differente Zusammen-
setzung gegenüber anderen sich durch Mitose theilenden Zell-
kernen besitzen, und die Gründe erörtert, welche für das Auf-
treten der Amitose in solchen Kernen, die der Hauptmasse nach
Nucleolin (Pyrenin), und das Auftreten der Mitose in solchen
sprechen, die der Hauptmasse nach Chromatin (Nuclein) ent-
halten. Wenn es nun ausser den amitotisch sich theilenden
(nucleolin[pyrenin-])führenden auch mitotisch sich theilende Leu-
kocyten giebt, was ja nach Flemming anzunehmen ist, so
musste ich auf Grund meiner Untersuchungen auch chromatin-
(nuclein-)führende Leukocyten voraussetzen. Da ich nun aber
auf Grund meiner bisherigen Befunde einen Uebergang der einen
Substanz in die andere nicht nachweisen, mithin auch eine" Ent-
stehung der einen Leukocyten aus den anderen nicht annehmen
1) Vgl. Ziegler 's Beiträge etc. Bd. X, S.24Ö.
2) a. a. 0. S. 2.59 f.
3) Z i e jr 1 o r ' s BeitrHge etc. Bd. X, R. 243 f.
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leukoblasten u. Erythroblasten etc. 593
konnte, so lag auch für mich der Gedanke nahe, die etwa vor-
handenen chromatin(nuclein-)haltigen und sich mitotisch theilenden
Lenkocyten von den anderen nucleolin(pyrenin-)halligen und sich
amitotisch theilenden Leukocyten abzutrennen.
Ich habe nun bereits im Vorausgehenden darauf hinge-
wiesen, dass bei der Untersuchung der Lymphdrüsen eine Reihe
von Bildern zur Beobachtung kamen, die in Folge einer ge-
wissen äusseren Aehnlichkeit der Kernfomi und der Anordnung
der „chromatischen'^ Kernsubstanz den Gedanken einer Abstam-
mung der Leukocyten aus den fixen Elementen der genannten
Organe nahe legte, mithin aus chromatin(nuclein-)führenden und
sich mitotisch theilenden Zellen. War diese Vennuthung richtig,
daim mussten innerhalb der Lymphe zweierlei Arten von Leuko-
cyten gefunden werden, von denen erwartet werden durfte, dass
sie durch das geschilderte Verhalten gegen Platinchlorid unter-
schieden werden können. Es wurde daher Kaninchenlymphe,
die in vorsichtiger Weise mit Vermeidung jeglichen Druckes auf
die grossen mesenterialen Lymphdrüsen aus den abführenden
Lymphgefässen oder aus dem Ductus thoracicus unter gleichen
Cautelen entnommen wurde, in 0,1 ^'/o Platinchlorid tibertragen,
das gebildete Sediment in der höher oben bereits (pag. 52r) f.) ge-
schilderten Weise untersucht. Ich konnte nun in derartigen Prä-
paraten bloss die typischen Formen der Leukoblasten und Ery-
throblasten, niemals aber solche Zellformcn finden, die schon
ihrer Grösse und sonstigen höher oben geschilderten Eigenschaften
nach als Abkömmlinge der fixen Zellen in den Lymphdrüsen
hätten bezeichnet werden müssen^). Solche kommen aber oft
in ganz beträchtlicher Menge in der Lymphe zum Vorschein,
sobald ein mehr minder starker Druck auf die Lymphdrüsen
bei der Gewinnung der Lymphe ausgeübt wird, und sind daher
wohl mit grösster Wahrscheinlichkeit als herausgedrückte fixe
Zellen der Lymphdrüsen, nicht aber als ein normaler Bestand-
theil der Lymphe anzusprechen.
1) Man könnte die Annahme machen, dass die Abkömmlinge der
fixen Zellen bei ihrem Uebertritt in die Lymphe die Eigenschaften der
Erythroblasten annehmen, so dass sie von diesen nicht mehr unter-
schieden werden könnten. Das wäre aber meines Erachtcns eine An-
nahme, die, soweit ich sehen kann, weder zu beweisen, noch zn wider-
legen ist.
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594 M. Löwit:
Aebnlich wie bei den Lymphdrüsen dürfte es sich wahr-
scheinlich auch bei den anderen Blutzellen bildenden Organen
verhalten. Es liegt mithin vorläufig wenigstens kein halbwegs
gesicherter Beweis für die Anschauung vor, dass dem Blute zwei
Arten von Leukocyten zugeführt werden, von denen die eine sieh
amitotisch, die andere sich mitotisch theilt.
Während es also für Flemming auf Grund seiner Unter-
suchungen höchst wahrscheinlich ist, dass alle Leukocyten des
Blutes Abkömmlinge gewisser mitotisch sich theilender lympha-
tischer Elemente der hämatopoetischen Organe darstellen, dass
auch die „Wanderzellen" höchst wahi-schcinlich ausgewanderte
Leukocyten und nicht frei gewordene Bindegewebszellen sind,
haben mir die soeben kura skizzirten Beobachtungen wohl gleich-
falls einen Anhaltspunkt für die Anschauung erbracht, dass die
dem Blute zufliessenden Leukocyten sämnitlich von der gleichen
Abstammung, nämlich Abkömmlinge der amitotisch sich theilenden
Leukoblasten sind, sie weisen darauf hin, dass im Blute mitotisch
sich theilende Leukocyten nicht enthalten sind.
Wie sind denn nun aber doch die mitotisch sich theilenden
„Wanderzellen" Flemming's aufzufassen, da ich sie als ausge-
wanderte Leukocyten nicht anzusprechen vermag?
Zunächst wird man wohl daran denken dürfen, dass ein-
zelne derselben aus dem Blutstrom in das Gewebe gelangte
Erythroblasten darstellen können. Ich habe dieser Vermuthuug
bereits bei einer anderen Gelegenheit *) Ausdruck gegeben, Flem-
ming^) wendet sich ganz entschieden gegen eine solche Deutung;
ich will die von Flemming angeführten Bedenken nur kurz er-
örtern. Zunächst ist es immerhin möglich, was übrigens auch Flem-
ming zugiebt, dass die Erythroblasten auch ohne eigene amöboide
Beweglichkeit aus der Gefössbahn herausgelangen, ich halte es
aber nicht, wie Flemming, für ausgeschlossen, dass sie auch
im Gewebe unter der Einwirkung des Säftestromes ihren Stand-
ort wechseln können. Ich vermag daher in dem Umstände, da««
die in Mitose begriifenen „Wanderzellen" auch feniab von Gc-
fassen im Gewebe gefunden werden, keinen Grund gegen die
Auffassung derselben als Erythroblasten zu erblicken. Ebenso
1) Sitzungsber. der k. Akad. d. Wiss. in Wien 1883 etc., S. 384 f.
2) a. a. O. S. 262 f.
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Die Anordnung u. Neubildung: v. Lcukoblasten u. Erythroblastcn etc. 595
wenig scheint es mir nötliig zu sein, dass gleichzeitig rait den
Erythroblasten , falls dieselben durch Diapedese die Gefössbahn
verlassen, auch reichlich rothe Blutzellen austreten mtissen, die
man thatsächlich niemals neben den in Mitose begriffenen Wander-
zellen vorfindet. Es ist doch immerhin möglich, dass Erythro-
blasten allein die Gefassbahn verlassen können, oder dass, wenn
sie dieselbe in Gemeinschaft mit rothen Blutkörperchen verlassen,
für die FortschafFung der letzteren andere Verhältnisse obwalten
könnten, als für jene der ersteren.
Doch ich will mich hierbei, und auch bei der Frage der
„localen Blutbildung" nicht länger aufhalten. Ich will durch-
aus nicht behaupten, dass die in Mitose begriffenen „Wan-
derzellen" Flemming's Erythroblasten sind, ich möchte nur
darauf hinweisen, dass einzelne derselben es sein können,
und mithin nicht mitotisch sich theilende Leukocyten sein
mtissen.
Aber es liegt noch eine weitere und, wie ich glaube, sogar
eine berücksichtig^nswerthere Möglichkeit für die Deutung der
genannten Zellenart vor, die F 1 e m m i n g gleichfalls erwähnt, die
er aber gleichfalls nicht zuzulassen geneigt ist: ich meine die
Auffassung derselben als freie beweglich gewordene Abkömmlinge
der fixen Gewebszellen. Flemming giebt an, nichts gesehen
zu haben, was sich als Stütze für diese Annahme brauchen Hesse,
er konnte keinerlei Uebergänge von den fixen Bindegewebszellen
zu den mobil gewordenen „Wanderzellen" auffinden. Unter patho-
logischen Verhältnissen scheint aber der üebergang fixer Ele-
mente, Epithelien und Bindegewebszellen in mobile junge, sich
durch Mitose vermehrende Zellen der Beobachtung weit besser
zugänglich zu sein; es liegt über diesen Punkt eine so beträcht-
liche Anzahl sorgfiiltiger Untersuchungen vor (Arnold, Mar-
chand, Reinke, Niki for off und Andere) ^), dass an der
Richtigkeit der Beobachtung wohl kaum wird gezweifelt werden
können*). Nun wird aber wohl kaum angenommen werden können.
1) Vgl. die Liteniturangaben bei Nike for off, Ziegler's Bei-
träge etc., Bd. VIII, S. 400 f.
2) Die Fortsatzlosigkeit derartiger junger Elemente wird wohl
nicht als ein Beweis go.gan ihre Abstammung von fixen Zellen ange-
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596 M. Löwit:
dass ein derartiger Ucbcrgang nur unter patliologisehen, nicht
aber auch unter noraialen Verhältnissen vor sieh gehen kann.
Wenn er fttr den letzteren Fall schwieriger festzustellen ist, so
dürfte das wohl zum grösseren Theil in der Seltenheit des Vor-
kommnisses gegenüber dem ersteren Fall begründet sein.
Ich meine daher, dass i>o8itive Befunde über die loeale
Entstehung von „Wanderzellen" aus fixen Zellen bereits vorliegen,
nur wird man nicht die weitere Annahme machen können, dass
die aus den fixen Zellen hervorgegangenen jungen mobilen Zellen
Leukocyten sind, oder sich in dieselben umwandeln, w^enn aaeh
manche äussere Aehnlichkeiten zwischen den mobil gewordenen
Abkömmlingen der fixen Zellen und den ein- und mehrkemig-en
Leukocyten bestehen mögen. Nicht jeder gelappte oder eiugti-
buchtete Kern einer frei im Bindegewebe befindlichen „Wander-
zelle" könnte daher auf Grund dieser Auffassung bereits als der
Kern eines weissen Blutkörperchens angesehen werden. Ich habe
unter den wohl zweifellos fixen Zellen des Lymphdrüsenreticuluni
zahlreiche eingebuchtete und gelappte Kemforjnen gesehen (Fig.
14, 18, 20, 23, 25), die an die analog geformten Leukocytenkeme
stark erinnern, ohne deshalb schon als solche angesprochen
werden zu können. Ich will mit diesen Ausführungen nicht ge-
sagt haben, dass alle „Wander/ellen" mobil gewordene Abkömm-
linge der fixen Zellen dai*stellen, es dürfte wahrscheinlich auch
unter ihnen echte Leukocyten geben, die mit den Leukocyten
des Blutes identisch sind. Aber anderseits wird man auch anf
Grund dieser Ausführungen nicht jede „Wanderzelle", ob sie nun
in Mitose begriffen ist, oder nicht, als ein w^eisses Blutkörperchen
oder als einen Abkömmling desselben ansprechen können. Es
segelt eben, und das ist ja ein Gedanke, dem schon mehrfach
Ausdruck gegeben wurde ^), unter der Flagge der „Wanderzellen"
so manches, was nicht Leukocyt ist und auch zu den Leukocyten
nicht in Beziehung steht. Diese Ausführungen sollten nur dar-
sehen werden können. F l e ra m i n g (Zellsubstanz etc. S. 253) gicbt
selbst an, dass der Körper fixer, in Theilung begriffener Bindegewebs-
zellen erhebliche Formveränderungen durchmacht und dass die Fort-
sätze bei manchen dieser Zellen sehr spärlich sind, bei anderen aber
durch den Zellkörper verdeckt liegen können.
1) Vgl. Arnold, Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 30, S. 267, sowie
di e Zusammenstellung daselbst S. 282 ff.
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leukobhisten u. Erythroblasteu etc. 597
auf hinweisen, dass ich aus dem Befunde mitotisch sich thei-
lender „Wanderzellen" einen Rückschluss auf die Theiluug und
Neubildung weisser Blutkörperchen nicht ziehen könnte.
Bereits Denys hatte in seiner Arbeit tlber das Knochen-
mark der Vögel angegeben, dass gelegentlich Zellen mit eosino-
philen Granulationen oder Stäbchen zur Beobachtung kamen,
welche exquisite mitotische Theilungsfiguren darboten. Bizzozero
hatte am gleichen Objekte diesen Befund bestätigt; in letzterer
Zeit hat auch Dckhuyzen mitotische Theilung in eosinophilen
Zellen aus dem Stroma seröser Häute bei Fröschen, also in freien
Zellen, beschrieben, und auch H. F. Müller giebt an, in den
eosinophilen „Markzellen" des Meerschweinchens und in analogen
Gebilden aus dem leukämischen Blute des Menschen, die, wie
oben erwähnt wurde, gleichfalls als Markzellen angesprochen
werden, mitotische Theilung constatirt zu haben. Da nun die
Gegenwart der eosinophilen Granulationen als ein sicheres Kri-
terium für die Erkennung dieser Zellen als Leukocyten angesehen
wurde, so war damit eine weitere Stütze für die Anschauung
gegeben, dass die Leukocyten sich auch durch Mitose theilen
können.
Ich habe nun bei der Untersuchung des Knochenmarkes
von Säugethieren sehr genau an Sublimatpräparaten auf diesen
Punkt geachtet und bisher nicht in einer einzigen eosinophilen
Zelle mitotische Theilung auffinden können. Nichts destoweniger
zweifle ich durchaus nicht an der Richtigkeit der eben ange-
führten Beobachtungen, nur dürfte 1) die Gegenwart mitotischer
Figuren in eosinophilen Zellen an der genannten Localität wohl
nicht eben oft constatirt werden können, was ja auch von Denys ^)
angeführt wird, und 2) scheint mir die Gegenwart eosinophiler
Granulationen durchaus kein so sicheres Kriterium für die Dia-
gnose einer extravaseulär gelegenen Zelle als Leukocyt zu sein,
als das in den angeführten Arbeiten angenommen wird. E h r-
lich*) hat ja für den Frosch selbst die Möglichkeit betont,
dass eosinophile Granulationen in modificirten fixen Bindegewebs-
1) a. a. 0. S. 220.
2) Arch. f. Anat. u. Physiol. (physiol. Abth.) 1879, S. 579.
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598 M. L ö w i t :
Zellen vorhanden sein können, was von Dekhuyzen aller-
dings nicht anerkannt wird. Ich selbst habe im Knochenmark
von Kaninchen in vereinzelten Fällen eosinophile Granulationen
in Zellen angetroffen, die ich ihrer Lage und Beschaffenheit
nach nur als fixe Zellen ansprechen kann^); weiterhin fand
ich bei Mäusen in dem Bindegewebe um die Lymphdrüsen
henim theils fixe, theils freie (extravasculäre) Zellen mit den
gleichen Granulationen. Ich möchte mir nun bezüglich dieser
freien Zellen mit den a-Granulationen keinen bestimmten Schluss
auf ihre Leukoeytennatur gestatten, da auch hier dieselben Ver-
hältnisse in Betracht konmien, die oben für die Abstammung der
mitotischen „Wanderzellen" erwähnt wurden. Die Beziehungen
der freien „Wanderzellen", welcher Art immer dieselben auch sein
mögen, zu den im Blute strömenden Leukocyten und zu den
Gewebszellen überhaupt müssen noch als recht dunkele bezeichnet
werden, hier sollte nur darauf hingewiesen werden, dass ich auch
den Befund mitotischer Theilungen in ausserhalb der Blntbahn
gelegenen Zellen mit eosinophilen Granulationen nicht als einen
stringenten Beweis für die mitotische Theilung in Leukocyten an-
sehen kann.
Was nun die Arbeiten von Spronck und Prins anbelangt,
so werde ich mich hauptsächlich nur auf die Erörterung der
letzteren Untersuchung beschränken, soweit dies meine lücken-
haften holländischen Sprachkenntnisse zulassen, da nur die Arbeit
von Prins mir im Orginale vorlag, und da sie ja im Wesent-
lichen eine Bestätigung und Erweiterung der Untersuchung von
Spronck enthält. Spronck sowohl als auch Prins finden in
Querschnitten aus der mit Blut gefüllten und in passender Weise
behandelten Vena cava inferior von ausgewachsenen Kaninchen
in farblosen Zellen, die als Leukocyten angesprochen werden,
exquisite karyokinetische Figuren und schliesscn daraus auf eine
mitotische Neubildung der Leukocyten auch im strömenden Blute.
Die Menge dieser mitotischen Leukocyten wird von Spronck
mit 0,19^/0, von Prin s mit 0,1 8^/0 angegeben, bei ausgebreiteten
Eiterungsprocessen findet Prins eine Steigerung der Menge der
1) Den fixen Zellen innerhalb der Blutzellen bildenden Organe
mit Einschluss der embryonalen Leber dürfte für die Frage der Riesen-
zellenbildung und der Ph«'igocytose eine weit grössere Bedeutung zu-
kommen, als man dies gegenwärtig in der Regel annimmt.
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leukoblasten u.Erythroblasten etc. 599
Mitosen auf 0,26— 0,54 ®/o an der gleichen Localität und bringt
dieselbe in Zusammenhang mit der vermehrten Neubildung von
Leukocyten und der dadurch bedingten entztindlichen Leukocy-
tose bei Eiterungfsprocesscn.
Der Nachweis so reichlicher mitotischer Zellen in den
untersuchten Gefassquersehnittcn ist gewiss von Belang, zumal
nach der Beschreibung und Abbildung von Prins der von
Roux^) den Befunden von Spronck gegenüber ausgesprochene
Verdacht ausgeschlossen erseheint, dass es sich nicht um echte
Mitosen gehandelt habe, sondern um mehr diformirte Kerne, die
nur an Mitose erinnern. Auch eine Verwechslung mit mehrkernigen
Leukocyten liegt bei Prins gewiss nicht vor, obzwar die scharfe
Unterscheidung, wie auch Prins ^) bemerkt, manchmal Schwierig-
keiten macht, und gelegentlich nicht durchgeführt werden kann.
Es wird wohl diesen Befunden von Spronck und Prins
gegenüber Alles darauf ankommen, 1) ob die in Mitose begriffenen
Zellen wirklich Leukocyten sind und 2) ob sie dem strömenden
Blute angehören.
Es liegt ja sehr nahe daran zu denken, dass die im Blute
der Vena cava inferior nachgewiesenen mitotischen Zellen, falls
sie dem strömenden Blute angehören, der Reihe der Erythro-
blasten zuzuzählen sind, zumal ja im Blute des genannten Gefassbe-
zirkes auf Grund meiner Untersuchungen^) Erythroblasten wahr-
scheinlich in wechselnden Mengen vorhanden sein können. Fand
ich doch im Blute der Venaportae beim Kaninchen Erythroblasten-
mengen, die zwischen 2,7 — 16,2^/„ sehwankten. Allein Prins an-
erkennt überhaupt nicht die Sonderung der farblosen (hämoglobin-
freien) lymphoiden Zellen der Blutzellen bildenden Organe und des
Blutes in Erythroblasten und Leukoblasten, für ihn sind alle einker-
nigen farblosen Lymphoidzellen der genannten Localitäten „einker-
nige Leukocyten", und weiterhin glaubt er den Befund der starken
Zunahme der mitotischen Zellen in Gefassquersehnittcn bei Eite-
rungsprocessen nicht mit der Annahme in Uebereinstimmung
bringen zu können, dass in Neubildung begriffene Vorstufen der
S. 142 f.
1) a. a. O. S. 258.
2) a. a. 0. S. 42 f.
3) Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wiss. in Wien 1887, Bd. 95, III. Abth.,
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600 M. Löwit:
rotben Blutkörperchen vorliegen. Was nun den ersten Punkt,
die scharfe Trennung der Leukoblasten und Erythroblasten an-
belangt, so will ich mich hier in eine nochmalige Aufzählung
aller der zahlreichen Grtinde nicht einlassen, die mich, und vor
mir und nach mir auch andere Autoren, zur Aufstellung hämo-
globinfreier Vorstufen der rothen Blutkörperchen und zur Sonde-
rung derselben von den Leukocyten veranlasst haben. Ich bin
in der Anschauung, dass eine solche Aufstellung und Sonderung
gerechtfertigt ist, durch meine Beobachtungen an den Krebsblut-
körperchen und durch die Ergebnisse dieser Untersuchung nur
noch wesentlich bestärkt worden, und ich glaube auch, dass diese
Aufstellung und Sonderung kaum zu umgehen ist, wenn man die
Neubildungsverhältnisse der rothen und der weissen Blutkörper-
chen, und nicht blos jene der weissen Blutkörperchen berücksich-
tigt. Die Aufstellung hämoglobinfreier Vorstufen der rothen Blut-
körperchen ist ja schon, worauf ich am Schlüsse dieser Mitthei-
lung nochmals hinweisen werde, eine recht alte Anschauung, die
auch gegenwärtig wieder allmählich Boden gewinnt, und es ist
abzuwarten, ob Prins auch mit Rücksicht auf die neuem diesen
Gegenstand betreffenden Untersuchungen von Ho well, 0. van
der Stricht und mir bei seiner starren Negation verharrt.
Für mich kann ein Zweifel darüber nicht obwalten, dass
möglicher Weise ein Theil der von Prins gefundenen Mitosen
als Erythroblastenmitosen aufzufassen sind, allein ich muss ander-
seits Flemming^) beipflichten, wenn er es mit Beziehung
auf die Resultate Spronck's, und das Gleiche gilt ja auch für
Prins, nicht für möglich hält, die von den beiden Autoren ge-
machten Befunde ausschliesslich auf Erythroblastenmitosen zu
beziehen.
Ich kann aber die Vermuthung nicht unterdrücken, dass
vielleicht ein nicht unbeträchtlicher Theil der von S p r o n c k und
Prins beschriebenen mitotischen Zellen nicht dem strömenden
Blute angehört. In dieser Vermuthung werde ich wesentlich
durch zwei Momente bestärkt. 1) Habe ich im Blute aus der
Vena cava inferior eines Kaninchens, das ich in Platinchlorid-
lösung (0,P/o) auffing und auf Mitosen untersuchte, unter 5000
gezählten farblosen Zellen (Leukocyten nnd Erythroblasten) nicht
1) Arch. f. mikrosk. Anat. XXXVII, S. 269 f.
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leukoblastcn u. Erythroblasten etc. 601
eine einzige Mitose gefunden. Ich will aber durchaus nicht be-
haupten, dass das für alle Kaninchen Geltung hat und ich be-
zweifle durchaus nicht, dass auch im strömenden Blute des ge-
nannten Gefässes mitotische Zellen (Erythroblasten) in wechselnder
Zahl vorkommen können. 2) Gerade der Umstand, dass ich in
dem aus der Ader entleerten Blute unter einer so grossen An-
zahl farbloser Zellen keine Mitosen auffinden konnte, während
S p r 0 n c k und P r i n s bei Fixirung des Blutes innerhalb des Ge-
fässes und bei Zählung der farblosen Zellen auf Querschnitten bereits
unter einer weit geringeren Anzahl solcher Zellen Mitosen auffan-
den, gerade dieser Umstand legte mir die Vennuthung nahe, dass
vielleicht ein Theil der von P r i n s gesehenen Mitosen nicht dem
strömenden Blute, sondern möglicher Weise der Gefässwand selbst
angehörte. Ich war vorläufig noch nicht in der Lage, das Blut
im Gefässe in der von Prins angegebenen Weise untersuchen
zu können, und erwähne die soeben ausgesprochene Vennuthung
nur deshalb, weil mir eine Angabe von Prins auf eine solche
Annahme hinzuweisen scheint. Prins^) giebt nämlich an, dass
er bei seinen Beobachtungen verschieden grosse Lcukocytenmitosen
im Gefassquerschnitt gesehen hat, von denen die grossen deut-
liche, die kleinen aber nur undeutliche mitotische Figuren er-
kennen Hessen. Ich habe aber sowohl in den Blutzellen bildenden
Organen als auch in der Kaninchenlymphe die vorhandenen Mitosen
der Lymphoidzellen durchwegs gleich gross, oder vielmehr gleich
klein angetroffen, wie ich das früher bereits auseinandergesetzt
habe. Die grossen Mitosen mit den deutlichen mitotischen Figuren
konnten durchwegs als fixe Mitosen erkannt werden, die unter ge-
wissen früher bereits erörterten Bedingungen auch in die Lymphe
hineingelangen können. Es scheint mir nun bei den Angaben
von Prins, sofern ich sie richtig verstanden habe, nicht ausge-
schlossen, dass die verschieden grossen im Querschnitt gefundenen
Mitosen auch verschiedenen Zellenarten angehört haben, worüber
ich jedoch vorläufig nähere Angaben nicht machen kann. In
welcher Weise die von Prins constatirte Zunahme der mitoti-
schen Zellen bei Eiterungsproccssen aufzufassen ist, werden erst
weitere Untersuchungen ergeben müssen. Als aufiUllig wird es
1) a. a. 0. S. 54/55.
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602 • M. Löwit:
wohl bezeichnet werden dürfen, dass es Prins^) bei seinen Ka-
ninchen, die in Folge der Eiterungsprozesse so zahlreiche (Lcu-
kocyten-)Mitosen in dem Gefössquerschnitte zeigten, nicht gelang,
durch Zählung der Leukocyten im Blute mit dem T h o m a-
Zeiss'sehen Apparate eine Leukocytose nachzuweisen, trotzdem
er gerade auf Grund des Befundes reichlicher Mitosen bei diesen
Thieren eine starke Neubildung von Leukocyten voraussetzt.
P r i n s vermuthet, dass bei Kaninchen wegen der im Allgemeinen
schon unter normalen Verhältnissen stark wechselnden Anzahl
von Leukocyten eine Vermehrung derselben nicht gut zu consta-
tiren sein dürfte. Ich kann dagegen nur bemerken, dass ich ver-
schiedene Formen der experimentellen Leukocjiose bei Kaninchen
in sehr starkem Grade zu erzeugen im Stande bin, worauf ich
bei einer anderen Gelegenheit näher einzugehen beabsichtige.
Vorläufig kann ich aber die Resultate der Untersuchungen
von Spronck und Prins nicht als beweiskräftig dafür ansehen,
dass, wie Prins meint, die scharfe Unterscheidung zwischen
Leuko- und Erythroblasten zu verwerfen ist, und dass die in
gewissen Geßlssabschnitten von Spronck und Prins aufgefun-
denen Mitosen ausschliesslich auf die Neubildung von Leukocyten
zu beziehen sind.
Bezüglich der Angaben von Wertheim kann ich mich
kurz fassen. Wert heim findet im Blute menschlicher Embryonen
aus dem Herzen, der Milz und der Leber zahlreiche mitotische
Figuren in hämoglobinfreien Zellen, die als weisse Blutkörper-
chen angesprochen werden, und ebenso findet er in dem aus der
Fingerbeere entnommenen leukämischen Blute des Mensehen
nicht sehr zahlreiche, aber doch immerhin eine grössere Anzahl
mitotischer Zellen, die er als in Neubildung begriflfene Leukocyten
deutet. Wert heim acceptirt zur Deutung seiner Befunde die
von H. F. Müller über die Blutbildung gewonnenen Resnltate,
dessen Untersuchungsmethode er gleichfalls verwendet hat. Die-
selben Bedenken und Einwendungen, die ich gegen die Angaben
von Müller au einer anderen Stelle geltend gemacht habe,
hege ich nun auch gegen die Deutung von Wert heim. Die
von Wertheim angeführten Beobachtungen über das Vorkom-
men mitotischer Figuren in hämoglobinfreien Zellen des Blutes
1) a.a.O. S.83.
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leukobiasten u. Erythroblasten etc. 603
und der Blutzellen bildenden Organe unter normalen und patho-
logischen Verhältnissen sind ja bereits sehr häufig gemacht
worden; Wertheim hat keinerlei neue Gesichtspunkte daftlr
eröffnet, dass diese hämoglobinfreien Zellen als Leukocyten an-
zusprechen sind. Die theilungsreife ruhende Zelle M tili er 's stellt
auch für Wert heim den Ausgangspunkt einer Zellenreihe dar,
aus welcher sich rothe und weisse Blutkörperchen entwickeln.
Ich habe mich bereits anderaorts über die Deutung dieser „Mutter-
zelle" ausgesprochen, und finde auch bei Wertheim keine neue
Begründung, weshalb man nach seinem eigenen Ausspruche^)
diese Mutterzelle an den Anfang der Entwicklungsreihe setzen
„muss". Für mich wenigstens besteht dieses „muss" nicht, und
es sind auch die Beobachtungen Wert heim 's, soweit ich zu be-
urtheileu vermag, nicht im Widerspruche mit den von mir ent-
wickelten Anschauungen über die Blutzellenneubildung. Auf die
Verhältnisse des embryonalen Blutes soll hier nicht nochmals
zurückgegriffen werden; gerade im Embryonalblut, allerdings in
früheren Stadien, als sie von Wert heim untersucht wurden,
kommen die Charaktere der Erythroblasten besonders gut zur
Geltung, und bei der regen Bildung rother Blutkörperchen im
Embryonalblute steht der Auffassung, so weit ich sehen kann,
nichts im Wege, dass die Angaben Wertheim 's sich auf Ery-
throblastenmitosen beziehen.
Was nun die Befunde Wertheim 's am leukämischen Blute
anbelangt, so ist nach der eigenen Angabe Wertheim's*^) die
Zahl der im Blute vorfindlichen Mitosen nicht ausreichend zur Erklä-
rung der leukämischen Zellenneubildung. Wert heim erwähnt ja
selbst einen Fall sogenannter lymphatischer Leukämie, bei wel-
chem er gar keine Mitosen im Blute auffinden konnte, und er über-
sieht, dass von mir und auch von Biondi^) und Roux*) bei genauer
Blutuntersuchung in mehreren Fällen von Leukämie, die nicht der
sogenannten lymphatischen Fonn angehörten, keine Mitosen im
Blute aufgefunden wurden. Auf keinen Fall kann also hiernach
der Befund von Mitosen hämoglobinfreier Zellen im leukämischen
Blute als zum Wesen der Leukämie gehörig angesprochen werden.
1) a. a. 0. S. 25. S. A.
2) a.a.O. S.31. S.A.
3) Archivio per le scienze med. Vol. XllI, ^r. 13.
4) Literaturangabe höher oben.
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604 M. Löwit:
Die zahlreichen Mitosen aber, die innerhalb der Blutzellen
bildenden Organe auch bei der Leukämie vorhanden sein können,
sind für die Auffassung, dass eine vermehrte Neubildung von
Leukocyten an diesen Stellen stattfindet, nicht beweiskräftig,
da schon unter nonnalen Verhältnissen an den gleichen Locali-
täten massenhaft Mitosen aufgefunden werden, deren Deutung ich
im Vorausgehenden bereits erörtert habe.
Auf weitere Details der Wert heimischen Untersuchung
kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Nur ein fUr
die Auffassung der Leukämie w^esentlicher Punkt sei hier noch
bertlhrt. Die von mir gemachte Angabc, dass im leukämischen
Blute die Zahl der einkernigen Leukocyten gerade umgekehrt,
wie unter normalen Verhältnissen, über die mehrkernigen Formen
überwiegt, wird auch von Wertheim bestätigt. Ich hatte
Wahrscheinlichkeitsgrtinde dafür beigebracht, dass dieser Befund
als der Ausdruck einer verminderten Umwandlung der einkernigen
in mehrkernige Leukocyten im leukämischen Blute anzusehen sei.
Wertheim^) hingegen schliesst sich dieser Auffassung nicht an und
findet, dass dieser Befund auch aus dem von ihm geschilderten Ent-
wicklungsgang der Blutzellen „ganz verständlich" ist. Nach Wert-
heim ^) „muss'' es wieder ganz natürlich erscheinen, dass bei
der abnormen Proliferation der Leukocyten die jungen Formen
i. e. die einkernigen an Zahl stark hervortreten. Auch dieses
und noch manches andere „Muss" Wertheim 's kann ich nicht
anerkennen. Wenn die einkernigen Leukocyten im leukämischen
Blute im Sinne Wertheim 's wirklich jungen proliferirenden
Formen angehören, warum ist denn dann doch die Proliferation
dieser Zellen durch Mitose im Blute nicht reichlicher, als sie gelbst
von Wertheim gefunden wurde?
Ich wiederhole also, dass mir bis jetzt keine Angabe auf-
gestossen ist, welche mit zwingender Nothwendigkeit auf eine
Neubildung der Leukocyten durch Mitose hinweisen würde.
Ich kann diese Arbeit nicht schliessen, ohne nicht noch
mit wenigen Worten auf die zwar nicht vergessene, aber doch,
1) a. a. 0. S. 31.
2) a. a. 0. S. 32.
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leukoblasten u. Erythroblasten etc. 605
wie mir scheint, nicht hinlänglich beachtete Arbeit von A. Kol-
li ker^) zurückzukommen, die ich als das Fundament unserer
gesammten Kenntnisse über Blutzcllenbildung [bezeichnen möchte*
Alles was seither über diesen Gegenstand geleistet wurde, ist,
meiner Meinung nach, nur ein weiterer Ausbau, mehrfach sogar nur
eine einfache Wiederholung, oder eine mit den heutigen besseren
technischen Hilfsmitteln ermöglichte bessere Begründung der be-
reits von Kölliker ermittelten Thatsachen. Kölliker hat
bereits „den Uebergang der farblosen Zellen des Leberblutes in
farbige Blutkörperchen wirklich gesehen, und zwar in einer
Stufenreihe, die nichts zu wünschen übrig lässt^, so dass er sich
für berechtigt hält, diesen Uebergang als eine „begründete That-
sache" anzusprechen. Allerdings geht aus den Angaben von
Kölliker nicht mit voller Sicherheit hervor, dass diese „farb-
losen Zellen", die sich in rothe Blutkörperchen innerhalb der
Embryonalleber umwandeln, nicht identisch mit den eigentlichen
Lcukocyten sind, die von Kölliker als farblose Zellen im vor-
gerückteren Zustande bezeichnet werden. Es ist mir wohl be-
kannt, dass vielfach geradezu die Angaben Kölliker's jenen
Befunden beigerechnet werden, durch welche ein Uebergang der
weissen Blutkörperchen in rothe wahrscheinlich gemacht wird.
Aber einzelne Bemerkungen Kölliker's weisen doch auf eine
Trennung seiner „farblosen Zellen" von den weissen Blutkörperchen
hin, vor allem der Umstand, dass er die „farblosen Zellen" in grosser
Menge nur innerhalb des Leberblutes, schon etwas weniger zahlreich
im Blute der V. cava inferior und im Herzen fand, im übrigen
Gefässsystem befanden sich die farblosen Zellen „immer im vor-
gerückteren Zustande"^). Ich glaube daher mit grosser Wahr-
scheinlichkeit die Entdeckung jener Zellenart, die ich als Erythro-
blasten zu bezeichnen vorgeschlagen habe, auf Kölliker zurück-
führen zu können.
Kölliker hat aber auch weiterhin bereits die Betheiligung
der Lymphdrüsen, oder vielmehr gewisser innerhalb des Ductus
thoracicus enthaltener Lymphkörperchen an der Bildung rother
1) A. Kölliker, Ueber die Blutkörperchen eines menschlichen
Embryo und die Entwicklung der Blutkörperchen bei SUugethieren.
Zeitschr. f. ration. Medizin 1846, Bd. IV, S. 112 ff.
2) a. a. 0. S. 130.
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606 M. Löwit:
Blutkörperchen erkannt^). Er führt bereits an, dass im Dactus
thoracicus zwei Formen von Lymphkörperchcn enthalten sind.
Die eine Form, nach Kolli kcr die grösseren Zellen, erleiden
im Blute eigenthümliche Veränderungen, indem sie in pmchrkemige"
Formen tibergehen. ^ Statt des einfachen Kernes, den fast alle in
den Lymphgefässen besitzen, treten im Blute 2 — 4 und selbst noch
mehr, oft ohne alle Zusätze sichtbare Kerne in denselben auf,
die bald rund und regelmässig gestaltet, noch ganz den einfachen
Kernen gleichen, bald unregelmässig, eckig, eingeschnürt und
namentlich blass, sehr von denselben abweichen." Kölliker
glaubt, dass es sich hierbei nicht um ^endogene Kenibildung",
sondern um „ein von selbst sich einstellendes Zerfallen eines ein-
fachen Kernes" handelt, ebenso hält er die ganze Zelle im Blute
„ihrem Untergänge nahe''. Die von mir entwickelte Auffassung
über die Umwandlung der Leukoblasten in die „mehrkemigen'*,
dem allmählichen „Zerfalle" bestimmten Leukoeyten innerhalb
des Blutes unterscheidet sich von Kölliker's Auffassung nur in
dem einen Punkte, dass nicht nur die grossen, sondern auch ge-
wisse kleine „Leukoblasten" sich in „mchrkeniige Leukoeyten"
umwandeln können.
Die zweite Form der von Kölliker im Ductus thoracicus
unterschiedenen Lymphkörperchcn erleidet nach Kölliker im
Blute unter Verlust des Kenies sehr rasch eine Umwandlung in
kernlose rothe Blutkörperchen, für welche Anschauung von
Kölliker eine Reihe von WahrscheinlichkeitsgrOnden beigebracht
werden. In dieser Beziehung dürften wohl unsere gegenwärtigen
Kenntnisse über die Art und Weise dieser Umwandlung eine
bessere Stütze erhalten haben, als sie Kölliker mit Hilfe seiner
technischen und methodischen Hilfsmittel zu geben im Stande
war; die hierauf Bezug nehmenden. Beobachtungen wurden bereits
von Kölliker als einer der schwierigsten Gegenstände der mi-
kroskopischen Untersuchungen bezeichnet.
Ich hielt mich für verpflichtet, auf die grosse Bedeutung
der Arbeit Kölliker's über die Blutzellenbildung hier besonders
hinzuw^eisen.
1) a.a.O. S. 147 f.
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leukoblasten u. Erythroblasten etc. 607
Nachtrag.
Die während des Druckes dieser Arbeit erschienene Mitthei-
lung von Foä^) veranlasst mich zu einigen Bemerkungen über
jene Angaben Foä's, die in Beziehung stehen zu den in der vor-
ausgehenden Arbeit angeführten Resultaten. Wie Neumann,
so anerkennt auch Foä nicht die von mir im strömenden Blute
gewisser Gefö-ssabschnitte nachgewiesenen „gekernten rothen Blut-
körperchen". Foä hat durch eine besondere Methode den Nach-
weis zu führen gesucht, dass in allen „gewöhnlichen"*) rothen
Blutkörperchen im Centrum Granulationen nachgewiesen werden
können, die einen Kern vortäuschen, aber nur eine Abart des
ursprünglich vorhandenen Kernes darstellen. Dem gegenüber
habe ich nur darauf hinzuweisen, dass die von mir in den
rothen Blutkörperchen beschriebenen Kerne nur innerhalb ganz
bestimmter Gefässabschnitte nachgewiesen werden können, daher
nach Foä's Ausdrucksweise in den „gewöhnlichen" rothen Blut-
körperchen gar nicht vorkommen. Die Kemreste, die Foä im
Auge hat und die er an anderer Stelle^) beschreibt und abbildet,
sind dem entsprechend auch keineswegs identisch mit den von
mir constatirten Kenigebilden, die nach meiner Auffassung auf die
Umwandlung der Erythroblasten in rothe Blutkörperchen im strö-
menden Blute bestimmter Gefässabschnitte hinweisen.
Auf die Angaben Foä's über die Gegenwart zweier chro-
matischer Substanzen, einer erythrophilen und cyanophilen, nach
dem Verhalten gegen gewisse Farbstoffe, in den Kernen der.rothen
Blutkörperchen oder in deren Vorstufen, soll an dieser Stelle nicht
eingegangen werden. Ich kann aber die Bemerkung nicht unter-
lassen, dass bei der auch durch die chemischen Untersuchungen
constatirten Wandelbarkeit des Kemnucleins (Kossei, Altmann,
Malfatti)*) die differente Färbung noch nicht der Ausdruck
differenter (Chromatin-, Nuclein-)Substanzen zu sein braucht.
1) Neue Untersuchungen über die Bildung der Elemente des
Blutes. Intemation. Beitr. zur wiss. Mediz. V i r c h o w - Festschrift
Bd. I, 1891, S. 1 ff. S. A.
2) a. a. 0. S. 13.
3) Ziegler's Beiträge etc. 1889, Bd.V, S. 255 f., Tafel Vm.
4) Vgl. M a 1 f a 1 1 i , Beiträge zur Kenntniss der Nucleine. Zeit-
schrift für pbys. Chemie XVI, 68 f., und die Literatur angaben daselbst.
Archiv f. mikrosk. Anat Bd. 88 39
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Ö08 M. L ö w 1 1 :
Was nun die Neubildung der rothen Blutkörperchen anbe-
langt, 80 werden die von mir beschriebenen Erythroblasten als
Vorstufen der rothen Blutkörperchen auch von Foä acceptirt;
ein hämoglobinfreies Protoplasma derselben scheint auch F o ä^ j in
einzelnen Fällen beobachtet zu haben. Allein Foä folgert aus
seinen vorwiegend an stark vaenesccirten Thieren und an der em-
bryonalen Leber durchgeführten Untersuchungen, dass die mito-
tische Theilung der Erythroblasten nicht den einzigen Neubil-
dungsmodus für den Wiederersatz der rothen Blutkörperchen bil-
det. Ausser den erythroblastischen Blutkörperchen unterscheidet
Foä noch karyoblastische und blastoblastische^) Blutkörperchen.
Die ersteren entstehen nach Foä dadurch, dass in gewissen farb-
losen Zellen einzelner hämatopoetischer Organe erythrophile oder
cyanophile Kembestandtheile in den Zellleib übertreten, welche
entweder in diesem oder ausserhalb desselben eine Umwandlung
in ein hämoglobinftihrendes Blutkr)i-perchen mit erythrophilem
oder cyanophilem Kern durchmachen. Die in den Zellleib über-
trefenden Kembestandtheile bezeichnet Foä im Anschlüsse an
Gaule als Karyoblasten und die auf diese Weise entstehenden
Blutkörperchen als karyoblastische. Die Vermehrung dieser
Blutkörperchen geht nach Foä durch einen von ihm als einfache
Knospung oder einfache Spaltung bezeichneten Vorgang vor sich.
Von diesen karyoblastischen Blutkörperchen sondert Foä weiter-
hin rothe Blutkörperchen mit einem dicken und vorwiegend
cyanophilen Kern ab, der sich durch multiple Knospung vermehrt;
diese mit mehrfachen Knospen im Kern versehenen (hämoglobin-
haltigen) Zellen bezeichnet Foä als Blastoblasten, „um derart
vor Allem die Art und Weise ihrer Proliferation auszudrücken",
und die von ihnen abstammenden rothen Blutkörperchen als bla-
stoblastische. Die kreisenden rothen Blutkörperchen stellen daher
nach Foä keine histologische Einheit dar, sondern sie werden
aus Zellen verschiedener Gattung gebildet.
Ohne in eine eingehende Kritik der Resultate von Foä
einzugehen, soll an dieser Stelle vorläufig nur kurz darauf hinge-
wiesen werden, dass die von Foä beigebrachten Beobachtungen,
die ihn zur Aufstellung der karyoblastischen und blastoblastischen
1) a.a.O. S.28. S.A.
2) Eine recht unglückliehe Bezeichnung.
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leukoblasten u. ßrythroblasten etc. 609
Blutkörperchen veranlasst haben, nicht als eindeutig bezeichnet
werden können. Schon die Annahme Foä's, dass erythrophilc
oder cyanophile Kernbestandtheile in den Zellleib tibertreten und
hier allmählich an Grösse zunehmen (Fig. 3, 1 — 5, A, B), kann
nicht als eindeutig bezeichnet werden. Dass die erythrophilen
und cyauophilen Massen im Zellleib auch Reste einer Phagocy-
tose darstellen können, wird zwar von F o ä gelegentlich erwähnt,
aber bei der Deutung seiner Ergebnisse nicht weiter berücksich-
tigt; und dass weiterhin aus diesen erythrophilen oder cyanophilen
Massen, deren Herkunft aus dem Kerne durchaus nicht erwiesen
erscheint, rothe Blutkörperchen hervorgehen, wird zwar von
F 0 ä durch Nebeneinanderstellung diesbezüglicher Beobachtungen
und Bilder wahrscheinlich zu machen gesucht, allein es ist wohl
unmöglich zu entscheiden, ob dieses Nebeneinander wirklich einem
Auseinander entspricht.
Was nun die Neubildung der rothen Blutkörperchen durch
sogenannte einfache und mehrfache Knospung anbelangt, so möchte
ich darauf aufmerksam machen, dass durch die Beobachtungen
von Foä die Annahme regressiver Metamorphosen im Kern, die
sich durch das Auftreten derartiger Knospen manifestiren können,
durchaus nicht ausgeschlossen erscheint. Ich habe bei Foä keinerlei
beweiskräftige Moriieute dafür auffinden können, dass aus der ein-
fachen Knospung bei den karyoblastischen , und aus der mehr-
fachen bei den blastoblastischen rothen Blutkörperchen thatsächlich
neue rothe Blutkörperchen hervorgehen, zumal auch Foä diese
beiden Arten der Blutkörperchenbildung nicht in allen Blutzellen
bildenden Organen und nicht bei jeder Blutzellenneubildung und
auch nicht bei allen Versuchsthieren auffinden konnte. Ich glaube
vielmehr und werde hierin namentlich durch Beobachtungen am
Blute der embryonalen Leber bestärkt, dass die von Foä be-
schriebenen Erscheinungen der einfachen und mehrfachen Knos-
pung an den kernhaltigen rothen Blutkörperchen, die übrigens
nicht bei allen üntersuchungsmethoden in gleicher Mannigfaltigkeit
hervortreten, weit eher mit dem Verschwinden des Kernes in
Beziehung zu bringen sind. Mir scheint also weder die Abstam-
mung gewisser rother Blutkörperchen aus den Karyoblasten und
die Neubildung der karyoblastischen Blutkörperchen durch ein-
fache Knospung, noch die Abstammung anderer rother Blutkörper-
chen von den sogenannten Blastoblasten und die Neubildung
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610 M. Löwit:
der blastoblastischen Blutkörperchen durch mehrfache Knospung
hinlänglich gestützt zu sein.
Foä hat übrigens selbst in einer vor wenigen Jahren ge-
meinsam mit Carbone^) veröffentlichten Untersuchung aus der
Milz normaler, venaesecirter und solcher Thiere, denen behufs Er-
neuerung der Milzpulpa die Pfortader oder die Vena splenica ligirt
worden war, ganz analoge Zellen beschrieben und abgebildet
(Taf. VII, Fig 2'b, Fig. 8'a, Fig. 8 (b) Fig. 9), wie er sie in
seiner letzten Arbeit zur Grundlage seiner Auffassung über die
karyoblastischen Blutkörperchen macht. Die genannten Autoren
haben damals^) bereits den Gedanken erwogen, ob diese Bilder
nicht zur Neubildung der „hämatoblastischen Zellen" in Beziehung
stehen. Sie führen aber eingehend alle Gründe an'), welche
gegen eine solche Auffassung sprechen, und sie konnten schliess-
lich „den Zweifel nicht gut ausschliessen", dass ein Theil dieser
ßlrbbaren Massen im Zellleib „von ausserhalb des Zellenelementes
her entstammen", ein anderer Theil. aber „die Produkte regressiver
Vorgänge sind." Mir scheinen diese Zweifel auch durch die
neuen Untersuchungen von Foä nicht behoben zu sein.
Erklärung zn den Abbildungen anf Tafel XXXII— XXXIV.
In sämmtlichen Figuren, mit Ausnahme von Fig. 1 und 2, sind
die Erythroblastcn roth, die Leukoblasten gelb, die fixen Zellen schwarz
gezeichnet. Die näheren Angaben finden sich im Text. Zur Verwen-
dung kamen ausschliesslich Reicher t 'sehe Systeme. Die Figuren
2G, 29, 38, 39, 46, 47, 48, 49 sind mit Verwendung eines Abb6* sehen
Zeichenapparates hergestellt.
Tafel XXXII.
Fig. 1 a, b, c, d. Erythroblastcn aus Kaninchenlymphe. PtCl4 0,1**/«,
ungefärbt. Ap. Via"- Co. 4.
Fig. 2 a— e. Leukoblasten aus Kaninchenlymphe. Sonst wie Fig. 1.
Fig. 3. Mosent. Lymphdrüse. Kaninchen. PtCl4 0,1%. Safranin,
Jodpicrinalcohol (Jpa). Ob. 9. Co. 4. Von der Grenze des
Hilusstroma gegen die Marksubstanz.
1) Z i e g 1 e r 's Beiträge etc. 1889, Bd. V, S. 229 ff.
2) a. a. 0. S. 249.
3) a. a. 0. S. 235 u. 250.
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Die Anordnung u. Neubildung v. Leukoblasten u. Erythroblasten etc. 611
Fig. 4. Mesent. Lyinphdr. Weisse Maus. PtCU 0,1 %. Safr. Jpa.
Ob. 9. Co. 4. Querschnitt durch einen Markstrang und den
umgebenden Lymphsinus.
Fig. 5. Mesent. Lymphdr. Kaninchen. PtC^ 0,1 %. Safr. Jpa. Ap. Vis"-
Co. 4. Gruppe fixer Zellen aus einem Lymphsinus.
Fig. 6. Mesent. Lymphdr. Kaninchen. PtC^ 0,1 %. Safr. Jpa. Ob. 9.
Co. 4. Lymphbahn und Lymphsinus aus dem Markgewebe.
Fig. 7. Milz, Kaninchen. PtCl4 0,1 V Safr. Jpa. Ob. 9. Co. 4. Aus
einem Pulpastrange.
Fig. 8. Mesent. Lymphdr. Kaninchen. PtCU 0,1%. Safr. Jpa. Aus
einem Markstrang. Ob. 9. Co. 4.
Fig. 9. Aus einem Peyer'schen Haufen, Coecum, Kaninchen. PtCl4
0,3%. Safr. Jpa. Via"- Ap. Co. 4.
Fig. 10. Milz, w. Maus. PtC^ 0,1 %. Safr. Jpa. Ap. Via"- Co. 4. Aus
der unmittelbaren Nachbarschaft eines Malpighi'schen Kör-
perchens.
Fig. 11. Wie Fig. 10. Bei A wahrscheinlich eine Lymphcapillare, bei
B Pulpagewebe.
Fig. 12. Mes. Lymphdr., w. Maus. PtC^ 0,1%. Safr. Jpa. Ob. 9.
Co. 4. Aus einem Markstrang.
Fig. 13. Müz. Katze. PtCU 0,3%. Safr. Jpa. Ob. 9. Co. 4. Aus
dem Pulpagewebe.
Fig. 14. Mes. Lymphdr., w. Maus. PtCl4 0,1 %. Safr. Jpa. Ap. Vw"-
Co. 4. Aus einem Follikularstrang.
Fig. 15. Wie Fig. 14.
Fig. 16. Mes. Lymphdr. Kaninchen. PtC^ 0,3%. Safr. Jpa. Ob. 9.
Co. 4. Aus einem Follikularstrang.
Fig. 17—20. Milz, Trit. crist. PtC^ 0,1 %. Safr. Jpa. Ap. Vis"- Co. 4.
Tafel XXXm.
Fig. 21— 25. Wie Fig. 17-20.
Fig. 26. Mes. Lymphdr. Kaninchen. PtCU 0,3%. Safr. Jpa. Ob. 9.
Co. 4. Follikularstrang mit umgebendem Lymphraum. Schwärz-
liche Pigmentkörner in den Trabekeln.
Fig. 27. Wie Fig. 26. Aus einem breiten Follikularstrang.
Fig. 28. Lymphdr., w. Maus. PtCl4 0,1 %. Safr. Jpa. Aus einem Fol-
likularstrang. Ob. 9. Co. 4.
Fig. 29. Mes. Lymphdr. Katze. PtCl4 0,1%. Safr. Jpa. Ob. 9. Co. 4.
Segment eines F 1 e m m i n g'schen Keimcentrum. R — Rand-
partie.
Fig. 30, 31. Milz. Kaninchen. PtCl^ 0,4 %. Safr. Jpa. Obj. 9. Co. 4. Aus
einem Pulpastrang.
Fig. 32. Mes. Lymphdr. Kaninchen. PtCl4 0,1 %. Safr. Jpa. Obj. 9.
Co. 4. Reticuläres Gewebe mit lymphoiden und fixen Zellen
aus einem Lymphsinus.
Fig. 33. Mes. Lymphdr. Maus. PtC^ 0,05%. Safr. Jpa. V12" Ap. Co. 4.
Aus einem Lymphsinus.
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612 M. L ö w i t : Die Anordnung u. Neubildung v. Leukoblasten etc.
Fig. 34. Wie Fig. 33.
Fig. 35. Mäuseembryo, 15 mm. Leber. PtCl4 0,1 %. Safr. Jpa. Ap. Vw".
Co. 4. Erythroblasten und Leberzellen.
Fig. 36. Mäuseembryo, 15 mm. Leber. Wie Fig. 35. Ein grösseres
Gefäss mit distinkter Abgrenzung. In demselben Erythro-
blasten und ein ausgelaugtes kernhaltiges rothes Blutkörper-
chen bei a, sowie Endothelzellenkerne ; ausserhalb desselben
eine „mehrkernige" Zelle (Riesenzelle?).
Fig. 37. Eine grössere, wahrscheinlich fixe Zelle mit „tingibeln Körpern"
(Flemming). Aus einer mes. Lymphdr. w. Maus. PtCl4
0,05%. Safr. Jpa. Obj.9. Co. 4. "
Tafel XXXIV.
Fig. 38. Knochenmark. Taube. PtC^ 0,1 %. Safr. Jpa. Obj. 9. Co. 4.
Zwei grössere Gefässe, die hauptsächlich ausgelaugte kern-
haltige rothe Blutkörperchen neben vereinzelten Leukocyten
(Lc) und Erythroblasten (Eb) enthalten. Im Parenchym Lc
(Markzellen), Leukoblasten (Lb) und Eb.
Fig. 39. Knochenmark. Taube. PtCl* 0,1 %. Safr. Jpa. Ap. Via"- Co. 4.
Eb. in einem breiten Spaltraum.
Fig. 40. Knochenmark. Taube. PtC^ 0,1%. Safr. Jpa. Ap. Via"- Co. 4.
Eb. in schmalen Zügen. Aus dem Parenchym.
Fig. 41. Wie Fig. 40.
Fig. 42 a. Knochenmark. Kaninchen. PtCU 0,1 %. Safr. Jpa. Obj. 4.
Oc. 3.
Fig. 42 b. Dasselbe Präparat wie Fig. 42 a. Obj. 9. Co. 4.
Fig. 43. Knochenmark. Kaninchen. PtCU 0,1 %. Obj. 9. Co. 4. Eb.,
Lb., Lc. aus dem Parenchym.
Fig. 44. Knochenmark. Katze. PtC^ 0,1 %. Safr. Jpa. Obj. 9. Co. 4.
Eh., kernhaltige Ec. entfärbt, Lc.
Fig. 45. Knochenmark. Kaninchen. PtCl4 0,05%. Safr. Jpa. Obj.9.
Co. 4. Eb., Lb. und Lc. aus dem Parenchym.
Fig. 46. Milz. Katze. PtCl4 0,3%. Obj. 4. Oc. 5. Mal pighi'sches Kör-
perchen. In das Innere des „Keimcentrum* sind die fixen
Zellen eingezeichnet, die aber nur mit stärkeren Vergrösse-
rungen erkannt werden konnten. 7 davon waren in Mitose
begriffen. In die übrigen Theile sind die fixen Zellen nicht
eingezeichnet.
Fig. 47. Theil einer mes. Lymphdr. vom Kaninchen. Unten einFlem-
ming'sches „Keimcentrum**, daran anschliessend links oben
ein Gefässquerschnitt. Verth eilung von Eb. und Lb. bei
schwacher Vergrösserung. Obj. 4. Oc. 2. PtCl4 0,1%. Safr.
Jpa.
Fig. 48. Milz. Kaninchen. PtCU 0,3%. Safr. Obj. 5.0c. 4. Dichte La-
gerung von Eb. und Lb. um ein Gefäss herum.
Fig. 49. Mes. Lymphdr. Maus. PtCl4 0,1 %. Safr. Jpa. Obj. 6. Oc. 2.
Pseudofollikuläre Anordnung von Eb. und Lb.
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613
(Aus dein Institute für experimentelle Pathologie in Innsbruck.)
Ueber die eosinophilen Zellen des Kaninchen-
knocbenmarkes.
Von
J. Ton Searpatettiy Drd. med.
Im Anschlüsse an die Untersuchungen von Löwit*) über
die Granulationen in den Krebsleukocyten wurde eine Reihe von
Beobachtungen über die eosinophilen Zellen des Kaninchenknochen-
markes angestellt, welche den Zweck verfolgten, die bereits von
Löwit angedeuteten Beziehungen zwischen diesen beiden Zell-
granulationen näher zu prüfen.
Leider war ich durch äussere Verhältnisse verhindert, die
Untersuchung ganz zu Ende zu führen; die farbenanalytischen
Studien im Sinne Ehrliches, sowie die Beobachtungen über die
Lagerung der a-Zellen im Knochenmarke sollen in Folge dessen,
weil unvollendet, keine weitere Berücksichtigung finden. Ich be-
schränke mich hier nur auf die Mittheilung einiger mikroche-
mischer Reaclionen, die an der a-Substanz der genannten Zellen-
art vorgenommen wurden.
Eosinophile Zellen kommen bekanntlich im Kaninchen-
knochenmarke stets in grosser Menge vor.
Ehrlich*) und seine Schüler Schwarze^), Spil ling*),
Einhorn^) und Uthemann^) haben auf Grund ihrer Unter-
suchungen das lymphoide Knochenmark als die alleinige oder
1) Ziegler's Beiträge etc. Bd. X, S. 272 f.
2) Archiv für Anat. u. Physiol. (physiol. Abth.) 1879, S. 577. —
Zeitschr. für klinische Medic. Bd. I, 1880, S. 553. — Charit^-Annalen
Bd. XII, 1887, S. 292 f.
3) Ueber eosinophile Zellen. Inaug.-Diss. Berlin 1880.
4) Ueber Blutuntersuchungen bei Leukaemio. Inaug.-Dissert.
Berlin 1880.
5) Ueber das Verhalten der Lymphocyten zu den weissen Blut-
körperchen. Inaug.-Diss. Berlin 1884.
6) Zur Lehre von der Leukaemie. Inaug.-Diss. Berlin 1887.
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614 J. von Scarpatetti:
doch hauptsächlichste Bildungsstätte der eosinophilen Zellen an-
gesprochen, während allerdings M tl 1 1 e r und R i e d e r ^) in einer
vor Kurzem erschienenen Arbeit die Massenhaftigkeit der eosino-
philen Zellen im Knochenmark auf eine Ablagerung dieser Zellenart
in dem genannten Organe zurückzuführen geneigt sind. Ohne auf
diesen Punkt näher eingehen zu können, bemerke ich nur, dass die
Massenhaftigkeit der a-Zellen im Kaninchenknochenmarke gelegent-
lich deutliche Schwankungen aufweist. Bei einzelnen Thieren
war die Reichhaltigkeit des Markes an diesen Zellen wirklich er-
staunlich gross, bei anderen aber war die Menge derselben ent-
schieden geringer, wenn auch bei diesen Thieren immer noch
von einer beträchtlich grossen Zahl von a-Zellen im Marke ge-
sprochen werden konnte. Immer aber habe ich den Eindruck
bekommen, dass in den verschiedenen Partien des Markcylinders
annähernd gleiche Mengen von eosinophilen Zellen vorhanden
waren, so dass nicht etwa in einem Abschnitte des Markes grosse
Mengen, in irgend einem anderen von demselben Thiere stam-
menden Markabschnitte jedoch weit geringere Mengen eosinophiler
Zellen nachweisbar waren. Ich muss auf diesen Befund, wie
sich aus dem Folgenden ergeben wird, einen gewissen Nach-
druck legen. Untersucht wurde stets der Markcylinder aus
dem Femur.
Die mikrochemischen Reactionen wurden stets am frischen
Objecto vorgenommen, für das gehärtete Präparat haben die
folgenden Angaben keine Gültigkeit; an diesen (Alcohol- und Sub-
limathärtung) fallen die Reactionen ganz anders aus, wie mich
einige Controllbeobachtungen gelehrt haben. Hierin dürften wohl
auch die Differenzen zum Theil wenigstens begründet sein, die
zwischen den hier mitzutheilenden Resultaten und den Ergebnissen
anderer Autoren bestehen.
Die Untersuchung wurde in der Weise vorgenommen, dass
kleine Markstückchen, die nicht grösser als ca. 2—4 mm im
Quadrat haben dürfen, möglichst frisch in 3 — 5 ccm jener Lösungen
geworfen werden, deren Verhalten zur eosinophilen Substanz ge-
prüft werden sollte. Die mikroskopische Durchsicht dieser Mark-
stückchen geschah dann in Zupfpräparaten, entweder in dem be-
1) Ueber Vorkommen und klinische Bedeutimg der eosinophilen
Ze.Jlen (Ehrlich) im circulirenden Blute des Menschen. Deutsches
Archiv f. klin. Med. 1891, Bd. 48, S. 100 f.
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lieber die eosinophilen Zellen des Kaninchenknochenmarkes. 615
treffenden Reagens selbst oder nach 12 — 24 stündigem Auswaschen
im Wasser in dieser Flüssigkeit. Die Erkennung der a-Zellen
gelingt bei einiger Uebung ohne jegliche weitere Behandlung
schon im ungeförbten Zustande; zur grösseren Sicherheit habe
ich aber regelmässig die Färbung der Zupfpräparate in Eosin-
Glycerin oder Orange-Glycerin nach Ehrliches Angaben vorge-
nommen. Die Färbung kann auf dem Objectträger in dem zu
prüfenden Reagens vorgenommen werden, doch ist es dann immer
zur Controlle nöthig, sich an gut ausgewaschenen Präparaten zu
überzeugen, ob die Färbung durch das verwendete Reagens nicht
beinträchtigt wird.
In dem zu prüfenden Reagens bleiben die Markstückchen
vor der Untersuchung einige Stunden bei Zimmertemperatur liegen;
bei erhöhter Temperatur dürfen die Untersuchungen nicht vor-
genommen werden, da schon Temperaturen von 50 — 60® C. auch
in indiflFerenten Flüssigkeiten (0,7 ®/o Kochsalzlösungen, Wasser),
die bei Zimmertemperatur keine Lösung der a-Substanz bewirken,
starke Veränderung derselben und vielfach wahrecheinlich Lösung
derselben hervorrufen.
Am sichersten fiel die Reaction mit Essigsäure und
Mineralsäuren in verschiedenen Concentrationen aus; durch
diese wird nämlich die a-Substanz total gelöst, während der
Zellleib bei verdünnten Lösungen gut erhalten Weibt und der
Zellkern in Folge der Säurewirkung scharf hervortritt. Wenn
hier von Lösung der a-Substanz in den Zellen die Rede ist, so ist
damit immer nur das Verschwinden der charakteristischen Gra-
nula und der charakteristischen Färbung aus der Zellsubstanz ge-
meint. Das Aussehen der Zellen und das Resultat der Färbung
schliesst, wie ich glaube, nach der Säurewirkung den Gedanken
aus, als ob das Verschwinden der a-Kömuug nur auf einen
üebergang derselben in eine andere Form innerhalb des Zellleibes
zurückzuführen wäre.
Die Prüfungmit verdünnten Alkalien ergab schon kein
so eindeutiges Resultat. Die Concentration der angewandten
Lösungen war so schwach, dass nicht eine Verquellung oder Auf-
lösung der Zellen überhaupt zu Stande kam; ich verwendete
eine Lösung von 0,175 NaOH, von welcher 2 oder 3 Tropfen auf
3 — 5 ccm Wasser zugesetzt wurden. In dieser verdünnten Natron-
lauge wurde nun bei einem Kaninchen ein totales Verschwinden
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616 J. von Scarpatetti:
der a-Körnchen constatirt, und auch hier empfing ich den Ein-
druck, dass es sich um eine Lösung der Körachen handelt. Bei
zwei anderen Kaninchen aber blieben vielfache Granula in den
Zellen erhalten, obzwar auch in diesen Fällen zweifellos die
Zahl der Zellen mit a-Körnchen entschieden bedeutend ab-
genommen hatte. Dass das Verschwinden zahlreicher, eosino-
philer Zellen nicht auf ünsichtbarkeit durch Verquellung zurück-
zuführen sei, ergaben Färbungen mit Orange-Glycerin an den
genügend ausgewaschenen Markstückchen.
DestillirtesWasser, Alcohol und A e t h e r linsen
auch nach stundenlanger Einwirkung keine lösende Wirkung auf
die a-Kömer erkennen. Die Granula waren vielfach verbacken,
aber gut förbbar, Zeichen einer stattgefundenen Lösung konnten
nicht constatirt werden.
Kochsalzlösung von 5 — lO^/o, kohlensaures und
phosphorsaures Natron in verschiedener Stärke Hessen
die gleichen Veränderungen an der a-Substanz erkennen. Die
Menge der eosinophilen Zellen hatte in den genannten Reagen-
tien (bei Vergleichung mit Controllpräparaten aus 0,7 ^/^ NaCl)
entschieden abgenommen, es waren aber immer noch reichlich
eosinophile Zellen nachweisbar. Diese aber machten bezüglich
der a-Substanz den Eindruck, als ob eine partielle Lösung der
Kömer stattgefunden hätte. Die Granulationen zeigen nämlich
unter normalen Verhältnissen bekanntlich in den meisten Zellen
eine sehr charakteristische Anordnung, auf die, da sie schon
mehrfach beschrieben wurde, hier nicht weiter eingegangen
werden soll. Nach Einwirkung der genannten Reagentien ist
davon kaum etwas zu sehen, es sind meistens nur Reste der
a-Körner vorhanden, die entweder einseitig dem Kern oder dem
Zellrand anliegen, oder die ganz zerstreut im Zellleibe ange-
troffen werden. Die Zelle selbst ist in der Neutralsalzlösung ge-
schrumpft, in den kohlensauren und phosphorsauren Alkalien
leicht gequollen. Es sei noch besonders bemerkt, dass in den
genannten Reagentien auch gelegentlich solche Zellen angetroffen
wurden, welche bezüglich der a-Substanz gar keine Veränderung
in Monge und Anordnung erkennen Hessen.
Wurden nun bei allen derartigen Markstückchen, bei denen in
Folge der Einwirkung eines der genannten Reagentien eine partielle
oder totale Lösung der Substanz wahrscheinlich vorhanden war,
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Ueber die eosinophilen Zellen des Raninchenknochenmarkes. 617
eine Färbung der Zellen in der früher angegebenen Weise vorge-
nommen; so blieb bei den meisten Zellen, welche dem Aussehen
nach noch a-Granula enthielten, die charakteristische Färbung
aus, während sie bei einzelnen noch vorhanden war. Bei
den ersteren war nur eine schwach gelbe oder schwach rosa
Färbung der noch vorhandenen Kömer zu erzielen, es machte
den Eindruck, als ob die eigentliche, sich tief orange oder
dunkelroth förbende a-Substanz aus den Körnern verschwunden
und vielleicht ein nur als ^Htill-" oder „Trägersubtanz" anzu-
sprechender Bestandtheil zurückgeblieben wäre. Analoge An-
gaben hat Ehrlich^) für das Vorkommen des Glycogens in der
Zellsubstanz gemacht.
Die ausgeführten mikrochemischen Untersuchungen lassen
nun einen bestimmten Schluss auf die chemische Bedeutung der
a-Substanz vorläufig noch nicht zu, vor Allem wäre es aber durch-
aus nicht statthaft, die eosinophilen Zellen des Kaninchenkno-*
chenmarkes in dem gleichen Sinne als globulinbildende einzellige
Eiweissdrüsen anzusprechen, wie dies Löwit für die Krebs-
blutzellen thun konnte. Immerhin sind die Analogien zwischen
den Granulationen der Krebsblutzellen und jenen der eosino-
philen Markzellen, auf die bereits Löwit aufmerksam gemacht
hat, durch diese Untersuchungen gestützt worden^), wenn auch
eine volle Uebereinstimmung beider vorläufig noch nicht er-
wiesen erscheint. Ob einzelne der an den eosinophilen Mark-
zellen erhaltenen mikrochemischen Befunde auf einen nicht ein-
heitlichen Charakter der a-Substanz hinweisen, wage ich vor-
läufig nicht zu entscheiden.
Ich habe auch das Knochenmark von neugeborenen Kaninchen
auf den Gehalt an eosinophilen Zellen untersucht, um zu er-
fahren, ob schon unmittelbar oder doch schon kürzere Zeit nach
der Geburt grössere Mengen dieser Zellen im Marke enthalten
sind. Bei einem angeblich 12 Tage alten Kaninchen wurden
verhältnissmässig nur wenige a-Zellen im Knochenmark constatirt.
1) Zeitschrift für kliii. Med. Bd. VI, 1883, S. 45.
2) Ich möchte bei dieser Gelegenheit beiiunken, dass ich bei An-
wendung der von Löwit für die Krebsblutzellen benützten Dahlia-
färbung auch in zahlreichen eosinophilen Zellen des Kaninchenknochen-
markes „pyrenogene Körper" nachweisen konnte.
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618 J. vonScarpatetti: lieber die eosinophilen Zellen etc.
bei einem angeblich 30 Tage alten desselben Wurfes waren sie
sehr reichlich vorhanden. Bei einem 8 — 10 Stunden alten (sicher
nicht älteren) Kaninchen wurden bereits a-Zellen in geringer
Menge im Marke gefunden und bei diesem Thiere aUerdings
nur ein einziges Mal die Beobachtung gemacht^ dass das aus
dem distalen Femurende untersuchte Markgewebe mehr eosino-
phile Zellen, als das aus dem proximalen Ende gewonnene Mark
enthielt. Ein Kaninchen kam unmittelbar nach demWurf
im Stalle des Institutes zur Untersuchung; im Marke dieses
Thieres wurden keine eosinophile Zellen gefunden^). Da aber
dieses Thier — es war das einzige dieses Wurfes — entschieden
nicht normal war und exquisite Zeichen der Maceration darbot,
so kann das Fehlen der eosinophilen Zellen nicht als beweisend
dafür angesehen werden, dass unmittelbar nach der Geburt diese
Zellen im Knochenmark noch nicht enthalten sind.
Zur Kenntniss der Grimdsubstanz und der
Saftbahnen des Knorpels.
Zur Richtigstellung
Dr. Max Wolters,
Assistenzarzt der Klinik für Hautkrankheiten zu Bonn.
In einem Vortrage, den Herr Professor Solger im medi-
zinischen Vereine zu Greifswald gehalten hat*), besprach er meine
unter obigem Titel in diesem Archiv^) veröflFentlichten Mitthei-
lungen und griflf die von mir gezogenen Schlüsse an.
Da ich die mir von Solger gemachten Einwürfe in keiner
1) Dagegen wurden im Leberblute dieses Thieres vereinzelte
Zellen mit Granulationen gefunden, die ihrem Aussehen nach an a-Kömer
erinnerten, doch kann, da eine eingehende Untersuchung nicht statt-
fand, eine genaue Angabe hierüber nicht gemacht werden.
2) Veröffentlicht „Deutsche medizinische Wochenschrift" 1891,
pag. 1016.
3) Bd. 37, pag. 492 ff.
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Max Wolters: Zur Kenntniss der Grundsubstanz etc. 619
Hinsicht als richtig anerkennen kann, so muss ich annehmen, dass
er Einiges in meiner Arbeit missverstanden hat.
Ich möchte daher noch einmal auf die in meiner VeröflFent'
Hebung gegebene Deutung und Erklärung der von mir gesehenen
und abgebildeten Strukturbilder des Knorpels eingehen, um eine
Verständigung zu erzielen.
S olger hebt hervor, dass die von mir durch Färbung dar-
gestellten Streifensysteme identisch seien mit der „Alkoholstrei-
fung" des Knorpels und dass dieselben somit wahrscheinlich schon
vor der Färbmig vorhanden gewesen seien. Ich stimme dem
völlig bei und habe diese Meinung auch in meiner Arbeit ver-
treten, indem ich die durch die Spronk'sche Methode ge-
wonnenen Bilder als tibereinstimmend (bis auf die „Höfe") her-
vorhob, die doch nur eine Fixirung der Alkoholstruktur dar-
stellen, und ebenso die Identität mit den Aethercollodiumbildern
betonte, die ja ebenfalls der Alkoholstruktur entsprechen (vgl.
die Zeichnungen meiner Arbeit). Dass diese nach Alkoholbehand-
lung auftretenden Bilder auch durch die Doppelfarbung (Häma-
toxylin-Pikrinsäure) fixirt werden konnten, war ja eben das, was
diesen Fall mit interessant machte.
Wenn Alkoholeinwirkung das Auftreten dieser Bilder ver-
anlasst, so kann man zur Erklärung zweierlei annehmen:
1. Die Knorpelgi-undsubstanz ist vorher in Wirklich-
keit ganz gleichartig; durch Einwirkung des Alkohols ent-
stehen dann in nicht weiter zu erklärender Weise merkwürdige
Kunstprodukte, oder
2. der Knorpel ist vorher nur scheinbar gleichartig,
und dann treten Dank der Alkoholeinwirkung diese Ungleich-
heiten hervor. In diesem Falle handelt es sich dann nicht um
Kunstprodukte, sondern um natürliche, von Anfang au bestehende
Differenzen in der Knorpelsubstanz, die man dann an sich wieder
zu erklären haben wird.
Solger nimmt nun Entstehung von Kunstprodukten durch
Alkoholeinwirkung an, indem er an bestimmten Stellen eine
Schrumpfung der Fibrillenbündel supponirt, durch welche diese
aus dem gestreckten Verlaufe in einen wellenförmigen übergehen.
Es ist eine solche Veränderung ja denkbar, wenn man auch
nicht wird sagen können, warum gerade an den betreflFenden
Stellen eine solche Schrumpfung eintreten sollte.
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62Ö MaxWolters:
Für mich kaum mehr denkbar ist es indessen, dass diese
Schrumpfung solche Bilder ergeben soll, wie ich sie dargestellt
habe; und dass diese „Alkoholstreifcn" sich in der beschriebenen
Weise mit Hämatoxylin-Pikrinsäure färben, scheint mir ein di-
recter Beweis dagegen zu sein. Es ist absolut kein Grund ein-
zusehen, warum die wellig verlaufenden Fibrillenzüge sich in dieser
Weise anders färben sollten als die gerade verlaufenden, während
Lichtbrechungsunterschiede, die ja zur Erklärung der Bilder im
ungeförbten Präparate ausreichen, sehr wohl entstehen können.
Dazu kommt noch, dass es ganz unerklärt bleibt, warum die Fibrillen-
züge an ganz bestimmten Stellen dieses Knorpelstückes so weilig
wurden, an anderen nicht, obwohl der Alkohol ganz gleichmässig
auf alle Stellen eingewirkt hatte. Soll also wirklich ein welliger
Verlauf der Fibrillenzüge zur Erklärung angenommen werden, so
folgt als nothwendige Voraussetzung dieser Erklärung, dass schon
vor der Einwirkung des Alkohols eine Diflferenz in den Fibrillen-
zttgen an vei*schiedenen Stellen des Präparates bestand; und so
wird also das unerklärte nur eine Stufe zurückgeschoben, eine
Erklärung aber nicht gegeben.
Wenn ich nun die Streifensysteme als den Ausdruck von
Saft bahnen auifasste, so hatte das zunächst nicht in der Fär-
bung seinen Grund, sondern in der eigenthümlichen Verlaufsart
der Streifen, in ihren Beziehungen zu den Knorpelhöhlen, dem
Periost und den Gefössen. Andererseits schien es mir wohl ver-
ständlich, dass Saftbahnen eine solche Färbungsverschiedenheit
bedingen könnten.
Die elective HämatoxylinfUrbung muss doch darauf beruhen,
dass diese Farbe von Stoffen; die sich in der Grundsubstauz be-
finden, intensiv festgehalten werde. Wenn nun an bestimmten
Stellen weniger von dieser specifisch sich färbenden Grundsub-
stauz vorhanden ist, so werden diese Stellen heller erscheinen.
Jede Stelle, die weniger Hämatoxylin aufnimmt, also heller er-
scheint, nimmt aber mehr von der diffus färbenden Pikrinsäure
auf. So kommt es, dass das Perichondrium gelb ist, seine Kerne
dagegen violett, dass die an das Perichondrium angrenzende
Knorpelsubstanz nur ganz schwach violett ist, und dass dieser
Farbenton nach dem ausgebildeten Knorpel hin zunimmt. Waren
nun im Knorpel Saftbahnen vorhanden, die keine eigene Wan-
dung haben, so musste an diesen Stellen die sich specifisch fUr-
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Zur Keuntniss der Grundsubstanz u. der Saftbahnen d. Knorpels. 621
bende Grundsubstanz spärlicber vorhanden sein, als an den an-
deren; in Folge dessen musste hier die Violettfarbung schwächer
sein oder konnte auch ganz durch die Pikrinsäure verdrängt
werden.
Da dieser Gedankengang in meiner Arbeit klar ausge-
sprochen ist, so verstehe ich nicht, was Solger mit dem fol-
genden Satze hat sagen und bezwecken wollen: „Auch Herrn
Wolters wird es nicht leicht sein, zu erklären, „wie" die
Pikrinfarbung im vorliegenden Falle „zu Stande kommt". Denn
dass es für diese Substanz charakteristisch sei, „stärker mit
Flüssigkeit durchtränkte" Gewcbspartien aus flüssigkeitsärmerer
Umgebung hervorzuheben, wird man doch kaum behaupten dürfen,
wenn man sich ihrer Wirkung auf elastische Fasern, auf ver-
hornte Epidermoidalgebilde (auch solche, die lange in Alkohol
gelegen haben) erinnert."
Wie man sich, angenommen die Streifen sind Saftbahnen,
die feinsten Molecularvcränderungen bei der Einwirkung des Al-
kohols auf den Knoi-pel vorzustellen hat, ist freilich sehr schwer
zu sagen. Am natürlichsten würde es scheinen anzunehmen,
da^ss diese Saftbahnen ein molekulares Schwammwerk der Grund-
substanz enthalten, in dessen Höhlen theils die durch Alkohol
geronnenen Eiweissstoffe der Lymphe, theils Alkoholmoleküle
liegen, welche die Wassermoleküle der Lymphe zu einem mein-
oder weniger grossen Theile ersetzt haben werden. In wieweit
mit dieser Einwirkung eine Schrumpfung an den Stellen der
Saftbahnen verknüpft ist, ob überhaupt eine solche eintritt, dar-
über lassen sich wohl kaum Vermuthungen aufstellen.
Die mir von Solger supponirte Behauptung, es färbe
sich wasserreiches Gewebe intensiv mit Pikrinsäure, habe ich
thatsächlich niemals aufgestellt. Es scheint mir daher auch
der „spätere Zusatz" von Solger, welcher im Gegensatz zu
dieser mir untergeschobenen Ansicht beweisen soll, dass solche
Gewebe Pikrinsäure intensiv aufnehmen, denen möglichst viel
W^asser entzogen worden, gar keine Beziehung zu meiner Arbeit
zu haben.
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Universitäto-Buchdruckerei von Carl Georgri in Bonn.
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Ä K.^ ll^r:( ^/
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