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ARCHIV
FÜR
NATURGESCHICHTE.
GEGRÜNDET VON A. F. A. WIEGMANN,
FORTGESETZT VON W. F. ERICHS ON.
IN VERBINDUNG MIT
PROF. DR- R. LE UCK ART IN LEIPZIG
HERAUSGEGEBEN
DR. F. H. TROSCHEL,
PROFESSOR AN DER FRlEDRICH-Wn.HELMS-UNTVERSITÄT ZU BONN.
SECHS UND YIEEZIGSTEB JÄHEaANa,
Erster Band.
Mit 18 Tafeln.
Berlin,
Nicolaische Verlags-Buchhandlung
B. Stricker.
1880.
Inhalt des ersten Bandes.
Seite.
Zur Kenutniss der Echinorhynchen. Von Carl Baltzer in
Marburg. Hierzu Tafel I und II 1
Helminthologische üntersucbungen von Dr. v. Linstow in Ha-
meln. Hierzu Tafel III . . 41
Beschreibung einiger neuen Peltidien. Von Dr. G. Haller in
Bern. Hierzu Tafel IV und V 55
Rhynchopsyllus, eine neue Puliciden-Gattung, in einigen Worten
gekennzeichnet. Von Dr. G. Ha 11 er 72
Ueber Echiuren und Echinoderraen. Von Dr. Richard Greeff,
Professor in Marburg. (Aus den Sitzungsberichten der
Gesellschaft zur Beförderung der gesammten Naturwissen-
schaften zu Marburg.) 88
Ueber die postembryonale Entwicklung bei der Milbengattung
Glyciphagus. Von P. Kr am er in Halle 102
Ueber Mustela patagonica. Von H. Burmeister . . . . 111
Ueber die Arten von Bdellostoma. Von Professor A. Schneider
in Giessen 115.
Beitrag zur Kenntniss einiger blinden Amphipoden des Kaspi-
sees. Von Dr. Ose. Grimm in St. Petersburg .... 117
Die homerische Thierwelt. Ein Beitrag zur Geschichte der
Zoologie. Von Otto Koerner, Stud. med 127
Neue Amphibien und Reptilien. Beschrieben von Dr. J. G.
Fischer in Hamburg. Hierzu Tafel VIH und IX . . 215
Zur Kenntniss der Galeodiden. Von Dr. F. Karsch in Berlin.
Hierzu Tafel X Fig. 1—25 228
Zur Kenntniss der Tarantuliden. Von Dr. F. Karsch in
Berlin. Hierzu Tafel X Fig. 26 244
Ä2I06'
IV Inhalt.
Seite.
Ueber Lacerta oxycephala Fitzinger und Lacerta judaica Ca-
merano. Von Dr. J. von Bedriaga in Heidelberg.
Hierzu Tafel XI 260
Geositta antarctica. Von Landbeck in Santiago de Chile,
Hierzu Tafel XII . • 274
Ctenomys fueginus Ph. Von Dr. R. A. Philippi. Hierzu
Tafel XIII 276
Beitrag zur Kenntnies der Verbreitungsgrenzen der fliegenden
Fische im südindischen Ocean. Von E. von Danckel-
mann, Assistent am meteorologischen Institut zu Leipzig. 280
Ueber die Mundtheile der Arachniden. Von A. Croueberg in
Moskau. Hierzu Tafel XIV— XVI 285
Die Gobiidac und Syugnathidae der Ostsee nebst biologischen
Bemerkungen. Von Dr. Friedrich Heincke in Olden-
burg i. Gr. Hierzu Tafel XVI Fig. 5 301
Acarinologisches. Von Dr. G. Haller. Hierzu Tafel XVII 354
Ueber einige neue Cymothoinen. Von Dr. G. IIa 11 er in Bern.
Hierzu Tafel XVIH 375
Zur Kenntniss der Echinorhynclieii.
Von
Carl Baltzer
in Marburg.
Hierzu Tafel I und IL
Hat auch in den letzten Jahrzehnten die Anatomie
der EchinorhyncJien durch eine Reihe hervorragender
Forscher eine eingehende Bearbeitung erfahren, so ist trotz-
dem in einigen Punkten die Kenntniss des feineren Baues
dieser so merkwürdigen Würmer lückenhaft geblieben.
Besonders sind in dieser Hinsicht das äussere Hautgewebe,
der Hals und Rüssel zu nennen, welche, wie auch (we-
nigstens bei den kleineren Arten) die Rüsselscheide, nebst
ihr eingelagerten Gebilden und die Geschlechtsorgane auf
Schnitten bis jetzt nur wenig, oder noch gar nicht unter-
sucht worden sind.
Einen kleinen Beitrag zur Kenntniss genannter Theile
versucht vorliegende Arbeit zu geben, welche sich im All-
gemeinen auf E. Proteus Westrumb und E. angustatus Rud.
beschränkt; zur Untersuchung des Hautgewebes standen
mir aber auch E. gigas Göze und ausgebildete Larven des
E. polymorphus Brems, zur Verfügung.
Bevor ich indessen mit meiner eigentlichen Aufgabe
beginne, will ich einige geschichtliche Bemerkungen vor-
ausschicken und das Wichtigste aus der auf die Echino-
rhynchen bezüglichen Literatur hervorheben.
Als Entdecker unserer Würmer kann wohl der be-
Archiv f, Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. 1
2 Carl Baltzer:
rühmte IlolUluder Anton von Leeuwenhoek') angeschen
werden, welcher die einem Aale entnommenen Parasiten
beschrieb und abbildete, sie aber noch zu den Bandwürmern
stellte; doch erkannte schon Gözc"), dass Leuwenhoek,
wie seine Abbildungen zeij^ten, nicht J5andwürmer, sondern
Echinorhynchen vor Augen gehabt haben müsse.
Zoega nannte sie TJchinorkpichen, von Koelreuter^)
stammt die Bezeichnung Acanthocephalns , den Namen
Kratzer gab ihnen 0. F. Müller^).
Eine anatomische Beschreibung finden wir zuerst bei
G()ze^), welcher, soweit es die hr»chst unvollkfmimenen
Hilfsmittel der damaligen Zeit erlaubten, den E. (ßijas unter-
suchte und sich eine ziemlich klare Vorstellung von dem
anatomischen Bau der Kratzer verschaffte.
Die Reihe der speciell auf Systematik und Anatomie
der Echinorhynchen sich beziehenden Schriften eröffnet
die höchst wichtige Arbeit von Westrumb^), welche eine
Zusannneustellung aller bis dahin bekannten Arten und
zugleich eine anatomische und ])hysiologische Beschreibung
der Acanthocephaleu gibt. C. H. A. Burow'') veröffent-
lichte 1836 seine Untersuchungen über den Ech. strnmosns
aus dem Darm des Seehundes, eine Schrift, insofern von
besonderem Interesse, als sie zuerst der später noch so
häufig untersuchten Uterusglocke Erwähnung thut, und
den, auch schon von Westrumb^) bekämpften Irrthum,
es würden die Eier durch den Rüssel nach Aussen geschafft,
beseitigte. Genauere auf die Anatomie bezügliche Ml-
theihmgen machte von Siebold ^), ihnen schlössen sich
1) Arcana uatur. detect, Epist. 75. pag. 314.
2) Versuch einer Naturgeschichte der Eingeweidewürmer. Qued-
linburg 1782. pag. 145.
3) Nova Commentar. Ac. Petropol. Vol. XV. pag. 499.
4) Naturforscher XII. St. pag. 178.
5) A. a. 0. pag. 147.
6) De helminthibus acanthocephalis commentatio Hannoverae
1821.
7) Echinorhynchi strumosi anatome. Dissert. Kegiomont. 1836.
8) A. a. 0. pag. 64.
9) Burdach's Physiologie II. Bd. 2. Aufl. 1837 u. Lehrbuch
d. vergl. Anatomie 1848.
Zur Kenntniss der Echinorhynchen. 3.
die Arbeiten von Duj ardin und Diesing an. Stein
lieferte in den zootomisclicn Atlas von V. Carus einige
Abbildungen, die indessen wenig Neues boten. Wiebtiger
sind die Unter sucbuugen von Wagener^) und Pagen-
stecber-). Interessante Mittbeilungen macbte Greeff^)
1864 über den E. miliarius, welchen er mit Ech. poly-
morpJms identisch nachwies und liess auch in demselben
Jahre eine genauere Beschreibung der Uterusglocke des E.
Proteus folgen. Schneider^) verdanken wir wichtige
Aufschlüsse in Bezug auf die Muskulatur und das Nerven-
system. Beiträge zur Kenntniss des EcJi. angustatus ver-
öffentlichte 1872 V. Linstow^) und R. Leuckart^) gibt
in seinem die menschlichen Parasiten behandelnden Werke
eine eingehende Schilderung aller Organe.
Entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen stellte
zuerst Leuckart"^) an, ihm folgte Greeff^) mit E. mi-
liarius, Schneider^) untersuchte die Entwicklung des
E. gigas und Leuckart*^) gab 1873 eine ausführliche Be-
1) Helminthologische Bemerkungen etc., Zeitschrift für wissensch.
Zoologie IX. Bd. 1858.
2) Zur Anatomie von Ecli. proteus, Zeitsch. für wissensch.
Zoologie XIII. Bd. 1863. pag. 413 ff.
3) Untersuchungen über die Naturgeschichte von Ecliin. mili-
arius u. Ueber den Bau d. üterusglocke und d. Ovarium d. Echin.
Archiv für Naturgesch. 1864.
4) Ueber den Bau d. Acanthocephalen Archiv für Anatomie
u. Physiologie 1868. u. Sitzungsber. d. Oberhess. Gesellsch. f. Na-
turk. 1871.
5) Zur Anatomie u. Entwicklungsgeschichte d. E. angustatus.
Archiv für Naturgesch. 1872.
6) Die menschl. Parasiten, Heidelb. 1876.
7) Leuckart, helminthologische Experimentaluntersuch, Nach-
richten von d. Georg-August-Univers. u. d. K. Gesellsch. d. Wissensch.
zu Göttingen. 1862.
8) Untersuchungen über d. Bau u. die Naturgeschichte d. E.
miliarius. Arch. für Naturg. 1864.
9) Ueber die Entwickl. von E. gigas. Sitzungsberichte d. Ober-
hess. Gesellsch. für Natur- u. Heilkunde 1871.
10) De statu et embryonali et larvali Echinorhynchorum eorum-
que metamorphosi. Akadem. Programm. Leipz. 1873.
4 Carl Baltzer:
Schreibung der Entwicklungsgeschicbte des E. proteus
und an(ßistatus.
1. Das Hautgewebe des Hinterleibes.
Scbon Göze*) war bekannt, dass die Haut der Kratzer
niebt aus einem boniogenen Gewebe bestebe, sondern aus
mindestens zwei Ubcreinandergelegenen Schiebten gebildet
sein müsse, da man, nachdem ein solcher Wurm eine Zeit
lang in lauem Wasser gelegen, die äussere Lage von einer
unter ihr betindlichcn leicht abtrennen könnte. Aber auch
diese al)lösbarc äussere Membran ist wieder, wie schon
länger bekannt, aus drei differcnten vSchichten gebildet.
Die von diesen am weitesten nach Aussen gelagerte Cu-
ticula ist homogen, stark lichtbrechend und chitinartig,
ihre meist sehr geringe Stärke beträgt bei Ech. gujas un-
gefähr 0,0012 mm, bei proteus und angustattis 0,0007 mm
Fig 1 a. Diesem dünnen Iläutclien lagert sich Innen eine
zweite, ebenfalls cuticulaähuliclie Schicht auf, welche an
dünnen Schnitten eine feine, radiäre Streifung erkennen
lässt, die auf der Flächenansicht als helle rUnktchen er-
scheint. Ob es diese Pünktchen waren, welche die älteren
Forscher Göze2), Treutler^), Zeder^) und Rudolphi^)
veranlasste den Kratzern Porenkanäle in der Haut zuzu-
schreiben, lasse ich dahingestellt, will aber bemerken, dass
Westrumb^) dieselben nicht beobachten konnte, sich aber
trotzdem durch die Fähigkeit unserer Würmer, ihren Leib
mit Flüssigkeit schnell zu füllen, bewegen Hess, die Rich-
tigkeit der älteren Angaben zuzugestehen. Später hat
Greeff bei £". pohjmorphus ebenfalls eine feine Punktirung
der Haut beobachtet und auch mit der Absorptionsfähigkeit
in Verbindung gebracht^). Leuckart^j, welcher die Haut
1) a. a. 0. pag. 147.
2) a. a. 0. pag. 146.
3) Quaedam de Echin. structura pag. X.
4) Naturgesch. pag. 143.
5) Entozool. Vol. I pag. 253.
6) a. a. 0. pag. 49.
7) a. a. 0. pag. 128.
8) Mensch). Parasiteu II. pag. 735.
Zur Kenntnisa der Echinorhynchen. 6
auf Sclmitten untersuchte, bestätigte Greeff s Angaben,
nur fügte er hinzu, dass die äussere Cuticularschicht voll-
kommen homogen, dagegen die tiefer gelegene von feinen
Kanälchen durchzogen sei. Auch ich habe hier bei E. gigas
und Proteus (schwerer bei E. angiistatus) eine deutliche
Radiärstreifung beobachten können, möchte diese aber lieber
für den Ausdruck einer Faserung halten, wie sie auch bei
den Nematoden in der entsprechenden Lage öfters gefunden
wird. Was ihre sonstige Eigenschaften anlangt, so ist zu
bemerken, dass sie mächtiger als die äussere Schicht ist
und sich auch in der Substanz von dieser verschieden
ergibt. Denn während letztere bei durchfallendem Licht
hell, stark lichtbrechend erscheint, besitzt die streifige Cu-
ticula eine trtibweissliche Färbung. Der Unterschied tritt
beim Färben noch deutlicher hervor, die tiefere Lage färbt
sich z. B. mit Pikrocarmin leicht und stark, die äussere
nimmt selbst bei längerer Einwirkung des Färbüngsmittels
wenig oder gar keine Farbe an.
Unter den beiden so beschaffenen Cuticularschichten
liegt die Subcuticula, ein eigenthtimliches aus Fasern ge-
bildetes Gewebe, welches von zahlreichen labyrinthartigen,
vielfach mit einander anastomosirenden Lückenräumen
durchbrochen ist (Fig. 1 g). Schon bei oberflächlicher
Betrachtung zeigt es sich aus zwei Theilen aufgebaut,
einem tieferen, aus Radiärfasern gebildeten (Fig. 1 d) und
einem mehr nach oben gelegenen, welcher neben den radiären
auch wellige, circulär und longitudinal verlaufende Fasern
enthält. Leuckart^) hat die erste Schicht als „Faser-
schicht", von der letzteren, welche er als „Körnerlage"
bezeichnet, unterschieden. Eine Bezeichnung, die mir nicht
recht passend scheint, da, wie die genaue Beschreibung
besagter Theile ergeben wird, die sogen. Körnerlage an
Reichthum der Fasern die Faserschicht bei Weitem über-
trifft.
Von dem die Subcuticula gegen die Ringmuskulatur
abgrenzenden Bindegewebe entspringt, bisweilen (E.proteus),
aus einer dichteren Grenzzone sich erhebend, das Radiär-
1) a. a. 0. pag. 736.
6 Carl Baltzer:
faserwerk in gr(')ssere und kleinere Gru])pcn gesammelt.
Wo eine solche Gruppe nach Aussen aufsteigt, springt meist
das Bindegewebe etwas vor und bildet nicht selten mehr-
fach ge/ackte Trotuberan/cn, welche den Fasern bessere
Ansatzstellen darbieten (Fig. 1 f). Die Zahl der in eine
Gruppe eintretenden Fasern ist gross bei E. gigaSj geringer
bei E. angustatus, und bei E. proteus ist es meist nur eine
beschränkte Anzahl verhältnissniässig starker, oft auch
verklebter Fasern, die eine Grup))e bilden. Die Anordnung
dieser Gruppen selbst wird am besten auf dem Tangential-
schnitt erkannt, wo sie natürlich als Häufchen kleiner
Körnchen erscheinen, welche in unbestimmten Abständen
placirt sind. Die zwischen ihnen bleibenden Hohlräume
gehiU'cn dem Gefässsystem an, dessen labyrinthartiger Bau
auf diese Weise am besten zur Anschauung gebracht wird.
Die Gefässliickcn beschränken sich auf die innere Faser-
lage und entbehren durchaus eigener Wandungen. Seitlich
werden sie von den Radiärfaseru begrenzt, die auch nach
Aussen tiberneigend sie gewölbeartig überdecken; doch
nimmt auch das äussere Faserwerk hier an der Begrenzung
Theil (Fig. 1). Bei E. proteus und amjustatus liegen die
Gefässräume stets nebeneinander, bei E. yigas auch über-
einander.
Die äussere Lage der Subcuticula steht durch die in
sie einstrahlenden Radiärtibrillcn mit der tieferen in Ver-
bindung. Während aber hier dieselben in Gruppen ge-
sammelt sind, strahlen sie in der Aussenlage derart aus-
einander, dass das ganze Gewebe von in ziemlich gleicher
Entfernung parallel verlaufenden Kadiärfasern durchsetzt
erscheint (Fig. 1). Die Zahl dieser Fibrillen ist bei E.
proteus in der äusseren Schicht meist grösser als in
der tiefer gelegenen, und man erkennt auch, wie von be-
sonders dicken und kräftigen Radiärfaseru der tieferen
Lage, da, wo sie sich der äusseren nähern, Seitenzweige
abtreten. Ob nun genannte Verästelungen als wirkliche
Abspleissungen oder Trennungen vorher verklebter Fasern
zu betrachten sind, lässt sich schwer entscheiden, wahr-
scheinlicher aber scheint mir das letztere.
Zwischen diesem, von Radiärfibrillen gebildeten Stab-
Zur Kenntniss der Echiuorhynchen. 7
werk winden sich, dem Geflechte eines Korbes ähnlich,
wie der Querschnitt (Fig. 1 ) zeigt, die circulär verlaufenden
Fasern wellig durch und erscheinen bei JE. proteus und
angustatm zu mehreren Zügen gesammelt, welche in einer
ihrer doppelten Breite ungefähr gleichen Entfernung ver-
laufen. Die zwischen den einzelnen Zügen bleibenden
Räume (Fig. 1 i) durchsetzen im Bogen von einem circu-
lären Zug zum andern ablenkende Fasern, mischen sich
den Fasern des betreifenden Zuges bei und sind im wei-
teren Verlauf von den dem Zuge eigenen nicht zu unter-
scheiden. Diese meist auf eine grosse Strecke hin nach
derselben Seite gerichteten Ablenkungsbogen liegen stets
einzeln, und der zwischen je zwei bleibende Raum ist von
einer gewöhnlich nicht geringen Zahl heller Körnchen er-
füllt. Wahrscheinlich verdankt diesen Körnchen die ganze
äussere Lage die Bezeichnung „Körnerschicht". In ihr
unterscheiden wir somit: die Radiärfibrillen, die parallelen
Circulärzüge und die ihnen gleichverlaufenden Körnchen-
streifen nebst den sie durchsetzenden Faserbogen.
Welche Bedeutung mögen die so regelmässig ange-
ordneten Körnchen haben? Auf diese Frage gibt uns der
Längsschnitt sofort Aufschluss. Er zeigt eine dem Quer-
schnitt vollkommen gleiche Bildung, nur treten hier statt
der circulären, längs verlaufende Fasern und Körnchen-
reihen auf; die Radiärfasern sind natürlich dieselben. Nun
lassen sich aber leicht die Körnchenzüge als die durch-
schnittenen Circulärfasern des Querschnittes erkennen, und
die längsverlaufenden Faserzüge des Längsschnitts müssen
den Körnchen des Querschnittes entsprechen. Nicht überall
tritt indessen Längs- und Circulärfaserung in derselben
Klarheit auf, denn da, wo sich Cuticula und Subcuticula
faltenähnlich einsenkt, wie dies bei E. proteus sowohl in
der Längsrichtung als auch in die Quere ausserordentlich
häufig gefanden wird, verkleben sich die Fasern derart,
dass von einer regelmässigen Anordnung kaum mehr die
Rede sein kann. Aus der äussersten Circulärschicht strahlen
zahlreiche Fasern nach der Cuticula und befestigen sich hier.
So stellt die Subcuticula des E. angustatus und proteus
ein complicirtes Flechtwerk dar, von dem die entsprechende
8 Carl Baltzer:
Lage des E, gigas nicht uncrlieblicb verscliieden ist. Hier
finden sich zwar auch circiilär und lon^ntndinal verlaufende
Fasern durcli die Kadiärfihrillrii ^^efloclitcn, eine Vertlieilnn^
derselben in verschiedene Ziii;*e ist indessen nicht vorhan-
den, und das Gewehe erscheint als ein regelloses Cewirre
von Fasern.
Es fragt sich nun, ob die beiden äusseren Fibrillen-
systeme als selbständig zu betrachten sind, oder ob ihr Ur-
sprung in den Uadiärfasern zu suchen ist. Leuckart^)
bemerkt in dieser Ikv.iehuni;: „Die Fibrillen der äusseren
Körnernerlage l)ilden dem Anscheine nach eine directe Fort-
setzung der tieferen Faserziige^'. E. profeus ist zur Ent-
scheidung der Frage wohl am besten geeignet, da die hier
nicht in so grosser Zahl vorhandenen, starken Uadiärfasern
leicht verfolgt werden können. Nirgends aber konnte ich
hier ein Ablenken derselben in die circulären oder longi-
tudinalen Züge beobachten. Für die Sell)ständigkcit dieser
Fasern spricht auch der Umstand, dass ihre IJeschaiTcnheit
bisweilen von der der Kadiärlibrillen etwas verschieden ist.
So sind bei E.proteus letztere ein wenig derber und stär-
ker als die äusseren Fasern, bei E. gigas umgekehrt die
äusseren wellig verlaufenden Fasern etwas kräftiger als die
radiären.
An den tönnchenfr>rmigen Larven des E. proteiis fand
ich das subcuticulare Fasersystem schon vollständig aus-
gebildet. Die Cuticula verläuft auf demselben stark gewellt
•und springt von Strecke zu Strecke zackenförmig nach Innen
vor*).
Eigenthümliche Zellen liegen in der Subcuticula zer-
streut. Schon Wagener beobachtete diese Gebilde in der
Haut und in den Lemnisken^) und hielt sie auch für Zellen;
1) a. a. 0. pag. 737.
2) Höchst eigentliümlicb zeigt sich auf dem Querschnitt die
entsprechende Larvenform des E. polymorphus ; unter einer dünnen
Cuticula liegt hier, da wo später die äussere Subcuticularschicht sich
findet, eine homogene fast chitinige Masse, in welcher am vorderen
und hinteren Pole eine Faserung sich bemerkbar zu machen beginnt.
3) a. a. 0. pag. 80.
Zur Kenntniss der Echinorhynchen. 9
Schneider bezeiclmete sie dagegen als Kerne, und
Lenckart*) gebranelit neben diesem auch den Ausdruck
Blasen. Ihre Zahl ist bei den verschiedenen Arten ver-
schieden, bei E. gigas geringer als bei proteiis und bei
diesem kleiner als bei angusfatus. Sie sind blasenförmig, in
der Form ziemlich sehwankend, bald mehr rund oder oval,
bald mehr in die Länge gezogen. Neben einem mehr oder
weniger scharf hervortretenden Kern besitzen sie an Alkohol-
exemplaren einen meist trüben, körnigen Inhalt, in welchem
mehrere dem Kern an Grösse sich nähernde, helle Körper-
chen gelegen sind. Auch Wagener 2) bemerkte sie und
Hess dieselben aus dem Kern durch Theilung entstehen,
was ich indessen nicht beobachten konnte. Diese Zellen
findet man imr in der unteren Subcuticularschicht, bald,
wie der Tangentialschnitt deutlich ergibt, von Fasern ganz
umschlossen, bald in die Lückenräume frei hineinragend.
Sie stammen von den Zellen, welche bei jungen Larven
der den Embryonalkern umgebenden Masse eingelagert
sind; diese vermehren sich durch Theilung, welche auch
an Exemplaren, deren Fasersystem schon ausgebildet, noch
in Thätigkeit gefunden wurde.
Leuckart^) und von Linstow^) lassen dagegen
aus ihnen die späteren Gefässräume entstehen, ich glaube
mich dieser Ansicht nicht anschliessen zu können, denn die
scheinbare Verschmelzung zweier Zellen, wie sie z. B.
V. Linstow abbildet, wird wohl eine Zelltheilung sein.
Uebrigens Hesse sich nach der anderen Auffassung auch
kaum erklären, woher die bei manchen Arten so zahlreichen
Zellen^) der Subcuticula stammen sollten, wenn schon die
geringe Zahl derselben im Embryo zu der Gefässbildung
verwendet würde.
Die weiter nach Innen folgenden Theile der Haut, die
1) a. a. 0. pag-. 737 und pag. 841.
2) a. a. 0. pag. 80. Tab. VI. Fig. 18 u. 19.
8) a. a. 0. pag. 841.
4) a. a. 0. pag. 11. Tab. I Fig. 5.
5) Was ihre Natur betrifift, so möchte ich diesen Zellen eine
secretorische Function zuschreiben.
10 Carl Baltzer:
Ring- und Längsmuskulatur des Hinterleibes, habe ich
nicht in den Kreis meiner Untersuchungen gezogen! —
2. Der liiiii des Halses und Rüssels.
Neben Westrum b *), welcher bereits eine J^eschreibung
des Halses und des lliissels gab, 'finden sich nur noch
wenige Forscher, die sich mit der Untersuchung dieser
Theile beschäftigten; unter ihnen sind besonders Leuckart
und Schneider zu nennen, deren Mittheilungen sich aber
auch nur auf einzelne Punkte beziehen. Ich will in Fol-
gendem eine kurze l>eschreibung sämmtlicher in die Bil-
dung der genannten Leibestheilc eintretenden Uebildc zu
geben versuchen.
a. Fxh. Proteus.
Der Hals dieser Art ist ausserordentlich entwickelt,
im Durchschnitt 3,5 mm lang. Drei Abtheilungen lassen
sich an demselben unterscheiden: Der verbreiterte, conische
Basilartheil, das fadenförmige Mittelstück und das kopf-
artig angeschwollene obere Ende, dem der Rüssel aufsitzt.
Schon äusserlich setzt sich der Hals vom lliiiterleibe
durch eine tiefe Einschnürung ab, dünne Längsschnitte er-
geben, dass an dieser Stelle durch die bis zum Bindegewebe
wellig sich einsenkende Cuticula des Halses, wie auch
Schneider angibt, eine vollkommene Scheidung der Sub-
cuticula dieses Abschnittes von der des Hinterleibes be-
wirkt wird^). Die äussere Lage der Subcuticula begibt
sich mit der Cuticula nach Innen und berührt ebenfalls das
Bindegewebe, ähnlich verhält sich die entsprechende Schicht
des Hinterleibes auf der anderen Seite der Falte.
1) a. a. 0. pag. 46.
2) Für die gänzliche Trennung der Gefässräume des Vorder-
und Hinterleibes durch die Cuticularfalte spricht auch noch folgende
Erscheinung. Legt rnan einen Kratzer (z. B. E. proteus) in Farb-
lösung, so tingirt sieh der Hinterleib verhältuissmässig schnell, der
vordere Leibesabschnitt, der ein geringeres Absorptionsvermögen zu
besitzen scheint, bleibt dagegen blass. Würde nun eine Verbindung
der Gefässräume vorhanden sein, so müsste durch diese vom Hinter-
leib aus sich der Hals färben ; Längsschnitte zeigen aber, dass sich die
Färbung nur bis zur Ringfalte, nicht aber über diese hinaus in den
Halsabschnitt erstreckt.
Zur Kenutniss der Echiuorhyncben- 11
Cuticiila und unter ihr gelegene Streifeu-Cuticula
findet sich auch an dem Halse; aber, der geringeren Stärke
dieses Abschnittes entsprechend, weniger mächtig entwickelt.
Ebenso verhält sich die Subcuticula, welche aus den oben
genannten Fasersystemeu zusammengesetzt ist. Schneider
spricht dem Vorderleib den Besitz von Radiärfasern ab;
aber schon Leuckart machte mit Recht darauf aufmerk-
sam, dass die Gefässräume wohl auch hier von Fasern be-
grenzt sein würden. Die tiefere Lage der Subcuticula ent-
hält das Gefässsystem, welches, wie auch am Hinterleib,
wenigstens im unteren und mittleren Abschnitt des Halses,
zwei direct nach oben ziehende Stämme enthält. Nur darin
gibt sich ein Unterschied dieser Schicht von der ent-
sprechenden des Hinterleibes zu erkennen, dass die Cir-
culär- und Longitudinalfasern, nicht in so scharfgetrennte
Züge gesondert, mehr verklebt sind und hierdurch schwerer
in ihrem Verhalten erkannt werden.
Im kopfförmig angeschwollenen Halstheil reducirt sich
die Subcuticula auf ein Drittel der früheren Stärke und
zeigt, wie dieser Abschnitt überhaupt, eine Bildung, die sich
der des Rüssels nähert. Die Gefässräume erscheinen wie
dort regelmässiger angeordnet und treten auch, da die
dünne Subcuticula wenig Raum gewährt, bereits bogen-
förmig nach Aussen und Innen vor. Nicht minder ver-
schieden zeigt «ich hier das unter der Subcuticula gelegene
Bindegewebe, das an Stärke dem so sehr entwickelten des
Rüssels nahe kommt. Dieser Abschnitt findet sich bei
jungen Exemplaren noch nicht kopfförmig angeschwollen.
•Bei älteren enthält sein Hohlraum eine die Rüsselscheide
umgebende, körnige Exsudatmasse, durch welche der Kopf
wahrscheinlich in stets prallem Zustand erhalten wird.
Zellen, wie wir sie in der Subcuticula des Hinterleibes
fanden, sind auch hier, -besonders im unteren und mittleren
Halsabschnitt, vorhanden; dem obersten scheinen sie zu
fehlen.
Die den Hinterleib umgürtende Ringmuskulatur er-
streckt sich nur bis zum Anfang des Halses; ein Theil
der Längsmuskeln aber tritt in den Hals ein, durchzieht
ihn bis zur Basis des Rüssels und setzt sich hier fest.
12 Carl l'.altzer:
(Fig. 3 o). In der unteren Partie des Halses liegen sie
dicht gedrängt, so dass auf dem Querschnitt (Fig. 18) der
zwischen Haut und RUssclscheide gelegene Raum von
Muskeln fast ganz erfüllt ist. Anders in dem aufgctriehenen
oherstcn Ahselinitt, wo dieselben, weit auseinandergerückt,
einzeln gelagert sind. Ganz scheinen aher auch die Ring-
nuiskeln dem Vorderleihc nicht zu fehlen, denn zwischen
Längsmuskeln und dem unter der Suhcuticula gelegenen
Rindegewebe linden sich Fasern, welche, die geringere
Dicke ausgenommen, ganz mit den Ringmuskeln des Hinter-
leibes übereinstinnncn. Sie heginnen über dem Ringgeiass
an der Rasis des Halses, nehmen nach oben an Stärke ah
und werden im obersten Theile verniisst. Leuckart*) da-
gegen bemerkt, dass nur an der Rasis ein Ringmuskel zu
finden sei, und bloss in seltenen Fällen (F. gigas) noch in
der unteren Hallte eine dünne Lage von Längsfasern he-
obachtet werde. Für die von mir untersuchten ^Xrten gehen
aher Schnitte auf den ersten Rlick das geschilderte Ver-
halten zu erkennen^).
Als Anhänge der Subcuticula des Halses sind die
Lenniisken zu betrachten, welche in Form ovaler, lehhaft
braungelb pigmentirter Läppchen in die l^eibeshJihle hinab-
hängen. Sie inseriren sich dem Hals an der Stelle, wo
die ringfijrmige Cuticularfalte gelegen ist und stehen mit
dem Gefässsystem des Vordcrleibes durch das an der Rasis
desselben befindliche Ringgefäss in innigstem Zusammen-
hang. Wie die Subcuticula bauen auch sie sich aus drei
Fasersystemen auf, die mit dem Fasergewebe des Halses
verbunden sind. Die Beziehungen desselben zu den Lem-
nisken geben am besten dünne Längsschnitte zu erkennen.
Das unter der Subcuticula des Vorder- wie auch Hinterleibes
gelegene Bindegewebe tritt auf die Lemniske über, sie als
ein dünnes Häutchen überziehend. Nie fand ich weder auf
1) a. a. 0. pag. 752.
2) Da die Echinorhynclien die Fähigkeit haben ausser dem
Rüssel auch den Hals einzuziehen, so werden die Ringmuskeln als
Zusammcnsclinürer, die Längsmuskeln in einer dem retractor proho-
scidis ähnlichen Weise zur Wirkung kommen und so die Leistung der
ret.ractores receptaculi unterstützen.
Zur Kenntniss der Echinorhynchen. 13
dem Längsschnitt, noch auf dem Querschnitt einen com-
pressor der Aussenseite auli^clagert, was mir um so merk-
würdiger scheint, als bei E. angustatus und (jigas sehr deut-
lich ein solcher erkannt wird. Rechts und links biegen
an der Ansatzstellc der Lenniisken die Längsmuskeln ab,
für diese eine Durchtrittstelle biossiegend.
Im Querschnitt (Fig. 19) erscheinen die genannten
Läppchen ungefähr halbmondförmig mit verdünntem Mittel-
und keulenartig angeschwollenen Seitenstücken. Die Dicke
beträgt durchschnittlich 0,13 mm. Auf der convexen Seite
zeigt die nicht vollkommen glatte Oberfläche im Mitteltheil
drei wulstenförmige Erhebungen, auf der gegenüberliegenden
concaven Seite eine ; es sind die nach Aussen vortretenden
Längsgefässstämme dieses Abschnittes (Fig. 19 g. h). Dem
dünnen, ungefähr 0,001 mm dicken Bindegewebe lagert sich
eine Schicht auf, welche, gegen 0,01 mm stark, von zahl-
reichen, parallelen, radiär verlaufenden Fasern gebildet wird.
Eine helle Membran, zu welcher die Fasern vordringen,
scheint diese äussere Lage von dem Innengewebe der Lem-
nisken zu scheiden. Eine scharfe Trennung ist aber, wie
sehr dünne Schnitte lehren, nicht vorhanden, denn die ver-
meintliche Membran löst sich auf diesen in eine Anzahl
cirkulärverlaufender Fasern auf. Zahlreiche diesen ange-
lagerte Körnchen deuten auf gleichfalls in den Zug einge-
schlossene Längsfasern hin, deren Existenz auch durch den
Längsschnitt bestätigt wird. Diesen höchstwahrscheinlich
selbständig verlaufenden circulären und longitudinalen Fa-
sern scheinen sich aber auch der äusseren Lage entstam-
mende beizumischen. Hierfür spricht wenigstens der Um-
stand, dass manche derselben sich nur bis zu ihnen, nicht
aber in das Innere der Lemnisken verfolgen lassen. Letz-
teres ist mit den schon erwähnten Radiär-, Längs- und
Circulärfasern erfüllt. An Zahl walten die Radiärfasern
entschieden vor, ihnen sind in der mittleren Zone die Cir-
culär-, an den beiden Aussenseiten die Längsfasern einge-
flochten. Die Radiärfibrillen geben sich als die in das
Innere vorgedrungenen Fasern der äusseren Lage zu er-
kennen ; doch mischen sich auch aus den die scheinbare Schei-
dewand bildenden eine Anzahl bei. Dieses Fasergewebe ist
14 Carl Baltzer:
nun nirgends so dicht verflocliten, dass nicht die in die
Lemnisken eintretenden Fliis8ii;keiten dasselbe nach allen
Richtungen durclitränken kinniten. Zur höheren Commu-
nication sind a])or ausserdem (iefässräunie vorhanden, wenn
auch in l)eschriinkterer Zahl als in der 8u})cuticula. Neben
einer Air/ahl kleinerer Räume sind besonders die beiden
grossen, am seitlichen Rande gelegenen, im directen Ver-
lauf von Unten nach Oben ziehenden Stännne zu nennen,
7U denen dann im mittleren Al)schnitt, sowohl aufdercon-
vexen wie der concaven »Seite, drei mehr oder weniger stark
nach Aussen vorspringende Kanäle kommen. Das ganze
Fleclitwerk der l^emnisken ist von einer körnigen Masse
erfüllt, welche in den Gefässräumen in grösserer Menge auf-
tritt. Eigene Wandungen besitzen diese Gelasse ebensowenig
wie die der Subcuticula, sie sind aber durch dicht ver-
flochtene Fasern von dem Fibrillensystem geschieden. Zellen
der schon meiirerwälinten Art liegen meist in grosser Zahl
den Gelassräumen eingestreut; besonders reichlich Hnden
sie sich in den beiden Seitenkanälen, wo selbst auf dünnen
Querschnitten oft bis 8 Stück dicht verpackt gefunden
werden. Auch sonst bemerkt man sie dem Gewebe einge-
bettet; aber stets beschränken sie sich hier auf die Rand-
zone. Von einem kapselälmlichen, um sie geflochtenen Faser-
werk getragen, ist ihre Anordnung dort so regelmässig,
dass man bisweilen auf Längsschnitten geradezu Reihen
solcher Zellen beobachten kann. In die äussere Parallel-
faserschicht treten die Gelasse nie ein, sondern sie bildet
nach Aussen sich vorwölbend einen Theil der Begrenzung
derselben, ebenso entbehrt sie der Zellen. Eine Mündung
der Lemnisken auf der Leibesoberfläche, wie solche P agen-
steeher beobachtet zu haben glaubt, konnte ich nie ent-
decken.
Neben der schon von Leuckart^) hervorgehobenen
Wirkung als Pumpwerk zur Füllung der Gefässräume des
Rüssels und des Halses, wird die hauptsächlichste Function
der Lemnisken darin bestehen, für den im subcuticularen
Fasersystem schwach ausgebildeten Hals und Rüssel und
1) a. a. 0. pag. 740.
Zur Kenntniss der Echinorliynchen. 15
die in denselben gelegenen Tlieile die nötbigen Nahrungs-
mengen aul'/Ainehnien und zu verarl)citen.
Der l^ulla des Halses scblicsst sich der walzenKJrmige
Rüssel an, dem schon Westrumb*) eine eingehende Be-
schreibung widmet. Er gibt ihm eine knorpelartfge Be-
schaftenheit und erkannte auch das in ihm befindliche Ge-
fässsystem. Die Ijänge des genannten Abschnittes beträgt
ungefähr 0,7 — 0,8mm und seine bis zur Spitze ziemlich
gleiche Dicke 0,3 mm. Nirgends findet sich in dem Haut-
gewebe eine Abgrenzung des Küsseis von dem Hals, sondern
Cuticula wie auch Subcuticula stellen geradezu nur eine
Verlängerung der entsprechenden Theile des letzteren dar.
Die Subcuticula, an Dicke ungefähr der des angeschwollenen
Halstheiles gleich, besitzt auch dieselben Faserelemente.
Die äussere Lage ist verhältnissmässig schwach entwickelt
(Fig. 6 b) und bildet die Begrenzung der Gefässräume
nach Aussen. Um die Haken placiren sich, meist dicht
gedrängt, die Radiärfibrillen und liefern eine vollkommene
Umhüllung derselben. Im Allgemeinen ist jedoch das sub-
cuticulare Fasersystem im Rüssel bei weitem nicht in der
Deutlichkeit ausgebildet, wie selbst noch im Halstheil, denn
von einer körnigen, an Alkoholexemplaren geronnenen
Masse verklebt, lassen sich bei oberflächlicher Betrachtung
die dünnen Fibrillen leicht übersehen.
Das Gefässsystem besitzt hier eine schon in der
kopfartigen Anschwellung des Halses vorbereitete Anordnung.
Da die so regelmässige Vertheilung seiner Stämme augen-
scheinlich durch das Auftreten der Haken bewirkt wird,
so dürfte es sich empfehlen, mit der genaueren Beschrei-
bung dieser zu beginnen. In 18 Längs- und 10 — 20 Quer-
reihen ordnen sie sich alternirend und stehen im unteren
Theil des Rüssels weiter entfernt, als in dem oberen, wo
der Wurzelfortsatz des einen meist dem Wurzelende des
anderen sehr genähert ist. Die ersten Haken sitzen an
der Basis des Rüssels gerade da, wo sich die Rüsselscheide
der Subcuticula anfügt. Diese, wie auch die nächstfolgenden,
sind noch verhältnissmässig klein, so dass sie sich nur
1) pag. 44 a. a. 0.
IG Carl Baltzer:
wenig über die Ciiticula erbeben, wilbrend die im oberen
Tbeil gelegenen weit über dieselben bervorrageu. Aucb ibre
Gestalt ist nicbt überall dieselbe, denn wäbrend die untersten
einen last geraden, die näebst folgenden einen nur wenig ge-
krüumiteu Stiicbel vorstellen, sind die weiter naeb Oben
gelegenen ausserordentlicb gebogen. Sie lassen sich einem
von zwei Seiten zusammengedrückten Halbkreise vergleichen,
dessen allmablicb verschmälertes Ende die Spitze und
dessen anderes angescb wollenes den Wurzeltheil bildet
(Fig. 3). Die directe Entfernung der so ziemlich (allerdings
ragt die Spitze meist etwas vor) auf gleicher Höhe gele-
genen Wurzel und Spitzenende beträgt 0,04 mm ; die Höhe
des Bogens 0,00 mm. Ebensolang ist der über die Cuticula
sich erhebende, nach abwärts gerichtete Tbeil, dessen
AuRsenseite der Oberlläche des Rüssels ziendich parallel
verläuft, und dessen innere mit ibr einen spitzen Winkel
bildet. Ein oberer Wurzelfortsatz, wie ihn die Haken
vieler Handwürmer besitzen, fehlt. Ihre Substanz ist eine
matt weisse, chitinartige Masse, welche am Wurzelstück
wie der Querschnitt deutlich zeigt, einen etwas dreieckigen,
im oberen Tbeil mehr rundlichen Kanal enthält. Schon
Zeder ^) will in den Haken einen Kanal gefunden haben,
den er mit der Nabrungsaufnabme in Beziehung brachte,
Westrum b-) stellt aber die Existenz eines solchen ent-
schieden in Abrede. Die Haken durchdringen die Sub-
cuticula in ihrer ganzen Dicke und pflanzen sich in dem
hier ungemein entwickelten, bis 0,006 mm dicken Binde-
gewebe mit dem verbreiterten, unten abgerundeten Ende
ein. Rings senkt sicli um sie die Cuticula hinab und steigt
an denselben bis in die Nähe des Bindegewebes nach Unten,
biegt dann in Schlingenform um und folgt ihnen bis zur
Spitze, sie wie eine Düte umkleidend. Der in das Binde-
gewebe eingesenkte Tbeil entbehrt natürlich des Ueber-
zuges.
Wie sich das Gefässsystem zu dem Hakenwerk ver-
hält, ergeben am besten die Querschnitte (Fig. 4). Sie
1) Erster Nachtrag zu Göze's Naturgesch. d. E.-W. pag. 120.
2) a. a. 0. pag. 44.
Zur Kenntniss der Echinorhynchen. 17
zeigen, wie auf dem sehr rcgelmiissig gebauten Rüssel nach
Aussen 18 ungeialir gleich grosse Wülste sich hervor-
wölben, deren 9 von Haken durchsetzt sind. Die übrigen,
je zwischen zwei der vorliergenannten gelagert, enthalten
einen halbkreisförmigen Hohlraum. Im oberen Theil des
Rüssels, wo die Haken dichter stehen^ ragt in jeden dieser
Hohlräume der dem Bindegewebe eingepflanzte Wurzel-
tortsatz des nächst höheren Hakens. Jedem unserer Wülste
entspricht somit eine Hakenreihe und ein durch die Haken
unterbrochener, von unten nach oben ziehender Gefässstamm.
Die seitliche Begrenzung des letzteren bilden die die Haken
umstellenden Radiärfibrillen, und sie sind es besonders,
welche auch den directen Verlauf des Gefässes nach Oben
fast ganz aufheben. Eine Communication des gesammten
Lückensystems wird indessen dadurch bewirkt, dass das
je zwei benachbarten, übereinander gelegenen Haken zweier
nebeneinander hinziehenden Züge angehörige Radiärfaser-
werk etwas auseinanderrückt, und der so entstehende
Raum eine Verbindung für je zwei benachbarte Gefässe
darstellt. Für EcJi. xmlymorphus verdanken wir Greeff ^)
eine Beschreibung und Abbildung der Rüsselgefässe, welche
mit den vorstehenden Angaben im Allgemeinen überein-
stimmen, nur sollen sich hier die schmalen längs verlaufenden,
durch seitliche Anastomosen verbundene Stämme direct nach
Oben begeben, was ich bei E. proteus indessen nicht beob-
achtete. Die in der Subcuticula des Hinterleibes und Hal-
ses gefundenen Zellen fehlen hier vollkommen. Wie die
Cuticula nach Aussen in 18 Wülsten sich erhebt, so das
innere, kräftige Bindegewebe in den Hohlraum des Rüssels,
so dass auch die Innenfläche eine regelmässige Wellen-
bildung besitzt. Ihm lagert sich nach Innen eine dünne
auf dem Querschnitt (Fig. 5) ringsverlaufende Schicht auf,
die an der Basis des Rüssels am stärksten entwickelt nach
Oben an Mächtigkeit abnimmt. Sie erinnert an die ent-
sprechende Lage in dem Hals und zeigt sich auch auf
dem Längsschnitt aus einzelnen durch Bindegewebe verbun-
denen Ringfasern bestehend. Ihrem Ansehen nach könnte
1) a. a. 0. pag. 101.
Archiv f. Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd.
18 Carl Baltzer:
man sie für eine schwach entwickelte Ringsmuskelschicht
deuten.
Auf der äusseren Gipfelfläche des Rüssels bemerkt
man bisweilen eine kleine, aber scharf umschriebene Pa-
pille; Westrumb^) beobachtete sie bei verschiedenen Arten
und hielt sie für ein Saugorgen 2), eine Ansicht, die jetzt
natürlich Niemand mehr vertheidigen wird. Leuckart ist
geneigt ihr die Bedeutung eines Tastorganes beizulegen
und dürfte wohl hierin Recht haben.
Legt man durch einen zum Thcil eingestülpten Rüssel
einen Querschnitt, so erhält man natürlich zwei Schnitte
zugleich, von welchen der innere, von dem äusseren rings
umschlossen, einer weiter nach Oben gelegenen Rüssclregion
angehiirt. Zwischen der Innenseite des äusseren und der
Aussenseite des inneren Schnittes erblickt man, der vor-
hin erwähnten Ringfaserschicht angelagert, durchschnittene
Längsmuskeln, die zu der Vcrmuthnng Veranhissung geben
kiumten, es besässe auch der Rüssel eine Läugsmuskulatur.
Indessen sind diese unten noch genauer zu beschreibenden
Muskelfasern, die an der Innenfläche des Rüssels herablau-
fenden Thcile des retractor proboscidis.
b. E. angustatus.
Im Bau des Halses unterscheidet sich E. angustakis
von proten>i vor Allem durch die viel geringere Grösse, er
misst ungefähr 0,7 mm, somit etwa V5 der bei profms ge-
fundenen Länge. Dieser so gering entwickelte Leibestheil
tritt noch mehr dadurch zurück, dass er stets mehr oder
weniger eingezogen, meist nur in einer Länge von 0,5 mm,
sichtbar wird. Von dem Hinterleib setzt er sich durch eine
ringlormige Cuticularfalte ab und unterscheidet sich in
seiner Gewebebildung, wenigstens imbasilaren Theil, in Nichts
von dem vorhergehenden Abschnitt. Erst weiter oben, wo
die Lemnisken abgehen, verliert der Hals in dem Bau des
1) a. a. 0. pag. 45.
2) Der von der Papille aufgenommene Nahrungssaft soll dann
durch einen im Rüssel vorhandenen Kanal (wahrscheinl. der retract.
prob.) in die Scheide befördert werden und von hier in die nach der
damaligen Ansicht mit ihr in Verbindung stehenden Lemnisken über-
treten, pag. 45 u. 62.
Zur Kenntniss der Echinorhynchen. 19
Faserwerkes die AehnlicLkeit mit dem Hinterleib. Die
Radiärfasern werden sparsamer, und die äussere Wellen-
lage, aus stark verklebten Fibrillen gebildet, reducirt sich
auf einen Brucbtbeil der früheren Stärcke. King und Längs-
muskeln erstrecken sich über den Cuticularriug hinaus,
erstere fehlen dem oberen Abschnitt.
Die Lemnisken erscheinen auch hier als Anhangs-
gebilde des Halses, dem sie aber nicht, wie bei E. proteus
an der Basis, sondern weiter oben eingefügt sind. Einen
weiteren Unterschied liefert der Compressor, der aus ab-
gelenkten Längsmuskeln bestehend die Lemnisken ganz um-
hüllt. Im Querschnitt erscheinen diese schwach halbmond-
förmig gebogen und entbehren hervortretender Längswulste.
Das Fasersystem ausser der Muskellage von einem dünnen,
mit dem der Subcuticula des Halses in Verbindung stehen-
den Bindegewebe bedeckt, zeigt diesem direct aufliegend
eine helle, vom Innengewebe verschiedene, dünne Zone, die
aber eine Bildung, wie sie oben für E. proteus beschrieben
wurde, nicht erkennen lässt. Aus ihr entspringen die hier
allein vorhandenen Radiärfasern und ziehen dicht gedrängt,
ziemlich parallel verlaufend zur gegenüberliegenden Wand.
Wie schon aus dem Fehlen nach Aussen vorspringender
Längswulste sich vermuthen lässt, sind die bei E. proteus
im mittleren Abschnitt stark entw^ickelten Gefässstämme
hier nicht vorhanden, und das ganze Gefässsystem beschränkt
sich auf die beiden, am Seitenrande gelegenen Hohlräume
(Fig. 17).
Auf dem ungefähr 0,7 mm langen Rüssel sind die
Haken in 10 Längsreihen gelagert. Eine dünne Cuticula
mit deutlich erkennbarer, nach Innen gelegener Schicht
deckt das subcuticulare Fasersystem, dessen äussere Zone
die Dicke der Cuticula nicht viel übersteigt. Die sehr
dünnen und sparsam vorhandenen Fasern lassen sich noch
schwieriger erkennen als im Rüssel des E. proteus. Den
10 Hakenreihen entsprechend, tritt das Hautgewebe etwas
hervor; doch sind diese Wulste bedeutend schwächer als bei
der ebengenannten Art. Die Haken, an Form denen des
E. proteus ungefähr gleich, sind etwas grösser als diese.
Ihre ganze Länge beträgt 0,14 mm, die des über die Cuti-
20 Carl IJaltzer:
cula hervorragenden Thciles 0,12 und die Grösse des Wur-
zelabschnittes 0,11 mm. Im Bau des Letzteren ergil)t sich
ein weiterer Unterschied von E. proteus, bei ihm fehlt der
obere Wurzelfortsatz, hier besitzen alle einen deutlich her-
vortretenden, zweischenkligen oliercn Wurzelabschnitt, wel-
cher indessen dem unteren einfachen an Läu^e bedeutend
nach steht. An den Haken senkt sich wie auch bei K Pro-
teus die Cuticula ein, der von ihr freigelassene Wurzeltheil
inscrirt sich dem hier schwächer entwickelten Bindej^ewebe.
Um so stärker ist die ihm innen anliegende Rini^muskel-
schicht entwickelt; sie erscheint auf der Flächenansicht des
gefärbten, eingestülpten Rüssels als eine, von Bindegewebe
durchsetzte, von Kingfasern gebildete Platte, deren innere
Oberfläche, besonders auf dem Längsschnitte, ])apill«*>se Er-
hebungen zeigt. Weiter nach innen folgen dann die an der
Rüsselwand herablaufenden Fasern des retractor proboscidis.
3. Bau der Rüsselscheide, des retractor proboscidis
und des Ganglion.
Neben den Lemnisken liegt in dem vorderen Theil der
Leibeshiihle die Riisselscheide, bestimmt den Rüssel bei der
Einstülpung aufzunehmen. Sie bietet aber nicht allein die-
sem Organ eine Hülle, sondern umschliesst auch dessen
Rückzieher und den Ccntraltheil des Nervensystems. Un-
gefähr cylinderf(»rmig, wird sie von zwei kräftigen Muskel-
blätteru gebildet, die im Allgemeinen ziemlich gleich gebaut,
doch einige Unterschiede bei E. proteus und angustatus
zeigen, so dass die gesonderte Beschreibung beider gerecht-
fertigt sein wird.
a. E. proteus.
Die Länge der Rüsselscheide beträgt ungefähr 2 mm,
der Durchmesser, je nach der Contraction bald grösser,
bald kleiner, im Mittel 0,4 mm. Wie schon erwähnt baut
sich dieselbe aus zwei cylinderfönnigen Muskelrollen auf,
einer inneren, der eigentlichen Scheide, und einer äusseren
diese umgebenden, welche vorn und hinten offen, während
die innere hinten geschlossen, nur den Fasern des Rück-
ziehers den Durchtritt gestattet. Man findet den unteren,
meist verschmälerten Theil der inneren Röhre bald durch
Zur Kenutuiss der Echinorhynchen. 21
die Oeffiiung der äusseren hervorgetreten, bald auch in
diese vollkommen zurückgezognen; dieses Verhalten spricht
für einen gewissen Grad von Verschiebbarkeit beider Schei-
dentheile. Ausgezeichnet ist sowohl die äussere, als auch
die innere Muskelplatte durch die kräftigen Einstrahlungen
des Bindegewebes, welche auf ersterer mehr oder weniger
horizontal, auf letzterer dagegen schief gestellte Spalten im
Muskel bilden. In Folge der Verschiedenheit dieser Lage-
rung erscheint auf dem Querschnitt die innere Schicht des
Receptaculum von Radiärfibrillen durchsetzt, welche der
äusseren fehlen; in beiden dagegen zeigt sie der Längs-
schnitt. Erhebliche Verschiedenheit in der Form geben die
beiden Lagen auf dem Querschnitt zu erkennen. Direct an
der Basis ist diese Differenz allerdings nur wenig oder
noch gar nicht entwickelt, findet sich aber schon in der
Gegend des Ganglion deutlich ausgeprägt. Der innere Cy-
lindermantel stellt hier einen mehr oder weniger kreisrunden
Ring dar, während der äussere sich gleichsam aus zwei
mit den spitzen Enden aneinandergelegten Halbmonden
zusammengesetzt erweist (Fig. 8 B). Die Muskelmasse,
welche an der breitesten Stelle derselben ungefähr doppelt
so stark ist wie die innere Scheidenlage, nimmt nach der
Spitze zu allmählich ab und verschwindet an der Bertih-
rungsstelle fast vollständig, so dass die beiden Hälften ge-
wissermassen nur durch das die Muskelsubstanz überzie-
hende Bindegewebe zusammengehalten werden. Weiter
nach Oben reducirt sich die Mächtigkeit dieser halbmond-
tV)rmigen Gebilde und ist in dem kopfförmig aufgetriebenen
Halstheil, also nicht weit von der Ansatzstelle der Scheide
nicht stärker als die innere Lage. Der Aussenfläche der
äusseren, wie der inneren Röhre liegt ein kräftiges Binde-
gewebe auf, dessen in die Muskelmasse einstrahlenden Aus-
läufer die schon genannten Spalten bilden. Der äussere
Theil zeigt auf dem Querschnitt auch eine feine circuläre
Faserung, welche dem inneren fehlt. Der Innenfläche bei-
der sitzen papillenartige Erhebungen in grosser Zahl auf;
die Flächenansicht ^} ergibt, dass sie eine etwas längliche
1) Wie man auf der umgestülpten Scheide findet.
22 Carl Baltzer:
Form besitzen und schief gestellt sind. Pag-enstecher hielt
sie für Zellen, sie sind indessen, was schon Leuckart*)
hervorhob, Hindegewebsgebilde und wirken wahrscheinlich
als elastische Polster. Papillen von hervorragender (rrössc
finden sich häufig da, wo die beiden Hälften der äusseren
Schicht zusammenstossen, hier sind dieselben bisweilen der-
art aneinander gefügt, dass an der Beriihrungsstelle ein
kanalartiger Kaum entsteht (Fig. 8 ß. h).
Wird ein Querschnitt durch das Peceptaculum unge-
fähr da gelegt, wo die beiden Ketinacula in dasselbe ein-
treten, so findet man, sowohl aut dem äusseren, als auch
inneren Theil an zwei Stellen, nicht weit von einander
entfernt, die Muskelmasse sich in Kreisform blasenartig er-
heben (Fig. 8 A. e. k). Auf dem Ijängsschnitt besitzen
diese Plasenräume eine mehr längliche Form (Fig. 7. h).
In jeder dersellicn liegt ein kräftiger Kern mit Kernkör-
perchen in ein kapselartiges Gehäuse eingeschlossen, zu
dem, wie die Schnitte ergeben, von der Muskelsubstanz
Fasern ziehen. Solcher in Papillen eingelagerter Kerne
besitzt der äussere und innere Scheidentheil mehrere, von
welchen besonders 4, nicht weit vom Grunde des inneren
Theiles gelegene, stark hervortreten. Auch Pagenstecher
und Gree ff beobachteten diese Kerne in der lUisselscheide,
aber während sie ersterer als Driisenzellen deuten zu müssen
glaubte, brachte sie Greeff mit dem Nervensystem in Be-
siehung 2). Uebrigens bemerkte schon Pagenstecher,
dass sie in den Scheidenraum vorspringenden Papillen ein-
gebettet seien, ein Umstand, der ihn zu dem Irrthum ver-
leitete, allen papillösen Erhebungen der inneren Scheiden-
oberfläche Kerne zuzuschreiben.
Im inneren Cyliuder des Receptaculum zieht sich, im
Grunde befestigt, der Retractor proboscidis nach Oben und
besteht im unteren Theil aus blattförmigen, eingerollten
Fasern, welche den sie bergenden Hohlraum fast ganz er-
1) a. a. 0. 759.
2) üeber die Natur der genannten Gebilde kann kaum ein
Zweifel bestehen, sie sind Muskelkerne wie auch die beiden auf der
Vorderseite der Uterusglocke gelegenen, in ganz ähnlichen Blasen be-
findlichen Kerne. Fig. 13 Bg.
Zur Kcnntniss der Echinorhynchcn. 23
füllen. Schon etwas iintcrhall) ihres Eintrittes in den Rllssel
ändert sich indessen ihre Form, indem sie hier entschie-
dener röhrenförmig werden und verlaufen in dieser Gestalt
bis zur Rüsselspitze. Die im unteren Theil noch geringe
Zahl der Fasern vermehrt sich nach Oben durch Spaltung.
Vier Kerne sind ihnen dort eingelagert und zwar befinden
sich dieselben- in dem Hohlraum der Muskclröhre, von
einer Hülle umgeben, zu welcher von der Wand Fibrillen
sich begeben. In der Nähe der Rüsselspitze strahlen die
Muskelfasern auseinander, so dass ein derselben zugerich-
teter trichterartiger Hohlraum entsteht, setzen sich an der
Peripherie der Spitze fest und verlaufen dann, an Zahl un-
gefähr 22, längs der Innenwand herab bis zur Ansatzstelle
der Scheide und endigen hier (Fig. 3p.). Durch Bindege-
webe an der Ringfaserschicht des Rüssels befestigt, zeich-
nen sich alle durch ihre regelmässige Anordnung und
gleichmässige, aber eigenthümliche Form aus. Sie stellen
nämlich Längsmuskelplatten vor, welche die Innenfläche
des Rüssels vollkommen auskleiden. Je zwei benachbarte
Ränder treten, sich nach Innen einschlagend, in Verbindung,
lieber den eingerollten Rand setzt sich aber das die Mus-
kelmasse überziehende Bindegewebe fort und bildet eine in
den Hohlraum des Rüssels einspringende Papille. Man kann
diese so ausgebildeten Längsmuskeln einer gewöhnlichen
Faser vergleichen, welcher auf der einen Seite die Muskel-
substanz geschwunden, so dass nur das Bindegewebe übrig
geblieben. Die Hohlräume dieser Papillen sind häufig mit
einer körnigen Masse erfüllt (Fig. 4 i).
Auf der Innenfläche der Rüsselspitze liegen zwei birn-
förmige Zellen, welche in den trichterförmigen, von den
Muskelfasern gebildeten Hohlraum hineinragen (Fig. 3 1.
Fig. 6 f).
An der Basis der Scheide treten einzelne Fasern des
Rückziehers in die beiden Retractoren derselben ein, welche
sich an der Leibeswand befestigen und so die Veranlassung
sind, dass bei eingezogenem Rüssel und Hals die Scheide
in Schlingenform gelegt ist und auf Querschnitten z. B. der
tönnchenförmigen aus Gammariden genommenen Larven
sich zweimal durchschnitten findet.
24 Carl Balizer:
Nicht weit vom unteren Knde des Rcceptaciiluni liegt
im inneren Sclieiilentlieil, von Muskeln rini;s umgeben, das
von Siebold entdeckte Ganglion. Es stellt einen ovalen ^)
ungefähr 0,4 mm langen und 0,2 mm breiten Zellhaufeu vor,
dessen Querschnitt elliptisch ist und eine mittlere Breite
von 0,1mm besitzt. SieboUrs Deutung haben sich die
meisten der si)äteren Untersucher angeschlossen, nur Ley-
dig2) erblickt in ihm eher eine Drüse, auch Carus^) ist
im Zweifel, und Lindemann ^) stellt Uberhaui)t die Exi-
stenz eines solchen Gebildes in Abrede. Die genauere Be-
schreibung des (Jaugliou und der von ihm austretenden
Nerven folgt weiter unten bei Fxh. amjustatus.
b. Eck. angustatus.
Da Ech. (üujHstcdus im Bau des Receptaculura mit
E. protcus in vielen Punkten übereinstimmt, so will ich
nnch hier auf die Anführun;:: der wichtigsten DüTerenzen
beschränken. Der hauptsäcli liebste Unterschied beruht in
der bei angustatus vollkonunen gleichen Bildung des aus-*
seren und inneren Scheidentheiles, welche auf dem Quer-
schnitt als zwei concentrische Kreise erscheinen. Auch der
äussere ist unten geschlossen und wie die innere K(>hre
von schräg verlaufenden Bindcgewebsstrahlen durchsetzt.
Papillen sitzen der Inneniläche beider auf und sind auf
dem inneren Theil stärker entwickelt als auf dem äusseren,
während bei Ech. 2^>'oteus das umgekehrte Verhalten sich
findet. Kerne liegen auch hier an der Basis der Scheide
in Blasenräume eingebettet. Der Rik'kzieher des Rüssels
zeigt sich auch schon im unteren Theil aus weiteren R(»hren
gebildet. Sie vermehren sich nach Oben ebenfalls durch
Spaltung, setzen sich im Umkreis der Rüsselspitze fest und
verlaufen an der Innenfläche bis zur Ansatzstelle der Scheide
nach Abwärts.
Das von Muskelfaseni vollkommen umgebene Ganglion
1) Pagenstecher gibt ihm eine dreieckige Gestalt, eine Form
durch den Druck veranlasst, den er nach eigener Angabe anwandte,
um das Object durchsichtiger zu machen.
2) Vgl. Anatomie d. wirbellosen Thiere 1845. pag. 128.
3) Handbuch d. Zoologie von Carus und Gerstäcker II. Bd. pag. 457 .
4) Bull. Soc. imper. Moscou 1865 pag. 490.
Zur Konntniss der Echinorhynchen. 25
besitzt ung'cfähr die Grösse desjenigen von E. proteus und
hat ebenfalls eine ovale Form. Nach der Angabe Leiic-
kart's *) gruppiren sich die Fasern des retractor derart nm
dasselbe, dass auf der einen Seite fast alle, auf der gegen-
überliegenden nur einige wenige verlaufen, meine Schnitte
Hessen indessen eine solche Anordnung nicht erkennen,
mochten auch an einer Stelle eine oder zwei Fasern mehr
gelegen sein als an der gegenüberliegenden, so war doch
im Uebrigen die Vertheilung eine ganz gleichmässige. Da
die Beobachtung des Ganglion, besonders aber der von ihm
abtretenden Nerven durch die Fasern des Rückziehers un-
gemein erschwert wird, so habe ich dasselbe isolirt und
der genaueren Untersuchung hierdurch besser als selbst
durch Längsschnitte zugänglich gemacht.
Zum Bau desselben treten länglich runde, ungefähr
0,03 mm grosse Zellen zusammen und ordnen sich derart,
dass eine Aussenlage und eine von dieser umschlossene
Innenschicht zur Bildung kommt. Durch den gegenseitigen
Druck platten sich die Zellen an den Bertihrungsstellen
etwas ab und besitzen aut Schnitten die Form eines Fünf-
oder Sechseckes. In der peripherischen Lage sind sie so
gruppirt, dass meist der verschmälerte untere Theil einer
oberen Zelle von dem verbreiterten der nächst nach Unten
folgenden bedeckt wird, oder sich zwischen zwei untere
Zellen einschiebt. Hierdurch erscheint auf Querschnitten
zwischen zwei grosse Zellen häufig ein kleines Zellen-
stückehen eingefügt. Dass eine Umhüllung dem Ganglion
nicht zukommt, ergibt ebenfalls der Querschnitt und weiter
zeigt er, dass die innere Schicht im Verhältniss zur äus-
seren wenig Zellen enthält. Durch Auslaufen in Nerven-
fäden geben sich unsere Zellen als echte Ganglienzellen zu
erkennen '^). Solcher Fäden vereinigen ^ch stets mehrere
zur Bildung eines Nerven, deren 6 kräftige stets leicht ge-
1) a. a. 0. pag. 765.
2) Eine Verschiedenheit der Ganglienzellen von E. proteus und
E. angustatus in Beziehung der Kerne, wie sie v. Liustow aus der
Abbildung des Gehirns von E. proteus bei Pagenstecher vermuthet,
ist nicht vorhanden.
26 Carl Baltzor:
l'unden werden '). Es sind dies: Ein vorderer und hinterer
Mediaiinerv und zwei vordere und liintcre Seitcnnerven.
Der vordere ]\redijinnerv setzt sich aus 4 Fasern zusammen,
deren zwei aus zwei ziendich weit nach Unten gelegenen
Zellen stammen (Fig. 0 h.) Fünf bilden die benachbarten
Seitenncrvcn, sind an der l^asis derselben in zwei Portionen
gesondert und vereinigen sich erst über dem Ganglion.
Gelingt es durch Zerzupfen die Fasern dieses Nerven zu
isoliren, wie dieses Fig. 6 c zeigt; so erkennt man, dass
alle aus Zellen des nächsten Bezirkes entspringen. Be-
sonders deutlich sind die beiden Zellen Fig. (> f. Sie liegen
einander genähert und sind bipolar. Der eine Fortsatz läuft
aufwärts, der andere, mit dem gegenüberliegenden conver-
girend, nach Unten. Eine ähnliche bij)olarc Zelle findet
sich weiter unten ; sie ist (luergelagert und gibt rechts und
links eine Faser ab. Die hinteren Seitennerven sind, wie
Querschnitte durch das Ketinaculum leicht zu erkennen
geben, aus (>— 7 Fasern gebildet. Sie treten in den ge-
nannten Muskel ein, der eine eingerollte Platte darstellt,
deren Kändcr durch das die Berührungsstelle ü))erbrückende
Bindegewebe in ihrer I^age fixirt werden. Der vordere
Mediannerv durchzieht den Rüssel bis zur Spitze, wo bei
E. Proteus die beiden der Innenseite aufgesetzten Zellen
sich befinden. Sie haben die GriJsse der Ganglienzellen
und treten sowohl auf dem Längsschnitt (Fig. 3 1), als
auch auf dem Querschnitt (Fig. 0 f) deutlich hervor. Leicht
lassen sie sich sichtbar machen, indem man einen einge-
stülpten Rüssel aus der Scheide präparirt. Hier sind sie
natürlich der Aussenfläche der Spitze angefügt. Wahr-
scheinlich stehen diese Zelleu mit einem hier vorhandenen
Tastvermögen in Beziehung.
4. Bau der weiblichen Geschlechtswege.
Wie schon in der Einleitung erwähnt, war es C. H. A.
Burow, welcher die ältere Ansicht, es würden die Eier der
1) Leider kann ich nicht mit ßestimratheit sagen, oh neben
den genannten stärkeren auch feinere Ncrvenstämmchen das Ganglion
verlassen, da bei der Isolation diese abreissen und übersehen werden,
Zur Kcniituiss der Ecbinorhyncheu. 27
Echinorliy lieben am Vorderlcibc nach Aussen bcfcirdert, end-
gültig beseitigte und zuerst darauf aufmerksam machte,
dass dieselben durch eine in die Leibeshöhlc sich (iffnende
Gh^ckc in den Eileiter aufgenommen, am ITinterleibsende
geboren würden. Indessen erkannte er, durch die Leibes-
decke beobachtend, nur ihren äusseren Umriss, der feinere
Bau hingegen blieb ihm verschlossen. Später gab v, Sie-
bold eine genauere Beschreibung dieses Organes und schil-
derte auch auf eine treffliche Weise den höchst eigenthüm-
lichen Mechanismus desselben, durch welchen die reifen
Eier in den Uterus gelangten, die unreifen dagegen durch
eine an der Basis der Glocke gelegene Oeflfuung der Leibes-
höhle zurückgegeben würden. Zugleich bemerkte derselbe,
dass der Ursprung der Eier in dem Ligament zu suchen
sei, dessen Innenfläche' er die Fähigkeit der Eibildung zu-
schrieb. Die folgenden Arbeiten über die Uterusglocke von
DujardinO^ Die sing 2) und Wagener^) schlössen sich
ganz der Darstellung v. Siebold's an, nur ist zu bemerken,
dass Du j ardin das Ligament nicht als Ort der Eibildung
annahm, sondern diese Fähigkeit der ganzen inneren Leibes-
wand zuerkannte. Wahrscheinlich wurde diese Ansicht,
neben dem vermeintlichen Finden einer Art (Ecli. agilis),
der das Ligament fehle, besonders dadurch hervorgerufen,
dass fast immer der zwischen Quer- und Längsmuskeln
bleibende Raum bei weiblichen Kratzern von Eiern erfüllt
ist, wie dies auch schon Westrumb^) mit Verwunderung
beobachtete. Wag euer und Pagenstecher schlössen sich
der Siebold'schen Ansicht an. Eine Entscheidung dieser
Frage gab dann da^ Auffinden der wirklichen Ovarien durch
Greeff^). Widerspruch fanden die v. Siebold in Bezug
auf die Uterusglocke gemachten Angaben in der 1863 er-
ganz jange Exemplare, bei welchen die Scheide noch durchsichtig
ist, aber von E. angustatus mir nicht zu Gebote standen.
1) Hist. nat. d. Ilelrainth. 1845 pag. 494.
2) Zwölf Arten von Acanthoc. XL Bd. d. Denkschr. d. math.-
nat. Classe d. kais. Ak. d. Wissensch.
3) a. a. 0.
4) a. a. 0. pag. 57.
5) Ueber d. Uterasglocke u. d. Ovarium d. Ech. Archiv für
Naturgesch. XXX. Bd. 1864 pag. 369.
28 Carl IJaltzcr:
schicnciicn Abhandlung Pagenstecher's über den Ech.
protens. Er stellte die Existenz einer besonderen Glocke
in Abrede und erblickte in diesem Ap])arate nichts, als eine
stärker niuskuliJse Entwicklung des Ligamentralstranges,
der als Eileiter fungire. Diese Ansicht wurde durch die
im t'olgeuden Jahr erschienene eben genannte Arbeit Greei'f's
widerlegt. 1872 neigt jedoch v. Linstow der Pagen-
stecher'sehen Meinung zu, indem er das Ligament (in
seiner mir nicht verständlichen Ab])ildung der Uterusglockc
des Ech. angustatus) bis tief in den Uterus sich fortsetzen
lässt und auch einer unteren Glockenr>lTnung niclit Erwäh-
nung thut. Eine genauere Besclireibung der Glocke dieser
Art gibt Leuckart^), mit welcher aber, was besonders
für den unteren Theil des A])parates gilt, meine l^eobach-
tungen iiiclit übereinstimmen. Ganz neuen Datums ist eine
eingehende Schilderung der Uterusglocke des E. gi(jas von
A. Andres ^).
An das untere Ende der Kiisselscheide befestigt sich
das Ligament, ein von zaliireiclien Fasern gebildetes Muskel-
nctz, dem im oberen und unteren Abschnitt einige Kerne
eingelagert sind. Es zieht sich in zwei diiime Stränge aus,
deren einer in die Glocke tritt, während der andere sich
an zwei hinter derselben gelegenen Zellen befestigt. So
bei Ech. protcuSj dagegen verlängert sich bei E. angustatus
das Ligament nur in einen, dafür aber auch sehr langen
Strang, welcher in die Uterusglocke aufgenommen wird.
Zeigen auch E. proteus und angustat^is in der Bildung
der einzelnen den Ausführungsapparat aufbauenden Elemente
mancherlei Verschiedenheiten, so lässt sich doch in der An-
ordnung derselben in allen Theilen ein, den nämlichen
Mechanismus bedingendes Princip erkennen. Hier wie dort
zerfällt der Leitungsapparat in drei Abschnitte, einen oberen
zum Ergreifen der in der Leibeshöhle flottirenden Eior be-
stimmten, die Glocke, einen mittleren, den Uterus, und
einen unteren, den Auswurf besorgenden, die Vagina.
1) a. a. 0. pag. 791 ff.
2) Ueber d. weibl. Geschlechtsapparrat d. Ech. gigas. Mor-
phol. Jahrb. 4. Bd. 4. Heft. pag. 584.
Zur Kenntniss der Echinorhynchen. 29
Beginnen wir mit der I^eschreibung der Uterusglocke
von F. protctis. Sie stellt eine beclierf()rmige ungefähr
0,29 mm lange und je nach der Contraction 0,14 — 0,18 mm
breite, muskulöse Röhre vor. Mit dem ol)eren etwas erwei-
terten p]ndc ött'uet sie sich in die Leibeshöhle, die untere
Oeffnung schaut in den complicirten von Leuckart „Glo-
ckenmund" bezeichneten Theil, welcher dem Uterus direct
aulsitzt. Jenem fügt sich auch vorn und seitlich das untere
Ende ihrer Wandung an, während an der Basis der Hinter-
seite durch einen Ausschnitt eine ebenfalls in die Leibes-
höhle blickende Oeffnung entsteht (Fig. 10 u. 12 n). Die
Substanz der Glocke bildet eine circa 0,01 mm dicke Muskel-
schicht, welche auf der Flächenansicht durch die Einstrah-
lungen der starken sie umhüllenden Bindegewebslage eine
verworren faserige, bei oberflächlicher Einstellung auch
eine parallel ringsverlaufende Zeichnung erhält. Eine von
Leydig^) der Glocke zugeschriebene quergestreifte Musku-
latur wird mit Recht von Leuckart 2) in Abrede gestellt,
und wie ich schon hier bemerken will, ist auch die von
Greeff^) an dem Uterus beobachete Querstreifung durch
Bindegewebseinstrahlung hervorgerufen. In das Innere der
Glocke springen, wie Quer- und Längsschnitte deutlich zeigen,
zahlreiche Papillen der Muskellage vor, die an Grösse im
Allgemeinen sehr wechselnd, besonders an der oberen Oeff-
nung, wo auch die Muskelsubstanz etwas mächtiger ist,
stärker hervortreten. Hierdurch kommt an der genannten
Stelle eine Art Lippe zu Stande, die sich schon äusserlich
als ein wulstiger Ring absetzt (Fig. 9. s). Vor Allen aber
zeichnen sich zwei Papillen, an der Basis der Vorderfläche
gelegen, durch ihre Grösse aus. Sie stossen aneinander
und ragen so sehr in den Hohlraum der Glocke, dass die-
ser hier stark verengt erscheint. Auf dem Längsschnit
besitzen sie eine länglich ovale Form, von der Fläche ge
sehen gleichen sie dagegen zwei, mit den ebenen Seiten
aneinander gelegten Halbkugeln. Im Innern jeder dieser
1) Lehrbuch d. Histiologie 1857. pag. 135.
2) a. a. 0. pag. 791.
3) a. a. 0. pag. 373.
30 Carl Ilaltzer:
Blasen befindet sicli ein Kern iukI zwar ganz auf dieselbe
Weise mit deren Wandung verbunden, wie wir es oben bei
den im unteren Tlieil der Iiüsselscbeide gelegenen Kernen
gefunden haben. Durch die nach der Wand verlaufenden
Fasern hat es oft den Anschein, als wenn der Kern selbst
sternf()rniig ausstrahlte (Fig. 13 B. g.).
Oben wurde bemerkt, dasR das vordere und seitliche
Knde der Glocke sieh an dem unter ihr gelegenen Glocken-
mund festsetze. So scheint dies beim ersten Anblick aller-
dings sich zu verhalten, genauere Untersuchung der Seiten-
ansicht, besonders aber Querschnitte ergeben, dass die Ver-
bindung keine directe, sondern durch einen zwischenge-
Hcli()l)enen Muskelring vermittelt wird (Fig. 130. D.E.i ). Legt
man einen Schnitt durch die («locke unterhalb der genannten
Kerne (Fig. 13 C), so erscheint dieselbe an Stärke der
Wandung bedeutend reducirt und von einem kräftigen
Muskel umschlossen (i). Vorn erblickt man die unteren
Theile der genannten lUasenräume, welche hier, wie auch
S(nist, von Fasern dureiizogen sind (c). Etwas abwärts fällt
durch den an der Basis der Glocke befindlichen Ausschnitt
der hintere Thcil der Wand weg, und es bleibt nur noch
der vordere übrig (Fig. 13 D. c). Noch weiter unten fehlt
auch dieser (Fig. 13 E.).
Hinter der Glocke finden sich, wie die Ansicht von
der Seite (Fig. 9 I), besser die von hinten (Fig. 12 1)
erkennen lässt, zwei längliche, ungefähr 0,4 mm lange Zellen,
welche mit ihrem unteren P^nde einer nach oben gerichteten
Verlängerung des Eileiters aufsitzen und oben mit dem
zweiten Strang des Ligamentes in Verbindung treten. Der
Querschnitt zeigt sie von Bindegewebe überzogen und einer
Muskelröhre nicht unähnlich, ihren Hohlraum durchsetzen
Fibrillen (Fig. 13 B. h, r, s). Am oberen Ende besitzt
jede einen grossen einem blasenartigen, kreisrunden Raum
eingebetteten Kern, der wie alle noch zu erwähnenden,
gleich denen der Glocke an der Wand befestigt ist.
Leuckart's ^) Beschreibung des weiter abwärts fol-
genden Glockenmundes stimmt, wie schon oben erwähnt,
i. a. a. 0. pag. 793.
Zur Kenntniss der Echiuorhyncheri. 31
mit meinen Beobachtungen nicht übercin. Nach seiner An-
gabe gehen in die Biklung dieses Abschnittes 10 Zellen
ein, G äussere und 4 innere, von welchen letztere, von den
ersteren ganz umschlossen, das Lumen des Eikanales ver-
engen sollen. Mehr als 7 Zellen konnte ich jedoch nie
hier entdecken, deren Anordnung auch nicht derart war,
dass ein Theil nach Innen gedrängt, von den übrigen gänz-
lich umschlossen wurde. Was ich sah, lässt sich in Folgen-
des kurz zusammenfassen.
Den beiden hinter der Glocke sich findenden Zellen
(Fig. 13 B h, Fig. 12 1) legen sich auf der unteren Innen-
seite, gerade der hinteren Oeffnung der Glocke gegenüber,
zwei 0,2 mm lange und 0,1 mm breite, auf der Seitenansicht
stark gewölbte Zellen an Fig. 9, 10 m. Sie erscheinen vom
Rücken betrachtet an der Basis verjüngt und treten zu einer
herzförmigen Figur zusammen (Fig. 12 m.). Ihrer meist dicht
körnigfaserigen Substanz ist in ähnlicher Wei«e wie bei
den vorhergenannten Zellen je ein Kern eingelagert (Fig.
13 C. g. k). Der oben beschriebene Muskelring verbindet
sich ihnen derart, dass eine, allerdings sehr kurze Längs-
röhre gebildet wird, deren hintere Wand diese beiden Zellen,
und deren seitlichen die Seitentheile des Muskelringes vor-
stellen. In die so beschaffene, oben offene Röhre führt die
hintere, querverlaufende Oeffnung der Glocke ein. Nach-
dem der Ringmuskel letztere umgürtet, verläuft er, sich
verbreiternd, nach Vorn und Unten und bildet die äussere
Begrenzung der Vorderseite bis in die Nähe der sich erhe-
benden Uterus wand (Fig. 9. 10. 11 f). Etwas unterhalb
der beiden grossen Papillen der Glocke besitzt er rechts
und links einen kräftigen Kern (Fig. 9 fj.
Den beiden hinter der Glockenöffnung gelegenen Zellen
(Fig. 9. 10. 11. 12 m) verbindet sich auf jeder Seite eine
grosse, im oberen Theil nach Aussen stark vorgewölbte,
im unteren verschmälerte und lang ausgezogene Muskelzelle
(Fig. 9. 10. 12 q), welche ich in Zukunft „Seitenzellen"
nennen werde. Sie besitzen in der Nähe der Ansatzstelle
einen deutlichen Kern und fügen sich vorn einem maschen-
reichen, von Muskelfibrillen gebildeten Gewebe an, dem,
ungefähr in gleicher Höhe mit dejn ebengenannten, zwei
32 Carl Baltzer:
Kerne eingebettet sind (Fig. 10). Auf der Vorderseite scbliesst
dieses Masebenwerk eine langgestreckte mit den Rändern ein-
gescblagene Zelle ab, welcbe oben von dem Kingmuskel und
den beiden blasentormigen llervorragungen der Glocken-
wand auf der äusseren Fläcbe, auf der inneren von den
beiden im Ligamentalstrang gelegenen keulenförmigen Zellen
bedeckt wird (Fig. 10 q). Letztere sind nicbt viel kürzer als
die Glocke selbst, entbebren im unteren Tbeil des Muskel-
überzuges und befestigen sieb ausser an genannter lang-
gestreckter Zelle aucb an dem Maseben werk Fig. 10. Die
im oberen Abscbnitt uacb Aussen wulstig bervortretenden
beiden Seiten/eUen (Fig. 9. 10 (j) scbeinen auf der Fläcben-
ansicbt zur Bildung eines Tricbters sieb mit ibreu einge-
rollten Rändern zu vereinigen, wie dies aucb Greeff ab-
bildete. Der Quersclinitt (Fig. 1:» E) beleb rt uns aber,
dass ein Tricbter bier in Wirklicbkeit nicbt vorbanden ist.
Die beiden Zellen sind zwar nierenfi'>rmig eingekrümmt,
die Ränder stosscn aber nicbt zusammen. Sie bieten dem
Ringmuskel i eine weitere Ansatzstelle, dessen Kern bier
jederseits getroffen ist. Den Innenraum füllt das scbon
mebrerwäbnte Masebenwerk o, dessen vordere Begrenzung
die Zelle m bildet (Fig. 9 g).
Fig. 13 F zeigt diesel])en Tlieile etwas weiter unten
durcbscbnitten. Der Ringmuskel ist aber bereits ge-
scbwundcn, und die bedeutend verbreiterte Zelle m berübrt
den Vorderrand des Wulstes p. Dem Masebenwerk geboren
die beiden Kerne r an. Vorn und binten liegen die durcb-
sebuittenen oberen Enden des Uterus (t). Geben wir noch
weiter abwärts, bis dabin, wo die beiden kuglig nacb
Aussen vorspringenden Seitenzellen in die langen Säulen
(Fig. 9 r) plötzlich sich verjüngen, so zeigt uns hier der
Querschnitt gänzlich umgestaltete Verhältnisse. Alle Tbeile
sind von dem oberen Ende des Uterus umschlossen, das
Maschenwerk umfliesst die Säulen x, die, in das Innere
gedrängt, als zwei mit den Oeifnungen gegeneinander ge-
richtete Halbmonde erscheinen. Nicht selten sind sie auf
dem Querschnitt geradezu als Röhren zu erblicken; doch
stellt diese Form nur einen besonderen Contractionszustand
vor. Die vordere Begrenzung bildet die Zelle m, welcbe
Zur Kenntniss der Echinorhynchen. 33
meist von einer körnigen Masse umgeben ist. Sie scheint
aus der Zelle selbst zu kommen, deren Innenraum, besonders
am Rande, eine ebenso beschaffene Masse enthält.
Neben den Querschnitten ist besonders die Ansicht
von hinten für die Untersuchung geeignet. Unterhalb des
sich scharf absetzenden Muskelringes (Fig. 12 w) liegen,
sich an das herzförmige Zellenpaar (m) ansetzend, die
Seitenzellen q. Ihre Form prägt sich hier viel deutlicher
aus als auf der Seitenansicht. Man kann sie einem im
Obertheil stark verdickten eingerollten Blatte vergleichen.
Während der obere Theil nach Aussen frei hervorragt, ist
der verschmälerte untere von dem Maschenwerk umschlossen,
(r, k), welches auch auf der Rückenseite nach Oben ver-
jüngend sich emporhebt und von dem gleichfalls zungen-
artig emporsteigenden oberen Uterusende (v) bedeckt wird.
In die Bildung des gesammten dem Uterus aufsitzenden
Apparates gehen, um noch einmal einen kurzen Ueberblick
zu geben, 15 Zellen ein, die sich folgendermassen vertheilen:
Aus zwei entsteht die Glocke, zwei bilden den Muskelring,
hinter der Glocke liegen zwei lange Zellen, an deren Basis
sich die beiden der hinteren Glockenöffnung gegenüberge-
stellten anschliessen, sie stützen die beiden Seitenzellen,
aus zwei Zellen geht das Maschenwerk hervor, zwei birgt
der Ligamentalstrang und eine unpaare Zelle ist auf der
Vorderseite dem Mas eben werk angefügt. Die drei letzten
scheinen drüsiger Natur zu sein.
In den Uterus gelangen die Eier auf folgende Weise.
Zuerst öffnet die Glocke, sich nach Oben vorreckend, ihren
Mund, fasst die ihm zunächst liegenden Eier und drängt
dieselben durch Zusammenschnüren der Lippen in den bei
diesem Akte sich erweiternden unteren Hohlraum, aus
welchem sie durch den alsdann in Wirkung tretenden Ring-
muskel entfernt werden. Ein Theil tritt sofort durch die
hintere Oeffnung der Glocke nach der Leibeshöhle zurück,
ein anderer wird gegen das zwischen den beiden Seiten-
zellen gelegene Maschenwerk gepresst. Die verhältniss-
mässig engen Lückenräume desselben vermögen aber nur
die langen, spindelförmigen, d. h. die reifen Eier zu pas-
siren, die übrigen werden bei der dann erfolgenden Con-
Archiv für Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. 3
34 Carl Baltzer:
traction der Seitenzellcn und des Masehenwerkes wieder
nach oben gedrückt, während die ersteren, abwärts fort-
rückend durch die, in ihrer Wirkung von der unischlies-
senden Uterusmuskuhitur unterstützten, unteren Enden der
genannten Zellen in den Uterus befördert werden.
Dieser ist eine ungefähr 2 mm lange ausserordentlich
erweiterungsfähige Rühre, deren Innenlläehe längsverlau-
fende Papillen aufsitzen, zu welchen von dem äusseren
Bindegewebe, wie der Querschnitt deutlich zeigt, Kadiär-
fasern durchdringen. Auf der Ilinterseite sind ihm im
oberen Abschnitt zwei grosse Kerne eingefügt (Fig. 12 p).
Einen complicirteren Bau besitzt wieder der Aus-
führungkanal des Uterus, die Scheide. Leu cka rt ^) ver-
danken wir eine voi*trcfliiche Beschreibung dieses Organes
für Ech. anf/usfafus, von dem sich Jedoch auch in dieser
Beziehung Txh. jrrotens etwas unterscheidet. Gegen 0,2 mm
lang, setzt sich die Vagina aus einem äusseren und inneren
Muskelring und einer dunkel|)igmentirten, das Lumen der
Ausmündungsridire begrenzenden Masse zusammen (Fig. 20
A. b. d. g). Der äussere einem Kegelstumpf im Umriss
ähnliche Compressor umgreilt das untere Ende des Uterus
und befestigt sich auf der entgegengesetzten Seite mit kräf-
tigen I^indegewc))sbändern an der Haut. Seine Oberfläche
wön)t sich in zahlreichen Längsfalten vor, denen unten die
genannten l^änder ansitzen. Wie der Längsschnitt (Fig.
20 B) ergibt, besitzt er unter dem Bindegewebe eine dünne
Lage Muskelsubstanz, von welcher nach der gegenüberlie-
genden Wand zahlreiche Fibrillen ausstrahlen (r). Oben
und unten sind ihm je 2 Kerne eingebettet. Von dem äus-
seren Constrictor wird der innere umschlossen, der aus drei
T heilen, einem oberen grösseren und zwei unteren kleineren
Ringen besteht. Im oberen strahlen ebenfalls von einer
dichteren nach Innen zackig vorspringenden Randzone (Fig.
20 B. h) zahlreiche Fasern aus, die von oben rechts schräg
nach unten links und in umgekehrter Richtung verlaufen.
Hierdurch lässt auch die Flächenansicht eine sich kreuzende
Streifung erblicken. Der mittlere Abschnitt enthält zwei
1) a. a. 0. pag. 799.
Zur Kenntniss dor Echinorhynchen. 35
Kerne und ist wie auch der unterste, fast ganz freilie-
gende, dem obersten ähnlich gebildet.
Der innere Constrictor umgürtet den mittleren cylin-
derformigen Abschnitt eines dunkelpigmentirten Körpers,
dessen oberer und unterer Theil mehr kugelartig hervor-
ragend je 4 Kerne enthält (Fig. 20 A. g). Ersterer be-
grenzt einen trichtertormigen Raum, welcher in die Uterus-
röhre hinaufschaut; der untere umschliesst, wie auch der
mittlere Theil, eine kreisrunde Röhre. Des dunklen In-
haltes wegen hat man diesen Körper meist für eine Drüse
gehalten, da er aber, wie der Längsschnitt lehrt (Fig. 20
B. 1), von langen direct von Oben nach Unten durchstrah-
lenden Fibrillen durchsetzt wird, io möchte ich ihm lieber
einen muskulösen Charakter zuschreiben. Contrahiren sich
die Fasern, so wird die ganze Masse verkürzt, den Con-
strictoren entgegenwirkend erweitert sich der Eikanal, in
ihn treten, durch die Contraction des Uterus vorgeschnellt,
die Eier und werden von hier in Folge der Zusammen-
schnürung der Constrictoren nach Aussen befördert.
b. E. anyustatus. Wie schon oben erwähnt zeigt sich
Ech. angiistatus im Bau der weiblichen Geschlechtswege
von Ech. Proteus nicht sehr verschieden. Alle zur Bildung
der Uterusglocke des letzteren zusammentretenden Zellen
finden wir hier wieder, nur die beiden langen, hinter der
Glocke gelegenen fehlen, wie ja auch das Ligament bei
angustatus sich nicht in zwei, sondern einen langen Strang
auszieht, das Bedürfniss einer zweiten Ansatzstelle somit
wegfällt. Die Form der Glocke differirt, sie stellt ein
mehr längliches, unten verbreitertes, krugförmiges Gebilde
vor. Im Allgemeinen ist der ganze Apparat weniger als
bei E. Proteus in die Breite ^), dagegen mehr in der Längs-
richtung entwickelt. Der Glocke sitzen über der hinteren
1] Der Bemerkung Leuckart's, es sei die Uternsglocke des
E. angus. zur Untersuchung und für das Verständniss der Verhält-
nisse besser geeignet als der von Greeff untersuchte E. proteus,
möchte ich mich nicht anschliessen. Der kräftigere, in die Breite
mehr ausgezogene untere Abschnitt Aer Glocke des E. proteus gewährt
viel eher einen Einblick in seinen Bau, als der entsprechende
schmächtige Theil bei Ech. angibst.
36 Carl Raltzer:
Oeffnung zwei blasenartige Taschen auf, welche E. protens
fehlen (Fig. 15 s). Sie wird an der Basis von einem Mns-
kelring ebenfalls umgürtet (Fig. 14 f). Die beiden hinter
der erwähnten Oeffnung gelegenen Zellen sind derselben
hier mehr genähert und verbinden sich oben mit den bei-
den kleineren Zellen des Ligamentalstranges, was bei E.
protens nicht der Fall ist (Fig. 16 B, d e.). Die zwei im
oberen Theil ebenfalls angeschwollenen Seitenzellen ragen
auch hier frei nach Aussen vor, während sie im unteren
von einer dem Maschenwerk bei E. x>roteus entsprechenden
Lage umschlossen sind. Diese besitzt ebenfalls zwei Kerne
und wird auf der Vorderseite durch eine langgestreckte
Zelle begrenzt.
Der Uterus ist dem des E. proteus im Allgemeinen
gleich gebaut, nur von verhältnissmässig geringerer Länge.
Ebenso verhält sich die Vagina, deren llauptuntcrschied in
dem schwächeren der Längsfahen entbehrenden äusseren
und dem nur einen, aber kräftigen Hing vorstellenden
inneren Constrictor besteht.
Mit E. giyas lässt sich wohl kaum der geschilderte
Bau der Uterusglocke des E. proteus und E. angustatus in
Beziehung bringen. Leider standen mir weitere Arten
nicht zur Verfügung, so dass ich nicht beurtheilen kann,
ob diese Gestaltung der Uterusglocke unter den Echino-
rhynchen eine weitere Verbreitung besitzt. Die in der
Literatur sich findenden Beschreibungen und Abbildungen
sind dagegen zu ungenau, um zu weiteren Schlüssen zu
berechtigen; doch hoffe ich auch in dieser Beziehung Mit-
theilung machen zu können, sobald ich in den Besitz des
nöthigen Materials gelangt sein werde.
Erklärung der Abbildungen auf Taf. I und IL
Fig. 1. Querschnitt durch die äussere Hautschicht des E, proteus.
a Cuticula, b Streifencuticula, c Circulärfasern, d Radiär-
fasern, e die eingelagerten Zellen, f das sich erhebende
Bindegewebe, g die Gefässräurae, i die Körnchenstreifen.
50 : 1.
Zur Kenntniss der Echinorhynchen. 37
Fig. 2. Längsschnitt durcli das obere Ende des Hinterleibes, die
Basis des Halses und die von ihm ausgehende Lcmniske.
E. proteiis. a die lougitudinalen Fasern, b die längsver-
laufenden Körncheuzüge, c die Subcuticula des Halses,
d die cuticulare Ringfalte, e die durchschnittenen Ring-
muskeln des Halses, f die Zellen in der Lemniske, g die
äussere Parallelfaserschicht derselben, h das sie deckende
Bindegewebe, i die Längsfasern in der Lemniske, k Radiär-
fasern, 1 der mittlere Theil der L., wo die Circulärfasern
liegen, 35 : 1.
„ 3. Längsschnitt durch den obersten Halsabschnitt und den
Rüssel des E. proteus. a Subcuticula des Halses, b dessen
Längsmuskeln, c Rüsselscheide, d Subcuticula des Rüssels,
e Gefässraum desselben, f Haken, g die unter dem starken
Bindegewebe h gelegenen Ringfasern, k die an der Wand
herablaufenden Fasern des Rückziehers m, 1 die beiden
Zellen an der Spitze, o das Ende der Rüsselscheide, p das
der Fasern des retractor. 55 : 1.
„ 4. Querschnitt durch den mittleren Theil des Rüssels von E.
proteus. a Cuticula, b subcuticulares Fasersystem, c Ein-
senkung der Cuticula an den Haken, d der von dieser un-
bedeckt im Bindegewebe sitzende Wurzeltheil, f die Ge-
fässräume, g die sie seitlich begrenzenden Radiärfasern,
h die Ringfaserlage, i die an der Wand herablaufenden
Fasern des Rückziehers 1, k die in den Innenraum vor-
springenden, den Muskelrändern aufsitzenden Papillen.
120 : 1.
„ 5. Der Rüssel des E. proteus in der Nähe der Spitze quer
durchschnitten, a b c wie in voriger Figur, d der durch-
schnittene untere Wurzelfortsatz der nächst höheren Haken,
e die an der Wand herablaufenden Fasern des retractor,
f die Zellen an der Spitze (Fig. 3 1) quer durchschnitten.
120 :L
„ 6. Das Ganglion von E. angustatus. a vorderer Mediannerv,
b der linke obere Seitennerv, c der rechten Seite, die
Fasern isolirt, f zwei lange, bipolare den Seitennerven zu-
gehörige Zellen, d die hinteren Seitennerven, e hinterer
Mediannerv, g eine quer gelagerte bipolare Zelle, h der
vordere Mediannerv mit zwei ihm zugehörigen Ganglien-
zellen (stärker vergrössert). 150: 1.
„ 7. Längsschnitt durch die Rüsselscheide des E. proteus. a das
äussere Bindegewebe, b die Muskellage, c die Papillen, d
das Bindegewebe des inneren Scheidentheiles, e die Muskel-
lage, wie die äussere von radiären Bindegewebsfasern durch-
setzt, f die Papillen der inneren Scheidenröhre, g das untere,
38 C a r 1 b a 1 1 z e r :
durch die Oeft'uung des äusseren hervorgetretene innere
Scheidenende, h Kern im Blasenraum der äusseren, i und k
in blasenartigen Räumen der inneren Scheide gelegen.
90: 1.
Fig. 8 A. Querschnitt durch die Rüsselscheide von E. proteus in
der Nähe der Baais. a Bindegewebe des äusseren Scheiden-
theils, b dessen Muskellatjo, g seine Papillen, c Retinacu-
lum, d das Bindegewebe des inneren Theiles, h Muskellage,
i Papillen, e die äusseren, k die inneren Kerne, 1 der Rück-
zieher.
„ 8 B. Scheide weiter oben durchschnitten, a b d wie vorher,
c Papillen des äusseren Theiles e Muskellage, f Papillen des
inneren Theiles, g Rückzieher, h Raum an der Bcrührungs-
stelle der äusseren Hälften. 14U : 1.
„ 9. Die Uterusglocke des E. proteus von der Seite gesehen, ä
der eine Ligamentalstrang, b der andere, c die Glocke, d
die an ihrer untern Vorderseite gelegenen 2 Kerne, e Zellen
im Ligamentalstrang, f Muskelring, g die langgestreckte,
eingerollte Zelle, welchii den Abschluss der Vorderseite
bildet, h die umschliessende Uteruswand, i und k das
Maschenwerk, 1 die hinter der Glocke gelegenen länglichen
Zellen, m die ihnen sich anfügenden der hinteren Glocken-
öffnung opponirten Zellen, o Verbiiidungsfäden der Glocice
mit dem Ligament, p dem Uterus angehörige Kerne, q das
verbreiterte obere Ende d. Seitenzellen, r das verschmälerte
untere, s die Lippe der Glocke. 100: 1.
10. Die Uterusglocke von E. proteus nahe der Seitenwand längs
durchschnitten. Signatur wie vorher, nur t die dem Ma-
schenwerk eingefügten Kerne. 100:1.
„ IIA. Uterusglocke des E. proteus von Vorn. Bezeichnung wie
vorher. B. Die Kerne d vergrössert. 100 : 1.
n 12. Uterusglocke von E. proteus von hinten, die oberen Theile
durchsichtig gedacht, um die unter ihnen gelegenen eben-
falls zu zeigen. Buchstaben wie vorher, nur t hinteres,
oberes Ende des Maschenwerkes k, o die zungenartige Spitze
der hinteren Uteruswand, w der sich scharf absetzende
Muskelring, z die innere Rinne der Seitenzellen fq, r). 100 : 1.
„ 13. Querschnitt durch die Uterusglocke von E. proteus. 80:1.
A. Durch die Glocke, a Bindegewebe, b Muskellage, c Pa-
pillen, d Ligmentalmuskeln, die Zellen e umschliessend.
„ B. weiter unten die Glocke durchschnitten, a, b, c wie vor-
her, d die Kerne in der Glocke, e Muskel des Ligamentes,
f die in ihm gelegenen Zellen, g die hinter der Glocken-
öffnung gelegenen (Fig. 9, 10 m), die hinter diesen sich
anschliessenden Zellen (Fig. 9, 10 1) aus einer Muskelschicht
Zur Kennt uiss der Ecbinorhy neben. 39
r und einem den Hohlraum durchsetzenden Faserwerk s ge-
bildet.
Fig. 13 C. etwas mehr abwärts; e die im Ligament gelegenen Zellen,
c die unteren Enden der beiden Blasenräume der Glocken-
vorderseite, f die reducirte Wand der Glocke, g und h wie
vorher, in g die Kerne k.
D. noch weiter abwärts, Buchstaben wie vorher, neu: m die
langgestreckte Zelle der Vorderseite (Fig. 10g), n die An-
satzstelle des Muskelrings an die Zellen g.
E. Schnitt da, wo die beiden Seitenzellen p beginnen, s Kern
derselben, i Muskelring mit seinen Kernen r, o das Maschen-
werk, die übrigen Buchstaben wie vorher.
F. Uterusglocke gerade über der Verjüngungsstelle der Seiten-
zelle p durchschnitten. Die Zelle m zeigt ihren Kern (v)
und berührt den Vorderrand der Zellen p, dem Maschen,
werk 0 sind vorn zwei Kerne r eingebettet, t ist der vordere
und hintere Fortsatz der Uteruswand.
G. Uterusglocke des E. proteus da durchschnitten, wo der
ganze untere Theil derselben von der Uteruswaud bereits
umschlossen wird, x das untere verschmälerte Ende der
Seitenzellen, m und o wie vorher.
„ 14. Uterusglocke des £. angiistatus von der Seite, a Ligamen-
talstrang, b die Glocke, c die dieser unten auf der Vorder-
seite eingelagerten Kerne, d Zellen im Ligament, e die der
hinteren Glockenöffnung gegenübergestellten Zellen, f der
Muskelring mit seinem Kern, g hintere Glockenöffnung, h
die der Vorderseite angehörige unpaare Zelle, i das die
Seitenzellen k, 1 umlagernde Gewebe, dem vorn zwei Kerne
eingefügt sind, m die Uteruswand, n ihre Kerne.
„ 15. Uterusglocke des E. angiistatus vom Rücken gesehen. Be-
zeichnung wie in Fig. 14. 150 : 1.
„ 16. Querschnitte durch die Uterusglocke von E. angiistatus
150 : 1.
A. Schnitt durch die Glocke, a Bindegewebe, b Muskellage,
c Papillen, d Zellen im Ligamentalstrang mit ihren Kernen e.
B. Glocke unterhalb ihrer hinteren Oeffnung durchschnitten,
a der Muskelring, b das untere Ende der Glockenwand, c
die Seitenzellen, e die Zellen im Ligament, sich an die
hinter der Glockenöffnung gelegenen Zellen d festsetzend.
G. Schnitt dicht über der Verjüngungsstelle der Seitenzellen
h, f die sie umschliessende Lage, g ist der obere durch-
shnittene Theil der vorderen unpaaren Zelle.
D. Der Apparat weiter unten durchschnitten, h die verjüngten
Fortsätze der Seitcnzellen, f die sie umgebende Lage, g die
vordere unpaare Zelle.
40 CarlBaltzer: Zur Keuutuiss der Echinorhynchen.
Fig. 17. Querscbnitt durch 1j. angvstatus. a Cuticula, b äussere,
c innere Schicht 'der Subcuticula, d die derselben einge-
streuten Zellen, e Ring, f Läugsmuskeln, g Lenmisken, h
Rüsselscheide. 75 : 1.
„ 18. Querschnitt durch den Hals des E. proteus. a Cuticula, b
Streifencuticula, c äussere, d innere Schicht der Subcuti-
cula, c Gefässräume, g Ring, f Längsmuskeln, h Rüssel-
scheide.
„ 19. Querschnitt durch die Lemuiske von E. proteus. a Cuti-
culares Bindegewebe, b äussere Parallolfaserschicht, c die
scheinbare Scheidewand (cf. Text), d Circulärfasern, e Ra-
diärfasern, f Seitengefässe, g die drei Gefässe der convexen,
h der concaven Seite, i Zellen. 45 : 1.
„ 20 A. Vagina von E. proteus von der Vorderseite gesehen, a
[Jterus, b äusserer Constrictor, c Falten desselben, d oberer,
e mittlerer, f unterer Ring des inneren Constrictor, g, h
der innere dunkclpigmeutirte Körper. 125: 1.
ß. Längsschnitt, a Bindegewcbsüberzug des Uterus, b Muskel-
lage, c längsverlaufeude Papillen, d äusserer Constrictor,
e und f Kerne desselben, g unteres Ende mit einem Band
au der Haut n befestigt, h oberer, i mittlerer, k unterer
Ring des inneren Constrictor, 1 m die Wandung des Aus-
führungscanals mit zahlreichen Längsfasern, r die den Hohl-
raum des äusseren Constrictors durchziehenden Fibrillen.
„ 21. Querschnitt durch die Rüsselscheide des E. am/ustatiis.
a äusserer Scheidentheil, b seine Papillen, c innerer Theil,,
d dessen Papillen , e Muskelfasern des Rückziehers , f
Ganglion. 100:1.
Helminthologische Uatersuchnngen
von
Dr. V. Linstow
in Hameln.
Hierzu Tafel HL
Die Gelegenheit zur Untersuchung der hier beschrie-
benen Helminthen verdanke ich grösstentheils der Güte des
Herrn Professor Mob i US in Kiel, welcher mir die noch un-
bestimmten Formen der Kieler Universitätssammlung zur
Beschreibung gütigst überliess, wofür ich hier meinen ver-
bindlichsten Dank sage. Diese Kieler Exemplare habe ich
durch ein hinter den Namen gesetztes K. unter Anfügung
der Nr., welche die Gläser tragen, kenntlich gemacht.
1. Ascaris patagonica n. sp. (K. Nr. 40)
Fig. 1
aus dem Magen von Phoca jubata. Patagonien.
Die Gestalt ist dick und gedrungen. Lippen ohne
Zwischenlippen mit doppelten Zahnleisten; bei allen dreien
ist die Pulpa an der Innenseite in zwei rundliche Aus-
läufer gespalten. Die Aussenseite der Oberlippe ist längs-
oval mit schmaler Basis. Die Haut zeigt Querstreifen in
ziemlich breiten Abständen, zwischen denen wieder viel
feinere Querstriche eng gedrängt stehen. Das Schwanzende
ist kolbig, beim Männchen in eine stumpfe, conische Spitze
ausgezogen.
Die Länge des Männchens beträgt 28, die Breite 1 Vs
mm; die Papillen am Schwanzende stehen sehr dicht und
sind sehr zahlreich.
42 V. Linstow:
Das Weibchen hat eine Länge von 57 und eine Breite
von 2 mm.
Die Eier sind kugeh'und; sie haben eine hyaline,
von dem Dotter weit abstehende Hülle und einen Durch-
messer von 0,06 mm.
Die bekannten Formen, welche hier in Frage kommen
könnten, sind Äscaris osculata, decipiens und simüis, welche
von dieser Form durchaus verschieden sind, wie aus Krab-
be^s*) neuester Darstellung der in Robben und Walen ge-
fundenen Askaris-Arten ersichtlich ist.
2. Ascaris arctica n. sp. (K. Nr. 23)
Fig. 2—3
aus dem Magen und Oesophagus von Biomeäea leucops;
Nördliches stilles Meer.
Die Lippen haben einen äusseren und einen inneren
Gipfel, der Vorderrand trägt eine Zahnleiste. Die Oberlippe
ist aussen halbkreisförmig, der innere Vorsprung ist schwach
zweilappig. Der Oesophagus nimmt ^7; der Gesammt-
länge ein.
Die Länge des Männchens beträgt 60 mm, die Breite
2 mm. Die Spicula sind 1,7 mm lang und schwach ge-
bogen. Der Schwanz ist abgerundet, der Anus steht dicht
vor der Schwanzspitze. Hinter dem Anus stehen jederseits
3 Papillen, vor demselben erst 15 an der Bauchseite, nach
vorn und mehr seitlich 10.
Das Weibchen ist 70 mm lang und IV^mm breit;
es wird wohl noch grösser, denn die Exemplare waren
noch nicht geschlechtsreif.
3. Ascaris angnlata Rud. (K. Nr. 57 u. 66)
Fig. 4-5
aus dem Darm von Cottus scorpius und dem Magen von
Lophius piscatorius. Die Oberlippe ist an ihrem Umfang
1) Saelernes og Tanlivalernes Spolorrae; K. Vidensk Selsk.
Forh.; Kjöbeubavü 1878, pag. 43—51, Tab. I.
Helminthologische Untersuchimgen. 43
5 seitig, die Pulpa längsquadratiscb, ihr innerer Theil hat
vorn zwei rundliche Vorsprtinge; die beiden Papillen stehen
an den vorderen Ecken. Die hyaline Aussenmembran zeigt
mehrere Faltungen, die aus der Zeichnung ersichtlich sind.
Der Körper ist gestreekt-cylindrisch.
Das 26 mm. lange und -/s mm breite Männchen hat
ein abgerundetes Schwanzende mit. kleiner Cutisspitze; die
Cloake steht dicht vor derselben, und misst der Schwanz
nur Vi 45 der Gesammtlänge.
Die Girren sind gebogen mit breiten, hyalinen Flü-
geln; sie sind vorn abgerundet und messen 0,72 mm. Die
Papillen sind sehr klein und äusserst schwer zu sehen;
jederseits stehen 7 postanale, präanale habe ich nicht
finden können.
Das Weibchen ist 43 mm lang und 1 mm breit. Die
Eier haben eine hyaline, vom Dotter weit abstehende Hülle;
sie sind elliptisch und 0,085 mm lang und 0,062'mm breit.
Das Schwanzende hat eine stumpfe, conische Spitze.
4. Ascaris clavata ßud. (K. Nr. 49)
Fig. 6—7
aus Gadns morrhua^ im Darm.
Kopf und Schwanzende sind eingerollt. Die Ober-
lippe ist lang gestreckt, die Pulpa ist cylindrisch, in der
Mitte etwas verengt, die der Innenseite mit zwei rundlichen
Vorragungen; Vorderrand und Basis der Oberlippe sind
gleich gross, halb so gross als die grösste Breite. Die
zwei Papillen sind klein und weit nach vorn gerückt. Der
Oesophagus misst Vi 4 der Körperlänge. Der Darm ver-
längert sich nach vorn, wo er vom Oesophagus entspringt,
in einen neben diesem liegenden 1,8 mm langen Blinddarm,
während der Oesophagus sich nach hinten in einen neben
dem Darm liegenden, ebenso langen Blinddarm fortsetzt,
der aber nur halb so breit ist als ersterer.
Das Männchen ist 45 mm lang und 1 mm breit, der
Schwanz misst V285 der Körperlänge; das Schwanzes .e ist
zugespitzt, die Girren messen 2,2 mm, sind also relativ
44 V. L in stow:
sehr lang, mit breiten Flügeln und rundlichem Ende. Pa-
pillen finden sich 27 prä- und 6 postanale.
Die äusserste Schwanzspitze ist mit kleinen glänzen-
den Erhabenheiten besetzt.
Das Weibchen hat eine Länge von 70 und eine Breite
von 1,3 mm; der Schwanz ist stumpf-kegelförmig mit etwas
verjüngter Spitze; er nimmt Vi 47 der Körperlänge ein.
5. Ascaris rotundata Rud. (K. Nr. 53)
Fig. 8—9
aus Baja radiata.
Der Körper ist nach dem Kopfende zu beträchtlich
verdünnt. Der Oesophagus misst Ve der Körperlänge, hat
am Hinterende eine rundliche Anschwellung und ist ohne
Blinddärme. Das Schwanzende ist gekrümmt. Die Haut
ist fein quergeringelt. Die Lippen sind klein und sehr
eigenthümlich gebildet, der äussere Theil ist rundlich, von
der Form eines Kugelsegments, der innere quergestreckt
mit einer Zahnleiste. Die Papillen sind gross ; nach innen
sind die Lippen ohne deutliche Grenze.
Das Männchen ist 24mm lang und 0,3 mm breit;
der Schwanz misst Vso der Körperlänge ; er führt jederseits
7 grosse prä- und 5 postanale Papillen; von letzteren steht
eine dicht neben dem Anus, zwei weiter hinten an der
Bauchseite des conischen Schwanzes und zwei ganz seit-
lich. Die Girren sind dick mit rundlichem Ende, 0,72 mm
lang, am Ursprung kolbig aufgetrieben.
Das Weibchen hat eine Länge von 50 und eine Breite
von 1,4 mm. Das Schwanzende ist gestreckt-kegelförmig mit
abgerundeter Spitze und misst Vto der Körperlänge. Die
Eier sind 0,092 mm lang und 0,082 mm breit. Die äus-
sere hyaline Hülle steht weit vom Dotter ab und zeigt
feine, regelmässig gitterartig gestellte Leisten.
6. Ascaris osculata Rud. (K. Nr. 9)
aus dem Magen von Halichoerus grypus. Die Oberlippe
sehe ich etwas anders als Krabbe*). Der Rand ist bei
1) 1. c. Tab. I Fig. 1.
Helminthologische Untersuchungen. 45
den voD mir untersuchten Exemplaren gezäbnelt; die rund-
lichen Seitenausläufer geh()ren einer inneren Schicht an
und liegen also in derselben Ebene mit der Aussenfläche.
7. Ascarls capsiilaria Rud. (K. Nr. 26)
aus dem Magen von PJwcaena communis. Die Embryonal-
form mit Bohrzahn, 40 mm. lang, in Häutung. Äscaris
capsularia ist bisher nur in Seefischen als Embryonal- oder
Larvenform gefunden, und kann mit diesen leicht in den
Magen von FJiocaena communis gelangen. Der Umstand
aber, dass die Form in Häutung ist, scheint mir dafür zu
sprechen, dass sie hier den zur "Weiterentwicklung gün-
stigen Boden gefunden hat, und scheint es sehr wahr-
scheinlich, dass wir in der Äscaris capsularia den Lai-ven-
zustand von Äscaris simplex Und. vor uns haben.
Leider besitze ich keine Exemplare von Äscaris sim-
plex^ um die Frage endgültig entscheiden zu können.
Aus der relativen Länge von Oesophagus und Schwanz,
Fehlen oder Vorhandensein von einem oder zwei Blind-
därmen, deren relativen Länge und Breite Hessen sich
schon genügend Anhaltepunkte zur Vereinigung oder Tren-
nung der Formen finden.
8. Ascai^is constrlcta Rud. (K. Nr. 62)
aus Tracliinus draco. Eine grosse Embryonalform mit Bohr-
zahn, die sich äusserlich von Äscaris capsularia in nichts
unterscheidet.
Die geschlechtsreifen Formen des Genus Äscaris schei-
nen lediglich im Oesophagus, Magen und Darm zu wohnen
und kann man also, wenn Exemplare, wie die vorstehend
angeführten im Peritoneum, an einem andern Ort gefunden
werden, immer erwarten, Embryonal- oder Larvenformen
vor sich zu haben.
9. Filaria Strigis m.
Für diese Form kann ich als neuen Fundort die Darm-
und Oesophaguswand, das Peritoneum und die Magenmus-
kulatur von Strix noctua angeben, wo ich sie in einem
Exemplar zu Tausenden fand.
4ö V. Linstow:
10. Filaria liorrida Latham. (K. Nr. 25)
in der Brusthöhle von Bhea americana früher aufgefunden ;
das Kieler Museum besitzt Exemplare aus ^S'^. Crux in Bra-
silien, die im Oberschenkel des genannten Thieres wohnten.
11. Oxyuris hidentata n. sp. (K. Nr. 74)
Fig. 10
in dem Darm einer Froschlarve gefunden; die Art ist
leider unbekannt. Es sind nur Weibchen vorhanden von
2,7 mm Länge und 0,32 mm Breite. Die Gestalt ist spin-
delförmig; das Kopfende ist gerade abgestutzt und trägt
zwei kleine kegelförmige Spitzen. Die Haut ist querge-
ringelt. Der Oesophagus ist von ^-^ der Gesammtlänge und
hat am Ende einen starken Bulbus mit Zahnapparat.
Auffallend deutlich sind die Kerne der Muskelzellen mit
den glänzenden Kernkörperchen. Der Schwanz nimmt Vö
der Gesammtlänge ein; die Vulva theilt den Körper so,
dass der vordere Abschnitt sich zum hinteren verhält wie
22: 23; sie zeigt zwei kleine Chitinstückchen, die durch
Muskeln zurückgezogen werden können und zum Verschluss
zu dienen scheinen. Die 0,1 mm langen und 0,05 mm brei-
ten Eier sind elliptisch und doppelschalig; die äussere Haut
ist fein granulirt und steht von der Dottermasse weit ab.
In Fröschen ist überhaupt noch keine Oxyuris ge-
funden, in Kröten nur die Oxyuris mucronata Molih*)
deren Beschreibung „Caput epidermide inflata^'^ etc. durch-
aus nicht passt.
12. Angiostonmni sanguinolentuni n. sp.
Fig. 11
in der Bauch- und Brusthöhle von Strix flammea gefunden.
Nur 3 Weibchen konnte ich auffinden, die sehr auffallend
sind durch ihre blutrothe Farbe, und scheint der spiralig
aufgerollte Darm wie ein breites, dunkelbraunes Band durch
die Haut hindurch.
1) Denkscbr. d. k. Akad. XIX pag. 278.
Helminthologische Untersuchungen. 47
Die Lilnge beträgt 11, die Breite 1 mm. Am Kopf-
ende bemerkt man einen miichtigen, 0,48 mm langen und
0,6 mm breiten chitinigen ]\Iiind))echer, an dessen Grunde 8
Zähne stehen, welche die Oesophagusmündung umgeben. Die
Benutzung derselben kann wohl nur die sein, dass das
Thier durch Saugbewegungen des Oesophagus das weiche
Lungen-Parenchym in den grossen Mundbecher hineinzieht,
mit den Zähnen anschneidet und dann das Blut aussaugt.
Der Oesophagus ist kurz aber sehr mächtig in seiner
Muskulatur, von y^^ der Gesammtlänge. Das Schwanz-
ende ist kegelförmig zugespitzt, ein Anus ist nicht aufzu-
finden und scheint, wenn er vorhanden, nicht zu funktio-
niren, denn Excremente finden sich nicht. Die Eier waren
unbefruchtet, elliptisch, dünnhäutig, 0,072 mm lang und
0,002 mm breit.
Die Art muss sehr selten sein, denn sie ist sehr in
die Augen fallend. Ob sie mit Strongylus JButeonis ruft
Bellingham ^) aus der Bauchhöhle von Fdlco rufus identisch
ist, lässt sich wegen mangelnder Beschreibung nicht be-
stimmen; es ist nur der Name angegeben.
Leider kenne ich von Angiostomiim entomelas, macro-
stomum und sangumolentum nicht die Männchen ; vielleicht
ist die Gattung mit Sderostomum oder Syngamus zu ver-
einigen, was sich aber wegen Unbekanntseins der Männ-
chen nicht bestimmen lässt; jedenfalls gehören die Formen
zu Molin's Äcrofalli; die Mundbildung des hier 2) beschrie-
benen und abgebildeten Beletrocephalns dimidiatus hat mit
der von Äng. macrostonmm entschieden Aehnlichkeit. Mol in
geht übrigens in der Trennung des Genus Strongylus sieher
viel zu weit.
13. Strongylus depressus Diij.
Fig. 12
aus dem Darm von Crocidura leucodon.
Eine sehr zarte Art, die im Wasser gelegt sofort birst
1) Ann. of natural history XIII pag. 105.
2) II sottordine degli Äcrofalli pag. 150—153, tab. VIII
fior. 1-3.
48 V. Linstow:
und den Verdauiings- und Genitaltract hervortreten lässt.
Dujardin's genaue und ausführliche Beschreibung lässt
nur eine Darstellung der Bursa vermissen. Dieselbe be-
steht aus 2 grossen, seitlichen und einem viel kleineren
Mittellappen; erstere tragen 5 aus einem gemeinsamen
Stamm entspringende, letzterer 4 Rippen, wie aus der Ab-
bildung ersichtlich.
14. Strongylus filaria ß. (K. Nr. 42).
Für diese Art kann ich einen neuen Fundort, nämlich die
Bronchien des Kalbes anführen.
15. Pseudalius fninor Kuhn (K. Nr. 29. u. 36)
Fig. 13—14
aus den Höhlen unter den Augen von PJiocaena communis
und dem Cavum tympani von DelpJiinus phocaena.
Der Körper ist lang gestreckt und besonders nach
dem Schwanzende zu verschmälert; der Kopt zeigt einen
chitinisirten Mundbecher, der an Filaroides erinnert; hinter
ihm stehen kleine, wenig auffallende Papillen in der Haut.
Der Oesophagus ist sehr kurz, er nimmt nur V45 der
Gesammtlänge ein.
Das Männchen ist 23 mm lang und Vs mm breit ;
die halbmondförmigen Girren messen 0,13 mm; das Schwanz-
ende hat eine breite Bursa, die am Ende dreilappig ist,
jeder Lappen ist von einer Rippe gestützt; die mittlere
endet einfach rundlich, die seitlichen in drei runde Vor-
sprünge.
Das Weibchen ist 28 mm lang und 1 mm breit, das
abgerundete Schwanzende ist aufgetrieben. Das dünne,
schmale Ovarium geht ptötzlich in den etwa 6mal dickeren
Uterus über. Der Anus steht terminal, dicht davor auf
einer Ver Wölbung mündet die Vulva, vor der zwei merk-
würdige, eiförmige, mit einem Griffel versehene Erhaben-
heiten, die nach vorn gerichtet sind, stehen, wie ich sie
bei keinem anderen Nematoden kenne. Das Weibchen ist
vivipar und der Uterus von Tausenden von Embryonen
erfüllt.
Helmmthologische Untersuchungen. 49
16. I*seiidallus hißexus ünj. (K. Nr. 27, 30 u. 84)
Fig. 15
aus dem Schlund und den Bronchien von Fhocaena communis
* und den Bronchien von BelpMnus phocaena. Diese Art ist
ohne Mundbecher und viel grösser und breiter als die vorige.
Das männliche Schwanzende ist aus Sehn ei der 's ^) Abbil-
dung leicht zu erkennen und erwähne ich die Form nur,
um die noch fehlende Darstellung der weiblichen Genital-
öffnung zu geben ; diese steht dicht vor dem abgerundeten
Schwänze und mündet in einen auffallenden, stumpfen Kegel,
der schon mit blossen Augen sichtbar ist.
17. Trichosonia Felis cati Bellingliam.
aus der Harnblase von Felis catus.
Eine genaue Beschreibung dieser x4rt kann ich leider
nicht geben, und erwähne nur, dass ich in der Blase der
Wildkatze 2 ganz junge, unentwickelte, ungemein feine Exem-
plare fand, die 7,5 mm lang und 0,036 mm breit waren.
Das Männchen ist noch ganz unbekannt; geschlechtsreife
.Weibchen dagegen hat Wedl^) beschrieben.
18. TricJiosomct oMtisum Rud.
ein neuer Fundort dieser Art ist der Darm von Strix
noctua.
19. Fchinorhynchiis capitatus n. sp. (K. Nr. 37)
Fig. 16
aus Pseudorca crassidens.
Der Rüssel ist cylindrisch und kurz, die Zahl der Haken-
reihen ist 12—14; auf denselben folgt ein glockenförmig an-
geschwollenes Receptactdtimj das auch und zwar etwa 20
Reihen Haken trägt; dahinter verschmälert sich der Kör-
per allmälig zu einem Hais, der dann in den langgestreckten,
cylindrischen Körper übergeht, der unbewaffnet ist.
1) l. c. tab. XII flg. 10.
2) Sitzungsber. d. k. Acad. XVI pag. 392.
Archiv für Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd.
50 V. Linstow:
Das Männchen ist 53 mm lang und 2 mm breit, das
Weibchen 100 mm lang und 2,5 mm breit.
Die Art hat einen nahen Verwandten in JEehinorhynchus
porrigens aus dem Walfisch; bei dieser Form nimmt der
Körper vom Halse an langsam an Dicke zu, während er
bei capitatus gleich hinter demselben ebenso dick ist wie
am Ende; das Receptaculum ist bei porrigens vorn am
breitesten und unbewaffnet, bei capitatus dagegen hinten
und mit Haken bewaffnet; es ist bei beiden kegelförmig,
bei E. porrigens aber ist die Kegelspitze nach dem Schwanz-
ende, bei capitatus nach dem Kopfende gerichtet. Das
Rostellum hat bei porrigens 3 — 4, bei capitatus 12 — 14
Hakenreihen. Eine Häutung muss bei Eck. capitatus noch
sehr spät eintreten, denn die ringförmig in Runzeln um
den Körper an mehreren Stellen zusammengezogene Haut,
die abgestreift werden soll, findet sich noch an einem 95 mm
langen Exemplar.
20» Distoniuni semifiavuTii n. sp.
aus dem Darm von Fetromy^on fluviatilis.
Die Länge beträgt 1,4 die Breite 0,65 mm, der Mund-
saugnapf misst 0,16, der Bauchsaugnapf 0,25 mm, beide
stehen sehr genähert, letzterer im ersten Viertel des Kör-
pers; mitten zwischen beiden die Geschlechtsöffnungen.
Der Schlundkopf ist sehr gross ; der ganze Körper ist un-
bewaffnet. Die bohnenförmig gekrümmte Vesicula seminalis
superior liegt fast in derselben Höhe wie der Bauchsaug-
napf, nur etwas weiter nach hinten; hinter letzterem findet
sich zunächst der Keimstock, dann die Hoden ; der Dotter-
stock ist auf das hinterste Körperviertel beschränkt; der
Eiergang findet sich in der hinteren Körperhälfte und ragt
nur mit dem Ausmündungsgange in die vordere hinein. Die
Eier sind 0,023 mm lang und 0,016 mm breit. Bei Bi-
stomum fasciatum Rud. ist der Bauchsaugnapf doppelt so
gross wie der Mundsaugnapf und nimmt der Dotterstock
den ganzen Körperrand ein.
Distomum Bergense Olsson ähnelt dieser Art am mei-
sten, doch auch hier hat der Bauchsaugnapf die doppelte
Helniinthologische Untersuchungen. 51
Grösse des Mimdsanguapfes, die Gestalt ist breiter und
reichen die Windungen des Eierganges viel weiter nach
vorn als bei D. semiflavnm.
21. Distotmini splnostifn n. sp.
aus dem Darm von Sylvia 7'ufa.
Die Länge des rundlichen Körpers beträgt 1,3, die
Breite 0,48 mm. Der ganze Körper ist mit Dornen besät.
Der Mundsaugnapf hat eine Grösse von 0,19, der Bauch-
saugnapf eine von 0,12 mm, letzterer liegt etwas vor der
Körpermitte; die Darmschenkel reichen bis an' s zugespitzte
Körperende; die grösste Breite hat der Körper im hinteren
Viertel. Die Hoden liegen im hinteren Körperdrittel schräg
hinter einander; die Vesica seminalis superior schlägt sich
halbmondförmig um den Bauchsaugnapf herum; zwischen
ihm und dem vorderen Hoden liegt der Keimstock. Der
Dotterstock nimmt den Rand der hinteren Vs des Körpers
ein. Der Eiergang verläuft wenig geschlängelt von vorn
nach hinten und scheint auffallender Weise am hinteren
Körperende zu münden. Die Eier sind 0,043 mm lang und
0,023 mm breit.
In unseren Singvögeln sind bis jetzt gefunden Bisto-
mummacrourum^ jene langgestreckte, die Gallengänge be-
wohnende Form, Bistomum ovatuni, aus der Bursa Fabricii,
dessen Hoden neben einander liegen, Bistomum mesosto-
mum und macrostonium, die beide einen unbewaffneten Körper
und gleich grosse Saugnäpfe haben, B. filwn, das 15 mal
so lang wie breit ist, B. coelebs, eine eingekapselte Larven-
form und endlich B. elegans, das mit unserer Art Aehnlich-
keiten aber keine Stachelbewaffnung hat, die bei B. spinosum
sehr auffallend ist.
22. Distqmum moleciiliini n. sp.
aus dem Darm von Eallus pygmaeus.
Ein winziges Thierchen von eiförmiger Gestalt, nur
das Kopfende ist etwas verschmälert; die Länge beträgt
0,48, die Breite 0,36 mm. Die Grösse des Mundsaugnapfes
ist 0,06 und die des im vorderen Körperdrittel liegenden
52 V. Linstow:
Bauchsaugnapfes 0,036 mm. Die Eier, welche nur das
vordere Viertel und das hintere Achtel des Körpers frei-
lassen und alle übrigen Organe verhüllen, sind 0,029 mm
lang.
Verwandte Formen sind D. arenula, dessen Bauch-
saugnapf grösser als der Mundsaugnapf ist und D. micro-
coccwm, das grössere Eier und viel grössere Saugnäpfe hat.
23. Taenia scalaris Dujardin
. Fig. 17
aus Crocidura aranea. Man findet 13 Haken die 0,029 mm
lang sind.
Der Hakenast ist fast doppelt so lang wie der
Hebelast.
Die Eier haben eine dreifache Hülle; die äussere ist
eiförmig, die mittlere mehr gestreckt, unregelmässig, die
innere 0,039 mm lang und 0,029 mm breit. Die Embryonal-
haken haben eine Länge von 0,016 mm.
Der Form der Haken wegen erwähne ich diese und
die beiden folgenden Arten, welche noch keine richtige
Darstellung gefunden hat.
24. Taenia uncinata Stieda
Fig. 18
aus Cocidura aranea und leucodon-.
Es finden sich 18—20, meistens 19 Haken, die 0,019
bis 0,02 mm lang sind; Haken- und Hebelast sind fast
gleich lang. Auch hier haben die Eier eine dreifache
Hülle; die äussere ist elliptisch, die mittlere mehr kugel-
förmig, die innere 0,039 mm lang und 0,033 mm breit
Die Embryonalhaken haben eine Länge von 0,016 mm.
Die sehr kleinen Girren stehen einseitig, sie sind cylin-
drisch, unbedornt, und sind 0,013 mm lang und 0,003 mm
breit.
Helminthologische Untersuchungen. 53
25. Taenüi tlara Dujardin
Fig. 19
aus Crocidiira aranea.
Diese Art hat 34 Haken von 0,026 mm Länge, die
sehr dünn und gestreckt sind.
Notiz.
Im Jahrgange 1878 dieses Archivs habe ich ver-
sehentlich zwei schon vergebene Namen für neue Arten
gebraucht, nämlich Äscaris Siluri (1. c. pag. 239) und
Bothriocephaliis lanceolatus (pag. 218), welche ich in ^5-
cciris Glanidis und Bothriocephalus ellipticus zu ändern bitte.
Was das Genus Angiostomum betrifft, so bin ich neuer-
dings, da ich von A. enfomelas und macrostomum Hunderte
von Exemplaren untersucht und immer nur Weibchen ge-
funden habe, auf die Vermuthung gekommen, dass in das-
selbe „Ascaris''^ nigrovenosa gehört, welche Form die Mus-
keln der Meromyarier hat, so dass also die parasitischen
Exemplare von Angiostomum nur als parthenogenetische
Weibchen auftreten, während sich deren Brut im Freien zu
kleinen, geschlechtlich differenzirten Thieren entwickelt,
deren Nachkommen wieder in die Lungen von Reptilien
und Amphibien einwandern und zu den bekannten Weib-
chen werden.
Erklärung der Abbildungen auf Taf. IIL
1. Oberlippe von Asearis patagonica.
2. Oberlippe von Äscaris arctica.
3. Männliches Schwänzende derselben Art.
4. Oberlippe von Äscaris angiüata.
5. Männliches Schwanzende derselben Art,
6. Oberlippe von Äscaris clavata.
54 V. Li n stow: Helminthologisclie Untersuchungen.
7. Männliches Schwanzende derselben Art.
8. Kopf von Äscaris rotundata.
9. Männliches Schwanzende derselben Art.
10. Kopf von Oxyuris bidentata.
11. Kopf von Angiostomum sangitinolentum.
1-2. Männliches Schwanzende von Strongylus depressus.
13. Kopf von Pseudalitis minor.
14. Weibliches Schwanzende derselben Art von der rechten Seite,
a. Vulva, b. Anus.
15. Weibliches Schwanzende derselben Art von Pseiidalms inflexus,
a. Vulva, b. Anus.
16. EcJiinorhynchus capitatus, natürliche Grösse.
17. Haken von Taenia Scolaris.
18. „ „ „ uncinata.
19. „ „ „ tiara.
Beschreibung einiger neuen Peltidien.
Von
Dr. G. Hall er,
Bern.
Hierzu Tafel IV und V.
Während eines kurzen Aufenthaltes in Messiua fiel
mir die gleichzeitig ebenso angenehme, wie dankbare Auf-
gabe zu, für die Privatsammlung von Prof. Dr. Fol die
Copepoden der dortigeu Meeresfauna zu praepariren. An-
genehm war diese Arbeit deshalb, weil ich dadurch mit
den eben so formenreichen als mitunter prächtigen Thieren
bekannt wurde: unter ihnen stehen die Peltidien entschieden
vorne an und können sowohl wegen ihrer schönen Farben,
als wegen des meist sehr stark inkrustirten Panzers die
Buprestiden unter den Entomostrakeu genannt werden.
Namentlich das Präpariren der letzteren, weniger dasjenige
der farblosen und sehr weichhäutigen Calaniden war über-
diess eine leichte Mühe. Sie wurden noch lebend in eine
Mischung von einem Theile Alkohol, einem Theile Gly-
cerin, zwei Theilen Wasser und zwei bis drei Tropfen Kar-
bolsäure ertränkt und nach Verlauf von wenigen Minuten
in Farrant'schem Medium, nach der neueren Formel zu-
bereitet, eingeschlossen. Auf diese Weise präparirt hielten
sich namentlich die hartpanzerigen Arten sehr gut und
blieben deutlich erkennbar. Noch jetzt nach bald andert-
halb Jahren sind die Präparate äusserst deutlich und
lassen selbst die feinsten Kleinigkeiten mit voller Sicher-
heit erkennen, was gestattete, die Beschreibungen und Ab-
56 G. Haller:
bilduDgen nach eingeschlossenen Individuen zu machen.
Die meisten Präparate befinden sich im Besitze von Herrn
Prof. Fol, allein seiner gütigen Erlaubniss verdanke ich
es, wenn es mir möglich wurde, einige Doubletten für mich
selbst anzufertigen.
Dankbar und interessant nenne ich die obige Aufgabe
desshalb, weil ich bei dieser Gelegenheit viele der von
Claus beschriebenen Arten kennen lernte. Bei einer Durch-
musterung meiner Präparate finden sich jedoch einige,
welche mit keiner der vorhandenen Beschreibungen und
Abbildungen tibereinstimmen und welche ich mir daher
als neue Arten zu schildern vorgenommen habe. Vor-
läufige Diagnosen derselben finden sich bereits im zoolo-
gischen Anzeiger von Carus, und zwar in Nummer 25
des IL Jahrganges 1879. Dieselben wurden schon von
Villafranka aus an die Redaktion übergeben und haben nun
durch reiflichere üeberlegung einige Veränderung erfahren.
Die Familie der Peltidien in ihrem jetzigen Umfange
wurde zum ersten Male von Claus in dessen „Freilebenden
Copepoden^' ^) errichtet und und kurz charakterisirt wie folgt.
Körperform glatt, meist mit breiten Seitenflügeln der
einzelnen Abschnitte. Gliederung meist vollzählig, Kopf
und Thorax verschmolzen. Chitinpanzer sehr kräftig. Die
vorderen Antennen des Männchens sind beide zu Fang-
armen umgebildet. Die hinteren Antennen mit Nebenast
und knieförmig gebogenen Borsten. Die Taster der Man-
dibeln und Maxillen ansehnlich entwickelt. Das fünfte
Fusspaar blattförmig, in beiden Geschlechtern wenig ver-
schieden. Herz fehlt. Augen einfach, in der Mittellinie
verschmolzen, mit lichtbrechenden Körpern. Der männliche
Geschlechtsapparat paarig, symmetrisch. Ein Eiersäckchen.
Am hauptsächlichsten, scheint mir, muss das Gewicht
auf die platte Körperform, welche durch die fast stets vor-
handenen Seitenflügel noch übcrdiess ein eigenthümliches
Gepräge erhält, ferner auf die mit Nebenast versehenen
1) Dr. C. Claus. Die freilebenden Copepoden. Mit beson-
derer Berücksichtigung der Fauna Deutschlands, der Nordsee und
des Mittelmeeres. 1863.
Beschreibung einiger neuen- Peltidien.
57
hinteren Antennen, auf die kräftigen Taster der Mandibcln
und Maxillen, sodann vor Allem auf die Verhältnisse des
ersten und letzten Fusspaares gelegt werden. In der That
konnte ich mich denn auch bei den allermeisten neuen Formen
durch die Aehnlichkeit mit schon vorhandenen und durch
die Summe der Merkmale leiten lassen; nur für wenige
Thiere, die in späteren Abhandlungen beschrieben werden
sollen, wurde es mir schwer, die Stelle im Systeme mit Sicher-
heit zu finden. Die bereits von Claus gegebene übersicht-
liche analytische Tafel wird zwar durch die neuen Formen
wenig verändert, nichts destoweniger folgt dieselbe mit
Angabe der beiden neuen Subgenera und zur leichteren
Uebersicht der neuen Arten.
Körper vollzählig gegliedert. Mandibularpalpus zu einem
Greiffusse verlängert 1. Porcellidnim.
n
Beide Aeste
Der fünfte Fuss sehr breit
blattförmig
Der fünfte Fuss schmal,
griffeiförmig
Der innere Ast dreiglie-
"ü
CO
des e
Fussp
sind
rsten
aares
Greif-
sse
t'ij
5. Zaus.
2. Subgen. Zausosci-
äium.
Ö
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deriger Euderast. Der
CO
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03 ,^
untere Maxillarfuss mit
CS (D
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langem einfachem Stiele
Der innere Ast zweiglie-
deriger Ruderast. Der
3. ÄUeutha.
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untere Maxillarfuss mit
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sehr langem zweigliederi-
gem Stiele
Der innere Ast zweiglie-
4. Eupelte.
-4J
CO
<
2 "x
derig, kein regelmässiger
Ruderfuss. Stiel des un-
>
Q o
CO
teren Maxillarfusses laug
und einfach
2. Siibgen. Onisci-
dium.
1. Gen. J^orcellidlum Cls.
{Taf. I. Fig. I. II a. b. und 1 bis 5).
Thyone PhiUpin. Zoologische Bemerkungen von Dr. A.
Philipp! (Fortsetzg. mit Taf III u. IV.) in Wieg-
58 G. Haller:
mann's Archiv für Naturgeschichte VI. Jahrg. 1. Band
1840. S. 190. Taf. IV Fig. 2.
Forcellidium Claus. Die freilebenden Copepoden mit beson-
derer Berücksichtigung der Fauna Deutschland's, der Nord-
see und des Mittelmeeres 1863. S. 140. Taf. XXII Fig.
1—5.
Claus beschrieb diese Gattung auf Grund zweier in
Nizza und einer in Messina gefundenen Art. Von diesen
habe ich Forcellidium fmihriatum Claus aus Messina, Por-
cellidium dentatum aus Villafranka präparirt. Ausserdem
erhielt ich zwei neue Arten, von denen namentlich die
Eine allgemeines Interesse verdient. Vorher erlaube ich
mir noch wenige Worte über die Gattung selbst.
Dr. A. Philippi beschrieb schon 1840 eine Gattung Thy-
one, mit der Species Thyone viridis Phil, aus dem Mittelmeere.
Aus seiner wiewohl mangelhaften Zeichnung und Beschrei-
bung geht zur Genüge hervor, dass Thyone synonym ist mit
Forcellidium, nur die Species scheint mir nicht wieder er-
kennbar. Allein der Name war schon von Ocken für eine
Gattung der Hoiothurien vergeben. So war denn Claus in
vollem Maase berechtigt, als er 1840 das System der Co-
pepoden neu bearbeitete, das Genus umzutaufen. Sein
Name ist übrigens ebenso bezeichnend, wie die Diagnose
der Gattung, welche dieselbe als eine vollkommen natür-
liche Einheit hervortreten lässt. Sie lautet:
Corpus depressum, feminae sex-, maris septem-articu-
latum. Mandibularum palpus appendice pectinata et ramo
prehensili triarticulato instructus. Maxillipedes inferiores
breves, triarticulati, basali triangulari, apicali uncinato.
Furca lamelliformis.
Es folgen nun die neu zu beschreibenden Arten f
Forcellidium ovatum Hallel*.
Taf. IV Fig. I; 1—3.
Forcellidium ovatum mihi. Vorläufige Diagnosen einiger Pel-
tidien aus Messina in Zoologische Anzeiger Nr. 25 IL
Jahrgang 1879. S. 479.
Die Körperumrissc beschreiben eine sehr gedrungene
Eiform mit nach hinten gerichteter, stark zugerundeter
Beschreibung einiger neuen Peltidieu. 95
Spitze, deren Breite ungefäbr 1 mm, und deren Länge
1,3 mm beträgt. Von letzteren sind 0,6 auf den Ceplialo-
thorax zu rechnen, welclier mitiiin nur sehr wenig kürzer
ist wie der Hinterleib, wie ich den hinteren segmentirten
Leibesabschnitt der Kürze wegen bezeichne. An den An-
tennen zählt man wie bei Forc, fimbriatum 6 Glieder, die
sich aber beim Weibchen verschieden verhalten. Das Grund-
glied ist nämlich sehr kurz, von den drei folgenden ist
das erste am längsten und ungefähr von der doppelten
Länge des dritten. Vom zweiten bis zum letzten werden
die Abschnitte in umgekehrter arithmetischer Progression
kürzer und schmächtiger. Dabei erscheinen die Antennen
durch lange Haare leicht buschig. Der lange und schwach
gebogene Mandibularpalpus (Taf. IV Fig. 2) trägt vier
eigenthümliche, gekrümmte und dornartige Borsten, die
dicht mit feinen Härchen besetzt sind. Nahe der Spitze
der Krallen des zweiten Maxillarfusses (Taf. IV Fig. 1) beob-
achtet man überdiess ein eigenthümliches plättchenförmiges
Gebilde, das sich nahe an der Basis einer Dornborste er-
hebt und das vielleicht als Sinnesorgan zu betrachten ist.
Das fünfte Fusspaar (Taf. IV Fig. 3) bildet lange und
schmale Platten von Sichelform, deren freie Spitzen hinten
sich fast berühren und die das ganze Abdomen nebst den
Furcallamellen zwischen sich fassen. Sie werden an ihrem
freien äusseren Rande von einem leichten Haarsaume be-
gleitet. Ueberdiess finden wir hier ungefähr am Anfange
des letzten Drittheiles einen kurzen einzeln stehenden Dorn.
Das vordere Abdominalsegment verlängert sich in
kurze Seitenflügel, welche kaum länger sind als breit. Die
Länge der Furcallamellen ist bedeutender als deren Breite;
der innere Rand der Lamellen ist gerade, der äussere stark
geschweift und diese selbst zugespitzt.
Forc. ovatum, wie ich die neue Art ihrer Eiform
wegen heisse, ist durchaus farblos, erscheint aber dadurch
gefärbt, dass die rothen und gelben Fettkugeln im Innern
ihrer Organe durch den Panzer hindurchschimmern. Mit
Farbstoff imprägnirt, wie viele Verwandte, ist das Thier-
chen also nicht. In unserer Figur (Taf. IV Fig. I), sehen
wir ein weibliches Thier mit zwei festgeklebten ovalen
60 G. Haller:
Spermatophoreu. Es stellt von denselben jederseits einer
und sie senden ihre Ausführungsgänge durch den Spalt
zwischen dem fünften Fusspaare und den Seitenfortsätzen
des vorletzten Hinterleibsegmentes nach innen. Die Art
stammt gleich der nachfolgenden aus Messina, wo ich sie
auf Corallengrund und in einer Tiefe von etwa 80 bis 150
M. häufig fing. Gleich xlen meisten Peltidien scheint sie
fürs Gewöhnliche an den grösseren vom Grunde heraufge-
brachten Steinen festzuhängen und kann nur durch Bürsten
oder Schlemmen derselben veranlasst werden, diesen Schlupf-
winkel zu verlassen. Sie schwimmt dann sehr lebhaft um-
her, sucht sich jedoch immer wieder ähnliche Ruhepunkte aus.
Forcellidnim parvulum Haller.
Taf. IV. Fig. II a u. b. 4. 5.
Pore, parvulum mihi Vorläufige Diagnosen einiger Pelti-
dien aus Messina loc. cit. S. 179.
Männchen (Taf. IV Fig. II a) und Weibchen (Fig. II b)
zeigen bedeutenderen Dimorphismus als die übrigen Peltidien.
Sie kommen eigentlich nur in den allgemeinen Körper-Um-
rissen überein, da diese bei beiden ein gedrungenes Oval be-
schreiben; doch erreicht das Weibchen bei imgefähr gleicher
Breite wie jenes nur eine Länge von 0,55 mm, während das
Männchen selbst 0,75 lang wird. Bei beiden Geschlechtern
fällt ungefähr 0,3 mm auf den Cephalothorax. Es geht schon
daraus hervor, dass der Hinterleib bei beiden sehr ver-
schieden gebildet ist, dasselbe muss auch bezüglich des
Rostrums, der Fühler und der hinteren Leibesanhänge, wie
Furcallamellen und fünftes Fusspaar gesagt werden.
Beim Männchen sind die drei vorderen freien Segmente
ziemlich gleichmässig entwickelt ; beim Weibchen blieb da-
gegen das letzte derselben an Länge ganz beträchtlich
hinter den anderen zurück. Dasselbe beobachten wir auch
für das durch Verschmelzung hervorgegangene Abdomen,
welches beim Männchen merklich umfangreicher ist als
beim Weibchen. Gleichwie die Thiere selbst habe ich
eine der Furcalplatten (a) und den rechten fünften Fuss (b)
jeweilen vom Männchen und (Taf IV Fig. 5 a u. b) Weib-
chen (Taf. IV Fig. 4 a u. b) unter ein und derselben Ver-
BeschreibuDg einiger neuen Peltidien. Cl
grösserung abgebildet, und man wird daraus ober als aus
einer noch so eingebenden Beschreibung den bedeutenden
Dimorphismus erkennen, welcher auch hierin ausgesprochen
ist. Ausser der Form und Grösse dieser Endstücke erweist
sich auch deren Eandbesatz als gänzlich verschieden; hierzu
einige Worte der Erläuterung. Beim Männchen sind sowohl
Furcalplatten, wie fünftes Fusspaar scheinbar leicht ge-
wimpert; über diesen Besatz feiner Härchen ragen an
beiden Stücken sieben eigenthümliche Borsten vor. Die
Basis derselben ist verbreitert und braun gefärbt, ihre
Spitze blass, farblos und lang ausgezogen. Von diesen Aus-
zeichnungen finden wir beim Weibchen nur den blassen
Härchensaum wieder; dagegen bemerken wir, dass der hin-
tere Rand des fünften Fusspaares gezähnelt ist, sodann
trägt die äussere Ecke der Furcalplatte ein massig langes
und zwei ganz kurze Haare. Kommen wir endlich auf die
Fühler zurück, so sind diejenigen des Männchens stark
chitinisirt, was sich sofort durch die dunkelbraune Färbung
zu erkennen gibt. Sodann sind sie hakenförmig gekrümmt
und starke vorragende Chitinspitzen beweisen, dass sie
ihrem ursprünglichen Berufe entfremdet und Greifwerkzeuge
geworden sind. Das Amt des Tastens übernehmen nun-
mehr lange, blasse Haare, von denen die Antennen leicht
buschig erscheinen. Die vorderen Fühler des Weibchens
verhalten sich viel einfacher, sie erweisen sich als schwach
spindelförmig und kurz. Sie sind sechsgliederig, ihre drei
letzten Glieder bleiben kurz und ringförmig.
Selbst in der .Körperfärbung spricht sich dieser be-
deutende geschlechtliche Unterschied aus. Die Weibchen
erinnern in der Art, wie ihre Färbung zu Stande kommt,
an die vorhergehende Species, die Männchen sind dagegen
gänzlich mit braunem Farbstoffe imprägnirt. Was über
ihr Vorkommen zu sagen, wurde bereits bei der vorigen
Art erwähnt. Ich fing mehrere dieser Thierchen in Be-
gattung, das Männchen hielt das Weibchen mit seinen
modificirten vorderen Antennen derartig fest, dass sie ohne
sich zu trennen präparirt wurden.
62 G. Haller:
II. Gen. Oniseidiuni mihi non Clans.
(Taf. IV Fig. III u. IV, 6. 7. Taf. V Fig. III u. IV, 1. 2. 3. 4.)
Corpus depressum, porrectum, profunde iiicisum, feminae
novem, maris decem articuiatum, abdomine magnopere atte-
nuato. Palpus mandibularum biramosus, ramo utroque
simplici. Maxillipedes inferiores magni, manu prehensili
armati. Pedum primi paris ramus internus biarticulatus,
rarissime triarticulatus, externus longior, triarticulatus uncis
compluribus armatus, prehensiiis. In Subgenere secundo quo-
que ramus externus prehensiiis. Pedes postici tenues setosi.
Die alte gleicbbenannte Gattung von Claus umfasste
nur eine einzige Art Oniscidmm armatum aus Messina. Ich
habe dieselbe nicht wieder aufgefunden, jedoch zwei nahe
verwandte, von denen keine ganz mit der alten Gattungs-
bezeichnung übereinstimmt. Oniseidiuni hiarticidatum mihi
besitzt nämlich einen dreigiiederigen inneren Ast; Onis-
cidium incrustatum keinen flachen Körper, sondern ist hoch
gewölbt. Das sind nun, ich gebe es zu, Merkmale von
sehr untergeordneter Bedeutung, welche die Errichtung eines
Subgenus noch nicht erfordern würden. Allein eine dritte
neue Art zeigte in Bezug auf ihr erstes Fusspaar so
gänzlich abnorme Verhältnisse, dass sie mit dem alten
Gattungsbegriffe nicht wohl vereinigt werden. Die beiden
Aeste des ersten Fusspaares sind zu Greiffüssen umgewandelt,
also ähnlich wie uns Claus die entsprechende Extremität
von Zaus beschreibt. Im Uebrigen war die gesammte Kör-
pergestalt gänzlich die von Oniscidium Cls. und sämmtliche
feineren Verhältnisse erinnerten an diese alte Gattung. Es
wäre somit die Errichtung eines neuen Genus für diese
einzige Art ungerechtfertigt. Dagegen Hess sie sich bei
etwas veränderter Diagnose leicht als Subgenus bei Onis-
cidium mihi non Claus unterbringen, wobei freilich die
ehemalige Gattung von Claus zum Range eines Subgenus
herabsank. Der Name, mit welchem Claus sein Genus be-
legt hatte, war aber zur Bezeichnung der Thiere so muster-
haft gewählt, dass ich ihn, um die Nomenclatur nicht un-
nöthiger Weise mit einem neuen Namen zu bereichern, bei-
behalten habe.
Beschreibung eiuiger neuen Peltidien. 63
Die Diagnose verlangte übrigens noch aus einem wei-
teren Grunde eine leichte Aentlerung. Claus gibt in seiner
lateinischen Diagnose von den unteren Maxillarfüssen an,
sie seien subcheliformes. Wir verstehen unter subcheliibrm
Bildungen ähnlich solcher, wie sie an den Scheeren mancher
Decapoden vorkommen. Ich kann nun eine Aehnlichkeit
weder aus der Abbildung von Claus, noch aus den von
mir nach den Maxillarfüssen zweier neuen Oniscidien an-
gefertigten Zeichnungen herausfinden. Sie erinnern mich
viel mehr an die Greifhand mancher Crustaceen, insbe-
sondere vieler Copepoden. Es möchte daher die Bezeich-
nung subcheliform nicht ganz passend gewählt sein, wess-
halb ich mir erlaubt habe, es durch manu prehensili armata
zu ersetzen.
I. Subgeuus. Peltidium PMlippi; Oniscidium Claus.
(Taf. IV Fig. III u. IV, 6. 7. Taf. V Fig. 1. 2. 3.)
Peltidium PMlippi. Einige zoologische Notizen von Dr. A.
Philip pi. (Hierzu Tafel III u. IV.) in Wiegmann's Ar-
chiv für Naturgeschichte 1839. V. Jahrg. 1. Band. S.
131. Taf. IV. 12 u. 13.
Oniscidium Claus. Die freilebenden Copepoden, mit be-
sonderer Berücksichtigung etc. etc. 1863. S. 141. Taf.
XXII Fig. 6-9.
In Peltidium purpureum von Philippi erkennen wir
leicht sowohl aus Abbildung wie Beschreibung eine Art
der von Claus als Oniscidium benannten Gattung. Die Spe-
cies selbst ist leider nicht wieder zu erkennen. Dagegen
berechtigen mich die sowohl in Zeichnung wie in der
Diagnose hervorgehobenen Merkmale, an Stelle des modernen
Namens den alt hergebrachten Philippi 's zu setzen. Es
gibt nun allerdings in der Systematik zur Bezeichnung
eines Genus der Coleopteren einen ähnlichen Namen. Allein
derselbe bezieht sich auf eine Gattung, nicht auf ein Sub-
genus, lautet zum Ueberflusse nicht Peltidium, sondern Pelti-
dion. Eine Verwechslung kann somit nicht leicht Statt haben.
Das Subgenus Peltidium kann bezeichnet werden:
Pedum primi paris ramus internus bi-rarissime tri-articulatus,
setis armatus, oder wie sich Claus etwas verschwommen
64 G. Haller:
ausdrückt: Der untere Ast des ersten Fusspaares zweiglie-
derig, kein eigentlicher Ruderfuss.
Hierher gehören:
1. Oniscidium armatum Cls.
Oniscidinm armatum Cls. Die freilebenden Copepoden von
Dr. Claus. 1864. S. 141. Taf. XXII Fig. 6-9.
Claus besass diese Art aus Nizza und Messina. Ich
habe sie nicht wieder aufgefunden.
2. Onisc. triartioulatum Hall.
(Taf. IV Fig. III u. 7. Taf. V Fig. 1.)
Oniscidium triarticiäatum mihi in Vorläufige Diagnosen etc.
loc. cit. S. 180.
Körper nur wenig gewölbt, fast ganz flach, von der
Form eines mit der Spitze nach hinten gerichteten Eies.
Das Thierchen erreicht bei einer Breite von 1 mm eine
Länge von 1,5, jene verhält sich also zu dieser genau wie
2 : 3. Von der gesammten Länge fallen 0,62 auf den Cepha-
lothorax. Das Rostrum ist quer rechteckig, an den Seiten
etwas stärker chitinisirt. Die vorderen Ecken des Cepha-
lothorax sind stark abgerundet, die hinteren in Spitzen
ausgezogen. In der Mitte desselben erscheint ein offenbar
den Mundtheilen entsprechender dunklerer Fleck, am hir^^
teren Rande desselben eine längliche Verdickung der Chitin-
decke. Wir werden später fünf ähnliche finden, die hinter-
einander in einer Reihe liegen und von denen jeweilen
eine am Ende eines der freien hinteren Segmente steht.
Nur dem letzten Gliede fehlt sie. Dieses ward daher nicht
mehr dem Cephalothorax, sondern dem ersten mit ihm ver-
schmolzenen Hinterleibssegmcnte entsprechen. Von den
sechs freien Segmenten des Hinterleibes wird ein jedes
immer um etwas kürzer als das Vorhergehende, das erste
als der Cephalothorax. Dieser Abschnitt, oder wie ich
ihn mehr kurz als correkt bezeichnen will dieser Hinter-
leib ist an den beiden Seitenrändern tief eingeschnitten,
die Seitenflügel haben glatte Ränder und laufen in scharfe
Spitzen aus. Sie legen sich je weiter nach hinten zu
Beschreibung einiger neuen Peltidien. 65
immer enger an den Leib an, so dass sie vom dritten Seg-
mente an jeweilen das folgende Segment mit dessen Seiten-
flügel zwischen sich fassen. Das letzte Segment entbehrt
derselben ganz. Es ist kurz und höckerförmig. Seitwärts
von ihm stehen die Furcalglieder, welche in zwei Abschnitte
zerfallen. Wir sehen ein kürzeres Grundglied und ein
längeres, am Ende schwach verbreitertes Endglied, welches
eine massig lange und drei kürzere Borsten trägt. Jene
ist ungefähr von der Länge des Cephalothorax. Beim
Weibchen sind die Antennen siebengliederig (Taf. IV Fig. 7),
die drei ersten Glieder lang und gut ausgebildet, die vier
folgenden sehr klein, namentlich das zweitletzte erscheint
nur ringförmig; dabei ist ein reichlicher Besatz mit langen
Haaren vorzumerken. Der zweite Maxillarfuss ist sehr
gross, mit nur wenig langem Stiele, dickem Handgliede
und bedeutender Kralle (s. Taf. IV Fig 1 a). Das erste
Beinpaar (Taf. V. Fig. 1. b. b) kennzeichnet sich sofort
durch den kurzen und dicken inneren Ast, welcher deut-
lich aus drei Gliedern besteht, nämlich einem kurzen End-
gliede und zwei längeren am Anfange. Doch auch der
äussere erscheint ziemlich kurz und nur zweigliederig.
Jener trägt einige lange Schwimmborsten, dieser am Ende
drei verschieden lange stark gekrümmte und spitze Krallen.
Die Farbe dieser Art, welche ihren Namen von der
Beschaifenheit des inneren Astes ihres ersten Fusspaares
erhalten hat, ist ein helles Carminroth. Nur vor dem dunk-
len Flecken auf der Mitte des Cephalothorax findet sich
ein mondförmiger gelblicher Fleck. Der Panzer ist nur
schwach inkrustirt und von Skultpur ist wenig zu sehen.
Die Art stammt von verschiedenen Punkten um Messina,
wo sie nicht selten zu sein scheint.
3. Oniscidium scriptum Haller.
(Taf. IV Fig. IV u. 6, Taf. V Fig. 2. 3.)
Onisc. sculptum mihi. Dr. G. Ha Her Vorläufige Diagnosen
etc. loc. cit. S. 180.
Die Kückenfläche stark gewölbt, die Bauchfläche wenig
concav, Körper daher kaum durchsichtig. Seine Umrisse
sind eiförmig; dabei erreicht er bei einer durchschnittlichen
Archiv f. Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. 5
66 G. Hall er:
Breite von 1,0, eine Länge von 1,7 mm, also ist die Art nur
wenig gestreckter als die vorhergehende. Der Hinterleib
ist tief eingeschnitten, seine Seitenflügel quer abgestutzt,
etwas zackig. Die zwei hintersten derselben erscheinen
stark nach hinten gerichtet, so dass sie das folgende Kör-
persegment zwischen sich fassen. Das letzte Segment ver-
hält sich wie in der vorigen Art. An dem ausserordentlich
stark inkrustirten Thiere haben wir verschiedene Skulp-
turen zu beachten. Vor allem ist die Mitte des Cephalothorax
in der ganzen Längenrichtung kielartig erhöht. Nur vorne
verbreitert sich dieser Kiel zu einer Art Knauf; hinter
demselben beginnen zwei breite ausgehöhlte Furchen, welche
mit nach aussen gekehrtem Bogen auseinandertreten, sie
bilden eine V-förmige Figur von der ganzen Länge des
Cephalothorax. Sie verbreitern sich allmählich nach vorne
hin. Ihr Rand wird von einer tiefen und schmalen Rinne
umsäumt, welche nach aussen hin vier kurze Zweiglinien
sendet. Das Rostrum ist sehr breit und kurz, vorne leicht
ausgerandet. Auf der Mitte der freien Segmente des Hinter-
leibes bezeichnen die steil abfallenden Ränder einer wulst-
fömigen Verdickung die Grenze zwischen dem Körper und
dessen Seitenflügel. Auch um diese Wälle zieht sich eine
tiefe und schmale Rinne und gränzt sie gegen Aussen scharf
ab. Etwas modifizirt zeigt sich das letzte geflügelte Seg-
ment. Hier fehlt die abgerundete Rinne und der Wall ist
undeutlicher, üeberdies ist der vordere Rand dieses und
des vorhergehenden Segmentes durch eine kurze aber tiefe
Längsfurche in zwei gleiche Hälften getheilt. Die Furcal-
glieder sind kurz und griffeiförmig; sie stehen nicht ganz
um das Doppelte ihrer eigenen Länge auseinander und
tragen nur eine einzige und gefärbte Endborste, welche etwa
von der Länge des Cephalothorax ist. Auf der ganzen Rücken-
fläche, namentlich aber auf dem vorderen Körperabschnitte
finden sich zahlreiche porenartige blasse Stellen. Wie wir
am Seitenrande bemerken, entsprechen dieselben ebenso
vielen Oeffnungen kleiner kraterähnlichen Erhabenheiten.
In der Bildung des oberen Maxillarfusses (Taf. V Fig. 2)
glaube ich Aehnlichkeiten mit der von Claus gegebenen
Abbildung des entsprechenden Gebildes von Oniscidium ar-
Beschreibung einiger neuen Peltidien. 67
matum zu erkeiiDcn. Ebenso entspricht auch die Bildung
des ersten Fusspaares (Taf. V Fig. 3) den für die Gattung
allgemein geltenden Verhältnissen. Der äussere Ast besteht
aus drei langgestreckten Gliedern, trägt am Ende eine lange
Kralle und zwei kürzere Borsten, der innere Ast ist da-
gegen aus zwei ungefähr gleich langen Gliedern zusammen-
gesetzt, das zweite derselben trägt am quer abgestutzten
Ende zwei lange Borsten. Der innere Ast steht dem äus-
seren an Länge nur wenig nach. Der fünfte Fuss (Taf. IV
Fig. 6) ist einfach, massig lang, stielrund und gebogen,
was ich als hornförmig bezeichnen möchte. Auf seiner
äusseren Seite stehen sechs bis sieben steife, starke und
nur wenig lange Borsten von dunkelrother Färbung. Ueber-
haupt sind die meisten Haargebilde tiefer gefärbt als der
Körper. Dieser ist bei auffallendem Lichte purpurroth, bei
im Präparat durchfallendem carminroth gefärbt. Nur etwas
vor der Mitte des Cephalothorax und zu beiden Seiten von
dessen zugerundetem Kiele stehen zwei grosse helle und
gelbliche Flecken. — Ich brachte das hübsche Thier in
zwei Exemplaren von einer kleinen Excursion nach Lipäri mit.
U. Subgeniis Zausoscidiiim.
(Taf. V Fig. III. IV u. 4.)
Zausoscidium gen. nov. mihi. Vorläufige Diagnosen etc. loc.
cit. S. 179.
Pedum primi paris rami ambo prehensiles, externus
articulo tertio, minimo, apice uncis armatus; internus
crassus biarticulatus, subcheliformis.
Die einzige hierher gehörende Art, einer der kleineren
Copepoden, bietet in dem Baue seines ersten Fusspaares
so abweichende Verhältnisse von dem von Claus für die
Gattung Oniscidium Geforderten, dass ich sie lange Zeit für
den Repräsentanten einer besonderen Gattung hielt, welche
ich denn auch in der oben citirten Mittheilung beschrieb.
Allein bei noch sorgfältigerem Studium erweisen sich alle
übrigen Verhältnisse so übereinstimmend mit Oniscidium,
dass ich mich leicht überzeugte, die gegenwärtige Stellung
sei die naturgemässere. Der Name ist zusammengesetzt
68 G. Haller:
aus Zaus und Oniscidium, wo bei letzterer GattuDgsbezeicbnuug
eine Silbe weggelassen wurde, damit nicht ein allzulanges
vielsilbiges Wort entstünde.
Die einzige bis jetzt bekannte Art ist:
Zausoscidium Folii mihi.
(Figuren wie oben.)
Zausoscidium Folii mihi. Dr. G. Ha 11 er Vorläufige Dia-
gnosen etc. loc. cit. pag. 179.
Das Thierchen erreicht bei einer Breite von 0,9 mm
eine Länge von 1,4 mm, von letzterer fallen 0,6 mm auf den
Cephalothorax. Im Allgemeinen sind die Körperumrisse
wie bei den übrigen Arten von Eiform. Vorn ist der Kör-
per stark verdickt und massig convex, nach hinten wird
er immer dünner und flacher. Die Bauchfläche erscheint
im Ganzen ziemlich flach. Vorn ist der Cephalothorax
quer abgestutzt und bildet in einer leichten Aushöhlung
Raum für die beiden Antennenpaare (m. vgl. Fig. III Taf. V),
von denen das vordere hinter dem unteren steht. Sein
Rostrum ist kurz und breit, leicht ausgerandet, zu beiden
Seiten desselben leichte Chitinverdickungen; seine vorderen
Schulterecken sind zackig abgebrochen, die hinteren in
abstehende Spitzen ausgezogen. Der hintere leicht doppelt
ausgebuchtete Rand trägt einen röthlich gefärbten Chitin-
höcker, welcher auch hier wieder dem mit jenem ver-
schmolzenen ersten Hinterleibssegmente anzugehören scheint,
denn wir treffen auch hier die nämliche Reihe Höcker wie
bei Oniscidium friarticulatum. Der Hinterleib ist tief und
breit ausgeschnitten, seine Seitenflügel sind lang, nach
hinten zugespitzt und scharf gezackt; sie treten noch weit
stärker nach hinten zurück als bei den vorigen Arten.
Schon diejenigen des dritten Segmentes fassen einen grossen
Abschnitt der folgenden zwischen sich, die letzten sind
starr nach hinten gerichtet und überragen das Körperende
beträchtlich. Diejenigen des drittletzten Hinterleibssegmentes
sind die mächtigsten und stark blattförmig; sie scheinen
zwei verschmolzenen Segmenten anzugehören; diejenigen
des vorletzten sind die kleinsten. Das letzte Körpersegment
Beschreibung einiger neuen Peltidien. 69
ist kurz und liöckerartig. Es entbehrt ihrer ganz. Auf der
Rücken- wie Bauchfläche bemerken wir zwei Systeme von
sich kreuzenden und unter sich winkelige Figuren bildenden
Chitinleisten, von denen das eine mehr dem Rande ange-
hört und die entsprechenden Abschnitte umsäumt, das andere
mehr die Mitte inne hält. Die Furcalglieder sind länger
als das höckerartige letzte Körpersegment; sie stehen nahe
bei einander und dei* Zwischenraum beträgt etwa die Hälfte
ihrer eigenen Länge. Sie tragen eine einzige lange und
mehrere ganz kurze Endborsten. Jene ist ungefähr von
der Länge des Cephalothorax.
Der untere Maxillarfuss ist sehr gross, mit einer Greif-
hand bewaffnet. Sein Stiel ist nur von massiger Länge.
Am auffallendsten verhält sich der erste Fuss, da dessen
Aeste beide zum Greifen eingerichtet sind (Fig. III u. 4.
Taf. V). Derselbe erinnert in der Bildungsweise der ba-
salen Grundstücke vollkommen an die entsprechende Extre-
mität der Oniscidien, derjenige des äusseren Astes an
einen Harpacticus, der innere Ast ist dagegen eine ganz
eigenartige Bildung. Darin dass beide x\este zu Greif-
armen umgewandelt sind, muss Verwandtschaft mit Zaus
erkannt werden, von welcher Gattung Claus in seiner la-
teinischen Diagnose sagt: rami ambo prehensiles. Versuchen
wir nun .diese Verhältnisse auch durch die Beschreibung
zu veranschaulichen. Der äussere Ast besteht aus zwei
ungefähr gleich langen Grundgliedern, die ungefähr drei
bis vier mal so lang sind wie breit. Ein jedes derselben
trägt in der Mitte an seiner Innenseite, das zweite auch
an seiner Aussenseite nahe dem sich verschmälernden Ende
eine Borste. Das dritte Glied ist sehr klein, ungefähr
dreieckig und trägt zwei kurze Krallen verschiedener Grösse.
Der Aussenast ist fast zwei Mal so dick wie der innere
und besteht aus zwei gedrungenen Gliedern, von denen das
erste an beiden Enden, das zweite nur am Grunde etwas
verschmälert ist. Es endet breit abgestutzt und bietet an
seiner äusseren Seite Raum für eine starke Kralle, nach
innen für einen Höcker. Es entsteht mithin eine Bildung,
welche einiger Massen an die subcheliformen Scheeren der
Decapoden erinnert. Auf diesem Höcker, sowie nach aussen
70 G. Haller:
vom Ende des ersten Gliedes finden sich jeweilen zwei
längere Borsten. Die übrigen Beine sind schmächtig und
etwas abgeflacht; das fünfte Paar kurz, einfach und horn-
förmig (Fig. 6 Taf. IV). Die Färbung dieser Art, welche
ich in Messina in einigen Exemplaren sammelte, ist ein
helles Braun, gegen das sich die rothen Höckerchen auf
der Rückenfläche hübsch abheben.
In oben oftmals erwähnter vorläufiger Mittheilung habe
ich unter der Bezeichnung Oniscidium incertum mihi noch
eine weitere neue Peltidie zu kennzeichnen gesucht. Die-
selbe ist mir aber leider durch einen unglücklichen Zufall
verloren gegangen, bevor ich eine Zeichnung oder ausführ-
liche Beschreibung davon hätte anfertigen können; so muss
ich denn von einer weiteren Schilderung derselben abstehen.
Erklärung der Abbildungen auf den Tafeln IV und V.
Taf. IV. Fig. I. Porcelliäium ovatum Hall. Oc. 4. Syst. 4.
„ n. Porcellidium parvulum Hall. Oc. 3. Syst. 4.
a. Männchen, b. Weibchen.
„ HI. Oniscidium (Peltidium) triarticulatum Hall, unter
nämlicher Vergrösserung wie die Vorigen.
„ IV. Oniscidium (Peltidium) sculptum Hall. Unter näml.
Vergr. bei auffallendem Lichte gemalt.
Fig. 1. Eigenthümliche Dorne mit Plättchen, an der Spitze der
Krallen des zweiten Maxillarfusses. Oc, 4. Syst. 7.
„ 2. Maxillarpalpus. Oc. 4. Syst. 7.
„ 3. Fünfter Thoracalfuss. Oc. 4. Syst. 6. gleich den vorher-
gehenden Figuren von Porcellidium ovatum Hall.
„ 4.. a rechte Caudalplatte, b fünfter Thoracalfuss der nämlichen
Seite des Weibchens.
„ 5. a linke Caudalplatte und b rechter letzter Thoracalfuss
des Männchens von Porcellidium ovatum^ beide Figuren
unter Oc. 4. Syst. 6.
„ 6. Fünfter Thoracalfuss von Oniscidium sculptum Hall. Oc. 4.
Syst. 6.
„ 7. Vorderer Fühler von Oniscidium triarticulatum Hall. Oc. 7.
Syst. 6.
Beschreibung einiger neuen Peltidien. 71
Taf. V. Fig. I. Oniscidium (ZausoscidiumJ Folii Hall, von der
Rückenseite Oc. 3. Syst. 6.
„ II. Oniscidium (Zausoscidium) Folii Hall, von der
Bauchseite. Oc. 3. Syst. 4.
Fig. 1, a Unterster Maxillarfuss rechter Seite, bb' erstes Thoracal-
fusspaar von Oniscidium triarticulatum Hall. Oc. 3. Syst. 6.
„ 2. Oberer Maxillarfuss von Oniscidium sculptum Hall. Oc. 3.
Syst. 6.
„ 3. Erster Thoracalfuss von Oniscidium sculptum Hall. Oc. 3.
Syst. 6.
„ 4. Erster Thoracalfuss von Oniscidium Folii. Oc. 3. Syst. 6.
NB. Die Zeichnungen wurden unter Anwendung der Camera
lucida von Nachet nach Präparaten in Farrant'schem Medium
gemacht. Zu den Beobachtungen wurde ferner nur ein kleines
Hartnack'sches Mikroskop benutzt und die Angaben der combinir-
ten Linsensysteme beziehen sich auf dasselbe bei eingestossener
Kammer.
Rhynchopsyllus, eine neue Puliciden-Gattung,
in einigen Worten gekennzeichnet.
Von
Dr. Gl. Haller.
Hierzu Tafel VI.
Grattungscliarakteristik : Kopfgross, Thoracalseg-
mente sehr schmal, einen halsartigen Uebergang
zwischen Kopf und Abdomen bildend. Hinterleib
der Weibchen zur Zeit der Reife zu einer maden-
förmigen, deutlich segmentirten Masse anschwel-
lend. Fühler viergliederig, denjenigen der übrigen
Puliciden ähnlich. Punktaugen äusserst klein, weit
nach vorne verlegt. Mundtheile sehr ausgebildet.
Rüssel überaus lang. Mandibeln sehr deutlich,
von der Form eines Reisszahnes mit rückwärts ge-
krümmtem bogenförmigem und viergliederigem
Taster. Unterlippe so lang wie die Unterkiefer,
einfach, muldenförmig mit zweigliederigem ein-
schlagbarem Taster. Füsse Springbeine und wie
bei den übrigen Aphanipteren beschaffen.
Verwandtschaftsverhältnisse: Der Parasit, dem obige
kurze Diagnose gilt, kennzeichnet sich wie aus nachfolgen-
der Beschreibung und beigefügter Zeichnung aufs Deut-
lichste hervorgehen wird, sowohl durch die äussere wie
innere Anatomie als einen ächten Puliciden. • Er bietet
uns die deutlichsten Anknüpfungspunkte mit den drei bis
Rhynchopsyllus, eine neue Puliciden-Gattung. 73
jetzt mit voller Sicherheit bekannten Gattungen Pulex, Cera-
topsyllus und Sarcopsyllus (Rhynchoprion Oken) dar. Mit
dem menschlichen Flohe stimmt er durch die Gestalt, nament-
lich durch die schmalen Tlioracalsegmente, lerner durch das
Fehlen des Rückenkammes iiberein. Wir haben aber bis
jetzt noch keinen ächten Pulex auf einem anderen Säuge-
thiere als den Bimanen gefunden. Durch seinen Aufenthalt
auf einem Cheiropteron erinnert das Thier an Ceratopsyllus,
welcher ebenfalls als Parasit auf Thieren dieser Ordnung
vorgefunden worden ist. Sonst lassen sich zwischen beiden
Gattungen noch verschiedene gemeinschaftliche Merkmale
auffinden. Mit Rhynchoprion Oken besitzt das Thierchen
unter anderem die gemeinschaftliche Eigenthümlichkeit, dass
seine Weibchen unter gewissen Bedingungen ihr Körper-
volumen verändern und unförmlich aufgedunsen erscheinen;
freilich mit dem Unterschiede, dass dort ihre Gestalt eine
unförmlich kugelige wird, hier immer eine deutlich segmen-
tirte, madenförmige bleibt. Es bildet mithin diese Gattung
ein Bindeglied zwischen Ceratopsyllus Pulex und Rhyncho-
prion, vermittelt aber namentlich den Uebergang zwischen
den beiden letzten Genera. Unterschieden ist sie von allen
Gattungen durch die muldenförmige Unterlippe nebst deren
langen, zweigliederigen Tastern, den deutlichen Unterkiefern
und durch die beträchtliche Länge des aus Mandibeln und
Labrum gebildeten Rüssels, welche beinahe derjenigen des
halben Leibes gleichkommt. Von letzterer Eigenschaft habe
ich den Namen der neuen Gattung hergeleitet und glaube
dadurch auch ein bequemes Mittel gefunden zu haben, um
die verschiedenen verwandtschaftlichen Beziehungen zu be-
zeichnen; man sieht nämlich leicht ein, dass in Rhyncho-
psyllus das erste Wort der Gattung Rhyncho-prion, das
zweite Cerato-psyllus entnommen ist, durch den Species-
namen ist die dritte und hauptsächlichste Annäherung aus-
gedrückt worden.
Gilt es nun diese anatomischen und phyisologischen
Verwandtschaften zwischen den vier nunmehr mit voller
Sicherheit bekannten Gattungen durch eine dichotomische
Zusammenstellung sichtbar zu machen, so kann es folgender
Maassen geschehen:
74 G. Haller:
^r ■■, ■, ■ i ^iß Gliederung wird
Weibchen zu emer Im . , , -n, •,
TT . T J vollkommen verwischt . , Bhynchopnon.
gewissen Lebensperiodex t^- /^i- j i i i i
^.. ,. , , „ -,1 Die Gliederung bleibt
umormlich anschwellend!, ,,. , -r.» ,
V deutlich Ehynchopsyllus.
Die Weibchen verän- ( Rückenkämme vor-
dem ihr Volumen nie < banden Ceratopsyllus.
auf so auffallende Weise ( Rückenkämme fehlen. Pulex.
Material: Der Ectoparasit, welcher dieser beschei-
denen Studie zur Grundlage dient, wurde von mir auf einem
Molossus gesammelt, welcher als Weingeistpräperat aus
Brasilien nach Genf gekommen war. Aufmerksam gemacht
durch den Präparator des Museums beobachtete ich sie als
ungefähr reiskorngrosse madenförmige Schmarotzer hinter
den Ohren. Diesen Standpunkt scheinen sie mit grosser
Vorliebe zu wählen, denn an dem einzigen von mir unter-
suchten Individuum fand ich hier ungefähr 25 Individuen
und nur noch sechs bis acht am übrigen Körper. Obwohl
mein Material mithin ein sehr reichliches genannt werden
könnte, blieb es doch sehr unvollständig. Vor Allem ist mir
kein einziges Männchen zu Gesicht gekommen; unter den
33 Weibchen gelang es mir sodann nur zwei im normalen,
mithin nicht aufgedunsenen Zustande aufzufinden, und auch
diese nur beinahe unversehrt. Unter den madenförmig auf-
getriebenen Weibchen konnte ich trotz aller angewandten
Sorgfalt nur zwei ohne Zurticklassung des Kopfes losprä-
pariren, und kein einziges unter diesen besitzt die voll-
kommene Ausrüstung mit Locomotionsorganen. Mein Mate-
rial erinnert so eher an dasjenige eines Paläontologen, wie
eines Zoologen. Von einer Beschreibung der Species will
ich mithin absehen, doch ist es mir möglich an Hand dieser
Bruchstücke die Gattungscharaktere in einigen Worten zu
schildern und sodann einen Blick auf einzelne anatomische
Verhältnisse zu werfen.
Aeussere Körperverliältnisse: Aus eben angeführten
Gründen gilt die Beschreibung der äusseren Anatomie einzig
dem Weibchen, welches jedoch die auffallendsten Merkmale
der uenen Gattung zur Schau trägt. Die äusseren Körperver-
hältnisse des Männchens weichen vermuthlich nur sehr
wenig von den nachzubeschreibenden ab. Was die Weibchen
Rhynchopsyllus eine neue Puliciden-Gattung. 75
anbelangt, so werden wir zwei Formen unterscheiden müssen.
Die eine, welche ich als die madenförmige bezeichnen werde,
bietet uns das weibliche Thier zur Periode der Eierablage
dar, mithin wenn dessen Hinterleib voll Eier gepfropft ist,
die andere heisse ich im Gegensatze zu dieser die normale.
Das Weibchen zeigt sich uns unter derselben ausserhalb
jener Periode. Es erinnert diese Gestaltsveränderung einiger
Maassen an das, was wir für einige Milben (Dermaleichen)
kennen. Auch Hesse sich ein äusserer Vergleich des Weib-
chens von Ceratopsyllus mit der Königin der Termiten
leicht festhalten.
Das normale Weibchen bietet nun vollkommen den für
die Puliciden allgemein geltenden Körperbau dar. Wir
bemerken an ihm (Taf. VI Fig. 1) einen achtgliederigen
Hinterleib, drei deutlich getrennte Thoracalsegmente und
einen grossen, im seitlichen Umrisse fast dreieckigen Kopf.
Der Hinterleib erweist sich als stark compress, der Form
nach als ungefähr oval und als wenig stark chitinisirt.
Die schmalen und wenig umfangreichen Chitinschilder
nehmen namentlich seinen Rücken- und Bauchtheil in An-
spruch. Seine Seitentheile werden dagegen fast ganz von
der weichen Haut bekleidet, welche die Chitinschilder unter
sich, verbindet; diese reichen weder an der Rückenseite
weit herab, noch an der Bauchseite weit herauf. Es wird
dadurch dem Körper jene grosse Ausdehnung ermöglicht,
welche wir bald für das reife Weibchen kennen lernen.
Vor allen übrigen Puliciden kennzeichnet sich sodann
unsere neue Gattung durch die überaus schmalen Thoracal-
segmente. Diese verschmelzen bei den Flöhen bekanntlich
nie zu einem Thorax, wie es doch bei den übrigen Dipteren
der Fall ist. Auch bei Rhynchopsyllus bleiben sie deut-
licher getrennt und bilden nur durch ihre Gesamlntheit
einen schmalen halsähnlichen Uebergang zwischen Kopf
und Abdomen. Dieser Abschnitt, welchen wir als Thorax
bezeichnen können, wird an Länge von dem mächtigen
Kopfe mehr als um die Hälfte übertroffen und jener steht
ihm auch an Höhe nicht nach.
An dem aufgedunsenen Weibchen ändern zwar diese
Verhältnisse wesentlich, jedoch nie so weit, dass die allge-
76 G. Haller:
meine Gliederung so sehr gestört würde wie bei Rhyncho-
prion. Dieselbe gibt sich im Gegentheil immer noch als
die normale eines Puliciden zu erkennen. Vergleichen
wir aber dieses Stadium — es wurde in Fig. 2 unter näm~
lieber Vergrösserung wie Fig. 1 unter der Camera lucida
gezeichnet, so stossen wir auf einen so augenfälligen Unter-
schied, wie wir ihn weder von Ceratopsyllus, noch von
Pulex kennen. Derselbe erinnert etwas an die auffallende
Körperveränderung von Rhynchoprion. Der Hinterleib
schwillt nämlich durch die sich immer mehr mehrende
Masse von Eiern auf's Auffälligste an und erhält schliess-
lich ein Volumen, das dasjenige des normalen Weibchens
fast um das Dreifache übertrifft. Gleichzeitig geht seine
stark compresse Form in eine durchaus walzliche über, die
dadurch, dass seine beiden Enden etwas verjüngt sind, an
diejenige eines Reiskornes erinnert. Bei dieser auffallenden
Gestaltsveränderung, welche eine sehr allmähliche ist, durch
die grosse Weichheit des Körpers ermöglicht wird und
wahrscheinlich von einer bis mehreren Häutungen unter-
brochen ist, geht die Segmentirung nicht verloren, doch
ändert sich das Verhalten der einzelnen Segmente unter
einander. Am mächtigsten erscheinen fünf bis sechs, nur
wenig stehen ihnen zwei, drei und sieben an Grösse nach,
dagegen sind das erste und achte sehr klein, ja letzteres
scheint sich so sehr in das Vorhergehende zu verlieren,
dass nur sein Ende, mithin Geschlechtsöffnung und After
hervorgucken. Die beiden vorderen Tboracalsegmente sind
dieser Gestaltsveränderung nicht unterworfen und bleiben
durchaus unverändert, nicht so das Dritte. Dieses dehnt
sich erstlich namentlich in seinen unteren Parthien etwas
nach hinten aus und erhält ferner einen kragenähnlichen
flachen Chitinrand massiger Breite, welcher sich dem ge-
dunsenen und weichen Hinterleib von vorne aufs Innigste
anschmiegt, und wohl ganz mit ihm verwächst. Er kann
etwa mit dem Rückenschilde von Ixodes verglichen werden
und unterstützt die Volumsveränderung des Körpers auf
ähnliche Weise wie dieser. Durch seine dunkle Färbung
hebt er sich auffallend von dem gelblichen Hinterleibe ab
Rhynchopsyllns eine neue Puliciden-Gattung. 77
und gibt sich auf den ersten Blick als zu den Thoracal-
segmenten gehörig zu erkennen.
Mit Ausnahme dieser Gestaltsveränderungen besitzen
natürlich die Weibchen alle übrigen Merkmale gemeinsam
und ich kann mich daher darauf beschränken, dieselben
für eine dieser Formen — nehmen wir dafür die normale
— zu beschreiben. Einiger vielleicht mehr zufälligen Ver-
schiedenheiten werde ich beiläufig gedenken.
Der Kopf (vergleiche Fig. 1 — 3) ist gross, sein Vo-
lumen übertrifft bei weitem dasjenige der drei Thoracal-
segmente. Seine Form erweist sich, wie bereits oben er-
wähnt, im Umrisse und von der Seite gesehen ungefähr
als dreieckig. Die eine Spitze desselben wird durch die
stark zugerundete Stirn, die zweite hintere und obere durch
das etwas vorspringende zugerundete Occiput gebildet, die
dritte endlich liegt fast senkrecht unter diesem und in
gleicher Flucht mit den Bauchplatten. Die obere Kopf-
gegend ist stark gewölbt, ebenso die seitlichen, die hintere
etwas nach vorn verzogen und kaum merklich ausgerandet,
die untere wagerecht abgestutzt. Die hinteren Ränder
werden nebst den unteren von einer dunklen Chitinleiste
umsäumt, welche in der Wangengegend jederseits einen
nach oben aufsteigenden Stamm ausschickt, der sich unge-
fähr in halber Höhe des Kopfes in zwei Aeste theilt, der
kürzere und einfache zieht nach vorn. Der nach hinten
gerichtete erscheint als Fortsetzung des unteren einfachen
Stammes und bildet mit dieser eine schwach concave Linie,
welcher sich die Fühler anschmiegen. Er schwillt nach
oben kolbig an und scheint eine Höhlung zu umschliessen,
welche nach innen durch eine elliptische oder rundliche
OeflPnung mit dem Kopfinnern in Verbindung steht. Die
Bedeutung dieses Gebildes kann ich nicht angeben, ich hielt
dasselbe Anfangs für das Auge und es tritt auch ähnlich
einem solchen in unserer Zeichnung hervor.
Die untere Seite des Kopfes ist in zwei Hälften ge-
trennt, von denen die vordere über die hintere etwas vor-
ragt, dicht unter der eben beschriebenen Leiste endet sie
durch einen nach hinten vorstehenden Hackenfortsatz deut-
lich abgesetzt von der hinteren einfachen Parthie. Die
78 G. Haller:
vordere deutlich vortretende Hälfte trägt die Mundtheile
(vergleiche Fig. 3), die einen eigenthümlichen für die Gat-
tung charakteristischen Bau zeigen. Zuvörderst und dicht
unterhalb der Stirn fällt ein ausserordentlich langer und
stark gebräunter Rüssel (Fig. 3 md) in die Augen, welcher
an seinem unteren Ende etwas nach vorne gekrümmt ist.
Er kommt an Länge ungefähr Kopf und Thorax gleich, es
kann mithin unter den übrigen Puliciden mit ihm nur
der Rüssel von Rhynchoprion verglichen werden. Auch
besteht er gleich diesem nur aus den paarigen Mandibeln
(Fig. 3 u. 6 md), welche die Scheide bilden und der un-
paaren Oberlippe (Fig. 6 1), welche ganz im vorderen Ab-
schnitte des letzteren verborgen liegt, Stechborsten fehlen.
Die Oberkiefer sind zwei schmale und flache degenförmig
zugespitzte Chitinstücke von der Länge des gesammten
Rüssels. Ihre beiden Ränder sind von einer doppelten
Reihe starker Höcker besetzt, welche ungefähr die Form
kurz begrannter Getreidekörner haben (Fig. 7), welche
ihre Grannen nach oben kehren, und zwar richten dieje-
nigen der inneren die ihren nach innen, diejenigen der
äusseren nach aussen. Es entsteht so ähnlich dem mit
Widerhacken besetzten Rüssel der Ixoden ein fürchter-
liches Instrument. Ist dasselbe einmal als Anker in den
Körper des Wirthes eingelassen, kann es wider Willen
des Parasiten nicht mehr zurückgezogen werden. In der
That sahen wir denn schon oben, dass ähnlich wie bei den
Zecken, der Körper meiner Rhynchopsyllen nicht anders
als mit Zurücklassung des Kopfes entfernt werden konnte.
Nach vorne schliesst diese Scheide die unpaare Oberlippe
ein. Wenn von den Oberkiefern gesagt werden muss, dass
sie stark compress sind, ist dieses in eben so hohem Maasse
vom Labrum der Fall. Es tritt dasselbe daher nur zu Tage,
wenn die es zwischen sich fassenden Oberkiefer entfernt
oder durch Zufall abgebrochen sind (Fig. 6 Ir). Wir sehen
dann dass dasselbe ebenfalls ein degenförmiges und schma-
les, jedoch unpaares Stück bildet. Seine vordere Kante
zeigt eine Reihe concaver Ausschnitte, zwischen denen er-
habene Spitzen stehen, die durch Chitinknoten verstärkt
sind. An seinen Seitenflächen treten erhabene Mittelkanten
Rhynchopsyllus eine neue Puliciden-Gattung. 79
hervor, welche man vielleicht als die mit der Oberlippe
verschmolzenen Stechborsten betrachten kann. Nach hinten
folgen auf diesen Rüssel die Unterkiefer (Fig. 3 m u. Fig. 8 mx).
Diese sind deutlich vorhanden und zwar unter der Form
starker schwarzbrauner Reisszähne; sie tragen an ihrem
oberen Ende nach vorne einen rückwärts gekrümmten Jfaster
(Fig. 3 pmx) von beträchtlicher Länge. Dieser besteht aus
vier verschiedenen Gliedern; von diesen ist das erste bogen-
förmig gekrümmt und das längste. Die zwei folgenden
erweisen sich als kurz und unter sich von gleicher Länge,
das vierte endlich hält die Mitte zwischen diesen und dem
ersten. Der Form nach ergibt es sich als doppelt konisch,
gegen das freie Ende hin als zugespitzt, gegen die Arti-
culation hin aber als abgestutzt. Der ganze Taster starrt
von kurzen Härchen. Als letztes Stück finden wir endlich
eine deutliche Unterlippe (vergl. Fig. 8 C) vor. Sie steht an
Länge nur wenig hinter den Maxillen zurück und besteht
aus einem unpaaren Stücke. Dieses hat ungefähr die Form
einer nach unten und wenig nach vorn vorstehenden Mulde,
deren oberer Theil im Kopfe verborgen ist. Ihre Taster
(Fig. 3 It u. Fig. 8 It) bestehen aus zwei deutlich getrennten
Gliedern, stehen zwar an Länge bei weitem hinter den
Mandibeln zurück, erhalten aber eine Grösse und Ausbil-
dung, wie wir sie einzig an den Rhynchopsyllen finden
dürften. Ihre beiden Glieder sind ungefähr von gleicher
Länge, aber von verschiedener Form. Das erste ist einfach,
stielförmig. Das zweite erweist sich dagegen nach dem
Streckungsrande hin als in der Mitte verdickt, nach dem
Ende hin in eine stumpfe Spitze auslaufend. Es ist vom
vorhergehenden deutlich abgesetzt und scheint am Beugungs-
rande gleich einer Messerklinge schneidend zugeschärft.
Diese Taster werden wohl gewöhnlich eingeklappt getragen,
wie wir dieses in Figur 3 sehen.
Die Bedeutung dieser Mundtheile scheint mir selbst-
verständlich. Der mächtige Rüssel dringt unter sägeför-
miger Bewegung der Oberlippe in den Körper des Wirthes
ein und die mit rückwärts gerichteten Widerhacken be-
setzten Mandibeln verankern sich in der Haut. Wie wirk-
sam diese Befestigung ist, haben wir oben gesehen. Nun
80 G. Hailer:
kneipen die zangenförmig nach einwärts und gegen ein-
ander gerichteten Maxillen die Haut zu einer Falte zu-
sammen, nach welcher sofort ein vermehrter Blutandrang
stattfindet. Die Labialtaster werden gleich einem Schlacht-
messer aufgeklappt, das zweite Glied derselben dringt in
die W<unde und erweitert dieselbe. Das nunmehr reichlich
hervorquellende Blut wird von der muldenförmigen Unter-
lippe gierig aufgeschöpft und durch den engen Oesophagus
eingesogen. Am Ende desselben befindet sich, wie wir
später sehen werden, ein Pumpwerkzeug, das gleichzeitig die
Zermalmung der Blutkörperchen besorgt.
Am Kopfe treffen wir endlich zwei Sinnesorgane,
nämlich Fühler und Augen. Erstere (Fig. 3 f u. Fig. 4)
erinnern in ihrer Form durchaus an diejenigen der übrigen
Puliciden. Ihrer allgemeinsten Form nach erweisen sie
sich als bogenförmig gekrümmt, sie enden kolbenförmig und
bestehen aus vier deutlichen Gliedern. Das erste derselben
ist glockenförmig, seine Articulation schräge nach innen
abgestutzt. Das zweite krümmt sich an der convexen
Seite des Fühlers in weitem Bogen, um sich mit dem ersten
zu verbinden, sein inneres kurzes Ende ergibt sich als in
einen flachen und breit zugerundeten Fortsatz ausgezogen,
der einige Borsten trägt. Das dritte Glied ergibt sich als
schmal und ringförmig. Der letzte Abschnitt ist weitaus
der mächtigste und scheint durch Verschmelzung einer
grösseren Anzahl von Gliedern hervorgegangen zu sein.
Wenigstens glaube ich muss man für den Ausdruck der-
selben die acht am Ende spitz auslaufenden Platten des
complicirten Sinnesapparates halten. Was das Ange anbe-
langt (Fig 3 a), so ist dasselbe äusserst klein und besteht
nur aus einem schwärzlichen Pigmentflecken, welchen wir
ganz nach vorne fast hart über der Wurzel des Rüssels ver-
legt finden.
Am ersten und letzten der drei schmalen Thoracal-
segmente erkennen wir die nämlichen rudimentären Ge-
bilde, wie bei den übrigen Flöhen. Am ersten treten uns
dieselben unter der Form eines halbrunden Chitinplättchens
(Fig. 5 fl) entgegen. In gleicher Flucht mit ihm, doch ganz
am hinteren Ende seines Segmentes liegt das beträchtlichere
Rhynchopsyllus eine neue Puliciden-Gattung. 81
Rudiment des zweiten Fingelpaares Fig. fl'), welches im
Ganzen noch eine flitgeli'ürmige Gestalt bewahrt hat und
an Umfang dasjenige des ersten wohl um das Dreifache
übertrifft. Etwas unterhalb der Linie, welche man sich
durch den Ursprung beider Rudimente gezogen denken
kann, liegt das stark vortretende Mittelbruststigma. Es ist
das einzige des ganzen Thorax und kennzeichnet sich vor
den homogenen Bildungen des Abdomens durch seine apfel-
kernf()rmige Gestalt; seine Spitze ist schräg nach unten
und vorn gerichtet, seine Ränder werden von starken Chitin-
leisten umsäumt. Die Bauchplatten der Thoracalsegmente
erfreuen sich einer gewaltigen Ausbildung und tragen nach
hinten einen starken flachen gebräunten Dorn. Die mit
ihnen verbundenen Füsse sind vollkommen nach dem Typus
derjenigen von Pulex geformt. Ohne mir weiter daraus
eine Schlussfolgerung zu gestatten, erwähne ich, dass nur
die beiden normalen Weibchen sämmtliche Locomotions-
organe besassen, bei den zahlreichen madenförmig aufge-
triebenen Formen fehlten dieselben theilweise oder ganz.
An den ersten Hinterleibssegmenten fehlen die für die
Gattung Ceratopsyllus wichtigen Hornkämme durchaus. An
ihrer Stelle treffen wir auf dem ersten und zweiten Ringe
eine -einfache Reihe steifer Borsten. Das achte Segment
ist nach hinten einfach zugerundet und besitzt eine lange
von doppelter Vulva umsäumte Geschlechtsspalte. Längs
derselben steht eine doppelte Reihe starker Borsten. Dicht
überhaib derselben ist das eigenthümliche sattelförmige
Chitinfeld zu bemerken, das für sämmtliche Puliciden cha-
rakteristisch ist. Es zerfällt dasselbe in eine vordere und
eine hintere Hälfte. Auf der vorderen Hälfte erheben sich
zahlreiche, dicht gedrängte Ohitinspitzen von ausserordent-
licher Feinheit. Rechts und links von der Rückenkante
und am Grunde jener Spitzen sehen wir eine Gruppe kreis-
runder Figuren, aus deren Mitte sich je ein Chitinhaar er-
hebt. Dieses ist w^ahrscheinlich als specifische Nervenen-
digung zu betrachten und unterscheidet sich durch Feinheit
und Farblosigkeit von den starren dicken und braunge-
färbten Borsten, welche sich dicht gedrängt auf dem hin-
teren Theile des Sättelchens erheben (Vergl. Fig. 12).
Archiv f. Natnrg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. 6
82 G. Hall er:
Species. Trotz meiner sorgfältigsten Studien der ein-
schlägigen Litteratur ist es mir nicht gelungen, auch nur
die Spur eines hierher zu beziehenden Thieres ausfindig
zu machen. Ich nehme desshalb an, dass die Art, welche
dieser Skizze zu Grunde lag, auch die einzige hierher ge-
hörende ist. Aus gänzlichem Mangel an Männchen muss
ich es unterlassen dieselbe genau zu diagnosticiren. Viel-
leicht ist sie auch schon durch obige Schilderung kenntlich
gemacht und in diesem Falle möchte ich vorschlagen, sie
ihrer Aehnlichkeit mit dem gemeinen Flohe halber Rhyn-
chopsyllus pulex zii heissen. Dieselbe mag hier ferner durch
Angabe einiger Grössenverhältnisse und durch Beschreibung
der Farben noch näher signalisirt werden.
Die Grössenverhältnisse der von mir untersuchten dreissig
madenförmigen Weibchen stimmten im Ganzen überein. Sie
maassen von der Stirnspitze an bis zum hinteren Körper-
ende 3 — 3,5 mm, die Höhe des Hinterleibes 1,2 bis 1,5, die
Länge dieses letzteren allein 2,5 bis 3 mm. Begreiflicher
Weise ändern diese Verhältnisse für die Weibchen im nor-
malen Zustande wesentlich. Ihre Länge betrug etwa 1,3
bei einer grössten Höhe von 0,6. Zur Vergleichung und
Beurtheilung der Länge des Rüssels führe ich noch an,
dass diese 0,6 bis 0,7 beträgt.
Was die Färbung anbelangt, so geht dieselbe schon
aus meiner Farbenskizze hervor. Sie ist für Kopf, Thorax-
segmente und Mundtheile, soweit letztere stark chitinisirt
sind, ein dunkles Braun, das sich namentlich an den Unter;
kiefern fast bis zu Schwarz steigert. Die weniger chitini-
sirten Mundtheile verrathen sich durch eine mehr oder we-
niger hellgelbliche Färbung. Bräunlichgelb erscheinen end-
lich der Hinterleib im nüchternen Zustande und die Loco-
motionsorgane.
Was das Vaterland der Species anbelangt, so stammt
dieselbe wie bereits oben erwähnt aus Brasilien. Sie wurde
in grosser Anzahl namentlich in der Ohrgegend und am
Hinterhaupte eines Molossus gesammelt.
Anatomisches. Es liegt nicht in meiner Absicht, die
vollständige Anatomie von Rhynchopsyllus zu geben, die
doch nur eine Wiederholung desjenigen wäre, was wir für
Khyncliopsylliis eine neue Puliciden-Gattung. 83
Pnlex Tind Verwandte keimen. leb beschränke micb auf
die Andeutung- einiger wenigen Verbältnisse, welche mir
für die Kenntniss der Gattung interessant scheinen und
die man bei Anfertigung der Präparate so nebenbei erfährt.
Der Verdauungstractus entspricht durchaus demjenigen
der Uhrigen Puliciden mit Ausnahme von Rhynchoprion,
welcher einen eigenen Stempel zu tragen scheint. Die
Speiser()hre ist sehr eng, lang und in der Mitte winklig
nach oben gebogen. Auf sie folgt eine kleine halbkugelige
Blase (Fig. 10), welche als kropfähnliche Ausstülpung des
Magens 7a\ betrachten ist. Sie besteht aus zwei Schichten
einer inneren chitinösen ohne Epithelialbelag und einer
äusseren stark muskulösen. Diese letztere wird von zahl-
reichen dicht gedrängten Ringfaserbündeln zusammenge-
setzt. An der inneren Chitinwandung nehmen wir eine
deutliche Streifung wahr, die von allen Seiten nach dem
Mageneingange hin strebt. Isoliren wir diesen Kropf und
setzen wir ihn starkem Drucke aus, so gelingt es zu zeigen,
dass diese Streifen ebenso vielen Reihen kleiner acht-
eckiger und gezackter Chitinplättchen (Fig. 11) entsprechen.
Diese stehen senkrecht nach innen und nehmen von der
Peripherie nach dem Mittelpunkte hin an Grösse zu. Wir
haben also hier den Zerkleinerungsapparat der kauenden
Insekten, die kropfähnliche Magenaussackung vereinigt mit
dem blasigen Saugapparat der Dipteren. Dieser Abschnitt
dient mithin gleichzeitig zum Einsaugen des Blutes und zur
Verkleinerung der Blutkörperchen und zufällig mitgerissener
Fleischtheilchen. Es folgt sodann ein weiter Chylusmagen
und ein kurzer Enddarm.
Einer eigenartigen Ausbildung erfreut sich das Tra-
chealsystem (vergl. Fig. 9. 12. 13). Des Mesothoracal-
stigma's ist schon weiter oben gedacht worden. Die Oeff-
nungen des Tracheensystemes am Abdomen haben wir
bereits im normalen Zustande sehr weit nach oben zu
suchen, am madenförmigen Weibchen (vergl. Fig. 2) liegen
sie nun vollends ganz an der Rückenfläche. Es sind ihrer
wie bekannt ursprünglich eben so viele angelegt, wie Meta-
meren vorkommen, mithin, acht. Am ausgebildeten Thiere
zählen wir aber nur sieben Stigmen, dasjenige des achten
84 G. Ha Her:
Ringes fehlt gänzlich. Die sieben vorhandenen Abdomi-
nalstigmen haben eine Form, welche einiger Maassen an
diejenigen der Mittelbrust erinnert, nur erscheinen sie viel
breiter. Doch werden sie im Gegensatze zu jenen nur von
einer sehr dünnen mitunter lückenhaft unterbrochenen Chitin-
leiste umrahmt. Endlich unterscheiden sie sich von den
Thoracalstigmen durch die eigenthümliche Verschlussvor-
richtung, welche ich an diesen nicht beobachtete. Auf den
ersten Blick scheint es nämlich, als ob die Luftlöcher des
Hinterleibes durch eine, feine Membran gänzlich geschlossen
würden. Mit sehr starker Vergrösserung erkennt man aber,
dass diese Haut durch einen gebogenen und kaum wahr-
nehmbaren Spalt in zwei symmetrische Hälften getheilt
wird (vergl. Fig. 9). Gleichzeitig sieht man nach oben
von demselben zwei, nach unten einen einzigen stark licht-
brechenden Chitinpunkt von hellgelblicher Färbung. Diese
Verdickungen geben sich bald als die Endpunkte ebenso
vieler feiner stäbchenförmiger Muskeln zu erkennen, weiche
von schräg unten und aussen nach oben und innen ziehen,
um sich an der Membran festzusetzen. Sie dienen offen-
bar dazu, die feine Verstopfungshaut zurück zu ziehen, damit
durch Vergrösserung des Spaltes die einzuathmende Luft
freien Zutritt zu den Tracheen hat. Nach Erschlaffung der
Muskeln verschliesst die Membran in Folge ihrer eigenen
Elastizität die Oeffnuug wieder. Durch die verschlossenen
Stigmen hindurch scheinen die Anfangsstämme der Tra-
cheen, deren Lumen ein verhältnissmässig kleineres, wie
dasjenige der ersteren ist.
Der Anfang sämmtlicher Tracheen ist ein doppelter
und zwar wiederholen sich die entsprechenden Theile mit
geringen Abweichungen succcssiv (vergl. Fig. 12 u. 13).
Es folgt dem Stigma zuerst ein kurzer Anfangsstamm, der
sich von der nachfolgenden Wiederholung durch wenig be-
deutendere Weite und durch die schwächere Chitin isirung
des Spiralfadens auszeichnet, welchen ich in einigen Fällen
fast ganz habe verschwinden sehen. Nach kurzem Verlaufe
verengert sich der Stamm plötzlich, um einem zweiten Platz
zu machen. Es findet sich an dieser Stelle ein zweites
inneres und unvollkommenes Stigma, wenn wir es so heissen
Rhynchopsyllus eine neue Puliciden-Gattuiig. 85
dürfcD. Als solches betrachte ich einen halben Chitinreif,
welcher dieser Verengerung des Tracheensystemes zur An-
heftung dient. Der zweite und wohl eigentliche Anfangs-
stanim beginnt stark zugespitzt. Er zeigt sodann einen
vorderen deutlich abgeschnürten, köpfchenförmigen An-
fangstheil, dessen grösstes Lumen aber ganz das nämliche
ist wie dasjenige der nachfolgenden Stämme. Durch die
starke Chitinisirung des Spiralfadens oder besser durch die
dadurch hervorgerufene bedeutende Lichtbrechung des letz-
teren hebt sicli dieser zweite Anfangsstamm gleich dem
übrigen Tracheensystem auffallend von dem vorerwähnten
ab. Nach kurzem Verlaufe erfolgt der Eintritt des senk-
rechten Stammes in den Längsstamm, jener tritt aber so-
fort wieder aus um nach kurzem Verlaufe in eine Wieder-
holung des Längsstammes einzumünden. Diese unterscheidet
sich von jenem, dass sie je zwischen zwei senkrechten
Stämmen nach unten winklig gebogen ist. Nun erst treten
die sich verzweigenden Tracheenstämme auf und zwar
nimmt ein jeder seinen Ursprung an der winklig gebo-
genen Stelle, nicht etwa gegenüber einer jener senkrechten
Anastomosen. Da die senkrechten Anfangsstämme jeweilen
den vorderen Einkerbungen der Segmente entsprechen, so
entstehen vom ersten bis zum siebenten Segmente eine
Reihe fünfeckiger Figuren von der Breite der Segmente
(vergl. Fig. 13), deren Seiten von den verschiedenen Tra-
cheenstämmen umrahmt werden (Fig. 13). Diese Regel-
mässigkeit wird nur von den Tracheen des achten Ringes
unterbrochen und erstrecken sich von da auf den siebenten.
Wie bereits erwähnt fehlt das Stigma des achten
Rings unseren Thieren durchaus, die Tracheen enden daher
blind und erleiden wohl in Folge dessen eine bedeutende
Modifikation. Sie schwellen nämlich zu einer beträchtlichen
Blase an, deren Volumen noch durch verschiedene Aus-
stülpungen, nämlich eine mächtige hintere und zwei klei-
nere vordere vergrössert wird (vergl. Fig. 12). Die Ver-
hältnisse der beiden Anfangsstämme verhalten sich ähnlich
wie die der vorhergehenden Ringe, wesshalb man für das
oben Gesagte unsere Figur zu Rathe ziehen möge. Ein
geringer Unterschied findet darin statt, dass sie statt senk-
86 G. Ha 11 er:
recht nach unten, schräg nach unten und vorne ziehen.
Sie treffen auf den ersten Längsstamm etwas vor der letzten
Einkerbung, von da an zieht der letzte einfache senkrechte
Stamm als Fortsetzung der beiden vorhergehenden wieder
schräg nach vorne, um sich mit dem homonymen Theile
des vorletzten Ringes zu vereinigen. Ein zweiter Längs-
stamm fehlt und der sich verzweigende Tracheenbaum des
siebenten. Abdominalsegmentes erscheint daher als directe
Fortsetzung des senkrechten des nämlichen Abschnittes.
Noch ist eines kleineren Tracheenbaumes zu gedenken,
welcher sich gegenüber dem Ende des oberen Längsstammes
schräg nach hinten und unten abzweigt und wohl als dessen
Fortsetzung anzusehen ist.
Der Nutzen der Modifikation des achten Segmentes
ist leicht einzusehen. Wie wir oben erkannten ist bei den
madenförmigen Weibchen dieser Abschnitt fast gänzlich
in den vorletzten zurückgezogen. Ein Stigma wäre daher-
tiberflüssig. Ein Luftreservoir leistet hier bessere Dienste,
es wird dasselbe von den übrigen Tracheen ausgefüllt und
versorgt seinen eigenen Ring mit dem nöthigen Bedarfe.
Wie schon oben gesagt wurde, fällt das Anschwellen
des Hinterleibes der Weibchen mit der Periode zusammen,
wo die Eiablage beginnt. Wir sehen dem entsprechend
denn auch jederseits zwei mächtige Eierschläuche durch
die Körperwandungen hindurch scheinen. Sie sind zu
mehrfachen Windungen zusammengeknäuelt, und diese
legen sich in aufsteigender Reihenfolge über einander. Es
enthält somit die unterste Windung die reifen Eier. Die
Zahl dieser letzteren ist eine beträchtlich grössere, wie je-
mals bei Ceratopsyllus oder Pulex. Ich zähle derselben
durchschnittlich ca. 20 in einem Weibchen. Rechnet man
dazu, dass den abgegangenen immer neue nachfolgen, so
ist die Zahl der Eier, welche eine Mutter ablegen kann,
eine recht beträchtliche.
Rhynchopsyllus eine neue Puliciden-Gatung. 87
Erklärung: der Abbildungen auf Tafel VI.
Fig. 1. Normales Weibchen als Farbenskizze, zugleich zur Ver-
gleichung mit uachfolgeuder Form unter der nämlichen
Vergrösserung wie diese gezeichnet.
,, 2. Das einer Termitenkönigin ähnliche Weibchen unter Oc. 3
Syst. 1.
„ 3. Kopf und Thorax von Rhynchopsyllus unter Oc. 3 Syst. 4.
1. 2. 3. Die Thoracalsegmente mit 1' 2' 3' den Extremitäten.
a. Auge,
f. Fühler,
1. Labium,
lt. Labialtaster,
md. Mandibeln,
mx. Maxillen,
pmx. Palpus maxillaris.
4. Fühler.
„ 5. Die Anhänge der Thoracalsegmente.
fl. Flügelrudiment des ersten, . *
fl'. des dritten Ringes,
s. Mittelbruststigma.
„ 6. Der lange Rüssel. Oc. 3 Syst. 6.
md. Mandibeln nahe dem Ursprünge abgebrochen. Ir. Ober-
lippe.
„ 7. die randständigen Höcker der Oberkiefer Oc. 4 Syst. 7.
„ 8, Labium 1, Labialtaster (aufgeklappt) It und reisszahnförmige
Maxillen mx. Oc. 3. Syst. 6.
,, 9. Ein Hinterleibsstigma. Oc. 4 Syst. 7.
„ 10. Kroj)fähnlicher Anfangstheil des Magens.
,, 11. Dessen Chitinzähne. Oc, 4 Syst. 7.
„ 12. Anfangsblase des Tracheensystemes ded achten Abdominal-
segmentes Oc. 3 Syst. 7 ; in verkehrter Stellung gezeichnet.
„ 13. Tracheensystem des vierten bis achten Abdominalsegmentes.
Die Zeichnungen wurden nach in Canadabalsam eingeschlos-
senen Präparaten unter Anwendung einer Camera lucida von Nachet
gezeichnet. Die Angaben der Combinationen beziehen sich auf ein
kleines Hartnack'sches Instrument.
lieber Echiureii und EeWnodermeu
von
Dr. Richard Greeff,
Professor in Marburg.
Aus den Sitzungsberichten der Gesellschaft zur Beförderung
der gesammten Naturwisssenschaften zu Marburg.
(Sitzung vom 9. Mai 1879 Nr. 4 S. 41.)
I.
lieber den Bau der Echiuren.
Dritte Mittheilung i).
Thalassema Moebii nov. spec. — Die Analschläuche
der Echiuren sind Kiemen, analog den »Wasser-
lungen« der Holothurien.
Bei meiner Anwesenheit in Kiel im vorigen Herbste
hatte Herr Professor Möbius die Güte mir eine von ihm
auf Mauritius aufgefundene Echiure in einigen Exemplaren
nebst den von ihm an Ort und Stelle darüber gemachten
Notizen und Zeichnungen, zur genaueren Untersuchung zu
übergeben. Wie die bald darauf hier jn Marburg vorge-
nommene Zergliederung der interessanten Thicrform, die
ich Thalassema Moebii genannt und in meiner dem-
nächst erscheinenden Monographie der Echiuren genauer
beschrieben habe, ergab, trugen die beiden sehr langen in
den Enddarm mündenden braunen Schläuche keine Spur
1) 1. Mittheilung, Sitzungsberichte d. Ges. z. iJeförd. d. ges.
Naturw. zu Marburg 1874, 25. Febr. Nr. 2. — 2. Mittheilung, Eben-
da 1877, 4. Mai, Nro. 4 und dieses Archiv 1877 S. 343.
Ricliaid Grceff: 89
V 0 11 W i m p e r t r i c li t e r 11 , soii derii waren zu meiner Ueber-
rasebung gegen die Leibes böble bin allseitig ge-
scblossen. So genau icli aucb die Aussenfläcben dieser
Organe und Durcbsebuitte derselben untcrsucbte, nirgendwo
vermocbte ich Trichter oder grössere Oeffnungen zu finden.
Dieses veranlasste mich, als ich später wieder in den Be-
sitz geeigneten Materiales gelangte, noch einmal die mit
äusseren Wimpertrichtern reichlich versehenen braunen
Schläuche des Echiurus Pallasii einer erneueten Prüfung
zu unterwerfen, deren Resultat, wie ich glaube, den Bau
und die Bedeutung dieser bisher räthselhaften Schläuche,
die bald für Respirations- und Excretions-Organe, bald für
Secretions- Organe, Segmentalorgane etc. gehalten wurden,
für die aber in jedem Falle von den meisten Beobachtern
eine durch die Trichter vermittelte Verbindung zwischen
Leibes- und Schlauch-Höhle angenommen wurde, vollständig-
aufgeklärt hat. Ich injicirte zunächst die fraglichen Schläuche
von ihrer Einmündung in den After aus mit farbiger Flüssig-
keit und fand, wenn die Injection vollkommen gelungen und
der Schlauch nicht eingerissen war, dass keiner der die
äussere Fläche des Schlauches sehr zahlreich be-
deckenden Wim pertrichter und der von ihnen nach
innen ausgehenden Kanäle auch nur eine Spur von
Farbstoff enthielt. Auf feinen Querschnitten durch
diese injicirten Schläuche bot sich nun ein sehr über-
raschendes Bild. Der Farbstoff erfüllte die zahllosen spalt-
förmigen Zwischenräume die von den, von der inneren
Wandung des Schlauches in seine Höhlung vorsprin-
genden, Leisten und Wülsten gebildet werden,
bis in die feinsten nahe an die Oberfläche des Schlauches
vordringenden Gänge. Niemals communicirten diese
injicirten Gänge mit den Wimpertrichtern, noch
traten sie sonst durch die Schlauchwandung nach
aussen. Ebenso wenig war in die das innere Kanalsystem
bildenden Zwischenräume resp. Leisten und Wülste selbst
Farbstoff eingedrungen. Dieselben zeigten aber eigenthüm-
liche helle oder bräunlich gefärbte Streifen und
Körner- Haufen, die aus der blauen Injectionsmasse sehr
deutlich hervortraten, und -die ich schon früher gesehen und
90 lieber Echiuren und Echinodermen.
für ExcretioDSstoffe gehalten hatte. Ich fasste nun die
wohl erhaltenen äusseren Wimpertrichter ins Auge und
konnte auch hier constatiren, dass der von jedem derselben
nach innen tretende Kanal keineswegs, wie ich früher
glaubte, in die Schlauchhöhle mündete, sondern in die
erwähnten Gänge und Streifen der Leisten oder in
eine nach innen vorspringende grössere Blase
üb erging. Kurz ich fand ein zweites die Schlauch-
wandung und die von ihr nach innen vorspringenden
Leisten und Wülste durchlaufendes Kanalsystem,
das mit den Wassertrichtern communicirt, aber
gegen das erste in die Schlauchhöhle sich öffnende Kanal-
system bei innigster und allseitigster Berührung mit dem-
selben vollständig abgeschlossen ist. Weitere Untersu-
chungen, namentlich nach Injectionen von Farbstoff
in die Leibeshöhle der lebenden Thiere, gaben Be-
stätigung und genauere Resultate über die Anordnung und
Ausdehnung des erwähnten Kanalsystems. Zu bemerken
ist noch, dass die in den Schlauchwandungen streifen- und
haufenweise vorkommenden gelben und braunen Körper
mit den nach meinen früheren Mi ttheilungen i) in der
Leibeshöhle vorkommenden Blutkörperchen eine
grosse Uebereinstimmung zeigen. Ich habe früher,
ebenfalls auf Grund von Injectionen mit nachfolgenden
Durchschnitten, nachgewiesen, dass das Blutgefässsystem
auf der Spitze des Rüssels mit der Leibeshöhle
communicire, indem die Rüsselarterie hier in zwei
an den Rändern des Rüssels nach hinten ver-
laufende Kanalsysteme übergehe, eins dem Blut-
gefässsystem angehörig und in den Bauchgefäss-
stamm mündend, das andere von der in den Rüssel
in sinuöscn Kanälen sich fortsetzenden Leibes-
höhle gebildet 2). Durch diese Leibeshöhlenkanäle des
Rüssels wird, wie durch günstige Injectionen von der Rüssel-
arterie aus nachgewiesen werden kann, ein Theil des Blutes
1) 2. Mittheilung S. 72.
2) ibid. S. 71.
Richard Greeff: 91
der Riisselarterie direkt in die Leibesliöhle geführt. Ausser-
dem habe ich, im Zusammenhang hiermit, das bereits oben
erwähnte massenhafte Vorkommen von Bhitkcirperchen in
der Leibeshöhle nachgewiesen.
Die Bedeutung der beiden Analschläuche der Echiuren
kann hiernach ferner nicht zweifelhaft sein: es sind Re-
spiration so rgane in vollem Sinne des Wortes, Kiemen
und wahrscheinlich nichts als diese. Hierdurch tritt aber
von Neuem eine sehr bemerkenswerthe Ueberein-
stimmung dieser Organe mit den sogenannten Wasser-
lungen oder Kiemen der Holothurien hervor. Auch
die Leibeshöhle der Holothurien, und der Echino-
dermen überhaupt, ist mit Ernährungsflüssig-
keit, mit Blut, erfüllt, den bei den Holothurien, wie
bei den Echiuren, die beiden in die Leibeshöhle hineinra-
genden und in die Kloake mündenden Schläuche als
Kiemen dienen. Für die Seesterne habe ich schon in
früherer Zeit die Circulation des Blutes in der Leibeshöhle
nachgewiesen ^). Hier sind zwar Homologa der Analkiemen
der Holothurien vorhanden, aber verkümmert oder kommen,
wo ein After fehlt, nicht zur Funktion. An ihre Stelle
treten die nach Aussen über die Haut durch die „Tenta-
kelporen^' ampullenartig hervorragenden schwellbaren Bläs-
chen, die sogenannten „Hautkiemen". Ausserdem dient bei
den Echinodermen das mit der Aussenwelt in Verbindung
stehende und von ihr Seewasser aufnehmende Wasserge-
fässsystem mit seinen in die Leibeshöhle gerichteten blasen-
förmigen Anhängen, den Poli'schen Blasen und Ampullen
der Ambulacra etc., dem Leibeshöhlenblute zur Respiration.
Die Geschlechtsorgane der Echiuren.
ThalassemaMoebii trägt hinter den vorderen Haken-
borsten drei Paare von Geschlechtsschläuchen, in
der Lage und Form den zwei Paaren von Echiurus Pallasii
entsprechend. In den von mir untersuchten Exemplaren
1) üeber den Bau der Echinodermen 1. Mitth., Sitzungsbe-
richte, etc., Nov. 1871 Nr. 8- (3. lieber d.Blutgefässsyst. u. d. Athmuugs-
erg. d. Seesterne).
92 Ueber Echiuren und Echinodermen.
waren die Schläuche entweder alle mit reifen Eiern
oder mit Saamenmassen erfüllt. Von der Basis eines
jeden Geschlechtsschlauches ragt, alsbald erkennbar, ein
Paar mit der Schlauchhöhle communicirender und in halb-
kanalartige, gekräuselte Spiralfalten ausgezogener Tuben
in die Leibeshöhle hinein, offenbar dazu bestimmt, die Ge-
schlechtsprodukte aus dieser aufzunehmen und in den
Schlauch zu führen. Eine weitere Untersuchung bestätigte
die hiernach nahe liegende Vermuthung, dass, ähulich wie
bei Bonellia, die eigentlichen Geschlechtsdrüsen auf dem
hinteren Theil des Bauchstranges sich befinden. Dasselbe
scheint bei Thalassema gigas der Fall zu sein, wie mir Herr
Dr. Graeffe in Triest im Februar dieses Jahres mittheilte.
Er schrieb: „Thalassema gigas scheint keine wahre Thalas-
sema, sondern eine Bonellia zu sein. Sie hat nur 1—2
Bauchdrüsen, Segmentalorgane mit Eiern stets gefüllt.
Männliche Organe noch nicht beobachtet, vielleicht zwerg-
hafte Männchen oder ebenso grosse Männchen, die ich
aber noch nie bekommen konnte". Früher hatte schon
Sempera) an Thalassema von den Philippinen die vor-
deren Genitalschläuche als Eier- und Saamen- Taschen ge-
deutet und an ihnen Trichter beobachtet, durch welche die
an einer anderen Stelle entstehenden und in die Leibes-
höhle übertretenden Geschlechtsprodukte aufgenommen wur-
den. Mittlerweile hat auch Spengel-), wie ich aus einem
kürzlich erhaltenen Separatabdruck ersehe, an von Herrn
Dr. Graeffe an ihn übersandten Exemplaren von Thalas-
sema gigas die Keimdrüse auf dem hinteren Theil des
Bauchstranges gefunden. Ebenso bei Echiurus, an deren
vorderen Geschlechtsschläuchen er auch trichterförmige Or-
gane fand, in „der gleichen Form und Lage wie bei Bo-
nellia". Ich hatte früher vergeblich bei Echiurus Pallasii
nach einer dem Ovarium der Bonellia entsprechenden Ge-
schlechtsdrüse auf dem hinteren Theil des Bauchstranges
1) Zeitschr. f. wiss. Zoolog. XIV. Jahrg. 1864' S. 419.
2) Beiträre zur Kenntuiss der Gephyreen, die Eibildung, die
Entwickelimg und das Männchen der Bonellia, Mitth. aus d. zool.
Stat. zu Neapel I. Bd. S. 358.
Richard Greeff: 93
gesucht und auch die Tuben der Geschlechtschliiuche tiber-
sehen. Nachdem ich beides bei Thalassema Moebii con-
statirt hatte, unterzog ich, als mir wieder im Laufe des
Winters geeignetes Untersuchungsmaterial zu Gebot stand,
diese Echiure auch hierin einer erneucten Prüfung und
fand nun ganz an der Basis der Geschlechtsschläuche eine
kleine an die Leibesvvand angeheftete gekräuselte Falte,
die in die Höhlung des Schlauches führte. An Durch-
schnitten durch das hintere Körperende der trächtigen Weib-
chen erkannte ich nun auch das auf dem Bauchstrang
liegende Ovarium, das aber selbst bei den Individuen, bei
welchen die Geschlechtsschläuche mit reifen Eiern strotzend
erfüllt waren, aus einer Bauchfellfalte mit sehr kleinen und
desshalb, namentlich im Hinblik auf das Ovarium der Bo-
nellia und Thalassema Moebii, leicht zu übersehenden Ei-
zellen besteht. Dieselben scheinen sich in dieser primitiven
Form zu lösen und erst in der Leibeshöhle zu reifen.
Hiernach ist, wie auch Spengel hervorhebt, eine
völlige Uebereinstimmung in der Lage und dem Bau der
Geschlechtsorgane bei allen Echiuren sehr wahrscheinlich,
indem bei allen die eigentliche Keimdrüse, ähnlich wie
das von Lacaze-Duthiers entdeckte Ovarium der Bo-
nellia, auf dem hinteren Theil des Bauchstranges
sich befindet, während die vorderen hinter den beiden
Hack^nborsten liegenden mit den Geschlechtsprodukten er-
füllten Schläuche blosse Ei- und Saamen- Taschen und -Leiter
nach aussen sind, die somit in der That als die wahren
Segmentalorgane anzusehen sind, während, wie oben
ausgeführt, die beiden hinteren Analschläuche als homolog
und analog den Kiemen der Hoiothurien gelten können.
Ob der merkwürdige nach den neueren Untersuchungen
von Vejdovsky und Marion zweifellose Dimorphismus
der Bonellia auch noch bei anderen Echiuren, wie vielleicht
nach den Mittheilungen von Herrn Dr. Graeffe bei Tha-
lassema gigas, sich findet, müssen weitere Beobachtungen
entscheiden. Bei Echiurus Pallasii, Thalassema Baronii
und Thalassema Moebii sind sicher beide Geschlechter
gleich in Grösse, äusserer Form und Organisation.
94 Ueber Echiuren und Echinodermen.
II.
lieber den Bau und die Entwickelung der Echinodermen.
Sechste Mittheihing ^).
Eütwickelung von Asterias (Asteracanthion)
rubens^).
1. Umbildung des Keimflecks.
Nachdem das den Ovarien entnommene reife, unbe-
fruchtete Ei von Asterias rubens in frisches Seewasser ge-
bracht worden ist, beginnt, in der Eegel schon nach Ab-
lauf von 5 — 10 Minuten, die von Ed. van Beneden und
mir früher beschriebene sehr charakteristische Umbildung
des Keimflecks ^). Der Keimfleck wird granulös. Zu-
erst treten einzelne sehr kleine, glänzende Granula in der
homogenen Keimflecksubstanz, namentlich an der Peripherie
und in der Umgebung der meist im Centrum gelegenen,
aus der Verschmelzung kleinerer Vacuolen entstandenen,
grösseren Vacuole. Die Granula mehren sich sehr rasch,
überall sieht man kleine glänzende Knöpfchen aufspringen
und nach weiteren 5—10 Minuten, zuweilen früher, zuweilen
später, hat der Keimfleck ein völlig granulöses An-
sehen gewonnen. Er gleicht nun der Form nach einer
sehr kleinen Maulbeere.
Alsbald aber beginnt eine neue sehr merkwürdige
Veränderung. Die kleinen Granula des Keimflecks
vergrössern sich wieder zusehends, indem die
benachbarten überall mit einander verschmelzen.
Dieser Prozess ist anfangs ein so stürmischer, dass man
1) Erste Mittheilung: Sitzungsberichte etc. Nov. 1871 Nro.
8. _ Zweite Mittheilung: dieselben Juli 1872 Nro. G. — Dritte Mit-
theilung: dieselben Nov. und Dez. (5. Dez.) 1872 Nro. 11. — Vierte
Mittheilung: dieselben Januar 1876 Nro. 1. — Fünfte Mittheilung:
dieselben Mai 1876 Nro. 5. —
2) Die hier mitgetheilten Resultate über die Entwickelung von
Asterias rubens sind schon in der Sitzung vom 21. Juni 1878 vor-
getragen worden (Sitzungsbericht Nro. 3 Nov. 1878).
3) Fünfte Mitth. S. 85.
Richard Greeff: 95
die Wiedervereinigung, das rasche Ineinander-Ueberspringcn
der kleinen durcheinander wandernden Sarkode-Tröpfchen
nur mit Mühe verfolgen kann. Allmählich aber, und in dem
Verhältniss wie die Körner grösser werden, erfolgt die Ver-
einigung langsamer und nun kann man aufs Deutlichste
und Schritt für Schritt beobachten^ wie zwei sich begeg-
nende Körner sich aneinanderlegen und unter Brücken-
bildung in einander fliessen. Das Resultat dieses
Verschmelzungsprozesses ist zunächst die Zurückführung
der anfangs den Keimfleck bildenden sehr zahlreichen feinen
und zusammenhängenden Granula auf einige wenige grös-
sere Sarkode-Körper, die, unter sich ungleich, oft ohne
äusseren Zusammenhang, in dem Keimbläschen liegen oder
nur zum Theil zu einem unregelmässigen Haufen vereinigt
sind. Sicher aber sind diese Körper, die auf diesem Sta-
dium der Entwickelung regelmässig im Ei von Asterias
rubens auftreten, Theile des in obiger Weise umge-
bildeten Keimflecks.
2. Keimbläschen, Riclitnngskörperchen.
Erst nachdem die Verschmelzung der Granula des
Keimflecks schon ziemlich weit vorgeschritten ist, beginnt
das Keimbläschen zu schrumpfen, indem die Dotter-
substanz gegen die Peripherie desselben andringt. Die
Conturen werden unregelmäsig, es bilden sich Einbuch-
tungen und Zacken und zu gleicher Zeit bemerkt man deut-
lich eine Lage-Veränderung. Das schon ursprünglich excen-
trisch liegende Keimbläschen wird auf dem kürzesten Wege
durch den Dotter nach der Ei-Peripherie gedrängt. Man
sieht dieses sowohl in der Seitenlage, als wenn dasselbe
nach oben gerichtet ist. In letzterem Falle erscheint eine
helle körnchenfreie Stelle an der Ei-Oberfläche, umgaben
von sehr feinen Körnchen, die bald rundum eine strahlige
Anordnung annehmen. Die helle Stelle rückt immer mehr
nach oben, wölbt sich schliesslich über die Ei- Oberfläche
hervor und wird als erstes Richtungskörperchen her-
vor gestossen. Unter diesem sieht man aber noch einen,
zweifellos dem Keimbläschen entstammenden, un-
regelmässigen, hellen Hof und in ihm bald mehr,
9G lieber Echiuren und Echinodermen.
bald weniger deutlich die oben beschriebenen
Reste des Keimflecks.
In gleicher Weise wie das erste wird bald darauf ein
zweites Richtnngskörperchen an derselben Stelle her-
vorgewölbt und abgeschnürt. Aber auch jetzt erkennt man
unterhalb der beiden dicht bei einander liegenden Kichtungs-
kürper noch deutlich im Dotter den un regelmässigen
nun noch kleineren hellen Hof, den Rest des Keim-
bläschens und in diesem einige wenige sehr blasse
und zarte Körper eben. Sind diese aus der oben be-
schriebenen Umbildung des Keimflecks hervorgegangene
Reste? Die Beobachtung wird hier sehr schwierig, aber
einigemale glaube ich mit Sicherheit die dem Keim-
fleck entstammenden Körperchen bis nach der Aus-
stossung der beiden Richtungskörperchen verfolgt
zu haben.
Das helle Feld des Keimbläschenrestes zieht sich nun
immer mehr zusammen und von der Peripherie zurück, so
dass es kaum noch mit dem Auge kann festgehalten wer-
den. Bald darauf erscheint an derselben Stelle ein heller
runder Fleck, um den die Dottersubstanz nach
allen Seiten strahlenförmig sich anordnet. Die
Strahlen verlängern sich und in dem hellen Fleck, dem
Centrum der im Ei aufgehenden neuen Sonne, sieht man
ein paar zarte, blasse kernartige Körper, voll-
kommen ähnlich den aus dem Zerfall des Keimflecks übrig
gebliebenen. Neben dieser ersten erscheint dann, häufig,
aber nicht immer, entweder gleichzeitig oder bald nachher
noch eine zweite ähnliche Strahlenfigur, aber in der
Regel mit einem kleineren hellen Centrum und nur einem
kernartigen Körper. Diese beiden Strahlen figuren
nähern sich, wie ich wiederholt Schritt für Schritt
verfolgt habe, langsam, treffen aufeinander, um
sich schliesslich zu vereinigen. Die zwei oder
drei kernartigen Körper der einen grösseren Figur
verschmelzen während oder vor dieser Vereinigung
ebenfalls zu einem Körper und mit diesem verbindet sich
dann auch zuletzt das helle Körperchen der kleinen Figur.
So entsteht aus den beiden Strahlenflguren eine einzige,
- Eichard Greeff: 97
die nun allmählich mit immer mehr sich ausdeh-
nenden Strahlen in das Centrum des Eies rückt.
Dann lässt die Strahlung allmählich nach, indem 7A\ gleicher
Zeit das helle Centrum sich etwas erweitert. Diese
ganze Verschmelzung nach Ausstossung der Richtungskör-
perchen erinnert auffallend an die Vorgänge bei der Ver-
einigung des „Eikerns" mit dem „Spermakern'', wie wir sie
durch die ausgezeichneten Beobachtungen von 0. Her tw ig,
Fol u. A. kennen gelernt haben. Doch bemerke ich aus-
drücklich, dass ich die oben dargelegte Entwickelung an
den, meiner Meinung nach, sicher unbefruchteten
Eiern verfolgt habe. Ich habe, wie ich in Rücksicht
hierauf und meine früheren Mittheilungen über die parthe-
nogenetische Entwickelung von Atserias rubens gleich hier
hervorheben will, 1 — 2 Tage lang vorher isolirt gehaltenen
Seesternen die mit reifen aber intakten (d. h. mit unver-
änderten Keimbläschen und Keimfleck) Eiern strotzend er-
füllten Ovarien ausgeschnitten, diese letzteren hinterein-
ander in drei oder vier bereitstehende Gefässe mit reinem
Seewasser sorgfältig abgespült und dann erst in einem
fünften oder nach nochmaliger Abspülung in einem sechsten
Gefäss die Eier entleert. Trotzdem erfolgte die oben be-
schriebene Entwickelung im Ei und später die Furch ung
und Larvenbilduug aber, wie ich schon früher betont habe,
meistens sehr spät; die erste Furchung trat in der Regel
erst am folgenden Tage ein. Die einzige Möglichkeit einer
Täuschungsquelle liegt hiernach noch, wie mir scheint, darin,
dass jedesmal vorher, d. h. ehe die Seesterne in meine Hände
gelangt waren, mit dem Seewasser Sperma in die Ovarien
oder in die Leibeshöhle eingedrungen aber nicht zur Aktion
gekommen war, sondern erst in dem reinen Seewasser,
vielleicht durch dasselbe und nach der in diesem durch
Umbildung des Keimflecks und Keimbläschens vollendeten
Reife der Eier, befruchtungsfähig geworden war.
Der Prozess der Ausstossung der Richtungskörperchen,
den wir so eben bei der Lage des Keimbläschens noch oben
verfolgt haben, kann bei der Seitenlage derselben in ge-
wisser Hinsicht noch deutlicher beobachtet werden und
bietet auch zum Theil andere Erscheinungen. Wenn das
Archiv für Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. 7
98 Ueber Echiuren und Echinodermen.
Keimbläschen schon zu einem kleinen unregelmässigen
Feld geschrumpft ist, erscheint mehr oder minder deutlich
der „Amphiaster'^ Der eine Pol desselben wird der Peri-
pherie zugedrängt und als erstes Richtungskörperchen her-
vorgewölbt und ausgestossen. Hierbei wird denn auch zu-
weilen die „Richtungsspindel", namentlich in dem sich
hervorwölbenden Richtungskörper wahrnehmbar. Nach Aus-
stossung des zweiten Richtungskörperchen folgen dann ähn-
liche Erscheinungen, wie wir sie oben berührt haben und
die zur Bildung des centralen grösseren Kernes führen. Es
würde dieser centrale Kern, da derselbe nach meiner An-
nahme ohne Befruchtung im Ei entstanden ist, in seiner
Bedeutung dem ,,Eikern" 0. Hertwigs (weiblicher Vorkern
E. van Beneden' s) entsprechen. Aber ich habe, wie schon
oben hervorgehoben, an denselben Eiern die Furchung und
Weiterentwickelung bis zur Larvenbildung erfolgen sehen.
Es bleibt somit in Rücksicht hierauf resp. der unter diesen
Umständen angenommenen parthenogenetischen Entwicklung
noch eine weitere Aufklärung übrig, zumal ich an den künst-
lich befruchteten Eiern zum Theil andere Erscheinungen
habe auftreten sehen.
3. Entstehnng des Mesoderins aus dem Ectoderm und Entoderm.
Bildung des Kalksceletes aus dem Mcsoderm.
Ich habe bereits nach meinen früheren Beobachtungen
mitgetheilt, dass die Lösung der Mesoderm-Zellen bei As-
terias rubens von dem inneren Umfang des Ecto-
derms vor der ersten Einstülpung, also vor der
Bildung des Entoderms beginnt. Diese Beobachtung
habe ich in den letzten Jahren wiederholen und zu gleicher
Zeit dahin erweitern können, dass die Mesodermzellen nicht
bloss an der Stelle des Ectoderms hervorsprossen, an wel-
cher später die Einstülpung erfolgt und die somit zum
Entoderm wird, sondern dass dieselben an jeder Stelle
des inneren Umfangs des Ectoderms entstehen
können, schon dann wenn noch keine Andeutung einer
Entoderm-Bildung an der völlig einschichtigen Keimblase
sichtbar ist. Wenn die Einstülpung erfolgt ist, und wäh-
rend derselben, mehren sich die früher nur vereinzelten,
Richard Greeff: 99
mit lang ausgestreckten und sich verästelnden Pseudo-
podien im Inuenraum umliervvandernden und sich theilenden
Mittelblattzellen und entstehen nun wie es scheint von
Ectoderm und Entoderm zugleich.
Ich habe in den letzten Jahren ein besonderes Augen-
merk auf die Entwickelung des für die Echinodermen so
bedeutungsvollen Kalksceletes gerichtet und dieselbe bei
Asterias rubens von den ersten Kalkstäbchen der Bipin-
narien bis zu dem ausgebildeten „Stern" der Brachiolaria
verfolgt und insbesondere durch zahlreiche Durchschnitte
feststellen können, dass das ganze Kalkscelet im Me-
soderm entsteht.
Die erste Mittheilung über das fünfkammerige
„Hei'z" der Crinoideen.
1. R. Greeff. lieber den Bau der Crinoideen. Sitzungs-
berichte d. Ges. z. Bef. d. ges. Naturw. zu Marburg
Nr. 1. Jan. 13, 1876. p. 16—29.
2. W. B. Carpenter. On the Structure, Physiology and
Development of Antedon rosaceus. Proceedings of the
Royal Society Nr. 116. Jan. 20, 1876. p. 211—231,
pl. 8, 9.
3. H. Ludwig. Beiträge zur Anatomie der Crinoideen.
Nachrichten v. d. Königi. Gesellsch. d. Wissensch. u.
d. Univers, zu Göttingen. Nr. 5. Febr. 23, 1876. p.
105-114.
4. P. Herbert Carpenter. Remarks on the Anatomy
of the Arms of the Crinoids. Part. I. Journal of Ana-
tomy and Physiology. Vol. X. April 1876. p. 571—585.
5. W. B. Carpenter. Supplemental note to the above
paper. Proceedings R. S. Nr. 169. 1876. p. 1—4.
6. R. Teuscher. Beiträge zur Anatomie der Echinodermen.
I. Comatula mediterranea. Jenaische Zeitschrift Bd. X.
p. 243—260. Taf. VII.
7. A. Götte. Vergleichende Entwickelungsgeschichte der
Comatula mediterranea. Arch. f. microsc. Anat. Bd.
XII, 1876. p. 583—598. Taf. XXV- XXVIII.
100 Ueber Echiuren und Echinodermen.
8. R. Greeff. Ueber das Herz der Crinoideen. Sitzungs-
berichte d. Ges. z. Bef. d. ges. Naturw. zu Marburg
Nr. 13. Jan. 28, 1876. p. 88.
Das obige Literatur- Verzeichniss ist genau einer Ab-
handlung von P. Herbert Carpenter^), dem Sohne von
W. B. Carpenter, entnommen und von Jenem behufs
Feststellung der chronologischen Reihenfolge einiger neue-
rer Mittheilungen über die Crinoideen aufgestellt worden.
Es kann wohl, namentlich bezüglich des Zeitpunktes der
Veröffentlichung der Abhandlungen der beiden Carpenter
selbst, eine völlige Richtigkeit angenommen werden. Hier-
aus geht aber mit unzweifelhafter Sicherheit hervor, dass
die Abhandlung von W. B. Carpenter^), in welcher sich
seine erste Mittheilung über das fünfkammerige Organ
der Crinoideen befindet, am 20. Januar 1876, die
meinige über denselben Gegenstand, über das fünf-
kammerige „Herz" der Crinoideen, schon am 13. Ja-
nuar 1876, also 7 Tage früher veröffentlicht ist^).
Meine Mittheilung in dieser meiner ersten Abhand-
lung über die Crinoideen lautet wörtlich:
„Die Höhlung des Herzens ist aber nicht, wie
man bisherangenommen hat, einfach, sondern durch
fünf radiär um die mittlere Dorso-ventral-Axe
gestellte und hier sternförmig sich vereinigende
Septa in fünf Kammern getheilt. Die Septa sind
zarte Häute, dicht mit einem feinen Platten-Epithel
bekleidet und mit spärlichen Muskelfasern durch-
setzt.
Ich glaube hiernach die Priorität für die Beobachtung,
dass das Herz der Crinoideen durch fünf Scheidewände in
der beschriebenen Weise in fünf Kammern getheilt ist, in
Anspruch nehmen zu dürfen. Veranlasst werde ich zu
dieser Erklärung durch einige gegentheilige Angaben, nach
1) On the arms of Antedon rosaceus. Journal of Anatomy
and Physiology Vol. X. April 1877.
2) Siehe oben S. 99. 2.
3) Siehe oben S. 99. 1.
Richard Greeff: lieber Echiuren und Echinodermen, 101
denen Carp enter als der Entdecker des ftinfkammerigen
Organs oder Herzens der Kelcbbasis der Crinoideen ange-
führt wird, wie H. Ludwig z. B. sagt*): „Eine genauere
Kenntniss des „Herzens'' ist uns erst vor Kurzem geworden
durch die Untersuchung Carp enter 's sowie durch die un-
abhängig davon gemachten Beobachtungen Gree ff s und
TeuscherV. Und ferner: „Carpenter zeigte zuerst,
dass das Herz nicht einen einfachen Hohlraum besitzt, wie
Job. Müller geglaubt hat, sondern durch fünf Scheide-
wände, welche von einer centralen Axe radiär ausstrahlen,
in fünf Kammern zerlegt wird, was durch Greeff 's, Teu-
s eher 's und meine eignen Beobachtungen bestätigt wird".
Diese Angaben Ludwig 's sowie andere ähnliche würden
somit im obigen Sinne zu berichtigen sein.
Auch dass der -von mir beobachtete merkwürdige
Bau des Herzens und der Kelchbasis der Comatulen an
den fossilen Crinoideen sich nachweisen lasse, glaube ich
zuerst auf Grund sorgfältiger Untersuchungen, namentlich
von Schliffen der Kelchbasis von Encrinus liliiformis, ausge-
sprochen zu haben.
In meiner fünften Mittheilung über den Bau und die
Entwickelung der Echinodermen heisst es:
„Zum Schluss will ich noch auf die interessante That-
sache hinweisen, dass der von mir dargestellte Bau des
Herzeus, sowie fast die gesammte Organisation der Kelch-
basis sich mit ziemlicher Sicherheit auch an den fossilen
Crinoideen, namentlich an Encrinus liliiformis nachweisen
lässt''.
1) Zeitschr. f. wiss. Zool. B. XXVIII. 1877. Beiträge zur Ana-
tomie der Crinoidesu. S. (Sep.-Abdr.) 61.
Ueber die postembiyonale Entwicklung bei
der Milbengattung Glyciphagus.
Von
P. Kramer
in Halle.
Hierzu Tafel VH.
Die postembryonale Entwicklung der Milben ist im
Allgemeinen durch die mustergültigen Arbeiten von E.
Claparede und Prof. P. M e g n i n bekannt geworden, auch
hat der letztere von beiden eine Art Schema derjenigen
Formen aufgestellt, welche ein Acaride bis zum erwachsenen
Stadium durchlaufen muss. Er führt die Namen Larve
und Nymphe dabei ein und gründet den Unterschied der
letzteren von den geschlechtsreifen Thieren nicht nur auf
die geringe Entwicklung der inneren Geschlechtsorgane,
sondern auch auf den Mangel der äusseren Geschlechts-
öffnung. Seine Studien an Mitgliedern der Gattung Gama-
sus, aber wohl auch anderer Gattungen haben ihm dies
zur Evidenz erhoben. Dennoch ist ein solcher Unterschied
kein allgemeiner und ich bin in der Lage, durch Be-
obachtungen an einem Glyciphagus, welcher mir in grosser
Menge und in allen Stadien der Entwicklung zu Gebote
stand, nachzuweisen, dass hier die Geschlechtsöffnung selbst
mit den accessorischen Geschlechtscharakteren sehr früh bei
den jungen Thieren auftritt. Man hat vielfach drei Häu-
tungen bei den Acariden ; bei dem Glyciphagus, der in
Rede steht, tritt bereits nach der ersten Häutung die Ge-
schlechtsöffnung auf. Auch in anderer Hinsicht ist die
P. Krämer: Ueber die postembryooale Entwicklimg etc. 103
Milbe* nicht ohne Interesse, da sie, als der einige Glyci-
phagiis, Augen besitzt, wie es ja auch einen Cheyletus
giebt, der Augen hat, nämlich Cheyletus venustissimus Koch,
den Prof. Megnin in seinem Aufsatz: Memoire sur les Chey-
letides parasites (Journ. d'anat. et de phys. 1878) unter dem
andern Namen Ch. longipes als neu beschreibt und abbildet.
(Es würde demnach die Diagnose der Cheyletiden auch
nicht beginnen dürfen : Acariens sans yeux). Die Augen
des Glyciphagus werden schon beim Embryo angelegt, wo
ich sie auch zuerst durch die Eihaut durchschimmern sah
und nur successive bei den kleineren, dann auch bei den
grösseren Thieren wiederfand.
Der Darstellung des Entwicklungsprocesses möge eine
kurze Beschreibung der erwachsenen Thiere voraufgeheu.
Das erwachsene Weibchen erreicht eine Länge von 0,44
mm. Der Rumpf ist abgerundet viereckig und erreicht
eine Länge von 0,40 mm^ eine Breite von 0,22 mm. Eine
Trennungsfurche zwischen Vorderrumpf und Hinterrumpf
existirt nicht — dies das charakteristische Unterscheidungs-
merkmal gegen die verwandte Gattung Tyroglyphus ^ — .
Das Rostrum ist kurz, etwas kegelförmig und wird nach
unten geneigt getragen. Auf dem Rücken sieht man bei
vielen Thieren und nicht bloss bei solchen, die ihr voll-
ständig ausgebildetes Ei abgelegt haben, zwei parallele
Längseindrticke. Die Behaarung ist spärlich, aber charak-
teristisch. Am Hinterrand sind 4 den Körper an Länge
übertreffende Haarborsten befindlich. Die übrigen Haare
sind ganz kurz. Man bemerkt am Vorder- und Seitenrand
im Ganzen jederseits 10 Borsten, von denen jedoch 3 einer
tieferen Region angehören als die 7 andern. Die vier
langen Hinterrandborsten stehen der Unterseite des Thieres
sehr nahe, zwei davon gehören vielleicht sogar schon dazu,
und schleifen daher beim Laufen auf der Erde nach, wo-
durch man den Eindruck bekommt, als wäre die Milbe
geschwänzt.
1) Den zapfen form igen Fortsatz am Hinterleibseude des Weib-
chens besitzt die vorliegende Milbe nicht.
104 P- Kramer:
Die Unterseite des Körpers zeigt ein deutliches Stütz-
leisten-System für die vier Fusspaare, welches sich bei
den Jungen anders verhält, als bei den erwachsenen Thieren.
Bei dem erwachsenen Weibchen berühren sich die Stütz-
leisten des ersten Fusspaares nur in einem Punkte und
gehen dann wieder weit auseinander, ehe sie mit denen
des zweiten Fusspaares sich treffen. Die Figur, die hier-
durch auf der Unterseite entsteht, ist eine sehr charakteri-
stische, wie die Abbildung 3 auf Tafel VII zeigt. Die
Stützleisten der anderen Fusspaare sind ohne Verbindung
mit denen der beiden ersten Fusspaare wie unter sich.
In dem Zwischenräume zwischen den Leisten der beiden
vorderen und der beiden hinteren Paare befindet sich die
Geschlechtsöffnung. Dieselbe ist jederseits von zwei unter
sich in Verbindung stehenden Saugnäpfen begleitet, welche
die bei Glyciphagus bekannte Bildung besitzen. Die
vier Füsse zeigen fünf freie Glieder, von denen das zweite
und vierte je ein längeres Haar führen, das zweite auf der
Unterseite, das vierte auf der oberen Fläche. Sonst ist
die Behaarung ebenfalls eine sparsame, nur das vordere
Ende des fünften Gliedes zeigt einen grösseren Büschel
kürzerer Haarborsten, aus dem ein längeres Haar sich her-
aushebt. Der Haftlappen ist auffallend ausgebildet und
trägt am vorderen Rande die einzige, aber kräftige Kralle.
Auf der Fläche des Haftlappens bemerkt man zwei parallel
verlaufende Chitinleisten, welche einer selbstständigen Be-
wegung fähig sind und vermuthlich mit dazu dienen, den
Haftlappen zu heben und zu senken. Das erwachsene
Männchen erreicht eine Körperlänge von 0,40 mm, der
etwa 0,35 mm lange Rumpf ist 0,18 mm breit und nach
vorn zugespitzt, auch nach hinten etwas verjüngt. Die
Behaarung ist mit der der Weibchen übereinstimmend. Die
Unterseite bietet wegen der durchaus besondern Anordnung
der Stützleisten und der Lage der Geschlechtsöffnung einen
von dem bei dem Weibchen beobachteten sehr verschie-
denen Anblick, wie Figur 4 zeigt. Die Stützleisten der
beiden vordem Füsse berühren sich auf einer langen Strecke
und biegen sich dann kurz nach aussen, um eine Berüh-
rung mit den Leisten des zweiten Fusspaares einzugehen.
Postembryonale Entwicklung der Milbengattung Glyclphagub. 105
Die Leisten des dritten und vierten Fusspaares verbalten
sich ähnlich wie beim Weibchen. Die Geschlechtsöffnung
liegt in der Höhe der Leisten des vierten Fusspaares, und
ist somit weit von denen der ersten Fusspaare entfernt.
Eine Vergleichung der Abbildungen 3 und 4 wird den
Unterschied in der Anordnung der Leisten und Geschlechts-
()ffnung bei Männchen und Weibchen leicht in's Auge
fallen lassen. Die Füsse der Männchen sind verhältniss-
mässig lang, da z. B. die des vierten Paares, wenn man
die übrigen, oben mitgetheilten Maasse als die dazuge-
hörigen ansieht, bis 0,2 mm beträgt, während dasselbe
Fusspaar auch beim Weibchen nicht länger ist.
Die Farbe beider Geschlechter ist ein mattes Weiss,
nur die Spitze des Rostrum und die Stützleisten der Füsse
sind dunkler. Sehr deutlich treten daher die beiden dun-
kel kastanienbraun gefärbten Hautdrüsen an den Seiten-
rändern des Hinterleibes hervor. Diese Gebilde bleiben
bei jeder Häutung vollständig mit der alten Haut zurück,
erweisen sich somit als ächte Oberhautanhänge und sind
bei unserer Milbe mit einer zähen Flüssigkeit gefüllt,
welche durch eine deutliche, auf der Rückenfläche befind-
liche Oeffnung austreten kann. Da die Wandung der Drüse
ziemlich dick ist, so führt ein ebenfalls deutlich erkennbarer
Kanal aus dem inneren Hohlräume durch diese Wandung
durch bis zur Rückenfläche Hiermit ist der Charakter
dieser ,, Seitenorgane" klar und sicher bestimmt.
Die Weibchen tragen stets nur wenige Eier bei sich,
in der Regel sogar nur eins, welches zum Ablegen genü-
gend ausgebildet ist. Die Begattung habe ich bei der vor-
liegenden Art nicht beobachtet, muss aber annehmen, dass
sie auf gleiche Weise geschieht, wie bei einer mit ihr zu-
sammengefundenen Tyroglyphus-Art. Ich glaube nicht,
dass diese Art und Weise bisher beobachtet ist, denn Prof-
Megnin, der in dieser Hinsicht der competenteste Beo-
bachter sein dürfte, ist der Ansicht, dass ein Tyroglyphus-
Männchen, welches seinen Hinterleib über den Hinterrücken
des Weibchens geschoben hat und nun rückwärts marschiren
muss, sobald das Weibchen vorwärts schreitet, mit diesem
in Copulation begriffen ist. Er bildet ein solches Pärchen
106 P. Krämer:
auf der Tafel VIII, im Jahrgang 1874 des Journal d'ana-
tomie et de pbys. ab und führt auch damals schon aus,
dass die Befruchtung durch den After vor sich gehe.
Dieser Ansicht kann ich aus* mehreren Gründen noch
nicht beitreten. Es würde nämlich selbst bei der erwähnten
Stellung des Tyroglyphus-Männcheus dessen Geschlechts-
öffnung immer noch mit der Rückenfläche des Weibchens
in Berührung bleiben, und der nach dem Kopf des Männ-
chens hingerichtete Penis kann nirgends eine Oeffnung des
Weibchens erreichen. Dann aber findet man Tyroglyphus-
Männchen auch in einer der wirklichen Begattung viel
günstigeren Stellung an den Weibchen haftend. Eine Be-
gattung durch den After bei dem augenblicklich in Rede
stehenden Glyciphagus anzunehmen, wäre auch wegen
des frühzeitigen Auftretens der Geschlechtsöffnung nicht
nöthig (bei Tyroglyphus-Jungen reichen meine Beobach-
tungen noch nicht aus). Ich halte die von Megnin be-
schriebene Stellung nur für eine die Begattung vorbereitende.
Die eigentliche Begattungsstellung für das Männchen des
von mir beobachteten Tyroglyphus ist die, welcher man
gelegentlich, wenn auch lange nicht so häufig, wie jener
andern begegnet, wo das Männchen seine untere Leibes-
fläche der des Weibchens angedrückt hat, und daher seinen
Rücken dem Erdboden zukehrt. In dieser Stellung wird
es von dem Weibchen mit fortgeschleppt. Es hat sich da-
bei so weit unter das Weibchen geschoben, dass mit Leich-
tigkeit die beiden Geschlechtsöffnungen aufeinanderfallen.
Diese bei Tyroglyphus gemachten Beobachtungen über-
trage ich auf die Gattung Glyciphagus, bei welcher jene
vorbereitende Stellung niemals vorkommt, da dem Männ-
chen die den After begleitenden Saugnäpfe fehlen, durch
welche jene Stellung hauptsächlich möglich wird. Vor-
bereitet wird die Begattung bei Glyciphagus dadurch, dass
das Männchen den Rücken des Weibchens besteigt, wie
solches von mir ganz sicher beobachtet worden ist, da ich
bei einem Männchen in solcher Stellung schon deutlich die
Bewegungen des Penis mittelst einer starken Loupe, (Hart-
nack, Obj. 7.) bemerken konnte.
Ich konime nun auf die Entwicklung des Glyciphagus,
Posterabryonale Entwicklung der Milbengattung Glyciphagus. 107
wobei sich berausstellen wird, dass es keine rechte Gränze
zwischen den von M6gnin besonders unterschiedenen Sta-
dien der Larve und Nymphe geben wird.
1. Stadium: Die aus dem ca. 0,12 mm langen Ei
geschlüpfte Larve ist sechsfüssig und besitzt noch keine
Geschlechtsöffnung. Die Füsse stellen das 1 — 3. Paar des
erwachsenen Thieres dar. Am Hinterleibsrande stehen nur
zwei lange Borsten, während das erwachsene Thier deren
vier besitzt. Deutlich ausgebildet sind die zwei im hintern
Leibesabschnitt befindlichen Hautdrüsen, ferner der Nah-
rungskanal, dessen feine Speiseröhre und die mit dicken
Zellenwänden versehene Magenpartie schon beobachtet
werden können. Man bemerkt auch ein ziemlich umfäng-
liches Nervencentrum und kann die beiden Hornhäute am
vordem Theil des Vorderrückens scharf erkennen. Die
Mundtheile sind vollständig vorhanden. Von den Stütz-
platten berühren nur die des ersten Paares einander an der
äussersten Spitze. Das Wachsthum des Thieres während
dieser ersten Periode ist nicht bedeutend, Milben, welche
zur Häutung bewegungslos daliegen, übersteigen an Länge
kaum 0,15 mm. Hat sich der Leibesinhalt concentrirt und
ist die Neubildung des zweiten Stadiums im Gange, so
bemerkt man auf der inneren Fläche der todten Haut
amöbenartige Häufchen langsam hin und her kriechen, so
wie es auch schon auf der inneren Eihautfläche bemerkt
wird. Was wird aus diesen, von den zur Neubildung der
Milbe abgeschiedenen Theilchen der alten Milbensubstanz?
Sie für verirrte Blutkörperchen zu halten, geht wegen ihrer
Grösse nicht an.
2. Stadium: Die durch die erste Häutung durch-
gegangene Milbe hat sich wesentlich vervollkommnet. Sie
besitzt jetzt vier Paar Füsse, vier lange Borsten am Hinter-
leibsrande und bereits eine Geschlechtsöffnung,
aber nur begleitet von einem einzigen Paar von Saugnäpfen.
Auch jetzt noch sind nur die Stützleisten der Füsse des
ersten Paares unter sich in Berührung getreten, eine An-
ordnung, die von der bei den erwachsenen Thieren recht
verschieden ist. Das neu dazugekommene Fusspaar besitzt
noch keine lange Borste auf dem vorletzten Gliede. Hierin
108 P. Kramer:
finde ich den Beweis dafür, dass es das vierte Fusspaar
ist, welches bei Glyciphagus in dem zweiten Stadium zu
den übrigen hinzutritt. Die Füsse der Larve des ersten
Stadiums führen sämmtlich, wie bei den erwachsenen
Thieren, auf der obern Fläche des vorletzten Gliedes eine
ansehnliche Borste; diese findet sich nun auch auf den
Füssen der drei ersten Paare der Larve des zweiten Sta-
diums, und es ist mir wahrscheinlicher, dass ein Fuss,
der in einem früheren Stadium bereits eine so charakteri-
stische Borste besass, sie in dem nachfolgenden ebenfalls
besitzen wird, als dass er sie im folgenden verliert, um
sie im zweiten folgenden wieder zu bekommen. Die Ge-
schlechtsöffnung ist ein kürzerer Spalt, mit einem sehr
deutlichen Saugnapf von der bei Glyciphagen gewöhnlichen
Form zu jeder Seite.
Die Larve wächst in diesem Stadium etwa bis zu
0,29 mm Gesammtlänge, um abermals einer Häutung ent-
gegenzugehen.
3. Stadium: Die durch die zweite Häutung durch-
gegangene Milbe zeigt folgende Neubildungen. Die sämmt-
lichen vier Fusspaare besitzen jetzt eine lange Borste auf
dem vorletzten Fussgliede, und die Geschlechts Öffnung
wird bereits von jederseits zwei Saugnäpfen, im ganzen
also von vier, wie beim erwachsenen Thiere, begleitet.
Sonst hat sich nichts geändert. Die Stützleisten der Füsse
des zweiten Paares sind wie früher, noch immer weit ge-
trennt von denen des ersten Paares, diese letzteren dagegen
sind unter sich verbunden. Die Augen sind sehr deutlich
zu beobachten. Die Behaarung stimmt ganz mit der bei
den erwachsenen Thieren überein. Die Lage der Ge-
schlechtsöffnung ist bemerkenswerth. Sie findet sich durch-
gehends zwischen den Stützleisten der hintern Fusspaare
und hat bei allen zur Beobachtung gekommenen Milben
durchweg ein und dieselbe Gestalt, so dass es scheint, als
wären die Geschlechtsunterschiede in diesem Stadium noch
nicht vorhanden.
Die Milbe wächst während dieser Lebensperiode bis
zu 0,36 mm Länge.
4. Stadium: Die durch die dritte Häutung gegan-
Postembryoiiale F]iitwicklaiio' der Milben^attung Glyciphagus. 109
gene Milbe hat die endgültige Form, wenn sie auch noch
dem Wachsthum unterworfen ist, bis sie die gehörige
Länge 0,44 für das Weibchen, und 0,40 für das Männchen
erreicht hat.
Das Resultat, welches hiernach für Glyciphagus sich
ergiebt, ist dies, dass die Geschlechtsöffnung sich bereits
verhältnissmässig sehr früh, nämlich im zweiten Stadium,
einstellt, und dass ein Nymphenstadium im Gegensatz zu
einem Larvenstadium nicht genügend definirt werden kann.
Ich bin weit entfernt, hieraus Folgerungen für andere Gat-
tungen zu ziehen, bin vielmehr der Ansicht, dass wir trotz
aller in den letzten Jahren gewonnenen Kenntnisse über
die Acariden, doch noch nicht im Stande sind, ein allge-
meines Bild der Lebensvorgänge dieser Thiere zu ent-
werfen. Es sei mir nur noch gestattet, zur Vergleichung
der verschiedenen Entwickluugsphasen das für alle Milben
von Prof. Megnin aufgestellte Schema hier herzusetzen.
Er unterscheidet drei Stadien (Journ. de l'anat. et de la
phys. XIIL pag. 228).
Das erste Stadium ist das der Larve, welche immer
sechsfüssig ist.
Das zweite Stadium ist das der Nymphe (D u g e s).
Es umfasst die achtftissigen Acariden ohne Geschlechts-
organe — und wie es scheint sind darunter auch die
äusseren gemeint — dabei kann das Thier eine oder
mehrere Häutungen tiberstanden haben.
Das dritte Stadium ist das der erwachsenen, ge-
schlechtsreifen Thiere.
Es ist nach den vorstehenden Beobachtungen ersicht-
lich, dass eine Nymphe in dem von Duges und nach ihm
von Prof. M^gniu gebrauchten Sinne bei unserm Glyci-
phagus nicht vorkommt, da das erste achtfüssige Stadium
bereits mit einer, wenn auch nur von zwei Saugnäpfen
begleiteten Geschlechtsöffnung versehen ist. Wenn nun
Prof. M6gnin im Verlauf jener mit Ch. Robin gemeinsam
unternommenen Untersuchungen sagt : „Man weiss, dass
die Tyroglyphus und die Glyciphagus, welche bereits er-
kennbare, aber noch unvollkommen entwickelte männliche
oder weibliche Geschlechtsorgane besitzen, noch eine Hau-
110 P. Kramer:
tung durch machen" (1. c. Seite 235), so kann hier nicht
etwa von Geschlechtsorganen der Nymphen die Rede sein,
denn die Nymphen „sont depourvus d'organes sexuels".
Es sind wohl darunter Thiere zu verstehen, welche bereits
in das dritte der auf voriger Seite erwähnten Stadien ein-
getreten sind, in diesem aber noch eine Häutung bestehen
müss.en. Unsere Beobachtungen können aber den oben von
Prof. Megnin angegebenen Lauf durch die verschiedenen
von ihm angegebenen Stadien für den vorliegenden Glyci-
phagus nicht ganz bestätigen ; es ist also auch die von
ihm aufgestellte Regel nicht ohne Ausnahme.
Halle, Juli 1879.
Erklärung der Figuren auf Tafel VII.
Fig. 1. Erwachsenes Weibchen (70fach vergrössert).
Fig. 2. Erwachsenes Männchen (70fach vergrössert).
Fig. 3. Das Stützleistengerüst des Weibchens: a—d Stützleisten des
1 — 4. Fusspaares, e GeschlechtsöfFnung (die Saugnäpfe sind
nicht gezeichnet).
Fig. 4. Das Stützleistengerüst des Männchens: a — d die Stützleisten
des 1 — 4. Fusspaares. e Geschlechtsöffnung.
Fig. 5. Ein Fuss des zweiten Paares.
Fig. 6. Eine Larve im ersten Stadium, a Augen, b Ganglion,
c Magen, d Hautdrüse.
üeber Mustela patagonica.
Von
H. Burmeister.
Unter der überschriftlich gegebenen Benennung hat
D'Orbigny in seiner Voyage dans l'Amer. merid.; IV. 2.
Mammiferes, page 20, pl. 13. Fig. 4, den Schädel eines
wieselartigen Thierchens abbilden lassen, von dem bisher
nichts weiter als dieser Schädel bekannt war. Derselbe
ist auch von Blainville in seiner Osteographie, genre
Mustela pl. 13. abgebildet, und im Texte, page 42 als
Mustela de Paraguay (oder Chili) aufgeführt. D'Orbigny
hatte den Schädel in Patagonien, in der Nähe von El Car-
men am Rio Negro, gefunden, aber nichts weiter von dem
Thierchen, dem er angehört, in Erfahrung bringen können.
Der Schädel ist in D'Orbigny's Abbildung etwas zu
breit gerathen, er gleicht dem des Hermelin in seiner
schlanken Form völlig, übertrifft denselben jedoch ein wenig
an Grösse ; aber das Gebiss ist ganz verschieden, es be-
steht nämlich, bei gleicher Zahl der Schneide- und Eck-
zähne, aus nur drei Backzähnen in jedem Kiefer an jeder
Seite, wie im Milchgebiss der Wiesel und Iltisse. Aber
der Schädel zeigt ein erwachsenes, altes Thier an, das
Gebiss war also sicher kein Milchgebiss. —
Dieser Umstand bestimmte Gervais, eine neue Gat-
tung der Iltisse auf besagten Schädel zu gründen, und ihr
den Namen Lyncodon beizulegen weil die Zahl der Back-,
Zähne mit der der Luchse übereinstimme. (D'Orbigny,
Diction. univ. d'hist. nat. article: Dents, tome IV. 685.)
Während meiner Anwesenheit in Mendoza, im Jahre
1857, erzählten mir mehrere Landleute, welche die einhei-
112 H. Biirme ister:
mischen Thiere kannten, dass es in der dortigen Gegend
ein kleines, wieselartiges Thierchen gebe, welches sehr
scheu und vorsichtig sei, in Erdlöchern zwischen Gesteins-
schutt lebe, und schwer gefangen werde. Obwohl ich die-
sen Leuten eine gute Belohnung versprach, so erhielt ich
doch kein Exemplar, und musste mich mit der dürftigen
Notiz begnügen, das Thierchen in meiner Reise, II. Bd.
S. 403, als vorhanden anzeigend und muthmasslich deu-
tend. Jetzt weiss ich, dass es mit der genannten Mustela
(Lyncodon) patagonica einerlei ist und wirklich eine eigen-
thümliche Form der Wiesel darstellt, deren Gattungsrechte
keinem Zweifel unterliegen können. Hier folgt nun die
vollständige Beschreibung derselben, auf 2 Exemplare ge-
gründet, die mir vor kurzem mitgetheilt wurden.
Im äusseren Ansehen gleicht das Thierchen völlig
einem grossen Wiesel oder Hermelin, mit Ausnahme des
Schwanzes, der entschieden kürzer ist und nur ein Drittel
des Hermelinschwanzes Länge hat; ferner in der Färbung,
die zwar ebenfalls aus rothbraun und weiss besteht, aber
in ganz anderer Vertheilung. Soll ich zunächst davon
reden, so bemerke ich, dass Farbe und Zeichnung einiger-
massen an die der Mustela (Futorius) sarmatica erinnert,
noch mehr aber in der Vertheilung beider Farbentöne mit
der von Galictis vittata übereinstimmt. An diese Marder-
form errinnert auch der kurze, nur ein Viertel der Körper-
länge betragende Schwanz, aber Kopf und Rumpf sind
feiner, zierlicher gebaut und völlig wieselartig. Das mir
vorliegende, ausgewachsene männliche Exemplar ist von
der Nase bis zur Schwanzspitze 15 Zoll englisch Maass
lang, wovon 2^/2" auf den Kopf, fast ebenso viel auf den
Hals, 1" auf den Rumpf und 3" auf den Schwanz kommen;
die Höhe des wagerecht stehenden Thierchens beträgt in
der Mitte des gebogenen Rumpfes 4 Zoll. — Die Haupt-
farbe ist braun, ziemlich dunkel an der Kehle, dem Vor-
derhalse, der Brust und an den Beinen; heller, röthlicher
am ganzen Rücken und am Schwanz; aber diese ganze
hellere Strecke ist nicht einfarbig, sondern ein Gemisch
von rothbraun und weiss, indem die sehr langen weit ab-
stehenden Grannenhaare eine breite weisse Spitze, oder
lieber Mustela patagonica. 113
einen breiten, weissen Ring vor der Spitze haben. Die
Haare des Kopfes, Nackens, Vorderhalses und der Beine
sind kurz und glatt anliegend, nur über jedem Ohr beginnt
ein Büschel längerer Haare, die sich als Franzen an bei-
den Seiten des Halses fortsetzen, und bis zur Mitte dessel-
ben hinabreichen. Diese längeren Haare sind, so weit
sichtbar, rein weiss, und eben diese Farbe haben die kurzen
Haare des Scheitels und der Stirn bis zwischen die Augen;
aber Nase, Backen unter den Augen und Lippen sind
braungrau, viel heller als die Haare des Nackens, Vorder-
halses und der Beine, die in's Schwarzbraune fallen. Die
ziemlich langen Schnurren in der Oberlippe und an der
Stirn, über den Augen, bleiben reiner braun.
Zur äusseren Gattungscbarakteristik gehört besonders,
neben der Länge des Schwanzes, die Ungleichheit der
Krallen an den Vorder- und Hinterfüssen. Die der er-
steren sind lang, dünn, fein zugespitzt, massig gekrümmt;
die der hinteren ganz kurze, feine Spitzen ; jene etwa 4 — 5
Linien lang, diese nicbt mehr als 1 Linie.
Was nun Schädel und Gebiss betrifft, so habe ich
schon erwähnt, dass der erstere dem des Hermelins ganz
ähnlich sieht, nur ein wenig grösser ist. Das mir vor-
liegende Exemplar von Lyncodon ist 2V2" lang, der Schä-
del eines alten Hermelin nur 2''. Im Einzelnen verglichen,
ist der Jochbogen von Lyncodon stärker, der darauf sitzende
Orbitaldorn höher und das foramen infraorbitale beträcht-
lich kleiner; die Paukenblasen sind kürzer und flacher, nach
vom mehr zugespitzt; die Choanenspalte aber länger.
Im Gebiss zeigt sich an den Schneide- und Eckzähnen
nur ein relativer Unterschied; beide sind bei Lyncodon
höher und schlanker zugespitzt, also schärfer. Die drei
Backzähne jedes Kiefers gleichen ebenfalls den correspon-
direnden des Hermelingebisses völlig, sind aber einzeln
etwas grösser und kräftiger. Dem Oberkiefer fehlt der
erste, sehr kleine Lückenzahn des Hermelin, obgleich ein
Abstand zwischen dem Eckzahn und dem vorhandenen
Lückenzahn, der dem zweiten des Hermelin gleicht, vor-
handen ist. Im Unterkiefer fehlt nicht bloss der ent-
sprechende erste kleine Lückenzahn, sondern auch der
Archiv f. Naturg. XXXXVI. Jahrg. l. Bd. 8
114 H. Bur meist er: Üeber Mustela pathagonicä.
ebenfalls sehr kleine Kauzahn des Hermelin völlig. Oben
hat also Lyncodon einen Ltickenzahn, den Fleischzahn
und den Kauzahn; unten zwei Lückenzähne und den
Fleischzahn, aber keinen Kauzahn.
Das Thierchen findet sich im westlichen Patagonien,
von Mendoza südlich bis in das Quellgebiet und den oberen
Lauf des Rio Negro; weiter nach Osten wird es seltener.
Es kommt jedoch auch mehr nach Norden noch vor, denn
das eine der mir zugegangenen Exemplare wurde bei Azul,
im Süden der Provinz Buenos Aires, gefangen. Seine
Lebensweise ist genau die der Wiesel; es jagt besonders
Feldmäuse und wird auch von Landleuten im Hause des-
halb, wie das Frettchen, gehalten. —
Buenos Aires; Ende Juli 1879.
lieber die Arten von Bdellostoma.
Von
Professor A. Schneider
in Giesen.
Von der Myxinoidengattung Bdellostoma kennen wir
mit Sicherheit nur eine Species, Bdellostoma Forsteri,
welche Joh. Müller in der vergleichenden Neurologie der
Myxinoiden') aufstellte, nachdem er die von ihm früher
angenommene Species von Bdellostoma als Varietäten, oder
wie Bdellostoma Dombeyi als völlig zweifelhaft erkannt
hatte. Günther^) führt zwei Species auf. Bd. cirrhatum ^=
Bd. Forsteri Müller und JBd. polytrema, welche nach ihm
möglicherweise gleich Domheyi ist. Letztere konnte er je-
doch nur nach einem sehr schlechten Exemplar beschreiben,
so dass ihre Charakteristik jedenfalls der Bestätigung bedarf.
Das zoologische Museum unserer Universität ist in der
glücklichen Lage, zwei Species von Bdellostoma zu besitzen.
Die eine derselben, Bdellostoma polytrema Günther, habe
ich selbst vor einigen Jahren von Salmin in Hamburg für
das Museum erworben. Als Myxine glutinosa lag sie in
mehreren Exemplaren unter einer Anzahl der letztern. Ihr
Vaterland ist unbekannt. Die andere Species ist bis jetzt
nur in einer Schrift bekannt gemacht, welche kaum grosse
Verbreitung gefunden haben wird^).
1) Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Berlin
1838. S. 174.
2) Catalogue of the fishes of the british Museum, Bd. VIII.
(1870) S. 511.
3) Das neue Anatomiegebäude zu Giessen, beschrieben von Dr.
Th. L. W. Bischoff, Giessen 1852, S. 18.
il6 Professor A. Schneider:
Es heisst dort : „In Beziehung auf die Fische will ich
hier erwähnen, dass ich unter den aus der Froriep'schen
Sammlung herstammenden Gläsern, in einem eine halbver-
faulte Myxine fand. Es gelang mir noch die Kiemenar-
terien und Venen zu injiciren, u^id da zeigte es sich, dass
das Thier eine neue, bisher unbekannte Species mit 10
Kiemensäcken und Kiemenlöchern ist. Leider sind alle
anderen Organe gänzlich zerstört.^
Ich gehe nun zur genauen Beschreibung über.
JBdeUostoma polytrema^ Gthr.
Totallänge 49 cm. Vom Afterende bis zum Schwanz-
ende 5 cm, erstes Kiemenloch 6 cm, letztes Kiemenloch
13j5 cm von der Kopfspitze.
Kiemenlöcher links 14 und die Oeffnung des Ductus
oesophago-cutaneus, rechts 13. Zahnplatte, vordere Zahn-
reihe 12, hintere 13 Zähne.
Augen vorhanden.
Günther giebt jederseits 14 Kiemenlöcher an, be-
merkt aber selbst, dass er an dem einen Exemplar die
Zahl nicht mit Sicherheit bestimmen kann.
Sdellostoma ^ischoffii nov. spec,
Totallänge 55 cm. Vom Afterende bis zur Schwanz-
spitze 9 cm. Erstes Kiemenloch 11 cm, letztes Kiemen-
loch 20 cm von der Kopfspitze.
Kiemenlöcher jederseits 10.
Zahnplatte 9 Zähne in jeder Keihe.
Augen vorhanden.
Die Zahnplatten selbst fehlen an unserm Exemplare,
aber die Matrix ist erhalten.
Beitrag zur Keniitniss einiger blinden
Amphipoden des Kaspisees.
Von
Dr. Ose. Grimm
in St. Petersburg.
Die Frage über den Ursprung und die Entwickelung
blinder Thiere bat in letzterer Zeit viele Naturforscher
beschäftigt, deren Untersuchungen der Wissenschaft so
manche Thatsache von grösster Bedeutung überliefert haben.
Die Zahl dieser Befunde ist noch durch die Tiefseeunter-
suchungen gesteigert, die von enormen Tiefen höchst inte-
ressante Formen an's Licht gebracht haben. Wenn man
aber die heute schon grosse Anzahl blinder Thiere be-
trachtet, kann man nicht umhin, die Frage von ihrer Her-
kunft immer wieder aufzuwerfen^ da auch jetzt zwei ent-
gegengesetzte Meinungen herrschen, die sich einander
ausschliessen und nicht versöhnt werden können.
Vor 20 Jahren konnte man schon mit dem Lehrsatz
zufrieden sein, dass die Geschöpfe blind geschaffen sind,
weil sie zum Leben in finsteren Grotten und Seeuntiefen
bestimmt waren, und also das Sehvermögen ihnen unnütz
wäre. Nun wird aber diese Anschauung nur von wenigen
Naturforschern vom Fach vertreten, die bedeutende Mehr-
zahl erblickt in der Abwesenheit der Augen bei gewissen
Thieren das Resultat des Aufenthalts im Finstern, wobei
das Sehorgan gewiss in Rückbildung verfallen muss, da es
nicht gebraucht werden kann und wird. Neben dem Ex-
periment von Fries mit dem Gammarus pulex, ist es be-
118 Dr. Oscar Grimm:
kannt, dass PersoneD, die eine lange Reihe von Jabren in
dunkeln Kerkern verschmachten mussten, ihr Augenpigment
einbttssten und nachdem sie in's Freie gebracht wurden,
eine längere Zeit die Gegenstände nicht unterscheiden
konnten, vielmehr von dem Tageslicht Schmerzen empfin-
gen, so auch dass „bei vielen Blinden die Augen buch-
stäblich geschwunden sind. An den Leichen von Menschen,
die im Leben vollkommen blind waren, findet man sogar
die Sehnerven bis an's Hirn heran geschwunden, respec-
tive in eine Masse umgestaltet, die keine Sehnervenfasern
enthält" (Stricker, Studien über das Bewustsein. p. 54),
So ist es denn sehr natürlich, dass Thiere, die in finstern
Grotten, Brunnen, Seeuntiefen oder in der Erde selbst leben,
ihr Sehvermögen verlieren, indem ihre Augen bis auf
weniges rückgebildet werden, worauf schon die Thatsache
hinweist, dass öfters Augen noch vorhanden sind, obgleich
nur rudimentär, wie wir sie z. B. bei Sorex und Talpa
vorfinden.
Nun wissen wir aber, dass in den Seetiefen, wo einige
augenlose Thiere vorkommen und deren Augenlosigkeit
namentlich durch die in den Tiefen herrschende Dunkel-
heit erklärt wird, auch solche Formen existiren, die nicht
nur gewöhnliche, sondern ungemein entwickelte, grosse,
hervorragende und stark pigmentirte Augen haben. Ja die
Gnathophausia der „Challenger-Expedition" aus der Tiefe
von 1830 bis 4020 Meter besitzt sogar Stielaugen und dazu
noch Nebenaugen an den Maxillen ; die Memida aus der
Tiefe von 1000--1200 Meter hat gut entwickelte und höchst
sensibele Augen; Gammaracanthus caspius, m. im Kaspisee
aus der Tiefe von 108 Faden, Boeckia spinosa, nasuta
und hystrix, m. aus der Tiefe von 70—150 Faden des
Kaspisees, verschiedene Mysis- Arten daselbst aus der Tiefe
bis 500 Faden haben alle sehr gut entwickelte, grosse,
buckeiförmige und schwarzpigmentirte Augen. Dies be-
weist schon hinlänglich, dass in den bezeichneten Tiefen
das Sehorgan gebraucht werden kann und wird, da in
denselben keine absolute Finsterniss, sondern nur eine
dunkle Nacht herrscht. Man braucht sich nur zu entsinnen,
dass die nächtlichen Thiere, wie Nachtraubvögel, Raub-
Zur Kenntnies einiger blinden Amphipoden des Kaspisees. 119
thiere u. s. w. sehr grosse und gut entwickelte, und zwar
au die Dunkelheit angepasste Sehorgaue besitzen, um die
feststeheude Thatsache zu erklären, dass die Seetiefen von
Krebsen bewohnt werden, bei denen das Sehvermögen
enorm gesteigert ist. Da aber, wie gesagt, in denselben
Tiefen auch solche Thi erformen existiren, deren Augen
schwach entwickelt oder unpigmentirt sind und sogar völlig
rückgebildet erscheinen, so genügt augenscheinlich die Er-
klärung nicht, dass die Rückbildung der Augen vom Tief-
seeleben bewirkt wird. — Im Kaspisee habe ich unter
0» 12' E. (von Baku), 39^ 51' N. aus der Tiefe von 108
Faden in einem einzigen Schleppnetzzug 10 neue Gamma-
ridenarten erbeutet, und zwar — Gammarus pauxillus, m.
G. crassus, m. G. Gregorkowii, m. G. portentosus, m. G. coro-
nifera, m. G. thaumops, m. Pandora coeca, m. Iphigeneia
abyssorum, m. Gammaracanthus caspitis, m. und Ämathi-
linella cristata, m., die alle mit Augen versehen sind, aber
in höchst verschiedenem Grade der Ausbildung; — so hat
Gammaracanthus caspius sehr grosse, runde Augen, Gam-
marus eoronifera und Amathilinella cristata lange, aber
schmale Augen, Gammarus thaumops dreieckige, unpig-
mentirte, und Pandora coeca kleine, unpigmentirte Augen,
die schwerlich mit dem Sehvermögen begabt sein können.
Ein noch besseres Beispiel liefern folgende neue von mir
im Kaspisee entdeckten Amphipoden :
Onesimus caspius aus der Tiefe von 75 — 250 Faden,
„ pomposus „ „ » n 180 ^
platyuros , „ „ „ 40 u. 48 „
Pantopereia mierophthalma „ ;, 80 — 90 „
Niphargus caspius „ „ „ „ 35 — 90 „
von denen die 2 letzten Arten sammt Onesimus caspius,
auch in einem Zug gefangen wurden und zwar in der
Tiefe von 80—90 Faden, unter 0« 26' E. 41^ 6' N. Panto-
poreia mierophthalma und Niphargus caspius besitzen pig-
mentirte, aber kleine Augen, die Onesimus-Arten besitzen
theils rothe, theils (On. caspius) vollkommen unpigmentirte
Augen und sind bei der letzten Art w^enigstens des Seh-
vermögens beraubt; und mit diesen mehr oder weniger
blinden Arten leben Mysideen, deren grosse, gewölbte und
120 Oscar Grimm:
schwarze Augen gewiss in dem Dunkeln der Tiefen noch
genug Licht absorbiren.
Diese Beispiele mögen genügen um zu zeigen, dass
das Tiefseeleben allein noch nicht die Rückbildung der
Sehorgane durchaus bedingen muss und bedingt. Jetzt
wollen wir aber an unseren Kaspischen Amphipoden zeigen,
wie sich die Thiere zu den Seetiefen verhalten, wie das
Tiefseeleben auf die Organisation derselben einwirkt,
wodurch eigentlich das Schwinden der Augen bewirkt
wird, und womit die letzten ersetzt werden im Fall ihrer
Rückbildung.
Wir können wohl für bewiesen annehmen, dass mit
der zunehmenden Seetiefe die Quantität der Lichtstrahlen
sich vermindert, so dass in einer gewissen Entfernung vom
Wasserspiegel die Stärke des Lichts sehr gering ist, nie
aber bis 0 fällt. Wie klein aber die Lichtstärke auch sein
mag, so ist die Möglichkeit des Sehens nicht ausgeschlossen,
und die Augen der in den Tiefen lebenden Thiere müssen
nur an die relative Dunkelheit angepasst sein^). Als solche
erscheinen aber die grossen, buckeligen und dunkelen
Augen der kaspischen Mysideen, des Gammaracanthus cas-
pius, Boeckia-Arten u. s. w. Es ist aber denkbar, dass
bei vielen Thieren die Augen bei der anhaltenden Dunkel-
heit sich nicht weiter entwickeln und durch andere Sinnes-
organe ersetzt werden. Im letzteren Fall können <Ue Augen
auch rückgebildet werden und um so schneller oder voll-
kommener, je weniger sie benutzt werden, je weniger sie
dem Inhaber Dienste leisten oder vielmehr leisten können.
Nehmen wir als Beispiel Niphargus caspius^) und die ge-
nannten Onesimusarten.
1) Ich glaube bezweifeln zu müssen, dass in einer Tiefe von
100 Meter die absolute Dunkelheit beginnt, wie es Forel im Genfer-
see gefunden hat, denn ich kann mir überhaupt keine absolute Dun-
kelheit vorstellen. Ich gebe gerne zu, dass in dieser oder jener
Tiefe das Tageslicht nicht mehr auf gewisse Chemikalien reagirt,
das schliesst aber noch nicht die Möglichkeit des Sehens aus.
2) Von dieser Art wird wohl N. puteanus abstammen. Es
ist möglich, dass sie mit N. ponticus, Czern. identisch ist; leider
Zur Kenutniss einiger blinden Amphipoden des Kaspisees. 121
Bei der Untersuchung derselben finden wir höchst
entwickelte Sinnesorgane, die wahrscheinlich nicht nur als
Tast- sondern (bei den Onesimusarten wenigstens) auch
als Geschmacks-Werkzeuge liinctioniren ^).
Niphargus caspius hat neben kleinen, aber dunkel pig-
mentirten Augen, die wohl schwerlich in der Tiefe von
35—90 Faden functioniren und als Rest der ehemals fun-
ctiouirenden Augen betrachtet werden müssen, höchst ent-
wickelte Geruchs- und Tastorgane an den Fühlern und
besonders an den oberen. Dabei ist zu bemerken, dass
die mit kleineren Augen versehenen Männchen eine grössere
Zahl dieser Gefühlsorgane besitzen als die Weibchen, die
auch in Hinsicht anderer Merkmale, z. B. der Zahl der
Nebengeisselglieder mehr den Gammarusarten gleichen und
konnte ich dieses nicht recht bestimmen, weil die Beschreibung der
letzten, die Hr. W. Czernjawsky gegeben hat, höchst mangelhaft
erscheint. Siehe dessen ,,Materialia ad zoographiam ponticam cora-
paratam". Es muss aber bemerkt werden, dass unser N. caspius
von den anderen Niphargus-Arten und so auch von N. puteanus in
Vielem abweicht, so nach den kürzeren Fühlern, der anders geform-
ten Hand des 1. Fusspaares u. s. w., so dass vielleicht unsere Art
als Repräsentant einer neuen Gattung zwischen Niphargus uud Gam-
marus angesehen werden kann. Ich thue dies aber nicht und ersehe
in der abweichenden Organisation des Niphargus puteanus den Aus-
druck einer weiteren Entwicklung unter dem Einfluss gewisser Be-
dingungen, die das Fehlen der Augen veranlasst haben und damit
auch die grössere Entwickelung der Fühler, die die Augen ersetzende
Sinnesorgane tragen. Jedenfalls erscheint Niphargus caspius als die
ältere Form, die sich (vielleicht auch etwas umgeändert) im Kaspisee
bis zu unserer Zeit erhalten hat, wie auch andere Thierarten der
Tertiärperiode bis jetzt fortbestehen, wie ich es in meiner „Kaspi-
schen Fauna", Lief. 2, an Dreyssena rostriformis, Dr. Brardii, Dr.
caspia, Cardium catillus, Planorbis micromphalus etc. gezeigt habe.
Niphargus caspius ist sehr wahrscheinlich der „erloschene Gammaride"
(S. Leydig, üeber Amphipoden und Isopoden. Z. f. w. Z. XXX. 2.
p. 249.) den die anderen Niphargusarten als Vorfahren haben.
1) In manchen Fällen wird es wohl schwer zu entscheiden,
ob ein gewisses Organ zum Tasten, Schmecken oder Höhren ange-
passt ist; ja es ist höchst wahrscheinlich, dass bei manchen niederen
Thieren das Tastvermögen nicht vom Geschmack oder dem Gehör
getrennt ist.
122 Oscar Grimm:
also das conservativere Element darstellen, wie es überhaupt
für das weibliche Geschlecht gilt. Wir finden an den
ersten 4 Gliedern der 5gliedrigen Hauptgeissel der oberen
Fühler des ^ sehr grosse cylindrische Organe, die noch
von Leydig u. A. als Geruchs organe beschrieben worden
sind. Diese Cylinder besitzen an ihren freien Enden je
eine Oeffnung, aus der vielleicht auch wirklich dünne Haare
austreten, wie es Leydig angiebt, und von Innen her tritt
in einen jeden Cylinder ein Nervenästchen, welches erst
eine Zellenanschwellung (im Cylinder selbst) bildet, um
sich dann zu verlieren, was ich noch besser an lebenden
Exemplaren einer anderen Art, nämlich Gamraarus priscus,
m. in Krasnowodsk beobachtet habe. An der Nebengeissel
des Niphargus caspius, sowie an dem letzten Stielglied
der unteren Fühler, finden wir eigenthümliche Organe, die
den Geruchspinseln des N. puteanus, nach Alais Hum-
bert, ähnlich gebaut sind; — es sind nämlich grosse und
derbe Stäbe, deren etwas spitz verlaufende Enden mit
einer Unzahl höchst dünner und langer Chitinhaare besetzt
sind. Im Innern eines jeden solchen Stabes verläuft ein
Nerv, der vor dem Eintritt in denselben in eine Nerven-
zelle mit Nucleus anschwillt. Ob aber dieses Nervenästchen
in noch feinere zerfällt, die in die Chitinhaare eindringen,
habe ich nicht sehen können, obgleich ich schon eine Ver-
grösserung von 1500 und verschiedene Reagentien gebraucht
habe. Der Organisation nach möchte ich diese Pinsel
nicht als wirkliche und ausschliessliche Gehörorgane deu-
ten, sondern als höchst sensibele Tastorgane, die die leiseste
Bewegung des Mediums schon vermitteln können.
Diese verhältnissmässig allerdings höchst entwickelten
Geruchs- und Tast- (resp. Gehör-) Organe können wohl
dem Thiere in den von ihm bewohnten finstern Seetiefen
die Augen entbehrlich machen, die dadurch in Rückbildung
begriffen, aber bis jetzt noch nicht völlig verschwunden
sind, weil sie vielleicht theils noch gebraucht werden, z. B.
im Aufsteigen in die Tiefen von 35 Faden.
Ganz anders gestaltet es sich bei den Onesimus-Arten,
von denen wir zur Betrachtung den meist typischen One-
simus caspius benutzen.
Zur Kenutniss einiger blinden Ainphipoden des Kaspisees. 123
Die Augen von Onesiraus caspius sind klein, unregel-
mässig oval, weit von einander gestellt und vollkommen
unpigmentirt, so dass auch unter dem Mikroskope sie nicht
sogleich unterschieden werden. Bekanntlich röthen sich
die unpigmentirten Augen vieler in der Tiefe lebender
Gammariden beim Einwirken des Sonnenlichts, was aber
bei On. caspius nicht existirt. Es ist wohl erlaubt anzu-
nehmen, dass wenn die Onesimusarten des Sehvermögens
auch nicht vollkommen beraubt sind, so functioniren ihre
Augen doch nicht in dem sie gewöhnlich beherbergenden
Medium, respective in dem unterseeischen Schlamm, wo
sie sich beständig aufhalten.
Ungeachtet aber der unentwickelten Augen, finden wir
bei den Onesimusarten gar keine Gefühlsorgane an den
Fühlern und anderen äusseren Körpertheilen, wie bei Niphar-
gus. Ja die Fühler sind bei ihnen sogar der gewöhnlichen
Haare fast gänzlich beraubt, indem solche nur an der un-
teren Fläche der oberen, und an der oberen Fläche der
unteren Fühler sitzen, und auch sehr winzig und in kleiner
Zahl vorhanden sind. Bei näherer Untersuchung aber fin-
den wir sehr entwickelte, aber verborgen gelegene Gefühls-
organe an den äusseren Platten der Kieferfüsse, die schon
früher von verschiedenen Autoren beschrieben oder abge-
bildet worden sind. Es sind nämlich kurze und dicke Stifte
mit abgerundeten Enden, die in entsprechenden cylindrischen
Vertiefungen der Platte stecken, indem sie meist nur mit
ihrer Kuppe nach Aussen hervorragen. Uebrigens erscheinen
einige von ihnen viel länger, indem sie mehr hervorragen
und auch mehr spitze Enden haben; dies sind nämlich die
zwei an der Spitze der Platte stehenden Cylinder, die den
Uebergang zu den gewöhnlichen Borsten darstellen und
damit auch beweisen, dass wir es mit zu gewissem Zweck
umgestalteten Chitinborsten zu thun haben ^). Diese Ge-
1) Solche Tasthaare mit mehr oder minder entwickelten Ner-
ven und Nervenzellen finden sich gewöhnlich an den Mundtheilen
der Arthropoden; so auch bei der Fliege, wie es allbekannt ist. Wo
aber bei derselben Prof. N. Wagner eine Menge MundöfFnungen
(„Polystomie") gefunden hat, ist schwer zu errathen, wie auch die
124 Oscar Grimm:
schmackscylinder (so will ich sie bezeichnen) stehen längs
dem inneren Rande der Platte in einer Reihe, indem ihre
Zahl bei den verschiedenen Species von 8 bis 14 variirt,
wie auch wahrscheinlich nach dem Alter der Individuen.
Im Innern der Platte, unter den ovalen Matrixzellen ver-
läuft ein dicker Nervenstrang, der zu jedem Geschmacks-
cylinder einen Nervenast absendet; diese Aeste verdicken
sich etwas beim Eintritt in den Cylinder, um weiter sich
völlig zu verlieren; ob sie aber in der Verdickung eine
Zelle bilden, habe ich nicht entscheiden können^). Jeden-
falls ist die sensibele Natur dieser Cylinder so scharf aus-
gesprochen, dass man doch wohl berechtigt ist, sie als
Tast- und, ihrer Lage nach, auch als Geschmacksorgane
zu betrachten.
So sehen wir denn, dass bei den blinden oder mit
schwach functionirenden Augen versehenen Niphargus- und
Onesimus-Arten das fehlende Sehvermögen durch die ge-
steigerte Function anderer Organe ersetzt und auch bewirkt
wird, insofern dieselben die Augen nicht unumgänglich
und also ihre regressive Metamorphose möglich macht.
Es fragt sich nun, woher es kommt, dass bei den verschie-
denen Gattungen verschiedene Organe zur grösseren Ent-
wicklung gelangen, und diese Frage wird durch Beobach-
tung ihrer Lebenserscheinungen beantwortet. — Während
meiner Schleppnetzuntersuchungen habe ich beobachtet, dass
die mit sensibelen Fühlern versehenen Arten, und so auch
Niphargus caspius, obgleich in den Tiefen, so doch im
Wasser, nicht aber in dem Seeschlamme leben, was nicht
nur durch das Experiment nach dem Heraufheben der
von ihm entdeckte ,,Wiedersaugung" (analog dem Wiederkauen ! !)
der Nahrung bei der Fliege. Uebrigens wenn Wagner Epithelial-
zellen im Speichel eines materialisirten Geistes gefunden und Haare
einer aus der Geisterwelt gezauberten chinesischen Dame untersucht
hat, (behufs Entdeckung der Vorfahren jetzt lebender Pediculiden?),
so ist wohl von ihm alles zu erwarten. (S. Wagner 's und Baut-
leron's spiritualistische Schriften im ,, Russischen Bothe/').
1) Zur Untersuchung dieser Cylinder sind die On. platyuros
und On. pomposus, als grössere Arten, bequemer, als On. caspius;
leider habe ich von jenen Arten nur wenige Exemplare.
Zur Kenntniss einiger blinden Amphipoden des Kaspisees. 125
Thiere bewiesen ist ^), sondern auch dadurch, dass alle In-
dividuen der Niphargusart von Vorticellen stark besetzt sind.
Ganz anders verhalten sich die Onesimusarten, die
beständig im Schlamm der See tiefen leben und hier, wie
Maulwürfe, sich schnell durchgrabend, ihre Nahrung auf-
suchen, indem sie den organische Stofftheile enthaltenden
Schlamm zu sich nehmen. Selbstverständlich können ihnen
die mit sensibelen Orgauen besetzten Fühler nicht dienen,
da nicht nur so zarte und gebrechliche Bildungen wie die
Riechcylinder und Pinsel, sondern auch die gröberen Bor-
sten von den äusseren, dem Reiben an dem Schlamme
ausgesetzten Flächen verschwunden sind, wie wir es schon
früher angegeben haben, indem wir zeigten, dass solche
Borsten bei den Onesimus nur auf den inneren, einander
sich deckenden Flächen der Fühler vorhanden sind. Da
aber äussere Gcfühlsorgane nicht zur Entwickelung kommen
konnten, so " mussten die mehr verborgenen Körpertheile
mit solchen versehen werden. — Wir haben schon gesehen,
dass bei den Onesimusarten die Borsten der äusseren Kie-
ferfussplatten zu sensibelen Organen ausgebildet sind, und
obgleich es noch nicht entschieden ist, ob sie die Ge-
schmacksorgane darstellen, so kann man doch nicht umhin
sie als zur Bestimmung der Nahrungs Qualität eingerichtete
Organe anzusehen, die beim unterirdischen Leben dieser
Thiere die Augen ersetzen und also auch ihre regressive
Metamorphose bestimmen.
Wir können alles gesagte kurz so zusammenfassen:
In den Seetiefen, wo eine an 0 gränzende, doch keine
absolute Finsterniss herrscht, sind die dort lebenden Thier-
arten entweder mit höchst entwickelten Sehorganen ver-
sehen oder aber werden die Augen durch andere Hülfs-
organe ersetzt, die eine beträchtliche Entwickelung erlangen.
1) Die mit dem Schleppnetz herauf geschafften Thiere verlegte
ich immer erst in kleine Wasserbassins behufs angedeuteter Beobach-
tungen ; das Verhalten der Thiere zum Schlamm sieht man übrigens
auch schon im Schleppnetz selbst, indem die Wasserthiere (entgegen
den Schlaramthiereu) sich nur seicht in den Schlamm einwühlen und
dort auch bald ersticken.
126 Oscar Grimm: ZurKenntniss einiger blinden Amphipoden etc.
Diese Organe entwickeln sich aber auf verschiedenen Kör-
pertheilen, entsprechend den äusseren Bedingungen und der
Lebensart des Thieres, was als primum movens des ganzen
Prozesses der Rückbildung der einen Organe und derEnt-
wickelung der anderen betrachtet werden muss.
Die homerische Thierwelt.
Ein Beitrag zur Geschichte der Zoologie.
Von
Otto Koerner,
stud. med.
Die homerische Zoologie ist schon mehrfach bearbeitet
worden, jedoch nur für Philologen oder wenigstens für
Solche, die sich eingehender mit Homer beschäftigen wol-
len. Die zoologische Seite des Gegenstands hat dabei selbst-
verständlich eine eingehende, geschweige denn vorzugs-
weise Berücksichtigung nicht finden können. Gleichwohl
wird das richtige Verständniss Homers sicherlich nur dann
gewährleistet sein, wenn auch dem zoologischen Standpunkt
volle Beachfung zu Theil wird.
Unter diesen Umständen wird der Nutzen einer vor-
zugsweise vom letzteren Standpunkt aus vorgenommenen
Bearbeitung desselben Gegenstandes auch von den Philo-
logen nicht verkannt werden können und der Verfasser
nimmt umsoweniger Anstand, die nachfolgende Arbeit zu
veröffentlichen, als er nicht nur von andern Gesichtspunkten
als seine Vorgänger ausgegangen, sondern auch zu theil-
weise ihn selbst überraschenden Ergebnissen gelangt ist,
welche ihm von allgemeinerem Interesse zu sein scheinen,
weil sie sowohl für die Geschichte der Zoologie, als auch
für die richtige Würdigung Homers erheblich sind.
128 Otto Koerner:
Die Zoologie des classischen Alterthums, deren vor-
nehmster Vertreter Aristoteles ist, konnte nach Carus^)
nicht entstehen, ohne dass ihr eine „einfache und anspruchs-
lose Kenntniss von Thieren" vorausgegangen wäre.
Wo eine solche Kenntniss von Thieren aus voraristo-
telischer Zeit zu finden sei, hat Carus nicht näher be-
zeichnet. Vieles der Art mag wohl durch mündliche
Tradition tiberliefert worden sein, aber eine ungleich grös-
sere Bedeutung musste hier eine schriftliche Aufzeichnung
zoologischer Kenntnisse erlangen. Eine Solche ist in den
besonders zahlreichen und anziehenden Schilderungen aus
dem Thierleben, welche in llias und Odyssee enthalten
sind, überliefert. So war Aristoteles nicht auf die
urtheilslose mündliche Tradition angewiesen, sondern stand
auf den Schultern Homers, der naturgeschichtliche Kennt-
nisse seines Zeitalters, in die Fesseln der gebundenen Rede
geschlagen und somit unverfälschbar im Laufe der Jahr-
hunderte, hinterlassen hat. Eine geschichtliche Behandlung
der Zoologie muss also mindestens bis auf Homer zu-
rückgehen.
Die Anspruchslosigkeit der homerischen Thierkenntniss
lässt sich schon daraus erkennen, dass der Dichter die Er-
forschung der thierischen Natur nirgends zum Zweck seiner
Darstellung erhebt. Aber gerade in dem Umstände, dass
die Thierschilderungen ohne lehrhafte Absichten gegeben
sind, liegt ein grosser Theil ihres Werthes. Treffend be-
merkt über sie Buchholz^): „Die homerische Thierschil-
derung muss den wahren Naturfreund erwärmen und hin-
reissen. Er wird vor Allem an ihr die Treue und Wahrheit
bewundern, welche mit fast mikrologischer Akribie, dem
Naturleben selbst die feinsten Züge ablauscht; er wird
staunen über die umfassende Beobachtungsgabe des Dich-
ters, dessen Scharfblick in alle Naturgebiete eindringt, wie
auch über das lebhafte Colorit und die Anschaulichkeit,
welche er allen seinen Naturschilderungen zu verleihen
weiss. — Und was die Beobachtung der Thierwelt bei
1) Carus, Geschichte der Zoologie. München 1872. p. 9.
2) Buchholz, Homerische Realien. Leipzig 1871, Bd. I.
Abth. Tl. pag. 8 u. 3.
Die homerische Thierwelt. 129
Homer im Einzelnen betrifft, so ist es wunderbar, wie
unendlich viele Züge derselbe dem Thierleben abgelauscht
hat und wie er dieselben in Beziehung zum Menschen zu
setzen weiss."
Bei diesen Schilderungen kommt ihm jene bekannte
Eigenthümlichkeit seiner Darstellungsweise trefflich zu Stat-
ten, welche darin besteht, dass er nur fortschreitende
Handlungen schildert und alle einzelnen Dinge nur durch
ihren Antheil an diesen Handlungen hervortreten lässt.
Der Löwe z. B. ist ihm bald starkmähnig, bald hat er
funkelnde Augen ; er ist auch wohl der Gewaltige, Verder-
ben Sinnende. Weiter jedoch lässt sich der Dichter auf
seine Beschreibung und Charakterisirung im einzelnen Falle
nicht ein. Schildert er aber die nächtlichen Raubzüge
desselben, wenn fernes Brüllen sein Herannahen verkündet
und Mensch wie Thier angstvoll dem Morgen entgegen
sieht; oder lässt er ihn kampflustig den versammelten
Männern eines ganzen Gaues entgegentreten, dann streut
er in die Schilderung der fortschreitenden Handlung man-
cherlei den Artcharakter treffend bezeichnende Einzelheiten
ein. Aus solchen zoobiologischen Schilderungen lässt sich
dann eine im einzelnen Falle allerdings unvollständige
Beschreibung des betreffenden Thieres herauslesen. Wenn
z. B; kampfesmuthige Krieger mit den Wölfen verglichen
werden, „die mit unsäglicher Kraft den Edelhirsch im
Gebirgswald zerrissen und aufgezehrt haben, dann mit
blutgerötheten Wangen in Rudeln hinziehen und, nachdem
sie von der Oberfläche trüber Quellen mit schmaler Zunge
Wasser geleckt haben, rothes Blut wieder ausspeien, mit
furchtlosem Sinn in der Brust und aufgetriebenem Bauche" —
so erfährt man aus dieser Schilderung: Der Wolf ist raub-
gierig und gefrässig; er hält sich in Gebirgswäldern auf
und jagt in Rudeln den Hirsch. Seine Zunge ist schmal
und er trinkt, indem er das Wasser oberflächlich leckt.
Die in Betracht kommenden Stellen der Ilias und
Odyssee enthalten meist sehr weit ausgeführte Ver-
gleich ungen der Heldenthaten einzelner Führer oder der
Bewegungen ganzer Heerschaaren mit ähnlichen Erschei-
nungen im Thierleben. Da diese Gleichnisse dem Dichter
Archiv f. Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. 9
13Ö Otto Koerner:
nur dazu dienten, seinen Hörern*) einen Vorgang recht
anschaulich zu machen, so konnte er darin aus dem Thier-
leben nur das anführen, was diesen und ihm selbst aus
eigner Erfahrung wohl bekannt war. Schon diese An-
spruchslosigkeit der Angaben bürgt für ihre Richtigkeit.
Ferner veranlasst die Wichtigkeit der Hausthiere den
Dichter oft zu anziehenden Schilderungen; auch manches
Jagdabenteuer berichtet er und lässt nicht selten den
Menschen aus dem Benehmen der Thiere den Willen einer
Gottheit erkennen. Selbst im letzteren Falle ist seine
Schilderung naturgetreu und nur das zu kritischer Zeit
stattfindende und unvorhergesehene Eintreten eines Vor-
gangs aus dem Thierleben bestimmt die Entschlüsse der
Sterblichen.
Die Beobachtung der Thiere im homerischen Zeitalter
wurde durch die beständige Berührung mit denselben aus-
serordentlich begünstigt. Pferde- und Viehzucht betrieben
die Edeln in gewaltigem Massstabe; die Heerden mussten
vor zahlreichen Raubthieren geschützt werden; Jagd und
Seefahrt lehrten die Lebensweise weiterer Thiere genau
kennen. Ausserdem ging eine der am meisten frequentir-
ten Zugstrassen der Vögel ^) über die Wohnsitze der home-
rischen Griechen hin. Eine gewisse Abgeschlossenheit
gegen Nichtgriechen schützte vor den Sagen von fabel-
haften Thieren anderer Länder, die später so verbreitet
und der Entwickelung der Zoologie vielfach hinderlich
waren. Höchstens brachten phönicische Handelsleute Elfen-
bein und den Saft der Purpurschnecke. Sie mögen es
auch gewesen sein, die in ihrer reichen orientalischen
Phantasie aus einem grossen Cephalopoden die fabelhafte
Scylla, die einzige zoologische Ungeheuerlichkeit der home-
rischen Gesänge, entstehen Hessen^).
1) Die homerischen Gesänge wurden ursprünglich mündlich
überliefert. — Die Frage, ob sie von einem oder mehreren Dichtern
stammen, hat auf vorliegende Untersuchungen keinerlei Einfluss.
2) S. u. Kranich und Krammetsvogel.
3) S. u. Mollusken. Mythologische Ungeheuer gehören natür-
türlich nicht hierher.
Die homerische Thierwelt. 131
Die Volkstbitmlichkeit der zoobiologisclien Angaben
Homers ist scbon dureb Zweck und Art seiner naturge-
scbiebtlicben Gleichnisse (s. o.) hinreichend gewährleistet.
Auch rauss noch in Betracht gezogen werden, dass ein
Dichter auf seine Zeitgenossen und ihre Nachkommen nur
zu wirken vermag als ein Sohn seiner Zeit, welcher dem
Wissen seiner Epoche treffenden Ausdruck zu geben weiss
(Jordan). Wenn irgend, so trifft das bei dem episcben
Dichter und besonders bei Homer zu. Denn ein Dichter,
dessen Gesänge ursprünglich nicht geschrieben waren, der
genöthigt war, sie durch mündlichen Vortrag zur Kennt-
niss seiner Zeitgenossen zu bringen, musste durch den
Beifall, welchen diese seinen Werken zollten oder versagten,
erkennen, was wirkungsvoll und was zu feilen oder gar
auszuscheiden war. So ist seine Dichtung fast mehr ein
Werk seiner Zeit, als sein eigenes.
Wenn aber Homer auf Aristoteles eingewirkt haben
soll, so müssen seine Dichtungen auch zu des Letzteren
Zeit noch volksthümlich gewesen sein. Aber lernte denn
nicht die Jugend in den attischen Schulen während der
ganzen classischen Zeit vor allem Andern die beiden home-
rischen Gedichte kennen? Den Zeitgenossen des Aristo-
teles, den Philosophen und Rednern seiner Zeit, ja der
ganzen Nation galten die weisen Lehren des uralten Dich-
ters als sinnvoller Schmuck der Rede und vertraten oft
die Stelle des vollgültigen Beweises. Und so ist es wohl
unzweifelhaft, dass eine einfache und anspruchslose Kennt-
niss von Thieren, wie sie der classischen Zoologie der
Griechen, der Zoologie des Aristoteles vorausgehen
musste, in den homerischen Gesängen überliefert ist.
Dass die homerische Thierschilderung eine so wichtige
Stelle in der Geschichte der Zoologie auszufüllen würdig
ist, soll durch eine vollständige Darlegung und kritische
Prüfung der zoobiologischen Kenntnisse des Dichters ge-
zeigt werden. Der Verfasser ist bei der Bearbeitung dieses
Gegenstandes zu der Ueberzeugung gekommen, dass die
Erklärer^) Manches bisher übersehen, Anderes falsch oder
1) Die homerische Zoologie wurde zuerst von Groshans in
seinem Prodromus faunae Homeri et Hesiodi zusammengestellt.
132 Otto Koerner:
gar nicht verstanden haben, weil sie die betreffenden Dinge
nur vom sprachlichen und nicht zugleich vom naturge-
schichtlichen Standpunkte aus betrachteten. In neuester
Zeit ist man darauf aufmerksam geworden, wie nahe Sprach-
wissenschaft und Naturwissenschaft verwandt sind und wie
sich ihre Resultate ergänzen müssen — und wo der Ver-
fasser eine homerische Stelle auf Grund naturgeschichtlich
feststehender Thatsachen anders erklären muss, als es bis-
her geschehen, da scheint es ihm auch, dass seine Auf-
fassung nicht nur sprachlich zulässig, sondern auch unge-
zwungener ist, als die frühere.
Ueberhaupt dürfen zur Erklärung der betreffenden
Stellen nur feststehende zoologische Thatsachen herange-
zogen werden. Die früheren Bearbeiter sind bei der Iden-
tificirung der homerischen Thiere mit denen, welche jetzt
in den in Betracht kommenden Gegenden leben, nicht
immer vorsichtig genug gewesen, denn sie bemühen sich
oft, Thiere zu bestimmen, bei denen die Angabe der Species
wegen ihrer kurzen Erwähnung ebenso unmöglich wie
gleichgültig ist. Dabei nehmen sie meist Bezug auf Ari-
stoteles; doch selbst hierbei können schon Fehler vor-
kommen. So wird z.B. nachgewiesen werden, dass Homer
unter ^wg den Schakal versteht, während bei Aristoteles
dieses Thier eher eine Viverre zu sein scheint. Ueber ähn-
liche Fälle von Unzuverlässigkeit der Tradition berichten
Aubert und Wimmer^).
Bei der Uebersetzung der Farbenbezeichnungen
hat der Verfasser aus zoologischen Gründen die von
Netolika brachte „Naturhistorisches aus Homer." Friedreich
behandelt in seinen „Realien in der Ilias und Odyssee" die home-
rische Zoologie kurz und in der neuesten Zeit lieferte Buch holz
in den „homerischen Realien" eine ausführliche Bearbeitung des-
selben Gegenstandes, die jedoch, was das Naturgeschichtliche betrifft,
manche Irrthümer enthält. — Nicht berücksichtigt wurde die home-
rische Zoologie von Lenz (,, Zoologie der alten Griechen und Römer")
und von Carus („Geschichte der Zoologie").
Die übrige, sehr zerstreute Litteratur wird an den betreffen-
den Stellen citirt v/erden.
1) Aubert und Wimmer, Aristoteles' Thierkunde, Leipzig
1868, vol. L p. 57.
Die homerische Thierwelt. 133
Geiger^) befolgten Prinzipien als die einzig richtigen
anerkennen müssen.
Von wie grosser Wichtigkeit es ist, Homer möglichst
aus sich selbst zu erklären, zeigt sich am deutlichsten,
wenn man die geographische Verbreitung einiger ho-
merischen Thiere mit den Wohnsitzen, welche sie jetzt inne
haben, vergleicht. Dass in einem Zeiträume von etwa 2500
Jahren, wie er von der Entstehung der homerischen Ge-
dichte bis zur Gegenwart verflossen ist, Aenderungen in
der geographischen Verbreitung der Thiere stattfinden
können, ist schon deshalb ausser allem Zweifel, weil noch
gegenwärtig im Lauf weniger Decennien solche beobachtet
worden sind und noch fortwährend beobachtet werden 2).
Um wie viel mehr ist das bei einem so grossen Zeiträume
möglich. Aber wie lässt sich vor Allem die geographische
Verbreitung der Thiere zur Zeit Homers feststellen, da
dieser so wenig sichere Ortsaugaben macht? Hierzu ist
Folgendes zu bemerken:
Es besteht kein wissenschaftlich begründeter Zweifel
darüber, dass die homerischen Gesänge ausschliesslich an
der Westküste von Kleinasien entstanden sind. Wer
nun des Dichters bis in alle Einzelheiten genauen und
naturgetreuen Schilderungen aus dem Thierleben und den
oben näher dargelegten Zweck seiner Gleichnisse betrachtet,
müss zu der Ueberzeugung kommen, dass diesen Allen nur
eigne Beobachtungen des Dichters oder von ihm als allge-
mein bekannt vorausgesetzte Erfahrungen zu Grunde liegen
können. Daraus folgt wieder, dass alle in den Gleichnissen
der II las und der Odyssee genauer beschriebenen Thiere
vor 2500 Jahren in den Küstengegenden Kleinasiens vor-
gekommen, ja sogar häufig gewesen sein müssen — ein
Schluss den auch Buch holz I.e. öfters zieht. Eine gegen-
theilige Ansicht von Carus wird weiter unten, wo vom
Löwen die Rede ist, erwähnt werden.
1) L. Geiger, Zur Entwickelungsgeschichte der Menschheit,
Stuttgart 1871, und Ursprung und Entwickelung der menschlichen
Sprache und Vernunft, ebenda 1872.
2) cf. Dr. F. C. Noll, Die Erscheinungen des sogenannten
Instinkts, Frankfurt a. M. 1876, p. 47 ff.
134 Otto Koeriier:
Dass bei dem Nachweis von Veränderungen in der
geographischen Verbreitung der Thiere auch nach der Ur-
sache derselben gesucht werden muss, ist selbstverständ-
lich. Es sei gleich hier bemerkt, dass klimatische Ver-
hältnisse dabei nicht in Betracht kommen können, da
Veränderungen des Klimas der kleinasiatischen Westküste
seit Homer nachweisbar nicht stattgefunden haben ^).
Die Anzahl der dem Dichter bekannten Thierarten
ist nicht gross — es sind ihrer etwa siebenzig. Aber diese
hat er meist so trefflich charakterisirt, dass es nur in sehr
wenigen Fällen unmöglich ist, aus seinen Angaben die
Species mit Sicherheit zu bestimmen. Doch nicht die An-
zahl der bekannten Thiere, sondern der Grad der Bekannt-
schaft mit ihnen muss den Werth seiner Angaben be-
stimmen.
Eine systematische Gliederung des Thierreichs
ist bei Homer noch nicht vorhanden. Die zoologischen
Systeme entsprechen immer mehr oder weniger dem Masse
der anatomischen Kenntnisse ihrer Begründer und Homer
besass deren nur sehr geringe. Er kannte zwar die grö-
bere Anatomie der zu Opfern und culinarischen Zwecken
getödteten Thiere einigermassen ; im Uebrigen war er aber
ganz auf den Zufall angewiesen.
Jedoch bildet bei Homer die Vereinigung von
mehreren Thieren unter einzelnen Gruppen gleich-
sam den Urbeginn einer systematischen Gliederung, Die-
selbe findet aber nur so statt, dass viele Thiere vereinzelt
ausserhalb der Gruppen stehen. Für jede Gruppe hat der
Dichter einen Ausdruck; jedoch für den Begriff „Gruppe"
selbst fehlt ihm ein solcher. Nur unserer „Art" entspricht
bei ihm das Wort yevog, z. B. yevog avd^QtoTitov, yevog ?]ini6viov,
yivog ßoMv.
Das Wort ^ t] q, das in der späteren griechischen
Literatur unserem „Thier" entspricht, hat bei Homer eine
1) Verfasser hat sich die Mühe genommen, sämmtliche auf
klimatische Verhältnisse bezüglichen Stellen in Ilias und Odyssee
zusammenzustellen und mit den Bemerkungen über das gegenwärtige
Klima Kleinasiens, welche in Griesebach's Flora der Erde gemacht
sind, zu vergleichen.
Die homerische Thierwelt. 135
speziellere Bedeutung; wir müssen es mit „grösseres Raub-
thier" übersetzen. An einigen Stellen beisst es ohne Wei-
teres „der Löwe*^
Das Wort S-rjQioVj das Homer einmal von einem
gewaltigen Edelhirsche, also nicht diminutiv gebraucht,
kommt bei Theokrit von der Biene, bei andern Späteren
auch von Fischen und von der Spinne vor. Es wäre mög-
lich, dass dasselbe dem sonst bei Homer fehlenden Begriffe
„Thier" (im Gegensatz zu Mensch und Pflanze) entspräche.
Für unser „Säuget hier" findet sich bei Homer keine
Bezeichnung.
Die Vögel in ihrer Gesammtheit heissen 7T€T£r]va, d. i.
Alles was da fliegt. Der Vogel im Gegensatz zu anderen
Thieren heisst o^v/c:.
Bei den Schlangen scheint offig die Gruppe zu be-
zeichnen, während ögaKtov und vÖQog Species sind.
Der Fisch heisst Ix^vg-
Für die Insekten, sowie für die übrigen Klassen
der niederen Thiere finden sich keine besonderen Gruppen-
bezeichnungen.
Als Klasse im heutigen Sinne können nur die
Vögel gelten, da ihnen eine Gruppe (die oliovol) unter-
geordnet wird. Die Uebrigen, z. B. d. Fische, haben nur
den Werth einer Gruppe, weil bei ihnen die eben erwähnte
Bedingung nicht eintrifft.
Die Gruppen sind folgende :
1) Unter der Bezeichnung i9'^(>£ 4; vereinigt der Dich-
ter die grösseren Raub thiere, z. B. H. 3, 449; 15, 586;
0. 5, 473; 24, 292 u. 0. (Der Berg Ida heisst H. 14, 283
^Mutter der Raubthiere.")
2) Als liiTJAa, etwa „Kleinvieh" bezeichnet er Schafe
und Ziegen, z. B. 0. 9, 184 inrjX\ oug xe '/,al aiyeg. cf.
IL 4, 275; 10, 485; 16, 352.
3) Die wildlebenden Säugethiere, deren Jagd directen
Nutzen gewährte, werden 0. 17, 317 unter dem Begriffe
■/.Vit) dal ov, Wild, zusammengefasst.
4) Die im Meere lebenden Säugethiere werden
'/.rtog genannt; so die Robbe ((pco-/,^) 0. 4, 446; — 0. 12,
136 Otto Koerner:
96 ist von ;, Seehunden, Delphinen- und noch grösseren
Seethieren (■nTjTogY die Rede.
5) Die grossen Raubvögel, namentlich diejenigen,
welche als Weissagevögel in Ansehen standen, werden
oicüvol genannt, cf. IL 1, 5; 24, 310; 0. 3, 259; 16, 216;
24, 292 etc.
6) Die Schlangen, s. o.
7) Zu den Fischen ih^i^'Q) rechnet Homer ausser
dem Aal II. 21, 22 auch noch den Delphin, den er jedoch
0. 12, 96 mit den Meersäugethieren vereinigt (s. o.).
Weitere Fischspecies nennt er nicht, sondern spricht nur
von der ganzen Klasse oder besser Gruppe.
8) Verschiedene Mücken- und Schnakenarten
vereinigt er unter dem Begriffe ßvlaij ohne jedoch die
einzelnen Arten besonders namhaft zu machen. —
Eine Darstellung der homerischen Zoologie muss sich
an diese Gruppirung halten, wenn sie den Anschauungen
des Dichters möglichst gerecht werden will. Dabei ent-
steht aber die Schwierigkeit, die ausserhalb dieser Gruppen
stehenden Thiere unterzubringen. Wenn jedoch bei den
Säugethieren der Marder (y-Ttg) den d^ijgeg angereiht
wird und wenn zu den jurjXa die übrigen Hausthiere (Hund,
Rind, Pferd, Esel, Maulthier und Schwein) gestellt
werden, so ist nur noch die Fledermaus {vvxreQig) be-
sonders zu behandeln.
Bei den Vögeln lassen sich die Wasservögel in des
Wortes weitester Bedeutung leicht zusammenstellen, da auch
der Dichter oft mehrere Arten derselben zusammen an-
führt. Dann bleiben noch einige kleinere Vögel übrig.
Die niederen Thiere, welche nicht in die Gruppen
fallen, sollen in der ihnen zukommenden Reihenfolge des
gegenwärtig massgebenden Systems behandelt werden.
Die homerische Thierwelt. 137
I. I^äugethiere.
A. Raubthiere.
Der Löwe.
Felis leo, o, i] Utov oder lig. II. 10, 184 ist d^r^Q^
sonst „grösseres Raubthier", geradezu mit „Löwe" zu über-
setzen (s. u.).
Beiwörter des Löwen sind:
yjxQOTcöq mit funkelnden Augen; svyivsiog mit starker
Mähne; oloocpQtov Verderben sinnend; xgareQog stark;
ILieyag gewaltig; aiS^wv feurig, muthig; to/iiocpayog fleisch-
fressend, roh verschlingend; oiwi^g reissend; oQsairQOipog
bergbewohnend.
Seine Farbe ist öacpoLvog gelbbraun (II. 10, 23).
Die jungen Löwen heissen oytif^ivol (II. 18, 320).
Löwenmuthig (ßvinoXicüv) wird Odysseus genannt und
von Aeneas heisst es (II. 5, 299): „er schritt einher, wie
ein Löwe auf seine Kraft vertrauend." Polyphem frisst
wie ein Löwe (0. 9, 292).
Ferner ist der Löwe „Symbol des Todes", denn IL 21,
483 wird von der Artemis, welcher die plötzlichen Todes-
fälle der Frauen zugeschrieben werden, gesagt, Zeus habe
sie den Weibern zum Löwen gemacht^).
Den Lebenslauf des Löwen schildert der Dichter
I. 5. 554: „Wie zwei 2) Löwen, auf den Höhen des Gebirgs
von der Mutter unter dichtem Waldesdickicht aufgenährt,
beide dann Rinder und fettes Kleinvieh raubend in den
Hürden der Männer Verwüstung anrichten, bis sie unter
den Händen der Hirten dem spitzen Erze unterliegen:
so fielen die Achäer, bezwungen von Aeneas."
Die Liebe zu den Jungen wird in folgenden Stellen
erwähnt: I. 17. 132: „Ajas hielt Stand, indem er den Me-
nötiaden mit seinem Schilde deckte, wie eine Löwin bei
ihren Jungen, wenn sie von Jägern angetroffen wird, wäh-
1) Friedreich, I. c. p. 101.
2) Die Löwin bringt meist zwei Junge zur Welt.
138 Otto Koerner:
rend sie die Kleinen im Walde herumführt; sie trotzt auf
ihre Stärke und zieht die Stirnhaut nieder.^ ^)
Achilles seufzt an der Leiche des Patroklus: ;,wie ein
Löwe mit starker Mähne, dem ein Jäger die Jungen aus
dichtem Walde geraubt hat; grollt, weil er zu spät ge-
kommen, und dann viele Schluchten durcheilt, nach den
Spuren des Mannes suchend, ob er ihn wohl fände, denn
heftiger Zorn hat ihn erfasst." II. 18, 318.
Den Beginn seiner nächtlichen Raubzüge kündet der
Löwe zunächst durch Brüllen an 2). Homer schildert eine
derartige Scene ganz wie Jules Gerard^), in dem schönen
Gleichnisse II. 10, 183: „Wie die Hunde bei einer Schaf-
heerde die Nacht in der Hürde wachend zubringen, wenn
sie die Stimme des furchtlosen Löwen^) vernommen haben,
der durch den Bergwald herabsteigt; viel Lärm entsteht
seinetwegen unter den Männern und Hunden und der Schlaf
weicht von ihnen: so schwand auch Jenen der erqui-
ckende Schlummer von den Augenlidern, als sie die
schlimme Nacht durchwachten, denn immer waren sie nach
der Ebene gewandt, ob sie die Troer herannahen hörten."
üeber die Raubzüge des Löwen geben folgende Stellen
weiteren Aufschluss :
,,Er schrittt einher, wie ein bergbewohnender Löwe,
der, vom Regen nass und vom Sturm (an der Mähne) zer-
zaust mit funkelnden Augen Rindern oder Schafen und den
Hirschen des Waldes nachgeht; es zwingt ihn aber der
Magen (d. h. der Hunger), sich an Schafen zu versuchen
und in das feste Gehege einzubrechen." 0. 6, 130.
„Wie wenn im Dickicht des starken Löwen die Hirsch-
kuh ihre neugeborenen, milchsaugenden Jungen gebettet
1) Das Niederziehen der Stirnhaut deutet den Zorn an.
2) ßrehm, Thierleben, Volksausgabe, Bd. I. p. 114.
3) Jules Gerard, der Löwenjäger, p. 12.
. 4) Es steht hier nicht Xitav, soudera nur d-tiQ. Da aber der
Löwe das einzige Raubthier ist, das sein Herannahen durch Brüllen
anzeigt, und überhaupt wohl kein homerisches Gleichniss gefunden
werden dürfte, in dem der Ueberfali des Löwen treffender geschil-
dert wäre, 80 sind wir gezwungen, hier &riQ ohne Weiteres mit
„Löwe" zu übersetzen.
Die bomftrisuhe Thierwelt. 139
hat und Höben und Schluchten weidend durchsi)äht, wäh-
rend jener in sein Lager zurückkehrend beiden Jungen
ein schreckliches Ende bereitet; so wird auch Odysseus
den Freiern ein schreckliches Ende bereiten." 0. 4, 335.
Aehnlich IL 11, 113. (s. unter .Edelhirsch'').
II. 3, 23 ist als Beute des Löwen Hirsch und
Steinbock angegeben. II. 16, 756 kämpfen zwei Löwen
um eine erjagte Hirschkuh. Ebenda 824 überwältigt ein
Löwe einen Eber im Kampf um das Wasser einer Quelle.
Die beiden Ajas halten den gefallenen Imbrios hoch
empor und rauben ihm die Rüstung, sowie zwei^) Löwen
eine den Hunden abgejagte Ziege davon tragen, indem sie
dieselbe in ihrem Rachen hoch über die Erde halten
IL 13, 198.
„Die Trojaner flohen mitten über die Ebene, wie
Rinder, die ein Löwe in dunkler Nacht 2) erschreckte; eine
Kuh traf das herbe Geschick; jener fasste sie und zerbrach
ihr zuerst den Nacken mit starkem Zahn, dann schlang
er das Blut und die Eingeweide hinunter". IL 11, 171.
Aehnlich IL 5, 161. Vergl. ferner IL 18, 579. 15, 630.
IL 5, 136: „Jetzt ergriff den Diomedes dreifache
Wuth, wie einen Löwen, welchen der Hirt im Felde bei
den wolligen Schafen streifte, als er die Hürde übersprang,
ohne ihn zu tödten: er hat ihm nur den Zorn erregt und
wehrt ihn nicht weiter ab, sondern verbirgt sich im Stalle
und Schrecken ergreift die verlassenen Schafe. Die nun
sind dicht aufeinander gedrängt; der Löwe aber springt
wüthend aus dem hochumbauten Gehege: in solcher Wuth
stürzte sich der gewaltige Diomedes unter die Troer. ''^)
1) Nach Jules Gerard, 1. c. jagen nur junge Löwen gemein-
schaftlich. Vgl. noch IL 18, 579. Ob das gemeinsame Wegschleppen
der Beute naturhistorisch gerechtfertigt ist, kann wohl kaum ent-
schieden werden.
2) Der Löwe geht vorzugsweise Nachts auf Raub aus. Vgl.
IL 17, 657.
3) Diese Stelle ist bisher meist falsch verstanden worden. Man
glaubte, die Worte cd /usv T^y^idTTvcu i7i''o:Xlr]X)jGi yJ/vvTtu bedeuteten :
Die gemordeten Schafe liegen haufenweise auf einander.'' So Voss und
Andere. Von Mord und Blut steht jedoch nichts da. Auch entfernt sich
der Löwe nicht ,, nachdem er sich gesättigt" wie La Roche z. d. St.
140 Otto Koei^er:
Nicht immer gelingt dem Löwen der Ueberfall, das Ge-
bell der Hunde, die Speere der Hirten verjagen ihn: ^es
schaudert ihm das starke Herz und unwillig entfernt
er sich von dem Gehöfte''. (H. 17, 110.) Aehnlich ebenda
657: „Menelaus entfernte sich (nach dem Tode des Patro-
klos) wie ein Löwe von dem Gehöfte, wenn er Hirten und
Hunde beständig reizend ermüdet hat, die während der
ganzen Nacht wachend ihn nicht die fetten Rinder kosten
lassen. Er aber, nach Fleisch lüstern, greift an; vergebens,
denn dichtgedrängt fliegen ihm aus kühnen Händen Wurf-
speere und brennende Fackeln entgegen, die er gar schnell
flieht. Um das Morgenroth aber geht er mit betrübtem
Herzen davon. So ging Menelaos etc."
Der hungrige Löwe jedoch lässt sich nicht verscheu-
chen, auch wenn er seine Kühnheit mit dem Tode büssen
muss. H. 12, 300.
Hat der Löwe sich an einem erbeuteten Thiere ge-
sättigt, ohne es gänzlich aufzuzehren, so kehrt er, wie
Gerard und Andere versichern, öfters in der nächsten
Nacht noch einmal zu ihm zurück, um es vollends zu ver-
tilgen. So lässt sich die Stelle II. 3, 23 erklären, wo ein
Löwe den Leichnam eines Hirsches oder Steinbocks ver-
zehrt. Doch verdient hier eine andere Erklärung vielleicht
den Vorzug. Da nämlich an der betr. Stelle noch erwähnt
wird, dass sich der Löwe beim Fressen selbst durch die
einschaltet — auch davon steht nichts da. Homer wusste recht gut,
dass der Löwe nicht unnöthigen Massenmord liebt, uud dass er sein
Opfer nicht in der Hürde verzehrt, sondern, es im Rachen tragend,
über den Zaua zurückspringt und es weit wegschleift (cf. II. 13,
198, ferner Brehm, 1. c. p. 115.) Die Stelle ist vielmehr, so zu
verstehen: Homer will die Wuth des Diomedes schildern. Deshalb
sagt er: ein hungriger Löwe springt über die Hürde um sich zu
sättigen. Da wird er verwundet, vergisst den Hunger vor Rache-
durst, kann aber seinen versteckten Gegner nicht finden. Seine
Wuth steigt auf's Höchste — die Schafe haben sich ängstlich in
eine Ecke gedrückt — und er springt wieder aus der Hürde. In
einer solchen Wuth wie der ungesättigte, verwundete und unge-
rächte Löwe war Diomedes.
Ueber die bekannte Thatsache, dass der Löwe einen miss-
lungenen Angriff nicht wiederholt, vergleiche Brehm 1. c. p. 117.
Die homerische Thierwelt. 141
in der Nähe befindlichen Hunde und Jäger nicht stören
lasse, so liegt die Vermuthuiig nahe, dass er sich des von
den Jägern verwundeten und eben verröchelnden Thieres
bemächtigt habe. Der Fall hätte dann Aehnlichkeit mit
einem II. 11, 474 berichteten (s. unter Schakal).
Natürlich wurde auf einen so gefährlichen Räuber,
wo er sich nur blicken Hess, eifrig Jagd gemacht, z. B.
II. 20, 164: „Von der andern Seite stürmte der Pelide
heran wie ein reissender Löwe, den die versammelten
Männer eines ganzen Gaues tödten wollen : er schreitet zu-
erst verachtend einher; sobald ihn aber einer der Männer
mit dem Speere trifft, duckt er sich mit weit geöffnetem
Rachen, Schaum umhüllt seine Zähne, in der Brust stöhnt
ihm sein starkes Herz und er treibt sich selbst zum Kampfe
an, indem er beide Seiten und Hüften mit dem Schweife
peitscht. Mit funkelnden Augen stürzt er muthig gerade
aus, sei es dass er einen Mann tödte, oder dass er selbst
vorn im Gedränge umkomme." Aehnlich wird diese Art
der Löwenjagd, die nach Jules Gerard's Bericht^) bei
einigen Araberstämmen in Algerien noch heutzutage üblich
ist, IL 12, 40 und 0. 4, 791 geschildert.
Das Fell des erlegten Löwen wird als Mantel benutzt,
z. B. von Agamemnon IL 10, 23.
Aus der Genauigkeit dieser Schilderungen^) geht un-
widerleglich hervor, dass der Dichter den Löwen aus eigner
Anschauung kannte. Wir sind deshalb nach dem, was wir
in der Einleitung gesagt haben, zu der Behauptung berech-
tigt, dass der Löwe im homerischen Zeitalter in Kleinasien
häufig war — ein Schluss, zu dem auch Buchholz ^) ge-
langt. Seine Verbreitung war überhaupt früher viel grösser
1) Jules Gerard, 1. c. p. 23 ff.
2) Prätorius (Die Hausthiere der alten Griechen, ZooL
Garten XV. p. 459) sagt von ihnen: „sie haben eine auffallende
Aehnlichkeit mit der Beschreibung, welche Brehm von den Zügen
des afrikanischen Viehräubers gibt."
3) Buchholz, 1. c, I. Bd. IL Thl. p. 206.
142 Otto Koerner:
als jetzt. Er fand sich zur homerischen Zeit ausserdem
in Indien^), in Syrien und Palästina ^j, dann in Meso-
potamien und wahrscheinlich in ganz Afrika mit Ausnahme
der Wüsten und in Griechenland und Macedonien. Dort
findet er sich noch später zur Zeit des Xerxes, häufig
zwischen Achelous (dem heutigen Aspropotamo) und Nestus
(d. h. Struma). Dieses von Herodot (VII, 124—126) be-
zeugte Vorkommen bestätigt Aristoteles^). Dort soll er
noch um 150 nach Christus vorgekommen und öfters bis
zum Olymp vorgedrungen sein (Pausanias 6, Eliac. 5).
Wir haben also drei Verbreitungsgebiete, das afrika-
nische, das asiatische und das europäische, die höchstwahr-
scheinlich in uralter Zeit nicht geschieden waren. Zuerst
wird sich wohl das europäische vom asiatischen getrennt
haben (entweder durch Verschwinden einer festen Verbin-
dung am Hellespont oder am Bosporus, oder durch Aus-
sterben des Löwen in einem das schwarze Meer umgehen-
den verbindenden Verbreitungsgebiete. Dann (vielleicht
schon in historischer Zeit) wurde das afrikanische Gebiet
vom asiatischen durch die zunehmende Bevölkerung und
die damit zusammenhängende Ausrottung des Löwen in
Unterägypten abgeschieden.
In Europa werden Löwen nach 150 n. Chr. nicht mehr
erwähnt. In Nordafrika wurden sie gegen Ende der römi-
schen Republik und zur Kaiserzeit durch das massenweise
Einfangen für die Circusspiele stark decimirt.
In Algerien wurden ihre Reihen neuerdings durch
französische Löwenjäger (Jules Gerard u. A.) stark ge-
lichtet. In Palästina sollen sie noch im 12. Jahrhundert
1^ W. Stricker, lieber die Thierfabel, bes. die indische,
Zool. Garten XVIII, p. 264.
2) Rosenmüller, Handbuch der bibl. Alterthuraskimde, 4. Bd.
2. Thl. p. 111 fif.
3) Carus hält die Stellen des Aristoteles, wonach der
Löwe in Griechenland vorkam (h. a. VI 31. 178 u. VIII 28 , 165),
mit Siindcvall (die Thierarten des Aristoteles, Stockholm 1863, p.
47) für dem Herodot entnommen. Nach ihm soll auch der Löwe
den homerischen Griechen nur aus Syrien bekannt gewesen sein
(1. c. p. 41), was jedoch durch unsere Ausführungen hinreichend
widerlegt ist.
Die homerische Thierwelt. 143
im Uferschilf des Jordans häufig gewesen sein (? Vgl.
Rosenmüller, 1. c. p. 114.j.
Gegenwärtig kommt der Löwe in verschiedenen Varie-
täten noch vor in Niibien, Algier, Tunis, Marokko und in
der Oase Fessan (Leo barbarus); am Senegal (L. senega-
lensis) ; am Cap der guten Hoffnung (L. capensis); in
Persien (L. persicus) und im nordwestlichen Theil von
Ostindien (L. googratensis). Diese verschiedenen Varietäten
treten jetzt um so deutlicher hervor, als wahrscheinlich die
in den dazwischen liegenden Bezirken ausgerotteten Löwen
einen allmählichen Uebergang derselben vermittelt hatten.
Nach Alledem scheint es, als ob die Veränderungen
in der Verbreitung des Löwen nur der steigenden Bevöl-
kerung und der fortschreitenden Cultur der einzelnen Ge-
biete zuzuschreiben wären.
Der Leopard.
TcaQÖahg, Leopardus antiquorum Brehm. Sein buntes
Fell (Ttagöalerj uotKih]) diente dem Menelaos (IL 10, 29.)
und dem Paris (IL 3, 17.) als Mantel. Sein Muth wird
dem des Löwen und des Ebers gleichgestellt (IL 17, 20).
Proteus nimmt die Gestalt des Leoparden an (0. 4, 57). —
Die einzige über ihn ausführlicher berichtende Stelle ist
IL 21, 573:
„Wie der Leopard aus tiefem Dickicht dem Jäger
entgegengeht und im Herzen weder Furcht noch Schrecken
hegt, wenn er das Hundegebell vernimmt; denn wenn auch
jener ihn früher trifft und verwundet, so lässt seine Stärke
doch nicht nach, bis er entweder auf den Gegner selbst
trifft, oder erlegen ist; so wollte Agenor nicht fliehen, be-
vor er sich an Achilles versucht hätte."
Noch im letzten Jahrhundert der 'römischen Republik
fand sich der Leopard in Kleinasien. Nach Cicero,
epist. ad fam. 2, 11 u. 8, 9, war er damals in Carlen,
Pamphylien und bei Cibyra häufig, seltener in Cilicien^).
Ueber sein Vorkommen in Palästina und Syrien vgl.
Rosenmüller, L c. p. 134 ff. und Plinius 8, 17, 23. Jetzt
ist er aus ganz Kleinasien verdrängt.
1) Lenz, Zoologie der alten Griechen und Römer, p. 141.
144 Otto Koerner:
Der braune Bär.
agytTogj Ursus arctos. Nur einmal (in einer sehr
spät eingeschobenen Stelle der Odyssee, 11, 612,) wird eine
bildliche Darstellung von Bären, Ebern und Löwen auf dem
Wehrgehänge des Herakles erwähnt. In den Stellen II. 18,
487 und 0. 5, 273 ist agyiTog das Sternbild des grossen Bären.
Aus diesen wenigen Andeutungen können wir nur
schliessen, dass der Bär zu Homers Zeit an der West-
küste von Kleinasien nicht häufig war^). Wäre er ein
dem Dichter bekanntes Thier gewesen, so hätte ihn dieser
wohl in seinen Gleichnissen angeführt. Der Bär war ja
von jeher überall, wo er sich zeigte, ein populäres Thier,
wie schon seine Rolle im Märchen und in der Fabel zeigt,
und hätte also jedenfalls dem Dichter für die Zwecke, die
er mit seinen Gleichnissen verfolgte 2), höchst willkommen
sein müssen.
In den weit später als Ilias und Odyssee entstandenen
sogenannten „homerischen' ' Hymnen wird der Bär mehr-
mals kurz erwähnt und als laoLavxrjVj mit zottigem Nacken
bezeichnet^).
Er soll gegenwärtig in den Gebirgen Kleinasiens zu
finden sein.
Der Wolf.
kmog, Canis lupus, wird bezeichnet als noliog grau,
HQccTeQtovv^ mit starken Klauen, iof,iocpayog roh verschlin-
gend, GivTrjg reissend, ogiazegog im Gebirge wohnend. Er
ist ein Sinnbild des Muths und der Verwegenheit.
Ein Wolfsfell wird von Dolon als Mantel benutzt
(II. 10, 384).
Die Streiter „stürzen wie Wölfe auf einander los"
(11.4,471.).
„Wie roh verschlingende Wölfe, die mit unsäglicher
Kraft den Edelhirsch im Gebirge zerrissen und aufgezehrt
1) Wie Buchholz, 1. c. p. 206 zu dem entgegengesetzten
Schluss kommt, ist uns ganz unverständlich.
2) Vgl. die Einleitung.
3) Homeri hymn. VII., /Iiowaog ^ yiriaral, 46. ed Bau-
meister.
Die homerische Thierwelt. 145
haben, mit blutgerötheten Wangen in Rudeln hinziehen
und, nachdem sie von der Oberfläche*) trüber Quellen
mit schmaler 2) Zunge Wasser geleckt haben, rothes Blut
wieder ausspeien, mit furchtlosem Sinn in der Brust und
aufgetriebenem Bauche: so stürmten die Führer und Rath-
geber der Myrmidonen um den trefflichen Gefährten des
Aeaciden" (II. 16, 156.).
„Die Führer der Danaer wählten sich einzeln Gegner :
wie reissende Wölfe Schafe oder Böcke anfallen, welche
sie sich aus dem Kleinvieh, das sich in Folge der Unacht-
samkeit des Hirten in den Bergen verlaufen hat, aussuchen
und, sobald sie solche erblickt haben, schnell die Schwachen
zerreissen" (IL 16, 352).
„Ungleichen Muth haben Wolf und Lamm" (IL 22,
263). Buch holz, 1. c. p. 199 schliesst aus diesen Stellen
mit Recht, dass der Wolf zur homerischen Zeit in Klein-
asien häufig gewesen sei. In den Gebirgen kommt er
daselbst noch jetzt vor.
Der Schakal.
i9^wg3) Cauis aureus, wird Sacpoivog, gelbbraun, und
w^ocpayog, roh verschlingend, genannt.
Ausführlich wird über ihn IL 11, 474 berichtet:
„Den Odysseus umschwärmten die Troer wie gelb-
braune Schakale in den Bergen den verwundeten Edelhirsch,
1) So trinken alle hundeartigen Raubthiere.
2) Ist richtig.
3) Merkwürdigerweise bestritt man noch bis vor Kurzem die
Identität des ^w? mit dem Canis aureus, obwohl seine Natur in der
angeführten Stelle so trefflich gezeichnet ist und obwohl schon Gros-
hans (Prodromus faunae Homeri et Hesiodi, fasc. I. p. 10) über-
zeugende Gründe für diese Auffassung beigebracht hat.
Der Grund der Unsicherheit über den homerischeu ^w? lag
wohl darin, dass man zu seiner Bestimmung den Aristoteles
heranzog. Nun scheint dieser aber ein anderes Thier unter dem
^w? verstanden zu haben als Homer. Seine Beschreibung passt nur
auf eine Viverre oder Genette (Aubert u, Wim mer, 1. c. L p.
69), während der homerische ^(6g ein solches Thier unmöglich sein
kann, da seine Farbenbezeichnung ^a(poiv6g hierzu nicht passt, und
da eine Viverre oder Genette sich wohl von Mäusen, kleinen Vögeln
und Lurchen nährt, aber nie an einem Edelhirsche vergreift.
Archiv für Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. 10
146 Otto Koerner:
den ein Jäger mit dem Pfeile getroffen hat. Zwar entgeht
er dem Jäger in eiliger Flucht, so lang noch sein Blut
warm ist und seine Glieder sich regen. Sobald ihn aber
der schnelle Pfeil bezwungen hat, zerreissen ihn roh ver-
schlingende Schakale in dunkler Waldestrift der Berge.
Kommt aber von ungefähr ein reissender Löwe daher, so
zerstieben die Schakale und dieser speist: so umschwärm-
ten den Odysseus viele Troer — als aber Aias erschien —
flohen sie in alle Winde" ^)
Auch II. 13, 103 werden Schakale erwähnt.
Der Schakal kommt noch jetzt in Kleinasien häufig vor.
Der Marder.
zrtg. Einen Helm aus Marderfell, ytTidsrjv y,vver]v, be-
sitzt Dolon (II. 10, 335). Der Scholiast bemerkt zu dieser
Stelle: xrlg, auch hrig ist ein vogelfressendes und zu allen
schlimmen Streichen fähiges Thier, grösser und auch dichter
behaart, als das Wiesel (ycc^). im Uebrigen aber diesem
ähnlich. Manche nennen es auch das wilde 2) Wiesel."
Nach Buchholz ist ytrlg der Iltis, Mustela putorius?
Aubert und Wimmer verstehen unter dem aristotelischen
ytTig den Steinmarder, m. foina.
B. Hausthiere.
Der flund.
0, ij xvcovy Canis familiaris. ^)
Beiwörter: aQyog weiss oder schnell, agyiodovg mit
weissen Zähnen; xaQxagodovg mit scharfen Zähnen; naöag
1) Die Stelle erinnert lebhaft anPfeffel's Gedicht „die
Stufenleiter." Buchholz nennt sie die Tragödie des verwundeten
Edelhirsches.
2) Aus der Bezeichnung „wildes" Wiesel lässt sich entnehmen,
dass man zur Zeit des Scholiasten eine verwandte Art gezähmt hielt.
Und in der That berichtet Aelian, 4, 26: „In Indien richtet man
zur Fuchs- und Hasenjagd Adler, Raben, und Frettchen (IxTig) ab."
Gezähmte Frettchen werden jetzt noch zur Kaninchenjagd benutzt.
Lenz, 1. c. p. 288 versteht irrthümlich an dieser Stelle unter ixrlg
einen Raubvogel.
3) Schon die homerische Zeit kennt den Hund nur noch als
Begleiter des Menschen, Doch bemerkt Geiger (Sprache undVer-
Die homerische Thierwelt. 147
dgyog und ctqyiTtovg^ ebenso noöag loy^vg und raxvg schnell-
ftissig; ^r]Ql ioiKwg einem Raubthiere gleichend ; vXaKo/iiwQog
bellsüchtig; tgaitECxig am Tische genährt; ^vgawQog am
Thore wachend; IvoGrjTtjQ wüthend*).
Der junge Hund heisst oyivla^. Er ist ein Symbol
völliger Schwäche und Hülflosigkeit, 0. 9, 289. Beiwort
veoyLlog jung.
Häufig ist xviov ein Scheltwort mit dem Begriffe der
Unverschämtheit. Helena nennt sich z. B. selbst so (IL 6,
344 u. 356). Auch die tippigen, pflichtvergessenen Mägde
des Odysseus werden yivveg genannt. Verächtlich sind
auch die Ausdrücke -/.wwTtig und -/.wog o(,i(.iaT t^ayv^ mit
dem Auge, dem Blicke des Hundes. Die Zusammensetzung
xwccf^ivia, Hundsfliege, hündische Fliege, vereinigt den
Begriff lästiger Zudringlichkeit von Hund und Fliege. Bei
Männern gebraucht, bedeutet xvcov den Wüthenden, toll-
kühn Anstürmenden, dessen man sich nicht erwehren
kann (H. 8, 298 u. 527).
Odysseus fügt sich 0. 20, 18 in sein Schicksal mit
den Worten: „Halt aus, mein Herz, du hast schon hündi-
scheres (y,vvT€Qov) ertragen I"
0. 14, 29 wird geschildert, wie die Hunde des Eu-
mäus den als Bettler verkleideten Odysseus fast zerrissen
nunft I. p. 468): „Die Zähmung und Abrichtung des Hundes ist
in Asien und Europa wohl kaum so alt, als gewöhnlich geglaubt
wird. Layard hat auf den Jagdscenen gerade der ältesten assyri-
schen Denkmäler keinen Hund dargestellt gefunden. In der Bibel
findet sich keine Spur von der Verwendung des Hundes zur Jagd,
so sehr auch z. B. in der Geschichte Esau's sich Gelegenheit ge-
boten hätte. Der Hirtenhund ist nur Hiob 30, 1 und Jesaias 66, 10
erwähnt; und das Schweigen in den älteren Schriften ist gewiss
nicht zufällig, mitten unter den lebendigen Darstellungen aus dem
Leben eines Hirtenvolkes, dessen Könige von der Heerde hinweg
zum Throne geführt werden." —
üebrigens ist es noch bemerkenswerth, dass die homerischen
Hunderagen offenbar noch nicht so verschieden waren, wie die heu-
tigen. Es werden ausschliesslich grosse Hunde erwähnt.
1) In diesem Ausdruck hat man irrthümlich eine Anspielung
auf die Hundswuth finden wollen, cf. Brendel, diss. de Hom.
medic.Viteb. 1700.
148 Otto Koerner: •
hätten: „Sofort erblickten die bellsüchtigen Hunde den
Odysseus und stürzten mit fortwährendem Gebell heran.
Jener aber setzte sich mit Schlauheit nieder ^) und Hess
seinen Stock zur Erde fallen. Da hätte er fast noch bei
seinem Gehöfte unziemliches Leid erduldet, aber schnell
stürmte der Sauhirt durch den Thorweg hin, ihnen mit
schnellem Fusse nacheilend, und das Leder fiel ihm aus
der Hand. Mit Rufen und wiederholten Steinwürfen
scheuchte er den einen hierhin, den andern dorthin.*
Ganz anders benehmen sich dieselben Hunde, als sie
den ihnen wohlbekannten Telemach erblicken, 0. 16, 4:
„Als Telemach herankam, umwedelten ihn die bellsüchtigen
Hunde und bellten ihn nicht an. Der göttliche Odysseus
aber bemerkte, dass die Hunde wedelten, auch kam Ge-
räusch von Schritten heran. Da richtete er schnell an
Eumäus die geflügelten Worte: Fürwahr, zu dir kommt
ein Freund oder ein anderer Bekannter, da ja die Hunde
nicht bellen, sondern wedeln."
Eben dieselben Hunde fürchteten sich vor der über-
natürlichen Erscheinung der Athene, 0. 16, 162: „Aber
Odysseus und die Hunde sahen sie; diese Hessen jedoch
ihr Bellen nicht hören, sondern flohen mit Gewinsel nach
der andern Seite durch den Eingang 2)".
Ergreifend ist die Erzählung, wie Odysseus nach
zwanzigjähriger Abwesenheit in Bettlergestalt wieder an
die Schwelle seines Palastes tritt und Niemand, selbst nicht
1) Plinius 8, 39, 61 bei Lenz 1. c. p. 99: „Wenn die Hunde
auch noch so wüthend sind, so kann man ihnen doch Einhalt thun,
wenn man sich auf die Erde niedersetzt." Hierzu fügt Lenz bei:
,, Dieses merkwürdige Mittel wird auch in neuerer Zeit mit Erfolg
angewendet. Siehe Daniel Schlatter's Bruchstücke aus Reisen,
St. Gallen. Huber 1836, Seite 346". Da dieses Buch nicht aufzu-
treiben war, so verweise ich noch auf die bei der Eroberung von
Mexiko durch die Spanier berüchtigte Dogge Bezerillo, vor der sich
eine alte Indianerin durch obiges Mittel errettete (Brohm, 1. c.
Bd. 1. p. 199).
2) Die Fähigkeit, die Gegenwart einer Gottheit wahrzunehmen,
soll auch in der altnordischen Mythologie dem Hunde zugesprochen
werden. Doch konnte Verfasser nichts Näheres darüber finden. Die
homerische Stelle entzieht sich natürlich der zoologischen Kritik.
Die homerische Thierwelt. 149
der treue Eumäiis seine Gegenwahrt ahnt: nur der ster-
bende Hund Argos kennt noch seinen einstigen Gebieter :
„So also sprachen sie Derartiges unter einander. Aber
Argos, ein Hund des Dulders Odysseus, erhob Haupt und
Ohren vom Lager. Dieser hatte ihn einst selbst aufgezogen,
doch ohne Vortheil von ihm zu haben, denn zuvor zog er
weg nach dem heiligen Ilion. Jenen aber führten einst
Jünglinge auf die Jagd nach Steinböcken, Rehen und
Hasen; doch nun lag er verachtet, da sein Herr fern war,
auf dem Miste von Maulthieren und Rindern, der vor dem
Thore in Menge aufgeschüttet lag, damit ihn die Knechte-
als Dünger für die grossen Felder wegführen sollten. Dort
nun lag Argos voll von Ungeziefer. Als er aber den Odys-
seus in der Nähe bemerkte, wedelte er zwar noch mit dem
Schwänze und Hess beide Ohren sinken, aber er konnte
nicht näher an seinen Herrn kommen. Als der ihn von
fern sah, wischte er sich eine Thräne ab, sie leicht vor
Eumäus verbergend, und sagte schnell zu ihm : Wunderbar
ist's, Eumäus, da liegt der Hund auf dem Miste, schön
zwar an Gestalt, doch kann ich nicht sagen, ob er schnell
zu laufen vermochte bei solcher Körperbildung, oder ob er
nur so war, wie eben die Hunde am Tische der Männer
werden, denn des Prunkes wegen erziehen sie die Fürsten!
Ihm aber antwortetest Du, Sauhirt Eumäus: Freilich!
dem in der Ferne gestorbenen Manne gehört dieser Hund.
Wenn er noch so wäre an Gestalt und Thaten, wie ihn
Odysseus bei seinem Weggang nach Troja zurückliess, so
möchtest du schnell erstaunen beimx\nblick seiner Schnel-
ligkeit und Stärke, denn nie entrann ihm in den Tiefen
des dichten Waldes ein Wild, welches auch immer er ver-
folgte, und im Spüren war er sehr erfahren. Jetzt aber
ist er im Elend, da sein Herr fern von der Heimath starb
und die lässigen Weiber ihn nicht pflegen" (0. 17, 290).
Wie wir aus den angeführten Stellen sehen, wurde
der Hund hauptsächlich als Wächter von Haus und Hof
und auf der Jagd verwendet. Aber auch als Wächter der
Heerden dient er; z. B. bewachen D. 18, 578 neun Hunde
eine Rinderheerde. Als diese von zwei Löwen angegriffen
wurde, bellten sie zwar, wagten aber keine Vertheidigung.
150 Otto Koerner:
Die Wachsamkeit der Schäferhunde wird in dem schönen
Gleichnisse IL 10, 183 geschildert: „Wie die Hunde bei
einer Schaafheerde die Nacht in der Hürde wachend zu-
bringen, wenn sie die Stimme des furchtlosen Löwen*)
vernommen haben, der durch den Bergwald herabsteigt;
viel Lärm entsteht seinetwegen unter den Männern und
Hunden und der Schlaf weicht von ihnen: so schwand
auch Jenen der erquickende Schlummer von den Augen-
lidern, als sie die schlimme Nacht durchwachten, denn
immer waren sie nach der Ebene gewandt, ob sie die
Troer herannahen hörten.'*
Oefter werden Hunde als Begleiter des Jägers ange-
führt. Sie jagen Hasen und Hirschkälber (II. 10, 361;
22, 189. 0. 19, 227 etc.). Besonders anziehend ist ihr
Benehmen auf der Eberjagd geschildert, IL 17, 725: „Die
Troer stürmten an wie Hunde, die dem getroffenen Eber
vor den Jägern her nachsetzen; eine Zeit lang laufen sie
in dem Verlangen, ihn zu zerreissen, aber sobald er auf
seine Stärke vertrauend sich gegen sie umkehrt, weichen
sie zurück und zerstreuen sich hierhin und dorthin: so
folgten die Troer zuerst immer in Schlachtreihen — , so
oft aber die beiden Ajas sich umwandten und ihnen ent-
gegentraten, wurden sie bleich und keiner wagte vorwärts
zu stürmen."
„Sowie ein Hund einen Waldeber oder einen Löwen
von hinten anpackt und den hurtigen Füssen vertrauend
jede Wendung der Lenden und Keulen beobachtet, ebenso
war Hektor dicht hinter den Achäern und erlegte immer
die hintersten." H. 8, 338.
Als Odysseus auf dem Parnass Wildschweine jagte,
liefen seine Hunde vor ihm und spürten die Fährten auf
(0. 19, 436).
Auch Luxushunde {ytvvsg tgccTisK^sg, wörtlich „Tisch-
hunde", 0. 17, 309) hielten sich die homerischen Helden.
Patroklus hatte deren neun, den Telemach begleiteten stets
zwei in die Volksversammlung. Wedelnd umspringen solche
Hunde ihren Herrn, wenn er vom Gastmahle heimkehrt,
1) Die Rechtferti<^ung dieser Uebersetzung siehe unter „Löwe*'.
Die homerische Thierwelt. 151
denn selten versäumt er, ihnen Näschereien mitzubringen
(0. 10, 216). Doch sind sie nicht immer harmlos, der
Geuuss frischen Blutes macht sie wilder und Priamus
fürchtet, von seinen eignen Hunden zerrissen zu werden,
wenn er vom Feinde getödtet ist (II. 22, 70). Ein solches
Ende galt für das schlimmste Loos des Kriegers (II. 1, 4;
0. 3, 259 u. 0.). Auch ist es gefährlich, einer säugenden
Hündin nahe zu kommen, denn „die zarten Jungen um-
wandelnd, bellt sie einen fremden Mann kampfbereit an"
(0. 20, 14).
Das Pferd.
Equus caballus — o 'iTinog der Hengst, ?; %7iTtog oder
Tj %7T7tog &r;leLa die Stute, o Tno'kog das Fohlen — wird
bezeichnet als :
(ß'Avg schnell, omvTVovg schnellfüssig, TioScoy.vg cug
oQvig vogelschnell, d^aoGcovlQrf/Aov schneller als Habichte,
Ttoöag (xiolog mit beweglichen, raschen Füssen, evöv.aQd^fxog
leicht hüpfend, aeqoiTiovg die Füsse hebend, f.uövv^ ein-
hufig, z()a2:£(;wj^i'§ starkhufig, yakv.oTxovg erzhufig^), /.alUd^Qi^
und ev-d-Qt^ mit schönem Haar, schöner Mähne, od^Qi^ mit
gleichem, gleichfarbigem Haar, igiavyjjv mit hohem, stolzem
Hals, aed^loqiOQog den Kampfpreis davon tragend, ai^cov
feurig, 'avölocov stolz, (.h^ötloq (poßow Erreger der Flucht,
viprjxrj9 laut wiehernd, eglydovitog mit donnerndem Hufe.
Das Fohlen ist axakog^ zart.
Es finden sich folgende Farben Varietäten:
1. Der Schimmel, Xnnoi hcv/.oxEQoi yiovog „weisser
als Schnee". H. 10, 438.
2. Der Fuchs, IL 23, 454: „Ein Pferd, das im
Ganzen zwar röthlich (cpolvi^) war, auf der Stirn aber hatte
es ein kreisrundes, weisses Zeichen, wie der Mond gestaltet."
Dass hier kein braunes Pferd gemeint ist, ergibt sich aus
den Worten „im Ganzen röthlich'^, tooov fniv (folvi^, denn
für den Fuchs ist Einfarbigkeit (mit Ausnahme der weissen
Blässe und der meist ebenfalls weissen Füsse) charakte-
ristisch, während
1) Man hat fälschlich hierbei an Hufbeschlag gedacht, cf.
Fried reich, 1. c. p. 104. Es soll mit dem Worte wohl nur die
Festigkeit des Hufa bezeichnet werdeu.
152 . Otto Koerner:
3. das braune Pferd schwarz an Mähne und
Schwanz und daher wohl mit dem II. 20, 224 erwähnten
„Pferde mit dunkeler Mähne", %7t7ibq ■/.vavoxaixiqg^) iden-
tisch ist. üebrigens kann auch hier ein falbes Ross mit
dunkeler Mähne und Schwanz, wie es nicht selten vor-
kommt, gemeint sein. Ein falbes Pferd mit heller Mähne
und ebensolchem Schwanz ist
4. der %7t7iog ^avd-og (IL 9, 407; 11, 680 u. o.),
denn ^av&oQj das bei Homer nur noch zur Bezeichnung
von Haaren und sonnengebräunten Gesichtern vorkommt,
mag ungefähr diese Farbe bezeichnen. Bavd^og kommt
auch als Pferdename vor.
5. BaXiog kommt nur als Pferdename vor und be-
deutet „Schecke".
Auffallend ist das Fehlen des Rappen. Es ist recht
wohl möglich, dass diese Farbenvarietät den homerischen
Griechen unbekannt war. Als eventuelles Analogon führen
wir an, dass unter den arabischen Pferden keine Falben
vorhanden sind.
Die am häufigsten erwähnte Farbenvarietät ist der
mTiog ^avS^og. Man darf freilich aus der Häufigkeit der
Erwähnung nicht ohne Weiteres auf häufiges Vorkommen
schliessen. Doch muss bemerkt werden, dass in einer
Race manchmal eine bestimmte Farbe vorherrscht. So ist
bei den Arabern der Schimmel auffallend häufig. Die
Falben sind unter den wilden Pferden vorherrschend, wenn
nicht allein vertreten.
Als Futter für die Pferde wurde verwendet:
1) kqI XevKov weisse Gerste, (II. 5, 195; 8, 564; 0.
4, 41, 604.)
2) (^€ia oder olvga^) eine andere noch unbestimmte
Getreideart, vielleicht Spelt (II. 5, 195 ; 8, 564; 0. 4, 41, 604).
3) TtvQÖg, Weizen (IL 10, 569 ; 0. 4, 604).
4) hüTog Steinklee (IL 2, 776; 0. 4, 603).
1) /aTrai heisst die Mähne des Rosses IL 6, 509. Dass xvnveos
bei Homer nicht stahlblau sondern dunkel oder schwarz heisst, ist
bekannt.
. 2) Nach Photius und Galen ist Cfif<==olvQa; Theophrast
unterscheidet sie jedoch.
Die homerische Thierwelt. 153
5) TLVTteiQov Cy pergras (0. 4, 603).
6) ollivov ein in Sümpfen wachsendes Kraut (11.2, 776).
„Man goss den Pferden auch wohl Wein zwischen den
Weizen, oder befeuchtete ihr Futter damit (J. 8, 188), viel-
leicht um ihren Muth und ihr Feuer zu erhöhen, ähnlich
wie auch jetzt noch die Leute in Weinländern den stark
angestrengten Pferden gern Wein auf Brot geben, wie
unsere Kutscher Bier und Schnaps.^ ^)
So bekommt auch der englische Renner nach dem
Rennen eine Flasche Wein.
Das Pferd dient den homerischen Helden fast nur
zum Ziehen des Streit- und des Rennwagens. Meist wur-
den hierzu zwei, selten vier Pferde verwandt. Oefters aber
war dem Zweigespann noch ein Handpferd, TragrjOQogj bei-
gegeben, um die Stelle eines verwundeten oder gestürzten
Pferdes gleich wieder ausfüllen zu können. Da es nur
mit dem Zaum an einem Jochpferde befestigt war, so hatte
es eine freiere Bewegung, die ihm im Lauf allerlei Sprünge
gestattete. Wir begreifen daher, wie ein tibermüthiger
Mensch Tcagr^ogog (H. 23, 603.) genannt werden konnte.
Das Reiten war im homerischen Zeitalter selbst im
Kriege nicht üblich 2). Doch ist es dem Dichter nicht gänz-
lich unbekannt. Als das Floss des Odysseus, auf welchem
er von der Insel der Kalypso wegfuhr, vom Sturm zer-
brochen wurde, rettete er sich auf einen Balken, auf dem
er nun sass, wie auf dem Rücken eines Pferdes (0. 5, 37 L).
Als Diomedes und Odysseus bei Nacht die Rosse des
Rhesus entwandten, schwang sich Diomedes auf den Rücken
eines derselben, um schneller entfliehen zu können (H. 10,
514). „Wie von selbst ergibt sich auch die Scene, die
IL 15, 679, geschildert wird; ein Mann hat aus der im
Freien weidenden Heerde vier flüchtige Renner ausgewählt,
er hat sie längs der Heerstrasse in die Stadt zu bringen,
sitzt auf und schwingt sich während des gleichstrebenden
Laufes von einem Rücken zum andern, zur Bewunderung
1) Buchholz, 1. c. p. 174.
2) Auch die älteren Bücher des alten Testaments kennen es
nicht. Vgl. Geiger, Sprache und Vernunft, I. p. 464.
154 Otto Koerner:
der am Wege stehenden Menge" ^). Aus diesen drei Fällen
lässt sich nicht auf wirkliches Reiten schliessen. Ja selbst
als Telemaeh und Nestor's Sohn Pisistratus den gebirgigen
Peloponnes durchreisen (0. 3.), reiten sie nicht, sondern
fahren im Wagen. „Da später Menelaus dem Telemaeh
zum Abschied drei Pferde mit dazugehörigem Wagen
schenken will, lehnt Telemaeh die Gabe ab (0. 4, 601),
indem er daran erinnert, dass in Ithaka weder weite
Rennbahn, noch Wiese, oi;V' ag^ ögoiiog edgieg ovre ri
XeL/nwv sich finde, wie in der Ebene, die Menelaus be-
herrsche; keine der Inseln, die im Meere liegen, ist Itititj-
Xazog, d. h. eignet sich zum Fahren im flüchtigen Wagen,
von allen aber Ithaka am Wenigsten. Wer sich des Rosses
freuen will, der bedarf also nicht blos fetter Wiesen, auf
denen die Heerde weide — und Erichthonius besass eine
solche von dreitausend Stuten 2), sondern auch weiten
Raumes, Ttolv neöiov und ebener Wege leiat oöol, um auf
diesen mit rasch rollenden Rädern dahinzufliegen; auf un-
gleichem Boden mit steigenden und fallenden Gebirgspiaden,
auf denen der Reiter wohl auf und abklettert, ist bei
Homer das Ross von keinem Gebrauch"*).
Als Länder, die zur Pferdezucht geeignet sind, wer-
den besonders angeführt Argos, Thrakien, Elis, Trikke in
Thessalien und Phrygien. Ueberhaupt werden die Danaer
und die Achäer als Taxivrcoloij mit schnellen Fohlen oder
Rossen, bezeichnet.
Dass das Pferd nicht vor dem siebenten Jahre zur
Arbeit angehalten wurde, geht aus IL 23, 266 und ähn-
lichen Stellen hervor.
Eine interessante Verwundung eines Pferdes wird
IL 8, 81 beschrieben; Paris trifft mit einem Pfeilschusse
ein Ross an Nestors Streitwagen „ganz oben am Kopfe,
wo die vordersten Mähnenhaare am Schädel
1) Victor Hehn, Kulturpflanzen und Hausthiere in ihrem
Uebergang aus Asien nach Griechenland und Italien. Berlin 1874.
p. 42. Andere halten übrigens den Mann für einen Kunstreiter von
Profession.
2) II. 20, 219.
Die homerische Thierwelt. 155
wachsen". Der Dichter bezeichnet weiterhin diese Stelle
als die gefährlichste und schildert die Wirkung des Schusses
folgendermassen : „in seinem Schmerze stieg das
Ross auf — das Geschoss aber war in das Hirn
gedrungen^) — und dadurch, dass sich das ver-
wundete Pferd um das Erz schnell herumdrehte,
brachte es auch die andern (mit eingespannten)
Pferde in Verwirrung". Darauf springt Nestor vom
Wagen und durchhaut die verbindenden Stränge.
Zur Erklärung dieser Stelle ist Folgendes zu bemerken:
Der Pfeil durchbohrte nicht einen Schädelknochen,
wie man gemeint hat 2), sondern drang durch die Oeffnung
zwischen Atlas und Hinterhauptschuppe, die bei dem Pferde
sehr weit ist, in das verlängerte Mark. Gerade da, wo
dies mit Leichtigkeit geschehen kann, sitzen die ngÜTai
TQiX^g, die vordersten Mähnenhaare. Durch einen Stich,
der diesen Weg nimmt, tödtet man Pferde, z. B. in den
Thierarzneischulen, wenn man mit möglichster Schonung
des Materials vorgehen will. Und hierbei ist das Benehmen
des getroffenen Pferdes in den meisten Fällen^) ganz das-
selbe, wie es Homer schildert; vor dem Zusammenbrechen
steigt es auf und dreht sich, auf den Hinterbeinen stehend
um seine eigene Achse — und somit auch bei Homer um
das Geschoss in der Wunde. Diese Bewegung (Drehung
um die Längsachse), tritt regelmässig ein, wenn im Hirn
1) Der Aorist JO steht hier, wie so oft, in der Bedeutung eines
Plusquamperfects. Sachlich ist auch die Erklärung zulässig, dass
das Eindringen des Pfeils in das Hirn erst durch seine Schwere und
durch heftige Bewegungen stattfände (s. u.) und dass somit ^v in
aoristischer Bedeutung aufzufassen wäre.
2) So Friedreich, 1. c. p. 105 u. Buchholz, 1. c. p. 175.
Letzterer versucht nicht einmal ernstlich, die Stelle zu erklären,
sondern fertigt sie mit den leeren Worten ab: „Die Gefährlichkeit
der Stelle rührt aber, wie Herr Prof. Reichert mir bemerkt, daher,
dass da, wo die Mähne des Pferdes am Kopf aufhört, die Schädel-
kapsel beginnt, welche das Gehirn enthält".
3) Dass nicht in allen Fällen dieselben Erscheinungen auf-
treten, liegt daran, dass das verwundende Instrument unmöglich
immer ganz denselben Weg nehmen kann, und der Kundige weiss,
wie nahe oft die verschiedensten Centra zusammen liegen.
156 Otto Koerner:
gewisse Fasern der sog. Brücke verletzt werden. Die Phy-
siologen bezeichnen sie als „Zwangsbewegung". Davon
dass der Pfeil recht gut bis an die betreffende Stelle vor-
dringen konnte — einerlei ob per primam intentionem
oder erst durch seine eigne Schwere und durch heftige
Bewegungen des Pferdes — hat sich Verfasser am Pferde-
schädel und Pferdehirn überzeugt. Doch scheint die An-
nahme einer so tief gehenden Verletzung zum Zustande-
kommen der geschilderten Zwangsbewegung nach den oben
erwähnten Erfahrungen beim Tödten der Pferde nicht ein-
mal nöthig zu sein.
Friedreich 1. c. versteht die Worte /.vhvdoi.ievoq
jtEQi xalKco falsch, wenn er meint, dass das getroffene Pferd
sich durch Reiben und Wälzen auf der Erde zu helfen
suchte, da es weder mit dem Maule, noch mit den Füssen
die Wunde erreichen konnte. Ein verwundetes Pferd be-
nimmt sich aber niemals so, wie jeder Thierarzt und jeder
kriegserfahrene Cavallerist weiss.
Im Mythus verschmilzt das Ross mit dem Sturmwind*).
Die von Boreas mit den Stuten des Erichthonius gezeugten
Rosse (II. 20, 226), eilen über die Saatfelder, ohne die
Aehren zu knicken und kaum berührt ihr Huf den Schaum
der brandenden Meereswoge, wenn sie darüber wegjagen.
Die Rosse des Rhesus laufen schnell wie der Wind, &eieiv
avei^ioiGtv of^LoloL, die des Achilles laufen mit dem Zephyr
um die Wette, wie eins derselben selbst sagt, ja sie weis-
sagen ihrem Herrn und beweinen später seinen Tod.
Noch deutlicher als aus diesen mythologischen Be-
ziehungen — dass Pferd ist dass einzige Thier, dem
Homer übernatürliche Eigenschaften beilegt 2) — erkennen
wir, welches Ansehen das edle Ross bei dem homerischen
Helden genoss, aus folgendem Gleichnisse:
„Wie das Ross, das sich lang im Stall an der Krippe
genährt hat, seine Fessel zerreisst und mit stampfendem
Huf durch die Ebene rennt, gewohnt, sich im schönhin-
1) Heb 11, 1. c. p.38, behandelt die mythologischen Beziehungen
ausführlich.
2) Vgl. jedoch auch beim Hunde die Stelle 0. 16, 162 mit
der Anmerkung.
Die homerische Thierwelt. 157
walleDden Strome zu baden, strotzend von Kraft; hoch
trägt es das Haupt und um die Schultern flattert die Mähne;
stolz auf seine eigne Herrlichkeit tragen es die Schenkel
leicht zur gewohnten Weide der Stuten: so schritt Paris,
Priamus Sohn, jauchzend in sonnenglänzendem Waffen-
schmuck von Pergamus Burg hernieder; rasch trugen die
Füsse ihn" — etc. (H. 6, 506 u. 15, 263.)
Und eine wie grosse Sorgfalt verwendet der Dichter
auf die Darlegung des Stammbaums edler Rosse, z. B.
derer des Aeneas (H. 5, 263J! Andromache scheut sich
nicht, mit eigner HandHektor's Rosse zu füttern (H. 8, 186).
Ein Rossschweif auf dem Helm ist eine Zierde des Helden
und Pferderaub zieht immer einen Krieg nach sich (z. B.
II. 1, 154). Wie der Araber sein Dromedar Schiff der
Wüste nennt, so werden umgekehrt bei Homer (0. 4, 708)
die Schiffe alog trcnoi, Rosse des Meeres, genannt.
Der Esel.
ovog^ Asinus vulgaris, wird als vco&rjg, träge, be-
zeichnet. Er wird bei Homer nur einmal (H. 11, 558) in
einem Gleichnisse erwähnt:
„Wie wenn ein träger Esel auf dem Acker geht und
die Bemühungen der Knaben zu Schanden macht, indem
er viele Stecken auf seinem Rücken zerschlagen lässt und
die Saat am Boden ausrauft, während die Knaben ihn mit
Knütteln, aber mit allzu geringer Kraft prügeln und ihn
kaum vertreiben, nachdem er sich eben auch gesättigt hat
— so folgten dem gewaltigen Telamonier Ajax muthige
Troer und fernberufene Hülfsvölker, die ihm die Lanzen
auf den Schild schleuderten."
„Das tertium comparationis liegt in der phlegmati-
schen Ruhe, mit welcher Aias die Troer bald abwehrt,
bald wieder vor ihnen zurückweicht" *). Uebrigens ist die
Vergleichung eines Helden mit einem Esel hier nicht an-
stössig, da der Esel im ganzen Morgenlande kein verach-
tetes Thier war 2).
Der Esel scheint bei Homer nur zur Züchtung der
Maulthiere gehalten worden zu sein.
1) Buchholz, 1. c. p. 182.
2) cf. Friedreich, 1. c. p. 105,
158 Otto Koerner
Das Maulthier.
Asinus vulgaris mulus, rji^dovog und ovgsvg. Ueber
diesen Blendling zwischen Stute und Eselshengst herrscht
unter den Erklärern Homers bis in die neueste Zeit un-
begreifliche Verwirrung. Die Einen halten nämlich den
rjiidovog für einen wildlebenden Einhufer (wie etwa der
noch jetzt in Asien vorkommende Dschiggetai, equus hemi-
onus), der erst durch Zähmung dem Menschen dienstbar
gemacht sein sollte, während doch IL 23, 265, eine mit
einem Maulthiere trächtige Stute, cTtTtog ßgecpog rj^dovov
yiveovöa^ erwähnt ist und nach 0. 4, 635 Noemon und
nach 0. 21, 22 Iphitus in Elis je eine Heerde von 12
Stuten mit MaulthierftiUen besassen. Die Worte i]^i6vo}v
(xyQOTSQawv (IL 2, 852), auf welche sic*i diese falsche Er-
klärung stützt, heissen nicht „wilde Maulthiere", sondern
„auf der Weide, in freien Heerden aufgezogene, noch unge-
zähmte"*). Die Schollen A und B übersetzen ayQozsQccwv
„zur Feldarbeit geeignet".
Manche Erklärer meinen, nur in der citirten Stelle:
e^ ^EvsTcoVj o^£v i^fuovwv yivog dygoTsgaiov sei von Dschig-
getai die Rede. Was aber soll dann das od^ev? „Aus dem
Lande der Eneter, woher die Dschiggetai's kommen".
Was wollen die Trojaner mit den von dort bezogenen und,
wie die Erfahrung neuerdings gezeigt hat, unzähmbaren
Thieren anfangen?
Andere nehmen Anstoss an dem Worte ovQsi'g und
erklären dieses als Blendling von Hengst und Eselsstute
d. i. Maulesel, zum Unterschied von rjjidovog dem Maulthiere,
das ja von Stute und Eselshengst abstammt. Dass aber
ein Bastard der ersteren Art zu den äussersten Seltenheiten
gehört, scheint Homer wohl gewusst zu haben, denn wo
er von den Eltern des Maulthieres spricht, ist die Mutter
immer ein Pferd. Dass jedoch die Worte ovqevg und
rßdovog dasselbe Thier bezeichnen, sehen wir IL 23, 121,
wo dieselben Zugthiere, die wenige Verse vorher (1. c. 111
und 115) ovQ^eg genannt sind, als rif.dovoi bezeichnet
1) cf. Hehn, 1. c. p. 114 u. II. 23, 655.
Die homerische Thierwelt, 159
werden 0- Es war demnach wohl ovqevg, welches Wort
,Bergthier"2) bedeutet, ursprünglich nur ein Beiwort des
^tiiiovog und wurde erst später selbständig gebraucht, wie
ja der Hase, Aa/wog, IL 22, 310 als mco^^ sich duckend,
furchtsam, bezeichnet wird, während er II. 17, 676 über-
haupt nur 7TTco^ heisst.
Beiwörter des Maulthiers sind: ytQaTSQcovv^ mit
starkem Hufe, evxeöUQyog im Geschirre arbeitend, ziehend,
TaXasQyog Arbeit ertragend, bei der Arbeit ausdauernd.
Wie schon diese Bezeichnungen andeuten, wurden die
Maulthiere als Zugvieh verwendet. Sie ziehen den Wagen
der Nausikaa etc.; zum Ziehen des Pflugs eignen sie sich
besser als Rinder (II. 10, 352); sie müssen vom Berge Ida
Holz herbeischaffen (IL 23, 111).
Auch das Maulthier wird wie das Pferd erst nach
dem sechsten Jahre zur Arbeit angehalten, aber es er-
schwert die Arbeit seines Lehrmeisters durch seine Störrig-
keit (IL 23, 654).
Das Hansrind.
Bos taurus; ravQog, ßovg lavgog nnd ßovg agorjv der
Stier; ßovg die Kuh, das Rind; nögiig und noqig junges
Rind, Färse; noqia^ Kalb.
Ein Beiwort des Stiers ist jueyad^vfzog grossmtithig
oder mit gewaltigem Muth. Das Rind ohne Unterschied
des Geschlechts heisst: ucczQecprjg wohl genährt, Ttlcov fett,
ÖQ^oyigmoog mit aufrecht stehenden Hörnern, svQVfAhiOTtog
mit breiter Stirn, igi/uvKog und £Qvy/Lirj?.og stark brüllend,
ayQavlog auf dem Felde lagernd, avh'C6/.i£vog eingehegt,
ccyQoiLisvog in Heerden geschaart, al'&a)v feurig, rjvig glän-
zend, d. h. wohlgenährt oder mit glänzendem Haar (die
Schollen erklären es mit „einjährig").
Als Farbenbezeichnungen kommen vor: oLvoip
weinfarben, agyög weiss, naf-i^elag ganz schwarz.
Die Rinderheerden heissen aytXai oder ßoMv ayiXat,
daher das Beiwort ayekalog zur Heerde gehörig.
1) cf. II. 24, 716 et vers. anteced.
2) Hehn, 1. c. p. 116. Die Brauchbarkeit des Maulthiers im
Gebirge ist bekannt.
160 Otto Koerner:
Noch haben wir die Beiwörter sh^ und eilinovg zu
erklären.
eli^ heisst „krummgehörnt". Das gegen diese Er-
klärung von Buchholz 1. c. p. 147 erhobene Bedenken,
eh'S, enthalte nichts von dem Begriffe gehörnt, kann uns
von unserer Meinung nicht abbringen. Der Begriff von th^
ist in dem früher Homer zugeschriebenen Hermeshymnus
ausdrücklich mit den Hörnern des Rinds verbunden; es ist
daselbst v. 192 von Rindern mit krummen Hörnern ßovg
y.eQaeooiv ehv^xag die Rede ^).
Die meisten Schwierigkeiten bietet das Beiwort eIH-
jcovg. Es heisst „die Füsse schleppend" und bezeichnet
jene auffällige aber schwer zu beschreibende Bewegung
des Fusses beim Rindvieh. Buchholz sagt darüber:
„eUiTcovg heisst „die Füsse fortwindend", in so fern die
Rinder bei jedem Schritte mit den Zehen und Knieen eine
halbe Schraubenwindung beschreiben, deren Achse die ge-
rade Linie des Weges ist, während z. B. die Füsse des
Pferdes beim Gehen eine geradlinige Bewegung haben.
Der Grund jener schwerfälligen Bewegung des Rindviehs
ist aber darin zu suchen, dass sie ein schlaffes Sprungge-
lenk haben, welches Hippokrates mit xalaQOv bezeichnet."
Dieser Versuch von Buch holz, die betr. Bewegungen
zu beschreiben, ist theils unklar (wo von einer Schrauben-
1) Auf ein treffendes Analogen macht micli Herr Prof. H.
Rumpf aufmerksam. Servius bemerkt zu Vergil, Georg. 3, 55:
,,camura cornua boum dicuntur, quae introrsum conversa sunt et in
se redeunt. e t camuri boves, qui huiusmodi cornua habent."
Ein (allerdings weniger zutreffendes) Analogon aus der deutschen
Sprache findet sich in dem Worte „Zackelschaf'' (ovis strepsiceros),
womit man ein Schaf mit zackig gebogenen Hörnern bezeichnet.
Sprachkundige mögen mir nicht entgegenhalten, dass das Wort von
dem mittelhochdeutschen Zagel, d. i. Schwanz, herzuleiten sei und
also Schwanzschaf bedeute. Der Schwanz ist an ihm weder charak-
teristisch noch aussergewöhnlich, was hingegen die merkwürdigen
Hörner in hohem Masse sind. Ein Blick auf die treffliche Abbildung
in Brehm's Thierleben wird Jeden davon überzeugen. — Am eis
(zu 0. 1, 92 im Anhang) und Buchholz (1. c. p. 147) beziehen
'ih'i auf die beim gehenden Rinde bemerkbare windende Bewegung
des Oberkörpers.
Die homerische Thierwelt. 161
Windung die Rede ist), theils iinriclitig, da er die Sprung-
gelenke ftir Küiee anspricht — ein häufiger Fehler derer,
welche der vergleichenden Anatomie unkundig sind, den
auch selbst Aristoteles macht'). Dass nun auch die
Erklärung des nicht richtig erkannten Sachverhalts auf
schwachen Füssen stehen muss, ist selbstverständlich.
Vorerst ist zu bemerken, was allen bisherigen Er-
klärern entgangen zu sein scheint, dass das Rind die betr.
Bewegung deutlich nur mit den Hinterbeinen macht und
dass sie beim Ochsen weit weniger bemerkbar ist, als bei
der Kuh. Betrachtet man das gehende Rind von hinten,
so bewegt sich der über dem Sprunggelenk befindliche
Theil des Hinterbeines anscheinend in gerader Richtung
und fast senkrechter Stellung vorwärts, während der Theil
unterhalb des Sprunggelenkes (also der Fuss) nach aus-
wärts einen Bogen beschreibt. Diese Bewegung kommt
jedoch nicht, wie Buchholz meint, im Sprunggelenk zu
Stande, sondern vorzugsweise im Hüftgelenk und wird nur
durch die eigenthümliche Stellung der Gelenkflächen im
Sprunggelenk und die daraus resultirende Bewegung in
demselben etwas vergrössert. Während der Fuss nach
vorn bewegt wird, erleidet das Bein eine geringe, am
Schenkel äusserlich kaum bemerkbare Achsendrehung.
Diese wird jedoch am Fusse in die sehr bemerkbare Bogen-
bewegung umgesetzt, da der Fuss im stumpfen Winkel
zum Unterschenkel steht. Ausserdem wird sie hier durch
schiefe Stellung der Gelenkflächen im Sprunggelenk (nicht
aber durch die angebliche Schlaffheit desselben) ausgiebiger.
Projicirt man die Bewegung eines Hinterfusses auf den
Boden, so ergibt sich eine Curve, die aus aneinanderge-
reihten flachen Bogen besteht, aber keine Schraubenlinie,
Die Curve des zweiten Hinterfusses greift mit ihren Win-
keln in die Bogen der des ersteren ein.
b
a = Curve des linken, b = Curve des rechten Hinterfusses
auf den Boden projicirt, schematisch.
1) Aubert & Wim m er, 1. c. p. 39.
Archiv für Naturg. XXXXVl. Jahrg. 1. Bd. H
162 Otto Koerner:
Folgenden Gleichnissen liegt die Naturgeschichte des
Rinds zu Grund:
IL 2, 480. „Wie der Stier unter der Heerde bei
Weitem am meisten hervorragt, denn er zeichnet sich vor
den versammelten Kühen aus, so Hess Zeus an jenem Tage
den Atriden ausgezeichnet und hervorragend unter den
vielen Helden erscheinen."
IL 17, 1. „Nicht entging es dem kampfliebenden
Atriden Menelaos, dass Patroklos in der Schlacht getödtet
war. Gerüstet mit glänzendem Erze schritt er durch die
vordersten Kämpfer und umwandelte jenen wie eine Kuh,
die, vorher des Gebarens unkundig, nun zum ersten Mal
geboren hat und jammernd ihr Kalb umwandelt^. — (Man
muss sich vorstellen, dass das Kalb irgend wie bedroht
wird. „Der Vergleich geht auf die ängstliche Besorgniss,
mit welcher Menelaus die Leiche des Freundes zu schützen
sucht" 1).
0. 10, 408. Odysseus erzählt: „Darauf fand ich am
hurtigen Schiff die trefflichen Genossen schmerzlich jam-
mernd und häufige Thränen vergiessend. Wie wenn die
Kälber im ländlichen Hofe um die Kühe der Heerde, welche
zum Stalle zurückkehren, nachdem sie sich am Kraute ge-
sättigt, alle hüpfend einherlaufen: kein Gehege hemmt sie
mehr, sondern stetig blökend umspringen sie ihre Mütter;
so stürzten die Freunde, als sie mich erblickten, weinend
auf mich zu."
IL 13, 701. „So wie zwei weinfarbige Rinder von
gleichem Muthe den festgefügten Pflug auf dem Brachfelde
daherziehn : zu beiden Seiten an den Wurzeln ihrer Hörner
bricht Schweiss hervor 2), und wie beide durch das Joch
getrennt, die Furche hinabstreben, während der Pflug das
abgegrenzte Stück des Saatlandes durchschneidet: also
schritten und standen die beiden Ajas kämpfend neben
einander."
1) La Roche zu II. 17, 5.
2) Der unter dem Joch am Nacken hervordringende Schweiss
sammelt sich weiter vorn an den Hörnern, da die Rinder beim
Ziehen den Kopf senken.
Die horaeriscbe Thierwelt. 163
Der gefährlichste Feind des Rindes ist der Löwe
(s. d.). Vgl. II. 5, 162; 11, 172; 18, 576 etc.
Mit dem Brüllen des Rindes vergleicht der Dichter
das Knarren einer lange nicht geöffneten Thlir (0. 21, 48),
das Dröhnen eines Thores, da es Hektor mit gewaltigem
Steinwurf sprengt (IL 12, 460) und das Brausen des aus-
getretenen Xanthusfiusses (II. 21, 237).
Die Augen des Rindes galten wegen ihrer Grösse
und dunkeln Farbe für schön, daher finden wir die Be-
zeichnung ßow7ag, mit Kuhaugen, als Epitheton von
Göttinnen und schönen Frauen, z. B. der Hera, der
Klymene etc.
Die Rindviehzucht war in vielen Gegenden zu
Homers Zeit ausserordentlich bedeutend; „es gehörten
schon ordentliche Heerden dazu, um aus ihrem Ertrage,
oder besser Ueberschusse den Göttern vollzählige Hekatom-
ben Tslrjeooag exaTo/Lißag, opfern zu können" ^). Nestor er-
beutete auf einem einzigen Zuge gegen Elis unter Anderem
50 Rinderheerden (IL 11, 676) und opferte dem Poseidon
81 schwarze Stiere (0. 3, 6) auf einmal. Solche Opfer-
stiere werden mit einem Axthieb in den Nacken getödtet
(0. 3, 449).
Das Rind wurde im Stalle an der Krippe gefüttert
(0. 4, 535) oder heerdenweise auf die Weide getrieben
(0. 10, 408). Um die Heerde zusammen zu halten, bedient
sich der Hirt seines Stabes, den er geschickt zu schleudern
weiss (IL 23, 845). „Aus 0. 10, 82—85 lässt sich ent-
nehmen, dass die Lästrygonen sowohl Rindvieh als Woll-
vieh hatten, welches ihre Hirten wechseis weise bei Tag
und bei Nacht austrieben, und zwar, wie Eustath meint,
das Wollvieh bei Tage und das Rindvieh bei Nacht wegen
der Bremse (oigtqoq, s. d.). Dadurch erklärt sich die dun-
kele Stelle 1. c. V. 84, dass ein Hirte der nicht schläft,
sich doppelten Lohn verdienen könne" ^).
Man bediente sich des Rindes besonders zum Ziehen
von Lastwagen (IL 24, 782) und zum Pflügen (IL 13, 701 ;
1) Praetorius, L c. p. 459.
2) Friedreich, L c. p. 43. ^
164 Otto Koerner:
0. 18, 371.). Das Getreide Hess man auf der Tenne von
reihenweise zusammengekoppelten Stieren austreten (II.
20, 495).
Die beliebteste Speise der homerischen Helden war
das unmittelbar über dem Feuer gebratene Rückenstück
des Rindes. Die Schenkel und Eingeweide opferte man
den Göttern.
Von Kuhmilch und deren Verwendung ist auffallen-
der Weise nirgends die Rede, während Schaf- und Ziegen-
milch öfter erwähnt wird.
Rinderhäute wurden als Ueberzüge über Schilde (0.
16, 296), als Polster und Decken, auch als Riemen benutzt
(II. 10, 155; 0. 1, 108; 20, 142 etc.), ferner zu Sandalen
(0. 14, 24) und zu Schläuchen (0. 10, 19) verarbeitet. Um
sie zuzubereiten bestrich man sie mit Oel und Fett und
auseinanderstehende Männer fassten sie und zogen so
lange, bis Fett und Oel eingedrungen war (IL 17, 389);
Rindermist wurde als Dünger benutzt (0. 17, 296).
In Ermangelung des Geldes bediente man sich im
homerischen Zeitalter besonders des Rindes als Tausch-
mittel. So ist eine Rüstung von Gold hundert, eine von
Erz nur neun Rinder werth (II. 6, 236); ein Sklave wird
für hundert (IL 21, 79), eine Sklavin dagegen für nur vier
erstanden (IL 21, 705).
Natürlich galt Rinderraub als Kriegsursache, z. B.
IL 1, 154; 0. 1, 8 etc.
Zur Rinderzucht eigneten sich die messenischen
Küstengegenden (IL 9, 154) und einige Inseln (0. 11, 108;
15, 406). Das felsige Ithaka war dazu wenig tauglich;
deshalb hielt Odysseus seine Rinderheerden auf dem be-
nachbarten Festlande (0. 14, 100).
Zur Bestimmung der Race des homerischen Rin-
des haben wir wenig Anhaltspunkte. Doch weisen die Bei-
wörter l'Xi^, mit krummen, gewundenen Hörnern, und Hom.
hymn. Herm. 192 ßovg xeQaeGOLv ehy.Tag, „Rinder mit ge-
wundenen Hörnern" auf eine Art mit grossem, weitgestell-
tem Gehörn, wie es das Steppenrind, bos desertorum,
aufweist, hin. Dieses Rind kommt gegenwärtig in den
Steppen der Mongolei, ^Tartarei, des süd-östlichen Europas
Die homerische Thierwelt. 165
und in Siiditalien vor. Die ebenfalls dem Rinde zukom-
mende Bezeichnung oQO^oy.QaiQoc;, mit aufrecht stehenden
Hörnern, widerspricht unserer Auffassung nicht, da das
weitgestellte Gehörn des Steppenrindes zum grösseren Theile
aufrecht gebogen ist.
Das Kleinvieh.')
Die iLirjla werden bezeichnet als agyvq^a weiss, l'cpict
feist, Tiiora fett, y.alliTQLya mit schöner Wolle, e'vogya
mannbar, Tavavnoda mit schlanken Beinen, adtva dicht ge-
drängt (nämlich weidend).
Das Junge des Kleinviehs ohne Unterschied der Art
heisst 1'f.ißQvov (0. 9, 309). Altersunterschiede werden mit
den Worten VgoaL Spätlinge, (.liraoGai Mittlinge und nqöyovoi
Frühlinge bezeichnet (0. 9, 216).
Das Kleinvieh folgt dem Leithammel 11. 13, 491.
Als besonders zur Kleinviehzucht geeignet werden
Thrinakia, Orchomenos, Pthia, Ithone, Pylos und Libya
bezeichnet. In letzterem Lande sollen die ^y]Ka sogar drei-
mal jährlich gebären und deshalb auch immer Milch geben;
auch bekommea sie daselbst schon als Lämmer ihre
Hörner (0. 4, 86)2).
Das Kleinvieh wurde häufig zu Opfern verwendet.
Seine Felle verarbeitete man zu Decken und Polstern.
Wir gehen zunächst zu Schaf und Ziege über und
besprechen dann noch kurz die Kleinviehzucht des
Polyphem.
Das Schaf.
Ovis domestica. Der Widder heisst y.TiXog, ygiog,
agveiog, oig agvecog und oi'g ccQGrjv; das Schaf oi'g und ol'g
d-rjlvg ; die Lämmer agveg.
Das Schaf wird genannt: 7ir]y€Gl/iia?2og und daovf,iaXXog
mit fester und dichter Wolle, elgononog wollig, Idoiog zot-
tig; das Lamm: ä/iialog zart.
1) S. o. in der Einleitung.
2) Hierzu bemerkt Herodot IV 29: „Es ist ganz richtig,
dass in den warmen Ländern die Höruer sehr schnell hervorkommen;
in grosser Kälte aber bekommen die Thiere entweder gar keine oder
nur sehr kleine Hörner."
166 Otto Koerner: .
Als Farbenbezeichnungen dienen: (.älag und
7ia(,i(Äelag schwarz, aQyevvoq und levyiog weiss. Die 0. 9,
425 erwähnten agoeveg oug loövecpec, slgog tyovTsg „Widder
mit bläulicher Wolle" erinnern an einige Schafracen,
welche eine bräunliche Behaarung mit deutlich blauem
Schimmer haben ^).
In folgenden Gleichnissen wird das Schaf erwähnt:
Odysseus mustert die Reihen der Streiter, ,, vergleich-
bar einem dichtwolligen Widder, der die grosse Heerde
der weissen Schafe durchschreitet." IL 3, 196.
Das Heer folgt den Führern „wie Schafe dem Wid-
der." II. 13, 492.
Diomedes scheucht die Troer vor sich her „wie
Lämmer". II. 8, 131.
„Wie unzählige Schafe im Hofe eines vielbesitzenden
Mannes sich melken lassen und fortwährend blöken, wenn
sie die Stimmen ihrer Lämmer hören, so erhob sich der
Troer Feldgeschrei längs des Heeres." II. 4, 433.
Mehrere hierher gehörige Stellen haben wir schon
beim Löwen angeführt, so IL 5, 136; 0. 6, 130 (Einbruch
des Löwen in eine Schafhürde); andere beim Wolf : IL 16,
352; 22, 263 etc.
Der Cyclop redet den Leithammel, der den Odysseus
aus der Höhle trägt, so an: „Liebes Widderchen, warum
trabst du als letzter von dem Kleinvieh aus der Höhle?
Nie iiessest du ja sonst andere Schafe vorangehn, sondern
eiltest weit ausschreitend, als Erster zu den lieblichen
Blumen der Weide; als Erster gelangtest du an die strömen-
den Bäche und strebtest vor den Andern am Abend in den
Stall zurückzukehren. Und jetzt bist du der Allerletzte!
Betrübt dich so das Auge deines Herrn, das der böse Mann
mir geblendet?" etc. 0. 9, 447.
Ein Schafdarm als Saite der cpogituy^ findet sich 0.
21, 408, ein Seil aus Schafwolle für die Schleuder IL 13, 599.
lieber die Race des homerischen Schafes lässt
sich nichts Bestimmtes sagen ; nur soviel steht fest, dass es
sehr dichte Wolle trug, wie aus dem Beiwort laoiog und aus
1) Solche, und nicht wie einige Erklärer annehmen dunkelblau
gefärbte Wolle, verarbeitet Helena 0. 4, 135.
Die homerische Thierwelt. 167
0. 0, 432, woselbst Odysseus erzählt, er habe sich an dem
Bauche eines Widders in dem „unermesslichen Geflocke"
festgehalten und sei auf diese Art verborgen aus der Höhle
des Cyclopen entflohen, deutlich hervorgeht. Die Ueber-
treibung in letzterer Erzählung konnte der Dichter natürlich
nur dem „erfindungsreichen" Odysseus in den Mund legen.
Die zabme Ziege.
Capra domestica, zQayog der Bock, «t? die Ziege,
sQicpog das Zicklein.
Beiwörter: iiir]y(.ccg meckernd, nlcov fett, evTQscpi^g
und KccTQscprjg wohlgenährt.
Die Ziegenheerden weiden zerstreut, was aus der Be-
zeichnung ahccha Tilaze^ alycov hervorgeht.
Die Anführer ordnen das Heer wie Ziegenhirten die
auf der Weide durcheinander gekommenen Hcerden wieder
aussuchen und trennen (IL 2, 474).
Ein Hirt, der das Herannahen eines Sturmes bemerkt,
treibt seine Heerde in eine Höhle an der klippenreichen
Küste (IL 4, 275).
Der Ziegenhirt Melantheus spottet bei Eumäus über
den als Bettler verkleideten Odysseus mit den Worten:
„Wenn du mir den da als Stallwächter überliessest, damit
er den Stall fege und den Zicklein Laubfutter bringe, so
könnte er sich, Molken trinkend, einen mächtigen Schenkel
schaffen" (d. h. herausfüttern). 0. 17, 223.
Da Telemach 0. 4, 601 dem Menelaos schildert, wie
ungeeignet Ithaka für die Pferdezucht (s. o.) sei, weil es
dort weder ausgedehnte Rennplätze noch Wiesen gebe,
fügt er hinzu, es sei aber alylßozogj Ziegen nährend. Wo
die Weideplätze den Pferden und Rindern abgehen. —
Odysseus hielt seine Rinderheerden auf dem benachbarten
Festlande (s. o.) — da kann doch die Ziege kletternd
Nahrung finden.
Feinde der Ziegen sind Löwe und Wolf (s. d.)
Eine beliebte Speise der homerischen Helden waren
Geismagen, die mit Fett und Blut gefüllt waren und nach
0. 20,25 an Spiessen über dem Feuer gebraten wurden. Das
Rückenstück der Ziege galt für eine Delicatesse (IL 9, 207).
168 Otto Koerner:
Aus Ziegenfellen verfertigte man Weinschläuche (IL 3,
247; 0. 9, 196 u. o.), Decken und Polster (0. 14, 518 u o.)
und Kappen (0. 24, 231).
lieber die Race der homerischen Ziege lässt sich
nichts Genaueres angeben.
Im 9. Gesänge der Odyssee führt der Dichter viele
Einzelheiten über die Kleinviehzucht des Cyclopen
Polyphem als Staffage zu der wunderbaren Errettung
seines Helden aus der Höhle jenes Ungethüms an. Die
Staffage, der sich Odysseus bei seiner Rettung anpasst,
durfte für die Zeitgenossen Homers nichts Unnatürliches
und Fremdartiges enthalten, damit nicht die Aufmerksam-
keit von der Handlung abgelenkt wurde. Wir haben also
in der Polyphemie ein getreues Bild der homerischen
Kleinviehzucht ^) 5 wenn auch die Person des Hirten etwas
ungeheuerlich ist und Grösse wie Stärke seiner Widder
übertrieben wird (s. o.).
Das Gehege für die Schafe und Ziegen des Polyphem
bestand aus einer gewaltigen, verschliessbaren Höhle nahe
dem Meeresufer mit einem durch Mauer und Anpflanzungen
geschlossenen Vorhofe (0. 9. 181). Die Ställe für die
weiblichen Thiere und die Jungen befinden sich in der
Höhle; letztere sind nach dem Alter in drei verschiedene
Abtheilungen gebracht (0. 9, 216). Die Widder und Böcke
bleiben Nachts meist im Vorhof (0. 9, 237).
Bei Sonnenaufgang wird in den Ställen gemolken und
die Säuglinge werden an das Euter gelegt (0. 9, 307).
Dann wird die Heerde in die Berge getrieben (0. 9, 315) ;
die Säuglinge bleiben in den Ställen (0. 9, 216). Abends
treibt der Hirte ein, melkt wieder in den Ställen und lässt
die Säuglinge nochmals trinken (0. 9, 244).
1) Viele Einzelheiten stimmen mit Notizen, die der Dichter
an anderer Stelle gibt, überein. So dienten Höhlen in den zerklüf-
teten Strandgegenden öfters zum Schutze des Kleinviehs (II. 4,275),
Trennung der Geschlechter findet sich auch in den Schweineställen
des Eumäus (s. u.), Kälber wurden wie das junge Kleinvieh des
Polyphem nicht mit auf die Weide ausgetrieben (0. 10, 408) etc.
Die homerische Thierwelt. 169
Die Ziegen- und Schafmilch verarbeitete man zu Käse
und Molken (0. 9, 244) oder trank sie frisch und zwar
wahrscheinlich mit Wasser verdünnt, wie den Wein. Um
den Cyclopen nämlich als recht unmässig darzustellen,
bemerkt der Dichter, dass er ungetaufte Milch, axQrjzov yala,
trank (0. 9, 297).
Das zahme Schwein.
Sus scrofa domestica, Kccirgog und ovg Ka7CQiog der
Eber, ovg und vg die Sau, xolgog das Ferkel, oialog und
Gvg oiaXog das Mastschwein, ovg d^rjXeia roxag die Zuchtsau.
Der Eber wird gvcov eTnßj]T(OQ, Bespringer der Säue
genannt. Das Mastschwein heisst änaloTQ€q)rjg weichlich
genährt und lazQSfprjg wohlgenährt.
Weitere Beiwörter des Schweines sind: agywdovg mit
weissem Zahn, hiißoTeiQrj die Saat abweidend, verwüstend,
XCif-ictiewäg auf dem Boden liegend.
lieber die Schweinezucht des Eumäus berichtet
der Dichter folgendermassen :
„Innerhalb des Hofes hatte er 12 Kofen nahe anein-
andergebaut als Lagerstätten für die Schweine. In jedem
aber waren 50 Schweine auf dem Boden liegend einge-
pfercht, weibliche Zuchtschweine. Die Eber, viel geringer
an Zahl, hatten ihr Lager stets ausserhalb" (0. 14, 13).
„Dicht hintereinander -kamen die Schweine mit den
Hirten. Diese sperrten sie in die gewohnten Lagerstätten
und unaufhörliches Grunzen*) erscholl von den einge-
pferchten Schweinen" (0. 14, 410).
„Du wirst ihn bei den Schweinen treffen, welche bei
dem Rabenstein an der Arethnsischen Quelle weidend, herz-
erfreuende Eicheln fressen und dunkles Wasser saufen,
was ihnen reichliches Fett schaffet" (0. 13, 407).
Den in Schweine verwandelten Genossen des Odys-
seus wirft Kirke (0. 10, 242) Eicheln und Kornelkirschen
vor, „wie sie die Schweine stets fressen.^
Der Bettler Iros droht dem Odysseus, er wolle ihm
1) yJ.ayyri. Dieses Wort bezeichnet nur verworrenen Lärm
und kann daher ebenso vom Grunzen der Schweine wie von dem
Geschrei des Kranichs (II. 2, 463; 3. 3) etc. gebraucht werden.
170 Otto Koerner:
die Zähne einschlagen wie einer saatverwüstenden Sau
(0. 18, 29). Ob man die Saat vor den Schweinen dadurch
schützen kann, dass man diesen die Hauer ausbricht,
scheint zum Mindesten sehr zweifelhaft, da sie dann immer
noch mit dem Küssel wühlen können. Oder sollte viel-
leicht der Eigenthümer des verwüsteten Ackers berechtigt
gewesen sein, der Sau, durch die er Schaden erlitten, (zur
Strafe?) die Zähne auszubrechen, wie es bei den Cypriern
nach Angabe der Schollen Brauch gewesen ist?
Gemästete Schweine , waren bei den homerischen
Helden eine beliebte Speise. Das Ferkelfleisch wurde
ebensowenig geschätzt wie Fische und Vögel, da es den
Heroen zu weichlich war; mau überliess es den Sclaven
(0. 14, 80).
Schweine dienten auch- als Opferthiere.
Unter den Vögeln scheint das einzige Hausthier die
Gans gewesen zu sein. Von den Insekten kann die
Biene hierher gestellt werden. Von beiden soll an geeig-
neter Stelle die Rede sein.
C. Jagdbare Thiere, -/.vcodalov.
Der Edelhirsch.
Cervus elaphus, tla(poq\ das Hirschkalb heisst veßgog
und ellog] der Spiesser K€f.iag.
Beiwörter: y.eQaog mit Geweih, vipUeQwg mit hohem
Geweih. Die Hirschkuh ist Taxdr] und oj/Mt] schnell,
cpvllßMvri flüchtig, ayQortQa wildlebend. Das Hirschkalb
(veßgog) heisst verjysvr^g neugeboren, yalad^rjvög Milch »äu-
gend, (illog) zioL'Miog bunt, gefleckt.
Der Hirsch ist ein Bild der Feigheit. So werden die
Troerinnen mit flüchtigen Hirschkühen verglichen (II. 13,
102); Achilles wirft dem Agamemnon vor, er habe den
Muth eines Hirsches (II. 1, 225). Agamemnon ruft die
zögernden Argiver an: „Warum steht ihr da betäubt wie
Hirschkälber, die, wenn sie vom Laufen durch ein weites
Gefild ermatten, stehen bleiben und keine Kraft mehr
fühlen" (II. 4, 243).
Die homerische Thierwelt. 171 *
Odysseiis berichtet folgende Jagdgeschichte: „Als ich
nahe an das Schiff herankam, da erbarmte sich meiner,
des Verlassenen, einer der Götter, der mir einen gewaltigen
Hirsch mit hohem Geweih gerade in den Weg sandte.
Dieser wollte aus der Waldestrift nach dem Flusse ziehen,
um zu trinken, denn schon bedrängte ihn die Kraft der
Sonne. Als er hervorkam, traf ich ihn mitten in das Rück-
grat. Der eherne Speer drang auf der andern Seite her-
aus, er stürzte stöhnend in den Staub und es entfloh seine
Seele." Odysseus bindet ihm nun die Beine zusammen
und trägt ihn auf dem Rücken nach dem Schiffe. Dort
staunen seine Genossen über die Grösse des Thieres^
(0. 10, 156).
„Einen geweihtragenden Hirsch oder einen Steinbock
jagen Hunde und Landleute auf — ihn aber beschützt ein
starrender Fels und der Waldesschatten, ohne dass es
jenen beschieden war, ihn zu erreichen" (II. 15, 271).
Artemis jagt auf dem Taygetos und Erymanthos Hirsche
und Eber (0. 6, 102).
Wie die Hirschkuh ihren vom Löwen Überfallenen
Jungen nicht helfen kann, sondern schnell durch das Wal-
desdickicht entflieht, so konnte auch Niemand das Unglück
von den Troern abwenden (Nach IL 11, 113).
lieber die Jungen des Hirsches siehe die ausführliche
schon beim „Löwen" übersetzte Stelle O. 4, 335=17, 126
und die beim „Hunde" angeführte IL 22, 189. VgL ausser-
dem IL 3, 23; 16, 756. Ein Hirschkalb wird vom Adler
geraubt IL 8, 248. Die „Tragödie des verwundeten Hir-
sches" (Buch holz) IL 11, 474 haben wir beim „Schakal'^
1) Buch holz, L c. p. 165 macht hierzu die Bemerkung:
.jWenn es gleich darauf heisst, dass die Genossen des Odysseus das
gigantische Thier angestaunt hätten, so muss man sich erinnern,
dass in jenen ältesten Zeiten, wo das Wild minder verfolgt wurde,
die Hirsche eine jetzt unerhörte Grösse erreichten." — Völlig aus-
gewachsene Hirsche komme* jedoch in allen reichen Beständen auch
jetzt noch nicht selten vor. Oder meint Herr Buch holz vielleicht,
dass der Hirsch ad infinitum wachse? Auch ist es ganz unbegreif-
lich, wie die Genossen des Odysseus einen Hirsch anstaunen konnten,
weil seine Grösse erst jetzt unerhört wäre.
172 Otto Koerner:
übersetzt. Eine weitere, hierher gehörige Stelle findet sich
IL 11, 113:
„So wie ein Löwe die unbehülflichen Jungen der
flüchtigen Hündin leicht mit mächtigem Zahn zermalmt
und ihnen ihr zartes Leben raubt, wann er sie im Lager
trifft, während die Mutter, obwohl sie in der Nähe ist, nicht
helfen kann, denn ihr selbst erzittern die Glieder und
schnell flieht sie durch Dickicht und Wald, rastlos und
schweisstriefend vor dem Andränge des mächtigen Raub-
thiers — so konnte kein Troer von Jenen das Unheil ab-
wehren, denn auch sie flohen vor den Argivern/'
0. 19, 228 wird die getriebene Arbeit auf einer Spange
von Gold folgendermassen beschrieben: „In seinen Vorder-
füssen hielt ein Hund ein geflecktes Hirschkalb und fasste
das zappelnde. Alle aber bewunderten, wie naturgetreu *),
obwohl sie von Gold verfertigt waren, dieser das Hirsch-
kalb würgend fasste, jenes aber, zu entfliehen begierig,
mit den Beinen zappelte." — Vgl. noch II. 16, 156 (s.
unter „Wolf").
0. 13, 436 wird eine Hirschhaut als Bettlermantel
benutzt.
Das Reh (?).
TTgoxag, vielleicht Rehe (Capreolus vulgaris) jagte der
Hund Argos. 0. 17, 295.
Der Steinbock 2).
ai^ ayQtog und ai!^ dygoregog.
Beiwörter: furjxag meckernd, ogeoyicoog auf Bergen
lebend, lovd-ag zottig, langbärtig, ^aXog gut springend.
1) „Naturgetreu'* stellt nicht im Urtext, macht aber in der
Uebersetzung den Sinn deutlicher.
2) Dass wir es hier mit einem Steinbock zu thun haben, er-
gibt sich schon aus den Beiwörtern. Es kann jedoch nicht sicher
festgestellt werden, welche Species (oder Varietät?) gemeint ist. Die
Vermuthuug von Fried reich, 1. c. p. 108, dass der «fl (iyQios
capra aegagrus sei, hat das für sich, dass dieses Thier gegen-
wärtig im Kaukasus vorkommt und dass die Bezeichnung toVi9(xg,
langbärtig, auf es besser als auf andere Species passt. Es gibt aber
jetzt auch noch auf Greta eine besondere Steinbockart, die gerade
so gut die homerische sein könnte. Buch holz, 1. c. p. 163, hält
Die homerische Thierwelt. 173
Die hierhergehörigen Stellen sind:
0. 9, 110: „Dann breitet sich vor dem Hafen in
massiger Entfernung vom Lande der Cyclopen eine unan-
gebaute, waldige Insel aus, auf welcher unzählige Stein-
böcke leben, denn kein Verkehr der Menschen vertreibt
sie. Auch pflegen die Jäger nicht dahin zu kommen, um
Leiden zu erdulden beim Ersteigen der waldigen Berggipfel,
und die Insel ist nicht eingenommen von weidenden Heer-
den und Pflügern, sondern unbesäet und ungepflügt ist sie
immerfort leer von Menschen, ernährt aber meckernde
Steinböcke.'*
Dort jagt Odysseus 0. 9, 155.
,, Darauf nahm er aus dem Futteral den wohlge-
glätteten Bogen vom Horu des springenden Steinbocks, den
er einst selbst auf dem Anstand glücklich in die Brust
mit Netolika capra ibex, den Alpensteinbock, für den homeri-
schen, da derselbe an den Hörnern 14 — 16 quergestellte Wülste
habe, was Homer II. 4, 109 mit dem Ausdruck yjQa ixxca^sxd-
6(üocc bezeichne. Ich hin damit einverstanden und halte selbst ge-
genüber den mir von philologischer Seite entgegengestellten Bedenken
daran fest, dass ix/ccctö^xa^ioocc nicht etwa die Länge der Hörner
„gleich 16 Handbreiten", sondern die charakteristische Bildung der-
selben bezeichnet und deshalb als ,,mit 16 Wülsten" übersetzt wer-
den muss. Wenn aber die genannten Autoren diese einmal vor-
kommende und nur auf ein Exemplar, nicht aber auf die ganze
Art bezogene Bezeichnung als charakteristisch für capra ibex an-
nehmen, so muss ihnen bemerkt werden, dass die Anzahl der Wülste
an den Hörnern aller Steinbockarten nicht constant 14 — 16 beträgt,
sondern dass sie beim jungen Thiere gar nicht vorhanden sind und
später an Zahl mit ziemlicher Regelmässigkeit zunehmen, so dass
man das Alter des Thieres ungefähr danach bestimmen kann. Bei
12 von mir untersuchten Gehörnen von Steinböcken, die grössten-
theils im Senkenbergischen Museum aufbewahrt werden, war die
geringste Anzahl von Wülsten 5, die höchste 19; sie soll aber nach
Brehm, 1. c. p. 642, bis auf 24 steigen können.
Andere Erklärer nehmen an, dass der al'i IcyQiog eine ver-
wilderte Ziege sei, wie sie noch jetzt auf gänzlich unbewohnten In-
seln des Mittelmeeres (z. B. Tavolara bei Sardinien) in kolossaler
Menge vorkommt (vgl. Lenz, 1. c. p. 230). Diese Ziegen sind,
wenigstens auf einigen der Inseln, in historischer Zeit verwildert,
was bei dem aY'^ «/mo? nach 0. 9, 116—124 (s. im Text) wohl nicht
anzunehmen ist.
174 Otto Koerner:
getroffen hatte, wie er gerade auf den Fels hervortrat;
rückwärts stürzte er herab; die Hörner ragten ihm mit
16 Wülsten aus dem Kopfe.'' (II. 4, 105.) S. noch II. 15,
271 (beim Hirsch übersetzt).
Die Haut des Steinbocks wird als Decke benutzt (0.
14, 50); aus den Hörnern fertigte man Bogen (s. o. u.
0, 21, 395).
Der Hase.
Lepus timidus, Xayiooi;. Er ist fussschnell, /rodag
Tayvq. Das Beiwort tttw^, der sich duckende, furchtsame,
tritt IL 17, 676 als alleinstehendes Substantiv auf. Er wird
an dieser Stelle von einem Adler (s. d.) aus dichtem Ge-
büsch aufgescheucht und getödtet. Aehnlich IL 22, 310.
Er wird von Hunden über waldiges Land hin verfolgt und
schreit im Fliehen H. 10, 361. Vgl. noch 0. 17, 295.
Der Hase ist auch gegenwärtig in Kleinasien häufig.
Das Wildschwein.
Sus scrofa, ovo, ayqioq oder ayqöxEqoq^ der Eber heisst
Gvq '/.ciTiQLOQj KCiTTQog, auch ovg.
Beiwörter: juiyag gewaltig, aKa/iiag nicht zu er-
müden, aQyLodovg mit weissen Zähnen, /AoiJi^/^g in der Saat
lagernd.
Sein Muth wird IL 17, 20 dem des Löwen und dem
des Panthers gleichgestellt.
Seine Haut ist nach IL 9, 528 Xa^vr^eig^ borstig.
Folgende Gleichnisse sind er wähnen s wer th:
Idomeneus hielt den Feinden Stand „wie ein Wild-
schwein in den Bergen auf seine Stärke vertrauend den
herannahenden lärmenden Schwärm der Männer in unbe-
wohnter Gegend erwartet, den Rücken (d. h. die Borsten
auf dem Rücken) sträubt und mit feuersprühenden Augen
die Hauer wetzt, um Hunde und Männer abzuwehren." (IL
13, 471).
Auf den Odysseus stürmten die Troer an „wie wenn
den Eber Hunde und jugendliche Jäger im Kesseltreiben^)
hetzen und ringsher anrennen, wenn er aus tiefverwachsenem
1) i(/u(pi a€v(ovT(xi. Sie kommen von allen Seiten.
Die homerische Thierwelt. 175
Dickicht hervorbricht und die weissen Hauer im zurück-
gebogenen') Rüssel mit hörbarem Knirschen wetzt 2): ob-
wohl er furchtbar ist, erwarten ihn Jene dennoch" (II. 11,414).
,,Sie stürzten aus dem Thore und kämpften draussen,
wilden Schweinen gleichend, welche im Gebirg den her-
annahenden Lärm von Jägern und Hunden vernehmen und
mit gedrehtem Kopfe ^) anlaufend rings das Gestrüpp durch-
brechen, indem sie es sammt den Wurzeln mit hörbarem
Knirschen 2) der Hauer auswühlen, bis ihnen ein Geschoss
das Leben raubt'' (II. 12, 145).
Ist ein Eber von Jägern umstellt, so sucht er anren-
nend einen Ausweg „und wo er anstürmt, da weichen die
Reihen der Männer'' (II. 12, 41). Vgl. IL 8, 338 u. 17, 281.
Ueber die Entstehung der Schenkelnarbe des Odysseus,
die zu seiner Erkennung führt, erzählt der Dichter folgendes
Jagdabenteuer:
,,Die Jäger kamen in eine Schlucht auf. dem Par-
nass. Vor ihnen liefen die Hunde, die Spur aufsuchend,
hinterher kamen die Söhne des Autolykos. Unter diesen
ging der göttliche Odysseus, nahe den Hunden, die lang-
schaftige Lanze schwingend. Dort nun lag die gewaltige
Sau im dichtverwachsenen Lager, das weder die Gewalt
der feucht wehenden Winde, noch die leuchtenden Sonnen-
strahlen, noch der Regen durchdrang; so dicht war es und
1) Der zurückgebogene Rüssel ist gleich dem Zähnefletschen,
Entblössen der Eckzähne etc. ein Zeichen der Kampfbereitschaft.
Vgl. Darwin, Ausdruck der Gemüthsbewegungen, Stuttgart, 1872,
p. 53 u. 118.
2) Durch das beständige Aneinanderreihen der Hauer des
Unter- uod Oberkiefers werden diese bei alten Thieren scharf drei-
kantig. Ob dabei ein starkes Geräusch entsteht (vTrcu Jt ts xo^unog
oJoj/rwj/ yiyviTcci), ist uns unbekannt, doch halten wir es für mög-
lich ; es würde dem Zähneknirschen des Menschen und anderer Thiere
entsprechen.
3) ^o;(/u(o t' aCaaoVTS. Da 'das Schwein immer nur mit den
Hauern der einen Seite wühlt oder angreift, so muss es mit seit-
licher Kopfhaltung arbeiten, resp. zum Hauen ausholen. Will es
verwunden, so verbindet es diese Bewegung mit einem Sprunge,
was der Dichter mit den Worten hxQKplg cä^ag „nachdem es seit-
wärts gesprungen war" (0.19, 451 s. u. ) bezeichnet.
176 Otto Koerner:
eine gewaltige Menge Blätter lag darinnen. Da drang der
Lärm von den Füssen der Männer und Hunde, als sie auf
ihrer Jagd herannahten, zu der Sau. Den Borstenkamm
stark emporsträubend und mit feuerblickenden Augen ^) trat
sie aus dem Dickicht entgegen und stand nahe an ihnen.
Odysseus, der der vorderste war, hob seinen langen
Speer und schleuderte ihn mit der Hand, um das Schwein
zu verwunden. Dieses kam ihm aber zuvor und traf ihn
über dem Knie: viel Fleisch durchriss es mit dem Hauer,
seitwärts drängend 2), aber es kam nicht bis auf den
Knochen. Odysseus jedoch verwundete es mit glücklichem
Stoss in die rechte Schulter und gegenüber drang die Spitze
des glänzenden Speeres heraus; stöhnend fiel es in den
Staub und der Geist entfloh ihm'' (0. 19, 435).
Artemis schickt dem Oeneus „ein in der Saat lagern-
des, weisszahniges Wildschwein, welches nach seiner Art
die Gefilde des Oeneus arg verwüstete : viele grosse Bäume
wühlte es mit sammt den Wurzeln und den Blüten der
Aepfel aus der Erde heraus. Dieses tödtete Meleager, nach-
dem er aus vielen Städten Jäger und Hunde versammelt
hatte, denn nicht wäre es von wenigen Sterblichen be-
zwungen worden, s(i gewaltig war es, und viele brachte
es auf den schmerzlichen Scheiterhaufen" (d. h. tödtete sie).
(II. 9, 539).
Ausser dem Menschen bekämpft nur noch der Löwe
das Wildschwein mit Erfolg. Beide treffen dürstend an
einer Quelle zusammen und röchelnd unterliegt im kurzen
Kampfe der Eber (IL 16, 824).
Noch jetzt ist das Wildschweiü in Kleinasien häufig.
D. Die im Meere lebenden Säugethiere werden
KTjtog genannt, so die Robbe {g)cüxr]). 0. 4, 446; 0. 12, 96
ist von „Seehunden, Delphinen und noch grösseren See-
thieren" {ytinrog) die Rede.
Seehniide.
ytvvsg, nur 0. 12, 96 mit andern Seethieren erwähnt.
1) (fQi^ag ev Xoifirjv, nvQ (T ocpS^ak/uoToi ^eSoQxtog.
2) XixQiiflg ni^ccg, s. vor. Seite, Anra. 3. '
Die homerische Thierwelt. 177
Der Delphin. '
Delphinus delphis, delq^ig. Der Dichter rechnet ihn
IL 21, 22 zu den Fischen, wenn er sagt:
„Wie vor dem gewaltigen Delphin die anderen
Fische aus Furcht fliehen und die Buchten des Hafens
erfüllen, denn jener verschlingt, welchen er auch immer
ergreift : so flohen die Troer furchtsam durch die Fluten
des schrecklichen Flusses zu den Abhängen."
Buchholz, 1. c. p. 144 versteht unter dem öelcplg
ein grösseres Thier, z. B. einen delphinorhynchus. Diese
Vermuthung scheint uns jedoch nicht gerechtfertigt, da im
Mittelmeer die bei Homer geschilderte Jagd des Delphins
auf kleine Fische zu den alltäglichen Erscheinungen gehört.
Die Robbe.
cficoytt]. Beiwörter: raT(>£y?^'g wohlgenährt, ähoTgecprig
im Meere genährt, vinodeg mit Schwimmfüssen,
Menelaos erzählt 0. 4, 360, wie er auf Rath der Meer-
göttin Eidothea, um dem Meergotte Proteus aufzulauern,
sich mit seinen Gefährten in Robbenhäute hüllt und an
das Ufer legt. Um die Mittagszeit entsteigt Proteus dem
Meere und „um ihn legen sich sämmtliche schwimmfüssige
Robben der Amphitrite schlafen, nachdem sie aus den
Fluten aufgetaucht sind und geben einen scharfen Geruch
nach dem tiefen Meere von sich". Dort lag nun Menelaos
von Sonnenaufgang bis zur Mittagszeit, gequält vom scheuss-
lichen Gestank seiner Umhüllung, der aber bald von der
Göttin dadurch beseitigt wird, dass sie ihm Ambrosia unter
die Nase streicht. Die Umhüllung täuscht nicht nur den
Proteus, sondern auch die Robben.
In dieser Schilderung haben wir wieder eine Anleh-
nung an natürliche Vorgänge, wie wir eine ähnliche bei
der Kleinviehzucht des Pclyphem besprochen haben.
Eine Leiche wird 0. 15, 480 in das Meer geworfen,
um eine Beute der Robben und Fische zu werden.
Nach Erhard^) ist fast die einzige im Mittelmeer
vorkommende Robbe Phoca monachus. So wird es wohl
auch zu Homers Zeiten gewesen sein.
1) Erhard, Fauna der Cycladen, p. 18.
Archiv f. Naturg. XXXXVI. Jahrg. t. Bd. 12
178 Otto Koerner:
Die Fledermaus lässt sich unter keine der obigen
grösseren Abtheilungen bringen:
Die Fledermaus,
Vespertilio, vvKTSQig. Ihre nächtliche Lebensweise ist
in ihrem Namen ausgedrückt {vv^ = Nacht).
Odysseus, vom Meere an das Land gespült, hält sich
an einem Baume: „an diesem angeschmiegt hing ich wie
eine Fledermaus" (0. 12, 433).
Die Seelen der erschlagenen Freier entführt Hermes
und sie folgen ihm schwirrend „wie wenn Fledermäuse
im Winkel der gewaltigen Höhle schwirrend^) hin und
her flattern und sich aneinander hängen, wenn eine aus
dem Schwärm vom Felsen abgefallen ist" (0. 24, 6). Die
Fledermäuse ruhen bekanntlich tagsüber in dunkeln Win-
keln etc. an der Decke hängend, oft zu Hunderten dicht
bei einander. Wenn nun eine aus der Menge abfällt und
herumflattert, so stört sie auch die andern auf und da mag
es oft vorkommen, dass sich Eine schlaftrunken an eine
Andere hängt. Auch pflegen die jungen Fledermäuse an
der Brust der Alten zu hängen.
Viele Arten von Fledermäusen kommen auch gegen-
wärtig in den Mittelmeerländern vor.
Noch haben wir ein Produkt aus dem Thierreich zu
erwähnen, das Elfenbein, das die homerischen Griechen
von phönizischen Kauf leuten bezogen, ohne den Elephanten
zu kennen. Man beutzte es ähnlich wie noch heute zu
Gebrauchs- und Luxusgegenständen. Vgl. II. 4, 141 ; 5, 583 ;
0. 4, 73; 19, 56 u. 563 u. o.
1) Schv/irreu, roi^eiv, nur von der Art der Bewegung beim
Flug, nicht von einem dabei entstehenden Geräusche, da der Flug
der Fledermaus geräuschlos ist.
Die homerische Thierwelt. 179
II. Vögel.
Raubvögel.
Der Adler.
ahzog. Beiwörter: vipLJiaTrjg hochüiegend, ay-avlo-
xeilrig mit krummem Schnabel, ^rjQTrjQ der Jäger, aid^oyv
feurig, muthig.
Die verschiedenen Farbenbezeichnungen gaben
Veranlassung zum Trennen des aUrog in mehrere Species.
Dies ist jedoch sehr gewagt, da sämmtliche Farbenbezeich-
nungen des Adlers {/ii6Qg)vog, Tieg-avog und (i^lag) nur
„dunkel" bedeuten und sonst keine Unterschiede nach-
weisbar sind ^).
Der homerische alerog ist wahrscheinlich der Stein-
adler, Aguila fulva, der auch jetzt noch in Kleinasien und
Griechenland häufig ist.
Der Adler ist dem homerischen Zeitalter der treff-
lichste Weissagevogel; Zeus sendet ihn von Rechts her,
wenn er Glück verheissen will: so schickt er dem Priamus
als günstiges Vorzeichen „einen Adler, den bedeutungs-
vollsten der Vögel, den dunkelgefiederten Jäger, den man
auch Schwarzadler {7t£QKv6g) nennt. So weit wie eine
wohlverschlossene, festgefügte Thtire im Hause eines reichen
Mannes breiteten sich seine Schwingen auf beiden Seiten
aus. Er stürmte aber rechtshin über die Stadt'^ (IL 24, 314).
„Aber der Pelide sprang soweit weg, wie der Wurf
eines Speeres reicht, mit der Wuth des dunkeln ((.leXag)
Adlers, des Jägers, der unter den Vögeln der gewaltigste
und schnellste ist'' (IL 21, 252).
Zeus sandte dem Telemach zum Zeichen „von der
Höhe des Berggipfels zwei Adler herab. So lange diese
mit dem Hauche des Windes heranflogen, breiteten sie sich
1) Aristarch machte aus dem «ffro's fxoQipvog eine besondere
Species. Ebenso Aristoteles und Plinius. Wir sind jedoch nicht
berechtigt, derartige Unterscheidungen von Späteren ohne Weiteres
auf Homer zu übertragen, wie wir weiter unten noch an mehreren
Beispielen sehen werden. Vgl. auch Buchholz 1. c. p. 141.
180 Otto Ko erner:
nalie aneinander mit den Flügeln aus. Als sie aber mitten
über die lärmende Versammlung kamen, da schlugen sie
die Flügel dicht hintereinander und sahen auf die Häupter
Aller herab, Verderben blickend. Nachdem sie nun mit
den Klauen einander Wange und Hals zerkratzt hatten,
stürmten sie rechtshin durch die Luft über die Stadt"
(0. 2, 146).
MeneTaus schleudert Blicke „wie ein Adler, von dem
man sagt, er sähe am schärfsten von den Vögeln unter
dem Himmel, dem, auch wenn er hochfliegt, der schnell-
füssige Hase, geduckt in dichtbelaubtem Gebüsche, nicht
verborgen bleibt: er stürzt sich auf ihn und raubt ihm
schnell zugreifend das Leben" (II. 17, 673).
Hektor stürzt auf die Achäer „vorwärts geneigt, wie
ein hochfliegender Adler, der sich aus dunkeln Wolken
auf die Erde stürzt, um ein zartes Lamm oder einen
furchtsamen Hasen zu rauben" (IL 22, 308).
Ein Adler lässt ein geraubtes Hirschkalb aus der
Luft niederfallen (IL 8, 247), ein anderer greift wilde
Gänse, Kraniche und Schwäne an (IL 15, 688); auch ver-
greift er sich an den zahmen Gänsen der Penelope (0. 15,
160, siehe unter „Gans").
IL 12, 201 u. 221 wird von einem Adler erzählt, der
eine Schlange wegträgt, sie aber bald wieder fallen lässt,
da sie sich heftig wehrt, so dass es ihm nicht gelang, sie
seinen Jungen zu bringen (S. unter „Schlangen") 0-
Der Seeadler.
Haliaetus albicilla, qiTivrj. Das Wort (pr]vi] bedeutet
„leuchtend"-); „nach längerem Gebrauch bleichen nämlich
die Federn dieses Vogels, und dann erscheint der Ober-
körper weisslich, die Brust und der Bauch grauweiss."^)
Athene nimmt 0. 3, 372 die Gestalt dieses Vogels an,
was um so passender ist, als es gerade an der Meeresküste
geschieht, wo ja auch der Seeadler sich aufzuhalten pflegt.
1) Der Steinadler wird schwerlich Schlangen wegtragen. Es
ist vielleicht hier der Schlangenadler oder der Busaar gemeint.
2) Buchholz, 1. c. p. 142.
3) Brehm, 1. c. Bd. IL S. 238.
Die homerische Thierwelt. 181
Das laute Weinen des Odysseus und des Telemach
wird mit dem Schreien dieses Vogels verglichen (0. 16,
217. Wir übersetzen die Stelle unter dem alyvmog.)
Der Aiyvnioq,
ein Falke, dessen Species jedoch nicht festgestellt werden
kann. Das Wort cuyvTTiog wird gewöhnlich als ,, Ziegen-
oder Lämmergeier" erklärt. Wir dürfen aber darunter
keinen derartigen Vogel verstehen, da der alyiTriog sich
nach 0. 22, 302 auf Schwärme kleiner Vögel stürzt, was
für einen Adler oder Lämmergeier naturgeschichtlich ge-
radezu unerhört wäre. Auch theilt mir Herr Professor H.
Rumpf eine andere Etymologie mit, die wohl die richtige
ist, da ihr keine naturgeschichtliche Thatsache entgegen
steht. Es wäre nämlich möglich^ dass die Stammsilbe von
alyi'Triog in yvTi (yvip, yvnog) gelegen ist, und o.i nur vor-
gesetzt, wie in alydlip, schroff, wo man zwar auch „von
Ziegen verlassen, weil zu schroff, '^ erklärt, was aber offen-
bar ganz unsinnig ist; denn den Ort, den man verlassen,
hat man doch schon einmal eingenommen.
Dev alyvTTiog ist charakterisirt durch die Bei Wörter
yajiixlicovc^ mit krummen Fängen und ayy.vloydh]g mit
krummem Schnabel.
Athene und Apollo lassen sich in seiner Gestalt auf
einer Buche nieder (IL 7, 59). Sarpedon und Patroklos
stürzen laut schreiend auf einander los, wie zwei alyvTnoi
auf hohem Felsen (IL 16, 430). Automedon stürmt mit
seinem Streitwagen unter die Feinde wie ein alyvTiLog
unter die Gänse (IL 17, 460).
Odysseus und Telemach weinten aus Freude „hell-
auf, anhaltender als Seeadler oder als aiyvmoi mit krum-
men Fängen, welchen Jäger die Jungen ausnahmen, bevor
sie üüggQ geworden" (0. 16, 217).
Eine äusserst schwierige Stelle findet sich 0. 22, 302:
Odysseus und seine Gefährten wüthen unter den Freiern
„wie alyvTTioi mit krummen Schnäbeln und Fängen aus
den Bergen stammend^) herbeikommen und kleine Vögel
1) „qui dicuntur ^c d^ofojv, quia ibi habitaut et Eati sunt, non
vero quia nunc praecise inde veniunt." Dann, lexicon Homerico-
Pindaricum, ed. Rost, p. 781, Spalte 3 i. v. viipog.
182 Otto Koerner:
jagen. Diese stürzen sich in die Ebene, dem Wolkenbe-
reiche entfliehend 1), während jene daraufstossend sie tödten,
und weder Abwehr noch Flucht ist ihnen möglich. Die
Männer aber freuen sich über die Jagd." — Bei der Er-
klärung dieser Stelle hat man Anstoss genommen an den
Worten: „die Männer aber freuen sich über die Jagd", und
gemeint, letztere könnten nicht blose Staffage sein, sondern
müssten in einer engeren Beziehung zu den geschilderten
Begebenheiten stehen. Diese Annahme stützt sich auf eine
andere Uebersetzung unserer Stelle, für die sich schon
Eustath erklärt: er versteht nämlich unter veq)ea nicht
die Wolken, sondern aufgestellte Netze 2). Demnach hätten
wir mutatis mutandis zu übersetzen: „diese (die kleinen
Vögel, nachdem sie die Falken erblickt haben) stürzen sich
furchtsam in die auf der Ebene aufgestellten Netze". Die
Männer aber, die sich über die Jagd freuen, wären dann
die Besitzer der Netze; sie müssten nun in dem Gleich-
nisse erwähnt werden, damit auch Herkunft und Zweck
der Netze deutlich wäre. Auch diese Erklärung der Stelle
ist naturgeschichtlich zulässig und gewinnt dadurch
an Wahrscheinlichkeit, dass die Vogeljagd nach glaubwür-
digen und übereinstimmenden Berichten^) im Alterthume
wirklich auf ähnliche Art ausgeübt wurde.
1) Einige Uebersetzer nehmen hier eine andere Construction
an und kommen dabei gerade auf das Gegentheil heraus : ,, diese er-
heben sich furchtsam in das Wolkenbereich". Es ist allerdings
richtig, dass manche Vögel (z. B. Lerchen, Schwalben, Reiher), wenn
sie Raubvögel bemerken, sich über diese erheben und ihnen dadurch
entgehen, da die Raubvögel ihre Beute nur von oben herabstossend
fangen; in unserer Stelle aber entkommen sie gerade nicht.
2) Diese Uebersetzung ist bei Dann, 1. c. ausführlich erörtert
und vertheidigt,
3) Ganz dieselbe Art der Vogeljagd beschreibt Aelian 2, 42
als zu seiner Zeit in Thracien üblich. Ohne Anwendung der Netze
kennen sie Philo de animal. adv. Alexaudr., ed. Aucher, p. 143 und
besonders Aristoteles. Die Berichte desselben (bist. anim. IX,
24 (36), 4 und de mir. ausc. 118) lauten in wörtlicher Uebersetzung
folgendermassen :
„In Kedropolis in Thracien jagen die Leute in den Sümpfen
die Vögel in Gemeinschaft mit den Falken (/to«!). Sie klopfen näm-
Die homerische Thierwelt. 183
Der Habicht
astur palumbarius, Ygt]^ xigKog, auch Igr^^ und yjQKog allein *).
Beiwörter: amufcTeQog schnell fliegend, elacfgoTctzog nt^
jerjvMv der hurtigste aller Vögel, cpaoGocpovog der Tauben-
mörder ^).
Thetis eilt „schnell wie ein Habicht" vom schneebe-
deckten Olymp (II. 18, 616). Die Schnelligkeit von Rossen
wird mit der des Habichts verglichen (H. 13, 818). Ein
Schiff schneidet durch die Wogen, schneller wie ein Habicht
durch die Luft (0. 13, 86).
lieh mit Stöcken an das Röhricht und an das Gebüsch, damit die
Vögel herausfliegen; die Falken aber erscheinen in der Höhe und
verfolgen sie; da fliegen sie aus Furcht wieder auf die Erde herab;
die Männer aber erschlagen sie mit Stöcken, nehmen sie und geben
den Falken ihren Antheil an der Jagd; sie werfen ihnen nämlich
von den Vögeln vor, welche sie auch annehmen."
„In Thracien oberhalb Amphipolis soll etwas Wunderbares und
denen, welche es nicht sahen, Unglaubliches geschehen. Wenn näm-
lich die Knaben aus den Dörfern und den umliegenden Gegenden
auf die Jagd nach kleinen Vögeln gehen, so nehmen sie Falken mit
auf die Jagd. Das machen sie so: wenn sie an einen geeigneten
Ort gekommen sind, rufen sie die Falken laut beim Namen. Wie
diese aber die Stimme der Knaben hören, kommen sie herbei und
scheuchen die Vögel in das Gebüsch, wo sie die Knaben mit Stöcken
erschlagen und aufheben. Am meisten muss man aber darüber er-
staunen, dass die Falken, wenn sie selbst einen Vogel ergrifi'en
haben, ihn den Jägern herabwerfen. Die Knaben geben nun einen
Theil der Beute den Falken und gehen weg."
Es ist noch zu bemerken, dass in keiner dieser Stellen die
Falken gezähmt und abgerichtet gewesen zu sein brauchen. Viel-
mehr scheint es, als ob die Jäger sich nur die Furcht der kleinen
Vögel vor dem zufällig erscheinenden Falken zu Nutzen gemacht
hätten. Die Gegend um Troja ist übrigens noch jetzt nach münd-
licher Mittheilung des Herrn Dr. A. Steitz, der sie vor einigen
Jahren bereiste, überaus reich an Raubvögeln.
1) Nach Buchholz, 1. c. p. 134, soll sich der for,i zum xiQxog
verhalten, wie das Genus zur Species.^ Aristoteles unterscheidet
allerdings so. Er trennt auch den f'^/;! (fuaaocpovog den „Taubenstösser"
als besondere Species vom I'qt]^ xioxog -ab. Ob auch Homer so
unterschied lässt sich nicht erkennen.
184 Otto Koerner:
Poseidon, nachdem er die Achäer unerkannt zum
Kampfe ermuntert hat, verschwindet „wie ein flüchtiger
Habicht, der von einem schroffen Felsen aufsteigt und dann
rasch nach der Ebene hinfährt, einen anderen Vogel verfol-
gend" (IL 13, 62).
Die Achäer fliehen vor Hektor und Aeneas „wie die
Staare oder die Dohlen in langer Wolke dahinziehend,
durcheinander aufschreien, sobald sie von Weitem den
Habicht heranstreichen sehen, der kleinen Vögeln Verderben
bringt'^ (II 17, 755).
Den fliehenden Hektor verfolgt Achilles „wie ein
Habicht aus dem Gebirge, der schnellste aller Vögel, leicht
der furchtsamen Taube nachstürzt; diese flieht vor ihm
hin, er aber stösst mit hellem Geschrei oft nach ihr, voll
Begier, sie zu erhaschen^' (IL 22, 139).
Ein Habicht rupfte im Fluge die erhaschte Taube, so
dass Federn zur Erde fielen (0. 15, 525). Ueber andere
Stellen s. noch unter „Taube".
Die H4Q717],
ein unbestimmbarer Raubvogel. Das Wort agyrrj hängt
mit (xQTiaCeiv rauben, zusammen.
Beiwörter: Taw^rregv^ mit ausgebreiteten Schwin-
gen, hyvq)tdvog mit heller Stimme.
Athene eilt so schnell vom Himmel herab wie dieser
Vogel (IL 19, 350).
Die Geier
yvTtsg, ohne nähere Bezeichnung der Species. In Klein-
asien sind gegenwärtig Vultur fulvus und cinereus häufig.
Sie verzehren Leichen IL 4, 237; 11, 163 u. o.
Die Strafe des Tityos in der Unterwelt besteht darin,
dass zwei Geier ihm die Leber aushacken 0. 11, 578. (Ge-
hört in die Mythologie und entzieht sich deshalb der zoolo-
gischen Kritik.)
Der Zxo'jip.
Er nistet in Erlen und Schwarzpappeln zwischen
Habichten und Komoranen (0. 5, 66).
Lenz^) hält ihn für die kleine Zwergohreule, Ephi-
1) 1. c. p. 269.
Die homerische Thierwelt. 185
altes scops. Hiergegen spricht jedoch l3ei der bekannten
Feindschaft zwischen Tag- und Nachtraubvögeln ^) das
Nisten zwischen Habichten und Komoranen.
Die /«AxiV oder xvfxivöig.
Der Schlafgott verbirgt sich in den Zweigen einer
Fichte auf dem Ida und sass dort „dem hellrufenden Vogel
vei*gleichbar, der in den Bergen lebt und von den Göttern
Chalkis, von den Menschen aber Kymindis genannt wird"
(II. U, 290). Voss 2) übersetzt unrichtig:
^Gleich dem tönenden Vogel, der Nachts 'die Gebirge
durchflattert" etc.
Von nächtlicher Lebensart steht bei Homer jedoch
nichts.
Nach Aristoteles^) hat unser Vogel die Grösse des
Habichts. Plinius^) sagt über ihn: „Es gibt einen
nächtlichen Falken, welcher Cybindis^) heisst, in Wäldern
selten ist und am Tage nicht gut sieht. Er kämpft auf
Tod und Leben mit dem Adler und man kann sie oft
greifen, wenn sie sich gepackt haben und zusammen her-
abfallen." Lenz^) fügt hinzu: „Die Cybindis könnte die
Ural-Eule, Strix uralensis sein, welche einem Habicht ähn-
lich sieht, zu den grössten Eulen gehört, ziemlich rasch und
mit Geräusch, und in Wäldern selbst den ganzen Tag über
fliegt. Des berühmten Ornithologen Johann Friedrich
Naumann Bruder sah sie auf einen Busaar und dann auf
einen Fischreiher stossen und beide heftig verfolgen.
1) Das Alterthum kannte diese Feindschaft wohl und benutzte
sie. wie wir, zur Vogeljagd. Aristoteles, hist. anim. IX c. 2. § 3
berichtet darüber: „Während des Tages wird die Eule von den an-
dern Vögeln umflattert, was man „Anstaunen" nennt; auch fliegen
sie heran und rupfen dieselbe. Deshalb jagen die Vogeljäger mit
ihr Vögel von allerlei Art."
2) Wohl veranlasst durch schol. V. zur Stelle.
3) hist. anim. IX. 12. Aubert u. Wim m er, 1. c. p. 100 ver-
muthen in ihm den Auerhahn, tetrao urogallus.
4) hist. nat. 10," 8, 10; bei Lenz, 1. c. p. 285.
5) Cybindis, xvfjiv^ig; der Wechsel von b und /u ist nichts Un-
gewöhnliches. Uebrigens steht in den mir zugänglichen Ausgaben bei*
P 1 i n i u s cy mindis ; ebenso bei Forcellini ohne Angabe einerVariante.
6) 1. c. p. 285, Anm. 849.
186 Otto Koerner:
Wasservögel.
Der Kranich,
grus cinerea, yigavog.
Ueber ihn wird in folgenden Gleichnissen berichtet:
„Aber nachdem sich ein jegliches Volk mit den Führern
geordnet hatte, zogen die Troer mit Lärm und Geschrei
heran wie die Vögel: so wie von den Kranichen hoch in
der Luft*) Geschrei hertönt, wenn sie den Winter und den
unaufhörlichen Regen fliehend nach dem Okeanosstrom^)
schreiend enteilen, dem Pygmäengeschlechte Tod und Ver-
derben bringend^), und im Morgengrauen schlimmen Streit
beginnen" IL 3, 1.
Solche Vogelzüge pflegen an Flüssen zu rasten. Hektor
dringt auf das Schiff'lager der Achäer ein „wie ein Adler
sich auf die Schaaren weitgeflügelter Vögel stürzt, die
längs des Stromes weiden: Kraniche, Gänse oder lang-
halsige Schwäne", IL 15, 690.
Es wird auch ein Fluss namhaft gemacht, an des-
sen Ufern derartiges regelmässig geschieht: „Wie viele
Schwärme fliegender Vögel — Kraniche, Gänse oder lang-
halsige Schwäne — auf der Wiese des Asias an beiden
Ufern des Kaystrios mit stolzem Fluge hin und her fliegen
und sich lärmend vor einander niederlassen^) so dass die
ganze Wiese erdröhnt: so stürzten dort die Schaaren von den
Schiffen und Zelten auf die skamandrische Flur" IL 2, 459.
Wir haben in diesen Versen wohl die ersten Notizen
über den Vogelzug, die um so werth voller sind, als sie
auch einen Punkt einer damaligen Zugstrasse (Kaystrios)
1) OVQaVO&l 7iq6.
2) Der Okeanos iimfliesst nach der Vorstellung der Alten die
ganze Erde.
3) Nach einer dem Alterthume geläufigen Sage leben die
zwerghaften Pygmäen in Streit mit den Kranichen. Vgl, Lenz,
1. c. p. 14. 368 (Aristoteles), 370 (Plinius).
4) Wenn ein Vogelschwarm sich niederlassen will, senkt er
sich allmählich, meist Kreise beschreibend. Das Niederlassen ge-
schieht dann nicht mit einem Male {nQoxadiCövtoyv, von Zeit und
Ort zu verstehen).
Die homerische Thierwelt. 187
angeben. Da uns nun erst in den letzten Jahren durch
die gleichzeitig und unabhängig von einander erschienenen
Arbeiten von NolP) und Palmen^) Klarheit über die
Entstehung des Vogelzugs und über die Zugstrassen der
Vögel geworden ist, so scheint es uns wichtig, die Ge-
schichte des Kranichzugs genauer zu verfolgen.
Von der unbestreitbaren Thatsache ausgehend, dass
zur sog. Eiszeit keiner unserer Zugvögel die nördlich von
den Alpen gelegenen Länder bewohnen konnte, zeigt N oll,
wie mit dem Schmelzen der unwirthlichen Gletscher eine
allmähliche Ausbreitung der Vögel nach Norden stattfand
und wie dann der nordische Winter die Einwanderer zwang,
Zugvögel zu werden. In ihrer langsamen Ausbreitung
nach Norden folgten die Vögel den Flussläufen und Pal-
men hat nachgewiesen, dass die Zugstrassen noch gegen-
wärtig immer längs derselben Flussthäler hinziehen und
die Gebirge an ganz bestimmten Stellen überflogen werden.
Ausserdem ist von Noll gezeigt worden, dass sich noch
gegenwärtig und zwar in sehr bemerkbarer Weise das Ver-
breitungsgebiet mancher Zugvögel (z. B. friugilla serinus,
otis tarda etc.) nach Norden erweitert. Am schnellsten
musste sich natürlich der Zug bei den guten Fliegern ent-
wickeln und in der That haben wir bei Homer von einem
solchen, dem Kranich, die ersten zuverlässigen Notizen
über den Vogelzug.
Im Folgenden wird gezeigt werden, dass der Kranich
in den ältesten Zeiten dieselben Zügstrassen benutzte, wie
noch in der Gegenwart.
In den Schriftwerken der alten Griechen und Römer
fanden wir über den Zug des Kranichs ausser vielen
anderen Bemerkungen folgende, in welchen auch Ortsan-
gaben enthalten sind:
Homer, IL 2, 459; S. o.
Aristophanes, Chor der Vögel (Friedreich, 1. c.
p. 115): „Wir verkünden die Zeit des Frühlings, Sommers
und Winters; die des Säens und die der aufhörenden
1) Dr. F. C. Noll, Die Erscheinungen des sogenannten In-
stinkts, Frankfurt a. M. bei Johannes Alt, 1876, p. 42 flf.
2) J. A. Palmen, Die Zugstrassen der Yögel.
188 Otto Koerner:
Schifffahrt, wenn der schreiende Kranich nach Libyen
entweicht."
Aristoteles, hist. anim. 8, 14 (bei Lenz 1. ,c. p.
368): „Die Kraniche ziehen im Winter aus den nördlichen
Erdstrichen nach den Stinapfen oberhalb Aegyptens, aus
denen der Nil entspringt."
Plinius, hist. nat. 10, 23, 30 (Lenz p. 370): „Die
Strecke, welche die Kraniche durchziehen, ist unermess-
lich; man bedenke, dass sie vom morgenländischen Meere
(s. u.) kommen. — Es ist ganz gewiss, dass die Kraniche,
welche über das schwarze Meer fliegen wollen, sich zuerst
an die Meerenge *) zwischen den Vorgebirgen Kriumetopon
und Karambis begeben."
Oppian, de aucupio 2, 17 (Lenz 1. c. p. 371). Aus
dieser Stelle geht hervor, dass die durch Thracien ziehen-
den Kraniche den Flussläufen folgen.
Aelian 2, 1 (Lenz, 1. c. p. 372). Die Kraniche
ziehen von Thracien „ohne zu rasten, geradeaus über das
Meer nach Aegypten."
3, 13. ,,Die Spitze des Zugs wird aus alten Kranichen
gebildet, welche den Weg schon kennen 2)".
Lenz (1. c.) sagt:
„Die Bemerkung des Plinius, dass die Kraniche
vom morgenländischen Meere kommen, ist sehr richtig, so-
bald wir uns unter diesem das den Norden und Nordosten
Asiens begrenzende Meer denken 3). Es bewohnt nämlich
dieser Vogel im Sommer ausser dem nördlichen Europa,
das ganze nördliche Asien. Nun besteht aber in der Natur
für Nord- und Mittelasien die weise Einrichtung, dass die
Zugvögel im Herbste nicht geradeaus nach Süden wandern ;
geschähe dies, so würden sich die asiatischen Vögel in
Südasien, das ohnedem schon sehr reich bevölkert ist, ganz
unmässig anhäufen, während Afrika nur die wenigen euro-
päischen bekäme. Demnach geht die ganze ungeheuere
1) Lenz übersetzt ungenau „Engpass".
2) lieber die Richtigkeit dieser Bemerkung cf. Noll, 1. c. p. 60.
3) Dieses Meer kann Plinius bei der bekannten Vorstellung
der Alten von dem die Länder umfliessenden Okeanos wohl geraeint
haben, ohne es zu kennen. K.
Dio homerische Thierwelt. 189
Hauptmasse der nord- und mittelasiatiscben Zugvögel für
den Winter in die unermcssiicben lläume Afrikas, wodurch
also ein Zug entsteht, der vorzugsweise von Ost nach West
und im Frühjahr wieder zurück von West nach Ost ge-
richtet ist"^).
Sind die Vögel auf diesem Wege bis an das schwarze
Meer gelangt, so überfliegt die grössere Menge dasselbe
von der Südspitze der Krim aus. Dort liegt das, von
Plinius erwähnte Vorgebirge Kriumetopon. Das schwarze
Meer wird also noch jetzt von derselben Stelle aus über-
flogen wie vor fast 2000 Jahren. Weiter geht dann der Zug
an der Westküste Kleinasiens herab (Homer, Kaystrios) und
dann — Alles wie noch heutzutage — immer in möglich-
ster Nähe des Landes nach dem Nildelta (Aristoteles).
Die kleinere Menge der Vögel, welche das schwarze Meer
umgeht, kommt durch Thracien (Oppian, Aelian) über
Griechenland (Aristophanes) und die Inseln des ägäi-
schen Meers ebenfalls nach dem Nildelta.
Wir können demnach bei den Zugstrassen, welchen
der Kranich folgt, keine Veränderung in dem Zeiträume
von beinahe 3000 Jahren nachweisen.
Bei dem Suchen nach Berichten aus dem Alterthum
über den Vogelzug fanden wir die merkwürdige Thatsache,
dass über den Zug der Kraniche eine Menge Notizen vor-
liegen ^j, während über den Zug anderer Vögel fast nichts
berichtet wird^). Das könnte man leicht als Beweis dafür
halten, dass im Alterthum der Vogelzug noch gar nicht in der
Weise und Ausdehnung organisirt gewesen sei, wie heutzu-
1) Die Richtigkeit dieser von Lenz angegebenen Thatsachen
zeigt ein Blick auf die Karte bei Palmen, 1. c. Die Erklärung der-
selben leidet jedoch unter seiner teleologischen Auffassung, cf. Null, I.e..
2) Wir haben nur diejenigen angeführt, in welchen eine Orts-
angabe vorkam. Viele andere findet man noch bei Lenz, 1. c.
3) Am auffallendsten ist das bei der Schwalbe und der Nachti-
gall. Wie es scheint glaubte man von beiden meist, sie versteckten
sich während des Winters in Felsklüften. S.Lenz 1. c. p. 296 — 302,
doch vgl. auchAnacreon 33, l. Einiges Richtige findet man noch
bei Plinius über den Zug resp. Strich der Drosseln (S. u. beim
Krammetsvogel).
190 Otto Koerner:
tage. Hiergegen ist jedocli zu bemerken, dass der Kranich
den Alten überhaupt nur auf der Durchreise zu Gesicht
kam und dass also in der Vorstellung die Begriffe vom
Kranich und seinem Wanderleben leicht mit einander ver-
bunden und deshalb auch fast immer zusammen erwähnt
wurden. Auch müssen wir in Betracht ziehen, dass viele
unserer Zugvögel schon in Südeuropa Standvögel sind.
Der Schwan.
i(.vY.vog. Beiwort : öovhyodeLQog mit langem Halse.
Er wird nur zusammen mit Gänsen und Kranichen
erwähnt, s. deshalb die Stellen oben unter „Kranich".
Der Singschwan, Cycnus musicus, ist nach Buchholz,
1. c. p. IIG gegenwärtig in den betreffenden Gegenden
häufig. Nordische Schaaren mögen sich im Winter ausser-
dem noch daselbst anhäufen.
Die Gans.
XrjV. Homer unterscheidet nicht ausdrücklich die wilde
Gans von der domesticirten. Die wilde Gans, Anser
cinereus, wird nur mit Schwänen und Kranichen zusammen
erwähnt (s. o.). Im Winter häuft sie sich oft in grossen
Mengen in Griechenland und Kleinasien an.
Die zahme Gans, Anser domesticus, ist das einzige
geflügelte Hausthier der homerischen Welt. Sie hat im
Zustande der Domestication schon damals die Farbe ihrer
Stammmutter verloren, wie 0. 15, 161 zeigt, wo sie agyr]^
weiss, genannt wird:
„Als Telemach dieses gesagt hatte, da flog von rechts
her ein Vogel: ein Adler, eine mächtige, zahme weisse
Gans in den Fängen tragend, die er aus dem Hofe geraubt
hatte, und aufschreiend ^) folgten ihm Männer und Weiber."
Penelope erzählt 0. 19, 536 folgenden Traum:
Ich habe in meinem Hause zwanzig Gänse, die den
Weizen aus dem Wasser fressen, und freue mich an ihrem
Anblick. Da kam aus den Bergen ein gewaltiger Adler
mit krummem Schnabel und tödtete sie, indem er ihnen
1) Sie schrieen offenbar, damit er die Gans fallen lassen sollte.
Die homerische Thierwelt. 191
die Hälse brach ^); nun lagen sie durcheinander im Palaste,
er aber erhob sich in die heilige Luft; ich jedoch weinte
und schluchzte laut im Traume'^ Dann 1. c. v. 551 : „Mich
aber verliess der süsse Schlummer und als ich nach den
Gänsen forschte, erblickte ich sie alle in der Wohnung,
wie sie am Troge ihren Weizen frassen, so wie auch früher".
Auch der aiyvTiiog vergreift sich manchmal an
Gänsen. IL 17, 460.
Der Reiher.
igi^üöiog. Er kommt nur IL 10, 274 vor:
„Pallas Athene sandte ihnen einen Reiher von rechts
her, nahe an dem Wege: sie sahen ihn nicht mit den
Augen durch die finstere Nacht, vernahmen aber seine
Stimme."
Nach Buchholz^) ist der sgcodiog sicher der Nacht-
reiher, Ardea nycticorax. „Dieser Vogel lebt nämlich im
Osten und Süden Europas, wie auch im mittleren Asien;
er wohnt in Sümpfen und Morästen im Röhricht, welches
bekanntlich am Skamandros, wie auch am Simoeis in
Menge wuchs; selten lässt er sich blicken, führt ein
nächtliches Dasein und gibt oft nur durch lautes Krächzen
seine Nähe zu erkennen."
Der Komoran.
ytoQcovT], Phalacrocorax carbo. Beiwörter: cavvyXcoo-
oog mit schmaler Zunge und elvaltog am Meere wohnend.
Sie nisten in Erlen und Schwarzpappeln 0. 5, 66.
Die Gefährten des Odysseus stürzen bei einem Schiff-
bruche in das Meer und da werden sie rings um das
schwarze Schiff herum von den Wogen auf und nieder
gehoben wie Komorane.
Auch Netolika und Buchholz^) erkennen in der
xoQCüvrj den Komoran. Er kommt gegenwärtig am ganzen
1) Für die Gaukelspiele des Traumgottes kann der Dichter
nicht verantwortlich gemacht werden. Der Adler muss alle Gänse
morden, weil das Traumbild später in dem Erscheinen des Odysseus
und dem Freiermord verwirklicht werden soll.
2) 1. c. p. 118.
3) 1. c. p. 111.
192 Otto Koerner:
Mittelmeer vor und sammelt sich dort besonders im Winter
in grosser Menge an.
Die ald-vit}.
Wir übersetzen dieses Wort mit ,, Taucher", ohne je-
doch Gattung und Species bestimmen zu können.
Leukothea ,, erhob sich in der Gestalt eines Tauchers
fliegend aus dem Meere" und setzte sich auf das Floss
des Odysseus. 0. 5, 337 '). Später (1. c. v. 352) „tauchte
sie wieder in das wogende Meer in Gestalt eines Tauchers
und die dunkele Woge verbarg sie.''
Die xTj^
ist nach Netolicka und Ameis^) „der Lappentaucher,
Colymbus cristatus, der seinen Namen vom Tone seiner
Stimme hat und senkrecht und pfeilschnell auf's Meer
herabschiesst".
Beiwort: slvahog meerbewohnend.
Eine auf dem Schiffe plötzlich sterbende Sklavin fiel
und platschte^) in das Kielwasser hinein wie der meerbe-
wohnende Lappentaucher. 0. 15, 479.
Die Möve.
lagog. Von Hermes heisst es: ,,Dann schwang er sich
über die Wogen dahin, einer Möve vergleichbar, die in
den gewaltigen Busen des öden Meeres den Fischen nach-
stellend ihr dichtes Gefieder in die Salzfluth taucht^'. 0. 5, 5L
Auch gegenwärtig sind Möven an den griechischen
und kleinasiatischen Küsten häufig.
[Der aQvevTi^Q
ist vielleicht ursprünglich ein tauchender Vogel. Ein
Steuermann, den der gebrochene Mast erschlug, „stürzte
1) Hier ist höchst wahrscheinlich von einer wirklichen Ver-
wandlung die Rede. — yii^vr] ist bei Homer nie der Sumpf, sondern
meist eine Meeresbucht oder das Uferwasser.
2) zu 0. 15, 479.
3) Man verzeihe den djerben Ausdruck; einen dem grichischen
böHser entsprechenden gibt es nicht.
t)ie homerische Thierwelt. 193
vom Verdeck herab wie ein aqvavcijQ'' 0. 12, 413. Später
verstand man jedenfalls darunter einen Mann, der sich aufs
Tauchen versteht. Dass schon Homer solche Leute kannte,
geht aus IL 16, 742 (vgl. unter „Auster") hervor; vielleicht
meint er auch in der ersterwähnten Stelle (0. 12, 413)
einen solchen.]
Kleinere Vögel.
Der Staar.
Sturnus vulgaris, ipäq oder xliriQ und
Die Dohle
■KoXoLoq^). Schaaren dieser Vögel werden vom Habicht
verfolgt :
„Wie die Staare und die Dohlen in Wolken hinziehen
und durcheinander lärmen, wenn sie den Habicht heran-
streichen sehen, der die kleinen Vögel mordet, so flohen
vor Aeneas und Hektor die jugendlichen Achäer durch-
einander lärmend und vergassen der Kampflust*. IL 17,
755. Aehnlich IL* 16, 582.
Die Nachtigall.
Silvia luscinia, aridcöv. Das Beiwort ylcoQr]ig kann,
wie Buchholz 2) überzeugend darthut, nur eine Farben-
bezeichnung sein und nicht „die unter grünem Laub-
dache wohnende" bedeuten. Wenn aber der erwähnte
Autor meint, /Aw^j^tg d7]öcov könne unsere Nachtigall,
Silvia luscinia, nicht sein, weil diese nicht yltoQrjig^ gelb-
grün, sei, und wenn er es wahrscheinlich machen will,
dass Homer die sogenannte Bastardnachtigall, Hypo-
lais vulgaris oder h. polyglotta, gemeint habe, so irrt er
1) Groshans versteht unter y.oXoiog den corvus monedula. Es
kann gerade so gut irgend eine andere Dohlen- oder Krähenart
gemeint sein.
2) 1. c. p. 12B.
Archiv f. Natnrg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. 13
194 Otto Koerner:
sicherlich. Das Wort yXcoQr]lg, auf das allein sich diese
Hypothese stützt, heisst bei Homer nicht gelbgrün. Laza-
rus Geiger 1) sagt: ^yXwgog bedeutet in den homerischen
Gedichten fast tiberall ganz bestimmt gelb^)". Er denkt
dabei an den „gelben Honig", f.iih ylixiqov (H. 11, 631;
0. 10, 234). Die einzige Stelle bei Homer, in welcher
%kcoQog auf die Farbe von Laub bezogen und mit „grün"
übersetzt werden könnte, findet sich 0. 16, 47. Eumäus
bereitet dem Odysseus ein Lager aus einer Schichte von
Reisern (yhagal gcoTreg), die er mit Fellen bedeckt. Die
meisten Erklärer übersetzen aber hier xlojgog mit „frisch",
ohne Bezug auf die Farbe, d. h. biegsam, schwank. Die
Erklärung der yXcogal qcojieg als gelbgrüne Schösslinge ist
schon deshalb unzulässig, weil solche weder ein brauch-
bares Lager abgeben, noch auch in die herbstliche Odyssee-
landschaft passten. Nun ist noch zu berücksichtigen, dass
yliOQrjig eine viel weiter gehende Bedeutung haben kann,
als xlcoQog — und da es nur einmal bei Homer vorkommt,
so müssen wir es nach der uns bekannten Farbe des da-
mit bezeichneten Gegenstandes übersetzen. Dass dieser
aber unsere Nachtigall, sylvia luscinia, und kein anderer
Vogel ist, geht aus der treffenden Charakteristik ihres
Schlages (0. 19, 518, s. u.) und aus der Tradition^) mit
Sicherheit hervor. Demgemäss übersetzt Voss; „die Nach-
tigall, falben Gefieders", und, wenn wir nicht sehr
irren, W. Jordan, „die bräunliche Nachtigall." —
Penelope klagt 0. 19, 518: „Wie wenn Pandaros
Tochter, die bräunliche Nachtigall, schön singt beim Wie-
derbeginn des Frühlings, im dichten Laub der Bäume
sitzend, und oft wechselnd die tonreiche Stimme ergiesst,
indem sie ihr Kind beklagt, den Itylos, den sie einst aus
Unverstand mit dem Erze erschlug, den Sohn des Königes
Zethos — so ist auch mir das Herz zwiefach bewegt, da-
hin und dorthin, ob ich bei meinem Sohne bleibe
1) L. Geiger, Zur Entwickelungsgeschichte der Menschheit,
Stuttgart, 1871, p. 54.
2) Ausführlicher behandelt Geiger dieselbe Frage in Ursprung
u. Entwickelung der menschlichen Sprache u. Vernunft, II. p. 388.
3) Die Tradition allein könnte nichts beweisen.
Die homerische Thierwelt. 195
oder einem der Achäer folge ^)'^. — Der Nachtigallenschlag
besteht bekanntlich aus der Aneinanderreihung vieler
Strophen. Der rasche und unaufhörliche Wechsel derselben
soll die Aufregung und Unentschlossenheit der Peuelope
versinnlichen.
Der Sperling.
Passer domesticus, aiQovd-og.
Den an der Eroberung Ilions verzweifelnden Achäern
erscheint IL 2, 308: „ein gewaltiges Wunderzeichen^ eine
grässliche, über den Rücken hin gelbbraune 2) Schlange,
die der Olympier selber an's Tageslicht schickte, schoss
unter dem Altar hervor und erkletterte einen Ahornbaum.
Dort sassen di^ Kinder eines Sperlings, unerfahrene
Junge, ganz oben in den Zweigen unter den Blättern ver-
steckt, acht, aber die neunte war die Mutter, von der sie
stammten^). Die frass dort die Schlange, die bejammerns-
werth flatternden'^) und die Alte umflog wehklagend ihre
Jungen, aber die Schlange fasste die Aufschreiende am
Flügel, nachdem sie sich zusammengeringelt hatte ^)" —
Nachdem sie nun so die Alte mit den Jungen verzehrt
hatte, wurde sie von Zeus in einen Stein verwandelt. Viel-
leicht ist die Erfindung dieses Wunderzeichens von der
bekannten Thatsache beeinflusst, dass die Schlangen, wenn
1) Ueber die dem Gleichnisse zu Grunde liegende Sage be-
richten die Scholien: Pandaros Tochter Philomele war auf den Kin-
dersegen ihrer Schwägerin Niobe eifersüchtig und wollte deshalb den
ältesten Sohn derselben zur Nachtzeit ermorden, traf aber unwissend
ihr eigenes Kind.
2) Inl VMTcc 6a(fotv6g. Als daipoivög werden auch Löwe und
Schakal bezeichnet.
3) ri T^y.e xixva. Wir können so nicht sagen. ^
4) TSiQiyüjKtg. Tqi^oj heisst hier ebensowenig „zwitschern" wie
0. 24, 5 (s. unter Fledermaus). Wenn die Schlange den Vogel an
einem Flügel (wie es der Dichter 1. c. v, 316 beschreibt) oder am
Bein oder sonst wo gefasst hat; so sucht er durch Flattern sich zu
befreien.
5) UeXi-^ttiuevog. Ehe die Schlange auf ihr Opfer losfährt,
ringelt sie sich zusammen oder, wo dies nicht möglich, dreht sie
doch wenigstens Kopf und Hals möglichst weit zurück.
196 Otto ^oerner:
sie den Magen sich gefüllt haben, regungslos daliegen.
Sonst sind alle Einzelheiten der Erzählung richtig. Uner-
fahrene Thiere fliehen die Schlange nicht, sondern laufen
ihnen sozusagen direkt in den Rachen, wie es sich z. B.
im Berliner Aquarium bei der Fütterung der Puffotter mit
lebenden Kaninchen zeigte.
Dass der GTQov^ög unser Sperling ist, dürfen wir
wohl annehmen, obwohl aussei* der Ueberlieferung kein
zwingender Grund dafür vorliegt. Die Zahl der Jungen
ist etwas gross angegeben (acht), doch mag ein solcher
Kindersegen hin und wieder einmal vorkommen.
Voss' Uebersetzung des v. 311:
„Allda ruhten im Neste des Sperlings nackende
Kindlein" ist durchaus verfehlt. Es steht bei Homer
nichts von einem Neste, sondern die eben erst ausgeflogenen
Jungen sitzen auf dem Baum. Der Sperling baut auch
bekanntlich lieber in Mauerlöcher etc. als auf Bäume.
lieber die Schlange s. u.
Die Schwalbe.
%thd(jL}v. Athene „schwang sich auf und setzte sich
gegenüber auf den Durchzugbalken des rauchgeschwärzten
Männersaals, einer Schwalbe vergleichbar." (0. 22, 239).
Wir haben hier offenbar die Rauchschwalbe, Hirundo
rustica, vor uns, die ja bekanntlich im Innern der Häuser
zu nisten pflegt. Interessant ist dabei, dass das enge sich
Anschliessen an menschliche Wohnungen bei der Rauch-
schwalbe also schon vor last 3000 Jahren üblich war.
Der schwirrende Ton der schnellenden Bogensehne wird
mit dem Zwitschern der Schwalbe verglichen (0. 21, 411-).
Der Kranimetsvogel. ^)
Turdus pilaris, ■/.iylr]. Beiwort: TavvaiftTeQog breit-
flügelig.
1) Es kann auch eine andere Drosselart gemeint sein. Die
Uebereiustimmuug des Fangs der xi/krj mit dem des Krammetsvogels
auf dem Dohnensteig gab die Veranlassung zu der anschaulichen
Uebersetzung „Krarametsvogel''. Die xt;^/?? des Aristoteles ist
die Misteldrossel Turdus viscivorus. (Aubert u. Wimmer I. p. 96).
Die homeriscbe Thierwelt. 197
Telemach knüpft die untreuen Mägde an einem Seile
neben einander auf: ,,Wie wenn breitflügelige Krammctsvögel
oder Tauben in die Schlingen hineinstürzen, die im Gebüsche
aufgestellt sind, wenn sie nach ihrer Ruhestätte streben,
doch ein trauriges Lager empfängt sie; so hingen die
Mägde der Reihe nach mit den Köpfen neben einan-
der, alle die Schlinge um den Hals, um kläglich zu sterben;
ein wenig zappelten sie noch mit den Füssen, aber nicht
lange" 0. 22, 468.
Der Drosselfang auf dem Dohnensteig ist demnach
uralt. Auch die Römer kannten ihn und benutzten ihn
ausgiebig zur Besetzung ihrer Tafeln^). Palladius, der
letzte der scriptores rei rusticae (um 380 n. Chr.) berichtet 2):
„Vom December bis zum März stellt man im Gebüsch
Schlingen für Drosseln und andere Vögel/' Also gerade
in der Strich- und Zugzeit. Interessant ist noch folgende
Nachricht bei Plinius^): „Amseln, Drosseln und Staare
überwintern in der Nachbarschaft, jedoch ohne dabei die
Federn zu verlieren und sich zu verbergen. Man sieht sie
im Winter oft nach Nahrung suchen und in Germanien
giebt es zu dieser Zeit gerade die meisten Drosseln." Es
sind dies die aus dem Norden in grossen Schaaren zu uns
kommenden. Der Zug der Drosseln hat sich demnach eben-
falls in vorhistorischer Zeit entwickelt. Vgl. o. über den
Zug des Kranichs.
Die Taube.
Tcileia imd 7r£?,eiag. Das Bei wort t^?;(>wj', schüchtern,
furchtsam, wird auch als Substantiv gebraucht (cf. II. 2,
502 u. 582).
Die Taube wird flach 0. 22, 468 in Schlingen ge-
fangen wie die Krammetsvögel (s. d.).
Hera und Athene eilen dahin „im Gange schüchternen
Tauben gleichend" (H. 5, 778).
1) Wir wollen noch darauf hinweisen, dass im homerischen
Zeitalter nach 0. 12. 331, auch schon der Vogelfang mittels der
Angel bekannt war, wie er leider jetzt noch in Italien von den
Strassenjungen auf Schwalben betrieben wird.
2) 13, 6, bei Lenz, 1. c. p. 295.
3) bist nat. 10, 24, 35, bei Lenz, 1. c. p. 295.
198 Otto Koerner:
Der schlimmste Feind der Tauben ist der Habicht
(s. d.). Die hierher gehörigen Stellen II. 22, 139 u. 0. 15,
525 haben wir schon oben beim Habicht angeführt. IL 21,
494 flieht eine Taube vor dem Habicht in eine Felsspalte.
Als besonders reich an Tauben werden Thisbe, eine
nicht weit vom Meere gelegene Stadt am Helikon^), und
Messe, eine Hafenstadt bei Tänaros^) bezeichnet, wahr-
scheinlich weil in den Felsenhöhlen der Küste viele Tauben
nisteten. Columba livia, die Stammmutter unserer Haus-
taube nistet in der ganzen Mittelmeergegend häufig in den
unzugänglichen Strandklippen ^). Sie ist demnach wohl
die homerische Taube.
Als Hausthier wird die Taube bei Homer nicht
erwähnt.
Bei den Leichenspielen des Patroklos wird auch ein
Taubenschiessen erwähnt (IL 23, 850). Die Taube war
am Fusse gefesselt und an einen Mastbaum gebunden. Teu-
kros schiesst zuerst und trifft den Bindfaden, so dass die
Taube befreit in die Höhe fliegt. Da schiesst Meriones
und trifft sie in der Mitte unter dem Flügel*). Der Pfeil
dringt ganz durch und fällt dem Schützen wieder vor die
Füsse. Die Taube aber erreicht noch den Mastbaum, lässt
den Kopf hängen und fällt flatternd in einiger Entfernung^)
nieder. „Auffallend ist der Ausdruck mio jiTeQvyog ßäle
liieGorjv, wenn man nicht annimmt, Meriones habe den Vogel
von der Seite getroffen. Dagegen aber spricht der Um-
stand, dass der Pfeil, welcher ganz durch die Taube hin-
durchfuhr, dem Meriones vor die Füsse fiel, so dass dieser
nur senkrecht geschossen haben konnte. Wunderbar ist
es auch, dass die von dem Pfeil, einem Geschoss, womit
man selbst Männer im Kampfe tödtete, gänzlich durch-
bohrte Taube sich noch auf den Mastbaum niedersetzen
konnte, der doch vom Kampfplatz weit entfernt war (853).
1) II. 2, 502.
2) II. 2, 582.
3) VgL Noll, das Thal von Orotava, Frankfurt a. M. 1872
(Programm der höheren Bürgerschule) p. 7.
4) vno 7iT^(jvyog ßaXe /uäaarjv.
5) trjle (F' «tt' avTOV.
Die hoTnerißche Thierwelt. 199
Ueberhaupt aber lässt die Schilderung dieses und der
beiden vorhergehenden Wettkämpfe so viel an Deutlichkeit
zu wünschen übrig und sticht so sehr von der sonstigen
frischen und klaren Ausdrucksw^eise des Dichters ab, dass
die Vermuthung begründet ist, die Verse von 798—883
seien von einem späteren Dichter oder Rhapsoden einge-
schoben ^)".
Die (fdaau
des Aristoteles tibersetzt Lenz 2) mit „Ringeltaube."
Bei Homer kommt sie nur in dem Beiworte des Habichts
(paGoocpovog, „taubenmordend" vor.
III. Reptilien.
Von Reptilien kommen in Ilias und Odyssee nur
Sclilangen
vor. Das Genus wird mit ocpig^) bezeichnet; Species sind
dQa'/.cov und vÖQog.
Der ^Qc'ix ojv
wird bezeichnet als caolog beweglich, ogioxegog im Ge-
birge lebend. Seine Farbe ist sehr unbestimmt als: zta-
v£og dunkel, ^oti^»;£<^^ und (^«^o«vog gelbbraun^) angegeben.
Paris flieht beim Anblick des Menelaus wie ein Mann,
der in der Gebirgsschlucht auf eine Schlange stiess (11. 3, 33).
Hektor erwartet den Achilles: „so wie eine gebirgs-
bewohnende Schlange einen Mann in der Felskluft er-
wartet, nachdem sie Giftkräuter ^) gefressen hat und hefti-
gen Zorn hegt : grässlich blickt sie um die Felskluft umher,
zusammengeringelt" (IL 22, 93).
1) La Roche zu II. 23, 875.
2) 1. c. p. 341 u. Anm. 1092 zu Aristoteles, bist. nat. 5, 11.
3) Wenigstens wird die vorher genauer als 6Qcc>c(tiV bezeichnete
Schlange II. 12, 208 otfig genannt.
4) Dass Suifoivog gelbbraun heissen muss, geht daraus hervor,
dass auch Löwe und Schakal so genannt werden.
5) xaxa (fanuayu) der Genuss giftiger Kräuter vermehrt nach
der Meinung des Dichters das Gift der ^Schlange. Dass Schlangen
niemals Pflanzen fressen, ist bekannt.
200 • Otto Koerner:
Auf Schild und Harnisch des Agamemnon waren
dunkele (yivavsof) Schlangen aus Stahl angebracht, die
Regenbogen glichen, entweder wegen ihrer Stellung, so wie
zwei Regenbogen über einander stehen, oder wegen ihres
schillernden Farbenspiels (II. 11, 26).
„Die Troer verweilten noch unschlüssig am Graben,
denn ein Vogel war ihnen erschienen, als sie hinübergehen
wollten, ein hochfliegender Adler, der das Heer zur Linken
liegen lassend eine gewaltige lebende und noch sich win-
dende gelbbraune Schlange in den Fängen trug. Und
noch nicht vergass sie die Streitlust, denn sie stach ^) den
haltenden Adler in die Brust an dem Halse, nachdem sie
sich rückwärts gebogen hatte. Da warf er sie weg auf
die Erde, von Schmerz gequält, und sie fiel mitten in die
Versammlung, während er mit Geschrei im Hauche des
Windes entflog. Die Troer aber schauderten, als sie die
bewegliche Schlange in ihrer Mitte liegen sahen" II. 12,
199. Polydamas, der weiterhin dieses Wunderzeichen aus-
legt, fügt noch hinzu (v. 221): „aber der Adler Hess die
Schlange fallen, bevor er auf seinen Horst kam, und nicht
brachte er es fertig, sie seinen Jungen zu geben."
Eine weitere ausführlicher über den doaxwv berichtende
Stelle (II. 2j 308) haben wir beim Sperling übersetzt und
erklärt.
Der v^Qog.
Beiwort:' 6?.o6cpQcov, Verderben sinnend. Er wird
nur einmal erwähnt: Philoktetes ist „belästigt von dem
schlimmen Bisse der Verderben sinnenden Schlange." (IL
2, 723.)
In der viel später als Ilias und Odyssee entstandenen
Batrachomyomachie ist vÖQog die unschuldige Ringelnatter
Tropidonotus natrix, oder die ebenso harmlose Würfelnatter
T. tesselatus. Dort schwimmt sie (v. 80) mit über das
Wasser erhobenem Kopfe durch den Sumpf, ein schreck-
licher Anblick für die Frösche. Aelian^) versteht unter
1) xoifje. Eigentlich: sie schlug. Es wird hiermit die Art,
wie Giftschlangen verwunden, sehr treffend bezeichnet.
2) 16, 8, Lenz, p. 472.
Die homerische Thierwelt. 201
vÖQog die giftige breitscliwäDzige Wasserschlaiige des indi-
schen Oceans.
IV. Fische.
„Fische waren den homerischen Menschen nur in
der Vorstellung von gefrässigen Raubthieren geläufig (cJ^ury
azal Ix&üsg)] als Nahrungsmittel waren sie ihnen keine
Delikatesse, sondern blos Nothspeise *), die in den Austern 2)
ihren Höhepunkt hatte" ^). Oft ist es erwähnt, dass Fische
die in das Wasser gefallenen Leichen (von Menschen und
Thieren) verzehren (II. 19, 268; 21, 203. 0. 15, 480;
24, 291 etc.).
Ein beliebtes Beiwort des Meeres und einiger Flüsse
ist iyßioeig, fischwimmelnd (0. 3, 177 ; 4, 381; II. 20, 392 etc.).
Ausser dem Aal und dem Delphin"^) führt der Dichter
keine Species an, sondern spricht nur von den Fischen im
Allgemeinen.
Der Fisch
ix^vg wird bezeichnet als hg 6g gewaltig und cof^irjOTrig
gefrässig (eigentlich roh verschlingend).
Ein vom Faustschlag getroffener Kämpfer springt
erst auf und stürzt dann nieder: „wie im vom Nordwind
gekräuselten Meere ein Fisch am algenbewachsenen Strand
in die Höhe springt und die dunkele Woge ihn (gleich
wieder) bedeckt" (IL 23, 692).
Achilles wirft den getödteten Lykaon in den Skaman-
der mit den Worten: „da liege nun bei den Fischen, die
dir in Ruhe das geronnene Blut von der Wunde wegfressen^)
1) cf. 0. 4, 368; 12, 330.
2) s. d.
3) Am eis zu 0. 4, 368.
4) Homer rechnet zwar in einer Stelle (II. 21, 22) den Del-
phin zu den Fischen, da er ihn aber auch noch 0. 12, 96 mit der
Robbe und dem Seehund ausdrücklich unter der Gruppe xrirog ver-
einigt, so haben wir ihn auch unter dieser Abtheilung erwähnt. Er
gehört ja auch als Säugethier nur dorthin.
5) unoXi/jirjOovTui, eigentlich: sie werden ablecken. Von wirk-
lichem Lecken kann aber nicht die Rede sein, da die Zunge der
202 Otto Koerner:
werden; und nicht wird dich deine Mutter beweinen, nach-
dem sie dich auf ein Lager gebettet hat, sondern der
wogende Skamander wird dich hinaus in den weiten Busen
des Meeres tragen. Mancher Fisch, der durch die Woge
springt, wird unter die bewegte Meeresfläche hinabschies-
sen*) wenn er von Lykaons weissem Fett genossen haben
wird" (IL 21, 122).
Nach Netolicka (1. c.) ist in diesen beiden Stellen,
besonders in der ersteren, der sogenannte fliegende Fisch,
Exocoetus volitans, gemeint. Doch ist diese Annahme nicht
nothwendig, da bei bedecktem Himmel und namentlich bei
leicht gekräuselter Oberfläche des Wassers, wie es ja beide
Mal der Fall ist, fast alle Fische gern springen.
Weiteres wird über Fische berichtet II. 21, 353 (s.
unter Aal) und ebenda 22 (s. oben unter Delphin).
Feinde der Fische sind der Delphin (s. d.) und die
Möve (0. 5, 51). Der Mensch bemächtigt sich ihrer mit-
tels Harpunen 2), Angeln und Netzen. Hierüber geben fol-
gende Stellen Aufschluss :
Die Gefährten des Odysseus werden von den Lästry-
gonen „wie Fische durchbohrt'* 0. 10, 124.
Patroklos durchstösst den Thestor mit der Lanze und
zieht ihn so an sich: „wie ein Mann auf vorragender
Klippe sitzend einen gewaltigen Fisch aus den Fluten an
der Schnur und dem glänzenden Erze heraufzieht" IL 16, 406.
Genossen des Menelaus schweiften rings um eine
Insel „eifrig Fische fangend mit gekrümmten Angelhaken,
denn der Hunger quälte ihren Magen'' 0. 4, 368. Aehnlich
0. 12, 330.
Die Skylla reisst Genossen des Odysseus vom
Schiffe weg: „wie auf vorspringender Klippe ein Fischer
mit gewaltiger Angelruthe den kleinen Fischen dort Lecker-
Fische hart und fast ganz angewachsen ist. Doch ist der Ausdruck
sehr bezeichnend, wie man sich leicht überzeugen kann, wenn man
ein grosses und hartes Stück Brod in einen Karpfenteich wirft.
1) Der Leichnam wird durch die sich in ihm bildenden Gase
auf der Oberfläche schwimmend erhalten.
2) Bei Buchholz, 1. c. nicht erwähnt, cf. Am eis zu 0. 10, 124.
Die homerische Thierwelt. 203
bissen als Köder auswerfend das Hörn *) des auf dem
Felde lagernden Stieres in die Fluten versenkt und dann
die zappelnde Beute au das Ufer aufschwenkt" 0. 12, 251.
Als Odysseus in seinem Saale umherblickte, ob noch
einer der Freier am Leben sei, erblickte er sie alle in
Blut und Staub niedergestreckt, „den Fischen gleich,
welche die Fischer aus dem Meere an das tiefliegende
Ufer im vielmaschigen Netze gezogen haben. Da liegen
sie nun alle nach der Meereswoge lechzend auf den Dünen
aufgeschüttet und die Sonne raubt ihnen mit sengendem
Strahl den Athem^' 0. 22, 383.
Der Aal, »
eyxelvg, ist wahrscheinlich der Flussaal, Anguilla vulgaris.
Er und andere Fische benagen Leichen: „indem sie nagend
das Nierenfett verzehren" II. 21, 203.
Aale und andere Fische, von dem zurückweichen-
den Wasser des Skamandros zurückgelassen und von He-
phästos' Gluthhauch bedrängt „schnappen angstvoll in den
Pfützen umher, die schönen Gewässer hierhin und dorthin
durchplätschernd'' II. 21, 353.
V. Insecten.
Die Biene.
/iisUooa, Apis mellifica, wurde schon im homerischen Zeit-
alter des Honigs wegen in primitiven Stöcken gehalten,
wie aus der Schilderung 0. 13, 103 hervorgeht:
„Nahe an dem Oelbaum befindet sich eine liebliche,
bläulich schimmernde ^j Höhle, den Nymphen, welche Naja-
1) „Ein aus Stierhorn gedrechseltes Röhrchen, durch welches
die Angelschnur lief, um nicht durch anbeissende Fische abgebissen
zu werden". (Ameis zu 0. 12,253.) Es könnte wohl auch das hohle
Kuhhorn als Schwimmer gedient haben. Ausserdem befand sich ein
Bleikügelchen an der Angel, damit sie rasch sank: II. 24, 80. cf.
La Roche z. d. Stelle.
2) r]€Qoet67]g.
204 Otto Koerner:
den genannt werden, heilig. Darin stehen Mischgefässe
und doppelt gehenkelte Urnen ans Steingut, worin
die Bienen stets Nahrung bereiten"^'
Das Schwärmen der Bienen, wenn der Mutterstock
im Vorsommer eine Colonie aussendet, wird in einem treff-
lichen Gleichnisse IL 2, 87, folgendermassen geschildert:
„So wie Bienen in dichtem, immerfort sich erneuen-
dem Schwärm aus dem hohlen Fels hervorstürzen und in
Trauben 2) auf die Frühlingsblumen zueilen, indem die
einen hier, die andern dahin fliegen, so zogen zahlreiche
Völker schaarenweise von den Schiffen und Zelten her zur
Versammlung''. Vgl. noch IL 12, 167 (übersetzt bei der
Wespe).
Dass der Honig {f^ieli), der 0. 10, 224 und IL 11,
631 als xhoQov, gelb, bezeichnet wird, ein beliebtes Genuss-
mittel der homerischen Helden gewesen ist, zeigen Ver-
gleiche wie: die Sirenen haben eine honigsüsse Stimme
{fiEhyrjQvv oita); Nestors Rede fliesst dahin, süsser als
Honig {fieXiTog ylwlcov) etc. — Er wurde mit Wein ver-
1) Friedreich und Buchholz halten ebenfalls die Gefässe
für primitive Bienenstöcke. Unbeachtet gelassen oder anders ver-
standen wurde die Stelle von Hehn, 1. c, Prätorius, 1. c, u. W.
Stricker (Sprachwissenschaft und Naturwissenschaft, im „ZooL
Garten" VI, ff.). — Friedreich, 1. c. p. 262 bemerkt noch: „dass
es gerade eine Grotte der Nymphen war, hat eine besondere Bedeu-
tung, denn die Anfänge der Bienenzucht wurden von den Griechen
so dargestellt, dass die Nymphe Melissa auf die Bereitung und den
Genuss des Honigs zuerst aufmerksam gemacht habe und nach ihr
dann die Bienen jueliaaai genannt worden seien.''
2) ßoTQvd'öv, traubenförmig, so dicht neben einander wie die
Beeren einer Traube. Heutzutage spricht der Bienenzüchter, von
„Trauben", wenn die Bienen zur Schwärmzeit sich in dicken Klum-
pen vor das Flugloch des Stockes hängen. — Es ist in vorliegendem
Gleichnisse nicht vom einfachen Ausfliegen der Bienen die Rede,
sondern von wirklichem Schwärmen. Dieser An'sicht widersprechen
die W orte (ä ub)'i''f'vScc aXtg neTioTTjaTKi, a'i (h're 6Vi9^« durchaus nicht:
es soll damit nicht die Zerstreuung nach verschiedenen Richtungen,
sondern nur die Verwirrung innerhalb des dichten Schwarms, wie
sie ähnlich beim Zusammenlaufen des Heeres entsteht, geschildert
werden. Sonst fliegen die Bienen immer nur einzeln und nie in
Schaaren aus.
Die homerische Thierwelt. 205
mischt genossen (0. 10, 234) und mit Milch gemengt den
Unterirdischen geopfert (0. 10, 519).
Das „honigsüsse" ^) Wachs (x/yooc: (.leXirfirig) wird
nur einmal erwähnt, da es Odysseus benutzt, um seinen
Gefährten die Ohren zuzustopfen, weil sie den Gesang der
Sirenen nicht hören sollten.
Die Wespe,
o(fi]^^ wahrscheinlich Vespa vulgaris. Sie heisst tlvoöiog^
am Wege bauend und /neoov cdolog^ in der Mitte, d. h.
zwischen Thorax und Abdomen, beweglich, und wird in
folgenden Gleichnissen erwähnt:
Die Myrmidonen „schwärmten plötzlich heran wie
die Wespen am Wege, die Knaben nach ihrer Gewohnheit
erbitterten, indem sie immerfort die am Wege Bauenden
reizten : die Thörichten ! denn vielen bereiten sie ja gemein-
sames Unheil: sobald jene ein Wandersmann im Vorbei-
gehen absichtslos erregt, so stürzen sie alle tapferen Sinnes
hervor, ihre Brut zu beschützen" IL 16, 259.
„Die aber, gleich den in der Mitte beweglichen Wes-
pen und Bienen, welche am felsigen Weg ihre Nester
bauen, verlassen nicht ihr hohles Haus, sondern erwarten
jagende Männer und wehren sie von ihrer Brut ab'' II.
12, 167. —
Nach der Gestalt der Wespe „wurde eine Haartracht
benannt, welche darin bestand, dass man dem Haare durch
Zusammenschnüren (oq>r]KOiv) eine Form gab, welche an
den eingeschnittenen Körper der Wespe erinnerte (IL 17,
52). x\ndere deuten hingegen das Verbum Gq)r]'/.ovv auf ein
Binden des Haares mit Gold- und Silberfäden, so dass e&
ähnlich dem Leibe der Wespe eine Abwechslung zwischen
hellen und dunkeln Ringen zeigte"^).
Die Bremse,
oloTQog Oestrus bovis. Beiwort: alolog (sc. i-ieoov in der
Mitte beweglich 3).
1) Dieses Attribut deutet auf eine sehr unvollkommene Ge-
winnungsweise des Honigs hin.
2) Buchholz, 1. c. p. 102.
3) Die Analogie mit fx^aoi> aloXoq bei der Wespe bestimmt
206 Otto K o e r n er :
Vor dem Aegisschild der Athene flüchten die Freier
in Odysseus' Saal „wie Rinder in der Heerde, welche die
bewegliche Bremse einherfliegend in Unruhe bringt, zur
Frühlingszeit, wann die Tage lang werden" 0. 22, 299.
Die Fliegen,
(.ivlat. Ihre Maden heissen evkai und werden als aloloi^
beweglich, bezeichnet. ^
Der Dichter vereinigt unter der Bezeichnung (xvlaL
verschiedene Fliegen- und Schnakenarten. In der
Stelle IL 17, 570 (s. u.) ist eine Schnake oder eine Stech-
fliege gemeint, während IL 19, 24 und 22, 509 sicherlich
von der Schmeissfliege, Musca vomitoria, die Rede ist. In
den übrigen Stellen kann mit Sicherheit nicht angegeben
werden, mit welcher Species man es zu thun hat. — Die
betr. Stellen sind folgende :
„Wie vjele, dichte Mückenschwärme im Vorsommer,
wann Milch von den Butten herabtrieft, rastlos durch den
Hirtenhof umherziehen: in solcher Zahl standen die lockigen
Achäer auf dem Gefilde'^ IL 2, 469.
Athene wehrt von Menelaos die Geschosse ab „wie
wenn eine Mutter von ihrem süss schlummernden Kinde
die Mücke wegscheucht" IL 4, 131.
„Und sie pflanzte in seine Brust die kühne Beharr-
lichkeit der Mücke, welche immer wieder die Haut eines
Menschen zu stechen {dwAi-eiv) sucht, auch wenn sie ver-
scheucht wird, denn süss ist ihr das Menschenblut" IL
17, 570.
„Gar sehr befürchte ich, es könnten inzwischen dem
(getödteten) tapferen Sohn des Menötius Fliegen in die
erzgeschlagenen Wunden schlüpfen und darin Maden er-
zeugend^) den Todten schänden" IL 19, 24.
mich, auch bei der Bremse alolog (ohne fxeaov) auf die Einkerbung
zwischen Thorax und Abdomen zu verstehen. Am eis z. d. St. über-
setzt fälschlich „flatternd". Auch kann der Ausdruck „flattern"
nicht vom Fluge dieser Insekten gebraucht werden.
1) Spätere Zeiten vergassen, was der alte Dichter wusste.
Vor nicht gar langer Zeit nahm man keinen Anstand, das Erscheinen
von Maden in faulenden Organismen mittelst der .sog. generatio
Die homerische Thierwelt. 207
„Nun werden dich dort an den Schiffen der Danaer
fern von deinen Eltern die beweglichen Maden verzehren"
IL 22. 509.
Unter dem Worte Kwajn via, wörtlich: „Hundsfliege"
versteht Groshans Hippobosca equina L. Doch scheint
dieses Wort, das nur II. 21, 394 vorkommt, kein Insekt zu
bezeichnen, sondern lediglich ein Schimpfwort zu sein, in-
dem es die Begriffe der lästigen Zudringlichkeit des Hun-
des und der Mücke vereinigt.
Larven eines Insekts,
/TTtg, werden 0. 21, 395 erwähnt, da Odysseus seinen
Bogen untersucht, ob ihn nicht etwa Insektenlarven zernagt
hätten. Vielleicht ist hier ein Anobium gemeint, dessen
Larve als sogenannte Todtenuhr das Holz unserer Möbel
mit ihren Gängen durchsetzt; doch scheint es sehr unwahr-
scheinlich, dass sich dieses Insekt, das besonders gern die
weicheren Holzarten zu seinem Aufenthalte wählt, am Hörn
vergreifen sollte.
Die Cicade,
TeTTi^. Die jetzt in Kleinasien und Griechenland häufig-
sten Cicaden sind Cicada orni und C. plebeia.
Die Stimmen trefflicher Redner werden 11.3,151 mit
dem Zirpen der Cicaden verglichen „die im Walde auf'
Bäumen sitzend ihre helle Stimme ertönen lassen"^).
spontanea zu erklären. Noch im siebzehnten Jahrhundert musste
Redi gegen diese Ansicht auftreten und zeigen, dass Fliegen ihre
Eier in das Fleisch hineinlegen.
1) Zum Verständniss dieser Stelle ist zu bemerken, dass die
Cicaden im antiken Thierleben eine gefeierte Rolle spielen. Eine
Sage berichtet, dass, als zwei Tonkünstler, Eunomus und Ariston
sich in einen Wettstreit eingelassen, eine Cicade zu dem ersteren flog,
sich auf seine Harfe an Stelle einer gesprungenen Saite setzte und
ihm so den Sieg verschaffte. Darum galt eine auf einer Harfe
sitzende Cicade den Griechen als Sinnbild der Musik. „Eine Cicade
ist es, die auf einem allerliebsten pompejaner Mosaik als Kutscher
auf einem Wagen einen vorgespannten Papageien lenkt; Anakreon
gedenkt ihrer, wie die Fabeldichter öfters. Ihr Zirpen wird dem
208 Otto Koerner:
Die Wanderheuschrecke,
Acridium migratorium, dxQi'g^). Die Landleute zündeten,
wie auch gegenwärtig noch, Feuer an, um die Heuschrecken-
schwärme von den Feldern abzuhalten:
„Wie wenn vor dem auflodernden Feuer die Heu-
schrecken sich erheben, um nach dem Strome zu fliehen 2).
denn immer neue, schnell entflammte Glut versengt sie
und furchtsam stürzen sie nach dem Wasser : so füllte sich
bei Achilles' Erscheinen der Xanthosfluss mit Pferden und
Männern^^ IL 21, 13.
Schmetterlinge
werden bei Homer nicht erwähnt. Doch müssen sie zur
Erklärung eines in der Ilias zweimal (11, 53 u. 16, 459)
vorkommenden Phänomens herangezogen werden. In den
angeführten Stellen ist die Rede von blutigem Thau, den
der Dichter als ein von Zeus gesandtes Vorzeichen von
Krieg aufi'asst. Auch Hesiod^), kennt diese Erscheinung
und bei uns hat sie Veranlassung zur Sage vom Blutregen
gegeben. Das Phänomen erklärt sich daraus, dass oft
Schmetterlinge, (besonders der Baumweissling, Pieris cra-
taegi) wahrscheinlich in Folge von schnell eingetretenen
günstigen Temperaturverhältnissen, plötzlich in kolossaler
Anzahl aus den Puppen auskriechen und als erstes Geschäft
Geflüster der abgeschiedenen Seelen im Hades oder auf der Aspho-
deloswiese, ihre Unermüdlicbkeit der gefeierter Redner verglichen"
(E.Friedel, Zool. Garten XV, 257. In der Anm. auf Seite 258 folgt
das reizende Gedicht des Anakreon elg liTTiya im Urtext. Das-
selbe ist bekanntlich von Goethe trefflich übersetzt. Auch R.ös-el
von Rosenhof, Insektenbelustigungen II, Heuschrecken u. Grillen,
p. 168 übersetzt es.) Aehnlich wie Homer berichtet über die
Cicade Hesiod (Op. 582 u. Scut. 393).
1) Ueber die "Wanderheuschrecke im alten Testament s. Joel
II, 2 — 10; auch Rosenmüller, 1. c. p. 386.
2) Sie stürzen sich nicht in den Strom, sondern fliegen nur
über denselben hin, um dem Rauch und der Hitze zu entgehen.
Es liegen übrigens so viel wir wissen keine Beobachtungen vor, die
ein solches Benehmen der Wanderheuschrecke bestätigen.
3) Hesiodi Scut. 384.
Die homerische Thierwelt. 209
ihren noch aus dem Raupenleben mitgebrachten Urin ent-
leeren. Derselbe ist bei vielen Arten, wie eben bei dem
Baumweissling, roth.
Von
Spinnenthieren
wird eine
Milbe
ytvvoQatGT}]g erwähnt. Sie bedeckt in grosser Zahl den
Hund Argos. 0. 17, 300.
Es kann hier der spezifische Parasit des Hundes
Trichodectes latus gemeint sein. Aubert und Wimmer ^)
verstehen unter dem aristotelischen KwogaioTrjg den häufig
an Hunden festgebissenen Ixodes ricinus. —
Ausserdem ist zweimal von einem Spinnengewebe,
agayviov, die Rede : das Bett des Odysseus ist von Spinnen-
geweben bedeckt (0. 16, 35), d. h. leer, denn nur an un-
benutzten und vernachlässigten Orten spannt die Spinne
ihr Netz aus. Ferner umspannt Hephästus das Bett der
Aphrodite mit einem unsichtbaren Netze, „zart wie Spinnen-
gewebe" 0. 8, 280.
Mollusken.
Der Dichter kennt den Purpur als Farbstoff, ohne
jedoch seine Herkunft von der Purpurschnecke zu erwäh-
nen. IL 4, 140 erzählt er von einer Verwundung des Mene-
laus und vergleicht den Blutstrom, der den Schenkel tiber-
giesst, mit dem Purpur, mit welchem eine Mäonierin oder
Karin Elfenbeinplättchen zur Verzierung des Riemenzeugs
edler Rosse färbt.
Wahrscheinlich wurde der Purpur wie das Elfenbein
(s. d.) durch phönicische Händler an die Küste von Klein-
asien gebracht.
Die Aüster,
trjS-oQy Ostrea edulis (?)
II. 16, 742 stürzt ein Verwundeter vom Kampfwagen
herab, wie ein Taucher in das Meer. Patroklus ruft ihm zu:
1) 1. c. I, 166.
Archiv für Naturg. XXXXVl. Jahrg. 1. Bd. 14
210 Otto Koerner:
„Wunder, wie behende und leicht der Mann hinab-
taucht! Wenn er das einmal in des Meeres fischreichen Ge-
wässern versuchte, könnte er Viele mit Austern sättigen'' etc.
Aristoteles erwähnt den zrjd^og nicht, spricht jedoch
von einem Trjd-vov, worunter er sicherlich eine Ascidie,
wahrscheinlich eine Cynthia versteht *). Daher erklärt auch
Groshans den homerischen TrjS^og als Ascidie. Für diese
Annahme spricht auch der Umstand, dass italienische Fischer
gern Ascidien verspeisen. Die Beibehaltung der Ueber-
setzung „Auster'' empfiehlt sich jedoch der Anschaulich-
keit wegen, da uns diese als Speise geläufiger ist, als
die Ascidie.
Der Polyp,
TiolvTiovgj Octopus vulgaris.
Als Odysseus Schiffbruch gelitten hatte, wurde er an
die Insel der Phäaken angespült. Da er nun versucht,
sich an einem Felsen festzuhalten, reisst ihn die Brandung
los und die abgeschundene Haut von seinen Händen bleibt
an den Klippen haften „wie dem Polypen, den Einer aus
dem Verstecke herauszerrt, kleine Steinchen in Menge an
den Saugnäpfen 2) hängen bleiben, so hing an den Felsen
die abgeschundene Haut von den Händen des Odysseus"
0. 5, 432. ,
Ein grosser Cephalopode war es sicherlich, der die
Sage von der Scylla veranlasst hat. Das geht aus der
homerischen Beschreibung derselben mit Bestimmtheit her-
vor. Es heisst dort (0. 12, 85):
1) Aubert u. Wimmer, 1. c. I. p. 183.
2) Tioog xoTvkrj^ov6(f>iv. Sie stehen in 2 Reihen auf d6r Innen-
seite der Arme. Die höchst sonderbare Meinung, der noXvnovg sei
ein Krebs, weil solche Thiere oft kleine Steinchen zwischen die
Scheeren zu nehmen pflegten, ist schon längst in wohlverdiente Ver-
gessenheit gerathen.
Uebrigens kannten die Alten beim Octopus eine Anpassung im
Sinne Darwin's. Aristoteles sagt (h. a. 1X37, 149): ,,Er fängt
die Fische, indem er seine Farbe wechselt und die Farbe der Steine
annimmt, in deren Nähe er kommt. Dasselbe thut er auch, wenn
er gescheucht wird." Nach Oppian (de pisc. 2, 253, bei Lenz,
1. c. p. 505) schützt er sich auf dieselbe Weise vor der Muräne.
Die homerische Thierwelt. 211
„Zwölf unförmliche Ftisse hat sie und sechs lange
Hälse, auf deren jedem sich ein fürchterlicher Kopf mit
drei Reihen von festen und dichtgestellten, verhängniss-
drohenden Zähnen befindet. Halb steckt sie in einer Höhle,
die Köpfe aber streckt sie aus der Tiefe heraus und fängt
sich, indem sie um die Klippe umhersacht, Delphine, See-
hunde, und wenn möglich noch grössere Seethiere, wie sie
die tiefstöhnende Amphitrite in Unzahl nährt. Niemals
konnten Schiffer sich anmassen, mit dem Schiffe an ihr
vorbei zu kommen, denn mit jedem Kopfe raubt sie einen
Mann vom dunkeln Schiffe".
Ueber sein Abenteuer mit der Scylla berichtet Odys-
seus (0. 12, 244) wie folgt:
„Während wir nun angstvoll auf die Charybdis blick-
ten, raubte mir die Scylla aus dem hohlen Schiffe sechs
Gefährten, die an Gewandtheit und Stärke die trefflichsten
waren. Und als ich nun einen Blick auf das schnelle
Schiff und auf die Gefährten warf, sah ich schon ihre Arme
und Beine über mir, da sie in die Höhe gehoben waren.
Betrübten Herzens riefen sie mich beim Namen: es war
zu spät. So wie ein Fischer auf vorspringender Klippe
mit gewaltiger Angelruthe den kleinen Fischen dort Lecker-
bissen als Köder auswerfend das Hörn des ländlichen
Stieres*) in die Fluten versenkt und dann die zappelnde
Beute an das Ufer aufschwenkt, so wurden sie zappelnd
zum Felsen heranzogen".
Prüfen wir nun, in wie weit diese Beschreibung der
Scylla auf grosse Cephalopoden passt. Die Zahl der Arme
(12) ist zu gross angegeben. Was der Dichter als Hälse
bezeichnet, sind die in geringerer Zahl vorhandenen längeren
Arme der Cephalopoden. Die Köpfe sind die gewöhnlich
knäuelförmig eingerollten Enden der langen Arme, die
Zähne die reihenweise angeordneten und z. B. bei Loligo
nur am Ende des Armes sitzenden Saugnäpfe. Diese sind
sogar bei Onychotheutis und Enoplotheutis zu Haken um-
gebildet, was den Vergleich mit Zähnen noch näher legt.
Die geschilderte Lebens- und Ernährungsweise der Scylla
stimmt mit der grosser Cephalopoden überein ; nur ist ihre
1) Ueber die Angel s. u. „Fische" p. 203.
212 Otto Koerrier:
Gefährlichkeit für den Menschen etwas übertrieben. Auch
bellen die Cephalopoden nicht, wie es von der Scylla 0.
12, 85 erzählt wird. Hier ist wahrscheinlich das Tosen
der Brandung und das Klappern der an die Klippen ge-
schleuderten Steine, ähnlich vielleicht dem Gekläff kleiner
Hunde auf die Scylla übertragen worden.
Dass es gewaltige, auch dem Menschen gefährliche
Cephalopoden im Mittelmeer gab und noch gibt, besagen
Nachrichten aus alter und neuer Zeit. Die wichtigsten
derselben sind folgende:
PI in ins (h. n. 9, 30, 48) sagt: Trebius Niger, Be-
gleiter des Lucullus, behauptet, kein Thier sei im Wasser
dem Menschen so gefährlich, wie der Polyp; denn er stürzt
sich auf Schiffbrüchige und Taucher, umschlingt sie mit
seinen Armen, saugt sie mit seinen Saugnäpfen aus') und
versenkt sie." Diese Behauptung ist nach den Ausführun-
gen von Jag er 2) nicht unwahrscheinlich.
Nach Lenz^) kennt man in Griechenland nicht wenige
Beispiele, wo nach Schw^ämmen suchende Taucher von
solchen Thieren umschlungen und ertränkt wurden.
Eine Uebersicht der Nachrichten über grosse Cepha-
lopoden gibt Keferstein^). Aus neuerer Zeit sind noch
folgende Funde zu verzeichnen:
Ein grosser Cephalopode wurde 1861 bei Teneriffa
gefangen. Länge 18 Fuss, die der Arme 5—6 Fuss ^).
1873 wurde ein weiterer an der Ostküste Nippon's
erlegt. Länge 6 m, Umfang 1,30 m, längster Arm 1,97 m^).
In demselben Jahre umschlang ein solches Thier bei
Neufundland ein Fischerboot. Armlänge 35 Fuss"^)
1874 brachte eine englische Zeitschrift^) die Abbildung
1) Letzteres ist unrichtig, da die Saugnäpfe dem Polypen nur
zum Festhalten seiner Beute dienen.
2) G. Jäger, das Leben im Wasser, Hamburg 1868, p. 150 ff.
3) 1. c. Anmerkung 2149.
4) Bronn, Klassen und Ordnungen des Thierreichs, Bd. III
Abth. IL p. 1452.
5) Der Zoologische Garten, Jahrgang III, p. 91.
6) Zool. Garten, XV 157.
7) Zool. Garten XVI 236.
8) The Field vom 31. Januar 1874.
Die homerische Thierwelt. 213
eines bei St. Johns mit dem Häringsnetz gefangenen Ce-
phalopoden. Länge der grossen Arme 24 Fuss, Körper-
länge 8 Fuss, Umfang 5 Fuss.
Die letzten hierbergehörigen Angaben datiren von
1878. In diesem Jahre strandete bei Catalina (Neufund-
land) ein 'solches Thier. Länge der Fangarme 30 Fuss,
der kurzen Arme 11 Fuss, des Körpers 9 Fuss 6 Zoll. —
Zu derselben Zeit umschlang ein grosser Octopus bei der
Vancouver-Insel eine badende Indianerin und zog sie in
die Tiefe. Am folgenden Tage wurde die Leiche durch
Taucher, welche die Fangarme durchschnitten, befreit^).
Dass nun Homer, dessen zoologische Nachrichten
sonst so zuverlässig sind, hier einmal ungenau berichtet,
ist zu entschuldigen. Er hat eben ein solches, verhältniss-
mässig seltenes Thier nie gesehen und von ihm nur von
Seefahrern, wahrscheinlich phönicischen Handelsleuten ge-
hört. Seefahrer aber sind wunderliche Leute und haben
das Uebertreiben von je her trefflich verstanden. Es ist
immer noch merkwürdig genug, dass sie hier so gnädig
verfahren sind und uns wenigstens die Möglichkeit gelassen
haben, der Entstehung ihrer Hirngespinnste auf den Grund
zu kommen.
Spätere Zeiten haben natürlich weiter phantasirt und
das Urbild der Scylla ganz unkenntlich gemacht. Ein Ana-
logon zu der Scylla findet sich in der nordischen Sage
vom Kraken. Auch die immer wieder auftauchende See-
schlange hat man auf das Erscheinen grosser Cephalopo-
den zu beziehen versucht. Vielleicht wäre die Entstehung
noch manches phantastischen Ungeheuers der Sage auf
ähnliche Weise zu erklären. Doch die Spuren der Urbil-
der sind bei ihnen wohl meist ganz verwischt.
Von den
Würmern
wird nur
Der Regenwurm,
o-atolrj^y Lumbricus terrester (?) erwähnt.
1) ZooL.Garteü XIX 62.
214 Otto Koerner: Die homerische Thierwelt.
Mit ihm wird II. 13, 654 ein im Kampfe zu Boden
gestreckter Krieger verglichen. Die Aehnlichkeit des
Gleichnisses liegt im Geradeausgestrecktsein.
Die
Cölenteraten
sind nur durch den
Badeschwamm,
üTtoyyoq, Euspongia, vertreten.
Beiwort: TtoXvrQrjTog vieldurchlöchert.
Das homerische Zeitalter bedient sich bereits des
Badeschwammes in derselben Weise wie wir. II. 18, 414
wäscht sich Hephästus Gesicht, Brust und Hände, um die
Thetis würdig empfangen zu können.
In der Odyssee werden dreimal (1, 111; 20, 151 u.
22, 439) Tische mit Schwämmen abgewaschen.
Buchholz erwähnt den Schwamm nicht.
Nene Amphibien und Reptilien.
Beschrieben von
Dr. J. 6r. Fischer
in Hamburg.
Hierzu Tafel VHI und IX.
1. Caecilia polyzona Fisch.
Tafel Vni, Fig. 1 bis 4.
Körper langgestreckt. Kopf Veo von der Totallänge,
fast doppelt so lang wie breit. Auge durch die Haut nicht
sichtbar. Kopf klein, zugespitzt, Schnauze vorragend, platt
Fühlergrube in vertikaler Linie unter dem dorsal gelegenen
Nasloch, an der unteren Fläche der Schnauze. Faltenringe
zahlreich (mehr als 200), bis nahe zum Körperende voll-
ständig. An den letzten 10 — 12 Ringen sind accessorische
Ringe eingeschaltet, die zunächst am Rücken erscheinen,
dann an die Seiten und schliesslich (bei einem Exemplare)
bis zur Bauchmitte herabreichen. Körperende rund, etwas
verdickt, ohne Hautsaum.
Am Oberkiefer 22 bis 25 Zähne, am Gaumen in paral-
leler Reihe dahinter 20 bis 22 ; am Unterkiefer in vorderer
Reihe 20; dahinter in der zweiten Reihe 10 — 12. Alle
Zähne nach hinten gekrümmt, spitz.
Oben braungrau, der Kopf heller; Bauch hellgrau.
Die Ringfurchen schwarz markirt.
216
J. G. Fischer:
Maasse.
Kopf- Umfang
Zahl
der Ringe
Grösste 1
Höhe ! Total-
des j länge
Körpers
Länge
Grösste
Breite
am Mund-
winkel
in der
Körper-
mitte
dicht
vor dem
After
an der
Bauchseite
gezählt
a
m
0 011
m
0 65
m
0 011
0 006
m
0 02
m
0 033
0 036 209
m
b 0 011
m
0 67
m
0 011
m
0 006
m m
0 02 0 037
0 033
207
Zwei Exemplare des Kön. Zool. Museums in Berlin,
gesammelt von Hrn. Grosskopf bei Caceres am Magda-
lenenstrom, Neugranada.
Verschieden von den übrigen Arten in folgenden
Punkten :
a) Von C. lumbricoidea Daud. durch den schmalen Kopf,
die sehr deutlich markirten Ringe und die Lage der
Ftihlergrube.
b) Von C. albiventris Daud. durch die versteckten Au-
gen, durch die zahlreicheren (bei albiventris 150) Ringe
und die Lage der Fühlergrube.
c) Von C. rostrata Cuv. durch den gestreckteren Körper,
die viel zahlreicheren Ringe (bei rostrata 115 — 125 nach
Dum. u. Bibr.) und die Lage der Fühlergrube.
d) Von C. seraphini A. Dum. (vom Gaboon) durch den
schlankeren Körper, die versteckten Augen und die zahl-
reicheren meist vollständigen Ringfalten (seraphini hat
deren nach A. Dum. 125 — 130, meist oben und unten un-
vollständige).
e) Von C. squalostoma Stbry. (vom Gaboon) durch die
zahlreicheren Falten (sq. hat 145—150 nach A. Dumeril)
und die Lage der Fühlergrube.
f) Von C. ochrocephala Cope von Panama (Proc. Ac. N.
Sc. Philad.) 1866 p. 132) durch den schlankeren Körper.
Cope vergleicht seine Art in Bezug auf den Habitus mit
dem viel gedrungeneren Siph. mexicanus, und giebt das
Verhältniss des Körperdurchmessers zur Totallängö auf
1 : 51 an. Bei unserer Art ist dies Verhältniss = 1 : 66.
Ausserdem ist die Farbe abweichend.
g) Von C. oxyura D. B. (von Malabar) durch das abge-
Neue Reptilien und Amphibien. 217
rundete fast angeschwollene Schwanzende, den schlankeren
Körper, die zahlreicheren am Vordertheil des Körpers ge-
schlossenen Ringe.
h) i) k) Von C. compressicauda D. B., C. dorsalis Pets.
und C. natans Fisch, durch den Mangel des Hautsaums
am Hinterende des Körpers.
2. Caecilia natans Fisch.
Tafel VIII, Fig. 5 bis 7.
Schliesst sich durch das* zusammengedrückte, mit
einem Hautsaum versehene Hinterende des Körpers eng
an die ebenfalls südamerikanischen C. compressicauda D.
B. und C. dorsalis Pets an. Herr Grosskopf hat die
typischen Exemplare 1879 aus dem CauGa, Nebenfluss des
Magdalenenstroms in Neu- Granada, an einer mit festem
Kiesgrund versehenen Stelle gefischt. Es ist nach diesem
Bericht und nach der Form des Körpers wohl anzunehmen,
dass alle drei eben genannten Arten ihr Leben im Wasser
zubringen und sich durch Beibehaltung der Form und
Lebensweise der Larven von den übrigen im Schlamme
wühlenden Gymnophionen als besondere Gruppe (Wasser-
caecilien) unterscheiden.
Körper ziemlich gedrungen. Kopf breit-platt, seine
Länge etwa Vso der Totallänge. Schnauze vorragend.
Naslöcher seitlich. Auge durchscheinend. Fühlergrube
etwas unterhalb der vom Auge zum Nasloch gehenden
Linie, dreimal so weit von ersterem wie von letzterem ent-
fernt. Ringfalten ganz undeutlich, auch bei gut erhaltenen
Exemplaren nur stellenweise an den Biegungen des Kör-
pers als nicht markirte Falten sichtbar. Hinterende seit-
wärts stark zusammengedrückt, mit einem um dasselbe
herumgehenden, sich von hinten her halb um den After
(Saugscheibe Peters) herumziehenden Hautsaum.
Im Zwischen- und Oberkiefer 40—42, am Gaumen in
einer mit der ersteren parallelen Reihe 34—36 Zähne; in
der vorderen Reihe des Unterkiefers 38, in der zweiten
14 Zähne.
218
J. G. Fischer
Einfarbig braungrau, an der Bauchfläche wenig heller.
Gegend um den After (Saagscheibe) weiss.
Maasse.
Kopf-
Totallänge
Länge
grösste
Breite
Umfang des
Körpers in
der Mitte
Länge der
Saugscheibe
a
m
0 505
0 016
m
0 013
m
0 04
m
0 006
b
0 461
m
0 016
m
0 012
m
0 045
0 007
Zwei Exemplare im Kön. Zoolog. Museum in Berlin.
Beide gesammelt von Hrn. Grossko.pf (s. oben).
Ausserdem befinden sich meines Wissens noch 5 Exem-
plare in der Berliner Sammlung; eines (von Hrn. Grosskopf
1878 von Baranquilla, Neu-Granada, eingesandt) im Natur-
historischen Museum (Nr. 335) zu Hamburg.
Verwandt mit C. compressicauda D. B. und C. dorsa-
lis Pets. Von beiden verschieden durch den Mangel der
bei der ersteren wenigstens am Bauch sehr deutlichen Fal-
tenringe. C. compressicauda hat deren nach Dum. und
Bibr. 134—140, C. dorsalis nach Peters 99. Auch Herr
Professor Peters hält die vorliegende Art für specifisch
verschieden.
Bothriechis scutigera Fisch.
Tafel VIII, Fig. 8 und 9.
Sl. 21. Lab. |5^; V. 146; A. 1; Sc. 34*).
Schuppen in 21 Längsreihen. Nasale getheilt. Kopf
bis hinter die Augengegend von grossen, schildähnlichen,
symmetrisch geordneten, glatten Schuppen bedeckt.
Beschreibung.
Körperform gedrungen, etwas seitlich zusammenge-
drückt. Kopf massig abgesetzt, an den Schläfen nicht
1) üeher Anwendung von Schnppenformeln bei Schlangendiag-
uosen s. Verh. Naturw. Ver. Hamburg 1879, p. 78.
Neue Reptilieu und Amphibien. 219
stark aufgetrieben. Frenalgegend senkrecht gegen die
Stirngegend abgesetzt mit massig scharfem Canthus rostra-
lis. Schwanz nicht abgesetzt, Vs der Totallänge.
Kopfschilder. Die Bedeckungen des Vorderkopfes
erinnern entfernt an die zerklüftete Form der Kopfschilder
bei einigen Trigonocephalus-Arten. Sie bestehen aus glat-
ten, grösseren, schildähnlichen Stücken, die eine symme-
trische Anordnung erkennen lassen. Rostrale dreieckig,
nicht in die Höhe vorragend. Die Superciliaria sind oval,
gross, schwach gewölbt, ihre Länge gleich der Entfernung
ihrer Innenränder von einander. An sie schliessen sich an
jeder Seite der Schnauzengegend zwei kleinere Canthus-
schilder an, die zusammen so lang sind, wie ein Superci-
liarschild. Das vordere derselben ist von der die Ober-
fläche der Schnauze gerade erreichenden Spitze des Rostrale
durch die ebenfalls heraufreichende obere Ecke des Prae-
nasale getrennt. — Hinter dem Rostrale und zwischen
diesen zwei Paaren Canthusschildern liegen zunächst zwei
Reihen ganz kleiner rundlicher Schilder (Schuppen); zu
der ersten gehören 2 winzige Schildchen, von denen sich
eines jederseits aussen an die Spitze des Rostrale anlegt,
die also durch letztere von einander getrennt werden; die
zweite Reihe besteht aus drei wenig grösseren Schuppen,
die sich quer von einer Seite zur anderen hinüberziehen.
Auf diese zwei Reihen winziger Schildchen folgen zwischen
den Canthusschildern zwei Reihen grösserer, die erste Reihe
zwei, die zweite drei symmetrische Schilder enthaltend;
man könnte dieselben je als Internasalia und Praefron-
talia aufpassen.
Ein grösseres sechsseitiges Schild (Frontale?) liegt
in der Mitte zwischen den Superciliaria, von letzteren wie
von den Praefrontalia durch einen Kranz kleiner glatter
Schildchen getrennt. Das Frontale ist etwa halb so gross
wie ein Superciliare; ihm folgt ein kleines, wie eine ab-
getrennte hintere Spitze erscheinendes fast dreieckiges
Schildchen. Letzterem folgen wieder zwei Paare grösserer
symmetrischer Schildchen, die man den Parietalia der Go-
lubriden vergleichen könnte.
Die vor und zwischen den Superciliaria gelegenen
220 J. G. Fischer:
Schilder und Schildchen sind glatt, ohne Rauhigkeiten und
Kiele, ebenso das erste Paar der eben mit den Parietalia
verglichenen. Die hinter den Superciliaria folgenden Schup-
pen sind je mit einem nicht ganz bis an ihr Ende reichen-
den Kiele versehen.
Von den Seiten schildern des Kopfes sind die zwei
Nasalia von ungleicher Grösse; das vordere ist das
grössere und erreicht die obere Schnauzenfläche zwischen
Rostrale und erstem Canthusschildchen. Zwischen ihm und
einem oberen grösseren 5eckigen Anteokulare erstreckt sich
ein grösseres 5seitiges Frenale. Auf drei Reihen kleiner
Postokularia folgen längs der letzten Supralabialia vier
bis fünf sechsseitige ungekielte Schläfenschuppen. Die
Supralabialia (links 10, rechts 9) sind von der Begren-
zung sowohl der Grube als der Orbita, von letzterer durch
zwei Reihen Schildchen ausgeschlossen. Von den Infra-
labialia (links 11, rechts 9) stossen die des ersten Paares
breit an der Kinnfurche zusammen; die der ersten vier
Paare stehen mit dem ersten Paare der Kinnfurchenschil-
der in Berührung.
Schuppen lanzettlich oval, in 21 Längsreihen, nach
den Seiten herab grösser werdend; alle gekielt mit Aus-
nahme derjenigen der äussersten Reihe. Bauchschilder
(146) wenig heraufgebogen. Anale und Schwanzschilder
(34) nicht getheilt.
Farbe. Grundfarbe der Oberseite olivenbraun. Auf
dem Rücken eine Reihe grosser rhombischer dunkelbrauner
Flecke (36 bis zur Aftergegend, 4 auf dem Schwänze), die
mittelsten 7 Schuppen reihen einnehmend; meist (nament-
lich in der vorderen Körperhälfte) sind die beiderseitigen
Hälften dieser Flecke gegen einander verschoben, wodurch
an diesen Stellen eine Zickzackbinde entsteht. An den
Seiten, r;den seitlichen Spitzen jener Rhombenflecke gegen-
über, eine denselben entsprechende Zahl unregelmässig
dreieckiger, mit den Spitzen nach unten gerichteter, dun-
kelbrauner Flecke ; diese erstrecken sich über die äusseren
5—6 Schuppenreihen, so dass zwischen ihnen und den
Spitzen der Rückenrhomben 1 — 2 Schuppenreihen (die 6.
und 7.) die Grundfarbe zeigen. Kopf oben braun; vom
Neue Reptilien und Amphibien. 221
Auge erstreckt sich eine breite schwarze Binde nach hinten,
streift die oberen Theile der letzten drei Supralabialia, ver-
läuft seitlich am Anfang des Halses, und löst sich nach der
11. Schuppe in einzelne Flecken auf, die in ihrem Zu-
sammenhange die vorhin erwähnte seitliche Fleckenbinde
bilden. — Seitenfläche und Unterseite des Kopfes weiss-
grau, schwarz getüpfelt und marmorirt. Vor dem Auge
am hinteren Theil des vierten Supralabiale, ferner unter
der Grube an der Grenze des zweiten und dritten Labiale,
ebenso an der Grenze von Rostrale und erstem Labiale
gehen schwarze Binden zum Mundrande. Aehnliche Zeich-
nungen finden sich an den Grenzen des ersten und zweiten,
des vierten und fünften, des siebenten und achten Infra-
labiale, so wie an dem hinteren Theile des zw^eiten
Kinnfurchenschilderpaars. — Bauchseite vorn weisslich,
schwarz gepulvert; vom fünfzehnten an trägt jedes Bauch-
schild einen kleinen viereckigen Fleck, welche Quadrate
jedoch mehr oder weniger gegen einander verschoben sind
und keine zusammenhängende Längsbinde bilden. Die
schwarze Bestäubung der Bauchschilder nimmt nach hinten
mehr und mehr überhand, die quadratförmigen Flecke ver-
lieren sich in derselben, und vom letzten Drittheil an er-
scheint der Bauch vorwiegend schwarz mit weisser Be-
stäubung. Die Unterseite des Schwanzes ist in der ersten
Hälfte einfarbig schwarz, wird allmälig heller und schliess-
lich einfarbig gelb.
Maasse: Totallänge 0,327 m; Schwanz 0,04 m.
Fundort. Ein Exemplar aus Guatemala. Dasselbe
steht (Nr. 1943) im Kön. Hof-Naturalienkabinet zu Stuttgart.
Thamnocenchris (T. aurifer) Salv. (Ann. u. Mag. N.
H. 1861, VII, 325), ebenfalls aus Guatemala, hat den Vor-
dertheil des Kopfes auch mit Schildern bedeckt, diese
sind aber unregelmässig, und nicht symmetrisch geordnet,
auch sind bei dieser Art Körper und (Greif =) Schwanz
stark zusammengedrückt, und das 2. Supralabiale bildet
den Vorderrand der Gesichtsgrube; Schuppen in 19 (bei
scutigera in 21) Längsreihen.
Bei Bothriechis godmanni Gnth. (Ann. u. Mag. N. H.
1863, V. 12, pag. 364 aus Guatemala) sind die grösseren
222 J. G. Fischer:
Schilder des Vorderkopfes unsymmetrisch geordnet und
theilweise gekielt, Färbung abweichend.
Bothriechis nnmmifera Rüpp.
Var. notata Fisch.
Tafel VIII, Fig. 10, 11, 12.
Schuppen des Mittelkopfes hinter der Augengegend
grösser, undeutlich sechseckig; von diesen die zwei mitt-
leren neben einander liegenden durch einen schwarzen weiss-
gesäumten Fleck ausgezeichnet. Ein schwarzer Fleck je auf
der Grenze des dritten und vierten und einiger der folgenden
Lippenschilder. (Nach Dumeril und Bibron sind bei
ihrem Atropos mexicanus: les l^vres blanches et sans
taches.)
In anderen Punkten mit den Beschreibungen und Ab-
bildungen von Günther (Ann. u. Mag. 1863, 3. Ser. Vol.
11 pg. 25, PI. III. flg. C), Dumeril und Bibron (Erp^t.
g6n. VII, 1521; pl. 83 bis, Fig. 1 und 2) übereinstimmend:
25 Schuppenreihen : 132 Bauchschilder, ein einfaches Anale,
36 ungetheilte Schwanzschilder. Superciliaria schmal, obere
Schnauzenschuppen stark gekielt und grösser als die zu-
nächst folgenden; Gegend zwischen und vor den Augen
konkav. •
Auch das hier bemerkte Exemplar stammt aus Guate-
mala; Nr. 1967 der Sammlung des Kön. Hofnaturalienka-
binets zu Stuttgart, von Hrn. F. Sarz in Coban gesammelt.
Chrysopelea viridis Fisch.
Tafel IX, Fig. 13—17.
Sl. 17; 0'. 1—2; L. 7io; T.2-f2 + 2; V. 202; A.'A; Sc. ^^Vg.
(Hinterer Oberkieferzahn gefurcht.) Sehr schlank. Die
Schuppen der mittelsten Reihe rhombisch, nebst denen der
einen beiderseits darangrenzenden Reihe stark gekielt, die
Neue Reptilien und Amphibien. 223
Übrigen glatt, dacliziegehinig gelagert. — Einfarbig grün,
unten heller: Kanten der Bauchschilder sehr deutlich,
schwarz markirt.
Beschreibung.
Körperform. Sehr schlank, Schwanz mehr als Vs der
Totallänge. Kopf lang, abgesetzt; Stirn etwas konkav,
Schnauze flach. Bauch an den Seiten scharfkantig.
Kopfschilder. Rostrale breiter als hoch, die obere
Schnauzenfläche erreichend. Internasalia so lang wie
breit, unregelmässig viereckig. Praefrontalia wenig
länger, merklich breiter als vorige, seitlich herabgebogen,
vom Superciliare bis auf einen Punkt durch das Anteoku-
lare getrennt. Frontale fünfeckig, länger als die vordere
Praefrontalnaht, nach hinten stark verschmälert, mit ein-
gebogenen Seitenrändern.
Supercilaria gross, gewölbt, fast so lang wie das
Frontale. Parietalia breit, jedes vorn eben so breit wie
lang; ihre gemeinschaftliche Naht gleich der Länge des
Frontale. Von den neun Supralabialia ist das 6. das
grösste; das 5. und 6. treten an die Orbita. Temporalia
2 + 24-2, das untere der ersten Reihe sehr klein, auf
der Grenze des 6. und 7. Labiale stehend, das obere der-
selben Reihe grösser, mit beiden Postokularia in Berührung.
Zwei Nasal ia, vorderes grösser; F renale schmal, lang,
auf dem dritten und der Hälfte des zweiten Labiale
ruhend. Anteokulare gross, mit der oberen Spitze auf
die Stirnfläche heraufgebogen und die äusserste Vorderecke
des Frontale beinahe berührend. Infralabialia zehn,
die des ersten Paares an der Kinnfurche zusammenstossend,
die der ersten sechs Paare mit Kinnfurchenschildern in
Berührung. Von letzteren sind die des ersten Paares lan-
zettförmig und wenig grösser als die des zweiten. Zwischen
diesen und dem ersten Bauchschilde liegen drei Reihen
lanzettförmiger Schuppen.
Körperschuppen in 17 Längsreihen, die der mittelsten
rhombisch und wie die der benachbarten Reihe stark ge-
kielt. Die übrigen Schuppen glatt, schmal, länglich vier-
224 J- G. Fischer:
eckig, stark dachziegelartig geordnet, die der äussersten
Reihe rhombisch und sehr breit. Bauchschilder durch
eine scharfe Kante an jeder Seite in drei Theile geknickt,
von denen die äusseren der Seitenfläche des Körpers an-
gehören, die mittleren in ihrer Aufeinanderfolge die glatte
Bauchfläche bilden. Anale getheilt. Schwanzschilder dop-
pelt, ebenfalls an jeder Seite durch eine scharfe Kante
umgeknickt.
Farbe. Einfarbig grün, unten heller. An Stellen, wo
die Schuppen von einander gezogen sind, erscheint die
Haut schwarz. Lippenschilder und Kehlgegend gelblich.
Die helle Farbe der Lippen gegen das Grün des übrigen
Kopfes durch eine schmale schwarze Linie scharf abge-
setzt. Kanten der Bauchschilder schwarz, durch ihre Auf-
einanderfolge zwei feine schwarze Längslinien bildend.
Maasse: Totallänge 1,40 m; Schwanz 0,5 m.
Fundort: Tabukan auf Sangi. Das der Beschrei-
bung zu Grunde liegende Exemplar ward daselbst von
Herrn Dr. A. B. Meyer gesammelt. Es ist Nr. 871 der
Schlangensammlung des Kön. Zoolog. Museums in Dresden.
Dipsas subaequalis Fisch.
Tafel IX, Fig. 18—21.
Sl. 17; 0. 2-2;L. ^-^;V.226; A.l;Sc.^-^; T.H-H-2. .
Hinterer Oberkieferzahn lang, von den übrigen ge-
trennt, gefurcht. Schuppen der mittleren Rückenreihe wenig
grösser, als die benachbarten. Auge gross, Pupille vertikal.
Bauchschilder nicht gekielt. Anale einfach.
Beschreibung:
Form schlank, seitlich zusammengedrückt, Schwanz
V4 der Totallänge. Kopf breit, stark abgesetzt vom dünnen
Hals. Auge gross, sein Durchmesser fast gleich der Ent-
fernung seines Vorderrandes von der Schnauzenspitze.
Neue Reptilien und Amphibien. 225
Kopfschilder. Rostrale klein, wenig breiter als
hoch, nicht auf die Oberfläche der Schnauze heraufgebogen,
luternasalia fast dreieckig, seitwärts ein wenig zu den
Nasalia herabgebogen. Praefroutalia mehr als doppelt
so gross wie die vorigen, mit dem seitlich stark herabge-
bogenen Theile zwischen Postnasale und Anteokulare bis
zum Frenale reichend. Frontale fünfeckig, länger als
breit, mit konvergierenden, schwach eingebogenen Seiten-
rändern; Hinterränder die kleinsten, einen rechten Winkel
bildend. Parietalia gross, länger als das Frontale; Vor-
derrand bis zur Mitte des oberen Postokulare herabreichend;
Hinterränder nur wenig aus einander weichend, fast eine
grade Linie bildend. Super ciliare dreieckig, sehr breit,
hinten so breit wie der Vorderrand des Frontale. Nasale
einfach, das Nasloch in der Mitte. Frenale viereckig,
so hoch wie breit. Zwei Anteokularia, unteres klein,
auf dem dritten Labiale stehend, oberes hoch, auf die Stirn-
fläche heraufgebogen, nicht ganz an das Frontale reichend.
Zwei Postokular ia, unteres auf der Grenze des 5. und
G.Labiale ruhend. Temporalia 1 + 1 + 2, alle fast sechs-
eckig, das erste wenig grösser als die folgenden. Auf
das untere der dritten Reihe folgt längs dem Oberrande
des 8. Labiale ein rhombisches Schild von der Grösse des
vorhergehenden Temporale. Supralabialia acht, das 6.
und besonders das 7. die grössten, das 3., 4. und 5. die Orbita
von unten begrenzend. Zehn (rechts elf) Infralabialia,
die der ersten sechs Paare mit den Kinnfurchenschildern
in Berührung. Von letzteren sind die des ersten wenig
grösser als die des zweiten ; auf dieses folgen zwei Reihen
lanzettförmiger Schuppen bis zu dem ersten Bauchschilde.
Körperschuppen glatt in 17 Längsreihen, die der
mittelsten wenig grösser als die benachbarten, rhombisch
mit schwach abgestutzten vorderen und hinteren Spitzen;
die der seitlichen Reihen länglich rhombisch, neben ein-
ander (nicht dachziegelartig) geordnet, diejenigen der äus-
sersten Reihe kaum grösser, als die der darüberstehenden.
— Bauchschilder 226, an den Seiten heraufgebogen,
nicht gekielt. Anale einfach; Schwanz Schilder in 105
Paaren.
Archiv für Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. 15
226 J- G- Fischer:
Farbe. Einfarbig blaugrün ohne Abzeichen, unten
heller. An Stellen, wo die Schuppen oder die Bauchschil-
der auseinandergezogen sind, scheint die Haut schwarz
hindurch, die Schuppen netzartig umsäumend.
Maasse: Totallänge 1,05 m; Schwanz 0,25 m.
Ein Exemplar des Kön. Zoologischen Museums in
Dresden (Nr. 1040 der Schlangensammlung), von Hrn. von
Koppenfels für dasselbe gesammelt.
Bradiyorrhos albus Kühl.
Var. conjunctus Fisch.
Die Dresdener Sammlung besitzt fünf Exemplare dieser
Art, die, wie der von mir kürzlich beschriebene^) Oxy-
orrhos fusiformis aus Buru kein Anteokulare besitzen,
sondern bei denen ebenfalls, wie bei dem Stuttgarter Exem-
plar, das jener Beschreibung zu Grunde lag, das Praefron-
tale mit einem nach hinten ausgezogenen Zipfel die Orbita
und die Stelle des Anteokulare vertritt. Alle fünf- Exem-
plare (Nr. 11. 12. 220. 868. 887) stammen aus Ternate,
wo sie von Hrn. Dr. A. B. Meyer gesammelt wurden.
Ausserdem aber besitzt die Dresdener Sammlung noch ein
sechstes Stück, ebenfalls aus Ternate (Nr. 1023), bei dem
das Anteokulare, wie bei dem Typus, nicht mit dem Prae-
frontale verschmilzt. Es ist daher die Gattung Oxyorrhos
einzuziehen, und höchstens der Umstand, dass die erwähnte
Verschmelzung vorzugsweise an Stücken beobachtet wird,
die von einigen der kleineren Molukken stammen, dürfte
die Aufstellung einer besonderen Varietät rechtfertigen.
Ein dieser Varietät angehöriges ganz junges Exem-
plar der Dresdener Sammlung zeigt eine von der einfachen
Färbung aller Exemplare sehr abweichende, meines Wissens
noch nicht beschriebene Zeichnung:
Grundfarbe schwarz, oben und namentlich an den
Seiten mit vielen schmalen weissen, netzförmig verschmel-
1) Verh. Naturwiss. Vor. Hamburg 1279, 89.
Neue Reptilien und Amphibien. 227
zenden, winkeligen Querbinden, welche die Breite einer
Schuppe einnehmen. Bauchschilder mit vorderem schwarzem
Saum, der den grössten Theil des Vorderrandes einnimmt,
sich nicht bis zu deren äusseren Ecken erstreckt, sich aber
hin und wieder in einzelne Flecke auflöst. — In der
Mitte jedes Internasale und des Frontale ein weisser Fleck.
Lippenschilder und Schläfenschilder weiss, jedoch ein
schwarzer Fleck auf der Mitte der Schläfe. Kinn- und
Kehlgegend weiss, schwarz gesprenkelt.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel VIII. und IX.
Taföl VIII. Fig. 1 — 4. Caecilia polyzona Fisch, 1. Kopf von der
Seite; 2. Kopf von unten; 3. Kopf von oben; 4. Kör-
perende von unten.
Fig. 5—7. Caecilia natans Fisch. 5. Kopf von der
Seite ; 6. Hinterende von der Seite ; 7. Dasselbe von
unten; a. After; b. Hautsaum.
Fig. 8 — 9. Bothriechis scutigera Fisch.
Fig. 10 — 12. Bothriechis nummifera Rüpp. Var. notata
Fisch.
Tafel IX. Fig. 13—17. Chrysopelea viridis Fisch.
Fig. 18 — 21. Dipsas subaequalis Fisch.
Zur Kenntniss der Galeodiden.
(Tnfel X. Fig. 1—25.)
Von
Dr. F. Karsch,
in Berlin.
Veranlassung zur vorliegenden Abhandlung gab der
vor Kurzem erschienene „Essai d'une Classification des
Galeodes" von Eugene Simon (Ann. Soc. Entomol. Fr.,
5 ser., IX, 1879, pp. 93-154, PL 3). Die in diesem Auf-
satze niedergelegten Untersuchungen haben vielfach For-
men zum Gegenstande der eingehendsten Besprechung,
deren Typen das Berliner zoologische Museum besitzt.
Somit ist der vorliegenden Arbeit eine vorzugsweise kri-
tische Aufgabe gestellt, welche darin besteht, die Angaben
Simon's auf ihre Richtigkeit zu prüfen und diese Be-
sprechung bildet den ersten Theil ; aus dieser Untersuchung
ergaben sich alsdann ganz von selbst neue Gesichtspunkte
und die Darstellung dieser ist Aufgabe des zweiten Theiles.
Man wird aus jeder der beiden Abtheilungen zur Genüge
ersehen, dass wir erst am allerersten Anfange einer wissen-
schaftlichen Kenntniss der hier in Frage stehenden merk-
würdigen Thierformen uns befinden, jener so iüteressanten
Arthropodenformen, deren Wurzel im descendenztheoreti-
schen Stammbaume nach den neuesten Ansichten der Wissen-
schaft im Bereiche der niedersten Insekten zu suchen ist.
I.
Zu Simon's „Essai d'une Classification des
Galeodes" (1879).
Formell ist zunächst zu bemerken, dass die von
Simon vorgenommene Umtaufung des Gattungsnamens
Zur Keniitniss der Galeodiden. 229
SolpiKja in GaetuUa (loc. cit. pp. 107 — 108) aus zweien Grün-
den ungerechtfertigt erscheint.
Nachdem nämlich Oliv i er in Encyclopedie methodi-
que, VI, 1791, p. 578 seine Gattung Galcodes im Sinne
\ on Phalangium arancoides Pall. (1772) in Verbindung mit
seinem Galeoäes setifera (loc. cit. p. 579 u. 580) aufgestellt
hatte, errichtete, unabhängig von seinem Vorläufer, im
Jahre 1796 Lichtenstein im Catalogus Musei Zoologici
ditissimi Hamburgi, d. III. Februar 1796, Auctionis lege
distrahendi. Lectio Tertia. Continens Insecta. Hamburg,
1796, auf Grund seiner drei Arten fatalis^ aracJinodes und
clielicornis (1. c. pp. 216 — 218, nro. 4, 5 u. 6) seine Gattung
Solpuga, ohne indessen eine der drei Arten ausdrücklich
als Type der Gattung Solpuga zu bezeichnen. Solpuga
arachnodes Licht, ist mit Galeodes araneoides {P b.\\.) (und
Fabr. in Suppl. Entomol. Syst. Hafn., 1798, p. 294, 2 ad
partem) identisch, also ein echter Galeodes Oliv., während
hingegen Solpuga fatalis Licht, ein bisher zweifelhaftes
Thier, Solpuga chelicornis aber mit Solpuga jiibata C. L.
Koch (und araneoides (Fabr.), Ent. Syst., II, p. 431, 9,
1795, einer von araneoides (Pall.) verschiedenen Form ge-
ner isch zusammenfällt, von Simon sogar als eine und
dieselbe Art mit Solpuga setifera (Oliv.) und jiibata C.
L. Koch betrachtet wird (cf. loc. cit. p. 109). Solpuga
Licht, umfasst also schon in den beiden Arten arachno-
des und chelicornis verschiedene Gattungselemente, ist er-
stens Galeodes Oliv. ex. p. und zweitens Gaetidia Sim.
Auf den zu den Lichten st ein 'sehen Typen im
Berliner Museum gehörigen Signaturen findet sich zu
den männlichen C. L. Koch'schen Typen der Solpuga
juhata^ welche nicht als Synonym zu GaetuUa setifera
(Oliv.) Sim. gehört, „S. chelicornis, Fabr. Licht. — Oliv.?"
und „Ä africana Licht. $" vom Pr. b. sp. citirt; das
Synonym „S. fatalis F. ? Licht.?" findet sich auf einer
zu mehreren (3) weiblichen Exemplaren einer Solpuga le-
talis M. S. genannten Form gehörigen Signatur; unzweifel-
haft hat eines der Exemplare dem C. L. Koch bei Be-
schreibung und Darstellung seiner Solpuga letalis (1842
und 1848) vorgelegen, so dass also Solpuga letalis als S.
230 F. Karsch:
fatdlis in Zukunft zn bezeichnen sein wird; das zu fatdlis
gehörige, von Koch als letalis recht gut und bündig be-
schriebene Männchen wird unter der Signatur Prom. b. sp.
im Berliner Museum als „ä araneoides Fabr. Ent." irrthüm-
lieh bezeichnet — alles entscheidende Gründe, dass man
sich durch die Vaterlandsangaben der älteren Autoren nicht
darf irre führen lassen!
Wenn man nun dieser Darstellung entsprechend Ga-
leodes Oliv, im Sinne seiner beiden Arten in zwei Gattun-
gen spaltet, als deren Typen man einerseits G. araneoides
(Pall.) Oliv, (ünguibus setulosis ; tarsis pedum 4. paris
triarticulatis ; = Galeodes (Oliv.) s. str.) und anderseits
G. setifera Oliv, (ünguibus glabris; tarsis pedum 4. paris
Septem articulatis; = Solpuga (Licht.) ad part. spec.)
betrachtet; so ist, da Gal. setifera mit Solpuga chelicornis
Licht, generisch zusammengehört, und da letzterer Merk-
male, falls unsere Deutung richtig ist, auch der Solpuga
fatdlis Licht, zukommen, nicht der geringste Grund vor-
handen, die Gattung Solpuga Licht. (1796) aufzugeben . .
am wenigsten aber ein Grund, sie neuerdings mit E.
Simon: Gaetulia (im Nov. 1879: Caerellia) zu taufen, da
dieser Name bereits 1864 von Stäl an eine Hemipterengat-
tung vergeben wurde (cf. Stett. Entomol. Ztg. XXV, p. 54). —
Eine umfassendere systematische Bearbeitung erfuhren
die Galeodiden erst im Jahre 1842 durch C. L. Koch's:
„Systematische Uebersicht über die Familie der Galeoden"
im Archiv für Naturgeschichte, VIII, 1, pp. 350—356, wo-
selbst neben den alten Gattungen G^a?eo(^e5 (Oliv.), Solpuga
(Licht), Bhax Hermann, die beiden neuen Gattungen Ael-
lopus (= Ilexisopus Karsch, 1878 — 9) und Gluvia aufge-
stellt worden sind. Vorzugsweise diese letztere Gattung
wurde so falsch diagnosirt und es fanden die in derselben
untergebrachten Arten eine so mangelhafte Beschreibung
im Detail, dass es unmöglich ist, ohne Ansicht der Koch'-
schen Typen auch nur eine einzige der 7—9 Arten mit
einiger Wahrscheinlichkeit zu deuten. Wenn daher E.
Simon es unternahm, ohne Ansicht derselben einen „Essai
d'une Classification des Galeodes" zu geben, so kann es nicht
wohl Wunder nehmen, dass vielerlei Irrthümer mit unter-
Zur Kenntniss der Galeodiden.
281
liefen, welche die in Betreff der Artenkenntniss der Galeo-
diden herrschende Confusion mindestens nicht vermindert
haben.
Koch also diagnosirt die Gattung Gluvia dahin:
„Die Tarsen aller Beine ohne Abtheilung in Gelenke, das
Tarsenglied dünn und lang; das Endglied der Taster frei
und deutlich" (loc. cit. p. 355). Gemäss den typischen Exem-
plaren im Berliner Museum lassen sich, obwohl sie in ge-
trocknetem Zustande sind, mit leider nur theilweiser Ge-
wissheit die folgenden Gliederzahlen der Tarsen der Beine
ermitteln :
An einem Beine des
bei praecox C. L. K o c h ^
„ gracilis
$
„ geniculata
?
„ striolata
?
„ formicaria
?
„ einer ascens
<^
„ elongata
^
IL
III.
IV.;
2
2
4
?
2
3
3
3
1?
1?
<j>
CD a>
Auch Gluvia minima C. L. Koch, von welcher das
hiesige Museum drei (übrigens nicht typische) nicht beson-
ders erhaltene Exemplare aus Andalusien besitzt, scheint
am hintersten Beinpaare dreigliedrige Tarsen zu besitzen,
also nicht zu Gluvia C. L. Koch im Sinne seiner Dia-
gnose, d. h. nicht zu Gluvia E. Sim. zu gehören.
Simon hat nun die Koch'sche Diagnose festgehalten,
indem er sie mit den darin von Koch gebrachten Arten
sich deckend glaubte und aus den beiden von ihm gedeu-
teten Koch' sehen Arten: Gluvia striolata und geniculata
zwei besondere Gattungen gebildet, die er als Gluvia und
Batames scheidet. In wie fern er berechtigt ist, gerade
G. striolata als typische Art der Koch'schen Gattung Glu-
via aufzufassen (cf. loc. cit. p. 127), darüber gibt er keine
Auskunft; jedoch entspricht, ob Simon's Deutung nun
richtig ist oder nicht, der angegebene Gattungscharakter
der Eingliedrigkeit der Tarsen der drei hintern Beinpaare
ohne Frage vollkommen der von Koch für Gluvia gege-
benen Gattungsdiagnose. Eine Frage bleibt es aber, ob
seine speci fischen Deutungen richtig sind.
232 F. Karsch:
Für Gluvia stridlata erscheint die Irrthümlichkeit der
Deutung schon deshalb ausgemacht, weil, der Tabelle zu-
folge, das typische Exemplar 3 Tarsenglieder am 4. Bein-
paare zeigt: dieBezahnung der Mandibeln, sowie die übrige
Beschreibung Simon's entspricht sonst ziemlich genau den
in weiblichen Exemplaren vorliegenden Stücken.
Datames geniculatus Simon hat indessen mit Gluvia
geniculata C. L.Koch durchaus gar nichts zu thun, weder
die Bezahnung der Mandibeln (loc. cit. PI. 3, Fig. 25),
noch die Beschreibung Simon's entspricht im geringsten
einem der vier Exemplare der Koch'schen Type; der
Kopftheil des Cephalothorax ist z. B. nicht „sans strie
mediane^ (loc. cit. p. 138), sondern mit deutlicher Mittel-
längsfurche versehen. Für Datames geniculatus Sim. wird
also ein neuer Artname eintreten müssen, den zu geben
dem Autor selber überlassen bleibe.
Gluvia geniculata C. L.Koch stimmt mit Gluvia fur-
cillata E. Sim. im Zahnbau ziemlich überein, kann aber
wegen der Dreigliedrigkeit der Tarsen des hintersten Bein-
paares weder in die Gattung Gluvia im Sinne der Koch'-
schen Diagnose, noch zu Gluvia Sim. gehören. Nach
meinem Dafürhalten wäre sie mit Gluvia striolata Koch
in der Gattung Cleobis Sim. unterzubringen, worauf schon
der allgemeine Habitus, der vorn vorgezogene Kopf, die
compresse Form der Schenkel IV hindeuten.
Es entsteht hier nur noch die eine Frage, welche
der von Koch unter Gluvia gebrachten Arten ist nun als
Type seiner Gattung aufzufassen? Eine Frage, welche
bei dem gegenwärtigen Stande der Kenntniss der Galeodi-
den leider noch unentschieden bleiben muss, wenn man
die Ergebnisse der Tabelle in's Auge fasst. Wenn Simon,
indem er Gluvia fornicaria $ und cinerascens cT ^^ seine
Gattung Datames brachte, der Natur entsprechend handelte,
so müsste für Datames Sim. alsdann Gluvia (C. L. Koch)
nach den Gesetzen stabiler Nomenclatur wieder eintreten
und Gluvia Sim. durch einen neuen Namen ersetzt
werden, vorausgesetzt, Gluvia elongata (C. L. Koch), an
deren typischem Exemplare die Tarsen IV nicht mehr vor-
handen sind, gehöre zu Gluvia im Sinne der Diagnose C.
Zur Kenntniss der Galcodidcu. 233
»
L. Koch's, und in der That scheint auch diese Art dahin
zu gehören und zwar ein Datamcs Sim. zu sein.
Diese Zweifel sind, wie man einsieht, selbst mit
Hülfe der Typen nicht lösbar und muss ich ihre Beseitigung
der Zukunft überlassen. —
In seine Gattung JDatames (= ? Gluvia C. L. Koch,
nee Sim.) bringt Simon von den Koch'schen Arten aus-
ser den genannten noch Gluvia praecox und Gluvia gracilis.
Gemäss der obigen Tabelle gehören aber beide Arten
gewiss nicht dahin.* Praecox und gracilis bilden viel-
mehr die Typen zweier neuen Gener'a: Gluvia gracilis
unterscheidet sich von Cleohis Sim. nicht nur durch die
Zweigliedrigkeit der Tarsen des dritten Beinpaares, son-
dern noch dadurch, dass die Schenkel IV dünn, nicht
compress, die Krallen II, III und IV sehr klein und fein,
das mittlere zweite Tarsalglied IV so lang als das letzte
(dritte) ist (cf. bei Cleohis PI. 3, Fig. 37 Simon's) sowie
durch die einigermassen an Mummucia erinnernde Be-
zahnung der Mandibeln, welche Merkmale in ihrer Ver-
einigung eine eigene Gattung Zerhina zu bilden be-
rechtigen.
Gluvia praecox zeigt Merkmale in der Tarsalbildung,
welche keiner der von Simon aufgestellen Gattungen
eigenthtimlich sind. Das typische Exemplar ist ein Männ-
chen. Es stimmt in dem genannten Merkmal mit weib-
lichen Exemplaren einer von Dongolah vorhandenen Galeo-
dide überein, welche gleichwohl generisch von praecox
verschieden zu sein scheint. Die genannten Arten charak-
terisiren sich nun generell in folgender Weise:
Zerhina, nov. gen.
Tarsus 111^=2-, I V=3-articulatus ; cephalothorax antice
rubrectus, tuber oculorum crassum; femora IV tenuia, non
compressa, unguibus IL, III. et IV. paris pedum parvis et
tenuibus, articulis tarsorum IV duobus ultimis aequa longi-
tudine, in genere Galeodes tribus articulis versus apicem
gradatim longioribus, in genere Cleohis medio brevissimo
et annulari, primo et tertio aequa fere longitudine.
Spec. typ.: Z. gracilis (C. L. Koch) ?.
234 , F. Karsch:
Daesia, nov. gen.
Tarsus II et III — 2-, IV = 4- articulatus; metatar-
sus pedum maxillarium subtus spiuosus (saltem in (/).
Spec. typ.: D. praecox (C. L. Koch) J".
Bitofij nov. gen.
Tarsus II et III = 2-, IV = 4- articulatus; metatarsus
pedum maxillarium non spinosus, pilis setiformibus longio-
ribus et brevioribus circum vestitus (saltem in ?). Cepha-
lothorax margine anteriore subrectus, paullo productus;
pedes IV longi, femoribus latioribus compressis.
Spec. typ.: B. Ehrenbergii, nov. spec. $.
Es sei hier gleich die Diagnose einer neuen Gattung
angereiht, über deren Verwandtschaft ich nicht ganz in's
Klare kommen konnte, da die Tarsaltheile der Beine des
vierten Paares nicht wohl alle erhalten sind.
GnosippuSj nov. gen.
Tarsus II et III = 1-articulatus ; tarsi pedum IV.
paris articulus singulus tantum tenuis perlongus unguibus
carens conservatus est. Coxae IV. paris pedum valde elon-
gatae, femore vix breviores; mandibularum dens fixusantice
furcatus, intus flagello brevi subsemilunari instructus.
Spec. typ.: G. Klunzinger% nov. spec. (^.
E. Simon beabsichtigte, gegenüber der „künstlichen"
Eintheilung C. L. Koch's nach der blossen Zahl der Tar-
salglieder, die weder von Gervais, noch von Dufour
angenommen worden, eine „natürliche" Classification der
Galeodiden zu liefern, indem er andere Merkmale, die bis-
her vernachlässigt waren, in den Bereich seiner Unter-
suchung zog, aber merkwürdigerweise gleichzeitig die
Hauptmerkmale Koch's z. Th. verwarf; allein nach dem
Ergebnisse der vorausgegangenen Untersuchungen ist die
Zeit zur Schöpfung einer natürlichen Eintheilung noch
lange nicht reif; es ist noch viel zu wenig bekannt und
das Bekannte noch viel zu oberflächlich erforscht, und da-
her möchte eine auf einfachste und möglichst wenige
Merkmale gebaute, noch so künstliche Eintheilung practi-
Zur Kcuutniss der Galeodiden.
235
scheren und dadurch eben auch wissenschaftlicheren Nutzen
haben, als alle auf ein viel zu ungenügendes Material auf-
gebauten sogenannten natürlichen Classificationen. Simon
hat allerdings Merkmale von Bedeutung hervorgehoben,
die Koch und seine Nachfolger ausser Acht gelassen hat-
ten, v^ie z. B. die Bildung des Augenhügels, den Bau der
Respirationsöifnungen etc., allein er hat dafür andere wie-
der unbeachtet gelassen, die ebenso wichtig erscheinen, z.
B. die Tarsalbildung der Beine des zweiten und des dritten
Paares. Dadurch leidet seine schöne und bahnbrechende
Arbeit über die Galeodiden an einem entschiedenen Mangel,
welcher in der nachstehenden Tabelle, auf der die mir nicht
aus eigener Anschauung bekannten Gattungen mit einem *
versehen sind, unangenehm auffällt. Diese Tabelle greift
nämlich auf das ursprüngliche Eintheilungsprincip C. L.
Koch's zurück.
Tarsalgliederzahl der drei hintern Beinpaare
bei den Galeodidengattungen:
IL III. IV. Paar.
Solpuga Licht.
4v
4
7
(=Caerellia-\- Gaetulia Sim.)
*Zeria Sim.
7
Daesia nob.
2
2
4
Bit 071 nob.
2
2
4
Galeodes (Oliv.)
2
2
3
Zerhina nob.
?
2
3
Cleobis Sim.
1
1
3
*Mummucia Sim.
3
Gliwia Sim.
1
(nee C. L. Koch
j
?in part. spec.)
Datames Sim.
1
1
1
(= ? Ghwia C. L.
Koch).
Gylippus Sim.
1
1
1
*Dinorhax Sim.
1
Bhax Herrn.
1
1
1
Ueooisopus Ka r s c h .
1
1
1
{^Aellapus C. L.Koch.)
Gnosippus nob.
1
1
?
236 F. Karsch;
Man Übersieht sogleich, wie viel WisseDSwerthes die
Tabelle noch zu wünschen übrig lässt.
Als Abschluss des ersten Theiles lasse ich nun eine
Anzahl Thesen folgen, welche einige Angaben Simon's
auf Grund der Koch'schen Galeodidentypen des Ber-
liner Museums beleuchten, sowie auch das im voraufgehen-
den weitläufiger erörterte kurz recapituliren :
1. Galeoäes leucoi^haeus C.L.Koch gehört als Männ-
chen zu Galeoäes Scolaris C. L. Koch, welchem Namen
die Priorität gebührt.
2. Solpuga jubata C. L. Koch ist eine von Gaetitlia
setifera (Oliv.) Simon verschiedene Art, was aus der Ver-
gleichung der Mandibularbezahnung und der Bildung des
Flagellums beider ersichtlich ist.
3. Solpuga chelicornis Licht, gehört als Synonym zu
Solpuga jubata C. L. Koch und nicht zu Gaetulia setifera
(Oliv.) Simon; die Art muss also den Namen Solpuga
chelicornis Licht. (1 796) führen. Solpuga africana Licht.
ist eine phantasievolle weibliche Form derselben Art.
4. Gaetulia 'Vincta Sim. ist nicht identisch mit Sol-
puga vincta C. L. Koch, sondern eine eigene Art, für
die diQY ^2imQ Solpuga producta nov. nom. eintreten möge.
Man vergleiche die Darstellung der männlichen Mandibeln
beider. Solpuga hadia C. L. Koch ($), und rufescens id.
( $ ) sind wohl nur blosse Synonyma zu Solpuga vincta id. (^).
5. Zu Solpuga fatalis Licht., $, welche von Simon
(cf. loc. cit. p. 106) als zweifelhaft bei Galeoäes unterge-
bracht wird, gehört Solpuga lethalis C. L. Koch, cT und
$, als Synonym.
6. Solpuga flavescens C. L. Koch ($) ist dem typi-
schen Exemplare zufolge, an dem die Palpen einfarbig gelb
sind, eine von Gaetidia nigripalpis (Du f.) Sim. verschie-
dene Art; das cT dieser letzteren besitzt nach Simon's
Zeichnung grosse Aehnlichkeit mit Solpuga fatalis h'K^ht;
Solpuga fusca (J", $), lateralis (cf ) und lineata C. L.
Koch ((f) sind sehr leicht unterscheidbare Formen, wie
die Darstellung der Mandibularbezahnung und des männ-
lichen Flagellums veranschaulicht; die Type der Solpuga
hirtuosa C. L. Koch besitzt das Berliner Museum nicht.
Zur Kenntniss der Galeodiden. 237
7. Solpuga Merope (Sim.) steht der Solpuga fusca
C. L. Koch nahe; Soljnif/a dentatidens (^im.) der So^niga
lateralis C. L. Koch.
8. Gluvia striolata C. L. Koch gehört nicht als Syno-
nym zu Gluvia dorsalis (Latr.) Sim., sondern ist wahr-
scheinlich ein Cleohis Sim.
9. Datames genimlatiis '^\m. hat mvi Gluvia geniciäata
C. L. Koch nichts als den Namen gemeinsam; diese ist
ein Cleohis Sim., jene Art muss einen neuen Namen erhalten.
10. Gluvia praecox und gracilis C. L. Koch fallen
vollständig aus dem Rahmen der Gattung Gluvia im Sinne
ihrer Definition; jede von ihnen bildet den Typus eines
neuen Genus, das von Datames Sim., in welche Gattung-
Simon beide Arten bringt, durch viele Merkmale ge-
trennt ist.
11. Gluvia formicaria C. L. Koch möchte das $ der
Gluvia einer ascens C. L. Koch darstellen, in welchem
Falle der letztern Benennung die Priorität gebührte. —
Gluvia formicaria^ cinerascens und elongata C. L. Koch,
möchten sammt und sonders der Gattung Datames Sim.
angehören, in welchem Falle Gluvia (C. L. Koch) dafür
eintreten und Gluvia Sim. einen neuen Namen erhalten
muss gemäss den Gesetzen stabiler Nomenclatur.
12. Rhax impaxida C. L. Koch ist ein echter (junger)
Bhax Herrn., kein Dinorhax, wie Simon loc. cit., p. 124)
verrauthet.
13. Die in Stett. Entomol. Ztg. XL, 1879, p. 108, Nro.
7 beschriebene Gluvia Martha $ , muss in der Gattung
Cleohis ^im. ihren Platz erhalten; daselbst wurde p. 109
bereits für AHlopus C. L. Koch (Hübner, Lep., 1816)
der Gattungsname Hexisopus vorgeschlagen.
IL
Neue oder minder bekannte Galeodiden.
1. Solpuga niassaj n. sp., </.
Eine der Solpuga vincta C. L. Koch (nee. Gaetidia
vincta Sim.) ähnliche Art, aber auffallend grösser, stäm-
238 F. Karsch:
miger und mit abweichendem Bau des männlichen Flagel-
him. Dieses ist etwas cylindrisch, kurz, über dem zweiten
Zahne eingelenkt, oben glatt, unten seitlich etwas gekerbt.
Leibeslänge über 30 mm, Beine sehr lang und stämmig.
Leibesfarbe gelbbraun, die Behaarung der Beine ist kurz,
wie es scheint indessen etwas abgerieben. Im Uebrigen
trägt die Art wie die folgenden die Charaktere des Genus. —
Vom N'yassi. — Typ.: M. B.
2. Sölpuga nasuta, n. sp., t», q.
Das Männchen dieser Art, zu dem ich das Weibchen
nur fraglich stellen kann, zeigt grosse Aehnlichkeit mit
der mir nicht aus der Anschauung bekannten Gaetulia
acicidata Sim., obwohl durch Bildung des Flagellums und
die Bezahnung der Mandibeln leicht unterscheidbar. Das
Flagellum zeigt nämlich oberhalb der bogigen Endkrüm-
mung einen scharfen, nach hinten gerichteten Zahn, wäh-
rend die umgebogene Spitze selbst viel weniger stark
ausgeschweift und weit weniger fadenförmig erscheint als
bei acicidata; der bewegliche (untere) Mandibularfinger
trägt überdies nicht 3, sondern nur einen einzigen abge-
rundeten Zahn, der unbewegliche (obere) 4 stark hervor-
ragende spitze, .je 2 und 2 getrennt; hinter dem vordersten
Zahn erhebt sich oberhalb das in seiner Länge dem der
aciculata entsprechende Flagellum. Leibeslänge ca. 25mm,
Leibesfarbe gelbbraun, die Beine mit sehr langer gelblicher
glänzender Behaarung. — Das grössere Weibchen von ca.
50 mm. Leibeslänge zeigt im Zahnbau Abweichungen,
welche, obwohl beide Exemplare von derselben Oertlich-
keit und demselben Sammler stammen, einen Zweifel an
der Identität beider aufkommen lassen; der obere Finger
trägt 3 starke, abgerundete wulstartige Höcker, deren hin-
terster am dicksten ist und fast dreitheilig erscheint; diesem
entspricht am unteren Finger eine von 2 erhabenen Wulst-
höckern begrenzte Vertiefung. Das einzige Exemplar ist
sehr beschädigt. — Von Zanzibar (Hildebrandt). —
Typ.: M. B.
Zur Kenntniss der Galcodiden. 239
3. Solpuga SchwcmfiirtJiij n. sp., ^, o.
Auch diese Art ist der Solpuga aciculata (Sim.) ver-
wandt in Bildung des Flagellum, gehört aber in die Ab-
theilung von producta nob. {vincta Sim.) und setifera
(Oliv.) Sim. Das in seiner Länge dem der aciculata
gleiche Flagellum zeigt an seinem hintern Ende nur eine
einfache Biegung nach unten, ohne sich wieder aufwärts
zu krümmen. Die 4 vorderen Zähne des oberen Fingers
der Mandibeln sind überdies länger und spitzer, der vierte
der stärkste, der dritte am schwächsten. — Das Weibchen
zeigt im Zahnbau keinerlei Abweichung. — Die Leibes-
länge beträgt 30—36 mm, die Giimdfarbe ist scherbengelb,
über die Oberseite der Mandibeln verlaufen je 2 braune
Längsstreifen und das Abdomen zeigt im Alkohol ein
schwärzliches verwaschenes Mittellängsband. — Aus Djur,
in Hütten (Schweinfurth). — Typ.: M. B. • -
4. Solpuga scopulata^ n. sp., n.
Die vorliegende, nur in einem weiblichen Exemplare
vorhandene Art würde ich hier zu beschreiben unterlassen,
wenn dieselbe nicht Merkmale böte, welche eine Wieder-
erkennung als möglich erscheinen Hessen. Denn es kann
nur zu fast unlösbaren Verwirrungen führen, wenn man
Arten auf ein Geschlecht gründet, das, wie die Weibchen
der Galeodiden, ganz im Gegensatze zu ihren meist sehr
leicht unterscheidbaren Männchen, nur schwer zu ermit-
telnde und manchmal der Variabilität unterworfene Eigen-
schaften darbietet.
Die Art ist besonders dadurch charakterisirt, dass
die Mandibeln und der Kopftheil mit schwarzen Haaren
bekleidet, die Palpen an der Tibia oben und innen, am
Metatarsus und Tarsus ringsum mit kurzen, weichen tief-
schwarzen Haaren scopulaartig bekleidet erscheinen. Der
obere Mandibularfinger trägt 4 starke Zähne, deren zweiter
am längsten, deren dritter der kleinste ist ; der untere be-
wegliche Finger zeigt zwei starke, spitze Zähne und einen
kleinen an der vorderen Basis des hinteren. An dem
einen Mandibel, nicht aber am anderen, ist der vorderste
240 F. Karsch :
Zahn des unteren Fingers an der Spitze deutlich getheilt.
— Die Leibeslänge beträgt ca. 50 mm. — Die Leibesfarbe
ist (lunkelscherbengelb, nur den Abdominalrücken zeichnet
ein tiefschwarzes, breites Längsband. — Von Hantam (Dr.
Meyerj. — Typ.: M. B.
5. Cleohis Cuhae (Luc), $, cf. Simon,
loc. cit., pp. 140—141, 3.
Das Männchen ist bislang unbekannt geblieben. Das
Berliner Museum besitzt es von der Insel Cuba. Die Be-
zahnung seiner Mandibeln, sowie die Form des Flagellums
ist Tafel X, Fig. 22 dargestellt. Andere wesentliche Un-
terschiede vom Weibchen ergeben sich nicht.
6. Biton Ehrenhergiy n. sp., $.
Da die Art einer neuen Gattung angehört, Männchen
dieser Gattung aber keine vorliegen, so bleibt nichts übrig,
als auf das Weibchen allein die typische Art der Gattung
Biton zu begründen. Der Kopf ist vorn nicht vorgezogen,
sehr viel breiter als hinten, der Augenhügel ziemlich hoch
und breit, unregelmässig borstenhaarig; die Mandibeln
wie bei Solpuga geformt und in der Bezahnung ohne ge-
nerelle Besonderheit. Die Palpen tragen eine ziemlich
lange, nicht sehr dichte, steife Behaarung, mit einzelnen
sehr langen Haaren untermischt; der Tarsus ist ziemlich
lang und deutlich abgesetzt, an der Basis etwas stielförmig
verdünnt. Die Tarsen des zweiten und dritten Beinpaares
bestehen aus zwei Gliedern, deren vorderes fast doppelt so
laug, als das Endglied ist; der Metatarsus führt ringsum
Stachelborsten, während derselbe am vierten Beinpaare nur
2 Paare solcher in der Endhälfte unterseits führt; an die-
sem Paare ist der Schenkel compress, an Cleohis Sim.
erinnernd, der Tarsus entschieden viergliedrig, die beiden
Mittelglieder ringförmig, klein, das Endglied fast nur halb
so lang als das Grundglied. Die Fussklaueu sind wie ge-
wöhnlich bei Solpuga gestaltet, schlank und ziemlich
kräftig. — Die Leibeslänge schwankt zwischen 20—26 mm.
— Die Leibesfarbe ist lehm- bis scherbengelb, ohne
sonderliche Auszeichnung.
Zur Kenntniss der Galeodiden. 241
Von dieser Art liegt ein trockenes $ Exemplar aus
Tor, Arabien, vonEbrenberg gefunden, vor, ein weiteres
weiblicbes Exemplar in Alkohol mit „Syrien" und „Egyp-
ten" fraglieb bezeichnet, ebenfalls von Ehrenberg, sowie
mehrere Weibchen aus Dongolah (Nubien) von Hart mann
im Berliner Museum.
7. Gnosippus Klunmnger% n. sp., J".
Diese leider nur in einem männlichen Exemplare vor-
liegende Form zeigt dadurch besonders eine sie von allen
bekannt gewordenen Arten sofort unterscheidende Beson-
derheit, dass das dem kleinen Trochanter voraufgehende
Grundglied der Beine des hintersten Paares eine auffällige
Verlängerung erlitten hat und zwar nur um weniges kürzer
als der entsprechende Scheukeitheil ist; das Grundglied
misst im vorliegenden Falle 6, das Schenkelglied kaum
7 mm, die Tibia 6,5, der Metatarsus ca. 5, 5, das erste
(allein noch erhaltene, klauenlose) Tarsalglied ca. 3 mm.
Die Leibeslänge beträgt mit Einschluss der Mandibeln ca.
20 mm. Die Mandibeln zeigen eine ein wenig mehr com-
presse Form, als gewöhnlich bei Solpuga z. B., und erin-
nern dadurch mehr an Cleohis. Die Beine des vordersten
Paares sind sehr lang und dünn, fast fadenförmig und viel
länger als die des zweiten Paares. Der Kopf ist vorn
ziemlich gerade, nicht vorgezogen, in der Rückenmitte der
Länge nach gefurcht, der Augenhügel niedrig, schmal, die
Augen ziemlich nahe beisammen; der obere Mandibular-
finger zeigt an der Spitze eine kurze Gabelung, welche
aus einem äusseren, spitzeren und einem inneren, stumpfen
Zahn besteht; am Innenrande trägt er zwei getrennte,
grössere Zähne, über dessen hinterem das bewegliche,
flache, kleine, fast halbmondförmige Flagellum angeheftet
ist, und im hinteren Theile noch drei kleinere Zähne; der
untere Finger besitzt drei sehr lange, starke, spitze Zähne,
von denen der vorderste etwas geschwungen erscheint. —
Das zweite Abdominalsegment ist durch den Besitz langer
Bauchfäden, analog den von E. Simon bei Galeodes und
Ghwia Sim. (loc. cit., p. 103) entdeckten Gebilden aus-
gezeichnet.
Archiv f. Natnrg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. 16
242 F. Karsch:
Herr Dr. Klunzinger hat die merkwürdige Art, die
sich, da die Extreraitäten nicht alle wohl erhalten sind,
im System nicht mit Bestimmtheit unterbringen lässt, in
Aegypten entdeckt. Das beschriebene, in Alkohol conser-
virte Exemplar wird im Berliner Museum aufbewahrt.
8. Gylippus quaestiuncuhis, nov. sp , ^.
Die in nur einem männlichen Stücke vorliegende
Form zeigt nur wenige, aber auffällige Abweichungen von
der bis nun einzig bekannten Art der merkwürdigen Gat-
tung, dem Gylippus syriacus Sim. Die Leibeslänge beträgt
18 mm, die Leibesfarbe ist ein dunkles Scherbengelb. Die
wesentlichsten specifischen Unterschiede von der verwandten
Art bestehen in folgenden Merkmalen: 1) An den Maxil-
larpalpen ist der Metatarsus (Tarsus Bertkau's) nach
dem Ende hin keulenförmig verdickt, das Schienenglied
ist in der Mitte am dicksten und der Schenkeltheil trägt
am untern Innenrande starke, in einer Längsreihe geord-
nete gelbe Stachelborsten. 2) Der eigenthümliche Anhang
unbekannter Function des unbeweglichen, oberen Fingers
der Mandibeln tritt stark hinter die Spitze des Fingers
zurück, ist senkrecht nach oben gerichtet und hat, von
vorn und hinten gesehen flach, von der Seite gesehen
genau die Form eines Fragezeichens im halbtransparenten
oberen Theile, während die transparente Basis stark nach
hinten verlängert erscheint. — Kübek (Leder er). —
Typ.: M. B.
Erklärung der Figuren auf Tafel X.
Fig. 1. Solpuga chelicornis Licht, {jiibata C. L. Koch). ^.
Mandibel mit dem Flagellura: linker aussen.
Fig. 2. Solpuga vincta C. L. Koch (nee. Sim.), ^; 2a. $.
Mandibel: rechter aussen ^, linker aussen $.
Fig. 3. Solpuga fatalis Licht, (letalis C. L. Koch). ^.
Mandibel : rechter aussen.
Fig. 4. Sölptiga flavescens C. L. Koch. $. Mandibel: rechter
aussen.
Zur Kenntniss der Galeodiden. 243
Fig. 5. Solpuga fusca C. L. Koch. ^,h?L. 5. Mandibel: links
aussen.
Fig. 6. Solpuga lateralis C. L. Koch. ^. Mandibel: linker
aussen.
Fig. 7. Solpuga Uneata C. L. Koch. ^. Mandibel: linker
aussen.
Fig. 8. Solpuga badia C. L. Koch. ^. Mandibel: linkerinnen.
Fig. 9. Solpuga rufescens C. L. Koch. $. Mandibel: rechter
aussen.
Fig. 10. Solpuga niassa Kar seh. (-^. Mandibel: rechter aussen.
Fig. 11. Solpuga nasuta Kar seh. ^ ; IIa, $. Mandibel;
linker aussen.
Fig. 12. Solpuga Schweinfurthi Kars eh. ^. Mandibel:
linker aussen.
Fig. 13. Solpuga scopulata Kar seh. $. Mandibel: rechter
aussen; 13a. erstes Bauchsegment.
Fig. 14. Gluvia striolata C. L. Koch. $. Mandibel: linker
innen; 14a. Kopfumriss.
Fig. 15. Gluvia geniculata C. L. Koch. $. Mandibel: rechter
aussen.
Fig. 16. Daesia praecox (L. C. Koch). ^. Mandibel ge-
schlossen: rechter aussen; a. rechter innen, bei geöffnetem Mandibel
16b. rechter innen, 16c. rechter aussen.
Fig. 17. Zerbinagracilis (C. L. Koch). $. Mandibel: linker aussen.
17a. Kopfumriss; 17b. Tarsus IV.
Fig. IS.Gluvia formicaria C. L. Koch. $. Mandibel : linker aussen.
Fig. 19. Gluvia cinerascens C. L. Koch. ^. Mandibel : rechter
aussen.
Fig. 20. Gluvia elongata C. L. Koch. </. Mandibel: rechter
aussen; 20a. Kopfumriss.
Fig. 21. Gleobis Martha Kar 8 eh. Q_. Mandibel: rechter aussen.
Fig. 22. Cleobis Cubae (Luc.) ^. Mandibel: rechter aussen ;
22a. rechter innen mit Flagellum.
Fig. 23. Biton Ehrenbergii Kars eh. $. Mandibel: linker aus-
sen; 23b. Tarsus III; 23c. Tarsus IV.
Fig. 24. Gnosippus Klunzingeri Kar seh. (^. Mandibel : rechter
innen mit Flagellum; 24a. aussen; '24b. linker innen; 24c. Spitze
des linken festen oberen Mandibularzahns von unten gesehen, 24d.
Flagellum vergrössert; 24e. Bein IV.
Fig. 25. Gylippus quaestiunculus Kar seh. (^ . Mandibel:
linker aussen.
Zur Kenntniss der Tarantuliden.
Von
Dr. F. Karsch
in Berlin.
Hierzu Tafel X, Fig. 26.
lieber meine in diesem „Archiv" Bd. XLV, 1, 1879,
pp. 189—197 abgedruckte „neue Eintheiiung der Tarantu-
liden (Pbrynidae aut.)" bat sieb Artbur Gardiner Butler
in einem kurzen Aufsatze, betitelt „Respecting a new Distinc-
tion between tbe Species of tbe Genus Pbrynus of Autbors"
in Ann. and Mag. of Nat. Hist., 5. ser., IV, 1879, Oct., no.
XXII, pp. 313—316, auf Grund des im Britisb Museum
befindlicben reicben Materiales ausgesprocben, indem er
zu dem Resultate gelangt, icb müsse entweder den
Metatarsus (Tarsus Bertkau's) als ein viertes
Tibialgliedbei meiner Gattung Cbaron aufgefasst
baben, in welcbem Falle die Gattung Phrynichus
nur auf dem Papiere existire; oder es sei das
nicht der Fall gewesen, und dann höre Charon auf
zu ex i stiren; und dieser letztern Auffassung pflichtet er
mit voller Ueberzeugung bei. Seine ganze Besprechung
hat nur die einzige Bemerkung von entschiedenem Werth
aufzuweisen, dass nämlich „Fhrynus Grayi^' Gervais' ge-
mäss dem typischen Exemplare im British Museum nur
ein einziges Hinterschienenglied besitze. Im Falle
diese Angabe richtig wäre — was ich nicht umhin kann,
mit Entschiedenheit zu bezweifeln, — so gehörte „Phrynus
Grayi^^ Gervais allerdings in die Gattung Dämon nob.,
wohin auch Butler sie stellt. Wenn aber Butler weiter
folgert, die Gattung Charon müsse eingehen, so ist das
durchaus unlogisch, denn sie ist auf Phrynus medius
F. Kar seh: Zur Kenntniss der Tarantiiliden. 245
Hoeven begründet, und von Hoevens Abbildung eines
Beines des vierten Paares seines Phrynus medms, den er
irrtbümlicb mit Fhalangium medium Herbst idcntificirte,
bat Butler offenbar keine Notiz genommen, wie er über-
baupt keinen Repracsentanten dieser Gattung als solcben
erkannt bat. Wenn icb Phrynus meclius Hoeven mit
Phrynus Grayi Gervais fälscblicb identificirte, so
verfübrte dazu erstens die, abgeseben von den Verbältnissen
der Tibialtbeile des bintersten Beinpaares, deren Gervais
überbaupt nicbt Erwäbnung tbut, genau übereinstimmende
Bescbreibung; zweitens die gleiche Herkunft (Manilla),
drittens der Umstand, dass ein mit Embryonen gefülltes
Exemplar, welcbes mit den mir vorliegenden trockenen
Exemplaren genau übereinstimmt, von Herrn Prof. Dr.
Gerstaecker als Phrymts Grayi bestimmt und (in natur-
forscb. Freunde, 18. März 1862) besprochen worden war.
Sollte Phrynus Grayi Gerv. im Naturzustande wirklieb
nur ein Hinterscbienenglied an den Beinen des bintersten
Paares besitzen, also ein Dämon sein, so müsste für Charon
medius (Hoeven) nob. einfach nur ein neuer Artname
geschaffen werden, etwa Charon Hoeveni, und dieser (mit
dem Synonym: Phrynus medius Hoeven) würde den Ty-
pus der Gattung Charon nob. repräsentiren. Dies wäre
das einzige, den Grundsätzen der Logik entsprechende
Verfahren !
Indem icb mit der Absicht umging, eine Monogra-
phie der Gruppe der Tarantuliden, zu der alle Vor-
arbeiten bereits fertig vorliegen, auszuarbeiten, bin icb von
der Ausführung meines Vorhabens durch Butler's Aufsatz
wieder zurückgekommen, indem ich einsehe, dass das mir
vorliegende Material dazu nicht ausreicht. Icb kann es
daher nur bedauern, wenn Butler^ dessen Aufstellung von
Phrynus Kochii auf Phrynus medius C. L. Koch *als einer
von Phalangium medium Herbst verschiedenen Species icb
bereits in der genannten „Eintheilung" (p. 196) als unmo-
tivirt antastete, diese seine Ansicht ohne weitere Motivirung
(loc. cit. p. 314) ganz unverändert beibehält, eine Methode,
durch die man um keinen Schritt weiter kommt. —
Will man die von mir zu generellen Scheidungen
246 F. Karsch:
benutzten Merkmale nicht als zu solchen ausreichend
gelten lassen, so ist das allerdings eine Frage, über die
sich streiten lässt. Dass Ausnahmen von der Regel
vorkommen, welche als Hemmungsbildungen füglich
bezeichnet werden mögen, habe ich selbst bereits in der
Zeitschrift für die gesammten Naturwissenschaften von
Giebel, LH, 1879, pp. 369—370 hervorgehoben, woselbst
sogar dreier besonderen Fälle Erwähnung gethan wird.
Der dort geschilderte Fall betrifft Dämon medius (Herbst),
indem an einem Exemplare das eine Bein des vierten
Paares normal gebildet ist, d. h. ein Hinterschienenglied
mit deutlicher Abschnürung zeigt, während das andere
Bein desselben Paares ein solches nicht besitzt. An diesem
Exemplare sind indessen die entsprechenden Theile auf
beiden Seiten fast von gleicher Länge, was bei dem von
Tarantula palmata (Herbst) aus Central- Amerika vorlie-
genden Falle nicht stattfindet; hier misst die linke, der
Hinterschienenglieder ermangelnde Tibia ca. 13, die rechte
ca. 13,5 mm und das erste Afterglied dieser 2, das zweite
4 mm. Schon Blanchard hat auf die Längendifferenz
dieser Tibialafterglieder bei Tarantula (Fabr.) auf-
merksam gemacht und diese Beobachtung erscheint inso-
fern von Wichtigkeit, als eine dritte Monstrosität an einer
Art der Gattung Charon, die ich für identisch mit Phrynus
Grayi Gerv. hielt, mir bekannt geworden, welche darin
besteht, dass die drei Hinterschienenglieder des einen Beines
des vierten Paares normal entwickelt, also von ziemlich
gleicher Länge sind, während an dem anderen entsprechen-
den Beine nur zwei Hinterschienenglieder sich finden, von
denen das vordere, ganz im Gegensatze zu Tarantula^
doppelt so lang ist als das hintere, also gewissermassen
aus einer Verwachsung der zwei vorderen normalen Seg-
mente besteht. In diesem Falle kann man also nicht wohl
von einem Ueb ergange der Gattung Charon in die ver-
wandteste Gattung Tarantula reden und deswegen scheint
mir diese Hemmungsbildung von besonderem Interesse zu
sein. Ich darf also demgemäss auf meiner schon ausge-
sprochenen Behauptung bestehen, „dass die von mir
sogenannten Hinterschienenglieder thatsächlich als
Zur Kenntuiss der Tarantuliden. 247
Schieiieu- und nicht etwa als Tarsalgliedcr** (oder
Metatars alt heile) „anzusehen sind". Und wenn ich
auf das Vorhandensein und Nichtvorhandensein von bei ver-
schiedenen Tarantuliden-Formen in constant verschiedener
Zahl und in constant abweichenden Verhältnissen vorkommen-
den Hinterschienengliedern verschiedene Gattungen
baute ; so geschah dieses vorzugsweise aus dem Grunde, weil
diese den Hinterschienengliedern der Tarantuli-
den entsprechenden Segmente meines Wissens in
keiner der übrigen Arachnidengruppen sich wie-
derfinden. Wenn, fragt man sich, die Theilungsfähigkeit
der Schiene sich auf die Beine des vierten Paares bei den
Tarantuliden beschränkt und analoge Theilungen der
Schiene in allen anderen Arachnidengruppen vermisst
werden, sollten dann, wenn Ausnahmen und Abweichungen
bei einem Individuum einseitig oder bei Indivi-
duen derselben Art sich vorfinden, dieselben nicht aus
Bildungsgesetzen sich herleiten lassen, welche ganz unab-
hängig sind von den Gesetzen, nach denen die Bildung
des Begriffes der Art oder der Gattung erfolgt, d. h. sollten
derartige Abweichungen mehr als eine blos individuelle
anormale Bedeutung beanspruchen? Warum kommen denn
bei den, den Tarantuliden nächstverwandten Arachniden,
bei den Telyphoniden, keine solche Schienenthei-
lungen vor? Und warum sind solche Abweichungen eine
so grosse Seltenheit, dass unter mehreren hundert
Exemplaren, die zur Untersuchung mir vorgelegen haben,
nur drei sich fanden, welche durch einseitige Abweichung
vom aufgestellten Typus einen Zweifel an der Gesetzmäs-
sigkeit desselben aufkommen Hessen? — Es könnte aber
immer auch noch die' Möglichkeit vorliegen, dass das
von Gervais als Phryniis Grayi beschriebene typische
Stück gleichfalls einer den beschriebenen Monstrositäten
analogen Hemmungsbildung unterworfen gewesen, oder, falls
das Exemplar trocken conservirt wird, ein Artefact mit
gefälschten Beinen des vierten Paares sei, wie solche in
trockenen Sammlungen sehr häufig sich vorfinden; aller
dieser Möglichkeiten scheint Butler nicht im geringsten
gedacht zu haben, — so dass ich meine Zweifel betreffend
248 F. Kar seh:
die Richtigkeit seiner Angabe, Phrynus Grayi Gerv. be-
sitze an den Beinen des hintersten Paares nur
je ein Hinterschienenglied, sei also ein Dämon (C.
L. Koch) Kar seh, nur wiederholen kann.
Gemäss den erwähnten Ausnahmefällen lässt sich
noch ferner das Gesetz aufstellen, dass bei den Tarantuli-
den in der Anzahl der Tibialglieder wohl eine Reduktion
aber keine Vermehrung vorkommt, dass solche Bildungen
echte Hemmungsbildungen sind und dass Phrynichus
die niedersten, Charon die höchstentwickelten Ta-
rantuliden formen umfasst, eine Auffassung, welche selbst
ohne Kenntniss der Funktion und des Zweckes jener
eigenthümlichen Afterglieder gerechtfertigt erscheint.
Wie gewagt im übrigen Butler in seiner Synonymie
bisweilen verfährt, möge ein recht auffallendes Beispiel
darlegen. Er identificirt z. B. „FJirynus mexicanus^^ Bili-
mek aus den Höhlen von Cacahuamilpa mit ^.FJmjnus pal-
matus^' Herbst; wohl nur deshalb, weil beide in Mexico
gefunden wurden, denn nach Bilimek's Beschreibung ge-
hört die Art nicht zur Gsiünng Taranüda (Fabr.) nob.,
sondern zu Phrynichus nob., indem Bilimek ein Bein des
zweiten Paares beschreibt und ausdrücklich hinzulügt „im
gleichen Verhältniss sind auch die hinteren zwei Fusspaare
gebaut." Mit welchem Rechte wird also diese Identificirung
ohne Fragezeichen vorgenommen? Die Palpen, welche
bestimmte Kennzeichen zur Erkennung der Art bieten, ge-
ben nach Bilimek's Darstellung kein genügendes Bild;
gehörte das Thier zu Tarantula, so könnte es ebensowohl
mit T. coronata {Bnt\.\ als mit T. palmata (RQYh^t) iden-
tisch sein.
Selbst auch angenommen, „Phrynus ^nedius^'EoQVQn
sei von Ho even fälschlich mit 4theiliger Tibia IV abge-
bildet und beschrieben worden, so würde als Repräsentant
der Gattung Charon immer noch „Phrynus australianus^^
L. Koch bestehen und die neue Gattung als solche auf-
recht erhalten bleiben. In der Tarantuliden-Sammlung des
Herrn Grafen E. Keyserli ng, von der derselbe so freund-
lich war, mir Einsicht zu gewähren, befindet sich eine
Tarantulide mit folgender Signatur: „Phrynus. Perty, del.
Zur Kenntniss der Tarantuliden. 249
au. artic, Commuuiquee, par M. Gu^rin-Mencvillc ä M. Wan-
der Hoeven et qui'l est prie de lui renvoyer quand il n'en
aura plus besoiu. — Bresil." Leider ist das Exemplar so
sehr ruiuirt, dass es keineu Aufschluss mehr gewährt, ob
es zu den Exemplaren gehören könne, welche Hoeven
bei der Darstellung seines nach meinem Dafürhalten mit
,,Phrynus Grayi^^ Gerv. identischen Phrynus medius hat
vor Augen haben können.
Die Bildungsweise der Glieder der Beine des vierten
Paares bei den vier von mir aufgestellten Gattungen zu
veranschaulichen, sind auf Tafel X, Figur 26, die betref-
fenden Theile abgebildet und besonders bezeichnet worden.
Figur 1 stellt den Typus für Phry nichts ohne Hinter-
schienenglied dar nach dem typischen Exemplare des
,,Phrynus ceylonicus'^ C. L. Koch im Berliner Museum. In
Figur 2 ist zwischen Schiene und Metatarsus (Tarsus Bert-
kau's) ein Afterglied (Pt.=Posttibia) eingeschoben, den
Typus von Bmnon medius (Herbst) darstellend. In Figur
3 beträgt die Zahl dieser Hinterschienenglieder zwei, von
denen das erstere das bei weitem kürzere ist, den Typus
von Tarantida pumüio (C. L. Koch) darstellend. Nur an
einem sehr grossen Exemplare der Tarantida palmata
(Herbst) von Portorico ist das vordere Afterglied der
Schiene auffallend verlängert, gleichwohl aber
immer noch kürzer als das hintere. Figur 4 endlich
ist ein Hinterbein von CJiaron und zwar von jener Art, die
mit Phrynus medius Hoeven (nee Herbst) identisch ist
und die ich auf Phrynus Grayi Gerv. deuten zu müssen
glaube; Hinterschieneuglieder sind hier drei vorhanden.
lieber Lacerta oxycephala Fitzinger und
Lacerta judaica Camerano.
Von
Dr. J. von Bedriaga,
in Heidelberg.
Hierzu Tafel XI.
I. Lac. oxycephala Fitz.
Eine der grössten Seltenheiten in unseren Sammlungen
ist zweifelsohne Lacerta oxycephala Fitz. Nicht nur wird
sie in manchem grossstädtischen Museum vermisst, sondern
auch von Vielen nicht als gute Species anerkannt oder
auch gar überhaupt nicht gekannt. Dieses mag theilweise
darin liegen, dass einerseits das Vorkommen dieser Eidechse
sehr beschränkt ist, andererseits, dass sie grosse Aehn-
lichkeit mit Lacerta muralis var. neapolitana m. besitzt und
mit dieser wohl häufig verwechselt wird umsomehr, da die
herpetologische Literatur uns auffallend spärliche Beschrei-
bungen von ihr bietet. Während Mauer-, Smaragd-, Zaun-
und andere Eidechsenarten unzählige Male in allen euro-
päischen Sprachen diagnosirt worden sind, besitzen wir
meines Wissens nur vier mehr oder weniger ausführliche Be-
schreibungen der Lacerta oxycephala. Die erste datirt von
1839, die letzte (welche überhaupt die erste ist, die je in
deutscher Sprache erschienen), vom Jahre 1875. Dass diese
sämmtlichen Beschreibungen, deren Autoren ich sogleich
namhaft machen werde, uns nicht vollständig befriedigen
und schwerlich dem nicht genügend routinirten Herpeto-
V. Bedriaga: Ueber Lacerta oxycepbala Fitz. u. judaica Cam. 251
logen, geschweige denn einem Laien, leicht fassbare Kenn-
zeichen bieten, nach denen man die oxycephale Eidechse
sofort als solche erkennen könnte.
Aus der Fanna Italica*) des Prinzen von Canino
ersehen wir, dass Lacerta oxycephala von Dumeril und
Bibron, den Autoren der Erpetologie generale, fälsch-
licherweise Schlegel zugeschrieben worden ist. Dieser
Irrthum wurde von den späteren Herpetologen trotz des
Hinweises Bon apart e's systematisch begangen. Fitzinger
war es, der unsere Eidechse zum ersten Male als ,,Lacerta
oxycephala^ ^ in den mir leider unzugänglichen Annalen des
Wiener Museums der Naturgeschichte anführte. Darauf
hin erhielt Schlegel eine Anzahl dieser Thierchen aus
Dalmatien, etiquettirte sie im Museum zu Leyden als
,f Lacerta oxycephala^ ^ und übermittelte zwei Exemplare an
Dumeril und Bibron, welche dieselben, sowie drei aus
Corsika stammende spitzköpfige Eidechsen einer näheren
Untersuchung unterworfen und in der generellen Herpeto-
logie (Band V. S. 235) beschrieben haben.
In seiner, ein Jahr darauf in den Memorie della Acca-
demia di Scienze di Torino, Serie IL Tom. IL 1840, er-
schienenen Uebersicht der Amphibien Europas führte Bona-
parte die oxycephale Eidechse mit Bedenken an. Erst
in der Iconografia della Fauna Italica wird sie von ihm
als gute Species anerkannt und zwar auf Grund seines
Bekanntwerdens mit der aus Corsika stammenden Lacerta
oxycephala. Die ziemlich dürftige Beschreibung Bona-
p arte's ist von einer schlecht gelungenen Abbildung und
einem missrathenen Versuche Synonyme der Lacerta oxyce-
phala zu entdecken, begleitet.
Im Jahre 1874 wurde die in Rede stehende Lacerta
wiederum in italienischer Sprache und zwar von dem
grössten der jetzt lebenden Herpetologen Italiens, deBetta
nach dalmatinischen Exemplaren beschrieben^ ).
Viel präciser behandelt dagegen Schreiber die
1) Bd. IL Anfibi. Roma 1832—1841.
2) „Fauna d'Italia", Parte IV. Rettili ed» Anfibi. Milano 1874,
(L'Italia sotto l'aspetto fisico, storico, artistico e statistico.)
252 J. V. Bedriaga :
Lacerta oxycephala in seiner, ihrer Ausführlichkeit halber,
einzig und allein dastehenden Beschreibung. Dem Verfasser
der Herpetologia europaea stand, wie wir seinen eigenen
Worten entnehmen, ein reiches, jedoch nur aus Dalmatien
und Spanien stammendes Material zu Gebote.
Dass Lacerta oxycephala in Spanien vorkommt, war
bis dahin nur eine Vermuthung von Gray; auch können
wir nicht mit Sicherheit annehmen, dass die unter dem
Namen „Zootoca oxycephala^'' in dem Catalogue of the speci-
mens of Lizards in the British Museum (London 1845)
figurirende Eidechse wirklich eine spitzköpfige Lacerta ist.
Ich führe hier Gray's eigene Worte an, um zu zeigen,
dass meine Zweifel darüber nicht unbegründet sind. ,jZoo-
toca oxycephala.^' Spain or Madaira? Temple covered
with small swollen scales, with a large central one ; dorsal
scales oval, rather convex; ventral shields 6— rowed."
Diese Angabe Gray's dürfte manchem Herpetolog
ebenso wenig bekannt sein wie diejenige Graells über
das Vorkommen der Lacerta oxycephala in Spanien*),
welche in einem mir unbekannten, muthmasslich spanischen
Werke sich befindet.
Ausser den drei für Lacerta oxycephala sicher consta-
tirten Wohngebieten — Dalmatien, Corsika und Spanien —
werden deren noch zwei von Schreiber (1. c.) genannt.
Dies sind die Abruzzen (gestützt auf Dehne's 2) Angaben)
und Constantinopel. — Was das Vorkommen der oxyce-
phalen Eidechse in den Abruzzen anbelangt, so wäre es
leicht möglich, dass dies der Fall sein könnte, denn es
wäre höchst sonderbar, wenn in Corsika und Dalmatien
zugleich constatirte Thiere in Italien vermisst würden.
In meinen herpetologischen Studien^) habe ich bereits die
Gründe angegeben, wesshalb Lacerta oxycephala in dieser
1) Vergl. Bosca, Catalogo de los reptiles y aiifibios observa-
dos en Espana, I'ortugal e islas Baleares (Anales de la sociedad
espanola de Ilistoria natural, t. VI, 1877.)
2) Verzeicliniss derjenigen Reptilien, welche Dr. Rabenhorst
im Jahre 1847 in Italien gefunden (AUg. deutsche naturh. Zeitg.
11, 1856).
3) Archiv für Naturg. XLV. I. Bd. S. 315.
Ueber Lacerta oxycephala Fitz. u. judaica Cam. 253
oder jener Gegend von Einigen gesehen und gefangen,
von Anderen aber ohne Erfolg gesucht worden ist. Noch
im vergangenen Sommer hat mich eine briefliche Mitthei-
lung des Herrn Prof. Brusina in Agram (eines Kenners
der dalmatischen Fauna) davon überzeugen können, dass
Lacerta oxycephala selten und nur stellenweise angetroffen
wird. Auf meine an Prof. Brusina gerichtete Bitte, mich
mit dalmatischen spitzköpfigen Eidechsen zu versorgen,
erhielt ich Kunde, dass nur ein einziges Exemplar dieser
Art von ihm gefangen worden ist. Wenn wir bedenken,
dass üalmatien von Naturforschern und Thierhändlern sehr
häufig durchkreuzt wird, und dass die von Lacerta oxyce-
phala bewohnten Oertlichkeiten sicher von ihnen betreten
werden müssen, so kommen wir zur Schlussfolgerung, dass
der Grund davon, dass die spitzköpfige Eidechse in den
Sammlungen selten ist und auf dem Thiermarkte gar nicht
angeboten wird, der ist, dass sie mit Lacerta muralis var.
neapolitana verwechselt und daher wohl öfters unberück-
sichtigt gelassen wird. Dagegen zu steuern ist die Aufgabe
der beifolgenden Blätter.
Ungeachtet dessen, dass die Beschreibung der Körper-
form und sonstigen äusseren Merkmale der Lacerta oxy-
cephala im Schreib er'schen Buche ziemlich erschöpfend
ist, vermag die Beschreibung allein uns nicht ein klares
Bild dieses Thierchens zu geben; dies zu Stande zu brin-
gen ist hauptsächlich die Aufgabe des Zeichners. Drum
habe ich mein besonderes Augenmerk auf die getreue bild-
liche Darstellung der Lacerta oxycephala gerichtet und hege
die Hoffnung, dass man darnach im Stande sein wird, diese
Art in Zukunft sofort zu erkennen, falls man dazu die von
mir aufgezählten, von anderen meistens ausser Acht ge-
lassenen Merkmale, sowie den Knochenbau mit berück-
sichtigt.
Dadurch dass Schreiber in seinem Capitel über
Lacerta oxycephala die Mauereidechse in Bezug auf die
Formbeschreibung wiederholt zum Vergleiche herbeizieht
und zwischen beiden Aehnlichkeiten oder Differenzen zu
finden sich bemüht, beweist er gerade uns am treffendsten,
dass seine Diagnosen nicht als durchweg stichhaltig be-
254 J. V. Bedriaga:
trachtet werden können. Ohne nähere Bezeichnung der
Varietät darf die Mauereidechse, was die äusseren Merk-
male anbetrifft, entschieden nicht mehr zum Vergleichungs-
object herbeigezogen werden und zwar aus dem Grunde,
weil die zu ein und derselben Art gehörenden Individuen
sehr selten untereinander so stark in ihrer Körperform
variiren, wie die Mauereidechse, geschweige denn in ihrer
Färbung und Zeichnung. Wir kennen schlanke, plump-
gestaltete, pyramidalköpiige, platycephale, endlich breit-
und schmalköpfige Mauereidechsen. In wie fern »der Rumpf
von Lacerta oxycephala^ wie es Schreiber behauptet
weniger schlank geformt ist, als der bei Lacerta muraliSy
können wir unmöglich wissen, da der Verfasser uns nicht
angibt, welche Form der Mauereidechse ihm als Verglei-
chungsobject bei der Abfassung seines Capitels über Lacerta
oxycephala vorlag. Lacerta muralis var, neapolitana z. B.,
welche auf der Insel Pianosa einheimisch ist, sieht Lacerta
oxycephala so ähnlich und entspricht im Allgemeinen so
sehr der Formbeschreibung der spitzköpfigen Eidechse,
welche uns Schreiber gibt, dass man sie für eine ächte
Lacerta oxycephala halten könnte. Auch sind die Form-
beschreibungen der spitzköpfigen Eidechsenart weder in
der Herpetologia europaea noch in der Erp^tologie generale
durchweg für die in Corsika einheimischen oxycephalen
Lacerten zutreffend. „Ce Lezard", sagen Dumerii und
Bibron, „bien que fort voisin du Lezard des murailles,
en differe cependant par la depression beaucoup plus grande
de la tete; par son museau plus allonge, plus pointu; . . .
Schreiber stimmt im Allgemeinen mit dieser Ansicht
Dumeril's und Bibron's überein. Er sagt: „Der ziemlich
niedrige Kopf ist gestreckt, in der Wangengegend am
breitesten, nach hinten kaum, nach vorn aber sehr stark
zugespitzt verschmälert, im Ganzen von ziemlich regel-
mässig dreieckiger Gestalt." — Nun ist aber in der Wirk-
lichkeit die Schnauze bei Lacerta oxycephala, welche mir
aus Corsika vorliegt, im Vergleich zur Schnauze der
Mauereidechse gar nicht zugespitzt. Ganz im Gegentheil
erscheint die Schnauze bei den letzteren stärker zugespitzt,
als bei der oxycephala. Wenn uns auch die vordere
Ueber Lacerta oxycephala Fitz, u, judaica Cam. 255
Partie des Kopfes bei der letzteren bei flüchtiger Betrach-
tung zugespitzter zu sein scheint, als dies bei der Mauer-
eidechse der Fall ist, so liegt der Grund hiervon lediglich
darin, dass der Kopf bei der oxycephala überhaupt länger
und in der Temporalgegend breiter ist. In der Frenalge-
gend nimmt der Breitendurchmesser der mir zur Verfügung
stehenden oxycephalen Lacerten, welche ich der Güte des
Herrn Reveliere in Porto- Vecchio verdanke, ab. Dadurch,
dass der Discus palpebralis bei ihnen beiderseits stark
erhoben ist, kommen die Froutonasalschilder tief zu liegen.
Beides bewirkt eine rasche Verschmälerung des Kopfes,
aber speciell nur in der bezeichneten Gegend. Das Inter-
nasale, die Nasorostralschilder und das Rostrale erscheinen
sehr breit und die Schnauzenspitze selbst erscheint aufge-
trieben. Die Linien, welche am äusseren Rande der Parie-
talschilder anfangen, sich von da bis zu den Nasenlöchern
hinziehen und auf diese Weise den Pileus begrenzen,
zeigen bei Lacerta oxcyphala sowohl im Profil, als auch
im Grundriss des Kopfes vielfache Biegungen, während
die nämlichen Linien' bei Lacerta muralis var. neapolitana
sich ziemlich in gerader Richtung hinziehen.
Eine sorgfältige Aufzählung der Kopfschildereigen-
thümlichkeiten genügt ebenfalls nicht, um diese Art sofort zu
erkennen, da wir bei der Mauereidechse ebendieselben Eigen-
thümlichkeiten zu nennen vermögen. Ich ziehe daher vor,
die den Pileus bildenden Schilder im Texte ganz ausser
Acht zu lassen, gebe dagegen eine Abbildung dersel-
ben. Diese allein vermag uns zur Ueberzeugung zu
bringen, dass sowohl die Kopfschilder, als auch die Gestalt
des Kopfes ihren charakteristischen Zug besitzen.
Nicht unerwähnt will ich lassen, dass die Kopfseiten
bei Lacerta oxycephala öfters Eigenthümlichkeiten auf-
weisen, dass dieselben jedoch öfters vermisst werden, was
vielleicht in das Bereich der Localvariation gehören mag.
So sollen z. B. die in Dalmatien einheimischen oxycephalen
Eidechsen ein mittelgrosses Massetericum aufweisen. Du-
meril und Bibron schreiben den von ihnen untersuchten
Individuen dieser Species ein kleines Massetericum zu,
welches kaum doppelt so gross, als die übrigen Temporal-
256 J- V. Bedriaga:
Schilder ist. Meine aus Corsika stammenden Exemplare
der Lacerta oxycepJiala besitzen keine Spur von diesem
Schilde. — Zwei übereinander stehende Nasoferenalen
sollen nach der Angabe Dumeril und Bibron's manchmal
zu einem einzigen Schilde verschmelzen. Dies dürfte je-
doch nicht nur manchmal, sondern sogar allgemein bei
den in Corsika lebenden oxycephalen Lacerten der Fall
sein ; denn meine elf aus dem südlichen gebirgigen Theile
Corsikas stammenden Exemplare besitzen nur ein einziges
Nasofrenalschild. — Während Dumeril und Bibron die
Zahl der vorderen Supralabialien gar nicht angeben, schätzt
sie Schreiber auf fünf. Einige von meinen oxycephalen
Lacerten weisen nur vier Oberlippenschilder auf.
Meiner Ansicht nach sind folgende Kennzeichen für
die corsikanische Lacerta oxycephala charakteristisch:
1. Die Rückenschuppen sind bei ihr glatt, öfters mit
einem kleinen Grübchen versehen, was wohl auf einer Be-
schädigung der Schuppen beruhen dürfte^). Die Configura-
tion der Schuppen ist sehr variabel; sie erscheinen sechs-,
fünf- und viereckig, und ausserdem unregelmässig geformt.
In der Halsgegend sind sie eher rund, ^q^qäi den Schwanz
zu länglich sechseckig, auf den Körperseiten viereckig.
Drei Querreihen von Rückenschuppen gehen auf jedes
Bauchschild. Oberschildchen sind nur vorn an den Bauch-
seiten vorhanden.
2. Während bei Lacerta muralis var. neapolitana das
obere Augenlid wenig bemerkbar und nur als eine aus
äusserst kleinen Schuppen bestehende perlschnurartige
Kante sichtbar ist, erscheint dasselbe bei Lacerta oxyce-
phala viel mehr ausgebildet, etwa 1 mm breit, und ver-
sehen mit drei der Länge nach liegenden Reihen von
ziemlich ansehnlichen Schuppen. Dieses sich so ausneh-
mende und nahezu in derselben Ebene mit dem Discus
palpebralis liegende obere Augenlid bewirkt auf passivem
Wege nur die Schliessung des Auges, indem es sowohl
1) Bekanntlich kommen vollkommen glatte Schuppen sehr
selten bei Lacerta muralis var. neapolitana vor und zwar nur bei
einigen insulanischen Formen.
Üeber Lacerta oxycepliala Fitz. u. judaica Cam. 257
beim geschlossenen, als auch beim offenen Auge stets die-
selbe Länge behält und nur beim Tüdten des Thieres
leicht zurückgezogen wird. Das untere bewegliche Augen-
lid erscheint sehr lang und dick und nicht nur vermag es
den Augapfel zu verdecken, welcher ziemlich stark aus
der Augenhöhle hervortritt, sondern es bildet gewöhnlich
noch eine auf dem unteren Augenhöhlenrande ruhende
Falte. Es ist von grossen und mit Consistenz versehenen
Schildern bedeckt, welche insbesondere ringsum auf den
Rändern ausgebildet erscheinen. Das Auge bei Lacerta
oxycephala ist somit, so zu sagen, durch gepanzerte Lider
geschützt, an denen man die braun und schwarz gefärbten
Schilder mit unbewaffnetem Auge zu zählen vermag. Bei
Lacerta muralis var. neapoUtana dagegen ist das untere
Augenlid mit äusserst kleinen, farblosen, weichen und in
der Mitte des Lides nahezu durchsichtigen Schuppen be-
deckt. Der bereits bei offenem Auge wenig hervortretende
Augapfel dieser Eidechsenart wird beim Schliessen des
Lides ganz hineingezogen. Diibei nimmt sich das die
Augenhöhle schliessende untere Lid ähnlich wie eine ge-
spannte Haut aus.
Während der Discus palpebralis bei Lacerta muraUs
var. neapoUtana^ Lacerta muralis var. fusca und den von
diesen beiden abstammenden insulauischen Formen selten,
bei Lacerta muralis var. Lilfordi öfters beiderseits hervor-
ragt, erhebt er sich stets bei der lebenden oxycephalen
Eidechse sehr beträchtlich und trägt dazu bei, dass die
Orbitalregion bei ihr stark hervortritt.
3. Die Vorderbeine reichen bei Lacerta oxycepliala
bis zur Schnauzenspitze, während dieselben bei einer An-
zahl untersuchter neapolitanischer Maliereidechsen nur bis
zu den Nasofrenalschildern reichen. Das Messen ergab,
dass die einzelnen Theile des Arm- und Handskeletes bei
Lacerta oxycephala sehr wenig in ihrer Länge von jenen
bei Lacerta muralis var. neapoUtana differiren, dass jedoch
sobald diese Differenzen summirt werden, eine Längendif- ^
ferenz der Vorderbeine bei diesen zwei Arten bemerk-
lich ist.
Ausser den erwähnten Kennzeichen bieten uns die
Archiv für Naturg. XXXXVI, Jalir^. 1. Bd. 17
258 J. V. Bedriaga:
Dimensionen der Lacerta oxycephala, in Zahlen ausgedrückt,
und ihr Gerippe, namentlich aber der Schädel, Eigenthüm-
lichkeiten dar, nach welchen man sie von der ihr ver-
wandten Form Lac. muralis var. neapolitana unterscheiden
kann.
4. Maasse einer männlichen Lacerta oxycephala:
Gesammtlänge 226 mm
Kopflänge 22 „
Grösster Breitendurchmesser des Kopfes (in der
Wangengegend) . 15 „
Grösste Kopfhöhe 9 „
Grösster Umfang des Kopfes (in der Wangen-
gegend) 42 „
Breite des Pileus an seiner Ansatzstelle ... 10 „
Umfang des Halses 44 „
Rumpflänge (von der Schnauzenspitze bis zur
Schwanzwurzel) 86 „
Umfang des Rumpfes ......... 46 — 48 „
Schwanzlänge 140 „
Umfang des Schwanzes an seiner Wurzel . . 30 „
Umfang des Schwanzes in seiner Mitte ... 15 „
Die Dimensionen der Lacerta muralis var. neapolitana
J und der Lac. muralis var. faraglioniensis 5 schliesse
ich hier an, damit sich die Differenzen von selbst ergeben.
muralis neapol. muralis faragl.
Gesammtlänge 225 mm 230 V4 mm
Kopflänge I9V2 „ 20
Breitendurchmesser des Kopfes an
der breitesten Stelle . . . 13 V2 ,, 13^4 •„
Grösste Kopf höhe 10 „ IOV2 „
Grösster Umfang des Kopfes . . 39 V2 „ 42 V2 „
Grösster Umfang des Halses 38 V2— 3972 „ 41 V2 »
Rumpflänge (von der Spitze des
Kopfes bis zur Schwanzwurzel) 70 „ 7074 «
Umfang des Rumpfes 44 „ 45 „
Schwanzlänge 155 „ 160 „
Umfang des Schwanzes an seiner
Wurzel 14—28 „ 16-2872 „
Ueber Lacerta oxycephala Fitz. u. judaica Cam. 259
muralis 7ieapol. muralis faragl.
Umfang des ScbwaDzes in seiner
Mitte 10—11 ram 10—12 mm
Breite des Pileus au seiner Ansatz-
stelle 9 „ 91/2 „
Grösster Breitendurebmesser des
Pileus 9-9V2 , 9V2— 10 „
5. Betrachten wir den Schädel der Lacerta oxyce-
jihala, so fällt uns vor allem seine im Verhältniss zum
geringen Höhendurchmesser bedeutende Länge auf. Diese
kommt hauptsächlich dadurch zu Stande, dass das Hinter-
hauptsbein stark nach hinten zu vorgedrungen erscheint
Die Schuppe des Hinterhauptsbeines welche bei Lacerta
ocellata gänzlich, bei Lacerta viridis, Lacerta agilis, Lacerta
muralis nahezu vollständig vom Parietalbein verdeckt wird,
bleibt bei Lacerta oxycephala zum grössten Theil unver-
deckt, läuft beinahe parallel mit der Ebene der Platte des
Scheitelbeines und erscheint, da die obere Partie des
Hinterhauptsbeines ziemlich flach ist (bei Betrachtung des
Schädels von oben), als eine Fortsetzung des Scheitel-
beines^). 'Der bei allen anderen europäischen Eidechsen
sich zwischen der Schuppe des Hinterhauptbeines und dem
Parietale befindende Raum w^ird bei der oxycephalen La-
certa vermisst. Dieser Zwischenraum entsteht bekanntlich
dadurch, dass die Schuppe des Hinterhauptsbeines sich zu
einem öfters sehr hohen, ein Knorpelstück tragenden Höcker
oder Vorsprung erhebt der dem Parietale als Stütze dient 2).
An jener Stelle, und zwar am hinteren, unteren Rande des
Scheitelbeines, wo dasselbe diesen Vorsprung berührt, nehmen
wir eine meistens tiefe Aushöhlung wahr ^), welche das
Knorpelstück (das sich öfters unter dem Druck der Schädel-
decke biegt) und einen Theil des medianen Höckers der
Schuppe des Hinterhauptsbeines aufnimmt. Bei Lacerta
oxycephala ist dieser Höcker äusserst klein ; er kommt nicht
unterhalb des Parietale zu liegen, sondern da das Hinter-
hauptsbein, wie bereits erwähnt, stark nach hinten zu
1) Vergl. Tafel XI Fig. 6.
Ö) Vergl. Tafel XI Fig. 7.
3) Vergl. Tafel XI Fig. 4 und Fig. 5.
2G0 J. V. Bedriaga:
vorragt, befindet er sich ausserhalb und zwar am Rande
desselben ^). Dem Scheitelbeine zur Stütze dienen die leicht
nach oben erhobenen Ränder der Hinterhauptschuppe,
welche somit eine transversale Crista bilden (Vergl. Fig. 8).
Diese Crista ist in ihrer Mitte durch den niedrigeren Höcker
unterbrochen und in zwei Hälften getrennt.
Lacerta ocellata einerseits und Lacerta oxycephala an-
dererseits scheinen die Extreme in der Ausbildung dieses
zur Stütze des Scheitelbeines dienenden Gebildes zu bieten.
Bei der ersteren läuft das Occipitale superius in eine an-
sehnliche longitudinale Crista aus. Das ihr aufsitzende
Knorpelstück ist nachgiebig und in der Aushöhlung des Pa-
rietale verborgen. Bei Smaragd- und Zauneidechsen ist
der Vorsprung an seiner Basis dadurch, dass die Ränder
der Schuppe des Hinterhauptsbeines an seiner Bildung
einen grossen Antheil nehmen, ziemlich breit, läuft aber
spitz zu. Bei Lacerta miiralis var. neapolifana ist er viel
niedriger als bei den letztgenannten und trägt in selteneren
Fällen ein aufrecht stehendes Knorpelstück, während La-
certa muralis var. faragUo7iiensis, deren Stammform die
grüne neapolitanische Mauereidechse ist, öfters einen ziem-
lich langen auf dem Vorsprung aufrecht aufsitzenden cylin-
drischen Knorpel aufweist, welcher hier als wirkliche
Stütze des Scheitelbeines dient, indem er eine bereits ein-
getretene und öfters vorgeschrittene Ossification zeigt und
daher eine gewisse Sprödigkeit erlangt (Vergl. Fig. 7).
Diese Beschaffenheit des in Rede stehenden Knorpelstückes
ist insofern von Interesse, als sie nicht nur die höchst
ergiebige Variabilität in der Kopfform der verschiedenen
Abarten der Mauereidechse zu erklären vermag, sondern
auch die so überraschenden individuellen Differenzen in
der Gestalt des Kopfes, namentlich bei Lacerta muralis
var, neapolitanaj bedingt.
Man hat kürzlich versucht, die in Italien lebenden,
verschieden gezeichneten murales in Varietäten zu sondern,
indem man dabei ein grosses Gewicht auf die plattge-
drückte oder pyramidenähnliche Kopfform legen zu müssen
1) Vergl. Tafel XI, Fig. 6.
Ueber Lacerta oxycephala Fitz. u. judaica Cani. 261
glaubte, lu meinen über die südeuropäisTiheti Eidecbsenarten
veröifentlichteD Abbandliingen trat leb stets dagegen auf,
und zwar aus dem Grunde, weil icb bei dem Kopf uicbt
immer eine Uebereinstimmung mit der Zeichnung und der
Färbung, welche vermuthet worden ist, angetroffen habe,
und weil ich diese „Kennzeichen" lediglich als individuelle,
rein auf accidentellen Vorgängen in der postembryonalen
Entwickelung beruhenden Abweichungen betrachtete. Die
Untersuchung und Vergleichung einer ganzen Serie von
Laceiten-Schädeln hat mich in meiner Ansicht bestärkt.
Die plattgedrückte oder pyramidale Kopfform rührt bei den
Mauereidechsen von dem Grade der Ossification des auf
dem Vorsprung des Occipitale superius sich befindenden
cylindrischen Stäbchens her. Tritt eine Ossification ein,
so wird das Knorpelstück zu einem aufrecht stehenden
Stäbchen, das den Höhendurchmesser der Occipitalregion
beeinträchtigt; bleibt sie aber weg, so senkt sich das Pa-
rietale und kommt auf den Vorsprung zu liegen, indem es
den Knorpel in seiner Aushöhlung birgt. Ich will hier
gleichzeitig ausdrücklich betonen, dass der plattgedrückte
Kopf bei Lacerta oxycephala nicht vom Ausbleiben der ge-
schilderten Ossification des Stäbchens herrührt. Da, wie
bereits erwähnt, der den Knorpel tragende knöcherne Vor-
sprung nicht unterhalb des Parietalbeines gelegen ist, so
würde in Folge dessen die eventuelle Ossification des
Knorpels bei dieser Art von keinem Einflüsse auf den
Höhendurchmesser des Schädels sein können.
Das bei anderen Eidechsenarten am Condylus occipi-
talis liegende ziemlich tiefe Grübchen ist bei Lacerta oxy-
cephala äusserst schwach angedeutet. Ueberhaupt erscheint
das Occipitale basilare bei der oxycephala, von unten ge-
sehen, flach, indem hier weder starke Hervorraguugen,
noch Vertiefungen zum Vorschein kommen. Der Gelenk -
köpf zeichnet sich durch seine geringe Grösse aus. Die
drei Stücke, aus denen er besteht, sind bei den erwachsenen
Individuen sogar durch mehr oder weniger tiefe Trennungs-
furchen oder nur Trennungslinien gut erkennbar. Eine
ähnliche drei gelappte Beschaffenheit habe ich öfters Ge-
legenheit gehabt, auch bei alten Exemplaren anderer Arten,
262 J- V. Bedriaga:
z. B. bei Lacerta • ocellatttj L. muralis und L. agilis, zu
constatiren.
Das Sphenoidale basilare bei der spitzköpfigen Ei-
dechse ist bedeutend länger als bei den Mauer- und an-
deren Eidechsen. Seine Grenze nach hinten ist durch eine
scharfe Trenuungslinie markirt. Das vordere Keilbein da-
gegen weicht in seiner Gestalt und Länge gar nicht von
jenem bei Lacerta muralis ab.
Die Flügelbeine entbehren bei Lacerta oxycephalay
der Bezahnung. Bei einer Anzahl neuerdings untersuchter
Schädeln der Lac. muralis var. neapolitana, ferner bei
Lacerta Galotti und Lacerta Dugesii fehlten die Zähne an
den Pterygoidea ebenfalls. Bei Lacerta viridis habe ich
dagegen stets eine grosse Anzahl derselben constatiren
köonen; sie sind bei ihr ungleich, manchroal zu drei oder
vier in jeder transversalen Reihe auf einer ansehnlichen
Hervorragung angeordnet.
Von der oberen Fläche des Pterygoideums erhebt sich
bekanntlich bei den einheimischen Eidechsenarten, ferner
bei Lacerta ocellata und den pyramidalköpfigen Mauerei-
dechsen die Columella perpendiculär nach oben zum
Scheitelbein, indem sie jedoch letzteres selten erreicht.
Bei Lacerta oxycepliala gibt die Columella ihre zu dem Flügel-
beine penpendiculäre Stellung auf, sie neigt sich nach
hinten unter spitzem Winkel und lehnt sich an das Felsen-
bein. Dabei ist aber ihre Länge eben dieselbe wie die-
jenige bei den pyramidalköpfigen grünen Mauer- oder
Faraglioni-Eidechsen. Diese Erscheinung bewegt mich zur
Annahme, dass die Stellung der Columella von der Ossi-
fication des auf dem knöchernen Vorsprung am Occii)itale
superius aufsitzenden Knorpelsttickes abhängig ist. Diese
Muthmassung gewinnt an Wahrscheinlichkeit, sobald wir
eine Anzahl Schädel von platyccphalen und pyramido-
cephalen Maucreidechsen vergleichen. Wir finden, dass
die Columella ihre zum Pterygoideum aufrechte Stellung
bei den plattköpfigcn Individuen, welche gar keine oder
nur eine unbeträchtliche Ossification des erwähnten Knorpel-
stückchens aufweisen, ebenfalls nur einbüsst, und nicht etwa,
wie man es von vorn herein erwarten könnte, kürzer wird.
lieber Laccrta oxycephala Fitz. u. judaica Cani, 263
»
Am Vonier, Ethmoideuiii und Gaumenbein habe ich
keine erheblichen Eigenthümlichkeiten bei Lacerta oxyce-
phala finden können.
Die die vorderen Enden der Vomera berührenden
dreieckigen, vom Intermaxillare hcrabtretenden Blätter sind
bei Lacerta oxycephala weniger lang, jedoch an ihrer Basis
breiter, als bei Lacerta muralis var. neapolitana. Proces-
sus frontalis ist bei beiden in Rede stehenden Arten
stachelförmig, bei der spitzköpfigen Lacerta etwas länger,
als bei der Mauereidechse.
Der Oberkiefer zeichnet sich (Alles im Vergleich zu
Lacerta muralis var. neapolitana) durch seinen geringen
Höhendurchmesser aus. Er weist beiderseits 7 — 8 zum
Durchtritt von Nerven bestimmte Löcher auf und hat jeder-
seits 17 Zähne. Während die Zähne der Lac. rnurlis var.
neapolitana, mit Ausnahme des ersten an die Zähne des
Zwischenkiefers angrenzenden einfachen Zahnes und des
letzteren, welcher eine dritte Spitze zu erkennen gibt, eine
deutlich sichtbare, zweispitzige Form der Zahnkrone auf-
weisen, ist die grössere Anzahl der Zähne bei Lacerta
oxycephala kegelstumpfförmig, ähnlich wie bei Lacerta
ocellata. Eine kleine Anzahl zeigt eine äusserst schwache
Einkerbung. Die Untersuchung der Zähne habe ich auch
auf die Canaren -Eidechsen Lacerta Galloti und L. Dugesii
ausgedehnt und gefunden, dass bei der ersteren die Zähne
niedrig sind und eine deutlich dreigespitzte zierliche Krone
aufweisen, deren mittlere Spitze höher ist als die seitlichen.
Die Zähne bei Lacerta Dugesii reihen sich denen der
Lacerta muralis var. neapolitana an.
Was das Jugale anbetrifft, so wäre nur zu bemerken,
dass seine Biegung sich stärker erweist, als dies beim
Jochbeine der neapolitanischen Manereidechse der Fall ist.
Die Krümmung trägt dazu bei, dass einerseits der Kopf
der Lacerta oxycephala, wie es bereits ihr Name zeigt,
vorn ziemlich verschmälert erscheint, andererseits aber,
dass der Kopf in der Wangengegend einen sehr be-
deutenden Breitendurchmesser erlangt.
Von den übrigen Schädelknochen der Lacerta oxyce-
phala und L. muralis var. neapolitana bieten nur die Deck-
264 J. V. Bedriaga :
knochen in's Gewicht fallende Differenzen. Vor allem ist
hervorzuheben, dass das Parietale der oxycephalen Lacerta
sich durch seine Breite und durch seine verhältnissmässig
kurzen, flacheren, zu den Quadratbeinen herabsteigenden
Bogenschenkel auszeichnet. Die Innensicht des Scheitel-
beines bietet ein auffallend anderes Aussehen, als bei La-
certa murdlis var. neapolitana dar. Bei dieser letzteren
nämlich weist die Innensicht des Parietale einen V förmigen,
an der erwähnten Aushöhlung am Parietalbeine seinen Ur-
sprung nehmenden Wulst auf, w^elcher jenem der Lacerta
agüis ähnlich ist ^). Auf dem an das Parietale angrenzenden
Stirnbeine ragt ein ähnlicher, nur in entgegengesetzter
Richtung sich befindender V förmiger Wulst hervor, wel-
cher als Fortsetzung des nach dem Lacrymale absteigenden
Fortsatzes erscheint. Diese zwei VfÖrmigen Wülste bilden
einen Rhombus, indem sie mit ihren Enden zusammen-
stossen. Bei den Varietäten der neapolitanischen Mauer-
eidechse, z. B. bei var. faraglionensis büsst der eine Wulst
(nämlich derjenige, welcher auf dem Scheitelbeine hervor-
ragt) seine VForm ein, indem die Schenkel sich nicht mehr
in geraden, sondern in gebrochenen Linien hinziehen. Bei der
spitzköpfigen Eidechse erscheint der Wulst ganz und gar
anders, als bei Lacerta muralis var. neapolitana und zwar ist
seine Form durch die sich an der er^vähnten Aushöhlung
am Parietale befindende und diese umgebende Hervorragung
bedingt 2).
Je nach der Lage und Gestalt dieser Leisten können
wir, wie es bereits Leydig hervorhebt^), sofort die Species
erkennen. In der Art wie die Aushöhlung am Scheitel-
beine umgeben ist (welche im Zusammenhang mit dem
Vorsprung am Occipitale superius steht), hat jede Art
gleichfalls ihre Eigenthümlichkeit. Bei Lacerta oxycephala
ist diese Eigenthümlichkeit so stark ausgesprochen, dass
man sie sofort nach dem Parietale allein zu erkennen ver-
mag. Die nahezu runde Aushöhlung am Parietale ist näm-
1) Vergl. Taf. XI Fig. 4.
2) Vergl. Taf. XI Fig. 5.
3) Die in Deutschland lebenden Arten der Saurier. Tübingen,
1872. S. 42.
lieber Lacerta oxycephala F'itz. u. judaica Cam. 265
lieh bei ihr von einer ziemlieh hohen Hervorragung umgeben,
welche beinahe bis zu den seitlichen Rändern des Scheitel-
beines reicht. Diese Hervorragung oder besser dieser Wall
besitzt nach vorn zu einen sanften Abhang und weist ein
hufeisenförmiges Plateau auf, das unmittelbar die Aushöh-
lung umgibt^). Bei allen anderen europäischen Eidechsen-
arten, welche ich zu untersuchen Gelegenheit hatte, ist die
Aushöhlung am Parietale von einer dünnen, hohen Wandung
vorn und seitlich umgeben, welche von der Platte des
Scheitelbeines hinabsteigt. Das an's Parietale anstossende
Stirnbein ist bei der oxycephala vorn beinahe ebenso breit,
als in der Mitte, wo bekanntlich bei anderen Eidechsen-
arten eine starke Verengung sich wahrnehmen lässt.
Das Nasenbein ist weniger breit, jedoch etwas länger
als bei Lacerta muralis var. neapolitana.
Der Unterkiefer bei der oxycephala ist insofern von
demjenigen der neapolitanischen Mauereidechse verschie-
den, als bei der ersteren die ihn zusammensetzenden Theile
niedriger erscheinen. Ausserdem steht er bei der ersteren
Art nicht senkrecht, wie es bei der muralis gewöhnlich der
Fall ist, sondern bedingt theilweise die Abplattung ihrer
Schnauze. — Die Unterkiefer bei der oxycephala sind jeder-
seits mit 24 Zähnen bewaffnet, bei der grünen neapolita-
nischen Lacerta zählte ich deren 21.
Wie mau es von vorn herein erwarten dürfte, bietet
das Skelet der Lacerta oxycephala sonst keine erheblichen
Differenzen von jenen der übrigen Eidechsenarten und
namentlich keine solche von Lacerta muralis var. neapoli-
tana^ die ich hauptsächlich zum Vergleiche herbeigezogen
habe. Betrachtet man die Wirbelsäule, so nimmt man
wahr, dass die Segmente einen grösseren Breitendurch-
messer bei der ersteren aufweisen, dass sie dagegen weni-
ger hoch sind. Dies kann man bereits am Atlas bemerken,
dessen von seinem Mittelstück herabsteigender Dorn kürzer
ist, als der bei muralis neapolitana und namentlich bei
muralis var. faraglionensis. Der kammförmige Dornfortsatz
am Epistropheus und die ihm entsprechenden Fortsätze an
1) Vergl. Tafel XI Fig. 5.
266 J. V. Bedriaga:
den übrigen Hals-, Brust- und Lendenwirbeln sind bei
Lacerta oyxcephala niedriger. Vom 3. oder 4. Schwanz-
wirbel an erscheinen lange, öfters stachelförmig aussehende
obere Dornfortsätze. Die drei unteren Bögen an den
Halswirbeln sind bei der oxycephalen Eidechse weniger
entwickelt als bei Lacerta muralis var. neapolitana. Die
Querfortsätze, namentlich an den Schwanzwirbeln (wo
einige länger sind, als die, welche die Sacralwirbeln tragen),
sind stark entwickelt. Dieses bedingt die bedeutende
Schwanzbreite bei der oxycephalen Eidechse an seiner
Wurzel. Die Kreuzwirbelfortsätze sind ebenfalls bei ihr
stärker entwickelt, als bei den Mauereidechsen. Vom 3.
Schwanzwirbel fangen untere lange 'Bögen an.
Während die vier breiten Rippen der Halsgegend
nichts abweichendes haben, sind alle übrigen länger und
schmäler, als bei der grünen muralis.
Die Schulter-, Becken- und Extremitätenknochen
weichen in ihrem Bau so gut wie gar nicht von Lacerta
muralis var. neapolitana ab. Es ist nur zu bemerken, dass
das lanzettförmige, zwischen der Symphyse des Os pubis
sich befindende Knorpel die Symphyse des Os ileo-pecti-
neum nicht erreicht, und dass die Verbindung durch ein
Band zu statten kommt.
Das Os cloacale ist äusserst fein, das Ende, an wel-
chem die Gabelung sich bemerkbar macht, ist stark auf-
getrieben. Was das Foramen obturatorium anbelangt, so
liegen mir drei Skelete von Lac. muralis var. neapolitana^
L. muralis var. faraglioniensis und L. oxycepliala vor, welche
sich in dieser Hinsicht ähnlich sehen, indem sich an seiner
Stelle ein rundes Grübchen befindet.
Bevor ich diesen Beitrag zur näheren Kenntniss der
Lacerta oxycepliala abschlicsse, will ich die Farbe und
Zeichnung, welche meine corsikanischen Exemplare auf-
weisen, kurz berücksichtigen.
Die Färbung und die Zeichnung bei der oxycephala
ist ziemlich beständig. Die vordere Partie der Oberseite
ist grünlichgrau, bräunlich oder grünlichbraun und über-
zogen von einem schwarzen oder dunkelbraunen Netzwerke.
Die übrigen Tbcile des Rückens sind auf grünlichgrauem
lieber Laccrta oxycephala Fitz. u. jiidaica Cam. 267
Grunde von schwarzen Querbinden durchzogen. Letztere
sind breit und wellenförmig. Oefters findet ein gegensei-
tiges Zusfimmenfliessen derselben der Länge nach statt,
jedoch sind die Verzweigungen meistens so fein, dass da-
durch entweder keine genetzte Zeichnungsform zu Stande
kommt, oder dass dieselben nicht auffallen. Die dunkel-
grünlichblau nuancirte oder bräunliche Oberseite des
Schwanzes ist einfarbig oder der Quere nach an der Wur-
zel des Schwanzes gebändert. Die oben olivenfarbigen
Extremitäten sind meistens schwarz genetzt. Die hellbraune
Decke und Seiten des Kopfes sind reichlich schwarz ge-
fleckt. Der Bauch und die Unterseite der Extremitäten
sind weiss mit blauem Anfluge. Die erste longitudinale
Bauchschilderreihe, die Kehle und die Unterseite des
Schwanzes sind bläulich. Der Grundton bei dem Weibchen
ist vorzugsweise bräunlich. '
In Hinsicht auf die Färbung und Zeichnung schliessen
sich die in Corsika einheimischen oxycephalen Eidechsen
im Allgemeinen der Varietät A von Schreiber an^.
Ob die Beschreibung dieser Abart auf eigenen Erfahrungen
Schreib er's basirt ist, oder nur auf Angaben Anderer
beruht, bleibt unentschieden. Wir ersehen nur, dass
Schreiber die in den Acten der Königl. Gesellschaft der
Wissenschaften Bd. VIII, (Göttingen 1842) beschriebene
Lacerta hieroghjphica Berthold in diese Kategorie ein-
reiht. Die Beschreibung dieser letzteren lautet in der
Berthold'schen Abhandlung „Ueber einige neue oder sel-
tene Amphibienarten" folgendermassen : „Rücken und Sei-
tenschuppen glatt, rundlich-viereckig, sehr klein; Schwanz-
schuppen schief, stumpfgekielt ; Bauchschilder in 6 Längen-
reihen, von denen die mittleren nur halb so breit sind als
die äusserste ; vorderes Afterschild sehr klein ; Kopf spitz,
vorderes Stirnschild hinten nur halb so breit als vorn; nur
1 hinteres Nasenschild; Halsband ganz und gänzlich gelöst;
Hinterhauptsschild klein, aber etwas quer; Schläfenschüpp-
chen klein, körnig, aber in der Mitte ein ovales Schildchen.
Die die Scheitel- und Hinterhauptschilder begränzenden
1) Herpetologia europaea. Braunschweig, 1875. S. 404.
268 J. V. B 0 d !■ i a g a :
Nackeuschüppchen springen unter der Form einer kleinen
Perlschnur vor ; die 4 vordersten zwischen der Vereinigung
der dritten Unterkieferschilder sich befindenden Kehlschü^-
chen sind doppelt so gross als die übrigen und stehen
paarweise hinter einander. Das nicht gezähnelte Halsband
besteht aus 11 Schuppen; jederseits 24 kleine Schenkel-
poren; Schwanzringe 110; Unterkieferschilder jederseits 5,
ausser dem unpaarigen Kinnschild. Gaumenzähne fehlen.
Hautfarbe oben braungrau, unten gelblich weiss ; dort nach
entfernter Epidermis schön seladonfarbig. Oberkörper mit
weissen runden Dupfen, welche grössere oder kleinere
dunkele Räume zwischen sich lassen und hin und wieder
zu Streifen sich vereinigen, welche bald kleine Schlangen-
linien, bald deltaförmige Zeichnungen, bald Winkel und
Hacken, nach hinten Ringe und Augen bilden, wodurch
diese Eidechse ein wunderschönes und mannigfaltig ge-
zeichnetes Ansehen bekommt. Von Nase zum Auge ein
schwarzer keilförmiger breiter werdender Streif, welcher
sich vor dem Auge spaltet und über die Augenlider sich
erstreckt. Der Schwanz ist oben und seitlich braun, hin
und wieder an den hintern Ringgränzen mit weissen Linien-
flecken .... Hat nun auch die L. hierogly})hica hinsicht-
lich der Zahl der Schenkelporen, der Schwanzform und
Schwanzschuppen, der Länge der hinteren Extremitäten,
des ungezähnelten Halsbandes grosse Aehnlichkeit mit L.
muralis, so unterscheidet sie sich doch davon durch das
Stirnschild, welches vorn fast doppelt so breit ist, als hin-
ten, durch die sehr schmalen und lang gestreckten Zügel-
schilder, durch das Hinterhauptsschild, welches breiter als
lang ist, sowie durch die in perlschnurförmiger Querreihe
hinter den Hinterhaupts- und Scheitelschildern gelagerten
Schüppchen". Aus dieser Diagnose wollte bereits Bona-
parte Zacer^a oxycephala herausgelesen haben. In seiner
Iconografia della Fauna Italica finden wir folgendes Urtheil
über diesen Gegenstand: „NuUa o poco, siccome dicemmo,
estendesi sul continente al di qua della Dalmazia, ove fu
segnahita la prima volta, ben lungi perö si dilata verso
l'oriente; perche sembra indubitabilc che la L. Iderogly-
pUca di Constantinopoli citata nella sinonimia sia questa
Ueber Lacerta oxycephala Fitz. u. judaica Cam. 269
medesima, qualmente cen persuadono Tacutezza del muso,
e la picc(>lezza della piastrina centrale delle tempic, o disco
masseterico che dir si voglia".
Durch die Frcuiidliclikeit des Herrn Prof. Ehlers,
dem ich hiermit nieiucu wärmsten Dank ausspreche, wurde
mir veri;ünut, zwei sich im Museum zu Göttingen befindende
ßerthold'sche Lacertac hieroglyphicae einer Untersuchung
zu unterwerfen und die Angaben Bonap arte's und Schrjei-
ber's zu verificiren. Das Ergebniss dieser Untersuchung
fiel leider ungünstig für ihre Ansicht aus und machte folg-
lich alle in meinen Herpetologischen Studien auf sie basirte
Combinationen, in denen ich Lacerta oxycephala zwar nur
beiläufig berühre, auch zu Nichte. Die aus Constantinopel
stammenden, von Consul W edekind dem Göttinger Museum
geschenkten und von Bert hold beschriebenen Lac. hiero-
glypliica sind nichts anders, als Mauereidechsen. Diese
Exemplare unterscheiden sich von der muralis var. neapo-
litana weder durch die Grösse und Gestalt ihres Stirn-
schildes, ihrer Ztigelschilder und ihres Hinterhauptsschildes,
noch dadurch, dass sie eine perlschnurförmige, hinter den
Hinterhaupts- und Scheitelschildern gelagerte Querreihe
von Schuppen aufweisen, wie es Bert hold zu glauben
scheint.
Das grössere ßerthold'sche Exemplar besitzt fünf
schmale, hohe Supralabialien, das kleinere dagegen nur vier.
In meinen herpetologischen Studien habe ich bereits dar-
auf aufmerksam gemacht, dass die Zahl der vorderen Su-
pralabialien bis zum grösseren, unter dem Auge liegenden
Oberlippenschilde öfters dadurch vergrössert wird, dass
sich eins der Supralabialien in zwei spaltet. Der Kopf
der Berthold'schen Individuen stellt die typische Kopf-
gestalt der Lacerta muralis neapolitana dar. Die Rücken-
schuppen sind fünf- und sechseckig und unregelmässig
geformt, meistens aber viereckig auf den Körperseiten.
Die Schuppen sind mit Kielen versehen. Was end-
lich die bei Lacerta hieroglyphica von Berthold
coustatirte i)erlschnurförmige Schuppenreihe anbelangt,
welche an den hinteren Rand des Pileus grenzt, so will
ich bemerken, dass dies sogar bei unseren braunen Mauer-
270 J. V. Bedriaga:
eidechsen sehr oft der Fall ist und in Folge dessen nicht
als Eigenthümlichkeit der orientalischen Form der Lacerta
muralis betrachtet werden darf.
n. Lacerta judaica Camerano.
Durch die ausserordentliche Güte meines hochverehrten
Freundes Herrn Louis Rein glas in Cairo, bin ich in
Besitz der interessanten Eidechsenart Lacerta judaica Ca-
merano gekommen. Diese in den Atti delia Eeale Acca-
demia delle Scienze di Torino (Vol. XIII. 1879) beschrie-
bene und abgebildete Lacerta war ich geneigt^) als Abart
der oxycephalen Eidechse und als Synonym der Zootoca
Dandfordi Günther^) zu betrachten und zwar aus dem
Grunde, weil es scheint, dass Camerano eine Aehnlich-
keit zwischen den eben erwähnten drei Eidechsen gefun-
den zu haben glaubt. „Podarcis judaica'^ sagt Came-
rano, „ist mit Zootoca Dandfordi Gtinth. und Podar-
cis oxycephala (S'chlegel) verwandt. Von der ersteren
unterscheidet sie sich durch das Dasein eines Massetericums
in der Schläfengegend, von der letzteren unterscheidet sie
sich in der Gestalt ihres Kopfes durch ihre Dimensionen
und durch die Vertheilung der Flecken^'.
Ob Lacerta judaica mit Lacerta Dandfordi identisch
ist, kann ich nicht entscheiden, da ich letztere nur aus
der kurzen Beschreibung Günther's kenne, dass aber Za-
certa judaica von der spitzköpfigen Eidechse grundver-
schieden ist, ist mir klar. Wenn ich mich seiner Zeit zur
Annahme des Gegentheils neigte, so geschah es lediglich
aus dem Grunde, weil ich einen grösseren Werth auf die
von Camerano zwischen diesen beiden Arten constatirte
Affinität legte, als sie es im Wirklichen verdient. Diese
1) Archiv für Naturg. XLV. 1. Bd. S. 312.
2) Proc. zool. 80C. 1876. S. 818.
Ueber Laccrta oxyoephala Fitz. u. judaica Cam. 271
beruhte, wie ich sehe, nur darauf, dass Lacerta judaica,
ähnlich wie Lacetia oxyccphala. Lacerta agilis, Lacerta
viridis^ Ljacerta ocellata und Lacerta Schreiberi, zwei Naso-
frenalschilder aufweist und ähnlich wie Lacerta oxycephala
fünf vordere Supralabialien besitzt.
Was die Körperform und Grösse im Allgemeinen an-
belangt, so nähert sich Lacerta judaica der grünen neapo-
litanischen Mauereidechse; in Betreff ihres Kleides steht
sie der Lacerta miiralis var. fusca m. näher, als irgend
einer andern Form, und könnte sogar mit dieser leicht
verwechselt werden.
Ich lasse hier eine kurze Beschreibung der Lacerta
judaica nach lebenden Exemplaren folgen, insofern dieselbe
diejenige jjianerano's zu ergänzen vermag; indem ich
bemerke, dass die mir vorliegenden Exemplare von Herrn
Rein glas in der Umgegend von Beyrut in Syrien erbeutet
worden sind.
Körpergestalt ähnlich wie bei Lac. muralis var.
neapolitana, nur ist der Hals bei letzterer viel schmäler,
d. h. schmäler, als der Umfang des Kopfes, während bei
Lacerta judaica ( $ ), ähnlich wie bei lacerta muralis var.
Lilfordi Günth. ( t> ), der Umfang des Kopfes jenem des
Halses nachsteht; auch ist der Breitendurchmesser des Kopfes
bei Lac. judaica bedeutend grösser als dies der Fall bei
muralis var. neapolitana ist ^).
M a a s s e.
Gesammtlänge 230 mm 168 mm
Kopflänge 21 „ 15 „
Kopfbreite 13—15 „ 10 «
Kopfhöhe 10 „ 6 „
Kopfumfang . 38—44 „ 31 „
Halsumfang 39—45 „ 30—31 „
Rumpf länge 70 „ 65 „
Schwanzlänge 160 „ 103 „
Schilder und Schuppen. Grosses Occipitale, mei-
stens dreieckig, selten viereckig (Vergl. Fig. 3). Fünf
1) Vergl. Tafel XI, Fig. 1 und Fig. 3.
272 J- V. Ecdriaga:
vordere Siipralabialien, von denen die fünfte dreieckig, die
ersteren viereckig und höber als breit sind. Grosses Masse-
tericum. Längliches und gebogenes Tympanale. Rücken-
schuppen sechseckig glatt oder gekielt. Es gehen 3 Quer-
reihen auf jedes Bauchschild. 22 quere Reihen von
Bauchschildern. Zwei Oberschildchen, von denen eins
grösser ist, als das andere, grenzen die lateralen Bauch-
schilderserien. Das mediane Paar der Bauchtafeln besteht
aus kleineren Tafeln. Dass zweite Paar ist das grösste.
Grosses fünfeckiges Anale von einem oder zweien Halb-
kränzen von kleinen Schildern umgeben. Brusttriangulum
bestehend aus 26 — 29 Tafeln. Ganzrandiges Collare, be-
stehend aus 7 — 9 Schildern. Schwanzschuppen ganzrandig
und gekielt. Alle anderen Schuppen und Si^ilder sind
ähnlich jenen der Mauereidechsen.
Schenkelporenzahl: beim Männchen 18—20; beim
Weibchen 17-21.
Färbung und Zeichnung. Die Grundfarbe des
Oberkörpers ist dunkel oder hellbraun. Die mediane Re-
gion des Rückens erscheint höchst selten dunkelbraun oder
schwarz gespritzt. Auf den Seiten befinden sich breite,
braune Binden, welche stets dunkler sind, als die funda-
mentale Farbe; sie nehmen ihren Ursprung am hinteren
Ohrrande und verlieren sich in der Schwanzgegend. Eine
grössere Anzahl kleiner, weisser Augenflecken zieren diese
Binden und verleihen dem Thierchen ein reizendes Aus-
sehen, besonders entwickelt und zahlreich kommen sie bei
den Männchen vor. Der oben braune Schwanz ist öfters
dunkelbraun punktirt. Die Kopfdecke und Seiten sind
braun, selten dunkelbraun gefleckt. Die Kehle erscheint
blau, die Unterseite der Extremitäten und die Bauchseite
sind bläulich-weiss. Bläuliche schwarzumrandete Oceili
zieren die ersten longitudinalen Bauchschilderreihen. Die
Seiten des Schwanzes sind unten blaugrau. Die Unter-
seite des Schwanzes ist weisslich.
Die Weibchen sind weniger intensiv gefärbt und stehen
in der Ausprägung der Zeichnungselemente den Männchen
nach.
Uugeachtet dessen, dass Laccrta judaica eine gute
Ueber Lacerta oxycephala Fitz. u. judaica Cam. 273
Art ist, können wir sie dennoch von der Mauereidechse
ableiten. Ich glaube nicht zu irren, wenn ich in ihr eine
Lacerta mtiralis erkenne, deren Nasofrenale sich in zwei
Platten gespaltet hat, und deren Anzahl der vorderen Su-
pralabialien sich um eine vergrössert, was wir, wenn auch
nur selten, bereits bei ächten Mauereidechseu die Gelegen-
heit hatten zu constatiren.
Es drängt mich zum Schluss dieser Arbeit Herrn L.
Rein glas in Cairo und Herrn Reveliere in Porto- Vecchio
für das mir zugestellte, werthvolle Material meinen wärm-
sten Dank abzustatten.
Heidelberg, im December 1879.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XI.
• Fig. 1. Lacerta muralis var. neapolitana de Bedriaga. Kopf
eines Männchens (natürliche Grösse).
f Fig. 2. Lacerta oxycephala Fitz. ^
Fig. 3. Lacerta judaica Camerano. Kopf eines alten Männ-
chens (natürliche Grösse).
Fig. 4. Scheitelbein von L. muralis var. neapolitana.
Fig. 5. Scheitelbein von L. oxycephala (vergrössert und halb-
schematisch).
Fig. 6. Scheitelbein und Hinterhauptsbein von L. oxycephala
von oben betrachtet.
Fig. 7. Schädel der L. muralis var. neapolitana von - hinten
(halbschematisch und vergrössert).
Fig. 8. Schädel der oxycephalen Eidechse von hinten (halb-
schematisch und vergrössert).
Arohiv f. Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. lg
Geositta antarctica.
Von
Landbeck,
in Santiago de Chile.
Hierzu Tafel XII.
Artkennzeichen.
Oberseite mäusegrau, Oberschwanzdeck- und die
meisten Schwanzfedern grösstentheils weiss.
Beschreibung.
Ganze Länge von der Schnabel- bis Schwanzspitze 14 cm
Schnabel 14 mm
Schwanz 6 cm
Flügel vom Bug bis Spitze 11 »
Tarsus 2cm 2mm
Der Schnabel ist ganz schwarz und mit der Spitze
schwach abwärts gebogen, die Iris dunkelbraun, die Tarsen
und Zehen schwarz. Die ganze Oberseite mit Ausnahme
der letzten Oberschwanzdeckfedern, welche weiss sind, ist
mäusegrau, erd- oder bräunlichgrau, auf der Stirn sind die
Federn hellgerändert, was auch im Genick bei einigen
Federn der Fall ist. Hinter dem Auge zieht sich ein weis-
ser Fleck über dem Ohr gegen das Genick. Die Ohrfedern
bräunlich weiss; Kinn und Kehle rein weiss; Brust und
ganze übrige Unterseite fahlweiss, auf der Brust dunkler
gewölkt, in den Seiten graubraun, Unterschwanzdeckfedern
etwas lebhafter fahlweisslich. Die Oberseite der Flügel
erdgraubraun, die grössern Deckfedern breit weisslich ge-
randet. Die Unterseite der Flügel hell rostfarbig, der
Geositta antarctica. 275
Flügel ist lang und spitzig. Die erste und 4. Schwung-
feder gleicblang und kürzer als die zwei folgenden, welche
gleichlang sind. Die ersten G Schwungfedern sind fahlröth-
lich und mit Ausnahme der ersten mit schwarzen, weiss
eingefassten Spitzen; die übrigen Schwungfedern haben
dieselbe fahlröthliche Farbe aber nur die 3 letzten sind auf
der Aussen-, zum Theil auch auf der Innenfahne schwarz
mit sehr breitem röthlichen Rande, welcher nach der Aussen-
kante heller endigt; der Schwanz ist schwach ausgeschnit-
ten. Die äusserste Schwanzfeder fahl weiss, auf der Spitze
der Innenfahne ein schwärzlicher verloschener Fleck; die
zweite ebenfalls von derselben Farbe, mit grösserem und
intensiverem Fleck, die dritte ist zu zwei Drittel von der
Spitze aufwärts schwarz, an der Wurzel fahlweiss, die 4.
und 5. ebenso, die 6. ganz schwarz, fahlweiss eingefasst.
Diess ist die Beschreibung eines alten Männchens,
welches im Sommer von 1879 in Feuerland erlegt wurde.
Eine Verwechslung mit den 3 chilenischen Geositta
Arten ist nicht wohl möglich, denn die zwei Arten: G.
isabellina und fasciata Nob. sind bedeutend grösser, nament-
lich robuster und ganz anders gefärbt, besonders auf der
Unterseite einfarbig und ungefleckt G. cunicularia besitzt
allerdings einige Aehnlichkeit, ist aber auf der Oberseite
dunkler gefärbt und auf der Brust schwarz gefleckt, ins-
besondere aber ist ihr Schnabel länger und stärker gebogen.
Eine von uns ebenfalls aufgestellte peruanische Art G.
Frobeni ist auf der Unterseite ebenfalls ungefleckt, bei den
beiden letztgenannten Arten ist die Wurzelhälfte des Unter-
schnabels hornweiss oder fleischfarbig bei der feuerländischen
dagegen der ganze Schnabel tiefschwarz.
Ctenomys fueginus Ph.
Von
Dr. R. A. Philippi.
Hierzu Tafel XIII.
Bei der Erforschungsreise, welche der chilenische
Marinelieutenant Serrano im Sommer 1878—79 auf der öst-
lichen Insel des Feuerlandes gemacht hat, begleitete ihn der
Diener des Museums, und brachte ausser Geositta antarctica
und anderen bekannten Vögeln und Säugethieren auch
mehrere Exemplare einer Ctenomys mit, welche ich für
unbeschrieben halte — soweit meine hiesigen Hülfsmittel
reichen, die nichts weniger als reichhaltig sind —, und mit
obigem Namen belegt habe. Diese Maus ist das haupt-
sächlichste Nahrungsmittel der Einwohner jener Insel, so
wie vor Ankunft der Spanier die Chilenen ihre Fleisch-
nahrung hauptsächlich vom Degu, Octodon Degus Wat.,
nahmen. Die östlichen Feuerländer fangen diesen Nager
hauptsächlich durch ihre Hunde.
Anfänglich glaubte ich, die erhaltenen Mäuse seien
Ctenomys magellanicus Bennett, welche Art das gegenüber-
liegende Festland bewohnt, und welche ich aus Waterhouse
Nat. bist, of the Mammalia. Rodentia p. 283 t. 9. f. 2,
u. t. 8. f. 2 kenne; Waterhouse sagt, dass nur ein einziges
Exemplar davon nach Europa gebracht sei, so wie, dass
diese Art durch verhältnissmässige Kleinheit und Schmal-
heit des Schädels von den andern Arten ihres Geschlechts
verschieden sei.
In der Gestalt dürfte Ctenomys fueginus kaum auf-
fallend von den andern Ctenomys-Arten verschieden sein.
Die Schneidezähne sind fast «rangegelb. Die Schnurrborsten
Ctenomys fueginus Vh. 277
reichen bis hinter die Ohren, sind fein und weich, sehr
hellbraun, und zum Theil fast weiss. Das Grannenhaar
des Pelzes ist in den untern zwei Drittheilen schwarz, im
letzten Drittheil weiss oder vielmehr hellgelb, an der Spitze
selbst aber wieder schwarz, so dass die allgemeine Fär-
bung des Pelzes eine schwer zu beschreibende Mischung
von Gelb und Grau ist. Dabei ist das Grannenhaar gegen
die Wurzel hin sehr fein, im weisslichen Theil aber wohl
dreimal so breit wie an der Wurzel und dabei platt; die Haare
der Seiten scheinen am breitesten zu sein. Die Länge be-
trägt an den Seiten und auf dem Rücken 19 mm. Die
Bauclihaare sind kürzer, und der weissliche Theil derselben
ist so lang wie der schwarze; die Färbung des Bauches
wird dadurch beinahe weisslich. Die Haare der Füsse
sind kürzer, steifer, ermangeln ebenfalls der schwarzen
Spitze und gehen allmählich in die steifen Borsten über,
welche dem Genus den Namen gegeben haben. Am Schwanz
sind die Haare dicht anliegend, sonst kaum von den Haaren
des Rumpfes verschieden ; er erscheint oben schwärzlich,
besonders nach der Spitze hin; unten ist er rein gelblich
weiss. Das Wollhaar ist nur durch grössere Feinheit vom
Grannenhaar verschieden.
Besonders lang sind die Haare am Hintern des Thieres.
Die Krallen der Vorderfüsse sind lang, schwach ge-
krümmt, stumpf, oben rund, unten aber in einen scharfen
Kiel auslaufend, der gegen die Spitze in ein Grübchen
übergeht; die der Hinterfüsse sind viel kürzer, und unten
fast in ihrer ganzen Länge von einer Furche durchzogen ; die
Farbe der Krallen ist weisslich. Ich bemerke gleich hier,
dass die Krallen sehr verschieden von denen des Ct. magel-
lanicus sind, denn bei dieser Art sind sie sehr klein; die
Zeichnung zeigt die Vordernägel nicht länger als die Hin-
ternägel nämlich beide kaum 4 mm lang und dabei sehr
spitz.
Was die Dimensionen des Ctenomys fueginus betrifft,
so misst das grösste Exemplar 227 mm von der Schnauzen-
spitze bis zur Schwanzwurzel; die Länge des Schwanzes
beträgt 46 mm; von der Handwurzel bis zur Spitze der
Krallen messe ich 26 mm, vom Hacken bis zur Spitze der
278
R. A. Philippi:
Nägel 35 mm, die längste Kralle der Vorderftisse misst
auf der Oberseite fast 10 mm, die der Hinterfüsse 6 mm.
Ich gebe nun die Dimensionen des Schädels der bei-
den Arten von Ctenomys, Ct. fueginus und magellanicus
in Millimetern.
fueginus magellan.
Gesammte Länge des Schädels 49 45
Breite des Hinterkopfes 26 24
Breite vom Aussenrand des einen Jochbeins zum
Aussenrand des andern 28V2 25
Abstand von einer Augenhöhle zur andern ... 9 10
Länge der Nasenbeine 18 15
Breite derselben vorn • . • 6 6
Breite derselben hinten, wo sie an das Stirnbein
stossen 3 3
Länge des Jochbogehs aussen 22 V2 21
Breite der Schnauze oder der Oberkiefer ... 9 9
Entfernung von den Schneidezähnen bis zu den
Backenzähnen 15 13
Länge des Unterkiefers von der Spitze bis zum
hintern Winkel 40 33
Höhe desselben vom Gelenkkopf bis zum untern
Rande
Grösste Entfernung der beiden Aeste desselben
Länge der vier obern Backenzähne
Länge der vier untern Backenzähne
Länge der obern Schneidezähne aussen j^emessen
Breite der beiden untern Nagezähne zusammen
Dicke der Nagezähne
Man sieht, der Schädel von Ctenomys fueginus ist im
Allgemeinen etwas grösser als der von Ct. magellanicus, aber
die Entwickelung seiner Kaumuskeln ist unverhältniss-
mässig bedeutender. Die Jochbogen sind viel mehr nach
aussen gebogen, so dass der vom Schläfenmuskel ausge-
füllte Kaum fast doppelt so weit wie bei Ctenomys magel-
lanicus ist. Der Jochbogen unserer Art hat aussen eine
stark hervortretende horizontale Leiste, die am Schädel
von der genannten Art — nach der Figur zu urtheilen —
lehlt. Der Unterkiefer ist der grösseren Entwickelung der
Kaumuskeln gemäss weit kräftiger; seine hinteren unteren
Winkel treten weiter nach hinten vor, und sind weiter ent-
16V2
12
30V2
28
10^-11
—
IQJ-ll
9
10
7
6
3V4
3
2
Cteuomys fueginus Ph. 279
fernt vom Gelenkkopf, so dass der Unterkiefer weit höher
ist. Ebenso sind die Nagezähne unserer Art weit kräftiger.
Die übrigen Verschiedenheiten zwischen den Schädeln
der beiden Arten scheinen mir weniger bedeutend, und
übergehe ich sie deshalb in der Beschreibung, sie ergeben
sich übrigens leicht aus einer Vergleichung der Zeichnun-
gen und der Maasse. Jedenfalls finden sich zwischen
ihnen solche Verschiedenheiten, dass man sie nicht als
einer und derselben Art angehörig betrachten kann, und
glaube ich daher, dass die Aufstellung einer neuen Art
vollkommen gerechtfertigt ist.
Erklärung der Abbildungen zu Tafel XIII.
Fig. 1. Schädel von Ctenomys fueginus von oben gesehen.
Fig. 2. Derselbe von der Seite.
Fig. 3. Unterkiefer von Ctenomys fueginus.
Fig. 4. Schädel von Ctenomys magellanicus von oben nach
Bennett.
Fig. 5. Derselbe von der Seite, desgleichen.
Fig. 6. Unterkiefer von Ctenomys fueginus, desgleichen.
Beitrag zur Kenntniss der Verbreitnngsgrenzen
der fliegenden Fische im südindischen Ocean,
Von
E. von Banckelman,
Assistent am meteorologischen Institut zu Leipzig.
Bekanntlich ist es das unsterblic heVerdienst Maury's,
die Führung specieller meteorologischer Journale an Bord
von Schiffen zuerst angeregt und in Fluss gebracht zu
haben. Waren dieselben zuerst auch in vielen Beziehungen
mangelhaft, so sind sie in neuerer Zeit, Dank den Be-
mühungen der nautischen Centralinstitute der verschiedenen
in- und aussereuropäischen Staaten und der internationalen
Meteorologencongresse, ausserordentlich vervollkommnet wor-
den, und ist es in den einzelnen Ländern gelungen, einen
Stamm gebildeter und einsichtsvoller SchifPsführer heran-
zuziehen, durch deren Beobachtungen es gelingen wird,
allmählich mehr und mehr Einsicht in die physicalische
Beschaffenheit der Oceane und über die Vorgänge in dem
über jenen gelagerten Luftmeer zu gewinnen.
Unter den zahlreichen Kapitainen, welche für die
deutsche Seewarte in Hamburg derartige Journale auf hoher
See führen, (was bekanntlich ohne jede pecuniäre Ent-
schädigung und nur ganz freiwillig geschieht) befindet sich
eine Reihe eifriger Männer, die mit einem offenen Sinn
für die sie umgebende Natur begabt, sich nicht nur mit
der Registrirung von Daten rein meteorologischer Natur
begnügen, sondern auch über von ihnen auf ihren Seereisen
Zur Kenutniss der Vorbruitimg der fliegeuden Fische. 281
beobachtete Erscheinungen in der organischen Natur ge-
treulich und eifrig Buch führen. So bergen diese von der
deutschen Seewarte seit ihrem Bestehen gesammelten
Schiffsjournale, deren Zahl das erste Tausend bereits über-
schritten hat, ein recht werthvolles Quellenmatcrial über
das Auftreten und die Verbreitung der Seegräser, Seevögel
etc., das noch seiner Schöpfung und weiteren Bearbeitung
harrt.
Bei Gelegenheit einer Durchmusterung der an dem
deutschen nautischen Institut vorhandenen Journale über
Reisen durch den indischen Ocean, die ich wegen einer
Arbeit meteorologischer Natur unternahm, glaubte ich mir
keine vergebliche Mühe zu machen, wenn ich hierbei die
vorkommenden Bemerkungen über das Auftreten der flie-
genden Fische gleichzeitig mit excerpirte.
Dem von Europa nach Indien oder China bestimmten
Seefahrer ist, wenn er das Cap der guten Hoffnung pas-
sirt hat und wieder nach niedrigem Breiten steuert, das.
erste Auftreten der fliegenden Fische immer eine bemerkens-
werthe Thatsache ; sie sind ihm die Vorboten der tropischen
Regionen, ganz abgesehen davon, dass sie ihm zuweilen
durch ihr zahlreiches Niederfallen auf Deck, namentlich
bei nicht sehr hoch über dem Wasser gehenden Schiffen,
ein unerwartetes Gericht von frischem Fleisch liefern. Es
ist daher nichts seltenes, dass man selbst in solchen Jour-
nalen, in denen man sonst keine Bemerkungen zoologischer
Natur antrifft, häufig das erste Auftreten der fliegenden
Fische getreulich verzeichnet findet, und bietet dieser Um-
stand eine günstige Gelegenheit die südliche Verbreitungs-
grenze dieser Thiere wenigstens annähernd festzustellen.
Wir geben im Folgenden die excerpirten Daten, die wir
nur den ganz besonders guten und vertrauenswürdigen
Journalen entnommen haben, und unter denen wir noch
alle diejenigen ausgelassen haben, bei denen offenbar Irr-
thümer unterlaufen sein mussten. Den nach der Länge
der Beobachtungspunkte geordneten Angaben sind die
jedesmal am Ende der betreffenden Woche beobachteten
Temperaturen der Wasseroberfläche und das Datum der
Beobachtung beigefügt.
282
E. V. Danckelman
Länge ö. v.Gr.
Breite.
Wassertemp.C.
Datum .
20«
39«
17.«4
24. April.
24
42
17. 5
9. Juni.
28
33
23. 6
22. April.
32
31
21. 5
18. Februar.
32
30
25. 6
28. April.
37
29
2L 8
7. November.
42
30
21. 0
9. August.
42
29
20. 4
28. Februar.
42
28
23. 5
7. Mai.
50
27
22. 0
14. Juli.
58
25
19. 4
22. April.
68
21
21. 5
23. September.
84
23
22. 0
17. December.
86
27
21. 5
15. November.
87
27
22. 0
24. December.
87
23
21. 8
2. Februar.
89
25
20. 6
8. December.
90
27
22. 1
12. December.
94
22
21. 3
28. November.
94
27
22. 0
5. März.
101
25
21. 1
18. August.
101
23
22. 5
24. Oktober.
101
31
19. 2
28. Februar.
101
28
17. 9
25. Juni.
102
28
18. 8
17. Oktober.
103
19
18. 6
4. Oktober.
104
20
17. 7
2. September.
104
25
19. 2
10. Oktober.
105
21
22. 5
30. September.
105
18
24. 2
15. Juni.
106
20
21. 2
7. September.
106
18
22. 9
9. September.
112
21
24. 0
17. Juni.
Trägt man die Beobachtungspunkte auf einer Karte
ein, so ergiebt sich, dass die Verbreitungsgrenze im allge-
meinen einen Verlauf von Südwest nach Nordost nimmt,
so zwar, dass derselbe sich in der Nähe des afrikanischen
Continents am meisten den antarktischen Regionen nähert,
während sie sich an der Westküste Australiens am weite-
sten von denselben entfernt. Die Erklärung für diese
Zur Kenntniss der Verbreitung der fliegenden Fische. 283
Thatsache ist in den Meeresströmungen, welche den süd-
indischen Ocean durchziehen, zu finden. An der Ostküste
Afrikas setzt der warme Mozambiquestrom herab, der an
der Stidküste des Continents den Namen Aculhasstrom
führt. Durch dessen warme Gewässer ist den fliegenden
Fischen ein Vordringen in höhere Breiten gestattet, als an
anderen Punkten des Oceans. Nach der Tabelle sind beim
ersten Auftreten dieser Fische hier niedere Wassertempera-
turen gefunden worden als an irgend welchen anderen
Stellen. Dieser Umstand kann einerseits dadurch erklärt
werden, dass einzelne Schaaren dieser Fische durch die
starke Meeresströmung hier zuweilen in Gebiete geführt
werden, deren Temperatur im allgemeinen zwar ihrer Exi-
stenz nicht günstig sein wird, ohne dass jedoch gerade
schon eine directe Gefährdung derselben vorhanden zu sein
braucht. Andererseits findet die Erscheinung auch wohl
in dem Umstand ihre Erklärung, dass bei einem Zusammen-
treffen einer kalten und einer warmen Meeresströmung, wie
dies an der Südküste von Afrika der Fall ist, wärmere und
kältere Streifen Wassers in horizontaler Richtung neben-
einander sich finden, so dass die angegebenen Wassertem-
peraturen wohl nicht mit denjenigen zusammenfallen dürf-
ten, die man gewonnen haben würde, wenn man dieselben
gerade im Augenblick des Auftretens der Fische beobachtet
hätte.
Der Verlauf der Verbreitungsgrenze schliesst sich im
westlichen Theil des Oceans im Allgemeinen recht genau
den Grenzen der warmen Strömungen in diesem Meer an,
erst unter 80^ östl. L. zeigen sich einige bemerkenswerthe
Sprünge in der Curve, die sich vielleicht durch eine ver-
mehrte Zahl von Beobachtungen ausgleichen würden. Jeden-
falls ist aber die Tendenz derselben in dieser Gegend in
höhere südliche Breiten vorzudringen unverkennbar, ohne
dass es möglich wäre hierfür an der Hand von Meeres-
strömungen eine directe Erklärung zu finden. Der Einfluss
dieser letzteren tritt aber wieder sehr deutlich in der Nähe
der Westküste Australiens zu Tage. Unter dem Einfluss
des hier nach Norden setzenden kalten Stromes steigt
die Curve hier wieder bedeutend nach dem Aequator zu
284 V. Dan ekel man : Zur Kenntn. d. Verbreitungsgr. d. flieg. Fische.
enipor und scheint die antarktische Strömung die Existenz
der Fische an der Westküste Australiens nicht zuzulassen.
Eine Schwankung der Verbreitungsgrenze je nach der
Jahreszeit nachzuweisen, ist bei dem noch so spärlichen
Material unmöglich, wohl aber dürfte durch dasselbe con-
statirt sein, dass die äusserste Grenze der Verbreitung der
fliegenden Fische, nach den Polen zu, soweit dieselbe an
die Wassertemperatur gebunden ist, in der Meeresisotherme
von 17<^ C. gegeben ist.
Ueber die Mundtheile der Araclmiden.
Von
A. Croneberg
in Moskau.
Hierzu Tafel XIV bis XVI.
Dem Vergleich der Arachniden mit den übrigen Ar-
thropoden hat sich bekanntlich immer als Hinderniss die
beschränkte Extremitätenzahl der Ersteren entgegengestellt,
wobei hauptsächlich im Bereich des Kopfabschnittes die
Deutung der zu Mundwerkzeugen umgebildeten Körperan-
hänge erschwert wird. Seitdem nach dem Vorgange von
Latreilbe das erste Extremitätenpaar der Arachniden in
Anbetracht seiner Innervirung vom Oberschlundganglion
von den meisten Anatomen als modificirte Antennen erkannt
worden ist, blieben im Ganzen nur noch die sog. Maxillen
und die vier Beinpaare der Arachniden für den Vergleich
mit einer grösseren Anzahl von Kopf- und Thoracalan-
hängen der anderen Arthropoden übrig. Die Versuche, diese
Gliedmassen der Arachniden denen der Insekten und Cru-
staceen zu parallelisiren, sind bekannt, ebenso wie die in
dieser Hinsicht noch immer herrschende Unsicherheit, die
gewiss zum Theil dadurch erklärt werden kann, dass eben
der Vergleich zwischen offenbar schon sehr weit von dem
Urtypus entfernten Formen vorgenommen wurde. Die so
scharf und unvermittelt dastehenden Eigenthümlichkeiten
in der Organisation der heute lebenden Repräsentanten der
Arachniden, die unverkennbare Tendenz zur Reduction der
Körperabschnitte und Extremitäten, zusammengehalten mit
gewissen embryologischen Thatsachen, die für eine Ab-
286 A. Croneberg :
stammung von Formen mit einer viel grösseren Gliedmas-
senzahl sprechen, lassen es zweckmässiger erscheinen, zu-
nächst im Bereich dieser Thierclasse für sich, ganz abge-
sehen von den übrigen Arthropoden, nach den Characteren
der Urform zu forschen, die den heutigen Gestalten zu
Grunde liegt. In Bezug auf die Mundtheile wäre demnach
die Frage zu erörtern, ob sich nicht innerhalb der Arach-
nidenclasse selbst Nachweise eines früheren complicirteren
Baues erhalten haben, gleichviel ob derselbe mit dem von
anderen Gliederthieren bekannten übereinstimmen sollte
oder nicht, und ein derartiger Versuch bildet den Gegen-
stand der vorliegenden Untersuchung.
Da sich schwerlich etwas gegen die gegenseitige Ho-
mologie der Kieferfühler bei sämmtlichen Arachnidenord-
nungen sowie gegen die ihrer Unterkiefer und deren Pal-
pen einwenden lässt, so beschränkt sich die Untersuchung
auf diejenige Bildung, welche bei allen höheren Arachniden
schon längst als Oberlippe, Epipharynx oder unter dem
indifferenteren Namen eines Rostrum bekannt ist. Es ist
dies ein ziemlich unscheinbarer, unpaarer, seitlich compri-
mirter Vorsprung, der sich zwischen den Kieferfühlern und
den Maxillen unmittelbar über der Mundöffnung erbebt oder
dieselbe von oben umschliesst. Es war zuerst Bl auch ard,
der auf Grund seiner Beobachtungen an Solpuga (Galeodes)
in diesem unpaaren Organe das Aequivalent der ver-
schmolzenen Mandibeln, Maxillen und sogar der Unterlippe
der Insekten wahrzunehmen glaubte und dasselbe auch für
die anderen Arachniden behauptete ^), allein die ungenügen-
den und offenbar zu sehr von dem Gedanken an die Ver-
wandtschaft mit den Insekten beeinflussten Beweisgründe
dieses Forschers scheinen seiner Ansicht nur wenig Be-
achtung erworben zu haben. Zu Gunsten derselben hat
sich nur Milne-Edwards^) ausgesprochen, ohne übrigens
weitere Beweise vorzubringen, ebenso Balbiani^), welcher
jedoch mit Recht auf die Nothwendigkeit einer embryolo-
1) Organisation du Regne animal. Arachnides, p. 210.
2) LcQons sur la Phys. et l'Anat. comp. V, p- 541.
3) Developp. d. Phalangides (Ann. d. Sc. nat. 1872. p. 25).
Ueber die Mundtheilo der Arachniden. 287
gischen Begründung hingewiesen hat. Seitdem scheint die
Frage nach der Bedeutung dieses Organes kaum irgendwo
berührt worden zu sein.
Betrachten wir zunächst das sog. Rostrum des Scor-
pions (Androctonus). Von oben gesehen erscheint dasselbe,
nach Entfernung der Kieferfühler, als ein medianer kleiner,
zwischen den Grundgliedern der Maxillen sitzender Fort-
satz (Fig. 1, R). An der Oberseite und an der Basis ist
er stärker chitinisirt, unten weicher; der vordere Theil des
Rostrum ist stark seitlicli comprimirt, so dass der untere
Rand einen ziemlich scharfen Kiel bildet, der jederseits
mit dichten, anliegenden Haaren besetzt ist (Fig. 2 von
der Seite, Fig. 3 von unten). Unten an der Basis liegt
in einer Vertiefung die kleine Mundöffnuug (Fig. 3 o), an
die sich unmittelbar der stark comprimirte Anfangstheil
der Speiseröhre, der Pharynx anschliesst (Fig. 2 ph). Der
Basaltheil des Rostrum ist deutlich paarig und wird durch
stärker chitinisirte Nähte von dem unpaaren vorderen Ab-
schnitte abgegrenzt; er wird durch zwei Chitinbalken ge-
bildet (Fig. 2 rb), die schräg von den Seiten der Mund-
öffnung aufsteigend, sich nach oben verbreitern und den
unpaaren Theil (r) zwischen sich aufnehmen, indem sie
hinter demselben zusammenstossen. An dieser Stelle fügen
sich dem Rostrum ein paar comprimirte, sichelförmig ge-
bogene Fortsätze an (Fig. 1, 2, f), die nach hinten in's
Innere des Thorax vorspringen und den Muskeln der
Kieferfühler zum Ansatz dienen, während jederseits vom
Munde, an den unteren convergirenden und verdickten
Enden der Balken ein kleiner weichhäutiger Fortsatz zu
bemerken ist (Fig. 3 u).
Der beschriebene Apparat hat eine grosse Aehnlich-
keit mit den von mir bei verschiedenen Hydrachniden und
bei Trombidium gefundenen inneren Mundtheilen ^). Ver-
gleicht man z. B. diese Bildungen bei Eylais^), so findet
1) Ueber den Bau vonEylaisextendens, nebst Bemerkungen über
verwandte Formen (Denkschr. d. Ges. d. Freunde der Naturkunde etc.
in Moscau, Bd. XXIX, Hft. 2. (russisch) und über den Bau von
Trombidium (Bull. Soc. Nat. de Moscou Jahrg. 1879, Nr. 2, p. 234).
2) 1. c. Taf. I, Fig. 4, 5.
288 A. Croneberg:
man auch hier an der Innenseite der Maxillarladen ein Paar
nach innen vorspringender Chitinfortsätze, die sich über
dem Eingange in den weiten Pharynx brückenartig ver-
binden und genau an derselben Stelle, wie beim Scorpion,
zwei lange Chitinstäbe nach hinten abgehen lassen, welche
bei den Hydrachniden und Trombidien die beiden Haupt-
stämme des Tracheensystems umschliessen. Die beiden
Hälften der den Pharynx überwölbenden Brücke entsprechen
offenbar den paarigen Basaltheilen des Rostrums beim
Scorpion und ihre unteren Enden treten ebenfalls an den
Seiten der Mundöffnung an die Oberfläche des Körpers,
wo sie den Haarkranz tragen, der den Mund umgiebt. Die
Lagebeziehungen zu den benachbarten Theilen sind die
nämlichen, wie beim Scorpion, nur fehlt bei den erwähnten
Milben, wohl im Zusammenhang mit der engen Anlagerung
der Kieferfühler an die Maxillarladen (Unterlippe) jede
Spur eines vorderen unpaaren Theiles eines Rostrum.
Die Verhältnisse bei dem Scorpion erlauben aber, wie
ich glaube, einen Schluss auf die eigentliche Bedeutung
der beiden hinteren Fortsätze des Rostrum, sowie jener
von mir Trachealleisten genannten Chitingebilde bei den
Milben. Wenn nämlich der Thorax des Scorpions von
oben geöffnet und die inneren Organe entfernt worden
sind, so gew^ahrt man im Innern desselben ein ziemlich
complicirtes Chitingerüst (Fig. 1). Der Vorderrand der
Coxalglieder sämmtlicher Beine erhebt sich in Gestalt
schmaler Leisten (a, a', Si" . . .), die an den beiden vor-
deren Beinen eine quere Lage besitzen, an den zwei
folgenden nach hinten divergiren; ein weiteres Paar
solcher Vorsprünge entspricht dem ersten Bauchsegment.
An jedem Apodem der drei ersten Beinpaare erkennt man
dann noch einen unteren horizontalen Fortsatz in Gestalt
eines durchsichtigen, mit einem scharfen Ausschnitte ver-
sejienen Blättchens (b, b', b"), welches nach hinten gerichtet
ist, während sich vom äusseren Ende des Apodems der
beiden ersten Segmente ein schief nach oben und innen
aufsteigender Fortsatz (c', c") erhebt, welcher sich mit
dem nächstfolgenden Apodem verbindet. Weiter nach hin-
ten findet man diese Bildungen nicht mehr, sucht man abei*
Ueber die Mundtlieile der Arachniden. 289
in der Richtung nach vorn nach einem Aequivalent der-
selben für das Maxillarsegment, so ist dasselbe wohl ohne
Zweifel in der breiten dreieckigen Platte c zu erkennen,
welche die obere Decke der Maxillarladen bildet und zu
dem unteren Theil derselben in einem ähnlichen Verhält-
nisse steht, wie die Fortsätze c', c" zu den Coxalgliedern
der zwei ersten Beinpaare; ihre relativ stärkere Entwicke-
lung entspricht der beträchtlicheren Grösse der betreffen-
den Extremität. Ist diese Deutung richtig, so wird, in
Berücksichtigung der ähnlichen Gestalt der beiden, dem
Rostrum hinten angefügten Fortsätze f, auch eine homologe
Beziehung derselben zu dem Rostrum selbst wahrscheinlich
d. h. wir können dem Letzteren ein Paar eben solcher
Apodemen zuschreiben, wie sie den nachfolgenden Extremi-
täten zukommen, und in Folge dessen in diesem Gebilde
selbst ein rudimentäres Extremitätenpaar erkennen.
Diese Deutung könnte jedoch zunächst nicht für das
ganze Rostrum in Anspruch genommen werden, sondern
höchstens nur für den aus paarigen Seitentheilen bestehenden
Abschnitt desselben, während der vordere unpaare Theil
immerhin einer Oberlippe entsprechen könnte. Wir werden
indessen im Weiteren sehen, dass bei anderen Arachniden
der vordere Abschnitt des Rostrum, ganz ebenso wie die
Basis, eine Zusammensetzung aus paarigen Hälften noch
deutlich genug erkennen lässt, und wenden uns nun zur
Betrachtung einer ebenfalls durch die Vollständigkeit ihrer
Körpersegmentation ausgezeichneten Form, der Solpuga.
Das Rostrum dieser Thiere (Fig. 4, 5, 6) zeigt eine
stärkere Ausbildung, als dasjenige des Scorpions, und
bietet noch dazu den wesentlichen Unterschied, dass es die
Mundöffnung nicht an seiner Basis, sondern unterhalb
seiner Spitze trägt (Fig. 6, o). Da ausserdem das Rostrum
einen nicht unbeträchtlichen Theil des Pharynx umschliesst
(Fig. 5 ph), so dürfte schon desshalb der Vergleich mit
einer Oberlippe nicht ganz passend sein. Der Basaltheil
des Rostrum (rb) lässt zwar keine Naht in der Median-
linie erkennen, läuft aber hinten in zwei breite und kurze,
senkrecht gestellte Fortsätze aus (f), welche durch eine
Chitinnaht vom Basaltheil abgegrenzt sind und zu demselben
Archiv f. Natiirg. XXXXVT. Jalii-g. 1. B<1. 19
290 A. Croneberg:
in einem ähnliclien Verhältnisse stehen, wie die beiden
Apodemen des Rostrum beim Scorpion. Der Basaltheil
bildet hier über dem Pharynx eine Brücke, wie wir es
beim Scorpion und den Hydrachniden bereits gesehen
haben; der Vordertheil des Rostrum (r) aber zeigt bei
Solpuga deutlich eine paarige Zusammensetzung, indem
die die Mundöffnung überragende Spitze in zwei verticale
Lamellen ausläuft, die aus zahlreichen, miteinander ver-
bundenen Chitinstäbchen besteht; an den Seiten des Mundes
stehen zwei weiche, zipfelförmige Fortsätze (u), die je eine
lange, behaarte Borste tragen. Eine Oberlippe scheint hier
überhaupt nicht vorzuliegen und wird daher auch eine
solche für den Scorpion in Frage gestellt werden müssen,
wie sich denn auch bei den anderen Arachniden, wie wir
sehen werden, nichts darauf hinweisendes finden lässt.
Dagegen ist es natürlicher, in dem gesammten Rostrum
von Solpuga und Scorpio das Produkt der Verschmelzung
von paarigen Organen, und zwar, nach dem Vorhandensein
der Apodemen zu urtheilen, von Gliedmassen-artigen Bil-
dungen anzunehmen. Es fragt sich indessen, ob wir es
in diesen beiden Fällen nicht mit zwei solchen Extremitä-
tenpaaren zu thun haben, indem nämlich die beiden zipfel-
förmigen Anhänge an den Seiten des Mundes bei Solpuga
(sowie die an der entsprechenden Stelle beim Scorpion
vorhandenen Fortsätze), die auch sonst sich durch ihre
weichhäutige Beschaffenheit von dem übrigen Rostrum
deutlich abgrenzen, die Rudimente eines zweiten Paares
darstellen könnten. Wir werden im Folgenden sehen, dass
wenigstens die Wahrscheinlichkeit einer solchen Annahme
nicht ganz ausgeschlossen bleibt.
lieber den Bau der Mundtheile bei den Pseudoscor-
pionen besitzen wir bis jetzt nur die ziemlich mangelhaften
Untersuchungen von Menge 1), welcher, wie es scheint, das
Rostrum dieser Thiere völlig übersehen hat. Die Bestand-
theile desselben lassen sich indessen ebenso leicht wie bei
den übrigen Arachniden nachweisen, wenn man z. B. bei
1) lieber die Scheerenspinnen (N. Schrift der nat. Gesell, zu
Danzig, Bd. V. 1855).
üeber die Mundtheilc der Arachniden. 291
Cbelifer die Kieferfüblcr und das Thoracalschild ablöst.
Man siebt alsdann (Fig. 7), dass die Grundglieder der
beiden Maxillen (mx) durcb eine Querbrücke verbunden
werden (rb) welcbe die Basis des Rostrum bildet; sie be-
stebt aus zwei dreieckigen, binten und oben zusammen-
stossenden Platten, denen binten nocb zwei kurze Fortsätze
angefügt sind (f), und das Ganze bildet wie bei anderen
Aracbniden einen den Pbarynx (pb) überwölbenden Bogen.
Der Zwisebenraum beider Basalplatten wird vorn durcb
zwei convergirende feine Cbitinleisten abgescblossen und
bat eine fast rbombiscbe Gestalt, die Leisten selbst ver-
scbmelzen vorn und stützen einen flacben, durcbsicbtigen,
Oberlippen-artigen Fortsatz (r), den wir, entsprecbend dem
Befunde an Solpuga, ebenfalls als aus paarigen Seiten-
tbeilen gebildet uns vorstellen können. Diese glasbelle,
vorn abgerundete Platte bietet bei Obisium eine zierlicbe
scb üppige Zeicbnung. An ibrer Unterfläcbe (Fig. 8) ziebt
von der Spitze nacb binten eine deutlicbe Nabt, so dass
man sieb die Ränder des flacben Gebildes nacb unten um-
gescblagen und miteinander verwacbsen denken muss ;
weiter nacb binten trennen sieb aber die Ränder, und be-
tracbtet man das von den Maxillen abgelöste Rostrum von
der Seite (Fig. 9), so siebt man, dass dieselben zwei
senkrecbte, einander eng anliegende Lamellen darstellen,
die eine äusserst feine und regelmässige Querstreifung
zeigen und an ibrem convexen unteren Rande mit sebr
feinen Zäbncben verseben sind. Die oberen Grenzen die-
ser Lamellen sind vollkommen gerade und in ibrer Höbe
verläuft zwiscben ibnen eine unpaare Cbitinleiste, die
Fortsetzung der oberen Wandung des Pbarynx. Letzterer
bat im Querscbnitt eine vierstrablige Gestalt, weil seine
stark cbitinisirte Wand sieb nacb oben und unten in
Form von vier balbkreisförmigen Leisten ausziebt, welcbe
der Musculatur zum Ansatz dienen. Die untere Wand des
Pbarynx setzt sieb nacb vorn in Gestalt von zwei ebenfalls
quergestreiften Lamellen fort (u), die den oberen in Form
und Grösse gleicben, aber längs ibres unteren Randes ver-
wacbsen sind und eine sebr stark comprimirte kabnförmige
Bildung darstellen, welcbe in der Reibe zwiscben die
292 A. Croneberg:
oberen Lamellen aufgenommen wird wie ein Unterkiefer;
der obere Rand derselben ist ebenfalls mit feinen, aber
etwas längeren Zäbnen ausgerüstet. Der Eingang in den
Pharynx, d. h. die Mundöffnung, befindet sich im Grunde
dieser beiden kieferartigen Organe, und das ganze Rostrum
liegt zwischen den beiden, unten nur durch einen engen
Zwischenraum getrennten Grundgliedern der Maxillen
(Fig. 7); die vorderen Ecken derselben sind je in eine
Spitze ausgezogen, und die dem Rostrum zugewandten
Flächen tragen einen durchsichtigen blattförmigen Fort-
satz, der das erstere ein wenig überragt.
Vergleicht man nun das Rostrum bei Chelifer, Scorpio
und Solpuga, so kann wohl kaum bezweifelt werden, dass ,
die über dem Pharynx gelegenen paarigen Basaltheile ein-
ander homologe Bildungen sind. In diesem Falle wären
aber die eigenthümlichen vorderen Anhänge des Rostrum
von Solpuga nur den oberen quergestreiften Lamellen von
Chelifer zu vergleichen, und die beiden Hälften des Unter-
kiefer-artigen Organes des Letzteren den unteren zipfel-
förmigen Anhängen von Solpuga. Das Verhältniss zur
Mundöffnung und zum Pharynx ist bei beiden dasselbe,
nur muss man berücksichtigen, dass der Mund bei Chelifer
viel weiter nach hinten gerückt ist als bei Galeodes. Auch
beim Scorpion existiren, wie wir gesehen haben, ein paar
allerdings sehr rudimentäre Anhänge, die ihrer Lage nach
den mehr entwickelten unteren Anhängen des Rostrum von
Solpuga und Chelifer entsprechen.
Gegenüber den bereits besprochenen Formen zeigen
die meisten eigentlichen Spinnen in dem Bau ihres Rostrum
eine offenbare Rückbildung, indem der paarige Charakter
seiner Bestandtheile kaum noch zu erkennen ist. Nur
bei Mygale lassen sich noch im erwachsenen Zustande mit
genügender Sicherheit die wesentlichen Theile des Arach-
nidenrostrum wiedererkennen. Nach den Untersuchungen
von Was mann*) trägt der kegelförmige, als Oberlippe
bekannte Vorsprung bei Mygale an seiner Spitze einen
1) Abhandl. etc. d. naturw. Vereins in Hamburg. Bd. I,
p. 132.
Ueber die Mundtheile dor Arachniden. 293
kleinen überhängenden Anbang-, der aus zwei seitlicben,
durch einen Einschnitt getrennten Lappen besteht und eine
kleine blinde Höhlung tiberdeckt. Dieser Anhang findet
sich auch bei anderen Spinnen, freilich in unpaarer Form
und kann um so eher dem Endtheil des Rostrum von
Scorpio und Solpuga verglichen werden, als der Basal-
theil bei Mygale aus deutlich paarigen Seitenhälften be-
steht, deren Grenze sich in einer Längsfurche der Oberseite
sehr deutlich erkennen lässt. Sich nach unten fortsetzend,
überbrücken sie den Eingang in den Pharynx und verbin-
den sich jederseits mit der sog. Unterlippe, die den Mund
von unten begrenzt. Die untere eingedrückte Fläche des
Rostrum setzt sich direkt in die obere Wandung des Pha-
rynx fort (die sog. obere Gaumenplatte), während die
untere Wandung desselben sich an die Unterlippe befestigt
(Fig. 10 zeigt diese Verhältnisse bei Atypus piceus, einer
Mygalide). Das Lageverhältniss zu Mund und Pharynx
ist also bei den Spinnen das nämliche, wie bei dem Ro-
strum anderer Arachniden; nur vermissen wir die unteren
paarigen Anhänge, wenn nicht möglicherweise die Unter-
lippe selbst diesen Gebilden entspricht.
Auch in der Ordnung der Phalangiden lassen sich
verwandte Bildungen erkennen, wenn auch die Differenzi-
rung derselben eine geringere ist. Die Kieferfühler ruhen
beiPhalangium gleichfalls auf einer die Grundglieder der
Maxillen verbindenden Quer brücke (Fig. 11, 13 rb), nur
ist dieselbe nicht horizontal, sondern fast senkrecht gestellt
und vorn stark buckeiförmig vorgewölbt. Unter dieser
Vorwölbung befindet sich ein medianer schnabelförmig zuge-
spitzter Vorsprung (r), welcher den Endtheil des Röstrum
darstellt, während der über demselben liegende gewölbte
Theil der Basis entspricht. Seine Höhlung umfasst den
senkrecht aufsteigenden Pharynx (Fig. 13 ph), längs des-
sen Vorderwand eine dunkle Chitinleiste herabsteigt, die
der Musculatur zum Ansatz dient und sich unten in zwei
Aeste spaltet, welche auf die Innenseite der Maxillarla-
den sich fortsetzen und eine eigenthümliche Gestalt besitzen
(Fig. 12, 13). Nach hinten setzt sich der obere Rand des
Basaltheiles des Rostrum in Gestalt zweier breiter, senk-
294 A. Croneberg:
rechter, in den Innenraum des Thorax hineinragender Fort-
sätze fort (Fig. 13 f), während von der Mitte des Ober-
randes eine stark chitinisirte Leiste sich fast senkrecht
erhebt und den Kieferfühlern als Stütze dient (Fig. 11, 13,
1). Die Mundöffnung (o) befindet sich an der Unterseite
des schnabelförmigen Fortsatzes und wird seitlich von den
Maxillen und den Fortsätzen der Grundglieder des ersten
Beinpaares begrenzt, während hinten die leicht eingekerbte
sog. Unterlippe (u) den Abschluss bildet. Es kann also
hier nach den Beziehungen zum Mund und Pharynx ein
allerdings unpaarer Basal- und Endtheil des Rostrum an-
genommen werden. Untere, an den Seiten des Mundes
stehende Fortsätze fehlen bei Phalangium wie bei den
Araneiden, allein es muss hervorgehoben werden, dass ge-
rade in diesen beiden Ordnungen eine den übrigen Arach-
niden abgehende Bildung vorkommt, und zwar an einer
ziemlich genau entsprechenden Stelle, die Unterlippe näm-
lich, die ich vorläufig für das Aequivalent jener unteren
Fortsätze annehmen möchte.
Nach meinen oben erwähnten Erfahrungen an einigen
Milben glaube ich auch bei diesen Thieren eine dem Ba-
saltheil des Rostrum der höheren Arachniden homologe
Bildung annehmen zu können, wobei die paarigen Seiten-
theile deutlich zu erkennen sind, ein Endtheil aber fehlt«.
Indessen scheint der letztere nicht allen Milben abzugehen,
wie nach der Darstellung Kramer's^) von Tyrogiyphus
und Cheyletus vermuthet werden kann, denn bei diesen
Thieren soll die Mundöffnung sich am Ende eines unpaaren
„lanzettförmigen Organes" befinden, welches frei über den
verschmolzenen Maxillarladen liegt und sich hinten an ein
Gerüste befestigt, das mit den Basaltheilen eines Rostrum
in Form und Lage eine grosse Aehnlichkeit besitzt.
Obgleich nun der Bau des Rostrum der verschieden-
sten Arachniden deutlich genug auf eine Zusammensetzung
desselben aus paarigen Seitenhälften hinweist, so wäre es
dennoch gewagt, in Anbetracht der rudimentären Beschaf-
1) Beiträge zur Naturg. d. Milben (Arch. f: Naturg. Bd. 42.
p. 28) 1876.
Ueber die Mundtheile der Arachniden. 295
fenheit des Organes, aus diesem Umstände allein den
Scbluss ziehen zu wollen, dass wir es hier mit den ver-
schmolzenen Ueberresteu ehemaliger Extremitäten zu thun
haben. Die Untersuchungen über die Entwickelungsge-
schichte verschiedener Arachniden (Scorpione, Spinnen,
Opilioniden, Afterscorpione etc.) haben aber der Bildung
des sog. Rostrum weniger Beachtung geschenkt, als es die
Wichtigkeit des Gegenstandes erfordert. Es wäre unleug-
bar der beste Beweis für die Extremitätennatur des betref-
fenden Organes, wenn sich in seinen embryonalen Verhält-
nissen eine Uebereinstimmung mit den Anlagen der übrigen
Gliedmassen nachweisen Hesse. Ich kann zwar nicht be-
haupten, einen ganz unzweifelhaften derartigen Nachweis
führen zu können, möchte jedoch auf einige Beobachtungen
an einer ziemlich gewöhnlichen Spinne (Dendryphantes
hastatus) aufmerksam machen, die einer solchen Auffassung
nicht ungünstig erscheinen. Die erste Anlage des ßostrum
(Fig. 14 R) erscheint in Gestalt zweier kleiner, durch einen
deutlichen Zwischenraum getrennter Anhänge in der Mitte
der Unterseite des ersten Segmentes (der Kopf läppen); in
diesem Stadium sind sie noch von dem nachfolgenden
Paare, den Kieferfühlern (at) durch einen beträchtlichen
Zwischenraum getrennt, der sich indessen allmählich ver-
kleinert, 60 dass wir in Fig. 15 ein Stadium erhalten, in
welchem die beiden Anhänge der Kopflappen hinsichtlich
ihrer Figur und Lagerung sich vollkommen der Reihe der
übrigen Gliedmassen anschliessen, die je weiter nach hin-
ten, desto mehr auseinander gerückt erscheinen. Später
rücken die Anlagen der Kieferfühler noch mehr zusammen
(Fig. 16), und die paarigen Anlagen des Rostrum werden,
nach hinten zurückweichend, allmählich von den Ersteren
überdeckt, so dass sie schliesslich unter und hinter diesel-
ben zu liegen kommen (Fig. 17); dabei verkleinern sie
sich merklich und verschmelzen zu einem unpaaren, am
Ende etwas ausgebuchteten Anhange, an dem noch einige
Zeit ein heller Mittelstreif die paarige Zusammensetzung
andeutet; bei den meisten Spinnen verschwindet im aus-
gebildeten Zustande jede Spur der erwähnten Ausbuchtung,
bei Mygale jedoch erhält sich dieselbe, wie wir gesehen
290 A. Croneberg:
haben, und zugleich auch eine Längsfurche an der Ober-
seite des Rostrum.
Diese Darstellung weicht in mancher Hinsicht von
dem ab, was wir bereits über die Entstehung der sog.
Oberlippe derAraneinen wissen. Nach Claparede^ und
Salensky^) erscheint dieselbe bei Pholeus und Clubiona
anfänglich in Gestalt einer unpaaren dreieckigen Platte
(plaque epichilique Clap.) zwischen den Kopflappen. In
der Mitte dieser Platte bildet sich die Mundöffnung als
eine Furche, die von allen Seiten von einem erhöhten
Rande umgeben wird. Vor und hinter dem Munde
beobachtete Sälen sky 3) eine leichte mediane Einbuchtung
dieses Randwalles, die besonders am Vorderrande deutlich
ist und denselben, sowie den hinteren Rand, in zwei sym-
metrische Erhöhungen theilt, die indessen bald wieder
verstreichen. Der Vorderrand erhebt sich immer stärker
und indem er sich dabei nach der Bauchseite krümmt,
überdeckt er schliesslich vollständig den Mund; das hin-
tere Paar der Erhebungen scheint Salensky für die
Anlage der Unterlippe zu halten. Mir ist es nicht gelungen
die Mundöffnung bei Dendryphantes-Embryonen zu sehen,
und sollten die Anhänge der Kopflappen in meiner Fig.
13 den paarigen vor deren Erhöhungen von Salensky
entsprechen, so erfolgt ihre Verschmelzung zu einem un-
paaren Organe gewiss nicht so bald, indem sich dieselben
vielmehr auf späteren Stadien den übrigen Gliedmassen
viel ähnlicher verhalten, als früher. Die von Salensky
beschriebenen beiden Erhebungen am Hinterrande des
Mundes mögen sich bei Dendryphantes in Folge der von
Anfang an stärkeren Ausbildung der vorderen Anhänge
zusammen mit der Mundüffnung der Beobachtung entziehen,
scheinen mir indessen von morphologischer Wichtigkeit,
da es vielleicht möglich ist, die unteren Anhänge des
Rostrum von Scorpio, Solpuga und Chelifer, sowie die
1) Recherches siir l'evolution des Araignees. 1862.
2) Entwickelungsgcschichte der A ranein cu (Mittheil, dernaturf.
Ges. in Kiew. Bd. II, p. 1. Russisch) 1871.
3) 1. c. p. 29, 30, Fig. 16.
üeber die Mimdtheile der Arachniden. 297
Unterlippe von Phalangium und den Spinnen auf diese
Anlagen zurückzufttbren, mitbin das Rostrum der böberen
Arachniden als das Produkt der Verscbmelzung nicbt eines,
sondern zweier Extremitätenpaare anzusehen — eine Frage,
deren Entscheidung künftigen embryologischen Unter-
suchungen überlassen werden muss.
Bei dem Scorpion fand Metschnikoff^) eine an
ihrer Spitze ausgebuchtete Anlage der Oberlippe, die gleich-
falls einen Anhang der Kopf läppen darstellt, sich aber
später als die Mundöffuung bildet, die bereits auf einem
früheren Stadium als eine Einstülpung im Verlaufe der
die Kopflappen trennenden Longitudinalfurche entstanden
ist. Der Mund wird von der Oberlippe überwachsen, die
allmählich zwischen die Kieferfühler rückt, das Verhältniss
ist also im Wesentlichen dasselbe wie bei Dendryphantes.
Bei dem Embryo von Chelifer hat bekanntlich Metschni-
koff^) eine grosse Oberlippe beschrieben, ein provisorisches
Organ, welches aber aus einer unpaaren Anlage entsteht;
die Entstehung der definitiven Oberlippe (des Rostrum) hat
Metschnikoff nicht näher studirt, sowie auch ihr Ver-
hältniss zur provisorischen Oberlippe.
Kehren wir nun zu der Anlage des Rostrum bei Den-
dryphantes zurück, so besteht das von den übrigen Glied-
massen Abweichende hauptsächlich darin, dass die beiden
Anhänge der Kopf läppen gleich von Anfang an einander
eng anliegen und von den Kieferfühlern durch einen weiten
Zwischenraum getrennt werden. Ist indessen der rudimen-
täre Zustand der das Rostrum zusammensetzenden Extre-
mitäten ein allen Arachniden gemeinsames Merkmal, so
muss derselbe auch als eine sehr alte Einrichtung angesehen
werden und es kann also die Umbildung dieser Anhänge
bereits in ein sehr frühes Lebensstadium zurückverlegt
gedacht werden. Da das dazugehörige Segment, die Kopf-
lappen nämlich, im Embryo die übrigen Segmente an
Grösse beträchtlich überragt, so kann der weite Abstand
1) Embryologie des Scorpions (Z. f. wiss. Zool. XXI, p. 220,
Taf. XVII, Fig. 11.)
2) Entwickehmgsgeschichte des Chelifer (Z. f. wiss. Zool. Bd.
XXI, p. 521.)
298 A. Croneberg:
seiner AnhäDge von dem folgenden Paare auch wohl auf
Rechnung dieser stärkeren Ausbildung gesetzt werden. Die
gegenseitige Annäherung beider Anlagen widerspricht auch
durchaus nicht ihrer Homologie mit den übrigen Glied-
massen, denn bei den Spinnen erscheinen die Anlagen der
Abdominalbeine, wie es Salensky speciell hervorgehoben
hat, nicht am äusseren Rande der Segmente, wie die
Thoracalanhänge, sondern unmittelbar zu beiden Seiten der
Längsfurche des Keimstreifs, und ähnlich verhalten sich
auch nach Metschnikoff die Anlagen an den Abdomi-
nalsegmenten des Scorpions.
Ich halte es daher für sehr wahrscheinlich, dass wir
in dem Rostrum der höheren Arnachniden und in den ent-
sprechenden Bildungen mancher Milben die Rudimente
wenigstens eines Paares von Kopfextremitäten zu erkennen
haben, und berücksichtigen wir ferner die Lage dieser
Anhänge beim Embryo, so kann das betreffende Glied-
massenpaar nur als erstes Antennenpaar bezeichnet werden.
Es lassen sich also wenigstens drei Extremitätenpaare —
die ersten und zweiten Antennen und die Maxillen — als
zu Mundwerkzeugen umgebildet bezeichnen. Die ange-
führten Beobachtungen 'von Salensky, sowie die Existenz
von paarigen unteren Anhängen am Rostrum der Arach-
niden könnten jedoch der Vermuthung Raum geben, dass
noch ein zweites Gliedmassenpaar in die Constitution des
Rostrum eingegangen sein kann, dessen entsprechendes
Körpersegment indessen noch bei keinem Arachniden-Em-
bryo nachgewiesen ist, während ein solches für das erste
Paar, welches ich als - erste Antennen deute, factisch
existirt. Hiermit eröffnet sich ein neuer Gesichtspunkt für
den Vergleich mit den Crustaceen und Insecten, wenn es
nämlich gewiss wäre, dass die Larvenantennen der Letzteren
dem ersten und die definitiven Antennen dem zweiten
Paare entsprechen 0- Ohne auf eine weitere Erörterung
dieser Frage einzugehen, möchte ich mir noch ein paar
Bemerkungen über die Pycnogoniden erlauben, deren
1) Gerstäcker in Broon's Kl. u. Ord. d. Thierreiches, Bd.
V, p. 48.
Ueber die Mundtheile der Arachniden. 299
Eigenthümliclikeiten sich zum Theil aus dem oben Gesagten
erklären lassen dürften. Bekanntlich ist es die Existenz
eines sog. accessorischeu Beinpaarcs, welche eines der
Hanptargumente gegen die Arachniden-Natur dieser Thiere
bildet. Obgleich ich für die eigentlichen Arachniden sieben
Extremitätenpaare annehme (die abdominalen natürlich
abgerechnet), mithin eine auch den Pycnogoniden ent-
sprechende Zahl, so kann dennoch das accessorische Bein-
paar der Letzteren durchaus nicht den Organen entsprechen,
welche ich für die ersten Antennen der Arachniden halte.
Sein Aequivalent könnte nur in den oben erwähnten paarigen
unteren Anhängen des Rostrum der höheren Arachniden
gesucht werden, während als erstes Antennenpaar bei
den Pycnogoniden nur der sog. Rüssel aufgefasst werden
könnte, dessen Zusammensetzung aus verschmolzenen Glied-
massen bereits Huxleyi) vermuthet. Wenn wir also bei
diesen Thieren acht Gliedmassenpaare annehmen, so könnte
dasselbe auch von den Arachniden gelten, und die Pycno-
goniden wären nach dieser Ansicht wirkliche Arachniden,
deren Trennung vom gemeinsamen Stamm jedoch zu einer
Zeit erfolgte, welche der Ausbildung des für die Mehr-
zahl charakteristischen Rostrum vorausgegangen ist.
16. Dec. 1879.
Erklärung der Abbildungen.
R — Rostrum.
r — Epdtheil desselben,
rb — Basaltheil des Rostrum.
f — hintere Fortsätze.
o — Mund.
ph — Pharynx.
oe — Oesophagus.
at — Kieferfühler.
u — Untere Anhänge' des Rostrum.
mx — Maxillen.
pl — p. IV — Beine.
1) Grundzüge d. Anat. der wirbell. Thiere, übers, von
Spengel, p. 342.
300 A. Croneberg: Ueber die Mundtheile der Arachniden.
Fig. 1. Thorax von Androctonus von oben.
Fisf. 2—3. Rostrum desselbeu.
Fig. 4—6, Rostrum von Galeodes. d. — Mündungen der
Giftdrüsen.
Fig. 7 — 9. Rostrum von Chelifer.
Fig. 10. Rostrum von Atypus.
Fig. 11 — 13. Mundtheile und Rostrum von Phalangium.
Fig. 14 — 17, Embryonen von Dendryphantes hastatns.
Die Gobiidae und Syngnathidae der Ostsee
nebst biologischen Bemerkungen.
Von
Dr. Friedrich Heincke
in Oldenburg i. Gr.
Hierzu Tafel XVI, Fig. 5.
Einleitung.
Während eines sechsjährigen Aufenthalts in Kiel habe
ich einen grossen Theil meiner Zeit darauf verwandt, die
Fische der westlichen Ostsee auf Vorkommen, Variabilität,
Lebensweise und Laichzeiten zu untersuchen. Schleppnetz-
fahrten, Verkehr mit den Fischern, regelmässiges Besuchen
des Marktes und das Halten von Zimmeraquarien waren
meine wichtigsten Hülfsmittel. Herr Professor Möbius,
Direktor des zoologischen Museums, stellte mir hierbei die
Mittel seines Institutes in dankenswerthester Weise zur
Verfügung und betheiligte sich selbst nicht unwesentlich
an der Aufgabe, eine vollständige Liste der in der Kieler
Bucht vorkommenden Fische zu entwerfen. Eine Publica-
tion derselben, von uns beiden verfasst, dürfte noch in die-
*sem Jahre erscheinen.
Ein anfänglicher Plan, sämmtliche von mir genauer
studirten Fische in einem grösseren Werke zu behandeln,
konnte leider nicht ausgeführt werden. So übergebe ich
denn als ersten Abschnitt einer in Vorbereitung begriffenen
Reihe einzelner monographischer Skizzen den vorliegenden
Aufsatz über zwei der interessantesten Fischfamilien der
302 Friedrich Heincke:
Ostsee der Oeffentlicbkeit und einer nachsichtigen Beur-
theilung.
lieber die Art der Behandlung des Gegenstandes lasse
ich den Aufsatz selbst reden. Was die Nachweise der
Litteratur und Synonymik betrifft, so habe ich Vollständig-
keit derselben angestrebt, aber nicht ganz erreichen können.
Nur in Auszügen habe ich eine neuere Arbeit von Collet
über die Fische Norwegens und eine Abhandlung von P.
J. V. Beneden, Les poissons des cotes de Belgique etc.
Mem. Acad. Belg. 38, 1870 benutzt, kann aber versichern,
dass beide Nichts Neues enthalten. Von keinem besonderen
Werth dürfte auch nach dem Urtheile Gtinther's das mir
nicht zugängliche Werk von Couch, The history of the
fishes of the British Islands. London 1865. sein. Dagegen
habe ich sehr bedauert das Buch von A. W. Malm, Göte-
borgs och Bohusläns Fauna, Vertebrata. Göteborg 1877. nicht
benutzen zu können, da es ohne Zweifel reich an neuen und
werthvollen Beobachtungen ist.
Die Diagnosen sind sämmtlich von mir entworfen,
diejenigen der Arten ausschliesslich nach Ostseeexem-
plaren.
Der vorliegenden Skizze hoffe ich in nicht zu langer
Frist solche über die Gasterosteidae, die Cottus-Arten und
die Pleuronectidae folgen zu lassen.
Oldenburg i. Gr., d. 15. Februar 1880.
Ordnung : Acanthopteri.
Fam. Gobiida e, Meergrundel.
Körper langgestreckt, niedrig. Zähne klein. Subor-
bitalring nicht mit dem Praeoperculum articulirend. Zwei
mehr oder weniger getrennte oder vereinigte
Rückenflossen; die erste, aus weichen, biegsamen
Stacheln bestehend, ist stets kürzer als die
zweite, welche aus getheilten Strahlen besteht.
Afterflosse in Grösse und Stellung der II. Dors. ent-
sprechend. Ventral flösse brustständig; Vs- App. pyl.
Die Gobiidae und Syngnathidae der Ostsee. 303
fehlen. — KiemeiKiffnung eng. Schwimmblase rudimentär
oder fehlend. Bewohner der flachen Strandregionen, seltener
am Boden des Meeres; einzelne Arten gehen in's SUsswasser.
Gattung Gobius L.
2 völlig getrennte Rückenflossen. Bauchfl. zu
einem tutenförmigen, frei beweglichen Saugorgan
verwachsen. Körper beschuppt. (Ctenoid-u.Cycloidschup-
pen.) Die kleinen konischen Zähne sind unbeweglich und
stehen oben in mehreren Reihen hintereinander. — An
allen Küsten der gemässigten und tropischen Meere, [ca.
160 Arten, davon 28 in europäischen Meeren, 4 in der Nord-
see, 3 in der Ostsee.]
Die Abgrenzung der einzelnen Arten, selbst der ge-
meinsten und häufigsten dieser formenreichen Gattung ist
mit grossen Schwierigkeiten verknüpft. Dies hat zwei Ur-
sachen. Einmal ist die Verwandtschaft vieler Species eine
sehr enge, die Variation innerhalb einzelner Arten und die
Formverschiedenheit nach dem Alter sehr bedeutend. Zwei-
tens hat die hohe Entwicklung secundärer Geschlechts-
charaktere, vorzüglich in der Farbe, Anlass gegeben,
Männchen und Weibchen häufig als verschiedene Arten zu
beschreiben. Dadurch ist die Synonymik in dieser Gat-
tung kaum zu bewältigen. Aus den 3 in der Ostsee vor-
kommenden Arten sind von verschiedenen Autoren minde-
stens 12 gemacht. Selbst Günther kann hier nicht
maassgebend sein; auch er beschreibt wie zahlreiche
Autoren seit Linne das Männchen von Gobius niger L. als
Gobius jozo.
Die Schwierigkeiten, welche unsere Gobius- Arten dem
Systematiker bereiten, sind leicht begreiflich. Sämmtliche
drei Ostseespecies sind kleine, in sehr grosser Individuen-
zahl vorkommende Thiere; die Wahrscheinlichkeit indivi-
duelle Abweichungen, Monstrositäten und sog. Uebergangs-
formen aufzufinden ist daher sehr gross und Autoren, die
nach altem Brauch nur wenige Exemplare untersuchen,
werden selten in ihren Beschreibungen übereinstimmen. Wie
weiter unten gezeigt werden soll, wird auch hier nur die
304 Friedrich Heincke:
rationelle Vergleichung Tausender von Individuen Klarheit
bringen.
Die Wahrheit dieser Behauptung hat mir unter an-
dern die genauere Untersuchung des Gobius Ruthensparri,
der gemeinsten Art der Kieler Bucht, gezeigt. Einer der
wichtigsten Charaktere der genannten Species, die Zahl 7
der Strahlen in der ersten Rückenflosse, ist so variabel,
dass unter 208 Individuen 11 abweichen. Davon hatten
acht Individuen 8 Strahlen, drei Individuen 6 Strahlen in
der ersten Dors. Was die jugendlichen Gobii bis zur Grösse
von 0.02 m anbetrifft, so ist es mir bis jetzt nicht mög-
lich gewesen, ihre Zugehörigkeit zu . einer der 3 Arten
anders als durch Vermuthung zu erschliesseu. Der Grund
ist der, dass die Zahl der Rückenflossen- und After-
flossenstrahlen bei ganz kleinen Thieren allgemein
geringer ist, als bei den Erwachsenen, so dass beispiels-
weise ein junger G. Ruthensparri in der ersten Dors. zuerst 5,
dann 6 Strahlen besitzt und darin den beiden andern Species
gleicht, während der charakteristische 7. Strahl sich erst
später entwickelt.
Neuerdings hat Winther (Om de Danske Fiske af
Slaegten Gobius. Naturhist. Tidsskrift 3 R. 9 B. 1874)
gemeint in der Ausdehnung der Beschuppung, besonders
derjenigen des Rückens und Kopfes, constante Artmerkmale
für die dänischen Gobius-Sp^cies zu finden. Ich muss
leider diesen Versuch des sorgfältigen dänischen Ichthyo-
logen als missgiückt bezeichnen. Eine genaue Untersuchung
verschiedener Altersstufen einer und derselben Art z. B.
Gobius niger, belehrt uns sofort, dass die Beschuppung
bei allen jugendlichen Individuen eine viel geringere Aus-
dehnung hat als bei Erwachsenen. Gob. niger soll sich
nach Winther von den übrigen einheimischen Arten wesent-
lich dadurch unterscheiden, dass der obere- Theil des Kopfes
hinter den Augen und der Nacken beschuppt ist. Allein
bei einem Gob. niger von 0.021 m Totall. sind Kopf und
Nacken, sowie eine schmale Zone längst der ersten Dors.
noch völlig schuppenlos; ebenso ist der Bauch zwischen
Bauchflosse und After völlig nackt. Die Beschuppung
rückt nur ganz allmählich vor und erst Individuen von ca.
Die Gobiidae und Syngnathidae der Ostsee. 305
0.065 — 0.07 m Totall. gleichen den Erwacbsenen, die Jüngern
würden nach Winther, wenn man nur die Beschuppung
berücksichtigen wollte, zuerst zu G. minutus var. minor,
dann zu Ruthensparri, dann zu minutus var. major gehören.
Im Uebrigcn ist auch bei Erwachsenen die Ausdehnung
des Schuppenkleides sehr variabel; so gleichen beispiels-
weise ca. 20 von 200 G. Ruthensparri in der Beschuppung
zwischen Bauchflosse und After nicht der von Wint her ge-
gebenen Beschreibung dieser Art, sondern eher dem G. niger.
Die secundären Geschlechtscharaktere der männlichen
Augehörigen unserer 3 Arten und, wie es scheint, auch
der übrigen Species der Gattung Gobius, zeigen viel Ueber-
einstimmendes. Sie sind dreierlei Art:
1. Verlängerungen einzelner Flossenstrahlen.
Sie betreffen vorzugsweise die ersten Strahlen der ersten
Dors., die letzten der zweiten Dors. und der Anale und
die mittleren der Ventr.
2. Anhäufung von schwarzem Pigment vor-
züglich in der After- und Bauchflosse, in geringerem
Grade in den Rückenflossen.
3. Auftreten von Augenflecken und farbigen
Bändern, besonders an der Rückenflosse und den Seiten
des Körpers.
Die secundären Geschlechtscharaktere sind, nach
Untersuchung vieler Hunderte von Individuen, im Allge-
meinen um so bedeutender entwickelt, je grösser, also
wahrscheinlich auch je älter das Thier ist. Bei jungen,
noch nicht fortpflauzungsfähigen Individuen fehlen sie ganz.
Von Interesse ist ferner die Thatsache, dass die das Männ-
chen auszeichnenden Eigenthümlichkeiten ausserordentlich
variabel sind und gelegentlich auch bei grössern Weib-
chen auftreten, namentlich die dunkleren Färbungen. So
findet man Pärchen von Gobius niger, bei denen sowohl
Weibchen wie Männchen neben einer bedeutenderen Körper-
grösse eine intensiv blauschwarze Färbung besitzen. Solche
Thiere haben zweifelsohne zur Aufstellung der Art Gobius
jozo Veranlassung gegeben. Die secundären Geschlechts-
charaktere in der Farbe sind endlich, ebenso wie die son-
stige Färbung des Thieres, nur in etwas geringerem Grade,
Archiv für Naturg. XXXXVI. Jahrß. I. ]3d. 20
306 Friedrich Heincke:
momentanem Weclisel unterworfen, ja, sie können zeitweilig
ganz verschwinden, zumal wenn man in der Laichzeit ge-
fangene Männchen in einem dem vollen Tageslichte aus-
gesetzten Gefässe ohne Versteckplätze längere Zeit verweilen
lässt. Ausser der Laichzeit sind die Farben regelmässig
blasser, als während derselben.
Der Farbenwechsel ist*bei unseren Gobii ein sehr
lebhafter und entspricht der Mannigfaltigkeit in der Fär-
bung des Bodens und der Vegetation an ihren Aufenthalts-
orten. Alle 3 Arten sind scheue, sich beständig im Gewirr
der lebenden oder todten Pflanzen versteckende und durch
ihre sympathische Färbung trefflich geschützte Thierchen.
Der erste Autor, welcher auf die secundären Ge-
schlechtscharaktere und die Variabilität der Färbung auf-
merksam gemacht hat, ist der durch seine Gewissenhaftig-
keit und Sorgfalt bewundernswerthe Kroyer. Neuerdings
hat A. W. Malm (Om Svenska Gobiider) versucht, die
beiden Geschlechter der einzelnen Arten richtig zu erkennen.
Die Resultate seiner Studien im Verein mit meinen
theils bestätigenden, theils ergänzenden Erfahrungen wer-
den wohl genügen wenigstens für die Ostsee Klarheit zu
schaffen. Vielleicht geben sie auch andern Ichthyologen,
deren Studien sich über ein grösseres Gebiet ausdehnen,
Gelegenheit, die grosse Zahl der von Günther in seinem
Catalog aufgeführten Arten auf secundäre Geschlechts-
charaktere hin zu prüfen; gewiss wird man noch einen
guten Theil jener Arten einziehen müssen. Stein dachner
hat neuerdings einen anerkennenswerthen Anfang hierzu
gemacht (cf. unten).
Gobi US niger L.
Artdiagnose: Long. max. 0.145 m. Kopf dick und
stumpf. Schuppen gross, ca. 11 — 12 Reihen zwischen der
IL Dors. und Anale; Lin. lat. c. 40. Die beiden
Rückenflossen mit ihrer Basis fast oder völlig
aneinanderstossend; die I. mit 6, die II. mit 12—14
Str. Afterflosse mit 11—13 Str. Die letzten Strahlen
der niedergelegten IL Rücken- und Afterflosse reichen beim
Die Gohiidae und Syiip^natliidae der Ostsee. 307
erwachsenen Thier bis zur Wurzel der Schwanzflosse
oder weiter. »
Secund. Geschlechtscharakt. des J". Die vor-
dersten Strahlen der I. Dors. (nicht selten über die Binde-
haut hinaus verlängert) und die letzten der II. Dors. und
Anal, sind länger als beim $ . Der ganze Körper und alle
Flossen sind dunkler. (Genitalpa])ille länger und spitzer.)
Litteratur und Synonymik.
Günther, Cat. III p. 11 Gobius niger L.
p. 12 Gobius jozo L.
1624 Schonevelde, p. 36 Gobius niger, Küeling, Meergob.
1783 Bloch, Ö. N. D. IL p. 5. Tf. 38 Fig. 2, 3, 4 Gobius
niger L.').
1784 Bloch, ibid. III. p. 168 Tf. 107 Fig. 3. Gobius jozo Bl.
1794 Siemssen, F. Meckl. p. 29. Gobius Jozo L.
1832 Niisson, Prodr. p. 93. Gobius niger L.
1835 Eckström, Morkö, p. 255. Gobius niger L.
1837 Cuv. u. Val. 12 p. 9 ff. (über d. Nestbau p. 7 f.)
Gobius niger ^).
1838—40 Kroyer, I p. 382 m. Abb. Gobius niger Schon.
1839 Fries, Gattg. Gobius p. 236. Gobius niger L.
1840 Fries u. Eckström, p. 157, PL 36. Gobius niger L.
1841 Yarrel, IL Ed. L p. 281 m. Abb. Gobius niger L.
1855 Niisson, Sk. F. IV. p. 219. Gobius niger L.
1859 BoU, Fische Meckl. p. 144. Gobius niger und Go-
bius jozo.
1863 Malmgren, Finlands F. p. 16. Gobius niger L.
1867 Lind ström, Gotlauds F. p. 31. Gobius niger L.
1871 Holland, Wirbelth. Pommerns, p. 109. Gobius niger
und Gobius jozo.
1874 Winther, Danske Gobiid. p. 224. Gobius niger Kr.
1875 Wittmack, Fischereistatistik p. 20. Gobius niger
Schon.
1877 V. Seidlitz, Faun. Balt., p. 121. Gobius niger.
1) Die Stellung der I. Dorsale zur II. ist falsch dargestellt.
2) Strahlenzahl in der Pect, ist irrthümlich auf 22 — 23 statt
17 — 19 angegeben.
308 Friedrich Heiricke:
1877 Winther, Danske Gobiid. Forts, p. 54. G. niger Schon.
1879 Lenz, Fische der Travemünder Bucht, Gobius niger
Schonev.
Volksnamen: Kiel: Kül, Kuulbors, Kueling.
Travemünde: swatten Kühling.
Dan.: Smörbutting, Kutling.
Schwed. : Smörbult.
Kritik und Varietäten: Ich habe nur ungefähr
50 Ostsee-Exemplare von 0.06—0.145 m Totallänge genauer
verglichen. Die Strahlenzahl 6 in der ersten Dors. ist constant;
nur bei einem Individuum war der 4. Strahl ziemlich tief
gespalten. Die Strahlenzahl in den übrigen Flossen variirt,
wie in der Diagnose angegeben ist. Valenciennes giebt
für die zweite Dors. die Zahl 15 an, Yarrel sogar 17 (?).
Die Altersunterschiede in der Ausdehnung der Beschup-
pung habe ich schon erwähnt. Sehr variabel ist auch
der Abstand der Augen von einander.
Wird in der Nordsee n. Fries u. Eckström bis
0.160 m, in den Schären bei Stockholm n. Eck ström
höchstens 0.09 m lang.
Aufenthaltsort und Lebensweise: Häufig in
der Kieler Bucht und den angrenzenden Theilen der
westlichen Ostsee. Er bewohnt die Kegionen des grünen
und todten Seegrases und Blasentangs. Im Herbst scheint
er sich, wie auch Eckström und Kroyer angeben, in
grössere Tiefen zurückzuziehen, nach Winther 16 bis 20
m tief. Seine Bewegungen sind nach Beobachtungen im
Aquarium langsam und träge, gewöhnlich ruht er am
Boden zwischen Pflanzen.
Interessant ist, dass unser Thier auch im Brackwasser
der Schley vorkommt. Ich erhielt im März 1876 Exem-
plare aus Missunde.
Fortpflanzung: Die Laichzeit fällt in die Monate
Mai— Juli, wahrscheinlich auch noch August. Fries, Eck-
ström, Kroyer, Yarrel, Winther geben dieselbe Zeit
an. Ueber die Art des Laichgeschäftes sind Irrthümer
verbreitet. Cuvier u. Valenciennes erwähnen nämlich
einer Beobachtung Olivi's, wonach das Männchen von
Gobius niger zwischen Algen ein Nest von Blättern für die
Die Gobiidae und Syiignathidao der Ostsee. 309
Eier bauen und bewachen soll. Von Seiten anderer Autoren
ist jedoch nie ein wirkliches Nest, so wie es etwa der
Seestichling baut, beobachtet worden. Nach meinen eignen
Erfahrungen sind die Eier birnförmig mit kurzen Stilen
am stumpfen Ende. Mittelst dieser kleben die Eier grup-
penweise an Tang, Steinen und Holz. Prof. Mensen in
Kiel sah, wie ein Weibchen im Aquarium seine Eier mit-
telst der als Legeröhre fungirenden Genitalpapille an die
Glaswände klebte und eifrig bewachte.
Wahrscheinlich laicht G. niger auch in der Schley.
Wenigstens erhielt ich im Juni Brut bis 0.02 m Länge,
mit 6 Strahlen in der L Dors., 11—13 in der IL Dors.
und der Anale, welche kaum anders als auf Gob. niger
bezogen werden kann. In der Kieler Bucht tritt Gobius-
Brut in den Monaten Juli und August massenhaft auf und
zwar an der Oberfläche des Wassers; sie gehört ohne
Zweifel hauptsächlich dieser und der folgenden Species
G. Ruthensparri an. Halbwüchsige Exemplare von G.
niger wurden häufig von September bis März in der See-
grasregion mit dem Schleppnetz gefangen. Die Flossen-
strahlen sind bei ihnen kürzer, als bei Erwachsenen.
Biocönose:^) Gobius niger und noch mehr die nach-
folgenden beiden kleineren Species sind von hervorragender
Bedeutung im Thierleben der Kieler Bucht und auch wohl
der übrigen Ostsee. Es sind sämmtlich fleischfressende Thiere
und ihre Nahrung besteht hauptsächlich in Würmern, kleinen
Gasteropoden und Crustaceen. Erstere zerren sie aus ihren
Verstecken hervor und verschlingen sie stückweise, wie
Herr Präparator Zietz im Aquarium beobachtete. Ihre
Gefrässigkeit scheint sehr gross, was auch andere Autoren
erwähnen. Sie selbst dienen wieder zahlreichen grösseren
Fischen als Hauptnahrung, besonders den Cottus-Arten,
den Dorschen und Hornfischen, sind also für die Fischerei
höchst nützliche Thiere. Fast noch mehr, als von den
Erwachsenen, gilt dies von der Brut während des Sommers.
1) = Lebensgemeinde. Ein von Möbius eingeführter Ausdruck
für die mannigfaltigen Wechselbeziehungen der Organismen eines
Verbreitungskreises.
310 Friedrich Heiuck e:
Sie bildet neben Copepoden die Haiiptspeise der jungen,
um diese Zeit noch an der Oberfläche lebenden Plattfische
und Hornhechte, auch wohl der Heringe und Sprotten.
Verbreitung in der Ostsee: Häufig im westlichen
und östlichen Theil, in letzterem allmählich seltener wer-
dend; nördlich von den Alands-Inseln und in den innersten
Theilen des finnischen Meerbusens wohl nur noch spärlich.
Im Brackwasser der Schley.
Verbreitung ausserhalb der Ostsee: G. niger
ist besonders nach Süden verbreitet. Zwar noch häufig an
der Küste Norwegens (nach Coli et bis 64^ n. Br.) scheint
er weiter nördlich nicht mehr vorzukommen. Von Faber
wird er unter den Fischen Islands nicht angeführt, ebenso-
wenig von Malmgren in seinem Bidrag til Finmarkens
Fiskfauna 1867. Auch an den brittischen Küsten des Oceans
scheint er sehr selten. Dagegen ist er gemein an den Küsten
Frankreichs, Spaniens, im Mittelmeer und in der Nordsee.
Was als Gobius j,ozo beschrieben wurde, ist wie schon
erwähnt, unzweifelhaft nur eine mediterrane Localform von
dunklerer Färbung und besonders verlängerten Strahlen
der I. Dors. beim J".
Gobius Ruthensparri Euphr.
Tafel XVI. Fig. 5.
Artdiagnose: Long. max. 0.045 m. Kopf dick und
stumpf. Schuppen gross, ca. 11 Reihen zwischen der II.
Dors. und Anale. Liu. lat. ca. 40. Die beiden Rücken-
flossen getrennt; die I. mit 7 (6 — 8), die IL mit
11 — 12 Strahlen. Afterflosse mit 11 Strahlen. Die
letzten Strahlen der niedergelegten IL Rücken- und After-
flosse reichen nicht bis zur Wurzel der Schwanzflosse.
(Ein schwarzer Fleck an der Basis der Schwanzflosse.)
Secundäre Geschlechtscharakt. des cf- Jeder-
seits ein schwarzer Brustfleck. Analemit schwarzem Aufluge.
Litteratur und Synonymik.
Günther, Cat. III. p. 70. Gobius ruthensparri.
1786 Euphrasen, Nya Handl. Stockh. p. 64. t. 3, f. 1.
1832 Nilsson, Prodr. p. 94. G. minutus Fall.
Die Gobiidae uud Syngnathidae der Ostsee. 311
1837 Cuv. u. Val. 12 p. 48. G. Kuthcusparri Eiiplir.
1838—40 Kroycr, I. p. 399 m. Abb. G. Ruthcnsparri Euplir.
1839 Fries, Gattg*. Gobiiis p. 237. G. Rutbeusparri Eupb.
1841 Yarrel, II Ed. I p. 285 m. Abb. G. Kutbensparri
Cuv. u. Val.
1855 Nilsson, Sk. F. IV p. 226. G. Rutbensparri Eupbi-
1867 Lindström, Gotlands Fiskf. Nr. 15. p. 31. G. Ru-
tbensparri.
1874 Wintber, Danske Gobiid. p. 221. G. Rutbensparri
Eupbr.
1875 Wittmack, Fiscbereistatistik p. 21. G. Rutbensparri
Eupbr.
1877 Wintber, Danske Gobiid. Forts, p. 55. G. Rutben-
sparri Eupbr.
1879 Lenz, Fiscbe der Travemünder Buebt. G. Rutbensparri
Eupbr.
Volksnamen: Kiel: Kuel, Kueling. Neustadt
und Trave münde: Snappkueling (weil das aus dem
Wasser gezogene Tbier lebbaft scbnappt). Norwegische
Küsten (n. Fries): Aat.
Kritik und Varietäten : Keine unserer Gobius-
Arten ist so leicbt erkennbar, wie G. Rutbensparri. Der
scbwarze, mit Gelb umrabmte Scbwanzfleck ist höcbst
cbarakteristiscb, obwobl er zuweilen ganz verblasst sein
kann und bei balbwücbsigen Exemplaren von 0.02— 0.025 m
Länge fast immer nur schwacb entwickelt ist. Nicht min-
der bezeichnend ist der schwarze Brustfleck des Männchens
sowie eine Reihe grünschillernder Flecke längs der Seiten-
linie. Die beiden Rückenflossen sind mit farbigen, schil-
lernden Längsbändern geziert, welche besonders beim cT
in der Laichzeit eine prächtige Zierde bilden. Ueberhaupt
ist das männliche Tbier zur Zeit der geschlechtlichen Er-
regung ein prachtvolles Geschöpf. Die Farben sind im
übrigen einem beständigen, höchst lebhaften Wechsel
unterworfen ; als recht bezeichnend für die Art treten dabei
sehr häuflg fünf sattelförmige, von einem mattschimmern-
den Pigment gebildete Flecke auf dem Rücken auf.
In der Nordsee wird G. Rutbensparri grösser, als in
der Ostsee, n. Yarrel bis 0.054 m.
312 Friedrich lleincke :
Aufenthaltsort und Lebensweise: Sehr gemein
in der Kieler Bucht und den angrenzenden Meerestheilen
ist dieses Fischchen wohl einer der am meisten charakteri-
stischen Bewohner der Seegrasregion, wo er das ganze
Jahr hindurch angetroffen wird. Nach Winther geht er
im Sund 14 — 16 m tief. Seine Bewegungen sind unruhig
und lebhaft, mit den verwachsenen Bauchflossen kann er
sich selbst an den senkrechten Wänden des Aquariums
festhalten, indem er beständig die dunkelsten und am
meisten geschützten Stellen aufsucht. — In's Brackwasser
geht er nicht; in süsses Wasser gesetzt stirbt er bald.
• Fortpflanzung: Die Hauptlaichzeit fällt in die
Monate Mai und Juni; sie beginnt, wenn die jungen Triebe
des Seegrases eine ansehnliche Höhe erreicht haben und
die ersten Blüthen ansetzen. Die Eier sind klein und
werden in Häufchen mittelst kleiner Stiele an Pfähle,
Brücken, Bojen und wahrscheinlich auch Seegras geklebt.
Im Juli tritt die O.Ol — 0.02 m lange Brut massenhaft auf.
(cf. Gobius niger.)
Biocönose: Noch wichtiger, als G. niger wegen
der grossen Individuenzahl. Die Nahrung besteht aus
kleineren Thieren, vor allen auch Copepoden.
Fang und ökon. Werth: Massenhaft mit den Krab-
bennetzen und dem Schleppnetz zu fangen, seltener im
Beutel der Herings wade. Verwerthung findet er seiner
Kleinheit wegen nicht, obwohl das Fleisch zart und wohl-
schmeckend ist.
Verbreitung in der Ostsee: Bis jetzt nur im
westlichen Theil der Ostsee und bei Gotland, stets nur
im Salzwasser beobachtet; die äusserste östliche Grenze ist
noch unbestimmt.
Verbreitung ausserhalb der Ostsee: Rn Kattegat,
Skagerrak und an der Südwestküste Norwegens, besonders
um Bergen gemein (nördlichste Grenzenach Kroyer 63» n.
Br.,nach Collet 64 n.Br.), desgleichen an den Nordseeküsten
Englands und Schottlands, in der irischen See, im Canal.
Die Südgrenze scheint an der Westküste Frankreichs der
49^ n. Br. zu sein. Somit auf einen engern Kreis be-
schränkt, als Gobius niger und Gobius minutus. — Seine
Die Gobiidae und Syngnathidae der Ostsee. 313
niichsten Verwandten (wenn man Arten mit 8 — 9 Strahlen
in der ersten Dors. so nennen kann) finden sieb nach G tt n-
ther in den japanesischen und malayischen Gewässern.
Gobius minutus L. var. major Hnck.
Artdiagnose: Long. niax. 0.076 m. Kopf niedrig
und zugespitzt. Schuppen klein, ca. 15 Reihen zwischen
der IL Dors. und Anale. Lin. lat. ca. 60. Die beiden
Rückenflossen getrennt; die L mit 6, die IL mit
11 — 12 Strahlen. Afterflosse mit 12 Strahlen.
Secundäre Geschlechtschar, des J", Die letzten
Strahlen der IL Dors. und Anale, sowie die mittleren der
Ventr. verlängert. Alle Flossen dunkler (mit Ausnahme
der Caud.); in der Anale vorzugsweise der untere Rand
schwärzlich. Ein Augenfleck zwischen dem 5. und 6.
Strahl der I. Dors.
Litteratur und Synonymik:
Günther, Cat. III. p. 58. Gobius minutus.
p. 57. Gobius Eckströmii Gthr.
1624 Schonevelde, p. 36. Gobii albi, weisse Kueling.
1832 Nilsson, Prodr. p. 94. Gobius minutus Pall.
1835 Eckström, Morköp. 260. Gobius minutus Pall. (Eck-
strömii Gthr.)
1837 Cuv. u. Val., 12. p. 39. Gobius minutus Penn.
1838—40 Kroyer, Lp. 407 mit Abb. Gobius minutus Penn.
1839 Fries, Gattg. Gobius p. 237. Gobius minutus Gm.
u. p. 239 Gobius gracilis Jen.
1841 Yarrel, II Ed. $ p. 288. Gobius mintus Cuv. u.Val.
d^ p. 292. Gobius unipunctatus Parn.
p. 290. Gobius gracilis Jenyns.
1855 Nilsson, Sk. F. IV. p. 222. Gobius minutus.
1863 Malmgren, Finlands F. p. 17. Gobius minutus.
1867 Lindström, Gotlands Fiskf. Nr. 14 p. 31 Gob.
minutus.
1868 Steindachner, Wiener Sitzungsber. 57 p. 400.
Gobius minutus und Verwandte.
1871 Holland, Wirbelth. Pommerns p. 109. Gobius minutus.
314 Friedrich Heincke:
1874 Wintber, Danske Gobiid. p. 219. G. minutus.
1875 Wittmack, Fiscbereistatistik p. 21. G. minutus Penn.
1877 V. Seidlitz, F. ßalt. Fiscbe p. 121 Gobius minutus
L. u. Eckströmii Gtbr.
1877 Wi n tbe r, Danske Gobiid. Forts, p. 54. G. minutus Penn.
1877 Hubrecht, Gobius Taalmankipii n. spec. (</ v. Go-
bius minutus).
1879 Lenz, Fiscbe der Travemünder Bucht. G. minutus Penn.
Volksnamen: Kiel: Kuel, Kueling; witte Kueling.
Travemünde: Sandkühling.
Kritik und Varietäten: Gobius minutus kommt
ohne Zweifel in sehr zahlreichen Localformen vor. Stein-
dachner (1. c;) hat nachgewiesen, dass nicht weniger als
7 Speciesbeschreibungen [Gobius minutus L. Gmel. G. uni-
punctatus Parn,, G. miilutus Gthr. (exl. G. quadimacu-
latus C. V.), G. Eckströmii Gthr., G. elongatus Canest.,
G. minutus Canest., G. gracilis Cabr.] auf unser Thier zu
beziehen sind. Nach Untersuchung von mehr als 100
Exemplaren, gefangen an den Küsten der iberischen Halb-
insel, variirt die Zahl der Strahlen in der IL Dors. von
9—13, die der Anale von 10 — 12. Auch die Zahl der Längs-
schuppenreihen ist, vorzüglich nach dem Alter, sehr variabel.
Die oben für die Thiere der Kieler Bucht gegebene
Diagnose basirt auf die Vergleichung von ca. 24 ausge-
wachsenen Individuen. Bei der grossen Individuenzahl,
in welcher diese Art bei uns vorkommt, zweifle ich jedoch
nicht, dass gleiche und noch grössere Variationen als
Steindachner angiebt, auch in der Ostsee anzutreffen
sind. Formen mit 14 — 15 Str. in der zweiten Dors., wie
sie Eckström als G. minutus, Fries und Nilsson
<11. cc.) als G. gracilis, endlich Günther (1. c.) als G.
Eckströmii beschreiben, sind daher wohl zweifellos als
extreme Variationen von G. minutus aufzufassen, zumal
da als Grundlage der citirten Beschreibungen immer nur
einzelne Exemplare gedient haben.
Diese ausserordentliche Variabilität ist ein Grund
mehr für mich, die folgende, vierte Gobius-Art der Ostsee,
den G. microps Kroyer als eine bereits stärker differen-
zirte Brackwasserform von G. minutus anzusehen und
Die Gobiidae uud Öyiiguatbidae der Ostsee. 315
als G. minutus var. iiiiuor zu bezeichnen. — Die Maxinial-
grösse ist je nach der Oertlicbkeit sehr variabel; in der
Nordsee wird unser Tbier bis 0.11 m lang, in den
Schären der östlichen Ostsee nach Eckström nur O.OG m.
Die Farbe des Gob. minutus var. major gleicht in
auffallender Weise hcllgefarbtem Sandboden; sie ist grau
nielirt mit eingestreuten rothen Pünktchen; häufig ist eine
Reihe schwärzlicher Punkte längs der Seitenlinie. Zur
Laichzeit leuchtet der mit Blau umrahmte Dorsalfleck des
^ wie ein kleiner Edelstein; dasselbe gilt in geringerem
Grade von der schwärzlichen Färbung der Anale.
Aufenthaltsort und Lebensweise: Obwohl G.
minutus kaum weniger häufig in der Kieler Bucht vor-
kommt, als Gob. Ruthensparri, so differirt er in seiner
Lebensweise doch bedeutend von demselben. Von Mai bis
September, in den Monaten, wo G. Ruthensparri am häufigsten
in der Seegrasregion anzutreffen ist, fehlt G. minutus dort
völlig. Sobald aber im Herbst der Dorschfang ergiebiger
wird, im Oktober und November, zeigen sich auch gleich-
zeitig grosse Mengen von G. minutus; offenbar werden sie,
wie noch obendrein der Mageninhalt der Dorsche bekundet,
durch ihre Todtfeinde von ihrem eigentlichen Aufenthalts-
ort, den flachen, sandigen, mit Steinen und Fucus bedeckten
Strandregionen der äussern Bucht, fort und bis in die
innersten Winkel des Hafens getrieben. Dort bleiben sie
bis Ende März, aber schon Anfang April verschwinden sie
gleichzeitig mit den Dorschschaaren und dem Zuwachsen
der Seegraswiesen fast spurlos. Ob diese Lebensweise
auch für andere Theile der Ostsee gilt, weiss ich nicht.
Nach Kroyer hält sich Gob. minutus im Kattegat einen
grossen Theil des Sommers hindurch so nahe und in solcher
Menge am Strande, dass man ihn mit der Hand greifen
kann. Wahrscheinlich ist aber der Grund an solchen Stel-
len sandig oder steinig. Unser Thier meidet ohne Zweifel
das Seegras und liebt in Uebereinstimmung mit seiner
Färbung und im Gegensatz zu Gob. Ruthensparri den Sand-
boden. NachWinther hält er sich ausser der Laichzeit in
Tiefen von 6 bis 24 m.
Valenciennes (1. c.) berichtet auf die Autorität von
316 Friedrich Heincke:
D'Orbigny hin, dass G. minutus in den salzigen Süm-
pfen von la Rochelle seine Wohnung in einer Schnecken -
oder Muschelschaale habe, von dort aus radienartig laufende
Furchen im Sande anlege und diese gewissermassen als
Fallgruben für seine Beute benutze.
Fortpflanzung: Die Laichzeit tritt in der Kieler
Bucht früher ein, als bei G. niger und Ruthensparri. Schon
im März, wenn die Vegetation der Seegrasregion nur erst
aus wenigen Algen besteht, findet man laichreife Thiere;
die (^ prangen dann in ihren schönsten Farben. Bestimm-
teres kann ich nicht angeben. Kroyer giebt als Laichzeit
April und Mai an, noch im Juli fand er Exemplare mit
reifen Eiern und Milch. Er vermuthet zwei Laichzeiten.
Winther nennt Mitte Juli.
Biocönose: Wie bei den beiden Vorigen. Im Win-
ter ein wichtiges Nahrungsmittel für Dorsche und Cottus-
Arten. Auch im Heringsmagen gelegentlich gefunden.
Fang und ökon. Werth: Im Winter mit dem
Schleppnetz leicht in der Seegrasregion zu fangen. Von
den Heringsfischern wird er um dieselbe Jahreszeit oft in
ungeheurer Menge, meist mit jungen Heringen und Sprotten,
in der Wade in der äusseren und inneren Bucht gefangen,
jedoch als werthlos fortgeworfen.
Verbreitung in der Ostsee: Wahrscheinlich am
weitesten von allen vier Arten nach Osten und Nordosten
verbreitet; jedenfalls noch jenseits des 60^ n. Br. In der
westlichen Ostsee im Salzwasser überall häufig ; desgleichen
im Kattegat; nach Kroyer geht er auch kleine Strecken
weit in die Flussmündungen (cf. unten var. minor). Ljm-
§ord (Valenc. 1. c).
Verbreitung ausserhalb der Ostsee: Im Mittel-
meer und an den Küsten Spaniens, Frankreichs, Belgiens
u. s. w. überall gemein, ebenso an den Ost- und West-
küsten Grossbrittanniens. Geht von allen Gobii am weite-
sten nach Norden bis zum 69^ n. Br. — Auf der deutschen
Nordseeexpedition (cf. Bericht der Commiss. z. Unters, d.
deutsch. Meere IL u. III. Jahrg. p. 315) bei Helgoland in
einer Tiefe von 10 bis 12 m auf sandigem, mit Steinen
bedecktem Grunde gefangen.
Die Gobiidae und Syngnathidae der Ostsee. 317
Gobius minutus L. var minor Hnck.
Artdiagnose: Long. max. 0.042 m. Kopf niedrig
und zugespitzt. Schuppen klein; ca. 15 Reiben zwischen
der IL Dors. und Anale. Lin. lat. ca. 60. Die beiden
Rückenflossen getrennt; die L mit 6, die IL mit
9—10 Strahlen; Afterflosse mit 8—10 Strahlen.
Secund. Geschlechtsch. des ^. Wie bei Gob.
minutus var. major.
Litteratur und Synonymik:
1838—40 Kroyer, I p. 416. G. microps Kr.
1870 Malm, Besk. pä trenya etc. p. 844. Gobius microps Kr.
p. 848. G. pictus Malm.
1874 Malm, Om Svenska Gobiid. etc. p. 380. G. microps
Kr. u. G. pictus Malm.
1874 Win t her, Danske Gobiid. p. 199. G. microps Kr.
p. 218. G. pictus Malm.
1879 Lenz, Fische der ^ravemünder Bucht. Gobius
microps Kr.
Kritik und Varietäten: Die einzigen Unterschiede
dieses kleinen Fisches, der Brackwasserform des vorigen,
von der var. major sind die geringere Zahl von Strahlen
in der II. Dors. und Anale, sowie die verschiedene Aus-
dehnung der Beschuppuug, worauf zuerst Winther auf-
merksam machte. Bei der var. major reicht die Beschup-
pung auf dem Rücken, wie Winther richtig angiebt, bis
zur Verbindungslinie der Kiemenspalten, bei der var. minor
(G. microps) dagegen wird sie nach vorne begrenzt durch
eine schräg von dem hintersten Punkte der I. Dors. bis zur
Wurzel der Pect, herablaufende Linie. Ferner ist bei
minor der Bauch zwischen Ventr. und Afterflosse gänzlich
schuppenlos, bei major nur z^m Theil. Wahrscheinlich
wird auch die Zahl der Wirbel bei minor geringer sein,
als bei major; wenigstens deutet die gedrungenere Gestalt
des ersteren darauf hin.
Beide Formen sind durch Uebergänge verbunden.
Ein Exemplar aus der Schlei von 0.045 m Länge ((/"), ge-
schlechtsreif, hat 12 Strahlen in der Anale und die Be-
318 Friedrich Heincke :
scliuppuDg reicht bis zum Anfang der L Dors. Malm
giebt die Zahl der Strahlen in der II. Dors. auf 10—11
an; ich finde bei Exemplaren aus der Schlei und von
Korsör Ansätze zur Bildung eines 11. Strahls. Stein-
dachner (1. c.) fand 9 Str. in der IL Dors. bei G. minu-
tus. Die Uebergänge scheinen selten zu sein, doch genügt
die Zahl der untersuchten Exemplare noch nicht zu einem
endgültigen Urtheil.
Alle vorhandenen Unterschiede* sind solche, wie sie
allgemein zwischen jungem und älteren Individuen der
Gobius-Arten vorkommen. Junge Gobii Ruthensparri von
0.020 m Länge haben (cf. oben) erst 5 oder 6 Strahlen in
der L und 9 — 10 Strahlen in der IL Dors. Junge Gobii
nigri haben eine weit unvollständigere ^Beschuppung, als
ausgewachsene. Somit muss Gob. microps als eine,
im jugendlichen Alter geschlechtsreif gewordene
Abart von G. minutus aufgefasst werden. Als Ur-
sache dieser Abändeining ist der allmähliche Eintritt in
veränderte Lebensbedingungen anzusehen, der Uebergang
von einem rein marinen Aufenthalt in das brackische und
fast süsse Wasser.
Die Färbung der var. minor ist ganz abgesehen von
sec. Geschlechtscharakteren ausserordentlich wech-
selnd. Die senkrechten Flossen sind bald fast ungefärbt,
bald mit Querbändern versehen, welche aus Reihen bräunlicher
Punkte bestehen. Schw^arze Streifen und Flecke an den
Seiten kommen in verschiedenster Ausbildung vor
und zwar an einer und derselben Localität. Die
im Salzwasser (Kieler Bucht; Korsör) zwischen Seegras
und Algen gefangenen Exemplare sind bunter gefärbt, als die
auf den flachen, sandigen und steinigen Strandgründen des
brackischen Dassower Binnensees, die oft ganz blass und
durchscheinend sind. Gobius pictus Malm soll von G.
microps wesentlich durch seine Färbung, unter andern durch
5 sattelförmige Rückenflecke (ähnlich wie bei Gobius Ruthen-
sparri) unterschieden sein und Winther hält dies allen
Ernstes für ein Artmerkmal. Bei Exemplaren aus Dassow
finde auch ich diese Flecke angedeutet. Anderseits fehlen
sie sehr oft bei Gob. Ruthensparri, für den sie sonst höchst
Die Gobiidae und Synprnathidae der Ostsee. 319
bezeichnend sind und wenn sie vorhanden sind können sie
in einer Minute gänzlich verschwinden.
Als weiteres Artmerkmal des G. pictus wird von
Winther (1877) eine Reihe von fünf dunklen Seitenflecken
des Körpers sowie die Eigenschaft angegeben, dass die
Schuppenbekleidung weiter reicht* als bei Gob. microps,
nämlich bis unter die Mitte der ersten Rückenflosse. Die
Beschreibung und Diagnose des G. pictus ist von Winther
auf 4 Exemplare gegründet. Wollte ich mit den zahlreichen
mir vorliegenden Individuen des G. minutus var. minor,
ebenso verfahren wie Winther, so würde ich in der Lage
sein, 5 bis 6 neue Ostseespecies der Gattung Gobius auf-
zustellen.
Aufenthaltsort und Lebensweise: G. minutus
var. minor findet sich in der westlichen Ostsee ausserordent-
lich häufig, theils in der Seegrasregion des Meeres, theils
— und zwar bei weitem zahlreicher — in den brackischen
Buchten, wo var. major gar nicht oder sehr vereinzelt und
von geringer Grösse vorkommt. Er ist das kleinste
Wirbelthier unserer Meeresfauna (der nordeuro-
päischen Thierwelt überhaupt); Thiere von nur
0.028 m Totallänge können schon geschlechtsreif
sein. — Seine Bewegungen sind lebhaft; er sucht bestän-
dig Verstecke auf. Von Salzwasser in süsses
Wasser gesetzt erholt er sich in kurzer Zeit und
lässt sich ebenso wie der Stichling lange Zeit
im Süsswasseraquarium halten. Weder sein grösserer
Verwandter noch die andern beiden Gobius-Arten ertragen,
soweit meine Erfahrung reicht, diesen plötzlichen Wasser-
wechsel.
Fortpflanzung: In der Schlei und im Dassower
See fällt die Laichzeit in die Monate Mai und Juni. Die
dänischen und schwedischen Autoren, die, wie es scheint,
unser Thierchen nur aus dem Salzwasser kennen, geben
dieselbe Zeit an.
Biocönose: G. minutus var. minor ist für die fisch-
reichen brackischen Buchten der Ostsee, wenigstens der
westlichen, von hervorragender Bedeutung als Fischnahrung.
Er selbst verzehrt wohl hauptsächlich Cyclops- und Daphnia-
320 Friedrich Heincke:
Arten, wahrscheinlich auch Larven von Schnecken und
Muscheln.
Fang und ökonomischer Werth : Wegen seiner
Kleinheit nur mit einem engmaschigen Schleppnetz oder
dem Krabbenketscher zu fangen. Als Speise werthlos.
Verbreitung in der Ostsee: Im westlichen Theil,
wie es scheint, allgemein verbreitet. Bei seiner Vorliebe
für Brackwasser ist zu erwarten, dass er auch im östlichen
Theil, vielleicht weit verbreitet, vorkommt. Winther er-
hielt ihn von Bornholm, ich von Greifswald.
Verbreitung ausscS'rhalb der Ostsee: Bis jetzt
nur im Ljmfjord, Sund, den Belten, dem Kattegat und im
Stavanger Fjord (59^ n. Er.) beobachtet. Doch lässt sich
vermuthen, dass er auch an andern Küstenpunkten der
Nordsee, z. B. von Deutschland und Holland vorkommt.
Ob weiter nach Süden, bleibt ferneren Untersuchungen zur
Entscheidung vorbehalten; vielleicht haben wir auch ein
Thier vor uns, das fast ausschliesslich der Ostsee und
ihren Verbindungsstrassen mit der Nordsee angepasst ist.
Syngnathidae.
Ordnung Lophobranchii,
Familie Syngnathidae, Seenadeln.
Körper langgestreckt mit einer, von ungetheilten und
ungegliederten, weichen Strahlen gestützten Kücken flösse.
Kiemenöffnung sehr klein, am obern Winkel des Kiemen-
deckels. Haut mit einem vollständigen Knochen-
panzer, der am Körper in Ringe zerfällt, am Kopf
ungegliedert ist; der vordere Theil des letzteren zu
einem röhrenförmigen Rüssel verlängert, an dessen vor-
derem Ende die kleine Mundöffnung liegt.
Vierzehn in allen tropischen und gemässigten Meeren
vorkommende Gattungen. Einzelne Arten gehen iil's Süss-
Wasser. Alle leben zwischen Tang und Seegras und sind
in Form und Farbe den Meerpflanzen ähnlich. Die Eier
werden vom Männchen frei am Körper oder in
besonderen Bruttaschen getragen.
Dio Gobiidae und Synj^nathidae der Ostsee. 321
Gattung Siphonostoma Kanp.
After-, Brust- und Schwanzflossen vorhanden. Die
untern Stücke des ersten Kumpfringcs (die sog.
Schulterknochen) nur häutig verbunden und gegen
einander beweglich. Männchen mit Bruttasche am
Schwänze. Eine sehr variable Art.
Siphonostoma typhle L.
Artdiagnose: Rüssel gerade, stark zusammeu-
gedr ttckt, seine Länge bis zur Augenmitte beträgt V2 bis Vs
der Kopflänge. Rumpf 7kantig; die beiden obern Kanten
hören vor dem Ende der Rückenflosse auf; die 4 Seiten-
kanten bilden in ihrer Fortsetzung die 4 Kanten des
Schwanzes. Schwanzflosse rhombisch. Long. max. J' =
0.197 m. ? = 0.242 m.
Secund. Geschlechtscharakt. : $ bedeutend grös-
ser als die ^. Schwanz beim </ relativ grösser als beim
5 , was mit der Ausbildung der Bruttasche zusammenhängt.
Bauch des $ meist heller gefärbt.
Litte ratur und Synonymik:
Gthr., Cat. VIII p. 154 Siph. typhle u. rotundatum.
1G24 Schonevelde, p. 11. Altera species sive acus Ari-
stotelis. Trumraeter, Meerschlange.
1794 Siemssen, Fische Meckl., p. 86 Syngnathus typhle
L. u. p. 87 Syng. acus L.
1835 Eck ström, Morkö p. 123, Syngnathus Acus Linn.
1837 Fries, Ichth. Beiträge I p. 241, Syngnathus Typhle.
1841 Yarrel, II Ed. II p. 439, Syngnathus Typhle L. m.Abbd.
1846- -53 K royer, III p. 673, Siphostoma typhle L. m. Abbd.
1855 Nil SSO n, Sk. F. IV p. 689, Syngnathus Typhle L.
1859 Boll, Fische Meckl. p. 147, Syngnathus Typhle L.
u. Syng. acus L.
1863 Malmgren, Finlands F. p. 69, Siphostoma typhle L.
1867 Lindström, Gotlands F. p. 40, Syngnathus typhle L.
1870 A. Dumeril, Hist. nat. des pois. II. p. 576 Siphono-
stoma typhle, Rondeletii, pyrois, argentatum, rotun-
datum.
Archiv für Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. 21
322 Friedrich Heincke:
1871 Holland, Wirbeltb. Pommerns p. 118, Syngnathus
typhle L. Syng. acus L. Syng. Kleinii Bär.
1874 A. H. Malm, Om d. brednäbbade kantnälens —
Sipbonostoma typble Yarr — utveckling ocb fort-
plantning.
1875 Wittmack, Fiscbereistatistik p. 130, Syngnatbus
acus L. u. Syng. typble L.
1877 Seidlitz, Faun. balt. p. 90, Sipbonostoma typble L.
1879 Lenz, Fiscbe der Travemünder Bucbt. Syngnatbus
Typble L.
Volksnamen: Kiel: Nadel, Seenadel.
Neustadt: Grasbekt.
Travemünde: Nadelfiscb.
Ne u Vorpommern : Meernadel;
Trompete.
Go tland : Sjönal.
Kopenbagen: Skrädderaal; Tang-
snägl; Vejrfisk.
Sebweden: Tängsnällor.
Kritik und Varietäten : S. typble ist eine ausser-
ordentlicb variable Species, was scbon aus ibrer v^eiten
Verbreitung und bäufigem Vorkommen an den meisten
Orten gescblossen werden kann. Sie ist daber zu Studien
über die Variabilität der Arten im Darwin'scben Sinne
sebr geeignet, zumal die Eigentbümlicbkeiten ibrer Lebens-
weise und Fortpflanzung für jeden Biologen von böebstem
Interesse sind.
Ausfübrlicbe Bescbreibung der Kieler Form,
begründet auf eine detaillirfce Vergleicbung von 28 Indivi-
duen verscbiedenen Alters und Gescblecbts (Totallänge
0.030—0.242 m).
Das Längenmaximum beträgt bei den Männeben
0.197 m, bei den Weibeben 0.242 m (nacb Untersucbung
vieler Hunderte). Der Kopf ist ca. 572— 6V2 mal in der
Totallänge entbalten und stets um ein Beträcbtlicbes länger,
als die Basis der Dorsale.
Die Länge derScbnauze oder des sog. Rüssels
(von dem Vorderrand des Auges an gerecbnet) ist bei er-
wacbsenen Tbieren grösser, als bei jungen. Bei Exemplaren
Die Cobiidae und Syngnathidae dor Ostsee. 323
bis 0.030 m TotaHünge ist sie nur V2 so lang, wie der
Kopf, bei grössern bis nahe Vs- Nur bei d{in grössten In-
dividuen erreicht sie zweimal die Länge der Kopi'strccke
hinter dem Auge.
Die Höhe der Schnauze in ihrer Mitte ist wenig
kleiner oder grösser als der horizontale Durchmesser des
Auges.
Der Schwanz ist 1. 7 — 2. 2mal so lang, wie der Rumpf.
Der Rumpf hat 16 — 18, der Schwanz 34—37 Panzer-
ringe.
Die Rückenflosse beginnt meist auf dem letzten
Rumpf ringe (selten auf dem vorletzten Rumpfringe oder
dem ersten Schwanzringe) und erstreckt sich über 8—10
Ringe.
Die Tasche des ^ beginnt auf dem letzten Rumpf-
ringe und erstreckt sich bei kleinern Individuen über
20 — 22, bei grössern über 23 Ringe.
P. 13-14 D. 33—39 A. 3 C. 10. ,
Wie schon in dieser Beschreibung angedeutet ist,
erweisen sich manche Variationen als bedingt durch
Alter und Geschlecht, sehr oft aber findet man auch
bei Individuen gleichen Geschlechts und gleicher Grösse
sehr erhebliche Differenzen. Ausser in den speciell ange-
führten Charakteren zeigen sich dieselben auch in den
feineren Leisten und Höckern des Hautpauzers, wo sie
jedoch schwer zu beschreiben sind. Am grössten sind die
Differenzen in der Färbung, die ich zunächst behandeln will.
Farbe der Seenadeln : Fries, der uns zuerst mit
der interessanten Lebensweise unserer Thiere näher be-
kannt machte, unterschied von der vorliegenden Art „zwei
durch Uebergänge verbundene und ohne bestimmtes Ver-
hältniss zu Alter und Geschlecht auftretende Varietäten":
eine grüne mit gelben Flecken und messinggelbem Bauch
und eine oliven braune mit einer Menge weisslicher
Punkte und Flecke bestreut, mit weisslichem Bauch.
Diese Farbenvarietäten sind, wie man leicht beobach-
ten kann, Nichts wie zwei extreme Zustände der durch
Chromatophoren hervorgerufenen und momentan verän-
derlichen Färbung der Seenadeln und entsprechen als
324 Friedrich Heincke:
S3^mpatliische Färbungen den Farbentönen der zwei extrem-
sten Umgebungen, in welchen sich die Seenadeln gewöhn-
lich aufzuhalten pflegen, nämlich des lebenden und abge-
storbenen Seegrases. Schon früher habe ich in einem
kleinen Aufsatze den höchst merkwürdigen Farbenwechsel
unserer Thiere ausführlich beschrieben^). Ich zeigte, wie
ein und dasselbe Individuum einmal zwischen grünen See-
grasblättern aufgerichtet verweilt und denselben in Form,
Farbe und Haltung, ja in der Art der Bewegung aufs
überraschendste gleicht, das anderemal, vielleicht nur eine
halbe Stunde später, regungslos am Boden liegt und von
einem schmutzigbraunen, abgestorbenen Seegrasblatte kaum
zu unterscheiden ist. In beiden Fällen tragen vorzüglich
die feinen Liniensysteme des Panzers durch ihre Aehnlich-
keit mit den Gefässsträngen des Zostera-Blattes bedeutend
zur Erhöhung des Farbenschutzes bei. Die Rücken- und
Brustflossen sind fast völlig durchsichtig und meistens in
sehr schneller, undulirender Bewegung, so dass sie fast
unbemerkt bleiben. Zwischen beiden Extremen der Fär-
bung der Thiere und der Blätter kann man alle nur mög-
lichen, sich entsprechenden Farbenmischungen von Grün,
Gelb, Braun und Weiss beobachten.
Fesselt uns schon diese schöne und in so kurzer
Zeit wechselnde Anpassung an die Umgebung, so ruft
eine zweite unser höchstes Erstaunen hervor. Es ist
eine Anpassung der Körperform von ganz besonderer
Art, die nur dem Männchen eigen ist. Dieses verändert
nämlich zur Laichzeit die gewöhnliche Seenadelform, welche
die Gestalt des Seegrasblattes sehr gut nachahmt, so be-
deutend, dass die schützende Aehnlichkeit zum grössten
Theile aufgehoben wird. Die Schwanztasche, aus zwei
dicken, fleischigen, in der Mittellinie der Unterseite zusam-
menstossenden Falten gebildet, füllt sich mit Eiern und
wird durch dieselben von innen aus knotig aufgetrieben.
Thut man ein solches, eiertragendes Männchen unter ge-
wöhnliches Seegras, so ist es leicht von den Blättern des-
1) Bemerkungen über den Farben Wechsel einiger Fische.
Schriften des naturwissenschaftlichen Vereins für Schleswig-Holstein.
Kiel, 1873. I. p. 255 ff.
Die Gobiidao und Syugiiathidae der Ostsee. 325
selben zu imterselicklcn. Ist aber die Aelinliclikeit mit
den Blättern geschwunden, so ist dafür die mit den Blüthen
des Seegrases au die Stelle getreten. Diese Blüthen oder
vielmehr Blütheustäude l)estehen aus einem blattartigen,
plattgedrückten, achselständigen Blüthenkolben mit zwei-
reihig auf seine Fläche gestellten unscheinbaren, knötchen-
förmigen Staubgefässen und Stempeln. Dieser Kolben ist
völlig in eine Blattscheide eingeschlossen und zwar derart,
dass die beiden Ränder der Scheide genau die Form der
Taschenfalten der Seenadel besitzen. Die kleinen Blüthen-
theile resp. die Früchtchen treiben die Scheide in derselben
Weise von innen auf wie die Eier die Schwanzfalten.
Es erscheint vielleicht selbstverständlich, dass diese
überraschende Anpassung des eiertragenden Männchens
nicht so bedeutend und vollständig sein wird; wie die einer
gewöhnlichen Seenadel ; handelt es sich doch darum, volu-
minöse und in Form und Grösse selbst wieder wechselnde
Dinge, wie Tasche und Scheide, Eier und Blüthentheile
resp. Früchtchen einander möglichst ähnlich zu machen.
Doch muss man beide nebeneinander in einem Gewirr von
Seegrasblättern gesehen haben, um die Grösse der schützen-
den Aehnlichkeit richtig zu beurtheilen. Im Anfang meiner
Beobachtungen kamen mir zuweilen Zweifel über den
Werth derselben, weil ich als Blüthezeit von Zostera
ma^i-ina den August angegeben fand, die Hauptlaichzeit
von Siphonostoma typhle in der Kieler Bucht aber in
den Juni fällt. Sollte jene Formähnlichkeit wirklich
Nutzen für unser Thier haben, so musste nothwendig
die Laichzeit des Fisches möglichst genau mit der Blüthe-
zeit der Pflanze zusammenfallen. Neue Beobachtungen
haben diese Forderung aber vollständig bestätigt; Laich-
und Blütheperiode dehnen sich in der Kieler Bucht von
Ende April bis Anfang August aus, fallen also völlig zu-
sammen.
Altersverschiedenheiten bei S. typhle: Die
eben dem Brutsack entschlüpften Jungen mit einer Total-
länge von ca. 0,025 m weichen, beträchtlich von altern
Individuen ab. Sehen wir davon ab, dass Kopf und Augen
wie bei fast allen jungen Fischen im Vergleich zum übrigen
326 Friedrich Heincke :
Körper grösser sind, so ist vor allem der Rüssel bei
jungen Thiereii beträchtlicli kleiner. Noch beaehtens-
werther ist, das alle Kanten und Leisten des Panzers aus-
geprägter und schärfer sind als bei den Erwachsenen.
Jeder Ring des Körpers ist an den Kanten mit einer nach
hinten zugespitzten scharfen Crista versehen; über der
Crista des Operculums steht ein kleiner Dorn und ober-
halb des Operculums eine scharfe Leiste, welche altern
Thieren völlig mangeln. Alle diese scharfen Hervorragun-
gen sind schon bei 0,06 bis 0,08 m laugen Exemplaren
rückgebildet ; das früher scharf und rauh anzufühlende
Thier wird völlig glatt.
Geschlechtsunterschiede: Ausser den schon in
der Diagnose angeführten Differenzen in der Grösse und
Schwanzlänge zwischen cT und $, könnte man noch in
der stark messinggelben Färbung des Bauches, welche
sich oft bei den grössern Weibchen beobachten lässt und
bei Mäunchen nie so intensiv hervortritt, einen secundären
Geschlechtscharakter finden. Allein dieser Charakter ist
dem oben beschriebenen, fast momentanen Farbenwechsel
mit unterworfen und desshalb mit grosser Vorsicht zu be-
urtheilen. Wenn auch der allgemeine Eindruck, den die
Färbung des Weibchens macht, ein etwas anderer ist, als
der, welchen wir vom Männchen empfangen, so greifen
doch bei dieser Art die Wirkungen, welche drei verschie-
dene Factoren, nämlich allgemeine Anpassung, momentane
Anpassung und Geschlechtsverschiedenheit auf die Färbung
ausüben, derart in einander, dass keiner jener drei Factoren
klar erkannt und seine Wirkung von denen der andern
nicht gesondert werden kann.
Vorstehende, umständliche Beschreibung der Kieler
Form von S. typhle würde ich nicht gegeben haben, wenn
sie nicht trefflich geeignet wäre uns von dem mangelhaften
Zustand unserer ichthyologischen Systematik, vor allem
von dem gänzlichen Mangel an Methode in derselben zu
überzeugen. Vergleicht man die vorstehende Beschreibung
mit den oben citirten von Yarrel, Kroyer, Nilsson, Gün-
ther und Dumeril, so sieht man sofort, dass sie mit
keiner der letzteren in völlige Uebereinstimmung gebracht
Die Gobiidae und Syugnathidae der Ostsee. 327
werden kann, eben so wenig wie die genannten Autoren
untereinander übereinstimmen. Man könnte hieraus den
voreiligen Scbluss ziehen, dass durch die verschiedenen
Beschreibungen der einzelnen Autoren verschiedene, an
den Beobachtungsorten derselben vorkommende Localtbrmen
von S. typhle charakterisirt würden. Dies wäre ein
grosser Irrthum; die Ursache, dass die Beschreibungen
so verschieden ausfallen, liegt vielmehr grösstentheils darin,
dass kein Autor eine hinreichende Anzahl von Indi-
viduen untersucht hat, um die ausserordentliche Varia-
bilität dieser Art an jedem einzelnen Orte ihres Vor-
kommens richtig erkennen und würdigen zu können.
Dies zeigt besonders die Betrachtung der fünf Species
Siph. typhle, Rondeletii, pyrois, argentatum und rotunda-
tum, welche Dumeril sehr ausführlich beschreibt. Er hat
diese Arten nicht selbst aufgestellt, sondern nur nach Be-
schreibungen älterer Autoreu und sehr wenigen, von ihm
selbst untersuchten Exemplaren völlig kritiklos aufgenommen.
Seine Beschreibungen bestehen in der Anführung derselben
Charaktere, die ich oben bei der Kieler Form angegeben
habe. Ausserdem spielen noch Farbenverschiedenheiten
eine grosse Rolle, Kennzeichen, die aber für scharfe Dia-
gnosen völlig werthlos sind.
Schon eine flüchtige Betrachtung der Dumeril'schen
Beschreibungen überzeugt mich, dass wenigstens die der
vier erstgenannten Arten keineswegs specifische Unterschiede
angeben. Es ist mir möglich aus einer geringen Anzahl
Kieler Exemplare jederzeit zwei Individuen herauszusuchen,
die ich mit demselben Rechte, wie Dumeril seinen Siph.
typhle und Rondeletii, mit verschiedeneu Diagnosen und
Namen ausstatten könnte, wobei ich freilich immerhin die
überraschende Entdeckung machen könnte, dass die eine
Art nur aus Männchen, die andere nur aus Weibchen besteht.
Schon vor Dumeril hat Günther die Species typhle,
Rondeletii, pyrois und argentatum unter den Artbegriff S.
typhle vereinigt und nur noch Siph. rotundatum aus dem Mit-
telmeer als zweite Art der Gattung beibehalten. Jedoch be-
zweifelt er wohl mit Recht in einer Note die. Möglichkeit diese
Abtrennung aufrecht zu erhalten, zumal er nur ein einziges
326
Friedrich lleincke:
Exemplar zur Untersuchung besass. Viel mehr scheint
auch Dumeril nicht zur Verfügung gehabt zu haben und
so glaube ich, können wir getrost auch diese fünfte Art
eingehen lassen. Sie soll sich von allen übrigen dadurch
unterscheiden, dass der Kopf nicht ganz fünfmal in der
Totallänge enthalten und die Schnauze dreimal länger, als
der Theil des Kopfes hinter den Augen ist. Berücksich-
tigt man jedoch, in wie weiten Grenzen derselbe Charackter
bei den vier vereinigten Arten variirt, so wird die Bedeu-
tung dieses Unterschiedes ganz ilhisorisch. Aus folgender
Zusammenstellung aller von zuverlässigen Autoren angege-
benen Charaktere geht dies deutlich hervor.
Variationstabelle von Siphonostoma typhle und
verwandten Arten.
Charakter
Siphonöstoma typhle
(Roßdeletii, pyrois,
argentatum)
Siph. typhle
Kieler Form
Siph. rotun-
datiim Mich.
Dum. Günth.
1. Totall.: Kopfl.
(X : 1)
5.0—7.0
5.5-6.7
4.8—4.9
2. Länge der
Schnauze :Püst-
orbitalraum
(x: 1)
1.9—2.5
1.5—2.0
3.0
3. Höhe der
Schnauze
wenig bis viel grösser
als der horizontale
Augendiameter
kleiner,
gleich, wenig
bis viel grös-
ser als . . .
•
4. Ringe des
Körpers
Rurapfringe : 17 — 20
Schwanzringe : 33 — 38
R. 16—18
Schw.34— 37
R. 20
Schw. 33—34
5. Schwanzläuge
: Rumpfl. (x : 1)
1.5 2.4
1.7-2.2
1.5 '
6. Erstreckimg
der Rücken-
flosse über:
1 — 2 Rumpf ringe
7 — 9 Schwanzringe
0-2Rumpfr.
7-9 Schwanz-
ringe
1 Rumpfr.
7 Schwauzr.
7. Flossen-
strahlen
P. 12—15
D. 31-42
A. 3-4
C. 10
P. 13-14
D. 33-39
A. 3
C. 10
F. 16
D. 32—34
A. ?
C. 10
Die Gobiidae iiud Syugnatliidae der Ostsee. 329
Werfen wir alle fünf Specics zusammen, so erhalten
wir in der Art Sipb. typhle einen Formenkreis, innerhalb
dessen g-anz ausserordentliche, durch alle Uebergänge
verbundene Verschiedenheiten der Gestalt vorkommen.
Wären die Mittelformen nicht vorhanden, so würde kein
Autor, auch ich nicht, zögern mehrere Species zu unter-
scheiden.
Es fragt sich nun, ob es wirkliche Localformen oder
geographische Racen unserer Seenadelart giebt? Diese
Frage muss ohne Zweifel bejaht werden. Die Ostseeexem-
plare sind z. B. fast immer kleiner, als die aus der Nord-
see, diese wieder kleiner, als jene des Mittelmeers. Die
Individuen mit den längsten und höchsten Rüsseln stammen
stets aus dem Mittelmeer. Auch kommen bei den Bewoh-
nern des letzteren Meeres Farbenzusammenstellungen vor,
die ich in der Ostsee nie beobachtet habe. So sicher es
demnach ist und nicht anders sein kann, dass ' Localracen
existiren, so reicht doch unsere gegenwärtige Kenntniss
dieser x\rt und vor allem die bisher von den Autoren ge-
übte Methode der Beschreibung nicht aus, die wirkliche
Form dieser Localracen zu erkennen. Dazu ist, wie ich
in meinen Arbeiten über die Varietäten des Herings gezeigt
habe, die rationell« Untersuchung von hunderten von Indi-
viduen der verschiedenen Orte nöthig. Die obige genauere
Beschreibung der Kieler Form giebt hierzu einen Beitrag.
Aufenthaltsort und Lebens weise: Siph. typhle
ist die einzige mit Sicherheit in der Ostsee beobachtete
Art der brustflossentragenden Seenadeln und für die Fauna
derselben eine sehr charakteristische Form. In der Kieler
Bucht bewohnt sie in grosser Menge die Region des grünen
Seegrases, steigt jedoch auch weiter in die des todten See-
grases hinunter. Ihre Bewegungen sind langsam; meistens
in aufrechter oder liegender Stellung ruhend schnellt sie,
wenn gereizt, nach der Seite, wie ein von der Welle er-
fasstes Seegrasblatt. Wanderungen scheint sie nicht zu
unternehmen.
Fortpflanzung: In der Kieler Bucht scheinen die
? seltener als die c^ zu sein. Kroyer und Eck ström
330 Friedrich Heincke:
behaupten für ihre Gebiete das Gegentheil, was ich je-
doch mangelhafter Beobachtung zuschreibe.
Die Laichzeit erstreckt sich von Mai bis August. Das-
selbe giebt Eckström für die Schären Stockholms an.
Juni und Juli sind die Hauptmonate. Kroyer giebt nur
den Juli an. Mehrere Autoren (Eckström, Nils so n, Hol-
land, A. H. Malm) sagen übereinstimmend aus, dass die
Thiere zum Laichen in grössere Tiefen (mindestens 4 bis
6 m) gehen, der letztgenannte Forscher meint nur zur Be-
gattung, während die Entwicklung der Jungen in der Brut-
tasche im flachen Strandwasser stattfinde. Ich habe S.
typhle im Kieler Hafen zu allen Jahreszeiten gleich häufig
in der flachen Region des grünen Seegrases gefunden.
Die Aehnlichkeit des eiertragenden Männchens mit
einem Blüthenstande des Seegrases ist für mich ein Grund
die Angaben der genannten Autoren zu bezweifeln.
Die Begattung ist bis jetzt nicht beobachtet. Ich
habe eine Zeitlang versucht sie an Thiereu im Aquarium
zu beobachten, kann aber nur so viel mit Sicherheit sagen,
dass die Füllung der Bruttasche nicht mit einem Mal er-
folgt, sondern in Zwischenräumen von mehreren Tagen, so
dass bei jeder Begattung etwa 10 bis 20 Eier in die
Tasche gebracht werden. Da Seenadeln bei einiger Sorg-
falt leicht in Aquarien zu halten und zur Fortpflanzung zu
bringen sind, so werden erneute Bemühungen leicht Auf-
klärung geben. Dieselben sind um so mehr zu empfehlen,
als Seenadeln treffliche Objecte für entwicklungsgeschicht-
liche Studien sind. In der Bruttasche auch der gross ten
Männchen scheinen in der Kieler Bucht nicht mehr als
150 bis 200 Eier enthalten zu sein.
Die Entwicklungsdauer vermag ich nicht anzu-
geben, doch hielt ich ein Männchen, welches mit gefüllter
Taschfe gefangen wurde, über 14 Tage im Aquarium, bevor
die Jungen ausschlüpften. Es waren ungefähr 50 Stück;
eine grosse Anzahl Eier war unentwickelt geblieben. Die
neugeborenen schwammen sogleich munter um den Vater
herum; ein Zurückschlüpfen in die Bruttasche, wie Eck-
ström beobachtet hat, habe ich nicht gesehen.
Die Bruttasche wird nicht, wie manche Autoren be-
Die Gobiidae und Syuj^uathidae der Ostsee. 331
haupten, nach Beendigung- der Fortpflanzung zurückge-
bildet.
Das Wachstlium der beim Ausschlüpfen etwa 0,025 m
langen Jungen ist nach Beobachtungen im Aquarium ein
ausserordentlich schnelles. Im Freien kann man schon im
Juli bis 0.05 m, im August über 0.10 m lange, diesjährige
Thiere finden. Das kleinste (/, welches ich mit wohlaus-
gebildeter aber leerer Tasche angetroffen habe, maass
0.095 m. Danach ist fast sicher, dass die Fortpflanzungs-
fähigkeit schon im ersten Lebensjahre eintritt.
Biocönose: Die Nahrung besteht nach Beobach-
tungen im Aquarium aus sehr kleinen Crustaceen, beson-
ders Copepoden und Fischbrut (Gobius). Die Nahrungs-
aufnahme steht mit der langsamen Bewegung des Thieres
und seiner Aehnlichkeit mit einem Seegrasblatt in voll-
ständiger Harmonie. Das ruhig daliegende oder aufrecht
stehende Thier fixirt mit den äusserst beweglichen Augen
scharf seine kleine Beute. Mit einer plötzlichen Wendung,
wie ein von der Welle erfasstes Seegrasblatt, nähert es
sich seinem Opfer und zieht es durch das weitgeöffnete
Maul und die lange Mundröhre zugleich mit einem Strom
von Wasser hinunter. Wer einmal eine fressende Seenadel
beobachtet hat, versteht sofort den zweckmässigen Bau des
eigenthümlichen Rüssels.
Feinde hat die Seenadel wenige, was ich aber nicht
einem widerlichen Geschmack ihres Fleisches zuschreibe,
wie viele Autoren ohne Grund behaupten, sondern viel-
mehr dem ausserordentlichen Schutz, den sie durch ihre
sympathische Färbung geniesst. Im Magen von Cottus
fand ich nicht selten grössere und kleinere Exemplare von
Siph. typhle und Nerophis ophidion. Möglich, dass die
ausserordentlich gierigen Cottus, die Strassenräuber im
Seegras, die Seenadeln aus Versehen mit hinuntergeschluckt
haben, ebenso wie die über fusslangen Seegrasblätter,
welche ich bisweilen aus ihrem Magen hervorgezogen.
Ein ökonomischer Werth unserer Thiere ist nicht
vorhanden. Der Fang mit dem Schleppnetz ist ausser-
ordentlich leicht.
Verbreitung in der Ostsee. In der westlichen
332 Friedrich Heincke:
Ostsee sehr gemein; auch an der Küste von Pommern, bei
Gotland und der schwedischen Küste bis Stockholm noch
häufig. Von da an nach Osten und Norden, wie es scheint,
seltener werdend, nach Ma Imgren jedoch in den Aländi-
schen und südwestlichen Schären Finnlands nicht selten.
Geht nach meinen Beobachtungen auch in die brackischen
Buchten hinein, ich erhielt einige Exemplare aus der Schlei
bei Missunde. Ob sie sich dort fortpflanzt, kann ich zwar
nicht versichern, halte es aber für höchst wahrscheinlich.
Verbreitung ausserhalb der Ostsee: scheint
auf Europa beschränkt zu sein. Im schwarzen Meer, Mit-
telmeer, an den atlantischen Küsten Europas, in der Nord-
see und im Kattegat häufig. Kroyer giebt als nördlichste
Grenze Bergen an.
Gattung Syngnathus Gthr.
After-, Brust- und Schwanzflosse vorhanden. Die
Schulterknochen zu einem festen Ringe ver-
wachsen.
Körper kantig. Die Rückenkanten des Rumpfes
gehen bei erwachsenen Thieren nicht in die des Schwanzes
über. Männchen mit Bruttasche am Schwänze.
Syngnathus acus L.
Artdiagnose: Rüssel dünn und abgerundet. Rumpf
7kantig ; die beiden obern Kanten hören vor dem Ende der
Rückenflosse auf; die obern Seitenkanten (Seitenlinien) gehen
nur bei jungem Individuen in die obern Kanten des
viereckigen Schwanzes über. Schwanzflosse abgerundet.
Dors. 31—41. Ringe. Rumpf: = 15—21.
Schwanz: = 38-44. . -
Litteratur und Synonymik:
Gthr. Cat. VIII p. 157. Syngnathus acus L.
1784 Bloch, Ö. N. D. III p. 112. Taf. 91, Fig. 1 Syn-
gnathus typhle.
1837 Fries, Ichthyol. Beiträge I p. 239, Syngnathus acusL.
1841 Yarrcl, II Ed. II p. 432 m. Abbdg. Syngnathus
acus L.
1846—53 Kroyer, III p. 092 m. Abbdg. Siphostoma acus L.
Die Gobiidae und Synguathidac der Ostsee. 333
Diese von Siplionostoma typhle durch die angege-
benen Merkmale seih- leiclit zu unterscheidende Art ist bis
jetzt mit vSicherheit in der Ostsee nicht beobachtet. Dass
sie gleichwohl in .vielen iaunistischen Arbeiten (Siemssen,
Boll, Holland), ja noch bis in die neuste Zeit (Witt-
mac k) als Bewohner derselben angegeben wird, beruht
auf einer Verwechslung mit Siph. typhle. Die Schuld an
diesem von einem Autor auf den andern fortgeerbten Irr-
thum kommt besonders Linne zu, der zwar beide Species
richtig unterschied, aber Namen und Synonyma völlig ver-
wechselte, sowie Bloch, der unter dem Namen Syngna-
thus typhle einen jungen Syng. acus und Eckström, der
Syng. typhle als Syng. acus beschrieb (Fische in den
Schären von Morkö). Aufklärung in dieser Sache gab zu-
erst Yarrel, dann Fries (1. c. p. 238 f.). Später hat dann
noch Kroyer (1. c. p. 703) ausdrücklich den Irrthum
Bloch's erwähnt und die Vermuthung ausgesprochen, dass
der wahre Syng. acus in der Ostsee ganz fehle. Schon
im Kattegat ist diese Art selten; immerhin liegt aber die
Möglichkeit vor sie wenigstens in der westlichen Ostsee
noch zu entdecken. Desshalb und um unsere deutschen
Ichthyologen auf einen vielverbreiteten Irrthum aufmerksam
zu machen, führe ich die Art hier auf.
In Bezug auf Variabilität steht übrigens, das sei hier
kurz bemerkt, Syng. acus ihrer Verwandten Siph. typhle
nicht nach, übertrifft sie vielmehr noch. Günther, der
eine Menge Arten älterer Forscher mit Syng. acus vereinigt,
spricht sich eingehender hierüber aus. Vorzüglich bemer-
kenswerth ist nach ihm der Unterschied ganz junger Exem-
plare von älteren. Erstere weichen oft durch geringere
Zahl der Flossenstrahlen und Körperringe, sowie geringere
Länge und Höhe der Schnauze von den letzteren ganz be-
deutend ab. Diese Beobachtungen Günther's sowie meine
eignen an Siph. typhle bestimmen mich die 1855 von
Nilsson (Skand. Fauna IV. p. 687) aufgestellte und von
Günther nicht berücksichtigte Species Syng. rostellatus,
die von ihm auch in der Ostsee vermuthet wurde, als einen
in jugendlichem Alter geschlechtsreifen Syng. acus zu be-
trachten. Nach Nilsson soll Syng. rostellatus bedeutend
334 Friedrich Heincke:
kleiner sein, als Syng. acus, weniger Strahlen in der Dor-
sale und Pectorale und weniger Rumpf- und Schwanzringe
besitzen. Der Rüssel ist abgerundet, weniger hoch und
im Gegensatz zu Syng. acus mit einem scharfen Längskiel
versehen. Alle diese Charaktere, besonders auch der letz-
tere, sind aber solche, die nach dem, was oben über S.
typhle und acus gesagt ist, die meisten jugendlichen Indi-
viduen von älteren unterscheiden und keine specifischen
Differenzen begründen können.
Gattung Nerophis Kaup.
Afterflosse fehlend. Brust- und Schwanzflosse
rudimentär oder fehlend. Körper abgerundet. Die
Männchen sind ohne Tasche und tragen die Eier an der
Bauchseite des Rumpfes angeklebt.
Nerophis aequoreus L.
Artdiagnose: Schwanzflosse rudimentär.
Brustflossen bei Erwachsenen ganz fehlend. Rüssel
abgerundet; seine Länge beträgt V2 oder mehr der Kopf-
länge. After unter dem letzten Drittel der Rücken-
flosse und vor der Mitte der Totallänge.
D. 38—44. Rumpfringe 28—30.
Litteratur und Synonymik.
Gthr. Cat. VIII, p. 191 Nerophis aequoreus L.
1841 Yarrel, II, Ed. II, p. 442, Syngnathus aequoreus L.
m. Abbdg. p. 445 Syng. anguineus Jenyns.
1846 — 53 Kroyer, III, p. 705, Syng. aequoreus L. m. Abbdg.
1870 A. Dumeril, Hist. nat. des pois. II, p. 605, Entelu-
rus aequoreus L. p. 606, Ent. anguineus Jenyns.
Diese den Uebergang zu den schwanzflossenlosen
Seenadeln bildende Art ist an den westlichen Küsten Euro-
pas bis nach Afrika und Nordamerika hin verbreitet. In
der Nordsee an allen Küsten nicht gerade selten, fehlt aber
im Mittclmeer und in der Ostsee. Jedoch wird sie nach
Kroyer noch ziemlich häufig im tieferen Wasser des
Kattegats gefunden, so dass sie wahrscheinlich auch in der
westliclien Ostsee noch entdeckt wird.
Die Gobiidae und Synprnathidae der Ostsee. 335
Neropbis ophidion L.
Artdiagnose: Scb wanz- und Brustflossen bei
Erwaebsenen ganz fcblend. Scbnauze abgerundet,
wenig kürzer als die Hälfte der Kopflänge. After unter
dem ersten Drittel der Rückenflosse. Long. max.
^ = 0.167 m, $ = 0.283 m.
D. 34—38. Ringe des Rumpfes: 30—31, des Schwan-
zes: 60-70.
Secund. Gescblecbtscbarakt. $ bedeutend grös-
ser, als das d^, mit einem Hautkamme in der Mittellinie
des Rückens und Baucbes und seitlich zusammengedrücktem
Körper ; zur Laichzeit mit opalisirenden Streifen und Flecken
geziert.
Litteratur und Synonymik.
Gtbr. Cat. VIII, p. 192, Neropbis ophidion L.
1624 Schonevelde, p. 11. Acus Aristotelis-Meherscblange
(Slesvicensium).
1794 Siemssen, Fische Meckl. p. 88, Syngnathus Ophi-
dion L.
1837 Fries, Ichthyol. Beiträge I, p. 236, Tfl. VI, Fig. 4,
Syngnathus Ophidion.
1841 Yarrel, II, Ed. II, p. 447 m. Abbildg. Syngnathus
Ophidion *).
1846—53 Kroyer, III p. 716 m. Abbildg. Neropbis Ophi-
dion L.
1855 Nilsson, Sk. F. IV, p. 694, Scyphius Ophidion L.
1859 Boll, Fische Meckl. p. 147, Syngnathus ophidion.
1863 Malmgren, Finlands F. p. Neropbis Ophidion L.^)
1) In der ersten Ausgabe der Hist. of Brit. Fish, wird der
Speciesname Syug. ophidion L. von Yarrel irrthümlicb auf Syng.
anguineus Jenyns (= Syng. aequoreus L.) bezogen, was Yarrel im
Supplement zur ersten Ausgabe IL Bd. p. 48 Note selbst eingesteht.
Das Nähere über diese falsche Anwendung des Li nne'schen Namens
Syng. ophidion siehe Fries 1. c.
2) citirt irrthümlicb Bloch, Fische Deutschlands III, p. 115,
Tfl. 91, Fig. 3. Bloch's Syng. ophidion ist, wie schon Yarrel 1. c.
angiebt, der Syng. anguineus Jenyns. (= Syng. aequoreus L.)
336 Friedrich Heincke :
1867 Lindström, Gotlands F. p. 40, Scyphius opbidion L.
1870 A. Dumeril, Eist. iiat. des poiss. II, p. 602 Nerophis
opLidion Bonap.
1871 Holland, Wirbeltb. Pommerns p. 117, Syngnathus
opbidion L.
1875 Wittmack, Fiscbereistatistik p. 130, Syngnatbus
opbidion L.
1877 Seidlitz, Fauna halt. p. 91, Syngnatbus opbidion L.
1879 Lenz, Fiscbe der Travemünder Bucbt, Syngnatbus
Opbidion L.
Volksnamen: Kiel: Nadel. Neustadt: Grasbekt.
T r a V e m ü n d e : Nadelfiscb.
Gotland: Hafsnälar.
Finnland: Merineula.
Kritik und Varietäten : Neropbis opbidion ist auf
Variabilität nicbt so genau von mir untersuebt worden,
wie Sipbonostoma typble. Docb glaube icb von vorne
berein bebaupten zu können, dass eine genauere Prüfung
zablreicber Individuen Aebnlicbes ergeben wird, wie bei
der letztgenannten Art. Die obige Diagnose ist nacb Kie-
ler Exemplaren gegeben. In der Nordsee wird unser Tbier
weit grösser, als in der Ostsee. Siemssen giebt an, dass
es an den Küsten Mecklenburgs zwei Fuss, also mindestens
0.7 m lang wird; icb glaube jedocb, dass der Autor ent-
weder ein Nordseetbier oder ein Individuum von Neropbis
aequoreus vor sieb batte.
Altersverscbieden beiten bei N. opbidion. Junge
Tbiere unter 0.10 m Totallänge unterscbeiden sieb ganz
wesentlicb von erwacbsenen. Sie baben einen eckigen
Körper wie Sipbonostoma typble und die Hinterränder der
einzelnen Hinge ragen an den Ecken dornenartig nacb
binten vor, so dass der Leib von der Seite geseben säge-
artig gezäbnt erscbeint.
Die Rundung des Körpers und das Scbwinden der
Dornen beginnt scbon bei Exemplaren von 0.07 m und ist
bei solcben von 0.09 m vollendet. Die Scbwanzflosse ist
scbon bei eben ausgescblüpftcn Tbieren rudimentär und
verscbwindet l)ald gänzlicb. Die Brustflossen sind Anfangs
sebr scbrm ausgebildet und beginnen erst bei Tbieren von
Dfe Gobiidae und Syngnathidae der Ostsee. 337
mehr als 0.09 m merklich zu schwinden. Dies beobachtete
schon Fries (I.e.) bei der nächsten Art, Nerophis lumbri-
ciformis. Der Rüssel der jungen Thiere ist kürzer, als bei
erwachsenen und vor und etwas nach dem Ausschlüpfen
ein wenig aufwärts gekrümmt.
Färb e : Von ihr gilt dasselbe, was von Siph. typhle
gesagt wurde. Nerophis ophidion scheint aber in Färbung
und Form weniger dem Seegras (Zostera), als vielmehr
gewissen Tangen, vor allem der Meersaite (Chorda filum)
und Furcellaria fastigiata angepasst, welche beide im Kie-
ler Hafen sehr häufig vorkommen. Erstere ist grün, letz-
tere dagegen braun. Unser Thier benutzt seinen flossen-
losen Schwanz als Wickelorgan und ich habe oft beobachtet,
wie drei und mehr Individuen, mit den Schwänzen in ein-
ander verschlungen, einer daneben liegenden Furcellaria
täuschend glichen.
Geschlechtsunterschiede: Dieselben sind zum
Theil schon in der Diagnose angegeben, aber so auffallend,
dass sie eine ausführlichere Beschreibung verlangen.
Zunächst ist das Weibchen viel grösser, ja fast dop-
pelt so gross, als das Männchen. Auch ist der Körper
des Weibchens nicht rund, sondern seitlich zusammenge-
drückt und sowohl am Rücken wie auch am Bauche mit
einem häutigen Kiel versehen, von dem das Männchen nur
am Bauche einige Andeutungen besitzt. Schon Fries
(1. c.) hat hierauf hingewiesen und Kroyer fügt hinzu,
dass ausser einer bedeutenderen Grösse beim Weibchen
auch andere Dimensionsverhältnisse obwalten. Fast ebenso
gross wie diese Formverschiedenheiten sind die bisher
unbeschriebenen Differenzen in der Färbung während der
Laichperiode. Der Kiel oder Kamm des Weibchens ist
um diese Zeit stärker entwickelt und von einer pracht-
vollen, sammetschwarzen Farbe. Auf den Kiemendeckeln
befinden sich zahlreiche verzweigte Streifen, die sich als
parallele Bänder auf den vordem Theil des Rumpfes fort-
setzen und blau oder blau mit weiss in der Mitte sind.
Das Blau leuchtet und opalisirt prächtig. Dasselbe gilt
von den gi'ossen weissen und bläulichen Flecken, mit denen
der ganze Rumpf übersät ist. Beim Männchen sind alle
Archiv f. Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. 22
338 Friedrich Heincke:
diese Streifen and Flecke äusserst schwach entwickelt;
seine Färbung ist verglichen mit der des Weibchens matt
und unscheinbar. Die jungem, noch nicht ausgewachsenen
Weibchen gleichen den Männchen.
Aufenthaltsort und Lebensweise: Die gerin-
gen Unterschiede, welche in dieser Beziehung zwischen
Nerophis ophidion und Siphonostoma typhle obwalten, lassen
sich bis jetzt nicht genauer angeben. N. ophidion scheint
in der Kieler Bucht etwas seltener zu sein, als die andere
Art und wie schon erwähnt wurde, den Aufenthalt zwischen
Tangen dem im reinen Seegrase vorzuziehen.
Fortpflanzung: Eier tragende Männchen trifft man
im Kieler Hafen in der flachen Strandregion häufig von
Mai bis Mitte August, was auch Eckström angiebt. Am
22. August 1874 fing ich ein Exemplar, bei dem die Hül-
sen der schon ausgeschlüpften Jungen sich noch am Bauche
befanden. Diese Hülsen, welche den Zellen einer Bienen-
wabe gleichen, entstehen durch Erhärtung der Schleim-
masse, durch welche die Eier am Bauche des Männchens
befestigt sind, und finden sich auch in der Schwanztasche
von Siph. typhle. Die Begattung konnte ich nicht beo-
bachten. Die ausschlüpfenden Jungen mögen 0.025 bis
0.035 m messen und wachsen noch schneller, als die von
Siph. typhle, so dass die geschlechtliche Reife ohne Zwei-
fel in einem Jahre erreicht wird.
Biocönose und ökonomischer Werth : Auch
hier kann ich nur das von Siph. typhle gesagte wieder-
holen. Im Magen von Cottus scorpius habe ich unsere
Thiere zu verschiedenen Malen vorgefunden.
Verbreitung in der Ostsee: Im westlichen Theil
tiberall vorkommend, nach Malmgren auch im finnischen
und bottnischen Meerbusen bis • zum Quarken. Scheint
weiter nach Osten vorzukommen, als Siph. typhle. In der
Schley habe ich Nerophis ophidion im Juli 1875 mit Eiern
in der kleinen Breite bei Schleswig gefunden, wo das
Wasser nahezu süss ist. Wahrscheinlich wird unser Thier
auch im Dassower Binnensee bei Lübeck und in andern
brackischen Buchten entdeckt werden.
Verbreitung ausserhalb der Ostsee: Fehlt im
Die Gobiidae und Syngnathidae der Ostsee. 339
Mittelmeer. Der VerbreituDgsbezirk im atlantischen Oeean
(französische, brittische und norwegische Küsten) ist noch
nicht genau festgestellt.
Nerophis lumbriciformis Will.
Artdiagnose: Schwanz- und Brustflossen bei
Erwachsenen ganz fehlend. Schnauze abgerundet, etwas
nach oben gekrümmt, viel kürzer als die Hälfte der
Kopflänge. After unter dem ersten Drittel der
Rückenflosse. Long. max. geringer, als bei N. ophidion.
D, 26. Ringe des Rumpfes: 18—19, des Schwanzes:
50-55.
Litteratur und Synonymik.
Gthr. Cat. VIII, p. 193, Nerophis lumbriciformis Will.
1837 Fries, Ichthyol. Beiträge p. 249, Tafel VI, Fig. 5— 8
Syng. lumbriciformis.
1841 Yarrel, II Ed. p. 450, Syng. lumbriciformis.
1846—53 Kroyer, III p. 723 m. Abbldg. Nerophis lumbri-
ciformis.
1855 Nilsson, Sk. F. IVp.695.ScyphiuslumbriciformisYarr.
Diese durch ihre geringere Grösse, kürzere Schnauze
und kleinere Zahl der Flossenstrahlen und Körperringe
von Nerophis ophidion unterschiedene Art ist in der Nord-
see vom Sund bis Bergen und an den brittischen Küsten
verbreitet, in der Ostsee dagegen noch nicht beobachtet.
Da mehrere der angeführten Artmerkmale, vor allem der
kürzere und emporgekrümmte Rüssel, Eigenschaften sind,
welche auch für jugendliche Individuen von Nerophis
ophidion charakteristisch sind, so vermuthe ich, dass N.
lumbriciformis nur eine Varietät der ersteren Art ist und
zu ihr in einem ähnlichen Verhältnisse steht, wie Syng.
rostellatus zu Syng. acus (vergl. oben) oder Gobius minutus
var. minor zu var. major.
Litteratur.
1624 Schonevelde, Ichthyologia seu nomenclator animalium etc.
Hamb. 1624. 4». (ICnthält meist Beobachtungen über die Fische
der Kieler Bucht.)
340 Friedrich Heincke ;
1782 ß loch, M. E., Oekonomische Naturgeschichte der Fische Deutsch-
lands. Bd. 1 bis 3. Berlin 1782—84.
1786 Euphrasen, Gobius Ruthensparri. K. Vetensk. Akad. Nya
Handlingar. Stockholm. Tom. 7. 1786. p. 64—67.
1794 Siemssen, Ad. Chr., Die Fische Mecklenburgs. Rostock und
Leipzig 1794.
1832 Nils so n, S., Prodromus faunae ichthyologiae Skandinaviae.
Lundae, 1832.
1835 Eck ström, C. ü., Die Fische in den Schären von Morkö.
Uebersetzt von Dr. F. C. H. Creplin. Mit 6 Kupfertafeln.
Berlin, 1835.
1837 Cuvier et Valenciennes, Histoire naturelle des poissons.
Paris 1828—49.
1837 Fries, B. Fr., Ichthyolog. Bidrag til Skandinav- Fauna. K.
Vet.-Akad. Handling. Stockholm, 1837, p. 23—58. Uebersetzt
im Archiv f. Naturgeschichte, 1838 I, p. 236.
1839 — — Untersuchung der an den schwedischen Küsten vor-
kommenden Arten der Gattung Gobius L. Uebersetzt von
Creplin. Archiv f. Naturgeschichte 1840. I p. 233.
1840 Fries och Eckström, Skandinavisk Fiskar. Stockholm. (Illu-
strirt von Wright.)
1840 Kroyer, Henrik, Danraarks Fiske. Kjobenhavn 1838 — 53
(3 Bände).
1841 Yarrel, Will., A History of British Fishes. Second Edition.
Vol. I and II. London 1841.
1855 Nils so n, S., Skandinavisk Fauna. IV. Delen. Fiskarna.
Lund, 1855.
1859 Boll, E., Die Fische Mecklenburgs. Archiv des Vereins der
Freunde der Naturgeschichte in Mecklenburg. 13. Jahrg. Neu-
brandenburg 1859.
1859 Günther, Albert, Catalogue of the fishes in the Collection
of the British Museum. Tom. I-VIII, London 1859—70.
1863 Malmgren, A. J., Finlands Fiskfauna. (?) Uebersetzt im
Archiv für Naturgeschichte 1864.
1865 D umeril, Aug., Histoire naturelle des poissons ou Ichthyologie
generale. Paris, 1865 — 70.
1867 Lindström, Gotlands Fiskfauna (im Haushaltungsbericht von
Gothland erschienen ; genaueres kann ich nicht angeben).
1868 Steindachner, Sitzungsberichte der Wiener Akademie, 1868.
57. p. 398-416.
1870 Malm, A. W., Beskrifning pä tre for den Skand. Fauna nya
fiskarter. Öfversigt af Kongl. Vetensk.-'Akad. Förhandl. 1870,
Nr. 7. Stockholm.
1871 Holland, Th., Die Wirbelthiere Pommerns. Stolp. 1871.
DieGobiidae und Syngnathidae der Ostsee. 341
1873 Malm, A. W., Om Svenska Gobiider. Foredrag paa det 11.
skandinaviske Naturforskermode i Kjobenhavn 1873.
1874 Malm, A. H., Om den brednäbbade kantnälens, Siphonostoma
typhle Yarr. utveckling och fortplantning. Lund, 1874.
1874 Win t her, G., Om de Danske Fiske af Slaegten Gobius. Natur-
historisk Tidsskrift 1874.
1875 Wittmao k, L, Beiträge zur Fischerei-Statistik des deutschen
Reichs u. s. w. Mit 1 Karte. Circular Nr. 1 des deutschen
Fischerei- Vereins. Berlin 1875.
1877 Winther, G., Om de Danske Fiske af Slaegten Gobius. Fort-
saettelse. Naturh. Tidsskrift 1877.
1877 Hubrecht, Om eene nieuwe Gobiussoort uit de Noordzee. Go-
bius Taalmankipii (Ort?).
1877 Seidlitz, G., Fauna baltica. Die Fische (Pisces) der Ostsee-
provinzen Russlands. Archiv für die Naturkunde Liv. — Ehstl.
— u. Kurlands. Serie II, Bd. 8. Lief. 1. Dorpat 1877.
1879 Lenz, H., Die Fische der Travemünder Bucht. Circular des
deutschen Fischerei-Vereins. Berlin 1879.
Biologische Bemerkungen.
Die vorstehenden Beschreibungen geben mir Veran-
lassung zu Bemerkungen über einige wichtige Fragen der
zoologischen Systematik und der geographischen Verbrei-
tung sowie über die Existenz und die Entstehung von
Localvarietäten. Auch die sogenannten secundären Ge-
schlechtscharaktere sind bei den beschriebenen Arten so
auffallend entwickelt, dass sie ein allgemeineres Interesse
beanspruchen können.
Dass die folgenden Erörterungen wesentlich descen-
denztheoretisch sind, ist begreiflich. Sollten sie dem
Leser im Vergleich mit dem dargebotenen Material zu weit-
schweifig oder zu gewagt erscheinen, so bemerke ich, dass
ich ähnliche Erscheinungen, wie bei den beschriebenen
Fischen, noch bei einer grossen Zahl anderer Arten in der
Kieler Bucht beobachtet habe, ja ich darf sagen, bei allen,
welche ich überhaupt genauer untersuchte. Vor allem gilt
dies von den heringsartigen Fischen, welche ich in meinen
Abhandlungen über die Varietäten des Herings ausführlich
342 Friedrich Heincke:
behandelt habe ^) und von den Stichlingen, über welche ich
demnächst meine Beobachtungen zu publiciren gedenke.
1. Variabilität der Species.
Ich brauche nicht besonders hervorzuheben, dass der
Umfang der Variation bei allen fünf beschriebenen Arten
ein sehr bedeutender ist. Selbst die am wenigsten vari-
irende Art, Gobius Ruthensparri, zeigt in einem der wich-
tigsten specifischen Charaktere, der Zahl der Strahlen in
der ersten Rückenflosse, welche in der Regel 7 beträgt, eine
Variation, indem gelegentlich 6 oder 8 Strahlen vorkommen.
Die Veränderlichkeit der specifischen Cha-
raktere ist überhaupt bei allen von mir unter-
suchten Arten eine regelmässigeErscheinung und
eine Haupt-Ursache jener unendlichen Verwirrung in der
Synonymik, welche die Berücksichtigung der gesammten Lit-
teratur einer Species zu einer so ermüdenden und undank-
baren Arbeit, ja in einzelnen Fällen die Herstellung einer
richtigen Diagnose unmöglich macht.
Die Gegner des Darwinismus können sich noch immer
nicht mit dieser Thatsache vertraut machen und erschöpfen
sich in Versuchen, den echten, constanten Charakter der
Art aufzufinden. Sie mühen sich meistens vergeblich ab,
denn auch unter der Voraussetzung, dass es con-
stante Artmerkmale giebt, ist doch ihre Methode
so unvollkommen, dass die Entdeckung derselben
unmöglich wird. In meinen Arbeiten über den Hering
habe ich die Mängel unserer bisherigen systematischen Me-
thode genauer zu entwickeln versucht und die Mittel ange-
geben sie zu vermeiden. Vor allem ist nöthig — und das
zeigt auch das hier gegebene Material:
1. Eine möglichst grosse Zahl von Individuen zu ver-
gleichen, um den Umfang der Variation und die Ueber-
gänge zwischen den Extremen derselben, welche meistens
als eigene Arten beschrieben wurden, aufzufinden.
2. Die Alters- und Geschlechtsverschiedenheiten auf-
zusuchen.
1) In den Jahresberichten der Commission zur wissenschaft-
lichen Untersuchung der deutschen Meere in Kiel.
Die Gobiidae und Syngnathidae der Ostsee. 343
Beides geschieht fast niemals in genügendem Grade.
Wie wäre es sonst möglich, dass aus den drei in der Ostsee
vorkommenden Gobius-Arten 12 bis 20 Species, aus Sipho-
nostoma typhle 5 besondere Arten gemacht worden sind?
Jede genauere Untersuchung einer Fischart hat mir bis
jetzt gezeigt, dass die Alters- und Geschlechtsunterschiede
(wobei ich von der Embryonalentwicklung natürlich ganz
absehe) sehr gross sind. Hierzu sind die Nerophis Arten
treffliche Beispiele. Die Jungen haben noch lange nach
dem Ausschlüpfen Flossen, welche den erwachsenen Thieren
fehlen und ihr Körper ist eckig und mit dornartigen Her-
vorragungen versehen, während sie später völlig rund und
glatt werden. Dadurch gleichen sie in der That weit mehr
gewissen Arten aus einer ganz andern Gattung z. B. Syn-
gnathus phlegon, als ihren eignen Eltern. Fast auffallender
noch sind die oben beschriebenen Unterschiede der Männ-
chen und Weibchen von Nerophis. Günther, der gewissen-
hafteste und gelehrteste der Ichthyologen, beschreibt in
seinem Catalogue of the fishes etc. Bd. Vin, p. 194 die
Gattung Protocampus mit der einen Art hymenolomus und
giebt als Gattungsmerkmal einen medianen Hautsaum auf
Rücken und Bauch an. Zwei im Kieler Museum befind-
liche Exemplare aus dem atlantischen Ocean stimmen völlig
mit der Günther'schen Beschreibung und liefern den
Beweis, dass Protocampus hymenolomus aus Weibchen
einer Nerophis-Art besteht, welche keinen fassbaren Unter-
schied von der oben beschriebenen Art N. aequoreus
besitzt. Dieser Umstand ist in so fern von grossem Inte-
resse, als die Günther'schen Exemplare seines Protocam-
pus hymenolomus von den Falklands-Inseln stammen, also
ein neues Beispiel zu der von Günther selbst*) hervorge-
hobenen Erscheinung sind, dass gewisse gemeine Fischarten
der europäischen Meere (z. B. Zoarces viviparus) unter
physikalisch ähnlichen Lebensbedingungen auch auf der
südlichen Hemisphäre vorkommen.
Möge man in den vorstehenden Fischbeschreibungen
einen Versuch erblicken, solche Fehler, wie die geschilder-
1) Zoological Record 1871, p. 93.
344 Friedrich Heincke :
ten zu vermeiden. Vielleiclit sind sie manchem Ichthyologen
eine Warnung, allzu schnell neue Arten zu creiren. Ebenso
verkehrt freilich, wie die Sucht möglichst viele Arten zu
machen, ist das Gegentheil, nämlich allzuviel verschiedene
Formen unter einen Begriff zu bringen. Ich könnte eine
namhafte Zahl moderner Autoren aufführen, welche ein
besonderes Vergnügen darin finden, möglichst viele Arten
zusammenzuwerfen. Auch Günther ist hiervon nicht frei.
Ich werde im Folgenden zeigen, wie wenig dies andere
Extrem einer wissenschaftlichen Systematik nützen kann.
2. Localvarietäten.
Bei Siphonostoma typhle betonte ich, dass ohne
Zweifel die in der Kieler Bucht vorkommenden Thiere
eine Localvarietät bilden. Ich konnte die Eigenschaften
derselben jedoch nicht bestimmt angeben, einmal weil mir
zur Vergleichung Exemplare von andern Gegenden in aus-
reichender Menge fehlten, anderseits, weil überhaupt die
Zahl der von mir untersuchten Individuen zu gering ist.
Meine Untersuchungen über die vielbesprochenen
Localracen des Herings haben mich überzeugt, dasslndi-
viduen einer Species an einem nicht zu eng um-
grenzten Wohnort immer ein örtliches Gepräge in
ihrer Körperform besitzen. Um dies zu erkennen bedarf
es aber der Vergleichung sehr vieler Einzelthiere aller Alters-
stufen von verschiedenen Orten. Auf keinen Fall genügt es
aus der abweichenden Beschaffenheit eines oder mehrerer
Individuen einer Oertlichkeit B von denen des Bezirks A den
Schluss zu ziehen, dass die unterscheidenden Merkmale die
wirklichen Charaktere der Localvarietät vorstellen. In
der Regel verfahren aber unsere Systematiker auf diese
ganz verkehrte Weise. Es wird ihnen z. B. ein auffallend
gefärbtes oder mit einem besonders langen Rüssel versehenes
Exemplar von Siph. typhle aus dem Mittelmeer zugesandt
und sogleich als Typus einer mediterranen Localvarietät
angesehen. Nun kann es aber vorkommen — und mir ist
es sehr häufig so gegangen — dass die Untersuchung einer
grössern Zahl von Individuen der Ostsee zur Entdeckung
Die Gobiidae imd Syiignathidae der Ostsee. 345
eines oder mehrerer Thiere führt, welche jenem Mittelmeer-
Exemplar völlig gleichen. Der erste Schluss war also
falsch. Er wird aber in Folge der mangelhaften Unter-
suchungen so häufig gemacht, dass fast alle Sätze der
Thiergeographie, welche aus dem Vorkommen
sog. stellvertretender Varietäten hergeleitet wur-
den, unzureichend begründet sind. Was Fische betrifft,
so dehne ich diese Behauptung sogar auf viele der stell-
vertretenden Arten aus. Anderseits können sehr wohl
Localvarietäten existiren, wo die bisherige, oberflächliche
ßeschreibungsmethode dieselben negiren muss. Dies ist,
wie ich glaube, bei allen kosmopolitischen Species der
Fall. Erscheint es doch aus allgemeinen Gründen von
vorne herein als eine Naturnothwendigkeit, dass jede
Localität, wenn sie eigenartige Combinationen von Lebens-
bedingungen besitzt — und das muss immer der Fall
sein — auch den in ihr lebenden Individuen einer Art
ihre Signatur verleiht. Merkmale der Local formen
sind immer da, aber sie können sehr wenig abweichend
und sehr versteckt sein und sind unter allen Umständen
schwierig zu bestimmen.
Um so mehr ist es Pflicht, wenn anders die Syste-
matik wissenschaftlich und nicht blos dilettantisch sein
will, an jedem einzelnen Verbreitungsort eine grosse Indi-
viduenzahl ausführlich und genau zu beschreiben. Der
vorliegende Aufsatz will auch hierzu einen Beitrag
liefern.
Nun ist auch klar, dass ein zu weit gehendes Zu-
sammenwerfen von Arten zwecklos, ja schädlich ist, wenn
dadurch die wirklichen Unterschiede der Localformen in
der für alle gültigen Artdiagnose spurlos verschwinden.
Sollen sich unsere Kenntnisse von den Wechselbeziehungen
zwischen Form und Lebensweise vertiefen, so ist die scharfe
Unterscheidung der Racen und Varietäten der erste Schritt
dazu. Hier eröffnet sich der Wissenschaft ein neues, noch
wenig bearbeitetes Forschungsgebiet, welches bei sorgfäl-
tigem Anbau ein ebenso erfreuliches Bild geben wird, wie
die vergleichende Anatomie und Physiologie.
346 Friedrich Heincke:
3. Eintritt von Seefischen in's Brack- und Süss-
wasser verbunden mit Racenbildung.
Es ist längst bekannt, dass eine grosse Anzahl der
verschiedensten Thierarten, deren eigentliche Heimath das
Salzwasser des Meeres ist, in brackische Buchten und rein
süsses Wasses mehr oder weniger tief eindringen. Sem-
p er hat neuerdings diesen Gegenstand genauer behandelt^).
Was die Fische der Ostsee anbelangt, so finde ich,
dass diese Erscheinung ausserordentlich häufig ist.
Jn der Ostsee beträgt die Zahl der bis jetzt mit
Sicherheit beobachteten Fischarten gerade 100. Hiervon
sind ungefähr 61 ständige Bewohner derselben und 39
Arten Gäste, welche durch den Sund und die Belte aus
Nord und Süd zu uns kommen. Unter den 61 ständigen Be-
wohnern sind 24, meist auf den östlichen Theil der Ostsee
beschränkte Arten, deren eigentliche Heimath das Süsswasser
ist, welche aber regelmässig in den Schären und Buchten von
Schweden und Finnland vorkommen. Hierzu gehören viele
unserer gemeinen Weissfische. Somit bleiben 37 Species,
deren eigentliche Heimath das Meer ist und von ihnen gehen
nach meiner und anderer Autoren Beobachtung nicht weniger
als 20 in das Brack- und Süsswasser hinein. Von mindestens
12 derselben ist auch bewiesen, dass sie sich in dem frem-
den Element fortpflanzen. Einige freilich dringen nur zum
Laichen in dasselbe vor (z. B. der Hering); doch lässt sich
von folgenden 10 Arten mit einiger Sicherheit behaupten,
dass sie ständige Bewohner des Brack- resp. Süsswassers sind.
Gasterosteus aculeatus.
Gast. pungitius,
Gobius minutus,
„ niger,
Cottus scorpius,
„ quadricornis,
Pleuronectes flesus,
Clupea alosa
Siphonostoma typhle,
Nerophis ophidion.
1) Die natürlichen Existenzbedingungen der Thiere 1, p. 180.
Internationale wissenschaftliche Bibliothek. 39. Band. Leipzig 1880.
Die Gobiidae und Syngnathidae der Ostsee. 347
Die mitgetheilte Thatsache gewinnt durch eine weitere
Beobachtung bedeutend an Interesse. So viel ich weiss,
ist noch niemals bei Fischen nachgewiesen worden, dass
der Eintritt einer Meerart in's Brackwasser mit einer Ver-
änderung der morphologischen Speciesmerkmale, mit einer
Racenbildung, verknüpft ist. Und doch ist dies aus allge-
meinen Gründen nothwendig. Ich finde es auch in der
That überall da, wo ich etwas eingehendere Untersuchun-
gen angestellt habe. Am schönsten lässt sich die allmäh-
liche Umwandlung der Species unter der Einwirkung der
neuen Lebensbedingungen bei Gast, aculeatus beobachten;
hier wird aus der Meerform trachurus die Süsswasserform
leiurus. Nicht minder interessant ist die Entstehung der
Brackwasserform Gobius minutus var. minor aus Gob.
minutus var. major, welche ich oben genauer beschrieben
habe. Die Brackwasserform lässt sich hier defi-
niren als eine geschlechtsreif gewordene Jugend-
stufe der im Salzwasser lebenden Art, deren
morphologische Unterschiede entschieden erbliche sind.
Ich bin überzeugt, dass eine genauere Prüfung der
andern namhaft gemachten Arten ebenfalls zur Entdeckung
von Localformen führen wird. Bei der grossen Wichtigkeit
dieses Gegenstandes erlaube ich mir noch kurz auf unsere
beiden gemeinsten Plattfischarten, Pleuronectes platessa, die
Scholle und Pleuronectes flesus, den Flunder hinzuweisen. Der
Flunder unterscheidet sich von der Scholle wesentlich nur
dadurch, dass die Seiten des Körpers, gewöhnlich nur die
gefärbte, augentragende, von schuppenartigen Concretionen
rauh wie Sandpapier sind, während PL platessa eine glatte
Haut besitzt. Ausserdem hat die Scholle die Augen stets
rechts, der Flunder aber fast ebenso häufig auf der linken
Seite wie auf der rechten. Die geographische Verbreitung
beider Arten ist dadurch verschieden, dass PI. flesus so-
wohl weiter in die östliche Ostsee vordringt als auch in
brackischen Buchten und Flüssen lebt und sich dort regel-
mässig fortpflanzt. PI. platessa dagegen kommt nur im
Meere vor.
Nun giebt es eine Varietät von PL platessa, welche
schon seit längerer Zeit als var. pseudoflesus von den
348 Friedrich Heincke :
Autoren aufgeführt wird, sonst aber wenig bekannt ist.
Diese interessante Form ist in der Kieler Bucht gar nicht
selten und heisst bei den Fischern „Blendling". Sie ist
eine wirkliche Mittelform zwischen PI. platessa und flesus,
indem ihre Schuppen gezähnt sind. Anfangs hielt ich sie
für einen gelegentlich auftretenden Bastard, seit ich aber
eine grössere Anzahl gesammelt, allmähliche Uebergänge
von pseudoflesus zu den beiden Arten beobachtet habe und
einmal zwei Exemplare des „Blendlings" mit reifen Ge-
schlechtsprodukten erhielt, glaube ich schliessen zu dürfen,
dass die beiden Species PI. platessa und flesus nur scharf
ausgeprägte Varietäten einer einzigen Art sind. Vielleicht
war die Scholle die ursprüngliche Form, aus welcher sich
in flacherem Küstenwasser und in brackischen Buchten der
Flunder entwickelte. Die Trennung beider Arten ist jetzt
schon weit gediehen, so dass die Mittelformen im ganzen
selten sind. Beachtenswerth ist auch, dass ich einen
Pleur. pseudoflesus gesehen habe, welcher die Augen links
hatte, was bei platessa nie vorkommt, bei flesus aber, wie
gesagt, fast ebenso häufig ist, wie das GegentheiP).
Ein ganz ähnliches Verhältniss wie zwischen Pleur.
platessa und flesus besteht übrigens zwischen Rhombus
laevis, dem Glattbutt und Rh. aculeatus, dem Steinbutt.
Letztere Art unterscheidet sich von ersterer nur durch den
Besitz von steinartigen Hautknochen. Ich habe einen Stein-
butt gesehen, der nur drei Hautknochen besass; ohne
Zweifel sind alle Uebergänge zwischen beiden Arten vor-
handen. Was die geographische Verbreitung betrifi't, so
ist der Steinbutt in der Ostsee häufiger als der Glattbutt
und geht weiter nach Osten (nach Ma Imgren bis zum
Quarken). Anderseits ist bis jetzt, soviel mir bekannt, nur
Rh. laevis im Süsswasser gefunden, in Deutschland in der
Elbe, Weser und Hunte (Siemssen 1. c, Wiepken und
Greve, Wirbelthiere Oldenburgs. Oldenburg, 1876, p. 83).
1) Nach Abschluss des Maniiscripts finde ich noch bei N i 1 s-
son, Observationes ichtbyologicae, Particula prima. Lundae 1835,
die Notiz, dass Pleur. platessa im Kattegat zuweilen mit den Augen
auf der Unken Seite vorkommt. Vielleicht waren die beobachteten
Exemplare var. pseudoflesus.
Die Gobiidae und Syngnathidae der Ostsee. 349
Es würde mich freuen, wenn auch andere Ichthyolo-
logen diese interessante Frage näher untersuchen wollten.
4. Eine merkwürdige Beziehung zwischen Körper-
form, geographischer Verbreitung und Ontogenie
bei den Seenadeln.
Bei der Beschreibung der Seenadeln habe ich nach-
gewiesen, dass sowohl Siph. typhle und Nerophis ophidion
im jugendlichen Alter einen eckigen, an den Kanten
säge artig gezähnten Körper haben. Bei Erwachsenen
fehlt dagegen jede Spur von Zähnelung.
Nun giebt es im Mittelmeer und im indischen Ocean
eine ganze Anzahl von Seenadeln aus den Gattungen Syn-
gnathus (z. B. Syngnathus phlegon) und Dorichthys, welche
zeitlebens einen gezähnten Körper besitzen. Bei der grossen
Aehnlichkeit, welche zwischen den im erwachsenen Zustande
glattrandigen Seenadeln der Nord- und Ostsee und den
Blättern von Zostera marina besteht, muss man schliessen,
dass auch die mit gesägten Kanten versehenen Arten ähn-
liche Beziehungen zu Pflanzen ihrer Heimathsorte haben.
Vergleicht man nun die von P. Asche rson (Petermann's
Geogr. Mittheilungen 1871 Heft VII, p. 241) behandelte
geographische Verbreitung der Seegräser mit derjenigen
der Seenadeln nach Günther's Katalog, so ergiebt sich
folgende Parallele. Gezähnte Seenadeln kommen nur
in denjenigen Meeren vor, wo Seegräserarten mit
gezähnten Blättern wachsen. Wo letztere fehlen, an
den Küsten Europas und im schwarzen Meer, da giebt es
auch nur Seenadeln mit glatten Körperkanten. Aus dem
Mittelmeer erwähne ich als Seegrasart mit gesägten Blät-
tern die bekannte Cymodocea nodosa Asch.
Wer Anhänger der Transmutationslehre ist, wird aus
den geschilderten Thatsachen einen weiteren Schluss ziehen.
Da unsere glattrandigen Arten Siph. typhle und Ner. ophi-
dion in der Jugend einen gezähnten Körper haben, so ist
anzunehmen, dass ihre Vorfahren zeitlebens diese Eigen-
schaft besassen und in Meeren lebten, wo Seegrasarten mit
gezähnten Blättern einheimisch waren. Dies war in süd-
350 Friedricli Heincke:
lieberen Gegenden der Fall; von da aus wanderten die
gezähnten Arten nach Norden, um allmählich ihre Körper-
umrisse zu verändern und sich der Form eines ganzrandi-
gen Seegrasblattes anzupassen. Nur während des ersten
Jugendalters, wo der Kleinheit des Körpers wegen die
Aehnlichkeit mit einem Seegrasblatt überhaupt nicht erzielt
werden kann, behielten die Eingewanderten die angeerbte
Körperform bei.
Ob diese Vermuthung in allen Punkten das Richtige
trifft, ist natürlich zweifelhaft. Jedenfalls schien mir der
Gegenstand interessant genug, um hier besonders hervor-
gehoben zu werden.
Schliesslich spreche ich noch die Erwartung aus, dass
ein genaueres Studium der Seenadelarten in den verschie-
denen Meeren auch noch zahlreiche Beziehungen zwischen
der Form der Bruttasche und den Blüthenständen der ein-
zelnen Seegrasarten aufdecken wird. Beide Dinge sind
wenigstens ausserordentlich mannigfaltig entwickelt.
5. Die Laichzeiten der Ostseefische und ihre
Beziehung zur geographischen Verbreitung.
Ebenso variabel wie die specifischen Charaktere sind
die Laichzeiten der mir genauer bekannten Ostseefische.
Es giebt keine einzige Species in der Kieler Bucht, welche
nur in einem bestimmten Monat ihre Eier ablegte, von den
meisten Arten findet man Thiere mit völlig reifen Ge-
schlechtsprodukten in drei, vier, ja fünf aufeinanderfolgen-
den Monaten. Dies gilt z. B. von den beiden beschriebenen
Seenadelarten, von Gobius minutus var. major und Gob.
niger, welche sämmtlich von Mai bis August laichen. Bei
Pleuronectes flesus und platessa erstreckt sich die Fort-
pflanzungsperiode über die fünf Monate Januar bis Mai.
Der Hering endlich laicht in allen Monaten des Jahres
mit Ausnahme des Juli und August.
Nimmt man noch die Angaben hinzu, welche über
das Laichen derselben Species in andern Theilen der Ost-
see und in der Nordsee gemacht sind, so ergiebt sich für
jede Art nicht selten eine Dauer desselben während 5 bis
Die Gobiidae und Syngnathidae der Ostsee. 351
6 Monate und mehr. Eine allgemeine Regel scheint zu
sein, dass die grösseren Individuen zuerst, die kleineren
zuletzt laichen. So ist es begreiflich, dass von vielen
Fischen die verschiedenen Altersstufen fast in allen Jahres-
zeiten neben einander gefunden v^erden.
Weit mehr Interesse als diese Erscheinung, die auch
bei vielen andern Meeresbev^ohnern beobachtet ist, bean-
sprucht der Umstand, dass die grosse Mehrzahl aller in
der Kieler Bucht lebenden Fische in zwei Gruppen zerfällt,
die in Bezug auf ihre Laichzeit diametral verschieden
sind. Die eine Hälfte, zu der die Gobii, Trigla-Arten, La-
bridae und Syngnathidae gehören, pflanzt sich fort im
Frühjahr und Sommer, von März bis August, wenn^die
Wärme des Wassers allmählich steigt und ihren höchsten
Grad erreicht. Die zvireite Hälfte, welche durch die Ga-
didae und die Cottus-Arten vertreten ist, laicht dagegen
von November bis Februar in Wasser, dessen Temperatur
fortwährend sinkt und gegen das Ende dieser Zeit seine
niedrigste Stufe erreicht. Beide Gruppen lassen sich als
Sommer- und Winter fische unterscheiden.
Mit dieser Differenz in den Laichzeiten gehen Unter-
schiede in der geographischen Verbreitung parallel. Die
Sommerfische sind vorzugsweise von der Ostsee aus nach
Süden, die Winterfische nach Norden hin verbreitet. Dies
zeigen am besten die Gattungen Gobius und Syngnathus
auf der einen und Cottus auf der andern Seite. Die Gat-
tung Gobius hat ihre eigentliche Heimath in südlichen
Meeren, von ca. 150 Arten kommen nur 4 in der Nordsee
und 3 in der Ostsee vor; die äusserste Station nach Norden
ist 69^ n. Br. Bis hierher geht Gobius minutus var. major
und es dürfte kaum ein Zufall sein, dass diese Species
von den drei Ostseearten am frühesten laicht, nämlich
schon im März (cf. oben). Die Gattung Siphonostoma findet
ihre nördlichste Grenze, soweit bekannt, schon bei Bergen
(60V2^ n. Br.). Die Gattung Cottus ist dagegen durchaus
nordisch; sie fehlt schon im Mittelmeer gänzlich, geht aber
sehr weit nach Norden. Cottus scorpius kommt z. B. nach
Malmgren allgemein an der Südwestküste von Spitzbergen
vor; die Art Cottus groenlandicus ist nur eine Varietät
352 Friedrich Heineke:
von scorpius. Von den Gadiden endlicli ist allgemein be-
kannt, dass sie am häufigsten im höchsten Norde^n sind
und damit stimmt, dass ihre Laichzeit in der Ostsee schon
im März beendigt ist. Nur einmal in sechs Jahren habe
ich aus der Kieler Bucht einen kleinen Dorsch erhalten,
der noch Anfang Mai reife Eier bei sich hatte.
Die eben geschilderten Beziehungen werfen meiner
Ansicht nach ein Licht auf die Zusammensetzung und
Herkunft der Fischfauna der Ostsee. Ihre Bewohner können
als Süd- und Nordfische bezeichnet werden und der Schluss
ist berechtigt, dass in vergangener Zeit Einwanderungen
sowohl aus südlichen wie polaren Gegenden stattgefunden
haben. Diese Einwanderungen dauern noch jetzt fort.
Die zuweilen in der Ostsee vorkommenden Arten Xiphias
gladius, Thynnus vulgaris, Brama Rayi, Mullus surmu-
letus sind Gäste aus südlichen Meeren; andere wie
Hippoglossus maximus, Stichaeus lumpenus kommen da-
gegen aus hohem Norden gelegentlich zu uns. Ausser
den beiden Gruppen der Süd- und Nordfische giebt es
übrigens in der Ostsee noch eine Anzahl von Arten, welche
von beiden abweichen. Dies sind die meisten Pleuronec-
tiden und die Clupeiden. Erstere laichen von Januar bis
Mai, letztere haben in der Ostsee zwei getrennte Laichzeiten,
die eine vorzugsweise im Brackwasser von April bis Juni,
die andere im Herbst und Winter im Salzwasser. Durch
meine Untersuchungen über die Varietäten des Herings,
über welche demnächst eine ausführlichere Abhandlung er-
scheinen wird, ist nachgewiesen, dass die im Frühjahr
laichenden Individuen von Clupea harengus und Clupea
sprattus von den im Herbst laichenden durch erbliche Racen-
merkmale unterschieden sind.
Die geographische Verbreitung der Pleuronectiden und
Clupeiden stimmt ebenfalls mit ihren Laichzeiten; beide
Fischfamilien sind sowohl im Norden, wie im Süden ver-
breitet. Schliesslich bemerke ich noch, dass die vorstehen-
den Erörterungen auch eine Stütze für die oben ausge-
sprochene Hypothese über die Herkunft der Seenadeln-
Arten der Ostsee sind. Der Umstand, dass beide Sommer-,
also Südfische sind, stimmt mit der Vermuthung, dass sie
Die Gobiidae und Syngnathidae der Ostsee. 353
als die Nachkommen von Seenadelarten mit gezähntem
Körper aus südlicheren Meeren eingewandert sind.
6. Secundäre Geschlechtscharaktere.
Dieselben sind bei den Ostseefischen mit nur wenigen
Ausnahmen (in grossen Schaaren lebende Oberflächenfische
wie Heringe, Makrelen) sehr stark entwickelt, besonders
in der Färbung, was z. B. die Gobius-Arten sehr schön
zeigen. Am bedeutendsten sind die Farbenauszeichnungen
bei den Männchen der Cottus- Arten, welche zur Laichzeit,
mitten im Winter, in wahrhaft tropischen Farben prangen.
Sehr gering sind sie bei den Plattfischen. Meistens schwin-
den die Farben des Hochzeitskleides nach der Laichzeit
sehr bedeutend, oft völlig. Im übrigen sind sie ausser-
ordentlich variabel und finden sich bisweilen auch bei dem
andern Geschlecht angedeutet (Vergl. oben Gattg. Gobius).
Die secundären Geschlechtscharaktere von Nerophis
ophidion haben ein ganz besonderes Interesse. Hier ist
im Gegensatz zu allen andern Fischen das Weibchen
prächtiger gefärbt als das Männchen. Solche Fälle
sind im Thierreich ausserordentlich selten. Darwin
nennt in seiner Abstammung des Menschen (Deutsche
Uebersetzung 1871, IL p. 176) ungefähr ein Dutzend Vogel-
arten, bei denen die Weibchen auffallender gefärbt sind,
als die Männchen. Parallel damit geht fast stets eine Um-
kehrung in den Gewohnheiten beider Geschlechter bei der
Brutpflege; dieselbe ist ebenso wie bei Nerophis dem un-
scheinbarer gefärbten Männchen übertragen.
Diese Thatsache stimmt völlig mit der Hypothese
Darwins, nach welcher die schönern Farben des einen
Geschlechts als Reiz- un4 Lockmittel für das andere dienen.
In der Regel ist der begehrlichere und bei der Begattung
thätigere Theil das Männchen, welches vom Weibchen zu-
rückgewiesen oder angenommen wird. Bei den Seenadeln
ist aber höchstwahrscheinlich das gerade Gegentheil der
Fall ; das Männchen wird bei der Begattung ziemlich pas-
siv sein, während dem Weibchen die Aufgabe zufällt, die
Eier in der Bruttasche oder am Bauche des Männchens zu
befestigen.
Archiv für Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1 . Bd. 23
354 Friedrich Heincke: Die Gobiidae u. Syngnathidae der Ostsee.
Hiernach muss man erwarten, dass bei allen Büschel-
kiemern die Weibchen auffallender gefärbt sind, als die
Männchen, denn mit einziger Ausnahme der Gattung Sole-
nostoma ist überall die Ausbrütung der Eier dem männ-
lichen Geschlechte übertragen. Leider liegen bis jetzt keine
brauchbaren Beobachtungen über diesen Gegenstand vor.
Darwin führt auf die Autorität von Günther hin an,
dass die männlichen Hippocampi eher heller gefärbt sind
als die weiblichen und dass das Weibchen von Solenostoma,
welches seine Eier selbst ausbrütet, eine auffallendere Fär-
bung und Zeichnung besitze, als das Männchen. Beide
Beobachtungen würden, wenn sie richtig sind, der Hypo-
these Darwins widersprechen. Meiner Ansicht nach sind
sie jedoch nicht maassgebend, denn bei der grossen
Veränderlichkeit der Fischfarben können die von Günther
bei Hippocampus und Solenostoma beobachteten Differenzen
zwischen den beiden Geschlechtern rein zufällige sein.
Zur definitiven Entscheidung dieser nicht unwichtigen
Frage bedarf es jedenfalls einer genauem Untersuchung
lebender Thiere. Sehr auffallend ist, dass die Weibchen von
Siphonostoma typhle kaum einen secundären Geschlechts-
charakter in der Farbe aufzuweisen haben.
Acarinologisches.
Von
Dr. 0. flauer.
Hierzu Tafel XVII.
I. Pontarachna Phil. Eine Hydrachnide des
mittelländischen Meeres (Taf. XVII, Fig. 1—4).
Die Zahl der bisher aus dem Salzwasser bekannten
Milben ist eine sehr geringe. Zwar führt Brady (Proc.
Zool. Society 1875 Nr. XX.) eine ganze Reihe solcher an,
die grösstentheils Gattungen angehören, welche sonst nur
das Land bewohnen. Zu einer kurzen Uebersicht vereinigt
sind es 1 Art Trombidium, 3 Arten Pachygnathus, 1 Art
Raphignathus, 1 Art Gamasus, 1 Art Cheyletus, 2 Arten
Halacarus, und 1 Art Halarachne. Es gilt jedoch, wie ich
aus eigener Erfahrung weiss, bei der Aufzählung dieser
„Salzwassermilben" sehr sorgfältig zusein. Viele der das
Land bewohnenden Milben verirren sich nämlich nur zu-
fällig in das Salzwasser, zappeln sich hier einige Zeit lang
erbärmlich ab um bald eben so elend zu Grunde zu gehen.
Während meines Aufenthaltes in Messina verirrten sich oft
solche Gäste in die pelagische Fauna. Ich sah da durch
meinen Simplex bald in halb ertrunkenen Exemplaren, die
sich nur noch zuckend bewegten, bald als Leichname
mehrere Male einen Dermanyssus, wenig verschieden von
Derman. avium, ebenso oft ächte Gamasus-Arten, dann
mehr vereinzelt Cheyletus u. s. w. Auch an den aller-
kräftigsten Exemplaren war leicht zu ersehen, wie unbe-
haglich ihnen das ungewohnte Element war. Von einer
Anpassung an das neue Medium war daher jeden Falles
356 G. Haller:
keine Rede, sondern es drängte sich die Frage nacli ihrer
Herkunft auf. Da antworteten am Besten die lokalen Ver-
hältnisse und eine zweite Art jener verirrten Gäste, die
Larven und Puppen von Mücken, die sich ebenso häufig
wie jene vorfanden und die doch Niemand desshalb mit
den regelmässigen pelagischen Erscheinungen zusammen-
stellen wird. Dagegen liess sich in ihrem Auftreten eine
gewisse Periodicität constatiren. Sie fanden sich jeweilen
nur nach Gewitterregen oder andauernden Regengüssen.
In unmittelbarer Nähe Messina's, ja selbst in den mächtigen
Hafen münden zwei oder drei Fiumaren, jene sicilianischen
Gebirgsbäche, die während der trockenen Jahreszeit bis
auf wenige stehende Lachen, die nach und nach ebenfalls
verschwinden, vollkommen wasserlos sind, die sich aber
bei den heftigen Regengüssen Siciliens sofort mit Wasser
füllen und dann in wildem Laufe, alles was sich ihnen
entgegenstellt mitreissend dem Meere zueilen. Während
den trockenen Tagen sammelt sich in ihnen aller möglicher
Detritus an, der sich baldigst mit Milben und Larven be-
deckt. Schwellen diese Ströme nun plötzlich an,^.so reissen
«ie den gesammten Abfall mit sich und auf ihm, wie auf
Nothfahrzeugen seine Bewohner dem Meere zu. Nur auf
diese Weise lässt es sich erklären, wenn eine ansehnliche
Menge Landmilben in unser Oberflächennetz geräth ; wahre
Meeresbewohner sind es ebensowenig wie die oben er-
wähnten Larven und Puppen.
Anspruch auf Bürgerrecht in der Salzfluth haben nur
diejenigen, welche auf sie durch ihre Lebensart angewiesen
sind und hier giebt es so wohl frei schwimmende, wie
parasitisch lebende Formen. Ihre Zahl ist eine sehr ge-
ringe; doch nähme sie vielleicht zu, würde dem Acarino-
logen mehr Gelegenheit geboten, seine Kenntnisse am
Meeresstrande zu erweitern. Dieses gilt ganz besonders
auch vom Mittelmeere, von dem bis jetzt nur sehr wenige
Beobachtungen vorliegen. Gruber berichtete über eine an
Schwämmen parasitirende Käfermilbe (Gamasus thalassinus)
von Triest, Giard über eine Synaseidien bewohnende
nicht näher bezeichnete Milbe, wahrscheinlich ein Halacarus,
der sich auch im Golfe von Marseille finden soll. Bei
Acarinologisches. 357
Villafranka suchte ich diesen Acarinen stets umsonst; da-
gegen scheint nach einer Note du Plessis so glücklich ge-
wesen zu sein, ihn daselbst aufzufinden. Von Milben aus
dem Mittelmeere ist mir einzig eine freischwimmende Form
bekannt geworden, die lange vor mir auch von Philippi
beschrieben und beobachtet worden ist. Sie ist zugleich
unter den wenigen wahren Salzmilben die einzige ächte
Hydrachnide, und stammt mithin aus einer auch im Süss-
wasser vertretenen Milbenfamilie. Bei dem grossen Interesse,
welches sie daher eines Theils für die Kenntniss der
Mittelmeerfauna, anderen Theiles für die der Milben über-
haupt hat, folgt nachstehend eine ausführliche Beschreibung
derselben.
Pontarachna Philippi.
Zoologische Bemerkungen von Dr. A. Philippi.
Dieses Archiv 1840. S. 191-193, Taf. IV, Fig. 4 und 5.
Seine lateinische Diagnose lautete: „Corpus subglo-
bosum. Oculi duo remoti. Mandibulae . . . nuUae? . . .
minimae? Palpi duo, elongati 5-articulati; articulo quarto
longiore, quinto brevi, acuminato. Coxae utriusque lateris
unitae, anticae duae in linea mediana quoque sese tangen-
tes. Pedes unguibus duobus uncinatis terminati. Vulvae
lamina crustacea granulata cincta!"
Diagnose, Beschreibung und Abbildung sind gleich
mangelhaft und lassen nur mit Mühe vorliegende Milbe
erkennen. Seit Philippi beschäftigte sich niemand mehr
mit derselben und so möchte eine erneute Beschreibung
der Gattung nothwendig sein. Es gehört derselben nur
eine einzige Art an, es kann daher für die Kennzeichen
derselben auf die erneute Beschreibung der Gattung hinge-
wiesen werden. Ich mache mit der abgekürzten Charak-
teristik den iVnfang.
Aechte Hydrachnide im Sinne Kramer's. Körper
kugelig bis schwach birnförmig. Zwei complicirte beweg-
liche Sehorgane. Mandibeln lang borstenförmig; Unter-
lippe zu einem vollkommen schnabelähnlichen Gebilde ge-
schlossen; Palpen verlängert beinförmig und fünfgliederig;
letztes Glied zugespitzt. Vier Coxalplatten, die ersten
358 G. Haller:
sehr genähert. Neben der Geschlechtsöffnung
keine Haftnäpfe, dagegen zu beiden Seiten des
Abdomen's zwei stigmenartige Drüsenmündungen.
Eüsse von vorne nach hinten an Länge zuneh-
mend, von gewöhnlicher Länge; längs der Beuge-
seite mit kurzen aber starken Schwimmborsten,
längs der Streckseite mit kurzen Dornen besetzt;
mit hackenartig gekrümmten einfachen Krallen.
Freischwimmende Salzwasser bewohn er.
Der Körper ist mehr oder weniger kugelig bis birn-
förmig, massig variirend; entweder in seiner vordem Hälfte
oder den vordem zwei Drittheilen kaum merklich ver-
schmälert, stets aber vorne stark zugerundet. Dabei erweist
er sich als vollkommen kahl und glänzend, nur mit ganz
vereinzelten kurzen auf grossen Chitinringen inserirten
Härchen besetzt, die jedoch durchaus symmetrisch auf den
beiden Längshälften des Körpers vertheilt sind. Auf der
Rückenfläche erkennen wir nach einwärts von den Seh-
werkzeugen drei derselben, die in ziemlich weiten Abstän-
den in einer Reihe hinter einander stehen. Zwei ähnliche
finden sich nahe dem hinteren Körperrande, ähnlich
gestellt.
Nahe dem Seitenrande und durch einen weiten Ab-
stand getrennt stehen die sehr entwickelten Sehorgane
(Fig. 2). Ihre Organisation erweist sich als für die Gat-
tung charakteristisch. Die Hauptmasse derselben wird
durch einen mächtigen walzlichen Pigmentkörper (a) aus-
gemacht; derselbe steht quer von innen nach aussen, seine
innere Seite ist zugerundet, die äussere ausgehöhlt und von
einem stumpfen Fortsatze überragt. In die Concavität der
äusseren Seite passt der einzige vorhandene durchaus
kugelige, das Licht sehr stark brechende Körper. Etwas
innerhalb der Mitte entspringt an der unteren Fläche der
Pigmentanhäufung ein blasser Streifen, der fast senkrecht,
mit leichter Neigung nach einwärts nach hinten zieht.
Wir können ihn nicht ganz um die Länge des Pigment-
körpers nach hinten verfolgen, wo er in einen zweilappigen
ebenso blassen Körper übertritt (ob ein besonderes Gan-
glion opticum?). Das Pigment ist tiefschwarz. Ueber den
Acarinolügisches. 359
ganzen derartig zusammengesetzten Sehapparat wölbt sieh
als einfache Hornhaut in mit der den übrigen Körper über-
ziehenden Schichte ununterbrochener Lage die allgemeine
Körperdecke.
An der Bauchfläche nehmen wir vor Allem die vier
ausgedehnten Epimeralplatten (Fig. 1. a^— a'^) wahr, die in
der Mittellinie durch einen nach hinten breiter werdenden
Abstand getrennt sind. Die vier Platten berühren sich
jederseits in ihrer ganzen Breite durchaus, ja das letzte
Paar schiebt seinen Vorderrand sogar zum Theil unter den
hinteren des Vorhergehenden. Nach der Mitte hin sind
sie zugerundet und ihrer ganzen Länge nach von einander
durch doppelte Ränder getrennt. Das zweite Paar erscheint
von etwas geringerem, alle übrigen von ungefähr dem
nämlichen Umfange. Das erste Paar wird in seiner ganzen
Länge von einer bogigen Liste durchkreuzt, welche unge-
fähr in der Mitte der Bauchfläche mit derjenigen der
gegenüberliegenden Seite fast zusammenstösst und mit ihr
eine ^förmige Zeichnung bildet. Sie beginnt mit einem
weiten Bogen am Seitenrande des Körpers ungefähr in der
Höhe der Augen und endet mit kleinem Häkchen dicht
vor der Sexualgegend. Die von diesen Haken halb um-
schlossenen Flecken der Bauchdecken sind wohl jene Stelle,
von welchen Philipp! sagt: „Zwischen den Hüften finden
sich zwei kleine Punkte, von denen ich mir keine Rechen-
schaft zu geben weiss." Weiteres hierauf Bezügliches Hess
sich nicht auffinden. Vielleicht entspricht diese Liste
einem nur halb erloschenen Zweige des Tracheensystemes
und diese Punkte sind die Einmündungsstellen derselben
in den Haupttracheenstamm. Da ich erst an Präparaten
diese Untersuchung vornehmen kann, muss ich die Begrün-
dung dieser Ansicht späteren Beobachtern überlassen.
Am Anfange der hinteren Hälfte der Bauchfläche,
zwischen den zwei hintersten Platten und an Länge unge-
fähr der Breite dieser gleich kommend, liegt die stark
entwickelte Genitalgegend (Fig. 1, b.). Ich habe bis jetzt
nur Weibchen zu Gesichte bekommen, und kann daher
nur die weiblichen Organe beschreiben. Im Centrum liegt
die nur wenig länger als breite ovale Geschlechtsspalte.
360 Gr. Haller:
Sie wird von einer kreuzweise gespaltenen gewölbten Klappe
bedeckt und von zwei gleichschenkligen Chitinrahmen um-
geben, die als vorderer und hinterer unterschieden werden
können. Sie sind in der Mitte merklich verdickt und ihre
Enden berühren sich ohne zu verschmelzen. Haftnäpfe,
wie wir solche stets bei Hydrachna und Ampognatha fin-
den, fehlen stets gänzlich. Dagegen findet sich auch hier
eine Genitalplatte. Sie ist deutlich in zwei symmetrische
Hälften getheilt, die nur dicht hinter der Spalte durch eine
schmale Brücke verbunden sind. In der Gestalt erinnern
beide Hälften an gleichschenklige Dreiecke mit grösstem
sehr stumpfen Winkel, und nach aussen gekehrter Spitze;
die beiden Ecken überragen die Geschlechtsspalte merk-
lich. In der hinteren Hälfte sind sie von einer sehr ge-
streckten aber schmalen nicht chitinisirten Stelle der
Bauchfläche unterbrochen. Wie in unserer Figur schema-
tisch angedeutet, charakterisirt sich die Genitalgegend
gleich den Coxalplatten durch die feine Punktulirung, wie
dieses bereits für jene von Philippi hervorgehoben wor-
den ist.
In gerader Linie von der Geschlechtsspalte liegt nahe
dem Hinterrande des Körpers der ausserordentlich kleine,
durch Muskelzüge bewegliche After (Fig. c), zu welchem
man am lebenden Thiere oft kleine Körnchen ausstossen
sieht, die in tanzende Bewegung gerathen und sich auch
im Wasser noch eine Zeitlang in derselben erhalten; höchst
wahrscheinlich blos eine Folge der Molekularbewegung.
Zu beiden Seiten der Analspalte zieht sich eine kurze mit
dem Körperrande «parallel verlaufende Reihe von drei
winzigen Härchen nach oben.
Dicht hinter dem letzten Plattenpaare jedoch ganz
nach Aussen zu beiden Seiten des Körpers sind zwei ring-
förmige, zierlich skulptirte Vorsprünge wahrnehmbar (Fig. 1.
d in D noch stärker vergrössert). Ihrer Gestalt nach
könnten sie mit Stigmen oder auch mit Haftnäpfen ver-
glichen werden. Tracheenmündungen sind es nicht, wissen
wir doch, dass sich das einzige vorhandene Paar, ganz
nach vorne verlegt, an der Basis des Köpfchens findet.
Auch Haftnäpfe können es nicht sein; ihre Stellung so weit
Acarmologisches. 361
seitwärts lässt diese Ausleguug nicht zu; es fehlen solche,
ich wiederhole es, überhaupt gänzlich. Dagegen lässt sich
in Betracht ziehen, dass die Excretionstaschen der Tyro-
glyphen und Verwandten sich gerade an dieser Stelle fin-
den und es scheint dann deren Auslegung als Mündungen
eines parigen Drüsenorganes nicht ungerechtfertigt.
Die Mundtheile (Fig. 1 u. 3) erweisen sich als mit
denen von Hydrachna durchaus übereinstimmend. In der
Mitte finden wir vor Allem eine unbeträchtliche, einem
Vogelschnabel durchaus ähnliche Vorragung (Fig. 1 e u.
Fig. 5), die aus zwei leicht demonstrirbaren seitlichen Hälften
besteht. Sie entspricht der modificirten Unterlippe. Theil-
weise in ihr, theilweise in den Körper zurückgezogen liegen
in der Ruhe zwei lange, einfache und dünne Stechborsten,
die aus den Mandibeln hervorgegangen sind. Bei einigem
Drucke auf das Deckgläschen gelingt es die beiden Hälften
der schnabelartigen Unterlippe seitwärts auseinander und
die Stechborsten hervor zu treiben. Zu beiden Seiten von
diesem Saug- und Stechapparete stehen die fünfgliederigen
Palpen. Sie sind sehr lang, faden- oder beinförmig und
gegen das Ende hin spitz zulaufend. Philippi beschreibt
dieselben gleich den Extremitäten recht kenntlich; von
den gesammten Fress Werkzeugen sind es jedoch die ein-
zigen Theile, welche er erkannt hat. Das erste Glied ist
kurz, fast ringförmig, das zweite und dritte unter sich von
gleicher Länge, dick und cylindrisch, das vierte ungefähr
so lang, wie zwei und drei zusammen, etwas dünner als
diese und nach dem Ende hin kaum merklich verschmälert,
das fünfte endlich ist ungefähr von gleicher Länge wie
zwei und drei und vom Ursprünge an stark zugespitzt.
Die vorderen Beinpaare übertreffen kaum die Länge
des Leibes, die hinteren sind anderthalb mal so lang. Die
ersten Glieder sind am kürzesten, die letzten die längsten,
in allmähliger Progression gleich den Extremitäten selbst.
Das erste und zweite Glied sind gegen die Basis hin, an
der "Aussenseite etwas ausgeschnitten, das dritte etwas ge-
krümmt, das letzte schräge abgestutzt. Alle Glieder (Fig. 4)
mit ^Ausnahme des letzten sind auf der unteren Seite am
Ende und wohl auch in der Mitte mit kurzen aber starken
362 G. Hall er:
Schwimm borsten besetzt, die paarweise stehen, von innen
nach aussen an Grösse etwas zunehmen und beweglich
eingelenkt sind. An der Streckseite stehen ihnen ent-
sprechend kurze, aber sehr kräftige Dornen. Endlich endet
ein jeder Fuss mit zwei sehr dünnen und einfachen Haken-
krallen, die in einem ziemlich spitzen Winkel gebogen
sind. Das Ende der Extremitäten ist durchaus borstenlos.
Einzige Art mit dem Kennzeichen der Gattung:
Pontarachna punctulum Pl^^il. Litteratur wie oben.
Grösse sehr gering, kaum Vs Linie lang, was hauptsächlich
der Grund war, dass ihr erster Beschreiber sie nicht in
allen ihren Theilen erkannte. Die Farbe wird bereits von
Philippi sehr gut beschrieben, doch variirt das Thier
wesentlich; zwar bezieht sich dieses allerdings nicht auf
die Grundfarbe, wohl aber auf die weissliche durch die
Excretionsorgane erzeugte Zeichnung. Die Farbe ist bräun-
lichgelb, Orangeroth, meistens aber braunroth, mit hellem
durchsichtigem, verschieden gezacktem Rande, so dass
selten zwei Individuen einander vollkommen gleich sehen;
nicht selten findet man Exemplare, bei denen sich das
Excretionsorgan wie ein weisses T von dem dunkleren
Untergrunde sehr hübsch abhebt, bei noch anderen kommen
vor den Querstrich noch zwei vförmige schräge Striche zu
stehen. Der Körperrand bleibt stets blass bräunlich wie
die Extremitäten und Palpen. Auf der Höhe der Augen
erweitert er sich meist zu einem ansehnlichen Flecke, von
welchem das schwärzliche Augenpigment stark absticht.
Philippi fand diese Hydrachnide nicht selten im
Meerbusen von Neapel. Ich dredgte sie auf schlammigem
Grunde mit grösseren Steinen, an welche sie sich gerne
anklammert, immer und immer wieder, meist jedoch nur in
vereinzelten Exemplaren, so brachte ich sie von Scilla,
Lipari und aus dem Hafen von Messina mit. Zu meiner
Freude entdeckte ich sie auch wieder im Grundschlamm
von Villafranka, wo namentlich der kleine Militärhafen
und ein Strich ausserhalb der Baie passable als Fundorte
zu bezeichnen sind. Zu meinem grössten Bedauern schob
ich das anatomische Studium derselben immer wieder auf,
Acarinologisches. 863
weil meine geringe Mussezcit bereits hinlänglich von meinen
Beobachtungen an Crustaceen in Beschlag genommen war.
So beschränkte ich mich denn auf die Anfertigung einiger
wenigen Präparate, nach denen die vorliegende Beschrei-
bung angefertigt ist. Sie hielten sich in Farrant'sches
Medium eingeschlossen recht gut und lassen noch heute
manches Detail erkennen.
Krämer^) trennte die Gattung Hydrachna als eigene
Unterfamilie von den übrigen Wassermilben ab, nicht mit
Unrecht, wie mir scheint. Seine Charakteristik dieser
Subfamilie lautet:
„Kieferftihler eingliedrig, stechborstenartig, in dem
Canal, welcher durch die schnabelartig verlängerte Unter-
lippe gebildet wird, laufend. Kiefertaster fünfgliederig.
Die Augen beiderseits am Vorderrücken als stark gewölbte
Punkte hervortretend. An den drei hinteren Fusspaaren
zahlreiche Schwimmhaare. Neben der Geschleehtsöffnung
dichtgedrängte Haftnäpfe. Süsswasserbewohner."
Wenn wir nun unser Thier noch einmal einer Prüfung
unterziehen, so erkennen wir an demselben die hauptsäch-
lichsten Merkmale der Unterfamilie wieder. In's Besondere
stimmt meine -■ Beschreibung der Mundtheile mit obiger
Charakteristik fast wörtlich überein. Wir erkennen die
schnabelförmige Unterlippe, die langen Stechborsten und
die ftinfgliedrigen Palpen. Kurz und gut, Pontarachna ist
die einzige ächte Hydrachnide unter den Meeresbewohnern.
Sie unterscheidet sich von Hydrachna hauptsächlich durch
den Mangel der Haftnäpfe in der Genitalregion, und durch
ihre Eigenschaft als Meeresbewohnerin. Die Charakteristik
der Familie bedürfte daher in diesem Punkte einiger Ver-
änderung. Ich würde vorschlagen dieselbe folgender
Maassen abzufassen, wobei ich statt der schwer verständ-
lichen und verwirrlichen Ausdrücke „Kieferfühler" und
„Kiefertaster" die Nicolet'sche Nomenclatur einführe:
Mandibeln eingliederig, stechborstenartig, in dem Ca-
nal, welcher durch die schnabelartig verlängerte Unterlippe
1) Grundzüge zur Systematik der Milben, dieses Archiv, 1877,
p. 236.
364 G. Haller:
gebildet wird, laufend. Palpen fünfgliederig. Die Augen
beiderseits am Vorderrücken als stark gewölbte Punkte
hervortretend. An den drei hinteren Fusspaaren zahlreiche
Schwimmhaare. Vorzugsw^eise Süsswasserbewohner, doch
auch im Meere vorkommend. ''
Es möchte übrigens zu dieser Unterfamilie auch die Gat-
tung Campognatha zu ziehen sein, welche ebenfalls neben
der BegattungsöfPnung Haftnäpfe besitzt. Pontarachna unter-
scheidet sich daher von diesem Genus ebenso bezeichnend
wie von Hydrachna.
IL
lieber eine neue Megamerus-Art und diese Gat-
tung im Allgemeinen (Fig. 5 u. 6).
Megamerus Haltica nov. spec. Der Rücken tritt
in einer sich von vorne nach hinten und von einem Seiten-
rande zum andern erhebenden sehr starken Wölbung vor,
die Bauchfläche ist dagegen wenig gewölbt, fast eben.
Im Umrisse erscheint der Körper stumpf eiförmig; sein
zugerundetes Ende kehrt dieses Ei nach vorne, die sehr
stumpfe Spitze nach hinten, die Seiten desselben sind aus-
gebuchtet. Dabei verhält sich die Länge zur Breite unge-
fähr wie drei zu ein und einhalb. Zwischen dem zweiten
und dritten Beinpaare trennt eine tief einschneidende Furche
den Leib in zwei ungleich grosse Abschnitte. Die grösste
Breite des Körpers liegt noch um etwas weniges
hinter dieser Linie und die vorspringenden Schultern run-
den sich von hier aus nach beiden Seiten hin schön zu.
Von den beiden Abschnitten erweist sich der vordere, als
der beträchtlich kleinere, als nur etwa von einem Viertel
der Gesammtlänge des ganzen Körpers; seine Gestalt ergibt
sich etwa als halbkugelig. In seiner ganzen Breite setzt
sich der nach hinten gebogenen Gränzlinie entsprechend
an ihn der hintere Körperabschnitt an, welcher nach hinten
allmählig schmäler werdend ausläuft und hier nur noch
etwa die Hälfte der ursprünglichen Breite besitzt. .
Dabei erweist sich die Rückenfläche als fast durch-
aus nackt und als glänzend ; ebenso die Bauchfläche. Wir
Acarinologisches. 365
bemerken jedoch nahe dem hinteren Leibesende sowohl
auf jener, wie dieser mehrere Paare gleich langer Börst-
chen, die theilweise das hintere Leibesende überragen.
Noch ist ein massig langes Paar Schulterborsten zu er-
wähnen, die dicht hinter und innerhalb der vorspringenden
Schultern ihren Ursprung nehmen. Sie sind nur wenig
länger wie die Endborsten. Nahe dem Seitenrande und
über die Gränzlinie ausgegossen, liegt ein Haufen dunklen
Pigmentes, welcher nicht einen einzigen oder zwei grössere
Licht brechende Körper umschliesst, sondern mehrere
scharf umgränzte und unregelmässige Körnchen, die das
nämliche optische Verhalten zeigen. Diese dunkle Flecken
entsprechen den Sehwerkzeugen.
Das Epistom ist kurz, etwa so lang wie breit und
' zugerundet, es trägt zwei Börstchen von der Länge der
Endborsten. Die übrigen Fressparthien zeigen das schon
von Duges gekennzeichnete Verhalten. Die Palpen tragen
charakteristische Börstchen und zwar je eins an der oberen
Aussenecke des ersten, in der Mitte des zweiten und zwei
kürzere wie diese an der Aussenseite des dritten Gliedes,
welches gleich den zwei folgenden ausserdem kurz behaart
erscheint. Die zwei letzten Glieder zeigen das von dem
ersten Monographen der Gattung erwähnte Verhalten und
der von ihnen gebildete Abschnitt wird nach unten einge-
schlagen getragen.
Die Extremitäten zeigen eine erstaunliche und charak-
teristische Verschiedenheit. Das erste Paar, in unserer
Figur 5 sind wegen Raumersparniss nur die rechtseitigen
Beine gezeichnet, ist überaus lang, ein und ein Drittel mal
so lang wie der gesammte Körper, nächst ihm ergibt sich
das zweite als länger wie die beiden nachfolgenden, jedoch
nur wenig länger wie das vierte; es steht der Gesammt-
länge des Körpers etwa um ein Sechstel nach. Am kürzesten
ist das dritte Paar, welches von etwas mehr als der Hälfte
der Körperlänge ist; das vierte Paar dagegen erweist sich
als nur wenig kürzer wie das zweite. Paar eins und zwei
sind überaus dünn und haarförmig, drei erweist sich als
nur wenig dicker wie sie, vier ist dagegen am Stärksten,
namentlich dessen Schenkel, doch auch seine Endglieder
366 Gr. Haller :
erwiesen sich als etwa zwei bis drei Mal so dick wie die
beiden ersten Paare. Eins bis drei sind durchaus nackt,
ohne jede Spur von Behaarung; vier zeigt ein kleines
Börstchen am Anfange der Springschenkel und seine End-
glieder sind mit einigen wenigen Härchen besetzt. Ebenso
verschieden wie die ganzen Beine, sind auch deren einzelne
Glieder und erfordern daher ebenfalls eine ausführliche
Beschreibung. Erstes Beinpaar. Glied eins kurz, kaum
drei Mal so lang wie breit, von der Basis nach dem Ende
hin massig anschwellend. Glied zwei sehr lang, am läng-
sten: seine Länge entspricht der Breite des Körpers auf
der Höhe der Grenzfurche; dabei ist es gerade und ein-
fach; Glied drei ebenso, doch nur etwa von halber Länge
des Vorhergehenden ; Glied vier verhält sich in Beziehung
auf die Gestalt wie zwei und drei, ist jedoch merklich
kürzer wie zwei; Glied fünf gegen das Ende hin leicht
bogig gekrümmt, kürzer wie vier, länger als drei, das Ende
aussen zugeschärft. Zweite Extremität: Glied eins wie
vorhin, zwei und drei wie drei des ersten Paares, vier
merklich kürzer wie diese, sonst gleich; fünf gegen das
Ende hin aussen zugeschärft, etwa so lang wie zwei und
drei. Dritte Extremität: Glied eins wie vorhin, drei bis
vier nur wenig länger, sonst gleich, fünf aussen zugeschärft,
von gleicher Länge wie seine Vorgänger. Fünftes Bein-
paar: Glied eins wie vorhin, zwei einen bedeutenden
Springschenkel nachahmend, sehr merklich verbreitet und
bedeutend verdickt. Etwa vier Mal so breit als lang, in
der Mitte am breitesten; dagegen nur etwa zwei Mal so
lang wie dick (Fig. 6), von der Basis an plötzlich zur
vollen Dicke anschwellend, dagegen sich gegen das Ende
hin allmählig verjüngend, vor der Artikulation des Folgen-
den mit einem falschen Gliede, drei ungefähr gleich breit,
und etwa so dick wie breit, etwas mehr wie halb so lang
als zwei, Glied drei ihm an Breite und Dicke gleich, je-
doch merklich kürzer; letztes Glied ein wenig dünner und
schmäler wie seine Vorgänger, etwas länger als drei, gegen
das Ende hin aussen zugeschärft.
Die Farbe des Körpers ist ein lebhaftes Hellgrün, die
Extremitäten sind heller, das Augenpigment ist dunkel-
Acarinologisches. 367
braun. Gehört zu den grösseren Megamerus-Arten, etwa
0,5 mm.
Während eines längeren Aufenthaltes am Thunersee
schüttelte ich diese Art öfters aus Moos, das dem Fusse
älterer Obstsäume entnommen war. Gleich den übrigen
Arten dieser Gattung ist das Thierchen von so überaus
zartem Baue, dass es sich auch bei aller Sorgfalt nicht
unverletzt auf den Objektträger bringen lässt. Bei der
grossen Zahl der von dieser Species vorgefundenen Indi-
viduen hielt es jedoch nicht schwer an todten Thieren die
Körpergestalt und das Verhältniss der Beinpaare aus den
vorhandenen erhaltenen Theilen zu ergänzen. An eine
Haltica erinnern sie durch den hoch gewölbten Körper,
die Springschenkel und die Art ihrer Locomotion. Ich
habe auch sehr oft lebende Thiere beobachtet und bewun-
dert, mit welcher ungemeinen Behendigkeit sie sich sowohl
vorwärts wie rückwärts fortbewegen können. Ihr Gang
ist ein ausserordentlich rasches Vorwärtsgleiten; nähert
man sich ihnen mit einer feinen Pinselspitze so machen
sie halb hüpfend, halb gleitend ebenso geschickt vorwärts
wie rückwärts die verzweifeltsten blitzartigen Sprünge. Die
langen haardünnen Vorderbeine werden gleich den Armen
eines Telegraphen in allen Windrichtungen ausserordent-
lich rasch bewegt und dienen offenbar als Tastwerkzeuge.
Die blitzschnellen Thierchen bieten mit anderen Acariden,
namentlich z. B. mit Oribatiden verglichen, deren Bewe-
gung eine ausserordentlich langsame ist, einen seltsamen
Contrast.
Die Gattung Megamerus wurde zuerst von Duges
für einige Arten aufgestellt und recht kenntlich beschrieben.
(Ann. d. sc. nat. ser. II tom. IL pag. 50. PI. II, Fig.
43—51.) Seine Diagnose lautete: „Palpi unguiculati, longi,
liberi, corpus constrictum; coxae distantes, pedes gressores,
funore maximo (praesertim quarti cruris) septimo articulo
brevi. Larvae hexapodae, adultis similes." Koch bildete
nachher aus ihnen die drei Gattungen Scyphius, Penthaleus
und Eupodes mit einer sehr grossen Anzahl von Arten.
Diese drei Genera möchten wohl kaum verschieden sein
und alle mit Megamerus zusammenfallen. Ebenso wird
368 G. Hall er:
es mit den Arten ergehen, da diese sehr oft nur auf zu-
fällige Farben- oder Altersverschiedenheiten gegründet sind.
Seither hat sich Niemand mehr eingehender mit diesen
Milben befasst, wohl nur aus Bequemlichkeit, weil ihre
ungemeine Zartheit der Beobachtung Gränzen setzt, wie
keine andere Gattung mehr. Einzig Kramer berücksich-
tigte sie in seinen „Grundzügen zur Systematik der Milben^'.
Es dürfte daher erspriesslich sein ihr Studium wieder auf-
zunehmen, womit hiermit der Anfang gemacht werden soll.
Im Baue der Mundtheile erinnert die Gattung sehr
an die Trombidien, durch das erste mitunter sehr lange
Fusspaar bietet sie Anknüpfung mit den Linopoden Koch's,
unterscheidet sich dagegen von allen Gattungen und allen
Kramer'schen Sub-Familien der Prostigmatien, zu welcher
Gruppe wir sie zu stellen haben durch die durchaus origi-
nelle Locomotion, die haarfeinen Vorder- und verdickten
Hinterbeine und die Spruugschenkel, welche als solche
eigentlich nur am hintersten Beinpaare auftreten. Eine
Trennung dieser Milben als eigene Unterfamilie scheint
mir daher durchaus gerechtfertigt und schliesse ich mich
auch* hierin Kram er an. — Die Species-Beschreibung
hat ihre Schwierigkeit wegen des einfachen Körpers,
der hier nicht durch verschieden geformte Anhänge,
zahlreiche und auffallende Haargebilde Anhaltspunkte
liefert, im Gegentheil ist er durchschnittlich nackt und
nur am Hinterende mit einigen Börstchen besetzt, auch
kehrt die nämliche Leibesform mit geringer Modifikation
immer wieder. Dagegen erscheinen die verschiedenen Ver-
hältnisse der Beinpaare sehr geeignet zur Speciesbestim-
mung, wenn wir eine grössere Anzahl derselben kennen,
vielleicht sogar zur Errichtung von Gattungen sehr gut
geeignet. Vor Allem gilt dieses für das erste Beinpaar.
Dieses ist in einigen Fällen von normaler Grösse, wie bei
den von Duges beschriebenen Arten, bei Megam. Haiti ca
sind sie mittellang, überaus lang erscheinen sie dagegen
bei einer neuen Art, von welcher ich bis jetzt erst ein
einziges verstümmeltes und verzerrtes Exemplar besitze.
Hier scheinen sie über zehn Mal so lang wie der Körper
und ihre Länge beträgt an einem ca. 0,4 mm langen Thier-
Acarinologisches. 369
chen etwa 4 mm. Dasselbe stammt von dem nämlichen
Fimdorte wie obige neue Art und ich hoffe daher, die
Milbe diesen Sommer beschreiben zu können. Sehr charak-
teristisch für die Art ist auch das Verhalten der Schenkel
oder zweiten Beinglieder, wie ich dieses weiter oben be-
reits angedeutet habe.
Es sollte nun scheinen, als ob das Studium der
inneren Anatomie bei so kleinen Thierchen von so zarter
Chitiudecke leicht wäre, allein man lasse sich nicht täuschen.
Im Gegentheil setzt diese Eigenschaft gerade die grössten
Schwierigkeiten entgegen. Ich bin wenigstens noch zu
gar keinem Resultate gekommen. Auch meine sämmtlichen
Versuche über die Präparation haben bis jetzt kein posi-
tives Resultat ergeben.
III.
Ueber das muthmassliche Gehörorgan der
Acariden (Fig. 7—9).
Als Sinnesorgane der Milben sind in erster Linie die
Palpen bekannt, diesen schliessen sich die Sehwerkzeuge
an. Letztere erreichen bei den meisten Trombidien eine
sehr hervorragende Ausbildung, wodurch sie gegenüber
den anderen Milben eine Stelle einnehmen etwa wie die
Podophthalmata unter den Crustaceen gegenüber den
Edriophthalmata. Kenntnisse über weitere Sinnesorgane
haben wir bis jetzt durchaus nicht und doch scheinen
solche vorzukommen. Wenigstens lässt sich nachstehend
zu beschreibendes Organ durchaus nur als Gehörorgan
deuten.
Auf meinen acarinologischen Streifereien um Bern
klopfte ich vor etwa zwei Jahren von Gesträuch eine, wie
mir scheint, neue Milbe aus der Gattung Trombidium.
Leider war das Thierchen sehr selten find ich muss daher
von einer ausführlichen Schilderung absehen, obschon das-
selbe mit keiner der in der Litteratur beschriebenen Arten
gänzlich übereinstimmt. Dagegen kann ich mir nicht ver-
sagen, wenigstens in kurzen Zügen auf diese Milbe auf-
Archiv für Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. 24
370 G. Haller:
merksam zu machen. Sollte sie sich wirklich als neu be-
stätigen, so schlage ich dafür den Namen audiens vor.
Trombidium audiens charakterisirt sich vor allem
durch den nach hinten treppenförmig verengerten Leib,
durch die dicken und nur wenig langen Beine, durch den
Mangel der Augen, an deren Stelle halterenförmige Gehör-
organe treten, und das wenig dichte aus längeren, spär-
licher aber länger befiederten Borsten, wie bei Trombidium
holosericeum oder tinctorium, bestehenden Haarkleid aus.
Seine Farbe ist dunkel schwärzlich braun bis schwärzlich,
seine Grösse nicht sehr bedeutend, etwa V4 mm betragend.
(Eine mehr schematische Zeichnung der Körperverhältnisse
findet sich in Fig. 7, in Fig. 8 eine der Seidenborsten des
Haarkleides stärker vergrössert.)
Wie bereits erwähnt, fehlen dieser Milbe die Augen
gänzlich, an ihrer Stelle erheben sich zwei halterenförmige
Organe (Fig. 7, a. a.), die durchaus keine Aehnlichkeit
mit den von Pagenstecher*) so unvergleichlich geschil-
derten Sehwerkzeugen haben. Soll ich ihre Lage noch
näher bestimmen, wobei ich auf Fig. 7 verweise, so suche
man sie hart zu beiden Seiten der Mundtheile, dicht über
der Insertionsstelle des ersten Beinpaares auf der dach-
artig abschüssigen Vorderseite des Körpers. Sie treten
hier als zwei kolbenartige, einseitig und zwar nach aus-
wärts verbreiterte etwas deprimirte Körper von geringer
Grösse auf (Fig. 9.). Eben durch diese assymetrische Ver-
breiterung erhalten sie in ihrem Aeussern etwas, was sehr
stark an die Halteren mancher Diptera erinnert. So viel
lässt sich bereits bei geringer Vergrösserung, ja mit Hülfe
einer sehr stark vergrössernden Lupe wahrnehmen.
Untersucht man nun aber mit Hülfe einer starken
Vergrösserung (Fig. 9), so bestätigt sich die bereits ge-
wonnene Ueberzeugung, dass diese Organe von den Seh-
werkzeugen vollkommen verschieden sind, noch mehr. Wir
erkennen deutlich, dass sie durch eine dünnwandige, aussen
überall geschlossene Kapsel gebildet werden, welche an
1) Pagenstecher, Beiträge zur Anatomie der Milben. Heftl.
pag. 21, Tafel I, Fig. VI.
Acarinologisches. S71
ihrer verschmälerten Basis mit dem Binuenraume des Kör-
pers communicirt. Diese Oeffnung (Fig. 9, a) ist etwas
weiter als nothwendig wäre um den noch einfachen Ner-
venstamm eintreten zu lassen. Dieser letztere trennt sich
sofort in vier bis sechs dünne streifenartige Zweige (c— b^),
die divergirend nach dem vorderen Pole der Keule ziehen,
wo sie sich in einem nach innen hügelartig vorstehenden
Ganglion (c) auflösen. Weiteres konnte ich wegen der
tiefbräunlichen Färbung der Wandung über das Verhalten
des Nervens nicht wahrnehmen. Ebenso wenig gelang es
mir den ungetheilten Stamm nach rückwärts bis zu seinem
Ursprünge zu verfolgen. Es kann wohl trotzdem keinem
Zweifel unterliegen, dass derselbe identisch ist mit dem
von Pagenstecher beobachteten Nervus opticus, es kann
derselbe wie dieser nur von dem einzigen Ganglion des
Körpers entspringen. Gehörhaare sind keine vorhanden,
Hessen sich auch bei Anwendung von Reagentien wie Os-
miumsäure mit Carmin nicht nachweisen. Es ist überhaupt
deren Anwendung bei den Milben wegen deren geringen
Körpergrösse bei nur wenig durchsichtigen Körperwandun-
gen ein eitles Unterfangen. Fehlen Hörhaare gänzlich,
so kann doch leicht Gehörsand nachgewiesen werden.
Allerdings findet sich derselbe spärlich, doch stets sehr
deutlich vor in Gestalt sehr kleiner, ovaler Körnchen, die
durchschnittlich die nämliche Grösse hatten und in unserem
dargestellten Falle zwei deutlich getrennte Gruppen bildeten
(Fig. 9, d', d^). Die Eine derselben lag mehr gegen die
Mitte der Kapsel, doch etwas nach vorn und seitwärts
verschoben, ihre Anordnung war eine mehr rosettförmige.
In der vorderen dem Ganglion mehr genäherten Gruppe
ordneten sich die Körnchen zu einer kurzen, einfachen
Reihe. Zweifelsohne wechselt aber die Anordnung und
ist keine gebundene. Weiteres Hess sich an diesen Organen
nicht wahrnehmen.
Es bleibt mir nur noch übrig auszuführen, warum ich
diese Organe für Otocysten halte. Es ist dieses um so
nothwendiger als es auffallen muss, wenn bei einer Art
einer Familie, in welcher hoch entwickelte Sehorgane vor-
kommen, diese ohne Noth verdrängt werden um den, wenig-
372; Cr. Hai 1er:
stens so weit unsere Kenntnisse reichen, sehr vereinzelten
Gehörorganen Platz zu machen. Bei einem unterirdischen
Höhlenbewohner Hesse sich diese Abänderung als aus An-
passung hervorgegangen noch erklären; aber unsere Milbe
ist ein freilebendes Thier! Sehorgane sind es nicht, das
ergibt sich aufs Unzweideutigste aus einer Vergleichung
meiner Beschreibung mit derjenigen Pagenstecher's.
Dagegen könnte man versucht sein sie ihrer Gestalt halber
für gleichbedeutend mit den koibenförmigen Haargebilden
an den Vorderbeinen der Tyroglyphen zu halten. Es muss
daher von Interesse sein, eine Parallele zwischen beiden
Organen zu ziehen.
Die Otocysten von Trombidium audiens befinden sich
an der Stelle eines wesentlichen Organes. Sie stehen am
Vorderkörper, nahe dem Centralknoten des Nervensystems.
Daraus erhellt bereits ihre grössere Bedeutung. Die kolben-
förmigen Organe der Tyroglyphen stehen stets nur an
Stelle von Haarborsten, sie gehören auch nur den Körper-
anhängen an. Die Otocysten sind eine überall geschlossene
Blase, verrathen eine sehr complicirte Structur, haben dem
entsprechend auch eine bedeutendere Grösse. Jene Gebilde
an den Vorderfüssen der Tyroglyphen communiciren durch
eine seitliche ovale Oeffnung nahe dem geschlossenen Ende
mit der die Milbe umgebenden Atmosphäre^ sie lassen
nur einen sehr hellen leicht gewölkten Inhalt erkennen
und weisen eine weit geringere Grösse auf In einem
Worte, es ergeben sich beide Organe als ungemein ver-
schieden. Nun habe ich in einer Arbeit über die innere
Anatomie der Tyroglyphen darzulegen versucht, wie diese
Organe als Riechkölbchen aufzufassen sind. Wir müssen
uns daher nach einem weiteren Sinne umsehen, welchem
diese Sinnesorgane, denn solche sind es unzweifelhaft, zu-
zuertheilen sind. Es bleiben uns noch Tastsinn und Gehör.
Nun sehen wir für jenen ersten stets sehr einfach organi-
sirte Haarbildungen auftreten, wie ich dieses ebenfalls für
die Tyroglyphen glaube nachgewiesen zu haben. Mir
scheint es daher keinem Zweifel mehr zu unterliegen, dass
jene geschlossenen kolbenförmigen Blasen des neuen Trom-
bidiums dem Gehöre dienen, daher als Otocysten zu
Acarinologisches. 373
reklamiren sind. Diese Ansicht wird auch bewiesen oder
gestützt durch die Anwesenheit von Gehörsand.
Trombidium audiens ist die einzige Milbe, von der
wir mithin ein besonderes Gehörorgan kennen. Es wird
aber nicht die einzige sein, die ein solches überhaupt be-
sitzt. Im Gegentheil zeigen einige Milben ähnliche Gebilde,
aus deren Analogie wir auf gleiche Bedeutung schliessen
können. Ich erwähne nur Pygmephorus spinosus Kramer
(Dieses Archiv 1877, Taf. XVI, Fig. 4—10). So wird uns
das aufmerksame Studium der beschreibenden Litteratur
sicherlich noch mehrere solcher Fälle kennen lehren.
Erklärung der Tafel XVII.
Alle Figuren smd nach Präparaten, und zwar Fig. 1 — 4
in Farrant'schem Medium, die übrigen in Sand arac-Einschluss,
gezeichnet. Bei Allen wurde Nachet's Camera lucida angewandt
und alle angegebenen Combiuationen beziehen sich auf ein kleines
Hartnack'sches Mikroskop bei eingestossener Kammer.
Fig. 1 — 4 beziehen sich auf Pontarachna globula Phil. Fig. 1.
Das Thier von der Bauchseite ohne Berücksichtigung der Extremi-
täten. Einseitig ist die Porenpunktirung angedeutet. Oc. Syst.
a^ — a'^ Coxalplatten.
b. Genitalgegend.
c. Anus.
d. Vermuthliche Drüsenmündungen, diese in D noch stärker
vergrössert.
e. schnabelförmige Unterlippe.
f. Palpen.
Fig. 2. Complicirtes Auge. Oc. 4, Syst. 7.
a. Pigmentkörper.
b. Brechender Körper.
c. Nervus opticus.
d. Zweilappiges Ganglion opfeicum.
Fig. 3. Schnabelförmige Unterlippe, Oc. 4 Syst. 7.
374 G. Hall er: Acarinologisches.
Fig. 4. Rechtsseitiges vorderstes Bein, Oc. 3, Syst. 7.
Fig. 5 und 6, bez. s. a. Megamerus Haltica mihi.
Fig. 5. Das Thierchen von der Rückseite. Die Extremitäten
sind nur einseitig angedeutet Oc. Syst.
Fig. 5. Ein rechtsseitiger Springschenkel des vierten Paares.
Oc. Syst.
Fig. 7 bis 9, bez. s. a- Trombidium audiens nov. spec. ?
Fig. 7. Die Milbe mehr schematisirt, Oc. Syst.
Fig. 8. Ein einzelnes Haar aus dem Körperkleide, sehr stark
vergrössert.
Fig. 9. Otocyste der Milbe. Oc. 4 Syst. 7.
a. Eingang derselben von der Körper höhle aus.
b^ — b^. Nervenzweige von a nach dem Ende der Otocyste hin
divergirend, lösen sich in
c. dem Ganglion auf.
d^. d^ Die zwei Gruppen Gehörsand.
lieber einige neue Cymothoinen.
Von
Dr. e. flauer
in Bern.
Hierzu Tafel XVIII.
Bei einer Revision der reichhaltigen Crustaeeen-Samm-
lung des Genfer-Museum's, stellten sich einige unter den
verschiedenartigsten Sammlungsbezeichnungen eingereihte
Arten als neu und noch unbeschrieben heraus. Zu meinem
grossen Leidwesen erwiesen sich die Vaterlandsangaben
vieler Arten als verwechselt und ich hatte die grösste
Mühe in dieser Beziehung die Ordnung wieder einiger-
maassen festzustellen. Nun bietet aber die ganze Samm-
lung und besonders die revidirte Familie der Cymothoinen
einen interessanten Beitrag zu den Faunen einiger weniger
bekannten Meerestheile. Ich nehme daher nicht Anstand
die neuen Species an dieser Stelle durch Abbildung und
abgekürzte Beschreibung festzustellen und sie hernach durch
faunistische Zusammenstellungen zu verwerthen.
Cymothoa Leach.
1. Cymothoa rotundifrons mihi (Fig. 1—4).
Verhältniss der Länge zur Breite wie 1 V2 : 3. Thorax
nach hinten nicht erweitert, Bauchfläche daher überall
gleich breit, die Seitenränder geradlinig und parallel.
Rückenfläche des Thorax stark gewölbt (Vergl. Fig. 1 u.
4.). — Kopf kaum merklich länger als breit; Stirnwand
zugerundet; Vorderfläche in der Mitte leicht vertieft,
Augengegend massig vorgewölbt (Fig. 3 a.). Vordere An-
376 G. Haller:
tennen ziemlich drehrund und siebengliederig, sie erreichen
an den Stirnrand angedrückt den Vorderrand des ersten
Segmentes nicht; die hinteren kaum länger. — Das erste
Segment nach vorne mit starken Fortsätzen, die sich den
Seiten des Kopfes anschmiegen und von der Stirne um
ein Merkliches überragt werden (Fig. 2, a.); ihre äussere
Ecke erweist sich endlich als leicht zugerundet. Das
erste Segment ergibt sich als länger wie zwei, aber ziem-
lich gleich mit drei und vier, am schmälsten sind fünf bis
sieben, jedoch unter sich ziemlich gleich. Auf der Mitte
des ersten Segmentes sehen wir (Fig. 1) dicht hinter dem
Kopfe eine dreieckige Grube mit nach hinten gerichteter
Spitze, am Vorderrande des dritten zwei kleine halbkreis-
förmige, des vierten zwei in die Quere gestreckte Ver-
tiefungen. Sodann verlaufen über die Mitte von fünf und
sechs in gleichen Abständen drei fast parallele aus vertief-
ten Punkten bestehende Linien. Der Hinterrand der drei
letzten Segmente ist nur wenig concav, sechs und sieben
sind nahe dem Hinterrande leicht carinirt. — Die Thora-
calbeine verhalten sich denjenigen von Cymothoa oestrum
ziemlich ähnlich; sie sind aber bedeutend schlanker und
dünner. Dieses letztere gilt namentlich von der platten-
förmigen Verdickung der Hinterhüfte. Die freien Ecken
nahe der Basis bilden aber hier nicht wie dort, rauhe
poröse Höcker, sondern springen vielmehr als leichtes
Zähnchen über die Insertion vor (vergl. Fig. 2. c. u. d.).
Auch die Krallen erweisen sich als sehr verschieden. Bei
Cymothoa oestrum sind sie kurz, dick und wenig gebogen,
bei Cym. rotundifrons erweisen sie sich dagegen als sehr
lang, sehr spitz, stark gebogen und an der Spitze als leicht
gebräunt. — Die Epimeren des ersten Segmentes sind nur
angedeutet, diejenigen der übrigen Segmente durch starke
Furchen von den Seitenrändern getrennt. Sie nehmen von
vorne nach hinten an Grösse ab, sind am unteren Ende
leicht ausgebuchtet und auch an der Aussenfläche in Form
einer flachen von vorne und unten nach hinten und oben
aufsteigenden Hohlkehle ausgerandet. (Fig. 4.)
Das Abdomen scheint schräge nach unten getragen
zu werden. Es erweist sich nach der Basis hin als stark
lieber einige neue Cymothomen. 377
verschmälert; sein erstes Segment ist daher nur von zwei
Drittheilen der Breite des Thorax, sein letztes dagegen
genau so breit wie jener. In der Mitte der Rückenfläche
erkennen wir eine schwache Längswulst, auf welcher auf
dem vorletzten Segmente zwei kleine Höckerchen vorsprin-
gen (Fig. 4). Sämmtliche Abdominalsegmente zusammen-
gerechnet ergeben sich als kaum länger, wie die drei letz-
ten Thoracalringe, die fünf ersten sind unter sich von
ziemlich gleicher Kürze; das letzte oder die Abdominalplatte
oder Caudalplatte, das Pigidium steht dem von jenen gebil-
deten Abschnitte an Länge kaum nach, es ergibt sich auch als
von gleicher Breite, wie das vorletzte, dabei übertrifft die
Breite die Länge etwa um das Doppelte. Es ist stark
gewölbt, sein Hinterrand beträchtlich eingerollt, die hinteren
Aussenwinkel zugerundet. Am Vorderrande erkennen wir
sodann (vergl. Fig. 5) eine deutliche Längswulst, die in
der Mitte unterbrochen ist. Als direkte Fortsetzung dieser
Unterbrechung läuft eine seichte Furche nach hinten,
welche die Wölbung des Segmentes in zwei symmetrische
Hälften trennt, in ihr erhebt sich eine leichte Längsleiste.
Das letzte Beinpaar so lang wie sein Segment; die beiden
Endäste etwas länger wie der gemeinsame Stamm, verdickt,
unter sich von gleicher Länge und schwach gekrümmt.
Gesammtlänge ca. 4,0; Breite 2,7 cm; beides über die
Wölbung gemessen.
Cymothoa rotundifrons mihi steht Cym. oesti'um Leach
sehr nahe, unterscheidet sich jedoch von dieser Art deut-
lich durch die oben hervorgehobenen Merkmale (vergl.
Fig. 2. a u. b, c u. d). Charakteristisch für die neue Art
sind ferner die geradlinigen, parallelen Thoracalseitenrän-
der, die oben beschriebene Ausstattung der einzelnen Seg-
mente, auch die Verhältnisse des Abdomen's lassen eine
Verwechslung mit einer andern Art nicht zu.
Es lag mir von dieser Species nur ein einziges aber
sehr schönes und wohlerhaltenes Individuum vor, das von
Mauritius stammt.
2. Cymothoa oestrum Leach.
Zur Vergleichung dieser erstgekannten Art, welche
als Typus des Genus zu gelten hat, lagen mir zwei
378 G. Haller:
erwachsene Exemplare von Gouadeloupe vor, welche mit
einem ebenfalls in der Sammlung vorhandenen von Roux
bestimmten und noch von ihm von Marseille aus an das
Museum gesandten Exemplare durchaus übereinstimmen.
Ein kleines Individuum von 1,7 cm Länge, das sich
nur als junges Thier dieser Art bestimmen lässt, trägt als
beigeheftete, handschriftliche Notiz des Sammler's: „de la
Cavangue-camargue ä la Gouadeloupe." Vermuthlich ist
die Bezeichnung des Fisches nur eine verdorbene Schreib-
weise für Caranx carangus Bloch.
3. Cymothoa parasitica de Saussurc.
Memoire sur divers Crustaces nouveaux du Mexique
et des Antilles par Henri de Saussure 1858, pag. 69. Taf. V.
Fig. 44 u. 44 a.
Die Type dieser Art, welche von de Saussure von
Cuba mitgebracht wurde, befindet sich ebenfalls in der
gedachten Sammlung, ist aber leider ziemlich zerfallen.
4. Cymothoa paradoxa mihi.
Gestreckt ; Verhältniss der Länge zur Breite wie 1 : 3.
Mittellinie der Rückenfläche leicht concav (Fig. 6). Grösste
Breite des Thorax auf der Höhe des dritten Segmentes,
von hier nach vorne leicht zugerundet, nach hinten kaum
merklich verschmälert. Thorax von ganz auffallender Ge-
stalt, nämlich die drei ersten Segmente durchaus deprimirt
und flach, die folgenden dagegen ebenso stark comprimirt
und nach unten hin bauchig vorgewölbt. — Kopf klein,
merklich breiter als lang, Stirn nicht über die Augen vor-
ragend, vorderer Kopfrand gewölbt. Kopf schmäler wie
das erste Segment. Dieses ohne seitliche Fortsätze, breiter
als zwei und drei, etwa wie vier bis sechs. In der Mitte
merklich verbreitert; Vorderrand leicht concav, an der
Basis des Kopfes mit leichtem halbmondförmigem Aus-
schnitte; Hinterrand in der Mitte stark nach hinten ausge-
bogen, fast zugespitzt. Segment zwei am schmälsten,
schmäler als drei, sein Hinterrand weniger convex wie
derjenige des ersten; es erscheint daher dieses Ringel in
der Mitte als stark verschmälert. Drittes Segment unge-
Üeber einige neue Cymothoiuen. 379
fähr so lang wie das letzte, sein Hinterrand gerade. Die
drei folgenden so lang wie das erste, ihr Hinterrand ziem-
lich gerade. Das sechste ergibt sich unter allen als das
längste. Die Seitenränder und Epimeren der drei letzten
Segmente durch dreieckige häutige Spatia getrennt (Fig. 6.),
zwischen Segment sechs und sieben ist eine deutliche Ein-
schnürung zu bemerken. Hinterrand des letzten Thoracal-
segmentes leicht convex. Epimeren durchwegs von gleicher
Grösse. Thoracalbeine von gewöhnlicher Länge, aber sehr
schwach, Hinterhüften kaum verdickt und verbreitert.
Abdomen auffallender Weise sehr frei beweglich,
ähnlich wie bei Anilocra; sehr lang etwa wie die vier
letzten Thoracalsegmente zusammengerechnet, in seiner
ganzen Länge von gleicher Breite, schmäler wie das letzte
Thoracalglied; Seitenränder zwischen den einzelnen Ringeln
tief eingeschnitten, die fünf ersten Glieder ungefähr gleich
lang. Das Pigidium nicht so lang wie die Einheit der
vorhergehenden Segmente, an seiner Basis breiter als lang,
nach hinten halbkreisförmig zugerundet, eine erhabene
Längslinie theilt dasselbe in zwei symmetrische leicht ge-
wölbte Hälften, endlich ist parallel mit der Basis ein tiefer
Quereindruck zu bemerken. Das letzte Abdominalfusspaar
um ein Weniges länger wie die Platte, die Endäste etwa
so lang wie der Stamm und unter sich ebenfalls von ziem-
lich gleicher Länge, das innere kaum merklich verbreitert,
beide gegen das Ende hin leicht zugerundet, gerade, flach
und dünn. (Fig. 7.) Eine der kleinsten Arten, misst in
der Länge 1,8, in der Breite 0,65 cm.
Diese Art unterscheidet sich durch die eigenthüm-
lichen Verhältnisse des Thorax, durch den sonderbaren
Kopf, das freie bewegliche Abdomen, das in der Mitte
stark verbreitete L Thoracalsegment auf den ersten Blick
von allen Bekannten, lieber die systematische Stellung
derselben war ich lange Zeit unschlüssig. Es schliesst
sich das Thier ebenso wenig Cymothoe wie Livoneca enge
an, gehört aber wegen der Verhältnisse seiner Antennen
zu der einen oder anderen Gattung. Hätte ich über mehr
Exemplare verfügt, so würde ich es wahrscheinlich trotz
dem zum Typus eines neuen Genus erhoben haben. Leider
380 G. Haller:
findet sich aber nur ein einziges, wohl conservirtes, in
Spiritus aufbewahrtes Individuum vor und zwar ein mit
Eiern angefülltes Weibchen. Dasselbe wurde von G. Lunel
in der Mundhöhle eines Caranx carangus Bloch aus dem
indischen Ocean aufgefunden.
Livoneca Leach.
6. Livoneca plagulophora nov. spec. Fig. 8 u. 9.
Körper leicht asymetrisch, sehr flach und leicht ver-
breitert, dabei von sehr geringen Dickendimensionen. All-
gemeine Körperumrisse verzerrt eiförmig, grösste Breite auf
der Höhe des Abdomens, Verhältniss der Länge zur Breite
wie 1 : 2. Kopf klein, rundlich, ungefähr so breit wie
lang. Obere Antennen leicht verbreitert und sehr kurz,
reichen nach hinten kaum über die Augen, siebengliederig
mit sehr kleinem Grundgliede; untere merklich länger,
dünner, erreichen jedoch kaum den Vorderrand des ersten
Segmentes. Erstes Thoracalsegment am schmälsten, nicht
ganz zwei Mal schmäler wie das letzte Abdominalsegment.
Erstes bis drittes Segment am längsten und unter sich
ziemlich gleich, die drei folgenden kürzer, sieben am
kürzesten, zugleich aber auch unter allen das breiteste.
Vorne jederseits neben dem Kopfe an Segment eins leichte
Andeutungen von Seitenfortsätzen, hinter den Augen seichte
Eindrücke. Hinterrand von fünf und sechs wenig, von
sieben nur sehr massig concav. Epimeren des ersten Seg-
mentes fehlen, die folgenden sehr dünn und flach, in
gleicher Fläche mit ihren Segmenten. Die vordersten am
längsten, jedoch den Rand ihrer Ringel nicht erreichend,
noch ziemlich schmal. Nach hinten nehmen sie an Breite
zu, an Länge ab; die hintersten erscheinen daher etwa so
breit wie lang, alle nach innen zugerundet, die hinteren
erreichen den Rand ihrer Segmente. Die Extremitäten
nehmen von vorne nach hinten zwar merklich an Länge,
kaum aber an Dicke zu (vergl. Fig. 9 au. b); Hüften
nicht verdickt. Alle Glieder kurz und rund. Brutblätter
mit erhabener nach der Insertion hin convergirender
Streifung.
Alle die fünf ersten Abdominalsegmente ungemein
lieber einige neue Cymothoinen. 381
kurz, ganz besonders aber das erste. Der schmale Streifen
desselben ist ganz unter dem Thorax versteckt, so dass
das Abdomen von oben gesehen nur ftinfgliederig erscheint,
wofür ich es denn auch lange Zeit hielt, bis mir durch
Zufall der sehr versteckte und ungemein kurze erste Ab-
dominalring bei der Untersuchung des Thieres von der
Bauchfläche her sichtbar wurde. Das Abdomen nach der
Basis hin verschmälert; sein erster versteckter Ring etwas
kürzer wie das vorausgehende Thoracalsegment. Die vier
von oben allein sichtbaren Hinterleibsringe ebenfalls unge-
mein kurz, in ihrer Gesammtheit kaum so lang wie die
zwei vorhergehenden Thoracalsegmente; ihre Seitenränder
schauen kaum unter dem Rande des vorhergehenden Ab-
schnittes hervor. Hinterleibsplatte ungemein gross und
dünn (woher der Name rcXayovXa und (p€QCü)j beinahe von
halber Körperlänge und breiter wie lang. An der Basis
von der Breite des fünften Abdominalringes, nach hinten
unregelmässig halbkreisförmig zugerundet, seiner ganzen
Länge nach mit leichter erhabener Mittellinie. Sein Fuss-
paar etwa halb so lang, oder eher etwas mehr; ziemlich
symmetrisch ausgebildet. Stamm nach hinten verbreitert,
nach innen mit deutlichem Zahn. Die Endglieder ungleich,
das innere kürzer wie der Stamm, schmal lanzettlich; das
äussere nicht ganz zwei Mal länger, schwach gebogen und
gegen das Ende hin leicht zugespitzt, beide mit häutigen
Anhängseln. Gesammtlänge 2,8; Breite 1,2 cm.
Drei geschlechtsreife Weibchen dieser Art von Mau-
ritius. Wegen des scheinbar viergliederigen Hinterleibes
und der grossen halbkreisförmigen Hinterleibsplatte kann
diese Art nicht leicht mit einer der bereits beschriebenen
Formen verwechselt werden.
6 Livoneca Lunelii nov. spec. (Fig. 10— 12.)
Der asymetrisch, beinahe plane Körper übertrifft mit
seiner Länge die Breite zwei Mal. Die Rückenfläche ist
in der Mitte sehr leicht convex, längs den Seitenrändern
ebenso concav. Der etwa elliptische Kopf ist nur wenig
länger als breit, besitzt eine zugerundete Stirn, parallel
mit dieser bis etwa zu den Augen verläuft ein halbmond-
382 G. Haller:
förmiger Eindruck, am Vorderrande zeigt er eine leichte
Ausbuchtung. Erstes Segment mit nur rudimentären vor-
deren Seitenfortsätzen, die durch kleine Spitzchen ange-
deutet werden; am Vorderrande zur Aufnahme des halben
Kopfes tief ausgeschnitten. Von den Antennen sind die
hinteren etwas weniger dick wie die vorderen und ziemlich
gleich lang mit diesen, welche siebengliederig, mit zwei ver-
dickten Grundgliedern, sind; beide tiberragen nach hinten die
seitlichen Fortsätze des ersten Segmentes nur unbeträchtlich.
Die vier ersten Segmente sind unter sich von ziemlich
gleicher Länge, die drei hinteren werden dagegen immer
kürzer, so dass das siebente das kürzeste ist. Der Hinter-
rand des ersten Segmentes ist ziemlich gewölbt, derjenige der
zwei folgenden leicht convex, des vierten fast gerade, der
hinteren immer stärker ausgebuchtet, so dass der Hinterleib
von oben vollkommen nur in dem hinteren Ausschnitte des
letzten Segmentes zu Tage tritt und seitlich von dem
Seitenrande desselben verdeckt wird. Die Epimeren sind
beidseitig ziemlich gleichmässig entwickelt, nach aussen
und hinten in einen leicht gekrümmten Fortsatz ausgezogen
(Fig. 10); der an den vorderen Segmenten als ein kurzes
stumpfes, nach hinten gedrängtes Höckerchen, an den vier
hinteren als immer länger werdender Stachel auftritt, der
schliesslich fast so lang wie die Epimere selbst ist. Da
die Epimeren auf beiden Seiten gleichmässig entwickelt
sind, die Seitenränder der hinteren Segmente aber ungleich,
so resultirt hieraus für jene ein verschiedenartiges Ver-
halten. Wir sehen denn in der That auch (Fig. 11),
dass jene auf der concaven Seite ihre Segmente überragen,
auf der convexen dagegen deren Hinterrand nicht erreichen.
— Die sämmtlichen Abdominalringe haben die Breite
des letzten Thoracalsegmentes, auch sind sie unter sich
von ziemlich gleicher Länge, der Hinterrand der vorderen
nach vorne ausgebogen, des fünften geradlinig. Die Cau-
dalplatte etwa ein und ein halbes Mal so lang wie breit,
grösser wie das Abdomen, nach hinten unregelraässig zu-
gerundet, am Hinterrande leicht ausgebuchtet; sie ist an
der Basis kaum schmäler wie das letzte Thoracalsegment
und nicht ganz zwei Mal so breit wie lang; fast plan
lieber einige neue Cymothoinen. 383
vorne mit undeutlichem Querwulste, leicht erhabener Mit-
telrippe und grubig netziger Skulptur der Rückenfläche.
Thoracale Beinpaare durchschnittlich von gleicher Länge
und Stärke, nach hinten kaum verdickt, Hüften an der
Basis über den Schenkelring in Gestalt eines winzigen
Zähnchens vorspringend (Fig. 10); Krallen sehr klein.
Letzter Abdominalfuss auf der verlängerten Seite kürzer
wie auf der verkürzten, kaum von der Hälfte der Länge
seines plattenfömigen Segmentes; Endäste und Stamm, jene
auch unter sich ziemlich gleich lang, jene elliptisch (Fig.
12). Grösse des mit Brutkammer versehenen Weibchens 3 cm,
Breite 1,6 cm.
Wurde in Begleitung eines vollkommen symmetrisch
gebauten, der Mutter fast durchaus entsprechenden jungen
Thieres (1,1 cm Länge und 0,7 cm Breite) von G. Lunel,
Direktor des städtischen Museums in Genf, einem unserer
hervorragendsten Ichthyologen^) an der Innenseite des
Kiemendeckels von Upeneus Indiens von Macassar (Celebes)
aufgefunden und mir mit grosser Zuvorkommenheit über-
lassen. Ich beeile mich ihm denselben als ein Zeichen
meiner Hochachtung zu widmen.. Nach schriftlichen Mit-
theilungen des Finders war die Stelle, an der der Parasit
sass, leicht dadurch kenntlich, dass an ihr der Kiemen-
deckel beulenartig hervorgetrieben war.
7. Livoneca Cumulus mihi (Fig. 13—15).
Körper ziemlich gedrungen; Verhältniss der Länge
zur grössten Breite wie 3 : 2. Grösste Breite auf der
Höhe des vierten Thoracalsegmentes (Fig. 14). Rücken-
fläche bis zum vierten Segmente hochgewölbt, vom Kopfe
an steil aufsteigend; die hinteren vier Thoracalsegmente
scharf gefirstet; Firste der verkürzten Seite merklich ge-
nähert; Abdomen flacher, nur das Pigidium flach dach-
förmig. Körper stark asymetrisch, die eine Seite convex,
die andere concav gekrümmt. — Der Kopf ist sehr klein,
halbmondförmig, kaum breiter als lang, auf der Rücken-
1) Verfasser des schweizerischen ichthyologischen Werkes:
Histoire naturelle des Poissons du bassin de Leman. Geneve 1874.
384 G. Ha 11 er:
fläche stark ausgehöhlt, er passt in einen tiefen Einschnitt
am Vorderrande des ersten Segmentes. Dieses und die
zwei nachfolgenden ergeben sich als ungefähr von gleicher
Länge, nehmen aber an Breite zu. Die vorderen Seiten-
enden des ersten Segmentes breit zugerundet ; in der Mitte
des Ringels eine tiefe durch eine erhabene Mittelfirste in
zwei seitliche Hälften getrennte halbmondförmige Grube.
Die folgenden Thoracalringel werden nach hinten zu immer
kürzer und vom vierten an auch schmäler (Fig. 14 u. 15),
ihre Hinterränder nach vorne eckig und breit ausgeschnit-
ten; diese Ausschnitte werden nach hinten immer tiefer
und schmäler; sehr tief ist der Ausschnitt des letzten
Thoracalringels, welcher fast so tief wie breit ist und den
umfangreichen Complex der fünf ersten Abdominalsegmente
gänzlich aufnimmt (Fig. 14). Vom vierten Segmente an ist,
was namentlich bei jungen Individuen hervorzutreten scheint,
der Hinterrand eines jeden der Thoracalsegmente in der
Mitte zu einem kleinen nach hinten über den Vorderrand
des folgenden Ringels vorragenden Höckerchens verdickt,
das sich nach vorne hin abflacht (Fig. 15). Bei mit Eiern
erfüllten Weibchen wird durch die Brutkammer die Bauch-
fläche auffallend stark, fast halbkugelig hervorgetrieben.
Der Seitenrand und die Epimeren der drei vorderen
Körperringel verhalten sich normal wie bei den übrigen
Arten. Die Epimeren sind schmale Streifchen nicht ganz
von der Länge ihres Segmentes; sie stehen unterhalb des
Seitenrandes, schieben sich mit ihrer Spitze hinter das
Vorhergehende, erreichen den Hinterrand ihrer Ringel nicht
und sind in ihrer hinteren Hälfte durch eine enge Furche
in zwei übereinander liegende Theile geschieden (Fig. 15).
An den vier hinteren Segmenten ist dagegen das Verhalten
ein durchaus abweichendes und höchst charakteristisches,
das hauptsächlich auf der convexen Seite des Körpers
hervortritt, sich dagegen auf der concaven nur undeutlich
zu erkennen gibt. Dort erscheint der • Seitenrand eines
jeden der vier hinteren Segmente zu breiten Platten aus-
gezogen, die in schräger Richtung nach unten ragen und so
als eine seitliche Fortsetzung der abschüssigen Rückenfläche
auftreten; sie sind etwas breiter wie lang und an der Ober-
Ueber einige neue Cymothoinen. 385
fläche kaum merklicli ausgehölt (Fig. 13 u. 14). Die erste
steht von den übrigen etwas ab, so dass zwischen ihr und
der folgenden das Ende der ihr angehörenden Epimere zu
Tage tritt (Fig. 14). Nach vorne erweist sich diese Platte
als leicht bis halbmondförmig zugerundet, die übrigen sind
einfacher eckig, am Aussenrande quer abgestutzt. Betrach-
ten wir nun das Thier von der Bauchseite (Fig. 13), so
werden auch die Epimeren in ihrer ganzen Ausdehnung
sichtbar. Sie ergeben sich als eben so lang wie die dar-
über liegenden Seitenränder, doch nur von der halben oder
eindrittels Breite derselben, nehmen aber von vorne nach
hinten an Umfang ab, sind entweder nach dem freien Ende
hin zugespitzt oder quer abgestutzt und treten jeweilen
unter den Spalt zwischen ihrem Segmente und dem nach-
folgenden, von der Rückenfläche wird daher wie wir ge-
sehen nur die erste derselben und nur deren Spitze zu
bemerken sein.
Von der Rückenfläche aus betrachtet, treten die fünf
ersten Abdominalsegmente nur in dem Ausschnitte des
letzten Thoracalringes zu Tage und kommen an Länge
nicht ganz den hintersten drei Thoracalsegmenten gleich.
Caudalplatte von beträchtlicher Grösse, durchaus dreieckiger
Gestalt .mit ausgesprochener Spitze, entsprechend dem
Körperbau etwas asymmetrisch, leicht dachartig gewölbt
und so lang oder länger als breit. Rings um dasselbe
zieht sich ein dünnhäutiger unregelmässiger Randsaum
(Fig. 14). Seine Länge ist verschieden, meist übertrifft
sie aber ihre eigene Breite und stets den vorderen Ab-
schnitt des Abdomens um ein Beträchtliches.
Obere Antennen verbreitert und kürzer wie die
unteren, sie reichen nicht bis an den Hinterrand des
Kopfes, sechsgliederig, untere dünner, reichen bis über den
Vorderrand des ersten Segmentes und sind etwa um ihre
eigene Hälfte länger wie jene. Die Thoracalbeine sehr
klein, namentlich deren Krallen ; durchwegs von gleicher
Grösse, Hüften nur wenig plattenartig verbreitert. Das
letzte Beinpaar auf der convexen Seite meist etwas grösser,
wie auf der concaven, doch niemals länger als höchstens
die Hälfte der Caudalplatte. Stammtheil sehr kurz; aus-
Archiv f. Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. 25
386 Gr. Ha 11 er:
serer Endast etwa ein und ein halbes Mal so lang, an der
Basis verbreitert, in eine abgerundete Spitze ausgezogen,
schwach gebogen, immer bedeutend kürzer wie dieser,
verkehrt eiförmig ; das ganze Bein dagegen sehr flach und
papierdünn.
Von dieser an und für sich bereits sehr interessanten
Art kommen zwei sich durchaus ähnliche aber entgegen-
gesetzte Abweichungen vor, von denen die eine zu den
vorliegenden Zeichnungen benutzt worden ist, ich bezeichne
sie mit a. Die andere ß, hat ihren concaven Seitenrand
auf der rechten Seite und die verbreiterten Platten befinden
sich daher auf der linken Seite. Sonst entspricht dieselbe voll-
kommen der obigen Beschreibung, sowie den Abbildungen.
Drei Exemplare aus Gouadeloupe, deren Gesammt-
länge 2,3. 2,5 u. 2,8, deren Breite 1,4. 1,5 u. 2,0, deren
grösste Höhe des gefirsteten Hinterrückens 0,8. 0,9, u. 1,1 cm
beträgt. Im ungemein hochgewölbten Kücken, der hinten
gefirstet, vorne gewölbt ist, in den Platten des Seitenran-
des, den eigenthümlich ausgebildeten Epimeren u. s. w.
li^gt ein ganz eigenartiger Charakter. Derselbe ist es
vermuthlich, welcher den Sammler dazu bewog, in seiner
handschriftlichen beigesetzten Bezeichnung die Art der
Gattung Ourozeuktes beizugesejlen. Diese Bereicherung
der wenig bekannten Gattung Mi Ine- Edwards ist aber
eine irrige, denn wie man sich leicht überzeugt sind die
einzelnen Segmente des Abdomens frei und nicht ver-
schmolzen. Dagegen war ich mit mir uneinig ob ich
Livoneca Cumulus zum Typus einer eigenen Gattung er-
heben wollte, wozu vielleicht in oben angeführten Kenn-
zeichen Grund genug vorhandeü wäre. Es erscheint mir
aber richtiger die Art der Gattung Livoneca beizustellen;
sie bildet durch das Verhalten der Epimeren und Seiten-
ränder der hinteren Segmente des Thorax ein Bindeglied
zwischen diesem Genus undNerocila. Die Speciesbezeichnung
wählte ich von der starken hügelaBtigen Wölbung des Rückens.
8. Livoneca ellipsoidea mihi (Fig. 16--17).
Körper fast vollkommen symmetrisch, länglich ellip-
tisch; massig gewölbt, in der Mitte der Rückenfläche leicht
Ueber einige neue Cymothoinen. 387
deprimirt; ungefähr zwei Mal so lang wie breit; grösste
Breite in der Körpermitte; nach vorn und nach hinten
ziemlich gleichmässig verjüngt (Fig. 12); das fünfte Thora-
calsegment am Breitesten, nicht ganz zwei Mal so breit wie
das erste. Der Kopf nur wenig länger als. breit mit zu-
gerundetem Stirnrande und schwacher Vertiefung zwischen
den Augen, diese etwas vorspringen. Die vorderen und
hinteren Antennen ziemlich gleich breit und lang, reichen
nach hinten über den Vorderrand des ersten Segmentes
hinaus. Dieses letztere länger als das zweite und dritte,
gleich lang wie vier bis sechs, die nach vorne ragenden
Seitenfortsätze sehr kurz, dicht hinter den Augen merkliche
Gruben für dieselben; bei erwachsenen Exemplaren der
Vorderrand längs der Basis des Kopfes verdickt, durch
eine mit ihm parallel verlaufende Furche vom übrigen
Segmente geschieden. Hinterrand des letzten Segmentes
in der Mitte leicht ausgeschnitten (Fig. 17). Epimeren
stark verdickt, an der Innenseite zur Aufnahme der Extre-
mitäten ausgehöhlt, unterhalb ihrer Segmente, nach vorne
zugespitzt, nach hinten verbreitert, ihr Ende schiebt sich
jeweilen über die Spitze der Vorhergehenden. Die Füsse
(Fig. 16 a u. b) nehmen von vorne nach hinten sehr be-
trächtlich an Länge, kaum bedeutend an Stärke zu. Die
hinteren Hüften nicht verbreitert nur verdickt, dreikantig.
Krallen stark lang und an der Basis merklich verdickt.
Abdomen nach hinten sehr merklich verschmälert;
erstes Segment von gleicher Länge mit dem letzten Thora-
calsegmente; letztes kaum halb so breit. Erstes Hinter-
leibsringel vom vorhergehenden Segmente zum grössten
Theile bedeckt, alle nach vorne convex, das fünfte in der
Mitte mit geradem Hinterrande. Die Caudalplatte sehr
klein, kaum so lang wie breit, halbkreisförmig zugerundet.
Nahe der Basis mit in der Mitte verschmälertem Querein-
drucke und erhabener Längsrippe, welche das leichtge-
wölbte Schildchen in zwei Seitenhälften theilt. Letztes
Abdominalfusspaar um ein Merkliches länger wie das Pi-
gidium. Stamm und Aeste desselben ziemlich gleich lang,
jene auch unter sich. Stamm verbreitert nach innen mit leich-
tem Zähnchen. Endäste oval, an der Basis leicht abgestutzt.
388 G. Haller:
Oberfläche sehr glatt und stark glänzend. Farbe
olivengrünlich bei dem grösseren, bräunlich bei dem
kleineren Exemplare, jenes mit blassem Hinterrande der
Thoracalsegmente. Zwei Individuen unbekannten Vater-
landes, das eine von 3,0 cm Länge und 1,4 cm Breite, das
andere von 1,9 cm L. u. 0,8 Br.
Anilocra Leach.
9. Anilocra mexicana de Saussure. Fig. 20.
Mem. sur divers Crustaces nouveaux du Mexique et
des Antilles par Henri de Saussure. Geneve 1858. pag. 68.
Im Museum von Genf befinden sich nunmehr ausser
den zwei Individuen aus dem Golfe von Mexico, welche
de Saus sur e als Typen zur Beschreibung seiner Art
dienten, zwei weitere von Westindien, wovon eines sehr
gut erhalten und in Weingeist conservirt. Letztere stimmen
durchaus mit den Typen und der oben citirten ersten Be-
schreibung iiberein, nichts destoweniger wurden sie an
das Museum unter der. Bezeichnung Anilocra discolor,
welches allerdings sehr wahrscheinlich nur ein Sammler-
name ist, eingeschickt. Da überdiess de Saussure von
seiner Art keine Abbildung gab und die Beschreibung in
Bezug auf das letzte Abdominalfusspaar, welches bei seiner
Art abgebrochen war, unvollständig ist, halte ich es für
geboten die Art durch Abbildung und wiederholte Beschrei-
bung auf's Neue kenntlich zu machen. Ich benutze hierzu
so weit möglich des ersten Autor's eigene Ausdrücke.
Eine der gedrungeneren Arten und von ziemlich unbe-
deutender Grösse. Grösste Breite in der Mitte des Thorax,
von hier nach beiden Seiten hin gleichmässig verschmälert.
Kopf dreieckig. Augen gleich dem ganzen übrigen Kopfe
glänzend, fein granulirt; die einzelnen Granulationen sehr
deutlich, wie von Firniss umzogen. Obere Antennen sehr
stark comprimirt, den Hinterrand der Augen fast oder
ganz erreichend; ihr zweites und drittes Glied merklich
grösser wie die folgenden vier. Untere Antennen sehr zu-
sammengedrückt, zehngliederig, erreichen den Vorderrand
des zweiten Thoracalsegmentes. Erstes Thoracalsegment
üeber einige neue Cymotho'inen. 389
jederseits mit leichtem Seitenhöcker, welcher die Basis
des Kopfes umschliesst, seine hintere Seitenecke leicht
nach hinten ausgeschnitten. Epimeren von Segment zwei
bis drei oval, von vier stumpf, und der folgenden nach
hinten zugespitzt, fast dornförmig. Letztes Abdominalseg-
ment so lang wie breit oder etwas kürzer, und fast kreis-
förmig oder von der Gestalt eines zugerundeten Vierecks,
nach hinten nicht verengert. Flacher Randsaum und ziem-
lich stark gewölbter Mitteltheil, parallel der Basis eine
sehr tiefe Querfurche, die die Seitenränder nicht erreicht.
Das letzte Beinpaar des Thorax sehr lang und sehr dünn,
ganz besonders gilt dieses von dem die Kralle tragenden
Gliede. Letztes abdominales Fusspaar von der Länge des
Caudalschildes oder kaum merklich länger. Die beiden
Endäste kaum länger wie der Stamm, auch unter sich von
gleicher Länge; der äussere leicht sichelförmig, der innere
lanzettlich. Länge 2,5 — 3,0 und Breite 1,0—1,2 cm; de
Saussure fügt noch bei: Länge des letzten Segmentes
0,8 cm.
Nach de Saussure nähert sich diese Art besonders
Anilocra laticauda, Edw. unterscheidet sich aber durchaus
von ihr durch die Länge der inneren Antennen u. s. w.
Die von dem ersten Autoren der Art mitgebrachten Exem-
plare unterscheiden sich einzig durch ihre rostrothe
Färbung von den neueren aus Westindien stammenden
Stücken, die von dunkel olivengrüner Farbe sind. Haben
wir hier eine künstlich, vielleicht durch verschiedene Dauer
der Aufbewahrung verschiedenartige Präparation od. dergl.
hervorgerufene Farbenveränderung oder eine auch im
Leben existirende Varietät vor uns? Wahrscheinlich eher
das erstere, dann ist wohl die dunkelgrüne Färbung,
welche das einzige in Weingeist conservirte Stück aufweist,
die der Natur entsprechende.
10. Anilocra acuminata mihi.
Nicht ganz von der Grösse der Anilocra mediterranea,
ihr jedoch nur wenig nachstehend. Bau schlank, etwa
2V2 mal so lang wie breit. Grösste Breite auf der Höhe
390 G. Haller:
der zwei vorletzten Thoracalsegmente; von hier an nach
vorne hin stark zugespitzt, das erste Segment etwa halb
so lang wie das vorletzte; Thorax nach hinten kaum ver-
schmälert. Kopf vor den Augen merklich verlängert, Stirn
gerade abgestutzt; Augen massig vorstehend. Fühler sehr
stark comprimirt, vordere fast um die Hälfte länger wie
die hinteren; letztere überragen angedrückt den Vorder-
rand des ersten Segmentes um ein bedeutendes. — Von
den Thoracalsegmenten ist das erste kürzer wie der Kopf,
jedoch länger wie zwei und drei, ungefähr wie vier, jeder-
seits am Vorderrande hinter den Augen ein leichter Ein-
druck. Thoracalsegment zwei und drei unter allen am
kürzesten, drei kaum länger wie zwei, vier und fünf, unter
sich ziemlich gleich; sechs unter allen das längste, fast
so lang wie zwei und drei zusammen, sieben plötzlich ver-
kürzt, etwa wie drei. Sein Hinterrand zur Aufnahme des
Abdomens leicht ausgebuchtet. Epimeren von vorne nach
hinten an Länge zunehmend. Die vorderen erreichen noch
den Hinterrand der Segmente, die hinteren nicht mehr,
hier springt hinter ihnen vielmehr der Seitenrand in Ge-
stalt eines zugerundeten, an der Oberfläche leicht concaven
Lappens vor (Fig. 19). Die hinteren Epimeren enden wie
bei der nachfolgenden in frei abstehende Spitzchen
aus. — Das Abdomen nach der Basis hin kaum merklich
verschmälert; seine fünf ersten Segmente von gleicher
Länge, der Hinterrand der vier ersten ist ziemlich concav,
derjenige des fünften ziemlich gerade. Alle Segmente in
der Mitte mit leichtem Längswulste. Hinterleibsplatte etwa
so breit wie das letzte Abdominalsegment und kaum merk-
lich kürzer als breit, mit parallelen, leicht ausgerandeten
Seitenlinien und zugerundeten Hinterecken. Längs der
Basis mit verwischtem schmalem Quereindruck, von ihm
verläuft eine Längsrippe bis nicht ganz zum Hinterrande
und scheidet die Platte in zwei leicht eingedrückte Hälften.
Letztes Abdominalfusspaar überragt mit der Spitze des
einen Astes das Caudalschild um ein Weniges und erreicht
mit der Spitze des andern dessen Hinterrand. Stammtheil
etwa von halber Länge des Pigidiums, nach innen mit
kleinem aber deutlichem leicht gebogenem Zähnchen.
Ueber einige neue Cymothoinen. 391
Aeusserer Endäst länger, wie der innere sichelförmig, der
innere dolcbförmig.
Rückenfläche von massiger Wölbung, grösste Höhe
des Körpers über dem vierten Segmente, von hier nach
vorne ziemlich steil abfallend, nach hinten ganz allmählig
abnehmend (Fig. 19). Oberfläche glatt und glänzend.
Länge 4,2; Breite 1,6 cm. Zwei zerfallene Exemplare von
der Insel Bourbon. Den Namen entnehme ich der vorherr-
schendsten Eigenschaft der neuen Art, welche in der aus-
gesprochenen Zuspitzung der sehr gestreckten Thorax nach
vorne hin ausgesprochen scheint.
Faunistische Gruppirung der oben erwähnten
und beschriebenen zehn Cymothoinen mit Bei-
fügung der abgekürzten deutschen Diagnosen.
Von West Indien, vorzugsweise aus dem Golfe von
Mexico (Cuba und Tuxpam) und von den Kleinen An-
tillen (Guadeloupe) stammen folgende 4 Arten.
1. Cymothoa oestrum Leach. Guadeloupe.
2. Cymothoa parasitica de Saussure. Cuba.
3. Livoneca Cumulus mihi. Stark asymmetrisch,
in zwei individuellen Schwankungen auftretend. Körper
ungemein hoch gewölbt, vorn mit steilansteigender Wölbung,
hinten mit allmählig abfallender Firste, diese der verkürz-
ten Seite genähert. Hintere Thoracalsegmente mit kleinen
Höckerchen; letztes Segment sehr tief ausgeschnitten, das
ganze Abdomen aufnehmend. Seitenränder und Epimeren
der vier hinteren Segmente mit einseitiger Ausbildung zu
breiten Platten und langen Stacheln. Seitenrand des Ab-
domens vom letzten Thoracalsegmente überdeckt. Hinter-
leibsplatte dreieckig mit häutigem Randsaume. Länge der
ausgewachsenen Exemplare 2,8; Breite 2,0 cm. Guade-
loupe.
4. Anilocra mexicana de Saussure.
Von den übrigen sechs kommen fünf Arten im indi-
schen Ocean vor und zwar nach den Vaterlandsangaben
um Celebes und um die Ma'skarenen.
392 G. Haller:
1. Cymothoa rotundifrons mihi.
Körper ziemlich gestreckt; Rücken hoch und gleich-
massig gewölbt. Thorax mit gradlinigen parallelen Seiten-
rändern. Kopf mit zugerundeter Stirn ; Seitenfortsätze des
ersten Thoracalsegmentes kürzer als der Kopf, diesem an-
geschmiegt mit abgerundeten Aussenecken. Thoracalseg-
ment drei und vier am Vorderrande mit paarweisen Gruben,
fünf und sechs mit drei mittelständigen Punktlinien; Ab-
domen nach der Basis hin nicht stark verschmälert. Fünftes
Segment mit zwei kleinen Höckerchen. Länge 4,0; Breite
2,7 cm. Mauritius.
2. Cymothoa paradoxa mihi.
Cephalothorax vorn durchaus deprimirt und flach,
hinten ebenso stark nach der Bauchseite hin comprimirt.
Abdomen sehr frei beweglich und von beträchtlicher Länge,
nach der Basis hin verschmälert. Kopf breiter als lang,
vor den Augen nicht verlängert; erstes Thoracalsegment
in der Mitte stark nach hinten ausgezogen, zweites Segment
in der Mitte merklich verschmälert; letztes Ringel vom
vorhergehenden deutlich abgeschnürt, am Hinterrande stark
ausgebuchtet. Caudalplatte kurz, breiter als lang; letztes
Abdominalfusspaar länger. Gesammtlänge 2,0; Breite 0,6
cm. Aus der Mundhöhle von Caranx carangus Bloch aus
dem indischen Ocean.
3. Livoneca plagulophora mihi.
Körper leicht asymmetrisch, stark abgeflacht und
massig verbreitert, verzerrt eiförmig. Abdomen von der
Rückenfläche aus betrachtet mit nur vier schmalen Seg-
menten, erstes derselben gänzlich unter dem Thorax ver-
borgen; jene vier zusammen ausserordentlich kurz, kaum
so lang wie Thoracalsegment sechs und sieben. Caudal-
platte sehr gross, nach hinten halbkreisförmig zugerundet.
Epimeren breit und flach, fast viereckig, nach innen zuge-
rundet. Letztes Abdominalfusspaar etwa halb so lang wie
das Pigidium, Endäste ungleich mit häutigem Anhange vor
der Spitze. Länge 2,8; Breite 1,2 cm von Mauritius.
Ueber einige neue Cymothomen. 393
4. Livoneca Lunelii mihi.
Ebenfalls leicht asymetrisch und flach, Mittelparthie
der Rückenfläche leicht gewölbt, Seitentheile dagegen aus-
gehöhlt. Kopf länger als breit, oval. Epimeren der drei
vorderen Segmente nach aussen und hinten in ein stumpfes
Höckerchen, der hinteren in einen spitzen leicht gekrümm-
ten Dornfortsatz ausgezogen, der von vorne nach hinten
an Grösse zunimmt. Abdominalplatte kurz, nicht ganz
zwei mal so breit wie lang, nach hinten unregelmässig zu-
gerundet, in der Mitte des Hinterrandes kaum merklich aus-
gebuchtet. Letztes Abdominalfusspaar nur von halber
Länge des Pigidiums, die Endäste unter sich und mit dem
Stamme gleich lang, oval. Länge 3 cm. Breite 1,6. Unter
einer beulenartig vorgetriebenen Stelle des Kiemendeckels
von Upeneus indicus Shaw von Macassar (Celebes).
5. Anilocra acuminata mihi.
Eine der grösseren Anilocra- Arten; schlanken Baues;
Verhältniss der Länge zur Breite wie 1 : 2V2. Grösste
Breite des Thorax auf der Höhe der zwei letzten Thora-
calsegmente, von hier an nach vorne hin zugespitzt, nach hin-
ten nur leicht verschmälert. Dabei der Körper ziemlich
stark gewölbt. Kopf vor den Augen merklich verlängert.
Hintere Fühler überragen den Vorderrand des ersten Seg-
mentes. Un^r diesen letzteren sechs am längsten, etwa
so lang wie zwei und drei zusammen. Abdomen ungefähr
so lang wie breit. Abdominalplatte fast rechteckig mit
leicht ausgerandeten Seiten und hinteren zugerundeten
Ecken; nur wenig kürzer wie die vorderen Segmente des
Hinterleibes und länger wie breit. Aeusserer Endast des
letzten Abdominalfusses länger wie das Pigidium, sichel-
förmig, innerer so lang wie dieses und dolchförmig. Länge
4,2; Breite 1,6 cm. Bourbon.
Endlich eine Art unbekannten Vorkommens wahr-
scheinlich ebenfalls aus dem indischen Ocean.
Livoneca ellipsoidea mihi.
Körper fast vollkommen symmetrisch, durchaus ellip-
tisch, von der Mitte aus nach vorne wie hinten fast gleich-
Archiv für Naturg. XXXXVI. Jahrg. 1. Bd. 25*
394 G. Haller:
massig verschmälert. Ziemlich gewölbt, mit leichter Depres-
sion auf dem Mitteltheile des Rückens. Letztes Segment
des Thorax nur in der Mitte leicht und breit ausgerandet.
Abdomen von der Basis an nach hinten sehr stark ver-
schmälert, Caudalplatte klein, schmal und ebenso kurz, fafet
halbkreisförmig. Letztes Beinpaar dieselbe fast um die
Länge der Endäste überragend; diese letzteren unter sich
gleich lang, breit und elliptisch. Farbe olivengrünlich bis
bräunlich, Oberfläche glatt und glänzend. Länge 3,0 ;
Breite 1,4 cm.
Erklärung der Tafel XVIII.
Fig. 1 bis 4. Beziehen sich auf Cymothoa rotundifrons.
mihi.
Fig. 1. Das Thier von der Rückenfläche in natürlicher Grösse.
Fig. 2a. Kopf von Cym. rotundifrons von vorne.
b. Kopf von Cym. oestrum von vorne. Umrissfigur.
c. Vorletztes Beinpaar von Cym. rotundifrons.
d. Vorletztes Beinpaar von Cym. oestrum.
Alle vier Figuren in natürlicher Grösse.
Fig. 3. Pigidium der nämlichen Art nicht ganz IV2 i^^l ver-
grössert.
Fig. 4. Thier in natürlicher Grösse mit üebergehung der
Beine von der Seite gezeichnet.
Fig. 5 bis 6. Bez. s. a. Cymothoa paradoxa mihi,
Fig. 5. Das Thier von der Rückenfläche.
Fig. 6. Von der Seite, beides in natürlicher Grösse.
Fig. 7. Pigidium und die zwei letzten Abdominalfusspaare
von innen, etwa 2 mal vergrössert.
Fig. 8 — 9. Bez. s. a. Livoneca plagulophora mihi.
Fig. 8. Thier von der Rückenfläche in natürlicher Grösse.
Fig. 9. a erstes, b letztes Thoracalfusspaar etwa 3 mal ver-
grössert.
Fig. 10 — 12. Bez. s. a. Livoneca Lunelii mihi.
lieber einige neue Cymothoinen. 395
Fig. 12. Seitenrand der einen verkürzten Seite von der Bauch-
fläche, das erste Beinpaar fehlt, natürliche Grösse.
Fig. 11. Thier von der Rückenfläche, natürliche Grösse.
Fig. 12, Pigidium (Umrisse und letztes Abdominalfusspaar von
der Innenseite, natürliche Grösse.
Fig. 13 — 15. Bez. s. a. Livoneca Cumulus mihi, alle nat.
Grösse.
Fig. 13. Von der Bauchfläche, Beine nur einseitig angemerkt.
Fig. 14. Von der Rückenfläche.
Fig. 15. Von der verkürzten concaven Seite aus.
Fig. 16—17. Bez. s. a. Livoneca ellipsoidea mihi.
Fig. 16. a erstes, b letztes Thoracalfusspaar, beide etwa 3 mal
vergrössert.
Fig. 17. Thier von der Rückenfläche in natürlicher Grösse.
Fig. 18 — 19. Bez. s. auf Anilocra acuminata mihi, natür-
liche Grösse.
Fig. 18. Von der Rückenfläche.
Fig. 19. Von der Seite.
Fig. 20. Anilocra mexicana de Saussure, dunkelgrüne
Varietät, nat. Gr. Von der Rückenfläche.
Universitäts-Buchdruckerei von Carl Georgi in Bonn.
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