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Full text of "Archiv für Naturgeschichte"

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ARCHIV 

FÜR 

NATURGESCHICHTE. 


GEGRÜNDET  VON  A.  F.  A.  WIEGMANN, 
FORTGESETZT  VON  W.  F.  ERICHS ON. 


IN   VERBINDUNG  MIT 

PROF.  DR-  R.  LE  UCK  ART  IN  LEIPZIG 

HERAUSGEGEBEN 


DR.  F.  H.  TROSCHEL, 

PROFESSOR  AN  DER  FRlEDRICH-Wn.HELMS-UNTVERSITÄT  ZU  BONN. 


SECHS  UND  YIEEZIGSTEB  JÄHEaANa, 
Erster  Band. 

Mit  18  Tafeln. 


Berlin, 


Nicolaische  Verlags-Buchhandlung 

B.  Stricker. 

1880. 


Inhalt  des  ersten  Bandes. 


Seite. 

Zur   Kenutniss    der   Echinorhynchen.     Von   Carl  Baltzer  in 

Marburg.     Hierzu   Tafel  I   und   II 1 

Helminthologische  üntersucbungen  von  Dr.  v.  Linstow  in  Ha- 
meln.    Hierzu  Tafel  III .     .       41 

Beschreibung  einiger  neuen  Peltidien.     Von  Dr.  G.  Haller  in 

Bern.     Hierzu   Tafel  IV   und  V 55 

Rhynchopsyllus,   eine  neue  Puliciden-Gattung,  in  einigen  Worten 

gekennzeichnet.     Von  Dr.  G.  Ha  11  er 72 

Ueber  Echiuren  und  Echinoderraen.  Von  Dr.  Richard  Greeff, 
Professor  in  Marburg.  (Aus  den  Sitzungsberichten  der 
Gesellschaft  zur  Beförderung  der  gesammten  Naturwissen- 
schaften zu  Marburg.) 88 

Ueber  die  postembryonale  Entwicklung  bei  der  Milbengattung 

Glyciphagus.    Von  P.  Kr  am  er  in  Halle 102 

Ueber  Mustela  patagonica.     Von  H.  Burmeister     .     .     .     .     111 

Ueber  die  Arten  von  Bdellostoma.    Von  Professor  A.  Schneider 

in  Giessen 115. 

Beitrag  zur  Kenntniss  einiger  blinden  Amphipoden  des  Kaspi- 

sees.  Von  Dr.  Ose.  Grimm  in  St.  Petersburg  ....  117 
Die    homerische   Thierwelt.     Ein  Beitrag    zur   Geschichte    der 

Zoologie.   Von  Otto  Koerner,  Stud.  med 127 

Neue  Amphibien  und    Reptilien.     Beschrieben   von   Dr.   J.   G. 

Fischer  in  Hamburg.  Hierzu  Tafel  VIH  und  IX  .  .  215 
Zur  Kenntniss  der  Galeodiden.    Von  Dr.  F.  Karsch  in  Berlin. 

Hierzu  Tafel  X  Fig.  1—25 228 

Zur   Kenntniss    der    Tarantuliden.      Von   Dr.    F.   Karsch    in 

Berlin.     Hierzu  Tafel  X  Fig.  26 244 

Ä2I06' 


IV  Inhalt. 

Seite. 
Ueber  Lacerta   oxycephala    Fitzinger  und  Lacerta  judaica  Ca- 
merano.      Von    Dr.    J.    von  Bedriaga    in    Heidelberg. 
Hierzu  Tafel  XI 260 

Geositta    antarctica.     Von    Landbeck    in    Santiago    de  Chile, 

Hierzu  Tafel  XII  .     • 274 

Ctenomys   fueginus   Ph.       Von   Dr.    R.   A.    Philippi.     Hierzu 

Tafel  XIII 276 

Beitrag  zur  Kenntnies  der  Verbreitungsgrenzen  der  fliegenden 
Fische  im  südindischen  Ocean.  Von  E.  von  Danckel- 
mann,  Assistent  am  meteorologischen  Institut  zu  Leipzig.     280 

Ueber  die  Mundtheile  der  Arachniden.    Von  A.  Croueberg  in 

Moskau.     Hierzu  Tafel    XIV— XVI 285 

Die  Gobiidac  und  Syugnathidae  der  Ostsee  nebst  biologischen 
Bemerkungen.  Von  Dr.  Friedrich  Heincke  in  Olden- 
burg i.  Gr.    Hierzu  Tafel  XVI  Fig.  5 301 

Acarinologisches.     Von  Dr.  G.  Haller.     Hierzu  Tafel  XVII  354 

Ueber  einige  neue  Cymothoinen.    Von  Dr.  G.  IIa  11  er  in  Bern. 

Hierzu    Tafel    XVIH 375 


Zur  Kenntniss  der  Echinorhynclieii. 

Von 

Carl  Baltzer 

in  Marburg. 


Hierzu  Tafel  I  und  IL 


Hat  auch  in  den  letzten  Jahrzehnten  die  Anatomie 
der  EchinorhyncJien  durch  eine  Reihe  hervorragender 
Forscher  eine  eingehende  Bearbeitung  erfahren,  so  ist  trotz- 
dem in  einigen  Punkten  die  Kenntniss  des  feineren  Baues 
dieser  so  merkwürdigen  Würmer  lückenhaft  geblieben. 
Besonders  sind  in  dieser  Hinsicht  das  äussere  Hautgewebe, 
der  Hals  und  Rüssel  zu  nennen,  welche,  wie  auch  (we- 
nigstens bei  den  kleineren  Arten)  die  Rüsselscheide,  nebst 
ihr  eingelagerten  Gebilden  und  die  Geschlechtsorgane  auf 
Schnitten  bis  jetzt  nur  wenig,  oder  noch  gar  nicht  unter- 
sucht worden  sind. 

Einen  kleinen  Beitrag  zur  Kenntniss  genannter  Theile 
versucht  vorliegende  Arbeit  zu  geben,  welche  sich  im  All- 
gemeinen auf  E.  Proteus  Westrumb  und  E.  angustatus  Rud. 
beschränkt;  zur  Untersuchung  des  Hautgewebes  standen 
mir  aber  auch  E.  gigas  Göze  und  ausgebildete  Larven  des 
E.  polymorphus  Brems,  zur  Verfügung. 

Bevor  ich  indessen  mit  meiner  eigentlichen  Aufgabe 
beginne,  will  ich  einige  geschichtliche  Bemerkungen  vor- 
ausschicken und  das  Wichtigste  aus  der  auf  die  Echino- 
rhynchen  bezüglichen  Literatur  hervorheben. 

Als  Entdecker  unserer  Würmer  kann   wohl  der   be- 

Archiv  f,  Naturg.  XXXXVI.  Jahrg.  1.  Bd.  1 


2  Carl  Baltzer: 

rühmte  IlolUluder  Anton  von  Leeuwenhoek')  angeschen 
werden,  welcher  die  einem  Aale  entnommenen  Parasiten 
beschrieb  und  abbildete,  sie  aber  noch  zu  den  Bandwürmern 
stellte;  doch  erkannte  schon  Gözc"),  dass  Leuwenhoek, 
wie  seine  Abbildungen  zeij^ten,  nicht  J5andwürmer,  sondern 
Echinorhynchen  vor  Augen  gehabt  haben  müsse. 

Zoega  nannte  sie  TJchinorkpichen,  von  Koelreuter^) 
stammt  die  Bezeichnung  Acanthocephalns ,  den  Namen 
Kratzer  gab  ihnen  0.  F.  Müller^). 

Eine  anatomische  Beschreibung  finden  wir  zuerst  bei 
G()ze^),  welcher,  soweit  es  die  hr»chst  unvollkfmimenen 
Hilfsmittel  der  damaligen  Zeit  erlaubten,  den  E.  (ßijas  unter- 
suchte und  sich  eine  ziemlich  klare  Vorstellung  von  dem 
anatomischen  Bau  der  Kratzer  verschaffte. 

Die  Reihe  der  speciell  auf  Systematik  und  Anatomie 
der  Echinorhynchen  sich  beziehenden  Schriften  eröffnet 
die  höchst  wichtige  Arbeit  von  Westrumb^),  welche  eine 
Zusannneustellung  aller  bis  dahin  bekannten  Arten  und 
zugleich  eine  anatomische  und  ])hysiologische  Beschreibung 
der  Acanthocephaleu  gibt.  C.  H.  A.  Burow'')  veröffent- 
lichte 1836  seine  Untersuchungen  über  den  Ech.  strnmosns 
aus  dem  Darm  des  Seehundes,  eine  Schrift,  insofern  von 
besonderem  Interesse,  als  sie  zuerst  der  später  noch  so 
häufig  untersuchten  Uterusglocke  Erwähnung  thut,  und 
den,  auch  schon  von  Westrumb^)  bekämpften  Irrthum, 
es  würden  die  Eier  durch  den  Rüssel  nach  Aussen  geschafft, 
beseitigte.  Genauere  auf  die  Anatomie  bezügliche  Ml- 
theihmgen    machte  von  Siebold ^),    ihnen  schlössen   sich 

1)  Arcana  uatur.  detect,  Epist.  75.  pag.  314. 

2)  Versuch  einer  Naturgeschichte  der  Eingeweidewürmer.  Qued- 
linburg 1782.  pag.   145. 

3)  Nova  Commentar.  Ac.  Petropol.  Vol.  XV.  pag.  499. 

4)  Naturforscher  XII.  St.  pag.  178. 

5)  A.  a.  0.  pag.  147. 

6)  De  helminthibus  acanthocephalis  commentatio  Hannoverae 
1821. 

7)  Echinorhynchi  strumosi  anatome.  Dissert.  Kegiomont.  1836. 

8)  A.  a.  0.  pag.  64. 

9)  Burdach's  Physiologie  II.  Bd.  2.  Aufl.  1837  u.  Lehrbuch 
d.  vergl.  Anatomie  1848. 


Zur  Kenntniss  der  Echinorhynchen.  3. 

die  Arbeiten  von  Duj ardin  und  Diesing  an.  Stein 
lieferte  in  den  zootomisclicn  Atlas  von  V.  Carus  einige 
Abbildungen,  die  indessen  wenig  Neues  boten.  Wiebtiger 
sind  die  Unter sucbuugen  von  Wagener^)  und  Pagen- 
stecber-).  Interessante  Mittbeilungen  macbte  Greeff^) 
1864  über  den  E.  miliarius,  welchen  er  mit  Ech.  poly- 
morpJms  identisch  nachwies  und  liess  auch  in  demselben 
Jahre  eine  genauere  Beschreibung  der  Uterusglocke  des  E. 
Proteus  folgen.  Schneider^)  verdanken  wir  wichtige 
Aufschlüsse  in  Bezug  auf  die  Muskulatur  und  das  Nerven- 
system. Beiträge  zur  Kenntniss  des  EcJi.  angustatus  ver- 
öffentlichte 1872  V.  Linstow^)  und  R.  Leuckart^)  gibt 
in  seinem  die  menschlichen  Parasiten  behandelnden  Werke 
eine  eingehende  Schilderung  aller  Organe. 

Entwicklungsgeschichtliche  Untersuchungen  stellte 
zuerst  Leuckart"^)  an,  ihm  folgte  Greeff^)  mit  E.  mi- 
liarius, Schneider^)  untersuchte  die  Entwicklung  des 
E.  gigas  und  Leuckart*^)  gab  1873  eine  ausführliche  Be- 


1)  Helminthologische  Bemerkungen  etc.,  Zeitschrift  für  wissensch. 
Zoologie  IX.  Bd.  1858. 

2)  Zur  Anatomie  von  Ecli.  proteus,  Zeitsch.  für  wissensch. 
Zoologie  XIII.  Bd.  1863.  pag.  413  ff. 

3)  Untersuchungen  über  die  Naturgeschichte  von  Ecliin.  mili- 
arius u.  Ueber  den  Bau  d.  üterusglocke  und  d.  Ovarium  d.  Echin. 
Archiv  für  Naturgesch.  1864. 

4)  Ueber  den  Bau  d.  Acanthocephalen  Archiv  für  Anatomie 
u.  Physiologie  1868.  u.  Sitzungsber.  d.  Oberhess.  Gesellsch.  f.  Na- 
turk.  1871. 

5)  Zur  Anatomie  u.  Entwicklungsgeschichte  d.  E.  angustatus. 
Archiv  für  Naturgesch.   1872. 

6)  Die  menschl.  Parasiten,  Heidelb.  1876. 

7)  Leuckart,  helminthologische Experimentaluntersuch,  Nach- 
richten von  d.  Georg-August-Univers.  u.  d.  K.  Gesellsch.  d.  Wissensch. 
zu  Göttingen.  1862. 

8)  Untersuchungen  über  d.  Bau  u.  die  Naturgeschichte  d.  E. 
miliarius.  Arch.  für  Naturg.  1864. 

9)  Ueber  die  Entwickl.  von  E.  gigas.  Sitzungsberichte  d.  Ober- 
hess. Gesellsch.  für  Natur-  u.  Heilkunde   1871. 

10)  De  statu   et  embryonali  et  larvali  Echinorhynchorum  eorum- 
que  metamorphosi.    Akadem.  Programm.  Leipz.  1873. 


4  Carl  Baltzer: 

Schreibung    der    Entwicklungsgeschicbte     des    E.   proteus 
und  an(ßistatus. 

1.  Das  Hautgewebe  des  Hinterleibes. 

Scbon  Göze*)  war  bekannt,  dass  die  Haut  der  Kratzer 
niebt  aus  einem  boniogenen  Gewebe  bestebe,  sondern  aus 
mindestens  zwei  Ubcreinandergelegenen  Schiebten  gebildet 
sein  müsse,  da  man,  nachdem  ein  solcher  Wurm  eine  Zeit 
lang  in  lauem  Wasser  gelegen,  die  äussere  Lage  von  einer 
unter  ihr  betindlichcn  leicht  abtrennen  könnte.  Aber  auch 
diese  al)lösbarc  äussere  Membran  ist  wieder,  wie  schon 
länger  bekannt,  aus  drei  differcnten  vSchichten  gebildet. 
Die  von  diesen  am  weitesten  nach  Aussen  gelagerte  Cu- 
ticula  ist  homogen,  stark  lichtbrechend  und  chitinartig, 
ihre  meist  sehr  geringe  Stärke  beträgt  bei  Ech.  gujas  un- 
gefähr 0,0012  mm,  bei  proteus  und  angustattis  0,0007  mm 
Fig  1  a.  Diesem  dünnen  Iläutclien  lagert  sich  Innen  eine 
zweite,  ebenfalls  cuticulaähuliclie  Schicht  auf,  welche  an 
dünnen  Schnitten  eine  feine,  radiäre  Streifung  erkennen 
lässt,  die  auf  der  Flächenansicht  als  helle  rUnktchen  er- 
scheint. Ob  es  diese  Pünktchen  waren,  welche  die  älteren 
Forscher  Göze2),  Treutler^),  Zeder^)  und  Rudolphi^) 
veranlasste  den  Kratzern  Porenkanäle  in  der  Haut  zuzu- 
schreiben, lasse  ich  dahingestellt,  will  aber  bemerken,  dass 
Westrumb^)  dieselben  nicht  beobachten  konnte,  sich  aber 
trotzdem  durch  die  Fähigkeit  unserer  Würmer,  ihren  Leib 
mit  Flüssigkeit  schnell  zu  füllen,  bewegen  Hess,  die  Rich- 
tigkeit der  älteren  Angaben  zuzugestehen.  Später  hat 
Greeff  bei  £".  pohjmorphus  ebenfalls  eine  feine  Punktirung 
der  Haut  beobachtet  und  auch  mit  der  Absorptionsfähigkeit 
in  Verbindung  gebracht^).  Leuckart^j,  welcher  die  Haut 


1)  a.  a.  0.  pag.  147. 

2)  a.  a.  0.  pag.  146. 

3)  Quaedam  de  Echin.  structura  pag.  X. 

4)  Naturgesch.  pag.  143. 

5)  Entozool.  Vol.  I  pag.  253. 

6)  a.  a.  0.  pag.  49. 

7)  a.  a.  0.  pag.  128. 

8)  Mensch).  Parasiteu  II.  pag.  735. 


Zur  Kenntnisa  der  Echinorhynchen.  6 

auf  Sclmitten  untersuchte,  bestätigte  Greeff  s  Angaben, 
nur  fügte  er  hinzu,  dass  die  äussere  Cuticularschicht  voll- 
kommen homogen,  dagegen  die  tiefer  gelegene  von  feinen 
Kanälchen  durchzogen  sei.  Auch  ich  habe  hier  bei  E.  gigas 
und  Proteus  (schwerer  bei  E.  angiistatus)  eine  deutliche 
Radiärstreifung  beobachten  können,  möchte  diese  aber  lieber 
für  den  Ausdruck  einer  Faserung  halten,  wie  sie  auch  bei 
den  Nematoden  in  der  entsprechenden  Lage  öfters  gefunden 
wird.  Was  ihre  sonstige  Eigenschaften  anlangt,  so  ist  zu 
bemerken,  dass  sie  mächtiger  als  die  äussere  Schicht  ist 
und  sich  auch  in  der  Substanz  von  dieser  verschieden 
ergibt.  Denn  während  letztere  bei  durchfallendem  Licht 
hell,  stark  lichtbrechend  erscheint,  besitzt  die  streifige  Cu- 
ticula  eine  trtibweissliche  Färbung.  Der  Unterschied  tritt 
beim  Färben  noch  deutlicher  hervor,  die  tiefere  Lage  färbt 
sich  z.  B.  mit  Pikrocarmin  leicht  und  stark,  die  äussere 
nimmt  selbst  bei  längerer  Einwirkung  des  Färbüngsmittels 
wenig  oder  gar  keine  Farbe  an. 

Unter  den  beiden  so  beschaffenen  Cuticularschichten 
liegt  die  Subcuticula,  ein  eigenthtimliches  aus  Fasern  ge- 
bildetes Gewebe,  welches  von  zahlreichen  labyrinthartigen, 
vielfach  mit  einander  anastomosirenden  Lückenräumen 
durchbrochen  ist  (Fig.  1  g).  Schon  bei  oberflächlicher 
Betrachtung  zeigt  es  sich  aus  zwei  Theilen  aufgebaut, 
einem  tieferen,  aus  Radiärfasern  gebildeten  (Fig.  1  d)  und 
einem  mehr  nach  oben  gelegenen,  welcher  neben  den  radiären 
auch  wellige,  circulär  und  longitudinal  verlaufende  Fasern 
enthält.  Leuckart^)  hat  die  erste  Schicht  als  „Faser- 
schicht", von  der  letzteren,  welche  er  als  „Körnerlage" 
bezeichnet,  unterschieden.  Eine  Bezeichnung,  die  mir  nicht 
recht  passend  scheint,  da,  wie  die  genaue  Beschreibung 
besagter  Theile  ergeben  wird,  die  sogen.  Körnerlage  an 
Reichthum  der  Fasern  die  Faserschicht  bei  Weitem  über- 
trifft. 

Von  dem  die  Subcuticula  gegen  die  Ringmuskulatur 
abgrenzenden  Bindegewebe  entspringt,  bisweilen  (E.proteus), 
aus  einer  dichteren  Grenzzone  sich  erhebend,  das  Radiär- 


1)  a.  a.  0.  pag.  736. 


6  Carl  Baltzer: 

faserwerk  in   gr(')ssere    und    kleinere  Gru])pcn  gesammelt. 
Wo  eine  solche  Gruppe  nach  Aussen  aufsteigt,  springt  meist 
das  Bindegewebe  etwas  vor   und  bildet  nicht  selten  mehr- 
fach ge/ackte  Trotuberan/cn,    welche  den  Fasern   bessere 
Ansatzstellen  darbieten  (Fig.  1  f).    Die  Zahl  der  in  eine 
Gruppe  eintretenden  Fasern  ist  gross  bei  E.  gigaSj  geringer 
bei  E.  angustatus,  und  bei  E.  proteus  ist  es  meist  nur  eine 
beschränkte   Anzahl   verhältnissniässig    starker,     oft   auch 
verklebter  Fasern,  die  eine  Grup))e  bilden.   Die  Anordnung 
dieser  Gruppen  selbst  wird  am  besten  auf  dem  Tangential- 
schnitt   erkannt,    wo    sie    natürlich   als   Häufchen    kleiner 
Körnchen  erscheinen,    welche   in    unbestimmten  Abständen 
placirt    sind.     Die    zwischen    ihnen   bleibenden  Hohlräume 
gehiU'cn  dem  Gefässsystem  an,  dessen  labyrinthartiger  Bau 
auf  diese  Weise  am  besten  zur  Anschauung  gebracht  wird. 
Die  Gefässliickcn  beschränken  sich   auf  die  innere  Faser- 
lage und  entbehren  durchaus  eigener  Wandungen.     Seitlich 
werden  sie  von  den  Radiärfaseru  begrenzt,  die  auch  nach 
Aussen    tiberneigend    sie   gewölbeartig    überdecken;    doch 
nimmt  auch  das  äussere  Faserwerk  hier  an  der  Begrenzung 
Theil  (Fig.  1).     Bei  E.  proteus  und  amjustatus  liegen  die 
Gefässräume  stets  nebeneinander,  bei  E.  yigas  auch  über- 
einander. 

Die  äussere  Lage  der  Subcuticula  steht  durch  die  in 
sie  einstrahlenden  Radiärtibrillcn  mit  der  tieferen  in  Ver- 
bindung. Während  aber  hier  dieselben  in  Gruppen  ge- 
sammelt sind,  strahlen  sie  in  der  Aussenlage  derart  aus- 
einander, dass  das  ganze  Gewebe  von  in  ziemlich  gleicher 
Entfernung  parallel  verlaufenden  Kadiärfasern  durchsetzt 
erscheint  (Fig.  1).  Die  Zahl  dieser  Fibrillen  ist  bei  E. 
proteus  in  der  äusseren  Schicht  meist  grösser  als  in 
der  tiefer  gelegenen,  und  man  erkennt  auch,  wie  von  be- 
sonders dicken  und  kräftigen  Radiärfaseru  der  tieferen 
Lage,  da,  wo  sie  sich  der  äusseren  nähern,  Seitenzweige 
abtreten.  Ob  nun  genannte  Verästelungen  als  wirkliche 
Abspleissungen  oder  Trennungen  vorher  verklebter  Fasern 
zu  betrachten  sind,  lässt  sich  schwer  entscheiden,  wahr- 
scheinlicher aber  scheint  mir  das  letztere. 

Zwischen  diesem,  von  Radiärfibrillen  gebildeten  Stab- 


Zur  Kenntniss  der  Echiuorhynchen.  7 

werk  winden  sich,  dem  Geflechte  eines  Korbes  ähnlich, 
wie  der  Querschnitt  (Fig.  1 )  zeigt,  die  circulär  verlaufenden 
Fasern  wellig  durch  und  erscheinen  bei  JE.  proteus  und 
angustatm  zu  mehreren  Zügen  gesammelt,  welche  in  einer 
ihrer  doppelten  Breite  ungefähr  gleichen  Entfernung  ver- 
laufen. Die  zwischen  den  einzelnen  Zügen  bleibenden 
Räume  (Fig.  1  i)  durchsetzen  im  Bogen  von  einem  circu- 
lären  Zug  zum  andern  ablenkende  Fasern,  mischen  sich 
den  Fasern  des  betreifenden  Zuges  bei  und  sind  im  wei- 
teren Verlauf  von  den  dem  Zuge  eigenen  nicht  zu  unter- 
scheiden. Diese  meist  auf  eine  grosse  Strecke  hin  nach 
derselben  Seite  gerichteten  Ablenkungsbogen  liegen  stets 
einzeln,  und  der  zwischen  je  zwei  bleibende  Raum  ist  von 
einer  gewöhnlich  nicht  geringen  Zahl  heller  Körnchen  er- 
füllt. Wahrscheinlich  verdankt  diesen  Körnchen  die  ganze 
äussere  Lage  die  Bezeichnung  „Körnerschicht".  In  ihr 
unterscheiden  wir  somit:  die  Radiärfibrillen,  die  parallelen 
Circulärzüge  und  die  ihnen  gleichverlaufenden  Körnchen- 
streifen nebst  den  sie  durchsetzenden  Faserbogen. 

Welche  Bedeutung  mögen  die  so  regelmässig  ange- 
ordneten Körnchen  haben?  Auf  diese  Frage  gibt  uns  der 
Längsschnitt  sofort  Aufschluss.  Er  zeigt  eine  dem  Quer- 
schnitt vollkommen  gleiche  Bildung,  nur  treten  hier  statt 
der  circulären,  längs  verlaufende  Fasern  und  Körnchen- 
reihen auf;  die  Radiärfasern  sind  natürlich  dieselben.  Nun 
lassen  sich  aber  leicht  die  Körnchenzüge  als  die  durch- 
schnittenen Circulärfasern  des  Querschnittes  erkennen,  und 
die  längsverlaufenden  Faserzüge  des  Längsschnitts  müssen 
den  Körnchen  des  Querschnittes  entsprechen.  Nicht  überall 
tritt  indessen  Längs-  und  Circulärfaserung  in  derselben 
Klarheit  auf,  denn  da,  wo  sich  Cuticula  und  Subcuticula 
faltenähnlich  einsenkt,  wie  dies  bei  E.  proteus  sowohl  in 
der  Längsrichtung  als  auch  in  die  Quere  ausserordentlich 
häufig  gefanden  wird,  verkleben  sich  die  Fasern  derart, 
dass  von  einer  regelmässigen  Anordnung  kaum  mehr  die 
Rede  sein  kann.  Aus  der  äussersten  Circulärschicht  strahlen 
zahlreiche  Fasern  nach  der  Cuticula  und  befestigen  sich  hier. 

So  stellt  die  Subcuticula  des  E.  angustatus  und  proteus 
ein  complicirtes  Flechtwerk  dar,  von  dem  die  entsprechende 


8  Carl  Baltzer: 

Lage  des  E,  gigas  nicht  uncrlieblicb  verscliieden  ist.  Hier 
finden  sich  zwar  auch  circiilär  und  lon^ntndinal  verlaufende 
Fasern  durcli  die  Kadiärfihrillrii  ^^efloclitcn,  eine  Vertlieilnn^ 
derselben  in  verschiedene  Ziii;*e  ist  indessen  nicht  vorhan- 
den, und  das  Gewehe  erscheint  als  ein  regelloses  Cewirre 
von  Fasern. 

Es  fragt  sich  nun,  ob  die  beiden  äusseren  Fibrillen- 
systeme  als  selbständig  zu  betrachten  sind,  oder  ob  ihr  Ur- 
sprung in  den  Uadiärfasern  zu  suchen  ist.  Leuckart^) 
bemerkt  in  dieser  Ikv.iehuni;:  „Die  Fibrillen  der  äusseren 
Körnernerlage  l)ilden  dem  Anscheine  nach  eine  directe  Fort- 
setzung der  tieferen  Faserziige^'.  E.  profeus  ist  zur  Ent- 
scheidung der  Frage  wohl  am  besten  geeignet,  da  die  hier 
nicht  in  so  grosser  Zahl  vorhandenen,  starken  Uadiärfasern 
leicht  verfolgt  werden  können.  Nirgends  aber  konnte  ich 
hier  ein  Ablenken  derselben  in  die  circulären  oder  longi- 
tudinalen  Züge  beobachten.  Für  die  Sell)ständigkcit  dieser 
Fasern  spricht  auch  der  Umstand,  dass  ihre  IJeschaiTcnheit 
bisweilen  von  der  der  Kadiärlibrillen  etwas  verschieden  ist. 
So  sind  bei  E.proteus  letztere  ein  wenig  derber  und  stär- 
ker als  die  äusseren  Fasern,  bei  E.  gigas  umgekehrt  die 
äusseren  wellig  verlaufenden  Fasern  etwas  kräftiger  als  die 
radiären. 

An  den  tönnchenfr>rmigen  Larven  des  E.  proteiis  fand 
ich  das  subcuticulare  Fasersystem  schon  vollständig  aus- 
gebildet. Die  Cuticula  verläuft  auf  demselben  stark  gewellt 
•und  springt  von  Strecke  zu  Strecke  zackenförmig  nach  Innen 
vor*). 

Eigenthümliche  Zellen  liegen  in  der  Subcuticula  zer- 
streut. Schon  Wagener  beobachtete  diese  Gebilde  in  der 
Haut  und  in  den  Lemnisken^)  und  hielt  sie  auch  für  Zellen; 


1)  a.  a.  0.  pag.  737. 

2)  Höchst  eigentliümlicb  zeigt  sich  auf  dem  Querschnitt  die 
entsprechende  Larvenform  des  E.  polymorphus ;  unter  einer  dünnen 
Cuticula  liegt  hier,  da  wo  später  die  äussere  Subcuticularschicht  sich 
findet,  eine  homogene  fast  chitinige  Masse,  in  welcher  am  vorderen 
und  hinteren  Pole  eine  Faserung  sich  bemerkbar  zu  machen  beginnt. 

3)  a.  a.  0.  pag.  80. 


Zur  Kenntniss  der  Echinorhynchen.  9 

Schneider  bezeiclmete  sie  dagegen  als  Kerne,  und 
Lenckart*)  gebranelit  neben  diesem  auch  den  Ausdruck 
Blasen.  Ihre  Zahl  ist  bei  den  verschiedenen  Arten  ver- 
schieden, bei  E.  gigas  geringer  als  bei  proteiis  und  bei 
diesem  kleiner  als  bei  angusfatus.  Sie  sind  blasenförmig,  in 
der  Form  ziemlich  sehwankend,  bald  mehr  rund  oder  oval, 
bald  mehr  in  die  Länge  gezogen.  Neben  einem  mehr  oder 
weniger  scharf  hervortretenden  Kern  besitzen  sie  an  Alkohol- 
exemplaren einen  meist  trüben,  körnigen  Inhalt,  in  welchem 
mehrere  dem  Kern  an  Grösse  sich  nähernde,  helle  Körper- 
chen gelegen  sind.  Auch  Wagener 2)  bemerkte  sie  und 
Hess  dieselben  aus  dem  Kern  durch  Theilung  entstehen, 
was  ich  indessen  nicht  beobachten  konnte.  Diese  Zellen 
findet  man  imr  in  der  unteren  Subcuticularschicht,  bald, 
wie  der  Tangentialschnitt  deutlich  ergibt,  von  Fasern  ganz 
umschlossen,  bald  in  die  Lückenräume  frei  hineinragend. 
Sie  stammen  von  den  Zellen,  welche  bei  jungen  Larven 
der  den  Embryonalkern  umgebenden  Masse  eingelagert 
sind;  diese  vermehren  sich  durch  Theilung,  welche  auch 
an  Exemplaren,  deren  Fasersystem  schon  ausgebildet,  noch 
in  Thätigkeit  gefunden  wurde. 

Leuckart^)  und  von  Linstow^)  lassen  dagegen 
aus  ihnen  die  späteren  Gefässräume  entstehen,  ich  glaube 
mich  dieser  Ansicht  nicht  anschliessen  zu  können,  denn  die 
scheinbare  Verschmelzung  zweier  Zellen,  wie  sie  z.  B. 
V.  Linstow  abbildet,  wird  wohl  eine  Zelltheilung  sein. 
Uebrigens  Hesse  sich  nach  der  anderen  Auffassung  auch 
kaum  erklären,  woher  die  bei  manchen  Arten  so  zahlreichen 
Zellen^)  der  Subcuticula  stammen  sollten,  wenn  schon  die 
geringe  Zahl  derselben  im  Embryo  zu  der  Gefässbildung 
verwendet  würde. 

Die  weiter  nach  Innen  folgenden  Theile  der  Haut,  die 


1)  a.  a.  0.  pag-.  737  und  pag.  841. 

2)  a.  a.  0.  pag.  80.  Tab.  VI.  Fig.  18  u.  19. 
8)  a.  a.  0.  pag.  841. 

4)  a.  a.  0.  pag.  11.  Tab.  I  Fig.  5. 

5)  Was   ihre  Natur  betrifift,    so  möchte  ich  diesen  Zellen  eine 
secretorische  Function  zuschreiben. 


10  Carl  Baltzer: 

Ring-    und    Längsmuskulatur    des    Hinterleibes,    habe    ich 
nicht  in  den  Kreis  meiner  Untersuchungen  gezogen!  — 

2.   Der  liiiii  des  Halses  und  Rüssels. 

Neben  Westrum  b  *),  welcher  bereits  eine  J^eschreibung 
des  Halses  und  des  lliissels  gab,  'finden  sich  nur  noch 
wenige  Forscher,  die  sich  mit  der  Untersuchung  dieser 
Theile  beschäftigten;  unter  ihnen  sind  besonders  Leuckart 
und  Schneider  zu  nennen,  deren  Mittheilungen  sich  aber 
auch  nur  auf  einzelne  Punkte  beziehen.  Ich  will  in  Fol- 
gendem eine  kurze  l>eschreibung  sämmtlicher  in  die  Bil- 
dung der  genannten  Leibestheilc  eintretenden  Uebildc  zu 
geben  versuchen. 

a.   Fxh.  Proteus. 

Der  Hals  dieser  Art  ist  ausserordentlich  entwickelt, 
im  Durchschnitt  3,5  mm  lang.  Drei  Abtheilungen  lassen 
sich  an  demselben  unterscheiden:  Der  verbreiterte,  conische 
Basilartheil,  das  fadenförmige  Mittelstück  und  das  kopf- 
artig angeschwollene  obere  Ende,  dem  der  Rüssel  aufsitzt. 

Schon  äusserlich  setzt  sich  der  Hals  vom  lliiiterleibe 
durch  eine  tiefe  Einschnürung  ab,  dünne  Längsschnitte  er- 
geben, dass  an  dieser  Stelle  durch  die  bis  zum  Bindegewebe 
wellig  sich  einsenkende  Cuticula  des  Halses,  wie  auch 
Schneider  angibt,  eine  vollkommene  Scheidung  der  Sub- 
cuticula  dieses  Abschnittes  von  der  des  Hinterleibes  be- 
wirkt wird^).  Die  äussere  Lage  der  Subcuticula  begibt 
sich  mit  der  Cuticula  nach  Innen  und  berührt  ebenfalls  das 
Bindegewebe,  ähnlich  verhält  sich  die  entsprechende  Schicht 
des  Hinterleibes  auf  der  anderen  Seite  der  Falte. 


1)  a.  a.  0.  pag.  46. 

2)  Für  die  gänzliche  Trennung  der  Gefässräume  des  Vorder- 
und  Hinterleibes  durch  die  Cuticularfalte  spricht  auch  noch  folgende 
Erscheinung.  Legt  rnan  einen  Kratzer  (z.  B.  E.  proteus)  in  Farb- 
lösung, so  tingirt  sieh  der  Hinterleib  verhältuissmässig  schnell,  der 
vordere  Leibesabschnitt,  der  ein  geringeres  Absorptionsvermögen  zu 
besitzen  scheint,  bleibt  dagegen  blass.  Würde  nun  eine  Verbindung 
der  Gefässräume  vorhanden  sein,  so  müsste  durch  diese  vom  Hinter- 
leib aus  sich  der  Hals  färben ;  Längsschnitte  zeigen  aber,  dass  sich  die 
Färbung  nur  bis  zur  Ringfalte,  nicht  aber  über  diese  hinaus  in  den 
Halsabschnitt  erstreckt. 


Zur  Kenutniss  der  Echiuorhyncben-  11 

Cuticiila  und  unter  ihr  gelegene  Streifeu-Cuticula 
findet  sich  auch  an  dem  Halse;  aber,  der  geringeren  Stärke 
dieses  Abschnittes  entsprechend,  weniger  mächtig  entwickelt. 
Ebenso  verhält  sich  die  Subcuticula,  welche  aus  den  oben 
genannten  Fasersystemeu  zusammengesetzt  ist.  Schneider 
spricht  dem  Vorderleib  den  Besitz  von  Radiärfasern  ab; 
aber  schon  Leuckart  machte  mit  Recht  darauf  aufmerk- 
sam, dass  die  Gefässräume  wohl  auch  hier  von  Fasern  be- 
grenzt sein  würden.  Die  tiefere  Lage  der  Subcuticula  ent- 
hält das  Gefässsystem,  welches,  wie  auch  am  Hinterleib, 
wenigstens  im  unteren  und  mittleren  Abschnitt  des  Halses, 
zwei  direct  nach  oben  ziehende  Stämme  enthält.  Nur  darin 
gibt  sich  ein  Unterschied  dieser  Schicht  von  der  ent- 
sprechenden des  Hinterleibes  zu  erkennen,  dass  die  Cir- 
culär-  und  Longitudinalfasern,  nicht  in  so  scharfgetrennte 
Züge  gesondert,  mehr  verklebt  sind  und  hierdurch  schwerer 
in  ihrem  Verhalten  erkannt  werden. 

Im  kopfförmig  angeschwollenen  Halstheil  reducirt  sich 
die  Subcuticula  auf  ein  Drittel  der  früheren  Stärke  und 
zeigt,  wie  dieser  Abschnitt  überhaupt,  eine  Bildung,  die  sich 
der  des  Rüssels  nähert.  Die  Gefässräume  erscheinen  wie 
dort  regelmässiger  angeordnet  und  treten  auch,  da  die 
dünne  Subcuticula  wenig  Raum  gewährt,  bereits  bogen- 
förmig nach  Aussen  und  Innen  vor.  Nicht  minder  ver- 
schieden zeigt  «ich  hier  das  unter  der  Subcuticula  gelegene 
Bindegewebe,  das  an  Stärke  dem  so  sehr  entwickelten  des 
Rüssels  nahe  kommt.  Dieser  Abschnitt  findet  sich  bei 
jungen  Exemplaren  noch  nicht  kopfförmig  angeschwollen. 
•Bei  älteren  enthält  sein  Hohlraum  eine  die  Rüsselscheide 
umgebende,  körnige  Exsudatmasse,  durch  welche  der  Kopf 
wahrscheinlich  in  stets  prallem  Zustand  erhalten  wird. 
Zellen,  wie  wir  sie  in  der  Subcuticula  des  Hinterleibes 
fanden,  sind  auch  hier,  -besonders  im  unteren  und  mittleren 
Halsabschnitt,  vorhanden;  dem  obersten  scheinen  sie  zu 
fehlen. 

Die  den  Hinterleib  umgürtende  Ringmuskulatur  er- 
streckt sich  nur  bis  zum  Anfang  des  Halses;  ein  Theil 
der  Längsmuskeln  aber  tritt  in  den  Hals  ein,  durchzieht 
ihn   bis   zur  Basis    des  Rüssels   und   setzt   sich  hier  fest. 


12  Carl  l'.altzer: 

(Fig.  3  o).  In  der  unteren  Partie  des  Halses  liegen  sie 
dicht  gedrängt,  so  dass  auf  dem  Querschnitt  (Fig.  18)  der 
zwischen  Haut  und  RUssclscheide  gelegene  Raum  von 
Muskeln  fast  ganz  erfüllt  ist.  Anders  in  dem  aufgctriehenen 
oherstcn  Ahselinitt,  wo  dieselben,  weit  auseinandergerückt, 
einzeln  gelagert  sind.  Ganz  scheinen  aher  auch  die  Ring- 
nuiskeln  dem  Vorderleihc  nicht  zu  fehlen,  denn  zwischen 
Längsmuskeln  und  dem  unter  der  Suhcuticula  gelegenen 
Rindegewebe  linden  sich  Fasern,  welche,  die  geringere 
Dicke  ausgenommen,  ganz  mit  den  Ringmuskeln  des  Hinter- 
leibes übereinstinnncn.  Sie  heginnen  über  dem  Ringgeiass 
an  der  Rasis  des  Halses,  nehmen  nach  oben  an  Stärke  ah 
und  werden  im  obersten  Theile  verniisst.  Leuckart*)  da- 
gegen bemerkt,  dass  nur  an  der  Rasis  ein  Ringmuskel  zu 
finden  sei,  und  bloss  in  seltenen  Fällen  (F.  gigas)  noch  in 
der  unteren  Hallte  eine  dünne  Lage  von  Längsfasern  he- 
obachtet  werde.  Für  die  von  mir  untersuchten  ^Xrten  gehen 
aher  Schnitte  auf  den  ersten  Rlick  das  geschilderte  Ver- 
halten zu  erkennen^). 

Als  Anhänge  der  Subcuticula  des  Halses  sind  die 
Lenniisken  zu  betrachten,  welche  in  Form  ovaler,  lehhaft 
braungelb  pigmentirter  Läppchen  in  die  l^eibeshJihle  hinab- 
hängen. Sie  inseriren  sich  dem  Hals  an  der  Stelle,  wo 
die  ringfijrmige  Cuticularfalte  gelegen  ist  und  stehen  mit 
dem  Gefässsystem  des  Vordcrleibes  durch  das  an  der  Rasis 
desselben  befindliche  Ringgefäss  in  innigstem  Zusammen- 
hang. Wie  die  Subcuticula  bauen  auch  sie  sich  aus  drei 
Fasersystemen  auf,  die  mit  dem  Fasergewebe  des  Halses 
verbunden  sind.  Die  Beziehungen  desselben  zu  den  Lem- 
nisken  geben  am  besten  dünne  Längsschnitte  zu  erkennen. 
Das  unter  der  Subcuticula  des  Vorder-  wie  auch  Hinterleibes 
gelegene  Bindegewebe  tritt  auf  die  Lemniske  über,  sie  als 
ein  dünnes  Häutchen  überziehend.    Nie  fand  ich  weder  auf 


1)  a.  a.  0.  pag.  752. 

2)  Da  die  Echinorhynclien  die  Fähigkeit  haben  ausser  dem 
Rüssel  auch  den  Hals  einzuziehen,  so  werden  die  Ringmuskeln  als 
Zusammcnsclinürer,  die  Längsmuskeln  in  einer  dem  retractor  proho- 
scidis  ähnlichen  Weise  zur  Wirkung  kommen  und  so  die  Leistung  der 
ret.ractores  receptaculi  unterstützen. 


Zur  Kenntniss  der  Echinorhynchen.  13 

dem  Längsschnitt,  noch  auf  dem  Querschnitt  einen  com- 
pressor  der  Aussenseite  auli^clagert,  was  mir  um  so  merk- 
würdiger scheint,  als  bei  E.  angustatus  und  (jigas  sehr  deut- 
lich ein  solcher  erkannt  wird.  Rechts  und  links  biegen 
an  der  Ansatzstellc  der  Lenniisken  die  Längsmuskeln  ab, 
für  diese  eine  Durchtrittstelle  biossiegend. 

Im  Querschnitt  (Fig.  19)  erscheinen  die  genannten 
Läppchen  ungefähr  halbmondförmig  mit  verdünntem  Mittel- 
und  keulenartig  angeschwollenen  Seitenstücken.  Die  Dicke 
beträgt  durchschnittlich  0,13  mm.  Auf  der  convexen  Seite 
zeigt  die  nicht  vollkommen  glatte  Oberfläche  im  Mitteltheil 
drei  wulstenförmige  Erhebungen,  auf  der  gegenüberliegenden 
concaven  Seite  eine ;  es  sind  die  nach  Aussen  vortretenden 
Längsgefässstämme  dieses  Abschnittes  (Fig.  19  g.  h).  Dem 
dünnen,  ungefähr  0,001  mm  dicken  Bindegewebe  lagert  sich 
eine  Schicht  auf,  welche,  gegen  0,01  mm  stark,  von  zahl- 
reichen, parallelen,  radiär  verlaufenden  Fasern  gebildet  wird. 
Eine  helle  Membran,  zu  welcher  die  Fasern  vordringen, 
scheint  diese  äussere  Lage  von  dem  Innengewebe  der  Lem- 
nisken  zu  scheiden.  Eine  scharfe  Trennung  ist  aber,  wie 
sehr  dünne  Schnitte  lehren,  nicht  vorhanden,  denn  die  ver- 
meintliche Membran  löst  sich  auf  diesen  in  eine  Anzahl 
cirkulärverlaufender  Fasern  auf.  Zahlreiche  diesen  ange- 
lagerte Körnchen  deuten  auf  gleichfalls  in  den  Zug  einge- 
schlossene Längsfasern  hin,  deren  Existenz  auch  durch  den 
Längsschnitt  bestätigt  wird.  Diesen  höchstwahrscheinlich 
selbständig  verlaufenden  circulären  und  longitudinalen  Fa- 
sern scheinen  sich  aber  auch  der  äusseren  Lage  entstam- 
mende beizumischen.  Hierfür  spricht  wenigstens  der  Um- 
stand, dass  manche  derselben  sich  nur  bis  zu  ihnen,  nicht 
aber  in  das  Innere  der  Lemnisken  verfolgen  lassen.  Letz- 
teres ist  mit  den  schon  erwähnten  Radiär-,  Längs-  und 
Circulärfasern  erfüllt.  An  Zahl  walten  die  Radiärfasern 
entschieden  vor,  ihnen  sind  in  der  mittleren  Zone  die  Cir- 
culär-,  an  den  beiden  Aussenseiten  die  Längsfasern  einge- 
flochten. Die  Radiärfibrillen  geben  sich  als  die  in  das 
Innere  vorgedrungenen  Fasern  der  äusseren  Lage  zu  er- 
kennen ;  doch  mischen  sich  auch  aus  den  die  scheinbare  Schei- 
dewand bildenden  eine  Anzahl  bei.   Dieses  Fasergewebe  ist 


14  Carl  Baltzer: 

nun  nirgends  so  dicht  verflocliten,  dass  nicht  die  in  die 
Lemnisken  eintretenden  Fliis8ii;keiten  dasselbe  nach  allen 
Richtungen  durclitränken  kinniten.  Zur  höheren  Commu- 
nication  sind  a])or  ausserdem  (iefässräunie  vorhanden,  wenn 
auch  in  l)eschriinkterer  Zahl  als  in  der  8u})cuticula.  Neben 
einer  Air/ahl  kleinerer  Räume  sind  besonders  die  beiden 
grossen,  am  seitlichen  Rande  gelegenen,  im  directen  Ver- 
lauf von  Unten  nach  Oben  ziehenden  Stännne  zu  nennen, 
7U  denen  dann  im  mittleren  Al)schnitt,  sowohl  aufdercon- 
vexen  wie  der  concaven  »Seite,  drei  mehr  oder  weniger  stark 
nach  Aussen  vorspringende  Kanäle  kommen.  Das  ganze 
Fleclitwerk  der  l^emnisken  ist  von  einer  körnigen  Masse 
erfüllt,  welche  in  den  Gefässräumen  in  grösserer  Menge  auf- 
tritt. Eigene  Wandungen  besitzen  diese  Gelasse  ebensowenig 
wie  die  der  Subcuticula,  sie  sind  aber  durch  dicht  ver- 
flochtene Fasern  von  dem  Fibrillensystem  geschieden.  Zellen 
der  schon  meiirerwälinten  Art  liegen  meist  in  grosser  Zahl 
den  Gelassräumen  eingestreut;  besonders  reichlich  Hnden 
sie  sich  in  den  beiden  Seitenkanälen,  wo  selbst  auf  dünnen 
Querschnitten  oft  bis  8  Stück  dicht  verpackt  gefunden 
werden.  Auch  sonst  bemerkt  man  sie  dem  Gewebe  einge- 
bettet; aber  stets  beschränken  sie  sich  hier  auf  die  Rand- 
zone. Von  einem  kapselälmlichen,  um  sie  geflochtenen  Faser- 
werk getragen,  ist  ihre  Anordnung  dort  so  regelmässig, 
dass  man  bisweilen  auf  Längsschnitten  geradezu  Reihen 
solcher  Zellen  beobachten  kann.  In  die  äussere  Parallel- 
faserschicht treten  die  Gelasse  nie  ein,  sondern  sie  bildet 
nach  Aussen  sich  vorwölbend  einen  Theil  der  Begrenzung 
derselben,  ebenso  entbehrt  sie  der  Zellen.  Eine  Mündung 
der  Lemnisken  auf  der  Leibesoberfläche,  wie  solche  P  agen- 
steeher  beobachtet  zu  haben  glaubt,  konnte  ich  nie  ent- 
decken. 

Neben  der  schon  von  Leuckart^)  hervorgehobenen 
Wirkung  als  Pumpwerk  zur  Füllung  der  Gefässräume  des 
Rüssels  und  des  Halses,  wird  die  hauptsächlichste  Function 
der  Lemnisken  darin  bestehen,  für  den  im  subcuticularen 
Fasersystem  schwach  ausgebildeten  Hals   und  Rüssel   und 


1)  a.  a.  0.  pag.  740. 


Zur  Kenntniss  der  Echinorliynchen.  15 

die  in  denselben  gelegenen  Tlieile  die  nötbigen  Nahrungs- 
mengen aul'/Ainehnien  und  zu  verarl)citen. 

Der  l^ulla  des  Halses  scblicsst  sich  der  walzenKJrmige 
Rüssel  an,  dem  schon  Westrumb*)  eine  eingehende  Be- 
schreibung widmet.  Er  gibt  ihm  eine  knorpelartfge  Be- 
schaftenheit  und  erkannte  auch  das  in  ihm  befindliche  Ge- 
fässsystem.  Die  Ijänge  des  genannten  Abschnittes  beträgt 
ungefähr  0,7  —  0,8mm  und  seine  bis  zur  Spitze  ziemlich 
gleiche  Dicke  0,3  mm.  Nirgends  findet  sich  in  dem  Haut- 
gewebe eine  Abgrenzung  des  Küsseis  von  dem  Hals,  sondern 
Cuticula  wie  auch  Subcuticula  stellen  geradezu  nur  eine 
Verlängerung  der  entsprechenden  Theile  des  letzteren  dar. 
Die  Subcuticula,  an  Dicke  ungefähr  der  des  angeschwollenen 
Halstheiles  gleich,  besitzt  auch  dieselben  Faserelemente. 
Die  äussere  Lage  ist  verhältnissmässig  schwach  entwickelt 
(Fig.  6  b)  und  bildet  die  Begrenzung  der  Gefässräume 
nach  Aussen.  Um  die  Haken  placiren  sich,  meist  dicht 
gedrängt,  die  Radiärfibrillen  und  liefern  eine  vollkommene 
Umhüllung  derselben.  Im  Allgemeinen  ist  jedoch  das  sub- 
cuticulare  Fasersystem  im  Rüssel  bei  weitem  nicht  in  der 
Deutlichkeit  ausgebildet,  wie  selbst  noch  im  Halstheil,  denn 
von  einer  körnigen,  an  Alkoholexemplaren  geronnenen 
Masse  verklebt,  lassen  sich  bei  oberflächlicher  Betrachtung 
die  dünnen  Fibrillen  leicht  übersehen. 

Das  Gefässsystem  besitzt  hier  eine  schon  in  der 
kopfartigen  Anschwellung  des  Halses  vorbereitete  Anordnung. 
Da  die  so  regelmässige  Vertheilung  seiner  Stämme  augen- 
scheinlich durch  das  Auftreten  der  Haken  bewirkt  wird, 
so  dürfte  es  sich  empfehlen,  mit  der  genaueren  Beschrei- 
bung dieser  zu  beginnen.  In  18  Längs-  und  10 — 20  Quer- 
reihen ordnen  sie  sich  alternirend  und  stehen  im  unteren 
Theil  des  Rüssels  weiter  entfernt,  als  in  dem  oberen,  wo 
der  Wurzelfortsatz  des  einen  meist  dem  Wurzelende  des 
anderen  sehr  genähert  ist.  Die  ersten  Haken  sitzen  an 
der  Basis  des  Rüssels  gerade  da,  wo  sich  die  Rüsselscheide 
der  Subcuticula  anfügt.  Diese,  wie  auch  die  nächstfolgenden, 
sind  noch    verhältnissmässig   klein,    so  dass  sie  sich  nur 

1)  pag.  44  a.  a.  0. 


IG  Carl  Baltzer: 

wenig  über  die  Ciiticula  erbeben,  wilbrend  die  im  oberen 
Tbeil  gelegenen  weit  über  dieselben  bervorrageu.  Aucb  ibre 
Gestalt  ist  nicbt  überall  dieselbe,  denn  wäbrend  die  untersten 
einen  last  geraden,  die  näebst  folgenden  einen  nur  wenig  ge- 
krüumiteu  Stiicbel  vorstellen,  sind  die  weiter  naeb  Oben 
gelegenen  ausserordentlicb  gebogen.  Sie  lassen  sich  einem 
von  zwei  Seiten  zusammengedrückten  Halbkreise  vergleichen, 
dessen  allmablicb  verschmälertes  Ende  die  Spitze  und 
dessen  anderes  angescb wollenes  den  Wurzeltheil  bildet 
(Fig.  3).  Die  directe  Entfernung  der  so  ziemlich  (allerdings 
ragt  die  Spitze  meist  etwas  vor)  auf  gleicher  Höhe  gele- 
genen Wurzel  und  Spitzenende  beträgt  0,04  mm ;  die  Höhe 
des  Bogens  0,00  mm.  Ebensolang  ist  der  über  die  Cuticula 
sich  erhebende,  nach  abwärts  gerichtete  Tbeil,  dessen 
AuRsenseite  der  Oberlläche  des  Rüssels  ziendich  parallel 
verläuft,  und  dessen  innere  mit  ibr  einen  spitzen  Winkel 
bildet.  Ein  oberer  Wurzelfortsatz,  wie  ihn  die  Haken 
vieler  Handwürmer  besitzen,  fehlt.  Ihre  Substanz  ist  eine 
matt  weisse,  chitinartige  Masse,  welche  am  Wurzelstück 
wie  der  Querschnitt  deutlich  zeigt,  einen  etwas  dreieckigen, 
im  oberen  Tbeil  mehr  rundlichen  Kanal  enthält.  Schon 
Zeder  ^)  will  in  den  Haken  einen  Kanal  gefunden  haben, 
den  er  mit  der  Nabrungsaufnabme  in  Beziehung  brachte, 
Westrum b-)  stellt  aber  die  Existenz  eines  solchen  ent- 
schieden in  Abrede.  Die  Haken  durchdringen  die  Sub- 
cuticula  in  ihrer  ganzen  Dicke  und  pflanzen  sich  in  dem 
hier  ungemein  entwickelten,  bis  0,006  mm  dicken  Binde- 
gewebe mit  dem  verbreiterten,  unten  abgerundeten  Ende 
ein.  Rings  senkt  sicli  um  sie  die  Cuticula  hinab  und  steigt 
an  denselben  bis  in  die  Nähe  des  Bindegewebes  nach  Unten, 
biegt  dann  in  Schlingenform  um  und  folgt  ihnen  bis  zur 
Spitze,  sie  wie  eine  Düte  umkleidend.  Der  in  das  Binde- 
gewebe eingesenkte  Tbeil  entbehrt  natürlich  des  Ueber- 
zuges. 

Wie  sich  das  Gefässsystem  zu  dem  Hakenwerk  ver- 
hält,   ergeben    am    besten    die  Querschnitte  (Fig.  4).     Sie 


1)  Erster  Nachtrag  zu  Göze's  Naturgesch.  d.  E.-W.  pag.    120. 

2)  a.  a.  0.  pag.  44. 


Zur  Kenntniss  der  Echinorhynchen.  17 

zeigen,  wie  auf  dem  sehr  rcgelmiissig  gebauten  Rüssel  nach 
Aussen  18  ungeialir  gleich  grosse  Wülste  sich  hervor- 
wölben, deren  9  von  Haken  durchsetzt  sind.  Die  übrigen, 
je  zwischen  zwei  der  vorliergenannten  gelagert,  enthalten 
einen  halbkreisförmigen  Hohlraum.  Im  oberen  Theil  des 
Rüssels,  wo  die  Haken  dichter  stehen^  ragt  in  jeden  dieser 
Hohlräume  der  dem  Bindegewebe  eingepflanzte  Wurzel- 
tortsatz des  nächst  höheren  Hakens.  Jedem  unserer  Wülste 
entspricht  somit  eine  Hakenreihe  und  ein  durch  die  Haken 
unterbrochener,  von  unten  nach  oben  ziehender  Gefässstamm. 
Die  seitliche  Begrenzung  des  letzteren  bilden  die  die  Haken 
umstellenden  Radiärfibrillen,  und  sie  sind  es  besonders, 
welche  auch  den  directen  Verlauf  des  Gefässes  nach  Oben 
fast  ganz  aufheben.  Eine  Communication  des  gesammten 
Lückensystems  wird  indessen  dadurch  bewirkt,  dass  das 
je  zwei  benachbarten,  übereinander  gelegenen  Haken  zweier 
nebeneinander  hinziehenden  Züge  angehörige  Radiärfaser- 
werk  etwas  auseinanderrückt,  und  der  so  entstehende 
Raum  eine  Verbindung  für  je  zwei  benachbarte  Gefässe 
darstellt.  Für  EcJi.  xmlymorphus  verdanken  wir  Greeff  ^) 
eine  Beschreibung  und  Abbildung  der  Rüsselgefässe,  welche 
mit  den  vorstehenden  Angaben  im  Allgemeinen  überein- 
stimmen, nur  sollen  sich  hier  die  schmalen  längs  verlaufenden, 
durch  seitliche  Anastomosen  verbundene  Stämme  direct  nach 
Oben  begeben,  was  ich  bei  E.  proteus  indessen  nicht  beob- 
achtete. Die  in  der  Subcuticula  des  Hinterleibes  und  Hal- 
ses gefundenen  Zellen  fehlen  hier  vollkommen.  Wie  die 
Cuticula  nach  Aussen  in  18  Wülsten  sich  erhebt,  so  das 
innere,  kräftige  Bindegewebe  in  den  Hohlraum  des  Rüssels, 
so  dass  auch  die  Innenfläche  eine  regelmässige  Wellen- 
bildung besitzt.  Ihm  lagert  sich  nach  Innen  eine  dünne 
auf  dem  Querschnitt  (Fig.  5)  ringsverlaufende  Schicht  auf, 
die  an  der  Basis  des  Rüssels  am  stärksten  entwickelt  nach 
Oben  an  Mächtigkeit  abnimmt.  Sie  erinnert  an  die  ent- 
sprechende Lage  in  dem  Hals  und  zeigt  sich  auch  auf 
dem  Längsschnitt  aus  einzelnen  durch  Bindegewebe  verbun- 
denen Ringfasern  bestehend.    Ihrem  Ansehen  nach  könnte 


1)  a.  a.  0.  pag.  101. 

Archiv  f.  Naturg.  XXXXVI.  Jahrg.  1.  Bd. 


18  Carl  Baltzer: 

man  sie  für  eine  schwach  entwickelte  Ringsmuskelschicht 
deuten. 

Auf  der  äusseren  Gipfelfläche  des  Rüssels  bemerkt 
man  bisweilen  eine  kleine,  aber  scharf  umschriebene  Pa- 
pille; Westrumb^)  beobachtete  sie  bei  verschiedenen  Arten 
und  hielt  sie  für  ein  Saugorgen  2),  eine  Ansicht,  die  jetzt 
natürlich  Niemand  mehr  vertheidigen  wird.  Leuckart  ist 
geneigt  ihr  die  Bedeutung  eines  Tastorganes  beizulegen 
und  dürfte  wohl  hierin  Recht  haben. 

Legt  man  durch  einen  zum  Thcil  eingestülpten  Rüssel 
einen  Querschnitt,  so  erhält  man  natürlich  zwei  Schnitte 
zugleich,  von  welchen  der  innere,  von  dem  äusseren  rings 
umschlossen,  einer  weiter  nach  Oben  gelegenen  Rüssclregion 
angehiirt.  Zwischen  der  Innenseite  des  äusseren  und  der 
Aussenseite  des  inneren  Schnittes  erblickt  man,  der  vor- 
hin erwähnten  Ringfaserschicht  angelagert,  durchschnittene 
Längsmuskeln,  die  zu  der  Vcrmuthnng  Veranhissung  geben 
kiumten,  es  besässe  auch  der  Rüssel  eine  Läugsmuskulatur. 
Indessen  sind  diese  unten  noch  genauer  zu  beschreibenden 
Muskelfasern,  die  an  der  Innenfläche  des  Rüssels  herablau- 
fenden Thcile  des  retractor  proboscidis. 

b.    E.  angustatus. 

Im  Bau  des  Halses  unterscheidet  sich  E.  angustakis 
von  proten>i  vor  Allem  durch  die  viel  geringere  Grösse,  er 
misst  ungefähr  0,7  mm,  somit  etwa  V5  der  bei  profms  ge- 
fundenen Länge.  Dieser  so  gering  entwickelte  Leibestheil 
tritt  noch  mehr  dadurch  zurück,  dass  er  stets  mehr  oder 
weniger  eingezogen,  meist  nur  in  einer  Länge  von  0,5  mm, 
sichtbar  wird.  Von  dem  Hinterleib  setzt  er  sich  durch  eine 
ringlormige  Cuticularfalte  ab  und  unterscheidet  sich  in 
seiner  Gewebebildung,  wenigstens  imbasilaren  Theil,  in  Nichts 
von  dem  vorhergehenden  Abschnitt.  Erst  weiter  oben,  wo 
die  Lemnisken  abgehen,  verliert  der  Hals  in  dem  Bau  des 

1)  a.  a.  0.  pag.  45. 

2)  Der  von  der  Papille  aufgenommene  Nahrungssaft  soll  dann 
durch  einen  im  Rüssel  vorhandenen  Kanal  (wahrscheinl.  der  retract. 
prob.)  in  die  Scheide  befördert  werden  und  von  hier  in  die  nach  der 
damaligen  Ansicht  mit  ihr  in  Verbindung  stehenden  Lemnisken  über- 
treten, pag.  45  u.  62. 


Zur  Kenntniss  der  Echinorhynchen.  19 

Faserwerkes  die  AehnlicLkeit  mit  dem  Hinterleib.  Die 
Radiärfasern  werden  sparsamer,  und  die  äussere  Wellen- 
lage, aus  stark  verklebten  Fibrillen  gebildet,  reducirt  sich 
auf  einen  Brucbtbeil  der  früheren  Stärcke.  King  und  Längs- 
muskeln erstrecken  sich  über  den  Cuticularriug  hinaus, 
erstere  fehlen  dem  oberen  Abschnitt. 

Die  Lemnisken  erscheinen  auch  hier  als  Anhangs- 
gebilde des  Halses,  dem  sie  aber  nicht,  wie  bei  E.  proteus 
an  der  Basis,  sondern  weiter  oben  eingefügt  sind.  Einen 
weiteren  Unterschied  liefert  der  Compressor,  der  aus  ab- 
gelenkten Längsmuskeln  bestehend  die  Lemnisken  ganz  um- 
hüllt. Im  Querschnitt  erscheinen  diese  schwach  halbmond- 
förmig gebogen  und  entbehren  hervortretender  Längswulste. 
Das  Fasersystem  ausser  der  Muskellage  von  einem  dünnen, 
mit  dem  der  Subcuticula  des  Halses  in  Verbindung  stehen- 
den Bindegewebe  bedeckt,  zeigt  diesem  direct  aufliegend 
eine  helle,  vom  Innengewebe  verschiedene,  dünne  Zone,  die 
aber  eine  Bildung,  wie  sie  oben  für  E.  proteus  beschrieben 
wurde,  nicht  erkennen  lässt.  Aus  ihr  entspringen  die  hier 
allein  vorhandenen  Radiärfasern  und  ziehen  dicht  gedrängt, 
ziemlich  parallel  verlaufend  zur  gegenüberliegenden  Wand. 
Wie  schon  aus  dem  Fehlen  nach  Aussen  vorspringender 
Längswulste  sich  vermuthen  lässt,  sind  die  bei  E.  proteus 
im  mittleren  Abschnitt  stark  entw^ickelten  Gefässstämme 
hier  nicht  vorhanden,  und  das  ganze  Gefässsystem  beschränkt 
sich  auf  die  beiden,  am  Seitenrande  gelegenen  Hohlräume 
(Fig.  17). 

Auf  dem  ungefähr  0,7  mm  langen  Rüssel  sind  die 
Haken  in  10  Längsreihen  gelagert.  Eine  dünne  Cuticula 
mit  deutlich  erkennbarer,  nach  Innen  gelegener  Schicht 
deckt  das  subcuticulare  Fasersystem,  dessen  äussere  Zone 
die  Dicke  der  Cuticula  nicht  viel  übersteigt.  Die  sehr 
dünnen  und  sparsam  vorhandenen  Fasern  lassen  sich  noch 
schwieriger  erkennen  als  im  Rüssel  des  E.  proteus.  Den 
10  Hakenreihen  entsprechend,  tritt  das  Hautgewebe  etwas 
hervor;  doch  sind  diese  Wulste  bedeutend  schwächer  als  bei 
der  ebengenannten  Art.  Die  Haken,  an  Form  denen  des 
E.  proteus  ungefähr  gleich,  sind  etwas  grösser  als  diese. 
Ihre  ganze  Länge  beträgt  0,14  mm,  die  des  über  die  Cuti- 


20  Carl  IJaltzer: 

cula  hervorragenden  Thciles  0,12  und  die  Grösse  des  Wur- 
zelabschnittes 0,11  mm.  Im  Bau  des  Letzteren  ergil)t  sich 
ein  weiterer  Unterschied  von  E.  proteus,  bei  ihm  fehlt  der 
obere  Wurzelfortsatz,  hier  besitzen  alle  einen  deutlich  her- 
vortretenden, zweischenkligen  oliercn  Wurzelabschnitt,  wel- 
cher indessen  dem  unteren  einfachen  an  Läu^e  bedeutend 
nach  steht.  An  den  Haken  senkt  sich  wie  auch  bei  K  Pro- 
teus die  Cuticula  ein,  der  von  ihr  freigelassene  Wurzeltheil 
inscrirt  sich  dem  hier  schwächer  entwickelten  Bindej^ewebe. 
Um  so  stärker  ist  die  ihm  innen  anliegende  Rini^muskel- 
schicht  entwickelt;  sie  erscheint  auf  der  Flächenansicht  des 
gefärbten,  eingestülpten  Rüssels  als  eine,  von  Bindegewebe 
durchsetzte,  von  Kingfasern  gebildete  Platte,  deren  innere 
Oberfläche,  besonders  auf  dem  Längsschnitte,  ])apill«*>se  Er- 
hebungen zeigt.  Weiter  nach  innen  folgen  dann  die  an  der 
Rüsselwand  herablaufenden  Fasern  des  retractor  proboscidis. 

3.   Bau  der  Rüsselscheide,  des  retractor  proboscidis 
und  des  Ganglion. 

Neben  den  Lemnisken  liegt  in  dem  vorderen  Theil  der 
Leibeshiihle  die  Riisselscheide,  bestimmt  den  Rüssel  bei  der 
Einstülpung  aufzunehmen.  Sie  bietet  aber  nicht  allein  die- 
sem Organ  eine  Hülle,  sondern  umschliesst  auch  dessen 
Rückzieher  und  den  Ccntraltheil  des  Nervensystems.  Un- 
gefähr cylinderf(»rmig,  wird  sie  von  zwei  kräftigen  Muskel- 
blätteru  gebildet,  die  im  Allgemeinen  ziemlich  gleich  gebaut, 
doch  einige  Unterschiede  bei  E.  proteus  und  angustatus 
zeigen,  so  dass  die  gesonderte  Beschreibung  beider  gerecht- 
fertigt sein  wird. 

a.   E.  proteus. 

Die  Länge  der  Rüsselscheide  beträgt  ungefähr  2  mm, 
der  Durchmesser,  je  nach  der  Contraction  bald  grösser, 
bald  kleiner,  im  Mittel  0,4  mm.  Wie  schon  erwähnt  baut 
sich  dieselbe  aus  zwei  cylinderfönnigen  Muskelrollen  auf, 
einer  inneren,  der  eigentlichen  Scheide,  und  einer  äusseren 
diese  umgebenden,  welche  vorn  und  hinten  offen,  während 
die  innere  hinten  geschlossen,  nur  den  Fasern  des  Rück- 
ziehers den  Durchtritt  gestattet.  Man  findet  den  unteren, 
meist  verschmälerten  Theil  der  inneren  Röhre  bald  durch 


Zur  Kenutuiss  der  Echinorhynchen.  21 

die  Oeffiiung  der  äusseren  hervorgetreten,  bald  auch  in 
diese  vollkommen  zurückgezognen;  dieses  Verhalten  spricht 
für  einen  gewissen  Grad  von  Verschiebbarkeit  beider  Schei- 
dentheile.  Ausgezeichnet  ist  sowohl  die  äussere,  als  auch 
die  innere  Muskelplatte  durch  die  kräftigen  Einstrahlungen 
des  Bindegewebes,  welche  auf  ersterer  mehr  oder  weniger 
horizontal,  auf  letzterer  dagegen  schief  gestellte  Spalten  im 
Muskel  bilden.  In  Folge  der  Verschiedenheit  dieser  Lage- 
rung erscheint  auf  dem  Querschnitt  die  innere  Schicht  des 
Receptaculum  von  Radiärfibrillen  durchsetzt,  welche  der 
äusseren  fehlen;  in  beiden  dagegen  zeigt  sie  der  Längs- 
schnitt. Erhebliche  Verschiedenheit  in  der  Form  geben  die 
beiden  Lagen  auf  dem  Querschnitt  zu  erkennen.  Direct  an 
der  Basis  ist  diese  Differenz  allerdings  nur  wenig  oder 
noch  gar  nicht  entwickelt,  findet  sich  aber  schon  in  der 
Gegend  des  Ganglion  deutlich  ausgeprägt.  Der  innere  Cy- 
lindermantel  stellt  hier  einen  mehr  oder  weniger  kreisrunden 
Ring  dar,  während  der  äussere  sich  gleichsam  aus  zwei 
mit  den  spitzen  Enden  aneinandergelegten  Halbmonden 
zusammengesetzt  erweist  (Fig.  8  B).  Die  Muskelmasse, 
welche  an  der  breitesten  Stelle  derselben  ungefähr  doppelt 
so  stark  ist  wie  die  innere  Scheidenlage,  nimmt  nach  der 
Spitze  zu  allmählich  ab  und  verschwindet  an  der  Bertih- 
rungsstelle  fast  vollständig,  so  dass  die  beiden  Hälften  ge- 
wissermassen  nur  durch  das  die  Muskelsubstanz  überzie- 
hende Bindegewebe  zusammengehalten  werden.  Weiter 
nach  Oben  reducirt  sich  die  Mächtigkeit  dieser  halbmond- 
tV)rmigen  Gebilde  und  ist  in  dem  kopfförmig  aufgetriebenen 
Halstheil,  also  nicht  weit  von  der  Ansatzstelle  der  Scheide 
nicht  stärker  als  die  innere  Lage.  Der  Aussenfläche  der 
äusseren,  wie  der  inneren  Röhre  liegt  ein  kräftiges  Binde- 
gewebe auf,  dessen  in  die  Muskelmasse  einstrahlenden  Aus- 
läufer die  schon  genannten  Spalten  bilden.  Der  äussere 
Theil  zeigt  auf  dem  Querschnitt  auch  eine  feine  circuläre 
Faserung,  welche  dem  inneren  fehlt.  Der  Innenfläche  bei- 
der sitzen  papillenartige  Erhebungen  in  grosser  Zahl  auf; 
die  Flächenansicht  ^}  ergibt,  dass  sie  eine  etwas  längliche 


1)  Wie  man  auf  der  umgestülpten  Scheide  findet. 


22  Carl  Baltzer: 

Form  besitzen  und  schief  gestellt  sind.  Pag-enstecher  hielt 
sie  für  Zellen,  sie  sind  indessen,  was  schon  Leuckart*) 
hervorhob,  Hindegewebsgebilde  und  wirken  wahrscheinlich 
als  elastische  Polster.  Papillen  von  hervorragender  (rrössc 
finden  sich  häufig  da,  wo  die  beiden  Hälften  der  äusseren 
Schicht  zusammenstossen,  hier  sind  dieselben  bisweilen  der- 
art aneinander  gefügt,  dass  an  der  Beriihrungsstelle  ein 
kanalartiger  Kaum  entsteht  (Fig.  8  ß.  h). 

Wird  ein  Querschnitt  durch  das  Peceptaculum  unge- 
fähr da  gelegt,  wo  die  beiden  Ketinacula  in  dasselbe  ein- 
treten, so  findet  man,  sowohl  aut  dem  äusseren,  als  auch 
inneren  Theil  an  zwei  Stellen,  nicht  weit  von  einander 
entfernt,  die  Muskelmasse  sich  in  Kreisform  blasenartig  er- 
heben (Fig.  8  A.  e.  k).  Auf  dem  Ijängsschnitt  besitzen 
diese  Plasenräume  eine  mehr  längliche  Form  (Fig.  7.  h). 
In  jeder  dersellicn  liegt  ein  kräftiger  Kern  mit  Kernkör- 
perchen  in  ein  kapselartiges  Gehäuse  eingeschlossen,  zu 
dem,  wie  die  Schnitte  ergeben,  von  der  Muskelsubstanz 
Fasern  ziehen.  Solcher  in  Papillen  eingelagerter  Kerne 
besitzt  der  äussere  und  innere  Scheidentheil  mehrere,  von 
welchen  besonders  4,  nicht  weit  vom  Grunde  des  inneren 
Theiles  gelegene,  stark  hervortreten.  Auch  Pagenstecher 
und  Gree ff  beobachteten  diese  Kerne  in  der  lUisselscheide, 
aber  während  sie  ersterer  als  Driisenzellen  deuten  zu  müssen 
glaubte,  brachte  sie  Greeff  mit  dem  Nervensystem  in  Be- 
siehung 2).  Uebrigens  bemerkte  schon  Pagenstecher, 
dass  sie  in  den  Scheidenraum  vorspringenden  Papillen  ein- 
gebettet seien,  ein  Umstand,  der  ihn  zu  dem  Irrthum  ver- 
leitete, allen  papillösen  Erhebungen  der  inneren  Scheiden- 
oberfläche Kerne  zuzuschreiben. 

Im  inneren  Cyliuder  des  Receptaculum  zieht  sich,  im 
Grunde  befestigt,  der  Retractor  proboscidis  nach  Oben  und 
besteht  im  unteren  Theil  aus  blattförmigen,  eingerollten 
Fasern,  welche  den  sie  bergenden  Hohlraum  fast  ganz  er- 

1)  a.  a.  0.  759. 

2)  üeber  die  Natur  der  genannten  Gebilde  kann  kaum  ein 
Zweifel  bestehen,  sie  sind  Muskelkerne  wie  auch  die  beiden  auf  der 
Vorderseite  der  Uterusglocke  gelegenen,  in  ganz  ähnlichen  Blasen  be- 
findlichen Kerne.     Fig.  13  Bg. 


Zur  Kcnntniss  der  Echinorhynchcn.  23 

füllen.  Schon  etwas  iintcrhall)  ihres  Eintrittes  in  den  Rllssel 
ändert  sich  indessen  ihre  Form,  indem  sie  hier  entschie- 
dener röhrenförmig  werden  und  verlaufen  in  dieser  Gestalt 
bis  zur  Rüsselspitze.  Die  im  unteren  Theil  noch  geringe 
Zahl  der  Fasern  vermehrt  sich  nach  Oben  durch  Spaltung. 
Vier  Kerne  sind  ihnen  dort  eingelagert  und  zwar  befinden 
sich  dieselben-  in  dem  Hohlraum  der  Muskclröhre,  von 
einer  Hülle  umgeben,  zu  welcher  von  der  Wand  Fibrillen 
sich  begeben.  In  der  Nähe  der  Rüsselspitze  strahlen  die 
Muskelfasern  auseinander,  so  dass  ein  derselben  zugerich- 
teter trichterartiger  Hohlraum  entsteht,  setzen  sich  an  der 
Peripherie  der  Spitze  fest  und  verlaufen  dann,  an  Zahl  un- 
gefähr 22,  längs  der  Innenwand  herab  bis  zur  Ansatzstelle 
der  Scheide  und  endigen  hier  (Fig.  3p.).  Durch  Bindege- 
webe an  der  Ringfaserschicht  des  Rüssels  befestigt,  zeich- 
nen sich  alle  durch  ihre  regelmässige  Anordnung  und 
gleichmässige,  aber  eigenthümliche  Form  aus.  Sie  stellen 
nämlich  Längsmuskelplatten  vor,  welche  die  Innenfläche 
des  Rüssels  vollkommen  auskleiden.  Je  zwei  benachbarte 
Ränder  treten,  sich  nach  Innen  einschlagend,  in  Verbindung, 
lieber  den  eingerollten  Rand  setzt  sich  aber  das  die  Mus- 
kelmasse überziehende  Bindegewebe  fort  und  bildet  eine  in 
den  Hohlraum  des  Rüssels  einspringende  Papille.  Man  kann 
diese  so  ausgebildeten  Längsmuskeln  einer  gewöhnlichen 
Faser  vergleichen,  welcher  auf  der  einen  Seite  die  Muskel- 
substanz geschwunden,  so  dass  nur  das  Bindegewebe  übrig 
geblieben.  Die  Hohlräume  dieser  Papillen  sind  häufig  mit 
einer  körnigen  Masse  erfüllt  (Fig.  4  i). 

Auf  der  Innenfläche  der  Rüsselspitze  liegen  zwei  birn- 
förmige  Zellen,  welche  in  den  trichterförmigen,  von  den 
Muskelfasern  gebildeten  Hohlraum  hineinragen  (Fig.  3  1. 
Fig.  6  f). 

An  der  Basis  der  Scheide  treten  einzelne  Fasern  des 
Rückziehers  in  die  beiden  Retractoren  derselben  ein,  welche 
sich  an  der  Leibeswand  befestigen  und  so  die  Veranlassung 
sind,  dass  bei  eingezogenem  Rüssel  und  Hals  die  Scheide 
in  Schlingenform  gelegt  ist  und  auf  Querschnitten  z.  B.  der 
tönnchenförmigen  aus  Gammariden  genommenen  Larven 
sich  zweimal  durchschnitten  findet. 


24  Carl  Balizer: 

Nicht  weit  vom  unteren  Knde  des  Rcceptaciiluni  liegt 
im  inneren  Sclieiilentlieil,  von  Muskeln  rini;s  umgeben,  das 
von  Siebold  entdeckte  Ganglion.  Es  stellt  einen  ovalen  ^) 
ungefähr  0,4  mm  langen  und  0,2  mm  breiten  Zellhaufeu  vor, 
dessen  Querschnitt  elliptisch  ist  und  eine  mittlere  Breite 
von  0,1mm  besitzt.  SieboUrs  Deutung  haben  sich  die 
meisten  der  si)äteren  Untersucher  angeschlossen,  nur  Ley- 
dig2)  erblickt  in  ihm  eher  eine  Drüse,  auch  Carus^)  ist 
im  Zweifel,  und  Lindemann  ^)  stellt  Uberhaui)t  die  Exi- 
stenz eines  solchen  Gebildes  in  Abrede.  Die  genauere  Be- 
schreibung des  (Jaugliou  und  der  von  ihm  austretenden 
Nerven  folgt  weiter  unten  bei  Fxh.  amjustatus. 

b.  Eck.  angustatus. 

Da  Ech.  (üujHstcdus  im  Bau  des  Receptaculura  mit 
E.  protcus  in  vielen  Punkten  übereinstimmt,  so  will  ich 
nnch  hier  auf  die  Anführun;::  der  wichtigsten  DüTerenzen 
beschränken.  Der  hauptsäcli liebste  Unterschied  beruht  in 
der  bei  angustatus  vollkonunen  gleichen  Bildung  des  aus-* 
seren  und  inneren  Scheidentheiles,  welche  auf  dem  Quer- 
schnitt als  zwei  concentrische  Kreise  erscheinen.  Auch  der 
äussere  ist  unten  geschlossen  und  wie  die  innere  K(>hre 
von  schräg  verlaufenden  Bindcgewebsstrahlen  durchsetzt. 
Papillen  sitzen  der  Inneniläche  beider  auf  und  sind  auf 
dem  inneren  Theil  stärker  entwickelt  als  auf  dem  äusseren, 
während  bei  Ech.  2^>'oteus  das  umgekehrte  Verhalten  sich 
findet.  Kerne  liegen  auch  hier  an  der  Basis  der  Scheide 
in  Blasenräume  eingebettet.  Der  Rik'kzieher  des  Rüssels 
zeigt  sich  auch  schon  im  unteren  Theil  aus  weiteren  R(»hren 
gebildet.  Sie  vermehren  sich  nach  Oben  ebenfalls  durch 
Spaltung,  setzen  sich  im  Umkreis  der  Rüsselspitze  fest  und 
verlaufen  an  der  Innenfläche  bis  zur  Ansatzstelle  der  Scheide 
nach  Abwärts. 

Das  von  Muskelfaseni  vollkommen  umgebene  Ganglion 

1)  Pagenstecher  gibt  ihm  eine  dreieckige  Gestalt,  eine  Form 
durch  den  Druck  veranlasst,  den  er  nach  eigener  Angabe  anwandte, 
um  das  Object  durchsichtiger  zu  machen. 

2)  Vgl.  Anatomie  d.  wirbellosen  Thiere   1845.  pag.  128. 

3)  Handbuch  d.  Zoologie  von  Carus  und  Gerstäcker  II.  Bd.  pag.  457 . 

4)  Bull.  Soc.  imper.  Moscou  1865  pag.  490. 


Zur  Konntniss  der  Echinorhynchen.  25 

besitzt  ung'cfähr  die  Grösse  desjenigen  von  E.  proteus  und 
hat  ebenfalls  eine  ovale  Form.  Nach  der  Angabe  Leiic- 
kart's  *)  gruppiren  sich  die  Fasern  des  retractor  derart  nm 
dasselbe,  dass  auf  der  einen  Seite  fast  alle,  auf  der  gegen- 
überliegenden nur  einige  wenige  verlaufen,  meine  Schnitte 
Hessen  indessen  eine  solche  Anordnung  nicht  erkennen, 
mochten  auch  an  einer  Stelle  eine  oder  zwei  Fasern  mehr 
gelegen  sein  als  an  der  gegenüberliegenden,  so  war  doch 
im  Uebrigen  die  Vertheilung  eine  ganz  gleichmässige.  Da 
die  Beobachtung  des  Ganglion,  besonders  aber  der  von  ihm 
abtretenden  Nerven  durch  die  Fasern  des  Rückziehers  un- 
gemein erschwert  wird,  so  habe  ich  dasselbe  isolirt  und 
der  genaueren  Untersuchung  hierdurch  besser  als  selbst 
durch  Längsschnitte  zugänglich  gemacht. 

Zum  Bau  desselben  treten  länglich  runde,  ungefähr 
0,03  mm  grosse  Zellen  zusammen  und  ordnen  sich  derart, 
dass  eine  Aussenlage  und  eine  von  dieser  umschlossene 
Innenschicht  zur  Bildung  kommt.  Durch  den  gegenseitigen 
Druck  platten  sich  die  Zellen  an  den  Bertihrungsstellen 
etwas  ab  und  besitzen  aut  Schnitten  die  Form  eines  Fünf- 
oder Sechseckes.  In  der  peripherischen  Lage  sind  sie  so 
gruppirt,  dass  meist  der  verschmälerte  untere  Theil  einer 
oberen  Zelle  von  dem  verbreiterten  der  nächst  nach  Unten 
folgenden  bedeckt  wird,  oder  sich  zwischen  zwei  untere 
Zellen  einschiebt.  Hierdurch  erscheint  auf  Querschnitten 
zwischen  zwei  grosse  Zellen  häufig  ein  kleines  Zellen- 
stückehen  eingefügt.  Dass  eine  Umhüllung  dem  Ganglion 
nicht  zukommt,  ergibt  ebenfalls  der  Querschnitt  und  weiter 
zeigt  er,  dass  die  innere  Schicht  im  Verhältniss  zur  äus- 
seren wenig  Zellen  enthält.  Durch  Auslaufen  in  Nerven- 
fäden geben  sich  unsere  Zellen  als  echte  Ganglienzellen  zu 
erkennen  '^).  Solcher  Fäden  vereinigen  ^ch  stets  mehrere 
zur  Bildung  eines  Nerven,  deren  6  kräftige  stets  leicht  ge- 


1)  a.  a.  0.  pag.  765. 

2)  Eine  Verschiedenheit  der  Ganglienzellen  von  E.  proteus  und 
E.  angustatus  in  Beziehung  der  Kerne,  wie  sie  v.  Liustow  aus  der 
Abbildung  des  Gehirns  von  E.  proteus  bei  Pagenstecher  vermuthet, 
ist  nicht  vorhanden. 


26  Carl  Baltzor: 

l'unden  werden  ').  Es  sind  dies:  Ein  vorderer  und  hinterer 
Mediaiinerv  und  zwei  vordere  und  liintcre  Seitcnnerven. 
Der  vordere  ]\redijinnerv  setzt  sich  aus  4  Fasern  zusammen, 
deren  zwei  aus  zwei  ziendich  weit  nach  Unten  gelegenen 
Zellen  stammen  (Fig.  0  h.)  Fünf  bilden  die  benachbarten 
Seitenncrvcn,  sind  an  der  l^asis  derselben  in  zwei  Portionen 
gesondert  und  vereinigen  sich  erst  über  dem  Ganglion. 
Gelingt  es  durch  Zerzupfen  die  Fasern  dieses  Nerven  zu 
isoliren,  wie  dieses  Fig.  6  c  zeigt;  so  erkennt  man,  dass 
alle  aus  Zellen  des  nächsten  Bezirkes  entspringen.  Be- 
sonders deutlich  sind  die  beiden  Zellen  Fig.  (>  f.  Sie  liegen 
einander  genähert  und  sind  bipolar.  Der  eine  Fortsatz  läuft 
aufwärts,  der  andere,  mit  dem  gegenüberliegenden  conver- 
girend,  nach  Unten.  Eine  ähnliche  bij)olarc  Zelle  findet 
sich  weiter  unten ;  sie  ist  (luergelagert  und  gibt  rechts  und 
links  eine  Faser  ab.  Die  hinteren  Seitennerven  sind,  wie 
Querschnitte  durch  das  Ketinaculum  leicht  zu  erkennen 
geben,  aus  (>— 7  Fasern  gebildet.  Sie  treten  in  den  ge- 
nannten Muskel  ein,  der  eine  eingerollte  Platte  darstellt, 
deren  Kändcr  durch  das  die  Berührungsstelle  ü))erbrückende 
Bindegewebe  in  ihrer  I^age  fixirt  werden.  Der  vordere 
Mediannerv  durchzieht  den  Rüssel  bis  zur  Spitze,  wo  bei 
E.  Proteus  die  beiden  der  Innenseite  aufgesetzten  Zellen 
sich  befinden.  Sie  haben  die  GriJsse  der  Ganglienzellen 
und  treten  sowohl  auf  dem  Längsschnitt  (Fig.  3  1),  als 
auch  auf  dem  Querschnitt  (Fig.  0  f)  deutlich  hervor.  Leicht 
lassen  sie  sich  sichtbar  machen,  indem  man  einen  einge- 
stülpten Rüssel  aus  der  Scheide  präparirt.  Hier  sind  sie 
natürlich  der  Aussenfläche  der  Spitze  angefügt.  Wahr- 
scheinlich stehen  diese  Zelleu  mit  einem  hier  vorhandenen 
Tastvermögen  in  Beziehung. 

4.    Bau  der  weiblichen  Geschlechtswege. 

Wie  schon  in  der  Einleitung  erwähnt,  war  es  C.  H.  A. 
Burow,  welcher  die  ältere  Ansicht,  es  würden  die  Eier  der 


1)  Leider  kann  ich  nicht  mit  ßestimratheit  sagen,  oh  neben 
den  genannten  stärkeren  auch  feinere  Ncrvenstämmchen  das  Ganglion 
verlassen,  da  bei  der  Isolation  diese  abreissen  und  übersehen  werden, 


Zur  Kcniituiss  der  Ecbinorhyncheu.  27 

Echinorliy lieben  am  Vorderlcibc  nach  Aussen  bcfcirdert,  end- 
gültig beseitigte  und  zuerst  darauf  aufmerksam  machte, 
dass  dieselben  durch  eine  in  die  Leibeshöhlc  sich  (iffnende 
Gh^ckc  in  den  Eileiter  aufgenommen,  am  ITinterleibsende 
geboren  würden.  Indessen  erkannte  er,  durch  die  Leibes- 
decke beobachtend,  nur  ihren  äusseren  Umriss,  der  feinere 
Bau  hingegen  blieb  ihm  verschlossen.  Später  gab  v,  Sie- 
bold eine  genauere  Beschreibung  dieses  Organes  und  schil- 
derte auch  auf  eine  treffliche  Weise  den  höchst  eigenthüm- 
lichen  Mechanismus  desselben,  durch  welchen  die  reifen 
Eier  in  den  Uterus  gelangten,  die  unreifen  dagegen  durch 
eine  an  der  Basis  der  Glocke  gelegene  Oeflfuung  der  Leibes- 
höhle zurückgegeben  würden.  Zugleich  bemerkte  derselbe, 
dass  der  Ursprung  der  Eier  in  dem  Ligament  zu  suchen 
sei,  dessen  Innenfläche'  er  die  Fähigkeit  der  Eibildung  zu- 
schrieb. Die  folgenden  Arbeiten  über  die  Uterusglocke  von 
DujardinO^  Die  sing  2)  und  Wagener^)  schlössen  sich 
ganz  der  Darstellung  v.  Siebold's  an,  nur  ist  zu  bemerken, 
dass  Du j ardin  das  Ligament  nicht  als  Ort  der  Eibildung 
annahm,  sondern  diese  Fähigkeit  der  ganzen  inneren  Leibes- 
wand zuerkannte.  Wahrscheinlich  wurde  diese  Ansicht, 
neben  dem  vermeintlichen  Finden  einer  Art  (Ecli.  agilis), 
der  das  Ligament  fehle,  besonders  dadurch  hervorgerufen, 
dass  fast  immer  der  zwischen  Quer-  und  Längsmuskeln 
bleibende  Raum  bei  weiblichen  Kratzern  von  Eiern  erfüllt 
ist,  wie  dies  auch  schon  Westrumb^)  mit  Verwunderung 
beobachtete.  Wag  euer  und  Pagenstecher  schlössen  sich 
der  Siebold'schen  Ansicht  an.  Eine  Entscheidung  dieser 
Frage  gab  dann  da^  Auffinden  der  wirklichen  Ovarien  durch 
Greeff^).  Widerspruch  fanden  die  v.  Siebold  in  Bezug 
auf  die  Uterusglocke  gemachten  Angaben  in  der  1863  er- 
ganz jange  Exemplare,  bei  welchen  die  Scheide  noch  durchsichtig 
ist,  aber  von  E.  angustatus  mir  nicht  zu  Gebote  standen. 

1)  Hist.  nat.  d.  Ilelrainth.  1845  pag.  494. 

2)  Zwölf  Arten  von  Acanthoc.  XL  Bd.  d.  Denkschr.  d.  math.- 
nat.  Classe  d.  kais.  Ak.  d.  Wissensch. 

3)  a.  a.  0. 

4)  a.  a.  0.  pag.  57. 

5)  Ueber  d.  Uterasglocke  u.  d.  Ovarium  d.  Ech.     Archiv    für 
Naturgesch.  XXX.  Bd.  1864  pag.  369. 


28  Carl  IJaltzcr: 

schicnciicn  Abhandlung  Pagenstecher's  über  den  Ech. 
protens.  Er  stellte  die  Existenz  einer  besonderen  Glocke 
in  Abrede  und  erblickte  in  diesem  Ap])arate  nichts,  als  eine 
stärker  niuskuliJse  Entwicklung  des  Ligamentralstranges, 
der  als  Eileiter  fungire.  Diese  Ansicht  wurde  durch  die 
im  t'olgeuden  Jahr  erschienene  eben  genannte  Arbeit  Greei'f's 
widerlegt.  1872  neigt  jedoch  v.  Linstow  der  Pagen- 
stecher'sehen  Meinung  zu,  indem  er  das  Ligament  (in 
seiner  mir  nicht  verständlichen  Ab])ildung  der  Uterusglockc 
des  Ech.  angustatus)  bis  tief  in  den  Uterus  sich  fortsetzen 
lässt  und  auch  einer  unteren  Glockenr>lTnung  niclit  Erwäh- 
nung thut.  Eine  genauere  Besclireibung  der  Glocke  dieser 
Art  gibt  Leuckart^),  mit  welcher  aber,  was  besonders 
für  den  unteren  Theil  des  A])parates  gilt,  meine  l^eobach- 
tungen  iiiclit  übereinstimmen.  Ganz  neuen  Datums  ist  eine 
eingehende  Schilderung  der  Uterusglocke  des  E.  gi(jas  von 
A.  Andres  ^). 

An  das  untere  Ende  der  Kiisselscheide  befestigt  sich 
das  Ligament,  ein  von  zaliireiclien  Fasern  gebildetes  Muskel- 
nctz,  dem  im  oberen  und  unteren  Abschnitt  einige  Kerne 
eingelagert  sind.  Es  zieht  sich  in  zwei  diiime  Stränge  aus, 
deren  einer  in  die  Glocke  tritt,  während  der  andere  sich 
an  zwei  hinter  derselben  gelegenen  Zellen  befestigt.  So 
bei  Ech.  protcuSj  dagegen  verlängert  sich  bei  E.  angustatus 
das  Ligament  nur  in  einen,  dafür  aber  auch  sehr  langen 
Strang,  welcher  in  die  Uterusglocke  aufgenommen  wird. 

Zeigen  auch  E.  proteus  und  angustat^is  in  der  Bildung 
der  einzelnen  den  Ausführungsapparat  aufbauenden  Elemente 
mancherlei  Verschiedenheiten,  so  lässt  sich  doch  in  der  An- 
ordnung derselben  in  allen  Theilen  ein,  den  nämlichen 
Mechanismus  bedingendes  Princip  erkennen.  Hier  wie  dort 
zerfällt  der  Leitungsapparat  in  drei  Abschnitte,  einen  oberen 
zum  Ergreifen  der  in  der  Leibeshöhle  flottirenden  Eior  be- 
stimmten, die  Glocke,  einen  mittleren,  den  Uterus,  und 
einen  unteren,  den  Auswurf  besorgenden,  die  Vagina. 


1)  a.  a.  0.  pag.  791  ff. 

2)  Ueber    d.  weibl.  Geschlechtsapparrat  d.  Ech.    gigas.  Mor- 
phol.  Jahrb.  4.  Bd.  4.  Heft.  pag.  584. 


Zur  Kenntniss  der  Echinorhynchen.  29 

Beginnen  wir  mit  der  I^eschreibung  der  Uterusglocke 
von  F.  protctis.  Sie  stellt  eine  beclierf()rmige  ungefähr 
0,29  mm  lange  und  je  nach  der  Contraction  0,14 — 0,18  mm 
breite,  muskulöse  Röhre  vor.  Mit  dem  ol)eren  etwas  erwei- 
terten p]ndc  ött'uet  sie  sich  in  die  Leibeshöhle,  die  untere 
Oeffnung  schaut  in  den  complicirten  von  Leuckart  „Glo- 
ckenmund" bezeichneten  Theil,  welcher  dem  Uterus  direct 
aulsitzt.  Jenem  fügt  sich  auch  vorn  und  seitlich  das  untere 
Ende  ihrer  Wandung  an,  während  an  der  Basis  der  Hinter- 
seite durch  einen  Ausschnitt  eine  ebenfalls  in  die  Leibes- 
höhle blickende  Oeffnung  entsteht  (Fig.  10  u.  12  n).  Die 
Substanz  der  Glocke  bildet  eine  circa  0,01  mm  dicke  Muskel- 
schicht, welche  auf  der  Flächenansicht  durch  die  Einstrah- 
lungen der  starken  sie  umhüllenden  Bindegewebslage  eine 
verworren  faserige,  bei  oberflächlicher  Einstellung  auch 
eine  parallel  ringsverlaufende  Zeichnung  erhält.  Eine  von 
Leydig^)  der  Glocke  zugeschriebene  quergestreifte  Musku- 
latur wird  mit  Recht  von  Leuckart  2)  in  Abrede  gestellt, 
und  wie  ich  schon  hier  bemerken  will,  ist  auch  die  von 
Greeff^)  an  dem  Uterus  beobachete  Querstreifung  durch 
Bindegewebseinstrahlung  hervorgerufen.  In  das  Innere  der 
Glocke  springen,  wie  Quer- und  Längsschnitte  deutlich  zeigen, 
zahlreiche  Papillen  der  Muskellage  vor,  die  an  Grösse  im 
Allgemeinen  sehr  wechselnd,  besonders  an  der  oberen  Oeff- 
nung, wo  auch  die  Muskelsubstanz  etwas  mächtiger  ist, 
stärker  hervortreten.  Hierdurch  kommt  an  der  genannten 
Stelle  eine  Art  Lippe  zu  Stande,  die  sich  schon  äusserlich 
als  ein  wulstiger  Ring  absetzt  (Fig.  9.  s).  Vor  Allen  aber 
zeichnen  sich  zwei  Papillen,  an  der  Basis  der  Vorderfläche 
gelegen,  durch  ihre  Grösse  aus.  Sie  stossen  aneinander 
und  ragen  so  sehr  in  den  Hohlraum  der  Glocke,  dass  die- 
ser hier  stark  verengt  erscheint.  Auf  dem  Längsschnit 
besitzen  sie  eine  länglich  ovale  Form,  von  der  Fläche  ge 
sehen  gleichen  sie  dagegen  zwei,  mit  den  ebenen  Seiten 
aneinander  gelegten  Halbkugeln.     Im  Innern  jeder  dieser 

1)  Lehrbuch  d.  Histiologie  1857.  pag.  135. 

2)  a.  a.  0.  pag.  791. 

3)  a.  a.  0.  pag.  373. 


30  Carl  Ilaltzer: 

Blasen  befindet  sicli  ein  Kern  iukI  zwar  ganz  auf  dieselbe 
Weise  mit  deren  Wandung  verbunden,  wie  wir  es  oben  bei 
den  im  unteren  Tlieil  der  Iiüsselscbeide  gelegenen  Kernen 
gefunden  haben.  Durch  die  nach  der  Wand  verlaufenden 
Fasern  hat  es  oft  den  Anschein,  als  wenn  der  Kern  selbst 
sternf()rniig  ausstrahlte  (Fig.  13  B.  g.). 

Oben  wurde  bemerkt,  dasR  das  vordere  und  seitliche 
Knde  der  Glocke  sieh  an  dem  unter  ihr  gelegenen  Glocken- 
mund festsetze.  So  scheint  dies  beim  ersten  Anblick  aller- 
dings sich  zu  verhalten,  genauere  Untersuchung  der  Seiten- 
ansicht, besonders  aber  Querschnitte  ergeben,  dass  die  Ver- 
bindung keine  directe,  sondern  durch  einen  zwischenge- 
Hcli()l)enen  Muskelring  vermittelt  wird  (Fig.  130.  D.E.i  ).  Legt 
man  einen  Schnitt  durch  die  («locke  unterhalb  der  genannten 
Kerne  (Fig.  13  C),  so  erscheint  dieselbe  an  Stärke  der 
Wandung  bedeutend  reducirt  und  von  einem  kräftigen 
Muskel  umschlossen  (i).  Vorn  erblickt  man  die  unteren 
Theile  der  genannten  lUasenräume,  welche  hier,  wie  auch 
S(nist,  von  Fasern  dureiizogen  sind  (c).  Etwas  abwärts  fällt 
durch  den  an  der  Basis  der  Glocke  befindlichen  Ausschnitt 
der  hintere  Thcil  der  Wand  weg,  und  es  bleibt  nur  noch 
der  vordere  übrig  (Fig.  13  D.  c).  Noch  weiter  unten  fehlt 
auch  dieser  (Fig.  13  E.). 

Hinter  der  Glocke  finden  sich,  wie  die  Ansicht  von 
der  Seite  (Fig.  9  I),  besser  die  von  hinten  (Fig.  12  1) 
erkennen  lässt,  zwei  längliche,  ungefähr  0,4  mm  lange  Zellen, 
welche  mit  ihrem  unteren  P^nde  einer  nach  oben  gerichteten 
Verlängerung  des  Eileiters  aufsitzen  und  oben  mit  dem 
zweiten  Strang  des  Ligamentes  in  Verbindung  treten.  Der 
Querschnitt  zeigt  sie  von  Bindegewebe  überzogen  und  einer 
Muskelröhre  nicht  unähnlich,  ihren  Hohlraum  durchsetzen 
Fibrillen  (Fig.  13  B.  h,  r,  s).  Am  oberen  Ende  besitzt 
jede  einen  grossen  einem  blasenartigen,  kreisrunden  Raum 
eingebetteten  Kern,  der  wie  alle  noch  zu  erwähnenden, 
gleich  denen  der  Glocke  an  der  Wand  befestigt  ist. 

Leuckart's  ^)  Beschreibung  des  weiter  abwärts  fol- 
genden Glockenmundes  stimmt,   wie  schon  oben   erwähnt, 

i.  a.  a.  0.  pag.  793. 


Zur  Kenntniss  der  Echiuorhyncheri.  31 

mit  meinen  Beobachtungen  nicht  übercin.  Nach  seiner  An- 
gabe gehen  in  die  Biklung  dieses  Abschnittes  10  Zellen 
ein,  G  äussere  und  4  innere,  von  welchen  letztere,  von  den 
ersteren  ganz  umschlossen,  das  Lumen  des  Eikanales  ver- 
engen sollen.  Mehr  als  7  Zellen  konnte  ich  jedoch  nie 
hier  entdecken,  deren  Anordnung  auch  nicht  derart  war, 
dass  ein  Theil  nach  Innen  gedrängt,  von  den  übrigen  gänz- 
lich umschlossen  wurde.  Was  ich  sah,  lässt  sich  in  Folgen- 
des kurz  zusammenfassen. 

Den  beiden  hinter  der  Glocke  sich  findenden  Zellen 
(Fig.  13  B  h,  Fig.  12  1)  legen  sich  auf  der  unteren  Innen- 
seite, gerade  der  hinteren  Oeffnung  der  Glocke  gegenüber, 
zwei  0,2  mm  lange  und  0,1  mm  breite,  auf  der  Seitenansicht 
stark  gewölbte  Zellen  an  Fig.  9, 10  m.  Sie  erscheinen  vom 
Rücken  betrachtet  an  der  Basis  verjüngt  und  treten  zu  einer 
herzförmigen  Figur  zusammen  (Fig.  12  m.).  Ihrer  meist  dicht 
körnigfaserigen  Substanz  ist  in  ähnlicher  Wei«e  wie  bei 
den  vorhergenannten  Zellen  je  ein  Kern  eingelagert  (Fig. 
13  C.  g.  k).  Der  oben  beschriebene  Muskelring  verbindet 
sich  ihnen  derart,  dass  eine,  allerdings  sehr  kurze  Längs- 
röhre gebildet  wird,  deren  hintere  Wand  diese  beiden  Zellen, 
und  deren  seitlichen  die  Seitentheile  des  Muskelringes  vor- 
stellen. In  die  so  beschaffene,  oben  offene  Röhre  führt  die 
hintere,  querverlaufende  Oeffnung  der  Glocke  ein.  Nach- 
dem der  Ringmuskel  letztere  umgürtet,  verläuft  er,  sich 
verbreiternd,  nach  Vorn  und  Unten  und  bildet  die  äussere 
Begrenzung  der  Vorderseite  bis  in  die  Nähe  der  sich  erhe- 
benden Uterus  wand  (Fig.  9.  10.  11  f).  Etwas  unterhalb 
der  beiden  grossen  Papillen  der  Glocke  besitzt  er  rechts 
und  links  einen  kräftigen  Kern  (Fig.  9  fj. 

Den  beiden  hinter  der  Glockenöffnung  gelegenen  Zellen 
(Fig.  9.  10.  11.  12  m)  verbindet  sich  auf  jeder  Seite  eine 
grosse,  im  oberen  Theil  nach  Aussen  stark  vorgewölbte, 
im  unteren  verschmälerte  und  lang  ausgezogene  Muskelzelle 
(Fig.  9.  10.  12  q),  welche  ich  in  Zukunft  „Seitenzellen" 
nennen  werde.  Sie  besitzen  in  der  Nähe  der  Ansatzstelle 
einen  deutlichen  Kern  und  fügen  sich  vorn  einem  maschen- 
reichen, von  Muskelfibrillen  gebildeten  Gewebe  an,  dem, 
ungefähr  in  gleicher  Höhe  mit  dejn  ebengenannten,   zwei 


32  Carl  Baltzer: 

Kerne  eingebettet  sind  (Fig.  10).  Auf  der  Vorderseite  scbliesst 
dieses  Masebenwerk  eine  langgestreckte  mit  den  Rändern  ein- 
gescblagene  Zelle  ab,  welcbe  oben  von  dem  Kingmuskel  und 
den  beiden  blasentormigen  llervorragungen  der  Glocken- 
wand auf  der  äusseren  Fläcbe,  auf  der  inneren  von  den 
beiden  im  Ligamentalstrang  gelegenen  keulenförmigen  Zellen 
bedeckt  wird  (Fig.  10  q).  Letztere  sind  nicbt  viel  kürzer  als 
die  Glocke  selbst,  entbebren  im  unteren  Tbeil  des  Muskel- 
überzuges und  befestigen  sieb  ausser  an  genannter  lang- 
gestreckter Zelle  aucb  an  dem  Maseben  werk  Fig.  10.  Die 
im  oberen  Abscbnitt  uacb  Aussen  wulstig  bervortretenden 
beiden  Seiten/eUen  (Fig.  9.  10  (j)  scbeinen  auf  der  Fläcben- 
ansicbt  zur  Bildung  eines  Tricbters  sieb  mit  ibreu  einge- 
rollten Rändern  zu  vereinigen,  wie  dies  aucb  Greeff  ab- 
bildete. Der  Quersclinitt  (Fig.  1:»  E)  beleb rt  uns  aber, 
dass  ein  Tricbter  bier  in  Wirklicbkeit  nicbt  vorbanden  ist. 
Die  beiden  Zellen  sind  zwar  nierenfi'>rmig  eingekrümmt, 
die  Ränder  stosscn  aber  nicbt  zusammen.  Sie  bieten  dem 
Ringmuskel  i  eine  weitere  Ansatzstelle,  dessen  Kern  bier 
jederseits  getroffen  ist.  Den  Innenraum  füllt  das  scbon 
mebrerwäbnte  Masebenwerk  o,  dessen  vordere  Begrenzung 
die  Zelle  m  bildet  (Fig.  9  g). 

Fig.  13  F  zeigt  diesel])en  Tlieile  etwas  weiter  unten 
durcbscbnitten.  Der  Ringmuskel  ist  aber  bereits  ge- 
scbwundcn,  und  die  bedeutend  verbreiterte  Zelle  m  berübrt 
den  Vorderrand  des  Wulstes  p.  Dem  Masebenwerk  geboren 
die  beiden  Kerne  r  an.  Vorn  und  binten  liegen  die  durcb- 
sebuittenen  oberen  Enden  des  Uterus  (t).  Geben  wir  noch 
weiter  abwärts,  bis  dabin,  wo  die  beiden  kuglig  nacb 
Aussen  vorspringenden  Seitenzellen  in  die  langen  Säulen 
(Fig.  9  r)  plötzlich  sich  verjüngen,  so  zeigt  uns  hier  der 
Querschnitt  gänzlich  umgestaltete  Verhältnisse.  Alle  Tbeile 
sind  von  dem  oberen  Ende  des  Uterus  umschlossen,  das 
Maschenwerk  umfliesst  die  Säulen  x,  die,  in  das  Innere 
gedrängt,  als  zwei  mit  den  Oeifnungen  gegeneinander  ge- 
richtete Halbmonde  erscheinen.  Nicht  selten  sind  sie  auf 
dem  Querschnitt  geradezu  als  Röhren  zu  erblicken;  doch 
stellt  diese  Form  nur  einen  besonderen  Contractionszustand 
vor.     Die  vordere  Begrenzung  bildet  die  Zelle  m,  welcbe 


Zur  Kenntniss  der  Echinorhynchen.  33 

meist  von  einer  körnigen  Masse  umgeben  ist.  Sie  scheint 
aus  der  Zelle  selbst  zu  kommen,  deren  Innenraum,  besonders 
am  Rande,  eine  ebenso  beschaffene  Masse  enthält. 

Neben  den  Querschnitten  ist  besonders  die  Ansicht 
von  hinten  für  die  Untersuchung  geeignet.  Unterhalb  des 
sich  scharf  absetzenden  Muskelringes  (Fig.  12  w)  liegen, 
sich  an  das  herzförmige  Zellenpaar  (m)  ansetzend,  die 
Seitenzellen  q.  Ihre  Form  prägt  sich  hier  viel  deutlicher 
aus  als  auf  der  Seitenansicht.  Man  kann  sie  einem  im 
Obertheil  stark  verdickten  eingerollten  Blatte  vergleichen. 
Während  der  obere  Theil  nach  Aussen  frei  hervorragt,  ist 
der  verschmälerte  untere  von  dem  Maschenwerk  umschlossen, 
(r,  k),  welches  auch  auf  der  Rückenseite  nach  Oben  ver- 
jüngend sich  emporhebt  und  von  dem  gleichfalls  zungen- 
artig emporsteigenden  oberen  Uterusende  (v)  bedeckt  wird. 

In  die  Bildung  des  gesammten  dem  Uterus  aufsitzenden 
Apparates  gehen,  um  noch  einmal  einen  kurzen  Ueberblick 
zu  geben,  15  Zellen  ein,  die  sich  folgendermassen  vertheilen: 
Aus  zwei  entsteht  die  Glocke,  zwei  bilden  den  Muskelring, 
hinter  der  Glocke  liegen  zwei  lange  Zellen,  an  deren  Basis 
sich  die  beiden  der  hinteren  Glockenöffnung  gegenüberge- 
stellten anschliessen,  sie  stützen  die  beiden  Seitenzellen, 
aus  zwei  Zellen  geht  das  Maschenwerk  hervor,  zwei  birgt 
der  Ligamentalstrang  und  eine  unpaare  Zelle  ist  auf  der 
Vorderseite  dem  Mas  eben  werk  angefügt.  Die  drei  letzten 
scheinen  drüsiger  Natur  zu  sein. 

In  den  Uterus  gelangen  die  Eier  auf  folgende  Weise. 
Zuerst  öffnet  die  Glocke,  sich  nach  Oben  vorreckend,  ihren 
Mund,  fasst  die  ihm  zunächst  liegenden  Eier  und  drängt 
dieselben  durch  Zusammenschnüren  der  Lippen  in  den  bei 
diesem  Akte  sich  erweiternden  unteren  Hohlraum,  aus 
welchem  sie  durch  den  alsdann  in  Wirkung  tretenden  Ring- 
muskel entfernt  werden.  Ein  Theil  tritt  sofort  durch  die 
hintere  Oeffnung  der  Glocke  nach  der  Leibeshöhle  zurück, 
ein  anderer  wird  gegen  das  zwischen  den  beiden  Seiten- 
zellen gelegene  Maschenwerk  gepresst.  Die  verhältniss- 
mässig  engen  Lückenräume  desselben  vermögen  aber  nur 
die  langen,  spindelförmigen,  d.  h.  die  reifen  Eier  zu  pas- 
siren,  die  übrigen  werden  bei  der  dann  erfolgenden  Con- 

Archiv  für  Naturg.  XXXXVI.  Jahrg.  1.  Bd.  3 


34  Carl  Baltzer: 

traction  der  Seitenzellcn  und  des  Masehenwerkes  wieder 
nach  oben  gedrückt,  während  die  ersteren,  abwärts  fort- 
rückend durch  die,  in  ihrer  Wirkung  von  der  unischlies- 
senden  Uterusmuskuhitur  unterstützten,  unteren  Enden  der 
genannten  Zellen  in  den  Uterus  befördert  werden. 

Dieser  ist  eine  ungefähr  2  mm  lange  ausserordentlich 
erweiterungsfähige  Rühre,  deren  Innenlläehe  längsverlau- 
fende Papillen  aufsitzen,  zu  welchen  von  dem  äusseren 
Bindegewebe,  wie  der  Querschnitt  deutlich  zeigt,  Kadiär- 
fasern  durchdringen.  Auf  der  Ilinterseite  sind  ihm  im 
oberen  Abschnitt  zwei  grosse  Kerne    eingefügt  (Fig.  12  p). 

Einen  complicirteren  Bau  besitzt  wieder  der  Aus- 
führungkanal des  Uterus,  die  Scheide.  Leu cka rt  ^)  ver- 
danken wir  eine  voi*trcfliiche  Beschreibung  dieses  Organes 
für  Ech.  anf/usfafus,  von  dem  sich  Jedoch  auch  in  dieser 
Beziehung  Txh.  jrrotens  etwas  unterscheidet.  Gegen  0,2  mm 
lang,  setzt  sich  die  Vagina  aus  einem  äusseren  und  inneren 
Muskelring  und  einer  dunkel|)igmentirten,  das  Lumen  der 
Ausmündungsridire  begrenzenden  Masse  zusammen  (Fig.  20 
A.  b.  d.  g).  Der  äussere  einem  Kegelstumpf  im  Umriss 
ähnliche  Compressor  umgreilt  das  untere  Ende  des  Uterus 
und  befestigt  sich  auf  der  entgegengesetzten  Seite  mit  kräf- 
tigen I^indegewc))sbändern  an  der  Haut.  Seine  Oberfläche 
wön)t  sich  in  zahlreichen  Längsfalten  vor,  denen  unten  die 
genannten  l^änder  ansitzen.  Wie  der  Längsschnitt  (Fig. 
20  B)  ergibt,  besitzt  er  unter  dem  Bindegewebe  eine  dünne 
Lage  Muskelsubstanz,  von  welcher  nach  der  gegenüberlie- 
genden Wand  zahlreiche  Fibrillen  ausstrahlen  (r).  Oben 
und  unten  sind  ihm  je  2  Kerne  eingebettet.  Von  dem  äus- 
seren Constrictor  wird  der  innere  umschlossen,  der  aus  drei 
T heilen,  einem  oberen  grösseren  und  zwei  unteren  kleineren 
Ringen  besteht.  Im  oberen  strahlen  ebenfalls  von  einer 
dichteren  nach  Innen  zackig  vorspringenden  Randzone  (Fig. 
20  B.  h)  zahlreiche  Fasern  aus,  die  von  oben  rechts  schräg 
nach  unten  links  und  in  umgekehrter  Richtung  verlaufen. 
Hierdurch  lässt  auch  die  Flächenansicht  eine  sich  kreuzende 
Streifung  erblicken.     Der   mittlere  Abschnitt   enthält  zwei 


1)  a.  a.  0.  pag.  799. 


Zur  Kenntniss  dor  Echinorhynchen.  35 

Kerne  und  ist  wie  auch  der  unterste,  fast  ganz  freilie- 
gende, dem  obersten  ähnlich  gebildet. 

Der  innere  Constrictor  umgürtet  den  mittleren  cylin- 
derformigen  Abschnitt  eines  dunkelpigmentirten  Körpers, 
dessen  oberer  und  unterer  Theil  mehr  kugelartig  hervor- 
ragend je  4  Kerne  enthält  (Fig.  20  A.  g).  Ersterer  be- 
grenzt einen  trichtertormigen  Raum,  welcher  in  die  Uterus- 
röhre hinaufschaut;  der  untere  umschliesst,  wie  auch  der 
mittlere  Theil,  eine  kreisrunde  Röhre.  Des  dunklen  In- 
haltes wegen  hat  man  diesen  Körper  meist  für  eine  Drüse 
gehalten,  da  er  aber,  wie  der  Längsschnitt  lehrt  (Fig.  20 
B.  1),  von  langen  direct  von  Oben  nach  Unten  durchstrah- 
lenden Fibrillen  durchsetzt  wird,  io  möchte  ich  ihm  lieber 
einen  muskulösen  Charakter  zuschreiben.  Contrahiren  sich 
die  Fasern,  so  wird  die  ganze  Masse  verkürzt,  den  Con- 
strictoren  entgegenwirkend  erweitert  sich  der  Eikanal,  in 
ihn  treten,  durch  die  Contraction  des  Uterus  vorgeschnellt, 
die  Eier  und  werden  von  hier  in  Folge  der  Zusammen- 
schnürung der  Constrictoren  nach  Aussen  befördert. 

b.  E.  anyustatus.  Wie  schon  oben  erwähnt  zeigt  sich 
Ech.  angiistatus  im  Bau  der  weiblichen  Geschlechtswege 
von  Ech.  Proteus  nicht  sehr  verschieden.  Alle  zur  Bildung 
der  Uterusglocke  des  letzteren  zusammentretenden  Zellen 
finden  wir  hier  wieder,  nur  die  beiden  langen,  hinter  der 
Glocke  gelegenen  fehlen,  wie  ja  auch  das  Ligament  bei 
angustatus  sich  nicht  in  zwei,  sondern  einen  langen  Strang 
auszieht,  das  Bedürfniss  einer  zweiten  Ansatzstelle  somit 
wegfällt.  Die  Form  der  Glocke  differirt,  sie  stellt  ein 
mehr  längliches,  unten  verbreitertes,  krugförmiges  Gebilde 
vor.  Im  Allgemeinen  ist  der  ganze  Apparat  weniger  als 
bei  E.  Proteus  in  die  Breite  ^),  dagegen  mehr  in  der  Längs- 
richtung entwickelt.    Der  Glocke  sitzen  über  der  hinteren 

1]  Der  Bemerkung  Leuckart's,  es  sei  die  Uternsglocke  des 
E.  angus.  zur  Untersuchung  und  für  das  Verständniss  der  Verhält- 
nisse besser  geeignet  als  der  von  Greeff  untersuchte  E.  proteus, 
möchte  ich  mich  nicht  anschliessen.  Der  kräftigere,  in  die  Breite 
mehr  ausgezogene  untere  Abschnitt  Aer  Glocke  des  E.  proteus  gewährt 
viel  eher  einen  Einblick  in  seinen  Bau,  als  der  entsprechende 
schmächtige  Theil  bei  Ech.  angibst. 


36  Carl  Raltzer: 

Oeffnung  zwei  blasenartige  Taschen  auf,  welche  E.  protens 
fehlen  (Fig.  15  s).  Sie  wird  an  der  Basis  von  einem  Mns- 
kelring  ebenfalls  umgürtet  (Fig.  14  f).  Die  beiden  hinter 
der  erwähnten  Oeffnung  gelegenen  Zellen  sind  derselben 
hier  mehr  genähert  und  verbinden  sich  oben  mit  den  bei- 
den kleineren  Zellen  des  Ligamentalstranges,  was  bei  E. 
protens  nicht  der  Fall  ist  (Fig.  16  B,  d  e.).  Die  zwei  im 
oberen  Theil  ebenfalls  angeschwollenen  Seitenzellen  ragen 
auch  hier  frei  nach  Aussen  vor,  während  sie  im  unteren 
von  einer  dem  Maschenwerk  bei  E.  x>roteus  entsprechenden 
Lage  umschlossen  sind.  Diese  besitzt  ebenfalls  zwei  Kerne 
und  wird  auf  der  Vorderseite  durch  eine  langgestreckte 
Zelle  begrenzt. 

Der  Uterus  ist  dem  des  E.  proteus  im  Allgemeinen 
gleich  gebaut,  nur  von  verhältnissmässig  geringerer  Länge. 
Ebenso  verhält  sich  die  Vagina,  deren  llauptuntcrschied  in 
dem  schwächeren  der  Längsfahen  entbehrenden  äusseren 
und  dem  nur  einen,  aber  kräftigen  Hing  vorstellenden 
inneren  Constrictor  besteht. 

Mit  E.  giyas  lässt  sich  wohl  kaum  der  geschilderte 
Bau  der  Uterusglocke  des  E.  proteus  und  E.  angustatus  in 
Beziehung  bringen.  Leider  standen  mir  weitere  Arten 
nicht  zur  Verfügung,  so  dass  ich  nicht  beurtheilen  kann, 
ob  diese  Gestaltung  der  Uterusglocke  unter  den  Echino- 
rhynchen  eine  weitere  Verbreitung  besitzt.  Die  in  der 
Literatur  sich  findenden  Beschreibungen  und  Abbildungen 
sind  dagegen  zu  ungenau,  um  zu  weiteren  Schlüssen  zu 
berechtigen;  doch  hoffe  ich  auch  in  dieser  Beziehung  Mit- 
theilung machen  zu  können,  sobald  ich  in  den  Besitz  des 
nöthigen  Materials  gelangt  sein  werde. 


Erklärung  der  Abbildungen  auf  Taf.  I  und  IL 

Fig.  1.  Querschnitt  durch  die  äussere  Hautschicht  des  E,  proteus. 
a  Cuticula,  b  Streifencuticula,  c  Circulärfasern,  d  Radiär- 
fasern,  e  die  eingelagerten  Zellen,  f  das  sich  erhebende 
Bindegewebe,  g  die  Gefässräurae,  i  die  Körnchenstreifen. 
50  :  1. 


Zur  Kenntniss  der  Echinorhynchen.  37 

Fig.  2.  Längsschnitt  durcli  das  obere  Ende  des  Hinterleibes,  die 
Basis  des  Halses  und  die  von  ihm  ausgehende  Lcmniske. 
E.  proteiis.  a  die  lougitudinalen  Fasern,  b  die  längsver- 
laufenden Körncheuzüge,  c  die  Subcuticula  des  Halses, 
d  die  cuticulare  Ringfalte,  e  die  durchschnittenen  Ring- 
muskeln des  Halses,  f  die  Zellen  in  der  Lemniske,  g  die 
äussere  Parallelfaserschicht  derselben,  h  das  sie  deckende 
Bindegewebe,  i  die  Längsfasern  in  der  Lemniske,  k  Radiär- 
fasern,  1  der  mittlere  Theil  der  L.,  wo  die  Circulärfasern 
liegen,     35 :  1. 

„  3.  Längsschnitt  durch  den  obersten  Halsabschnitt  und  den 
Rüssel  des  E.  proteus.  a  Subcuticula  des  Halses,  b  dessen 
Längsmuskeln,  c  Rüsselscheide,  d  Subcuticula  des  Rüssels, 
e  Gefässraum  desselben,  f  Haken,  g  die  unter  dem  starken 
Bindegewebe  h  gelegenen  Ringfasern,  k  die  an  der  Wand 
herablaufenden  Fasern  des  Rückziehers  m,  1  die  beiden 
Zellen  an  der  Spitze,  o  das  Ende  der  Rüsselscheide,  p  das 
der  Fasern  des  retractor.     55 :  1. 

„  4.  Querschnitt  durch  den  mittleren  Theil  des  Rüssels  von  E. 
proteus.  a  Cuticula,  b  subcuticulares  Fasersystem,  c  Ein- 
senkung  der  Cuticula  an  den  Haken,  d  der  von  dieser  un- 
bedeckt im  Bindegewebe  sitzende  Wurzeltheil,  f  die  Ge- 
fässräume,  g  die  sie  seitlich  begrenzenden  Radiärfasern, 
h  die  Ringfaserlage,  i  die  an  der  Wand  herablaufenden 
Fasern  des  Rückziehers  1,  k  die  in  den  Innenraum  vor- 
springenden, den  Muskelrändern  aufsitzenden  Papillen. 
120 :  1. 

„  5.  Der  Rüssel  des  E.  proteus  in  der  Nähe  der  Spitze  quer 
durchschnitten,  a  b  c  wie  in  voriger  Figur,  d  der  durch- 
schnittene untere  Wurzelfortsatz  der  nächst  höheren  Haken, 
e  die  an  der  Wand  herablaufenden  Fasern  des  retractor, 
f  die  Zellen  an  der  Spitze  (Fig.  3  1)  quer  durchschnitten. 
120  :L 

„  6.  Das  Ganglion  von  E.  angustatus.  a  vorderer  Mediannerv, 
b  der  linke  obere  Seitennerv,  c  der  rechten  Seite,  die 
Fasern  isolirt,  f  zwei  lange,  bipolare  den  Seitennerven  zu- 
gehörige Zellen,  d  die  hinteren  Seitennerven,  e  hinterer 
Mediannerv,  g  eine  quer  gelagerte  bipolare  Zelle,  h  der 
vordere  Mediannerv  mit  zwei  ihm  zugehörigen  Ganglien- 
zellen (stärker  vergrössert).     150:  1. 

„  7.  Längsschnitt  durch  die  Rüsselscheide  des  E.  proteus.  a  das 
äussere  Bindegewebe,  b  die  Muskellage,  c  die  Papillen,  d 
das  Bindegewebe  des  inneren  Scheidentheiles,  e  die  Muskel- 
lage, wie  die  äussere  von  radiären  Bindegewebsfasern  durch- 
setzt, f  die  Papillen  der  inneren  Scheidenröhre,  g  das  untere, 


38  C  a  r  1  b  a  1 1  z  e  r : 

durch    die   Oeft'uung   des    äusseren    hervorgetretene    innere 
Scheidenende,  h  Kern  im  Blasenraum  der  äusseren,  i  und  k 
in    blasenartigen    Räumen     der    inneren    Scheide    gelegen. 
90:  1. 
Fig.    8  A.  Querschnitt    durch    die   Rüsselscheide    von  E.  proteus  in 
der  Nähe  der  Baais.     a  Bindegewebe  des  äusseren  Scheiden- 
theils, b  dessen  Muskellatjo,  g  seine  Papillen,    c  Retinacu- 
lum,  d  das  Bindegewebe  des  inneren  Theiles,  h  Muskellage, 
i  Papillen,  e  die  äusseren,  k  die  inneren  Kerne,  1  der  Rück- 
zieher. 
„       8  B.  Scheide    weiter    oben    durchschnitten,    a  b  d  wie    vorher, 
c  Papillen  des  äusseren  Theiles  e  Muskellage,  f  Papillen  des 
inneren  Theiles,  g  Rückzieher,  h  Raum  an  der  Bcrührungs- 
stelle    der    äusseren    Hälften.     14U :  1. 
„        9.   Die  Uterusglocke  des  E.  proteus  von  der  Seite  gesehen,     ä 
der  eine   Ligamentalstrang,    b  der  andere,  c  die  Glocke,  d 
die  an  ihrer  untern  Vorderseite  gelegenen  2  Kerne,  e  Zellen 
im   Ligamentalstrang,    f  Muskelring,    g  die  langgestreckte, 
eingerollte    Zelle,    welchii    den    Abschluss    der    Vorderseite 
bildet,     h    die    umschliessende    Uteruswand,    i    und    k    das 
Maschenwerk,  1  die  hinter  der  Glocke  gelegenen  länglichen 
Zellen,  m  die  ihnen  sich  anfügenden  der  hinteren  Glocken- 
öffnung opponirten  Zellen,  o  Verbiiidungsfäden  der  Glocice 
mit  dem  Ligament,  p  dem  Uterus  angehörige  Kerne,  q  das 
verbreiterte  obere  Ende  d.  Seitenzellen,  r  das  verschmälerte 
untere,  s  die  Lippe  der  Glocke.     100:  1. 
10.   Die  Uterusglocke  von  E.  proteus  nahe  der  Seitenwand  längs 
durchschnitten.     Signatur   wie   vorher,   nur   t  die  dem  Ma- 
schenwerk eingefügten  Kerne.     100:1. 
„  IIA.  Uterusglocke  des  E.  proteus  von  Vorn.      Bezeichnung   wie 

vorher.  B.  Die  Kerne  d  vergrössert.  100  :  1. 
n  12.  Uterusglocke  von  E.  proteus  von  hinten,  die  oberen  Theile 
durchsichtig  gedacht,  um  die  unter  ihnen  gelegenen  eben- 
falls zu  zeigen.  Buchstaben  wie  vorher,  nur  t  hinteres, 
oberes  Ende  des  Maschenwerkes  k,  o  die  zungenartige  Spitze 
der  hinteren  Uteruswand,  w  der  sich  scharf  absetzende 
Muskelring,  z  die  innere  Rinne  der  Seitenzellen  fq,  r).  100  :  1. 
„  13.  Querschnitt  durch  die  Uterusglocke  von  E.  proteus.  80:1. 
A.  Durch  die  Glocke,  a  Bindegewebe,  b  Muskellage,  c  Pa- 
pillen, d  Ligmentalmuskeln,  die  Zellen  e  umschliessend. 
„  B.  weiter  unten  die  Glocke  durchschnitten,  a,  b,  c  wie  vor- 
her, d  die  Kerne  in  der  Glocke,  e  Muskel  des  Ligamentes, 
f  die  in  ihm  gelegenen  Zellen,  g  die  hinter  der  Glocken- 
öffnung gelegenen  (Fig.  9,  10  m),  die  hinter  diesen  sich 
anschliessenden  Zellen  (Fig.  9,  10  1)  aus  einer  Muskelschicht 


Zur  Kennt uiss  der  Ecbinorhy neben.  39 

r  und  einem  den  Hohlraum  durchsetzenden  Faserwerk  s  ge- 
bildet. 
Fig.  13  C.  etwas  mehr  abwärts;  e  die  im  Ligament  gelegenen  Zellen, 
c  die  unteren  Enden  der  beiden  Blasenräume  der  Glocken- 
vorderseite, f  die  reducirte  Wand  der  Glocke,  g  und  h  wie 
vorher,  in  g  die  Kerne  k. 

D.  noch  weiter  abwärts,  Buchstaben  wie  vorher,  neu:  m  die 
langgestreckte  Zelle  der  Vorderseite  (Fig.  10g),  n  die  An- 
satzstelle des  Muskelrings  an  die  Zellen  g. 

E.  Schnitt  da,  wo  die  beiden  Seitenzellen  p  beginnen,  s  Kern 
derselben,  i  Muskelring  mit  seinen  Kernen  r,  o  das  Maschen- 
werk, die  übrigen  Buchstaben  wie  vorher. 

F.  Uterusglocke  gerade  über  der  Verjüngungsstelle  der  Seiten- 
zelle p  durchschnitten.  Die  Zelle  m  zeigt  ihren  Kern  (v) 
und  berührt  den  Vorderrand  der  Zellen  p,  dem  Maschen, 
werk  0  sind  vorn  zwei  Kerne  r  eingebettet,  t  ist  der  vordere 
und  hintere  Fortsatz  der  Uteruswand. 

G.  Uterusglocke  des  E.  proteus  da  durchschnitten,  wo  der 
ganze  untere  Theil  derselben  von  der  Uteruswaud  bereits 
umschlossen  wird,  x  das  untere  verschmälerte  Ende  der 
Seitenzellen,  m  und  o  wie  vorher. 

„  14.  Uterusglocke  des  £.  angiistatus  von  der  Seite,  a  Ligamen- 
talstrang, b  die  Glocke,  c  die  dieser  unten  auf  der  Vorder- 
seite eingelagerten  Kerne,  d  Zellen  im  Ligament,  e  die  der 
hinteren  Glockenöffnung  gegenübergestellten  Zellen,  f  der 
Muskelring  mit  seinem  Kern,  g  hintere  Glockenöffnung,  h 
die  der  Vorderseite  angehörige  unpaare  Zelle,  i  das  die 
Seitenzellen  k,  1  umlagernde  Gewebe,  dem  vorn  zwei  Kerne 
eingefügt  sind,  m  die  Uteruswand,  n  ihre  Kerne. 

„  15.  Uterusglocke  des  E.  angiistatus  vom  Rücken  gesehen.  Be- 
zeichnung wie  in  Fig.   14.    150  :  1. 

„  16.  Querschnitte  durch  die  Uterusglocke  von  E.  angiistatus 
150  :  1. 

A.  Schnitt  durch  die  Glocke,  a  Bindegewebe,  b  Muskellage, 
c  Papillen,  d  Zellen  im  Ligamentalstrang  mit  ihren  Kernen  e. 

B.  Glocke  unterhalb  ihrer  hinteren  Oeffnung  durchschnitten, 
a  der  Muskelring,  b  das  untere  Ende  der  Glockenwand,  c 
die  Seitenzellen,  e  die  Zellen  im  Ligament,  sich  an  die 
hinter  der  Glockenöffnung  gelegenen  Zellen  d  festsetzend. 

G.  Schnitt  dicht  über  der  Verjüngungsstelle  der  Seitenzellen 
h,  f  die  sie  umschliessende  Lage,  g  ist  der  obere  durch- 
shnittene  Theil  der  vorderen  unpaaren  Zelle. 

D.  Der  Apparat  weiter  unten  durchschnitten,  h  die  verjüngten 
Fortsätze  der  Seitcnzellen,  f  die  sie  umgebende  Lage,  g  die 
vordere  unpaare  Zelle. 


40  CarlBaltzer:   Zur  Keuutuiss  der  Echinorhynchen. 

Fig.  17.  Querscbnitt  durch  1j.  angvstatus.  a  Cuticula,  b  äussere, 
c  innere  Schicht  'der  Subcuticula,  d  die  derselben  einge- 
streuten Zellen,  e  Ring,  f  Läugsmuskeln,  g  Lenmisken,  h 
Rüsselscheide.     75 :  1. 

„  18.  Querschnitt  durch  den  Hals  des  E.  proteus.  a  Cuticula,  b 
Streifencuticula,  c  äussere,  d  innere  Schicht  der  Subcuti- 
cula, c  Gefässräume,  g  Ring,  f  Längsmuskeln,  h  Rüssel- 
scheide. 

„  19.  Querschnitt  durch  die  Lemuiske  von  E.  proteus.  a  Cuti- 
culares  Bindegewebe,  b  äussere  Parallolfaserschicht,  c  die 
scheinbare  Scheidewand  (cf.  Text),  d  Circulärfasern,  e  Ra- 
diärfasern,  f  Seitengefässe,  g  die  drei  Gefässe  der  convexen, 
h  der  concaven  Seite,  i  Zellen.     45  :  1. 

„  20  A.  Vagina  von  E.  proteus  von  der  Vorderseite  gesehen,  a 
[Jterus,  b  äusserer  Constrictor,  c  Falten  desselben,  d  oberer, 
e  mittlerer,  f  unterer  Ring  des  inneren  Constrictor,  g,  h 
der  innere  dunkclpigmeutirte  Körper.  125:  1. 
ß.  Längsschnitt,  a  Bindegewcbsüberzug  des  Uterus,  b  Muskel- 
lage, c  längsverlaufeude  Papillen,  d  äusserer  Constrictor, 
e  und  f  Kerne  desselben,  g  unteres  Ende  mit  einem  Band 
au  der  Haut  n  befestigt,  h  oberer,  i  mittlerer,  k  unterer 
Ring  des  inneren  Constrictor,  1  m  die  Wandung  des  Aus- 
führungscanals  mit  zahlreichen  Längsfasern,  r  die  den  Hohl- 
raum des  äusseren  Constrictors  durchziehenden  Fibrillen. 

„  21.  Querschnitt  durch  die  Rüsselscheide  des  E.  am/ustatiis. 
a  äusserer  Scheidentheil,  b  seine  Papillen,  c  innerer  Theil,, 
d  dessen  Papillen ,  e  Muskelfasern  des  Rückziehers ,  f 
Ganglion.     100:1. 


Helminthologische  Uatersuchnngen 


von 

Dr.  V.  Linstow 

in  Hameln. 


Hierzu  Tafel  HL 


Die  Gelegenheit  zur  Untersuchung  der  hier  beschrie- 
benen Helminthen  verdanke  ich  grösstentheils  der  Güte  des 
Herrn  Professor  Mob i US  in  Kiel,  welcher  mir  die  noch  un- 
bestimmten Formen  der  Kieler  Universitätssammlung  zur 
Beschreibung  gütigst  überliess,  wofür  ich  hier  meinen  ver- 
bindlichsten Dank  sage.  Diese  Kieler  Exemplare  habe  ich 
durch  ein  hinter  den  Namen  gesetztes  K.  unter  Anfügung 
der  Nr.,  welche  die  Gläser  tragen,  kenntlich  gemacht. 

1.    Ascaris  patagonica  n.  sp.  (K.  Nr.  40) 

Fig.  1 
aus  dem  Magen  von  Phoca  jubata.    Patagonien. 

Die  Gestalt  ist  dick  und  gedrungen.  Lippen  ohne 
Zwischenlippen  mit  doppelten  Zahnleisten;  bei  allen  dreien 
ist  die  Pulpa  an  der  Innenseite  in  zwei  rundliche  Aus- 
läufer gespalten.  Die  Aussenseite  der  Oberlippe  ist  längs- 
oval mit  schmaler  Basis.  Die  Haut  zeigt  Querstreifen  in 
ziemlich  breiten  Abständen,  zwischen  denen  wieder  viel 
feinere  Querstriche  eng  gedrängt  stehen.  Das  Schwanzende 
ist  kolbig,  beim  Männchen  in  eine  stumpfe,  conische  Spitze 
ausgezogen. 

Die  Länge  des  Männchens  beträgt  28,  die  Breite  1  Vs 
mm;  die  Papillen  am  Schwanzende  stehen  sehr  dicht  und 
sind  sehr  zahlreich. 


42  V.  Linstow: 

Das  Weibchen  hat  eine  Länge  von  57  und  eine  Breite 
von  2  mm. 

Die  Eier  sind  kugeh'und;  sie  haben  eine  hyaline, 
von  dem  Dotter  weit  abstehende  Hülle  und  einen  Durch- 
messer von  0,06  mm. 

Die  bekannten  Formen,  welche  hier  in  Frage  kommen 
könnten,  sind  Äscaris  osculata,  decipiens  und  simüis,  welche 
von  dieser  Form  durchaus  verschieden  sind,  wie  aus  Krab- 
be^s*)  neuester  Darstellung  der  in  Robben  und  Walen  ge- 
fundenen Askaris-Arten  ersichtlich  ist. 

2.    Ascaris  arctica  n.  sp.  (K.  Nr.  23) 

Fig.  2—3 

aus  dem  Magen  und  Oesophagus  von  Biomeäea  leucops; 
Nördliches  stilles  Meer. 

Die  Lippen  haben  einen  äusseren  und  einen  inneren 
Gipfel,  der  Vorderrand  trägt  eine  Zahnleiste.  Die  Oberlippe 
ist  aussen  halbkreisförmig,  der  innere  Vorsprung  ist  schwach 

zweilappig.     Der   Oesophagus    nimmt   ^7;    der  Gesammt- 

länge  ein. 

Die  Länge  des  Männchens  beträgt  60  mm,  die  Breite 

2  mm.  Die  Spicula  sind  1,7  mm  lang  und  schwach  ge- 
bogen. Der  Schwanz  ist  abgerundet,  der  Anus  steht  dicht 
vor  der  Schwanzspitze.    Hinter  dem  Anus  stehen  jederseits 

3  Papillen,  vor  demselben  erst  15  an  der  Bauchseite,  nach 
vorn  und  mehr  seitlich  10. 

Das  Weibchen  ist  70  mm  lang  und  IV^mm  breit; 
es  wird  wohl  noch  grösser,  denn  die  Exemplare  waren 
noch  nicht  geschlechtsreif. 

3.     Ascaris  angnlata  Rud.  (K.  Nr.  57  u.  66) 

Fig.  4-5 

aus  dem  Darm  von  Cottus  scorpius  und  dem  Magen  von 
Lophius  piscatorius.    Die  Oberlippe  ist   an  ihrem  Umfang 


1)  Saelernes    og    Tanlivalernes   Spolorrae;    K.   Vidensk    Selsk. 
Forh.;  Kjöbeubavü  1878,  pag.  43—51,  Tab.  I. 


Helminthologische  Untersuchimgen.  43 

5  seitig,  die  Pulpa  längsquadratiscb,  ihr  innerer  Theil  hat 
vorn  zwei  rundliche  Vorsprtinge;  die  beiden  Papillen  stehen 
an  den  vorderen  Ecken.  Die  hyaline  Aussenmembran  zeigt 
mehrere  Faltungen,  die  aus  der  Zeichnung  ersichtlich  sind. 
Der  Körper  ist  gestreekt-cylindrisch. 

Das  26  mm.  lange  und  -/s  mm  breite  Männchen  hat 
ein  abgerundetes  Schwanzende  mit.  kleiner  Cutisspitze;  die 
Cloake  steht  dicht  vor  derselben,  und  misst  der  Schwanz 
nur  Vi 45  der  Gesammtlänge. 

Die  Girren  sind  gebogen  mit  breiten,  hyalinen  Flü- 
geln; sie  sind  vorn  abgerundet  und  messen  0,72  mm.  Die 
Papillen  sind  sehr  klein  und  äusserst  schwer  zu  sehen; 
jederseits  stehen  7  postanale,  präanale  habe  ich  nicht 
finden  können. 

Das  Weibchen  ist  43  mm  lang  und  1  mm  breit.  Die 
Eier  haben  eine  hyaline,  vom  Dotter  weit  abstehende  Hülle; 
sie  sind  elliptisch  und  0,085  mm  lang  und  0,062'mm  breit. 
Das  Schwanzende  hat  eine  stumpfe,  conische  Spitze. 


4.    Ascaris  clavata  ßud.  (K.  Nr.  49) 
Fig.  6—7 

aus  Gadns  morrhua^  im  Darm. 

Kopf  und  Schwanzende  sind  eingerollt.  Die  Ober- 
lippe ist  lang  gestreckt,  die  Pulpa  ist  cylindrisch,  in  der 
Mitte  etwas  verengt,  die  der  Innenseite  mit  zwei  rundlichen 
Vorragungen;  Vorderrand  und  Basis  der  Oberlippe  sind 
gleich  gross,  halb  so  gross  als  die  grösste  Breite.  Die 
zwei  Papillen  sind  klein  und  weit  nach  vorn  gerückt.  Der 
Oesophagus  misst  Vi 4  der  Körperlänge.  Der  Darm  ver- 
längert sich  nach  vorn,  wo  er  vom  Oesophagus  entspringt, 
in  einen  neben  diesem  liegenden  1,8  mm  langen  Blinddarm, 
während  der  Oesophagus  sich  nach  hinten  in  einen  neben 
dem  Darm  liegenden,  ebenso  langen  Blinddarm  fortsetzt, 
der  aber  nur  halb  so  breit  ist  als  ersterer. 

Das  Männchen  ist  45  mm  lang  und  1  mm  breit,  der 
Schwanz  misst  V285  der  Körperlänge;  das  Schwanzes  .e  ist 
zugespitzt,   die  Girren   messen  2,2  mm,    sind    also   relativ 


44  V.  L  in  stow: 

sehr  lang,  mit  breiten  Flügeln  und  rundlichem  Ende.  Pa- 
pillen finden  sich  27  prä-  und  6  postanale. 

Die  äusserste  Schwanzspitze  ist  mit  kleinen  glänzen- 
den Erhabenheiten  besetzt. 

Das  Weibchen  hat  eine  Länge  von  70  und  eine  Breite 
von  1,3  mm;  der  Schwanz  ist  stumpf-kegelförmig  mit  etwas 
verjüngter  Spitze;  er  nimmt  Vi 47  der  Körperlänge  ein. 

5.    Ascaris  rotundata  Rud.  (K.  Nr.  53) 

Fig.  8—9 

aus  Baja  radiata. 

Der  Körper  ist  nach  dem  Kopfende  zu  beträchtlich 
verdünnt.  Der  Oesophagus  misst  Ve  der  Körperlänge,  hat 
am  Hinterende  eine  rundliche  Anschwellung  und  ist  ohne 
Blinddärme.  Das  Schwanzende  ist  gekrümmt.  Die  Haut 
ist  fein  quergeringelt.  Die  Lippen  sind  klein  und  sehr 
eigenthümlich  gebildet,  der  äussere  Theil  ist  rundlich,  von 
der  Form  eines  Kugelsegments,  der  innere  quergestreckt 
mit  einer  Zahnleiste.  Die  Papillen  sind  gross ;  nach  innen 
sind  die  Lippen  ohne  deutliche  Grenze. 

Das  Männchen  ist  24mm  lang  und  0,3  mm  breit; 
der  Schwanz  misst  Vso  der  Körperlänge ;  er  führt  jederseits 
7  grosse  prä-  und  5  postanale  Papillen;  von  letzteren  steht 
eine  dicht  neben  dem  Anus,  zwei  weiter  hinten  an  der 
Bauchseite  des  conischen  Schwanzes  und  zwei  ganz  seit- 
lich. Die  Girren  sind  dick  mit  rundlichem  Ende,  0,72  mm 
lang,  am  Ursprung  kolbig  aufgetrieben. 

Das  Weibchen  hat  eine  Länge  von  50  und  eine  Breite 
von  1,4  mm.  Das  Schwanzende  ist  gestreckt-kegelförmig  mit 
abgerundeter  Spitze  und  misst  Vto  der  Körperlänge.  Die 
Eier  sind  0,092  mm  lang  und  0,082  mm  breit.  Die  äus- 
sere hyaline  Hülle  steht  weit  vom  Dotter  ab  und  zeigt 
feine,  regelmässig  gitterartig  gestellte  Leisten. 

6.    Ascaris  osculata  Rud.  (K.  Nr.  9) 

aus  dem  Magen  von  Halichoerus  grypus.  Die  Oberlippe 
sehe  ich  etwas  anders  als  Krabbe*).    Der  Rand  ist  bei 


1)  1.  c.  Tab.  I  Fig.  1. 


Helminthologische  Untersuchungen.  45 

den  voD  mir  untersuchten  Exemplaren  gezäbnelt;  die  rund- 
lichen Seitenausläufer  geh()ren  einer  inneren  Schicht  an 
und  liegen  also  in  derselben  Ebene  mit  der  Aussenfläche. 

7.    Ascarls  capsiilaria  Rud.  (K.  Nr.  26) 

aus  dem  Magen  von  PJwcaena  communis.  Die  Embryonal- 
form mit  Bohrzahn,  40  mm.  lang,  in  Häutung.  Äscaris 
capsularia  ist  bisher  nur  in  Seefischen  als  Embryonal-  oder 
Larvenform  gefunden,  und  kann  mit  diesen  leicht  in  den 
Magen  von  FJiocaena  communis  gelangen.  Der  Umstand 
aber,  dass  die  Form  in  Häutung  ist,  scheint  mir  dafür  zu 
sprechen,  dass  sie  hier  den  zur  "Weiterentwicklung  gün- 
stigen Boden  gefunden  hat,  und  scheint  es  sehr  wahr- 
scheinlich, dass  wir  in  der  Äscaris  capsularia  den  Lai-ven- 
zustand  von  Äscaris  simplex  Und.  vor  uns  haben. 

Leider  besitze  ich  keine  Exemplare  von  Äscaris  sim- 
plex^ um  die  Frage  endgültig  entscheiden  zu  können. 

Aus  der  relativen  Länge  von  Oesophagus  und  Schwanz, 
Fehlen  oder  Vorhandensein  von  einem  oder  zwei  Blind- 
därmen, deren  relativen  Länge  und  Breite  Hessen  sich 
schon  genügend  Anhaltepunkte  zur  Vereinigung  oder  Tren- 
nung der  Formen  finden. 

8.    Ascai^is  constrlcta  Rud.  (K.  Nr.  62) 

aus  Tracliinus  draco.  Eine  grosse  Embryonalform  mit  Bohr- 
zahn, die  sich  äusserlich  von  Äscaris  capsularia  in  nichts 
unterscheidet. 

Die  geschlechtsreifen  Formen  des  Genus  Äscaris  schei- 
nen lediglich  im  Oesophagus,  Magen  und  Darm  zu  wohnen 
und  kann  man  also,  wenn  Exemplare,  wie  die  vorstehend 
angeführten  im  Peritoneum,  an  einem  andern  Ort  gefunden 
werden,  immer  erwarten,  Embryonal-  oder  Larvenformen 
vor  sich  zu  haben. 

9.    Filaria  Strigis  m. 

Für  diese  Form  kann  ich  als  neuen  Fundort  die  Darm- 
und Oesophaguswand,  das  Peritoneum  und  die  Magenmus- 
kulatur von  Strix  noctua  angeben,  wo  ich  sie  in  einem 
Exemplar  zu  Tausenden  fand. 


4ö  V.  Linstow: 

10.  Filaria  liorrida  Latham.  (K.  Nr.  25) 

in  der  Brusthöhle  von  Bhea  americana  früher  aufgefunden ; 
das  Kieler  Museum  besitzt  Exemplare  aus  ^S'^.  Crux  in  Bra- 
silien, die  im  Oberschenkel  des  genannten  Thieres  wohnten. 

11.  Oxyuris  hidentata  n.  sp.  (K.  Nr.  74) 

Fig.    10 

in  dem  Darm  einer  Froschlarve  gefunden;  die  Art  ist 
leider  unbekannt.  Es  sind  nur  Weibchen  vorhanden  von 
2,7  mm  Länge  und  0,32  mm  Breite.  Die  Gestalt  ist  spin- 
delförmig; das  Kopfende  ist  gerade  abgestutzt  und  trägt 
zwei  kleine  kegelförmige  Spitzen.  Die  Haut  ist  querge- 
ringelt. Der  Oesophagus  ist  von  ^-^  der  Gesammtlänge  und 

hat  am  Ende  einen  starken  Bulbus  mit  Zahnapparat. 
Auffallend  deutlich  sind  die  Kerne  der  Muskelzellen  mit 
den  glänzenden  Kernkörperchen.  Der  Schwanz  nimmt  Vö 
der  Gesammtlänge  ein;  die  Vulva  theilt  den  Körper  so, 
dass  der  vordere  Abschnitt  sich  zum  hinteren  verhält  wie 
22:  23;  sie  zeigt  zwei  kleine  Chitinstückchen,  die  durch 
Muskeln  zurückgezogen  werden  können  und  zum  Verschluss 
zu  dienen  scheinen.  Die  0,1  mm  langen  und  0,05  mm  brei- 
ten Eier  sind  elliptisch  und  doppelschalig;  die  äussere  Haut 
ist  fein  granulirt  und  steht  von  der  Dottermasse  weit  ab. 
In  Fröschen  ist  überhaupt  noch  keine  Oxyuris  ge- 
funden, in  Kröten  nur  die  Oxyuris  mucronata  Molih*) 
deren  Beschreibung  „Caput  epidermide  inflata^'^  etc.  durch- 
aus nicht  passt. 

12.    Angiostonmni  sanguinolentuni  n.  sp. 

Fig.  11 

in  der  Bauch-  und  Brusthöhle  von  Strix  flammea  gefunden. 
Nur  3  Weibchen  konnte  ich  auffinden,  die  sehr  auffallend 
sind  durch  ihre  blutrothe  Farbe,  und  scheint  der  spiralig 
aufgerollte  Darm  wie  ein  breites,  dunkelbraunes  Band  durch 
die  Haut  hindurch. 


1)  Denkscbr.  d.  k.  Akad.  XIX  pag.  278. 


Helminthologische  Untersuchungen.  47 

Die  Lilnge  beträgt  11,  die  Breite  1  mm.  Am  Kopf- 
ende bemerkt  man  einen  miichtigen,  0,48  mm  langen  und 
0,6  mm  breiten  chitinigen  ]\Iiind))echer,  an  dessen  Grunde  8 
Zähne  stehen,  welche  die  Oesophagusmündung  umgeben.  Die 
Benutzung  derselben  kann  wohl  nur  die  sein,  dass  das 
Thier  durch  Saugbewegungen  des  Oesophagus  das  weiche 
Lungen-Parenchym  in  den  grossen  Mundbecher  hineinzieht, 
mit  den  Zähnen  anschneidet  und  dann  das  Blut  aussaugt. 
Der   Oesophagus    ist   kurz   aber    sehr   mächtig   in    seiner 

Muskulatur,  von  y^^  der  Gesammtlänge.  Das  Schwanz- 
ende ist  kegelförmig  zugespitzt,  ein  Anus  ist  nicht  aufzu- 
finden und  scheint,  wenn  er  vorhanden,  nicht  zu  funktio- 
niren,  denn  Excremente  finden  sich  nicht.  Die  Eier  waren 
unbefruchtet,  elliptisch,  dünnhäutig,  0,072  mm  lang  und 
0,002  mm  breit. 

Die  Art  muss  sehr  selten  sein,  denn  sie  ist  sehr  in 
die  Augen  fallend.  Ob  sie  mit  Strongylus  JButeonis  ruft 
Bellingham  ^)  aus  der  Bauchhöhle  von  Fdlco  rufus  identisch 
ist,  lässt  sich  wegen  mangelnder  Beschreibung  nicht  be- 
stimmen;   es  ist  nur  der  Name  angegeben. 

Leider  kenne  ich  von  Angiostomiim  entomelas,  macro- 
stomum  und  sangumolentum  nicht  die  Männchen ;  vielleicht 
ist  die  Gattung  mit  Sderostomum  oder  Syngamus  zu  ver- 
einigen, was  sich  aber  wegen  Unbekanntseins  der  Männ- 
chen nicht  bestimmen  lässt;  jedenfalls  gehören  die  Formen 
zu  Molin's  Äcrofalli;  die  Mundbildung  des  hier  2)  beschrie- 
benen und  abgebildeten  Beletrocephalns  dimidiatus  hat  mit 
der  von  Äng.  macrostonmm  entschieden  Aehnlichkeit.  Mol  in 
geht  übrigens  in  der  Trennung  des  Genus  Strongylus  sieher 
viel  zu  weit. 

13.    Strongylus  depressus  Diij. 

Fig.  12 
aus  dem  Darm  von  Crocidura  leucodon. 

Eine  sehr  zarte  Art,  die  im  Wasser  gelegt  sofort  birst 

1)  Ann.  of  natural  history  XIII  pag.  105. 

2)  II    sottordine    degli    Äcrofalli    pag.     150—153,     tab.    VIII 
fior.  1-3. 


48  V.  Linstow: 

und  den  Verdauiings-  und  Genitaltract  hervortreten  lässt. 
Dujardin's  genaue  und  ausführliche  Beschreibung  lässt 
nur  eine  Darstellung  der  Bursa  vermissen.  Dieselbe  be- 
steht aus  2  grossen,  seitlichen  und  einem  viel  kleineren 
Mittellappen;  erstere  tragen  5  aus  einem  gemeinsamen 
Stamm  entspringende,  letzterer  4  Rippen,  wie  aus  der  Ab- 
bildung ersichtlich. 

14.    Strongylus  filaria  ß.  (K.  Nr.  42). 

Für  diese  Art  kann  ich  einen  neuen  Fundort,  nämlich  die 
Bronchien  des  Kalbes  anführen. 

15.    Pseudalius  fninor  Kuhn  (K.  Nr.  29.  u.  36) 

Fig.  13—14 

aus  den  Höhlen  unter  den  Augen  von  PJiocaena  communis 
und  dem  Cavum  tympani  von  DelpJiinus  phocaena. 

Der  Körper  ist  lang  gestreckt  und  besonders  nach 
dem  Schwanzende  zu  verschmälert;  der  Kopt  zeigt  einen 
chitinisirten  Mundbecher,  der  an  Filaroides  erinnert;  hinter 
ihm  stehen  kleine,  wenig  auffallende  Papillen  in  der  Haut. 

Der  Oesophagus  ist  sehr  kurz,  er  nimmt  nur  V45  der 
Gesammtlänge  ein. 

Das  Männchen  ist  23  mm  lang  und  Vs  mm  breit ; 
die  halbmondförmigen  Girren  messen  0,13  mm;  das  Schwanz- 
ende hat  eine  breite  Bursa,  die  am  Ende  dreilappig  ist, 
jeder  Lappen  ist  von  einer  Rippe  gestützt;  die  mittlere 
endet  einfach  rundlich,  die  seitlichen  in  drei  runde  Vor- 
sprünge. 

Das  Weibchen  ist  28  mm  lang  und  1  mm  breit,  das 
abgerundete  Schwanzende  ist  aufgetrieben.  Das  dünne, 
schmale  Ovarium  geht  ptötzlich  in  den  etwa  6mal  dickeren 
Uterus  über.  Der  Anus  steht  terminal,  dicht  davor  auf 
einer  Ver Wölbung  mündet  die  Vulva,  vor  der  zwei  merk- 
würdige, eiförmige,  mit  einem  Griffel  versehene  Erhaben- 
heiten, die  nach  vorn  gerichtet  sind,  stehen,  wie  ich  sie 
bei  keinem  anderen  Nematoden  kenne.  Das  Weibchen  ist 
vivipar  und  der  Uterus  von  Tausenden  von  Embryonen 
erfüllt. 


Helmmthologische  Untersuchungen.  49 

16.    I*seiidallus  hißexus  ünj.  (K.  Nr.  27,  30  u.  84) 

Fig.  15 

aus  dem  Schlund  und  den  Bronchien  von  Fhocaena  communis 
*  und  den  Bronchien  von  BelpMnus  phocaena.  Diese  Art  ist 
ohne  Mundbecher  und  viel  grösser  und  breiter  als  die  vorige. 
Das  männliche  Schwanzende  ist  aus  Sehn  ei  der 's  ^)  Abbil- 
dung leicht  zu  erkennen  und  erwähne  ich  die  Form  nur, 
um  die  noch  fehlende  Darstellung  der  weiblichen  Genital- 
öffnung zu  geben ;  diese  steht  dicht  vor  dem  abgerundeten 
Schwänze  und  mündet  in  einen  auffallenden,  stumpfen  Kegel, 
der  schon  mit  blossen  Augen  sichtbar  ist. 

17.    Trichosonia  Felis  cati  Bellingliam. 

aus  der  Harnblase  von  Felis  catus. 

Eine  genaue  Beschreibung  dieser  x4rt  kann  ich  leider 
nicht  geben,  und  erwähne  nur,  dass  ich  in  der  Blase  der 
Wildkatze  2  ganz  junge,  unentwickelte,  ungemein  feine  Exem- 
plare fand,  die  7,5  mm  lang  und  0,036  mm  breit  waren. 
Das  Männchen  ist  noch  ganz  unbekannt;  geschlechtsreife 
.Weibchen  dagegen  hat  Wedl^)  beschrieben. 

18.    TricJiosomct  oMtisum  Rud. 

ein    neuer  Fundort    dieser  Art   ist    der  Darm   von  Strix 
noctua. 

19.    Fchinorhynchiis  capitatus  n.  sp.  (K.  Nr.  37) 

Fig.  16 

aus  Pseudorca  crassidens. 

Der  Rüssel  ist  cylindrisch  und  kurz,  die  Zahl  der  Haken- 
reihen ist  12—14;  auf  denselben  folgt  ein  glockenförmig  an- 
geschwollenes Receptactdtimj  das  auch  und  zwar  etwa  20 
Reihen  Haken  trägt;  dahinter  verschmälert  sich  der  Kör- 
per allmälig  zu  einem  Hais,  der  dann  in  den  langgestreckten, 
cylindrischen  Körper  übergeht,  der  unbewaffnet  ist. 


1)  l.  c.  tab.  XII  flg.  10. 

2)  Sitzungsber.  d.  k.  Acad.  XVI  pag.  392. 

Archiv  für  Naturg.  XXXXVI.  Jahrg.  1.  Bd. 


50  V.  Linstow: 

Das  Männchen  ist  53  mm  lang  und  2  mm  breit,  das 
Weibchen  100  mm  lang  und  2,5  mm  breit. 

Die  Art  hat  einen  nahen  Verwandten  in  JEehinorhynchus 
porrigens  aus  dem  Walfisch;  bei  dieser  Form  nimmt  der 
Körper  vom  Halse  an  langsam  an  Dicke  zu,  während  er 
bei  capitatus  gleich  hinter  demselben  ebenso  dick  ist  wie 
am  Ende;  das  Receptaculum  ist  bei  porrigens  vorn  am 
breitesten  und  unbewaffnet,  bei  capitatus  dagegen  hinten 
und  mit  Haken  bewaffnet;  es  ist  bei  beiden  kegelförmig, 
bei  E. porrigens  aber  ist  die  Kegelspitze  nach  dem  Schwanz- 
ende, bei  capitatus  nach  dem  Kopfende  gerichtet.  Das 
Rostellum  hat  bei  porrigens  3 — 4,  bei  capitatus  12 — 14 
Hakenreihen.  Eine  Häutung  muss  bei  Eck.  capitatus  noch 
sehr  spät  eintreten,  denn  die  ringförmig  in  Runzeln  um 
den  Körper  an  mehreren  Stellen  zusammengezogene  Haut, 
die  abgestreift  werden  soll,  findet  sich  noch  an  einem  95  mm 
langen  Exemplar. 

20»  Distoniuni  semifiavuTii  n.  sp. 

aus  dem  Darm  von  Fetromy^on  fluviatilis. 

Die  Länge  beträgt  1,4  die  Breite  0,65  mm,  der  Mund- 
saugnapf misst  0,16,  der  Bauchsaugnapf  0,25  mm,  beide 
stehen  sehr  genähert,  letzterer  im  ersten  Viertel  des  Kör- 
pers; mitten  zwischen  beiden  die  Geschlechtsöffnungen. 
Der  Schlundkopf  ist  sehr  gross ;  der  ganze  Körper  ist  un- 
bewaffnet. Die  bohnenförmig  gekrümmte  Vesicula  seminalis 
superior  liegt  fast  in  derselben  Höhe  wie  der  Bauchsaug- 
napf, nur  etwas  weiter  nach  hinten;  hinter  letzterem  findet 
sich  zunächst  der  Keimstock,  dann  die  Hoden ;  der  Dotter- 
stock ist  auf  das  hinterste  Körperviertel  beschränkt;  der 
Eiergang  findet  sich  in  der  hinteren  Körperhälfte  und  ragt 
nur  mit  dem  Ausmündungsgange  in  die  vordere  hinein.  Die 
Eier  sind  0,023  mm  lang  und  0,016  mm  breit.  Bei  Bi- 
stomum  fasciatum  Rud.  ist  der  Bauchsaugnapf  doppelt  so 
gross  wie  der  Mundsaugnapf  und  nimmt  der  Dotterstock 
den  ganzen  Körperrand  ein. 

Distomum  Bergense  Olsson  ähnelt  dieser  Art  am  mei- 
sten,  doch  auch  hier  hat  der  Bauchsaugnapf  die  doppelte 


Helniinthologische  Untersuchungen.  51 

Grösse  des  Mimdsanguapfes,  die  Gestalt  ist  breiter  und 
reichen  die  Windungen  des  Eierganges  viel  weiter  nach 
vorn  als  bei  D.  semiflavnm. 

21.  Distotmini  splnostifn  n.  sp. 

aus  dem  Darm  von  Sylvia  7'ufa. 

Die  Länge  des  rundlichen  Körpers  beträgt  1,3,  die 
Breite  0,48  mm.  Der  ganze  Körper  ist  mit  Dornen  besät. 
Der  Mundsaugnapf  hat  eine  Grösse  von  0,19,  der  Bauch- 
saugnapf eine  von  0,12  mm,  letzterer  liegt  etwas  vor  der 
Körpermitte;  die  Darmschenkel  reichen  bis  an' s  zugespitzte 
Körperende;  die  grösste  Breite  hat  der  Körper  im  hinteren 
Viertel.  Die  Hoden  liegen  im  hinteren  Körperdrittel  schräg 
hinter  einander;  die  Vesica  seminalis  superior  schlägt  sich 
halbmondförmig  um  den  Bauchsaugnapf  herum;  zwischen 
ihm  und  dem  vorderen  Hoden  liegt  der  Keimstock.  Der 
Dotterstock  nimmt  den  Rand  der  hinteren  Vs  des  Körpers 
ein.  Der  Eiergang  verläuft  wenig  geschlängelt  von  vorn 
nach  hinten  und  scheint  auffallender  Weise  am  hinteren 
Körperende  zu  münden.  Die  Eier  sind  0,043  mm  lang  und 
0,023  mm  breit. 

In  unseren  Singvögeln  sind  bis  jetzt  gefunden  Bisto- 
mummacrourum^  jene  langgestreckte,  die  Gallengänge  be- 
wohnende Form,  Bistomum  ovatuni,  aus  der  Bursa  Fabricii, 
dessen  Hoden  neben  einander  liegen,  Bistomum  mesosto- 
mum  und  macrostonium,  die  beide  einen  unbewaffneten  Körper 
und  gleich  grosse  Saugnäpfe  haben,  B.  filwn,  das  15  mal 
so  lang  wie  breit  ist,  B.  coelebs,  eine  eingekapselte  Larven- 
form und  endlich  B.  elegans,  das  mit  unserer  Art  Aehnlich- 
keiten  aber  keine  Stachelbewaffnung  hat,  die  bei  B.  spinosum 
sehr  auffallend  ist. 

22.  Distqmum  moleciiliini  n.  sp. 

aus  dem  Darm  von  Eallus  pygmaeus. 

Ein  winziges  Thierchen  von  eiförmiger  Gestalt,  nur 
das  Kopfende  ist  etwas  verschmälert;  die  Länge  beträgt 
0,48,  die  Breite  0,36  mm.  Die  Grösse  des  Mundsaugnapfes 
ist  0,06   und  die  des  im  vorderen  Körperdrittel  liegenden 


52  V.  Linstow: 

Bauchsaugnapfes  0,036  mm.  Die  Eier,  welche  nur  das 
vordere  Viertel  und  das  hintere  Achtel  des  Körpers  frei- 
lassen und  alle  übrigen  Organe  verhüllen,  sind  0,029  mm 
lang. 

Verwandte  Formen  sind  D.  arenula,  dessen  Bauch- 
saugnapf grösser  als  der  Mundsaugnapf  ist  und  D.  micro- 
coccwm,  das  grössere  Eier  und  viel  grössere  Saugnäpfe  hat. 

23.  Taenia  scalaris  Dujardin 

.  Fig.  17 

aus  Crocidura  aranea.  Man  findet  13  Haken  die  0,029  mm 
lang  sind. 

Der  Hakenast  ist  fast  doppelt  so  lang  wie  der 
Hebelast. 

Die  Eier  haben  eine  dreifache  Hülle;  die  äussere  ist 
eiförmig,  die  mittlere  mehr  gestreckt,  unregelmässig,  die 
innere  0,039  mm  lang  und  0,029  mm  breit.  Die  Embryonal- 
haken haben  eine  Länge  von  0,016  mm. 

Der  Form  der  Haken  wegen  erwähne  ich  diese  und 
die  beiden  folgenden  Arten,  welche  noch  keine  richtige 
Darstellung  gefunden  hat. 

24.  Taenia  uncinata  Stieda 

Fig.  18 

aus  Cocidura  aranea  und  leucodon-. 

Es  finden  sich  18—20,  meistens  19  Haken,  die  0,019 
bis  0,02  mm  lang  sind;  Haken-  und  Hebelast  sind  fast 
gleich  lang.  Auch  hier  haben  die  Eier  eine  dreifache 
Hülle;  die  äussere  ist  elliptisch,  die  mittlere  mehr  kugel- 
förmig, die  innere  0,039  mm  lang  und  0,033  mm  breit 
Die  Embryonalhaken  haben  eine  Länge  von  0,016  mm. 
Die  sehr  kleinen  Girren  stehen  einseitig,  sie  sind  cylin- 
drisch,  unbedornt,  und  sind  0,013  mm  lang  und  0,003  mm 
breit. 


Helminthologische  Untersuchungen.  53 

25.  Taenüi  tlara  Dujardin 

Fig.  19 
aus  Crocidiira  aranea. 

Diese  Art  hat  34  Haken  von  0,026  mm  Länge,    die 
sehr  dünn  und  gestreckt  sind. 


Notiz. 

Im  Jahrgange  1878  dieses  Archivs  habe  ich  ver- 
sehentlich zwei  schon  vergebene  Namen  für  neue  Arten 
gebraucht,  nämlich  Äscaris  Siluri  (1.  c.  pag.  239)  und 
Bothriocephaliis  lanceolatus  (pag.  218),  welche  ich  in  ^5- 
cciris  Glanidis  und  Bothriocephalus  ellipticus  zu  ändern  bitte. 

Was  das  Genus  Angiostomum  betrifft,  so  bin  ich  neuer- 
dings, da  ich  von  A.  enfomelas  und  macrostomum  Hunderte 
von  Exemplaren  untersucht  und  immer  nur  Weibchen  ge- 
funden habe,  auf  die  Vermuthung  gekommen,  dass  in  das- 
selbe „Ascaris''^  nigrovenosa  gehört,  welche  Form  die  Mus- 
keln der  Meromyarier  hat,  so  dass  also  die  parasitischen 
Exemplare  von  Angiostomum  nur  als  parthenogenetische 
Weibchen  auftreten,  während  sich  deren  Brut  im  Freien  zu 
kleinen,  geschlechtlich  differenzirten  Thieren  entwickelt, 
deren  Nachkommen  wieder  in  die  Lungen  von  Reptilien 
und  Amphibien  einwandern  und  zu  den  bekannten  Weib- 
chen werden. 


Erklärung  der  Abbildungen  auf  Taf.  IIL 

1.  Oberlippe  von  Asearis  patagonica. 

2.  Oberlippe  von  Äscaris  arctica. 

3.  Männliches  Schwänzende  derselben  Art. 

4.  Oberlippe  von  Äscaris  angiüata. 

5.  Männliches  Schwanzende  derselben  Art, 

6.  Oberlippe  von  Äscaris  clavata. 


54  V.  Li n stow:  Helminthologisclie  Untersuchungen. 

7.  Männliches  Schwanzende  derselben  Art. 

8.  Kopf  von  Äscaris  rotundata. 

9.  Männliches  Schwanzende  derselben  Art. 

10.  Kopf  von  Oxyuris  bidentata. 

11.  Kopf  von  Angiostomum  sangitinolentum. 

1-2.  Männliches  Schwanzende  von  Strongylus  depressus. 

13.  Kopf  von  Pseudalitis  minor. 

14.  Weibliches   Schwanzende   derselben  Art  von    der   rechten  Seite, 

a.  Vulva,  b.  Anus. 

15.  Weibliches  Schwanzende  derselben  Art  von  Pseiidalms  inflexus, 

a.  Vulva,  b.  Anus. 

16.  EcJiinorhynchus  capitatus,  natürliche  Grösse. 

17.  Haken  von  Taenia  Scolaris. 

18.  „         „  „       uncinata. 

19.  „         „  „       tiara. 


Beschreibung  einiger  neuen  Peltidien. 


Von 

Dr.  G.  Hall  er, 

Bern. 


Hierzu  Tafel  IV  und  V. 


Während  eines  kurzen  Aufenthaltes  in  Messiua  fiel 
mir  die  gleichzeitig  ebenso  angenehme,  wie  dankbare  Auf- 
gabe zu,  für  die  Privatsammlung  von  Prof.  Dr.  Fol  die 
Copepoden  der  dortigeu  Meeresfauna  zu  praepariren.  An- 
genehm war  diese  Arbeit  deshalb,  weil  ich  dadurch  mit 
den  eben  so  formenreichen  als  mitunter  prächtigen  Thieren 
bekannt  wurde:  unter  ihnen  stehen  die  Peltidien  entschieden 
vorne  an  und  können  sowohl  wegen  ihrer  schönen  Farben, 
als  wegen  des  meist  sehr  stark  inkrustirten  Panzers  die 
Buprestiden  unter  den  Entomostrakeu  genannt  werden. 
Namentlich  das  Präpariren  der  letzteren,  weniger  dasjenige 
der  farblosen  und  sehr  weichhäutigen  Calaniden  war  über- 
diess  eine  leichte  Mühe.  Sie  wurden  noch  lebend  in  eine 
Mischung  von  einem  Theile  Alkohol,  einem  Theile  Gly- 
cerin,  zwei  Theilen  Wasser  und  zwei  bis  drei  Tropfen  Kar- 
bolsäure ertränkt  und  nach  Verlauf  von  wenigen  Minuten 
in  Farrant'schem  Medium,  nach  der  neueren  Formel  zu- 
bereitet, eingeschlossen.  Auf  diese  Weise  präparirt  hielten 
sich  namentlich  die  hartpanzerigen  Arten  sehr  gut  und 
blieben  deutlich  erkennbar.  Noch  jetzt  nach  bald  andert- 
halb Jahren  sind  die  Präparate  äusserst  deutlich  und 
lassen  selbst  die  feinsten  Kleinigkeiten  mit  voller  Sicher- 
heit erkennen,  was  gestattete,  die  Beschreibungen  und  Ab- 


56  G.  Haller: 

bilduDgen  nach  eingeschlossenen  Individuen  zu  machen. 
Die  meisten  Präparate  befinden  sich  im  Besitze  von  Herrn 
Prof.  Fol,  allein  seiner  gütigen  Erlaubniss  verdanke  ich 
es,  wenn  es  mir  möglich  wurde,  einige  Doubletten  für  mich 
selbst  anzufertigen. 

Dankbar  und  interessant  nenne  ich  die  obige  Aufgabe 
desshalb,  weil  ich  bei  dieser  Gelegenheit  viele  der  von 
Claus  beschriebenen  Arten  kennen  lernte.  Bei  einer  Durch- 
musterung meiner  Präparate  finden  sich  jedoch  einige, 
welche  mit  keiner  der  vorhandenen  Beschreibungen  und 
Abbildungen  tibereinstimmen  und  welche  ich  mir  daher 
als  neue  Arten  zu  schildern  vorgenommen  habe.  Vor- 
läufige Diagnosen  derselben  finden  sich  bereits  im  zoolo- 
gischen Anzeiger  von  Carus,  und  zwar  in  Nummer  25 
des  IL  Jahrganges  1879.  Dieselben  wurden  schon  von 
Villafranka  aus  an  die  Redaktion  übergeben  und  haben  nun 
durch  reiflichere  üeberlegung  einige  Veränderung  erfahren. 

Die  Familie  der  Peltidien  in  ihrem  jetzigen  Umfange 
wurde  zum  ersten  Male  von  Claus  in  dessen  „Freilebenden 
Copepoden^'  ^)  errichtet  und  und  kurz  charakterisirt  wie  folgt. 

Körperform  glatt,  meist  mit  breiten  Seitenflügeln  der 
einzelnen  Abschnitte.  Gliederung  meist  vollzählig,  Kopf 
und  Thorax  verschmolzen.  Chitinpanzer  sehr  kräftig.  Die 
vorderen  Antennen  des  Männchens  sind  beide  zu  Fang- 
armen umgebildet.  Die  hinteren  Antennen  mit  Nebenast 
und  knieförmig  gebogenen  Borsten.  Die  Taster  der  Man- 
dibeln  und  Maxillen  ansehnlich  entwickelt.  Das  fünfte 
Fusspaar  blattförmig,  in  beiden  Geschlechtern  wenig  ver- 
schieden. Herz  fehlt.  Augen  einfach,  in  der  Mittellinie 
verschmolzen,  mit  lichtbrechenden  Körpern.  Der  männliche 
Geschlechtsapparat  paarig,  symmetrisch.    Ein  Eiersäckchen. 

Am  hauptsächlichsten,  scheint  mir,  muss  das  Gewicht 
auf  die  platte  Körperform,  welche  durch  die  fast  stets  vor- 
handenen Seitenflügel  noch  übcrdiess  ein  eigenthümliches 
Gepräge  erhält,  ferner  auf  die    mit  Nebenast  versehenen 


1)  Dr.  C.  Claus.  Die  freilebenden  Copepoden.  Mit  beson- 
derer Berücksichtigung  der  Fauna  Deutschlands,  der  Nordsee  und 
des  Mittelmeeres.     1863. 


Beschreibung  einiger  neuen-  Peltidien. 


57 


hinteren  Antennen,  auf  die  kräftigen  Taster  der  Mandibcln 
und  Maxillen,  sodann  vor  Allem  auf  die  Verhältnisse  des 
ersten  und  letzten  Fusspaares  gelegt  werden.  In  der  That 
konnte  ich  mich  denn  auch  bei  den  allermeisten  neuen  Formen 
durch  die  Aehnlichkeit  mit  schon  vorhandenen  und  durch 
die  Summe  der  Merkmale  leiten  lassen;  nur  für  wenige 
Thiere,  die  in  späteren  Abhandlungen  beschrieben  werden 
sollen,  wurde  es  mir  schwer,  die  Stelle  im  Systeme  mit  Sicher- 
heit zu  finden.  Die  bereits  von  Claus  gegebene  übersicht- 
liche analytische  Tafel  wird  zwar  durch  die  neuen  Formen 
wenig  verändert,  nichts  destoweniger  folgt  dieselbe  mit 
Angabe  der  beiden  neuen  Subgenera  und  zur  leichteren 
Uebersicht  der  neuen  Arten. 

Körper    vollzählig    gegliedert.      Mandibularpalpus     zu    einem 
Greiffusse  verlängert  1.  Porcellidnim. 


n 

Beide  Aeste 

Der  fünfte  Fuss  sehr  breit 

blattförmig 
Der    fünfte   Fuss    schmal, 

griffeiförmig 

Der    innere   Ast   dreiglie- 

"ü 
CO 

des  e 
Fussp 
sind 

rsten 
aares 
Greif- 
sse 

t'ij 

5.  Zaus. 

2.  Subgen.  Zausosci- 
äium. 

Ö 

^ 

CO 

deriger    Euderast.      Der 

CO 

o 

03      r^ 
03       ,^ 

untere   Maxillarfuss    mit 

CS      (D 

d 

DO 

langem   einfachem  Stiele 
Der   innere  Ast  zweiglie- 
deriger   Ruderast.      Der 

3.  ÄUeutha. 

•■— '         rrt 

S    3 

.2  -g 

untere   Maxillarfuss    mit 

bD 
bp 

oo    rh 
o 
TS 

0!3       ^^ 

sehr  langem  zweigliederi- 
gem Stiele 
Der    innere  Ast  zweiglie- 

4. Eupelte. 

-4J 

CO 

< 

2    "x 

derig,  kein  regelmässiger 
Ruderfuss.    Stiel  des  un- 

> 

Q    o 

CO 

teren  Maxillarfusses  laug 
und  einfach 

2.  Siibgen.    Onisci- 
dium. 

1.  Gen.  J^orcellidlum  Cls. 

{Taf.  I.  Fig.  I.  II  a.  b.  und  1  bis  5). 

Thyone  PhiUpin.      Zoologische   Bemerkungen  von  Dr.  A. 
Philipp!    (Fortsetzg.   mit  Taf    III   u.    IV.)    in   Wieg- 


58  G.  Haller: 

mann's  Archiv  für  Naturgeschichte  VI.  Jahrg.  1.  Band 
1840.  S.  190.  Taf.  IV  Fig.  2. 
Forcellidium  Claus.  Die  freilebenden  Copepoden  mit  beson- 
derer Berücksichtigung  der  Fauna  Deutschland's,  der  Nord- 
see und  des  Mittelmeeres  1863.  S.  140.  Taf.  XXII  Fig. 
1—5. 

Claus  beschrieb  diese  Gattung  auf  Grund  zweier  in 
Nizza  und  einer  in  Messina  gefundenen  Art.  Von  diesen 
habe  ich  Forcellidium  fmihriatum  Claus  aus  Messina,  Por- 
cellidium  dentatum  aus  Villafranka  präparirt.  Ausserdem 
erhielt  ich  zwei  neue  Arten,  von  denen  namentlich  die 
Eine  allgemeines  Interesse  verdient.  Vorher  erlaube  ich 
mir  noch  wenige  Worte  über  die  Gattung  selbst. 

Dr.  A.  Philippi  beschrieb  schon  1840  eine  Gattung  Thy- 
one,  mit  der  Species  Thyone  viridis  Phil,  aus  dem  Mittelmeere. 
Aus  seiner  wiewohl  mangelhaften  Zeichnung  und  Beschrei- 
bung geht  zur  Genüge  hervor,  dass  Thyone  synonym  ist  mit 
Forcellidium,  nur  die  Species  scheint  mir  nicht  wieder  er- 
kennbar. Allein  der  Name  war  schon  von  Ocken  für  eine 
Gattung  der  Hoiothurien  vergeben.  So  war  denn  Claus  in 
vollem  Maase  berechtigt,  als  er  1840  das  System  der  Co- 
pepoden neu  bearbeitete,  das  Genus  umzutaufen.  Sein 
Name  ist  übrigens  ebenso  bezeichnend,  wie  die  Diagnose 
der  Gattung,  welche  dieselbe  als  eine  vollkommen  natür- 
liche Einheit  hervortreten  lässt.    Sie  lautet: 

Corpus  depressum,  feminae  sex-,  maris  septem-articu- 
latum.  Mandibularum  palpus  appendice  pectinata  et  ramo 
prehensili  triarticulato  instructus.  Maxillipedes  inferiores 
breves,  triarticulati,  basali  triangulari,  apicali  uncinato. 
Furca  lamelliformis. 

Es  folgen  nun  die  neu  zu  beschreibenden  Arten  f 

Forcellidium  ovatum  Hallel*. 
Taf.  IV  Fig.  I;  1—3. 

Forcellidium  ovatum  mihi.  Vorläufige  Diagnosen  einiger  Pel- 
tidien  aus  Messina  in  Zoologische  Anzeiger  Nr.  25  IL 
Jahrgang  1879.   S.  479. 

Die  Körperumrissc  beschreiben  eine  sehr  gedrungene 

Eiform   mit   nach    hinten    gerichteter,    stark    zugerundeter 


Beschreibung  einiger  neuen  Peltidieu.  95 

Spitze,  deren  Breite  ungefäbr  1  mm,  und  deren  Länge 
1,3  mm  beträgt.  Von  letzteren  sind  0,6  auf  den  Ceplialo- 
thorax  zu  rechnen,  welclier  mitiiin  nur  sehr  wenig  kürzer 
ist  wie  der  Hinterleib,  wie  ich  den  hinteren  segmentirten 
Leibesabschnitt  der  Kürze  wegen  bezeichne.  An  den  An- 
tennen zählt  man  wie  bei  Forc,  fimbriatum  6  Glieder,  die 
sich  aber  beim  Weibchen  verschieden  verhalten.  Das  Grund- 
glied ist  nämlich  sehr  kurz,  von  den  drei  folgenden  ist 
das  erste  am  längsten  und  ungefähr  von  der  doppelten 
Länge  des  dritten.  Vom  zweiten  bis  zum  letzten  werden 
die  Abschnitte  in  umgekehrter  arithmetischer  Progression 
kürzer  und  schmächtiger.  Dabei  erscheinen  die  Antennen 
durch  lange  Haare  leicht  buschig.  Der  lange  und  schwach 
gebogene  Mandibularpalpus  (Taf.  IV  Fig.  2)  trägt  vier 
eigenthümliche,  gekrümmte  und  dornartige  Borsten,  die 
dicht  mit  feinen  Härchen  besetzt  sind.  Nahe  der  Spitze 
der  Krallen  des  zweiten  Maxillarfusses  (Taf.  IV  Fig.  1)  beob- 
achtet man  überdiess  ein  eigenthümliches  plättchenförmiges 
Gebilde,  das  sich  nahe  an  der  Basis  einer  Dornborste  er- 
hebt und  das  vielleicht  als  Sinnesorgan  zu  betrachten  ist. 
Das  fünfte  Fusspaar  (Taf.  IV  Fig.  3)  bildet  lange  und 
schmale  Platten  von  Sichelform,  deren  freie  Spitzen  hinten 
sich  fast  berühren  und  die  das  ganze  Abdomen  nebst  den 
Furcallamellen  zwischen  sich  fassen.  Sie  werden  an  ihrem 
freien  äusseren  Rande  von  einem  leichten  Haarsaume  be- 
gleitet. Ueberdiess  finden  wir  hier  ungefähr  am  Anfange 
des  letzten  Drittheiles  einen  kurzen  einzeln  stehenden  Dorn. 

Das  vordere  Abdominalsegment  verlängert  sich  in 
kurze  Seitenflügel,  welche  kaum  länger  sind  als  breit.  Die 
Länge  der  Furcallamellen  ist  bedeutender  als  deren  Breite; 
der  innere  Rand  der  Lamellen  ist  gerade,  der  äussere  stark 
geschweift  und  diese  selbst  zugespitzt. 

Forc.  ovatum,  wie  ich  die  neue  Art  ihrer  Eiform 
wegen  heisse,  ist  durchaus  farblos,  erscheint  aber  dadurch 
gefärbt,  dass  die  rothen  und  gelben  Fettkugeln  im  Innern 
ihrer  Organe  durch  den  Panzer  hindurchschimmern.  Mit 
Farbstoff  imprägnirt,  wie  viele  Verwandte,  ist  das  Thier- 
chen  also  nicht.  In  unserer  Figur  (Taf.  IV  Fig.  I),  sehen 
wir    ein    weibliches  Thier    mit  zwei  festgeklebten  ovalen 


60  G.  Haller: 

Spermatophoreu.  Es  stellt  von  denselben  jederseits  einer 
und  sie  senden  ihre  Ausführungsgänge  durch  den  Spalt 
zwischen  dem  fünften  Fusspaare  und  den  Seitenfortsätzen 
des  vorletzten  Hinterleibsegmentes  nach  innen.  Die  Art 
stammt  gleich  der  nachfolgenden  aus  Messina,  wo  ich  sie 
auf  Corallengrund  und  in  einer  Tiefe  von  etwa  80  bis  150 
M.  häufig  fing.  Gleich  xlen  meisten  Peltidien  scheint  sie 
fürs  Gewöhnliche  an  den  grösseren  vom  Grunde  heraufge- 
brachten Steinen  festzuhängen  und  kann  nur  durch  Bürsten 
oder  Schlemmen  derselben  veranlasst  werden,  diesen  Schlupf- 
winkel zu  verlassen.  Sie  schwimmt  dann  sehr  lebhaft  um- 
her, sucht  sich  jedoch  immer  wieder  ähnliche  Ruhepunkte  aus. 

Forcellidnim  parvulum  Haller. 
Taf.  IV.  Fig.  II  a  u.  b.  4.  5. 

Pore,  parvulum  mihi  Vorläufige  Diagnosen  einiger  Pelti- 
dien aus  Messina  loc.  cit.  S.  179. 

Männchen  (Taf.  IV  Fig.  II  a)  und  Weibchen  (Fig.  II  b) 
zeigen  bedeutenderen  Dimorphismus  als  die  übrigen  Peltidien. 
Sie  kommen  eigentlich  nur  in  den  allgemeinen  Körper-Um- 
rissen überein,  da  diese  bei  beiden  ein  gedrungenes  Oval  be- 
schreiben; doch  erreicht  das  Weibchen  bei  imgefähr  gleicher 
Breite  wie  jenes  nur  eine  Länge  von  0,55  mm,  während  das 
Männchen  selbst  0,75  lang  wird.  Bei  beiden  Geschlechtern 
fällt  ungefähr  0,3  mm  auf  den  Cephalothorax.  Es  geht  schon 
daraus  hervor,  dass  der  Hinterleib  bei  beiden  sehr  ver- 
schieden gebildet  ist,  dasselbe  muss  auch  bezüglich  des 
Rostrums,  der  Fühler  und  der  hinteren  Leibesanhänge,  wie 
Furcallamellen  und  fünftes  Fusspaar  gesagt  werden. 

Beim  Männchen  sind  die  drei  vorderen  freien  Segmente 
ziemlich  gleichmässig  entwickelt ;  beim  Weibchen  blieb  da- 
gegen das  letzte  derselben  an  Länge  ganz  beträchtlich 
hinter  den  anderen  zurück.  Dasselbe  beobachten  wir  auch 
für  das  durch  Verschmelzung  hervorgegangene  Abdomen, 
welches  beim  Männchen  merklich  umfangreicher  ist  als 
beim  Weibchen.  Gleichwie  die  Thiere  selbst  habe  ich 
eine  der  Furcalplatten  (a)  und  den  rechten  fünften  Fuss  (b) 
jeweilen  vom  Männchen  und  (Taf  IV  Fig.  5  a  u.  b)  Weib- 
chen (Taf.  IV  Fig.  4  a  u.  b)  unter  ein  und  derselben  Ver- 


BeschreibuDg  einiger  neuen  Peltidien.  Cl 

grösserung  abgebildet,  und  man  wird  daraus  ober  als  aus 
einer  noch  so  eingebenden  Beschreibung  den  bedeutenden 
Dimorphismus  erkennen,  welcher  auch  hierin  ausgesprochen 
ist.  Ausser  der  Form  und  Grösse  dieser  Endstücke  erweist 
sich  auch  deren  Eandbesatz  als  gänzlich  verschieden;  hierzu 
einige  Worte  der  Erläuterung.  Beim  Männchen  sind  sowohl 
Furcalplatten,  wie  fünftes  Fusspaar  scheinbar  leicht  ge- 
wimpert;  über  diesen  Besatz  feiner  Härchen  ragen  an 
beiden  Stücken  sieben  eigenthümliche  Borsten  vor.  Die 
Basis  derselben  ist  verbreitert  und  braun  gefärbt,  ihre 
Spitze  blass,  farblos  und  lang  ausgezogen.  Von  diesen  Aus- 
zeichnungen finden  wir  beim  Weibchen  nur  den  blassen 
Härchensaum  wieder;  dagegen  bemerken  wir,  dass  der  hin- 
tere Rand  des  fünften  Fusspaares  gezähnelt  ist,  sodann 
trägt  die  äussere  Ecke  der  Furcalplatte  ein  massig  langes 
und  zwei  ganz  kurze  Haare.  Kommen  wir  endlich  auf  die 
Fühler  zurück,  so  sind  diejenigen  des  Männchens  stark 
chitinisirt,  was  sich  sofort  durch  die  dunkelbraune  Färbung 
zu  erkennen  gibt.  Sodann  sind  sie  hakenförmig  gekrümmt 
und  starke  vorragende  Chitinspitzen  beweisen,  dass  sie 
ihrem  ursprünglichen  Berufe  entfremdet  und  Greifwerkzeuge 
geworden  sind.  Das  Amt  des  Tastens  übernehmen  nun- 
mehr lange,  blasse  Haare,  von  denen  die  Antennen  leicht 
buschig  erscheinen.  Die  vorderen  Fühler  des  Weibchens 
verhalten  sich  viel  einfacher,  sie  erweisen  sich  als  schwach 
spindelförmig  und  kurz.  Sie  sind  sechsgliederig,  ihre  drei 
letzten  Glieder  bleiben  kurz  und  ringförmig. 

Selbst  in  der  .Körperfärbung  spricht  sich  dieser  be- 
deutende geschlechtliche  Unterschied  aus.  Die  Weibchen 
erinnern  in  der  Art,  wie  ihre  Färbung  zu  Stande  kommt, 
an  die  vorhergehende  Species,  die  Männchen  sind  dagegen 
gänzlich  mit  braunem  Farbstoffe  imprägnirt.  Was  über 
ihr  Vorkommen  zu  sagen,  wurde  bereits  bei  der  vorigen 
Art  erwähnt.  Ich  fing  mehrere  dieser  Thierchen  in  Be- 
gattung, das  Männchen  hielt  das  Weibchen  mit  seinen 
modificirten  vorderen  Antennen  derartig  fest,  dass  sie  ohne 
sich  zu  trennen  präparirt  wurden. 


62  G.  Haller: 

II.    Gen.  Oniseidiuni  mihi  non  Clans. 

(Taf.  IV  Fig.  III  u.  IV,  6.  7.  Taf.  V  Fig.  III  u.  IV,  1.  2.  3.  4.) 

Corpus  depressum,  porrectum,  profunde  iiicisum,  feminae 
novem,  maris  decem  articuiatum,  abdomine  magnopere  atte- 
nuato.  Palpus  mandibularum  biramosus,  ramo  utroque 
simplici.  Maxillipedes  inferiores  magni,  manu  prehensili 
armati.  Pedum  primi  paris  ramus  internus  biarticulatus, 
rarissime  triarticulatus,  externus  longior,  triarticulatus  uncis 
compluribus  armatus,  prehensiiis.  In  Subgenere  secundo  quo- 
que  ramus  externus  prehensiiis.    Pedes  postici  tenues  setosi. 

Die  alte  gleicbbenannte  Gattung  von  Claus  umfasste 
nur  eine  einzige  Art  Oniscidmm  armatum  aus  Messina.  Ich 
habe  dieselbe  nicht  wieder  aufgefunden,  jedoch  zwei  nahe 
verwandte,  von  denen  keine  ganz  mit  der  alten  Gattungs- 
bezeichnung übereinstimmt.  Oniseidiuni  hiarticidatum  mihi 
besitzt  nämlich  einen  dreigiiederigen  inneren  Ast;  Onis- 
cidium  incrustatum  keinen  flachen  Körper,  sondern  ist  hoch 
gewölbt.  Das  sind  nun,  ich  gebe  es  zu,  Merkmale  von 
sehr  untergeordneter  Bedeutung,  welche  die  Errichtung  eines 
Subgenus  noch  nicht  erfordern  würden.  Allein  eine  dritte 
neue  Art  zeigte  in  Bezug  auf  ihr  erstes  Fusspaar  so 
gänzlich  abnorme  Verhältnisse,  dass  sie  mit  dem  alten 
Gattungsbegriffe  nicht  wohl  vereinigt  werden.  Die  beiden 
Aeste  des  ersten Fusspaares  sind  zu  Greiffüssen  umgewandelt, 
also  ähnlich  wie  uns  Claus  die  entsprechende  Extremität 
von  Zaus  beschreibt.  Im  Uebrigen  war  die  gesammte  Kör- 
pergestalt gänzlich  die  von  Oniscidium  Cls.  und  sämmtliche 
feineren  Verhältnisse  erinnerten  an  diese  alte  Gattung.  Es 
wäre  somit  die  Errichtung  eines  neuen  Genus  für  diese 
einzige  Art  ungerechtfertigt.  Dagegen  Hess  sie  sich  bei 
etwas  veränderter  Diagnose  leicht  als  Subgenus  bei  Onis- 
cidium mihi  non  Claus  unterbringen,  wobei  freilich  die 
ehemalige  Gattung  von  Claus  zum  Range  eines  Subgenus 
herabsank.  Der  Name,  mit  welchem  Claus  sein  Genus  be- 
legt hatte,  war  aber  zur  Bezeichnung  der  Thiere  so  muster- 
haft gewählt,  dass  ich  ihn,  um  die  Nomenclatur  nicht  un- 
nöthiger  Weise  mit  einem  neuen  Namen  zu  bereichern,  bei- 
behalten habe. 


Beschreibung  eiuiger  neuen  Peltidien.  63 

Die  Diagnose  verlangte  übrigens  noch  aus  einem  wei- 
teren Grunde  eine  leichte  Aentlerung.  Claus  gibt  in  seiner 
lateinischen  Diagnose  von  den  unteren  Maxillarfüssen  an, 
sie  seien  subcheliformes.  Wir  verstehen  unter  subcheliibrm 
Bildungen  ähnlich  solcher,  wie  sie  an  den  Scheeren  mancher 
Decapoden  vorkommen.  Ich  kann  nun  eine  Aehnlichkeit 
weder  aus  der  Abbildung  von  Claus,  noch  aus  den  von 
mir  nach  den  Maxillarfüssen  zweier  neuen  Oniscidien  an- 
gefertigten Zeichnungen  herausfinden.  Sie  erinnern  mich 
viel  mehr  an  die  Greifhand  mancher  Crustaceen,  insbe- 
sondere vieler  Copepoden.  Es  möchte  daher  die  Bezeich- 
nung subcheliform  nicht  ganz  passend  gewählt  sein,  wess- 
halb  ich  mir  erlaubt  habe,  es  durch  manu  prehensili  armata 
zu  ersetzen. 

I.    Subgeuus.   Peltidium  PMlippi;    Oniscidium  Claus. 

(Taf.  IV  Fig.  III  u.  IV,  6.  7.  Taf.  V  Fig.  1.  2.  3.) 

Peltidium  PMlippi.  Einige  zoologische  Notizen  von  Dr.  A. 
Philip pi.  (Hierzu  Tafel  III  u.  IV.)  in  Wiegmann's  Ar- 
chiv für  Naturgeschichte  1839.  V.  Jahrg.  1.  Band.  S. 
131.  Taf.  IV.  12  u.  13. 
Oniscidium  Claus.  Die  freilebenden  Copepoden,  mit  be- 
sonderer Berücksichtigung  etc.  etc.  1863.  S.  141.  Taf. 
XXII  Fig.  6-9. 

In  Peltidium  purpureum  von  Philippi  erkennen  wir 
leicht  sowohl  aus  Abbildung  wie  Beschreibung  eine  Art 
der  von  Claus  als  Oniscidium  benannten  Gattung.  Die  Spe- 
cies  selbst  ist  leider  nicht  wieder  zu  erkennen.  Dagegen 
berechtigen  mich  die  sowohl  in  Zeichnung  wie  in  der 
Diagnose  hervorgehobenen  Merkmale,  an  Stelle  des  modernen 
Namens  den  alt  hergebrachten  Philippi 's  zu  setzen.  Es 
gibt  nun  allerdings  in  der  Systematik  zur  Bezeichnung 
eines  Genus  der  Coleopteren  einen  ähnlichen  Namen.  Allein 
derselbe  bezieht  sich  auf  eine  Gattung,  nicht  auf  ein  Sub- 
genus,  lautet  zum  Ueberflusse  nicht  Peltidium,  sondern  Pelti- 
dion.  Eine  Verwechslung  kann  somit  nicht  leicht  Statt  haben. 
Das  Subgenus  Peltidium  kann  bezeichnet  werden: 
Pedum  primi  paris  ramus  internus  bi-rarissime  tri-articulatus, 
setis  armatus,   oder  wie  sich  Claus  etwas  verschwommen 


64  G.  Haller: 

ausdrückt:  Der  untere  Ast  des  ersten  Fusspaares  zweiglie- 
derig, kein  eigentlicher  Ruderfuss. 
Hierher  gehören: 

1.     Oniscidium  armatum  Cls. 

Oniscidinm  armatum  Cls.    Die  freilebenden  Copepoden  von 
Dr.  Claus.  1864.  S.  141.  Taf.  XXII  Fig.  6-9. 

Claus  besass  diese  Art  aus  Nizza  und  Messina.  Ich 
habe  sie  nicht  wieder  aufgefunden. 

2.     Onisc.  triartioulatum  Hall. 
(Taf.  IV  Fig.  III  u.  7.  Taf.  V  Fig.  1.) 

Oniscidium  triarticiäatum  mihi  in  Vorläufige  Diagnosen  etc. 
loc.  cit.  S.  180. 

Körper  nur  wenig  gewölbt,  fast  ganz  flach,  von  der 
Form  eines  mit  der  Spitze  nach  hinten  gerichteten  Eies. 
Das  Thierchen  erreicht  bei  einer  Breite  von  1  mm  eine 
Länge  von  1,5,  jene  verhält  sich  also  zu  dieser  genau  wie 
2  : 3.  Von  der  gesammten  Länge  fallen  0,62  auf  den  Cepha- 
lothorax.  Das  Rostrum  ist  quer  rechteckig,  an  den  Seiten 
etwas  stärker  chitinisirt.  Die  vorderen  Ecken  des  Cepha- 
lothorax  sind  stark  abgerundet,  die  hinteren  in  Spitzen 
ausgezogen.  In  der  Mitte  desselben  erscheint  ein  offenbar 
den  Mundtheilen  entsprechender  dunklerer  Fleck,  am  hir^^ 
teren  Rande  desselben  eine  längliche  Verdickung  der  Chitin- 
decke. Wir  werden  später  fünf  ähnliche  finden,  die  hinter- 
einander in  einer  Reihe  liegen  und  von  denen  jeweilen 
eine  am  Ende  eines  der  freien  hinteren  Segmente  steht. 
Nur  dem  letzten  Gliede  fehlt  sie.  Dieses  ward  daher  nicht 
mehr  dem  Cephalothorax,  sondern  dem  ersten  mit  ihm  ver- 
schmolzenen Hinterleibssegmcnte  entsprechen.  Von  den 
sechs  freien  Segmenten  des  Hinterleibes  wird  ein  jedes 
immer  um  etwas  kürzer  als  das  Vorhergehende,  das  erste 
als  der  Cephalothorax.  Dieser  Abschnitt,  oder  wie  ich 
ihn  mehr  kurz  als  correkt  bezeichnen  will  dieser  Hinter- 
leib ist  an  den  beiden  Seitenrändern  tief  eingeschnitten, 
die  Seitenflügel  haben  glatte  Ränder  und  laufen  in  scharfe 
Spitzen   aus.     Sie   legen   sich  je   weiter   nach  hinten  zu 


Beschreibung  einiger  neuen  Peltidien.  65 

immer  enger  an  den  Leib  an,  so  dass  sie  vom  dritten  Seg- 
mente an  jeweilen  das  folgende  Segment  mit  dessen  Seiten- 
flügel zwischen  sich  fassen.  Das  letzte  Segment  entbehrt 
derselben  ganz.  Es  ist  kurz  und  höckerförmig.  Seitwärts 
von  ihm  stehen  die  Furcalglieder,  welche  in  zwei  Abschnitte 
zerfallen.  Wir  sehen  ein  kürzeres  Grundglied  und  ein 
längeres,  am  Ende  schwach  verbreitertes  Endglied,  welches 
eine  massig  lange  und  drei  kürzere  Borsten  trägt.  Jene 
ist  ungefähr  von  der  Länge  des  Cephalothorax.  Beim 
Weibchen  sind  die  Antennen  siebengliederig  (Taf.  IV  Fig.  7), 
die  drei  ersten  Glieder  lang  und  gut  ausgebildet,  die  vier 
folgenden  sehr  klein,  namentlich  das  zweitletzte  erscheint 
nur  ringförmig;  dabei  ist  ein  reichlicher  Besatz  mit  langen 
Haaren  vorzumerken.  Der  zweite  Maxillarfuss  ist  sehr 
gross,  mit  nur  wenig  langem  Stiele,  dickem  Handgliede 
und  bedeutender  Kralle  (s.  Taf.  IV  Fig  1  a).  Das  erste 
Beinpaar  (Taf.  V.  Fig.  1.  b.  b)  kennzeichnet  sich  sofort 
durch  den  kurzen  und  dicken  inneren  Ast,  welcher  deut- 
lich aus  drei  Gliedern  besteht,  nämlich  einem  kurzen  End- 
gliede  und  zwei  längeren  am  Anfange.  Doch  auch  der 
äussere  erscheint  ziemlich  kurz  und  nur  zweigliederig. 
Jener  trägt  einige  lange  Schwimmborsten,  dieser  am  Ende 
drei  verschieden  lange  stark  gekrümmte  und  spitze  Krallen. 
Die  Farbe  dieser  Art,  welche  ihren  Namen  von  der 
Beschaifenheit  des  inneren  Astes  ihres  ersten  Fusspaares 
erhalten  hat,  ist  ein  helles  Carminroth.  Nur  vor  dem  dunk- 
len Flecken  auf  der  Mitte  des  Cephalothorax  findet  sich 
ein  mondförmiger  gelblicher  Fleck.  Der  Panzer  ist  nur 
schwach  inkrustirt  und  von  Skultpur  ist  wenig  zu  sehen. 
Die  Art  stammt  von  verschiedenen  Punkten  um  Messina, 
wo  sie  nicht  selten  zu  sein  scheint. 

3.     Oniscidium  scriptum  Haller. 
(Taf.  IV  Fig.  IV  u.  6,  Taf.  V  Fig.  2.  3.) 

Onisc.  sculptum  mihi.   Dr.  G.  Ha  Her  Vorläufige  Diagnosen 
etc.  loc.  cit.  S.  180. 

Die  Kückenfläche  stark  gewölbt,  die  Bauchfläche  wenig 
concav,  Körper  daher  kaum  durchsichtig.  Seine  Umrisse 
sind  eiförmig;  dabei  erreicht  er  bei  einer  durchschnittlichen 

Archiv  f.  Naturg.  XXXXVI.  Jahrg.  1.  Bd.  5 


66  G.  Hall  er: 

Breite  von  1,0,  eine  Länge  von  1,7  mm,  also  ist  die  Art  nur 
wenig  gestreckter  als  die  vorhergehende.  Der  Hinterleib 
ist  tief  eingeschnitten,  seine  Seitenflügel  quer  abgestutzt, 
etwas  zackig.  Die  zwei  hintersten  derselben  erscheinen 
stark  nach  hinten  gerichtet,  so  dass  sie  das  folgende  Kör- 
persegment zwischen  sich  fassen.  Das  letzte  Segment  ver- 
hält sich  wie  in  der  vorigen  Art.  An  dem  ausserordentlich 
stark  inkrustirten  Thiere  haben  wir  verschiedene  Skulp- 
turen zu  beachten.  Vor  allem  ist  die  Mitte  des  Cephalothorax 
in  der  ganzen  Längenrichtung  kielartig  erhöht.  Nur  vorne 
verbreitert  sich  dieser  Kiel  zu  einer  Art  Knauf;  hinter 
demselben  beginnen  zwei  breite  ausgehöhlte  Furchen,  welche 
mit  nach  aussen  gekehrtem  Bogen  auseinandertreten,  sie 
bilden  eine  V-förmige  Figur  von  der  ganzen  Länge  des 
Cephalothorax.  Sie  verbreitern  sich  allmählich  nach  vorne 
hin.  Ihr  Rand  wird  von  einer  tiefen  und  schmalen  Rinne 
umsäumt,  welche  nach  aussen  hin  vier  kurze  Zweiglinien 
sendet.  Das  Rostrum  ist  sehr  breit  und  kurz,  vorne  leicht 
ausgerandet.  Auf  der  Mitte  der  freien  Segmente  des  Hinter- 
leibes bezeichnen  die  steil  abfallenden  Ränder  einer  wulst- 
fömigen  Verdickung  die  Grenze  zwischen  dem  Körper  und 
dessen  Seitenflügel.  Auch  um  diese  Wälle  zieht  sich  eine 
tiefe  und  schmale  Rinne  und  gränzt  sie  gegen  Aussen  scharf 
ab.  Etwas  modifizirt  zeigt  sich  das  letzte  geflügelte  Seg- 
ment. Hier  fehlt  die  abgerundete  Rinne  und  der  Wall  ist 
undeutlicher,  üeberdies  ist  der  vordere  Rand  dieses  und 
des  vorhergehenden  Segmentes  durch  eine  kurze  aber  tiefe 
Längsfurche  in  zwei  gleiche  Hälften  getheilt.  Die  Furcal- 
glieder  sind  kurz  und  griffeiförmig;  sie  stehen  nicht  ganz 
um  das  Doppelte  ihrer  eigenen  Länge  auseinander  und 
tragen  nur  eine  einzige  und  gefärbte  Endborste,  welche  etwa 
von  der  Länge  des  Cephalothorax  ist.  Auf  der  ganzen  Rücken- 
fläche, namentlich  aber  auf  dem  vorderen  Körperabschnitte 
finden  sich  zahlreiche  porenartige  blasse  Stellen.  Wie  wir 
am  Seitenrande  bemerken,  entsprechen  dieselben  ebenso 
vielen  Oeffnungen  kleiner  kraterähnlichen  Erhabenheiten. 

In  der  Bildung  des  oberen  Maxillarfusses  (Taf.  V  Fig.  2) 
glaube  ich  Aehnlichkeiten  mit  der  von  Claus  gegebenen 
Abbildung  des  entsprechenden  Gebildes  von  Oniscidium  ar- 


Beschreibung  einiger  neuen  Peltidien.  67 

matum  zu  erkeiiDcn.  Ebenso  entspricht  auch  die  Bildung 
des  ersten  Fusspaares  (Taf.  V  Fig.  3)  den  für  die  Gattung 
allgemein  geltenden  Verhältnissen.  Der  äussere  Ast  besteht 
aus  drei  langgestreckten  Gliedern,  trägt  am  Ende  eine  lange 
Kralle  und  zwei  kürzere  Borsten,  der  innere  Ast  ist  da- 
gegen aus  zwei  ungefähr  gleich  langen  Gliedern  zusammen- 
gesetzt, das  zweite  derselben  trägt  am  quer  abgestutzten 
Ende  zwei  lange  Borsten.  Der  innere  Ast  steht  dem  äus- 
seren an  Länge  nur  wenig  nach.  Der  fünfte  Fuss  (Taf.  IV 
Fig.  6)  ist  einfach,  massig  lang,  stielrund  und  gebogen, 
was  ich  als  hornförmig  bezeichnen  möchte.  Auf  seiner 
äusseren  Seite  stehen  sechs  bis  sieben  steife,  starke  und 
nur  wenig  lange  Borsten  von  dunkelrother  Färbung.  Ueber- 
haupt  sind  die  meisten  Haargebilde  tiefer  gefärbt  als  der 
Körper.  Dieser  ist  bei  auffallendem  Lichte  purpurroth,  bei 
im  Präparat  durchfallendem  carminroth  gefärbt.  Nur  etwas 
vor  der  Mitte  des  Cephalothorax  und  zu  beiden  Seiten  von 
dessen  zugerundetem  Kiele  stehen  zwei  grosse  helle  und 
gelbliche  Flecken.  —  Ich  brachte  das  hübsche  Thier  in 
zwei  Exemplaren  von  einer  kleinen  Excursion  nach  Lipäri  mit. 

U.    Subgeniis  Zausoscidiiim. 

(Taf.  V  Fig.  III.  IV  u.  4.) 

Zausoscidium  gen.  nov.  mihi.  Vorläufige  Diagnosen  etc.  loc. 
cit.  S.  179. 

Pedum  primi  paris  rami  ambo  prehensiles,  externus 
articulo  tertio,  minimo,  apice  uncis  armatus;  internus 
crassus  biarticulatus,  subcheliformis. 

Die  einzige  hierher  gehörende  Art,  einer  der  kleineren 
Copepoden,  bietet  in  dem  Baue  seines  ersten  Fusspaares 
so  abweichende  Verhältnisse  von  dem  von  Claus  für  die 
Gattung  Oniscidium  Geforderten,  dass  ich  sie  lange  Zeit  für 
den  Repräsentanten  einer  besonderen  Gattung  hielt,  welche 
ich  denn  auch  in  der  oben  citirten  Mittheilung  beschrieb. 
Allein  bei  noch  sorgfältigerem  Studium  erweisen  sich  alle 
übrigen  Verhältnisse  so  übereinstimmend  mit  Oniscidium, 
dass  ich  mich  leicht  überzeugte,  die  gegenwärtige  Stellung 
sei  die  naturgemässere.    Der  Name    ist   zusammengesetzt 


68  G.  Haller: 

aus  Zaus  und  Oniscidium,  wo  bei  letzterer  GattuDgsbezeicbnuug 
eine  Silbe  weggelassen  wurde,  damit  nicht  ein  allzulanges 
vielsilbiges  Wort  entstünde. 

Die  einzige  bis  jetzt  bekannte  Art  ist: 

Zausoscidium  Folii  mihi. 
(Figuren  wie  oben.) 

Zausoscidium  Folii  mihi.    Dr.  G.   Ha  11  er   Vorläufige  Dia- 
gnosen etc.  loc.  cit.  pag.  179. 

Das  Thierchen  erreicht  bei  einer  Breite  von  0,9  mm 
eine  Länge  von  1,4  mm,  von  letzterer  fallen  0,6  mm  auf  den 
Cephalothorax.  Im  Allgemeinen  sind  die  Körperumrisse 
wie  bei  den  übrigen  Arten  von  Eiform.  Vorn  ist  der  Kör- 
per stark  verdickt  und  massig  convex,  nach  hinten  wird 
er  immer  dünner  und  flacher.  Die  Bauchfläche  erscheint 
im  Ganzen  ziemlich  flach.  Vorn  ist  der  Cephalothorax 
quer  abgestutzt  und  bildet  in  einer  leichten  Aushöhlung 
Raum  für  die  beiden  Antennenpaare  (m.  vgl.  Fig.  III  Taf.  V), 
von  denen  das  vordere  hinter  dem  unteren  steht.  Sein 
Rostrum  ist  kurz  und  breit,  leicht  ausgerandet,  zu  beiden 
Seiten  desselben  leichte  Chitinverdickungen;  seine  vorderen 
Schulterecken  sind  zackig  abgebrochen,  die  hinteren  in 
abstehende  Spitzen  ausgezogen.  Der  hintere  leicht  doppelt 
ausgebuchtete  Rand  trägt  einen  röthlich  gefärbten  Chitin- 
höcker, welcher  auch  hier  wieder  dem  mit  jenem  ver- 
schmolzenen ersten  Hinterleibssegmente  anzugehören  scheint, 
denn  wir  treffen  auch  hier  die  nämliche  Reihe  Höcker  wie 
bei  Oniscidium  friarticulatum.  Der  Hinterleib  ist  tief  und 
breit  ausgeschnitten,  seine  Seitenflügel  sind  lang,  nach 
hinten  zugespitzt  und  scharf  gezackt;  sie  treten  noch  weit 
stärker  nach  hinten  zurück  als  bei  den  vorigen  Arten. 
Schon  diejenigen  des  dritten  Segmentes  fassen  einen  grossen 
Abschnitt  der  folgenden  zwischen  sich,  die  letzten  sind 
starr  nach  hinten  gerichtet  und  überragen  das  Körperende 
beträchtlich.  Diejenigen  des  drittletzten  Hinterleibssegmentes 
sind  die  mächtigsten  und  stark  blattförmig;  sie  scheinen 
zwei  verschmolzenen  Segmenten  anzugehören;  diejenigen 
des  vorletzten  sind  die  kleinsten.    Das  letzte  Körpersegment 


Beschreibung  einiger  neuen  Peltidien.  69 

ist  kurz  und  liöckerartig.  Es  entbehrt  ihrer  ganz.  Auf  der 
Rücken-  wie  Bauchfläche  bemerken  wir  zwei  Systeme  von 
sich  kreuzenden  und  unter  sich  winkelige  Figuren  bildenden 
Chitinleisten,  von  denen  das  eine  mehr  dem  Rande  ange- 
hört und  die  entsprechenden  Abschnitte  umsäumt,  das  andere 
mehr  die  Mitte  inne  hält.  Die  Furcalglieder  sind  länger 
als  das  höckerartige  letzte  Körpersegment;  sie  stehen  nahe 
bei  einander  und  dei*  Zwischenraum  beträgt  etwa  die  Hälfte 
ihrer  eigenen  Länge.  Sie  tragen  eine  einzige  lange  und 
mehrere  ganz  kurze  Endborsten.  Jene  ist  ungefähr  von 
der  Länge  des  Cephalothorax. 

Der  untere  Maxillarfuss  ist  sehr  gross,  mit  einer  Greif- 
hand bewaffnet.  Sein  Stiel  ist  nur  von  massiger  Länge. 
Am  auffallendsten  verhält  sich  der  erste  Fuss,  da  dessen 
Aeste  beide  zum  Greifen  eingerichtet  sind  (Fig.  III  u.  4. 
Taf.  V).  Derselbe  erinnert  in  der  Bildungsweise  der  ba- 
salen Grundstücke  vollkommen  an  die  entsprechende  Extre- 
mität der  Oniscidien,  derjenige  des  äusseren  Astes  an 
einen  Harpacticus,  der  innere  Ast  ist  dagegen  eine  ganz 
eigenartige  Bildung.  Darin  dass  beide  x\este  zu  Greif- 
armen umgewandelt  sind,  muss  Verwandtschaft  mit  Zaus 
erkannt  werden,  von  welcher  Gattung  Claus  in  seiner  la- 
teinischen Diagnose  sagt:  rami  ambo  prehensiles.  Versuchen 
wir  nun  .diese  Verhältnisse  auch  durch  die  Beschreibung 
zu  veranschaulichen.  Der  äussere  Ast  besteht  aus  zwei 
ungefähr  gleich  langen  Grundgliedern,  die  ungefähr  drei 
bis  vier  mal  so  lang  sind  wie  breit.  Ein  jedes  derselben 
trägt  in  der  Mitte  an  seiner  Innenseite,  das  zweite  auch 
an  seiner  Aussenseite  nahe  dem  sich  verschmälernden  Ende 
eine  Borste.  Das  dritte  Glied  ist  sehr  klein,  ungefähr 
dreieckig  und  trägt  zwei  kurze  Krallen  verschiedener  Grösse. 
Der  Aussenast  ist  fast  zwei  Mal  so  dick  wie  der  innere 
und  besteht  aus  zwei  gedrungenen  Gliedern,  von  denen  das 
erste  an  beiden  Enden,  das  zweite  nur  am  Grunde  etwas 
verschmälert  ist.  Es  endet  breit  abgestutzt  und  bietet  an 
seiner  äusseren  Seite  Raum  für  eine  starke  Kralle,  nach 
innen  für  einen  Höcker.  Es  entsteht  mithin  eine  Bildung, 
welche  einiger  Massen  an  die  subcheliformen  Scheeren  der 
Decapoden  erinnert.    Auf  diesem  Höcker,  sowie  nach  aussen 


70  G.  Haller: 

vom  Ende  des  ersten  Gliedes  finden  sich  jeweilen  zwei 
längere  Borsten.  Die  übrigen  Beine  sind  schmächtig  und 
etwas  abgeflacht;  das  fünfte  Paar  kurz,  einfach  und  horn- 
förmig  (Fig.  6  Taf.  IV).  Die  Färbung  dieser  Art,  welche 
ich  in  Messina  in  einigen  Exemplaren  sammelte,  ist  ein 
helles  Braun,  gegen  das  sich  die  rothen  Höckerchen  auf 
der  Rückenfläche  hübsch  abheben. 

In  oben  oftmals  erwähnter  vorläufiger  Mittheilung  habe 
ich  unter  der  Bezeichnung  Oniscidium  incertum  mihi  noch 
eine  weitere  neue  Peltidie  zu  kennzeichnen  gesucht.  Die- 
selbe ist  mir  aber  leider  durch  einen  unglücklichen  Zufall 
verloren  gegangen,  bevor  ich  eine  Zeichnung  oder  ausführ- 
liche Beschreibung  davon  hätte  anfertigen  können;  so  muss 
ich  denn  von  einer  weiteren  Schilderung  derselben  abstehen. 


Erklärung  der  Abbildungen  auf  den  Tafeln  IV  und  V. 

Taf.  IV.  Fig.  I.       Porcelliäium  ovatum  Hall.     Oc.  4.  Syst.  4. 

„    n.      Porcellidium  parvulum    Hall.      Oc.    3.    Syst.     4. 

a.  Männchen,     b.  Weibchen. 
„    HI.     Oniscidium  (Peltidium)  triarticulatum  Hall,    unter 

nämlicher  Vergrösserung  wie  die  Vorigen. 
„    IV.    Oniscidium  (Peltidium)  sculptum  Hall.  Unter  näml. 
Vergr.  bei  auffallendem  Lichte  gemalt. 
Fig.     1.  Eigenthümliche  Dorne    mit  Plättchen,     an    der  Spitze   der 
Krallen  des  zweiten  Maxillarfusses.     Oc,  4.  Syst.  7. 
„       2.   Maxillarpalpus.     Oc.  4.  Syst.  7. 

„       3.   Fünfter  Thoracalfuss.     Oc.  4.   Syst.   6.  gleich  den  vorher- 
gehenden Figuren  von  Porcellidium  ovatum  Hall. 
„       4..  a  rechte  Caudalplatte,  b  fünfter  Thoracalfuss  der  nämlichen 

Seite  des  Weibchens. 
„       5.  a  linke  Caudalplatte    und    b   rechter    letzter   Thoracalfuss 
des  Männchens   von   Porcellidium    ovatum^    beide   Figuren 
unter  Oc.  4.  Syst.  6. 
„       6.  Fünfter  Thoracalfuss   von  Oniscidium  sculptum  Hall.  Oc.  4. 

Syst.  6. 
„       7.  Vorderer  Fühler  von  Oniscidium  triarticulatum  Hall.  Oc.  7. 
Syst.  6. 


Beschreibung  einiger  neuen  Peltidien.  71 

Taf.  V.  Fig.     I.      Oniscidium   (ZausoscidiumJ    Folii  Hall,    von   der 

Rückenseite  Oc.  3.  Syst.  6. 

„     II.    Oniscidium   (Zausoscidium)    Folii    Hall,    von    der 

Bauchseite.  Oc.  3.  Syst.  4. 

Fig.     1,   a  Unterster  Maxillarfuss  rechter  Seite,  bb'  erstes  Thoracal- 

fusspaar  von  Oniscidium  triarticulatum  Hall.  Oc.  3.  Syst.  6. 

„      2.  Oberer  Maxillarfuss  von  Oniscidium   sculptum  Hall.   Oc.  3. 

Syst.  6. 
„      3.  Erster  Thoracalfuss  von   Oniscidium  sculptum  Hall.   Oc.  3. 

Syst.  6. 
„       4.  Erster  Thoracalfuss  von  Oniscidium  Folii.    Oc.  3.  Syst.  6. 


NB.  Die  Zeichnungen  wurden  unter  Anwendung  der  Camera 
lucida  von  Nachet  nach  Präparaten  in  Farrant'schem  Medium 
gemacht.  Zu  den  Beobachtungen  wurde  ferner  nur  ein  kleines 
Hartnack'sches  Mikroskop  benutzt  und  die  Angaben  der  combinir- 
ten  Linsensysteme  beziehen  sich  auf  dasselbe  bei  eingestossener 
Kammer. 


Rhynchopsyllus,  eine  neue  Puliciden-Gattung, 

in  einigen  Worten  gekennzeichnet. 

Von 

Dr.  Gl.  Haller. 


Hierzu  Tafel  VI. 


Grattungscliarakteristik :  Kopfgross,  Thoracalseg- 
mente  sehr  schmal,  einen  halsartigen  Uebergang 
zwischen  Kopf  und  Abdomen  bildend.  Hinterleib 
der  Weibchen  zur  Zeit  der  Reife  zu  einer  maden- 
förmigen,  deutlich  segmentirten  Masse  anschwel- 
lend. Fühler  viergliederig,  denjenigen  der  übrigen 
Puliciden  ähnlich.  Punktaugen  äusserst  klein,  weit 
nach  vorne  verlegt.  Mundtheile  sehr  ausgebildet. 
Rüssel  überaus  lang.  Mandibeln  sehr  deutlich, 
von  der  Form  eines  Reisszahnes  mit  rückwärts  ge- 
krümmtem bogenförmigem  und  viergliederigem 
Taster.  Unterlippe  so  lang  wie  die  Unterkiefer, 
einfach,  muldenförmig  mit  zweigliederigem  ein- 
schlagbarem Taster.  Füsse  Springbeine  und  wie 
bei  den  übrigen  Aphanipteren  beschaffen. 

Verwandtschaftsverhältnisse:  Der  Parasit,  dem  obige 
kurze  Diagnose  gilt,  kennzeichnet  sich  wie  aus  nachfolgen- 
der Beschreibung  und  beigefügter  Zeichnung  aufs  Deut- 
lichste hervorgehen  wird,  sowohl  durch  die  äussere  wie 
innere  Anatomie  als  einen  ächten  Puliciden.  •  Er  bietet 
uns   die  deutlichsten  Anknüpfungspunkte  mit  den  drei  bis 


Rhynchopsyllus,  eine  neue  Puliciden-Gattung.  73 

jetzt  mit  voller  Sicherheit  bekannten  Gattungen  Pulex,  Cera- 
topsyllus  und  Sarcopsyllus  (Rhynchoprion  Oken)  dar.  Mit 
dem  menschlichen  Flohe  stimmt  er  durch  die  Gestalt,  nament- 
lich durch  die  schmalen  Tlioracalsegmente,  lerner  durch  das 
Fehlen  des  Rückenkammes  iiberein.  Wir  haben  aber  bis 
jetzt  noch  keinen  ächten  Pulex  auf  einem  anderen  Säuge- 
thiere  als  den  Bimanen  gefunden.  Durch  seinen  Aufenthalt 
auf  einem  Cheiropteron  erinnert  das  Thier  an  Ceratopsyllus, 
welcher  ebenfalls  als  Parasit  auf  Thieren  dieser  Ordnung 
vorgefunden  worden  ist.  Sonst  lassen  sich  zwischen  beiden 
Gattungen  noch  verschiedene  gemeinschaftliche  Merkmale 
auffinden.  Mit  Rhynchoprion  Oken  besitzt  das  Thierchen 
unter  anderem  die  gemeinschaftliche  Eigenthümlichkeit,  dass 
seine  Weibchen  unter  gewissen  Bedingungen  ihr  Körper- 
volumen verändern  und  unförmlich  aufgedunsen  erscheinen; 
freilich  mit  dem  Unterschiede,  dass  dort  ihre  Gestalt  eine 
unförmlich  kugelige  wird,  hier  immer  eine  deutlich  segmen- 
tirte,  madenförmige  bleibt.  Es  bildet  mithin  diese  Gattung 
ein  Bindeglied  zwischen  Ceratopsyllus  Pulex  und  Rhyncho- 
prion, vermittelt  aber  namentlich  den  Uebergang  zwischen 
den  beiden  letzten  Genera.  Unterschieden  ist  sie  von  allen 
Gattungen  durch  die  muldenförmige  Unterlippe  nebst  deren 
langen,  zweigliederigen  Tastern,  den  deutlichen  Unterkiefern 
und  durch  die  beträchtliche  Länge  des  aus  Mandibeln  und 
Labrum  gebildeten  Rüssels,  welche  beinahe  derjenigen  des 
halben  Leibes  gleichkommt.  Von  letzterer  Eigenschaft  habe 
ich  den  Namen  der  neuen  Gattung  hergeleitet  und  glaube 
dadurch  auch  ein  bequemes  Mittel  gefunden  zu  haben,  um 
die  verschiedenen  verwandtschaftlichen  Beziehungen  zu  be- 
zeichnen; man  sieht  nämlich  leicht  ein,  dass  in  Rhyncho- 
psyllus das  erste  Wort  der  Gattung  Rhyncho-prion,  das 
zweite  Cerato-psyllus  entnommen  ist,  durch  den  Species- 
namen  ist  die  dritte  und  hauptsächlichste  Annäherung  aus- 
gedrückt worden. 

Gilt  es  nun  diese  anatomischen  und  phyisologischen 
Verwandtschaften  zwischen  den  vier  nunmehr  mit  voller 
Sicherheit  bekannten  Gattungen  durch  eine  dichotomische 
Zusammenstellung  sichtbar  zu  machen,  so  kann  es  folgender 
Maassen  geschehen: 


74  G.  Haller: 

^r  ■■,    ■,  ■       i       ^iß    Gliederung   wird 

Weibchen     zu     emer  Im  .    ,  ,  -n,       •, 

TT  .    T  J  vollkommen  verwischt .  ,    Bhynchopnon. 

gewissen     Lebensperiodex       t^-     /^i-  j  i  i    i  i 

^..      ,.  ,  ,      „      -,1       Die  Gliederung  bleibt 

umormlich   anschwellend!,     ,,.  ,  -r.»       , 

V  deutlich Ehynchopsyllus. 

Die  Weibchen  verän-  (        Rückenkämme       vor- 
dem    ihr    Volumen     nie  <  banden Ceratopsyllus. 

auf  so   auffallende  Weise  (        Rückenkämme  fehlen.    Pulex. 

Material:  Der  Ectoparasit,  welcher  dieser  beschei- 
denen Studie  zur  Grundlage  dient,  wurde  von  mir  auf  einem 
Molossus  gesammelt,  welcher  als  Weingeistpräperat  aus 
Brasilien  nach  Genf  gekommen  war.  Aufmerksam  gemacht 
durch  den  Präparator  des  Museums  beobachtete  ich  sie  als 
ungefähr  reiskorngrosse  madenförmige  Schmarotzer  hinter 
den  Ohren.  Diesen  Standpunkt  scheinen  sie  mit  grosser 
Vorliebe  zu  wählen,  denn  an  dem  einzigen  von  mir  unter- 
suchten Individuum  fand  ich  hier  ungefähr  25  Individuen 
und  nur  noch  sechs  bis  acht  am  übrigen  Körper.  Obwohl 
mein  Material  mithin  ein  sehr  reichliches  genannt  werden 
könnte,  blieb  es  doch  sehr  unvollständig.  Vor  Allem  ist  mir 
kein  einziges  Männchen  zu  Gesicht  gekommen;  unter  den 
33  Weibchen  gelang  es  mir  sodann  nur  zwei  im  normalen, 
mithin  nicht  aufgedunsenen  Zustande  aufzufinden,  und  auch 
diese  nur  beinahe  unversehrt.  Unter  den  madenförmig  auf- 
getriebenen Weibchen  konnte  ich  trotz  aller  angewandten 
Sorgfalt  nur  zwei  ohne  Zurticklassung  des  Kopfes  losprä- 
pariren,  und  kein  einziges  unter  diesen  besitzt  die  voll- 
kommene Ausrüstung  mit  Locomotionsorganen.  Mein  Mate- 
rial erinnert  so  eher  an  dasjenige  eines  Paläontologen,  wie 
eines  Zoologen.  Von  einer  Beschreibung  der  Species  will 
ich  mithin  absehen,  doch  ist  es  mir  möglich  an  Hand  dieser 
Bruchstücke  die  Gattungscharaktere  in  einigen  Worten  zu 
schildern  und  sodann  einen  Blick  auf  einzelne  anatomische 
Verhältnisse  zu  werfen. 

Aeussere  Körperverliältnisse:  Aus  eben  angeführten 
Gründen  gilt  die  Beschreibung  der  äusseren  Anatomie  einzig 
dem  Weibchen,  welches  jedoch  die  auffallendsten  Merkmale 
der  uenen  Gattung  zur  Schau  trägt.  Die  äusseren  Körperver- 
hältnisse des  Männchens  weichen  vermuthlich  nur  sehr 
wenig  von  den  nachzubeschreibenden  ab.  Was  die  Weibchen 


Rhynchopsyllus  eine  neue  Puliciden-Gattung.  75 

anbelangt,  so  werden  wir  zwei  Formen  unterscheiden  müssen. 
Die  eine,  welche  ich  als  die  madenförmige  bezeichnen  werde, 
bietet  uns  das  weibliche  Thier  zur  Periode  der  Eierablage 
dar,  mithin  wenn  dessen  Hinterleib  voll  Eier  gepfropft  ist, 
die  andere  heisse  ich  im  Gegensatze  zu  dieser  die  normale. 
Das  Weibchen  zeigt  sich  uns  unter  derselben  ausserhalb 
jener  Periode.  Es  erinnert  diese  Gestaltsveränderung  einiger 
Maassen  an  das,  was  wir  für  einige  Milben  (Dermaleichen) 
kennen.  Auch  Hesse  sich  ein  äusserer  Vergleich  des  Weib- 
chens von  Ceratopsyllus  mit  der  Königin  der  Termiten 
leicht  festhalten. 

Das  normale  Weibchen  bietet  nun  vollkommen  den  für 
die  Puliciden  allgemein  geltenden  Körperbau  dar.  Wir 
bemerken  an  ihm  (Taf.  VI  Fig.  1)  einen  achtgliederigen 
Hinterleib,  drei  deutlich  getrennte  Thoracalsegmente  und 
einen  grossen,  im  seitlichen  Umrisse  fast  dreieckigen  Kopf. 
Der  Hinterleib  erweist  sich  als  stark  compress,  der  Form 
nach  als  ungefähr  oval  und  als  wenig  stark  chitinisirt. 
Die  schmalen  und  wenig  umfangreichen  Chitinschilder 
nehmen  namentlich  seinen  Rücken-  und  Bauchtheil  in  An- 
spruch. Seine  Seitentheile  werden  dagegen  fast  ganz  von 
der  weichen  Haut  bekleidet,  welche  die  Chitinschilder  unter 
sich,  verbindet;  diese  reichen  weder  an  der  Rückenseite 
weit  herab,  noch  an  der  Bauchseite  weit  herauf.  Es  wird 
dadurch  dem  Körper  jene  grosse  Ausdehnung  ermöglicht, 
welche  wir  bald  für  das  reife  Weibchen  kennen  lernen. 
Vor  allen  übrigen  Puliciden  kennzeichnet  sich  sodann 
unsere  neue  Gattung  durch  die  überaus  schmalen  Thoracal- 
segmente. Diese  verschmelzen  bei  den  Flöhen  bekanntlich 
nie  zu  einem  Thorax,  wie  es  doch  bei  den  übrigen  Dipteren 
der  Fall  ist.  Auch  bei  Rhynchopsyllus  bleiben  sie  deut- 
licher getrennt  und  bilden  nur  durch  ihre  Gesamlntheit 
einen  schmalen  halsähnlichen  Uebergang  zwischen  Kopf 
und  Abdomen.  Dieser  Abschnitt,  welchen  wir  als  Thorax 
bezeichnen  können,  wird  an  Länge  von  dem  mächtigen 
Kopfe  mehr  als  um  die  Hälfte  übertroffen  und  jener  steht 
ihm  auch  an  Höhe  nicht  nach. 

An  dem  aufgedunsenen  Weibchen  ändern  zwar  diese 
Verhältnisse  wesentlich,  jedoch  nie  so  weit,  dass  die  allge- 


76  G.  Haller: 

meine  Gliederung  so  sehr  gestört  würde  wie  bei  Rhyncho- 
prion.  Dieselbe  gibt  sich  im  Gegentheil  immer  noch  als 
die  normale  eines  Puliciden  zu  erkennen.  Vergleichen 
wir  aber  dieses  Stadium  —  es  wurde  in  Fig.  2  unter  näm~ 
lieber  Vergrösserung  wie  Fig.  1  unter  der  Camera  lucida 
gezeichnet,  so  stossen  wir  auf  einen  so  augenfälligen  Unter- 
schied, wie  wir  ihn  weder  von  Ceratopsyllus,  noch  von 
Pulex  kennen.  Derselbe  erinnert  etwas  an  die  auffallende 
Körperveränderung  von  Rhynchoprion.  Der  Hinterleib 
schwillt  nämlich  durch  die  sich  immer  mehr  mehrende 
Masse  von  Eiern  auf's  Auffälligste  an  und  erhält  schliess- 
lich ein  Volumen,  das  dasjenige  des  normalen  Weibchens 
fast  um  das  Dreifache  übertrifft.  Gleichzeitig  geht  seine 
stark  compresse  Form  in  eine  durchaus  walzliche  über,  die 
dadurch,  dass  seine  beiden  Enden  etwas  verjüngt  sind,  an 
diejenige  eines  Reiskornes  erinnert.  Bei  dieser  auffallenden 
Gestaltsveränderung,  welche  eine  sehr  allmähliche  ist,  durch 
die  grosse  Weichheit  des  Körpers  ermöglicht  wird  und 
wahrscheinlich  von  einer  bis  mehreren  Häutungen  unter- 
brochen ist,  geht  die  Segmentirung  nicht  verloren,  doch 
ändert  sich  das  Verhalten  der  einzelnen  Segmente  unter 
einander.  Am  mächtigsten  erscheinen  fünf  bis  sechs,  nur 
wenig  stehen  ihnen  zwei,  drei  und  sieben  an  Grösse  nach, 
dagegen  sind  das  erste  und  achte  sehr  klein,  ja  letzteres 
scheint  sich  so  sehr  in  das  Vorhergehende  zu  verlieren, 
dass  nur  sein  Ende,  mithin  Geschlechtsöffnung  und  After 
hervorgucken.  Die  beiden  vorderen  Tboracalsegmente  sind 
dieser  Gestaltsveränderung  nicht  unterworfen  und  bleiben 
durchaus  unverändert,  nicht  so  das  Dritte.  Dieses  dehnt 
sich  erstlich  namentlich  in  seinen  unteren  Parthien  etwas 
nach  hinten  aus  und  erhält  ferner  einen  kragenähnlichen 
flachen  Chitinrand  massiger  Breite,  welcher  sich  dem  ge- 
dunsenen und  weichen  Hinterleib  von  vorne  aufs  Innigste 
anschmiegt,  und  wohl  ganz  mit  ihm  verwächst.  Er  kann 
etwa  mit  dem  Rückenschilde  von  Ixodes  verglichen  werden 
und  unterstützt  die  Volumsveränderung  des  Körpers  auf 
ähnliche  Weise  wie  dieser.  Durch  seine  dunkle  Färbung 
hebt  er  sich  auffallend  von  dem  gelblichen  Hinterleibe  ab 


Rhynchopsyllns  eine  neue  Puliciden-Gattung.  77 

und  gibt  sich  auf  den  ersten  Blick  als  zu  den  Thoracal- 
segmenten  gehörig  zu  erkennen. 

Mit  Ausnahme  dieser  Gestaltsveränderungen  besitzen 
natürlich  die  Weibchen  alle  übrigen  Merkmale  gemeinsam 
und  ich  kann  mich  daher  darauf  beschränken,  dieselben 
für  eine  dieser  Formen  —  nehmen  wir  dafür  die  normale 
—  zu  beschreiben.  Einiger  vielleicht  mehr  zufälligen  Ver- 
schiedenheiten werde  ich  beiläufig  gedenken. 

Der  Kopf  (vergleiche  Fig.  1 — 3)  ist  gross,  sein  Vo- 
lumen übertrifft  bei  weitem  dasjenige  der  drei  Thoracal- 
segmente.  Seine  Form  erweist  sich,  wie  bereits  oben  er- 
wähnt, im  Umrisse  und  von  der  Seite  gesehen  ungefähr 
als  dreieckig.  Die  eine  Spitze  desselben  wird  durch  die 
stark  zugerundete  Stirn,  die  zweite  hintere  und  obere  durch 
das  etwas  vorspringende  zugerundete  Occiput  gebildet,  die 
dritte  endlich  liegt  fast  senkrecht  unter  diesem  und  in 
gleicher  Flucht  mit  den  Bauchplatten.  Die  obere  Kopf- 
gegend ist  stark  gewölbt,  ebenso  die  seitlichen,  die  hintere 
etwas  nach  vorn  verzogen  und  kaum  merklich  ausgerandet, 
die  untere  wagerecht  abgestutzt.  Die  hinteren  Ränder 
werden  nebst  den  unteren  von  einer  dunklen  Chitinleiste 
umsäumt,  welche  in  der  Wangengegend  jederseits  einen 
nach  oben  aufsteigenden  Stamm  ausschickt,  der  sich  unge- 
fähr in  halber  Höhe  des  Kopfes  in  zwei  Aeste  theilt,  der 
kürzere  und  einfache  zieht  nach  vorn.  Der  nach  hinten 
gerichtete  erscheint  als  Fortsetzung  des  unteren  einfachen 
Stammes  und  bildet  mit  dieser  eine  schwach  concave  Linie, 
welcher  sich  die  Fühler  anschmiegen.  Er  schwillt  nach 
oben  kolbig  an  und  scheint  eine  Höhlung  zu  umschliessen, 
welche  nach  innen  durch  eine  elliptische  oder  rundliche 
OeflPnung  mit  dem  Kopfinnern  in  Verbindung  steht.  Die 
Bedeutung  dieses  Gebildes  kann  ich  nicht  angeben,  ich  hielt 
dasselbe  Anfangs  für  das  Auge  und  es  tritt  auch  ähnlich 
einem  solchen  in  unserer  Zeichnung  hervor. 

Die  untere  Seite  des  Kopfes  ist  in  zwei  Hälften  ge- 
trennt, von  denen  die  vordere  über  die  hintere  etwas  vor- 
ragt, dicht  unter  der  eben  beschriebenen  Leiste  endet  sie 
durch  einen  nach  hinten  vorstehenden  Hackenfortsatz  deut- 
lich   abgesetzt   von    der   hinteren   einfachen  Parthie.    Die 


78  G.  Haller: 

vordere  deutlich  vortretende  Hälfte  trägt  die  Mundtheile 
(vergleiche  Fig.  3),  die  einen  eigenthümlichen  für  die  Gat- 
tung charakteristischen  Bau  zeigen.  Zuvörderst  und  dicht 
unterhalb  der  Stirn  fällt  ein  ausserordentlich  langer  und 
stark  gebräunter  Rüssel  (Fig.  3  md)  in  die  Augen,  welcher 
an  seinem  unteren  Ende  etwas  nach  vorne  gekrümmt  ist. 
Er  kommt  an  Länge  ungefähr  Kopf  und  Thorax  gleich,  es 
kann  mithin  unter  den  übrigen  Puliciden  mit  ihm  nur 
der  Rüssel  von  Rhynchoprion  verglichen  werden.  Auch 
besteht  er  gleich  diesem  nur  aus  den  paarigen  Mandibeln 
(Fig.  3  u.  6  md),  welche  die  Scheide  bilden  und  der  un- 
paaren  Oberlippe  (Fig.  6  1),  welche  ganz  im  vorderen  Ab- 
schnitte des  letzteren  verborgen  liegt,  Stechborsten  fehlen. 
Die  Oberkiefer  sind  zwei  schmale  und  flache  degenförmig 
zugespitzte  Chitinstücke  von  der  Länge  des  gesammten 
Rüssels.  Ihre  beiden  Ränder  sind  von  einer  doppelten 
Reihe  starker  Höcker  besetzt,  welche  ungefähr  die  Form 
kurz  begrannter  Getreidekörner  haben  (Fig.  7),  welche 
ihre  Grannen  nach  oben  kehren,  und  zwar  richten  dieje- 
nigen der  inneren  die  ihren  nach  innen,  diejenigen  der 
äusseren  nach  aussen.  Es  entsteht  so  ähnlich  dem  mit 
Widerhacken  besetzten  Rüssel  der  Ixoden  ein  fürchter- 
liches Instrument.  Ist  dasselbe  einmal  als  Anker  in  den 
Körper  des  Wirthes  eingelassen,  kann  es  wider  Willen 
des  Parasiten  nicht  mehr  zurückgezogen  werden.  In  der 
That  sahen  wir  denn  schon  oben,  dass  ähnlich  wie  bei  den 
Zecken,  der  Körper  meiner  Rhynchopsyllen  nicht  anders 
als  mit  Zurücklassung  des  Kopfes  entfernt  werden  konnte. 
Nach  vorne  schliesst  diese  Scheide  die  unpaare  Oberlippe 
ein.  Wenn  von  den  Oberkiefern  gesagt  werden  muss,  dass 
sie  stark  compress  sind,  ist  dieses  in  eben  so  hohem  Maasse 
vom  Labrum  der  Fall.  Es  tritt  dasselbe  daher  nur  zu  Tage, 
wenn  die  es  zwischen  sich  fassenden  Oberkiefer  entfernt 
oder  durch  Zufall  abgebrochen  sind  (Fig.  6  Ir).  Wir  sehen 
dann  dass  dasselbe  ebenfalls  ein  degenförmiges  und  schma- 
les, jedoch  unpaares  Stück  bildet.  Seine  vordere  Kante 
zeigt  eine  Reihe  concaver  Ausschnitte,  zwischen  denen  er- 
habene Spitzen  stehen,  die  durch  Chitinknoten  verstärkt 
sind.    An  seinen  Seitenflächen  treten  erhabene  Mittelkanten 


Rhynchopsyllus  eine  neue  Puliciden-Gattung.  79 

hervor,  welche  man  vielleicht  als  die  mit  der  Oberlippe 
verschmolzenen  Stechborsten  betrachten  kann.  Nach  hinten 
folgen  auf  diesen  Rüssel  die  Unterkiefer  (Fig.  3  m  u.  Fig.  8  mx). 
Diese  sind  deutlich  vorhanden  und  zwar  unter  der  Form 
starker  schwarzbrauner  Reisszähne;  sie  tragen  an  ihrem 
oberen  Ende  nach  vorne  einen  rückwärts  gekrümmten Jfaster 
(Fig.  3  pmx)  von  beträchtlicher  Länge.  Dieser  besteht  aus 
vier  verschiedenen  Gliedern;  von  diesen  ist  das  erste  bogen- 
förmig gekrümmt  und  das  längste.  Die  zwei  folgenden 
erweisen  sich  als  kurz  und  unter  sich  von  gleicher  Länge, 
das  vierte  endlich  hält  die  Mitte  zwischen  diesen  und  dem 
ersten.  Der  Form  nach  ergibt  es  sich  als  doppelt  konisch, 
gegen  das  freie  Ende  hin  als  zugespitzt,  gegen  die  Arti- 
culation  hin  aber  als  abgestutzt.  Der  ganze  Taster  starrt 
von  kurzen  Härchen.  Als  letztes  Stück  finden  wir  endlich 
eine  deutliche  Unterlippe  (vergl.  Fig.  8  C)  vor.  Sie  steht  an 
Länge  nur  wenig  hinter  den  Maxillen  zurück  und  besteht 
aus  einem  unpaaren  Stücke.  Dieses  hat  ungefähr  die  Form 
einer  nach  unten  und  wenig  nach  vorn  vorstehenden  Mulde, 
deren  oberer  Theil  im  Kopfe  verborgen  ist.  Ihre  Taster 
(Fig.  3  It  u.  Fig.  8  It)  bestehen  aus  zwei  deutlich  getrennten 
Gliedern,  stehen  zwar  an  Länge  bei  weitem  hinter  den 
Mandibeln  zurück,  erhalten  aber  eine  Grösse  und  Ausbil- 
dung, wie  wir  sie  einzig  an  den  Rhynchopsyllen  finden 
dürften.  Ihre  beiden  Glieder  sind  ungefähr  von  gleicher 
Länge,  aber  von  verschiedener  Form.  Das  erste  ist  einfach, 
stielförmig.  Das  zweite  erweist  sich  dagegen  nach  dem 
Streckungsrande  hin  als  in  der  Mitte  verdickt,  nach  dem 
Ende  hin  in  eine  stumpfe  Spitze  auslaufend.  Es  ist  vom 
vorhergehenden  deutlich  abgesetzt  und  scheint  am  Beugungs- 
rande gleich  einer  Messerklinge  schneidend  zugeschärft. 
Diese  Taster  werden  wohl  gewöhnlich  eingeklappt  getragen, 
wie  wir  dieses  in  Figur  3  sehen. 

Die  Bedeutung  dieser  Mundtheile  scheint  mir  selbst- 
verständlich. Der  mächtige  Rüssel  dringt  unter  sägeför- 
miger  Bewegung  der  Oberlippe  in  den  Körper  des  Wirthes 
ein  und  die  mit  rückwärts  gerichteten  Widerhacken  be- 
setzten Mandibeln  verankern  sich  in  der  Haut.  Wie  wirk- 
sam diese  Befestigung  ist,  haben  wir  oben  gesehen.    Nun 


80  G.  Hailer: 

kneipen  die  zangenförmig  nach  einwärts  und  gegen  ein- 
ander gerichteten  Maxillen  die  Haut  zu  einer  Falte  zu- 
sammen, nach  welcher  sofort  ein  vermehrter  Blutandrang 
stattfindet.  Die  Labialtaster  werden  gleich  einem  Schlacht- 
messer aufgeklappt,  das  zweite  Glied  derselben  dringt  in 
die  W<unde  und  erweitert  dieselbe.  Das  nunmehr  reichlich 
hervorquellende  Blut  wird  von  der  muldenförmigen  Unter- 
lippe gierig  aufgeschöpft  und  durch  den  engen  Oesophagus 
eingesogen.  Am  Ende  desselben  befindet  sich,  wie  wir 
später  sehen  werden,  ein  Pumpwerkzeug,  das  gleichzeitig  die 
Zermalmung  der  Blutkörperchen  besorgt. 

Am  Kopfe  treffen  wir  endlich  zwei  Sinnesorgane, 
nämlich  Fühler  und  Augen.  Erstere  (Fig.  3  f  u.  Fig.  4) 
erinnern  in  ihrer  Form  durchaus  an  diejenigen  der  übrigen 
Puliciden.  Ihrer  allgemeinsten  Form  nach  erweisen  sie 
sich  als  bogenförmig  gekrümmt,  sie  enden  kolbenförmig  und 
bestehen  aus  vier  deutlichen  Gliedern.  Das  erste  derselben 
ist  glockenförmig,  seine  Articulation  schräge  nach  innen 
abgestutzt.  Das  zweite  krümmt  sich  an  der  convexen 
Seite  des  Fühlers  in  weitem  Bogen,  um  sich  mit  dem  ersten 
zu  verbinden,  sein  inneres  kurzes  Ende  ergibt  sich  als  in 
einen  flachen  und  breit  zugerundeten  Fortsatz  ausgezogen, 
der  einige  Borsten  trägt.  Das  dritte  Glied  ergibt  sich  als 
schmal  und  ringförmig.  Der  letzte  Abschnitt  ist  weitaus 
der  mächtigste  und  scheint  durch  Verschmelzung  einer 
grösseren  Anzahl  von  Gliedern  hervorgegangen  zu  sein. 
Wenigstens  glaube  ich  muss  man  für  den  Ausdruck  der- 
selben die  acht  am  Ende  spitz  auslaufenden  Platten  des 
complicirten  Sinnesapparates  halten.  Was  das  Ange  anbe- 
langt (Fig  3  a),  so  ist  dasselbe  äusserst  klein  und  besteht 
nur  aus  einem  schwärzlichen  Pigmentflecken,  welchen  wir 
ganz  nach  vorne  fast  hart  über  der  Wurzel  des  Rüssels  ver- 
legt finden. 

Am  ersten  und  letzten  der  drei  schmalen  Thoracal- 
segmente  erkennen  wir  die  nämlichen  rudimentären  Ge- 
bilde, wie  bei  den  übrigen  Flöhen.  Am  ersten  treten  uns 
dieselben  unter  der  Form  eines  halbrunden  Chitinplättchens 
(Fig.  5  fl)  entgegen.  In  gleicher  Flucht  mit  ihm,  doch  ganz 
am  hinteren  Ende  seines  Segmentes  liegt  das  beträchtlichere 


Rhynchopsyllus   eine  neue  Puliciden-Gattung.  81 

Rudiment  des  zweiten  Fingelpaares  Fig.  fl'),  welches  im 
Ganzen  noch  eine  flitgeli'ürmige  Gestalt  bewahrt  hat  und 
an  Umfang  dasjenige  des  ersten  wohl  um  das  Dreifache 
übertrifft.  Etwas  unterhalb  der  Linie,  welche  man  sich 
durch  den  Ursprung  beider  Rudimente  gezogen  denken 
kann,  liegt  das  stark  vortretende  Mittelbruststigma.  Es  ist 
das  einzige  des  ganzen  Thorax  und  kennzeichnet  sich  vor 
den  homogenen  Bildungen  des  Abdomens  durch  seine  apfel- 
kernf()rmige  Gestalt;  seine  Spitze  ist  schräg  nach  unten 
und  vorn  gerichtet,  seine  Ränder  werden  von  starken  Chitin- 
leisten umsäumt.  Die  Bauchplatten  der  Thoracalsegmente 
erfreuen  sich  einer  gewaltigen  Ausbildung  und  tragen  nach 
hinten  einen  starken  flachen  gebräunten  Dorn.  Die  mit 
ihnen  verbundenen  Füsse  sind  vollkommen  nach  dem  Typus 
derjenigen  von  Pulex  geformt.  Ohne  mir  weiter  daraus 
eine  Schlussfolgerung  zu  gestatten,  erwähne  ich,  dass  nur 
die  beiden  normalen  Weibchen  sämmtliche  Locomotions- 
organe  besassen,  bei  den  zahlreichen  madenförmig  aufge- 
triebenen Formen  fehlten  dieselben  theilweise  oder  ganz. 

An  den  ersten  Hinterleibssegmenten  fehlen  die  für  die 
Gattung  Ceratopsyllus  wichtigen  Hornkämme  durchaus.  An 
ihrer  Stelle  treffen  wir  auf  dem  ersten  und  zweiten  Ringe 
eine  -einfache  Reihe  steifer  Borsten.  Das  achte  Segment 
ist  nach  hinten  einfach  zugerundet  und  besitzt  eine  lange 
von  doppelter  Vulva  umsäumte  Geschlechtsspalte.  Längs 
derselben  steht  eine  doppelte  Reihe  starker  Borsten.  Dicht 
überhaib  derselben  ist  das  eigenthümliche  sattelförmige 
Chitinfeld  zu  bemerken,  das  für  sämmtliche  Puliciden  cha- 
rakteristisch ist.  Es  zerfällt  dasselbe  in  eine  vordere  und 
eine  hintere  Hälfte.  Auf  der  vorderen  Hälfte  erheben  sich 
zahlreiche,  dicht  gedrängte  Ohitinspitzen  von  ausserordent- 
licher Feinheit.  Rechts  und  links  von  der  Rückenkante 
und  am  Grunde  jener  Spitzen  sehen  wir  eine  Gruppe  kreis- 
runder Figuren,  aus  deren  Mitte  sich  je  ein  Chitinhaar  er- 
hebt. Dieses  ist  w^ahrscheinlich  als  specifische  Nervenen- 
digung zu  betrachten  und  unterscheidet  sich  durch  Feinheit 
und  Farblosigkeit  von  den  starren  dicken  und  braunge- 
färbten Borsten,  welche  sich  dicht  gedrängt  auf  dem  hin- 
teren Theile  des  Sättelchens  erheben  (Vergl.  Fig.  12). 

Archiv  f.  Natnrg.  XXXXVI.  Jahrg.  1.  Bd.  6 


82  G.  Hall  er: 

Species.  Trotz  meiner  sorgfältigsten  Studien  der  ein- 
schlägigen Litteratur  ist  es  mir  nicht  gelungen,  auch  nur 
die  Spur  eines  hierher  zu  beziehenden  Thieres  ausfindig 
zu  machen.  Ich  nehme  desshalb  an,  dass  die  Art,  welche 
dieser  Skizze  zu  Grunde  lag,  auch  die  einzige  hierher  ge- 
hörende ist.  Aus  gänzlichem  Mangel  an  Männchen  muss 
ich  es  unterlassen  dieselbe  genau  zu  diagnosticiren.  Viel- 
leicht ist  sie  auch  schon  durch  obige  Schilderung  kenntlich 
gemacht  und  in  diesem  Falle  möchte  ich  vorschlagen,  sie 
ihrer  Aehnlichkeit  mit  dem  gemeinen  Flohe  halber  Rhyn- 
chopsyllus  pulex  zii  heissen.  Dieselbe  mag  hier  ferner  durch 
Angabe  einiger  Grössenverhältnisse  und  durch  Beschreibung 
der  Farben  noch  näher  signalisirt  werden. 

Die  Grössenverhältnisse  der  von  mir  untersuchten  dreissig 
madenförmigen  Weibchen  stimmten  im  Ganzen  überein.  Sie 
maassen  von  der  Stirnspitze  an  bis  zum  hinteren  Körper- 
ende 3 — 3,5  mm,  die  Höhe  des  Hinterleibes  1,2  bis  1,5,  die 
Länge  dieses  letzteren  allein  2,5  bis  3  mm.  Begreiflicher 
Weise  ändern  diese  Verhältnisse  für  die  Weibchen  im  nor- 
malen Zustande  wesentlich.  Ihre  Länge  betrug  etwa  1,3 
bei  einer  grössten  Höhe  von  0,6.  Zur  Vergleichung  und 
Beurtheilung  der  Länge  des  Rüssels  führe  ich  noch  an, 
dass  diese  0,6  bis  0,7  beträgt. 

Was  die  Färbung  anbelangt,  so  geht  dieselbe  schon 
aus  meiner  Farbenskizze  hervor.  Sie  ist  für  Kopf,  Thorax- 
segmente und  Mundtheile,  soweit  letztere  stark  chitinisirt 
sind,  ein  dunkles  Braun,  das  sich  namentlich  an  den  Unter; 
kiefern  fast  bis  zu  Schwarz  steigert.  Die  weniger  chitini- 
sirten  Mundtheile  verrathen  sich  durch  eine  mehr  oder  we- 
niger hellgelbliche  Färbung.  Bräunlichgelb  erscheinen  end- 
lich der  Hinterleib  im  nüchternen  Zustande  und  die  Loco- 
motionsorgane. 

Was  das  Vaterland  der  Species  anbelangt,  so  stammt 
dieselbe  wie  bereits  oben  erwähnt  aus  Brasilien.  Sie  wurde 
in  grosser  Anzahl  namentlich  in  der  Ohrgegend  und  am 
Hinterhaupte  eines  Molossus  gesammelt. 

Anatomisches.  Es  liegt  nicht  in  meiner  Absicht,  die 
vollständige  Anatomie  von  Rhynchopsyllus  zu  geben,  die 
doch  nur  eine  Wiederholung  desjenigen  wäre,  was  wir  für 


Khyncliopsylliis  eine  neue  Puliciden-Gattung.  83 

Pnlex  Tind  Verwandte  keimen.  leb  beschränke  micb  auf 
die  Andeutung-  einiger  wenigen  Verbältnisse,  welche  mir 
für  die  Kenntniss  der  Gattung  interessant  scheinen  und 
die  man  bei  Anfertigung  der  Präparate  so  nebenbei  erfährt. 

Der  Verdauungstractus  entspricht  durchaus  demjenigen 
der   Uhrigen   Puliciden   mit   Ausnahme   von  Rhynchoprion, 
welcher  einen    eigenen  Stempel    zu   tragen   scheint.      Die 
Speiser()hre   ist  sehr  eng,   lang  und   in  der  Mitte  winklig 
nach  oben  gebogen.    Auf  sie  folgt  eine  kleine  halbkugelige 
Blase  (Fig.  10),  welche  als  kropfähnliche  Ausstülpung  des 
Magens  7a\  betrachten  ist.     Sie  besteht  aus  zwei  Schichten 
einer   inneren   chitinösen   ohne  Epithelialbelag   und   einer 
äusseren  stark  muskulösen.    Diese  letztere  wird  von  zahl- 
reichen   dicht   gedrängten  Ringfaserbündeln    zusammenge- 
setzt.    An  der  inneren  Chitinwandung  nehmen   wir   eine 
deutliche  Streifung  wahr,   die  von   allen  Seiten  nach  dem 
Mageneingange  hin  strebt.     Isoliren  wir  diesen  Kropf  und 
setzen  wir  ihn  starkem  Drucke  aus,  so  gelingt  es  zu  zeigen, 
dass    diese   Streifen    ebenso    vielen    Reihen    kleiner   acht- 
eckiger und  gezackter  Chitinplättchen  (Fig.  11)  entsprechen. 
Diese  stehen  senkrecht  nach  innen  und  nehmen  von  der 
Peripherie  nach  dem  Mittelpunkte  hin  an  Grösse  zu.    Wir 
haben  also  hier  den  Zerkleinerungsapparat  der  kauenden 
Insekten,  die  kropfähnliche  Magenaussackung  vereinigt  mit 
dem  blasigen  Saugapparat  der  Dipteren.    Dieser  Abschnitt 
dient  mithin  gleichzeitig  zum  Einsaugen  des  Blutes  und  zur 
Verkleinerung  der  Blutkörperchen  und  zufällig  mitgerissener 
Fleischtheilchen.    Es  folgt  sodann  ein  weiter  Chylusmagen 
und  ein  kurzer  Enddarm. 

Einer  eigenartigen  Ausbildung  erfreut  sich  das  Tra- 
chealsystem  (vergl.  Fig.  9.  12.  13).  Des  Mesothoracal- 
stigma's  ist  schon  weiter  oben  gedacht  worden.  Die  Oeff- 
nungen  des  Tracheensystemes  am  Abdomen  haben  wir 
bereits  im  normalen  Zustande  sehr  weit  nach  oben  zu 
suchen,  am  madenförmigen  Weibchen  (vergl.  Fig.  2)  liegen 
sie  nun  vollends  ganz  an  der  Rückenfläche.  Es  sind  ihrer 
wie  bekannt  ursprünglich  eben  so  viele  angelegt,  wie  Meta- 
meren  vorkommen,  mithin,  acht.  Am  ausgebildeten  Thiere 
zählen  wir  aber  nur  sieben  Stigmen,   dasjenige  des  achten 


84  G.  Ha  Her: 

Ringes  fehlt  gänzlich.  Die  sieben  vorhandenen  Abdomi- 
nalstigmen haben  eine  Form,  welche  einiger  Maassen  an 
diejenigen  der  Mittelbrust  erinnert,  nur  erscheinen  sie  viel 
breiter.  Doch  werden  sie  im  Gegensatze  zu  jenen  nur  von 
einer  sehr  dünnen  mitunter  lückenhaft  unterbrochenen  Chitin- 
leiste umrahmt.  Endlich  unterscheiden  sie  sich  von  den 
Thoracalstigmen  durch  die  eigenthümliche  Verschlussvor- 
richtung, welche  ich  an  diesen  nicht  beobachtete.  Auf  den 
ersten  Blick  scheint  es  nämlich,  als  ob  die  Luftlöcher  des 
Hinterleibes  durch  eine,  feine  Membran  gänzlich  geschlossen 
würden.  Mit  sehr  starker  Vergrösserung  erkennt  man  aber, 
dass  diese  Haut  durch  einen  gebogenen  und  kaum  wahr- 
nehmbaren Spalt  in  zwei  symmetrische  Hälften  getheilt 
wird  (vergl.  Fig.  9).  Gleichzeitig  sieht  man  nach  oben 
von  demselben  zwei,  nach  unten  einen  einzigen  stark  licht- 
brechenden Chitinpunkt  von  hellgelblicher  Färbung.  Diese 
Verdickungen  geben  sich  bald  als  die  Endpunkte  ebenso 
vieler  feiner  stäbchenförmiger  Muskeln  zu  erkennen,  weiche 
von  schräg  unten  und  aussen  nach  oben  und  innen  ziehen, 
um  sich  an  der  Membran  festzusetzen.  Sie  dienen  offen- 
bar dazu,  die  feine  Verstopfungshaut  zurück  zu  ziehen,  damit 
durch  Vergrösserung  des  Spaltes  die  einzuathmende  Luft 
freien  Zutritt  zu  den  Tracheen  hat.  Nach  Erschlaffung  der 
Muskeln  verschliesst  die  Membran  in  Folge  ihrer  eigenen 
Elastizität  die  Oeffnuug  wieder.  Durch  die  verschlossenen 
Stigmen  hindurch  scheinen  die  Anfangsstämme  der  Tra- 
cheen, deren  Lumen  ein  verhältnissmässig  kleineres,  wie 
dasjenige  der  ersteren  ist. 

Der  Anfang  sämmtlicher  Tracheen  ist  ein  doppelter 
und  zwar  wiederholen  sich  die  entsprechenden  Theile  mit 
geringen  Abweichungen  succcssiv  (vergl.  Fig.  12  u.  13). 
Es  folgt  dem  Stigma  zuerst  ein  kurzer  Anfangsstamm,  der 
sich  von  der  nachfolgenden  Wiederholung  durch  wenig  be- 
deutendere Weite  und  durch  die  schwächere  Chitin isirung 
des  Spiralfadens  auszeichnet,  welchen  ich  in  einigen  Fällen 
fast  ganz  habe  verschwinden  sehen.  Nach  kurzem  Verlaufe 
verengert  sich  der  Stamm  plötzlich,  um  einem  zweiten  Platz 
zu  machen.  Es  findet  sich  an  dieser  Stelle  ein  zweites 
inneres  und  unvollkommenes  Stigma,  wenn  wir  es  so  heissen 


Rhynchopsyllus  eine  neue  Puliciden-Gattuiig.  85 

dürfcD.  Als  solches  betrachte  ich  einen  halben  Chitinreif, 
welcher  dieser  Verengerung  des  Tracheensystemes  zur  An- 
heftung dient.  Der  zweite  und  wohl  eigentliche  Anfangs- 
stanim  beginnt  stark  zugespitzt.  Er  zeigt  sodann  einen 
vorderen  deutlich  abgeschnürten,  köpfchenförmigen  An- 
fangstheil,  dessen  grösstes  Lumen  aber  ganz  das  nämliche 
ist  wie  dasjenige  der  nachfolgenden  Stämme.  Durch  die 
starke  Chitinisirung  des  Spiralfadens  oder  besser  durch  die 
dadurch  hervorgerufene  bedeutende  Lichtbrechung  des  letz- 
teren hebt  sicli  dieser  zweite  Anfangsstamm  gleich  dem 
übrigen  Tracheensystem  auffallend  von  dem  vorerwähnten 
ab.  Nach  kurzem  Verlaufe  erfolgt  der  Eintritt  des  senk- 
rechten Stammes  in  den  Längsstamm,  jener  tritt  aber  so- 
fort wieder  aus  um  nach  kurzem  Verlaufe  in  eine  Wieder- 
holung des  Längsstammes  einzumünden.  Diese  unterscheidet 
sich  von  jenem,  dass  sie  je  zwischen  zwei  senkrechten 
Stämmen  nach  unten  winklig  gebogen  ist.  Nun  erst  treten 
die  sich  verzweigenden  Tracheenstämme  auf  und  zwar 
nimmt  ein  jeder  seinen  Ursprung  an  der  winklig  gebo- 
genen Stelle,  nicht  etwa  gegenüber  einer  jener  senkrechten 
Anastomosen.  Da  die  senkrechten  Anfangsstämme  jeweilen 
den  vorderen  Einkerbungen  der  Segmente  entsprechen,  so 
entstehen  vom  ersten  bis  zum  siebenten  Segmente  eine 
Reihe  fünfeckiger  Figuren  von  der  Breite  der  Segmente 
(vergl.  Fig.  13),  deren  Seiten  von  den  verschiedenen  Tra- 
cheenstämmen umrahmt  werden  (Fig.  13).  Diese  Regel- 
mässigkeit wird  nur  von  den  Tracheen  des  achten  Ringes 
unterbrochen  und  erstrecken  sich  von  da  auf  den  siebenten. 
Wie  bereits  erwähnt  fehlt  das  Stigma  des  achten 
Rings  unseren  Thieren  durchaus,  die  Tracheen  enden  daher 
blind  und  erleiden  wohl  in  Folge  dessen  eine  bedeutende 
Modifikation.  Sie  schwellen  nämlich  zu  einer  beträchtlichen 
Blase  an,  deren  Volumen  noch  durch  verschiedene  Aus- 
stülpungen, nämlich  eine  mächtige  hintere  und  zwei  klei- 
nere vordere  vergrössert  wird  (vergl.  Fig.  12).  Die  Ver- 
hältnisse der  beiden  Anfangsstämme  verhalten  sich  ähnlich 
wie  die  der  vorhergehenden  Ringe,  wesshalb  man  für  das 
oben  Gesagte  unsere  Figur  zu  Rathe  ziehen  möge.  Ein 
geringer  Unterschied  findet  darin  statt,  dass  sie  statt  senk- 


86  G.  Ha  11  er: 

recht  nach  unten,  schräg  nach  unten  und  vorne  ziehen. 
Sie  treffen  auf  den  ersten  Längsstamm  etwas  vor  der  letzten 
Einkerbung,  von  da  an  zieht  der  letzte  einfache  senkrechte 
Stamm  als  Fortsetzung  der  beiden  vorhergehenden  wieder 
schräg  nach  vorne,  um  sich  mit  dem  homonymen  Theile 
des  vorletzten  Ringes  zu  vereinigen.  Ein  zweiter  Längs- 
stamm fehlt  und  der  sich  verzweigende  Tracheenbaum  des 
siebenten. Abdominalsegmentes  erscheint  daher  als  directe 
Fortsetzung  des  senkrechten  des  nämlichen  Abschnittes. 
Noch  ist  eines  kleineren  Tracheenbaumes  zu  gedenken, 
welcher  sich  gegenüber  dem  Ende  des  oberen  Längsstammes 
schräg  nach  hinten  und  unten  abzweigt  und  wohl  als  dessen 
Fortsetzung  anzusehen  ist. 

Der  Nutzen  der  Modifikation  des  achten  Segmentes 
ist  leicht  einzusehen.  Wie  wir  oben  erkannten  ist  bei  den 
madenförmigen  Weibchen  dieser  Abschnitt  fast  gänzlich 
in  den  vorletzten  zurückgezogen.  Ein  Stigma  wäre  daher- 
tiberflüssig.  Ein  Luftreservoir  leistet  hier  bessere  Dienste, 
es  wird  dasselbe  von  den  übrigen  Tracheen  ausgefüllt  und 
versorgt  seinen  eigenen  Ring  mit  dem  nöthigen  Bedarfe. 

Wie  schon  oben  gesagt  wurde,  fällt  das  Anschwellen 
des  Hinterleibes  der  Weibchen  mit  der  Periode  zusammen, 
wo  die  Eiablage  beginnt.  Wir  sehen  dem  entsprechend 
denn  auch  jederseits  zwei  mächtige  Eierschläuche  durch 
die  Körperwandungen  hindurch  scheinen.  Sie  sind  zu 
mehrfachen  Windungen  zusammengeknäuelt,  und  diese 
legen  sich  in  aufsteigender  Reihenfolge  über  einander.  Es 
enthält  somit  die  unterste  Windung  die  reifen  Eier.  Die 
Zahl  dieser  letzteren  ist  eine  beträchtlich  grössere,  wie  je- 
mals bei  Ceratopsyllus  oder  Pulex.  Ich  zähle  derselben 
durchschnittlich  ca.  20  in  einem  Weibchen.  Rechnet  man 
dazu,  dass  den  abgegangenen  immer  neue  nachfolgen,  so 
ist  die  Zahl  der  Eier,  welche  eine  Mutter  ablegen  kann, 
eine  recht  beträchtliche. 


Rhynchopsyllus  eine  neue  Puliciden-Gatung.  87 

Erklärung:  der  Abbildungen  auf  Tafel  VI. 

Fig.    1.     Normales   Weibchen    als   Farbenskizze,    zugleich    zur  Ver- 

gleichung    mit    uachfolgeuder  Form    unter    der   nämlichen 

Vergrösserung  wie  diese  gezeichnet. 
,,        2.  Das  einer  Termitenkönigin  ähnliche  Weibchen    unter  Oc.  3 

Syst.  1. 
„        3.  Kopf  und  Thorax  von  Rhynchopsyllus  unter  Oc.  3  Syst.  4. 
1.  2.  3.  Die  Thoracalsegmente  mit  1'  2'  3'  den  Extremitäten. 

a.  Auge, 

f.  Fühler, 

1.  Labium, 

lt.  Labialtaster, 

md.  Mandibeln, 

mx.  Maxillen, 

pmx.  Palpus  maxillaris. 
4.  Fühler. 
„        5.  Die  Anhänge  der  Thoracalsegmente. 

fl.  Flügelrudiment  des  ersten,  .  * 

fl'.  des  dritten  Ringes, 

s.  Mittelbruststigma. 
„        6.  Der  lange  Rüssel.  Oc.  3  Syst.  6. 

md.  Mandibeln  nahe  dem  Ursprünge  abgebrochen.  Ir.  Ober- 
lippe. 
„        7.  die  randständigen  Höcker  der  Oberkiefer  Oc.  4  Syst.  7. 
„        8,  Labium  1,  Labialtaster  (aufgeklappt)  It  und  reisszahnförmige 

Maxillen  mx.  Oc.  3.  Syst.  6. 
,,        9.  Ein  Hinterleibsstigma.   Oc.  4  Syst.  7. 
„      10.  Kroj)fähnlicher  Anfangstheil  des  Magens. 
,,      11.  Dessen  Chitinzähne.  Oc,  4  Syst.  7. 

„       12.  Anfangsblase  des  Tracheensystemes  ded  achten  Abdominal- 
segmentes Oc.  3  Syst.  7 ;  in  verkehrter  Stellung  gezeichnet. 
„       13.  Tracheensystem  des  vierten  bis  achten  Abdominalsegmentes. 
Die  Zeichnungen   wurden   nach   in   Canadabalsam    eingeschlos- 
senen Präparaten  unter  Anwendung  einer  Camera  lucida  von  Nachet 
gezeichnet.     Die  Angaben    der  Combinationen   beziehen  sich  auf  ein 
kleines  Hartnack'sches  Instrument. 


lieber  Echiureii  und  EeWnodermeu 

von 

Dr.  Richard  Greeff, 

Professor  in  Marburg. 

Aus    den   Sitzungsberichten    der   Gesellschaft    zur   Beförderung 
der  gesammten  Naturwisssenschaften  zu  Marburg. 

(Sitzung  vom  9.  Mai  1879  Nr.  4  S.  41.) 


I. 

lieber  den  Bau  der  Echiuren. 

Dritte  Mittheilung  i). 

Thalassema  Moebii  nov.  spec.  —  Die  Analschläuche 
der  Echiuren   sind  Kiemen,    analog  den  »Wasser- 
lungen« der  Holothurien. 

Bei  meiner  Anwesenheit  in  Kiel  im  vorigen  Herbste 
hatte  Herr  Professor  Möbius  die  Güte  mir  eine  von  ihm 
auf  Mauritius  aufgefundene  Echiure  in  einigen  Exemplaren 
nebst  den  von  ihm  an  Ort  und  Stelle  darüber  gemachten 
Notizen  und  Zeichnungen,  zur  genaueren  Untersuchung  zu 
übergeben.  Wie  die  bald  darauf  hier  jn  Marburg  vorge- 
nommene Zergliederung  der  interessanten  Thicrform,  die 
ich  Thalassema  Moebii  genannt  und  in  meiner  dem- 
nächst erscheinenden  Monographie  der  Echiuren  genauer 
beschrieben  habe,  ergab,  trugen  die  beiden  sehr  langen  in 
den  Enddarm  mündenden  braunen  Schläuche  keine  Spur 

1)  1.  Mittheilung,  Sitzungsberichte  d.  Ges.  z.  iJeförd.  d.  ges. 
Naturw.  zu  Marburg  1874,  25.  Febr.  Nr.  2.  —  2.  Mittheilung,  Eben- 
da 1877,  4.  Mai,  Nro.  4  und  dieses  Archiv  1877  S.  343. 


Ricliaid  Grceff:  89 

V  0 11  W  i  m  p  e  r  t  r  i  c  li  t  e  r  11 ,  soii derii  waren  zu  meiner  Ueber- 
rasebung  gegen  die  Leibes böble  bin  allseitig  ge- 
scblossen.  So  genau  icli  aucb  die  Aussenfläcben  dieser 
Organe  und  Durcbsebuitte  derselben  untcrsucbte,  nirgendwo 
vermocbte  ich  Trichter  oder  grössere  Oeffnungen  zu  finden. 
Dieses  veranlasste  mich,  als  ich  später  wieder  in  den  Be- 
sitz geeigneten  Materiales  gelangte,  noch  einmal  die  mit 
äusseren  Wimpertrichtern  reichlich  versehenen  braunen 
Schläuche  des  Echiurus  Pallasii  einer  erneueten  Prüfung 
zu  unterwerfen,  deren  Resultat,  wie  ich  glaube,  den  Bau 
und  die  Bedeutung  dieser  bisher  räthselhaften  Schläuche, 
die  bald  für  Respirations-  und  Excretions-Organe,  bald  für 
Secretions- Organe,  Segmentalorgane  etc.  gehalten  wurden, 
für  die  aber  in  jedem  Falle  von  den  meisten  Beobachtern 
eine  durch  die  Trichter  vermittelte  Verbindung  zwischen 
Leibes-  und  Schlauch-Höhle  angenommen  wurde,  vollständig- 
aufgeklärt  hat.  Ich  injicirte  zunächst  die  fraglichen  Schläuche 
von  ihrer  Einmündung  in  den  After  aus  mit  farbiger  Flüssig- 
keit und  fand,  wenn  die  Injection  vollkommen  gelungen  und 
der  Schlauch  nicht  eingerissen  war,  dass  keiner  der  die 
äussere  Fläche  des  Schlauches  sehr  zahlreich  be- 
deckenden Wim  pertrichter  und  der  von  ihnen  nach 
innen  ausgehenden  Kanäle  auch  nur  eine  Spur  von 
Farbstoff  enthielt.  Auf  feinen  Querschnitten  durch 
diese  injicirten  Schläuche  bot  sich  nun  ein  sehr  über- 
raschendes Bild.  Der  Farbstoff  erfüllte  die  zahllosen  spalt- 
förmigen  Zwischenräume  die  von  den,  von  der  inneren 
Wandung  des  Schlauches  in  seine  Höhlung  vorsprin- 
genden, Leisten  und  Wülsten  gebildet  werden, 
bis  in  die  feinsten  nahe  an  die  Oberfläche  des  Schlauches 
vordringenden  Gänge.  Niemals  communicirten  diese 
injicirten  Gänge  mit  den  Wimpertrichtern,  noch 
traten  sie  sonst  durch  die  Schlauchwandung  nach 
aussen.  Ebenso  wenig  war  in  die  das  innere  Kanalsystem 
bildenden  Zwischenräume  resp.  Leisten  und  Wülste  selbst 
Farbstoff  eingedrungen.  Dieselben  zeigten  aber  eigenthüm- 
liche  helle  oder  bräunlich  gefärbte  Streifen  und 
Körner- Haufen,  die  aus  der  blauen  Injectionsmasse  sehr 
deutlich  hervortraten,  und -die  ich  schon  früher  gesehen  und 


90  lieber  Echiuren  und  Echinodermen. 

für  ExcretioDSstoffe  gehalten  hatte.  Ich  fasste  nun  die 
wohl  erhaltenen  äusseren  Wimpertrichter  ins  Auge  und 
konnte  auch  hier  constatiren,  dass  der  von  jedem  derselben 
nach  innen  tretende  Kanal  keineswegs,  wie  ich  früher 
glaubte,  in  die  Schlauchhöhle  mündete,  sondern  in  die 
erwähnten  Gänge  und  Streifen  der  Leisten  oder  in 
eine  nach  innen  vorspringende  grössere  Blase 
üb  erging.  Kurz  ich  fand  ein  zweites  die  Schlauch- 
wandung und  die  von  ihr  nach  innen  vorspringenden 
Leisten  und  Wülste  durchlaufendes  Kanalsystem, 
das  mit  den  Wassertrichtern  communicirt,  aber 
gegen  das  erste  in  die  Schlauchhöhle  sich  öffnende  Kanal- 
system bei  innigster  und  allseitigster  Berührung  mit  dem- 
selben vollständig  abgeschlossen  ist.  Weitere  Untersu- 
chungen, namentlich  nach  Injectionen  von  Farbstoff 
in  die  Leibeshöhle  der  lebenden  Thiere,  gaben  Be- 
stätigung und  genauere  Resultate  über  die  Anordnung  und 
Ausdehnung  des  erwähnten  Kanalsystems.  Zu  bemerken 
ist  noch,  dass  die  in  den  Schlauchwandungen  streifen-  und 
haufenweise  vorkommenden  gelben  und  braunen  Körper 
mit  den  nach  meinen  früheren  Mi ttheilungen  i)  in  der 
Leibeshöhle  vorkommenden  Blutkörperchen  eine 
grosse  Uebereinstimmung  zeigen.  Ich  habe  früher, 
ebenfalls  auf  Grund  von  Injectionen  mit  nachfolgenden 
Durchschnitten,  nachgewiesen,  dass  das  Blutgefässsystem 
auf  der  Spitze  des  Rüssels  mit  der  Leibeshöhle 
communicire,  indem  die  Rüsselarterie  hier  in  zwei 
an  den  Rändern  des  Rüssels  nach  hinten  ver- 
laufende Kanalsysteme  übergehe,  eins  dem  Blut- 
gefässsystem angehörig  und  in  den  Bauchgefäss- 
stamm  mündend,  das  andere  von  der  in  den  Rüssel 
in  sinuöscn  Kanälen  sich  fortsetzenden  Leibes- 
höhle gebildet  2).  Durch  diese  Leibeshöhlenkanäle  des 
Rüssels  wird,  wie  durch  günstige  Injectionen  von  der  Rüssel- 
arterie aus  nachgewiesen  werden  kann,  ein  Theil  des  Blutes 


1)  2.  Mittheilung  S.  72. 

2)  ibid.  S.  71. 


Richard  Greeff:  91 

der  Riisselarterie  direkt  in  die  Leibesliöhle  geführt.  Ausser- 
dem habe  ich,  im  Zusammenhang  hiermit,  das  bereits  oben 
erwähnte  massenhafte  Vorkommen  von  Bhitkcirperchen  in 
der  Leibeshöhle  nachgewiesen. 

Die  Bedeutung  der  beiden  Analschläuche  der  Echiuren 
kann  hiernach  ferner  nicht  zweifelhaft  sein:  es  sind  Re- 
spiration so  rgane  in  vollem  Sinne  des  Wortes,  Kiemen 
und  wahrscheinlich  nichts  als  diese.  Hierdurch  tritt  aber 
von  Neuem  eine  sehr  bemerkenswerthe  Ueberein- 
stimmung  dieser  Organe  mit  den  sogenannten  Wasser- 
lungen oder  Kiemen  der  Holothurien  hervor.  Auch 
die  Leibeshöhle  der  Holothurien,  und  der  Echino- 
dermen  überhaupt,  ist  mit  Ernährungsflüssig- 
keit, mit  Blut,  erfüllt,  den  bei  den  Holothurien,  wie 
bei  den  Echiuren,  die  beiden  in  die  Leibeshöhle  hineinra- 
genden und  in  die  Kloake  mündenden  Schläuche  als 
Kiemen  dienen.  Für  die  Seesterne  habe  ich  schon  in 
früherer  Zeit  die  Circulation  des  Blutes  in  der  Leibeshöhle 
nachgewiesen  ^).  Hier  sind  zwar  Homologa  der  Analkiemen 
der  Holothurien  vorhanden,  aber  verkümmert  oder  kommen, 
wo  ein  After  fehlt,  nicht  zur  Funktion.  An  ihre  Stelle 
treten  die  nach  Aussen  über  die  Haut  durch  die  „Tenta- 
kelporen^'  ampullenartig  hervorragenden  schwellbaren  Bläs- 
chen, die  sogenannten  „Hautkiemen".  Ausserdem  dient  bei 
den  Echinodermen  das  mit  der  Aussenwelt  in  Verbindung 
stehende  und  von  ihr  Seewasser  aufnehmende  Wasserge- 
fässsystem  mit  seinen  in  die  Leibeshöhle  gerichteten  blasen- 
förmigen  Anhängen,  den  Poli'schen  Blasen  und  Ampullen 
der  Ambulacra  etc.,  dem  Leibeshöhlenblute  zur  Respiration. 

Die  Geschlechtsorgane  der  Echiuren. 

ThalassemaMoebii  trägt  hinter  den  vorderen  Haken- 
borsten drei  Paare  von  Geschlechtsschläuchen,  in 
der  Lage  und  Form  den  zwei  Paaren  von  Echiurus  Pallasii 
entsprechend.     In  den  von  mir   untersuchten  Exemplaren 

1)  üeber  den  Bau  der  Echinodermen  1.  Mitth.,  Sitzungsbe- 
richte, etc.,  Nov.  1871  Nr.  8-  (3.  lieber  d.Blutgefässsyst.  u.  d.  Athmuugs- 
erg.  d.  Seesterne). 


92  Ueber  Echiuren  und  Echinodermen. 

waren  die  Schläuche  entweder  alle  mit  reifen  Eiern 
oder  mit  Saamenmassen  erfüllt.  Von  der  Basis  eines 
jeden  Geschlechtsschlauches  ragt,  alsbald  erkennbar,  ein 
Paar  mit  der  Schlauchhöhle  communicirender  und  in  halb- 
kanalartige,  gekräuselte  Spiralfalten  ausgezogener  Tuben 
in  die  Leibeshöhle  hinein,  offenbar  dazu  bestimmt,  die  Ge- 
schlechtsprodukte aus  dieser  aufzunehmen  und  in  den 
Schlauch  zu  führen.  Eine  weitere  Untersuchung  bestätigte 
die  hiernach  nahe  liegende  Vermuthung,  dass,  ähulich  wie 
bei  Bonellia,  die  eigentlichen  Geschlechtsdrüsen  auf  dem 
hinteren  Theil  des  Bauchstranges  sich  befinden.  Dasselbe 
scheint  bei  Thalassema  gigas  der  Fall  zu  sein,  wie  mir  Herr 
Dr.  Graeffe  in  Triest  im  Februar  dieses  Jahres  mittheilte. 
Er  schrieb:  „Thalassema  gigas  scheint  keine  wahre  Thalas- 
sema, sondern  eine  Bonellia  zu  sein.  Sie  hat  nur  1—2 
Bauchdrüsen,  Segmentalorgane  mit  Eiern  stets  gefüllt. 
Männliche  Organe  noch  nicht  beobachtet,  vielleicht  zwerg- 
hafte Männchen  oder  ebenso  grosse  Männchen,  die  ich 
aber  noch  nie  bekommen  konnte".  Früher  hatte  schon 
Sempera)  an  Thalassema  von  den  Philippinen  die  vor- 
deren Genitalschläuche  als  Eier-  und  Saamen- Taschen  ge- 
deutet und  an  ihnen  Trichter  beobachtet,  durch  welche  die 
an  einer  anderen  Stelle  entstehenden  und  in  die  Leibes- 
höhle übertretenden  Geschlechtsprodukte  aufgenommen  wur- 
den. Mittlerweile  hat  auch  Spengel-),  wie  ich  aus  einem 
kürzlich  erhaltenen  Separatabdruck  ersehe,  an  von  Herrn 
Dr.  Graeffe  an  ihn  übersandten  Exemplaren  von  Thalas- 
sema gigas  die  Keimdrüse  auf  dem  hinteren  Theil  des 
Bauchstranges  gefunden.  Ebenso  bei  Echiurus,  an  deren 
vorderen  Geschlechtsschläuchen  er  auch  trichterförmige  Or- 
gane fand,  in  „der  gleichen  Form  und  Lage  wie  bei  Bo- 
nellia". Ich  hatte  früher  vergeblich  bei  Echiurus  Pallasii 
nach  einer  dem  Ovarium  der  Bonellia  entsprechenden  Ge- 
schlechtsdrüse auf  dem  hinteren  Theil    des  Bauchstranges 


1)  Zeitschr.  f.  wiss.  Zoolog.  XIV.  Jahrg.   1864'  S.  419. 

2)  Beiträre  zur  Kenntuiss  der  Gephyreen,  die  Eibildung,  die 
Entwickelimg  und  das  Männchen  der  Bonellia,  Mitth.  aus  d.  zool. 
Stat.  zu  Neapel  I.  Bd.  S.  358. 


Richard  Greeff:  93 

gesucht  und  auch  die  Tuben  der  Geschlechtschliiuche  tiber- 
sehen. Nachdem  ich  beides  bei  Thalassema  Moebii  con- 
statirt  hatte,  unterzog  ich,  als  mir  wieder  im  Laufe  des 
Winters  geeignetes  Untersuchungsmaterial  zu  Gebot  stand, 
diese  Echiure  auch  hierin  einer  erneucten  Prüfung  und 
fand  nun  ganz  an  der  Basis  der  Geschlechtsschläuche  eine 
kleine  an  die  Leibesvvand  angeheftete  gekräuselte  Falte, 
die  in  die  Höhlung  des  Schlauches  führte.  An  Durch- 
schnitten durch  das  hintere  Körperende  der  trächtigen  Weib- 
chen erkannte  ich  nun  auch  das  auf  dem  Bauchstrang 
liegende  Ovarium,  das  aber  selbst  bei  den  Individuen,  bei 
welchen  die  Geschlechtsschläuche  mit  reifen  Eiern  strotzend 
erfüllt  waren,  aus  einer  Bauchfellfalte  mit  sehr  kleinen  und 
desshalb,  namentlich  im  Hinblik  auf  das  Ovarium  der  Bo- 
nellia  und  Thalassema  Moebii,  leicht  zu  übersehenden  Ei- 
zellen besteht.  Dieselben  scheinen  sich  in  dieser  primitiven 
Form  zu  lösen  und  erst  in  der  Leibeshöhle  zu  reifen. 

Hiernach  ist,  wie  auch  Spengel  hervorhebt,  eine 
völlige  Uebereinstimmung  in  der  Lage  und  dem  Bau  der 
Geschlechtsorgane  bei  allen  Echiuren  sehr  wahrscheinlich, 
indem  bei  allen  die  eigentliche  Keimdrüse,  ähnlich  wie 
das  von  Lacaze-Duthiers  entdeckte  Ovarium  der  Bo- 
nellia,  auf  dem  hinteren  Theil  des  Bauchstranges 
sich  befindet,  während  die  vorderen  hinter  den  beiden 
Hack^nborsten  liegenden  mit  den  Geschlechtsprodukten  er- 
füllten Schläuche  blosse  Ei-  und  Saamen- Taschen  und  -Leiter 
nach  aussen  sind,  die  somit  in  der  That  als  die  wahren 
Segmentalorgane  anzusehen  sind,  während,  wie  oben 
ausgeführt,  die  beiden  hinteren  Analschläuche  als  homolog 
und  analog  den  Kiemen  der  Hoiothurien  gelten  können. 

Ob  der  merkwürdige  nach  den  neueren  Untersuchungen 
von  Vejdovsky  und  Marion  zweifellose  Dimorphismus 
der  Bonellia  auch  noch  bei  anderen  Echiuren,  wie  vielleicht 
nach  den  Mittheilungen  von  Herrn  Dr.  Graeffe  bei  Tha- 
lassema gigas,  sich  findet,  müssen  weitere  Beobachtungen 
entscheiden.  Bei  Echiurus  Pallasii,  Thalassema  Baronii 
und  Thalassema  Moebii  sind  sicher  beide  Geschlechter 
gleich  in  Grösse,  äusserer  Form  und  Organisation. 


94  Ueber  Echiuren  und  Echinodermen. 

II. 

lieber  den  Bau  und  die  Entwickelung  der  Echinodermen. 

Sechste  Mittheihing  ^). 

Eütwickelung  von  Asterias  (Asteracanthion) 

rubens^). 

1.    Umbildung  des  Keimflecks. 

Nachdem  das  den  Ovarien  entnommene  reife,  unbe- 
fruchtete Ei  von  Asterias  rubens  in  frisches  Seewasser  ge- 
bracht worden  ist,  beginnt,  in  der  Eegel  schon  nach  Ab- 
lauf von  5 — 10  Minuten,  die  von  Ed.  van  Beneden  und 
mir  früher  beschriebene  sehr  charakteristische  Umbildung 
des  Keimflecks  ^).  Der  Keimfleck  wird  granulös.  Zu- 
erst treten  einzelne  sehr  kleine,  glänzende  Granula  in  der 
homogenen  Keimflecksubstanz,  namentlich  an  der  Peripherie 
und  in  der  Umgebung  der  meist  im  Centrum  gelegenen, 
aus  der  Verschmelzung  kleinerer  Vacuolen  entstandenen, 
grösseren  Vacuole.  Die  Granula  mehren  sich  sehr  rasch, 
überall  sieht  man  kleine  glänzende  Knöpfchen  aufspringen 
und  nach  weiteren  5—10  Minuten,  zuweilen  früher,  zuweilen 
später,  hat  der  Keimfleck  ein  völlig  granulöses  An- 
sehen gewonnen.  Er  gleicht  nun  der  Form  nach  einer 
sehr  kleinen  Maulbeere. 

Alsbald  aber  beginnt  eine  neue  sehr  merkwürdige 
Veränderung.  Die  kleinen  Granula  des  Keimflecks 
vergrössern  sich  wieder  zusehends,  indem  die 
benachbarten  überall  mit  einander  verschmelzen. 
Dieser  Prozess  ist  anfangs  ein  so  stürmischer,   dass  man 


1)  Erste  Mittheilung:  Sitzungsberichte  etc.  Nov.  1871  Nro. 
8.  _  Zweite  Mittheilung:  dieselben  Juli  1872  Nro.  G.  —  Dritte  Mit- 
theilung: dieselben  Nov.  und  Dez.  (5.  Dez.)  1872  Nro.  11.  —  Vierte 
Mittheilung:  dieselben  Januar  1876  Nro.  1.  —  Fünfte  Mittheilung: 
dieselben  Mai  1876  Nro.  5.  — 

2)  Die  hier  mitgetheilten  Resultate  über  die  Entwickelung  von 
Asterias  rubens  sind  schon  in  der  Sitzung  vom  21.  Juni  1878  vor- 
getragen worden  (Sitzungsbericht  Nro.  3  Nov.  1878). 

3)  Fünfte  Mitth.  S.  85. 


Richard  Greeff:  95 

die  Wiedervereinigung,  das  rasche  Ineinander-Ueberspringcn 
der  kleinen  durcheinander  wandernden  Sarkode-Tröpfchen 
nur  mit  Mühe  verfolgen  kann.  Allmählich  aber,  und  in  dem 
Verhältniss  wie  die  Körner  grösser  werden,  erfolgt  die  Ver- 
einigung langsamer  und  nun  kann  man  aufs  Deutlichste 
und  Schritt  für  Schritt  beobachten^  wie  zwei  sich  begeg- 
nende Körner  sich  aneinanderlegen  und  unter  Brücken- 
bildung in  einander  fliessen.  Das  Resultat  dieses 
Verschmelzungsprozesses  ist  zunächst  die  Zurückführung 
der  anfangs  den  Keimfleck  bildenden  sehr  zahlreichen  feinen 
und  zusammenhängenden  Granula  auf  einige  wenige  grös- 
sere Sarkode-Körper,  die,  unter  sich  ungleich,  oft  ohne 
äusseren  Zusammenhang,  in  dem  Keimbläschen  liegen  oder 
nur  zum  Theil  zu  einem  unregelmässigen  Haufen  vereinigt 
sind.  Sicher  aber  sind  diese  Körper,  die  auf  diesem  Sta- 
dium der  Entwickelung  regelmässig  im  Ei  von  Asterias 
rubens  auftreten,  Theile  des  in  obiger  Weise  umge- 
bildeten Keimflecks. 

2.    Keimbläschen,  Riclitnngskörperchen. 

Erst  nachdem  die  Verschmelzung  der  Granula  des 
Keimflecks  schon  ziemlich  weit  vorgeschritten  ist,  beginnt 
das  Keimbläschen  zu  schrumpfen,  indem  die  Dotter- 
substanz gegen  die  Peripherie  desselben  andringt.  Die 
Conturen  werden  unregelmäsig,  es  bilden  sich  Einbuch- 
tungen und  Zacken  und  zu  gleicher  Zeit  bemerkt  man  deut- 
lich eine  Lage-Veränderung.  Das  schon  ursprünglich  excen- 
trisch  liegende  Keimbläschen  wird  auf  dem  kürzesten  Wege 
durch  den  Dotter  nach  der  Ei-Peripherie  gedrängt.  Man 
sieht  dieses  sowohl  in  der  Seitenlage,  als  wenn  dasselbe 
nach  oben  gerichtet  ist.  In  letzterem  Falle  erscheint  eine 
helle  körnchenfreie  Stelle  an  der  Ei-Oberfläche,  umgaben 
von  sehr  feinen  Körnchen,  die  bald  rundum  eine  strahlige 
Anordnung  annehmen.  Die  helle  Stelle  rückt  immer  mehr 
nach  oben,  wölbt  sich  schliesslich  über  die  Ei- Oberfläche 
hervor  und  wird  als  erstes  Richtungskörperchen  her- 
vor gestossen.  Unter  diesem  sieht  man  aber  noch  einen, 
zweifellos  dem  Keimbläschen  entstammenden,  un- 
regelmässigen, hellen  Hof  und  in  ihm  bald  mehr, 


9G  lieber  Echiuren  und  Echinodermen. 

bald    weniger    deutlich    die    oben    beschriebenen 
Reste  des  Keimflecks. 

In  gleicher  Weise  wie  das  erste  wird  bald  darauf  ein 
zweites  Richtnngskörperchen  an  derselben  Stelle  her- 
vorgewölbt und  abgeschnürt.  Aber  auch  jetzt  erkennt  man 
unterhalb  der  beiden  dicht  bei  einander  liegenden  Kichtungs- 
kürper  noch  deutlich  im  Dotter  den  un regelmässigen 
nun  noch  kleineren  hellen  Hof,  den  Rest  des  Keim- 
bläschens und  in  diesem  einige  wenige  sehr  blasse 
und  zarte  Körper  eben.  Sind  diese  aus  der  oben  be- 
schriebenen Umbildung  des  Keimflecks  hervorgegangene 
Reste?  Die  Beobachtung  wird  hier  sehr  schwierig,  aber 
einigemale  glaube  ich  mit  Sicherheit  die  dem  Keim- 
fleck entstammenden  Körperchen  bis  nach  der  Aus- 
stossung  der  beiden  Richtungskörperchen  verfolgt 
zu  haben. 

Das  helle  Feld  des  Keimbläschenrestes  zieht  sich  nun 
immer  mehr  zusammen  und  von  der  Peripherie  zurück,  so 
dass  es  kaum  noch  mit  dem  Auge  kann  festgehalten  wer- 
den. Bald  darauf  erscheint  an  derselben  Stelle  ein  heller 
runder  Fleck,  um  den  die  Dottersubstanz  nach 
allen  Seiten  strahlenförmig  sich  anordnet.  Die 
Strahlen  verlängern  sich  und  in  dem  hellen  Fleck,  dem 
Centrum  der  im  Ei  aufgehenden  neuen  Sonne,  sieht  man 
ein  paar  zarte,  blasse  kernartige  Körper,  voll- 
kommen ähnlich  den  aus  dem  Zerfall  des  Keimflecks  übrig 
gebliebenen.  Neben  dieser  ersten  erscheint  dann,  häufig, 
aber  nicht  immer,  entweder  gleichzeitig  oder  bald  nachher 
noch  eine  zweite  ähnliche  Strahlenfigur,  aber  in  der 
Regel  mit  einem  kleineren  hellen  Centrum  und  nur  einem 
kernartigen  Körper.  Diese  beiden  Strahlen figuren 
nähern  sich,  wie  ich  wiederholt  Schritt  für  Schritt 
verfolgt  habe,  langsam,  treffen  aufeinander,  um 
sich  schliesslich  zu  vereinigen.  Die  zwei  oder 
drei  kernartigen  Körper  der  einen  grösseren  Figur 
verschmelzen  während  oder  vor  dieser  Vereinigung 
ebenfalls  zu  einem  Körper  und  mit  diesem  verbindet  sich 
dann  auch  zuletzt  das  helle  Körperchen  der  kleinen  Figur. 
So  entsteht  aus  den  beiden  Strahlenflguren  eine  einzige, 


-    Eichard  Greeff:  97 

die  nun  allmählich  mit  immer  mehr  sich  ausdeh- 
nenden Strahlen  in  das  Centrum  des  Eies  rückt. 
Dann  lässt  die  Strahlung  allmählich  nach,  indem  7A\  gleicher 
Zeit  das  helle  Centrum  sich  etwas  erweitert.  Diese 
ganze  Verschmelzung  nach  Ausstossung  der  Richtungskör- 
perchen  erinnert  auffallend  an  die  Vorgänge  bei  der  Ver- 
einigung des  „Eikerns"  mit  dem  „Spermakern'',  wie  wir  sie 
durch  die  ausgezeichneten  Beobachtungen  von  0.  Her tw ig, 
Fol  u.  A.  kennen  gelernt  haben.  Doch  bemerke  ich  aus- 
drücklich, dass  ich  die  oben  dargelegte  Entwickelung  an 
den,  meiner  Meinung  nach,  sicher  unbefruchteten 
Eiern  verfolgt  habe.  Ich  habe,  wie  ich  in  Rücksicht 
hierauf  und  meine  früheren  Mittheilungen  über  die  parthe- 
nogenetische  Entwickelung  von  Atserias  rubens  gleich  hier 
hervorheben  will,  1 — 2  Tage  lang  vorher  isolirt  gehaltenen 
Seesternen  die  mit  reifen  aber  intakten  (d.  h.  mit  unver- 
änderten Keimbläschen  und  Keimfleck)  Eiern  strotzend  er- 
füllten Ovarien  ausgeschnitten,  diese  letzteren  hinterein- 
ander in  drei  oder  vier  bereitstehende  Gefässe  mit  reinem 
Seewasser  sorgfältig  abgespült  und  dann  erst  in  einem 
fünften  oder  nach  nochmaliger  Abspülung  in  einem  sechsten 
Gefäss  die  Eier  entleert.  Trotzdem  erfolgte  die  oben  be- 
schriebene Entwickelung  im  Ei  und  später  die  Furch ung 
und  Larvenbilduug  aber,  wie  ich  schon  früher  betont  habe, 
meistens  sehr  spät;  die  erste  Furchung  trat  in  der  Regel 
erst  am  folgenden  Tage  ein.  Die  einzige  Möglichkeit  einer 
Täuschungsquelle  liegt  hiernach  noch,  wie  mir  scheint,  darin, 
dass  jedesmal  vorher,  d.  h.  ehe  die  Seesterne  in  meine  Hände 
gelangt  waren,  mit  dem  Seewasser  Sperma  in  die  Ovarien 
oder  in  die  Leibeshöhle  eingedrungen  aber  nicht  zur  Aktion 
gekommen  war,  sondern  erst  in  dem  reinen  Seewasser, 
vielleicht  durch  dasselbe  und  nach  der  in  diesem  durch 
Umbildung  des  Keimflecks  und  Keimbläschens  vollendeten 
Reife  der  Eier,  befruchtungsfähig  geworden  war. 

Der  Prozess  der  Ausstossung  der  Richtungskörperchen, 
den  wir  so  eben  bei  der  Lage  des  Keimbläschens  noch  oben 
verfolgt  haben,  kann  bei  der  Seitenlage  derselben  in  ge- 
wisser Hinsicht  noch  deutlicher  beobachtet  werden  und 
bietet  auch  zum  Theil  andere  Erscheinungen.     Wenn  das 

Archiv  für  Naturg.  XXXXVI.  Jahrg.  1.  Bd.  7 


98  Ueber  Echiuren  und  Echinodermen. 

Keimbläschen  schon  zu  einem  kleinen  unregelmässigen 
Feld  geschrumpft  ist,  erscheint  mehr  oder  minder  deutlich 
der  „Amphiaster'^  Der  eine  Pol  desselben  wird  der  Peri- 
pherie zugedrängt  und  als  erstes  Richtungskörperchen  her- 
vorgewölbt und  ausgestossen.  Hierbei  wird  denn  auch  zu- 
weilen die  „Richtungsspindel",  namentlich  in  dem  sich 
hervorwölbenden  Richtungskörper  wahrnehmbar.  Nach  Aus- 
stossung  des  zweiten  Richtungskörperchen  folgen  dann  ähn- 
liche Erscheinungen,  wie  wir  sie  oben  berührt  haben  und 
die  zur  Bildung  des  centralen  grösseren  Kernes  führen.  Es 
würde  dieser  centrale  Kern,  da  derselbe  nach  meiner  An- 
nahme ohne  Befruchtung  im  Ei  entstanden  ist,  in  seiner 
Bedeutung  dem  ,,Eikern"  0.  Hertwigs  (weiblicher  Vorkern 
E.  van  Beneden' s)  entsprechen.  Aber  ich  habe,  wie  schon 
oben  hervorgehoben,  an  denselben  Eiern  die  Furchung  und 
Weiterentwickelung  bis  zur  Larvenbildung  erfolgen  sehen. 
Es  bleibt  somit  in  Rücksicht  hierauf  resp.  der  unter  diesen 
Umständen  angenommenen  parthenogenetischen  Entwicklung 
noch  eine  weitere  Aufklärung  übrig,  zumal  ich  an  den  künst- 
lich befruchteten  Eiern  zum  Theil  andere  Erscheinungen 
habe  auftreten  sehen. 

3.    Entstehnng  des  Mesoderins  aus  dem  Ectoderm  und  Entoderm. 
Bildung  des  Kalksceletes  aus  dem  Mcsoderm. 

Ich  habe  bereits  nach  meinen  früheren  Beobachtungen 
mitgetheilt,  dass  die  Lösung  der  Mesoderm-Zellen  bei  As- 
terias rubens  von  dem  inneren  Umfang  des  Ecto- 
derms  vor  der  ersten  Einstülpung,  also  vor  der 
Bildung  des  Entoderms  beginnt.  Diese  Beobachtung 
habe  ich  in  den  letzten  Jahren  wiederholen  und  zu  gleicher 
Zeit  dahin  erweitern  können,  dass  die  Mesodermzellen  nicht 
bloss  an  der  Stelle  des  Ectoderms  hervorsprossen,  an  wel- 
cher später  die  Einstülpung  erfolgt  und  die  somit  zum 
Entoderm  wird,  sondern  dass  dieselben  an  jeder  Stelle 
des  inneren  Umfangs  des  Ectoderms  entstehen 
können,  schon  dann  wenn  noch  keine  Andeutung  einer 
Entoderm-Bildung  an  der  völlig  einschichtigen  Keimblase 
sichtbar  ist.  Wenn  die  Einstülpung  erfolgt  ist,  und  wäh- 
rend derselben,    mehren   sich   die   früher   nur  vereinzelten, 


Richard  Greeff:  99 

mit  lang  ausgestreckten  und  sich  verästelnden  Pseudo- 
podien im  Inuenraum  umliervvandernden  und  sich  theilenden 
Mittelblattzellen  und  entstehen  nun  wie  es  scheint  von 
Ectoderm  und  Entoderm  zugleich. 

Ich  habe  in  den  letzten  Jahren  ein  besonderes  Augen- 
merk auf  die  Entwickelung  des  für  die  Echinodermen  so 
bedeutungsvollen  Kalksceletes  gerichtet  und  dieselbe  bei 
Asterias  rubens  von  den  ersten  Kalkstäbchen  der  Bipin- 
narien bis  zu  dem  ausgebildeten  „Stern"  der  Brachiolaria 
verfolgt  und  insbesondere  durch  zahlreiche  Durchschnitte 
feststellen  können,  dass  das  ganze  Kalkscelet  im  Me- 
soderm  entsteht. 


Die    erste   Mittheilung    über    das    fünfkammerige 
„Hei'z"  der  Crinoideen. 

1.  R.  Greeff.  lieber  den  Bau  der  Crinoideen.  Sitzungs- 
berichte d.  Ges.  z.  Bef.  d.  ges.  Naturw.  zu  Marburg 
Nr.  1.  Jan.  13,  1876.  p.  16—29. 

2.  W.  B.  Carpenter.  On  the  Structure,  Physiology  and 
Development  of  Antedon  rosaceus.  Proceedings  of  the 
Royal  Society  Nr.  116.  Jan.  20,  1876.  p.  211—231, 
pl.  8,  9. 

3.  H.  Ludwig.  Beiträge  zur  Anatomie  der  Crinoideen. 
Nachrichten  v.  d.  Königi.  Gesellsch.  d.  Wissensch.  u. 
d.  Univers,  zu  Göttingen.  Nr.  5.  Febr.  23,  1876.  p. 
105-114. 

4.  P.  Herbert  Carpenter.  Remarks  on  the  Anatomy 
of  the  Arms  of  the  Crinoids.  Part.  I.  Journal  of  Ana- 
tomy and  Physiology.  Vol.  X.  April  1876.  p.  571—585. 

5.  W.  B.  Carpenter.  Supplemental  note  to  the  above 
paper.   Proceedings  R.  S.  Nr.  169.  1876.  p.  1—4. 

6.  R.  Teuscher.  Beiträge  zur  Anatomie  der  Echinodermen. 
I.  Comatula  mediterranea.  Jenaische  Zeitschrift  Bd.  X. 
p.  243—260.  Taf.  VII. 

7.  A.  Götte.  Vergleichende  Entwickelungsgeschichte  der 
Comatula  mediterranea.  Arch.  f.  microsc.  Anat.  Bd. 
XII,  1876.  p.  583—598.  Taf.  XXV- XXVIII. 


100  Ueber  Echiuren  und  Echinodermen. 

8.  R.  Greeff.  Ueber  das  Herz  der  Crinoideen.  Sitzungs- 
berichte d.  Ges.  z.  Bef.  d.  ges.  Naturw.  zu  Marburg 
Nr.  13.  Jan.  28,  1876.  p.  88. 

Das  obige  Literatur- Verzeichniss  ist  genau  einer  Ab- 
handlung von  P.  Herbert  Carpenter^),  dem  Sohne  von 
W.  B.  Carpenter,  entnommen  und  von  Jenem  behufs 
Feststellung  der  chronologischen  Reihenfolge  einiger  neue- 
rer Mittheilungen  über  die  Crinoideen  aufgestellt  worden. 
Es  kann  wohl,  namentlich  bezüglich  des  Zeitpunktes  der 
Veröffentlichung  der  Abhandlungen  der  beiden  Carpenter 
selbst,  eine  völlige  Richtigkeit  angenommen  werden.  Hier- 
aus geht  aber  mit  unzweifelhafter  Sicherheit  hervor,  dass 
die  Abhandlung  von  W.  B.  Carpenter^),  in  welcher  sich 
seine  erste  Mittheilung  über  das  fünfkammerige  Organ 
der  Crinoideen  befindet,  am  20.  Januar  1876,  die 
meinige  über  denselben  Gegenstand,  über  das  fünf- 
kammerige „Herz"  der  Crinoideen,  schon  am  13.  Ja- 
nuar 1876,  also  7  Tage  früher  veröffentlicht  ist^). 

Meine  Mittheilung  in  dieser  meiner  ersten  Abhand- 
lung über  die  Crinoideen  lautet  wörtlich: 

„Die  Höhlung  des  Herzens  ist  aber  nicht,  wie 
man  bisherangenommen  hat,  einfach,  sondern  durch 
fünf  radiär  um  die  mittlere  Dorso-ventral-Axe 
gestellte  und  hier  sternförmig  sich  vereinigende 
Septa  in  fünf  Kammern  getheilt.  Die  Septa  sind 
zarte  Häute,  dicht  mit  einem  feinen  Platten-Epithel 
bekleidet  und  mit  spärlichen  Muskelfasern  durch- 
setzt. 

Ich  glaube  hiernach  die  Priorität  für  die  Beobachtung, 
dass  das  Herz  der  Crinoideen  durch  fünf  Scheidewände  in 
der  beschriebenen  Weise  in  fünf  Kammern  getheilt  ist,  in 
Anspruch  nehmen  zu  dürfen.  Veranlasst  werde  ich  zu 
dieser  Erklärung  durch  einige  gegentheilige  Angaben,  nach 


1)  On    the   arms   of  Antedon   rosaceus.     Journal   of   Anatomy 
and  Physiology  Vol.  X.  April  1877. 

2)  Siehe  oben  S.  99.  2. 

3)  Siehe  oben  S.  99.  1. 


Richard  Greeff:  lieber  Echiuren  und  Echinodermen,      101 

denen  Carp enter  als  der  Entdecker  des  ftinfkammerigen 
Organs  oder  Herzens  der  Kelcbbasis  der  Crinoideen  ange- 
führt wird,  wie  H.  Ludwig  z.  B.  sagt*):  „Eine  genauere 
Kenntniss  des  „Herzens''  ist  uns  erst  vor  Kurzem  geworden 
durch  die  Untersuchung  Carp  enter 's  sowie  durch  die  un- 
abhängig davon  gemachten  Beobachtungen  Gree ff s  und 
TeuscherV.  Und  ferner:  „Carpenter  zeigte  zuerst, 
dass  das  Herz  nicht  einen  einfachen  Hohlraum  besitzt,  wie 
Job.  Müller  geglaubt  hat,  sondern  durch  fünf  Scheide- 
wände, welche  von  einer  centralen  Axe  radiär  ausstrahlen, 
in  fünf  Kammern  zerlegt  wird,  was  durch  Greeff 's,  Teu- 
s  eher 's  und  meine  eignen  Beobachtungen  bestätigt  wird". 
Diese  Angaben  Ludwig 's  sowie  andere  ähnliche  würden 
somit  im  obigen  Sinne  zu  berichtigen  sein. 

Auch  dass  der  -von  mir  beobachtete  merkwürdige 
Bau  des  Herzens  und  der  Kelchbasis  der  Comatulen  an 
den  fossilen  Crinoideen  sich  nachweisen  lasse,  glaube  ich 
zuerst  auf  Grund  sorgfältiger  Untersuchungen,  namentlich 
von  Schliffen  der  Kelchbasis  von  Encrinus  liliiformis,  ausge- 
sprochen zu  haben. 

In  meiner  fünften  Mittheilung  über  den  Bau  und  die 
Entwickelung  der  Echinodermen  heisst  es: 

„Zum  Schluss  will  ich  noch  auf  die  interessante  That- 
sache  hinweisen,  dass  der  von  mir  dargestellte  Bau  des 
Herzeus,  sowie  fast  die  gesammte  Organisation  der  Kelch- 
basis sich  mit  ziemlicher  Sicherheit  auch  an  den  fossilen 
Crinoideen,  namentlich  an  Encrinus  liliiformis  nachweisen 
lässt''. 


1)  Zeitschr.  f.  wiss.  Zool.  B.  XXVIII.  1877.    Beiträge  zur  Ana- 
tomie der  Crinoidesu.     S.  (Sep.-Abdr.)  61. 


Ueber  die    postembiyonale  Entwicklung  bei 
der   Milbengattung  Glyciphagus. 


Von 

P.  Kramer 

in  Halle. 
Hierzu   Tafel  VH. 


Die  postembryonale  Entwicklung  der  Milben  ist  im 
Allgemeinen  durch  die  mustergültigen  Arbeiten  von  E. 
Claparede  und  Prof.  P.  M e g n i n  bekannt  geworden,  auch 
hat  der  letztere  von  beiden  eine  Art  Schema  derjenigen 
Formen  aufgestellt,  welche  ein  Acaride  bis  zum  erwachsenen 
Stadium  durchlaufen  muss.  Er  führt  die  Namen  Larve 
und  Nymphe  dabei  ein  und  gründet  den  Unterschied  der 
letzteren  von  den  geschlechtsreifen  Thieren  nicht  nur  auf 
die  geringe  Entwicklung  der  inneren  Geschlechtsorgane, 
sondern  auch  auf  den  Mangel  der  äusseren  Geschlechts- 
öffnung. Seine  Studien  an  Mitgliedern  der  Gattung  Gama- 
sus,  aber  wohl  auch  anderer  Gattungen  haben  ihm  dies 
zur  Evidenz  erhoben.  Dennoch  ist  ein  solcher  Unterschied 
kein  allgemeiner  und  ich  bin  in  der  Lage,  durch  Be- 
obachtungen an  einem  Glyciphagus,  welcher  mir  in  grosser 
Menge  und  in  allen  Stadien  der  Entwicklung  zu  Gebote 
stand,  nachzuweisen,  dass  hier  die  Geschlechtsöffnung  selbst 
mit  den  accessorischen  Geschlechtscharakteren  sehr  früh  bei 
den  jungen  Thieren  auftritt.  Man  hat  vielfach  drei  Häu- 
tungen bei  den  Acariden ;  bei  dem  Glyciphagus,  der  in 
Rede  steht,  tritt  bereits  nach  der  ersten  Häutung  die  Ge- 
schlechtsöffnung  auf.      Auch   in    anderer  Hinsicht    ist  die 


P.  Krämer:  Ueber  die  postembryooale  Entwicklimg  etc.        103 

Milbe* nicht  ohne  Interesse,  da  sie,  als  der  einige  Glyci- 
phagiis,  Augen  besitzt,  wie  es  ja  auch  einen  Cheyletus 
giebt,  der  Augen  hat,  nämlich  Cheyletus  venustissimus  Koch, 
den  Prof.  Megnin  in  seinem  Aufsatz:  Memoire  sur  les  Chey- 
letides  parasites  (Journ.  d'anat.  et  de  phys.  1878)  unter  dem 
andern  Namen  Ch.  longipes  als  neu  beschreibt  und  abbildet. 
(Es  würde  demnach  die  Diagnose  der  Cheyletiden  auch 
nicht  beginnen  dürfen  :  Acariens  sans  yeux).  Die  Augen 
des  Glyciphagus  werden  schon  beim  Embryo  angelegt,  wo 
ich  sie  auch  zuerst  durch  die  Eihaut  durchschimmern  sah 
und  nur  successive  bei  den  kleineren,  dann  auch  bei  den 
grösseren  Thieren  wiederfand. 

Der  Darstellung  des  Entwicklungsprocesses  möge  eine 
kurze  Beschreibung  der  erwachsenen  Thiere  voraufgeheu. 
Das  erwachsene  Weibchen  erreicht  eine  Länge  von  0,44 
mm.  Der  Rumpf  ist  abgerundet  viereckig  und  erreicht 
eine  Länge  von  0,40  mm^  eine  Breite  von  0,22  mm.  Eine 
Trennungsfurche  zwischen  Vorderrumpf  und  Hinterrumpf 
existirt  nicht  —  dies  das  charakteristische  Unterscheidungs- 
merkmal gegen  die  verwandte  Gattung  Tyroglyphus  ^  — . 
Das  Rostrum  ist  kurz,  etwas  kegelförmig  und  wird  nach 
unten  geneigt  getragen.  Auf  dem  Rücken  sieht  man  bei 
vielen  Thieren  und  nicht  bloss  bei  solchen,  die  ihr  voll- 
ständig ausgebildetes  Ei  abgelegt  haben,  zwei  parallele 
Längseindrticke.  Die  Behaarung  ist  spärlich,  aber  charak- 
teristisch. Am  Hinterrand  sind  4  den  Körper  an  Länge 
übertreffende  Haarborsten  befindlich.  Die  übrigen  Haare 
sind  ganz  kurz.  Man  bemerkt  am  Vorder-  und  Seitenrand 
im  Ganzen  jederseits  10  Borsten,  von  denen  jedoch  3  einer 
tieferen  Region  angehören  als  die  7  andern.  Die  vier 
langen  Hinterrandborsten  stehen  der  Unterseite  des  Thieres 
sehr  nahe,  zwei  davon  gehören  vielleicht  sogar  schon  dazu, 
und  schleifen  daher  beim  Laufen  auf  der  Erde  nach,  wo- 
durch man  den  Eindruck  bekommt,  als  wäre  die  Milbe 
geschwänzt. 


1)  Den  zapfen  form  igen  Fortsatz  am  Hinterleibseude  des  Weib- 
chens besitzt  die  vorliegende  Milbe  nicht. 


104  P-    Kramer: 

Die  Unterseite  des  Körpers  zeigt  ein  deutliches  Stütz- 
leisten-System  für  die   vier  Fusspaare,    welches   sich   bei 
den  Jungen  anders  verhält,  als  bei  den  erwachsenen  Thieren. 
Bei   dem  erwachsenen  Weibchen  berühren  sich  die  Stütz- 
leisten des   ersten  Fusspaares  nur   in   einem   Punkte  und 
gehen  dann  wieder  weit  auseinander,   ehe    sie  mit    denen 
des  zweiten  Fusspaares  sich  treffen.     Die  Figur,  die  hier- 
durch auf  der  Unterseite  entsteht,  ist  eine  sehr  charakteri- 
stische, wie    die  Abbildung    3  auf  Tafel  VII  zeigt.      Die 
Stützleisten  der  anderen  Fusspaare  sind  ohne  Verbindung 
mit  denen  der  beiden    ersten  Fusspaare  wie    unter    sich. 
In  dem  Zwischenräume  zwischen  den  Leisten  der   beiden 
vorderen  und  der  beiden  hinteren  Paare  befindet  sich  die 
Geschlechtsöffnung.     Dieselbe  ist  jederseits  von  zwei  unter 
sich  in  Verbindung  stehenden  Saugnäpfen  begleitet,  welche 
die    bei    Glyciphagus    bekannte    Bildung    besitzen.       Die 
vier  Füsse  zeigen  fünf  freie  Glieder,  von  denen  das  zweite 
und  vierte  je  ein  längeres  Haar  führen,  das  zweite  auf  der 
Unterseite,    das  vierte  auf  der   oberen  Fläche.     Sonst  ist 
die  Behaarung  ebenfalls  eine   sparsame,    nur   das    vordere 
Ende  des  fünften  Gliedes   zeigt  einen   grösseren   Büschel 
kürzerer  Haarborsten,  aus  dem  ein  längeres  Haar  sich  her- 
aushebt.     Der  Haftlappen   ist  auffallend   ausgebildet   und 
trägt  am  vorderen  Rande  die  einzige,  aber  kräftige  Kralle. 
Auf  der  Fläche  des  Haftlappens  bemerkt  man  zwei  parallel 
verlaufende  Chitinleisten,  welche  einer  selbstständigen  Be- 
wegung fähig  sind  und  vermuthlich  mit  dazu  dienen,   den 
Haftlappen  zu   heben    und   zu   senken.      Das    erwachsene 
Männchen  erreicht  eine  Körperlänge  von  0,40  mm,    der 
etwa  0,35  mm  lange  Rumpf  ist  0,18  mm  breit  und  nach 
vorn  zugespitzt,    auch  nach   hinten    etwas  verjüngt.      Die 
Behaarung  ist  mit  der  der  Weibchen  übereinstimmend.  Die 
Unterseite  bietet  wegen  der  durchaus  besondern  Anordnung 
der  Stützleisten  und  der  Lage  der  Geschlechtsöffnung  einen 
von  dem  bei  dem  Weibchen  beobachteten  sehr  verschie- 
denen Anblick,  wie  Figur  4    zeigt.     Die  Stützleisten  der 
beiden  vordem  Füsse  berühren  sich  auf  einer  langen  Strecke 
und  biegen  sich  dann  kurz  nach  aussen,  um  eine  Berüh- 
rung mit  den  Leisten  des  zweiten  Fusspaares  einzugehen. 


Postembryonale  Entwicklung  der  Milbengattung  Glyclphagub.     105 

Die  Leisten  des  dritten  und  vierten  Fusspaares  verbalten 
sich  ähnlich  wie  beim  Weibchen.  Die  Geschlechtsöffnung 
liegt  in  der  Höhe  der  Leisten  des  vierten  Fusspaares,  und 
ist  somit  weit  von  denen  der  ersten  Fusspaare  entfernt. 
Eine  Vergleichung  der  Abbildungen  3  und  4  wird  den 
Unterschied  in  der  Anordnung  der  Leisten  und  Geschlechts- 
()ffnung  bei  Männchen  und  Weibchen  leicht  in's  Auge 
fallen  lassen.  Die  Füsse  der  Männchen  sind  verhältniss- 
mässig  lang,  da  z.  B.  die  des  vierten  Paares,  wenn  man 
die  übrigen,  oben  mitgetheilten  Maasse  als  die  dazuge- 
hörigen ansieht,  bis  0,2  mm  beträgt,  während  dasselbe 
Fusspaar  auch  beim  Weibchen  nicht  länger  ist. 

Die  Farbe  beider  Geschlechter  ist  ein  mattes  Weiss, 
nur  die  Spitze  des  Rostrum  und  die  Stützleisten  der  Füsse 
sind  dunkler.  Sehr  deutlich  treten  daher  die  beiden  dun- 
kel kastanienbraun  gefärbten  Hautdrüsen  an  den  Seiten- 
rändern des  Hinterleibes  hervor.  Diese  Gebilde  bleiben 
bei  jeder  Häutung  vollständig  mit  der  alten  Haut  zurück, 
erweisen  sich  somit  als  ächte  Oberhautanhänge  und  sind 
bei  unserer  Milbe  mit  einer  zähen  Flüssigkeit  gefüllt, 
welche  durch  eine  deutliche,  auf  der  Rückenfläche  befind- 
liche Oeffnung  austreten  kann.  Da  die  Wandung  der  Drüse 
ziemlich  dick  ist,  so  führt  ein  ebenfalls  deutlich  erkennbarer 
Kanal  aus  dem  inneren  Hohlräume  durch  diese  Wandung 
durch  bis  zur  Rückenfläche  Hiermit  ist  der  Charakter 
dieser  ,, Seitenorgane"  klar  und  sicher  bestimmt. 

Die  Weibchen  tragen  stets  nur  wenige  Eier  bei  sich, 
in  der  Regel  sogar  nur  eins,  welches  zum  Ablegen  genü- 
gend ausgebildet  ist.  Die  Begattung  habe  ich  bei  der  vor- 
liegenden Art  nicht  beobachtet,  muss  aber  annehmen,  dass 
sie  auf  gleiche  Weise  geschieht,  wie  bei  einer  mit  ihr  zu- 
sammengefundenen Tyroglyphus-Art.  Ich  glaube  nicht, 
dass  diese  Art  und  Weise  bisher  beobachtet  ist,  denn  Prof- 
Megnin,  der  in  dieser  Hinsicht  der  competenteste  Beo- 
bachter sein  dürfte,  ist  der  Ansicht,  dass  ein  Tyroglyphus- 
Männchen,  welches  seinen  Hinterleib  über  den  Hinterrücken 
des  Weibchens  geschoben  hat  und  nun  rückwärts  marschiren 
muss,  sobald  das  Weibchen  vorwärts  schreitet,  mit  diesem 
in  Copulation  begriffen  ist.     Er  bildet  ein  solches  Pärchen 


106  P.    Krämer: 

auf  der  Tafel  VIII,  im  Jahrgang  1874  des  Journal  d'ana- 
tomie  et  de  pbys.  ab  und  führt  auch  damals  schon  aus, 
dass    die   Befruchtung   durch    den   After    vor    sich    gehe. 

Dieser  Ansicht  kann  ich  aus*  mehreren  Gründen  noch 
nicht  beitreten.  Es  würde  nämlich  selbst  bei  der  erwähnten 
Stellung  des  Tyroglyphus-Männcheus  dessen  Geschlechts- 
öffnung immer  noch  mit  der  Rückenfläche  des  Weibchens 
in  Berührung  bleiben,  und  der  nach  dem  Kopf  des  Männ- 
chens hingerichtete  Penis  kann  nirgends  eine  Oeffnung  des 
Weibchens  erreichen.  Dann  aber  findet  man  Tyroglyphus- 
Männchen  auch  in  einer  der  wirklichen  Begattung  viel 
günstigeren  Stellung  an  den  Weibchen  haftend.  Eine  Be- 
gattung durch  den  After  bei  dem  augenblicklich  in  Rede 
stehenden  Glyciphagus  anzunehmen,  wäre  auch  wegen 
des  frühzeitigen  Auftretens  der  Geschlechtsöffnung  nicht 
nöthig  (bei  Tyroglyphus-Jungen  reichen  meine  Beobach- 
tungen noch  nicht  aus).  Ich  halte  die  von  Megnin  be- 
schriebene Stellung  nur  für  eine  die  Begattung  vorbereitende. 
Die  eigentliche  Begattungsstellung  für  das  Männchen  des 
von  mir  beobachteten  Tyroglyphus  ist  die,  welcher  man 
gelegentlich,  wenn  auch  lange  nicht  so  häufig,  wie  jener 
andern  begegnet,  wo  das  Männchen  seine  untere  Leibes- 
fläche der  des  Weibchens  angedrückt  hat,  und  daher  seinen 
Rücken  dem  Erdboden  zukehrt.  In  dieser  Stellung  wird 
es  von  dem  Weibchen  mit  fortgeschleppt.  Es  hat  sich  da- 
bei so  weit  unter  das  Weibchen  geschoben,  dass  mit  Leich- 
tigkeit die  beiden  Geschlechtsöffnungen  aufeinanderfallen. 

Diese  bei  Tyroglyphus  gemachten  Beobachtungen  über- 
trage ich  auf  die  Gattung  Glyciphagus,  bei  welcher  jene 
vorbereitende  Stellung  niemals  vorkommt,  da  dem  Männ- 
chen die  den  After  begleitenden  Saugnäpfe  fehlen,  durch 
welche  jene  Stellung  hauptsächlich  möglich  wird.  Vor- 
bereitet wird  die  Begattung  bei  Glyciphagus  dadurch,  dass 
das  Männchen  den  Rücken  des  Weibchens  besteigt,  wie 
solches  von  mir  ganz  sicher  beobachtet  worden  ist,  da  ich 
bei  einem  Männchen  in  solcher  Stellung  schon  deutlich  die 
Bewegungen  des  Penis  mittelst  einer  starken  Loupe,  (Hart- 
nack,  Obj.  7.)  bemerken  konnte. 

Ich  konime  nun  auf  die  Entwicklung  des  Glyciphagus, 


Posterabryonale  Entwicklung  der  Milbengattung  Glyciphagus.     107 

wobei  sich  berausstellen  wird,  dass  es  keine  rechte  Gränze 
zwischen  den  von  M6gnin  besonders  unterschiedenen  Sta- 
dien der  Larve  und  Nymphe  geben  wird. 

1.  Stadium:  Die  aus  dem  ca.  0,12  mm  langen  Ei 
geschlüpfte  Larve  ist  sechsfüssig  und  besitzt  noch  keine 
Geschlechtsöffnung.  Die  Füsse  stellen  das  1 — 3.  Paar  des 
erwachsenen  Thieres  dar.  Am  Hinterleibsrande  stehen  nur 
zwei  lange  Borsten,  während  das  erwachsene  Thier  deren 
vier  besitzt.  Deutlich  ausgebildet  sind  die  zwei  im  hintern 
Leibesabschnitt  befindlichen  Hautdrüsen,  ferner  der  Nah- 
rungskanal, dessen  feine  Speiseröhre  und  die  mit  dicken 
Zellenwänden  versehene  Magenpartie  schon  beobachtet 
werden  können.  Man  bemerkt  auch  ein  ziemlich  umfäng- 
liches Nervencentrum  und  kann  die  beiden  Hornhäute  am 
vordem  Theil  des  Vorderrückens  scharf  erkennen.  Die 
Mundtheile  sind  vollständig  vorhanden.  Von  den  Stütz- 
platten berühren  nur  die  des  ersten  Paares  einander  an  der 
äussersten  Spitze.  Das  Wachsthum  des  Thieres  während 
dieser  ersten  Periode  ist  nicht  bedeutend,  Milben,  welche 
zur  Häutung  bewegungslos  daliegen,  übersteigen  an  Länge 
kaum  0,15  mm.  Hat  sich  der  Leibesinhalt  concentrirt  und 
ist  die  Neubildung  des  zweiten  Stadiums  im  Gange,  so 
bemerkt  man  auf  der  inneren  Fläche  der  todten  Haut 
amöbenartige  Häufchen  langsam  hin  und  her  kriechen,  so 
wie  es  auch  schon  auf  der  inneren  Eihautfläche  bemerkt 
wird.  Was  wird  aus  diesen,  von  den  zur  Neubildung  der 
Milbe  abgeschiedenen  Theilchen  der  alten  Milbensubstanz? 
Sie  für  verirrte  Blutkörperchen  zu  halten,  geht  wegen  ihrer 
Grösse  nicht  an. 

2.  Stadium:  Die  durch  die  erste  Häutung  durch- 
gegangene Milbe  hat  sich  wesentlich  vervollkommnet.  Sie 
besitzt  jetzt  vier  Paar  Füsse,  vier  lange  Borsten  am  Hinter- 
leibsrande und  bereits  eine  Geschlechtsöffnung, 
aber  nur  begleitet  von  einem  einzigen  Paar  von  Saugnäpfen. 
Auch  jetzt  noch  sind  nur  die  Stützleisten  der  Füsse  des 
ersten  Paares  unter  sich  in  Berührung  getreten,  eine  An- 
ordnung, die  von  der  bei  den  erwachsenen  Thieren  recht 
verschieden  ist.  Das  neu  dazugekommene  Fusspaar  besitzt 
noch  keine  lange  Borste  auf  dem  vorletzten  Gliede.    Hierin 


108  P.    Kramer: 

finde  ich  den  Beweis  dafür,  dass  es  das  vierte  Fusspaar 
ist,  welches  bei  Glyciphagus  in  dem  zweiten  Stadium  zu 
den  übrigen  hinzutritt.  Die  Füsse  der  Larve  des  ersten 
Stadiums  führen  sämmtlich,  wie  bei  den  erwachsenen 
Thieren,  auf  der  obern  Fläche  des  vorletzten  Gliedes  eine 
ansehnliche  Borste;  diese  findet  sich  nun  auch  auf  den 
Füssen  der  drei  ersten  Paare  der  Larve  des  zweiten  Sta- 
diums, und  es  ist  mir  wahrscheinlicher,  dass  ein  Fuss, 
der  in  einem  früheren  Stadium  bereits  eine  so  charakteri- 
stische Borste  besass,  sie  in  dem  nachfolgenden  ebenfalls 
besitzen  wird,  als  dass  er  sie  im  folgenden  verliert,  um 
sie  im  zweiten  folgenden  wieder  zu  bekommen.  Die  Ge- 
schlechtsöffnung ist  ein  kürzerer  Spalt,  mit  einem  sehr 
deutlichen  Saugnapf  von  der  bei  Glyciphagen  gewöhnlichen 
Form  zu  jeder  Seite. 

Die  Larve  wächst  in  diesem  Stadium  etwa  bis  zu 
0,29  mm  Gesammtlänge,  um  abermals  einer  Häutung  ent- 
gegenzugehen. 

3.  Stadium:  Die  durch  die  zweite  Häutung  durch- 
gegangene Milbe  zeigt  folgende  Neubildungen.  Die  sämmt- 
lichen  vier  Fusspaare  besitzen  jetzt  eine  lange  Borste  auf 
dem  vorletzten  Fussgliede,  und  die  Geschlechts  Öffnung 
wird  bereits  von  jederseits  zwei  Saugnäpfen,  im  ganzen 
also  von  vier,  wie  beim  erwachsenen  Thiere,  begleitet. 
Sonst  hat  sich  nichts  geändert.  Die  Stützleisten  der  Füsse 
des  zweiten  Paares  sind  wie  früher,  noch  immer  weit  ge- 
trennt von  denen  des  ersten  Paares,  diese  letzteren  dagegen 
sind  unter  sich  verbunden.  Die  Augen  sind  sehr  deutlich 
zu  beobachten.  Die  Behaarung  stimmt  ganz  mit  der  bei 
den  erwachsenen  Thieren  überein.  Die  Lage  der  Ge- 
schlechtsöffnung ist  bemerkenswerth.  Sie  findet  sich  durch- 
gehends  zwischen  den  Stützleisten  der  hintern  Fusspaare 
und  hat  bei  allen  zur  Beobachtung  gekommenen  Milben 
durchweg  ein  und  dieselbe  Gestalt,  so  dass  es  scheint,  als 
wären  die  Geschlechtsunterschiede  in  diesem  Stadium  noch 
nicht  vorhanden. 

Die  Milbe  wächst  während  dieser  Lebensperiode  bis 
zu  0,36  mm  Länge. 

4.  Stadium:    Die  durch   die  dritte  Häutung  gegan- 


Postembryoiiale  F]iitwicklaiio'  der  Milben^attung  Glyciphagus.     109 

gene  Milbe  hat  die  endgültige  Form,  wenn  sie  auch  noch 
dem  Wachsthum  unterworfen  ist,  bis  sie  die  gehörige 
Länge  0,44  für  das  Weibchen,  und  0,40  für  das  Männchen 
erreicht  hat. 

Das  Resultat,  welches  hiernach  für  Glyciphagus  sich 
ergiebt,  ist  dies,  dass  die  Geschlechtsöffnung  sich  bereits 
verhältnissmässig  sehr  früh,  nämlich  im  zweiten  Stadium, 
einstellt,  und  dass  ein  Nymphenstadium  im  Gegensatz  zu 
einem  Larvenstadium  nicht  genügend  definirt  werden  kann. 
Ich  bin  weit  entfernt,  hieraus  Folgerungen  für  andere  Gat- 
tungen zu  ziehen,  bin  vielmehr  der  Ansicht,  dass  wir  trotz 
aller  in  den  letzten  Jahren  gewonnenen  Kenntnisse  über 
die  Acariden,  doch  noch  nicht  im  Stande  sind,  ein  allge- 
meines Bild  der  Lebensvorgänge  dieser  Thiere  zu  ent- 
werfen. Es  sei  mir  nur  noch  gestattet,  zur  Vergleichung 
der  verschiedenen  Entwickluugsphasen  das  für  alle  Milben 
von  Prof.  Megnin  aufgestellte  Schema  hier  herzusetzen. 
Er  unterscheidet  drei  Stadien  (Journ.  de  l'anat.  et  de  la 
phys.  XIIL  pag.  228). 

Das  erste  Stadium  ist  das  der  Larve,  welche  immer 
sechsfüssig  ist. 

Das  zweite  Stadium  ist  das  der  Nymphe  (D  u  g  e  s). 
Es  umfasst  die  achtftissigen  Acariden  ohne  Geschlechts- 
organe —  und  wie  es  scheint  sind  darunter  auch  die 
äusseren  gemeint  —  dabei  kann  das  Thier  eine  oder 
mehrere  Häutungen  tiberstanden  haben. 

Das  dritte  Stadium  ist  das  der  erwachsenen,  ge- 
schlechtsreifen  Thiere. 

Es  ist  nach  den  vorstehenden  Beobachtungen  ersicht- 
lich, dass  eine  Nymphe  in  dem  von  Duges  und  nach  ihm 
von  Prof.  M^gniu  gebrauchten  Sinne  bei  unserm  Glyci- 
phagus nicht  vorkommt,  da  das  erste  achtfüssige  Stadium 
bereits  mit  einer,  wenn  auch  nur  von  zwei  Saugnäpfen 
begleiteten  Geschlechtsöffnung  versehen  ist.  Wenn  nun 
Prof.  M6gnin  im  Verlauf  jener  mit  Ch.  Robin  gemeinsam 
unternommenen  Untersuchungen  sagt :  „Man  weiss,  dass 
die  Tyroglyphus  und  die  Glyciphagus,  welche  bereits  er- 
kennbare, aber  noch  unvollkommen  entwickelte  männliche 
oder  weibliche  Geschlechtsorgane  besitzen,  noch  eine  Hau- 


110  P.    Kramer: 

tung  durch  machen"  (1.  c.  Seite  235),  so  kann  hier  nicht 
etwa  von  Geschlechtsorganen  der  Nymphen  die  Rede  sein, 
denn  die  Nymphen  „sont  depourvus  d'organes  sexuels". 
Es  sind  wohl  darunter  Thiere  zu  verstehen,  welche  bereits 
in  das  dritte  der  auf  voriger  Seite  erwähnten  Stadien  ein- 
getreten sind,  in  diesem  aber  noch  eine  Häutung  bestehen 
müss.en.  Unsere  Beobachtungen  können  aber  den  oben  von 
Prof.  Megnin  angegebenen  Lauf  durch  die  verschiedenen 
von  ihm  angegebenen  Stadien  für  den  vorliegenden  Glyci- 
phagus  nicht  ganz  bestätigen ;  es  ist  also  auch  die  von 
ihm  aufgestellte  Regel  nicht  ohne  Ausnahme. 

Halle,  Juli  1879. 


Erklärung  der  Figuren  auf  Tafel  VII. 


Fig.  1.  Erwachsenes  Weibchen  (70fach  vergrössert). 
Fig.  2.  Erwachsenes  Männchen  (70fach  vergrössert). 
Fig.  3.  Das  Stützleistengerüst  des  Weibchens:  a—d  Stützleisten  des 

1 — 4.  Fusspaares,  e  GeschlechtsöfFnung  (die  Saugnäpfe  sind 

nicht  gezeichnet). 
Fig.  4.  Das  Stützleistengerüst  des  Männchens:  a — d  die  Stützleisten 

des  1 — 4.  Fusspaares.     e  Geschlechtsöffnung. 
Fig.  5.  Ein  Fuss  des  zweiten  Paares. 
Fig.  6.  Eine    Larve    im    ersten    Stadium,    a    Augen,    b    Ganglion, 

c  Magen,  d  Hautdrüse. 


üeber  Mustela  patagonica. 

Von 

H.  Burmeister. 


Unter  der  überschriftlich  gegebenen  Benennung  hat 
D'Orbigny  in  seiner  Voyage  dans  l'Amer.  merid.;  IV.  2. 
Mammiferes,  page  20,  pl.  13.  Fig.  4,  den  Schädel  eines 
wieselartigen  Thierchens  abbilden  lassen,  von  dem  bisher 
nichts  weiter  als  dieser  Schädel  bekannt  war.  Derselbe 
ist  auch  von  Blainville  in  seiner  Osteographie,  genre 
Mustela  pl.  13.  abgebildet,  und  im  Texte,  page  42  als 
Mustela  de  Paraguay  (oder  Chili)  aufgeführt.  D'Orbigny 
hatte  den  Schädel  in  Patagonien,  in  der  Nähe  von  El  Car- 
men am  Rio  Negro,  gefunden,  aber  nichts  weiter  von  dem 
Thierchen,  dem  er  angehört,  in  Erfahrung  bringen  können. 

Der  Schädel  ist  in  D'Orbigny's  Abbildung  etwas  zu 
breit  gerathen,  er  gleicht  dem  des  Hermelin  in  seiner 
schlanken  Form  völlig,  übertrifft  denselben  jedoch  ein  wenig 
an  Grösse ;  aber  das  Gebiss  ist  ganz  verschieden,  es  be- 
steht nämlich,  bei  gleicher  Zahl  der  Schneide-  und  Eck- 
zähne, aus  nur  drei  Backzähnen  in  jedem  Kiefer  an  jeder 
Seite,  wie  im  Milchgebiss  der  Wiesel  und  Iltisse.  Aber 
der  Schädel  zeigt  ein  erwachsenes,  altes  Thier  an,  das 
Gebiss  war  also  sicher  kein  Milchgebiss.  — 

Dieser  Umstand  bestimmte  Gervais,  eine  neue  Gat- 
tung der  Iltisse  auf  besagten  Schädel  zu  gründen,  und  ihr 
den  Namen  Lyncodon  beizulegen  weil  die  Zahl  der  Back-, 
Zähne  mit  der  der  Luchse  übereinstimme.  (D'Orbigny, 
Diction.  univ.  d'hist.  nat.  article:  Dents,  tome  IV.  685.) 

Während  meiner  Anwesenheit  in  Mendoza,  im  Jahre 
1857,  erzählten  mir  mehrere  Landleute,  welche  die  einhei- 


112  H.  Biirme ister: 

mischen  Thiere  kannten,  dass  es  in  der  dortigen  Gegend 
ein  kleines,  wieselartiges  Thierchen  gebe,  welches  sehr 
scheu  und  vorsichtig  sei,  in  Erdlöchern  zwischen  Gesteins- 
schutt lebe,  und  schwer  gefangen  werde.  Obwohl  ich  die- 
sen Leuten  eine  gute  Belohnung  versprach,  so  erhielt  ich 
doch  kein  Exemplar,  und  musste  mich  mit  der  dürftigen 
Notiz  begnügen,  das  Thierchen  in  meiner  Reise,  II.  Bd. 
S.  403,  als  vorhanden  anzeigend  und  muthmasslich  deu- 
tend. Jetzt  weiss  ich,  dass  es  mit  der  genannten  Mustela 
(Lyncodon)  patagonica  einerlei  ist  und  wirklich  eine  eigen- 
thümliche  Form  der  Wiesel  darstellt,  deren  Gattungsrechte 
keinem  Zweifel  unterliegen  können.  Hier  folgt  nun  die 
vollständige  Beschreibung  derselben,  auf  2  Exemplare  ge- 
gründet, die  mir  vor  kurzem  mitgetheilt  wurden. 

Im  äusseren  Ansehen  gleicht  das  Thierchen  völlig 
einem  grossen  Wiesel  oder  Hermelin,  mit  Ausnahme  des 
Schwanzes,  der  entschieden  kürzer  ist  und  nur  ein  Drittel 
des  Hermelinschwanzes  Länge  hat;  ferner  in  der  Färbung, 
die  zwar  ebenfalls  aus  rothbraun  und  weiss  besteht,  aber 
in  ganz  anderer  Vertheilung.  Soll  ich  zunächst  davon 
reden,  so  bemerke  ich,  dass  Farbe  und  Zeichnung  einiger- 
massen  an  die  der  Mustela  (Futorius)  sarmatica  erinnert, 
noch  mehr  aber  in  der  Vertheilung  beider  Farbentöne  mit 
der  von  Galictis  vittata  übereinstimmt.  An  diese  Marder- 
form errinnert  auch  der  kurze,  nur  ein  Viertel  der  Körper- 
länge betragende  Schwanz,  aber  Kopf  und  Rumpf  sind 
feiner,  zierlicher  gebaut  und  völlig  wieselartig.  Das  mir 
vorliegende,  ausgewachsene  männliche  Exemplar  ist  von 
der  Nase  bis  zur  Schwanzspitze  15  Zoll  englisch  Maass 
lang,  wovon  2^/2"  auf  den  Kopf,  fast  ebenso  viel  auf  den 
Hals,  1"  auf  den  Rumpf  und  3"  auf  den  Schwanz  kommen; 
die  Höhe  des  wagerecht  stehenden  Thierchens  beträgt  in 
der  Mitte  des  gebogenen  Rumpfes  4  Zoll.  —  Die  Haupt- 
farbe ist  braun,  ziemlich  dunkel  an  der  Kehle,  dem  Vor- 
derhalse, der  Brust  und  an  den  Beinen;  heller,  röthlicher 
am  ganzen  Rücken  und  am  Schwanz;  aber  diese  ganze 
hellere  Strecke  ist  nicht  einfarbig,  sondern  ein  Gemisch 
von  rothbraun  und  weiss,  indem  die  sehr  langen  weit  ab- 
stehenden Grannenhaare  eine  breite    weisse  Spitze,    oder 


lieber  Mustela  patagonica.  113 

einen  breiten,  weissen  Ring  vor  der  Spitze  haben.  Die 
Haare  des  Kopfes,  Nackens,  Vorderhalses  und  der  Beine 
sind  kurz  und  glatt  anliegend,  nur  über  jedem  Ohr  beginnt 
ein  Büschel  längerer  Haare,  die  sich  als  Franzen  an  bei- 
den Seiten  des  Halses  fortsetzen,  und  bis  zur  Mitte  dessel- 
ben hinabreichen.  Diese  längeren  Haare  sind,  so  weit 
sichtbar,  rein  weiss,  und  eben  diese  Farbe  haben  die  kurzen 
Haare  des  Scheitels  und  der  Stirn  bis  zwischen  die  Augen; 
aber  Nase,  Backen  unter  den  Augen  und  Lippen  sind 
braungrau,  viel  heller  als  die  Haare  des  Nackens,  Vorder- 
halses und  der  Beine,  die  in's  Schwarzbraune  fallen.  Die 
ziemlich  langen  Schnurren  in  der  Oberlippe  und  an  der 
Stirn,  über  den  Augen,  bleiben  reiner  braun. 

Zur  äusseren  Gattungscbarakteristik  gehört  besonders, 
neben  der  Länge  des  Schwanzes,  die  Ungleichheit  der 
Krallen  an  den  Vorder-  und  Hinterfüssen.  Die  der  er- 
steren  sind  lang,  dünn,  fein  zugespitzt,  massig  gekrümmt; 
die  der  hinteren  ganz  kurze,  feine  Spitzen ;  jene  etwa  4 — 5 
Linien  lang,  diese  nicbt  mehr  als  1  Linie. 

Was  nun  Schädel  und  Gebiss  betrifft,  so  habe  ich 
schon  erwähnt,  dass  der  erstere  dem  des  Hermelins  ganz 
ähnlich  sieht,  nur  ein  wenig  grösser  ist.  Das  mir  vor- 
liegende Exemplar  von  Lyncodon  ist  2V2"  lang,  der  Schä- 
del eines  alten  Hermelin  nur  2''.  Im  Einzelnen  verglichen, 
ist  der  Jochbogen  von  Lyncodon  stärker,  der  darauf  sitzende 
Orbitaldorn  höher  und  das  foramen  infraorbitale  beträcht- 
lich kleiner;  die  Paukenblasen  sind  kürzer  und  flacher,  nach 
vom  mehr  zugespitzt;   die  Choanenspalte  aber  länger. 

Im  Gebiss  zeigt  sich  an  den  Schneide-  und  Eckzähnen 
nur  ein  relativer  Unterschied;  beide  sind  bei  Lyncodon 
höher  und  schlanker  zugespitzt,  also  schärfer.  Die  drei 
Backzähne  jedes  Kiefers  gleichen  ebenfalls  den  correspon- 
direnden  des  Hermelingebisses  völlig,  sind  aber  einzeln 
etwas  grösser  und  kräftiger.  Dem  Oberkiefer  fehlt  der 
erste,  sehr  kleine  Lückenzahn  des  Hermelin,  obgleich  ein 
Abstand  zwischen  dem  Eckzahn  und  dem  vorhandenen 
Lückenzahn,  der  dem  zweiten  des  Hermelin  gleicht,  vor- 
handen ist.  Im  Unterkiefer  fehlt  nicht  bloss  der  ent- 
sprechende   erste     kleine   Lückenzahn,    sondern  auch  der 

Archiv  f.  Naturg.  XXXXVI.  Jahrg.  l.  Bd.  8 


114  H.  Bur  meist  er:  Üeber  Mustela  pathagonicä. 

ebenfalls  sehr  kleine  Kauzahn  des  Hermelin  völlig.  Oben 
hat  also  Lyncodon  einen  Ltickenzahn,  den  Fleischzahn 
und  den  Kauzahn;  unten  zwei  Lückenzähne  und  den 
Fleischzahn,  aber  keinen  Kauzahn. 

Das  Thierchen  findet  sich  im  westlichen  Patagonien, 
von  Mendoza  südlich  bis  in  das  Quellgebiet  und  den  oberen 
Lauf  des  Rio  Negro;  weiter  nach  Osten  wird  es  seltener. 
Es  kommt  jedoch  auch  mehr  nach  Norden  noch  vor,  denn 
das  eine  der  mir  zugegangenen  Exemplare  wurde  bei  Azul, 
im  Süden  der  Provinz  Buenos  Aires,  gefangen.  Seine 
Lebensweise  ist  genau  die  der  Wiesel;  es  jagt  besonders 
Feldmäuse  und  wird  auch  von  Landleuten  im  Hause  des- 
halb, wie  das  Frettchen,  gehalten.  — 

Buenos  Aires;  Ende  Juli  1879. 


lieber  die  Arten  von  Bdellostoma. 

Von 

Professor  A.  Schneider 

in  Giesen. 


Von  der  Myxinoidengattung  Bdellostoma  kennen  wir 
mit  Sicherheit  nur  eine  Species,  Bdellostoma  Forsteri, 
welche  Joh.  Müller  in  der  vergleichenden  Neurologie  der 
Myxinoiden')  aufstellte,  nachdem  er  die  von  ihm  früher 
angenommene  Species  von  Bdellostoma  als  Varietäten,  oder 
wie  Bdellostoma  Dombeyi  als  völlig  zweifelhaft  erkannt 
hatte.  Günther^)  führt  zwei  Species  auf.  Bd.  cirrhatum ^= 
Bd.  Forsteri  Müller  und  JBd.  polytrema,  welche  nach  ihm 
möglicherweise  gleich  Domheyi  ist.  Letztere  konnte  er  je- 
doch nur  nach  einem  sehr  schlechten  Exemplar  beschreiben, 
so  dass  ihre  Charakteristik  jedenfalls  der  Bestätigung  bedarf. 
Das  zoologische  Museum  unserer  Universität  ist  in  der 
glücklichen  Lage,  zwei  Species  von  Bdellostoma  zu  besitzen. 
Die  eine  derselben,  Bdellostoma  polytrema  Günther,  habe 
ich  selbst  vor  einigen  Jahren  von  Salmin  in  Hamburg  für 
das  Museum  erworben.  Als  Myxine  glutinosa  lag  sie  in 
mehreren  Exemplaren  unter  einer  Anzahl  der  letztern.  Ihr 
Vaterland  ist  unbekannt.  Die  andere  Species  ist  bis  jetzt 
nur  in  einer  Schrift  bekannt  gemacht,  welche  kaum  grosse 
Verbreitung  gefunden  haben  wird^). 


1)  Abhandlungen  der  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin 
1838.  S.  174. 

2)  Catalogue  of  the  fishes  of  the   british  Museum,   Bd.    VIII. 
(1870)  S.  511. 

3)  Das  neue  Anatomiegebäude  zu  Giessen,  beschrieben  von  Dr. 
Th.  L.  W.  Bischoff,  Giessen  1852,  S.  18. 


il6  Professor  A.  Schneider: 

Es  heisst  dort :  „In  Beziehung  auf  die  Fische  will  ich 
hier  erwähnen,  dass  ich  unter  den  aus  der  Froriep'schen 
Sammlung  herstammenden  Gläsern,  in  einem  eine  halbver- 
faulte Myxine  fand.  Es  gelang  mir  noch  die  Kiemenar- 
terien und  Venen  zu  injiciren,  u^id  da  zeigte  es  sich,  dass 
das  Thier  eine  neue,  bisher  unbekannte  Species  mit  10 
Kiemensäcken  und  Kiemenlöchern  ist.  Leider  sind  alle 
anderen  Organe  gänzlich  zerstört.^ 

Ich  gehe  nun  zur  genauen  Beschreibung  über. 

JBdeUostoma  polytrema^  Gthr. 

Totallänge  49  cm.  Vom  Afterende  bis  zum  Schwanz- 
ende 5  cm,  erstes  Kiemenloch  6  cm,  letztes  Kiemenloch 
13j5  cm  von  der  Kopfspitze. 

Kiemenlöcher  links  14  und  die  Oeffnung  des  Ductus 
oesophago-cutaneus,  rechts  13.  Zahnplatte,  vordere  Zahn- 
reihe 12,  hintere  13  Zähne. 

Augen  vorhanden. 

Günther  giebt  jederseits  14  Kiemenlöcher  an,  be- 
merkt aber  selbst,  dass  er  an  dem  einen  Exemplar  die 
Zahl  nicht  mit  Sicherheit  bestimmen  kann. 

Sdellostoma  ^ischoffii  nov.  spec, 

Totallänge  55  cm.  Vom  Afterende  bis  zur  Schwanz- 
spitze 9  cm.  Erstes  Kiemenloch  11  cm,  letztes  Kiemen- 
loch 20  cm  von  der  Kopfspitze. 

Kiemenlöcher  jederseits  10. 

Zahnplatte  9  Zähne  in  jeder  Keihe. 

Augen  vorhanden. 

Die  Zahnplatten  selbst  fehlen  an  unserm  Exemplare, 
aber  die  Matrix  ist  erhalten. 


Beitrag    zur  Keniitniss    einiger   blinden 
Amphipoden  des  Kaspisees. 

Von 

Dr.  Ose.  Grimm 

in  St.  Petersburg. 


Die  Frage  über  den  Ursprung  und  die  Entwickelung 
blinder  Thiere  bat  in  letzterer  Zeit  viele  Naturforscher 
beschäftigt,  deren  Untersuchungen  der  Wissenschaft  so 
manche  Thatsache  von  grösster  Bedeutung  überliefert  haben. 
Die  Zahl  dieser  Befunde  ist  noch  durch  die  Tiefseeunter- 
suchungen gesteigert,  die  von  enormen  Tiefen  höchst  inte- 
ressante Formen  an's  Licht  gebracht  haben.  Wenn  man 
aber  die  heute  schon  grosse  Anzahl  blinder  Thiere  be- 
trachtet, kann  man  nicht  umhin,  die  Frage  von  ihrer  Her- 
kunft immer  wieder  aufzuwerfen^  da  auch  jetzt  zwei  ent- 
gegengesetzte Meinungen  herrschen,  die  sich  einander 
ausschliessen  und  nicht  versöhnt  werden  können. 

Vor  20  Jahren  konnte  man  schon  mit  dem  Lehrsatz 
zufrieden  sein,  dass  die  Geschöpfe  blind  geschaffen  sind, 
weil  sie  zum  Leben  in  finsteren  Grotten  und  Seeuntiefen 
bestimmt  waren,  und  also  das  Sehvermögen  ihnen  unnütz 
wäre.  Nun  wird  aber  diese  Anschauung  nur  von  wenigen 
Naturforschern  vom  Fach  vertreten,  die  bedeutende  Mehr- 
zahl erblickt  in  der  Abwesenheit  der  Augen  bei  gewissen 
Thieren  das  Resultat  des  Aufenthalts  im  Finstern,  wobei 
das  Sehorgan  gewiss  in  Rückbildung  verfallen  muss,  da  es 
nicht  gebraucht  werden  kann  und  wird.  Neben  dem  Ex- 
periment von  Fries  mit  dem  Gammarus  pulex,  ist  es  be- 


118  Dr.  Oscar  Grimm: 

kannt,  dass  PersoneD,  die  eine  lange  Reihe  von  Jabren  in 
dunkeln  Kerkern  verschmachten  mussten,  ihr  Augenpigment 
einbttssten  und  nachdem  sie  in's  Freie  gebracht  wurden, 
eine  längere  Zeit  die  Gegenstände  nicht  unterscheiden 
konnten,  vielmehr  von  dem  Tageslicht  Schmerzen  empfin- 
gen, so  auch  dass  „bei  vielen  Blinden  die  Augen  buch- 
stäblich geschwunden  sind.  An  den  Leichen  von  Menschen, 
die  im  Leben  vollkommen  blind  waren,  findet  man  sogar 
die  Sehnerven  bis  an's  Hirn  heran  geschwunden,  respec- 
tive  in  eine  Masse  umgestaltet,  die  keine  Sehnervenfasern 
enthält"  (Stricker,  Studien  über  das  Bewustsein.  p.  54), 
So  ist  es  denn  sehr  natürlich,  dass  Thiere,  die  in  finstern 
Grotten,  Brunnen,  Seeuntiefen  oder  in  der  Erde  selbst  leben, 
ihr  Sehvermögen  verlieren,  indem  ihre  Augen  bis  auf 
weniges  rückgebildet  werden,  worauf  schon  die  Thatsache 
hinweist,  dass  öfters  Augen  noch  vorhanden  sind,  obgleich 
nur  rudimentär,  wie  wir  sie  z.  B.  bei  Sorex  und  Talpa 
vorfinden. 

Nun  wissen  wir  aber,  dass  in  den  Seetiefen,  wo  einige 
augenlose  Thiere  vorkommen  und  deren  Augenlosigkeit 
namentlich  durch  die  in  den  Tiefen  herrschende  Dunkel- 
heit erklärt  wird,  auch  solche  Formen  existiren,  die  nicht 
nur  gewöhnliche,  sondern  ungemein  entwickelte,  grosse, 
hervorragende  und  stark  pigmentirte  Augen  haben.  Ja  die 
Gnathophausia  der  „Challenger-Expedition"  aus  der  Tiefe 
von  1830  bis  4020  Meter  besitzt  sogar  Stielaugen  und  dazu 
noch  Nebenaugen  an  den  Maxillen ;  die  Memida  aus  der 
Tiefe  von  1000--1200  Meter  hat  gut  entwickelte  und  höchst 
sensibele  Augen;  Gammaracanthus  caspius,  m.  im  Kaspisee 
aus  der  Tiefe  von  108  Faden,  Boeckia  spinosa,  nasuta 
und  hystrix,  m.  aus  der  Tiefe  von  70—150  Faden  des 
Kaspisees,  verschiedene  Mysis- Arten  daselbst  aus  der  Tiefe 
bis  500  Faden  haben  alle  sehr  gut  entwickelte,  grosse, 
buckeiförmige  und  schwarzpigmentirte  Augen.  Dies  be- 
weist schon  hinlänglich,  dass  in  den  bezeichneten  Tiefen 
das  Sehorgan  gebraucht  werden  kann  und  wird,  da  in 
denselben  keine  absolute  Finsterniss,  sondern  nur  eine 
dunkle  Nacht  herrscht.  Man  braucht  sich  nur  zu  entsinnen, 
dass  die  nächtlichen  Thiere,   wie   Nachtraubvögel,  Raub- 


Zur  Kenntnies  einiger  blinden  Amphipoden  des  Kaspisees.       119 

thiere  u.  s.  w.  sehr  grosse  und  gut  entwickelte,  und  zwar 
au  die  Dunkelheit  angepasste  Sehorgaue  besitzen,  um  die 
feststeheude  Thatsache  zu  erklären,  dass  die  Seetiefen  von 
Krebsen  bewohnt  werden,  bei  denen  das  Sehvermögen 
enorm  gesteigert  ist.  Da  aber,  wie  gesagt,  in  denselben 
Tiefen  auch  solche  Thi erformen  existiren,  deren  Augen 
schwach  entwickelt  oder  unpigmentirt  sind  und  sogar  völlig 
rückgebildet  erscheinen,  so  genügt  augenscheinlich  die  Er- 
klärung nicht,  dass  die  Rückbildung  der  Augen  vom  Tief- 
seeleben bewirkt  wird.  —  Im  Kaspisee  habe  ich  unter 
0»  12'  E.  (von  Baku),  39^  51'  N.  aus  der  Tiefe  von  108 
Faden  in  einem  einzigen  Schleppnetzzug  10  neue  Gamma- 
ridenarten  erbeutet,  und  zwar  —  Gammarus  pauxillus,  m. 
G.  crassus,  m.  G.  Gregorkowii,  m.  G.  portentosus,  m.  G.  coro- 
nifera,  m.  G.  thaumops,  m.  Pandora  coeca,  m.  Iphigeneia 
abyssorum,  m.  Gammaracanthus  caspitis,  m.  und  Ämathi- 
linella  cristata,  m.,  die  alle  mit  Augen  versehen  sind,  aber 
in  höchst  verschiedenem  Grade  der  Ausbildung;  —  so  hat 
Gammaracanthus  caspius  sehr  grosse,  runde  Augen,  Gam- 
marus eoronifera  und  Amathilinella  cristata  lange,  aber 
schmale  Augen,  Gammarus  thaumops  dreieckige,  unpig- 
mentirte,  und  Pandora  coeca  kleine,  unpigmentirte  Augen, 
die  schwerlich  mit  dem  Sehvermögen  begabt  sein  können. 
Ein  noch  besseres  Beispiel  liefern  folgende  neue  von  mir 
im  Kaspisee  entdeckten  Amphipoden : 

Onesimus   caspius    aus  der  Tiefe  von  75 — 250  Faden, 
„  pomposus  „     „         »        n  180       ^ 

platyuros    ,     „         „        „     40  u.  48       „ 
Pantopereia  mierophthalma       „        ;,  80 — 90    „ 

Niphargus  caspius      „     „         „        „  35 — 90    „ 

von  denen  die  2  letzten  Arten  sammt  Onesimus  caspius, 
auch  in  einem  Zug  gefangen  wurden  und  zwar  in  der 
Tiefe  von  80—90  Faden,  unter  0«  26'  E.  41^  6'  N.  Panto- 
poreia  mierophthalma  und  Niphargus  caspius  besitzen  pig- 
mentirte,  aber  kleine  Augen,  die  Onesimus-Arten  besitzen 
theils  rothe,  theils  (On.  caspius)  vollkommen  unpigmentirte 
Augen  und  sind  bei  der  letzten  Art  w^enigstens  des  Seh- 
vermögens beraubt;  und  mit  diesen  mehr  oder  weniger 
blinden  Arten  leben  Mysideen,  deren  grosse,  gewölbte  und 


120  Oscar    Grimm: 

schwarze  Augen  gewiss  in  dem  Dunkeln  der  Tiefen  noch 
genug  Licht  absorbiren. 

Diese  Beispiele  mögen  genügen  um  zu  zeigen,  dass 
das  Tiefseeleben  allein  noch  nicht  die  Rückbildung  der 
Sehorgane  durchaus  bedingen  muss  und  bedingt.  Jetzt 
wollen  wir  aber  an  unseren  Kaspischen  Amphipoden  zeigen, 
wie  sich  die  Thiere  zu  den  Seetiefen  verhalten,  wie  das 
Tiefseeleben  auf  die  Organisation  derselben  einwirkt, 
wodurch  eigentlich  das  Schwinden  der  Augen  bewirkt 
wird,  und  womit  die  letzten  ersetzt  werden  im  Fall  ihrer 
Rückbildung. 

Wir  können  wohl  für  bewiesen  annehmen,  dass  mit 
der  zunehmenden  Seetiefe  die  Quantität  der  Lichtstrahlen 
sich  vermindert,  so  dass  in  einer  gewissen  Entfernung  vom 
Wasserspiegel  die  Stärke  des  Lichts  sehr  gering  ist,  nie 
aber  bis  0  fällt.  Wie  klein  aber  die  Lichtstärke  auch  sein 
mag,  so  ist  die  Möglichkeit  des  Sehens  nicht  ausgeschlossen, 
und  die  Augen  der  in  den  Tiefen  lebenden  Thiere  müssen 
nur  an  die  relative  Dunkelheit  angepasst  sein^).  Als  solche 
erscheinen  aber  die  grossen,  buckeligen  und  dunkelen 
Augen  der  kaspischen  Mysideen,  des  Gammaracanthus  cas- 
pius,  Boeckia-Arten  u.  s.  w.  Es  ist  aber  denkbar,  dass 
bei  vielen  Thieren  die  Augen  bei  der  anhaltenden  Dunkel- 
heit sich  nicht  weiter  entwickeln  und  durch  andere  Sinnes- 
organe ersetzt  werden.  Im  letzteren  Fall  können  <Ue  Augen 
auch  rückgebildet  werden  und  um  so  schneller  oder  voll- 
kommener, je  weniger  sie  benutzt  werden,  je  weniger  sie 
dem  Inhaber  Dienste  leisten  oder  vielmehr  leisten  können. 
Nehmen  wir  als  Beispiel  Niphargus  caspius^)  und  die  ge- 
nannten Onesimusarten. 


1)  Ich  glaube  bezweifeln  zu  müssen,  dass  in  einer  Tiefe  von 
100  Meter  die  absolute  Dunkelheit  beginnt,  wie  es  Forel  im  Genfer- 
see  gefunden  hat,  denn  ich  kann  mir  überhaupt  keine  absolute  Dun- 
kelheit vorstellen.  Ich  gebe  gerne  zu,  dass  in  dieser  oder  jener 
Tiefe  das  Tageslicht  nicht  mehr  auf  gewisse  Chemikalien  reagirt, 
das  schliesst  aber  noch  nicht  die  Möglichkeit  des  Sehens  aus. 

2)  Von  dieser  Art  wird  wohl  N.  puteanus  abstammen.  Es 
ist  möglich,    dass  sie    mit  N.  ponticus,  Czern.  identisch    ist;   leider 


Zur  Kenutniss  einiger  blinden  Amphipoden  des  Kaspisees.       121 

Bei  der  Untersuchung  derselben  finden  wir  höchst 
entwickelte  Sinnesorgane,  die  wahrscheinlich  nicht  nur  als 
Tast-  sondern  (bei  den  Onesimusarten  wenigstens)  auch 
als  Geschmacks-Werkzeuge  liinctioniren  ^). 

Niphargus  caspius  hat  neben  kleinen,  aber  dunkel  pig- 
mentirten  Augen,  die  wohl  schwerlich  in  der  Tiefe  von 
35—90  Faden  functioniren  und  als  Rest  der  ehemals  fun- 
ctiouirenden  Augen  betrachtet  werden  müssen,  höchst  ent- 
wickelte Geruchs-  und  Tastorgane  an  den  Fühlern  und 
besonders  an  den  oberen.  Dabei  ist  zu  bemerken,  dass 
die  mit  kleineren  Augen  versehenen  Männchen  eine  grössere 
Zahl  dieser  Gefühlsorgane  besitzen  als  die  Weibchen,  die 
auch  in  Hinsicht  anderer  Merkmale,  z.  B.  der  Zahl  der 
Nebengeisselglieder  mehr  den  Gammarusarten  gleichen  und 


konnte  ich  dieses  nicht  recht  bestimmen,  weil  die  Beschreibung  der 
letzten,  die  Hr.  W.  Czernjawsky  gegeben  hat,  höchst  mangelhaft 
erscheint.  Siehe  dessen  ,,Materialia  ad  zoographiam  ponticam  cora- 
paratam".  Es  muss  aber  bemerkt  werden,  dass  unser  N.  caspius 
von  den  anderen  Niphargus-Arten  und  so  auch  von  N.  puteanus  in 
Vielem  abweicht,  so  nach  den  kürzeren  Fühlern,  der  anders  geform- 
ten Hand  des  1.  Fusspaares  u.  s.  w.,  so  dass  vielleicht  unsere  Art 
als  Repräsentant  einer  neuen  Gattung  zwischen  Niphargus  uud  Gam- 
marus  angesehen  werden  kann.  Ich  thue  dies  aber  nicht  und  ersehe 
in  der  abweichenden  Organisation  des  Niphargus  puteanus  den  Aus- 
druck einer  weiteren  Entwicklung  unter  dem  Einfluss  gewisser  Be- 
dingungen, die  das  Fehlen  der  Augen  veranlasst  haben  und  damit 
auch  die  grössere  Entwickelung  der  Fühler,  die  die  Augen  ersetzende 
Sinnesorgane  tragen.  Jedenfalls  erscheint  Niphargus  caspius  als  die 
ältere  Form,  die  sich  (vielleicht  auch  etwas  umgeändert)  im  Kaspisee 
bis  zu  unserer  Zeit  erhalten  hat,  wie  auch  andere  Thierarten  der 
Tertiärperiode  bis  jetzt  fortbestehen,  wie  ich  es  in  meiner  „Kaspi- 
schen  Fauna",  Lief.  2,  an  Dreyssena  rostriformis,  Dr.  Brardii,  Dr. 
caspia,  Cardium  catillus,  Planorbis  micromphalus  etc.  gezeigt  habe. 
Niphargus  caspius  ist  sehr  wahrscheinlich  der  „erloschene  Gammaride" 
(S.  Leydig,  üeber  Amphipoden  und  Isopoden.  Z.  f.  w.  Z.  XXX.  2. 
p.  249.)  den  die  anderen  Niphargusarten  als  Vorfahren  haben. 

1)  In  manchen  Fällen  wird  es  wohl  schwer  zu  entscheiden, 
ob  ein  gewisses  Organ  zum  Tasten,  Schmecken  oder  Höhren  ange- 
passt  ist;  ja  es  ist  höchst  wahrscheinlich,  dass  bei  manchen  niederen 
Thieren  das  Tastvermögen  nicht  vom  Geschmack  oder  dem  Gehör 
getrennt  ist. 


122  Oscar  Grimm: 

also  das  conservativere  Element  darstellen,  wie  es  überhaupt 
für  das  weibliche  Geschlecht  gilt.  Wir  finden  an  den 
ersten  4  Gliedern  der  5gliedrigen  Hauptgeissel  der  oberen 
Fühler  des  ^  sehr  grosse  cylindrische  Organe,  die  noch 
von  Leydig  u.  A.  als  Geruchs organe  beschrieben  worden 
sind.  Diese  Cylinder  besitzen  an  ihren  freien  Enden  je 
eine  Oeffnung,  aus  der  vielleicht  auch  wirklich  dünne  Haare 
austreten,  wie  es  Leydig  angiebt,  und  von  Innen  her  tritt 
in  einen  jeden  Cylinder  ein  Nervenästchen,  welches  erst 
eine  Zellenanschwellung  (im  Cylinder  selbst)  bildet,  um 
sich  dann  zu  verlieren,  was  ich  noch  besser  an  lebenden 
Exemplaren  einer  anderen  Art,  nämlich  Gamraarus  priscus, 
m.  in  Krasnowodsk  beobachtet  habe.  An  der  Nebengeissel 
des  Niphargus  caspius,  sowie  an  dem  letzten  Stielglied 
der  unteren  Fühler,  finden  wir  eigenthümliche  Organe,  die 
den  Geruchspinseln  des  N.  puteanus,  nach  Alais  Hum- 
bert, ähnlich  gebaut  sind;  —  es  sind  nämlich  grosse  und 
derbe  Stäbe,  deren  etwas  spitz  verlaufende  Enden  mit 
einer  Unzahl  höchst  dünner  und  langer  Chitinhaare  besetzt 
sind.  Im  Innern  eines  jeden  solchen  Stabes  verläuft  ein 
Nerv,  der  vor  dem  Eintritt  in  denselben  in  eine  Nerven- 
zelle mit  Nucleus  anschwillt.  Ob  aber  dieses  Nervenästchen 
in  noch  feinere  zerfällt,  die  in  die  Chitinhaare  eindringen, 
habe  ich  nicht  sehen  können,  obgleich  ich  schon  eine  Ver- 
grösserung  von  1500  und  verschiedene  Reagentien  gebraucht 
habe.  Der  Organisation  nach  möchte  ich  diese  Pinsel 
nicht  als  wirkliche  und  ausschliessliche  Gehörorgane  deu- 
ten, sondern  als  höchst  sensibele  Tastorgane,  die  die  leiseste 
Bewegung  des  Mediums  schon  vermitteln  können. 

Diese  verhältnissmässig  allerdings  höchst  entwickelten 
Geruchs-  und  Tast-  (resp.  Gehör-)  Organe  können  wohl 
dem  Thiere  in  den  von  ihm  bewohnten  finstern  Seetiefen 
die  Augen  entbehrlich  machen,  die  dadurch  in  Rückbildung 
begriffen,  aber  bis  jetzt  noch  nicht  völlig  verschwunden 
sind,  weil  sie  vielleicht  theils  noch  gebraucht  werden,  z.  B. 
im  Aufsteigen  in  die  Tiefen  von  35  Faden. 

Ganz  anders  gestaltet  es  sich  bei  den  Onesimus-Arten, 
von  denen  wir  zur  Betrachtung  den  meist  typischen  One- 
simus  caspius  benutzen. 


Zur  Kenutniss  einiger  blinden  Ainphipoden  des  Kaspisees.       123 

Die  Augen  von  Onesiraus  caspius  sind  klein,  unregel- 
mässig oval,  weit  von  einander  gestellt  und  vollkommen 
unpigmentirt,  so  dass  auch  unter  dem  Mikroskope  sie  nicht 
sogleich  unterschieden  werden.  Bekanntlich  röthen  sich 
die  unpigmentirten  Augen  vieler  in  der  Tiefe  lebender 
Gammariden  beim  Einwirken  des  Sonnenlichts,  was  aber 
bei  On.  caspius  nicht  existirt.  Es  ist  wohl  erlaubt  anzu- 
nehmen, dass  wenn  die  Onesimusarten  des  Sehvermögens 
auch  nicht  vollkommen  beraubt  sind,  so  functioniren  ihre 
Augen  doch  nicht  in  dem  sie  gewöhnlich  beherbergenden 
Medium,  respective  in  dem  unterseeischen  Schlamm,  wo 
sie  sich  beständig  aufhalten. 

Ungeachtet  aber  der  unentwickelten  Augen,  finden  wir 
bei  den  Onesimusarten  gar  keine  Gefühlsorgane  an  den 
Fühlern  und  anderen  äusseren  Körpertheilen,  wie  bei  Niphar- 
gus.  Ja  die  Fühler  sind  bei  ihnen  sogar  der  gewöhnlichen 
Haare  fast  gänzlich  beraubt,  indem  solche  nur  an  der  un- 
teren Fläche  der  oberen,  und  an  der  oberen  Fläche  der 
unteren  Fühler  sitzen,  und  auch  sehr  winzig  und  in  kleiner 
Zahl  vorhanden  sind.  Bei  näherer  Untersuchung  aber  fin- 
den wir  sehr  entwickelte,  aber  verborgen  gelegene  Gefühls- 
organe an  den  äusseren  Platten  der  Kieferfüsse,  die  schon 
früher  von  verschiedenen  Autoren  beschrieben  oder  abge- 
bildet worden  sind.  Es  sind  nämlich  kurze  und  dicke  Stifte 
mit  abgerundeten  Enden,  die  in  entsprechenden  cylindrischen 
Vertiefungen  der  Platte  stecken,  indem  sie  meist  nur  mit 
ihrer  Kuppe  nach  Aussen  hervorragen.  Uebrigens  erscheinen 
einige  von  ihnen  viel  länger,  indem  sie  mehr  hervorragen 
und  auch  mehr  spitze  Enden  haben;  dies  sind  nämlich  die 
zwei  an  der  Spitze  der  Platte  stehenden  Cylinder,  die  den 
Uebergang  zu  den  gewöhnlichen  Borsten  darstellen  und 
damit  auch  beweisen,  dass  wir  es  mit  zu  gewissem  Zweck 
umgestalteten  Chitinborsten  zu  thun  haben  ^).     Diese  Ge- 


1)  Solche  Tasthaare  mit  mehr  oder  minder  entwickelten  Ner- 
ven und  Nervenzellen  finden  sich  gewöhnlich  an  den  Mundtheilen 
der  Arthropoden;  so  auch  bei  der  Fliege,  wie  es  allbekannt  ist.  Wo 
aber  bei  derselben  Prof.  N.  Wagner  eine  Menge  MundöfFnungen 
(„Polystomie")  gefunden  hat,   ist  schwer  zu  errathen,   wie  auch  die 


124  Oscar  Grimm: 

schmackscylinder  (so  will  ich  sie  bezeichnen)  stehen  längs 
dem  inneren  Rande  der  Platte  in  einer  Reihe,  indem  ihre 
Zahl  bei  den  verschiedenen  Species  von  8  bis  14  variirt, 
wie  auch  wahrscheinlich  nach  dem  Alter  der  Individuen. 
Im  Innern  der  Platte,  unter  den  ovalen  Matrixzellen  ver- 
läuft ein  dicker  Nervenstrang,  der  zu  jedem  Geschmacks- 
cylinder  einen  Nervenast  absendet;  diese  Aeste  verdicken 
sich  etwas  beim  Eintritt  in  den  Cylinder,  um  weiter  sich 
völlig  zu  verlieren;  ob  sie  aber  in  der  Verdickung  eine 
Zelle  bilden,  habe  ich  nicht  entscheiden  können^).  Jeden- 
falls ist  die  sensibele  Natur  dieser  Cylinder  so  scharf  aus- 
gesprochen, dass  man  doch  wohl  berechtigt  ist,  sie  als 
Tast-  und,  ihrer  Lage  nach,  auch  als  Geschmacksorgane 
zu  betrachten. 

So  sehen  wir  denn,  dass  bei  den  blinden  oder  mit 
schwach  functionirenden  Augen  versehenen  Niphargus-  und 
Onesimus-Arten  das  fehlende  Sehvermögen  durch  die  ge- 
steigerte Function  anderer  Organe  ersetzt  und  auch  bewirkt 
wird,  insofern  dieselben  die  Augen  nicht  unumgänglich 
und  also  ihre  regressive  Metamorphose  möglich  macht. 
Es  fragt  sich  nun,  woher  es  kommt,  dass  bei  den  verschie- 
denen Gattungen  verschiedene  Organe  zur  grösseren  Ent- 
wicklung gelangen,  und  diese  Frage  wird  durch  Beobach- 
tung ihrer  Lebenserscheinungen  beantwortet.  —  Während 
meiner  Schleppnetzuntersuchungen  habe  ich  beobachtet,  dass 
die  mit  sensibelen  Fühlern  versehenen  Arten,  und  so  auch 
Niphargus  caspius,  obgleich  in  den  Tiefen,  so  doch  im 
Wasser,  nicht  aber  in  dem  Seeschlamme  leben,  was  nicht 
nur   durch    das   Experiment    nach    dem  Heraufheben   der 


von  ihm  entdeckte  ,,Wiedersaugung"  (analog  dem  Wiederkauen ! !) 
der  Nahrung  bei  der  Fliege.  Uebrigens  wenn  Wagner  Epithelial- 
zellen  im  Speichel  eines  materialisirten  Geistes  gefunden  und  Haare 
einer  aus  der  Geisterwelt  gezauberten  chinesischen  Dame  untersucht 
hat,  (behufs  Entdeckung  der  Vorfahren  jetzt  lebender  Pediculiden?), 
so  ist  wohl  von  ihm  alles  zu  erwarten.  (S.  Wagner 's  und  Baut- 
leron's  spiritualistische  Schriften  im  ,, Russischen  Bothe/'). 

1)  Zur  Untersuchung  dieser  Cylinder  sind  die  On.  platyuros 
und  On.  pomposus,  als  grössere  Arten,  bequemer,  als  On.  caspius; 
leider   habe  ich  von  jenen  Arten  nur  wenige  Exemplare. 


Zur  Kenntniss  einiger  blinden  Amphipoden  des  Kaspisees.       125 

Thiere  bewiesen  ist  ^),  sondern  auch  dadurch,  dass  alle  In- 
dividuen der  Niphargusart  von  Vorticellen  stark  besetzt  sind. 

Ganz  anders  verhalten  sich  die  Onesimusarten,  die 
beständig  im  Schlamm  der  See  tiefen  leben  und  hier,  wie 
Maulwürfe,  sich  schnell  durchgrabend,  ihre  Nahrung  auf- 
suchen, indem  sie  den  organische  Stofftheile  enthaltenden 
Schlamm  zu  sich  nehmen.  Selbstverständlich  können  ihnen 
die  mit  sensibelen  Orgauen  besetzten  Fühler  nicht  dienen, 
da  nicht  nur  so  zarte  und  gebrechliche  Bildungen  wie  die 
Riechcylinder  und  Pinsel,  sondern  auch  die  gröberen  Bor- 
sten von  den  äusseren,  dem  Reiben  an  dem  Schlamme 
ausgesetzten  Flächen  verschwunden  sind,  wie  wir  es  schon 
früher  angegeben  haben,  indem  wir  zeigten,  dass  solche 
Borsten  bei  den  Onesimus  nur  auf  den  inneren,  einander 
sich  deckenden  Flächen  der  Fühler  vorhanden  sind.  Da 
aber  äussere  Gcfühlsorgane  nicht  zur  Entwickelung  kommen 
konnten,  so "  mussten  die  mehr  verborgenen  Körpertheile 
mit  solchen  versehen  werden.  —  Wir  haben  schon  gesehen, 
dass  bei  den  Onesimusarten  die  Borsten  der  äusseren  Kie- 
ferfussplatten  zu  sensibelen  Organen  ausgebildet  sind,  und 
obgleich  es  noch  nicht  entschieden  ist,  ob  sie  die  Ge- 
schmacksorgane darstellen,  so  kann  man  doch  nicht  umhin 
sie  als  zur  Bestimmung  der  Nahrungs Qualität  eingerichtete 
Organe  anzusehen,  die  beim  unterirdischen  Leben  dieser 
Thiere  die  Augen  ersetzen  und  also  auch  ihre  regressive 
Metamorphose  bestimmen. 

Wir  können  alles  gesagte  kurz  so  zusammenfassen: 
In  den  Seetiefen,  wo  eine  an  0  gränzende,  doch  keine 
absolute  Finsterniss  herrscht,  sind  die  dort  lebenden  Thier- 
arten  entweder  mit  höchst  entwickelten  Sehorganen  ver- 
sehen oder  aber  werden  die  Augen  durch  andere  Hülfs- 
organe  ersetzt,  die  eine  beträchtliche  Entwickelung  erlangen. 


1)  Die  mit  dem  Schleppnetz  herauf  geschafften  Thiere  verlegte 
ich  immer  erst  in  kleine  Wasserbassins  behufs  angedeuteter  Beobach- 
tungen ;  das  Verhalten  der  Thiere  zum  Schlamm  sieht  man  übrigens 
auch  schon  im  Schleppnetz  selbst,  indem  die  Wasserthiere  (entgegen 
den  Schlaramthiereu)  sich  nur  seicht  in  den  Schlamm  einwühlen  und 
dort  auch  bald  ersticken. 


126    Oscar  Grimm:  ZurKenntniss  einiger  blinden  Amphipoden  etc. 

Diese  Organe  entwickeln  sich  aber  auf  verschiedenen  Kör- 
pertheilen,  entsprechend  den  äusseren  Bedingungen  und  der 
Lebensart  des  Thieres,  was  als  primum  movens  des  ganzen 
Prozesses  der  Rückbildung  der  einen  Organe  und  derEnt- 
wickelung  der  anderen  betrachtet  werden  muss. 


Die  homerische   Thierwelt. 
Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Zoologie. 

Von 

Otto   Koerner, 

stud.  med. 


Die  homerische  Zoologie  ist  schon  mehrfach  bearbeitet 
worden,  jedoch  nur  für  Philologen  oder  wenigstens  für 
Solche,  die  sich  eingehender  mit  Homer  beschäftigen  wol- 
len. Die  zoologische  Seite  des  Gegenstands  hat  dabei  selbst- 
verständlich eine  eingehende,  geschweige  denn  vorzugs- 
weise Berücksichtigung  nicht  finden  können.  Gleichwohl 
wird  das  richtige  Verständniss  Homers  sicherlich  nur  dann 
gewährleistet  sein,  wenn  auch  dem  zoologischen  Standpunkt 
volle  Beachfung  zu  Theil  wird. 

Unter  diesen  Umständen  wird  der  Nutzen  einer  vor- 
zugsweise vom  letzteren  Standpunkt  aus  vorgenommenen 
Bearbeitung  desselben  Gegenstandes  auch  von  den  Philo- 
logen nicht  verkannt  werden  können  und  der  Verfasser 
nimmt  umsoweniger  Anstand,  die  nachfolgende  Arbeit  zu 
veröffentlichen,  als  er  nicht  nur  von  andern  Gesichtspunkten 
als  seine  Vorgänger  ausgegangen,  sondern  auch  zu  theil- 
weise  ihn  selbst  überraschenden  Ergebnissen  gelangt  ist, 
welche  ihm  von  allgemeinerem  Interesse  zu  sein  scheinen, 
weil  sie  sowohl  für  die  Geschichte  der  Zoologie,  als  auch 
für  die  richtige  Würdigung  Homers  erheblich  sind. 


128  Otto  Koerner: 

Die  Zoologie  des  classischen  Alterthums,  deren  vor- 
nehmster Vertreter  Aristoteles  ist,  konnte  nach  Carus^) 
nicht  entstehen,  ohne  dass  ihr  eine  „einfache  und  anspruchs- 
lose Kenntniss  von  Thieren"  vorausgegangen  wäre. 

Wo  eine  solche  Kenntniss  von  Thieren  aus  voraristo- 
telischer Zeit  zu  finden  sei,  hat  Carus  nicht  näher  be- 
zeichnet. Vieles  der  Art  mag  wohl  durch  mündliche 
Tradition  tiberliefert  worden  sein,  aber  eine  ungleich  grös- 
sere Bedeutung  musste  hier  eine  schriftliche  Aufzeichnung 
zoologischer  Kenntnisse  erlangen.  Eine  Solche  ist  in  den 
besonders  zahlreichen  und  anziehenden  Schilderungen  aus 
dem  Thierleben,  welche  in  llias  und  Odyssee  enthalten 
sind,  überliefert.  So  war  Aristoteles  nicht  auf  die 
urtheilslose  mündliche  Tradition  angewiesen,  sondern  stand 
auf  den  Schultern  Homers,  der  naturgeschichtliche  Kennt- 
nisse seines  Zeitalters,  in  die  Fesseln  der  gebundenen  Rede 
geschlagen  und  somit  unverfälschbar  im  Laufe  der  Jahr- 
hunderte, hinterlassen  hat.  Eine  geschichtliche  Behandlung 
der  Zoologie  muss  also  mindestens  bis  auf  Homer  zu- 
rückgehen. 

Die  Anspruchslosigkeit  der  homerischen  Thierkenntniss 
lässt  sich  schon  daraus  erkennen,  dass  der  Dichter  die  Er- 
forschung der  thierischen  Natur  nirgends  zum  Zweck  seiner 
Darstellung  erhebt.  Aber  gerade  in  dem  Umstände,  dass 
die  Thierschilderungen  ohne  lehrhafte  Absichten  gegeben 
sind,  liegt  ein  grosser  Theil  ihres  Werthes.  Treffend  be- 
merkt über  sie  Buchholz^):  „Die  homerische  Thierschil- 
derung  muss  den  wahren  Naturfreund  erwärmen  und  hin- 
reissen.  Er  wird  vor  Allem  an  ihr  die  Treue  und  Wahrheit 
bewundern,  welche  mit  fast  mikrologischer  Akribie,  dem 
Naturleben  selbst  die  feinsten  Züge  ablauscht;  er  wird 
staunen  über  die  umfassende  Beobachtungsgabe  des  Dich- 
ters, dessen  Scharfblick  in  alle  Naturgebiete  eindringt,  wie 
auch  über  das  lebhafte  Colorit  und  die  Anschaulichkeit, 
welche  er  allen  seinen  Naturschilderungen  zu  verleihen 
weiss.    —    Und  was    die  Beobachtung   der  Thierwelt  bei 

1)  Carus,  Geschichte  der  Zoologie.     München  1872.  p.  9. 

2)  Buchholz,    Homerische    Realien.      Leipzig    1871,    Bd.    I. 
Abth.  Tl.  pag.  8  u.  3. 


Die  homerische  Thierwelt.  129 

Homer  im  Einzelnen  betrifft,  so  ist  es  wunderbar,  wie 
unendlich  viele  Züge  derselbe  dem  Thierleben  abgelauscht 
hat  und  wie  er  dieselben  in  Beziehung  zum  Menschen  zu 
setzen  weiss." 

Bei  diesen  Schilderungen  kommt  ihm  jene  bekannte 
Eigenthümlichkeit  seiner  Darstellungsweise  trefflich  zu  Stat- 
ten, welche  darin  besteht,  dass  er  nur  fortschreitende 
Handlungen  schildert  und  alle  einzelnen  Dinge  nur  durch 
ihren  Antheil  an  diesen  Handlungen  hervortreten  lässt. 
Der  Löwe  z.  B.  ist  ihm  bald  starkmähnig,  bald  hat  er 
funkelnde  Augen ;  er  ist  auch  wohl  der  Gewaltige,  Verder- 
ben Sinnende.  Weiter  jedoch  lässt  sich  der  Dichter  auf 
seine  Beschreibung  und  Charakterisirung  im  einzelnen  Falle 
nicht  ein.  Schildert  er  aber  die  nächtlichen  Raubzüge 
desselben,  wenn  fernes  Brüllen  sein  Herannahen  verkündet 
und  Mensch  wie  Thier  angstvoll  dem  Morgen  entgegen 
sieht;  oder  lässt  er  ihn  kampflustig  den  versammelten 
Männern  eines  ganzen  Gaues  entgegentreten,  dann  streut 
er  in  die  Schilderung  der  fortschreitenden  Handlung  man- 
cherlei den  Artcharakter  treffend  bezeichnende  Einzelheiten 
ein.  Aus  solchen  zoobiologischen  Schilderungen  lässt  sich 
dann  eine  im  einzelnen  Falle  allerdings  unvollständige 
Beschreibung  des  betreffenden  Thieres  herauslesen.  Wenn 
z.  B;  kampfesmuthige  Krieger  mit  den  Wölfen  verglichen 
werden,  „die  mit  unsäglicher  Kraft  den  Edelhirsch  im 
Gebirgswald  zerrissen  und  aufgezehrt  haben,  dann  mit 
blutgerötheten  Wangen  in  Rudeln  hinziehen  und,  nachdem 
sie  von  der  Oberfläche  trüber  Quellen  mit  schmaler  Zunge 
Wasser  geleckt  haben,  rothes  Blut  wieder  ausspeien,  mit 
furchtlosem  Sinn  in  der  Brust  und  aufgetriebenem  Bauche" — 
so  erfährt  man  aus  dieser  Schilderung:  Der  Wolf  ist  raub- 
gierig und  gefrässig;  er  hält  sich  in  Gebirgswäldern  auf 
und  jagt  in  Rudeln  den  Hirsch.  Seine  Zunge  ist  schmal 
und  er  trinkt,  indem  er  das  Wasser  oberflächlich  leckt. 

Die  in  Betracht  kommenden  Stellen  der  Ilias  und 
Odyssee  enthalten  meist  sehr  weit  ausgeführte  Ver- 
gleich ungen  der  Heldenthaten  einzelner  Führer  oder  der 
Bewegungen  ganzer  Heerschaaren  mit  ähnlichen  Erschei- 
nungen im  Thierleben.     Da  diese  Gleichnisse  dem  Dichter 

Archiv  f.  Naturg.  XXXXVI.  Jahrg.  1.  Bd.  9 


13Ö  Otto  Koerner: 

nur  dazu  dienten,  seinen  Hörern*)  einen  Vorgang  recht 
anschaulich  zu  machen,  so  konnte  er  darin  aus  dem  Thier- 
leben  nur  das  anführen,  was  diesen  und  ihm  selbst  aus 
eigner  Erfahrung  wohl  bekannt  war.  Schon  diese  An- 
spruchslosigkeit der  Angaben  bürgt  für  ihre  Richtigkeit. 

Ferner  veranlasst  die  Wichtigkeit  der  Hausthiere  den 
Dichter  oft  zu  anziehenden  Schilderungen;  auch  manches 
Jagdabenteuer  berichtet  er  und  lässt  nicht  selten  den 
Menschen  aus  dem  Benehmen  der  Thiere  den  Willen  einer 
Gottheit  erkennen.  Selbst  im  letzteren  Falle  ist  seine 
Schilderung  naturgetreu  und  nur  das  zu  kritischer  Zeit 
stattfindende  und  unvorhergesehene  Eintreten  eines  Vor- 
gangs aus  dem  Thierleben  bestimmt  die  Entschlüsse  der 
Sterblichen. 

Die  Beobachtung  der  Thiere  im  homerischen  Zeitalter 
wurde  durch  die  beständige  Berührung  mit  denselben  aus- 
serordentlich begünstigt.  Pferde-  und  Viehzucht  betrieben 
die  Edeln  in  gewaltigem  Massstabe;  die  Heerden  mussten 
vor  zahlreichen  Raubthieren  geschützt  werden;  Jagd  und 
Seefahrt  lehrten  die  Lebensweise  weiterer  Thiere  genau 
kennen.  Ausserdem  ging  eine  der  am  meisten  frequentir- 
ten  Zugstrassen  der  Vögel  ^)  über  die  Wohnsitze  der  home- 
rischen Griechen  hin.  Eine  gewisse  Abgeschlossenheit 
gegen  Nichtgriechen  schützte  vor  den  Sagen  von  fabel- 
haften Thieren  anderer  Länder,  die  später  so  verbreitet 
und  der  Entwickelung  der  Zoologie  vielfach  hinderlich 
waren.  Höchstens  brachten  phönicische  Handelsleute  Elfen- 
bein und  den  Saft  der  Purpurschnecke.  Sie  mögen  es 
auch  gewesen  sein,  die  in  ihrer  reichen  orientalischen 
Phantasie  aus  einem  grossen  Cephalopoden  die  fabelhafte 
Scylla,  die  einzige  zoologische  Ungeheuerlichkeit  der  home- 
rischen Gesänge,  entstehen  Hessen^). 


1)  Die  homerischen  Gesänge  wurden  ursprünglich  mündlich 
überliefert.  —  Die  Frage,  ob  sie  von  einem  oder  mehreren  Dichtern 
stammen,  hat  auf  vorliegende  Untersuchungen  keinerlei  Einfluss. 

2)  S.  u.  Kranich  und  Krammetsvogel. 

3)  S.  u.  Mollusken.  Mythologische  Ungeheuer  gehören  natür- 
türlich  nicht  hierher. 


Die  homerische  Thierwelt.  131 

Die  Volkstbitmlichkeit  der  zoobiologisclien  Angaben 
Homers  ist  scbon  dureb  Zweck  und  Art  seiner  naturge- 
scbiebtlicben  Gleichnisse  (s.  o.)  hinreichend  gewährleistet. 
Auch  rauss  noch  in  Betracht  gezogen  werden,  dass  ein 
Dichter  auf  seine  Zeitgenossen  und  ihre  Nachkommen  nur 
zu  wirken  vermag  als  ein  Sohn  seiner  Zeit,  welcher  dem 
Wissen  seiner  Epoche  treffenden  Ausdruck  zu  geben  weiss 
(Jordan).  Wenn  irgend,  so  trifft  das  bei  dem  episcben 
Dichter  und  besonders  bei  Homer  zu.  Denn  ein  Dichter, 
dessen  Gesänge  ursprünglich  nicht  geschrieben  waren,  der 
genöthigt  war,  sie  durch  mündlichen  Vortrag  zur  Kennt- 
niss  seiner  Zeitgenossen  zu  bringen,  musste  durch  den 
Beifall,  welchen  diese  seinen  Werken  zollten  oder  versagten, 
erkennen,  was  wirkungsvoll  und  was  zu  feilen  oder  gar 
auszuscheiden  war.  So  ist  seine  Dichtung  fast  mehr  ein 
Werk  seiner  Zeit,  als  sein  eigenes. 

Wenn  aber  Homer  auf  Aristoteles  eingewirkt  haben 
soll,  so  müssen  seine  Dichtungen  auch  zu  des  Letzteren 
Zeit  noch  volksthümlich  gewesen  sein.  Aber  lernte  denn 
nicht  die  Jugend  in  den  attischen  Schulen  während  der 
ganzen  classischen  Zeit  vor  allem  Andern  die  beiden  home- 
rischen Gedichte  kennen?  Den  Zeitgenossen  des  Aristo- 
teles, den  Philosophen  und  Rednern  seiner  Zeit,  ja  der 
ganzen  Nation  galten  die  weisen  Lehren  des  uralten  Dich- 
ters als  sinnvoller  Schmuck  der  Rede  und  vertraten  oft 
die  Stelle  des  vollgültigen  Beweises.  Und  so  ist  es  wohl 
unzweifelhaft,  dass  eine  einfache  und  anspruchslose  Kennt- 
niss  von  Thieren,  wie  sie  der  classischen  Zoologie  der 
Griechen,  der  Zoologie  des  Aristoteles  vorausgehen 
musste,  in  den  homerischen  Gesängen  überliefert  ist. 

Dass  die  homerische  Thierschilderung  eine  so  wichtige 
Stelle  in  der  Geschichte  der  Zoologie  auszufüllen  würdig 
ist,  soll  durch  eine  vollständige  Darlegung  und  kritische 
Prüfung  der  zoobiologischen  Kenntnisse  des  Dichters  ge- 
zeigt werden.  Der  Verfasser  ist  bei  der  Bearbeitung  dieses 
Gegenstandes  zu  der  Ueberzeugung  gekommen,  dass  die 
Erklärer^)  Manches  bisher  übersehen,  Anderes  falsch  oder 

1)  Die   homerische  Zoologie   wurde  zuerst   von  Groshans  in 
seinem    Prodromus     faunae    Homeri   et    Hesiodi    zusammengestellt. 


132  Otto   Koerner: 

gar  nicht  verstanden  haben,  weil  sie  die  betreffenden  Dinge 
nur  vom  sprachlichen  und  nicht  zugleich  vom  naturge- 
schichtlichen Standpunkte  aus  betrachteten.  In  neuester 
Zeit  ist  man  darauf  aufmerksam  geworden,  wie  nahe  Sprach- 
wissenschaft und  Naturwissenschaft  verwandt  sind  und  wie 
sich  ihre  Resultate  ergänzen  müssen  —  und  wo  der  Ver- 
fasser eine  homerische  Stelle  auf  Grund  naturgeschichtlich 
feststehender  Thatsachen  anders  erklären  muss,  als  es  bis- 
her geschehen,  da  scheint  es  ihm  auch,  dass  seine  Auf- 
fassung nicht  nur  sprachlich  zulässig,  sondern  auch  unge- 
zwungener ist,  als  die  frühere. 

Ueberhaupt  dürfen  zur  Erklärung  der  betreffenden 
Stellen  nur  feststehende  zoologische  Thatsachen  herange- 
zogen werden.  Die  früheren  Bearbeiter  sind  bei  der  Iden- 
tificirung  der  homerischen  Thiere  mit  denen,  welche  jetzt 
in  den  in  Betracht  kommenden  Gegenden  leben,  nicht 
immer  vorsichtig  genug  gewesen,  denn  sie  bemühen  sich 
oft,  Thiere  zu  bestimmen,  bei  denen  die  Angabe  der  Species 
wegen  ihrer  kurzen  Erwähnung  ebenso  unmöglich  wie 
gleichgültig  ist.  Dabei  nehmen  sie  meist  Bezug  auf  Ari- 
stoteles; doch  selbst  hierbei  können  schon  Fehler  vor- 
kommen. So  wird  z.B.  nachgewiesen  werden,  dass  Homer 
unter  ^wg  den  Schakal  versteht,  während  bei  Aristoteles 
dieses  Thier  eher  eine  Viverre  zu  sein  scheint.  Ueber  ähn- 
liche Fälle  von  Unzuverlässigkeit  der  Tradition  berichten 
Aubert   und  Wimmer^). 

Bei  der  Uebersetzung  der  Farbenbezeichnungen 
hat    der    Verfasser    aus    zoologischen    Gründen    die    von 


Netolika  brachte  „Naturhistorisches  aus  Homer."  Friedreich 
behandelt  in  seinen  „Realien  in  der  Ilias  und  Odyssee"  die  home- 
rische Zoologie  kurz  und  in  der  neuesten  Zeit  lieferte  Buch  holz 
in  den  „homerischen  Realien"  eine  ausführliche  Bearbeitung  des- 
selben Gegenstandes,  die  jedoch,  was  das  Naturgeschichtliche  betrifft, 
manche  Irrthümer  enthält.  —  Nicht  berücksichtigt  wurde  die  home- 
rische Zoologie  von  Lenz  (,, Zoologie  der  alten  Griechen  und  Römer") 
und  von  Carus  („Geschichte  der  Zoologie"). 

Die  übrige,  sehr  zerstreute  Litteratur  wird  an  den  betreffen- 
den Stellen  citirt  v/erden. 

1)  Aubert  und  Wimmer,  Aristoteles'  Thierkunde,  Leipzig 
1868,  vol.  L  p.  57. 


Die  homerische  Thierwelt.  133 

Geiger^)  befolgten  Prinzipien  als  die  einzig  richtigen 
anerkennen  müssen. 

Von  wie  grosser  Wichtigkeit  es  ist,  Homer  möglichst 
aus  sich  selbst  zu  erklären,  zeigt  sich  am  deutlichsten, 
wenn  man  die  geographische  Verbreitung  einiger  ho- 
merischen Thiere  mit  den  Wohnsitzen,  welche  sie  jetzt  inne 
haben,  vergleicht.  Dass  in  einem  Zeiträume  von  etwa  2500 
Jahren,  wie  er  von  der  Entstehung  der  homerischen  Ge- 
dichte bis  zur  Gegenwart  verflossen  ist,  Aenderungen  in 
der  geographischen  Verbreitung  der  Thiere  stattfinden 
können,  ist  schon  deshalb  ausser  allem  Zweifel,  weil  noch 
gegenwärtig  im  Lauf  weniger  Decennien  solche  beobachtet 
worden  sind  und  noch  fortwährend  beobachtet  werden  2). 
Um  wie  viel  mehr  ist  das  bei  einem  so  grossen  Zeiträume 
möglich.  Aber  wie  lässt  sich  vor  Allem  die  geographische 
Verbreitung  der  Thiere  zur  Zeit  Homers  feststellen,  da 
dieser  so  wenig  sichere  Ortsaugaben  macht?  Hierzu  ist 
Folgendes  zu  bemerken: 

Es  besteht  kein  wissenschaftlich  begründeter  Zweifel 
darüber,  dass  die  homerischen  Gesänge  ausschliesslich  an 
der  Westküste  von  Kleinasien  entstanden  sind.  Wer 
nun  des  Dichters  bis  in  alle  Einzelheiten  genauen  und 
naturgetreuen  Schilderungen  aus  dem  Thierleben  und  den 
oben  näher  dargelegten  Zweck  seiner  Gleichnisse  betrachtet, 
müss  zu  der  Ueberzeugung  kommen,  dass  diesen  Allen  nur 
eigne  Beobachtungen  des  Dichters  oder  von  ihm  als  allge- 
mein bekannt  vorausgesetzte  Erfahrungen  zu  Grunde  liegen 
können.  Daraus  folgt  wieder,  dass  alle  in  den  Gleichnissen 
der  II las  und  der  Odyssee  genauer  beschriebenen  Thiere 
vor  2500  Jahren  in  den  Küstengegenden  Kleinasiens  vor- 
gekommen, ja  sogar  häufig  gewesen  sein  müssen  —  ein 
Schluss  den  auch  Buch  holz  I.e.  öfters  zieht.  Eine  gegen- 
theilige  Ansicht  von  Carus  wird  weiter  unten,  wo  vom 
Löwen  die  Rede  ist,  erwähnt  werden. 

1)  L.  Geiger,  Zur  Entwickelungsgeschichte  der  Menschheit, 
Stuttgart  1871,  und  Ursprung  und  Entwickelung  der  menschlichen 
Sprache  und  Vernunft,  ebenda  1872. 

2)  cf.  Dr.  F.  C.  Noll,  Die  Erscheinungen  des  sogenannten 
Instinkts,  Frankfurt  a.  M.  1876,  p.  47  ff. 


134  Otto  Koeriier: 

Dass  bei  dem  Nachweis  von  Veränderungen  in  der 
geographischen  Verbreitung  der  Thiere  auch  nach  der  Ur- 
sache derselben  gesucht  werden  muss,  ist  selbstverständ- 
lich. Es  sei  gleich  hier  bemerkt,  dass  klimatische  Ver- 
hältnisse dabei  nicht  in  Betracht  kommen  können,  da 
Veränderungen  des  Klimas  der  kleinasiatischen  Westküste 
seit  Homer  nachweisbar  nicht  stattgefunden  haben  ^). 

Die  Anzahl  der  dem  Dichter  bekannten  Thierarten 
ist  nicht  gross  —  es  sind  ihrer  etwa  siebenzig.  Aber  diese 
hat  er  meist  so  trefflich  charakterisirt,  dass  es  nur  in  sehr 
wenigen  Fällen  unmöglich  ist,  aus  seinen  Angaben  die 
Species  mit  Sicherheit  zu  bestimmen.  Doch  nicht  die  An- 
zahl der  bekannten  Thiere,  sondern  der  Grad  der  Bekannt- 
schaft mit  ihnen  muss  den  Werth  seiner  Angaben  be- 
stimmen. 

Eine  systematische  Gliederung  des  Thierreichs 
ist  bei  Homer  noch  nicht  vorhanden.  Die  zoologischen 
Systeme  entsprechen  immer  mehr  oder  weniger  dem  Masse 
der  anatomischen  Kenntnisse  ihrer  Begründer  und  Homer 
besass  deren  nur  sehr  geringe.  Er  kannte  zwar  die  grö- 
bere Anatomie  der  zu  Opfern  und  culinarischen  Zwecken 
getödteten  Thiere  einigermassen  ;  im  Uebrigen  war  er  aber 
ganz  auf  den  Zufall  angewiesen. 

Jedoch  bildet  bei  Homer  die  Vereinigung  von 
mehreren  Thieren  unter  einzelnen  Gruppen  gleich- 
sam den  Urbeginn  einer  systematischen  Gliederung,  Die- 
selbe findet  aber  nur  so  statt,  dass  viele  Thiere  vereinzelt 
ausserhalb  der  Gruppen  stehen.  Für  jede  Gruppe  hat  der 
Dichter  einen  Ausdruck;  jedoch  für  den  Begriff  „Gruppe" 
selbst  fehlt  ihm  ein  solcher.  Nur  unserer  „Art"  entspricht 
bei  ihm  das  Wort  yevog,  z.  B.  yevog  avd^QtoTitov,  yevog  ?]ini6viov, 
yivog  ßoMv. 

Das  Wort  ^  t]  q,  das  in  der  späteren  griechischen 
Literatur  unserem  „Thier"  entspricht,   hat  bei  Homer  eine 


1)  Verfasser  hat  sich  die  Mühe  genommen,  sämmtliche  auf 
klimatische  Verhältnisse  bezüglichen  Stellen  in  Ilias  und  Odyssee 
zusammenzustellen  und  mit  den  Bemerkungen  über  das  gegenwärtige 
Klima  Kleinasiens,  welche  in  Griesebach's  Flora  der  Erde  gemacht 
sind,  zu  vergleichen. 


Die  homerische  Thierwelt.  135 

speziellere  Bedeutung;  wir  müssen  es  mit  „grösseres  Raub- 
thier"  übersetzen.  An  einigen  Stellen  beisst  es  ohne  Wei- 
teres „der  Löwe*^ 

Das  Wort  S-rjQioVj  das  Homer  einmal  von  einem 
gewaltigen  Edelhirsche,  also  nicht  diminutiv  gebraucht, 
kommt  bei  Theokrit  von  der  Biene,  bei  andern  Späteren 
auch  von  Fischen  und  von  der  Spinne  vor.  Es  wäre  mög- 
lich, dass  dasselbe  dem  sonst  bei  Homer  fehlenden  Begriffe 
„Thier"  (im  Gegensatz  zu  Mensch  und  Pflanze)  entspräche. 

Für  unser  „Säuget hier"  findet  sich  bei  Homer  keine 
Bezeichnung. 

Die  Vögel  in  ihrer  Gesammtheit  heissen  7T€T£r]va,  d.  i. 
Alles  was  da  fliegt.  Der  Vogel  im  Gegensatz  zu  anderen 
Thieren  heisst  o^v/c:. 

Bei  den  Schlangen  scheint  offig  die  Gruppe  zu  be- 
zeichnen,  während  ögaKtov  und  vÖQog  Species  sind. 

Der  Fisch  heisst  Ix^vg- 

Für  die  Insekten,  sowie  für  die  übrigen  Klassen 
der  niederen  Thiere  finden  sich  keine  besonderen  Gruppen- 
bezeichnungen. 

Als  Klasse  im  heutigen  Sinne  können  nur  die 
Vögel  gelten,  da  ihnen  eine  Gruppe  (die  oliovol)  unter- 
geordnet wird.  Die  Uebrigen,  z.  B.  d.  Fische,  haben  nur 
den  Werth  einer  Gruppe,  weil  bei  ihnen  die  eben  erwähnte 
Bedingung  nicht  eintrifft. 

Die  Gruppen  sind  folgende : 

1)  Unter  der  Bezeichnung  i9'^(>£ 4;  vereinigt  der  Dich- 
ter die  grösseren  Raub  thiere,  z.  B.  H.  3,  449;  15,  586; 
0.  5,  473;  24,  292  u.  0.  (Der  Berg  Ida  heisst  H.  14,  283 
^Mutter  der  Raubthiere.") 

2)  Als  liiTJAa,  etwa  „Kleinvieh"  bezeichnet  er  Schafe 
und  Ziegen,  z.  B.  0.  9,  184  inrjX\  oug  xe  '/,al  aiyeg.  cf. 
IL  4,  275;  10,  485;  16,  352. 

3)  Die  wildlebenden  Säugethiere,  deren  Jagd  directen 
Nutzen  gewährte,  werden  0.  17,  317  unter  dem  Begriffe 
■/.Vit) dal ov,  Wild,  zusammengefasst. 

4)  Die  im  Meere  lebenden  Säugethiere  werden 
'/.rtog  genannt;  so  die  Robbe  ((pco-/,^)  0.  4,  446;  —  0.  12, 


136  Otto   Koerner: 

96   ist   von  ;, Seehunden,   Delphinen- und   noch   grösseren 
Seethieren  (■nTjTogY  die  Rede. 

5)  Die  grossen  Raubvögel,  namentlich  diejenigen, 
welche  als  Weissagevögel  in  Ansehen  standen,  werden 
oicüvol  genannt,  cf.  IL  1,  5;  24,  310;  0.  3,  259;  16,  216; 
24,  292  etc. 

6)  Die  Schlangen,  s.  o. 

7)  Zu  den  Fischen  ih^i^'Q)  rechnet  Homer  ausser 
dem  Aal  II.  21,  22  auch  noch  den  Delphin,  den  er  jedoch 
0.  12,  96  mit  den  Meersäugethieren  vereinigt  (s.  o.). 
Weitere  Fischspecies  nennt  er  nicht,  sondern  spricht  nur 
von  der  ganzen  Klasse  oder  besser  Gruppe. 

8)  Verschiedene  Mücken-  und  Schnakenarten 
vereinigt  er  unter  dem  Begriffe  ßvlaij  ohne  jedoch  die 
einzelnen  Arten  besonders  namhaft  zu  machen.  — 

Eine  Darstellung  der  homerischen  Zoologie  muss  sich 
an  diese  Gruppirung  halten,  wenn  sie  den  Anschauungen 
des  Dichters  möglichst  gerecht  werden  will.  Dabei  ent- 
steht aber  die  Schwierigkeit,  die  ausserhalb  dieser  Gruppen 
stehenden  Thiere  unterzubringen.  Wenn  jedoch  bei  den 
Säugethieren  der  Marder  (y-Ttg)  den  d^ijgeg  angereiht 
wird  und  wenn  zu  den  jurjXa  die  übrigen  Hausthiere  (Hund, 
Rind,  Pferd,  Esel,  Maulthier  und  Schwein)  gestellt 
werden,  so  ist  nur  noch  die  Fledermaus  {vvxreQig)  be- 
sonders zu  behandeln. 

Bei  den  Vögeln  lassen  sich  die  Wasservögel  in  des 
Wortes  weitester  Bedeutung  leicht  zusammenstellen,  da  auch 
der  Dichter  oft  mehrere  Arten  derselben  zusammen  an- 
führt.     Dann  bleiben  noch  einige  kleinere  Vögel  übrig. 

Die  niederen  Thiere,  welche  nicht  in  die  Gruppen 
fallen,  sollen  in  der  ihnen  zukommenden  Reihenfolge  des 
gegenwärtig  massgebenden  Systems  behandelt  werden. 


Die  homerische  Thierwelt.  137 

I.  I^äugethiere. 

A.    Raubthiere. 

Der  Löwe. 

Felis  leo,  o,  i]  Utov  oder  lig.  II.  10,  184  ist  d^r^Q^ 
sonst  „grösseres  Raubthier",  geradezu  mit  „Löwe"  zu  über- 
setzen (s.  u.). 

Beiwörter  des  Löwen  sind: 

yjxQOTcöq  mit  funkelnden  Augen;  svyivsiog  mit  starker 
Mähne;  oloocpQtov  Verderben  sinnend;  xgareQog  stark; 
ILieyag  gewaltig;  aiS^wv  feurig,  muthig;  to/iiocpayog  fleisch- 
fressend, roh  verschlingend;  oiwi^g  reissend;  oQsairQOipog 
bergbewohnend. 

Seine  Farbe  ist  öacpoLvog  gelbbraun  (II.  10,  23). 

Die  jungen  Löwen    heissen  oytif^ivol  (II.  18,  320). 

Löwenmuthig  (ßvinoXicüv)  wird  Odysseus  genannt  und 
von  Aeneas  heisst  es  (II.  5,  299):  „er  schritt  einher,  wie 
ein  Löwe  auf  seine  Kraft  vertrauend."  Polyphem  frisst 
wie  ein  Löwe  (0.  9,  292). 

Ferner  ist  der  Löwe  „Symbol  des  Todes",  denn  IL  21, 
483  wird  von  der  Artemis,  welcher  die  plötzlichen  Todes- 
fälle der  Frauen  zugeschrieben  werden,  gesagt,  Zeus  habe 
sie  den  Weibern  zum  Löwen  gemacht^). 

Den  Lebenslauf  des  Löwen  schildert  der  Dichter 
I.  5.  554:  „Wie  zwei  2)  Löwen,  auf  den  Höhen  des  Gebirgs 
von  der  Mutter  unter  dichtem  Waldesdickicht  aufgenährt, 
beide  dann  Rinder  und  fettes  Kleinvieh  raubend  in  den 
Hürden  der  Männer  Verwüstung  anrichten,  bis  sie  unter 
den  Händen  der  Hirten  dem  spitzen  Erze  unterliegen: 
so  fielen  die  Achäer,  bezwungen  von  Aeneas." 

Die  Liebe  zu  den  Jungen  wird  in  folgenden  Stellen 
erwähnt:  I.  17.  132:  „Ajas  hielt  Stand,  indem  er  den  Me- 
nötiaden  mit  seinem  Schilde  deckte,  wie  eine  Löwin  bei 
ihren  Jungen,  wenn  sie  von  Jägern  angetroffen  wird,  wäh- 


1)  Friedreich,  I.  c.  p.  101. 

2)  Die  Löwin  bringt  meist  zwei  Junge  zur  Welt. 


138  Otto  Koerner: 

rend  sie  die  Kleinen  im  Walde  herumführt;    sie  trotzt  auf 
ihre  Stärke  und  zieht  die  Stirnhaut  nieder.^ ^) 

Achilles  seufzt  an  der  Leiche  des  Patroklus:  ;,wie  ein 
Löwe  mit  starker  Mähne,  dem  ein  Jäger  die  Jungen  aus 
dichtem  Walde  geraubt  hat;  grollt,  weil  er  zu  spät  ge- 
kommen, und  dann  viele  Schluchten  durcheilt,  nach  den 
Spuren  des  Mannes  suchend,  ob  er  ihn  wohl  fände,  denn 
heftiger  Zorn  hat  ihn  erfasst."  II.  18,  318. 

Den  Beginn  seiner  nächtlichen  Raubzüge  kündet  der 
Löwe  zunächst  durch  Brüllen  an 2).  Homer  schildert  eine 
derartige  Scene  ganz  wie  Jules  Gerard^),  in  dem  schönen 
Gleichnisse  II.  10,  183:  „Wie  die  Hunde  bei  einer  Schaf- 
heerde  die  Nacht  in  der  Hürde  wachend  zubringen,  wenn 
sie  die  Stimme  des  furchtlosen  Löwen^)  vernommen  haben, 
der  durch  den  Bergwald  herabsteigt;  viel  Lärm  entsteht 
seinetwegen  unter  den  Männern  und  Hunden  und  der  Schlaf 
weicht  von  ihnen:  so  schwand  auch  Jenen  der  erqui- 
ckende Schlummer  von  den  Augenlidern,  als  sie  die 
schlimme  Nacht  durchwachten,  denn  immer  waren  sie  nach 
der  Ebene  gewandt,  ob  sie  die  Troer  herannahen  hörten." 

üeber  die  Raubzüge  des  Löwen  geben  folgende  Stellen 
weiteren  Aufschluss : 

,,Er  schrittt  einher,  wie  ein  bergbewohnender  Löwe, 
der,  vom  Regen  nass  und  vom  Sturm  (an  der  Mähne)  zer- 
zaust mit  funkelnden  Augen  Rindern  oder  Schafen  und  den 
Hirschen  des  Waldes  nachgeht;  es  zwingt  ihn  aber  der 
Magen  (d.  h.  der  Hunger),  sich  an  Schafen  zu  versuchen 
und  in  das  feste  Gehege  einzubrechen."     0.  6,  130. 

„Wie  wenn  im  Dickicht  des  starken  Löwen  die  Hirsch- 
kuh ihre  neugeborenen,   milchsaugenden    Jungen   gebettet 


1)  Das  Niederziehen  der  Stirnhaut  deutet  den  Zorn  an. 

2)  ßrehm,  Thierleben,  Volksausgabe,  Bd.  I.  p.  114. 

3)  Jules  Gerard,  der  Löwenjäger,  p.  12. 

.  4)  Es  steht  hier  nicht  Xitav,  soudera  nur  d-tiQ.  Da  aber  der 
Löwe  das  einzige  Raubthier  ist,  das  sein  Herannahen  durch  Brüllen 
anzeigt,  und  überhaupt  wohl  kein  homerisches  Gleichniss  gefunden 
werden  dürfte,  in  dem  der  Ueberfali  des  Löwen  treffender  geschil- 
dert wäre,  80  sind  wir  gezwungen,  hier  &riQ  ohne  Weiteres  mit 
„Löwe"  zu  übersetzen. 


Die  bomftrisuhe  Thierwelt.  139 

hat  und  Höben  und  Schluchten  weidend  durchsi)äht,  wäh- 
rend jener  in  sein  Lager  zurückkehrend  beiden  Jungen 
ein  schreckliches  Ende  bereitet;  so  wird  auch  Odysseus 
den  Freiern  ein  schreckliches  Ende  bereiten."  0.  4,  335. 
Aehnlich  IL  11,  113.  (s.  unter  .Edelhirsch''). 

II.  3,  23  ist  als  Beute  des  Löwen  Hirsch  und 
Steinbock  angegeben.  II.  16,  756  kämpfen  zwei  Löwen 
um  eine  erjagte  Hirschkuh.  Ebenda  824  überwältigt  ein 
Löwe  einen  Eber  im  Kampf  um  das  Wasser  einer  Quelle. 

Die  beiden  Ajas  halten  den  gefallenen  Imbrios  hoch 
empor  und  rauben  ihm  die  Rüstung,  sowie  zwei^)  Löwen 
eine  den  Hunden  abgejagte  Ziege  davon  tragen,  indem  sie 
dieselbe  in  ihrem  Rachen  hoch  über  die  Erde  halten 
IL  13,  198. 

„Die  Trojaner  flohen  mitten  über  die  Ebene,  wie 
Rinder,  die  ein  Löwe  in  dunkler  Nacht 2)  erschreckte;  eine 
Kuh  traf  das  herbe  Geschick;  jener  fasste  sie  und  zerbrach 
ihr  zuerst  den  Nacken  mit  starkem  Zahn,  dann  schlang 
er  das  Blut  und  die  Eingeweide  hinunter".  IL  11,  171. 
Aehnlich  IL  5,  161.    Vergl.  ferner  IL  18,  579.  15,  630. 

IL  5,  136:  „Jetzt  ergriff  den  Diomedes  dreifache 
Wuth,  wie  einen  Löwen,  welchen  der  Hirt  im  Felde  bei 
den  wolligen  Schafen  streifte,  als  er  die  Hürde  übersprang, 
ohne  ihn  zu  tödten:  er  hat  ihm  nur  den  Zorn  erregt  und 
wehrt  ihn  nicht  weiter  ab,  sondern  verbirgt  sich  im  Stalle 
und  Schrecken  ergreift  die  verlassenen  Schafe.  Die  nun 
sind  dicht  aufeinander  gedrängt;  der  Löwe  aber  springt 
wüthend  aus  dem  hochumbauten  Gehege:  in  solcher  Wuth 
stürzte  sich  der  gewaltige  Diomedes  unter  die  Troer. ''^) 

1)  Nach  Jules  Gerard,  1.  c.  jagen  nur  junge  Löwen  gemein- 
schaftlich. Vgl.  noch  IL  18,  579.  Ob  das  gemeinsame  Wegschleppen 
der  Beute  naturhistorisch  gerechtfertigt  ist,  kann  wohl  kaum  ent- 
schieden werden. 

2)  Der  Löwe  geht  vorzugsweise  Nachts  auf  Raub  aus.  Vgl. 
IL  17,  657. 

3)  Diese  Stelle  ist  bisher  meist  falsch  verstanden  worden.  Man 
glaubte,  die  Worte  cd  /usv  T^y^idTTvcu  i7i''o:Xlr]X)jGi  yJ/vvTtu  bedeuteten : 
Die  gemordeten  Schafe  liegen  haufenweise  auf  einander.''  So  Voss  und 
Andere.  Von  Mord  und  Blut  steht  jedoch  nichts  da.  Auch  entfernt  sich 
der  Löwe  nicht  ,, nachdem  er  sich  gesättigt"  wie  La  Roche  z.  d.  St. 


140  Otto  Koei^er: 

Nicht  immer  gelingt  dem  Löwen  der  Ueberfall,  das  Ge- 
bell der  Hunde,  die  Speere  der  Hirten  verjagen  ihn:  ^es 
schaudert  ihm  das  starke  Herz  und  unwillig  entfernt 
er  sich  von  dem  Gehöfte''.  (H.  17,  110.)  Aehnlich  ebenda 
657:  „Menelaus  entfernte  sich  (nach  dem  Tode  des  Patro- 
klos)  wie  ein  Löwe  von  dem  Gehöfte,  wenn  er  Hirten  und 
Hunde  beständig  reizend  ermüdet  hat,  die  während  der 
ganzen  Nacht  wachend  ihn  nicht  die  fetten  Rinder  kosten 
lassen.  Er  aber,  nach  Fleisch  lüstern,  greift  an;  vergebens, 
denn  dichtgedrängt  fliegen  ihm  aus  kühnen  Händen  Wurf- 
speere und  brennende  Fackeln  entgegen,  die  er  gar  schnell 
flieht.  Um  das  Morgenroth  aber  geht  er  mit  betrübtem 
Herzen  davon.    So  ging  Menelaos  etc." 

Der  hungrige  Löwe  jedoch  lässt  sich  nicht  verscheu- 
chen, auch  wenn  er  seine  Kühnheit  mit  dem  Tode  büssen 
muss.  H.  12,  300. 

Hat  der  Löwe  sich  an  einem  erbeuteten  Thiere  ge- 
sättigt, ohne  es  gänzlich  aufzuzehren,  so  kehrt  er,  wie 
Gerard  und  Andere  versichern,  öfters  in  der  nächsten 
Nacht  noch  einmal  zu  ihm  zurück,  um  es  vollends  zu  ver- 
tilgen. So  lässt  sich  die  Stelle  II.  3,  23  erklären,  wo  ein 
Löwe  den  Leichnam  eines  Hirsches  oder  Steinbocks  ver- 
zehrt. Doch  verdient  hier  eine  andere  Erklärung  vielleicht 
den  Vorzug.  Da  nämlich  an  der  betr.  Stelle  noch  erwähnt 
wird,  dass  sich  der  Löwe   beim  Fressen   selbst  durch  die 


einschaltet  —  auch  davon  steht  nichts  da.  Homer  wusste  recht  gut, 
dass  der  Löwe  nicht  unnöthigen  Massenmord  liebt,  uud  dass  er  sein 
Opfer  nicht  in  der  Hürde  verzehrt,  sondern,  es  im  Rachen  tragend, 
über  den  Zaua  zurückspringt  und  es  weit  wegschleift  (cf.  II.  13, 
198,  ferner  Brehm,  1.  c.  p.  115.)  Die  Stelle  ist  vielmehr,  so  zu 
verstehen:  Homer  will  die  Wuth  des  Diomedes  schildern.  Deshalb 
sagt  er:  ein  hungriger  Löwe  springt  über  die  Hürde  um  sich  zu 
sättigen.  Da  wird  er  verwundet,  vergisst  den  Hunger  vor  Rache- 
durst, kann  aber  seinen  versteckten  Gegner  nicht  finden.  Seine 
Wuth  steigt  auf's  Höchste  —  die  Schafe  haben  sich  ängstlich  in 
eine  Ecke  gedrückt  —  und  er  springt  wieder  aus  der  Hürde.  In 
einer  solchen  Wuth  wie  der  ungesättigte,  verwundete  und  unge- 
rächte  Löwe  war  Diomedes. 

Ueber  die  bekannte   Thatsache,    dass    der  Löwe    einen  miss- 
lungenen  Angriff  nicht  wiederholt,  vergleiche   Brehm    1.  c.  p.  117. 


Die  homerische  Thierwelt.  141 

in  der  Nähe  befindlichen  Hunde  und  Jäger  nicht  stören 
lasse,  so  liegt  die  Vermuthuiig  nahe,  dass  er  sich  des  von 
den  Jägern  verwundeten  und  eben  verröchelnden  Thieres 
bemächtigt  habe.  Der  Fall  hätte  dann  Aehnlichkeit  mit 
einem  II.  11,  474  berichteten  (s.  unter  Schakal). 

Natürlich  wurde  auf  einen  so  gefährlichen  Räuber, 
wo  er  sich  nur  blicken  Hess,  eifrig  Jagd  gemacht,  z.  B. 
II.  20,  164:  „Von  der  andern  Seite  stürmte  der  Pelide 
heran  wie  ein  reissender  Löwe,  den  die  versammelten 
Männer  eines  ganzen  Gaues  tödten  wollen :  er  schreitet  zu- 
erst verachtend  einher;  sobald  ihn  aber  einer  der  Männer 
mit  dem  Speere  trifft,  duckt  er  sich  mit  weit  geöffnetem 
Rachen,  Schaum  umhüllt  seine  Zähne,  in  der  Brust  stöhnt 
ihm  sein  starkes  Herz  und  er  treibt  sich  selbst  zum  Kampfe 
an,  indem  er  beide  Seiten  und  Hüften  mit  dem  Schweife 
peitscht.  Mit  funkelnden  Augen  stürzt  er  muthig  gerade 
aus,  sei  es  dass  er  einen  Mann  tödte,  oder  dass  er  selbst 
vorn  im  Gedränge  umkomme."  Aehnlich  wird  diese  Art 
der  Löwenjagd,  die  nach  Jules  Gerard's  Bericht^)  bei 
einigen  Araberstämmen  in  Algerien  noch  heutzutage  üblich 
ist,  IL  12,  40  und  0.  4,  791  geschildert. 

Das  Fell  des  erlegten  Löwen  wird  als  Mantel  benutzt, 
z.  B.  von  Agamemnon  IL  10,  23. 


Aus  der  Genauigkeit  dieser  Schilderungen^)  geht  un- 
widerleglich hervor,  dass  der  Dichter  den  Löwen  aus  eigner 
Anschauung  kannte.  Wir  sind  deshalb  nach  dem,  was  wir 
in  der  Einleitung  gesagt  haben,  zu  der  Behauptung  berech- 
tigt, dass  der  Löwe  im  homerischen  Zeitalter  in  Kleinasien 
häufig  war  —  ein  Schluss,  zu  dem  auch  Buchholz ^)  ge- 
langt.    Seine  Verbreitung  war  überhaupt  früher  viel  grösser 


1)  Jules  Gerard,  1.  c.  p.  23  ff. 

2)  Prätorius  (Die  Hausthiere  der  alten  Griechen,  ZooL 
Garten  XV.  p.  459)  sagt  von  ihnen:  „sie  haben  eine  auffallende 
Aehnlichkeit  mit  der  Beschreibung,  welche  Brehm  von  den  Zügen 
des  afrikanischen  Viehräubers  gibt." 

3)  Buchholz,  1.  c,  I.  Bd.  IL  Thl.  p.  206. 


142  Otto  Koerner: 

als  jetzt.  Er  fand  sich  zur  homerischen  Zeit  ausserdem 
in  Indien^),  in  Syrien  und  Palästina ^j,  dann  in  Meso- 
potamien und  wahrscheinlich  in  ganz  Afrika  mit  Ausnahme 
der  Wüsten  und  in  Griechenland  und  Macedonien.  Dort 
findet  er  sich  noch  später  zur  Zeit  des  Xerxes,  häufig 
zwischen  Achelous  (dem  heutigen  Aspropotamo)  und  Nestus 
(d.  h.  Struma).  Dieses  von  Herodot  (VII,  124—126)  be- 
zeugte Vorkommen  bestätigt  Aristoteles^).  Dort  soll  er 
noch  um  150  nach  Christus  vorgekommen  und  öfters  bis 
zum  Olymp   vorgedrungen  sein  (Pausanias  6,   Eliac.  5). 

Wir  haben  also  drei  Verbreitungsgebiete,  das  afrika- 
nische, das  asiatische  und  das  europäische,  die  höchstwahr- 
scheinlich in  uralter  Zeit  nicht  geschieden  waren.  Zuerst 
wird  sich  wohl  das  europäische  vom  asiatischen  getrennt 
haben  (entweder  durch  Verschwinden  einer  festen  Verbin- 
dung am  Hellespont  oder  am  Bosporus,  oder  durch  Aus- 
sterben des  Löwen  in  einem  das  schwarze  Meer  umgehen- 
den verbindenden  Verbreitungsgebiete.  Dann  (vielleicht 
schon  in  historischer  Zeit)  wurde  das  afrikanische  Gebiet 
vom  asiatischen  durch  die  zunehmende  Bevölkerung  und 
die  damit  zusammenhängende  Ausrottung  des  Löwen  in 
Unterägypten  abgeschieden. 

In  Europa  werden  Löwen  nach  150  n.  Chr.  nicht  mehr 
erwähnt.  In  Nordafrika  wurden  sie  gegen  Ende  der  römi- 
schen Republik  und  zur  Kaiserzeit  durch  das  massenweise 
Einfangen  für  die  Circusspiele  stark  decimirt. 

In  Algerien  wurden  ihre  Reihen  neuerdings  durch 
französische  Löwenjäger  (Jules  Gerard  u.  A.)  stark  ge- 
lichtet.    In  Palästina  sollen  sie  noch  im  12.  Jahrhundert 


1^  W.  Stricker,  lieber  die  Thierfabel,  bes.  die  indische, 
Zool.  Garten  XVIII,  p.  264. 

2)  Rosenmüller,  Handbuch  der  bibl.  Alterthuraskimde,  4.  Bd. 
2.  Thl.  p.  111  fif. 

3)  Carus  hält  die  Stellen  des  Aristoteles,  wonach  der 
Löwe  in  Griechenland  vorkam  (h.  a.  VI  31.  178  u.  VIII  28  ,  165), 
mit  Siindcvall  (die  Thierarten  des  Aristoteles,  Stockholm  1863,  p. 
47)  für  dem  Herodot  entnommen.  Nach  ihm  soll  auch  der  Löwe 
den  homerischen  Griechen  nur  aus  Syrien  bekannt  gewesen  sein 
(1.  c.  p.  41),  was  jedoch  durch  unsere  Ausführungen  hinreichend 
widerlegt  ist. 


Die  homerische  Thierwelt.  143 

im  Uferschilf  des  Jordans  häufig  gewesen  sein  (?  Vgl. 
Rosenmüller,  1.  c.  p.  114.j. 

Gegenwärtig  kommt  der  Löwe  in  verschiedenen  Varie- 
täten noch  vor  in  Niibien,  Algier,  Tunis,  Marokko  und  in 
der  Oase  Fessan  (Leo  barbarus);  am  Senegal  (L.  senega- 
lensis) ;  am  Cap  der  guten  Hoffnung  (L.  capensis);  in 
Persien  (L.  persicus)  und  im  nordwestlichen  Theil  von 
Ostindien  (L.  googratensis).  Diese  verschiedenen  Varietäten 
treten  jetzt  um  so  deutlicher  hervor,  als  wahrscheinlich  die 
in  den  dazwischen  liegenden  Bezirken  ausgerotteten  Löwen 
einen  allmählichen  Uebergang  derselben  vermittelt  hatten. 

Nach  Alledem  scheint  es,  als  ob  die  Veränderungen 
in  der  Verbreitung  des  Löwen  nur  der  steigenden  Bevöl- 
kerung und  der  fortschreitenden  Cultur  der  einzelnen  Ge- 
biete zuzuschreiben  wären. 

Der  Leopard. 

TcaQÖahg,  Leopardus  antiquorum  Brehm.  Sein  buntes 
Fell  (Ttagöalerj  uotKih])  diente  dem  Menelaos  (IL  10,  29.) 
und  dem  Paris  (IL  3,  17.)  als  Mantel.  Sein  Muth  wird 
dem  des  Löwen  und  des  Ebers  gleichgestellt  (IL  17,  20). 
Proteus  nimmt  die  Gestalt  des  Leoparden  an  (0.  4,  57).  — 
Die  einzige  über  ihn  ausführlicher  berichtende  Stelle  ist 
IL  21,  573: 

„Wie  der  Leopard  aus  tiefem  Dickicht  dem  Jäger 
entgegengeht  und  im  Herzen  weder  Furcht  noch  Schrecken 
hegt,  wenn  er  das  Hundegebell  vernimmt;  denn  wenn  auch 
jener  ihn  früher  trifft  und  verwundet,  so  lässt  seine  Stärke 
doch  nicht  nach,  bis  er  entweder  auf  den  Gegner  selbst 
trifft,  oder  erlegen  ist;  so  wollte  Agenor  nicht  fliehen,  be- 
vor er  sich  an  Achilles  versucht  hätte." 

Noch  im  letzten  Jahrhundert  der 'römischen  Republik 
fand  sich  der  Leopard  in  Kleinasien.  Nach  Cicero, 
epist.  ad  fam.  2,  11  u.  8,  9,  war  er  damals  in  Carlen, 
Pamphylien  und  bei  Cibyra  häufig,  seltener  in  Cilicien^). 
Ueber  sein  Vorkommen  in  Palästina  und  Syrien  vgl. 
Rosenmüller,  L  c.  p.  134  ff.  und  Plinius  8,  17,  23.  Jetzt 
ist  er  aus  ganz  Kleinasien  verdrängt. 

1)  Lenz,  Zoologie  der  alten  Griechen  und  Römer,  p.  141. 


144  Otto  Koerner: 


Der  braune  Bär. 


agytTogj  Ursus  arctos.  Nur  einmal  (in  einer  sehr 
spät  eingeschobenen  Stelle  der  Odyssee,  11,  612,)  wird  eine 
bildliche  Darstellung  von  Bären,  Ebern  und  Löwen  auf  dem 
Wehrgehänge  des  Herakles  erwähnt.  In  den  Stellen  II.  18, 
487  und  0.  5,  273  ist  agyiTog  das  Sternbild  des  grossen  Bären. 

Aus  diesen  wenigen  Andeutungen  können  wir  nur 
schliessen,  dass  der  Bär  zu  Homers  Zeit  an  der  West- 
küste von  Kleinasien  nicht  häufig  war^).  Wäre  er  ein 
dem  Dichter  bekanntes  Thier  gewesen,  so  hätte  ihn  dieser 
wohl  in  seinen  Gleichnissen  angeführt.  Der  Bär  war  ja 
von  jeher  überall,  wo  er  sich  zeigte,  ein  populäres  Thier, 
wie  schon  seine  Rolle  im  Märchen  und  in  der  Fabel  zeigt, 
und  hätte  also  jedenfalls  dem  Dichter  für  die  Zwecke,  die 
er  mit  seinen  Gleichnissen  verfolgte  2),  höchst  willkommen 
sein  müssen. 

In  den  weit  später  als  Ilias  und  Odyssee  entstandenen 
sogenannten  „homerischen' '  Hymnen  wird  der  Bär  mehr- 
mals kurz  erwähnt  und  als  laoLavxrjVj  mit  zottigem  Nacken 
bezeichnet^). 

Er  soll  gegenwärtig  in  den  Gebirgen  Kleinasiens  zu 

finden  sein. 

Der  Wolf. 

kmog,  Canis  lupus,  wird  bezeichnet  als  noliog  grau, 
HQccTeQtovv^  mit  starken  Klauen,  iof,iocpayog  roh  verschlin- 
gend, GivTrjg  reissend,  ogiazegog  im  Gebirge  wohnend.  Er 
ist  ein  Sinnbild  des  Muths  und  der  Verwegenheit. 

Ein  Wolfsfell  wird  von  Dolon  als  Mantel  benutzt 
(II.  10,  384). 

Die  Streiter  „stürzen  wie  Wölfe  auf  einander  los" 
(11.4,471.). 

„Wie  roh  verschlingende  Wölfe,  die  mit  unsäglicher 
Kraft  den  Edelhirsch  im  Gebirge  zerrissen  und  aufgezehrt 

1)  Wie  Buchholz,  1.  c.  p.  206  zu  dem  entgegengesetzten 
Schluss  kommt,  ist  uns  ganz  unverständlich. 

2)  Vgl.  die  Einleitung. 

3)  Homeri  hymn.  VII.,  /Iiowaog  ^  yiriaral,  46.  ed  Bau- 
meister. 


Die  homerische    Thierwelt.  145 

haben,  mit  blutgerötheten  Wangen  in  Rudeln  hinziehen 
und,  nachdem  sie  von  der  Oberfläche*)  trüber  Quellen 
mit  schmaler  2)  Zunge  Wasser  geleckt  haben,  rothes  Blut 
wieder  ausspeien,  mit  furchtlosem  Sinn  in  der  Brust  und 
aufgetriebenem  Bauche:  so  stürmten  die  Führer  und  Rath- 
geber  der  Myrmidonen  um  den  trefflichen  Gefährten  des 
Aeaciden"  (II.  16,  156.). 

„Die  Führer  der  Danaer  wählten  sich  einzeln  Gegner : 
wie  reissende  Wölfe  Schafe  oder  Böcke  anfallen,  welche 
sie  sich  aus  dem  Kleinvieh,  das  sich  in  Folge  der  Unacht- 
samkeit des  Hirten  in  den  Bergen  verlaufen  hat,  aussuchen 
und,  sobald  sie  solche  erblickt  haben,  schnell  die  Schwachen 
zerreissen"  (IL  16,  352). 

„Ungleichen  Muth  haben  Wolf  und  Lamm"  (IL  22, 
263).  Buch  holz,  1.  c.  p.  199  schliesst  aus  diesen  Stellen 
mit  Recht,  dass  der  Wolf  zur  homerischen  Zeit  in  Klein- 
asien häufig  gewesen  sei.  In  den  Gebirgen  kommt  er 
daselbst  noch  jetzt  vor. 

Der  Schakal. 

i9^wg3)  Cauis  aureus,  wird  Sacpoivog,  gelbbraun,  und 
w^ocpayog,  roh  verschlingend,  genannt. 

Ausführlich  wird  über  ihn  IL  11,  474  berichtet: 
„Den    Odysseus  umschwärmten  die  Troer   wie  gelb- 
braune Schakale  in  den  Bergen  den  verwundeten  Edelhirsch, 

1)  So  trinken  alle  hundeartigen  Raubthiere. 

2)  Ist  richtig. 

3)  Merkwürdigerweise  bestritt  man  noch  bis  vor  Kurzem  die 
Identität  des  ^w?  mit  dem  Canis  aureus,  obwohl  seine  Natur  in  der 
angeführten  Stelle  so  trefflich  gezeichnet  ist  und  obwohl  schon  Gros- 
hans (Prodromus  faunae  Homeri  et  Hesiodi,  fasc.  I.  p.  10)  über- 
zeugende Gründe   für  diese  Auffassung  beigebracht  hat. 

Der  Grund  der  Unsicherheit  über  den  homerischeu  ^w?  lag 
wohl  darin,  dass  man  zu  seiner  Bestimmung  den  Aristoteles 
heranzog.  Nun  scheint  dieser  aber  ein  anderes  Thier  unter  dem 
^w?  verstanden  zu  haben  als  Homer.  Seine  Beschreibung  passt  nur 
auf  eine  Viverre  oder  Genette  (Aubert  u,  Wim  mer,  1.  c.  L  p. 
69),  während  der  homerische  ^(6g  ein  solches  Thier  unmöglich  sein 
kann,  da  seine  Farbenbezeichnung  ^a(poiv6g  hierzu  nicht  passt,  und 
da  eine  Viverre  oder  Genette  sich  wohl  von  Mäusen,  kleinen  Vögeln 
und  Lurchen  nährt,  aber  nie  an  einem  Edelhirsche  vergreift. 

Archiv  für  Naturg.  XXXXVI.  Jahrg.  1.  Bd.  10 


146  Otto   Koerner: 

den  ein  Jäger  mit  dem  Pfeile  getroffen  hat.  Zwar  entgeht 
er  dem  Jäger  in  eiliger  Flucht,  so  lang  noch  sein  Blut 
warm  ist  und  seine  Glieder  sich  regen.  Sobald  ihn  aber 
der  schnelle  Pfeil  bezwungen  hat,  zerreissen  ihn  roh  ver- 
schlingende Schakale  in  dunkler  Waldestrift  der  Berge. 
Kommt  aber  von  ungefähr  ein  reissender  Löwe  daher,  so 
zerstieben  die  Schakale  und  dieser  speist:  so  umschwärm- 
ten den  Odysseus  viele  Troer  —  als  aber  Aias  erschien  — 
flohen  sie  in  alle  Winde"  ^) 

Auch  II.  13,  103  werden  Schakale  erwähnt. 

Der  Schakal  kommt  noch  jetzt  in  Kleinasien  häufig  vor. 

Der  Marder. 

zrtg.  Einen  Helm  aus  Marderfell,  ytTidsrjv  y,vver]v,  be- 
sitzt Dolon  (II.  10,  335).  Der  Scholiast  bemerkt  zu  dieser 
Stelle:  xrlg,  auch  hrig  ist  ein  vogelfressendes  und  zu  allen 
schlimmen  Streichen  fähiges  Thier,  grösser  und  auch  dichter 
behaart,  als  das  Wiesel  (ycc^).  im  Uebrigen  aber  diesem 
ähnlich.    Manche  nennen  es  auch  das  wilde 2)  Wiesel." 

Nach  Buchholz  ist  ytrlg  der  Iltis,  Mustela  putorius? 
Aubert  und  Wimmer  verstehen  unter  dem  aristotelischen 
ytTig  den  Steinmarder,  m.  foina. 


B.    Hausthiere. 
Der  flund. 

0,  ij  xvcovy  Canis  familiaris.  ^) 

Beiwörter:  aQyog  weiss  oder  schnell,  agyiodovg  mit 
weissen  Zähnen;  xaQxagodovg  mit  scharfen  Zähnen;  naöag 

1)  Die  Stelle  erinnert  lebhaft  anPfeffel's  Gedicht  „die 
Stufenleiter."  Buchholz  nennt  sie  die  Tragödie  des  verwundeten 
Edelhirsches. 

2)  Aus  der  Bezeichnung  „wildes"  Wiesel  lässt  sich  entnehmen, 
dass  man  zur  Zeit  des  Scholiasten  eine  verwandte  Art  gezähmt  hielt. 
Und  in  der  That  berichtet  Aelian,  4,  26:  „In  Indien  richtet  man 
zur  Fuchs-  und  Hasenjagd  Adler,  Raben,  und  Frettchen  (IxTig)  ab." 
Gezähmte  Frettchen  werden  jetzt  noch  zur  Kaninchenjagd  benutzt. 
Lenz,  1.  c.  p.  288  versteht  irrthümlich  an  dieser  Stelle  unter  ixrlg 
einen  Raubvogel. 

3)  Schon  die  homerische  Zeit  kennt  den  Hund  nur  noch  als 
Begleiter  des  Menschen,     Doch  bemerkt  Geiger  (Sprache  undVer- 


Die  homerische  Thierwelt.  147 

dgyog  und  ctqyiTtovg^  ebenso  noöag  loy^vg  und  raxvg  schnell- 
ftissig;  ^r]Ql  ioiKwg  einem Raubthiere  gleichend ;  vXaKo/iiwQog 
bellsüchtig;  tgaitECxig  am  Tische  genährt;  ^vgawQog  am 
Thore  wachend;  IvoGrjTtjQ  wüthend*). 

Der  junge  Hund  heisst  oyivla^.  Er  ist  ein  Symbol 
völliger  Schwäche  und  Hülflosigkeit,  0.  9,  289.  Beiwort 
veoyLlog  jung. 

Häufig  ist  xviov  ein  Scheltwort  mit  dem  Begriffe  der 
Unverschämtheit.  Helena  nennt  sich  z.  B.  selbst  so  (IL  6, 
344  u.  356).  Auch  die  tippigen,  pflichtvergessenen  Mägde 
des  Odysseus  werden  yivveg  genannt.  Verächtlich  sind 
auch  die  Ausdrücke  -/.wwTtig  und  -/.wog  o(,i(.iaT  t^ayv^  mit 
dem  Auge,  dem  Blicke  des  Hundes.  Die  Zusammensetzung 
xwccf^ivia,  Hundsfliege,  hündische  Fliege,  vereinigt  den 
Begriff  lästiger  Zudringlichkeit  von  Hund  und  Fliege.  Bei 
Männern  gebraucht,  bedeutet  xvcov  den  Wüthenden,  toll- 
kühn Anstürmenden,  dessen  man  sich  nicht  erwehren 
kann  (H.  8,  298  u.  527). 

Odysseus  fügt  sich  0.  20,  18  in  sein  Schicksal  mit 
den  Worten:  „Halt  aus,  mein  Herz,  du  hast  schon  hündi- 
scheres (y,vvT€Qov)  ertragen  I" 

0.  14,  29  wird  geschildert,  wie  die  Hunde  des  Eu- 
mäus  den  als  Bettler  verkleideten  Odysseus  fast  zerrissen 


nunft  I.  p.  468):  „Die  Zähmung  und  Abrichtung  des  Hundes  ist 
in  Asien  und  Europa  wohl  kaum  so  alt,  als  gewöhnlich  geglaubt 
wird.  Layard  hat  auf  den  Jagdscenen  gerade  der  ältesten  assyri- 
schen Denkmäler  keinen  Hund  dargestellt  gefunden.  In  der  Bibel 
findet  sich  keine  Spur  von  der  Verwendung  des  Hundes  zur  Jagd, 
so  sehr  auch  z.  B.  in  der  Geschichte  Esau's  sich  Gelegenheit  ge- 
boten hätte.  Der  Hirtenhund  ist  nur  Hiob  30,  1  und  Jesaias  66,  10 
erwähnt;  und  das  Schweigen  in  den  älteren  Schriften  ist  gewiss 
nicht  zufällig,  mitten  unter  den  lebendigen  Darstellungen  aus  dem 
Leben  eines  Hirtenvolkes,  dessen  Könige  von  der  Heerde  hinweg 
zum  Throne  geführt  werden."  — 

üebrigens  ist  es  noch  bemerkenswerth,  dass  die  homerischen 
Hunderagen  offenbar  noch  nicht  so  verschieden  waren,  wie  die  heu- 
tigen.    Es  werden  ausschliesslich  grosse  Hunde  erwähnt. 

1)  In  diesem  Ausdruck  hat  man  irrthümlich  eine  Anspielung 
auf  die  Hundswuth  finden  wollen,  cf.  Brendel,  diss.  de  Hom. 
medic.Viteb.  1700. 


148  Otto    Koerner:  • 

hätten:  „Sofort  erblickten  die  bellsüchtigen  Hunde  den 
Odysseus  und  stürzten  mit  fortwährendem  Gebell  heran. 
Jener  aber  setzte  sich  mit  Schlauheit  nieder  ^)  und  Hess 
seinen  Stock  zur  Erde  fallen.  Da  hätte  er  fast  noch  bei 
seinem  Gehöfte  unziemliches  Leid  erduldet,  aber  schnell 
stürmte  der  Sauhirt  durch  den  Thorweg  hin,  ihnen  mit 
schnellem  Fusse  nacheilend,  und  das  Leder  fiel  ihm  aus 
der  Hand.  Mit  Rufen  und  wiederholten  Steinwürfen 
scheuchte  er  den  einen  hierhin,  den  andern  dorthin.* 

Ganz  anders  benehmen  sich  dieselben  Hunde,  als  sie 
den  ihnen  wohlbekannten  Telemach  erblicken,  0.  16,  4: 
„Als  Telemach  herankam,  umwedelten  ihn  die  bellsüchtigen 
Hunde  und  bellten  ihn  nicht  an.  Der  göttliche  Odysseus 
aber  bemerkte,  dass  die  Hunde  wedelten,  auch  kam  Ge- 
räusch von  Schritten  heran.  Da  richtete  er  schnell  an 
Eumäus  die  geflügelten  Worte:  Fürwahr,  zu  dir  kommt 
ein  Freund  oder  ein  anderer  Bekannter,  da  ja  die  Hunde 
nicht  bellen,  sondern  wedeln." 

Eben  dieselben  Hunde  fürchteten  sich  vor  der  über- 
natürlichen Erscheinung  der  Athene,  0.  16,  162:  „Aber 
Odysseus  und  die  Hunde  sahen  sie;  diese  Hessen  jedoch 
ihr  Bellen  nicht  hören,  sondern  flohen  mit  Gewinsel  nach 
der  andern  Seite  durch  den  Eingang  2)". 

Ergreifend  ist  die  Erzählung,  wie  Odysseus  nach 
zwanzigjähriger  Abwesenheit  in  Bettlergestalt  wieder  an 
die  Schwelle  seines  Palastes  tritt  und  Niemand,  selbst  nicht 


1)  Plinius  8,  39,  61  bei  Lenz  1.  c.  p.  99:  „Wenn  die  Hunde 
auch  noch  so  wüthend  sind,  so  kann  man  ihnen  doch  Einhalt  thun, 
wenn  man  sich  auf  die  Erde  niedersetzt."  Hierzu  fügt  Lenz  bei: 
,, Dieses  merkwürdige  Mittel  wird  auch  in  neuerer  Zeit  mit  Erfolg 
angewendet.  Siehe  Daniel  Schlatter's  Bruchstücke  aus  Reisen, 
St.  Gallen.  Huber  1836,  Seite  346".  Da  dieses  Buch  nicht  aufzu- 
treiben war,  so  verweise  ich  noch  auf  die  bei  der  Eroberung  von 
Mexiko  durch  die  Spanier  berüchtigte  Dogge  Bezerillo,  vor  der  sich 
eine  alte  Indianerin  durch  obiges  Mittel  errettete  (Brohm,  1.  c. 
Bd.   1.  p.  199). 

2)  Die  Fähigkeit,  die  Gegenwart  einer  Gottheit  wahrzunehmen, 
soll  auch  in  der  altnordischen  Mythologie  dem  Hunde  zugesprochen 
werden.  Doch  konnte  Verfasser  nichts  Näheres  darüber  finden.  Die 
homerische  Stelle  entzieht  sich  natürlich  der  zoologischen  Kritik. 


Die   homerische  Thierwelt.  149 

der  treue  Eumäiis  seine  Gegenwahrt  ahnt:  nur  der  ster- 
bende Hund  Argos  kennt  noch  seinen  einstigen  Gebieter  : 
„So  also  sprachen  sie  Derartiges  unter  einander.  Aber 
Argos,  ein  Hund  des  Dulders  Odysseus,  erhob  Haupt  und 
Ohren  vom  Lager.  Dieser  hatte  ihn  einst  selbst  aufgezogen, 
doch  ohne  Vortheil  von  ihm  zu  haben,  denn  zuvor  zog  er 
weg  nach  dem  heiligen  Ilion.  Jenen  aber  führten  einst 
Jünglinge  auf  die  Jagd  nach  Steinböcken,  Rehen  und 
Hasen;  doch  nun  lag  er  verachtet,  da  sein  Herr  fern  war, 
auf  dem  Miste  von  Maulthieren  und  Rindern,  der  vor  dem 
Thore  in  Menge  aufgeschüttet  lag,  damit  ihn  die  Knechte- 
als  Dünger  für  die  grossen  Felder  wegführen  sollten.  Dort 
nun  lag  Argos  voll  von  Ungeziefer.  Als  er  aber  den  Odys- 
seus  in  der  Nähe  bemerkte,  wedelte  er  zwar  noch  mit  dem 
Schwänze  und  Hess  beide  Ohren  sinken,  aber  er  konnte 
nicht  näher  an  seinen  Herrn  kommen.  Als  der  ihn  von 
fern  sah,  wischte  er  sich  eine  Thräne  ab,  sie  leicht  vor 
Eumäus  verbergend,  und  sagte  schnell  zu  ihm :  Wunderbar 
ist's,  Eumäus,  da  liegt  der  Hund  auf  dem  Miste,  schön 
zwar  an  Gestalt,  doch  kann  ich  nicht  sagen,  ob  er  schnell 
zu  laufen  vermochte  bei  solcher  Körperbildung,  oder  ob  er 
nur  so  war,  wie  eben  die  Hunde  am  Tische  der  Männer 
werden,  denn  des  Prunkes  wegen  erziehen  sie  die  Fürsten! 
Ihm  aber  antwortetest  Du,  Sauhirt  Eumäus:  Freilich! 
dem  in  der  Ferne  gestorbenen  Manne  gehört  dieser  Hund. 
Wenn  er  noch  so  wäre  an  Gestalt  und  Thaten,  wie  ihn 
Odysseus  bei  seinem  Weggang  nach  Troja  zurückliess,  so 
möchtest  du  schnell  erstaunen  beimx\nblick  seiner  Schnel- 
ligkeit und  Stärke,  denn  nie  entrann  ihm  in  den  Tiefen 
des  dichten  Waldes  ein  Wild,  welches  auch  immer  er  ver- 
folgte, und  im  Spüren  war  er  sehr  erfahren.  Jetzt  aber 
ist  er  im  Elend,  da  sein  Herr  fern  von  der  Heimath  starb 
und  die  lässigen  Weiber  ihn  nicht  pflegen"  (0. 17,  290). 

Wie  wir  aus  den  angeführten  Stellen  sehen,  wurde 
der  Hund  hauptsächlich  als  Wächter  von  Haus  und  Hof 
und  auf  der  Jagd  verwendet.  Aber  auch  als  Wächter  der 
Heerden  dient  er;  z.  B.  bewachen  D.  18,  578  neun  Hunde 
eine  Rinderheerde.  Als  diese  von  zwei  Löwen  angegriffen 
wurde,  bellten  sie  zwar,  wagten  aber  keine  Vertheidigung. 


150  Otto  Koerner: 

Die  Wachsamkeit  der  Schäferhunde  wird  in  dem  schönen 
Gleichnisse  IL  10,  183  geschildert:  „Wie  die  Hunde  bei 
einer  Schaafheerde  die  Nacht  in  der  Hürde  wachend  zu- 
bringen, wenn  sie  die  Stimme  des  furchtlosen  Löwen*) 
vernommen  haben,  der  durch  den  Bergwald  herabsteigt; 
viel  Lärm  entsteht  seinetwegen  unter  den  Männern  und 
Hunden  und  der  Schlaf  weicht  von  ihnen:  so  schwand 
auch  Jenen  der  erquickende  Schlummer  von  den  Augen- 
lidern, als  sie  die  schlimme  Nacht  durchwachten,  denn 
immer  waren  sie  nach  der  Ebene  gewandt,  ob  sie  die 
Troer  herannahen  hörten.'* 

Oefter  werden  Hunde  als  Begleiter  des  Jägers  ange- 
führt. Sie  jagen  Hasen  und  Hirschkälber  (II.  10,  361; 
22,  189.  0.  19,  227  etc.).  Besonders  anziehend  ist  ihr 
Benehmen  auf  der  Eberjagd  geschildert,  IL  17,  725:  „Die 
Troer  stürmten  an  wie  Hunde,  die  dem  getroffenen  Eber 
vor  den  Jägern  her  nachsetzen;  eine  Zeit  lang  laufen  sie 
in  dem  Verlangen,  ihn  zu  zerreissen,  aber  sobald  er  auf 
seine  Stärke  vertrauend  sich  gegen  sie  umkehrt,  weichen 
sie  zurück  und  zerstreuen  sich  hierhin  und  dorthin:  so 
folgten  die  Troer  zuerst  immer  in  Schlachtreihen  — ,  so 
oft  aber  die  beiden  Ajas  sich  umwandten  und  ihnen  ent- 
gegentraten, wurden  sie  bleich  und  keiner  wagte  vorwärts 
zu  stürmen." 

„Sowie  ein  Hund  einen  Waldeber  oder  einen  Löwen 
von  hinten  anpackt  und  den  hurtigen  Füssen  vertrauend 
jede  Wendung  der  Lenden  und  Keulen  beobachtet,  ebenso 
war  Hektor  dicht  hinter  den  Achäern  und  erlegte  immer 
die  hintersten."  H.  8,  338. 

Als  Odysseus  auf  dem  Parnass  Wildschweine  jagte, 
liefen  seine  Hunde  vor  ihm  und  spürten  die  Fährten  auf 
(0.  19,  436). 

Auch  Luxushunde  {ytvvsg  tgccTisK^sg,  wörtlich  „Tisch- 
hunde", 0.  17,  309)  hielten  sich  die  homerischen  Helden. 
Patroklus  hatte  deren  neun,  den  Telemach  begleiteten  stets 
zwei  in  die  Volksversammlung.  Wedelnd  umspringen  solche 
Hunde   ihren  Herrn,   wenn   er  vom   Gastmahle  heimkehrt, 


1)  Die  Rechtferti<^ung  dieser  Uebersetzung  siehe  unter  „Löwe*'. 


Die  homerische  Thierwelt.  151 

denn  selten  versäumt  er,  ihnen  Näschereien  mitzubringen 
(0.  10,  216).  Doch  sind  sie  nicht  immer  harmlos,  der 
Geuuss  frischen  Blutes  macht  sie  wilder  und  Priamus 
fürchtet,  von  seinen  eignen  Hunden  zerrissen  zu  werden, 
wenn  er  vom  Feinde  getödtet  ist  (II.  22,  70).  Ein  solches 
Ende  galt  für  das  schlimmste  Loos  des  Kriegers  (II.  1,  4; 
0.  3,  259  u.  0.).  Auch  ist  es  gefährlich,  einer  säugenden 
Hündin  nahe  zu  kommen,  denn  „die  zarten  Jungen  um- 
wandelnd, bellt  sie  einen  fremden  Mann   kampfbereit  an" 

(0.  20,  14). 

Das  Pferd. 

Equus  caballus  —  o  'iTinog  der  Hengst,  ?;  %7iTtog  oder 
Tj  %7T7tog  &r;leLa  die  Stute,  o  Tno'kog  das  Fohlen  —  wird 
bezeichnet  als : 

(ß'Avg  schnell,  omvTVovg  schnellfüssig,  TioScoy.vg  cug 
oQvig  vogelschnell,  d^aoGcovlQrf/Aov  schneller  als  Habichte, 
Ttoöag  (xiolog  mit  beweglichen,  raschen  Füssen,  evöv.aQd^fxog 
leicht  hüpfend,  aeqoiTiovg  die  Füsse  hebend,  f.uövv^  ein- 
hufig,  z()a2:£(;wj^i'§  starkhufig,  yakv.oTxovg  erzhufig^),  /.alUd^Qi^ 
und  ev-d-Qt^  mit  schönem  Haar,  schöner  Mähne,  od^Qi^  mit 
gleichem,  gleichfarbigem  Haar,  igiavyjjv  mit  hohem,  stolzem 
Hals,  aed^loqiOQog  den  Kampfpreis  davon  tragend,  ai^cov 
feurig,  'avölocov  stolz,  (.h^ötloq  (poßow  Erreger  der  Flucht, 
viprjxrj9  laut  wiehernd,  eglydovitog  mit  donnerndem  Hufe. 

Das  Fohlen  ist  axakog^  zart. 

Es  finden  sich  folgende  Farben  Varietäten: 

1.  Der  Schimmel,  Xnnoi  hcv/.oxEQoi  yiovog  „weisser 
als  Schnee".  H.   10,  438. 

2.  Der  Fuchs,  IL  23,  454:  „Ein  Pferd,  das  im 
Ganzen  zwar  röthlich  (cpolvi^)  war,  auf  der  Stirn  aber  hatte 
es  ein  kreisrundes,  weisses  Zeichen,  wie  der  Mond  gestaltet." 
Dass  hier  kein  braunes  Pferd  gemeint  ist,  ergibt  sich  aus 
den  Worten  „im  Ganzen  röthlich'^,  tooov  fniv  (folvi^,  denn 
für  den  Fuchs  ist  Einfarbigkeit  (mit  Ausnahme  der  weissen 
Blässe  und  der  meist  ebenfalls  weissen  Füsse)  charakte- 
ristisch,   während 

1)  Man  hat  fälschlich  hierbei  an  Hufbeschlag  gedacht,  cf. 
Fried  reich,  1.  c.  p.  104.  Es  soll  mit  dem  Worte  wohl  nur  die 
Festigkeit  des  Hufa  bezeichnet  werdeu. 


152         .  Otto  Koerner: 

3.  das  braune  Pferd  schwarz  an  Mähne  und 
Schwanz  und  daher  wohl  mit  dem  II.  20,  224  erwähnten 
„Pferde  mit  dunkeler  Mähne",  %7t7ibq  ■/.vavoxaixiqg^)  iden- 
tisch ist.  üebrigens  kann  auch  hier  ein  falbes  Ross  mit 
dunkeler  Mähne  und  Schwanz,  wie  es  nicht  selten  vor- 
kommt, gemeint  sein.  Ein  falbes  Pferd  mit  heller  Mähne 
und  ebensolchem  Schwanz  ist 

4.  der  %7t7iog  ^avd-og  (IL  9,  407;  11,  680  u.  o.), 
denn  ^av&oQj  das  bei  Homer  nur  noch  zur  Bezeichnung 
von  Haaren  und  sonnengebräunten  Gesichtern  vorkommt, 
mag  ungefähr  diese  Farbe  bezeichnen.  Bavd^og  kommt 
auch  als  Pferdename  vor. 

5.  BaXiog  kommt  nur  als  Pferdename  vor  und  be- 
deutet „Schecke". 

Auffallend  ist  das  Fehlen  des  Rappen.  Es  ist  recht 
wohl  möglich,  dass  diese  Farbenvarietät  den  homerischen 
Griechen  unbekannt  war.  Als  eventuelles  Analogon  führen 
wir  an,  dass  unter  den  arabischen  Pferden  keine  Falben 
vorhanden  sind. 

Die  am  häufigsten  erwähnte  Farbenvarietät  ist  der 
mTiog  ^avS^og.  Man  darf  freilich  aus  der  Häufigkeit  der 
Erwähnung  nicht  ohne  Weiteres  auf  häufiges  Vorkommen 
schliessen.  Doch  muss  bemerkt  werden,  dass  in  einer 
Race  manchmal  eine  bestimmte  Farbe  vorherrscht.  So  ist 
bei  den  Arabern  der  Schimmel  auffallend  häufig.  Die 
Falben  sind  unter  den  wilden  Pferden  vorherrschend,  wenn 
nicht  allein  vertreten. 

Als  Futter  für  die  Pferde  wurde  verwendet: 

1)  kqI  XevKov  weisse  Gerste,  (II.  5,  195;  8,  564;  0. 
4,  41,  604.) 

2)  (^€ia  oder  olvga^)  eine  andere  noch  unbestimmte 
Getreideart,  vielleicht  Spelt  (II.  5, 195 ;  8,  564;  0.  4,  41,  604). 

3)  TtvQÖg,  Weizen  (IL  10,  569 ;  0.  4,  604). 

4)  hüTog  Steinklee  (IL  2,  776;  0.  4,  603). 

1)  /aTrai  heisst  die  Mähne  des  Rosses  IL  6,  509.  Dass  xvnveos 
bei  Homer  nicht  stahlblau  sondern  dunkel  oder  schwarz  heisst,  ist 
bekannt. 

.    2)  Nach  Photius  und  Galen  ist  Cfif<==olvQa;  Theophrast 
unterscheidet  sie  jedoch. 


Die  homerische  Thierwelt.  153 

5)  TLVTteiQov  Cy pergras  (0.  4,  603). 

6)  ollivov  ein  in  Sümpfen  wachsendes  Kraut  (11.2,  776). 
„Man  goss  den  Pferden  auch  wohl  Wein  zwischen  den 

Weizen,  oder  befeuchtete  ihr  Futter  damit  (J.  8, 188),  viel- 
leicht um  ihren  Muth  und  ihr  Feuer  zu  erhöhen,  ähnlich 
wie  auch  jetzt  noch  die  Leute  in  Weinländern  den  stark 
angestrengten  Pferden  gern  Wein  auf  Brot  geben,  wie 
unsere  Kutscher  Bier  und  Schnaps.^  ^) 

So  bekommt  auch  der  englische  Renner  nach  dem 
Rennen  eine  Flasche  Wein. 

Das  Pferd  dient  den  homerischen  Helden  fast  nur 
zum  Ziehen  des  Streit-  und  des  Rennwagens.  Meist  wur- 
den hierzu  zwei,  selten  vier  Pferde  verwandt.  Oefters  aber 
war  dem  Zweigespann  noch  ein  Handpferd,  TragrjOQogj  bei- 
gegeben, um  die  Stelle  eines  verwundeten  oder  gestürzten 
Pferdes  gleich  wieder  ausfüllen  zu  können.  Da  es  nur 
mit  dem  Zaum  an  einem  Jochpferde  befestigt  war,  so  hatte 
es  eine  freiere  Bewegung,  die  ihm  im  Lauf  allerlei  Sprünge 
gestattete.  Wir  begreifen  daher,  wie  ein  tibermüthiger 
Mensch  Tcagr^ogog  (H.  23,  603.)  genannt  werden  konnte. 

Das  Reiten  war  im  homerischen  Zeitalter  selbst  im 
Kriege  nicht  üblich  2).  Doch  ist  es  dem  Dichter  nicht  gänz- 
lich unbekannt.  Als  das  Floss  des  Odysseus,  auf  welchem 
er  von  der  Insel  der  Kalypso  wegfuhr,  vom  Sturm  zer- 
brochen wurde,  rettete  er  sich  auf  einen  Balken,  auf  dem 
er  nun  sass,  wie  auf  dem  Rücken  eines  Pferdes  (0.  5,  37 L). 

Als  Diomedes  und  Odysseus  bei  Nacht  die  Rosse  des 
Rhesus  entwandten,  schwang  sich  Diomedes  auf  den  Rücken 
eines  derselben,  um  schneller  entfliehen  zu  können  (H.  10, 
514).  „Wie  von  selbst  ergibt  sich  auch  die  Scene,  die 
IL  15,  679,  geschildert  wird;  ein  Mann  hat  aus  der  im 
Freien  weidenden  Heerde  vier  flüchtige  Renner  ausgewählt, 
er  hat  sie  längs  der  Heerstrasse  in  die  Stadt  zu  bringen, 
sitzt  auf  und  schwingt  sich  während  des  gleichstrebenden 
Laufes  von  einem  Rücken  zum  andern,  zur  Bewunderung 


1)  Buchholz,  1.  c.  p.  174. 

2)  Auch  die  älteren  Bücher  des    alten  Testaments   kennen    es 
nicht.     Vgl.  Geiger,  Sprache  und  Vernunft,  I.  p.  464. 


154  Otto    Koerner: 

der  am  Wege  stehenden  Menge"  ^).  Aus  diesen  drei  Fällen 
lässt  sich  nicht  auf  wirkliches  Reiten  schliessen.  Ja  selbst 
als  Telemaeh  und  Nestor's  Sohn  Pisistratus  den  gebirgigen 
Peloponnes  durchreisen  (0.  3.),  reiten  sie  nicht,  sondern 
fahren  im  Wagen.  „Da  später  Menelaus  dem  Telemaeh 
zum  Abschied  drei  Pferde  mit  dazugehörigem  Wagen 
schenken  will,  lehnt  Telemaeh  die  Gabe  ab  (0.  4,  601), 
indem  er  daran  erinnert,  dass  in  Ithaka  weder  weite 
Rennbahn,  noch  Wiese,  oi;V'  ag^  ögoiiog  edgieg  ovre  ri 
XeL/nwv  sich  finde,  wie  in  der  Ebene,  die  Menelaus  be- 
herrsche; keine  der  Inseln,  die  im  Meere  liegen,  ist  Itititj- 
Xazog,  d.  h.  eignet  sich  zum  Fahren  im  flüchtigen  Wagen, 
von  allen  aber  Ithaka  am  Wenigsten.  Wer  sich  des  Rosses 
freuen  will,  der  bedarf  also  nicht  blos  fetter  Wiesen,  auf 
denen  die  Heerde  weide  —  und  Erichthonius  besass  eine 
solche  von  dreitausend  Stuten  2),  sondern  auch  weiten 
Raumes,  Ttolv  neöiov  und  ebener  Wege  leiat  oöol,  um  auf 
diesen  mit  rasch  rollenden  Rädern  dahinzufliegen;  auf  un- 
gleichem Boden  mit  steigenden  und  fallenden  Gebirgspiaden, 
auf  denen  der  Reiter  wohl  auf  und  abklettert,  ist  bei 
Homer  das  Ross  von  keinem  Gebrauch"*). 

Als  Länder,  die  zur  Pferdezucht  geeignet  sind,  wer- 
den besonders  angeführt  Argos,  Thrakien,  Elis,  Trikke  in 
Thessalien  und  Phrygien.  Ueberhaupt  werden  die  Danaer 
und  die  Achäer  als  Taxivrcoloij  mit  schnellen  Fohlen  oder 
Rossen,  bezeichnet. 

Dass  das  Pferd  nicht  vor  dem  siebenten  Jahre  zur 
Arbeit  angehalten  wurde,  geht  aus  IL  23,  266  und  ähn- 
lichen Stellen  hervor. 

Eine  interessante  Verwundung  eines  Pferdes  wird 
IL  8,  81  beschrieben;  Paris  trifft  mit  einem  Pfeilschusse 
ein  Ross  an  Nestors  Streitwagen  „ganz  oben  am  Kopfe, 
wo    die    vordersten    Mähnenhaare    am    Schädel 


1)  Victor  Hehn,  Kulturpflanzen  und  Hausthiere  in  ihrem 
Uebergang  aus  Asien  nach  Griechenland  und  Italien.  Berlin  1874. 
p.  42.  Andere  halten  übrigens  den  Mann  für  einen  Kunstreiter  von 
Profession. 

2)  II.  20,  219. 


Die  homerische  Thierwelt.  155 

wachsen".  Der  Dichter  bezeichnet  weiterhin  diese  Stelle 
als  die  gefährlichste  und  schildert  die  Wirkung  des  Schusses 
folgendermassen :  „in  seinem  Schmerze  stieg  das 
Ross  auf  —  das  Geschoss  aber  war  in  das  Hirn 
gedrungen^)  —  und  dadurch,  dass  sich  das  ver- 
wundete Pferd  um  das  Erz  schnell  herumdrehte, 
brachte  es  auch  die  andern  (mit  eingespannten) 
Pferde  in  Verwirrung".  Darauf  springt  Nestor  vom 
Wagen  und  durchhaut  die  verbindenden  Stränge. 

Zur  Erklärung  dieser  Stelle  ist  Folgendes  zu  bemerken: 
Der  Pfeil  durchbohrte  nicht  einen  Schädelknochen, 
wie  man  gemeint  hat  2),  sondern  drang  durch  die  Oeffnung 
zwischen  Atlas  und  Hinterhauptschuppe,  die  bei  dem  Pferde 
sehr  weit  ist,  in  das  verlängerte  Mark.  Gerade  da,  wo 
dies  mit  Leichtigkeit  geschehen  kann,  sitzen  die  ngÜTai 
TQiX^g,  die  vordersten  Mähnenhaare.  Durch  einen  Stich, 
der  diesen  Weg  nimmt,  tödtet  man  Pferde,  z.  B.  in  den 
Thierarzneischulen,  wenn  man  mit  möglichster  Schonung 
des  Materials  vorgehen  will.  Und  hierbei  ist  das  Benehmen 
des  getroffenen  Pferdes  in  den  meisten  Fällen^)  ganz  das- 
selbe, wie  es  Homer  schildert;  vor  dem  Zusammenbrechen 
steigt  es  auf  und  dreht  sich,  auf  den  Hinterbeinen  stehend 
um  seine  eigene  Achse  —  und  somit  auch  bei  Homer  um 
das  Geschoss  in  der  Wunde.  Diese  Bewegung  (Drehung 
um  die  Längsachse),  tritt  regelmässig  ein,   wenn   im  Hirn 


1)  Der  Aorist  JO  steht  hier,  wie  so  oft,  in  der  Bedeutung  eines 
Plusquamperfects.  Sachlich  ist  auch  die  Erklärung  zulässig,  dass 
das  Eindringen  des  Pfeils  in  das  Hirn  erst  durch  seine  Schwere  und 
durch  heftige  Bewegungen  stattfände  (s.  u.)  und  dass  somit  ^v  in 
aoristischer  Bedeutung  aufzufassen  wäre. 

2)  So  Friedreich,  1.  c.  p.  105  u.  Buchholz,  1.  c.  p.  175. 
Letzterer  versucht  nicht  einmal  ernstlich,  die  Stelle  zu  erklären, 
sondern  fertigt  sie  mit  den  leeren  Worten  ab:  „Die  Gefährlichkeit 
der  Stelle  rührt  aber,  wie  Herr  Prof.  Reichert  mir  bemerkt,  daher, 
dass  da,  wo  die  Mähne  des  Pferdes  am  Kopf  aufhört,  die  Schädel- 
kapsel beginnt,  welche  das  Gehirn  enthält". 

3)  Dass  nicht  in  allen  Fällen  dieselben  Erscheinungen  auf- 
treten, liegt  daran,  dass  das  verwundende  Instrument  unmöglich 
immer  ganz  denselben  Weg  nehmen  kann,  und  der  Kundige  weiss, 
wie  nahe  oft  die  verschiedensten  Centra  zusammen  liegen. 


156  Otto  Koerner: 

gewisse  Fasern  der  sog.  Brücke  verletzt  werden.  Die  Phy- 
siologen bezeichnen  sie  als  „Zwangsbewegung".  Davon 
dass  der  Pfeil  recht  gut  bis  an  die  betreffende  Stelle  vor- 
dringen konnte  —  einerlei  ob  per  primam  intentionem 
oder  erst  durch  seine  eigne  Schwere  und  durch  heftige 
Bewegungen  des  Pferdes  —  hat  sich  Verfasser  am  Pferde- 
schädel und  Pferdehirn  überzeugt.  Doch  scheint  die  An- 
nahme einer  so  tief  gehenden  Verletzung  zum  Zustande- 
kommen der  geschilderten  Zwangsbewegung  nach  den  oben 
erwähnten  Erfahrungen  beim  Tödten  der  Pferde  nicht  ein- 
mal nöthig  zu  sein. 

Friedreich  1.  c.  versteht  die  Worte  /.vhvdoi.ievoq 
jtEQi  xalKco  falsch,  wenn  er  meint,  dass  das  getroffene  Pferd 
sich  durch  Reiben  und  Wälzen  auf  der  Erde  zu  helfen 
suchte,  da  es  weder  mit  dem  Maule,  noch  mit  den  Füssen 
die  Wunde  erreichen  konnte.  Ein  verwundetes  Pferd  be- 
nimmt sich  aber  niemals  so,  wie  jeder  Thierarzt  und  jeder 
kriegserfahrene  Cavallerist  weiss. 

Im  Mythus  verschmilzt  das  Ross  mit  dem  Sturmwind*). 
Die  von  Boreas  mit  den  Stuten  des  Erichthonius  gezeugten 
Rosse  (II.  20,  226),  eilen  über  die  Saatfelder,  ohne  die 
Aehren  zu  knicken  und  kaum  berührt  ihr  Huf  den  Schaum 
der  brandenden  Meereswoge,  wenn  sie  darüber  wegjagen. 
Die  Rosse  des  Rhesus  laufen  schnell  wie  der  Wind,  &eieiv 
avei^ioiGtv  of^LoloL,  die  des  Achilles  laufen  mit  dem  Zephyr 
um  die  Wette,  wie  eins  derselben  selbst  sagt,  ja  sie  weis- 
sagen ihrem  Herrn  und  beweinen  später  seinen  Tod. 

Noch  deutlicher  als  aus  diesen  mythologischen  Be- 
ziehungen —  dass  Pferd  ist  dass  einzige  Thier,  dem 
Homer  übernatürliche  Eigenschaften  beilegt 2)  —  erkennen 
wir,  welches  Ansehen  das  edle  Ross  bei  dem  homerischen 
Helden  genoss,  aus  folgendem  Gleichnisse: 

„Wie  das  Ross,  das  sich  lang  im  Stall  an  der  Krippe 
genährt  hat,  seine  Fessel  zerreisst  und  mit  stampfendem 
Huf  durch  die  Ebene  rennt,    gewohnt,   sich   im   schönhin- 

1)  Heb  11,  1.  c.  p.38,  behandelt  die  mythologischen  Beziehungen 
ausführlich. 

2)  Vgl.  jedoch  auch  beim  Hunde  die  Stelle  0.  16,  162  mit 
der  Anmerkung. 


Die   homerische  Thierwelt.  157 

walleDden  Strome  zu  baden,  strotzend  von  Kraft;  hoch 
trägt  es  das  Haupt  und  um  die  Schultern  flattert  die  Mähne; 
stolz  auf  seine  eigne  Herrlichkeit  tragen  es  die  Schenkel 
leicht  zur  gewohnten  Weide  der  Stuten:  so  schritt  Paris, 
Priamus  Sohn,  jauchzend  in  sonnenglänzendem  Waffen- 
schmuck von  Pergamus  Burg  hernieder;  rasch  trugen  die 
Füsse  ihn"  —  etc.  (H.  6,  506  u.  15,  263.) 

Und  eine  wie  grosse  Sorgfalt  verwendet  der  Dichter 
auf  die  Darlegung  des  Stammbaums  edler  Rosse,  z.  B. 
derer  des  Aeneas  (H.  5,  263J!  Andromache  scheut  sich 
nicht,  mit  eigner  HandHektor's  Rosse  zu  füttern  (H.  8,  186). 
Ein  Rossschweif  auf  dem  Helm  ist  eine  Zierde  des  Helden 
und  Pferderaub  zieht  immer  einen  Krieg  nach  sich  (z.  B. 
II.  1,  154).  Wie  der  Araber  sein  Dromedar  Schiff  der 
Wüste  nennt,  so  werden  umgekehrt  bei  Homer  (0.  4,  708) 
die  Schiffe  alog  trcnoi,  Rosse  des  Meeres,  genannt. 

Der  Esel. 

ovog^  Asinus  vulgaris,  wird  als  vco&rjg,  träge,  be- 
zeichnet. Er  wird  bei  Homer  nur  einmal  (H.  11,  558)  in 
einem  Gleichnisse  erwähnt: 

„Wie  wenn  ein  träger  Esel  auf  dem  Acker  geht  und 
die  Bemühungen  der  Knaben  zu  Schanden  macht,  indem 
er  viele  Stecken  auf  seinem  Rücken  zerschlagen  lässt  und 
die  Saat  am  Boden  ausrauft,  während  die  Knaben  ihn  mit 
Knütteln,  aber  mit  allzu  geringer  Kraft  prügeln  und  ihn 
kaum  vertreiben,  nachdem  er  sich  eben  auch  gesättigt  hat 
—  so  folgten  dem  gewaltigen  Telamonier  Ajax  muthige 
Troer  und  fernberufene  Hülfsvölker,  die  ihm  die  Lanzen 
auf  den  Schild  schleuderten." 

„Das  tertium  comparationis  liegt  in  der  phlegmati- 
schen Ruhe,  mit  welcher  Aias  die  Troer  bald  abwehrt, 
bald  wieder  vor  ihnen  zurückweicht"  *).  Uebrigens  ist  die 
Vergleichung  eines  Helden  mit  einem  Esel  hier  nicht  an- 
stössig,  da  der  Esel  im  ganzen  Morgenlande  kein  verach- 
tetes Thier  war  2). 

Der  Esel  scheint  bei  Homer  nur  zur  Züchtung  der 
Maulthiere  gehalten  worden  zu  sein. 

1)  Buchholz,  1.  c.  p.  182. 

2)  cf.  Friedreich,  1.  c.  p.  105, 


158  Otto    Koerner 


Das  Maulthier. 


Asinus  vulgaris  mulus,  rji^dovog  und  ovgsvg.  Ueber 
diesen  Blendling  zwischen  Stute  und  Eselshengst  herrscht 
unter  den  Erklärern  Homers  bis  in  die  neueste  Zeit  un- 
begreifliche Verwirrung.  Die  Einen  halten  nämlich  den 
rjiidovog  für  einen  wildlebenden  Einhufer  (wie  etwa  der 
noch  jetzt  in  Asien  vorkommende  Dschiggetai,  equus  hemi- 
onus),  der  erst  durch  Zähmung  dem  Menschen  dienstbar 
gemacht  sein  sollte,  während  doch  IL  23,  265,  eine  mit 
einem  Maulthiere  trächtige  Stute,  cTtTtog  ßgecpog  rj^dovov 
yiveovöa^  erwähnt  ist  und  nach  0.  4,  635  Noemon  und 
nach  0.  21,  22  Iphitus  in  Elis  je  eine  Heerde  von  12 
Stuten  mit  MaulthierftiUen  besassen.  Die  Worte  i]^i6vo}v 
(xyQOTSQawv  (IL  2,  852),  auf  welche  sic*i  diese  falsche  Er- 
klärung stützt,  heissen  nicht  „wilde  Maulthiere",  sondern 
„auf  der  Weide,  in  freien  Heerden  aufgezogene,  noch  unge- 
zähmte"*).  Die  Schollen  A  und  B  übersetzen  ayQozsQccwv 
„zur  Feldarbeit  geeignet". 

Manche  Erklärer  meinen,  nur  in  der  citirten  Stelle: 
e^  ^EvsTcoVj  o^£v  i^fuovwv  yivog  dygoTsgaiov  sei  von  Dschig- 
getai  die  Rede.  Was  aber  soll  dann  das  od^ev?  „Aus  dem 
Lande  der  Eneter,  woher  die  Dschiggetai's  kommen". 
Was  wollen  die  Trojaner  mit  den  von  dort  bezogenen  und, 
wie  die  Erfahrung  neuerdings  gezeigt  hat,  unzähmbaren 
Thieren  anfangen? 

Andere  nehmen  Anstoss  an  dem  Worte  ovQsi'g  und 
erklären  dieses  als  Blendling  von  Hengst  und  Eselsstute 
d.  i.  Maulesel,  zum  Unterschied  von  rjjidovog  dem  Maulthiere, 
das  ja  von  Stute  und  Eselshengst  abstammt.  Dass  aber 
ein  Bastard  der  ersteren  Art  zu  den  äussersten  Seltenheiten 
gehört,  scheint  Homer  wohl  gewusst  zu  haben,  denn  wo 
er  von  den  Eltern  des  Maulthieres  spricht,  ist  die  Mutter 
immer  ein  Pferd.  Dass  jedoch  die  Worte  ovqevg  und 
rßdovog  dasselbe  Thier  bezeichnen,  sehen  wir  IL  23,  121, 
wo  dieselben  Zugthiere,  die  wenige  Verse  vorher  (1.  c.  111 
und   115)    ovQ^eg    genannt    sind,    als    rif.dovoi   bezeichnet 


1)  cf.  Hehn,  1.  c.  p.  114  u.  II.  23,  655. 


Die  homerische  Thierwelt,  159 

werden  0-  Es  war  demnach  wohl  ovqevg,  welches  Wort 
,Bergthier"2)  bedeutet,  ursprünglich  nur  ein  Beiwort  des 
^tiiiovog  und  wurde  erst  später  selbständig  gebraucht,  wie 
ja  der  Hase,  Aa/wog,  IL  22,  310  als  mco^^  sich  duckend, 
furchtsam,  bezeichnet  wird,  während  er  II.  17,  676  über- 
haupt nur  7TTco^  heisst. 

Beiwörter  des  Maulthiers  sind:  ytQaTSQcovv^  mit 
starkem  Hufe,  evxeöUQyog  im  Geschirre  arbeitend,  ziehend, 
TaXasQyog  Arbeit  ertragend,  bei  der  Arbeit  ausdauernd. 

Wie  schon  diese  Bezeichnungen  andeuten,  wurden  die 
Maulthiere  als  Zugvieh  verwendet.  Sie  ziehen  den  Wagen 
der  Nausikaa  etc.;  zum  Ziehen  des  Pflugs  eignen  sie  sich 
besser  als  Rinder  (II.  10,  352);  sie  müssen  vom  Berge  Ida 
Holz  herbeischaffen  (IL  23,  111). 

Auch  das  Maulthier  wird  wie  das  Pferd  erst  nach 
dem  sechsten  Jahre  zur  Arbeit  angehalten,  aber  es  er- 
schwert die  Arbeit  seines  Lehrmeisters  durch  seine  Störrig- 
keit  (IL  23,  654). 

Das  Hansrind. 

Bos  taurus;  ravQog,  ßovg  lavgog  nnd  ßovg  agorjv  der 
Stier;  ßovg  die  Kuh,  das  Rind;  nögiig  und  noqig  junges 
Rind,  Färse;  noqia^  Kalb. 

Ein  Beiwort  des  Stiers  ist  jueyad^vfzog  grossmtithig 
oder  mit  gewaltigem  Muth.  Das  Rind  ohne  Unterschied 
des  Geschlechts  heisst:  ucczQecprjg  wohl  genährt,  Ttlcov  fett, 
ÖQ^oyigmoog  mit  aufrecht  stehenden  Hörnern,  svQVfAhiOTtog 
mit  breiter  Stirn,  igi/uvKog  und  £Qvy/Lirj?.og  stark  brüllend, 
ayQavlog  auf  dem  Felde  lagernd,  avh'C6/.i£vog  eingehegt, 
ccyQoiLisvog  in  Heerden  geschaart,  al'&a)v  feurig,  rjvig  glän- 
zend, d.  h.  wohlgenährt  oder  mit  glänzendem  Haar  (die 
Schollen  erklären  es  mit  „einjährig"). 

Als  Farbenbezeichnungen  kommen  vor:  oLvoip 
weinfarben,  agyög  weiss,  naf-i^elag  ganz  schwarz. 

Die  Rinderheerden  heissen  aytXai  oder  ßoMv  ayiXat, 
daher  das  Beiwort  ayekalog  zur  Heerde  gehörig. 


1)  cf.  II.  24,  716  et  vers.  anteced. 

2)  Hehn,  1.  c.  p.  116.     Die  Brauchbarkeit  des  Maulthiers  im 
Gebirge  ist  bekannt. 


160  Otto  Koerner: 

Noch  haben  wir  die  Beiwörter  sh^  und  eilinovg  zu 
erklären. 

eli^  heisst  „krummgehörnt".  Das  gegen  diese  Er- 
klärung von  Buchholz  1.  c.  p.  147  erhobene  Bedenken, 
eh'S,  enthalte  nichts  von  dem  Begriffe  gehörnt,  kann  uns 
von  unserer  Meinung  nicht  abbringen.  Der  Begriff  von  th^ 
ist  in  dem  früher  Homer  zugeschriebenen  Hermeshymnus 
ausdrücklich  mit  den  Hörnern  des  Rinds  verbunden;  es  ist 
daselbst  v.  192  von  Rindern  mit  krummen  Hörnern  ßovg 
y.eQaeooiv  ehv^xag  die  Rede  ^). 

Die  meisten  Schwierigkeiten  bietet  das  Beiwort  eIH- 
jcovg.  Es  heisst  „die  Füsse  schleppend"  und  bezeichnet 
jene  auffällige  aber  schwer  zu  beschreibende  Bewegung 
des  Fusses  beim  Rindvieh.  Buchholz  sagt  darüber: 
„eUiTcovg  heisst  „die  Füsse  fortwindend",  in  so  fern  die 
Rinder  bei  jedem  Schritte  mit  den  Zehen  und  Knieen  eine 
halbe  Schraubenwindung  beschreiben,  deren  Achse  die  ge- 
rade Linie  des  Weges  ist,  während  z.  B.  die  Füsse  des 
Pferdes  beim  Gehen  eine  geradlinige  Bewegung  haben. 
Der  Grund  jener  schwerfälligen  Bewegung  des  Rindviehs 
ist  aber  darin  zu  suchen,  dass  sie  ein  schlaffes  Sprungge- 
lenk haben,  welches  Hippokrates  mit  xalaQOv  bezeichnet." 

Dieser  Versuch  von  Buch  holz,  die  betr.  Bewegungen 
zu  beschreiben,  ist  theils  unklar  (wo  von  einer  Schrauben- 


1)  Auf  ein  treffendes  Analogen  macht  micli  Herr  Prof.  H. 
Rumpf  aufmerksam.  Servius  bemerkt  zu  Vergil,  Georg.  3,  55: 
,,camura  cornua  boum  dicuntur,  quae  introrsum  conversa  sunt  et  in 
se  redeunt.  e  t  camuri  boves,  qui  huiusmodi  cornua  habent." 
Ein  (allerdings  weniger  zutreffendes)  Analogon  aus  der  deutschen 
Sprache  findet  sich  in  dem  Worte  „Zackelschaf''  (ovis  strepsiceros), 
womit  man  ein  Schaf  mit  zackig  gebogenen  Hörnern  bezeichnet. 
Sprachkundige  mögen  mir  nicht  entgegenhalten,  dass  das  Wort  von 
dem  mittelhochdeutschen  Zagel,  d.  i.  Schwanz,  herzuleiten  sei  und 
also  Schwanzschaf  bedeute.  Der  Schwanz  ist  an  ihm  weder  charak- 
teristisch noch  aussergewöhnlich,  was  hingegen  die  merkwürdigen 
Hörner  in  hohem  Masse  sind.  Ein  Blick  auf  die  treffliche  Abbildung 
in  Brehm's  Thierleben  wird  Jeden  davon  überzeugen.  —  Am  eis 
(zu  0.  1,  92  im  Anhang)  und  Buchholz  (1.  c.  p.  147)  beziehen 
'ih'i  auf  die  beim  gehenden  Rinde  bemerkbare  windende  Bewegung 
des  Oberkörpers. 


Die  homerische  Thierwelt.  161 

Windung  die  Rede  ist),  theils  iinriclitig,  da  er  die  Sprung- 
gelenke ftir  Küiee  anspricht  —  ein  häufiger  Fehler  derer, 
welche  der  vergleichenden  Anatomie  unkundig  sind,  den 
auch  selbst  Aristoteles  macht').  Dass  nun  auch  die 
Erklärung  des  nicht  richtig  erkannten  Sachverhalts  auf 
schwachen  Füssen  stehen  muss,  ist  selbstverständlich. 

Vorerst  ist  zu  bemerken,  was  allen  bisherigen  Er- 
klärern entgangen  zu  sein  scheint,  dass  das  Rind  die  betr. 
Bewegung  deutlich  nur  mit  den  Hinterbeinen  macht  und 
dass  sie  beim  Ochsen  weit  weniger  bemerkbar  ist,  als  bei 
der  Kuh.  Betrachtet  man  das  gehende  Rind  von  hinten, 
so  bewegt  sich  der  über  dem  Sprunggelenk  befindliche 
Theil  des  Hinterbeines  anscheinend  in  gerader  Richtung 
und  fast  senkrechter  Stellung  vorwärts,  während  der  Theil 
unterhalb  des  Sprunggelenkes  (also  der  Fuss)  nach  aus- 
wärts einen  Bogen  beschreibt.  Diese  Bewegung  kommt 
jedoch  nicht,  wie  Buchholz  meint,  im  Sprunggelenk  zu 
Stande,  sondern  vorzugsweise  im  Hüftgelenk  und  wird  nur 
durch  die  eigenthümliche  Stellung  der  Gelenkflächen  im 
Sprunggelenk  und  die  daraus  resultirende  Bewegung  in 
demselben  etwas  vergrössert.  Während  der  Fuss  nach 
vorn  bewegt  wird,  erleidet  das  Bein  eine  geringe,  am 
Schenkel  äusserlich  kaum  bemerkbare  Achsendrehung. 
Diese  wird  jedoch  am  Fusse  in  die  sehr  bemerkbare  Bogen- 
bewegung  umgesetzt,  da  der  Fuss  im  stumpfen  Winkel 
zum  Unterschenkel  steht.  Ausserdem  wird  sie  hier  durch 
schiefe  Stellung  der  Gelenkflächen  im  Sprunggelenk  (nicht 
aber  durch  die  angebliche  Schlaffheit  desselben)  ausgiebiger. 
Projicirt  man  die  Bewegung  eines  Hinterfusses  auf  den 
Boden,  so  ergibt  sich  eine  Curve,  die  aus  aneinanderge- 
reihten flachen  Bogen  besteht,  aber  keine  Schraubenlinie, 
Die  Curve  des  zweiten  Hinterfusses  greift  mit  ihren  Win- 
keln in  die  Bogen  der  des  ersteren  ein. 


b 

a  =  Curve  des  linken,    b  =    Curve   des  rechten  Hinterfusses 
auf  den  Boden  projicirt,  schematisch. 


1)  Aubert  &  Wim m er,  1.  c.  p.  39. 

Archiv  für  Naturg.  XXXXVl.  Jahrg.  1.  Bd.  H 


162  Otto  Koerner: 

Folgenden  Gleichnissen  liegt  die  Naturgeschichte  des 
Rinds  zu  Grund: 

IL  2,  480.  „Wie  der  Stier  unter  der  Heerde  bei 
Weitem  am  meisten  hervorragt,  denn  er  zeichnet  sich  vor 
den  versammelten  Kühen  aus,  so  Hess  Zeus  an  jenem  Tage 
den  Atriden  ausgezeichnet  und  hervorragend  unter  den 
vielen  Helden  erscheinen." 

IL  17,  1.  „Nicht  entging  es  dem  kampfliebenden 
Atriden  Menelaos,  dass  Patroklos  in  der  Schlacht  getödtet 
war.  Gerüstet  mit  glänzendem  Erze  schritt  er  durch  die 
vordersten  Kämpfer  und  umwandelte  jenen  wie  eine  Kuh, 
die,  vorher  des  Gebarens  unkundig,  nun  zum  ersten  Mal 
geboren  hat  und  jammernd  ihr  Kalb  umwandelt^.  —  (Man 
muss  sich  vorstellen,  dass  das  Kalb  irgend  wie  bedroht 
wird.  „Der  Vergleich  geht  auf  die  ängstliche  Besorgniss, 
mit  welcher  Menelaus  die  Leiche  des  Freundes  zu  schützen 
sucht"  1). 

0.  10,  408.  Odysseus  erzählt:  „Darauf  fand  ich  am 
hurtigen  Schiff  die  trefflichen  Genossen  schmerzlich  jam- 
mernd und  häufige  Thränen  vergiessend.  Wie  wenn  die 
Kälber  im  ländlichen  Hofe  um  die  Kühe  der  Heerde,  welche 
zum  Stalle  zurückkehren,  nachdem  sie  sich  am  Kraute  ge- 
sättigt, alle  hüpfend  einherlaufen:  kein  Gehege  hemmt  sie 
mehr,  sondern  stetig  blökend  umspringen  sie  ihre  Mütter; 
so  stürzten  die  Freunde,  als  sie  mich  erblickten,  weinend 
auf  mich  zu." 

IL  13,  701.  „So  wie  zwei  weinfarbige  Rinder  von 
gleichem  Muthe  den  festgefügten  Pflug  auf  dem  Brachfelde 
daherziehn :  zu  beiden  Seiten  an  den  Wurzeln  ihrer  Hörner 
bricht  Schweiss  hervor  2),  und  wie  beide  durch  das  Joch 
getrennt,  die  Furche  hinabstreben,  während  der  Pflug  das 
abgegrenzte  Stück  des  Saatlandes  durchschneidet:  also 
schritten  und  standen  die  beiden  Ajas  kämpfend  neben 
einander." 


1)  La  Roche  zu  II.  17,  5. 

2)  Der  unter  dem  Joch  am  Nacken  hervordringende  Schweiss 
sammelt  sich  weiter  vorn  an  den  Hörnern,  da  die  Rinder  beim 
Ziehen  den  Kopf  senken. 


Die  horaeriscbe   Thierwelt.  163 

Der  gefährlichste  Feind  des  Rindes  ist  der  Löwe 
(s.  d.).     Vgl.  II.  5,  162;  11,  172;  18,  576  etc. 

Mit  dem  Brüllen  des  Rindes  vergleicht  der  Dichter 
das  Knarren  einer  lange  nicht  geöffneten  Thlir  (0.  21,  48), 
das  Dröhnen  eines  Thores,  da  es  Hektor  mit  gewaltigem 
Steinwurf  sprengt  (IL  12,  460)  und  das  Brausen  des  aus- 
getretenen Xanthusfiusses  (II.  21,  237). 

Die  Augen  des  Rindes  galten  wegen  ihrer  Grösse 
und  dunkeln  Farbe  für  schön,  daher  finden  wir  die  Be- 
zeichnung ßow7ag,  mit  Kuhaugen,  als  Epitheton  von 
Göttinnen  und  schönen  Frauen,  z.  B.  der  Hera,  der 
Klymene  etc. 

Die  Rindviehzucht  war  in  vielen  Gegenden  zu 
Homers  Zeit  ausserordentlich  bedeutend;  „es  gehörten 
schon  ordentliche  Heerden  dazu,  um  aus  ihrem  Ertrage, 
oder  besser  Ueberschusse  den  Göttern  vollzählige  Hekatom- 
ben Tslrjeooag  exaTo/Lißag,  opfern  zu  können"  ^).  Nestor  er- 
beutete auf  einem  einzigen  Zuge  gegen  Elis  unter  Anderem 
50  Rinderheerden  (IL  11,  676)  und  opferte  dem  Poseidon 
81  schwarze  Stiere  (0.  3,  6)  auf  einmal.  Solche  Opfer- 
stiere werden  mit  einem  Axthieb  in  den  Nacken  getödtet 
(0.  3,  449). 

Das  Rind  wurde  im  Stalle  an  der  Krippe  gefüttert 
(0.  4,  535)  oder  heerdenweise  auf  die  Weide  getrieben 
(0.  10,  408).  Um  die  Heerde  zusammen  zu  halten,  bedient 
sich  der  Hirt  seines  Stabes,  den  er  geschickt  zu  schleudern 
weiss  (IL  23,  845).  „Aus  0.  10,  82—85  lässt  sich  ent- 
nehmen, dass  die  Lästrygonen  sowohl  Rindvieh  als  Woll- 
vieh hatten,  welches  ihre  Hirten  wechseis  weise  bei  Tag 
und  bei  Nacht  austrieben,  und  zwar,  wie  Eustath  meint, 
das  Wollvieh  bei  Tage  und  das  Rindvieh  bei  Nacht  wegen 
der  Bremse  (oigtqoq,  s.  d.).  Dadurch  erklärt  sich  die  dun- 
kele Stelle  1.  c.  V.  84,  dass  ein  Hirte  der  nicht  schläft, 
sich  doppelten  Lohn  verdienen  könne"  ^). 

Man  bediente  sich  des  Rindes  besonders  zum  Ziehen 
von  Lastwagen  (IL  24,  782)  und  zum  Pflügen  (IL  13,  701 ; 


1)  Praetorius,  L  c.  p.  459. 

2)  Friedreich,  L  c.  p.  43.  ^ 


164  Otto  Koerner: 

0.  18,  371.).  Das  Getreide  Hess  man  auf  der  Tenne  von 
reihenweise  zusammengekoppelten  Stieren  austreten  (II. 
20,  495). 

Die  beliebteste  Speise  der  homerischen  Helden  war 
das  unmittelbar  über  dem  Feuer  gebratene  Rückenstück 
des  Rindes.  Die  Schenkel  und  Eingeweide  opferte  man 
den  Göttern. 

Von  Kuhmilch  und  deren  Verwendung  ist  auffallen- 
der Weise  nirgends  die  Rede,  während  Schaf-  und  Ziegen- 
milch öfter  erwähnt  wird. 

Rinderhäute  wurden  als  Ueberzüge  über  Schilde  (0. 
16,  296),  als  Polster  und  Decken,  auch  als  Riemen  benutzt 
(II.  10,  155;  0.  1,  108;  20,  142  etc.),  ferner  zu  Sandalen 
(0.  14,  24)  und  zu  Schläuchen  (0.  10,  19)  verarbeitet.  Um 
sie  zuzubereiten  bestrich  man  sie  mit  Oel  und  Fett  und 
auseinanderstehende  Männer  fassten  sie  und  zogen  so 
lange,  bis  Fett  und  Oel  eingedrungen  war  (IL  17,  389); 
Rindermist  wurde  als  Dünger  benutzt  (0.  17,  296). 

In  Ermangelung  des  Geldes  bediente  man  sich  im 
homerischen  Zeitalter  besonders  des  Rindes  als  Tausch- 
mittel. So  ist  eine  Rüstung  von  Gold  hundert,  eine  von 
Erz  nur  neun  Rinder  werth  (II.  6,  236);  ein  Sklave  wird 
für  hundert  (IL  21,  79),  eine  Sklavin  dagegen  für  nur  vier 
erstanden  (IL  21,  705). 

Natürlich  galt  Rinderraub  als  Kriegsursache,  z.  B. 
IL  1,  154;  0.  1,  8  etc. 

Zur  Rinderzucht  eigneten  sich  die  messenischen 
Küstengegenden  (IL  9,  154)  und  einige  Inseln  (0.  11,  108; 
15,  406).  Das  felsige  Ithaka  war  dazu  wenig  tauglich; 
deshalb  hielt  Odysseus  seine  Rinderheerden  auf  dem  be- 
nachbarten Festlande  (0.  14,  100). 

Zur  Bestimmung  der  Race  des  homerischen  Rin- 
des haben  wir  wenig  Anhaltspunkte.  Doch  weisen  die  Bei- 
wörter l'Xi^,  mit  krummen,  gewundenen  Hörnern,  und  Hom. 
hymn.  Herm.  192  ßovg  xeQaeGOLv  ehy.Tag,  „Rinder  mit  ge- 
wundenen Hörnern"  auf  eine  Art  mit  grossem,  weitgestell- 
tem Gehörn,  wie  es  das  Steppenrind,  bos  desertorum, 
aufweist,  hin.  Dieses  Rind  kommt  gegenwärtig  in  den 
Steppen  der  Mongolei,  ^Tartarei,  des  süd-östlichen  Europas 


Die  homerische  Thierwelt.  165 

und  in  Siiditalien  vor.  Die  ebenfalls  dem  Rinde  zukom- 
mende Bezeichnung  oQO^oy.QaiQoc;,  mit  aufrecht  stehenden 
Hörnern,  widerspricht  unserer  Auffassung  nicht,  da  das 
weitgestellte  Gehörn  des  Steppenrindes  zum  grösseren  Theile 
aufrecht  gebogen  ist. 

Das    Kleinvieh.') 

Die  iLirjla  werden  bezeichnet  als  agyvq^a  weiss,  l'cpict 
feist,  Tiiora  fett,  y.alliTQLya  mit  schöner  Wolle,  e'vogya 
mannbar,  Tavavnoda  mit  schlanken  Beinen,  adtva  dicht  ge- 
drängt (nämlich  weidend). 

Das  Junge  des  Kleinviehs  ohne  Unterschied  der  Art 
heisst  1'f.ißQvov  (0.  9,  309).  Altersunterschiede  werden  mit 
den  Worten  VgoaL  Spätlinge,  (.liraoGai  Mittlinge  und  nqöyovoi 
Frühlinge  bezeichnet  (0.  9,  216). 

Das  Kleinvieh  folgt  dem  Leithammel  11.  13,  491. 

Als  besonders  zur  Kleinviehzucht  geeignet  werden 
Thrinakia,  Orchomenos,  Pthia,  Ithone,  Pylos  und  Libya 
bezeichnet.  In  letzterem  Lande  sollen  die  ^y]Ka  sogar  drei- 
mal jährlich  gebären  und  deshalb  auch  immer  Milch  geben; 
auch  bekommea  sie  daselbst  schon  als  Lämmer  ihre 
Hörner  (0.  4,  86)2). 

Das  Kleinvieh  wurde  häufig  zu  Opfern  verwendet. 
Seine  Felle  verarbeitete  man  zu  Decken  und  Polstern. 

Wir  gehen  zunächst  zu  Schaf  und  Ziege  über  und 
besprechen  dann  noch  kurz  die  Kleinviehzucht  des 
Polyphem. 

Das  Schaf. 

Ovis  domestica.  Der  Widder  heisst  y.TiXog,  ygiog, 
agveiog,  oig  agvecog  und  oi'g  ccQGrjv;  das  Schaf  oi'g  und  ol'g 
d-rjlvg  ;  die  Lämmer  agveg. 

Das  Schaf  wird  genannt:  7ir]y€Gl/iia?2og  und  daovf,iaXXog 
mit  fester  und  dichter  Wolle,  elgononog  wollig,  Idoiog  zot- 
tig; das  Lamm:  ä/iialog  zart. 

1)  S.  o.  in  der  Einleitung. 

2)  Hierzu  bemerkt  Herodot  IV  29:  „Es  ist  ganz  richtig, 
dass  in  den  warmen  Ländern  die  Höruer  sehr  schnell  hervorkommen; 
in  grosser  Kälte  aber  bekommen  die  Thiere  entweder  gar  keine  oder 
nur  sehr  kleine  Hörner." 


166  Otto  Koerner:  . 

Als  Farbenbezeichnungen  dienen:  (.älag  und 
7ia(,i(Äelag  schwarz,  aQyevvoq  und  levyiog  weiss.  Die  0.  9, 
425  erwähnten  agoeveg  oug  loövecpec,  slgog  tyovTsg  „Widder 
mit  bläulicher  Wolle"  erinnern  an  einige  Schafracen, 
welche  eine  bräunliche  Behaarung  mit  deutlich  blauem 
Schimmer  haben  ^). 

In  folgenden  Gleichnissen  wird  das  Schaf  erwähnt: 

Odysseus  mustert  die  Reihen  der  Streiter,  ,, vergleich- 
bar einem  dichtwolligen  Widder,  der  die  grosse  Heerde 
der  weissen  Schafe  durchschreitet."  IL  3,  196. 

Das  Heer  folgt  den  Führern  „wie  Schafe  dem  Wid- 
der." II.  13,  492. 

Diomedes  scheucht  die  Troer  vor  sich  her  „wie 
Lämmer".    II.  8,  131. 

„Wie  unzählige  Schafe  im  Hofe  eines  vielbesitzenden 
Mannes  sich  melken  lassen  und  fortwährend  blöken,  wenn 
sie  die  Stimmen  ihrer  Lämmer  hören,  so  erhob  sich  der 
Troer  Feldgeschrei  längs  des  Heeres."  II.  4,  433. 

Mehrere  hierher  gehörige  Stellen  haben  wir  schon 
beim  Löwen  angeführt,  so  IL  5,  136;  0.  6,  130  (Einbruch 
des  Löwen  in  eine  Schafhürde);  andere  beim  Wolf :  IL  16, 
352;  22,  263  etc. 

Der  Cyclop  redet  den  Leithammel,  der  den  Odysseus 
aus  der  Höhle  trägt,  so  an:  „Liebes  Widderchen,  warum 
trabst  du  als  letzter  von  dem  Kleinvieh  aus  der  Höhle? 
Nie  iiessest  du  ja  sonst  andere  Schafe  vorangehn,  sondern 
eiltest  weit  ausschreitend,  als  Erster  zu  den  lieblichen 
Blumen  der  Weide;  als  Erster  gelangtest  du  an  die  strömen- 
den Bäche  und  strebtest  vor  den  Andern  am  Abend  in  den 
Stall  zurückzukehren.  Und  jetzt  bist  du  der  Allerletzte! 
Betrübt  dich  so  das  Auge  deines  Herrn,  das  der  böse  Mann 
mir  geblendet?"  etc.    0.  9,  447. 

Ein  Schafdarm  als  Saite  der  cpogituy^  findet  sich  0. 
21,  408,  ein  Seil  aus  Schafwolle  für  die  Schleuder  IL  13,  599. 

lieber  die  Race  des  homerischen  Schafes  lässt 
sich  nichts  Bestimmtes  sagen ;  nur  soviel  steht  fest,  dass  es 
sehr  dichte  Wolle  trug,  wie  aus  dem  Beiwort  laoiog  und  aus 

1)  Solche,  und  nicht  wie  einige  Erklärer  annehmen  dunkelblau 
gefärbte  Wolle,  verarbeitet  Helena  0.  4,  135. 


Die    homerische  Thierwelt.  167 

0.  0,  432,  woselbst  Odysseus  erzählt,  er  habe  sich  an  dem 
Bauche  eines  Widders  in  dem  „unermesslichen  Geflocke" 
festgehalten  und  sei  auf  diese  Art  verborgen  aus  der  Höhle 
des  Cyclopen  entflohen,  deutlich  hervorgeht.  Die  Ueber- 
treibung  in  letzterer  Erzählung  konnte  der  Dichter  natürlich 
nur  dem  „erfindungsreichen"  Odysseus  in  den  Mund  legen. 

Die  zabme  Ziege. 

Capra  domestica,  zQayog  der  Bock,  «t?  die  Ziege, 
sQicpog  das  Zicklein. 

Beiwörter:  iiir]y(.ccg  meckernd,  nlcov  fett,  evTQscpi^g 
und  KccTQscprjg  wohlgenährt. 

Die  Ziegenheerden  weiden  zerstreut,  was  aus  der  Be- 
zeichnung ahccha  Tilaze^  alycov  hervorgeht. 

Die  Anführer  ordnen  das  Heer  wie  Ziegenhirten  die 
auf  der  Weide  durcheinander  gekommenen  Hcerden  wieder 
aussuchen  und  trennen  (IL  2,  474). 

Ein  Hirt,  der  das  Herannahen  eines  Sturmes  bemerkt, 
treibt  seine  Heerde  in  eine  Höhle  an  der  klippenreichen 
Küste  (IL  4,  275). 

Der  Ziegenhirt  Melantheus  spottet  bei  Eumäus  über 
den  als  Bettler  verkleideten  Odysseus  mit  den  Worten: 
„Wenn  du  mir  den  da  als  Stallwächter  überliessest,  damit 
er  den  Stall  fege  und  den  Zicklein  Laubfutter  bringe,  so 
könnte  er  sich,  Molken  trinkend,  einen  mächtigen  Schenkel 
schaffen"  (d.  h.  herausfüttern).  0.  17,  223. 

Da  Telemach  0.  4,  601  dem  Menelaos  schildert,  wie 
ungeeignet  Ithaka  für  die  Pferdezucht  (s.  o.)  sei,  weil  es 
dort  weder  ausgedehnte  Rennplätze  noch  Wiesen  gebe, 
fügt  er  hinzu,  es  sei  aber  alylßozogj  Ziegen  nährend.  Wo 
die  Weideplätze  den  Pferden  und  Rindern  abgehen.  — 
Odysseus  hielt  seine  Rinderheerden  auf  dem  benachbarten 
Festlande  (s.  o.)  —  da  kann  doch  die  Ziege  kletternd 
Nahrung  finden. 

Feinde  der  Ziegen  sind  Löwe  und  Wolf  (s.  d.) 

Eine  beliebte  Speise  der  homerischen  Helden  waren 
Geismagen,  die  mit  Fett  und  Blut  gefüllt  waren  und  nach 
0.  20,25  an  Spiessen  über  dem  Feuer  gebraten  wurden.  Das 
Rückenstück  der  Ziege  galt  für  eine  Delicatesse  (IL  9,  207). 


168  Otto  Koerner: 

Aus  Ziegenfellen  verfertigte  man  Weinschläuche  (IL  3, 
247;  0.  9,  196  u.  o.),  Decken  und  Polster  (0. 14,  518  u  o.) 
und  Kappen  (0.  24,  231). 

lieber  die  Race  der  homerischen  Ziege  lässt  sich 
nichts  Genaueres  angeben. 


Im  9.  Gesänge  der  Odyssee  führt  der  Dichter  viele 
Einzelheiten  über  die  Kleinviehzucht  des  Cyclopen 
Polyphem  als  Staffage  zu  der  wunderbaren  Errettung 
seines  Helden  aus  der  Höhle  jenes  Ungethüms  an.  Die 
Staffage,  der  sich  Odysseus  bei  seiner  Rettung  anpasst, 
durfte  für  die  Zeitgenossen  Homers  nichts  Unnatürliches 
und  Fremdartiges  enthalten,  damit  nicht  die  Aufmerksam- 
keit von  der  Handlung  abgelenkt  wurde.  Wir  haben  also 
in  der  Polyphemie  ein  getreues  Bild  der  homerischen 
Kleinviehzucht  ^) 5  wenn  auch  die  Person  des  Hirten  etwas 
ungeheuerlich  ist  und  Grösse  wie  Stärke  seiner  Widder 
übertrieben  wird  (s.  o.). 

Das  Gehege  für  die  Schafe  und  Ziegen  des  Polyphem 
bestand  aus  einer  gewaltigen,  verschliessbaren  Höhle  nahe 
dem  Meeresufer  mit  einem  durch  Mauer  und  Anpflanzungen 
geschlossenen  Vorhofe  (0.  9.  181).  Die  Ställe  für  die 
weiblichen  Thiere  und  die  Jungen  befinden  sich  in  der 
Höhle;  letztere  sind  nach  dem  Alter  in  drei  verschiedene 
Abtheilungen  gebracht  (0.  9,  216).  Die  Widder  und  Böcke 
bleiben  Nachts  meist  im  Vorhof  (0.  9,  237). 

Bei  Sonnenaufgang  wird  in  den  Ställen  gemolken  und 
die  Säuglinge  werden  an  das  Euter  gelegt  (0.  9,  307). 
Dann  wird  die  Heerde  in  die  Berge  getrieben  (0.  9,  315) ; 
die  Säuglinge  bleiben  in  den  Ställen  (0.  9,  216).  Abends 
treibt  der  Hirte  ein,  melkt  wieder  in  den  Ställen  und  lässt 
die  Säuglinge  nochmals  trinken  (0.  9,  244). 

1)  Viele  Einzelheiten  stimmen  mit  Notizen,  die  der  Dichter 
an  anderer  Stelle  gibt,  überein.  So  dienten  Höhlen  in  den  zerklüf- 
teten Strandgegenden  öfters  zum  Schutze  des  Kleinviehs  (II.  4,275), 
Trennung  der  Geschlechter  findet  sich  auch  in  den  Schweineställen 
des  Eumäus  (s.  u.),  Kälber  wurden  wie  das  junge  Kleinvieh  des 
Polyphem  nicht  mit  auf  die  Weide  ausgetrieben  (0.  10,  408)  etc. 


Die    homerische  Thierwelt.  169 

Die  Ziegen-  und  Schafmilch  verarbeitete  man  zu  Käse 
und  Molken  (0.  9,  244)  oder  trank  sie  frisch  und  zwar 
wahrscheinlich  mit  Wasser  verdünnt,  wie  den  Wein.  Um 
den  Cyclopen  nämlich  als  recht  unmässig  darzustellen, 
bemerkt  der  Dichter,  dass  er  ungetaufte  Milch,  axQrjzov  yala, 
trank  (0.  9,  297). 

Das  zahme  Schwein. 

Sus  scrofa  domestica,  Kccirgog  und  ovg  Ka7CQiog  der 
Eber,  ovg  und  vg  die  Sau,  xolgog  das  Ferkel,  oialog  und 
Gvg  oiaXog  das  Mastschwein,  ovg  d^rjXeia  roxag  die  Zuchtsau. 

Der  Eber  wird  gvcov  eTnßj]T(OQ,  Bespringer  der  Säue 
genannt.  Das  Mastschwein  heisst  änaloTQ€q)rjg  weichlich 
genährt  und  lazQSfprjg  wohlgenährt. 

Weitere  Beiwörter  des  Schweines  sind:  agywdovg  mit 
weissem  Zahn,  hiißoTeiQrj  die  Saat  abweidend,  verwüstend, 
XCif-ictiewäg  auf  dem  Boden  liegend. 

lieber  die  Schweinezucht  des  Eumäus  berichtet 
der  Dichter  folgendermassen : 

„Innerhalb  des  Hofes  hatte  er  12  Kofen  nahe  anein- 
andergebaut  als  Lagerstätten  für  die  Schweine.  In  jedem 
aber  waren  50  Schweine  auf  dem  Boden  liegend  einge- 
pfercht, weibliche  Zuchtschweine.  Die  Eber,  viel  geringer 
an  Zahl,  hatten  ihr  Lager  stets  ausserhalb"  (0.  14,  13). 

„Dicht  hintereinander  -kamen  die  Schweine  mit  den 
Hirten.  Diese  sperrten  sie  in  die  gewohnten  Lagerstätten 
und  unaufhörliches  Grunzen*)  erscholl  von  den  einge- 
pferchten Schweinen"  (0.  14,  410). 

„Du  wirst  ihn  bei  den  Schweinen  treffen,  welche  bei 
dem  Rabenstein  an  der  Arethnsischen  Quelle  weidend,  herz- 
erfreuende Eicheln  fressen  und  dunkles  Wasser  saufen, 
was  ihnen  reichliches  Fett  schaffet"  (0.  13,  407). 

Den  in  Schweine  verwandelten  Genossen  des  Odys- 
seus  wirft  Kirke  (0.  10,  242)  Eicheln  und  Kornelkirschen 
vor,  „wie  sie  die  Schweine  stets  fressen.^ 

Der  Bettler  Iros  droht    dem   Odysseus,  er  wolle  ihm 


1)  yJ.ayyri.  Dieses  Wort  bezeichnet  nur  verworrenen  Lärm 
und  kann  daher  ebenso  vom  Grunzen  der  Schweine  wie  von  dem 
Geschrei  des  Kranichs  (II.  2,  463;  3.  3)  etc.  gebraucht  werden. 


170  Otto    Koerner: 

die  Zähne  einschlagen  wie  einer  saatverwüstenden  Sau 
(0.  18,  29).  Ob  man  die  Saat  vor  den  Schweinen  dadurch 
schützen  kann,  dass  man  diesen  die  Hauer  ausbricht, 
scheint  zum  Mindesten  sehr  zweifelhaft,  da  sie  dann  immer 
noch  mit  dem  Küssel  wühlen  können.  Oder  sollte  viel- 
leicht der  Eigenthümer  des  verwüsteten  Ackers  berechtigt 
gewesen  sein,  der  Sau,  durch  die  er  Schaden  erlitten,  (zur 
Strafe?)  die  Zähne  auszubrechen,  wie  es  bei  den  Cypriern 
nach  Angabe  der  Schollen  Brauch  gewesen  ist? 

Gemästete  Schweine ,  waren  bei  den  homerischen 
Helden  eine  beliebte  Speise.  Das  Ferkelfleisch  wurde 
ebensowenig  geschätzt  wie  Fische  und  Vögel,  da  es  den 
Heroen  zu  weichlich  war;  mau  überliess  es  den  Sclaven 
(0.  14,  80). 

Schweine  dienten  auch-  als  Opferthiere. 


Unter  den  Vögeln  scheint  das  einzige  Hausthier  die 
Gans  gewesen  zu  sein.  Von  den  Insekten  kann  die 
Biene  hierher  gestellt  werden.  Von  beiden  soll  an  geeig- 
neter Stelle  die  Rede  sein. 


C.   Jagdbare  Thiere,  -/.vcodalov. 
Der  Edelhirsch. 

Cervus  elaphus,  tla(poq\  das  Hirschkalb  heisst  veßgog 
und  ellog]  der  Spiesser  K€f.iag. 

Beiwörter:  y.eQaog  mit  Geweih,  vipUeQwg  mit  hohem 
Geweih.  Die  Hirschkuh  ist  Taxdr]  und  oj/Mt]  schnell, 
cpvllßMvri  flüchtig,  ayQortQa  wildlebend.  Das  Hirschkalb 
(veßgog)  heisst  verjysvr^g  neugeboren,  yalad^rjvög  Milch  »äu- 
gend,   (illog)  zioL'Miog  bunt,  gefleckt. 

Der  Hirsch  ist  ein  Bild  der  Feigheit.  So  werden  die 
Troerinnen  mit  flüchtigen  Hirschkühen  verglichen  (II.  13, 
102);  Achilles  wirft  dem  Agamemnon  vor,  er  habe  den 
Muth  eines  Hirsches  (II.  1,  225).  Agamemnon  ruft  die 
zögernden  Argiver  an:  „Warum  steht  ihr  da  betäubt  wie 
Hirschkälber,  die,  wenn  sie  vom  Laufen  durch  ein  weites 
Gefild  ermatten,  stehen  bleiben  und  keine  Kraft  mehr 
fühlen"  (II.  4,  243). 


Die  homerische  Thierwelt.  171    * 

Odysseiis  berichtet  folgende  Jagdgeschichte:  „Als  ich 
nahe  an  das  Schiff  herankam,  da  erbarmte  sich  meiner, 
des  Verlassenen,  einer  der  Götter,  der  mir  einen  gewaltigen 
Hirsch  mit  hohem  Geweih  gerade  in  den  Weg  sandte. 
Dieser  wollte  aus  der  Waldestrift  nach  dem  Flusse  ziehen, 
um  zu  trinken,  denn  schon  bedrängte  ihn  die  Kraft  der 
Sonne.  Als  er  hervorkam,  traf  ich  ihn  mitten  in  das  Rück- 
grat. Der  eherne  Speer  drang  auf  der  andern  Seite  her- 
aus, er  stürzte  stöhnend  in  den  Staub  und  es  entfloh  seine 
Seele."  Odysseus  bindet  ihm  nun  die  Beine  zusammen 
und  trägt  ihn  auf  dem  Rücken  nach  dem  Schiffe.  Dort 
staunen  seine  Genossen  über  die  Grösse  des  Thieres^ 
(0.  10,  156). 

„Einen  geweihtragenden  Hirsch  oder  einen  Steinbock 
jagen  Hunde  und  Landleute  auf  —  ihn  aber  beschützt  ein 
starrender  Fels  und  der  Waldesschatten,  ohne  dass  es 
jenen  beschieden  war,  ihn  zu  erreichen"  (II.  15,  271). 

Artemis  jagt  auf  dem  Taygetos  und  Erymanthos  Hirsche 
und  Eber  (0.  6,  102). 

Wie  die  Hirschkuh  ihren  vom  Löwen  Überfallenen 
Jungen  nicht  helfen  kann,  sondern  schnell  durch  das  Wal- 
desdickicht entflieht,  so  konnte  auch  Niemand  das  Unglück 
von  den  Troern  abwenden  (Nach  IL  11,  113). 

lieber  die  Jungen  des  Hirsches  siehe  die  ausführliche 
schon  beim  „Löwen"  übersetzte  Stelle  O.  4,  335=17,  126 
und  die  beim  „Hunde"  angeführte  IL  22,  189.  VgL  ausser- 
dem IL  3,  23;  16,  756.  Ein  Hirschkalb  wird  vom  Adler 
geraubt  IL  8,  248.  Die  „Tragödie  des  verwundeten  Hir- 
sches" (Buch holz)  IL  11,  474  haben  wir  beim  „Schakal'^ 


1)  Buch  holz,  L  c.  p.  165  macht  hierzu  die  Bemerkung: 
.jWenn  es  gleich  darauf  heisst,  dass  die  Genossen  des  Odysseus  das 
gigantische  Thier  angestaunt  hätten,  so  muss  man  sich  erinnern, 
dass  in  jenen  ältesten  Zeiten,  wo  das  Wild  minder  verfolgt  wurde, 
die  Hirsche  eine  jetzt  unerhörte  Grösse  erreichten."  —  Völlig  aus- 
gewachsene Hirsche  komme*  jedoch  in  allen  reichen  Beständen  auch 
jetzt  noch  nicht  selten  vor.  Oder  meint  Herr  Buch  holz  vielleicht, 
dass  der  Hirsch  ad  infinitum  wachse?  Auch  ist  es  ganz  unbegreif- 
lich, wie  die  Genossen  des  Odysseus  einen  Hirsch  anstaunen  konnten, 
weil  seine  Grösse  erst  jetzt  unerhört  wäre. 


172  Otto    Koerner: 

übersetzt.  Eine  weitere,  hierher  gehörige  Stelle  findet  sich 
IL  11,  113: 

„So  wie  ein  Löwe  die  unbehülflichen  Jungen  der 
flüchtigen  Hündin  leicht  mit  mächtigem  Zahn  zermalmt 
und  ihnen  ihr  zartes  Leben  raubt,  wann  er  sie  im  Lager 
trifft,  während  die  Mutter,  obwohl  sie  in  der  Nähe  ist,  nicht 
helfen  kann,  denn  ihr  selbst  erzittern  die  Glieder  und 
schnell  flieht  sie  durch  Dickicht  und  Wald,  rastlos  und 
schweisstriefend  vor  dem  Andränge  des  mächtigen  Raub- 
thiers  —  so  konnte  kein  Troer  von  Jenen  das  Unheil  ab- 
wehren, denn  auch  sie  flohen  vor  den  Argivern/' 

0.  19,  228  wird  die  getriebene  Arbeit  auf  einer  Spange 
von  Gold  folgendermassen  beschrieben:  „In  seinen  Vorder- 
füssen  hielt  ein  Hund  ein  geflecktes  Hirschkalb  und  fasste 
das  zappelnde.  Alle  aber  bewunderten,  wie  naturgetreu  *), 
obwohl  sie  von  Gold  verfertigt  waren,  dieser  das  Hirsch- 
kalb würgend  fasste,  jenes  aber,  zu  entfliehen  begierig, 
mit  den  Beinen  zappelte."  —  Vgl.  noch  II.  16,  156  (s. 
unter  „Wolf"). 

0.    13,   436  wird  eine  Hirschhaut  als  Bettlermantel 

benutzt. 

Das  Reh  (?). 

TTgoxag,  vielleicht  Rehe  (Capreolus  vulgaris)  jagte  der 
Hund  Argos.  0.  17,  295. 

Der  Steinbock  2). 

ai^  ayQtog  und  ai!^  dygoregog. 

Beiwörter:  furjxag  meckernd,  ogeoyicoog  auf  Bergen 
lebend,  lovd-ag  zottig,  langbärtig,  ^aXog  gut  springend. 

1)  „Naturgetreu'*  stellt  nicht  im  Urtext,  macht  aber  in  der 
Uebersetzung  den  Sinn  deutlicher. 

2)  Dass  wir  es  hier  mit  einem  Steinbock  zu  thun  haben,  er- 
gibt sich  schon  aus  den  Beiwörtern.  Es  kann  jedoch  nicht  sicher 
festgestellt  werden,  welche  Species  (oder  Varietät?)  gemeint  ist.  Die 
Vermuthuug  von  Fried  reich,  1.  c.  p.  108,  dass  der  «fl  (iyQios 
capra  aegagrus  sei,  hat  das  für  sich,  dass  dieses  Thier  gegen- 
wärtig im  Kaukasus  vorkommt  und  dass  die  Bezeichnung  toVi9(xg, 
langbärtig,  auf  es  besser  als  auf  andere  Species  passt.  Es  gibt  aber 
jetzt  auch  noch  auf  Greta  eine  besondere  Steinbockart,  die  gerade 
so  gut  die  homerische   sein  könnte.  Buch  holz,   1.  c.  p.    163,   hält 


Die  homerische  Thierwelt.  173 

Die  hierhergehörigen  Stellen  sind: 

0.  9,  110:  „Dann  breitet  sich  vor  dem  Hafen  in 
massiger  Entfernung  vom  Lande  der  Cyclopen  eine  unan- 
gebaute,  waldige  Insel  aus,  auf  welcher  unzählige  Stein- 
böcke leben,  denn  kein  Verkehr  der  Menschen  vertreibt 
sie.  Auch  pflegen  die  Jäger  nicht  dahin  zu  kommen,  um 
Leiden  zu  erdulden  beim  Ersteigen  der  waldigen  Berggipfel, 
und  die  Insel  ist  nicht  eingenommen  von  weidenden  Heer- 
den  und  Pflügern,  sondern  unbesäet  und  ungepflügt  ist  sie 
immerfort  leer  von  Menschen,  ernährt  aber  meckernde 
Steinböcke.'* 

Dort  jagt  Odysseus  0.  9,  155. 

,, Darauf  nahm  er  aus  dem  Futteral  den  wohlge- 
glätteten Bogen  vom  Horu  des  springenden  Steinbocks,  den 
er  einst  selbst  auf  dem  Anstand  glücklich    in   die  Brust 

mit  Netolika  capra  ibex,  den  Alpensteinbock,  für  den  homeri- 
schen, da  derselbe  an  den  Hörnern  14 — 16  quergestellte  Wülste 
habe,  was  Homer  II.  4,  109  mit  dem  Ausdruck  yjQa  ixxca^sxd- 
6(üocc  bezeichne.  Ich  hin  damit  einverstanden  und  halte  selbst  ge- 
genüber den  mir  von  philologischer  Seite  entgegengestellten  Bedenken 
daran  fest,  dass  ix/ccctö^xa^ioocc  nicht  etwa  die  Länge  der  Hörner 
„gleich  16  Handbreiten",  sondern  die  charakteristische  Bildung  der- 
selben bezeichnet  und  deshalb  als  ,,mit  16  Wülsten"  übersetzt  wer- 
den muss.  Wenn  aber  die  genannten  Autoren  diese  einmal  vor- 
kommende und  nur  auf  ein  Exemplar,  nicht  aber  auf  die  ganze 
Art  bezogene  Bezeichnung  als  charakteristisch  für  capra  ibex  an- 
nehmen, so  muss  ihnen  bemerkt  werden,  dass  die  Anzahl  der  Wülste 
an  den  Hörnern  aller  Steinbockarten  nicht  constant  14 — 16  beträgt, 
sondern  dass  sie  beim  jungen  Thiere  gar  nicht  vorhanden  sind  und 
später  an  Zahl  mit  ziemlicher  Regelmässigkeit  zunehmen,  so  dass 
man  das  Alter  des  Thieres  ungefähr  danach  bestimmen  kann.  Bei 
12  von  mir  untersuchten  Gehörnen  von  Steinböcken,  die  grössten- 
theils  im  Senkenbergischen  Museum  aufbewahrt  werden,  war  die 
geringste  Anzahl  von  Wülsten  5,  die  höchste  19;  sie  soll  aber  nach 
Brehm,  1.  c.  p.  642,  bis  auf  24  steigen  können. 

Andere  Erklärer  nehmen  an,  dass  der  al'i  IcyQiog  eine  ver- 
wilderte Ziege  sei,  wie  sie  noch  jetzt  auf  gänzlich  unbewohnten  In- 
seln des  Mittelmeeres  (z.  B.  Tavolara  bei  Sardinien)  in  kolossaler 
Menge  vorkommt  (vgl.  Lenz,  1.  c.  p.  230).  Diese  Ziegen  sind, 
wenigstens  auf  einigen  der  Inseln,  in  historischer  Zeit  verwildert, 
was  bei  dem  aY'^  «/mo?  nach  0.  9,  116—124  (s.  im  Text)  wohl  nicht 
anzunehmen  ist. 


174  Otto  Koerner: 

getroffen  hatte,  wie  er  gerade  auf  den  Fels  hervortrat; 
rückwärts  stürzte  er  herab;  die  Hörner  ragten  ihm  mit 
16  Wülsten  aus  dem  Kopfe.''  (II.  4,  105.)  S.  noch  II.  15, 
271  (beim  Hirsch  übersetzt). 

Die  Haut  des  Steinbocks  wird  als  Decke  benutzt  (0. 
14,   50);  aus    den  Hörnern  fertigte    man  Bogen  (s.    o.  u. 

0,  21,  395). 

Der  Hase. 

Lepus  timidus,  Xayiooi;.  Er  ist  fussschnell,  /rodag 
Tayvq.  Das  Beiwort  tttw^,  der  sich  duckende,  furchtsame, 
tritt  IL  17,  676  als  alleinstehendes  Substantiv  auf.  Er  wird 
an  dieser  Stelle  von  einem  Adler  (s.  d.)  aus  dichtem  Ge- 
büsch aufgescheucht  und  getödtet.  Aehnlich  IL  22,  310. 
Er  wird  von  Hunden  über  waldiges  Land  hin  verfolgt  und 
schreit  im  Fliehen  H.  10,  361.  Vgl.  noch  0.  17,  295. 

Der  Hase  ist  auch  gegenwärtig  in  Kleinasien  häufig. 

Das  Wildschwein. 

Sus  scrofa,  ovo,  ayqioq  oder  ayqöxEqoq^  der  Eber  heisst 
Gvq  '/.ciTiQLOQj  KCiTTQog,  auch  ovg. 

Beiwörter:  juiyag  gewaltig,  aKa/iiag  nicht  zu  er- 
müden, aQyLodovg  mit  weissen  Zähnen,  /AoiJi^/^g  in  der  Saat 
lagernd. 

Sein  Muth  wird  IL  17,  20  dem  des  Löwen  und  dem 
des  Panthers  gleichgestellt. 

Seine  Haut  ist  nach  IL  9,  528  Xa^vr^eig^  borstig. 

Folgende  Gleichnisse  sind  er  wähnen  s  wer  th: 

Idomeneus  hielt  den  Feinden  Stand  „wie  ein  Wild- 
schwein in  den  Bergen  auf  seine  Stärke  vertrauend  den 
herannahenden  lärmenden  Schwärm  der  Männer  in  unbe- 
wohnter Gegend  erwartet,  den  Rücken  (d.  h.  die  Borsten 
auf  dem  Rücken)  sträubt  und  mit  feuersprühenden  Augen 
die  Hauer  wetzt,  um  Hunde  und  Männer  abzuwehren."  (IL 
13,  471). 

Auf  den  Odysseus  stürmten  die  Troer  an  „wie  wenn 
den  Eber  Hunde  und  jugendliche  Jäger  im  Kesseltreiben^) 
hetzen  und  ringsher  anrennen,  wenn  er  aus  tiefverwachsenem 

1)  i(/u(pi  a€v(ovT(xi.     Sie  kommen  von  allen  Seiten. 


Die  homerische  Thierwelt.  175 

Dickicht  hervorbricht  und  die  weissen  Hauer  im  zurück- 
gebogenen') Rüssel  mit  hörbarem  Knirschen  wetzt 2):  ob- 
wohl er  furchtbar  ist,  erwarten  ihn  Jene  dennoch"  (II.  11,414). 

,,Sie  stürzten  aus  dem  Thore  und  kämpften  draussen, 
wilden  Schweinen  gleichend,  welche  im  Gebirg  den  her- 
annahenden Lärm  von  Jägern  und  Hunden  vernehmen  und 
mit  gedrehtem  Kopfe  ^)  anlaufend  rings  das  Gestrüpp  durch- 
brechen, indem  sie  es  sammt  den  Wurzeln  mit  hörbarem 
Knirschen  2)  der  Hauer  auswühlen,  bis  ihnen  ein  Geschoss 
das  Leben  raubt''  (II.  12,  145). 

Ist  ein  Eber  von  Jägern  umstellt,  so  sucht  er  anren- 
nend einen  Ausweg  „und  wo  er  anstürmt,  da  weichen  die 
Reihen  der  Männer''  (II.  12,  41).  Vgl.  IL  8,  338  u.  17,  281. 

Ueber  die  Entstehung  der  Schenkelnarbe  des  Odysseus, 
die  zu  seiner  Erkennung  führt,  erzählt  der  Dichter  folgendes 
Jagdabenteuer: 

,,Die  Jäger  kamen  in  eine  Schlucht  auf.  dem  Par- 
nass.  Vor  ihnen  liefen  die  Hunde,  die  Spur  aufsuchend, 
hinterher  kamen  die  Söhne  des  Autolykos.  Unter  diesen 
ging  der  göttliche  Odysseus,  nahe  den  Hunden,  die  lang- 
schaftige  Lanze  schwingend.  Dort  nun  lag  die  gewaltige 
Sau  im  dichtverwachsenen  Lager,  das  weder  die  Gewalt 
der  feucht  wehenden  Winde,  noch  die  leuchtenden  Sonnen- 
strahlen, noch  der  Regen  durchdrang;  so  dicht  war  es  und 


1)  Der  zurückgebogene  Rüssel  ist  gleich  dem  Zähnefletschen, 
Entblössen  der  Eckzähne  etc.  ein  Zeichen  der  Kampfbereitschaft. 
Vgl.  Darwin,  Ausdruck  der  Gemüthsbewegungen,  Stuttgart,  1872, 
p.  53  u.   118. 

2)  Durch  das  beständige  Aneinanderreihen  der  Hauer  des 
Unter-  uod  Oberkiefers  werden  diese  bei  alten  Thieren  scharf  drei- 
kantig. Ob  dabei  ein  starkes  Geräusch  entsteht  (vTrcu  Jt  ts  xo^unog 
oJoj/rwj/  yiyviTcci),  ist  uns  unbekannt,  doch  halten  wir  es  für  mög- 
lich ;  es  würde  dem  Zähneknirschen  des  Menschen  und  anderer  Thiere 
entsprechen. 

3)  ^o;(/u(o  t'  aCaaoVTS.  Da  'das  Schwein  immer  nur  mit  den 
Hauern  der  einen  Seite  wühlt  oder  angreift,  so  muss  es  mit  seit- 
licher Kopfhaltung  arbeiten,  resp.  zum  Hauen  ausholen.  Will  es 
verwunden,  so  verbindet  es  diese  Bewegung  mit  einem  Sprunge, 
was  der  Dichter  mit  den  Worten  hxQKplg  cä^ag  „nachdem  es  seit- 
wärts gesprungen  war"  (0.19,  451  s.  u.  )  bezeichnet. 


176  Otto  Koerner: 

eine  gewaltige  Menge  Blätter  lag  darinnen.  Da  drang  der 
Lärm  von  den  Füssen  der  Männer  und  Hunde,  als  sie  auf 
ihrer  Jagd  herannahten,  zu  der  Sau.  Den  Borstenkamm 
stark  emporsträubend  und  mit  feuerblickenden  Augen  ^)  trat 
sie  aus  dem  Dickicht  entgegen  und  stand  nahe  an  ihnen. 
Odysseus,  der  der  vorderste  war,  hob  seinen  langen 
Speer  und  schleuderte  ihn  mit  der  Hand,  um  das  Schwein 
zu  verwunden.  Dieses  kam  ihm  aber  zuvor  und  traf  ihn 
über  dem  Knie:  viel  Fleisch  durchriss  es  mit  dem  Hauer, 
seitwärts  drängend  2),  aber  es  kam  nicht  bis  auf  den 
Knochen.  Odysseus  jedoch  verwundete  es  mit  glücklichem 
Stoss  in  die  rechte  Schulter  und  gegenüber  drang  die  Spitze 
des  glänzenden  Speeres  heraus;  stöhnend  fiel  es  in  den 
Staub  und  der   Geist  entfloh  ihm''  (0.  19,  435). 

Artemis  schickt  dem  Oeneus  „ein  in  der  Saat  lagern- 
des, weisszahniges  Wildschwein,  welches  nach  seiner  Art 
die  Gefilde  des  Oeneus  arg  verwüstete :  viele  grosse  Bäume 
wühlte  es  mit  sammt  den  Wurzeln  und  den  Blüten  der 
Aepfel  aus  der  Erde  heraus.  Dieses  tödtete  Meleager,  nach- 
dem er  aus  vielen  Städten  Jäger  und  Hunde  versammelt 
hatte,  denn  nicht  wäre  es  von  wenigen  Sterblichen  be- 
zwungen worden,  s(i  gewaltig  war  es,  und  viele  brachte 
es  auf  den  schmerzlichen  Scheiterhaufen"  (d.  h.  tödtete  sie). 
(II.  9,  539). 

Ausser  dem  Menschen  bekämpft  nur  noch  der  Löwe 
das  Wildschwein  mit  Erfolg.  Beide  treffen  dürstend  an 
einer  Quelle  zusammen  und  röchelnd  unterliegt  im  kurzen 
Kampfe  der  Eber  (IL  16,  824). 

Noch  jetzt  ist  das  Wildschweiü  in  Kleinasien  häufig. 


D.  Die  im  Meere  lebenden  Säugethiere  werden 
KTjtog  genannt,  so  die  Robbe  {g)cüxr]).  0.  4,  446;  0.  12,  96 
ist  von  „Seehunden,  Delphinen  und  noch  grösseren  See- 
thieren"  {ytinrog)  die  Rede. 

Seehniide. 
ytvvsg,  nur  0.  12,  96  mit  andern  Seethieren  erwähnt. 

1)  (fQi^ag  ev  Xoifirjv,  nvQ  (T  ocpS^ak/uoToi    ^eSoQxtog. 

2)  XixQiiflg  ni^ccg,  s.  vor.  Seite,  Anra.  3.    ' 


Die  homerische   Thierwelt.  177 

Der  Delphin.  ' 

Delphinus  delphis,  delq^ig.  Der  Dichter  rechnet  ihn 
IL  21,  22  zu  den  Fischen,  wenn  er  sagt: 

„Wie  vor  dem  gewaltigen  Delphin  die  anderen 
Fische  aus  Furcht  fliehen  und  die  Buchten  des  Hafens 
erfüllen,  denn  jener  verschlingt,  welchen  er  auch  immer 
ergreift :  so  flohen  die  Troer  furchtsam  durch  die  Fluten 
des  schrecklichen  Flusses  zu  den  Abhängen." 

Buchholz,  1.  c.  p.  144  versteht  unter  dem  öelcplg 
ein  grösseres  Thier,  z.  B.  einen  delphinorhynchus.  Diese 
Vermuthung  scheint  uns  jedoch  nicht  gerechtfertigt,  da  im 
Mittelmeer  die  bei  Homer  geschilderte  Jagd  des  Delphins 
auf  kleine  Fische  zu  den  alltäglichen  Erscheinungen  gehört. 

Die  Robbe. 

cficoytt].  Beiwörter:  raT(>£y?^'g  wohlgenährt,  ähoTgecprig 
im  Meere  genährt,  vinodeg  mit  Schwimmfüssen, 

Menelaos  erzählt  0.  4,  360,  wie  er  auf  Rath  der  Meer- 
göttin Eidothea,  um  dem  Meergotte  Proteus  aufzulauern, 
sich  mit  seinen  Gefährten  in  Robbenhäute  hüllt  und  an 
das  Ufer  legt.  Um  die  Mittagszeit  entsteigt  Proteus  dem 
Meere  und  „um  ihn  legen  sich  sämmtliche  schwimmfüssige 
Robben  der  Amphitrite  schlafen,  nachdem  sie  aus  den 
Fluten  aufgetaucht  sind  und  geben  einen  scharfen  Geruch 
nach  dem  tiefen  Meere  von  sich".  Dort  lag  nun  Menelaos 
von  Sonnenaufgang  bis  zur  Mittagszeit,  gequält  vom  scheuss- 
lichen  Gestank  seiner  Umhüllung,  der  aber  bald  von  der 
Göttin  dadurch  beseitigt  wird,  dass  sie  ihm  Ambrosia  unter 
die  Nase  streicht.  Die  Umhüllung  täuscht  nicht  nur  den 
Proteus,  sondern  auch  die  Robben. 

In  dieser  Schilderung  haben  wir  wieder  eine  Anleh- 
nung an  natürliche  Vorgänge,  wie  wir  eine  ähnliche  bei 
der  Kleinviehzucht  des  Pclyphem  besprochen  haben. 

Eine  Leiche  wird  0.  15,  480  in  das  Meer  geworfen, 
um  eine  Beute  der  Robben  und  Fische  zu  werden. 

Nach  Erhard^)  ist  fast  die  einzige  im  Mittelmeer 
vorkommende  Robbe  Phoca  monachus.  So  wird  es  wohl 
auch  zu  Homers  Zeiten  gewesen  sein. 

1)  Erhard,  Fauna  der  Cycladen,  p.  18. 


Archiv  f.  Naturg.  XXXXVI.  Jahrg.  t.  Bd.  12 


178  Otto  Koerner: 

Die  Fledermaus  lässt  sich  unter  keine  der  obigen 
grösseren  Abtheilungen  bringen: 

Die  Fledermaus, 

Vespertilio,  vvKTSQig.  Ihre  nächtliche  Lebensweise  ist 
in  ihrem  Namen  ausgedrückt  {vv^  =  Nacht). 

Odysseus,  vom  Meere  an  das  Land  gespült,  hält  sich 
an  einem  Baume:  „an  diesem  angeschmiegt  hing  ich  wie 
eine  Fledermaus"  (0.  12,  433). 

Die  Seelen  der  erschlagenen  Freier  entführt  Hermes 
und  sie  folgen  ihm  schwirrend  „wie  wenn  Fledermäuse 
im  Winkel  der  gewaltigen  Höhle  schwirrend^)  hin  und 
her  flattern  und  sich  aneinander  hängen,  wenn  eine  aus 
dem  Schwärm  vom  Felsen  abgefallen  ist"  (0.  24,  6).  Die 
Fledermäuse  ruhen  bekanntlich  tagsüber  in  dunkeln  Win- 
keln etc.  an  der  Decke  hängend,  oft  zu  Hunderten  dicht 
bei  einander.  Wenn  nun  eine  aus  der  Menge  abfällt  und 
herumflattert,  so  stört  sie  auch  die  andern  auf  und  da  mag 
es  oft  vorkommen,  dass  sich  Eine  schlaftrunken  an  eine 
Andere  hängt.  Auch  pflegen  die  jungen  Fledermäuse  an 
der  Brust  der  Alten  zu  hängen. 

Viele  Arten  von  Fledermäusen  kommen  auch  gegen- 
wärtig in  den  Mittelmeerländern  vor. 


Noch  haben  wir  ein  Produkt  aus  dem  Thierreich  zu 
erwähnen,  das  Elfenbein,  das  die  homerischen  Griechen 
von  phönizischen  Kauf  leuten  bezogen,  ohne  den  Elephanten 
zu  kennen.  Man  beutzte  es  ähnlich  wie  noch  heute  zu 
Gebrauchs-  und  Luxusgegenständen.  Vgl.  II.  4,  141 ;  5,  583 ; 
0.  4,  73;  19,  56  u.  563  u.  o. 

1)  Schv/irreu,  roi^eiv,  nur  von  der  Art  der  Bewegung  beim 
Flug,  nicht  von  einem  dabei  entstehenden  Geräusche,  da  der  Flug 
der  Fledermaus  geräuschlos  ist. 


Die  homerische  Thierwelt.  179 

II.    Vögel. 

Raubvögel. 
Der  Adler. 

ahzog.  Beiwörter:  vipLJiaTrjg  hochüiegend,  ay-avlo- 
xeilrig  mit  krummem  Schnabel,  ^rjQTrjQ  der  Jäger,  aid^oyv 
feurig,  muthig. 

Die  verschiedenen  Farbenbezeichnungen  gaben 
Veranlassung  zum  Trennen  des  aUrog  in  mehrere  Species. 
Dies  ist  jedoch  sehr  gewagt,  da  sämmtliche  Farbenbezeich- 
nungen des  Adlers  {/ii6Qg)vog,  Tieg-avog  und  (i^lag)  nur 
„dunkel"  bedeuten  und  sonst  keine  Unterschiede  nach- 
weisbar sind  ^). 

Der  homerische  alerog  ist  wahrscheinlich  der  Stein- 
adler, Aguila  fulva,  der  auch  jetzt  noch  in  Kleinasien  und 
Griechenland  häufig  ist. 

Der  Adler  ist  dem  homerischen  Zeitalter  der  treff- 
lichste Weissagevogel;  Zeus  sendet  ihn  von  Rechts  her, 
wenn  er  Glück  verheissen  will:  so  schickt  er  dem  Priamus 
als  günstiges  Vorzeichen  „einen  Adler,  den  bedeutungs- 
vollsten der  Vögel,  den  dunkelgefiederten  Jäger,  den  man 
auch  Schwarzadler  {7t£QKv6g)  nennt.  So  weit  wie  eine 
wohlverschlossene,  festgefügte  Thtire  im  Hause  eines  reichen 
Mannes  breiteten  sich  seine  Schwingen  auf  beiden  Seiten 
aus.   Er  stürmte  aber  rechtshin  über  die  Stadt'^  (IL  24,  314). 

„Aber  der  Pelide  sprang  soweit  weg,  wie  der  Wurf 
eines  Speeres  reicht,  mit  der  Wuth  des  dunkeln  ((.leXag) 
Adlers,  des  Jägers,  der  unter  den  Vögeln  der  gewaltigste 
und  schnellste  ist''  (IL  21,  252). 

Zeus  sandte  dem  Telemach  zum  Zeichen  „von  der 
Höhe  des  Berggipfels  zwei  Adler  herab.  So  lange  diese 
mit  dem  Hauche  des  Windes  heranflogen,  breiteten  sie  sich 


1)  Aristarch  machte  aus  dem  «ffro's  fxoQipvog  eine  besondere 
Species.  Ebenso  Aristoteles  und  Plinius.  Wir  sind  jedoch  nicht 
berechtigt,  derartige  Unterscheidungen  von  Späteren  ohne  Weiteres 
auf  Homer  zu  übertragen,  wie  wir  weiter  unten  noch  an  mehreren 
Beispielen  sehen  werden.    Vgl.  auch  Buchholz  1.  c.  p.  141. 


180  Otto  Ko  erner: 

nalie  aneinander  mit  den  Flügeln  aus.  Als  sie  aber  mitten 
über  die  lärmende  Versammlung  kamen,  da  schlugen  sie 
die  Flügel  dicht  hintereinander  und  sahen  auf  die  Häupter 
Aller  herab,  Verderben  blickend.  Nachdem  sie  nun  mit 
den  Klauen  einander  Wange  und  Hals  zerkratzt  hatten, 
stürmten  sie  rechtshin  durch  die  Luft  über  die  Stadt" 
(0.  2,  146). 

MeneTaus  schleudert  Blicke  „wie  ein  Adler,  von  dem 
man  sagt,  er  sähe  am  schärfsten  von  den  Vögeln  unter 
dem  Himmel,  dem,  auch  wenn  er  hochfliegt,  der  schnell- 
füssige  Hase,  geduckt  in  dichtbelaubtem  Gebüsche,  nicht 
verborgen  bleibt:  er  stürzt  sich  auf  ihn  und  raubt  ihm 
schnell  zugreifend  das  Leben"  (II.  17,  673). 

Hektor  stürzt  auf  die  Achäer  „vorwärts  geneigt,  wie 
ein  hochfliegender  Adler,  der  sich  aus  dunkeln  Wolken 
auf  die  Erde  stürzt,  um  ein  zartes  Lamm  oder  einen 
furchtsamen  Hasen  zu  rauben"  (IL  22,  308). 

Ein  Adler  lässt  ein  geraubtes  Hirschkalb  aus  der 
Luft  niederfallen  (IL  8,  247),  ein  anderer  greift  wilde 
Gänse,  Kraniche  und  Schwäne  an  (IL  15,  688);  auch  ver- 
greift er  sich  an  den  zahmen  Gänsen  der  Penelope  (0.  15, 
160,  siehe  unter  „Gans"). 

IL  12,  201  u.  221  wird  von  einem  Adler  erzählt,  der 
eine  Schlange  wegträgt,  sie  aber  bald  wieder  fallen  lässt, 
da  sie  sich  heftig  wehrt,  so  dass  es  ihm  nicht  gelang,  sie 
seinen  Jungen  zu  bringen  (S.  unter  „Schlangen")  0- 

Der  Seeadler. 

Haliaetus  albicilla,  qiTivrj.  Das  Wort  (pr]vi]  bedeutet 
„leuchtend"-);  „nach  längerem  Gebrauch  bleichen  nämlich 
die  Federn  dieses  Vogels,  und  dann  erscheint  der  Ober- 
körper weisslich,  die  Brust  und  der  Bauch  grauweiss."^) 

Athene  nimmt  0.  3,  372  die  Gestalt  dieses  Vogels  an, 
was  um  so  passender  ist,  als  es  gerade  an  der  Meeresküste 
geschieht,  wo  ja  auch  der  Seeadler  sich  aufzuhalten  pflegt. 

1)  Der  Steinadler  wird  schwerlich  Schlangen  wegtragen.  Es 
ist  vielleicht  hier  der  Schlangenadler  oder  der  Busaar  gemeint. 

2)  Buchholz,  1.  c.  p.  142. 

3)  Brehm,  1.  c.  Bd.  IL  S.  238. 


Die  homerische  Thierwelt.  181 

Das  laute  Weinen  des  Odysseus  und  des  Telemach 
wird  mit  dem  Schreien  dieses  Vogels  verglichen  (0.  16, 
217.     Wir  übersetzen  die  Stelle  unter  dem  alyvmog.) 

Der  Aiyvnioq, 

ein  Falke,  dessen  Species  jedoch  nicht  festgestellt  werden 
kann.  Das  Wort  cuyvTTiog  wird  gewöhnlich  als  ,, Ziegen- 
oder Lämmergeier"  erklärt.  Wir  dürfen  aber  darunter 
keinen  derartigen  Vogel  verstehen,  da  der  alyiTriog  sich 
nach  0.  22,  302  auf  Schwärme  kleiner  Vögel  stürzt,  was 
für  einen  Adler  oder  Lämmergeier  naturgeschichtlich  ge- 
radezu unerhört  wäre.  Auch  theilt  mir  Herr  Professor  H. 
Rumpf  eine  andere  Etymologie  mit,  die  wohl  die  richtige 
ist,  da  ihr  keine  naturgeschichtliche  Thatsache  entgegen 
steht.  Es  wäre  nämlich  möglich^  dass  die  Stammsilbe  von 
alyi'Triog  in  yvTi  (yvip,  yvnog)  gelegen  ist,  und  o.i  nur  vor- 
gesetzt, wie  in  alydlip,  schroff,  wo  man  zwar  auch  „von 
Ziegen  verlassen,  weil  zu  schroff, '^  erklärt,  was  aber  offen- 
bar ganz  unsinnig  ist;  denn  den  Ort,  den  man  verlassen, 
hat  man  doch  schon  einmal  eingenommen. 

Dev  alyvTTiog  ist  charakterisirt  durch  die  Bei  Wörter 
yajiixlicovc^  mit  krummen  Fängen  und  ayy.vloydh]g  mit 
krummem  Schnabel. 

Athene  und  Apollo  lassen  sich  in  seiner  Gestalt  auf 
einer  Buche  nieder  (IL  7,  59).  Sarpedon  und  Patroklos 
stürzen  laut  schreiend  auf  einander  los,  wie  zwei  alyvTnoi 
auf  hohem  Felsen  (IL  16,  430).  Automedon  stürmt  mit 
seinem  Streitwagen  unter  die  Feinde  wie  ein  alyvTiLog 
unter  die  Gänse  (IL  17,  460). 

Odysseus  und  Telemach  weinten  aus  Freude  „hell- 
auf, anhaltender  als  Seeadler  oder  als  aiyvmoi  mit  krum- 
men Fängen,  welchen  Jäger  die  Jungen  ausnahmen,  bevor 
sie  üüggQ  geworden"  (0.  16,  217). 

Eine  äusserst  schwierige  Stelle  findet  sich  0.  22,  302: 
Odysseus  und  seine  Gefährten  wüthen  unter  den  Freiern 
„wie  alyvTTioi  mit  krummen  Schnäbeln  und  Fängen  aus 
den  Bergen  stammend^)   herbeikommen  und  kleine  Vögel 

1)  „qui  dicuntur  ^c  d^ofojv,  quia  ibi  habitaut  et  Eati  sunt,  non 
vero  quia  nunc  praecise  inde  veniunt."  Dann,  lexicon  Homerico- 
Pindaricum,  ed.  Rost,  p.  781,  Spalte  3  i.  v.  viipog. 


182  Otto  Koerner: 

jagen.  Diese  stürzen  sich  in  die  Ebene,  dem  Wolkenbe- 
reiche entfliehend  1),  während  jene  daraufstossend  sie  tödten, 
und  weder  Abwehr  noch  Flucht  ist  ihnen  möglich.  Die 
Männer  aber  freuen  sich  über  die  Jagd."  —  Bei  der  Er- 
klärung dieser  Stelle  hat  man  Anstoss  genommen  an  den 
Worten:  „die  Männer  aber  freuen  sich  über  die  Jagd",  und 
gemeint,  letztere  könnten  nicht  blose  Staffage  sein,  sondern 
müssten  in  einer  engeren  Beziehung  zu  den  geschilderten 
Begebenheiten  stehen.  Diese  Annahme  stützt  sich  auf  eine 
andere  Uebersetzung  unserer  Stelle,  für  die  sich  schon 
Eustath  erklärt:  er  versteht  nämlich  unter  veq)ea  nicht 
die  Wolken,  sondern  aufgestellte  Netze  2).  Demnach  hätten 
wir  mutatis  mutandis  zu  übersetzen:  „diese  (die  kleinen 
Vögel,  nachdem  sie  die  Falken  erblickt  haben)  stürzen  sich 
furchtsam  in  die  auf  der  Ebene  aufgestellten  Netze".  Die 
Männer  aber,  die  sich  über  die  Jagd  freuen,  wären  dann 
die  Besitzer  der  Netze;  sie  müssten  nun  in  dem  Gleich- 
nisse erwähnt  werden,  damit  auch  Herkunft  und  Zweck 
der  Netze  deutlich  wäre.  Auch  diese  Erklärung  der  Stelle 
ist  naturgeschichtlich  zulässig  und  gewinnt  dadurch 
an  Wahrscheinlichkeit,  dass  die  Vogeljagd  nach  glaubwür- 
digen und  übereinstimmenden  Berichten^)  im  Alterthume 
wirklich  auf  ähnliche  Art  ausgeübt  wurde. 


1)  Einige  Uebersetzer  nehmen  hier  eine  andere  Construction 
an  und  kommen  dabei  gerade  auf  das  Gegentheil  heraus  :  ,, diese  er- 
heben sich  furchtsam  in  das  Wolkenbereich".  Es  ist  allerdings 
richtig,  dass  manche  Vögel  (z.  B.  Lerchen,  Schwalben,  Reiher),  wenn 
sie  Raubvögel  bemerken,  sich  über  diese  erheben  und  ihnen  dadurch 
entgehen,  da  die  Raubvögel  ihre  Beute  nur  von  oben  herabstossend 
fangen;  in  unserer  Stelle  aber  entkommen  sie  gerade  nicht. 

2)  Diese  Uebersetzung  ist  bei  Dann,  1.  c.  ausführlich  erörtert 
und  vertheidigt, 

3)  Ganz  dieselbe  Art  der  Vogeljagd  beschreibt  Aelian  2,  42 
als  zu  seiner  Zeit  in  Thracien  üblich.  Ohne  Anwendung  der  Netze 
kennen  sie  Philo  de  animal.  adv.  Alexaudr.,  ed.  Aucher,  p.  143  und 
besonders  Aristoteles.  Die  Berichte  desselben  (bist.  anim.  IX, 
24  (36),  4  und  de  mir.  ausc.  118)  lauten  in  wörtlicher  Uebersetzung 
folgendermassen  : 

„In  Kedropolis  in  Thracien  jagen  die  Leute  in  den  Sümpfen 
die  Vögel  in  Gemeinschaft  mit  den  Falken  (/to«!).  Sie  klopfen  näm- 


Die  homerische  Thierwelt.  183 


Der   Habicht 


astur  palumbarius,  Ygt]^  xigKog,  auch  Igr^^  und  yjQKog  allein  *). 
Beiwörter:  amufcTeQog  schnell  fliegend,  elacfgoTctzog  nt^ 
jerjvMv  der  hurtigste  aller  Vögel,  cpaoGocpovog  der  Tauben- 
mörder ^). 

Thetis  eilt  „schnell  wie  ein  Habicht"  vom  schneebe- 
deckten Olymp  (II.  18,  616).  Die  Schnelligkeit  von  Rossen 
wird  mit  der  des  Habichts  verglichen  (H.  13,  818).  Ein 
Schiff  schneidet  durch  die  Wogen,  schneller  wie  ein  Habicht 
durch  die  Luft  (0.  13,  86). 


lieh  mit  Stöcken  an  das  Röhricht  und  an  das  Gebüsch,  damit  die 
Vögel  herausfliegen;  die  Falken  aber  erscheinen  in  der  Höhe  und 
verfolgen  sie;  da  fliegen  sie  aus  Furcht  wieder  auf  die  Erde  herab; 
die  Männer  aber  erschlagen  sie  mit  Stöcken,  nehmen  sie  und  geben 
den  Falken  ihren  Antheil  an  der  Jagd;  sie  werfen  ihnen  nämlich 
von  den  Vögeln  vor,  welche  sie  auch  annehmen." 

„In  Thracien  oberhalb  Amphipolis  soll  etwas  Wunderbares  und 
denen,  welche  es  nicht  sahen,  Unglaubliches  geschehen.  Wenn  näm- 
lich die  Knaben  aus  den  Dörfern  und  den  umliegenden  Gegenden 
auf  die  Jagd  nach  kleinen  Vögeln  gehen,  so  nehmen  sie  Falken  mit 
auf  die  Jagd.  Das  machen  sie  so:  wenn  sie  an  einen  geeigneten 
Ort  gekommen  sind,  rufen  sie  die  Falken  laut  beim  Namen.  Wie 
diese  aber  die  Stimme  der  Knaben  hören,  kommen  sie  herbei  und 
scheuchen  die  Vögel  in  das  Gebüsch,  wo  sie  die  Knaben  mit  Stöcken 
erschlagen  und  aufheben.  Am  meisten  muss  man  aber  darüber  er- 
staunen, dass  die  Falken,  wenn  sie  selbst  einen  Vogel  ergrifi'en 
haben,  ihn  den  Jägern  herabwerfen.  Die  Knaben  geben  nun  einen 
Theil  der  Beute  den  Falken  und  gehen  weg." 

Es  ist  noch  zu  bemerken,  dass  in  keiner  dieser  Stellen  die 
Falken  gezähmt  und  abgerichtet  gewesen  zu  sein  brauchen.  Viel- 
mehr scheint  es,  als  ob  die  Jäger  sich  nur  die  Furcht  der  kleinen 
Vögel  vor  dem  zufällig  erscheinenden  Falken  zu  Nutzen  gemacht 
hätten.  Die  Gegend  um  Troja  ist  übrigens  noch  jetzt  nach  münd- 
licher Mittheilung  des  Herrn  Dr.  A.  Steitz,  der  sie  vor  einigen 
Jahren  bereiste,  überaus  reich  an  Raubvögeln. 

1)  Nach  Buchholz,  1.  c.  p.  134,  soll  sich  der  for,i  zum  xiQxog 
verhalten,  wie  das  Genus  zur  Species.^  Aristoteles  unterscheidet 
allerdings  so.  Er  trennt  auch  den  f'^/;!  (fuaaocpovog  den  „Taubenstösser" 
als  besondere  Species  vom  I'qt]^  xioxog  -ab.  Ob  auch  Homer  so 
unterschied  lässt  sich  nicht  erkennen. 


184  Otto  Koerner: 

Poseidon,  nachdem  er  die  Achäer  unerkannt  zum 
Kampfe  ermuntert  hat,  verschwindet  „wie  ein  flüchtiger 
Habicht,  der  von  einem  schroffen  Felsen  aufsteigt  und  dann 
rasch  nach  der  Ebene  hinfährt,  einen  anderen  Vogel  verfol- 
gend" (IL  13,  62). 

Die  Achäer  fliehen  vor  Hektor  und  Aeneas  „wie  die 
Staare  oder  die  Dohlen  in  langer  Wolke  dahinziehend, 
durcheinander  aufschreien,  sobald  sie  von  Weitem  den 
Habicht  heranstreichen  sehen,  der  kleinen  Vögeln  Verderben 
bringt'^  (II  17,  755). 

Den  fliehenden  Hektor  verfolgt  Achilles  „wie  ein 
Habicht  aus  dem  Gebirge,  der  schnellste  aller  Vögel,  leicht 
der  furchtsamen  Taube  nachstürzt;  diese  flieht  vor  ihm 
hin,  er  aber  stösst  mit  hellem  Geschrei  oft  nach  ihr,  voll 
Begier,  sie  zu  erhaschen^'  (IL  22,  139). 

Ein  Habicht  rupfte  im  Fluge  die  erhaschte  Taube,  so 
dass  Federn  zur  Erde  fielen  (0.  15,  525).  Ueber  andere 
Stellen  s.  noch  unter  „Taube". 

Die  H4Q717], 

ein  unbestimmbarer  Raubvogel.  Das  Wort  agyrrj  hängt 
mit  (xQTiaCeiv  rauben,  zusammen. 

Beiwörter:  Taw^rregv^  mit  ausgebreiteten  Schwin- 
gen, hyvq)tdvog  mit  heller  Stimme. 

Athene  eilt  so  schnell  vom  Himmel  herab  wie  dieser 

Vogel  (IL  19,  350). 

Die  Geier 

yvTtsg,  ohne  nähere  Bezeichnung  der  Species.  In  Klein- 
asien sind  gegenwärtig  Vultur  fulvus  und  cinereus  häufig. 

Sie  verzehren  Leichen  IL  4,  237;  11,  163  u.  o. 

Die  Strafe  des  Tityos  in  der  Unterwelt  besteht  darin, 
dass  zwei  Geier  ihm  die  Leber  aushacken  0.  11,  578.  (Ge- 
hört in  die  Mythologie  und  entzieht  sich  deshalb  der  zoolo- 
gischen Kritik.) 

Der  Zxo'jip. 

Er  nistet  in  Erlen  und  Schwarzpappeln  zwischen 
Habichten  und  Komoranen  (0.  5,  66). 

Lenz^)  hält  ihn  für   die  kleine  Zwergohreule,  Ephi- 

1)  1.  c.  p.  269. 


Die   homerische  Thierwelt.  185 

altes  scops.  Hiergegen  spricht  jedoch  l3ei  der  bekannten 
Feindschaft  zwischen  Tag-  und  Nachtraubvögeln  ^)  das 
Nisten  zwischen  Habichten  und  Komoranen. 

Die  /«AxiV  oder  xvfxivöig. 

Der  Schlafgott  verbirgt  sich  in  den  Zweigen  einer 
Fichte  auf  dem  Ida  und  sass  dort  „dem  hellrufenden  Vogel 
vei*gleichbar,  der  in  den  Bergen  lebt  und  von  den  Göttern 
Chalkis,  von  den  Menschen  aber  Kymindis  genannt  wird" 
(II.  U,  290).     Voss 2)  übersetzt  unrichtig: 

^Gleich  dem  tönenden  Vogel,  der  Nachts 'die  Gebirge 
durchflattert"  etc. 

Von  nächtlicher  Lebensart  steht  bei  Homer   jedoch 

nichts. 

Nach  Aristoteles^)  hat  unser  Vogel  die  Grösse  des 

Habichts.  Plinius^)  sagt  über  ihn:  „Es  gibt  einen 
nächtlichen  Falken,  welcher  Cybindis^)  heisst,  in  Wäldern 
selten  ist  und  am  Tage  nicht  gut  sieht.  Er  kämpft  auf 
Tod  und  Leben  mit  dem  Adler  und  man  kann  sie  oft 
greifen,  wenn  sie  sich  gepackt  haben  und  zusammen  her- 
abfallen." Lenz^)  fügt  hinzu:  „Die  Cybindis  könnte  die 
Ural-Eule,  Strix  uralensis  sein,  welche  einem  Habicht  ähn- 
lich sieht,  zu  den  grössten  Eulen  gehört,  ziemlich  rasch  und 
mit  Geräusch,  und  in  Wäldern  selbst  den  ganzen  Tag  über 
fliegt.  Des  berühmten  Ornithologen  Johann  Friedrich 
Naumann  Bruder  sah  sie  auf  einen  Busaar  und  dann  auf 
einen  Fischreiher  stossen  und  beide  heftig  verfolgen. 

1)  Das  Alterthum  kannte  diese  Feindschaft  wohl  und  benutzte 
sie.  wie  wir,  zur  Vogeljagd.  Aristoteles,  hist.  anim.  IX  c.  2.  §  3 
berichtet  darüber:  „Während  des  Tages  wird  die  Eule  von  den  an- 
dern Vögeln  umflattert,  was  man  „Anstaunen"  nennt;  auch  fliegen 
sie  heran  und  rupfen  dieselbe.  Deshalb  jagen  die  Vogeljäger  mit 
ihr  Vögel  von  allerlei  Art." 

2)  Wohl  veranlasst  durch  schol.  V.  zur  Stelle. 

3)  hist.  anim.  IX.  12.  Aubert  u.  Wim m er,  1.  c.  p.  100  ver- 
muthen  in  ihm  den  Auerhahn,  tetrao  urogallus. 

4)  hist.  nat.  10,"  8,  10;  bei  Lenz,  1.  c.   p.  285. 

5)  Cybindis,  xvfjiv^ig;  der  Wechsel  von  b  und  /u  ist  nichts  Un- 
gewöhnliches. Uebrigens  steht  in  den  mir  zugänglichen  Ausgaben  bei* 
P 1  i  n  i  u  s  cy  mindis ;  ebenso  bei  Forcellini  ohne  Angabe  einerVariante. 

6)  1.  c.  p.  285,  Anm.  849. 


186  Otto  Koerner: 


Wasservögel. 

Der  Kranich, 
grus  cinerea,  yigavog. 

Ueber  ihn  wird  in  folgenden  Gleichnissen  berichtet: 
„Aber  nachdem  sich  ein  jegliches  Volk  mit  den  Führern 
geordnet  hatte,  zogen  die  Troer  mit  Lärm  und  Geschrei 
heran  wie  die  Vögel:  so  wie  von  den  Kranichen  hoch  in 
der  Luft*)  Geschrei  hertönt,  wenn  sie  den  Winter  und  den 
unaufhörlichen  Regen  fliehend  nach  dem  Okeanosstrom^) 
schreiend  enteilen,  dem  Pygmäengeschlechte  Tod  und  Ver- 
derben bringend^),  und  im  Morgengrauen  schlimmen  Streit 
beginnen"  IL  3,  1. 

Solche  Vogelzüge  pflegen  an  Flüssen  zu  rasten.  Hektor 
dringt  auf  das  Schiff'lager  der  Achäer  ein  „wie  ein  Adler 
sich  auf  die  Schaaren  weitgeflügelter  Vögel  stürzt,  die 
längs  des  Stromes  weiden:  Kraniche,  Gänse  oder  lang- 
halsige  Schwäne",  IL  15,  690. 

Es  wird  auch  ein  Fluss  namhaft  gemacht,  an  des- 
sen Ufern  derartiges  regelmässig  geschieht:  „Wie  viele 
Schwärme  fliegender  Vögel  —  Kraniche,  Gänse  oder  lang- 
halsige  Schwäne  —  auf  der  Wiese  des  Asias  an  beiden 
Ufern  des  Kaystrios  mit  stolzem  Fluge  hin  und  her  fliegen 
und  sich  lärmend  vor  einander  niederlassen^)  so  dass  die 
ganze  Wiese  erdröhnt:  so  stürzten  dort  die  Schaaren  von  den 
Schiffen  und  Zelten  auf  die  skamandrische  Flur"  IL  2,  459. 

Wir  haben  in  diesen  Versen  wohl  die  ersten  Notizen 
über  den  Vogelzug,  die  um  so  werth voller  sind,  als  sie 
auch  einen  Punkt  einer  damaligen  Zugstrasse  (Kaystrios) 


1)  OVQaVO&l    7iq6. 

2)  Der  Okeanos  iimfliesst  nach  der  Vorstellung  der  Alten  die 
ganze  Erde. 

3)  Nach  einer  dem  Alterthume  geläufigen  Sage  leben  die 
zwerghaften  Pygmäen  in  Streit  mit  den  Kranichen.  Vgl,  Lenz, 
1.  c.  p.   14.  368  (Aristoteles),   370  (Plinius). 

4)  Wenn  ein  Vogelschwarm  sich  niederlassen  will,  senkt  er 
sich  allmählich,  meist  Kreise  beschreibend.  Das  Niederlassen  ge- 
schieht dann  nicht  mit  einem  Male  {nQoxadiCövtoyv,  von  Zeit  und 
Ort  zu  verstehen). 


Die  homerische  Thierwelt.  187 

angeben.  Da  uns  nun  erst  in  den  letzten  Jahren  durch 
die  gleichzeitig  und  unabhängig  von  einander  erschienenen 
Arbeiten  von  NolP)  und  Palmen^)  Klarheit  über  die 
Entstehung  des  Vogelzugs  und  über  die  Zugstrassen  der 
Vögel  geworden  ist,  so  scheint  es  uns  wichtig,  die  Ge- 
schichte des  Kranichzugs  genauer  zu  verfolgen. 

Von  der  unbestreitbaren  Thatsache  ausgehend,  dass 
zur  sog.  Eiszeit  keiner  unserer  Zugvögel  die  nördlich  von 
den  Alpen  gelegenen  Länder  bewohnen  konnte,  zeigt  N oll, 
wie  mit  dem  Schmelzen  der  unwirthlichen  Gletscher  eine 
allmähliche  Ausbreitung  der  Vögel  nach  Norden  stattfand 
und  wie  dann  der  nordische  Winter  die  Einwanderer  zwang, 
Zugvögel  zu  werden.  In  ihrer  langsamen  Ausbreitung 
nach  Norden  folgten  die  Vögel  den  Flussläufen  und  Pal- 
men hat  nachgewiesen,  dass  die  Zugstrassen  noch  gegen- 
wärtig immer  längs  derselben  Flussthäler  hinziehen  und 
die  Gebirge  an  ganz  bestimmten  Stellen  überflogen  werden. 
Ausserdem  ist  von  Noll  gezeigt  worden,  dass  sich  noch 
gegenwärtig  und  zwar  in  sehr  bemerkbarer  Weise  das  Ver- 
breitungsgebiet mancher  Zugvögel  (z.  B.  friugilla  serinus, 
otis  tarda  etc.)  nach  Norden  erweitert.  Am  schnellsten 
musste  sich  natürlich  der  Zug  bei  den  guten  Fliegern  ent- 
wickeln und  in  der  That  haben  wir  bei  Homer  von  einem 
solchen,  dem  Kranich,  die  ersten  zuverlässigen  Notizen 
über  den  Vogelzug. 

Im  Folgenden  wird  gezeigt  werden,  dass  der  Kranich 
in  den  ältesten  Zeiten  dieselben  Zügstrassen  benutzte,  wie 
noch  in  der  Gegenwart. 

In  den  Schriftwerken  der  alten  Griechen  und  Römer 
fanden  wir  über  den  Zug  des  Kranichs  ausser  vielen 
anderen  Bemerkungen  folgende,  in  welchen  auch  Ortsan- 
gaben enthalten  sind: 

Homer,  IL  2,  459;  S.  o. 

Aristophanes,  Chor  der  Vögel  (Friedreich,  1.  c. 
p.  115):  „Wir  verkünden  die  Zeit  des  Frühlings,  Sommers 
und  Winters;    die    des    Säens    und    die    der    aufhörenden 

1)  Dr.  F.  C.  Noll,  Die  Erscheinungen  des  sogenannten  In- 
stinkts, Frankfurt  a.  M.  bei  Johannes  Alt,  1876,  p.  42  flf. 

2)  J.  A.  Palmen,  Die  Zugstrassen  der  Yögel. 


188  Otto   Koerner: 

Schifffahrt,    wenn    der    schreiende    Kranich    nach   Libyen 
entweicht." 

Aristoteles,  hist.  anim.  8,  14  (bei  Lenz  1.  ,c.  p. 
368):  „Die  Kraniche  ziehen  im  Winter  aus  den  nördlichen 
Erdstrichen  nach  den  Stinapfen  oberhalb  Aegyptens,  aus 
denen  der  Nil  entspringt." 

Plinius,  hist.  nat.  10,  23,  30  (Lenz  p.  370):  „Die 
Strecke,  welche  die  Kraniche  durchziehen,  ist  unermess- 
lich;  man  bedenke,  dass  sie  vom  morgenländischen  Meere 
(s.  u.)  kommen.  —  Es  ist  ganz  gewiss,  dass  die  Kraniche, 
welche  über  das  schwarze  Meer  fliegen  wollen,  sich  zuerst 
an  die  Meerenge  *)  zwischen  den  Vorgebirgen  Kriumetopon 
und  Karambis  begeben." 

Oppian,  de  aucupio  2,  17  (Lenz  1.  c.  p.  371).  Aus 
dieser  Stelle  geht  hervor,  dass  die  durch  Thracien  ziehen- 
den Kraniche  den  Flussläufen  folgen. 

Aelian  2,  1  (Lenz,  1.  c.  p.  372).  Die  Kraniche 
ziehen  von  Thracien  „ohne  zu  rasten,  geradeaus  über  das 
Meer  nach  Aegypten." 

3,  13.  ,,Die  Spitze  des  Zugs  wird  aus  alten  Kranichen 
gebildet,  welche  den  Weg  schon  kennen 2)". 

Lenz  (1.  c.)  sagt: 

„Die  Bemerkung  des  Plinius,  dass  die  Kraniche 
vom  morgenländischen  Meere  kommen,  ist  sehr  richtig,  so- 
bald wir  uns  unter  diesem  das  den  Norden  und  Nordosten 
Asiens  begrenzende  Meer  denken  3).  Es  bewohnt  nämlich 
dieser  Vogel  im  Sommer  ausser  dem  nördlichen  Europa, 
das  ganze  nördliche  Asien.  Nun  besteht  aber  in  der  Natur 
für  Nord-  und  Mittelasien  die  weise  Einrichtung,  dass  die 
Zugvögel  im  Herbste  nicht  geradeaus  nach  Süden  wandern ; 
geschähe  dies,  so  würden  sich  die  asiatischen  Vögel  in 
Südasien,  das  ohnedem  schon  sehr  reich  bevölkert  ist,  ganz 
unmässig  anhäufen,  während  Afrika  nur  die  wenigen  euro- 
päischen bekäme.      Demnach   geht   die  ganze  ungeheuere 


1)  Lenz  übersetzt  ungenau   „Engpass". 

2)  lieber  die  Richtigkeit  dieser  Bemerkung  cf.  Noll,  1.  c.  p.  60. 

3)  Dieses  Meer  kann  Plinius  bei  der  bekannten  Vorstellung 
der  Alten  von  dem  die  Länder  umfliessenden  Okeanos  wohl  geraeint 
haben,  ohne  es  zu  kennen.     K. 


Dio  homerische  Thierwelt.  189 

Hauptmasse  der  nord-  und  mittelasiatiscben  Zugvögel  für 
den  Winter  in  die  unermcssiicben  lläume  Afrikas,  wodurch 
also  ein  Zug  entsteht,  der  vorzugsweise  von  Ost  nach  West 
und  im  Frühjahr  wieder  zurück  von  West  nach  Ost  ge- 
richtet ist"^). 

Sind  die  Vögel  auf  diesem  Wege  bis  an  das  schwarze 
Meer  gelangt,  so  überfliegt  die  grössere  Menge  dasselbe 
von  der  Südspitze  der  Krim  aus.  Dort  liegt  das,  von 
Plinius  erwähnte  Vorgebirge  Kriumetopon.  Das  schwarze 
Meer  wird  also  noch  jetzt  von  derselben  Stelle  aus  über- 
flogen wie  vor  fast  2000  Jahren.  Weiter  geht  dann  der  Zug 
an  der  Westküste  Kleinasiens  herab  (Homer,  Kaystrios)  und 
dann  —  Alles  wie  noch  heutzutage  —  immer  in  möglich- 
ster Nähe  des  Landes  nach  dem  Nildelta  (Aristoteles). 
Die  kleinere  Menge  der  Vögel,  welche  das  schwarze  Meer 
umgeht,  kommt  durch  Thracien  (Oppian,  Aelian)  über 
Griechenland  (Aristophanes)  und  die  Inseln  des  ägäi- 
schen  Meers  ebenfalls  nach  dem  Nildelta. 

Wir  können  demnach  bei  den  Zugstrassen,  welchen 
der  Kranich  folgt,  keine  Veränderung  in  dem  Zeiträume 
von  beinahe  3000  Jahren  nachweisen. 

Bei  dem  Suchen  nach  Berichten  aus  dem  Alterthum 
über  den  Vogelzug  fanden  wir  die  merkwürdige  Thatsache, 
dass  über  den  Zug  der  Kraniche  eine  Menge  Notizen  vor- 
liegen ^j,  während  über  den  Zug  anderer  Vögel  fast  nichts 
berichtet  wird^).  Das  könnte  man  leicht  als  Beweis  dafür 
halten,  dass  im  Alterthum  der  Vogelzug  noch  gar  nicht  in  der 
Weise  und  Ausdehnung  organisirt  gewesen  sei,  wie  heutzu- 


1)  Die  Richtigkeit  dieser  von  Lenz  angegebenen  Thatsachen 
zeigt  ein  Blick  auf  die  Karte  bei  Palmen,  1.  c.  Die  Erklärung  der- 
selben leidet  jedoch  unter  seiner  teleologischen  Auffassung,  cf.  Null, I.e.. 

2)  Wir  haben  nur  diejenigen  angeführt,  in  welchen  eine  Orts- 
angabe vorkam.     Viele  andere  findet  man  noch  bei  Lenz,  1.  c. 

3)  Am  auffallendsten  ist  das  bei  der  Schwalbe  und  der  Nachti- 
gall. Wie  es  scheint  glaubte  man  von  beiden  meist,  sie  versteckten 
sich  während  des  Winters  in  Felsklüften.  S.Lenz  1.  c.  p.  296 — 302, 
doch  vgl.  auchAnacreon  33,  l.  Einiges  Richtige  findet  man  noch 
bei  Plinius  über  den  Zug  resp.  Strich  der  Drosseln  (S.  u.  beim 
Krammetsvogel). 


190  Otto   Koerner: 

tage.  Hiergegen  ist  jedocli  zu  bemerken,  dass  der  Kranich 
den  Alten  überhaupt  nur  auf  der  Durchreise  zu  Gesicht 
kam  und  dass  also  in  der  Vorstellung  die  Begriffe  vom 
Kranich  und  seinem  Wanderleben  leicht  mit  einander  ver- 
bunden und  deshalb  auch  fast  immer  zusammen  erwähnt 
wurden.  Auch  müssen  wir  in  Betracht  ziehen,  dass  viele 
unserer  Zugvögel  schon  in  Südeuropa  Standvögel  sind. 

Der  Schwan. 

i(.vY.vog.    Beiwort :  öovhyodeLQog  mit  langem  Halse. 

Er  wird  nur  zusammen  mit  Gänsen  und  Kranichen 
erwähnt,  s.  deshalb  die  Stellen  oben  unter  „Kranich". 

Der  Singschwan,  Cycnus  musicus,  ist  nach  Buchholz, 
1.  c.  p.  IIG  gegenwärtig  in  den  betreffenden  Gegenden 
häufig.  Nordische  Schaaren  mögen  sich  im  Winter  ausser- 
dem noch  daselbst  anhäufen. 

Die   Gans. 

XrjV.  Homer  unterscheidet  nicht  ausdrücklich  die  wilde 
Gans  von  der  domesticirten.  Die  wilde  Gans,  Anser 
cinereus,  wird  nur  mit  Schwänen  und  Kranichen  zusammen 
erwähnt  (s.  o.).  Im  Winter  häuft  sie  sich  oft  in  grossen 
Mengen  in  Griechenland  und  Kleinasien  an. 

Die  zahme  Gans,  Anser  domesticus,  ist  das  einzige 
geflügelte  Hausthier  der  homerischen  Welt.  Sie  hat  im 
Zustande  der  Domestication  schon  damals  die  Farbe  ihrer 
Stammmutter  verloren,  wie  0.  15,  161  zeigt,  wo  sie  agyr]^ 
weiss,  genannt  wird: 

„Als  Telemach  dieses  gesagt  hatte,  da  flog  von  rechts 
her  ein  Vogel:  ein  Adler,  eine  mächtige,  zahme  weisse 
Gans  in  den  Fängen  tragend,  die  er  aus  dem  Hofe  geraubt 
hatte,  und  aufschreiend  ^)  folgten  ihm  Männer  und  Weiber." 

Penelope  erzählt  0.  19,  536  folgenden  Traum: 

Ich  habe  in  meinem  Hause  zwanzig  Gänse,  die  den 
Weizen  aus  dem  Wasser  fressen,  und  freue  mich  an  ihrem 
Anblick.  Da  kam  aus  den  Bergen  ein  gewaltiger  Adler 
mit  krummem  Schnabel  und  tödtete  sie,  indem  er  ihnen 


1)  Sie  schrieen  offenbar,  damit  er  die  Gans  fallen  lassen  sollte. 


Die  homerische  Thierwelt.  191 

die  Hälse  brach  ^);  nun  lagen  sie  durcheinander  im  Palaste, 
er  aber  erhob  sich  in  die  heilige  Luft;  ich  jedoch  weinte 
und  schluchzte  laut  im  Traume'^  Dann  1.  c.  v.  551 :  „Mich 
aber  verliess  der  süsse  Schlummer  und  als  ich  nach  den 
Gänsen  forschte,  erblickte  ich  sie  alle  in  der  Wohnung, 
wie  sie  am  Troge  ihren  Weizen  frassen,  so  wie  auch  früher". 
Auch  der  aiyvTiiog  vergreift  sich  manchmal  an 
Gänsen.    IL  17,  460. 

Der  Reiher. 

igi^üöiog.    Er  kommt  nur  IL  10,  274  vor: 
„Pallas  Athene  sandte  ihnen  einen  Reiher  von  rechts 
her,  nahe  an    dem  Wege:    sie    sahen    ihn    nicht   mit    den 
Augen    durch    die   finstere    Nacht,    vernahmen   aber   seine 
Stimme." 

Nach  Buchholz^)  ist  der  sgcodiog  sicher  der  Nacht- 
reiher, Ardea  nycticorax.  „Dieser  Vogel  lebt  nämlich  im 
Osten  und  Süden  Europas,  wie  auch  im  mittleren  Asien; 
er  wohnt  in  Sümpfen  und  Morästen  im  Röhricht,  welches 
bekanntlich  am  Skamandros,  wie  auch  am  Simoeis  in 
Menge  wuchs;  selten  lässt  er  sich  blicken,  führt  ein 
nächtliches  Dasein  und  gibt  oft  nur  durch  lautes  Krächzen 
seine  Nähe  zu  erkennen." 

Der  Komoran. 

ytoQcovT],  Phalacrocorax  carbo.  Beiwörter:  cavvyXcoo- 
oog  mit  schmaler  Zunge  und  elvaltog  am  Meere  wohnend. 

Sie  nisten  in  Erlen  und  Schwarzpappeln  0.  5,  66. 

Die  Gefährten  des  Odysseus  stürzen  bei  einem  Schiff- 
bruche in  das  Meer  und  da  werden  sie  rings  um  das 
schwarze  Schiff  herum  von  den  Wogen  auf  und  nieder 
gehoben  wie  Komorane. 

Auch  Netolika  und  Buchholz^)  erkennen  in  der 
xoQCüvrj  den  Komoran.    Er  kommt  gegenwärtig  am  ganzen 

1)  Für  die  Gaukelspiele  des  Traumgottes  kann  der  Dichter 
nicht  verantwortlich  gemacht  werden.  Der  Adler  muss  alle  Gänse 
morden,  weil  das  Traumbild  später  in  dem  Erscheinen  des  Odysseus 
und  dem  Freiermord  verwirklicht  werden  soll. 

2)  1.  c.  p.  118. 

3)  1.  c.  p.  111. 


192  Otto  Koerner: 

Mittelmeer  vor  und  sammelt  sich  dort  besonders  im  Winter 
in  grosser  Menge  an. 

Die  ald-vit}. 

Wir  übersetzen  dieses  Wort  mit  ,, Taucher",  ohne  je- 
doch Gattung  und  Species  bestimmen  zu  können. 

Leukothea  ,, erhob  sich  in  der  Gestalt  eines  Tauchers 
fliegend  aus  dem  Meere"  und  setzte  sich  auf  das  Floss 
des  Odysseus.  0.  5,  337 ').  Später  (1.  c.  v.  352)  „tauchte 
sie  wieder  in  das  wogende  Meer  in  Gestalt  eines  Tauchers 
und    die    dunkele  Woge  verbarg  sie.'' 

Die  xTj^ 

ist  nach  Netolicka  und  Ameis^)  „der  Lappentaucher, 
Colymbus  cristatus,  der  seinen  Namen  vom  Tone  seiner 
Stimme  hat  und  senkrecht  und  pfeilschnell  auf's  Meer 
herabschiesst". 

Beiwort:     slvahog  meerbewohnend. 

Eine  auf  dem  Schiffe  plötzlich  sterbende  Sklavin  fiel 
und  platschte^)  in  das  Kielwasser  hinein  wie  der  meerbe- 
wohnende Lappentaucher.     0.  15,  479. 

Die   Möve. 

lagog.  Von  Hermes  heisst  es:  ,,Dann  schwang  er  sich 
über  die  Wogen  dahin,  einer  Möve  vergleichbar,  die  in 
den  gewaltigen  Busen  des  öden  Meeres  den  Fischen  nach- 
stellend ihr  dichtes  Gefieder  in  die  Salzfluth  taucht^'.  0.  5,  5L 

Auch  gegenwärtig  sind  Möven  an  den  griechischen 
und  kleinasiatischen  Küsten  häufig. 

[Der  aQvevTi^Q 

ist  vielleicht  ursprünglich  ein  tauchender  Vogel.  Ein 
Steuermann,    den  der    gebrochene  Mast    erschlug,    „stürzte 


1)  Hier  ist  höchst  wahrscheinlich  von  einer  wirklichen  Ver- 
wandlung die  Rede.  —  yii^vr]  ist  bei  Homer  nie  der  Sumpf,  sondern 
meist  eine  Meeresbucht  oder  das  Uferwasser. 

2)  zu  0.  15,  479. 

3)  Man  verzeihe  den  djerben  Ausdruck;  einen  dem  grichischen 
böHser  entsprechenden  gibt  es  nicht. 


t)ie  homerische  Thierwelt.  193 

vom  Verdeck  herab  wie  ein  aqvavcijQ''  0.  12,  413.  Später 
verstand  man  jedenfalls  darunter  einen  Mann,  der  sich  aufs 
Tauchen  versteht.  Dass  schon  Homer  solche  Leute  kannte, 
geht  aus  IL  16,  742  (vgl.  unter  „Auster")  hervor;  vielleicht 
meint  er  auch  in  der  ersterwähnten  Stelle  (0.  12,  413) 
einen  solchen.] 


Kleinere  Vögel. 

Der  Staar. 

Sturnus  vulgaris,  ipäq  oder  xliriQ  und 

Die  Dohle 

■KoXoLoq^).     Schaaren    dieser  Vögel   werden   vom   Habicht 
verfolgt : 

„Wie  die  Staare  und  die  Dohlen  in  Wolken  hinziehen 
und  durcheinander  lärmen,  wenn  sie  den  Habicht  heran- 
streichen sehen,  der  die  kleinen  Vögel  mordet,  so  flohen 
vor  Aeneas  und  Hektor  die  jugendlichen  Achäer  durch- 
einander lärmend  und  vergassen  der  Kampflust*.  IL  17, 
755.    Aehnlich  IL*  16,  582. 

Die  Nachtigall. 

Silvia  luscinia,  aridcöv.  Das  Beiwort  ylcoQr]ig  kann, 
wie  Buchholz 2)  überzeugend  darthut,  nur  eine  Farben- 
bezeichnung sein  und  nicht  „die  unter  grünem  Laub- 
dache wohnende"  bedeuten.  Wenn  aber  der  erwähnte 
Autor  meint,  /Aw^j^tg  d7]öcov  könne  unsere  Nachtigall, 
Silvia  luscinia,  nicht  sein,  weil  diese  nicht  yltoQrjig^  gelb- 
grün, sei,  und  wenn  er  es  wahrscheinlich  machen  will, 
dass  Homer  die  sogenannte  Bastardnachtigall,  Hypo- 
lais  vulgaris  oder  h.  polyglotta,  gemeint  habe,  so   irrt  er 


1)  Groshans  versteht  unter  y.oXoiog  den  corvus  monedula.  Es 
kann  gerade  so  gut  irgend  eine  andere  Dohlen-  oder  Krähenart 
gemeint  sein. 

2)  1.  c.  p.  12B. 

Archiv  f.  Natnrg.  XXXXVI.  Jahrg.  1.  Bd.  13 


194  Otto   Koerner: 

sicherlich.  Das  Wort  yXcoQr]lg,  auf  das  allein  sich  diese 
Hypothese  stützt,  heisst  bei  Homer  nicht  gelbgrün.  Laza- 
rus Geiger  1)  sagt:  ^yXwgog  bedeutet  in  den  homerischen 
Gedichten  fast  tiberall  ganz  bestimmt  gelb^)".  Er  denkt 
dabei  an  den  „gelben  Honig",  f.iih  ylixiqov  (H.  11,  631; 
0.  10,  234).  Die  einzige  Stelle  bei  Homer,  in  welcher 
%kcoQog  auf  die  Farbe  von  Laub  bezogen  und  mit  „grün" 
übersetzt  werden  könnte,  findet  sich  0.  16,  47.  Eumäus 
bereitet  dem  Odysseus  ein  Lager  aus  einer  Schichte  von 
Reisern  (yhagal  gcoTreg),  die  er  mit  Fellen  bedeckt.  Die 
meisten  Erklärer  übersetzen  aber  hier  xlojgog  mit  „frisch", 
ohne  Bezug  auf  die  Farbe,  d.  h.  biegsam,  schwank.  Die 
Erklärung  der  yXcogal  qcojieg  als  gelbgrüne  Schösslinge  ist 
schon  deshalb  unzulässig,  weil  solche  weder  ein  brauch- 
bares Lager  abgeben,  noch  auch  in  die  herbstliche  Odyssee- 
landschaft passten.  Nun  ist  noch  zu  berücksichtigen,  dass 
yliOQrjig  eine  viel  weiter  gehende  Bedeutung  haben  kann, 
als  xlcoQog  — und  da  es  nur  einmal  bei  Homer  vorkommt, 
so  müssen  wir  es  nach  der  uns  bekannten  Farbe  des  da- 
mit bezeichneten  Gegenstandes  übersetzen.  Dass  dieser 
aber  unsere  Nachtigall,  sylvia  luscinia,  und  kein  anderer 
Vogel  ist,  geht  aus  der  treffenden  Charakteristik  ihres 
Schlages  (0.  19,  518,  s.  u.)  und  aus  der  Tradition^)  mit 
Sicherheit  hervor.  Demgemäss  übersetzt  Voss;  „die  Nach- 
tigall, falben  Gefieders",  und,  wenn  wir  nicht  sehr 
irren,  W.  Jordan,  „die  bräunliche  Nachtigall."  — 

Penelope  klagt  0.  19,  518:  „Wie  wenn  Pandaros 
Tochter,  die  bräunliche  Nachtigall,  schön  singt  beim  Wie- 
derbeginn des  Frühlings,  im  dichten  Laub  der  Bäume 
sitzend,  und  oft  wechselnd  die  tonreiche  Stimme  ergiesst, 
indem  sie  ihr  Kind  beklagt,  den  Itylos,  den  sie  einst  aus 
Unverstand  mit  dem  Erze  erschlug,  den  Sohn  des  Königes 
Zethos  —  so  ist  auch  mir  das  Herz  zwiefach  bewegt,  da- 
hin und  dorthin,  ob  ich  bei  meinem  Sohne  bleibe 


1)  L.   Geiger,    Zur  Entwickelungsgeschichte   der  Menschheit, 
Stuttgart,  1871,  p.  54. 

2)  Ausführlicher  behandelt  Geiger  dieselbe  Frage  in  Ursprung 
u.  Entwickelung  der  menschlichen  Sprache  u.  Vernunft,    II.  p.  388. 

3)  Die  Tradition  allein  könnte  nichts  beweisen. 


Die  homerische  Thierwelt.  195 

oder  einem  der  Achäer  folge  ^)'^.  —  Der  Nachtigallenschlag 

besteht    bekanntlich     aus    der    Aneinanderreihung    vieler 

Strophen.  Der  rasche  und  unaufhörliche  Wechsel  derselben 

soll    die  Aufregung  und   Unentschlossenheit  der  Peuelope 

versinnlichen. 

Der  Sperling. 

Passer  domesticus,  aiQovd-og. 

Den  an  der  Eroberung  Ilions  verzweifelnden  Achäern 
erscheint  IL  2,  308:  „ein  gewaltiges  Wunderzeichen^  eine 
grässliche,  über  den  Rücken  hin  gelbbraune  2)  Schlange, 
die  der  Olympier  selber  an's  Tageslicht  schickte,  schoss 
unter  dem  Altar  hervor  und  erkletterte  einen  Ahornbaum. 
Dort  sassen  di^  Kinder  eines  Sperlings,  unerfahrene 
Junge,  ganz  oben  in  den  Zweigen  unter  den  Blättern  ver- 
steckt, acht,  aber  die  neunte  war  die  Mutter,  von  der  sie 
stammten^).  Die  frass  dort  die  Schlange,  die  bejammerns- 
werth  flatternden'^)  und  die  Alte  umflog  wehklagend  ihre 
Jungen,  aber  die  Schlange  fasste  die  Aufschreiende  am 
Flügel,  nachdem  sie  sich  zusammengeringelt  hatte  ^)"  — 
Nachdem  sie  nun  so  die  Alte  mit  den  Jungen  verzehrt 
hatte,  wurde  sie  von  Zeus  in  einen  Stein  verwandelt.  Viel- 
leicht ist  die  Erfindung  dieses  Wunderzeichens  von  der 
bekannten  Thatsache  beeinflusst,  dass  die  Schlangen,  wenn 


1)  Ueber  die  dem  Gleichnisse  zu  Grunde  liegende  Sage  be- 
richten die  Scholien:  Pandaros  Tochter  Philomele  war  auf  den  Kin- 
dersegen ihrer  Schwägerin  Niobe  eifersüchtig  und  wollte  deshalb  den 
ältesten  Sohn  derselben  zur  Nachtzeit  ermorden,  traf  aber  unwissend 
ihr  eigenes  Kind. 

2)  Inl  VMTcc  6a(fotv6g.  Als  daipoivög  werden  auch  Löwe  und 
Schakal  bezeichnet. 

3)  ri  T^y.e  xixva.     Wir  können  so  nicht  sagen.  ^ 

4)  TSiQiyüjKtg.  Tqi^oj  heisst  hier  ebensowenig  „zwitschern"  wie 
0.  24,  5  (s.  unter  Fledermaus).  Wenn  die  Schlange  den  Vogel  an 
einem  Flügel  (wie  es  der  Dichter  1.  c.  v,  316  beschreibt)  oder  am 
Bein  oder  sonst  wo  gefasst  hat;  so  sucht  er  durch  Flattern  sich  zu 
befreien. 

5)  UeXi-^ttiuevog.  Ehe  die  Schlange  auf  ihr  Opfer  losfährt, 
ringelt  sie  sich  zusammen  oder,  wo  dies  nicht  möglich,  dreht  sie 
doch  wenigstens  Kopf  und  Hals  möglichst  weit  zurück. 


196  Otto  ^oerner: 

sie  den  Magen  sich  gefüllt  haben,  regungslos  daliegen. 
Sonst  sind  alle  Einzelheiten  der  Erzählung  richtig.  Uner- 
fahrene Thiere  fliehen  die  Schlange  nicht,  sondern  laufen 
ihnen  sozusagen  direkt  in  den  Rachen,  wie  es  sich  z.  B. 
im  Berliner  Aquarium  bei  der  Fütterung  der  Puffotter  mit 
lebenden  Kaninchen  zeigte. 

Dass  der  GTQov^ög  unser  Sperling  ist,  dürfen  wir 
wohl  annehmen,  obwohl  aussei*  der  Ueberlieferung  kein 
zwingender  Grund  dafür  vorliegt.  Die  Zahl  der  Jungen 
ist  etwas  gross  angegeben  (acht),  doch  mag  ein  solcher 
Kindersegen  hin  und  wieder  einmal  vorkommen. 

Voss'  Uebersetzung  des  v.  311: 

„Allda  ruhten  im  Neste  des  Sperlings  nackende 
Kindlein"  ist  durchaus  verfehlt.  Es  steht  bei  Homer 
nichts  von  einem  Neste,  sondern  die  eben  erst  ausgeflogenen 
Jungen  sitzen  auf  dem  Baum.  Der  Sperling  baut  auch 
bekanntlich  lieber  in  Mauerlöcher  etc.  als  auf  Bäume. 

lieber  die  Schlange  s.  u. 

Die  Schwalbe. 

%thd(jL}v.  Athene  „schwang  sich  auf  und  setzte  sich 
gegenüber  auf  den  Durchzugbalken  des  rauchgeschwärzten 
Männersaals,  einer  Schwalbe  vergleichbar."  (0.  22,  239). 

Wir  haben  hier  offenbar  die  Rauchschwalbe,  Hirundo 
rustica,  vor  uns,  die  ja  bekanntlich  im  Innern  der  Häuser 
zu  nisten  pflegt.  Interessant  ist  dabei,  dass  das  enge  sich 
Anschliessen  an  menschliche  Wohnungen  bei  der  Rauch- 
schwalbe also  schon  vor  last  3000  Jahren  üblich  war. 

Der  schwirrende  Ton  der  schnellenden  Bogensehne  wird 
mit  dem  Zwitschern  der  Schwalbe  verglichen  (0.  21,  411-). 

Der  Kranimetsvogel.  ^) 

Turdus  pilaris,  ■/.iylr].  Beiwort:  TavvaiftTeQog  breit- 
flügelig. 

1)  Es  kann  auch  eine  andere  Drosselart  gemeint  sein.  Die 
Uebereiustimmuug  des  Fangs  der  xi/krj  mit  dem  des  Krammetsvogels 
auf  dem  Dohnensteig  gab  die  Veranlassung  zu  der  anschaulichen 
Uebersetzung  „Krarametsvogel''.  Die  xt;^/??  des  Aristoteles  ist 
die  Misteldrossel  Turdus  viscivorus.    (Aubert  u.  Wimmer  I.  p.  96). 


Die  homeriscbe  Thierwelt.  197 

Telemach  knüpft  die  untreuen  Mägde  an  einem  Seile 
neben  einander  auf:  ,,Wie  wenn  breitflügelige  Krammctsvögel 
oder  Tauben  in  die  Schlingen  hineinstürzen,  die  im  Gebüsche 
aufgestellt  sind,  wenn  sie  nach  ihrer  Ruhestätte  streben, 
doch  ein  trauriges  Lager  empfängt  sie;  so  hingen  die 
Mägde  der  Reihe  nach  mit  den  Köpfen  neben  einan- 
der, alle  die  Schlinge  um  den  Hals,  um  kläglich  zu  sterben; 
ein  wenig  zappelten  sie  noch  mit  den  Füssen,  aber  nicht 
lange"  0.  22,  468. 

Der  Drosselfang  auf  dem  Dohnensteig  ist  demnach 
uralt.  Auch  die  Römer  kannten  ihn  und  benutzten  ihn 
ausgiebig  zur  Besetzung  ihrer  Tafeln^).  Palladius,  der 
letzte  der  scriptores  rei  rusticae  (um  380  n.  Chr.)  berichtet 2): 
„Vom  December  bis  zum  März  stellt  man  im  Gebüsch 
Schlingen  für  Drosseln  und  andere  Vögel/'  Also  gerade 
in  der  Strich-  und  Zugzeit.  Interessant  ist  noch  folgende 
Nachricht  bei  Plinius^):  „Amseln,  Drosseln  und  Staare 
überwintern  in  der  Nachbarschaft,  jedoch  ohne  dabei  die 
Federn  zu  verlieren  und  sich  zu  verbergen.  Man  sieht  sie 
im  Winter  oft  nach  Nahrung  suchen  und  in  Germanien 
giebt  es  zu  dieser  Zeit  gerade  die  meisten  Drosseln."  Es 
sind  dies  die  aus  dem  Norden  in  grossen  Schaaren  zu  uns 
kommenden.  Der  Zug  der  Drosseln  hat  sich  demnach  eben- 
falls in  vorhistorischer  Zeit  entwickelt.  Vgl.  o.  über  den 
Zug  des  Kranichs. 

Die  Taube. 

Tcileia  imd  7r£?,eiag.  Das  Bei  wort  t^?;(>wj',  schüchtern, 
furchtsam,  wird  auch  als  Substantiv  gebraucht  (cf.  II.  2, 
502  u.  582). 

Die  Taube  wird  flach  0.  22,  468  in  Schlingen  ge- 
fangen wie  die  Krammetsvögel  (s.  d.). 

Hera  und  Athene  eilen  dahin  „im  Gange  schüchternen 
Tauben  gleichend"  (H.  5,  778). 

1)  Wir  wollen  noch  darauf  hinweisen,  dass  im  homerischen 
Zeitalter  nach  0.  12.  331,  auch  schon  der  Vogelfang  mittels  der 
Angel  bekannt  war,  wie  er  leider  jetzt  noch  in  Italien  von  den 
Strassenjungen  auf  Schwalben  betrieben  wird. 

2)  13,  6,  bei  Lenz,  1.  c.  p.  295. 

3)  bist  nat.  10,  24,  35,  bei  Lenz,  1.  c.  p.  295. 


198  Otto    Koerner: 

Der  schlimmste  Feind  der  Tauben  ist  der  Habicht 
(s.  d.).  Die  hierher  gehörigen  Stellen  II.  22,  139  u.  0.  15, 
525  haben  wir  schon  oben  beim  Habicht  angeführt.  IL  21, 
494  flieht  eine  Taube  vor  dem  Habicht  in  eine  Felsspalte. 

Als  besonders  reich  an  Tauben  werden  Thisbe,  eine 
nicht  weit  vom  Meere  gelegene  Stadt  am  Helikon^),  und 
Messe,  eine  Hafenstadt  bei  Tänaros^)  bezeichnet,  wahr- 
scheinlich weil  in  den  Felsenhöhlen  der  Küste  viele  Tauben 
nisteten.  Columba  livia,  die  Stammmutter  unserer  Haus- 
taube nistet  in  der  ganzen  Mittelmeergegend  häufig  in  den 
unzugänglichen  Strandklippen  ^).  Sie  ist  demnach  wohl 
die  homerische  Taube. 

Als  Hausthier  wird  die  Taube  bei  Homer  nicht 
erwähnt. 

Bei  den  Leichenspielen  des  Patroklos  wird  auch  ein 
Taubenschiessen  erwähnt  (IL  23,  850).  Die  Taube  war 
am  Fusse  gefesselt  und  an  einen  Mastbaum  gebunden.  Teu- 
kros  schiesst  zuerst  und  trifft  den  Bindfaden,  so  dass  die 
Taube  befreit  in  die  Höhe  fliegt.  Da  schiesst  Meriones 
und  trifft  sie  in  der  Mitte  unter  dem  Flügel*).  Der  Pfeil 
dringt  ganz  durch  und  fällt  dem  Schützen  wieder  vor  die 
Füsse.  Die  Taube  aber  erreicht  noch  den  Mastbaum,  lässt 
den  Kopf  hängen  und  fällt  flatternd  in  einiger  Entfernung^) 
nieder.  „Auffallend  ist  der  Ausdruck  mio  jiTeQvyog  ßäle 
liieGorjv,  wenn  man  nicht  annimmt,  Meriones  habe  den  Vogel 
von  der  Seite  getroffen.  Dagegen  aber  spricht  der  Um- 
stand, dass  der  Pfeil,  welcher  ganz  durch  die  Taube  hin- 
durchfuhr, dem  Meriones  vor  die  Füsse  fiel,  so  dass  dieser 
nur  senkrecht  geschossen  haben  konnte.  Wunderbar  ist 
es  auch,  dass  die  von  dem  Pfeil,  einem  Geschoss,  womit 
man  selbst  Männer  im  Kampfe  tödtete,  gänzlich  durch- 
bohrte Taube  sich  noch  auf  den  Mastbaum  niedersetzen 
konnte,  der  doch  vom  Kampfplatz  weit  entfernt  war  (853). 

1)  II.  2,  502. 

2)  II.  2,  582. 

3)  VgL  Noll,    das  Thal    von    Orotava,    Frankfurt  a.  M.    1872 
(Programm  der  höheren  Bürgerschule)  p.  7. 

4)  vno  7iT^(jvyog  ßaXe  /uäaarjv. 

5)  trjle  (F'  «tt'  avTOV. 


Die  hoTnerißche  Thierwelt.  199 

Ueberhaupt  aber  lässt  die  Schilderung  dieses  und  der 
beiden  vorhergehenden  Wettkämpfe  so  viel  an  Deutlichkeit 
zu  wünschen  übrig  und  sticht  so  sehr  von  der  sonstigen 
frischen  und  klaren  Ausdrucksw^eise  des  Dichters  ab,  dass 
die  Vermuthung  begründet  ist,  die  Verse  von  798—883 
seien  von  einem  späteren  Dichter  oder  Rhapsoden  einge- 
schoben ^)". 

Die  (fdaau 

des  Aristoteles  tibersetzt  Lenz 2)  mit  „Ringeltaube." 
Bei  Homer  kommt  sie  nur  in  dem  Beiworte  des  Habichts 
(paGoocpovog,  „taubenmordend"  vor. 


III.  Reptilien. 

Von  Reptilien  kommen  in  Ilias  und  Odyssee  nur 

Sclilangen 

vor.     Das  Genus  wird  mit  ocpig^)  bezeichnet;  Species  sind 

dQa'/.cov  und  vÖQog. 

Der  ^Qc'ix ojv 

wird  bezeichnet  als  caolog  beweglich,  ogioxegog  im  Ge- 
birge lebend.  Seine  Farbe  ist  sehr  unbestimmt  als:  zta- 
v£og  dunkel,  ^oti^»;£<^^  und  (^«^o«vog  gelbbraun^)  angegeben. 

Paris  flieht  beim  Anblick  des  Menelaus  wie  ein  Mann, 
der  in  der  Gebirgsschlucht  auf  eine  Schlange  stiess  (11.  3, 33). 

Hektor  erwartet  den  Achilles:  „so  wie  eine  gebirgs- 
bewohnende  Schlange  einen  Mann  in  der  Felskluft  er- 
wartet, nachdem  sie  Giftkräuter  ^)  gefressen  hat  und  hefti- 
gen Zorn  hegt :  grässlich  blickt  sie  um  die  Felskluft  umher, 
zusammengeringelt"   (IL  22,  93). 


1)  La  Roche  zu  II.  23,  875. 

2)  1.  c.  p.  341  u.  Anm.  1092  zu  Aristoteles,  bist.  nat.  5,  11. 

3)  Wenigstens  wird  die  vorher  genauer  als  6Qcc>c(tiV  bezeichnete 
Schlange  II.  12,  208  otfig  genannt. 

4)  Dass  Suifoivog  gelbbraun  heissen  muss,  geht  daraus  hervor, 
dass  auch  Löwe  und  Schakal  so  genannt  werden. 

5)  xaxa  (fanuayu)  der  Genuss  giftiger  Kräuter  vermehrt  nach 
der  Meinung  des  Dichters  das  Gift  der  ^Schlange.  Dass  Schlangen 
niemals  Pflanzen  fressen,  ist  bekannt. 


200  •  Otto    Koerner: 

Auf  Schild  und  Harnisch  des  Agamemnon  waren 
dunkele  (yivavsof)  Schlangen  aus  Stahl  angebracht,  die 
Regenbogen  glichen,  entweder  wegen  ihrer  Stellung,  so  wie 
zwei  Regenbogen  über  einander  stehen,  oder  wegen  ihres 
schillernden  Farbenspiels   (II.  11,  26). 

„Die  Troer  verweilten  noch  unschlüssig  am  Graben, 
denn  ein  Vogel  war  ihnen  erschienen,  als  sie  hinübergehen 
wollten,  ein  hochfliegender  Adler,  der  das  Heer  zur  Linken 
liegen  lassend  eine  gewaltige  lebende  und  noch  sich  win- 
dende gelbbraune  Schlange  in  den  Fängen  trug.  Und 
noch  nicht  vergass  sie  die  Streitlust,  denn  sie  stach  ^)  den 
haltenden  Adler  in  die  Brust  an  dem  Halse,  nachdem  sie 
sich  rückwärts  gebogen  hatte.  Da  warf  er  sie  weg  auf 
die  Erde,  von  Schmerz  gequält,  und  sie  fiel  mitten  in  die 
Versammlung,  während  er  mit  Geschrei  im  Hauche  des 
Windes  entflog.  Die  Troer  aber  schauderten,  als  sie  die 
bewegliche  Schlange  in  ihrer  Mitte  liegen  sahen"  II.  12, 
199.  Polydamas,  der  weiterhin  dieses  Wunderzeichen  aus- 
legt, fügt  noch  hinzu  (v.  221):  „aber  der  Adler  Hess  die 
Schlange  fallen,  bevor  er  auf  seinen  Horst  kam,  und  nicht 
brachte  er  es  fertig,  sie  seinen  Jungen  zu  geben." 

Eine  weitere  ausführlicher  über  den  doaxwv  berichtende 
Stelle  (II.  2j  308)  haben  wir  beim  Sperling  übersetzt  und 
erklärt. 

Der  v^Qog. 

Beiwort:'  6?.o6cpQcov,  Verderben  sinnend.  Er  wird 
nur  einmal  erwähnt:  Philoktetes  ist  „belästigt  von  dem 
schlimmen  Bisse  der  Verderben  sinnenden  Schlange."  (IL 
2,  723.) 

In  der  viel  später  als  Ilias  und  Odyssee  entstandenen 
Batrachomyomachie  ist  vÖQog  die  unschuldige  Ringelnatter 
Tropidonotus  natrix,  oder  die  ebenso  harmlose  Würfelnatter 
T.  tesselatus.  Dort  schwimmt  sie  (v.  80)  mit  über  das 
Wasser  erhobenem  Kopfe  durch  den  Sumpf,  ein  schreck- 
licher Anblick  für  die  Frösche.    Aelian^)   versteht  unter 


1)  xoifje.     Eigentlich:    sie   schlug.     Es    wird   hiermit  die   Art, 
wie  Giftschlangen  verwunden,  sehr  treffend  bezeichnet. 

2)  16,  8,  Lenz,  p.   472. 


Die  homerische  Thierwelt.  201 

vÖQog  die  giftige  breitscliwäDzige  Wasserschlaiige  des  indi- 
schen Oceans. 


IV.    Fische. 

„Fische  waren  den  homerischen  Menschen  nur  in 
der  Vorstellung  von  gefrässigen  Raubthieren  geläufig  (cJ^ury 
azal  Ix&üsg)]  als  Nahrungsmittel  waren  sie  ihnen  keine 
Delikatesse,  sondern  blos  Nothspeise  *),  die  in  den  Austern 2) 
ihren  Höhepunkt  hatte"  ^).  Oft  ist  es  erwähnt,  dass  Fische 
die  in  das  Wasser  gefallenen  Leichen  (von  Menschen  und 
Thieren)  verzehren  (II.  19,  268;  21,  203.  0.  15,  480; 
24,  291  etc.). 

Ein  beliebtes  Beiwort  des  Meeres  und  einiger  Flüsse 
ist  iyßioeig,  fischwimmelnd  (0.  3, 177 ;  4,  381;  II.  20,  392  etc.). 

Ausser  dem  Aal  und  dem  Delphin"^)  führt  der  Dichter 
keine  Species  an,  sondern  spricht  nur  von  den  Fischen  im 
Allgemeinen. 

Der  Fisch 

ix^vg  wird  bezeichnet  als  hg 6g  gewaltig  und  cof^irjOTrig 
gefrässig  (eigentlich  roh  verschlingend). 

Ein  vom  Faustschlag  getroffener  Kämpfer  springt 
erst  auf  und  stürzt  dann  nieder:  „wie  im  vom  Nordwind 
gekräuselten  Meere  ein  Fisch  am  algenbewachsenen  Strand 
in  die  Höhe  springt  und  die  dunkele  Woge  ihn  (gleich 
wieder)  bedeckt"  (IL  23,  692). 

Achilles  wirft  den  getödteten  Lykaon  in  den  Skaman- 
der  mit  den  Worten:  „da  liege  nun  bei  den  Fischen,  die 
dir  in  Ruhe  das  geronnene  Blut  von  der  Wunde  wegfressen^) 


1)  cf.  0.  4,  368;  12,  330. 

2)  s.  d. 

3)  Am  eis  zu  0.  4,  368. 

4)  Homer  rechnet  zwar  in  einer  Stelle  (II.  21,  22)  den  Del- 
phin zu  den  Fischen,  da  er  ihn  aber  auch  noch  0.  12,  96  mit  der 
Robbe  und  dem  Seehund  ausdrücklich  unter  der  Gruppe  xrirog  ver- 
einigt, so  haben  wir  ihn  auch  unter  dieser  Abtheilung  erwähnt.  Er 
gehört  ja  auch  als  Säugethier  nur  dorthin. 

5)  unoXi/jirjOovTui,  eigentlich:  sie  werden  ablecken.  Von  wirk- 
lichem Lecken    kann  aber   nicht  die  Rede  sein,  da  die  Zunge    der 


202  Otto   Koerner: 

werden;  und  nicht  wird  dich  deine  Mutter  beweinen,  nach- 
dem sie  dich  auf  ein  Lager  gebettet  hat,  sondern  der 
wogende  Skamander  wird  dich  hinaus  in  den  weiten  Busen 
des  Meeres  tragen.  Mancher  Fisch,  der  durch  die  Woge 
springt,  wird  unter  die  bewegte  Meeresfläche  hinabschies- 
sen*)  wenn  er  von  Lykaons  weissem  Fett  genossen  haben 
wird"  (IL  21,  122). 

Nach  Netolicka  (1.  c.)  ist  in  diesen  beiden  Stellen, 
besonders  in  der  ersteren,  der  sogenannte  fliegende  Fisch, 
Exocoetus  volitans,  gemeint.  Doch  ist  diese  Annahme  nicht 
nothwendig,  da  bei  bedecktem  Himmel  und  namentlich  bei 
leicht  gekräuselter  Oberfläche  des  Wassers,  wie  es  ja  beide 
Mal  der  Fall  ist,  fast  alle  Fische  gern  springen. 

Weiteres  wird  über  Fische  berichtet  II.  21,  353  (s. 
unter  Aal)  und  ebenda  22  (s.  oben  unter  Delphin). 

Feinde  der  Fische  sind  der  Delphin  (s.  d.)  und  die 
Möve  (0.  5,  51).  Der  Mensch  bemächtigt  sich  ihrer  mit- 
tels Harpunen 2),  Angeln  und  Netzen.  Hierüber  geben  fol- 
gende Stellen  Aufschluss  : 

Die  Gefährten  des  Odysseus  werden  von  den  Lästry- 
gonen  „wie  Fische  durchbohrt'*  0.  10,  124. 

Patroklos  durchstösst  den  Thestor  mit  der  Lanze  und 
zieht  ihn  so  an  sich:  „wie  ein  Mann  auf  vorragender 
Klippe  sitzend  einen  gewaltigen  Fisch  aus  den  Fluten  an 
der  Schnur  und  dem  glänzenden  Erze  heraufzieht"  IL  16,  406. 

Genossen  des  Menelaus  schweiften  rings  um  eine 
Insel  „eifrig  Fische  fangend  mit  gekrümmten  Angelhaken, 
denn  der  Hunger  quälte  ihren  Magen''  0.  4,  368.  Aehnlich 
0.  12,  330. 

Die  Skylla  reisst  Genossen  des  Odysseus  vom 
Schiffe  weg:  „wie  auf  vorspringender  Klippe  ein  Fischer 
mit  gewaltiger  Angelruthe  den  kleinen  Fischen  dort  Lecker- 


Fische  hart  und  fast  ganz  angewachsen  ist.  Doch  ist  der  Ausdruck 
sehr  bezeichnend,  wie  man  sich  leicht  überzeugen  kann,  wenn  man 
ein  grosses  und  hartes  Stück  Brod  in  einen  Karpfenteich  wirft. 

1)  Der  Leichnam  wird  durch  die  sich  in   ihm  bildenden  Gase 
auf  der  Oberfläche  schwimmend  erhalten. 

2)  Bei  Buchholz,  1.  c.  nicht  erwähnt,  cf.  Am  eis  zu  0.  10, 124. 


Die  homerische  Thierwelt.  203 

bissen  als  Köder  auswerfend  das  Hörn  *)  des  auf  dem 
Felde  lagernden  Stieres  in  die  Fluten  versenkt  und  dann 
die  zappelnde  Beute  au  das  Ufer  aufschwenkt"  0. 12,  251. 
Als  Odysseus  in  seinem  Saale  umherblickte,  ob  noch 
einer  der  Freier  am  Leben  sei,  erblickte  er  sie  alle  in 
Blut  und  Staub  niedergestreckt,  „den  Fischen  gleich, 
welche  die  Fischer  aus  dem  Meere  an  das  tiefliegende 
Ufer  im  vielmaschigen  Netze  gezogen  haben.  Da  liegen 
sie  nun  alle  nach  der  Meereswoge  lechzend  auf  den  Dünen 
aufgeschüttet  und  die  Sonne  raubt  ihnen  mit  sengendem 
Strahl  den  Athem^'  0.  22,  383. 

Der  Aal,  » 

eyxelvg,  ist  wahrscheinlich  der  Flussaal,  Anguilla  vulgaris. 
Er  und  andere  Fische  benagen  Leichen:  „indem  sie  nagend 
das  Nierenfett  verzehren"  II.  21,  203. 

Aale  und  andere  Fische,  von  dem  zurückweichen- 
den Wasser  des  Skamandros  zurückgelassen  und  von  He- 
phästos'  Gluthhauch  bedrängt  „schnappen  angstvoll  in  den 
Pfützen  umher,  die  schönen  Gewässer  hierhin  und  dorthin 
durchplätschernd''  II.  21,  353. 


V.    Insecten. 

Die    Biene. 


/iisUooa,  Apis  mellifica,  wurde  schon  im  homerischen  Zeit- 
alter des  Honigs  wegen  in  primitiven  Stöcken  gehalten, 
wie  aus  der  Schilderung  0.  13,  103  hervorgeht: 

„Nahe  an  dem  Oelbaum  befindet  sich  eine  liebliche, 
bläulich  schimmernde  ^j  Höhle,  den  Nymphen,  welche  Naja- 


1)  „Ein  aus  Stierhorn  gedrechseltes  Röhrchen,  durch  welches 
die  Angelschnur  lief,  um  nicht  durch  anbeissende  Fische  abgebissen 
zu  werden".  (Ameis  zu  0.  12,253.)  Es  könnte  wohl  auch  das  hohle 
Kuhhorn  als  Schwimmer  gedient  haben.  Ausserdem  befand  sich  ein 
Bleikügelchen  an  der  Angel,  damit  sie  rasch  sank:  II.  24,  80.  cf. 
La  Roche  z.  d.  Stelle. 

2)  r]€Qoet67]g. 


204  Otto   Koerner: 

den  genannt  werden,  heilig.  Darin  stehen  Mischgefässe 
und  doppelt  gehenkelte  Urnen  ans  Steingut,  worin 
die  Bienen  stets  Nahrung  bereiten"^' 

Das  Schwärmen  der  Bienen,  wenn  der  Mutterstock 
im  Vorsommer  eine  Colonie  aussendet,  wird  in  einem  treff- 
lichen Gleichnisse  IL  2,  87,  folgendermassen  geschildert: 

„So  wie  Bienen  in  dichtem,  immerfort  sich  erneuen- 
dem Schwärm  aus  dem  hohlen  Fels  hervorstürzen  und  in 
Trauben 2)  auf  die  Frühlingsblumen  zueilen,  indem  die 
einen  hier,  die  andern  dahin  fliegen,  so  zogen  zahlreiche 
Völker  schaarenweise  von  den  Schiffen  und  Zelten  her  zur 
Versammlung''.  Vgl.  noch  IL  12,  167  (übersetzt  bei  der 
Wespe). 

Dass  der  Honig  {f^ieli),  der  0.  10,  224  und  IL  11, 
631  als  xhoQov,  gelb,  bezeichnet  wird,  ein  beliebtes  Genuss- 
mittel der  homerischen  Helden  gewesen  ist,  zeigen  Ver- 
gleiche wie:  die  Sirenen  haben  eine  honigsüsse  Stimme 
{fiEhyrjQvv  oita);  Nestors  Rede  fliesst  dahin,  süsser  als 
Honig  {fieXiTog  ylwlcov)  etc.   —    Er  wurde  mit  Wein  ver- 

1)  Friedreich  und  Buchholz  halten  ebenfalls  die  Gefässe 
für  primitive  Bienenstöcke.  Unbeachtet  gelassen  oder  anders  ver- 
standen wurde  die  Stelle  von  Hehn,  1.  c,  Prätorius,  1.  c,  u.  W. 
Stricker  (Sprachwissenschaft  und  Naturwissenschaft,  im  „ZooL 
Garten"  VI,  ff.).  —  Friedreich,  1.  c.  p.  262  bemerkt  noch:  „dass 
es  gerade  eine  Grotte  der  Nymphen  war,  hat  eine  besondere  Bedeu- 
tung, denn  die  Anfänge  der  Bienenzucht  wurden  von  den  Griechen 
so  dargestellt,  dass  die  Nymphe  Melissa  auf  die  Bereitung  und  den 
Genuss  des  Honigs  zuerst  aufmerksam  gemacht  habe  und  nach  ihr 
dann  die  Bienen  jueliaaai  genannt  worden  seien.'' 

2)  ßoTQvd'öv,  traubenförmig,  so  dicht  neben  einander  wie  die 
Beeren  einer  Traube.  Heutzutage  spricht  der  Bienenzüchter,  von 
„Trauben",  wenn  die  Bienen  zur  Schwärmzeit  sich  in  dicken  Klum- 
pen vor  das  Flugloch  des  Stockes  hängen.  —  Es  ist  in  vorliegendem 
Gleichnisse  nicht  vom  einfachen  Ausfliegen  der  Bienen  die  Rede, 
sondern  von  wirklichem  Schwärmen.  Dieser  An'sicht  widersprechen 
die  W orte  (ä  ub)'i''f'vScc  aXtg  neTioTTjaTKi,  a'i (h're  6Vi9^«  durchaus  nicht: 
es  soll  damit  nicht  die  Zerstreuung  nach  verschiedenen  Richtungen, 
sondern  nur  die  Verwirrung  innerhalb  des  dichten  Schwarms,  wie 
sie  ähnlich  beim  Zusammenlaufen  des  Heeres  entsteht,  geschildert 
werden.  Sonst  fliegen  die  Bienen  immer  nur  einzeln  und  nie  in 
Schaaren  aus. 


Die  homerische  Thierwelt.  205 

mischt  genossen  (0.  10,  234)  und  mit  Milch  gemengt  den 
Unterirdischen  geopfert  (0.  10,  519). 

Das  „honigsüsse"  ^)  Wachs  (x/yooc:  (.leXirfirig)  wird 
nur  einmal  erwähnt,  da  es  Odysseus  benutzt,  um  seinen 
Gefährten  die  Ohren  zuzustopfen,  weil  sie  den  Gesang  der 
Sirenen  nicht  hören  sollten. 

Die  Wespe, 

o(fi]^^  wahrscheinlich  Vespa  vulgaris.  Sie  heisst  tlvoöiog^ 
am  Wege  bauend  und  /neoov  cdolog^  in  der  Mitte,  d.  h. 
zwischen  Thorax  und  Abdomen,  beweglich,  und  wird  in 
folgenden  Gleichnissen  erwähnt: 

Die  Myrmidonen  „schwärmten  plötzlich  heran  wie 
die  Wespen  am  Wege,  die  Knaben  nach  ihrer  Gewohnheit 
erbitterten,  indem  sie  immerfort  die  am  Wege  Bauenden 
reizten :  die  Thörichten !  denn  vielen  bereiten  sie  ja  gemein- 
sames Unheil:  sobald  jene  ein  Wandersmann  im  Vorbei- 
gehen absichtslos  erregt,  so  stürzen  sie  alle  tapferen  Sinnes 
hervor,  ihre  Brut  zu  beschützen"  IL  16,  259. 

„Die  aber,  gleich  den  in  der  Mitte  beweglichen  Wes- 
pen und  Bienen,  welche  am  felsigen  Weg  ihre  Nester 
bauen,  verlassen  nicht  ihr  hohles  Haus,  sondern  erwarten 
jagende  Männer  und  wehren  sie  von  ihrer  Brut  ab''  II. 
12,  167.  — 

Nach  der  Gestalt  der  Wespe  „wurde  eine  Haartracht 
benannt,  welche  darin  bestand,  dass  man  dem  Haare  durch 
Zusammenschnüren  (oq>r]KOiv)  eine  Form  gab,  welche  an 
den  eingeschnittenen  Körper  der  Wespe  erinnerte  (IL  17, 
52).  x\ndere  deuten  hingegen  das  Verbum  Gq)r]'/.ovv  auf  ein 
Binden  des  Haares  mit  Gold-  und  Silberfäden,  so  dass  e& 
ähnlich  dem  Leibe  der  Wespe  eine  Abwechslung  zwischen 
hellen  und  dunkeln  Ringen  zeigte"^). 

Die  Bremse, 

oloTQog  Oestrus  bovis.  Beiwort:  alolog  (sc.  i-ieoov  in  der 
Mitte  beweglich  3). 

1)  Dieses  Attribut  deutet  auf  eine  sehr  unvollkommene  Ge- 
winnungsweise des  Honigs  hin. 

2)  Buchholz,  1.  c.  p.  102. 

3)  Die   Analogie    mit  fx^aoi>    aloXoq   bei  der  Wespe    bestimmt 


206  Otto  K  o  e  r  n  er  : 

Vor  dem  Aegisschild  der  Athene  flüchten  die  Freier 
in  Odysseus'  Saal  „wie  Rinder  in  der  Heerde,  welche  die 
bewegliche  Bremse  einherfliegend  in  Unruhe  bringt,  zur 
Frühlingszeit,  wann  die  Tage  lang  werden"  0.  22,  299. 

Die  Fliegen, 

(.ivlat.  Ihre  Maden  heissen  evkai  und  werden  als  aloloi^ 
beweglich,  bezeichnet.  ^ 

Der  Dichter  vereinigt  unter  der  Bezeichnung  (xvlaL 
verschiedene  Fliegen-  und  Schnakenarten.  In  der 
Stelle  IL  17,  570  (s.  u.)  ist  eine  Schnake  oder  eine  Stech- 
fliege gemeint,  während  IL  19,  24  und  22,  509  sicherlich 
von  der  Schmeissfliege,  Musca  vomitoria,  die  Rede  ist.  In 
den  übrigen  Stellen  kann  mit  Sicherheit  nicht  angegeben 
werden,  mit  welcher  Species  man  es  zu  thun  hat.  —  Die 
betr.  Stellen  sind  folgende : 

„Wie  vjele,  dichte  Mückenschwärme  im  Vorsommer, 
wann  Milch  von  den  Butten  herabtrieft,  rastlos  durch  den 
Hirtenhof  umherziehen:  in  solcher  Zahl  standen  die  lockigen 
Achäer  auf  dem  Gefilde'^  IL  2,  469. 

Athene  wehrt  von  Menelaos  die  Geschosse  ab  „wie 
wenn  eine  Mutter  von  ihrem  süss  schlummernden  Kinde 
die  Mücke  wegscheucht"  IL  4,  131. 

„Und  sie  pflanzte  in  seine  Brust  die  kühne  Beharr- 
lichkeit der  Mücke,  welche  immer  wieder  die  Haut  eines 
Menschen  zu  stechen  {dwAi-eiv)  sucht,  auch  wenn  sie  ver- 
scheucht wird,  denn  süss  ist  ihr  das  Menschenblut"  IL 
17,  570. 

„Gar  sehr  befürchte  ich,  es  könnten  inzwischen  dem 
(getödteten)  tapferen  Sohn  des  Menötius  Fliegen  in  die 
erzgeschlagenen  Wunden  schlüpfen  und  darin  Maden  er- 
zeugend^) den  Todten  schänden"  IL  19,  24. 


mich,  auch  bei  der  Bremse  alolog  (ohne  fxeaov)  auf  die  Einkerbung 
zwischen  Thorax  und  Abdomen  zu  verstehen.  Am  eis  z.  d.  St.  über- 
setzt fälschlich  „flatternd".  Auch  kann  der  Ausdruck  „flattern" 
nicht  vom  Fluge  dieser  Insekten  gebraucht  werden. 

1)  Spätere  Zeiten  vergassen,  was  der  alte  Dichter  wusste. 
Vor  nicht  gar  langer  Zeit  nahm  man  keinen  Anstand,  das  Erscheinen 
von  Maden    in    faulenden  Organismen    mittelst    der  .sog.    generatio 


Die  homerische  Thierwelt.  207 

„Nun  werden  dich  dort  an  den  Schiffen  der  Danaer 
fern  von  deinen  Eltern  die  beweglichen  Maden  verzehren" 
IL  22.  509. 


Unter  dem  Worte  Kwajn  via,  wörtlich:  „Hundsfliege" 
versteht  Groshans  Hippobosca  equina  L.  Doch  scheint 
dieses  Wort,  das  nur  II.  21,  394  vorkommt,  kein  Insekt  zu 
bezeichnen,  sondern  lediglich  ein  Schimpfwort  zu  sein,  in- 
dem es  die  Begriffe  der  lästigen  Zudringlichkeit  des  Hun- 
des und  der  Mücke  vereinigt. 

Larven  eines  Insekts, 

/TTtg,  werden  0.  21,  395  erwähnt,  da  Odysseus  seinen 
Bogen  untersucht,  ob  ihn  nicht  etwa  Insektenlarven  zernagt 
hätten.  Vielleicht  ist  hier  ein  Anobium  gemeint,  dessen 
Larve  als  sogenannte  Todtenuhr  das  Holz  unserer  Möbel 
mit  ihren  Gängen  durchsetzt;  doch  scheint  es  sehr  unwahr- 
scheinlich, dass  sich  dieses  Insekt,  das  besonders  gern  die 
weicheren  Holzarten  zu  seinem  Aufenthalte  wählt,  am  Hörn 
vergreifen  sollte. 

Die  Cicade, 

TeTTi^.  Die  jetzt  in  Kleinasien  und  Griechenland  häufig- 
sten Cicaden  sind  Cicada  orni  und  C.  plebeia. 

Die  Stimmen  trefflicher  Redner  werden  11.3,151  mit 
dem  Zirpen  der  Cicaden    verglichen   „die    im  Walde    auf' 
Bäumen  sitzend  ihre  helle  Stimme  ertönen  lassen"^). 

spontanea  zu  erklären.  Noch  im  siebzehnten  Jahrhundert  musste 
Redi  gegen  diese  Ansicht  auftreten  und  zeigen,  dass  Fliegen  ihre 
Eier  in  das  Fleisch  hineinlegen. 

1)  Zum  Verständniss  dieser  Stelle  ist  zu  bemerken,  dass  die 
Cicaden  im  antiken  Thierleben  eine  gefeierte  Rolle  spielen.  Eine 
Sage  berichtet,  dass,  als  zwei  Tonkünstler,  Eunomus  und  Ariston 
sich  in  einen  Wettstreit  eingelassen,  eine  Cicade  zu  dem  ersteren  flog, 
sich  auf  seine  Harfe  an  Stelle  einer  gesprungenen  Saite  setzte  und 
ihm  so  den  Sieg  verschaffte.  Darum  galt  eine  auf  einer  Harfe 
sitzende  Cicade  den  Griechen  als  Sinnbild  der  Musik.  „Eine  Cicade 
ist  es,  die  auf  einem  allerliebsten  pompejaner  Mosaik  als  Kutscher 
auf  einem  Wagen  einen  vorgespannten  Papageien  lenkt;  Anakreon 
gedenkt  ihrer,   wie  die  Fabeldichter  öfters.     Ihr   Zirpen   wird  dem 


208  Otto  Koerner: 

Die   Wanderheuschrecke, 

Acridium  migratorium,  dxQi'g^).  Die  Landleute  zündeten, 
wie  auch  gegenwärtig  noch,  Feuer  an,  um  die  Heuschrecken- 
schwärme  von  den  Feldern  abzuhalten: 

„Wie  wenn  vor  dem  auflodernden  Feuer  die  Heu- 
schrecken sich  erheben,  um  nach  dem  Strome  zu  fliehen  2). 
denn  immer  neue,  schnell  entflammte  Glut  versengt  sie 
und  furchtsam  stürzen  sie  nach  dem  Wasser :  so  füllte  sich 
bei  Achilles'  Erscheinen  der  Xanthosfluss  mit  Pferden  und 
Männern^^  IL  21,  13. 

Schmetterlinge 

werden  bei  Homer  nicht  erwähnt.  Doch  müssen  sie  zur 
Erklärung  eines  in  der  Ilias  zweimal  (11,  53  u.  16,  459) 
vorkommenden  Phänomens  herangezogen  werden.  In  den 
angeführten  Stellen  ist  die  Rede  von  blutigem  Thau,  den 
der  Dichter  als  ein  von  Zeus  gesandtes  Vorzeichen  von 
Krieg  aufi'asst.  Auch  Hesiod^),  kennt  diese  Erscheinung 
und  bei  uns  hat  sie  Veranlassung  zur  Sage  vom  Blutregen 
gegeben.  Das  Phänomen  erklärt  sich  daraus,  dass  oft 
Schmetterlinge,  (besonders  der  Baumweissling,  Pieris  cra- 
taegi)  wahrscheinlich  in  Folge  von  schnell  eingetretenen 
günstigen  Temperaturverhältnissen,  plötzlich  in  kolossaler 
Anzahl  aus  den  Puppen  auskriechen  und  als  erstes  Geschäft 


Geflüster  der  abgeschiedenen  Seelen  im  Hades  oder  auf  der  Aspho- 
deloswiese,  ihre  Unermüdlicbkeit  der  gefeierter  Redner  verglichen" 
(E.Friedel,  Zool.  Garten  XV,  257.  In  der  Anm.  auf  Seite  258  folgt 
das  reizende  Gedicht  des  Anakreon  elg  liTTiya  im  Urtext.  Das- 
selbe ist  bekanntlich  von  Goethe  trefflich  übersetzt.  Auch  R.ös-el 
von  Rosenhof,  Insektenbelustigungen  II,  Heuschrecken  u.  Grillen, 
p.  168  übersetzt  es.)  Aehnlich  wie  Homer  berichtet  über  die 
Cicade  Hesiod  (Op.  582  u.  Scut.  393). 

1)  Ueber  die  "Wanderheuschrecke  im  alten  Testament  s.  Joel 
II,  2 — 10;  auch  Rosenmüller,  1.  c.  p.  386. 

2)  Sie  stürzen  sich  nicht  in  den  Strom,  sondern  fliegen  nur 
über  denselben  hin,  um  dem  Rauch  und  der  Hitze  zu  entgehen. 
Es  liegen  übrigens  so  viel  wir  wissen  keine  Beobachtungen  vor,  die 
ein  solches  Benehmen   der  Wanderheuschrecke  bestätigen. 

3)  Hesiodi  Scut.  384. 


Die  homerische  Thierwelt.  209 

ihren  noch  aus  dem  Raupenleben  mitgebrachten  Urin  ent- 
leeren.    Derselbe  ist  bei  vielen  Arten,   wie  eben  bei  dem 
Baumweissling,  roth. 
Von 

Spinnenthieren 
wird  eine 

Milbe 

ytvvoQatGT}]g  erwähnt.  Sie  bedeckt  in  grosser  Zahl  den 
Hund  Argos.    0.  17,  300. 

Es  kann  hier  der  spezifische  Parasit  des  Hundes 
Trichodectes  latus  gemeint  sein.  Aubert  und  Wimmer ^) 
verstehen  unter  dem  aristotelischen  KwogaioTrjg  den  häufig 
an  Hunden  festgebissenen  Ixodes  ricinus.  — 

Ausserdem  ist  zweimal  von  einem  Spinnengewebe, 
agayviov,  die  Rede :  das  Bett  des  Odysseus  ist  von  Spinnen- 
geweben bedeckt  (0.  16,  35),  d.  h.  leer,  denn  nur  an  un- 
benutzten und  vernachlässigten  Orten  spannt  die  Spinne 
ihr  Netz  aus.  Ferner  umspannt  Hephästus  das  Bett  der 
Aphrodite  mit  einem  unsichtbaren  Netze,  „zart  wie  Spinnen- 
gewebe" 0.  8,  280. 


Mollusken. 


Der  Dichter  kennt  den  Purpur  als  Farbstoff,  ohne 
jedoch  seine  Herkunft  von  der  Purpurschnecke  zu  erwäh- 
nen. IL  4,  140  erzählt  er  von  einer  Verwundung  des  Mene- 
laus  und  vergleicht  den  Blutstrom,  der  den  Schenkel  tiber- 
giesst,  mit  dem  Purpur,  mit  welchem  eine  Mäonierin  oder 
Karin  Elfenbeinplättchen  zur  Verzierung  des  Riemenzeugs 
edler  Rosse  färbt. 

Wahrscheinlich  wurde  der  Purpur  wie  das  Elfenbein 
(s.  d.)  durch  phönicische  Händler  an  die  Küste  von  Klein- 
asien gebracht. 

Die  Aüster, 
trjS-oQy  Ostrea  edulis  (?) 

II.  16,  742  stürzt  ein  Verwundeter  vom  Kampfwagen 
herab,  wie  ein  Taucher  in  das  Meer.    Patroklus  ruft  ihm  zu: 

1)  1.  c.  I,  166. 

Archiv  für  Naturg.  XXXXVl.  Jahrg.  1.  Bd.  14 


210  Otto  Koerner: 

„Wunder,  wie  behende  und  leicht  der  Mann  hinab- 
taucht! Wenn  er  das  einmal  in  des  Meeres  fischreichen  Ge- 
wässern versuchte,  könnte  er  Viele  mit  Austern  sättigen'' etc. 

Aristoteles  erwähnt  den  zrjd^og  nicht,  spricht  jedoch 
von  einem  Trjd-vov,  worunter  er  sicherlich  eine  Ascidie, 
wahrscheinlich  eine  Cynthia  versteht  *).  Daher  erklärt  auch 
Groshans  den  homerischen  TrjS^og  als  Ascidie.  Für  diese 
Annahme  spricht  auch  der  Umstand,  dass  italienische  Fischer 
gern  Ascidien  verspeisen.  Die  Beibehaltung  der  Ueber- 
setzung  „Auster''  empfiehlt  sich  jedoch  der  Anschaulich- 
keit wegen,    da  uns  diese  als  Speise   geläufiger   ist,   als 

die  Ascidie. 

Der  Polyp, 

TiolvTiovgj  Octopus  vulgaris. 

Als  Odysseus  Schiffbruch  gelitten  hatte,  wurde  er  an 
die  Insel  der  Phäaken  angespült.  Da  er  nun  versucht, 
sich  an  einem  Felsen  festzuhalten,  reisst  ihn  die  Brandung 
los  und  die  abgeschundene  Haut  von  seinen  Händen  bleibt 
an  den  Klippen  haften  „wie  dem  Polypen,  den  Einer  aus 
dem  Verstecke  herauszerrt,  kleine  Steinchen  in  Menge  an 
den  Saugnäpfen  2)  hängen  bleiben,  so  hing  an  den  Felsen 
die  abgeschundene  Haut  von  den  Händen  des  Odysseus" 

0.  5,  432.  , 

Ein  grosser  Cephalopode  war  es  sicherlich,  der  die 
Sage  von  der  Scylla  veranlasst  hat.  Das  geht  aus  der 
homerischen  Beschreibung  derselben  mit  Bestimmtheit  her- 
vor.   Es  heisst  dort  (0.  12,  85): 

1)  Aubert  u.  Wimmer,  1.  c.  I.  p.  183. 

2)  Tioog  xoTvkrj^ov6(f>iv.  Sie  stehen  in  2  Reihen  auf  d6r  Innen- 
seite der  Arme.  Die  höchst  sonderbare  Meinung,  der  noXvnovg  sei 
ein  Krebs,  weil  solche  Thiere  oft  kleine  Steinchen  zwischen  die 
Scheeren  zu  nehmen  pflegten,  ist  schon  längst  in  wohlverdiente  Ver- 
gessenheit gerathen. 

Uebrigens  kannten  die  Alten  beim  Octopus  eine  Anpassung  im 
Sinne  Darwin's.  Aristoteles  sagt  (h.  a.  1X37,  149):  ,,Er  fängt 
die  Fische,  indem  er  seine  Farbe  wechselt  und  die  Farbe  der  Steine 
annimmt,  in  deren  Nähe  er  kommt.  Dasselbe  thut  er  auch,  wenn 
er  gescheucht  wird."      Nach  Oppian  (de  pisc.  2,    253,    bei  Lenz, 

1.  c.  p.  505)  schützt  er  sich  auf  dieselbe  Weise  vor  der  Muräne. 


Die  homerische  Thierwelt.  211 

„Zwölf  unförmliche  Ftisse  hat  sie  und  sechs  lange 
Hälse,  auf  deren  jedem  sich  ein  fürchterlicher  Kopf  mit 
drei  Reihen  von  festen  und  dichtgestellten,  verhängniss- 
drohenden Zähnen  befindet.  Halb  steckt  sie  in  einer  Höhle, 
die  Köpfe  aber  streckt  sie  aus  der  Tiefe  heraus  und  fängt 
sich,  indem  sie  um  die  Klippe  umhersacht,  Delphine,  See- 
hunde, und  wenn  möglich  noch  grössere  Seethiere,  wie  sie 
die  tiefstöhnende  Amphitrite  in  Unzahl  nährt.  Niemals 
konnten  Schiffer  sich  anmassen,  mit  dem  Schiffe  an  ihr 
vorbei  zu  kommen,  denn  mit  jedem  Kopfe  raubt  sie  einen 
Mann  vom  dunkeln  Schiffe". 

Ueber  sein  Abenteuer  mit  der  Scylla  berichtet  Odys- 
seus  (0.  12,  244)  wie  folgt: 

„Während  wir  nun  angstvoll  auf  die  Charybdis  blick- 
ten, raubte  mir  die  Scylla  aus  dem  hohlen  Schiffe  sechs 
Gefährten,  die  an  Gewandtheit  und  Stärke  die  trefflichsten 
waren.  Und  als  ich  nun  einen  Blick  auf  das  schnelle 
Schiff  und  auf  die  Gefährten  warf,  sah  ich  schon  ihre  Arme 
und  Beine  über  mir,  da  sie  in  die  Höhe  gehoben  waren. 
Betrübten  Herzens  riefen  sie  mich  beim  Namen:  es  war 
zu  spät.  So  wie  ein  Fischer  auf  vorspringender  Klippe 
mit  gewaltiger  Angelruthe  den  kleinen  Fischen  dort  Lecker- 
bissen als  Köder  auswerfend  das  Hörn  des  ländlichen 
Stieres*)  in  die  Fluten  versenkt  und  dann  die  zappelnde 
Beute  an  das  Ufer  aufschwenkt,  so  wurden  sie  zappelnd 
zum  Felsen  heranzogen". 

Prüfen  wir  nun,  in  wie  weit  diese  Beschreibung  der 
Scylla  auf  grosse  Cephalopoden  passt.  Die  Zahl  der  Arme 
(12)  ist  zu  gross  angegeben.  Was  der  Dichter  als  Hälse 
bezeichnet,  sind  die  in  geringerer  Zahl  vorhandenen  längeren 
Arme  der  Cephalopoden.  Die  Köpfe  sind  die  gewöhnlich 
knäuelförmig  eingerollten  Enden  der  langen  Arme,  die 
Zähne  die  reihenweise  angeordneten  und  z.  B.  bei  Loligo 
nur  am  Ende  des  Armes  sitzenden  Saugnäpfe.  Diese  sind 
sogar  bei  Onychotheutis  und  Enoplotheutis  zu  Haken  um- 
gebildet, was  den  Vergleich  mit  Zähnen  noch  näher  legt. 
Die  geschilderte  Lebens-  und  Ernährungsweise  der  Scylla 
stimmt  mit  der  grosser  Cephalopoden  überein ;  nur  ist  ihre 

1)  Ueber  die  Angel  s.  u.  „Fische"  p.  203. 


212  Otto  Koerrier: 

Gefährlichkeit  für  den  Menschen  etwas  übertrieben.  Auch 
bellen  die  Cephalopoden  nicht,  wie  es  von  der  Scylla  0. 
12,  85  erzählt  wird.  Hier  ist  wahrscheinlich  das  Tosen 
der  Brandung  und  das  Klappern  der  an  die  Klippen  ge- 
schleuderten Steine,  ähnlich  vielleicht  dem  Gekläff  kleiner 
Hunde  auf  die  Scylla  übertragen  worden. 

Dass  es  gewaltige,  auch  dem  Menschen  gefährliche 
Cephalopoden  im  Mittelmeer  gab  und  noch  gibt,  besagen 
Nachrichten  aus  alter  und  neuer  Zeit.  Die  wichtigsten 
derselben  sind  folgende: 

PI  in  ins  (h.  n.  9,  30,  48)  sagt:  Trebius  Niger,  Be- 
gleiter des  Lucullus,  behauptet,  kein  Thier  sei  im  Wasser 
dem  Menschen  so  gefährlich,  wie  der  Polyp;  denn  er  stürzt 
sich  auf  Schiffbrüchige  und  Taucher,  umschlingt  sie  mit 
seinen  Armen,  saugt  sie  mit  seinen  Saugnäpfen  aus')  und 
versenkt  sie."  Diese  Behauptung  ist  nach  den  Ausführun- 
gen von  Jag  er  2)  nicht  unwahrscheinlich. 

Nach  Lenz^)  kennt  man  in  Griechenland  nicht  wenige 
Beispiele,  wo  nach  Schw^ämmen  suchende  Taucher  von 
solchen  Thieren  umschlungen  und  ertränkt  wurden. 

Eine  Uebersicht  der  Nachrichten  über  grosse  Cepha- 
lopoden gibt  Keferstein^).  Aus  neuerer  Zeit  sind  noch 
folgende  Funde  zu  verzeichnen: 

Ein  grosser  Cephalopode  wurde  1861  bei  Teneriffa 
gefangen.    Länge  18  Fuss,  die  der  Arme  5—6  Fuss  ^). 

1873  wurde  ein  weiterer  an  der  Ostküste  Nippon's 
erlegt.   Länge  6  m,  Umfang  1,30  m,  längster  Arm  1,97  m^). 

In  demselben  Jahre  umschlang  ein  solches  Thier  bei 
Neufundland  ein  Fischerboot.    Armlänge  35  Fuss"^) 

1874  brachte  eine  englische  Zeitschrift^)  die  Abbildung 

1)  Letzteres  ist  unrichtig,  da  die  Saugnäpfe  dem  Polypen  nur 
zum  Festhalten  seiner  Beute   dienen. 

2)  G.  Jäger,  das  Leben  im  Wasser,  Hamburg  1868,  p.  150  ff. 

3)  1.  c.  Anmerkung  2149. 

4)  Bronn,  Klassen  und  Ordnungen  des  Thierreichs,  Bd.  III 
Abth.  IL  p.  1452. 

5)  Der  Zoologische  Garten,  Jahrgang  III,  p.  91. 

6)  Zool.  Garten,  XV  157. 

7)  Zool.  Garten  XVI  236. 

8)  The  Field  vom  31.  Januar  1874. 


Die  homerische  Thierwelt.  213 

eines  bei  St.  Johns  mit  dem  Häringsnetz  gefangenen  Ce- 
phalopoden.  Länge  der  grossen  Arme  24  Fuss,  Körper- 
länge 8  Fuss,  Umfang  5  Fuss. 

Die  letzten  hierbergehörigen  Angaben  datiren  von 
1878.  In  diesem  Jahre  strandete  bei  Catalina  (Neufund- 
land) ein 'solches  Thier.  Länge  der  Fangarme  30  Fuss, 
der  kurzen  Arme  11  Fuss,  des  Körpers  9  Fuss  6  Zoll.  — 
Zu  derselben  Zeit  umschlang  ein  grosser  Octopus  bei  der 
Vancouver-Insel  eine  badende  Indianerin  und  zog  sie  in 
die  Tiefe.  Am  folgenden  Tage  wurde  die  Leiche  durch 
Taucher,  welche  die  Fangarme  durchschnitten,  befreit^). 

Dass  nun  Homer,  dessen  zoologische  Nachrichten 
sonst  so  zuverlässig  sind,  hier  einmal  ungenau  berichtet, 
ist  zu  entschuldigen.  Er  hat  eben  ein  solches,  verhältniss- 
mässig  seltenes  Thier  nie  gesehen  und  von  ihm  nur  von 
Seefahrern,  wahrscheinlich  phönicischen  Handelsleuten  ge- 
hört. Seefahrer  aber  sind  wunderliche  Leute  und  haben 
das  Uebertreiben  von  je  her  trefflich  verstanden.  Es  ist 
immer  noch  merkwürdig  genug,  dass  sie  hier  so  gnädig 
verfahren  sind  und  uns  wenigstens  die  Möglichkeit  gelassen 
haben,  der  Entstehung  ihrer  Hirngespinnste  auf  den  Grund 
zu  kommen. 

Spätere  Zeiten  haben  natürlich  weiter  phantasirt  und 
das  Urbild  der  Scylla  ganz  unkenntlich  gemacht.  Ein  Ana- 
logon  zu  der  Scylla  findet  sich  in  der  nordischen  Sage 
vom  Kraken.  Auch  die  immer  wieder  auftauchende  See- 
schlange hat  man  auf  das  Erscheinen  grosser  Cephalopo- 
den  zu  beziehen  versucht.  Vielleicht  wäre  die  Entstehung 
noch  manches  phantastischen  Ungeheuers  der  Sage  auf 
ähnliche  Weise  zu  erklären.  Doch  die  Spuren  der  Urbil- 
der sind  bei  ihnen  wohl  meist  ganz  verwischt. 


Von  den 

Würmern 
wird  nur 

Der  Regenwurm, 

o-atolrj^y  Lumbricus  terrester  (?)  erwähnt. 
1)  ZooL.Garteü  XIX  62. 


214  Otto  Koerner:    Die  homerische  Thierwelt. 

Mit  ihm  wird  II.  13,  654  ein  im  Kampfe  zu  Boden 
gestreckter  Krieger  verglichen.  Die  Aehnlichkeit  des 
Gleichnisses  liegt  im  Geradeausgestrecktsein. 


Die 

Cölenteraten 

sind  nur  durch  den 

Badeschwamm, 

üTtoyyoq,  Euspongia,  vertreten. 

Beiwort:  TtoXvrQrjTog  vieldurchlöchert. 

Das  homerische  Zeitalter  bedient  sich  bereits  des 
Badeschwammes  in  derselben  Weise  wie  wir.  II.  18,  414 
wäscht  sich  Hephästus  Gesicht,  Brust  und  Hände,  um  die 
Thetis  würdig  empfangen  zu  können. 

In  der  Odyssee  werden  dreimal  (1,  111;  20,  151  u. 
22,  439)  Tische  mit  Schwämmen  abgewaschen. 

Buchholz  erwähnt  den  Schwamm  nicht. 


Nene  Amphibien   und  Reptilien. 

Beschrieben    von 

Dr.  J.  6r.  Fischer 

in   Hamburg. 


Hierzu  Tafel  VHI  und  IX. 

1.  Caecilia  polyzona    Fisch. 

Tafel  Vni,    Fig.  1  bis  4. 

Körper  langgestreckt.  Kopf  Veo  von  der  Totallänge, 
fast  doppelt  so  lang  wie  breit.  Auge  durch  die  Haut  nicht 
sichtbar.  Kopf  klein,  zugespitzt,  Schnauze  vorragend,  platt 
Fühlergrube  in  vertikaler  Linie  unter  dem  dorsal  gelegenen 
Nasloch,  an  der  unteren  Fläche  der  Schnauze.  Faltenringe 
zahlreich  (mehr  als  200),  bis  nahe  zum  Körperende  voll- 
ständig. An  den  letzten  10 — 12  Ringen  sind  accessorische 
Ringe  eingeschaltet,  die  zunächst  am  Rücken  erscheinen, 
dann  an  die  Seiten  und  schliesslich  (bei  einem  Exemplare) 
bis  zur  Bauchmitte  herabreichen.  Körperende  rund,  etwas 
verdickt,  ohne  Hautsaum. 

Am  Oberkiefer  22  bis  25  Zähne,  am  Gaumen  in  paral- 
leler Reihe  dahinter  20  bis  22 ;  am  Unterkiefer  in  vorderer 
Reihe  20;  dahinter  in  der  zweiten  Reihe  10 — 12.  Alle 
Zähne  nach  hinten  gekrümmt,  spitz. 

Oben  braungrau,  der  Kopf  heller;  Bauch  hellgrau. 
Die  Ringfurchen  schwarz  markirt. 


216 


J.  G.  Fischer: 


Maasse. 

Kopf-                           Umfang 

Zahl 
der  Ringe 

Grösste  1 
Höhe    !  Total- 
des     j   länge 
Körpers 

Länge 

Grösste 
Breite 

am  Mund- 
winkel 

in  der 
Körper- 
mitte 

dicht 

vor  dem 

After 

an    der 

Bauchseite 

gezählt 

a 

m 

0  011 

m 

0  65 

m 

0  011 

0  006 

m 

0  02 

m 

0  033 

0  036     209 

m 

b  0  011 

m 

0  67 

m 

0  011 

m 

0  006 

m                   m 

0  02      0  037 

0  033 

207 

Zwei  Exemplare  des  Kön.  Zool.  Museums  in  Berlin, 
gesammelt  von  Hrn.  Grosskopf  bei  Caceres  am  Magda- 
lenenstrom,  Neugranada. 

Verschieden  von  den  übrigen  Arten  in  folgenden 
Punkten : 

a)  Von  C.  lumbricoidea  Daud.  durch  den  schmalen  Kopf, 
die  sehr  deutlich  markirten  Ringe  und  die  Lage  der 
Ftihlergrube. 

b)  Von  C.  albiventris  Daud.  durch  die  versteckten  Au- 
gen, durch  die  zahlreicheren  (bei  albiventris  150)  Ringe 
und  die  Lage  der  Fühlergrube. 

c)  Von  C.  rostrata  Cuv.  durch  den  gestreckteren  Körper, 
die  viel  zahlreicheren  Ringe  (bei  rostrata  115 — 125  nach 
Dum.  u.  Bibr.)  und  die  Lage  der  Fühlergrube. 

d)  Von  C.  seraphini  A.  Dum.  (vom  Gaboon)  durch  den 
schlankeren  Körper,  die  versteckten  Augen  und  die  zahl- 
reicheren meist  vollständigen  Ringfalten  (seraphini  hat 
deren  nach  A.  Dum.  125 — 130,  meist  oben  und  unten  un- 
vollständige). 

e)  Von  C.  squalostoma  Stbry.  (vom  Gaboon)  durch  die 
zahlreicheren  Falten  (sq.  hat  145—150  nach  A.  Dumeril) 
und  die  Lage  der  Fühlergrube. 

f)  Von  C.  ochrocephala  Cope  von  Panama  (Proc.  Ac.  N. 
Sc.  Philad.)  1866  p.  132)  durch  den  schlankeren  Körper. 
Cope  vergleicht  seine  Art  in  Bezug  auf  den  Habitus  mit 
dem  viel  gedrungeneren  Siph.  mexicanus,  und  giebt  das 
Verhältniss  des  Körperdurchmessers  zur  Totallängö  auf 
1  :  51  an.  Bei  unserer  Art  ist  dies  Verhältniss  =  1  :  66. 
Ausserdem  ist  die  Farbe  abweichend. 

g)  Von  C.  oxyura  D.  B.  (von  Malabar)  durch  das  abge- 


Neue  Reptilien  und  Amphibien.  217 

rundete  fast  angeschwollene  Schwanzende,  den  schlankeren 
Körper,  die  zahlreicheren  am  Vordertheil  des  Körpers  ge- 
schlossenen Ringe. 

h)  i)  k)  Von  C.  compressicauda  D.  B.,  C.  dorsalis  Pets. 
und  C.  natans  Fisch,  durch  den  Mangel  des  Hautsaums 
am  Hinterende  des  Körpers. 


2.  Caecilia  natans   Fisch. 

Tafel  VIII,  Fig.  5  bis  7. 
Schliesst  sich  durch  das*  zusammengedrückte,  mit 
einem  Hautsaum  versehene  Hinterende  des  Körpers  eng 
an  die  ebenfalls  südamerikanischen  C.  compressicauda  D. 
B.  und  C.  dorsalis  Pets  an.  Herr  Grosskopf  hat  die 
typischen  Exemplare  1879  aus  dem  CauGa,  Nebenfluss  des 
Magdalenenstroms  in  Neu- Granada,  an  einer  mit  festem 
Kiesgrund  versehenen  Stelle  gefischt.  Es  ist  nach  diesem 
Bericht  und  nach  der  Form  des  Körpers  wohl  anzunehmen, 
dass  alle  drei  eben  genannten  Arten  ihr  Leben  im  Wasser 
zubringen  und  sich  durch  Beibehaltung  der  Form  und 
Lebensweise  der  Larven  von  den  übrigen  im  Schlamme 
wühlenden  Gymnophionen  als  besondere  Gruppe  (Wasser- 
caecilien)  unterscheiden. 

Körper  ziemlich  gedrungen.  Kopf  breit-platt,  seine 
Länge  etwa  Vso  der  Totallänge.  Schnauze  vorragend. 
Naslöcher  seitlich.  Auge  durchscheinend.  Fühlergrube 
etwas  unterhalb  der  vom  Auge  zum  Nasloch  gehenden 
Linie,  dreimal  so  weit  von  ersterem  wie  von  letzterem  ent- 
fernt. Ringfalten  ganz  undeutlich,  auch  bei  gut  erhaltenen 
Exemplaren  nur  stellenweise  an  den  Biegungen  des  Kör- 
pers als  nicht  markirte  Falten  sichtbar.  Hinterende  seit- 
wärts stark  zusammengedrückt,  mit  einem  um  dasselbe 
herumgehenden,  sich  von  hinten  her  halb  um  den  After 
(Saugscheibe  Peters)  herumziehenden  Hautsaum. 

Im  Zwischen-  und  Oberkiefer  40—42,  am  Gaumen  in 
einer  mit  der  ersteren  parallelen  Reihe  34—36  Zähne;  in 
der  vorderen  Reihe  des  Unterkiefers  38,  in  der  zweiten 
14  Zähne. 


218 


J.    G.    Fischer 


Einfarbig  braungrau,  an  der  Bauchfläche  wenig  heller. 
Gegend  um  den  After  (Saagscheibe)  weiss. 

Maasse. 


Kopf- 

Totallänge 

Länge 

grösste 
Breite 

Umfang  des 

Körpers    in 

der  Mitte 

Länge  der 
Saugscheibe 

a 

m 

0  505 

0  016 

m 

0  013 

m 

0    04 

m 

0  006 

b 

0  461 

m 

0  016 

m 

0  012 

m 

0  045 

0  007 

Zwei  Exemplare  im  Kön.  Zoolog.  Museum  in  Berlin. 
Beide  gesammelt  von  Hrn.  Grossko.pf  (s.  oben). 

Ausserdem  befinden  sich  meines  Wissens  noch  5  Exem- 
plare in  der  Berliner  Sammlung;  eines  (von  Hrn.  Grosskopf 
1878  von  Baranquilla,  Neu-Granada,  eingesandt)  im  Natur- 
historischen Museum  (Nr.  335)  zu  Hamburg. 

Verwandt  mit  C.  compressicauda  D.  B.  und  C.  dorsa- 
lis  Pets.  Von  beiden  verschieden  durch  den  Mangel  der 
bei  der  ersteren  wenigstens  am  Bauch  sehr  deutlichen  Fal- 
tenringe. C.  compressicauda  hat  deren  nach  Dum.  und 
Bibr.  134—140,  C.  dorsalis  nach  Peters  99.  Auch  Herr 
Professor  Peters  hält  die  vorliegende  Art  für  specifisch 
verschieden. 


Bothriechis  scutigera   Fisch. 

Tafel  VIII,    Fig.  8  und  9. 

Sl.  21.  Lab.  |5^;  V.  146;  A.  1;  Sc.  34*). 

Schuppen  in  21  Längsreihen.  Nasale  getheilt.  Kopf 
bis  hinter  die  Augengegend  von  grossen,  schildähnlichen, 
symmetrisch  geordneten,  glatten  Schuppen  bedeckt. 

Beschreibung. 

Körperform  gedrungen,  etwas  seitlich  zusammenge- 
drückt.     Kopf  massig   abgesetzt,    an   den  Schläfen    nicht 


1)  üeher  Anwendung  von  Schnppenformeln  bei  Schlangendiag- 
uosen  s.  Verh.  Naturw.  Ver.  Hamburg  1879,  p.  78. 


Neue  Reptilieu  und  Amphibien.  219 

stark  aufgetrieben.  Frenalgegend  senkrecht  gegen  die 
Stirngegend  abgesetzt  mit  massig  scharfem  Canthus  rostra- 
lis.     Schwanz  nicht  abgesetzt,  Vs  der  Totallänge. 

Kopfschilder.  Die  Bedeckungen  des  Vorderkopfes 
erinnern  entfernt  an  die  zerklüftete  Form  der  Kopfschilder 
bei  einigen  Trigonocephalus-Arten.  Sie  bestehen  aus  glat- 
ten, grösseren,  schildähnlichen  Stücken,  die  eine  symme- 
trische Anordnung  erkennen  lassen.  Rostrale  dreieckig, 
nicht  in  die  Höhe  vorragend.  Die  Superciliaria  sind  oval, 
gross,  schwach  gewölbt,  ihre  Länge  gleich  der  Entfernung 
ihrer  Innenränder  von  einander.  An  sie  schliessen  sich  an 
jeder  Seite  der  Schnauzengegend  zwei  kleinere  Canthus- 
schilder  an,  die  zusammen  so  lang  sind,  wie  ein  Superci- 
liarschild.  Das  vordere  derselben  ist  von  der  die  Ober- 
fläche der  Schnauze  gerade  erreichenden  Spitze  des  Rostrale 
durch  die  ebenfalls  heraufreichende  obere  Ecke  des  Prae- 
nasale  getrennt.  —  Hinter  dem  Rostrale  und  zwischen 
diesen  zwei  Paaren  Canthusschildern  liegen  zunächst  zwei 
Reihen  ganz  kleiner  rundlicher  Schilder  (Schuppen);  zu 
der  ersten  gehören  2  winzige  Schildchen,  von  denen  sich 
eines  jederseits  aussen  an  die  Spitze  des  Rostrale  anlegt, 
die  also  durch  letztere  von  einander  getrennt  werden;  die 
zweite  Reihe  besteht  aus  drei  wenig  grösseren  Schuppen, 
die  sich  quer  von  einer  Seite  zur  anderen  hinüberziehen. 
Auf  diese  zwei  Reihen  winziger  Schildchen  folgen  zwischen 
den  Canthusschildern  zwei  Reihen  grösserer,  die  erste  Reihe 
zwei,  die  zweite  drei  symmetrische  Schilder  enthaltend; 
man  könnte  dieselben  je  als  Internasalia  und  Praefron- 
talia  aufpassen. 

Ein  grösseres  sechsseitiges  Schild  (Frontale?)  liegt 
in  der  Mitte  zwischen  den  Superciliaria,  von  letzteren  wie 
von  den  Praefrontalia  durch  einen  Kranz  kleiner  glatter 
Schildchen  getrennt.  Das  Frontale  ist  etwa  halb  so  gross 
wie  ein  Superciliare;  ihm  folgt  ein  kleines,  wie  eine  ab- 
getrennte hintere  Spitze  erscheinendes  fast  dreieckiges 
Schildchen.  Letzterem  folgen  wieder  zwei  Paare  grösserer 
symmetrischer  Schildchen,  die  man  den  Parietalia  der  Go- 
lubriden  vergleichen  könnte. 

Die    vor    und  zwischen  den  Superciliaria  gelegenen 


220  J.   G.  Fischer: 

Schilder  und  Schildchen  sind  glatt,  ohne  Rauhigkeiten  und 
Kiele,  ebenso  das  erste  Paar  der  eben  mit  den  Parietalia 
verglichenen.  Die  hinter  den  Superciliaria  folgenden  Schup- 
pen sind  je  mit  einem  nicht  ganz  bis  an  ihr  Ende  reichen- 
den Kiele  versehen. 

Von  den  Seiten  schildern  des  Kopfes  sind  die  zwei 
Nasalia  von  ungleicher  Grösse;  das  vordere  ist  das 
grössere  und  erreicht  die  obere  Schnauzenfläche  zwischen 
Rostrale  und  erstem  Canthusschildchen.  Zwischen  ihm  und 
einem  oberen  grösseren  5eckigen  Anteokulare  erstreckt  sich 
ein  grösseres  5seitiges  Frenale.  Auf  drei  Reihen  kleiner 
Postokularia  folgen  längs  der  letzten  Supralabialia  vier 
bis  fünf  sechsseitige  ungekielte  Schläfenschuppen.  Die 
Supralabialia  (links  10,  rechts  9)  sind  von  der  Begren- 
zung sowohl  der  Grube  als  der  Orbita,  von  letzterer  durch 
zwei  Reihen  Schildchen  ausgeschlossen.  Von  den  Infra- 
labialia  (links  11,  rechts  9)  stossen  die  des  ersten  Paares 
breit  an  der  Kinnfurche  zusammen;  die  der  ersten  vier 
Paare  stehen  mit  dem  ersten  Paare  der  Kinnfurchenschil- 
der in  Berührung. 

Schuppen  lanzettlich  oval,  in  21  Längsreihen,  nach 
den  Seiten  herab  grösser  werdend;  alle  gekielt  mit  Aus- 
nahme derjenigen  der  äussersten  Reihe.  Bauchschilder 
(146)  wenig  heraufgebogen.  Anale  und  Schwanzschilder 
(34)  nicht  getheilt. 

Farbe.  Grundfarbe  der  Oberseite  olivenbraun.  Auf 
dem  Rücken  eine  Reihe  grosser  rhombischer  dunkelbrauner 
Flecke  (36  bis  zur  Aftergegend,  4  auf  dem  Schwänze),  die 
mittelsten  7  Schuppen  reihen  einnehmend;  meist  (nament- 
lich in  der  vorderen  Körperhälfte)  sind  die  beiderseitigen 
Hälften  dieser  Flecke  gegen  einander  verschoben,  wodurch 
an  diesen  Stellen  eine  Zickzackbinde  entsteht.  An  den 
Seiten, r;den  seitlichen  Spitzen  jener  Rhombenflecke  gegen- 
über, eine  denselben  entsprechende  Zahl  unregelmässig 
dreieckiger,  mit  den  Spitzen  nach  unten  gerichteter,  dun- 
kelbrauner Flecke ;  diese  erstrecken  sich  über  die  äusseren 
5—6  Schuppenreihen,  so  dass  zwischen  ihnen  und  den 
Spitzen  der  Rückenrhomben  1 — 2  Schuppenreihen  (die  6. 
und  7.)  die  Grundfarbe  zeigen.       Kopf  oben    braun;  vom 


Neue  Reptilien  und  Amphibien.  221 

Auge  erstreckt  sich  eine  breite  schwarze  Binde  nach  hinten, 
streift  die  oberen  Theile  der  letzten  drei  Supralabialia,  ver- 
läuft seitlich  am  Anfang  des  Halses,  und  löst  sich  nach  der 
11.  Schuppe  in  einzelne  Flecken  auf,  die  in  ihrem  Zu- 
sammenhange die  vorhin  erwähnte  seitliche  Fleckenbinde 
bilden.  —  Seitenfläche  und  Unterseite  des  Kopfes  weiss- 
grau,  schwarz  getüpfelt  und  marmorirt.  Vor  dem  Auge 
am  hinteren  Theil  des  vierten  Supralabiale,  ferner  unter 
der  Grube  an  der  Grenze  des  zweiten  und  dritten  Labiale, 
ebenso  an  der  Grenze  von  Rostrale  und  erstem  Labiale 
gehen  schwarze  Binden  zum  Mundrande.  Aehnliche  Zeich- 
nungen finden  sich  an  den  Grenzen  des  ersten  und  zweiten, 
des  vierten  und  fünften,  des  siebenten  und  achten  Infra- 
labiale, so  wie  an  dem  hinteren  Theile  des  zw^eiten 
Kinnfurchenschilderpaars.  —  Bauchseite  vorn  weisslich, 
schwarz  gepulvert;  vom  fünfzehnten  an  trägt  jedes  Bauch- 
schild einen  kleinen  viereckigen  Fleck,  welche  Quadrate 
jedoch  mehr  oder  weniger  gegen  einander  verschoben  sind 
und  keine  zusammenhängende  Längsbinde  bilden.  Die 
schwarze  Bestäubung  der  Bauchschilder  nimmt  nach  hinten 
mehr  und  mehr  überhand,  die  quadratförmigen  Flecke  ver- 
lieren sich  in  derselben,  und  vom  letzten  Drittheil  an  er- 
scheint der  Bauch  vorwiegend  schwarz  mit  weisser  Be- 
stäubung. Die  Unterseite  des  Schwanzes  ist  in  der  ersten 
Hälfte  einfarbig  schwarz,  wird  allmälig  heller  und  schliess- 
lich einfarbig  gelb. 

Maasse:     Totallänge  0,327  m;  Schwanz  0,04  m. 

Fundort.  Ein  Exemplar  aus  Guatemala.  Dasselbe 
steht  (Nr.  1943)  im  Kön.  Hof-Naturalienkabinet  zu  Stuttgart. 

Thamnocenchris  (T.  aurifer)  Salv.  (Ann.  u.  Mag.  N. 
H.  1861,  VII,  325),  ebenfalls  aus  Guatemala,  hat  den  Vor- 
dertheil  des  Kopfes  auch  mit  Schildern  bedeckt,  diese 
sind  aber  unregelmässig,  und  nicht  symmetrisch  geordnet, 
auch  sind  bei  dieser  Art  Körper  und  (Greif  =)  Schwanz 
stark  zusammengedrückt,  und  das  2.  Supralabiale  bildet 
den  Vorderrand  der  Gesichtsgrube;  Schuppen  in  19  (bei 
scutigera  in  21)  Längsreihen. 

Bei  Bothriechis  godmanni  Gnth.  (Ann.  u.  Mag.  N.  H. 
1863,  V.  12,  pag.  364  aus  Guatemala)   sind  die  grösseren 


222  J.  G.  Fischer: 

Schilder   des  Vorderkopfes  unsymmetrisch    geordnet   und 
theilweise  gekielt,  Färbung  abweichend. 


Bothriechis  nnmmifera  Rüpp. 
Var.  notata  Fisch. 

Tafel  VIII,  Fig.  10,  11,  12. 

Schuppen  des  Mittelkopfes  hinter  der  Augengegend 
grösser,  undeutlich  sechseckig;  von  diesen  die  zwei  mitt- 
leren neben  einander  liegenden  durch  einen  schwarzen  weiss- 
gesäumten  Fleck  ausgezeichnet.  Ein  schwarzer  Fleck  je  auf 
der  Grenze  des  dritten  und  vierten  und  einiger  der  folgenden 
Lippenschilder.  (Nach  Dumeril  und  Bibron  sind  bei 
ihrem  Atropos  mexicanus:  les  l^vres  blanches  et  sans 
taches.) 

In  anderen  Punkten  mit  den  Beschreibungen  und  Ab- 
bildungen von  Günther  (Ann.  u.  Mag.  1863,  3.  Ser.  Vol. 
11  pg.  25,  PI.  III.  flg.  C),  Dumeril  und  Bibron  (Erp^t. 
g6n.  VII,  1521;  pl.  83  bis,  Fig.  1  und  2)  übereinstimmend: 
25  Schuppenreihen :  132  Bauchschilder,  ein  einfaches  Anale, 
36  ungetheilte  Schwanzschilder.  Superciliaria  schmal,  obere 
Schnauzenschuppen  stark  gekielt  und  grösser  als  die  zu- 
nächst folgenden;  Gegend  zwischen  und  vor  den  Augen 
konkav.  • 

Auch  das  hier  bemerkte  Exemplar  stammt  aus  Guate- 
mala; Nr.  1967  der  Sammlung  des  Kön.  Hofnaturalienka- 
binets  zu  Stuttgart,  von  Hrn.  F.  Sarz  in  Coban  gesammelt. 


Chrysopelea  viridis   Fisch. 

Tafel  IX,  Fig.  13—17. 

Sl.  17;  0'.  1—2;  L.  7io;  T.2-f2  +  2;  V.  202;  A.'A;  Sc.  ^^Vg. 

(Hinterer  Oberkieferzahn  gefurcht.)  Sehr  schlank.  Die 
Schuppen  der  mittelsten  Reihe  rhombisch,  nebst  denen  der 
einen  beiderseits  darangrenzenden  Reihe  stark  gekielt,  die 


Neue  Reptilien   und  Amphibien.  223 

Übrigen  glatt,  dacliziegehinig  gelagert.  —  Einfarbig  grün, 
unten  heller:  Kanten  der  Bauchschilder  sehr  deutlich, 
schwarz  markirt. 


Beschreibung. 

Körperform.  Sehr  schlank,  Schwanz  mehr  als  Vs  der 
Totallänge.  Kopf  lang,  abgesetzt;  Stirn  etwas  konkav, 
Schnauze  flach.    Bauch  an  den  Seiten  scharfkantig. 

Kopfschilder.  Rostrale  breiter  als  hoch,  die  obere 
Schnauzenfläche  erreichend.  Internasalia  so  lang  wie 
breit,  unregelmässig  viereckig.  Praefrontalia  wenig 
länger,  merklich  breiter  als  vorige,  seitlich  herabgebogen, 
vom  Superciliare  bis  auf  einen  Punkt  durch  das  Anteoku- 
lare getrennt.  Frontale  fünfeckig,  länger  als  die  vordere 
Praefrontalnaht,  nach  hinten  stark  verschmälert,  mit  ein- 
gebogenen Seitenrändern. 

Supercilaria  gross,  gewölbt,  fast  so  lang  wie  das 
Frontale.  Parietalia  breit,  jedes  vorn  eben  so  breit  wie 
lang;  ihre  gemeinschaftliche  Naht  gleich  der  Länge  des 
Frontale.  Von  den  neun  Supralabialia  ist  das  6.  das 
grösste;  das  5.  und  6.  treten  an  die  Orbita.  Temporalia 
2  +  24-2,  das  untere  der  ersten  Reihe  sehr  klein,  auf 
der  Grenze  des  6.  und  7.  Labiale  stehend,  das  obere  der- 
selben Reihe  grösser,  mit  beiden  Postokularia  in  Berührung. 
Zwei  Nasal ia,  vorderes  grösser;  F renale  schmal,  lang, 
auf  dem  dritten  und  der  Hälfte  des  zweiten  Labiale 
ruhend.  Anteokulare  gross,  mit  der  oberen  Spitze  auf 
die  Stirnfläche  heraufgebogen  und  die  äusserste  Vorderecke 
des  Frontale  beinahe  berührend.  Infralabialia  zehn, 
die  des  ersten  Paares  an  der  Kinnfurche  zusammenstossend, 
die  der  ersten  sechs  Paare  mit  Kinnfurchenschildern  in 
Berührung.  Von  letzteren  sind  die  des  ersten  Paares  lan- 
zettförmig und  wenig  grösser  als  die  des  zweiten.  Zwischen 
diesen  und  dem  ersten  Bauchschilde  liegen  drei  Reihen 
lanzettförmiger  Schuppen. 

Körperschuppen  in  17  Längsreihen,  die  der  mittelsten 
rhombisch  und  wie  die  der  benachbarten  Reihe  stark  ge- 
kielt.    Die  übrigen  Schuppen  glatt,  schmal,  länglich  vier- 


224  J-  G.  Fischer: 

eckig,  stark  dachziegelartig  geordnet,  die  der  äussersten 
Reihe  rhombisch  und  sehr  breit.  Bauchschilder  durch 
eine  scharfe  Kante  an  jeder  Seite  in  drei  Theile  geknickt, 
von  denen  die  äusseren  der  Seitenfläche  des  Körpers  an- 
gehören, die  mittleren  in  ihrer  Aufeinanderfolge  die  glatte 
Bauchfläche  bilden.  Anale  getheilt.  Schwanzschilder  dop- 
pelt, ebenfalls  an  jeder  Seite  durch  eine  scharfe  Kante 
umgeknickt. 

Farbe.  Einfarbig  grün,  unten  heller.  An  Stellen,  wo 
die  Schuppen  von  einander  gezogen  sind,  erscheint  die 
Haut  schwarz.  Lippenschilder  und  Kehlgegend  gelblich. 
Die  helle  Farbe  der  Lippen  gegen  das  Grün  des  übrigen 
Kopfes  durch  eine  schmale  schwarze  Linie  scharf  abge- 
setzt. Kanten  der  Bauchschilder  schwarz,  durch  ihre  Auf- 
einanderfolge zwei  feine  schwarze  Längslinien  bildend. 

Maasse:     Totallänge  1,40  m;  Schwanz  0,5  m. 

Fundort:  Tabukan  auf  Sangi.  Das  der  Beschrei- 
bung zu  Grunde  liegende  Exemplar  ward  daselbst  von 
Herrn  Dr.  A.  B.  Meyer  gesammelt.  Es  ist  Nr.  871  der 
Schlangensammlung  des  Kön.  Zoolog.  Museums  in  Dresden. 


Dipsas  subaequalis  Fisch. 

Tafel  IX,  Fig.  18—21. 
Sl.  17;  0.  2-2;L.  ^-^;V.226;  A.l;Sc.^-^;  T.H-H-2.   . 

Hinterer  Oberkieferzahn  lang,  von  den  übrigen  ge- 
trennt, gefurcht.  Schuppen  der  mittleren  Rückenreihe  wenig 
grösser,  als  die  benachbarten.  Auge  gross,  Pupille  vertikal. 
Bauchschilder  nicht  gekielt.     Anale  einfach. 

Beschreibung: 

Form  schlank,  seitlich  zusammengedrückt,  Schwanz 
V4  der  Totallänge.  Kopf  breit,  stark  abgesetzt  vom  dünnen 
Hals.  Auge  gross,  sein  Durchmesser  fast  gleich  der  Ent- 
fernung seines  Vorderrandes  von  der  Schnauzenspitze. 


Neue  Reptilien  und  Amphibien.  225 

Kopfschilder.  Rostrale  klein,  wenig  breiter  als 
hoch,  nicht  auf  die  Oberfläche  der  Schnauze  heraufgebogen, 
luternasalia  fast  dreieckig,  seitwärts  ein  wenig  zu  den 
Nasalia  herabgebogen.  Praefroutalia  mehr  als  doppelt 
so  gross  wie  die  vorigen,  mit  dem  seitlich  stark  herabge- 
bogenen Theile  zwischen  Postnasale  und  Anteokulare  bis 
zum  Frenale  reichend.  Frontale  fünfeckig,  länger  als 
breit,  mit  konvergierenden,  schwach  eingebogenen  Seiten- 
rändern; Hinterränder  die  kleinsten,  einen  rechten  Winkel 
bildend.  Parietalia  gross,  länger  als  das  Frontale;  Vor- 
derrand bis  zur  Mitte  des  oberen  Postokulare  herabreichend; 
Hinterränder  nur  wenig  aus  einander  weichend,  fast  eine 
grade  Linie  bildend.  Super  ciliare  dreieckig,  sehr  breit, 
hinten  so  breit  wie  der  Vorderrand  des  Frontale.  Nasale 
einfach,  das  Nasloch  in  der  Mitte.  Frenale  viereckig, 
so  hoch  wie  breit.  Zwei  Anteokularia,  unteres  klein, 
auf  dem  dritten  Labiale  stehend,  oberes  hoch,  auf  die  Stirn- 
fläche heraufgebogen,  nicht  ganz  an  das  Frontale  reichend. 
Zwei  Postokular ia,  unteres  auf  der  Grenze  des  5.  und 
G.Labiale  ruhend.  Temporalia  1  +  1  +  2,  alle  fast  sechs- 
eckig, das  erste  wenig  grösser  als  die  folgenden.  Auf 
das  untere  der  dritten  Reihe  folgt  längs  dem  Oberrande 
des  8.  Labiale  ein  rhombisches  Schild  von  der  Grösse  des 
vorhergehenden  Temporale.  Supralabialia  acht,  das  6. 
und  besonders  das  7.  die  grössten,  das  3.,  4.  und  5.  die  Orbita 
von  unten  begrenzend.  Zehn  (rechts  elf)  Infralabialia, 
die  der  ersten  sechs  Paare  mit  den  Kinnfurchenschildern 
in  Berührung.  Von  letzteren  sind  die  des  ersten  wenig 
grösser  als  die  des  zweiten ;  auf  dieses  folgen  zwei  Reihen 
lanzettförmiger  Schuppen  bis  zu  dem  ersten  Bauchschilde. 

Körperschuppen  glatt  in  17  Längsreihen,  die  der 
mittelsten  wenig  grösser  als  die  benachbarten,  rhombisch 
mit  schwach  abgestutzten  vorderen  und  hinteren  Spitzen; 
die  der  seitlichen  Reihen  länglich  rhombisch,  neben  ein- 
ander (nicht  dachziegelartig)  geordnet,  diejenigen  der  äus- 
sersten  Reihe  kaum  grösser,  als  die  der  darüberstehenden. 
—  Bauchschilder  226,  an  den  Seiten  heraufgebogen, 
nicht  gekielt.  Anale  einfach;  Schwanz  Schilder  in  105 
Paaren. 

Archiv  für  Naturg.  XXXXVI.  Jahrg.  1.  Bd.  15 


226  J-  G-  Fischer: 

Farbe.  Einfarbig  blaugrün  ohne  Abzeichen,  unten 
heller.  An  Stellen,  wo  die  Schuppen  oder  die  Bauchschil- 
der auseinandergezogen  sind,  scheint  die  Haut  schwarz 
hindurch,  die  Schuppen  netzartig  umsäumend. 

Maasse:     Totallänge  1,05  m;  Schwanz  0,25  m. 

Ein  Exemplar  des  Kön.  Zoologischen  Museums  in 
Dresden  (Nr.  1040  der  Schlangensammlung),  von  Hrn.  von 
Koppenfels  für  dasselbe  gesammelt. 


Bradiyorrhos   albus   Kühl. 
Var.  conjunctus  Fisch. 

Die  Dresdener  Sammlung  besitzt  fünf  Exemplare  dieser 
Art,  die,  wie  der  von  mir  kürzlich  beschriebene^)  Oxy- 
orrhos  fusiformis  aus  Buru  kein  Anteokulare  besitzen, 
sondern  bei  denen  ebenfalls,  wie  bei  dem  Stuttgarter  Exem- 
plar, das  jener  Beschreibung  zu  Grunde  lag,  das  Praefron- 
tale  mit  einem  nach  hinten  ausgezogenen  Zipfel  die  Orbita 
und  die  Stelle  des  Anteokulare  vertritt.  Alle  fünf-  Exem- 
plare (Nr.  11.  12.  220.  868.  887)  stammen  aus  Ternate, 
wo  sie  von  Hrn.  Dr.  A.  B.  Meyer  gesammelt  wurden. 
Ausserdem  aber  besitzt  die  Dresdener  Sammlung  noch  ein 
sechstes  Stück,  ebenfalls  aus  Ternate  (Nr.  1023),  bei  dem 
das  Anteokulare,  wie  bei  dem  Typus,  nicht  mit  dem  Prae- 
frontale  verschmilzt.  Es  ist  daher  die  Gattung  Oxyorrhos 
einzuziehen,  und  höchstens  der  Umstand,  dass  die  erwähnte 
Verschmelzung  vorzugsweise  an  Stücken  beobachtet  wird, 
die  von  einigen  der  kleineren  Molukken  stammen,  dürfte 
die  Aufstellung  einer  besonderen  Varietät  rechtfertigen. 

Ein  dieser  Varietät  angehöriges  ganz  junges  Exem- 
plar der  Dresdener  Sammlung  zeigt  eine  von  der  einfachen 
Färbung  aller  Exemplare  sehr  abweichende,  meines  Wissens 
noch  nicht  beschriebene  Zeichnung: 

Grundfarbe  schwarz,  oben  und  namentlich  an  den 
Seiten  mit  vielen  schmalen  weissen,  netzförmig  verschmel- 

1)  Verh.  Naturwiss.  Vor.  Hamburg  1279,  89. 


Neue  Reptilien  und  Amphibien.  227 

zenden,  winkeligen  Querbinden,  welche  die  Breite  einer 
Schuppe  einnehmen.  Bauchschilder  mit  vorderem  schwarzem 
Saum,  der  den  grössten  Theil  des  Vorderrandes  einnimmt, 
sich  nicht  bis  zu  deren  äusseren  Ecken  erstreckt,  sich  aber 
hin  und  wieder  in  einzelne  Flecke  auflöst.  —  In  der 
Mitte  jedes  Internasale  und  des  Frontale  ein  weisser  Fleck. 
Lippenschilder  und  Schläfenschilder  weiss,  jedoch  ein 
schwarzer  Fleck  auf  der  Mitte  der  Schläfe.  Kinn-  und 
Kehlgegend  weiss,  schwarz  gesprenkelt. 


Erklärung  der  Abbildungen  auf  Tafel  VIII.  und  IX. 


Taföl  VIII.  Fig.  1 — 4.  Caecilia  polyzona  Fisch,  1.  Kopf  von  der 
Seite;  2.  Kopf  von  unten;  3.  Kopf  von  oben;  4.  Kör- 
perende von  unten. 

Fig.  5—7.     Caecilia  natans    Fisch.     5.    Kopf  von    der 
Seite ;   6.  Hinterende   von  der  Seite ;    7.   Dasselbe  von 
unten;  a.  After;  b.  Hautsaum. 
Fig.  8 — 9.     Bothriechis  scutigera  Fisch. 
Fig.  10 — 12.     Bothriechis  nummifera  Rüpp.  Var.  notata 
Fisch. 

Tafel     IX.  Fig.  13—17.     Chrysopelea  viridis  Fisch. 
Fig.  18 — 21.     Dipsas  subaequalis  Fisch. 


Zur    Kenntniss   der    Galeodiden. 

(Tnfel  X.    Fig.  1—25.) 
Von 

Dr.  F.  Karsch, 

in   Berlin. 


Veranlassung  zur  vorliegenden  Abhandlung  gab  der 
vor  Kurzem  erschienene  „Essai  d'une  Classification  des 
Galeodes"  von  Eugene  Simon  (Ann.  Soc.  Entomol.  Fr., 
5  ser.,  IX,  1879,  pp.  93-154,  PL  3).  Die  in  diesem  Auf- 
satze niedergelegten  Untersuchungen  haben  vielfach  For- 
men zum  Gegenstande  der  eingehendsten  Besprechung, 
deren  Typen  das  Berliner  zoologische  Museum  besitzt. 
Somit  ist  der  vorliegenden  Arbeit  eine  vorzugsweise  kri- 
tische Aufgabe  gestellt,  welche  darin  besteht,  die  Angaben 
Simon's  auf  ihre  Richtigkeit  zu  prüfen  und  diese  Be- 
sprechung bildet  den  ersten  Theil ;  aus  dieser  Untersuchung 
ergaben  sich  alsdann  ganz  von  selbst  neue  Gesichtspunkte 
und  die  Darstellung  dieser  ist  Aufgabe  des  zweiten  Theiles. 
Man  wird  aus  jeder  der  beiden  Abtheilungen  zur  Genüge 
ersehen,  dass  wir  erst  am  allerersten  Anfange  einer  wissen- 
schaftlichen Kenntniss  der  hier  in  Frage  stehenden  merk- 
würdigen Thierformen  uns  befinden,  jener  so  iüteressanten 
Arthropodenformen,  deren  Wurzel  im  descendenztheoreti- 
schen  Stammbaume  nach  den  neuesten  Ansichten  der  Wissen- 
schaft im  Bereiche  der  niedersten  Insekten  zu  suchen    ist. 

I. 

Zu  Simon's  „Essai  d'une  Classification  des 
Galeodes"   (1879). 

Formell  ist  zunächst  zu  bemerken,  dass  die  von 
Simon    vorgenommene    Umtaufung    des    Gattungsnamens 


Zur  Keniitniss  der  Galeodiden.  229 

SolpiKja  in  GaetuUa  (loc.  cit.  pp.  107 — 108)  aus  zweien  Grün- 
den ungerechtfertigt  erscheint. 

Nachdem  nämlich  Oliv i er  in  Encyclopedie  methodi- 
que,  VI,  1791,  p.  578  seine  Gattung  Galcodes  im  Sinne 
\ on  Phalangium  arancoides  Pall.  (1772)  in  Verbindung  mit 
seinem  Galeoäes  setifera  (loc.  cit.  p.  579  u.  580)  aufgestellt 
hatte,  errichtete,  unabhängig  von  seinem  Vorläufer,  im 
Jahre  1796  Lichtenstein  im  Catalogus  Musei  Zoologici 
ditissimi  Hamburgi,  d.  III.  Februar  1796,  Auctionis  lege 
distrahendi.  Lectio  Tertia.  Continens  Insecta.  Hamburg, 
1796,  auf  Grund  seiner  drei  Arten  fatalis^  aracJinodes  und 
clielicornis  (1.  c.  pp.  216 — 218,  nro.  4,  5  u.  6)  seine  Gattung 
Solpuga,  ohne  indessen  eine  der  drei  Arten  ausdrücklich 
als  Type  der  Gattung  Solpuga  zu  bezeichnen.  Solpuga 
arachnodes  Licht,  ist  mit  Galeodes  araneoides  {P b.\\.)  (und 
Fabr.  in  Suppl.  Entomol.  Syst.  Hafn.,  1798,  p.  294,  2  ad 
partem)  identisch,  also  ein  echter  Galeodes  Oliv.,  während 
hingegen  Solpuga  fatalis  Licht,  ein  bisher  zweifelhaftes 
Thier,  Solpuga  chelicornis  aber  mit  Solpuga  jiibata  C.  L. 
Koch  (und  araneoides  (Fabr.),  Ent.  Syst.,  II,  p.  431,  9, 
1795,  einer  von  araneoides  (Pall.)  verschiedenen  Form  ge- 
ner isch  zusammenfällt,  von  Simon  sogar  als  eine  und 
dieselbe  Art  mit  Solpuga  setifera  (Oliv.)  und  jiibata  C. 
L.  Koch  betrachtet  wird  (cf.  loc.  cit.  p.  109).  Solpuga 
Licht,  umfasst  also  schon  in  den  beiden  Arten  arachno- 
des und  chelicornis  verschiedene  Gattungselemente,  ist  er- 
stens Galeodes  Oliv.  ex.  p.  und  zweitens  Gaetidia  Sim. 

Auf  den  zu  den  Lichten  st  ein 'sehen  Typen  im 
Berliner  Museum  gehörigen  Signaturen  findet  sich  zu 
den  männlichen  C.  L.  Koch'schen  Typen  der  Solpuga 
juhata^  welche  nicht  als  Synonym  zu  GaetuUa  setifera 
(Oliv.)  Sim.  gehört,  „S.  chelicornis,  Fabr.  Licht. —  Oliv.?" 
und  „Ä  africana  Licht.  $"  vom  Pr.  b.  sp.  citirt;  das 
Synonym  „S.  fatalis  F.  ?  Licht.?"  findet  sich  auf  einer 
zu  mehreren  (3)  weiblichen  Exemplaren  einer  Solpuga  le- 
talis M.  S.  genannten  Form  gehörigen  Signatur;  unzweifel- 
haft hat  eines  der  Exemplare  dem  C.  L.  Koch  bei  Be- 
schreibung und  Darstellung  seiner  Solpuga  letalis  (1842 
und  1848)  vorgelegen,  so  dass  also  Solpuga  letalis  als  S. 


230  F.  Karsch: 

fatdlis  in  Zukunft  zn  bezeichnen  sein  wird;  das  zu  fatdlis 
gehörige,  von  Koch  als  letalis  recht  gut  und  bündig  be- 
schriebene Männchen  wird  unter  der  Signatur  Prom.  b.  sp. 
im  Berliner  Museum  als  „ä  araneoides  Fabr.  Ent."  irrthüm- 
lieh  bezeichnet  —  alles  entscheidende  Gründe,  dass  man 
sich  durch  die  Vaterlandsangaben  der  älteren  Autoren  nicht 
darf  irre  führen  lassen! 

Wenn  man  nun  dieser  Darstellung  entsprechend  Ga- 
leodes  Oliv,  im  Sinne  seiner  beiden  Arten  in  zwei  Gattun- 
gen spaltet,  als  deren  Typen  man  einerseits  G.  araneoides 
(Pall.)   Oliv,   (ünguibus  setulosis ;  tarsis  pedum  4.  paris 
triarticulatis ;    =    Galeodes   (Oliv.)  s.  str.)  und  anderseits 
G.  setifera  Oliv,  (ünguibus  glabris;  tarsis  pedum  4.  paris 
Septem   articulatis;    =   Solpuga  (Licht.)   ad   part.   spec.) 
betrachtet;  so  ist,  da  Gal.  setifera  mit   Solpuga  chelicornis 
Licht,  generisch  zusammengehört,  und  da  letzterer  Merk- 
male,  falls  unsere  Deutung  richtig  ist,   auch  der  Solpuga 
fatdlis  Licht,  zukommen,  nicht  der  geringste  Grund  vor- 
handen, die  Gattung  Solpuga  Licht.  (1796)  aufzugeben  .  . 
am    wenigsten    aber   ein   Grund,   sie    neuerdings    mit    E. 
Simon:    Gaetulia  (im  Nov.  1879:  Caerellia)  zu  taufen,  da 
dieser  Name  bereits  1864  von  Stäl  an  eine  Hemipterengat- 
tung  vergeben  wurde  (cf.  Stett.  Entomol.  Ztg.  XXV,  p.  54).  — 
Eine  umfassendere  systematische  Bearbeitung  erfuhren 
die  Galeodiden  erst  im  Jahre  1842  durch  C.  L.  Koch's: 
„Systematische  Uebersicht  über  die  Familie  der  Galeoden" 
im  Archiv  für  Naturgeschichte,  VIII,  1,  pp.  350—356,  wo- 
selbst neben  den  alten  Gattungen  G^a?eo(^e5  (Oliv.),  Solpuga 
(Licht),  Bhax  Hermann,  die  beiden  neuen  Gattungen  Ael- 
lopus  (=  Ilexisopus  Karsch,  1878 — 9)  und  Gluvia  aufge- 
stellt worden   sind.      Vorzugsweise  diese  letztere  Gattung 
wurde  so  falsch  diagnosirt  und  es  fanden  die  in  derselben 
untergebrachten  Arten    eine  so  mangelhafte  Beschreibung 
im  Detail,  dass  es  unmöglich  ist,  ohne  Ansicht  der  Koch'- 
schen  Typen   auch   nur    eine  einzige  der   7—9  Arten  mit 
einiger    Wahrscheinlichkeit  zu    deuten.      Wenn   daher   E. 
Simon  es  unternahm,  ohne  Ansicht  derselben  einen  „Essai 
d'une  Classification  des  Galeodes"  zu  geben,  so  kann  es  nicht 
wohl  Wunder  nehmen,  dass  vielerlei  Irrthümer  mit  unter- 


Zur  Kenntniss  der  Galeodiden. 


281 


liefen,  welche  die  in  Betreff  der  Artenkenntniss  der  Galeo- 
diden herrschende  Confusion  mindestens  nicht  vermindert 
haben. 

Koch  also  diagnosirt  die  Gattung  Gluvia  dahin: 
„Die  Tarsen  aller  Beine  ohne  Abtheilung  in  Gelenke,  das 
Tarsenglied  dünn  und  lang;  das  Endglied  der  Taster  frei 
und  deutlich"  (loc.  cit.  p.  355).  Gemäss  den  typischen  Exem- 
plaren im  Berliner  Museum  lassen  sich,  obwohl  sie  in  ge- 
trocknetem Zustande  sind,  mit  leider  nur  theilweiser  Ge- 
wissheit die  folgenden  Gliederzahlen  der  Tarsen  der  Beine 
ermitteln : 

An   einem  Beine  des 
bei  praecox  C.  L.  K  o  c  h  ^ 


„  gracilis 

$ 

„  geniculata 

? 

„  striolata 

? 

„  formicaria 

? 

„  einer ascens 

<^ 

„  elongata 

^ 

IL 

III. 

IV.; 

2 

2 

4 

? 

2 

3 

3 

3 

1? 

1? 

<j> 

CD  a> 


Auch  Gluvia  minima  C.  L.  Koch,  von  welcher  das 
hiesige  Museum  drei  (übrigens  nicht  typische)  nicht  beson- 
ders erhaltene  Exemplare  aus  Andalusien  besitzt,  scheint 
am  hintersten  Beinpaare  dreigliedrige  Tarsen  zu  besitzen, 
also  nicht  zu  Gluvia  C.  L.  Koch  im  Sinne  seiner  Dia- 
gnose, d.  h.  nicht  zu  Gluvia  E.  Sim.  zu  gehören. 

Simon  hat  nun  die  Koch'sche  Diagnose  festgehalten, 
indem  er  sie  mit  den  darin  von  Koch  gebrachten  Arten 
sich  deckend  glaubte  und  aus  den  beiden  von  ihm  gedeu- 
teten Koch' sehen  Arten:  Gluvia  striolata  und  geniculata 
zwei  besondere  Gattungen  gebildet,  die  er  als  Gluvia  und 
Batames  scheidet.  In  wie  fern  er  berechtigt  ist,  gerade 
G.  striolata  als  typische  Art  der  Koch'schen  Gattung  Glu- 
via aufzufassen  (cf.  loc.  cit.  p.  127),  darüber  gibt  er  keine 
Auskunft;  jedoch  entspricht,  ob  Simon's  Deutung  nun 
richtig  ist  oder  nicht,  der  angegebene  Gattungscharakter 
der  Eingliedrigkeit  der  Tarsen  der  drei  hintern  Beinpaare 
ohne  Frage  vollkommen  der  von  Koch  für  Gluvia  gege- 
benen Gattungsdiagnose.  Eine  Frage  bleibt  es  aber,  ob 
seine  speci fischen  Deutungen  richtig  sind. 


232  F.  Karsch: 

Für  Gluvia  stridlata  erscheint  die  Irrthümlichkeit  der 
Deutung  schon  deshalb  ausgemacht,  weil,  der  Tabelle  zu- 
folge, das  typische  Exemplar  3  Tarsenglieder  am  4.  Bein- 
paare zeigt:  dieBezahnung  der  Mandibeln,  sowie  die  übrige 
Beschreibung  Simon's  entspricht  sonst  ziemlich  genau  den 
in  weiblichen  Exemplaren  vorliegenden  Stücken. 

Datames  geniculatus  Simon  hat  indessen  mit  Gluvia 
geniculata  C.  L.Koch  durchaus  gar  nichts  zu  thun,  weder 
die  Bezahnung  der  Mandibeln  (loc.  cit.  PI.  3,  Fig.  25), 
noch  die  Beschreibung  Simon's  entspricht  im  geringsten 
einem  der  vier  Exemplare  der  Koch'schen  Type;  der 
Kopftheil  des  Cephalothorax  ist  z.  B.  nicht  „sans  strie 
mediane^  (loc.  cit.  p.  138),  sondern  mit  deutlicher  Mittel- 
längsfurche versehen.  Für  Datames  geniculatus  Sim.  wird 
also  ein  neuer  Artname  eintreten  müssen,  den  zu  geben 
dem  Autor  selber  überlassen  bleibe. 

Gluvia  geniculata  C.  L.Koch  stimmt  mit  Gluvia  fur- 
cillata  E.  Sim.  im  Zahnbau  ziemlich  überein,  kann  aber 
wegen  der  Dreigliedrigkeit  der  Tarsen  des  hintersten  Bein- 
paares weder  in  die  Gattung  Gluvia  im  Sinne  der  Koch'- 
schen Diagnose,  noch  zu  Gluvia  Sim.  gehören.  Nach 
meinem  Dafürhalten  wäre  sie  mit  Gluvia  striolata  Koch 
in  der  Gattung  Cleobis  Sim.  unterzubringen,  worauf  schon 
der  allgemeine  Habitus,  der  vorn  vorgezogene  Kopf,  die 
compresse  Form  der  Schenkel  IV  hindeuten. 

Es  entsteht  hier  nur  noch  die  eine  Frage,  welche 
der  von  Koch  unter  Gluvia  gebrachten  Arten  ist  nun  als 
Type  seiner  Gattung  aufzufassen?  Eine  Frage,  welche 
bei  dem  gegenwärtigen  Stande  der  Kenntniss  der  Galeodi- 
den  leider  noch  unentschieden  bleiben  muss,  wenn  man 
die  Ergebnisse  der  Tabelle  in's  Auge  fasst.  Wenn  Simon, 
indem  er  Gluvia  fornicaria  $  und  cinerascens  cT  ^^  seine 
Gattung  Datames  brachte,  der  Natur  entsprechend  handelte, 
so  müsste  für  Datames  Sim.  alsdann  Gluvia  (C.  L.  Koch) 
nach  den  Gesetzen  stabiler  Nomenclatur  wieder  eintreten 
und  Gluvia  Sim.  durch  einen  neuen  Namen  ersetzt 
werden,  vorausgesetzt,  Gluvia  elongata  (C.  L.  Koch),  an 
deren  typischem  Exemplare  die  Tarsen  IV  nicht  mehr  vor- 
handen sind,  gehöre  zu  Gluvia  im  Sinne  der  Diagnose  C. 


Zur  Kenntniss  der  Galcodidcu.  233 

» 

L.  Koch's,  und  in  der  That  scheint  auch  diese  Art  dahin 
zu  gehören  und  zwar  ein  Datamcs  Sim.  zu  sein. 

Diese  Zweifel  sind,  wie  man  einsieht,  selbst  mit 
Hülfe  der  Typen  nicht  lösbar  und  muss  ich  ihre  Beseitigung 
der  Zukunft  überlassen.  — 

In  seine  Gattung  JDatames  (=  ?  Gluvia  C.  L.  Koch, 
nee  Sim.)  bringt  Simon  von  den  Koch'schen Arten  aus- 
ser den  genannten  noch  Gluvia  praecox  und  Gluvia  gracilis. 
Gemäss  der  obigen  Tabelle  gehören  aber  beide  Arten 
gewiss  nicht  dahin.*  Praecox  und  gracilis  bilden  viel- 
mehr die  Typen  zweier  neuen  Gener'a:  Gluvia  gracilis 
unterscheidet  sich  von  Cleohis  Sim.  nicht  nur  durch  die 
Zweigliedrigkeit  der  Tarsen  des  dritten  Beinpaares,  son- 
dern noch  dadurch,  dass  die  Schenkel  IV  dünn,  nicht 
compress,  die  Krallen  II,  III  und  IV  sehr  klein  und  fein, 
das  mittlere  zweite  Tarsalglied  IV  so  lang  als  das  letzte 
(dritte)  ist  (cf.  bei  Cleohis  PI.  3,  Fig.  37  Simon's)  sowie 
durch  die  einigermassen  an  Mummucia  erinnernde  Be- 
zahnung  der  Mandibeln,  welche  Merkmale  in  ihrer  Ver- 
einigung eine  eigene  Gattung  Zerhina  zu  bilden  be- 
rechtigen. 

Gluvia  praecox  zeigt  Merkmale  in  der  Tarsalbildung, 
welche  keiner  der  von  Simon  aufgestellen  Gattungen 
eigenthtimlich  sind.  Das  typische  Exemplar  ist  ein  Männ- 
chen. Es  stimmt  in  dem  genannten  Merkmal  mit  weib- 
lichen Exemplaren  einer  von  Dongolah  vorhandenen  Galeo- 
dide  überein,  welche  gleichwohl  generisch  von  praecox 
verschieden  zu  sein  scheint.  Die  genannten  Arten  charak- 
terisiren  sich  nun  generell  in  folgender  Weise: 

Zerhina,  nov.  gen. 

Tarsus  111^=2-,  I V=3-articulatus ;  cephalothorax  antice 
rubrectus,  tuber  oculorum  crassum;  femora  IV  tenuia,  non 
compressa,  unguibus  IL,  III.  et  IV.  paris  pedum  parvis  et 
tenuibus,  articulis  tarsorum  IV  duobus  ultimis  aequa  longi- 
tudine,  in  genere  Galeodes  tribus  articulis  versus  apicem 
gradatim  longioribus,  in  genere  Cleohis  medio  brevissimo 
et  annulari,  primo  et  tertio  aequa  fere  longitudine. 

Spec.  typ.:  Z.  gracilis  (C.  L.  Koch)    ?. 


234  ,  F.  Karsch: 

Daesia,  nov.  gen. 

Tarsus  II  et  III  —  2-,  IV  =  4-  articulatus;  metatar- 
sus  pedum  maxillarium  subtus  spiuosus  (saltem  in  (/). 
Spec.  typ.:  D.  praecox  (C.  L.  Koch)  J". 

Bitofij  nov.  gen. 

Tarsus  II  et  III  =  2-,  IV  =  4-  articulatus;  metatarsus 
pedum  maxillarium  non  spinosus,  pilis  setiformibus  longio- 
ribus  et  brevioribus  circum  vestitus  (saltem  in  ?).  Cepha- 
lothorax  margine  anteriore  subrectus,  paullo  productus; 
pedes  IV  longi,  femoribus  latioribus  compressis. 

Spec.  typ.:  B.  Ehrenbergii,  nov.  spec.    $. 

Es  sei  hier  gleich  die  Diagnose  einer  neuen  Gattung 
angereiht,  über  deren  Verwandtschaft  ich  nicht  ganz  in's 
Klare  kommen  konnte,  da  die  Tarsaltheile  der  Beine  des 
vierten  Paares  nicht  wohl  alle  erhalten  sind. 

GnosippuSj  nov.  gen. 

Tarsus  II  et  III  =  1-articulatus ;  tarsi  pedum  IV. 
paris  articulus  singulus  tantum  tenuis  perlongus  unguibus 
carens  conservatus  est.  Coxae  IV.  paris  pedum  valde  elon- 
gatae,  femore  vix  breviores;  mandibularum  dens  fixusantice 
furcatus,  intus  flagello  brevi  subsemilunari  instructus. 

Spec.  typ.:  G. Klunzinger%  nov.  spec.  (^. 

E.  Simon  beabsichtigte,  gegenüber  der  „künstlichen" 
Eintheilung  C.  L.  Koch's  nach  der  blossen  Zahl  der  Tar- 
salglieder,  die  weder  von  Gervais,  noch  von  Dufour 
angenommen  worden,  eine  „natürliche"  Classification  der 
Galeodiden  zu  liefern,  indem  er  andere  Merkmale,  die  bis- 
her vernachlässigt  waren,  in  den  Bereich  seiner  Unter- 
suchung zog,  aber  merkwürdigerweise  gleichzeitig  die 
Hauptmerkmale  Koch's  z.  Th.  verwarf;  allein  nach  dem 
Ergebnisse  der  vorausgegangenen  Untersuchungen  ist  die 
Zeit  zur  Schöpfung  einer  natürlichen  Eintheilung  noch 
lange  nicht  reif;  es  ist  noch  viel  zu  wenig  bekannt  und 
das  Bekannte  noch  viel  zu  oberflächlich  erforscht,  und  da- 
her möchte  eine  auf  einfachste  und  möglichst  wenige 
Merkmale  gebaute,   noch  so  künstliche  Eintheilung  practi- 


Zur  Kcuutniss  der  Galeodiden. 


235 


scheren  und  dadurch  eben  auch  wissenschaftlicheren  Nutzen 
haben,  als  alle  auf  ein  viel  zu  ungenügendes  Material  auf- 
gebauten sogenannten  natürlichen  Classificationen.  Simon 
hat  allerdings  Merkmale  von  Bedeutung  hervorgehoben, 
die  Koch  und  seine  Nachfolger  ausser  Acht  gelassen  hat- 
ten, v^ie  z.  B.  die  Bildung  des  Augenhügels,  den  Bau  der 
Respirationsöifnungen  etc.,  allein  er  hat  dafür  andere  wie- 
der unbeachtet  gelassen,  die  ebenso  wichtig  erscheinen,  z. 
B.  die  Tarsalbildung  der  Beine  des  zweiten  und  des  dritten 
Paares.  Dadurch  leidet  seine  schöne  und  bahnbrechende 
Arbeit  über  die  Galeodiden  an  einem  entschiedenen  Mangel, 
welcher  in  der  nachstehenden  Tabelle,  auf  der  die  mir  nicht 
aus  eigener  Anschauung  bekannten  Gattungen  mit  einem  * 
versehen  sind,  unangenehm  auffällt.  Diese  Tabelle  greift 
nämlich  auf  das  ursprüngliche  Eintheilungsprincip  C.  L. 
Koch's  zurück. 


Tarsalgliederzahl    der   drei    hintern  Beinpaare 
bei    den   Galeodidengattungen: 

IL  III.  IV.  Paar. 


Solpuga  Licht. 

4v 

4 

7 

(=Caerellia-\-  Gaetulia  Sim.) 

*Zeria  Sim. 

7 

Daesia  nob. 

2 

2 

4 

Bit  071  nob. 

2 

2 

4 

Galeodes  (Oliv.) 

2 

2 

3 

Zerhina  nob. 

? 

2 

3 

Cleobis  Sim. 

1 

1 

3 

*Mummucia  Sim. 

3 

Gliwia  Sim. 

1 

(nee  C.  L.  Koch 

j 

?in  part.  spec.) 

Datames  Sim. 

1 

1 

1 

(=  ?  Ghwia  C.  L. 

Koch). 

Gylippus  Sim. 

1 

1 

1 

*Dinorhax  Sim. 

1 

Bhax  Herrn. 

1 

1 

1 

Ueooisopus  Ka  r  s  c  h . 

1 

1 

1 

{^Aellapus  C.  L.Koch.) 

Gnosippus  nob. 

1 

1 

? 

236  F.  Karsch; 

Man  Übersieht  sogleich,  wie  viel  WisseDSwerthes  die 
Tabelle  noch  zu  wünschen  übrig  lässt. 

Als  Abschluss  des  ersten  Theiles  lasse  ich  nun  eine 
Anzahl  Thesen  folgen,  welche  einige  Angaben  Simon's 
auf  Grund  der  Koch'schen  Galeodidentypen  des  Ber- 
liner Museums  beleuchten,  sowie  auch  das  im  voraufgehen- 
den weitläufiger  erörterte  kurz   recapituliren : 

1.  Galeoäes  leucoi^haeus  C.L.Koch  gehört  als  Männ- 
chen zu  Galeoäes  Scolaris  C.  L.  Koch,  welchem  Namen 
die  Priorität  gebührt. 

2.  Solpuga  jubata  C.  L.  Koch  ist  eine  von  Gaetitlia 
setifera  (Oliv.)  Simon  verschiedene  Art,  was  aus  der  Ver- 
gleichung  der  Mandibularbezahnung  und  der  Bildung  des 
Flagellums  beider  ersichtlich  ist. 

3.  Solpuga  chelicornis  Licht,  gehört  als  Synonym  zu 
Solpuga  jubata  C.  L.  Koch  und  nicht  zu  Gaetulia  setifera 
(Oliv.)  Simon;  die  Art  muss  also  den  Namen  Solpuga 
chelicornis  Licht.  (1 796)  führen.  Solpuga  africana  Licht. 
ist  eine  phantasievolle  weibliche  Form  derselben  Art. 

4.  Gaetulia 'Vincta  Sim.  ist  nicht  identisch  mit  Sol- 
puga  vincta  C.  L.  Koch,  sondern  eine  eigene  Art,  für 
die  diQY  ^2imQ  Solpuga  producta  nov.  nom.  eintreten  möge. 
Man  vergleiche  die  Darstellung  der  männlichen  Mandibeln 
beider.  Solpuga  hadia  C.  L.  Koch  ($),  und  rufescens  id. 
( $ )  sind  wohl  nur  blosse  Synonyma  zu  Solpuga  vincta  id.  (^). 

5.  Zu  Solpuga  fatalis  Licht.,  $,  welche  von  Simon 
(cf.  loc.  cit.  p.  106)  als  zweifelhaft  bei  Galeoäes  unterge- 
bracht wird,  gehört  Solpuga  lethalis  C.  L.  Koch,  cT  und 
$,  als  Synonym. 

6.  Solpuga  flavescens  C.  L.  Koch  ($)  ist  dem  typi- 
schen Exemplare  zufolge,  an  dem  die  Palpen  einfarbig  gelb 
sind,  eine  von  Gaetidia  nigripalpis  (Du f.)  Sim.  verschie- 
dene Art;  das  cT  dieser  letzteren  besitzt  nach  Simon's 
Zeichnung  grosse  Aehnlichkeit  mit  Solpuga  fatalis h'K^ht; 

Solpuga  fusca  (J",  $),  lateralis  (cf )  und  lineata  C.  L. 
Koch  ((f)  sind  sehr  leicht  unterscheidbare  Formen,  wie 
die  Darstellung  der  Mandibularbezahnung  und  des  männ- 
lichen Flagellums  veranschaulicht;  die  Type  der  Solpuga 
hirtuosa  C.  L.  Koch  besitzt  das  Berliner  Museum  nicht. 


Zur  Kenntniss  der  Galeodiden.  237 

7.  Solpuga  Merope  (Sim.)  steht  der  Solpuga  fusca 
C.  L.  Koch  nahe;  Soljnif/a  dentatidens  (^im.)  der  So^niga 
lateralis  C.  L.  Koch. 

8.  Gluvia  striolata  C.  L.  Koch  gehört  nicht  als  Syno- 
nym zu  Gluvia  dorsalis  (Latr.)  Sim.,  sondern  ist  wahr- 
scheinlich ein  Cleohis  Sim. 

9.  Datames  genimlatiis '^\m.  hat  mvi  Gluvia  geniciäata 
C.  L.  Koch  nichts  als  den  Namen  gemeinsam;  diese  ist 
ein  Cleohis  Sim.,  jene  Art  muss  einen  neuen  Namen  erhalten. 

10.  Gluvia  praecox  und  gracilis  C.  L.  Koch  fallen 
vollständig  aus  dem  Rahmen  der  Gattung  Gluvia  im  Sinne 
ihrer  Definition;  jede  von  ihnen  bildet  den  Typus  eines 
neuen  Genus,  das  von  Datames  Sim.,  in  welche  Gattung- 
Simon  beide  Arten  bringt,  durch  viele  Merkmale  ge- 
trennt ist. 

11.  Gluvia  formicaria  C.  L.  Koch  möchte  das  $  der 
Gluvia  einer ascens  C.  L.  Koch  darstellen,  in  welchem 
Falle  der  letztern  Benennung  die  Priorität  gebührte.  — 
Gluvia  formicaria^  cinerascens  und  elongata  C.  L.  Koch, 
möchten  sammt  und  sonders  der  Gattung  Datames  Sim. 
angehören,  in  welchem  Falle  Gluvia  (C.  L.  Koch)  dafür 
eintreten  und  Gluvia  Sim.  einen  neuen  Namen  erhalten 
muss  gemäss  den  Gesetzen  stabiler  Nomenclatur. 

12.  Rhax  impaxida  C.  L.  Koch  ist  ein  echter  (junger) 
Bhax  Herrn.,  kein  Dinorhax,  wie  Simon  loc.  cit.,  p.  124) 
verrauthet. 

13.  Die  in  Stett.  Entomol.  Ztg.  XL,  1879,  p.  108,  Nro. 
7  beschriebene  Gluvia  Martha  $ ,  muss  in  der  Gattung 
Cleohis  ^im.  ihren  Platz  erhalten;  daselbst  wurde  p.  109 
bereits  für  AHlopus  C.  L.  Koch  (Hübner,  Lep.,  1816) 
der  Gattungsname  Hexisopus  vorgeschlagen. 


IL 
Neue  oder  minder  bekannte  Galeodiden. 

1.  Solpuga  niassaj  n.  sp.,  </. 

Eine  der  Solpuga  vincta  C.  L.  Koch  (nee.  Gaetidia 
vincta  Sim.)    ähnliche  Art,    aber  auffallend  grösser,   stäm- 


238  F.  Karsch: 

miger  und  mit  abweichendem  Bau  des  männlichen  Flagel- 
him.  Dieses  ist  etwas  cylindrisch,  kurz,  über  dem  zweiten 
Zahne  eingelenkt,  oben  glatt,  unten  seitlich  etwas  gekerbt. 
Leibeslänge  über  30  mm,  Beine  sehr  lang  und  stämmig. 
Leibesfarbe  gelbbraun,  die  Behaarung  der  Beine  ist  kurz, 
wie  es  scheint  indessen  etwas  abgerieben.  Im  Uebrigen 
trägt  die  Art  wie  die  folgenden  die  Charaktere  des  Genus.  — 
Vom  N'yassi.  —  Typ.:  M.  B. 


2.  Sölpuga  nasuta,  n.  sp.,    t»,  q. 

Das  Männchen  dieser  Art,  zu  dem  ich  das  Weibchen 
nur  fraglich  stellen  kann,  zeigt  grosse  Aehnlichkeit  mit 
der  mir  nicht  aus  der  Anschauung  bekannten  Gaetulia 
acicidata  Sim.,  obwohl  durch  Bildung  des  Flagellums  und 
die  Bezahnung  der  Mandibeln  leicht  unterscheidbar.  Das 
Flagellum  zeigt  nämlich  oberhalb  der  bogigen  Endkrüm- 
mung einen  scharfen,  nach  hinten  gerichteten  Zahn,  wäh- 
rend die  umgebogene  Spitze  selbst  viel  weniger  stark 
ausgeschweift  und  weit  weniger  fadenförmig  erscheint  als 
bei  acicidata;  der  bewegliche  (untere)  Mandibularfinger 
trägt  überdies  nicht  3,  sondern  nur  einen  einzigen  abge- 
rundeten Zahn,  der  unbewegliche  (obere)  4  stark  hervor- 
ragende spitze,  .je  2  und  2  getrennt;  hinter  dem  vordersten 
Zahn  erhebt  sich  oberhalb  das  in  seiner  Länge  dem  der 
aciculata  entsprechende  Flagellum.  Leibeslänge  ca.  25mm, 
Leibesfarbe  gelbbraun,  die  Beine  mit  sehr  langer  gelblicher 
glänzender  Behaarung.  —  Das  grössere  Weibchen  von  ca. 
50  mm.  Leibeslänge  zeigt  im  Zahnbau  Abweichungen, 
welche,  obwohl  beide  Exemplare  von  derselben  Oertlich- 
keit  und  demselben  Sammler  stammen,  einen  Zweifel  an 
der  Identität  beider  aufkommen  lassen;  der  obere  Finger 
trägt  3  starke,  abgerundete  wulstartige  Höcker,  deren  hin- 
terster am  dicksten  ist  und  fast  dreitheilig  erscheint;  diesem 
entspricht  am  unteren  Finger  eine  von  2  erhabenen  Wulst- 
höckern begrenzte  Vertiefung.  Das  einzige  Exemplar  ist 
sehr  beschädigt.  —  Von  Zanzibar  (Hildebrandt).  — 
Typ.:  M.  B. 


Zur  Kenntniss  der  Galcodiden.  239 

3.  Solpuga  SchwcmfiirtJiij  n.  sp.,  ^,   o. 

Auch  diese  Art  ist  der  Solpuga  aciculata  (Sim.)  ver- 
wandt in  Bildung  des  Flagellum,  gehört  aber  in  die  Ab- 
theilung von  producta  nob.  {vincta  Sim.)  und  setifera 
(Oliv.)  Sim.  Das  in  seiner  Länge  dem  der  aciculata 
gleiche  Flagellum  zeigt  an  seinem  hintern  Ende  nur  eine 
einfache  Biegung  nach  unten,  ohne  sich  wieder  aufwärts 
zu  krümmen.  Die  4  vorderen  Zähne  des  oberen  Fingers 
der  Mandibeln  sind  überdies  länger  und  spitzer,  der  vierte 
der  stärkste,  der  dritte  am  schwächsten.  —  Das  Weibchen 
zeigt  im  Zahnbau  keinerlei  Abweichung.  —  Die  Leibes- 
länge beträgt  30—36  mm,  die  Giimdfarbe  ist  scherbengelb, 
über  die  Oberseite  der  Mandibeln  verlaufen  je  2  braune 
Längsstreifen  und  das  Abdomen  zeigt  im  Alkohol  ein 
schwärzliches  verwaschenes  Mittellängsband.  —  Aus  Djur, 
in  Hütten  (Schweinfurth).  —  Typ.:  M.  B.  •     - 

4.   Solpuga  scopulata^  n.  sp.,    n. 

Die  vorliegende,  nur  in  einem  weiblichen  Exemplare 
vorhandene  Art  würde  ich  hier  zu  beschreiben  unterlassen, 
wenn  dieselbe  nicht  Merkmale  böte,  welche  eine  Wieder- 
erkennung als  möglich  erscheinen  Hessen.  Denn  es  kann 
nur  zu  fast  unlösbaren  Verwirrungen  führen,  wenn  man 
Arten  auf  ein  Geschlecht  gründet,  das,  wie  die  Weibchen 
der  Galeodiden,  ganz  im  Gegensatze  zu  ihren  meist  sehr 
leicht  unterscheidbaren  Männchen,  nur  schwer  zu  ermit- 
telnde und  manchmal  der  Variabilität  unterworfene  Eigen- 
schaften darbietet. 

Die  Art  ist  besonders  dadurch  charakterisirt,  dass 
die  Mandibeln  und  der  Kopftheil  mit  schwarzen  Haaren 
bekleidet,  die  Palpen  an  der  Tibia  oben  und  innen,  am 
Metatarsus  und  Tarsus  ringsum  mit  kurzen,  weichen  tief- 
schwarzen Haaren  scopulaartig  bekleidet  erscheinen.  Der 
obere  Mandibularfinger  trägt  4  starke  Zähne,  deren  zweiter 
am  längsten,  deren  dritter  der  kleinste  ist ;  der  untere  be- 
wegliche Finger  zeigt  zwei  starke,  spitze  Zähne  und  einen 
kleinen  an  der  vorderen  Basis  des  hinteren.  An  dem 
einen  Mandibel,  nicht  aber  am  anderen,  ist  der  vorderste 


240  F.  Karsch : 

Zahn  des  unteren  Fingers  an  der  Spitze  deutlich  getheilt. 

—  Die  Leibeslänge  beträgt  ca.  50  mm.  —  Die  Leibesfarbe 
ist  (lunkelscherbengelb,  nur  den  Abdominalrücken  zeichnet 
ein  tiefschwarzes,  breites  Längsband.  —  Von  Hantam  (Dr. 
Meyerj.  —  Typ.:  M.  B. 

5.  Cleohis  Cuhae  (Luc),   $,  cf.  Simon, 
loc.  cit.,  pp.  140—141,  3. 

Das  Männchen  ist  bislang  unbekannt  geblieben.  Das 
Berliner  Museum  besitzt  es  von  der  Insel  Cuba.  Die  Be- 
zahnung  seiner  Mandibeln,  sowie  die  Form  des  Flagellums 
ist  Tafel  X,  Fig.  22  dargestellt.  Andere  wesentliche  Un- 
terschiede vom  Weibchen  ergeben  sich  nicht. 

6.  Biton  Ehrenhergiy  n.  sp.,   $. 

Da  die  Art  einer  neuen  Gattung  angehört,  Männchen 
dieser  Gattung  aber  keine  vorliegen,  so  bleibt  nichts  übrig, 
als  auf  das  Weibchen  allein  die  typische  Art  der  Gattung 
Biton  zu  begründen.  Der  Kopf  ist  vorn  nicht  vorgezogen, 
sehr  viel  breiter  als  hinten,  der  Augenhügel  ziemlich  hoch 
und  breit,  unregelmässig  borstenhaarig;  die  Mandibeln 
wie  bei  Solpuga  geformt  und  in  der  Bezahnung  ohne  ge- 
nerelle Besonderheit.  Die  Palpen  tragen  eine  ziemlich 
lange,  nicht  sehr  dichte,  steife  Behaarung,  mit  einzelnen 
sehr  langen  Haaren  untermischt;  der  Tarsus  ist  ziemlich 
lang  und  deutlich  abgesetzt,  an  der  Basis  etwas  stielförmig 
verdünnt.  Die  Tarsen  des  zweiten  und  dritten  Beinpaares 
bestehen  aus  zwei  Gliedern,  deren  vorderes  fast  doppelt  so 
laug,  als  das  Endglied  ist;  der  Metatarsus  führt  ringsum 
Stachelborsten,  während  derselbe  am  vierten  Beinpaare  nur 
2  Paare  solcher  in  der  Endhälfte  unterseits  führt;  an  die- 
sem Paare  ist  der  Schenkel  compress,  an  Cleohis  Sim. 
erinnernd,  der  Tarsus  entschieden  viergliedrig,  die  beiden 
Mittelglieder  ringförmig,  klein,  das  Endglied  fast  nur  halb 
so  lang  als  das  Grundglied.  Die  Fussklaueu  sind  wie  ge- 
wöhnlich bei  Solpuga  gestaltet,  schlank  und  ziemlich 
kräftig.  —  Die  Leibeslänge  schwankt  zwischen  20—26  mm. 

—  Die  Leibesfarbe  ist  lehm-  bis  scherbengelb,  ohne 
sonderliche  Auszeichnung. 


Zur  Kenntniss  der  Galeodiden.  241 

Von  dieser  Art  liegt  ein  trockenes  $  Exemplar  aus 
Tor,  Arabien,  vonEbrenberg  gefunden,  vor,  ein  weiteres 
weiblicbes  Exemplar  in  Alkohol  mit  „Syrien"  und  „Egyp- 
ten"  fraglieb  bezeichnet,  ebenfalls  von  Ehrenberg,  sowie 
mehrere  Weibchen  aus  Dongolah  (Nubien)  von  Hart  mann 
im  Berliner  Museum. 

7.    Gnosippus  Klunmnger%  n.  sp.,  J". 

Diese  leider  nur  in  einem  männlichen  Exemplare  vor- 
liegende Form  zeigt  dadurch  besonders  eine  sie  von  allen 
bekannt  gewordenen  Arten  sofort  unterscheidende  Beson- 
derheit, dass  das  dem  kleinen  Trochanter  voraufgehende 
Grundglied  der  Beine  des  hintersten  Paares  eine  auffällige 
Verlängerung  erlitten  hat  und  zwar  nur  um  weniges  kürzer 
als  der  entsprechende  Scheukeitheil  ist;  das  Grundglied 
misst  im  vorliegenden  Falle  6,  das  Schenkelglied  kaum 
7  mm,  die  Tibia  6,5,  der  Metatarsus  ca.  5,  5,  das  erste 
(allein  noch  erhaltene,  klauenlose)  Tarsalglied  ca.  3  mm. 
Die  Leibeslänge  beträgt  mit  Einschluss  der  Mandibeln  ca. 
20  mm.  Die  Mandibeln  zeigen  eine  ein  wenig  mehr  com- 
presse  Form,  als  gewöhnlich  bei  Solpuga  z.  B.,  und  erin- 
nern dadurch  mehr  an  Cleohis.  Die  Beine  des  vordersten 
Paares  sind  sehr  lang  und  dünn,  fast  fadenförmig  und  viel 
länger  als  die  des  zweiten  Paares.  Der  Kopf  ist  vorn 
ziemlich  gerade,  nicht  vorgezogen,  in  der  Rückenmitte  der 
Länge  nach  gefurcht,  der  Augenhügel  niedrig,  schmal,  die 
Augen  ziemlich  nahe  beisammen;  der  obere  Mandibular- 
finger  zeigt  an  der  Spitze  eine  kurze  Gabelung,  welche 
aus  einem  äusseren,  spitzeren  und  einem  inneren,  stumpfen 
Zahn  besteht;  am  Innenrande  trägt  er  zwei  getrennte, 
grössere  Zähne,  über  dessen  hinterem  das  bewegliche, 
flache,  kleine,  fast  halbmondförmige  Flagellum  angeheftet 
ist,  und  im  hinteren  Theile  noch  drei  kleinere  Zähne;  der 
untere  Finger  besitzt  drei  sehr  lange,  starke,  spitze  Zähne, 
von  denen  der  vorderste  etwas  geschwungen  erscheint.  — 
Das  zweite  Abdominalsegment  ist  durch  den  Besitz  langer 
Bauchfäden,  analog  den  von  E.  Simon  bei  Galeodes  und 
Ghwia  Sim.  (loc.  cit.,  p.  103)  entdeckten  Gebilden  aus- 
gezeichnet. 

Archiv  f.  Natnrg.  XXXXVI.  Jahrg.  1.  Bd.  16 


242  F.  Karsch: 

Herr  Dr.  Klunzinger  hat  die  merkwürdige  Art,  die 
sich,  da  die  Extreraitäten  nicht  alle  wohl  erhalten  sind, 
im  System  nicht  mit  Bestimmtheit  unterbringen  lässt,  in 
Aegypten  entdeckt.  Das  beschriebene,  in  Alkohol  conser- 
virte  Exemplar  wird  im  Berliner  Museum  aufbewahrt. 

8.  Gylippus  quaestiuncuhis,  nov.  sp ,  ^. 

Die  in  nur  einem  männlichen  Stücke  vorliegende 
Form  zeigt  nur  wenige,  aber  auffällige  Abweichungen  von 
der  bis  nun  einzig  bekannten  Art  der  merkwürdigen  Gat- 
tung, dem  Gylippus  syriacus  Sim.  Die  Leibeslänge  beträgt 
18  mm,  die  Leibesfarbe  ist  ein  dunkles  Scherbengelb.  Die 
wesentlichsten  specifischen  Unterschiede  von  der  verwandten 
Art  bestehen  in  folgenden  Merkmalen:  1)  An  den  Maxil- 
larpalpen  ist  der  Metatarsus  (Tarsus  Bertkau's)  nach 
dem  Ende  hin  keulenförmig  verdickt,  das  Schienenglied 
ist  in  der  Mitte  am  dicksten  und  der  Schenkeltheil  trägt 
am  untern  Innenrande  starke,  in  einer  Längsreihe  geord- 
nete gelbe  Stachelborsten.  2)  Der  eigenthümliche  Anhang 
unbekannter  Function  des  unbeweglichen,  oberen  Fingers 
der  Mandibeln  tritt  stark  hinter  die  Spitze  des  Fingers 
zurück,  ist  senkrecht  nach  oben  gerichtet  und  hat,  von 
vorn  und  hinten  gesehen  flach,  von  der  Seite  gesehen 
genau  die  Form  eines  Fragezeichens  im  halbtransparenten 
oberen  Theile,  während  die  transparente  Basis  stark  nach 
hinten  verlängert  erscheint.  —  Kübek  (Leder er).  — 
Typ.:  M.  B. 


Erklärung  der  Figuren  auf  Tafel  X. 


Fig.  1.  Solpuga  chelicornis  Licht,  {jiibata  C.  L.  Koch).  ^. 
Mandibel  mit  dem  Flagellura:  linker  aussen. 

Fig.  2.  Solpuga  vincta  C.  L.  Koch  (nee.  Sim.),  ^;  2a.  $. 
Mandibel:  rechter  aussen   ^,  linker  aussen  $. 

Fig.  3.  Solpuga  fatalis  Licht,  (letalis  C.  L.  Koch).  ^. 
Mandibel :  rechter  aussen. 

Fig.  4.  Sölptiga  flavescens  C.  L.  Koch.  $.  Mandibel:  rechter 
aussen. 


Zur  Kenntniss  der  Galeodiden.  243 

Fig.  5.  Solpuga  fusca  C.  L.  Koch.  ^,h?L.  5.  Mandibel:  links 
aussen. 

Fig.  6.  Solpuga  lateralis  C.  L.  Koch.  ^.  Mandibel:  linker 
aussen. 

Fig.  7.  Solpuga  Uneata  C.  L.  Koch.  ^.  Mandibel:  linker 
aussen. 

Fig.  8.  Solpuga  badia  C.  L.  Koch.  ^.  Mandibel:  linkerinnen. 

Fig.  9.  Solpuga  rufescens  C.  L.  Koch.  $.  Mandibel:  rechter 
aussen. 

Fig.  10.  Solpuga  niassa  Kar  seh.  (-^.  Mandibel:  rechter  aussen. 

Fig.  11.  Solpuga  nasuta  Kar  seh.  ^ ;  IIa,  $.  Mandibel; 
linker  aussen. 

Fig.  12.  Solpuga  Schweinfurthi  Kars  eh.  ^.  Mandibel: 
linker  aussen. 

Fig.  13.  Solpuga  scopulata  Kar  seh.  $.  Mandibel:  rechter 
aussen;  13a.   erstes  Bauchsegment. 

Fig.  14.  Gluvia  striolata  C.  L.  Koch.  $.  Mandibel:  linker 
innen;  14a.    Kopfumriss. 

Fig.  15.  Gluvia  geniculata  C.  L.  Koch.  $.  Mandibel:  rechter 
aussen. 

Fig.  16.  Daesia  praecox  (L.  C.  Koch).  ^.  Mandibel  ge- 
schlossen: rechter  aussen;  a.  rechter  innen,  bei  geöffnetem  Mandibel 
16b.  rechter  innen,  16c.  rechter  aussen. 

Fig.  17.  Zerbinagracilis  (C.  L.  Koch).  $.  Mandibel:  linker  aussen. 
17a.  Kopfumriss;  17b.  Tarsus  IV. 

Fig.  IS.Gluvia  formicaria  C.  L.  Koch.  $.  Mandibel :  linker  aussen. 

Fig.  19.  Gluvia  cinerascens  C.  L.  Koch.  ^.  Mandibel :  rechter 
aussen. 

Fig.  20.  Gluvia  elongata  C.  L.  Koch.  </.  Mandibel:  rechter 
aussen;  20a.  Kopfumriss. 

Fig.  21.  Gleobis  Martha  Kar  8 eh.  Q_.  Mandibel:  rechter  aussen. 

Fig.  22.  Cleobis  Cubae  (Luc.)  ^.  Mandibel:  rechter  aussen  ; 
22a.  rechter  innen  mit  Flagellum. 

Fig.  23.  Biton  Ehrenbergii  Kars  eh.  $.  Mandibel:  linker  aus- 
sen; 23b.  Tarsus  III;  23c.  Tarsus  IV. 

Fig.  24.  Gnosippus  Klunzingeri  Kar  seh.  (^.  Mandibel :  rechter 
innen  mit  Flagellum;  24a.  aussen;  '24b.  linker  innen;  24c.  Spitze 
des  linken  festen  oberen  Mandibularzahns  von  unten  gesehen,  24d. 
Flagellum  vergrössert;  24e.  Bein  IV. 

Fig.  25.  Gylippus  quaestiunculus  Kar  seh.  (^ .  Mandibel: 
linker  aussen. 


Zur  Kenntniss  der  Tarantuliden. 

Von 

Dr.  F.  Karsch 

in  Berlin. 
Hierzu  Tafel  X,  Fig.  26. 


lieber  meine  in  diesem  „Archiv"  Bd.  XLV,  1,  1879, 
pp.  189—197  abgedruckte  „neue  Eintheiiung  der  Tarantu- 
liden (Pbrynidae  aut.)"  bat  sieb  Artbur  Gardiner  Butler 
in  einem  kurzen  Aufsatze,  betitelt  „Respecting  a  new  Distinc- 
tion  between  tbe  Species  of  tbe  Genus  Pbrynus  of  Autbors" 
in  Ann.  and  Mag.  of  Nat.  Hist.,  5.  ser.,  IV,  1879,  Oct.,  no. 
XXII,  pp.  313—316,  auf  Grund  des  im  Britisb  Museum 
befindlicben  reicben  Materiales  ausgesprocben,  indem  er 
zu  dem  Resultate  gelangt,  icb  müsse  entweder  den 
Metatarsus  (Tarsus  Bertkau's)  als  ein  viertes 
Tibialgliedbei  meiner  Gattung  Cbaron  aufgefasst 
baben,  in  welcbem  Falle  die  Gattung  Phrynichus 
nur  auf  dem  Papiere  existire;  oder  es  sei  das 
nicht  der  Fall  gewesen,  und  dann  höre  Charon  auf 
zu  ex i stiren;  und  dieser  letztern  Auffassung  pflichtet  er 
mit  voller  Ueberzeugung  bei.  Seine  ganze  Besprechung 
hat  nur  die  einzige  Bemerkung  von  entschiedenem  Werth 
aufzuweisen,  dass  nämlich  „Fhrynus  Grayi^'  Gervais'  ge- 
mäss dem  typischen  Exemplare  im  British  Museum  nur 
ein  einziges  Hinterschienenglied  besitze.  Im  Falle 
diese  Angabe  richtig  wäre  —  was  ich  nicht  umhin  kann, 
mit  Entschiedenheit  zu  bezweifeln,  —  so  gehörte  „Phrynus 
Grayi^^  Gervais  allerdings  in  die  Gattung  Dämon  nob., 
wohin  auch  Butler  sie  stellt.  Wenn  aber  Butler  weiter 
folgert,  die  Gattung  Charon  müsse  eingehen,  so  ist  das 
durchaus     unlogisch,    denn    sie    ist    auf  Phrynus   medius 


F.  Kar  seh:     Zur  Kenntniss  der  Tarantiiliden.  245 

Hoeven  begründet,  und  von  Hoevens  Abbildung  eines 
Beines  des  vierten  Paares  seines  Phrynus  medms,  den  er 
irrtbümlicb  mit  Fhalangium  medium  Herbst  idcntificirte, 
bat  Butler  offenbar  keine  Notiz  genommen,  wie  er  über- 
baupt  keinen  Repracsentanten  dieser  Gattung  als  solcben 
erkannt  bat.  Wenn  icb  Phrynus  meclius  Hoeven  mit 
Phrynus  Grayi  Gervais  fälscblicb  identificirte,  so 
verfübrte  dazu  erstens  die,  abgeseben  von  den  Verbältnissen 
der  Tibialtbeile  des  bintersten  Beinpaares,  deren  Gervais 
überbaupt  nicbt  Erwäbnung  tbut,  genau  übereinstimmende 
Bescbreibung;  zweitens  die  gleiche  Herkunft  (Manilla), 
drittens  der  Umstand,  dass  ein  mit  Embryonen  gefülltes 
Exemplar,  welcbes  mit  den  mir  vorliegenden  trockenen 
Exemplaren  genau  übereinstimmt,  von  Herrn  Prof.  Dr. 
Gerstaecker  als  Phrymts  Grayi  bestimmt  und  (in  natur- 
forscb.  Freunde,  18.  März  1862)  besprochen  worden  war. 
Sollte  Phrynus  Grayi  Gerv.  im  Naturzustande  wirklieb 
nur  ein  Hinterscbienenglied  an  den  Beinen  des  bintersten 
Paares  besitzen,  also  ein  Dämon  sein,  so  müsste  für  Charon 
medius  (Hoeven)  nob.  einfach  nur  ein  neuer  Artname 
geschaffen  werden,  etwa  Charon  Hoeveni,  und  dieser  (mit 
dem  Synonym:  Phrynus  medius  Hoeven)  würde  den  Ty- 
pus der  Gattung  Charon  nob.  repräsentiren.  Dies  wäre 
das  einzige,  den  Grundsätzen  der  Logik  entsprechende 
Verfahren ! 

Indem  icb  mit  der  Absicht  umging,  eine  Monogra- 
phie der  Gruppe  der  Tarantuliden,  zu  der  alle  Vor- 
arbeiten bereits  fertig  vorliegen,  auszuarbeiten,  bin  icb  von 
der  Ausführung  meines  Vorhabens  durch  Butler's  Aufsatz 
wieder  zurückgekommen,  indem  ich  einsehe,  dass  das  mir 
vorliegende  Material  dazu  nicht  ausreicht.  Icb  kann  es 
daher  nur  bedauern,  wenn  Butler^  dessen  Aufstellung  von 
Phrynus  Kochii  auf  Phrynus  medius  C.  L.  Koch  *als  einer 
von  Phalangium  medium  Herbst  verschiedenen  Species  icb 
bereits  in  der  genannten  „Eintheilung"  (p.  196)  als  unmo- 
tivirt  antastete,  diese  seine  Ansicht  ohne  weitere  Motivirung 
(loc.  cit.  p.  314)  ganz  unverändert  beibehält,  eine  Methode, 
durch  die  man  um  keinen  Schritt  weiter  kommt.  — 

Will  man  die  von  mir  zu  generellen  Scheidungen 


246  F.    Karsch: 

benutzten  Merkmale  nicht  als  zu  solchen  ausreichend 
gelten  lassen,  so  ist  das  allerdings  eine  Frage,  über  die 
sich  streiten  lässt.  Dass  Ausnahmen  von  der  Regel 
vorkommen,  welche  als  Hemmungsbildungen  füglich 
bezeichnet  werden  mögen,  habe  ich  selbst  bereits  in  der 
Zeitschrift  für  die  gesammten  Naturwissenschaften  von 
Giebel,  LH,  1879,  pp.  369—370  hervorgehoben,  woselbst 
sogar  dreier  besonderen  Fälle  Erwähnung  gethan  wird. 
Der  dort  geschilderte  Fall  betrifft  Dämon  medius  (Herbst), 
indem  an  einem  Exemplare  das  eine  Bein  des  vierten 
Paares  normal  gebildet  ist,  d.  h.  ein  Hinterschienenglied 
mit  deutlicher  Abschnürung  zeigt,  während  das  andere 
Bein  desselben  Paares  ein  solches  nicht  besitzt.  An  diesem 
Exemplare  sind  indessen  die  entsprechenden  Theile  auf 
beiden  Seiten  fast  von  gleicher  Länge,  was  bei  dem  von 
Tarantula  palmata  (Herbst)  aus  Central- Amerika  vorlie- 
genden Falle  nicht  stattfindet;  hier  misst  die  linke,  der 
Hinterschienenglieder  ermangelnde  Tibia  ca.  13,  die  rechte 
ca.  13,5  mm  und  das  erste  Afterglied  dieser  2,  das  zweite 
4  mm.  Schon  Blanchard  hat  auf  die  Längendifferenz 
dieser  Tibialafterglieder  bei  Tarantula  (Fabr.)  auf- 
merksam gemacht  und  diese  Beobachtung  erscheint  inso- 
fern von  Wichtigkeit,  als  eine  dritte  Monstrosität  an  einer 
Art  der  Gattung  Charon,  die  ich  für  identisch  mit  Phrynus 
Grayi  Gerv.  hielt,  mir  bekannt  geworden,  welche  darin 
besteht,  dass  die  drei  Hinterschienenglieder  des  einen  Beines 
des  vierten  Paares  normal  entwickelt,  also  von  ziemlich 
gleicher  Länge  sind,  während  an  dem  anderen  entsprechen- 
den Beine  nur  zwei  Hinterschienenglieder  sich  finden,  von 
denen  das  vordere,  ganz  im  Gegensatze  zu  Tarantula^ 
doppelt  so  lang  ist  als  das  hintere,  also  gewissermassen 
aus  einer  Verwachsung  der  zwei  vorderen  normalen  Seg- 
mente besteht.  In  diesem  Falle  kann  man  also  nicht  wohl 
von  einem  Ueb ergange  der  Gattung  Charon  in  die  ver- 
wandteste Gattung  Tarantula  reden  und  deswegen  scheint 
mir  diese  Hemmungsbildung  von  besonderem  Interesse  zu 
sein.  Ich  darf  also  demgemäss  auf  meiner  schon  ausge- 
sprochenen Behauptung  bestehen,  „dass  die  von  mir 
sogenannten    Hinterschienenglieder    thatsächlich    als 


Zur  Kenntuiss   der  Tarantuliden.  247 

Schieiieu-  und  nicht  etwa  als  Tarsalgliedcr**  (oder 
Metatars  alt  heile)  „anzusehen  sind".  Und  wenn  ich 
auf  das  Vorhandensein  und  Nichtvorhandensein  von  bei  ver- 
schiedenen Tarantuliden-Formen  in  constant  verschiedener 
Zahl  und  in  constant  abweichenden  Verhältnissen  vorkommen- 
den Hinterschienengliedern  verschiedene  Gattungen 
baute ;  so  geschah  dieses  vorzugsweise  aus  dem  Grunde,  weil 
diese  den  Hinterschienengliedern  der  Tarantuli- 
den entsprechenden  Segmente  meines  Wissens  in 
keiner  der  übrigen  Arachnidengruppen  sich  wie- 
derfinden. Wenn,  fragt  man  sich,  die  Theilungsfähigkeit 
der  Schiene  sich  auf  die  Beine  des  vierten  Paares  bei  den 
Tarantuliden  beschränkt  und  analoge  Theilungen  der 
Schiene  in  allen  anderen  Arachnidengruppen  vermisst 
werden,  sollten  dann,  wenn  Ausnahmen  und  Abweichungen 
bei  einem  Individuum  einseitig  oder  bei  Indivi- 
duen derselben  Art  sich  vorfinden,  dieselben  nicht  aus 
Bildungsgesetzen  sich  herleiten  lassen,  welche  ganz  unab- 
hängig sind  von  den  Gesetzen,  nach  denen  die  Bildung 
des  Begriffes  der  Art  oder  der  Gattung  erfolgt,  d.  h.  sollten 
derartige  Abweichungen  mehr  als  eine  blos  individuelle 
anormale  Bedeutung  beanspruchen?  Warum  kommen  denn 
bei  den,  den  Tarantuliden  nächstverwandten  Arachniden, 
bei  den  Telyphoniden,  keine  solche  Schienenthei- 
lungen  vor?  Und  warum  sind  solche  Abweichungen  eine 
so  grosse  Seltenheit,  dass  unter  mehreren  hundert 
Exemplaren,  die  zur  Untersuchung  mir  vorgelegen  haben, 
nur  drei  sich  fanden,  welche  durch  einseitige  Abweichung 
vom  aufgestellten  Typus  einen  Zweifel  an  der  Gesetzmäs- 
sigkeit desselben  aufkommen  Hessen?  —  Es  könnte  aber 
immer  auch  noch  die'  Möglichkeit  vorliegen,  dass  das 
von  Gervais  als  Phryniis  Grayi  beschriebene  typische 
Stück  gleichfalls  einer  den  beschriebenen  Monstrositäten 
analogen  Hemmungsbildung  unterworfen  gewesen,  oder,  falls 
das  Exemplar  trocken  conservirt  wird,  ein  Artefact  mit 
gefälschten  Beinen  des  vierten  Paares  sei,  wie  solche  in 
trockenen  Sammlungen  sehr  häufig  sich  vorfinden;  aller 
dieser  Möglichkeiten  scheint  Butler  nicht  im  geringsten 
gedacht  zu  haben,  —  so  dass  ich  meine  Zweifel  betreffend 


248  F.  Kar  seh: 

die  Richtigkeit  seiner  Angabe,  Phrynus  Grayi  Gerv.  be- 
sitze an  den  Beinen  des  hintersten  Paares  nur 
je  ein  Hinterschienenglied,  sei  also  ein  Dämon  (C. 
L.  Koch)  Kar  seh,  nur  wiederholen  kann. 

Gemäss  den  erwähnten  Ausnahmefällen  lässt  sich 
noch  ferner  das  Gesetz  aufstellen,  dass  bei  den  Tarantuli- 
den  in  der  Anzahl  der  Tibialglieder  wohl  eine  Reduktion 
aber  keine  Vermehrung  vorkommt,  dass  solche  Bildungen 
echte  Hemmungsbildungen  sind  und  dass  Phrynichus 
die  niedersten,  Charon  die  höchstentwickelten  Ta- 
rantuliden formen  umfasst,  eine  Auffassung,  welche  selbst 
ohne  Kenntniss  der  Funktion  und  des  Zweckes  jener 
eigenthümlichen  Afterglieder  gerechtfertigt  erscheint. 

Wie  gewagt  im  übrigen  Butler  in  seiner  Synonymie 
bisweilen  verfährt,  möge  ein  recht  auffallendes  Beispiel 
darlegen.  Er  identificirt  z.  B.  „FJirynus  mexicanus^^  Bili- 
mek  aus  den  Höhlen  von  Cacahuamilpa  mit  ^.FJmjnus  pal- 
matus^'  Herbst;  wohl  nur  deshalb,  weil  beide  in  Mexico 
gefunden  wurden,  denn  nach  Bilimek's  Beschreibung  ge- 
hört die  Art  nicht  zur  Gsiünng  Taranüda  (Fabr.)  nob., 
sondern  zu  Phrynichus  nob.,  indem  Bilimek  ein  Bein  des 
zweiten  Paares  beschreibt  und  ausdrücklich  hinzulügt  „im 
gleichen  Verhältniss  sind  auch  die  hinteren  zwei  Fusspaare 
gebaut."  Mit  welchem  Rechte  wird  also  diese  Identificirung 
ohne  Fragezeichen  vorgenommen?  Die  Palpen,  welche 
bestimmte  Kennzeichen  zur  Erkennung  der  Art  bieten,  ge- 
ben nach  Bilimek's  Darstellung  kein  genügendes  Bild; 
gehörte  das  Thier  zu  Tarantula,  so  könnte  es  ebensowohl 
mit  T.  coronata  {Bnt\.\  als  mit  T. palmata  (RQYh^t)  iden- 
tisch sein. 

Selbst  auch  angenommen,  „Phrynus  ^nedius^'EoQVQn 
sei  von  Ho even  fälschlich  mit  4theiliger  Tibia  IV  abge- 
bildet und  beschrieben  worden,  so  würde  als  Repräsentant 
der  Gattung  Charon  immer  noch  „Phrynus  australianus^^ 
L.  Koch  bestehen  und  die  neue  Gattung  als  solche  auf- 
recht erhalten  bleiben.  In  der  Tarantuliden-Sammlung  des 
Herrn  Grafen  E.  Keyserli  ng,  von  der  derselbe  so  freund- 
lich war,  mir  Einsicht  zu  gewähren,  befindet  sich  eine 
Tarantulide  mit  folgender  Signatur:  „Phrynus.  Perty,  del. 


Zur  Kenntniss  der  Tarantuliden.  249 

au.  artic,  Commuuiquee,  par  M.  Gu^rin-Mencvillc  ä  M.  Wan- 
der Hoeven  et  qui'l  est  prie  de  lui  renvoyer  quand  il  n'en 
aura  plus  besoiu.  —  Bresil."  Leider  ist  das  Exemplar  so 
sehr  ruiuirt,  dass  es  keineu  Aufschluss  mehr  gewährt,  ob 
es  zu  den  Exemplaren  gehören  könne,  welche  Hoeven 
bei  der  Darstellung  seines  nach  meinem  Dafürhalten  mit 
,,Phrynus  Grayi^^  Gerv.  identischen  Phrynus  medius  hat 
vor  Augen  haben  können. 

Die  Bildungsweise  der  Glieder  der  Beine  des  vierten 
Paares  bei  den  vier  von  mir  aufgestellten  Gattungen  zu 
veranschaulichen,  sind  auf  Tafel  X,  Figur  26,  die  betref- 
fenden Theile  abgebildet  und  besonders  bezeichnet  worden. 
Figur  1  stellt  den  Typus  für  Phry nichts  ohne  Hinter- 
schienenglied dar  nach  dem  typischen  Exemplare  des 
,,Phrynus  ceylonicus'^  C.  L.  Koch  im  Berliner  Museum.  In 
Figur  2  ist  zwischen  Schiene  und  Metatarsus  (Tarsus  Bert- 
kau's)  ein  Afterglied  (Pt.=Posttibia)  eingeschoben,  den 
Typus  von  Bmnon  medius  (Herbst)  darstellend.  In  Figur 
3  beträgt  die  Zahl  dieser  Hinterschienenglieder  zwei,  von 
denen  das  erstere  das  bei  weitem  kürzere  ist,  den  Typus 
von  Tarantida  pumüio  (C.  L.  Koch)  darstellend.  Nur  an 
einem  sehr  grossen  Exemplare  der  Tarantida  palmata 
(Herbst)  von  Portorico  ist  das  vordere  Afterglied  der 
Schiene  auffallend  verlängert,  gleichwohl  aber 
immer  noch  kürzer  als  das  hintere.  Figur  4  endlich 
ist  ein  Hinterbein  von  CJiaron  und  zwar  von  jener  Art,  die 
mit  Phrynus  medius  Hoeven  (nee  Herbst)  identisch  ist 
und  die  ich  auf  Phrynus  Grayi  Gerv.  deuten  zu  müssen 
glaube;    Hinterschieneuglieder  sind    hier  drei  vorhanden. 


lieber  Lacerta   oxycephala  Fitzinger  und 
Lacerta  judaica  Camerano. 

Von 

Dr.  J.  von  Bedriaga, 

in   Heidelberg. 


Hierzu    Tafel    XI. 


I.    Lac.  oxycephala  Fitz. 

Eine  der  grössten  Seltenheiten  in  unseren  Sammlungen 
ist  zweifelsohne  Lacerta  oxycephala  Fitz.  Nicht  nur  wird 
sie  in  manchem  grossstädtischen  Museum  vermisst,  sondern 
auch  von  Vielen  nicht  als  gute  Species  anerkannt  oder 
auch  gar  überhaupt  nicht  gekannt.  Dieses  mag  theilweise 
darin  liegen,  dass  einerseits  das  Vorkommen  dieser  Eidechse 
sehr  beschränkt  ist,  andererseits,  dass  sie  grosse  Aehn- 
lichkeit  mit  Lacerta  muralis  var.  neapolitana  m.  besitzt  und 
mit  dieser  wohl  häufig  verwechselt  wird  umsomehr,  da  die 
herpetologische  Literatur  uns  auffallend  spärliche  Beschrei- 
bungen von  ihr  bietet.  Während  Mauer-,  Smaragd-,  Zaun- 
und  andere  Eidechsenarten  unzählige  Male  in  allen  euro- 
päischen Sprachen  diagnosirt  worden  sind,  besitzen  wir 
meines  Wissens  nur  vier  mehr  oder  weniger  ausführliche  Be- 
schreibungen der  Lacerta  oxycephala.  Die  erste  datirt  von 
1839,  die  letzte  (welche  überhaupt  die  erste  ist,  die  je  in 
deutscher  Sprache  erschienen),  vom  Jahre  1875.  Dass  diese 
sämmtlichen  Beschreibungen,  deren  Autoren  ich  sogleich 
namhaft  machen  werde,  uns  nicht  vollständig  befriedigen 
und   schwerlich  dem  nicht   genügend  routinirten  Herpeto- 


V.  Bedriaga:  Ueber  Lacerta  oxycepbala  Fitz.  u.  judaica  Cam.   251 

logen,  geschweige  denn  einem  Laien,  leicht  fassbare  Kenn- 
zeichen bieten,  nach  denen  man  die  oxycephale  Eidechse 
sofort  als  solche  erkennen  könnte. 

Aus  der  Fanna  Italica*)  des  Prinzen  von  Canino 
ersehen  wir,  dass  Lacerta  oxycephala  von  Dumeril  und 
Bibron,  den  Autoren  der  Erpetologie  generale,  fälsch- 
licherweise Schlegel  zugeschrieben  worden  ist.  Dieser 
Irrthum  wurde  von  den  späteren  Herpetologen  trotz  des 
Hinweises  Bon  apart  e's  systematisch  begangen.  Fitzinger 
war  es,  der  unsere  Eidechse  zum  ersten  Male  als  ,,Lacerta 
oxycephala^  ^  in  den  mir  leider  unzugänglichen  Annalen  des 
Wiener  Museums  der  Naturgeschichte  anführte.  Darauf 
hin  erhielt  Schlegel  eine  Anzahl  dieser  Thierchen  aus 
Dalmatien,  etiquettirte  sie  im  Museum  zu  Leyden  als 
,f Lacerta  oxycephala^ ^  und  übermittelte  zwei  Exemplare  an 
Dumeril  und  Bibron,  welche  dieselben,  sowie  drei  aus 
Corsika  stammende  spitzköpfige  Eidechsen  einer  näheren 
Untersuchung  unterworfen  und  in  der  generellen  Herpeto- 
logie  (Band  V.  S.  235)  beschrieben  haben. 

In  seiner,  ein  Jahr  darauf  in  den  Memorie  della  Acca- 
demia  di  Scienze  di  Torino,  Serie  IL  Tom.  IL  1840,  er- 
schienenen Uebersicht  der  Amphibien  Europas  führte  Bona- 
parte die  oxycephale  Eidechse  mit  Bedenken  an.  Erst 
in  der  Iconografia  della  Fauna  Italica  wird  sie  von  ihm 
als  gute  Species  anerkannt  und  zwar  auf  Grund  seines 
Bekanntwerdens  mit  der  aus  Corsika  stammenden  Lacerta 
oxycephala.  Die  ziemlich  dürftige  Beschreibung  Bona- 
p arte's  ist  von  einer  schlecht  gelungenen  Abbildung  und 
einem  missrathenen  Versuche  Synonyme  der  Lacerta  oxyce- 
phala zu  entdecken,  begleitet. 

Im  Jahre  1874  wurde  die  in  Rede  stehende  Lacerta 
wiederum  in  italienischer  Sprache  und  zwar  von  dem 
grössten  der  jetzt  lebenden  Herpetologen  Italiens,  deBetta 
nach  dalmatinischen  Exemplaren  beschrieben^ ). 

Viel    präciser    behandelt    dagegen    Schreiber    die 


1)  Bd.  IL  Anfibi.  Roma  1832—1841. 

2)  „Fauna  d'Italia",  Parte  IV.  Rettili  ed»  Anfibi.  Milano  1874, 
(L'Italia  sotto  l'aspetto  fisico,  storico,  artistico  e  statistico.) 


252  J.  V.  Bedriaga  : 

Lacerta  oxycephala  in  seiner,  ihrer  Ausführlichkeit  halber, 
einzig  und  allein  dastehenden  Beschreibung.  Dem  Verfasser 
der  Herpetologia  europaea  stand,  wie  wir  seinen  eigenen 
Worten  entnehmen,  ein  reiches,  jedoch  nur  aus  Dalmatien 
und  Spanien  stammendes  Material  zu  Gebote. 

Dass  Lacerta  oxycephala  in  Spanien  vorkommt,  war 
bis  dahin  nur  eine  Vermuthung  von  Gray;  auch  können 
wir  nicht  mit  Sicherheit  annehmen,  dass  die  unter  dem 
Namen  „Zootoca  oxycephala^''  in  dem  Catalogue  of  the  speci- 
mens  of  Lizards  in  the  British  Museum  (London  1845) 
figurirende  Eidechse  wirklich  eine  spitzköpfige  Lacerta  ist. 
Ich  führe  hier  Gray's  eigene  Worte  an,  um  zu  zeigen, 
dass  meine  Zweifel  darüber  nicht  unbegründet  sind.  ,jZoo- 
toca  oxycephala.^'  Spain  or  Madaira?  Temple  covered 
with  small  swollen  scales,  with  a  large  central  one ;  dorsal 
scales  oval,  rather  convex;  ventral  shields  6— rowed." 

Diese  Angabe  Gray's  dürfte  manchem  Herpetolog 
ebenso  wenig  bekannt  sein  wie  diejenige  Graells  über 
das  Vorkommen  der  Lacerta  oxycephala  in  Spanien*), 
welche  in  einem  mir  unbekannten,  muthmasslich  spanischen 
Werke  sich  befindet. 

Ausser  den  drei  für  Lacerta  oxycephala  sicher  consta- 
tirten  Wohngebieten  —  Dalmatien,  Corsika  und  Spanien  — 
werden  deren  noch  zwei  von  Schreiber  (1.  c.)  genannt. 
Dies  sind  die  Abruzzen  (gestützt  auf  Dehne's 2)  Angaben) 
und  Constantinopel.  —  Was  das  Vorkommen  der  oxyce- 
phalen  Eidechse  in  den  Abruzzen  anbelangt,  so  wäre  es 
leicht  möglich,  dass  dies  der  Fall  sein  könnte,  denn  es 
wäre  höchst  sonderbar,  wenn  in  Corsika  und  Dalmatien 
zugleich  constatirte  Thiere  in  Italien  vermisst  würden. 
In  meinen  herpetologischen  Studien^)  habe  ich  bereits  die 
Gründe  angegeben,  wesshalb  Lacerta  oxycephala  in  dieser 


1)  Vergl.  Bosca,  Catalogo  de  los  reptiles  y  aiifibios  observa- 
dos  en  Espana,  I'ortugal  e  islas  Baleares  (Anales  de  la  sociedad 
espanola  de  Ilistoria  natural,  t.  VI,  1877.) 

2)  Verzeicliniss  derjenigen  Reptilien,  welche  Dr.  Rabenhorst 
im  Jahre  1847  in  Italien  gefunden  (AUg.  deutsche  naturh.  Zeitg. 
11,  1856). 

3)  Archiv  für  Naturg.  XLV.  I.  Bd.  S.  315. 


Ueber  Lacerta  oxycephala  Fitz.  u.  judaica  Cam.  253 

oder  jener  Gegend  von  Einigen  gesehen  und  gefangen, 
von  Anderen  aber  ohne  Erfolg  gesucht  worden  ist.  Noch 
im  vergangenen  Sommer  hat  mich  eine  briefliche  Mitthei- 
lung des  Herrn  Prof.  Brusina  in  Agram  (eines  Kenners 
der  dalmatischen  Fauna)  davon  überzeugen  können,  dass 
Lacerta  oxycephala  selten  und  nur  stellenweise  angetroffen 
wird.  Auf  meine  an  Prof.  Brusina  gerichtete  Bitte,  mich 
mit  dalmatischen  spitzköpfigen  Eidechsen  zu  versorgen, 
erhielt  ich  Kunde,  dass  nur  ein  einziges  Exemplar  dieser 
Art  von  ihm  gefangen  worden  ist.  Wenn  wir  bedenken, 
dass  üalmatien  von  Naturforschern  und  Thierhändlern  sehr 
häufig  durchkreuzt  wird,  und  dass  die  von  Lacerta  oxyce- 
phala bewohnten  Oertlichkeiten  sicher  von  ihnen  betreten 
werden  müssen,  so  kommen  wir  zur  Schlussfolgerung,  dass 
der  Grund  davon,  dass  die  spitzköpfige  Eidechse  in  den 
Sammlungen  selten  ist  und  auf  dem  Thiermarkte  gar  nicht 
angeboten  wird,  der  ist,  dass  sie  mit  Lacerta  muralis  var. 
neapolitana  verwechselt  und  daher  wohl  öfters  unberück- 
sichtigt gelassen  wird.  Dagegen  zu  steuern  ist  die  Aufgabe 
der  beifolgenden  Blätter. 

Ungeachtet  dessen,  dass  die  Beschreibung  der  Körper- 
form und  sonstigen  äusseren  Merkmale  der  Lacerta  oxy- 
cephala im  Schreib er'schen  Buche  ziemlich  erschöpfend 
ist,  vermag  die  Beschreibung  allein  uns  nicht  ein  klares 
Bild  dieses  Thierchens  zu  geben;  dies  zu  Stande  zu  brin- 
gen ist  hauptsächlich  die  Aufgabe  des  Zeichners.  Drum 
habe  ich  mein  besonderes  Augenmerk  auf  die  getreue  bild- 
liche Darstellung  der  Lacerta  oxycephala  gerichtet  und  hege 
die  Hoffnung,  dass  man  darnach  im  Stande  sein  wird,  diese 
Art  in  Zukunft  sofort  zu  erkennen,  falls  man  dazu  die  von 
mir  aufgezählten,  von  anderen  meistens  ausser  Acht  ge- 
lassenen Merkmale,  sowie  den  Knochenbau  mit  berück- 
sichtigt. 

Dadurch  dass  Schreiber  in  seinem  Capitel  über 
Lacerta  oxycephala  die  Mauereidechse  in  Bezug  auf  die 
Formbeschreibung  wiederholt  zum  Vergleiche  herbeizieht 
und  zwischen  beiden  Aehnlichkeiten  oder  Differenzen  zu 
finden  sich  bemüht,  beweist  er  gerade  uns  am  treffendsten, 
dass  seine  Diagnosen  nicht  als  durchweg  stichhaltig  be- 


254  J.  V.   Bedriaga: 

trachtet  werden  können.  Ohne  nähere  Bezeichnung  der 
Varietät  darf  die  Mauereidechse,  was  die  äusseren  Merk- 
male anbetrifft,  entschieden  nicht  mehr  zum  Vergleichungs- 
object  herbeigezogen  werden  und  zwar  aus  dem  Grunde, 
weil  die  zu  ein  und  derselben  Art  gehörenden  Individuen 
sehr  selten  untereinander  so  stark  in  ihrer  Körperform 
variiren,  wie  die  Mauereidechse,  geschweige  denn  in  ihrer 
Färbung  und  Zeichnung.  Wir  kennen  schlanke,  plump- 
gestaltete, pyramidalköpiige,  platycephale,  endlich  breit- 
und  schmalköpfige  Mauereidechsen.  In  wie  fern  »der  Rumpf 
von  Lacerta  oxycephala^  wie  es  Schreiber  behauptet 
weniger  schlank  geformt  ist,  als  der  bei  Lacerta  muraliSy 
können  wir  unmöglich  wissen,  da  der  Verfasser  uns  nicht 
angibt,  welche  Form  der  Mauereidechse  ihm  als  Verglei- 
chungsobject  bei  der  Abfassung  seines  Capitels  über  Lacerta 
oxycephala  vorlag.  Lacerta  muralis  var,  neapolitana  z.  B., 
welche  auf  der  Insel  Pianosa  einheimisch  ist,  sieht  Lacerta 
oxycephala  so  ähnlich  und  entspricht  im  Allgemeinen  so 
sehr  der  Formbeschreibung  der  spitzköpfigen  Eidechse, 
welche  uns  Schreiber  gibt,  dass  man  sie  für  eine  ächte 
Lacerta  oxycephala  halten  könnte.  Auch  sind  die  Form- 
beschreibungen der  spitzköpfigen  Eidechsenart  weder  in 
der  Herpetologia  europaea  noch  in  der  Erp^tologie  generale 
durchweg  für  die  in  Corsika  einheimischen  oxycephalen 
Lacerten  zutreffend.  „Ce  Lezard",  sagen  Dumerii  und 
Bibron,  „bien  que  fort  voisin  du  Lezard  des  murailles, 
en  differe  cependant  par  la  depression  beaucoup  plus  grande 
de  la  tete;  par  son  museau  plus  allonge,  plus  pointu;  .  .  . 
Schreiber  stimmt  im  Allgemeinen  mit  dieser  Ansicht 
Dumeril's  und  Bibron's  überein.  Er  sagt:  „Der  ziemlich 
niedrige  Kopf  ist  gestreckt,  in  der  Wangengegend  am 
breitesten,  nach  hinten  kaum,  nach  vorn  aber  sehr  stark 
zugespitzt  verschmälert,  im  Ganzen  von  ziemlich  regel- 
mässig dreieckiger  Gestalt."  —  Nun  ist  aber  in  der  Wirk- 
lichkeit die  Schnauze  bei  Lacerta  oxycephala,  welche  mir 
aus  Corsika  vorliegt,  im  Vergleich  zur  Schnauze  der 
Mauereidechse  gar  nicht  zugespitzt.  Ganz  im  Gegentheil 
erscheint  die  Schnauze  bei  den  letzteren  stärker  zugespitzt, 
als    bei   der   oxycephala.     Wenn    uns    auch   die   vordere 


Ueber  Lacerta  oxycephala  Fitz,  u,  judaica  Cam.  255 

Partie  des  Kopfes  bei  der  letzteren  bei  flüchtiger  Betrach- 
tung zugespitzter  zu  sein  scheint,  als  dies  bei  der  Mauer- 
eidechse der  Fall  ist,  so  liegt  der  Grund  hiervon  lediglich 
darin,  dass  der  Kopf  bei  der  oxycephala  überhaupt  länger 
und  in  der  Temporalgegend  breiter  ist.  In  der  Frenalge- 
gend  nimmt  der  Breitendurchmesser  der  mir  zur  Verfügung 
stehenden  oxycephalen  Lacerten,  welche  ich  der  Güte  des 
Herrn  Reveliere  in  Porto- Vecchio  verdanke,  ab.  Dadurch, 
dass  der  Discus  palpebralis  bei  ihnen  beiderseits  stark 
erhoben  ist,  kommen  die  Froutonasalschilder  tief  zu  liegen. 
Beides  bewirkt  eine  rasche  Verschmälerung  des  Kopfes, 
aber  speciell  nur  in  der  bezeichneten  Gegend.  Das  Inter- 
nasale, die  Nasorostralschilder  und  das  Rostrale  erscheinen 
sehr  breit  und  die  Schnauzenspitze  selbst  erscheint  aufge- 
trieben. Die  Linien,  welche  am  äusseren  Rande  der  Parie- 
talschilder  anfangen,  sich  von  da  bis  zu  den  Nasenlöchern 
hinziehen  und  auf  diese  Weise  den  Pileus  begrenzen, 
zeigen  bei  Lacerta  oxcyphala  sowohl  im  Profil,  als  auch 
im  Grundriss  des  Kopfes  vielfache  Biegungen,  während 
die  nämlichen  Linien'  bei  Lacerta  muralis  var.  neapolitana 
sich  ziemlich  in  gerader  Richtung  hinziehen. 

Eine  sorgfältige  Aufzählung  der  Kopfschildereigen- 
thümlichkeiten  genügt  ebenfalls  nicht,  um  diese  Art  sofort  zu 
erkennen,  da  wir  bei  der  Mauereidechse  ebendieselben  Eigen- 
thümlichkeiten  zu  nennen  vermögen.  Ich  ziehe  daher  vor, 
die  den  Pileus  bildenden  Schilder  im  Texte  ganz  ausser 
Acht  zu  lassen,  gebe  dagegen  eine  Abbildung  dersel- 
ben. Diese  allein  vermag  uns  zur  Ueberzeugung  zu 
bringen,  dass  sowohl  die  Kopfschilder,  als  auch  die  Gestalt 
des  Kopfes  ihren  charakteristischen  Zug  besitzen. 

Nicht  unerwähnt  will  ich  lassen,  dass  die  Kopfseiten 
bei  Lacerta  oxycephala  öfters  Eigenthümlichkeiten  auf- 
weisen, dass  dieselben  jedoch  öfters  vermisst  werden,  was 
vielleicht  in  das  Bereich  der  Localvariation  gehören  mag. 
So  sollen  z.  B.  die  in  Dalmatien  einheimischen  oxycephalen 
Eidechsen  ein  mittelgrosses  Massetericum  aufweisen.  Du- 
meril  und  Bibron  schreiben  den  von  ihnen  untersuchten 
Individuen  dieser  Species  ein  kleines  Massetericum  zu, 
welches  kaum  doppelt  so  gross,  als  die  übrigen  Temporal- 


256  J-  V.  Bedriaga: 

Schilder  ist.  Meine  aus  Corsika  stammenden  Exemplare 
der  Lacerta  oxycepJiala  besitzen  keine  Spur  von  diesem 
Schilde.  —  Zwei  übereinander  stehende  Nasoferenalen 
sollen  nach  der  Angabe  Dumeril  und  Bibron's  manchmal 
zu  einem  einzigen  Schilde  verschmelzen.  Dies  dürfte  je- 
doch nicht  nur  manchmal,  sondern  sogar  allgemein  bei 
den  in  Corsika  lebenden  oxycephalen  Lacerten  der  Fall 
sein ;  denn  meine  elf  aus  dem  südlichen  gebirgigen  Theile 
Corsikas  stammenden  Exemplare  besitzen  nur  ein  einziges 
Nasofrenalschild.  —  Während  Dumeril  und  Bibron  die 
Zahl  der  vorderen  Supralabialien  gar  nicht  angeben,  schätzt 
sie  Schreiber  auf  fünf.  Einige  von  meinen  oxycephalen 
Lacerten  weisen  nur  vier  Oberlippenschilder  auf. 

Meiner  Ansicht  nach  sind  folgende  Kennzeichen  für 
die  corsikanische  Lacerta  oxycephala  charakteristisch: 

1.  Die  Rückenschuppen  sind  bei  ihr  glatt,  öfters  mit 
einem  kleinen  Grübchen  versehen,  was  wohl  auf  einer  Be- 
schädigung der  Schuppen  beruhen  dürfte^).  Die  Configura- 
tion  der  Schuppen  ist  sehr  variabel;  sie  erscheinen  sechs-, 
fünf-  und  viereckig,  und  ausserdem  unregelmässig  geformt. 
In  der  Halsgegend  sind  sie  eher  rund,  ^q^qäi  den  Schwanz 
zu  länglich  sechseckig,  auf  den  Körperseiten  viereckig. 
Drei  Querreihen  von  Rückenschuppen  gehen  auf  jedes 
Bauchschild.  Oberschildchen  sind  nur  vorn  an  den  Bauch- 
seiten vorhanden. 

2.  Während  bei  Lacerta  muralis  var.  neapolitana  das 
obere  Augenlid  wenig  bemerkbar  und  nur  als  eine  aus 
äusserst  kleinen  Schuppen  bestehende  perlschnurartige 
Kante  sichtbar  ist,  erscheint  dasselbe  bei  Lacerta  oxyce- 
phala viel  mehr  ausgebildet,  etwa  1  mm  breit,  und  ver- 
sehen mit  drei  der  Länge  nach  liegenden  Reihen  von 
ziemlich  ansehnlichen  Schuppen.  Dieses  sich  so  ausneh- 
mende und  nahezu  in  derselben  Ebene  mit  dem  Discus 
palpebralis  liegende  obere  Augenlid  bewirkt  auf  passivem 
Wege  nur  die  Schliessung   des  Auges,   indem  es   sowohl 


1)  Bekanntlich  kommen  vollkommen  glatte  Schuppen  sehr 
selten  bei  Lacerta  muralis  var.  neapolitana  vor  und  zwar  nur  bei 
einigen  insulanischen  Formen. 


Üeber  Lacerta  oxycepliala  Fitz.  u.  judaica  Cam.  257 

beim  geschlossenen,  als  auch  beim  offenen  Auge  stets  die- 
selbe Länge  behält  und  nur  beim  Tüdten  des  Thieres 
leicht  zurückgezogen  wird.  Das  untere  bewegliche  Augen- 
lid erscheint  sehr  lang  und  dick  und  nicht  nur  vermag  es 
den  Augapfel  zu  verdecken,  welcher  ziemlich  stark  aus 
der  Augenhöhle  hervortritt,  sondern  es  bildet  gewöhnlich 
noch  eine  auf  dem  unteren  Augenhöhlenrande  ruhende 
Falte.  Es  ist  von  grossen  und  mit  Consistenz  versehenen 
Schildern  bedeckt,  welche  insbesondere  ringsum  auf  den 
Rändern  ausgebildet  erscheinen.  Das  Auge  bei  Lacerta 
oxycephala  ist  somit,  so  zu  sagen,  durch  gepanzerte  Lider 
geschützt,  an  denen  man  die  braun  und  schwarz  gefärbten 
Schilder  mit  unbewaffnetem  Auge  zu  zählen  vermag.  Bei 
Lacerta  muralis  var.  neapoUtana  dagegen  ist  das  untere 
Augenlid  mit  äusserst  kleinen,  farblosen,  weichen  und  in 
der  Mitte  des  Lides  nahezu  durchsichtigen  Schuppen  be- 
deckt. Der  bereits  bei  offenem  Auge  wenig  hervortretende 
Augapfel  dieser  Eidechsenart  wird  beim  Schliessen  des 
Lides  ganz  hineingezogen.  Diibei  nimmt  sich  das  die 
Augenhöhle  schliessende  untere  Lid  ähnlich  wie  eine  ge- 
spannte Haut  aus. 

Während  der  Discus  palpebralis  bei  Lacerta  muraUs 
var.  neapoUtana^  Lacerta  muralis  var.  fusca  und  den  von 
diesen  beiden  abstammenden  insulauischen  Formen  selten, 
bei  Lacerta  muralis  var.  Lilfordi  öfters  beiderseits  hervor- 
ragt, erhebt  er  sich  stets  bei  der  lebenden  oxycephalen 
Eidechse  sehr  beträchtlich  und  trägt  dazu  bei,  dass  die 
Orbitalregion  bei  ihr  stark  hervortritt. 

3.  Die  Vorderbeine  reichen  bei  Lacerta  oxycepliala 
bis  zur  Schnauzenspitze,  während  dieselben  bei  einer  An- 
zahl untersuchter  neapolitanischer  Maliereidechsen  nur  bis 
zu  den  Nasofrenalschildern  reichen.  Das  Messen  ergab, 
dass  die  einzelnen  Theile  des  Arm-  und  Handskeletes  bei 
Lacerta  oxycephala  sehr  wenig  in  ihrer  Länge  von  jenen 
bei  Lacerta  muralis  var.  neapoUtana  differiren,  dass  jedoch 
sobald  diese  Differenzen  summirt  werden,  eine  Längendif-  ^ 
ferenz  der  Vorderbeine  bei  diesen  zwei  Arten  bemerk- 
lich ist. 

Ausser  den    erwähnten   Kennzeichen   bieten    uns    die 

Archiv  für  Naturg.  XXXXVI,  Jalir^.  1.  Bd.  17 


258  J.   V.    Bedriaga: 

Dimensionen  der  Lacerta  oxycephala,  in  Zahlen  ausgedrückt, 
und  ihr  Gerippe,  namentlich  aber  der  Schädel,  Eigenthüm- 
lichkeiten  dar,  nach  welchen  man  sie  von  der  ihr  ver- 
wandten Form  Lac.  muralis  var.  neapolitana  unterscheiden 
kann. 

4.  Maasse  einer  männlichen  Lacerta  oxycephala: 

Gesammtlänge 226  mm 

Kopflänge        22     „ 

Grösster  Breitendurchmesser  des  Kopfes   (in  der 

Wangengegend) .       15     „ 

Grösste  Kopfhöhe 9     „ 

Grösster  Umfang    des  Kopfes   (in   der  Wangen- 
gegend)    42     „ 

Breite  des  Pileus  an  seiner  Ansatzstelle    ...      10     „ 

Umfang  des  Halses 44    „ 

Rumpflänge   (von    der   Schnauzenspitze   bis  zur 

Schwanzwurzel) 86     „ 

Umfang  des  Rumpfes  .........    46 — 48     „ 

Schwanzlänge 140     „ 

Umfang  des  Schwanzes  an  seiner  Wurzel      .     .      30     „ 
Umfang  des  Schwanzes  in  seiner  Mitte      ...       15     „ 

Die  Dimensionen  der  Lacerta  muralis  var.  neapolitana 
J  und  der  Lac.  muralis  var.  faraglioniensis  5  schliesse 
ich  hier  an,  damit  sich  die  Differenzen  von  selbst  ergeben. 

muralis  neapol.    muralis  faragl. 

Gesammtlänge 225  mm        230  V4  mm 

Kopflänge I9V2  „  20 

Breitendurchmesser  des  Kopfes  an 

der  breitesten  Stelle       .    .    .  13 V2  ,,  13^4  •„ 

Grösste  Kopf  höhe 10  „  IOV2  „ 

Grösster  Umfang  des  Kopfes      .     .  39  V2  „  42  V2  „ 

Grösster  Umfang  des  Halses    38  V2— 3972  „  41 V2  » 
Rumpflänge    (von    der   Spitze    des 

Kopfes  bis  zur  Schwanzwurzel)  70  „  7074  « 

Umfang  des  Rumpfes 44  „  45  „ 

Schwanzlänge 155  „  160  „ 

Umfang   des  Schwanzes   an   seiner 

Wurzel 14—28  „    16-2872  „ 


Ueber   Lacerta   oxycephala  Fitz.   u.  judaica  Cam.  259 

muralis  7ieapol.     muralis  faragl. 
Umfang   des  ScbwaDzes    in    seiner 

Mitte 10—11  ram  10—12      mm 

Breite  des  Pileus  au  seiner  Ansatz- 
stelle             9  „  91/2    „ 

Grösster    Breitendurebmesser    des 

Pileus 9-9V2  ,       9V2— 10    „ 

5.  Betrachten  wir  den  Schädel  der  Lacerta  oxyce- 
jihala,  so  fällt  uns  vor  allem  seine  im  Verhältniss  zum 
geringen  Höhendurchmesser  bedeutende  Länge  auf.  Diese 
kommt  hauptsächlich  dadurch  zu  Stande,  dass  das  Hinter- 
hauptsbein stark  nach  hinten  zu  vorgedrungen  erscheint 
Die  Schuppe  des  Hinterhauptsbeines  welche  bei  Lacerta 
ocellata  gänzlich,  bei  Lacerta  viridis,  Lacerta  agilis,  Lacerta 
muralis  nahezu  vollständig  vom  Parietalbein  verdeckt  wird, 
bleibt  bei  Lacerta  oxycephala  zum  grössten  Theil  unver- 
deckt,  läuft  beinahe  parallel  mit  der  Ebene  der  Platte  des 
Scheitelbeines  und  erscheint,  da  die  obere  Partie  des 
Hinterhauptsbeines  ziemlich  flach  ist  (bei  Betrachtung  des 
Schädels  von  oben),  als  eine  Fortsetzung  des  Scheitel- 
beines^). 'Der  bei  allen  anderen  europäischen  Eidechsen 
sich  zwischen  der  Schuppe  des  Hinterhauptbeines  und  dem 
Parietale  befindende  Raum  w^ird  bei  der  oxycephalen  La- 
certa vermisst.  Dieser  Zwischenraum  entsteht  bekanntlich 
dadurch,  dass  die  Schuppe  des  Hinterhauptsbeines  sich  zu 
einem  öfters  sehr  hohen,  ein  Knorpelstück  tragenden  Höcker 
oder  Vorsprung  erhebt  der  dem  Parietale  als  Stütze  dient 2). 
An  jener  Stelle,  und  zwar  am  hinteren,  unteren  Rande  des 
Scheitelbeines,  wo  dasselbe  diesen  Vorsprung  berührt,  nehmen 
wir  eine  meistens  tiefe  Aushöhlung  wahr  ^),  welche  das 
Knorpelstück  (das  sich  öfters  unter  dem  Druck  der  Schädel- 
decke biegt)  und  einen  Theil  des  medianen  Höckers  der 
Schuppe  des  Hinterhauptsbeines  aufnimmt.  Bei  Lacerta 
oxycephala  ist  dieser  Höcker  äusserst  klein ;  er  kommt  nicht 
unterhalb  des  Parietale  zu  liegen,  sondern  da  das  Hinter- 
hauptsbein,  wie   bereits    erwähnt,    stark    nach    hinten   zu 

1)  Vergl.  Tafel  XI  Fig.  6. 
Ö)  Vergl.  Tafel  XI  Fig.  7. 
3)  Vergl.  Tafel  XI  Fig.  4  und  Fig.  5. 


2G0  J.  V.  Bedriaga: 

vorragt,  befindet  er  sich  ausserhalb  und  zwar  am  Rande 
desselben  ^).  Dem  Scheitelbeine  zur  Stütze  dienen  die  leicht 
nach  oben  erhobenen  Ränder  der  Hinterhauptschuppe, 
welche  somit  eine  transversale  Crista  bilden  (Vergl.  Fig.  8). 
Diese  Crista  ist  in  ihrer  Mitte  durch  den  niedrigeren  Höcker 
unterbrochen  und  in  zwei  Hälften  getrennt. 

Lacerta  ocellata  einerseits  und  Lacerta  oxycephala  an- 
dererseits scheinen  die  Extreme  in  der  Ausbildung  dieses 
zur  Stütze  des  Scheitelbeines  dienenden  Gebildes  zu  bieten. 
Bei  der  ersteren  läuft  das  Occipitale  superius  in  eine  an- 
sehnliche longitudinale  Crista  aus.  Das  ihr  aufsitzende 
Knorpelstück  ist  nachgiebig  und  in  der  Aushöhlung  des  Pa- 
rietale verborgen.  Bei  Smaragd-  und  Zauneidechsen  ist 
der  Vorsprung  an  seiner  Basis  dadurch,  dass  die  Ränder 
der  Schuppe  des  Hinterhauptsbeines  an  seiner  Bildung 
einen  grossen  Antheil  nehmen,  ziemlich  breit,  läuft  aber 
spitz  zu.  Bei  Lacerta  miiralis  var.  neapolifana  ist  er  viel 
niedriger  als  bei  den  letztgenannten  und  trägt  in  selteneren 
Fällen  ein  aufrecht  stehendes  Knorpelstück,  während  La- 
certa muralis  var.  faragUo7iiensis,  deren  Stammform  die 
grüne  neapolitanische  Mauereidechse  ist,  öfters  einen  ziem- 
lich langen  auf  dem  Vorsprung  aufrecht  aufsitzenden  cylin- 
drischen  Knorpel  aufweist,  welcher  hier  als  wirkliche 
Stütze  des  Scheitelbeines  dient,  indem  er  eine  bereits  ein- 
getretene und  öfters  vorgeschrittene  Ossification  zeigt  und 
daher  eine  gewisse  Sprödigkeit  erlangt  (Vergl.  Fig.  7). 
Diese  Beschaffenheit  des  in  Rede  stehenden  Knorpelstückes 
ist  insofern  von  Interesse,  als  sie  nicht  nur  die  höchst 
ergiebige  Variabilität  in  der  Kopfform  der  verschiedenen 
Abarten  der  Mauereidechse  zu  erklären  vermag,  sondern 
auch  die  so  überraschenden  individuellen  Differenzen  in 
der  Gestalt  des  Kopfes,  namentlich  bei  Lacerta  muralis 
var,  neapolitanaj  bedingt. 

Man  hat  kürzlich  versucht,  die  in  Italien  lebenden, 
verschieden  gezeichneten  murales  in  Varietäten  zu  sondern, 
indem  man  dabei  ein  grosses  Gewicht  auf  die  plattge- 
drückte oder  pyramidenähnliche  Kopfform  legen  zu  müssen 

1)  Vergl.  Tafel  XI,  Fig.  6. 


Ueber  Lacerta  oxycephala  Fitz.  u.  judaica  Cani.  261 

glaubte,  lu  meinen  über  die  südeuropäisTiheti  Eidecbsenarten 
veröifentlichteD  Abbandliingen  trat  leb  stets  dagegen  auf, 
und  zwar  aus  dem  Grunde,  weil  icb  bei  dem  Kopf  uicbt 
immer  eine  Uebereinstimmung  mit  der  Zeichnung  und  der 
Färbung,  welche  vermuthet  worden  ist,  angetroffen  habe, 
und  weil  ich  diese  „Kennzeichen"  lediglich  als  individuelle, 
rein  auf  accidentellen  Vorgängen  in  der  postembryonalen 
Entwickelung  beruhenden  Abweichungen  betrachtete.  Die 
Untersuchung  und  Vergleichung  einer  ganzen  Serie  von 
Laceiten-Schädeln  hat  mich  in  meiner  Ansicht  bestärkt. 
Die  plattgedrückte  oder  pyramidale  Kopfform  rührt  bei  den 
Mauereidechsen  von  dem  Grade  der  Ossification  des  auf 
dem  Vorsprung  des  Occipitale  superius  sich  befindenden 
cylindrischen  Stäbchens  her.  Tritt  eine  Ossification  ein, 
so  wird  das  Knorpelstück  zu  einem  aufrecht  stehenden 
Stäbchen,  das  den  Höhendurchmesser  der  Occipitalregion 
beeinträchtigt;  bleibt  sie  aber  weg,  so  senkt  sich  das  Pa- 
rietale und  kommt  auf  den  Vorsprung  zu  liegen,  indem  es 
den  Knorpel  in  seiner  Aushöhlung  birgt.  Ich  will  hier 
gleichzeitig  ausdrücklich  betonen,  dass  der  plattgedrückte 
Kopf  bei  Lacerta  oxycephala  nicht  vom  Ausbleiben  der  ge- 
schilderten Ossification  des  Stäbchens  herrührt.  Da,  wie 
bereits  erwähnt,  der  den  Knorpel  tragende  knöcherne  Vor- 
sprung nicht  unterhalb  des  Parietalbeines  gelegen  ist,  so 
würde  in  Folge  dessen  die  eventuelle  Ossification  des 
Knorpels  bei  dieser  Art  von  keinem  Einflüsse  auf  den 
Höhendurchmesser  des  Schädels   sein  können. 

Das  bei  anderen  Eidechsenarten  am  Condylus  occipi- 
talis  liegende  ziemlich  tiefe  Grübchen  ist  bei  Lacerta  oxy- 
cephala äusserst  schwach  angedeutet.  Ueberhaupt  erscheint 
das  Occipitale  basilare  bei  der  oxycephala,  von  unten  ge- 
sehen, flach,  indem  hier  weder  starke  Hervorraguugen, 
noch  Vertiefungen  zum  Vorschein  kommen.  Der  Gelenk - 
köpf  zeichnet  sich  durch  seine  geringe  Grösse  aus.  Die 
drei  Stücke,  aus  denen  er  besteht,  sind  bei  den  erwachsenen 
Individuen  sogar  durch  mehr  oder  weniger  tiefe  Trennungs- 
furchen oder  nur  Trennungslinien  gut  erkennbar.  Eine 
ähnliche  drei  gelappte  Beschaffenheit  habe  ich  öfters  Ge- 
legenheit gehabt,  auch  bei  alten  Exemplaren  anderer  Arten, 


262  J-  V.  Bedriaga: 

z.    B.   bei   Lacerta  •  ocellatttj    L.  muralis  und    L.  agilis,    zu 
constatiren. 

Das  Sphenoidale  basilare  bei  der  spitzköpfigen  Ei- 
dechse ist  bedeutend  länger  als  bei  den  Mauer-  und  an- 
deren Eidechsen.  Seine  Grenze  nach  hinten  ist  durch  eine 
scharfe  Trenuungslinie  markirt.  Das  vordere  Keilbein  da- 
gegen weicht  in  seiner  Gestalt  und  Länge  gar  nicht  von 
jenem  bei  Lacerta  muralis  ab. 

Die  Flügelbeine  entbehren  bei  Lacerta  oxycephalay 
der  Bezahnung.  Bei  einer  Anzahl  neuerdings  untersuchter 
Schädeln  der  Lac.  muralis  var.  neapolitana,  ferner  bei 
Lacerta  Galotti  und  Lacerta  Dugesii  fehlten  die  Zähne  an 
den  Pterygoidea  ebenfalls.  Bei  Lacerta  viridis  habe  ich 
dagegen  stets  eine  grosse  Anzahl  derselben  constatiren 
köonen;  sie  sind  bei  ihr  ungleich,  manchroal  zu  drei  oder 
vier  in  jeder  transversalen  Reihe  auf  einer  ansehnlichen 
Hervorragung  angeordnet. 

Von  der  oberen  Fläche  des  Pterygoideums  erhebt  sich 
bekanntlich  bei  den  einheimischen  Eidechsenarten,  ferner 
bei  Lacerta  ocellata  und  den  pyramidalköpfigen  Mauerei- 
dechsen die  Columella  perpendiculär  nach  oben  zum 
Scheitelbein,  indem  sie  jedoch  letzteres  selten  erreicht. 
Bei  Lacerta  oxycepliala  gibt  die  Columella  ihre  zu  dem  Flügel- 
beine penpendiculäre  Stellung  auf,  sie  neigt  sich  nach 
hinten  unter  spitzem  Winkel  und  lehnt  sich  an  das  Felsen- 
bein. Dabei  ist  aber  ihre  Länge  eben  dieselbe  wie  die- 
jenige bei  den  pyramidalköpfigen  grünen  Mauer-  oder 
Faraglioni-Eidechsen.  Diese  Erscheinung  bewegt  mich  zur 
Annahme,  dass  die  Stellung  der  Columella  von  der  Ossi- 
fication  des  auf  dem  knöchernen  Vorsprung  am  Occii)itale 
superius  aufsitzenden  Knorpelsttickes  abhängig  ist.  Diese 
Muthmassung  gewinnt  an  Wahrscheinlichkeit,  sobald  wir 
eine  Anzahl  Schädel  von  platyccphalen  und  pyramido- 
cephalen  Maucreidechsen  vergleichen.  Wir  finden,  dass 
die  Columella  ihre  zum  Pterygoideum  aufrechte  Stellung 
bei  den  plattköpfigcn  Individuen,  welche  gar  keine  oder 
nur  eine  unbeträchtliche  Ossification  des  erwähnten  Knorpel- 
stückchens aufweisen,  ebenfalls  nur  einbüsst,  und  nicht  etwa, 
wie  man  es  von  vorn  herein  erwarten  könnte,  kürzer  wird. 


lieber  Laccrta  oxycephala  Fitz.  u.  judaica  Cani,  263 

» 

Am  Vonier,  Ethmoideuiii  und  Gaumenbein  habe  ich 
keine  erheblichen  Eigenthümlichkeiten  bei  Lacerta  oxyce- 
phala finden  können. 

Die  die  vorderen  Enden  der  Vomera  berührenden 
dreieckigen,  vom  Intermaxillare  hcrabtretenden  Blätter  sind 
bei  Lacerta  oxycephala  weniger  lang,  jedoch  an  ihrer  Basis 
breiter,  als  bei  Lacerta  muralis  var.  neapolitana.  Proces- 
sus frontalis  ist  bei  beiden  in  Rede  stehenden  Arten 
stachelförmig,  bei  der  spitzköpfigen  Lacerta  etwas  länger, 
als  bei  der  Mauereidechse. 

Der  Oberkiefer  zeichnet  sich  (Alles  im  Vergleich  zu 
Lacerta  muralis  var.  neapolitana)  durch  seinen  geringen 
Höhendurchmesser  aus.  Er  weist  beiderseits  7 — 8  zum 
Durchtritt  von  Nerven  bestimmte  Löcher  auf  und  hat  jeder- 
seits  17  Zähne.  Während  die  Zähne  der  Lac.  rnurlis  var. 
neapolitana,  mit  Ausnahme  des  ersten  an  die  Zähne  des 
Zwischenkiefers  angrenzenden  einfachen  Zahnes  und  des 
letzteren,  welcher  eine  dritte  Spitze  zu  erkennen  gibt,  eine 
deutlich  sichtbare,  zweispitzige  Form  der  Zahnkrone  auf- 
weisen, ist  die  grössere  Anzahl  der  Zähne  bei  Lacerta 
oxycephala  kegelstumpfförmig,  ähnlich  wie  bei  Lacerta 
ocellata.  Eine  kleine  Anzahl  zeigt  eine  äusserst  schwache 
Einkerbung.  Die  Untersuchung  der  Zähne  habe  ich  auch 
auf  die  Canaren -Eidechsen  Lacerta  Galloti  und  L.  Dugesii 
ausgedehnt  und  gefunden,  dass  bei  der  ersteren  die  Zähne 
niedrig  sind  und  eine  deutlich  dreigespitzte  zierliche  Krone 
aufweisen,  deren  mittlere  Spitze  höher  ist  als  die  seitlichen. 
Die  Zähne  bei  Lacerta  Dugesii  reihen  sich  denen  der 
Lacerta  muralis  var.  neapolitana  an. 

Was  das  Jugale  anbetrifft,  so  wäre  nur  zu  bemerken, 
dass  seine  Biegung  sich  stärker  erweist,  als  dies  beim 
Jochbeine  der  neapolitanischen  Manereidechse  der  Fall  ist. 
Die  Krümmung  trägt  dazu  bei,  dass  einerseits  der  Kopf 
der  Lacerta  oxycephala,  wie  es  bereits  ihr  Name  zeigt, 
vorn  ziemlich  verschmälert  erscheint,  andererseits  aber, 
dass  der  Kopf  in  der  Wangengegend  einen  sehr  be- 
deutenden Breitendurchmesser  erlangt. 

Von  den  übrigen  Schädelknochen  der  Lacerta  oxyce- 
phala und  L.  muralis  var.  neapolitana  bieten  nur  die  Deck- 


264  J.  V.  Bedriaga  : 

knochen  in's  Gewicht  fallende  Differenzen.  Vor  allem  ist 
hervorzuheben,  dass  das  Parietale  der  oxycephalen  Lacerta 
sich  durch  seine  Breite  und  durch  seine  verhältnissmässig 
kurzen,  flacheren,  zu  den  Quadratbeinen  herabsteigenden 
Bogenschenkel  auszeichnet.  Die  Innensicht  des  Scheitel- 
beines bietet  ein  auffallend  anderes  Aussehen,  als  bei  La- 
certa murdlis  var.  neapolitana  dar.  Bei  dieser  letzteren 
nämlich  weist  die  Innensicht  des  Parietale  einen  V  förmigen, 
an  der  erwähnten  Aushöhlung  am  Parietalbeine  seinen  Ur- 
sprung nehmenden  Wulst  auf,  w^elcher  jenem  der  Lacerta 
agüis  ähnlich  ist  ^).  Auf  dem  an  das  Parietale  angrenzenden 
Stirnbeine  ragt  ein  ähnlicher,  nur  in  entgegengesetzter 
Richtung  sich  befindender  V förmiger  Wulst  hervor,  wel- 
cher als  Fortsetzung  des  nach  dem  Lacrymale  absteigenden 
Fortsatzes  erscheint.  Diese  zwei  VfÖrmigen  Wülste  bilden 
einen  Rhombus,  indem  sie  mit  ihren  Enden  zusammen- 
stossen.  Bei  den  Varietäten  der  neapolitanischen  Mauer- 
eidechse, z.  B.  bei  var.  faraglionensis  büsst  der  eine  Wulst 
(nämlich  derjenige,  welcher  auf  dem  Scheitelbeine  hervor- 
ragt) seine  VForm  ein,  indem  die  Schenkel  sich  nicht  mehr 
in  geraden,  sondern  in  gebrochenen  Linien  hinziehen.  Bei  der 
spitzköpfigen  Eidechse  erscheint  der  Wulst  ganz  und  gar 
anders,  als  bei  Lacerta  muralis  var.  neapolitana  und  zwar  ist 
seine  Form  durch  die  sich  an  der  er^vähnten  Aushöhlung 
am  Parietale  befindende  und  diese  umgebende  Hervorragung 
bedingt  2). 

Je  nach  der  Lage  und  Gestalt  dieser  Leisten  können 
wir,  wie  es  bereits  Leydig  hervorhebt^),  sofort  die  Species 
erkennen.  In  der  Art  wie  die  Aushöhlung  am  Scheitel- 
beine umgeben  ist  (welche  im  Zusammenhang  mit  dem 
Vorsprung  am  Occipitale  superius  steht),  hat  jede  Art 
gleichfalls  ihre  Eigenthümlichkeit.  Bei  Lacerta  oxycephala 
ist  diese  Eigenthümlichkeit  so  stark  ausgesprochen,  dass 
man  sie  sofort  nach  dem  Parietale  allein  zu  erkennen  ver- 
mag. Die  nahezu  runde  Aushöhlung  am  Parietale  ist  näm- 

1)  Vergl.  Taf.  XI  Fig.  4. 

2)  Vergl.  Taf.  XI  Fig.  5. 

3)  Die  in  Deutschland  lebenden  Arten  der  Saurier.  Tübingen, 
1872.  S.  42. 


lieber  Lacerta  oxycephala  F'itz.   u.  judaica  Cam.  265 

lieh  bei  ihr  von  einer  ziemlieh  hohen  Hervorragung  umgeben, 
welche  beinahe  bis  zu  den  seitlichen  Rändern  des  Scheitel- 
beines reicht.  Diese  Hervorragung  oder  besser  dieser  Wall 
besitzt  nach  vorn  zu  einen  sanften  Abhang  und  weist  ein 
hufeisenförmiges  Plateau  auf,  das  unmittelbar  die  Aushöh- 
lung umgibt^).  Bei  allen  anderen  europäischen  Eidechsen- 
arten, welche  ich  zu  untersuchen  Gelegenheit  hatte,  ist  die 
Aushöhlung  am  Parietale  von  einer  dünnen,  hohen  Wandung 
vorn  und  seitlich  umgeben,  welche  von  der  Platte  des 
Scheitelbeines  hinabsteigt.  Das  an's  Parietale  anstossende 
Stirnbein  ist  bei  der  oxycephala  vorn  beinahe  ebenso  breit, 
als  in  der  Mitte,  wo  bekanntlich  bei  anderen  Eidechsen- 
arten eine  starke  Verengung  sich  wahrnehmen  lässt. 

Das  Nasenbein  ist  weniger  breit,  jedoch  etwas  länger 
als  bei  Lacerta  muralis  var.  neapolitana. 

Der  Unterkiefer  bei  der  oxycephala  ist  insofern  von 
demjenigen  der  neapolitanischen  Mauereidechse  verschie- 
den, als  bei  der  ersteren  die  ihn  zusammensetzenden  Theile 
niedriger  erscheinen.  Ausserdem  steht  er  bei  der  ersteren 
Art  nicht  senkrecht,  wie  es  bei  der  muralis  gewöhnlich  der 
Fall  ist,  sondern  bedingt  theilweise  die  Abplattung  ihrer 
Schnauze.  —  Die  Unterkiefer  bei  der  oxycephala  sind  jeder- 
seits  mit  24  Zähnen  bewaffnet,  bei  der  grünen  neapolita- 
nischen Lacerta  zählte  ich  deren  21. 

Wie  mau  es  von  vorn  herein  erwarten  dürfte,  bietet 
das  Skelet  der  Lacerta  oxycephala  sonst  keine  erheblichen 
Differenzen  von  jenen  der  übrigen  Eidechsenarten  und 
namentlich  keine  solche  von  Lacerta  muralis  var.  neapoli- 
tana^ die  ich  hauptsächlich  zum  Vergleiche  herbeigezogen 
habe.  Betrachtet  man  die  Wirbelsäule,  so  nimmt  man 
wahr,  dass  die  Segmente  einen  grösseren  Breitendurch- 
messer bei  der  ersteren  aufweisen,  dass  sie  dagegen  weni- 
ger hoch  sind.  Dies  kann  man  bereits  am  Atlas  bemerken, 
dessen  von  seinem  Mittelstück  herabsteigender  Dorn  kürzer 
ist,  als  der  bei  muralis  neapolitana  und  namentlich  bei 
muralis  var.  faraglionensis.  Der  kammförmige  Dornfortsatz 
am  Epistropheus  und  die  ihm  entsprechenden  Fortsätze  an 


1)  Vergl.   Tafel  XI  Fig.  5. 


266  J.  V.  Bedriaga: 

den  übrigen  Hals-,  Brust-  und  Lendenwirbeln  sind  bei 
Lacerta  oyxcephala  niedriger.  Vom  3.  oder  4.  Schwanz- 
wirbel an  erscheinen  lange,  öfters  stachelförmig  aussehende 
obere  Dornfortsätze.  Die  drei  unteren  Bögen  an  den 
Halswirbeln  sind  bei  der  oxycephalen  Eidechse  weniger 
entwickelt  als  bei  Lacerta  muralis  var.  neapolitana.  Die 
Querfortsätze,  namentlich  an  den  Schwanzwirbeln  (wo 
einige  länger  sind,  als  die,  welche  die  Sacralwirbeln  tragen), 
sind  stark  entwickelt.  Dieses  bedingt  die  bedeutende 
Schwanzbreite  bei  der  oxycephalen  Eidechse  an  seiner 
Wurzel.  Die  Kreuzwirbelfortsätze  sind  ebenfalls  bei  ihr 
stärker  entwickelt,  als  bei  den  Mauereidechsen.  Vom  3. 
Schwanzwirbel  fangen  untere  lange 'Bögen  an. 

Während  die  vier  breiten  Rippen  der  Halsgegend 
nichts  abweichendes  haben,  sind  alle  übrigen  länger  und 
schmäler,  als  bei  der  grünen  muralis. 

Die  Schulter-,  Becken-  und  Extremitätenknochen 
weichen  in  ihrem  Bau  so  gut  wie  gar  nicht  von  Lacerta 
muralis  var.  neapolitana  ab.  Es  ist  nur  zu  bemerken,  dass 
das  lanzettförmige,  zwischen  der  Symphyse  des  Os  pubis 
sich  befindende  Knorpel  die  Symphyse  des  Os  ileo-pecti- 
neum  nicht  erreicht,  und  dass  die  Verbindung  durch  ein 
Band  zu  statten  kommt. 

Das  Os  cloacale  ist  äusserst  fein,  das  Ende,  an  wel- 
chem die  Gabelung  sich  bemerkbar  macht,  ist  stark  auf- 
getrieben. Was  das  Foramen  obturatorium  anbelangt,  so 
liegen  mir  drei  Skelete  von  Lac.  muralis  var.  neapolitana^ 
L.  muralis  var.  faraglioniensis  und  L.  oxycepliala  vor,  welche 
sich  in  dieser  Hinsicht  ähnlich  sehen,  indem  sich  an  seiner 
Stelle  ein  rundes  Grübchen  befindet. 

Bevor  ich  diesen  Beitrag  zur  näheren  Kenntniss  der 
Lacerta  oxycepliala  abschlicsse,  will  ich  die  Farbe  und 
Zeichnung,  welche  meine  corsikanischen  Exemplare  auf- 
weisen, kurz  berücksichtigen. 

Die  Färbung  und  die  Zeichnung  bei  der  oxycephala 
ist  ziemlich  beständig.  Die  vordere  Partie  der  Oberseite 
ist  grünlichgrau,  bräunlich  oder  grünlichbraun  und  über- 
zogen von  einem  schwarzen  oder  dunkelbraunen  Netzwerke. 
Die  übrigen  Tbcile  des  Rückens  sind  auf  grünlichgrauem 


lieber  Laccrta  oxycephala  Fitz.  u.  jiidaica  Cam.  267 

Grunde  von  schwarzen  Querbinden  durchzogen.  Letztere 
sind  breit  und  wellenförmig.  Oefters  findet  ein  gegensei- 
tiges Zusfimmenfliessen  derselben  der  Länge  nach  statt, 
jedoch  sind  die  Verzweigungen  meistens  so  fein,  dass  da- 
durch entweder  keine  genetzte  Zeichnungsform  zu  Stande 
kommt,  oder  dass  dieselben  nicht  auffallen.  Die  dunkel- 
grünlichblau  nuancirte  oder  bräunliche  Oberseite  des 
Schwanzes  ist  einfarbig  oder  der  Quere  nach  an  der  Wur- 
zel des  Schwanzes  gebändert.  Die  oben  olivenfarbigen 
Extremitäten  sind  meistens  schwarz  genetzt.  Die  hellbraune 
Decke  und  Seiten  des  Kopfes  sind  reichlich  schwarz  ge- 
fleckt. Der  Bauch  und  die  Unterseite  der  Extremitäten 
sind  weiss  mit  blauem  Anfluge.  Die  erste  longitudinale 
Bauchschilderreihe,  die  Kehle  und  die  Unterseite  des 
Schwanzes  sind  bläulich.  Der  Grundton  bei  dem  Weibchen 
ist  vorzugsweise  bräunlich.  ' 

In  Hinsicht  auf  die  Färbung  und  Zeichnung  schliessen 
sich  die  in  Corsika  einheimischen  oxycephalen  Eidechsen 
im  Allgemeinen  der  Varietät  A  von  Schreiber  an^. 
Ob  die  Beschreibung  dieser  Abart  auf  eigenen  Erfahrungen 
Schreib  er's  basirt  ist,  oder  nur  auf  Angaben  Anderer 
beruht,  bleibt  unentschieden.  Wir  ersehen  nur,  dass 
Schreiber  die  in  den  Acten  der  Königl.  Gesellschaft  der 
Wissenschaften  Bd.  VIII,  (Göttingen  1842)  beschriebene 
Lacerta  hieroghjphica  Berthold  in  diese  Kategorie  ein- 
reiht. Die  Beschreibung  dieser  letzteren  lautet  in  der 
Berthold'schen  Abhandlung  „Ueber  einige  neue  oder  sel- 
tene Amphibienarten"  folgendermassen :  „Rücken  und  Sei- 
tenschuppen glatt,  rundlich-viereckig,  sehr  klein;  Schwanz- 
schuppen schief,  stumpfgekielt ;  Bauchschilder  in  6  Längen- 
reihen, von  denen  die  mittleren  nur  halb  so  breit  sind  als 
die  äusserste ;  vorderes  Afterschild  sehr  klein ;  Kopf  spitz, 
vorderes  Stirnschild  hinten  nur  halb  so  breit  als  vorn;  nur 
1  hinteres  Nasenschild;  Halsband  ganz  und  gänzlich  gelöst; 
Hinterhauptsschild  klein,  aber  etwas  quer;  Schläfenschüpp- 
chen  klein,  körnig,  aber  in  der  Mitte  ein  ovales  Schildchen. 
Die    die    Scheitel-    und  Hinterhauptschilder   begränzenden 


1)  Herpetologia  europaea.     Braunschweig,  1875.  S.  404. 


268  J.    V.    B  0  d  !■  i  a  g  a  : 

Nackeuschüppchen  springen  unter  der  Form  einer  kleinen 
Perlschnur  vor ;  die  4  vordersten  zwischen  der  Vereinigung 
der  dritten  Unterkieferschilder  sich  befindenden  Kehlschü^- 
chen  sind  doppelt  so  gross  als  die  übrigen  und  stehen 
paarweise  hinter  einander.  Das  nicht  gezähnelte  Halsband 
besteht  aus  11  Schuppen;  jederseits  24  kleine  Schenkel- 
poren; Schwanzringe  110;  Unterkieferschilder  jederseits  5, 
ausser  dem  unpaarigen  Kinnschild.  Gaumenzähne  fehlen. 
Hautfarbe  oben  braungrau,  unten  gelblich  weiss ;  dort  nach 
entfernter  Epidermis  schön  seladonfarbig.  Oberkörper  mit 
weissen  runden  Dupfen,  welche  grössere  oder  kleinere 
dunkele  Räume  zwischen  sich  lassen  und  hin  und  wieder 
zu  Streifen  sich  vereinigen,  welche  bald  kleine  Schlangen- 
linien, bald  deltaförmige  Zeichnungen,  bald  Winkel  und 
Hacken,  nach  hinten  Ringe  und  Augen  bilden,  wodurch 
diese  Eidechse  ein  wunderschönes  und  mannigfaltig  ge- 
zeichnetes Ansehen  bekommt.  Von  Nase  zum  Auge  ein 
schwarzer  keilförmiger  breiter  werdender  Streif,  welcher 
sich  vor  dem  Auge  spaltet  und  über  die  Augenlider  sich 
erstreckt.  Der  Schwanz  ist  oben  und  seitlich  braun,  hin 
und  wieder  an  den  hintern  Ringgränzen  mit  weissen  Linien- 
flecken ....  Hat  nun  auch  die  L.  hierogly})hica  hinsicht- 
lich der  Zahl  der  Schenkelporen,  der  Schwanzform  und 
Schwanzschuppen,  der  Länge  der  hinteren  Extremitäten, 
des  ungezähnelten  Halsbandes  grosse  Aehnlichkeit  mit  L. 
muralis,  so  unterscheidet  sie  sich  doch  davon  durch  das 
Stirnschild,  welches  vorn  fast  doppelt  so  breit  ist,  als  hin- 
ten, durch  die  sehr  schmalen  und  lang  gestreckten  Zügel- 
schilder, durch  das  Hinterhauptsschild,  welches  breiter  als 
lang  ist,  sowie  durch  die  in  perlschnurförmiger  Querreihe 
hinter  den  Hinterhaupts-  und  Scheitelschildern  gelagerten 
Schüppchen".  Aus  dieser  Diagnose  wollte  bereits  Bona- 
parte Zacer^a  oxycephala  herausgelesen  haben.  In  seiner 
Iconografia  della  Fauna  Italica  finden  wir  folgendes  Urtheil 
über  diesen  Gegenstand:  „NuUa  o  poco,  siccome  dicemmo, 
estendesi  sul  continente  al  di  qua  della  Dalmazia,  ove  fu 
segnahita  la  prima  volta,  ben  lungi  perö  si  dilata  verso 
l'oriente;  perche  sembra  indubitabilc  che  la  L.  Iderogly- 
pUca  di  Constantinopoli  citata  nella  sinonimia  sia  questa 


Ueber  Lacerta   oxycephala  Fitz.  u.  judaica  Cam.  269 

medesima,  qualmente  cen  persuadono  Tacutezza  del  muso, 
e  la  picc(>lezza  della  piastrina  centrale  delle  tempic,  o  disco 
masseterico  che  dir  si  voglia". 

Durch  die  Frcuiidliclikeit  des  Herrn  Prof.  Ehlers, 
dem  ich  hiermit  nieiucu  wärmsten  Dank  ausspreche,  wurde 
mir  veri;ünut,  zwei  sich  im  Museum  zu  Göttingen  befindende 
ßerthold'sche  Lacertac  hieroglyphicae  einer  Untersuchung 
zu  unterwerfen  und  die  Angaben  Bonap arte's  und  Schrjei- 
ber's  zu  verificiren.  Das  Ergebniss  dieser  Untersuchung 
fiel  leider  ungünstig  für  ihre  Ansicht  aus  und  machte  folg- 
lich alle  in  meinen  Herpetologischen  Studien  auf  sie  basirte 
Combinationen,  in  denen  ich  Lacerta  oxycephala  zwar  nur 
beiläufig  berühre,  auch  zu  Nichte.  Die  aus  Constantinopel 
stammenden,  von  Consul  W  edekind  dem  Göttinger  Museum 
geschenkten  und  von  Bert  hold  beschriebenen  Lac.  hiero- 
glypliica  sind  nichts  anders,  als  Mauereidechsen.  Diese 
Exemplare  unterscheiden  sich  von  der  muralis  var.  neapo- 
litana  weder  durch  die  Grösse  und  Gestalt  ihres  Stirn- 
schildes, ihrer  Ztigelschilder  und  ihres  Hinterhauptsschildes, 
noch  dadurch,  dass  sie  eine  perlschnurförmige,  hinter  den 
Hinterhaupts-  und  Scheitelschildern  gelagerte  Querreihe 
von  Schuppen  aufweisen,  wie  es  Bert  hold  zu  glauben 
scheint. 

Das  grössere  ßerthold'sche  Exemplar  besitzt  fünf 
schmale,  hohe  Supralabialien,  das  kleinere  dagegen  nur  vier. 
In  meinen  herpetologischen  Studien  habe  ich  bereits  dar- 
auf aufmerksam  gemacht,  dass  die  Zahl  der  vorderen  Su- 
pralabialien bis  zum  grösseren,  unter  dem  Auge  liegenden 
Oberlippenschilde  öfters  dadurch  vergrössert  wird,  dass 
sich  eins  der  Supralabialien  in  zwei  spaltet.  Der  Kopf 
der  Berthold'schen  Individuen  stellt  die  typische  Kopf- 
gestalt der  Lacerta  muralis  neapolitana  dar.  Die  Rücken- 
schuppen sind  fünf-  und  sechseckig  und  unregelmässig 
geformt,  meistens  aber  viereckig  auf  den  Körperseiten. 
Die  Schuppen  sind  mit  Kielen  versehen.  Was  end- 
lich die  bei  Lacerta  hieroglyphica  von  Berthold 
coustatirte  i)erlschnurförmige  Schuppenreihe  anbelangt, 
welche  an  den  hinteren  Rand  des  Pileus  grenzt,  so  will 
ich  bemerken,  dass  dies  sogar  bei  unseren  braunen  Mauer- 


270  J.  V.  Bedriaga: 

eidechsen  sehr  oft  der  Fall  ist  und  in  Folge  dessen  nicht 
als  Eigenthümlichkeit  der  orientalischen  Form  der  Lacerta 
muralis  betrachtet  werden  darf. 


n.  Lacerta  judaica  Camerano. 

Durch  die  ausserordentliche  Güte  meines  hochverehrten 
Freundes  Herrn  Louis  Rein  glas  in  Cairo,  bin  ich  in 
Besitz  der  interessanten  Eidechsenart  Lacerta  judaica  Ca- 
merano gekommen.  Diese  in  den  Atti  delia  Eeale  Acca- 
demia  delle  Scienze  di  Torino  (Vol.  XIII.  1879)  beschrie- 
bene und  abgebildete  Lacerta  war  ich  geneigt^)  als  Abart 
der  oxycephalen  Eidechse  und  als  Synonym  der  Zootoca 
Dandfordi  Günther^)  zu  betrachten  und  zwar  aus  dem 
Grunde,  weil  es  scheint,  dass  Camerano  eine  Aehnlich- 
keit  zwischen  den  eben  erwähnten  drei  Eidechsen  gefun- 
den zu  haben  glaubt.  „Podarcis  judaica'^  sagt  Came- 
rano, „ist  mit  Zootoca  Dandfordi  Gtinth.  und  Podar- 
cis  oxycephala  (S'chlegel)  verwandt.  Von  der  ersteren 
unterscheidet  sie  sich  durch  das  Dasein  eines  Massetericums 
in  der  Schläfengegend,  von  der  letzteren  unterscheidet  sie 
sich  in  der  Gestalt  ihres  Kopfes  durch  ihre  Dimensionen 
und  durch  die  Vertheilung  der  Flecken^'. 

Ob  Lacerta  judaica  mit  Lacerta  Dandfordi  identisch 
ist,  kann  ich  nicht  entscheiden,  da  ich  letztere  nur  aus 
der  kurzen  Beschreibung  Günther's  kenne,  dass  aber  Za- 
certa  judaica  von  der  spitzköpfigen  Eidechse  grundver- 
schieden ist,  ist  mir  klar.  Wenn  ich  mich  seiner  Zeit  zur 
Annahme  des  Gegentheils  neigte,  so  geschah  es  lediglich 
aus  dem  Grunde,  weil  ich  einen  grösseren  Werth  auf  die 
von  Camerano  zwischen  diesen  beiden  Arten  constatirte 
Affinität  legte,  als  sie  es  im  Wirklichen    verdient.     Diese 


1)  Archiv  für  Naturg.  XLV.  1.  Bd.  S.  312. 

2)  Proc.  zool.  80C.  1876.   S.  818. 


Ueber  Laccrta  oxyoephala  Fitz.  u.  judaica  Cam.  271 

beruhte,  wie  ich  sehe,  nur  darauf,  dass  Lacerta  judaica, 
ähnlich  wie  Lacetia  oxyccphala.  Lacerta  agilis,  Lacerta 
viridis^  Ljacerta  ocellata  und  Lacerta  Schreiberi,  zwei  Naso- 
frenalschilder  aufweist  und  ähnlich  wie  Lacerta  oxycephala 
fünf  vordere  Supralabialien  besitzt. 

Was  die  Körperform  und  Grösse  im  Allgemeinen  an- 
belangt, so  nähert  sich  Lacerta  judaica  der  grünen  neapo- 
litanischen Mauereidechse;  in  Betreff  ihres  Kleides  steht 
sie  der  Lacerta  miiralis  var.  fusca  m.  näher,  als  irgend 
einer  andern  Form,  und  könnte  sogar  mit  dieser  leicht 
verwechselt  werden. 

Ich  lasse  hier  eine  kurze  Beschreibung  der  Lacerta 
judaica  nach  lebenden  Exemplaren  folgen,  insofern  dieselbe 
diejenige  jjianerano's  zu  ergänzen  vermag;  indem  ich 
bemerke,  dass  die  mir  vorliegenden  Exemplare  von  Herrn 
Rein  glas  in  der  Umgegend  von  Beyrut  in  Syrien  erbeutet 
worden  sind. 

Körpergestalt  ähnlich  wie  bei  Lac.  muralis  var. 
neapolitana,  nur  ist  der  Hals  bei  letzterer  viel  schmäler, 
d.  h.  schmäler,  als  der  Umfang  des  Kopfes,  während  bei 
Lacerta  judaica  ( $ ),  ähnlich  wie  bei  lacerta  muralis  var. 
Lilfordi  Günth.  ( t> ),  der  Umfang  des  Kopfes  jenem  des 
Halses  nachsteht;  auch  ist  der  Breitendurchmesser  des  Kopfes 
bei  Lac.  judaica  bedeutend  grösser  als  dies  der  Fall  bei 
muralis  var.  neapolitana  ist  ^). 

M  a  a  s  s  e. 

Gesammtlänge 230  mm        168  mm 

Kopflänge 21  „  15  „ 

Kopfbreite 13—15  „  10  « 

Kopfhöhe 10  „  6  „ 

Kopfumfang       . 38—44  „  31  „ 

Halsumfang 39—45  „     30—31  „ 

Rumpf  länge 70  „  65  „ 

Schwanzlänge 160  „  103  „ 

Schilder  und  Schuppen.  Grosses  Occipitale,  mei- 
stens   dreieckig,    selten   viereckig    (Vergl.  Fig.   3).     Fünf 


1)  Vergl.  Tafel  XI,  Fig.  1  und  Fig.  3. 


272  J-    V.    Ecdriaga: 

vordere  Siipralabialien,  von  denen  die  fünfte  dreieckig,  die 
ersteren  viereckig  und  höber  als  breit  sind.  Grosses  Masse- 
tericum.  Längliches  und  gebogenes  Tympanale.  Rücken- 
schuppen sechseckig  glatt  oder  gekielt.  Es  gehen  3  Quer- 
reihen auf  jedes  Bauchschild.  22  quere  Reihen  von 
Bauchschildern.  Zwei  Oberschildchen,  von  denen  eins 
grösser  ist,  als  das  andere,  grenzen  die  lateralen  Bauch- 
schilderserien. Das  mediane  Paar  der  Bauchtafeln  besteht 
aus  kleineren  Tafeln.  Dass  zweite  Paar  ist  das  grösste. 
Grosses  fünfeckiges  Anale  von  einem  oder  zweien  Halb- 
kränzen von  kleinen  Schildern  umgeben.  Brusttriangulum 
bestehend  aus  26 — 29  Tafeln.  Ganzrandiges  Collare,  be- 
stehend aus  7 — 9  Schildern.  Schwanzschuppen  ganzrandig 
und  gekielt.  Alle  anderen  Schuppen  und  Si^ilder  sind 
ähnlich  jenen  der  Mauereidechsen. 

Schenkelporenzahl:  beim  Männchen  18—20;  beim 
Weibchen  17-21. 

Färbung  und  Zeichnung.  Die  Grundfarbe  des 
Oberkörpers  ist  dunkel  oder  hellbraun.  Die  mediane  Re- 
gion des  Rückens  erscheint  höchst  selten  dunkelbraun  oder 
schwarz  gespritzt.  Auf  den  Seiten  befinden  sich  breite, 
braune  Binden,  welche  stets  dunkler  sind,  als  die  funda- 
mentale Farbe;  sie  nehmen  ihren  Ursprung  am  hinteren 
Ohrrande  und  verlieren  sich  in  der  Schwanzgegend.  Eine 
grössere  Anzahl  kleiner,  weisser  Augenflecken  zieren  diese 
Binden  und  verleihen  dem  Thierchen  ein  reizendes  Aus- 
sehen, besonders  entwickelt  und  zahlreich  kommen  sie  bei 
den  Männchen  vor.  Der  oben  braune  Schwanz  ist  öfters 
dunkelbraun  punktirt.  Die  Kopfdecke  und  Seiten  sind 
braun,  selten  dunkelbraun  gefleckt.  Die  Kehle  erscheint 
blau,  die  Unterseite  der  Extremitäten  und  die  Bauchseite 
sind  bläulich-weiss.  Bläuliche  schwarzumrandete  Oceili 
zieren  die  ersten  longitudinalen  Bauchschilderreihen.  Die 
Seiten  des  Schwanzes  sind  unten  blaugrau.  Die  Unter- 
seite des  Schwanzes  ist  weisslich. 

Die  Weibchen  sind  weniger  intensiv  gefärbt  und  stehen 
in  der  Ausprägung  der  Zeichnungselemente  den  Männchen 
nach. 

Uugeachtet    dessen,    dass  Laccrta  judaica    eine   gute 


Ueber  Lacerta  oxycephala  Fitz.  u.  judaica  Cam.  273 

Art  ist,  können  wir  sie  dennoch  von  der  Mauereidechse 
ableiten.  Ich  glaube  nicht  zu  irren,  wenn  ich  in  ihr  eine 
Lacerta  mtiralis  erkenne,  deren  Nasofrenale  sich  in  zwei 
Platten  gespaltet  hat,  und  deren  Anzahl  der  vorderen  Su- 
pralabialien  sich  um  eine  vergrössert,  was  wir,  wenn  auch 
nur  selten,  bereits  bei  ächten  Mauereidechseu  die  Gelegen- 
heit hatten  zu  constatiren. 

Es  drängt  mich  zum  Schluss  dieser  Arbeit  Herrn  L. 
Rein  glas  in  Cairo  und  Herrn  Reveliere  in  Porto- Vecchio 
für  das  mir  zugestellte,  werthvolle  Material  meinen  wärm- 
sten Dank  abzustatten. 

Heidelberg,  im  December  1879. 


Erklärung  der  Abbildungen  auf  Tafel  XI. 


•     Fig.  1.  Lacerta  muralis  var.  neapolitana  de  Bedriaga.       Kopf 
eines  Männchens  (natürliche  Grösse). 
f  Fig.  2.  Lacerta  oxycephala  Fitz.     ^ 

Fig.    3.    Lacerta  judaica  Camerano.      Kopf  eines  alten    Männ- 
chens (natürliche    Grösse). 

Fig.  4.  Scheitelbein  von  L.  muralis  var.  neapolitana. 

Fig.  5.  Scheitelbein  von  L.  oxycephala  (vergrössert  und   halb- 
schematisch). 

Fig.  6.  Scheitelbein   und  Hinterhauptsbein   von   L.  oxycephala 
von  oben  betrachtet. 

Fig.  7.  Schädel  der  L.    muralis  var.    neapolitana   von  -  hinten 
(halbschematisch  und  vergrössert). 

Fig.    8.    Schädel  der    oxycephalen  Eidechse  von  hinten  (halb- 
schematisch und  vergrössert). 


Arohiv  f.  Naturg.  XXXXVI.  Jahrg.  1.  Bd.  lg 


Geositta    antarctica. 

Von 

Landbeck, 

in  Santiago  de  Chile. 
Hierzu  Tafel  XII. 


Artkennzeichen. 

Oberseite  mäusegrau,  Oberschwanzdeck-  und  die 
meisten  Schwanzfedern  grösstentheils  weiss. 

Beschreibung. 

Ganze  Länge  von  der  Schnabel-  bis  Schwanzspitze  14  cm 

Schnabel 14  mm 

Schwanz 6  cm 

Flügel  vom  Bug  bis  Spitze 11     » 

Tarsus 2cm  2mm 

Der  Schnabel  ist  ganz  schwarz  und  mit  der  Spitze 
schwach  abwärts  gebogen,  die  Iris  dunkelbraun,  die  Tarsen 
und  Zehen  schwarz.  Die  ganze  Oberseite  mit  Ausnahme 
der  letzten  Oberschwanzdeckfedern,  welche  weiss  sind,  ist 
mäusegrau,  erd-  oder  bräunlichgrau,  auf  der  Stirn  sind  die 
Federn  hellgerändert,  was  auch  im  Genick  bei  einigen 
Federn  der  Fall  ist.  Hinter  dem  Auge  zieht  sich  ein  weis- 
ser Fleck  über  dem  Ohr  gegen  das  Genick.  Die  Ohrfedern 
bräunlich  weiss;  Kinn  und  Kehle  rein  weiss;  Brust  und 
ganze  übrige  Unterseite  fahlweiss,  auf  der  Brust  dunkler 
gewölkt,  in  den  Seiten  graubraun,  Unterschwanzdeckfedern 
etwas  lebhafter  fahlweisslich.  Die  Oberseite  der  Flügel 
erdgraubraun,  die  grössern  Deckfedern  breit  weisslich  ge- 
randet.      Die   Unterseite   der    Flügel    hell  rostfarbig,   der 


Geositta  antarctica.  275 

Flügel  ist  lang  und  spitzig.  Die  erste  und  4.  Schwung- 
feder gleicblang  und  kürzer  als  die  zwei  folgenden,  welche 
gleichlang  sind.  Die  ersten  G  Schwungfedern  sind  fahlröth- 
lich  und  mit  Ausnahme  der  ersten  mit  schwarzen,  weiss 
eingefassten  Spitzen;  die  übrigen  Schwungfedern  haben 
dieselbe  fahlröthliche  Farbe  aber  nur  die  3  letzten  sind  auf 
der  Aussen-,  zum  Theil  auch  auf  der  Innenfahne  schwarz 
mit  sehr  breitem  röthlichen  Rande,  welcher  nach  der  Aussen- 
kante  heller  endigt;  der  Schwanz  ist  schwach  ausgeschnit- 
ten. Die  äusserste  Schwanzfeder  fahl  weiss,  auf  der  Spitze 
der  Innenfahne  ein  schwärzlicher  verloschener  Fleck;  die 
zweite  ebenfalls  von  derselben  Farbe,  mit  grösserem  und 
intensiverem  Fleck,  die  dritte  ist  zu  zwei  Drittel  von  der 
Spitze  aufwärts  schwarz,  an  der  Wurzel  fahlweiss,  die  4. 
und  5.  ebenso,  die  6.  ganz   schwarz,  fahlweiss    eingefasst. 

Diess  ist  die  Beschreibung  eines  alten  Männchens, 
welches  im  Sommer  von  1879  in  Feuerland  erlegt  wurde. 

Eine  Verwechslung  mit  den  3  chilenischen  Geositta 
Arten  ist  nicht  wohl  möglich,  denn  die  zwei  Arten:  G. 
isabellina  und  fasciata  Nob.  sind  bedeutend  grösser,  nament- 
lich robuster  und  ganz  anders  gefärbt,  besonders  auf  der 
Unterseite  einfarbig  und  ungefleckt  G.  cunicularia  besitzt 
allerdings  einige  Aehnlichkeit,  ist  aber  auf  der  Oberseite 
dunkler  gefärbt  und  auf  der  Brust  schwarz  gefleckt,  ins- 
besondere aber  ist  ihr  Schnabel  länger  und  stärker  gebogen. 
Eine  von  uns  ebenfalls  aufgestellte  peruanische  Art  G. 
Frobeni  ist  auf  der  Unterseite  ebenfalls  ungefleckt,  bei  den 
beiden  letztgenannten  Arten  ist  die  Wurzelhälfte  des  Unter- 
schnabels hornweiss  oder  fleischfarbig  bei  der  feuerländischen 
dagegen  der  ganze  Schnabel  tiefschwarz. 


Ctenomys    fueginus  Ph. 

Von 

Dr.  R.  A.  Philippi. 


Hierzu  Tafel  XIII. 


Bei  der  Erforschungsreise,  welche  der  chilenische 
Marinelieutenant  Serrano  im  Sommer  1878—79  auf  der  öst- 
lichen Insel  des  Feuerlandes  gemacht  hat,  begleitete  ihn  der 
Diener  des  Museums,  und  brachte  ausser  Geositta  antarctica 
und  anderen  bekannten  Vögeln  und  Säugethieren  auch 
mehrere  Exemplare  einer  Ctenomys  mit,  welche  ich  für 
unbeschrieben  halte  —  soweit  meine  hiesigen  Hülfsmittel 
reichen,  die  nichts  weniger  als  reichhaltig  sind —,  und  mit 
obigem  Namen  belegt  habe.  Diese  Maus  ist  das  haupt- 
sächlichste Nahrungsmittel  der  Einwohner  jener  Insel,  so 
wie  vor  Ankunft  der  Spanier  die  Chilenen  ihre  Fleisch- 
nahrung hauptsächlich  vom  Degu,  Octodon  Degus  Wat., 
nahmen.  Die  östlichen  Feuerländer  fangen  diesen  Nager 
hauptsächlich  durch  ihre  Hunde. 

Anfänglich  glaubte  ich,  die  erhaltenen  Mäuse  seien 
Ctenomys  magellanicus  Bennett,  welche  Art  das  gegenüber- 
liegende Festland  bewohnt,  und  welche  ich  aus  Waterhouse 
Nat.  bist,  of  the  Mammalia.  Rodentia  p.  283  t.  9.  f.  2, 
u.  t.  8.  f.  2  kenne;  Waterhouse  sagt,  dass  nur  ein  einziges 
Exemplar  davon  nach  Europa  gebracht  sei,  so  wie,  dass 
diese  Art  durch  verhältnissmässige  Kleinheit  und  Schmal- 
heit des  Schädels  von  den  andern  Arten  ihres  Geschlechts 
verschieden  sei. 

In  der  Gestalt  dürfte  Ctenomys  fueginus  kaum  auf- 
fallend von  den  andern  Ctenomys-Arten  verschieden  sein. 
Die  Schneidezähne  sind  fast  «rangegelb.  Die  Schnurrborsten 


Ctenomys   fueginus  Vh.  277 

reichen  bis  hinter  die  Ohren,  sind  fein  und  weich,  sehr 
hellbraun,  und  zum  Theil  fast  weiss.  Das  Grannenhaar 
des  Pelzes  ist  in  den  untern  zwei  Drittheilen  schwarz,  im 
letzten  Drittheil  weiss  oder  vielmehr  hellgelb,  an  der  Spitze 
selbst  aber  wieder  schwarz,  so  dass  die  allgemeine  Fär- 
bung des  Pelzes  eine  schwer  zu  beschreibende  Mischung 
von  Gelb  und  Grau  ist.  Dabei  ist  das  Grannenhaar  gegen 
die  Wurzel  hin  sehr  fein,  im  weisslichen  Theil  aber  wohl 
dreimal  so  breit  wie  an  der  Wurzel  und  dabei  platt;  die  Haare 
der  Seiten  scheinen  am  breitesten  zu  sein.  Die  Länge  be- 
trägt an  den  Seiten  und  auf  dem  Rücken  19  mm.  Die 
Bauclihaare  sind  kürzer,  und  der  weissliche  Theil  derselben 
ist  so  lang  wie  der  schwarze;  die  Färbung  des  Bauches 
wird  dadurch  beinahe  weisslich.  Die  Haare  der  Füsse 
sind  kürzer,  steifer,  ermangeln  ebenfalls  der  schwarzen 
Spitze  und  gehen  allmählich  in  die  steifen  Borsten  über, 
welche  dem  Genus  den  Namen  gegeben  haben.  Am  Schwanz 
sind  die  Haare  dicht  anliegend,  sonst  kaum  von  den  Haaren 
des  Rumpfes  verschieden  ;  er  erscheint  oben  schwärzlich, 
besonders  nach  der  Spitze  hin;  unten  ist  er  rein  gelblich 
weiss.  Das  Wollhaar  ist  nur  durch  grössere  Feinheit  vom 
Grannenhaar  verschieden. 

Besonders  lang  sind  die  Haare  am  Hintern  des  Thieres. 

Die  Krallen  der  Vorderfüsse  sind  lang,  schwach  ge- 
krümmt, stumpf,  oben  rund,  unten  aber  in  einen  scharfen 
Kiel  auslaufend,  der  gegen  die  Spitze  in  ein  Grübchen 
übergeht;  die  der  Hinterfüsse  sind  viel  kürzer,  und  unten 
fast  in  ihrer  ganzen  Länge  von  einer  Furche  durchzogen ;  die 
Farbe  der  Krallen  ist  weisslich.  Ich  bemerke  gleich  hier, 
dass  die  Krallen  sehr  verschieden  von  denen  des  Ct.  magel- 
lanicus  sind,  denn  bei  dieser  Art  sind  sie  sehr  klein;  die 
Zeichnung  zeigt  die  Vordernägel  nicht  länger  als  die  Hin- 
ternägel nämlich  beide  kaum  4  mm  lang  und  dabei  sehr 
spitz. 

Was  die  Dimensionen  des  Ctenomys  fueginus  betrifft, 
so  misst  das  grösste  Exemplar  227  mm  von  der  Schnauzen- 
spitze bis  zur  Schwanzwurzel;  die  Länge  des  Schwanzes 
beträgt  46  mm;  von  der  Handwurzel  bis  zur  Spitze  der 
Krallen  messe  ich  26  mm,  vom  Hacken  bis  zur  Spitze  der 


278 


R.  A.  Philippi: 


Nägel  35  mm,  die  längste  Kralle  der  Vorderftisse  misst 
auf  der  Oberseite  fast  10  mm,  die  der  Hinterfüsse  6  mm. 
Ich  gebe  nun  die  Dimensionen  des  Schädels  der  bei- 
den Arten  von  Ctenomys,  Ct.  fueginus  und  magellanicus 
in  Millimetern. 


fueginus  magellan. 


Gesammte  Länge  des  Schädels 49  45 

Breite  des  Hinterkopfes 26  24 

Breite  vom  Aussenrand  des   einen  Jochbeins  zum 

Aussenrand    des  andern 28V2       25 

Abstand  von  einer  Augenhöhle  zur  andern  ...  9  10 

Länge  der  Nasenbeine 18  15 

Breite  derselben  vorn      •     .     • 6  6 

Breite  derselben  hinten,   wo   sie  an  das  Stirnbein 

stossen 3  3 

Länge  des  Jochbogehs   aussen 22  V2       21 

Breite  der  Schnauze  oder  der  Oberkiefer     ...  9  9 

Entfernung   von    den   Schneidezähnen    bis  zu  den 

Backenzähnen 15  13 

Länge   des  Unterkiefers   von    der  Spitze    bis  zum 

hintern  Winkel 40  33 

Höhe  desselben    vom  Gelenkkopf  bis   zum   untern 

Rande     

Grösste    Entfernung    der   beiden  Aeste  desselben 

Länge  der  vier  obern  Backenzähne 

Länge  der  vier  untern  Backenzähne 

Länge  der  obern    Schneidezähne  aussen  j^emessen 
Breite  der  beiden  untern  Nagezähne  zusammen 
Dicke  der  Nagezähne 

Man  sieht,  der  Schädel  von  Ctenomys  fueginus  ist  im 
Allgemeinen  etwas  grösser  als  der  von  Ct.  magellanicus,  aber 
die  Entwickelung  seiner  Kaumuskeln  ist  unverhältniss- 
mässig  bedeutender.  Die  Jochbogen  sind  viel  mehr  nach 
aussen  gebogen,  so  dass  der  vom  Schläfenmuskel  ausge- 
füllte Kaum  fast  doppelt  so  weit  wie  bei  Ctenomys  magel- 
lanicus ist.  Der  Jochbogen  unserer  Art  hat  aussen  eine 
stark  hervortretende  horizontale  Leiste,  die  am  Schädel 
von  der  genannten  Art  —  nach  der  Figur  zu  urtheilen  — 
lehlt.  Der  Unterkiefer  ist  der  grösseren  Entwickelung  der 
Kaumuskeln  gemäss  weit  kräftiger;  seine  hinteren  unteren 
Winkel  treten  weiter  nach  hinten  vor,  und  sind  weiter  ent- 


16V2 

12 

30V2 

28 

10^-11 

— 

IQJ-ll 

9 

10 

7 

6 

3V4 

3 

2 

Cteuomys  fueginus  Ph.  279 

fernt  vom  Gelenkkopf,  so  dass  der  Unterkiefer  weit  höher 
ist.  Ebenso  sind  die  Nagezähne  unserer  Art  weit  kräftiger. 
Die  übrigen  Verschiedenheiten  zwischen  den  Schädeln 
der  beiden  Arten  scheinen  mir  weniger  bedeutend,  und 
übergehe  ich  sie  deshalb  in  der  Beschreibung,  sie  ergeben 
sich  übrigens  leicht  aus  einer  Vergleichung  der  Zeichnun- 
gen und  der  Maasse.  Jedenfalls  finden  sich  zwischen 
ihnen  solche  Verschiedenheiten,  dass  man  sie  nicht  als 
einer  und  derselben  Art  angehörig  betrachten  kann,  und 
glaube  ich  daher,  dass  die  Aufstellung  einer  neuen  Art 
vollkommen  gerechtfertigt  ist. 


Erklärung  der  Abbildungen  zu  Tafel  XIII. 


Fig.   1.  Schädel  von  Ctenomys  fueginus  von  oben  gesehen. 

Fig.  2.  Derselbe  von  der  Seite. 

Fig.  3.  Unterkiefer  von  Ctenomys  fueginus. 

Fig.  4.  Schädel  von  Ctenomys   magellanicus    von    oben  nach 
Bennett. 

Fig.  5.  Derselbe  von  der  Seite,  desgleichen. 

Fig.  6.  Unterkiefer  von  Ctenomys  fueginus,  desgleichen. 


Beitrag   zur    Kenntniss    der   Verbreitnngsgrenzen 
der  fliegenden  Fische   im  südindischen  Ocean, 

Von 

E.  von  Banckelman, 

Assistent    am  meteorologischen  Institut    zu    Leipzig. 


Bekanntlich  ist  es  das  unsterblic heVerdienst  Maury's, 
die  Führung  specieller  meteorologischer  Journale  an  Bord 
von  Schiffen  zuerst  angeregt  und  in  Fluss  gebracht  zu 
haben.  Waren  dieselben  zuerst  auch  in  vielen  Beziehungen 
mangelhaft,  so  sind  sie  in  neuerer  Zeit,  Dank  den  Be- 
mühungen der  nautischen  Centralinstitute  der  verschiedenen 
in-  und  aussereuropäischen  Staaten  und  der  internationalen 
Meteorologencongresse,  ausserordentlich  vervollkommnet  wor- 
den, und  ist  es  in  den  einzelnen  Ländern  gelungen,  einen 
Stamm  gebildeter  und  einsichtsvoller  SchifPsführer  heran- 
zuziehen, durch  deren  Beobachtungen  es  gelingen  wird, 
allmählich  mehr  und  mehr  Einsicht  in  die  physicalische 
Beschaffenheit  der  Oceane  und  über  die  Vorgänge  in  dem 
über  jenen  gelagerten  Luftmeer  zu  gewinnen. 

Unter  den  zahlreichen  Kapitainen,  welche  für  die 
deutsche  Seewarte  in  Hamburg  derartige  Journale  auf  hoher 
See  führen,  (was  bekanntlich  ohne  jede  pecuniäre  Ent- 
schädigung und  nur  ganz  freiwillig  geschieht)  befindet  sich 
eine  Reihe  eifriger  Männer,  die  mit  einem  offenen  Sinn 
für  die  sie  umgebende  Natur  begabt,  sich  nicht  nur  mit 
der  Registrirung  von  Daten  rein  meteorologischer  Natur 
begnügen,  sondern  auch  über  von  ihnen  auf  ihren  Seereisen 


Zur  Kenutniss  der  Vorbruitimg  der  fliegeuden  Fische.         281 

beobachtete  Erscheinungen  in  der  organischen  Natur  ge- 
treulich und  eifrig  Buch  führen.  So  bergen  diese  von  der 
deutschen  Seewarte  seit  ihrem  Bestehen  gesammelten 
Schiffsjournale,  deren  Zahl  das  erste  Tausend  bereits  über- 
schritten hat,  ein  recht  werthvolles  Quellenmatcrial  über 
das  Auftreten  und  die  Verbreitung  der  Seegräser,  Seevögel 
etc.,  das  noch  seiner  Schöpfung  und  weiteren  Bearbeitung 
harrt. 

Bei  Gelegenheit  einer  Durchmusterung  der  an  dem 
deutschen  nautischen  Institut  vorhandenen  Journale  über 
Reisen  durch  den  indischen  Ocean,  die  ich  wegen  einer 
Arbeit  meteorologischer  Natur  unternahm,  glaubte  ich  mir 
keine  vergebliche  Mühe  zu  machen,  wenn  ich  hierbei  die 
vorkommenden  Bemerkungen  über  das  Auftreten  der  flie- 
genden  Fische  gleichzeitig  mit  excerpirte. 

Dem  von  Europa  nach  Indien  oder  China  bestimmten 
Seefahrer  ist,  wenn  er  das  Cap  der  guten  Hoffnung  pas- 
sirt  hat  und  wieder  nach  niedrigem  Breiten  steuert,  das. 
erste  Auftreten  der  fliegenden  Fische  immer  eine  bemerkens- 
werthe  Thatsache ;  sie  sind  ihm  die  Vorboten  der  tropischen 
Regionen,  ganz  abgesehen  davon,  dass  sie  ihm  zuweilen 
durch  ihr  zahlreiches  Niederfallen  auf  Deck,  namentlich 
bei  nicht  sehr  hoch  über  dem  Wasser  gehenden  Schiffen, 
ein  unerwartetes  Gericht  von  frischem  Fleisch  liefern.  Es 
ist  daher  nichts  seltenes,  dass  man  selbst  in  solchen  Jour- 
nalen, in  denen  man  sonst  keine  Bemerkungen  zoologischer 
Natur  antrifft,  häufig  das  erste  Auftreten  der  fliegenden 
Fische  getreulich  verzeichnet  findet,  und  bietet  dieser  Um- 
stand eine  günstige  Gelegenheit  die  südliche  Verbreitungs- 
grenze dieser  Thiere  wenigstens  annähernd  festzustellen. 
Wir  geben  im  Folgenden  die  excerpirten  Daten,  die  wir 
nur  den  ganz  besonders  guten  und  vertrauenswürdigen 
Journalen  entnommen  haben,  und  unter  denen  wir  noch 
alle  diejenigen  ausgelassen  haben,  bei  denen  offenbar  Irr- 
thümer  unterlaufen  sein  mussten.  Den  nach  der  Länge 
der  Beobachtungspunkte  geordneten  Angaben  sind  die 
jedesmal  am  Ende  der  betreffenden  Woche  beobachteten 
Temperaturen  der  Wasseroberfläche  und  das  Datum  der 
Beobachtung  beigefügt. 


282 


E.   V.  Danckelman 


Länge  ö.  v.Gr. 

Breite. 

Wassertemp.C. 

Datum . 

20« 

39« 

17.«4 

24.  April. 

24 

42 

17.  5 

9.   Juni. 

28 

33 

23.  6 

22.  April. 

32 

31 

21.  5 

18.  Februar. 

32 

30 

25.  6 

28.  April. 

37 

29 

2L  8 

7.  November. 

42 

30 

21.  0 

9.  August. 

42 

29 

20.  4 

28.  Februar. 

42 

28 

23.  5 

7.  Mai. 

50 

27 

22.  0 

14.  Juli. 

58 

25 

19.  4 

22.  April. 

68 

21 

21.  5 

23.  September. 

84 

23 

22.  0 

17.  December. 

86 

27 

21.  5 

15.  November. 

87 

27 

22.  0 

24.  December. 

87 

23 

21.  8 

2.  Februar. 

89 

25 

20.  6 

8.  December. 

90 

27 

22.  1 

12.  December. 

94 

22 

21.  3 

28.  November. 

94 

27 

22.  0 

5.  März. 

101 

25 

21.   1 

18.  August. 

101 

23 

22.  5 

24.  Oktober. 

101 

31 

19.  2 

28.  Februar. 

101 

28 

17.  9 

25.  Juni. 

102 

28 

18.  8 

17.  Oktober. 

103 

19 

18.  6 

4.  Oktober. 

104 

20 

17.  7 

2.  September. 

104 

25 

19.  2 

10.  Oktober. 

105 

21 

22.  5 

30.  September. 

105 

18 

24.  2 

15.  Juni. 

106 

20 

21.  2 

7.  September. 

106 

18 

22.  9 

9.  September. 

112 

21 

24.  0 

17.  Juni. 

Trägt  man  die  Beobachtungspunkte  auf  einer  Karte 
ein,  so  ergiebt  sich,  dass  die  Verbreitungsgrenze  im  allge- 
meinen einen  Verlauf  von  Südwest  nach  Nordost  nimmt, 
so  zwar,  dass  derselbe  sich  in  der  Nähe  des  afrikanischen 
Continents  am  meisten  den  antarktischen  Regionen  nähert, 
während  sie  sich  an  der  Westküste  Australiens  am  weite- 
sten   von    denselben    entfernt.     Die    Erklärung    für   diese 


Zur  Kenntniss  der  Verbreitung  der  fliegenden  Fische.         283 

Thatsache  ist  in  den  Meeresströmungen,  welche  den  süd- 
indischen  Ocean  durchziehen,  zu  finden.  An  der  Ostküste 
Afrikas  setzt  der  warme  Mozambiquestrom  herab,  der  an 
der  Stidküste  des  Continents  den  Namen  Aculhasstrom 
führt.  Durch  dessen  warme  Gewässer  ist  den  fliegenden 
Fischen  ein  Vordringen  in  höhere  Breiten  gestattet,  als  an 
anderen  Punkten  des  Oceans.  Nach  der  Tabelle  sind  beim 
ersten  Auftreten  dieser  Fische  hier  niedere  Wassertempera- 
turen  gefunden  worden  als  an  irgend  welchen  anderen 
Stellen.  Dieser  Umstand  kann  einerseits  dadurch  erklärt 
werden,  dass  einzelne  Schaaren  dieser  Fische  durch  die 
starke  Meeresströmung  hier  zuweilen  in  Gebiete  geführt 
werden,  deren  Temperatur  im  allgemeinen  zwar  ihrer  Exi- 
stenz nicht  günstig  sein  wird,  ohne  dass  jedoch  gerade 
schon  eine  directe  Gefährdung  derselben  vorhanden  zu  sein 
braucht.  Andererseits  findet  die  Erscheinung  auch  wohl 
in  dem  Umstand  ihre  Erklärung,  dass  bei  einem  Zusammen- 
treffen einer  kalten  und  einer  warmen  Meeresströmung,  wie 
dies  an  der  Südküste  von  Afrika  der  Fall  ist,  wärmere  und 
kältere  Streifen  Wassers  in  horizontaler  Richtung  neben- 
einander sich  finden,  so  dass  die  angegebenen  Wassertem- 
peraturen wohl  nicht  mit  denjenigen  zusammenfallen  dürf- 
ten, die  man  gewonnen  haben  würde,  wenn  man  dieselben 
gerade  im  Augenblick  des  Auftretens  der  Fische  beobachtet 
hätte. 

Der  Verlauf  der  Verbreitungsgrenze  schliesst  sich  im 
westlichen  Theil  des  Oceans  im  Allgemeinen  recht  genau 
den  Grenzen  der  warmen  Strömungen  in  diesem  Meer  an, 
erst  unter  80^  östl.  L.  zeigen  sich  einige  bemerkenswerthe 
Sprünge  in  der  Curve,  die  sich  vielleicht  durch  eine  ver- 
mehrte Zahl  von  Beobachtungen  ausgleichen  würden.  Jeden- 
falls ist  aber  die  Tendenz  derselben  in  dieser  Gegend  in 
höhere  südliche  Breiten  vorzudringen  unverkennbar,  ohne 
dass  es  möglich  wäre  hierfür  an  der  Hand  von  Meeres- 
strömungen eine  directe  Erklärung  zu  finden.  Der  Einfluss 
dieser  letzteren  tritt  aber  wieder  sehr  deutlich  in  der  Nähe 
der  Westküste  Australiens  zu  Tage.  Unter  dem  Einfluss 
des  hier  nach  Norden  setzenden  kalten  Stromes  steigt 
die  Curve  hier  wieder  bedeutend   nach  dem  Aequator  zu 


284  V.  Dan  ekel  man  :  Zur  Kenntn.  d.  Verbreitungsgr.  d.  flieg.  Fische. 

enipor  und  scheint  die  antarktische  Strömung  die  Existenz 
der  Fische  an  der  Westküste  Australiens  nicht  zuzulassen. 
Eine  Schwankung  der  Verbreitungsgrenze  je  nach  der 
Jahreszeit  nachzuweisen,  ist  bei  dem  noch  so  spärlichen 
Material  unmöglich,  wohl  aber  dürfte  durch  dasselbe  con- 
statirt  sein,  dass  die  äusserste  Grenze  der  Verbreitung  der 
fliegenden  Fische,  nach  den  Polen  zu,  soweit  dieselbe  an 
die  Wassertemperatur  gebunden  ist,  in  der  Meeresisotherme 
von  17<^  C.  gegeben  ist. 


Ueber  die  Mundtheile  der  Araclmiden. 

Von 

A.  Croneberg 

in  Moskau. 


Hierzu  Tafel  XIV  bis  XVI. 


Dem  Vergleich  der  Arachniden  mit  den  übrigen  Ar- 
thropoden hat  sich  bekanntlich  immer  als  Hinderniss  die 
beschränkte  Extremitätenzahl  der  Ersteren  entgegengestellt, 
wobei  hauptsächlich  im  Bereich  des  Kopfabschnittes  die 
Deutung  der  zu  Mundwerkzeugen  umgebildeten  Körperan- 
hänge erschwert  wird.  Seitdem  nach  dem  Vorgange  von 
Latreilbe  das  erste  Extremitätenpaar  der  Arachniden  in 
Anbetracht  seiner  Innervirung  vom  Oberschlundganglion 
von  den  meisten  Anatomen  als  modificirte  Antennen  erkannt 
worden  ist,  blieben  im  Ganzen  nur  noch  die  sog.  Maxillen 
und  die  vier  Beinpaare  der  Arachniden  für  den  Vergleich 
mit  einer  grösseren  Anzahl  von  Kopf-  und  Thoracalan- 
hängen  der  anderen  Arthropoden  übrig.  Die  Versuche,  diese 
Gliedmassen  der  Arachniden  denen  der  Insekten  und  Cru- 
staceen  zu  parallelisiren,  sind  bekannt,  ebenso  wie  die  in 
dieser  Hinsicht  noch  immer  herrschende  Unsicherheit,  die 
gewiss  zum  Theil  dadurch  erklärt  werden  kann,  dass  eben 
der  Vergleich  zwischen  offenbar  schon  sehr  weit  von  dem 
Urtypus  entfernten  Formen  vorgenommen  wurde.  Die  so 
scharf  und  unvermittelt  dastehenden  Eigenthümlichkeiten 
in  der  Organisation  der  heute  lebenden  Repräsentanten  der 
Arachniden,  die  unverkennbare  Tendenz  zur  Reduction  der 
Körperabschnitte  und  Extremitäten,  zusammengehalten  mit 
gewissen    embryologischen   Thatsachen,    die  für  eine  Ab- 


286  A.  Croneberg : 

stammung  von  Formen  mit  einer  viel  grösseren  Gliedmas- 
senzahl sprechen,  lassen  es  zweckmässiger  erscheinen,  zu- 
nächst im  Bereich  dieser  Thierclasse  für  sich,  ganz  abge- 
sehen von  den  übrigen  Arthropoden,  nach  den  Characteren 
der  Urform  zu  forschen,  die  den  heutigen  Gestalten  zu 
Grunde  liegt.  In  Bezug  auf  die  Mundtheile  wäre  demnach 
die  Frage  zu  erörtern,  ob  sich  nicht  innerhalb  der  Arach- 
nidenclasse  selbst  Nachweise  eines  früheren  complicirteren 
Baues  erhalten  haben,  gleichviel  ob  derselbe  mit  dem  von 
anderen  Gliederthieren  bekannten  übereinstimmen  sollte 
oder  nicht,  und  ein  derartiger  Versuch  bildet  den  Gegen- 
stand der  vorliegenden  Untersuchung. 

Da  sich  schwerlich  etwas  gegen  die  gegenseitige  Ho- 
mologie der  Kieferfühler  bei  sämmtlichen  Arachnidenord- 
nungen  sowie  gegen  die  ihrer  Unterkiefer  und  deren  Pal- 
pen einwenden  lässt,  so  beschränkt  sich  die  Untersuchung 
auf  diejenige  Bildung,  welche  bei  allen  höheren  Arachniden 
schon  längst  als  Oberlippe,  Epipharynx  oder  unter  dem 
indifferenteren  Namen  eines  Rostrum  bekannt  ist.  Es  ist 
dies  ein  ziemlich  unscheinbarer,  unpaarer,  seitlich  compri- 
mirter  Vorsprung,  der  sich  zwischen  den  Kieferfühlern  und 
den  Maxillen  unmittelbar  über  der  Mundöffnung  erbebt  oder 
dieselbe  von  oben  umschliesst.  Es  war  zuerst  Bl auch ard, 
der  auf  Grund  seiner  Beobachtungen  an  Solpuga  (Galeodes) 
in  diesem  unpaaren  Organe  das  Aequivalent  der  ver- 
schmolzenen Mandibeln,  Maxillen  und  sogar  der  Unterlippe 
der  Insekten  wahrzunehmen  glaubte  und  dasselbe  auch  für 
die  anderen  Arachniden  behauptete  ^),  allein  die  ungenügen- 
den und  offenbar  zu  sehr  von  dem  Gedanken  an  die  Ver- 
wandtschaft mit  den  Insekten  beeinflussten  Beweisgründe 
dieses  Forschers  scheinen  seiner  Ansicht  nur  wenig  Be- 
achtung erworben  zu  haben.  Zu  Gunsten  derselben  hat 
sich  nur  Milne-Edwards^)  ausgesprochen,  ohne  übrigens 
weitere  Beweise  vorzubringen,  ebenso  Balbiani^),  welcher 
jedoch  mit  Recht  auf  die  Nothwendigkeit  einer  embryolo- 


1)  Organisation  du  Regne  animal.     Arachnides,   p.  210. 

2)  LcQons  sur  la  Phys.  et  l'Anat.  comp.  V,  p-  541. 

3)  Developp.  d.  Phalangides  (Ann.  d.  Sc.  nat.  1872.  p.  25). 


Ueber  die  Mundtheilo  der  Arachniden.  287 

gischen  Begründung  hingewiesen  hat.  Seitdem  scheint  die 
Frage  nach  der  Bedeutung  dieses  Organes  kaum  irgendwo 
berührt  worden  zu  sein. 

Betrachten  wir  zunächst  das  sog.  Rostrum  des  Scor- 
pions  (Androctonus).  Von  oben  gesehen  erscheint  dasselbe, 
nach  Entfernung  der  Kieferfühler,  als  ein  medianer  kleiner, 
zwischen  den  Grundgliedern  der  Maxillen  sitzender  Fort- 
satz (Fig.  1,  R).  An  der  Oberseite  und  an  der  Basis  ist 
er  stärker  chitinisirt,  unten  weicher;  der  vordere  Theil  des 
Rostrum  ist  stark  seitlicli  comprimirt,  so  dass  der  untere 
Rand  einen  ziemlich  scharfen  Kiel  bildet,  der  jederseits 
mit  dichten,  anliegenden  Haaren  besetzt  ist  (Fig.  2  von 
der  Seite,  Fig.  3  von  unten).  Unten  an  der  Basis  liegt 
in  einer  Vertiefung  die  kleine  Mundöffnuug  (Fig.  3  o),  an 
die  sich  unmittelbar  der  stark  comprimirte  Anfangstheil 
der  Speiseröhre,  der  Pharynx  anschliesst  (Fig.  2  ph).  Der 
Basaltheil  des  Rostrum  ist  deutlich  paarig  und  wird  durch 
stärker  chitinisirte  Nähte  von  dem  unpaaren  vorderen  Ab- 
schnitte abgegrenzt;  er  wird  durch  zwei  Chitinbalken  ge- 
bildet (Fig.  2  rb),  die  schräg  von  den  Seiten  der  Mund- 
öffnung aufsteigend,  sich  nach  oben  verbreitern  und  den 
unpaaren  Theil  (r)  zwischen  sich  aufnehmen,  indem  sie 
hinter  demselben  zusammenstossen.  An  dieser  Stelle  fügen 
sich  dem  Rostrum  ein  paar  comprimirte,  sichelförmig  ge- 
bogene Fortsätze  an  (Fig.  1,  2,  f),  die  nach  hinten  in's 
Innere  des  Thorax  vorspringen  und  den  Muskeln  der 
Kieferfühler  zum  Ansatz  dienen,  während  jederseits  vom 
Munde,  an  den  unteren  convergirenden  und  verdickten 
Enden  der  Balken  ein  kleiner  weichhäutiger  Fortsatz  zu 
bemerken  ist  (Fig.  3  u). 

Der  beschriebene  Apparat  hat  eine  grosse  Aehnlich- 
keit  mit  den  von  mir  bei  verschiedenen  Hydrachniden  und 
bei  Trombidium  gefundenen  inneren  Mundtheilen  ^).  Ver- 
gleicht man  z.  B.  diese  Bildungen  bei  Eylais^),  so  findet 

1)  Ueber  den  Bau  vonEylaisextendens,  nebst  Bemerkungen  über 
verwandte  Formen  (Denkschr.  d.  Ges.  d.  Freunde  der  Naturkunde  etc. 
in  Moscau,  Bd.  XXIX,  Hft.  2.  (russisch)  und  über  den  Bau  von 
Trombidium  (Bull.  Soc.  Nat.  de  Moscou  Jahrg.  1879,  Nr.  2,  p.  234). 

2)  1.  c.  Taf.  I,  Fig.  4,  5. 


288  A.  Croneberg: 

man  auch  hier  an  der  Innenseite  der  Maxillarladen  ein  Paar 
nach  innen  vorspringender  Chitinfortsätze,  die  sich  über 
dem  Eingange  in  den  weiten  Pharynx  brückenartig  ver- 
binden und  genau  an  derselben  Stelle,  wie  beim  Scorpion, 
zwei  lange  Chitinstäbe  nach  hinten  abgehen  lassen,  welche 
bei  den  Hydrachniden  und  Trombidien  die  beiden  Haupt- 
stämme des  Tracheensystems  umschliessen.  Die  beiden 
Hälften  der  den  Pharynx  überwölbenden  Brücke  entsprechen 
offenbar  den  paarigen  Basaltheilen  des  Rostrums  beim 
Scorpion  und  ihre  unteren  Enden  treten  ebenfalls  an  den 
Seiten  der  Mundöffnung  an  die  Oberfläche  des  Körpers, 
wo  sie  den  Haarkranz  tragen,  der  den  Mund  umgiebt.  Die 
Lagebeziehungen  zu  den  benachbarten  Theilen  sind  die 
nämlichen,  wie  beim  Scorpion,  nur  fehlt  bei  den  erwähnten 
Milben,  wohl  im  Zusammenhang  mit  der  engen  Anlagerung 
der  Kieferfühler  an  die  Maxillarladen  (Unterlippe)  jede 
Spur  eines  vorderen  unpaaren  Theiles  eines  Rostrum. 

Die  Verhältnisse  bei  dem  Scorpion  erlauben  aber,  wie 
ich  glaube,  einen  Schluss  auf  die  eigentliche  Bedeutung 
der  beiden  hinteren  Fortsätze  des  Rostrum,  sowie  jener 
von  mir  Trachealleisten  genannten  Chitingebilde  bei  den 
Milben.  Wenn  nämlich  der  Thorax  des  Scorpions  von 
oben  geöffnet  und  die  inneren  Organe  entfernt  worden 
sind,  so  gew^ahrt  man  im  Innern  desselben  ein  ziemlich 
complicirtes  Chitingerüst  (Fig.  1).  Der  Vorderrand  der 
Coxalglieder  sämmtlicher  Beine  erhebt  sich  in  Gestalt 
schmaler  Leisten  (a,  a',  Si"  .  .  .),  die  an  den  beiden  vor- 
deren Beinen  eine  quere  Lage  besitzen,  an  den  zwei 
folgenden  nach  hinten  divergiren;  ein  weiteres  Paar 
solcher  Vorsprünge  entspricht  dem  ersten  Bauchsegment. 
An  jedem  Apodem  der  drei  ersten  Beinpaare  erkennt  man 
dann  noch  einen  unteren  horizontalen  Fortsatz  in  Gestalt 
eines  durchsichtigen,  mit  einem  scharfen  Ausschnitte  ver- 
sejienen  Blättchens  (b,  b',  b"),  welches  nach  hinten  gerichtet 
ist,  während  sich  vom  äusseren  Ende  des  Apodems  der 
beiden  ersten  Segmente  ein  schief  nach  oben  und  innen 
aufsteigender  Fortsatz  (c',  c")  erhebt,  welcher  sich  mit 
dem  nächstfolgenden  Apodem  verbindet.  Weiter  nach  hin- 
ten findet  man  diese  Bildungen  nicht  mehr,  sucht  man  abei* 


Ueber  die  Mundtlieile  der  Arachniden.  289 

in  der  Richtung  nach  vorn  nach  einem  Aequivalent  der- 
selben für  das  Maxillarsegment,  so  ist  dasselbe  wohl  ohne 
Zweifel  in  der  breiten  dreieckigen  Platte  c  zu  erkennen, 
welche  die  obere  Decke  der  Maxillarladen  bildet  und  zu 
dem  unteren  Theil  derselben  in  einem  ähnlichen  Verhält- 
nisse steht,  wie  die  Fortsätze  c',  c"  zu  den  Coxalgliedern 
der  zwei  ersten  Beinpaare;  ihre  relativ  stärkere  Entwicke- 
lung  entspricht  der  beträchtlicheren  Grösse  der  betreffen- 
den Extremität.  Ist  diese  Deutung  richtig,  so  wird,  in 
Berücksichtigung  der  ähnlichen  Gestalt  der  beiden,  dem 
Rostrum  hinten  angefügten  Fortsätze  f,  auch  eine  homologe 
Beziehung  derselben  zu  dem  Rostrum  selbst  wahrscheinlich 
d.  h.  wir  können  dem  Letzteren  ein  Paar  eben  solcher 
Apodemen  zuschreiben,  wie  sie  den  nachfolgenden  Extremi- 
täten zukommen,  und  in  Folge  dessen  in  diesem  Gebilde 
selbst  ein  rudimentäres  Extremitätenpaar  erkennen. 

Diese  Deutung  könnte  jedoch  zunächst  nicht  für  das 
ganze  Rostrum  in  Anspruch  genommen  werden,  sondern 
höchstens  nur  für  den  aus  paarigen  Seitentheilen  bestehenden 
Abschnitt  desselben,  während  der  vordere  unpaare  Theil 
immerhin  einer  Oberlippe  entsprechen  könnte.  Wir  werden 
indessen  im  Weiteren  sehen,  dass  bei  anderen  Arachniden 
der  vordere  Abschnitt  des  Rostrum,  ganz  ebenso  wie  die 
Basis,  eine  Zusammensetzung  aus  paarigen  Hälften  noch 
deutlich  genug  erkennen  lässt,  und  wenden  uns  nun  zur 
Betrachtung  einer  ebenfalls  durch  die  Vollständigkeit  ihrer 
Körpersegmentation  ausgezeichneten  Form,  der  Solpuga. 

Das  Rostrum  dieser  Thiere  (Fig.  4,  5,  6)  zeigt  eine 
stärkere  Ausbildung,  als  dasjenige  des  Scorpions,  und 
bietet  noch  dazu  den  wesentlichen  Unterschied,  dass  es  die 
Mundöffnung  nicht  an  seiner  Basis,  sondern  unterhalb 
seiner  Spitze  trägt  (Fig.  6,  o).  Da  ausserdem  das  Rostrum 
einen  nicht  unbeträchtlichen  Theil  des  Pharynx  umschliesst 
(Fig.  5  ph),  so  dürfte  schon  desshalb  der  Vergleich  mit 
einer  Oberlippe  nicht  ganz  passend  sein.  Der  Basaltheil 
des  Rostrum  (rb)  lässt  zwar  keine  Naht  in  der  Median- 
linie erkennen,  läuft  aber  hinten  in  zwei  breite  und  kurze, 
senkrecht  gestellte  Fortsätze  aus  (f),  welche  durch  eine 
Chitinnaht  vom  Basaltheil  abgegrenzt  sind  und  zu  demselben 

Archiv  f.  Natiirg.  XXXXVT.  Jalii-g.  1.  B<1.  19 


290  A.  Croneberg: 

in  einem  ähnliclien  Verhältnisse  stehen,  wie  die  beiden 
Apodemen  des  Rostrum  beim  Scorpion.  Der  Basaltheil 
bildet  hier  über  dem  Pharynx  eine  Brücke,  wie  wir  es 
beim  Scorpion  und  den  Hydrachniden  bereits  gesehen 
haben;  der  Vordertheil  des  Rostrum  (r)  aber  zeigt  bei 
Solpuga  deutlich  eine  paarige  Zusammensetzung,  indem 
die  die  Mundöffnung  überragende  Spitze  in  zwei  verticale 
Lamellen  ausläuft,  die  aus  zahlreichen,  miteinander  ver- 
bundenen Chitinstäbchen  besteht;  an  den  Seiten  des  Mundes 
stehen  zwei  weiche,  zipfelförmige  Fortsätze  (u),  die  je  eine 
lange,  behaarte  Borste  tragen.  Eine  Oberlippe  scheint  hier 
überhaupt  nicht  vorzuliegen  und  wird  daher  auch  eine 
solche  für  den  Scorpion  in  Frage  gestellt  werden  müssen, 
wie  sich  denn  auch  bei  den  anderen  Arachniden,  wie  wir 
sehen  werden,  nichts  darauf  hinweisendes  finden  lässt. 
Dagegen  ist  es  natürlicher,  in  dem  gesammten  Rostrum 
von  Solpuga  und  Scorpio  das  Produkt  der  Verschmelzung 
von  paarigen  Organen,  und  zwar,  nach  dem  Vorhandensein 
der  Apodemen  zu  urtheilen,  von  Gliedmassen-artigen  Bil- 
dungen anzunehmen.  Es  fragt  sich  indessen,  ob  wir  es 
in  diesen  beiden  Fällen  nicht  mit  zwei  solchen  Extremitä- 
tenpaaren zu  thun  haben,  indem  nämlich  die  beiden  zipfel- 
förmigen  Anhänge  an  den  Seiten  des  Mundes  bei  Solpuga 
(sowie  die  an  der  entsprechenden  Stelle  beim  Scorpion 
vorhandenen  Fortsätze),  die  auch  sonst  sich  durch  ihre 
weichhäutige  Beschaffenheit  von  dem  übrigen  Rostrum 
deutlich  abgrenzen,  die  Rudimente  eines  zweiten  Paares 
darstellen  könnten.  Wir  werden  im  Folgenden  sehen,  dass 
wenigstens  die  Wahrscheinlichkeit  einer  solchen  Annahme 
nicht  ganz  ausgeschlossen  bleibt. 

lieber  den  Bau  der  Mundtheile  bei  den  Pseudoscor- 
pionen  besitzen  wir  bis  jetzt  nur  die  ziemlich  mangelhaften 
Untersuchungen  von  Menge  1),  welcher,  wie  es  scheint,  das 
Rostrum  dieser  Thiere  völlig  übersehen  hat.  Die  Bestand- 
theile  desselben  lassen  sich  indessen  ebenso  leicht  wie  bei 
den  übrigen  Arachniden  nachweisen,  wenn  man  z.  B.  bei 


1)  lieber   die   Scheerenspinnen   (N.  Schrift  der  nat.  Gesell,  zu 
Danzig,  Bd.  V.  1855). 


üeber   die  Mundtheilc  der  Arachniden.  291 

Cbelifer  die  Kieferfüblcr  und  das  Thoracalschild  ablöst. 
Man  siebt  alsdann  (Fig.  7),  dass  die  Grundglieder  der 
beiden  Maxillen  (mx)  durcb  eine  Querbrücke  verbunden 
werden  (rb)  welcbe  die  Basis  des  Rostrum  bildet;  sie  be- 
stebt  aus  zwei  dreieckigen,  binten  und  oben  zusammen- 
stossenden  Platten,  denen  binten  nocb  zwei  kurze  Fortsätze 
angefügt  sind  (f),  und  das  Ganze  bildet  wie  bei  anderen 
Aracbniden  einen  den  Pbarynx  (pb)  überwölbenden  Bogen. 
Der  Zwisebenraum  beider  Basalplatten  wird  vorn  durcb 
zwei  convergirende  feine  Cbitinleisten  abgescblossen  und 
bat  eine  fast  rbombiscbe  Gestalt,  die  Leisten  selbst  ver- 
scbmelzen  vorn  und  stützen  einen  flacben,  durcbsicbtigen, 
Oberlippen-artigen  Fortsatz  (r),  den  wir,  entsprecbend  dem 
Befunde  an  Solpuga,  ebenfalls  als  aus  paarigen  Seiten- 
tbeilen  gebildet  uns  vorstellen  können.  Diese  glasbelle, 
vorn  abgerundete  Platte  bietet  bei  Obisium  eine  zierlicbe 
scb üppige  Zeicbnung.  An  ibrer  Unterfläcbe  (Fig.  8)  ziebt 
von  der  Spitze  nacb  binten  eine  deutlicbe  Nabt,  so  dass 
man  sieb  die  Ränder  des  flacben  Gebildes  nacb  unten  um- 
gescblagen  und  miteinander  verwacbsen  denken  muss ; 
weiter  nacb  binten  trennen  sieb  aber  die  Ränder,  und  be- 
tracbtet  man  das  von  den  Maxillen  abgelöste  Rostrum  von 
der  Seite  (Fig.  9),  so  siebt  man,  dass  dieselben  zwei 
senkrecbte,  einander  eng  anliegende  Lamellen  darstellen, 
die  eine  äusserst  feine  und  regelmässige  Querstreifung 
zeigen  und  an  ibrem  convexen  unteren  Rande  mit  sebr 
feinen  Zäbncben  verseben  sind.  Die  oberen  Grenzen  die- 
ser Lamellen  sind  vollkommen  gerade  und  in  ibrer  Höbe 
verläuft  zwiscben  ibnen  eine  unpaare  Cbitinleiste,  die 
Fortsetzung  der  oberen  Wandung  des  Pbarynx.  Letzterer 
bat  im  Querscbnitt  eine  vierstrablige  Gestalt,  weil  seine 
stark  cbitinisirte  Wand  sieb  nacb  oben  und  unten  in 
Form  von  vier  balbkreisförmigen  Leisten  ausziebt,  welcbe 
der  Musculatur  zum  Ansatz  dienen.  Die  untere  Wand  des 
Pbarynx  setzt  sieb  nacb  vorn  in  Gestalt  von  zwei  ebenfalls 
quergestreiften  Lamellen  fort  (u),  die  den  oberen  in  Form 
und  Grösse  gleicben,  aber  längs  ibres  unteren  Randes  ver- 
wacbsen sind  und  eine  sebr  stark  comprimirte  kabnförmige 
Bildung    darstellen,   welcbe    in    der   Reibe    zwiscben    die 


292  A.  Croneberg: 

oberen  Lamellen  aufgenommen  wird  wie  ein  Unterkiefer; 
der  obere  Rand  derselben  ist  ebenfalls  mit  feinen,  aber 
etwas  längeren  Zäbnen  ausgerüstet.  Der  Eingang  in  den 
Pharynx,  d.  h.  die  Mundöffnung,  befindet  sich  im  Grunde 
dieser  beiden  kieferartigen  Organe,  und  das  ganze  Rostrum 
liegt  zwischen  den  beiden,  unten  nur  durch  einen  engen 
Zwischenraum  getrennten  Grundgliedern  der  Maxillen 
(Fig.  7);  die  vorderen  Ecken  derselben  sind  je  in  eine 
Spitze  ausgezogen,  und  die  dem  Rostrum  zugewandten 
Flächen  tragen  einen  durchsichtigen  blattförmigen  Fort- 
satz, der  das  erstere  ein  wenig  überragt. 

Vergleicht  man  nun  das  Rostrum  bei  Chelifer,  Scorpio 
und  Solpuga,  so  kann  wohl  kaum  bezweifelt  werden,  dass , 
die  über  dem  Pharynx  gelegenen  paarigen  Basaltheile  ein- 
ander homologe  Bildungen  sind.  In  diesem  Falle  wären 
aber  die  eigenthümlichen  vorderen  Anhänge  des  Rostrum 
von  Solpuga  nur  den  oberen  quergestreiften  Lamellen  von 
Chelifer  zu  vergleichen,  und  die  beiden  Hälften  des  Unter- 
kiefer-artigen Organes  des  Letzteren  den  unteren  zipfel- 
förmigen  Anhängen  von  Solpuga.  Das  Verhältniss  zur 
Mundöffnung  und  zum  Pharynx  ist  bei  beiden  dasselbe, 
nur  muss  man  berücksichtigen,  dass  der  Mund  bei  Chelifer 
viel  weiter  nach  hinten  gerückt  ist  als  bei  Galeodes.  Auch 
beim  Scorpion  existiren,  wie  wir  gesehen  haben,  ein  paar 
allerdings  sehr  rudimentäre  Anhänge,  die  ihrer  Lage  nach 
den  mehr  entwickelten  unteren  Anhängen  des  Rostrum  von 
Solpuga  und  Chelifer  entsprechen. 

Gegenüber  den  bereits  besprochenen  Formen  zeigen 
die  meisten  eigentlichen  Spinnen  in  dem  Bau  ihres  Rostrum 
eine  offenbare  Rückbildung,  indem  der  paarige  Charakter 
seiner  Bestandtheile  kaum  noch  zu  erkennen  ist.  Nur 
bei  Mygale  lassen  sich  noch  im  erwachsenen  Zustande  mit 
genügender  Sicherheit  die  wesentlichen  Theile  des  Arach- 
nidenrostrum  wiedererkennen.  Nach  den  Untersuchungen 
von  Was  mann*)  trägt  der  kegelförmige,  als  Oberlippe 
bekannte   Vorsprung   bei   Mygale    an   seiner  Spitze  einen 


1)  Abhandl.    etc.    d.    naturw.    Vereins    in    Hamburg.     Bd.    I, 
p.  132. 


Ueber  die  Mundtheile  dor  Arachniden.  293 

kleinen  überhängenden  Anbang-,  der  aus  zwei  seitlicben, 
durch  einen  Einschnitt  getrennten  Lappen  besteht  und  eine 
kleine  blinde  Höhlung  tiberdeckt.  Dieser  Anhang  findet 
sich  auch  bei  anderen  Spinnen,  freilich  in  unpaarer  Form 
und  kann  um  so  eher  dem  Endtheil  des  Rostrum  von 
Scorpio  und  Solpuga  verglichen  werden,  als  der  Basal- 
theil bei  Mygale  aus  deutlich  paarigen  Seitenhälften  be- 
steht, deren  Grenze  sich  in  einer  Längsfurche  der  Oberseite 
sehr  deutlich  erkennen  lässt.  Sich  nach  unten  fortsetzend, 
überbrücken  sie  den  Eingang  in  den  Pharynx  und  verbin- 
den sich  jederseits  mit  der  sog.  Unterlippe,  die  den  Mund 
von  unten  begrenzt.  Die  untere  eingedrückte  Fläche  des 
Rostrum  setzt  sich  direkt  in  die  obere  Wandung  des  Pha- 
rynx fort  (die  sog.  obere  Gaumenplatte),  während  die 
untere  Wandung  desselben  sich  an  die  Unterlippe  befestigt 
(Fig.  10  zeigt  diese  Verhältnisse  bei  Atypus  piceus,  einer 
Mygalide).  Das  Lageverhältniss  zu  Mund  und  Pharynx 
ist  also  bei  den  Spinnen  das  nämliche,  wie  bei  dem  Ro- 
strum anderer  Arachniden;  nur  vermissen  wir  die  unteren 
paarigen  Anhänge,  wenn  nicht  möglicherweise  die  Unter- 
lippe selbst  diesen  Gebilden  entspricht. 

Auch  in  der  Ordnung  der  Phalangiden  lassen  sich 
verwandte  Bildungen  erkennen,  wenn  auch  die  Differenzi- 
rung  derselben  eine  geringere  ist.  Die  Kieferfühler  ruhen 
beiPhalangium  gleichfalls  auf  einer  die  Grundglieder  der 
Maxillen  verbindenden  Quer  brücke  (Fig.  11,  13  rb),  nur 
ist  dieselbe  nicht  horizontal,  sondern  fast  senkrecht  gestellt 
und  vorn  stark  buckeiförmig  vorgewölbt.  Unter  dieser 
Vorwölbung  befindet  sich  ein  medianer  schnabelförmig  zuge- 
spitzter Vorsprung  (r),  welcher  den  Endtheil  des  Röstrum 
darstellt,  während  der  über  demselben  liegende  gewölbte 
Theil  der  Basis  entspricht.  Seine  Höhlung  umfasst  den 
senkrecht  aufsteigenden  Pharynx  (Fig.  13  ph),  längs  des- 
sen Vorderwand  eine  dunkle  Chitinleiste  herabsteigt,  die 
der  Musculatur  zum  Ansatz  dient  und  sich  unten  in  zwei 
Aeste  spaltet,  welche  auf  die  Innenseite  der  Maxillarla- 
den  sich  fortsetzen  und  eine  eigenthümliche  Gestalt  besitzen 
(Fig.  12,  13).  Nach  hinten  setzt  sich  der  obere  Rand  des 
Basaltheiles  des  Rostrum  in  Gestalt  zweier  breiter,  senk- 


294  A.  Croneberg: 

rechter,  in  den  Innenraum  des  Thorax  hineinragender  Fort- 
sätze fort  (Fig.  13  f),  während  von  der  Mitte  des  Ober- 
randes eine  stark  chitinisirte  Leiste  sich  fast  senkrecht 
erhebt  und  den  Kieferfühlern  als  Stütze  dient  (Fig.  11,  13, 
1).  Die  Mundöffnung  (o)  befindet  sich  an  der  Unterseite 
des  schnabelförmigen  Fortsatzes  und  wird  seitlich  von  den 
Maxillen  und  den  Fortsätzen  der  Grundglieder  des  ersten 
Beinpaares  begrenzt,  während  hinten  die  leicht  eingekerbte 
sog.  Unterlippe  (u)  den  Abschluss  bildet.  Es  kann  also 
hier  nach  den  Beziehungen  zum  Mund  und  Pharynx  ein 
allerdings  unpaarer  Basal-  und  Endtheil  des  Rostrum  an- 
genommen werden.  Untere,  an  den  Seiten  des  Mundes 
stehende  Fortsätze  fehlen  bei  Phalangium  wie  bei  den 
Araneiden,  allein  es  muss  hervorgehoben  werden,  dass  ge- 
rade in  diesen  beiden  Ordnungen  eine  den  übrigen  Arach- 
niden  abgehende  Bildung  vorkommt,  und  zwar  an  einer 
ziemlich  genau  entsprechenden  Stelle,  die  Unterlippe  näm- 
lich, die  ich  vorläufig  für  das  Aequivalent  jener  unteren 
Fortsätze  annehmen  möchte. 

Nach  meinen  oben  erwähnten  Erfahrungen  an  einigen 
Milben  glaube  ich  auch  bei  diesen  Thieren  eine  dem  Ba- 
saltheil des  Rostrum  der  höheren  Arachniden  homologe 
Bildung  annehmen  zu  können,  wobei  die  paarigen  Seiten- 
theile  deutlich  zu  erkennen  sind,  ein  Endtheil  aber  fehlt«. 
Indessen  scheint  der  letztere  nicht  allen  Milben  abzugehen, 
wie  nach  der  Darstellung  Kramer's^)  von  Tyrogiyphus 
und  Cheyletus  vermuthet  werden  kann,  denn  bei  diesen 
Thieren  soll  die  Mundöffnung  sich  am  Ende  eines  unpaaren 
„lanzettförmigen  Organes"  befinden,  welches  frei  über  den 
verschmolzenen  Maxillarladen  liegt  und  sich  hinten  an  ein 
Gerüste  befestigt,  das  mit  den  Basaltheilen  eines  Rostrum 
in  Form  und  Lage  eine  grosse  Aehnlichkeit  besitzt. 

Obgleich  nun  der  Bau  des  Rostrum  der  verschieden- 
sten Arachniden  deutlich  genug  auf  eine  Zusammensetzung 
desselben  aus  paarigen  Seitenhälften  hinweist,  so  wäre  es 
dennoch  gewagt,  in  Anbetracht  der  rudimentären  Beschaf- 


1)  Beiträge   zur  Naturg.  d.  Milben  (Arch.  f:  Naturg.  Bd.  42. 
p.  28)  1876. 


Ueber  die  Mundtheile  der  Arachniden.  295 

fenheit  des  Organes,  aus  diesem  Umstände  allein  den 
Scbluss  ziehen  zu  wollen,  dass  wir  es  hier  mit  den  ver- 
schmolzenen Ueberresteu  ehemaliger  Extremitäten  zu  thun 
haben.  Die  Untersuchungen  über  die  Entwickelungsge- 
schichte  verschiedener  Arachniden  (Scorpione,  Spinnen, 
Opilioniden,  Afterscorpione  etc.)  haben  aber  der  Bildung 
des  sog.  Rostrum  weniger  Beachtung  geschenkt,  als  es  die 
Wichtigkeit  des  Gegenstandes  erfordert.  Es  wäre  unleug- 
bar der  beste  Beweis  für  die  Extremitätennatur  des  betref- 
fenden Organes,  wenn  sich  in  seinen  embryonalen  Verhält- 
nissen eine  Uebereinstimmung  mit  den  Anlagen  der  übrigen 
Gliedmassen  nachweisen  Hesse.  Ich  kann  zwar  nicht  be- 
haupten, einen  ganz  unzweifelhaften  derartigen  Nachweis 
führen  zu  können,  möchte  jedoch  auf  einige  Beobachtungen 
an  einer  ziemlich  gewöhnlichen  Spinne  (Dendryphantes 
hastatus)  aufmerksam  machen,  die  einer  solchen  Auffassung 
nicht  ungünstig  erscheinen.  Die  erste  Anlage  des  ßostrum 
(Fig.  14  R)  erscheint  in  Gestalt  zweier  kleiner,  durch  einen 
deutlichen  Zwischenraum  getrennter  Anhänge  in  der  Mitte 
der  Unterseite  des  ersten  Segmentes  (der  Kopf  läppen);  in 
diesem  Stadium  sind  sie  noch  von  dem  nachfolgenden 
Paare,  den  Kieferfühlern  (at)  durch  einen  beträchtlichen 
Zwischenraum  getrennt,  der  sich  indessen  allmählich  ver- 
kleinert, 60  dass  wir  in  Fig.  15  ein  Stadium  erhalten,  in 
welchem  die  beiden  Anhänge  der  Kopflappen  hinsichtlich 
ihrer  Figur  und  Lagerung  sich  vollkommen  der  Reihe  der 
übrigen  Gliedmassen  anschliessen,  die  je  weiter  nach  hin- 
ten, desto  mehr  auseinander  gerückt  erscheinen.  Später 
rücken  die  Anlagen  der  Kieferfühler  noch  mehr  zusammen 
(Fig.  16),  und  die  paarigen  Anlagen  des  Rostrum  werden, 
nach  hinten  zurückweichend,  allmählich  von  den  Ersteren 
überdeckt,  so  dass  sie  schliesslich  unter  und  hinter  diesel- 
ben zu  liegen  kommen  (Fig.  17);  dabei  verkleinern  sie 
sich  merklich  und  verschmelzen  zu  einem  unpaaren,  am 
Ende  etwas  ausgebuchteten  Anhange,  an  dem  noch  einige 
Zeit  ein  heller  Mittelstreif  die  paarige  Zusammensetzung 
andeutet;  bei  den  meisten  Spinnen  verschwindet  im  aus- 
gebildeten Zustande  jede  Spur  der  erwähnten  Ausbuchtung, 
bei  Mygale  jedoch  erhält  sich    dieselbe,  wie  wir  gesehen 


290  A.    Croneberg: 

haben,  und  zugleich  auch  eine  Längsfurche  an  der  Ober- 
seite des  Rostrum. 

Diese  Darstellung  weicht  in  mancher  Hinsicht  von 
dem  ab,  was  wir  bereits  über  die  Entstehung  der  sog. 
Oberlippe  derAraneinen  wissen.  Nach  Claparede^  und 
Salensky^)  erscheint  dieselbe  bei  Pholeus  und  Clubiona 
anfänglich  in  Gestalt  einer  unpaaren  dreieckigen  Platte 
(plaque  epichilique  Clap.)  zwischen  den  Kopflappen.  In 
der  Mitte  dieser  Platte  bildet  sich  die  Mundöffnung  als 
eine  Furche,  die  von  allen  Seiten  von  einem  erhöhten 
Rande  umgeben  wird.  Vor  und  hinter  dem  Munde 
beobachtete  Sälen sky  3)  eine  leichte  mediane  Einbuchtung 
dieses  Randwalles,  die  besonders  am  Vorderrande  deutlich 
ist  und  denselben,  sowie  den  hinteren  Rand,  in  zwei  sym- 
metrische Erhöhungen  theilt,  die  indessen  bald  wieder 
verstreichen.  Der  Vorderrand  erhebt  sich  immer  stärker 
und  indem  er  sich  dabei  nach  der  Bauchseite  krümmt, 
überdeckt  er  schliesslich  vollständig  den  Mund;  das  hin- 
tere Paar  der  Erhebungen  scheint  Salensky  für  die 
Anlage  der  Unterlippe  zu  halten.  Mir  ist  es  nicht  gelungen 
die  Mundöffnung  bei  Dendryphantes-Embryonen  zu  sehen, 
und  sollten  die  Anhänge  der  Kopflappen  in  meiner  Fig. 
13  den  paarigen  vor  deren  Erhöhungen  von  Salensky 
entsprechen,  so  erfolgt  ihre  Verschmelzung  zu  einem  un- 
paaren Organe  gewiss  nicht  so  bald,  indem  sich  dieselben 
vielmehr  auf  späteren  Stadien  den  übrigen  Gliedmassen 
viel  ähnlicher  verhalten,  als  früher.  Die  von  Salensky 
beschriebenen  beiden  Erhebungen  am  Hinterrande  des 
Mundes  mögen  sich  bei  Dendryphantes  in  Folge  der  von 
Anfang  an  stärkeren  Ausbildung  der  vorderen  Anhänge 
zusammen  mit  der  Mundüffnung  der  Beobachtung  entziehen, 
scheinen  mir  indessen  von  morphologischer  Wichtigkeit, 
da  es  vielleicht  möglich  ist,  die  unteren  Anhänge  des 
Rostrum  von    Scorpio,   Solpuga   und   Chelifer,    sowie   die 


1)  Recherches  siir  l'evolution  des  Araignees.     1862. 

2)  Entwickelungsgcschichte  der  A ranein cu  (Mittheil,  dernaturf. 
Ges.  in  Kiew.  Bd.  II,  p.  1.  Russisch)    1871. 

3)  1.  c.  p.  29,  30,  Fig.  16. 


üeber  die  Mimdtheile   der  Arachniden.  297 

Unterlippe  von  Phalangium  und  den  Spinnen  auf  diese 
Anlagen  zurückzufttbren,  mitbin  das  Rostrum  der  böberen 
Arachniden  als  das  Produkt  der  Verscbmelzung  nicbt  eines, 
sondern  zweier  Extremitätenpaare  anzusehen  —  eine  Frage, 
deren  Entscheidung  künftigen  embryologischen  Unter- 
suchungen überlassen  werden  muss. 

Bei  dem  Scorpion  fand  Metschnikoff^)  eine  an 
ihrer  Spitze  ausgebuchtete  Anlage  der  Oberlippe,  die  gleich- 
falls einen  Anhang  der  Kopf  läppen  darstellt,  sich  aber 
später  als  die  Mundöffuung  bildet,  die  bereits  auf  einem 
früheren  Stadium  als  eine  Einstülpung  im  Verlaufe  der 
die  Kopflappen  trennenden  Longitudinalfurche  entstanden 
ist.  Der  Mund  wird  von  der  Oberlippe  überwachsen,  die 
allmählich  zwischen  die  Kieferfühler  rückt,  das  Verhältniss 
ist  also  im  Wesentlichen  dasselbe  wie  bei  Dendryphantes. 
Bei  dem  Embryo  von  Chelifer  hat  bekanntlich  Metschni- 
koff^)  eine  grosse  Oberlippe  beschrieben,  ein  provisorisches 
Organ,  welches  aber  aus  einer  unpaaren  Anlage  entsteht; 
die  Entstehung  der  definitiven  Oberlippe  (des  Rostrum)  hat 
Metschnikoff  nicht  näher  studirt,  sowie  auch  ihr  Ver- 
hältniss zur  provisorischen  Oberlippe. 

Kehren  wir  nun  zu  der  Anlage  des  Rostrum  bei  Den- 
dryphantes zurück,  so  besteht  das  von  den  übrigen  Glied- 
massen Abweichende  hauptsächlich  darin,  dass  die  beiden 
Anhänge  der  Kopf  läppen  gleich  von  Anfang  an  einander 
eng  anliegen  und  von  den  Kieferfühlern  durch  einen  weiten 
Zwischenraum  getrennt  werden.  Ist  indessen  der  rudimen- 
täre Zustand  der  das  Rostrum  zusammensetzenden  Extre- 
mitäten ein  allen  Arachniden  gemeinsames  Merkmal,  so 
muss  derselbe  auch  als  eine  sehr  alte  Einrichtung  angesehen 
werden  und  es  kann  also  die  Umbildung  dieser  Anhänge 
bereits  in  ein  sehr  frühes  Lebensstadium  zurückverlegt 
gedacht  werden.  Da  das  dazugehörige  Segment,  die  Kopf- 
lappen nämlich,  im  Embryo  die  übrigen  Segmente  an 
Grösse  beträchtlich  überragt,  so   kann   der  weite  Abstand 

1)  Embryologie  des  Scorpions    (Z.  f.  wiss.  Zool.  XXI,  p.  220, 
Taf.  XVII,  Fig.  11.) 

2)  Entwickehmgsgeschichte  des  Chelifer  (Z.  f.  wiss.  Zool.  Bd. 
XXI,  p.  521.) 


298  A.  Croneberg: 

seiner  AnhäDge  von  dem  folgenden  Paare  auch  wohl  auf 
Rechnung  dieser  stärkeren  Ausbildung  gesetzt  werden.  Die 
gegenseitige  Annäherung  beider  Anlagen  widerspricht  auch 
durchaus  nicht  ihrer  Homologie  mit  den  übrigen  Glied- 
massen, denn  bei  den  Spinnen  erscheinen  die  Anlagen  der 
Abdominalbeine,  wie  es  Salensky  speciell  hervorgehoben 
hat,  nicht  am  äusseren  Rande  der  Segmente,  wie  die 
Thoracalanhänge,  sondern  unmittelbar  zu  beiden  Seiten  der 
Längsfurche  des  Keimstreifs,  und  ähnlich  verhalten  sich 
auch  nach  Metschnikoff  die  Anlagen  an  den  Abdomi- 
nalsegmenten des  Scorpions. 

Ich  halte  es  daher  für  sehr  wahrscheinlich,  dass  wir 
in  dem  Rostrum  der  höheren  Arnachniden  und  in  den  ent- 
sprechenden Bildungen  mancher  Milben  die  Rudimente 
wenigstens  eines  Paares  von  Kopfextremitäten  zu  erkennen 
haben,  und  berücksichtigen  wir  ferner  die  Lage  dieser 
Anhänge  beim  Embryo,  so  kann  das  betreffende  Glied- 
massenpaar nur  als  erstes  Antennenpaar  bezeichnet  werden. 
Es  lassen  sich  also  wenigstens  drei  Extremitätenpaare  — 
die  ersten  und  zweiten  Antennen  und  die  Maxillen  —  als 
zu  Mundwerkzeugen  umgebildet  bezeichnen.  Die  ange- 
führten Beobachtungen 'von  Salensky,  sowie  die  Existenz 
von  paarigen  unteren  Anhängen  am  Rostrum  der  Arach- 
niden  könnten  jedoch  der  Vermuthung  Raum  geben,  dass 
noch  ein  zweites  Gliedmassenpaar  in  die  Constitution  des 
Rostrum  eingegangen  sein  kann,  dessen  entsprechendes 
Körpersegment  indessen  noch  bei  keinem  Arachniden-Em- 
bryo  nachgewiesen  ist,  während  ein  solches  für  das  erste 
Paar,  welches  ich  als  -  erste  Antennen  deute,  factisch 
existirt.  Hiermit  eröffnet  sich  ein  neuer  Gesichtspunkt  für 
den  Vergleich  mit  den  Crustaceen  und  Insecten,  wenn  es 
nämlich  gewiss  wäre,  dass  die  Larvenantennen  der  Letzteren 
dem  ersten  und  die  definitiven  Antennen  dem  zweiten 
Paare  entsprechen  0-  Ohne  auf  eine  weitere  Erörterung 
dieser  Frage  einzugehen,  möchte  ich  mir  noch  ein  paar 
Bemerkungen    über     die    Pycnogoniden    erlauben,    deren 


1)  Gerstäcker  in  Broon's  Kl.  u.  Ord.  d.  Thierreiches,   Bd. 
V,  p.  48. 


Ueber  die  Mundtheile  der  Arachniden.  299 

Eigenthümliclikeiten  sich  zum  Theil  aus  dem  oben  Gesagten 
erklären  lassen  dürften.  Bekanntlich  ist  es  die  Existenz 
eines  sog.  accessorischeu  Beinpaarcs,  welche  eines  der 
Hanptargumente  gegen  die  Arachniden-Natur  dieser  Thiere 
bildet.  Obgleich  ich  für  die  eigentlichen  Arachniden  sieben 
Extremitätenpaare  annehme  (die  abdominalen  natürlich 
abgerechnet),  mithin  eine  auch  den  Pycnogoniden  ent- 
sprechende Zahl,  so  kann  dennoch  das  accessorische  Bein- 
paar der  Letzteren  durchaus  nicht  den  Organen  entsprechen, 
welche  ich  für  die  ersten  Antennen  der  Arachniden  halte. 
Sein  Aequivalent  könnte  nur  in  den  oben  erwähnten  paarigen 
unteren  Anhängen  des  Rostrum  der  höheren  Arachniden 
gesucht  werden,  während  als  erstes  Antennenpaar  bei 
den  Pycnogoniden  nur  der  sog.  Rüssel  aufgefasst  werden 
könnte,  dessen  Zusammensetzung  aus  verschmolzenen  Glied- 
massen bereits  Huxleyi)  vermuthet.  Wenn  wir  also  bei 
diesen  Thieren  acht  Gliedmassenpaare  annehmen,  so  könnte 
dasselbe  auch  von  den  Arachniden  gelten,  und  die  Pycno- 
goniden wären  nach  dieser  Ansicht  wirkliche  Arachniden, 
deren  Trennung  vom  gemeinsamen  Stamm  jedoch  zu  einer 
Zeit  erfolgte,  welche  der  Ausbildung  des  für  die  Mehr- 
zahl charakteristischen  Rostrum  vorausgegangen  ist. 

16.  Dec.  1879. 


Erklärung  der  Abbildungen. 


R  —  Rostrum. 

r  —  Epdtheil  desselben, 

rb  —  Basaltheil  des  Rostrum. 

f  —  hintere  Fortsätze. 

o  —  Mund. 

ph  —  Pharynx. 

oe  —  Oesophagus. 

at  —  Kieferfühler. 

u  —  Untere  Anhänge'  des  Rostrum. 

mx  —  Maxillen. 

pl  —  p.  IV  —  Beine. 


1)    Grundzüge    d.    Anat.     der    wirbell.    Thiere,     übers,     von 
Spengel,  p.  342. 


300    A.  Croneberg:     Ueber  die  Mundtheile  der  Arachniden. 

Fig.  1.     Thorax  von  Androctonus  von  oben. 
Fisf.  2—3.     Rostrum  desselbeu. 

Fig.  4—6,     Rostrum    von  Galeodes.     d.    —   Mündungen    der 
Giftdrüsen. 

Fig.  7 — 9.     Rostrum  von  Chelifer. 

Fig.  10.     Rostrum  von  Atypus. 

Fig.  11 — 13.     Mundtheile  und  Rostrum  von  Phalangium. 

Fig.  14 — 17,     Embryonen  von  Dendryphantes  hastatns. 


Die  Gobiidae  und  Syngnathidae  der  Ostsee 
nebst  biologischen  Bemerkungen. 

Von 

Dr.   Friedrich  Heincke 

in  Oldenburg  i.  Gr. 


Hierzu  Tafel  XVI,  Fig.  5. 


Einleitung. 

Während  eines  sechsjährigen  Aufenthalts  in  Kiel  habe 
ich  einen  grossen  Theil  meiner  Zeit  darauf  verwandt,  die 
Fische  der  westlichen  Ostsee  auf  Vorkommen,  Variabilität, 
Lebensweise  und  Laichzeiten  zu  untersuchen.  Schleppnetz- 
fahrten, Verkehr  mit  den  Fischern,  regelmässiges  Besuchen 
des  Marktes  und  das  Halten  von  Zimmeraquarien  waren 
meine  wichtigsten  Hülfsmittel.  Herr  Professor  Möbius, 
Direktor  des  zoologischen  Museums,  stellte  mir  hierbei  die 
Mittel  seines  Institutes  in  dankenswerthester  Weise  zur 
Verfügung  und  betheiligte  sich  selbst  nicht  unwesentlich 
an  der  Aufgabe,  eine  vollständige  Liste  der  in  der  Kieler 
Bucht  vorkommenden  Fische  zu  entwerfen.  Eine  Publica- 
tion  derselben,  von  uns  beiden  verfasst,  dürfte  noch  in  die- 
*sem  Jahre  erscheinen. 

Ein  anfänglicher  Plan,  sämmtliche  von  mir  genauer 
studirten  Fische  in  einem  grösseren  Werke  zu  behandeln, 
konnte  leider  nicht  ausgeführt  werden.  So  übergebe  ich 
denn  als  ersten  Abschnitt  einer  in  Vorbereitung  begriffenen 
Reihe  einzelner  monographischer  Skizzen  den  vorliegenden 
Aufsatz  über  zwei  der  interessantesten  Fischfamilien  der 


302  Friedrich  Heincke: 

Ostsee  der  Oeffentlicbkeit  und  einer  nachsichtigen  Beur- 
theilung. 

lieber  die  Art  der  Behandlung  des  Gegenstandes  lasse 
ich  den  Aufsatz  selbst  reden.  Was  die  Nachweise  der 
Litteratur  und  Synonymik  betrifft,  so  habe  ich  Vollständig- 
keit derselben  angestrebt,  aber  nicht  ganz  erreichen  können. 
Nur  in  Auszügen  habe  ich  eine  neuere  Arbeit  von  Collet 
über  die  Fische  Norwegens  und  eine  Abhandlung  von  P. 
J.  V.  Beneden,  Les  poissons  des  cotes  de  Belgique  etc. 
Mem.  Acad.  Belg.  38,  1870  benutzt,  kann  aber  versichern, 
dass  beide  Nichts  Neues  enthalten.  Von  keinem  besonderen 
Werth  dürfte  auch  nach  dem  Urtheile  Gtinther's  das  mir 
nicht  zugängliche  Werk  von  Couch,  The  history  of  the 
fishes  of  the  British  Islands.  London  1865.  sein.  Dagegen 
habe  ich  sehr  bedauert  das  Buch  von  A.  W.  Malm,  Göte- 
borgs och  Bohusläns  Fauna, Vertebrata.  Göteborg  1877.  nicht 
benutzen  zu  können,  da  es  ohne  Zweifel  reich  an  neuen  und 
werthvollen  Beobachtungen  ist. 

Die  Diagnosen  sind  sämmtlich  von  mir  entworfen, 
diejenigen  der  Arten  ausschliesslich  nach  Ostseeexem- 
plaren. 

Der  vorliegenden  Skizze  hoffe  ich  in  nicht  zu  langer 
Frist  solche  über  die  Gasterosteidae,  die  Cottus-Arten  und 
die  Pleuronectidae  folgen  zu  lassen. 

Oldenburg  i.  Gr.,  d.  15.  Februar  1880. 


Ordnung :  Acanthopteri. 

Fam.  Gobiida  e,  Meergrundel. 

Körper  langgestreckt,  niedrig.  Zähne  klein.  Subor- 
bitalring nicht  mit  dem  Praeoperculum  articulirend.  Zwei 
mehr  oder  weniger  getrennte  oder  vereinigte 
Rückenflossen;  die  erste,  aus  weichen,  biegsamen 
Stacheln  bestehend,  ist  stets  kürzer  als  die 
zweite,  welche  aus  getheilten  Strahlen  besteht. 
Afterflosse  in  Grösse  und  Stellung  der  II.  Dors.  ent- 
sprechend. Ventral  flösse  brustständig;  Vs-    App.  pyl. 


Die  Gobiidae  und  Syngnathidae  der  Ostsee.  303 

fehlen.  —  KiemeiKiffnung  eng.  Schwimmblase  rudimentär 
oder  fehlend.  Bewohner  der  flachen  Strandregionen,  seltener 
am  Boden  des  Meeres;  einzelne  Arten  gehen  in's  SUsswasser. 

Gattung  Gobius  L. 

2  völlig  getrennte  Rückenflossen.  Bauchfl.  zu 
einem  tutenförmigen,  frei  beweglichen  Saugorgan 
verwachsen.  Körper  beschuppt.  (Ctenoid-u.Cycloidschup- 
pen.)  Die  kleinen  konischen  Zähne  sind  unbeweglich  und 
stehen  oben  in  mehreren  Reihen  hintereinander.  —  An 
allen  Küsten  der  gemässigten  und  tropischen  Meere,  [ca. 
160  Arten,  davon  28  in  europäischen  Meeren,  4  in  der  Nord- 
see, 3  in  der  Ostsee.] 

Die  Abgrenzung  der  einzelnen  Arten,  selbst  der  ge- 
meinsten und  häufigsten  dieser  formenreichen  Gattung  ist 
mit  grossen  Schwierigkeiten  verknüpft.  Dies  hat  zwei  Ur- 
sachen. Einmal  ist  die  Verwandtschaft  vieler  Species  eine 
sehr  enge,  die  Variation  innerhalb  einzelner  Arten  und  die 
Formverschiedenheit  nach  dem  Alter  sehr  bedeutend.  Zwei- 
tens hat  die  hohe  Entwicklung  secundärer  Geschlechts- 
charaktere, vorzüglich  in  der  Farbe,  Anlass  gegeben, 
Männchen  und  Weibchen  häufig  als  verschiedene  Arten  zu 
beschreiben.  Dadurch  ist  die  Synonymik  in  dieser  Gat- 
tung kaum  zu  bewältigen.  Aus  den  3  in  der  Ostsee  vor- 
kommenden Arten  sind  von  verschiedenen  Autoren  minde- 
stens 12  gemacht.  Selbst  Günther  kann  hier  nicht 
maassgebend  sein;  auch  er  beschreibt  wie  zahlreiche 
Autoren  seit  Linne  das  Männchen  von  Gobius  niger  L.  als 
Gobius  jozo. 

Die  Schwierigkeiten,  welche  unsere  Gobius- Arten  dem 
Systematiker  bereiten,  sind  leicht  begreiflich.  Sämmtliche 
drei  Ostseespecies  sind  kleine,  in  sehr  grosser  Individuen- 
zahl vorkommende  Thiere;  die  Wahrscheinlichkeit  indivi- 
duelle Abweichungen,  Monstrositäten  und  sog.  Uebergangs- 
formen  aufzufinden  ist  daher  sehr  gross  und  Autoren,  die 
nach  altem  Brauch  nur  wenige  Exemplare  untersuchen, 
werden  selten  in  ihren  Beschreibungen  übereinstimmen.  Wie 
weiter  unten  gezeigt  werden  soll,  wird  auch  hier  nur  die 


304  Friedrich   Heincke: 

rationelle  Vergleichung  Tausender  von  Individuen  Klarheit 
bringen. 

Die  Wahrheit  dieser  Behauptung  hat  mir  unter  an- 
dern die  genauere  Untersuchung  des  Gobius  Ruthensparri, 
der  gemeinsten  Art  der  Kieler  Bucht,  gezeigt.  Einer  der 
wichtigsten  Charaktere  der  genannten  Species,  die  Zahl  7 
der  Strahlen  in  der  ersten  Rückenflosse,  ist  so  variabel, 
dass  unter  208  Individuen  11  abweichen.  Davon  hatten 
acht  Individuen  8  Strahlen,  drei  Individuen  6  Strahlen  in 
der  ersten  Dors.  Was  die  jugendlichen  Gobii  bis  zur  Grösse 
von  0.02  m  anbetrifft,  so  ist  es  mir  bis  jetzt  nicht  mög- 
lich gewesen,  ihre  Zugehörigkeit  zu .  einer  der  3  Arten 
anders  als  durch  Vermuthung  zu  erschliesseu.  Der  Grund 
ist  der,  dass  die  Zahl  der  Rückenflossen- und  After- 
flossenstrahlen bei  ganz  kleinen  Thieren  allgemein 
geringer  ist,  als  bei  den  Erwachsenen,  so  dass  beispiels- 
weise ein  junger  G.  Ruthensparri  in  der  ersten  Dors.  zuerst  5, 
dann  6  Strahlen  besitzt  und  darin  den  beiden  andern  Species 
gleicht,  während  der  charakteristische  7.  Strahl  sich  erst 
später  entwickelt. 

Neuerdings  hat  Winther  (Om  de  Danske  Fiske  af 
Slaegten  Gobius.  Naturhist.  Tidsskrift  3  R.  9  B.  1874) 
gemeint  in  der  Ausdehnung  der  Beschuppung,  besonders 
derjenigen  des  Rückens  und  Kopfes,  constante  Artmerkmale 
für  die  dänischen  Gobius-Sp^cies  zu  finden.  Ich  muss 
leider  diesen  Versuch  des  sorgfältigen  dänischen  Ichthyo- 
logen als  missgiückt  bezeichnen.  Eine  genaue  Untersuchung 
verschiedener  Altersstufen  einer  und  derselben  Art  z.  B. 
Gobius  niger,  belehrt  uns  sofort,  dass  die  Beschuppung 
bei  allen  jugendlichen  Individuen  eine  viel  geringere  Aus- 
dehnung hat  als  bei  Erwachsenen.  Gob.  niger  soll  sich 
nach  Winther  von  den  übrigen  einheimischen  Arten  wesent- 
lich dadurch  unterscheiden,  dass  der  obere-  Theil  des  Kopfes 
hinter  den  Augen  und  der  Nacken  beschuppt  ist.  Allein 
bei  einem  Gob.  niger  von  0.021  m  Totall.  sind  Kopf  und 
Nacken,  sowie  eine  schmale  Zone  längst  der  ersten  Dors. 
noch  völlig  schuppenlos;  ebenso  ist  der  Bauch  zwischen 
Bauchflosse  und  After  völlig  nackt.  Die  Beschuppung 
rückt  nur  ganz  allmählich  vor  und  erst  Individuen  von  ca. 


Die  Gobiidae  und  Syngnathidae  der  Ostsee.  305 

0.065 — 0.07  m  Totall.  gleichen  den  Erwacbsenen,  die  Jüngern 
würden  nach  Winther,  wenn  man  nur  die  Beschuppung 
berücksichtigen  wollte,  zuerst  zu  G.  minutus  var.  minor, 
dann  zu  Ruthensparri,  dann  zu  minutus  var.  major  gehören. 
Im  Uebrigcn  ist  auch  bei  Erwachsenen  die  Ausdehnung 
des  Schuppenkleides  sehr  variabel;  so  gleichen  beispiels- 
weise ca.  20  von  200  G.  Ruthensparri  in  der  Beschuppung 
zwischen  Bauchflosse  und  After  nicht  der  von  Wint  her  ge- 
gebenen Beschreibung  dieser  Art,  sondern  eher  dem  G.  niger. 
Die  secundären  Geschlechtscharaktere  der  männlichen 
Augehörigen  unserer  3  Arten  und,  wie  es  scheint,  auch 
der  übrigen  Species  der  Gattung  Gobius,  zeigen  viel  Ueber- 
einstimmendes.     Sie  sind  dreierlei  Art: 

1.  Verlängerungen  einzelner  Flossenstrahlen. 
Sie  betreffen  vorzugsweise  die  ersten  Strahlen  der  ersten 
Dors.,  die  letzten  der  zweiten  Dors.  und  der  Anale  und 
die  mittleren  der  Ventr. 

2.  Anhäufung  von  schwarzem  Pigment  vor- 
züglich in  der  After-  und  Bauchflosse,  in  geringerem 
Grade  in  den  Rückenflossen. 

3.  Auftreten  von  Augenflecken  und  farbigen 
Bändern,  besonders  an  der  Rückenflosse  und  den  Seiten 
des  Körpers. 

Die  secundären  Geschlechtscharaktere  sind,  nach 
Untersuchung  vieler  Hunderte  von  Individuen,  im  Allge- 
meinen um  so  bedeutender  entwickelt,  je  grösser,  also 
wahrscheinlich  auch  je  älter  das  Thier  ist.  Bei  jungen, 
noch  nicht  fortpflauzungsfähigen  Individuen  fehlen  sie  ganz. 
Von  Interesse  ist  ferner  die  Thatsache,  dass  die  das  Männ- 
chen auszeichnenden  Eigenthümlichkeiten  ausserordentlich 
variabel  sind  und  gelegentlich  auch  bei  grössern  Weib- 
chen auftreten,  namentlich  die  dunkleren  Färbungen.  So 
findet  man  Pärchen  von  Gobius  niger,  bei  denen  sowohl 
Weibchen  wie  Männchen  neben  einer  bedeutenderen  Körper- 
grösse  eine  intensiv  blauschwarze  Färbung  besitzen.  Solche 
Thiere  haben  zweifelsohne  zur  Aufstellung  der  Art  Gobius 
jozo  Veranlassung  gegeben.  Die  secundären  Geschlechts- 
charaktere in  der  Farbe  sind  endlich,  ebenso  wie  die  son- 
stige Färbung  des  Thieres,  nur  in  etwas  geringerem  Grade, 

Archiv  für  Naturg.  XXXXVI.  Jahrß.    I.  ]3d.  20 


306  Friedrich    Heincke: 

momentanem  Weclisel  unterworfen,  ja,  sie  können  zeitweilig 
ganz  verschwinden,  zumal  wenn  man  in  der  Laichzeit  ge- 
fangene Männchen  in  einem  dem  vollen  Tageslichte  aus- 
gesetzten Gefässe  ohne  Versteckplätze  längere  Zeit  verweilen 
lässt.  Ausser  der  Laichzeit  sind  die  Farben  regelmässig 
blasser,  als  während  derselben. 

Der  Farbenwechsel  ist*bei  unseren  Gobii  ein  sehr 
lebhafter  und  entspricht  der  Mannigfaltigkeit  in  der  Fär- 
bung des  Bodens  und  der  Vegetation  an  ihren  Aufenthalts- 
orten. Alle  3  Arten  sind  scheue,  sich  beständig  im  Gewirr 
der  lebenden  oder  todten  Pflanzen  versteckende  und  durch 
ihre  sympathische  Färbung  trefflich  geschützte  Thierchen. 

Der  erste  Autor,  welcher  auf  die  secundären  Ge- 
schlechtscharaktere und  die  Variabilität  der  Färbung  auf- 
merksam gemacht  hat,  ist  der  durch  seine  Gewissenhaftig- 
keit und  Sorgfalt  bewundernswerthe  Kroyer.  Neuerdings 
hat  A.  W.  Malm  (Om  Svenska  Gobiider)  versucht,  die 
beiden  Geschlechter  der  einzelnen  Arten  richtig  zu  erkennen. 

Die  Resultate  seiner  Studien  im  Verein  mit  meinen 
theils  bestätigenden,  theils  ergänzenden  Erfahrungen  wer- 
den wohl  genügen  wenigstens  für  die  Ostsee  Klarheit  zu 
schaffen.  Vielleicht  geben  sie  auch  andern  Ichthyologen, 
deren  Studien  sich  über  ein  grösseres  Gebiet  ausdehnen, 
Gelegenheit,  die  grosse  Zahl  der  von  Günther  in  seinem 
Catalog  aufgeführten  Arten  auf  secundäre  Geschlechts- 
charaktere hin  zu  prüfen;  gewiss  wird  man  noch  einen 
guten  Theil  jener  Arten  einziehen  müssen.  Stein  dachner 
hat  neuerdings  einen  anerkennenswerthen  Anfang  hierzu 
gemacht  (cf.  unten). 

Gobi  US  niger   L. 

Artdiagnose:  Long.  max.  0.145  m.  Kopf  dick  und 
stumpf.  Schuppen  gross,  ca.  11 — 12  Reihen  zwischen  der 
IL  Dors.  und  Anale;  Lin.  lat.  c.  40.  Die  beiden 
Rückenflossen  mit  ihrer  Basis  fast  oder  völlig 
aneinanderstossend;  die  I.  mit  6,  die  II.  mit  12—14 
Str.  Afterflosse  mit  11—13  Str.  Die  letzten  Strahlen 
der  niedergelegten  IL  Rücken-  und  Afterflosse  reichen  beim 


Die  Gohiidae  und  Syiip^natliidae  der  Ostsee.  307 

erwachsenen    Thier    bis    zur    Wurzel    der    Schwanzflosse 
oder  weiter.  » 

Secund.  Geschlechtscharakt.  des  J".  Die  vor- 
dersten Strahlen  der  I.  Dors.  (nicht  selten  über  die  Binde- 
haut hinaus  verlängert)  und  die  letzten  der  II.  Dors.  und 
Anal,  sind  länger  als  beim  $ .  Der  ganze  Körper  und  alle 
Flossen  sind  dunkler.     (Genitalpa])ille  länger  und  spitzer.) 

Litteratur  und  Synonymik. 

Günther,  Cat.  III  p.  11  Gobius  niger  L. 

p.  12  Gobius  jozo  L. 
1624  Schonevelde,  p.  36  Gobius  niger,  Küeling,  Meergob. 

1783  Bloch,  Ö.  N.  D.  IL  p.  5.  Tf.  38  Fig.  2,  3,  4  Gobius 
niger  L.'). 

1784  Bloch,  ibid.  III.  p.  168  Tf.  107  Fig.  3.  Gobius  jozo  Bl. 
1794  Siemssen,  F.  Meckl.  p.  29.  Gobius  Jozo  L. 

1832  Niisson,  Prodr.  p.  93.  Gobius  niger  L. 

1835  Eckström,  Morkö,  p.  255.  Gobius  niger  L. 

1837  Cuv.  u.  Val.    12  p.    9    ff.    (über  d.  Nestbau  p.    7  f.) 

Gobius  niger  ^). 
1838—40  Kroyer,  I  p.  382  m.  Abb.  Gobius  niger  Schon. 

1839  Fries,  Gattg.  Gobius  p.  236.  Gobius  niger  L. 

1840  Fries  u.  Eckström,  p.  157,  PL  36.  Gobius  niger  L. 

1841  Yarrel,  IL  Ed.  L  p.  281  m.  Abb.  Gobius  niger  L. 
1855  Niisson,  Sk.  F.  IV.  p.  219.  Gobius  niger  L. 

1859  BoU,  Fische  Meckl.  p.  144.  Gobius  niger  und  Go- 
bius jozo. 

1863  Malmgren,  Finlands  F.  p.  16.  Gobius  niger  L. 

1867  Lind  ström,  Gotlauds  F.  p.  31.  Gobius  niger  L. 

1871  Holland,  Wirbelth.  Pommerns,  p.  109.  Gobius  niger 
und  Gobius  jozo. 

1874  Winther,  Danske  Gobiid.  p.  224.  Gobius  niger  Kr. 

1875  Wittmack,  Fischereistatistik  p.  20.  Gobius  niger 
Schon. 

1877  V.  Seidlitz,  Faun.  Balt.,  p.  121.  Gobius  niger. 

1)  Die  Stellung  der    I.   Dorsale    zur  II.  ist  falsch    dargestellt. 

2)  Strahlenzahl  in  der  Pect,  ist  irrthümlich  auf  22 — 23  statt 
17 — 19  angegeben. 


308  Friedrich  Heiricke: 

1877  Winther,  Danske  Gobiid.  Forts,  p.  54.  G.  niger  Schon. 
1879  Lenz,  Fische  der  Travemünder  Bucht,  Gobius  niger 

Schonev. 

Volksnamen:     Kiel:  Kül,  Kuulbors,  Kueling. 

Travemünde:  swatten  Kühling. 
Dan.:  Smörbutting,  Kutling. 
Schwed. :  Smörbult. 

Kritik  und  Varietäten:  Ich  habe  nur  ungefähr 
50  Ostsee-Exemplare  von  0.06—0.145  m  Totallänge  genauer 
verglichen.  Die  Strahlenzahl  6  in  der  ersten  Dors.  ist  constant; 
nur  bei  einem  Individuum  war  der  4.  Strahl  ziemlich  tief 
gespalten.  Die  Strahlenzahl  in  den  übrigen  Flossen  variirt, 
wie  in  der  Diagnose  angegeben  ist.  Valenciennes  giebt 
für  die  zweite  Dors.  die  Zahl  15  an,  Yarrel  sogar  17  (?). 
Die  Altersunterschiede  in  der  Ausdehnung  der  Beschup- 
pung habe  ich  schon  erwähnt.  Sehr  variabel  ist  auch 
der  Abstand  der  Augen  von  einander. 

Wird  in  der  Nordsee  n.  Fries  u.  Eckström  bis 
0.160  m,  in  den  Schären  bei  Stockholm  n.  Eck  ström 
höchstens  0.09  m  lang. 

Aufenthaltsort  und  Lebensweise:  Häufig  in 
der  Kieler  Bucht  und  den  angrenzenden  Theilen  der 
westlichen  Ostsee.  Er  bewohnt  die  Kegionen  des  grünen 
und  todten  Seegrases  und  Blasentangs.  Im  Herbst  scheint 
er  sich,  wie  auch  Eckström  und  Kroyer  angeben,  in 
grössere  Tiefen  zurückzuziehen,  nach  Winther  16  bis  20 
m  tief.  Seine  Bewegungen  sind  nach  Beobachtungen  im 
Aquarium  langsam  und  träge,  gewöhnlich  ruht  er  am 
Boden  zwischen  Pflanzen. 

Interessant  ist,  dass  unser  Thier  auch  im  Brackwasser 
der  Schley  vorkommt.  Ich  erhielt  im  März  1876  Exem- 
plare aus  Missunde. 

Fortpflanzung:  Die  Laichzeit  fällt  in  die  Monate 
Mai— Juli,  wahrscheinlich  auch  noch  August.  Fries,  Eck- 
ström, Kroyer,  Yarrel,  Winther  geben  dieselbe  Zeit 
an.  Ueber  die  Art  des  Laichgeschäftes  sind  Irrthümer 
verbreitet.  Cuvier  u.  Valenciennes  erwähnen  nämlich 
einer  Beobachtung  Olivi's,  wonach  das  Männchen  von 
Gobius  niger  zwischen  Algen  ein  Nest  von  Blättern  für  die 


Die  Gobiidae  und  Syiignathidao  der  Ostsee.  309 

Eier  bauen  und  bewachen  soll.  Von  Seiten  anderer  Autoren 
ist  jedoch  nie  ein  wirkliches  Nest,  so  wie  es  etwa  der 
Seestichling  baut,  beobachtet  worden.  Nach  meinen  eignen 
Erfahrungen  sind  die  Eier  birnförmig  mit  kurzen  Stilen 
am  stumpfen  Ende.  Mittelst  dieser  kleben  die  Eier  grup- 
penweise an  Tang,  Steinen  und  Holz.  Prof.  Mensen  in 
Kiel  sah,  wie  ein  Weibchen  im  Aquarium  seine  Eier  mit- 
telst der  als  Legeröhre  fungirenden  Genitalpapille  an  die 
Glaswände  klebte  und  eifrig  bewachte. 

Wahrscheinlich  laicht  G.  niger  auch  in  der  Schley. 
Wenigstens  erhielt  ich  im  Juni  Brut  bis  0.02  m  Länge, 
mit  6  Strahlen  in  der  L  Dors.,  11—13  in  der  IL  Dors. 
und  der  Anale,  welche  kaum  anders  als  auf  Gob.  niger 
bezogen  werden  kann.  In  der  Kieler  Bucht  tritt  Gobius- 
Brut  in  den  Monaten  Juli  und  August  massenhaft  auf  und 
zwar  an  der  Oberfläche  des  Wassers;  sie  gehört  ohne 
Zweifel  hauptsächlich  dieser  und  der  folgenden  Species 
G.  Ruthensparri  an.  Halbwüchsige  Exemplare  von  G. 
niger  wurden  häufig  von  September  bis  März  in  der  See- 
grasregion mit  dem  Schleppnetz  gefangen.  Die  Flossen- 
strahlen sind  bei  ihnen  kürzer,  als  bei  Erwachsenen. 

Biocönose:^)  Gobius  niger  und  noch  mehr  die  nach- 
folgenden beiden  kleineren  Species  sind  von  hervorragender 
Bedeutung  im  Thierleben  der  Kieler  Bucht  und  auch  wohl 
der  übrigen  Ostsee.  Es  sind  sämmtlich  fleischfressende  Thiere 
und  ihre  Nahrung  besteht  hauptsächlich  in  Würmern,  kleinen 
Gasteropoden  und  Crustaceen.  Erstere  zerren  sie  aus  ihren 
Verstecken  hervor  und  verschlingen  sie  stückweise,  wie 
Herr  Präparator  Zietz  im  Aquarium  beobachtete.  Ihre 
Gefrässigkeit  scheint  sehr  gross,  was  auch  andere  Autoren 
erwähnen.  Sie  selbst  dienen  wieder  zahlreichen  grösseren 
Fischen  als  Hauptnahrung,  besonders  den  Cottus-Arten, 
den  Dorschen  und  Hornfischen,  sind  also  für  die  Fischerei 
höchst  nützliche  Thiere.  Fast  noch  mehr,  als  von  den 
Erwachsenen,  gilt  dies  von  der  Brut  während  des  Sommers. 


1)  =  Lebensgemeinde.  Ein  von  Möbius  eingeführter  Ausdruck 
für  die  mannigfaltigen  Wechselbeziehungen  der  Organismen  eines 
Verbreitungskreises. 


310  Friedrich  Heiuck e: 

Sie  bildet  neben  Copepoden  die  Haiiptspeise  der  jungen, 
um  diese  Zeit  noch  an  der  Oberfläche  lebenden  Plattfische 
und  Hornhechte,  auch  wohl  der  Heringe  und  Sprotten. 

Verbreitung  in  der  Ostsee:  Häufig  im  westlichen 
und  östlichen  Theil,  in  letzterem  allmählich  seltener  wer- 
dend; nördlich  von  den  Alands-Inseln  und  in  den  innersten 
Theilen  des  finnischen  Meerbusens  wohl  nur  noch  spärlich. 
Im  Brackwasser  der  Schley. 

Verbreitung  ausserhalb  der  Ostsee:  G.  niger 
ist  besonders  nach  Süden  verbreitet.  Zwar  noch  häufig  an 
der  Küste  Norwegens  (nach  Coli  et  bis  64^  n.  Br.)  scheint 
er  weiter  nördlich  nicht  mehr  vorzukommen.  Von  Faber 
wird  er  unter  den  Fischen  Islands  nicht  angeführt,  ebenso- 
wenig von  Malmgren  in  seinem  Bidrag  til  Finmarkens 
Fiskfauna  1867.  Auch  an  den  brittischen  Küsten  des  Oceans 
scheint  er  sehr  selten.  Dagegen  ist  er  gemein  an  den  Küsten 
Frankreichs,  Spaniens,  im  Mittelmeer  und  in  der  Nordsee. 
Was  als  Gobius  j,ozo  beschrieben  wurde,  ist  wie  schon 
erwähnt,  unzweifelhaft  nur  eine  mediterrane  Localform  von 
dunklerer  Färbung  und  besonders  verlängerten  Strahlen 
der  I.  Dors.  beim  J". 

Gobius  Ruthensparri  Euphr. 
Tafel  XVI.  Fig.  5. 

Artdiagnose:  Long.  max.  0.045  m.  Kopf  dick  und 
stumpf.  Schuppen  gross,  ca.  11  Reihen  zwischen  der  II. 
Dors.  und  Anale.  Liu.  lat.  ca.  40.  Die  beiden  Rücken- 
flossen getrennt;  die  I.  mit  7  (6 — 8),  die  IL  mit 
11  —  12  Strahlen.  Afterflosse  mit  11  Strahlen.  Die 
letzten  Strahlen  der  niedergelegten  IL  Rücken-  und  After- 
flosse reichen  nicht  bis  zur  Wurzel  der  Schwanzflosse. 
(Ein  schwarzer  Fleck  an  der  Basis  der  Schwanzflosse.) 

Secundäre  Geschlechtscharakt.  des  cf-  Jeder- 
seits  ein  schwarzer  Brustfleck.  Analemit  schwarzem  Aufluge. 

Litteratur  und  Synonymik. 
Günther,  Cat.  III.  p.  70.  Gobius  ruthensparri. 

1786  Euphrasen,  Nya  Handl.  Stockh.  p.  64.  t.  3,  f.  1. 
1832  Nilsson,  Prodr.  p.  94.  G.  minutus  Fall. 


Die  Gobiidae  uud  Syngnathidae  der  Ostsee.  311 

1837  Cuv.  u.  Val.  12  p.  48.  G.  Kuthcusparri  Eiiplir. 

1838—40  Kroycr,  I.  p.  399  m.  Abb.  G.  Ruthcnsparri  Euplir. 

1839  Fries,  Gattg*.  Gobiiis  p.  237.  G.  Rutbeusparri  Eupb. 

1841  Yarrel,  II  Ed.  I  p.  285  m.  Abb.  G.  Kutbensparri 
Cuv.  u.  Val. 

1855  Nilsson,  Sk.  F.  IV  p.  226.  G.  Rutbensparri  Eupbi- 

1867  Lindström,  Gotlands  Fiskf.  Nr.  15.  p.  31.  G.  Ru- 
tbensparri. 

1874  Wintber,  Danske  Gobiid.  p.  221.  G.  Rutbensparri 
Eupbr. 

1875  Wittmack,  Fiscbereistatistik  p.  21.  G.  Rutbensparri 
Eupbr. 

1877  Wintber,  Danske  Gobiid.    Forts,  p.  55.  G.  Rutben- 
sparri Eupbr. 
1879  Lenz,  Fiscbe  der  Travemünder  Buebt.  G.  Rutbensparri 
Eupbr. 

Volksnamen:  Kiel:  Kuel,  Kueling.  Neustadt 
und  Trave münde:  Snappkueling  (weil  das  aus  dem 
Wasser  gezogene  Tbier  lebbaft  scbnappt).  Norwegische 
Küsten  (n.  Fries):  Aat. 

Kritik  und  Varietäten :  Keine  unserer  Gobius- 
Arten  ist  so  leicbt  erkennbar,  wie  G.  Rutbensparri.  Der 
scbwarze,  mit  Gelb  umrabmte  Scbwanzfleck  ist  höcbst 
cbarakteristiscb,  obwobl  er  zuweilen  ganz  verblasst  sein 
kann  und  bei  balbwücbsigen  Exemplaren  von  0.02— 0.025  m 
Länge  fast  immer  nur  schwacb  entwickelt  ist.  Nicht  min- 
der bezeichnend  ist  der  schwarze  Brustfleck  des  Männchens 
sowie  eine  Reihe  grünschillernder  Flecke  längs  der  Seiten- 
linie. Die  beiden  Rückenflossen  sind  mit  farbigen,  schil- 
lernden Längsbändern  geziert,  welche  besonders  beim  cT 
in  der  Laichzeit  eine  prächtige  Zierde  bilden.  Ueberhaupt 
ist  das  männliche  Tbier  zur  Zeit  der  geschlechtlichen  Er- 
regung ein  prachtvolles  Geschöpf.  Die  Farben  sind  im 
übrigen  einem  beständigen,  höchst  lebhaften  Wechsel 
unterworfen ;  als  recht  bezeichnend  für  die  Art  treten  dabei 
sehr  häuflg  fünf  sattelförmige,  von  einem  mattschimmern- 
den  Pigment  gebildete  Flecke  auf  dem  Rücken  auf. 

In  der  Nordsee  wird  G.  Rutbensparri  grösser,  als  in 
der  Ostsee,  n.  Yarrel  bis  0.054  m. 


312  Friedrich  lleincke  : 

Aufenthaltsort  und  Lebensweise:  Sehr  gemein 
in  der  Kieler  Bucht  und  den  angrenzenden  Meerestheilen 
ist  dieses  Fischchen  wohl  einer  der  am  meisten  charakteri- 
stischen Bewohner  der  Seegrasregion,  wo  er  das  ganze 
Jahr  hindurch  angetroffen  wird.  Nach  Winther  geht  er 
im  Sund  14 — 16  m  tief.  Seine  Bewegungen  sind  unruhig 
und  lebhaft,  mit  den  verwachsenen  Bauchflossen  kann  er 
sich  selbst  an  den  senkrechten  Wänden  des  Aquariums 
festhalten,  indem  er  beständig  die  dunkelsten  und  am 
meisten  geschützten  Stellen  aufsucht.  —  In's  Brackwasser 
geht  er  nicht;  in  süsses  Wasser  gesetzt  stirbt  er  bald. 

•  Fortpflanzung:  Die  Hauptlaichzeit  fällt  in  die 
Monate  Mai  und  Juni;  sie  beginnt,  wenn  die  jungen  Triebe 
des  Seegrases  eine  ansehnliche  Höhe  erreicht  haben  und 
die  ersten  Blüthen  ansetzen.  Die  Eier  sind  klein  und 
werden  in  Häufchen  mittelst  kleiner  Stiele  an  Pfähle, 
Brücken,  Bojen  und  wahrscheinlich  auch  Seegras  geklebt. 
Im  Juli  tritt  die  O.Ol — 0.02  m  lange  Brut  massenhaft  auf. 
(cf.  Gobius  niger.) 

Biocönose:  Noch  wichtiger,  als  G.  niger  wegen 
der  grossen  Individuenzahl.  Die  Nahrung  besteht  aus 
kleineren  Thieren,  vor  allen  auch  Copepoden. 

Fang  und  ökon.  Werth:  Massenhaft  mit  den  Krab- 
bennetzen und  dem  Schleppnetz  zu  fangen,  seltener  im 
Beutel  der  Herings wade.  Verwerthung  findet  er  seiner 
Kleinheit  wegen  nicht,  obwohl  das  Fleisch  zart  und  wohl- 
schmeckend ist. 

Verbreitung  in  der  Ostsee:  Bis  jetzt  nur  im 
westlichen  Theil  der  Ostsee  und  bei  Gotland,  stets  nur 
im  Salzwasser  beobachtet;  die  äusserste  östliche  Grenze  ist 
noch  unbestimmt. 

Verbreitung  ausserhalb  der  Ostsee:  Rn  Kattegat, 
Skagerrak  und  an  der  Südwestküste  Norwegens,  besonders 
um  Bergen  gemein  (nördlichste  Grenzenach  Kroyer  63»  n. 
Br.,nach  Collet  64  n.Br.),  desgleichen  an  den  Nordseeküsten 
Englands  und  Schottlands,  in  der  irischen  See,  im  Canal. 
Die  Südgrenze  scheint  an  der  Westküste  Frankreichs  der 
49^  n.  Br.  zu  sein.  Somit  auf  einen  engern  Kreis  be- 
schränkt, als  Gobius  niger  und  Gobius  minutus.    —  Seine 


Die  Gobiidae  und   Syngnathidae    der  Ostsee.  313 

niichsten  Verwandten  (wenn  man  Arten  mit  8 — 9  Strahlen 
in  der  ersten  Dors.  so  nennen  kann)  finden  sieb  nach  G  tt  n- 
ther  in  den  japanesischen  und  malayischen  Gewässern. 

Gobius  minutus  L.  var.  major  Hnck. 

Artdiagnose:  Long.  niax.  0.076  m.  Kopf  niedrig 
und  zugespitzt.  Schuppen  klein,  ca.  15  Reihen  zwischen 
der  IL  Dors.  und  Anale.  Lin.  lat.  ca.  60.  Die  beiden 
Rückenflossen  getrennt;  die  L  mit  6,  die  IL  mit 
11 — 12  Strahlen.    Afterflosse  mit  12  Strahlen. 

Secundäre  Geschlechtschar,  des  J",  Die  letzten 
Strahlen  der  IL  Dors.  und  Anale,  sowie  die  mittleren  der 
Ventr.  verlängert.  Alle  Flossen  dunkler  (mit  Ausnahme 
der  Caud.);  in  der  Anale  vorzugsweise  der  untere  Rand 
schwärzlich.  Ein  Augenfleck  zwischen  dem  5.  und  6. 
Strahl  der  I.  Dors. 

Litteratur   und  Synonymik: 

Günther,  Cat.  III.  p.  58.  Gobius  minutus. 

p.  57.  Gobius  Eckströmii  Gthr. 

1624  Schonevelde,  p.  36.  Gobii  albi,  weisse  Kueling. 

1832  Nilsson,  Prodr.  p.  94.  Gobius  minutus  Pall. 

1835  Eckström,  Morköp.  260.  Gobius  minutus  Pall.  (Eck- 
strömii Gthr.) 

1837  Cuv.  u.  Val.,  12.  p.  39.  Gobius  minutus  Penn. 

1838—40  Kroyer,  Lp.  407  mit  Abb.  Gobius  minutus  Penn. 

1839  Fries,  Gattg.  Gobius  p.  237.  Gobius  minutus  Gm. 
u.  p.  239  Gobius  gracilis  Jen. 

1841  Yarrel,  II  Ed.   $   p.  288.  Gobius  mintus  Cuv.  u.Val. 

d^  p.  292.  Gobius  unipunctatus  Parn. 
p.  290.  Gobius  gracilis  Jenyns. 

1855  Nilsson,  Sk.  F.  IV.  p.  222.  Gobius  minutus. 

1863  Malmgren,  Finlands  F.  p.  17.   Gobius  minutus. 

1867  Lindström,  Gotlands  Fiskf.  Nr.  14  p.  31  Gob. 
minutus. 

1868  Steindachner,  Wiener  Sitzungsber.  57  p.  400. 
Gobius  minutus  und  Verwandte. 

1871  Holland,  Wirbelth.  Pommerns  p.  109.  Gobius  minutus. 


314  Friedrich  Heincke: 

1874  Wintber,  Danske  Gobiid.  p.  219.  G.  minutus. 

1875  Wittmack,  Fiscbereistatistik  p.  21.  G.  minutus  Penn. 
1877  V.  Seidlitz,  F.  ßalt.  Fiscbe  p.  121  Gobius  minutus 

L.  u.  Eckströmii    Gtbr. 
1877  Wi  n  tbe  r,  Danske  Gobiid.  Forts,  p.  54.  G.  minutus  Penn. 
1877  Hubrecht,  Gobius  Taalmankipii  n.  spec.  (</  v.  Go- 
bius minutus). 
1879  Lenz,  Fiscbe  der  Travemünder Bucht.  G.  minutus  Penn. 
Volksnamen:     Kiel:  Kuel,  Kueling;  witte  Kueling. 

Travemünde:  Sandkühling. 
Kritik  und  Varietäten:  Gobius  minutus  kommt 
ohne  Zweifel  in  sehr  zahlreichen  Localformen  vor.  Stein- 
dachner  (1.  c;)  hat  nachgewiesen,  dass  nicht  weniger  als 
7  Speciesbeschreibungen  [Gobius  minutus  L.  Gmel.  G.  uni- 
punctatus  Parn,,  G.  miilutus  Gthr.  (exl.  G.  quadimacu- 
latus  C.  V.),  G.  Eckströmii  Gthr.,  G.  elongatus  Canest., 
G.  minutus  Canest.,  G.  gracilis  Cabr.]  auf  unser  Thier  zu 
beziehen  sind.  Nach  Untersuchung  von  mehr  als  100 
Exemplaren,  gefangen  an  den  Küsten  der  iberischen  Halb- 
insel, variirt  die  Zahl  der  Strahlen  in  der  IL  Dors.  von 
9—13,  die  der  Anale  von  10 — 12.  Auch  die  Zahl  der  Längs- 
schuppenreihen ist,  vorzüglich  nach  dem  Alter,  sehr  variabel. 
Die  oben  für  die  Thiere  der  Kieler  Bucht  gegebene 
Diagnose  basirt  auf  die  Vergleichung  von  ca.  24  ausge- 
wachsenen Individuen.  Bei  der  grossen  Individuenzahl, 
in  welcher  diese  Art  bei  uns  vorkommt,  zweifle  ich  jedoch 
nicht,  dass  gleiche  und  noch  grössere  Variationen  als 
Steindachner  angiebt,  auch  in  der  Ostsee  anzutreffen 
sind.  Formen  mit  14 — 15  Str.  in  der  zweiten  Dors.,  wie 
sie  Eckström  als  G.  minutus,  Fries  und  Nilsson 
<11.  cc.)  als  G.  gracilis,  endlich  Günther  (1.  c.)  als  G. 
Eckströmii  beschreiben,  sind  daher  wohl  zweifellos  als 
extreme  Variationen  von  G.  minutus  aufzufassen,  zumal 
da  als  Grundlage  der  citirten  Beschreibungen  immer  nur 
einzelne  Exemplare  gedient  haben. 

Diese  ausserordentliche  Variabilität  ist  ein  Grund 
mehr  für  mich,  die  folgende,  vierte  Gobius-Art  der  Ostsee, 
den  G.  microps  Kroyer  als  eine  bereits  stärker  differen- 
zirte    Brackwasserform    von    G.   minutus    anzusehen   und 


Die  Gobiidae  uud  Öyiiguatbidae  der  Ostsee.  315 

als  G.  minutus  var.  iiiiuor  zu  bezeichnen.  —  Die  Maxinial- 
grösse  ist  je  nach  der  Oertlicbkeit  sehr  variabel;  in  der 
Nordsee  wird  unser  Tbier  bis  0.11  m  lang,  in  den 
Schären  der  östlichen  Ostsee  nach  Eckström  nur  O.OG  m. 

Die  Farbe  des  Gob.  minutus  var.  major  gleicht  in 
auffallender  Weise  hcllgefarbtem  Sandboden;  sie  ist  grau 
nielirt  mit  eingestreuten  rothen  Pünktchen;  häufig  ist  eine 
Reihe  schwärzlicher  Punkte  längs  der  Seitenlinie.  Zur 
Laichzeit  leuchtet  der  mit  Blau  umrahmte  Dorsalfleck  des 
^  wie  ein  kleiner  Edelstein;  dasselbe  gilt  in  geringerem 
Grade  von  der  schwärzlichen  Färbung  der  Anale. 

Aufenthaltsort  und  Lebensweise:  Obwohl  G. 
minutus  kaum  weniger  häufig  in  der  Kieler  Bucht  vor- 
kommt, als  Gob.  Ruthensparri,  so  differirt  er  in  seiner 
Lebensweise  doch  bedeutend  von  demselben.  Von  Mai  bis 
September,  in  den  Monaten,  wo  G.  Ruthensparri  am  häufigsten 
in  der  Seegrasregion  anzutreffen  ist,  fehlt  G.  minutus  dort 
völlig.  Sobald  aber  im  Herbst  der  Dorschfang  ergiebiger 
wird,  im  Oktober  und  November,  zeigen  sich  auch  gleich- 
zeitig grosse  Mengen  von  G.  minutus;  offenbar  werden  sie, 
wie  noch  obendrein  der  Mageninhalt  der  Dorsche  bekundet, 
durch  ihre  Todtfeinde  von  ihrem  eigentlichen  Aufenthalts- 
ort, den  flachen,  sandigen,  mit  Steinen  und  Fucus  bedeckten 
Strandregionen  der  äussern  Bucht,  fort  und  bis  in  die 
innersten  Winkel  des  Hafens  getrieben.  Dort  bleiben  sie 
bis  Ende  März,  aber  schon  Anfang  April  verschwinden  sie 
gleichzeitig  mit  den  Dorschschaaren  und  dem  Zuwachsen 
der  Seegraswiesen  fast  spurlos.  Ob  diese  Lebensweise 
auch  für  andere  Theile  der  Ostsee  gilt,  weiss  ich  nicht. 
Nach  Kroyer  hält  sich  Gob.  minutus  im  Kattegat  einen 
grossen  Theil  des  Sommers  hindurch  so  nahe  und  in  solcher 
Menge  am  Strande,  dass  man  ihn  mit  der  Hand  greifen 
kann.  Wahrscheinlich  ist  aber  der  Grund  an  solchen  Stel- 
len sandig  oder  steinig.  Unser  Thier  meidet  ohne  Zweifel 
das  Seegras  und  liebt  in  Uebereinstimmung  mit  seiner 
Färbung  und  im  Gegensatz  zu  Gob.  Ruthensparri  den  Sand- 
boden. NachWinther  hält  er  sich  ausser  der  Laichzeit  in 
Tiefen  von  6  bis  24  m. 

Valenciennes  (1.  c.)  berichtet  auf  die  Autorität  von 


316  Friedrich  Heincke: 

D'Orbigny  hin,  dass  G.  minutus  in  den  salzigen  Süm- 
pfen von  la  Rochelle  seine  Wohnung  in  einer  Schnecken - 
oder  Muschelschaale  habe,  von  dort  aus  radienartig  laufende 
Furchen  im  Sande  anlege  und  diese  gewissermassen  als 
Fallgruben  für  seine  Beute  benutze. 

Fortpflanzung:  Die  Laichzeit  tritt  in  der  Kieler 
Bucht  früher  ein,  als  bei  G.  niger  und  Ruthensparri.  Schon 
im  März,  wenn  die  Vegetation  der  Seegrasregion  nur  erst 
aus  wenigen  Algen  besteht,  findet  man  laichreife  Thiere; 
die  (^  prangen  dann  in  ihren  schönsten  Farben.  Bestimm- 
teres kann  ich  nicht  angeben.  Kroyer  giebt  als  Laichzeit 
April  und  Mai  an,  noch  im  Juli  fand  er  Exemplare  mit 
reifen  Eiern  und  Milch.  Er  vermuthet  zwei  Laichzeiten. 
Winther  nennt  Mitte  Juli. 

Biocönose:  Wie  bei  den  beiden  Vorigen.  Im  Win- 
ter ein  wichtiges  Nahrungsmittel  für  Dorsche  und  Cottus- 
Arten.     Auch   im  Heringsmagen   gelegentlich  gefunden. 

Fang  und  ökon.  Werth:  Im  Winter  mit  dem 
Schleppnetz  leicht  in  der  Seegrasregion  zu  fangen.  Von 
den  Heringsfischern  wird  er  um  dieselbe  Jahreszeit  oft  in 
ungeheurer  Menge,  meist  mit  jungen  Heringen  und  Sprotten, 
in  der  Wade  in  der  äusseren  und  inneren  Bucht  gefangen, 
jedoch  als  werthlos  fortgeworfen. 

Verbreitung  in  der  Ostsee:  Wahrscheinlich  am 
weitesten  von  allen  vier  Arten  nach  Osten  und  Nordosten 
verbreitet;  jedenfalls  noch  jenseits  des  60^  n.  Br.  In  der 
westlichen  Ostsee  im  Salzwasser  überall  häufig ;  desgleichen 
im  Kattegat;  nach  Kroyer  geht  er  auch  kleine  Strecken 
weit  in  die  Flussmündungen  (cf.  unten  var.  minor).  Ljm- 
§ord  (Valenc.  1.  c). 

Verbreitung  ausserhalb  der  Ostsee:  Im  Mittel- 
meer und  an  den  Küsten  Spaniens,  Frankreichs,  Belgiens 
u.  s.  w.  überall  gemein,  ebenso  an  den  Ost-  und  West- 
küsten Grossbrittanniens.  Geht  von  allen  Gobii  am  weite- 
sten nach  Norden  bis  zum  69^  n.  Br.  —  Auf  der  deutschen 
Nordseeexpedition  (cf.  Bericht  der  Commiss.  z.  Unters,  d. 
deutsch.  Meere  IL  u.  III.  Jahrg.  p.  315)  bei  Helgoland  in 
einer  Tiefe  von  10  bis  12  m  auf  sandigem,  mit  Steinen 
bedecktem  Grunde  gefangen. 


Die  Gobiidae  und  Syngnathidae  der  Ostsee.  317 

Gobius  minutus  L.  var  minor  Hnck. 

Artdiagnose:  Long.  max.  0.042  m.  Kopf  niedrig 
und  zugespitzt.  Schuppen  klein;  ca.  15  Reiben  zwischen 
der  IL  Dors.  und  Anale.  Lin.  lat.  ca.  60.  Die  beiden 
Rückenflossen  getrennt;  die  L  mit  6,  die  IL  mit 
9—10  Strahlen;  Afterflosse  mit  8—10  Strahlen. 

Secund.  Geschlechtsch.  des  ^.  Wie  bei  Gob. 
minutus  var.  major. 

Litteratur  und  Synonymik: 

1838—40  Kroyer,  I  p.  416.  G.  microps  Kr. 

1870  Malm,  Besk.  pä  trenya  etc.  p.  844.  Gobius  microps  Kr. 

p.  848.  G.  pictus  Malm. 
1874  Malm,  Om  Svenska  Gobiid.  etc.  p.  380.  G.  microps 

Kr.  u.  G.  pictus  Malm. 
1874  Win t her,  Danske  Gobiid.  p.  199.  G.  microps  Kr. 

p.  218.  G.  pictus  Malm. 
1879  Lenz,    Fische    der    ^ravemünder   Bucht.      Gobius 

microps  Kr. 

Kritik  und  Varietäten:  Die  einzigen  Unterschiede 
dieses  kleinen  Fisches,  der  Brackwasserform  des  vorigen, 
von  der  var.  major  sind  die  geringere  Zahl  von  Strahlen 
in  der  II.  Dors.  und  Anale,  sowie  die  verschiedene  Aus- 
dehnung der  Beschuppuug,  worauf  zuerst  Winther  auf- 
merksam machte.  Bei  der  var.  major  reicht  die  Beschup- 
pung auf  dem  Rücken,  wie  Winther  richtig  angiebt,  bis 
zur  Verbindungslinie  der  Kiemenspalten,  bei  der  var.  minor 
(G.  microps)  dagegen  wird  sie  nach  vorne  begrenzt  durch 
eine  schräg  von  dem  hintersten  Punkte  der  I.  Dors.  bis  zur 
Wurzel  der  Pect,  herablaufende  Linie.  Ferner  ist  bei 
minor  der  Bauch  zwischen  Ventr.  und  Afterflosse  gänzlich 
schuppenlos,  bei  major  nur  z^m  Theil.  Wahrscheinlich 
wird  auch  die  Zahl  der  Wirbel  bei  minor  geringer  sein, 
als  bei  major;  wenigstens  deutet  die  gedrungenere  Gestalt 
des  ersteren  darauf  hin. 

Beide  Formen  sind  durch  Uebergänge  verbunden. 
Ein  Exemplar  aus  der  Schlei  von  0.045  m  Länge  ((/"),  ge- 
schlechtsreif, hat   12  Strahlen    in    der  Anale   und  die  Be- 


318  Friedrich  Heincke  : 

scliuppuDg  reicht  bis  zum  Anfang  der  L  Dors.  Malm 
giebt  die  Zahl  der  Strahlen  in  der  II.  Dors.  auf  10—11 
an;  ich  finde  bei  Exemplaren  aus  der  Schlei  und  von 
Korsör  Ansätze  zur  Bildung  eines  11.  Strahls.  Stein- 
dachner  (1.  c.)  fand  9  Str.  in  der  IL  Dors.  bei  G.  minu- 
tus.  Die  Uebergänge  scheinen  selten  zu  sein,  doch  genügt 
die  Zahl  der  untersuchten  Exemplare  noch  nicht  zu  einem 
endgültigen  Urtheil. 

Alle  vorhandenen  Unterschiede*  sind  solche,  wie  sie 
allgemein  zwischen  jungem  und  älteren  Individuen  der 
Gobius-Arten  vorkommen.  Junge  Gobii  Ruthensparri  von 
0.020  m  Länge  haben  (cf.  oben)  erst  5  oder  6  Strahlen  in 
der  L  und  9 — 10  Strahlen  in  der  IL  Dors.  Junge  Gobii 
nigri  haben  eine  weit  unvollständigere  ^Beschuppung,  als 
ausgewachsene.  Somit  muss  Gob.  microps  als  eine, 
im  jugendlichen  Alter  geschlechtsreif  gewordene 
Abart  von  G.  minutus  aufgefasst  werden.  Als  Ur- 
sache dieser  Abändeining  ist  der  allmähliche  Eintritt  in 
veränderte  Lebensbedingungen  anzusehen,  der  Uebergang 
von  einem  rein  marinen  Aufenthalt  in  das  brackische  und 
fast  süsse  Wasser. 

Die  Färbung  der  var.  minor  ist  ganz  abgesehen  von 
sec.  Geschlechtscharakteren  ausserordentlich  wech- 
selnd. Die  senkrechten  Flossen  sind  bald  fast  ungefärbt, 
bald  mit  Querbändern  versehen,  welche  aus  Reihen  bräunlicher 
Punkte  bestehen.  Schw^arze  Streifen  und  Flecke  an  den 
Seiten  kommen  in  verschiedenster  Ausbildung  vor 
und  zwar  an  einer  und  derselben  Localität.  Die 
im  Salzwasser  (Kieler  Bucht;  Korsör)  zwischen  Seegras 
und  Algen  gefangenen  Exemplare  sind  bunter  gefärbt,  als  die 
auf  den  flachen,  sandigen  und  steinigen  Strandgründen  des 
brackischen  Dassower  Binnensees,  die  oft  ganz  blass  und 
durchscheinend  sind.  Gobius  pictus  Malm  soll  von  G. 
microps  wesentlich  durch  seine  Färbung,  unter  andern  durch 
5  sattelförmige  Rückenflecke  (ähnlich  wie  bei  Gobius  Ruthen- 
sparri) unterschieden  sein  und  Winther  hält  dies  allen 
Ernstes  für  ein  Artmerkmal.  Bei  Exemplaren  aus  Dassow 
finde  auch  ich  diese  Flecke  angedeutet.  Anderseits  fehlen 
sie  sehr  oft  bei  Gob.  Ruthensparri,  für  den  sie  sonst  höchst 


Die  Gobiidae  und  Synprnathidae  der  Ostsee.  319 

bezeichnend  sind  und  wenn  sie  vorhanden  sind  können  sie 
in  einer  Minute  gänzlich  verschwinden. 

Als  weiteres  Artmerkmal  des  G.  pictus  wird  von 
Winther  (1877)  eine  Reihe  von  fünf  dunklen  Seitenflecken 
des  Körpers  sowie  die  Eigenschaft  angegeben,  dass  die 
Schuppenbekleidung  weiter  reicht*  als  bei  Gob.  microps, 
nämlich  bis  unter  die  Mitte  der  ersten  Rückenflosse.  Die 
Beschreibung  und  Diagnose  des  G.  pictus  ist  von  Winther 
auf  4  Exemplare  gegründet.  Wollte  ich  mit  den  zahlreichen 
mir  vorliegenden  Individuen  des  G.  minutus  var.  minor, 
ebenso  verfahren  wie  Winther,  so  würde  ich  in  der  Lage 
sein,  5  bis  6  neue  Ostseespecies  der  Gattung  Gobius  auf- 
zustellen. 

Aufenthaltsort  und  Lebensweise:  G.  minutus 
var.  minor  findet  sich  in  der  westlichen  Ostsee  ausserordent- 
lich häufig,  theils  in  der  Seegrasregion  des  Meeres,  theils 
—  und  zwar  bei  weitem  zahlreicher  —  in  den  brackischen 
Buchten,  wo  var.  major  gar  nicht  oder  sehr  vereinzelt  und 
von  geringer  Grösse  vorkommt.  Er  ist  das  kleinste 
Wirbelthier  unserer  Meeresfauna  (der  nordeuro- 
päischen Thierwelt  überhaupt);  Thiere  von  nur 
0.028  m  Totallänge  können  schon  geschlechtsreif 
sein.  —  Seine  Bewegungen  sind  lebhaft;  er  sucht  bestän- 
dig Verstecke  auf.  Von  Salzwasser  in  süsses 
Wasser  gesetzt  erholt  er  sich  in  kurzer  Zeit  und 
lässt  sich  ebenso  wie  der  Stichling  lange  Zeit 
im  Süsswasseraquarium  halten.  Weder  sein  grösserer 
Verwandter  noch  die  andern  beiden  Gobius-Arten  ertragen, 
soweit  meine  Erfahrung  reicht,  diesen  plötzlichen  Wasser- 
wechsel. 

Fortpflanzung:  In  der  Schlei  und  im  Dassower 
See  fällt  die  Laichzeit  in  die  Monate  Mai  und  Juni.  Die 
dänischen  und  schwedischen  Autoren,  die,  wie  es  scheint, 
unser  Thierchen  nur  aus  dem  Salzwasser  kennen,  geben 
dieselbe  Zeit  an. 

Biocönose:  G.  minutus  var.  minor  ist  für  die  fisch- 
reichen brackischen  Buchten  der  Ostsee,  wenigstens  der 
westlichen,  von  hervorragender  Bedeutung  als  Fischnahrung. 
Er  selbst  verzehrt  wohl  hauptsächlich  Cyclops-  und  Daphnia- 


320  Friedrich  Heincke: 

Arten,  wahrscheinlich  auch  Larven  von  Schnecken  und 
Muscheln. 

Fang  und  ökonomischer  Werth  :  Wegen  seiner 
Kleinheit  nur  mit  einem  engmaschigen  Schleppnetz  oder 
dem  Krabbenketscher  zu  fangen.    Als  Speise  werthlos. 

Verbreitung  in  der  Ostsee:  Im  westlichen  Theil, 
wie  es  scheint,  allgemein  verbreitet.  Bei  seiner  Vorliebe 
für  Brackwasser  ist  zu  erwarten,  dass  er  auch  im  östlichen 
Theil,  vielleicht  weit  verbreitet,  vorkommt.  Winther  er- 
hielt ihn  von  Bornholm,  ich  von  Greifswald. 

Verbreitung  ausscS'rhalb  der  Ostsee:  Bis  jetzt 
nur  im  Ljmfjord,  Sund,  den  Belten,  dem  Kattegat  und  im 
Stavanger  Fjord  (59^  n.  Er.)  beobachtet.  Doch  lässt  sich 
vermuthen,  dass  er  auch  an  andern  Küstenpunkten  der 
Nordsee,  z.  B.  von  Deutschland  und  Holland  vorkommt. 
Ob  weiter  nach  Süden,  bleibt  ferneren  Untersuchungen  zur 
Entscheidung  vorbehalten;  vielleicht  haben  wir  auch  ein 
Thier  vor  uns,  das  fast  ausschliesslich  der  Ostsee  und 
ihren  Verbindungsstrassen  mit  der  Nordsee  angepasst  ist. 


Syngnathidae. 

Ordnung  Lophobranchii, 
Familie  Syngnathidae,  Seenadeln. 

Körper  langgestreckt  mit  einer,  von  ungetheilten  und 
ungegliederten,  weichen  Strahlen  gestützten  Kücken  flösse. 
Kiemenöffnung  sehr  klein,  am  obern  Winkel  des  Kiemen- 
deckels. Haut  mit  einem  vollständigen  Knochen- 
panzer, der  am  Körper  in  Ringe  zerfällt,  am  Kopf 
ungegliedert  ist;  der  vordere  Theil  des  letzteren  zu 
einem  röhrenförmigen  Rüssel  verlängert,  an  dessen  vor- 
derem Ende  die    kleine  Mundöffnung  liegt. 

Vierzehn  in  allen  tropischen  und  gemässigten  Meeren 
vorkommende  Gattungen.  Einzelne  Arten  gehen  iil's  Süss- 
Wasser.  Alle  leben  zwischen  Tang  und  Seegras  und  sind 
in  Form  und  Farbe  den  Meerpflanzen  ähnlich.  Die  Eier 
werden  vom  Männchen  frei  am  Körper  oder  in 
besonderen  Bruttaschen  getragen. 


Dio  Gobiidae  und  Synj^nathidae  der  Ostsee.  321 

Gattung  Siphonostoma  Kanp. 

After-,  Brust-  und  Schwanzflossen  vorhanden.  Die 
untern  Stücke  des  ersten  Kumpfringcs  (die  sog. 
Schulterknochen)  nur  häutig  verbunden  und  gegen 
einander  beweglich.  Männchen  mit  Bruttasche  am 
Schwänze.     Eine  sehr  variable  Art. 

Siphonostoma  typhle  L. 

Artdiagnose:  Rüssel  gerade,  stark  zusammeu- 
gedr  ttckt,  seine  Länge  bis  zur  Augenmitte  beträgt  V2  bis  Vs 
der  Kopflänge.  Rumpf  7kantig;  die  beiden  obern  Kanten 
hören  vor  dem  Ende  der  Rückenflosse  auf;  die  4  Seiten- 
kanten bilden  in  ihrer  Fortsetzung  die  4  Kanten  des 
Schwanzes.  Schwanzflosse  rhombisch.  Long.  max.  J'  = 
0.197  m.     ?  =  0.242  m. 

Secund.  Geschlechtscharakt. :  $  bedeutend  grös- 
ser als  die  ^.  Schwanz  beim  </  relativ  grösser  als  beim 
5 ,  was  mit  der  Ausbildung  der  Bruttasche  zusammenhängt. 
Bauch  des   $   meist  heller  gefärbt. 

Litte ratur  und  Synonymik: 

Gthr.,  Cat.  VIII  p.  154  Siph.  typhle  u.  rotundatum. 

1G24  Schonevelde,  p.  11.  Altera  species  sive  acus  Ari- 
stotelis.  Trumraeter,  Meerschlange. 

1794  Siemssen,  Fische  Meckl.,  p.  86  Syngnathus  typhle 
L.  u.  p.  87  Syng.  acus  L. 

1835  Eck  ström,  Morkö  p.  123,  Syngnathus  Acus  Linn. 

1837  Fries,  Ichth.  Beiträge  I  p.  241,  Syngnathus  Typhle. 

1841  Yarrel,  II  Ed. II  p.  439,  Syngnathus  Typhle L.  m.Abbd. 

1846- -53  K royer,  III  p.  673,  Siphostoma  typhle  L.  m.  Abbd. 

1855  Nil  SSO n,  Sk.   F.  IV   p.  689,  Syngnathus  Typhle  L. 

1859  Boll,  Fische  Meckl.  p.  147,  Syngnathus  Typhle  L. 
u.  Syng.  acus  L. 

1863  Malmgren,  Finlands  F.  p.  69,  Siphostoma  typhle  L. 

1867  Lindström,  Gotlands  F.  p.  40,  Syngnathus  typhle  L. 

1870  A.  Dumeril,  Hist.  nat.  des  pois.  II.  p.  576  Siphono- 
stoma typhle,  Rondeletii,  pyrois,  argentatum,  rotun- 
datum. 

Archiv  für  Naturg.  XXXXVI.  Jahrg.  1.  Bd.  21 


322  Friedrich  Heincke: 

1871  Holland,  Wirbeltb.  Pommerns  p.  118,  Syngnathus 
typhle  L.  Syng.  acus  L.  Syng.  Kleinii  Bär. 

1874  A.  H.  Malm,  Om  d.  brednäbbade  kantnälens  — 
Sipbonostoma  typble  Yarr  —  utveckling  ocb  fort- 
plantning. 

1875  Wittmack,  Fiscbereistatistik  p.  130,  Syngnatbus 
acus  L.  u.  Syng.  typble  L. 

1877  Seidlitz,  Faun.  balt.  p.  90,  Sipbonostoma  typble  L. 
1879  Lenz,  Fiscbe  der   Travemünder  Bucbt.    Syngnatbus 
Typble  L. 

Volksnamen:  Kiel:  Nadel,  Seenadel. 
Neustadt:  Grasbekt. 
Travemünde:  Nadelfiscb. 
Ne u Vorpommern  :  Meernadel; 

Trompete. 
Go  tland :  Sjönal. 
Kopenbagen:    Skrädderaal;    Tang- 

snägl;  Vejrfisk. 
Sebweden:  Tängsnällor. 
Kritik  und  Varietäten  :  S.  typble  ist  eine  ausser- 
ordentlicb  variable  Species,  was  scbon  aus  ibrer  v^eiten 
Verbreitung  und  bäufigem  Vorkommen  an  den  meisten 
Orten  gescblossen  werden  kann.  Sie  ist  daber  zu  Studien 
über  die  Variabilität  der  Arten  im  Darwin'scben  Sinne 
sebr  geeignet,  zumal  die  Eigentbümlicbkeiten  ibrer  Lebens- 
weise und  Fortpflanzung  für  jeden  Biologen  von  böebstem 
Interesse  sind. 

Ausfübrlicbe  Bescbreibung  der  Kieler  Form, 
begründet  auf  eine  detaillirfce  Vergleicbung  von  28  Indivi- 
duen verscbiedenen  Alters  und  Gescblecbts  (Totallänge 
0.030—0.242  m). 

Das  Längenmaximum  beträgt  bei  den  Männeben 
0.197  m,  bei  den  Weibeben  0.242  m  (nacb  Untersucbung 
vieler  Hunderte).  Der  Kopf  ist  ca.  572— 6V2  mal  in  der 
Totallänge  entbalten  und  stets  um  ein  Beträcbtlicbes  länger, 
als  die  Basis  der  Dorsale. 

Die  Länge  derScbnauze  oder  des  sog.  Rüssels 
(von  dem  Vorderrand  des  Auges  an  gerecbnet)  ist  bei  er- 
wacbsenen  Tbieren  grösser,  als  bei  jungen.  Bei  Exemplaren 


Die  Cobiidae  und  Syngnathidae  dor  Ostsee.  323 

bis  0.030  m  TotaHünge  ist  sie  nur  V2  so  lang,  wie  der 
Kopf,  bei  grössern  bis  nahe  Vs-  Nur  bei  d{in  grössten  In- 
dividuen erreicht  sie  zweimal  die  Länge  der  Kopi'strccke 
hinter  dem  Auge. 

Die  Höhe  der  Schnauze  in  ihrer  Mitte  ist  wenig 
kleiner  oder  grösser  als  der  horizontale  Durchmesser  des 
Auges. 

Der  Schwanz  ist  1.  7 — 2.  2mal  so  lang,  wie  der  Rumpf. 

Der  Rumpf  hat  16 — 18,  der  Schwanz  34—37  Panzer- 
ringe. 

Die  Rückenflosse  beginnt  meist  auf  dem  letzten 
Rumpf  ringe  (selten  auf  dem  vorletzten  Rumpfringe  oder 
dem  ersten  Schwanzringe)  und  erstreckt  sich  über  8—10 
Ringe. 

Die  Tasche  des  ^  beginnt  auf  dem  letzten  Rumpf- 
ringe und  erstreckt  sich  bei  kleinern  Individuen  über 
20 — 22,  bei  grössern  über  23  Ringe. 

P.  13-14    D.  33—39     A.  3     C.  10.       , 

Wie  schon  in  dieser  Beschreibung  angedeutet  ist, 
erweisen  sich  manche  Variationen  als  bedingt  durch 
Alter  und  Geschlecht,  sehr  oft  aber  findet  man  auch 
bei  Individuen  gleichen  Geschlechts  und  gleicher  Grösse 
sehr  erhebliche  Differenzen.  Ausser  in  den  speciell  ange- 
führten Charakteren  zeigen  sich  dieselben  auch  in  den 
feineren  Leisten  und  Höckern  des  Hautpauzers,  wo  sie 
jedoch  schwer  zu  beschreiben  sind.  Am  grössten  sind  die 
Differenzen  in  der  Färbung,  die  ich  zunächst  behandeln  will. 

Farbe  der  Seenadeln  :  Fries,  der  uns  zuerst  mit 
der  interessanten  Lebensweise  unserer  Thiere  näher  be- 
kannt machte,  unterschied  von  der  vorliegenden  Art  „zwei 
durch  Uebergänge  verbundene  und  ohne  bestimmtes  Ver- 
hältniss  zu  Alter  und  Geschlecht  auftretende  Varietäten": 
eine  grüne  mit  gelben  Flecken  und  messinggelbem  Bauch 
und  eine  oliven braune  mit  einer  Menge  weisslicher 
Punkte  und  Flecke  bestreut,  mit  weisslichem  Bauch. 

Diese  Farbenvarietäten  sind,  wie  man  leicht  beobach- 
ten kann,  Nichts  wie  zwei  extreme  Zustände  der  durch 
Chromatophoren  hervorgerufenen  und  momentan  verän- 
derlichen   Färbung    der    Seenadeln    und    entsprechen    als 


324  Friedrich  Heincke: 

S3^mpatliische  Färbungen  den  Farbentönen  der  zwei  extrem- 
sten Umgebungen,  in  welchen  sich  die  Seenadeln  gewöhn- 
lich aufzuhalten  pflegen,  nämlich  des  lebenden  und  abge- 
storbenen Seegrases.  Schon  früher  habe  ich  in  einem 
kleinen  Aufsatze  den  höchst  merkwürdigen  Farbenwechsel 
unserer  Thiere  ausführlich  beschrieben^).  Ich  zeigte,  wie 
ein  und  dasselbe  Individuum  einmal  zwischen  grünen  See- 
grasblättern aufgerichtet  verweilt  und  denselben  in  Form, 
Farbe  und  Haltung,  ja  in  der  Art  der  Bewegung  aufs 
überraschendste  gleicht,  das  anderemal,  vielleicht  nur  eine 
halbe  Stunde  später,  regungslos  am  Boden  liegt  und  von 
einem  schmutzigbraunen,  abgestorbenen  Seegrasblatte  kaum 
zu  unterscheiden  ist.  In  beiden  Fällen  tragen  vorzüglich 
die  feinen  Liniensysteme  des  Panzers  durch  ihre  Aehnlich- 
keit  mit  den  Gefässsträngen  des  Zostera-Blattes  bedeutend 
zur  Erhöhung  des  Farbenschutzes  bei.  Die  Rücken-  und 
Brustflossen  sind  fast  völlig  durchsichtig  und  meistens  in 
sehr  schneller,  undulirender  Bewegung,  so  dass  sie  fast 
unbemerkt  bleiben.  Zwischen  beiden  Extremen  der  Fär- 
bung der  Thiere  und  der  Blätter  kann  man  alle  nur  mög- 
lichen, sich  entsprechenden  Farbenmischungen  von  Grün, 
Gelb,  Braun  und  Weiss  beobachten. 

Fesselt  uns  schon  diese  schöne  und  in  so  kurzer 
Zeit  wechselnde  Anpassung  an  die  Umgebung,  so  ruft 
eine  zweite  unser  höchstes  Erstaunen  hervor.  Es  ist 
eine  Anpassung  der  Körperform  von  ganz  besonderer 
Art,  die  nur  dem  Männchen  eigen  ist.  Dieses  verändert 
nämlich  zur  Laichzeit  die  gewöhnliche  Seenadelform,  welche 
die  Gestalt  des  Seegrasblattes  sehr  gut  nachahmt,  so  be- 
deutend, dass  die  schützende  Aehnlichkeit  zum  grössten 
Theile  aufgehoben  wird.  Die  Schwanztasche,  aus  zwei 
dicken,  fleischigen,  in  der  Mittellinie  der  Unterseite  zusam- 
menstossenden  Falten  gebildet,  füllt  sich  mit  Eiern  und 
wird  durch  dieselben  von  innen  aus  knotig  aufgetrieben. 
Thut  man  ein  solches,  eiertragendes  Männchen  unter  ge- 
wöhnliches Seegras,  so  ist  es  leicht  von  den  Blättern  des- 

1)  Bemerkungen  über  den  Farben  Wechsel  einiger  Fische. 
Schriften  des  naturwissenschaftlichen  Vereins  für  Schleswig-Holstein. 
Kiel,  1873.  I.  p.  255  ff. 


Die  Gobiidao  und  Syugiiathidae  der  Ostsee.  325 

selben  zu  imterselicklcn.  Ist  aber  die  Aelinliclikeit  mit 
den  Blättern  geschwunden,  so  ist  dafür  die  mit  den  Blüthen 
des  Seegrases  au  die  Stelle  getreten.  Diese  Blüthen  oder 
vielmehr  Blütheustäude  l)estehen  aus  einem  blattartigen, 
plattgedrückten,  achselständigen  Blüthenkolben  mit  zwei- 
reihig auf  seine  Fläche  gestellten  unscheinbaren,  knötchen- 
förmigen Staubgefässen  und  Stempeln.  Dieser  Kolben  ist 
völlig  in  eine  Blattscheide  eingeschlossen  und  zwar  derart, 
dass  die  beiden  Ränder  der  Scheide  genau  die  Form  der 
Taschenfalten  der  Seenadel  besitzen.  Die  kleinen  Blüthen- 
theile  resp.  die  Früchtchen  treiben  die  Scheide  in  derselben 
Weise  von  innen  auf  wie  die  Eier  die  Schwanzfalten. 

Es  erscheint  vielleicht  selbstverständlich,  dass  diese 
überraschende  Anpassung  des  eiertragenden  Männchens 
nicht  so  bedeutend  und  vollständig  sein  wird;  wie  die  einer 
gewöhnlichen  Seenadel ;  handelt  es  sich  doch  darum,  volu- 
minöse und  in  Form  und  Grösse  selbst  wieder  wechselnde 
Dinge,  wie  Tasche  und  Scheide,  Eier  und  Blüthentheile 
resp.  Früchtchen  einander  möglichst  ähnlich  zu  machen. 
Doch  muss  man  beide  nebeneinander  in  einem  Gewirr  von 
Seegrasblättern  gesehen  haben,  um  die  Grösse  der  schützen- 
den Aehnlichkeit  richtig  zu  beurtheilen.  Im  Anfang  meiner 
Beobachtungen  kamen  mir  zuweilen  Zweifel  über  den 
Werth  derselben,  weil  ich  als  Blüthezeit  von  Zostera 
ma^i-ina  den  August  angegeben  fand,  die  Hauptlaichzeit 
von  Siphonostoma  typhle  in  der  Kieler  Bucht  aber  in 
den  Juni  fällt.  Sollte  jene  Formähnlichkeit  wirklich 
Nutzen  für  unser  Thier  haben,  so  musste  nothwendig 
die  Laichzeit  des  Fisches  möglichst  genau  mit  der  Blüthe- 
zeit der  Pflanze  zusammenfallen.  Neue  Beobachtungen 
haben  diese  Forderung  aber  vollständig  bestätigt;  Laich- 
und  Blütheperiode  dehnen  sich  in  der  Kieler  Bucht  von 
Ende  April  bis  Anfang  August  aus,  fallen  also  völlig  zu- 
sammen. 

Altersverschiedenheiten  bei  S.  typhle:  Die 
eben  dem  Brutsack  entschlüpften  Jungen  mit  einer  Total- 
länge von  ca.  0,025  m  weichen,  beträchtlich  von  altern 
Individuen  ab.  Sehen  wir  davon  ab,  dass  Kopf  und  Augen 
wie  bei  fast  allen  jungen  Fischen  im  Vergleich  zum  übrigen 


326  Friedrich  Heincke  : 

Körper  grösser  sind,  so  ist  vor  allem  der  Rüssel  bei 
jungen  Thiereii  beträchtlicli  kleiner.  Noch  beaehtens- 
werther  ist,  das  alle  Kanten  und  Leisten  des  Panzers  aus- 
geprägter und  schärfer  sind  als  bei  den  Erwachsenen. 
Jeder  Ring  des  Körpers  ist  an  den  Kanten  mit  einer  nach 
hinten  zugespitzten  scharfen  Crista  versehen;  über  der 
Crista  des  Operculums  steht  ein  kleiner  Dorn  und  ober- 
halb des  Operculums  eine  scharfe  Leiste,  welche  altern 
Thieren  völlig  mangeln.  Alle  diese  scharfen  Hervorragun- 
gen sind  schon  bei  0,06  bis  0,08  m  laugen  Exemplaren 
rückgebildet ;  das  früher  scharf  und  rauh  anzufühlende 
Thier  wird   völlig  glatt. 

Geschlechtsunterschiede:  Ausser  den  schon  in 
der  Diagnose  angeführten  Differenzen  in  der  Grösse  und 
Schwanzlänge  zwischen  cT  und  $,  könnte  man  noch  in 
der  stark  messinggelben  Färbung  des  Bauches,  welche 
sich  oft  bei  den  grössern  Weibchen  beobachten  lässt  und 
bei  Mäunchen  nie  so  intensiv  hervortritt,  einen  secundären 
Geschlechtscharakter  finden.  Allein  dieser  Charakter  ist 
dem  oben  beschriebenen,  fast  momentanen  Farbenwechsel 
mit  unterworfen  und  desshalb  mit  grosser  Vorsicht  zu  be- 
urtheilen.  Wenn  auch  der  allgemeine  Eindruck,  den  die 
Färbung  des  Weibchens  macht,  ein  etwas  anderer  ist,  als 
der,  welchen  wir  vom  Männchen  empfangen,  so  greifen 
doch  bei  dieser  Art  die  Wirkungen,  welche  drei  verschie- 
dene Factoren,  nämlich  allgemeine  Anpassung,  momentane 
Anpassung  und  Geschlechtsverschiedenheit  auf  die  Färbung 
ausüben,  derart  in  einander,  dass  keiner  jener  drei  Factoren 
klar  erkannt  und  seine  Wirkung  von  denen  der  andern 
nicht  gesondert  werden  kann. 

Vorstehende,  umständliche  Beschreibung  der  Kieler 
Form  von  S.  typhle  würde  ich  nicht  gegeben  haben,  wenn 
sie  nicht  trefflich  geeignet  wäre  uns  von  dem  mangelhaften 
Zustand  unserer  ichthyologischen  Systematik,  vor  allem 
von  dem  gänzlichen  Mangel  an  Methode  in  derselben  zu 
überzeugen.  Vergleicht  man  die  vorstehende  Beschreibung 
mit  den  oben  citirten  von  Yarrel,  Kroyer,  Nilsson,  Gün- 
ther und  Dumeril,  so  sieht  man  sofort,  dass  sie  mit 
keiner  der  letzteren  in  völlige  Uebereinstimmung  gebracht 


Die  Gobiidae  und  Syugnathidae  der  Ostsee.  327 

werden  kann,  eben  so  wenig  wie  die  genannten  Autoren 
untereinander  übereinstimmen.  Man  könnte  hieraus  den 
voreiligen  Scbluss  ziehen,  dass  durch  die  verschiedenen 
Beschreibungen  der  einzelnen  Autoren  verschiedene,  an 
den  Beobachtungsorten  derselben  vorkommende  Localtbrmen 
von  S.  typhle  charakterisirt  würden.  Dies  wäre  ein 
grosser  Irrthum;  die  Ursache,  dass  die  Beschreibungen 
so  verschieden  ausfallen,  liegt  vielmehr  grösstentheils  darin, 
dass  kein  Autor  eine  hinreichende  Anzahl  von  Indi- 
viduen untersucht  hat,  um  die  ausserordentliche  Varia- 
bilität dieser  Art  an  jedem  einzelnen  Orte  ihres  Vor- 
kommens richtig  erkennen  und  würdigen  zu  können. 

Dies  zeigt  besonders  die  Betrachtung  der  fünf  Species 
Siph.  typhle,  Rondeletii,  pyrois,  argentatum  und  rotunda- 
tum,  welche  Dumeril  sehr  ausführlich  beschreibt.  Er  hat 
diese  Arten  nicht  selbst  aufgestellt,  sondern  nur  nach  Be- 
schreibungen älterer  Autoreu  und  sehr  wenigen,  von  ihm 
selbst  untersuchten  Exemplaren  völlig  kritiklos  aufgenommen. 
Seine  Beschreibungen  bestehen  in  der  Anführung  derselben 
Charaktere,  die  ich  oben  bei  der  Kieler  Form  angegeben 
habe.  Ausserdem  spielen  noch  Farbenverschiedenheiten 
eine  grosse  Rolle,  Kennzeichen,  die  aber  für  scharfe  Dia- 
gnosen völlig  werthlos  sind. 

Schon  eine  flüchtige  Betrachtung  der  Dumeril'schen 
Beschreibungen  überzeugt  mich,  dass  wenigstens  die  der 
vier  erstgenannten  Arten  keineswegs  specifische  Unterschiede 
angeben.  Es  ist  mir  möglich  aus  einer  geringen  Anzahl 
Kieler  Exemplare  jederzeit  zwei  Individuen  herauszusuchen, 
die  ich  mit  demselben  Rechte,  wie  Dumeril  seinen  Siph. 
typhle  und  Rondeletii,  mit  verschiedeneu  Diagnosen  und 
Namen  ausstatten  könnte,  wobei  ich  freilich  immerhin  die 
überraschende  Entdeckung  machen  könnte,  dass  die  eine 
Art  nur  aus  Männchen,  die  andere  nur  aus  Weibchen  besteht. 

Schon  vor  Dumeril  hat  Günther  die  Species  typhle, 
Rondeletii,  pyrois  und  argentatum  unter  den  Artbegriff  S. 
typhle  vereinigt  und  nur  noch  Siph.  rotundatum  aus  dem  Mit- 
telmeer als  zweite  Art  der  Gattung  beibehalten.  Jedoch  be- 
zweifelt er  wohl  mit  Recht  in  einer  Note  die. Möglichkeit  diese 
Abtrennung  aufrecht  zu  erhalten,  zumal  er  nur  ein  einziges 


326 


Friedrich  lleincke: 


Exemplar  zur  Untersuchung  besass.  Viel  mehr  scheint 
auch  Dumeril  nicht  zur  Verfügung  gehabt  zu  haben  und 
so  glaube  ich,  können  wir  getrost  auch  diese  fünfte  Art 
eingehen  lassen.  Sie  soll  sich  von  allen  übrigen  dadurch 
unterscheiden,  dass  der  Kopf  nicht  ganz  fünfmal  in  der 
Totallänge  enthalten  und  die  Schnauze  dreimal  länger,  als 
der  Theil  des  Kopfes  hinter  den  Augen  ist.  Berücksich- 
tigt man  jedoch,  in  wie  weiten  Grenzen  derselbe  Charackter 
bei  den  vier  vereinigten  Arten  variirt,  so  wird  die  Bedeu- 
tung dieses  Unterschiedes  ganz  ilhisorisch.  Aus  folgender 
Zusammenstellung  aller  von  zuverlässigen  Autoren  angege- 
benen Charaktere  geht  dies  deutlich  hervor. 

Variationstabelle  von  Siphonostoma  typhle  und 
verwandten  Arten. 


Charakter 

Siphonöstoma  typhle 

(Roßdeletii,  pyrois, 

argentatum) 

Siph.  typhle 
Kieler   Form 

Siph.  rotun- 
datiim  Mich. 
Dum.  Günth. 

1.  Totall.:  Kopfl. 
(X  :   1) 

5.0—7.0 

5.5-6.7 

4.8—4.9 

2.     Länge   der 
Schnauze  :Püst- 
orbitalraum 
(x:  1) 

1.9—2.5 

1.5—2.0 

3.0 

3.     Höhe  der 
Schnauze 

wenig  bis  viel  grösser 

als  der  horizontale 

Augendiameter 

kleiner, 
gleich,  wenig 
bis  viel  grös- 
ser als  .  .  . 

• 

4.    Ringe  des 
Körpers 

Rurapfringe  :  17 — 20 
Schwanzringe  :  33 — 38 

R.  16—18 
Schw.34— 37 

R.  20 
Schw.  33—34 

5.  Schwanzläuge 
:  Rumpfl.  (x  :  1) 

1.5     2.4 

1.7-2.2 

1.5       ' 

6.    Erstreckimg 
der  Rücken- 
flosse über: 

1 — 2    Rumpf  ringe 
7  —  9  Schwanzringe 

0-2Rumpfr. 
7-9  Schwanz- 
ringe 

1  Rumpfr. 
7    Schwauzr. 

7.       Flossen- 
strahlen 

P.  12—15 
D.  31-42 
A.  3-4 

C.  10 

P.  13-14 
D.   33-39 
A.  3 
C.  10 

F.  16 
D.   32—34 
A.  ? 
C.  10 

Die  Gobiidae  iiud  Syugnatliidae  der  Ostsee.  329 

Werfen  wir  alle  fünf  Specics  zusammen,  so  erhalten 
wir  in  der  Art  Sipb.  typhle  einen  Formenkreis,  innerhalb 
dessen  g-anz  ausserordentliche,  durch  alle  Uebergänge 
verbundene  Verschiedenheiten  der  Gestalt  vorkommen. 
Wären  die  Mittelformen  nicht  vorhanden,  so  würde  kein 
Autor,  auch  ich  nicht,  zögern  mehrere  Species  zu  unter- 
scheiden. 

Es  fragt  sich  nun,  ob  es  wirkliche  Localformen  oder 
geographische  Racen  unserer  Seenadelart  giebt?  Diese 
Frage  muss  ohne  Zweifel  bejaht  werden.  Die  Ostseeexem- 
plare sind  z.  B.  fast  immer  kleiner,  als  die  aus  der  Nord- 
see, diese  wieder  kleiner,  als  jene  des  Mittelmeers.  Die 
Individuen  mit  den  längsten  und  höchsten  Rüsseln  stammen 
stets  aus  dem  Mittelmeer.  Auch  kommen  bei  den  Bewoh- 
nern des  letzteren  Meeres  Farbenzusammenstellungen  vor, 
die  ich  in  der  Ostsee  nie  beobachtet  habe.  So  sicher  es 
demnach  ist  und  nicht  anders  sein  kann,  dass '  Localracen 
existiren,  so  reicht  doch  unsere  gegenwärtige  Kenntniss 
dieser  x\rt  und  vor  allem  die  bisher  von  den  Autoren  ge- 
übte Methode  der  Beschreibung  nicht  aus,  die  wirkliche 
Form  dieser  Localracen  zu  erkennen.  Dazu  ist,  wie  ich 
in  meinen  Arbeiten  über  die  Varietäten  des  Herings  gezeigt 
habe,  die  rationell«  Untersuchung  von  hunderten  von  Indi- 
viduen der  verschiedenen  Orte  nöthig.  Die  obige  genauere 
Beschreibung  der  Kieler  Form  giebt  hierzu  einen  Beitrag. 

Aufenthaltsort  und  Lebens  weise:  Siph.  typhle 
ist  die  einzige  mit  Sicherheit  in  der  Ostsee  beobachtete 
Art  der  brustflossentragenden  Seenadeln  und  für  die  Fauna 
derselben  eine  sehr  charakteristische  Form.  In  der  Kieler 
Bucht  bewohnt  sie  in  grosser  Menge  die  Region  des  grünen 
Seegrases,  steigt  jedoch  auch  weiter  in  die  des  todten  See- 
grases hinunter.  Ihre  Bewegungen  sind  langsam;  meistens 
in  aufrechter  oder  liegender  Stellung  ruhend  schnellt  sie, 
wenn  gereizt,  nach  der  Seite,  wie  ein  von  der  Welle  er- 
fasstes  Seegrasblatt.  Wanderungen  scheint  sie  nicht  zu 
unternehmen. 

Fortpflanzung:  In  der  Kieler  Bucht  scheinen  die 
?   seltener  als  die  c^  zu  sein.     Kroyer  und  Eck  ström 


330  Friedrich  Heincke: 

behaupten  für  ihre  Gebiete  das  Gegentheil,  was  ich  je- 
doch mangelhafter  Beobachtung  zuschreibe. 

Die  Laichzeit  erstreckt  sich  von  Mai  bis  August.  Das- 
selbe giebt  Eckström  für  die  Schären  Stockholms  an. 
Juni  und  Juli  sind  die  Hauptmonate.  Kroyer  giebt  nur 
den  Juli  an.  Mehrere  Autoren  (Eckström,  Nils  so  n,  Hol- 
land, A.  H.  Malm)  sagen  übereinstimmend  aus,  dass  die 
Thiere  zum  Laichen  in  grössere  Tiefen  (mindestens  4  bis 
6  m)  gehen,  der  letztgenannte  Forscher  meint  nur  zur  Be- 
gattung, während  die  Entwicklung  der  Jungen  in  der  Brut- 
tasche im  flachen  Strandwasser  stattfinde.  Ich  habe  S. 
typhle  im  Kieler  Hafen  zu  allen  Jahreszeiten  gleich  häufig 
in  der  flachen  Region  des  grünen  Seegrases  gefunden. 

Die  Aehnlichkeit  des  eiertragenden  Männchens  mit 
einem  Blüthenstande  des  Seegrases  ist  für  mich  ein  Grund 
die  Angaben  der  genannten  Autoren  zu  bezweifeln. 

Die  Begattung  ist  bis  jetzt  nicht  beobachtet.  Ich 
habe  eine  Zeitlang  versucht  sie  an  Thiereu  im  Aquarium 
zu  beobachten,  kann  aber  nur  so  viel  mit  Sicherheit  sagen, 
dass  die  Füllung  der  Bruttasche  nicht  mit  einem  Mal  er- 
folgt, sondern  in  Zwischenräumen  von  mehreren  Tagen,  so 
dass  bei  jeder  Begattung  etwa  10  bis  20  Eier  in  die 
Tasche  gebracht  werden.  Da  Seenadeln  bei  einiger  Sorg- 
falt leicht  in  Aquarien  zu  halten  und  zur  Fortpflanzung  zu 
bringen  sind,  so  werden  erneute  Bemühungen  leicht  Auf- 
klärung geben.  Dieselben  sind  um  so  mehr  zu  empfehlen, 
als  Seenadeln  treffliche  Objecte  für  entwicklungsgeschicht- 
liche Studien  sind.  In  der  Bruttasche  auch  der  gross ten 
Männchen  scheinen  in  der  Kieler  Bucht  nicht  mehr  als 
150  bis  200  Eier  enthalten  zu  sein. 

Die  Entwicklungsdauer  vermag  ich  nicht  anzu- 
geben, doch  hielt  ich  ein  Männchen,  welches  mit  gefüllter 
Taschfe  gefangen  wurde,  über  14  Tage  im  Aquarium,  bevor 
die  Jungen  ausschlüpften.  Es  waren  ungefähr  50  Stück; 
eine  grosse  Anzahl  Eier  war  unentwickelt  geblieben.  Die 
neugeborenen  schwammen  sogleich  munter  um  den  Vater 
herum;  ein  Zurückschlüpfen  in  die  Bruttasche,  wie  Eck- 
ström beobachtet  hat,  habe  ich  nicht  gesehen. 

Die  Bruttasche  wird  nicht,   wie  manche  Autoren  be- 


Die  Gobiidae  und  Syuj^uathidae  der  Ostsee.  331 

haupten,  nach  Beendigung-  der  Fortpflanzung  zurückge- 
bildet. 

Das  Wachstlium  der  beim  Ausschlüpfen  etwa  0,025  m 
langen  Jungen  ist  nach  Beobachtungen  im  Aquarium  ein 
ausserordentlich  schnelles.  Im  Freien  kann  man  schon  im 
Juli  bis  0.05  m,  im  August  über  0.10  m  lange,  diesjährige 
Thiere  finden.  Das  kleinste  (/,  welches  ich  mit  wohlaus- 
gebildeter aber  leerer  Tasche  angetroffen  habe,  maass 
0.095  m.  Danach  ist  fast  sicher,  dass  die  Fortpflanzungs- 
fähigkeit schon  im  ersten  Lebensjahre  eintritt. 

Biocönose:  Die  Nahrung  besteht  nach  Beobach- 
tungen im  Aquarium  aus  sehr  kleinen  Crustaceen,  beson- 
ders Copepoden  und  Fischbrut  (Gobius).  Die  Nahrungs- 
aufnahme steht  mit  der  langsamen  Bewegung  des  Thieres 
und  seiner  Aehnlichkeit  mit  einem  Seegrasblatt  in  voll- 
ständiger Harmonie.  Das  ruhig  daliegende  oder  aufrecht 
stehende  Thier  fixirt  mit  den  äusserst  beweglichen  Augen 
scharf  seine  kleine  Beute.  Mit  einer  plötzlichen  Wendung, 
wie  ein  von  der  Welle  erfasstes  Seegrasblatt,  nähert  es 
sich  seinem  Opfer  und  zieht  es  durch  das  weitgeöffnete 
Maul  und  die  lange  Mundröhre  zugleich  mit  einem  Strom 
von  Wasser  hinunter.  Wer  einmal  eine  fressende  Seenadel 
beobachtet  hat,  versteht  sofort  den  zweckmässigen  Bau  des 
eigenthümlichen  Rüssels. 

Feinde  hat  die  Seenadel  wenige,  was  ich  aber  nicht 
einem  widerlichen  Geschmack  ihres  Fleisches  zuschreibe, 
wie  viele  Autoren  ohne  Grund  behaupten,  sondern  viel- 
mehr dem  ausserordentlichen  Schutz,  den  sie  durch  ihre 
sympathische  Färbung  geniesst.  Im  Magen  von  Cottus 
fand  ich  nicht  selten  grössere  und  kleinere  Exemplare  von 
Siph.  typhle  und  Nerophis  ophidion.  Möglich,  dass  die 
ausserordentlich  gierigen  Cottus,  die  Strassenräuber  im 
Seegras,  die  Seenadeln  aus  Versehen  mit  hinuntergeschluckt 
haben,  ebenso  wie  die  über  fusslangen  Seegrasblätter, 
welche  ich  bisweilen  aus  ihrem  Magen  hervorgezogen. 

Ein  ökonomischer  Werth  unserer  Thiere  ist  nicht 
vorhanden.  Der  Fang  mit  dem  Schleppnetz  ist  ausser- 
ordentlich leicht. 

Verbreitung   in   der   Ostsee.      In  der  westlichen 


332  Friedrich  Heincke: 

Ostsee  sehr  gemein;  auch  an  der  Küste  von  Pommern,  bei 
Gotland  und  der  schwedischen  Küste  bis  Stockholm  noch 
häufig.  Von  da  an  nach  Osten  und  Norden,  wie  es  scheint, 
seltener  werdend,  nach  Ma Imgren  jedoch  in  den  Aländi- 
schen  und  südwestlichen  Schären  Finnlands  nicht  selten. 
Geht  nach  meinen  Beobachtungen  auch  in  die  brackischen 
Buchten  hinein,  ich  erhielt  einige  Exemplare  aus  der  Schlei 
bei  Missunde.  Ob  sie  sich  dort  fortpflanzt,  kann  ich  zwar 
nicht  versichern,  halte  es  aber  für  höchst  wahrscheinlich. 
Verbreitung  ausserhalb  der  Ostsee:  scheint 
auf  Europa  beschränkt  zu  sein.  Im  schwarzen  Meer,  Mit- 
telmeer, an  den  atlantischen  Küsten  Europas,  in  der  Nord- 
see und  im  Kattegat  häufig.  Kroyer  giebt  als  nördlichste 
Grenze  Bergen  an. 

Gattung  Syngnathus  Gthr. 

After-,  Brust-  und  Schwanzflosse  vorhanden.  Die 
Schulterknochen  zu  einem  festen  Ringe  ver- 
wachsen. 

Körper  kantig.  Die  Rückenkanten  des  Rumpfes 
gehen  bei  erwachsenen  Thieren  nicht  in  die  des  Schwanzes 
über.     Männchen  mit  Bruttasche  am  Schwänze. 

Syngnathus  acus  L. 

Artdiagnose:  Rüssel  dünn  und  abgerundet.  Rumpf 
7kantig ;  die  beiden  obern  Kanten  hören  vor  dem  Ende  der 
Rückenflosse  auf;  die  obern  Seitenkanten  (Seitenlinien)  gehen 
nur  bei  jungem  Individuen  in  die  obern  Kanten  des 
viereckigen  Schwanzes  über.  Schwanzflosse  abgerundet. 
Dors. 31—41.    Ringe.  Rumpf:  =  15—21. 

Schwanz:  =  38-44.     .   - 

Litteratur   und   Synonymik: 

Gthr.  Cat.  VIII  p.  157.  Syngnathus  acus  L. 

1784  Bloch,  Ö.  N.  D.  III  p.  112.  Taf.  91,  Fig.  1  Syn- 
gnathus typhle. 

1837  Fries,  Ichthyol.  Beiträge  I  p.  239,  Syngnathus  acusL. 

1841  Yarrcl,  II  Ed.  II  p.  432  m.  Abbdg.  Syngnathus 
acus  L. 

1846—53  Kroyer,  III  p.  092 m.  Abbdg.  Siphostoma acus  L. 


Die  Gobiidae  und  Synguathidac  der  Ostsee.  333 

Diese  von  Siplionostoma  typhle  durch  die  angege- 
benen Merkmale  seih-  leiclit  zu  unterscheidende  Art  ist  bis 
jetzt  mit  vSicherheit  in  der  Ostsee  nicht  beobachtet.  Dass 
sie  gleichwohl  in  .vielen  iaunistischen  Arbeiten  (Siemssen, 
Boll,  Holland),  ja  noch  bis  in  die  neuste  Zeit  (Witt- 
mac k)  als  Bewohner  derselben  angegeben  wird,  beruht 
auf  einer  Verwechslung  mit  Siph.  typhle.  Die  Schuld  an 
diesem  von  einem  Autor  auf  den  andern  fortgeerbten  Irr- 
thum  kommt  besonders  Linne  zu,  der  zwar  beide  Species 
richtig  unterschied,  aber  Namen  und  Synonyma  völlig  ver- 
wechselte, sowie  Bloch,  der  unter  dem  Namen  Syngna- 
thus  typhle  einen  jungen  Syng.  acus  und  Eckström,  der 
Syng.  typhle  als  Syng.  acus  beschrieb  (Fische  in  den 
Schären  von  Morkö).  Aufklärung  in  dieser  Sache  gab  zu- 
erst Yarrel,  dann  Fries  (1.  c.  p.  238  f.).  Später  hat  dann 
noch  Kroyer  (1.  c.  p.  703)  ausdrücklich  den  Irrthum 
Bloch's  erwähnt  und  die  Vermuthung  ausgesprochen,  dass 
der  wahre  Syng.  acus  in  der  Ostsee  ganz  fehle.  Schon 
im  Kattegat  ist  diese  Art  selten;  immerhin  liegt  aber  die 
Möglichkeit  vor  sie  wenigstens  in  der  westlichen  Ostsee 
noch  zu  entdecken.  Desshalb  und  um  unsere  deutschen 
Ichthyologen  auf  einen  vielverbreiteten  Irrthum  aufmerksam 
zu  machen,  führe  ich  die  Art  hier  auf. 

In  Bezug  auf  Variabilität  steht  übrigens,  das  sei  hier 
kurz  bemerkt,  Syng.  acus  ihrer  Verwandten  Siph.  typhle 
nicht  nach,  übertrifft  sie  vielmehr  noch.  Günther,  der 
eine  Menge  Arten  älterer  Forscher  mit  Syng.  acus  vereinigt, 
spricht  sich  eingehender  hierüber  aus.  Vorzüglich  bemer- 
kenswerth  ist  nach  ihm  der  Unterschied  ganz  junger  Exem- 
plare von  älteren.  Erstere  weichen  oft  durch  geringere 
Zahl  der  Flossenstrahlen  und  Körperringe,  sowie  geringere 
Länge  und  Höhe  der  Schnauze  von  den  letzteren  ganz  be- 
deutend ab.  Diese  Beobachtungen  Günther's  sowie  meine 
eignen  an  Siph.  typhle  bestimmen  mich  die  1855  von 
Nilsson  (Skand.  Fauna  IV.  p.  687)  aufgestellte  und  von 
Günther  nicht  berücksichtigte  Species  Syng.  rostellatus, 
die  von  ihm  auch  in  der  Ostsee  vermuthet  wurde,  als  einen 
in  jugendlichem  Alter  geschlechtsreifen  Syng.  acus  zu  be- 
trachten.    Nach  Nilsson  soll  Syng.  rostellatus  bedeutend 


334  Friedrich  Heincke: 

kleiner  sein,  als  Syng.  acus,  weniger  Strahlen  in  der  Dor- 
sale und  Pectorale  und  weniger  Rumpf-  und  Schwanzringe 
besitzen.  Der  Rüssel  ist  abgerundet,  weniger  hoch  und 
im  Gegensatz  zu  Syng.  acus  mit  einem  scharfen  Längskiel 
versehen.  Alle  diese  Charaktere,  besonders  auch  der  letz- 
tere, sind  aber  solche,  die  nach  dem,  was  oben  über  S. 
typhle  und  acus  gesagt  ist,  die  meisten  jugendlichen  Indi- 
viduen von  älteren  unterscheiden  und  keine  specifischen 
Differenzen  begründen  können. 

Gattung  Nerophis  Kaup. 

Afterflosse  fehlend.  Brust-  und  Schwanzflosse 
rudimentär  oder  fehlend.  Körper  abgerundet.  Die 
Männchen  sind  ohne  Tasche  und  tragen  die  Eier  an  der 
Bauchseite  des  Rumpfes  angeklebt. 

Nerophis  aequoreus  L. 

Artdiagnose:  Schwanzflosse  rudimentär. 
Brustflossen  bei  Erwachsenen  ganz  fehlend.  Rüssel 
abgerundet;  seine  Länge  beträgt  V2  oder  mehr  der  Kopf- 
länge. After  unter  dem  letzten  Drittel  der  Rücken- 
flosse und  vor  der  Mitte  der  Totallänge. 

D.  38—44.     Rumpfringe  28—30. 

Litteratur  und  Synonymik. 
Gthr.  Cat.  VIII,  p.  191  Nerophis   aequoreus  L. 

1841  Yarrel,  II,  Ed.  II,  p.  442,  Syngnathus  aequoreus  L. 

m.  Abbdg.  p.  445  Syng.  anguineus  Jenyns. 
1846 — 53  Kroyer,  III,  p.  705,  Syng.  aequoreus  L.  m.  Abbdg. 
1870  A.  Dumeril,  Hist.  nat.  des  pois.  II,  p.  605,  Entelu- 

rus  aequoreus  L.  p.  606,  Ent.  anguineus  Jenyns. 

Diese  den  Uebergang  zu  den  schwanzflossenlosen 
Seenadeln  bildende  Art  ist  an  den  westlichen  Küsten  Euro- 
pas bis  nach  Afrika  und  Nordamerika  hin  verbreitet.  In 
der  Nordsee  an  allen  Küsten  nicht  gerade  selten,  fehlt  aber 
im  Mittclmeer  und  in  der  Ostsee.  Jedoch  wird  sie  nach 
Kroyer  noch  ziemlich  häufig  im  tieferen  Wasser  des 
Kattegats  gefunden,  so  dass  sie  wahrscheinlich  auch  in  der 
westliclien  Ostsee  noch  entdeckt  wird. 


Die  Gobiidae  und  Synprnathidae  der  Ostsee.  335 

Neropbis  ophidion  L. 

Artdiagnose:  Scb  wanz- und  Brustflossen  bei 
Erwaebsenen  ganz  fcblend.  Scbnauze  abgerundet, 
wenig  kürzer  als  die  Hälfte  der  Kopflänge.  After  unter 
dem  ersten  Drittel  der  Rückenflosse.  Long.  max. 
^  =  0.167  m,   $   =  0.283  m. 

D.  34—38.  Ringe  des  Rumpfes:  30—31,  des  Schwan- 
zes: 60-70. 

Secund.  Gescblecbtscbarakt.  $  bedeutend  grös- 
ser, als  das  d^,  mit  einem  Hautkamme  in  der  Mittellinie 
des  Rückens  und  Baucbes  und  seitlich  zusammengedrücktem 
Körper ;  zur  Laichzeit  mit  opalisirenden  Streifen  und  Flecken 
geziert. 

Litteratur  und  Synonymik. 
Gtbr.  Cat.  VIII,  p.  192,  Neropbis  ophidion  L. 

1624  Schonevelde,  p.  11.  Acus  Aristotelis-Meherscblange 
(Slesvicensium). 

1794  Siemssen,  Fische  Meckl.  p.  88,  Syngnathus  Ophi- 
dion L. 

1837  Fries,  Ichthyol.  Beiträge  I,  p.  236,  Tfl.  VI,  Fig.  4, 
Syngnathus  Ophidion. 

1841  Yarrel,  II,  Ed.  II,  p.  447  m.  Abbildg.  Syngnathus 
Ophidion  *). 

1846—53  Kroyer,  III  p.  716  m.  Abbildg.  Neropbis  Ophi- 
dion L. 

1855  Nilsson,  Sk.  F.  IV,  p.    694,    Scyphius    Ophidion  L. 

1859  Boll,  Fische  Meckl.  p.  147,    Syngnathus  ophidion. 

1863  Malmgren,   Finlands  F.  p.  Neropbis  Ophidion  L.^) 


1)  In  der  ersten  Ausgabe  der  Hist.  of  Brit.  Fish,  wird  der 
Speciesname  Syug.  ophidion  L.  von  Yarrel  irrthümlicb  auf  Syng. 
anguineus  Jenyns  (=  Syng.  aequoreus  L.)  bezogen,  was  Yarrel  im 
Supplement  zur  ersten  Ausgabe  IL  Bd.  p.  48  Note  selbst  eingesteht. 
Das  Nähere  über  diese  falsche  Anwendung  des  Li nne'schen  Namens 
Syng.  ophidion   siehe  Fries  1.  c. 

2)  citirt  irrthümlicb  Bloch,  Fische  Deutschlands  III,  p.  115, 
Tfl.  91,  Fig.  3.  Bloch's  Syng.  ophidion  ist,  wie  schon  Yarrel  1.  c. 
angiebt,  der  Syng.  anguineus  Jenyns.  (=  Syng.  aequoreus  L.) 


336  Friedrich  Heincke : 

1867  Lindström,  Gotlands  F.  p.  40,  Scyphius  opbidion  L. 

1870  A.  Dumeril,  Eist.  iiat.  des  poiss.  II,  p.  602  Nerophis 
opLidion  Bonap. 

1871  Holland,    Wirbeltb.   Pommerns    p.  117,   Syngnathus 
opbidion  L. 

1875  Wittmack,    Fiscbereistatistik    p.    130,    Syngnatbus 

opbidion  L. 
1877  Seidlitz,  Fauna  halt.  p.  91,  Syngnatbus  opbidion  L. 
1879  Lenz,    Fiscbe   der  Travemünder  Bucbt,    Syngnatbus 

Opbidion  L. 

Volksnamen:     Kiel:  Nadel.  Neustadt:  Grasbekt. 
T  r  a  V  e  m  ü  n  d  e  :  Nadelfiscb. 
Gotland:  Hafsnälar. 
Finnland:  Merineula. 

Kritik  und  Varietäten :  Neropbis  opbidion  ist  auf 
Variabilität  nicbt  so  genau  von  mir  untersuebt  worden, 
wie  Sipbonostoma  typble.  Docb  glaube  icb  von  vorne 
berein  bebaupten  zu  können,  dass  eine  genauere  Prüfung 
zablreicber  Individuen  Aebnlicbes  ergeben  wird,  wie  bei 
der  letztgenannten  Art.  Die  obige  Diagnose  ist  nacb  Kie- 
ler Exemplaren  gegeben.  In  der  Nordsee  wird  unser  Tbier 
weit  grösser,  als  in  der  Ostsee.  Siemssen  giebt  an,  dass 
es  an  den  Küsten  Mecklenburgs  zwei  Fuss,  also  mindestens 
0.7  m  lang  wird;  icb  glaube  jedocb,  dass  der  Autor  ent- 
weder ein  Nordseetbier  oder  ein  Individuum  von  Neropbis 
aequoreus  vor  sieb  batte. 

Altersverscbieden beiten  bei  N.  opbidion.  Junge 
Tbiere  unter  0.10  m  Totallänge  unterscbeiden  sieb  ganz 
wesentlicb  von  erwacbsenen.  Sie  baben  einen  eckigen 
Körper  wie  Sipbonostoma  typble  und  die  Hinterränder  der 
einzelnen  Hinge  ragen  an  den  Ecken  dornenartig  nacb 
binten  vor,  so  dass  der  Leib  von  der  Seite  geseben  säge- 
artig gezäbnt  erscbeint. 

Die  Rundung  des  Körpers  und  das  Scbwinden  der 
Dornen  beginnt  scbon  bei  Exemplaren  von  0.07  m  und  ist 
bei  solcben  von  0.09  m  vollendet.  Die  Scbwanzflosse  ist 
scbon  bei  eben  ausgescblüpftcn  Tbieren  rudimentär  und 
verscbwindet  l)ald  gänzlicb.  Die  Brustflossen  sind  Anfangs 
sebr  scbrm  ausgebildet  und  beginnen  erst  bei  Tbieren  von 


Dfe  Gobiidae  und  Syngnathidae  der  Ostsee.  337 

mehr  als  0.09  m  merklich  zu  schwinden.  Dies  beobachtete 
schon  Fries  (I.e.)  bei  der  nächsten  Art,  Nerophis  lumbri- 
ciformis.  Der  Rüssel  der  jungen  Thiere  ist  kürzer,  als  bei 
erwachsenen  und  vor  und  etwas  nach  dem  Ausschlüpfen 
ein  wenig  aufwärts  gekrümmt. 

Färb  e  :  Von  ihr  gilt  dasselbe,  was  von  Siph.  typhle 
gesagt  wurde.  Nerophis  ophidion  scheint  aber  in  Färbung 
und  Form  weniger  dem  Seegras  (Zostera),  als  vielmehr 
gewissen  Tangen,  vor  allem  der  Meersaite  (Chorda  filum) 
und  Furcellaria  fastigiata  angepasst,  welche  beide  im  Kie- 
ler Hafen  sehr  häufig  vorkommen.  Erstere  ist  grün,  letz- 
tere dagegen  braun.  Unser  Thier  benutzt  seinen  flossen- 
losen Schwanz  als  Wickelorgan  und  ich  habe  oft  beobachtet, 
wie  drei  und  mehr  Individuen,  mit  den  Schwänzen  in  ein- 
ander verschlungen,  einer  daneben  liegenden  Furcellaria 
täuschend  glichen. 

Geschlechtsunterschiede:  Dieselben  sind  zum 
Theil  schon  in  der  Diagnose  angegeben,  aber  so  auffallend, 
dass  sie  eine  ausführlichere  Beschreibung  verlangen. 

Zunächst  ist  das  Weibchen  viel  grösser,  ja  fast  dop- 
pelt so  gross,  als  das  Männchen.  Auch  ist  der  Körper 
des  Weibchens  nicht  rund,  sondern  seitlich  zusammenge- 
drückt und  sowohl  am  Rücken  wie  auch  am  Bauche  mit 
einem  häutigen  Kiel  versehen,  von  dem  das  Männchen  nur 
am  Bauche  einige  Andeutungen  besitzt.  Schon  Fries 
(1.  c.)  hat  hierauf  hingewiesen  und  Kroyer  fügt  hinzu, 
dass  ausser  einer  bedeutenderen  Grösse  beim  Weibchen 
auch  andere  Dimensionsverhältnisse  obwalten.  Fast  ebenso 
gross  wie  diese  Formverschiedenheiten  sind  die  bisher 
unbeschriebenen  Differenzen  in  der  Färbung  während  der 
Laichperiode.  Der  Kiel  oder  Kamm  des  Weibchens  ist 
um  diese  Zeit  stärker  entwickelt  und  von  einer  pracht- 
vollen, sammetschwarzen  Farbe.  Auf  den  Kiemendeckeln 
befinden  sich  zahlreiche  verzweigte  Streifen,  die  sich  als 
parallele  Bänder  auf  den  vordem  Theil  des  Rumpfes  fort- 
setzen und  blau  oder  blau  mit  weiss  in  der  Mitte  sind. 
Das  Blau  leuchtet  und  opalisirt  prächtig.  Dasselbe  gilt 
von  den  gi'ossen  weissen  und  bläulichen  Flecken,  mit  denen 
der  ganze  Rumpf  übersät  ist.    Beim  Männchen  sind  alle 

Archiv  f.  Naturg.  XXXXVI.  Jahrg.  1.  Bd.  22 


338  Friedrich  Heincke: 

diese  Streifen  and  Flecke  äusserst  schwach  entwickelt; 
seine  Färbung  ist  verglichen  mit  der  des  Weibchens  matt 
und  unscheinbar.  Die  jungem,  noch  nicht  ausgewachsenen 
Weibchen  gleichen  den  Männchen. 

Aufenthaltsort  und  Lebensweise:  Die  gerin- 
gen Unterschiede,  welche  in  dieser  Beziehung  zwischen 
Nerophis  ophidion  und  Siphonostoma  typhle  obwalten,  lassen 
sich  bis  jetzt  nicht  genauer  angeben.  N.  ophidion  scheint 
in  der  Kieler  Bucht  etwas  seltener  zu  sein,  als  die  andere 
Art  und  wie  schon  erwähnt  wurde,  den  Aufenthalt  zwischen 
Tangen  dem  im  reinen  Seegrase  vorzuziehen. 

Fortpflanzung:  Eier  tragende  Männchen  trifft  man 
im  Kieler  Hafen  in  der  flachen  Strandregion  häufig  von 
Mai  bis  Mitte  August,  was  auch  Eckström  angiebt.  Am 
22.  August  1874  fing  ich  ein  Exemplar,  bei  dem  die  Hül- 
sen der  schon  ausgeschlüpften  Jungen  sich  noch  am  Bauche 
befanden.  Diese  Hülsen,  welche  den  Zellen  einer  Bienen- 
wabe gleichen,  entstehen  durch  Erhärtung  der  Schleim- 
masse, durch  welche  die  Eier  am  Bauche  des  Männchens 
befestigt  sind,  und  finden  sich  auch  in  der  Schwanztasche 
von  Siph.  typhle.  Die  Begattung  konnte  ich  nicht  beo- 
bachten. Die  ausschlüpfenden  Jungen  mögen  0.025  bis 
0.035  m  messen  und  wachsen  noch  schneller,  als  die  von 
Siph.  typhle,  so  dass  die  geschlechtliche  Reife  ohne  Zwei- 
fel in  einem  Jahre  erreicht  wird. 

Biocönose  und  ökonomischer  Werth :  Auch 
hier  kann  ich  nur  das  von  Siph.  typhle  gesagte  wieder- 
holen. Im  Magen  von  Cottus  scorpius  habe  ich  unsere 
Thiere  zu  verschiedenen  Malen  vorgefunden. 

Verbreitung  in  der  Ostsee:  Im  westlichen  Theil 
tiberall  vorkommend,  nach  Malmgren  auch  im  finnischen 
und  bottnischen  Meerbusen  bis  •  zum  Quarken.  Scheint 
weiter  nach  Osten  vorzukommen,  als  Siph.  typhle.  In  der 
Schley  habe  ich  Nerophis  ophidion  im  Juli  1875  mit  Eiern 
in  der  kleinen  Breite  bei  Schleswig  gefunden,  wo  das 
Wasser  nahezu  süss  ist.  Wahrscheinlich  wird  unser  Thier 
auch  im  Dassower  Binnensee  bei  Lübeck  und  in  andern 
brackischen  Buchten  entdeckt  werden. 

Verbreitung  ausserhalb  der  Ostsee:    Fehlt  im 


Die  Gobiidae  und  Syngnathidae  der  Ostsee.  339 

Mittelmeer.  Der  VerbreituDgsbezirk  im  atlantischen  Oeean 
(französische,  brittische  und  norwegische  Küsten)  ist  noch 
nicht  genau  festgestellt. 

Nerophis  lumbriciformis  Will. 

Artdiagnose:  Schwanz- und  Brustflossen  bei 
Erwachsenen  ganz  fehlend.  Schnauze  abgerundet,  etwas 
nach  oben  gekrümmt,  viel  kürzer  als  die  Hälfte  der 
Kopflänge.  After  unter  dem  ersten  Drittel  der 
Rückenflosse.  Long.  max.  geringer,  als  bei  N.  ophidion. 

D,  26.  Ringe  des  Rumpfes:  18—19,  des  Schwanzes: 
50-55. 

Litteratur  und  Synonymik. 

Gthr.  Cat.  VIII,  p.  193,  Nerophis  lumbriciformis  Will. 
1837  Fries,  Ichthyol.  Beiträge  p.  249,  Tafel  VI,  Fig.  5— 8 

Syng.  lumbriciformis. 
1841  Yarrel,  II  Ed.  p.  450,  Syng.  lumbriciformis. 
1846—53  Kroyer,  III  p.  723  m.  Abbldg.  Nerophis  lumbri- 
ciformis. 
1855  Nilsson,  Sk.  F.  IVp.695.ScyphiuslumbriciformisYarr. 
Diese  durch  ihre  geringere  Grösse,  kürzere  Schnauze 
und  kleinere  Zahl  der  Flossenstrahlen  und  Körperringe 
von  Nerophis  ophidion  unterschiedene  Art  ist  in  der  Nord- 
see vom  Sund  bis  Bergen  und  an  den  brittischen  Küsten 
verbreitet,  in  der  Ostsee  dagegen  noch  nicht  beobachtet. 
Da  mehrere  der  angeführten  Artmerkmale,  vor  allem  der 
kürzere  und  emporgekrümmte  Rüssel,  Eigenschaften  sind, 
welche  auch  für  jugendliche  Individuen  von  Nerophis 
ophidion  charakteristisch  sind,  so  vermuthe  ich,  dass  N. 
lumbriciformis  nur  eine  Varietät  der  ersteren  Art  ist  und 
zu  ihr  in  einem  ähnlichen  Verhältnisse  steht,  wie  Syng. 
rostellatus  zu  Syng.  acus  (vergl.  oben)  oder  Gobius  minutus 
var.  minor  zu  var.  major. 


Litteratur. 


1624  Schonevelde,  Ichthyologia  seu  nomenclator  animalium  etc. 
Hamb.  1624.  4».  (ICnthält  meist  Beobachtungen  über  die  Fische 
der  Kieler  Bucht.) 


340  Friedrich  Heincke ; 

1782  ß  loch,  M.  E.,  Oekonomische  Naturgeschichte  der  Fische  Deutsch- 
lands. Bd.  1  bis  3.  Berlin  1782—84. 
1786  Euphrasen,    Gobius  Ruthensparri.    K.  Vetensk.    Akad.    Nya 

Handlingar.  Stockholm.  Tom.  7.  1786.  p.  64—67. 
1794  Siemssen,  Ad.  Chr.,  Die  Fische  Mecklenburgs.  Rostock  und 

Leipzig  1794. 
1832  Nils  so n,    S.,    Prodromus  faunae  ichthyologiae   Skandinaviae. 

Lundae,  1832. 
1835  Eck  ström,  C.  ü.,    Die  Fische    in   den  Schären    von    Morkö. 

Uebersetzt  von    Dr.  F.  C.  H.  Creplin.      Mit    6  Kupfertafeln. 

Berlin,  1835. 
1837  Cuvier  et   Valenciennes,  Histoire    naturelle  des   poissons. 

Paris  1828—49. 
1837  Fries,  B.  Fr.,   Ichthyolog.  Bidrag   til    Skandinav-  Fauna.    K. 

Vet.-Akad.   Handling.  Stockholm,  1837,  p.   23—58.   Uebersetzt 

im  Archiv  f.  Naturgeschichte,  1838  I,  p.  236. 

1839  —  —  Untersuchung  der  an  den  schwedischen  Küsten  vor- 
kommenden Arten  der  Gattung  Gobius  L.  Uebersetzt  von 
Creplin.     Archiv  f.  Naturgeschichte  1840.  I  p.  233. 

1840  Fries  och  Eckström,  Skandinavisk  Fiskar.  Stockholm.  (Illu- 
strirt  von  Wright.) 

1840  Kroyer,  Henrik,  Danraarks  Fiske.  Kjobenhavn  1838 — 53 
(3  Bände). 

1841  Yarrel,  Will.,  A  History  of  British  Fishes.  Second  Edition. 
Vol.  I  and  II.  London   1841. 

1855  Nils  so n,  S.,  Skandinavisk  Fauna.  IV.  Delen.  Fiskarna. 
Lund,  1855. 

1859  Boll,  E.,  Die  Fische  Mecklenburgs.  Archiv  des  Vereins  der 
Freunde  der  Naturgeschichte  in  Mecklenburg.  13.  Jahrg.  Neu- 
brandenburg 1859. 

1859  Günther,  Albert,  Catalogue  of  the  fishes  in  the  Collection 
of  the  British  Museum.  Tom.  I-VIII,  London  1859—70. 

1863  Malmgren,  A.  J.,  Finlands  Fiskfauna.  (?)  Uebersetzt  im 
Archiv  für  Naturgeschichte  1864. 

1865  D  umeril,  Aug.,  Histoire  naturelle  des  poissons  ou  Ichthyologie 
generale.  Paris,  1865 — 70. 

1867  Lindström,  Gotlands  Fiskfauna  (im  Haushaltungsbericht  von 
Gothland  erschienen ;  genaueres  kann  ich  nicht  angeben). 

1868  Steindachner,  Sitzungsberichte  der  Wiener  Akademie,  1868. 
57.  p.  398-416. 

1870  Malm,  A.  W.,  Beskrifning  pä  tre  for  den  Skand.  Fauna  nya 
fiskarter.  Öfversigt  af  Kongl.  Vetensk.-'Akad.  Förhandl.  1870, 
Nr.  7.  Stockholm. 

1871  Holland,  Th.,  Die  Wirbelthiere  Pommerns.  Stolp.  1871. 


DieGobiidae  und  Syngnathidae  der  Ostsee.  341 

1873  Malm,  A.  W.,  Om  Svenska  Gobiider.  Foredrag  paa  det  11. 
skandinaviske  Naturforskermode  i  Kjobenhavn    1873. 

1874  Malm,  A.  H.,  Om  den  brednäbbade  kantnälens,  Siphonostoma 
typhle  Yarr.  utveckling  och  fortplantning.  Lund,  1874. 

1874  Win t her,  G.,  Om  de  Danske  Fiske  af  Slaegten  Gobius.  Natur- 
historisk  Tidsskrift  1874. 

1875  Wittmao k,  L,  Beiträge  zur  Fischerei-Statistik  des  deutschen 
Reichs  u.  s.  w.  Mit  1  Karte.  Circular  Nr.  1  des  deutschen 
Fischerei- Vereins.  Berlin  1875. 

1877  Winther,  G.,  Om  de  Danske  Fiske  af  Slaegten  Gobius.  Fort- 
saettelse.  Naturh.  Tidsskrift  1877. 

1877  Hubrecht,  Om  eene  nieuwe  Gobiussoort  uit  de  Noordzee.  Go- 
bius Taalmankipii  (Ort?). 

1877  Seidlitz,  G.,  Fauna  baltica.  Die  Fische  (Pisces)  der  Ostsee- 
provinzen Russlands.  Archiv  für  die  Naturkunde  Liv.  —  Ehstl. 
—  u.  Kurlands.  Serie  II,  Bd.  8.  Lief.  1.  Dorpat  1877. 

1879  Lenz,  H.,  Die  Fische  der  Travemünder  Bucht.  Circular  des 
deutschen  Fischerei-Vereins.  Berlin  1879. 


Biologische   Bemerkungen. 

Die  vorstehenden  Beschreibungen  geben  mir  Veran- 
lassung zu  Bemerkungen  über  einige  wichtige  Fragen  der 
zoologischen  Systematik  und  der  geographischen  Verbrei- 
tung sowie  über  die  Existenz  und  die  Entstehung  von 
Localvarietäten.  Auch  die  sogenannten  secundären  Ge- 
schlechtscharaktere sind  bei  den  beschriebenen  Arten  so 
auffallend  entwickelt,  dass  sie  ein  allgemeineres  Interesse 
beanspruchen  können. 

Dass  die  folgenden  Erörterungen  wesentlich  descen- 
denztheoretisch  sind,  ist  begreiflich.  Sollten  sie  dem 
Leser  im  Vergleich  mit  dem  dargebotenen  Material  zu  weit- 
schweifig oder  zu  gewagt  erscheinen,  so  bemerke  ich,  dass 
ich  ähnliche  Erscheinungen,  wie  bei  den  beschriebenen 
Fischen,  noch  bei  einer  grossen  Zahl  anderer  Arten  in  der 
Kieler  Bucht  beobachtet  habe,  ja  ich  darf  sagen,  bei  allen, 
welche  ich  überhaupt  genauer  untersuchte.  Vor  allem  gilt 
dies  von  den  heringsartigen  Fischen,  welche  ich  in  meinen 
Abhandlungen  über  die  Varietäten  des  Herings  ausführlich 


342  Friedrich   Heincke: 

behandelt  habe  ^)  und  von  den  Stichlingen,  über  welche  ich 
demnächst  meine  Beobachtungen  zu  publiciren  gedenke. 

1.   Variabilität  der  Species. 

Ich  brauche  nicht  besonders  hervorzuheben,  dass  der 
Umfang  der  Variation  bei  allen  fünf  beschriebenen  Arten 
ein  sehr  bedeutender  ist.  Selbst  die  am  wenigsten  vari- 
irende  Art,  Gobius  Ruthensparri,  zeigt  in  einem  der  wich- 
tigsten specifischen  Charaktere,  der  Zahl  der  Strahlen  in 
der  ersten  Rückenflosse,  welche  in  der  Regel  7  beträgt,  eine 
Variation,  indem  gelegentlich  6  oder  8  Strahlen  vorkommen. 

Die  Veränderlichkeit  der  specifischen  Cha- 
raktere ist  überhaupt  bei  allen  von  mir  unter- 
suchten Arten  eine  regelmässigeErscheinung  und 
eine  Haupt-Ursache  jener  unendlichen  Verwirrung  in  der 
Synonymik,  welche  die  Berücksichtigung  der  gesammten  Lit- 
teratur  einer  Species  zu  einer  so  ermüdenden  und  undank- 
baren Arbeit,  ja  in  einzelnen  Fällen  die  Herstellung  einer 
richtigen  Diagnose  unmöglich  macht. 

Die  Gegner  des  Darwinismus  können  sich  noch  immer 
nicht  mit  dieser  Thatsache  vertraut  machen  und  erschöpfen 
sich  in  Versuchen,  den  echten,  constanten  Charakter  der 
Art  aufzufinden.  Sie  mühen  sich  meistens  vergeblich  ab, 
denn  auch  unter  der  Voraussetzung,  dass  es  con- 
stante  Artmerkmale  giebt,  ist  doch  ihre  Methode 
so  unvollkommen,  dass  die  Entdeckung  derselben 
unmöglich  wird.  In  meinen  Arbeiten  über  den  Hering 
habe  ich  die  Mängel  unserer  bisherigen  systematischen  Me- 
thode genauer  zu  entwickeln  versucht  und  die  Mittel  ange- 
geben sie  zu  vermeiden.  Vor  allem  ist  nöthig  —  und  das 
zeigt  auch  das  hier  gegebene  Material: 

1.  Eine  möglichst  grosse  Zahl  von  Individuen  zu  ver- 
gleichen, um  den  Umfang  der  Variation  und  die  Ueber- 
gänge  zwischen  den  Extremen  derselben,  welche  meistens 
als  eigene  Arten  beschrieben  wurden,  aufzufinden. 

2.  Die  Alters-  und  Geschlechtsverschiedenheiten  auf- 
zusuchen. 

1)  In  den  Jahresberichten  der  Commission  zur  wissenschaft- 
lichen Untersuchung  der  deutschen  Meere  in  Kiel. 


Die  Gobiidae  und  Syngnathidae  der  Ostsee.  343 

Beides  geschieht  fast  niemals  in  genügendem  Grade. 
Wie  wäre  es  sonst  möglich,  dass  aus  den  drei  in  der  Ostsee 
vorkommenden  Gobius-Arten  12  bis  20  Species,  aus  Sipho- 
nostoma typhle  5  besondere  Arten  gemacht  worden  sind? 
Jede  genauere  Untersuchung  einer  Fischart  hat  mir  bis 
jetzt  gezeigt,  dass  die  Alters-  und  Geschlechtsunterschiede 
(wobei  ich  von  der  Embryonalentwicklung  natürlich  ganz 
absehe)  sehr  gross  sind.  Hierzu  sind  die  Nerophis  Arten 
treffliche  Beispiele.  Die  Jungen  haben  noch  lange  nach 
dem  Ausschlüpfen  Flossen,  welche  den  erwachsenen  Thieren 
fehlen  und  ihr  Körper  ist  eckig  und  mit  dornartigen  Her- 
vorragungen versehen,  während  sie  später  völlig  rund  und 
glatt  werden.  Dadurch  gleichen  sie  in  der  That  weit  mehr 
gewissen  Arten  aus  einer  ganz  andern  Gattung  z.  B.  Syn- 
gnathus  phlegon,  als  ihren  eignen  Eltern.  Fast  auffallender 
noch  sind  die  oben  beschriebenen  Unterschiede  der  Männ- 
chen und  Weibchen  von  Nerophis.  Günther,  der  gewissen- 
hafteste und  gelehrteste  der  Ichthyologen,  beschreibt  in 
seinem  Catalogue  of  the  fishes  etc.  Bd.  Vin,  p.  194  die 
Gattung  Protocampus  mit  der  einen  Art  hymenolomus  und 
giebt  als  Gattungsmerkmal  einen  medianen  Hautsaum  auf 
Rücken  und  Bauch  an.  Zwei  im  Kieler  Museum  befind- 
liche Exemplare  aus  dem  atlantischen  Ocean  stimmen  völlig 
mit  der  Günther'schen  Beschreibung  und  liefern  den 
Beweis,  dass  Protocampus  hymenolomus  aus  Weibchen 
einer  Nerophis-Art  besteht,  welche  keinen  fassbaren  Unter- 
schied von  der  oben  beschriebenen  Art  N.  aequoreus 
besitzt.  Dieser  Umstand  ist  in  so  fern  von  grossem  Inte- 
resse, als  die  Günther'schen  Exemplare  seines  Protocam- 
pus hymenolomus  von  den  Falklands-Inseln  stammen,  also 
ein  neues  Beispiel  zu  der  von  Günther  selbst*)  hervorge- 
hobenen Erscheinung  sind,  dass  gewisse  gemeine  Fischarten 
der  europäischen  Meere  (z.  B.  Zoarces  viviparus)  unter 
physikalisch  ähnlichen  Lebensbedingungen  auch  auf  der 
südlichen  Hemisphäre  vorkommen. 

Möge  man  in  den  vorstehenden  Fischbeschreibungen 
einen  Versuch  erblicken,  solche  Fehler,  wie  die  geschilder- 


1)  Zoological  Record  1871,  p.  93. 


344  Friedrich  Heincke : 

ten  zu  vermeiden.  Vielleiclit  sind  sie  manchem  Ichthyologen 
eine  Warnung,  allzu  schnell  neue  Arten  zu  creiren.  Ebenso 
verkehrt  freilich,  wie  die  Sucht  möglichst  viele  Arten  zu 
machen,  ist  das  Gegentheil,  nämlich  allzuviel  verschiedene 
Formen  unter  einen  Begriff  zu  bringen.  Ich  könnte  eine 
namhafte  Zahl  moderner  Autoren  aufführen,  welche  ein 
besonderes  Vergnügen  darin  finden,  möglichst  viele  Arten 
zusammenzuwerfen.  Auch  Günther  ist  hiervon  nicht  frei. 
Ich  werde  im  Folgenden  zeigen,  wie  wenig  dies  andere 
Extrem  einer  wissenschaftlichen  Systematik  nützen  kann. 

2.   Localvarietäten. 

Bei  Siphonostoma  typhle  betonte  ich,  dass  ohne 
Zweifel  die  in  der  Kieler  Bucht  vorkommenden  Thiere 
eine  Localvarietät  bilden.  Ich  konnte  die  Eigenschaften 
derselben  jedoch  nicht  bestimmt  angeben,  einmal  weil  mir 
zur  Vergleichung  Exemplare  von  andern  Gegenden  in  aus- 
reichender Menge  fehlten,  anderseits,  weil  überhaupt  die 
Zahl  der  von  mir  untersuchten  Individuen  zu  gering  ist. 

Meine  Untersuchungen  über  die  vielbesprochenen 
Localracen  des  Herings  haben  mich  überzeugt,  dasslndi- 
viduen  einer  Species  an  einem  nicht  zu  eng  um- 
grenzten Wohnort  immer  ein  örtliches  Gepräge  in 
ihrer  Körperform  besitzen.  Um  dies  zu  erkennen  bedarf 
es  aber  der  Vergleichung  sehr  vieler  Einzelthiere  aller  Alters- 
stufen von  verschiedenen  Orten.  Auf  keinen  Fall  genügt  es 
aus  der  abweichenden  Beschaffenheit  eines  oder  mehrerer 
Individuen  einer  Oertlichkeit  B  von  denen  des  Bezirks  A  den 
Schluss  zu  ziehen,  dass  die  unterscheidenden  Merkmale  die 
wirklichen  Charaktere  der  Localvarietät  vorstellen.  In 
der  Regel  verfahren  aber  unsere  Systematiker  auf  diese 
ganz  verkehrte  Weise.  Es  wird  ihnen  z.  B.  ein  auffallend 
gefärbtes  oder  mit  einem  besonders  langen  Rüssel  versehenes 
Exemplar  von  Siph.  typhle  aus  dem  Mittelmeer  zugesandt 
und  sogleich  als  Typus  einer  mediterranen  Localvarietät 
angesehen.  Nun  kann  es  aber  vorkommen  —  und  mir  ist 
es  sehr  häufig  so  gegangen  —  dass  die  Untersuchung  einer 
grössern  Zahl  von  Individuen  der  Ostsee  zur  Entdeckung 


Die  Gobiidae  imd  Syiignathidae  der  Ostsee.  345 

eines  oder  mehrerer  Thiere  führt,  welche  jenem  Mittelmeer- 
Exemplar  völlig  gleichen.  Der  erste  Schluss  war  also 
falsch.  Er  wird  aber  in  Folge  der  mangelhaften  Unter- 
suchungen so  häufig  gemacht,  dass  fast  alle  Sätze  der 
Thiergeographie,  welche  aus  dem  Vorkommen 
sog.  stellvertretender  Varietäten  hergeleitet  wur- 
den, unzureichend  begründet  sind.  Was  Fische  betrifft, 
so  dehne  ich  diese  Behauptung  sogar  auf  viele  der  stell- 
vertretenden Arten  aus.  Anderseits  können  sehr  wohl 
Localvarietäten  existiren,  wo  die  bisherige,  oberflächliche 
ßeschreibungsmethode  dieselben  negiren  muss.  Dies  ist, 
wie  ich  glaube,  bei  allen  kosmopolitischen  Species  der 
Fall.  Erscheint  es  doch  aus  allgemeinen  Gründen  von 
vorne  herein  als  eine  Naturnothwendigkeit,  dass  jede 
Localität,  wenn  sie  eigenartige  Combinationen  von  Lebens- 
bedingungen besitzt  —  und  das  muss  immer  der  Fall 
sein  —  auch  den  in  ihr  lebenden  Individuen  einer  Art 
ihre  Signatur  verleiht.  Merkmale  der  Local formen 
sind  immer  da,  aber  sie  können  sehr  wenig  abweichend 
und  sehr  versteckt  sein  und  sind  unter  allen  Umständen 
schwierig  zu  bestimmen. 

Um  so  mehr  ist  es  Pflicht,  wenn  anders  die  Syste- 
matik wissenschaftlich  und  nicht  blos  dilettantisch  sein 
will,  an  jedem  einzelnen  Verbreitungsort  eine  grosse  Indi- 
viduenzahl ausführlich  und  genau  zu  beschreiben.  Der 
vorliegende  Aufsatz  will  auch  hierzu  einen  Beitrag 
liefern. 

Nun  ist  auch  klar,  dass  ein  zu  weit  gehendes  Zu- 
sammenwerfen von  Arten  zwecklos,  ja  schädlich  ist,  wenn 
dadurch  die  wirklichen  Unterschiede  der  Localformen  in 
der  für  alle  gültigen  Artdiagnose  spurlos  verschwinden. 
Sollen  sich  unsere  Kenntnisse  von  den  Wechselbeziehungen 
zwischen  Form  und  Lebensweise  vertiefen,  so  ist  die  scharfe 
Unterscheidung  der  Racen  und  Varietäten  der  erste  Schritt 
dazu.  Hier  eröffnet  sich  der  Wissenschaft  ein  neues,  noch 
wenig  bearbeitetes  Forschungsgebiet,  welches  bei  sorgfäl- 
tigem Anbau  ein  ebenso  erfreuliches  Bild  geben  wird,  wie 
die  vergleichende  Anatomie  und  Physiologie. 


346  Friedrich  Heincke: 

3.  Eintritt  von  Seefischen  in's Brack- und Süss- 
wasser  verbunden  mit  Racenbildung. 
Es  ist  längst  bekannt,   dass   eine  grosse  Anzahl  der 
verschiedensten  Thierarten,  deren  eigentliche  Heimath  das 
Salzwasser  des  Meeres  ist,  in  brackische  Buchten  und  rein 
süsses  Wasses  mehr  oder  weniger  tief  eindringen.     Sem- 
p er  hat  neuerdings  diesen  Gegenstand  genauer  behandelt^). 
Was  die  Fische  der  Ostsee  anbelangt,   so   finde   ich, 
dass  diese  Erscheinung  ausserordentlich  häufig  ist. 

Jn  der  Ostsee  beträgt  die  Zahl  der  bis  jetzt  mit 
Sicherheit  beobachteten  Fischarten  gerade  100.  Hiervon 
sind  ungefähr  61  ständige  Bewohner  derselben  und  39 
Arten  Gäste,  welche  durch  den  Sund  und  die  Belte  aus 
Nord  und  Süd  zu  uns  kommen.  Unter  den  61  ständigen  Be- 
wohnern sind  24,  meist  auf  den  östlichen  Theil  der  Ostsee 
beschränkte  Arten,  deren  eigentliche  Heimath  das  Süsswasser 
ist,  welche  aber  regelmässig  in  den  Schären  und  Buchten  von 
Schweden  und  Finnland  vorkommen.  Hierzu  gehören  viele 
unserer  gemeinen  Weissfische.  Somit  bleiben  37  Species, 
deren  eigentliche  Heimath  das  Meer  ist  und  von  ihnen  gehen 
nach  meiner  und  anderer  Autoren  Beobachtung  nicht  weniger 
als  20  in  das  Brack-  und  Süsswasser  hinein.  Von  mindestens 
12  derselben  ist  auch  bewiesen,  dass  sie  sich  in  dem  frem- 
den Element  fortpflanzen.  Einige  freilich  dringen  nur  zum 
Laichen  in  dasselbe  vor  (z.  B.  der  Hering);  doch  lässt  sich 
von  folgenden  10  Arten  mit  einiger  Sicherheit  behaupten, 
dass  sie  ständige  Bewohner  des  Brack- resp.  Süsswassers  sind. 

Gasterosteus  aculeatus. 

Gast.  pungitius, 

Gobius  minutus, 
„       niger, 

Cottus  scorpius, 
„       quadricornis, 

Pleuronectes  flesus, 

Clupea  alosa 

Siphonostoma  typhle, 
Nerophis  ophidion. 

1)  Die  natürlichen  Existenzbedingungen  der  Thiere  1,  p.  180. 
Internationale  wissenschaftliche  Bibliothek.  39.  Band.  Leipzig  1880. 


Die  Gobiidae  und  Syngnathidae  der  Ostsee.  347 

Die  mitgetheilte  Thatsache  gewinnt  durch  eine  weitere 
Beobachtung  bedeutend  an  Interesse.  So  viel  ich  weiss, 
ist  noch  niemals  bei  Fischen  nachgewiesen  worden,  dass 
der  Eintritt  einer  Meerart  in's  Brackwasser  mit  einer  Ver- 
änderung der  morphologischen  Speciesmerkmale,  mit  einer 
Racenbildung,  verknüpft  ist.  Und  doch  ist  dies  aus  allge- 
meinen Gründen  nothwendig.  Ich  finde  es  auch  in  der 
That  überall  da,  wo  ich  etwas  eingehendere  Untersuchun- 
gen angestellt  habe.  Am  schönsten  lässt  sich  die  allmäh- 
liche Umwandlung  der  Species  unter  der  Einwirkung  der 
neuen  Lebensbedingungen  bei  Gast,  aculeatus  beobachten; 
hier  wird  aus  der  Meerform  trachurus  die  Süsswasserform 
leiurus.  Nicht  minder  interessant  ist  die  Entstehung  der 
Brackwasserform  Gobius  minutus  var.  minor  aus  Gob. 
minutus  var.  major,  welche  ich  oben  genauer  beschrieben 
habe.  Die  Brackwasserform  lässt  sich  hier  defi- 
niren  als  eine  geschlechtsreif  gewordene  Jugend- 
stufe der  im  Salzwasser  lebenden  Art,  deren 
morphologische  Unterschiede  entschieden  erbliche  sind. 

Ich  bin  überzeugt,  dass  eine  genauere  Prüfung  der 
andern  namhaft  gemachten  Arten  ebenfalls  zur  Entdeckung 
von  Localformen  führen  wird.  Bei  der  grossen  Wichtigkeit 
dieses  Gegenstandes  erlaube  ich  mir  noch  kurz  auf  unsere 
beiden  gemeinsten  Plattfischarten,  Pleuronectes  platessa,  die 
Scholle  und  Pleuronectes  flesus,  den  Flunder  hinzuweisen.  Der 
Flunder  unterscheidet  sich  von  der  Scholle  wesentlich  nur 
dadurch,  dass  die  Seiten  des  Körpers,  gewöhnlich  nur  die 
gefärbte,  augentragende,  von  schuppenartigen  Concretionen 
rauh  wie  Sandpapier  sind,  während  PL  platessa  eine  glatte 
Haut  besitzt.  Ausserdem  hat  die  Scholle  die  Augen  stets 
rechts,  der  Flunder  aber  fast  ebenso  häufig  auf  der  linken 
Seite  wie  auf  der  rechten.  Die  geographische  Verbreitung 
beider  Arten  ist  dadurch  verschieden,  dass  PI.  flesus  so- 
wohl weiter  in  die  östliche  Ostsee  vordringt  als  auch  in 
brackischen  Buchten  und  Flüssen  lebt  und  sich  dort  regel- 
mässig fortpflanzt.  PI.  platessa  dagegen  kommt  nur  im 
Meere  vor. 

Nun  giebt  es  eine  Varietät  von  PL  platessa,  welche 
schon  seit  längerer  Zeit  als  var.  pseudoflesus  von   den 


348  Friedrich  Heincke  : 

Autoren  aufgeführt  wird,  sonst  aber  wenig  bekannt  ist. 
Diese  interessante  Form  ist  in  der  Kieler  Bucht  gar  nicht 
selten  und  heisst  bei  den  Fischern  „Blendling".  Sie  ist 
eine  wirkliche  Mittelform  zwischen  PI.  platessa  und  flesus, 
indem  ihre  Schuppen  gezähnt  sind.  Anfangs  hielt  ich  sie 
für  einen  gelegentlich  auftretenden  Bastard,  seit  ich  aber 
eine  grössere  Anzahl  gesammelt,  allmähliche  Uebergänge 
von  pseudoflesus  zu  den  beiden  Arten  beobachtet  habe  und 
einmal  zwei  Exemplare  des  „Blendlings"  mit  reifen  Ge- 
schlechtsprodukten erhielt,  glaube  ich  schliessen  zu  dürfen, 
dass  die  beiden  Species  PI.  platessa  und  flesus  nur  scharf 
ausgeprägte  Varietäten  einer  einzigen  Art  sind.  Vielleicht 
war  die  Scholle  die  ursprüngliche  Form,  aus  welcher  sich 
in  flacherem  Küstenwasser  und  in  brackischen  Buchten  der 
Flunder  entwickelte.  Die  Trennung  beider  Arten  ist  jetzt 
schon  weit  gediehen,  so  dass  die  Mittelformen  im  ganzen 
selten  sind.  Beachtenswerth  ist  auch,  dass  ich  einen 
Pleur.  pseudoflesus  gesehen  habe,  welcher  die  Augen  links 
hatte,  was  bei  platessa  nie  vorkommt,  bei  flesus  aber,  wie 
gesagt,  fast  ebenso  häufig  ist,  wie  das  GegentheiP). 

Ein  ganz  ähnliches  Verhältniss  wie  zwischen  Pleur. 
platessa  und  flesus  besteht  übrigens  zwischen  Rhombus 
laevis,  dem  Glattbutt  und  Rh.  aculeatus,  dem  Steinbutt. 
Letztere  Art  unterscheidet  sich  von  ersterer  nur  durch  den 
Besitz  von  steinartigen  Hautknochen.  Ich  habe  einen  Stein- 
butt gesehen,  der  nur  drei  Hautknochen  besass;  ohne 
Zweifel  sind  alle  Uebergänge  zwischen  beiden  Arten  vor- 
handen. Was  die  geographische  Verbreitung  betrifi't,  so 
ist  der  Steinbutt  in  der  Ostsee  häufiger  als  der  Glattbutt 
und  geht  weiter  nach  Osten  (nach  Ma Imgren  bis  zum 
Quarken).  Anderseits  ist  bis  jetzt,  soviel  mir  bekannt,  nur 
Rh.  laevis  im  Süsswasser  gefunden,  in  Deutschland  in  der 
Elbe,  Weser  und  Hunte  (Siemssen  1.  c,  Wiepken  und 
Greve,  Wirbelthiere  Oldenburgs.  Oldenburg,  1876,  p.  83). 

1)  Nach  Abschluss  des  Maniiscripts  finde  ich  noch  bei  N  i  1  s- 
son,  Observationes  ichtbyologicae,  Particula  prima.  Lundae  1835, 
die  Notiz,  dass  Pleur.  platessa  im  Kattegat  zuweilen  mit  den  Augen 
auf  der  Unken  Seite  vorkommt.  Vielleicht  waren  die  beobachteten 
Exemplare  var.  pseudoflesus. 


Die  Gobiidae  und  Syngnathidae  der  Ostsee.  349 

Es  würde  mich  freuen,  wenn  auch  andere  Ichthyolo- 
logen  diese  interessante  Frage  näher  untersuchen  wollten. 


4.  Eine  merkwürdige  Beziehung  zwischen  Körper- 
form, geographischer  Verbreitung  und  Ontogenie 
bei  den  Seenadeln. 

Bei  der  Beschreibung  der  Seenadeln  habe  ich  nach- 
gewiesen, dass  sowohl  Siph.  typhle  und  Nerophis  ophidion 
im  jugendlichen  Alter  einen  eckigen,  an  den  Kanten 
säge  artig  gezähnten  Körper  haben.  Bei  Erwachsenen 
fehlt  dagegen  jede  Spur  von  Zähnelung. 

Nun  giebt  es  im  Mittelmeer  und  im  indischen  Ocean 
eine  ganze  Anzahl  von  Seenadeln  aus  den  Gattungen  Syn- 
gnathus  (z.  B.  Syngnathus  phlegon)  und  Dorichthys,  welche 
zeitlebens  einen  gezähnten  Körper  besitzen.  Bei  der  grossen 
Aehnlichkeit,  welche  zwischen  den  im  erwachsenen  Zustande 
glattrandigen  Seenadeln  der  Nord-  und  Ostsee  und  den 
Blättern  von  Zostera  marina  besteht,  muss  man  schliessen, 
dass  auch  die  mit  gesägten  Kanten  versehenen  Arten  ähn- 
liche Beziehungen  zu  Pflanzen  ihrer  Heimathsorte  haben. 
Vergleicht  man  nun  die  von  P.  Asche rson  (Petermann's 
Geogr.  Mittheilungen  1871  Heft  VII,  p.  241)  behandelte 
geographische  Verbreitung  der  Seegräser  mit  derjenigen 
der  Seenadeln  nach  Günther's  Katalog,  so  ergiebt  sich 
folgende  Parallele.  Gezähnte  Seenadeln  kommen  nur 
in  denjenigen  Meeren  vor,  wo  Seegräserarten  mit 
gezähnten  Blättern  wachsen.  Wo  letztere  fehlen,  an 
den  Küsten  Europas  und  im  schwarzen  Meer,  da  giebt  es 
auch  nur  Seenadeln  mit  glatten  Körperkanten.  Aus  dem 
Mittelmeer  erwähne  ich  als  Seegrasart  mit  gesägten  Blät- 
tern die  bekannte  Cymodocea  nodosa  Asch. 

Wer  Anhänger  der  Transmutationslehre  ist,  wird  aus 
den  geschilderten  Thatsachen  einen  weiteren  Schluss  ziehen. 
Da  unsere  glattrandigen  Arten  Siph.  typhle  und  Ner.  ophi- 
dion in  der  Jugend  einen  gezähnten  Körper  haben,  so  ist 
anzunehmen,  dass  ihre  Vorfahren  zeitlebens  diese  Eigen- 
schaft besassen  und  in  Meeren  lebten,  wo  Seegrasarten  mit 
gezähnten  Blättern  einheimisch  waren.     Dies  war  in  süd- 


350  Friedricli  Heincke: 

lieberen  Gegenden  der  Fall;  von  da  aus  wanderten  die 
gezähnten  Arten  nach  Norden,  um  allmählich  ihre  Körper- 
umrisse zu  verändern  und  sich  der  Form  eines  ganzrandi- 
gen  Seegrasblattes  anzupassen.  Nur  während  des  ersten 
Jugendalters,  wo  der  Kleinheit  des  Körpers  wegen  die 
Aehnlichkeit  mit  einem  Seegrasblatt  überhaupt  nicht  erzielt 
werden  kann,  behielten  die  Eingewanderten  die  angeerbte 
Körperform  bei. 

Ob  diese  Vermuthung  in  allen  Punkten  das  Richtige 
trifft,  ist  natürlich  zweifelhaft.  Jedenfalls  schien  mir  der 
Gegenstand  interessant  genug,  um  hier  besonders  hervor- 
gehoben zu  werden. 

Schliesslich  spreche  ich  noch  die  Erwartung  aus,  dass 
ein  genaueres  Studium  der  Seenadelarten  in  den  verschie- 
denen Meeren  auch  noch  zahlreiche  Beziehungen  zwischen 
der  Form  der  Bruttasche  und  den  Blüthenständen  der  ein- 
zelnen Seegrasarten  aufdecken  wird.  Beide  Dinge  sind 
wenigstens  ausserordentlich  mannigfaltig  entwickelt. 

5.  Die  Laichzeiten  der  Ostseefische  und  ihre 
Beziehung  zur  geographischen  Verbreitung. 

Ebenso  variabel  wie  die  specifischen  Charaktere  sind 
die  Laichzeiten  der  mir  genauer  bekannten  Ostseefische. 
Es  giebt  keine  einzige  Species  in  der  Kieler  Bucht,  welche 
nur  in  einem  bestimmten  Monat  ihre  Eier  ablegte,  von  den 
meisten  Arten  findet  man  Thiere  mit  völlig  reifen  Ge- 
schlechtsprodukten in  drei,  vier,  ja  fünf  aufeinanderfolgen- 
den Monaten.  Dies  gilt  z.  B.  von  den  beiden  beschriebenen 
Seenadelarten,  von  Gobius  minutus  var.  major  und  Gob. 
niger,  welche  sämmtlich  von  Mai  bis  August  laichen.  Bei 
Pleuronectes  flesus  und  platessa  erstreckt  sich  die  Fort- 
pflanzungsperiode über  die  fünf  Monate  Januar  bis  Mai. 
Der  Hering  endlich  laicht  in  allen  Monaten  des  Jahres 
mit  Ausnahme  des  Juli  und  August. 

Nimmt  man  noch  die  Angaben  hinzu,  welche  über 
das  Laichen  derselben  Species  in  andern  Theilen  der  Ost- 
see und  in  der  Nordsee  gemacht  sind,  so  ergiebt  sich  für 
jede  Art  nicht  selten  eine  Dauer  desselben  während  5  bis 


Die  Gobiidae  und  Syngnathidae  der  Ostsee.  351 

6  Monate  und  mehr.  Eine  allgemeine  Regel  scheint  zu 
sein,  dass  die  grösseren  Individuen  zuerst,  die  kleineren 
zuletzt  laichen.  So  ist  es  begreiflich,  dass  von  vielen 
Fischen  die  verschiedenen  Altersstufen  fast  in  allen  Jahres- 
zeiten neben  einander  gefunden  v^erden. 

Weit  mehr  Interesse  als  diese  Erscheinung,  die  auch 
bei  vielen  andern  Meeresbev^ohnern  beobachtet  ist,  bean- 
sprucht der  Umstand,  dass  die  grosse  Mehrzahl  aller  in 
der  Kieler  Bucht  lebenden  Fische  in  zwei  Gruppen  zerfällt, 
die  in  Bezug  auf  ihre  Laichzeit  diametral  verschieden 
sind.  Die  eine  Hälfte,  zu  der  die  Gobii,  Trigla-Arten,  La- 
bridae  und  Syngnathidae  gehören,  pflanzt  sich  fort  im 
Frühjahr  und  Sommer,  von  März  bis  August,  wenn^die 
Wärme  des  Wassers  allmählich  steigt  und  ihren  höchsten 
Grad  erreicht.  Die  zvireite  Hälfte,  welche  durch  die  Ga- 
didae  und  die  Cottus-Arten  vertreten  ist,  laicht  dagegen 
von  November  bis  Februar  in  Wasser,  dessen  Temperatur 
fortwährend  sinkt  und  gegen  das  Ende  dieser  Zeit  seine 
niedrigste  Stufe  erreicht.  Beide  Gruppen  lassen  sich  als 
Sommer-  und  Winter  fische  unterscheiden. 

Mit  dieser  Differenz  in  den  Laichzeiten  gehen  Unter- 
schiede in  der  geographischen  Verbreitung  parallel.  Die 
Sommerfische  sind  vorzugsweise  von  der  Ostsee  aus  nach 
Süden,  die  Winterfische  nach  Norden  hin  verbreitet.  Dies 
zeigen  am  besten  die  Gattungen  Gobius  und  Syngnathus 
auf  der  einen  und  Cottus  auf  der  andern  Seite.  Die  Gat- 
tung Gobius  hat  ihre  eigentliche  Heimath  in  südlichen 
Meeren,  von  ca.  150  Arten  kommen  nur  4  in  der  Nordsee 
und  3  in  der  Ostsee  vor;  die  äusserste  Station  nach  Norden 
ist  69^  n.  Br.  Bis  hierher  geht  Gobius  minutus  var.  major 
und  es  dürfte  kaum  ein  Zufall  sein,  dass  diese  Species 
von  den  drei  Ostseearten  am  frühesten  laicht,  nämlich 
schon  im  März  (cf.  oben).  Die  Gattung  Siphonostoma  findet 
ihre  nördlichste  Grenze,  soweit  bekannt,  schon  bei  Bergen 
(60V2^  n.  Br.).  Die  Gattung  Cottus  ist  dagegen  durchaus 
nordisch;  sie  fehlt  schon  im  Mittelmeer  gänzlich,  geht  aber 
sehr  weit  nach  Norden.  Cottus  scorpius  kommt  z.  B.  nach 
Malmgren  allgemein  an  der  Südwestküste  von  Spitzbergen 
vor;   die  Art   Cottus   groenlandicus  ist  nur  eine  Varietät 


352  Friedrich  Heineke: 

von  scorpius.  Von  den  Gadiden  endlicli  ist  allgemein  be- 
kannt, dass  sie  am  häufigsten  im  höchsten  Norde^n  sind 
und  damit  stimmt,  dass  ihre  Laichzeit  in  der  Ostsee  schon 
im  März  beendigt  ist.  Nur  einmal  in  sechs  Jahren  habe 
ich  aus  der  Kieler  Bucht  einen  kleinen  Dorsch  erhalten, 
der  noch  Anfang  Mai  reife  Eier  bei  sich  hatte. 

Die  eben  geschilderten  Beziehungen  werfen  meiner 
Ansicht  nach  ein  Licht  auf  die  Zusammensetzung  und 
Herkunft  der  Fischfauna  der  Ostsee.  Ihre  Bewohner  können 
als  Süd-  und  Nordfische  bezeichnet  werden  und  der  Schluss 
ist  berechtigt,  dass  in  vergangener  Zeit  Einwanderungen 
sowohl  aus  südlichen  wie  polaren  Gegenden  stattgefunden 
haben.  Diese  Einwanderungen  dauern  noch  jetzt  fort. 
Die  zuweilen  in  der  Ostsee  vorkommenden  Arten  Xiphias 
gladius,  Thynnus  vulgaris,  Brama  Rayi,  Mullus  surmu- 
letus  sind  Gäste  aus  südlichen  Meeren;  andere  wie 
Hippoglossus  maximus,  Stichaeus  lumpenus  kommen  da- 
gegen aus  hohem  Norden  gelegentlich  zu  uns.  Ausser 
den  beiden  Gruppen  der  Süd-  und  Nordfische  giebt  es 
übrigens  in  der  Ostsee  noch  eine  Anzahl  von  Arten,  welche 
von  beiden  abweichen.  Dies  sind  die  meisten  Pleuronec- 
tiden  und  die  Clupeiden.  Erstere  laichen  von  Januar  bis 
Mai,  letztere  haben  in  der  Ostsee  zwei  getrennte  Laichzeiten, 
die  eine  vorzugsweise  im  Brackwasser  von  April  bis  Juni, 
die  andere  im  Herbst  und  Winter  im  Salzwasser.  Durch 
meine  Untersuchungen  über  die  Varietäten  des  Herings, 
über  welche  demnächst  eine  ausführlichere  Abhandlung  er- 
scheinen wird,  ist  nachgewiesen,  dass  die  im  Frühjahr 
laichenden  Individuen  von  Clupea  harengus  und  Clupea 
sprattus  von  den  im  Herbst  laichenden  durch  erbliche  Racen- 
merkmale  unterschieden  sind. 

Die  geographische  Verbreitung  der  Pleuronectiden  und 
Clupeiden  stimmt  ebenfalls  mit  ihren  Laichzeiten;  beide 
Fischfamilien  sind  sowohl  im  Norden,  wie  im  Süden  ver- 
breitet. Schliesslich  bemerke  ich  noch,  dass  die  vorstehen- 
den Erörterungen  auch  eine  Stütze  für  die  oben  ausge- 
sprochene Hypothese  über  die  Herkunft  der  Seenadeln- 
Arten  der  Ostsee  sind.  Der  Umstand,  dass  beide  Sommer-, 
also  Südfische  sind,  stimmt  mit  der  Vermuthung,  dass  sie 


Die  Gobiidae  und  Syngnathidae  der  Ostsee.  353 

als   die  Nachkommen    von  Seenadelarten   mit   gezähntem 
Körper  aus  südlicheren  Meeren  eingewandert  sind. 

6.    Secundäre   Geschlechtscharaktere. 

Dieselben  sind  bei  den  Ostseefischen  mit  nur  wenigen 
Ausnahmen  (in  grossen  Schaaren  lebende  Oberflächenfische 
wie  Heringe,  Makrelen)  sehr  stark  entwickelt,  besonders 
in  der  Färbung,  was  z.  B.  die  Gobius-Arten  sehr  schön 
zeigen.  Am  bedeutendsten  sind  die  Farbenauszeichnungen 
bei  den  Männchen  der  Cottus- Arten,  welche  zur  Laichzeit, 
mitten  im  Winter,  in  wahrhaft  tropischen  Farben  prangen. 
Sehr  gering  sind  sie  bei  den  Plattfischen.  Meistens  schwin- 
den die  Farben  des  Hochzeitskleides  nach  der  Laichzeit 
sehr  bedeutend,  oft  völlig.  Im  übrigen  sind  sie  ausser- 
ordentlich variabel  und  finden  sich  bisweilen  auch  bei  dem 
andern  Geschlecht  angedeutet  (Vergl.  oben  Gattg.  Gobius). 

Die  secundären  Geschlechtscharaktere  von  Nerophis 
ophidion  haben  ein  ganz  besonderes  Interesse.  Hier  ist 
im  Gegensatz  zu  allen  andern  Fischen  das  Weibchen 
prächtiger  gefärbt  als  das  Männchen.  Solche  Fälle 
sind  im  Thierreich  ausserordentlich  selten.  Darwin 
nennt  in  seiner  Abstammung  des  Menschen  (Deutsche 
Uebersetzung  1871,  IL  p.  176)  ungefähr  ein  Dutzend  Vogel- 
arten, bei  denen  die  Weibchen  auffallender  gefärbt  sind, 
als  die  Männchen.  Parallel  damit  geht  fast  stets  eine  Um- 
kehrung in  den  Gewohnheiten  beider  Geschlechter  bei  der 
Brutpflege;  dieselbe  ist  ebenso  wie  bei  Nerophis  dem  un- 
scheinbarer gefärbten  Männchen  übertragen. 

Diese  Thatsache  stimmt  völlig  mit  der  Hypothese 
Darwins,  nach  welcher  die  schönern  Farben  des  einen 
Geschlechts  als  Reiz-  un4  Lockmittel  für  das  andere  dienen. 
In  der  Regel  ist  der  begehrlichere  und  bei  der  Begattung 
thätigere  Theil  das  Männchen,  welches  vom  Weibchen  zu- 
rückgewiesen oder  angenommen  wird.  Bei  den  Seenadeln 
ist  aber  höchstwahrscheinlich  das  gerade  Gegentheil  der 
Fall ;  das  Männchen  wird  bei  der  Begattung  ziemlich  pas- 
siv sein,  während  dem  Weibchen  die  Aufgabe  zufällt,  die 
Eier  in  der  Bruttasche  oder  am  Bauche  des  Männchens  zu 
befestigen. 

Archiv  für  Naturg.  XXXXVI.  Jahrg.  1 .  Bd.  23 


354  Friedrich  Heincke:  Die  Gobiidae  u.  Syngnathidae  der  Ostsee. 

Hiernach  muss  man  erwarten,  dass  bei  allen  Büschel- 
kiemern  die  Weibchen  auffallender  gefärbt  sind,  als  die 
Männchen,  denn  mit  einziger  Ausnahme  der  Gattung  Sole- 
nostoma  ist  überall  die  Ausbrütung  der  Eier  dem  männ- 
lichen Geschlechte  übertragen.  Leider  liegen  bis  jetzt  keine 
brauchbaren  Beobachtungen  über  diesen  Gegenstand  vor. 
Darwin  führt  auf  die  Autorität  von  Günther  hin  an, 
dass  die  männlichen  Hippocampi  eher  heller  gefärbt  sind 
als  die  weiblichen  und  dass  das  Weibchen  von  Solenostoma, 
welches  seine  Eier  selbst  ausbrütet,  eine  auffallendere  Fär- 
bung und  Zeichnung  besitze,  als  das  Männchen.  Beide 
Beobachtungen  würden,  wenn  sie  richtig  sind,  der  Hypo- 
these Darwins  widersprechen.  Meiner  Ansicht  nach  sind 
sie  jedoch  nicht  maassgebend,  denn  bei  der  grossen 
Veränderlichkeit  der  Fischfarben  können  die  von  Günther 
bei  Hippocampus  und  Solenostoma  beobachteten  Differenzen 
zwischen  den  beiden  Geschlechtern  rein  zufällige  sein. 

Zur  definitiven  Entscheidung  dieser  nicht  unwichtigen 
Frage  bedarf  es  jedenfalls  einer  genauem  Untersuchung 
lebender  Thiere.  Sehr  auffallend  ist,  dass  die  Weibchen  von 
Siphonostoma  typhle  kaum  einen  secundären  Geschlechts- 
charakter in  der  Farbe  aufzuweisen  haben. 


Acarinologisches. 

Von 

Dr.  0.  flauer. 


Hierzu  Tafel  XVII. 


I.     Pontarachna  Phil.    Eine  Hydrachnide  des 
mittelländischen  Meeres  (Taf.  XVII,  Fig.  1—4). 

Die  Zahl  der  bisher  aus  dem  Salzwasser  bekannten 
Milben  ist  eine  sehr  geringe.  Zwar  führt  Brady  (Proc. 
Zool.  Society  1875  Nr.  XX.)  eine  ganze  Reihe  solcher  an, 
die  grösstentheils  Gattungen  angehören,  welche  sonst  nur 
das  Land  bewohnen.  Zu  einer  kurzen  Uebersicht  vereinigt 
sind  es  1  Art  Trombidium,  3  Arten  Pachygnathus,  1  Art 
Raphignathus,  1  Art  Gamasus,  1  Art  Cheyletus,  2  Arten 
Halacarus,  und  1  Art  Halarachne.  Es  gilt  jedoch,  wie  ich 
aus  eigener  Erfahrung  weiss,  bei  der  Aufzählung  dieser 
„Salzwassermilben"  sehr  sorgfältig  zusein.  Viele  der  das 
Land  bewohnenden  Milben  verirren  sich  nämlich  nur  zu- 
fällig in  das  Salzwasser,  zappeln  sich  hier  einige  Zeit  lang 
erbärmlich  ab  um  bald  eben  so  elend  zu  Grunde  zu  gehen. 
Während  meines  Aufenthaltes  in  Messina  verirrten  sich  oft 
solche  Gäste  in  die  pelagische  Fauna.  Ich  sah  da  durch 
meinen  Simplex  bald  in  halb  ertrunkenen  Exemplaren,  die 
sich  nur  noch  zuckend  bewegten,  bald  als  Leichname 
mehrere  Male  einen  Dermanyssus,  wenig  verschieden  von 
Derman.  avium,  ebenso  oft  ächte  Gamasus-Arten,  dann 
mehr  vereinzelt  Cheyletus  u.  s.  w.  Auch  an  den  aller- 
kräftigsten  Exemplaren  war  leicht  zu  ersehen,  wie  unbe- 
haglich ihnen  das  ungewohnte  Element  war.  Von  einer 
Anpassung  an  das  neue  Medium  war   daher  jeden  Falles 


356  G.  Haller: 

keine  Rede,  sondern  es  drängte  sich  die  Frage  nacli  ihrer 
Herkunft  auf.  Da  antworteten  am  Besten  die  lokalen  Ver- 
hältnisse und  eine  zweite  Art  jener  verirrten  Gäste,  die 
Larven  und  Puppen  von  Mücken,  die  sich  ebenso  häufig 
wie  jene  vorfanden  und  die  doch  Niemand  desshalb  mit 
den  regelmässigen  pelagischen  Erscheinungen  zusammen- 
stellen wird.  Dagegen  liess  sich  in  ihrem  Auftreten  eine 
gewisse  Periodicität  constatiren.  Sie  fanden  sich  jeweilen 
nur  nach  Gewitterregen  oder  andauernden  Regengüssen. 
In  unmittelbarer  Nähe  Messina's,  ja  selbst  in  den  mächtigen 
Hafen  münden  zwei  oder  drei  Fiumaren,  jene  sicilianischen 
Gebirgsbäche,  die  während  der  trockenen  Jahreszeit  bis 
auf  wenige  stehende  Lachen,  die  nach  und  nach  ebenfalls 
verschwinden,  vollkommen  wasserlos  sind,  die  sich  aber 
bei  den  heftigen  Regengüssen  Siciliens  sofort  mit  Wasser 
füllen  und  dann  in  wildem  Laufe,  alles  was  sich  ihnen 
entgegenstellt  mitreissend  dem  Meere  zueilen.  Während 
den  trockenen  Tagen  sammelt  sich  in  ihnen  aller  möglicher 
Detritus  an,  der  sich  baldigst  mit  Milben  und  Larven  be- 
deckt. Schwellen  diese  Ströme  nun  plötzlich  an,^.so  reissen 
«ie  den  gesammten  Abfall  mit  sich  und  auf  ihm,  wie  auf 
Nothfahrzeugen  seine  Bewohner  dem  Meere  zu.  Nur  auf 
diese  Weise  lässt  es  sich  erklären,  wenn  eine  ansehnliche 
Menge  Landmilben  in  unser  Oberflächennetz  geräth ;  wahre 
Meeresbewohner  sind  es  ebensowenig  wie  die  oben  er- 
wähnten Larven  und  Puppen. 

Anspruch  auf  Bürgerrecht  in  der  Salzfluth  haben  nur 
diejenigen,  welche  auf  sie  durch  ihre  Lebensart  angewiesen 
sind  und  hier  giebt  es  so  wohl  frei  schwimmende,  wie 
parasitisch  lebende  Formen.  Ihre  Zahl  ist  eine  sehr  ge- 
ringe; doch  nähme  sie  vielleicht  zu,  würde  dem  Acarino- 
logen  mehr  Gelegenheit  geboten,  seine  Kenntnisse  am 
Meeresstrande  zu  erweitern.  Dieses  gilt  ganz  besonders 
auch  vom  Mittelmeere,  von  dem  bis  jetzt  nur  sehr  wenige 
Beobachtungen  vorliegen.  Gruber  berichtete  über  eine  an 
Schwämmen  parasitirende  Käfermilbe  (Gamasus  thalassinus) 
von  Triest,  Giard  über  eine  Synaseidien  bewohnende 
nicht  näher  bezeichnete  Milbe,  wahrscheinlich  ein  Halacarus, 
der  sich    auch    im  Golfe  von   Marseille  finden    soll.      Bei 


Acarinologisches.  357 

Villafranka  suchte  ich  diesen  Acarinen  stets  umsonst;  da- 
gegen scheint  nach  einer  Note  du  Plessis  so  glücklich  ge- 
wesen zu  sein,  ihn  daselbst  aufzufinden.  Von  Milben  aus 
dem  Mittelmeere  ist  mir  einzig  eine  freischwimmende  Form 
bekannt  geworden,  die  lange  vor  mir  auch  von  Philippi 
beschrieben  und  beobachtet  worden  ist.  Sie  ist  zugleich 
unter  den  wenigen  wahren  Salzmilben  die  einzige  ächte 
Hydrachnide,  und  stammt  mithin  aus  einer  auch  im  Süss- 
wasser  vertretenen  Milbenfamilie.  Bei  dem  grossen  Interesse, 
welches  sie  daher  eines  Theils  für  die  Kenntniss  der 
Mittelmeerfauna,  anderen  Theiles  für  die  der  Milben  über- 
haupt hat,  folgt  nachstehend  eine  ausführliche  Beschreibung 
derselben. 

Pontarachna  Philippi. 

Zoologische  Bemerkungen  von  Dr.  A.  Philippi. 
Dieses  Archiv  1840.    S.  191-193,    Taf.  IV,  Fig.  4  und  5. 

Seine  lateinische  Diagnose  lautete:  „Corpus  subglo- 
bosum.  Oculi  duo  remoti.  Mandibulae  .  .  .  nuUae?  .  .  . 
minimae?  Palpi  duo,  elongati  5-articulati;  articulo  quarto 
longiore,  quinto  brevi,  acuminato.  Coxae  utriusque  lateris 
unitae,  anticae  duae  in  linea  mediana  quoque  sese  tangen- 
tes.  Pedes  unguibus  duobus  uncinatis  terminati.  Vulvae 
lamina  crustacea  granulata  cincta!" 

Diagnose,  Beschreibung  und  Abbildung  sind  gleich 
mangelhaft  und  lassen  nur  mit  Mühe  vorliegende  Milbe 
erkennen.  Seit  Philippi  beschäftigte  sich  niemand  mehr 
mit  derselben  und  so  möchte  eine  erneute  Beschreibung 
der  Gattung  nothwendig  sein.  Es  gehört  derselben  nur 
eine  einzige  Art  an,  es  kann  daher  für  die  Kennzeichen 
derselben  auf  die  erneute  Beschreibung  der  Gattung  hinge- 
wiesen werden.  Ich  mache  mit  der  abgekürzten  Charak- 
teristik den  iVnfang. 

Aechte  Hydrachnide  im  Sinne  Kramer's.  Körper 
kugelig  bis  schwach  birnförmig.  Zwei  complicirte  beweg- 
liche Sehorgane.  Mandibeln  lang  borstenförmig;  Unter- 
lippe zu  einem  vollkommen  schnabelähnlichen  Gebilde  ge- 
schlossen; Palpen  verlängert  beinförmig  und  fünfgliederig; 
letztes  Glied  zugespitzt.  Vier  Coxalplatten,  die  ersten 


358  G.  Haller: 

sehr  genähert.  Neben  der  Geschlechtsöffnung 
keine  Haftnäpfe,  dagegen  zu  beiden  Seiten  des 
Abdomen's  zwei  stigmenartige  Drüsenmündungen. 
Eüsse  von  vorne  nach  hinten  an  Länge  zuneh- 
mend, von  gewöhnlicher  Länge;  längs  der  Beuge- 
seite mit  kurzen  aber  starken  Schwimmborsten, 
längs  der  Streckseite  mit  kurzen  Dornen  besetzt; 
mit  hackenartig  gekrümmten  einfachen  Krallen. 
Freischwimmende  Salzwasser  bewohn  er. 

Der  Körper  ist  mehr  oder  weniger  kugelig  bis  birn- 
förmig,  massig  variirend;  entweder  in  seiner  vordem  Hälfte 
oder  den  vordem  zwei  Drittheilen  kaum  merklich  ver- 
schmälert, stets  aber  vorne  stark  zugerundet.  Dabei  erweist 
er  sich  als  vollkommen  kahl  und  glänzend,  nur  mit  ganz 
vereinzelten  kurzen  auf  grossen  Chitinringen  inserirten 
Härchen  besetzt,  die  jedoch  durchaus  symmetrisch  auf  den 
beiden  Längshälften  des  Körpers  vertheilt  sind.  Auf  der 
Rückenfläche  erkennen  wir  nach  einwärts  von  den  Seh- 
werkzeugen drei  derselben,  die  in  ziemlich  weiten  Abstän- 
den in  einer  Reihe  hinter  einander  stehen.  Zwei  ähnliche 
finden  sich  nahe  dem  hinteren  Körperrande,  ähnlich 
gestellt. 

Nahe  dem  Seitenrande  und  durch  einen  weiten  Ab- 
stand getrennt  stehen  die  sehr  entwickelten  Sehorgane 
(Fig.  2).  Ihre  Organisation  erweist  sich  als  für  die  Gat- 
tung charakteristisch.  Die  Hauptmasse  derselben  wird 
durch  einen  mächtigen  walzlichen  Pigmentkörper  (a)  aus- 
gemacht; derselbe  steht  quer  von  innen  nach  aussen,  seine 
innere  Seite  ist  zugerundet,  die  äussere  ausgehöhlt  und  von 
einem  stumpfen  Fortsatze  überragt.  In  die  Concavität  der 
äusseren  Seite  passt  der  einzige  vorhandene  durchaus 
kugelige,  das  Licht  sehr  stark  brechende  Körper.  Etwas 
innerhalb  der  Mitte  entspringt  an  der  unteren  Fläche  der 
Pigmentanhäufung  ein  blasser  Streifen,  der  fast  senkrecht, 
mit  leichter  Neigung  nach  einwärts  nach  hinten  zieht. 
Wir  können  ihn  nicht  ganz  um  die  Länge  des  Pigment- 
körpers nach  hinten  verfolgen,  wo  er  in  einen  zweilappigen 
ebenso  blassen  Körper  übertritt  (ob  ein  besonderes  Gan- 
glion opticum?).  Das  Pigment  ist  tiefschwarz.    Ueber  den 


Acarinolügisches.  359 

ganzen  derartig  zusammengesetzten  Sehapparat  wölbt  sieh 
als  einfache  Hornhaut  in  mit  der  den  übrigen  Körper  über- 
ziehenden Schichte  ununterbrochener  Lage  die  allgemeine 
Körperdecke. 

An  der  Bauchfläche  nehmen  wir  vor  Allem  die  vier 
ausgedehnten  Epimeralplatten  (Fig.  1.  a^— a'^)  wahr,  die  in 
der  Mittellinie  durch  einen  nach  hinten  breiter  werdenden 
Abstand  getrennt  sind.  Die  vier  Platten  berühren  sich 
jederseits  in  ihrer  ganzen  Breite  durchaus,  ja  das  letzte 
Paar  schiebt  seinen  Vorderrand  sogar  zum  Theil  unter  den 
hinteren  des  Vorhergehenden.  Nach  der  Mitte  hin  sind 
sie  zugerundet  und  ihrer  ganzen  Länge  nach  von  einander 
durch  doppelte  Ränder  getrennt.  Das  zweite  Paar  erscheint 
von  etwas  geringerem,  alle  übrigen  von  ungefähr  dem 
nämlichen  Umfange.  Das  erste  Paar  wird  in  seiner  ganzen 
Länge  von  einer  bogigen  Liste  durchkreuzt,  welche  unge- 
fähr in  der  Mitte  der  Bauchfläche  mit  derjenigen  der 
gegenüberliegenden  Seite  fast  zusammenstösst  und  mit  ihr 
eine  ^förmige  Zeichnung  bildet.  Sie  beginnt  mit  einem 
weiten  Bogen  am  Seitenrande  des  Körpers  ungefähr  in  der 
Höhe  der  Augen  und  endet  mit  kleinem  Häkchen  dicht 
vor  der  Sexualgegend.  Die  von  diesen  Haken  halb  um- 
schlossenen Flecken  der  Bauchdecken  sind  wohl  jene  Stelle, 
von  welchen  Philipp!  sagt:  „Zwischen  den  Hüften  finden 
sich  zwei  kleine  Punkte,  von  denen  ich  mir  keine  Rechen- 
schaft zu  geben  weiss."  Weiteres  hierauf  Bezügliches  Hess 
sich  nicht  auffinden.  Vielleicht  entspricht  diese  Liste 
einem  nur  halb  erloschenen  Zweige  des  Tracheensystemes 
und  diese  Punkte  sind  die  Einmündungsstellen  derselben 
in  den  Haupttracheenstamm.  Da  ich  erst  an  Präparaten 
diese  Untersuchung  vornehmen  kann,  muss  ich  die  Begrün- 
dung dieser  Ansicht  späteren  Beobachtern  überlassen. 

Am  Anfange  der  hinteren  Hälfte  der  Bauchfläche, 
zwischen  den  zwei  hintersten  Platten  und  an  Länge  unge- 
fähr der  Breite  dieser  gleich  kommend,  liegt  die  stark 
entwickelte  Genitalgegend  (Fig.  1,  b.).  Ich  habe  bis  jetzt 
nur  Weibchen  zu  Gesichte  bekommen,  und  kann  daher 
nur  die  weiblichen  Organe  beschreiben.  Im  Centrum  liegt 
die  nur  wenig  länger  als  breite  ovale  Geschlechtsspalte. 


360  Gr.  Haller: 

Sie  wird  von  einer  kreuzweise  gespaltenen  gewölbten  Klappe 
bedeckt  und  von  zwei  gleichschenkligen  Chitinrahmen  um- 
geben, die  als  vorderer  und  hinterer  unterschieden  werden 
können.  Sie  sind  in  der  Mitte  merklich  verdickt  und  ihre 
Enden  berühren  sich  ohne  zu  verschmelzen.  Haftnäpfe, 
wie  wir  solche  stets  bei  Hydrachna  und  Ampognatha  fin- 
den, fehlen  stets  gänzlich.  Dagegen  findet  sich  auch  hier 
eine  Genitalplatte.  Sie  ist  deutlich  in  zwei  symmetrische 
Hälften  getheilt,  die  nur  dicht  hinter  der  Spalte  durch  eine 
schmale  Brücke  verbunden  sind.  In  der  Gestalt  erinnern 
beide  Hälften  an  gleichschenklige  Dreiecke  mit  grösstem 
sehr  stumpfen  Winkel,  und  nach  aussen  gekehrter  Spitze; 
die  beiden  Ecken  überragen  die  Geschlechtsspalte  merk- 
lich. In  der  hinteren  Hälfte  sind  sie  von  einer  sehr  ge- 
streckten aber  schmalen  nicht  chitinisirten  Stelle  der 
Bauchfläche  unterbrochen.  Wie  in  unserer  Figur  schema- 
tisch angedeutet,  charakterisirt  sich  die  Genitalgegend 
gleich  den  Coxalplatten  durch  die  feine  Punktulirung,  wie 
dieses  bereits  für  jene  von  Philippi  hervorgehoben  wor- 
den ist. 

In  gerader  Linie  von  der  Geschlechtsspalte  liegt  nahe 
dem  Hinterrande  des  Körpers  der  ausserordentlich  kleine, 
durch  Muskelzüge  bewegliche  After  (Fig.  c),  zu  welchem 
man  am  lebenden  Thiere  oft  kleine  Körnchen  ausstossen 
sieht,  die  in  tanzende  Bewegung  gerathen  und  sich  auch 
im  Wasser  noch  eine  Zeitlang  in  derselben  erhalten;  höchst 
wahrscheinlich  blos  eine  Folge  der  Molekularbewegung. 
Zu  beiden  Seiten  der  Analspalte  zieht  sich  eine  kurze  mit 
dem  Körperrande  «parallel  verlaufende  Reihe  von  drei 
winzigen  Härchen  nach  oben. 

Dicht  hinter  dem  letzten  Plattenpaare  jedoch  ganz 
nach  Aussen  zu  beiden  Seiten  des  Körpers  sind  zwei  ring- 
förmige, zierlich  skulptirte  Vorsprünge  wahrnehmbar  (Fig.  1. 
d  in  D  noch  stärker  vergrössert).  Ihrer  Gestalt  nach 
könnten  sie  mit  Stigmen  oder  auch  mit  Haftnäpfen  ver- 
glichen werden.  Tracheenmündungen  sind  es  nicht,  wissen 
wir  doch,  dass  sich  das  einzige  vorhandene  Paar,  ganz 
nach  vorne  verlegt,  an  der  Basis  des  Köpfchens  findet. 
Auch  Haftnäpfe  können  es  nicht  sein;  ihre  Stellung  so  weit 


Acarmologisches.  361 

seitwärts  lässt  diese  Ausleguug  nicht  zu;  es  fehlen  solche, 
ich  wiederhole  es,  überhaupt  gänzlich.  Dagegen  lässt  sich 
in  Betracht  ziehen,  dass  die  Excretionstaschen  der  Tyro- 
glyphen  und  Verwandten  sich  gerade  an  dieser  Stelle  fin- 
den und  es  scheint  dann  deren  Auslegung  als  Mündungen 
eines  parigen  Drüsenorganes  nicht  ungerechtfertigt. 

Die  Mundtheile  (Fig.  1  u.  3)  erweisen  sich  als  mit 
denen  von  Hydrachna  durchaus  übereinstimmend.  In  der 
Mitte  finden  wir  vor  Allem  eine  unbeträchtliche,  einem 
Vogelschnabel  durchaus  ähnliche  Vorragung  (Fig.  1  e  u. 
Fig.  5),  die  aus  zwei  leicht  demonstrirbaren  seitlichen  Hälften 
besteht.  Sie  entspricht  der  modificirten  Unterlippe.  Theil- 
weise  in  ihr,  theilweise  in  den  Körper  zurückgezogen  liegen 
in  der  Ruhe  zwei  lange,  einfache  und  dünne  Stechborsten, 
die  aus  den  Mandibeln  hervorgegangen  sind.  Bei  einigem 
Drucke  auf  das  Deckgläschen  gelingt  es  die  beiden  Hälften 
der  schnabelartigen  Unterlippe  seitwärts  auseinander  und 
die  Stechborsten  hervor  zu  treiben.  Zu  beiden  Seiten  von 
diesem  Saug-  und  Stechapparete  stehen  die  fünfgliederigen 
Palpen.  Sie  sind  sehr  lang,  faden-  oder  beinförmig  und 
gegen  das  Ende  hin  spitz  zulaufend.  Philippi  beschreibt 
dieselben  gleich  den  Extremitäten  recht  kenntlich;  von 
den  gesammten  Fress Werkzeugen  sind  es  jedoch  die  ein- 
zigen Theile,  welche  er  erkannt  hat.  Das  erste  Glied  ist 
kurz,  fast  ringförmig,  das  zweite  und  dritte  unter  sich  von 
gleicher  Länge,  dick  und  cylindrisch,  das  vierte  ungefähr 
so  lang,  wie  zwei  und  drei  zusammen,  etwas  dünner  als 
diese  und  nach  dem  Ende  hin  kaum  merklich  verschmälert, 
das  fünfte  endlich  ist  ungefähr  von  gleicher  Länge  wie 
zwei  und  drei  und  vom  Ursprünge  an  stark  zugespitzt. 

Die  vorderen  Beinpaare  übertreffen  kaum  die  Länge 
des  Leibes,  die  hinteren  sind  anderthalb  mal  so  lang.  Die 
ersten  Glieder  sind  am  kürzesten,  die  letzten  die  längsten, 
in  allmähliger  Progression  gleich  den  Extremitäten  selbst. 
Das  erste  und  zweite  Glied  sind  gegen  die  Basis  hin,  an 
der  "Aussenseite  etwas  ausgeschnitten,  das  dritte  etwas  ge- 
krümmt, das  letzte  schräge  abgestutzt.  Alle  Glieder  (Fig.  4) 
mit  ^Ausnahme  des  letzten  sind  auf  der  unteren  Seite  am 
Ende  und  wohl  auch  in  der  Mitte  mit  kurzen  aber  starken 


362  G.  Hall  er: 

Schwimm  borsten  besetzt,  die  paarweise  stehen,  von  innen 
nach  aussen  an  Grösse  etwas  zunehmen  und  beweglich 
eingelenkt  sind.  An  der  Streckseite  stehen  ihnen  ent- 
sprechend kurze,  aber  sehr  kräftige  Dornen.  Endlich  endet 
ein  jeder  Fuss  mit  zwei  sehr  dünnen  und  einfachen  Haken- 
krallen, die  in  einem  ziemlich  spitzen  Winkel  gebogen 
sind.    Das  Ende  der  Extremitäten  ist  durchaus  borstenlos. 

Einzige  Art  mit  dem  Kennzeichen  der  Gattung: 

Pontarachna  punctulum  Pl^^il.  Litteratur  wie  oben. 
Grösse  sehr  gering,  kaum  Vs  Linie  lang,  was  hauptsächlich 
der  Grund  war,  dass  ihr  erster  Beschreiber  sie  nicht  in 
allen  ihren  Theilen  erkannte.  Die  Farbe  wird  bereits  von 
Philippi  sehr  gut  beschrieben,  doch  variirt  das  Thier 
wesentlich;  zwar  bezieht  sich  dieses  allerdings  nicht  auf 
die  Grundfarbe,  wohl  aber  auf  die  weissliche  durch  die 
Excretionsorgane  erzeugte  Zeichnung.  Die  Farbe  ist  bräun- 
lichgelb, Orangeroth,  meistens  aber  braunroth,  mit  hellem 
durchsichtigem,  verschieden  gezacktem  Rande,  so  dass 
selten  zwei  Individuen  einander  vollkommen  gleich  sehen; 
nicht  selten  findet  man  Exemplare,  bei  denen  sich  das 
Excretionsorgan  wie  ein  weisses  T  von  dem  dunkleren 
Untergrunde  sehr  hübsch  abhebt,  bei  noch  anderen  kommen 
vor  den  Querstrich  noch  zwei  vförmige  schräge  Striche  zu 
stehen.  Der  Körperrand  bleibt  stets  blass  bräunlich  wie 
die  Extremitäten  und  Palpen.  Auf  der  Höhe  der  Augen 
erweitert  er  sich  meist  zu  einem  ansehnlichen  Flecke,  von 
welchem  das  schwärzliche  Augenpigment  stark  absticht. 

Philippi  fand  diese  Hydrachnide  nicht  selten  im 
Meerbusen  von  Neapel.  Ich  dredgte  sie  auf  schlammigem 
Grunde  mit  grösseren  Steinen,  an  welche  sie  sich  gerne 
anklammert,  immer  und  immer  wieder,  meist  jedoch  nur  in 
vereinzelten  Exemplaren,  so  brachte  ich  sie  von  Scilla, 
Lipari  und  aus  dem  Hafen  von  Messina  mit.  Zu  meiner 
Freude  entdeckte  ich  sie  auch  wieder  im  Grundschlamm 
von  Villafranka,  wo  namentlich  der  kleine  Militärhafen 
und  ein  Strich  ausserhalb  der  Baie  passable  als  Fundorte 
zu  bezeichnen  sind.  Zu  meinem  grössten  Bedauern  schob 
ich  das  anatomische  Studium  derselben  immer  wieder  auf, 


Acarinologisches.  863 

weil  meine  geringe  Mussezcit  bereits  hinlänglich  von  meinen 
Beobachtungen  an  Crustaceen  in  Beschlag  genommen  war. 
So  beschränkte  ich  mich  denn  auf  die  Anfertigung  einiger 
wenigen  Präparate,  nach  denen  die  vorliegende  Beschrei- 
bung angefertigt  ist.  Sie  hielten  sich  in  Farrant'sches 
Medium  eingeschlossen  recht  gut  und  lassen  noch  heute 
manches  Detail  erkennen. 

Krämer^)  trennte  die  Gattung  Hydrachna  als  eigene 
Unterfamilie  von  den  übrigen  Wassermilben  ab,  nicht  mit 
Unrecht,  wie  mir  scheint.  Seine  Charakteristik  dieser 
Subfamilie  lautet: 

„Kieferftihler  eingliedrig,  stechborstenartig,  in  dem 
Canal,  welcher  durch  die  schnabelartig  verlängerte  Unter- 
lippe gebildet  wird,  laufend.  Kiefertaster  fünfgliederig. 
Die  Augen  beiderseits  am  Vorderrücken  als  stark  gewölbte 
Punkte  hervortretend.  An  den  drei  hinteren  Fusspaaren 
zahlreiche  Schwimmhaare.  Neben  der  Geschleehtsöffnung 
dichtgedrängte  Haftnäpfe.    Süsswasserbewohner." 

Wenn  wir  nun  unser  Thier  noch  einmal  einer  Prüfung 
unterziehen,  so  erkennen  wir  an  demselben  die  hauptsäch- 
lichsten Merkmale  der  Unterfamilie  wieder.  In's  Besondere 
stimmt  meine  -■  Beschreibung  der  Mundtheile  mit  obiger 
Charakteristik  fast  wörtlich  überein.  Wir  erkennen  die 
schnabelförmige  Unterlippe,  die  langen  Stechborsten  und 
die  ftinfgliedrigen  Palpen.  Kurz  und  gut,  Pontarachna  ist 
die  einzige  ächte  Hydrachnide  unter  den  Meeresbewohnern. 
Sie  unterscheidet  sich  von  Hydrachna  hauptsächlich  durch 
den  Mangel  der  Haftnäpfe  in  der  Genitalregion,  und  durch 
ihre  Eigenschaft  als  Meeresbewohnerin.  Die  Charakteristik 
der  Familie  bedürfte  daher  in  diesem  Punkte  einiger  Ver- 
änderung. Ich  würde  vorschlagen  dieselbe  folgender 
Maassen  abzufassen,  wobei  ich  statt  der  schwer  verständ- 
lichen und  verwirrlichen  Ausdrücke  „Kieferfühler"  und 
„Kiefertaster"  die  Nicolet'sche  Nomenclatur  einführe: 

Mandibeln  eingliederig,  stechborstenartig,  in  dem  Ca- 
nal, welcher  durch  die  schnabelartig  verlängerte  Unterlippe 


1)  Grundzüge  zur  Systematik  der  Milben,  dieses  Archiv,  1877, 
p.  236. 


364  G.   Haller: 

gebildet  wird,  laufend.  Palpen  fünfgliederig.  Die  Augen 
beiderseits  am  Vorderrücken  als  stark  gewölbte  Punkte 
hervortretend.  An  den  drei  hinteren  Fusspaaren  zahlreiche 
Schwimmhaare.  Vorzugsw^eise  Süsswasserbewohner,  doch 
auch  im  Meere  vorkommend. '' 

Es  möchte  übrigens  zu  dieser  Unterfamilie  auch  die  Gat- 
tung Campognatha  zu  ziehen  sein,  welche  ebenfalls  neben 
der  BegattungsöfPnung  Haftnäpfe  besitzt.  Pontarachna  unter- 
scheidet sich  daher  von  diesem  Genus  ebenso  bezeichnend 
wie  von  Hydrachna. 

IL 

lieber  eine  neue  Megamerus-Art  und   diese   Gat- 
tung im  Allgemeinen  (Fig.  5  u.  6). 

Megamerus  Haltica  nov.  spec.  Der  Rücken  tritt 
in  einer  sich  von  vorne  nach  hinten  und  von  einem  Seiten- 
rande zum  andern  erhebenden  sehr  starken  Wölbung  vor, 
die  Bauchfläche  ist  dagegen  wenig  gewölbt,  fast  eben. 
Im  Umrisse  erscheint  der  Körper  stumpf  eiförmig;  sein 
zugerundetes  Ende  kehrt  dieses  Ei  nach  vorne,  die  sehr 
stumpfe  Spitze  nach  hinten,  die  Seiten  desselben  sind  aus- 
gebuchtet. Dabei  verhält  sich  die  Länge  zur  Breite  unge- 
fähr wie  drei  zu  ein  und  einhalb.  Zwischen  dem  zweiten 
und  dritten  Beinpaare  trennt  eine  tief  einschneidende  Furche 
den  Leib  in  zwei  ungleich  grosse  Abschnitte.  Die  grösste 
Breite  des  Körpers  liegt  noch  um  etwas  weniges 
hinter  dieser  Linie  und  die  vorspringenden  Schultern  run- 
den sich  von  hier  aus  nach  beiden  Seiten  hin  schön  zu. 
Von  den  beiden  Abschnitten  erweist  sich  der  vordere,  als 
der  beträchtlich  kleinere,  als  nur  etwa  von  einem  Viertel 
der  Gesammtlänge  des  ganzen  Körpers;  seine  Gestalt  ergibt 
sich  etwa  als  halbkugelig.  In  seiner  ganzen  Breite  setzt 
sich  der  nach  hinten  gebogenen  Gränzlinie  entsprechend 
an  ihn  der  hintere  Körperabschnitt  an,  welcher  nach  hinten 
allmählig  schmäler  werdend  ausläuft  und  hier  nur  noch 
etwa  die  Hälfte  der  ursprünglichen  Breite  besitzt.  . 

Dabei  erweist  sich  die  Rückenfläche  als  fast  durch- 
aus nackt  und  als  glänzend ;  ebenso  die  Bauchfläche.     Wir 


Acarinologisches.  365 

bemerken  jedoch  nahe  dem  hinteren  Leibesende  sowohl 
auf  jener,  wie  dieser  mehrere  Paare  gleich  langer  Börst- 
chen,  die  theilweise  das  hintere  Leibesende  überragen. 
Noch  ist  ein  massig  langes  Paar  Schulterborsten  zu  er- 
wähnen, die  dicht  hinter  und  innerhalb  der  vorspringenden 
Schultern  ihren  Ursprung  nehmen.  Sie  sind  nur  wenig 
länger  wie  die  Endborsten.  Nahe  dem  Seitenrande  und 
über  die  Gränzlinie  ausgegossen,  liegt  ein  Haufen  dunklen 
Pigmentes,  welcher  nicht  einen  einzigen  oder  zwei  grössere 
Licht  brechende  Körper  umschliesst,  sondern  mehrere 
scharf  umgränzte  und  unregelmässige  Körnchen,  die  das 
nämliche  optische  Verhalten  zeigen.  Diese  dunkle  Flecken 
entsprechen  den  Sehwerkzeugen. 

Das  Epistom  ist  kurz,  etwa  so  lang  wie  breit  und 
'  zugerundet,  es  trägt  zwei  Börstchen  von  der  Länge  der 
Endborsten.  Die  übrigen  Fressparthien  zeigen  das  schon 
von  Duges  gekennzeichnete  Verhalten.  Die  Palpen  tragen 
charakteristische  Börstchen  und  zwar  je  eins  an  der  oberen 
Aussenecke  des  ersten,  in  der  Mitte  des  zweiten  und  zwei 
kürzere  wie  diese  an  der  Aussenseite  des  dritten  Gliedes, 
welches  gleich  den  zwei  folgenden  ausserdem  kurz  behaart 
erscheint.  Die  zwei  letzten  Glieder  zeigen  das  von  dem 
ersten  Monographen  der  Gattung  erwähnte  Verhalten  und 
der  von  ihnen  gebildete  Abschnitt  wird  nach  unten  einge- 
schlagen getragen. 

Die  Extremitäten  zeigen  eine  erstaunliche  und  charak- 
teristische Verschiedenheit.  Das  erste  Paar,  in  unserer 
Figur  5  sind  wegen  Raumersparniss  nur  die  rechtseitigen 
Beine  gezeichnet,  ist  überaus  lang,  ein  und  ein  Drittel  mal 
so  lang  wie  der  gesammte  Körper,  nächst  ihm  ergibt  sich 
das  zweite  als  länger  wie  die  beiden  nachfolgenden,  jedoch 
nur  wenig  länger  wie  das  vierte;  es  steht  der  Gesammt- 
länge  des  Körpers  etwa  um  ein  Sechstel  nach.  Am  kürzesten 
ist  das  dritte  Paar,  welches  von  etwas  mehr  als  der  Hälfte 
der  Körperlänge  ist;  das  vierte  Paar  dagegen  erweist  sich 
als  nur  wenig  kürzer  wie  das  zweite.  Paar  eins  und  zwei 
sind  überaus  dünn  und  haarförmig,  drei  erweist  sich  als 
nur  wenig  dicker  wie  sie,  vier  ist  dagegen  am  Stärksten, 
namentlich   dessen  Schenkel,  doch  auch  seine  Endglieder 


366  Gr.  Haller  : 

erwiesen  sich  als  etwa  zwei  bis  drei  Mal  so  dick  wie  die 
beiden  ersten  Paare.  Eins  bis  drei  sind  durchaus  nackt, 
ohne  jede  Spur  von  Behaarung;  vier  zeigt  ein  kleines 
Börstchen  am  Anfange  der  Springschenkel  und  seine  End- 
glieder sind  mit  einigen  wenigen  Härchen  besetzt.  Ebenso 
verschieden  wie  die  ganzen  Beine,  sind  auch  deren  einzelne 
Glieder  und  erfordern  daher  ebenfalls  eine  ausführliche 
Beschreibung.  Erstes  Beinpaar.  Glied  eins  kurz,  kaum 
drei  Mal  so  lang  wie  breit,  von  der  Basis  nach  dem  Ende 
hin  massig  anschwellend.  Glied  zwei  sehr  lang,  am  läng- 
sten: seine  Länge  entspricht  der  Breite  des  Körpers  auf 
der  Höhe  der  Grenzfurche;  dabei  ist  es  gerade  und  ein- 
fach; Glied  drei  ebenso,  doch  nur  etwa  von  halber  Länge 
des  Vorhergehenden ;  Glied  vier  verhält  sich  in  Beziehung 
auf  die  Gestalt  wie  zwei  und  drei,  ist  jedoch  merklich 
kürzer  wie  zwei;  Glied  fünf  gegen  das  Ende  hin  leicht 
bogig  gekrümmt,  kürzer  wie  vier,  länger  als  drei,  das  Ende 
aussen  zugeschärft.  Zweite  Extremität:  Glied  eins  wie 
vorhin,  zwei  und  drei  wie  drei  des  ersten  Paares,  vier 
merklich  kürzer  wie  diese,  sonst  gleich;  fünf  gegen  das 
Ende  hin  aussen  zugeschärft,  etwa  so  lang  wie  zwei  und 
drei.  Dritte  Extremität:  Glied  eins  wie  vorhin,  drei  bis 
vier  nur  wenig  länger,  sonst  gleich,  fünf  aussen  zugeschärft, 
von  gleicher  Länge  wie  seine  Vorgänger.  Fünftes  Bein- 
paar: Glied  eins  wie  vorhin,  zwei  einen  bedeutenden 
Springschenkel  nachahmend,  sehr  merklich  verbreitet  und 
bedeutend  verdickt.  Etwa  vier  Mal  so  breit  als  lang,  in 
der  Mitte  am  breitesten;  dagegen  nur  etwa  zwei  Mal  so 
lang  wie  dick  (Fig.  6),  von  der  Basis  an  plötzlich  zur 
vollen  Dicke  anschwellend,  dagegen  sich  gegen  das  Ende 
hin  allmählig  verjüngend,  vor  der  Artikulation  des  Folgen- 
den mit  einem  falschen  Gliede,  drei  ungefähr  gleich  breit, 
und  etwa  so  dick  wie  breit,  etwas  mehr  wie  halb  so  lang 
als  zwei,  Glied  drei  ihm  an  Breite  und  Dicke  gleich,  je- 
doch merklich  kürzer;  letztes  Glied  ein  wenig  dünner  und 
schmäler  wie  seine  Vorgänger,  etwas  länger  als  drei,  gegen 
das  Ende  hin  aussen  zugeschärft. 

Die  Farbe  des  Körpers  ist  ein  lebhaftes  Hellgrün,  die 
Extremitäten   sind   heller,    das  Augenpigment   ist   dunkel- 


Acarinologisches.  367 

braun.  Gehört  zu  den  grösseren  Megamerus-Arten,  etwa 
0,5  mm. 

Während  eines  längeren  Aufenthaltes  am  Thunersee 
schüttelte  ich  diese  Art  öfters  aus  Moos,  das  dem  Fusse 
älterer  Obstsäume  entnommen  war.  Gleich  den  übrigen 
Arten  dieser  Gattung  ist  das  Thierchen  von  so  überaus 
zartem  Baue,  dass  es  sich  auch  bei  aller  Sorgfalt  nicht 
unverletzt  auf  den  Objektträger  bringen  lässt.  Bei  der 
grossen  Zahl  der  von  dieser  Species  vorgefundenen  Indi- 
viduen hielt  es  jedoch  nicht  schwer  an  todten  Thieren  die 
Körpergestalt  und  das  Verhältniss  der  Beinpaare  aus  den 
vorhandenen  erhaltenen  Theilen  zu  ergänzen.  An  eine 
Haltica  erinnern  sie  durch  den  hoch  gewölbten  Körper, 
die  Springschenkel  und  die  Art  ihrer  Locomotion.  Ich 
habe  auch  sehr  oft  lebende  Thiere  beobachtet  und  bewun- 
dert, mit  welcher  ungemeinen  Behendigkeit  sie  sich  sowohl 
vorwärts  wie  rückwärts  fortbewegen  können.  Ihr  Gang 
ist  ein  ausserordentlich  rasches  Vorwärtsgleiten;  nähert 
man  sich  ihnen  mit  einer  feinen  Pinselspitze  so  machen 
sie  halb  hüpfend,  halb  gleitend  ebenso  geschickt  vorwärts 
wie  rückwärts  die  verzweifeltsten  blitzartigen  Sprünge.  Die 
langen  haardünnen  Vorderbeine  werden  gleich  den  Armen 
eines  Telegraphen  in  allen  Windrichtungen  ausserordent- 
lich rasch  bewegt  und  dienen  offenbar  als  Tastwerkzeuge. 
Die  blitzschnellen  Thierchen  bieten  mit  anderen  Acariden, 
namentlich  z.  B.  mit  Oribatiden  verglichen,  deren  Bewe- 
gung eine  ausserordentlich  langsame  ist,  einen  seltsamen 
Contrast. 

Die  Gattung  Megamerus  wurde  zuerst  von  Duges 
für  einige  Arten  aufgestellt  und  recht  kenntlich  beschrieben. 
(Ann.  d.  sc.  nat.  ser.  II  tom.  IL  pag.  50.  PI.  II,  Fig. 
43—51.)  Seine  Diagnose  lautete:  „Palpi  unguiculati,  longi, 
liberi,  corpus  constrictum;  coxae  distantes,  pedes  gressores, 
funore  maximo  (praesertim  quarti  cruris)  septimo  articulo 
brevi.  Larvae  hexapodae,  adultis  similes."  Koch  bildete 
nachher  aus  ihnen  die  drei  Gattungen  Scyphius,  Penthaleus 
und  Eupodes  mit  einer  sehr  grossen  Anzahl  von  Arten. 
Diese  drei  Genera  möchten  wohl  kaum  verschieden  sein 
und   alle   mit  Megamerus   zusammenfallen.     Ebenso   wird 


368  G.  Hall  er: 

es  mit  den  Arten  ergehen,  da  diese  sehr  oft  nur  auf  zu- 
fällige Farben-  oder  Altersverschiedenheiten  gegründet  sind. 
Seither  hat  sich  Niemand  mehr  eingehender  mit  diesen 
Milben  befasst,  wohl  nur  aus  Bequemlichkeit,  weil  ihre 
ungemeine  Zartheit  der  Beobachtung  Gränzen  setzt,  wie 
keine  andere  Gattung  mehr.  Einzig  Kramer  berücksich- 
tigte sie  in  seinen  „Grundzügen  zur  Systematik  der  Milben^'. 
Es  dürfte  daher  erspriesslich  sein  ihr  Studium  wieder  auf- 
zunehmen, womit  hiermit  der  Anfang  gemacht  werden  soll. 
Im  Baue  der  Mundtheile  erinnert  die  Gattung  sehr 
an  die  Trombidien,  durch  das  erste  mitunter  sehr  lange 
Fusspaar  bietet  sie  Anknüpfung  mit  den  Linopoden  Koch's, 
unterscheidet  sich  dagegen  von  allen  Gattungen  und  allen 
Kramer'schen  Sub-Familien  der  Prostigmatien,  zu  welcher 
Gruppe  wir  sie  zu  stellen  haben  durch  die  durchaus  origi- 
nelle Locomotion,  die  haarfeinen  Vorder-  und  verdickten 
Hinterbeine  und  die  Spruugschenkel,  welche  als  solche 
eigentlich  nur  am  hintersten  Beinpaare  auftreten.  Eine 
Trennung  dieser  Milben  als  eigene  Unterfamilie  scheint 
mir  daher  durchaus  gerechtfertigt  und  schliesse  ich  mich 
auch*  hierin  Kram  er  an.  —  Die  Species-Beschreibung 
hat  ihre  Schwierigkeit  wegen  des  einfachen  Körpers, 
der  hier  nicht  durch  verschieden  geformte  Anhänge, 
zahlreiche  und  auffallende  Haargebilde  Anhaltspunkte 
liefert,  im  Gegentheil  ist  er  durchschnittlich  nackt  und 
nur  am  Hinterende  mit  einigen  Börstchen  besetzt,  auch 
kehrt  die  nämliche  Leibesform  mit  geringer  Modifikation 
immer  wieder.  Dagegen  erscheinen  die  verschiedenen  Ver- 
hältnisse der  Beinpaare  sehr  geeignet  zur  Speciesbestim- 
mung,  wenn  wir  eine  grössere  Anzahl  derselben  kennen, 
vielleicht  sogar  zur  Errichtung  von  Gattungen  sehr  gut 
geeignet.  Vor  Allem  gilt  dieses  für  das  erste  Beinpaar. 
Dieses  ist  in  einigen  Fällen  von  normaler  Grösse,  wie  bei 
den  von  Duges  beschriebenen  Arten,  bei  Megam.  Haiti ca 
sind  sie  mittellang,  überaus  lang  erscheinen  sie  dagegen 
bei  einer  neuen  Art,  von  welcher  ich  bis  jetzt  erst  ein 
einziges  verstümmeltes  und  verzerrtes  Exemplar  besitze. 
Hier  scheinen  sie  über  zehn  Mal  so  lang  wie  der  Körper 
und  ihre  Länge  beträgt  an  einem  ca.  0,4  mm  langen  Thier- 


Acarinologisches.  369 

chen  etwa  4  mm.  Dasselbe  stammt  von  dem  nämlichen 
Fimdorte  wie  obige  neue  Art  und  ich  hoffe  daher,  die 
Milbe  diesen  Sommer  beschreiben  zu  können.  Sehr  charak- 
teristisch für  die  Art  ist  auch  das  Verhalten  der  Schenkel 
oder  zweiten  Beinglieder,  wie  ich  dieses  weiter  oben  be- 
reits angedeutet  habe. 

Es  sollte  nun  scheinen,  als  ob  das  Studium  der 
inneren  Anatomie  bei  so  kleinen  Thierchen  von  so  zarter 
Chitiudecke  leicht  wäre,  allein  man  lasse  sich  nicht  täuschen. 
Im  Gegentheil  setzt  diese  Eigenschaft  gerade  die  grössten 
Schwierigkeiten  entgegen.  Ich  bin  wenigstens  noch  zu 
gar  keinem  Resultate  gekommen.  Auch  meine  sämmtlichen 
Versuche  über  die  Präparation  haben  bis  jetzt  kein  posi- 
tives Resultat  ergeben. 

III. 

Ueber  das  muthmassliche  Gehörorgan  der 
Acariden   (Fig.   7—9). 

Als  Sinnesorgane  der  Milben  sind  in  erster  Linie  die 
Palpen  bekannt,  diesen  schliessen  sich  die  Sehwerkzeuge 
an.  Letztere  erreichen  bei  den  meisten  Trombidien  eine 
sehr  hervorragende  Ausbildung,  wodurch  sie  gegenüber 
den  anderen  Milben  eine  Stelle  einnehmen  etwa  wie  die 
Podophthalmata  unter  den  Crustaceen  gegenüber  den 
Edriophthalmata.  Kenntnisse  über  weitere  Sinnesorgane 
haben  wir  bis  jetzt  durchaus  nicht  und  doch  scheinen 
solche  vorzukommen.  Wenigstens  lässt  sich  nachstehend 
zu  beschreibendes  Organ  durchaus  nur  als  Gehörorgan 
deuten. 

Auf  meinen  acarinologischen  Streifereien  um  Bern 
klopfte  ich  vor  etwa  zwei  Jahren  von  Gesträuch  eine,  wie 
mir  scheint,  neue  Milbe  aus  der  Gattung  Trombidium. 
Leider  war  das  Thierchen  sehr  selten  find  ich  muss  daher 
von  einer  ausführlichen  Schilderung  absehen,  obschon  das- 
selbe mit  keiner  der  in  der  Litteratur  beschriebenen  Arten 
gänzlich  übereinstimmt.  Dagegen  kann  ich  mir  nicht  ver- 
sagen, wenigstens  in  kurzen  Zügen  auf  diese  Milbe  auf- 
Archiv für  Naturg.  XXXXVI.  Jahrg.  1.  Bd.  24 


370  G.   Haller: 

merksam  zu  machen.    Sollte  sie  sich  wirklich  als  neu  be- 
stätigen, so  schlage  ich  dafür  den  Namen  audiens  vor. 

Trombidium  audiens  charakterisirt  sich  vor  allem 
durch  den  nach  hinten  treppenförmig  verengerten  Leib, 
durch  die  dicken  und  nur  wenig  langen  Beine,  durch  den 
Mangel  der  Augen,  an  deren  Stelle  halterenförmige  Gehör- 
organe treten,  und  das  wenig  dichte  aus  längeren,  spär- 
licher aber  länger  befiederten  Borsten,  wie  bei  Trombidium 
holosericeum  oder  tinctorium,  bestehenden  Haarkleid  aus. 
Seine  Farbe  ist  dunkel  schwärzlich  braun  bis  schwärzlich, 
seine  Grösse  nicht  sehr  bedeutend,  etwa  V4  mm  betragend. 
(Eine  mehr  schematische  Zeichnung  der  Körperverhältnisse 
findet  sich  in  Fig.  7,  in  Fig.  8  eine  der  Seidenborsten  des 
Haarkleides  stärker  vergrössert.) 

Wie  bereits  erwähnt,  fehlen  dieser  Milbe  die  Augen 
gänzlich,  an  ihrer  Stelle  erheben  sich  zwei  halterenförmige 
Organe  (Fig.  7,  a.  a.),  die  durchaus  keine  Aehnlichkeit 
mit  den  von  Pagenstecher*)  so  unvergleichlich  geschil- 
derten Sehwerkzeugen  haben.  Soll  ich  ihre  Lage  noch 
näher  bestimmen,  wobei  ich  auf  Fig.  7  verweise,  so  suche 
man  sie  hart  zu  beiden  Seiten  der  Mundtheile,  dicht  über 
der  Insertionsstelle  des  ersten  Beinpaares  auf  der  dach- 
artig abschüssigen  Vorderseite  des  Körpers.  Sie  treten 
hier  als  zwei  kolbenartige,  einseitig  und  zwar  nach  aus- 
wärts verbreiterte  etwas  deprimirte  Körper  von  geringer 
Grösse  auf  (Fig.  9.).  Eben  durch  diese  assymetrische  Ver- 
breiterung erhalten  sie  in  ihrem  Aeussern  etwas,  was  sehr 
stark  an  die  Halteren  mancher  Diptera  erinnert.  So  viel 
lässt  sich  bereits  bei  geringer  Vergrösserung,  ja  mit  Hülfe 
einer  sehr  stark  vergrössernden  Lupe  wahrnehmen. 

Untersucht  man  nun  aber  mit  Hülfe  einer  starken 
Vergrösserung  (Fig.  9),  so  bestätigt  sich  die  bereits  ge- 
wonnene Ueberzeugung,  dass  diese  Organe  von  den  Seh- 
werkzeugen vollkommen  verschieden  sind,  noch  mehr.  Wir 
erkennen  deutlich,  dass  sie  durch  eine  dünnwandige,  aussen 
überall  geschlossene  Kapsel  gebildet  werden,   welche   an 


1)  Pagenstecher,  Beiträge  zur  Anatomie  der  Milben.  Heftl. 
pag.  21,  Tafel  I,  Fig.  VI. 


Acarinologisches.  S71 

ihrer  verschmälerten  Basis  mit  dem  Binuenraume  des  Kör- 
pers communicirt.  Diese  Oeffnung  (Fig.  9,  a)  ist  etwas 
weiter  als  nothwendig  wäre  um  den  noch  einfachen  Ner- 
venstamm eintreten  zu  lassen.  Dieser  letztere  trennt  sich 
sofort  in  vier  bis  sechs  dünne  streifenartige  Zweige  (c— b^), 
die  divergirend  nach  dem  vorderen  Pole  der  Keule  ziehen, 
wo  sie  sich  in  einem  nach  innen  hügelartig  vorstehenden 
Ganglion  (c)  auflösen.  Weiteres  konnte  ich  wegen  der 
tiefbräunlichen  Färbung  der  Wandung  über  das  Verhalten 
des  Nervens  nicht  wahrnehmen.  Ebenso  wenig  gelang  es 
mir  den  ungetheilten  Stamm  nach  rückwärts  bis  zu  seinem 
Ursprünge  zu  verfolgen.  Es  kann  wohl  trotzdem  keinem 
Zweifel  unterliegen,  dass  derselbe  identisch  ist  mit  dem 
von  Pagenstecher  beobachteten  Nervus  opticus,  es  kann 
derselbe  wie  dieser  nur  von  dem  einzigen  Ganglion  des 
Körpers  entspringen.  Gehörhaare  sind  keine  vorhanden, 
Hessen  sich  auch  bei  Anwendung  von  Reagentien  wie  Os- 
miumsäure mit  Carmin  nicht  nachweisen.  Es  ist  überhaupt 
deren  Anwendung  bei  den  Milben  wegen  deren  geringen 
Körpergrösse  bei  nur  wenig  durchsichtigen  Körperwandun- 
gen ein  eitles  Unterfangen.  Fehlen  Hörhaare  gänzlich, 
so  kann  doch  leicht  Gehörsand  nachgewiesen  werden. 
Allerdings  findet  sich  derselbe  spärlich,  doch  stets  sehr 
deutlich  vor  in  Gestalt  sehr  kleiner,  ovaler  Körnchen,  die 
durchschnittlich  die  nämliche  Grösse  hatten  und  in  unserem 
dargestellten  Falle  zwei  deutlich  getrennte  Gruppen  bildeten 
(Fig.  9,  d',  d^).  Die  Eine  derselben  lag  mehr  gegen  die 
Mitte  der  Kapsel,  doch  etwas  nach  vorn  und  seitwärts 
verschoben,  ihre  Anordnung  war  eine  mehr  rosettförmige. 
In  der  vorderen  dem  Ganglion  mehr  genäherten  Gruppe 
ordneten  sich  die  Körnchen  zu  einer  kurzen,  einfachen 
Reihe.  Zweifelsohne  wechselt  aber  die  Anordnung  und 
ist  keine  gebundene.  Weiteres  Hess  sich  an  diesen  Organen 
nicht  wahrnehmen. 

Es  bleibt  mir  nur  noch  übrig  auszuführen,  warum  ich 
diese  Organe  für  Otocysten  halte.  Es  ist  dieses  um  so 
nothwendiger  als  es  auffallen  muss,  wenn  bei  einer  Art 
einer  Familie,  in  welcher  hoch  entwickelte  Sehorgane  vor- 
kommen, diese  ohne  Noth  verdrängt  werden  um  den,  wenig- 


372;  Cr.  Hai  1er: 

stens  so  weit  unsere  Kenntnisse  reichen,  sehr  vereinzelten 
Gehörorganen  Platz  zu  machen.  Bei  einem  unterirdischen 
Höhlenbewohner  Hesse  sich  diese  Abänderung  als  aus  An- 
passung hervorgegangen  noch  erklären;  aber  unsere  Milbe 
ist  ein  freilebendes  Thier!  Sehorgane  sind  es  nicht,  das 
ergibt  sich  aufs  Unzweideutigste  aus  einer  Vergleichung 
meiner  Beschreibung  mit  derjenigen  Pagenstecher's. 
Dagegen  könnte  man  versucht  sein  sie  ihrer  Gestalt  halber 
für  gleichbedeutend  mit  den  koibenförmigen  Haargebilden 
an  den  Vorderbeinen  der  Tyroglyphen  zu  halten.  Es  muss 
daher  von  Interesse  sein,  eine  Parallele  zwischen  beiden 
Organen  zu  ziehen. 

Die  Otocysten  von  Trombidium  audiens  befinden  sich 
an  der  Stelle  eines  wesentlichen  Organes.     Sie  stehen  am 
Vorderkörper,  nahe  dem  Centralknoten  des  Nervensystems. 
Daraus  erhellt  bereits  ihre  grössere  Bedeutung.  Die  kolben- 
förmigen Organe   der    Tyroglyphen   stehen    stets    nur   an 
Stelle  von  Haarborsten,  sie  gehören  auch  nur  den  Körper- 
anhängen an.  Die  Otocysten  sind  eine  überall  geschlossene 
Blase,  verrathen  eine  sehr  complicirte  Structur,  haben  dem 
entsprechend  auch  eine  bedeutendere  Grösse.  Jene  Gebilde 
an  den  Vorderfüssen  der  Tyroglyphen  communiciren  durch 
eine  seitliche  ovale  Oeffnung  nahe  dem  geschlossenen  Ende 
mit  der   die   Milbe   umgebenden   Atmosphäre^   sie    lassen 
nur   einen   sehr    hellen   leicht   gewölkten  Inhalt  erkennen 
und  weisen   eine   weit   geringere  Grösse   auf     In    einem 
Worte,  es  ergeben  sich  beide   Organe  als  ungemein  ver- 
schieden.   Nun   habe  ich  in  einer  Arbeit  über  die  innere 
Anatomie  der  Tyroglyphen  darzulegen  versucht,  wie  diese 
Organe  als  Riechkölbchen  aufzufassen  sind.     Wir  müssen 
uns  daher  nach  einem  weiteren  Sinne  umsehen,  welchem 
diese  Sinnesorgane,  denn  solche  sind  es  unzweifelhaft,  zu- 
zuertheilen  sind.  Es  bleiben  uns  noch  Tastsinn  und  Gehör. 
Nun  sehen  wir  für  jenen  ersten  stets  sehr  einfach  organi- 
sirte  Haarbildungen  auftreten,  wie  ich  dieses  ebenfalls  für 
die    Tyroglyphen    glaube    nachgewiesen    zu   haben.     Mir 
scheint  es  daher  keinem  Zweifel  mehr  zu  unterliegen,  dass 
jene  geschlossenen  kolbenförmigen  Blasen  des  neuen  Trom- 
bidiums    dem    Gehöre    dienen,     daher    als    Otocysten    zu 


Acarinologisches.  373 

reklamiren  sind.    Diese  Ansicht  wird  auch  bewiesen  oder 
gestützt  durch  die  Anwesenheit  von  Gehörsand. 

Trombidium  audiens  ist  die  einzige  Milbe,  von  der 
wir  mithin  ein  besonderes  Gehörorgan  kennen.  Es  wird 
aber  nicht  die  einzige  sein,  die  ein  solches  überhaupt  be- 
sitzt. Im  Gegentheil  zeigen  einige  Milben  ähnliche  Gebilde, 
aus  deren  Analogie  wir  auf  gleiche  Bedeutung  schliessen 
können.  Ich  erwähne  nur  Pygmephorus  spinosus  Kramer 
(Dieses  Archiv  1877,  Taf.  XVI,  Fig.  4—10).  So  wird  uns 
das  aufmerksame  Studium  der  beschreibenden  Litteratur 
sicherlich  noch  mehrere  solcher  Fälle  kennen  lehren. 


Erklärung  der  Tafel  XVII. 


Alle  Figuren  smd  nach  Präparaten,  und  zwar  Fig.  1 — 4 
in  Farrant'schem  Medium,  die  übrigen  in  Sand  arac-Einschluss, 
gezeichnet.  Bei  Allen  wurde  Nachet's  Camera  lucida  angewandt 
und  alle  angegebenen  Combiuationen  beziehen  sich  auf  ein  kleines 
Hartnack'sches  Mikroskop  bei  eingestossener  Kammer. 

Fig.  1 — 4  beziehen  sich  auf  Pontarachna  globula  Phil.  Fig.  1. 
Das  Thier   von  der  Bauchseite  ohne  Berücksichtigung  der  Extremi- 
täten.    Einseitig  ist  die  Porenpunktirung  angedeutet.     Oc.  Syst. 
a^ — a'^  Coxalplatten. 

b.  Genitalgegend. 

c.  Anus. 

d.  Vermuthliche  Drüsenmündungen,  diese  in  D  noch  stärker 
vergrössert. 

e.  schnabelförmige  Unterlippe. 

f.  Palpen. 

Fig.  2.     Complicirtes  Auge.  Oc.  4,  Syst.  7. 

a.  Pigmentkörper. 

b.  Brechender  Körper. 

c.  Nervus  opticus. 

d.  Zweilappiges  Ganglion  opfeicum. 

Fig.  3.  Schnabelförmige  Unterlippe,  Oc.  4  Syst.  7. 


374  G.  Hall  er:     Acarinologisches. 

Fig.  4.  Rechtsseitiges  vorderstes  Bein,  Oc.  3,  Syst.  7. 

Fig.  5  und  6,  bez.  s.  a.  Megamerus  Haltica  mihi. 

Fig.  5.  Das  Thierchen  von  der  Rückseite.  Die  Extremitäten 
sind  nur  einseitig  angedeutet  Oc.  Syst. 

Fig.  5.  Ein  rechtsseitiger  Springschenkel  des  vierten  Paares. 
Oc.  Syst. 

Fig.  7  bis  9,  bez.  s.  a-  Trombidium  audiens  nov.  spec.  ? 

Fig.  7.  Die  Milbe  mehr  schematisirt,  Oc.  Syst. 

Fig.  8.  Ein  einzelnes  Haar  aus  dem  Körperkleide,  sehr  stark 
vergrössert. 

Fig.  9.  Otocyste  der  Milbe.  Oc.  4  Syst.  7. 

a.  Eingang  derselben  von  der  Körper  höhle  aus. 

b^ — b^.  Nervenzweige  von  a  nach  dem  Ende  der  Otocyste  hin 
divergirend,  lösen  sich  in 

c.  dem  Ganglion  auf. 

d^.  d^  Die  zwei  Gruppen  Gehörsand. 


lieber  einige  neue  Cymothoinen. 

Von 

Dr.  e.  flauer 

in  Bern. 


Hierzu  Tafel  XVIII. 


Bei  einer  Revision  der  reichhaltigen  Crustaeeen-Samm- 
lung  des  Genfer-Museum's,  stellten  sich  einige  unter  den 
verschiedenartigsten  Sammlungsbezeichnungen  eingereihte 
Arten  als  neu  und  noch  unbeschrieben  heraus.  Zu  meinem 
grossen  Leidwesen  erwiesen  sich  die  Vaterlandsangaben 
vieler  Arten  als  verwechselt  und  ich  hatte  die  grösste 
Mühe  in  dieser  Beziehung  die  Ordnung  wieder  einiger- 
maassen  festzustellen.  Nun  bietet  aber  die  ganze  Samm- 
lung und  besonders  die  revidirte  Familie  der  Cymothoinen 
einen  interessanten  Beitrag  zu  den  Faunen  einiger  weniger 
bekannten  Meerestheile.  Ich  nehme  daher  nicht  Anstand 
die  neuen  Species  an  dieser  Stelle  durch  Abbildung  und 
abgekürzte  Beschreibung  festzustellen  und  sie  hernach  durch 
faunistische  Zusammenstellungen  zu  verwerthen. 

Cymothoa  Leach. 
1.  Cymothoa  rotundifrons  mihi  (Fig.  1—4). 

Verhältniss  der  Länge  zur  Breite  wie  1 V2 :  3.  Thorax 
nach  hinten  nicht  erweitert,  Bauchfläche  daher  überall 
gleich  breit,  die  Seitenränder  geradlinig  und  parallel. 
Rückenfläche  des  Thorax  stark  gewölbt  (Vergl.  Fig.  1  u. 
4.).  —  Kopf  kaum  merklich  länger  als  breit;  Stirnwand 
zugerundet;  Vorderfläche  in  der  Mitte  leicht  vertieft, 
Augengegend  massig  vorgewölbt  (Fig.  3  a.).     Vordere  An- 


376  G.  Haller: 

tennen  ziemlich  drehrund  und  siebengliederig,  sie  erreichen 
an  den  Stirnrand  angedrückt  den  Vorderrand  des  ersten 
Segmentes  nicht;  die  hinteren  kaum  länger.  —  Das  erste 
Segment  nach  vorne  mit  starken  Fortsätzen,  die  sich  den 
Seiten  des  Kopfes  anschmiegen  und  von  der  Stirne  um 
ein  Merkliches  überragt  werden  (Fig.  2,  a.);  ihre  äussere 
Ecke  erweist  sich  endlich  als  leicht  zugerundet.  Das 
erste  Segment  ergibt  sich  als  länger  wie  zwei,  aber  ziem- 
lich gleich  mit  drei  und  vier,  am  schmälsten  sind  fünf  bis 
sieben,  jedoch  unter  sich  ziemlich  gleich.  Auf  der  Mitte 
des  ersten  Segmentes  sehen  wir  (Fig.  1)  dicht  hinter  dem 
Kopfe  eine  dreieckige  Grube  mit  nach  hinten  gerichteter 
Spitze,  am  Vorderrande  des  dritten  zwei  kleine  halbkreis- 
förmige, des  vierten  zwei  in  die  Quere  gestreckte  Ver- 
tiefungen. Sodann  verlaufen  über  die  Mitte  von  fünf  und 
sechs  in  gleichen  Abständen  drei  fast  parallele  aus  vertief- 
ten Punkten  bestehende  Linien.  Der  Hinterrand  der  drei 
letzten  Segmente  ist  nur  wenig  concav,  sechs  und  sieben 
sind  nahe  dem  Hinterrande  leicht  carinirt.  —  Die  Thora- 
calbeine  verhalten  sich  denjenigen  von  Cymothoa  oestrum 
ziemlich  ähnlich;  sie  sind  aber  bedeutend  schlanker  und 
dünner.  Dieses  letztere  gilt  namentlich  von  der  platten- 
förmigen  Verdickung  der  Hinterhüfte.  Die  freien  Ecken 
nahe  der  Basis  bilden  aber  hier  nicht  wie  dort,  rauhe 
poröse  Höcker,  sondern  springen  vielmehr  als  leichtes 
Zähnchen  über  die  Insertion  vor  (vergl.  Fig.  2.  c.  u.  d.). 
Auch  die  Krallen  erweisen  sich  als  sehr  verschieden.  Bei 
Cymothoa  oestrum  sind  sie  kurz,  dick  und  wenig  gebogen, 
bei  Cym.  rotundifrons  erweisen  sie  sich  dagegen  als  sehr 
lang,  sehr  spitz,  stark  gebogen  und  an  der  Spitze  als  leicht 
gebräunt.  —  Die  Epimeren  des  ersten  Segmentes  sind  nur 
angedeutet,  diejenigen  der  übrigen  Segmente  durch  starke 
Furchen  von  den  Seitenrändern  getrennt.  Sie  nehmen  von 
vorne  nach  hinten  an  Grösse  ab,  sind  am  unteren  Ende 
leicht  ausgebuchtet  und  auch  an  der  Aussenfläche  in  Form 
einer  flachen  von  vorne  und  unten  nach  hinten  und  oben 
aufsteigenden  Hohlkehle  ausgerandet.  (Fig.  4.) 

Das  Abdomen  scheint  schräge  nach   unten  getragen 
zu  werden.    Es  erweist  sich  nach  der  Basis  hin  als  stark 


lieber  einige  neue  Cymothomen.  377 

verschmälert;  sein  erstes  Segment  ist  daher  nur  von  zwei 
Drittheilen  der  Breite  des  Thorax,  sein  letztes  dagegen 
genau  so  breit  wie  jener.  In  der  Mitte  der  Rückenfläche 
erkennen  wir  eine  schwache  Längswulst,  auf  welcher  auf 
dem  vorletzten  Segmente  zwei  kleine  Höckerchen  vorsprin- 
gen (Fig.  4).  Sämmtliche  Abdominalsegmente  zusammen- 
gerechnet ergeben  sich  als  kaum  länger,  wie  die  drei  letz- 
ten Thoracalringe,  die  fünf  ersten  sind  unter  sich  von 
ziemlich  gleicher  Kürze;  das  letzte  oder  die  Abdominalplatte 
oder  Caudalplatte,  das  Pigidium  steht  dem  von  jenen  gebil- 
deten Abschnitte  an  Länge  kaum  nach,  es  ergibt  sich  auch  als 
von  gleicher  Breite,  wie  das  vorletzte,  dabei  übertrifft  die 
Breite  die  Länge  etwa  um  das  Doppelte.  Es  ist  stark 
gewölbt,  sein  Hinterrand  beträchtlich  eingerollt,  die  hinteren 
Aussenwinkel  zugerundet.  Am  Vorderrande  erkennen  wir 
sodann  (vergl.  Fig.  5)  eine  deutliche  Längswulst,  die  in 
der  Mitte  unterbrochen  ist.  Als  direkte  Fortsetzung  dieser 
Unterbrechung  läuft  eine  seichte  Furche  nach  hinten, 
welche  die  Wölbung  des  Segmentes  in  zwei  symmetrische 
Hälften  trennt,  in  ihr  erhebt  sich  eine  leichte  Längsleiste. 
Das  letzte  Beinpaar  so  lang  wie  sein  Segment;  die  beiden 
Endäste  etwas  länger  wie  der  gemeinsame  Stamm,  verdickt, 
unter  sich  von  gleicher  Länge  und  schwach  gekrümmt. 
Gesammtlänge  ca.  4,0;  Breite  2,7  cm;  beides  über  die 
Wölbung  gemessen. 

Cymothoa  rotundifrons  mihi  steht  Cym.  oesti'um  Leach 
sehr  nahe,  unterscheidet  sich  jedoch  von  dieser  Art  deut- 
lich durch  die  oben  hervorgehobenen  Merkmale  (vergl. 
Fig.  2.  a  u.  b,  c  u.  d).  Charakteristisch  für  die  neue  Art 
sind  ferner  die  geradlinigen,  parallelen  Thoracalseitenrän- 
der,  die  oben  beschriebene  Ausstattung  der  einzelnen  Seg- 
mente, auch  die  Verhältnisse  des  Abdomen's  lassen  eine 
Verwechslung  mit  einer  andern  Art  nicht  zu. 

Es  lag  mir  von  dieser  Species  nur  ein  einziges  aber 
sehr  schönes  und  wohlerhaltenes  Individuum  vor,  das  von 
Mauritius  stammt. 

2.    Cymothoa  oestrum   Leach. 

Zur  Vergleichung  dieser  erstgekannten  Art,  welche 
als    Typus    des    Genus   zu  gelten   hat,    lagen    mir  zwei 


378  G.  Haller: 

erwachsene  Exemplare  von  Gouadeloupe  vor,  welche  mit 
einem  ebenfalls  in  der  Sammlung  vorhandenen  von  Roux 
bestimmten  und  noch  von  ihm  von  Marseille  aus  an  das 
Museum  gesandten  Exemplare  durchaus  übereinstimmen. 

Ein  kleines  Individuum  von  1,7  cm  Länge,  das  sich 
nur  als  junges  Thier  dieser  Art  bestimmen  lässt,  trägt  als 
beigeheftete,  handschriftliche  Notiz  des  Sammler's:  „de  la 
Cavangue-camargue  ä  la  Gouadeloupe."  Vermuthlich  ist 
die  Bezeichnung  des  Fisches  nur  eine  verdorbene  Schreib- 
weise für  Caranx  carangus  Bloch. 

3.     Cymothoa  parasitica  de  Saussurc. 

Memoire  sur  divers  Crustaces  nouveaux  du  Mexique 
et  des  Antilles  par  Henri  de  Saussure  1858,  pag.  69.  Taf.  V. 
Fig.  44  u.  44  a. 

Die  Type  dieser  Art,  welche  von  de  Saussure  von 
Cuba  mitgebracht  wurde,  befindet  sich  ebenfalls  in  der 
gedachten  Sammlung,  ist  aber  leider  ziemlich  zerfallen. 

4.    Cymothoa  paradoxa  mihi. 

Gestreckt ;  Verhältniss  der  Länge  zur  Breite  wie  1 : 3. 
Mittellinie  der  Rückenfläche  leicht  concav  (Fig.  6).  Grösste 
Breite  des  Thorax  auf  der  Höhe  des  dritten  Segmentes, 
von  hier  nach  vorne  leicht  zugerundet,  nach  hinten  kaum 
merklich  verschmälert.  Thorax  von  ganz  auffallender  Ge- 
stalt, nämlich  die  drei  ersten  Segmente  durchaus  deprimirt 
und  flach,  die  folgenden  dagegen  ebenso  stark  comprimirt 
und  nach  unten  hin  bauchig  vorgewölbt.  —  Kopf  klein, 
merklich  breiter  als  lang,  Stirn  nicht  über  die  Augen  vor- 
ragend, vorderer  Kopfrand  gewölbt.  Kopf  schmäler  wie 
das  erste  Segment.  Dieses  ohne  seitliche  Fortsätze,  breiter 
als  zwei  und  drei,  etwa  wie  vier  bis  sechs.  In  der  Mitte 
merklich  verbreitert;  Vorderrand  leicht  concav,  an  der 
Basis  des  Kopfes  mit  leichtem  halbmondförmigem  Aus- 
schnitte; Hinterrand  in  der  Mitte  stark  nach  hinten  ausge- 
bogen, fast  zugespitzt.  Segment  zwei  am  schmälsten, 
schmäler  als  drei,  sein  Hinterrand  weniger  convex  wie 
derjenige  des  ersten;  es  erscheint  daher  dieses  Ringel  in 
der  Mitte  als   stark  verschmälert.     Drittes  Segment  unge- 


Üeber  einige  neue  Cymothoiuen.  379 

fähr  so  lang  wie  das  letzte,  sein  Hinterrand  gerade.  Die 
drei  folgenden  so  lang  wie  das  erste,  ihr  Hinterrand  ziem- 
lich gerade.  Das  sechste  ergibt  sich  unter  allen  als  das 
längste.  Die  Seitenränder  und  Epimeren  der  drei  letzten 
Segmente  durch  dreieckige  häutige  Spatia  getrennt  (Fig.  6.), 
zwischen  Segment  sechs  und  sieben  ist  eine  deutliche  Ein- 
schnürung zu  bemerken.  Hinterrand  des  letzten  Thoracal- 
segmentes  leicht  convex.  Epimeren  durchwegs  von  gleicher 
Grösse.  Thoracalbeine  von  gewöhnlicher  Länge,  aber  sehr 
schwach,  Hinterhüften  kaum  verdickt  und  verbreitert. 

Abdomen  auffallender  Weise  sehr  frei  beweglich, 
ähnlich  wie  bei  Anilocra;  sehr  lang  etwa  wie  die  vier 
letzten  Thoracalsegmente  zusammengerechnet,  in  seiner 
ganzen  Länge  von  gleicher  Breite,  schmäler  wie  das  letzte 
Thoracalglied;  Seitenränder  zwischen  den  einzelnen  Ringeln 
tief  eingeschnitten,  die  fünf  ersten  Glieder  ungefähr  gleich 
lang.  Das  Pigidium  nicht  so  lang  wie  die  Einheit  der 
vorhergehenden  Segmente,  an  seiner  Basis  breiter  als  lang, 
nach  hinten  halbkreisförmig  zugerundet,  eine  erhabene 
Längslinie  theilt  dasselbe  in  zwei  symmetrische  leicht  ge- 
wölbte Hälften,  endlich  ist  parallel  mit  der  Basis  ein  tiefer 
Quereindruck  zu  bemerken.  Das  letzte  Abdominalfusspaar 
um  ein  Weniges  länger  wie  die  Platte,  die  Endäste  etwa 
so  lang  wie  der  Stamm  und  unter  sich  ebenfalls  von  ziem- 
lich gleicher  Länge,  das  innere  kaum  merklich  verbreitert, 
beide  gegen  das  Ende  hin  leicht  zugerundet,  gerade,  flach 
und  dünn.  (Fig.  7.)  Eine  der  kleinsten  Arten,  misst  in 
der  Länge  1,8,  in  der  Breite  0,65  cm. 

Diese  Art  unterscheidet  sich  durch  die  eigenthüm- 
lichen  Verhältnisse  des  Thorax,  durch  den  sonderbaren 
Kopf,  das  freie  bewegliche  Abdomen,  das  in  der  Mitte 
stark  verbreitete  L  Thoracalsegment  auf  den  ersten  Blick 
von  allen  Bekannten,  lieber  die  systematische  Stellung 
derselben  war  ich  lange  Zeit  unschlüssig.  Es  schliesst 
sich  das  Thier  ebenso  wenig  Cymothoe  wie  Livoneca  enge 
an,  gehört  aber  wegen  der  Verhältnisse  seiner  Antennen 
zu  der  einen  oder  anderen  Gattung.  Hätte  ich  über  mehr 
Exemplare  verfügt,  so  würde  ich  es  wahrscheinlich  trotz 
dem  zum  Typus  eines  neuen  Genus  erhoben  haben.  Leider 


380  G.    Haller: 

findet  sich  aber  nur  ein  einziges,  wohl  conservirtes,  in 
Spiritus  aufbewahrtes  Individuum  vor  und  zwar  ein  mit 
Eiern  angefülltes  Weibchen.  Dasselbe  wurde  von  G.  Lunel 
in  der  Mundhöhle  eines  Caranx  carangus  Bloch  aus  dem 
indischen  Ocean  aufgefunden. 

Livoneca  Leach. 
6.    Livoneca  plagulophora   nov.   spec.   Fig.  8  u.  9. 

Körper  leicht  asymetrisch,  sehr  flach  und  leicht  ver- 
breitert, dabei  von  sehr  geringen  Dickendimensionen.  All- 
gemeine Körperumrisse  verzerrt  eiförmig,  grösste  Breite  auf 
der  Höhe  des  Abdomens,  Verhältniss  der  Länge  zur  Breite 
wie  1  :  2.  Kopf  klein,  rundlich,  ungefähr  so  breit  wie 
lang.  Obere  Antennen  leicht  verbreitert  und  sehr  kurz, 
reichen  nach  hinten  kaum  über  die  Augen,  siebengliederig 
mit  sehr  kleinem  Grundgliede;  untere  merklich  länger, 
dünner,  erreichen  jedoch  kaum  den  Vorderrand  des  ersten 
Segmentes.  Erstes  Thoracalsegment  am  schmälsten,  nicht 
ganz  zwei  Mal  schmäler  wie  das  letzte  Abdominalsegment. 
Erstes  bis  drittes  Segment  am  längsten  und  unter  sich 
ziemlich  gleich,  die  drei  folgenden  kürzer,  sieben  am 
kürzesten,  zugleich  aber  auch  unter  allen  das  breiteste. 
Vorne  jederseits  neben  dem  Kopfe  an  Segment  eins  leichte 
Andeutungen  von  Seitenfortsätzen,  hinter  den  Augen  seichte 
Eindrücke.  Hinterrand  von  fünf  und  sechs  wenig,  von 
sieben  nur  sehr  massig  concav.  Epimeren  des  ersten  Seg- 
mentes fehlen,  die  folgenden  sehr  dünn  und  flach,  in 
gleicher  Fläche  mit  ihren  Segmenten.  Die  vordersten  am 
längsten,  jedoch  den  Rand  ihrer  Ringel  nicht  erreichend, 
noch  ziemlich  schmal.  Nach  hinten  nehmen  sie  an  Breite 
zu,  an  Länge  ab;  die  hintersten  erscheinen  daher  etwa  so 
breit  wie  lang,  alle  nach  innen  zugerundet,  die  hinteren 
erreichen  den  Rand  ihrer  Segmente.  Die  Extremitäten 
nehmen  von  vorne  nach  hinten  zwar  merklich  an  Länge, 
kaum  aber  an  Dicke  zu  (vergl.  Fig.  9  au.  b);  Hüften 
nicht  verdickt.  Alle  Glieder  kurz  und  rund.  Brutblätter 
mit  erhabener  nach  der  Insertion  hin  convergirender 
Streifung. 

Alle   die   fünf  ersten   Abdominalsegmente  ungemein 


lieber  einige  neue  Cymothoinen.  381 

kurz,  ganz  besonders  aber  das  erste.  Der  schmale  Streifen 
desselben  ist  ganz  unter  dem  Thorax  versteckt,  so  dass 
das  Abdomen  von  oben  gesehen  nur  ftinfgliederig  erscheint, 
wofür  ich  es  denn  auch  lange  Zeit  hielt,  bis  mir  durch 
Zufall  der  sehr  versteckte  und  ungemein  kurze  erste  Ab- 
dominalring bei  der  Untersuchung  des  Thieres  von  der 
Bauchfläche  her  sichtbar  wurde.  Das  Abdomen  nach  der 
Basis  hin  verschmälert;  sein  erster  versteckter  Ring  etwas 
kürzer  wie  das  vorausgehende  Thoracalsegment.  Die  vier 
von  oben  allein  sichtbaren  Hinterleibsringe  ebenfalls  unge- 
mein kurz,  in  ihrer  Gesammtheit  kaum  so  lang  wie  die 
zwei  vorhergehenden  Thoracalsegmente;  ihre  Seitenränder 
schauen  kaum  unter  dem  Rande  des  vorhergehenden  Ab- 
schnittes hervor.  Hinterleibsplatte  ungemein  gross  und 
dünn  (woher  der  Name  rcXayovXa  und  (p€QCü)j  beinahe  von 
halber  Körperlänge  und  breiter  wie  lang.  An  der  Basis 
von  der  Breite  des  fünften  Abdominalringes,  nach  hinten 
unregelmässig  halbkreisförmig  zugerundet,  seiner  ganzen 
Länge  nach  mit  leichter  erhabener  Mittellinie.  Sein  Fuss- 
paar  etwa  halb  so  lang,  oder  eher  etwas  mehr;  ziemlich 
symmetrisch  ausgebildet.  Stamm  nach  hinten  verbreitert, 
nach  innen  mit  deutlichem  Zahn.  Die  Endglieder  ungleich, 
das  innere  kürzer  wie  der  Stamm,  schmal  lanzettlich;  das 
äussere  nicht  ganz  zwei  Mal  länger,  schwach  gebogen  und 
gegen  das  Ende  hin  leicht  zugespitzt,  beide  mit  häutigen 
Anhängseln.     Gesammtlänge  2,8;  Breite  1,2  cm. 

Drei  geschlechtsreife  Weibchen  dieser  Art  von  Mau- 
ritius. Wegen  des  scheinbar  viergliederigen  Hinterleibes 
und  der  grossen  halbkreisförmigen  Hinterleibsplatte  kann 
diese  Art  nicht  leicht  mit  einer  der  bereits  beschriebenen 
Formen  verwechselt  werden. 

6    Livoneca  Lunelii  nov.  spec.  (Fig.  10— 12.) 

Der  asymetrisch,  beinahe  plane  Körper  übertrifft  mit 
seiner  Länge  die  Breite  zwei  Mal.  Die  Rückenfläche  ist 
in  der  Mitte  sehr  leicht  convex,  längs  den  Seitenrändern 
ebenso  concav.  Der  etwa  elliptische  Kopf  ist  nur  wenig 
länger  als  breit,  besitzt  eine  zugerundete  Stirn,  parallel 
mit  dieser  bis  etwa  zu  den  Augen  verläuft  ein  halbmond- 


382  G.   Haller: 

förmiger  Eindruck,  am  Vorderrande  zeigt  er  eine  leichte 
Ausbuchtung.  Erstes  Segment  mit  nur  rudimentären  vor- 
deren Seitenfortsätzen,  die  durch  kleine  Spitzchen  ange- 
deutet werden;  am  Vorderrande  zur  Aufnahme  des  halben 
Kopfes  tief  ausgeschnitten.  Von  den  Antennen  sind  die 
hinteren  etwas  weniger  dick  wie  die  vorderen  und  ziemlich 
gleich  lang  mit  diesen,  welche  siebengliederig,  mit  zwei  ver- 
dickten Grundgliedern,  sind;  beide  tiberragen  nach  hinten  die 
seitlichen  Fortsätze  des  ersten  Segmentes  nur  unbeträchtlich. 
Die  vier  ersten  Segmente  sind  unter  sich  von  ziemlich 
gleicher  Länge,  die  drei  hinteren  werden  dagegen  immer 
kürzer,  so  dass  das  siebente  das  kürzeste  ist.  Der  Hinter- 
rand des  ersten  Segmentes  ist  ziemlich  gewölbt,  derjenige  der 
zwei  folgenden  leicht  convex,  des  vierten  fast  gerade,  der 
hinteren  immer  stärker  ausgebuchtet,  so  dass  der  Hinterleib 
von  oben  vollkommen  nur  in  dem  hinteren  Ausschnitte  des 
letzten  Segmentes  zu  Tage  tritt  und  seitlich  von  dem 
Seitenrande  desselben  verdeckt  wird.  Die  Epimeren  sind 
beidseitig  ziemlich  gleichmässig  entwickelt,  nach  aussen 
und  hinten  in  einen  leicht  gekrümmten  Fortsatz  ausgezogen 
(Fig.  10);  der  an  den  vorderen  Segmenten  als  ein  kurzes 
stumpfes,  nach  hinten  gedrängtes  Höckerchen,  an  den  vier 
hinteren  als  immer  länger  werdender  Stachel  auftritt,  der 
schliesslich  fast  so  lang  wie  die  Epimere  selbst  ist.  Da 
die  Epimeren  auf  beiden  Seiten  gleichmässig  entwickelt 
sind,  die  Seitenränder  der  hinteren  Segmente  aber  ungleich, 
so  resultirt  hieraus  für  jene  ein  verschiedenartiges  Ver- 
halten. Wir  sehen  denn  in  der  That  auch  (Fig.  11), 
dass  jene  auf  der  concaven  Seite  ihre  Segmente  überragen, 
auf  der  convexen  dagegen  deren  Hinterrand  nicht  erreichen. 
—  Die  sämmtlichen  Abdominalringe  haben  die  Breite 
des  letzten  Thoracalsegmentes,  auch  sind  sie  unter  sich 
von  ziemlich  gleicher  Länge,  der  Hinterrand  der  vorderen 
nach  vorne  ausgebogen,  des  fünften  geradlinig.  Die  Cau- 
dalplatte  etwa  ein  und  ein  halbes  Mal  so  lang  wie  breit, 
grösser  wie  das  Abdomen,  nach  hinten  unregelraässig  zu- 
gerundet, am  Hinterrande  leicht  ausgebuchtet;  sie  ist  an 
der  Basis  kaum  schmäler  wie  das  letzte  Thoracalsegment 
und   nicht   ganz    zwei   Mal   so  breit  wie  lang;    fast  plan 


lieber  einige  neue  Cymothoinen.  383 

vorne  mit  undeutlichem  Querwulste,  leicht  erhabener  Mit- 
telrippe  und  grubig  netziger  Skulptur  der  Rückenfläche. 
Thoracale  Beinpaare  durchschnittlich  von  gleicher  Länge 
und  Stärke,  nach  hinten  kaum  verdickt,  Hüften  an  der 
Basis  über  den  Schenkelring  in  Gestalt  eines  winzigen 
Zähnchens  vorspringend  (Fig.  10);  Krallen  sehr  klein. 
Letzter  Abdominalfuss  auf  der  verlängerten  Seite  kürzer 
wie  auf  der  verkürzten,  kaum  von  der  Hälfte  der  Länge 
seines  plattenfömigen  Segmentes;  Endäste  und  Stamm,  jene 
auch  unter  sich  ziemlich  gleich  lang,  jene  elliptisch  (Fig. 
12).  Grösse  des  mit  Brutkammer  versehenen  Weibchens  3  cm, 
Breite  1,6  cm. 

Wurde  in  Begleitung  eines  vollkommen  symmetrisch 
gebauten,  der  Mutter  fast  durchaus  entsprechenden  jungen 
Thieres  (1,1  cm  Länge  und  0,7  cm  Breite)  von  G.  Lunel, 
Direktor  des  städtischen  Museums  in  Genf,  einem  unserer 
hervorragendsten  Ichthyologen^)  an  der  Innenseite  des 
Kiemendeckels  von  Upeneus  Indiens  von  Macassar  (Celebes) 
aufgefunden  und  mir  mit  grosser  Zuvorkommenheit  über- 
lassen. Ich  beeile  mich  ihm  denselben  als  ein  Zeichen 
meiner  Hochachtung  zu  widmen..  Nach  schriftlichen  Mit- 
theilungen des  Finders  war  die  Stelle,  an  der  der  Parasit 
sass,  leicht  dadurch  kenntlich,  dass  an  ihr  der  Kiemen- 
deckel beulenartig  hervorgetrieben  war. 

7.    Livoneca  Cumulus  mihi  (Fig.  13—15). 

Körper  ziemlich  gedrungen;  Verhältniss  der  Länge 
zur  grössten  Breite  wie  3  :  2.  Grösste  Breite  auf  der 
Höhe  des  vierten  Thoracalsegmentes  (Fig.  14).  Rücken- 
fläche bis  zum  vierten  Segmente  hochgewölbt,  vom  Kopfe 
an  steil  aufsteigend;  die  hinteren  vier  Thoracalsegmente 
scharf  gefirstet;  Firste  der  verkürzten  Seite  merklich  ge- 
nähert; Abdomen  flacher,  nur  das  Pigidium  flach  dach- 
förmig. Körper  stark  asymetrisch,  die  eine  Seite  convex, 
die  andere  concav  gekrümmt.  —  Der  Kopf  ist  sehr  klein, 
halbmondförmig,  kaum  breiter  als   lang,  auf  der  Rücken- 


1)  Verfasser    des    schweizerischen    ichthyologischen   Werkes: 
Histoire  naturelle  des  Poissons  du  bassin  de  Leman.     Geneve  1874. 


384  G.  Ha  11  er: 

fläche  stark  ausgehöhlt,  er  passt  in  einen  tiefen  Einschnitt 
am  Vorderrande  des  ersten  Segmentes.  Dieses  und  die 
zwei  nachfolgenden  ergeben  sich  als  ungefähr  von  gleicher 
Länge,  nehmen  aber  an  Breite  zu.  Die  vorderen  Seiten- 
enden des  ersten  Segmentes  breit  zugerundet ;  in  der  Mitte 
des  Ringels  eine  tiefe  durch  eine  erhabene  Mittelfirste  in 
zwei  seitliche  Hälften  getrennte  halbmondförmige  Grube. 
Die  folgenden  Thoracalringel  werden  nach  hinten  zu  immer 
kürzer  und  vom  vierten  an  auch  schmäler  (Fig.  14  u.  15), 
ihre  Hinterränder  nach  vorne  eckig  und  breit  ausgeschnit- 
ten; diese  Ausschnitte  werden  nach  hinten  immer  tiefer 
und  schmäler;  sehr  tief  ist  der  Ausschnitt  des  letzten 
Thoracalringels,  welcher  fast  so  tief  wie  breit  ist  und  den 
umfangreichen  Complex  der  fünf  ersten  Abdominalsegmente 
gänzlich  aufnimmt  (Fig.  14).  Vom  vierten  Segmente  an  ist, 
was  namentlich  bei  jungen  Individuen  hervorzutreten  scheint, 
der  Hinterrand  eines  jeden  der  Thoracalsegmente  in  der 
Mitte  zu  einem  kleinen  nach  hinten  über  den  Vorderrand 
des  folgenden  Ringels  vorragenden  Höckerchens  verdickt, 
das  sich  nach  vorne  hin  abflacht  (Fig.  15).  Bei  mit  Eiern 
erfüllten  Weibchen  wird  durch  die  Brutkammer  die  Bauch- 
fläche auffallend  stark,  fast  halbkugelig  hervorgetrieben. 

Der  Seitenrand  und  die  Epimeren  der  drei  vorderen 
Körperringel  verhalten  sich  normal  wie  bei  den  übrigen 
Arten.  Die  Epimeren  sind  schmale  Streifchen  nicht  ganz 
von  der  Länge  ihres  Segmentes;  sie  stehen  unterhalb  des 
Seitenrandes,  schieben  sich  mit  ihrer  Spitze  hinter  das 
Vorhergehende,  erreichen  den  Hinterrand  ihrer  Ringel  nicht 
und  sind  in  ihrer  hinteren  Hälfte  durch  eine  enge  Furche 
in  zwei  übereinander  liegende  Theile  geschieden  (Fig.  15). 
An  den  vier  hinteren  Segmenten  ist  dagegen  das  Verhalten 
ein  durchaus  abweichendes  und  höchst  charakteristisches, 
das  hauptsächlich  auf  der  convexen  Seite  des  Körpers 
hervortritt,  sich  dagegen  auf  der  concaven  nur  undeutlich 
zu  erkennen  gibt.  Dort  erscheint  der  •  Seitenrand  eines 
jeden  der  vier  hinteren  Segmente  zu  breiten  Platten  aus- 
gezogen, die  in  schräger  Richtung  nach  unten  ragen  und  so 
als  eine  seitliche  Fortsetzung  der  abschüssigen  Rückenfläche 
auftreten;  sie  sind  etwas  breiter  wie  lang  und  an  der  Ober- 


Ueber  einige  neue  Cymothoinen.  385 

fläche  kaum  merklicli  ausgehölt  (Fig.  13  u.  14).  Die  erste 
steht  von  den  übrigen  etwas  ab,  so  dass  zwischen  ihr  und 
der  folgenden  das  Ende  der  ihr  angehörenden  Epimere  zu 
Tage  tritt  (Fig.  14).  Nach  vorne  erweist  sich  diese  Platte 
als  leicht  bis  halbmondförmig  zugerundet,  die  übrigen  sind 
einfacher  eckig,  am  Aussenrande  quer  abgestutzt.  Betrach- 
ten wir  nun  das  Thier  von  der  Bauchseite  (Fig.  13),  so 
werden  auch  die  Epimeren  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung 
sichtbar.  Sie  ergeben  sich  als  eben  so  lang  wie  die  dar- 
über liegenden  Seitenränder,  doch  nur  von  der  halben  oder 
eindrittels  Breite  derselben,  nehmen  aber  von  vorne  nach 
hinten  an  Umfang  ab,  sind  entweder  nach  dem  freien  Ende 
hin  zugespitzt  oder  quer  abgestutzt  und  treten  jeweilen 
unter  den  Spalt  zwischen  ihrem  Segmente  und  dem  nach- 
folgenden, von  der  Rückenfläche  wird  daher  wie  wir  ge- 
sehen nur  die  erste  derselben  und  nur  deren  Spitze  zu 
bemerken  sein. 

Von  der  Rückenfläche  aus  betrachtet,  treten  die  fünf 
ersten  Abdominalsegmente  nur  in  dem  Ausschnitte  des 
letzten  Thoracalringes  zu  Tage  und  kommen  an  Länge 
nicht  ganz  den  hintersten  drei  Thoracalsegmenten  gleich. 
Caudalplatte  von  beträchtlicher  Grösse,  durchaus  dreieckiger 
Gestalt  .mit  ausgesprochener  Spitze,  entsprechend  dem 
Körperbau  etwas  asymmetrisch,  leicht  dachartig  gewölbt 
und  so  lang  oder  länger  als  breit.  Rings  um  dasselbe 
zieht  sich  ein  dünnhäutiger  unregelmässiger  Randsaum 
(Fig.  14).  Seine  Länge  ist  verschieden,  meist  übertrifft 
sie  aber  ihre  eigene  Breite  und  stets  den  vorderen  Ab- 
schnitt des  Abdomens  um  ein  Beträchtliches. 

Obere  Antennen  verbreitert  und  kürzer  wie  die 
unteren,  sie  reichen  nicht  bis  an  den  Hinterrand  des 
Kopfes,  sechsgliederig,  untere  dünner,  reichen  bis  über  den 
Vorderrand  des  ersten  Segmentes  und  sind  etwa  um  ihre 
eigene  Hälfte  länger  wie  jene.  Die  Thoracalbeine  sehr 
klein,  namentlich  deren  Krallen ;  durchwegs  von  gleicher 
Grösse,  Hüften  nur  wenig  plattenartig  verbreitert.  Das 
letzte  Beinpaar  auf  der  convexen  Seite  meist  etwas  grösser, 
wie  auf  der  concaven,  doch  niemals  länger  als  höchstens 
die  Hälfte  der  Caudalplatte.     Stammtheil  sehr  kurz;  aus- 

Archiv  f.  Naturg.  XXXXVI.  Jahrg.  1.  Bd.  25 


386  Gr.  Ha  11  er: 

serer  Endast  etwa  ein  und  ein  halbes  Mal  so  lang,  an  der 
Basis  verbreitert,  in  eine  abgerundete  Spitze  ausgezogen, 
schwach  gebogen,  immer  bedeutend  kürzer  wie  dieser, 
verkehrt  eiförmig ;  das  ganze  Bein  dagegen  sehr  flach  und 
papierdünn. 

Von  dieser  an  und  für  sich  bereits  sehr  interessanten 
Art  kommen  zwei  sich  durchaus  ähnliche  aber  entgegen- 
gesetzte Abweichungen  vor,  von  denen  die  eine  zu  den 
vorliegenden  Zeichnungen  benutzt  worden  ist,  ich  bezeichne 
sie  mit  a.  Die  andere  ß,  hat  ihren  concaven  Seitenrand 
auf  der  rechten  Seite  und  die  verbreiterten  Platten  befinden 
sich  daher  auf  der  linken  Seite.  Sonst  entspricht  dieselbe  voll- 
kommen der  obigen  Beschreibung,  sowie  den  Abbildungen. 

Drei  Exemplare  aus  Gouadeloupe,  deren  Gesammt- 
länge  2,3.  2,5  u.  2,8,  deren  Breite  1,4.  1,5  u.  2,0,  deren 
grösste  Höhe  des  gefirsteten  Hinterrückens  0,8.  0,9,  u.  1,1  cm 
beträgt.  Im  ungemein  hochgewölbten  Kücken,  der  hinten 
gefirstet,  vorne  gewölbt  ist,  in  den  Platten  des  Seitenran- 
des, den  eigenthümlich  ausgebildeten  Epimeren  u.  s.  w. 
li^gt  ein  ganz  eigenartiger  Charakter.  Derselbe  ist  es 
vermuthlich,  welcher  den  Sammler  dazu  bewog,  in  seiner 
handschriftlichen  beigesetzten  Bezeichnung  die  Art  der 
Gattung  Ourozeuktes  beizugesejlen.  Diese  Bereicherung 
der  wenig  bekannten  Gattung  Mi  Ine- Edwards  ist  aber 
eine  irrige,  denn  wie  man  sich  leicht  überzeugt  sind  die 
einzelnen  Segmente  des  Abdomens  frei  und  nicht  ver- 
schmolzen. Dagegen  war  ich  mit  mir  uneinig  ob  ich 
Livoneca  Cumulus  zum  Typus  einer  eigenen  Gattung  er- 
heben wollte,  wozu  vielleicht  in  oben  angeführten  Kenn- 
zeichen Grund  genug  vorhandeü  wäre.  Es  erscheint  mir 
aber  richtiger  die  Art  der  Gattung  Livoneca  beizustellen; 
sie  bildet  durch  das  Verhalten  der  Epimeren  und  Seiten- 
ränder der  hinteren  Segmente  des  Thorax  ein  Bindeglied 
zwischen  diesem  Genus  undNerocila.  Die  Speciesbezeichnung 
wählte  ich  von  der  starken  hügelaBtigen  Wölbung  des  Rückens. 

8.    Livoneca  ellipsoidea  mihi    (Fig.    16--17). 

Körper  fast  vollkommen  symmetrisch,  länglich  ellip- 
tisch; massig  gewölbt,  in  der  Mitte  der  Rückenfläche  leicht 


Ueber  einige  neue  Cymothoinen.  387 

deprimirt;  ungefähr  zwei  Mal  so  lang  wie  breit;  grösste 
Breite  in  der  Körpermitte;  nach  vorn  und  nach  hinten 
ziemlich  gleichmässig  verjüngt  (Fig.  12);  das  fünfte  Thora- 
calsegment  am  Breitesten,  nicht  ganz  zwei  Mal  so  breit  wie 
das  erste.  Der  Kopf  nur  wenig  länger  als.  breit  mit  zu- 
gerundetem Stirnrande  und  schwacher  Vertiefung  zwischen 
den  Augen,  diese  etwas  vorspringen.  Die  vorderen  und 
hinteren  Antennen  ziemlich  gleich  breit  und  lang,  reichen 
nach  hinten  über  den  Vorderrand  des  ersten  Segmentes 
hinaus.  Dieses  letztere  länger  als  das  zweite  und  dritte, 
gleich  lang  wie  vier  bis  sechs,  die  nach  vorne  ragenden 
Seitenfortsätze  sehr  kurz,  dicht  hinter  den  Augen  merkliche 
Gruben  für  dieselben;  bei  erwachsenen  Exemplaren  der 
Vorderrand  längs  der  Basis  des  Kopfes  verdickt,  durch 
eine  mit  ihm  parallel  verlaufende  Furche  vom  übrigen 
Segmente  geschieden.  Hinterrand  des  letzten  Segmentes 
in  der  Mitte  leicht  ausgeschnitten  (Fig.  17).  Epimeren 
stark  verdickt,  an  der  Innenseite  zur  Aufnahme  der  Extre- 
mitäten ausgehöhlt,  unterhalb  ihrer  Segmente,  nach  vorne 
zugespitzt,  nach  hinten  verbreitert,  ihr  Ende  schiebt  sich 
jeweilen  über  die  Spitze  der  Vorhergehenden.  Die  Füsse 
(Fig.  16  a  u.  b)  nehmen  von  vorne  nach  hinten  sehr  be- 
trächtlich an  Länge,  kaum  bedeutend  an  Stärke  zu.  Die 
hinteren  Hüften  nicht  verbreitert  nur  verdickt,  dreikantig. 
Krallen  stark  lang  und  an  der  Basis  merklich  verdickt. 

Abdomen  nach  hinten  sehr  merklich  verschmälert; 
erstes  Segment  von  gleicher  Länge  mit  dem  letzten  Thora- 
calsegmente;  letztes  kaum  halb  so  breit.  Erstes  Hinter- 
leibsringel vom  vorhergehenden  Segmente  zum  grössten 
Theile  bedeckt,  alle  nach  vorne  convex,  das  fünfte  in  der 
Mitte  mit  geradem  Hinterrande.  Die  Caudalplatte  sehr 
klein,  kaum  so  lang  wie  breit,  halbkreisförmig  zugerundet. 
Nahe  der  Basis  mit  in  der  Mitte  verschmälertem  Querein- 
drucke und  erhabener  Längsrippe,  welche  das  leichtge- 
wölbte Schildchen  in  zwei  Seitenhälften  theilt.  Letztes 
Abdominalfusspaar  um  ein  Merkliches  länger  wie  das  Pi- 
gidium.  Stamm  und  Aeste  desselben  ziemlich  gleich  lang, 
jene  auch  unter  sich.  Stamm  verbreitert  nach  innen  mit  leich- 
tem Zähnchen.    Endäste  oval,  an  der  Basis  leicht  abgestutzt. 


388  G.  Haller: 

Oberfläche  sehr  glatt  und  stark  glänzend.  Farbe 
olivengrünlich  bei  dem  grösseren,  bräunlich  bei  dem 
kleineren  Exemplare,  jenes  mit  blassem  Hinterrande  der 
Thoracalsegmente.  Zwei  Individuen  unbekannten  Vater- 
landes, das  eine  von  3,0  cm  Länge  und  1,4  cm  Breite,  das 
andere  von  1,9  cm  L.  u.  0,8  Br. 

Anilocra  Leach. 

9.    Anilocra  mexicana  de  Saussure.  Fig.  20. 

Mem.  sur  divers  Crustaces  nouveaux  du  Mexique  et 
des  Antilles  par  Henri  de  Saussure.  Geneve  1858.  pag.  68. 

Im  Museum  von  Genf  befinden  sich  nunmehr  ausser 
den  zwei  Individuen  aus  dem  Golfe  von  Mexico,  welche 
de  Saus  sur e  als  Typen  zur  Beschreibung  seiner  Art 
dienten,  zwei  weitere  von  Westindien,  wovon  eines  sehr 
gut  erhalten  und  in  Weingeist  conservirt.  Letztere  stimmen 
durchaus  mit  den  Typen  und  der  oben  citirten  ersten  Be- 
schreibung iiberein,  nichts  destoweniger  wurden  sie  an 
das  Museum  unter  der.  Bezeichnung  Anilocra  discolor, 
welches  allerdings  sehr  wahrscheinlich  nur  ein  Sammler- 
name ist,  eingeschickt.  Da  überdiess  de  Saussure  von 
seiner  Art  keine  Abbildung  gab  und  die  Beschreibung  in 
Bezug  auf  das  letzte  Abdominalfusspaar,  welches  bei  seiner 
Art  abgebrochen  war,  unvollständig  ist,  halte  ich  es  für 
geboten  die  Art  durch  Abbildung  und  wiederholte  Beschrei- 
bung auf's  Neue  kenntlich  zu  machen.  Ich  benutze  hierzu 
so  weit  möglich  des  ersten  Autor's  eigene  Ausdrücke. 

Eine  der  gedrungeneren  Arten  und  von  ziemlich  unbe- 
deutender Grösse.  Grösste  Breite  in  der  Mitte  des  Thorax, 
von  hier  nach  beiden  Seiten  hin  gleichmässig  verschmälert. 
Kopf  dreieckig.  Augen  gleich  dem  ganzen  übrigen  Kopfe 
glänzend,  fein  granulirt;  die  einzelnen  Granulationen  sehr 
deutlich,  wie  von  Firniss  umzogen.  Obere  Antennen  sehr 
stark  comprimirt,  den  Hinterrand  der  Augen  fast  oder 
ganz  erreichend;  ihr  zweites  und  drittes  Glied  merklich 
grösser  wie  die  folgenden  vier.  Untere  Antennen  sehr  zu- 
sammengedrückt, zehngliederig,  erreichen  den  Vorderrand 
des   zweiten   Thoracalsegmentes.    Erstes  Thoracalsegment 


üeber  einige  neue  Cymotho'inen.  389 

jederseits  mit  leichtem  Seitenhöcker,  welcher  die  Basis 
des  Kopfes  umschliesst,  seine  hintere  Seitenecke  leicht 
nach  hinten  ausgeschnitten.  Epimeren  von  Segment  zwei 
bis  drei  oval,  von  vier  stumpf,  und  der  folgenden  nach 
hinten  zugespitzt,  fast  dornförmig.  Letztes  Abdominalseg- 
ment so  lang  wie  breit  oder  etwas  kürzer,  und  fast  kreis- 
förmig oder  von  der  Gestalt  eines  zugerundeten  Vierecks, 
nach  hinten  nicht  verengert.  Flacher  Randsaum  und  ziem- 
lich stark  gewölbter  Mitteltheil,  parallel  der  Basis  eine 
sehr  tiefe  Querfurche,  die  die  Seitenränder  nicht  erreicht. 
Das  letzte  Beinpaar  des  Thorax  sehr  lang  und  sehr  dünn, 
ganz  besonders  gilt  dieses  von  dem  die  Kralle  tragenden 
Gliede.  Letztes  abdominales  Fusspaar  von  der  Länge  des 
Caudalschildes  oder  kaum  merklich  länger.  Die  beiden 
Endäste  kaum  länger  wie  der  Stamm,  auch  unter  sich  von 
gleicher  Länge;  der  äussere  leicht  sichelförmig,  der  innere 
lanzettlich.  Länge  2,5 — 3,0  und  Breite  1,0—1,2  cm;  de 
Saussure  fügt  noch  bei:  Länge  des  letzten  Segmentes 
0,8  cm. 

Nach  de  Saussure  nähert  sich  diese  Art  besonders 
Anilocra  laticauda,  Edw.  unterscheidet  sich  aber  durchaus 
von  ihr  durch  die  Länge  der  inneren  Antennen  u.  s.  w. 
Die  von  dem  ersten  Autoren  der  Art  mitgebrachten  Exem- 
plare unterscheiden  sich  einzig  durch  ihre  rostrothe 
Färbung  von  den  neueren  aus  Westindien  stammenden 
Stücken,  die  von  dunkel  olivengrüner  Farbe  sind.  Haben 
wir  hier  eine  künstlich,  vielleicht  durch  verschiedene  Dauer 
der  Aufbewahrung  verschiedenartige  Präparation  od.  dergl. 
hervorgerufene  Farbenveränderung  oder  eine  auch  im 
Leben  existirende  Varietät  vor  uns?  Wahrscheinlich  eher 
das  erstere,  dann  ist  wohl  die  dunkelgrüne  Färbung, 
welche  das  einzige  in  Weingeist  conservirte  Stück  aufweist, 
die  der  Natur  entsprechende. 

10.    Anilocra  acuminata  mihi. 

Nicht  ganz  von  der  Grösse  der  Anilocra  mediterranea, 
ihr  jedoch  nur  wenig  nachstehend.  Bau  schlank,  etwa 
2V2  mal  so  lang  wie  breit.     Grösste  Breite  auf  der  Höhe 


390  G.  Haller: 

der  zwei  vorletzten  Thoracalsegmente;  von  hier  an  nach 
vorne  hin  stark  zugespitzt,  das  erste  Segment  etwa  halb 
so  lang  wie  das  vorletzte;  Thorax  nach  hinten  kaum  ver- 
schmälert. Kopf  vor  den  Augen  merklich  verlängert,  Stirn 
gerade  abgestutzt;  Augen  massig  vorstehend.  Fühler  sehr 
stark  comprimirt,  vordere  fast  um  die  Hälfte  länger  wie 
die  hinteren;  letztere  überragen  angedrückt  den  Vorder- 
rand des  ersten  Segmentes  um  ein  bedeutendes.  —  Von 
den  Thoracalsegmenten  ist  das  erste  kürzer  wie  der  Kopf, 
jedoch  länger  wie  zwei  und  drei,  ungefähr  wie  vier,  jeder- 
seits  am  Vorderrande  hinter  den  Augen  ein  leichter  Ein- 
druck. Thoracalsegment  zwei  und  drei  unter  allen  am 
kürzesten,  drei  kaum  länger  wie  zwei,  vier  und  fünf,  unter 
sich  ziemlich  gleich;  sechs  unter  allen  das  längste,  fast 
so  lang  wie  zwei  und  drei  zusammen,  sieben  plötzlich  ver- 
kürzt, etwa  wie  drei.  Sein  Hinterrand  zur  Aufnahme  des 
Abdomens  leicht  ausgebuchtet.  Epimeren  von  vorne  nach 
hinten  an  Länge  zunehmend.  Die  vorderen  erreichen  noch 
den  Hinterrand  der  Segmente,  die  hinteren  nicht  mehr, 
hier  springt  hinter  ihnen  vielmehr  der  Seitenrand  in  Ge- 
stalt eines  zugerundeten,  an  der  Oberfläche  leicht  concaven 
Lappens  vor  (Fig.  19).  Die  hinteren  Epimeren  enden  wie 
bei  der  nachfolgenden  in  frei  abstehende  Spitzchen 
aus.  —  Das  Abdomen  nach  der  Basis  hin  kaum  merklich 
verschmälert;  seine  fünf  ersten  Segmente  von  gleicher 
Länge,  der  Hinterrand  der  vier  ersten  ist  ziemlich  concav, 
derjenige  des  fünften  ziemlich  gerade.  Alle  Segmente  in 
der  Mitte  mit  leichtem  Längswulste.  Hinterleibsplatte  etwa 
so  breit  wie  das  letzte  Abdominalsegment  und  kaum  merk- 
lich kürzer  als  breit,  mit  parallelen,  leicht  ausgerandeten 
Seitenlinien  und  zugerundeten  Hinterecken.  Längs  der 
Basis  mit  verwischtem  schmalem  Quereindruck,  von  ihm 
verläuft  eine  Längsrippe  bis  nicht  ganz  zum  Hinterrande 
und  scheidet  die  Platte  in  zwei  leicht  eingedrückte  Hälften. 
Letztes  Abdominalfusspaar  überragt  mit  der  Spitze  des 
einen  Astes  das  Caudalschild  um  ein  Weniges  und  erreicht 
mit  der  Spitze  des  andern  dessen  Hinterrand.  Stammtheil 
etwa  von  halber  Länge  des  Pigidiums,  nach  innen  mit 
kleinem    aber    deutlichem    leicht    gebogenem    Zähnchen. 


Ueber  einige  neue  Cymothoinen.  391 

Aeusserer  Endäst  länger,  wie  der  innere  sichelförmig,  der 
innere  dolcbförmig. 

Rückenfläche  von  massiger  Wölbung,  grösste  Höhe 
des  Körpers  über  dem  vierten  Segmente,  von  hier  nach 
vorne  ziemlich  steil  abfallend,  nach  hinten  ganz  allmählig 
abnehmend  (Fig.  19).  Oberfläche  glatt  und  glänzend. 
Länge  4,2;  Breite  1,6  cm.  Zwei  zerfallene  Exemplare  von 
der  Insel  Bourbon.  Den  Namen  entnehme  ich  der  vorherr- 
schendsten Eigenschaft  der  neuen  Art,  welche  in  der  aus- 
gesprochenen Zuspitzung  der  sehr  gestreckten  Thorax  nach 
vorne  hin  ausgesprochen  scheint. 


Faunistische  Gruppirung  der  oben  erwähnten 
und   beschriebenen   zehn  Cymothoinen   mit   Bei- 
fügung der  abgekürzten  deutschen  Diagnosen. 

Von  West  Indien,  vorzugsweise  aus  dem  Golfe  von 
Mexico  (Cuba  und  Tuxpam)  und  von  den  Kleinen  An- 
tillen (Guadeloupe)  stammen  folgende  4  Arten. 

1.  Cymothoa  oestrum  Leach.  Guadeloupe. 

2.  Cymothoa  parasitica  de  Saussure.    Cuba. 

3.  Livoneca  Cumulus  mihi.  Stark  asymmetrisch, 
in  zwei  individuellen  Schwankungen  auftretend.  Körper 
ungemein  hoch  gewölbt,  vorn  mit  steilansteigender  Wölbung, 
hinten  mit  allmählig  abfallender  Firste,  diese  der  verkürz- 
ten Seite  genähert.  Hintere  Thoracalsegmente  mit  kleinen 
Höckerchen;  letztes  Segment  sehr  tief  ausgeschnitten,  das 
ganze  Abdomen  aufnehmend.  Seitenränder  und  Epimeren 
der  vier  hinteren  Segmente  mit  einseitiger  Ausbildung  zu 
breiten  Platten  und  langen  Stacheln.  Seitenrand  des  Ab- 
domens vom  letzten  Thoracalsegmente  überdeckt.  Hinter- 
leibsplatte dreieckig  mit  häutigem  Randsaume.  Länge  der 
ausgewachsenen  Exemplare  2,8;  Breite  2,0  cm.  Guade- 
loupe. 

4.  Anilocra  mexicana  de  Saussure. 

Von  den  übrigen  sechs  kommen  fünf  Arten  im  indi- 
schen Ocean  vor  und  zwar  nach  den  Vaterlandsangaben 
um  Celebes  und  um  die  Ma'skarenen. 


392  G.  Haller: 

1.    Cymothoa  rotundifrons  mihi. 

Körper  ziemlich  gestreckt;  Rücken  hoch  und  gleich- 
massig  gewölbt.  Thorax  mit  gradlinigen  parallelen  Seiten- 
rändern. Kopf  mit  zugerundeter  Stirn ;  Seitenfortsätze  des 
ersten  Thoracalsegmentes  kürzer  als  der  Kopf,  diesem  an- 
geschmiegt mit  abgerundeten  Aussenecken.  Thoracalseg- 
ment  drei  und  vier  am  Vorderrande  mit  paarweisen  Gruben, 
fünf  und  sechs  mit  drei  mittelständigen  Punktlinien;  Ab- 
domen nach  der  Basis  hin  nicht  stark  verschmälert.  Fünftes 
Segment  mit  zwei  kleinen  Höckerchen.  Länge  4,0;  Breite 
2,7  cm.    Mauritius. 

2.    Cymothoa  paradoxa  mihi. 

Cephalothorax  vorn  durchaus  deprimirt  und  flach, 
hinten  ebenso  stark  nach  der  Bauchseite  hin  comprimirt. 
Abdomen  sehr  frei  beweglich  und  von  beträchtlicher  Länge, 
nach  der  Basis  hin  verschmälert.  Kopf  breiter  als  lang, 
vor  den  Augen  nicht  verlängert;  erstes  Thoracalsegment 
in  der  Mitte  stark  nach  hinten  ausgezogen,  zweites  Segment 
in  der  Mitte  merklich  verschmälert;  letztes  Ringel  vom 
vorhergehenden  deutlich  abgeschnürt,  am  Hinterrande  stark 
ausgebuchtet.  Caudalplatte  kurz,  breiter  als  lang;  letztes 
Abdominalfusspaar  länger.  Gesammtlänge  2,0;  Breite  0,6 
cm.  Aus  der  Mundhöhle  von  Caranx  carangus  Bloch  aus 
dem  indischen  Ocean. 

3.    Livoneca  plagulophora  mihi. 

Körper  leicht  asymmetrisch,  stark  abgeflacht  und 
massig  verbreitert,  verzerrt  eiförmig.  Abdomen  von  der 
Rückenfläche  aus  betrachtet  mit  nur  vier  schmalen  Seg- 
menten, erstes  derselben  gänzlich  unter  dem  Thorax  ver- 
borgen; jene  vier  zusammen  ausserordentlich  kurz,  kaum 
so  lang  wie  Thoracalsegment  sechs  und  sieben.  Caudal- 
platte sehr  gross,  nach  hinten  halbkreisförmig  zugerundet. 
Epimeren  breit  und  flach,  fast  viereckig,  nach  innen  zuge- 
rundet. Letztes  Abdominalfusspaar  etwa  halb  so  lang  wie 
das  Pigidium,  Endäste  ungleich  mit  häutigem  Anhange  vor 
der  Spitze.     Länge  2,8;  Breite  1,2  cm  von  Mauritius. 


Ueber  einige  neue  Cymothomen.  393 

4.    Livoneca  Lunelii  mihi. 

Ebenfalls  leicht  asymetrisch  und  flach,  Mittelparthie 
der  Rückenfläche  leicht  gewölbt,  Seitentheile  dagegen  aus- 
gehöhlt. Kopf  länger  als  breit,  oval.  Epimeren  der  drei 
vorderen  Segmente  nach  aussen  und  hinten  in  ein  stumpfes 
Höckerchen,  der  hinteren  in  einen  spitzen  leicht  gekrümm- 
ten Dornfortsatz  ausgezogen,  der  von  vorne  nach  hinten 
an  Grösse  zunimmt.  Abdominalplatte  kurz,  nicht  ganz 
zwei  mal  so  breit  wie  lang,  nach  hinten  unregelmässig  zu- 
gerundet, in  der  Mitte  des  Hinterrandes  kaum  merklich  aus- 
gebuchtet. Letztes  Abdominalfusspaar  nur  von  halber 
Länge  des  Pigidiums,  die  Endäste  unter  sich  und  mit  dem 
Stamme  gleich  lang,  oval.  Länge  3  cm.  Breite  1,6.  Unter 
einer  beulenartig  vorgetriebenen  Stelle  des  Kiemendeckels 
von  Upeneus  indicus  Shaw  von  Macassar  (Celebes). 

5.     Anilocra  acuminata  mihi. 

Eine  der  grösseren  Anilocra- Arten;  schlanken  Baues; 
Verhältniss  der  Länge  zur  Breite  wie  1  :  2V2.  Grösste 
Breite  des  Thorax  auf  der  Höhe  der  zwei  letzten  Thora- 
calsegmente,  von  hier  an  nach  vorne  hin  zugespitzt,  nach  hin- 
ten nur  leicht  verschmälert.  Dabei  der  Körper  ziemlich 
stark  gewölbt.  Kopf  vor  den  Augen  merklich  verlängert. 
Hintere  Fühler  überragen  den  Vorderrand  des  ersten  Seg- 
mentes. Un^r  diesen  letzteren  sechs  am  längsten,  etwa 
so  lang  wie  zwei  und  drei  zusammen.  Abdomen  ungefähr 
so  lang  wie  breit.  Abdominalplatte  fast  rechteckig  mit 
leicht  ausgerandeten  Seiten  und  hinteren  zugerundeten 
Ecken;  nur  wenig  kürzer  wie  die  vorderen  Segmente  des 
Hinterleibes  und  länger  wie  breit.  Aeusserer  Endast  des 
letzten  Abdominalfusses  länger  wie  das  Pigidium,  sichel- 
förmig, innerer  so  lang  wie  dieses  und  dolchförmig.  Länge 
4,2;  Breite  1,6  cm.    Bourbon. 

Endlich  eine  Art  unbekannten  Vorkommens  wahr- 
scheinlich ebenfalls  aus  dem  indischen  Ocean. 

Livoneca   ellipsoidea  mihi. 

Körper  fast  vollkommen  symmetrisch,  durchaus  ellip- 
tisch, von  der  Mitte  aus  nach  vorne  wie  hinten  fast  gleich- 

Archiv  für  Naturg.  XXXXVI.  Jahrg.  1.  Bd.  25* 


394  G.  Haller: 

massig  verschmälert.  Ziemlich  gewölbt,  mit  leichter  Depres- 
sion auf  dem  Mitteltheile  des  Rückens.  Letztes  Segment 
des  Thorax  nur  in  der  Mitte  leicht  und  breit  ausgerandet. 
Abdomen  von  der  Basis  an  nach  hinten  sehr  stark  ver- 
schmälert, Caudalplatte  klein,  schmal  und  ebenso  kurz,  fafet 
halbkreisförmig.  Letztes  Beinpaar  dieselbe  fast  um  die 
Länge  der  Endäste  überragend;  diese  letzteren  unter  sich 
gleich  lang,  breit  und  elliptisch.  Farbe  olivengrünlich  bis 
bräunlich,  Oberfläche  glatt  und  glänzend.  Länge  3,0 ; 
Breite  1,4  cm. 


Erklärung  der  Tafel  XVIII. 


Fig.  1  bis  4.  Beziehen  sich  auf  Cymothoa  rotundifrons. 
mihi. 

Fig.  1.  Das  Thier  von  der  Rückenfläche  in  natürlicher  Grösse. 
Fig.  2a.  Kopf  von  Cym.  rotundifrons  von  vorne. 

b.  Kopf  von  Cym.  oestrum  von  vorne.  Umrissfigur. 

c.  Vorletztes  Beinpaar  von  Cym.  rotundifrons. 

d.  Vorletztes  Beinpaar  von  Cym.  oestrum. 
Alle  vier  Figuren  in  natürlicher  Grösse. 

Fig.  3.  Pigidium  der  nämlichen  Art  nicht  ganz  IV2  i^^l  ver- 
grössert. 

Fig.  4.  Thier  in  natürlicher  Grösse  mit  üebergehung  der 
Beine  von  der  Seite  gezeichnet. 

Fig.  5  bis  6.  Bez.  s.  a.  Cymothoa  paradoxa  mihi, 

Fig.  5.  Das  Thier  von  der  Rückenfläche. 

Fig.  6.  Von  der  Seite,  beides  in  natürlicher  Grösse. 

Fig.  7.  Pigidium  und  die  zwei  letzten  Abdominalfusspaare 
von  innen,  etwa  2  mal  vergrössert. 

Fig.  8 — 9.  Bez.  s.  a.  Livoneca  plagulophora  mihi. 

Fig.  8.  Thier  von  der  Rückenfläche  in  natürlicher  Grösse. 

Fig.  9.  a  erstes,  b  letztes  Thoracalfusspaar  etwa  3  mal  ver- 
grössert. 

Fig.  10 — 12.  Bez.  s.  a.  Livoneca  Lunelii  mihi. 


lieber  einige  neue  Cymothoinen.  395 

Fig.  12.  Seitenrand  der  einen  verkürzten  Seite  von  der  Bauch- 
fläche, das  erste  Beinpaar  fehlt,  natürliche  Grösse. 

Fig.  11.  Thier  von  der  Rückenfläche,  natürliche  Grösse. 

Fig.  12,  Pigidium  (Umrisse  und  letztes  Abdominalfusspaar  von 
der  Innenseite,  natürliche  Grösse. 

Fig.  13 — 15.  Bez.  s.  a.  Livoneca  Cumulus  mihi,  alle  nat. 
Grösse. 

Fig.  13.  Von  der  Bauchfläche,  Beine  nur  einseitig  angemerkt. 

Fig.  14.  Von  der  Rückenfläche. 

Fig.  15.  Von  der  verkürzten  concaven  Seite  aus. 

Fig.  16—17.  Bez.  s.  a.  Livoneca  ellipsoidea  mihi. 

Fig.  16.  a  erstes,  b  letztes  Thoracalfusspaar,  beide  etwa  3  mal 
vergrössert. 

Fig.  17.  Thier  von  der  Rückenfläche  in  natürlicher  Grösse. 

Fig.  18 — 19.  Bez.  s.  auf  Anilocra  acuminata  mihi,  natür- 
liche Grösse. 

Fig.  18.  Von  der  Rückenfläche. 

Fig.  19.  Von  der  Seite. 

Fig.  20.  Anilocra  mexicana  de  Saussure,  dunkelgrüne 
Varietät,  nat.  Gr.    Von  der  Rückenfläche. 


Universitäts-Buchdruckerei  von  Carl  Georgi  in  Bonn. 


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Sr.  G.Haller  dd. 


läh.v.C.F  Schirndt. 


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TcüfV. 


T)r.  G.  HciZler  del. 


lith.  V.  C.  F.  Schmidt. 


ASW. 


H!ß^ 


Taf  VI. 


^ 


Dr.  (i  ffcdler  del. 


lüh.vC.  F.  Schmidt 


^S80. 


Ta^'IVir. 


Machr  cL.X'at..  qez.  voiv  Krämer' 


lithv.  C  F.  ScJurädt 


/SSO. 


TafVm. 


Tisch^r  ffez. 


C.F.Schmixitlith- 


/S80. 


TafIX. 


'O. 


2/. 


Fischer  gez. 


C.  F.  Schmidt  Utk. 


Taf^.X. 


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C.F Schmidt  Txth 


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J880. 


rafxi. 


r>.  Bexij'ULyoy  del- 


C.F.Sclviudlhtk. 


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^ 


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^ 
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iS80. 


Taf.XIlI. 


R-  A.  PJvilCmii  deL. 


C.  F.  Schmidt  Utk. 


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TafXlV 


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