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ARCHIV
FÜR
OHRENHEILKUNDE
BEGBÜNDET 1864
VON
De. A. V. TRÖLTSCH Dr. ADAM POLITZER
WXXLASD PbOF. IK WÜBZBÜBG. IN WlXV
UHD
Dr. HEßMANN SCHWAETZE
IN Halle a. S.
IM VEREIN MIT
Pbof. G. hasse in Breslau, Pbof. V. HENSEN in Kiel. Pbof. A. LüCAE in Berli n,
S. B. Dr. A. MAGNUS in KOnigsbero üPr., Prof. E. ZAÜFAL in Praq, Prof. J. KESSEL
IN Jena, Prof. V. UBBANTSGHITSCH in Wien, Prof. F. BEZOLD in München,
Prof. K. BÜBENEB in GOrriNaEN, Dr. E. MOBPÜRGO in Triebt, S. B. Dr. L. BLAU in
Berlin, Prof. J. BOEE in Budapest, Q. S. R. Dr H. DENNERT in Berlin, Prof. G.
GRADENIGO in Txtrin, Prof. J. ORNE GREEN in Boston, Prof. J. HABERMANN in Grar,
Privatdocbnt und Professor Dr. H. HESSLER in Halle. Privatdocent und Professoz
Dr. L. JACOBSON in Berlin, Prof. G. J. WAGENHlUSER in Tübingen, Prof. H. WALB
IN Bonn, Privatdocent und Professor Dr. C. GRUNERT in Halle, Privatdocent Dr. A.
JANSEN IN Beblin. Privatdocent und Prof. Dr. L. KATZ in Berlin, Prof. P. OSTMANN
IN Marbubg, Db. L. STACKE, Pbof. in Ebfubt, Db. 0. WOLF in Fbankfubt a. m.,
Pbof. A. BARTH in Leipzig, Prof. V. COZZOLINO in Neapel, Prof. L. HAUG in
München, Dr. F. KRETSCHMANN in Magdeburg, Prof. E. LEUTERT in Giessen,
Privatdocent Dr. V. HAMMERSCHLAG in Wien, S. R Dr. F. LUDEWIG in Hambubo .
Uvi. F. MATTE IN Köln, Db. HOLGEB MTGIND, Pbof. in Kopenhagen, Db. W. ZERONI
IN Kablsbuhe, Pbivatdocent Db. G. ALEXANDER in Wien, Pbof. E. BEBTHOLD in Königs-
berg i. Pb., Db. 0. BRIEGER in Bbeslau, Pbof. A. DENKER in Eblangen, Db. R. ESCH-
WEILER, Pbivatdozent in Bonn, Db. A. db FORESTIER in LibauRussl., Db. H. FREY
IN WiBN, DB.H.HAIEE IN Berlin, Db.RUDOXJ? PANSE in Dbssden, Pbof.K. A.PASSOW
IN Beblin, Db. 0. PIFFL, Pbivatdozent in Pbag, Dr. K. REINHARD in Duisbubg,
Db. WALTHER SCHULZE in hainz.
hebausgegeben von
Prof. ADAM POLITZER und Prof. H. SCHWARTZE
IN WIEN IN HALLE A. S.
Unter veranxwobtlicheb Redaktion
VON H. SCHWARTZE seit i878.
EINUNDSECHZIGSTER BAND.
Mit 21 Abbildungen im Text und 1 1 Tafeln.
LEIPZIG,
VERLAG VON F.C.W. VOGÄ^
1904.
CATALOGUED
MAY 9 1908
E. H. B.
\^
#
Inhalt des einubdsechzigsten Bandes.
Erstes und zweites (Doppel-) Heft
(alisgegeben am 14. Jahnar>1904).
* ' Seite
I. Aas der Egl Universitäts- Ohreol^linlk zvi Halle a. S. (Geh.
Med.-Rat Prof. Dr. H. Schwartze). Zar Kasuistik der dia-
gnostischen Irrtümer in der Ötochirargie. Von Dr. Walther
Schnlze, Assistenzarzt der Klinik 1
II. Ans dem Laboratoriam der kgl. Univ.-Ohrenklinik zu Leipzig.
Über Markscheidendarstellang und den Nachweis von Mark-
htQlen der Ganglienzellen im Akustikas. Von Dr. K. Witt-
maack (Leipzig). (Mit 2 Abbiidangen) 18
III. Zur Ätiologie der periförmigen Epitheliaibildungen am Trommel-
fell. Von Dr. Ernst ürbantschitsch in Wien .... 24
lY. Aus der kgl. Üniversitäts-Ohrenklinik zu Berlin (Direktor: Geh.
Med.-Rat Prof. Dr. A. Lucae). Ober Sinusphlebitis tuber-
culosa. Von Dr. F. Großmann, Assistenzarzt. (Mit 2 Tafeln) 30
V. Sitzungsbericht der Abteilung Ohrenhtßilkunde der 75. Versamm-
lung deutscher Naturforschet und Ärzte in Kassel vom 20. bis
26. September 1903. Erstattet von Privatdozent Dr. G.Ale-
xander, Assistent der Üniversitäts-Ohrenklinik in Wien . . 44
»f - ■ -
VI. Schwierigkeiten der Begutachtung von Verletzungen bei miß-
glückter Fremdkörperextraktion ^ aus dem äußeren Gehörgang.
Von Dr. Ernst L entert, a. ö. Profes.aor; Gießen .... 63
VII. Ans der Basano waschen Klinik für Ohren-, Nasen- und Hals-
krankheiten an der kaiserl. Universität in Moskau. Über
einige topographische Veränderungen des Schläfenbeins in Ab-
hängigkeit von der .Schädelform. Von Alexander Iwanoff,
Assistenzarzt 76
VIII. Über einen Fall von mittelst Wasserstoffsuperoxyd aus dem Ohre
herausgetriebenen Fremdkörper. Von Ur. HeinrichHaläsz,
Spitalsordinarius in Miskolcz (Ungarn) 102
IX. Über den Einfluß der Verengerung des Ansatzrohres auf die
Höhe des gesungenen Tones. Von Dr. M. Bukofzer, Königs-
berg i. Pr. (Mit 1 Abbildung) 104
X. Klinische Studien zur Analyse der Hörstörungen. Von Pro-
fessor Ost mann, Marburg a. Lahn. (Mit 10 Abbildungen) . 116
XI. Bemerkung zu der Arbeit des Herrn Dr. Schulze: Über die
Gefahren der Jugularisunterbindung und des Sinusverschlusses
bei der otogenen Sinusthrombose (s. dieses Archiv. Bd. LIX.
S. 216). Von Dr. med. Richard Hoffmann, Dresden . . 140
XII. Besprechungen.
1. Preysing, Otitis media der Säuglinge (Grunert) . . . 142
lY Inhalt des einundsechzigsten Bandes.
Xni. WiBsenschaftliche Rundschau.
1. Siebenmann, Beiträge zur Kenntnis der Labyrinthano-
malien bei angeborener Taubstummheit. 147. — 2. Derselbe,
Demonstration eines weiteren Falles von Kollaps des häutigen
Ductus cochlearis. 148. — 3. Körner, Über Herpes soster
oticus (Herpes an der Ohrmuschel mit Lähmung des Nervus
acusticus und des Nervus facialid). 148. — 4. P armen tier,
Diagnostic diffärentiel des complications intracraniennes des
otites purulentes. 149. — 5. M. A. Gold stein (St. Louis), The
use and abuse of the Eustachian Bougie ; The Laryngoscope.
149. — 6. Streit, Geheilter Fall von schwerer otitischer Si-
nusthrombose mit meningitischen Erscheinungen. 149. . —
7. Jerosch, Fall von doppelseitigem Othämatom spontanen
Ursprungs. 150. — 8. Eschweiler, Zur Entwicklung des
schallleitenden Apparates mit besonderer Berücksichtigung des
Musculus tensor ^mpani. 150. — 9. Kretschmann, Ana-
tomischer und klinischer Beitrag zum Kapitel der Deviationen
des vorderen Abschnittes der Nasenscheidewand. 150. — lu.
Heine, Amnestische Aphasie und Hemlopie infolge Abszesses
des rechten Schläfen- und Hinterhauptlappens. 151.— ll.Katz,
Ein modifiziertes Ringmesser („knieförmiges Adenotom") mit
einigen Bemerkungen. 152. — 12. Voss, Mittelohreiterungen
(chronische). 152. — 13. Treitel, Die Beurteilung der Ohr-
eiterungen bei Aufnahme in eine Lebensversicherung. 152. —
14. Bezold, Die Hörprüfung mit Stimmgabeln bei einseitiger
Taubheit und die Schlüsse, welche sich daraus für die „Knochen-
leitung** und für die Funktion des Schallleitungsapparates
ziehen lassen. 152. — 15. Gerber, Fremdkörper der Nase,
der einen malignen Tumor vorgetäuscht hatte. 153. — 16.
Derselbe, Ein großer Sequester des Warzenfortsatzes von
einem dreijährigen Kinde. 153. — 17. Derselbe, Fall von
Nekrose des gesamten Labyrinths bei einem zwölfjährigen
Mädchen nach Scharlachotitis. 153. — 18. Streit, Ausgeheilter
Fall von primärer Thrombose des Bulbus venae jugularis und
Yorhofeiterung. 153. — 19. Heget seh weil er (Zürich), Die
Tuberkulose des Ohres mit Ausgang in Heilung. 154. — 20.
Denker (Erlangen), Zur operativen Behandlung der intra-
kranieUen Komplikationen nach akuten und chronischen Mittel-
ohreiterungen. 155. — 21. Eulenstein (Frankfurt a.M.), Über
Blutungen infolge von Arrosion der Hirnblutleiter bei Eite-
rungen im Schläfenbein. 156. — 22. Scheibe (München), Zur
Ätiologie und Prophylaxe der Nekrose des Knochens im Ver-
laufe der chronischen Mittelohreiterung. 158. — 23. Wanner
(München), Funktionsprüfungen bei akuten Mittelorentzün-
dungen. 158. — 24. Schmidt (Chur), Zur Anatomie und Ent-
wicklung der Gelenkverbindungen der Gehörknöchelchen beim
Menschen. 159. — 25. Hölzel (München), Histologischer Bei-
trag zur Taubstummheit. (Ein Fall von erworbener Taub-
stummheit mit Obliteration der Paukenhöhle, des Aditus und
Antrum.) 160. — 26. Oppikofer (Basel), Drei Taubstummen-
labyrinthe. 161. — 27. Siebenmann (Basel), Ein Fall von
Lungentuberkulose mit retrolabyrinthärer Neuritis interstitialis
beider Schneckennerven (und mit Persistenz von Resten em-
bryonalen Bindegewebes in der Scala tympani). 162. — 28.
Nager (Luzern), Die Taubstummen der Luzerner Anstalt
Hohenrain. 163. — 29. Leimer (München), Operative Eröff-
nung des Warzenteiles bei Otitis media purulenta acuta mit
Ausbreitung des Prozesses unter dem Warzenfortsatze. 164. —
30. Bloch (Freiburg i. Br), Der hohe Gaumen. 164. — 31.
M anasse (Straßburg), Zur pathologischen Anatomie des
inneren Ohres und des Hörnerven. 165. — 82. Meyer zum
Inhalt des einundsechzigsten Bandes. V
Seite
Gottesberge, Histologische Beiträge zur Wirkung der
Trichioressigsänre und Chromsfture. 167. — 33. Stella, Gon-
tribution k T^tude des ceilulites mastoidiennes aberrantes.
167. — 34. Jürgens, Otite compliqu^e de mastoidite et de
iymphangite p^riauriculaire. tö8. — ;i5. Derselbe, Trois cas
d*atr^le congänitale du conduit auditif externe, avec microtie.
16H. — 36. Labarre, Gontribution ä T^tude des compli-
cations endo-cr&niennes de Totite. 168. -- 37. Schiffers,
Faits cliniqnes de complications osseuses de Totite moyenne
purulente cbronique. 168.
Personal- und Fachnachrichten 168
Drittes und viertes (Doppel-) Heft
(ausgegeben am 2. Mai 1904).
XIV. Osteomyelitis der äußeren Gehörknöchelchen bei chron. trockenen
Paukenhöhlenproseß (Lues hereditaria tarda). Von Dr.
Walt her Stein, Ohrenarzt in Königsberg 1. Pr. (Mit 1 Ab-
bildung) 169
XV. Zur Diagnostik der Sinusthrombose. Von Dr. W. Sachs in
Mttlhausen i. E., ehemal. 1. Assistent der chir. üniv.-KUnik
in Bern. (Hierzu 2 Abbildungen im Text) 176
XVI. Aus dem pathologisch-anatomischen Institut (Vorstand: Hofrat
Professor Weichselbaum) in Wien. Zur Pathologie und
pathologischen Anatomie der kongenitalen Taubheit. Von
Privatdozent Dr. G-. Alexander, Assistent der Uniyersitäts-
Ohrenklinik (Vorstand Hofrat Professor Politzer) in Wien.
(Mit 2 Abb. im Text und Taf. III— Vill) 183
XVII. Experimentelle Studien aber die Veränderungen im Gehör-
organ nach Vergiftung mit salizylsaurem Natrium. Von Dr.
Albert blau, Ohrenazt in Görlitz. (Mit Tafel IX) . . . 220
XVIII. Aus der k. k. Universitätsklinik für Ohrenkranke in Wien
(Vorstand: Hofrat Professor Dr. Adam Politzer). Die
Ankylose des Hammer- Amboß-Gelenkes. Von Dr. Hugo
Frey, em. Assistenten der Klinik. (Mit Tafel X. XI) . . 234
XIX. Maligner Tumor des Nasenrachenraums. Eitrige Mastoiditis.
Von Privatdozent Dr. Stenger in Königsberg i. Pr. ... 247
XX. Klinische und pathologische Mitteilungen. IV. Ein Gliom des
Akustikus. Von Dr. Rudolf Panse, Dresden-Neustadt.
(Mit 4 Abbildungen nach Zeichnungen des Verfassers) . .251
XXI. Aus der Königl. Üniversitäts-Ohrenklinik in Halle a. S. (Geh.
Med.-Rat Prof. Dr. Schwartze). Eine seltene Form von
otogenem Senkungsabszeß. Von Dr. Walther Schulze,
frtlherem Assistenzarzt der Klinik, jetzt Ohrenarzt in Mainz 256
XXII. Bericht über die Verhandlungen der Berliner otologischen Ge-
seUschaft. Von Dr. Haike 270
XXIII. Aus der kgl. Üniversitäts-Ohrenpoliklinik zu München (Prof.
Dr. Hang). AnthraxpusteJn im Gehörgang. Von Prof. Dr.
flaug 275
XXIV. Jahresbericht der kgl. Üniversitäts-Ohrenpoliklinik zu München
(Prof. Dr. Haug) für das Jahr iyu3. Von Prof. Or. Hang
und Dr. Thanisch, I.Assistent 277
VI Inhalt des einondsechzigsten Bandes.
XXV. Besprechungen. Seite
2. Bönninghaus, Das Ohr des Zahnwales, zugleich ein
Beitrag zur Theorie der Schallleitung. Eine biologische
Studie (Grunert) 281
3. Beckmann, Das Eindringen der Tuberkulose und ihre
rationelle Bekämpfung Nebst kritischen Bemerkungen
zu E.V.Behrings Tuberkulosebekämpfung (Grunert) . 287
4. Stenger, Die otitische Hirnsinusthrombose nach den in
der Ohrenklinik der Charit^ in den Jahren 1899 bis
1901 gesammelten Beobachtungen (Grunert) . . . . 289
5. Riemann, Schwerhörige, Ertaubte und Taubstumme.
Praktischer und pädagogischer Ratgeber ftlr Ohren-
leidende und deren Angehörige (Grunert) 290
6. Neue Theorie über Schallempfindung, Schallleitung. Ewald,
Zur Physiologie des Labyrinths. Die Erzeugung von
bchallbildern in der Camera acustica. ßönninghaus,
Das Ohr und die' Schallleitung (Tr eitel) 290
XXYI. Wissenschaftliche Rundschau.
38. Le Double (Tours), Deux points d*anatomo-pathologie
du conduit auditif osseux. 296. — 39. Heimann fils (War-
schau), Note relative aux tympans artificiels. 296. — 40.
Richard H. Johnston, A large Dermoid turaor of the
Mastoid. 297. — 41. Depierris, le bain nasal. 297. —
42. Zaalberg (Amsterdam), Les Operations sur le laby-
rinthe. 297. — 43. Heim an (Warschau), De la paracenttee
du tympan. dans les otites moyennes aiguSs. 298. — 44. Hei-
man jr. (Warschau), Sur les rapports de Toreille avec la zone
naso-sexuelle de la femme. 298. — 45. Mercler-Bellevue
(Poitiers), Un cas de Chirurgie cerebrale pour complication
d'otite movenne aiguß. 298. — 46. P. Jacques (Nancy), Deux
cas d*abces c^r^belleux otique. 298. — 47. Luc, Deux abcds
extra-duraux p^risinusiens d'origine otique. L'un accompagn^
de thrombose fibrineuse non septique du sinus lateral. Guä-
rison. L'autre compliqu^ d'abc^s latent de la presque tota-
lit^ du lobe sph6no-temporal. Mort. Räflexions. 299. — 48.
Lannois und Gorneloup, Abc^s sous dure-m^rien aigu
ouvert spontan^bient au niveau de Foccipital. 300. — 49. Mo-
linie (Marseille), Labyrinthite suppur6e et abc^s c^räbelleux.
300. — 50. Collet (Lyon), De la salpingoscopie. 300. — 51.
D eis aux (Brüssel), La Räsection de la paroi post^rieure du
conduit auditif membraneux et le pansement sans tamponne-
ment apr^s les Operations curatives de Potorrh^e chronique.
300. — 52. Maljean, M^ningite c^rebro-spinale aigue con-
s^cutive ä une otite moyenne grippale ; gu Krisen complete par
les ponctions lombaires. 300. — 53. Grimmer, Beitrag zur
Pathologie und Diagnose der tuberkulösen Mittelohrentzün-
dung. 30L — 54. Suckstorff und Henrici, Beiträge zur
Kenntnis der otitischen Erkrankungen des Hirns, der Hirn-
häute und der Blutleiter. 301. — 55. Voss (Riga), Zwei
Schläfenlappenabszesse. 303. — 56. Sato, Richtung und
Benennung der Bogengänge des menschlichen Labyrinths. 304.
— 57. Röpke (Solingen), Kasuistische Beiträge zur Pathologie
und Therapie der Erkrankungen der Nasennebenhöhlen. 304.
— 58. Rudolphy (Lübeck), Ohroperationen bei Hysterischen.
305. — 59. Zolki, Über ein kongenitales Fibrolipom der
Gaumentonsille. 305. — 60. Tollens, Angina und Pharyngitis
phlegmonosa mit eitriger Thrombose des Sinus cavernosus und
eitriger Meningitis basilaris. 306.
Personal- und Fachnachrichten 306
I.
Aus der Eönigl. Universitäts-Ohrenklinik in Halle a. S. (Geh.
Med.-Eat Prof. Dr. Schwartze).
Zur Kasnistik
der diagnostischen Irrtümer in der Otochinirgie.
Von
Dr. Walther Sehnlze, Assistenzarzt der Klinik.
Mit Recht bezeichnet Oppenheim i) nicht die ünvoU-
« kommenheit der Technik, nicht die durch den operativen Eingriff
an und fllr sich bedingten Gefahren, sondern die Unsicherheit der
Diagnose intrakranieller Erkrankungen als die wesentlichste
Ursache der trotz weit vorgeschrittener Kenntnisse über die
Lokalisation im Gehirn immer noch in so reichem Maße zu ver-
zeichnenden Mißerfolge der Hirnchirurgie, daß die Freude über
jedes Heilresultat durch eine Summe von Enttäuschungen getrübt
wird. Oppenheim hatte dabei in der Hauptsache solche
Fälle im Auge, in welchen es sich um ein Nichterkennen
einer tatsächlich vorhandenen, der Operation zugänglichen
Erkrankung resp. um Irrtümer in der Artdiagnose des zere-
bralen Leidens handelte. Abgesehen von diesen Mißgriffen, welche
dadurch bedingt sind, daß bei operablen Erkrankungen der
operative Eingi*iff ganz unterlassen oder in falscher Richtung
ausgeführt wurde, scheitert der Erfolg unseres Handelns auch
an solchen Fehldiagnosen, welche auf der irrtümlichen Annahme
tatsächlich nicht vorhandener intrakranieller Erkrankungen be-
beruhen, wobei dann die folgerichtig zur Ausführung gelangten
operativen Eingriffe im günstigsten Falle unschädlich verlaufen,
manchmal aber bei einer sonst nicht absolut letalen Prognose der
Erkrankung auch als direkte Todesursache angesehen werden
müssen. Derartige in ihren Folgen verhängnisvolle diagnosti-
sche Irrtümer haben wir in relativ kurzer Zeit in zwei Fällen
erlebt, über welche im folgenden berichtet werden soll.
1) Berl. klin. Wochenschrift, 1897, S. 1066ff.
ArehiT f. Ohxenheillrande. LXI. Bd. 1
2 I. SCHULZE
1. Emma Grob, 58 Jahre alt, Lohnkellnersfrau aus Merseburg. Auf-
genommen am 12. Juni 1903. Gestorben am 18. Juni 1903.
Anamnese. Linksseitige Ohreiterung soll seit vielen Jahren bestehen .
Seit 8 Tagen Schmerzen im linken Ohr, heftige Kopfschmerzen in der
Stirn-, Scheitel- und Hinterkopfgegend, nach dem Genick zu ausstrahlend.
Seitdem auch mehrmals Erbrechen. Schwindelanfälle schon seit l&ngerer
Zeit, neuerdings in zunehmender Stärke, so daß Patientin in die Klinik ge-
tragen werden mußte.
Status praesens. Ziemlich kräftig gebaute Frau von sehr bleicher
Gesichtsfarbe. Leicht soporös. Antwortet auf Befragen richtig, aber lang-
sam und unwillig. Pupillen ziemlich eng, beiderseits gleich, reagieren träge,
Papillen blaß, scharf begrenzt, Venen stark gefüllt. Perkussionsempfindlich-
keit des ganzen Kopfes, besonders der linken Seite. Beweglichkeit des
Kopfes nicht eingeschränkt. Druckempfindlichkeit der oberen Halswirbel.
Nackenmuskulatur nicht kontrahiert. Bronchitis. Herz gesund. Tempe-
ratur 38,7^, Puls 100, regelmäßig, kräftig. Drin zuckerfrei, enthält aber
Eiweiß. Reflexe und Motilität normal. Sensibilität der Haut erhöht.
Umgebung des Ohres. Druckempfindlichkelt des linken Warzen-
fortsatzes. Hautüberzug normal.
Gehörgang und Trommelfellbefund: Links fötide Eiterung. Ge-
hörgang weit. Totaldefekt des Trommelfells. Hinten oben großer Krater und
Defekt der lateralen Attikwand. Rechts: Große, trockene Perforation im
hinteren unteren Quadranten.
Flüstersprache rechts handbreit, links direkt unsicher.
Stimmgabelprüfung. Gi vom Scheitel nicht lateralisiert. Fis4
beiderseits, besonders links herabgesetzt.
Verlauf. Lumbalpunktion: Liquor nicht unter erhöhtem Druck.
Leicht getrübt Leukozytengehalt nicht sehr hochgradig, aber doch zweifel-
los vermehrt (in manchem Gesichtsfeld f;ar keine, in anderen wieder 3—10
Leukozyten sichtbar). Weder im Ausstnchpräparat, noch auf Kulturen Bak*
terien* nachweisbar.
Am Abend Kopfschmerzen geringer, Temperatur 39,3.
13. Juni. Patientin hat während der Nacht ziemlich ruhig geschlafen.
Klagt heute über stärkere Schmerzen im Genick und im Kreuz. Sprach-
störung: Aussprache der Konsonanten erschwert.
Temperatur 38,6— 3S.9<^, Puls 116-120, regelmäßig und kräftig.
14. Juni. Unruhige Kacht. Phantasieren und Flockenlesen. Sprach-
störung besteht noch, wenn auch nicht so deutlich wie gestern. Patientin
spricht sehr langsam und wenig und nur dann, wenn sie wiederholt gefragt
wird. Fixiert schlecht. Nahrungsaufnahme gering. Hartnäckige Verstopfung.
Urinmeage gering, Eiweißgehalt desselben deutlich, aber nicht sehr hoch-
gradig. Temperatur 38,2 -38,7^, Puls 112—118.
15. Juni. Zunehmender soporöser Zustand. Patientin ist über sich
und ihre Umgebung nicht orientiert. Fibrilläre Zuckungen in der Musku-
latur beider oberen Extremitäten. Temperatur 38,0 -38,5 S Puls 116—120.
Respiration 32. Rasselgeräusche über der ganzen Lunge.
16. Juni. Patientin reagiert auf Anrufen durch Aufschlagen der Augen,
spricht aber gar nicht mehr. Sie scheint ihren zum Besuch bei ihr weilenden
Mann zu erkennen, spricht aber nicht mit demselben. Lähmung des rechten
Armes. Temperatur 3 8,5», Puls 124, Respiration 48. Leichte Dämpfung über
beiden Unterlappen.
17. Juni. Temperatur am Morgen 37,3 ^ Puls 120. Patientin scheint
etwas klarer zu sein als gestern. Am Nachmittag zunehmende Somnolenz.
Ist am Abend ganz unklar. Temperatur 38,1^.
18. Juni. Koma, Temperatur 38,1 ^ Puls und Respiration beschleunigt,
136 bezw. 48, aber regelmäßig. Läßt Kot und Urin unter sich.
Lumbalpunktion. Liquor weniger getrübt als bei der ersten Punktion ,
aber auch heute nicht normal klar. Leukozytengehalt vielleicht etwas
geringer.
Totalaufmeißelung. Weichteile und Corticalis normal. Choleste-
atombildung im Mittelohr und Warzenfortsatz. Ossicula fehlen. Keine Weg-
Zur Kasuistik der diagnostischen Irrtümer in der Otochirnrgie. 3
leitnng in die Sch&delhöhle. Trepanation auf den linken Sehl&fenlappen
und das linke Kleinhirn. Dura des Kleinhirns auffallend hyper&misch. n!eln
Eiter gefunden.
Während der Operation Kollaps. Äther und Elampferinjektionen. Palg
eine Stunde lang kaum fühlbar. Kochsalzinfusion. Danach bessert sich der
Zustand. Puls wieder fühlbar. Patient! a reagiert auf Anrufen, erwacht
aber nicht aus dem soporOsen Znstand, trinkt mehrere Tassen Milch. Gogen
Abend Tracheairasseln.
Abends TVa Uhr Tod im Koma.
Auszug aus dem Sektionsprotokoll.
Dura gespannt. Blutgehalt erhöht. Im Sinns longitudinalis reichliche
Mengen Kruor- und Speckj<erinnsel. Innenfl&che der Dura rechts glatt und
flänzend, links in der Temporalffegend blutige Auflagerungen, in 6 cm
<&n^e, die sich mit dem Messer leicht abstreifen lassen. Pialgefäße stark
injiziert. Subarachnoidealüüssigkeit nicht vermehrt. Weiche Häute nicht
getrübt. Gefäße der Basis atheromatös verändert. Rechte Fossa Sylvii frei,
in der linken Blutkoagula. Ventrikelflüssigkeit nicht vermehrt. Ependym
glatt und glänzend. Blutgehalt der weifien Substanz vermehrt Konsistent
des Gehirns gut. Großhirnganglien ohne Besonderes.
Herz der Größe entsprechend. Linker Ventrikel mäßig kontrahiert.
Ostien durchgängig. Klappen schiußfähig. Tricaspidalis an den Bändern
leicht verdeckt, Pulmonalklappen zart. Mitralis am Rande verdickt, Sehnen-
iäden zart' Noduli der Aortenklappe verdickt. Im- Anfangsteil der Aorta
kleine Kalkeinlagernngen. Muskulatur von guter Konsistenz, blaßroter Farbe.
Linke Lunge. Volumen und Gewicht nicht verändert. Oberlappen
am Rande etwas gebläht. Aus dem Bronchus quillt schaumig* eitrige Flüs-
sigkeit, Schleimhaut lebhaft injiziert. Pulmonalis frei. Pleura enthält
zahlreiche stecknadelkopfgroße Verdickungen, sonst glatt und glänzend.
Schnittfläche des Oberlappens von graurot^ Farbe, zeigt in ganzer Aus-
dehnung ziemlich stark prominierende kleine weißliche Knötchen. Saftgehalt
des Ober- und Unterlappens ziemlich stark vermehrt. Luftgehalt vorhanden.
Blutgehalt des Unterlappens etwas vermehrt.
Rechte Lunge. Volumen und Gewicht etwas erhöht Bronchus,
Pulmonalis und Pleura wie links. Schnittfläche des Ober- und Mittellappens
von grauroter Farbe. Saftgehalt stark vermehrt. Luftgehalt überall vor-
handen. Schnittfläche mit denselben Knötchen wie links durchsetzt. Blut-
gehalt des Unterlappens etwas vermehrt.
Milz 14:772:3. Oberfläche glatt. Parenchym sehr reich. Zeichnung
undeutlich.
Linke Niere. Von entsprechender Größe, Kapsel löst sich etwas
schlecht. Oberfläche leicht granuliert. Rinde und Mark deutlich geschieden.
Parenchym etwas reduziert Rinde verbreitert. Becken erweitert, Schleim-
haut blaß.
Rechte Niere. Kapsel löst sich mit Substanzverlust Sonst wie
links. Leber, Magen und Darmkanal ohne Besonderes.
Diagnosis post mortem: Hyperämie des Gehirns und seiner
Häute. Bronchitis catarrhalis. ödem beider Lungen. Ver-
dickungen der Pleura. Knötchenbildung beider Lungen. Ver-
dickung der Mitralis und Tricuspidalis. Arteriosklerose der
Aorta. Granularatrophie beider Nieren.
Hier konnteii wir bei der poliklinischen Untersuchang eine
'Reihe von Symptomen konstatieren, welehe [für eine schwere
intrakranielle Erkrankung sprachen. Zugleich litt aber die
Kranke an einer seit Jahren schon bestehenden Ohreiterung,
so daß es nahe lag, in den Gehirnerscheinungen den Ausdruck
einer intrakraniellen Komplikation der Ohreiterung zu erblicken«
Abgesehen von den Symptomen mehr allgemeiner Natur, wie
4 I. SCHDLZ£
Kopfsohmerzen, Erbrechen, Schwindelanf&Ile, fanden sieh hier
einige besondere Momente, welche die Aufmerksamkeit auf das
Vorhandensein eines Hirnabszesses lenken mußten, nämlich
der eigentümlich soporose Zustand, die geistige Trägheit von
dem Charakter der Slowzerebration und die Perkussionsempfind-
lichkeit der linken Kopfseite. Lag ein Hirnabszeß wirklich vor
und war derselbe unkompliziert, so konnten die in der Höhe
von 39 ^ und darüber beobachteten Temperatursteigerungen nach
unseren Erfahrungen nicht wohl von diesem ausgehen. Eine
Eiterretention in den Mittelohrräumen als Ursache des Fiebers
anzunehmen war wenig wahrscheinlich, da die Abflußverhältnisse
(Totaldefekt des Trommelfells) die denkbar günstigsten waren.
Anzeichen für eine Beteiligung des Sinus wurden weder durch
die Anamnese noch durch den objektiven Befund gegeben. Wohl
aber konnte fElr die Erklärung des Fiebers eine eitrige Menin-
gitis in Frage kommen, deren Existenz schon in Anbetracht der
durch den Ausfall der Hörprüfung wahrscheinlich gemachten Laby-
rintherkrankung sowie mit Eücksicht auf die Störungen des Sen-
soriums, die Druckempfindlichkeit der oberen Halswirbel, die Hy-
perästhesie der Haut usw. in ernstliche Erwägung gezogen werden
mußte. Dieselbe konnte neben einem Hirnabszeß bestehen, sie
konnte aber auch ohne daß außerdem noch ein Hirnabszeß vorhanden
war, ganz allein das Krankheitsbild auslösen. Die zur Entscheidung
der Frage, ob eine eitrige Meningitis bestand, auch hier herangezo-
gene Lumbalpunktion lieferte uns einen Liquor cerebrospinalis,
der zwar nach unseren neueren Erfahrungen nicht als absolut be-
weisend angesehen werden konnte für das Bestehen einer eitrigen
Meningitis, der uns aber trotzdem zunächst zur Ablehnung eines
operativen Eingriffs bestimmte in der Annahme, daß es sich zwar um
keine diffuse, wohl aber wahrscheinlich um eine zirkumskripte oder
noch im Beginn der Entwicklung befindliche Erkrankung der
weichen Hirnhäute handeln dürfte. Die nach der Lumbalpunktion
zunächst bemerkbare Besserung im Befinden war nur eine vorüber-
gehende. Bald machten sich um so deutlichere meningitische Er-
scheinungen kenntlich. Daneben entwickelten sich in den nächsten
Tagen Symptome, welche den Verdacht eines Hirnabszesses wieder
mehr bestärkten, die Aphasie und die Lähmung des rechten Armes.
Das Herabgehen der Temperatur konnte allein nicht als Be-
weis gegen eine eitrige Meningitis gelten, berechtigte aber immer-
Jiin zu einer gewissen Hoffnung. Auch bei der nun zum zweiten
Male vorgenommenen Lumbalpunktion war der Liquor nicht von
Zar Kaauistik der diagnoBti sehen Irrtümer in der Otochiruiigie. 5
normaler Beschaffenheit, enthielt aber weniger Leukozyten nnd
zeigte anoh makroskopisch eine geringere Trfibnng als bei der
ersten Punktion. Die Beschaffenheit des Liquors, welcher jetzt
sowohl nach Aussehen als auch nach dem Leukozytengehalt viel-
leicht eben auf der Grenze zwischen Normalem und Patholo-
gischem stand, das Fehlen von Bakterien in demselben sowie
der deutliche Unterschied gegenüber der ersten Lumbalpunktion
machten die Annahme einer im Fortschreiten begriffenen und
f&r die zunehmenden zerebralen Erscheinungen verantwortlichen
eitrigen Meningitis unwahrscheinlich. Für das Fieber glaubten
wir überdies in der partiellen Infiltration des Lungenparenchyms,
welche sich inzwischen durch physikalische Zeichen nachweisbar
machte, eine hinreichende Erklärung zu besitzen.
So schien uns die Annahme eines Hirnabszesses näher zu
liegen. Bezüglich der Lokalisation des vermuteten Hirnab-
szesses glaubten wir in den aphasischen Störungen sowie in der
Lähmung des r e c h t^ n Armes einen genügenden Hinweis auf den
li nken Schlaf enlappen zu besitzen, und so wurde auch auf diese
Stelle trepaniert, obwohl sich bei der Ohroperation keine dement-
sprechende Wegleitung hatte feststellen lassen. Nachdem die Tre-
panation an dieser Stelle weder einen Hirnabszeß, noch eine extra-
durale Eiteransammlung zutage gefordert hatte, kam in zweiter
Linie die hintere Schädelgrube, speziell das Kleinhirn, als Sitz des
supponierten Eiterherdes in Frage, eine Vermutung, welche durch
den hochgradigen Schwindel und durch die Funktionsstörung des
Labyrinths eine wesentliche Stütze erhielt.
Nach diesen vergeblichen Operationsversuchen brachten wir
begreiflicherweise der Sektion ein besonderes Interesse entgegen.
Unsere Erwartungen wurden aber arg enttäuscht, anstatt der ver-
muteten Eiteransammlungen ergab sich — wenn wir von der Hyper-
ämie absehen — ein im ganzen negativer Befund im Gehirn. Als
Ausgangspunkt fllr die Gehirnerscheinungen konnten nach dem
Sektionsergebnis weder die Erkrankung des Schläfenbeins selbst
noch die Lungenerkrankung in Betracht kommen« Die einzige
Organ Veränderung , welche fUr (die Erklärung des Symptomen -
komplexes herangezogen werden konnte, war die chronische
Nephritis. Wir hatten eine Urämie vor uns gehabt,
nnd diese hatte das Bild einer entzündlichen Er-
krankung des Gehirns resp. der Gehirnhäute hervor-
gerufen. Auf diese Weise finden Kopfschmerzen, Erbrechen usw.
eine ungezwungene Erklärung, in den Störungen des Sensoriums
6 I. SCHULZE
haben wir em nrämisehes Koma zn erblioken, in der Lfthmung
des Armes eine yon den selten beobachteten urämischen Hemi-
plegien, in der Sprachstörnng eine urämische Aphasie.
Wie war es möglich, daß wir uns in dem Erankheitsbilde der-
artig täuschen und zur Annahme einer organischen, der operativen
Behandlung zugänglichen intrakraniellen Eiterung verleiten lassen
konnten? Wenn wir die von Traube gegebene Begel, daß die
Diagnose nicht nach den fehlenden , sondern nach den vorhan-
denen Symptomen zu formulieren sei, auf unseren Fall anwenden,
so müssen wir gestehen, daß hier an Hirnabszeßsymptomen kein
Mangel vorhanden gewesen war, Symptomen, welche nicht allein
f)lr das bloße Vorhandensein, sondern auch fQr die Lokalisation
eines Abszesses fllr gewöhnlich eine brauchbare und hinreichende
Handhabe zu geben pflegen. DieYereinigung einer Anzahl ftlrHim-
abszesse sprechender Zeichen war hier eine so eklatante, daß wir
UQS glttcklich schätzen würden, wenn sich alle Fälle otogener Qirn-
abszesse durch einen solch ausgeprägten« Symptomenkomplex
zu erkennen geben würden. Selbst wenn die vorhandenen posi-
tiven Symptome ftlr die Diagnose nicht ausgereicht hätten, so
würde überdies in unserem Falle bei dem von uns verfolgten
Gedankengange unter Zugrundelegung eines otogenen Hirn-
abszesses das zunehmende Koma ein längeres Warten auf noch
prägnantere Zeichen nicht zugelassen haben.
Die Ursache und den Ausgangspunkt für unsere irrtümliche
Auffassung des Erankheitsbildes bildete das gleichzeitige Vor-
handensein einer chronischen Ohreiterung. Bei intaktem Gehör-
organ würde sich die Natur der zu Gehirnerscheinungen führen-
den Allgemeinerkrankung eher haben ergründen lassen, als hier,
wo das Ohr eine Erkrankungsform zeigte, wie dieselbe erfahrungs-
gemäß der Mehrzahl der Fälle von otogenen intrakraniellen
Komplikationen zugrunde liegt. Außer dem Nebeneinanderher-
gehen von Gehirnerscheinungen und Ohrerkrankung schien ferner
noch das zeitliche — wie wir jetzt annehmen müssen, wahr-
scheinlich rein zufällige — Zusammentreffen des Beginns der
Gehirnsymptome mit einer Verschlimmerung des Ohrenleidens,
welche sich durch deutlich wahrnehmbare entzündliche Er-
scheinungen in der Umgebung des Ohres zu erkennen gab, für
ein Abhängigkeitsverhältnis beider Erkrankungen zu sprechen
und war sonach ein Hauptmoment, welches unsere diagnostischen
Erwägungen auf falsche Fährte lenkte. Aber nicht nur das
gleichzeitige Einsetzen der Ohrsymptome und der als Ausdruck
Zar Kasuistik der diagnostischea Irrtümer in der Otocbirurgie. 7
einer intrakraniellen Komplikation angesehenen Gehirnersobeinnn-
gen, sondern auch die Gleichseitigkeit der Erkrankungen l&ßt
die f&lschliohe Annahme eines inneren Zusammenhanges erklärlich
erscheinen. Dieser letztere Umstand, welcher auch schon bei
gleichzeitigem Bestehen von Tumoren und Ohreiterung wieder-
holt zu diagnostischen Schwierigkeiten geffthrt hat, trat hier
besonders scharf hervor: neben der linksseitigen Ohreiterung
bestanden linksseitige Kopfschmerzen sowie eine Perkussions-
empfindlichkeit der linken Kop&eite, ferner Aphasie und eine
rechtsseitige Lähmung, alles Symptome, welche auf eine Be-
teiligung der dem kranken Ohr entsprechenden linken Gehirn-
hemisphäre hinwiesen. So wurde durch eine Verkettung un-
günstiger Umstände eine Trennung der Ohrsymptome von den
Gehirnerscheinungen wesentlich erschwert, und es dürfte hier
vielleicht überhaupt unmöglich gewesen sein auf Grund einer ver-
gleichenden Symptomatologie der Ohr- und Gehimerscheinungen
zu einer richtigen Diagnose zu gelangen.
Wäre nun in diesem Falle die wahre Natur der Erkrankung
nicht dennoch zu erkennen gewesen ? Für die Entscheidung dieser
Frage kam hauptsächlich das Verhalten des Urins in Be-
tracht. Die Urinsekretion war eine geringe, blieb aber nicht ge-
rade auffallend hinter der normalen Menge zurück, so daß hieraus
kein Schluß auf eine bei der Urämie doch immer stattfindende
Betention von Harnbestandteilen gezogen werden konnte. Der
Urin selbst enthielt geringe Mengen Eiweiß; auch daraus allein
konnte die Annahme einer Urämie noch nicht abgeleitet werden.
Wir erklärten uns den Eiweißgehalt in der Weise, daß wir den-
selben zwar auch in gewisse Beziehung zur intrakraniellen Er-
krankung brachten, nur sahen wir in dem Eiweißgehalt nicht die
Ursache für die Gehirnerscheinungen, sondern einen Folgezu-
stand zerebraler Erkrankung. Auf diese Weise ftlhrte der Eiweiß-
gehalt des Urins dazu, den Verdacht einer eitrigen Meningitis,
bei welcher das Auftreten von Eiweiß im Urin nicht selten be-
obachtet wird, zu unterstützen.
Eine mikroskopische Untersuchung des Urins hatte
nicht stattgefunden ; eine solche hätte uns darüber Ausschluß geben
können, daß es sich im vorliegenden Falle nicht um eine akute,
eventuell auf eine eitrige Meningitis zurückzufahrende Nephritis,
sondern um ein chronisches Nierenleiden handelte. Wegen
1) Vgl. Schulze, OhreiteruDg u. Hirntaberkel. D.A. Bd.LIX. S. 99ff.
8 I. SCHULZE
der oben angeftlhrten Schwierigkeiten erscheint es ja fraglich, ob
gerade in diesem Falle eine Imikroskopische Untersuchung des
Urins die Diagnose wesentlich gefordert oder sogar in die rich-
tigen Bahnen geleitet haben würde, immerhin dürfte es sich
aber empfehlen, in ähnlichen Fällen auf diesen Punkt zu achten.
Denn bei Feststellung einer chronischen Nephritis wird der Ei-
weißgehalt des Urins niemals als ein Symptom einer akut ein-
setzenden intrakraniellen Komplikation der Ohreiterung aufge-
faßt werden können, wohl aber ist dann eventuell die Nieren-
erkrankung als ursächliches Moment für die Gehirnerscheinungen
in Erwägung zu ziehen.
Was die Verwertbarkeit der Lumbalpunktion anbetrifft,
so haben wir im vorliegenden Falle wieder einen neuen Beweis
dafür, daß Trübung und Vermehrung der Leukozyten allein nicht
die Berechtigung geben, eine eitrige Meningitis anzunehmen, wie
ich bereits in meinen „Beiträgen zur Lehre von der otogenen Me-
ningitis^ (s. dieses Archiv. Bd. LVIIl) betont habe. Anderseiben
Stelle habe ich auch schon einige Fälle atifgefELhrt, in welchen
eine sonst schwer zu erklärende Trübung des Liquor cerebro-
spinalis möglicherweise mit der dabei vorhandenen Labyrinth-
eiterung zusammenhing. Eine solche Annahme eines inneren Zu-
sammenhangs zwischenLabyrintheiterung undLiquor-
tr Übung drängt sich hier gleichfalls auf, wenn wir nicht die
Urämie selbst für die Veränderung der Zerebrospinalflüssigkeit
verantwortlich machen wollen.
2. Wilhelm Schlüter, 9 Jahre alt, Bergmannskind aus Gerbstedt.
Aufgenommen am 14. Dezember 1902. Gestorben am 14. Dezember 1902.
Anamnese Das Kind soll früher wiederholt an „Ohrenzwang'' ge-
litten haben. Obreiterung aus dem linken Ohr soll seit zwei Jahren be-
stehen. Ursache derselben unbekannt. Sonst soll der Knabe angeblich
niemals krank gewesen sein. Eiterung von Anfang an fötid. Vor 3 Tagen
plötzlich heftige Schmerzen im linken Ohr. Seitdem mehrmals Frost mit
darauf folgendem Schweißausbruch (nach der Beschreibung des Vaters
Schüttelfröste). Seit dem 13 d. M. mehrfach Erbrechen.
Statuspraesens. Kräftig entwickelter Knabe von gutem Ernährungs -
zustand. Patient kann nicht gehen, er wird getragen. Im Bett nimmt derselbe
die Rückenlage ein. Kopf stark nach hinten gezogen. Nackenmuskulatur
kontrahiert. Wirbelsäule ganz steif und stark lordotisch gekrümmt. Patient
kann nicht aufsitzen. Kontrakturstellung beider Unterarme im Handgelenk
und EUenbogengelenk. Gesicht zyanotisch. Zunge belegt. Pupillen sehr
weit, gleich, reagieren träge. Augenhintergrund ohne Veränderung. Unter-
suchung sehr erschwert, da Patient schlecht fixiert. Hyperästhesie der
ganzen Kopfhaut. Hautsensibilität am rechten Arm stark herabgesetzt.
Rechter Arm und rechtes Bein paretisch. Patellarreflexe fehlen. Ab und
zu Zuckungen in beiden oberen Extremitäten, Spasmen im Gesicht, besonders
im Facialisgebiet beiderseits und eigentümliche Dreh- und Nickbewegungen
des Kopfes. Sensorium zeitweise ganz klar, der Junge gibt dann über sein
Alter usw. richtige Auskunft. Das Sprechen fällt ihm schwer, doch hat er
Zur Kasuistik der diagnostischen Irrtibner in der Otochimrgie. 9
keine eigentliche SprachstOrong. Manchmal ist ^ wieder YoUst&ndig be-
nommen, hat leichte Delirien, Flockenlesen, ist schwer zu fixieren, kennt
seine Umgebung nicht, glaubt, seine Mutter sei bei ihm, h< ein Markstück
ffir einen Groschen usw. Herztöne rein. Untersuchung der Lungen ergibt
normalen Befund. Respiration nicht beschleunigt, regelm&ßig. Temperatur
39,0®, Puls 150, sehr klein, unregelmäßig. Retentio urinae, in dem per Ka-
theter entleerten Urin weder Eiweiß noch Zucker.
Umgebung des Ohres. Hinter dem linken Ohr eine ausgedehnte,
sich teigig anfühlende Anschwellung ohne deutliche Fluktuation. Das ödem
reicht nach hinten und oben fast bis zur Mittellinie. Auffallend starke In-
filtration unter der Spitze und an der Grenze nach dem Occinut. Dieselbe
setzt sich an der seitlichen Halsgegend l&ngs des Stemocleidomastoideus
ungefähr bis zur Höhe des Ringlmorpels nach unten fort. Beweglichkeit
des Kopfes beschränkt.
Gehörgang und Trommelfellbefund. Links: Gehörgang schlitz-
förmig verengt, enthält wenig, aber sehr fötiden Eiter. In der Tiefe viel
Epidermisschmiere und Granulationen, vom Trommelfell nichts zu sehen.
Krater hinten oben. Rechts: Zerumen.
Flüstersprache. Links direkt.
Stimm|gabelprüfung: Ci vom Scheitel im ganzen Kopf. Fis4 links
bei starkem Fingeranschlag. Rechts normal.
Lumbalpunktion. Liquor klar.
Spaltung eines retr oaurikulären Abszesses. Totalaufmeißelung. In den
Mittelohrräumen zerfallenes Cholesteatom. Hammer und Amboß rudimentär.
In der Spitze dicker fauliger Eiter. Sinus sigmoideus weit vorgelagert,
wird in Markstückgröße freigelegt. Die Wand teilweise grünlich verfärbt,
teilweise mit fibröser Auflagerung. Trepanation auf den linken Schläfen-
lappen ohne Eiter zu finden. Breite Spaltung des freigelegten Sinns, großer
Blutschwall.
Während der Operation mehrmals Sedes involuntariae (Durchfälle). Im
Laufe der Operation wiederholt Unregelmäßigkeit und Aussetzen der Herz-
tätigkeit. Ge^en Ende Pupillen maximal weit. Puls fadenförmig. Noch
bevor der Patient ins Bett kommt, setzt., der Puls ganz aus, Infusion von
1 Liter physiologischer Kochsalzlösung. Äther subkutan. Zyanose des Ge-
sichts. Frottieren der Haut. Patient öffnet die Auffen, schluckt und beant-
wortet die Fragen teilweise richtig. Atmung sehr oberflächlich und unregel-
mäßig. Trotz aller Bemühungen wird der Puls nicht wieder fühlbar. 1 Uhr
mittles Tracheairasseln. Klonisch-tonische Krämpfe in der Muskulatur des
Oberkörpers und des linken Armes, während der rechte schlaff herabhängt.
iVa Uhr Tod.
Auszug aus dem Sektionsprotokoll.
Gehirn. Dura in ganzer Ausdehnung gespannt. Innenfläche der
Dura glatt und glänzend. Oberfläche etwas matt. Gefäße stark gefüllt.
Sabarachnoidealflüssigkeit nicht vermehrt. Ventrikel nicht erweitert. Epen-
dym etwas matt. Blutgehalt der weißen Substanz vermehrt.
LinkeLunge. Pleura glatt und glänzend. Auf Druck entleert sich aus
dem Bronchus schaumige Flüssigkeit. Schleimhaut leicht injiziert. Pulmonalis
frei. Schnittfläche des Oberlappens von blaßroter Farbe, Blutgebalt des Unter-
lappens erhöht. Saftgehalt ebenfalls erhöht. Luftgehalt überall vorhanden.
Rechte Lunge. Aus dem Bronchus entleert sich ebenfalls schau-
mige Flüssigkeit. Bronchus rosarot injiziert. Pulmonalis frei. Luft-, Blut-
und Saftgehalt wie des Unterlappens der linken Lunge.
Sonst sind die inneren Organe normal.
In der linken seitlichen Halsgegend ist die Muskulatur schmutzig-gelb
verfibrbt; auf dem Durchschnitt entleert sich reichlich gelber Eiter.
Diagnosis p. m.: Lungenödem beider Lungen. Hyperämie
der rechten Lunge und des linken Unterlappens. Hyperämie
des Gehirns. Halsphlegmone.
Schon die in der Anamnese verzeiehneten Fröste wiesen hierauf
eine yon der Ohreiterung ausgegangene pyämisehe Erkrankung
10 I. SCHULZE
und damit auf eine Beteiligung des Sinns hin. Dazu stimmten
auch die änßerlieh in der Umgebung des Ohres wahrnehm-
baren Veränderungen. Ferner zeigte sieh bei der Totalauf-
meißelung auch die Sinus wand selbst in großer Ausdehnung und
in solchem Grade erkrankt, daß dadurch unsere Annahme einer
Sinusthrombose eine wesentliche Stütze zu erhalten schien. Im
übrigen bot aber der Knabe objektiv ein Erankheitsbild, welehes
mit dem der eitrigen Meningitis viele Symptome gemeinsam
hatte. Im Widerspruch damit lieferte uns die zur Sicherung der
der Diagnose in Anwendung gezogene Lumbalpunktion ein Er-
gebnis, welches uns nötigte eine eitrige Meningitis auszuschließen.
Nun bestand aber noch die Schwierigkeit, eine Erklärung für
die kontralaterale Lähmung zu geben, welche zugleich mit der
eigentümlichen Veränderung der Sprache auf eine Beteiligung
des linken Schläfenlappens hinwies. Eine vielleicht gerade an
dieser Stelle besonders stark ausgeprägte eitrige Meningitis, au
die wir im ersten Augenblick dachten, konnte nicht die Ursache
dieser Erscheinungen sein, das erschien ja durch die Lumbal-
punktion ausgeschlossen, und so mußte das Vorhandensein
eines Abszesses im Schläfenlappen oder eines extraduralen
Abszesses in dieser Gegend in Erwägung gezogen werden.
Die in dieser Richtung unternommenen Eingriffe waren jedoch
ergebnislos. Es hätte nun folgerichtig noch eine probatorische
Trepanation auf das Kleinhirn in Frage kommen können.
Allein die mangelhafte Herztätigkeit machte dies unmöglich
und erlaubte nur noch in Eile die Eröffnung des kranken Sinus.
Der inzwischen eingetretene Kollaps nötigte zur schleunigen Be-
endigung der Operation und zur Vermeidung jedes weiteren Blut-
verlustes, weshalb eine genaue Absuchung des Sinus nach einem
Thrombus nicht möglich war. So hatte uns der operative Eingriff
keine befriedigende Erklärung für die Gehirnerscheinungen ge-
geben. Trotzdem konnten wir auch nach der Operation die An-
nahme einer intrakraniellen Herderkrankung nicht aufgeben, be-
sonders da auch bei den später wieder aufgetretenen Krampf-
zuständen undKeizerscheinungen eineNichtbeteiligung der rechten
Seite, eine schlaffe Lähmung des rechten Armes bemerkbar war.
Der Sektionsbefund entsprach unseren Erwartungen nicht im
geringsten. Die genaueste Untersuchung des Sinus, auch des
Bulbus, ließ nichts von einem Thrombus erkennen, die Innen-
fläche der Gefäßwand war überall von normalem Aussehen und
zeigte nirgends eine verdächtige Stelle, an welcher vielleicht eia
Zar Kasuistik der diagnostischen Irrtflmer in der Otochirorgie. 11
wandatändiger Thrombus gesessen haben konnte. Ein nooh ttber-
rasehenderes Besnltat als die Eröffnung des Sinus ergab die
Sektion des Gehirns; keine Spur von einem Hirnabszeß oder
von einer extraduralen Eiterung. So war die Intaktheit der
weichen Hirnhäute der einzige Punkt im Sektionsbefunde, weleher
mit unserer Annahme während des Lebens voll und ganz tiber-
einstimmte; in dem Fehlen einer eitrigen Meningitis — trotz der
meningitisehen Erseheinungen — hatten wir uns nicht geirrt*
Als anatomisches Substrat fbr die intra vitam beobachteten
zerebralen Erseheinungen konnten sonach nur die entzflndlichen
Veränderungen der Sinuswand und die Hyperämie des Gehirns in
Betracht kommen. Doch erscheint es sehr fraglich, ob der Ge-
hirnhyperämie hier überhaupt eine wesentliche Bedeutung bei-
zulegen ist, vielleicht war dieselbe lediglich eine Folge des arte-
fiziellen Sinusversohlusses, und so für das Zustandekommen des
sehen vorher bestandenen Krankheitsbildes nicht verantwortlich zu
machen. Wir haben also wahrscheinlich in der Sinuserkrankung
bezw. in der dadurch hervorgerufenen pyämisohen Allgemeininfek-
tion die alleinige Ursache der Gehirnerscheinungen zu erblicken.
Eulenstein hat es ftlr zweckmäßig gehalten, von den
durch eine Thrombose der Hirnsinus oder der Jugularvene bedingten
Fällen otogener Pyämie, mochten dieselben unter dem Bilde der
reinen Pyämie oder unter dem der Septikopyämie verlaufen,
diejenigen Fälle abzutrennen, in welchen die septikämischen Er-
Bobeinungen nicht durch Vermittelung einer ausgedehnten Sinus-
oder Jugulariserkrankung mit jauchig zerfallenen Thromben auf-
traten, und hat den durch einen besonderen klinischen Verlauf
sich auszeichnenden Fällen dieser Art einen besonderen Namen,
den der „Toxinämie^ beigelegt. Diesen Erkrankungsformen
glaubte man schon deshalb eine Sonderstellung einräumen zu
mfissen, weil sich bei denselben nicht immer eine ausgeprägte
Sinusthrombose, jedenfalls niemals ein obturierender Thrombus
fand, weshalb sieh auch Eulenstein dahin entschied, daß
die von ihm sogenannte „Toxinämie^ sowohl durch Aufnahme
der Eiterkokken durch die erkrankte Sinuswand als auch ohne
Vermittelung des Sinus und insbesondere ohne thrombo-phlebi-
tische Erkrankungen in den Hirnsinus und der Jugularis sich
entwickeln könnte.
Auch in unserem Falle könnte man wegen des besonderen
1) Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. LX. S. 41.
12 I. SCHULZß
Erankheitsbildes , wegen des Fehlens einer Thrombose im Ge-
fäßrohr und schließlieh wegen der außergewöhnlichen Weich-
teilschwellung in der Umgebung des Obres auf den Gedanken
kommen, daß hier ein besonderer Infektionsweg stattgefunden
habe, etwa eine Resorption von Giftstoffen durch Vermittelung der
Lymphdrüsen, welche hier allerdings in das Bereich der Ent-
zflndung mit einbegriffen waren. Doch erseheint es zum mindesten
fraglich, ob dieser Lymphadenitis und Halsphlegmone eine ur-
sächliche Bedeutung ftir das Zustandekommen dieses eigen-
artigen Krankheitsbildes beizumessen ist; die Tatsache, daß der-
artige Veränderungen gerade bei einem solchen Erankheitsver-
lauf wiederholt beobachtet worden sind, ist ftir diese Frage
nicht beweisend. So sieht z. B. auch Körner, welcher diese
sulzige Schwellung ebenfalls gesehen hat und das Auftreten der-
selben in Fällen otogener Pyämie als ein Signum mali ominis
bezeichnet, in derselben nicht etwa die anatomische Grundlage
für eine besondere £rkrankungsform.
An der durch L entert nachgewiesenen Bedeutung der
Himsinus ftlr das Zustandekommen pyämischer Allgemeininfektion
nach Obreiterungen müssen wir unbedingt festhalten. Daß es sich
dabei nicht immer um eine weitverbreitete Thrombenbildung, ja
nicht einmal um ausgedehnte Veränderungen an der Gefäßwand
zu handeln braucht, ist ebenfalls von L entert festgestellt und
seitdem durch eine reiche Erfahrung bestätigt worden. Hier
lag nun in der Tat eine Erkrankung der Sinuswand vor, so daß
wir auch hier in erster Linie die Sinuserkrankung für das Krank-
heitsbild verantwortlich machen müssen, ohne Kücksicht darauf,
ob etwa den daneben bestehenden Lymphdrüsen- und Weichteil-
verändeimngen außerdem noch eine besondere Bedeutung bei-
gelegt werden muß.
Anatomisch handelte es sich hier genau um denselben Vor-
gang, welchen wir auch sonst bei der otogenen Pyämie finden,
nur mit dem Unterschiede, daß sich hier die lokale Erkrankung
am Sinus in einem relativ frischen Stadium der Entwicklung
befand, in einem Stadium, von welchem wir wissen, daß die
Erkrankung schon nach Ausräumung der kranken Knoehenherde
in der Umgebung einer Rückbildung, ja einer Heilung fähig ist.
Kommt es nicht zu einer Entfernung des primären Krankheits-
herdes, und findet auf diese Weise ein fortdauernder Kontakt der
Sinuswand mit dem Eiterherde und eine fortdauerde Resorption
von Infektionskeimen statt, so kann dies im weiteren Verlaufe zu
Znr Kasuistik der diagnostischen Irrtümer in der Otochirnrgie. 13
einem Fortsehreiten der Erkrankung nnd zur Thrombose des Ge-
f&ßrohrs fähren. Schon das Stadium der Phlebitis und desperisi-
nuösen Abszesses, also das Yorstadium der Sinusthrombose, kann
sieh dureh pjämische Erseheinungen zu erkennen geben, ohne daß
es sich bereits um eine Thrombenbildung zu handeln braucht. Wenn
wir nun in solchen Fällen selbst bei der Sektion keine Thromben-
bildung im Gefäß entdecken können, so liegt dies nicht etwa
daran, daß wir, wie von anderer Seite angenommen zu werden
scheint, hier eine auch anatomisch besonders charakterisierte
Erankheitsform vor uns haben, sondern wahrscheinlich allein
an dem überaus schnell zum Tode fahrenden Verlauf der Er-
krankung, wobei ftlr das Zustandekommen einer Thrombose gar
keine Zeit mehr übrig bleibt. Die durch die Gefäßwand hin-
dureb — ohne das Zwischenglied der Grefäßthrombose — statt-
findende Besorption von Infektionskeimen genügt hier zur Her-
beiführung des Todes. Wahrscheinlich spielen hierbei die Art
und Beschaffenheit (Virulenz) der Infektionserreger sowie die
Gift wirkung der von diesen gelieferten Toxine eine wesentliche
Bolle, keineswegs dürften aber der Infektionsweg und über-
haupt die anatomischen Grundlagen der Erkrankung von
den sonst bei der otogenen Pyämie beobachteten Vorgängen prinzi-
piell verschieden sein.
Wenn es gestattet ist, den Vergleich mit einer Vergiftung
hier weiter auszuführen — ob die von Eulenstein in Vorschlag
gebrachte Bezeichnung Toxinämie eine glückliche ist, bleibe da-
hingestellt; eine gewisse Schwängerung des Blutes mit Toxinen
ist doch in jedem Falle von Blutvergiftung vorhanden, und um
eine solche handelt es sich hier ebenso gut wie in jedem anderen
Falle von otogener Pyämie resp. Septikopyämie — , so ist es klar,
daß die Prognose einer solchen, abgesehen von der Widerstands-
fähigkeit des Organismus und von der Möglichkeit einer Aus-
scheidung des Giftes, abhängig ist von der Menge und der Wirk-
samkeit des in den Kreislauf aufgenommenen Giftes, und zweitens
von der Möglichkeit eine weitere Zufuhr und Neuaufnahme des
Giftes zu verhüten. Der letzteren Forderung entspricht hier die Ent-
fernung des primären Krankheitsherdes, und dieser läßt sich in
jedem Falle gerecht werden. Anders verhält es sich dagegen mit
den anderen Faktoren — und darin liegt auch zugleich die
Erklärung, weshalb in allen derartigen Fällen, wie ans der Zu-
sammenstellung von Eulenstein hervorgeht, der Tod ein-
getreten ist, obwohl in einem Teil der Fälle entweder die Frei-
14 I. SCHULZE
legnng des Sinus oder selbst die Sinusoperation stattgefaaden
hatte. Die Eliminierang des bereits resorbierten Giftes l&ßt sich
eben schwer ermöglichen. So scheint z. B. die Anwendung spe-
zifisch wirkender Antidote bisher noch von zu wenig Erfolg ge-
wesen zu sein. Eine Inzision des Sinus könnte, sofern dieselbe
nicht etwa lediglich dem Zwecke eines Aderlasses dient, doch
nur dann Aussicht auf Erfolg versprechen, wenn es sich dabei
um die Entfernung an Ort und Stelle angesammelter Infektions-
keime, etwa wie bei einer Thrombose des Gefäßes handelt. So-
nach ist die Bekämpfung des bereits in der Blutbahn kreisenden
Giftes vornehmlich Sache des Organismus, welchem wir dabei
allerdings durch therapeutische Maßnahmen untersttttzend zur
Seite stehen können. Aus diesem Kampfe muß naturgemäß der
stärkere von beiden Gegnern als Sieger hervorgehen, und dieser
ist in den tödlich verlaufenden Fällen eben das Gift, mögen wir
dasselbe nun als Bakterien oder als deren Produkte, als Toxin,
bezeichnen. Gelangt der Kampf nicht so schnell zur Entschei-
dung, so ist damit Zeit gegeben zur Entwicklung weiterer patho-
logischer Veränderungen an der Gefäßwand und im Geftßlumen
selbst, welche dann eine weitere Infektion des Organismus unter-
halten (durch Zerfall der Thromben) und sehließlich den tödlichen
Ausgang herbeiführen können, in deren Verlauf aber auch — in
günstigen Fällen — selbst bei schon vorhandener Thrombose durch
Apposition gesunder Gerinnung ein Abschluß der Infektionskeime
und auf diese Weise eine Ausheilung des Prozesses stattfinden kann.
So werden wir in den einzelnen Fällen otogener Allgemein-
infektion (um es ganz allgemein auszudrücken), sei es bei der
Sektion, sei es bei operativen Eingriffen, je nach dem Stadium
der Erkrankung verschiedenartige anatomische Veränderungen
vorfinden. Es handelt sich dabei aber nicht um prinzipielle, son-
dern einzig und allein um graduelle Unterschiede in den
anatomischen Veränderungen, um verschiedene Stadien und
eines und desselben Prozesses, welchen nicht etwa ein ver-
schiedenartiges Verhalten der Gewebe, sondern lediglich die in den
einzelnen Fällen verschiedene Giftwirkung des infektiösen
Materials zugrunde liegt. Nicht deshalb erscheinen die schnell zu
Tode fahrenden Fälle ohne Sinusthrombose als die gefährlichen,
weil bei denselben ein außergewöhnlicher Infektionsmodus statt-
findet, nein es kommt gar nicht erst zu gröberen Veränderungen
(Thrombosen) an der Infektionsstelle selbst, weil eben das in den
Körper aufgenommene Gift, sei es wegen zu großer Dosis, sei es
Zur Kasuistik der diagnostischen Irrtümer in der Otochirurgie. 15
wegen der eminenten Giftigkeit, in kurzer Zeit einen töd-
lichen Ausgang herbeiführt
Sonach erscheint es nicht gerechtfertigt^ derartige Erkran-
kungsformen wegen ihres anatomischen Verhaltens prinzipiell
von der otogenen Pyämie, resp. Sepsis loszutrennen ; dieselben be-
anspruchen nach ihrer anatomischen Grundlage keine Sonder-
stellung. Doch dürfte es immerbin zweckmäßig sein, diesen
Fällen vom klinischen Standpunkt aus eine besondere Gruppierung
angedeihen zu lassen und dieselben als eine besondere Art der
Erkrankung, als welche sie sich nach Symptomatologie und Ver-
lauf charakterisieren, zu betrachten. Denn hier haben wir, wie
Eulenstein sehr richtig sagt, „ein Erankheitsbild, bei dem die
charakteristischen klinischen Zeichen der Pyämie fehlen, während
die Erscheinungen einer akuten, rapide zum Tode fahrenden Ver-
giftung die Szene vollständig beherrschen^.
Die enorme Giftwirkung machte sich in unserem Falle Yor-
nehmlich durch ihre deletären Folgen auf das Zentralnerven-
system bemerkbar, wodurch einerseits an eine eitrige Meningitis
erinnernde Aufregungszustände , andererseits aber auch Läh-
mungen als Ausdruck der Vergiftung hervorgerufen wurden. Die
richtige Diagnose scheiterte hier ebenso wie im vorhergehenden
Falle weniger daran, daß die ungewöhnlich stark ausgeprägten
meningitischen Beizerscheinungen uns auf eine falsche Fährte
führten, davor schlitzte uns die Lumbalpunktion, vielmehr waren
es auch hier die Lähmungserscheinungen, welche uns in Gemein-
schaft mit den übrigen zerebralen Symptomen auf eine intrakra-
nielle Herderkrankung hinwiesen. Lenkte schon der teilweise
Ausfall der motorischen Funktion der rechten Eörperseite unsere
Aufmerksamkeit auf eine Beteiligung der linken Gehirnhemi-
sphäre, so kam uns in dieser Vermutung auch die Alteration der
Sj^ache noch mit zu Hilfe ; wenn auch keine eigentliche Aphasie
vorlag, so bestand doch eine gewisse Schwerfälligkeit, jedenfalls
eine auf Lähmungsvorgänge hindeutende Störung der Sprache,
deren Ursache wir erklärlicherweise, um nicht zu sagen not-
wendigerweise, ebenfalls in einer Affektion des linken Schläfen-
lappens suchten. Auch hier wurde der Irrtum im wesentlichen
dadurch unterhalten, daß der vermutete intrakranielle Herd nach
der Beschaffenheit der Ausfallserscheinungen auf der ohr-
kranken Seite gesucht werden mußte, wodurch ein otogener
Himabszeß vorgetäuscht wurde.
Da gröbere organische Veränderungen in den betreffenden
16 1. SCHULZE
Gehirnabschnitten nieht vorhanden waren, so bleibt uns keine
andere Erklärung übrig, als die Oebirnerscheinungen als Synir
ptom einer dureh die im Blute kreisenden toxisehen Substanzen
hervorgerufenen Vergiftung aufzufassen, in deren Verlauf feinere;
für das unbewaffnete Auge nieht erkennbare Veränderungen --
vielleicht auch solche chemischer Natur — an den Ganglienzellen
stattfanden.
Weshalb diese Vorgänge gerade vorwiegend die linke Hemi-
sphäre betrafen — wir müssen doch wohl mit Wahrscheinlich-
keit eine zentrale und nicht eine periphere Erkrankung an-
nehmen — ist schwer zu entscheiden. Wenn wir diese Lokali-
sation nicht etwa als ein Spiel des Zufalls betrachten wollen, so
dürfte die am nächsten liegende Erklärung vielleicht in der Weise
zu geben sein, daß die linke Gehirnhemisphäre als die der In-
fektionspforte am nächsten gelegene Gehirnpartie am
frühesten und am meisten unter der Giftwirkung zu leiden hatte.
Der miserable Puls und die große Schwäche des Kranken
ließen es fraglich erscheinen, ob wir denselben überhaupt
einer Narkose und dem mit einem größeren Eingriff doch
immer verbundenen Blutverlust aussetzen konnten. Wenn man
sich aber in einem solchen Falle zu einer Operation entschließt,
so dürfte es sich unter allen Umständen empfehlen, in erster
Linie auf diejenigen Veränderungen loszugehen, auf welche mit
größerer Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist, und das ist jedenfalls
die Sinuserkrankung, während die Lähmungserscheinungen, wie
wir gesehen haben, zu Irrtümern in der Diagnose und infolge-
dessen auch zu ftllschlichen Eingriffen verleiten können. Selbst
wenn es sich als Regel bestätigen sollte, daß man bei derartigen
Erkrankungformen Thrombenbildung oder auch nur Verände-
rungen an der Gefäßwand nicht in größerer Ausdehnung vor-
findet, so ist dabei doch in derselben Weise wie in jedem an-
deren Falle otogener Pyämie vorzugehen, ja gerade die Schwere
der Erkrankung fordert vielleicht zu einem noch energischeren
Vorgehen auf. Wie wir bei einer von einer anderen Körperstelle,
sagen wir z. B. von einem Finger, ausgegangenen Blutvergiftung
die Stelle der Infektion nicht vernachlässigen werden, selbst
wenn daselbst die Veränderungen geringftlgiger Natur sind, son-
dern, um das Leben zu retten, eventuell vor der Amputation der
Extremität nicht zurückschrecken werden, so sollten wir bei einer
so ausnahmsweise schweren otogenen Blutvergiftung, sofern sonst
der Entschluß zur Operation feststeht, ebenfalls zu einem mög~
Zur Kasuistik der diagnostischen Irrtümer in der Otochirurgie. 17
liehst radikalen Vorgehen greifen, und da wir ein der Amputation
gleichwertiges Verfahren in dieser Region nicht znr Anwendung
bringen können, wenigstens soviel von Knochen und Weichteilen
entfernen, als dem Auge krankhaft erscheint und fUr Messer und
Meißel erreichbar ist.
Es ist nicht leicht zu entscheiden, wie man sich in ähnlichen
Fällen vor Irrtümern hüten soll. Wo eine derartige Verquickung
eines schweren Ohrenleidens mit auf bestimmte Gehirngebiete
hinweisenden Gehirnerscheinnngen vorliegt, und noch dazu die
vermutlieh erkrankte Gebirnpartie der Seite des Ohrenleidens
entspricht, wenn ferner wie hier, die Reiz- und Ausfallserschei-
nungen Teile des Gehirns betreffen, welche erfahrungsgemäß mit
Vorliebe der Sitz otogener Eiterungen sind, so dürfte sich eine
EntscheiduDg, ob die zugrunde liegende Gehirnerkrankung über-
haupt otogener Natur ist, und wenn dies der Fall, ob dieselbe
der Operation zugänglich ist oder nicht, ebenso schwer treffen
lassen wie in jenen Fällen, in welchen sich unter ähnliehen un-
günstigen Verhältnissen zu dem Ohrenleiden eine mit letzterem
nicht in Zusammenhang stehende Erkrankung allgemeiner Natur,
wie wir dies oben bei der Urämie gesehen haben, hinzugesellt.
Vom rein menschlichen Standpunkte läßt es sich wohl nach-
empfinden und bis [zu einem gewissen Grade auch entschuldigen,
wenn der Operateur bestrebt ist, solche betrübende Folgen eines
fehlerhaften Handelns, selbst wenn dasselbe nicht auf Fahrlässigkeit
oder mangelhafter Beobachtung beruht, sondern, wie in unseren
Fällen, nach bestem Wissen und Gewissen geschehen ist, selbst
den engeren Fachgenossen vorzuenthalten und lieber mit dem
Mantel der Vergessenheit zu umhüllen. Für ^die Wissenschaft
aber wäre es wünschenswert, daß die ungünstigen Ausgänge, die
Mißerfolge, die Fehldiagnosen ebensowenig im Verborgenen blei-
ben wie die Heilresultate, „damit wir klar erkennen und über-
schauen, was unsere Kunst vermag und was noch außer dem
Bereiche ihrer Herrschaft liegt" ^^(Oppen heim). Denn es ist
keine Frage, daß Irrtümer und ungünstige Ausgänge, sobald die-
selben in ihrem Zusammenhange durch die Sektion aufgeklärt
werden, oft für den einzelnen lehrreicher und für die Wissen-
schaft befruchtender sind, als blendende Glanzerfolge, bei welchen
oft schwer zu entscheiden ist, ob in der Tat dem Operateur ein
größeres Verdienst an dem günstigen Ausgange zuzusprechen
ist als der Vis medicatrix naturae.
Archiv f. Ohrenheilkunde. LXI. Bd.
IL
Aus dem Laboratorium der kgh Univ.-Ohrenklinik zu Leipzig.
Ober Harkscheidendarstellnng nnd den Nachweis voh
Harkhnllen der Ganglienzellen im Aknstikns ^).
Von
Dr. K. Wittmaaek (Leipzig).
(Mit 2 AbbUdungen )
Außer der vor reichlich 30 Jahren mitgeteilten Beobachtung
Max Schultzes habe ich in der mir zur Verfügung stehenden
Literatur keine weiteren Angaben ttber das Vorhandensein von
MarkbüUen oder Nervenzellen im Ganglion spirale ausfindig
machen können. Max Schnitze (1)0 gibt eine Abbildungeines
mikroskopischen Präparates aus dem Akustikusganglion des
Hechtes wieder, aus der hervorgeht, daß sich hier die Mark-
scheide der Nervenfaser kontinuierlich auf die Nervenzelle fort-
setzt und diese ebenso einfaßt wie den zu ihr gehörigen Achsen-
Zylinder. Indessen entspricht diese Abbildung nicht mehr den
Anforderungen, die wir heute an die Wiedergabe mikroskopischer
Präparate stellen. Daher ist es erklärlich, daß diese Beobach-
tung Schultzes, die sich ja auch nur auf das Akustikusganglion
des Hechtes erstrekt, bisher mehr als Unikum betrachtet wurde
und daß ihr daher vielfach nicht die ihr gebührende Beachtung
zuteil wurde. Ich hoffe indessen im Folgenden den Beweis
dafür erbringen zu können, daß an der Existenz von MarkhttUen
der Ganglienzellen im Ganglion spirale auch bei den Säugern
— meine Untersuchungen erstrecken sich allerdings zunächst
nur aufs Meerschweinchen — kaum mehr Zweifel bestehen können.
Der Grund dafür, daß diese interessante anatomische Eigen-
1) Nach einem fQr die 75. Naturforscher Versammlung geplanten Vortrag.
2) Diese Zi£fern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis am Schlüsse
dieser Arbeit.
Markscheidendarstellnng and Markhüllen der Ganglienzellen. 19
tümlichkeit des Ganglion spirale den Forsohern bisher verborgen
geblieben ist, dürfte wohl, wie so oft bei histologischen Unter-
such angen, in der Technik bezw. der Methodik der Untersnchnng
zu Sachen sein. Ich maß daher mit einigen Worten anf die
von mir angewandte Darstellnngsmethode der Markscheiden im
Äkastikns nnd seinem Ganglion eingehen:
Die Methode der Osmiumfixierang oder anch die der sekun-
dären Osmierung nach Fixierung in einer der allgemein gebräuch-
lichen Fixierungflüssigkeiten hat mich zur elektiven Darstellung
der Markscheiden im Akustikus ebensowenig befriedigt, wie die
Weigert sehe Methode oder die zahlreichen anderen ihr ver-
wandten Färbungsmethoden; teils deshalb, weil das Knochenge-
webe hierbei zu stark das Osmium bezw. den Farbstoff mit-
annimmt und hierdurch die Konturen der einzelnen Nervenfasern
undeutlicher hervortreten, teils auch weil das Myelin der Mark-
scheide selbst den Farbstoff nicht intensiv genug aufnimmt, —
es geht ja bei den üblichen Fixierungs- und Einbettungsmethoden
zum größten Teil durch Auflösung verloren — und weil dann
die Markscheide nur noch das Neurokeratingertist geftlrbt er-
kennen läßt. Ich bin deshalb im Laufe meiner Untersuchungen
hierüber zu einer Methode der Markscheidendarstellung gelangt,
die zwar ebenfalls die sekundäre Osmierung benutzt, die sich
aber durch die Vorbehandlung der Präparate von den allge-
mein üblichen Methoden unterscheidet. Hierin — in der Vor-
behandlung — erblicke ich das Wesentliche und, wie ich
glaube, Neue dieser Darstellungsmethode. Die Fixierungsflüssig-
keit, derer ich mich hierbei bediene, besteht aus einer frisch be-
reiteten Müll ersehen Lösung mit Zusatz von 10 Proz. Formol
und 3 — 5 Proz. Eisessig. In dieser Flüssigkeit müssen die
Schläfenbeine (nach vorheriger Eröffnung der Bulla) i n e i n e m
fest verschlossenen Gefäße solange verweilen, bis
sie eine dunkelgrüne Farbe angenommen haben, was
in der Begel nach 6 — 8 Wochen der Fall ist. Die Flüssig-
keit selbst färbt sieh hierbei ganz dunkelbraungrün. Auf den
sich hierbei abspielenden chemischen Umsetzungsprozeß kann
ich noch nicht näher eingehen, da hierüber die Untersuchungen
noch nicht abgeschlossen sind. Sind die Schläfenbeine dunkelgrün
gefärbt, so präpariert man sich nun in der gleichen Weise, wie
ich dies bereits zur Darstellung der chromatischen Substanz im
Protoplasma der Ganglienzelle angegeben habe (2), die Schnecken-
spindel mit dem Akustikusstamm heraus, um diese nun isoliert
20
II. WITTMAACK
weiter zu verarbeiten. Diese Stückohen kommen nun auf
einige Tage in eine 2 — 3proz. SalpetersänreformoUösung, werden
dann gut ausgewaschen und nun im Celloidin oder auch Paraffin
in der bekannten Weise eingebettet.
In derartig vorbehandelten Schnitten, aber auch nur bei
dieser Vorbehandlung, gelingt es, die Markscheiden im Akustikus
in außerordentlich elektiver Weise sowohl bei Celloidin als auch
bei Paraffineinbettung, bei ersterer allerdings etwas schöner,
mittelst sekundärer Osmierung zur Darstellung zu bringen, wie
aus der beigegebenen Abbildung hervorgeht (Fig. 1).
Fig. 1. Erwachsenes Meersoh weinchen. Celloidinsohnitt. Sekundäre Osmierang
nach im Text beschriebener Vorbehandlung. Vergr.: Y12 homogene Immersion.
Okular III (Mikroskop Seibert). Bipolare Zelle aus dem Ganglion spirale mit
sieb Yon der Neryenfaser auf die Zelle fortsetzender MarkhttUe.
Es ist hierzu nur erforderlich, die Schnitte für einige Stunden
in eine 2prozentige Osmiumlösnng und hierauf, nach kurzem Ab-
spülen in Wasser, in eine 5prozent]ge Pyrogallussäurelösung zu
übertragen. Nach der Schwärzung erfolgt Abspülen in Wasser
und Einlegen in Eanadabalsam in der bekannten Weise (Alko-
hol, Karbolxylol, Balsam). Einer weitern nachträglichen DiflFeren-
zierung bedarf es nicht. Eine leichte Gegenfärbung mit SaflFranin
oder einem ähnlichen Farbstoff kann zuweilen zweckmäßig sein.
Man sieht nun an den nach dieser Methode angefertigten
Präparaten an den Zellen, an denen der Übergang der Nerven-
faser in die Nervenzelle zu erkennen ist, sowohl am zentripetalen
als auch am zentrifugalen Fortsatz der Zelle außerordentlich
deutlich, daß sich derselbe dunkelblauschwarze, ge-
färbte Saum, welcher den Achsenzylinder der Nerven-
Markscheidendarstellung und Markhütlea der Ganglienzellen. gl
faser umgibt, ohne eine Unterbrechung zu erleiden,
auf die Nervenzelle fortsetzt und diese in völlig
analoger Weise einsohlieSt. Die vom Sohnitt nicht ge*
troffenen Zellen, bei denen also die Hülle nicht eröffnet wurde,
erscheinen von der Fläche gesehen wie in einen zarten homo-
genen Sohleier gehüllt, so daß ihre Konturen etwas verwaschen
hervortreten. Natürlich zeigen auch die übrigen Zellen alle den>
selben dunkelblauschwarzen Saum; nur sind gerade die Zellen, bei
denen der Übergang der Nervenfaser zur Zelle zu erkennen ist,
besonders instruktiv. Da der schwarze Saum der Nervenfaser
wohl zweifelsohne seine Sehwarzfärbung dem Myelin der Mark-
scheide verdankt, scheint wohl der Schluß auf das Vorhanden-
sein einer analogen Myelinhülle der Nervenzelle durchaus be-
rechtigt zu sein. Ebenso setzt sich die Schwamsehe Scheide
der Nervenfaser, die im Akustikus des Meerschweinchens außer-
ordentlich zart ist, auf die ebenfalls sehr zarte Endothelhülle,
die die Nervenzelle umfaßt, fort.
Protoplasmatisohe Fortsätze der Zellen, wie sie Cannieu
(3) beschreibt, habe ich niemals auffinden können.
Nachträglich ist es mir noch gelungen, einen weiteren Be-
weis ftar das Vorhandensein dieser Hüllen mit Hilfe der Wei-
gert sehen Methode der Markscheidenfärbung zu erbringen. Die
in gleicher Weise vorbehandelten Celloidinschnitte wurden für
mehrere Tage in die Weigert sehe Ghromalaunlösung über-
tragen und dann in der bekannten Weise nach der von Pal
angegebenen Modifikation der Methode gefärbt. Allerdings tritt
an diesen Präparaten der sich von der Nervenfaser direkt auf
die Zelle fortsetzende Saum bei weitem nicht so deutlich her-
vor, da sich die Hülle vorwiegend in Form des Neurokeratin-
gerüstes zu erkennen gibt, wie dies ja häufig auch an den zarten
Endansläufern der markhaltigen Nervenfasern bei Behandlung
nach der W ei g er t sehen Methode der Fall ist. Man sieht, nach-
dem man sich zuvor mit der Mikrometerschraube die Nervenzelle
scharf eingestellt hat, an durch ihre Lage hierzu geeigneten
Zellen, beim Heben des Tubus deutlich ein netzförmig an-
geordnetes, zartes Balkenwerk hervortreten, das die
Zelle an ihren Bändern umschlingt; und zwar erscheinen
die Maschen dieses Netzes etwas weiter als bei der zugehörigen
Nervenfaser. Indessen läßt sich auch hier deutlich der direkte
Übergang des Netzes von der Nervenfaser auf die Zelle fest-
stellen (vgl. Fig. 2).
22 n. WITTMÄACK
Anhangsweise Eaöehte ich noch erwälmen, daß sich die obea
beBflhriebene Aletliode der MarkBCheidendarstellung im Aknsti-
kns nnd Beinern Ganglion mir l>ereit8 anoli zum Naebweis patho-
logiflcher Verandenuigen an diesen Teilen recht gut bewahrt
hat (4). Sie hat den großen Vorzog, daß die nach dieser Methode
Torbehandelten Sttloke auch bei ParafFineinbettnng nur außer-
ordentlich wenig Bohmmpfeii, bo daß die einzelnen Zellen ihrer
Btllle ToUst&ndig anliegen, und ferner, daß die Vorbehandlnn^
eine FSrbung mit den in der Histologie verbreitetsten FfirbnngB-
metboden (Alannkarmin, Hämalozylin-Eosin, vanGieson, NisBl-
Uethode und ihren Modifikationen, den veracbiedenen Methoden
Fig. 2. Enrachaenes Heeiscbireiiiah«!!. Celloidiniohnitt. Färbung Dach Weigeit-
Pal, nach im Text bfsoh rieben«- Vorbeb aDdlnng. Vergr.: '/u homogene lui-
menion. Okular III {Uikrüskop Seibert). Mehrere Zellen teiU mit beiden Fort-
•atzen aui dem Ganglion spirale, bei denen Bieh die Msrkscbeide der NerTentaset
in Form des NeutokeratingeiaBteE auf die Zelle fortaetit.
der Aehsenzylinderiärbung u. dergl.) in keiner Weise beeinflußt
Man kann auoh die zunäehst in Celloidin eingebetteten GewebB-
stOcke, nachdem man bic znr H&lfte in Schnitte zerlegt bat, nach
Lösnng nnd Entfernung des Celloidins in der bekannten Weise
in Paraffin umbetten und nnn die zweite Hälfte des StOekea in
FaraffinBchnitten untersnohen.
Ob nnd inwieweit diese Darstellungsmethode znr Darstel-
lung der Marksoheiden und zum Nachweis patbologiseber Ver-
ändernngen an ihnen auch in den anderen Gebieten des peri-
Markscheidendarstellang und Markhfillen der Ganglienzellen. 23
pheren und zentralen Nervensystems geeignet ist, speziell ob
auch hier derartige HfiUen an den Nervenzellen nachzuweisen,
darüber möchte ich mir weitere Untersuchungen vorbehalten.
Herrn Professor Barth spreche ich fiir die Überlassung
eines Arbeitsplatzes im Laboratorium der Universitäts-Ohrenklinik
meinen verbindlichsten Dank aus. Desgleichen bin ich Herrn
Professor Held f&r die Durchsicht der Präparate, die Bestätigung
des Befundes und einige mir* erteilte Ratschläge zu großem
Danke verpflichtet. Schließlich möchte ich es nicht versäumen,
auch meinem Chef Herrn Professor Efimmel für das auch dieser
Arbeit entgegengebrachte Interesse meinen herzlichsten Dank
auszusprechen.
Literatur.
1. Max Schultz e, Strickers Handbach der Lehre von den Geweben des
Menschen und der Tiere. 1871. Bd. I. S. 126, Fig. 26.
2. Wittmaack, Beiträge zur Kenntnis der Wirkung des Chinins auf das
Gehörorgan. II. Teil. S. 237. Fflügers Archiy für die gesamte Physio«
logie. 1903. Bd. 95.
3. A. Cannieu, Note sar les ceUules des ganglions deToreiUe etc. Beyae
hebdomadaire de Laryngologie, d*Otologie et de Bhinologie. 1899.
Nr. 4. S. 97ff.
4. Wittmaack, Die Nenritis acnstica and die Mitbeteiligang der za-
gehörigen Ganglien* Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. XLYI.
lU.
Zur Ätiologie der perlfSrmigeii Epithelialbildüngeii
am Trommelfell.
Von
Dr. Ernst Urlmiitseliitseh in Wien.
Im Jahre 1876 beobachtete und beschrieb mein Vater, Pro-
fessor yiktorUrbantsohitsoh,als erster eigentümliche, kleine,
einzeln oder mehrfach anftretende, glänzendweiße Geschwülste
des Trommelfelles von widerstandsfähiger UmhttUnngsmembran,
die eine gelblich-breiige, ans zertrümmertem Pflasterepithel nnd
körnigem Detritns bestehende Masse einschließt.
Da bisher über die Entstehnngsweise dieser Trommelfell-
perlen nichts bekannt ist, dürfte der folgende, von mir beob-
achtete Fall einiges Licht in das Dnnkel der Entwicklnngs-
geschichte dieser kleinen Gebilde werfen.
Es handelt sich um ein Kind, £. Z., das, als es am 10. April 1902
das erstemal in meine Ordination fi^ebracht wurde, das erste Lebensjahr
noch nicht überschritten hatte. Zu Weihnachten 1901 war der kleine Patient
an einer LungenentzOndung erkrankt; am Tag der Krise soll am linken
Ohr Spontanperforation mit folgendem heftigen £iterausfluß aufgetreten sein ;
seither sei keine Besserung der Otorrhöe erfolgt, allerdings wurde das Ohr
auch nie einer spezialistischen Behandlung zugeführt. Am 16. AprU nun
klagte das Kind sehr, aß und schlief wenig und griff h&ufig gegen sein
rechtes Ohr. Ich fand eine ausgesprochene Tympanitis purulenta acuta
mit starker Rötung und Yorwölbung des Trommelfeiles im hinteren oberen
Quadranten. Ich parazentesierte an letzterer Stelle. Die Schmerzen ließen
nach, das Kind schlief die Nacht ruhig und zeigte den n&chsten Tag viel
mehr Appetit. Aus der Paukenhöhle war nach der Operation Eiter geflossen
und diese Eiterung setzte sich 11 Tage fort; die Behandlung bestand in
Einträufelungen Ton Wasserstoffsuperoxyd. Vom 12. Tag an war das Ohr
vollständig trocken. Am 16. August 1902 wurde mir der Kleine wieder mit
den gleichen Erscheinungen vom 16. April gebracht; nur war diesmal das
Trommelfell nicht so dunkelrot wie damals, dafür war seine Yorwölbung
(im hinteren unteren Quadranten) bedeutend stärker, wie am Höhepunkt
einer Exsudation. Ich parazentesierte wieder, diesmal im hinteren unteren
Quadranten. Es floß jedoch kein Eiter ab : es bandelte sich nämlich bloß
um einen Luftsack. Durch irgendein Moment war das Trommelfell in einem
Keizzustand und daher gerötet; das hatte mich im Verein mit der intensiven
Vorwölbung und den Allgemeinerscheinungen zu der Fehldiagnose verleitet.
Trotzdem waren die Folgen günstige; sein Zustand soll sich von diesem
Zur Ätiologie der perlfi^rmigen Epithelialbildangea am Trommelfell. 25
Zeitponkt an erheblich gebessert haben. Eiterung ist auch in der Folge
nicht eingetreten, die Perforationsöffiiang schloß sich binnen acht Tagen
▼oUst&ndig. In den folgenden Monaten bestand der Laftsack wieder wie
zur Zeit der zweiten Parazentese, nur war diesmal das Trommelfell nicht ge-
rötet, das Gehör war gut; die Ausbauchung lie^ sich mit dem Sondenkopf
leicht eindrucken, und zwar ohne die geringste Schmerzempfiodung. Im
Februar 19U3 bemerkte ich zum erstenmal eine Verminderung der Aus-
bauchung des Trommelfelles, zugleich beobachtete ich ein weißgl&nzendes
Kömchen von der Größe eines kleinen Stecknadelkopfes im hinteren unteren
Quadranten; am 5. M&rz erkannte ich eine Größenzunahme dieser Ejjlthed-
perle bei zunehmender Abflachung des Trommelfelles. Am 20. Juni 1903
fand ich im normal gewölbten Trommelfell drei solche Gebilde: zwei im
hinteren unteren, eines im hinteren oberen Quadranten. Die erstgenannten
befanden sich unmittel l)ar nebeneinander, und zwar höher oben ein großes,
fast Yon der Größe eines Hirsekornes, und gleich darunter ein kleinsteck-
nadelkopfgroßes; die dritte Perle, tlber und etwas hinter ihnen liegend,
war ungefähr so groß wie die kleinere der beiden tieferen Perlen. Die Lage
dieser drei Perlen entsprach dem Orte der Parazentesen.
Nach meiner Ansicht besteht zwischen der Durchtrennung
des Trommelfelles und der Bildung dieser Epithelperlen ein inniger
Zusammenhang. Ich stelle mir den Vorgang so vor, daß bei
der Durchsohneidung der Membran von ihrer Oberfläche ent-
weder losgelöste oder wahrscheinlicher umgestfilpte Epithelzellen
in die Substantia propria gebracht wurden, die hier — sei es
infolge einer eigentflmlichen Disposition des Individuums, sei es
durch andere zufällige, reizende Ursachen — gewuchert sind,
die dann aus der Bindesubstanz der mittleren Trommelfellschicht
mit einer Hülle umkleidet wurden und in dieser sich später zum
Teil in Detritus umwandelten. Jedenfalls ist es zu auffallend,
daß an beiden Schnittstellen diese Perlen aufgetreten sind, um
nicht an einen kausalen Zusammenhang zu denken ; und gerade
der Umstand, daß die Bildung an beiden Stellen stattgefunden
hat, läßt mir die Wahrscheinlichkeit, daß dispositionelle Umstände
mit eine Rolle spielen, in den Vordergrund rücken.
Es handelt sich also um eine Versprengung epithelialer Ele-
mente, die, wie in diesem Fall, künstlich herbeigeführt, gewiß
auch in vielen anderen Fällen traumatischen Ursprungs sein
dürfte. Andererseits wäre es wohl denkbar, daß auch eine fötale
Versprengung solcher Epithelkeime stattfinden könnte und daß
sich dann auf dieselbe Weise — nur aus einer anderen Veran-
lassung — solche Epithelperlen bilden.
Auffallend an der ganzen Sache wäre dann noch das Wan-
dern dieser Gebilde, wie es in einem Falle beschrieben wurde.
Jedoch halte ich dieses für keinen Grund, der gegen meine
Anschauung ihrer Entstehungsweise spräche; denn die Verände-
rungen des Ortes bleiben, wie auch die Perlen entstanden sein
26 III. ÜRBANTSCHITSCH
mögen, merkwürdig. Bei dem Versuche, diese Wanderung zu
erklären, müßte man sieh vor allem darüber Rechenschaft geben ^
ob tatsächlich eine Ortsveränderung stattfindet, ober ob es sieh
nicht bloß um ein Verschwinden bereits bestehender (etwa durch
Resorption) und eine Bildung anderer, neuer Perlen handelt.
Daß zystische Gebilde, wofür die Trommelfellperlen zu gelten
haben, keine unveränderlichen Gebilde sind, zeigt Fehleisen
an einem Fall aus der Praxis von Professor Bergmann, in dem
eine Dermoidzyste auf ein Drittel ihrer ursprünglichen Größe
zurückging; nach Fehleisen durch Resorption des flüssigen
Inhaltes (s. Zeitschrift für Chirurgie XIV, 1881, S. 14). Freilich
ist mit diesem Erklärungsversuch nicht viel gewonnen, da wir
dann wieder vor der Erklärung dieser letzteren Erscheinung
stünden. Übrigens steht die Beobachtung einer Wanderung am
Trommelfell nicht vereinzelt da: so wurde die Verschiebung
von Blutextravasaten schon wiederholt beobachtet (zuerst von
Tröltsch; s. sein Lehrbuch der Ohrenheilkunde, 5. Auflage,
S. 131). Es handelt sich dabei nicht etwa bloß um Senkungen
nach dem Gesetze der Schwere, das hieße also im gegebenen
Fall gegen die untere Trommelfellperipherie, sondern auch nach
oben und seitwärts. Wendt führt diese Tatsache auf Ver-
schiebungen des Epithels zurück (s. Schmidts Jahrbücher 1873,
CLX, 295). Daß solche Epithelverschiebungen wirklich vor-
kommen, bewies Blacke dadurch, daß er an das Trommelfell
kleine Papierscheibchen anklebte und deren Verschiebung beob-
achtete (s. Amer. Jar. of OtoL IV.). Übrigens können auch
Scheinwanderungen durch Veränderungen der Wölbung vor-
kommen.
Bei der beobachteten Perlenwanderung dürfte es sich wohl
um eine Perle gehandelt haben, die nicht in der Substantia pro-
pria gelegen ist, sondern zwischen dieser und der äußeren
(Epithel-) Schichte; dann könnte mit der Verschiebung des Epi-
thels wohl auch eine solche der Perlen stattfinden. Daß es auch
ganz oberflächlich gelegene Trommelfellperlen geben kann, ist
einzusehen.
Hingegen möchte ich entschieden die Möglichkeit in Abrede
stellen, daß eine im Bindegewebe des Trommelfelles eingebettete
Perle ihren Ort verändern kann, ohne daß man einen makro-
skopischen Nachweis für die Ursache dieser Dislokation hätte;
auftretendes Granulationsgewebe, das bei seiner narbigen Schrum-
pfung einen Zug auf die Geschwulst ausübte und diese so ver^
Zur Ätiologie der perlfönnigen Epithelialbildangen am Trommelfell. 27
schöbe, wfirde am Trommelfell dem aufmerksam beobachtenden
Auge gewiß nicht entgehen.
Was die Stellung dieser kleinen Neubildung zu den anderen
Neoplasmen anlangt, so ist sie nachweislich als zystische Ge-
sehwulst anzusehen und hat als solche ihrem Äußern nach so
viel Ähnlichkeit mit dem Atherom der Haut, daß man sie ge-
radezu als Miniaturatherora ansprechen könnte: so die weißlich
glänzende, verhältnismäßig derbe UmhüUungsmembran, dann
der breiige Inhalt, reich an Detritus, zerfallenden Pflasterepithel-
schollen, Cholestearin. Die Kleinheit sowie die sonstigen Ver-
schiedenheiten sind in den gegebenen Verhältnissen gelegen»
Hinsichtlich ihrer Entstehungsweise stehen sie jedoch den
Winiwarterschen Dermoidzysten am nächsten. Alexander
von Winiwarter beobachtete nämlich eine Reihe von er-
worbenen Dermoidzysten an Händen und Fingern, wobei er den
traumatischen Ursprung nachweisen konnte. Damit steht auch
die später erwiesene Tatsache in Einklang, daß diese Dermoide
fast ausschließlich an der Volarfläche vorkommen und außerdem
in der bei weitem ttberwiegenden Mehrzahl beim männlichen
Geschlecht. Winiwarter schreibt über diese Geschwülste (in
der „Allgemeinen chirurgischen Pathologie und Therapie in
einundfünfzig Vorlesungen*' von Dr. Theodor Billroth und
Dr. Alexander von Winiwarter, 15. Auflage, 1893, S. 912):
„Erworbene Dermoidzysten, die aber niemals Haare enthalten,
kommen gelegentlieh an der Hand und an den Fingern vor und
zwar infolge von Verletzungen, besonders von Quetschwunden,
wobei kleine Fragmente des Rete in die Tiefe der Cutis dis-
loziert wurden und daselbst eingeheilt sind. Die weitere Ent^
Wicklung zu Zysten gestaltet sich dann geradeso wie bei den
anscheinend während des Fötallebens abgeschnürten Epithel-
keimen.*' In seinem Werk „Die chirurgischen Krankheiten der
Haut und des Zellgewebes^ (1892, S. 643) schreibt Winiwarter:
^Außer den angeborenen Dermoidzysten gibt es erworbene Ge-
schwfilste mit epidermidalem Inhalt, deren Entwicklung fast aus-
gchließiich in eine spätere Periode des extrauterinen Lebens
fällt und die höchstwahrscheinlich immer auf ein Trauma zurück-
zufahren sind.'^
Der Ursprung dieser Zysten wäre also der von mir ange-
nommenen Entstehungsweise der „Trommelfellperlen'' in meinem
Fall vollkommen analog ; nur daß es sich hier nicht um Quetsch-,
sondern um Stichwunden handelte.
28 111. URBANTSCHITSCH
Daß ttbrigens solohe traumatische Zysten unzweifelhaften
Ursprungs sich entwickeln können, ist durch Experimente er-
wiesen. Sehweninger (s. Zentralblatt für die medizinischen
Wissenschaften Nr. 10) und Masse (s. Gaz. hcbd. 1885 Nr. 13)
haben nämlich experimentell konstatiert, daß abgetrennte Haut-
teilchen in das subkutane Bindegewebe und in die Bauchhöhle
lebender Tiere implantiert werden können, woselbst sie imstande
sind, sich im Vollbesitz ihrer physiologischen Funktion der Epi-
dermisproduktion zu erhalten. In dieser Weise kommt es dann
zu einer Anhäufung von Epidermisbrei, der zusammen mit dem
Balg, von dem er eingekapselt wird, eine Art künstlich erzeugte
Dermoidzyste repräsentiert. Schon Wini wart er sprach die An-
sicht aus, daß es keine Schwierigkeit hätte, die extrauterine
Entwicklung solcher Dermoidzysten beim Menschen durch einen
ähnlichen Vorgang zu erklären, wie es eben bei Tieren durch
die erwähnten Experimente nachgewiesen worden ist. Deshalb
ist Winiwarter auch der Ansicht, daß gelegentlich einmal
auch an anderen Eörperstellen sich derartige Zysten entwickeln
können (siehe „Die chirurgischen Krankheiten der Haut und
des Zellgewebes*' von Alexander von Winiwarter, 1892,
S. 644).
Die Frage, warum traumatische Dermoidzysten verhältnis-
mäßig so selten zur Beobachtung gelangen, nachdem trauma-
tische Verletzungen allerorts doch häufig genug stattfinden, be-
antworten Groß und Reverdin mit der Behauptung, daß sieh
dislozierte Epidermisfragmente nur dann zur Zyste ausbilden
können, wenn sich die Wunde darüber vorerst per primam
schließt. Da es jedoch meist zur Eiterung kommt, kommt es
damit auch in der Hegel zur Abstoßung des Epidermisfragmente
(s. Bevnes medicinales de la Suisse rom. 1887, 3 und 4).
Mit dieser Behauptung scheint die Erklärung der Ent-
stehungsweise der einen, höher gelegenen Trommelfellperle
einigermaßen in Widerspruch zu stehen. Denn im Anschluß an
die erste Parazentese, die ich angelegt hatte, trat durch 1 1 Tage
Eiterung ein ; doch ist in diesem Fall zu bedenken, daß es nicht
zur Eiterung des durchtrennten Gewebes kam, sondern daß der
bereits vorhandene Eiter bloß durch die geschaffene Öffnung
austreten konnte und daß auch in der Folge nur der Eiter
durchtrat, der anderorts, das wäre hier also im Mittelohr, pro-
duziert wurde. Die Heilung der Verletzung selbst war per pri-
mam erfolgt.
Zar Ätiologie der perl förmigen Epitbelialbildungen am Trommelfell. 29
Übrigens wäre es denkbar, daß die Eitemng im Mittelolir
insoweit bei der Entstehung der Trommelfellperle von Einfluß
war, als dadurch nur ein sehr kleines disloziertes Epidermis-
fragment im Trommelfellgewebe gelassen wurde, da nach dieser
Parazentese eine einzige und noch dazu besonders kleine Perle
entstand, während nach dem zweiten Schnitt, bei dem die
Schnittränder mit keinem Eiter in Berührung gekommen waren,
zwei solcher Perlen sich entwickelt hatten, von denen die eine
mindestens das vierfache Volumen der erster\|;ähnten aufwies.
Literatur über ^^Trommelfellperlen*'.
Viktor UrbantBcbitsch, dieses Archiv. X. 7. Mitteilungen des Wiener
mediziniscben Doktorenkollegiums. 1876. IL 13.
Politzer, Lehrbuch der Ohrenheilkunde. I. 241. Schwartzes Hand-
buch. L 257.
Grunert, dieses Archiv. XXXVI. 305.
Habermann*), Zeitscbr. f. Heilkunde. XH. 383.
1) Habermann spricht die Möglichkeit aus, daß die Ferlbildung durch
Auswachsen von Retezapfen, die verhornen, entstehen.
IV.
Aus der kgl. ÜÄiversitäts-Ohrenklinik zu Berlin (Direktor:
Geh. Med.-Eat Prof. Dr. A. Lncae).
Ober SinüspUebitis tüberculosa.
Von
Dr. F. Grossmann, Assistenzarst
(Mit 2 Tafeln.)
Am 7. Febraar 1903 wurde in unsere Klinik ein ä^s j&hriges M&dchen
mit folgender Anamnese eingeliefert: Vor einem Jahre habe das Kind, im
Anschloß an Scharlach, Drüsenschwellungen und rechtsseitiges Ohrenlaufen
bekommen. Bald darauf h&tte auch das linke Ohr geeitert, ohne daß Je
Schmerzen bestanden. Vor 6 Wochen wäre eine Anschwellung hinter dem
rechten Ohre aufgetreten, die von einem praktischen Arzt inzidiert worden
sei. Vor 14 Tagen, als die Inzision fast vernarbt war, h&tte das Kind, das
ab und zu etwas hustete , aber aus völlig lungengesunder Familie stamme,
plötzlich Fieber bekommen, täglich mehrmals erbrochen und sei von Tag
zu Tag elender geworden. — Vor 10 Tagen sei deshalb die Wunde hinter
dem rechten Ohr nochmals geöffnet worden, doch ginge es dem Kmde immer
schlechter, weshalb ein zweiter Arzt die Überführung in die Klinik anordnete.
Über Kopfschmerz sei nicht geklagt worden, ein Schüttelfrost nicht aufge-
treten.
Das sehr abgemagerte, blasse Kind — es hat in den letzten Tagen
jede Nahrung erbrochen — ist völlig teilnahmslos, somnolent. Fragen werden
nicht beantwortet; es besteht leichte Nackensteifigkeit.
Hinter dem rechten Ohr findet sich eine 2 cm lange ^anulierende
Inzisionswunde mit ekzematösen Rändern. Gehörgang mäßig weit. Trommel-
fell gerötet, geschwollen; vom unten eine hiüblinsengroße Perforation.
Hammer nicht sichtbar. Ziemlich reichliche Sekretion leicht fötiden, dünn-
fftlssigen Eiters.
Links findet sich am Warzenfortsatz keine Veränderung. Gehörgang
weit, ekzematös. Untere Trommelfellhälfte fehlt. In den herzförmigen Defelrt
ragt von oben ein Hammerstummel hinein, der stark retrahiert ist. Mäßige
Sekretion sehr fötiden Eiters.
Temperatur 39,2». Puls 92.
Gehörprüfung ist unmöglich.
Augenhintergrund: Temporalrand der linken Papille etwas ver-
waschen. — Die Pupillen sind weit; reagieren nur minimal auf Konvergenz
und Lichteinfall. Kein Nystagmus. Keine Flexionskontraktur, keine Paresen I
Über den Lungen vereinzelte bronchitische Geräusche.
Sofortige Operation (Dr. Heine) (in Äthernarkose): Bei dem Ab-
schaben der Granulationen von der alten Inzisionsstelle kommt man sofort
auf eine weiche Partie, die sich als der sehr oberflächlich liegende Sinus
sigmoideus erweist. Derselbe ist jedenfalls von dem ersten Operateur (lys cm
weit) freigelegt worden. Es wird zunächst das Antrum eröffiiet, das mit
über Sinasphlebitis tabercnlosa. 31
Grannlationen uod eigentümlich gelbweißem Enocheagries gefallt ist. Am
Tegmen antri liefen mehrere kleine Sequester, ebenso an der medialen An-
tramwand. Da im Aditas auffällig weibliche Grannlationen sichtbar sind,
wird die Radikaloperation gemacht. In der Pauke finden sich jedoch nur
Grannlationen, der Bogengang und die Knöchelchen sind intakt. Nun wird
die Spitze des Warzenfortsaties ausgelöffelt, und dabei neben Knochengries
eine schmierige, weißgelbe, den Sinus umgebende Substanz entfernt. Der
Sinus erweist sich bei genauerer Untersuchung offen, und zwar führt eine fast
erbsengroße Öffnung nach unten, bulbuswftrts. Dieser ganze Sinusabschnitt,
von der Fistel (1 cm oberhalb des unteren Knies) bis zum Bulbus, ist mit
derselben schmierigen, k&sigen Masse gefüllt, die den Sinns umgab; eine
Blutung erfolgt nicht. Nach oben liegt die äußere der inneren Sinuswand
an, also scheint an dieser Stelle eine Obliteration zu bestehen. Darüber
ist der Sinus prall gefüllt, seine Wand grau, fibrös verdickt. — Von der
Gehörgangsplastik wird abgesehen. Tamponade, Verband. Nach dem Er-
wachen aus der Narkose beantwortet das Kind einige Fragen, jedoch nur
nach wiederholtem lauten Anrufen. Es trinkt gut.
8. Februar: Morgentemperatur 38,5®. Die Nacht war ziemlich ruhig.
Patientin hat ab und zvl leichte Konvulsionen, besonders in den linken Ex-
tremitäten. Pupillen weit, minimal reagierend. Patientin spricht nicht,
nimmt aber Nahrung an. — Abendtemperatur: 39,5®, Puls 88. Das Kind
ist bewußtios. Die Nackensteifigkeit hat zugenommen.
9. Februar: Patientin hat die ganze Nacht bewußtlos dagelegen. Die
Konvulsionen sind nicht stärker geworden; ab und zu etwas Husten. Über
den Lungen findet sich rechts hinten unten eine mäßige Dämpfung, mit
etwas abgeschwächtem Atmungsgeräusch und einigen bronchitischen Rhonchis.
Morgentemperatur: 38,8®, Puls 96. Abendtemperatnr : 39,0®.
10. Februar: Kind andauernd bewußtlos. Zeitweise klonische Zuckungen
in den Extremitäten.
Lumbalpunktion: Unter starkem Druck fließt klarer Liquor ab.
£s werden 60 ccm abgelassen.
Verbandwechsel: Die Wunde ist auffallend trocken. Vom Bulbus
her kommt kein Eiter oder käsige Masse nach. Morgentemperatur: 36,8®,
Puls 84, Abendtemperatur 38,8®.
11. Februar: Die Atmung ist oberflächlich, stark beschleunigt, unregel-
mäßig. Im gestern abgelassenen Liquor cerebrospinalis hat sich ein wie
Spinngewebe aussehender Faden abgesetzt, der im gefärbten Präparat zahl-
reiche Eiterkörperchen und vereinzelte TuberkelbaziUen aufweist. Die
Diagnose : Tuberkulöse Meningitis ist damit gesichert. Über beiden Lungen
diffuse bronchitische Geräusche; die Dämpfung hat nicht zugenommen. Im
Urin Albumen.
Morgentemperatur: 37,3®, Puls 84, voll; Abendtemperatur: 38,0®.
12. Februar : Puls heute unregelmäßig, klein. Gesicht leicht zyanotisch.
Pupillen weit, völlig reaktionslos. Temporalrand beider Papillen verwaschen,
Venen stark gefüllt und geschlängelt. Keine Tuberkel am Augenhintergrund.
Morgentemp^ratur: 38,9®, Puls 168, Abendtemperatur: 39,9®. Gegen V2I2
abends erfolgt unter den Erscheinungen des Lungenödems der Exitus.
Sektionsprotokoll: Schädeldach ohne Besonderheiten. Dura leicht
abziehbar, zart. Im hinteren Abschnitt des Sinus longitudinalis findet sich
frischer Gruor. — Pia der Konvexität stellenweise stark ödematös, besonders
beiderseits in den Syl vischen Furchen. Daselbst auch längs der Venen
vereinzelte Konglomerate submiliarer Tuberkel. Ein solches Konglomerat
findet sich auch in der Mitte des Pens an der V. basilaris. Die Hirnrinde
ist blaß, die Seitenventrikel sind dilatiert, besonders der linke, mit reich-
licher seröser, leicht getrübter Flüssigkeit gefüllt. Die Plexus chorioidei
enthalten zahlreiche submiliare Tuberkel. Inmitten der rechten Hälfte des
Pons findet sich ein halblinsengroßer Solitärtuberkel. Der rechte Sinus
sigmoideus ist vom unteren Knie bis zum Bulbus mit Jodoformgaze gefüllt,
neben der an den Sinus Wandungen vereinzelte Fibringerlnnsel sitzen. Der
obere Abschnitt des Sinus zeigt zunächst die bei der Operation erwähnte
Wandverklebung, die sich jedoch nicht als Obliteration erweist, sondern
32 lY. GROSSMANN
ziemlich leicht lösen läßt. Weiterhin ist das Sinuslumen, sowie das Emis-
sarium mastoideum, mit hellgelber, trockener, k&siger Masse gefallt, die im
Zentrum weicher ist als an der Peripherie, wo sie sich von der Gefäßwand
nicht trennen läßt. Die gleiche , eigentümliche käsige Masse erfallt auch
den Querblutleiter und zwar bis nahe zum Torcular, wo sie mit ziemlich
scharfer Grenze in einen dunkelroten, der Sinuswand nicht sehr fest adhä-
renten Thrombus übergeht, der direkt am Konfluens endet und zirka iV^cm
lauff ist. Die käsigen Massen schimmern schon von außen gelb durch die
Gefäßwand hindurch und erfüllen den Sinus so prall, daß derselbe wurst-
artig vorspringt und förmliche Einschnürungen zwischen locker und fest
gestopften Abschnitten aufweist (vgl. Abbildung I).
Die übrigen Sinus sind mit dunklem, flüssigen Blut gefüllt. Die rechte
Vena jugularis ist leer, während im Bulbus sich an den Wänden vereinzelte
Fibringerinnsel und Reste käsiger Masse finden.
Herz: Frei im Herzbeutel, von der Größe der Faust Klappen zart,
intakt. Nirgends Tuberkel.
Lungen. Die linke Lunge ist. an der Spitze adhärent. Letztere ist
narbig eingezogen und enthält mehrere erbsengroße, mit Kalk gefüllte Hohl-
räume. Die Pleura costalis zeigt beiderseits vereinzelte submiliare Tuberkel.
Die Unterlappen sind beiderseits sehr blutreich. Auf Durchschnitten zeigen
beide Lungen zahlreiche submiliare Tuberkel. Der Lungenhilus weist beider-
seits geschwollene, jedoch nicht verkäste Lymphdrüsen auf.
Milz: Derb, nicht vergrößert , zeigt vereinzelte submiliare Tuberkel,
an der Oberfläche wie auf dem Querschnitt.
Nieren: Die linke Niere weist spärliche, die rechte zahlreiche
Tuberkel in der Rinde auf.
Leber : Am vorderen Leberrand findet sich ein haselnußgroßer, käsiger
ELUoten.
Diagnose: Otitis media purulenta chronica duplex; Arachnitis tuber-
culosa; Thrombophlebitis caseosa sinus transversi deztri ; Tub. sollt, pontis ;
Tuberculosis miliaris pulmonum, lienis, renum; Tuberculosis caseosa hepatis.
Die mikroskopische Untersnchung des thrombosierten
Sinns ergibt nun folgenden interessanten Befand: Schon bei
Betrachtnng der gefärbten Schnitte mit bloßem Auge zeigt sich
nämlich, daß das Sinnslumen aus 3 Abteilungen besteht, einer
großen und zwei kleineren (vgl. Abbildung IIA). Bei mittlerer
und starker Vergrößerung sieht man, daß diese Abteilungen durch
zwei Septen bedingt sind, deren kleineres nur von Granulations-
gewebe gebildet wird, während das größere, wenigstens in beiden
peripheren Dritteln, eine zentral liegende Bindegewebsschicht
aufweist, die sich von dem mittleren Abschnitt der Sinuswand
her hineinerstreckt.
Betrachten wir letztere selbst, so zeigen sich die beiden
äußeren Drittel, die bei einer Venenwand der Adventitia und
Media entsprechen würden, von ziemlich normalem AussehcD.
Während die äußere Schicht aus sich vielfach kreuzenden Binde-
gewebsfasern besteht und viele Gefäße enthält, ist die mittlere
gefäßarm und zeigt mehr parallel verlaufende Bindegewebsfasern,
vermischt mit zahlreichen elastischen Fasern. Von der Norm
abweichend ist nur ein etwas größerer Kernreichtum, der be-
sonders stark nach der obenerwähnten Mittelzone des größeren
über Sinusphlebitis tubdrculosa. 33
Septum hin wird. (Vgl. Abbildung IIB.) Gftnzlioh in Grann-
lationsgewebe umgewandelt ist nun die der Venenintima ent-
spreobende innere Schicht der Sinuswand. Von irgendwelcher
Fasemng, sei es bindegewebige, sei es elastische, ist hier nichts
mehr zn schauen. Man sieht nur eine breite Zone kleinzelliger
Infiltration bezw. Proliferation, die jedoch nicht gleichmäßig stark
ist. Vielmehr zeigen sich hin und wieder besonders dichte Herde
mit epithelioiden Zellen, Langhansschen Riesenzellen, und
zentralem Eernschwund als Zeichen beginnender Verkäsung, also
typische kleinste Tuberkel. Doch sieht man Kiesenzellen und
epithelioide Zellen auch ohne bestimmte Gruppierung.
Das Granulationsgewebe der Intima geht nun in die den
Hauptteil des Schnittes darstellende, wie schon erwähnt in drei
Abteilungen geschiedene Käsemasse über und zwar stellenweise
ganz unvermittelt, an anderen Stellen dagegen erst nach Bildung
ziemlich umfangreicher, mehrfach geteilter Erhebungen, die sich
ganz allmählich in der immer strukturloser werdenden Masse
des Zentrum verlieren. Fast sieht es aus, als wären noch
mehrere Septen in Entstehung begriffen gewesen, denn mehrfach
liegen sich die beschriebenen Erhebungen so gegenfiber , daß sie
sieh bei einem weiteren Wachstum, ohne Einbeziehung in die
Nekrobiose, erreicht haben würden, und dann war ja die Scheide-
wand fertig!
Die käsigen Massen sind am Kande von scholligem Gefüge,
stellenweise auch zu bizarren Balken angeordnet, während das
Zentrum eine mehr feinkörnige, hier und da mit Eerndetritus
durchsetzte Substanz bildet! — Tuberkelbazillen finden sich
äußerst spärlich und zwar nur ganz vereinzelt in den Lang-
hansschen Biesenzellen.
Wie ist nun der Prozeß am Sinus aufzufassen? Vergegen-
wärtigen wir uns den Sektionsbefund, der an der linken Lungen-
spitze ausgeheilte tuberkulöse Herde aufdeckte, so ist es höchst
wahrscheinlich, daß die ursprüngliche, durch Scharlach bedingte
Mittelohreiterung auf dem Wege der Blut- oder Lymphbahn
bezw. von der Tube her tuberkulös infiziert wurde. Gerade
am Warzenfortsatz sind nun weiterhin die Bedingungen ftlr einen
Einbruch der tuberkulösen Herde in die Gefäße, wie sie Benda^
formuliert, in besonders klassischer Weise gegeben, denn der
1) C. Ben da, Über akute Miliartuberkulose. Yerhandl. der Berliner
med. Gesellschaft. 1899. S. 259.
AichiT f. OhrenheUknnde. LXI. Bd. 3
34 IV. GROSSMANN
Blutdruck im Sinus ist ein geringer, der außerhalb des G-efäßes
belegene Granulations- oder Eäseherd ist durch eine feste Kapsel
umschlossen, und parietale Thrombosen, ohne die es beim Durch-
brach zu einer Blutung kommen würde, sind erfahrungsgemäß
gerade am Sinus nicht selten.
In unserem Falle lag, wie erinnerlich, die bei der Operation
aufgedeckte Durchbrachsstelle 1 cm oberhalb des unteren Knies
und war fast erbsengroß! An ihrem oberen Rand war äußere
und innere Sinuswand verklebt, während bulbuswärts sich zer-
fallene käsige Massen fanden. Peripherw&*ts war der Sinus
prall gefällt Und doch fanden wir 5 Tage darauf, bei der
Sektion, bis fast zum Torkular käsigen Thrombus, die Jugularis
dagegen leer! —
Als Ursache der fortschreitenden Thrombose hat ans das
Mikroskop eine Erkrankung der Sinuswand gezeigt, die sich
jedoch nur auf die Innenschioht der letzteren erstreckte, während
an der Durehbruchsstelle doch sicher eine von außen nach innen
vordringende Entzündung der ganzen Sinuswand bestanden
haben muß. Da es sich nicht um eine eitrige Entzündung,
sondern um einen tuberkulösen Prozeß handelte, lag auch kein
Anlaß zur puriformen Schmelzung des Thrombus vor; es trat
vielmehr die für Tuberkulose charakteristische regressive Meta-
morphose, die Yerkäsung, ein, die dem ganzen Befund sohon
makroskopisch sein charakteristisches Aussehen gab.
Der Thrombus wurde von den tuberkulösen Granulationen
den Produkten der Endophlebitis tuberculosa proliferans, die ja
erst den Grund zur Blutgerinnung gebildet hatten, durehwaehsen,
in mehrere Abschnitte geteilt, also förmlich „tuberkulös organi-
siert*', bis schließlich das gleiche Schicksal beide Thrombus-
komponenten ereilte, die Verkäsung, welche freilich die be-
schriebenen Septen, zum Teil wenigstens, noch verschont hat.
— Da die Jugularis frei war, stand einer Verschleppung der
zerfallenden Käsemassen in die allgemeine Zirkulation, der
Entwicklung einer Miliartuberkulose, nichts im Wege, doch muß
man es angesichts des spärlichen Bazillenbefundes dahingestellt
sein lassen, ob wirklich der Einbruch in den Sinus die alleinige
Ursache zur Allgemeininfektion war; die Lungenvenen waren
zwar intakt, doch ist der Ductus thoracicus nicht untersucht
worden. — Gleichwohl ist unser Fall für die Frage der Ent-
stehung der Gefaßtuberkulose, mithin auch der Miliartuberkulose,
von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit, war es doch hier
über Sinasphlebitis tubercalosa. 35
zum erstenmal möglich, einen intra ritam durch Operation er-
haltenen Befund, nach klinischer Beobachtung durch die Sektion
zu kontrollieren!
Zunächst haben wir ganz unzweifelhaft festgestellt, daß ein
tuberkulöser Prozeß von außen nach innen, nicht umgekehrt,
in ein großes Geftß eingedrungen ist, daß eine Einbruchsstelle
durch Arrosion des Gef&ßes seitens eines extravaskulären Herdes,
^anz im Sinne Weigerts^) und Huguenins^) entstanden ist,
«ine Form, die Benda (1* oO Ar ziemlich selten hält, da er sie
in 19 Fällen von Miliartuberkulose nie gesehen hat. Selbst über-
zeugte Anhänger der Ben da sehen Theorie werden, so glaube
ich wenigstens, unseren Fall nicht als eine Infektion der Sinus-
intima auf dem Blutwege, als solitäre Metastase mit Durohbrnch
nach außen, auffassen; das hieße doch den Tatsachen zu sehr
Oewalt antun!
Wir haben weiterhin gesehen, wie schnell sich der Prozeß
in der Venenwand peripherwärts ausgebreitet hat, denn die
Durchbruchsstelle entspricht doch sicher dem ältesten Teil der
Wanderkrankung. Während nach der Ausräumung des Bulbus
die Jugularis frei blieb, kroch die tuberkulöse Entzflndung von
der Stelle der Verklebung aus in der Sinuswand weiter, zu immer
ausgedehnterer Thrombose Anlaß gebend. Aber nicht die ganze
Wand des Blutleiters erkrankte, vielmehr war es nur seine
innerste Schicht, die affiziert wurde ; es bestand eine Endangitis
tuberculosa (proliferans), die gerade von Benda als StQtze seiner
Anschauung betrachtet wird. Wenn aber dieser Autor annimmt,
daß der Durchbruch einer käsigen Entzündung von außen ohne
spezifische Miterkrankung der Oefäßintima erfolgt, und es nur
als „möglich^' bezeichnet, daß, entsprechend der Anschauung
Weigerts, unter Umständen auch die Ein Wucherung eines
extravasculären Herdes statt eines unmittelbaren Durchbruchs in
den Blutstrom zunächst nur eine Endangitis tuberculosa erzeugen
könnte, so sieht er diese Möglichkeit durch unsere Beobachtung
realisiert. Die ausschließliche Erkrankung der innersten Sinus-
wand spricht also nicht für ein Fortschreiten des Prozesses von
innen nach außen! Wir machen ja bei den eitrigen otitischen
Sinusthrombosen leider oft ganz analoge Beobachtungen. Wie
1) Weigert, Vircbows Archiv. 77. S. 277 u. 88. S. 307: Über Venen-
tuberkel und ihre Beziehungen zur tuberkulösen Blatinfektion.
2) Huguenin, Ober die Yerbreitungs weise des Miliartuberkels im
Körper. Eorresp. -Blatt für Schweizer Ärzte. 1876. S. 362.
86 IV. GROSSMANN
häufig schreitet nieht die Thrombose, naeh ansoheinender Ent-
fernmig alles Kranken, weiter vor und zwar infolge Fortkriechens
der Entzündung in der Sinuswand; auch hier mit Vorliebe in
deren innerster Schicht and dem Blutstrom entgegengesetzt!
Man braucht also gar nicht, wie Weigert, anzunehmen, daß
es statt eines unmittelbaren Durchbruchs zunächst zur Ent-
wicklung einer Endangitis kommt, sondern kann sagen: Trotz
eines Durchbruchs in den Blntstrom kann es noch (gleichzeitig
oder weiterhin) zu einer Endangitis kommen!
Die tuberkulöse Erkrankung des Sinus tranversus ist bisher
sehr selten beobachtet worden. Zwar hatte schon y. Tröltsoh
(Virchows Archiv, Bd. XVII, S. 79, 1859 und Lehrbuch, 3. Auf-
lage, S. 337, 1867) die noch in demselben Jahre von Buhl (Wien,
med. Wochenschr. 1859, S. 195) positiv beantwortete Frage auf-
geworfen, ob nicht manche Formen von rasch beginnender und
rapid verlaufender Tuberkulose auf eine Infektion des Blutes,
von irgendeinem Eiterherde ausgehend, zurflckgeführt werden
könnten, und gerade das Mittelohr fftr besonders geeignet er-
klärt, als Infektionsherd zu dienen, doch sind bisher nur 5 Fälle
von Sinusphlebitis tuberculosa in der Literatur niedergelegt,
während die Arrosion der Carotis interna weit häufiger be-
schrieben ist.
In der otiatrischen Literatur sind sogar nur 4 Fälle ver-
zeichnet, und zwar je einer von Habermann, Eossei, Piffl und
Barnick, während ein f&nfter. Hart mann zugeschriebener (vgl.
Jacobson und Blau, Lehrbuch, 3. Auflage, 1902, S. 488 : Durch-
bruch eines tuberkelbazillenhaltigen Cholesteatoms in den Sinus
transversus) , mit dem von Kossei identisch ist, wie mir Herr
Prof. Hart mann auf eine schriftliche Anfrage bestätigte. —
Dagegen ist es mir gelungen, einen in unseren Lehrbtlohern
noch nicht erwähnten Fall von Hauser, der freilich in bezug
auf die Beteiligung des Mittelohres nicht ganz klar ist, zu eruieren,
so daß die Gesamtkasuistik jetzt 6 Beobachtungen umfaßt. Bei
der Seltenheit des Befundes sei es mir gestattet, das Wichtigste
der tlberdies an nicht jedem zugänglicher Stelle erschienenen,
früheren Befunde zu referieren.
Fall 1. J. Habermann: Neue Beiträge zur pathologischen
Anatomie der Tuberkulose des Gehörorgans. Ztsohr. für Heil-
kunde. IX. S. 131. 1888. Fall 8: 28jähriger Bildhauer, dessen
Sektion folgendes ergab : Tuberculosis chronica pulmonum, glan-
dularum lymphaticarum, colli et peribronehialium, hepatis, renum
Ober Sinasphlebitis taberculosa. 37
et intestini ilei. Caries taberoalosa ossis petrosi dextri. — ^Die
vordere Wand des Sinus sigmoidens ist verdickt, and sind in
ihm braunrote Blatgerinnsel zu sehen, die an der vorderen Wand
fester anhaften. Ebenso sind die Wände der Carotis in ihrem
Verlauf durch das Schläfenbein verdickt, und das Lumen der
Carotis dadurch stark verengt. Mikroskopisch fanden sieh ein-
zelne miliare Tuberkel in der Adventitia der Carotis, zahlreiche
in der Wand des Sinus sigmoideus, in dem die Tuberculose
schon bis zur Intima vorgedrungen war. Tuberkelbazillen fanden
sich meist nur in spärlicher Anzahl überall in den erkrankten
Geweben.
Fall 2. H. Eossei: Über disseminierte Tuberkulose.
Charitö-Annalen. Bd. XVII. S. 835. 1892. In das Institut Air
Infektionskrankheiten wird am 3. Dezember 1891 ein 28jähriger
Schmiedegeselle mit Phthisis pulmonum aufgenommen. Am
4. Januar 1892 wird eitriger Ausfluß aus dem rechten Ohr be-
merkt, doch finden sich keine Tnberkelbazillen in ersterem. Am
5. Febr. Exitus. Sektion am selben Tage: ^Beim Aufschneiden
des rechten Sinus transversns zeigt sich ein frischer roter Throm-
bus, welcher der Wand adhäriert, ohne jedoch das Lumefi voll-
ständig auszufüllen. Im weiteren Verlauf des Sinus transversus
durch die Fossa sigmoidea besteht der Thrombus aus gelben,
bröckligen Massen, die sich bis in die Vena jngularis fortsetzen.
Die Oberfläche der Enochenrinne, in welcher der Sinus durch
die Fossa sigmoidea verläuft, ist rauh, die Wand des Sinus ist
von käsigem Detritus umgeben. Ungefähr in der Mitte der Fossa
sigmoidea liegt der Sinus einer mit käsigen Massen gefüllten,
kleinhaselnußgroßen Höhle mit kariösen Wandungen auf. —
Das Mittelohr ist mit übelriechendem Eiter gefüllt, seine Wan-
dungen sind rauh, das Trommelfell ist zerstört. Das Mittelohr
kommuniziert mit dem kariösen Herd im Felsenbein. — Der
Sinusthrombus erwies sich bei der mikroskopischen Untersuchung
als aus käsigem Detritus bestehend. Er enthält zahlreiche Tu-
berkelbazillen, besonders an der Stelle, wo der Thrombus der
kariösen Stelle im Knochen aufliegt, außerdem auch zahlreiche
Kokken (Staphylokokken) und Stäbchen. Auch im Thrombus
der Vena jugularis finden sich zahlreiche Tuberkelbazillen. Im
Mittelohreiter sind spärlich Tuberkelbazillen vorhanden, aber
massenhaft . kleine Stäbchen, die sich in Plattenkulturen als
Bacillus pyooyaneus erweisen.*'
Lungen, Leber, Milz, Nieren enthalten zahlreiche Tuberkel.
38 IV. GROSSMANN
Es handelt sieh also, so sehließt Eossei, in dem vor-
liegenden Fall um eine alte Lungentuberkulose, welohe mit
einer tuberkulösen Erkrankung des Mittelohrs kompliziert war.
Die letztere hat allmählioh die Wandungen des Mittelohres zer-
stört und zur Bildung eines kariösen Herdes in der unmittel-
baren Nähe eines Hirnsinus gef&hrt. Von diesem Herd hat der
tuberkulöse Prozeß auf die Wand des Sinus übergegriffen und
zur Thrombenbildung Veranlassung gegeben. Nach Zerstörung
der Sinuswand sind die Tuberkelbazillen und die übrigen Bak-
terien in den Thrombus hineingewuehert und sind von dem
Yorüberfließenden Blutstrom durch den ganzen Körper ge-
schwemmt worden. Duroh Apposition immer neuer Massen hat
sieh dann der Thrombus zu der beschriebenen Ausdehnung ver-
größert und den Bazillen seheinbar als guter Nährboden ge-
dient. Bemerkenswert ist, daß es nicht zur Entwicklung einer
tödlich verlaufenden Septikämie gekommen ist, obwohl auch
pyogene Bakterien in den Blutkreislauf gelangt sein müssen.
Fall 3. 0. Piffl, Otitis tubereulosa mit tumorartiger Pro-
tuberanz in die Sehädelhöhle. Ztschr. f. Heilkunde. XX. S. 471.
1899. — 55jähriger Sattler. Betrachtete man die Schläfenbein-
pyramide von oben und hinten, so daß man die obere und die
hintere Fläche derselben zugleich übersehen konnte, so machte
es den Eindruck, als ob die „Tumormasse*^ durch die ganze
Basis der Pyramide hindurchgewuchert wäre, und daß dieselbe
nur durch den Ansatz des Tentorium cerebelli in zwei Teile
geteilt worden sei, deren einer auf der oberen^ deren zweiter
auf der hinteren Fläche der Pyramide lag. In toto schien der
„Tumor^ nahezu Hühnereigröße zu besitzen. — Der Sinus sig-
moideus war in dem gewucherten Gewebe nur an der Über-
gangsstelle desselben in den Sinus transversus mit Sicherheit zu
erkennen. — Man sah daselbst auf dem Durchschnitte deutlieh
die Venenwand, das Lumen jedoch vollständig obliteriert durch
derbes, mit den Wänden verwachsenes Gewebe. In seinem Ver-
laufe nach abwärts war der Sinus in der Gewebswucherung
nicht mehr zu isolieren, der Bulbus venae jugularis war eben-
falls total obliteriert, aber als solcher noch kenntlich. In der
Carotis interna, deren Lumen infolge Verdickung der Wand ver-
engt zu sein schien, lag ein frisches Blutgerinnsel.
Mikroskopische Untersuchung: Eingeschlossen in das
Granulationsgewebe fanden sieh in großer Anzahl miliare Tu-
berkel, vielfach zu großen Komplexen konfluiert. Das Zentrum
über SlnuBphlebitis tubercolosa. 89
solcher Herde erschien durch vorgeschrittene Verkäsang oft
nahezu strukturlos. Riesenzellen waren überall in großer An-
zahl vorhanden, ebenso fanden sich bei entsprechender Färbung
vielfach Tuberkelbazillen. Die Tuberkel hatten sämtlich epi-
thelioide Struktur. Am Bulbus venae jngularis war die GefSElß-
wand entzündet und verdickt, das Gefäß selbst thrombosiert.
Die Carotis interna bot bei ihrem Eintritt in den Carotiskanal
bis auf Entzfindungserscheinungen in ihrer Umgebung mikro-
skopisch normales Verhalten dar; an der Austrittsstelle aus dem
Kanal traten miliare Tuberkel bis an die Gefäßwand heran,
auch war die Arterienwand selbst zellig infiltriert.
Fall 4. 0. Barnick, Die tuberkulösen Erkrankungen des
Gehörorgans. Haugs klinische Vorträge. Bd. III. Heft 4. 1899.
S. 146. Leni P., 44jährige Wärterin. Links chronische tuber-
kulöse Mittelohreiterung mit Facialislähmung. Am 23. Juni 1898
Badikaloperation : An einer umschriebenen Stelle ist der Sinus
sigmoideus freiliegend, seine häutige Wand mit Granulationen
bedeckt. Am 20. September 1898 Exitus: Meningitis, Epen-
dymitis purulenta. Abscessus lobi temporal, sinistri. Garies ossis
petros. sin. tubero. Tbc. miliaris pulmonum. Der linke Sinus
sigmoideus ist in seiner ganzen Länge durch einen fest anhaf-
tenden Thrombus verschlossen, im rechten dunkle Blutgerinnsel.
Histologische Untersuchung: In den Wandungen der
Carotis konnten keine miliaren Knötchen nachgewiesen werden,
wohl aber in der häutigen Wand des thrombosierten Sinus
sigmoideus.
Fall 5. G.Haus er. Über einen Fall von perforierender
Tuberkulose der platten Schädelknochen. Areh. f. kliq» Med.
Bd. 40, S. 267, 1887. Die Sektion einer 51jährigen Tabak-
arbeiterin, deren Krankengeschichte von den Ohren nichts aus-
sagt, ergab folgenden Befund: Zahlreiche tuberkulöse Knochen-
abszesse und Granulationsherde des Schädels mit mehrfacher
Perforation des Schädeldaches. Zahlreiche tuberkulöse Granu-
lationsherde der Dura mater mit Übergreifen auf die weichen
Häute und das Gehirn, und Durchhruch in den rechten Quer-
sinus. Leichte chronisch-hämorrhagisohe Pachymeningitis. Em-
bolische Miliartuberkulose beider Lungen, pneumonische In-
filtrationen beider Unterlappen. Verwachsung der rechten
Langenspitze. Embolische Miliartuberkulose der Leber und
der beiden Nieren. Käsiges Knötchen an der Serosa des Magens.
Auszug aus dem Sektionsprotokoll. Oberhalb des
40 IV. 6R0S3MANK
reehten Ohres und über dem linken Soheitelbein die Eopfhant
ebenfalls sehr deutlieh in ziemlieh großem Umfange gesehwnlst-
formig emporgehoben und diese Stellen etwas fluktnierend sieh
anfühlend. — Die Dura der Sehädelbasis fleckig injiziert ; gerade
über dem Toroular Herophili eine etwa pfennigstüokgroße
Stelle mit weichen, granrötliehen , käsigen Enötehen ein-
schließenden, geschwulstfärmig erhabenen Granulationen bedeckt,
welche jedoch die Wand des Torcular nicht durchbrechen, auch
nirgends mit einem Enochenabszeß in Verbindung stehen. Ganz
ähnliche, ebenfalls mit dem Enochen nicht im Zusammenhang
stehende Granttlationsmassen befinden sich über dem vorderen
Teil des rechten Quersinus, welche aber die Sinuswand durch-
setzen und in der Form eines wandständigen, etwa 1 cm langen
Thrombus den oberen Teil der Innenfläche des Quersinus aus-
kleiden und dessen Lumen fast völlig ausfüllen. Sonst ist die
Innenfläche des rechten Quersinus normal, und enthält derselbe
im hinteren Teil ziemlich reichlich flüssiges ßlut, vor der dnroh
die Granulationen verengten Stelle spärliches Cruor- und Fibrin-
gerinnsel. Linker Quersinus mäßig mit flüssigem Blut gefüllt,
ganz normal.
Mikroskopische Untersuchung: Das Granulations-
gewebe, welches sich vom Enochen kontinuierlich auf die Dura
mater fortsetzt, ist ungemein reich an Bundzellen und von zahl-
reichen kleinen, oft zu größeren Enötehen konfluierenden
Herden durchsetzt, welche in ihrem Innern meist spärliche, in
ihrer nächsten Umgebung dagegen oft sehr zahlreiche Tuberkel >
bazillen enthalten. Da, wo diese Granulationsmassen auf die
Dura übergreifen und dieselbe durchsetzen, ist die Struktur der
letzteren völlig verwischt. Man sieht fast überall ein sehr kern-
reiches Bindegewebe, welches allenthalben sehr reichlich klein-
zellig infiltriert ist und oft auf größere Strecken hin samt dem
zelligen Infiltrate keine Eernfärbung mehr annimmt. Sehr
häufig findet man, zwischen die Faserzüge des Bindegewebes
gelagert, und diese förmlich auseinander drängend, rundliche,
ovale, oder auch unregelmäßiger gestaltete kleiue Zellennester,
welche aus etwas größeren, vielgestaltigen, oft epithelioiden
Zellen bestehen; die größeren derselben enthalten nicht selten
mehrere, 3 — 4, Eerne, ohne daß es aber zur Bildung eigentlicher
Biesenzellen käme. Häufig sind diese Zellnester ebenfalls be-
reits der käsigen Metamorphose verfallen; dann sieht man in
solchen Stellen kernlose Schollen und körnige Detritusmassen,
Archiv f. Ohrenheilkunde Bd.LXI.
Fiy.l
käsigen
Vertag von ITCWVogel in Leipzig
Ijlh^mt vZ ATunlteTip ig
ArdiivEOhrenheakunde Bd. UCL
Archiv f. OhrenheiDamde
ii
*>>j^
über Sinasphlebitis tubercnlosa. 41
welche nicht selten von einer Zone noch lebender Zellen oder
von stärker zellig infiltriertem Gewebe umgeben sind.
Die in das Lumen des rechten Quersinus hereingewucherten
Oranulationsmassen zeigen durchaus das oben geschilderte Ver-
halten; auch hier ist die Dura, d. h. die Wand des Sinus, völlig
in dem tuberkulösen Granulationsgewebe untergegangen, so daß
letzteres unmittelbar von dem im Quersinus noch strömenden
Blute bespült werden mußte. Beichliohe Tuberkelbazillen, teils
zwischen, teils in den Zellen.
Pathogenese: Am Schädeldaohe haben die tuberkulösen
Granulationen von der Diplo^* ihren Ausgangspunkt genommen
und haben unter stetiger Zunahme von hier aus das Schädeldach
nach außen oder nach innen, oder nach beiden Seiten hin durch-
brochen. Durch Perforation der inneren Tafel griff der tuber-
kulöse Prozeß durch Eontiguität auf die Dura über und von
hier aus wieder auf die weichen Häute, ja selbst bis auf die
Hirnrinde. Dadurch aber war gleichzeitig eine Verschleppung
der Bazillen im Subduralranm ermöglicht, welche die vom
Knochen unabhängigen Erkrankungsherde an der Dura zur
Folge hatten, deren einer eben in den rechten Quersinus durch-
gebrochen ist und somit die allgemeine tuberkulöse Infektion
veranlaßte.
Nach Haus er wäre also diese Sinusphlebitis tubercnlosa
nicht otitischen üi-sprungs; doch ist hervorzuheben, daß die
Ohren gar nicht untersucht zu sein scheinen. Es ist doch auf-
fällig, daß oberhalb des rechten Ohres ein subperiostaler Abszeß
bestand und gerade der rechte Querblutleiter erkrankt war.
Der makroskopisch intakte Knochen des Sulcus bietet doch, wie
unsere sonstigen Erfahrungen lehren, keinen Beweis gegen die
Annahme einer Ohreiterung als Ursache der Sinuserkrankung.
Wie off; fahrt nicht makroskopisch ganz gesund aussehender
Knochen zu pathologisch veränderter Dura oder Sinuswand, zu
extraduralen und extrasinuösen Abszessen!
Zum Schluß der Kasuistik muß ich noch hinzufügen, daß
schon im Handbuch der Kinderkrankheiten von E. Barthez und
P. ßilliet (1856, Bd. III, S. 713. Übersetzt von E. B. Hagen)
folgender Passus vorkommt: „Die tuberkulöse Entzündung des
Felsenbeines kann sich zuweilen auf die Wände der Sinus aus-
breiten. Wir selbst haben keine derartigen Fälle beobachtet,
allein vielleicht untersuchten wir die Veränderungen der Gefäß-
kanäle, welche zum kranken Felsenbein gingen, nicht genau
42 IV. GROSSMANN
genug. James Bruce hat mehrere Beispiele dieser Koinzidens»
yeröffentlieht (Recherches sur la phlöbite des sinus veieux de la
dnre-möre k la snite de Fotorrh^e. London medio. Gaz. Jan. 1840
u. Archives, Mai 1841 p. 67)*'.
Leider war mir die Arbeit von Brnce nicht zugänglich^
während der wahrscheinlich überhaupt erste Fall von Sinus-
phlebitis tuberoulosa, den Tonnelä (Archives gänerales de me-
decine, T. 19 de la 1' S^rie 1829, p. 610) als spontane Entzün-
dung des Sinus anflihrt, so ungenau beobachtet ist, daß er nicht
verwertet werden kann.
Vergleichen wir nun die sechs beschriebenen Fälle mitein-
ander, so ähnelt die Beobachtung Eosseis unserer eigenen am
meisten. Nur fand sich hier die ausgedehnte Erkrankung der
Intima, ohne daß bereits letztere durchbrochen war; die aus-
gedehnte Thrombose konnte also nur eine Folge der Wanderkran-
kung sein, eine weitere glänzende Bestätigung ftlr die Richtig-
keit der Ansicht Weigerts gegenüber Ben da. Nur wenn
Eossei sagt: ,,Durch Apposition immer neuer Massen hat sich
dann der Thrombus zu der beschriebenen Ausdehnung ver-
größert**, kann ich ihm nicht ganz beipflichten. Richtiger wäre
wohl: ,,Durch die fortschreitende Erkrankung der Sinusintima
vergrößerte sich der Thrombus zu der beschriebenen Ausdehnung;
durch Apposition wurde dann die Thrombose zu einer obturieren-
den.'^ Freilich sehen wir in dem Falle Habermanns schon
ein rotes adhärentes Gerinnsel entstanden, ala die Erkrankung
erst bis zur Intima vorgedrungen war, doch tritt eine völlige
Verstopfung des Sinus und eine Verkäsung des Inhalts erst ein,
wenn die Intima selbst, zu tuberkulösen Granulationen umge-
wandelt, das Sinuslumen vereugt, in mehrere Abschnitte teilt
(wie bei unserer Beobachtung), und schließlich samt Gruor und
Fibrinauflagerungen der regressiven Metamorphose, der Ver-
käsung, verfällt. Die Thrombosierung und Verkäsung reicht so
weit, wie die Erkrankung der Intima, nicht umgekehrt. Nur die
fortschreitende Wanderkrankung bewirkt eine Propagation der
Thrombose, und gelänge es gleich zu Anfang des Prozesses, die
erkrankte Sinuswand zu exzidieren, so würde auch die Throm-
bose zum Stillstand kommen.
Der Ausgang der Thrombophlebitis tuberkulosa scheint je-
doch nicht immer VerkäsuDg zu sein, wie der Fall Piff Is zeigt,
wo das Sinuslumen durch derbes^ mit den Wänden verwachsenes
über Sinasphlebitis tabercolosa. 43
Gewebe vollstftndig obliteriert war. Es war hier also der tuber-
kalöse Prozeß mehr iu den Hintergrund getreten, and ein End-
ergebnis vorhanden, das Yöllig der bindegewebigen Organisation
eines blanden Thrombus entsprach. Die Septenbildung in un-
serem Fall wäre einem Beginn dieser Organisation zu ver-
gleichen. — Freilich ist es auch möglich, daß bei Fiffl nur der
Bulbus venae jugularis tuberkulös erkrankt war, im Sinus da-
gegen eine organisierte Eompressionsthrombose vorlag. •
Tuberkelbazillen fanden sich in 3 Fällen reichlich, in Hab er-
mann s und unserem eigenen nur spärlich. — Miliartuberkulose
fand sich viermal, also in ^/3 der Beobachtungen, ein Prozent-
satz, der ja eigentlich nicht anders zu erwarten war.
Nach Strümpell ist in ca. der Hälfte derf'äUe die Miliar-
tuberkulose kompliziert mit Meningitis tuberculosa. Bei unseren
vier Allgemeininfektionen fand sie sich nur einmal, und zwar
bei unserer Patientin. Wo eine Meningitis vorhanden ist, ver-
deckt sie in der Regel die übrigen Symptome. Fehlt sie, so
wh-d die Diagnose der Miliartuberkulose meist zu stellen sein,
und dann muß man auch stets an eine eventuelle Erkrankung
des Sinus als Ursache der Allgemeininfektion denken. Helfen
wnd man freilich kaum noch können , doch ist immerhin der
Fall möglich, daß^ wie bei Pyämie, ein nicht zu sehr geschwäch-
ter Organismus, nach Ausschaltung des Herdes am Sinus, der
tuberkulösen Infektion noch Herr wird.
Zum Schluß sei noch auf den Befund Kossels hingewiesen,
der neben Tuberkelbazillen auch Staphylokokken und Pyocyaneus
im Thrombus fand und als bemerkenswert hervorhebt, daß es
nicht zur Entwicklung einer tödlich verlaufenden Septikämie ge-
kommen ist.
So gut nun das Zustandekommen einer Mischinfektion denk-
bar wäre, die sich klinisch, neben den Symptomen der Miliar-
tuberkulose, wohl durch Schüttelfröste markieren würde, so gut
kann natürlich als dritte Möglichkeit eine gewöhnliche eitrige
Sinnsthrombose bei einem Tuberkulösen entstehen, wie dies in
der Tat schon vonBrieger (Verhandlungen der deutschen oto-
logisehen Gesellschaft, Breslau 1901) beobachtet worden ist.
V.
Sitzungsbericht der Abteilung Ohrenheilkunde der 75. Ver-
sammlnng deutscher Naturforscher und Ärzte in Kassel
vom 20.— 26. September 1903.
Erstattet von
Priyatdozent Dr. €r« Alexander,
Assistent der UntTersitftts-Ohronlclinik in Wien.
Einftlhreiide : Dr. ErnstHauptmann (Kassel),
Dr. Wilhelm Westrum (Kassel).
Schriftführer: Dr. Julius Frankenstein (Kassel),
Dr. Karl Zulauf (Kassel).
Anwesenheitsliste.
1. Alexander, Wien. 2. Barth, Frankfurt a.O. 3. Blau, Görlitz.
4. Bresgen, Wiesbaden. 5. Flatau, Berlin. 6. Frese, HaUe a. S.
7. Frankenstein, Kassel. 8. Gradenigo, Turin. 9. Grunert, Halle aS.
10. Hanim, Braunschweig. 11. Hauptmann, Kassel. 12. Kleyen-
steuber, Kassel. 13. Konietzko, Halle a. S. 14. Kugler, Schweidnitz.
15. Legien, Lyck O.-Pr. 16. L entert, Gießen. 17. Löwe, Berlin.
18. Mende, Kiel. 19. Mollison, Würzburg. 20. Ostmann, Marburg.
21. Quix, Utrecht. 22. Schmidt, Odessa. 23. Warnecke, Berlin.
24. Watsuji, Kioto. 25. Westram, Kassel. 26. Witzel, Bonn. 27. Zu-
lauf, Kassel.
I. Sitzung
vom Montag, 21. September, Nachmittags 3 Uhr.
Vorsitzender: Prof. Dr. Grunert (Halle a. S.).
1. Ansprache des ersten Einführenden, Dr. Ernst Haupt-
mann (Kassel).
2. Grunert (Halle a. S.) : Einige Ergebnisse der pathologisch-
anatomischen Forschung im Gebiete des Mittelohres während des
letzten Jahrzehntes mit Eückblicken auf die Praxis.
3. Konietzko (Halle a. S.): Ein Fall von Otitis media
diphtheritica.
4. Alexander (Wien): Zur Chirurgie der Vena jugularis
interna.
75. Yersammlong deutscher Naturforscher und Ärzte in Kassel. 45
n. Sitzung
vom Dienstag, 22. September, Vormittags 9 Uhr.
Vorsitzender: Prof. Dr. Gradenigo (Turin).
5. Alexander (Wien) f&r Hofrat Politzer: Zur Technik
der Epidermis-Transplantation naeh Totalaufmeißelung.
6. Alexander (Wien): Demonstration neuer otologisoher
Instrumente.
7. L entert (Gießen): Schwierigkeiten der Begutachtung
von Verletzungen bei mißglückter instrumenteller Fremdkörper-
Extraktion aus dem Gehörgang.
8. Loewe (Berlin): Zur Chirurgie der Nase.
III. Sitzung
vom Dienstag, 22. September, Nachmittags 3 Uhr.
Vorsitzender: Prof. Dr. L entert (Gießen).
9. Alexander (Wien): Zur Pathologie und pathologischen
Histologie der Ohrerkrankungen bei Leukämie, mit Demon-
stration von Präparaten.
10. Warnecke (Hannover): Demonstration otologischer In-
strumente und Apparate.
11. Blau (Görlitz): Über den Angriffspunkt der Salizylsäure
im Gehörorgan.
IV. Sitzung
vom Mittwoch, 23. September, Nachmittags 3 Uhr.
Vorsitzender: Prof. Dr. Ostmann (Marburg).
12. Ostmann (Marburg) : Die praktische Anwendung meines
objektiven Hörmaßes.
13. Alexander (Wien): Entwicklung und Bau des inneren
Gehörorgans von Echidna aculeata mit Demonstration von Platten-
modellen und histologischen Präparaten.
14. Watsuji (Kioto): Über die Verteilung der elastischen
Fasern im Gehörorgan.
1. Der Einftthrende begrüßt die Versammlung, wirft einen
Kflckblick auf die, vor 25 Jahren gleichfalls in Kassel abgehal-
tene 50. Naturforscherversammlung und konstatiert mit Be-
friedigung die derzeit wesentlich reichere Beteiligung der Fach-
kollegen. Bezold (München), Bürkner (Göttingen), Hart-
mann (Berlin), Lucae (Berlin), Wittmaack (Leipzig) haben
ihr Fembleiben schriftlich entschuldigt.
2. Grunert bespricht zuerst die Ergebnisse der bakteriolo-
46 V. ALEXANDER
gisohen Forschung mit ihrer praktischen Nutzbarmachung für
Prophylaxe, Therapie und Prognose der Otitiden. Im Anschluß
an die Ergebnisse der anatomischen Forschung über die Säug-
lingsotitis betont er die therapeutische Sonderstellung dieser
Otitisformen. Was die Beziehungen zwischen Mittelohr und All-
gemeinmedizin anbetrifft, so betont er vor allem die Beziehungen
zwischen Ohr und Diabetes, sowie ihre praktischen Schlußfolge-
rungen. Von der Bezeichnung „Cholesteatom^ will er die so-
genannten GehörgangS'Gbolesteatome, die Cholesteatome in Ohr-
polypen und die Epithelperlen des Trommelfells ausgeschlossen
haben. Er hält die jetzt herrschende Einteilung der Ohrcholeste-
atome nicht f&r richtig und schlägt folgende Einteilung vor:
a) die intrauterin angelegten Cholesteatome, entstanden durch
Absprengung von Plattenepithel in der embryonalen Entwick-
lungsperiode (primäre Cholesteatome); b) die extrauterincD,
durch Ohreiterung erworbenen. Hierzu gehören: 1. die Haber-
mann sehen Cholesteatome: Einwanderung von Epidermis des
Gehörgangs oder der Umgebung des Ohres in das eiternde Mittel-
ohr auf dem Wege von Perforationen, resp. Fisteln; 2. die
L entert sehen Cholesteatome, die eine Mittelstellung einnehmen
zwischen Tumoren und den Hab er mann sehen Cholesteatomen,
insofern als sie echte Retentionszysten sind, entstanden auf dem
Boden von Plattenepithel, welches in das Mittelohr hinein-
gewachsen ist. — Zum Schluß wird eingehend das anatomische
Gesamtbild besprochen, welches sich auf Grund der Forschungs-
ergebnisse des letzten Jahrzehnts zurzeit von der Otosklerose
zeichnen läßt. Grunert betont, daß ein grundsätzlicher Wandel
unserer theoretischen Anschauung durch die Arbeit dieses Zeit-
abschnittes gerade auf diesem Gebiete angebahnt ist und zeigt,
daß die Therapie hinter den Fortschritten unserer theoretischen
Erkenntnis zurückgeblieben ist (Autoreferat).
Diskussion:
Alexander: die Unklarheit in der Begrenzung des klinischen
Begriffes der Otosklerose ist hauptsächlich dadurch herbeigeführt
worden, daß man verschiedene Ausgangsformen katarrhalischer
und eitriger Mittelohrerkrankungen, die nichts anderes als Ad-
häsivprozesse darstellen, noch unter die Otosklerose gefaßt hat.
Grunert hält den Politzerschen Ausdruck „Capsulitis^
für zu eng gefaßt, weil die charakteristischen, von Politzer
zuerst beschriebenen und in ihrer Bedeutung gewürdigten
75. Versammlung deutscher^ Naturforscher und Ärzte in Kassel. 47
Enoehenveränderungen auoh außerhalb des Bereiches der
Labyrinthkapsel yorkommen.
Lentert: Die von dem Vorredner vertretene Auffassung, daß
die sogenannte Mittelohrsklerose yielleicfat auf syphilitischer Basis
entstehe, halte ich für unhaltbar. Es würde alsdann nicht zu ver-
stehen sein, warum diese Erkrankung das weibliche Geschlecht
häufiger befällt als das männliche. Weiterhin müßte die Sklerose
in denjenigen Ländern am häufigsten sein, in welchen die Lues
häufiger und schwerer auftritt. Davon ist jedoch nichts bekannt.
In Hessen ist die Syphilis nach gesprächsweiser Mitteilung von
Kollegen eine relativ seltene Erkrankung, die Sklerose ist jedoch
in der Gießener Poliklinik mindenstens ebenso häufig wie in Halle
und Königsberg.
In letzterer Stadt machte ich eine Beobachtung, welche ich
seither wiederholt, wenn auch natürlich nicht konstant, machen
konnte 9 und welche vielleicht eine kurze Erwähnung verdient.
Bei einer Patientin war von einem Kollegen einige Jahre
vor meiner Niederlassung in K. die Hammer- Amboßextraktion
wegen Sklerose auf dem schlechter hörenden Ohre vorgenommen
worden. Es bestand seit dieser Zeit eine Eiterung auf diesem
Ohr, während das andere keine entzündlichen Veränderungen
aufwies. Die Patientin war nunmehr auf dem früheren besseren
Ohre sprachtaub, hörte aber laute Umgangssprache auf dem
eiternden Ohr. Durch Massage mit dem Sieg leschen Trichter
(der Steigbügel lag frei) ließ sich das Hörvermögen noch etwas
bessern, so daß die gewöhnliche Umgangssprache ziemlich gut
verstanden wurde. Seither sah ich, wie gesagt, mehrere Fälle,
wo bei vorhandener beiderseitiger Sklerose dasjenige Ohr das
bessere geblieben war, welches Eiter absonderte. Vielleicht hat
der durch die Entzündung bedingte vermehrte Blutzufluß zum Ohr
Einfluß auf diese auffallende Erscheinung gehabt. (Autoreferat.)
Alexander bemerkt gegenüber Grunert, daß Politzer
den Ausdruck Capsulitis nie gebraucht hat und auch derzeit
nicht verwendet. Die pathologisch-anatomischen Veränderungen
bei der Otosklerose bestehen in einer Knochenneubildung in der
Labyrinthkapsel, durch welche der alte Knochen verdrängt wird.
In Ausnahmsfällen können derartige Veränderungen auch an
anderen Stellen als in der Labyrinthkapsel beobachtet werden;
doch müssen in diesen Fällen außerdem auch stets Veränderungen
m der Labyrinthkapsel selbst vorhanden sein. Über die Natur
der ersten Veränderungen ist nicht volle Klarheit vorhanden,
48 V. ALEXANDER
doch igt sohon nach dem klinisehen Verlauf im Beginn der Er-
krankung für manche Fälle ein entzündlich-exsudativer Prozeß
nicht auszuschließen.
Zur Mitteilung Leuterts bemerkt Alexander, daß Besse-
rungen des Hörvermögens bei Otosklerose bei Eintreten eitriger
Mittelohrentzflndung nicht selten beobachtet werden, stets jedoch
nur vorübergehend sind, und sieh nach abgelaufener Eiterung
bald wieder das alte Hörvermögen einstellt. Diese Tatsachen
sind speziell zu betonen, da ja bedauerlicherweise bereits von
verschiedenen Autoren angeregt worden ist, bei Otosklerose zu
therapeutischen Zwecken künstlich Mittelohreiterung zu erzeugen,
wovon ja in Anbetracht der Gefährlichkeit einer derartigen
„Therapie^ nur dringend abgeraten werden kann.
3. Eonietzko:
Bei einem 18 Jahre alten Mädchen, welches einige Tage
an Ohrensausen gelitten hatte, stellte sieh plötzlich, ohne daß
Schmerzempfindung vorher aufgetreten wäre, eitriger Ausfluß aus
dem rechten Ohre ein. Bei der Untersuchung wurde noch leichte
Mandelentzündung mit punktförmigem Belage und geringe Tem-
peraturerhöhung festgestellt. Diagnose: rechts akuter eitriger
Katarrh, links akute Entzündung, außerdem Tonsillitis follicularis»
unter Temperatursteigerung und heftigen Schmerzen trat dann,
zuerst rechstseitige, dann auch linksseitige Facialislähmung auf.
Bei der Lufteinblasnng durch den Katheter wurde rechts dnrch
die Ferforationsöffnung im Trommelfell eine gelbliche Membran
herausgepreßt, eine ebensolche einige Tage später durch die
Schnittöffnung im Trommelfell des linken Ohres , woselbst die
Parazentese gemacht werden mußte. Die bakteriologische Unter-
suchung kleiner Fartikelchen dieser letzteren Membran und des
Eiters ergab, nach dem Bericht aus dem hygienischen Institut,
das Vorhandensein von Staphylokokken, Streptokokken und
L ö f f 1 e r sehe Diphtheriebazillen ; die mikroskopische Untersuchung
eines Membranstüekehens: Fibrinnetz mit eingestreuten weißen
und roten Blutkörperchen, Fibrinschollen, Granulationsgewebe^
Detritus, dabei zahlreiche Staphylokokken und Streptokokken.
Nach Injektion von Behrings Diphtherieserum Nr. II trat auf-
fallende Besserung des Allgemeinbefindens und Fieberlosigkeit
auf. Die Membran lockerte sich allmählich, während der Ausfluß
profuser wurde. Links, woselbst die Parazentese gemacht worden
war, erfolgte nach einigen Wochen Yernarbung der Schnittöffnung»
Die Therapie bestand anfangs in Einträuf lung von Kalkwasser
75. VersammloDg deutscher Naturforscher und Ärzte in Kassel. 49
und EatbeterisatioQ , später Dnrchspülung mit steriler physio-
logiseher Eocbsalzlösnng, ferner in elektrischer Behandlung der
Facialisparese.
Obgleich der punktförmige Belag auf den Mandeln bei der
Feststellung der Membranen im Mittelohr bereits geschwunden
war, somit eine bakteriologische Untersuchung desselben nicht
ansgeflihrt werden konnte, ist anzunehmen, daß die anfangs
für Tonsill. foUicul. gehaltene Mandelentzündung diphtherischer
Natur war, und daß zugleich beim Auftreten oder im Inkubations-
stadium derselben, die anfangs wohl nur einfache, nicht spezi-
fische, akzidentelle Mittelohrerkrankung später durch Invasion
von Diphtheriebazillen auf dem Wege der Tube zur spezifischen
diphtheritischen Erkrankung der Mittelohrsebleimhaut mit Bildung
von Pseudomembranen wurde, (Autoreferat,)
Betreffs der bakteriologischen Befunde hebt Eonietzko
noch hervor, daß die akzidentellen Mikroorganismen den L5f fle r-
sehen Diphtheriebacillus bald flberwuchert haben, und daß des-
halb die spezifischen Diphtheriebazillen nur im ersten Stadium
der Erkrankung nachgewiesen seien, ebenso wie die durch Ein-
wirkung derselben auf die Schleimhaut sich bildenden spezifisch-
diphtheritischen Pseudomembranen,
Diskussion:
Leutert vermißt die Angabe^ ob von der Kultur auch eine
Uberimpfung auf Tiere stattgefunden hat, und lehnt, falls dies
nicht geschehen wäre, den Fall als Fall von Diphtherie der
Paukenhöhle ab, da eine ganze Beihe von, den Diphtherie-
bazillen ähnlichen Mikroorganismen existiert und nur der Aus-
fall des Tierexperimentes die ersteren genau unterscheiden läßt.
Alexander schließt sich vollkommen der Ansicht Leuterts
an und verlangt, daß die Diagnose Diphtheriebazillen in dem be-
treffenden Falle auf der Grundlage des Tierexperimentes gestellt
worden sei.
Grunert bemerkt, daß die bakteriologische Untersuchung
in dem von Eonietzko berichteten Falle am hygienischen In-
stitute zu Halle ausgeführt worden ist, das Institut die Diagnose
Diphtheriebazillen gestellt hat und die Verantwortung, auf welchem
Wege das Institut zur Diagnose gelangte, selbstverständlich dem-
selben überlassen werden muß.
4. Alexander betont die Wichtigkeit der Drainage des
peripheren Jugularisendes in Fällen von Sinus- oder Jugularis-
AichiT f. Ohrenlieilkusde LXI. Bd. 4
60 V. ALEXANDER
thrombose und schlägt als typisohe Versorgang des peripheren
Endes das Einnähen des offen gehaltenen Gefäßrohres in den
oberen Winkel des Hautsehnittes am Halse, d. h. die Anlegung
einer Jugnlaris-Hantfistel vor. In denjenigen Fällen, in welchen
in der Jngnlaris bei der Freilegung und Eröffnung am Halse
kein strömendes Blut gefunden wird, könne die Fistel sofort an-
gelegt werden, sonst 2 — 4 Tage nach der ersten Operation. (Die
Arbeit erscheint ausf&hrlich in diesem Arohiv.)
Diskussion:
Leutert fragt an, ob Alexander diesen Vorschlag, den
er für sehr bemerkenswert hält, theoretisch meint oder ihn schon
genügend praktisch erprobt hat, besonders rüoksichtlich der Zu-
verlässigkeit der Draina^p^;:^ >^ MfiT^N^
G-runertist der Mc^^|i>ig9j^4lf^^^ Jugularis wieder
zu eröffnen, eine alte/ifipL Neu von Alexafl^u- ist t. die prinzi-
pielle Anlegung diesfer Ju|illetfiAr4iMie ift jedem Falle und
2. die Technik der iCTsftlhruni^^r DraiMJjfe (Vernähen des
Jugularislumens in dieNSij^^.]^ Grunzt protestiert gegen die
Meinung, nun mit der Anfegrmg^dCT OTgtel alles Menschenmög-
liche getan zu haben. Bei den anderen Methoden der Drainage
(Drain, lockerer Streifen) versagt die Drainage zuweilen dadurch,
daß das Venenlumen sich wieder schließt, in anderen Fällen
wieder verbietet die Schwere der Infektion sich mit diesen
Dingen aufzuhalten und nötigt, direkt den Bulbus operativ an-
zugreifen. Alexander ist den Beweis schuldig, daß seine
Methode mehr leistet, als die alten, d. h. daß sie ein Wieder-
verlegen des Venenlumens verhindert und daß sie weitere ope-
rative Eingriffe am Bulbus fiberflüssigmacht. Solange Alexan-
der diesen Beweis nicht erbracht, hältOrunert das Alexan-
der sehe Verfahren — trotz der neuen guten Idee, die es enthält —
f&r überflüssig. Für nicht unbedenklich hält er es, weil es dazu
verleiten kann, nun weiterhin die Hände in den Schoß zu legen
(Autoreferat).
Auf die Anfrage des Herrn Leutert erwidert Alexander,
daß die von ihm vorgeschlagene Versorgung des oberen Jugularis-
endes an der Wiener Ohrenklinik bisher in etwa 15 Fällen ge-
übt worden ist und daß sie stets das, was man von ihr er-
wartete, d. h. die Drainage des peripheren Jugularisstückes
erfällt hat. Er verweist im übrigen auf die demnächst er-
seheinende ausführliche Publikation, welche auch die Kranken-
75. Venammlung deutscher Natorfoncher and Ärzte in Kassel. 51
gesehiohte der Fälle enthält. Selbstvergtändlieh könne die er-
zielte Heilung, die ja gerade bei den otogenen Pjämlen vou so
vielen Umständen abhängt, nieht als Gradmesser Ar die Verwert-
barkeit einer Operationsmethode angesehen werden, ja es lieB
sieh gerade in den letal verlaufenden Fällen bei der Sektion
der Kachweis führen, daß durch die £innähung des peripheren
Jugalarisstttekes, wie Alexander sie angegeben hat, voll-
kommene Drainage erfolgt war.
Gegenüber Grüne rt verweist Alexander auf seinen
Vortrag, in welchem er die Momente, durch welche die von
ihm angegebene Methode von der sekundären Schlitzung des
Gef&ßrohres und von der alten Methode der Durchspülung der
Jugalaris unterschieden wird, genügend hervorgehoben hat.
Alexander liegt selbstverständlich die Meinung ferne, daB mit
der Anlegung seinet jugularishautfistel „alles^ getan sei. Er
hat im Gegenteil in seinem Vortrags klar selbst darauf hin-
gewiesen, wie wichtig es ist, bei otogener Pyämie die Operation
auf den Erkranküngsherd in ganzeni- Umfang auszudehnen.
Andererseits ist gewiß zu: erwarten, daß bei der guten Drainage
des Bulbus durch die von Alexander angegebene Jugularis-
hautfistel in einzelnen Fällen eine Bulbusfreilegung erspart
werden kann. — Von einem „die Hände in den Schoß legen^
war von selten Alexanders nirgends die Rede. Die Meinung
Grnnerts, die Anlegung der Fistel sei nicht unbedenklich,
entbehrt vollkommen der Begründung, da ja tatsächlich diese
Versorgung des peripheren Jngnlarisendes nur Vorteile und
keinerlei Nachteile bringen kann, und ist daher abzulehnen.
Die Drainage erscheint dadurch gesichert, daß das offene Lumen
durch Nähte oberflächlich fixiert ist. Der Einwand, die
Schwere der Infektion könne in manchen Fällen die Vernähung
aus Zeitmangel verbieten, ist wohl sehr gesucht, da doch, ge-
nttgende technische Sicherheit vorausgesetzt, der ganze Eingriff
in 1 — 3 Minuten besorgt ist.
5. Alexander demonstriert für Hofrat Politzer die von
letzterem vor kurzer Zeit angegebenen Glasröhrchen zur Haut-
transplantation nach Badikaloperation. Zur Transplantation,' die
jeweilig 6 — 20 Tage nach der Totalaufmeißelung ausgeflihrt
wurde, eignen sich nur Fälle mit total angeheiltem Körner-
Plastiklappen und geschlossener retroaurikulärer Wunde. Die
Operationshöhle soll nur wenig sezernieren und vollkommen von
Granulationen gedeckt sein. Einige Stunden vor der Trans-
4*
52 V. ALEXANDER
plantation wird die Radikaloperationshöhle mit sterilem Wasser
gespült und mit 6proz. Hydrogeninm hyperoxydatnm gereinigt^
sodann mit steriler Gaze gefüllt Die T hier seh- Lappen werden
mit nach der Glaswand gekehrter Epidermisflftehe auf die Glas-
kugel aufgelegt und sodann an die za deckende Wundfläohe an-
geblasen. Die Böhrohen laufen zu diesem Behufs an ihrem Ende
in einen von einer Anzahl von Lückelcben durchbohrten Kolben aus.
Das Anblasen wird mittelst eines angesetzten Schlauches und
Gummiballons besorgt. Der Lappen wird durch kleine sterile
Wattebausch eben in seiner Lage erhalten. In gelungenen Fällen
erscheint der Lappen mit seiner Unterlage nach 4 Tagen voll-
kommen verklebt, nach welcher Zeit der erste Verbandwechsel
vorgenommen wird. Die Böhrchen werden in verschiedener
Große von der Firma Wojtasek in Wien, IX, Frankgasse 2, er-
zeugt und können von dort bezogen werden.
Diskussion:
Leutert meint, daß die Plastik mit zungenförmigem Lappen
Körner mit Unrecht zugeschrieben wird, nachdem Körner darin
lediglich eine Modifikation der Fanseschen Plastik angegeben hat.
Alexander bemerkt, daß an der Wiener Klinik die Plastik
mit zungenförmigem Lappen als Körn er sehe Plastik angesehen
wird, und hält diese Bezeichnung nach der vorliegenden Lite-
ratur für berechtigt. Als P an sesche Plastik ist die Plastik mit
zwei Lappen nach Türfiügelschnitt zu bezeichnen.
6. Alexander demonstriert ferner 1. ein von ihm angegebenes
Besteck zur Lumbalpunktion, 2. eine aseptische Ohrspritze, bei
welcher sämtliche Gewinde durch Flächenkontakte mit Bajonett-
verschluß ersetzt sind, 3. Kassetten aus Stabilit zur Sterilisation
und Aufbewahrung gebrauchsfertiger Wattetupfer (die demon-
strierten Instrumente sind von der Firma Beiner in Wien zu be-
ziehen).
7. Leutert (Gießen): Schwierigkeiten bei der Be-
gutachtung von Verletzungen bei mißglückten Fremd-
körperextraktionsversuchen. Erseheint ausführlich in
diesem Arohiv.
Diskussion:
Alexander: In der von dem betreffenden Arzte angewen-
deten „Methode*' ist wohl gleich der volle Beweis des Kunst-
fehlers, der mangelnden Kenntnis der pPremdkörperextraktion
gelegen, da jemandem, der auch nur ein einziges Mal eine Ohren-
75. Yersammlang deutscher Natarforscher und Ärzte in Kassel. &3
klinik besacht hat, es nioht beifallen kann, einen Fremdkörper
ohne Seflektor mit einer Haarnadel entfernen zn wollen. Die
Anleitungen, die Politzer hinsichtlich des Vorganges bei der
Fremdkörperextraktion gegeben hat, sind vollkommen klar und
lassen fKr irgendeinen Fall, selbst fQr einen Fernerstehenden,
keinen Zweifel in der Technik aufkommen. Zuerst ist, von
wenigen Ausnahmefällen abgesehen, stets der Versuch zu machen,
den Fremdkörper durch Ausspritzen zu entfernen, doch kann
man, besonders wenn schon früher mißglückte Extraktionsver-
suche gemacht worden sind, der Entfernung mit Instrumenten,
besonders mit stumpfen und spitzen Häkchen, kleinen Löffeln,
Sondea usw. nicht entraten. Auch besteht ja h&ufig genug die
Indikation, den Fremdkörper in der ersten Sitzung zu entfernen.
Den von L entert berichteten, sehr interessanten Fall anlangend,
spricht sich Alexander dahin aus, daß es sich wohl um ein
Rezidiv einer abgelaufenen Eiterung gehandelt habe, da nur von
einer wenige Tage dauernden Otorrhöe berichtet wird, eine
persistente Perforation aber nur von einer foudroyant verlaufenden
akuten Otitis abgeleitet werden könnte. Auch das Abfließen des
Wassers durch die Tube spricht für einen chronischen Prozeß.
Loewe spricht sich für die Verwendung von Häkchen bei
Fremdkörperextraktionen aus.
Schmidt empfiehlt die Hartmannschen Instrumente zur
Extraktion der Fremdkörper und gibt an, fast stets ohne Nar-
kose auszukommen.
Gradenigo hält die in diesem Falle beschriebene Trommel-
fellperforation höchstwahrscheinlich für eine traumatische. Die
Toleranz des Kindes, als Leutert dasselbe zum ersten Male
untersuchte, spricht nicht gegen eine grobe Verletzung des
Trommelfells seitens des ersten Arztes. Es gibt eben, wie be-
kannt, Kinder, welche ganz gut schmerzhafte Eingriffe vertragen,
und solche, welche nicht einmal eine einfache Inspektion des
Ohres ohne Widerstand zulassen. Gerade die geringe Intensität
der Eiterung, das Abfließen der Spülflüssigkeit durch die Nase,
spricht nach Gradenigo für eine traumatische Trommelfell-
läsion. In solchen Fällen ist es auch wichtig, den Status des
anderen Ohres und des Nasenrachenraumes zu konstatieren.
Was das Verhalten des Arztes in derartigen Fällen von Fremd-
körperextraktionen betrifft, so nimmt Gradenigo zwischen
Leutert und Alexander einen vermittelnden Standpunkt ein
und glaubt, wenn man nicht mit der Spritze den Fremdkörper
54 Y. ALEXANDER
bekommt, daß man ihn sehr leicht mit Instramenteo, besonders
in Narkose, heransbefordern kann, am besten mit einfachen
stampfen Haken« Bei Kindern h< er hierbei unbedingt die
Narkose fllr notwendig.
B res gen hält in dem Leatertschen Falle eine voraus-
gegangene Eiterung für wahrscheinlich und stützt sich auf einen ;
Fall eigener Beobachtung, in welchem ein 14 jähriger Junge nach
einer erhaltenen Ohrfeige gleichfalls füb&c eingetretene Ohreite-
rang klagte, dieselbe anfangs als traumatisch anerkannt wurde,
bis die genaue Anamnese und Untersachung eine jahrelang be-
stehende Otitis media nach Skarlatina nachwies.
Leutert spricht sich gegen die Ansicht Gradenigos aus
und meint, daß eine Otitis doch wohl auch bei ganz normalem
Ohre ohne Vorhandensein von Adenoiden bestehen könne. Er
bemerkt nachträglich, daß in seinem Falle eine Hörweite von
10 cm für Flüstersprache auf dem erkrankten Ohre bestand.
8. Loewe berichtet über seine, schon von früheren Kon-
gressen bekannten Methoden der Exenteration der Nase vom
Munde ans durch Abschlagen des harten Gaumens und über ein-
schlägige, während des letzten Jahres erfolgte „Verbesserungen^
dieser Methoden.
9. Der Vortragende bespricht zunächst eingehend die Lite-
ratur der leukämischen Ohrerkrankungen, die hierher gehörigen
grundlegenden Befunde von Politzer und geht sodann auf
die Besprechung seines eigenen Materials über, welches 15 kli-
nisch untersuchte und 12 klinisch und anatomisch untersuchte
Fälle von Leukämie umftißt. Das anatomische Material des
Vortragenden ist weitaus größer als das irgendeines Autors,
welches bisher für die interessante Frage der leukämischen
Ohrerkrankungen beigebracht worden ist, und nicht viel kleiner
als das ganze in der Literatur derzeit vorhandene Material. Die
anatomische Untersuchung erstreckt sich in fast allen Fällen
auf die makroskopische und histologische Untersuchung beider
Ijchörorgane, des Hörnerven und des Hirnstammes, die alle in
Serien (zum Teil in lückenloser Serie) geschnitten wurden.
Weiters wurden Organteile und Knochen von jedem einzelnen
der Fälle von Alexander selbst untersucht oder er hatte Ge-
legenheit, die letzteren an im pathologisch-anatomischen Institute
in Wien angefertigten Präparaten zu studieren.
Bezüglich der Technik sei erwähnt, daß zur Vermeidung
präparativer Verlagerungen im Bereiche des häutigen Labyrinths
75. Yenammlang deutscher Naturfoncher und Arzte in Kassel. 55
der Vortragende nach dem Vorschlag von Sohaffer in letzter
Zeit derart vorgegangen ist, daß er das frisch fixierte Präparat
in der gewöhnliehen Weise in Zeiloidin eingebettet nnd erst dann
in die Entkalknngsflttssigkeit gebraeht hat. Die letztere dringt
recht gut selbst dnrch einen relativ dicken Zelloidinmantel hin-
durch, nnd das Verfahren hat erstens den Vorteil, daß künstliche
Verlageningen der hantigen W&nde, wie sie sich besonders in-
folge der, der Entkalknng folgenden Auswaschung des Präpa-
rates und der schließlichen Nachh&rtnng ergeben, nahezu aus-
schlössen sind und daß andererseits höherprozentige Sfture«^
lösnngen (bis zu 12 Proz« Salpetersäure) ohne Schaden fbr das
Präparat bei der Entkalkung verwendet werden können, wodurch
sieh die Zeitdauer der Entkalkung erheblich verktlrzt.
Alexander unterscheidet folgende 3 Gruppen von Ver-
änderungen: 1. Histologische Veränderungen, welche durch
den mechanischen Einfluß der leukämischen Ohrerkrankung auf
das Gehörorgan bedingt sind. 2. Entzündliche Erscheinungen,
die entweder von vornherein leukämischer Natur sind, oder
wenigstens mit der leukämischen Ohrerkrankung in unmittel-
baren Zusammenhang gebracht werden können. 3. Sekundäre
Erkrankungen im Gehörorgan, die sich sowohl infolge der unter
1 und 2 genannten Erkrankungsformen als auch daraus ent-
wickeln, daß durch die leukämische Erkrankung des inneren
Ohres der anatomische (jchörapparat zum Teil oder vollständig
seine physiologische Funktion eingebüßt hat.
In die erste Gruppe gehören vor allem die Folgeerscheinungen
der inneren Ohrblutungen, soweit die letzteren Zerreißungen der
zarten, membranösen Wände nach sich ziehen können. Dabei
können die zerrissenen Teile entweder in relativ gutem Situs
sein oder sie finden sich hochgradig verlagert. Im letzten Falle
können einzelne Abschnitte vollständig zugrunde gehen und der
Resorption anheimfallen. Auch durch leukämische Infiltrate
können bedeutende gestaltliche Veränderungen der häutigen
Teile verursacht werden. So weist der Vortragende besonders
aaf einen Fall hin, in welchem durch leukämische Ansehwel-
lang des Ligamentum spirale das ganze endolymphatische Lumen
aufgehoben erscheint.
Kollaps endolymphatischer Räume wurde auch mehrmals
bei ausgedehnten perilymphatischen Hämorrhagien beobachtet. In
solehen Fällen kommt es zu einer völligen Aneinanderlagerung der
bäutigen Wände, und die hier und da übrigbleibenden spaltartigen.
56 y. ALEXANDER
endolymphatisohen Räume werden histologiseh von einem krüme-
ligen Exsndat erfUlIt gefunden. Die mechanischen Folgeerschei-
nungen der leukämischen Labyrintbhämorrhagien scheinen von
der Topographie der Blutung abzuhängen. Erfolgt die Blutung
lediglich in die perilymphatischen Räume, so kommt es zu einer
Kompression des häutigen Labyrinths, fast nie aber zu einer
Kontinuitätstrennung. Ergießt sich Blut in die peri- und endo-
lymphatischen Räume, so kommt es zur Zerreißung der mem-
branösen Wände. An vereinzelten derartigen Stellen aber wird er-
staunlicherweise das häutige Labyrinth in Kontinuität und Lage
vollständig normal getroffen. Anatomische Veränderungen, die im
wesentlichen in Verdrängung (Kompression), Zerklüftung oder
Zerreißung bestehen, finden sich auch im Nervus VIII und seinen
peripheren und zentralen G-anglien. Die weitgehendsten Ver-
änderungen wurden hier bei Blutungen im inneren Gehörgang
an den peripheren Asten des Nervus VIII gefunden.
Die entzündlichen Erscheinungen prägen sich größtenteils in
der leukämischen Infiltration des Weichteillabyrinths, der Nerven
und Ganglien aus. Nur selten kommt es zur Einschmelzung des
Gewebes und zur Bildung kleinster Verflüssigungsherde. Diese
werden zumeist am Ligamentum spirale und in dem massiven
Bindegewebspolster, welches die Pars inferior bekleidet, ange-
troffen.
Die groben sekundären Erscheinungen bestehen, wie be-
kannt, in Bindegewebs- und Knochenneubildung im Bereiche
des inneren Ohres und Ablagerung von Blutpigment. Für
dieses letztere müssen aber die Charaktere des Blntpigments
(schollige, große Elementarteile von gelb- bis rotbrauner Farbe,
in frischen Fällen positive Eisenreaktion) als Nachweis gefordert
werden, da selbst eine bedeutende Vermehrung des schon nor-
malerweise im Labyrinth vorkommenden, kleinen, körnigen,
dunkelbraunen Pigments, wie Alexander durch eigene Unter-
suchung festgestellt hat, noch nicht als pathologisch angesehen
werden kann. Neu sind die Befunde degenerativer Veränderungen,
die der Vortragende an den Nervenendstellen des Labyrinths,
den bindegewebigen Labyrinthabschnitten, den Ganglien und dem
Nervus VIII hat nachweisen können. Alle diese Degenerationen
wurden in Fällen, in welchen die Blutung, als auch in solchen,
in welchen die entzündlichen Veränderungen im Vordergrunde
stehen, gefunden und sind ätiologisch vornehmlich auf die einge-
tretene Funktionsstörung zurückzuführen. Im peripheren Labyrinth
75. Yersammlang deutscher Natarfoncher und Ärzte in Kassel. , 57
bandelt es sich hierbei vor allem um Schwund der Sinneszellen,
in Fftllen hochgradiger Degeneration um den Untergang der
Stfltzzellen und des Wandepithels, wobei sodann jedesmal ein
höheres Epithel durch ein niedriges ersetzt erscheint. So kann
es auf ausgedehnte Strecken hin zum Ersatz des Zylinderepithels
durch Plattenepithel kommen, und in dieser Region werden stellen-
weise degenerierte Zylinderepithelzellen angetroffen. Es ist aller-
dings vorderhand nicht zu beweisen, daß die Umformung der
Epithelzellen auch aus mechanischen Ursachen, etwa aus der Ein-
wirkung des Druckes des Coagulums folgend, aufgefaßt werden
kann. Im C ortischen Organ können die Pfeiler bei zugrunde ge-
gangenen Haarzellen noch vorhanden sein. Bei weitergehender
Degeneration (Atrophie) fehlen aber auch die Pfeiler, und es
kann zur Abflachung der Papilla basilaris, endlich zum voll-
ständigen Schwund derselben kommen. Die Crista spiralis
wird außerordentlich niedrig oder verflacht gänzlich. Das Innere
des Ligamentum spirale wird zum Teil oder ganz verflüssigt,
die Stria vascularis atrophiert. Die Veränderungen im Nerven-
ganglienapparat kombinieren sich aus der Degeneration und Atro-
phie der Fasern und Zellen. Anscheinend rein atrophische Ver-
änderungen sind selten zu beobachten, am ehesten im Ganglion
Spirale und in den regionären Nervenästen, wo nach dem histo-
logischen Bilde durch den Druck der umgebenden oder im
Nervenganglienteile selbst vorhandenen Coagula die Atrophie der
nervösen Elemente sich einzustellen scheint. Viel häufiger sind
die degenerativen Veränderungen, die zumeist mit leukämischer
Infiltration der degenerierten Partie verbunden sind. Bezüglich
dieser konnte Alexander in mehreren Fällen frische Degenera-
tionen im peripheren und zentralen Octavus nach der Marchi-
sohen Methode nachweisen. Es handelt sich dabei unter anderem
am Veränderungen, die mit Marehi vollkommen deutlich, da-
gegen bei Markscheidenfärbung nicht kenntlich sind.
Bringt man hinsichtlich der degenerativen Erkrankung die
einzelnen histologischen Abschnitte des peripheren Labyrinths
nnd Nervenganglienapparates in eine Reihe nach ihrer Verletz-
barkeit , so stehen die peripheren Sinneszellen (Haarzellen) in
den Nervenendstellen des Labyrinths obenan, die schon auf geringe
Beize der Umgebung mit degenerativem Schwund zu antworten
fleheinen. Diesen Zellen folgen die Nervenzellen. Minder leicht
verletzbar bieten sich die sonstigen Teile des membranösen
Labyrinths, sowie die Nervenfasern. Resistent erscheinen die
58 y. ALEXANDER
organisehen Anbangsgebilde aa den Nervenendstellen, die Oto-
lithenmembran , die Capnlae und die Cor tische Membran^
welche selbst bei totaler Atrophie der zagehörigen Nervenend-
stelle vollständig oder verhilltnismäßig gut erhalten angetroffen
werden.
Diskussion:
Leutert weist auf die Schwierigkeit hin, sich ohne Vor-
lage normaler Präparate an den demonstrierten Objekten zurecht-
zufinden und regt an, da man eigentlich so selten histologische
Präparate des inneren Ohres zu sehen bekomme, Alexander
solle auch einschlägige normale Präparate demonstrieren.
Alexander sagt dies für eine nächste Gelegenheit zu.
tO. Warnecke demonstriert 1 . eine Modifikation des L n c a e -
sehen Watteträgers für das Ohr, 2. dreikantige Attikussonden
für Wattearmierung, 3. ein Sichelmesser zur Durchtrennung von
Verwachsungen in der Trommelhöhle, 4. einen Evakuations-
apparat zur Behandlung von chronischen Mittelohrkatarrhen mit
Adhäsivprozessen , bezw. Sklerose, zur Anwendung vom Gehör-
gang; der Apparat wird elektrisch betrieben, 5. einen Apparat
zum Eatheterismus mit Kohlensäure und Sauerstoff, 6. ein Unter-
brechungsventil zur Unterbrechung des in die Tube eintretenden
Luftstromes beim Eatheterismus.
11. Auf Anregung des Dozenten Herrn Dr. Alexander, Wien^
habe ich in Ergänzung der Untersuchungen W.Wittmaacks über
den Angriffspunkt des Chinins am Gehörorgan Versuche ge-
macht, um die Wirkung der Salizylsäure festzustellen. Witt-
maaek hatte bewiesen, daß die Veränderung durch das Chinin
nicht, wie Kirchner durch seine Arbeit festzustellen versucht
hat, auf Blutungen in Pauke und Labyrinth beruhen, sondern auf
Veränderungen der Ganglienzellen (Gangl. spirale), die uns durch
die Nißlsche Färbungsmethode kenntlich werden. — Grunert
und Alexander haben ferner klargestellt, daß die Blutungen,
wie sie Kirchner fand, durch Traumen hervorgerufen werden
können und auf Snffokationserscheinungen zurüekzuf&hren sind.
Von mir wurden eine Beihe von Kaninchen und Meerschwein-
chen mit Natr. salicyl. vergiftet und nach dem nach V2 Stande
bis 8 Tagen erfolgten Tod in Serienschnitten untersucht und hier-
selbst Blutungen konstatiert, welche dagegen in einer nach Witt-
maacks Vorgang vergifteten größeren Anzahl von Kaninchen,
Meerschweinchen, weißen Mäusen und Tanzmäusen, die kurz ante
75. Versammlung deutseher Naiorforscber und Ärzte in Kassel. 59
exitnm dnreh Entbintiing bezw. Entblntung mit nachfolgender
Durohspttlnng des Gefäßsystems getötet wurden, fiberall ab-
solut fehlen. Es ist damit auch für die Salizylsäure der
Beweis erbracht, daß die durch dieselbe verursachten Ver-
änderungen nicht in Blutungen bestehen können.
Die Untersuchung der Ganglienzellen konnte erst mit einigen
Schnitten ausgeführt werden, welche ein Zusammengeballtsein
der Nißlkörperchen zeigten. Ausführliches folgt demnächst
(Autoreferat).
12. P. Ostmann, Marburg a. L., fährte nach einigen ein-
leitenden Worten seine Hörprüfungsmethode an einem schwer-
hörigen Knaben vor und erläuterte die Art und Weise, wie sein
objektives Hörmaß von einem schwerhörigen Arzte zu ver-
wenden ist. (Autoreferat.)
Diskussion: Quix (Utrecht) bezweifelt die grundsätzliche
Kiehtigkeit des Hörmaßes von Ost mann. Das Ostmannsche
Hörmaß hat die Voraussetzung, daß die Intensität des Schalles
dem Quadrate der Amplitude direkt proportional ist. Wie
aber Untersuchungen im physiologischen Institut zu Utrecht
ergeben haben, geht es nicht an, die pathologische Hörschärfe
auszudrücken durch die Amplitude, bezw. die Amplituden-
differenz, sondern der Maßstab f&r die Hörsohärfe muß stets
in der Intensität des Schalles, die allein den maßgebenden Beiz
fftr das Ohr darstellt, gefunden werden. Quix drückt die patho-
logische Hörschärfe in dem Mehrfachen der normalen Schallinten-
sität aus, das notwendig ist, um bei dem Betreffenden noch eine
Erregung des Gehörorgans auszulösen. Bei seinen eigenen Unter-
suchungen hat Quix die nach Graden igo armierten Stimm-
gabeln verwendet, die er bestens empfehlen kann.
13. Der Vortragende berichtet einleitend über Material und
Methode seiner an dem Semon sehen Echidnamaterial durch-
gefiihrten Untersuchung, welche alle vorhandenen Stadien von
Embryonen und Beuteljungen sowie auch die erwachsene
Eehidna umfaßt Das Material besteht aus insgesamt 38 voll-
ständigen Schnittserien von 17 verschiedenen Altersstufen. Ab-
gesehen von dem Interesse, welches in deskriptiver Hin-
sicht dem bisher nicht beschriebenen membranöseu Gehörorgan
jler Eehidna zukommt, gibt es eine Reihe von Fragen in der
Phylogenese des inneren Ohres, die völlige Entscheidung erst
au der Eehidna erfahren können. Hierher gehört die Mor-
phologie der Lagena, das Auftreten einer Nervenendstellenanlage
60 y. ALEXANDER
im Ductus reunienS) das Yorkommen einer Macula neglecta, der
Bau der Pars basilaris mit Rücksicht auf die in ihr enthaltenen
Nervenendstellen, die Verzweigungsweise des Nervus octavus
und Anordnung seiner Ganglien, das Vorkommen atypisch ge-
bauter Regionen in dem Labyrinthepithel und das Verhalten des
Labyrinthpigments.
Der Vortragende erörtert kurz alle diese Fragen und bespricht
eingehend die Formenentwicklung des Labyrinthes, die Entwick-
lung der Lagena bei Echidna und die Entwicklung des Sinus utri-
enlaris inferior mit der in ihm enthaltenen Macula neglecta,
die damit zum erstenmal an einem Sängetier nach-
gewiesenerscheint. Von Interesse ist auch die Verfolgung der
Entwicklung der Labyrinthkapsel, die von einer, an der lateralen
Fläche des häutigen Labyrinths gelegenen Enorpelschale aus-
geht. Beide Labyrinthfenster entstehen aus einer einzigen Lücke
in dem eben erwähnten Enorpelstücke, die durch eine -Binde-
gewebsplatte geschlossen ist. An den oberen Teil dieser Platte
legt sich der embryonale Stapes an, wodurch die Bindegewebs-
lage daselbst ein wenig gegen das Vestibulum konvex vorgedrängt
wird. Im unteren Teil erfahrt die Bindegewebsplatte eine be-
deutende Verdickung. Später wird diese Lücke durch Vor-
wachsen zweier Enorpelleisten, die schließlich miteinander zur
Vereinigung kommen, geteilt, und es resultiert eine hinten oben
gelegene Lücke, in welche der Stapes eingepflanzt ist (Fenestra
vestibuli) und das vorne unten gelegene Basilarfenster. Die
Membrana tympani secundaria, welche dieses letztere schließt,
geht aus der Dickenznnahme des unteren Abschnittes der ur-
sprünglichen Bindegewebslage hervor.
In der Formentwicklung, welche durch 12 Wachsplatten-
modelle des Echidnalabyrinths der verschiedenen Altersstufen
illustriert wird, entspricht das Echidnalabyrinth in manchen Ab-
schnitten im Bereiche der Pars superior dem höheren Säuger-
labyrinth. In der Pars inferior zeigt es sich dagegen von diesem
sehr verschieden y vor allem durch ausbleibende Entwicklung
des gewundenen Schneckenrohres, welches durch die schwach
nach aufwärts gekrümmte Pars basilaris ersetzt erscheint. An
die Pars basilaris ist als selbständiger Abschnitt die Lagena an-
geschlossen, die blind endet und eine besondere Nervenendstelle,
Macula lagenae, trägt. Entlang der ganzen Pars basilaris er-
streckt sich ein ausgedehntes Bindegewebslager, sowohl an der
peripheren als an der axialen Seite des häutigen Kanals. Das
57. Versammlang deutscher Natarforscher und Ärzte in Kassel. 61
axiale Bindegewebe tritt hierbei für die Lamina spiralis ossea
ein, welche aneh an der erwachsenen Echidna vollständig
fehlt.
Das innere Gehörorgan der erwachsenen Echidna umfaßt
8 isolierte Nervenendstellen: 3 Gristae ampnllares, Macula utriculi,
sacculi, lagenae, neglecta und Papilla basilaris, somit um zwei
Nervenendstellen (Macula lagenae und neglecta) mehr als die
höheren Säugetiere.
Der Vortragende erörtert weiters unter eingehender Wür-
digung der Literatur, daß, nachdem ursprünglich für die an
einigen Wirbeltierklassen gefundenen, zwischen Utriculus, Saccu-
las und unterer Ampulle gelegenen akzessorischen Nervenend-
stellen Setz ins den Namen Macula neglecta eingeführt hat,
derzeit bereits eine weitere Angabe nötig ist, da es sich, wenn
man die ganze Tierreihe untersucht, ergibt, daß nicht alle der-
artig gelegenen Nervenendstellen einander homolog sind.
Alezander schlägt diesbezüglich für die an der Echidna acu-
leata gefundene akzessorische Nervenendstelle den Namen Macula
neglecta ampuUaris vor, welcher Namen der Nervenendstelle so-
wohl nach ihrer Genese als auch nach ihrer topographischen
Lage im erwachsenen Echidnalabyrinth gebührt.
(Folgt Demonstration der Plattenmodelle und histologischen
Präparate.)
14. Der Vortragende hat die Gehörorgane verschiedener
Sänger, Vögel und älterer Kinder auf elastische Fasern nach
Weigert untersucht. Im Trommelfell finden sich elastische Fasern
unter der Schleimhaut- und Eoriumschicht und in der Substantia
propria derart, daß jedes Propriabündel eine Gruppe elastischer
Fasern enthält und von elastischen Faserzügen umgeben wird.
In der Membrana tympani secundaria finden sich, besonders bei
Vögeln, reichliche elastische Fasern. Besonders an der vestibulären
Seite der Membrana propria des sekundären Trommelfells finden
sich schön entwickelte elastische Fasernetze, die manchmal um-
fangreicher erscheinen als die elastischen Gewebe im eigentlichen
Trommelfell. Weiters findet Watsuji elastische Fasern in der
Membrana Incida der Bogengänge, an der Baphe, ausgedehnte
Netze an den Skalen, am Ligamentum spirale, besonders in
der Nähe des Knochens. In der knorpeligen Tube hat er ein
zirkulär um das Tubenlumen angeordnetes Fasernetz ange-
troffen.
62 V. ALEXANDER, 75. Yenamml. deuttcber Natorfoncher a. Ante.
Diskussion:
Alexander möchte dem Vortragenden in der weitgehen-
den physiologischen Verwertung seiner histologischen Befunde
nicht folgen, nachdem sich wiederholt gezeigt hat, daß selbst
sehr genaue histologische Bilder tfXr die Erklärung physiologischer
Tatsachen nur unvollkommen verwendbar sind und man hierbei
leicht Irrtümern unterliegt. Alexander fragt an, ob Watsuji
an seinen Präparaten eine besondere reaktive Färbung unter
dem Epithel des Sulcus spiralis externus gefunden hat, wobei
an die von den Zylinderzellen des genannten Sulcus ausgehen-
den, dendritisch verzweigten Zellfortsätze zu denken wäre, die
Retzius an jungen Tieren mit Silberimprägnation, Alexander
an jungen und erwachsenen Tieren wiederholt bei einfacher
Färbung mit Hämatoxylin hat nachweisen können.
Watsuji hat diese Fasern gesehen, kann aber ttber ihre
eventuelle elastische Natur nichts Sicheres anasagen.
VI.
Schwierigkeiten der Begutachtung von Verletzungen
bei missglückter Fremdkörpereztraktion ans dem änsseren
Gehörgang 0.
Von
Dr. Ernst Leutert, a. o. ProfeB9or, Gießen.
Schon Yalsalya war die außerordentliche Regenerations-
fähigkeit des zerrissenen Trommelfelles bekannt. Die in neuerer
Zeit häufig zu therapeutischen Zwecken vorgenommene Ent-
fernung der beiden äußeren Gehörknöchelchen sowie auch des
Steigbügels bei intaktem Trommelfelle, wobei letzteres in großer
Ausdehnung verletzt werden muß, hat ergeben, daß nach diesem
Eingriff fast stets eine vollkommene Regeneration des Trommel-
felles eintritt.
Wir haben uns infolge dieser Erfahrungen, wie mir scheint,
daran gewöhnt, wenigstens eine große persistente Trommelfell-
perforation als Folgezustand einer früher überstandenen chroni-
fiehen Mittelohreiterung zu betrachten. Es ist mir nicht bekannt,
daß die Frage, ob diese Auffassung berechtigt ist oder nicht,
biBher erörtert worden ist, und doch ist ihre Beantwortung im
positiven oder negativen Sinne bedeutungsvoll bei der Beurtei-
lung von Herabsetzung des Hörvermögens nach einem Unfall.
Von aktuellem Interesse kann die Beantwortung dieser Frage
event bei der Begutachtung mißglückter Fremdkörperextraktionen
ans dem äußeren Gehörgange werden. Der nachfolgende Fall
möge dieses illustrieren.
Gegen Ende des Jahres 1902 brachte mir ein Vater seinen
4jährigen Knaben mit der Angabe, dieser habe sich vor einigen
Tagen eine Erbse ins linke Ohr gesteckt. Der zugezogene Arzt
habe versucht, den Fremdkörper mit einer Haarnadel zu ent-
fernen, wobei das Ohr geblutet und das Kind Schmerzen gehabt
1) Vortrag, gebalten auf der Naturforscherversammlung zu Kagsel 1908.
64 VI. LEÜTERT
habe. Nachdem die Entfemnng der Erbse nieht gelungen sei^
schicke der Arzt den Knaben za mir.
Das rechte Trommelfell nnd das Hörvermögen waren nor-
mal. Keine adenoide Vegetationen.
Der linke Gehörgang war sta!^ versohwollen, am Eingang
lag etwas Blut und eine Spur eitriger Flüssigkeit. Ich spülte den
Gehörgang einmal mit steriler Kochsalzlösung unter geringem
Drucke aus ; trotzdem floß die Spülflfissigkeit in kontinuierlichem
Strahl durch das linke Nasenloch ab. Der Knabe ließ sich willig
behandeln. Da er keinerlei Beschwerden hatte, so legte ich
einen festen Verband an und bedeutete dem Vater, nach zirka
8 Tagen wiederzukommen, falls der Knabe schmerz- und fieber-
frei bleiben sollte, anderenfalls möge er ihn sofort wiederbringen.
Nach diesen 8 Tagen war der Gehörgang teilweise abgeschwol-
len, man konnte den Hammergriff, welcher an seiner Vorder-
fl&che vom Trommelfell entblößt war, erkennen, nicht aber die
Anwesenheit eines Fremdkörpers feststellen. Es bestand eine
sehr geringe Eiterung; der Knabe hatte weder Schmerzen noch
Fieber gehabt. Ich wartete abermals eine Woche ab, nach
welcher Zeit der Gehörgang völlig abgeschwollen war. Es ließ
sich nunmehr feststellen, daß ein runder Fremdkörper am Boden
der Pauke lag. Die untere Trommelfellhälfte schien ganz zu
fehlen, der yordere obere Trommelfellteil war vom Hammer ab-
gelöst, de« hintere obere Quadrant stand anscheinend noch in
Verbindung mit dem Hammer, dessen Lage nicht verändert er-
schien. Die Paukenschleimhaut war leicht gerötet, kaum ge*
schwollen.
Der Versuch, den Fremdkörper mit der Spritze zu entfernen,
wurde sofort aufgegeben, da die Kochsalzlösung wiederum im
Strahl durch das linke Nasenloch abfloß. Der Fremdkörper
wurde nunmehr in Narkose nach Ablösung der Ohrmuschel und
der hinteren häutigen Gehörgangswand leicht mit einer zu einem
Häkchen umgebogenen Sonde aus dünnem weichen Silberdraht
entfernt. Es war eine Erbse, die beiden Hälften mußten einzeln
herausbefördert werden.
Die geringe Eiterung bestand noch ca. 14 Tage. Der vor-
dere obere Trommelfellteil verwuchs wieder regelrecht mit dem
Hammergriff. Weiter regenerierte das Trommelfell jedoch nicht ;
es blieb eine große zentrale, fast nierenformige, jedoch etwas
höher in den hinteren oberen Trommelfellquadranten hinein-
reichende Perforation zurück. 3 Wochen nach der Operation
Begutachtung Ton Verletzungen bei mißglückter Fremdkörperextraktion. 65
wurde der Knabe geheilt entlassen, nachdem er im ganzen 8 mal
bei mir gewesen war. Er hörte leise Flüstersprache direkt bis
10 em; das Perzeptionsvermögen fßr Fis4 war mäßig, das für Gt
stark herabgesetzt. Nach einem Vierteljahr war das Hörrermögen
und der Trommelfellbefund unverändert.
Der Vater klagt nun gegea den Arzt anf Schadenersatz,
und ich bin aufgefordert, ein Gutachten darüber abzageben, ob
der Beklagte durch eine gegen die „Eunstregeln verstoßende
Behandlungsweise die Verletzung des Ohres des X. verursacht
habe".
Von Seiten des Klägers wird gerügt, daß der Beklagte den
Fremdkörper ohne Spiegel und mittelst eines ungeeigneten In-
strumentes (Haarnadel) zu entfernen versuchte.
Die Nichtanwendung des Spiegels, besonders bei gleich-
zeitiger Anwendung eines Instrumentes, entspricht sicherlich nicht
der Auffassung, welche wir Otologen über Untersuchung und
Behandlung eines Ohres haben. Aber es gibt zweifellos Fälle,
in welchen ein im äußeren Teile des Gehörganges liegender
Fremdkörper ohne Spiegel festgestellt und auch instrumenteil
entfernt werden kann. Es soll sogar Kollegen geben, welche
sich dessen als einer Kunst rühmen, daß sie Fremdkörper auch
ohne Spiegel Instrumenten aus dem Gehörgange entfernen
können. ,-.
So sehr ich nun persönlich geneigt bin, die Anwendim j^ eines
Instrumentes ohne Beflektor im vorliegenden Falle als einen
Kunstfehler zu bezeichnen, so glaube ich doch, daß mir bei der
Abgabe eines gerichtlichen Gutachtens die Berechtigung hierzu
mangelt, denn ich darf diesem nicht allein meine Auffassung zu-
grunde legen, sondern muß prüfen, ob der beklagte Arzt nicht
etwa auf Grund andersartiger Auffassung von Fachgenossen zu
seiner Behandlungsweise berechtigt war, oder sich wenigstens flir
berechtigt halten durfte.
Das letztere muß — ich kann nur sagen leider — bejaht
werden. So fehlt z.B. in dem Lehrbuche Urbantschitschs
Überhaupt der Hinweis auf die Anwendung des Beflektors bei
Fremdkörperextraktionen aus dem Gehörgang. Auch die Worte
Kflmmels in der Enzyklopädie der Ohrenheilkunde, daß alle in-
stmmentellen Maßnahmen (bei Fremdkörperextraktionen) nur
unter vollkommener Überwachung durch das Auge ausgeführt
werden dürfen, sind nicht bestimmt genug, als daß ein Arzt daraus
anf die Notwendigkeit der Anwendung des Spiegels schließen
AiGhiy f. Ohrenheilkunde. LXI. Bd. 5
66 VI. LEÜTERT
mflßte* Erst in dem im vorigen Jahr ersehienenen Handbnoh der
praktischen Chirurgie fordert Ettmmel bei der Besprechung der
instrnmentellen Fremdkörperentfernnng, daß „der Fremdkörper
unter Spiegelbeleuchtung dem Auge gut zugänglich gemacht
werden kann^. Vielleicht haben diese Autoren die Anwendung
des Spiegels ftir selbstyerst&ndlich gehalten, wiewohl auch
Hartmann, welcher in dem betreJBTenden Kapitel seines Lehr-
buches unter „Behandlung^ ebenfalls unterläßt, die Spiegel-
beleuchtung als notwendig zu fordern, während er einleitend her-
vorhebt, daß die Fremdkörper am gefährlichsten werden, wenn
Extraktionsversttche ohne Beleuchtung vorgenommen werden.
Dieser Mangel des Hinweises auf die Notwendigkeit der
Anwendung des Reflektors bei Fällen vorliegender Art in den
Schriften bekannter Ohrenärzte muß den Beklagten entlasten.
Als ein Eunstfehler könnte die Behandlungsweise des Kollegen
nunmehr nur dann bezeichnet werden, wenn feststünde, daß der
Fremdkörper ohne Spiegel nicht, oder in ftlr die eventuelle Ent-
fernung unzureichender Weise sichtbar gewesen ist. Letzteres
entzieht sich aber meiner Beurteilung.
Der zweite Punkt, welcher dem Kläger als Kunstfehler er-
schienen ist, ist die Anwendung der Haarnadel.
Hier muß zunächst noch einmal gesondert festgestellt werden,
ob die instrumenteile Entfernung eines Fremdkörpers aus dem
Gehörgange an sich gestattet ist, was nach den in den Lehr-
büchern niedergelegten Anschauungen bejaht werden muß.
Weiterhin muß untersucht werden, ob dieser Eingriff ohne
Narkose vorgenommen werden darf.
Im Kolleg warne ich meine Zuhörer bei Besprechung dieses
Kapitels zwar ausdrücklich und eindringlich vor der instrumen-
tellen Extraktion ohne Narkos6 und ohne Ablösung der Ohr-
muschel, da ich der Meinung bin, daß ein Fremdkörper, welcher
sich bei intaktem Trommelfelle nicht durch Spritzen entfernen
läßt, ohne Narkose nicht entfernbar ist ; und daß man dann nur
ausnahmsweise ohne Ablösung der Ohrmuschel auskommt. Die
meisten Lehrbücher hingegen verwerfen die Extraktion ohne
Narkose an sich nicht.
Einige, wie Jacobson, warnen den praktischen Arzt
energisch vor der instrumenteilen Entfernung ohne Narkose, die
meisten fordern die Narkose wenigstens für die Kinder, anderen
hingegen erscheint die Anwendung von Instrumenten ohne Nar-
kose nicht gerade bedenklich.
Begatachtang yon Verletzangen bei mlO^ftckter FremdkOrpereztraktion. 67
So erwähnt Urbantsehitseh die Anwendang der Nar-
kose bei instramenteller Extraktion Überhaupt nieht, nndKießel-
baeh (Sbhwa.rtzes Handbneh) seheint sie nur bei besonders
86hw0ren FftUen f&r notwendig zu halten, da er die Narkose
erst bei Bespreohung dieses kurz erwähnt. Auch Ettmmel
fordert sie nur fllr schwierigere Extraktionen (Handbuch der
praktischen Chirurgie).
Der praktische Arzt findet also in unseren Lehrbüchern
Anweisungen betreffs Entfernung yon Fremdkörpern aus dem
Gehörgang, nach denen die Anwendung von Instrumenten ohne
Narkose durchaus gerechtfertigt ist
Es ist hier weiterhin die Frage zu beantworten, ob die in-
strumentelle Fremdkörperextraktion vorgenommen werden darf,
bevor ausreichende Versuche mit der Spritze gemacht worden sind.
Urbantsehitseh und Jacobson verlangen fftr alle
Fälle, daß zunächst die Spritze angewandt wird. Hartmann,
Eießelbaeh und Politzer erklären das Ausspritzen fftr die
souveräne Methode, welche fast ausnahmslos zum Ziele führt.
Doeh fährt Hartmann dann fort: „Es gibt eine Anzahl von
Fällen, Fremdkörper, die aufquellen, oder solche mit unregel-
mäßiger Oberfläche, welche zwischen die Gehörgangswände ein-
geklemmt sind, und bei denen der Wasserstrahl nicht ausreicht,
sie aus ihrer Lage zu bringen. In solchen Fällen muß zu den
Extraktionsinstrnmenten gegriffen werden.^ Kirchner hingegen
bespricht unter ^Behandlung^ zunächst die instrumentelle Ent-
fernung, mit der es bei guter Beleuchtung und richtiger Haltung
des Patienten nicht schwer gelänge, einen nicht eingekeilten
Fremdkörper herauszubefördern; erst auf der nächsten Seite sagt
er dann, daß es am zweckmäßigsten sei, zuerst die einfachste
Methode, \, welche auch meistens sich sehr wirksam erweist^,
das Ausspritzen anzuwenden. Bei weichen Samenkörnern, Jo-
hannisbrotkemen , Erbsen^ die bereits so stark gequollen sind,
daß sie sich ganz fest an die Gehörgangswände anschmiegen,
dürften die forcierten Wasserinjektionen nicht lange fortgesetzt
werden, da dadurch der Fremdkörper statt nach außen, sogar
noch tiefer nach innen getrieben würde. Kümmel (Enzyklo-
pädie der Ohrenheilkunde) schreibt: „Die Extraktion der Fremd-
körper ist bei unzweckmäßiger Handhabung eine sehr gefährliche
Maßnahme^. Da sagt natürlich der Belehrung suchende Arzt, ich
handhabe mein Instrument nicht unzweckmäßig, also ist die
Extraktion bei mir nicht gefährlich. Kümmel fahrt dann fort:
68 VI. LEUTERT
^Uabedenkliob ist nur das Ausspülen, jedoch können Fremdkörper
von ann&hernd kngeliger Gestalt, wenn sie ihre Basis nach außen
kehren, dadurch in die Tiefe geschoben werden. In der großen
Mehrzahl aller übrigen Fälle kommt man mit dem Ausspritzen
allein zu Bande . • • / Da nun aber die meisten Fremdkörper
im Gehörgang „ann&hernd kugelige'' Gestalt haben, so muß
der Praktiker aus diesen Sätzen entnehmen, daß das Ausspritzen
nicht nur eine unsichere Methode ist, sondern daß es die Situation
sogar verschlimmern kann^). Jedenfalls teilen die letztgenannten
Autoren nicht den Standpunkt der erstgenannten, da sie beide
Behandlungsmethoden als berechtigt nebeneinander stellen. Der
beklagte Arzt, welcher zum Instrument griff, ohne zuvor die
Spritze versucht zu haben, kann sich daher betreffs der Berech-
tigung seiner Behandlungsweise in dieser Beziehung auf die
letztgenannten Autoren berufen.
Das Hauptgewicht scheint die Anklage auf die Verwendung
der Haarnadel als Instrument zu legen. Aber Hartmann und
Urbantschitsch, haben wie früher Deleau, die Haarnadel als
Instrument für Fremdkörperexiraktionen aus dem Ohr ausdrück-
lich empfohlen, womit der beklagte Arzt auch in dieser Beziehung
vor' jedem Vorwurf gesichert erscheint 2).
Es ist nunmehr die Frage zu beantworten, ob der Arzt durch
die Art und Weise, wie er den Extraktionsversuch vorgenommen,
bezw. wie er das Instrument gehandhabt hat, gegen dieEunst-
1) Der beklagte Arzt scheint tatsächlich dieser Meinung gewesen zu
sein, denn in der Gerich tsyerhandlnng erhl&rte die Schwester des Knaben
als Zeugin, der Arzt habe bei Beginn der Behandlung erklärt, die Spritze
sei hier nicht am Platze.
2) In der GerichtsTerhandlung wurde seitens der Schwester des Ejiaben
als Zeugin besonders betont, daß die vom Arzt angewandte Haarnadel oben
nicht abgebogen gewesen sei, wie es Hartmann verlange (der Verteidiger
legte dieses Lehrbuch Tor). Der beklagte Arzt bestritt dieses und bot zwei
Zeugen dafür an, daß er die Haarnadel Torher abgebogen habe. Als Sach-
verständiger erklärte ich, ich nähme nicht an, daß die beiden Autoren,
welche die abgebogene Haarnadel empfohlen haben, einen derartigen Wert
auf das Wort „abgebogen'* gelegt wissen wollten, daß sie die nicht ab-
gebogene als Instrument direkt verwerfen würden; denn es gebe sicherlich
Fälle, wo ein nicht zu tief liegender Fremdkörper auch mittelst einer ge-
raden Haarnadel entfembar ist. Das Umbiegen sei den Autoren wohl nur
selbstverständlich erschienen, um hinter den Fremdkörper gelangen zu können.
Um die Gefahr der Verletzung des Gehörgangs nach Möglichkeit zu Yer-
ringern, genfige es, eine oben möglichst stumpfe Haarnadel zu wählen, wenn
es einmal gestattet ist, diese als Instrument zu benutzen.
Begntacbtong von Verletzungen bei mißglackter Fremdkörperextraktion. 69
regeln verstoßen hat Das Urteil hierüber basiert auf dem Be-
fand, welchen der Knabe znr Zeit meiner Untersnehnngen darbot.
Die leichte Blutung und die Schwellung des Gehörganges
jsind zweifellos auf Rechnung von Verletzungen zu setzen, welche
bei dem Extraktionsrersuch stattgefunden haben; es kann jedoch
nicht gesagt werden, ob der Arzt die Schuld an diesen Ver-.
letzungen tr> Das Kind hat rielleicht Abwehrbewegungen
gemacht, welche von dem Arzt unmöglich vorher in Rechnung
gezogen werden konnten. Es kann daher ein Urteil hierüber
nicht abgegeben werden. Im übrigen sind die G-ehörgangsver-
letzungen so geringfügig gewesen — sie sind alsbald vollkommen
verheilt — , daß sie bei Beurteilung des Falles wohl außer Be-
tracht gelassen werden können. Anders steht es mit der Ver-
letzung des Trommelfelles. Daß eine solche stattgefunden hat,
geht unzweifelhaft daraus hervor, daß der vordere obere Teil
des Trommelfelles vom Hammergri£f losgelöst war, so daß letzterer
als weiße Linie als vordere Begrenzung des hinteren oberen
Trommelfellteiles erschien. Ist der Arzt für diese Verletzung
verantwortlich zu machen, oder kann wiederum zu seinen Gunsten
angenommen werden, daß ein vorher unberechenbarer Faktor
die Verletzung herbeigeführt hat?
Vor Beantwortung dieser Frage muß man sich vergegen-
wärtigen, daß jedem Arzt bekannt sein muß, daß eine Anzahl
Todesfälle nach mißglückter, meist ohne genügende Beleuchtung
vorgenommener Fremdkörperextraktionen publiziert worden sind.
Kießelbach stellt in Schwartzes Handbuch 13 Fälle
zusammen, Kümmel spricht von mindestens 15 Fällen, die Zahl
der. in Wirklichkeit auf diese Art zugrunde gegangenen Kinder
ist natürlich viel höher. Wenn der beklagte Arzt daher trotz*
dem ohne Reflektor und Narkose zur Extraktion schritt, so mußte
er sieh bewußt sein, daß er die äußerste Vorsicht anzuwenden
hatte. Wie bereits erwähnt, durfte er unter keinen Umständen
weiter arbeiten, wenn er das Instrument und den Fremdkörper
nicht im Auge behalten konnte. Es ist nun als sicher anzu-
nehmen, daß er beim Eintritt der Trommelfellverletzung weder
den Fremdkörper noch das andere Ende des Instrumentes sah,
dahingegen kann nicht mit der für ein Gutachten nötigen Sicher*
heit behauptet werden, daß dieses seine Schuld war. Es ist
nicht völlig ausgeschlossen, daß eine besonders heftige, stoßweise
Bewegung des Knaben das Trommelfell heftig gegen den Fremd-
körper und das Instrument so plötzlich gestoßen hat, daß es dem
70 VI. LEÜTERT
Arzt trotz größter Yorsioht nicht möglieb war, das Instrument,
welches den Fremdkörper yielleicht gerade gut gefaßt hatte,
schnell genng wieder aus dem Gehörgang herauszuziehen.
Ich nehme an, daß der Arzt, nachdem diese Verletzung ein-
getreten war, von weiteren Versuchen Abstand genommen hat,
was wohl auch daraus hervorgeht, daß er es war, welcher den
Knaben der Gießener Ohrenklinik fiberwies. Es erscheint dem-
nach eine Schuld des Beklagten auch in dieser Beziehung nicht
mit Sicherheit nachweisbar.
Es muß nun aber zum Schluß noch eine andere Frage er-
örtert werden, welche eigentlich zuerst hätte beantwortet werden
mflssen : Ist denn Überhaupt eine Sch&digung des Börveimögens
des Knaben durch den Extraktionsversuch hervorgerufen worden?
Der Kl&ger nimmt dieses als selbstverständlich an, denn das
Trommelfell ist verletzt worden, und in Laienkreisen ist die irrige
Annahme gebräuchlich, daß eine Verletzung des Trommelfells
an und fttr sich Schwerhörigkeit zur Folge haben muß« Weiter-
hin behauptet der Kläger, daß sein Sohn nie an einer Ohren-
krankheit gelitten habe oder schwerhörig gewesen sei* Daß
letzteres ganz und* gar kein Beweis dagegen ist, daß der Knabe
früher eine Ohreiterung durchgemacht hat, welche Schwerhörig-
keit zurttckließy brauche ich in diesem Kreise nicht zu erörtern,
nachdem feststeht, daß selbst schwere und langdauernde Eiterungen
häufig von den Eltern flbersehen werden.
Hat also nicht vielleicht bereits vorher eine Trommelfell-
perföration und Schwerhörigkeit bestanden? Da die Ohren des
Knaben früher nie ärztlich untersucht zu sein scheinen, so ist
dieses a priori nicht auszuschließen. Es fragt sich nun aber
weiter, ob man aus dem Umstand, daß eine große Perforation
zurückgeblieben ist, eventuell aus deren Form, einen Rückschluß
auf das frühere Intaktsein oder Nichtintaktsein des Trommelfells
ziehen kann ; mit anderen Worten kann eine große, annähernd nieren-
formige Perforation, wie sie in diesem Falle zurückgeblieben ist,
überhaupt nach einer Trommelfellzerreißung zurückbleiben, an
welche sich keine irgendwie erhebliche Eiterung angeschlossen
hatte? Diese Frage scheint, wie ich eingangs erwähnte, bisher
noch nicht erörtert worden zu sein, und ich bitte die Herrn
Kollegen, mir ihre Ansichten hierüber mitteilen zu wollen. Nach
unseren in der Einleitung hervorgehobenen Erfahrungen über die
erstaunliche Begenerationsfilhigkeit des Trommelfells muß es
jedenfalls auffällig erscheinen, daß in diesem Falle^ in welchem
Begutachtung yon Verletzungen bei mißglückter Fremdkörperextraktion. 7 1
eine Laxation der Gehörknöehelchen anseheiaend nicht statt-
gefunden hat, auch die Randpartien, von welchen aus sich das
Trommelfell regeneriert, nicht zerstört worden sind, die völlige
Regeneration des Trommelfells ausgeblieben ist. Da ich mir eine
Erklärung hierfür nicht geben kann, so bin ich vorläufig zu der
Annahme geneigt, daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen
der jetzt bestehenden Trommelfellperforation und der Verletzung
nicht vorliegt, jedenfalls es für wahrscheinlicher zu halten, daß be-
reits vor dem Extraktionsversuch, eine Perforation von annähernd
gleicher Form wie jetzt bestanden hat. f>er Fall würde dann
folgendermaßen zu beurteilen sein:
Erstens kann nicht gesagt werden, ob die tatsächlich er-
folgte Zerreißung des Trommelfelles ftberhaupt einen schädigen-
den Einfluß auf das noch vorhanden gewesene Hörvermögen
des Knaben gehabt hat, denn es wäre nur die Ablösung des
vorderen oberen Trommelfellteiles auf Sechnung des Extraktions^
Versuches zu setzen; diese ist nachgewiesenermaßen verheilt und
damit der frfthere Zustand wiederhergestellt. Zweitens liegt die
Möglichkeit vor, daß der Einriß überhaupt nicht erfolgt wäre,
wenn die Perforation nicht bereits bestanden hätte. Ein* intaktes
Trommelfell hätte vielleicht dem Drucke der Erbse — das In-
strument hat das Trommelfell vielleicht gar nicht berührt —
standgehalten, das weit perforierte riß jedoch in seinem oberen
Teile ein, da die Erbse zum Teil in die Perforation eintreten
und damit das Trommelfell übermäßig anspannen konnte.
Diese Möglichkeit muß zugunsten des Arztes hervorgehoben
werden, obgleich letzterer schon dadurch entlastet erscheint, daß
der Gutachter die Frage, ob eine Schädigung des Hörvermögens
stattgefunden hat oder nicht, überhaupt nicht beantworten kann,
da der Beweis, daß das verletzte Ohr früher intakt gewesen ist^
nicht erbracht werden kann.
Für die Auffassung, daß die vorhandene Trommelfellperfo-
ration bereits früher bestanden hat, könnten noch folgende, aller-
dings unsichere Beweisgründe angeführt werden. Erstens hat
der Enabe bei der Trommelfellverletznng anscheinend wenig
Schmerz gehabt, er ließ sich später ohne Scheu untersuchen;
dieses spricht mehr dafür, daß nur ein Einriß an der Vorderseite
des Hammers stattgefunden hat, nicht aber für eine ausgedehnte
Zerreißung. Zweitens ist die reaktive Entzündung nach der Ver-
letzung eine sehr geringe gewesen; die Eiterung war minimal,
es bestanden weder Schmerzen noch Temperatursteigerung, die
72 VI. LEüTERT
Sehleimhaut war nicht geschwollen (die Spttlflttssigkeit floß frei
durch die Tuba ab). Drittens war das Exsudat von yornherein
eitrig, als wenn eine frühere chronische Eiterung durch die
Reize wieder aufgeflackert wäre.
Ich komme daher zu folgenden Schltlssen:
1. Es kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, daß dureh
die Verletzung des Trommelfelles eine Schädigung des Hörver-
mögens stattgefunden hat, da nicht feststeht, daß das Trommel-
fell des Knaben früher intakt und das Hörrermögen des Enabeu
normal, bezw. besser war als jetzt.
2. Die Behandlungsweise des beklagten Arztes ist sicher die
schlechteste, welche angewandt werden konnte, doch kann sie
nicht als eine gegen die Eunstregeln verstoßende bezeichnet
werden, so lange anerkannte Lehrer der Ohrenheilkunde die
Extraktion von Fremdkörpern mittelst Instrumenten empfehlen,
ohne hierbei mit Bestimmtheit die Anwendung des Reflektors
und die Narkose, wenigstens bei Kindern, zu fordern.
Dieser letzte Satz sagt mit anderen Worten: Es ist dem
Kläger zuzugeben, daß die angewandte Methode eine schlechte
ist ; die Verantwortung f&r die Gefahren, welchen derartige Pa-
tienten ausgesetzt sind, trifft jedoch nicht den beklagten Arzt,
sondern die in diesem Punkte mangelnde Einheitlichkeit und
Bestimmtheit in der Darstellung der Therapie in mehreren un-
serer Lehrbücher bezw. Schriften. In welcher Form könnte nun
wohl diese Einigkeit erzielt werden?
Ich glaube, daß heute kaum in einem Fache der Medizin
eine Operationsmethode empfohlen wird, deren Gefährlichkeit
hinreichend bekannt ist, und an deren Stelle eine andere un-
gefährliehe, fast stets zum Ziele führende, zur Verßlgung steht.
Sollten wir die Methode der instrumenteilen Extraktion nieht
gänzlich entbehren können und sie daher wegen ihrer Gefähr-
lichkeit verwerfen und lediglich mit der Spritze und nur in
seltenen Ausnahmefällen mit der Extraktion in Narkose ans-
kommen?
Jacobson sucht die Operation dadurch ihrer großen Gre-
fährlichkeit zu entkleiden , daß er sie für den Ohrenarzt reser-
viert wissen will. Ich glaube zwar, daß sie auch dann noch
gefährlich bleibt, wäre aber geneigt, mich Jacobson anzu-
schließen und auf dieser Basis eine Einigkeit zu erstreben; doch
halte ich diesen Vorschlag für praktisch undurchführbar. In der
Medizin kann nicht nach dem Satze quod licet jovi etc. ver-
B^rutachtung von Verletzungen bei mißglückter Fremdkörperextraktion. 73
fahren werden, jeder Arzt ist berechtigt, dieselbe Methode att-
zawenden, welche dem ^Spezialisten^ anwendbar erscheint.
Ich glaube nun aber in der Tat, daß der Arzt, Spezialist
oder nicht, in so gut wie allen Fällen, deren Behandlung noch
nicht durch vorausgegangene Extraktionsyersuche erschwert ist,
mit der Spritze auskommt; daß jedenfalls bei denjenigei\ Fällen,
in welchen die ordnungsgemäß und wiederholt, d. h. eyentuell
in mehreren Sitzungen, angewandte Spritze nicht zum Ziele f&hrt,
auch die instrumentelle Extraktion ohne Narkose nicht gelingt.
Ausgenommen sind die Fälle, bei welchen bereits eine Trommel-
fellperforation vorliegt, und die Tuba so weit ist, daß die Spül-
flflssigkeit durch diese abfließt, so daß ein kräftiger rückläufiger
Strom nicht zustande kommen kann.
Ich möchte daher zunächst dafttr plädieren, daß die in-
strumentelle Extraktion ohne Narkose, abgesehen von ganz be-
stimmten Fällen, überhaupt in Acht und Bann erklärt wird,
behalte mir jedoch definitive Vorschläge für mein Schlußwort
in der Diskussion vor.
Schlußwort zur Diskussion. Herrn Alexander er-
widere ich, daß es meines Erachtens nicht angängig ist, im vor-
liegenden Falle einen Eunstfehler als erwiesen anzunehmen,
weil die Behandlungsweise des beklagten Arztes den Anleitungen
eines einzelnen Otologen widerspricht. Im vorliegenden Falle
handelt es sich zudem um ein Lehrbuch, dessen Kenntnis von
einem reichsdeutschen Arzt überhaupt nicht ohne weiteres ver-
langt werden kann, da genügend Lehrbücher reichsdeutscher
Lehrer der Otologie vorliegen.
Nachdem die Diskussion ergeben hat, daß eine Einigung
betreffs gänzlicher Verwerfung der instrumentellen Extraktion
ohne Narkose nicht zu erzielen ist, erlaube ich mir vorschlags-
weise folgende Grundsätze für die Behandlung der Fremdkörper
im äußeren Gehörgange aufzustellen, deren nicht speziell moti-
vierte Nichtbefolgung nach erzielter Einigkeit unter den Oto-
logen künftig ausdrücklich als ein Eunstfehler bezeichnet und
begutachtet werden müßte.
1. Die Entfernung von Fremdkörpern darf in allen frischen
Fällen zunächst nur mittelst der Spritze vorgenommen werden,
und soll man sich nicht mit einer einmaligen Sitzung begnügen,
sondern die Ausspritzungen in gewissen Zeitabständen wieder-
holen, falls nicht ernste Symptome die sofortige Entfernung des
Fremdkörpers erfordern. Abweichungen von dieser Vorschrift
74 VI. LEÜTERT
sind nur gestattet, wenn bereits eine Perforation des Trommel-
felles vorliegt und die Tnbe weit ist, so daß ein kräftiger, rück-
läufiger Strom nicht erzielt werden kann, oder wenn der Fremd-
körper so weich ist, daß er bequem und sicher mit einer
Hakenpinzette zu fassen ist (z. B* Speekstüeke und Watte, nicht
aber Leguminosen I).
2. Führt die in wiederholten Sitzungen sachgemäß an-
gewandte Spritze nicht zum Ziele, so darf der Arzt, jedoch nur
unter Anwendung des Reflektors und bei guter Beleuchtung bei
Erwachsenen, zu dem ihm passend scheinenden Instrument
greifen; bei Kindern jedoch nur dann, wenn sich letzteres so
in ein eventuelles Lumen des Fremdkörpers oder hinter diesem
einflihren läßt, daß hierbei eine Berührung der Gehörgangs-'
wände sicher vermieden werden kann. In allen anderen Fällen
und sowie die geringste Blutung erfolgt ist, muß bei Kindern
die Narkose angewandt werden. Führen die Extraktionsver-
suche alsdann nicht bald zum Ziel, so soll zuvor die Ohrmuschel
und die hintere häutige Gehörgangswand abgelöst werden»
3. Sind bereits Extraktionsversuche mit Verletzung des
äußeren Gehörgangs vorangegangen, so ist abzuwarten, bis die
Verletzungen wieder verheilt sind. Alsdann ist zunächst wieder
so zu verfahren, als wenn der Fall unberührt wäre. Drängen
ernsthafte Symptome zu sofortiger Entfernung, so darf diese nur
in Narkose geschehen.
Nachtrag.
Anfang Oktober dieses Jahres, zirka 14 Tage vor der Ge-
richtsverhandlung, untersuchte ich den Knaben nochmals. Die
Perforation hatte sich erheblich vergrößert, ohne daß Eiterung
bemerkt worden, oder das Überstehen einer solchen erkennbar
gewesen wäre. Es stand ringsum nur noch ein ganz schmaler
Trommelfellsaum ; der Hammer war völlig retrahiert, lag fast
horizontal und nach hinten, der Steigbügel war sichtbar, doch
konnte nicht festgestellt werden, ob das Amboß-Steigbügelgelenk
intakt war. Das Hörvermögen war dasselbe. Für diese Ver-
größerung der Perforation ohne gleichzeitig bestehenden entzünd-
lichen Prozeß kann eine Erklärung nicht mit Sicherheit gegeben
werden. Vielleicht ist der Trommelfellschwund die Folge einer
Thrombose der am Hammergrifi^ herunterziehenden kleinen arte-
riellen Gefäße (in dieser Sichtung verlief der Riß !), welche erst
allmählich komplett geworden ist. Wenn diese Annahme richtig
Begutachtung Yon Verletzungen bei mißglflckter Fremdkörpereztraktion. 75
wäre, dann könnte die Thrombose wohl als eine Folge des
Traumas betrachtet werden, und dann könnte weiterhin ange-
nommen werden^ daß der ganze Trommelfelldefekt und die
Herabsetzung des Hörvermögens Folge der Verletzung sei.
leb gab mein Gutachten in diesem Punkte dahin ab, daß
ich vor der letzten Untersuchung der Ansicht zuneigte, der vor-
handene Trommel/elldefekt sei Folge einer früher überstandenen
Eiterung, daß ich es jetzt aber ttix wahrscheinlicher hielte, daß
er Folge der Verletzung sei. Doch seien dieses mehr wissen-
schaftliche Erwägungen und ich sei weit entfernt davon, ein
bestimmtes urteil abgeben zu wollen. Nur wenn der Kläger
ein ärztliches Attest vorweisen könnte , daß Trommelfell und
Gehör des betreffenden Ohres bis zu einem halben Jahr vor
dem Extraktionsversuch normal gewesen seien, würde ich mich
bestimmt in letztgenanntem Sinne äußern können.
Durch die Zeugenaussage der erwachsenen Schwester des
Knaben wurde festgestellt, daß der Arzt, entgegen meiner früheren
Annahme, die Extraktionsversuche fortgesetzt habe, nachdem
etwas Blut aus dem Ohr „getropft'^ sei. Auf diese Aussage hin
erklärte ich, daß ich trotzdem die Behandlungsweise des Arztes
nur dann als eine gegen die Eunstregeln verstoßende bezeichnen
konnte, wenn nachgewiesen würde, daß dieser wegen des Blutes
den Fremdkörper nicht sehen konnte, resp. nicht kontrollieren
konnte, wo er sein Instrument ansetzte.
Die Verhandlung wurde vertagt.
VII.
Ans der Basano waschen Klinik für Ohren-, Nasen- und Hals-
krankheiten an der kaiserl. Universität in Moskau.
Über einige topographische Ver&ndenmgen des Schläfen-
beins in Abhängigkeit von der Schädelform.
Von
Alexander Iwanofl^ Asgisteniarzt.
Der Einfloß der Sehftdelform auf die topographischen Ver-
hältnisse der versohiedenen Teile des Schläfenbeins ist von
manchen Forschern aus rein chirurgischem Interesse zum Gegen-
stand eifrigen Studiums gemacht worden; man hoffte, aus der
Schädelform wenigstens ungefähre Schlüsse ziehen zu können
darüber, was man bei der Aufmeißelung des Warzenfortsatzes
und der Mittelohrhöhlen vorfinden wird: wird der Warzenfortsatz
porös oder kompakt sein, wird der Sinus vorliegen, wie hoch
der Boden der mittleren Schädelgrube steht usw. In dieser
Sichtung hat sich besonders Körner (1)0 hervorgetan.
In neuerer Zeit hat Danziger jedoch die Meinung aus-
gesprochen, daß in den Schläfenbeinen in Abhängigkeit von der
Schädelform solche Veränderungen in bezug auf Lage und Form
der einzelnen Teile beobachtet werden, die die Funktion des
Gehörapparats selbst in sehr ernster Weise zu beeinflussen ver-
mögen.
Indem er den Schädelbau bei Taubstummen untersuchte,
fand Danziger, daß bei Taubstummen nur die Schädelbasis
eine Veränderung erfährt, welche sich dadurch kundgibt, daß
sich die Länge der Basis im Verhältnis zu der Breite verringert,
so daß die Lage der Pyramiden der Schläfenbeine eine mehr
transversale wird; zugleich steigen die mit dem Glivus des
1) Diese Ziffern beziehen sich auf das Literatunrerzeichnis am Schlosse
dieser Arbeit.
über einige topographische Yer&ndeningeii des Schl&fenbeins. 77
Hinterhauptbeins verbundenen Spitzen der Pyramiden in die
Höhe und machen eine Drehung naeh hinten. Am normalen
Schädel macht die Pyramide des Schläfenbeins am ihre Längs-
achse eine spirale Drehung, wobei der periphere Teil derselben
eine Bewegung von vom und unten nach hinten und oben voll-
zieht; bei Taubstummen ist der periphere Teil der Pyramide mehr
naeh oben als nach unten gezogen ; die Spitzen der Pyramiden sind
gleichfalls nach oben gezogen und nach hinten abgelenkt. Diese
abnorme Drehung der Pyramiden um ihre Achse, wie sie bei Taub-
stummen wahrgenommen wird, führt zur Verkleinerung, zur Kom-
pression der Höhlen, die in der Pyramide eingeschlossen sind.
Das Trommelfell ist bei den Taubstummen stark zur horizon-
talen Ebene geneigt, da bei höherer Lage der zentralen Teile der
Pyramide der obere Band des Gehörganges sich naeh vorn und
nach der Seite neigt, während der untere Rand einen Zug nach
hinten erfährt« Infolge ihrer horizontalen Lage nähert sieh da»
Trommelfell der vorderen Wand der Trommelhöhle, der ßaum^
in dem sieh die Gehörknöchelchen befinden, verkleinert sich, die
Gehörknöchelchen selbst erfahren eine stärkere Kompression und
eine Einschränkung ihrer Beweglichkeit, der Steigbügel wird tiefer
in das ovale Fenster hineingedrückt, und dadurch wird der Druck
der Labyrinthflüssigkeit erhöht. Ferner führt die abnorme Drehung
der Pyr&midc um ihre Achse dahin, daß der obere Ganalis semi-
eireularis eine Torsion erfährt und bisweilen ganz obliteriert wird ;
das runde Fenster wird sehr klein und verschwindet bisweilen so-
gar ganz.
Alle diese anatomischen Veränderungen der Pyramiden der
Schläfenbeine werden von Dan zig er als die Grund- und Haupt-
ursache der angeborenen Taubheit angesehen.
Trotz ihres scheinbar wohldurchdachten Aufbaues ist die
Theorie Danzigers im Grund genommen doch äußerst hypo-
thetisch; von der einmal angenommenen abnormen Umdrehung
der Pyramide um ihre Achse ausgehend, konstruiert Danzig er
auf dem Wege der reinen Logik fernere Veränderungen der
anatomischen Verhältnisse der Pyramiden ; in seiner Monographie
berichtet Danziger nicht über eine einzige Messung de&
Schädels oder des Schläfenbeins; desgleichen gibt er nicht an,
wie häufig und in welchem Grade die Verkürzung der Länge
des Schädelgrundes Veränderungen in der Lage der Schläfen-
beine hervorruft. Nichtsdestoweniger verdient der von diesem
Antor hervorgehobene neue Faktor in der Pathologie des Schläfen-
78 VIL IWANOFF
being in Form einer veränderten Drehung der Pyramide am ihre
Aehse besondere Beaehtang und bietet hohes Interesse dar.
Bei meinen Untersnchangen snehte ieh zu ergründen, inwie-
fern die Sohädelform die relative Lage der Sehlftfenbeiae im
Sohädel, sowie den Grad der Drehung der Pyramiden beeinflußt ;
zweitens snehte ich, indem ioh das mir zar YerfUgung stehende
Material verwertete, nebenbei noeh die Frage zu beantworten,
ob die Form des Schädels und die äußere Gestalt des Schläfen-
beins erkennen lassen können, wie tief in dem betreffenden
Schläfenbein der Sinus transversus liegt. Um auf die Frage des
Einflusses der Schläfenform auf die Lage der Schläfenbeine eine
genaue Antwort geben zu können, müßte man eine möglichst
große Anzahl von Schädeln messen; da aber fUr diese Unter-
suchung nur entweder in der Horizontalebene oder in der verti-
kalen Medianebene durchgesägte Schädel geeignet sind, so maßten
die Messungen auf 55 Schädel, welche in anatomischen und
anthropologischen Museen gefunden wurden, beschränkt bleiben.
Der quantitative Mangel an Schädeln wird bis zu einem ge-
wissen Grade durch den Umstand kompensiert, daß unter den
untersuchten Schädeln ziemlich viele äußerste Formen, d. h. stark
ausgesprochene dolichozephallsche und brachyzephalische Sohädel
vorhanden waren: Bekanntlich vermag das Studium weniger
äußerster Formen wertvollere Besultate fQr die Lösung der auf-
geworfenen Frage zu liefern, als die Untersuchung einer größeren
Anzahl von mittleren Formen (von mesozephalischen Schädeln).
Bei der Untersuchung der Schädel wurden folgende Ent-
fernungen gemessen:
1. Die größte Länge und Breite des Schädels. Daraus wurde
nach der bekannten Formel = — ^^ der Schädelindex be-
Länge
rechnet.
2. Die Länge des Schädelgrundes, welche von der Mitte des
vorderen Bandes des Foramen occipitale bis zur Mitte der Sutura
naso-frontalis gemessen wurde.
3. Die Breite des Sohädelgrundes , welche durch die Ent-
fernung zwischen den Spitzen der Warzenfortsätze gemessen wurde.
4. Der Winkel, der von den oberen Bändern der Pyramiden
gebildet wird.
5. Die Länge des oberen Bandes der Pyramiden der Schläfen-
beine, welche zwischen 2 Punkten gemessen wurde: zwischen
dem vorderen, wo sieh der obere Band der Spitze der Pyramide
über einige topographigche Ver&nderangen des Schl&fenbeins. 79
mit dem Clivus des Hinterhauptbeins vereinigt, und dem hinteren^
wo der obere Band der Pyramide die Sutnra squamosa krenzt.
6. Die Entfernung zwisehen den Öffnungen der Meatus audi-
torii interni (die Schenkel des Zirkels wurden stets auf die
hinteren Bänder dieser Offnungen gestellt.
7. Die Breite des Clivus des Hinterhauptbeins in der Höhe
der oberen Bänder der Pyramiden.
8. Der Winkel zwischen der oberen Oberfläche der Pyra-
miden an der Stelle, wo sieh die Grube zur Aufnahme des
Ganglion Gasseri befindet, und der hinteren Oberfläche in der
Partie, welche der oben erwähnten Grube entspricht. Ich habe
dieses Plateau zur Messung aus dem Grunde gewählt, weil hier
die Enochenoberfläche fast stets glatt, eben und zur Auflegung der
kleinen Bleipatte, mit der die Messungen ausgeführt wurden, ge-
eignet ist.
9. Die Dicke der äußeren Wand des Sinus transversus an der
dünnsten Stelle desselben in der Gegend des Warzenfortsatzes.
10. Die kleinste Entfernung zwischen Spina supra meatum
und der Wand des Sinus transversus (Fossa sigmoidea).
11. Der Winkel, der vom Planum mastoideum und von der
hinteren Wand des Meatus auditorius externus gebildet wird.
12. Der lange und kurze Durchmesser der Öffnung des
Meatus auditorius externus.
Außerdem wurde noch auf das Vorhandensein von Offnungen
im Tegmen tympani, auf die Größe und die Bichtung der Spina
supra meatum und auf die Tiefe der Fossa mastoidea geachtet.
Alle oben angeführten Offnungen wurden mittelst eines
gleitenden Zirkels gemessen; der Winkel zwischen den Pyra-
miden wurde mittelst einfachen Zirkels gemessen, dessen Sehenkel
auf die oberen Bänder der Pyramiden angelegt wurden. Der
Winkel zwischen den oberen und unteren Oberflächen der
Pyramiden (8) wurde mittelst eines Bleiplättchens gemessen,
welches gegen die bezeichneten Oberflächen festgedrtlckt wurde;
nach dem Bleiplättchen wurde der Winkel auf Papier gezeichnet
und dann in üblicher Weise mit dem Winkelgradmesser gemessen.
Sämtliche gewonnenen zahlenmäßigen Befunde sind in einer
Tabelle zusammengestellt, in der die Schädel je nach der Steigung
des Schädelindex angeordnet sind, d. h. es kommen zunächst
die äußersten dolichozephalisehen, dann die dolichozephalischen,
mesobraohyzephalischen und schließlich die äußersten brachy-
zephalisohen Schädel.
über einige topographische Veränderungen des Schläfenbeins. 81
Nnn möchte ieh zur Betrachtung der erhobenen zahlenmäßigen
Befunde übergehen.
I. Weohselbeziehnng zwischen dem Schädelgrund
und der Schädelform.
Zur Lösung der Frage, in welcher Weise die Schädelform
die relative Lage der Schläfenbeine in demselben beeinflußt^
muß man zunächst die mehr allgemeine Frage einer Betrachtung
unterziehen, in welchem Abhängigkeitsverhältnis die Schädelform
und der Schädelgrund zueinander stehen, da die Schläfenbeine
einen Bestandteil des Schädelgrundes bilden.
In der mir zugänglichen Literatur fand ich nur eine einzige
Arbeit von T sc hugunow (Memoiren der anthropologischen Ge-
sellschaft der Universität Kasan, Bd. XI), in der das Verhältnis
der Schädellänge zum Schädelgrund besprochen wird, wobei
nur die Länge des Schädelgrundes in Betracht gezogen wird,
während von dessen Breite nicht die Rede ist. Das Verhältnis
der Schädellänge zum Schädelgrund berechnet Tschugunow
auf Grund von 696 Beobachtungen, mit 56,2, und behauptet, daß
dieses Verhältnis bei den verschiedenen Rassen konstant ist.
Die Charakteristik des Schädelgrundes wird durch dessen
Länge und Breite bestimmt; während die Länge des Schädel-
grundes, welche zwischen dem mittleren Punkte des vorderen
Randes des Foramen occipitale und der Mitte der Sutura naso-
frontalis gemessen wird, eine vollständig genau bestimmte Größe
darstellt, ist die Bestimmung der Breite des Schädelgrundes un-
genau. Die Breite des Schädelgrundes wird in zweierlei Weise
gemessen: 1. es wird die Entfernung zwischen den Spitzen der
Warzenfortsätze und 2. die größte Entfernung zwischen den
lateralen Oberflächen der Warzenfortsätze gemessen. Aber weder
die eine noch die andere Methode vermögen genaue Zahlen zu
liefern. Bekanntlich sind, die Spitzen der Warzenfortsätze nie-
mals so zugespitzt, daß sie einen bestimmten Punkt darstellten;
sie sind stets' abgerundet, so daß der Schenkel des Zirkels in
verschiedenen Punkten aufgestellt werden, zugleich aber im
Bayon der Spitze des Warzenfortsatzes bleiben kann. Die größte
Entfernung zwischen den lateralen Oberflächen der Warzenfort-
sätze hängt von der Form dieser Fortsätze, von deren Größe, von
dem Grade der Konvexität der lateralen Oberfläche derselben ab.
Meiner Meinung nach dürfte als die genaueste Bestimmung
der Breite des Schädelgrundes die Messung der Entfernung
AxchiTf Ohranheilknndo. LXLBd. 6
8S Vif. IWANOFF
Kwiseben den Fontmina stylo-mastoidea dienen. Diese Foramina
stellen jedes für sieh einen vollständig bestimmten Punkt dar;
indem sie hinter der Basis des Proeessns styloideus, zwischen
demselben and dem vorderen Ende der Ineisura mastoidea
liegen, haben sie eine selbständige, genan bestimmte Lage,
welche von der Form der in der Nachbarsohaft liegenden
Knochen unabhängig ist, und könnten infolgdessen als sehr ge-
naue Punkte zur Messung der Breite des Schädelgrundes dieneo.
Bei meinen Untersuchungen mußte ich aber den Vorschriften
folgen, welche durch die Frankfurter kraniometrische Ver-
ständigung gegeben sind, da die von mir in Vorschlag ge-
brachten Punkte nattLrlich noch nicht als allgemein akzeptierte
angesehen werden können; die Breite des Scbädelgrundes maß
ich, indem ich die Zirkelschenkel mögliebst im Zentrum der
Spitzen der Warzenfortsätze aufstellte.
Wenn man die Länge und Breite des Schädelgrundes für
sämtliche von mir gemessenen Schädel gegenüberstellt, so ist
es schwer, zwischen den betreffenden Größen irgendeinen
Parallelismus wahrzunehmen. Der Schädelgrund stellt den wider-
standsfähigsten Teil des Schädels, der den geringsten Schwan-
kungen ausgesetzt ist, dar; während die Breite an dem von
mir untersuchten Schädeln zwischen 112 und 155, die Länge
zwischen 460 und 193 mm sich bewegte, bewegte sich die Breite
des Schädelgrundes zwischen 90 und 115, die Länge desselben
zwischen 90 und 106 mm.
Wenn man die Schädel einzeln betrachtet, so kann maa
solche finden, an denen beispielsweise die geringste, 99 mm be-
tragende Breite des Scbädelgrundes in einem Schädel von 123 mm
Breite (Nr. 4) und in einem solchen von 140 mm Breite (Nr. 15) an-
getroffen wird. Eine 100 mm betragende Länge des Scbädel-
grundes wird an Schädeln, die eine Länge von 170 (Nr. 49) und
von 185 (Nr. 12) haben, angetroffen. Die berechneten Mittel-
größen f&r die Breite und Länge des Scbädelgrundes für ver-
schiedene Scbädelgruppen sind:
Breite Länge
Dolichozephalische Schädel . . 102,00 99,00
Mesozephalische Schädel . . . 101,12 98,75
Brachyzephalische Schädel . • 105,63 98,40
Ans diesen Zahlen ersieht man, wie gering die Differenz
ist, welche die Schädelbasis bei verschiedenen Schädelformen
aufweist
über einige topographische Veränderangen des Schl&fenbeins. 88
Um die Weohaelbeziehnng zwisobea Sehftdelform a&d Schädel*
grond besser zn ergründen, habe ich f&r den Sehädelgrnnd
einen Index berechnet, und zwar in der Weise, in der die
Sehädelindex überhaupt berechnet werden: die Breite wird mit
der Länge dividiert und dann mit 100 multipliziert.
_ Länge der Schädelbasis X 100
Länge des Schädelgmndes
Den von mir berechneten Index möchte ich als den Basal-
index bezeichnen; er schwankt für die von mir untersuchten
Schädel zwischen 90, 91 und 119, 19 mm; die mittlere Größe
für dolichozephalische Schädel beträgt 102,97, flir mesozephalische
103,06 und flir brachyzephalische 107,04 mm. (Die Mittelgrößen
wurden bei sämtlichen Berechnungen aus den absoluten Zahlen
gezogen.)
Vergleicht man den Sehädelindex mit dem Basalindex bei
den untersuchten Schädeln, so ergibt sich, daß es zwischen den-
selben eine strenge, regelmäßige Wechselbeziehung nicht gibt,
wenn auch im allgemeinen mit der Steigerung des Schädelindex
natürlich auch der Basalindex eine Steigerung erfährt.
Der Schädelgrund stellt somit den widerstandsfähigsten Teil
des Schädels dar und hängt von der Form des Schädels fast
gar nicht ab.
Um das Bild der Wechselbeziehungen zwischen Schädelform
nnd Schädelgrund zu yervollständigen, erachte ich es fbr not-
wendig, an dieser Stelle die Schlüsse mitzuteilen, zu denen
Virchow (3) bei seinen Untersuchungen über die Entwicklung
des Schädelgrundes im gesunden und kranken Zustande und
über den Einfluß derselben auf Schädelform, Gesichtsbildung
und Gehirnbahn gelangt ist.
1. Alle ursprünglichen Hemmungen des Schädelgrundes
führen auch eine Mangelhaftigkeit des Schädeldaches mit sich
und es entspricht ihnen auf der einen Seite eine Störung in der
Gehirnentwicklung, auf der anderen eine Abweichung in dej:
Ausbildung und Stellung der Gesichtsknochen, welche ihrerseits
wiederum zum Teil von der mangelhaften Hirnbildung, zum
großen Teil jedoch von der mechanischen Wirkung des Schädel-
grondknochens abhängig ist.
2. Alle ursprünglichen Hemmungen des Schädeldaches, ins-
besondere aber derjenige Teil von ihnen, welcher den Vorder-
nnd Mittelkopf in etwas größerer Ausdehnung trifft, stören außer
6*
84 VII. IWANOFF
der Gehirnentwicklung aueh das Waohstum des Sohädelgrnndes
und können auf die Stellung der Gesiehtsknoohen Einfluß haben.
3. Die ursprttngliohen Hemmungen der Gehimbildung haben
f&r die Ausbildung der Basilarknochen einen geringen, für die
Entwicklung des Schädeldaches einen sehr großen Wert und be-
stimmten (abgesehen von der Asymmetrie) die Gestaltung des Ge-
sichtes nur in einzelnen, mehr teratologischen Fällen wesentlich.
4. Alle größeren typischen Verschiedenheiten im Gesichts-
bau beruhen zunächst auf* Verschiedenheiten in der Bildung des
Schädelgrundes.
IL Die Lage der Schläfenbeine im Schädelgrunde.
Die Schläfenbeine liegen zwischen dem Os occipitale, Os
basilare und den Ossa parietalia; sie bilden mit ihrem größten
Teile einen Bestandteil des Schädelgrundes (Pars petrosa et
mastoidea) und beteiligen sich auch zum Teil an der Bildung
des Schädeldaches (Pars squamosa).
Die Pyramiden (Partes petrosae) der Schläfenbeine bilden
mit ihrem oberen Rande die Grenze zwischen der hinteren und
mittleren Schädelgrube; die hintere Oberfläche der Pyramide,
welche einen Bestandteil der hinteren Schädelgrube bildet, bildet
mit der oberen Oberfläche, die ihrerseits einen Bestandteil der
mittleren Schädelgrube darstellt, einen Winkel, dessen Größe
nach meinen Beobachtungen zwischen 42 und 90^ schwankt; die
mittlere Größe des Winkels beträgt für dolichozephalische Schädel
66,25 0, fttr mesozephalische 70,00 o för brachyzephalische 73,52 o.
Der obere Rand der Pyramide, welcher den Sulcus petrosus
superior trägt, stellt bisweilen eine ziemlich gerade, bisweilen eine
leicht spiralenformig gebogene Linie dar; im letzteren Falle macht
die ganze Pyramide mit ihrer oberen und hinteren Oberfläche den
Eindruck, als ob sie eine Drehung um ihre Achse vollzogen
hätte, und zwar so, daß der hintere peripherische Teil der-
selben eine Bewegung von hinten und unten nach vorn und
oben gemacht hätte, während die Spitzen der Pyramiden von
vorn nach hinten gedreht und außerdem nach oben gezogen und
nach hinten abgelenkt wären.
Je stärker die Drehung der Pyramide um ihre Achse aus-
gesprochen ist, desto spitzer ist der Winkel zwischen ihrer
unteren und oberen Oberfläche.
Danziger mißt dieser Drehung eine große Bedeutung bei
und bringt dieselbe mit Taubstummheit in Zusammenhang;
über einige topographische Yerftnderangen des Schläfenbeins. 85'
indem er Schädel von Taubstummen untersuchte, fand er eine
starke Drehung der Pyramiden, welche sich von normaler
Drehung einigermaßen dadurch unterschied, daß der peripherische
Teil der Pyramiden mehr nach oben als nach unten gezogen
war. Eine solche Drehung der Pyramiden erklärt er dadurch,
daß die Länge des Schädelgrundes bei Taubstummen im Ver-
hältnis zu der Breite kleiner ist als bei normalen Schädeln.
Bei meinen Untersuchungen konnte ich jedoch keinen Zu-
sammenhang zwischen der relativen Verkleinerung der Länge.
des Schädelgrundes und der Drehung der Pyramiden der Schläfen-
beine feststellen.
Nimmt man einen Schädel, an dem die Länge des Schädel^
grandes im Verhältnis zu der Breite am geringsten ist, beispiels-
weise den Schädel Nr. 16 (Länge 100, Breite 110 mm), so findet
man hier überhaupt keine Drehung der Pyramide (der Winkel
zwischen der hinteren und oberen Fläche beträgt 90 o) ; dagegen
ist am Schädel Nr. 10 die Länge des Schädelgrundes, welche
98 mm beträgt, größer als die Breite (96 mm), während die
Drehung der Pyramide außerordentlich stark ausgesprochen ist
(der Winkel zwischen den beiden* Oberflächen beträgt 42 ö).
Bei meinen Untersuchungen ist es mir gelungen, einen Zu-
sammenhang zwischen der Drehung der Pyramiden der Schläfen-
beine mit einer anderen Eigentümlichkeit im Schädelbau wahr-
zunehmen, und zwar je tiefer der Sinus transversus in die Pars
mastoidea des Schläfenbeins eindringt, je mehr er nach vorn
nnd außen hervorragt , desto stärker ist die Drehung der Pyra-
mide ausgesprochen; der Sinus verdrängt, indem er in das
Sehläfenbein eindringt, den hinteren Teil der Pyramide gleichsam
nach vorn und oben. (Näheres darüber bei der Erörterung der
Frage des Vorliegens des Sinus.)
Die Pyramiden der Schläfenbeine liegen im Schädelgrund
unter einem gewissen Winkel zueinander, wobei zwischen den
Spitzen sich der sogenannte Glivus des Hinterhauptbeins be-
findet. Die Größe des Winkels, unter dem die Pyramiden zu-
sammenlaufen, schwankt nach meinen Untersuchungen zwischen
90 und 1200. Die mittlere Größe des Winkels beträgt für
Dolichozephalen 105 und für Braohyzephalen 106^.
Wenn auch die mittleren Größen, welche die Messung des
Winkels zwischen den Pyramiden an sämtlichen Schädeln ergab,
einander sehr nahe sind (102, 103, 106 mm), so sind die indi-
viduellen Schwankungen in Wirklichkeit doch sehr groß, und
86 VII. IWANOFF
wenn dieser Winkel bei Braebyzepbalen im allgemeinen größer
ist als bei Doliobozepbalen , so wird in speziellen Fällen ancb
bei Braebysepfaalen bei einem Sebädelindex von 85,29 mm ein
Minimal Winkel von 90® (Sehädel Nr. 49) oder bei einem Index
vott 84,37 mm ein Winkel von 92 • (Sehädel Nr. 47) beobachtet-
Andererseits werden aueb bei Doliebozephalen ziemlieh große
Winkel zwisehen den Pyramiden, beispielsweise solche von 111
(Schädel Nr. 12) bezw. von 109 mm (Schädel Nr. 9) usw. an-
getroffen.
Nimmt man nun das Verhältnis der Breite desSchädelgrandes
zu der Länge derselben und multipliziert dasselbe mit der Größe
des Winkels, so erhält man eine Zahl, welehe den Sohädelgrund
vollständig charakterisiert; ich mochte die Zahl als den Tem-
pore -Basalindex bezeichnen.
Breite des Schädelgrundes x Winkel zwischen den Pyramiden
Länge des Schädelgrundes
«= TemporO'Basalindex.
Diesen Temporo-Basalindex kann man einfacher auf andere
Weise berechnen, indem man den Basalindex mit der Große des
Winkels zwischen den Pyramiden multipliziert und das Resultat
der Multiplikation mit 100 dividiert.
Basalindex x Winkel zwischen den Pyramiden
100
= Temporo-Basalindex.
Der Temporo-Basalindex beträgt nach meinen Untersuchungen
im Durchschnitt ftlr dolichozephalisehe Schädel 105,31, f&r meso-
zephalische Schädel 104,10 und fbr brachyzephalische Schädel
106,83. Diese aus einer kleinen Reihe von Beobachtungen ge-
wonnenen Zahlen sind natürlich als ungef&hr zu nehmen; sie
vermögen aber doch schon darzutun, wie wenig der Schädel-
grund von der Schädelform abhängt.
Meiner Meinung nach wäre es nicht uninteressant, zu ver-
folgen, wie sich der Temporo-Basalindex an Schädeln verschie-
dener Rassen verändert. Vielleicht konnte man dabei irgend
welche Rasseneigentümliehkeiten der Schädel wahrnehmen ; das
bleibt aber natürlich den Untersuchungen der Zukunft vorbe-
halten.
Was die Pars squaroosa des Schläfenbeins betrifft, so hat
auch sie, indem sie einen Bestandteil der lateralen Wand des
Schädeldaches bildet, an brachyzephalischen und dolichozepba-
lischen Schädeln eine verschiedene Lage. An den letzteren
über einige topographische Veränderungen des Schläfenbeins. 87
stehen die lateralen Wände des Sebädeldaefaes und folglioh aaeh
die Partes sqaamosae der Schläfenbeine fast perpendikulär zam
Schädelgrand und sind infolgedessen annähernd parallel zuein-
ander; die Entfernung zwischen den Warzenfortsätzen ist an
diesen Schädeln fast die gleiche wie die Entfernung zwischen
den Tnbera parietalia. Bei Brachyzephalen ist die Entfernung
zwischen den Warzenfortsätzen im Gegenteil weit kleiner als
diejenige zwischen den Tubera parietalia; die Seitenwände des
Schädels nähern sich einander in der Richtung von oben nach
unten.
III. Einfluß der Schädelform auf die Lage der
mittleren Schädelgrube.
Der Winkel, den die obere Oberfläche der Pyramide mit der
Pars squamosa und folglich auch mit der Seitenwand des Schädels
bildet, ist sowohl bei Brachyzephalen, wie auch bei Dolicho-
zephalen ein fast gerader ; daraus erklärt es sich, daß die obere
Oberfläche der Pyramide des Schläfenbeins bei Dolichozephalen
ungefähr horizontal liegt, während sie bei Brachyzephalen sich
stark nach außen neigt. Der Boden der mittleren Schädelgrube,
der teilweise von der oberen Oberfläche der Pyramide gebildet
wird, wird somit bei Dolichozephalen in allen seinen Teilen in
gleicher Höhe liegen, während er bei Brachyzephalen von außen
niedriger (tiefer) liegen wird als von innen. Außerdem liegt
der Boden der mittleren Schädelgrube bei Brachyzephalen und
Dolichozephalen nicht in gleicher Höhe oberhalb des Meatus
anditorius externus und oberhalb der Spina supra meatum. Nach
den Untersuchungen von Körner liegt der Boden der mittleren
Schädelgrube bei Brachyzephalen und Dolichozephalen oberhalb
des Meatus anditorius externus höher (die Entfernung zwischen
Boden und oberer Wand des Meatus beträgt rechts 6,76, links
7,19) als bei Brachyzephalen (die Entfernung zwischen dem
Boden und der oberen Wand des Meatus beträgt rechts 5,01,
links 5,63). Links ist die obere Wand des Meatus anditorius
externus dicker als rechts.
Die Entfernung zwischen den Spitzen der Pyramiden wird
durch die Breite des Clivus des Hinterhauptbeins, mit welchem
ersteren sie artikulieren, bestimmt. Die Breite des Clivus schwankt
in engen Grenzen, zwischen 20 und 29 mm, und hängt von der
Sohädelform nicht ab.
Die Länge des oberen Randes der Pyramide des Schläfen-
88 VII. IWANOFF
beioB bewe^ sieh zwüehen 55 und 68 mm. Die Mittelgroße
für Doliehozepbalen betrftgt 59, ftlr Mesozephalen 62,6.
Die Breite des Clivns, die Länge des oberen Bandes der
Pyramide, sowie die Entfernung zwiseben den Meati auditorii
extemi wurden gemessen, um mittelst der gewonnenen Zahlen
sowobl die relative Lage der Pyramide,- wie aueb den Grad
der Drebnng derselben um ihre Äebse genau zu bestimmen.
IV. Einfluß der Scbädelform auf die Lage des Sintis
transversus.
Der Sinus transversus liegt in der Fossa transversa der
Eminentia cruciata des Hinterhauptbeins; der Sinus verläuft in
horizontaler Sichtung und wendet sieh an der Stelle, wo das
Hinterhaupt-, Sobeitel- und Schläfenbein zusammenkommen, steil,
fast unter geradem Winkel nach unten und vorn in der Rieh-
tnng zur Mittellinie, geht dann hinter der Basis der Pyramide
des Schläfenbeins, kreuzt die Sutura zwischen dem Schläfenbein
und dem Hinterhauptbein und mtlndet in das Foramen jugulare,
nachdem er eine steile Wendung nach vorn gemacht hat. In
den Grenzen des Schläfenbeins liegt der Sinus in der Fossa
sigmoidea und dringt an verschiedenen Schädeln verschieden
tief in die Masse des Schläfenbeins hinein. Bisweilen geht er
sot weit (tief) nach vorn und außen , daB zwischen dem Boden
der Fossa sigmoidea und der äußeren Wand der Regio mastoidea
nur ein dünnes knöchernes Plättchen bleibt (Yorlagerung des
Sinus). Diese Yorlagerung des Sinus ist von großer praktischer
Bedeutung bei der operativen Eröffnung des Processus mastoidens
und der Mittelohrhöhle; aus diesem Grunde hat man schon längst
darauf besondere Aufmerksamkeit gerichtet und versucht, sowohl
einen Zusammenhang zwischen der Form des Schädels und der
Tiefe der Lage des Sinus, wie auch irgendwelche sichtbaren
EigentOmlichkeiten in der Form oder in den Konturen der ver-
schiedenen Teile des Schläfenbeins, welche den Grad des Vor-
liegens des Sinus geben könnten, festzustellen.
ZunächsthatBezold ^), dannhabenHartmann, v.Meyer ^),
Rtidinger^), Körner die Tatsache konstatiert, daß das Ein-,
dringen des Sinus in die Basis der Pyramide des Schläfenbeins,
ebenso wie das tiefe Stehen des Grundes der mittleren Schädel-
grube hauptsächlich bei Brachyzephalen angetroffen werden;
die zweite feststehende Tatsache ist die, daß unabhängig von
über einige topographische Veränderungen des Schläfenbeins. 89
der Form des Schädels der Sinns rechts in die Basis der Pyra-
mide tiefer eindringt als links.
Um den Grad der Vorlagernng des Sinus am Schädel zu
bestimmen, wird erstens die Dicke der Enochenwand der Fossa
sigmoidea an der dünnsten Stelle in der Regio mastoidea und
zweitens die kürzeste Entfernung zwischen der Fossa sigmoidea
und dem Meatus auditorius gemessen. Die zweite Messung kann
man nur in horizontalen Sägeschnitten vornehmen, welche den
Meatus auditorius externus getroffen haben und an aus dem
Sehädel herausgenommenen Schläfenbeinen, wie es Körner
machte, ausgeführt worden sind; da mir nur ganze, nicht aus
dem Schädel herausgenommene Schläfenbeine zur Verfügung
standen, machte ich die zweite Messung in der Weise, daß ich
die kürzeste Entfernung zwischen der Fossa sigmoidea und der
Spina supra meatum bestimmte.
Die Resultate meiner Messungen sind :
Wieyiel solcher Schädel?
12 Dolicho-
zephale
16 Meso-
zepbale
27 Brachy-
zephale
Die Dicke der äußeren Wand der
Fossa sigmoidea an der dünnsten
Stelle im Durchschnitt rechts . . .
links . . .
Die kürzeste Entfernung zwischen
der Fossa sigmoidea und der Spina
supra meatam im Durchschnitt
rechts . . .
links . . .
6,17
9,5
9,16
10,83
6,25
7,81
11,13
12,25
5,41
7,49
11,22
13,29
Wie aus der vorstehenden Tabelle zu ersehen ist, ist die
Wand der Fossa sigmoidea an ihrer dünnsten Stelle bei Brachy-
zepfaalen dünner als bei Meso- und Dolichozephalen ; zu dem-
selben Schlüsse ist auch Körner gelangt, der bei seinen Unter-
saofaungen fQr Dolichozephalen die Sinuswand 8,54, für Brachy-
zepbalen 6,53 mm dick fand. Was die kürzeste Entfernung
zwischen der Fossa sigmoidea und der Spina supra meatum be-
trifft, so ist sie nach meinen Beobachtungen bei Brachyzephalen
etwas größer als bei Dolichozephalen, während Körner fand,
daß sie für sämtliche Schädel fast gleich ist (bei Brachyzephalen
0,29 mm kleiner als bei Dolichozephalen).
Die Messungen ergeben somit, daß der Sinus bei Brachy-
zephalen nur mehr nach außen, jedoch nicht mehr nach vorn
liegt als bei Dolichozephalen.
90 VII. IWANOFF
Abgesehen dsFon, daß die Fossa sigmoidea recbts tiefer in
die Basis der Pyramide eindringt, ist sie auch noch breiter als
links ; dementsprecbend ist auch die Fossa jngnlaris reobts größer
und tiefer als links, und dieser letztere Umstand bedingt, daß
die Knoebenzellen am Boden der Trommelhöhle nach den Be-
obachtangen von Körner rechts zahlreicher sind als links.
Wodurch ist nun die verschiedene Lage der Sinus trans*
versi auf der rechten und linken Seite des Schädels zu erklären?
Bezold und Rfldinger geben folgende Erklärung ab: Sie
nehmen an, daß das tiefere Eindringen in den Knochen des
rechten Sinus durch die bedeutendere Quantität des durch den-
selben zirkulierenden Blutes bedingt wird. Der Sinus longitndi-
nalis der Dura mater teilt sich an der Protnberantia occipitalis
gewöhnlich nicht in einen rechten und linken Sinus transversns,
sondern setzt sich als rechter Sinus transversus fort, während
der linke als Fortsetzung der Vena magna Galeni dient, welche
eine geringere Quantität Blut trägt, als der Sinus longitudinalis.
Sobald der rechte Sinus eine größere Quantität Blut trägt, so ist
auch der Druck auf den Knochen, namentlich an den Windungen,
des Sinus, rechts ein bedeutenderer als links. Dort, wo der
Knochen einen bedeutenderen Druck erleidet, sammeln sich in
größerer Quantität die sogenannten Myeloplaxen, welche eine
Resorption, eine Vernichtung des Knochens herbeiftihren. Mit
Hilfe dieser Myeloplaxen dringt beispielsweise die A. meningea
media tief in die Scbädelknochen hinein; rasch wachsende 6e-
hirngeschwttlste verdünnen und usurieren sogar den Schädel-
knochen an den entsprechenden Stellen.
Meyer gibt eine andere Erklärung für die in Rede stehende
Tatsache ab. Die rechtsseitige Vena anonymakann als unmittelbare
Fortsetzung der Vena jugularis betrachtet werden, während die
linke Vena anonyma als Fortsetzung der Vena subclavia angesehen
werden muß. Ferner ist die Vena cava superior die unmittelbare
Fortsetzung der Vena anonyma dextra, während die Vena anonyma
sinistra in die Vena cava superior von der Seite einmündet.
Der rechtsseitige venöse Weg von der Schädelbasis bis zum
Herzen ist infolgedessen kürzer und gerader, während der links-
seitige länger ist, einen Winkel bildet, und außerdem stößt das
aus demselben sich ergießende Blut, welches sich unter einem
gewissen Winkel in die Vena cava superior ergießt, auf ein ge-
wisses Hindernis von Seiten des zirkulierenden Blutes. Alle
diese Verhältnisse bewirken, daß der venöse Abfluß rechts leichter
Über einige topographische Veränderungen des Schl&fenbeins. 91
von statten geht, so daß der Sinns longitudinälis den größten
Teil seines Blutes naeh dem rechten Sinus transversus schickt, und
infolgedessen ist dieser letztere stärker entwickelt und ragt stärker
nach vorn und außen hervor, als der linke Sinus transversus.
Trautmann gibt folgende Erklärung: Er sagt, daß jeder
Schädel asymmetrisch ist, und daß in der größten Mehrzahl der
Fälle die rechte Hälfte des Schädels etwas kleiner ist als die
linke; an der kleineren Seite ist der Sinus mehr gebogen, mehr
konvex als an der größeren; da die rechte Seite des Schädels
kleiner ist, so ist auch der Sinus rechts stärker entwickelt.
Die Tatsache, daß bei Brachyzephalen weit häufiger tiefes
Eindringen des Sinus in die Basis der Pyramide des Schläfen-
beins als bei Dolichozephalen angetroffen wird, wird folgender-
maßen erklärt : Die hintere Schädelgrube ist bei Brachyzephalen
kttrzer und breiter als bei Dolichozephalen, und infolgedessen
muß der an der hinteren Wand der Schädelgrube verlaufende
Sinus bei Brachyzephalen eine größere Krümmung machen,
als bei der langen schmalen Fossa cerebralis der Dolicho-
zephalen; bei stärkerer Krümmung des Sinus ist der Druck des
Blntstromes auf die anliegende Knochenwand größer, und das
bewirkt auch ein größeres Eindringen des Sinus in die Basis
der Pyramide,
Welche praktische Bedeutung hat der Einfluß der Schädel-
form auf den Grad der Vorlagerung des Sinus? Vor allem ist
dieser Umstand bei der operativen Eröffnung der Mittelohrhöhlen
von Seiten des Warzenfortsatzes von großer Bedeutung, da die
Vorlagerung des Sinus, von der Eventualität einer Verletzung
desselben bei der Operation abgesehen, noch das Bahnen eines
Weges zum Mittelohr erschwert. Da ferner der Boden der
mittleren Schädelgrube bei Brachyzephalen tiefer und folglich
näher zur l(ittelohrhöhle liegt als bei Dolichozephalen, und da
bei Brachyzephalen der Sinus mehr nach vorn hinausragt, d. h.
sieh dem Mittelohre nähert, so führen sämtliche eitrige Ent-
zündungen des Mittelohrs, sowie kariöse Affektionen des -Schläfen-
beins bei Brachyzephalen überhaupt, namentlich aber an der
rechten Seite, eher zu intrakrani eilen zerebralen, sowie auch zu
pyämischen Komplikationen, als bei Dolichozephalen.
V. Symptome des vorgelagerten Sinus.
In den ersten Jahren nach dem Vorschlage Schwartzes,
den Processus mastoidens und die Mittelohrhöhle operativ zu
92 VII. IWANOFF
eröffnen, fürchteten die Chirurgen, weil sie geringe Erfahrung:
und eine unvollkommene Technik besaßen, bei der Trepanation
des Warzenfortsatzes dem Sinus transversns zu begegnen, sie
fttrchteten, denselben zu verletzen, von der Annahme ausgehend,
daß bei der stattgehabten Verletzung des Sinus eine schwer
stillbare Blutung, Lufteintritt in die Venen und Luftembolie,
oder aber das Eindringen einer Infektion in den Organismas
stattfinden könne« Diese Befürchtung veranlaßte viele Oto-
chirurgen und Anatomen (Hartmann, Bezold, Körner,
Bandall (7), Schülzke (8), nach irgendwelchen äußeren Merk-
malen suchen, nach denen man noch vor der Operation erkennen
könnte, ob in dem betreffenden Falle eine Vorlagerung des
Sinus vorhanden sein wird oder nicht«
Diese Autoren haben nur die (bereits erwähnte) Tatsache
feststellen können, daß bei Brachyzephalen das Vorliegen des
Sinus häufiger angetroffen wird als bei Dolichozephalen, und
daß an jedem Schädel der Sinus rechts tiefer im Knochen liegt
als links.
Politzer behauptet außerdem, daß im Warzenfortsatz, wenn
er mangelhaft entwickelt und von derber kompakter Straktor
ist, die Vorlagerung des Sinus häufiger angetroffen werden kann
als bei gut entwickeltem Warzenfortsatz, der größere pneu-
matische Zellen besitzt. Jedoch vermögen diese allgemeinen
Begeln, auf den einzelnen gegebenen Fall angewendet, die Frage
nicht zu lösen, und lassen den Chirurgen in vollständiger Un-
kenntnis hinsichtlich der Lage des Sinus.
Bandall empfiehlt infolgedessen, stets so zu operieren, als
ob eine Vorlagerung des Sinus tatsächlich vorhanden wäre.
Andererseits ergab die sich mehrende chirurgische Erfahrung,
daß die Bloßlegung des Sinus während der Operation keine
schädlichen Folgen für den Operierten nach sich zieht, und daß
selbst eine Verletzung des Sinus keine ernste Gefahr bedeutet,
da die Blutung hier durch einfache Tamponade weit leichter
gestillt werden kann, als bei der Durchschneidung der Arterie,
während Eintritt von Luft und von Infektionskeimen überhaupt
nicht stattfindet. Alle diese Momente haben es schließlich be-
wirkt, daß man eine Zeitlang der Vorlagerung des Sinus kein
Interesse mehr entgegenbrachte, bezw. keine praktische Be-
deutung beimaß. Im Jahre 1898 hat aber Traut mann (9) in
seiner „Chirurgischen Anatomie des Schläfenbeins^^ eine ganze
Beihe von Symptomen genannt, welche, wie er behauptet, die
über einige topographische Yeränderangen des Schläfenbeins. 93
Möglichkeit gewähren, ziemlieh genau festzustellen, ob in dem
betreffenden Falle eine Vorlagerung des Sinus vorhanden ist
oder nicht.
Diese Merkmale sind folgende:
1. Bei Vorlagernng des Sinus steht der Recessus jugularis
höher als auf derjenigen Seite, wo die Verlagerung des Sinus
nicht vorhanden ist; infolgedessen steht der Grund der Trommel-
höhle bei Vorlagerung des Sinus sehr hoch, bisweilen sogar in
einer Höhe mit der unteren Wand des Meatns auditorius externus.
Bei Destruktion des Trommelfells läßt sich durch Sondierung
die Lage des Bodens der Trommelhöhle bestimmen. Dort, wo
wo die Vorlagerung des Sinus vorhanden ist, sind die Venen
der entsprechenden Hälfte des Halses und des Gesichts bedeutend
stärker entwickelt,
2. Trautmann behauptet, daß bei Asymmetrie des Schädels
genau solche Eigentümlichkeiten beobachtet werden, wie auch
bei Vorlagerung des Sinus, und zwar: die Nasenscheidewand ist
nach der entgegengesetzten Seite deviiert, und infolgedessen er-
seheint die Nasenscheidewand von der entgegengesetzten Seite
konvex oder mit einer Spina septi versehen, oder es besteht
sowohl das eine wie das andere; die Nasenöffnung ist kleiner
und tiefer, die Nasenspitze ist nach der Seite deviiert, wo der
Sinus vorliegt; das Auge steht auf der vorliegenden Seite höher;
dasselbe kann man auch in bezug auf den harten Gaumen
sagen. Der longitudinale Durchmesser des Meatus auditorius
externus ist auf der vorliegenden Seite vergrößert; der Recessus
epitympanicus steht höher und etwas nach vorn, und infolge-
dessen steht der Hammer weiter nach der vorderen Peripherie.
3. Die unter der Linea temporalis liegende äußere Oberfläche
des Processus mastoideus, das sogenannte Planum mastoideum,
bildet mit der hinteren Wand des knöchernen Gehörgangs einen
Winkel, der bei normaler Lage des Sinus sich einem geraden
Winkel nähert; je größer die Vorlagerung des Sinus ausge-
sprochen ist, desto größer und stumpfer ist dieser Winkel.
4. Im Winkel, welcher vom unteren Blatt der oberen Wand
des Gehörgangs und seiner hinteren Wand gebildet wird, be-
findet sieh eine kleine knöcherne Eminenz, die sogenannte Spina
supra meatum ; die Richtung dieser Eminenz ist größtenteils der
hinteren Wand des Gehörgangs parallel, bisweilen steht sie aber
fast perpendikulär zu derselben. Je mehr die Richtung der Spina
supra meatum sich in bezug auf die hintere Wand des Gehör-
94 VII. IWANOFF
gangg der perpendikulären Linie nfthert, desto grö&er ist die
Yorlagening des Sinns ausgesprochen.
Indem er alle diese Symptome des vorgelagerten Sinns be*
schreibt, sagt Trau tm ann jedoch nichts darüber, inwiefern diese
Merkmale konstant sind. Er fuhrt keine durch systematische
Untersuchung der Schläfenbeine in dieser Bichtung erhobenen
Befunde an und sagt nicht, ob die von ihm geschilderten Sym-
ptome unbedingt in allen F&Uen mit vorgelagerten Sinus be-
obachtet worden oder auch Ausnahmen vorgekommen sind.
Unter diesen Umständen steckte ich mir zum Ziel, an dem
mir zur Verfügung stehenden Material zu prüfen, inwiefern die
Trautmannschen Symptome konstant sind, und untersuchte
in dieser Richtung außer 55 Schädeln noch 50 einzelne Schläfen*
beine; die Resultate meiner Untersuchungen werde ich bei der
kritischen Erörterung eines jeden der Trautmannschen Sym-
ptome auseinandersetzen.
1. Die geringe Tiefe der Trommelhöhle oder mit anderen
Worten der hohe Stand des Bodens dieser Höhle, der die direkte
Folge des hohen Standes des Recessus jugularis ist, ist ein sehr
sicheres und konstantes Merkmal für die Yorlagerung des Sinus.
An allen von mir untersuchten Schläfenbeinen stand der Boden
der Trommelhöhle überall, wo der Sinus vorlag, hoch. Leider
ist eine genaue Messung der Tiefe der Trommelhöhle aus dem
Grunde nicht ausführbar, weil der Boden dieser Höhle ans einem
Netz von knöchernen Balken, aus zahlreichen Enochenzellen
besteht, welche keine bestimmte Ebene bilden, die man bei den
verschiedenen Messungen als Stützpunkt ohne weiteres ver-
wenden könnte.
Dieses anatomisch sichere Symptom für die Vorlagerung des
Sinns hat aber weder praktische noch klinische Bedeutung; die
Tiefe der Trommelfellhöhle beim Kranken zu messen, ist selbst
dann unmöglich, wenn das Trommelfell fehlt, da diese Höhle in
pathologischen Fällen mit einer infiltrierten, geschwollenen Schleim-
haut ausgekleidet oder häufig mit Granulationen ausgefüllt ist
Ebenso ist es in der Praxis unmöglich, die stärkere Ent-
wicklung der Gesichts- und Halsvenen zu bestimmen, welche an
der Seite, an der der Sinus vorliegt, gewöhnlich besteht.
2. Die Merkmale des vorgelagerten Sinus, die sich aus der
Asymmetrie des Schädels ergeben, zu prüfen, war ich nicht im-
stande, weil eine genügende Anzahl von Schädeln mit deutlieh
ausgesprochener Asymmetrie mir nicht zur Verfügung stand.
über einige topographiBCbe Veränderungen des Schläfenbeins. 96
Unter den von mir untersuchten Schädeln des anthropolo-
gischen Museums fand ich nur einen deutlich asymmetrischen
Sob&dely und an diesem letzteren war eine Vorlagerung des
Sinus nicht vorhanden. St. v. Stein operierte einen 17jährigen
Knaben wegen otogener Pyämie mit hochgradiger Asymmetrie des
Gesichts und Schädels; auch in diesem Falle war die Yorlage-
ruDg des Sinus auf dßr operierten Seite nicht vorhanden, trotz-
dem man auf Grund der Trautmannschen Symptome eine
solche erwarten dürfte.
3. Die wichtigste praktische Bedeutung kommt demjenigen
Symptom des vorgelagerten Sinus zu, welches im stumpfen
Winkel zwischen dem Planum mastoideum und der hinteren
Wand des knöchernen Gehörgangs gegeben i^t, da dieser Winkel
bei der Operation nach Anlegung der Hautinzision und nach Ab-
präparierung des knorpeligen Gehörgangs bestimmt werden kann.
Die Messungen, welche ich in bezug auf diesen Winkel an
105 Schläfenbeinen ausgeführt habe, haben ergeben, daß es
zwischen seiner Größe und der Vorlagerung des Sinus eine
strenge konstante Wechselbeziehung nicht gibt. Von 16 Schläfen-
beinen, an denen ich deutlich ausgesprochene Verlagerung des
Sinus fand, hatten 7 einen Winkel, der einem geraden sehr
Q«he stand (95^, 96<), 92 o). Andererseits hatten diejenigen
Schläfenbeine, an denen eine Vorlagerung des Sinus nicht vor-
handen war, nicht selten einen sehr stumpfen Winkel. So be-
trug beispielsweise im Schädel Nr. 37 bei einem Winkel von 140^
die Dicke der äußeren Wand an der dünnsten Stelle derselben
12 mm, die Entfernung zwischen der Spina snpra meatum 14 mm.
Auch dieses von Trautmann aufgestellte Symptom ent-
behrt somit der absoluten Bedeutung und läßt so zahlreiche
Ausnahmen zu, daß seine praktische Bedeutung vollständig ver-
loren geht.
Bei meinen Untersuchungen ist es mir gelungen, einen Zn-
sammenhang zwischen der Verlagerung des Sinus und der Drehung
der Pyramide des Schläfenbeins um ihre Achse wahrzunehmen;
je deutlicher die Vorlagerung ausgesprochen ist, desto ausge-
sprochener ist die Drehung der Pyramide; der Sinus verdrängt,
indem er in die Basis der Pyramide eindringt, die erstere gleich-
sam nach vorn und oben.
4. Was das letzte Merkmal des vorgelagerten Sinus, näm-
lich die Richtung der Achse der Spina supra meatum betrifft, so
ist dasselbe die Folge, eine spezielle Manifestation des vorher-
96 VII. IWANOFF
gehenden Symptoms. Die Spina supra meatum liegt an der Über-
gangBBtelle der oberen hinteren Wand des Gehörgangs in das
Plannm mastoideum; wenn die hintere Wand und das Planum
mastoideum ungefähr einen geraden Winkel bilden, so kongruiert
die Spina snpra meatnm mit der Achse des Gehörgangs; je
größer dieser Winkel wird, desto mehr weicht die Achse der
Spina von derjenigen des Gehörgangs ab.
Dieses Symptom der Vorlagernng des Sinns an Schädeln zn
kontrollieren, ist sehr schwer. Die Spina snpra meatum stellt
in der Mehrzahl der Fälle eine kleine, unregelmäßige Eminenz
dar, von der es sieh schwer sagen läßt, welche Richtung sie
hat: ob sie der Achse des Gehörgangs parallel oder nnter einem
Winkel zu derselben verläuft.
Außerdem ist diese Eminenz an mazerierten Knochen nicht
selten abgebrochen.
Wir haben somit kein einziges absolut sicheres, konstantes
Merkmal für die Vorlagernng des Sinus. Nur wenn man die
Gesamtheit sämtlicher Symptome in Betracht zieht, kann man
relativ mit großer Wahrscheinlichkeit die Verlagerung des Sinus
voraussetzen; so kann man diese Erscheinung am ehesten bei
Brachyzephalen an der rechten Seite finden, wenn der Processus
mastoideus schwach entwickelt ist und das Plannm mastoideum
unter stumpfem Winkel znr hinteren Wand des Meatns auditorius
externns steht. Am praktischsten ist es jedoch, stets der Regel
Randalls eingedenk zn sein, nämlich daß man überall so ope-
rieren müsse, als ob der Sinus tatsächlich vorgelegen hätte.
VI. Über die Spuren der Fissura mastoideo-squamosa.
Manche Schläfenbeine haben auf ihrer äußeren Oberfläche
einen Snlcus oder eine Vertiefung, welche ungefähr in der Rich-
tung zu der Incisura parietalis verläuft. Diese Vertiefung ist
der Überrest derjenigen Fissura mastoideo-squamosa, welche noch
an Schläfenbeinen von Kinderschädeln zu sehen ist.
Der Überrest dieser Naht hat entweder die Form eines mehr
oder minder deutlich ausgesprochenen Sulcus oder diejenige
einer Vertiefung, oder aber die Form einer Reihe von kleinen
Löchern.
Adermann (10), der 2554 Schädel untersucht hat, fand
Spuren der Fissura mastoidea-squamosa in 38 Proz. der Gesamt-
zahl der Schädel; bei Negern werden Spuren dieser Naht jedoch
äußerst selten angetroffen: an 79 Schädeln sind solche nur ein-
über einige topographische Ver&ndernBgen des Schläfenbeins. 97
mal gefunden worden. Die Angaben Adermanns fanden Be-
stätigung durch die neuesten Untersuchungen von Sato (11), der
Spuren der Fissura mastoideo-squamosa an 37 Proz. der 1373
ausmachenden Gesamtzahl von untersuchten Schädeln fand ; auch
dieser Autor gibt an, daß diese Spuren bei Negern, und zwar
nicht nur bei den afrikanischen, sondern auch bei den austra-
lischen, äußerst selten angetroffen werden. An männlichen Schä-
deln sind die Spuren deutlicher ausgesprochen, als an weib-
lichen. Was den Einfluß des Alters betrifft, so sind die Spuren
der Fissura mastoideo-squajnosa, wie man es auch erwarten
dürfte, bei Greisen und Erwachsenen schwächer ausgesprochen
und seltener anzutreffen, als bei Kindern.
Der Fissura mastoideo-squamosa kommt eine wichtige prak-
tische Bedeutung zu, da die entzündlichen Prozesse, welche sich
im Mittelohr abspielen, durch dieselbe auf das Periost des Pro-
cessus mastoideus, sowie auf die umgebenden Weichteile über-
gehen und zu Eitersenkungen, sowie zu Bildung von Abszessen
f&hren können.
YII. Über den Einfluß der Schädelform auf die
Struktur des Processus mastoideus.
Die Untersuchungen von Körner haben gezeigt, daß die
Warzenfortsätze bei Dolicbozephalen vornehmlich die sogenannte
pneumatische Struktur haben, d. h. große Knochenzellen besitzen;
75Proz. der Schläfenbeine von Dolicbozephalen hatten ausschließ-
lich pneumatische Warzenfortsätze; in 25 Proz. war die pneuma-
tische Struktur weniger deutlich ausgesprochen, aber es fand
sich kein einziger dolichozephalischer Schädel vor, der einen
derben kompakten Warzenfortsatz hätte. Überhaupt werden nach
den Untersuchungen von Zuckerkandl an brachy- und meso-
zephalischen Schädeln pneumatische Warzenfortsätze nur in
36,8 Proz. der Fälle beobachtet.
VIII. Spalten im Tegmen tympani,
Bürkner(12) und zugleich auch Jaenicke haben die
Wahrnehmung gemacht, daß im Tegmen tympani nicht selten
Bogenannte Dehiszenzen — Löch^ oder Spalten — beobachtet
werden, welche in die Höhle des Attikus führen.
Diese Spalten sind für die Pathologie des Ohres von großer
Bedeutung, da durch dieselben bei eitrigen Prozessen im Mittel-
ohre der Eiter leicht in die Schädelhöhle eindringen und Korn-
Arehir f. Ohrenheilknnde. LXI. Bd. 7
98 VlI. IWANOFF
plikationen von selten der Hirnhäute und sogar des Gehirns
selbst hervorrufen kann.
Bfirkner ist auf Grund seiner an 120 Schädeln ausgefbhrteii
Untersuchungen zu dem Schlüsse gelangt, daß die Spalten im
Tegmen tympani ihre Entstehung dem Druck von selten des Ge-
hirns verdanken; Jae nicke glaubte darin eine Erscheinung der
senilen Knoohenatrophie sehen zu sollen.
Hyrtl hat die Vermutung ausgesprochen, daß die Spalten
durch den Druck von selten von verdickten Granulationen er-
zeugt werden.
Flesch (13) ist auf Grund seiner an mazerierten und nicht
mazerierten Schädeln ausgeführten Untersuchungen zu folgenden
Schlüssen gelangt:
1 • Die Spalten sind die Folge einer stattfindenden Enoehen-
resorption; nur in Ausnahmefällen können sie als angeborene
Anomalie angesehen werden.
2. In der weitaus größten Mehrzahl der Fälle ruft eine Dmck-
steigerung in der Schädelhöhle Resorption des Knochens hervor.
3. Bedeutende Entwicklung der pneumatischen Höhlen in
den Schläfenbeinen und relative Erweiterung der Trommelfell-
höhle bewirken eine Verdünnung und Durchlöcherung des Tegmen
tympani.
Später äußerte sich Flesch dahin, daß die Spalten im Teg-
men tympani ein künstliches Produkt seien, daß die in Knochen
bisweilen bestehenden dünnen Stellen bei der Mazeration des
Schädels und bei der nachfolgenden Bearbeitung desselben (Ab-
präparierung der Weiohteile, Entfettung) herausfallen und auf
diese Weise Spalten entstehen lassen.
Körner brachte das Vorhandensein von Spalten im Tegmen
tympani mit der Schädelform in Zusammenhang; dieselben werden
hauptsächlich bei Brachyzephalen, bei Dolichozephalen dagegen
äußerst selten angetroffen. So fand Körner unter 72 dolioho-
zephalischen Schädeln nur einen (1,4 Proz.), unter 136 braehy-
zephalischen 17 (14,16 Proz.) Schädel mit Spalten im Tegmen
tympani.
In einer späteren Arbeit hat Körner (14) auf die Notwendig-
keit hingewiesen, diejenigen Spalten im Tegmen tympani, welche
unmittelbar in den Recessus epitympanicus führen, von denjenigen
zu unterscheiden, welche in das Antrum mastoideum führen.
In praktischer Beziehung sind die ersteren unvergleichlich
wichtiger, weil sie eher zerebrale Komplikationen nach sich ziehen.
über eiaige topograpMsclie Ver&aderuiigea des SchUfeabems. 99
Unter 39 Doliehozephalen fand Körner nioht einen einzigen
Schädel mit in den Reeessus epitympanicus fährenden Spalten,
nnter 92 brachyzephalischen Sohftdeln fanden sieh 9 mit Bolohen
Spalten vor.
Meine eigenen Beobachtungen stimmen mit den Sohlässen
Körners vollständig überein: Nioht bei einem einzigen der 12
dolichozephalisohen Sohädel, die ich nntersnoht hatte, habe ich
in das Tegmen tympani fahrende Spalten gefanden; unter 43
meso- und brachyzephalischen Schädeln wiesen 5 (11,63 Proz.)
solche Spalten auf.
IX. Über die Abhängigkeit der Form des Meatus
auditorius externus von der Form des Schädels.
Ostmann (15) suchte zu erforschen, wie häufig Exostosen
des äußeren Gehörgangs angetroffen werden und untersuchte
in dieser Richtung 2302 Rassensohädel; er machte dabei die
Wahrnehmung, daß die Schädel der afrikanischen Neger,
der Australier und Eskimo vornehmlich eine abgerundete Form
des Meatus auditorius externus aufweisen, der longitudinale
Durchmesser dieser Öffnung ist fast vertikal gelegen und nur um
einige Millimeter größer als der Qaerdurchmesser. Die Schädel
dieser Völker zeigen größtenteils den dolichozephalischen Typus.
Bei den asiatischen Völkern — Chinesen, Japaner, Mongolen —
hat die Öffnung des äußeren Gehörgangs meistenteils eine läng-
lich-ovale Form, wobei der lange Durchmesser bisweilen zweimal
so groß ist als der kurze; die Schädel dieser Völkerschaften
haben vornehmlich den mesobrachyzephalischen Typus.
Ost mann zieht daraus den Schluß, daß die dolichozepha-
lischen Schädel eine mehr runde Form des äußeren Gehörgangs,
während die brachyzephalischen eine länglich-ovale Form des-
selben aufweisen.
Da Ost mann keine genauen Messungen des Gehörgangs
ftir jeden einzelnen Schädel ausgefährt und seinen Schluß nur
auf Grund der Massenuntersuchung der Rassensohädel aufgestellt
hat, habe ich es unternommen, die Größe des äußeren Gehör-
gangs an den von mir untersuchten Schädeln zu messen und auf
diese Weise den Gesamtschluß Ostmanns, wenn auch an einem
sehr geringen Material, zahlenmäßig zu prüfen.
Ich maß den langen und kurzen Durchmesser der Öffnung
des äußeren Gehörgangs ftir das rechte und ftir das linke Ohr
gesondert.
100
Vn, IWAKOFF
Die Besaltate der Messongen sind:
BaÜcboBephalen
M Mozepkalen ,
BraehTaepfaalen
Keehtes Ohr
Linkes Ohr
Langer i Kurzer . djäu-^«. Langer ; Kniier
Dnrehm. | Dnrehm. | ""'^ Dnrehm. j Dnrehm.
8,17
max. 10
min. , 7
8,68
7^3
max. 8
min. 7
7,12
[. 11 I max. 9
min. 7 i min. 5
9,33
max. 12
6
6,30
max. 8
min. 5
0,84
1,26
3,03
IMffereak
9,41
max. 11
7,81
max. 9
min. 7
min. 7
9,26
max. 11
8,06
max. 10
min. 6
min. 5
9,61
max. 12
min. 8
7,00
max. 9
min. 5
1,6
1.2
2,52
Ans dieser Tabelle geht hervor, daß die Differenz zwischen
dem langen nnd kurzen Dnrehmeflser der Öffnung des änfieren
Grehörgangs bei Mesozephalen nnd besonders bei Braehyzephalen
größer ist als bei Dolichozeijhalen ; bei letzteren beträgt sie dnrch-
sehnittlich 0,8, so daß die Öffnung des äußeren Gehörgangs eine
fast runde Form hat ; bei Braehyzephalen beträgt diese Differenz
3,03, und infolgedessen hat die gleiche Öffnung eine länglich-
ovale Form. Meine Messungen bestätigen somit die Angaben
Ostmanns.
Außerdem haben meine Messungen ergeben, daß die Öffnung
des knöchernen Gehörgangs rechts etwas kleiner ist als links.
Die Angabe Trautmanns, daß der Querdurchmesser des
äußeren Gehörgangs bei vorgelagertem Sinus transversus ver-
größert ist, hat durch meine Messungen eine Bestätigung nicht
gefunden. So beträgt beispielsweise im Schädel Nr. 21 mit stark
ausgesprochener Vorlagerung des Sinns transversus der Durch-
messer des Gehörgangs 6 mm, d. h. sogar etwas weniger als die
durchschnittliche Größe ausmacht.
Diese Abhängigkeit der Form des Gehörgangs von der
Schädelform findet nach Ostmann ihre Erklärung darin, daß
Hand in Hand mit dem fortschreitenden Wachstum des gesamten
Schädels in die Länge sich auch der Querdurchmesser der Öff-
nung des Gehörgangs vergrößert und diese sich der runden
Form nähert.
Literatur.
1. Körner, Über die Möglichkeit, einige topographisch wichtige Yerhält-
nisse am Schläfenbein aus der Form des Schädels zu erkennen.
Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. XVI. S. 212. — Nene UntersuchHDgra
über einige topographische Yeränderangen des Schl&fenbeins. 101
über den Einfluß der Sch&delfonn auf einige topographisch wichtige
Verhältnisse am Schläfenbein. Ebenda. Bd. XiX. 8. 322. — Unter-
suchungen über einige topographische Verhältnisse am Schläfenbein.
Ebenda. Bd. XXII. S. 182. — Randalls Untersuchungen über den
Einfluß der Schädelform auf topographisch wichtige Verhältnisse am
Schädel. Ebenda. Bd. XXIV. S. 173.
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furt a. M. 1900.
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im gesunden und kranken Zustande und über den Einfluß derselben
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Ohrenheilk. Bd. VII. Nr. 11. Bd. Vm. Nr. 1—2.
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7. Rand an, Transactions of the American Otologicid Soeietr. Yol. V, P. II.
8. Schülzke, Dieses Archiv. Bd. XXIX. S. 201. Bd. XXX. S. 136.
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10. Adermann, Zeitschr. f. OhfeoheUk. 1901. Bd. XXXIX.
11. Sato, Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. XLI. 8. 295.
12. Bürkner, dieses Archiv. Bd. XIII. 8.163. Bd. XIV. S. 136.
13. Flesch, dieses Archiv. Bd. XIV. 15. Bd. XVIII.
14. Körner, dieses Archiv. Bd. XXVIII. 8. 169.
15. Oitmann, Monatsschr. f. Ohrenheilk. 1893. Nr. 1.
VIIK
Ober einea Fall vob mittelst Wasserstoffsuperoxyd ais
dem Ohre heraisgetriebenen Fremdkörper.
Von
Dr. Heinrieh Hfiläsz,
Spitalsordiiiaiins in Miskolcz (Ungarn).
Ftlr die EntferDUDg ins Ohr geratener Fremdkörper sind
verschiedene Verfahren in Anwendung. Als mildestes Verfahren
in erster Beihe die Anespritznng mit Wasser, nur wenn dieses
im Stiche ließe, greifen wir zur instrumentellen Entfernung, in
oder ohne Narkose, je nachdem wir es mit einem geduldigen oder
sehr empfindlichen Patienten zu tun hahen. In dem weiter unten
mitzuteilenden Falle , wo ich trotz mehrere Tage hinduroh ver-
suchter Ausspritzungsversuche nicht zum Besultat gelangte,
war schon alles fdr die Narkose vorbereitet, um die Bohne auf
instrumentellem Wege zu entfernen, da das ungeherdige, em-
pfindliche und durch schon außerhalb des Spitals vorgenommene
Extraktionsversuche gequälte und erschreckte Kind niemanden
mehr in die Nähe des Ohres zuließ, — als ich am Morgen des
Operationstages den Fremdkörper an dem in die Öffnung des
Gehörganges eingelegten Wattetampon haftend fand. Der Fall
war folgender :
B. B., 4 Jahre alter Knabe, bat sich 1—2 Wochen vor der Spitals-
aofnahme eine Bohne ins Ohr gesteckt. Der Vater erfahr es jedoch erst
vor zwei Tagen. Der dortige Arzt hat mehrfache erfolglose Extraktions-
versuche unternommen. Die Inspektion ergab Eiterausfluß aus dem linken
Ohre. Verschlaf des Gehörganges darch Granulationen bis auf einen Spalt
von 1 — 2 mm, ein Einblick selbst nach erfolgter Ausspritzung unmöglich.
Der kleine Patient war fieberfrei, klagte über keine Schmerzen, so daß ein
Zuwarten statthaft erschien, ich verordnete Eisbeutel aufs Ohr und gegen
die Eiterung Instillationen von (lOproz.) Eydrogenhyperoxyd in den Ge-
hörgang. Drei Tage hintereinander versuchte ich Jeden Morgen unter gleich-
zeitiger Kauterisation der Granulationen (mit Trichloressigsäure) die an-
geblich hereingeratene Bohne mittelst 4 — 5 Wassereinspritzungen zu ent-
fernen. Doch vergebens. Am Morgen des 4. Tages waren die Granulationen
bereits in dem Maße verkleinert, daß durch den eingeführten kleinkaUbrigen
Ohrenspiegel ein gelblichweißer, rundlicher Körper in der Tiefe zwischen
Mittelst Wasserstoffsuperoxyd a. d. Obr herausgetrieben en Fremdkörper. 103
die Gefaörgangswände eingekeilt, sichtbar wurde. Da das reizbare Kind
keinen instrumentellen Eingriff gestattete, griff ich abermals zur Spritze,
ohne jedoch den Fremdkörper von der Stelle bringen zu können. Ich wieder-
holte meine bisherigen Anordnungen, mit dem Vorsätze, falls die Einspritz-
ungen auch am nächsten Morgen rcsultatlos wären, die Extraktion in der
Narkose vorzunehmen. Wie überrascht war ich, als ich am Morgen des
5. Tages die weißlicbgelbe, an einem Pole einen kleinen Defekt aufweisende
Bohne an dem in die Ohröffnung eingelegten Wattetampon klebend, fand.
Die Rotekreuzwärterin gab an, daß der Fremdkörper vor ihren Augen durch
die nach der am selben Morgen erfolgten Eingießung des Wasserst offiBuper-
oxyds aufgetretenen Blasenbildung durch die vordringenden Blasen heraus-
geschleudert wurde. Um nun den Fremdkörper bis zu meiner Ankunft an
Ort und Stelle zu fixieren, gab sie den Wattetampon in die äußere Öffnung
des Ohres.
Der Meohanismus der Heransbeforderung der Bohne läßt sich
nur ans Verdrängung derselben dnreh die Blasenbildung erklären«
Die Erweiterung des Gehörganges beziehungsweise der äußeren
Ohröffnung zufolge Verkleinerung der Granulationen kommt als
wesentliches Hilfsmoment in Betracht.
Wer je Gelegenheit hatte, zu sehen, welche Eiterbröckeln
durch die nach Wasserstoffsuperoxydeingießungen auftretende
Blasenbildung aus der Tiefe des Gehörgangs, der Trommelhöhle
an die Oberfläche befördert werden, der wird keinen Moment
an einer analogen Wirkung, wie sie in unserem Falle vorlag,
zweifeln.
Auf Grund dieser Erfahrung halte ieh es am Platze, bei
Fremdkörpern eine 5 — lOproz. Wasserstoffsuperoxydlösung in
den Gehörgang zu gießen, besonders in jenen Fällen, wo die
Spritzungen zu keinem Resultat geführt haben und der Arzt nicht
genügende Übung f&r die Vornahme eines instrumenteilen Ein-
griffes besitzt.
Im Jahre 1897 habe ich das Wasserstoffsuperoxyd wegen
seiner blutstillenden und sekretionsbesehränkenden Wirkung be-
währtes Mittel in der Nasen- und Ohrenheilkunde aufs wärmste
empfohlen ; der Zufall führte mich darauf, eine neue Eigenschaft
des Mittels zu entdecken, welche eine weitere ausgedehntere
Verwendung desselben empfehlenswert erscheinen läßt.
IX.
tJber den Einflnss der Verengernng des Ansatzrohres anf
die Hohe des gesungenen Tones.
Von
Dr. M. BnkoflBer, Kfoigsberg i. Pr.
(Mit 1 Abbildung.)
Als Spieß im Febrnar 1902 (Internat. Zentralbl. f. Larjngol.)
auf den Umstand aufmerkaam machte, daß ein bei gesohlosseaem
Mande geanmmter Ton sich in dem Augenblicke v^iefe, in
welchem man eine Nasenhälfte verechlieBt nnd die andere ver-
engt, Würde von Gutzmann (Internat Zentralbl. £. Laryngol.
1902, März) eine Erklärung ftlr diese Erscheinung abgegeben,
welcher ich mich (Internat. Zentralbl. f. Laryngol. 1902, Juni) an-
schloß; außerdem aber mußte ich, wie es Jörgen Möller
(Internat. Zentralbl. f. Laryngol. 1902^ April) inzwischen ebenfaUfi
getan hatte, die Bichtigkeit der Spießschen Beobachtung berror-
heben, weil A. Barth (Internat. ZentralbL f. LaryngoL 1902, März)
seine Meinung dahin geäußert hatte, eine Vertiefung des Tones
finde gar nicht statt, sondern nur eine Veränderung der Klang-
farbe; man solle sich vor einer Verwechslung von Tonhöhe mit
Elsng£&rbe hüten.
In einem Vortrage auf der Naturforscherversammlung in
Karlsbad (1902), der in diesem Arohiv Bd. LVII ersehira, legte
A. Barth dann seine Ansieht ausf&hrlicfa dar und suchte sie
mit Hilfe graphisch fixierter Versuche zu erhärten. — Neuer-
dings kam dann Jörgen Möller (dieses Archiv. 1903 XVL Bd.)
auf diese Arbeit zurück und erklärte, daß seine Überzeugung
von der tatsächlichen Veränderung der Tonhöhe beim Spieß sehen
Versuche durch neue persönliche Wahrnehmungen nur bestärkt
worden sei. — Dadurch habe ich willkommene Gelegenheit ge-
funden, auf die inzwischen nicht berührte Frage noch einmal
und zwar ausführlicher einzugehen.
über den Einfluß der Verengerung des Ansatzrohres usw. 106
Zunächst möchte ich die Versuche bekannt geben, welche
ieh zur objektiven Feststellung der Tonhöhe beim Spie fischen
Versuche gemacht habe. Herrn Geh. Med.-Sat Prof. Dr. L. Her-
mann sage ich fbr seine Liebenswürdigkeit, welche es mir er-
möglichte, die Versuche im Egl. phvsiolog. Universitäts-Institnte
anzustellen, meinen verbindlichsten Dank.
Da es sich bei dem Spieß sehen Versuche nur um eine Ver-
engerung der Mündung des Ansatzrohres handelt, so konnte naeh
dem Vorgange von Barth das Experiment unbeschadet seiner
Deutlichkeit vom Naseneingange nach der für Versuche be-
qoemeren Mundöffnung verlegt werden, vorausgesetzt daß ein
Abschluß der Mundhöhle vom Na«enrachen durch das Gaumen-
segel oder ein Verschluß beider Nasenöffnungen stattfand. Durch
Sehlauch und Mundstück wurde ein T- förmiges Glasrohr mit
der Mundhöhle verbunden, indem sich die Lippen fest um das
Hnndstflck legten. Das T-Rohr hatte einen weiten und einen
flehr engen Schenkel. Das Lumen des weiten Schenkels war
dem Lumen des Fnßstttckes gleich. Wurde nun mit Vox nasalis
clausa oder mit zugedrückten Nasenöffhungen ein Ton hinein-
gesuDgen, so erschien er in demjenigen Augenblicke um ca. V«
bis 3/4 Ton dem Ohre tiefer, in welchem man das Lumen des
weiten Schenkels verschloß, so daß die Luft durch den sehr engen
Schenkel entweichen mußte. Der Spieß sehe Versuch war also
mit Erfolg nach der Mundöffnung transloziert. —
Es kam nun darauf an, die Schwingungszahlen der beiden
106 IX. BUKOFZER
wahrgenommenen Töne festzustellen. Zn diesem Zwecke wurde
der enge Schenkel des T-Bohres durch einen Schlauch mit einer
Phonographen- Aufnahmekapsel, an welcher ein Schreibehehel
befestigt war, luftdicht verbunden, während der weite Schenkel
mit Hilfe eines Schlauches zu dem Fuße eines zweiten Y-Rohres
gleicher Beschaffenheit gef&hrt wurde« Wurde nun durch das
Mundstück wie vorher ein Ton in dieses Röhrensystem hinein-
gesungen, so mußten die Schallwellen durch die Mündungen
des zweiten T-Rohres entweichen, indem sie auf dem Wege dort-
hin Gelegenheit fanden, auch die Luft im ersten engen Y-Schenkel
und somit den Schreibehebel in die gleiche Schwingung zu ver-
setzen. Wurde aber der zweite weite Y-Schenkel verschlosseo,
so mußte bei im übrigen gleichen Verhältnissen die Luft ans
dem zweiten engen Y-Schenkel allein entweichen. Auch bei dieser
Anordnung gelang der Versuch zunächst f&r das Ohr.
Es wurde nun eine Mareysche Trommel so angebracht,
daß die Spitze ihres Schreibehebels in dem Augenblicke eine
Marke neben der Zeichnung des Schreibehebels der Phonographen-
membran auf einem vorbeigef&hrten berußten Papierstreifen in
gleicher Höhe zeichnete, in welchem auf ihren luftdicht ver-
schlossenen Schlauch gedrückt wurde. Geschah dieses nun im
Momente des Abschlusses des zweiten weiten Y-Schenkels, so
war auch der Moment des Eintritts der vom Ohre wahrgenommenen
Tonvertiefung graphisch fixiert. — Daneben zeichnete der Schreibe-
hebel einer durch einen Akkumulator getriebenen sekundären
Stimmgabel von 150 Schwingungen deren Kurve. —
Nun sang jemand (die graphisch dargestellten Versuche
wurden an vier Personen vorgenommen) bei beiderseits ge-
schlossener Nase und fest um das Mundstück gelegten Lippen
in dieses einen Ton laut hinein, während der berußte Papier-
streifen auf einer Walze an den Schreibehebeln vorbeigeftihrt
wurde. Inmitten des Tones wurde plötzlich, und zwar um jede
willkürliche Veränderung des Tones im Momente der Verengerung
auszuschließen von einer a n d e r en Person undohneVorwissen
des Singenden der weite Schenkel des zweiten Y-Rohres ge-
schlossen und a tempo ein Druck auf den Schlauch der
Marey sehen Trommel ausgeübt. — Ebenso wurde der Versuch
in umgekehrter Reihenfolge (erst enges, dann weites Lumen)
ausgeführt.
Die auf diese Weise erhaltenen Kurven ergaben eine deut-
liche und erhebliche Vertiefung des Tones bei engem Lumen.
über den Einflaß der Verengerung des Ansatzrohres usw. 107
— um aber die Objektivität der Beobachtung noch weiter zu
steigern, die Möglichkeit willkürlicher Veränderung der Tonhöhe
geradezu fär das Resultat auszuschließen, wurde zur Schluß-
berechnung nur die Differenz der Sohwingungszahlen in der
letzten Drittelsekunde vor und in der ersten Drittelsekunde
nach dem Momente der Veränderung des Lumens (also während
je 50 Stimmgabelschwingungen diesseits und jenseits derselben)
benutzt. Die beigefügte Tabelle gibt die Verhältnisse wieder.
Die auf die angegebene Weise erhaltene Differenz betrug auf
das Intervall eines Halbtones berechnet (das Verhältnis des
böheren zum tieferen Halbtone = 16 : 15 als Grundlage ge-
nommen) 0,435 bis 1,702 Halbton; nämlich in dreizehn Ver-
suchen: 0,435—0,452 — 0,470 — 0,600—0,626—0,750—0,842—
0,848—1,007—1,221—1,463-1,518—1,702 Halbton, d.h. durch-
schnittlich 0,917 Halbton, also fast einen Halbton. — Die
Schwingungszahlen der beobachteten Töne waren 147 — 240 in
der Sekunde.
Derselbe Versuch an einer membranösen Zungenpfeife
gemacht, bei welcher das Lumen viel weniger eng genommen
werden konnte, weil sie sonst nicht angab, zeigte dennoch ein
Herabgehen der Schwingungszahl bei Verengerung des Lumens
von 255 auf 229 Schwingungen in der Sekunde oder (das Ver-
hältnis des höheren zum tieferen Ganztone = 9 : 8 als Grundlage
genommen) um etwas weniger als einen Ganzton.
Nach diesen Ergebnissen scheint mir ein Zweifel an der
Tatsache, daß beim Spießschen Versuche der Ton sich be-
zQglioh seiner Schwingungszahl und nicht nur bezüglich seiner
Obertöne ändert, nicht mehr angänglicb.
Wichtig allerdings ist es, daß der Versuch auch wirklich
den Angaben von Spieß entsprechend ausgeftihrt wird. Spieß
sagt ausdrücklich: „Ist dagegen eine Nasenseite bis zu einem
gewissen Grade verengt, so wird die Tonhöhe des gesummten
Tones oft um einen halben Ton und noch mehr herabgehen, so-
bald man die nicht verengte Nasenseite schließt.^ — Es handelt
sieh eben darum, das DrnckgeMle der Exspirationsluft wesent-
lieh zu beeinträchtigen. In den Barthschen graphischen Ver-
snoben ist dieser wichtigen Forderung nicht Rechnung getragen;
wenigstens ist bei ihnen nur vom Verschluß einer Nasenöffhung,
nicht aber von einer Verengerung der anderen die Rede. Der
Verschluß einer Nasenöffnung mag wohl in manchen Fällen je
nach der Konfiguration des Ansatzrohres genügen, auch dabei
108
IX. BUKOFZER
Sehwingszahl der Stiol
Lumen
Sohwingungszahl
während der ganzen
Dauer des Versuchs:
Schwingungseahl der
Stimme in der Sekunde
Differeni j
Sohwinguiu
sahlen dt
Stimme t^
und nach ?(
änderangl
Liinieni ii
der Sehnd
der Stimm-
gabel
der
Stimme
Yersooh 1.
eog
169
207
207
-j^. 150 -=183,600
7,650
weit
100
127,5
ig^. 130 «191,250
y ersuch 2.
weit
205
211,5
-^.150-154,800
5,550
eng
124,5
124
mV ''"'"'''''''
Yenitoh 3.
eng
188
236
-?|i. 150 = 188,250
11,100
weit
194
258
-^ . 150 — 199,350
Versuch 4.
eng
194
247
~ . 150 - 190,979
1 1,550
weit
220
297
297
^jjj-. 150-202,500
Versuch 5.
weit
220
297
297
-22JJ-. 150 «202,500
9,750
eng
207
267
267
-2ÖY- -100-192,750
Vertueh 6.
weit
198
271,5
—^.150-205,681
12,131
eng
117
152
152
-^.150—193,550
Versuch 7.
weit
118
155
155
jjy . 150 — 196,950
19,350
eng
228
270
270
^^.150-177,600
Versuch 8.
eng
228
270
270
-^j^. 150 -177,600
13,400
weit
150
191
— .150 — 191,000
Versuch 9.
weit
162
171
-J^. 150- 158,250
7 800
eng
161
161,5
-^^.150 — 150,450
( jO""
über den Einfluß der Yerengerang des Ansatzrohres usw. 109
el = 1 50 in der Sekunke.
iwm^ngB-
i d. Stimme
der an-
BDzeDden
ittelsek. :
Jec'\ nach
Kg. 'Yorand.
des
Lumens
(=N)
tens
M)
2 I
Sa
a '
s
■'S
rs
O)
v
t —
64
1 -
49
\2 —
68,5
13,5 —
66,0
J6,5l —
63,0
f0,5 —
63,0
>5,5 , —
61,5
»9,5 I —
63,5
)2,5
51,0
3,0
2,0
6,5
3,5
3,5
7,5
4,0
1,5
-^ 's
I
a> so
Q
CO
Sohwingungszahl des
Däohsttieferen Halbtons ')
(ausgeh. y. höheren der
beiden an d. Moment d.
Yerind. d. Lumens an-
grenz. TOne [3 M resp.
3 N]) in der Sekunde
(-0)
1) DasYerhältn. ein. Ton. z.
nachsttiel Halbton ist 16 : 16.
Differeni zwischen
3 M resp. 3 N v. d.
naohsttieferen Halb-
tone (3 M — resp.
3N— 0)
9,0
6,0
19,5
10,5
10,5
22,5
5,0 15,0
12,0
4,5
3.64.15
16
»180,000
3.51.15
16
— 143,437
192 (.
180 (:
3N)
0)
12
3 . 68.5 . 15
16
=» 192,656
3.66.15
16
»185,625
3.66,5. 15
16
— 187,031
3.70,5.15
16
198,281
3 . 65,5 . 15
16
134,218
3.63,5.15
16
= 178,593
3.52,5. 15
16
«147,656
153,000 (-
— 143,437 (-
'3M)
'0)
9,5ti3
205,500 («
— 192,656 (-
:3N)
.0)
12,844
198,000 (=
— 185,625 (-
*3N)
.0)
12,375
199,500 (-
- 187,031 (=
'3M)
.0)
12,469
211,500 (=
— 198,281 (-
:3M)
:0)
13,219
196,500 (=
184,218 (=
:3M)
.0)
12,282
190,500 (=
178,593 («
= 3N)
= 0)
11,907
157,500 («=
147,656 (-
:3M)
.0)
unterschied
iwisch. 3 M u.
3N auf das
InterTall eines
Halbtones
berechnet
9
12
— 0,750
6,0
9,563
0,626
19,5
12,844
=-1,518
10,5
12,375
> 0,848
^-0,842
12,469
22,5
13,219
1,702
15,0
12,282
1,221
12,0
11,907
— 1,007
9,944
4,5
9,944
»=0,452
110
IX. BUKOFZER
Lumen
Yersuoh 10.
Versuch 11.
Yerattoh 12.
Versuch 13,
Schwingungszahl
während der ganzen
Dauer des Versuchs :
der Stinim-
gahel
der
Stimme
eng
161
161,5
weit
114
120
eng
179
251
weit
138,5
200
eng
352
533
weit
289
470
weit
289
470
eng
150
229
Schwingangszahl der
Stimme in der Sekunde
161,5
161
.150=» 150,450
120
114
.150 = 157,800
251
179
. 150 »210,300
200
138,5
.150^216,600
M3
352
. 150 »227,100
470
289
. 150 -»243,900
470
289
.150» 243,900
229
150
.150 «220,000
Differenz d
Schwingau
zahlen dei
Stimme t<{
und nach Y{
änderung I
liUmenB ii
der Sekuiu
7,350
6,300
16,800
14,900
schon ein Herabgehen des gesummten Tones zu konstatieren; ein
deutliches, unanzweifelbares Resultat ist jedoch nur zu erzielen,
wenn man den Spießsehen Versuch genau nach dessen Vor-
schrift macht.
Wer von Jugend auf sich daran gewöhnt hat, die Klang-
farben eines Orchesters zu analysieren , wer in jedem Momente
weiß, welche Instrumente gerade gespielt werden, dürfte sieh
beim Spieß sehen Versuche durch eine Elangfarbenverändening
über die Tonhohe schwerlich täuschen lassen. — Es wäre auch
höchst unwahrscheinlich, daß dieselbe Person, die beim Spieß-
sehen Versuche dieser vermeintlichen Täuschung anheimgefallen
ist, bei der Wiederholung derselben sich plötzlich nicht mehr
täuschen ließe; es handelt sich hier eben um eine Korrektur des
Fehlers bei der Wiederholung, welche der Sänger willkürlich
vornimmt — immerhin bei den veränderten Druckverhältnissen
ein Vorgang von wunderbarer Präzision.
Singt man bei verschlossener Nase durch das oben be-
über den Einfluß der Verengerung des Ansatzrohres osw. 111
ihwingUDg»-
fld. Stimme
I der an-
leoienden
irittelsek. :
Ter-' nach
tag. IVerlnd.
Jei I des
DflDs Lomens
=M) I (=N)
1 I
•- ^ ^
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Q> CO I— rf
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a
CO
Schwingungszahl des
nächsttieferen Halbtons ')
(ausgeh. y. höheren der
beiden an d. Moment d
Veränd. d. Lumens an-
grenz. Töne [3 M resp.
3 KJ) in der Sekunde
(«0)
1) DasYerhaitn. ein. Ton. z.
nftchsttief. Halbton ist 16 : 15.
,9,5
1,5
—
51,0
I!,5
2,0
73,5
r6,o
7,5
—
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K),0
1
3,0
- ' 77,0
4,5
6,0
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9,0
3.51.
16
15
— 143,437
3 . 73,5 .
16
15
— 206,718
«5 • ou,u •
16
15
»234,843
3.80.
4 A
15
»225,000
Differenz swischen
3 M resp. 3 N u. d.
nächsttieferen Halb-
tone (3 M — resp.
3N— 0)
153,000 (»3N)
1 43,437 (— 0)
9,563
220,500 (>
206,718
13,782
3N)
0)
250,500 (— 3 N)
234,843 ( «rO)
15,656
240,000
225,000 ( «
15,000
3M)
0)
Unterschied
z wisch. 3 M u.
3 N auf das
Interyall eines
Halbtones
berechnet
4,5
9,563
»0,470
6,0
13,782
0,435
22,5
15,657
— 1,436
9,0
15,0
— 0,600
schriebene Y-Rohr (mit einem weiten und einem sehr engen
Sehenkel) einen Ton in das Klavier bei aufgehobenem Pedale
laut hinein und läßt dann unvermutet durch einen Andern den
weiten Schenkel plötzlich schließen, so bort man nicht nur den
angegebenen Ton, sondern auch den tieferen Halbton mit-
klingen; und zwar hebt er sich deutlich aus dem allgemeinen
Summen der andern Saiten heraus. Auch dies ist ein Beweis ftlr
die Sichtigkeit der Spießschen Beobachtung.
Es läßt sich übrigens eine Modifikation des Spießschen Ver-
suches leicht bilden, bei der eine Klangfarbenveränderung gar
nicht stattfindet. Singt man nämlich bei völlig geschlossener
Nase und bei völlig geschlossenem Munde einen Ton solange es
irgend angeht, so erscheint alsbald ein Moment, in welchem
der supralaryngeale Druck infolge der Hemmung am peripheren
Ende des Ansatzrohres dem infralaryngealen Druck annähernd
gleichkommt^ um bald darauf ihm völlig gleich zu werden. In
diesem letzten Augenblicke muß der Ton erlöschen. Schon Wolf-
112 IX. fiUKOFZER
gang von Kempelen^ schildert in seinem 1791 in Wien er-
schienenen Bnche über den ^Mechanismus der menschlichen
Stimme*' S. 242 — 243 diesen Versuch sehr anschaulich und be-
gründet das Resultat. Oenau wie beim Spieß sehen Versuche
wird hierbei das Druckgefälle des Exspirationsstromes beein-
trächtigt, verlangsamt, und genau wie bei ihm sinkt der Ton und
zwar in der letzten Phase seiner Existenz mit der Verlangsamung
des Exspirationsstromes. Aber eine Veränderung der Klangfarbe,
durch die man sich etwa über die Tonhöhe täuschen lassen
konnte, findet dabei naturgemäß nicht statt.
Es liegt kein Grund vor, im vorliegenden Falle fftr die
Zungen des Kehlkopfes ein anderes physikalisches Gesetz auf-
zustellen, als das ftlr membranöse Zungen allgemein gültige —
ich komme auf diesen Punkt bezüglich harter Zungen noch
zurück — , nach welchem sie, wie bekannt und wie von mir
durch den am Modell ausgeführten und oben erwähnten Versuch
aufs neue und graphisch bestätigt, bei Verminderung des An-
blasestromes langsamer schwingen.
Es ist eine ganz bekannte Tatsache, daß beim Crescendo-
singen, d. h. bei Beschleunigung des Exspirationsstromes, die
Tonhöhe steigt und der Sänger es lernen muß, diesen Fehler
auszugleichen. Th. Hauptner (Die Ausbildung der Stimme,
S. 6) sagt z. B. darüber: „Bei gleichbleibender Spannung der
Stimmbänder geht der Ton mit der wachsenden Kraft des Luft-
stromes in die Höhe und sinkt mit Abnahme derselben. Bei
sukzessivem Anschwellen des Tones muß also mit der wachsenden
Kraft des Anblasens die Spannung der Stimmbänder etwas nach-
gelassen werden, wenn der Ton auf gleicher Tonhöhe bleiben
1) „Man kann aach bei geschlossenem Mund und Nase seine Stimme
hören lassen, jedoch nur ganz kurze Zeit und nicht sehr laut. Dieses ge-
schieht auf folgende Art: Der innere Raum des Mundes ist mit Luft gefüllt,
die nicht zusammengedrückt, sondern in ihrem natürlichen Zustande ist.
Das Stimmhäutchen schneidet ihr alle Gemeinschaft mit der in der Lunge
enthaltenen gleichsam wie ein Ventil ab. Wenn nun die Stimme ansprechen
soll, so wird die in der Lunge enthaltene Luft zusammengedrückt, das
Stimmhäutchen öffnet sich ein wenig und gestattet ihr einen nur ganz engen
Durchgang. In der in dem Munde vorrätigen, viel weniger zusammen-
gedrückten Luft findet sie noch so viel Raum, daß sie in dieselbe mit einem
Laut hineinströmen kann, indem sie diese immer mehr und mehr zusammen-
drückt. Sobald die Luft in dem Munde ebenso sehr zusammengedrückt ist als
in der Lunge, so ist zwischen beiden das Gleichgewicht hergesteUt, der Strom
der Luft hört auf und mit ihm die Stimme. Und dieses ist die Ursache, warum
die Stimme nur eine kleine Weile, etwa eine Sekunde lang, anhalten kann**.
über den Einfloß der Verengemiig des Ansatzrohres usw. 118
soll und umgekehrt bei sukzessiver Abnahme der Tonstärke^.
Johannes Müller besehreibt (Handb. d. Physiol. Koblenz 1840.
II. S. 152) folgenden Versueh: ^Zwei elastische Membranen sind
Aber daj9 Ende eines ganz kurzen Rohres so ausgespannt, daS
jede einen Teil der Öffnung verdeckt und zwischen ihnen eine
Spalte ttbrig bleibt . . . Der Ton war beim Blasen durch das
Bohr um einen halben bis ganzen Ton höher, als wenn auf der
Membran selbst ein Ton hervorgebracht wurde durch Antreiben
eines feinen Luftstromes gegen den Sand. Der beim Blasen an-
gegebene Ton ließ sich in allen Fällen durch stärkeres Anblasen
auf zwei halbe Töne höher treiben, aber nicht weiter^. Grützner
(„Physiologie der Stimme^ in: Hermanns Handb. d. Physich
Leipzig 1879. S. 82) sagt: „Von höchster Bedeutung ist die Stärke
des Anblasens, der Luftdruck, vermittelst dessen die Bänder zum
Tönen gebracht werden; . . . man ist imstande, im Kehlkopf durch
Erhöhung des Luftdrucks die Tonhöhe der schwingenden Bänder
um etwa eine Quinte zu steigern^. Diese letzte Angabe bezieht
sich offenbar auf ein Experiment am ausgeschnittenen Kehlkopf,
wie es schon — was wenig bekannt sein dürfte — von Perrein
nm 1740 ausgefiihrt wurde. Da dieser ausgezeichnete Forscher,
dem wir die Kenntnis verdanken, daß die Weite der Glottis
keinen Einfluß auf die Tonhöhe hat, in seiner interessanten Arbeit
eine Erklärung fllr diese Erscheinung abgibt, welche noch heute
gelehrt wird, ohne daß man ihren Schöpfer nennt, da auch ich
mich in der Brief kastennotiz vom Juni 1902 (Internat. Zentrabi.
f. Larynyologie) dieser Lehre angeschlossen habe, ohne die
Ferreinsche Arbeit damals zu kennen, so muß ich eine wichtige
Stelle aus ihr anführen, obgleich ich aus einem später zu
nennenden Grunde jetzt diese Erklärung nicht mehr für anst-
reichend halten kann. Ferro in berichtet (Histoire et mömoires
de FAcadämie, Paris 1744) über eine Steigerung der Tonhöhe um
V2 bis 1 Ton bei dem gleichen Spannungsgrade und gesteigertem
Anblasedruck. Er vergleicht den Vorgang damit, daß der Ton
einer gestrichenen Saite mit der Intensität des Bogenstriches
steigt. Sein Gewährsmann dafür ist Mons. Mondonville, „un
des plus grands mattres que nous ayons en rousique^^ „II a
trouvö — heißt es da — que cette difförence pouvoit aller k un
demiton lorsqu'on tient le cordes fort läches, quoique la gradation
qn'on observe en renflant et en adoucissant le son, rende ordinaire-
ment cette difference insensible ä Toreille". Für die bei seinen
Versuchen an Kehlköpfen wahrgenommene Steigerung der Ton^
ArehiT 1 Ohienheilknnde. LXI. Bd. b
114 IX. BDKOFZEK
höhe infolge Steigerung des Anblasedraekes gibt er dann fo}-
^nde ErU&rnng: ^Uair g€nö dans gon passage, pressant les
l^yres de la glotte dn dedans en dehors, les for^oit de s'ötendre, de
se conrber et de s'öcarter Tnn de Fantre et je vis le son plus ou
moins sensiblement, sniyant la distension 6toit elle-mSme plag on
moiDS oonsidörable^.
Die Erklärung, welche 6ad in der Eulenburgschen Real-
enzyklopädie (3. Aufl. 1900. Bd. Xm. S. 402 ff.) gibt, lautet nicht
viel anders. Er sagt: ,,Die Tonhöhe membranöser Zungenpfeifen
ist in nicht unerheblichem Maße von der Stärke des Anblasens
abhängig. Schwillt der exspiratorische Druck im crescendo an,
BO werden durch den Luftdruck an sich die Stimmbänder schon
stärker gespannt, und es wird behufs Festhaltung der Tonhöhe
eine kompensatorische Entspannung des Mnskelzuges erforder-
lich.^ Ich hatte in der erwähnten Briefkastennotiz das Wort
„Ausgleichsmechanismus^ bierf&r gebraucht.
Mittlerweile habe ich mich davon überzeugt, daß auch harte
Zungen — auch Grützner (1. c.) erwähnt diese Eigenschaft „ge-
wisser metallener Zungen^ — in bezug auf die Tonhöhe der
Intensität des Anblasestroms bis zu einem nicht unerheblichen
Grade folgen; außerdem aber läßt sich auch an ihnen, ebenso
wie bei membranösen Zungen, durch Verengerung der Mündung
des Ansatzrohres der Ton wesentlich vertiefen. Auch diesen
letzteren Versuch habe ich graphisch fixiert und ein Herabgehen
des Tones von 240 auf 228 Schwingungen in der Sekunde, d. h.
um 0,8 Halbton, gefunden. — Daß die harte Zunge nun etwa
durch den Anblasestrom, als sie den höheren Ton angab, ge-
dehnt worden wäre, ist schlechterdings undenkbar, so plausibel
dies für membranöse Zungen erscheinen mag. Die Erklärung,
nach welcher das Ansteigen des Tones im crescendo auf eine
Dehnung der Stimmlippen durch den beschleunigten Exspirations-
strom zurückgeführt wird und welche auch ich zur Begründang
des Spieß sehen Phänomens herangezogen habe, ist sonach nicht
ausreichend, wenngleich sie nicht gerade falsch sein muß. Es
spielen eben sicher noch andere Faktoren beim Zustandekommen
des Phänomens mit, welche zu bestimmen eine schwierige Auf-
gabe sein dürfte; sie zu lösen ist Sache des Physikers.
Ich glaube nunmehr nachgewiesen zu haben, daß beim
Spieß sehen Versuche die Tonhöhe bei wesentlich verengtem
Lumen des Ansatzrohres sinkt, wie es infolge der dadurch be-
dingten Verlangsamung des Exspirationsstromes nicht anders zu
über den Einfloß der Verengerang des Ansatzrohres usw. 115
erwarten ist; denn die Intensität des Anblasestromes hat beson-
ders bei membranösen Zangen (aber auch bei harten) einen ge-
wissen Einfluß auf die Tonhöhe. — Die Wahrnehmung dieser
Tonveränderung beruht keineswegs, wie A. Barth meint, auf
einer Gehörstänschung, durch welche die Tonhöhe mit einer
Klangfarbe verwechselt wird. — Die Tondifferenz sehwankt nach
meinen Versuchen — und nach Spieß — um einen halben Ton
herum, beträgt zuweilen auch fast einen ganzen Ton. Sehr
wesentlich höhere subjektive Angaben scheinen in der Tat Folge
einer Gehörstäusohung oder des Unvermögens, Intervalle abzu-
schätzen, zu sein. — Das Spieß sehe Phänomen kann nicht aus-
schließlich auf den umstand zurückgeführt werden, daß etwa
eine normaliter bei der Tongebung erfolgende Dehnung der
Stimmlippen durch den Exspirationsstrom , welche einen Einfluß
auf die Tonhöhe haben soll, beim Spießschen Versuche erheb-
lich verringert oder aufgehoben wird; denn dei* Versuch gelingt
mit harten Zungen ebenfalls. — Daß der geübte Sänger den Ton
beim Crescendo nicht in die Höhe treibt wie der ungeübte, setzt
einen Ausgleichsmechanismus voraus. Derselbe kann sehr wohl
in einer proportionalen Entspannung der Stimmbänder während
des Crescendo bestehen, ebenso gut aber auch in anderen Vor-
gängen, die sieh z. B. etwa im Ansatzrohr abspielen könnten«
8*
X.
Klinische Stndien znr Analyse der Hörstörnngen.
Von
Professor Ostmann, Marburg a. Lahn.
(Ifit 10 Abbfldungen.)
IL Teil: Zur Analyse der Hörstörung beim Thrombus
sebaoeus. (I. Teil: Zur Analyse der Hörstörung bei der akuten
perforatiyen Mittelohrentzündung. Zeitsehr. für Ohrenheilkunde.
Bd.XLn. S. 217— 257.)
Zwischen dem L und IL Teil meiner klinischen Studien
zur Analyse der Hörstörungen liegt eine weite Strecke Weges;
nicht zeitlich; aber inhaltlich.
Die fiörstörungen bei der akuten perforatiyen Mittelohr-
entzündung waren nach von Gontaschem Prinzip gemessen
und nach Hartmannsohem Vorgänge graphisch dargestellt.
An die Stelle dieser als unrichtig erkannten Messungs- und
Darstellungsmethode tritt die Messung der Hörstörungen mit
meinem objektiven Hörmaß.
Wenn man dieses objektive Hörmaß praktisch prüfen will,
so erfordert ein logisches und methodisches Vorgehen zunächst
Fälle zur Messung auszuwählen , welche möglichst einfache
Formen der Hörstörung erwarten lassen. Unter diesen soll als
erste die Hörstörung beim Thrombus sebaceus zur Analyse aus-
gewählt werden.
Die bisherigen Mitteilungen über die Hörstörungsform beim
Thrombus sebaceus sind sehr spärlich, wenn auch vielleicht
manche, in anderem Zusammenhange gemachte Bemerkung mir
entgangen sein mag.
Zunächst einige frühere Mitteilungen über die Hörstrecke.
Nach Burckhar dt-Merian'^) (1885) „schwächt die An-
1) Dieses Archiv. Bd. XXII. S. 1S2.
Klinische Studien zur Analyse der Hörstörungen. 117
Sammlung von Ceramen die Hörfähigkeit für die Klangfarbe and
die Galtonpfeife nicht ab, dooh kommt auch der umgekehrte Fall
nioht selten vor, sodaß bei bestehender Ansammlang von Ce-
rnmen, kombiniert mit Taubheit für hohe Töne, der
Sehlaß auf eine daneben nooh bestehende anderweitige Erkran-
kung des Gehörapparates nieht erlaubt ist.^
Brunn er ^) beobachtete bei Obtnration durch Geramen „eine
nioht ganz unbeträchtliche Herabsetzung der oberen Grenze, die
sieh unmittelbar nach dem Ausspritzen verlor^ und die er nioht
ohne weiteres auf Veränderungen im Labyrinth schieben möchte.
Er prüfte diese Frage experimentell, indem er vor und nach
Anfllllnng des Meatus auditorius externns mit Wasser die Hör-
fähigkeit für die höchsten Töne der Galtonpfeife prüfte. Galton
sank von 0,4 auf 0,7 der Skala. Aus diesen Beobachtungen geht
für Branner hervor, „daß Änderungen in der Spannung des
Mittelohrapparates — und damit ofl auch des Labyrinths? —
imstande sind, die obere Tongrenze zu beeinflussen.^ „Einer
weiteren Beobachtung bleibt es vorbehalten ^ fährt er fort, „hier-
über mehr Klarheit zu schaffen und wo möglich die Grenzen fest-
zastellen, innerhalb welcher sich solche mehr mechanische Stö-
rungen bewegen; so viel ich — Brunner — bis jetzt — 1895
— gesehen habe, beträgt der Ausfall in solchen Fällen selten
mehr als 1,0 bis 1,2 der Galtonskala, meist nur 0,2 — 0,6.^
Brunn er wirft schließlich die Frage auf, wie viel der Defekt am
oberen Ende der Skala betragen muß, „um daraus mit Sicherheit
auf einen Perzeptionsfehler schließen zu dürfen?''
Zwaardemaker^) stellte in ähnlicher Weise wie Brunner
experimentell fest, daß wir durch Yerschließnng der beiden Ge-
hörgänge einige der höchsten Töne der Galtonpfeife verlieren
und die übrigen schwächer hören. „Auch dann zeigte sich
dieses, wenn durch den absperrenden Finger keine
Drucksteigerung im Ohr entsteht.^
Die Einengung der oberen Tongrenze durch Anhäufung von
Ohrenschmalz ist somit eine bereits mehrfach beobachtete Tat-
sache, deren Ursache und diagnostische Bedeutung indes noch
aufzuklären blieb.
Die Mitteilungen über das Hörrelief beim Thrombus sebaceus
1) Zur diagnostischen Verwertung der oberen und unteren Tongrenze
OBw. Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. XXVII. 1895. S. 258.
2) 0er Einfloß der Schallintensität auf die Lage der oberen Tongrenze.
Ebenda. Bd. XXIV. 1893. S. 311/12. •
118 X. 08TMANN
sind, wie es soheint, äußerst spftrlioh. Mir ist zur Zeit nur eine
Angabe yon Hartmann^) bekannt, naob der gleiehmftßige
Sehwerbörigkeit fttr versehiedene Töne ,,yorwiegend bei den
mit Perforation nnd Sekretion verbundenen Mittelobrentzfin-
dnngen* nnd ebenso bei ,, einigen Fällen von Thrombus sebaceus''
gefunden wird.
Hat sieh die erste dieser Behauptungen durch meinen ersten
Beitrag zur Analyse der Hörstörungen als nieht stiohhaltig er-
wiesen, so wird aueh die zweite durch die nachfolgenden Aus-
fflhrungen widerlegt.
Meine analytischen Untersuchungen Ober die Horstörungs-
form beim Thrombus sebacens haben mehrere Jahre vor der Auf-
findung des objektiven Hörmaßes begonnen. Alle diese Unter-
suchungen sind an sich wertlosgeworden; nur insoweit besitzen
sie aueh jetzt noch Wert und Interesse, als sie, mit derselben
Stimmgabelreihe und von demselben Untersucher vorgenommen^
sehr wertvolle Yergleichsobjekte bieten.
Es soll demnach den 8 Analysen mit dem objektiven Hör-
maß eine gleiche Zahl älterer Messungen gegenübergestellt
werden.
Für alle untersuchten Fälle gilt, daß die Hörschärfe mittelst
Stimmgabeln und Flttstersprache nach der Entfernung des Throm-
bus sebacens nochmals auf das Genauste geprüft wurde, nnd
nur solche Fälle hier mitgeteilt werden, bei denen sich dann
ein durchaus normales Hörvermögen ergab. Es ist selbstverständ-
lich, daß diese Vorbedingung erfüllt sein muß, wenn man die
durch den Thrombus sebacens bedingte Hörstörungsform rein
erfassen will; nur bleibt zu bedauern, daß diese notwendige
Sonderung viel umsonst geleistete Zeit und Arbeit kostet
Betrachten wir zunächst die Hörstreoke, dann das Hörrelief
und die Gestaltung desselben zum Ausfall der spraohliohen Prü-
fung mittelst Flüstersprache. Der Binnesche und Webersche
Versuch wird keiner besonderen Besprechung unterzogen werden,
weil sich hinsichtlich dieser Versuche aus dieser Untersuchongs-
reihe keine neuen Gesichtspunkte ergeben haben.
L Die Hörstreoke.
Für die Untersuchung der Hörstrecke können wir alle Fälle
heranziehen; zur Erklärung ihrer Besonderheiten indes
1) Graphische Darstellung der Resultate der Hörprafung mit Stimm-
gabeln. Zsftschr. f. Ohrenheilk. Bd. XVII. S. 75, 76. 18BT.
Klinische Studien zur Analyse der Hörstörangen 119
nor die mit objektivem Maß gemeBsenen , weil das Hörrelief
dieser uns die Erklärung bieten wird f&r das Verhalten der
Horstrecke.
Zur Prfifdng der Horstreeke dienten für die untere Grenze
die tiefsten, belasteten Gabeln der Edelmann sehen Beihe, ftlr
die obere Grenze das neueste Modell der Galtonpfeife, gleiobfall»
von Edelmann bezogen.
Von den 16 Fällen, die der Analyse zagrunde gelegt werden
BoUen, lag die obere Grenze
fOr bei
7 gs d. h. sie hatte keine Einengung erfahren;
1 f^
3 e'
2 d?
1 e''
2 h«
Somit war bei 56 Proz. der Fälle die obere Grenze eingeengt.
Die untere Grenze lag
fikr bei
5 C2 d. h. sie hatte keine Einengung erfahren ;
4 ...... E2
1 G2
1 A2
1 H2
2 Dl
1 El
1 Ai
Somit war bei 68,7 Proz. der Fälle die untere normale
Hörgrenze hinaufgerückt.
Wodurch erklärt sich dieses Verhalten der Horstreeke und
insbesondere: Ist die Einengung der oberen Hörgrenze als La-
byrinthsymptom aufzufassen oder nicht?
Wir können zar Erklärung des eigenartigen Verhaltens der
Hörstrecke nur die 8 Fälle Nr. 9 — 16 heranziehen, deren Hör-
relief mit objektivem Maß aufgenommen wurde. Betrachten wir
zunächst die untere Hörgrenze.
Es ist eine zwar nicht unbestrittene, aber doch sehr wahr-
soheinliche Annahme, daß zur Überleitung der tiefen und tiefsten
Töne der Schallleitungsapparat von wesentlichster Bedeutung ist,
dagegen die Enoehenleitung als solche nur wenig oder gar nicht
in Betracht kommt.
120
X. OSTMANN
Es ist weiter eine dareh die Höryersuehe von Wien^) am
Telephon und durch die Untersuehungen von anderen festge-
stellte Tatsache, die durch eigene noch zu veröffentliehende
Versnehsergebnisse bestätigt wird, daß die Empfindlichkeit unseres
Ohres yon den tiefsten Tönen bis zur 4 und 5 gestrichenen
Oktave ansteigt, um dann relativ schnell gegen die noch höheren
Oktaven abzusinken.
Halten wir diese Tatsachen fest, so erklärt sieh, daß ein
SohalUeitungshindernis, je st&rker es ist, ein um so umfang-
reicheres Auslösehen der tiefsten Töne herbeifElhren muß.
Die Empfindlichkeit unseres Ohres • wird gegen das untere
Ende der Skala immer geringer; die Empfindlichkeit braucht
demnach durch ein Hemmnis der Schallleitung nur um ein relativ
geringes Maß herabgesetzt zu werden, um zun&chst die tiefsten^
sehallschwächsten Töne unhörbar zu machen.
Ist dem so, so muß sich, wenn wir nun das Hörrelief auf-
nehmen, eine gewisse Übereinstimmung zwischen der Einengung
der physiologischen Hörstrecke und der Einbuße an Hörfäbigkeit,
welche die tiefsten, noch eben gehörten Töne der pathologisch
eingeengten Hörstrecke erfahren haben, ergeben.
Der tiefste Ton, dessen Hörfähigkeit wir mit meinem ob-
jektiven Hörmaß messen können, ist G der großen Oktave; des-
halb müssen wir, sofern dieser Ton noch in die pathologisch
eingeengte Hörstrecke hineinfallt, unsere weiteren Betrachtungen
auf diesen, als den der unteren Hörgrenze nächstgelegenen,
tiefsten Ton beziehen.
Betrachten wir daraufhin die Fälle 9 — 16, die mit objektivem
Haß gemessen sind«
Es fand sich:
die untere HOrgrenze,
in Fall 9 bei
^ * 15 ::
^ ^ 14 -
:: '^ 13 ::
^ ^ 12 ::
^ ^ 11 5
= 5 16 '
5 :: 10 ^
C2
C2
02
E2
E2
H2
Dl
El
die Hörf&higkeit für C sa
\ der normalen
i ^
1) Physikalische Zeitschrift. Nr. Ib. 10. Okt. 1902. Über die Empfind-
lichkeit des menschlichen Ohres für Töne verschiedener Hohe.
Klinische Stadien zur Analyse der Hörstörungen.
121
Mögen in dieser Reihe immerhin kleine Beobaohtnngsfehler
enthalten sein, die das Verhältnis zwischen Hörstreoke und
Hörrelief noch nicht völlig rein znm Ansdrnok kommen lassen,
80 geht doch mit Sicherheit hervor, daß, je weiter die untere
Grenze der Hörstrecke hinanfgerttekt ist, wir eine
om so stärkere Herabsetzung der tiefsten, noch eben
hörbaren Töne der pathologisch eingeengten Strecke
finden.
Auch bei der alten Messung der Hörsehärfe nach von
Oontasohem Prinzip muß sieh das dargelegte Verhältnis zwischen
Hörstrecke und Hörrelief annähernd ergeben, weil die Hörstrecke
in gleicher Weise festgestellt ist, und die Fehler der alten Messung
flieh bei der tiefsten Gabel C relativ am wenigsten bemerkbar
machen.
Verfolgen wir auch ftr diese 8 Fälle Nr. 1—8 das Ver-
hältnis zwischen Hörrelief und Hörstrecke.
Es wurde gefunden:
die untere Hörgrenze, die HOrfähigkeit für C zu
100 Proz. der normalen;
96 ^ = ^
65 5 5 s
OZi 5 5 '
52 5 5 5
25 5 5 5
28 :: ^ 5
Diese zweite Reihe läßt in ähnlicher, wenn auch nicht in
00 übereinstimmender Weise wie" die erste, die Abhängigkeit der
Lage des unteren ßrenztons von der Herabsetzung der Hörfähig-
keit für die tieferen Töne deutlich erkennen; aber welch' ein
Unterschied zwischen dem Aupmaß der Herabsetzung! Bei der
stärkeren Einengung der unteren Hörgrenze bis Ai finden wir
nach altem Maß die Hörfähigkeit für G zu mehr als V^ der
normalen; die objektive Messung dagegen ergibt bei der geringeren
Einengung bis Ei für C^iv der normalen Hörschärfe. Da nun
aber gegen die höheren Töne die Empfindlichkeit unseres Ohres
sehr beträchtlich ansteigt, so ist das Mißverhältnis zwischen der
alten und neuen Messung zuungunsten der ersteren noch viel
größer als es erscheint.
Wir können nach den vorstehenden Ausführungen sagen:
Die Überleitung der tiefen Töne durch den SchalUeitungs-
in Fall 8 bei
. . C2
5^7::
. . Cj
5 5 5 :5
. . E2
1
. . E2
s s 2 s
. . G2
5 5 6 S
. . k'l
5 5 4 S
. . Dl
s s 3 *
. . Ai
122
X. OSTMANN
apparat und die gegen die ontere Hörgrenze stetig absinkende
Empfindlichkeit unseres Ohres sind für die Lage der unteren
Hörgrenze bei Sohallleitnngshindemissen von der wesentlichsten
Bedeutung. Bei gleichem Prüfungsmittel — Stimmgabel — ist
die Lage des unteren Grenztones abhängig von der Größe des
Scballleitungshindernisses.
Die Lage der unteren Grenze der pathologischen Hörstreoke
und die Herabsetzung der Hörf&higkeit f&r die in ihr enthaltenen
tiefsten Töne scheinen bei reinen SchalUeitungshinderniBsen in
einem festen Verhältnis zu stehen.
Betrachten wir nunmehr die obere Hörgrenze und zwar
zunächst wiederum ihr Verhalten bei den 8 mit objektivem Ma&
gemessenen Fällen.
Es wurde gefunden:
die obere HOrgrense, die Hörfähigkeit ftlr c^ zu
in
Fall 15 bei . . . g8 . .
, . . \
der normalen;
^
^
* 16 s . . . gs . .
. . . ti
c-
?
^
^
s 19 * . . . g8 .
. . . A
c
c
^
^
s 14 s . . . g8 . .
. . :A
i
i>
^
•*
= 12 = . . . g8 .
tJb
c
5
«*
^
- \\ ' . . . g8 . ,
5^6
s
^
^
- 13 = (38 Jahr) d' . .
. . . BÖ^l
^
«*
5
^
^
= 10 = (63 Jahr) c^ .
. . • I4I6I
c
^
^
Wenn wir mit unseren Vorstellungen, die wir aus der Be-
nutzung des alten falschen Maßes gewonnen haben, an die Be-
trachtung der vorstehenden Reihe herangehen, so erscheint uns
eine Herabsetzung der Hörsohärfe für c^ auf ttHt der normalen
ganz außerordentlich groß, während sie der noch ausmeßbaren
Größe der möglichen Herabsetzung gegenüber tatsächlich nicht
als eine solche anzusprechen ist ^).
Gestattet doch mein objektives Maß durch die Hörprflfungs-
tabelle för c* ein Ausmaß bis auf TnrAnfüa^ der normalen Hör-
schärfe; und selbst wenn die Hörschärfe bis auf diesen nicht
mehr vorstellbaren Bruchteil der normalen herabgesetzt ist,
1) £in6 einheitliche Yergleichnng fflr die Herabsetzung, welche die Töne
von der groOen bis zur 4 gestrichenen Oktave erfahren haben, gewinnen wir
bei Anwendung des objektiven Uörmaßes erst, wenn wir das HOrrelief, d. h. die
Empfindlichkeitskunre des schwerhörigen Ohres in Beziehung setzen zur £m-
pfindlichkeitskurve des normalen Ohres. Ich werde die hiermit in Zusammen-
hang stehenden Fragen in einer demnächst erscheinenden Arbeit abhandeln*
5
0,070
Cl
5
0,0713
e2
s
0,0745
03
^
^
0,0747
Klinische Studien sar Analyse der Hörstörungen- 123
werden doch noch die stärksten Töne, welche man durch kräftigen
Anschlag der Gabel c^ entlocken kann, sehr wohl gehört.
Unsere Vorstellungen ttber die Empfindlichkeit unseres Ge-
hörs und das Ausmaß der Hörstörungen müssen eben einen völligen
Wandel erfahren.
Wir erkennen dies recht, wenn wir uns vergegenwärtigen,
welchen Bruchteil an Hörschärfe ein schwerhöriges Ohr besitzen
würde, wenn in der großen bis zur 4 gestrichenen Oktave ein
und dieselbe Amplitude, z. B. in der Größe von ungefähr 0,071 1 mm,
den Beizschwellenwert darstellen würde. Wir würden dann
haben ftlr:
C Amplitude 0,0711 mm *= normale Hörschärfe
:; SB 3^ der normalen Hörschärfe
5 — Tvhj 5 5 s
- «« TiTrf-nnrr s s s
für c* erhielten wir einen noch außerordentlich viel kleineren
Wert, da die größte ausgemessene Amplitude fast 10 mal kleiner
als 0,0711mm, nämlich 0,009 mm ist, und diese Amplitude,
sofern sie den Reizschwellenwert des schwerhörigen Ohres dar-
stellt, eine Herabsetzung der Hörschärfe bereits auf vrimVsüs? der
normalen anzeigen würde.
Keine Spur von diesen Anschauungen, die wir in ähnlicher
Form auch aus den Arbeiten von Wien und Schmiegelow
gewinnen müssen, hat uns das alte Hörmaß gewinnen lassen,
doch hat es bereits nicht an solchen gefehlt (Lucae), die auf
den großen Unterschied aufmerksam gemacht haben, der
zwischen dem Verlust einer gleichen Anzahl von Sekunden Hör-
dauer fiir C und c^ besteht.
Auch die Unrichtigkeit der Bezoldsehen Aufstellungen, aus
einer einheitlichen Kurve die Hörscbärfe nach richtigen Pro-
portionen bestimmen zu wollen, kann nicht drastischer als durch
die vorstehenden Ausführungen dargelegt werden.
Es bleibt nun vor allem die diagnostisch und wissenschaft-
lich wichtige Frage, die bereits von Burckhardt-Merian,
Brunner nndZ waardemaker gestreift ist, zu erörtern, ob wir
in dem bei einzelnen Fällen von Thrombus sebaceus
nachweisbaren Ausfall der höchsten Töne ein Laby-
rinthsymptom zu sehen haben oder nicht.
Es ist bekannt, daß wir beim Thrombus sebaceus ab und zu
124 X. OSTMANN
neben dem Ausfall der höehsten Töne Symptome auftreten sehen,
die als Labyrinthsymptome gedeutet werden konnten, z. B.
Sehwindelanfälle. Diese Sehwindelanfälle sind bei Personen mit
normal erregbarem Nervensystem im allgemeinen sehr unbe-
deutend. Trifft jedoch der vom Thrombus sebaeeus ausgehende
Reiz auf ein Nervensystem; welches von Geburt an krankhaft
disponiert oder erst später lädiert ist, so können wir mit oder
ohne Sehwindel eine FttUe zum Teil schwerster Reflexersohei-
nungen auftreten sehen. Die Zahl derartiger, in der Literatur
veröffentlichten Fälle ist groß. (KoeppeO Hecke 2), Herzogt),
Sehurig^), Roosa und Ely*), ürbantschitsoh«) und viele
andere). Tritt der Schwindel als Teilerseheinung eines Sym-
ptomenkomplexes auf, den wir unbedingt als Reflexerscheinung
auffassen müssen, so wird es am nächsten liegen, eben auch den
Schwindel als Reflexerscheiaung und nicht als Labyrinthsymptom
anzusprechen.
Und auch in den anderen Fällen, wo uns weitere Reflex-
erscheinungen die Erklärung der ursächlichen Entstehung des
Schwindels nicht erleichtern, werden wir meines Erachtens der
Wahrheit näher kommen, wenn wir den Sehwindelanfall als Re-
flex und nicht als Labyrinthsymptom auffassen. Wie ich in
meiner Arbeit ttber Druck und Drucksteigerung im Labyrinth
dargelegt habe'^j, habe ich mir früher und kann mir auch jetzt
noch keine Vorstellung machen, wie es in einem gesunden
Labyrinth mit seinen vielfachen Vorrichtungen zur Ausgleichung
des Druckes durch Gemmen zu einer dauernden Drucksteigerung
kommen soll, die ihrerseits Veranlassung zur Entstehung von
Schwindel gäbe.
Ich fasse demnach die Schwindelersoheinungen, wie sie uns
1) Reflexpsycbosen nach Ohrenkrankbeiten. D. Arch. Bd. IX. S. 220— 227.
2) Bericht über die in meiner Poliklinik beobachteten Krankheitsfälle.
Dieses Archiv. Bd. XXX. S. 67.
3) Ein Beitrag zur Lehre über Ohrreflexe. Monatsschr. f. Ohrenheilk.
1889. Nr. 5. S. 97.
4) Zwei Fälle von Refiexepllepsie infolge von Erkrankung des Gehör-
organs. Jahresbericht der Dresdener Gesellschaft für Natar- und Heilkunde.
1876/77. Sitzung v. Okt. 1876. Referat in diesem Arch. Bd. XIY. 8. 148.
5) Klinische Beiträge zur Ohrenheilkunde. Zeitschr. f. Ohrenheilk.
Bd. IX. S. 339.
6) Schwartzes Handbuch der Ohrenheilkunde. Bd. I. S. 412.
7) Druck- u. Drucksteigerung im Labyrinth. D. Arch. Bd. XXXIY. S. 35.
KliniBche Stadien zur Analyse der Hörstörnngen. 125
ab und zu von Patienten mit Thrombus sebacens geklagt werden,
als Reflexerseheinnngen anf. .
Wie steht es nnn mit dem Ausfall der höohsten Töne?
In den Jahren 1892/1893 hat zwischen BezoldO und
Zwaardemaker^) eine Kontroverse stattgefunden, wie weit
Mittelohrprozesse einen Einfluß auf die Gestaltung der oberen
Tongrenze haben.
Bezold vertrat die Ansicht, daß „der Einfluß der Mittel-
ohrprozesse auch auf die obere Tongrenze durchaus kein so ge-
ringer ist, daß er fElr die Beurteilung der Hördefekte im höheren
Alter vernachlässigt werden kann^, während Zwaardemaker
seine Erfahrungen dahin zusammenfaßte, daß bei den reinen
Mittelohrafi^ektionen ^^die obere Grenze sich immer erhalten findet,
es mag denn sein, daß 0,1 oder 0,2 der Galtonskala, d. h. un-
gefähr V^ ToU; dann und wann eingebüßt ist^.
Ich muß mich nach meinen durch Jahre hindurch fort-
gesetzten Untersuchungen auf die Seite von Zwaardemaker
stellen; denn ich habe unter allen Mittelohrprozessen, die ich
bisher analysiert habe, nur bei einem einzigen Fall eine ganz
geringe Herabsetzung der oberen Tongrenze unter g^ gefunden.
Es unterliegt für mich, ebenfalls in Übereinstimmung mit der
Auffassung von Zwaardemaker, nicht dem geringsten Zweifel,
daß der stets vorhandene, mit dem Fortschreiten der Erkrankung
an Umfang zunehmende Ausfall der höchsten Töne bei der Skle-
rose auf gleichzeitige Labyrintherkrankung zurückzuführen ist,
und weiter habe ich es durch meine Analysen der Hörstörungen
bei der akuten perforativen Mittelohrentzündung in hohem Maße
wahrscheinlich gemacht, daß der in gewissen Stadien dieser Er-
krankung zumeist nachweisbare Defekt am oberen Ende der
Skala gleichfalls einer sekundären Affektion des Labyrinths
seine Entstehung verdankt. Auch habe ich für diese Erkrankung
nachgewiesen, daß es nicht der Exsudatdruck auf das ovale und
rnnde Fenster sein kann, der die Einengung der oberen Grenze
hervorruft. Wir werden also alle Ursache haben, mit der Deu-
tung vorsichtig zu sein, daß eventuell bei anderen SchalUeitungs.
1) Weitere Mitteilangen über die kontinuierliche Tonreihe, insbeson-
dere Ober die physiologische obere und untere Tongrenze. Zeitschr. f.
Ohrenbeilk. Bd. XXIII. S. 254. 1892.
2) Der Einfluß der Schallintensität auf die Lage der oberen HOrgrenze.
Ebenda. Bd. XXIY. S. 303. 1S93.
126 X OSTMANN
Störungen durch Druckwirkung auf das Labyrinth Ausfall der
höchsten Töne hervorgerufen wird.
In älteren Krankenberichten wird von wunderbaren Druck-
wirkungen der Ceruminalpfröpfe erzählt, und auch ein neueres
Lehrbuch der Ohrenheilkunde lehrt noch befremdlicherweise,
daß, sofern der Thrombus dem Trommelfell anliegt, „dasselbe
durch Atrophie oder durch Entzündung zerstört und dadurch ge-
fährliche Mittelohrentzündung veranlaßt werden kann^.
Wir wollen diesen Fragen hier nicht näher nachgehen, son-
dern solchen Beobachtungen und Behauptungen gegenüber nur
unseren ablehnenden Standpunkt feststellen, wie dies auch Po-
litzer^) in der neuesten Auflage seines Lehrbuches tut.
Es würde eine ebenso unerwiesene, wie an sich wenig wahr-
scheinliche Anschauung sein, wenn man annehmen wollte, daß
ein dem Trommelfell anliegender Ceruminalpfropf auf das Laby-
rinth einen dauernden Druck in der Weise ausüben sollte, daß
ein völliges Verlöschen der höchsten Töne einträte. Würde selbst
vom Trommelfell aus durch Vermittlung der Gehörknöchelchen-
kette ein durch Wochen und Monate allmählich entstehender
und sich steigernder Druck auf das Labyrinth ausgeübt, so besitzt
das gesunde Labyrinth doch hinreichende Schutzvorrichtungen,
um diesen Druck auszugleichen; etwas anderes ist es, wenn ein
Ceruminalpfropf plötzlich nach innen gegen das Trommelfell ge-
stoßen wird; dann werden wir eventuell auftretende Schwindel-
erscheinungen und Ohrgeräusche sehr wohl als Labyrinth-
symptome auffassen dürfen, welche durch die plötzliche Dmck-
schwankuug im Labyrinth hervorgerufen wurden.
Wir entbehren demnach jeder sicheren Unterlage, um den
Ausfall der höchsten Töne bei einer gewissen Zahl von Fällen
mit Thrombus sebaceus als Labyrinthsymptom aufzufassen.
Wie aber erklärt sich dann dieser Ausfall?
Wir nehmen an, daß die Überleitung der höchsten Töne auf
das Labyrinth, wenn nicht ganz ausschließlich, so doch vor-
wiegend durch die Enochenleitung geschieht, und weiter ist es
eine durch die Untersuchungen von Wien^) höchst wahrschein-
lich gemachte und durch die Folgerungen aus meinen eigenen
Untersuchungen über das objektive Hörmaß weiter erhärtete
1) Hartmann, Die Krankheiten des Ohres und deren Behandlung.
5. Aufl. 1892. S. 91.
2) Lehrbuch der Ohrenheilkunde. 4. Aufl. Stuttgart 190t. S. 144.
3) Physikalische Zeitschrift. Oktober 1902.
EliniBcbe Stadien zur Analjse der HArstörangen. 127
Tatsache, daß die Empfiadlichkeit unseres Ohres bis in die Nähe
der 5. Oktave ansteigt, um dann gegen die obere Grenze unserem
Hörens sehr schnell abzunehmen. Von dieser schnellen Abnahme
der Empfindlichkeit in der Nähe des Grenztons berichtet übrigens
bereits Zwaardemaker 1893^), welche zur Folge habe, daß
nur sehr bedeutende Herabsetzung der Reizeropfindlichkeit eine
Verkürzung der Skala hervorrufen kann.
Wenn nun nachgewiesen ist, daß durch Versch ließung der
beiden Gehörgänge mit dem Finger (Z w aa r de m a k e r 2)), durch
Ausfüllung derselben mit Wasser (Brunne r^)), durch Ausfüllung
mit Cerumen (Burckhardt-Merian^), Brunner, ich) die
höchsten Töne zum Verschwinden gebracht werden können,
andererseits aber ebenso die Tatsache festgehalten werden muß,
daß reine Schallleitungsstörungen, die im Mittel ohr ihren
Sitz haben, einen derartigen Einflnß auf die obere Grenze nicht
aasüben, so müssen die vorgenannten im äußeren Gehör-
gang gelegenen Schallleitungsstörungen eine Besonderheit an
sich tragen, welche die Perzeption der höchsten Töne ungünstig
beeinflußt.
Es könnte dies die Stärke der Scballleitungsstörung sein;
dies ist aber deshalb unwahrscheinlich, weil bei Schallleitungs-
störungen im Mittelobr, die eine annähernde Beeinträchtigung
der Hörfähigkeit für Flüstersprache herbeigeftlhrt haben , von
mir bisher kein Verlust der höchsten Töne beobachtet wurde.
Diese Frage bedarf jedoch der weiteren Klärung, und werde ich
auf dieselbe zurückkommen, sobald mir eine entsprechende An-
zahl von mit objektivem Maß gemessenen Höranalysen beim
chronischen Mittelohrkatarrh vorliegt.
Wir müssen^ wenn ich nicht irre, den Grund in anderen
Verhältnissen suchen.
Helmholtz^) hat darauf hingewiesen, daß gewisse Töne
der 4. Oktave im Ohr stark resonnieren, d. h. erheblich verstärkt
werden — für seine Gehörorgane c^ und f^ — ; eine von anderen
(Hensen^)^ Schapringer^)) bestätigte Tatsache. Bei Aus-
l) Zeitschr. f. Obrenheilk. Bd. XXIV. & 313. 2) Ebenda. S. 311.
3) Ebenda. Bd. XXVII. 1895. S. 258.
4) Dieses Archiv. Bd. XXII. S. 182.
5) Lehre von den Tonempfindungen. S. 14. Braunschweig 1870.
6) PhyBiologie des Gehörs im Handbuch der Physiologie von Herr-
mann. Leipzig 1880. S. 26, Anm.
7) Über die Kontraktion des Tronunelfellspanners. Sitzungsberichte
der 'Wiener Akademie. 1870.
128 X. OSTMANN
fttllnng des Gehorgangs mit Cerumen wird die Ver-
st&rkang der hohen Töne durch Resonanz naturgemäß
fortfallen, was neben dem Sehallleitungshindemis
als solchem ihre Perzeption, sei es durch Luft-, sei
es durch Enochenleitnng, wesentlich schwächen muß.
Dieses Moment der Abschwächung fttr die hohen
Töne fällt bei gleichstarker Sehallleitungsstörnng
im Mittelohr fort, so daß wir bei Schallleitungshinder-
nissen im äußeren Gehörgang von vornherein eine
relativ sehr viel stärkere Herabsetzung der Hörfähig-
keit für die hohen Töne erwarten mttssen.
Bei der schnellen Abnahme der Empfindlichkeit unseres
Ohres gegen die Grenztöne wird aber diese Herabsetzung sehr
bedeutend sein müssen, wenn eine nennenswerte Verkürzung der
Hörstrecke an ihrem oberen Ende die Folge sein soll.
Sehen wir uns daraufhin die Zusammenstellung auf Seite 122
näher an, so ergibt sich, daß noch bei einer Herabsetzung der
Hörfähigkeit für c^ auf zh der normalen die obere Hörgrenze
bei g®, dagegen bei hat der normalen Hörschärfe fdr c* bei d*^,
und schließlich bei tjAtjt der normalen Hörschärfe noch tiefer bei
c^ gefunden wurde. Wir haben demnach in dem zeitweise
beobachteten Ausfall der höchsten Töne beim Cern-
menpfropf kein Labyrinthsymptom zusehen, sondern
neben der Stärke des Schallleitungshindernisses ist
die durch Aufhebung der Resonanz bedingte Ver-
minderung der Schallintensität fttr diesen Ausfall
von bestimmender Bedeutung.
^ Wir brauchen nun nicht darnach zu suchen, wie Brunn er
es andeutet, in dem Umfang der Einengung der oberen Hörgrenze
eventuell ein differentielldiagnostisches Merkmal zwischen |den
Erkrankungen des schallleitenden und schallempfindenden Appa-
rates ausfindig zu machen, weil nach allen bisherigen Erfah-
rungen reine Mittelohrerkrankungen den oberen Grenzton Über-
haupt nicht verschieben, und der Ausfall der höchsten Töne bei
Schallleitungsstörungen im äußeren Gehörgang nicht als Laby-
rinthsymptom aufzufassen ist.
Die Hörreliefs.
Da diese Arbeit die erste ist, in der das objektive Hörmaß
zur Ausmessung von Hörstörungen praktische Anwendung findet,
so sei es mir an dieser Stelle gestattet, auf die Entstehung der
Hörreliefs etwas näher einzugehen.
Klinische Studien zur Analyse der Eörstörungen. 129
In diesem Arefaiv^ habe ich die Anwendung meines ob-
jektiven Hörmaßes in eingehenderer Weise als dies in meiner
Monographie: ^Ein objektives Hörmaß nnd seine Anwendung^ ^)
geschehen war, dargelegt. Deshalb brauche ich an dieser Stelle
nnr mit wenigen Worten darauf zurückzukommen.
Man schlägt die Gabel beliebig, am besten stark an, so
daß der Ton von dem Patienten mit Sicherheit gehört wird, und
läßt den Ton, nachdem man die bei den tieferen Gabeln mit
erklingenden Obertöne durch leichtes Streichen der Zinken vom
Knotenpunkt aufwärts beseitigt hat, einen Augenblick kräftig
vor dem Ohre des Schwerhörigen erklingen. Es hat dieses Vor-
gehen den Wert, daß der Patient die Eigenart des Prttfungstones
zunächst sicher erfaßt. Dann dämpft man durch werteres leichtes
Streichen der Gabel vom Knotenpunkt aus die Intensität des
Tones sehr schnell ab, bis man in die Nähe der Reizschwelle des
kranken Ohres kommt, worauf diese durch langsame Annäherung
und Entfernung der Gabel, bei unsicherem Ergebnis durch mehr-
fach wiederholte Prüfung, festgestellt wird. Einigermaßen in-
telligente und interessierte Personen machen sehr präzise An-
gaben, so daß, wenn die nötige Übung beim Untersucher hinzu-
kommt, man den Zeitpunkt, zu welchem der Ton verschwindet,
mit einer Sicherheit feststellen kann, die überraschend groß ist.
Man erkennt dies daran, daß es nicht selten gelingt, bei ver-
schiedenen . Untersuchungen bis auf die Sekunde genau die
Differenzzeit festzustellen. Allerdings gehört völlige Ruhe der
Umgebung, Interesse und Übung auf beiden Seiten dazu, um der-
artige sichere Resultate [zu gewinnen.
Wenn diese Bedingungen erflillt sind, so wird sich Alexan-
der 3) überzeugen, daß man eine Exaktheit der Messung erhält,
die allen Ansprüchen genügt. In dem Augenblick, in dem das
Sinken der Hand des Untersuchten das endgültige Verklingen
des Tones für sein Ohr anzeigt, setzen wir die in der Hand ge-
baltene Sekundenuhr in Bewegung und messen am eigenen Ohr
die Differenzzeit aus. Um beide Gehörorgane — des Untersuchten
und des Untersuchers — möglichst gleichstark zu ermüden, und
so auch den durch ungleichmäßige Ermüdung möglicherweise auf-
tretenden Fehler möglichst auszuschalten, empfiehlt es sich, daß
l)Bd. LIX. S. 137. Zur quantitativen Hörmessung mit dem obj. Hörmaß.
2) J. F. ßergmann, Wiesbaden 1902.
3) Besprechung meines objektiven Hörmaßes in der Monatsschrift für
Ohrenheilkunde. 1903.
ArchiT f. Ohrenheaknnde. LXI. Bd. 9
130 X. OSTMANN.
schon während der Prüfung des Untersuohten die klingende Gabel
einige Male dem Ohr des Prüfenden genähert wird.
In dem Moment, wo die Stimmgabel ftlr das Ohr des Arztes
verklingt, wird die Sekundenuhr angehalten und von ihr die DiflFe-
renzzeit abgelesen.
Ich habe fllr mein völlig normales Gehörorgan als physio-
logische Breite der variierenden Verklingungszeit 2 — 5 Sekunden
nachgewiesen; je tiefer der abklingende Stimmgabelton ist,
desto schwerer wird es , bei verschiedenen Versuchen auf die
Sekunde genau den Zeitpunkt des Yerklingens zu treffen. Dieser
Umstand hat das Gute, daß die Fehlergrenzen erheblich kleiner sind
als es bei umgekehrtem Verhältnis der Fall sein wftrde; denn wäh-
rend die äußerste Fehlergrenze von 5 Sekunden f&r die Gabel C nur
wenig bedeutet, würde eben dieser Fehler für c^eine nicht unbeträcht-
liche Differenz in dem Ausmaß der Hörstörung bedeuten. Mit dieser
Fehlerquelle müssen wir rechnen, und wer sie möglichst klein ge-
staltenwill, nehme aus wenigstens 3 genauen Messungen das Mittel.
Bei schwerhörigen Ärzten wird die physiologische Breite
der variierenden Verklingungszeit größer sein; sie werden also
möglichst mit Mittelwerten zu rechnen haben, wie ich dies be-
reits an anderer Stelle empfohlen habe.
Die Differenzzeit läßt uns an der Hand der Hörprüfungs-
tabellen zunächst die Größe der Amplituden finden, bei der der
Ton für das normale und schwerhörige Ohr verklangt).
Dies wird aber nur der Fall sein können, wenn die in
meiner Hand abschwingende Gabel tatsächlich dieselbe Ab-
schwingungskurve besitzt, wie die von mir ausgemessene, ein-
gespannte Gabel. Wie aus meiner Monographie hervorgeht,
habe ich durch wochenlange Voruntersuchungen für jede Gabel
diejenige Einklemmungsmethode ausfindig gemacht, welche die
Abschwingung der Gabel gerade so wie das Festhalten in
meiner Hand beeinträchtigte. Es handelt sich bei den einzelnen
Gabeln um wenige Sekunden Differenz, die sich schon durch
die physiologische Breite der variierenden Verklingungszeit er-
klärt. Oder deutet etwa die ungemein lange Schwingungsdauer
meiner eingespannten Gabeln auf eine nennenswerte Beein-
trächtigung ihrer normalen Abschwingungskurve hin? Ich sollte
meinen ganz im Gegenteil.
1) Auf die besonderen Verh&ftnisse, welche für den schwerhörigen Arzt
obwalten, gehe ich an dieser Stelle nicht näher ein ; ich verweise hinsichtlich
dieses Punktes auf meine Mitteilung in diesem Archiv, £d. LIX, S. 137. 1903.
Klinische Studien zur Analyse der Hörstörangen. 131
Nur fbr meine Gabel e^ wollte es mir aas unbekannten
Gründen znn&ohst trotz aller Bemühungen nioht gelingen, gleiche
Verklingungszeiten f&r die in der Hand gehaltene und ein-
gespannte Gabel zu erhalten; ich habe der Mitteilung der zweiten
Hörpriifungstabelle für e^ eine dementspreehende Bemerkung
vorausgeschiekt. Sohon daraus konnte man klipp und klar ent-
nehmen, wie sorgsam ich auf die Vermeidung derartiger Fehler
geachtet hatte i).
Nun ist von Q u i x *^) der weitere Einwurf gemacht worden,
daß die von mir gefundene Normalamplitnde deshalb keinen
reellen Wert habe, weil von mehreren Stimmgabeln derselben
Tonhöhe, aber von verschiedenem Bau und Maße jede
ihre eigene Normalamplitude hat. Es wäre dieser Einwand nur be-
rechtigt, wenn ich die Behauptung aufgestellt h&tte, daß man mit
jeder C- oder G*Gabel meine Hörprttfungstabellen benutzen könne.
Zuerst habe ich in diesem Archiv 3), dann an mehreren
anderen Stellen, durch Fettdruck besonders betont: „ Diese
Amplitudentabellen können naturgemäß nur Geltung
haben für Gabeln, welche dieselbe Abschwingungs-
kurve haben wie diejenigen, für welche die Ab-
schwingungskurve experimentell gemessen oder durch
Beohnung aus der Exponentialkurve bestimmt ist
Deshalb setzt die Anwendung des objektiven Hör-
fflaßes den Besitz von Edelmannsehen Gabeln voraus
und zwar von solchen, welche den zuletzt von dieser Firma ge-
lieferten entsprechen.
Ich gehe aber nach den seit der Niederschrift dieser Zeilen
gesammelten Erfahrungen noch weiter, indem ich ausdrücklich
betone, meine Hörprüfungstabellen lassen sich nur auf
solche unbelastete Gabelreihen anwenden, welche
in Zukunft ausdrücklich als nach meinen Gabeln ge-
wicht werden bezeichnet werden, d. h. welche dieselbe
Dämpfung haben. Sollte sich ein solches Vorgehen, wie es fast
scheint, als unmöglich herausstellen, so werden die Tabellen der
Dämpfung jeder einzelnen Gabel entsprechend umgerechnet
werden.
1) Yergl. Schäfer, Besprechang meiner Monographie in der Zeit-
schrift fOr Ohrenheilkunde. 1903.
2) In der Diskussion zu meinem auf der 73. Natarforscherversammlung
2a Kassel gehaltenen Vortrage.
3) Bd. LIX. S. 137.
9*
132 X. OSTMANN
loh habe nämlioh beim Vergleich mehrerer mir von der Firma
Edelmann behufs Aichnng jüngst übersandten Gabeln die Ent-
deckung gemacht, daß die Gabeln gleicher Tonhöhe weder hin-
sichtlich des Banes, der Maße noch des Materials völlig über-
einstimmen, so daß ich nicht mehr sagen kann, der Besitz neuster
Edelmannseher Gabeln gestatte an sich die Anwendung meiner
Hörprüfnngstabellen. Da sich unter meinen Gabeln einige —
C, c^ — mit ganz ausnahmsweise langer Schwingungsdauer be-
finden, deren Erreichung bei Gabeln gleicher Tonhöhe nur selten
garantiert werden kann, so wird die Frage in anderer Weise
eine befriedigende Lösung finden, worüber ich demnächst be-
richte. Es ist die beste Aussicht vorhanden, daß ich in nicht
allzulanger Zeit jedem werde die Möglichkeit bieten können,
sich in den Besitz von Gabeln zu setzen , auf die meine , oder
gem&ß der Schwingungsdauer seiner Gabeln entsprechend korri-
gierte Hörprüfungstabellen anwendbar sind.
Wir finden also durch die gemessene Differenzzeit die Größe
der Amplituden, bei der der Ton fElr das normale und das schwer-
hörige Ohr verklingt, und können aus ihnen das Verhältnis der
Hörschärfe zueinander berechnen und zwar in besonders ein-
facher Weise dadurch, daß ich fElr jede Amplitude, die größer
als die Normalamplitude ist, in den Tabellen angegeben habe,
um wievielmal die erstere größer ist als die letztere.
Qu ix (I.e.) meint nun, ein Ausmaß der Hörschärfe nach der
Größe der Amplituden sei unnatürlich und nicht physiologisch;
denn die Amplitude sei doch nicht der Beiz flir das Ohr.
Eine solche Behauptung habe ich auch niemals aufgestellt;
die Anlplitude ist allerdings nicht der Reiz an sich,
wohl aber dieGrundlage für das Ausmaß des Reizes,
der das Ohr trifft. Ein solches Vorgehen ist völlig ein-
wandsfrei, wie sich Quix bei Riecke^) und Max Wien^),
der die Unrichtigkeit der von Zwaardemaker und Quix über
die relative Empfindlichkeit des Ohres gelieferten Arbeiten jüngst
nachgewiesen hat (1. c), überzeugen kann. Gerade darauf be-
ruht, wie Wien nachweist, der grundlegende Fehler in den Ar-
beiten von Zwaardemaker und Quix, daß sie das physika-
lische Grundgesetz, daß bei derselben Stimmgabel die Toninten-
1) Lehrbuch der Physik. Leipzig 1902.
2) Über die Empfindlichkeit des menschlichen Ohres fta Töne Ter-
schiedener Höhe. Archiv fflr die gesamte Physiologie, Bd. 97, 1903.
Klinigche Stadien zur Analyse der HOrstOrnngen. 133
sitftt proportional dem Qaadrat der Amplitude (a) wächst, als
unriehtig ansehen und die an die Luft abgegebene Tonenergie
proportional a^'^ setzen.
Wie weit ieh davon entfernt gewesen bin, die Amplitude an
sieh als Beiz aufzufassen und an ihr unmittelbar die Hörsohärfe zu
messen, hätte Quiz wiederum aus meiner Monographie ersehen
können. Auf Seite 28 derselben steht geschrieben:
„Wir können die Hörsohärfe versohiedenerGehör-
Organe für denselben Ton nur an derjenigen gering-
sten Stärke desselben messen, welche unter sonst
gleichen Bedingungen von den untersuchten Ohren
eben noch gehört wird. Die Hörschärfe ist der Ton-
stärke umgekehrt proportional; diese letztere ist
aber abhängig von der Schwingungsamplitude der
Gabel und wird jetzt wohl allgemein und unbestritten
dem Quadrat der Amplitude proportional gesetzt.^
„Wenn wir also die Hörschärfe zweier Ohren für
einen Ton an der verschiedenen Intensität desselben
fflessen wollen, welche eben noch von den betreffen-
den Ohren wahrgenommen wird, so müssen wir die
Hörschärfe umgekehrt proportional dem Quadrat der
Amplituden setzen/
Durch diese Sätze dürfte völlig klargestellt sein, welche
Bedeutung ich der Bestimmung der Größe der Amplituden bei
der Ausmessung der Hörschärfe zugewiesen wissen will, und daJS
Qu ix, abgesehen davon, daß seine Einwände sachlich unberech-
tigt waren, nicht einmal ein formales Hecht zu denselben hatte.
Wenn wir nun an der Hand der Differenzzeit und der fbr
die Gabel gültigen Hörprüfungstabelle die Größe der Amplitude
gefunden haben, und die Größe der Normalamplitude »-^ 1 setzen,
so finden wir das Verhältnis der Hörschärfen zueinander, wenn
wir die Zahl der Normalamplituden, welche in der Beizschwellen-
amplitude des schwerhörigen Ohres enthalten ist, mit sich selbst
multiplizieren und als Nenner eines Bruches schreiben, dessen
Zähler 1 ist.
So ist das Ausmaß der Hörstörungen in den nachstehenden
Hörreliefs erfolgt.
Ich bringe zum Vergleich zunächst 8 Hörreliefs beim Throm-
bus sebaceus, welche nach von Gontaschem Prinzip gemessen
und nach Hartmannschem Vorgange aufgestellt sind (siehe
Fig. 1—8 auf folgender Seite).
X. OSTMANN
HöistdrODg beim Tbrombtis eebaeene, naeh t. Contaaehem
Prinzip ansgemeBBeti.
BtoreHef tta die Oktafen C— c' — in Prozenten der normalen HOncUrfe-
Fig. 5.
Man kann noter diesen Reliefs zwei Typen nnterscbeiden-
(Vergl. Hörrelieftafel.)
Der eine Typna wird dnreh die vier eratea Reliefs repri-
sentiert. Wir sehen eine Höretörnngsform, welehe unserer bis-
herigen AnBohaunng von der Art der BeeintrfLcbtignng der Hör-
schärfe durch Sohalleitungsstörnngen entspricht. Die tieferen
Töne sind stärker herabgesetzt als die höheren ; ee ist eine gegen
die letzteren aufsteigende Kurve.
Der 2. Typus zeigt eine mehr gleichmäßige Herabsetzung
der verschieden hohen Töne, wie dies auch von Hartmano
angegeben wird.
loh rerzeiohne nunmehr zunächst die Hörmessungsresnltate
der 8 mit objektivem Maß gemeesenen Fälle und zwar in der-
selben Form der Aufzeichnung, wie ich sie in meiner Arbeit:
„Zar quantitativen HörmessDng mit dem objektiven Hörmaß" ')
gegeben habe.
1) Dieses Archiv. Bd. LIX. S. 137. 1903.
Klinische Stndien zur Analyse der Hörstörungen.
135
Fall 9. Mink, 36 Jahre; Cerumen obtnrans, r. Sausen, Schwerhörigkeit.
OktaTO
C
c
c»
C2
C3
c*
Differenzzeit in Minuten n. Sekunden
GrOPe der Amplitude, bei der der Ton
verklang, in Normalamplitnden .
Bruchteil der normten Hörschärfe
0«
1,0
Vi
015 1^
1,52
72
030
t,62
V3
QSO
5,8
V34
'.QU
4,2
Vi 8
0*
3,8
Vl4
Zu dieser and allen nachfolgenden Tabellen sei zum besseren
Verständnis bemerkt:
Will ich z. B. aus der Größe der gefundenen Amplitude
1,52 — ausgedrückt in Normalamplituden — die Hörschärfe be-
rechnen, so muß ich schreiben: (7:^2)^ = äiäT^ ^^^ normalen Hör-
sehärfe: ich schreibe statt 5737^ i und schlage vor, der Über-
sichtlichkeit halber, die Dezimalstellen fortzulassen und zwar
ohne Erniedrigung von k auf i , sofern die erste Dezimalstelle
kleiner ist als 5, dagegen die Erniedrigung eintreten zu lassen,
sobald die erste Dezimalstelle 5 ist oder größer ist als 5.
Fall 10. Flied ..., 63 Jahre; Cerumen r. Sausen; Schwerhörigkeit.
Oktave
C
Differenzzeit in Minuten n. Sekunden
Grö^ der Amplitnde, bei der der Ton
verklang, in Normalamplitnden .
Bruchteil der normalen HOrschärfe
15,7
V246
2*5
146,4
V21433
3"
125,0
Vi 5625
40
269
V72361
1°
1230
Vi 5! 900
18
119
Vi 41 61
Fall 11. Schlapp, 19 Jahre; Cerumen 1. Schwerhörigkeit; kein Sausen.
Oktave
C
Differenzzeit in Minuten u. Sekunden
Große der Amplitude, bei der der Ton
verklang, in Normalamplituden
Bruchteil der normalen HOrschärfe
35
4,4
Vi 9
36,8
Vi 354
235
41
Vi 681
C2
c«
C^
115
035
012
60
68
24
V6400
V4624
V576
Fall 12. Schlapp, 19 Jahre; Cerumen r. Schwerhörigkeit; kein Sausen.
Oktave
C
c^
Differenzzeit in Minuten u. Sekunden
GiOße der Amplitude, bei der der Ton
verklang, in Normalamplituden .
Bruchteil der normalen HOnobärfe
20
4,1
Vi 7
l
45
20,4
V416
210
23
V52J
56
V3136
30
37
Vi 369
10
14
Vi 96
1) 0*^ bedeutet: Minuten 15 Sekunden; dieser Ausdrucksweise sind
alle andern Bezeichnungen analog.
136
X. OSTMANN
Fall 13. Br., 38 Jahre; Ceramen r. Brausen; Schwerhörigkeit.
Oktave
Differenzseit in Minuten u. Sekunden
OrOße der Amplitude, bei der der Ton
verklang, in Normalamplituden .
Brnohteil der normalen Hörscharfe
Li
3,8
e
0»
C«
c3
~~o*
jSS
210
1 3ö
043
0"
15,2
Vl31
23
V5S9
213
V4SS69
177
V31329
91
7898
Fall 14. Schönst, 30 Jahre; Ceramen 1. Sammen; Schwerhörigkeit.
c
Oktave
C
Differeazzcit in Minuten u. Sekunden
Größe der Amplitude, bei der der Ton
verklang, in Normalamplituden .
Bruchteil der normalen Hörschftrfe
l
50
2.5
65
4,8
V«3
19,6
7384
\ 40
269
771361
c»
c*
OSO
11
7iti
0'
8,3
769
Fall 15. Henkel, 20 Jahre; Ceramen r. Zeitweise Braasen; Schwer-
hörigkeit nicht bemerkt; Drackgefahl.
Oktave
C
0»
c*
C3
C*
Diffcrenizeit in Minuten u Sekunden
Größe der Amplitude, bei der der Ton
verklang, in Normalamplituden .
Bruchteil der normalen Hörioh&rfe
0«
1,0
7« («ba)
0*
1,14
7» ("W
026
1,49
7*(«fao)
010
1,80
73 0°»^
0»
1,4
V2(»;30)
0»
1,0
Vi
Fall 16. Lor..., 19 Jahre; Ceromen 1. Jansen, Schwerhörigkeit.
Oktave
Differenzzeit in Minuten u. Sekunden
Größe der Amplitude, bei der der Ton
verklang, in Normalamplituden .
Bruchteil der normalen Hörsobärfe
235
5,0
V«
15
50,4
72540
85,0
77225
1
45
338
7l 14244
35
6S
74624
0^
3,8
7u
Vergleichen wir diese 8 mit objektivem Maß aufgenommenen
Hörreliefs miteinander, sowie mit den 8 nach altem Maß ge-
zeichneten, so fällt sofort die sehr wichtige Tatsache ins Auge,
daß wir es mit einer ganz einheitlichen Horstörnngs-
form zu tun haben, die je nach der Intensität des Verschlusses
nur graduelle Unterschiede aufweist. Die Hörstorungsform tritt
besonders plastisch hervor, wenn wir versuchen, sie graphisch
darzustellen. Dies ist bei der außerordentlichen Verschieden-
heit der Herabsetzung der Hörschärfe in den verschiedenen Ok-
taven nur möglich, wenn wir an Stelle der Zahlen die Loga-
rithmen als Ordinaten auftragen. Eine solche Darstellung hat
nach dem Weber -Fechnerschen Gesetz auch eine innere
Berechtigung.
Um die Kurven nicht unklar zu machen, begnüge ich mich
mit der Wiedergabe von 5 Kurven.
Diese Kurven bilden die Grundlage für die Berechnung der
EllDlicIie Stadieo zur An&l;ae der HarsUrnngAD.
A
^B
^H
1^1"
■g
jjjH
iiü)'
^S
^9
d'nt'
^H
IIB
(W
^1
^H
W
^^
31
(AI'
^^
JH
lAl-
^B
I^B
Fig. 9.
(Die neben die Knrven geachrlebenea Zahlen bedeuten die Nnmmem der Falle.)
Empfindlichkeitukarve dea achwerbörigea OhreB. Erst wenn wir
diese der EmpfindliobkeitBknrTe des normiileii Obres gegenttber-
Btetlen, tritt die eigentlicbe Form der Hörstßrung bervor. Die
Fortentwioklang dieser Arbeit in der angedeuteten Eiobtang
soll aber einer besonderen Abbandlnng vorbebalten bleiben.
Die Herabsetzung der böheren Töne scheint an eich aebr
bedeutend; ihren tiefsten Punkt erreichen die Kurven in der 2
und 3 gestrichenen Oktave; selbst in der 4 gestrioheneu Oktave
finden wir den Braehteil der normalen Hörsobarfe in einem Falle
unter (t!i)*, also anter lehts. Wenn man nun aber andererseits
bedenkt, daß die Empfindlicbkoit unseres Obres — ich verweise
auf die von Wien gezeichnete Empfindlichkeitskurve — bis zur
4 gestrichenen Oktave enorm wächst — , so erscheint der prozen-
tuarisohe Verlust der hohen Töne gegea&ber dem der tieferen
keineswegs mehr so bedeutend.
An dieser Stelle sei zum Sehlaß nur das Resultat der sprach-
lichen Frflfnng dem der objektiven Hürmessung gegentlbergestellt.
Wie ich in meinem Vortrage auf der Katurforscherversamm-
Inng zu Kassel 1903 ') ausgeführt habe, ist die FlQsteraprache das
1} Wiener medizinische WocbenBcbrift - HiUt&ruzt — 1903.
138 X. OSTMANN
souveräne Mittel, um den Grad der Hörstömng für die Sprache
festzustellen.
Nun dürfte aber fast jeder Untersueher seine eigne
Flttsterspraohe sprechen, ob man den Bezoldschen KunstgrifiT
dabei anwendet oder nicht, und jeder Untersueher untersucht in
einem andern Raum und unter andern örtlichen Bedingungen —
Geräusch. Deshalb läßt der Ausfall der sprachlichen Prüfung
verschiedener Untersucher kaum eine strenge Vergleichung zu^
während sie fllr den Einzelnen sehr schätzenswerte Anhaltungs-
punkte für die Beurteilung des Grades der Hörstörung und in
ganz engbegrenztem Umfange selbst ftlr die differentielle Dia-
gnose bietet.
Aber auch derselbe Untersucher wird, wenn er kritisch
verfährt, nicht ganz selten zu seinem Verdruß bei demselben
Schwerhörigen selbst bei unmittelbar aufeinander folgenden
Untersuchungen in gewissen Grenzen verschiedene Hörprüfnngs-
resultate erhalten; bei der ersten Prüfung gewöhnlich ein etwas
schlechteres Resultat als bei Wiederholungen. Daraus folgt, daß
man bei kleinen Differenzen sehr vorsichtig mit dem Urteil einer
tatsächlichen Besserung der Hörschärfe sein muß, die der Patient
in solchen Fällen gewöhnlich dann auch nicht zu konstatieren
vermag.
Will man die Frage prüfen, wie weit die Resultate der
sprachlichen Prüfung mit dem Ausfall der Stimmgabelprüfnog
zusammenfallen, so muß man die erstere so einfach wie mog-
lieh einrichten; denn sonst ist ein leidliches Übersehen der in
Betracht kommenden Bedingungen gar nicht mehr möglich. leb
habe nar auf die Zahlen : 8, 3 und 7 geprüft, selbstverständlich
diese Zahlen stets zwischen eine große Zahl anderer Prüfnngs-
zahlen hineingestellt, um das Erraten möglichst zu erschweren.
Ich habe für die Prüfungsergebnisse eine ähnliche Kurven-
tafel wie fQr die Stimmgabelprüfungen aufgestellt.
Wenn man die Eurventafel II mit der Eurventafel I vergleicht,
so fällt sofort die überraschende Übereinstimmung der Hör-
prüfungsresultate ins Auge, wobei man bedenken muß, daß die
Kurven natürlich in umgekehrter Reihenfolge erscheinen und
eine entgegengesetzte Form haben müssen. Nur die Kurve 1^
sollte statt der Kurve 11 an erster Stelle stehen. Setzt man
„8^ als Repräsentant der tieferen, „3^ als solchen der mittleren
und „7** als den der höheren Oktaven, so sehen wir, daß der
tiefsten Depression in den mittleren Oktaven bei der Stimm-
Elinische Studien znr Analjae der HOrstürungen.
, 12, IB für die FlÖaterMhlen 8
HSrOliiKkeit der FUle 9, 1'
EnthiüMOg
BH
IH
gjg
^3
HB
■
100 m ~' 10000— 10*
m
IH
^9
^1
^1
Fig. 12.
(Die neben die Knrren geschriebeaen Zahlen bedeuten die Nunmetn der FftUe.)
gabalprUfting die geringste HöriUhigkeit fttr „3" bei der sprach-
lieben Frttfnüg entspricht, daß dagegen „8" und „7" in 3 Fällen
(15, 9, 12) gleich oder annähernd gleich weit, in 2 F<ea (10
Dnd tl) „7" sobleobter als ,8" gehört werden. Ein Blick anf
die Enrrentafel I läßt erkennen, daß auch nach dieser Rieh*
tnng die spraohliobe FrQfnng mit der objektiven Hörmeasnng
sehr gnt flbcreinslinimt, nnr mnß man das mit in Betracht ziehen,
was ich an froherer Stelle Aber die Empfindlichkeit unseres
Ohres nnd die sich daraus ergebenden Folgerungen fHr die
prozentnarische Einbuße an Hörßlbigkeit in den verBohiedenen
Oktaven gesagt habe. Eine Fülle sehr eebwieriger Fragen liegt
hier zur Bearbeitung ror.
Die weitere Fortftihning dieser Arbeit wird nun den letzten
— physiologischen — in dem alten Haß enthaltenen Fehler be-
seitigen, indem die Empfindliobkeitskurve des schwerhörigen
Ohres in Beziehung gesetzt wird zur Empüadliehkeitskurre des
normalen Ohres.
XL
Bemerkung zu der Arbeit des Herrn Dr. Schulze: Ober
die Gefahren der Jagnlarisanterbindang and des Sinns-
verschlnsses bei der otogenen Sinnsthrombose
(8. dieses Archiv. Bd. LIX. S. 216).
Von
Dr. med. Richard Hoftaiaiiii, Dresden.
In obiger Arbeit ans der Hallenser Ohrenklinik schreibt Herr
Dr. Schulze Seite 223:
„Nach diesen theoretischen Erwftgnngen (betrifft die Abflaß-
verhältnisse des Blutes nach Unterbindung der Vena jugularis)
kann kein Zweifel bestehen darüber, daß eine ausgedehnte Sinus-
thrombose die gleichen, ja unter Umständen noch hochgradigere
Zirkulationsstörungen als eine bloße Jugularisunterbindung zur
Folge haben kann. Und doch sind bisher keine Fälle bekannt,
in welchen bedrohliche Erscheinungen oder sogar Todesfälle bei
obturierender Sinusthrombose lediglich auf diese Zirkulations*
Störungen zurückgeführt werden mußten. Die Erklärung haben
wir zunächst darin zu suchen, daß bisher auf einen derartigen
Zusammenhang wohl meistens nicht geachtet worden ist^.
Ich verweise hierzu auf meinen in der Zeitschrift für Ohren-
lieilkunde (Bd. XXX. Heft 1. S. 17. 1896) publizierten Fall, in
dem sieh allerdings nach einer Verletzung des Sinus eine ob-
turierende Thrombose des Sinus sigmoideus, der Vena jugularis
der kranken Seite und beider Sinus cavernosi entwickelte mit
konsekutiven zerebralen Erscheinungen: Kopfschmerzen, Schwin-
del, Erbrechen, Somnolenz, Delirien, Verminderung der Puls-
frequenz, mit Neuritis optica (auf der kranken Seite durch Blu-
tungen in die Netzhaut kompliziert) und mit totaler Faoialis-
lähmung der gegenüberliegenden Seite.
Letztere hatte veranlaßt, daran zu denken, daß neben der
J
Bemerkung zu der Arbeit des Herrn Dr. Scbulze. 141
diagnostizierten Sinusthrombose möglieherweise noch ein Hirn-
abszeß vorhanden sei.
Bei der Trepanation erwies sich die letztere Annahme als
irrig, bei den Einstichen ins Hirn entleerte sich aber reichlich
Zerebrospinalflüssigkeit, der Sinns erwies sich als thrombosiert.
Nach der Entlastung des Gehirns durch die ausgedehnte Trepa-
nation gingen sämtliche Erscheinungen mehr oder weniger schnell
znrflok.
Alle Symptome wurden darnach auf die obturierende Sinus-
thrombose und die dadurch bedingten Zirkulationsstörungen be-
zogen, die Facialislähmung als durch eine Blutung infolge des
letzteren bedingt angesehen.
Da zudem der Fall vollständig fieberlos verlief, so handelt
es sich bei diesen Symptomen allein um die Folgen der Aus-
schaltung eines ausgedehnten Bezirks des Sinussystems.
XII.
Besprechugen.
Preysittg, Otitis media der Säuglinge. Mit 40 Tafeln.
Bei J. F. Bergmann, Wiesbaden 1904.
Besprochen Ton
Prof. K. Orunert, Halle a. 8.
Die Zahl der Bfioher auf otologiscbem Gebiete ist nicht groß,
deren Lektüre einen solchen Qennß bereiten durch die wissen-
schaftliche Exaktheit, die klare Darstellungsweise, die Reich-
haltigkeit der wissenschaftlichen Ausbeute und die dem reichen
Inhalt entsprechende vornehme äußere Ausstattung, wie die des
vorliegenden Werkes.
So umfangreich die Literatur über den einschlägigen Gegen-
stand gerade im letzten Jahrzehnt geworden ist, so viele Lücken
in unserem Wissen gab es noch, die bisher nur durch Hypothesen
ausgefüllt waren. Dem Verfasser der vorliegenden Monographie
blieb es vorbehalten, viele dieser Lücken durch exakte Forschungs-
ergebnisse auszufüllen.
Wir bedauern es aufrichtig, daß Verfasser seine Unter-
suchungsergebnisse nicht durch Publikation in einer größeren
otologischen Zeitschrift einem größeren Leserkreise zugänglich
gemacht hat, da ein Beferat dies in dem ihm zukommenden
Rahmen nur in unvollständiger Weise tun kann.
Die bakteriologischen und anatomischen Untersuchungen hat
Verfasser ausgeftihrt an 197 Schläfenbeinen, welche von 100 an
den verschiedensten Erkrankungen verstorbenen Kindern im Alter
von 1 Tage bis zu 3 Jahren stammten.
Aus den bakteriologischen Untersuchungsergebnissen ist her-
vorzuheben, daß es eine durch den Bacillus pyocyaneus hervor-
gerufene Otitis media, besonders der Säuglinge, nicht gibt. Die
XU. Besprechungen. 143
gegenteiligen Behauptnagen unterzieht Verfasser einer überzeu-
genden abweisenden Kritik; weiterhin, daß die Otitis media der
Säuglinge, wie aus der Häufigkeit des Pneumokokkenbefundes
(92 V2 Proz.) im otitisohen Sekret hervorgeht, vorwiegend oder
kurzer Hand schlechthin als Pneumokokkenotitis aufzufassen und
mit der Pneumonie in Parallele zu stellen ist. „Das bringt uns
einen Schritt weiter in dem Verständnis des Zusammenhanges
zwischen Otitis media und Allgemeinerkrankung der Säuglinge;
denn es führt uns zu der Erkenntnis, daß wenigstens ein Teil
der Allgemeinerscheinungen, die pneumonischen Erkrankungen,
mit der Otitis media auf eine Infektionsquelle zurückzu-
fahren ist,"
Seine anatomischen Untersuchungen haben wichtige Ergeb*
nisse normal histologischer Natur gezeitigt für das Schläfenbein
des jungen Kindes.
Bezüglich des Paukenhöhlenepithels hat Verfasser stets die
ganze Paukenhöhle mit Flimmerepithel ausgekleidet gefunden,
mit Ausnahme von solchen Stellen, an denen die Unterlage des
Epithels steten Bewegungen ausgesetzt ist — die ganze Innen-
fläche des Trommelfells und die Mukosa der Gehörknöchelchen,
inklusive Steigbügelplatte — ; hier findet sich stets flach ausge-
zogenes Plattenepithel.
Die Bückbildung des Gallertgewebes im Mittelohr ist nicht
abhängig von mechanischen Einflüssen — wie Eindringen der
Luft in die Paukenhöhle usw. — , es handelt sich dabei auch
nicht um einen Gewebszerfall, sondern dieser physiologische Vor-
gang ist ein sekundärer, ein passiver, der erst durch den Einfluß
der Epithelverbreitung induziert wird und verhältnismäßig lange
dauert. In aktiver Weise wachsen die Epithelausläufer vor-
wärts, nach Art des Wachstums junger Gefäßsprossen und bringen
das Gallertgewebe, da wo sie mit ihm in Berührung treten, zum
Schwund.
Das Vorkommen von Drüsen in der Paukenhöhlenschleim-
haut negiert Verfasser auf Grund seiner Untersuchungen und
zeigt, welche Bewandtnis es mit den als Drüsen beschriebenen
früheren Befunden habe.
Faeialiskanaldehiszenzen hat Verfasser so häufig über dem
Steigbügel gefunden, daß er sie bei Kindern für nahezu konstant
erklären muß. Er bestätigt hierdurch die vielfach bestrittene
Angabe Henles, daß eine ovale Lücke im Canalis Fallopiae
fast konstant sei.
144 XII. Besprechungen.
Die sogenannten Bogengangszotten (Politzer, Rttdinger)
hat Verfasser in seinenPräparaten niemals nachweisen können, und
glaubt daher, daß dieselben artefizielleSchrumpfangsproduktesind.
Was seine pathologisch -anatomischen Untersuchungsergeb-
nisse anbetrifft, so fand Verfasser unter 154 eiter- oder schleim-
gefbllten Paukenhöhlen nur 9 mal Perforation des Trommelfells.
Als Ursache dieser Erscheinung nimmt er nicht, wie dies bisher
allgemein geschieht, die größere Resistenz des kindlichen Trom-
melfells sowie den durch die relative Weite der kindlichen Tube
begflnstigten Sekretabfluß aus der Paukenhöhle an, sondern glaubt,
daß der schlechte Ernährungszustand der gerade das Sektions-
material ausmachenden Säuglinge es nur zu einer mehr torpiden,
nicht zur Trommelfellperforation führenden Entzündung des Mittel-
ohrs habe kommen lassen. Bei gut genährten Säuglingen der
Privatpraxis käme es ebenso häufig wie bei Erwachsenen zu
foudrojanteren, zur Perforationsbildung f&hrenden Otitiden» Sehr
plausibel erscheint uns der Einwand des Verfassers gegen die
Abflußtheorie durch die Tube, daß die Säuglinge meistens auf
dem Bflcken liegen, und schon dadurch nicht recht auf einen
Sekretabfluß auf dem genannten Wege zu rechnen sei.
Weiterhin führt uns Verfasser die einzelnen Stadien der
Mittelohrsehleimhautentzündung vor, alles, was er sagt, durch
treffliche mikrophotographische Tafeln illustrierend.
Sehr zurfickhaltend ist er dabei mit seinen Schlußfolge-
rungen aus den häufigen Befunden von Thrombose in den Ge-
fäßen der entzündeten Paukenhöhle und des entzündeten Antmm
nach der klinischen Seite hin.
Von den pathologischen Befunden am Trommelfell ist nicht
nur der Nachweis interessant , daß das Trommelfell sich immer
in demselben Stadium der Krankheitsentwicklung wie die ganze
Paukenhöhlenauskleidung befindet, sondern auch die durch aus-
gezeichnete Mikrophotographien illustrierte Tatsache, daß die so
widerstandsfähige Substantia propria von allen Trommelfell-
schichten dem durchbrechenden [Eiter am längsten standhält.
Erst wenn die keine eigenen Blutgefäße führende mittlere Schicht
durch die Erkrankung der Schleimhaut- und der Eutisschioht
nicht mehr ernährt wird, dann berstet auch sie. Ein klassisches
anatomisches Beispiel der durch die Entlastung der Schleimhaut
so wohltuenden Parazentese des Trommelfells hat Verfasser uns
gebracht in einem Falle, in welchem einen Tag nach der Para-
zentese der Tod erfolgte.
XII. Besprechungen. 145
Eingehend bat Verfasser die Resorptionsvorgänge des Mittel-
ohrempjems beschrieben, und die Bedeutung der hierbei in der
Schleimhaut (auch dem Schleimhantüberzng des Trommelfells)
auftretenden kleinen Qranulationsknospen ^ Resorptionsgranu-
lome**, welche bereits v. Tröltsch beschrieben, ohne Aber ihre
Bedeutung Klarheit gewonnen zu haben, klargelegt.
Was die Tuberkulose des Mittelohres der Säuglinge anbetrifFt,
so konnte Verfasser unter 19 an Tuberkulose (meist miliarer)
verstorbenen Kindern nur zweimal eine unzweifelhafte tuber-
kulöse Erkrankung der Paukenhöhlenschleimhaut nachweisen. Es
befanden sich in der periostealen Schicht und dem submukösen
Gewebe ganz vereinzelt ein paar Tuberkelknötchen mit zentraler
Verkäsung und typischen Riesenzellen. In dem gleichzeitig vor-
handenen Paukenhöhlenempyem fanden sich aber keine Tuberkel-
bazillen, sondern Pneumokokken. „In beiden Fällen war die
Herkunft der Tuberkel in der Schleimhaut ziemlich klar ; es han-
delte sich um typische miliare Tuberkulose ^ das Knochenmark
der Pyramide und der Schläfenbeinspongiosa war reichlich durch-
setzt von kleinsten Tuberkeln, während, wie schon hervorgehoben,
diese Herde in den tieferen Schichten der Paukenhöhlenschleim-
haut nur ganz spärlich vorkamen. Daraus darf wohl der Schluß
gezogen werden, daß die Tuberkel in der Schleimhaut ihr Dasein
der weiteren Ausbreitung einer tuberkulösen Osteomyelitis - des
Schläfenbeins verdankten. Die eitrige Otitis media war entweder
ganz unabhängig von der Tuberkulose entstanden, oder, wenn
ein Zusammenhang zwischen beiden Erkrankungen bestand, so
hatten die hämatogen entstandenen Tuberkel höchstens den Reiz
abgegeben für das Einsetzen einer selbständigen eitrigen Mittel-
ohrentzündung durch Pneumokokkeninfektion. "^
Schwere Erkrankung der knöchernen Mittelohrwandungen
induziert durch die Otitis media, konnte Verfasser, abgesehen
von den beiden Tuberkulosefällen, niemals nachweisen. „Höch-
stens periostale Schwellung und Andeutung von Lakunenbildung
zeigte sich auf dem geschilderten Höhepunkt der Schleimhaut-
erkrankung.*'
Entzündliche Veränderungen des inneren Ohres konnte Ver-
fasser nur zweimal nachweisen. In dem einen Falle fand sich
auf der Innenseite der stark infiltrierten Membran des runden
Fensters eine Schicht kleinzelligen Exsudates, und in dem zwei-
ten hat mit großer Wahrscheinlichkeit eine eitrige Otitis der einen
Seite zu einer diffusen eitrigen Meningitis geftlhrt, und diese
Archiv f. Ohrenheillninde. LXI. Bd. 10
146 Xn. BoBprechungen.
wieder ku einer eitrigen Erkrankung des inneren Ohres auf der
anderen ursprttnglieh gesunden Seite.
Zum Schluß vertritt Verfasser die Ansicht, daß wenn auch
Pädatrophie und Otitis media der Sftuglinge in einem weohsel*
seitigen Abh&ngigkeitsverhältnisse zueinander stehen können, in
der Regel doeh die Otitis media unter den vielfachen Symptomen
der Pädatrophie zu den Symptomen seitens der Atemwege zu
zfthlen ist, wenn man die pAdatrophischen Symptome in die
beiden Hauptgruppen, die Symptome seitens der Atemwege und
seitens des Darmtraktus einteilt. Die Bronchopneumonien wie-
derum sind bei pAdatrophischen Kindern nicht etwa die Folge
der Otitis media^ sondern beide^ Otitis media und bronchopnea-
monische Herde entwickeln sich nebeneinander im Anschluß an
eine primäre Infektion der Nase, bezw. des NasenrachenraumB.
Die Durchfälle andererseits und die Ernährungsstörungen
hält Verfasser fllr Erscheinungen von Toxis, entstanden dnroh
die Resorption von septischen Stoffen aus dem Mittelohrempyem.
^Wir müssen uns dabei wieder erinnern, daß die Pneumokokken,
welche wir als fast ausschließliche Erreger der Otitis media
fanden, zur Klasse der Streptokokken gehören, also zu den
Sepsiserregern.^ Verfasser fand dementsprechend auch auffallend
häufig bei seinem Kindermaterial andere Anzeichen einer sep-
tischen Erkrankung, die Ekchymosen der Pleura, des Epikards
und seltener des Peritoneums.
Am Ende seiner Arbeit hat Verfasser die klinischen und ana-
tomischen Versuchsergebnisse seiner 100 Fälle in gedrängter Kürze
tabellarisch zusammengestellt.
XIIL
Wissenschaftliche Rundschau.
1.
Siebenmann, Beiträge zur Kenntnis der Labyrinthanomalien bei
angeborenerTaubstummheit. Y erhandlangen der Naturforschenden
Gesellschaft in Basel. Bd. XV.
Ausgehend Ton der Tatsache, daß mit dem klinischen Ausbau der
Taubstummenfrage die anatomische Forschung nicht gleichen Schritt ge-
halten habe, besonders bezüglich der angeborenen Labyrinthyerftnderun^n,
gibt UD8 der um die Kenntnis des Labyrinthbanes so verdiente Verfasser nicht
nur einen Überblick über den gegenwärtigen Stand dieser auch für die Deu-
tung der funktionellen Bedeutung des LabyrinthTorhofs so wichtigen ein-
Bchl&gigen Frage, sondern bereichert auch unsere diesbezüglichen anatomi*
sehen Kenntnisse durch neue eigene Beobachtungsbefunde.
Die neuen wichtigen Befunde sind die folgenden:
1 . Bei einer Frau, welche nur solche Geräusche wahrgenommen hatte,
welche nachweisbar auch gefühlt werden (lautes Donnern usw.)» welche also ganz
taub gewesen war, aber ohne Gleichgewichtsstörungen, ergab die histologische
Untersuchung, dai^ der Stamm des Schneckennenrs wenig oder gar nicht, der
im Labyrinth verlaufende Teil desselben aber samt dem Schneckenganglion
hochgradig hypoplastisch war, und dal^ das Gortische Organ teilweise oder
ganz fehlte und nirgends seine vollkommene Ausbildung erreicht hatte. Das
ganze übrige Ohr war normid, der Bogengangsapparat mit den Utriculns,
der SacculuB mit seinem Fleck, sowie die zugehörigen Nerven. „Somit
kommt weder den beiden Vorhofss&cken, noch den Bogengängen
irgendwelche akustische Bedeutung zu, und es muß die Per-
zeptionsstelle für die Geräusche wie für die Töne in die
Schnecke — speziell ins Gortische Organ — verlegt werden.
2. Verfasser teilt histologisehe Befunde mit, welche ein recht inter-
essantes Licht werfen auf eine gewisse, offenbar recht häufige Art der intra-
uterinen Genese der Schwerhörigkeit, resp. Taubheit und Taubstummheit.
Die Ursache ist nach den Befunden des Verfassers ein Kollaps der membra-
nösen Wände des endolymphatischen Schneckenraumes, welche nicht im nor-
malen Spannungsverhältnisse sich befinden, teilweise auch aneinander liegen,
ja selbst verwachsen können Das Sinnesepithel wird dadurch gewissermai^en
erstickt, es findet sich hochgradig degeneriert. £r hat diese Verhältnisse
nicht nur bei der äußeren, sondern auch unteren (Basilarmembran) und
oberen inneren (Reißner sehe Membran) Schneckenwandung gefunden. Als
Ursache dieser Erscheinung hat er eine zu gro^ embryonale Anlage dieser
häutigen Gebilde nachgewiesen, welche zur Folge hat, daß diese Wandungen
bei ihrer abnormen Größe in dem vom normalen Knocbengehäuse vorgezeich-
neten festen Rahmen nicht genügend Platz gefunden und sich daher gefaltet
haben. Grunert.
10
148 XIII. WisBenschaftlicbe Bundschaa.
2.
Derselbe, Demonstration eines weiteren Falles von Kollaps des
hftntigen Ductus cochlearis. Yerhandl. der deutschen otolog. Ge-
sellschaft auf der 12. Versammlung in Wiesbaden am 29. u. 30. Mai 1903.
Verfasser beschreibt einen Fall — Vorgeschichte vorläufig unbekannt —
▼on doppelseitiger Hyperplasie von Stapes und langem Amboßschenkel, yon
fester nbröser Fixation des Stapes- Ambo^elenkes an den hinteren oberen
umfang der PeWis ovalis, vonObturation der runden Fensternische durch
ein kleines Lipom bei einem älteren, sehr schwerhörigem Manne. „Im Ductus
cochlearis membranaceus betrifft die Verbildung alle drei Wände, welche zu
Soi^ angelegt und offenbar nachträglich durch die normal groß gebildete
löcheme Labyrinthkapsel gefaltet worden sind, und zwar auf Kosten des
Lumens des endolymphatischen Raumes. Das Ligamentum spirale ist be-
deutend verdannt. Obwohl das Gortische Organ nirgends normal und in der
Schneckenspitze sogar ganz degeneriert ist, sind die Oanglienzellen und der
gemeinsame Stamm des Akustikus quantitativ und qualitativ auffallend wenig
verändert — Saccnlus, Utriculus und Bogengänge sind normal."
Grunert.
3-
K&iifier, Über Herpes zoster oticus (Herpes an der Ohrmuschel
mit Lähmung des Nervus acusticus und des Nervus facialis).
Münchener med. Wochenschr. Nr. 1. 19U4.
Ausgehend von einer Schilderung der Miterkrankungen rein motorischer,
gemischter und Sinnesnerven bei Herpes zoster, in deren Verbreitungsgebiet
sich der Herpes zoster entwickelt, schildert Verfasser einen bisher nicht be-
schriebenen Sym])tomenkomplex — Herpes an der Ohrmuschel mit Lähmung
des Nervus acusticus und facialis — , welchen er nach Analogie des bekann-
ten Herpes zoster ophthalmicus als Herpes zoster oticus bezeichnet. Die
Wichtigkeit des von ihm beobachteten Falles berechtigt zu einer ausführ-
licheren Wiedergabe desselben. «Die 55jährige Kranke war vor 6 Monaten
am Brustkrebs operiert worden. Seitdem litt sie an häufigen Schmerzen bald
in den Armen oder Beinen, bald in der Brust oder im Rücken. Die Schmerzen
wurden von dem Hausarzte teils auf Rheumatismus, teils auf Neuralgien zu-
rückgeführt, und mit Bädern, Pheiiacetin und zuletzt Solutio Fowleri mit
wechselndem Erfolge bekämpft. Die Kranke war nicht zu bewegen, das
Zimmer zu verlassen, und entwöhnte sich gänzlich des Aufenthaltes in freier
Luft. Dabei wurde sie appetitlos und blaß. Die jetzige Erkrankung begann
ndt Eruption von Herpesbläschen an der rechten Kopf- und Halsseite.
Schmerzen in dem befallenen Gebiete waren vorhanden, jedoch nur in
mäßigem Grade. Etwa 8 Tage nach dem Auftreten des Herpes ver-
schwand das Gehör auf dem rechten Ohre innerhalb weniger
Tage, und gleichzeitig entwickelte sich eine Lähmung im Ge-
biete des rechten Nervus facialis.** Etwa 8 Tagenach dem Auftreten
der Taubheit und der Facialislähmung wurde die Kranke vom Verfasser
untersucht. „Ich fand sie blaß und hinfällig. Von dem Herpes waren noch
die, meist in Gruppen angeordneten Schorfe vorhanden. Dieselben saßen alle
auf der rechten Seite, und zwar in der Höhlung der Ohrmuschel am Rande
des Gehörganges, an der behaarten Kopfhaut fingerbreit über der Ohrmuschel
und im Nacken, auf der Gesichtshaut vor dem Ohre unterhalb des Joch-
bogens, ferner, aber nicht in Gruppen, sondern versprengt, an der Seite des
Halses. Von dem rechten Nervus facialis waren die die Stirn- und Augen-
gegend versorgenden Aste völlig, die Mundäste leicht gelähmt. Eine Gaumen-
segellähmung, die ich, wie viele neuere Autoren, niemals bei Facialislähmung
gesehen habe, fehlte auch hier. Die rechte Chorda tympani war, wie die
Geschmacksprüfung zeigte, gelähmt. Die Untersuchung des rechten Ohres
zeigte ein normales Trommelfell und schloß ein Exsudat in der Paukenhöhle
aus. Die Taschenuhr wurde selbst bei festem Andrücken an das Ohr nicht
gehört, Flüsterworte nur in t — 2 Meter Entfernung verstanden und die Schall-
XIII. Wissenschaftliche Randschaa. 149
ieitang durch die Kopfknochen zam rechten Ohre war yöllig aufgehoben.
Anf dem linken Ohre war das Gehör normal.*" Verfasser stellte auf Qrnnd
dieses Befundes die Diagnose: L&hmang des Nervus acusticus und facialis
bei Herpes zoster an der Ohrmuschel und in ihrer Nachbarschaft. Nach
17 Tagen berichtete der Hausarzt, daß beim Weitergebrauche der Sointio
Fowleri und Faradisieren des Facialis die Facialislähmung nahezu völlig ver-
schwunden sei und auch das Gehör sich bedeutend gebessert habe — Taschen-
uhr in ca. 30 cm Entfernung vom Ohr gehört und Wiederherstellung der
Knochenleitung fär den Schall zum rechten Ohre- — Es waren aber dabei
von neuem heftige Schmerzen in der Beckengegend und den Oberschenkeln
aufgetreten.
Verfasser erklärt den inneren Zusammenhang des von ihm geschilderten
Symptomenkomplexes folgendermaßen: daß die Neuritis im Zervikalnerven-
und Trigeminusgebiete, welche mit dem Herpes zoster in ätiologischem Zu-
sammenhang stand, durch Anastomosen auf den Facialis Übergegangen wäre
und weiterhin auch den dem Facialisstamm im Perus acusticus internus dicht
angelagerten Nervus acusticus ergriffen hätte. Grunert.
4.
Parmentier, Diagnostic diff^rentiel des complications intra-
cräniennes des otites purulentes.' Le progräs M^dical Beige.
No. 20. 15. Oktober 1903.
Abgekürzte Darstellung der Symptome der intrakraniellen, otogenen
Erkrankungen, welche für unseren Leserkreis nichts Neues bietet.
Grunert.
5.
M. A. Goldstern {^tljQmÄ)^ The use and abuse of the Eustachian
Bougie; The Laryngoscope. St. Louis, July 1903.
Aus der kurzen Arbeit des Verfassers, welche im allgemeinen nichts
Neues bringt, interessiert uns nur sein Urteil über die neuerdings aus Ame-
rika mehrfach empfohlene Verbindung der Elektrolyse mit dem Bougieren
der Eustachischen Röhre. Er hat dazu Goldbougies benutzt und einen gal-
vanischen Strom von 3 — 4 Milliampäresstärke. Wenn er auch meint (wohl mehr
auf Grund theoretischer Erwägungen I d. Referent), daß der elektrische Strom
einen wohltätigen Einfluß ausübt auf die Muskeln und Nerven der Tube, so
hat er sich doch von einer zuverlässigen Wirkung dieser Methode auf Tuben-
strikturen nicht überzeugen können; ja, er hat es sogar erlebt, daß, wenn
eine Heilung der Striktur nicht erfolgt ist, hinterher sich eine deutliche Ver-
schlimmerung derselben bemerkbar machte. Grunert.
6.
Streit, Geheilter Fall von schwerer otitischer Sinusthrombose
mit meningitischen Erscheinungen. Sitzungsber. des Vereins für
wissenschaftl. Heilkunde in Königsberg i. Pr. vom 8. Dez. 1902. Deutsche
med. Wochenschr. 1903. Nr. 6.
„Rezidivierende Otitis media, Eröffnung des Warzenfortsatzes, starke
venöse Blutung, augenscheinlich aus einer sehr großen Mastoidealvene kom-
mend. In der Folge meningi tische Erscheinungen, pjrämische Temperaturen.
Acht Tage nach der ersten Operation Lumbalpunktion (negativ), Jugularis-
unterbindung, Sinuseröffnung. Sinus sigmoideus blutleer, peripher und zen-
tral durch einen Thrombus abgeschlossen. Entsprechend der Einmündung
kreisrundes Loch im Sinus. Fortdauern der pyämischen Temperaturen. Sechs
Tage später Eröffnung des Bulbus venae nach Grunert. Darauf sofort ein-
setzende, drei Tage lang anhaltende Entfieberung, sodann akute pyämische
Attacken, dann Rekonvideszenz. Facialis anfangs leicht paretisch, dann nor-
mal fungierend. *"
150 XIII. Wissenscbaftliche Randfc)iaa.
WeDD nngllBsti^e anatomlscbe Verhältnisse Yorliegen, bei denen sich
nach Streit nicht ininier FacialiBl&bmungen Yenneiden lassen, dann sei es
nicbt nötig, sieb auf Wegnahme der letzten, die laterale Umgrenzung des
Foramen jugulare bildenden Enocbenspange au versteifen, da auch bei Stehen-
bleiben einer V> cm breiten Spange der Bulbus zur Genüge übersichtlich sei,
Gruneri
7.
Jerosch, Fall von doppelseitigem OthAmatom spontanen Ur-
sprungs. Ebenda.
In der Diskussion hebt Hoppe, der wenigstens 30 — 40 Fälle Yon
Oth&matom gesehen bat, benror, daß diese Geschwulst vorzugsweise in
Irrenanstalten bei progressiver Paralyse, aber auch bei seniler Geistesstörung
und bei schweren akuten Geistesstörungen vorkommt, wo auch sonst tro-
pbische Störungen häufig sind. „Ein Trauma Ist zur Entwicklung desselben
wohl stets notwendig, nur daß es keine grobe Gtewaltein Wirkung zu sein
braucht; es genügt in vielen Fällen bei dem Vorhandensein trophischer
Störungen schon eine geringe Verletzung, wie sie sich besonders unruhige
Kranke leicht zuziehen, welche bei gesunden Geweben nicht die geringsten
Folgen haben würden. "^ Grunert.
8.
Etchweiter, Zur Entwicklung des schallleitenden Apparates mit
besonderer Berücksichtigung des Musculus tensor tympani.
Arch. f. mikroskop. Anatomie u. Entwicklungsgeschichte. 1903. Bd. 63.
Auf Grund der histologischen Untersuchung von Schnittserien durch
die Köpfe von Schweineembryonen schildert Verfasser in übersichtlicher
Weise die Entwicklungsgeschichte des Musculus tensor tympani vor seiner
definitiven Ausbildung. Ein näheres Eingehen auf den Inhalt der sehr inter-
essanten Arbeit schließt nicht etwa der rein entwicklungsgeschichtliche Cha-
rakter derselben aus, wohl aber der Umstand, daß eine kurze referierende
Wiedergabe der komplizierten Auf bau Verhältnisse des Musculus tensor tym-
pani nur auf Kosten des Verständnisses dieser Materie erfolgen könnte.
Grunert
9.
Kreischmann, Anatomischer und klinischer Beitrag zum Kapitel
der Deviationen des vorderen Abschnittes der Nasen-
scheidewand. Archiv f. Laryngol. Bd. XIV. 3. Heft.
Verfasser kommt zu folgenden Schlußfolgerungen:
1. Den Nasenflügelknorpeln kommt die Wirkung eines federnden Bügels
zu. Der empor- und abgezogene Nasenflügel wird durch die Knorpelfederung
nach Aufhören der Muskelwirkung wieder in die Ruhelage zurückgeführt
2. Die für den vordersten Abschnitt der Nasenscbeidewand gebrauchten
Namen, „Septnm mobile und Septom cutaneum" sind unbestimmt und un-
genau. Sachlicher erscheint die Einteilung in „Septum anticnnn s. triangu-
läre, Septum medium s. quadrangulare, Septum posticum s. osseum.
3. Abweichung des vor der vertikalen Achse gelegenen Teiles der Car-
tilago quadrangulans ans der Medianebene führt zu einer Luxation des
Knorpeirandes aus dem Sulcns incisivus. Diese Abweichung kann die ein-
rige Deviation bilden — isolierte oder reine Luxation — , es handelt sich
also um eine Abbie^ung, oder es hat eine Drehung der Cartilago quadrsn-
galaris um die vertikale Diagonale stattgefunden; dann zeigt sich auf der
entgegengesetzten Seite noch eine Crista-Deviatio rotatoria.
4. Die Luxation der Cartilago quadrangularis hat Veränderungen in der
Stellung der Nasenspitze und des Nasensteges im Gefolge.
ö. Eine einmal eingetretene Luxation kann durch den Zug des In-
spirationsstromes verschlimmert werden.
Xllh Wifltenscbaitliche Randschau. 151
6. Nicbt fixierte Loxationen können reponiert and in der korrigierten
Lage durch eingelegte Gummirohre erhalten werden. Bei konsequenter Durch-
fahrang des Verfahrens erfolgt Heilung.
7. Für das korrigierende Verfahren eignen sich besonders Kinder und
jugendliche Indiyiduen. fiei Erwachsenen scheitert die Anwendung meist an
dem Mangel von Toleranz und an der Unmöglichkeit der Reposition.*'
Qrunert.
10.
Heine, Amnestische Aphasie und Hemiopie infolge Abszesses
des rechten Schl&fen- und Hinterhauptlappens. Verhandl. der
deutschen otolog. Gesellschaft ^auf der 12. Versammlung in Wiesbaden
am 29. und 30. Mai 1903.
Das Einzigartige dieses Falles von operativ geheiltem Himabszeß bei
einem 32j&hrigen Manne war das Bestehen eines Symptomenkomplezes
(amnestische Aphasie, Paraphasie und Ataxie) bei der Lokaiisatton des
Abszesses im rechten Sehl&feolappen — bei bestehender RechtshAndigkeit — ,
während wir diese Symptome nur kennen bei Abszessen des linken Schl&fen-
lappens, dem Sitz des sensoriscben Sprachzentrums.
Aber auch in anderer Hinsicht gehört der Fall des Verfassers (Lucae-
sche Klinik) zu den interessantesten.
20 Taae nach Beginn von heftigen rechtsseitigen, über den ganzen Kopf
ansatrahlenaen Obrschmerzen, ai\d 5 Tage nach dem Eintreten eines Schüttel-
frostes (Temperatar damals nicht gemessen) war Patient in die Berliner
Ohrenklinik autgenommen. Es warde am Tage nach der Aufnahme (rechts-
seitige heftige Kopfschmerzen, Schmerzen im Nacken, die bei Beugung des
Kopfes nach 7orn zunahmen) total aufgemeißelt. Dabei Granulationen und
Cholesteatommassen im Antram, in der Gegend der hinteren und oberen
Antrnmwand ein bohnengroßer Sequester, der mit zottigen derben Auflage-
rungen bedeckten Dura anliegend. 3 Tage später wegen des Hinzntritfs des
oben beschriebenen Symptomenkomplexes auf den rechten SchJ&fenlappen
eingegangen, und dabei ein mit stinkendem Eiter erfüllter Abszeß entleert.
Entschiedene Besserung der Sprachstörung in der nächsten Zeit, aber hin
und wieder Kopfschmerzen, Schläfrigkeit. 1 1 Tage nach der ersten Operation
wieder heftige Kopfschmerzen, häufiges Erbrechen, fortwährende Übelkeit, sehr
Terfallenes Aussehen, wieder ausgesprochene amnestische Aphasie und deut»
Hche, bis dahin nicht vorhanden gewesene Hemiopie bei normalem Augen-
Mntergrunde, Erweiterung der Hirnwunde mit der Komzange, wobei wieder
3 — 4 EJBlöffel fßtiden, mit Gasblasen Tormischten Eiters abflössen. Nach
TorOber gehen der Besserung und nach erfolgtem Verschluß der Hirnwnnde
wieder zunehmende Himsymptome. Deshalb am 15. Tage nach der zweiten
Operation ein dritter operatiyer Eingriff, bei welchem im Occipitallappen
eine große, aber keinem Eiter mehr enthaltende Abzeßhöhle freigelegt wurde.
£2in 10 Tage später wegen erneuter Zunahme der Himsymptome ausgeführ-
ter operativer Eingriff förderte keinen freien Eiter mehr zutage. Schließ-
licher Ausgang : Heilung der Gehirn- und Obroperationswunde. In diesem
Zustande wivde Patient etwa 4Va Monate nach seiner Aufoahme entlassen.
Auf folgendes sei noch hingewiesen: Die beobachtete zunehmende
Schwerhörigkeit des linken Obres konnte um so mehr als eine zentrale ge-
deutet werden, als auch vorübergehende Gehörshalluzinationen für eine
Reizung der rechten Hörsphäre zu sprechen schienen. Bezüglich der Hemi-
opie sagt Verfasser folgendes: „Hemiopie stellte sich erst vor der zweiten
Operation am Schläfenlappen ein. Bei der dritten fand sich im Hinterhaupt-
lappen eine große, aber leere Höhle. Es ist also der Eiter dieses Abszesses
bei der zweiten Operation mit abgeflossen. Jedenfalls war dieser Abszeß im
Hinterhauptlappen selbst, und nicht bloß eine Schädigung der optischen
Leitungsbahn durch den tiefgelegenen Schläfenlappenabszeß die Ursache der
Sehstörung. ** Grunert.
152 ;xm. Wissenschaftliche Rondschaa.
11.
Kttiz, Ein modifiziertes Ringmesser („knieförmiges Adenotom")
mit einigen Bemerkungen. Therapeutische Monatshefte, Juli 1903.
Weil man mit dem Gottstein-Beckmannschen Ringmesser infolge
der gestreckten Form des Stieles und des Griffes des Instrumentes bei hohem
Nasenrachenraum (größere Kinder) oft nicht bis an die Basis der Rachen-
mandel heraufkommt, hat Verfasser durch eine entsprechende ErOmmung
und Verl&nfferung jenes Instrument modifiziert, so daß der Winkel im un-
teren Drittel des Stieles 145 ^ der des Ringes zum Stiele ca. 85^ beträgt und
die Schneide fast senkrecht zum Stiele gestellt ist. Das modifizierte Instru-
ment ist bei H. Windler-Berlin, Friedrichstraße 133a in zwei Größen resp.
Krümmungen vorrätig. Grunert
12.
Voss^ Mittelohreiterungen (chronische). Enzyklopädische Jahr-
bücher der gesamten Heilkunde. Neue Folge, 2. Bd. Herausgeber: Prof
Dr. Alb. Euienburg in Berlin. Verlag: Urban und Schwarzenberg in
Wien und Berlin.
Verfasser hat die Materie in einer den Bedürfnissen des Leserkreises,
für welchen der Artikel bestimmt ist, entsprechenden Weise behandelt. Die
präzise übersichtliche Schreibweise macht die Lektüre auch für den Spezial-
Kollegen zu einer angenehmen. In unverhältnismäßig breiter Weise wird die
Plastik im Anschluß an die Totalauf meißelung abgehandelt Grunert.
13.
Treitelj Die Beurteilung der Ohreiterungen bei Aufnahme in
eine Lebensversicherung. Deutsche Medizinalzeitung, 2t. Dez. 1903.
Verfasser empfiehlt bei chronischen Eiterungen eine Aufnahme in die
Versicherung bei höherer Prämienzahlung, wenn die Schleimhaut blaß und
das Sekret ein mehr schleimig-eitriges ist. Unbedingten Ausschluß will er
bei fötider Eiterung, bei Cholesteatom oder Granulationen am oberen oder
am oberen hinteren Trommelfellrande. Mit Recht weist er auf das größere
Risiko hin, welches die Versicherungen eingehen, wenn sie Leute mit aus-
geheilter Ohreiterune, aber hochgradiger Funktionsstörung und Schwindel
aufnehmen (Gefahr des Überfahreawerdens usw.). Der Forderung des Ver-
fassers, daß bei der Unzuverlässigkeit der Anamnese in otoiogicis das Oiir
eines jeden zur Aufnahme in die Lebensyersicherung sich Meldenden zu
untersuchen ist, können wir nur zustimmen, wenn er dabei eine fachmän-
nische Untersuchung im Auge hat. Grunert.
14.
Bezoldy Die Hörprüfung mit Stimmgabeln bei einseitiger Taub-
heit und die Schlüsse, welche sich daraus für die »Knochen-
leitung'' und für die Funktion des Schallleitungsapparates
ziehen lassen. Zeitschr. f Obrenbeilk. Bd. XLV. Heft 3.
Entgegen den Anschauungen jüngerer. .Forsch er, welche für die Schall-
leitung den Schwerpunkt auf die direkte Übertragung der Schallwellen auf
das Labyrinth entweder durch das runde Fenster oder den Promontorial-
knochen legen, glaubt der in der Physiologie des Ohres so eiArig tätige
Verfasser den positiven Beweis zu erbringen, daß dem Schallleitungsapparate
keineswegs nur die untergeordnete Rolle einer den Labyrinthdruck regulie-
renden Nebenvorrichtung zuzuerkennen sei, sondern daß ohne diesen Apparat
ein Hören per Luftieitung bis zur eingestrichenen Oktave herauf überhaupt
unmöglich sei. „Um sich von dem verwirrenden und unsere wertvollsten Er-
rungenschaften verdunkelnden Einfluß dieser modernen ^Spekulationen zu be-
freien, welche verhältnismäßig so viele Anhänger gefunden haben, ja von
einem Referenten der Zeitschrift für Ohrenheilkunde sogar als »sinnreich
XIII. WisBenschaftliche Bnndschaa. 153
and außerordentlich klar" bezeichnet worden, kann ich nichts Besseres raten,
als ein Bad zu nehmen in dem frischen Born der Erkenntnis, welchen be-
reits Joh. Müller ans in seinem Handbnche erschlossen hat, denn hinter
diese Zeit sind wir durch die Sacht nach immer neuen Theorien ohne Be-
rücksichtigung unserer bereits errungenen Schütze wieder zurückgeworfen. **
Der Bezold sehen Anschauung muß Referent entgegenhalten, daß von
einem doppelseitig totalaufgemeißelten Patienten unserer Klinik, bei welchem
beiderseits Hammer und Amboß, auf der einen Seite auch der Stapes, entfernt
waren, auf beiden Ohren G ('256 Schwingungen) zweifellos gehört und nach-
gesungen wurde. Nach landläufigem Sprachgebrauch konnte er nicht für
, schwerhörig'* für die Sprache gelten. Grunert.
15.
Gerher, Fremdkörper der Nase, der einen malignen Tumor vor-
getäuscht hatte. Sitzungsber. des Vereins für wissensch. Heilkunde
in Königsberg i. Pr. vom 16. Febr. 1903. Deutsche med. Wochenschr.
1903. Nr. 27.
Der Fremdkörper war ein 9 cm langes fingerdickes, von Granulationen
nmwuchertes Gummidrain, dessen vorderes Knde die nasale Kieferhöhlenwand
arrodiert und eine Eiterung in der linken Kieferhöhle hervorgerufen hatte.
Durch diese Eiterung wiederum war eine Auftreibung der vorderen Kiefer-
höhle bedingt. Grunert.
16.
derselbe^ Ein großer Sequester des Warzenfortsatzes von einem
dreijährigen Kinde. Ebenda.
Nichts von Bedeutung. Grunert.
17.
Derselbe, Fall von Nekrose des gesamten Labyrinths bei einem
zwölfjährigen Mädchen nach Scharlachotitis. Ebenda.
«In zwei Operationen wurden entfernt: ein ganzes Stück des Facialis-
kanales, der horizontale Bogengangwulst, das Promontorium, verschiedene
Teile der Schnecke und Bogengangspartikel u. a.** Grunert.
18.
Streit, Ausgeheilter Fall von primärer Thrombose des Bulbus
venae jugularis und Vorhofeiterung. Ebenda.
„Chronische Mittelohreiterung, zeitweise Schmerzen im erkrankten Ohr
und in derselben Seite des Kopfes. Erbrechen, Durchfälle, Fieber. Kein
Schwindel, kein Nystagmus. Gehörgang mit Granulationen gefüllt, ödem
und Druckschmerz über Planum und Spitze. Schmerzen beim öffnen des
Mundes in der Umgebung des rechten Kiefergelenkes. Gehörprüfung gibt un-
sichere Resultate.
Bei der Operation fand sich ein großes Cholesteatom. Der Sinus wurde
tinterhalb des oberen Knies freigelegt. Im horizontalen Bogengang, nahe
dem vorderen Schenkel, ein roter Punkt, beim Sondieren desselben gleitet
die Sonde in den Vorhof, aus dem Eiter nachquillt Der Paukenboden fehlt
zum größten Teile, an seiner Stelle Granulationen; beim Abtasten derselben
dringt die dicke Sonde in einen haselnußgroßen Hohlraum, dessen ziemlich
glatte Wände sich nach der Seite zu überall mit Sicherheit abtasten lassen.
Nur in der Richtung nach unten dringt die Sonde etwa 1 7^ cm weit, ohne
Widerstand zu finden, vorwärts. Aus diesem Hohlräume quillt Eiter hervor.
Jugularisunterbindung. Spaltung des Blut enthaltenden, normal aus-
sehenden Sinus. Drainage desselben, Eröffnung des Vorhofs vom hinteren
Schenkel des horizontalen Bogenganges aus. Facialis zuckt nicht.
Verlauf: Nur an vier Tagen post operationem überschritt die Tempe-
ratur 3S®. Allgemeinbefinden sehr gut. Facialis intakt. Am siebenten Tage
164 XIII. WisBenschaftliebe Randschan.
Sott operationem kommt man beim Sondieren Yom oberen Wandwinkel der
ngiilariB aus in der Riebtang nach dem Foramen jan^iilajre za, 3 cm n&ch
der Scb&delbasiB zu, aufwärts. AagenBcbeinlich handelt es sich um Senkong
einer schon ante operationfm yorhanden gewesenen peribnlbären Eiterung.*
Die Bedentang dieses Falles liegt darin, daß er für eine direkte Ober-
leitung der Eitemng Yom Paakenhöblenboden auf den Baibns spricht.
Wenn Verfasser sagt, „er wttrde die Grnnertsehe Eröffnung des Bulbus
fwae jttgularis nur als sekundären Eingriff yomehmen, selbst dann nicht
primär, wenn direkter Eiterabflu^ ans dem Bulbus beobachtet ist^, so er-
weckt das den Anschein, als hätte ich ein gegensätzliches Vorgeben em«
pfohlen. Ich habe mich indes in den einschlägigen Arbeitmi ganz klar dar-
über ausgesprochen, daß auch fQr mich ein direkter Eiterabfluß aus dem
Bulbus noch keine Veranlassung abgibt, primär gegen den Bulbus operativ
vorzugehen. G r n n er t.
19.
EegelschrveUer (Zürich), Dio Tuberkulose des Ohres mit Ausgang
in Heilung. Zeitschr. f. Ohrenheilkunde. XLIII. S^ l.
Verfasser berichtet über 3 Fälle von geheilter Ohrtuberkulose. In dem
ersten war die Mittelohrentzündung unter starken Schmerzen auf|;etreten,
172 Monate später hatte sich eine 6 Tage dauernde Bewußtlosigkeit einge-
stellt, die erst mit dem Erscheinen von Otorrhöe wieder verschwand. Das
Hörvermögen ging total verloren Die Mastoidoperation — zuerst die typische
Aufmeißelung des Antrum, dann die TotalaufmeiMung — ergab Defekt des
Trommelfells, Hammers und Amboß, das Antrum in eine walnußgroße Höhle
umgewandelt, Freiliegen der verdickten und mit mißfarbigem Eiter bellen
Dura über dem hintersten Antrumwinkel in Ausdehnung von 2 qcm. Lappen-
bildung nach Stacke. Die Heilung erfolgte glatt, mit Ausnahme der Stelle,
an welcher die harte Hirnhaut bloßlag; doch sistierte die Eiterung auch hier
schließlich (nach etwa 372 Monaten), nachdem regelmäßige Verbände mit
Airolgaze, später mit lOproz. Kreosotsalt>e angewandt und innerlich Kreosot^
pillen verabreicht worden waren. Zur Erklärung der sechstägigen Bewut^t-
losigkeit wird angenommen, daf^ die eitrige Entaündnng sich an der er-
wähnten Stelle nicht auf die Außenschicht der Dura beschränkt, sondern auf
deren Innenfläche übergegriffen und zugleich die Pia in einen Reizzustand
versetzt hatte. Der Eiter des Warzenfortsatzes enthielt Tuberkelbazillen.
In der zweiten Beobachtung waren tuberkulöse Geschwüre in Nase und
Rachen vorbanden, es wurde über Schwere und Sausen im Ohre geklagt und
bei der Untersuchung dieses zuerst eine Injektion des Hammergriffs, dann
ein opakes miliares Knötchen im hinteren unteren Quadranten, umgeben von
diffuser Rötung des Trommelf eUs, gefunden. Durch seinen Zerfall entstand
eine anfangs trockene Perforation. Letztere heilte — neben Behandlung der
Rachengesehwüre mit Milchsäure — durch einen längeren Aufenthalt in
Daves, das Gehör stieg wieder von 30 cm auf 1 m für Flüstersprache. Der
dritte Fall war dadurch ausgezeichnet, daii spärliche Paukenhöbleneiterung,
zentrale Trommelfellperforation und außerdem starke, von der Warzengegend
in die Schläfe und den Unterkiefer ausstrahlende Schmerzen bestanden. Die
Spitze des Proc. mastoideus war druckempfindlich, die Gegend zwischen ihr
und dem aufsteigenden Ast des Unterkiefers mäßig empfindlich and ge-
schwollen < Kieferklemme). Bei der Aufineißelung zeigte sich der Knochen
stark sklerotisch, das Antrum normal, dagegen wurde ungefähr in der Mitte
der Spitze eine etwa 1,5 cm lange und 8 mm breite grauweii^liche Membran
au%edeckt, ohne sichtbare reaktive Entzündung in der Umgebungt ^'^ ^^
mit dem scharfen Löffel ohne große Mühe entfernen ließ. Sie wird als ein
für Tuberkulose charakteristisches ^fibrinoides'' Exsudationsprodakt be-
trachtet Ein vierter Fall von Obrtuberkulose ist nicht vollständig zur Hei-
lung gekommen. Es bestand schmerzlos au&etretene Obreiternng, große
nierenförmige Trommelfeliperforation, polypöse Verdickung der Paukenhöhlen-
schleimhaut, femer eine größere Granulation im äußeren Gehörgang. Letztere
wurde entfernt, ebenso der an seinem Griff um die Hälfte verkürzte Hammer,
XIII, Wissenscfaaftlicbe Rundschan. 155
worauf die Eiternng bedeutend nachließ, aber nicht Yollständig sistierte.
Später bildete sich noch am Promontorium eine graue festbaftende (fibrinoide)
Membran, die sich nach mehreren Wochen abgestoßen hatte. Die £iterang
blieb unverflndert In der Epikrise wird auf die Wichtigkeit einer geeigneten
Allgemeinbehandlung (Hocbgebirgsklima usw.) hingewiesen, da der Allgemein-
zustand des Patienten iür die Besserung oder Verschlechterung seines Ohren-
leidens von größter Bedeutung ist. Lokal werden gegen die Paukenhöhlen«
eitening, wenn sich nicht operative Eingriffe als notwendig erweisen, Ein-
blarangen von Jodoformpulver empfohlen. Blau.
20.
Denker (Erlangen), Zur operativen Behandlung der intrakra-
niellen Komplikationen nach akuten und chronischenMitteN
Ohreiterungen. Ebenda. S. 13.
Die mitgeteilten F&lle sind folgende:
1. £xtradaraler, perisinuöser Abszeß rechte, am 18. Tage einer aknten
Mittelohreitemng bei der Aufmeißelnng gefunden, mit dem Warzenfortsatz-
empyem durch einen kleinen Knochendeiekt des Snlcus tranaversas kommu-
nizierend. Auf den Abszef^ hindeutende Symptome waren nicht vorhanden
gewesen, mit Ausnahme höchstens einer Druckempfindlichkeit in der hinteren
Gegend des Proc. mastoideus. Gebeilt.
2. Extraduralabszeü der mittleren Scbädelgrube rechts nach chroni-
scher Mittelohreiterung mit Cholesteatom/ ohne Symptome, bei der Totalauf-
meißelnng durch Erweiterung einer Fistel im Tegmen antri entleert. Außer-
dem stecknadelkopfgroßer trockener Defekt an der äußeren Wand des hori-
zontalen Bogenganges, bei dessen Sondierung regelmäßig eine Drehung des
Kopfes nach links eintrat. Häutiges Labyrinth normal. Schwindel hatte nie
bestanden. Ausgang in Heilung.
3. Abszeß des linken Schlaf enlappens nach chronischer Otitis media
Sorolenta mit Cholesteatom. Als Zeichen einer intrakraniellen drucksteigern-
en Komplikation waren vorhanden : schweres Krankheitsgefühl, Kopfschmer-
zen, Übelkeit, Erbrechen, starke Perkussionsempfindlichkeit der linken
Scbläfengegend, Schwindel, relativ langsamer Puls (70) bei einer Temperatur
von 38,5 ^ Herdsymptome fehlten, bei der Totalaufmeißelung wurde eine
kleine kariöse Stelle am Tegmen antri gefunden, die darüber gelegene Dura
war mit Granulationen bedeckt, die Punktion an dieser Stelle führte zur
Entleerung eines taubeneigroikn , abgekapselten Abszesses. Heilung ohne
jeden Zwischenfall.
4. Schläfenlappenabszeß rechts nach chronischer Mittelohreiterung,
kompliziert mit einem Extraduralabszeß der mittleren Schädelgrabe und
einem snbperiostalen Abszeß in der Schläfengegend. Starke Kopfschmerzen,
Erbrechen, schwankender Gang, verminderte Pulsfrequenz bei normaler
Temperatur, herabgesetzte geistige Regsamkeit, dann maximale Erweiterung
und Keaktionslosigkeit der rechten Pupille, Neuritis optica rechts (links nor-
mal), Somnolenz, unwillkürliche Urinentleerung. Bei der Totalaufmeißelung
zeigte sich keine Kommunikation zwischen Mittelohr und Endokranium, das
Tegmen war anscheinend gesund. Eröffnung der mittleren Schädelgrube
durch Fortnabme eines Stückes vom vertikalen Teil der Schuppe, sowie des
Tegmen. Extradaraler Abszeß, Dura mater schmutzig verfärbt, mit Granu-
lationen bedeckt, drängte sich unter lebhafter Pulsation stark vor. Die
Punktion hiersei bst entleerte 70 — 80ccm stinkenden, mit Blut gemischten
graubräonlichen Eiter. Abszel^höhle mehr als hühnereigroß, mit einer Mem-
bran aasgekleidet. Heilang des Abszesses in 8 Wochen.
5. Multipler Klein hirnabszeß Unks nach akuter Mittel ohreiterung. Apa-
thie, Erbrechen, sabnormale Temperatur bei 80—60 Pulsschlägen, etwas träge
Pnpillenreaktion , diffase Kopfschmerzen. Totalaufmeißelang l Monat nach
Beginn der Erknmkang, keine direkte Kommunikation der Operationsfaöhle
nüt dem Endokranium. Punktion des Schläfenlappena resultatlos, bei der-
jenige des Kleinhirns Eröfinang eines taubeneigroßen, nicht abgekapselten
Abszesses. Vorübergehende Besserung, dann vom 3. Tage an wiederholtes
156 XIII. WissenBchaftUche Ruadschaa.
Erbrechen, Prolapsns cerebelli, beiderseitige Nearitts optica, links in Stauungs-
papille übergehend und hier mit einer Herabsetzung der Sehschärfe bis zu
78 verbunden, koigugierte Deviation der Auj^en nach rechts, Parese der linken
oberen und unteren £xtreinit&t (in der Epikrise ist von gekreuzten Paresen
die Rede. Ref.), leichte Kopfschmerzen. Es wurde (4 Wochen später) der
walnußgroße Vorfall abgetragen und eine Inzision in das Kleinhirn gemacht,
durch die ans einem neuen Abszeß 1 V« Ei^löfifel serös-eitrigen Exsudats ent-
leert wurden. Sofortige Besserung der Sehschärfe, aber von neuem Erbre-
chen, Puls 62, sehr langsame Atmung, Kopfschmerzen, schlechtes Allgemein-
befinden. Nochmalige Abszeßentleerung beim Sondieren. Dann meningitische
Symptome und Tod. Die Sektion ergab noch zwei weitere Abszesse, einen
größeren und einen kleineren, im linken Kleinhirn, von denen der erstere in
den Arachnoidealraum perforiert war. Außerdem Phlebitis des Sinus caver-
nosus.
6. Otitische Pyämie nach akuter Mittelohreiterung rechts. Einmaliger
halbstündiger Seh Qttelfrost, Temperatursteigerung bis zu 40,1^. Bei der Auf-
meißelung wurde der größte Teil des Warzenfortsatzes kariös zerstört und mit
stark blutenden Granulationen erfüllt gefunden. Der dem Sinus anlagernde
Knochen zum Teil miterkrankt, Sinuswand verfärbt, ohne Granulationen, bei
der Punktion reines Blut. Tamponade mit Jodoformgaze. Am Abend des
Operationstages Temperatur 39,4^, am folgenden Tage noch eine Steigernng
auf 39,3 ^ dann fieberloser Verlauf und Ausgang in Heilung. Die Beseitigung
des primären Infektionsherdes im Ohre, ohne jeden Eingriff am Sinus, hatte
also hier genügt, um die Pyämie zum Verschwinden zu bringen. Blau.
21.
Eulenstein (Frankfurt a. M.), Über Blutungen infolge von Arrosion
der Hirnblutleiter bei Eiterungen im Schläfenbein. Ebenda.
S. 29.
Blutungen aus den arrodierten Hirnsinus bei Schläfenbeineiterungen
sind selten, weil in der Regel, bevor es zu einer vollständigen Erweichung
oder Zerstörung der Sinuswand durch die Eiterung kommt, eine den Blat-
leiter abschließende Thrombose eingetreten ist. Die Stärke der Blutung, wo
eine solche einmal ausnahmsweise zustande kommt, hängt ab von dem mehr
oder weniger vollständigen Abschluß des Sinus durch Thrombose, dem even-
tuellen FreiUegen des Sinus nach außen infolge operativer Entfernung seiner
knöchernen Unterlage, dem Vorhandensein oder Fehlen reichlicher Granu-
lationen im Knochen und in den Mittelohrräumen, die gegebenenfalls dem
Blute den Weg nach außen erschweren, endlich von der Größe des Risses
oder Defektes in der Sinuswand. Die Blutung kann eine äußere sein, ans
dem Ohre, der Operationswunde, in den Nasenrachenraum, oder das Blut
ergießt sich nach innen in die hintere oder mittlere Schädelgrube. Als Ge-
legenheitsursache kann ein Husten, Nießen usw., die operative Entfernung
der knöchernen Unterlage der Sinuswand durch Verminderung des Außen-
druckes, möglicherweise auch die Unterbindung der Ven. jugularis int dienen.
In dem vom Verfasser mitgeteilten Falle handelte es sich um ein 5jähriges
Mädchen mit akuter Scharlachotitis und sich daran schnell anschließender
Karies des Warzenfortsatzes, so daß bei der am 12. Tage der Erkrankung
vorgenommenen Aufmeißelung der Knochen bereits bis zur mittleren und
hinteren Schädelgrube erweicht gefunden wurde. Der Sinus klappte bei der
Inspiration zusammen und zeigte sich in der Mitte seiner freigelegten, sonst
gesunden Wand mit Granulationen bedeckt ; später zeigte diese Stelle einen
gelblichen Eiterbelag. Am 10. Tage nach der Operation wurde bemerkt, daß
unter dem schon mehrmals gewechselten, selbst nicht blutdurchtränkten
Verband zwei Bluttropfen hervorsickerten, in der Nacht darauf erfolgte nach
wiederholtem Nießen eine starke Blutung in den Verband, die von selbst zum
Stehen kam. Als am nächsten Tage der Verband erneuert werden sollte,
weil die Temperatur inzwischen auf 39,2° gestiegen war, trat bei dem ersten
Versuche einer Lockerung des den Sinus komprimierenden Tampons eine
sehr starke dunkelrote Blutung auf und es mußte daher der Tampon sofort
XIII. Wissencbaftliche RuDsdschau. 157
wieder in die Wundhöhle gepreßt werden, worauf die Blutung sistierte. In
den folgenden 4 Tagen waren Fiebertemperaturen bis zu 4U.3^ vorhanden,
es wurde über Schmerzen geklagt, ein einmaliger Schüttelfrost stellte sich
ein, und die Gefahr lag daher nahe, daß, wenn der bereits 6 Tage liegende
Verband nicht gewechselt würde, sich eine septische Sinusthrombose entwickeln
könnte. Da die Lüftung des äußeren Tampons sofort eine neue heftige
Blutung hervorrief, unterband Verfasser die Ven. jugnlaris int. nebst der
Ven. facialis doppelt und durchschnitt sie, legte hiernach den Sin. transversus
durch Trepanation peripher von der arrodierten Stelle (im Text steht zwei-
mal fälschlich zentralwärts, Referent) zwischen seiner Umbiegungsstelle in
den Sulcus sigmoideus und dem Confluens sinuum frei, ließ ihn daselbst mit
dem Finger komprimieren und ersetzte dann schnell den alten Verband
durch einen neuen. Bei Fortnabme des den Sinus komprimierenden Tam-
pons trat allerdings eine noch recht erhebliche Blutung (aus dem Sinus pe-
trosus sup. und dem Emissarium mastoideum) ein, die aber durch den sofort
aufgedrückten neuen Tampon im Augenblick gestillt wurde. Das Fieber
dauerte noch in den nächsten 14 Tagen an und es wurde viel über Schmerzen
im Kopf und am Halse geklagt, die wiederholte Morphinmgaben notwendig
machten. Bei dem 3 Tage später vorgenommenen Verbandwechsel stellte
sich wieder eine starke Blutung, wenn auch nicht ganz mit der früheren
Heftigkeit ein, doch genügte sie, um bei dem schon sehr geschwächten Kinde
eine Synkope mit Sistieren der Atmung und unfühlbarem Puls hervorzurufen,
die zu ihrer Hebung länger fortgesetzte Herzmassage erforderte. £s wurde
daher mit dem nächsten Verbandwechsel trotz des noch vorhandenen Fiebers
8 Tage lang gewartet. Bei ihm erfolgte keine Blutung mehr, die Sinusvirand
sah an der arrodierten Stelle dunkelgraurötlich aus. Von da an ging die
Heilung, wenn auch langsam, doch ohne weiteren Zwi^chenfcdl von statten,
die arrodierte Sinusstelle markierte sich noch einige Zeit gegen ihre granu-
lierende Umgebung durch graurötliche Färbung, dann nach Abstoßung der
nekrotischen Partie als eine dellenartige, leichte Vertiefung.
Anschließend an diese Beobachtung teilt Verfasser kurz die anderen
veröffentlichten 17 Fälle von Blutung aus den Himsinus, bez. dem Bulbus
ven jugularis durch Arrosion bei Schläfenbeineiterungen mit und resümiert
aus ihnen folgendes. Die Blutung entstammte 12 mal dem Sin. transversus,
je 1 mal dem Sin. petrosus superior, Sin. petrosus inferior, Sin. caroticus
oder mehreren Sinus (cavernosus, petrosus sup., petrosus inf. und Bulbus
ven. jugularis) gleichzeitig, 2 mal dem Bulbus ven. jugularis. Die ursäch-
liche Eiterung im Schläfenbein war 13 mal eine chronische, 4 mal eine akute,
sie hatte 10 mal auf der rechten, 5 mal auf der linken Seite ihren Sitz. Von
den 4 akuten Fällen waren 2 nach Scharlach entstanden. Das Alter der
Patienten war von 5 bis 50 Jahren, 9 gehörten dem männlichen, 2 dem weib-
lichen Geschlechte an. Eine einmalige Blutung trat in 9 Fällen auf, darunter
3 mal mehrere Tage kontinuierlich dauernd, mehrmalige Blutungen desgleichen
in 9 Fällen. Der Tod erfolgte 8 mal während der Blutung, 2 mal kurze Zeit
nach ihr und durch sie verursacht, 5 mal von ihr unabhängig. Geheilt
worden 3 Fälle. 6 Kranke waren vor Eintritt der Blutung operiert worden,
und zwar 5 mal mit der Totalaufmeißelung, 1 mal mit der typischen Auf-
meißelung des Warzenfortsatzes nebst Eröffnung der hinteren und mittleren
Schädelgrube; die Blutung hatte sich hier je 1 mal 7 Tage, 10 Tage, 4 Wochen
und i Jahr nach der Operation eingestellt , 2 mal während der Operation,
ohne daß bei letzterer der Sinus verletzt worden wäre. Die Blutung war
1 6 mal eine äußere^ 1 mal eine innere, 1 mal eine innere und äußere gleich-
zeitig. Therapeutisch empfiehlt Verfasser , wenn die blutende Stelle schon
durch eine vorherige Operation zugänglich gemacht worden ist, die von ihm
in obigem Falle angewandte Tamponade nach vorheriger Freilegung und
Kompression des Sin. transversus in seinem peripheren Teile. Bei noch
nicht am Warzenfortsatz operierten Fällen soll man, wenn die Diagnose
einer Sinusblutung feststeht und die Tamponade des Gebörganges zu ihrer
Stillung nicht ausreicht, durch Trepanation den Sinus peripher von dem
sigmoidalen Teile freilegen und mit dem Finger oder durch Einschieben
eines Tampons zwischen Sinusv^and und Knochen komprimieren, dann die
168 XIII. Wissenschaftliche RaDdsehaa.
Auffneißelong des Warzenfortsatzes, bez. die Totalaafmeifielang mit Frei-
legiiDg des Sin. sigmoidens machen nnd je nachdem die blutende Stelle sofort
tamponieren oder vorher den pathologischen Sinasinhalt ansr&umen. Ob
zagleich die Yen. jagniaris interna nnterbunden werden soll, l&ßt sich nur
nach Beorteilnng des einzelnen Falles entscheiden. Blaa.
22.
Scheibe (Manchen), Znr Ätiologie und Prophylaxe der Nekrose des
Knochens im Verlaufe der chronischen Mittelohreiterung.
Ebenda. S. 47.
Verfasser hebt die Notwendigkeit her?or, die Nekrose streng von den
kariösen Einschmelzungsprozessen zu trennen, und bemerkt femer, daß er
za ersterer nicht nur die Fälle mit Sequesterbildung, sondern auch die-
jenigen rechnet, bei welchen der Knochen zwar bloßliegend und verfärbt ist,
aber noch m Verbindung mit dem gesunden Knochen steht. Es ist dieses
nach ihm das erste, unter ganstigea Umständen noch rückbildungsfähige
Stadium der Nekrose. Während nacb früheren Feststellungen des Verfassers
bei den akuten Mittelohreiterungen die Entstehung der Nekrose ausschließ-
lich oder nahezu ausschließlich durch Krankheitszustände, welche den 6e-
Samtorganismus schwächen, bedingt wird, liegen ihr bei den chronischen
Mittelohreiterungen keine allgemeinen Ernährungsstörungen, sondern aus-
schließlich lokale Verhältnisse zugrunde. Zur Untersuchung gelangten 17
letal ausgegangene und obduzierte Fälle 7on nicht spezifischer Otitis media
pumlenta chronica mit Nekrose, aus Bezolds Ambulatorium und Privat-
praxis entstammend, und 7 ebensolche während des Lebens beobachtete
Fälle aus der Privatpraxis des Verfassers. Von diesen 24 Fällen waren
23 mit Cholesteatom kompliziert, ferner waren alle 24 mit fauliger Zersetzung
des Eiters und mit Ketention desselben durch die Cholesteatommassen oder
durch Polypen oder Granulationen verbunden. Es wird hieraus geschlossen,
daf die chronische Eiterung nur dann nekrotisierend wirkt, wenn das Sekret
faulig zersetzt und zugleich am Abfluß verhindert ist, eine Voraussetzung,
die in der Regel nur bei mit Cholesteatom komplizierten Mittelohreiteruogen
zutrifft. Die Prophylaxe der Nekrose in diesen Fällen liegt demnach darin,
daß man die Zersetzung des Eiters zu verhindern oder zu beseitigen sucht.
Dazu soll nach Verfasser die anti septische Behandlung mit dem Pauken-
röhrchen fast immer ausreichen ; nur in den wenigen Ausnahmefällen, wo
trotz längere Zeit fortgesetzter derartiger Behandlung der Fötor bestehen
bleibt, käme die operative Eröffnung der Mittelohrräume in Betracht.
Blau
23.
Wanner (München), Funktionsprüfungen bei akuten Mittelohr-
entzündungen. Ebenda S. 61.
Die Resultate, welche sich aus der Untersuchung von 1 6 Fällen akuter
Otitis media, teils mit, teils ohne Perforation des Trommelfells ergaben,
werden in folgender Weise zusammengestellt. 1. Bei beiden Formen der
akuten Mittelohrentzündung wird von allen Zahlen in Flüstersprache f> am
schlechtesten gehört (in 81,S Proz. der Fälle), dann folgen in zweiter Linie
4, 6 und 7, dagegen werden 8 und 3 am besten gehört 2. Die untere Ton-
grenze ist nicht wesentlich eingeengt, höchstens bis auf D-i gleich 36 Doppel-
schwingungen. Im allgemeinen zeigen die Fälle mit Perforation des Trommel-
fells durchgehends eine beträchtlichere Einengung als die ohne Trommelfell-
durcbbruch. 3. Die obere Tongrenze dagegen zeigt teilweise eine sehr
beträchtliche Einengung, und zwar umgekehrt eine stärkere bei den ohne
Perforation verlaufenden Fällen. 4. Der Web er sehe Versuch wird fast
immer in das kranke oder bei beiderseitiger Affektion in das schlechtere
Ohr lateralisiert, 5. Der Schwab ach sehe Versuch ist in den reinen Fällen
akuter Mittelohrentzündung stets positiv. 6. Der Rinne sehe Versuch
fällt bei der Otitis media acuta purulenta stets negativ, bei der Otitis media
XIIL Wissenschaftliche Rundschau. 159
acuta ohne Perforation stark verkttrat positiv aus. Nach dem Aufhören
des Ausflusses ist er auch bei der ersteren Form positi?. 7. In einem nicht
unbetritohüichen Prozentsatz der Fälle von akuter Mittelohrentzündung ergibt
die HörprQfnng eine Mitbet^igung des inneren Ohres. 8 In bezug auf
ihre Hörreliefs halten die akuten Mittelohrentzündungen die Mitte zwischen
der Paukenhöblensklerose und den Erkrankungen des inneren Ohres. Bei
typischer äklerose zeigt sich neben Defekten an der unteren Grenze im
(proßen ganzen ein allmähliches Zunehmen der Hörsch&rfe Ton unten nach
oben, Imi den Erkrankungen des inneren Ohres umsekehrt neben nahezu
normalen Hördauern an der unteren Grenze ein allmähliches Abnehmen nach
oben, bei den akuten Mittelohrentzündungen werden durchgehends Defekte
sowohl der tiefsten als der höchsten Töne gefunden, letztere ein Beweis
dafOr, daß außer dem Schallleitungsapparat sehr oft auch der basale Ab-
schnitt der Schnecke mitbetroffen ist. 9. Die Hördauem zeigen regelmäßig
für alle Töne eine im Verhältnis zur Hörweite stehende Abnahme, und zwar
ohne wesentlichen Unterschied für beide Formen der akuten Otitis media.
Doch ist die Hördauer nicht für alle Töne gleichmäßig herabgesetzt, sondern
es finden sich gewöhnlich im Verlaufe der Tonskala drei Mulden, die erste
bei C, die zweite bei c\ c'^, g^^, c', die dritte bei c^, g', c% wobei immer
die in der Mitte liegenden Töne (also c^ g^ bezw. g') den Boden der
Mulde bilden, tu. Das Schlechterhören der Zahl 5 scheint durch die Ab-
nahme der Hördauem yon c^ g^, c', yielleicht auch in gerinfferem Grade von
c und c S das Schlechterhören von 4, 6 und 7 durch die Abnahme der Hör-
dauem von cS g^ c^ bedingt zu sein. Der Grund für das verhältnismäßig
bessere Gehör für 8 und 3 ist wahrscheinlich in einer längeren Hördauer
Yon c' und teilweise auch von c^ zu suchen. 11. Bei doppelseitigen Er-
krankungen zeigen beide Gehörorgane in ihren Reliefs gro^ Ähnlichkeiten,
nur schwankt entsprechend den Hördauem die Hörweite. Das anscheinend
gesunde Ohr kann durch die Hördauerbestimmung eine gleichartige, wenn
auch geringere Affektion zeigen, ohne daß objektiv oder subjektiv eine solche
zur Beobachtung kommt. 12. Nach der Heilung bleiben noch längere Zeit
nicht nur ein positiver Ausfall des Schwab ach sehen Versuches und kleinere
Defekte am oberen Ende der Tonskala, sondern auch oft noch Störungen
in der Hördauer für einzelne Töne zurück, selbst wenn die Hörweite für
die Sprache wieder normal geworden ist. Blau.
24.
Schmidt (Chur), Zur Anatomie und Entwicklung der Gelenkver-
bindungen der Gehörknöchelchen beim Menschen. Ebenda.
S. 125.
Nach kurzer Aufzählung der in der Literatur über obiges Thema vor-
handenen Angaben berichtet Verfasser über seine eigenen auf der oto-laryn-
gologischen^i Universitätsklinik in Basel angestellten Untersuchungen. Eine
blastematöse Zwischenscheibe als Andeutung der Bildung einer Gelenkver-
bindung zwischen Hammer und Amboß war bei dem jüngsten untersuchten
menschlichen Fötus von 4,6 cm Scheitelsteißlänge deutlich zu erkennen.
Nach Bromann findet sie sich schon bei 1,6 cm langen Föten, Eine Berstung
in der Zwisdienscheibe, also die erste Andeutung einer Gelenkspalte im
Hammer -Amboßgelenk, war bei einem Fötus von 9,6 cm Scheitelsteißlänge
sichtbar, zu einer Zeit, wo die Zwischen scheibe des sich etwas später ent-
wickelnden Amboß-Steigbttgelgdenkes noch keine Berstung erkennen ließ.
In einem späteren Stadium der Entwicklung, bei einem Fötus von Monaten,
■teilte das Hammer- Amboßgelenk eine nahezu durch die ganze Gelenkbreite
gehende einfache Spalte dar. Bei Neugeborenen ist zwischen den Gelenk-
enden von Hammer und Amboß eine innigere Verbindung zustande gekommen,
indem der hyaline Knorpel der anstoßenden Zone autfasert und sich auch
teilweise auflöst und so die Grundlage zu der sich später noch weiter ent-
vickelnden faserknorpeligen Verbindungszone zwischen Hammer und Amboß
tbgibt Das Hammer-Amboßgelenk im entwickelten Zustande ist dadurch
aasgezeichiiet» daß die Gtolenkendon nicht mit scharfer Begrenzung zusammen-
160 XIII. WiBBenBchafUiche Rundschan.
BtoJßen, sondern durch eine faserknorpelige Yerbindoneszone getrennt sind,
welche letztere bei der gewöhnlichen, symphysoiden Form des Gelenkes
ohne Grenze in die Qelenkenden Obergeht, während sich bei den selteneren
meniskoiden Formen zwischen ihr und den Gelenkenden wenigstens stellen-
weise eine trennende 8palte vorfindet. Eine typische Diarthrose hat Ver-
fasser nicht gesehen, will aber ihr Vorkommen nicht bestreiten. Die faser-
knorpelige Verbindungszone besteht aus znngenförmigen Teilen, welche zwischen
sich schräg yerlanfende Spalten einschließen; sie enth< oft Inseln hyalinen
Knorpels, femer meistens Kalkeinlagerungen. Das Amboß- Steigbflgelgelenk
gleicht in seiner Bildung dem Gelenke zwischen Hammer und Amboß, nur
daß sich die faserknorpelige Verbindungszone nirgends durch eine Gelenk-
spalte schtff abgrenzt. Der kurze Amboßfortsatz ist mit seiner Spitze an
die laterale Pauken höhlen wand durch ein aus Sehnengewebe bestehendes
Band befestigt, welches den hinteren Abschnitt der Membran, die den Uanuner-
Amboß- Schuppenraum nach oben begrenzt, bildet. Medialwärts von ihm ündet
sich als seine direkte Fortsetzung eine bandartige Verbindung mit der
medialen Paukenhöhlen wand, die aber zum größten Teil aus elastlBchen
Fasern zusammengesetzt ist und nur wenig eingelagerte Sehnenbdndel ent-
hält. Diese beiden Teile des zusammen ein Ganzes bildenden und breit-
ausstrahlend entspringenden „Ligamentum articulare incudis*' tragen die
flberknorpelte Spitze des kurzen Amboßfortsatzes, als wenn sie auf einer
Saite reiten würde. Der Raum unterhalb des Processus brevis ist immer
frei und letzterer liegt niemals dem Knochen direkt auf. In einzelnen F&Uen
allerdings legte sich seine Spitze direkt der Hinterwand der Paukenhöhle
an. £ine Kritik der gegenteiligen Ansichten über die Gelenkverbindangen
der Gehörknöchelchen bildet den Schluß der Arbeit. Blau.
25.
Bölzel (München), Histologischer Beitrag zur Taubstummheit.
(Ein Fall von erworbener Taubstummheit mit Obiiteration der
Paukenhöhle, des Aditus und Antrum.) Ebenda. S. 167.
Die 39 Jahre alte taubstumme Kranke, über welche anamnestisch sich
nichts feststellen ließ, war an den Folgen einerVerbrennung zugrunde gegangen.
Die Sektion ergab als Ursache der Taubstummheit schwere Veränderungen ent-
zündlicher Natur sowohl im Mittelohr als im Labyrinth, nämlich an ersterem
eine vollständige Obiiteration der Paukenhöhle, des Aditus und zum Teil
auch des Antrum, so daß von ihm nur noch ein seinem hinteren Ende ent-
sprechender, unregelmäßiger, kleinerbsengroßer, rundlicher Raum, der mit
sukkulenter rötlicher und verdickter Schleimhaut ausgekleidet war und in
seinem Lumen Serum enthielt, sich erhalten zeigte. Die die Paukenhöhle
ausfüllende Masse war in deren vorderem Abschnitt Knochengewebe, im
hinteren und besonders in der Nische des runden Fensters narbiges Binde-
gewebe. Die Tuba Eastachii war nahe ihrem Übergang in die Pauken-
höhle knöchern obliteriert, von den drei Gehörknöchelchen nichts mehr
vorhanden, die beiden Fenster waren durch Hyperostose ganz ausgefüllt,
das Promontorium erschien auf das Mehrfache knöchern verdickt In der
Schnecke wurde Ausfüllung des Anfangsteiles der ersten Windung, und zwar
besonders der Scala tympani, mit neugebildetem Bindegewebe und kompaktem
Knochen gefunden, während weiter nach oben die Gewebsneubildung immer
mehr abnahm. Ductus cochlearis erhalten bis auf die erste Haltte der Basal-
windung und die zweite Hälfte der Mittelwindong, wo die Eeißnersche
Membran fehlte. Rosenthal scher Kanal enger als normal, enthielt neben
neugebildetem Bindegewebe nur wenige Ganglienzellen. Das G orti sehe Organ
war in der ersten Hälfte der Basalwindung nicht zu sehen, in der zweiten
Hälfte und besonders in der Mittel- und Spitzenwindung wurde es deut-
licher, blieb aber immer niedrig und bildete einen nicht zu dijQferenzierenden
Zellhaufen. Der Vorhof war durch Bindegewebs- und Knochenneubildung an
seiner lateralen Wand verengt, von seinen häutigen Teilen, dem ütriculas
und iSacculus, war nichts mehr vorhanden. Desgleichen zeigten die Bogen-^
gänge, und zwar besonders der horizontale und der gemeinsame Schenkel
XIII. Wissenschaftliche Bandschau. 161
des oberen und hinteren, Knochenanflagernng an ihrer Innenfläche und teil-
weise Zerstörung der häutigen Gebilde. Die Nenrenfasern waren nament-
lich im Bereich der Schnecke bedeutend an Zahl yermindert. Verfasser deutet
die beschriebenen Veränderungen als durch eine eitrige Mittelohrentzündung
entstanden, welche ihrerseits zum Durchbruch in das innere Ohr — Ter-
mutlich durch das Promontorium, welches erst zerstört und dann durch neu-
gebildete Knochenmasse wieder ersetzt worden war — geführt hatte. Blau.
26.
üppikofer (Basel), Drei Taubstummenlabyrinthe. £benda. S. 177.
In dem ersten Falle handelte es sich um ein von Geburt an taubstummes
Mädchen, welches, 50 Jahre alt, an Carcinora der Gallenblase zugrunde ge-
gangen war. Bei der Untersuchung des rechten Felsenbeins wurden folgende,
auf die häutige Schnecke beschränkte Veränderungen gefunden. Ganglion
Spirale atrophisch, am wenigsten in der Mittel-, stärker in der Basal- und
am meisten in der Spitzenwindung, wo die (sonst wohlausgebildeten) Ganglien-
zellen völlig verschwunden waren. Dem entsprach auch die ungleiche Ver-
teilung der Nervenfasern in der Lamina spiralis ossea und die ungleiche
Entwicklung des C ort i sehen Organs, weLcbes in der Basal- und Spitzen-
Windung fehlte, in der Mittel Windung ein deutliches, aber verschieden hohes
Höckerchen darstellte. Auch, wo das C ortische Organ am besten ausge-
bildet war, erschien es um V» kleiner als normal, mit Ausnahme des Gorti-
schen Tunnels fehlten alle die einzelnen Bestandteile von einander trennenden
Zwischenräume und ebenso jede Andeutung voq Hörhaaren. An den Stellen
schlechterer Entwicklung bildete das Cor tische Organ einen kleinen Höcker
aus plumpen, dichtgedrängten und wenig scharf begrenzten Zellen, mit kleinem
hochgelegenem Tunnelraum und dicken Pfeilern, wie es im embryonalen
Stadium die Norm ist. Auch die Membrana tectoria in der Spitzen Windung
und die Stria vascularis in allen Windungen zeigten ein der Kmbryonalzeit
entsprechendes Verhalten, erstere füllte daselbst als glasiger Klumpen den
Snlcus spiralis internus aus und floß über das C ortische Organ weg bis an
die Stelle der ersten äul^eren Haarzellen, letztere ragte überall stark in den
Ductus cochlearis hinein- Der Akustikusstamm war nur wenig atrophisch,
die Maculae des Vorbofs und die Cristae acusticae der Bogengänge verhielten
sich normal, ebenso das Mittelohr. Weder in der Schnecke noch an anderen
Stellen fanden sich Bindegewebswucherungen, so daß mithin auch hiernach
die beobachteten Veränderungen nicht als entzündliche, sondern als Folge
einer Entwicklungshemmung anzusehen waren. Die Beziehung zwischen der
gestörten Entwicklung des Ganglion spirale und des Cor tischen Organs
wird dahin gedeutet, daß erstere die letztere verursacht hatte. — Der zweite
Fall, über welchen Verfasser berichtet, betraf einen im Alter von ö9 Jahren
an Pneumonie gestorbenen, desgleichen seit der Geburt taubstummen Mann.
Die in beiden Labyrinthen fast gleichartig gefundenen Veränderungen waren
folgende. Sehr starke Verminderung der Zahl der Nervenfasern des Nerv, coch-
learis und Atrophie des Ganglion spirale, besonders am Ende der Mittel- und
in der Spitzenwindung, wo Nervenfasern und Ganglienzellen vollkommen fehlten.
Das Cortische Organ höchst mangelhaft ausgebildet, erschien auf dem
radiären Durchschnitt als ein plumpes kernarmes Zellhöckcrchen. Ebenso
zeigte sich die Membrana tectoria hochgradig verkümmert. Von der Stria
vascularis zog stellenweise im häutigen Ductus eine Brücke nach der Corti-
sehen Membran, die sich bei näherer Untersuchung als das von seiner binde-
gewebigen Unterlage abgehobene und nur noch an der Peripherie mit ihr
zusammenhängende Epithel der Stria herausstellte. Ferner war rechts der
häutige Ductus cochlearis im letzten Achtel der Basal- und im ersten
Viertel der Mittelwindung bis auf das Doppelte seines Umfanges vergrößert,
und zwar dadurch, daß hier die äußere Insertion der Membrana Keißneri
abnorm nach aufwärts, von der Stria vascularis weg, geschoben war. Macula
utricnli und Cristae acusticae normal, dagegen war die laterale Sacculuswand
stark gefaltet und lag der medialen an, das Lumen aufhebend, außerdem
zeigten sich die Macula sacculi und der Nerv, saccularis atrophisch. Im
Archiv f. Ohrenheillmnde. LXI. £d. 1 1
162 XIIL Wissenschaftliche Randschaa.
Mittelohr keine wesentlichen Veränderungen. Auch diesem Falle, in welchem
Bildungshemmungen mit den Zeichen früherer Entzündungsprozesse kom-
biniert waren, werden eingehende Erörterungen über die Entstehung der
Terschiedenen Anomalien beigegeben. Blau.
27.
Siebenmann (Basel), Ein Fall yon Lungentuberkulose mit retro-
labyrinthärer Neuritis interstitialis beider Schnecken-
nerven (und mit Persistenz Ton Resten embryonalen Binde-
gewebes in der Scala tympani). Ebenda. S. 216.
Die an chronischer Lungentuberkulose und, wie die Sektion nachwies,
disseminierter Tuberkulose der Nieren verstorbene Kranke hatte seit 2U Jahren
langsam zunehmende Schwerhörigkeit bemerkt, ohne Schwindel, Sausen,
Ohreaschmerzen oder Otorrhöe. Zur Zeit der Untersuchung war das rechte
Ohr für die Sprache vollständig taub gewesen, das linke hatte Flüstersprache
in unmittelbarer Nähe nur unsicher gehört, die Knochenleitung war aufge-
hoben, das Tongehör in Luftleitung von der oberen und unteren Grenze her
eingeengt. Bei der Sektion der Felsenbeine wurde das Mittelohr links nicht
wesentlich verändert, rechts mit nicht perforativer (terminaler) Mittelohreite-
rung gefunden. Der Nervenstamm des Acnstico-Facialis schien bei ober-
flächlicher Betrachtung normal zu sein, dagegen fielen bei näherem Zusehen
in beiden Nerv, cochleares, und zwar rechts mehr als links, einzelne Stellen
auf, an welchen teils die Nervenfasern bündelweise auf längere Strecken
etwas wenif^er dicht aneinander lagen, teils an anderen Orten zwischen den
Bündeln feinfaseriges dichtes, auffallend kernarmes, sich wenig ilUrbendes
Gewebe vorhanden war, das in oft welligen Längszügen verlief und als Binde-
gewebe angesprochen werden mußte. Diese Veränderungen beschränkten
sich auf das innere Drittel des Meatus auditorius internus, sie verloren sieb
sowohl zentral wärts als gegen die Schnecke zu. Wohl aber waren in der
Spindel die Nervenfasern und die Ganglienzellen auf Vs-V^o ihrer normalen
Anzahl reduziert. Auch die normal erscheinenden Nervenfasern im Gochlea-
risstamm und in der Schnecke entfärbten sich unverhältnismäßig rasch beim
Weigert-Pal sehen Verfahren. Außerdem wurde im unteren Abschnitt der
rechten Scala tympani noch eine Entwicklungshemmung (dem 4. Fötalmonat
entsprechend) gefunden, indem ihr Raum in der unteren Hälfte der Basal-
windung bis zum runden Fenster mit lockerem areolärem oder embryonalem,
zum TeU knochenhaltigem Bindegewebe ausgefüllt war. Das Lig. spirale war
an den betroffenen Stellen nach unten nicht deutlich abgegrenzt, enthielt
stellenweise ebenfalls Knochengewebe und dehnte sich nicht nur nach unten,
sondern auch über die obere Wand der Scala vestibuli abnorm weit aus.
Die Reißnersche Membran war daselbst auf das Doppelte verdickt und
stärker pigmentiert, der Sulcus externus stellenweise durch abnorme Er-
hebung der Claudius sehen Zellen verflacht Das sonst unveränderte C or-
tische Organ stand nicht auf einer derben Membran, sondern direkt auf
den wirren lockeren Fibrillen des tympanalen Füllgewebes. Die knöcherne
Stapesplatte war verdickt, der Aquaeductus Cochleae unverändert. Links
fanden sich in der unteren Hälfte der Basalwindung als einzige Abnormitäten
eine — rechts gleichfalls vorhandene — außergewöhnliche Weite der peri-
vaskulären Räume für die vordere und hintere Spiralvene und für die ra-
diären Zwischenwandgefäße, ein höheres Hinaufreichen des Lig. spirale und
eine Ausfüllung des Aquaeductus Cochleae mit areolärem Bindegewebe. In
der Epikrise bemerkt Verfasser, daß analog der retrobulbären Neuritis optica
aucb bei der retrolabyrinthären interstitiellen Neuritis acustica wahrschein-
lich die Nervenfasern des Stammes mit den zugehörigen Ganglien zuerst be-
troffen sind und dann erst sekundär die Wucherung des Bindegewebes hin-
zutritt. Als Ursache der Akustikuserkrankung im obigen Falle war die
Tuberkulose anzusehen. Verfasser resümirt das Ergebnis seiner eigenen und
fremder Beobachtungen über Affektion des Hörnerven bei Tuberkulose da-
hin, daß als Begleiterscheinung von ausgedehnten fieberhaften, perniziös ver-
laufenden tuberkulösen Prozessen es in seltenen Fällen zu einer auf häma-
XIII. Wissenschaftliche Eundschau. 163
togenem Wege entstandenen polynenritischen Degeneration des Akustikus,
und zwar entweder des Schnecken nerven allein oder des ganzen Akustikus-
Stammes, kommt. Dabei kann es sich um einfach degenerative oder um
interstitielle', entzündliche Vorgänge handeln; stets aber befindet sich der
primäre Sitz der Erkrankung im retrolabyrinth&ren Abschnitt des Hör-
nerven. Nur in den seltenen Fällen, wo der Kranke die Ertaubung längere
Zeit überlebt, treten später noch einfach atrophische Veränderungen im intra-
labyrinthären Verlaufe des Akustikus hinzu. Die klinischen Erscheinungen
bestehen in doppelseitiger, selten schleichend verlaufender, sondern meist
akuter nnd schon nach kurzer Zeit. (Tage oder Wochen) zu gänzlicher
Ertaubnng führender Gehörabnahme. Subjektive Geräusche sind oft, aber
nicht immer vorhanden, bei dem nicht häufigen Mitergriffensein des Nerv.
Yestibularis besteht außerdem starker Schwindel. Blau.
28.
Nagel" (Luzern), Die Taubstummen der Luzerner Anstalt Hohen-
rain. Ebenda. S. 234.
Unter den 50 untersuchten Kindern wurde die Taubstummheit als an-
geboren bei 24, als erworben bei 19 angegeben, unbestimmbar waren 7 Fälle.
Als Ursachen wurden bezeichnet: endokranielle Störungen 14 mal, Schleim-
und Nervenfieber 22 mal, Ohrenfluß 7 mal, Masern 3 mal, Keuchhusten 1 mal.
Alkoholismus des Vaters wurde 6 mal, beider Eltern 1 mal zugestanden, Ver-
wandtschaft der Eltern war 7 mal vorbanden , Degenerationserscheinungen
in der Verwandtschaft (Geisteskrankheit, Schwachsinn, Stottern, Lähmungen
usw.) 13 mal, Schwerhörigkeit der Eltern 3 mal, Taubstummheit in der Ver-
wandtschaft 1 1 mal. Dem Geschlechte nach waren von den angeboren
taubstummen Kindern 9 männlich und 15 weiblich, von den erworben taub-
stummen 7 männlich und 12 weiblich, von den unbestimmbaren Fällen 1 männ-
lich und 6 weiblich. Totaltaube fanden sich unter den 48 genauer unter-
suchten Kindern 9 doppelseitige und 9 einseitige (28,1 Proz. der Gehörorgane);
von den angeborenen Fällen waren totaltaub 22,7 Proz. der Gehörorgane, von
den erworbenen 34,1 Proz. Genügende Hörreste für den Sprachunterricht
vom Ohre aus besaßen — auf Grund der Hördauerprüfung (mindestens V^o
der normalen in der Tonstrecke b^— g^) und des beobachteten Verstehens
von laut in das Ohr gesprochenen Sprachlauten — 33 Gehörorgane (34,3 Proz.),
welche 22 Kindern (45,9 Proz.) angehörten. Diese Kinder bedurften also
eines gesonderten, kombinierten Ablese- und Eörunterricbts. Bei der Unter-
suchung der Obren, des Nasenrachenraums usw. wurden gefunden: Cerumen
15 mal, Trübung und Eetraktion des Trommelfells einseitig 4 mal, doppel-
seitig 21 mal, Narben oder Perforationen des Trommelfells 21 mal (4 mal
doppelseitig, 1 mal mit noch bestehender Otorrhöe), Vergrößerung der Rachen-
mandel 9 mal, Struma 28 mal (nicht unveihältnismäßig oft in Anbetracht der
Schweizer Verhältnisse), Strabismus 6 mal, fehlender oder abgeschwächter
Nystagmus nach Drehversuchen in allen Fällen von doppelseitiger Totaltaub-
heit ohne Ausnahme, bei den einseitig Tauben mit Ausnahme von 3 Fällen.
Zuletzt weist Verfasser auf die grofe Anzahl der Kinder hin, welche trotz
leidlichen Gehörs wegen ihrer mangelhaften Begabung in der betreffenden
Taubstummenanstalt hatten untergebracht werden müssen (39 Gehörorgane
ans Bezolds Gruppe VI, darunter 15 doppelseitig). Diese Fälle als ende-
mische Taubstummheit mit einer kretinoiden Degeneration, als deren Er-
scheinung auch der oft vorhandene Kropf sich darstellt, in Zusammenhang
zu bringen, geht nach Verfasser nicht an, vielmehr handle es sich bei ihnen
um den weiteren Begriff der degenerativen Taubstummheit nach St. Hilaire,
bei deren Entstehung mehrere Entartungszustände zugleich, und unter ihnen
allerdings auch der Kropf, als Ursache mitwirken. El au.
11
164 XIII. Wissenschaftliche Rundschau.
29.
Leimer (München), Operatiye Eröffnung des Warzenteiles bei
Otitis media purnlenta acuta mit Ausbreitung; des Prozesses
unter dem Warzenfortsatze. Bericht über 17 Fälle aus der kgl.
otiatrischen Universitätsklinik zu München. Ebenda. S. 273.
In den Jahren 1892 — 1901 kamen auf der genannten Klinik 97 Fälle
von akuter Mittelohreiterung mit Komplikationen, welche die Aufmeifelung
des Warzen fortsatzes notwendig machten, zur Beobachtung, darunter 17 Fälle
(17,5 Proz.) mit Ausbreitung des Prozesses unter dem Warzenfortsatz. 14 von
letzteren betrafen das männliche, 3 das weibliche Geschlecht, die meisten
Kranken (14) standen zwischen dem 20.— 50. Lebensjahre, der jüngste war
15 Jahre alt. Die Zeit vom Eintritt der ersten Entzündungserschemnngen
bis zur Operation hatte 2 mal nur t Woche, 10 mal 3 — 13 Wochen, 3 mal
14—18 Wochen, 2 mal 6 und 7 Monate betragen. Von den klinischen Er-
scheinungen ist hervorzuheben , daß 5 mal (29 Proz. gegen 1 1 Proz. bei den
übrigen bO operierten akuten Warzenfortsatzentzündungen) Trommelfellper-
foration und Ausfluß aus dem Ohre niemals stattgefunden hatten; in einem
dieser Fälle war später ein Durchbruch des Senkungsabszesses in den 6e-
hörgang an der Grenze von dessen knorpeligem und knöchernem Abschnitt
zustande gekommen. Die Schwellung trat 2 mal zunächst an der gewöhn-
lichen Stelle oberhalb der Muskelansatzlinie in der Fossa mastoidea und
deren Umgebung auf, und erst später entwickelte sich die Senkung nach
unten. Letztere war erschienen: 2 mal am Schluß der I.Woche, 4 mal nach
2— 3 Wochen, 7 mal nach 6 — U Wochen, 2 mal nach 5 — 6 Monaten, 2 mal
hatte sie sich erst nach der gewöhnlichen Warzenfortsatzaufmeil^elung ein-
gestellt. Bei der Operation wurde 12 mal die Knochenaußenfläche der Pars
mastoidea unverändert, 4 mal fistulös durchbrochen gefanden. Größere Zellen
im Inneren des Warzenfortsatzes waren 14 mal vorhanden, l mal bildete das
Antrum den einzigen größeren Hohlraum , 2 mal bestanden die Warzenfort-
satzräume nur aus kleinen Zellen. Der Sinus lag in der Operationshöhle
6 mal frei, 3 mal mit normaler Wandung, 3 mal mit Granulationen bedeckt.
In diesen Fällen hatten sich 3 mal leichte Temperatursteigerungen, 1 mal ein
kurzdauernder Schüttelfrost, Imal keine Allgemeinsymptome gezeigt, Imal
hatte schon 6 Wochen lang pyämisches i<*ieber mit Schüttelfrösten bestanden
und es entwickelte sich nach der Operation eine schwere Thrombophlebitis,
welche trotz Sinuseröffnung und Unterbindung der Jugularis durch Menin-
gitis zum Tode führte. Komplikation mit einem Extraduralabszeß der mitt-
leren Schädelgrube, welcher, da sich erneute heftige Kopfschmerzen zeigten,
7 Wochen nach der ersten Operation durch Fortnahme des weißlichen Tegmen
antri und des rückwärts anschließenden Knochens freigelegt wurde, gelangte
1 mal zur Beobachtung. Das Resultat der Operation in den 17 Fällen war
13 mal Heilung (11 mal mit normalem Gehör), 3 mal tödlicher Ausgang, Imal
blieb der Kranke aus der Behandlung fort; die Todesursache in den letalen
Fällen (18,7 bezw. 13,3 Proz. gegen 8,8 Proz. bei gewöhnlicher akuter Mastoi-
ditis) war 2 mal Meningitis, 1 mal unabhängig von der Ohrerkrankung Myo-
degeneratio cordis und Lungenödem bei einem 72 Jahre alten Manne. Die
Dauer der Nachbehandlung hatte in den 7 nach der Operation glatt ver-
laufenen Fällen 4 — 5 Wochen betragen. Blau.
30.
Bloch (Freiburg i. Br), Der hohe Gaumen. Zeitschr. f. Ohrenheilk.
XLIV. 1. S. 1.
Verfasser hat im Gegensatze zu den von £. Fränkel und Gros-
heintz neuerdings ausgesprochenen Ansichten durch Messungen in 600 Fällen
bestätigen können, dat^, wie er und andere schon früher ausgesprochen
hatten, bei habitueller Mundatmung in der Tat durchschnittlich ein erheb-
lich höherer Gaumen als bei der Naseuatmnng vorhanden ist, und daß beide
in kausalem Zusammenhang miteinander stehen. Seine Folgerungen lauten:
l. Der «hohe Gaumen** der Autoren ist ein durch Schätzung nach dem
Augenmaß entstandener Begriff. 2. Mit dem Siebenmann sehen Instru-
XIII. Wissenschaftliche Randschau. 165
mente gemessen hat er bei Erwachsenen einen Höhenbreitenindez von mehr
als 58,0, bei Kindern von mehr als 50,0. 3. Hei habitueller Mundatmung
Yon Jugend auf zeigt der Gaumen Erwachsener einen durchBchnittlichen
Index von 64,2, w&£rend der durcfaschnitüiche Gaumenindez erwachsener
Naeenatmer nur 53,0 beträgt- Der Gaumen besitzt also bei der habituellen
Mundatmung eine beträchtlich größere Höhe, als bei normal Atmenden.
4. Kinder mit Mundatmung haben ebenfalls einen höheren Gaumen als solche
mit normaler Atmung (53,7 gegen 49,3), doch ist der Unterschied noch nicht
so auBgesprochen wie bei Erwachsenen. 5. Im Zahnwechsel Stehende zeigen
diesen Unterschied deutlicher (58,3 gegen 48,4) als Kinder (mit den Milch-
zähnen), aber noch nicht so stark ausgeprägt wie Erwachsene. 6. Ein Zn-
sammenhang zwischen Gesichtschädelform und der Gaumenhöhe ist aus der
Yergleichung eines größeren statistischen Materials zu ermitteln. Schmal-
gesichter haben durchschnittlich einen höheren Gaumenindez als Breit-
gesichter (59,4 gegen 53,0). 7. Der hohe Gaumen bei Mundatmung ist aber
nicht durch sein Zusammentreffen mit Leptoprosopie (Schmaigesichtlgkeit) zu
erklären. 8. Überall besitzen die Mundatmer die höchsten Gaumenindices,
gleichviel, ob sie Schmal- oder Breitgesichter sind, und die Nasenatmer die
niedrigeren. Die chamaeprosopen (breitgesichtigen) Mundatmer haben einen
höheren Gaumen als die leptoprosopen Nasenatmer (60,1 gegen 54,8). 9. Mit
zunehmendem Wachstum von der Kindheit bis zur völligen Belle wird der
Mensch mehr leptoprosop. 10. Die Beobachtungen bei doppelseitigem an-
geborenem Ghoanal Verschluß und bei einseitigem mit Mundatmung sprechen
ebenfalls zugunsten des Einflusses der letzteren auf die Entwicklung des
hohen Gaumens. 11. Es ist möglich, daß in adenoiden Familien bei einzelnen
Gliedern die Leptoprosopie allein forterbt ohne stärkere Wucherung des
lymphatischen Bachenringes. Blau.
31.
Manasse (Straßburg), Zur pathologischen Anatomie des inneren
Ohres und des Hörnerven. II. Mitteilung. Ebenda. S. 41.
Verfasser bespricht in dieser Arbeit die von chronischer eitriger
Mittelohrentzündung fortgeleiteten Erkrankungen des Laby-
rinths und des Hörnerven. Es werden folgende Fälle beschrieben:
1. Chronische Mittelohreiterung, Perforation der Membrana flacclda
Shrapnelli, stecknadelkopfgroßes Cholesteatom im Recessus epitympanicus.
Ostitis der Basis der Felsenbeinpyramide mit Sequesterbildung, Karies der
Pankenhöblenwände. An der vorderen Hälfte des Steigbügels Defekt der
Platte, des vorderen Schenkels, des Ligam. annulare und eines Teiles der
knöchernen Fensterbegrenzung, welche durch aus der Paukenhöhle konti-
nuierlich in das Labyrinth übergehendes Granulationsgewebe ersetzt waren.
Yestibulum in seinem zentralen Teile von Granulationsffewebe, an der Peri-
pherie von zellreicbem Bindegewebe total ausgefüllt. In den Bogengängen
«in eigentümliches glasiges, zellarmes, aber gefäßreiches Gewebe (hyalines
Bindegewebe), das nur noch an einzelnen Stellen die stark komprimierten
häutigen Kanäle erkennen lief, dereu Lumen daselbst mit richtigem Hyalin
ausgefüllt war. Starke Granulations- und Bindegewebsneubildung in der
Schnecke, in der basalen Windung den ganzen Inhalt ersetzend, zum Teil
mit Zerstörung der knöchernen Kapsel, in der mittleren Windung schon ge-
ringer, so daß die Crista ossea und ein Teil des Cor tischen Organs er-
balten geblieben war, in der obersten Windung auf die Scala tympani be-
schränkt, während der durch Zerstörung der Bei ßn ersehen Membran aus
der Scala vestibuli und dem Ductus cochlearis entstandene gemeinsame Raum
(mit nur geringer Veränderung seiner zelligen Bestandteile) sich von hellem
glasigem Hyahn ausgefüllt zeigte. Im Bosent halschen Kanal nur spär-
liche Ganglienzellen, sonst Bundzellen und hyalines Bindegewebe. Nervus
acusticus stark verdickt, vor seinem Eintritt in die Schnecke durch Ein-
lagerung von sehr reichlichen Bundzellen und hyalinem Gewebe, mehr zen-
tralwärts durch festes Bindegewebe, die Nervenfasern an ersteren Stellen
auseinandergedrängt, zum Teil zerrissen, an letzteren stellenweise vollständig
fehlend.
166 XIII. Wissenschaftliche Bundscbau.
2. Chronische eitrige MittelohrentzOndung, Defekt des Trommelfells
und der GehörlinAchelchen , ovales Fenster durch sich in das Yestibalum
fortsetzende Graoulationsmassen ausgefüllt. Vorhof und Bogengänge unter
Verlust ihres häutigen Inhalts mit £iter und Granulationsgewebe angefüllt^
welches letztere auch weit in den Knochen vordrang. Im Eiter des Vorhofs
der Best der ehemaligen SteigbQgelplatte. H&utige Schnecke zum größten
Teil zugrunde gegangen, in beiden Skalen entweder klumpige Eitermassen
oder seltener schon organisiertes Granulationsgewebe. Nervus acusticus in
seinem dem Labyrinth zugewandten Teile mit dem Facialis und Periost
eine dicke Gewebsmasse bildend, welche den inneren Gehörgang vollständig
ausfüllte und nach Zerstörung seiner Wand weit in den Knochen vordrang.
Sie bestand größtenteils aus einem mehr oder weniger zellreichen Binde-
gewebe mit zahlreichen Gefällen und eingelagertem Kalk , aber nur wenigen
Nervenfasern und Ganglienzellen. Weiter zentralwärts im Akustikus nur
noch eingelagerte Rundzellen.
3. Chronische Mittelohreiternng mit Cholesteatom. An Stelle des
Steigbügels, in der Gegend des ovalen Fensters, ein dickes Polster von Granu-
lationsgewebe, welches, den Knochen total durchsetzend, frei in den Vorhof
hineinragte und hier eine mit Eiterkörperchen , Fibrin und feinkörnigen
Massen bedeckte Oberfläche zeigte. Häutiges Labyrinth vollständig zugrunde
gegangen, seine Knochenräume zum Teil mit feinkörnigen Massen oder
Granulationsgewebe ausgekleidet, meistenteils aber leer, stellenweise mit
einem Netzwerk von Knochenbälkchen. Nervus acusticus stark verdickt,
an seiner Eintrittsstelle in das Labyrinth durch ein starkes Polster von
Granulationen ersetzt, daran schließend im Zustande chronischer interstitieller
Neuritis und Perineuritis, indem einerseits zellreicbe Stellen, in denen nur
feine BindegewebszOge Netze bildeten, andererseits derbe schwielige, zellarme
Bindegewebspartien miteinander abwechselten. Die zellreichen Stellen waren
dadurch ausgezeichnet, daß die in ihnen vorhandenen Zellen stark vakuolisiert
oder blasig, die gröl-eren vielkernig oder vielkanunerig erschienen.
4. Chronische Mittelohreiterung. Steigbügel etwas vestibularwärts luxiert,
in der Mitte der Platte eingeknickt; am hinteren Bande des ovalen Fensters
ein von der Paukenhöhle in den Vorhof führender, mit feinkörnigen ge-
ronnenen Massen und mit Eiterkörperchen gefüllter Spalt, ohne Granu-
lationen (beides vielleicht künstlich bei der Totalaufmeißelung erzeugt).
Im Vestibulum die epithelialen Teile ersetzt durch teils klumpige, teils
körnige Massen, die in dicker Schicht dem gewucherten und mit Rundzellen
infiltrierten Bindegewebe auflagen. Ähnliche Veränderungen an den Bogen-
gängen. In der Schnecke und am Hörnerven ganz frische Entzündung.
Scala tympani von ziemlich locker in ibr liegenden größeren zusammenge-
ballten Eitermassen erfüllt, mit geringer hyaliner und bydropischer Degene-
ration der Epithelien. In der Scala vestibuli fast keine Veränderungen, im
Ductus cochlearis feinkörnige Massen, hyaline Quellung der dem Lig. spirale
aufsitzenden Zellen und stellenweise bucklige Abhebung derselben durch
Haufen.. von Zellmassen. Nervus acusticus in seinem Stamm und in sämt-
lichen Asten mit Bundzellen oder anders gestalteten Bindegewebszellen, zum
Teil mebrkammerigen Blasenzellen, infiltriert.
5. Chronische Mittelobreiterung mit Cholesteatom. In beiden Schnecken-
treppen, sowie in den peri- und endolymphatischen Bäumen des Vestibular-
apparats feinkörnige Massen in verschiedener Dicke, welche dem Periost
bez. den Wänden der Hohlräume fest aufsal^en und im Innern das Epithel
vollständig ersetzten. Die Innenfläche der Beilen er sehen Membran des-
gleichen dick mit feinkörnigen Massen belegt, in dem spitzen Winkel zwischen
ihr und dem Lig. spirale außerdem eine größere Anhäufung von Zellen un-
bestimmten Charakters. Cortisches Organ durch eine große Anzahl dicht
beieinander liegender hyaliner Kugeln und Ballen ersetzt. Zwischen den
(guterhaltenen) Fasern und Faserbündeln des Nerv, acusticus, besonders
stark im Nerv, cochlearis, feinkörnige geronnene Massen, Blut und Rund-
zellen; im Labyrinth die Fasern überall umgeben von einer dem Knochen
fest anliegenden breiten Schicht hellen kernarmen Bindegewebes.
6. Chronische Mittelohreiterung, Knochen und Fenster intakt. Als einzige
XIII. Wissenschaftliche Rundschau. 167
wesentliche Veränderung im Labyrinth wurde eine durch alle Windungen
ziehende hügelige Yorwöibung des Lig. spirale im Ductus cochlearis gefunden,
erzeugt durch eine Wucherung der bindegewebigen Elemente des genannten
Ligaments, welche die wohlerhaltenen £pithelien vor sich herstülpten.
7. Chronische tuberkulöse Mittelohreiterung mit ausgedehnter Karies,
Zerstörung beider Fenster und Eröffnung des horizontalen Bogenganges,
iBowie des Canalis facialis. Vom ovalen Fenster aus wucherte das teilweise
Terk&ste Granulationsgewebe in das Vestibulum hinein, füllte dieses aber
nur zum geringeren Teile aus; der übrige Teil enthielt die präformierten, zwar
ziemlich stark veränderten, aber noch deutlich erkennbaren Weichteile.
Die Bogengänge an einzelnen Stellen ganz von käsigem oder Granulations,
gewebe erfüllt, mit vereinzelten zentral verkästen Tuberkeln, an anderen
Stellen der häutige Kanal erhalten, mit hyalinem Inhalt. Vielfach Karies
des anliegenden Knochens. Auch in den Anfano(steil der Scala tympani der
Schnecke waren die teils käsigen, teils granulösen Massen durch die zerr
störte Membr. tympani secundaria yorgedrungen und hatten dort weiter die
Membr. basilaris und das C ortische Organ total zerstört. Nervus acusticus
normal. Facialis in seinem Paukenhöhlenteil vollständig vom Knochen isoliert,
von Granulationsgewebe und käsigen Massen (stellenweise Tuberkeln) durch-
setzt, dazwischen einzelne stark gequollene, auseinandergedrängte und zer-
fetzte Nervenfasern. Als charakteristisch für die tuberkulösen gegenüber
den rein entzündlichen Veränderungen bezeichnet Verfasser 1. den Befund
^er spezifischen Produkte der Tuberkulose, 2. die größere Intensität und
Multiplizität der Zerstörung im Knochen, sowie die häufig gefundenen fein-
kömigen, krümlichen, strukturlosen Knochenreste, 3. das Zurücktreten der
Nenbildungsvorgänge, die am Knochen ganz fehlten, am Bindegewebe sehr
geringfügig, mit baldigem Übergang in Verkäsung waren. Blau.
32.
Meyer zum GoUesberge, Histologische Beiträge zur Wirkung der
Trichloressigsäure und Ghromsäure. (Aus Dr. Brühls Ambu-
latorium in Berlin.) Ebenda. S. 81.
Verfasser hat durch seine Untersuchungen an mit Trichloressigsäure oder
CShromsäure geätzten Nasenmuscbeln und Ohrpolypen feststellen können, daß,
während bei oberflächlicher Ätzung nur geringe Nekrose des Epithels oder,
wenn solches fehlt, der oberen Gewebsschichten eintritt, stärkere Ätzungen
umfangreiche Gewebsnekrosen herbeizuführen vermögen, und zwar sowohl
von der Oberfläche aus als auch zu beiden Seiten etwa vorhandener Ein-
senkungen. Bei den Gaumenmandeln reichte wegen der festeren Beschafien-
heit des Gewebes die Wirkung nicht so weit in die Tiefe. Die Heilung
vollzog sich ohne entzündliche Reaktion der Umgebung; sie erfolgte nicht
4urcb Granulationsgewebe und anschließende Narbenbildung , sondern die
nekrotische Partie stieß sich ab und die Stelle überhäutete, so daß das Ge-
webe der Schleimhaut und damit auch ihre Funktion außer einer Volumens -
Verminderung keine Veränderung erfuhr. Es kann auf diese Befunde hin,
wenn es sich um nicht zu bedeutende Gewebshypertrophien handelt, daher
die Ätzung mit Trichloressigsäure und Chromsäure als sehr vorteilhaft be-
zeichnet werden. Blau.
33.
Stella^ Contribution ä T^tude des ccllulitos mastoidiennes aber-
rantes. La Presse Oto lar. Beige. Deuxl^me AnnSe No. 2.
Sachlich enthält die Arbeit des Verfassers für unseren Leserkreis nichts
von Bedeutung. Wenn ihm in seinem ersten Falle eine weiter nach hinten
versprengte Mastoidealzelle bei der Eröfi'nung des Antrums entgangen ist,
und er sich damit entschuldigt, daß man vor den von ihm zitierten fran-
zösischen Arbeiten (die erste aus dem Mai 1902) noch nichts von solchen ver-
sprengten Zellen gewußt habe, so verrät das nur eine große Unkenntnis der
«deutschen Fachliteratur. Grunert.
168 XIII. Wissenschaftliche Randschau.
34.
Jürgens, Otite compliqa^o de mastoidite et de lymphangite p^ri-
aariculaire. Ebenda No. 4.
Der mitgeteilte Fall bietet nichts Besonderes dar. Er zeigt alle klini-
schen Merkmale einer Pneumokokkenotitis. Leider ist der gefundene Eiter
nicht bakteriologisch untersucht worden. Orunert.
35.
Derselbe, Trois cas d'atresie cong^nitale dn conduit auditif ex-
terne, avec microtie. Ebenda No. 7.
Die drei mitgeteilten Fälle bieten nichts Bemerkenswertes.
Grunert
36.
Labarre, Contribution ^ Tätude des complications endo-cräni-
ennes de Totite. Ebenda.
Alltäglicher Fall von akuter Mittelohreiterung bei einer 32jährigen Pa-
tientin mit Mastoiditis, perisinuösem Abszeß und Sinus sigmoideus-Throm-
bose, durch Mastoidoperation and Sinusoperation ohne Jugularisunterbindung
geheilt. Wunderbar wird unseren Leserkreis folgender Satz anmuten: „Dans
le cas de carie du rocher, quand de grandes oscillations thermiques se pro-
duisent, 11 y a lieu de songer ä une thrombo-phlebite.'' Grunert.
37.
Schiffers, Faits cliniques de complication osseuses de Totite
moyenne purulente chronique. Ebenda.
I. Fall. 16 jähriges, hochgradig anämisches Mädchen, bei welchem die
Anämie nach der operativen Entfernung eines Schläfenbeinsequesters sofort
und dauernd heilte.
Der 2. und H. Fall bieten nichts Besonderes dar. Grunert.
Personal- und Faehnachrichten.
Der yil. internationale otologische Kongreß findet in der Zeit vom 1. bis
4. August 1904 statt. Offizielle Eongreßspracben sind Französisch, Englisch,
Deutsch und Italienisch. Während des Kongresses findet eine Ausstellung
von anatomischen und pathologischen Ohr-, Nasen- und Nasenrachenpräpa-
raten statt. Die für einen Vortrag gestattete Zeit darf die Zeitdauer von
15 Minuten nicht überschreiten.
Folgende Themata kommen zur allgemeinen Diskussion:
1. Wahl einer einfachen und praktischen akumetrischen Formel; Re-
ferenten: Politzer, Gradenigo, Delsaux.
2. Diagnose und Behandlung der Labyrintheiterungen; Referenten:
Brieger, v. Stein, Dundas Grant.
3. Technik der Operation und Nachbehandlung des otogenen Hirn-
abszesses; B«ferenten: Knapp, Schmiegelow, Botey.
Der Sekretär des Kongresses ist Dr. Lermoyez, Paris, Rue de la
Bo6tie, 20^8.
Der Direktor der König!. Universitäts- Ohrenpoliklinik zu Bonn^ Pro-
fessor Dr. Walb, hat den Charakter als Geheimer Medizinalrat erhalten.
XIV.
I
Osteomyelitis der äusseren Gehörknöchelchen bei chron.
trockenen Pankenhöhlenprozess (Lues hereditaria tarda).
Von
Dr. Walther Stein, Ohrenarzt in Königsberg i. Pr.
(Mit 1 AbbUdnng.)
Die 25jährige Patientin trat am 24. M&rz 1903 in Behandlung mit der
Klage Aber nnaufhörliche, Tag and Nacht sie qu&lende Geräusche in beiden
Ohren, besonders in dem rechten, welche bei seelischen Aufregungen, denen
sie damals yielfach ausgesetzt war, sich aufs heftigste steigerten.
Anamnese: Die intelligente und zuverlässige Patientin, die im 7. Lebens-
jahre an Scharlach erkrankt war, erinnert sich nicht, jemals Ausfluß aus
den Ohren gehabt zu haben. Yom 11. Lebensjahre bis vor ca. 3 Jahren wäre
sie fast dauernd wegen eines doppelseitigen Augenleidens in Behandlung ge-
wesen. (Nach Mitteilung des Arztes, der sie damals behandelt hatte, Kera^
titis parenchymatosa.)
Status praesens: Ausgesprochene Sattelnase, deren Entstehen vor
einigen Jahren von der Patientin auf eine damals bei ihr ausgeffUhrte intra«
nasale Operation zurückgeführt wird; Hutchinson sehe Zähne, di£fuse Trü-
bangen auf beiden Corneae, auf der linken eine Narbe. Beide Trommelfelle
trübe, verdickt, auf dem linken hinten unten rundliche Kontur wie das Re-
siduum einer alten Perforation ohne Verdünnung des Gewebes innerhalb
derselben.
Flüstersprache links wenige Centimeter, rechts » O.
Weber (A, c) nach links, unverändert bei Verschluß des rechten, ver-
stärkt bei solchem des linken Ohres.
Rinne links : positiv.
Vom Warzenfortsatz: A zwischen 9 nnd 12 Sekunden (bei verschie-
denen Untersuchungen) c * 9 « 10 «
Rinne rechts: negativ.
. Vom Warzenfortsatz: A und c « 6 Sekunden; per L. L. « %.
Die Stimmgabeltöne von A bis gis sowie fis^ werden gut perzipiert.
Uhr von Schuppe und Warzenfortsatz beiderseits <« 0.
Die einen Monat durchgeführte Behandlung mit Katheterismus und
Pneumomassage bei gleichzeitigem Gebrauch von Jodkalium verminderte die
subjektiven Geräusche links, während die von selten des rechten Ohres mit
nnverminderter Hefti^eit bestehen blieben. Es wurde der verzweifelten
Patientin als letzter Versuch die Exzision von Trommelfell, Hammer und
Ambof vorgeschlagen mit dem Hinweis darauf, daß die Aussichten auf Er-
folg äußerst zweifelhaft seien. Auf Wunsch der Patientin wurde die Ope-
ration am 6. Mai in Narkose ausgeführt.
7. Mai. Entfernung des Gazestreifens, Paukenfaöhlenschleimhaut mäßig
gerötet, keine Sekretion; Gefühl „als wenn die Zunge von Ol wäre*".
16. MaL Vom unteren Abschnitt des Trommelfellfalzes erhebt sich eine
epidermisierte, feucht und sukkulent aussehende schmale Platte; subjektive
(jeräuBche unvermindert.
Archiv f. Ohrenheilkunde. LXI. Bd. 12
170 XIV. STEIN
21. Mai. In dem neugebildeten Trommelfell nur noch ein ca. 5 mm
breiter, wandst&ndiger, mnder Defekt hinten oben. Paukenhöhlenschleimhaat
andauernd nur feucht gl&nzend, keine Sekretion nachweisbar.
Anfang Juli zeigt das neue Trommelfell keine Lflcke mehr. Patientin
erklärt jetzt wiederholt, daß die Geräusche auch im rechten Ohr bedeutend
Tormindert und erträglich seien. Möglicherweise ist diese Besserung, die
bis jetzt angehalten hat, darauf zurückzufahren, daß einige Wochen nach
der Operation gewisse Ursachen fflr psychische Aufregungen bei der Patientin
beseitigt wurden.
Die Gehörknöoheloben, die bei makroskopischer Betrachtung
auch bei Zuhilfenahme der Lupe keine pathologischen Ver-
änderungen aufwiesen, wurden in Formol fixiert, um bei histolo-
gischen Untersuchungen Aber GehSrknöohelchenkaries als normale
Vergleichsobjekte benutzt zu werden. Sodann Nachhärtung in
Alkohol, Enlkalknng, Einbettung in Celloidin, Zerlegen in Seriea-
schnitte, und zwar der Hammer in Längsschnitte parallel zu einer
durch kurzen Fortsatz und Tensorsehne gehenden Ebene, der
Amboß parallel zur vorderen und hinteren Fläche. Färbung mit
Hämatoxylin-Eosin.
Hammer: Das Periost ist in eine derbe Schwarte verwaa-
delt, stellenweise auf das drei- bis vierfache gegen die normalen
Verhältnisse verdickt, und läßt: in seiner homogenen Grundsab-
stanz die longitudinale Streifung fast nur durch die Lagerung der
spärlichen schmalen, spindelförmigen Kerne erkennen. Der Schleim-
faautüberzug, von dem nirgends mehr etwas nachweisbar, ist offenbar
ebenfalls in diese Schwarte aufgegangen. Im Hammerkopfe, mit
Ausnahme des untersten Teils, keine krankhaften Veränderungen;
die Enochenzellen enthalten gut gef&rbte Kerne. Die Wandungen
der Gefäßkanäle sind glatt, nur hier und da von perforierenden
Kanälen durchbrochen, deren geringe Anzahl wohl eine patho-
logische Bedeutung ausschließt. Der Inhalt der Markräume trägt,
wie dies in den Gehörknöchelchen die Regel ist, den Charakter
des Fettmarks, es besteht fast lediglich aus einem weiten Maseben-
werk mit dicht eingelagerten Fettzellen.
In zwei Markräumen, im Hammerhalse, bezw. dem untersten
Teil des Kopfes, ist dies Gewebe dicht mit lymphoiden und poly-
nucleären Zellen infiltriert, daneben findet eine lebhafte Knoohen-
resorption statt. Ein besonders charakteristisches Bild geben
einige Schnitte von dem nach der medialen Seite des Hammer-
halses zu gelegenen Markraum, der in der Zeichnung wieder-
gegeben ist. Im Zentrum liegt ein großes, von allen Seiten
lakunär angenagtes Knochenstück, das, wie der Vergleich mit
anderen Schnitten zeigt, einem mit der Innenwand des Mark-
herein -, .;X't*^'"fe- ,. ' '^
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OrteomyeliÖB dw &aQsren GohOrknöchelelien 171
ranms noch znaammenhÄngenden Knochenvorsprnng angehört;
Beine Ränder werden zum Teil umfaßt von einem großen, in die
Laknnen eingreifenden vielkernij^en Osteoklasten, in den Knochen-
höhlen fehlt die Kemfärbnng. Ganz analoge Verändernngen finden
sich in dem erwähnten, etwas höher gelegenen Markranm, und
in einem dritten im oberen AbBohnitt des Griffes; an allen drei
Stellen Nekrose and Annagang eines qaer duroh den Markranm
ziehenden Knoohenvorsprungs oder Bdkens dnroh Osteoklasten
neben dichter kleinzelliger Infiltration.
In den näher be-
sohriebenen Markranm
tritt Ton nnten her ein , .;X't*l; '■•Ä:;-'
breiter Gefäßkanal; an '-?^'-?: Xv'tM^ii '
der Einmündnngsstelle
ist nur die Yene e
bar, die sieh naoh ]
tritt in den Banm i
ihn dnrflhströmende Äste
gabelt Diese sowie der
Haaptstamm enthalten
nnr polynuoleäre Leuko- ,; /•,- ■ '''-••■.*^l*'' .•■
zyten, die meist ausge- ''■'.■,".!-. ' ' ' T^:;-
sproehen wandständig \''"-v:;, ' '■ :
sind; die weiter nnten •);*, ^- ■;.
erkennbare Arterie ist -W'iv. ... '
strotzend mit Blnt geftllt.
Der nach nnten sich stark
verbreiternde Kanal läßt sich bis in die Spitze des Griffendes ver-
folgen. Seine lakunfir angenagten Wände sind dicht von perforie-
renden Kanälen qner nnd schräg dnrchsetzt, die wiederum angenagt
und an den Wänden perforiert, mit anderen Gefilßkanälen kom-
munizieren; dazwischen liegen, allseitig angenagt und vielfach
nekrotisch, Inseln der nrsprtlnglichen Knochensubstanz. Die mei-
sten Gefäße in diesem Netz sind strotzend mit Blnt gefällt, and
meist die Zahl der weißen Blutzellen erheblich vermehrt; stellen-
weise erscheint der große, bis in das Griffende ziehende GtefÄß-
kanal mit Lymphozyten nnd polynukleären Leukozyten voll-
gestopft, die hier anoh besonders reioblioh in dem perivaskulären
Kaum zn liegen scheinen. Im lateralen Teil des nnteren Bammer-
kopfabsohnittee ist die Knochensubstanz von zahlreichen kleinen
rundlichen Lücken mit laknnär ansgebuchteten Rändern dnrch-
12'
172 XIV. STEIN
Beizt, die mit einem kernannen Bindegewebe ansgefbllt sind und
Tielfaeh konfluieren; hier handelt es sieh also nm einen abge-
laufenen Prozeß.
Die Nekrose der Enoehensnbstanz ist im ganzen geringfügig,
die Eernflrbnng fehlt erst vielfaoh in den Zellen der von entzün-
deten Kanälen nmgebenen Enooheninseln im Hammergriff, nnd
fehlt ganz im Griffende.
Amboß: Die Veränderungen im Amboß sind denen im
Hammer analog. Auch hier ist in einigen Markräumen das Ge-
webe massenhaft mit Ijmphoiden und polynukleären Zellen in-
filtriert, und in das Lumen der Markräume hineinragende Enoohen-
balken und -Vorsprünge zeigen dieselben Ersoheinungen von Re-
sorption und Nekrose bei gleichzeitigem Vorhandensein von
großen yielkernigen Osteoklasten. Leere Enochenhöhlen sind
hier etwas reichlicher als im Hammer. Die Gegend im hinteren
Teile des Eörpers zwischen dem Ansatz des langen Schenkels
und der höchsten Euppe der Gelenkfläche erscheint in einzelnen
Schnitten in größerer Ausdehnung von den beim Hammer ge-
schilderten, mit Bindegewebe ausgefüllten rundlichen Defekten
siebartig durchlöchert. Eine kleine oberflächliche Annagung an
der Peripherie, wobei Granulationsgewebe den Defekt ausfüllt,
findet sich an einer Stelle, die bei „Karies^ eine Prädilektions-
stelle zu sein scheint, nämlich an der Unterfläche der Eörpers.
Auch dieser kleine Defekt scheint , wie der Vergleich mit an-
deren Schnitten ergibt, nicht von einem peripheren Prozeß her-
zurühren, sondern einem dicht an der Peripherie liegenden Ent-
zündung und Resorption zeigenden Markraum anzugehören, bei
dem die Einsohmelzung der Enochensubstanz die Peripherie er-
reicht hat Der lange Fortsatz erscheint in einigen Schnitten in
der Mitte von den geschilderten runden Defekten siebartig durch-
löchert, an der Spitze peripher angenagt, doch steht dieser De-
fekt in Eommunikation mit einem Markraum, in welchem die
teilweise Umwandlung des Markgewebes in dichtes Bindegewebe
auf einen abgelaufenen Prozeß hindeutet.
Vergleicht man diese Bilder mit denen, wie man sie bei
Erkrankungen der Gehörknöchelchen im Verlaufe von Pauken-
höhleneiterungen findet, bei der sogenannten „Earies der Gehör-
knöchelchen^, so stehen dort zwei Momente im Vordergrunde:
die Annagung des Enochens von der Peripherie her, und die
oft ausgedehnte Nekrose der Enochensubstanz ohne nachweis-
bare andere Erankheitserscheinungen im Inneren, insbesondere
Osteomyelitis der toßeren Gehörknöchelchen. 178
ohne die Anzeiohen einer Entzündung daselbst. Besorptions-
erscheinnngen im Inneren kommen fast ausnahmslos nur dann
yor, wenn die Annagang von außen her bis in die Markränme
und Gefäßkanäle vorgedrungen ist und diese eröffnet hat.
Im Gegensatz dazu spielt sieh hier der Erankheitsprozeß
im Inneren ab unter den Zeichen lebhafterer Entzündung. Pen*
phere Defeete außer den geschilderten am Amboß finden sich
noeh an zwei Stellen am Hammergriffende, doch sind diese wohl
ebenfalls auf die entzündlichen Vorgänge im Inneren znrttek-
zuführen ; denn es öffnet sich in jeden von ihnen ein breiter G«*
jfäßkanal, aus dem Bindegewebe mit eingelagerten polynukleären
Zellen gegen den den Defekt ausfüllenden neugebildeten Knochen
ausstrahlt und kontinuierlich in diesen übergeht; es ist wohl
also die Entzündung längs diesem Gef&ßkanal gegen die Peri-
pherie vorgedrungen. Auf einem so engen Gebiet wie der
Hammergriff es ist, kann bei der Ausdehnung des Prozesses
schließlich eine Beteiligung der Peripherie nicht ausbleiben.
Es handelt sich hier also um eine chronische Osteomyelitis
der äußeren Gehörknöchelchen ohne Paukenhöhleneiterung. Eine
überstandene Eiterung kann ebenfalls nicht das ursächliche Mo-
ment gewesen sein; die Patientin leugnete mit Bestimmtheit,
jemals Ausfluß aus den Ohren gehabt zu haben, es hätte sich
also nur um einen jahrelang zurückliegenden Prozeß handeln
können, daß dieser aber geheilt sei, während die Erkrankung
von Hammer und Amboß fortbesteht, ist nicht denkbar. Selbst
die beiden Defekte am Hammergriff konnten von einer solchen
längst überstandenen Eiterung nicht herrühren, denn dann hätte
die sie ausfüllende Knochensubstanz nicht mehr den Charakter
der jugendlichen Knochen haben können.
Die Sklerosierung des Periosts unterscheidet sich durch
nichts von der analogen Veränderung, wie mau sie auch bei
chronischen Eiterungen regelmäßig findet ; allerdings pflegt hier
die Dickenzunahme nicht so erheblich zu sein.
In der Literatur sind einige Fälle von primärer Erkrankung
der Gehörknöchelchen beschrieben. Diejenigen Fälle, in denen
das Primäre darin gefunden wurde, daß nach Extraktion der
kranken Knöchelchen die Paukenhöhleneiterung heilte (Wo 1 ff);,
darf man wohl ausscheiden, denn sonst müßte diese primäre
Ostitis ein recht häufiges Vorkommnis sein.
Sodann erwähnt Tröltsch, daß er bei einer Typbussektion
bei nicht eiternder Paukenhöhle den Amboß erkrankt fand. Da
174 XIV. STEIN
die TnbenBOhleimhaiit aber geschwollen und gerötet, die Fauken-
sebleimhaut injiziert war, so liegt dieser Fall im Grunde wohl
nicht viel anders als diejenigen, wo die Knöchelehen bei akuter
Typhuseiterung erkranken, nur daß hier die Infektion auf dem
Wege über die entzündete Schleimhaut den Amboß ergriff, ehe
noch die Entzündung in der Schleimhaut zur Eiterung geführt
hatte. Nach Brieger und Görke ist dieser Fall, der nicht
mikroskopisch untersucht wurde, nicht beweisend, da es sich
auch um eine nicht pathologische Rauhigkeit des Knochens ge-
handelt haben könnte ; dagegen spricht allerdings, daß die kranke
Stelle, wie Tröltsch ausdrücklich sagt, von Periost entblößt
und „stark rot** war. Im übrigen würde eine periphere Nekrose
bei Typhus nichts Auffallendes sein.
Schwartze machte seinerzeit darauf aufmerksam, daß
Zerstörungen an den Gehörknöchelchen auch bei chronischen
Entzündungsprozessen der Paukenhöhle ohne Eiterung vor-
zukommen scheinen. „Wenigstens ist es kein ungewöhnlicher
Leichenbefund, daß man neben einer hypertrophischen Schleim-
haut und fettig-kalkigen Einlagerungen im Trommelfell partielle
Defekte an einzelnen Gehörknöchelchen findet. Möglicherweise ist
in allen solchen Fällen früher einmal doch ein Eiterungsprozeß
voraufgegangen^. Da partielle äußere Defekte bestanden, die
makroskopisch wahrgenommen wurden, so ist es wohl wahrschein-
lich, daß auch diese Fälle zur Gehörknöchelchenkaries gehören.
Die klinische Beobachtung in Verbindung mit dem mikro-
skopischen Befunde spricht dafbr, daß es sieh hier um eine
granulierende Ostitis hämatogenen Ursprungs handelt, die nicht
auf eine lokale, sondern auf eine Allgemeinerkrankung zurück-
zuführen ist, und es erscheint wohl naheliegend, die hereditäre
Lues bei der Patientin als Ursache des geschilderten Prozesses
an den Gehörknöchelchen anzunehmen. Allerdings fehlen spezi-
fisch syphilitische Veränderungen im mikroskopischen Befund,
denn eine gummöse Erkrankung des Knochenmarks liegt nicht
vor, doch mag daran erinnert werden, daß z. B. bei der Perio-
stitis syphilitica die für Syphilis charakteristische Veränderung
häufig fehlt. Vielleicht spricht für meine Auffassung auch der
Umstand, daß nirgends eine eitrige Einschmelzung des Marks
nachweisbar ist, vielmehr die in den entzündeten Markräumen
vielfach vorhandene stellenweise Umwandlung des kleinzellig
infiltrierten Markgewebes in fibröses Bindegewebe auf Neigung
zur Narbenbildung hindeutet.
Osteomyelitis der äußeren Gehörknöchelchen. 175
Die üntersuehung habe ich im hiesigen Patbologisehen In-
stitut (Direktor: Prof. Dr. Beneke) ausgeftlhrt; die mikrosko-
pischen Bilder wurden vielfach durch Herrn Prof. Askanazy
nachgeprüft.
Literatur.
1. Gradenigo, dieses Archiv. XXV. S. 237. Die Otitis interna bei here-
ditärer Syphilis«
2. Derselbe, Ibid. XXXYII. S. 89. Die Ohrerkrankangen bei der here-
ditären Syphilis. Vortrag, gehalten auf dem 11. Internat med. Kon-
greß in Rom.
3. Derselbe, Ibid. XXXYIII. S. 310. Sklerose des Mittelohrs als para-
syphilitische Affektion usw. 66. Versammlung deutscher Naturforscher
und Ärzte.
4. Grub er, Lehrbuch der Ohrenheilkunde.
5. Habermann, dies. Arch. XLV. Bericht Aber die 7. Otologenversamml.
6. Derselbe, Die luetischen Erkrankungen des Gehörorgans. Jena 1896.
7. Eatz, Über Rinnen- und Locherbildungen an der Corticalis des Am-
boßes. Verhandlungen der 7. Otologenversammlung.
8. Kirchner, dieses Archi?. XXVIII. S. 172. Syphilis der Paukenhöhle.
9. Ludwig, Ibid. XXIX. S. 269. Bericht aus der Ohrenklinik cn Halle.
10. Moos, Zeitschr. f. Ohrenlieilk. Vlll. S. 217. Exstirpation des ganzen
Hammers usw.
11. Bau her, dies. Arch. XV. S. 81. Die Lymphgef&ße d. Gehörknöchelchen.*
12. Schwartze, Ibid. Neue Folge. II. Über Zerstörungen an den Gehör-
knöchelchen; Bericht Aber die 46. Versammlung deutscher Natur-
forscher und Ärzte.
13. Tr ölt seh, Ibid. VI. 55. Anatom. Beiträge zur Ohrenheilkunde.
14. Wolff, Zeitschr. f. Ohrenh. X. S. 243. Primäre Ostitis d. Hammers usw.
XV.
Znr DiagDOstik der Sinuthrombose.
Dr. W. SaehB in MOlhausen i. £.,
aliAinaL I. AMlite&t der oMr. Unir.-ElinUc in Benu
(Hierzu 2 Abbfldimgen im Text.)
Wenn wir in F&Ilen von obroniseher Mittelohreiterang bei
sehwerea Allgemeinersoheinnngen (Fieber, Schttttelfrost, Kopf-
sebmerz, Schwindel, Erbreoben, Palsyerlangsamang) operieren,
so pflegen wir anf irgendeine Komplikation sn reebnen, sei es
Extradnral-, Snbduralabszeß , Sinnstbrombose, Sehläfeniappen-
oder Eleinhirnabszeß oder Meningitis. Der Eingriff gestaltet
sieh dann meist so, daß der Operateur nach ausgedehnter Frei-
legnng der infizierten Bäume des Mittelohrs und des Antrums,
naoh gründlicher mechanischer Entfernung alles Krankhaften
(Cholesteatommassen, Granulationen, kariösen Knochen) nur die
wahrscheinlichste von allen möglichen Komplikationen auf-
zufinden, wenn möglich, zu beseitigen sucht und dann abwartet.
Welches die wahrscheinlichste ist , das ist Sache der Diagnose,
entweder der vor der Operation oder der aus dem Befunde
während der Operation gestellten Diagnose. Einem Forum
Ton Otologen, für welche diese Zeilen bestimmt sind, sage ich
mit diesen Dingen nichts Neues ; ein jeder weiß, daß man bei
der Operation der otitischen Komplikationen häufig die ante
operat. aufgestellte Marschroute ändern muß. Oft ist nach Auf-
findung der einen zum weiteren Suchen nach einer andern Kom-
plikation kein Grund mehr vorhanden, da das Krankheitsbild
für den Augenblick zur Genüge geklärt erscheint Dann ergibt
der weitere postoperative Verlauf, nach einigen Tagen gewöhn-
lich, ob diese Auffassung richtig war oder ob eine neue Inter-
vention notwendig wird. Die zu erwartenden neuen Eingriffe
haben in erster Linie fast immer den Sinus transversus zum
Ziel, auf ihn konzentriert sich, besonders wenn der geringste
Zur Diagnostik der Sinosthrombose. 177
Zweifel Aber seine Darohgängigkeit besteht, bei jeder Ver-
sehleohternng des Allgemeinbefindens das ganze Interesse, sn-
mal die Sinnsthrombose eine der häufigsten der otitisohen Kom-
plikationen istO- Da diese an Häufigkeit nur noeh von dem
Extraduralabszeß*) übertroffen wird und auf diesen bei Erwartung
intrakranieller Komplikationen gewöhnlieh gleioh bei der ersten
Operation durch Eröffnung der hinteren Sehädelgrube und Frei-
legung der Umgebung des Sinus gefahndet wird, so ergibt sieh
für den Otologen gar nicht so selten die Situation, daß er bei
den Verbandwechseln nach der ersten Operation — sc. bei Yer-
sehleehterung des Befindens — mit der größten Aufmerksamkeit
und meist mit recht gemischten Empfindungen die Vorgänge am
fi^igelegten Sinns beobachtet. Auch am freiliegenden Sinus ist
es, wie jeder weiß, oft noch recht schwierig, über seinen Zustand
und die Bolle, die er bei dem ganzen Krankheitsbild spielt, ins
Klare zu kommen 3).
Unter diesen Verhältnissen scheint mir auch die geringste
Anregung , welche auf die Diagnostik der Sinusthrombose Be-
zug hat, willkommen zu sein. Ich möchte mir erlauben, die
Herren Otologen darauf hinzuweisen, daß der Schluckakt sich
vielleicht zu diagnostischen Zwecken für die Sinusthrombose
verwerten läßt. Wie ich kürzlich in einem Falle zu beobachten
Gelegenheit hatte, pflanzt sich die Schluckbewegung durch die
Jngularvene in den Sinus fort und erscheint daselbst in Form
einer undulierenden Bewegung des Sinusrohres resp. der frei-
gelegten Sinuswand ^). Die Beobachtung wurde an mehreren
1) So fand Graber anter 232 durch Komplikationen zum Tode füh-
renden Mittelohreiterungen 148 mal Sinasthrombose. (Monatsschr. f. Ohren-
faeilkande. 1896. S. 311.)
2) Jansen, Ref. aaf der lY. Versammlung d. d. otol. Gesellsch. 1895.
3) S. u. a. die DarsteUnng Brie g er s auf der X. Versammlung der
deatschen otolog. GeseUschaft
4) Da ich noch keine Kenntnis von diesem Phänomen hatte, aach der
den Fall mit mir beobachtende Kollege, Herr Dr. Kleinmann, Ohrenarzt,
dasselbe nicht kannte, glaubten wir die ersten zu sein, welche das Schluck-
phänomen wahrnahmen. Erst nach Niederschrift dieses Manuskripts wurde
nur durch Herrn Kollegen Kleinmann mitgeteilt, daß sich in diesem
Archiv, Bd. LI (nach einem Zitat von Körner) eine diesbezügliche Be-
laerkung finde. Ich habe in diesem Bande nun in der Arbeit von Piffl
(Über die AufmeüSelung des Warzenfortsatzes usw.) S. 155 und 156 eine
Angabe gefunden, wonach auch dieser Autor Bewegungen an der Sinuswand
beim Schlacken wahrgenommen hat. Piffl macht aber keine Angabe über
die Verwertung des Symptoms zu diagnostischen Zwecken.
178 XV. SACHS
Tagen beim Verbandwechsel an dem in yollig wachem Zustande
befindliehen Patienten angestellt 0« Jedesmal, wenn der Kranke
sehlnekte, schien in der Vene eine Welle emporzusteigen, welche
das Undnlieren oder Vibrieren der Venenwand erzengte. Mit
einem kleinen zweekentspreehend konstruierten Sphygmi^aphen
könnte die Form dieser Bewegung der Sinuswand nach Analogie
des Venenpulses graphisch dargestellt werden. Diese Venen-
bewegung erklärt sich ganz ungezwungen aus der Nachbarsohaft
der Vena jngnlaris und der beim Schluekakt beteiligten Muskeln
(Stylohyoideus, Stylopharyngeus, Constrictor pharyngis). Durch
ihre Eontraktion und darauf folgende Erschlaffung wird das
neben und zwischen ihnen verlaufende flaccide Venenrohr in
seinem Lumen verändert, sein Inhalt bald ausgetrieben, bald
angesaugt; und so werden ähnliche Bewegungen hervorgerufen
wie sie durch die Respiration und den wechselnden Druck im
Phase der Stanung des Sinüsblutes
Phase der Abschwellnng
Figur 1.
rechten Vorhof auch im Stamme der Vena jugularis am Halse
erzeugt werden. Diese letzteren Faktoren haben ohne Zweifel
auf den Ablauf des Schluckphänomens auch einen beträchtlichen
Einfluß. Ich denke mir, daß bei der vorübergehenden Kom-
pression der Jugularis durch den Schluckakt das Blut oberhalb
der Eompressionsstelle aufgehalten und gestaut wird (leichtes
Anschwellen des Sinus); das unterhalb der besagten Stelle be-
findliche Blut fließt nach dem rechten Vorhof ab. Ist die Passage
mit Nachlaß der Eontraktion wieder freigegeben, so wird das
zerebrale Blut wieder herzwärts gesaugt (Abschwellen des Sinus);
trifft dieses auf die Vorhofssystole, so wird es durch den leicht
gestauten Blntstrom in der Jugularis wieder in rückläufige Be-
wegung gebracht (leichtes Anschwellen des Sinus) usw., bis sich
die Bewegung des Hin- und Herpendeins erschöpft hat. Die
sphygmographische Kurve dieser Bewegung müßte dementspre-
chend etwa die Form der obenstehenden Fig. l haben. Ebenso-
1) Selbst als die Venenwand schon mit zarten Granulationen bedeckt
war, konnte die Bewegung noch deutlich erkannt werden.
Zar Diagnostik der Sinasthrombose. 179
gut kann die Freigebung der Strecke in der Jngularis natürlich
mit der Yorhofsdiastole zusammenfallen; dann findet eine
Summierung der zentripetalen Kräfte, eine Anflaugung, yielleicht
bis zum Zusammenfallen der Sinuswand statt, wie sie Piffl be-*
obachtet hat« Die Kurve mfißte dann ein ganz tiefes Wellental
nach der ersten Erhebung aufweisen, etwa wie nach einer starken
Ansaugung des Blutes unter dem Einfluß einer tiefen Inspiration
(Körner^)). Auch diese letztere muß, ebenso wie die Exspiration,
modifizierend auf das Schluokphänomen einwirken, so daß zum
Zustandekommen dieses Vorganges verschiedene Komponenten'
beitragen, welche bei der klinischen Beobachtung in entsprechen-
der Weise zu berücksichtigen sind.
Für die Diagnose hat nun der am Sinus zu beobachtende
Sehluckakt einen gewissen, aber leider nur sehr bedingten Wert.
Denn einmal muß die Gegend des Sinus doch mindestens im
Umfang von 1 quem freigelegt sein, und ferner muß der Kranke
bei^ewußtsein oder doch wenigstens in so leichter Narkose sich
befinden, daß er auf Kommando zu schlucken imstande ist.
Daraus geht hervor, daß dieses Symptom nur in denjenigen
Fällen verwertbar sein wird, in welchen die t'rage der Sinus-
thrombose — und zwar nach Freilegung des Sinus — im post-
operativen Stadium entschieden werden soll. Vor anderen
Symptomen hat das Schluckphänomen dagegen den Vorzug,
daß der Sinus nur inspiciert und nicht palpiert, gedrückt,
punktiert oder gar inzidiert zu werden braucht. Wenn also
künftig in geeigneten Fällen der Operateur neben den anderen
Kennzeichen der Sinusthrombose auch den Schluckakt zur Prü-
fung heranziehen wird, so ist es von großer Bedeutung, zu wissen,
welcher Wert diesem Symptom zukommt.
Daß die durch den Sehluckakt erzeugte Blutwelle sich in
der freigelegten Strecke des Sinus nicht bemerkbar machen wird,
wenn diese selbst von einem festen obturierenden Thrombus aus-
gefällt ist, dürfte keinem Zweifel begegnen. Wie sollte hier auch
das Auseinanderweichen und Zusammenfallen der Venenwände
zustande kommen? Ebensowenig dürfte, wenn die freigelegte
Strecke selbst zwar mit flüssigem Blute erftlllt ist, sich aber
unterhalb derselben ein fest an allen Seiten der Venenwand
adhärenter Thrombus befindet, die Blntwelle bis in den Sinus
hinaufsteigen.
1) Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. XXX.
180
XV. 8A0HS
Stillstand der Sinnswand beim Schlackakt be-
deutet also entweder ThromboBC des freigelegten
Stflckes selbst oder eines Abschnittes d es Yenenrohrs
unterhalb der beobachteten Strecke.
Wie verhält es sich aber, wenn in dem unterhalb der frag-
lichen Strecke gelegenen Teile des Sinns ein Thrombns sich su
bilden beginnt? Ein solch jnnger Thrombos ist jedenfalls ein
recht zartes Gtobilde, das zwar noch niemand intra vitam direkt
hat entstehen und wachsen sehen, das wir uns aber als ein ans
mikroskopisch feinen Fäden gebildetes, vielfach verflochtenes, mit
Zellen und Flüssigkeit erfüllltes Netzwerk vorstellen müssen. So-
lange der Thrombus wandständig ist, wird die Blntwelle un-
gehindert, wenn auch geschwächt passieren. Das positive Sehlnok-
phänomen, wenn es nicht gerade außerordentlich kräftig vorhan-
den ist, kann also zu falschen Schlllssen f&hren.
Aber selbst bei vollkommen verstopfender Thrombose fragt
Figur 2.
es sich, ob nicht ein zarter, wenig ausgedehnter, wenig kon-
sistenter Thrombns doch die Bewegung des Sohluokakts weiter
leiten kann. Um dieser Frage experimentell, wenn auch nur
in grober Weise, nahe zu treten, nahm ich eine Glasröhre von
der hier (Fig. 2) dargestellten Krümmung und verband deren
Enden durch den etwa 50 cm langen , dünnwandigen Gummi-
schlauch a b c d e. In diese ßöhrenleitung füllte ich Wasser der-
art, daß am Scheitel .der senkrecht stehenden Glasröhre eine
Luftblase stehen blieb (x y), welche die Konfiguration wie auf der
Abbildung hat. Bei e steckte ich in den Anfang der Glasröhre
einen Wattepfropf von V^ cm Länge (W). Dieser letztere stellt
den Thrombus dar; e a b ist der Sinus, die Seite e d o ist die
herzwärts gelegene Strecke der Vena jugularis. Die Luftblase
Zur Diagnostik der Sinosthromboie. 181
dient als lodikator f&r eine in der Flüssigkeit stattfindende Druck*
Schwankung (Sehluckbewegnng).
Steckt der Wattepfropf sehr fest, ist er mittelst Sonde so
fest in die Röhre gepreßt, daß Wasser nur noch in nnbedeaten-
der Weise anströpfelt, so pflanzt sieh ein bei b, c oder d auf das
Grummirohr ausgeübter Druck nur in der Sichtung d c b a fort,
es bewegt sich nur der Meniskus x; y bleibt in Ruhe, d. h. d^
Widerstand bei e ist so groß, daß er durch den erwähnten
Dmek nicht ttberwunden werden kann. Diese Anordnung ent*
spricht dem Verhalten bei festem, etwas älterem obturierenden
Thrombus« Wird der Wattepfropf ebenso lang gemacht ^), aber
nur mäßig fest in die Glasröhre gepreßt (zarter Thrombus im
Beginn seiner Bildung), so markiert sich ein bei b und o aus-
geübter Druck zunächst nur bei x, ein bei d ausgeübter Druck
markiert sich bei x und y, die beiden Flüssigkeitsmenisken
nähern sich einander; y wird um so mehr bewegt, je mehr man
sich mit dem Druck e nähert. Wird ferner im Verlaufe der
Gummiröhre ein geringfügiger Widerstand geschaffen (Exspira-
tionszustand oder Yorhofsystole ), so kann auch ein zwischen c
und d oder gar zwischen b und c applizierter Druck bei y sich
geltend machen. Der mäßig feste Wattepfropf hindert also die
Fortpflanzung des Druckes nicht. Man kann sich überzeugen,
daß er die Stärke und Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Druckes
herabsetzt, wie das ja leicht verständlich ist (Reibung in den
vielen Kapillaren der Watte). Man wird einwenden, daß unter
den VerhältDissen des lebenden Menschen in der herzwärts ge-
legenen Jngularisstrecke ein negativer Druck herrscht, daß also
der durch den Schluckakt ausgeübte Druck spielend leicht seine
Wirkung herzwärts äußern wird, dagegen nicht durch den Throm-
bus hindurch, selbst wenn dieser noch so zart wäre. Dagegen
muß man aber bedenken, daß der in Frage stehende Druck, der
an sich kein geringer ist, seinen Angriffspunkt wenige Zentimeter
von der Stelle der Beobachtung (am Sinus) hat, und daß unter
gewissen Verhältnissen (Exspirationsphase und Vorhofsystole) in
der Jugularis ein geringer positiver Druck vorhanden ist. und
in der Tat, wenn man den Widerstand in der Strecke d c auf
ein Minimum herabsetzt dadurch, daß man den Gummischlauch
bei c einfach unterbricht, auch dann gibt y noch einen deutlichen
Ausschlag, wenn ein Druck innerhalb cde appliziert wird. Am
1) Dieser Versuch gelingt in gleicher Weise, wenn auch der Watte-
pfropf 1 — 2 cm lang ist.
182
XV. SACHS, Zar Diagnostik der Sinusthrombose.
Lebenden könnte man, um die Wirkung des negativen Drucks
in der Jugularis auszusehalten, diese am Halse mit dem Finger
komprimieren.
Wenn man annimmt, daß zwischen den Maschen eines
frischen, zarten, nicht ausgedehnten Thrombus eine gewisse Menge
Flüssigkeit, Blutplasma, vorhanden ist, wie zwischen den Fasern
des Wattepfropfs, so wird es nicht unmöglich sein, daß der Drnok
des Schluckakts sich durch die kontinuierliche Flfissigkeitssänle
fortpflanzt. Trotzdem möchte ich auf Grund des Experiments
und der theoretischen Überlegungen allein diese Möglichkeit
niclxt behaupten. Es wird vielmehr Sache der klinischen nnd
pathologiseh*an atomischen Untersuchung sein festzustellen:
1. Ob das Schluckphänomen am gesunden Sinus
so konstant ist, daß man aus seiner Abwesenheit auf
Thrombosierung schließen darf.
2. Ob es auch bei Vorhandensein eines zarten,
wenig umfangreichen obturierenden Thrombus posi-
tiv ausfällt.
Wenn sich nur Nr. 1 bestätigt, so wird das Schluckphäno-
men als wertvolles diagnostisches Mittel der Sinusthrombose ver-
wertet werden dürfen.
XVI.
Aus dem pathologisch-anatomischea Institnt (Vorstand: Hofrat
Professor Weiohselbaum) in Wien.
Zur Pathologie und pathologischen Anatomie der
kongenitalen Tanbheit.
Von
Privatdozent Dr. O. Alexander,
Assistent der Univeisitäts-OhrenkUnik (Yozstand Hofrat Professor Politzer) in Wien.
(Mit 2 Abb. im Text und Taf. III— VIII.)
Die Kenntnis der Anatomie der angeborenen Taubheit hat
in neuerer Zeit duroh eingehende, histologische Untersuchungen
eine wesentliche Bereicherung erfahren. Hier sind die Arbeiten
von Politzer, Scheibe, Siebenmann und Oppikofer zu
nennen, die sich sämtlich auf menschliches Material beziehen.
Nicht minder wichtig hat sich die Untersuchung von Tieren mit
angeborenen Labyrinthanomalien erwiesen (taube Katzen [Ale-
xander]), Tanzmäuse (Alexander und Kreidl), wobei man
imstande ist, lebensfrische Objekte in größerer Zahl zu ver-
arbeiten und deren Befunde mit denjenigen von Menschen in volle
Analogie gebracht werden können. Wie sehr wir durch diesen
Umstand bei der anatomischen Untersuchung menschlichen Ma-
teriales gefordert werden, ist aus der kürzlich erschienenen
Arbeit von Oppikofer ersichtlich und geht auch aus meiner
folgenden Mitteilung hervor.
Die Krankengeschichte des Falles, f&r deren Überlassung ich
Herrn Primararzt Frank bestens danke, und eine Anfrage, die
ich an die Heimatsbehörde des Patienten gerichtet habe, ergaben
folgende Daten : Franz P. , 35 Jahre alt , geboren in Eichberg,
N.-Ö. Vor seinem Aufenthalte in Wien lebte Patient bis 1899 als
Insasse des Armenhauses zu Weitra. Psychisch galt er als
normal, war jedoch in seinem Heimatsort als verschlossener, ein-
sam lebender Mensch bekannt.
184 XYI. ALEXANDER
Die Aufnahme des Patienten in das k. k. allgemeine Kranken-
haas in Wien erfolgte am 20. April 1901 (Protokollnnmmer 54,
Jonrnalnnmmer 9701).
Anamnese: Patient ist seit frühester Kindheit tanbstnmm,
anscheinend etwas imbezill. Vor einem Jahre stürzte er bei einer
Banarbeit ans einer Höhe von mehreren Metern und soll anf das
Perinaeum aufgefallen sein. Es ergab sieh keine äußere Yer-
letzungy wohl aber floßBlnt duroh die Urethra ab. Seit einigen
Monaten bestehen Urinbeschwerden und Fieberersoheinungen,
welche den Patienten veranlaßten, das Spital aufzusuchen.
Status praesens und Verlauf: Die Untersuchung des
Urogenitalsystems ergibt, 19 cm vom Orificium urethrae externnm
entfernt, eine impermeable Striktur der Urethra und eine schwere
Cystopyelonephritis. Septikämie, wiederholt Schüttelfröste, inter-
mittierendes Fieber. Unter den Erscheinungen der Septikämie
(Schüttelfröste, Fieberbewegung von 36,3 — 40,2 0) erfolgte am
8. Mai 1901 Exitus letalis.
Sektion (Dr. Stoerk): Cystopyelonephritis, hochgradige
Striktur innerhalb des prostatischen Teiles der Urethra, nnß-
großer alter Abszeß der unteren Seite der Prostata oberhalb der
Striktur, leichtes Atherom der Aorta thoracica mit Geschwürchen
und multiplen Auflagerungen, multiple Infarkte der Milz; die
stenosierte Stelle der Urethra fUr eine dünne Sonde durchgängig,
davon fächerförmig in den Schwellkörper ausstrahlende Narbenzflge.
In den inneren Organen keine nachweisbaren Mißbildungen. —
Die makroskopische Sektion beider Schläfenbeine ergibt:
Rechtes Ohr: Im Gehörgang wenig Gemmen, erhaltener
Teil der Tube unverändert, Dura normal, mit dem Knochen ziem-
lich fest verbunden, im Aquaeductus vestibuli fehlt die knöcherne
Deckplatte, so daß dieser Kanal mit weiter, geräumiger Öffnung
an der Hinterfläche des Felsenbeins endet; infolgedessen zeigt
sich auch der Saccus endolymphaticus stark erweitert. Pauken-
höhle und Paukenhöhleninhalt vollkommen normal. Der Steig-
bügel zeigt an seinem hinteren Schenkel zwei sehmale, zarte
Ligamente. In der Gegend der Fenestra Cochleae keine siebt-
baren Veränderungen, die knöcherige Decke des Nervus facialis
in der Regio fenestrae vestibuli sehr zart, der Nerv duroh sie
hindurchscheinend. Trommelfell auffallend oval, mit Verlänge-
rung der Hammergriffachse, wodurch das Trommelfell einiger-
Zur Pathologie und patholog. Anatomie der kongenitalen Taubheit. 18Ö
maßen dem mancher Sänger (besonders Wiederkäuer) ähnlieh wird«
Das Trommelfell mißt in seinem Hammergriffdarohmesser 11 mm«
Im übrigen sind Trommelfell, Trommelhöhle nnd Trommelhöhlen-
inhalt vollkommen normal. Keine krankhaften Veränderungen
an der Carotis und den regionären Blutleitern, Sinus transversus
weit, der Bulbus venae jugularis von mittlerer Höhe, beide ent-
halten dunkelrote, die Carotis gelblichweiße Gerinnsel. Die Cor-
ticalis des Warzenfortsatzes dick, sein Inneres diploetisch-pneu-
matisch, die Schleimhaut unverändert. Der obere Schenkel des
hinteren, knöchernen Bogenganges wie beim Kinde vorspringend
und nicht von Knochen gedeckt
Linkes Ohr: Gehörgang wie rechts, die Apertura externa
aquaeductusvestibttli über hanf korngroß, grubig vertieft, der Aquae-
ductus an der Mündungsregion erweitert (Taf. III/IV, Fig. 1, Aae),
Dura und Saccus endolymphaticus wie rechts. Die linke Pauken-
höhle und das linke Antrum sind von dickem, fadenziehenden, nicht
fotiden Eiter erfQilt. Trommelfell verdickt, während die Schleim-
hautfläohe aufgelockert ist, keine Perforation, Paukenhöhlen-
inhalt und Tube gestaltlich normal, die Schleimhaut injiziert.
An der medialen Seite wird der Eiter bis zum sichtbaren Steig-
bügelköpfchen abgetupft, der Steigbügel selbst fast unbeweglich,
die regionären Blutgefäße wie rechts, Corticalis des Warzenfort-
satzes wie rechts. Inneres pneumatisch, einige Zellen enthalten
Eiter, der vollkommen mit dem in:der Paukenhöhle gefundenen
Eiter übereinstimmt. Gestalt und Größe des] Trommelfelles wie
rechts.
Beide Schläfenbeine werden in der üblichen Weise in den
Felsenteil und den lateralen Abschnitt zerlegt und nach Eröffnung
des oberen Bogenganges und des vorderen Schneckenkontures
auf Stecknadelkopfgröße (mit der Feile) in Müller- Formalin
(10:1) 10 Stunden post mortem eingelegt.
Untersuchungsmethode: Nach 48 Stunden wurden die
eingelegten Stücke in steigendem Alkohol nachgehärtet und nach
dem Vorschlage von Seh äff er in Celloidin eingebettet. Erst die
in Celloidin eingebetteten Stücke wurden entkalkt.
Da durch die Einbettungsmasse die hä^utigen Teile
vor artefizieller Verlagerung und Zerreißung ge-
schützt sind, konnte ohne Schaden für die histolo-
gische Struktur lOproz. Salpetersäure als Entkalkungs-
flüssigkeit verwendet werden. Die Entkalkung war nach
10 Tagen vollendet, sodann folgte Waschen in fließendem Wasser
Archiv f. Ohrenheilkunde. LXI. Bd. 13
186 XYL ALEXANDER
durch 24 Stunden und Naohhärtnng in 80 Proz. Alkohol (bis znr
Schnittf&higkeit).
Beide Felsenbeine wurden in vollkommene Schnittserien zer-
legt (Schnittdieke 15 — 20/u). Die Hauptserie wurde mit Häm-
alaun-Eosin, jeder achte und neunte Schnitt nach van Gieson
bezw. Weigert-Kulschitzky gefftrbt
Mikroskopischer Befund:
Rechte Seite.
A. Pars superior. Bogengänge, Ampullen und ütricnlus
vollkommen normal gestaltet. Das Epithel der Macula utriculi
an manchen Stellen niedriger als sonst, an anderen aufTallend
dichte Anordnung der Stützzellen mit Verringerung der Zahl der
Haarzelleu in derselben Region. Die Cristae ampullares und die
Gupulae verhalten sich histologisch vollkommen normal. Alle vier
Nervenendstellen etwas kleiner als in der Norm.
B. Pars inferior. Sacculus und Ductus reuniens sind nor-
mal geformt. Die Macula sacculi, besonders in der Richtung der
Längsachse des Sacculus verkleinert, das Maculaepithel selbst
niedriger als in der Norm. Statolithenmembran und Statholithen
wie an der Macula utriculi vorhanden. Die freie Sacculuswand
zeigt sich durch Verdichtung der subepithelialen, perilymphati-
schen Gewebsschichte verdickt, die strukturlose subepitheliale
Zone überall fehlend, nirgends Faltenbildungen im Epithel.
Der Vor ho fs blindsack gibt ovalen Querschnitt. Er ruht,
wie Sacculus und Ductus reuniens, auf dem breiten Bindegewebs-
polster, durch welches sich das Ligamentum spirale des Sehneoken-
kanales in den Vorhof fortsetzt. Seine periphere, freie Wand ist
gegenüber der Norm verdickt, und zwar, wie die Sacculuswand,
durch Dickenzunahme der subepithelialen, perilymphatischen
Schicht. An seiner basalen Wand findet sieh die Stria vascularis
bis in den Grund des Blindsackes fortgesetzt. Sie ist patholo-
gisch derart verändert, daß sie stellenweise schmäler ist als sonst,
stellenweise dagegen im Querschnitte hügelformige, im ganzen also
leistenartig in das Lumen vorragende Verdickungen aufweist,
welche eingelagerten Blutgefäßen entsprechen. Diese Blutgefäße
sind an einzelnen Regionen wegsam, an anderen obliteriert. In
denjenigen Regionen, in welchen die Stria atrophisch ist, fehlen
die Blutgefäße vollkommen, und die Stria ist daselbst aus zwei
Schichten, aus einer am Lumenrand gelegenen epithelialen und
einer darunter gelegenen bindegewebigen Zone aufgebaut. Das Epi-
Zur Pathologie und patholog. Anatomie der kongenitalen Taubheit. 187
thel färbt sich hier mit Protoplasmafarben stärker als das Binde-*
gewebe. Und so können an manchen Siellen die Zellkörper des
Epithels weit in den bindegewebigen Teil verfolgt werden, und
damit wird in dieser pathologisch veränderten Stria vasoularis
das Epithel den dentritisch verzweigten Epithelzellen des Snlcns
spiralis externns ähnlich, welche, wie Ret z ins an Silberpräpa-
raten, nnd ich selbst bei geeigneter Schnittrichtnng an gewöhn-
lichen Hämalann - Eosinpräparaten (am Meerschwein, Katze nnd
in einigen Fällen anch beim Menschen) nachweisen konnte, weit
verzweigte Protoplasmafortsätze in das Ligamentum spirale ent-
senden« Dnrch diese Fortsätze wird eine innige Verschmelzung
des epithelialen Teiles der äußeren Schneckenkanalwand mit dem
bindegewebigen Teil hervorgerufen.
Vorhofsabschnitt des Schneckenkanales: Die Blut-
gefäße am Promontorium stark entwickelt, häutiger Kanal in seiner
Gestalt normal (Taf. III/IV, Fig. 2, Pvdc), Membrana vestibularis
vollkommen intakt, geradlinig den Kanal abschließend, die La-
mina propria der Basilarmembran verdickt, deutlich radiär ge-
streift, tympanale Belegschicht vorhanden, Grista spiralis breit
und flach. Die kernlose Zone der Crista fehlt fast vollständig
(Taf. III/IV, Fig. 2, Csp), dagegen ist die fibröse unterste Lage stark
entwickelt, auf welche in diesem Falle unmittelbar das Epithel
folgt Die Basen der Epithelzellen gehen dabei unter vollstän-
digem Verstreichen der Epithelzellgrenzen kontinuierlich in das
Bindegewebslager über. Die Cortische Membran reicht bis in
den axialen Winkel des Ductus cochlearis, ist jedoch klein und
besonders in ihrem peripheren, freien Teile atrophisch (Taf. III/IV,
Fig. 2, Mc). Sie endet mit scharfem, peripheren Bande, der zu-
meist gegen den Sulcus spiralis internus herabgesunken ist; im
Querschnitte lassen sich an der Membran außerdem knötchen-
förmige, protoplasmatische Verdickungen nachweisen, die halb-
kugelig oder keulenförmig über den Kontur der Membran vor-
springen. Die Membran zeigt die gewöhnliche Streifung.
Das Ligamentum spirale ergibt normale Qnerschnittsform und
fast vollständig normalen Bau (Taf. III/IV, Fig. 2, Lsp), nur an man-
chen Stellen sind helle, homogene Felder sichtbar, in welchen
die Zellen offenbar zugrunde gegangen und die Grundsubstanz
(hy dropische Degeneration?) verflüssigt ist. Der Sulcus spiralis
externus, die Prominentia spiralis mit dem Vas prominens fehlen
(Taf. III/IV, Fig. 2, Lsp). Die Stria vascularis zeigt sich nur unge-
fähr in ihrem mittleren Drittel erhalten darüber und darunter ist
13*
188 XVI. ALEXANDER
fiie gesohwnnden und dafür ein einfaches plattes bis kubisches
Epithel eingetreten. Anch im erhaltenen Teile ist die Stria
niedriger als sonst, blntgefllßarm, stellenweise blntgefftßleer.
Die Papilla basilaris fehlt vollständig. Es sind weder Haar-
noeb Pfeilerzellen, noch die Stfitzzellen an der axialen und peri-
pheren Seite der Papille vorhanden, und die Membrana basilaris
ist somit an ihrer endolymphatischen Seite entweder frei oder von
einem einfachen Plattenepithel mit äußerst spärlichen Kernen be-
deckt (Taf. III/I V, Fig. 2, a). Sowohl im endo- als perilymphatischen
Teile sind geringe, frische Blutungen nachweisbar. Am Über-
gänge des Vorho&abschnittes in die erste Windung geht die Stria
vollkommen verloren und ist dann am ganzen Querschnitte durch
ein einfaches Plattenepithel ersetzt, dagegen tritt an derselben
Stelle der Sulcus spiralis externus auf Dieser letztere erscheint
sodann, wie die ganze Breite der Lamina spiralis und der Sulcus
spiralis internus, von einem kernarmen Plattenepithel bekleidet.
Im Ligamentum spirale ergaben sich am Übergänge des Vorhofs-
abschnittes in die erste Windung große präformierte, von einem
Endothel bekleidete Räume, die sich als Schrägschnitte eines Ge-
fäßgeflechtes darstellen, keinen färbbaren Inhalt besitzen und als
Lymphgefäße gedeutet werden mttssen.
Basalwindung: Membrana vestibularis histologisch und
topographisch unverändert, stellenweise verdickt (Taf. V/VI, Fig. 12,
Mv), Membrana basilaris normal, tympanale Belegschicht stark
entwickelt, Crista spiralis wie im Vorhofsabschnitte (Taf. V/VI,
Fig. 12, Csp), Membrana Corti atrophisch, doch überall vorhan-
den (Taf. III/IV, Fig. 6). Das Ligamentum spirale zeigt die charak-
teristische Gestalt mit deutlich vorhandener Prominentia spiralis
und zumeist erhaltenem Vas prominens (Taf. V/VI, Figg. 8, 9). Das
Vas spirale fehlt. Das Ligamentum spirale ist faser- und zellarm
(Taf. V/VI, Fig. 17, Lsp), an vielen Stellen ist das Ligamentum
vollkommen verflüssigt, und nur entsprechend dem äußeren Kontur
der Stria zeigt das Bindegewebe des Ligaments an einzelnen
Stellen substanzielle Verdickung. Die Stria vasoularis ist in
schmaler Zone als geftßfbhrender Streifen erhalten, sonst voll-
kommen zugrunde gegangen und durch ein kubisches (Taf. V/VI,
Fig. 8, ai ) bis plattes Epithel ersetzt, auf welches nach außen eine
schmale, dichte Bindegewebszone folgt. An manchen Stellen sieht
man sowohl an den atrophischen als an den normalen Partien
kleine, zystenähnliche Bläschen (Taf. V/VI, Fig. 9, 10, 11), die
gegen das endolymphatische Lumen von einem Plattenepithel,
Zur Pathologie und pathblog. Anatomie ier kongenitalen Taubheit 189
das deutliche Kerne zeigt, begrenzt sind und peripberiewärts in
das Gewebe der Stria oder das Ligamentum spirale vorragen.
Die Bläschen führen einen, mit Hämalann gefilrbten, zumeist
homogenen Inhalt. An manchen Stellen läßt der Inhalt zarte
Streifen erkennen, an anderen endlich enthält er kernähnliche
Elemente (Taf. V/VI, Fig. 10, Cy), die frei in den homogenen
Inhalt eingetragen sind. Die Papilla basilaris ist der Form nach
znoächst überall deutlich sichtbar, sie besteht aus einem Zell-
htigel von vollkommen charakteristischer Gestalt, in welchem je-
doch nur hier und da Zellteile ,'zu finden sind, die als Abschnitte
oder Beste der Pfeiler (Taft V/VI, Fig. 15, a) oder Phalangenzellen
gedeutet werden können (Taf. V/VI, Fig. 9, Pb). Haarzellen sind
nirgends vorhanden. Mit der Mitte der Papille steht die C ort i-
sche Membran zumeist in kontinuierlichem Zusammenhange
(Taf. V/VI, Fig. 17, Pb, Mo), ohne daß aber Haarfortsätze hier
unterschieden werden können. Es ist nicht ausgeschlossen, daß
es sich hierin einfach um eine protoplasmatische Verklebung
der Lamina reticularis und der Unterfläohe der Gortischen
Membran handelt. Axial- und peripberiewärts schließt sich an
den geschilderten Zellhtigel das Epithel an, welches den Sulcus
spiralis externus und internus auskleidet (Taf. V/VI, Fig. 17, Sspi,
Sspe). Dabei ist vor allem auffallende Plattheit der Zellen des
Sulcus spiralis internus zu bemerken (Taf. V/VI, Fig. 17, Sspe).
Die peripheren Zellgruppen sind alle vorhanden (Claudius-,
Böttchersehe Zellen), ebenso das Epithel des Sulcus spiralis
externus. Der Hügel, der am Radialschnitte der Hen senschen
Zellgruppe entspricht, ist vorhanden, der Hensensche Bogen da-
gegen von Zellen ausgefällt, von welchen sich nicht sicher sagen
läßt, ob sie Epithel- oder Bindegewebszellen darstellen (Taf. V/VI,
Fig. 16, 17, H). Jedenfalls aber ergibt sich, daß der Raum zwi-
schen den Haarzellen und der Hensensche Raum vollkommen
von Zellen erfüllt ist, und nur hier und da der Pfeilerraum noch
Wegsamkeit zeigt (Taf. V/VI, Fig. 15, a,b).
An manchen Stellen ist die Cor tische Membran atrophisch,
geschrumpft, zumeist im Sulcus spiralis internus gelegen. Im
Sulcus spiralis externus und an der axialen Abdachung der
Papille zeigen die Epithelzellen auffallend starke Kern- und
Protoplasmafilrbung (Taf. V/VI, Fig. 17, H, Sspe). An einzelnen
Stellen fehlt die Stria vollkommen bei starker Entwicklung der
schon oben erwähnten zystenähnlichen Blasen, so daß es scheint
als ob diese letzteren dem Untergange des Striage-
190 XVI. ALEXANDER
webes ihre Eatstehung verdanken, da sie besonders an
denjenigen Stellen zu finden sind, an welehen zum mindesten
ein Teil der Stria vasenlosa fehlt (Taf. V/VI, Fig. 9, Cy, Str). Es
finden sieh dann Bilder, in welchen einzelne Blutgefäße, in Binde-
gewebe eingebettet, unter den Zysten gelegen sind.
Der besohriebene Bau entsprioht ungefähr dem mittleren
Drittel der Windungen. Gegen den Vorhof verstreicht die Papille
und ergibt sieh allmählich der Quersehnitt der vollkommen atro-
phierten Nervenendstelle (Taf. V/VI, Fig. 8) bei totalem Defekte
der regionären Nervenfasern und des Ganglion spirale, aber anch
nach aufwärts gegen das Ende der ersten Windung stellt sich
völliger Defekt der Papille her, und einfaches Plattenepithel be-
kleidet die Membrana basilaris und die beiden Sulei spirales an
ihrem endolymphatischen Kontur. In diesen Begionen fehlt die
Stria vollständig und wird durch ein einfaches kubisches Epithel
ersetzt (Taf. V/VI, Fig. 8, a, ai), unter welchem das Bindegewebe
des Ligamentum spirale in unmittelbarer Nachbarschaft häufig
dichter angeordnet ist als sonst. Blutgefäße sind nur spärlich vor-
handen.
Die Membrana vestibularis ist im axialen Teile dicker als
im peripheren durch Zunahme des Epithels bis auf Eubushöhe.
Geringe frische Blutungen im peri- und endolymphatischen Banme.
Das Ligamentum spirale ist nach oben und unten ausgedehnt,
so daß die Scalae in ihren peripheren Teilen von einer breiteren
Bindegewebszone (entsprechend einer breiteren endostalen peri-
lymphatischen Schichte), ausgekleidet sind als sonst (Tafel V/VI,
Fig. 9, b).
Mittelwindung. Schon nach Übergang der basalen in
die Mittelwindung wird der häutige Kanal am Querschnitte immer
niedriger (Taf V/VI, Fig. 1 7), und nimmt mehr Spaltform an,
die er besonders im oberen Teil der zweiten Windung vollkommen
erreicht (Taf. III/IV, Fig. 6, Dc2). Hieraus folgt vor allem eine
Verkleinerung in den höher gelegenen Stellen der Windung, durch
Auftreten der sekundären Verlötnngen der endolymphatischen
Wände untereinander eine Parzellierung und teilweise Verödung
der endolymphatischen Lumina (Taf. VII/VIII, Figg. 19, 2l,De2).
Die Membrana basilaris ist auffallend dünn und zart
(Taf. VII/VIII, Fig. 21, Mb), die Membrana vestibularis histologisch
unverändert (Faf. VII/VIII, Fig. 19, 21, Mv). An der peripheren
Wand sind fast nur die Wandteile des Ligamentum spirale stehen
geblieben, während das Innere fast vollständig verflüssigt und
Zur Pathologie und patholog. Anatomie der kongenitalen Taubheit. 191
nur von vereinzelten Bindegewebssepten durchzogen ist nnd
keinen sonstigen färbbaren Inhalt erkennen läßt (Taf. YII/VIII,
Fig. 18, Do2, Lsp). Die Stria ist an vielen Stellen vollkommen
zugrunde gegangen und durch ein plattes bis kubisches Epithel
ersetzt, an das sieh nach außen eine scharf konturierte, schmale,
dichte Bindegewebszone anschließt (Taf. VII/VIII, Fig. 18, Stv).
In diesen Regionen fehlen die Blutgefäße, aber auch an den
Stellen, an welchen die Stria noch in funktionsfähiger Gestalt
erhalten ist, zeigt sich ein abnormer Bau: Vor allem bedeu-
tende Blutgefäßarmut, und hier und da die schon in der ersten
Windung gefundenen zystischen Räume. Die Wand dieser Zysten
wird von platten, gedehnten Epithelzellen gebildet, der Inhalt ist
blaurot gefärbt, stellenweise homogen, sonst mit Einlagerungen,
die am ehesten gequollenen Kernen, also Zellresten entsprechen,
vergehen. Allem Anscheine nach handelt es sich um hydropische
oder hyaline Degeneration der Stria vascularis, an einzelnen
Stellen ist die Inhaltsmasse fast homogen, so daß in ihr nur eine
Andeutung von Kernen vorhanden ist, und schon die Kugelform
der einzelnen Gebilde und der Umstand, daß die oberste Epithel-
sehieht stark abgeplattet ist, deutet auf eine degenerative Volum-
zunahme dieses Abschnittes. An anderen Zellen findet sich ein
solider, halbkugelig in das endolymphatische Lumen vorspringen-
der Zellhügel (Taf. VII/VIII, Fig. 18, a).
An einer umschriebenen Stelle fand ich die gleichfalls zu-
grunde gegangene Stria durch ein einschichtiges Epithel er-
setzt, das vereinzelte Blutgefäße zwischen sich faßt (Taf. V/VI,
Fig. 17, a).
Die Papilla basilaris ist zumeist in normaler Qnerschnittsform
vorhanden (Taf. VII/VIII, Fig. 18, 19, 21, Pb), doch überwiegen
bei weitem die Stützelemente über die Sinneszellen. An ein-
zelnen Stellen hat sich das Epithel des Sulcus spiralis internus
verdoppelt, so daß an der medialen Abdachung der Papille ein
Zellhügel entsteht, der mit dem Hensen sehen Hügel an der
lateralen Abdachung der Papille in Gestalt und Bau überein-
stimmt (Taf. VII/VIII, Fig. 21, Sspi, a). Hervorzuheben ist auch
die starke Zellfärbung der Stützzellen der Papille im Verhältnis
zur schwachen Tinktion der regionär vorhandenen Pfeilerreste
oder Reste der Haarzellen. Der Tunnelraum ist zumeist vor-
handen, die Tunnelfasern fehlen (Taf, VII/VIII, Fig. 21, Pb).
Die Membrana reticularis ist deutlich in Form eines stark
lichtbrechenden Streifens an der Papille sichtbar (Taf. VII/VIII,
192 XVL ALEXANDER
Fig. 21, Mr), die Böttoherschen und Glaudinssehen Zellen sind in
Form eines schönen kubischen Epithels, das innere Snlcnsepithel
als Plattenepithel vorhanden (Taf. VII/VIII, Fig. 21, B, Sspi). Die
Hensensehen Zellen zeigen sich an manchen Stellen stärker
tangiert als die Zellen der Umgebung (Taf, V/VI, Fig. 17, H;
Taf. VII/VIII, Fig. 21, H). Das Vas prominens fehlt überall, zu-
meist auch die Prominentia spiralis. Die Crista spiralis ist außer-
ordentlich niedrig, der kernlose Bezirk fehlt in ihr beinahe yoU-
»tändig (Taf. V/VI, Fig. 17, Csp). Zwischen ihrer oberen Fläche
und der Corti sehen Membran befindet sich eine mit Eosin tingierte,
stark lichtbrechende, homogene Schichte (Taf. VII/VIII, Fig. 21,
b), oder Sehollen von gleicher Beschaffenheit.
Die Corti sehe Membran selbst ist flach und zeigt ein oder
mehrere gegen die Basilarmembran gerichtete, leistenartige Er-
hebungen (Taf. V/VI, Fig. 17, Mc, Taf. VII/VIII, Fig. 18, Mc). Sie
steht mit der oberen Fläche der Papille in kontinuierlichem Zu-
sammenhange., an manchen Stellen scheinbar durch erhaltene
Haarfortsätze (Taf. VII/VIII, Fig. 21, c), an anderen durch
flächenförmige Verklebungen. Anscheinend protoplasmatische,
homogene Kugeln finden sich der Papillenoberfläche und der
Gor tischen Membran aufgelagert und hier und da auch in dem
stark verengten Sulcus spiralis internus.
Die Veränderungen, die sich im oberen Teile der Mittel-
windung finden, sind durch den fehlenden Abschluß des
knöchernen Schneckenrohres an der Seite der Scala
tympani gegen die Basalwindung charakterisiert
(Taf. III/IV, Fig. 6, Svi, St2). Ein ganz gleiches Verhalten findet
sich an der Spitzenwindung gegenüber der Mittelwindung.
Ahnlieh wie am Helicotrema verliert nämlich die
untere (basale) Wand des knöchernen Schnecken-
rohres ihre Haftlinie am Modiolus (Taf. III/IV, Fig. 6,
a, ai) und verstreicht mit einem axialwärts konkaven Bande
(Textfig. 1, a). Hierdurch gelangt zunächst die Scala tympani
wie am Helicotrema mit der Scala vestibuli in Zusammenhang,
und nach vollständigem Schwund des Septums ist die
Membrana basilaris der Mittelwindung direkt über
der Membrana vestibularis der Basalwindung gelegen.
(Tafel III/IV, Fig. 6, Sc).
Weiters schwindet im oberen Teile der Mittelwindung auch
das Knochengewebe in der Schneckenaxe, und die Spitzen-
windung stellt sich als einfacher Aufsatz der Mittelwindung dar,
Zur Pathologie und patholog. Anatomie der kongenitalen Taubheit 193
ans welehcir sie gleichsam ans der Fortsetzung der Vestibnlar-
membran herForgeht (Taf. VII/VIII, Fig. 22, a). Die regionären
Nervenzüge werden nur von perilymphatisehem Bindegewebe
umgeben (Taf. III/IV, Fig. 6, No, No);
Noeh komplizierter wird aber die Topik in Kappelteile
der Schnecke dadurch, daß nach aufwärts vom Defekt des knö-
ehernen Scalenseptnms in kurzer Strecke sich ein membranöses
Fig. 1. Axialer Yertikalschnitt durch die knöcherne Schnecke des Ta ab-
stammen: Defekt der Skalensepta von der Mitte der Basalwindung nach auf-
wärts. Partieller Defekt des Modiolus und der Lamina spiralis ossea des
Schneckenkörpers. Vergr. 20 : 1 lin. (S. auch Taf. III/IV, Fig, 6.)
Septum findet, das von der Vestibularmembran in Form einer
nach oben gerichteten Aussackung (Taf. VII/VIII, Fig. 18, a)
hervorgeht und topographisch (allerdings nicht bis an die Achse
heranreichend unter der Spitzenwindung einen einer Scala tympani
entsprechenden Spaltraum abgrenzt.
Aus diesen topischen Verhältnissen folgt, daß in
den axialen Abschnitten der Mittelwindung die Reiß-
lU XVI. ALEXANDER
nersobe Membrao beider Seiten keine axiale Inser-
tion b b t e 1 1 e b e i 1 1 1 (Taf.VII/VIII, Fi^. 22, Mr), sondern Biob sxial-
wfirte erbebt nnd einerseits in die Basilarmembran der Spitzen-
vindnng, andererseits in die Membrana vestibnlaris dieser Windnng
übergebt. Durch eine Etnsenknng an dieser letzteren ergibt sich
antlerdem eine blind gescblosseneKavität zwieoben der knöobemeo
Enppel nnd dem Endstack des häaügen Eaaales, die keine Eom-
Fig.!. Axialer VertikalaohnitC durah eins normale IcnUaherDe Scliaecke, ^nr
llluatration der io Tsitfigur I dargeatelUen, paChologüchen VeraDderiing«D.
Vetgr. 20 : 1 lin.
mnnikation mebr mit den Skalen besitzt nnd als ein allseits ge-
Bcblossener perilymphatiseber Blindsack aufgefaßt werden muß
(Tat VII/VIIl, Fig. 22, ee).
Das abnorme Verbalten der Veatibnlarmembran der Mittel-
winänng nnd das daraus resnltierende Sobnittbild wird aber außer-
dem dnroh die Form des peripberen Absobuittes des Dnotus oooh-
learis bedeutend verändert, da das Ligamentum Spirale fast gäaz-
Uob fehlt nnd der Scbaeokenkanal mit schmaler InsertiooBlinie
Zur Pathologie and patholog. Anatomie der kongenitalen Taubheit. 195
«ich an der peripheren Knochenwand anheftet (Taf. VIIVIII,
Fig:. 19, Lsp)» Das histologische Querschnittsbild im mittleren Teile
der zweiten Windung (Taf. VII/VIII, Fig. 19) ist danach folgendes:
Die Seala tympani ist spaltformig und kommuniziert weit mit der
Scala vestibnli der Basalwindnng. Das unvollkommene Septnm
besteht aus einer von der peripheren Enoehenwand entspringenden,
mit einem zarten Endost bekleideten Enoohenleiste (Taf. VII/VIII,
Fig. 19, c). Der häutige Kanal zeigt in radialer Richtung
mehr als normale Ausdehnung: in seinem peripheren
Teile spaltformig (Taf. VII/VIII, Fig. 19, b), erweitert er
sieh gegen die Achse hin (Tafel VII/VIII, Fig. 19, a). Wäh-
rend die Membrana vestibularis normalerweise axialwärts abdacht
und etwa bis zum Ende der Grista spiralis reicht, entspringt
sie hier hoch axial- und dacht peripheriewärts ab
(Taf. Vn/VIII, Fig. 19, Mv) , wo der Kanal mit aneinander ge-
lagerter Vestibulär- und Basalmembran endet (Taf. VII/VIII,
Fig. 16, b). Dieser spaltformige Teil des Ductus coohlearis ist
durch einen schmalen Bindegewebszug, der einem rudimentären
Ligamentum spirale entspricht (Taf. VII/VIII, Fig. 19, Lsp), an
die periphere Knöchenwand befestigt. Die Membrana vestibularis
selbst besteht aus einer doppelten Lage platter Zellen (Taf. VII/VIII,
Fig. 19, Mv).
Die Basilarmembran ist sehr dünn, trägt die normale tym-
panale Belegschicht und besitzt eine der Gestalt nach normale
Papille (Taf. VÜ/VIII, Fig. 19, Mb, Pb). Diese letztere zeigt hier
und da normale Pfeilei^paare, sonst atrophische oder defekte Pfeiler,
überall bedeutende Vermehrung der Stützzellen und vollkommenen
Schwund der Haarzellen. Die Stützzellen (Taf. VII/VIII, Figg. 19,
21, H), die im lateralen Teile der Papille fächerförmig ange-
ordnet sind (die Hensenschen Zellen), zeigen sich, wie in der
Basalwindung, gegenüber der Umgebung stark tingiert.
Nach diesen histologischen Verhältnissen ist es nicht über-
raschend, daß der Tunnelraum nur teilweise vorhanden und weg-
sam ist (Taf. Vll/Vm, Figg. 19, 21, T). Sonst ist er von Fasern
durchzogen, deren nervöse Natur nicht bestimmbar ist, oder gänz-
lich mit Stützzellen gefüllt. Der Nue Ische Raum (Taf. VII/VIII,
Figg. 19, 21, N) fehlt fast vollkommen; die Papille ist gegen
das endolymphatische Lumen linear begrenzt, die Haarfortsätze
fehlen, peripherwärts schließt sich an die Papille ein schönes,
einfach kubisches Epithel an (Taf. VII/VIII, Figg. 18, 19, 20,
21, B). Die anfänglich glatte Epithelwand zeigt sodann Falten
196 XYI. ALEXANDER
(Taf. Vll/Vm, Fig. 20, a), in welchen die Epithelhöhe his zu Zy-
linderform zunimmt. Unter diesem Epithel findet sieh faseriges
Bindegewehe als Rudiment der Stria vascularis und des Ring-
handes (Taf. VH/Vm, Fig. 20, Lsp, Stv). Vollkommen davon iso-
liert verläuft ein ziemlieh großes Blntgef&ß, das nach seiner
Lage dem Vas prominens entspricht (Taf. VII/VIII, Figg. 19, 20,
h). Das Vas spirale fehlt.
Axialwftrts schließt sich an die Papille ein den Snlous spi-
ralis internus auskleidendes Plattenepithel und die niedrige, aber
sonst normal geformte Crista spiralis an (Taf. VII/VIII, Fig. 16,
Sspi, Csp). Das Zylinderepithel in der letzteren geht in kubisches,
endlich in Plattenepithel über, Ifluft weit auf die Axialwand
(dem Modiolus) aufwärts und setzt sich kontinuierlich auf die
Membrana vestibularis fort (Taf VII/VIII, Fig. t9,f, Mb). Die
Membrana Corti steht mit der Papille in kontinuierlichem
Zusammenhange, ihre obere Fläche ist glatt, die untere läuft
stellenweise in mehrere Leisten aus (Taf. VE/VIII, Figg. 19, 21,
Mc). Die obere Fläche der Membrana Corti ist mit der Mem-
brana vestibularis, die ihr fast vollkommen anliegt, verlotet, and
auch im übrigen der schmale endolymphatische Raum, mit Aus-
nahme des axialen Abschnittes, von feinen Bindegewebsfäserehen
durchzogen. Sonst enthält der endolymphatische Raum größten-
teils äußerst zarte, eosinrote Gerinnsel. Vollkommen frei ist nur
der gänzlich abgeschlossene Spalt, der von Cortischer Membran,
Papille, Membrana basilaris und Sulcus spiralis internus begrenzt
wird.
In diesem Teil* der Schnecke fehlt die Lamina spiralis
ossea vollständig (s. o.), die atrophisch verdünnten Nervenbündel
werden durch Bindegewebszüge bis an den häutigen Kanal ge-
leitet (Taf. m/IV, Fig. 6, Nc, Nc).
Spitzenwindung. Die bedeutendsten Veränderungen sind
hier in der Gestalt der Schnecke und zwar sowohl der Kapsel
als auch des membranösen Abschnittes zu finden. Die knöcherne
Zwischenwand zwischen Mittel- und Spitzenwindung fehlt voll-
ständig, etwa derart, wie sie schon zwischen dem oberen Teile
der Basal- und der Mittelwindnng defekt ist, und die Scala
vestibuli der Mittelwindung repräsentiert zugleich die Scala
tympani der Spitze (Taf. III/IV, Fig. 6, Sc). An der peripheren
Wand ist eine Begrenzung der Spitze nur insofern angedeutet,
als eine schmale Knochenleiste (Taf. III/IV, Fig. 6, o, o) an der
Insertionsstelle des häutigen Kanals im Bereiche des ganz
Zar Pathologie und patholog. Anatomie der kongenitalen Taubheit. 197
schmalen, atrophisehen Ligamentnm spirale (Taf. III/IV, Fig. 6,
Lsp) erhalten [ist. Von einer Seala vestibnli kann an der Spitzen-
windnng selbst nicht gnt gesprochen werden, denn hier findet
sieh ein perilymphatiseher Abschnitt nur soweit, als die Mem*
brana vestibularis der Spitzenwindung in ihrem axialen Teile, in
welohem sie wie im übrigen Aber die Mitte hinwegzieht, nicht
dem Knochen anliegt, sondern einen allseits geschlossenen
(Tai. VII/VIII, Fig. 22, cc) Spaltraum zwischen sich und der
knöchernen Kuppel freiläßt, der infolge umschriebener Anheftnng
derVestibularmembran an der Schneokenkuppel (Taf. III/IV^ Fig. 6,
Mvy ce) im Schnitt zweigeteilt ist.
Auch die knöchernen axialen Teile sind völlig abnorm. Schon
in der Höhe der Basalwindung ist nämlich das Knochengewebe
der Axe geschwunden (Textfig. l, M, vergl. die normale Schnecken-
kapsel Textfig. 2). Ein großer zentraler Hohlraum beherbergt fast
das ganze Ganglion spirale in Form eines konsolidierten kugeligen
Ganglienlagers (Taf. III/IV, Fig. 6, Gc) , das von hier aus den
ganzen Schneckenkörper versorgt und etwa als Ganglion cen-
trale zu bezeichnen wäre. Der Ganglienapparat des Vorhofs-
teiles der Schnecke zeigt die normale Lage (Taf. III/IV, Fig. 6,
Gc, Gcv) und ist, wie es auch häufig am Normalen zu finden ist,
von dem übrigen Ganglienapparat anatomisch isoliert.. So kommt
es, daß die Schneckenaxe von der Höhe der Basal-
windung bis an die Spitze lediglich von Weichteilen
beigestellt wird. Und auch diese erstrecken sich
nur durch die Höhe der Mittelwindung, während an
der letzten Windung ein Modiolus, somit auch die
Lamina modioli, Hamulus und Helicotrema fehlen. Der
Knochendefekt ist besonders gut in Abbildung Textfig. 1 zu
«eben, in welcher entsprechend der Fig. 6 der Taf. IH/IV nur
die knöchernen Teile gezeichnet, die Weichteile dagegen voll-
kommen weggelassen worden sind. Es ergibt sich danach,
daß in unserem Fall bei erhaltener äußerer Form der
Sehnecke ein axialer Knochenabschnitt nur an der
Sehneckenbasis vorhanden ist. DerCanalis spiralis
fehlt, wie auch die spirale Anordnung des Schnecken-
ganglion vermißt wird. Von dem oben erwähnten Ganglion-
lager erstrecken sich in langem Zuge die Nervenfasern nach auf-
wärts in die Mittelwindung, bezw. bis in die Spitze und sind
auf diesem abnorm langen Wege nur von Bindegewebe einge-
scheidet, nachdem mit der knöchernen Schneckenachse auch die
198 XVI. ALEXANDER
knöcherne Spirallamelle fehlt (Taf. m/IV, Fig. 6). Die mem-
branöse Spitzenwindnng selbst zeigt die Form eines ovoiden
Saekes (Taf. m/IV, Fig. 6, Dcc), der den ihm zur Verfügung
stehenden knöchernen Raum axioperipherwärts vollkommen er-
füllt und nur nach aufwärts einen blind geschlossenen, perilym-
phatisohen Hohlraum freilaßt (Taf. m/IV, Fig. 6, oc; Taf. VIIVEI-
Fig. 22, ce). Dieses Endstück des häutigen Eanales repräsentiert,
sich als Aufsatz der Mittelwindung derart, daß die Basalmembran
der Spitzen Windung aus der Fortsetzung der Reißnerschen
Membran der Mittelwindung hervorgeht. Durch Bindegewebs-
platten erhält dabei die Basalwand die nötige Fixation, und
zwischen diesen Bindegew ebsplatten erstrecken sich auch die
^Nervenfasern von dem weit abgelegenea Schneokenganglion bis
an den häutigen Kanal der Spitze.
Die Cristae spirales des oberen Teiles der Mittelwindung und
der Spitze sind axial miteinander verschmolzen, und auch die
Membrana vestibularis erstreckt sich frei über die Mitte ohne
axiale Insertionsstelle (Taf. III/IV, Fig. 6, Gsp). Das Liga-
mentum Spirale zeigt die gleichen Veränderungen wie in der
Mittelwindung und ist vollkommen gefäßlos. Die Membrana basi-
laris ist dicker als in der Norm, und das Cortische Organ
(Taf. Vn/VIII, Fig. 22, Pbo,a) selbst besteht in der nächsten Nähe
des oberen Endes der Mittelwindung aus einer normal geformten
Papille mit defekten Haar- oder defekten Haar- und Pfeilerzellen.
Höher oben stellt sich die Papille als hochzylindrischer Stützzell-
streifen dar (Taf. VH/VIII, Fig. 23, Pbo), in welchem die
Anordung der Zellen vollkommen an den embryonalen Zustand
eines Stadiums erinnert, in dem aus der einheitlichen Neuro-
epithelanlage die Haar- und Pfeilerzellen noch nicht zur Differen-
zierung gelangt sind. Die Gor tische Membran erstreckt sich in
Form eines schmalen, dünnen Blattes über das Nervenepithel
hinweg und ist mit ihm durch feine Fäserchen verbunden
(Taf. Vn/Vm, Fig. 23, Mc). Stellenweise erhält bei völligem
Mangel an Haar- und Pfeilerzellen die Papille der Spitzen-
windung den Gharakter der Papille der Vogelschnecke: indem
sich hier aus der Neuroepithelstelle eine halbkugelige, nur aus
Epithelzellen bestehende Erhabenheit entwickelt (Taf. Vü/VIII,
Fig. 22, a), an der sich die G ort i sehe Membran inseriert. Die
Stria vascularis fehlt überall vollständig, ist durch ein kubisches
oder plattes Epithel ersetzt, nur an einer einzigen Stelle findet
sich an der Stria selbst ein halbkugeliger, in das endolympha-
Zur Pathologie und patholog. Anatomie der kongenitalen Taubheit. 199
tische Lumen vorspringender Zellknänel, der größtenteils aus
Rnndzellen aufgebaut erscheint.
Im oberen Teile des sackartigen Aufsatzes, dem normalen
Kuppelblindsaoke entsprechend , verstreicht die Basilarpapille
und der häutige Kanal wird in dieser Region lediglich durch ein
Plattenepithel dargestellt, das durch zartes Bindegewebe an die
Umgebung geheftet ist. Lateral vom Kanal zwischen Knochen
und häutiger Wand entsteht hierdurch ein gegen die Umgebung
geschlossenes Maschenwerk. Zwischen Yestibularmembran und
oberer Knochen wand ist noch am blinden Ende des Kanales ein,
einem Skalenrudiment entsprechendes, allseits geschlossenes Spa*
tium nachweisbar, während ja normalerweise der Kuppelblind-
sack den zur Verfügung stehenden knöchernen Hohlraum voll-
ständig füllt (s. 0. und Taf. III/IV, Fig. 6, cc, Taf. Vll/Vm,
Fig. 22,'^ce).
Linke Seite.
A. Pars superior. Gestalt der Bogengänge normal, das
Epithel hier äußerst flach mit breiter, homogener subepitbelialer
Zone; spärliches perilymphatisches Gewebe, die Ampullen ge-
staltlich normal, an der Grista ampuUaris lateralis eine Zone, an
welcher sich nur Stützzellen finden und das Epithel sehr niedrig
ist (Taf. III/IV, Fig. 3, Cal). Die Stützzellen selbst lassen tonnen-
ähnliohe oder spaltartige Räume zwischen sich frei. Die Cnpula
darüber steht durch zarte, eosinrote Fasern mit der Epithelfläche
in Zusammenhang, zeigt die typische Streifung und bei sonst voll-
kommen normaler Lage einen ins Innere fortgesetzten Spalt, in
welchem sieh neben einem eosinroten Detritus mononukleäre
Rundzellen finden (Taf. III/IV, Fig. 3, Cu, a). Die Cristae der
beiden anderen Ampullen verhalten sich histologisch normal.
Die Macula utriculi ist, wie die Gristae der Ampullen, etwas
kleiner als sonst, das Neuroepithel niedriger bei bedeutender
Abnahme der Zahl der Haarzellen und Zunahme der Stützzellen-
zahl. Infolge des ersteren Umstandes sind die Stützzellen an
manchen Stellen dichter gestellt, oder sie lassen mehr oder weniger
kugelige Räume zwischen sich frei (Taf. III/IV, Fig. 4, Mu), die
entweder einen blaurot tingierten, eventuell geschrumpften (ge-
ronnenen) Inhalt zeigen (Taf. m/IV, Fig. 4, a, b) oder tinktoriell
leer erseheinen (Taf. III/IV, Fig. 4, o). Auf das Neuroepithel folgt
gegen das Lumen zumeist direkt die mit Eosin rot tingierte State-
200 XVI. ALEXANDER
litbenmembran , in welcher spärliche Fortsätze (Haarfortsätze?)
nachweisbar sind, die an der endolymphatischen Seite des Epithels
inserieren (Taf. ÜI/IY, Fig. 4, 5 Sta). Anf die Statolithenmembran
folgt eine Schicht gut erhaltener Statolithen. Der Utriculus selbst
zeigt im übrigen vollkommen normale Gestalt.
Der Ductus endolymphaticus sowie der Ganalis utriculosae-
cularis sind vorhanden.
B. Pars inferior. Der Sacculus besitzt normale Form, die
Macula sacculi stimmt histologisch mit der Macula utriculi flber-
ein. Statolithen daselbst schön erhalten. Ductus reuniens und
Yorhofsblindsack sind vorhanden (Taf. III/IV, Fig. 5, Ms).
Der Schneckenkanal weist, wie derjenige der reebten
Seite, verschiedene Grade der Atrophie der Epithelwand anf,
den höchsten Grad im Yorhofs abschnitt. Hier wird der
epitheliale Kanal durchaus durch eine platte Epithelwand dar-
gestellt (Taf. ni/IY, Fig. 7). Yon den charakteristischen Teilen
des Eanales sind nur die Crista spiralis, das Ligamentum
Spirale und das Yas spirale erhalten. In dieser Region be-
steht vollkommener Defekt der regionären Nervenfasern und
des Ganglion. An das Plattenepithel der Außenwand (Taf. UI/IV,
Fig. 7, a) (die Stria vascularis fehlt vollkommen) schließt sich
das Ligamentum spirale an. Dieses ist fast durchaus aus
einen zelligen Maschenwerk aufgebaut und zeigt einige Lymph-
gefäßen ähnliche Schnittlumina (Taf. III/IY, Fig. 7, Lsp).
Es erstreckt sich weit in die Scala vestibuli nach aufwärts
Taf. III/IY, Fig. 7, b), Pigment ist nicht vorhanden, wie
auch sonst das innere Ohr beider Seiten sich voll-
kommen pigmentfrei erwies. Die Prominentia spiralis ist
angedeutet (Taf. III/IY , Fig. 7, Psp) , das Yas prominens vor-
handen. Die tympanale Belegschichte fehlt. Die Grundsubstanz
der Membrana spiralis erscheint als direkte Fortsetzung des
axialen Bindegewebes des häutigen Kanales. Die Crista spiralis
ist niedrig, besteht aus einer breiten Bindegewebsgrundlage, einer
schmalen homogenen Zone, an die sich im axialen Teile der
Crista die epitheliale Deckschicht anschließt, im peripheren Teile
zeigt sich die Crista zunächt vollkommen homogen. Die Cor ti-
sche Membran ist in Form eines schmalen, atrophischen Bandes,
das wohl künstlich über die Crista retrahiert erscheint (Taf. III/IV,
Fig. 7, Mc) erhalten. Aus dem Yorhofsabschnitte entwickelt sieb
der Yorhofsblindsack als rein epitheliales Grübchen, dessen Wand
aus Plattenepithel und einer zarten Bindegewebsgrnndlage besteht.
Zur Patholo£^e and patholog. Anatomie der kongenitalen Taubheit. 201
Basal Windung: Der Ductus eoeblearis zeigt hier- an*
nähernd die gleicben Yerflndernngen wie der der rechten Seite,
nirgends ergeben sich vollkommen normale Verhältnisse. Im
besten Falle erseheint an manchen Stellen die Papilla basilaris
in der Gestalt normal, bei Überwiegen der Stützzellen voll-
kommener Defekt der Haarzellen und vollkommener oder partieller
Defekt der Pfeiler. An manchen Stellen ist aber die Papille voll-
ständig geschwunden. Die Stria vascularis ist durchaus atro-
phisch, der ganze Kanal auffallend blutgefäßarm. Die
regionären Nervenfaserzttge sind atrophisch. Das
Ganglion zeigt sich wie auf der rechten Seite als ungegliederter
Ganglienhaufen, der die spirale Anordnung vollkommen vermissen
läßt (8. u.).
Mittelwindung: Der Ductus eoeblearis besitzt normale Ge-
stalt, der Kanal ist nur etwas flacher als sonst. Das Ligamen-
tum spirale ist atrophisch,. die Stria vascularis fehlt vollständig
oder ist in Form eines kubischen Epithelstreifens erhalten. An
manchen Stellen zeigt sich unter diesem Epithelstreifen, also
schon im Ligamentum spirale selbst, ein Rundzelleninfiltrat, an
anderen finden sich intraepitbeliale, mehr als halbkugelig in das
endolymphatische Lumen vorragende Zysten (Taf. V/VI, Fig. 16).
Dieselben besitzen einen homogenen, blaurot gefärbten Inhalt.
An manchen Stellen läßt dieser Inhalt mehr oder minder gut er-
haltene Zellen und Zellreste erkennen (s. r. S. Taf. V/VI, Fig. 10).
An der Papilla basilaris finden sich die gleichen Veränderungen
wie auf der rechten Seite. Die Crista spiralis stimmt gleichfalls
mit der Gegenseite überein.
Bemerkenswert erseheint weiter das Auftreten von zystenähn-
lichen Bläschen, die mit der oberen Fläche der Crista spiralis zu-
sammenhängen (Taf. V/VI, Fig. 14, Cy). Die Wand der Bläschen
besteht aus niedrigem Plattenepithel, der blaurot tingierte Inhalt
läßt eine zarte Fädenzeichnung erkennen.
An einer umschriebenen Stelle am Übergang der Basal- in
die Mittelwindung ließ sieh endlich zelliger Verschluß des Sulcus
spiralis internus beobachten: Die Cor tische Membran ist von
Plattenepithel vollkommen eingescheidet, knäuelartig zusammen-
gerollt (Taf. V/VI, Fig. 13, Mc, a) und fttllt den Sulcus spiralis in-
ternus bis auf einen kleinen Rest (Taf. V/VI, Fig. 1 3, Sspi) voll-
ständig aus. Die Epithellamelle, welche die Membran umzieht,
hängt mit dem Epithel des Sulcus spiralis internus zusammen.
Spitzenwindung: Histologisch stimmt sie mit der Mittel-
▲rohiT f. Ohrenheilkunde. LXI. Bd. 14
302 XYI. ALEXANDER
winduBg überein. Der Kanal wird anfTallend flaoh, behält aber
doeh die Qestait eines wegsamen Eanales. Es besteht kein He-
likotr^na, die blinde Endignng des Kanales erfolgt vollkommen
naeh dem normalen Typus.
Labyrinthkapsel: Die Labyrinthkapsel zeigt sieh im Be-
reiebe der Bogengänge und des Yorhofes normal. In der Schnecke
ist der Modiolus nnr der Basalwindnng entsprechend
entwickelt, währen d der tlbr ige Teil der Spindel ledig-
lich aus Weichteilen besteht. Die Lamina spiralis
ossea primaria ist nnr im Bereiche der Basalwindnng
vorhanden, von da nach aufwärts fehlen die beiden
Lamellen vollständig und werden durch Bin dege webs-
platten, welche die atrophischen Nervenzüge zwischen
sieh fassen, ersetzt. An der Basis der Spitzenwindung hört
das axiale Oewebe überhaupt auf. Die Skalen enden an der
Scfaneckenkuppel blind, ohne miteinander zu kommuni-
zieren: das Helikotrema fehlt (s. 0.). Dieses Verhalten folgt
daraus, daß der häutige Kanal nicht, wie es normalerweise der
Fall ist, an seinem oberen Ende die axiale Insertion verliert,
sondern dieselbe bis an das blinde Kuppelende beibehält. Die
einzelnen Schneckengänge sind nur zwischen Basal- und Mittel-
windung voneinander durch Knochen geschieden, von da nach
aufwärts findet sich zunächst eine bindegewebige Begrenzung, und
zwischen Kuppelblindsack und Mittelwindung fehlt auch diese,
so daß sich zwischen den häutigen Röhren hier eine Scala com-
munis entsprechend dem Zusammenflusse der Scala vestibularis
der Mittelwindung und der Scala tympani der Spitze findet. Der
Canalis ganglionaris fehlt, und es geht dieser Defekt Hand in
Hand mit einer atypischen Anordnung des Ganglion spirale (s. o.).
Die beiden Aquädukte sind in normaler Gestalt vorhanden. Die
Membrana tympani secundaria ist gegen die Paukenhöhle von
einem bindegewebigen Netzwerke gedeckt, welches die Nische
des runden Fensters tympanalwärts fast vollständig verschließt.
Die Maschenräume selbst sind von Eiter erfbllt.
Nervus acustico-facialis.
Nervus facialis und Ganglion geniculi verhalten sich voll-
kommen normal. Der Nervus aousticus zeigt sich an seinem
Schnittende am Perus auditorius internus annähernd normal
stark, in der Tiefe des Gehörganges dünner als in der Norm.
Der Bamus superior und medius nervi acustici zeigen etwa V^
des normalen Querschnittes, die beiden Vestibulär-
Zur Pathologie und patholog. Anatomie der kongenitalen Taubheit 20S
ganglien sind entsprechend kleiner, die Zellen in ihnen
weniger diofat gestellt, als in der Norm. Der Sehneekennerr
zeigt etwa den halben Querschnitt und zerfällt an der Schnecken-
basis vor dem Eintritte in die Schnecke in zwei Aste, entsprechend
dem Yorhofsteil und dem Körper der Schnecke. Der Vorhofsteil
ist hochgradig atrophisch, desgleichen der ihm angehörende, von
ihm vollkommen isolierte Teil des Oochlearganglicm. Das flbrige
Sohneckenganglion bildet eine ungegliederte, in der Achse ge*
legene, im Querschnitte elliptische (die kürzere Achse ist in der
Schneekenachse gelegen) Zellmasse, von der sich die atrophisch
verdünnten Nervenzttge zu den einzelnen Skalen erstrecken, und
es wurde schon oben erwähnt, daß nur im unteren Teil der
Sehnecke die Nervenztlge auf diesem Wege von dem axialen
Knochengewebe und den beiden knöchernen Lamellen der Lamina
spiraliB umgeben sind, während höher oben die Nervenzttge von
Bindegewebe, einem flächenhaft ausgedehnten Neurilemm ver-
gleichbar, begleitet werden. Die Nervenfasern selbst lassen sich
peripherwärts bis an ihre Durchtrittsstelle an der Membrana
basilaris verfolgen. Darüber hinaus und in der Papille selbst
konnten nirgends Nervenfasern nachgewiesen werden.
Das Fasernkaliber des Nervus acustico-facialis und die Gr^ße
der Ganglienzellen stimmen bei Färbung nach Weigert-Kul-
schitzky mit der Norm überein.
Die mikroskopischen Veränderungen im inneren Ohr beziehen
sieh somit auf das ganze häutige Labyrinth, die Labyrinthkapsel
und den Nervus octavus samt seinen Ganglien, und zwar fand
sich, von Nebenbefunden abgesehen:
1. Beiderseitige Atrophie (Hypoplasie) des Nervus
octavus in Stamm und Ästen.
2. Beiderseits Atrophie (Hypoplasie) sämtlicher
Ganglien desselben Nerven.
3. Die pathologischen Veränderungen in Nerv und
Ganglien sind in dem der Pars inferior lab. angehören-
den Teil des Nerven stärker entwickelt, als im Be-
reich der der Pars superior entsprechenden Anteile
des Nerven.
4. Atrophie der statischen Nervenendstellen (Ma-
cula utriculi, Macula sacculi, Cristae ampullares) im
Sinne einer Verkleinerung der Nervenendstellen,
14*
204 XVI. ALEXANDER
einer Yerdünniing des Nenroepithels und bedeuten-
der Verringerung der Zahl der im Keuroepithel ent-
haltenen Sinneszellen.
5. Atrophie des Cortisehen Organes, besonders der
in ihm enthaltenen Sinneszellen.
6. Herdförmige Atrophie und Degeneration des
Ligamentum spirale, der Stria vasoularis, derCrista
spiralis und der Cortisehen Membran.
7. Beiderseitige Mißstaltung des oberen Teils
(Mittelwindnng und Spitze) des häutigen Sohneeken-
kanales und abnorme gestaltliche Entwicklung des
Schneokenganglion mit partiellem Ausbleiben des
Spiralen Verlaufes und Entstehung eines Ganglion
centrale.
8. Beiderseitige Entwicklungshemmung der
Schneckenkapsel: a) Beiderseits niedrige knöcherne
Schneckenkuppely Defekt der Lamina spiralis ossea
primaria und des Modiolus von der Mittelwindung an
nach aufwärts, b) Teilweiser Defekt der knöchernen
Spindel und der Skalensepta mit Entstehung einer
Scala communis, c) Beiderseits Blutgefäßarmut and
gänzlicher Pigmentmangel des ganzen inneren Ohres.
Ich will nun versuchen, die in den einzelnen Labyrinth-
abschnitten gefundenen Veränderungen in topischer Gruppierung
und nach ihrem pathologisch -anatomischen Charakter geordnet
zu betrachten.
A. Der statische Labyrinthabschnitt fand sieh bei-
derseits gestaltlich normal^ auffallend ist lediglich die anscheinend
hypoplastische Verdünnung seiner Nenrenäste und Verkleinerung
der beiden Vestibularganglien. Es sind hier viel weniger Fasern
(ungefähr ^/ß der Norm) zu finden ; ungefähr den gleichen Grad der
Atrophie zeigen die Vestibularganglien. Die erhaltenen Nerven-
fasern und Ganglienzellen sind weniger dicht gelagert als in
der Norm. Sie zeigen jedoch bei Markseheidenfärbung voll-
kommen normales Verhalten. Die Bindegewebsscheiden der
Nerven und die Myelinkapseln der Ganglienzellen zeigen nichts
Abnormes.
Die Veränderungen an den peripheren Endstellen lassen sieh
ungezwungen mit denjenigen der Nerven und Ganglien selbst in
Zur Pathologie und patholog. i^natomie der kongenitalen Taubheit 205
direkten Zusammenhang bringen. Sämtliehe fünf vestibnlaren
Nervenendstellen zeigen eine geringere Fläehenausdehnung ald
in der Norm (and zwar sind die Nervenendstellen in beiden Säcken
bedentender verkleinert als die Cristae ampnllares). Das Nenro-
epithel ist niedriger als ein normales Neuroepithel und zeigt eine
bedeutende Verminderung seiner Sinneszellen. Dieser Sinnes*
zellendefekt drückt sich stellenweise lediglieh in der distinkteren
Stellung der vorhandenen Haarzellen aus bei relativer Zunahme
der Stützzellen. Stellenweise sind im Schnitt gar keine Haar-
zellen vorhanden, und zeigt sich sodann das Neuroepithel ledig-
lich aus den abnorm vermehrten Stützzellen zusammengesetzt.
An anderen Stellen prägt sich endlich der Haarzellendefekt in
mehr oder minder regelmäßig gestellten und geformten, oftmals
zystenähnlichen Neuroepithellücken aus, die zum Teil von einem
geronnenen, bläulich rotgefärbten (Hämalaun-Eosin) Inhalt erfüllt
sind.
An den Stellen mit vollkommenem Haarzellendefekt haben
die Stützzellen unter Bildung schmaler, mehr oder weniger spindel-
förmiger Säume zwischen den Zellen ihre charakteristische Form mit
Fuß- und Endplatte beibehalten, oder durch engen Aneinander-
schluß der Zellen die Gestalt hochzylindrischer Epithelzellen ange-
nommen (Taf.III/IY; Fig. 3, Cal). Auch die typischen akzessorischen
Teile der Nervenendstellen, die Gupulae der Ampullen, die Stato-
lithenmembran und die Statolithen in den beiden Vorhofsäcken
beteiligen sich an den bestehenden Veränderungen. Sie sind zu-
nächst entsprechend den Nervenendstellen verkleinert. An um-
schriebenen Stellen fanden sich Spalträume in den Gupulae
(Taf. IlI/IV, Fig. 3 a), die nach dem vorgefundenen zelligen In-
halt als pathologische Bildungen zu deuten sind.
Die rein epithelialen Wandstellen im statischen Labyrinth-
abschnitt lassen zunächst infolge der Verkleinerung der Nerven-
endstellen eine relative Flächenzunahme erkennen. Das Epithel
selbst verhält sich zumeist normal, und die häutigen Wände
zeigen nur stellenweise diffuse oder knotenartige Verdickungen,
an welchen sich sowohl das Epithel als die perilymphatische
Schichte beteiligen. Nur hier und da finden sich in die endo-
oder perilymphatischen Lumina vorspringende, zystenartige Bäume,
die stets vom Epithel selber ihren Ursprung nehmen und voll-
kommen mit den im Ductus cochlearis gefundenen Zystchen über-
einstimmen. Es kann daher auf die ausführliche Beschreibung
dieser letzteren (S. 121 u. 201) verwiesen werden.
2a6 XYI. ALEXANDER
Die intermediflre Zone des perilymphatisehen Gewebes ist
nioht zeUreioh. Es sind daher überall ausgedehnte perilympha-
tisehe Hohlr&nme vorbanden. Besser ist die endostale Zone ent-
wickelt, die stellenweise eine bedeutende diffnse Verdickung er-
kennen läßt. Der ganze statische Labyrinthabschnitt sowie die
zugehörigen Nervenfiste und Ganglien sind auffallend blutarm und
YoUkommen pigmentfrei. Der Ductus endolymphaticus und der
Canalis utrioulo-saocularis sind normal erhalten und wegsam, der
Saccus endolymphaticus ist besonders linkerseits bedeutend ver-
größert. Der Ductus reuniens verhält sich normal.
Die Enochenkapsel des statischen Labyrinthabschnittes und
die Gehörknochenkette nehmen an den beschriebenen Verände-
rungen des häutigen Teiles nicht teil, und zeigen sich, abgesehen
von einer auffallenden Armut an Blutgefäßen, vollständig normal.
B. Akustischer Labyrinthabschnitt. Auch hier em-
pfiehlt es sich, die Besprechung mit den am Schneckennerv und
seinen Ganglien gefundenen Änderungen zu beginnen 0«
Der Schneckennerv zeigt sieh in seinem ganzen Verlauf be-
deutend (ungefähr auf V3 der Norm) atrophiert, und sein Ganglion
weist eine dementsprechende Atrophie (Hypoplasie) auf. Der
Grad der Atrophie ist nicht überall gleich^ und es wechseln
Stellen fast vollkommenen Nervendefekts mit solchen, an welchen
der Nerv nur wenig dünner ist, als in der Norm, ohne Regel-
mäßigkeit oder besondere topische Beziehung miteinander ab.
Dagegen entspricht unter Berücksichtigung der rückläufigen An-
ordnung der peripheren Cochlearisfasern der Atrophiegrad des
betreffenden Ganglienabschnittes recht gut dem des zugehörigen
peripheren Nervenzuges.
Wie im Bereich des statischen Labyrinthes sind im akusti-
schen Teil die vorhandenen Nervenfasern und Ganglienzellen
weniger dicht gelagert als in der Norm und geben normale
Markscheidenfärbung, und es läßt sich, wie ich wiederholt in
Fällen von Atrophie (2, 4, 5, 9) sehen konnte, am atrophischen
Schneckenganglion die Bipolarität dieser Ganglienzellen sehr schön
nachweisen.
p p i k f e r (1 1) ist aus dem Umstand, daß er histologisch die
Atrophie des Spiralganglion mit derjenigen der peripheren Nerven-
1) Der Kürze der Beschreibung halber habe ich nur die einseitig ge-
fundenen Veränderungen ausdrücklich als rechts- oder linksseitig bezeichnet.
Fehlt eine besondere Angabe, so liegen Befunde vor, die beide OeÜör-
Organe betreffen.
Zur Pathologie und patholog. Anatomie der kongenitalen Taubheit. 207
fasern graduell niebt im Einklänge fand, zur Angicht gekommen,
im Ganglion, soweit es einen geringeren Atrophiegrad zeigt, als
der periphere Teil, den Bestand unipolarer Ganglienzellen an-
zuaehmen, die nur einen, und zwar zentralen, Fortsatz besitzen.
Ich kann naoh meinen Befunden dieser Ansieht nicht beipflich-
ten und möchte glauben, daß Oppikofer die Rücklftufigkeit
der in der Lamina spiralis verlaufenden Sobneckennerrfasern
nioht im Betracht gezogen hat. Am einzelnen Schnitt, besonders
an den bei der Durchsicht sehr gern verwendeten Axenschnitten,
mag sich ja ein hochgradiger peripherer Faserdefekt mit dem
Qaerschnitt durch ein wenig atrophiertes Spi^alganglion vereint
finden. Man muß aber bedenken, daß der diesem Ganglionquer-
Bchnitt entsprechende periphere Faserabschnitt von diesem V2 bis
1 mm rückläufig, d. h. vestibularwärts gelegen ist, und daher die
entsprechenden Schnitte miteinander vergleichen. Ich bin stets
derart vorgegangen und habe danach, wie erwähnt, nicht Ge-
legenheit gehabt, graduelle Unterschiede in der Atrophie der
tatsächlich zusammengehörenden Schnittebenen des Ganglion oder
der peripheren Nerven zu beobachten.
Das Ganglion spirale weicht in seiner Gestalt von der Norm
weit ab. Einen spiralen Verlauf zeigt nämlich das Ganglion nur
im Vorhofabsohnitt und in der ersten Windung, wobei der fUr
den Yorhofabschnitt bestimmte Teil vom übrigen getrennt er-
scheint. Vom Ende der Basalwindung nach aufwärts zeigt das
Ganglion einfach die Gestalt eines annähernd kugeligen Zellen-
baufens, der im axialen Teil der Schnecke nahe dem Tractus
foraminosus gelegen ist. So kommt es, daß die peripheren Nerven-
züge ftlr die Mittel- und Spitzenwindung viel länger sind als ge-
wöhnlich.
Auch die Atrophie findet in den beiden genannten Teilen
nicht den gleichen Ausdruck: so weit das Ganglion als wirk-
liches Ganglion spirale angeordnet ist, lassen an der Stelle
hochgradiger Atrophie die Ganglienzellen bedeutende Zwischen-
räume untereinander frei, die von einem feinfaserigen binde-
gewebigen Maschenwerk durchzogen sind. Im ungegliederten
Teile des Ganglion fehlen dagegen derartige Zwischenräume,
wenn auch die Ganglienzellen nicht so dicht gelagert erscheinen,
wie es normalerweise der Fall ist.
Zu bemerken ist endlich die Blutgefäßarmut der ganzen
Schnecke, des Nerven und des Ganglion.
Die auffallendsten und wohl fbr die Lehre derkongeni-
208 XVI. ALEXANDER
talen Taabheit intereBsantesten Veränderangen bietet
die knöoherne Schneoke unseres Falles:
Die Außenwände sind annähernd normal, abgesehen davon,
daß das Ende der Mittelwindung und die Spitze um weniges
flacher sind, als in der Norm; dagegen fehlen reehterseits von der
Höhe der Mittelwindung an nach aufwärts das ganze innere
Knochengerüst der Sohnecke, d. h. das Knochengewebe des Mo*
diolus, die Lamina spiralis ossea und die knöchernen Skalen-
septen (Taf. III/IV, Fig. 6) (desgleichen fehlt im Vorhofabschnitt
und in der unteren Hälfte der ersten Windung die Lamina spiralis
ossea secundaria).
Dieses abweichende Verhalten der Knochenschnecke bat eine
Reihe von Abnormitäten in dem betroffenen Gebiet (Mittel- und
Spitzenwindung) zur Folge :
I. Die Scala vestibuli erscheint mit derScala tym-
pani der nächsten Windung zu einer Scala commanis
vereinigt, die sich direkt zwischen die einander fol-
genden häutigen Windnngszüge einschiebt (Taf. III/IV,
Fig. 6, Sc).
IL Das in der Schnecke befindliche Ganglion und
seine peripheren Nervenfasern erscheinen lediglich
von Bindegewebe umschlossen, für die Lamina spiralis
ossea sind zwei Bindegewebsplatten eingetreten, zwischen welchen
die atrophischen NervenzUge verlaufen.
IIL Das Helikotrema fehlt, und die membranose
Spitzenwindung schließt den Kuppelraum nach ab-
wärts vollständig ab unter Erzeugung eines allseitig ge-
schlossenen Skalenrudiments (Taf. III/IV, Fig. 6, cc, Taf. VII/VIII,
Fig. 22, cc) zwischen der knöchernen und häutigen Kuppelwand.
Möglicherweise kann auch der Defekt des Spiralen Liga-
ments in einem Teile der Mittel Windung mit den Abnormitäten
der Labyrinth kapsei in ursächlichen Zusammenhang gebracht
werden. DieVerlaufsart der peripheren Schneckennervfasern bei
fehlender Lamina spiralis deckt sich im vorliegenden Fall voll-
kommen mit dem Typus, den ich bei einem niederen Säugetier
(Echidna aculeata) gefunden und beschrieben habe. Aach
bei Echidna fehlt die knöcherne Spinallamelle und wird durch
Bindegewebsplatten ersetzt, welche die peripheren Nervenfasern
zwischen sich fassen.
Die Nische des Schneckenfensters ist von*Bindegewebslamellen
Zar Pathologie und patholog. Anatomie der kongenitalen Taubheit 209
durchzogen, die zam Teil bis an die Membrana tympani secnn-
daria, nirgends aber in die Skalen selbst reichen (Taf. IH/IV,
Fig 2, 1).
Die Befunde im häutigen Schneokenkanal lassen sieh
in zwei Gruppen bringen, wonach
I. Veränderungen im histologischen Bau;
IL Veränderungen in der Gestalt des häutigen Sohnecken-
kanales zu besehreiben sind,
I. Veränderungen im histologiscben Bau des häu-
tigen Schneckenkanales.
Die Membrana basilaris wird stellenweise auffallend dick,
anderwärts wieder verdünnt gefunden. Die tympanale Beleg-
schichte ist zumeist vorhanden, das Vas spirale fehlt an vielen
Stellen vollständig, an anderen wird es durch ein gleichfalls an
der tjmpanalen Fläche des Schneckenkanales, jedoch in unmittel-
barer Nabe des Spiralligamentes verlaufendes Gefäß ersetzt
(Taf. V/VI, Fig. 19, 20, b).
Die Crista spiralis ist zumeist abgeflacht, die kernlose
Zone ist geschwunden. An vielen Stellen, besonders in der
mittleren Windung, erscheint sie auch in zentroperipherer Rich-
tung verschmälert. An anderen Stellen fehlt die obere Epithel-
sebicht der Crista und das Gewebe ist daselbst auffallend zell-
arm. Hier und da finden sich sodann an der oberen Fläche der
Crista zystenartige Anhänge, d. h. Zystchen von 30 — 60 fi Durch
messer, deren Wand aus einem Plattenepithel gebildet ist, und
deren Inhalt homogen erscheint oder ein 'faserartiges Netzwerk
erkennen läßt, das schwache Protoplasmafärbung annimmt,
(Taf. V/VI, Fig. 14, Cy). Die Cortische Membran ist in dem
mittleren und oberen Teil der Schnecke, soweit sich derartiges
beurteilen läßt, in nattlrliehem Situs erhalten und steht mit den
Zellen der Papille in kontinuierlichem Zusammenhang. In ein-
zelnen Regionen zeigt sie an ihrer unteren Fläche eine oder
mehrere vorspringende Leisten. Vereinzelt wird sie eingerollt und
von einer Epithelschiehte umsäumt, im Sulcus spiralis internus ge-
legen angetroffen (Taf. V/VI, Fig. ). Das Epithel, welches hier
die ganze Cortische Membran einhüllt, hängt mit dem Epithel
des Sulcus spiralis internus zusammen.
Die Papilla basilaris zeigt nirgends vollständig normalen
Bau. An den am meisten veränderten Stellen fehlt sie gänzlich,
80 besonders an der Schneckenbasis und im Vorhofsabschnitte
210 XYI. ALEXANDER
(Taf. III/VI, Fig. 7, Taf. V/VI, Fig. 8). An diesen Stellen ist
dann die Cortisohe Membran gesohrnmpft, teilweise atrophisch,
und ttber die Crista spiralis retrahiert (Artefaot?). An anderen
Stellen, so z. B. in den oberen Sohneokenpartien und an der
Sebneckenspitze , ist die Papille histologisch augenscheinlich auf
einem embryonalen Stadium stehen geblieben (Taf. VII/VIII,
Fig. 23). Sie besteht daselbst aus einem yielreihigen, hügelartig
angeordneten Epithel, welches sowohl gegen die Crista spiralis
als gegen die Außenwand in eine hochzylindrische Zelllage fiber-
geht. Weder Härchen- noch Pfeilerzellen sind differenziert, doch
zeigt das Epithel eine beträchtliche Zahl von HaarfortsätzeD,
welche auch mit der atrophischen Cor tischen Membran in kon-
tinuierlicher Verbindung stehen. Sonst ist die Papille nach
ihrer Gestalt mehr oder weniger normal erhalten , in der Papille
selbst aber fehlen die typischen Haarzellen durchaus. Die
Pfeiler sind stellenweise vollkommen intakt, an anderen Stelleo
rudimentär zu sehen.
An einzelnen Schnitten (Taf. V/VI, Fig. 15) sind nur mehr
Pfeilerreste sichtbar. In der Papille selbst überwiegen sodann die
Stützzellen entweder in Form von soliden Zellhaufen oder mit Per-
sistenz der Räumlichkeiten, von welchen normalerweise die
Papille durchzogen wird, oder endlich mit Hinterlassung rudi-
mentärer, unregelmäßig verlaufender Hohlräume. Bemerkenswert
erscheint, daß besonders in der Mittelwindung die Stützzellen an
der äußeren Abdachung der Papille schön entwickelt sind und
sich durch starke Protoplasmafärbung gegen die Umgebung streng
begrenzen.
Gegen die Axe und die Peripherie ist an die Papille ein
kubisches Epithel angeschlossen, welches sich bis in den Sulens
spiralis internus, bezw. externus fortsetzt. Vollkommen normale
Gestalt zeigt die Papille nur an wenigen Stellen, so z. B. an der
Spitzenwindung (S. VII/VIII, Fig. 22), wo die Papille die Form
eines flachen Hügels zeigt und in ihrem Zentrum einen Kanal von
ovalem Querschnitt enthält, der beiderseits von Stützzellen, die
an der peripheren Seite der Papille ein zylindrisches Epithel
formieren, begrenzt ist.
Das Ligamentum spirale zeigt überall, wo der häutige
Kanal die normale Gestalt besitzt, auch die normale Quer-
schnittsform, wobei das Gewebe bald zellreicber, bald zell-
ärmer erscheint, stellenweise im Schnitte Lumina auftreten,
die als Lymphräume zu deuten sind, oder endlich ent-
Zur Pathologie und patholog. Anatomie der koDgenitalen Taubheit. 211
Bpreohend einer yorausgegangenen , hochgradigen Verflflssignng
des Gewebes das Ligament förmlich nur in der Bandpartie nor-
malen Bau zeigt, während im Inneren lediglich distinkte Binde-
gewebsstrftnge erhalten geblieben sind (Taf. V/VI, Fig. 17, Lop).
Die Prominentia gpiralis ist an manchen Stellen (Taf. V/VI,
Fig. 9) auffallend stark entwickelt , an anderen normal oder so*
gar gänzlich fehlend.
Ebenso zeigt die Stria vascularis ein sehr verschiedenes
Verhalten. Sie kann ganz fehlen, und ist dann durch Plattenepithel
ersetzt (Taf. IIIAV, Fig. 7), oder es sind Beste der Stria in
Form eines zylindrischen Epithels vorhanden (Taf. V/VI, Fig. 8),
in welchem selbst nnd in dessen direkter Umgebung Blutgefäße
vollkommen vermißt werden, oder die Stria zeigt endlich die
normale Ausdehnung und ist sogar auffallend dick, aber es ist
nirgends die am normalen Zustande beobachtete innige Vereini-
gung zwischen dem Epithel und den bindegewebigen Teilen
eingetreten, sondern beide sind streng voneinander geschieden,
und wenigstens an vereinzelten Partien von anffallend großen Blut-
gefäßen durchzogen (Taf. V/VI, Fig. 17). Sonst sind aber auch
an derartig gebauten Stellen auffallend wenige Blutgefäße zu
finden, oder die Blutgefäße fehlen gänzlich. Endlich mag noch
der Befund von kleinen Zysten an der Stria Erwähnung finden
die an denjenigen Begionen auftreten, in welchen die Stria durch
eine Plattenepithellage ersetzt ist. Diese Zystohen sind sodann
gleichsam in die Epithelschicht aufgenommen, indem am Insertions-
rande die Epithelzellen auseinanderweichen, Sternform annehmen
und nun an der einen Seite die Zyste durch das die Stria .ersetzende
Epithel, am endolymphatischen Lumen durch ein stark abgeflachtes
Epithel begrenzt wird. Der Zysteninhalt erscheint homogen, blau-
rot gefärbt oder läßt wolkige Trübungen erkennen (Taf. V/VI,
Fig. 11, 16), oder es sind endlich in ihm Zellelemente suspen-
diert, die zumeist Epithelzellkerne, dagegen nur schattenhaft oder
ttberhaupt nicht Protoplasmateile der Zellen in guter Begrenzung
erkennen lassen (Taf. V/VI, Fig. 10). An Stellen, an welchen die
Stria vascularis der Form nach besser erhalten ist, werden nur
höchst selten derartige Zystchen (Taf. V/VI, Fig. 9) oder zapfen-
artige Anhänge (Taf. VII/VIII, Fig. 18) oder einer Verflüssigung
entsprechende, zirkumskripte Hohlräume an der Innenwand an-
getroffen.
Das Vas prominens und Vas spirale ist nur an wenigen
Stellen vorhanden, wie ja überhaupt die ganze Schnecke auffallend
212 XVI. ALEXANDER
arm au Blutgefäßen ist. An einzelnen Regionen der Stria erscheinen
aber die vorhandenen Blntgef&ße gegenüber der Norm vergrößert,
so besonders in der Begion, in welcher der Sohneokenkanal
einen von dem normalen vollkommen abweichenden Bau zeigt.
Bezüglich dieser letzteren Stellen sei auf die Beschreibung
des Präparates S. 195 verwiesen und hier nur erwähnt, daß be-
sonders die Vestibularmembran und die Außenwand des häutigen
Kanals an der Gestaltsänderuug teilnehmeu. Die Vestibularmem-
bran, die über der Basilarmembran , derselben fast bis zur Be-
rührung genähert, verläuft, erhebt sich an der Schneckenachse
weit nach aufwärts und inseriert dasselbst. Ein dünnes Platten-
epithel erstreckt sich sodann von dieser Insertionsstelle zunächst ent-
lang dem axialen Teile und geht kontinuierlich in die obere Zell-
lage der Crista spiralis über (Taf. VII/VIII, Fig. 19). Die Cor ti-
sche Membran reicht hier, wie sonst, bis gegen den axialen Teil.
Der häutige Schneckenkanal liegt aber nicht überall dem Kno-
chen, bezw. dem vorhandenen Bindegewebe solide an, sondern
läßt hier und da Hohlräume frei, die von bindegewebigen Septen
durchzogen sind (Taf. VII/VIII, Fig. 19). An denselben Stellen ist
der Schneckenkanal an der peripheren Seite vollkommen platt.
Das Ligamentum spirale hat die normale Gestalt vollkommen ein-
gebüßt und wird lediglich durch ein System von Bindegewebs-
brücken angedeutet, durch welche der schmale Rand des Kanales
an der peripheren Knochenwand fixiert ist (Taf. VII/VIII, Fig. 19).
Der epitheliale Teil zeigt entsprechend der Stria vascularis ein
System von Wülsten oder Leisten, die von einem kubischen oder
Plattenepithel gegen das Lumen hin gedeckt sind und in deren
Innerem das Bindegewebe verdichtet erscheint. Blutgefäße fehlen
darin gänzlich, und es ist hier stets nur ein, allerdings ziemlich
großes Blutgefäß vorhanden, dessen Querschnitt innerhalb der
Bindegewebsbrttoken zu finden ist, und das nach seiner Lage dem
vergrößerten Vas prominens entspricht (Taf. VII/VIII, Fig. 19, 20,
b). Des abnormalen Baues der Schneckenspitze sei nochmals kurz
gedacht: Hier setzt sich stellenweise die Vestibularmembran der
Mittelwindung in die Crista spiralis der Spitze fort (Taf. VII/VIII,
Fig. 22). Desgleichen sei nochmals an den axialen Zusammenfluß
der Cristae beider Seiten der Mittelwindung erinnert, der sich aus
dem Defekt des axialen Schneckenabschnittes erklärt. An den-
selben Teilen erstreckt sich ja auch noch ein Stück weit die Vesti-
bularmembran über die Mitte.
Zur Pathologie and patholog. Anatomie der kongenitilen Taubheit. 218
Trotz der großen Zahl anatomieoher Beriohte fiber das Taub-
Btammenlabyrinth verfügen wir doch nnr Aber wenige Fälle, in
welchen genaue mikroskopische Untersuchnngen nnternommen
worden sind. Und auch gegenüber diesen ist der oben mitge*
teilte Fall in vieler Beziehung bemerkenswert, vor allem deshalb,
weil in ihm wie bisher in keinem der in der Literatur bekannten
FäUe^) eine Entwicklungshemmung als deutliche Ur-
sache ftlrdie abnorme Ausbildung des inneren Ohres
und damit für die Taubheit sich ergibt. Über die em-
bryonale Zeit des Eintrittes der Entwicklungshemmung, ja auch
über den Mechanismus bietet uns der mikroskopische Befund
einige Anhaltspunkte:
Die im inneren Ohr gefundenen anatomischen Veränderungen
sind unzweifelhaft als kongenitale aufzufassen. Die knöcherne
Schnecke hat sich in ihrer Ausdehnung fast vollkommen normal
entwickelt, im Inneren dagegen ist, schematisch genommen, nur
ein knöchernes Septum zwischen der Schneckenbasis und dem
übrigen Teil der Schnecke vorhanden. Untersuchen wir nun
menschliche Embryonen, so finden wir in der Gestalt der Knochen-
kapsei ganz analoge Verhältnisse an 2 — 3 monatlichen Föten,
an welchen gleichfalls der häutige Kanal bereits schneckenförmig
aufgewunden und das gewundene Bohr lediglich von einer ein-
heitlichen knorpeligen Kapsel umgeben wird; die Windungs-
züge sind zu dieser Zeit untereinander nur derart
voneinander geschieden, daß der basale Windungs-
zng durch eine Leiste, die von der lateralen Kapsel-
wand entspringt, von den übrigen getrennt wird.
Nehmen wir aber an, daß die Entwicklung der Schneokenkapsel
zu dieser Zeit stehen bleibt und sich von diesem Typus aus die
bleibenden Verhältnisse herstellen, so gelangen wir zu dem Bilde,
welches uns der vorliegende Fall von Taubheit zeigt, und man
müßte dann auch annehmen, daß diejenigen Momente, durch
welche die Schnecke in der Entwicklung gestört wurde und die
vielleicht schon von Anfang an störend wirkten, im Laufe des
2. oder am Anfang des 3. Fötalmonates zu einer Hemmung in
der Weiterentwicklung der Schneckenkapsel geführt haben. Sehr
interessant ist nun das Verhalten des Sohneckenganglion. Im
normalen Entwicklungsverlaufe ergibt sich, daß das Ganglion,
das ursprünglich stets einen soliden Zellhaufen darstellt, erst
1 ) Wenn wir von den F&Uen grober, gestaltlicher Mißbildungen ( 1 0) absehen.
214 XVI. ALEXANDEB
sp&ter die Anordnang eines spiral laufenden Streifens erhält, in-
dem sieh die Ganglienzellen, dem hantigen Windnngszng ent-
sprechend , orientieren. Während man aber bisher glanbte, daß
bei dieser ränmliohen Orientierung der häutige Kanal die Haupt-
rolle spiele, oder vielmehr die eintretende Nervenfaserverbindung
zwischen Ganglienzellen und häutigem Sohneekenkanal, wird
dureh das vorliegende Präparat illustriert, daß dieSehneoken-
kapsel bei der Orientierung des Ganglion von Be-
deutung ist Es ist nämlioh in derselben Weise, naoh
welcher die Skalensepta und die axialen Enochen-
teile fehlen, und es hier nicht zur Anlage des Spiral-
laufes des knöchernen Eanales gekommen ist, auch
die Entwicklung des Ganglion spirale gehemmt wor-
den: Dasselbe zeigt nur soweit spirale Anordnung,
als auch das knöcherne Schneckenrohr intakt er-
scheint und ist im übrigen, weitaus größeren Teil, un-
gegliedert geblieben. Ich bin auch geneigt, die abnorme
Querschnittform des oberen Teiles des Schneckenkanales, die
mangelnde Entwicklung des Ligamentum spirale in diesen Re-
gionen, das Ausbleiben der normalen Kuppelendigung des häu-
tigen Schneckenrohres und den Defekt des Helikotrema mit der
abnormen Entwicklung der Schneckenkapsel in ursächlichen Zn-
sammenhang zu bringen. Offenbar haben hier die Haftflächen
für den häutigen Kanal infolge des Defektes des Knochenrohres
gefehlt, und so ist es z. B. in dem oberen Teil der Mittelwindnng
dazu gekommen', daß der periphere Teil des Kanals abgeflacht
ist, während sich die Vestibularmembran hoch auf die Schnecken-
achse hinauf fortsetzt. Einer völlig regellosen Entwicklung ent-
spricht die Kuppelwindung der Schnecke der rechten Seite, wo-
bei hier gleichfalls das mechanische Moment des Defektes der
Skalensepta und der knöchernen Spindel als Ursache heranzu-
ziehen ist. Daß trotz dem Vorhandensein derartig ausgedehnter
Mißbildungen in der Schneckenkapsel der häutige Kanal an-
nähernd die normale Länge erreicht hat, ja sogar in man-
chen Regionen grob anatomisch normal erscheint, ist nicht über-
raschend. Ich habe wiederholt bei Mißbildungen des inneren
Ohres darauf hinweisen können, daß die häutige Schnecken-
kapsel selbst bei hochgradigen Mißbildungen der
knöchernen Schnecke gestaltlich vollkommen ent-
wickelt ist, und habe nach dem Vorschlage von Koux
(} 3) darnach v on der ho oh gradigen Selbst di ff enzierung
Zur Pathologie und patholog. Anatomie der kongenitalen Taubheit 215
der bäutigen Sohneeke gesprochen. Daß diese] Annahme,
die ich seinerzeit nach Untersuchung von Fällen von S7-
notie (1) geäußert habe, zureoht besteht, bestätigt der vor
liegende Fall. Beiläufig sei auch bemerkt, daß ich bei
der Untersuchung neuerlicher 4 Fälle von Synotie zu dem
gleichen Resultate gelangt bin. Auch in dem Befunde der
Ausbildung des Schneckenganglion und des Sehneckennerven
sowie der Basilarpapille finden sich im vorliegenden Falle manche
Anschltisse an bereits Bekanntes. Während man früher voraus-
setzte, daß bei vorhandener Taubheit hochgradige Defekte am
Schneckenendorgan oder am Nerven gefunden werden müsseD,
haben wir durch die Untersuchungen von Alexander, Oppi-
kofer, Politzer, Scheibe, Siebenmana u. a. erfahren, daß
einzelne Kegionen der häutigen Schnecke und des Schnecken-
nerven bei sicher vorhandener totaler Taubheit anatomisch normal
erseheinen können. Ich verweise hier nur auf meine eigenen
Beftinde an taubgeborenen Tieren, und die Befunde von Kreidl
und mir an Tanzmäusen, mit welchen ja unser Fall, wie unten
gezeigt wird, auch in anderer Beziehung Berührungspunkte
zeigt, bei welchen sich einzelne Regionen des Schneckenkanales
bis auf den totalen Defekt der Sinneszellen vollkommen normal
erwiesen.
Besonders hervorzuheben ist endlieh auch das histologische
Verhalten der Basilarpapille an der Schneckenspitze, durch
welches erwiesen ist, daß die Papille auf einem embryonalen
Wachstumsstandpunkt, der gleichfalls dem 2. — 3. Monat ent-
spricht, stehen geblieben ist.
Während sich nun im akustischen Teile des Labyrinthes
ganz klar für den oben mitgeteilten Fall eine Bildungshemmung
als Ursache der Taubheit heranziehen läßt, finden wir für den
vestibulären Teil keinerlei derartige Anhaltspunkte. Der knö-
eherne Teil ist im Yestibularlabyrinth vollkommen intakt, und
es ergeben sich lediglich feine Veränderungen an den Nerven-
endstellen der Säcke und an den Cristae ampuUares, als haupt-
sächliche Befunde aber eine Verdünnung und Verkleinerung der
regionären Nervenäste und Ganglien. In diesem Befunde
stimmt der vorliegende Fall vollständig mit dem ana-
tomischen Verb alten der Tanzmäuse, die Kreidl und ich
untersucht haben, überein. Es wäre darnach nicht ausge-
schlossen, daß es sich bei diesem Taubstummen wie bei den Tanz-
mäusen, um eine ererbte Erkrankung handelt, über deren eigent-
218
XYI. ALEXANDEE
Pco Ductus cocblearis der Spitsen« Pap
Windung. PYdo
Dr Ductus reuniens.
Fe Fenestra Cochleae. Sc
H " Hensensche Zellen. Sspe
1 Bindegewebslacken in der Sspi
Schneckenfenstemische. Sta
Lsg Lamina spiralis ossea. Stam
Lsp Ligamentum spirale. St
Mai ■ Meatus anditorus int. Str
Mb Membrana basilaris.
Me Membrana Gorti. Sti
Mr Membrana reticularis. Stt
Ms Macula sacculi. Ste
Mts Membrana tympani sec. StY
Mu Macula utriculi. St
My Membrana Ycstibularis. Syi
N Neuroepitbel der Papilla basil. Sys
Pb Papilla basilaris. Syo
Pbc Papilla basilaris der Spitzen- T
^ irindung. Ys
Prominentia spiralis.
Pars Yestibularis des Ductus
CO chlearis.
Scala communis (patbol.).
Sulcus spiralis externus.
Sulcus spiralis internus.
Statolithen.
S tatolithenmembram.
Scala tympani.
Scala tympani des Yorfaof-
abschnittes.
Scala tympani der Basalwindg.
Scala^ tympani der Mittelwindg.
Scala^ tympani d. Spitzenwindg.
Stria Yascularis.
Scala Testibuli.'^'
Scala Yestibuli d. Basalwindung.
Scala Yestibuli d. Mittelwindg.
Scala Yestibuli d. Spitzenwindg.
Tunneiraum.
Yas spirale.
Figuren erkl&rung^).
Tafel III/IY.
Fig. 1. Linkes Schl&febein des Taubstummen in der Ansicht Yon
hinten. Aae » Äußere, stark erweiterte MOndungsöffnung des Aquaeductus
Yestibuli, nat Gr.
Fig. 2. Nische und Membran des Schneckenfensters (Mts) mit dem
Yorhofabschnitt (PYdc) des Schneckenkanals, r. S. H&malaun -Eosin. Zeich.-
Ok., Obj. 1, Tubl. 17,5 cm.
Fig. 3. Randpartie der Crista ampuUaris lat. und ihrer Cupula.
Defekt der Haarzellen und Lftckenbildung (a) in der Cupula, 1. S. H&malaun-
Eosin. Zeich.-Ok., Obj. 6, Tubl. 15 cm.
Fig. 4. Lücken (a, b) im Neuro^ithel der Macula utriculi (Mu), 1. S.
Hftmalaun- Eosin. Zeich.-Ok., Obj. 6, Tubl. 15 cm.
Fig. 5. Defekt der Haarzellen in der Macula sacculi, 1. S. fiÜUnalaun-
Eosin. Zeich.-Ok., Obj. 6, Tubl. 15 cm.
Fig. 6. Axialer Yertikalschnitt durch die Schnecke mit ihren NerYon-
ästen und dem Ganglion, r. S. Hämalaun-Eosin. Yergr. 23 : 1.
Fig. 7. Radialschnitt durch den Yorhofabschnitt des Schnecken-
kanals, 1. 8. Hftmalaun-Eosin, Obj. 3, Tubl. 15 cm.
Tafel Y/ VI.
Fig. 8. Radialscbnitt durch die Basalwindung, r. S. Hämalaun-Eosin.
Zeich.-Ok., Obj. 3, Tubl. 20 cm.
Fig. 9. Kadialschnitt durch die Basalwindung (mittlerer Teil), r. S.
H&malaun-Eosin. Zeich.-Ok., Obj. 3, Tubl. 17,5 cm.
Figg. 10, 11 und 16. Yerschiedene Stadien und Formen von zysten-
ähnlichen Anhängen bei hydropischer (?) Degeneration der Stria Yascularis.
Figg. 10 u. 11: r. S.; Fig. 16: LS. Hämalaun-Eosin. Zeich.-Ok., Obj. 6
(Figg. 10 u. 11) und 3 (Fig. 16), Tubl. 20 cm (Fig. 10), 17,5 cm (Fig. 11),
15 cm (Fig. 16).
Fig. 1 2. Oberes Ende der Basalwindung. Atrophie der Crista spiralis
(Csp), r. S. Hämalaun-Eosin. Zeicb.-Ok., Obi. 3, Tubl. 20 cm.
Fig. 13. Obergang der Basal- in die Mittel windung. Obliteration des
Sulcus spiralis internus (Sspi), 1. S. Hämalaun-Eosin. Zeich.-Ok., Obj. 3,
Tubl. 17,5 cm.
1) Figg. 2—5 und 7—23 sind mit Hilfe des Leitzschen Zeichenokulars
gezeichnet, Fig. 6 und die beiden Textfiguren mit dem Leitzschen Pro-
jektionszeicheuapparat.
Archiv f.OhrenhflükundeBd. LXI.
'VocjelmLejng"
Archiv' f Ohrenheilkunde Bd. LXI.
,'ogel::i Leipzig
Arcliivf OhrenheültundeBd, I.XI,
Venagvcr.T:r.\V:T
bgelir.Leipug,
lith.AnsvvILATurie.l™:!
Zur Pathologie und patholog. Anatomie der kongenitalen Taubheit. 219
Fig. 14. Mittelwindung; zystenäbnlicber Anhang auf der Grista spiralis,
1. S. Hämalaun-Eosin, Obj. 6. Tubl. 15 cm.
Fig. 15. Oberes Ende der Basalwindung; Papilla basilaris, r. S. Häm-
alaun-Eosin. Zeich. -Ok., Obj. 6, Tubl. 20 cm.
Fig. 17. Radialer Yertikalschnitt durch die Basalwindung am Über-
l?ang in die Mittel windung, r. 8. H&malaun-Eosin. Zeich.-Ok., Obj. 3,
Tubl. 20 cm.
Tafel Vll/Vm.
Fig. 18. Vertikalschnitt durch die Mittel Windung mit gegen die
Spitzenwindung ausgestülpter Vestibularmembran (Mt, a), r. 8. Hftmalaun-
Eosin. Zeich.-Ok., Obj. 3, Tubl. 15 cm.
Fig. 19. Axialer Vertikalschiiitt durch den oberen Teil der Mittel-
windung, r. S. H&malaun-Eosin. Zeich.-Ok., Obj. 3, Tubl. 17 cm.
Fig. 20. Vertikalschuitt durch die periphere Wand und die 8tria vas-
cularis der Mittelwindung, r. 8. H&malaun-Eosin. Zeich.-Ok., Obj. 6,
Tubl. 15 cm.
Fig. 21. Fast radialer Yertikalschnitt durch das Cortische Organ des
oberen Teiles der Mittelwindung, r. S. F&rbung nach Weigert-Eulschitzky.
Zeich.-Ok., Obj. 6, Tubl. 15 cm.
Fig. 22. Axialer Vertikalschuitt durch die Spitzenwindung, r. 8. Zeich.-
Ok., Obj. 3, Tubl. 1 5 cm.
Fig. 23. Vertikalschnitt, nahe der Achse: oberes Ende der Papilla
basilaris nahe dem Euppelblindsack ; r. 8. Hämalaun- Eosin. Zeich.-Ok.,
Obj. 6, Tubl. 15 cm.
Literatur*
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mit besonderer Berücksichtigung der Synotie. Archiv f. Entwicklungsmecha-
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Säugetiere. Archiv f. mikroskop. Anatomie. 1901. Bd. L VIII.
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besonderer Berücksichtigung des Gortischen Organs. Dieses Archiv. 1902.
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angeborenen Labyrinthanomalien. WiQner klin. Wochenschr. 1902. Nr. 52.
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maus. Archiv f. d. gesamte Physiol. 1900. Bd. 82.
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maus. Archiv f. d. gesamte Physiol. 1901. Bd. 88.
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rinth. Dieses Archiv. 1901.
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das Ohrlabyrinth der Tanzmaus, IL Mitteilung. Archiv f. d. gesamte Physio-
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Bildungsanomalien im h&utigen Labyrinth. Zeitschr. f. Ohrenheilk. Ih95.
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sellschaft 1903.
16. Siebenmann, Beitr&sre zur Kenntnis der Labyrinthanomalien
bei angeborener Taubstummheit. Verhandlungen d. naturforsch. Gesellschaft
in Basel, 1904, Bd. XVI.
15*
XVIh
Experimentelle Studien Aber die Ver&ndeningen im
GehSrorgan nach Vergiftnog mit salizylsanrem Natrinm.
Von
Dr. Alliert Blan, Ohrenarzt in Oörlitz.
(Mit Tafel IX.)
Die anßerordentlieh interessanten Mitteilungen, welche Witt-
maack auf der Natnrforseherversammlung zn Karlsbad 1902
fiber die Ver&ndemngen machte, die durch experimentelle Ver-
giftung mit Chinin im Gehörorgan erzeugt wurden, veranlaßten,
ähnliche Versuche, bezw. Untersuchungen mit der Salizylsäure
anzustellen.
Ehe wir die Literatur über diesen Gegenstand betrachten,
teile ich die Versuchsreihen kurz mit:
Es wurde zuerst eine Tierreihe von 2 Kaninchen, 4 weißen
Mäusen, 2 Meerschweinchen durch die Schlundsonde (die Kanin-
chen) und durch subkutane Injektion vergiftet. Die Mäuse er-
hielten eine Dosis von je 0,01—0,2 g, die anderen Tiere von je
0,3 — 0,5 g Natr. salicyl. Die Vergiftungserscheinungen, welche
die Tiere darboten, traten bei den Mäusen etwa V4 Std. — 25 Mi-
nuten nach der Iigektion auf; bei den Kaninchen etwa nach
\'2 — 1 Std.; bei den Meerschweinchen nach V4 — ^U Std. Die
4 Mäuse starben nach einmaliger Injektion, von den beiden Meer-
schweinchen eines nach einmaliger, eines nach zweimaliger In-
jektion innerhalb zweier Tage. Die Kaninchen wurden viermal
mit der Schlundsode in 6 Tagen geflattert. Es starb das eine
nach 6 Tagen, 1 Std. nach der letzten Injektion, das zweite
nach 8 Tagen, 1 Tag nach der letzten Injektion.
Die Vergiftungserscheinungen begannen mit einem Schwanken
im Gange, dann zogen sich die Tiere — dies war besonders
bei der Mäusen charakteristisch — formlich in sich zusammen«
Experimentelle Studien aber die Yeränderangen ün Gehörorgan. 221
den Eopf zwischen den Vorderbeinen. Das Schwanken wurde
allmählich heftiger, es versagten bald darauf die vorderen Ex-
tremitäten, bis sie, an diesen völlig gelähmt, mit der Brnst auf
dem Boden auflagen. Nach Minuten vergeblicher Aufnohtungs-
versuehe trat auch Lähmung der hinteren Extremitäten auf; die
Tiere fielen zur Seite, bekamen Krämpfe; Zuckungen, beschleunigte
Atmung. Dieser Zustand f&hrte bei den Mäusen sofort zum
Tode. Ebenso verhielt sich das eine Meerschweinchen.
Bei dem zweiten Meerschweinchen und den beiden Kanin-
chen kam es nicht bis zur Lähmung der vorderen Extremitäten.
Taumelnder Gang und eigentümlich bohrende Bewegungen mit
dem Kopfe, als ob die Tiere den Boden durchstoßen wollten,
traten hier auf und ließen unter großer Erschöpfung nach V« bis
V2 Std. nach. Das zweite Meerschweinchen starb nach der
zweiten Injektion, auf der Höhe der Yergiftungserscheinungen,
wie es bei den Mäusen beschrieben. Die beiden Kaninchen
zeigten nach der 2. und 3. Fütterung nur Schwanken, magerten
aber kolossal ab ; das eine starb unter Krämpfen und Lähmungs-
erseheinungen nach 6 Tagen, das zweite nach 8 Tagen^ 1 Tag
nach der letzten Injektion, ebenfalls unter solchen Vorfällen.
Die Untersuchung der in M ü 1 1 e r scher Flüssigkeit fixierten
Schläfenbeine die unmittelbar post mortem entnommen und aus-
präparieii; waren, wurde nach Entkalkung in einer Lösung von
Acid. nitrio (spez. Gew. 1,2) 18,0
Aq. dest. 60,0
Alkohol absol. 140,0
Natr. chlorat 0,5
nach Entwässerung und Nachhärtung in Alkohol, Einbettung in
Celloidin auf Serienschnitten nach Färbung mit Hämatoxylin-
Eosin vorgenommen. Es fanden sich bei allen Tieren Blutungen
in der Paukenhöhle. Bei dem zuletzt eingegangenen Kaninchen
warde eine endolymphatische Blutung im Labyrinth gesehen.
Bei 3 Mäusen fand man kleine Blutungen im Labyrinth (peri-
lymphatisoher Raum) und im Akustikusstamme, desgleichen bei
den zuletzt eingegangenen Meerschweinchen. Die andere Maus,
das eine Meerschweinchen und ein Kaninehen boten keine Blu-
tungen im Nervenstamme dar. Bei dem zuletzt eingegangenen
Meerschweinchen konnte ich die Blutung bis zu einem größeren
Knochengefäß der Labyrinthwand verfolgen.
222; XVII. BLAU
iBzwisehen war die Arbeit von Witraaaok^) erschienen.
IL Tierreihe: Nach seinem Vorgänge wnrde nnn eine neue
Tierreihe von 4 weißen Mäusen^ 4 Tanzmänsen nnd 4 Meer-
schweinchen, welche durch snbkntane Injektion mit Natr. salicyl.
vergiftet waren (Mäuse: 0,01 pro dosi, Meerschweinchen: 0,3 — 0,5
pro dosi), kurz ante mortem durch Entblutung mittels Durch-
schneidens der Garotiden und großen Halsvenen, einmal mit nach*
folgender Durchspülung mit physiol. Kochsalzlösung getötet.
Die 8 Mäuse bekamen alle nach 10 Minuten bis V^ Stunde
die oben beschriebenen Vergiftungserseheinungen und wurden
auf der Höhe derselben getötet. Die Tanzmäuse machten nach
einigen Minuten leichten Schwankens plötzlich so schnell krei-
sende Bewegungen um die eigene Achse, daß man kaum mit den
Augen folgen konnte. Zuerst drehten sich die Tiere alle nach
rechts, dann machten sie ein paar Schritte, um sich dann ebenso
schnell nach der anderen Sichtung, nach links, zu drehen.
Weiter glichen die Erscheinungen denen der weißen Mäuse und
anderen Tiere. Von den Meerschweinchen wurde eines nach
1 Stunde getötet. Die drei anderen erhielten nach Überstehen
der mäßig schweren Vergiftungssymptome noch eine zweite In-
jektion am 3. Tage. Das eine Meerschweinchen (260 g Gewicht)
wurde 2 Stunden nach dieser Injektion getötet, die beiden an-
deren am nächsten Tage, nachdem sie plötzlich Krämpfe be-
kommen hatten.
Das Gewicht der Meerschweinchen schwankt zwischen 260
bis 350 g, die Mäuse wogen durchschnittlich 25—30 g. — Die
Dosis pro dosi betrug 0,001 — 0,5 g Natr. salicyl. Bei all diesen
Tieren wurde sofort nachher der Kopf abgetrennt und in toto in
die Fixierungsflüssigkeit gelegt, nach 24 Stunden wurde dann
das Schläfenbein auspräpariert. Als Fixierungsflttssigkeit diente
die auch von Wittmaack verwandte Lösung von
Müllersche Flüssigkeit . . . 100,0 ccm
Formalin 5,0 ^
Eisessig 1 — 2,0 *•
Nach Entkalkung in der oben angegebenen Lösung, die etwa
2 — 4 Tage erforderte, wurden die Objekte entwässert, in steigen-
dem Alkohol gehärtet, in Gelloidin eingebettet und in Serien-
schnitte zerlegt. Es wurden dann alle 8 Mäuse und 2 Meer-
1) Arch. f. Physiol. Bd. 95. 1903.
Experimentelle Stadien über, die «Verlbiderangen im Gehörorgan. fi&3
schweinchen, und zwar das eine gleiob naeh der ersten Injektion
getötete und eins von denen, welobe am Tage nach der zweiten
Injektion getötet wnrden, so untersucht naoh Färbung mit Hfima^
toxylin-Eosin. — Die beiden anderen Meersehweineben worden
zur Untersuchung der eventuellen Ganglienzellenverändernngen
aufbewahrt.
Nirgends konnten tbier nun Blutungen im Labyrinth oder
im Akustikusstamme gefunden werden; nur vereinzelt (bei zwei
Mfiusen) fanden sich kleine Ekcbymosen in der Pauke. Bei
keinem der Tiere konnte das Trommelfell klinisch untersucht
werden. — Das Gehör der Tiere schien, soweit eine solche Fest-
stellung möglich, herabgesetzt zu ..sein. Doch ist namentlich bei
der feinen Empfindsamkeit der Mäuse auf jede Lufterschfltterung
dieser Befund nicht recht verwendbar (Pfeifen, Anschlagen an
einen in der Hand gehaltenen Teller).
Daß es sich bei den Versuchen der erst beschriebenen Tier*
feihe zweifellos um intravitale Blutungen gehandelt hat, ist bei
den Blutungen in der Paukenhöhle sicher. Die bei dem einen
Kaninchen gefundene endolymphatische Blutung muß ich eben-
falls fUr eine solche ansehen, während ich fftr die im Akustikus-
stamme gelegenen Blutungen eine Verletzang eines größeren Ge-
fäßes beim Auspräparieren fttr wahrscheinlich halte, besonders
nachdem es uns einmal gelang, die Blutung bis zu einem größe-
ren Geftß zu verfolgen. Das Labyrinth war von mir zur Fixie-
rung nicht eröffnet worden. — Bei der endolymphatischen Blu-
tung lagen die Blutkörperchen (Geldrollenform) frei im endo-
lymphatischen Raum, hatten aber das Cortische Organ an dieser
Stelle offenbar teilweise zertrümmert.
Um die eventuellen Veränderungen an den Ganglienzellen,
welche wir nach den geschilderten Befanden einerseits, nach der
Analogie mit den Chinintieren andererseits erwarten durften, zu
studieren, wurden die oben bezeichneten 2 Meerschweinchen und
eine 3. und 4. Tierreihe verwandt.
III. Tierreihe: Durch einmalige Injektion getötete Tiere:
a) Weiße Maus^ 30 g schwer.
9. Oktober 1903. 0,05 Natr. salicyl. subkutan. Nach 10 Mi-
nuten schwere Erscheinungen, auf der Höhe derselben durch
Entblutung getötet.
Sektion: Keine Blutungen in Pleura und Perikard, keine
Blutung in Pauke oder Labyrinth.
224 XTIL BLAU
b) Meerschweinchen, 300 g schwer.
28. Okt. 1903. 0,5 g Natr. saUcyl. snbkntan. Nach 41/2 Stnn*
den schwere Yergiftangserscheinangen, Krämpfe, die sich all*
mählich lösten. Dnrch Entblntang getötet nach 10 Stunden wie 1.
Fixierung wie Tierreihe II.
lY. Tierreihe: Dnrch mehrfache Injektion kleinerer Dosen
yergiftete Tiere:
1. Kaninchen, 1200 g schwer.
9. Oktober 1903. 0,3 Natr. salicyl.
10. Oktober. do.
1 2. Oktober. do.
14. Oktober. do.
15. Oktober. Unter geringen Ercheinnngen, Zuckungen stirbt
das Tier.
Fixierung in Alkohol, dann Auspräparieren der Schnecke
mit Akustikus.
Entkalkung und Einbettung wie bei der I. und II. Tierreihe«
Nirgends Blutungen.
2. Meerschweinchen, 400 g schwer.
9. Oktober 1903. 0,1 Natr. salioyl.
10. Oktober. do.
12. Oktober. do.
14. Oktober. do.
Am 14. Oktober stirbt das Tier auf der Höhe der 2 Stunden
nach der letzten Injektion aufgetretenen Erscheinungen. Behand-
lung wie Kaninchen dieser Reihe.
3. Meerschweinchen, 1500 g schwer.
9. Oktober. 0,1 Natr. salicyL, subkutan.
10. Oktober. 0,1 Natr. salicyl.
12. Oktober. do.
14. Oktober. do.
16. Oktober. do.
20. Oktober. do.
21. Oktober. do.
Am 21. Oktober, 4 Stunden nach der letzten Injektion, stirbt
das Tier, nachdem leichte Zuckungen und Lähmung der Extre-
mitäten aufgetreten waren. Das Tier war während der Zeit sehr
herabgekommen.
Behandlung wie oben.
Unmittelbar post mortem wurden also bei diesen 3 Tieren
die Köpfe in toto in Alkohol abs. eingelegt, nach 24 Stunden
Experimentelle Studien Aber die Yerändernngen im Gehörorgan. 225
das Sehläfenbein , aus diesem die Schnecke mit Aknstiknsstttck
ganz sorgsam heranspräpariert, in der beschriebenen Lösung ent-
kalkt, entwässert, in steigendem Alkohol gehärtet, im Celloidin
eingebettet und geschnitten«
Die Färbung wurde bei diesen 3 Tieren nach der Original-
Yorschrift Nißls vorgenommen.
Aus starkem Alkohol werden die Schnitte in folgende Flüssig-
keit gebracht:
Methylenblau B Patent 3,75
Yenetianische Seife 1,75
Aq. destill. 100,0.
In dieser werden die Schnitte, bis Blasen springen, erhitzt,
in Anilinöl- Alkohol (1 Teil auf 9 Teile) differenziert , dann auf
dem Objektträger abgetrocknet, Oleum origani heranfgetropft,
wieder abgetrocknet; sodann wird ein Tropfen Benzinkolo*
phoninm und einige Tropfen Benzin heraufgetropft. Das Benzin
wird entzündet. Nach dem Abbrennen Auflegen des Deckglases
unter leichtem Erwärmen (Sehmorl, Mikroskopische Technik).
Die vorher bezeichneten beiden Meerschweinchenobjekte und die
Maas der III. Tierreihe wurden nach Held gefärbt und nach
Lenhossäk (Vorfärbung mit Erythrosin, dann azetonhaltiges
Methylenblau B. Patent usw.) bezw. (Thionin konz. wässrig).
Die Schnitte hatten alle eine Dicke von 5 — 7,5 jw.
Die Ganglienzellen des Ganglion spirale der Meerschwein-
chen und Kaninchen haben alle eine leicht ovale oder runde
Form und unterscheiden sich in ihrer Größe nicht wesentlich von-
einander, auch bei den einzelnen Tieren variiert ihre Größe in
erster und letzter Schneckenwindung nicht. Dagegen sind die
innerhalb der Vestibularnerven gelegenen Ganglienzellen erheb*
lieh größer als die des Ganglion spirale.
Ich will nun bemerken, daß die nach Held und Lenhossäk
gefärbten Bilder besonders deutlich all die Veränderungen er-
kennen lassen, während die Originalfärbung nach Nißl durch
-den einheitlich blauen Farbenton die Unterschiede weniger deut-
lich hervortreten läßt. Ferner füge ich bei, daß ichWittmaacks
Erfahrung bestätigen kann, daß nämlich das Erhitzen in Me-
thylenblau oft schädlich, meist unnötig ist.
Bei dem letzten Meerschweinchen, welches 13 Tage lebte,
sehr mäßige Vergiftungserscheinungen darbot und 7 Injektionen
4 0,1 Natr. salicyl. erhielt, fand sich das Protoplasma der Zellen
von einem bald etwas weiteren, bald etwas engeren maschigen
226 XVIL BLAU
Netzwerk gebildet» das einen diffusen blauen Farbenton ange-
nommen hatte, der hier und da von kleinen farblosen Stellen
unterbroeben war. An einzelnen wenigen Zellen gelang es^ am
Bande eine konzentrische, nioht geschlossene Lage rundlicher
oder dreieckiger, dunkelblauer oder nur schwfteher gefärbter
Eorperchen nachzuweisen. An einer Beihe von Zellen zeigt sieh
dieser Ring nur an einem Zellpol erhalten, während er sonst ganz
fehlte. Den meisten Ganglienzellen jedoch mangelt es bis auf einen
den Kern teilweise umgebenden Ring rundlieh oder unregelmäßig
gestalteter dunkelblauer Eorperchen solcher Gebilde ganz. Hier
und da fanden sich unregelmäßig in der Zelle verteilt, einzelne
Ballen mehrerer dunkelblauer Körper, während andere Zellen
nichts mehr von solchen Eorperchen erkennen ließen, sondern
diffus blau erschienen, meist körnig. Ab und zu erkennt man
in solchen diffus blauen körnigen Zellen einzelne ganz blasse
Körperchen, und man gewinnt, den Eindruck, als ob dieselben
ihren Farbstoff an die Umgebung abgegeben hätten. Der Kern
dieser Zellen hat meist einen deutlichen Kontur, einen oder zwei
bis drei Eernkörperchen. Er liegt fast genau in der Mitte der
Zellen und zeigt ein feines blaues Netzwerk, das jedoch bei
vielen Zellen verwaschen erscheint.
An einzelnen Zellen konnte auch eine deutliche Kerngrenze
nicht mehr nachgewiesen werden. Die Zellgrenzen selbst sind
an einer großen Zahl von Zellen vollkommen undeutlich, ver-
waschen. Die ganze Zelle scheint in körniger Auflösung sich zu
befinden (Fig. 6). Die Zellen der beiden anderen Tiere der
IV. Tierreihe (Kaninchen und Meerschweinchen) verhalten sich
ebenso, nur daß die Veränderungen hier insoweit schwerere sind,
als eine noch geringere Zahl von Zellen einen, wenn auch viel-
fach unterbrochenen, randständigen Bing von Körperchen zeigt.
Die beiden Meerschweinchen der IL Tierreihe, von denen
das eine (a) 2 Stunden nach der zweiten Injektion unter schweren
Vergiftungserscheinungen getötet wurde, das andere am darauf
folgenden Tage, nachdem es Krämpfe bekommen und ebenso
die weiße Maus der III. Tierreihe wurden, wie Wittmaaok
dies getan, behandelt und nach Held, bezw. Lenhossök
gefärbt.
Fast alle Zellen des Tieres a der II. Tierreihe zeigen eine
violette Färbung des Protoplasma, und an ganz vereinzelten ist
etwas von einem roten Netzwerk noch erhalten. Dagegen sind
hier Vakuolenbildungen häufiger anzutreffen. Auch das Kern-
Experimentelle Studien ttber die. V^rAnderungen im Gehörorgan. 227:
gerttst zeigt nnr hier und da noißh ein rotes Netzwerk. Im all-
gemeinen ist alles diffus violett, schmutzig violett (rft gefärbt^
bald mehr mit einem tieferen blauen Farbenton untermischt.
An einer Beihe von Zellen [findet man noch unregelmäßig
verstreut ungleich geformte, dunj^elblaue Eörpercben; bei den
meisten sind sie bis auf hier und da anzutreffende kleinste
Pfinktcheu völlig verschwunden. Einige Zellen fallen durch ihren
besonders hellvioletten Farbenton auf. — An manchen solchen
bellen Zellen sind um den Kern wenige dunklere Körperchen
gelagert. — Das zweite Meerschweinchen der IL Tierreihe (IIb),
welches unter schweren Erscheinungen am Tage nach der zwei-
ten Injektion getötet wurde, hat noch schwerere Schädigungen
davongetragen. Hier sieht man bis auf ganz vereinzelt hier und
da verstreut im Protoplasma liegende Körperchen gar nichts
mehr von solchen Gebilden. Alles ist schmutzig violett, ver-
waschen, die Zellgrenzen oft undeutlich, die Kernkonturen je-
doch fast durchwegs klar und scharf.
Das Meerschweinchen der III. Tierreihe (III b) läßt ebenfalls
kaum noch derartige dunklere Körperchen erkennen, nur selten
sieht man um den Kern gelagert einzelne Punkte. Besonders
auffallend ist, daß hier eine Beihe von Kernen unregelmäßig aus-
gezackt, grobkörnig, ohne die Kernkörperchen sehen zu lassen,
erseheinen.
Die Maus (III a) bietet einen Befund ähnlich wie die Meer-
schweinchen der IL Tierreihe , nur daß man hier eine große
Zahl von Zellen mit unregelmäßiger Anordnung der Körperchen
findet.
Fassen wir die Befunde kurz zusammen, so können wir ge-
wissermaßen unterscheiden zwischen den bei der akuten Ver-
giftung (ein- und zweimalige Injektion) an den Ganglienzellen
nachweisbaren Veränderungen und solchen, wie sie durch die
chronische Vergiftung (mehrmalige Injektion) gesetzt wurden.
Die Veränderungen betreffen das Protoplasma der Zelle und
zwar in erster Beihe die in demselben gelagerten, von Nißl
beschriebenen Körperchen.
Die Schädigungen, wie sie sich durch ein- und zweimalige
Injektionen größerer Dosen bei den Tieren erweisen, welche unter
lang dauernden, schweren Symptomen zugrunde gehen, bezw.
auf der Höhe dieser getötet wurden, bleiben mehr auf die un-
regelmäßige Lagerung y das völlige Verblassen und Fehlen der
Nißl körperchen, verwaschene Färbung beschränkt, während das
228 XVII. BLAU
ündentliohwerden der Zell- und Eernkonturen, die vollige Auf-
lösung der Zelle zwar auch vereinzelt bei diesen Tieren gefun-
den werden, in größerem und größtem Umfang jedoch die Ver-
änderungen der Ganglienzellen der gewissermaßen chronisch ver-
gifteten Tiere charakterisieren.
Andererseits findet sich gerade bei diesen letzteren chronisch
vergifteten Tieren noch eine gewisse Zahl von Zellen, die eine
zwar unterbrochene und oft gestörte, aber doch immerhin nor-
malere Lagerung der Eörperchen und Färbung erkennen lassen.
Es dürfte daher der Schluß zulässig sein, daß die chronisch
vergifteten Tiere zwar die höchsten Grade der Schädigungen an
den Ganglienzellen darbieten, daß aber durch die langsamere
Art der Einwirkung des Giftes die Zellen nicht alle gleichzeitig
und gleichmäßig ergriffen werden. Dafllr spricht auch vielleicht
der Umstand, daß die Ganglienzellen, die innerhalb des Vesti-
bularganglions liegen, und welche im allgemeinen die gleichen
Veränderungen aufweisen, als die des Ganglions spirale, eine
größere Zahl von Zellen darbieten, bei denen eine konzentrische,
randständige Schichte oder ein Halbring am Zellpol erhalten ist
(Der Vestibularnerv wurde an einer größeren Zahl von Schnitten
mitgetro£fen.)
Die der mehr akuten Vergiftung anheimgefallenen Tiere
zeigen eine fast alle Ganglienzellen in gleicher Weise schwer
tre£fende Veränderung der N iß 1 körperchen, die Schädigungen
der Zelle in toto und des Kernes sind jedoch weit geringer.
Die ganz kurz nach der Injektion getötete Maus läßt noch
eine größere Zahl normalerer Zellen sehen; hier hat also die
kurze Zeit nicht hingereicht, alle Zellen zu schädigen.
Wir erkennen mithin, daß die Schädigungen des Protoplas-
mas der Zellen, die Veränderungen der Nißlkörperchen zum
Teil von der Zeitdauer der Giftwirkung abhängig sind, ebenso
jedoch von der Einzeldosis. Und damit ist auch die Möglich-
keit, diese Schädigungen zu fiberwinden, bezw. zu verhüten, in
einer genauen Dosierung des Mittels gegeben. Jedenfalls liefern
unsere Experimente und Befunde den Beweis, daß die Störungen
im Gehörorgan, wie sie durch die Salizylsäure, bezw. Salizylate
gesetzt werden, in einer Schädigung der Ganglienzellen im Gang-
lion spirale und im Vestibularganglion ihre Ursache haben.
Die Literatur, welche uns über unseren Gegenstand zugäng-
lich war, beschränkt sich außer den experimentellen Arbeiten
Kirchners auf die Mitteilungen von:
Experimentelle Studien Aber die Yer&nderongen im Gehörorgan. 229
1. Bride 0« Dieser' besebr^ibt das Ohprftparat eines Mannes,
der naeh Gebranoh von Natr. salieyl. taub geworden war, £r fand
in der Scbneeke keine Anomalie, dagegen war in den Bogen-
gängen der ganze perilymphatische Banm mit Bindegewebsbttn*
dein verschiedener Dicke erfÖUt.
2. Stricker 2), welcher sagt, daß Ohrensausen, Schwer-
hörigkeit nnd profuse Schweiße nach der Resorption von Salizyl-
säure entstehen kann.
3. Husemann^) äußert sich dahin, daß Salizylsäure und
salizylsaures Natrium toxisch wirken in großen Dosen. Unter
den Erscheinungen, die sich einstellten, sind Ohrensausen und
Taubheit, ähnlich wie beim Chinin, die bemerkenswertesten«
4. Schilling^) beobachtete 3 Fälle, in denen nach langem
Gebrauch des Salizylsäuren Natrons intermittierendes Ohrensausen
und Schwerhörigkeit mäßigen Grades zurückgeblieben sind. Da-
bei fanden sich die Trommelfelle getrübt
Außerdem hat Schilling 7 Patienten, deren Trommelfelle
er zuvor als gesund konstatiert hatte, während der Zeit des Be-
stehens cerebraler Salizylintoxikationserscheinungen untersucht
und in 3 Fällen, wo Ohrensausen und Schwerhörigkeit am mei-
sten ausgeprägt waren, das Trommelfell nicht unbeträchtlich in-
jiziert gefunden, während diese Befunde in den anderen 4 Fällen
negativ waren.
5. Schwabach^) beobachtete einen 31jährigen Patienten,
der 5 Tage zuvor bei einer rheumatischen Erkrankung 3 mal täg-
lich 1,0 g Natr. salicyl. genommen. Nach 2 oder 3 Pulvern sei
heftiges Ohrensausen und Schwerhörigkeit aufgetreten, infolge
dessen die Arznei ausgesetzt wurde. Die Beschwerden hatten
dann nachgelassen bis auf einen geringen Rest. Dann gebrauchte
Patient etwa 30 g Natr. salicyl. Die Beschwerden kamen wie-
der. Naeh Beendigung der Eur ließen Schwerhörigkeit und
Ohrensausen allmählich nach, das letztere nur wenig, und be-
steht heute noch fast ebenso stark. Offenbar, meint Schwa-
bach, hatten die subjektiven Geräusche in diesem Falle ihren
1) Bride, zit. nach Kirchner. Berl. klin. Wochenschr. 1881. Nr. 49.
2) Berliner klin. Wochenschr. 1876.
3) Hasemann, zit. nach Schwabach. Deutsche med. Wochenschr.
1884. Nr. 11.
4) Schilling, Münchner ärztl. Intelligenzbl. 1883. Nr. 3.
5) Schwabach, Dentsche med. Wochenschr. 1884. Nr. 11.
230 XVII. BLAU
Grund in einem dnrcb das Natr. salioyL gesetzten ßeizzustand
des Hörnerven, welcher sich nnter der Form der diesem Nerven
spezifisch eigentümlichen Sinnesempfindung äußert und der nur
dadurch sich auszeichnet, daß er nicht, wie dies sonst der Fall
ist, ohne Schaden zu hinterlassen, vorttberging.
6. Sachs^) fand nach 5 g Salicylsäure, die in 2 Dosen mit
V4 ständiger Pause genommen waren, ein Sinken der Ohrtemperatur
um 0,35 in 2—3 Stunden. In derselben Zeit treten bei 4 Ver-
suchspersonen Ohrensausen auf, und zwar von längerer Dauer
als bei Chinin. Auch die Hörbeeinträchtigung war stärker als
bei diesem und dauerte länger, bei Weber 6 Tage — bei schon
zuvor Schwerhörigen war sie noch bedeutender. Bei einem von
diesen dauerte die Verschlimmerung V^ «fahr trotz aller Kur-
versuche. Der Schwindel trat später auf, als das Ohrensausen.
7. Urbantschitsch^) fand bleibende Hörstörungen nach
Salizylsäure. In mehreren Fällen waren dieselben von cerelM'alen
Beizerseheinungen begleitet«
8. Kirchner 3) erwähnt einen Fall, wo nach längerem Ge-
brauch von Salizylsäure eine exsudative Entzündung der Pauken-
höhle eintrat, während die Erscheinungen seitens des Labyrinthes
Eingenommenheit der Kopfes, Rauschen im Ohr, zeitweises Schwin-
delgeftthl und Unsicherheit beim Geben von selbst verschwunden
WB-ren, blieb eine mäßige Schwerhörigkeit zurück, die sich abwech-
selnd besserte und verschlechterte. K irchner fand in der Pauken-
höhle eine Ansammlung des bekannten bernsteingelben, serös-
schleimigen Exsudates, das bis an den Umbo des Trommelfelles
reichte. Nach Parazentese und Luftdouche trat Besserung ein
bis auf einen mäßigen Grad von Schwerhörigkeit. — Sodann hat
Kirchner^), wie oben angedeutet, in seinen experimentellen
Arbeiten den Nachweis führen wollen, daß sich die Wirkung der
Salizylsäure ebenso wie die des Chinins auf das Gefäßsystem,
bezw. die Girkulation erstreckt und demgemäß die von ihm nach-
gewiesenen Blutungen und Hyperämien verantwortlich gemacht
für die Störungen im Gehörorgan.
Wenn schon dieser Schluß eine Klippe fand in der Tat-
sache, daß das Chinin wie das Salizyl im allgemeinen keine
1) Sachs, Handbuch der Ohrenbeilk. von Schwartze. Bd. I.
2) Urbantschitsch, ebenda.
3) Kirchner, Monatsscbr. f. Ohrenbeilk. 1883.
4) Derselbe, ebenda. Nr. 25. — Berliner klin. Wochenschr. 1881.
Experimentelle Studien über die Veränderungen im Gehörorgan. 231
speziell das Blutgefäßsystem betreffenden Schädigungen auslöst,
so ist weiterbin fbr das Cbinin von Wittmaack der Beweis
erbraebt, daß diese Blutungen und Hyperämien einen sekun-
dären Charakter tragen, daß die von Wittmaack nachgewie-
senen Ganglienzellenverftndernngen das Wesentliche, der Angriffs-
punkte des Chinins im Gehörorgan darstellen.
Um so exakter ist dieser Beweis geworden durch die schon
Torher von Grün er t^) veröffentlichten Befunde bei strangulierten
Tieren und namentlich später durch die von Alexander 2) nach-
gewiesene Möglichkeit, durch Traumen auch endolymphatische
Blutungen erzeugen zu können.
Dasselbe gilt für das Salizyl, dessen Wirkungen auf das
Gehörorgan beim Menschen ähnliche, oft noch stärkere sind als
die des Chinins und welche denselben Ausdruck fanden (Ohren-
sausen, Schwerhörigkeit, Schwindel). Auch wir konnten nach-
weisen, daß bei Einhalten gewisser Vorsichtsmaßregeln die Blu-
tungen und Hyperämien vermeidbar waren. Dieses wurde von
uns bereits auf der Naturforscherversammlung in Kassel (Sept.
1903) mitgeteilt. — Es ist aber außerdem durch die IV. Tier-
reihe der Beweis erbracht, daß durchaus nicht immer diese von
Kirchner gefundenen Schädigungen des Gefäßapparates ein-
treten müssen, auch wenn die Tiere nicht vorher, um Fehler-
quellen auszuschalten, entblutet wurden. — Die weniger heftig
zum Tode fiihrenden chronischen Vergiftungen, wie wir sie
nennen wollen, bei denen die starken Suffokations- und Krampf-
erscheinungen fehlen, ließen uns bis auf wenige Ekchymosen in
der Pauke bei nur einem Tier keine eigentlichen Blutungen oder
Hyperämien, Gefäßerweiterungen nachweisen. Im Gegenteile,
glaube ichy für das Salizyl ebenfalls eher eine Ischämie an-
nehmen zu dürfen, die ihrerseits zu den die Wirkung des Sali-
zyls beweisenden Veränderungen an den Ganglienzellen fßhrt.
Ob wir es hier nun mit einer direkt spezifischen Giftwirkung
auf die Zelle oder mit einer durch das Gift hervorgerufenen Er-
nährungsstörung zu tun haben, dürfte noch dahingestellt bleiben.
Jedenfalls finden die Wirkungen des Natr. salicyl. auf das Gehör-
organ ihren Ausdruck in bestimmter Schädigung der Ganglien-
zellen im Ganglion spirale und innerhalb der Vestibularganglion.
Übertragen wir diese experimentellen Ergebnisse auf die
1) Grunert, dieses Archiv. Bd. XLY. 161.
2) Alexander, ebenda. \90d.
282 XYII. BLAU
klinisohen Beobachtungen, so stimmen die Angaben von Sachs,
daß der Sehwindel nach dem Ohrensausen auftritt, damit über-
ein, daß die YerAnderungen im Yestibularganglion nicht so aus-
gedehnt waren als die des Ganglion spirale. Auch dieses würde
die Anschauung rechtfertigen, daß die Schädigungen bei lang-
samer Vergiftung mit kleineren Dosen in häufigerer Wiederholung
die Zellen allmählich nacheinander ergreifen. Ein gewisser
Unterschied des Schädigungsgrades der Zellen scheint beim Ver-
gleich der Witt maack sehen Befunde fElr das Chinin mit den
unserigen für das Salizyl zu bestehen.
Ob wir Wittmaack darin folgen sollen, den physiologischen
Ausdruck der anatomisch nachweisbaren Veränderungen in einer
Reizung und einer Ermüdung, also einem reparablen Zustand,
und später in einer Lähmung der Oanglienzellen zu sehen, da-
fElr dürfte es ausschlaggebend sein, welchen Einfluß man der
durch das Gift heryorgerufenen Ernährungsstörung ftr die Zellen
zuschreibt. — Diese Ernährungsstörung aber einzig der suppo-
nierten z. T. bewiesenen Anämie bez. Ischämie des Labyrinths
zuzurechnen, ist, glaube ich, nicht angängig. Wir wissen von
anderen Vorgängen in Organen und Zellen, daß eine vermin-
derte Nahrungszufuhr den Zellenhunger anregt, und wenn die
Nißlkörperchen als Beserveemährungsmaterial aufgefaßt werden
dürften, welches der gesteigerten Tätigkeit der Zelle nachzu-
kommen den Zweck hätte, so wäre in den bei den heftigen Vor-
gängen der Vergiftung mit mittleren und großen Dosen in den
Zellen auftretenden Veränderungen, der veränderten Lagerung,
dem Verblassen und völligen Verschwinden der Eörperchen
gleichsam eine gesteigerte Nahrungsaufnahme und gesteigerte
Assimilationsf&higkeit zu erblicken. Dieses freilich würde um-
gekehrt einen gewissen Reiz auf die Zelle voraussetzen, von dessen
längerer Dauer allmählich eine Ermüdung, endlich eine Lähmung
der Zelle die Folge sein könnte. Dieser Reiz läge dann aber
doch einerseits in der Ernährungsstörung, und diese könnte so-
wohl in der verminderten Blutzufuhr als in der durch das Gift
gestörten Zelltätigkeit zu finden sein.
Es würde dann nur die Frage der Beantwortung harren,
ob alle Schädigungen, welche die Ganglienzellen träfen , die
gleiche Art der Störung in der Zelltätigkeit hervorrufen würden.
Am Schlüsse dieser Arbeit ist es mir ein besonders auf-
richtig empfundenes Bedürfnis, dem Herrn Privatdozenten Dr.
Alexander, Wien^ ftlr die Anregung zu dieser interessanten
.Vrdih- r. OhrcnheflktiMp BtLlJCI.
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ng.io.
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VtrliT v.;-^ F. C WTogfl in I-
l;:li/toi-'iuo:£.rJL'i5'di,L(ip:ig
Experimentelle Stadien über die Ver&nderongen im Gehörorgan. 233
Arbeit und die liebenswürdige Prüfung der Befunde meinen
wärmsten Dank sagen zu können.
Figurenerklärung auf Tafel IX,
Fig. 1—3. ZeUen aas dem Yestibalarganglion (verschiedene Stadien
bei einem chronisch vergifteten Meerschweinchen (Original-Nißlf&rbang).
Fig. 4—7. Zellen aas dem Ganglion spirale desselben Tieres (Ori-
ginal-Nimfärbang).
Fig. 8—11. Zellen des Ganglion spirale bei einem durch zweimalige
Injektion mit größeren Dosen nach heftigen Erscheinungen getöteten Meer-
schweinchen.
ArohiT f. OhienheUkimde. LXI. Bd. L6
xvra.
Ans der k. k. UniversitAtsklinik fittr Ohrenkranke in Wien
(Verstand: Hofrat Profesfor Dr. Adam Politzer).
Die Ankylose des Hammer-Ambdss-Gelenkes.
Von
Dr. Hng^o Frey, em. Assistenten der Klinik.
(Mit Tafel X. XI.)
Die Beweglicbkeitseinsebrftnknng der stapedio-vestibularen
Verbindung ist vielfacb einer genauen Untersuebung unterzogen
worden, und unsere Kenntnis der Details der bier vorkommen-
den krankbaften Veränderungen ist eine ziemlicb weitreicbende.
Im Gegensatz dazu ist den Ankylosen der lateralen Gebör-
knSobelohen niobt dieselbe Aufmerksamkeit gewidmet worden.
Dies ist nicbt unbegreifliob, wenn man erwägt, daß die Fixation
der Verbindung zwiscben Hammer und Amboß gewiß viel seltener
vorkommt, als die des Steigbügels im ovalen Fenster, und daß
durch die zweite die SebalUeitungsvorgänge in viel größerem
Maße als durcb die erste beeinträebtigt werden, Grund genug,
ibr scbon vom klinisoben Standpunkte aus ein bei weitem
böberes Interesse entgegenzubringen.
Die Literatur der Ankylosen des Hammer- Amboßgelenkes
ist eine wenig umfangreiobe. Man findet meist nur Anmerkungen
über diese Veränderung als Nebenbefnnd bei Sektionen des Sobläfen-
beins. Scbuld daran trägt unter anderem siober aueb die unvoll-
ständige Einsiebt, die man lange Zeit in das normale Verhalten der
Hammer- Amboßverbindung hatte und die selbst dureb die alier-
jüngsten Untersuchungen noch niobt vollkommen geklärt werden
konnte. So konnte zum Beispiel noch Valsalva (18) der Ansiebt
Raum geben, daß pbysiologisoherweise Hammerkopf und Amboß-
1) Diese Ziffern beziehen sich auf das Literataryerzeichnis am Schlasse
dieser Arbeit.
Die Ankylose des Hunmep- Amboß- Gelenkes. 335
korp^r unbeweglieh miteinander Terbnndea sei^n ; in unserer Zeit
wird vielfach, wenn anoh nicht unwidersprochen, ein wahres Oel^k
zwischen beiden y^BUitet; erst k&izüoh hat Schmidt (15)
neuerlieh das Bestehen eines echten Oelenkes in Abrede gestiellt.
Erwähnt wird, schon von Petit (11), Hofmeister (4) so*
wie Meekel(7) die Tatsache, daß Ankylose der s&wer ersten
Gehörknöchelchen vorkomme.
In seinem bekannten Katalog führt To jnbee flft) folgende
F&lle an:
L Nr. 569. Trommelfell verdickt, opak, starrer als natür-
lich, Kette der GFehörknöchelchen fixiert. Laute Spraehe war
nur mehr dicht am Ohre gehört worden.
IL u. III. Nr. 591 u. 592. Kette der Gehörknochelehen rigid.
IV. Nr. 628 a^ Hammer- Amboßgelenk ankylotisch.
Wie man sieht, bezieht sich nur einer dieser Befunde auf
das Hamm er- Amboßgelenk allein, in den anderen Fällen ist dieses
Gelenk nicht speziell erwähnt, woraus schon hervorgeht, daß der
in Rede stehenden Veränderung keine besondere Aufmerksamkeit
geschenkt wurde, wie denn auch anatomische Details fehlen.
Fast die meisten Fälle finden wir späterhin von Tröltsch
(17) verzeichnet. Es sind dies folgende:
V. und VL Anatomischer Befund von zwei Gehörorganen.
Links: Hammer und Amboß abnorm fest miteinander verbun-
den. Beehts: Der Amboß scheint durch eine knöcherne Anky-
lose mit dem Hammer zusammenzuhängen. Schleimhaut der
Paukenhöhle normal. Beide Trommelfelle perforiert, fadenförmige
Adhäsionen in der linken Trommelhöhle.
VII. Ankylose des Hammer -Amboßgelenkes durch Ver-
dickung der Gelenkkapsel, die sich als dunkler Streifen abziehen
läßt« Von dem weiteren Befunde erwähnenswert: Trommelfell
auffallend konkav, verdickt. Der Zustand der Trommelfaöhlen-
schleimhaut war wegen des Alters des Präparates nicht zu be-
urteilen. Hammer durch Adhäsionen an die äußere Wand
fixiert.
VIII. Die Verbindung zwischen Hiunmer und Amboß ab-
norm fest. Von beiden Gelenkflächen läßt sich eine V2 cm dicke
Schicht abheben, von mäßiger Kohärenz und Konsistenz, am
meisten erweichtem Knorpel ähnlich im äußeren Ansehen; eine
trübe Grundsubstanz mit sehr reichlichen, meist eckigen Zellen.
Die Trommelhöhlenschleimhaut stark verdickt, grau und sehnig,
mit weißen, streifenförmigen Verdickungen» Bindegewebswuche-
16*
236 XYIU. FREY
rnng im runden Fenster, Strangbildnng in der Trommelhöhle der
anderen Seite.
JX. Hammer nnd Amboß sind abnorm fest miteinander ver-
bunden und besitzen allseitig Adhäsionen mit den benachbarten
Wänden und untereinander. Die Ankylose des Hammer- Amboß-
gelenkes war eine so feste, daß diese beiden Enöehelehen, her-
ausgenommen , nur mit einiger Kraft getrennt werden konnten.
Die Verwaohsung ging von den Rändern der OelenkhOhle aus.
Die Gelenkfläehen selbst sehen nicht knorpelig, sondern matt
und rötlich aus, die Schleimhaut stark verdickt, die Paukenhöhle
erfüllt mit einer rötlichen, gallertartigen Masse, die vorwiegend
als aus Cholestearin, Fettkömchenbaufen und Blutkttgelchen be-
stehend sieh erweist. Der Schleimhautttberzug des Trommelfells
sehr verdickt, er stellt eine rötliche, wuchernde Masse dar.
X. Der lange Schenkel des Amboß ist mit der hinteren
oberen Partie des Trommelfells verwachsen und hängt femer mit
dem Manubrium mallei durch eine dichte, gefiLßreiche Bandmasse
zusammen. Gelenkverbindung zwischen Hammer und Amboß
stark ankylotisch. In der Trommelhöhle vielfache Adhäsionen;
Hammer und Amboß mit einer klebrigen, rötlichen Masse um-
geben.
XL Hammer- Amboßgelenk stark verdickt und aufgelockert,
die Beweglichkeit im Gelenk vollständig aufgehoben. Linker
Amboßschenkel mit der hinteren Fläche des Trommelfells ver-
wachsen. Perforation des Trommelfells vorne oben, zahlreiche
Verkalkungen.
XIL Hammer und Amboß an ihrem Gelenke von verdickter
Schleimhaut umzogen und in ihrer gegenseitigen Beweglichkeit
vollständig gehindert. Trommelfell mit der Promontorialwand
verwachsen, gewulstete Schleimhaut.
Die Durchsicht dieser Fälle läßt mangels einer histologischen
Untersuchung größtenteils nicht erkennen, ob ;es sich bei den
vorgefundenen Ankylosen auch um Veränderungen, respektive
Verwachsungen der Gelenkkörper selbst oder nur um Ver-
dickungen der Gelenkkapsel gehandelt habe. Auch die inter-
essierenden Details der Gewebsveränderungen bleiben aus dem-
selben Grunde unbekannt.
Über eine Anzahl einschlägiger Fälle ist weiterhin von Moos
(8 und 9) referiert worden.
XIIL u. XIV. (Gehörorgane eines taubstummen Individuums).
Alle Gelenke rigid. Exostosen der Trommelhöhlenwand. Hammer-
Die Ankylose des Hammer- Amboß-Gelenkes. 237
Amboßgelenk yollkommen nnbeweglieh. Trommelfell eingezogen,
Sehleimhant verdickt, Fenestrae rotundae knöehern verschlossen.
XY. Hammer-Amboßgelenk fast gar nicht beweglich. (Chro-
nische Eiterung.)
XVI. Hammer-Amboßgeleak schwer beweglich. Stapes un-
beweglich. Nische des runden Fensters auf die Hälfte der nor-
malen Größe reduziert» Hyperostosen in der Trommelhöhle,
Schleimhaut verdickt.
XVII. und XVIII. (Gehörorgane eines taubstummen Indivi-
duums). Sämtliche Gelenke der Gehörknöchelchen ankylotisch.
Das Trommelfell flach, trüb, verdickt. Schleimhaut stark hyper-
trophisch, Knochen hyperostotisch und sklerotisch. Auf einer
Seite das runde Fenster durch lEnochenwucherung obliteriert.
Zwei weitere Beobachtungen rühren von Wendt (19) her:
XIX. und XX. Rechts: Gehörknöchelchen in allen Verbin-
dungen starr, vollkommen unbeweglich, besonders auch der Steig-
bügel. Links: Gehörknöchelchen starr in allen Gelenken.
Hier finden wir den ersten genaueren histologischen Be-
fund: Der Überzug der Gehörknöchelchen, welcher makrosko-
pisch keine wesentliche Abnormität hätte erkennen lassen, zeigt
auf Schnitten eine nicht unbeträchtliche Diokenzunahme und
durch gehends Verkalkung seines direkt dem Knochen anliegen-
den Teiles (dichte molekulare Einstreuung). An verschiedenen
Stellen wahre Verknöcherung desselben. In der subepithelialen
Schichte ein Bindegewebsnetz, welches dicht geflochten und mit
spärlicher Zelleneinlagerung am Hammerkopf und Amboßkörper,
von lockerem Bau und mit reichlicher Einstreuung von Rund-
zellen am Steigbügel, von weitmaschiger Anordnung (seröse In-
filtration) bei minder reichlichem Auftreten zelliger Elemente am
langen Amboßschenkel und an der medialen Fläche des Hammer-
griffes erscheint. So besaß die Umkleidung des Amboßkörpers
eine Dicke von 0,17 mm. Das Epithel bestand aus einer Lage
von rundlichen, stark abgeplatteten Zellen, von denen viele mit
Cilien versehen waren. Die unmittelbar darunter gelegene
Schicht von 0,06 mm Durchmesser bestand aus einem dichten,
bindegewebigen Filz, während die tieferen, bei einer zur Ober-
fläche parallelen Richtung der Fasern, feinkörnige Ealkeinstreu-
ungen hier und da sehr reichlich wahrnehmen ließen. Zwischen
beiden fand sich eine helle, durchscheinende, das Licht stark
brechende, von der Umgebung stark abgesetzte Zone von 0,04 mm
Dicke, welche sich durch die Gegenwart von spindel- bis stern-
298 XVm. FREY
föcmigen Gebildea mk zahlreioben Aaslitffera als eine yerknö-
cherte Stelle, eine Nenbildnng echter EnoefaensnbBtanz, nnd zwar,
wie aas ihrem gleichmftfiigen ViMrkommen in einer Anzahl von
Sehnitten hervorgeht, in Form einer Tafel, bekundet Ferner er-
flehien das Periost des Griffes teils verknöehert, teils verkalkt,
die darüber an der Pankenböhlenfläohe gelegene Sohleimhant-
scdbiebte zellig nnd serös infiltriert Eine Crewebsmasse, welche
den langen Amboßschenkel mit dem Trommelfell nnd dem
Hammergriff verbindet, besteht ans einer derben, sehr reichlich
feinkörnige Auflagerungen aufweisenden, eine verknöcherte Stelle
einschließenden, 0,07 mm bis 0,1 mm dicken, mittleren Zone,
welche vom Periost des einen Grehörknöchelohens zum Perioste
des anderen zog und ans peripheren Schichten, die aus losem,
zellig infiltrierten, mehrfach stark mit Hämatoidin durchsetzten
Bindegewebe zusammengesetzt waren. Von dieser peripheren
Lage ging die ftußere unmittelbar in die ebenso verdickte Schleim-
hautphsitte des Trommelfells über, die innere zeigte an mehreren
Stellen mit Epithel ttberkleidete Fortsätze zur medialen Pauken-
wand.
XXI. Den zweiten ausfbhrlichen histologischen Befund bringt
Politzer (12):
Das Präparat stammt von dem rechten Ohre einer 32 jährigen
Frau, die infolge eines Kleinhirnabszesses nach linksseitiger
Felsenbeinkaries verstorben war. Auf dem rechten Ohre war sie
seit vielen Jahren vollständig taub gewesen.
„Das Trommelfell saturiert weifigelblioh, undurchsichtig, stark
verdickt und eingezogen. Bei der Nekroskopie erwies es sich
in seiner ganzen Ausdehnung mit der inneren Trommelhöhlen-
wand verwachsen und das Adhäsionsgewebe von zahlreichen
Lymphgefäßen und kleinen Lymphzystenräumen durchsetzt. Das
Hammer- Amboßgelenk sowie der Steigbflgel vollständig anky-
lotisch.*^
„An mikroskopischen Schnitten sieht man das faserige Kapsel-
band bedeutend verdickt, die Gelenkflächen des Hammers und
Amboß sind mit dem keilförmigen Meniskus vollständig verwach-
sen, während an den nicht vom Meniskus getrennten Stellen der
spaltförmige Raum der Gelenkhöhle sichtbar ist. An den peri-
pheren Enorpelzonen der beiden Enöchelchen und des zwischen
ihnen gelegenen Meniskus haben die Enorpelkapseln ihre scharfen
Konturen verloren, und die Zellen innerhalb der Kapseln durch
Ablagerung von Kalksalzen eine zackige, unregelmäßig stem*
Die Ankylose des Hammer- Amboß- Gelenkes. 289
förmige, den EmocheBköiperoben Shnliclie Gestalt imgenommen.
Außerdem lassen sieh an ireisolnedenen Stellen im Inneren des
Meniskus kleine Herde beginnender kaiehemer Umiwandlafig
von Eiiorpelsellen OAehweisen. Dnreh Versebmelmng 4g&r a«f
diese Weise veränderten Enorpelkapseln in aneittander gidagerte
Beipesien wird die Yerwaefasmig der Ctelenkflftoken niit dem Me-
niskus bedingt^
«Diese Ankylose entsteht demnach auf dem Wege ein^
direkten ümwandlnng von Knorpel in Knochengewebe, also in
metaplastischer JPorm nach dem Typus, wieMoas die Kiwohen-
nmwandlung der Knorpelinseln der Ohrtrompete beschrieben hat^
Außer den hier referierten Fällen finden wir einschlägige Be-
funde bei S oh war tze (13, 14, 14a) aber nicht detailliert erwähnt.
XXII. Einen interessanten, leider aber durch die besonderen
Umstände des Falles nicht sehr aufklärenden Beitrag verdanken
wir Hammerschlag (3).
Es handelt sich um eine Synostose der Hammer -Amboß-
k5rper. Es ist nicht sichergestellt, ob und welche Veränderungen
in der Trommelhöhle vorausgegangen waren. Hammerschlag,
der den Befund zufällig an einem für normal gehaltenen Gehör-
organ machte, gibt an, daß die Mittelohrschleimhaut zur Zeit
der Untersuchung vollkommen normal gewesen sei. Er vermutet^
daß entweder einmal eine isolierte Erkrankung des Gelenkes
vorhanden gewesen sei, oder daß eine diffuse Entzündung des
Mittelohres abgeheilt sei, und nur in diesem Gelenke Besiduen
zurückgelassen habe. Es handelt sich hier um die Verwachsung
der beiden Gelenkk^örper durch eine ganz ansehnliche Knochen-
brücke. Schmidt (15) hebt bezüglich der Deutung des Falles
im Gegensatz zu Hammersohlag die Möglichkeit hervor, daß
ein Atavismus zugrunde liegen könnte, eine Anlehnung an die-
jenigen Tierformen, bei welchen Hammer und Amboß normaler-
weise miteinander knöchern verwachsen sind. Dieser Ansicht
kann ich mich nicht anschließen, und zwar schon deshalb nicht,
weil sie in unseren bisherigen Kenntnissen über den Bau der
Gehörknöchelchen in vergleichend anatomischer Hinsicht nach
keiner Bichtung hin begründet ist.
Während die bisher aufgeführten Fälle fast sämtlich Obduk-
tionsbefunde darstellen, wurde durch die Zunahme der operativen
Bestrebungen in der Ohrenheilkunde noch eine Anzahl von Fällen
bekannt, bei denen am Lebenden die in Frage stehende Ver-
änderung konstatiert werden konnte.
240 XVIII. FREY
XXIII— XXVI. So berichtet Grunert (laund Ib) aus der
Hallenser Klinik Aber den yiermaligen Befund von Ankylose des
Hammer- Amboßgelenkes, welcher in 2 Fällen bei der Vornahme
der Badikaloperation , in den zwei anderen bei der Extraktion
der Oehörknochelchen erhoben wurde.
XXVn — ^XXXI. EretBehmann(5a) verzeichnet ebenfalls
4 Fälle, die bei der Hammer-Amboßextraktion zur Beobachtung
kamen.
XXXI— XXXV. Suokstorff (15a) erwähnt gleichfalls vier
Fälle von Hammer- Amboßankylose, die er bei derselben Gelegen-
heit fand.
Im vorstehenden glaube ich alles, was die Literatur an
Kasuistik über die Hammer -Amboßankylose enthält, wieder-
gegeben zu haben. Die bei Pause (tO) angefahrten Fälle ent-
halten einen Teil der hier erwähnten; die von Pause ver-
merkten und hier nicht mitgeteilten Fälle haben sich bei näherer
Prüfung der Originalpublikationen als nicht zu unserem Thema
gehörig erwiesen.
Im Anschluß daran möchte ich nun über zwei von mir histo-
logisch untersuchte Fälle berichten. Die Präparate stammen von
Patienten der Universitätsohrenklinik Hofrat Prof. Dr. A. Po-
litzers; ein kurzer Auszug der Krankengeschichte möge voran-
gehen.
0. S., It Jahre alt, Gymnasialschüler, litt seit 6 Jahren an
einer chronischen Mittelohreiterung linkerseits. Das Trommelfell
war, mit Ausnahme des schmalen oberen Bandes, vollkommen
zerstört, der Hammergriff an die innere Trommelhöhlenwand an-
gelegt und die Trommelhöhle selbst mit Granulationen erfüllt,
die auch den Hammergriff nach außen umgaben. Nach längerer
erfolgloser konservativer Behandlung wurde dem Patienten die
Badikaloperation vorgeschlagen und am 6. Oktober 1901 aus-
geführt. Bei derselben fanden sich sämtliche Mittelohrräume wie
auch der Warzenfortsatz erfüllt von Granulationen und Eiter.
Die Knochensubstanz des Processus mastoideus selbst war brüchig
und mußte bis zur Gorticalis entfernt werden. Bei der' Aus-
räumung der Trommelhöhle kamen Hammer und Amboß anschei-
nend vollkommen aneinander fixiert zum Vorschein. Der Fall
ging in vollständige Heilung aus.
Die histologische Untersuchung des Hammer- Amboß-Gelenk es
ergab an horizontal geführten Schnitten folgendes:
Die Ankylose des Hammer- Amboß-Gelenkes. 241
Schwache Vergrößerung. Tafel X, XL Fig, 1.
Beide Enöohelchen weisen vergrößerte Markräume auf; sie
sind durch eine Knochenbrttoke miteinander verbunden, die,
selbst einen Hohlraum enthaltend, in senkrechter Richtung auf
die Ebene des Gelenkes und in unmittelbarer Verbindung mit
der Enochensubstanz beider Gelenkskörper steht. Diese Enochen-
brttcke läßt sich ungefähr durch die Hälfte der Schnittserie ver-
folgen. Dort, wo sie nicht mehr besteht, sieht man noch die
(weiter unten genauer geschilderten) Verkalkungserscheinungen
im Enorpel und späterhin noch Verlötung der beiden Enöchelchen
durch Bindegewebe, welches peripheriewärts an Dichtigkeit
abnimmt.
Starke Vergrößerung: Tafel X, XL Fig. 2.
Der Periostüberzug beider Enöchelchen ist mäßig verdickt.
Ihre Markräume sind stark erweitert und mit einem zarten
Endost, das zum Teil aus sternförmig verästelten Zellen besteht,
ausgekleidet. Die in den Enochenkanälen verlaufenden Blut-
gefäße sind ebenfalls erweitert.
An den, dem Gelenke zugewandten Abschnitten der Enöchel-
chen läßt sich ein eigentlicher Deckknochen nicht mehr unter-
scheiden. Der hyaline Enorpelüberzug der Gelenksfläche ist
an einzelnen Stellen fehlend, an andern verbreitert. Insbesondere
gegen die peripheren Partien der Gelenksspalte zu zeigt sich
eine bedeutende Querschnittszunahme des hyalinen Enorpels.
Ganz peripher ist dieser wulstartig über den Enoehen gelagert.
An der Grenze zwischen hyalinem Enorpel und der Faser-
knorpelscheibe sieht man eine mit Hämalaun stark dunkelblau
gefärbte Zone, die sich als hyaliner Enorpel mit zahlreichen
Zellen und Einlagerungen von Ealk erweist. Die Ealkkonkre-
mente umgeben hier die einzelnen Enorpelzellen und konfluieren
teilweise zu großen Schollen 0. Noch weiter nach innen findet
sich die Gelenkzwischenscheibe aus Faserknorpel, in der längs-
richtung hie und da Spalten aufweisend. Im Übrigen schließt
sie sich direkt an die Gelenkskörper an, ohne einen Zwischen-
raum zu lassen , nur auf ganz kurzen Strecken und ganz ver-
einzelt läßt sie kleine Spalträume zwischen sich und der er-
wähnten dunkelblau gefärbten Zone des hyalinen Enorpels übrig.
Gegen die Mitte der Gelenkslinie zu und zwar schon inner-
halb der Zwisohenscheibe sieht man den oben erwähnten gleich-
1) £ine solche, jedoch sehr schmale Zone findet sich im normalen Fall.
Darüber siehe auch Schmidt (1. c.)
242 XVm. FREY
artige Ealkkonkremente, jedoch an Zahl und Größe beträohtlioh
zunehmend, auftreten, wobei sie aiefa in kompakteren Längs-
zfigen anordnen und beinahe die ganze Breite des Gielenkes
einnehmen, nm schließlich scharf abgesehnitten dort aufzuhören,
wo die intraartiknläre quere Enoobenbrttcke beginnt Diese
selbst unterscheidet sich in ihrer Struktur in niditg von der
Substanz der Odenkskörper, höchstens wäre an ihr ein größerer
Zellreichtum zu bemerken.
Fall II. L S., 21 Jahre alt, Student, leidet seit vielen Jahren
an einer häufig rezidivierenden linksseitigen Mittelohreiterung.
Die Untersuchung ergibt vollständiges Fehlen des Trommelfelles
und des unteren Anteiles des Hammergriffes; kleine Granu-
lationen treten längs des Hammers aus dem Euppelraume
heraus; die äußere Wand des ßeoessos epitympanicus ist ebenfalls
zum Teile verloren gegangen.
Um einem in Aussicht genommenen größeren operativen
Eingriff eventuell noch ausweichen zu können, wird dem Patien-
ten vorerst die Hammerextraktion vorgeschlagen. Bei der in
typischer Weise mit der Sex ton sehen Pinzette ausgeführten
Operation kommt gleicbzeitg mit dem Hammer auch der an ihn
fixierte Amboß zum Vorschein. Die Eiterung heilte nach mehr-
wöchentlicher Behandlung vollständig aus.
Die histologische Untersuchung der miteinander verbundenen
Gehörknöchelchen ergab folgende Details : Tafel X, XL (Fig. 3.)
Starke Vergrößerung.
Die Enochensubstanz der Gelenkskörper ist hochgradig
reduziert, indem die Enochenkanäle außerordentlich erweitert
sind. Die in ihnen verlaufenden Gefäße sind ebenfalls in ihrem
Lumen vergrößert und stark gefüllt. Der Schwund der Enochen-
substanz betrifft insbesondere die G^lenksfiächen des Amboß, hin-
gegen findet sich hier eine sehr beträchtliche Zunahme des den
Gelenkskörper deckenden hyalinen Enorpels, welcher sowohl in der
Richtung gegen den Enoehen als gegen die &serknorpelige
Zwischenscheiben zu sich weit über das normale Maß ausbreitet.
Die normalerweise vorhandene verkalkte Randzone des hyalisien
Enorpels fehlt hier vollständig. Von einem Gelenksspalt ist
nichts zu seh^i. Nur mehrere zarte und zwei stärker ausge-
sprochene Spalten ziehen in die Längsrichtung durch die Faser-
korpelscheibe, ohne jedoch die Ränder des Gelenkes zu erreichen
und ohne sich durch sämtliche Schnitte verfolgen zu lassen.
Die Ankylose des Hammer- Amboß-Gelenkes. 243
Peripker sieht man das Periost d^ Enöobelchen enorm
verdickt. Man erkennt, daß es ans vier 'deatUek voneinander
abgegrenzten und ans konzentrisoh angeordneten Bindegewebs-
massen bestehenden Sehiohten aafgebant ist, welche sieh anter -
einander dnroh ihren Zellreiehtam unterscheiden und sich tink-
toriell verschieden verhalten.
Wir erkennen in den beiden hier vorgefahrten histologi-
schen Bildern zwei verschiedene Typen.
Im ersten Falle handelt es sich nm eine Verbindung der
Gelenkskörper durch neugebildete Enochensubstanz inner-
halb des Gelenkes, also um eine komplette intrakapsuläre
resp. intraartikuläre Ankylose.
Daß dieser Zustand hier nur als Folge eines auch in das
Gelenksinnere fortgeleiteten Entzündungsprozesses anzusehen ist,
steht außer Zweifel.
Die Erweiterung der Knochenkanäle und der darin ent-
haltenen Gefäße, sowie die Ablagerung von Kalk auch inner-
halb der Enorpelzwischenscheibe, wo er sich immer mehr an-
häuft, bis er endlich echtem Knochen Platz macht, sind ebenso
wie die Wucherung der Substanz des hyalinen Knorpels die
sichersten Stützen f&r die Annahme eines ablaufenden oder
abgelaufen«! Entzttndungsprozesses.
Der zweite Fall bietet den Typus einer kapsulären
Ankylose« Hier ist die Sperrung des Gelenkes auf die hoch-
gradige Verdickung des Periostes zurückzuführen, das sich be-
sonders dort, wo es in die eigentliche Gelenkskapsel übergeht,
enorm verbreitert. Die Anwesenheit des neugebildeten Binde-
gewebes hier, sowie der stark ausgesprochene Schwund der
Knochensubstanz, die auch hier erweiterten Gefäße und die
Knorpelwueherung sind wieder Beweise dafür, daß wir es mit
einem Residualprozeß nach abgelaufener Entzündung zu tun
haben.
Vergleichen wir die eingangs angeführten, in der Literatur
niedergelegten Befunde mit den unsern, so finden wir unter den
mit fittcksieht auf den histologischen Befund verwertbaren drei
Fällen (XX, XXI, XXII) folgendes:
Der Fall von Hammersohlag (XXII) gehört jedenfalls
in dieselbe Gruppe wie mein erster Fall. Auch hier findet
BiA eine Ankylosis intraarticularis ossea. Wie aus der von
Hammerschlag beigebrachten Abbildung hervorgeht, dürfte
244 XVIII. FREY
sieh hier aueh in der Umgebung der EnoohenbrOeke eine
fthnliohe Ansammlang Ton Kalkdepots vorgefunden haben, wie
in meinem ersten Fall.
Der Fall von Politzer (XXI) zeigt im großen und ganzen
Yerändernngen, wie sie meinem zweiten Fall entsprechen,
jedoeh ist hier anch schon das stellenweise Auftreten von
knöcherner Umwandlung im Innern der Faserknorpelscheibe
verzeichnet und bemerkenswert; dieser Befund nähert sich da-
durch schon in etwas meinem ersten Falle.
Im Wendtschen Falle (XX) sind die* Veränderungen nur
in der äußeren Umkleidung des Gelenkes beschrieben, wobei
jedoch auch Verkalkung und Verknöcherung erwähnt werden.
Auf Orund sämtlicher bisher vorliegender Befunde können wir
demnach als anatomisches Substrat der Hammer-Amboßankylose^
folgende, wie es scheint, typische Veränderungen hinstellen:
I. Die periartikuläre bindegewebige Ankylose.
II. Die periartikuläre knöcherne Ankylose.
III. Die intraartikuläre knöcherne Ankylose, und
IV. Mischformen, bei denen sowohl intra- als peri-
artikuläre Veränderungen teils durch Bindegewebszunahme,
teils durch Verkalkung und Enochennenbildung bestehen.
•• ••
Ätiologie: Über die Ursachen dieser Veränderungen
können wir angesichts des kleinen Materiales noch nicht mit
Bestimmtheit urteilen.
Für die histologisch untersuchten Fälle kommt folgendes in
Betracht':
>
Im Falle XXII konnte zur Zeit der anatomischen Unter-
suchung eine Ursache nicht festgestellt werden, jedoch sind die
Veränderungen solche, daß sie vom pathologisch -anatomischen
Standpunkt aus nur als Folge einer entzündlichen Erkrankung
angesprochen werden können.
In den anderen zwei Fällen (XX und XXI) und in meinen
beiden ist diese Ursache durch den Befund am Patienten sicher-
gestellt.
Daraus ergibt sich, daß wir die echte Ankylose des Hammer-
Amboßgelenkes, soweit die bisherigen Daten exakte sind, durch-
wegs als den Ausgang einer entzündlichen Erkrankung dieses
Gelenkes anzusehen haben, diese selbst aber jedenfalls wieder
als Teilerscheinung einer (akuten oder chronischen) Entztlndung
in der Trommelhöhle auffassen müssen.
Die Ankylose des Hammer-Amboß-Gelenkes. . 245
In den anderen oben erwähnten Fällen, in denen allerdings
die Ankylose nicht histologisch sichergestellt ist, ergibt sich ans
dem Zustand des Mittelohres zum Teil, zum Teil aus der Anam-
nese in 23 Fällen (V, VI, VIII, IX, X, XI, XII, XIII, XIV, XV,
XIX, XXIII — XXV) ebenfalls das Bestehen einer Entzündung;
aber auch in den Fällen, wo dies aus der Darstellung nicht
direkt zu entnehmen ist, liegen solche Angaben vor, daß der
Annahme einer vorausgegangenen Entzündung wenigstens nicht
widersprochen werden kann.
Dieser ursächliche Verhalten ist auch schon früher von meh-
reren Autoren richtig aufgefaßt worden, so z. B. von Schwartze
(13, 14, 14a), Jacobson und Blau (5), Politzer (12), Haber-
mann (2), Ferrari (1).
Es ist demnach mehr als zweifelhaft, ob auch katarrhalische
Veränderungen im Mittelohre, selbst bei langem Bestehen und mit
chronischer Umgestaltung der Schleimhaut verbunden, eine Anky-
lose der Hammer- Amboßverbindung erzeugen können; wir haben
vielmehr zumindest bis zum Eintreffen eines Gegenbeweises
die Hammer-Amboßankylose in das große Gebiet der chro-
nischen Adhäsivprozesse nach abgelaufener Mittel-
ohrentzündung, bezw. Eiterung einzureihen.
Über die Schädigung der Hörfunktion durch die
Hammer-Amboßankylose allein kann nicht viel gesagt werden.
Vor allem ist in Betracht zu ziehen, daß das Hammer- Amboß-
gelenk schon normalerweise nur eine sehr geringe Exkursions-
weite hat, und daß es überhaupt noch fraglich erscheint, ob wir
hier von einem wirklichen Gelenk sprechen dürfen. Es wird
deshalb auch selbst eine vollständige Unbeweglichkeit der bei-
den Enöchelchen eine hochgradige Störung in der Schall-
zuleitung voraussichtlich nicht hervorrufen können. Da aber
die beschriebenen Veränderungen in den auf ihre Hörfunktion
untersuchten Fällen niemals isoliert, sondern immer nur mit Ver-
änderungen mehr oder weniger schwerer Natur kombiniert vor-
gefunden wurden, so läßt sich aus der Beeinträchtigung des Ge-
hörs in den untersuchten Fällen noch kein Schluß auf die Bolle
ziehen, welche der Aufhebung der gegenseitigen Beweglichkeit
von Hammer und Amboß dabei zukommt.
246 XYin. FREY, Die AiiMose des Hammer-Amboß-Gelenkes.
Litemtiir.
1) Ferreri, Annales des maladi«» deroreiDe, dülarynxetc. 18^9. p. 405.
la) Orunert, Beitrag sar operatiifen FreUegonf der Mittelohir&miie.
Dieses Archiv. Bd. XL. S. 192.
lb> Derselbe, Weitere Mitteihingen Aber Hammer- Amboßextraktfon.
Ebenda. Bd. XXXIII. a 224.
2) Habermann, Handbuch der Ohrenheilkunde, herausgegeben Ton
Schwartze. Bd. I. S. 259.
3) Hammerschlag, Beitrige sar pathologischen Anatomie der Ctehdr-
4) Hofmeister, De organo auditns et eins Titiis. Diss. Lugd. Bat. 1741.
5) Jacobson und Blau, Lehrb. d. Ohrenheilk. HI. Aufl. 1903. 9. 242.
5a) Kretschmann, Festschr. z. 5Uj&hr. JabilAom der med. Gesellechaft
zu Bf agdeburg.
6) Lucae. Virchows Archiv. Bd. XXIX. S. 77.
7) Meckel, De labyrinthi auris contentis. DIss. Argent. 1777. Theais 9.
8) Moos, Zeitschr. t Ohrenheilk. Bd. III. S. 92, 97.
9) Derselbe, Ibid. Bd. VII. p 239, 247.
10) Pause, Die Schwerhörigkeit durch Starrheit der Pankenfenster. Jena
1897. S. 146 u.a.
11) Petit, Oeuvres posthumes. Tome I.
12) Politzer, Lehrb. d. Ohrenheilk. L AufL 1878. S. 379.
13) Schwartze, Über Karies der Ossicula audjtus. Vortrag auf der Ver-
sammlung deutscher Naturforscher und Arzte in Frankfurt, 1896.
14) Derselbe, Klebs' Handb. d. patholog. Anatomie. 1878. U. Bd. H. Abt
S. 97 ff.
14a) Derselbe, Bericht Aber die Versammlung deutscher Naturforscher
und Ärzte in Magdeburg 1884. Dieses Archiv. Bd. XXIL & 128.
15) Schmidt, Zur Anatomie und Entwicklung der Gelenksverbindungen
der Gehörknöchelchen bd^ Menschen. Zeitschr. f. Ohrenfa. Bd. XLIII.
15a) Suckstorff, Zur Patholofläe u. Therapie der chronischen Mittelohr»
eiterungen. Zeitschr. f Ohrenheilk. Bd. XLV. S. 87.
16) Toynbee, A descriptiTO catalogue of preparations, iUnstrative of the
diseases of the ear, in the musenm of J. T. 1857.
17) V. Tröltsch, Gesammelte Beitr&ge zur patholog. Anatomie des Ohres
n. zur Geschichte d. Ohrenheilk. Leipzig 1883. S. 1 1, 25, 29, 35, 70, 82.
18) Valsalva, De aure hnmana tractatus. Tngecti ad Rheniun 1707. p.22.
19j Wendt, dieses Archiv. Bd. XIV. S. 274 ff.
-\rchi\' r. Ohrenhenkunde BiLLH.
XLX.
Haligner Tnmor des NasenraGhenraoins. Eitrige
Von
Priyatdozent Dr. Stengrer in Königsberg i. Pr.
Die Diagnose der Tumoren des Nasenraohenranms ist in
vielen Fällen so überans kompliziert, daß die Bekanntgabe des
folgenden Falles gerechtfertigt erscheint.
Am 29 Mai 1903 wurde auf die innere Uniyerdt&taklinik — Direktor
Herr Geh. Med -Rat Prof. Dr. Licbtheim, dem ich fflr die Überlassang
dieses Falles meinen verbindlichsten Dank an dieser Stelle ausspreche —
Herr M. aufgenommen mit Klagen aber Schmerxen in der rechten Gesichts-
und Kopfseite, Gefühl von Verstopfung in der Nase, Doppeltsehen, Abnahme
des Sehvermögens auf dem rechten Auge. Herr M. ist 54 Jahre alt, hat im
Alter von 18 Jahren Lungenentzündung überstanden, ist sonst stets gesund
gewesen. Drei Kinder leben und sind gesund. Seit einem Jahre besteht
ohne bekannte Ursache Ohrensausen, allmfthlich zunehmend mit stechenden
Schmerzen in der rechten Ohrgegend und Abnahme der Hörfähigkeit. Ein-
geleitete Behandlung bei einem Spezialisten bringt keine Besserung. Seit
einem halben Jahr zunehmende Schmerzen über die ganze rechte Gesichts-
seite, besonders in den Z&hnen. Seit 5—6 Wochen beim BUck nach rechts
Doppelbilder mit gleichzeitiger Abnahme der Sehkraft und Gefühl von Ver-
stopfung in der rechten Nasenseite.
Befund bei der Aufnahme: Mittelgroßer Mann in gutem Ernährungs-
zustand, keine Drüsenschwellungen. Im Rachen nichts JB^sonderes. Pupille
links mittelweit, rechts etwas enger; beide reagieren i^ompt bei guter
Konvergenz. Puls 96, Temperatur normal. Brust- und Unterleibsorgane
zeigen nichts Besonderes. Intelligenz, Sprache, Sensorium ohne Defekte.
Geruch ist rechts herabgesetzt. Augenhintergrund ohne Besonderheit.
Medien durchscheinend. Gesichtsfeld ohne Defekte. Die rechte Lidspalte
ist enger als links. Das rechte obere Augenlid ist etwas herabgesunken
und kann nicht so gehoben werden wie links. Die Bewegungen nach oben,
links und unten werden gut ausgeführt. Bei der Blickwendung nach rechts
bleibt das Auge in der Mittelstellung st^en. Rechte Pupille bedeutend
enger als links. Sensibilität des Gesichts und Funktion der ICaumuskulatur
ohne Störung, ebenso die mimische Funktion des Gesichts. Ticken der Uhr
wird rechts in V« m* links in 1 m Entfernung gehört. Keine Schluckstörung.
Geschmack auf der hinteren Zungenhälfte nicht deutlich herabgesetzt. Zunge
wird gerade herausgestreckt. Untersuchung der Nase und des Nasenrachen-
raums ergab auto Schwellung der unteren Muschel nichts Abnormes.
Objektiv bestand demnach eine Parese des Abducens und Levator
palpebrae superioris rechts.
Am 10. Juni treten Schmerzen im rechten Ohr mit zunehmender Schwer-
hörigkeit auf. Flüstersprache rechts dicht am Ohr gehört. Trommelfell
trübe, durchfeuchtet, ohne Lichtreflez. Warzenfortsatz nicht druckempfindlich.
248 XIX. STENGER
Temperatur: 11. Juni 38,0 39,3^
12. Jani 37,2 38,50.
13. Jani 37,3 37,6<>.
14. Juni 37,2 36,S<>.
14. Joni. Die Entcandangserscheinangen im rechten Ohr sind zurück-
gegangen. Trommelfell erscheint noch glanzlos. Keine Ohrschmerzen mehr.
Am 29. Juni treten wieder heftige Schmerzen im rechten Ohr und in
der rechten Kopfseite auf. Trommelfell ist gerötet, im hinteren Abschnitt
vorgewölbt. Parazentese entleert blutig-seröses Exsudat.
3. Juli. Andauernd stark eitriger Ausfluß. Schmerzen in der rechten
Ohrgegend, Warzenfortsatz druckempfindlich. Ptosis rechts deutlicher.
Rechte Pupille weiter als links, reagiert trftge. Rechter Rectus superior,
internus, abducens funktionieren nicht. Es bestehen Doppelbilder beim
Blick nach oben, innen und außen. Augenhintergrund: rechte Papille am
temporalen unteren Rand etwas verwaschen.
Temperatur: 30. Juni 38,4 38,6<>.
I.Juli 38,2 38,80.
2. Juli 37,8 38,9®.
3. Juli 37,8 38,40.
4. Juli 37.8 38,8**.
In Ähnlicher Weise hielt die Temperatur unter profuser Eiterung aus
dem rechten Ohr an bis zum 10. Juli. Die Kopfschmerzen nahmen zu, be-
sonders in der rechten Schl&fengegend. Der rechte Warzenfortsatz wurde
druckempfindlicher, die Aügenmuskell&hmungen treten deutlicher in Er-
scheinung Augenscheinlich waren unter Verschlimmerung der Ohrsymptome
auch die Augenmuskell&hmungserscheinungen stärker geworden. Es kam
nun in Frage, zu entscheiden, ob es sich um zwei getrennte Prozesse han-
delte, oder ob die vom Auge ausgehenden Erscheinungen mit dem vom Ohr
ausgehenden in Verbindung zu bringen seien. Die von selten des Ohres
bestehenden Symptome boten zun&chst das Bild einer akuten Mastoiditis
mit lebhaften Retentionserscheinungen, ohne eigentlich py&mischen Charakter,
zudem waren sie zeitlich später in Erscheinung getreten als die Augen-
muskell&hmungserscheinungen , deren gleichzeitige Verschlimmerung aller-
dings in Betracht gezogen werden mußte. Die Möglichkeit eines Zusammen-
hanges war dadurch wahrscheinlich und ließ an Meningitis, Hlmabszeß,
eztraduralen Abszeß oder Sinusphiebitis denken. Gegen Meningitis sprach
der chronische Verlauf, das Fehlen weiterer meningitischer Allgemein-
symptome, ohne daß weitere Lähmungserscheinungen auftraten. Sinus-
phiebitis war unwahrscheinlich, da der Charakter der Pyämie fehlte, und
wenn auch die Lähmungserscheinungen durch Erkrankung des Sinus caver-
nosus bedingt sein konnten, doch die Symptome einer Thrombose desselben
mit ihren Folgewirkungen auf das Auge nicht auftraten. Am ehesten ließ
sich ein Abszeß im Schlaf enlappen oder ein extraduraler Abszeß vermuten.
Da bereits eine rezidivierende Ohrenentzündung bestanden hatte, so war
die Entstehung eines derartigen Erkrankungsherdes möglich und mit den
nachweisbaren Symptomen am besten in Einklang zu bringen. Sowohl bei
Kleinhirn- als auch bei Schläfenlappenabszessen sind isolierte Lähmungen
des Abducens und Oculomotorius beobachtet. Während die bestehende Ptosis
allein mehr auf einen Sitz des Abszesses im Schläfenlappen hinwies , ließ
die Abducens- und Okulomotoriuslähmung mehr an die hintere Schädelgrube
denken. Fttr die Annahme eines Hirnabszesses waren die sonstigen Hirn-
symptome zu geringwertig; es fehlten die Erscheinungen von Hirndruck,
Schwindel, Bewui^tseinsstörungen. Ks blieb deshalb die größere Wahr-
scheinlichkeit der Annahme eines extraduralen Abszesses mit lokaler Druck-
wirkung. In dieser Voraussicht wurde am 1 1. Juli die Eröffnung des Warzen-
fortsatzes ausgeführt. Die Zellen des Warzenfortsatzes waren mit schmierig-
eitrigen Granulationen durchsetzt, die bis an den Sinus heranreichten, der
in ganzer Ausdehnung freigelegt wurde. Die mittlere Schädelgrube wurde
in MarkstQckgröße freigelegt, ohne daß sich ein extraduraler Abszeß finden
ließ. Deshalb wurde der Schläfenlappen punktiert. Bei der Punktion ent.
leerten sich 5 ccm klarer Ventrikelnüssigkeit.
Maligner Tumor des Nasenrachenraams. Eitrige Mastoiditis. 249
Am 12. Juli Temperatur völlig normal. Allgemeinbefinden besser; die
Schmerzen in der seitlichen Kopf- und Hinterhauptgegend sind geringer,
doch sind die in der Schl&fen- und Augengegend unvermindert. Die L&h-
mungserscheinungen sind nicht geringer. Die Operation hatte demnach die
akuten fintzOndungserscheinungen im Warzenfortsatz beseitigt und gezeigt,
daß es sich um zwei getrennte Prozesse handelte. Da die von nasen-
spezialistischer Seite vorgenommene Untersuchung des Nasenrachenraums
negativ gewesen war, konnte es sich nur um eine Geschwulst im hinteren
Teile der Orbita handeln.
16. Juli. Rechter Augapfel erscheint vorgetrieben. Ophthalmoplegia
totalis. Nur leichte Bewegung nach unten möglich. Rechte Pupille 7 mm
breit. Ophthalmoskopisch: Papille nasal ziemBch stark verwaschen und
hyperämisch in deutlichem Gegensatz zu links.
28. Juli. Druckgefühl in der rechten Kopfhälfte zunehmend. Rechts
im Bereich des III. Trigeminusastes Hyperästhesie, Hypaigie sowohl der
äußeren Haut als auch der Rachenschleimhaut, in der Mittellinie scharf
abschneidend.
8. August. Bulbus stärker vorgetrieben. Trochlearis funktioniert
nicht mehr.
16. August. Der wegen zunehmender Nasenbeschwerden von mir fest-
gestellte Nasenbefund ergab nach vorheriger Kokainisierung: Im unteren
rechten Nasengang vom Gavum pharyngo nasale hineinragend große, höckerige
Geschwulstmasse, die die ganze rechte Seite des Nasenrachenraums anftQlt
Eine Probeexzision konnte nicht vorgenommen werden. Ein chirurgischer
Eingriff schien aussichtslos.
20. August. Bulbus stärker vorgetrieben. Gefühl von Kribbeln und
Schwäche in den Armen und Beinen. Auf Wunsch Entlassung in die Heimat
Zufolge späteren Berichts trat eine Woche nach der Entlassung Läh-
mung des rechten Arms, allmählich des rechten Beins, des linken Arms
und linken Beins ein. Blase und Mastdarm waren nicht gelähmt. Keine
Schluck- und Atmungshemmung. Am 15. September plötzlicher Exitus.
Nach Art der Entstehung, des Sitzes und des Verlaufs ist
die Annahme gerechtfertigt, daß es sich um ein Sarkom der
Schädelbasis, vielleicht ausgehend vom Keilbein, gehandelt hat.
Die ersten Erscheinungen liegen weit zurück und sind besonders
f&r den Ohrenarzt charakteristisch. Sie bestehen in Ohrensausen,
Abnahme der Hörfähigkeit und allmählich zunehmenden Schmer-
zen in der rechten Ohrgegend. Erscheinungen, die auf einen
Tubenkatarrh, beziehungsweise chronischen trockenen Mittelohr-
katarrh sich zurückführen ließen. In dieser Annahme ist die
Behandlung und zwar erfolglos gehandhabt worden. Während
die Ohrsymptome zunahmen, die Kopfschmerzen heftiger wurden,
traten die Augenmuskelparesen in Erscheinung. Noch während
der Beobachtungszeit entstand eine akute, fieberhafte rechts-
seitige Mittelohrenentzündung, die in wenigen Tagen zur Zu-
rüekbildung kam, nach 14 Tagen aber von neuem aufflackerte«
Nunmehr konnte die anfängliche Diagnose einer geschwulst-
artigen Erkrankung an der Basis cranii bezw, in der Augen-
höhle (Tumor oder Gumma), die durch die Untersuchung des
Nasenrachenraums keine Unterstützung gefunden hatte, aufge-
geben werden und an die Möglichkeit eines Zusammenhangs
Archiv L OhienheiUninde. LXI. Bd. 1 7
250 XIX. STENGER, Maligner Tumor des Nasenrachenraums.
der vom Ohr und vom Auge ausgehenden Symptome gedacht
werden. Das Resultat der Operation maohte diese Vermutung
unwahrscheinlich, das Endresultat gab der anfänglichen Diagnose
recht. Augenscheinlieh hat sieh der Tumor zuerst durch einen
Tubenkatarrh bemerklich gemacht, der neben subjektiven Gre-
räuschen, zunehmende Schwerhörigkeit, als besonders bemerkens-
wert sich steigernde Kopfschmerzen und Schmerzen in der
rechten Gesichtsseite erkennen ließ. Der weitere Fortschritt
der Oeschwulstmasse macht sich dann allmählich durch Auf-
treten rezidivierender akuter Mittelohrentzündungen bemerkbar,
die zur eitrigen Entzündung des Warzenfortsatzes führten. Bei
der Operation schien das Mittelohr nicht auffallend mit Granu-
lationsmassen angefüllt, so daß, da nur die Antrumoperation aus-
geführt wurde, nicht festgestellt werden konnte, ob Granulations-
massen durch die Tube ihren Weg genommen und vielleicht
somit Anlaß zur Ohreneiterung gegeben hatten. Wahrschein-
licher ist es, daß durch die den Tubeneingang verlegenden Ge-
schwulstmassen die Ohreneiterung indirekt veranlaßt worden
ist. Die von mir erst später vorgenommene Untersuchung des
Nasenrachenraums stellte die große Ausdehnung des Tumors
fest, der, nachdem er einmal in den Nasenrachenraum hinein-
gewachsen war, ein schnelles Wachstum genommen hat. Dafür
spricht auch seine überaus schnelle nachherige Vergi'ößerung,
die den baldigen letalen Ausgang herbeiführte.
XX.
Klüisclie aod pathologiseke HitteilnngeD.
IV. Ein GHomB des Aknstikne.
Von
Dr. Bndolf Fuise, Dreaden-Neuatadt.
(Mit 4 Abbildungen nach Zeichnungen des Terfassera.)
Über dem Prfiparate eines Falles, das loh wieder der GrUte
des Herrn Professor Dr. Sßhmorl verdanke, hat ein eigen-
tflmlichea Mißgesohiok gewaltet. ErankengeBebiohte und Sek-
tionsprotokoll hatte ein jnnger Kollege geborgt und wohl ver-
loren. Die ersten 20 ansgesnchten Schnitte gah ieh zur Eontrolle
in das pathologische Institut, wo sie während der Abwesenheit
des Direktors verloren gingen. Der andere Teil des Sohl&fen-
beines fehlt leider nnd mit ihm der Tnmor. Trotzdem halte
ich die Präparate der Besohreibung wegen der verhältnismäßigen
Seltenheit Ar wert.
Abb. I. 1 — Tamor.
Wie die in natnrlioher Größe gezeichneten Schnitte (Abb. 1)
zeigen, hat die Geschwulst ihren Sitz im inneren Gebörgang und
ihre Hauptansdehnung in der der Pyramidenkante senkrechten
Ebene durch den Modiolus. Am Beginn der Schnecke vorn Ist er
noch kleiner nnd hinten hört er in einer Ebene durch beide Fenster
und den Querteil der Tensorsehne anf. Er ist, wie von versohie-
252 XXI. PANSE
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Abb. 2.
Randpartie des Gliomes zwischen Lamina cribrosa und Tumor von Scbnitt 11.
Yergr. 200. Um V« ▼erkieinert.
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Abb. 3.
Gliomzellen. Yergr. 535. Um 7^ verkleinert.
Klinische und pathologische Mitteilungen. 253
denen Seiten als bezeichnend für diese Geschwülste betont wurde,
ringsum außer nach der Lamina eribrosa zu scharf abgegrenzt,
also an sich leicht ausschälbar und hat den Innern Geh5rgang
bedeutend nach unten erweitert. In seinem Innern hat sich ein
Hohlraum wohl durch Erweichung ausgebildet^ der ebenfalls in
der Modiolussehne seine größte Ausdehnung hat und in dem
Tumor so sitzt, daß innen unten eine größere harte Masse bleibt.
Bei schwacher Vergrößerung erkennt man, daß der Tumor
mit reichlichen Blutgefäßen versorgt, aber sonst nicht gleich-
mäßig aufgebaut ist, sondern z. T. aus einem Gewebe besteht,
dessen Bundzellen verschieden dicht aneinanderliegen und ver-
schieden deutlich ein Gewirr dünner Fasern erkennen lassen,
zum Teil aus festen gleichlaufenden Faserzügen mit spärlichen
Spindelzellen. Wir haben es also mit einem Fibrogliom zu tun.
Die Zellen der Glioms (Abb. 2) sind verschieden groß und ge-
staltet. Auch der Kern hat verschiedene Größe, die von den
Zellen abgehenden Fasern sind rauh, oft geteilt breiter wie Fi-
brin, dessen Ansammlung an den Wänden des Hohlraumes, be-
sonders der unteren, einen Vergleich leicht ermöglicht. Gliom-
und Bindegewebszellen gehen ohne scharfe Grenzen ineinander
über.
Die Einwirkung des Tumors auf die Nachbarschaft besteht
zunächst in einer Erweiterung des inneren Gehörganges, doch
ist die Grenze des Knochens mit Osteophyten besetzt, die eine
schmale, schwach mit Hämatoxylin gefärbte Zone noch nicht ver-
kalkten Knochens gebildet haben. Die neuen Knochenkörper-
chen sind noch rundlich, ungezackt, die Lamellen des alten
Knochens sind scharf in ihrer Richtung unterbrochen. Osteo-
klasten sind nirgends vorhanden.
Der Facialis hat mit der von mir schon oft betonten Wider-
standsfähigkeit auch den Druck des werdenden Tumors aus-
gehalten, während der Akustikus bis auf wenige Fasern in ihm
aufgegangen ist, die um den Band herumziehen, sich schwer
von seinen Fasern trennen lassen und häufig unterbrochen sind
durch welliges Bindegewebe mit Spindelzellen oder durch Bund-
zellenzüge ersetzt sind. Überall Beiskörper im degenerierten
Nerven. Während das Ganglion geniculi und der Facialis im
Verlauf in der Pauke normal ist, sind im Spiralganglion nur
wenige Zellen 2 — 3, manchmal bis 16 in dem Basalteil des Ka-
nales enthalten, während der übrige Baum mit Bund- und Spindel-
zellen ausgefüllt ist. Nach dem Cortischen Organ ziehen keine
264 XX. PANSE
deutlichen Fasern mehr. Die Reißnersohe Membran zeigt etwa
normale Lage, keine der Slannngspapille entsprechende Verände-
rungen. Vom Gortischen Organ sind die Pfeiler zum Teil noeh
deutlich erhalten, desgleichen die Deckmembran, die tympanale
Belegscbicht sehr zellreioh. Von den übrigen Zellen nichts deut-
lich mehr zu sehen. Doch spielen hier wahrscheinlich Fäulnis-
vorgftnge eine Rolle.
In der Sohnecke viel braunes Pigment. Die Nerven der
Pars superior des Labyrinths enthalten wenig dünne Fasern, die
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Abb. 4.
a b ist die Ebene der Abb. 1. gezeichneten Schnitte, f» facialis. Das Schraf-
fierte gibt die Ausdehnung des Tumors an. Um V^ Terkleinert»
Ganglien nur spärliche Zellen. Die Haarzellen der Säcke sind
undeutlich, die Otolithenmembran des Utriculus gut erhalten.
Auch die Nerven und Haarzellen der Ampullen sind undeutlich^
keine Cupula zu sehen. Fibrinfäden sind in den Winkeln der
Vorhofsgebilde sichtbar. Aquädukte, Bogengänge, Knochen, Paa-
kenteile normal, nur runde Nische mit einkernigen Rundzellen
ausgefüllt.
Die Ausdehnung der Geschwulst nach vorn läßt sich nicht
bestimmen, doch ist im Schnitt a der größte Umfang nach vora
bereits überschritten und sie wird nicht viel weiter gereicht
haben. Um ein klares Bild zu geben, habe ich die Ebene der
Klinische und pathologische Mittellungen. 255
Schnitte und die Größe der Gesohwulst in das Bild eines Hori-
zontals&gesohnittes des Felsenbeines eingezeichnet. Aj^s diesen
Zeichnungen können wir nun auch den Weg erkennen, den wir
zur Entfernung der Neubildung zu betreten haben. Die Versuche
Fedor Krauses^), sich vom Kleinhirn aus dem Akustikus zu
nähern, sind bisjetzt nicht sehr ermutigend. Für den Ohrenarzt,
der jetzt schon das Labyrinth bei Eiterung eröffnet, wird jeden-
falls der Weg durch die Pauke der gegebene sein. Das Laby-
rinth ist tot, also nicht zu schonen^ Auch die Lymphräume des
Akustikus, die ich als gefährliche Bahn zu den Hirnhäuten in
meinen Mitteilungen öfters schilderte, sind wohl durch den Druck
der Neubildung geschlossen. Das einzige Hindernis bildet der
Gesichtsnerv. Wenn er auch in meinem Falle erhalten ist, so
wird er doch meist zerstört sein, wenn die Diagnose des
Akustikustumors so klar ist, daß eine Operation in Frage kommt.
Sollte durch eine andere Wachstumsrichtung der Gesichtsnerv
verschont sein, so wird er vom Foramen stylomastoideum bis zum
Ganglion geniculi freizumeißeln und auf [die Seite zu schieben
sein. Nach Ausmeißelung des inneren Ohres bis vorn zum
Schneckengang und Carotis, unten bis zum Bulbus jugularis,
hinten bis zum Sinus und durch Emporheben des Schläfelappens
würde Platz zur Entfernung eines Tumors bis fast zu Hühnerei-
größe sein.
1) Dieses Archiv. Bd. LYIII. 295.
XXI.
Ans der Eönigl. Universitäts-Ohrenklinik in Halle a. S. (Geh.
Med.-Rat Prof. Dr. Sohwartze).
Eine seltene Form von otogenem Senknngsabszess.
Von
Dr. Walther Schnlze,
früherem AssisteDzarzt der ElinilCf jetzt Ohrenarzt in Mainz.
In dem Kapitel der otogenen Pyämie finden wir im Verlauf
der historisehen Entwicklung zwei grundlegende Fortschritte auf
therapeutischem Gebiete, die ftir den Ausbau der Otochirurgie von
der größten Bedeutung geworden sind : einmal die von Soh w artze
angegebene Indikation, den Warzenfortsatz trotz schon bestehen-
der Pyämie zu eroffnen, ja gerade wegen pyämischer Er-
scheinungen die Ohroperation zu beschleunigen, und dann das
mutige Vorgehen Z auf als, der in weiterer Verfolgung dieses
chirurgischen Prinzips die Eröffnung des kranken Sinus selbst und
weiterhin die Unterbindung derVenajugularis in Vorschlag brachte.
Daß seitdem die Prognose der otogenen Pyämie als einer nunmehr
operabeln Erkrankung eine ungleich bessere geworden ist, als
bei der früher allgemein üblichen, prinzipiell und ängstlich ab-
wartenden Therapie, dieser Einsicht kann sich selbst der kri-
tischste Beurteiler der Operationserfolge nicht verschließen.
Wenn nun auch kein Zweifel darüber besteht, daß unter
dem Einfluß eines tatkräftigen operativen Eingreifens eine un-
verkennbare Zunahme der günstigen Resultate zustande gekommen
ist, — wohl auch dank der verfeinerten diagnostischen Erkenntnis,
zU deren Förderung die Untersuchungen Leuterts nicht un-
wesentlich beigetragen haben, — so blieb doch trotz der Befolgung
aller der wertvollen diagnostischen und therapeutischen Direk-
tiven immer noch eine nicht unbeträchtliche Zahl otogener
P^mien übrig, welche einen ungünstigen Ausgang nahmen, und
bei denen der Erfolg der Therapie nicht sowohl an der Schwere
der Infektion oder an dem weit fortgeschrittenen Stadium der
Eine seltene Form von otogenem Senkungsabszeß. 257
Krankheit, als vielmehr lediglich an der ungünstigen Loka-
lisation der Erkrankung seheiterte. Vornehmlich waren
es die Thrombosen des Bulbus venae jugularis, welche
häufig den günstigen Ausgang der Sinusoperation in Frage
stellten. Hier haben sich nun Grunert und Piffl das Verdienst
erworben, unabhängig voneinander Methoden ausgearbeitet zu
haben, die es ermöglichen, auch jenen gefährlichen Eiterungen
beizukommen, welche den anatomisch versteckt liegenden Bulbus
betreffen, so daß gegenwärtig das erkrankte Gefäßrohr in seiner
ganzen Ausdehnung vom Sinus transversus bis herab in die Vena
jugularis der direkten Behandlung zugänglich ist.
So bieten eigentlich jetzt nur noch die Thrombosen
der Sinus petrosi und des Sinus cavernosus für die
ehirurgische Behandlung Schwierigkeiten, welche die Technik
bisher noch nicht zu überwinden vermocht hat. Von diesen
Affektionen hält Grunert^) bedingungsweise nur die auf den
Sinus petrosus superior sich erstreckende Thrombose der direkten
operativen Inangriffnahme für zugänglich; die bisher gegen den
Sinus cavernosus gerichteten Eingriffe sind nicht geeignet, die
Möglichkeit einer erfolgreichen operativen Freilegung dieser
Gegend darzutun. Die Thrombosen im Sinus petrosus inferior
bestehen gewöhnlich nicht isoliert, sondern neben solchen im
Bulbus venae jugularis. Vergegenwärtigen wir uns aber, daß
man den letzteren noch bis vor gar nicht langer Zeit vielfach
ratlos gegenüberstand, so wird es verständlich, daß man an eine
Freilegung des weit schwieriger als der Bulbus erreichbaren Sinus
petrosus inferior kaum denken konnte. Heute, wo die breite
Eröffnung des Bulbus venae jugularis bereits wiederholt mit Er-
folg ausgeführt worden ist, müssen wir erwägen, ob wir nicht
von da aus einen Schritt weiter gehen und durch weitere Re-
sektion der Pyramide, wenn nötig unter Preisgabe des Laby-
rinths, eventuell auch der Schnecke den Sinus petrosus inferior
auf eine gewisse Strecke freizulegen vermögen. Eventuell könnte
auch der Versuch gemacht werden, dem Sinus petrosus inferior
von oben beizukommen, unter Benutzung der von Krause u.a.
angegebenen Methoden zur Besektion des Ganglion Gasseri resp.
nach dem von Streit 2) empfohlenen Verfahren, zur Entleerung
1) Grunert, Zur Frage der Grenzen der Operationsmöglicbkeit oto-
gener Sinusthrombosen. Dieses Archiv. Bd. LIX. S 70.
2) Streit, Ein Operations verfahren zur Eröffnung tiefgelegener, von
der Spitze der Felsenbeinpyramide ausgehender Epiduralabszesse. Ebenda.
Bd. LVII. S. 169.
258 XXI. SCHULZE
tiefer an der Spitze der Pyramide gelegener Extradnralabszesse.
Wenn es auch kaum gelingen wird, die infektiöse Thrombose im
Sinus petrosas inferior inderselben Weise zu beherrschen, wie die
der oberflächlich gelegenen Blntleiter, so steht doch zu erwarten, daß
durch ein planmäßiges chirurgisches Vorgehen der Abfluß des Eiters
aus dem Sinus und die Entleerung perisinuöser Eiteransammlungen
erzielt, und daß dadurch der Gefahr einer Eiterretention^ welche in
dieser Gegend besonders gefährlich ist, vorgebeugt werden kann.
Den Petrosuseiterungen mtlssen wir mit um so größerer
Aufmerksamkeit begegnen, weil das Weiterbestehen einer solchen
den Heilerfolg der Sinusoperation wesentlich gefährden kann.
Ein solcher Fall, welcher trotz Ausräumung des Sinus transversus
und Bulbus venae jugularis von der Thrombose des Sinus petrosus
superior und inferior aus einen letalen Ausgang nahm, soll im
folgenden mitgeteilt werden.
Friedrich Schmidt, 22 Jahre alt, Bergmann aas Trebitz. Auf-
genommen am 26. Februar, gestorben am 15. März 1903.
Anamnese. Rechtsseitige Ohreiterung aus unbekannter Ursache seit
dem 5. Lebensjahre. Damals soll vom Arzte ein Abszeß hinter dem Ohre inzi
diert worden sein. Die Eiterung hörte aber nicht auf, dieselbe war immer fötid.
Außer der Eiterung niemals Beschwerden. Vor 8 Tagen erkrankte Patient
plötzlich unter heftigen Schmerzen im rechten Ohr, 3 Tage später bildete
sich eine Anschwellung hinter dem Ohr, und es gesellten sich Kopfschmerzen,
besonders in der rechten Kopfseite, dazu. Einmal Erbrechen. Seit. 8 Tagen
schlaflose Nächte und vollständige Appetitlosigkeit.
Status praesens. Äußerst kräftig gebauter Mann von über Mittel-
größe. Temperatur 38,6 ^ Puls 120, regelmäßig. Mäßige Milz?ergrößerung.
Sonst innere Organe normal. Komplette Facialislähmung rechts. Die Unter-
suchung der Augen ergibt normale Verhältnisse. Beweglichkeit des Kopfes
in allen Bichtungen stark eingeschränkt. Urin ohne Eiweiß und Zucker.
Umgebung des Ohres. Hinter dem rechten Ohr befindet sich eine
mehrere Zentimeter lange, ältere Operationsnarbe. In derselben ist ein
feiner, fistulöser Durch bruch sichtbar, aus welchem sich reichlich dünne,
bräunliche Jauche entleert. Die ganze Gegend in der Umgebung des rechten
Ohres zeigt eine ungewöhnlich hochgradige Infiltration, welche besonders
nach hinten und unten zu ausgeprägt ist. Dieselbe reicht nach hinten bis
zur Mittellinie, nach unten bis zur Höhe des Kehlkopfes, nach vorn bis
zum Kieferwinkel. Keine deutliche Fluktuation. Starke Druckempfindlich-
keit und ausgedehntes Odem der Weichteile an den infiltrierten Partien.
Gehörgang und Trommelfellbefund. Bechts: Gehörgang nicht
verengt. Hautüberzug stark gerötet. Totaldefekt des Trommelfells. Oben
steht noch ein kleiner Hammerrest. Der Hintergrund ist ausgefüllt mit
einer sich ziemlich derb anfühlenden Granulationsmasse von glatter, grauer
Oberfläche. Reichliche dünne, fötide Eiterung.
Links: Diffus getrübtes, glanzloses Trommelfell.
Hörprüfung. Flüstersprache rechts nicht gehört, auch nicht durch
Vermittlung des Hörschlauchs, links wenigstens 3 m. Ci vom Scheitel nach
links. Fi84 rechts bei starkem Fin^eranschlag, links annähernd normal.
Krankheitsverlauf und Therapie. 27. Februar. Morgens nach
fast schlafloser Nacht Temperatur 40,5 ^. Totalaufmeißelung. Befund:
Weichteile hochgradig speckig infiltriert. Unter dem Periost
eine ziemliche Menge dünn-bräunlichen Eiters. Gleich bei
Eine seltene Form von otogenem Senkungsabszeß. 259
den ersten Meißelschlägen behufs Wegnahme der hinteren
Gehörgangswand kommen dicht unter der äußeren Enochen-
schicht weiße, glänzende Gholesteatommassen zum Vorschein.
Der größte Teil des Warzenfortsatzes und die Paukenhöhle
ausgefüllt mit einem großen Cholesteatom von Tumorform,
welches nach hinten bis an den Sinus heranreicht. Ein harter,
von der medialen Antrumwand ausgehender Polyp hängt bis
in die Paukenhöhle hinein. Ossicula fehlen. Ausgedehnte
Karies des Tegmen tympani et antri, welches vollständig ent-
fernt wird. Die darunter gelegene Dura ist stark gerötet und
ve rdickt. Sinuswand infiltriert und schmutziggrau verfärbt;
dieselbe füllt den Sulcns nicht vollständig aus, sondern ist
von dünner Jauche umspült. Spaltung der Weichteile durch
einen nach hinten bis last zur Mittellinie geführten Haut-
schnitt. Beim Ablösen des Periosts quillt dünner, sehr fötider
Eiter unter hohem Druck aus einer &nochenfistel, welche weit
nach hinten und unten, bereits an derSchädelbasis gelegen ist.
Wegnahme des Knochens soweit als die krankeDura des Klein-
hirns reicht (ungefähr in kleinhandtellergroßer Ausdehnung).
Die Dura ist fibrös verdickt und von grau-grüner, vielfach
schwärzlicher Farbe, an einigen Stellen mit mißfarbenen
Granulationen bedeckt. Jugularisunterbindung. In der Um-
gebung der Vene einige infiltrierte Lymphdrüsen. Gefäßwand
und Lumen ohne Veränderung.
Nach Inzision des Sinus sigmoideus zeigt sich, daß der-
selbe leer ist und weder Blut noch Thrombus enthält. Tampo-
nade. Spaltung des Gehörgangs. Verband.
Der während der Operation etwas klein und frequent gewordene Puls
erholte sich bald wieder. Temperatur 38,6—39,1.
28. Februar. Patient hat während der Nacht gut geschlafen und ist
heute schmerzfrei. Facialislähmung etwas zurückgegangen, das rechte Auge
kann beinahe geschlossen werden. Temperatur 37,9 — 38,5 % Puls 96, Respi-
ration 24.
t.März. Temperatur 38,2— 39,9 <>, Puls 92— 108, regelmäßig und kräftig.
Patient hustet öfter, klagt aber nicht über Schmerzen; Respiration mäßig
beschleunigt. Etwas Kohlensputum ohne Blutbeimischung. Auf der linken
Brustseite und zwar über dem ganzen (Jnterlappen verkürzter Schall und
pleuritisches Reiben. Atemgeräusch daselbst abgeschwächt
2. März. Temperatur 38,4— 40,0 <^. Starke Neigung zum Schwitzen.
Etwas trockener Husten ohne Schmerzen. Nahrungsaufnahme ausgezeichnet.
Verbandwechsel. Die Wunde sieht ganz gut aus. Dura stellenweise schon
gereinigt und mit frischen Granulationen besetzt. Aus dem peripheren
Sinusende kommt etwas Jauche. Auslöffelung des Sinus, bis es blutet.
Tamponade. Von unten weder Eiter noch Blut.
3. März. Temperatur 37,1 — 40,2®. Frische Granulationen auf der Dura
rings um den Knochenrand. Beim Lösen des Tampons kommt aus dem
peripheren Sinusende Blut, dagegen läßt sich aus dem zentralen Teil des
Sinus etwas Eiter herausdrücken. Mit dem scharfen Löffel werden daselbst
Thromben und Eiter entfernt.
4. März. Temperatur 38,9— 40,5 0, Puls 104—112. Ein Teil der auf
der grauschwarzen Dura sitzenden mißfarbenen Granulationen und Schwarten
hat sich abgestoßen. Kein Eiter hinter den Sinustampons. Allgemeinbefinden
und Nahrungsaufnahme gut.
5. März. Temperatur 40,0—41,5®. Aus dem peripheren Sinusende
quillt dünner Eiter. Freilegung des Sinus nach hinten zu durch
breite Abtragung des Knochens bis fast zur Mittellinie. Aus-
räumung der Thromben und Tamponade, nachdem ein starker
dunkler Blutschwall hervorgestürzt war. Freilegung des zen-
tralen Sinusabschnittes bis dicht an den Bulbus venae jugu-
laris heran. An einer noch schwarz verfärbten und eitrig in-
filtrierten Stelle der Dura des Kleinhirns dicht am Knie des
260 XXI. SCHULZE
Sinus transverBUB quillt Eiter aus einer feinen Fistel. Nach
Spaltung der Dura wird ein etwa kleinapfel^roßer Eleinhirn-
abszeß eröffnet, aus dem sich reichlich ein Eßlöffel Eiter und
nekrotische Hirnmassen entleeren.
6. Mftrz. Temperatur 38,9 — 39,^^ Spaltung eines Senkungsabszesses in der
Muskulatur dicht am Kieferwinkel. Beginnender Decubitus auf dem Kreuzbein.
7. M&rz. Temperatur 38.0 — 38,9 <>, Puls 128. Spaltung eines Muskel-
abszesses an der hinteren seitlichen Halsgegend. Starker Hirnprolaps an der
Stelle, wo der Himabszeß eröffiiet wurde, es entleerte sich aber kein Eiter
mehr aus der Abszeßöffnung. Tampons aus dem hinteren Sinusende ohne
Blutung entfernt. Im Bulbus immer noch Eiter sichtbar. Freilegung des
Bulbus venae jugularis durch Wegnahme der unteren Gehör-
gangswand, nachdem die Durchspülung von der Vena jugularis aus nicht
gelungen. Aus dem Bulbus und dem oberen Teil der Jugularis Thromben
und Eiter entfernt.
8. M&rz. Temperatur 38,6 — 37,5 ^ Geringe Eiterung aus dem Bulbus,
Hirnprolaps noch stärker.
9. M&rz. Temperatur 39,0— 38,0— 39,9 <^. Puls 124. W&hrend der Nacht
heftige Kopfschmerzen, einmal Erbrechen. Zunahme des Himprolapses, der
auf der Oberfl&che nekrotisch ist. Eröffnung zweier in der Tiefe miteinander
kommunizierender Muskelabszesse am Halse.
10. M&rz. Temperatur 39,5- 40,7 -38,2 ^ Puls 124, regelmäßig, aber
nicht mehr so kräftig. Nahrungsaufnahme gut, Sensorium frei. Kein Eiter
mehr im Bulbus.
11. März. Temperatur .39,4^37,2— 38,6 ^ Puls klein und frequent. Aus
der an der hinteren seitlichen Halsgegend gelegenen Weich teilwunde quillt
immer noch Eiter aus der Tiefe; die Sonde gelangt hier in der Richtung
nach der Schädelbasis , bezw. Wirbelsäule in eine größere Abszeßböhle.
Breite Durchtrennung des Cucullaris und Ablösung der Weich-
teile an derSchädelbasis. Das Aussetzen der Herztätigkeit verhinderte
eine breite Eröffnung des Abszesses. Drainage der Wundhöhle. Heiß-
wassereinlauf ins Rektum. Kampfer subkutan. Gegen Abend Puls besser,
aber immer noch klein und nicht ganz regelmäßig.
12. März. Temperatur 38,7— 40,1 — 38,4°, Puls sehr frequent, aber etwas
kräftiger, zeitweise aussetzend. Aus der Abszeßböhle am Halse quillt immer
noch jauchiger Eiter. Stumpfe Spaltung der Weichteile ohne Nar-
kose. Der Abszeß ftlhrt in die Tiefe zwischen Schädelbasis
und ersten Halswirbel. Drainage durch Einführen eines klein-
fingerdicken Drains.
13. März. Temperatur 39,3— 40,4— 38,8 «, Puls 132—150, Respiration 26.
Spülung und Drainage der noch stark eiternden Weichteilwunde. Dämpfung
über beiden Unterlappen. Atemgeräusch links abgeschwächt, rechts ver-
schärft, fast bronchial.
14. iMärz. Temperatur 38,8— 39,8 «, Puls kleiner, 154. Leichte Delirien.
Doch gibt Patient auf Befragen klare Antworten. Läßt Urin unter sich.
Bei der Lumbalpunktion fließt kein Liquor ab.
15. März. Temperatur38,6— 39,3— 37,70, Puls klein und frequent. Wunde
schmierig belegt. Spülung mit Kai. permanganicum, Drainage. 3 Uhr nach-
mittags Exitus im Koma.
Auszug aus dem Sektionsprotokoll.
Dura von mäßigem Blutgehalt, etwas trocken, ziemlich gespannt, beson-
ders an den hinteren und unteren Partien. Im Sinus longitudinalis wenig
flüssiges Blut und Speckgerinnsel. Innenfläche der Dura ohne Auflagerungen,
links glänzend, rechts matt. Arachnoidea nicht getrübt, Subaracbnoideal-
flüssigkeit klar und vermehrt, besonders links. Pia mäßig blutreich. Gyri
besonders an den hinteren Partien etwas abgeflacht. Bei der Herausnahme
des Gehirns entleert sich von der Basis her eine leicht getrübte Flüssigkeit.
An der rechten Kleinhirnhemlspbäre befindet sich ein etwas über walnuß-
großer Defekt, dessen Ränder von mißfarbenem nekrotischem Gewebe gebildet
werden. An der Basis der linken Kleinhirnhemisphäre etwas eitriger Belag.
Eine seltene Form von otogenem Senkangsabszeß. 261
Die übrige Basis zeigt keine Veränderungen. Die Flüssigkeit in den Seiten-
Ventrikeln etwas vermehrt und leicht getrübt. Die Abszeßhöhle steht mit
dem vierten Ventrikel nicht in Verbindung.
Die Gegend des Foramen magnum ist grünlichgelb verfärbt. Die hier
befindliche Eiteransammlung setzt sich nach unten in den Wirbelkanal fort.
Es besteht eine durch ein kleinfingerdickes Drain offen gehaltene Kommuni-
kation mit der an der seitlichen und hinteren Halsgegend befindlichen großen
Weichteilwunde. Die Vena jugularis Ist unterbunden, ihre Indma ist sowohl
oberhalb als auch unterhalb der Unterbindungsstelle glatt und ohne jede
Veränderung. Vom Sinus sigmoideus und transversus der rechten Seite ist
nur noch die innere Wand erhalten, die äußere Wand ist exzidiert. Nur auf
eine kurze Strecke dicht am Torcular Herophili ist der Sinus transversus
als geschlossenes Rohr erhalten. Das Lumen desselben ist hier durch ein
gesundes Gerinnsel fest abgeschlossen. Sinus petrosus superior und inferior
enthalten eitrig zerfallene Thromben. Sinus cavernosus frei. Dagegen setzt
sich die Thrombose durch Vermittlung einer breiten, ebenfalls thrombosierten
Vene auf den Plexus basilaris und auf das venöse Geflecht im Wirbelkanai
im Bereich der beiden ersten Halswirbel fort. Die Gefäßwände sind stark eitrig
infiltriert und von Eiter umspült.
Linke Lunge von vermehrtem Gewicht. Auf der Pleura, besonders
des Unterlappens eitrig-fibrinöse Auflagerungen; auf der Oberfläche des Unter-
lappens treten haselnußgroße Knoten hervor, welche sich derb anfühlen.
Oberlappen schwarzgrau mit zahlreichen schwarzen Punkten, im unteren
Teile ein etwa bohnengroßer subpleuraler Hohlraum, mit Eiter gefüllt. Unter-
lappen sehr schlaff, feucht, nirgends lufthaltig; das Gewebe ist von zahl-
reichen unter der Pleura gelegenen, bis bohnengroßen, mit Eiter gefüllten
Abszessen durchsetzt.
Rechte Lunge: Oberlappen wie links, enthält ebenfalls einige Ab-
szesse. Unterlappen sehr blut- und saftreich mit zahlreichen kleinen Abszessen.
Milz 14: II :5, Parenchym grau-rosa, morsch, schlecht gezeichnet.
In der Schleimhaut des Magens und Darmkanals stellenweise
Ekchymosen.
Sektion des Schläfenbeins.
Bulbus venae jugularis durch Wegnahme der unteren Gehörgangswand
eröffnet, enthält weder Eiter noch Thromben. Die Eröffnung der Bogengänge
und der Schnecke ergibt makroskopisch normale Verhältnisse.
Unser Interesse an dieser letal verlaufenen Erkrankung
richtet sich auf die Art der Ausbreitung, die Kompli-
kationen und Folgezustände der Sinusthrombose. Wenn
die verfärbte Sinuswand nicht die normale pralle Spannung zeigt,
sondern zusammengefallen ist und den Hohlraum des knöchernen
Sulcus nicht vollständig ausfüllt, so gilt dies bekanntlich mit Recht
als eins der sichersten Zeichen fUr das Bestehen einer Thrombose
innerhalb des Gefäßrohrs. Diese Schlußfolgerung erwies sich
auch in unserem Falle als richtig; freilich saß die Thrombose
nicht an der Stelle, wo die Gefäßwand diese charakteristische
Beschaffenheit zeigte. Hier war das Lumen des Sinus in größerer
Ausdehnung vollständig leer, die thrombosierten Gefäßgebiete
lagen oberhalb und unterhalb jener Stelle. Wir gehen wohl nicht
fehl, wenn wir annehmen, daß die SinusaflFektion von dem Hirn-
abszeß induziert war, und daß die an das erkrankte Kleinhirn
angrenzenden Partien der Wand des Sinus transversus zuerst von
262 XXI. SCHULZE
der Erkrankung ergriffen wurden. Wie kam es nun, daß hier die
Thrombose sich nicht, wie es sonst gewöhnlich geschieht, konti-
nuierlich im Sinus sigmoideus weiter ausbreitete? und daß
trotz des Freibleibens des Sinus sigmoideus sich eine Bulbus-
thrombose entwickelte? Das Zustandekommen der Thrombose
im Bulbus venae jugularis könnte man sich in der Weise er-
klären, daß Thrombenpartikelchen von einem im peripheren Ge-
biet des Sinus transversus sitzenden Thrombus losgeschwemmt
wurden und dann im Bulbus, wo, wie Leutert nachgewiesen
hat, die Bedingungen für die Entstehung einer Thrombose am
günstigsten sind, zu einer Thrombose Veranlassung gaben. Daß
etwa ein im Sinus sigmoideus selbst lokalisiert gewesener Throm-
bus mobilisiert worden, und daß dadurch die Thrombose des
Bulbus und die Blutleere des Sinus sigmoideus zu erklären
wären, erscheint ausgeschlossen schon mit Rücksicht auf die Be-
schaffenheit der Sinusinnenfläche, die vollständig glatt war und
nirgends eine verdächtige Stelle zeigte, an welcher ein Throm-
bus festgesessen haben konnte. Es kommt aber noch ein an-
derer Modus der Ausbreitung der Thrombose von dem dem Klein-
hirn anliegenden Gebiete des Sinus transversus bis in den Bulbus
in Frage, nämlich der Weg durch den Sinus petrosus superior
bis in die Gegend des Sinus cavernosus und von da durch den
Sinus petrosus inferior zum Bulbus venae jugularis. Wenn auch
eine derartige Verbreitungsweise der Sinusthrombose als ein außer-
ordentlich seltener Vorgang bezeichnet zu werden verdient, so hat
dieselbe doch gerade hier die größte Wahrscheinlichkeit flir sich.
Daß hier die Gefäßthrombose sich auf diesem ungewöhn-
lichen Wege (mit Umgehung des absteigenden Teiles des Sinus
sigmoideus) bis zum Bulbus verbreitete, findet zum Teil wohl eine
Erklärung in dem abweichenden anatomischen Verhalten des
Sinus petrosus superior, welcher hier ebenso wie der Sinus pe-
trosus inferior auffallend stark entwickelt war. Durch die ob-
turierende Thrombose im Sinus transversus wurde das Zuströmen
des Blutes von der Peripherie verhindert, durch die Thrombose
des Bulbus venae jugularis eine Rückstauung des Blutes unmög-
lich gemacht; so war durch die beiden in die Strombahn ein-
geschalteten Hindernisse eine vollständige Ausschaltung des Sinus
sigmoideus (zwischen Sinusknie und Bulbus) zustande gekommen.
Damit ist aber noch nicht die Blutleere innerhalb des Sinus sig-
moideus erklärt. Für diese Erscheinung können wir nur das
Cholesteatom verantwortlich machen, welches nach Zerstörung
Eine seltene Fonn von otogenem Seokungsabszeß. 263
der knöchernen Wand des Snlcns sigmoideus dem Sinus sigmoidens
unmittelbar anlag. Das expansive Wachstum des hier in Tumor-
form aufgetretenen Cholesteatoms übte wohl einen zunehmenden
Druck auf die Gefäßwände aus, führte schließlich zu einer voll-
ständigen Kompression derselben und dadurch zur Blutleere des
betreffenden Sinusabschnittes. So bildete das Cholesteatom die
Ursache für die Unwegsamkeit des Sinus sigmoideus, diese be-
günstigte aber wiederum die eigenartigeVerbreitung der Thrombose,
da durch den Ausfall des Hauptsinus das infektiöse Material in
die Nebenbahnen gedrängt wurde.
Was die klinische Seite dieses Falles anbetrifft, so sei
hervorgehoben, daß der Abszeß im Kleinhirn nicht etwa aus
einem Symptomenbild von Herd- resp. AUgemeinerseheinungen
diagnostiziert wurde, sondern, daß erst der bei Gelegenheit des
Verbandwechsels entdeckte Leitungsweg in Gestalt einer
Fistel in der gangränösen Dura zu dessen Aufdeckung und
Entleerung führte. Dies wird verständlich, wenn wir bedenken,
daß bei einer Komplikation von Sinusthrombose und Hirnabszeß
die Symptome des letzteren gar nicht selten sich unter dem
Schleier der Pyämie verbergen, solange diese das Krankheits-
bild beherrscht. Das Fehlen von Hirndruokerscheinungen erklärt
sich schon dadurch, daß durch die ausgedehnte Resektion der
knöchernen Schädelkapsel offenbar eine günstige Einwirkung im
Sinne einer Druckentlastung auf den Schädelinhalt erzielt
wurde, sowie dadurch, daß der Abszeßeiter durch die Fistel in
der Dura einen Abflußweg nach außen fand.
Die letaleMeningitis war nun nicht etwa eine direkte Folge
dieses Hirnabszesses; gegen einen solchen Zusammenhang sprach
schon die zirkumskripte Lokalisation des meningealen Exsudates
an der Basis der linken Kleinhirnhemisphäre, während der Abszeß
in der rechten Kleinhirnhemisphäre gesessen hatte. Auch sonst
vermochte die genaue anatomische Untersuchung keinen Über-
gang der Eiterung vom Hirnabszeß auf die Hirnhäute nachzu-
weisen. Der Eiter war vollständig aus der Höhle entleert, an
deren Wänden zwar das Gewebe noch hier und da nekrotisch
war und teilweise mißfarben aussah, größtenteils sich aber be-
reits gereinigt hatte und irisch granulierte. Die den Abszeß nach
dem Ventrikel hin abgrenzende Wand wurde durch eine ziemlich
breite Lage gesunder Hirnsubstanz gebildet; zwischen Abszeß
und Ventrikel bestand keine Kommunikation. Die Trepanations-
stelle war durch einen dicken Wall frischer gesunder Granu-
264 XXI. SCHULZE
lationen gegen die Umgebung fest abgeschlosBen, so daß auch
auf diesem Wege eine Fortleitnng der Eiterung auf die Meningen
ansgesohlossen war.
Die Lebensgefahr ging aus von einem erst bei der Sek-
tion in seiner ganzen Ausdehnung aufgedeckten extradnralen
Abszeß seltener Art, der an der Schädelbasis am vor-
deren Rande des Foramen magnum gelegen war und
sich längs der Medulla oblongata bis zum 2. Hals-
wirbels in den Wirbelkanal hinein erstreckte. Das ein-
zige Symptom; durch welches sich diese extradurale Eiteransamm-
lung verriet, war die eigentümliche Weichteileiteruug am Halse.
Dieser von der Schädelbasis ausgehende Muskelabszeß unter
der tiefen Faszie im oberen Teil des hinteren Hals-
dreiecks war dadurch zustande gekommen, daß jener
extradurale Abszeß zwischen Occiput und erstem Hals-
wirbel an der Seite nach außen durchgebrochen war.
Durch mehrfache Inzisionen in den tiefliegenden und vielbuchtigen
mit starker Weichteilschwellung und Infiltration einhergehenden
Senkungsabszeß war bereits eine ausgedehnte Durchtrennung und
Ablösung der Muskulatur am hinteren und seitlichen Rande der
Schädelbasis erfolgt, trotzdem quoll beim Verbandwechsel immer
wieder Eiter aus den Gewebsspalten und Fistelgängen, die bis an die
Schädelbasis führten, hervor. Zur Erzielung eines gründlichen Eiter-
abflusses war eine weitere Aufdeckung des Eiterherdes in der Tiefe
notwendig. Die Gegend der großen Halsgefäße war übersichtlich
freigelegt, von einem zunächst vermuteten Senkungsabszeß in
dieser Gegend kam der Eiter nicht. Vom Warzenfortsatz war
eigentlich nichts mehr übrig geblieben, vom Occiput war die
seitliche Wand und ein großer Teil der unteren Fläche reseziert,
so daß man hier bequem bis zur Schädelbasis vordringen konnte ;
aber auch aus dieser Gegend rührte die Eiterung nicht. Die in
die Tiefe führenden Fistelgänge leiteten mehr nach hinten. Daß
wir den Hauptsitz der Eiterung mehr in der Nackengegend zu
suchen hatten, darauf deutete auch der äußere Befund, namentlich
die starke Schwellung und Schmerzhaftigkeit daselbst, sowie das
Hervorquellen von Eiter aus den mehrfachen Fisteln bei Druck auf
die Gegend dicht unterhalb der Schädelbasis und dicht neben
der Mittellinie des Nackens. Eine Freilegung der Eitersenkung in
dieser Region von der schon bestehenden Weichteilwunde aus vor-
zunehmen, erschien aus dem Grunde nicht zweckmäßig, weil
eine noch tiefere Spaltung der bereits in großer Ausdehnung und
Eine seltene Form von otogenem Senkungsabszeß. 265
in beträchtlicher Tiefe inzidierten Weiehteile eine vollständige
quere Durchtrennung, resp. eine Losschälnng der Nacken- und
seitlichen Halsmnskulatnr znr Folge gehabt hätte. Es wurde
infolgedessen der direkte und kürzere Weg zu dem tiefen Muskel-
abszeß gewählt und ca. 2 Querfinger seitlich der Mittellinie des
Nackens auf der Höhe der stärksten Anschwellung ein der
Längsrichtung der Wirbelsäule parallel verlaufender Schnitt ge-
führt. Nach Spaltung der sehr kräftig entwickelten oberfläch-
lichen Nackenmuskulatur und der Fascia praevertebralis fand
sich in der darunter gelegenen Schicht der stark infiltrierten
tiefen Halsmuskeln eine große Eiterhöhle, welche sich bis an die
Wirbelsäule und nach oben bis an die Schädelbasis verfolgen
ließ. Eine vollständige Ausräumung des Weichteilabszesses und
eine breite Freilegung des extraduralen Eiterherdes war leider
nicht möglich, da der fortwährend aussetzende Puls eine Narkose
nicht zuließ. Wir mußten uns darauf beschränken, mehrere in
die Weich teil wunde an der seitlichen Halsgegend führende Fistel-
gänge stumpf zu spalten und durch eingeführte Drains offen zu
halten, den Eiterabfluß aus dem extradnralen Abszeß selbst da-
durch zu sichern, daß wir ein kleinfinge rdickes Drain in die
zwischen Oociput und Atlas befindliehe Öffnung, aus welcher der
Eiter hervorquoll, einlegten. Wie wir uns an der Lage des
Drains bei der Sektion überzeugen konnten, war dadurch ein
guter Abfluß des Eiters gewährleistet, leider zu spät, denn es
hatte sich bereits von der schwarz verfärbten Dura der hinteren
Schädelgrube, resp. von der Dura spinalis aus eine, wenn auch
nur auf die entsprechende Kleinhirnhemisphäre beschränkte, aber
trotzdem tödliche Meningitis entwickelt.
Die Bildung des extraduralen Abszesses haben wir uns hier
in engem Zusammenhang mit der Sinuserkrankung stehend zu
denken. Durch die energischen Eingriffe am Sinus transversus
und am Bulbus venae jugularis war die jauchige Thrombose des
Hauptblutleiters vollständig eliminiert worden. Trotzdem breitete
sich aber die Thrombophlebitis in den Sinus petrosi weiter auf
den Plexus basilaris aus, in dessen Vereiterung spe-
ziell die Ursache für die extradurale Eiteransamm-
lung zu erblicken ist. Der in der Hauptsache an der vorderen
Umrandung des Foramen magnum und des Wirbelkanals ange-
sammelte Eiter suchte sich dann längs der Arteria vertebralis vor-
dringend durch die Membrana bbturatoria posterior einen Ausweg,
und zwar unter Benutzung des Foramen pro arteria vertebrale.
Archhr f. Ohrenheilkonde. LXI. Bd. 1 8
266 XXI. SCHULZE
Das ZustandekommeQ dieser ungewöhnlichen Form von
Extraduralabszeß war wesentlich begünstigt durch die beson-
deren anatomischen Verhältnisse, vornebmlich durch die
auffallend starke Entwicklung der Sinus petrosi, wo-
durch zweifellos der Propagation der infektiösen Thrombose in
dieser Richtung Vorschub geleistet wurde. Eine weitere eben-
falls in diesem Sinne wirksame anatomische Abnormität wurde
durch die breiteKommunikation des Sinus petrosus inferior
mit dem Plexus basilaris gebildet. Die diese Verbindung her-
stellende Vene, die übrigens gar nicht immer konstant gefunden
wird, war hier besonders stark ausgebildet und enthielt ebenso
wie die Sinus petrosi und das venöse Geflecht an der vorderen
Umrandung des Foramen magnum und des Wirbelkanales im Be-
reiche der beiden ersten Halswirbel eitrig zerfallene Thromben.
Wenn wir uns bei gleichzeitigem Bestehen eines perisinuösen
Abszesses und einer Sinusthrombose den Zusammenbang beider
Erkrankungen für gewöhnlich in der Weise zu erklären haben»
daß die perisinuöse Eiteransammlung die primäre, die Ent-
zündung und Thrombose des Gefäßrohres die sekundäre Ver-
änderung darstellt, so können wir doch die Angabe Körners,
daß extradurale Abszesse auch dadurch entstehen können, daß
bei otitischer Phlebitis und Thrombose eines Sinus die Entzün-
dung auf die Außenseite der Sinuswand übergeht, für den vor-
liegenden Fall ausnahmsweise gelten lassen. Für die Richtigkeit
dieser Annahme bildet die eitrige Infiltration und nekrotische
Erweichung der Gefäßwände, in deren Umgebung sich der extra-
durale Abszeß fand, an sich keinen zwingenden Beweis, die
Erkrankung der Gefäßwand könnte ja auch die Folge eines
längeren Kontaktes mit einer vorher schon bestandenen peri-
sinuösen Eiteransammlung gewesen sein. Allein die seltene
Lokalisation des extraduralen Abszesses, die Verbreitung der
Eiterung entsprechend der Verlaufsrichtung der Blutleiter lassen
eine andere Annahme gar nicht zu, als daß der Extradural-
abszeß eine Folgeerscheinung der Blutleitererkrankung gewesen
sein muß. In der infektiösen Gefäßthrombose haben
wir die Ursache für die Propagation des infektiösen
Materials, in den Gefäßanomalien die Erklärung für
den außergewöhnlichen Sitz und für die sonst kaum
zu erklärende Verbreitungsweise der Eiterung zu er-
blicken. Hätte es sich hier lediglich um eine Eitersenkung
gehandelt, so hätte diese doch nicht den weiten Umweg einzu-
Eine seltene Form von otogenem Senkangsabszeß. 267
schlagen branchen, dieselbe wäre vermutlich auf kürzerem Wege
etwa vermittels des Foramen condyloideum nach außen zu Tage
getreten oder vielleicht auch in die mit lockerem Bindegewebe
ausgefüllte Regio praevertebralis durchgebrochen und hätte zur
Bildung eines Retropharyngealabszesses geftlhrt.
Eine ähnliche Form otogener Eiterung hat Deutsch-
länder^) beobachtet in einem Fall, den er als Senkungsabszeß
in das Atlanto-occipitalgelenk beschrieben hat. Es handelte sich
um eine chronische Eiterung mit extraduralem Abszeß am Sinus
transversus und Bulbus venae jugularis. Nach der Operation
trat eine starke entzündliche Schwellung der Weichteile der
rechten Halsseite bis zum Nacken auf. ^Bei Druck auf diese
Partien strömte Eiter aus der Tiefe der Wundhöhle nach.*' Es
wurde zunächst ein Senkungsabszeß in der Scheide der Vena
jugularis angenommen, daselbst aber kein Eiter gefunden. ^Es
gelang — sagt Deutsehländer weiter — jetzt durch Aus-
übung eines Druckes auf die seitlichen Partien der obersten
Halswirbel, Eiter nachschießen zu lassen. Wir hatten es also
mit einer Senkung nach dem Atlanto-occipitalgelenk zu tun.
Es wurde nun der Unterbindungsschnitt der Vena jugularis nach
oben zu verlängert, bis er sieh mit der oberen Wunde vereinigte,
der Ansatz des Eopfnickers in großer Ausdehnung vom Knochen
abgelöst und nach hinten gezogen, in der Absicht, durch die
Grube zwischen Unterkiefer und Warzenfortsatz den Eiterherd
an der Wirbelsäule zu erreichen. Dann wurde der gesamte
rechte Unterkiefer mit starker Gewalt nach vorne gezogen, der
freigelegte Teil der Pars mastoidea bis zum Os occipitale mit
der Zange fortgenommen und dann wurde in die Tiefe vorge-
drungen bis die Gelenkflächen fühl- und sichtbar wurden. Es
stürzte viel Eiter nach.** Nach der Beschreibung Deutsch-
1 anders scheint es sich eher um eine Eiteransammlung an der
äußeren Fläche der Schädelbasis resp. der Wirbelsäule ge-
handelt zu haben; jedenfalls ist von einem Durchbruch durch
das Gelenk nirgends die Rede.
Deutschländer fügt hinzu: „Aus der Literatur ist mir
nur ein fast gleicher Fall von Passow und ein ähnlicher von
Körner, veröffentlicht von Muck, bekannt". Nun ist aber be-
reits im Jahre 1896 von Leu t er 1 2) ein hierher gehöriger Fall
aus der Halleschen Ohrenklinik publiziert worden. Es handelte
1) Yerbandlungen d. dtsch; otol. Ges , X. Vers, zu Breslau. S. 132 if.
2) Dieses Archiv. Bd. XLI. S. 279.
18*
268 XXI. SCHULZE
sich um einen otogenen Hirnabszeß im Occipitallappen, Sinus-
thromhose und ausgedehnte extradurale £iterung. Im Sektions-
protokoll heißt es wörtlich : „An der Schädelbasis fällt das starke
Vorspringen des Dens Epistrophei auf. Der Atlas ist aus seinem
Bandapparat gelöst, von sohmutzig-graugrflner Farbe und zeigt
an der Außenfl&ohe größtenteils rauhen Knochen. Die über-
knorpelten Gelenkfl&chen fehlen teilweise und sind rauh. In
der Umgebung des Atlas ist das Gewebe schmutzig-graugrün
verfärbt und nekrotisch zerfallen, doch läßt sich zwischen diesem
Zerfallsherd und dem Eiter der Schädelhöhle keine Kommuni-
kation nachweisen*'. Die Wirbelerkrankung wurde hier eben-
falls als eine Arrosion des Knochens durch die extradurale
Eiterung angesehen, wie aus der Epikrise des Falles hervor-
geht, in der es heißt: „Die Karies des Atlasses ist jedenfalls
durch die extradurale Eiterung bedingt worden; daß diese bei
der Sektion nicht mehr in die Erscheinung trat, ist natürlich,
da der extradurale Eiter operativ nach Wegnahme großer
Knochenpartien entfernt worden war.^
Ob es sich in dem von Leutert mitgeteilten Falle ledig-
lich um einen extraduralen Senkungsabszeß gehandelt hat,
läßt sich kaum entscheiden. Ein Hinweis darauf, daß wir die
Ursache für die außergewöhnliche Lokalisation der Eiteransamm-
lung nicht in den mechanischen Verhältnissen zu suchen
haben, sondern vielmehr in besonderen anatomischen Vorgängen,
durch welche einer Propagation der Eiterung gerade diese Rich-
tung vorgezeichnet wurde, wie in unserem Falle Schmidt, bei
dem sich die Eiterung eng an das anatomische Verbreitungs-
gebiet der thrombosierten Blutleiterbahnen anschloß, ist hier an
der Hand des Sektionsprotokolls nicht zu konstatieren. So heißt
es z. B. vom Sinus petrosus inferior, daß derselbe frisches Blut-
gerinnsel enthielt. Immerhin ist es bemerkenswert, daß in beiden
Fällen aus unserer Klinik, in denen die Senkung der Eiterung
bis in den Wirbelkanal hinein durch die Sektion festgestellt
wurde, neben dem extraduralen Abszeß noch ein Hirnabszeß und
eine ausgedehnte Sinusthrombose bestand.
Wenn auch extradurale Eiterungen zweifellos als eine relativ
häufige Komplikation der akuten wie der chronischen Otitis
media zu betrachten sind, so gehören doch diese hier beschrie-
benen Formen der Erkrankung nicht zu den gewöhnlichen und
alltäglich beobachteten Eiterungsprozessen dieser Art. Immerhin
ist es notwendig, über das Vorkommen und die anatomische
Eine seltene Form von otogenem Senkungsabszeß. 269
Yerbreitungsweise derselben orientiert zu sein; macht doch die
Entscheidung über Sitz und Ausgang, ja sogar schon über die
otogene Natur der unter dem Bilde von Senkungsabszessen
auftretenden Weichteileiterungen, wie es scheint, nicht selten
Schwierigkeiten. Ich brauche nur auf das zu verweisen, was
Schwartze^) in seinem Lehrbuch der chirurgischen Krank-
heiten des Ohres sagt: „auch Verwechselung mit Karies der
oberen Halswirbel ist möglieb, wenn die Untersuchung des Ohres
vernachlässigt wird. Mehrere Fälle der Art sind mir vorgekom-
men, wo Patienten mit Senkungsabszessen unterhalb des Warzen-
fortsatzes und in der Nackengegend mir zugeschickt waren zum
Zwecke der Aufmeißelung des Warzenfortsatzes, wo die ge-
nauere Untersuchung die Integrität des Ohres ergab und der
Ausgang des Senkungsabszesses zweifellos in Karies der obersten
Halswirbel zu suchen war. Auch das Umgekehrte ist mir be-
kannt geworden, wo Wirbelkaries diagnostiziert war, und erst
auf dem Sektionstisch die Karies des Schläfenbeins mit konse-
kutivem Hirnabszeß erkannt wurde. Beides wird einem Chi-
rurgen, der das Ohr zu untersuchen versteht, nicht leicht passieren
können".
1) Schwartze, Lehrb. d. Chirurg. Krankheiten des Ohres, S. 321.
XXII.
Bericht über die Verhandinngen der Berliner otologischen
Gesellschaft.
i
Von
Dr. Haike.
Sitzung vom 12. Mai 1903.
Vorsitzender: Herr Lnoae. Sehriftfllhrer: Herr Sohwabacfa.
1. Herr Großmann stellt einen 69jäbrigen Patienten mit
doppelseitiger Pnlsation der seitlichen Pharynx wand vor. Groß-
mann deutet sie als Ausdruck eines abnorm verdickten Astes
der Arteriä pharyngea ascendens. Auch am Augenhintergrnnd
des an Arteriosklerose leidenden Patienten ist Pulsation nach-
zuweisen.
2. HerrLucae demonstrierte einen schon früher gezeigten
Apparat zur Luftdusche, dessen Zylinder statt Kohlensäure kom-
primierte Luft enthält, um die möglichen unangenehmen Neben-
wirkungen jener zu vermeiden.
Diskussion: Herr Jacobson schlägt im Anschluß daran
vor, auch mit anderen Gasgemischen, die keinen Sauerstoff ent-
halten, Luftduschen vorzunehmen.
Herr Lucae hat durch Kohlensäuredusche ein beträchtliches
Exsudat bei frischem Mittelohrkatarrh nach zweimaliger Anwen-
dung zur Resorption kommen sehen.
3. Herr Katz demonstriert mikroskopische Präparate vom
Gehörorgan der Tanzmaus, um nachzuweisen, daß die sogenannte
Gupula terminalis wahrscheinlich nur ein Kunstprodukt, durch
die Einwirkung von Säure entstanden, ist. Er nimmt an, daß
bei der Fixation der distale Teil der Hörhaare, der sehr zart
ist, zur Quellung gebracht wird und eine gelatinöse Masse bildet,
während sein mit Platinchlorid konserviertes Präparat dieses
Kunstprodukt nicht zeigt, sondern die feinsten Endigungen der
Hörhaare erkennen läßt.
Beriebt über die YerbaDdlungen der Berliner otolog. Gesellscbaft. 271
4. Herr Heine: Zur Behandlung der akuten Mittelohrent-
zündung. In der Darstellung der auf der Universitätsohrenklinik
geübten Behandlung der akuten Mittelohrentzündung erörtert
Heine besonders die neuerdings umstrittene Frage der Para-
zentese und die hierüber in letzter Zeit geäußerten Anschau-
ungen.
Sitzung vom 9. Juni 1903.
Vorsitzender: Herr Lucae; Schriftfllhrer Herr Sohwabach.
Tagesordnung: Diskussion über den Vortrag des Herrn
Heine: Die Behandlung der akuten Mittelohrent-
zündung.
Herr Seh wabaoh stimmt auf Grund seiner Erfahrungen mit
Herrn Heine im wesentlichen überein, besonders in bezug auf
die Indikation der Parazentese. Auf Grund einer Statistik nur
genau vom Beginn bis zum Ablauf der Erkrankung beobachteten
Fälle kommt Schwabach zu dem Schlüsse, daß die Heilung
bei den Fällen, die keiner Parazentese bedurften, im ganzen
schneller eintrat, als bei den parazentesierten : d. h. daß die
erste Kategorie die im ganzen leichteren, die letztere die schweren
Fälle umfaßte. Zur Aufmeißelung des Warzenfortsatzes kamen
von 35 rechtzeitig parazentesierten Fällen 8,5 Proz., während
unter den spontan perforierten 9,8 Proz. zur Operation kamen.
Herr Jacobson weist darauf hin, daß in der Behandlung
der Mittelohrentzündung noch keine Einheitlichkeit bestehe, son-
dern die verschiedensten Anschauungen über die einzelnen Maß-
nahmen bestehen. Deshalb hält er bei der Wichtigkeit des
Themas ein Eingehen auf jede der geübten therapeutischen Maß-
nahmen für erwünscht.
Herr Heine erwidert, daß der Zweck seines Vortrages
wesentlich die Erörterung der Indikationen für die Parazentese
gewesen sei.
Herr Brück meint, daß die außerordentliche Verschieden-
heit der Meinungen, über den Wert der therapeutischen Maß-
nahmen zum Teil von einer Unklarheit in der Terminologie her-
rühre, welche Katarrhe des Mittelohres von den Entzündungen
derselben nicht streng unterscheiden lasse.
Herr Katz bemerkt, daß man häufig im Beginne einer
akuten Mittelohraffektion nicht mit Sicherheit sagen kann, ob ein
Katarrh oder eine Entzündung sich entwickle.
Herr Sohwabach erwidert, daß seine Ausführungen sich
272 XXII. HAIEE.
ausschließlich auf zweifellose Mittelohrentzündangen bezogen
haben, anderes stehe gar nicht znr Diskussion.
Herr Levy betont die Bedingungen, welche die Zweck-
mäßigkeit eines statistischen Materials garantieren, aus denen
man Schlüsse auf den Wert therapeutischer Maßnahmen ziehen
dürfte.
Verwertbar wären nur bettlägerige Kranke, die unter stän-
diger ärztlicher Eontrolle stehen; die durch Infektionskrankheiten
hervorgerufenen Mittelohrentzündungen müßten gesondert rubri-
ziert werden; ferner dürften statistisch nur solche Fälle ver-
wertet werden, die spätestens in den ersten drei Tagen zur Be-
handlung kommen. Wenn diese Postulate erfüllt würden, wäre
das verwertbare Material nur gering, aber zuverlässig. Zu seinen
Beiträgen erscheinen ihm große Spezialkliniken und praktische
Arzte mit guten Spezialkenntnissen am meisten geeignet, während
die Ohrenärzte meist erst ältere Fälle in Behandlung bekommen.
Herr Jacobson hält auch eine Verständigung über die Ter-
minologie für die Vorbedingung einer fruchtbringenden Dis-
kussion.
Herr Schönstadt demonstriert eine Parazentesennadel mit
einem halbmondförmigen Messer, das er auch in der Hand der
Ungeübten für zweckmäßig hält; er regt ferner die Besprechung
über die Stellung der Adenotomie in der Therapie der Mittel-
ohrentzündungen an.
Herr Lucae zieht das lanzenformige Messer dem Schön-
stadtschen vor. — Lucae betont die Wichtigkeit der Parazen-
tese bei stark verdicktem Trommelfell, deren Spontanperforation
häufig erst so spät erfolgt, daß inzwischen ein Fortschreiten des
Erkrankungsprozesses auf das Labyrinth zu befürchten ist, wie
es Lucae in 2 Fällen beobachtet hat.
Herr Heine bemerkt noch, daß gerade bei kleinen Kindern
die Parazentese nicht immer eine Schmerzlinderung brachte, wes-
halb man in diesem Punkte der Prognose vorsichtig sein möge.
Das Verhältnis der parazentesierten und nicht parazentesierten
Fälle zur Mastoidoperation lasse sich wegen der üngleichmäßig-
keit des Materials der Klinik und Poliklinik nicht einwandsfrei
beleuchten.
Sitzung vom 10. November 1903.
Vorsitzender: Herr Jacobson; Schriftführer; Herr Schwabach.
1. Herr Schwabach: Zur Kenntnis der Nebenwir-
kungen einiger Arzneimittel auf das Ohr. Schwabach
Bericlit über die Verbandlungen der Berliner otolog. Gesellscbaft. 273
berichtet über zwei Beobachtungen seltener Nebenwirkungen von
Arzneimitteln, deren eine er an einer 25jährigen Patientin
machte, die in kurzen Zwischenräumen an akutem Mittelohr-
katarrh im Anschluß an Nasen- und Rachenkatarrh und gleich-
zeitiger Blepharo-Gonjunctivitis erkrankte, bis sich herausstelltet
daß die Patientin wegen eines chronischen Ekzems Sol. arseni-
cal. Fowleri gebraucht hatte, nach dessen Aussetzen auch die
Katarrherscheinungen endgültig wegblieben. Schwab ach weist
noch darauf hin, daß ähnliche Beobachtungen trotz des vielfäl-
tigen Gebrauchs von Arsen nur sehr selten, wie die otiatrische
Literatur ergibt, gemacht zu werden scheinen. Außerhalb dieser
sind ähnliche Beobachtungen von Lew in in seinen „Nebenwir-
kungen der Arzneimittel*' berichtet worden. Die zweite Beob-
achtung betraf eine 28jährige Patientin, die im Verlauf einer
fibrinösen Pneumonie nach Salipyrin 3 mal täglich 0,75 g, im
ganzen 4,5 g, unter starken subjektiven Greräusehen hochgradig
schwerhörig geworden war. Die Stimmgabeluntersuchung ergab
die Diagnose einer Labyrinthaffektion, die auch längere Zeit nach
Aussetzen des Mittels keine Besserung zeigte. Erst der Gebrauch
von Extr. secal. cornuti, 3 mal täglich 10 Tropfen, beseitigte
allmählich die Beschwerden* Dieses wandte Schwabach auf
eine frühere Empfehlung Schillings, die er bestätigen konnte,
an, der vom Seeale bei den durch Salizyl und Chinin hervor-
gerufenen Ohraffektionen deshalb eine günstige Wirkung erwar-
tete, weil nach Kirchners Untersuchungen die Beschwerden
ja von der hyperämisierenden Wirkung des Salizyls und Chinins
herrühren sollten, eine Annahme, welche durch neue Unter-
suchungen Wittmaacks in Frage gestellt zu sein scheint, der
den Angriffspunkt des Chinins in dem nervösen Apparat des Ge-
hörorgans sieht.
Diskussion: Herr Haike berichtet hierzu in Kürze über
die Ergebnisse seiner Tierversuche mit Natr. salicylicum und
Aspirin, welche den Resultaten von Wit|tmaacks Chininversuchen
analoge Veränderungen am Ganglion acusticum, ferner auch am
Nervenstamm ergeben haben.
Herr A. Brück erwähnt Hörstörungen, die er nach Chloro-
form — Hyperästhesie und im Anschluß. daran Schwerhörigkeit —
und nach einer Athernarkose beobachtet hat.
Herr Donnert teilt zur Wirkung des Seeale cornutum einen
Fall mit, in welchem ein allen Mitteln sehr lange Zeit wider-
274 XXII. HAIKE, Verhandiongen der Berliner otolog. Gesellschaft
stefaender ^Sehaupfen^ auf Seeale mit Valeriana ^wie mit einem
Zanbersohlage^ versehwanden sei.
Herr Reiehert erinnert daran, daß im Beginn fibrinöser
Pneumonien zuweilen Hyperämien des Ohres vorkommen, so daß
er es nieht für ausgesehlossen hält^ daß der von Herrn S c h w a -
baeh mitgeteilte Fall hierher gehöre.
Herr Blau bemerkt, daß die Deutung der Hyperämien und
Blutungen im Ohr als Suffokationsersoheinungen durch Witt-
maack nur eine Bestätigung der Untersuchungen Grunerts
sei. — Femer teilt er eine Nebenwirkung des Jodkaliums mit,
die als sehr schmerzhafte Otitis externa in die Erscheinung trat.
Herr Katz fragt, ob jemand Mittelohrkatarrhe nach äußer-
lichem Gebrauch von Jodoform gesehen habe, da ein Kollege in
einem Versicberungsstreitfalle das lange Zeit angewandte Jodo-
form f&r die Ursache eines zeitlich sich anschließenden Mittel-
ohrkatarrhs erklärte.
Herr Haike bemerkt zu Herrn Blaus Ausführungen, daß
Wittmaacks und Grunerts Anschauungen über die Entstehung
der Blutungen bei mit Salizyl vergifteten Tieren sich insofern
nicht decken, als Grunert Blutungen im Gehörorgan der Versuchs-
tiere durch Suffokation oder durch Salizyl resp. Chinin entstan-
den annimmt, währcM^Wittmaack sie in allenFällen der Suffo-
kation zuschreibt.
Herr Schwabach erwidert Herrn Reichert, daß die Er-
scheinungen seines Salipyrinfalles durchaus andere gewesen seien,
als er sie bei Patienten mit fibrinöser Pneumonie gesehen habe.
2. Herr Heine: Zur Behandlung der akuten Mittel-
ohrentzündung.
Heine referiert die auf der Berliner Universitätsohrenklinik
geübte Behandlungsmethode unter besonderer Betonung der noch
unter den Ohrenärzten strittigen Maßnahmen, wie die Anwen-
dung der heißen Umschläge, die er dem Eisbeutel im allgemeinen
vorzieht, der Blutegel, die er als der Asepsis widersprechend
verwirft, wie er die Luftdusche von der Tube wie vom Gehör-
gang aus als heftigen Reiz des entzündeten Organs unterläßt,
zumal sie auch ernste Gefahren für die Erkrankung des Warzen-
fortsatzes birgt; auch die von vielen geübte Entfernung einer
vorhandenen Rachenmandel hält er für unzweckmäßig und dem
Hauptprinzip der Behandlung, dem entzündeten Organ wie dem
Patienten Ruhe zu lassen, widersprechend.
niii.
Aus der kgl. Unirersitäts-Ohrenpoliklinik za München
(Prof. Dr. Hau g).
Anthraxpnsteln im Gehörgang.
Von
Prof. Dr. Haugr.
Da Milzbrand mit einer akzidentellen Lokalisation im Ohre
nicht gerade zu den gewöhnlichen Vorkommnissen zählen dürfte,
ist vielleicht nicht ganz unmotiviert, über einen einschlägigen
Fall zu berichten.
Ein Tierarzt, der zum größten Teil ländliche Praxis sehr
beschwerlicher Natur auszuüben hat, infizierte sich vor ca.
8 Wochen gelegentlich der Sektion eines an Milzbrand ge-
fallenen Stückes an der rechten Hand ganz leicht. Es schwollen
zwar ganz kurze Zeit hernach die Axillardrüsen der rechten
Seite an, ohne daß sich jedoch weitere Erscheinungen einstellten.
Es mag diese relativ minimale Reaktion auf die Infektion viel-
leicht ihren Grund haben darin, daß Pat. schon einmal eine
schwere Anthraxinfection durchgemacht hatte und infolgedessen
noch eine abgeschwächte Immunität besaß.
Nun stellte sich auf einmal, ohne besondere intensive Vor-
boten, bloß begleitet von ziemlichem Druckgefühle im Kopfe
und leichtem Frostschauer innerhalb 12 Stunden eine ganz akute
Furunkulose des ganzen rechten Armes ein, derart, daß der
Ober- und Unterarm bis zum Handgelenk mit über fünfzig pfeffer-
korn- bis haselnußgroßen Furunkeln sich übersät zeigten. Die größte
Anzahl dieser Furunkel bildete sich aber wieder ganz schön
zurück unter der Applikation von Sublimatumschlägen bis auf
einige wenige (zwei), und auch diese gelangten nicht zur eigent-
lichen Suppuration, indem sie sich nach Eröffnung und Ablassung
des serösen Transsudates wieder zurückbildeten. Während der
276 XXIII. HAÜO, Anthraxpusteln im Gebörgang.
ganzen Floritionsperiode der Pnsteln bestand merkwürdig wenig
subjektive Reaktion.
Wenige Tage darauf stellten sieh am Ohre der entsprechenden
Seite analoge Erscheinungen ein nnd es konnten hier im Meatus
externus zwei ungefähr hanfkorngroße entzündliche Erhaben-
heiten konstatiert werden, die f&r gewöhnlieh als beginnende
einfache gemein Ohrfurunkel angesehen werden mußten. Sonst
war außer einer leichten Rötung am Übergang vom Trommel-
fell zum Gehörgange, sowie einer leichten Injektion der Hammer-
griffgefäße nicht viel zu sehen. Auch war die funktionelle
Tätigkeit in keiner Weise alteriert. Diese Gehörgangsefflores-
zenzen verliefen ebenfalls genau wie die am Arme, sie bildeten
sich ohne Suppuration zurück. Auf der andern Seite zeigte
sich nichts.
Wenn wir nun trotz dieser sehr schwach ausgesprochenen
klinischen speziellen Merkmale auf der Diagnose Anthrax be-
harren wollen, so muß die mikroskopische Untersuchung der
Ohrpusteln den Ausschlag geben.
Und tatsächlich gelang es bei diesen ans dem heraus be-
forderten Inhalte, abgesehen von einer Unzahl von Streptokokken,
Sporen des Anthrax allerdings nicht in kräftig entwickelter Form
zu finden. Wir dürfen also nach Analogie der Armpusteln wohl
annehmen, daß auch der Gehörgang der Platz einer Eruption
gewesen sei.
XXIV.
Jahresbericht der kgL Universitäts-Ohrenpoliklinik zn
HfiDchen (Prof. Dr. Hang) für das Jahr 1903.
Von
Prof. Dr. Haugr und Dr. Thanisch, I. Assistent.
In der KgL Universitäts-Ohrenpoliklinik gelangten, wie in
den Vorjahren, im allgemeinen nur Ohrenkranke zur Behand-
lang. Von Nasen- Bach enaffektionen wurden lediglich die mit
den Ohrenerkranknngen in innigem Konnex stehenden, wie z. B.
aden. Vegetationen, Tonsillenhypertrophie usw. einer operativen
Behandlung unsererseits unterzogen. Alle sonstigen Nasen-,
Bachen-, Kehlkopfaffektionen wurden an die Laryngo-Bhino-
logische Klinik (Prof. Dr. Sehe ch) verwiesen.
An der Ohrenpoliklinik waren während des Berichtsjahres
1903 folgende Herren als Assistenten, Volontäre und Koassi-
stenten tätig: Herr Dr. Thanisch, bestallter Assistent, ferner
die Herren Doktoren Dr. L anhinge r, Nadoleczny, Hempel,
Böhm, Bertololy, Erbe, v. Hellriegl, Arnold, Leon-
hard, Holländer, Falk, Werner, Stamm, Klein, Hamm,
Gareis, Jaudt, die Herren cand. med. Grundier, Böttcher,
Auntemüller, Olsner, Ehmann, Penning. Allen diesen
Herren sei an dieser Stelle gedankt für ihre schaffensfreudige Mit-
arbeit. Die 10 — 12 Arbeitsplätze waren, wie immer, so auch
heuer jederzeit völlig besetzt, so daß bloß sehr frühzeitige An-
meldungen meist noch Berücksichtigung finden konnten.
Die größeren Operationen — Aufmeißelungen, Badikalope-
rationen usw. — wurden, wie immer, entweder von mir selbst
oder den Herren Assistenten resp. Volontären ausgefbhrt, die
kleineren — Parazentesen, Adenotomien, Polypenextraktionen,
Gehörknöchelentfernungen usw. — fast ausnahmslos von den
verschiedenen Herren der Abteilung, auch von den Koassistenten
und zugelassenen Kursisten, vorgenommen, so daß jeder längere
278
XXIV. HAÜG und THANISCH
Zeit auf der Poliklinik arbeitende Herr in die Lage kam, die
einzelnen Operationen genügend oft selbst auszuführen. Und
auch sonst war an dem sehr reichen Material zur fachlichen Aus-
bildung in jeder Beziehung Gelegenheit gegeben.
Die Zahl der im Berichtsjahre 1903 behandelten Ohrkranken
betrug 3516 (1902: 3315). Das Berichtsjahr ist das 18.
München, Januar 1903. Prof. Dr. Hang.
Summa
Ohrmaschel.
Eczema auriculae
Abszei^ am Lobulus
Erysipel
Herpes
Congelatio
Othämatom
Perichondritis acuta
* chronica
Impetigo contagiosa auriculae
Lupus vulgaris
Scrofoloderma
Atheroma auriculae
9 postauricularis
Verletzungen
M e a t u s.
Cerumen obturans
Eczema
Verletzungen
Fissur des Keatus bei Scbttdelbasisfraktur . .
Otitis externa diffusa
* s luetioa (Papel)
* « mycotica
9 9 haemorrhagica
* s granulosa
s « circumscripta
Corpora aliena . . . . ,
In Narkose entfernt (einmal unter Ablösung
der Ohrmuschel)
Pruritis
Impetigo .
Exostosen
Atresia congenita
9 meatus acquisita
9 cum otitide med. perf. chronica . . .
Papilloma
Trommelfell.
Myringitis acuta
9 haemorrhagica
9 chronica
Kuptura traumatica
Sonstige Traumata
32
1
1
1
2
2
3
1
5
1
1
2
183
15
3
1
59
3
2
2
4
63
22
2
2
2
1
12
1
3
11
3
20
10
1
1
4
1
— ^
4
3
2
—
1
l
1
178
229
14
12
3
1
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46
26
1
1
2
— •
1
._
3
— .
59
2
28
2
1
2
1
2
2
....
2
1
1
1
—
9
6
1
—
4
3
11
1
2
'^—
62
l
1
2
7
3
3
1
12
1
3
2
1
2
590
41
6
2
131
5
4
3
124
52
4
5
5
2
4"
2
1
2
27
2
10
23
5
Jahresbericht der kgl. Universit&ts-Ohrenpoliklinik zu München. 279
Summa
Paukenhöhle.
Otitis media catarrhalis acuta
« « 9 subacuta
9 c 9 chronica:
1. Simplex
2. mit Trübungen u. Verdickungen
3. mit Atrophie
4. mit Verkalkung
Akuter Tubenkatarrh
Chronischer Tubenkatarrh
Autophonie
Sklerosen (reine)
Otitis media acuta exsudativa
9 9 9 cum perforatione ....
9 9 9 haemorrhagica
9 9 9 cum perforatione ....
Haematotympanum traumaticum
Akuter Tnbentrommelböhlenkatarrh ....
Subakuter « ....
Chronischer 9 ....
mit sekundärer Retraktion
Besiduen Yon Otitis media perforat
Otitis media perfurat. chronica purulenta . .
99 9 9 polyposa . .
99 9 « tuberoulosa . .
99 9 »mit Perforat. d.
Membrana flaoc.
* ' * » * mit Senkung der
hint. u. ob. Wand (z. T. mit Cholesteatom)
Mastoiditis acuta
9 chronica
9 fistulosa
9 ausgeheilte
Subperiostaler Abszeß
Cholesteatom (von vorn zu erkennende) . . .
Labyrinth (inkl. neryOse Krankheiten).
Labyrinthtrauma
Labyrinthlues
Lues bereditaria tarda
Sonstige Labyrintherkrankungen
Surditas
Surdomutitas
Simulatio surditatis
Nervöse Schwerhörigkeit
Subjektive Geräusche (ohne objektiven Befund)
Meni^rescher Symptomenkomplex
Traumatische Neurose
Neuralgia tympanica
9 mastoidea
Facialisparese (ex Otitide purulenta) ....
Otalgia e oarie dentium
Berufsschwerhörigkeit
Nasen er krankungen.
Corpora aliena
Muscbelhypertrophien
110
88
72
28
23
49
57
44
125
16
12
26
9
15
23
13
14
18
41
50
51
57
1
4
96
206
6
21
85
71
32
191
177
75
18
9
2
1
2
7
2
—
3
4
6
6
17
35
35
184
6
18
10
111
113
63
198
188
69
26
21
2
3
1
1
9
7
3
2
.^^
14
1
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1
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1
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2
1
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11
2
2
1
4
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21
2
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9
1
1
3
1
1
5
2
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1
1
4
4
1
32
34
18
10
2
1
3
1
4
270
100
226
54
47
45
142
359
1
31
188
443
29
3
2
14
29
254
34
287
455
49
5
— 16
5
22
1
5
17
4
10
9
7
2
4
7
11
5
25
12
5
1
8
2
10
84
10
3
8
280 XXIV. HAU6 u. THANISGH, Jahresber. d. üniT.-Ohrenkl. München.
Nasenpolypen
SoDstige Nasenerkrankiingen . . .
Adenoide Vegetationen
Rachen er kr anklingen.
Baohenlues
Pharyngitis granaloea . .
ToniUlitis
Tonsillenhypertrophie . . .
Eongenitale Mißbildungen
Varia.
Senile Involution
Lymphadenitis der Pars mastoidea . . .
Vereiterte Lymphdrüse der Pars mastoidea
Parotitis
Gesamtsumme der Krankheiten: 4887.
Operationen.
Furunkelinzisionen
Parazentese
Polypenextraktion
Operationen an der Ohrmuschel
Extraktion eines Sequesters der Paukenhohle,
sowie einer nekrotischen Schnecke . . .
Extraktion von Gehörknöchelchen
Wildesche Inzision
Kadikaioperation Unkl. intrakran. . . .
Schwartzes Operation j Eingriffe . . .
Transplantation
Adenotomien
Tonsillotomien
4
1
3
l
6
6
20
2
(5
•
2
3
10
50
2
1
11
3
2
8
8
1
1
1
Summa
1988
1528
8
7
222
2
3
18
76
2
11
20
3
2
20
26
2
48
29
4
8
9
2
1
1
1
2
1
4
6
4
—
6
5
—
13
2
1
14
12
20
48
81
23
4
2
5
10
11
•15
1
188
46
Altersklassen
Kranke
=j; ' ■ ■ . '■»
Summe
in Jahren
mannlich
weiblich
0—1
84
82
166
2—10
373
365
738
11—20
325
275
600
21—30
419
338
757
31—40
369
210
579
41—50
218
111
329
51-60
119
88
207
61—70
56
39
95
über 70
25
20
45
3516
München 1888
Oberbayem 646
Niederbayern 250
Pfalz 12
Oberpfalz 156
Oberfranken 28
Mittelfranken 76
ünterfranken 37
Schwaben 154
Deutschland (außer Bayern) 137
Nicht-Deutsche 132
Sa.: 3516
XXV.
Besprechnngen.
2.
Bönninghaus, Das Obr des Zahnwales, zugleich ein
Beitrag zur Theorie der Schallleitung, Eine bio-
logische Studie. 6. Fischer, Jena 1903. Mit 2 Tafeln und
28 Abbildungen im Text.
Besprochen von
Prof. K. Grunert, Halle a. S.
Das Studium dieser vorzüglichen anatomischen Arbeit bietet
nicht nur Sir den Biologen ein großes Interesse dar, insofern
als die durch die Akkommodation an die neue Lebensweise
im Wasser bedingten hochgradigen morphologischen Verände-
rungen auch ein so hochentwickeltes Organ wie das Gehörorgan
umgestalten, sondern auch für den Ohrenarzt ergeben sich aus der
Schrift neue und wichtige Gesichtspunkte fttr die Lehre von der
Schallleitung.*
Dies ist der Grund, weshalb ich die Resultate, welche Ver-
fasser am Schluß seiner Arbeit in einer „Zusammenfassung^ ge
geben hat, hier verbotenus zu bringen mich in dieser Besprechung
für verpflichtet halte.
„1. Das rudimentäre äußere Ohr des Wales zeigt in seinem
Bau so große Ähnlichkeit mit dem äußeren Ohr des Seehundes,
daß man annehmen kann, das äußere Walohr habe, als es noch
funktionsfähig war, in derselben Weise funktioniert, wie das
äußere Seehundohr. Dieses ist im Wasser geschlossen, und der
Schluß findet durch den Druck des Wassers statt. An der Luft
aber wird es durch Muskelzug geöffnet. Als nun der Wal dauernd
im Wasser blieb und sein Körper eine derartige Umänderung er-
fuhr, daß auch bei der gewöhnlichen Ruhelage an der Ober-
fläche des Wassers das äußere Ohr sich unter der Wasserlinie
befand, hatte der Wal keine Veranlassung mehr, sein Ohr zur
Archiv f. Ohrenheilkunde. LXI. Bd. j g
282 XXV. Besprechungen.
Aufnahme von Schallwellen der Lnft zu öffnen. Die Ohrmuskeln
wurden deshalb rudimentär, und das stets geschlossene äußere
Ohr verfiel demselben Schicksal.
2. Beim Zahnwal ist eine Drehung des vorderen Keilbeins
und zugleich eine Verlängerung desselben eingetreten. Haupt-
sächlich hierdurch ist es erreicht, daß die äußere Nasenöffnung
auf der Höhe der Stirn liegt. Das hat den Vorteil, daß der Wal
bei horizontaler Buhelage an der Oberfläche des Wassers unge-
stört atmen kann. Durch diese Umgestaltung des Vorderschädels
ist die Rachenöffnung der Ohrtrompete nach oben verlagert und
die Tuben-Gaumenmuskulatur am Tubenostium so spitz abge-
knickt, daß der Tubenteil der Muskeln nicht mehr funktionieren
konnte und deshalb verschwand. Der durch den Verlagerungs-
prozeß an der Tube ausgeübte Längszug, zusammen mit einem
Querzug, welcher einerseits durch das aus hydrostatischen Grün-
den erfolgte Abrücken der Schädelbasis von der Tube, andererseits
durch das Bindegewebe der Schädelbasis am distalen Tubenende
ausgeübt wurde, führte zur partiellen Lösung des distalen Tuben-
endes von der Bulla tympanica und von der Schädelbasis, zu
einer trabekulären Umgestaltung der Innenfläche der Tube, zu
einem Klaffen der Tube und zum Untergänge des Tubenknor-
pels. — Die Eröffnung des allein nicht klaffenden Tubenostiums
geschieht durch den M. salpingopharyngeus, durch den Rest des
Gaumenteils des M. dilatator tubae und — in eigenartiger Weise
— durch den M. constrictor pharyngis superior. Die Eröffnung
der Tube findet, wie stets, nur beim Sohlingakt statt. Schlingt
der Wal nun, während er sich mit der durch den Wasserdruck
geschlossenen Nasenöffnung unter Wasser befindet, so wird die
Luft im Mittelohr verdünnt, wie beim Menschen, der bei zuge-
haltener Nasenöflnung schlingt (Toynbe escher Versuch). Eine
Schädigung der Sehallleitung aber, wie beim Menschen, tritt beim
Wal nicht ein, da sein Schallleitungsapparat fixiert ist.
3. An der Schädelbasis des Wales befinden sich eine größere
Anzahl voluminöser Lufträume. Zu ihrer Entfaltung dienen eine
Reihe besonderer knöcherner Fortsätze. Die Lufträume werden
von einer Schleimhaut ausgekleidet, deren Mutterboden die
Schleimhaut der Paukenhöhle ist. Sie haben die offenbare Auf-
gabe, den relativ großen Kopf des Wales derart zu erleichtern,
daß das äußere Nasenloch bei horizontaler Ruhelage des Körpers
sich über Wasser befindet. Demselben Zweck dienen die merk-
würdigen Fettanhäufungen auf dem „Schnabel* der Zahnwale,
XXV. Besprechangen. 283
der hyperplastische Markkorper des Unterkiefers der Zahnwale
und der Fettkörper unter der Zunge der Bartenwale. — Zu-
sammenfassend kann man sagen, daß der Umbau des ganzen
Walsehädels im wesentlichen die Möglichkeit der Bespiration bei
horizontaler Buhelage erstrebt, eine der Grundbedingungen f&r
den dauernden Aufenthalt im Wasser.
4. Die arterielle Blutversorgung des Gehirns geschieht beim
Wal vom Wirbelkanal aus durch enorm erweiterte Artt, menin-
geae spinales. Auch der Abfluß des venösen Blutes aus dem
Gehirn findet zum größten Teil durch den Wirbelkanal statt.
Durch diese Verlegung der Blutzufuhr und -abfuhr in den in-
kompressiblen Wirbelkanal ist die Biutzirkulation im Gehirn der
Beeinflussung durch den Druck des Wassers entzogen, eine not-
wendige Voraussetzung für das Hinabtauchen in größter Tiefe.
5. Schallleitung beim Wal. Beim Wal ist eine Anky-
lose der Gehörknöchelchen eingetreten. Man kann sie als Folge
der Bewegungsunfähigkeit der Gehörknöchelchen auffassen: die
letzteren können bewegt werden durch das durch Schallwellen
zur Schwingung gebrachte Trommelfell und durch die akkom-
modativ oder reflektorisch erfolgende Zusammenziehung des M.
tensor tympani und M. stapedius. Erstere Möglichkeit fällt beim
Wal wegen der Obliteration seines Gehörganges fort. Es scheint
daher im Meere die Gelegenheit zur Aktion der Muskeln nicht
häufig genug gegeben zu sein, um die Ankylose zu verhindern.
Beim Wal sind Einrichtungen vorhanden, welchen man die
Fähigkeit zugestehen muß, die Schallleitung zum ovalen Fenster
zu verbessern: 1. Die ankylotischen Gehörknöchelchen sind stark
verdickt und verdichtet. Das ist um so auffallender, als das
ganze übrige Enochensystem des Wales stark reduziert ist zur
Erleichterung seines spezifischen Gewichtes. 2. An der Außen-
fläche der Bulla hat sich eine trichterförmige Einziehung des
Knochens gebildet. Sie entsteht durch zwei sehr merkwürdige
Prozesse, durch Abrücken der lateralen BuUawand und durch
Umkehrnng der Konkavität des äußeren Gehörgangs nach vorn.
Mit der Trichterspitze ist der verdickte Proc. Folianus des Ham-
mers verwachsen. Der Trichter ist als funktioneller Ersatz der
Ohrmuschel aufzufassen. Das Trommelfell ist durch das Ab-
rücken der Bulla aus der Schallleitung ausgeschaltet, und der
Leitungsweg ist: Schalltrichter, Proc. Folianus, Hammerkopf,
Amboßkörper, langer Amboßschenkel, Steigbügel. Die Schall-
leitung in der Gehörknöohelchenkette ist eine molekulare.
19*
284 XXY. Besprechungen.
Beim Wal sind Einriobtungen vorhanden, welchen man die
Fähigkeit zugestehen mnß, die Schallleitnng znm Labyrinth auf
einem anderen als dem angegebenen Wege zu verschlechtern:
1. Das Tympano-Perioticnm ist nach Möglichkeit von den übrigen
Schädelknoohen abgerückt und durch Lufträume von ihm getrennt»
2. Das Perioticum ist vom Tympanicum nach Möglichkeit abge-
rückt. 3. Das Perioticum ist, wie die Gehörknöchelchen verdichtet
Beim Wal sind Einrichtungen vorhanden, welchen man die
Fähigkeit zugestehen muß, die Resonanz der in der Paukenhöhle
eingeschlossenen Luft zu verhindern: 1. Die Schleimhaut der
Paukenhöhle ist verdickt und gelockert. 2. Die Paukenhöhle
beherbergt einen Körper von kavernösem Bau, das gewueherte
kavernöse Gewebe, welches die beim Wal durch die Paukenhöhle
ziehende und obliterierte Carotis interna umgibt.
Die Verschlechterung der Schallleitung vom Schädel direkt
auf das Labyrinth und die Verhütung der Resonanz in der Pauken-
höhle bezwecken möglichste Beseitigung der Interferenz der auf
diesen Wegen in das Labyrinth eintretenden Schallwellen mit
jenen Schallwelleu , welche durch das ovale Fenster ins Laby-
rinth eintreten — akustische Isolierung des Labyrinths. Diese ist
beim Wal erforderlich wegen der Leichtigkeit des Übergangs der
Schallwellen vom Wasser durch die Knochen auf das Labyrinth.
Die Schallleitung im Labyrinth kann beim Wale aus ver-
schiedenen Gründen, deren vornehmster der Umbau des Tympano-
Perioticums selbst ist, von der Steigbügelplatte im wesentlichen
nur durch das Labyrinthwasser des Vorhofs und der Schnecke
zur Membrana basilaris gehen, nicht aber von der Steigbügel-
platte durch den Knochen des Labyrinths zur Membrana basi-
laris. Bei der Ankylose der Steibügelplatte und bei der Ver-
stopfung der Nische des runden Fensters durch gewucherte
Schleimhaut kann die Schallleitung im Labyrinthwasser nur eine
molekulare sein. Im Schneckenwasser ist die molekulare Leitung^
eine günstige, weil wegen der Dichtigkeit der Labyrinthkapsel
eine Reflexion der Schallwellen von den Labyrinthrändern ein-
treten muß, die einer totalen nahe kommt. Im Vorhof des Wale»
ist sie so günstig wie in der Schnecke, weil er röhrenartig nach
Art der Sohnecke umgebaut ist.
Die geschilderten Verhältnisse stellen eine vollendete An-
passung des Schallleitungsapparates an das Leben im Wasser
dar. Diese Anpassung des Ohres ist fQr den Wal so wichtig^
weil seine Sinnesorgane mit Ausnahme von Auge und Ohr rudi-
XXV. Besprechungen. 285
mentär geworden sind. Die Wahrscheinlichkeit liegt sehr nahe,
daß im Wasser hinreichend genug Schallquellen vorhanden sind,
deren Erkennung dem Wal von Nutzen ist.
6. Schlüsse, welche sich aus der Schallleitung
beim Wal auf diejenige bei den Landsäugetieren und
dem Menschen ziehen lassen. Beim Landsäugetier und
beim Menschen erfolgt der Eintritt der Schallwellen in das
Labyrinth ebenfalls durch das ovale Fenster. Das ergibt sich,
ganz abgesehen von der Unwahrscheinlichkeit, daß bei den
Landsäugetieren und dem Menschen der Eintritt ein anderer
«ein sollte als beim Wal, aus dem Vergleich verschiedener, bei
den Landsäugetieren und beim Menschen sich vorfindender ana-
tomischer Verhältnisse untereinander gleichsam per exclusionem»
Der Übergang der Schallwellen der Luft auf das Labrinth-
wasser ist erheblich schwieriger als der Übergang der Schall-
wellen des Wassers auf das Labyrinthwasser. Zur Überwindung
dieser Schwierigkeit ist beim Landsäugetier und beim Menschen
zwischen Luft und dem Labyrinth wasser ein Hebelapparat (v. H e 1 m -
holtz), die Gehörknöchelchen, eingebaut. Das durch die Luft-
schallwellen in Massenschwingung versetzte Trommelfell setzt
diesen Hebelapparat in Bewegung. Dadurch werden die
Schwingungen des Trommelfells unter Verminderung der Ex-
kursion und Vermehrung der Kraft (v. Helmhol tz) vermittelst
der Stapesplatte auf das Labyrinthwasser übertragen. Die
molekularen Wellen nun, welche den Gehörknöchelchen teils
durch Schwingung der Trpmmelfellfasern, teils direkt aus der
Luft zugeführt werden, gelangen nicht in das Labyrinthwasser,
sondern werden in der Kette kraft ihres Baues ausgelöscht.
Der Stoß der Steigbügelplatte erzeugt im Labyrinthwasser
eine Doppelbewegung, wie jeder Körper, der gegen einen anderen
beweglichen Körper einen Stoß ausübt, eine Molekular- und eine
Massenbewegung. 1. Die Molekularbewegung ist, wie beim Wal,
dazu bestimmt, die Basilarfasern durch Mitschwingung in Be-
wegung zu setzen. Der Gang der molekularen Wellen ist im
Vorhof der Landsäügetiere und des Menschen ein anderer als
beim Wal. Denn wegen seiner ampullenartigen Ausweitung und
wegen der Lage des ovalen Fensters und des Eingangs in die
Schnecke an derselben, an der äußeren Wand des Vorhofs, ist
die Reflexion viel ungünstiger als im röhrenförmigen Vorhof des
Wales. Diese Ungunst der Reflexion kann entsprechend der
gegenseitigen Lage von ovalem Fenster und Eingang in die
286 XXV. Besprechungen.
Sehnecke durch Schiefstellnng der Stapesplatte einerBCits nach
unten andrerseits nach vorn derart verbessert werden, daß der
von der Stapesplatte ausgehende Hauptsohallstrahl von der inneren
Wand des Vorhofs ans direkt in den Eingang der Schnecke
hinein reflektiert wird. Die Schiefstellnng kann durch kom-
binierte Aktion des Tensor tympani und Stapedius herbeigeitihrt
werden. Diese Muskeln vermögen also die Reflexion im Vorhof
auf das Optimum einzustellen. Dieses „Fixieren^ des Schalles
durch die Muskeln ist eine Art Akkomodation, wir nennen e»
^ Lauschen^. 2. Die Massenbewegung im Labyrinth wasser ist ein
Hin- und Herstromen derselben, keine Wellenbewegung. Diese
Massenverschiebung ist notwendigerweise mit dem Stoß der
Stapesplatte ins Labyrinth wasser verknüpft, doch hat sie mit
der Reizung des Corti sehen Organs direkt nichts zu tun, denn
die Saiten der Basilarmembran würden durch den Stoß des Steig-
bügels nur bewegt werden, wenn keine leichter zu verdrängende
Masse im Labyrinth von genügendem Volumen vorhanden wäre.
Die erste Masse, welche hier in Betracht kommt, ist diejenige Masse
des Labyrinthwassers, welche durch das Helicotrema gegen die
Membran des runden Fensters hin verschoben werden kann. Sie
genügt allein nicht, den Stoß des Steigbügels abzufangen, weil
das Helicotrema von kleinerer Fläche ist als die Stapesplatte.
Die zweite Masse ist das Blut in den Kapillaren der rätsel-
haften Stria vascularis. Sie liegen so oberflächlich, und die Mem-
brana Reißneri ist so nachgiebig, daß man ihnen die Aufgabe^
den Stoß des Steigbügels abzufangen, wohl zumuten kann.
Eine akustische Isolierung des Labyrinths, wie sie beim Wal
besteht, ist beim Landsäugetier nicht so notwendig, denn der
Übergang der Schallwellen aus der Luft auf das Labyrinthwasser
ist an und f&r sich schwer. Akustisch isolierend wirken bei den
Landsäugetieren die Lufträume in der Nähe des Labyrinths und
die Dichtigkeit der Labyrinthkapsel. Resonanzvermindernd in
der Paukenhöhje wirken unregelmäßige Gestaltung der Pauken-
höhle, Teilung durch Scheidewände usw.'*
Weiterhin analysiert der Verfasser die Schwingungen der
auf den Schädel aufgesetzten Stimmgabel. „Durch die Schwin-
gungen der Zinken werden im Stiel der Gabel fühl- und sicht-
bare Massenschwingungen und hörbare Molekularschwingungen
erzeugt. Beide gehen vom Stiel auf den Schädel über. Die
Massenbewegung des Schädels versetzt das Trommelfell und die
Gehörknöchelchen in Schwingung (Luoae und Politzer) in
XXV. Besprechungen. 287
derselben Weise, wie es die Sohallwellen der Luft tun, nnd in
derselben Weise stößt der Stapes ins Labyrinthwasser, in ihm
molekulare Bewegungen erzeugend, welche die Basilarmembran
unter Eliminierung der gleichzeitig erzeugten Massenbewegung
des Labyrinthwassers in Schwingung versetzen. Die gleichzeitig
von der Stimmgabel ausgehenden Molekularwellen gelangen
durch den Knochen und das Ligam. annulare auf die Stapesplatte
und von hier aus in das Labyrinthwasser, und zwar in derselben
Sichtung (nach Savart) wie die darch den Stoß erzeugten Mo-
lekularwellen. Solange nun die Stimmgabel den Schädel er-
schüttert, müssen sich beide Arten molekularer Wellen im Laby-
rinthwasser addieren. Hat die Erschütterung aber ihr Ende er-
reicht, so erfolgt von jetzt ab die Erregung der Basilarfasern
allein durch die vom Gabelstiel noch ausgehenden molekularen
Wellen. Bei vielen Mittelohraffektionen ist die Knochenleitung
verlängert (Schwabaoh). Bei ihnen ist der Schallleitungs-
apparat und in letzter Linie das Ligam. annulare stärker ange-
spannt (Bezold). Das gespannte Ligament aber leitet die mole-
kularen Wellen vom Knochen zur Stapesplatte besser als das
ungespannte. Diese Besserleitung führt zur längeren Erregung
der Basilarfasern, zur „ verlängerten Knochenleitung^. Die Massen-
schwingung aber ist an der Verlängerung der Knochenleitung
gänzlich unbeteiligt, denn sie ist ja bei den in Betracht kommen-
den Zuständen der Norm gegenüber vermindert, weil bei der
Fixierung des Schallleitungsapparates dessen Schwingbarkeit
vermindert ist**.
3.
Beckmann, Das Eindringen der Tuberkulose und ihre
rationelle Bekämpfung. Nebst kritischen Bemer-
kungen zu E. V. Behrings Tuberkulosebekämpfung.
S. Karger, Berlin 1903.
Besprooheii von
Prof. E. Grunert, Halle a. S.
In seiner interessanten und lebhaften Schrift schildert Ver-
fasser die Bedeutung der Rachentonsille fQr alle möglichen, be-
sonders aber fttr die tuberkulöse Infektion des Körpers und be-
schreibt ausführlich den Weg, welchen die Infektion von der
Bachenmandel aus nimmt. Eingehend wird hierbei neben der
Tuberkulose auch die Pathogenese und das Wesen der Skro-
288 XXY. Besprechungen.
falose gewürdigt. Eine neue Erklärung gibt er uns von den Ur-
sachen der Differenz der Tuberkulose im frühen Kindesalter und
in der Zeit etwa vom 7. Lebensjahre ab, von wo ab die tuber-
kulöse Infektion der Lunge sieh gewöhnlich zuerst in Erkran-
kungen der Lungenspitzen äußert. Die bisherigen Theorien über
die Prädisposition der Lungenspitzen zu der tuberkulösen Er-
krankung, die aerogene wie die hämatogene unterzieht er einer
vernichtenden Kritik und erklärt den so fundamentalen Unter-
schied der Tuberkulose beim Kinde unter 7 Jahren und dem
älteren Individuum folgendermaßen: „Solange nämlich die Thorax-
form des Neugeborenen, also horizontale obere Brustapertur mit
vorwiegender Zwerchfellatmung, bleibt, wird der Inhalt des
Lymphapparates vom Halse nach dem Mediastinum in die Bron-
chialdrüsen angesaugt. Es entsteht durch Verlötung mit dem
benachbarten Brustfell Tuberkulose der angrenzenden Lungen-
partien oder durch Einbruch in den kleinen Kreislauf dissemi-
nierte Lungentuberkulose, oder aber durch Infektion des großen
Kreislaufs allgemeine Miliartuberkulose.
Mit der Senkung des Brustbeins und der oberen Brustapertur
ändert sich das Bild. Wird durch die Spitzenatmung das tuber-
kulöse Material zur Pleura angesaugt, so entsteht die durch ihre
Häufigkeit alle anderen Lokalisationen weit überragende Spitzen-
tuberkulose. Das in die Bronchialdrüsen gelangte Virus aber
wird mit dem Heranwachsen des Individuums in steigendem
Maße unschädlich gemacht, da der Oganismus offenbar seine Anti-
körper so vermehrt hat, daß er des auf diesem Wege eindringen-
den Giftes Herr wird. Man könnte die Bronchialdrüsen mit Fug
das Grab der Tuberkelbazillen nennen. Nur wenn eben durch
die besondere lokale Disposition, deren Bedingungen oben aus-
einandergesetzt wurden, die Tuberkulose über die Spitzenpleura
an die angrenzende Lunge gelangt, fuhrt sie zur Lungenschwind-
sucht.*' In den weitaus meisten anderen Fällen werden die Ba-
zillen wahrscheinlich noch innerhalb des Lymphsystems ver-
nichtet. In ausführlicher Weise erörtert Verfasser auch das
Wesen der tuberkulösen Disposition sowie die Bedeutung der
Mischinfektion (Eiterkokken- neben Tuberkelbazilleninfektion).
Was die Therapie anbetrifft, so verlangt er als bestes Pro-
phylaktikum der Tuberkulose die gründliche Abtragung der
Rachenmandel von der hinteren Rachenwand und von der Fibro-
cartilago basilaris soweit, daß von letzterer meist noch eine
dünne Schicht des Faserknorpels mit abgetragen wird. Nach
XXy. Besprechangen. 289
dem 12. Lebensjahre sollen außerdem noch die durch den am
Nasenboden stagnierenden Schleim degenerierten unteren Ränder
der unteren Muschel in steigender Häufigkeit mit der Schere ab-
getragen werden.
Die y. Behringsche Anschauung über den Infektions-
roodus der Tuberkulose unterzieht Verfasser einer ablehnenden
Kritik, welche vornehmlich in der Behauptung wurzelt, daß
V. Behring mit seinen Ansichten vornehmlich auf den Ergeb-
nissen des Tierexperimentes stehe, und daß der große Mar-
burger Forscher zu wenig die Erfahrungen am Krankenbett be-
rücksichtigt habe.
Wenn auch Verfasser nach unserer Ansicht vielleicht zu ein-
seitig seinen Standpunkt von der Bedeutung der Rachenmandel
für das Zustandekommen der Tuberkulose betont und vielleicht
auch in seiner optimistischen Wertschätzung der Rachenmandel-
entfernung selbst in Fällen schon eingetretener tuberkulöser In-
fektion des Organismus über das Maß berechtigter Erwartungen
hinausschießt, so enthält doch seine Arbeit nicht nur viel neue,
sondern auch viel beherzigenswerte Gesichtspunkte. Wir em-
pfehlen deshalb ihre Lektüre unserem Leserkreise auf das an-
gelegenste.
4.
Stenger, Die otitische Hirnsinusthrombose nach den
in der Ohrenklinik der Charit6 in den Jahren 1899
bis 1901 gesammelten Beobachtungen. Königsberg i. Pr.
1903, Hartungsche Verlagsdruckerei.
Besproohen ron
Prof. E. Granert in Halle a. S.
In einer übersichtlichen und fließend geschriebenen kleineren
Monographie gibt der unserem Leserkreise wohlbekannte Ver-
fasser ein übersichtliches Bild über die otitische Hirnsinusthrom-
bose. Wenn sich dasselbe auch vorwiegend auf die Erfahrungen
des Verfassers während seiner Assistentenzeit in der kgl. Ohren-
klinik der Charitö in Berlin stützt, so hat Verfasser doch an vielen
Stellen zum Vergleich auch die Erfahrungen anderer Autoren
herangezogen. Zugleich bringt er eine Anzahl noch nicht publi-
zierter Krankengeschichten, die zum Teil recht bemerkenswerte
Einzeltatsachen enthalten.
Da ein ausführliches Referat an dieser Stelle nicht möglich
ist, empfehlen wir unserem Leserkreise die Lektüre der Schrift
zu eingehenderem Studium.
290 XXV. Besprechongen.
5.
Biemann, Schwerhörige^ Ertaubte und Taubstumme»
Praktischer und pädagogischer Ratgeber fttr Ohren-
leidende und deren Angehörige. Leipzig 1903.
Th. Griebens Verlag. 3. Aufl.
Besprochen Yon
Prof. K. Omnert ia Halle a. S.
Wenn der Inhalt der lesenswerten Schrift auch fast aus*
schließlich pädagogischen Inhaltes ist, so werden doch in der-
selben viel Fragen berührt, in denen auch der Arzt unterrichtet
sein muß, um allen Anforderungen, welche nun einmal die beruf-
liche Beschäftigung mit hochgradig Schwerhörigen an ihn stellt^
gerecht werden zu können.
Bfihmend hervorzuheben ist an der Schrift, daß die Grenze
zwischen rein ärztlicher und pädagogischer Beratung des Kran-
ken scharf gewahrt ist, und daß die modernen, auf Schwindel
beruhenden, gegen die Taubheit empfohlenen Heilmittel eine
entsprechende Würdigung erfahren.
6.
NeueTheorien über Schallempfindung, Schallleitung.
Ewald, Zur Physiologie des Labyrinths. Die Erzeugung von
Schallbildern in der Camera acustica.
Bönninghaus, Das Ohr und die Schallleitung.
Besprochen von
Dr. TreiteL
I.
* .
Der erste, der die Theorie aufstellte, daß die Membrana
basilaris im ganzen schwingt, war Hensen, wie ich aus der
Biographie Königsbergers über Helmholtz ersehen habe*
Hensen nahm an, daß die Abschwingung der schwingenden
Teile, die an das Nervensystem sich knüpfen, wesentlich ab-
hängig ist von der verschiedenen Stimmung der betreflfenden
Teile des fest angespannten Blattes der Membrana basilaris.
Dieselbe weist auffallende Unterschiede in verschiedenen Gängen
der Schnecke auf, hiernach resonieren die tiefen Töne in den oberen
Gängen der Schnecke, die höheren gegen das runde Fenster zu»
Um festzustellen, ob eine hinreichende Isolierung der Fasern
in der Membrana basilaris vorhanden sei, konstruierte Helm-
XXY. Besprechangen. 291
holtz eine Membran i), welche zwischen den Schenkeln eine»
Winkels so ausgespannt ist, daß ihre Spannung in der Halblinie
dieses Winkels am geringsten, senkrecht dagegen am größten
ist, die ferner gegen eine periodische Kraft, welche gegen ihre
Fläche wirkt, erschüttert wird, und deren Bewegung durch Rei-
bung eine geringe Dämpfung erleidet. Indem er mit Berücksich-
tigung der Qrenzbedingungen der Dififerentialgleichung für die
Entfernung eines schwingenden Punktes von seiner Gleichgewich ts-
läge in der Ebene integriert, findet Helm holtz, daß, wenn die
kleinere Spannung in der Richtung der Halbierungslinie de»
Winkels verschwindend klein wird, die Membran dieselben Be-
wegungen ausführt, als wenn sie aus einem System unabhängige
von einander beweglicher Saiten bestände. In einem solchen
System schwingen diejenigen Saiten stark mit, deren Eigenton
der Höhe des erregenden Tones entspricht, ihre Nachbarn etwas-
schwächer, und die weiter entfernten macheu nur noch unend-
lich kleine Schwingungen, während die Breite der Schwingung^
von der Dämpfung abhängt. Helmholtz fand für solche Be-
schaflfenheit der Membrana basilaris die von Hensen aufgestel-
ten Anforderungen genügend.
Ewald hat zwei Arbeiten über seine Theorien in Pflüger»
Archiv veröffentlicht, die erste im LXXVI. Bande unter dem Titeh
Zur Physiologie des Labyrinths. Eine neue Hörtheorie. Die
zweite Arbeit erschien im XCIII. Bande mit der Benennung: Die
Erscheinung von Schallbildern in der Camera acustica. In der
ersten Arbeit hatte Ewald an der Helmholtz sehen Theorie
auszusetzen, daß dieselbe eine Reihe von Erscheinungen nicht
genügend erklärt Herrmann hat nachgewiesen, daß das Zu-
standekommen der Intermittenz- und Differenztöne nicht objektiver
Natur sei, wie Helmholtz annahm, sondern subjektiver. Die
Resonanztheorie gibt keine befriedigende Erklärung über den
Unterschied von Ton und Geräusch. Helmholtz erklärt die Ge-
räusche damit, daß sehr viele Resonatoren zu gleicher Zeit ertönen.
Auch der Unterschied zwischen Konsonanz und Dissonans^
wird durch die Resonanztheorie nicht sehr einleuchtend erklärt.
Die Resonanztheorie soll ferner keine Erklärung dafür geben^
wie es kommt, daß man von zwei gehörten Tönen unterscheiden
kann, welches der höhere und welches der tiefere ist. Schon
Mach sagt: „Wie ordnen wir die Töne ihrer Höhe nach in eine
Reihe ? Dieses ist noch von gar keiner Seite aufgeklärt. Es ist
t) Vortrag, gehalten in der Berliner otolog. Gesellscb. am 12. Jan. 1904.
292 XXV. Besprechungen.
nicht leicht, besonders bei hohen Tönen zu beurteilen, welcher
der höhere Ton ist.*'
Ewald hat nun die Vorstellung, daß auf der Membran
«tehende Wellen sich bilden. Jeder Ton erzeugt eine Reihe
stehender Wellen, und das entstehende Schallbild wird durch Ver-
mittlung der Akustikusfasern im Gehirn die Empfindung des be-
treflFenden Tones hervorrufen, ebenso wie die Lichtwellen das
Sehen hervorrufen. Bei einer Lftnge der Druckmembran von
38 mm steht für den tiefsten Ton eine Strecke von 16 mm zur
Verfügung, als Abstand zweier Enotenlinien. Nimmt man den
tiefsten Ton zu 20 und den höchsten zu 32,000 Schwingungen
an, so kommen bei den höchsten Tönen 100 Knotenlinien oder
Wellenbäuche auf 1 mm. Hier ist, mit dem Auge verglichen,
keine besondere Empfindlichkeit.
Die Zeichen für die tiefen und die hohen Töne unterschei-
den sich nicht nur durch die Abstände der Knotenlinien von ein-
ander, sondern auch durch die Länge der einzelnen Wellen-
bäuche. Da nun die Nervenfasern nicht nur dort erregt werden,
wo das Maximum der Erregung ist, sondern auch mit abnehmen-
der Stärke zu beiden Seiten dieser Erregungsmaxima, so setzen
sich die tiefen ans breiten Erregungsstrecken, die hohen aus
kurzen zusammen.
Bei den Geräuschen entstehen nicht stehende, sondern lau-
fende Wellen, daher kann ein Geräusch eine kürzere Dauer haben
als ein Ton.
Für das Hören der Interferenztöne gibt Ewald folgende
Erklärung: Wenn durch rhythmische Impulse stehende Wellen
hervorgebracht werden, so brauchen diese Impulse nicht einander
zu gleichen. Es möge z. B. immer der elfte Impuls ausfallen,
so ist ohne weiteres verständlich, daß diejenigen Knotenpunkte
vor den anderen ausgezeichnet sein mfissen, welche an der Stelle
sich befinden, wo sich Lücken treffen. Also immer mit elftem
Knotenpunkte beginnt eine neue Periode, und auf diese Weise
wird die Periodizität des Interferenztones erzeugt.
Die Konsonanz und Dissonanz erklärt Ewald aus folgen-
dem Verhalten. Bisher kannte man keinen hinreichenden Grund,
weshalb uns, wenn wir in der Tonleiter aufsteigen, der achte
Ton wieder so klingt wie der erste. Diese merkwürdige Eigen-
schaft unterscheidet sie von jedem anderen Intervall. Zwi-
schen der Quinte, Quarte, Terz bestehen nur quantitative Unter-
schiede. Zwischen der Oktave und den übrigen Konsonanzen be-
XXV. Besprechungen. 29$
stehen auch qualitative Unterschiede. Auf dem Schallbilde äußert
sich das darin, daß sich keine ungleichen Spatien bilden, wohl
aber bei der Quinte usw. Je geringer die Konsonanz, desta
mehr Spatien gehören zu einer Periode, d. h, desto weniger gleich-
mäßig wird das Streifenbild in seiner Anordnung. Die Disso-
nanz ist vollständig, wenn sich das Bild keinmal wiederholt»
„Wir haben hier also eine Erklärung von Konsonanz und Disso-
nanz, welche von dem Vorhandensein von Obertönen ganz un-
abhängig ist.'^
Die Resonanztheorie fordert, daß jede Nervenfaserendigung^
eine ganz bestimmte, ihr allein eigentümliche Qualität der Em-
pfindung dem Gehörnerven übermitteln. Eine solche Individuali-
sierung kennen wir sonst im Körper nicht (weder beim Auge,
noch bei der Haut). Die neue Theorie nimmt hiergegen an, da&
die Nervenfaserendigungen unter sich gleichartig sind, und daß
es nur auf die räumliche Verteilung der Erregungen ankommt»
Das Schallbild ist für den Ton charakteristisch, und ein solche»
Bild ist auch noch bestimmt und daher auch noch erkennbar^
falls es durch das Fehlen einiger Wellen auf eine kurze Strecke
unterbrochen ist, was bei der Besonanztheorie nicht möglich ist..
Nach vielen Versuchen gelang es Ewald, einen passenden
Apparat zu konstruieren, den er Camera acustica nennt. Er
machte sich eine Kautschuklösung und tauchte eine kleine vier-
eckige Aluminiumscheibe von 0,075 mm Dicke, in deren Mitte
ein rechteckiger Spalt ausgeschnitten ist, ein. An der Luft er-
härtet derselbe zu einem Häutchen, das die Membrana basilaris
in ihrer natürlichen Größe darstellt, 0,55 mm breit, 8,5 mm lang
(Fig. 1). Das Schallbild, das bei hohen Tönen mit dieser Mem-
bran erzeugt wird, gibt Fig. 2 wieder. Er konstruierte eine Ca-
mera aus Glas (Fig. 7). Dieselbe besteht aus einem rechteckigen
Glaskasten, dessen obere und untere Wand parallel laufen, dessen
linke Wand senkrecht steht, die rechte aber unter einem Winkel
von 44 <^ angebracht ist. In diesem Kasten ist eine Platte (c)
angebracht, die aus demselben herausgenommen werden kann
Die Aluminiumscheibe liegt in einer Kapsel bei c. Die Scheibe
liegt in einer Ebene, die mit dem Boden einen Winkel von
11^ bildet. Durch die schräge Seiten wand wird die Kammer
in zwei Teile geteilt, in einen Vestibulär- und Tympanalraum»
In der Seitenwand g besteht ein rundes Loch f (Foramen ovale),
das mit einer gewöhnlichen Gummimembran überspannt ist; ein
eben solches Loch befindet sich in der Bodenfläche des Kastens-
294 XXy. Besprechangen.
mit einer Gammimembran bespannt (Foramen rotnndam). Drückt
man an die Membrana ovalis, so buchtet sich die Membrana ro-
tunda nach unten aus. Sehr einfach ist der Schallzuleitungs-
iipparat konstruiert. An einem Stativ befindet sich ein senkrech-
ter Stab und daran ein Schalltrichter mit einer Gummimembran
Aberzogen, dann ein Stäbchen von dieser Membran zum ovalen
Fenster (Columella [v]). So geschieht die Schallübertragung zur
Membrana basilaris sowohl der menschlichen Stimme, als der
Pfeifen und Stimmgabeln.
Bei der Kleinheit der Wellen konnte das Bild nicht mit un-
bewaffnetem Auge beobachtet werden. Er benutzt daher ein
Mikroskop. Auf demselben Wege wurden photographische Auf-
nahmen gemacht. Hat man bei einer Membran die stehenden
Wellen mit dem Okularmikrometer gemessen, so gelingt es, die
Oaltonsche Pfeife immer wieder nach dem Schallbilde genau
auf denselben Ton einzustellen. Die Genauigkeit und Einfach-
heit, mit der man auf diese Weise einen sehr hohen musikali-
schen Ton zur Anschauung bringen kann, übertrifft alle bisher
bekannten Methoden. Ewald ist der Ansicht, daß sich die Band-
wellen zur Messung und Vergleichung höchster Töne, welche
vom menschliehen Ohre nicht mehr gehört werden, ausgezeichnet
■eignen werden.
Man wandte gegen die Ewald sehe Theorie vielfach ein,
daß sie die Entstehung von Tonlücken nicht genügend erkläre,
während diese Tatsache nach von Helmholtz mit Leichtigkeit
erklärt werde. Bei Durchprüfung der Membranen hat er jedoch
längere oder kürzere Lücken gefunden. Manche Membranen
sprachen deshalb nicht an. Manche Unregelmäßigkeit derselben
war schuld an dem plötzlichen Versagen. „Würde man also'^,
sagt Ewald, „die Gehöi-slücken in erster Linie als Kriterium
für seine Theorie heranziehen, so habe er sie sogar experimentell
beobachtet."
II.
Man ist heute weit entfernt, so führt Bönninghaus aus,
von einer einheitlichen Auffassung des Modus der Schallüber-
tragung auf das Cor tische Organ, trotz vieler mühevoller anato-
mischer und physiologischer Untersuchungen. Die vergleichende
Anatomie ist aber noch nicht gefragt worden, und zu diesem hat
Verfasser das Ohr des Wales studiert, da dieser ein Säugetier
ist. Abgesehen von dem Fehlen des äußeren Ohres, hat nament-
lich das Mittelohr eine wesentliche Umwandlung erfahren. Die
XXV. Besprechungen. 295
Gehörknöchelchen sind ankylosiert unter sich und mit dem ovalen
Fenster. Anstatt daß dieselben bei der Untätigkeit zu atrophie-
ren sind, sind die Gehörknöchelchen hypertrophisch geworden.
Das Labyrinth ist akustisch isoliert. Die Isolierung ist beim
Mangel diploischer Eäume erreicht durch Lösung des knöchernen
Labyrinths aus seiner Verbindung mit dem übrigen und durch
Änftillung der durch die Lösung entstandenen Räume mit Luft.
Eine Resonanz in der Paukenhöhle wird verhindert durch
den Einbau eines sehr merkwürdigen weichen Körpers in die
Pauke, der durch Hyperplasie aus dem Gewebe hervorgegangen
ist, welches die obliterierte Carotis interna umgibt. An der
Außenseite der Paukenhöhle (Bulla) befindet sich ein Trichter,
in dessen Spitze der stark verdickte und verdichtete Proc. folianus
des Hammers festgewaohsen ist. Von diesem Trichter nimmt
Bönninghausan, daß er als Sammler der Schallwellen diene, die
dann durch die gutleitende Gehörknochenkette zum ovalen Fen-
ster und so zum Labyrinth fortgeführt werden. Mit seltener
Reinheit tritt so nach seiner Ansicht die Tatsache in die Erschei-
nung, daß die für den Eintritt der Schallwellen prädestinierte Stelle
das ovale Fenster ist. Ein Nebenweg ist die Schallfortpflanzung
durch die Labyrinthkapsel. Die Schallleitung zum Labyrinth
erfolgt durch das Labyrinthwasser, und zwar durch molekulare
Leitung. Bönninghaus folgert nun weiter, daß kein Grund
zur Annahme vorhanden ist, daß die Schallleitung bei den Land-
säugetieren und beim Menschen nach anderen Grundsätzen erfolgt.
Zur Begründung gibt Bönninghaus folgendes an: Der
Weg der Schallwellen geht durch die Gehörknöchelchenkette ; das
ist der prädestinierte Weg. Helmholtz nahm an, daß die Massen-
bewegung des Trommelfelles und der Gehörknöchelchen hebel-
artig erfolge; es gelang aber nicht auf diesem Wege Sprache zu
übertragen. Er ist der Ansicht, daß die Schallwellen nur auf
molekularem Wege erfolgt. Er stellt die Hypothese auf, daß
die Stellung des Steigbügels und der Vorhofssäcke für die Re-
flexion sehr ungünstig liegt. Die genaue Erforschung dieser
Verhältnisse am exakt vergrößerten Modell überläßt er der Zukunft.
Für den Menschen und die Landtiere hat diese Theorie keine
Geltung; daß für die tiefen Töne die Luftleitung durch Trommel-
fell und Gehörknöchelchen der Knochenleitung bei weitem über-
legen ist, ist ohne Zweifel. Übrigens hat Zimmermann die mole-
kulare Übertragung aufs Labyrinth von Bönninghaus ange-
nommen; für hohe Töne mag sie auch stattfinden.
XXVI.
Wissenschaftliche Rnndschan.
38.
Le Double (Tours), Deux points d'anatomo-pathologie da con-
duitauditifoBseux. La presse oto-laryngol. Beige; Deuxi^me Ann^e
Nr. 11.
1. De la forme diff^rentede laportion dure du conduit au-
ditif externe dans la race blanche et dans les races Amdri-
caines et modernes et principalement dans Celles ou la pra-
tique de la ddformation artificielle du crane a 6t6 ou est en-
core en usage.
Verfasser teilt das Resultat einer Sammelforschnng über die Gestalt der
knöchernen äußeren Gehörgangsöffiiung mit. Unter 1017 Europäerschädeln
des anatomischen Instituts der Universität Bologna hatte nach der Mitteilung
von Prof. Yalenti 816 mal (» 80,2 Proz.) die äußere Gehörgangsöffnung die
Gestalt einer horizontalen Ellipse, 127 mal war das Orifizium mehr kreis-
förmig, und in 74 Fällen («» 7,2 Proz.) war die Ellipse eine vertikal oder
schräg gestellte, in dem letzteren Falle von vorn oben nach hinten unten
gerichtet. Unter 922 Europäerschädeln von Le Double war das Orifizium
701 mal (== 76,1 Proz.) eine horizontal gestellte Ellipse, 129 mal (» 13,6 Proz.)
mehr kreisförmig, und 92 mal (= 9,8 Proz.) eine vertikal oder schräg gestellte
Ellipse. Während aJso bei den weißen Rassen die vertikale oder schräge
Ellipsenform die Ausnahme bildet, ist sie nach den Mitteilungen von Cla-
rence J. Blake bei den amerikanischen Rassen die Regel und besonders
bei denen^ bei welchen die Sitte bestanden hat oder noch besteht, ihrem
Schädel eine künstliche Form zu geben.
2. Des exostoses de la portion dure du conduit auditif ex-
terne et de leur degr6 de fr^quence dans les diff^rentes races.
Im Gegensatz zu der Häufigkeit des Vorkommens von Exostosen im
äußeren Gehörgang bei anderen Rassen, z B. 8,5 Proz. bei den alten ameri-
kanischen, 6 Proz. bei den Polynesiern und Australiern, sind unter 1013 Euro-
päerschläfenbeinen nur 14 mal Exostosen beobachtet worden. Die Frage der
Abhängigkeit der Häufigkeit des Vorkommens von Gehörgangsexostosen bei
den Nichteuropäern von irgend welchen äußeren Einflüssen, wie das z. £.
für die Peruaner Serbe ux behauptet hat, welcher für die Ursache der Exo-
stosen die sehr schweren Ohrgehänge angesehen, bezeichnet Verfasser al»
eine noch völlig dunkle. G runer t.
39.
Bemann fils (Warschau), Note relative aux tympans artificiels.
Ebenda.
Ausgehend von den bekannten Nachteilen, welche die Applikation einea
künstlichen Trommelfelles mit sich bringt, und welche in einer zu einem
Rezidiv der Eiterung führenden Schleimhautreizung beruhen, empfiehlt Ver-
XXVI. Wissenschaftliche Randschaa. 297
fasser das Einführen eines sehr kleinen Wattestückchens, dessen Fasern fast
getrennt sind, ^un tres mince morceau d'ouate, qai se composait de fila-
ments presqae s^pares". In einem Falle ertrag das Ohr dieses künstliche
Trommelfell 2 Monate, im anderen 3 Monate lang, ohne daß es dabei zu
einem Rezidiv der Eiterung kam. Er bezieht diesen günstigen Effekt auf die
infolge der lockeren Beschaffenheit des Wattestückchens gewährleistete Ven-
tilation der Paukenhöhle durch dieses lockere Gewebe hindurch.
Grunert.
40.
Richard B. Johnston, A large Dermoid tumor of theMastold. Jour-
nal of Eye and Throat Diseases. Vol. VIII. No. 6. Novbr.-Dezbr. 1903.
Der Tumor war bei einer 32jährigen Frau innerhalb 6 Monaten durch
rapides Wachstum eines vorher symptomlos verlaufenen, seit der Geburt be-
stehenden kleinen retroaurikulären Tumors entstanden und hatte durch Rei-
bung eine Ulzeration an der Hinterfiäche der Ohrmuschel verursacht. Ent-
fernung des gelappten und mit langen Haaren bewachsenen Tumors bei Ko-
kainanästhesie. Die mikroskopische Untersuchung der nach der Entfernung
IV2 ZoU langen und 1 Zoll dicken Geschwulst zeigte, daß es sich um ein
Dermoid handelte. Grunert.
41.
Dr. J, G. A. DepierriSf Le bain nasal. Paris, bei J. B. Bailli^re et Fils,
1903.
Verfasser empfiehlt zur Nasenspülung ein Instrument, welches, nach
dem Prinzip des Stechhebers konstruiert, ungefähr dem schon seit wenig-
stens einem Jahrzehnt in die Praxis eingeführten Nasenspüler von R. Wagner
entspricht. Bezüglich der Technik ist das wichtigste, daß Verf. beim Einlaufen-
lassen der Spülflüssigkeit in die Nase ein möglichst weites Zurückbiegen des
Kopfes empneblt, daß der Mund geöffnet und die Atmung angehalten wird.
Grunert.
42.
Zaalberg (Amsterdam), Les Operations sur le labyrinthe. La presse
oto-laryngol. Beige; deuxi^me Ann^e Nr. IG.
Verfasser bringt einen neuen Fall von Labyrinthoperation, in welchem
er das Vestibulum eröffiiet und die Halbzirkelkanäle entfernt hat, ohne an
der Schnecke selbst zu rühren.
Der Fall ist der folgende :
Chronische Eiterung linkerseits bei einem 20 jährigen Mädchen seit der
Kindheit. Zeitweise Klage über Kopfschmerzen und unangenehme Empfin-
dungen von Schwindel. Bei Palliativbehandlung der Otorrhoe mit Entfernung
von Polypen gelang es nicht, die Sekretion zum Stillstand zu bringen. Am
9. Oktober 1901 TotalaufmeiJ^elung wegen Zunahme des Schwindels. Aus-
gedehnte Karies. Unbeabsichtigte Eröffnung des horizontalen Bogenganges,
dessen membranöser Inhalt eine normale Farbe zeigte. Der Steigbügel war
nicht mehr vorhanden. Fortbestand des Schwindels. Ausgesprochener Dreh-
schwindel; am Tage nach der Operation beim Blick nach links horizontaler
Nystagmus. In den folgenden Tagen die Schwindelanfälle bald geringer,
bald wieder stärker. Am 5. November wurde die Kranke zu ambulatorischer
Weiterbehandlung entlassen. Am 23. November beim Verbandwechsel eine
kleine Granulation in der Gegend des horizontalen Bogenganges sichtbar.
Schwindel bis zum Umfallen, Erbrechen, starke Schmerzen in der retroauri-
kulären Gegend (es war bei der Operation die retroaurikuläre Wunde primär
vernäht worden). Die Knochenleitung auf der kranken Seite, welche sich
Archiv f. Ohrenheilkrmde. LXI. Bd. 20
298 XXVI. Wissenschaftliche Rundschaa.
zunehmend vermindert hatte, war jetzt ganz aufgehoben. Wiederaufnahme
der Kranken, Curretage der Operationswunde ohne Einfluß. Am 18. Dezem-
ber erneute Operation : Fortnahme des knöchernen horizontalen Bogenganges,
des Tegmen tympani et antri. Fortnahme des Tertikaien Bogenganges
mit der elektrischen Fraise. »II me fut assez difficile, k ce temps de Top^-
ration, de prendre un point de rep^re sur la lumi^re du canal demi-circu-
laire, car eile se remplissait constamment de poudre d^os.*" Fortnahme des
Knochens bis zum Perus acusticus internus. Eingehen durch das erweiterte
ovale Fenster in das Vestibül uro, ohne da(i Elter gefunden wurde. Ebenso
keine extradurale Eiteransammlung gefunden bei der Exploration der Ge-
hirnhäute. Nach der Operation vorübergehend meningltlsche Erscheinungen.
Kndausgang: völlige Heilung.
Wenn man den Uperationsbefund mit den klinischen Symptomen ver-
gleicht, so ergibt sich eine völlige Inkongruenz zwischen beiden. Durch-
sichtig ist das klinische Bild vor der Operation jedenfalls durch die Operation
und auch durch den schließlichen £ndaus<;[ang in Heilung nicht geworden.
Grunert.
43.
Heiman (Warschau), De la paracent^se du tympan dans les oti-
tes moyennes aiguSs. Revue hebdomadaire de laryngologie etc.
1903. Nr. 32.
Heiman rekapituliert die Ansichten anderer namhafter Otologen. Er
selbst verfährt so, daß er zunächst durch Kälteapplikation die Otitis zu kou-
pieren versucht. Sobald er die Überzeugung hat, daß Eiter im Mittelohr
ist, macht er die Parazentese und schließt einmalige Luftdusche nach Po-
litzer an. Eschweiler.
44.
Heiman jr. (Warschau), Sur les rapports de Toreille avec la zone
naso-sexuelle de la femme. Ibidem Nr. 34.
In drei Fällen von Otalgie ohne sonstige nachweisbare Ursache hat
Heiman Heilung erzielt, indem er die gleichseitige untere Muschel kokaini-
sierte und dann mit dem Galvanokauter oder mit Trichloressigsäure ätzte.
Eschweiler.
45.
Mercier-Bellevue (Poitiers), Un cas de Chirurgie cerebrale pour
complication d'otite moyenne aigue.
Extraduraler Abszeß nach Influenzaotitis mit Abduzenslähmung. Ope-
ration. Heilung. Eschw eiler.
46.
P, Jacques (Nancy), Deux cas d'abces c^r^belleux otique. Ibidem.
Nr. 49.
Der erste Fall betrifft einen 23 jährigen Patienten, der seit seiner Kind-
heit an Ohreiterung litt und nun mit einer zerebral komplizierten Mastoiditis
ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Vor der Aufmeil^elung wurde die Lum-
baJpunktion gemacht und trüber Liquor unter gesteigertem Druck ent-
leert. Bei der Operation ergab sich, dal^ das Tegmen antri großenteils zer-
stört war. Auf der hinteren Felsenbeinfiäche lag ein extraduraler Abszeß.
Nach dem Eingriff besserte sich der Zustand so, daß Jacques schon an
die Entlassung des Patienten dachte, als plötzlich wieder zerebrale Symptome
auftraten. Drei Wochen nach dem ersten Eingriff zweite Operation. Die
wiederum gemachte Lumbalpunktion liefert jetzt klaren Liquor unter nor-
malem Druck. Die wiedereröffnete Wundhöhle sieht gut aus. Im Temporal-
lappen ist kein Abszeß zu finden. Tod in der folgenden Nacht. Die Autopsie
XXYI. Wissenschaftliche Rundschau. 299
ergab einen großen Eieinhimabszeß , der schon die Kleinhimrinde durch-
brochen hatte; außerdem bestanden noch ein nuß- und ein erbsengroßer
Abszeß in derselben Kleinhirnhemisphäre.
Der bei der ersten Punktion gewonnene Liquor enthält poly nukleare
Leukozyten und einen l&nglichen, nicht n&her zu bestimmenden Bacillus. Der
zuletzt entleerte Liquor enthielt im sehr spärlichen Zentrifugiersediment vor-
wiegend einkernige Leukozyten und einen Bacillus, der als Bacillus mesen-
tericus yulgatus (Flu egge) angesprochen wurde.
Der zweite Fall betrifft einen 10jährigen Knaben, welcher mit einer
sehr vernachlässigten Aufmeii^elungswunde am Warzenfortsatz in die Be-
handlung Jacques* kam. Die Operation lieferte große Sequester, die Dura
lag ausgedehnt frei, und hinter dem Sinus transversus drang man mit dem
scharfen Löffel in einen großen nekrotischen Herd im Kleinhirn ein. Zehn
Tage nach diesem Eingriff wurde wegen Verschlimmerung des Zustandes
nach anfänglicher Besserung eine zweite Operation nötig. Die vorher ge-
machte Lumbalpunktion liefert klaren Liquor ohne Drncksteigerung. Die
Toilette der Wundhöhle führt zu dem Ergebnis, daß von der rechten Klein-
hirnhemisphäre nur noch eine dünne Schale grauer Substanz übrig ist. Die
Hirnhöhle wird ausgiebig drainiert Danach bedeutende Besserung. Die un-
verständigen Eltern nahmen das Kind zu früh mit nach Hause, wo dasselbe
nach dreieinhalb Monaten unter meningitischen Erscheinungen starb.
Der Liquor cerebrospinalis enthielt mikroskopisch keine Formelemente.
Kulturell wurde wiederum der Bacillus mesentericus (Flu egge) nachgewiesen.
Eschweiler.
47.
LuCf Deux abcös extra-duraux p^risinusiens d'origine otique.
L*un accompagn^ de thrombose fibrineuse non septique du
sinus latäral. Gu^rison. L*autre compliquä d*abc5s latent de
la presque totalit^ du lobe spheno-temporal. Mort. Re-
flexions. Ibidem. Nr. 50.
t. 32 jähriger Patient leidet seit Jahren an Mittelohreiterung rechts.
Defekt des Trommelfells. Kleiner Polyp in der Gegend des Aditus ad an-
trum. Acht Tage nachher Operation. Am hinteren Rande des Warzenfort-
Satzes besteht eitrige Periostitis. Die Totalaufmeißelung ergibt ein Chole-
steatom des Antrum. Der Sinus liegt frei und ist mif^farben. Entsprechend
der subperiostalen Eiteransammlung besteht ein extraduraler Abszei^. Bei
dem Bestreben, den Sinus und die Dura soweit freizulegen, als sie mißfarben
sind, wird der ganze Warzenfortsatz in greiser Ausdehnung abgetragen. Der
Sinus wird inzidiert (dabei unbeabsichtigte Eröffnung des Duralraums) und
mit festhaftenden Fibrinlamellen ausgekleidet gefunden, iieilung ohne Pieber
in zwei Monaten.
2. 14 jähriger Patient mit chronischer fötider Mittelohreiterung, erkrankt
unter Kopfschmerzen, rechtsseitigen Krämpfen, Somnolenz und Fieber. Die
Totalaufmeißelung ergab außer der Erkrankung des Mittelohrs und Antrums
einen extraduralen Abszeß. Nach dem Eingriff ging die Temperatur her-
unter. Die zerebralen Erscheinungen schwanden größtenteils. Aphasische
Störungen waren nicht vorhanden, nur fiel auf, daß der Patient zu
jeder Antwort den Zusatz «eher fröre** machte, selbst wenn er zu einer Wär-
terin sprach. Die Wunde sah gut aus, nur zeigte sich auf der Dura über
dem Schläfenlappen eine kleine dickliche Eiteransammlung, welche nicht be-
achtet wurde, aber sich nach dem Tode als Gehirnprolaps erwies. Plötz-
licher Tod in der Nacht. Die Sektion ergab einen 200 ccm Eiter enthalten-
den riesigen Abszeß des linken Schläfenlappens und der linken Hemisphäre.
Die Hirnrinde war äußerst verdünnt und stellenweise durchbrochen.
Im Anschluß an den letzten Fall und in Anbetracht dessen, daß die
unbeabsichtigte Anritzung des Gehirns im ersten Falle keinen Schaden an-
gerichtet hatte, rät Luc dazu, nicht zu zaghaft mit der Probeexploration
des Gehirns zu sein. Eschweiler.
300 XXYI. Wissenschaftliche Rundschau.
48;
Lannois n. Corneioup, Abc^s sous dure-m^rien aigu onvert spon-
tan^ment an niTean de l'occipitaL Ibidem. Ko. 51.
Die swei mitgeteilten F&lle bieten nichts Bemerkenswertes. Der eine
Patient starb nach Eröffiiung des extraduralen Abszesses anscheinend an
Gehimabszeß (keine Sektion); die andere Patientin wurde geheilt.
£8chweiler.
49,
Jlfo/mtV (Marseille), Labyrinthite suppur6e et abcäs cer^belleux.
Ibidem 1904. Ko. 1.
Es bestand ausgedehnte Erweichung der Felsenbeinpyramide. Sympto-
matologisch waren M6niäresche Erscheinungen, Neuralgie des N. trigeminus
und Facialislfthmung bemerkenswert Eine angehende Funktionsprüfung und
die Autopsie fehlt. Eschweiler.
50.
CoUet (Lyon), De la salpingoscopie. Ibidem. No. 2.
Collet empfiehlt die von Valentin angeffebene Methode, bei der ein
dem Cystoskop ähnliches Instrument durch die Nase eingeführt wird. Keine
Eraxikengeschichten. Eschweiler.
51.
Delsaux (Brüssel), La R^section de la paroi post^rieure du con-
duit auditif membraneux et le pansement sans tamponne-
ment apr^s les Operations curatives de Totorrhee chronique.
Annales des maladies de Toreille etc. 1903. No. 10.
Delsaux hat gute Erfolge und speziell eine kurze Heilungsdauer mit
folgendem Verfahren: Nach Beendigung der Totalaufmeißelong wird die
ganze hintere Gehörgangs wand bis in £e Concha hinein exzidiert, sodaß
man mit der Finfferkuppe bequem in die Operationshöhle hineinkommt. Die
retroaurikul&re Wunde wird primär vern&ht. Es wird gar nicht tami>oniert,
höchstens ein Streifen Jodoformgaze locker eingelegt. Eschweiler.
52.
Maljean, Meningite cärebro-spinale aigug cons^cutive ä. une
otite moyenne grippale; gu^rison compUte par les ponctions
lombaires. Ibidem.
21 j&hriger Patient kommt am 18. Februar wegen Otitis media pnrulenta
acuta links in Behandlung. Am 6. M&rz ist diese geheilt. Am 10. März
kommt der Patient wieder und zeigt folgenden Status: Sehr schlechtes
Allgemeinbefinden, Erbrechen, Kopfschmerz. Beide Trommelfelle sind ge-
rötet und verdickt. Links besteht über dem Warzenfortsatz etwas Druck-
schmerz. Parazentese liefert kein Sekret. Am 1 6. März verschlimmert sich
der Zustand noch: Nackensteiflgkeit, Diplopie, Ungleichheit und träge
Beaktion der Pupillen, Kopfschmerz, nächtliche Unruhe usw. lassen an
Meningitis denken. Außerdem hustet der Kranke viel eitriges Sputum aus,
in welchem aber keine Tuberkelbazillen zu finden sind. Puls stets über 1 00.
Remittierendes Fiber bis 39,7.^ Am 25. März erste Lumbalpunktion. Im
Strahl entleeren sich 25 ccm trüber Flüssigkeit, welche einen Bacillus ent-
hält, der moi^hologisch dem Bacillus coli nahesteht, kulturell aber von ihm
verschieden ist. Außerdem fanden sich viele polynukleäre Leukozyten und
wenig Lymphozyten. Nach der Punktion bessert sich das Befinden.
Am 27. März zweite Lumbalpunktion. Es werden 5 ccm weniger trüben
Liquors entleert.
Am 30. März dritte Lumbalpunktion. Der Liquor (25 ccm) enthält
XXVI. Wissenschaftliche Rundschau. 301
denselben Bacillus, wie beim ersten Mal, aber viel Lymphozyten und wenig
polynnkleäre Leukozjrten.
£s erfolgt langsame Rekonvaleszenz, und Patient wird am 15. Mai
entlassen. Eschweiler.
53.
Grimmer, Beitrag zur Pathologie und Diagnose der tuberkulösen
Mittelohrentzündung. Zeitschr. f. Ohrenheilk. XLIV. 2. S. tOl.
Die klinischen und bakteriologischen Untersuchungen des Verfassers
bezogen sich auf 19 im königl. Erankenhanse in Edinburgh zur Beobachtung
^gelangte, operierte F&lle von eitriger Mittelohrentzandung, unter denen sich
5 sicher nachgewiesene tuberkulöse befanden. In dem einen der letzteren,
der durch Miliartuberkulose tödlich geendet hatte, wurde nachgewiesen, daß
An der Schleimhaut der Paukenhöhle und der Schleimhautschicht des
Trommelfells selbst vorgeschrittene tuberkulöse Veränderungen vorhanden
«ein können, ohne daß die Inspektion des Trommelfells von außen hierfür
Anzeichen ergibt Es rührt dieses von der großen Widerstandskraft her,
welche die Membrana propria gegenüber dem Fortschreiten der tuberkulösen
Infiltration von innen her besitzt; daher geschieht ihre Zerstörung auch nicht
gleichmäßig, sondern die Erosion von innen ist an manchen Stellen stärker
Als an anderen, und es bilden sich infolgedessen multiple Perforationen. In
den Frühstadien erreichen die Bazillen die Hautschicht des Trommelfells nur
vereinzelt auf dem Wege längs der Gefäße, welche die Membrana propria
TOn dem Stratum mucosum nach dem Stratum cutaneum hin durchsetzen.
Die Frage des primären Entstandenseins der Tuberkulose im Ohre läßt sich
nicht entscheiden, bevor nicht tuberkulöse adenoide Vegetationen des Nasen-
rachenraumes oder sonstige latente tuberkulöse Herde ausgeschlossen sind.
Die Digitalexploration des Nasenrachenraumes auf adenoide Vegetationen
find die Untersuchung der letzteren nach ihrer Entfernung auf etwaige Tuber-
kulose wird in allen Fällen von eitriger Mittelohrentzündung empfohlen. Ein
iioher Prozentsatz, wc^rscheinlich 65 — 70 Proz., der mit Knochenläsion in
der Nachbarschaft verbundenen Mittelohreiterungen ist bei Kindern unter
5 Jahren tuberkulöser Natur, während es bei älteren Leuten nicht mehr als
16 Proz sind. Zum Nachweis des Vorhandenseins oder Fehlens von Tuber-
kulose in Granulationen des Mittelohrs ist die intraperitoneale Impfung von
Meerschweinchen eine gute Methode. Femer lassen sich zuverlässige Be-
weise auch durch die mikroskopische Untersuchung solcher Granulationen,
«owie einer vergröi^erten Lymphdrüse auf dem Warzenfortsatz oder adenoider
Vegetationen gewinnen. In Fällen eitriger Otitis media weisen das Fehlen
von Schmerzen im Ohre, frühe und ausgedehnte Knochenzerstörung, frühe
Eacialislähmung, multiple Perforationen, schlaffe blasse Granulationen mit
verkästen Herden im Gehörgang, in der Umgebung einer Warzen fortsatzfistel
oder im Antrum mastoideum, endlich eine vergrößerte Drüse auf dem Warzen-
fortsatz mit Wahrscheinlichkeit auf die tuberkulöse Natur der Erkrankung
hin. Dagegen ist der Befund entblößten Knochens bei Sondenuntersuchung,
die Beschaffenheit der Eiterung, Facialisparalyse und ausgedehnte Knochen-
zerstörung als Spätsymptom für die Diagnose nicht mit Sicherheit zu ver-
werten, und das Vorhandensein cholesteatomatöser Massen spricht direkt
liegen die Annahme von Tuberkulose. Blau.
54.
Suckstorff xmäi üenrici, Beiträge zur Kenntnis der otitischen Er-
krankungen des Hirns, der Hirnhäute und der Blutleiter.
VI. Fortsetzung. (Aus der Ohren- und Kehl köpf klinik in Rostock.)
Ebenda S. 149.
1. Patientin 17 Jahre alt, mit akuter Otitis media purulenta dextra und
Mastoiditis, wegen welcher aufgemeißelt wurde. GorticaUs stark verdickt, ein
größerer und einige kleine mit Eiter gefüllte Hohlräume. Danach hohes, zu-
erst intermittierendes, dann kontinuierliches Fieber, Kopfschmerzen, Schwin-
302 XXYl. Wissenscbaftliche Rundschau.
del beim Aufsitzen. Freüegung des Sinus transversus, dessen Wand grau-
weiß und Terdickt erschien; dabei riß ein sehr starkes Emissarium unter
profuser Blutung ab. Vorläufige Tamponade. Nach ö Tagen — in der
Zwischenzeit war eine Yorabergehende rechtsseitige Protrusio bulbi aufge-
treten, mehrmaliges Erbrechen, bald hohe, bald sich der Norm n&hernde
Temperaturen — weitere Aufdeckung des stärker verfärbten und derben
Sinus, Unterbindung der Vena jugularis interna, die von der Einmündung
der Vena facialis communis nach oben kollabiert und leer wur, Ausräumung
der weichen graurötlichen Thrombenmassen aus dem Sinus zentral bis zum
Bulbus, peripher bis zur eintretenden Blutung. Am 6. Tage nach dieser Ope-
ration erneutes hohes Fieber, weitere Ausräumung neugebildeter Thromben
aus dem peripheren Sinusende. Die Temperatur stieg am nächsten Tage und
noch einmal 12 Tage später unter Frost auf 40,5^ an, dann Heilung.
2. Chronische Mittelohreiterung mit Polypenbildung rechts bei einer
Frau von 31 Jahren. Schmerzen im Ohr, Schwindelgefühl, mehrmaliges Er-
brechen, dann nach 6 Taigen plötzliche Bewußtlosigkeit und Lähmung de»
linken Armes und Beines. Totaiaufmeißelung. Tegmen antri fehlte vollkom-
men, die Dura seiner Ausdehnung entsprechend mit Granulationen bedeckt
und tief in das Antrum hineinhängend. Bei der Inzision hierselbst quoll in
etwa 2 cm Tiefe stinkender Eiter hervor. Breite Eröffnunir der mindesten»
kinderfaustgroßen, mit fester Membran bekleideten Abszeßhöhle bis in die
Außenfläche des Schläfenlappens hinein. Nach der Operation kehrte daa
Bewußtsein sofort zurück und war die gekreuzte Lähmung verschwunden,
aber starke rechtsseitige Kopfschmerzen, unstillbarer Durst, leichte Ptosia
rechts, zunehmende Schläfriekeit, beiderseits etwas verwaschene Papillen-
grenzen. Am Abend des 5. Tages Temperatursteigerung auf 38^, plötzlicher
Kollaps und kurz darauf Exitus letalis. Keine Sektion. Todesursache wahr-
scheinlich fortschreitende Encephalomeningitis.
3. Chronische Otitis media purnlenta sinistra bei einem 31jährigen
Manne. Seit 3 Wochen nach einem Trauma Kopfschmerzen , seit 2 Tagen
starke Benommenheit. Facialisparese links, Leib kahnförmig eingezogen^
deutliche Nackenstarre, Opisthotonus, Papillen stark hyperämisch, mit etwas
verwaschenen Grenzen, in der Lumbaiflüssigkeit zahlreiche Leukozyten und
vereinzelte Diplokokken. Aufmeißelung mit Freilegung der mittleren und
hinteren Schädelgrube, Dura an ersterer stark hyperämisch und glanzlos, der
Schläfen läppen fühlte sich stark gespannt an, aber seine Punktion und ebenso
die des Kleinhirns erfolglos. Dagegen führte eine Fistel medianwärts vom
Sinus zu einem tiefen Extraduralabszeß der hinteren Schädelgrube. Nach
der Operation dauerten die meningitischen Symptome in wechselnder Stärke
an, der Tod erfolgte nach 7 Tajzen. Sektionsbefund: Meningitis purulenta
der Uirnbasis mit zähplastischem Exsudat, sich im Wirbelkanal bis zur Cauda
equina hinaberstreckend. Dem tiefen Extraduralabszeß benachbart und wahr-
scheinlich von ihm ans induziert ein haselnußgroßer Abszeß in der linken
Kleinhirnhälfte, mit einer mehrere Millimeter dicken Membran ausgekleidet.
Bindegewebige Obliteration des linken Sinus transversas in seiner ganzen
Flexura sigmoidea (alten Datums, latent verlaufen). Totaler Defekt der Ge-
hörknöchelchen einschließlich des Steigbügels, Freiliegen des Facialis in der
Paukenhöhle, die Gegend des ovalen Fensters mit derbem Narbengewebe
überzogen, im Labyrinth kein Eiter.
4 Chronische Mittelohreiterung links bei einem 17 jährigen Manne. Ver-
worrenheit und leichte Somnoleoz, Schwanken beim Gehen und Stehen, Pa-
pillen beiderseits mit stark gefüllten und geschlängelten Venen und nasal-
wärts verwaschenem Rande, Temperatur 40,1^. Aufmeißelung ; dabei entleerte
sich nlötzlich von oben her aus der mittleren Schädelgrube pulsierend eine
dtlnnnüssige, dunkelgrüne, stinkende, mit Eiterflocken und vielen Gasblasen
untermischte Flüssigkeit Breite Freilegung des großen Extraduralabszesses,.
der sich seitwärts weit in die Höbe erstreckte und an der Außenfläche des
Schläfenlappens die Dura durchbrochen hatte. An dieser Stelle prolabierte
das von trüber und geröteter Pia bedeckte Gehirn in Haselnußgröße. Hirn-
punktion negativ. Zunehmende Benommenheit, Nackenstarre, drei Schüttel-
fröste, Parese des rechten Armes, leichte Ptosis links, Fehlen der Reflexe,.
XXVI. Wissenschaftliche Rundschau. 303
Tracheälrasseln, zeitweise Cheyne-Stok es sches Atmen, Puls bis 156, Tod
am zweiten Tage nach der Operation. Bei der Autopsie wurde außer den
«chon erwähnten Veränderungen eine arachnoideale und stellenweise auch
subdurale Eiterung von eigentümlich versprengter Lokalisation gefunden.
Besonders auffallend war es, daß an der Basis des Scbläfenlappens auf der
ohrkranken Seite mit ihrem hochgelegenen Extraduralabszeß gar keine sub-
durale und keine arachnoideale Eiterung bestand, während auf der Seite des
gesunden Ohres diese beiden an der Unterfläche des Schläfenlappens, bezw.
an der Basis der mittleren Schädel^ube am stärksten ausgesprochen waren.
Wo das Exsudat fehlte, war die Pia von mittlerem Blutgehalt, durchsichtig,
ohne ödem. In den Ventrikeln und im Wirbelkanal normale Verhältnisse,
ebenso an der Hirnsubstanz und den Sinus.
5. Großer perisinuöser Abszeß neben chronischer rechtsseitiger Mittel-
ohreiterung bei einem Mädchen von 20 Jahren, verbunden bei der Aufnahme
mit einem schweren Kollapszustand und Benommenheit des Sensorium. Tem-
peratur 39^, beiderseitige Stauungspapille. Als bei der Aufmeißelung eine
Stelle dicht hinter einer Fistel in der Fissura mastoideo-squamosa in Angriff
genommen wurde, sprang nach dem zweiten Meißelscblage sofort ein bleistift-
dicker Strahl reinen Eiters 4 cm hoch hervor und ihm folgte unmittelbar ein
ebensolcher, aber noch höber springender Strahl dunklen Blutes. Eine Ver-
letzung des Sinus konnte nicht stattgefunden haben, es konnte sich demnach
nur um eine Spontanruptur der erkrankten Sinuswand, nach ihrer plötz-
lichen Entlastung von dem hohen Eiterdruck, handeln. Die Blutung ließ sich
durch Tamponade stillen. Sofort nach dem Eingriff war die Benommenheit
verschwunden, und es kam, nachdem 9 Tage später die wegen der Blutung
unterbrochene Operation (Totalaufmeißelung mit Freilegung der [normalen]
mittleren und der hinteren Schädelgrube) vollendet worden war, vollständige
Heilung zustande. Bemerkenswert war noch die nach den operativen Ein-
griffen eintretende Zunahme der Stauungspapille mit neuen Blutungen, be-
wirkt vielleicht durch eine unter dem Einfluß des die Blutung stillenden
Eompressionsverbandes zustande gekommene nachträgliche Sinusthrombose.
6 — lö. Perisinuöser Abszeß bei Kranken im Älter von 372, 10, 11, 24
und 34 Jahren, 3 mal rechts, 2 mal links, nach akuter, bezw. ( 1 mal) subaku-
ter Mittelohreiterung. Die Mastoiditis hatte 1 mal, bei einem 10 jährigen Kinde,
zum Eiterdurchbruch in die Fossa digastrica geführt. Besondere, auf die
intrakranielle Komplikation hinweisende Symptome fehlten 3 mal vollständig,
Imal war wiederholtes Erbrechen aufgetreten, Imal bestanden Kräfteverfall,
Schwindel bei Kopfdrehung nach der kranken Seite, Schmerzen in der gleich-
seitigen Schläfe. Veränderungen am Augenhintergrund waren nie vorhanden
gewesen. Der perisinuöse Abszeß wurde bei der Aufmeißelung gefunden, in-
dem tmal ein Fistelgang von dem Meißelkanal nach der hinteren Schädel-
grube zog, 2 mal eine breitere Kommunikation zwischen ihr und der Warzen-
fortsatzhöhle sich vorfand , je 1 mal erweichter Knochen oder Granulations-
massen bis zum Sinus führten. In einem Falle wurde beim Abschaben der
die Dura bedeckenden Granulationen der Sinus verletzt. Der Ausgang war
durchweg in Heilung. Blau.
55.
Voss (Riga), Zwei Schläfenlappenabszesse. Ebenda S. 175.
Der 42 Jahre alte Kranke der ersten Beobachtung war auf die linke
Kopfseite gefallen, bewußtlos geworden und hatte aus dem Ohre geblutet.
In den nächsten 2 Wochen heftiger Schwindel, Erbrechen, Schmerzen in der
Umgebung des Ohres, dann hörten die beiden ersteren auf, die Schmerzen
hinter dem Ohre wurden stärker, 372 Wochen nach dem Unfall fing das Ohr
an zu eitern. Erneuter Schwindel, Delirien, Gedächtnisschwäche, vor vier
Tagen unerträgliche Ohrschmerzen, angeblich auch Bewußtseinsverlust und
Krämpfe in den Kiefern. Schlaflosigkeit, aufgeregtes Wesen. Puls 80, Tem-
peratur erhöht, bis 38,7®. Operation 6 Wochen nach dem Trauma, legte
einen iVaccm grollen, wenig Eiter enthaltenden, mit Granulationen ausge-
kleideten Eztraduralabszeß der mittleren Schädelgrube bloß. Danach vor-
304 XXVI. Wissenschaftliche Rundschau.
übergehende Besserung, dann Wiederanstieg der zur Norm gesunkenen Tem-
peratur auf 38,8^, stärkere Schmerzen, Erbrechen, leichte Delirien, Benom-
menheit. Puüstion des Schl&fenlappens resultatlos. Drei Tage sp&ter Tod
im Koma bei einer Temperatur von beinahe 41 ^ Sektionsbefund: Kirsch-
großer Abszeß an der unterfl&che des Schl&fenlappens, mit weithin eitrig
infiltrierter und erweichter Umgebung, in den Ventrikel durchgebrochen.
Keine Sch&delbasisfraktur. In der zweiten Beobachtung lag eine chronische
rechtsseitige Mittelohreiterung bei einem 14j&hrigen Knaben vor. Vor 7 Tagen
heftige Kopfschmerzen, Erbrechen und Fieber, wovon zur Zeit aber nur noch
die rasend starken Stimkopfschmerzen zurückgeblieben waren. Temperatur
37,5®, Pulsfrequenz 58. Geringer horizontaler Nystagmus beiderseits, rechte
Sehnervenpapille gelbrötlich mit verwaschenen Grenzen. Totalaufmeißelung,
Freilegung der hinteren und der mittleren Schädelgrube, an beiden Orten
Dura mater normal aussehend, zart und durchscheinend. Bei der Punktion
des Schl&fenlappens wurde eine schaumige, graubraune, scheußlich stinkende
Flüssigkeit zutage gefördert, von der die nachfolgende Inzision noch ein
halbes Bierc^as yoU, mit viel Gas gemischt, entleerte. Sofortiges normales
Befinden, Heilung ohne ZwischenfaU in 2 Monaten. Blau.
56.
Sato, Richtung und Benennung der Bogengänge des mensch-
lichen Labyrinthes. Ebenda S. 178.
Die im Laboratorium der Bostocker Universitäts-Ohren- und Kehlkopf-
klinik vorgenommenen Untersuchungen schliel^en sich den in diesem Archiv
Bd. LX, Heft 3 u. 4, S. 320 besprochenen des gleichen Verfassers an. Es
wurde gefunden, daß die Ebenen der &ußeren („horizontalen**) Bogengänge
die Horizontalebene in einem nach hinten und unten offenen ViTinkel von
23—25^ schneiden. Die äußeren Bogengänge beider Seiten liegen ungefähr
in einer Ebene, aus der sich jedoch infolge der leichten Flächenkrümmung
einzelne Teile des Bogens herausheben. Das Grus ampuUare liegt in der
Fläche, das Grus simplex steigt erst etwas über sie, während der Gipfel des
Bogens wieder unter der Fläche liegt- Das Grus commune der beiden „ver-
tikalen** Bogengänge erhebt sich aus dem Vorhof in der Richtung nach hinten
oben und etwas nach außen. Seine Neigung gegen die Horizontale betrug im
Durchschnitt von vier Messungen rechts 43,5 <^. links 40,25 <^. Von der Teilungs-
stelle des Crus commune wendet sich der ooere Bogengang nach vom oben
und außen, der untere nach hinten unten und außen, und zwar so, daß ihre
Richtung gleichmäßig einen Winkel von je 45^ mit der Sagittalebene des
Schädels bildet. Sie halten sich also beide in der Mitte zwischen der sagit-
talen und frontalen Ebene, daher ihre Bezeichnung als „sagittaler** und „fron-
taler** Bogengang, ebensowie die des äußeren als „horizontaler** Bogengang
als unzutreffend aufgegeben werden muß. Die beiderseitigen Winkel zwischen
den Flächen der oberen und unteren Bogengänge kehren ihre Scheitel gegen-
einander; die Angabe Grum Browns, daß die Ebene des oberen Bogen-
ganges der einen Seite der des unteren der anderen Seite parallel ist, trifft
ziemlich genau zu. Blau.
57.
R&pke (Solingen), Kasuistische Beiträge zur Pathologie und
Therapie der Erkrankungen der Nasennebenhöhlen. Ebenda
S. 183.
Es werden beschrieben: 1. Drei Fälle von verkästem Nebenhöhlen-
empyem, zweimal die Siebbeinzellen , einmal die Oberkieferhöhle betreffend,
die ersteren beiden durch Entfernung der käsigen Massen und Granulationen
von der Nase aus, der letztere durch Eröffnung der Gberkieferhöhle von
der Fossa canina aus geheilt. 2. Pneumatocele der Stirnhöhle, geheilt durch
Eröffnung von außen und Wiederherstellung des vollständig verlegten Ductus
nasofrontalis. 3. Fötide doppelseitige Stirnhöhleneiterung neben Ozäna, nut
XXVI. Wissenschaftliche Rundschaa. 305
Bildung derselben schmutzigen stinkenden Borken auf der Stirnhöhlenschleim -
haut, wie sie in der Nase sich Yorfanden. Radikaloperation der Stirnhöhlen
nach der modifizierten Kuhnt sehen Methode, zweimaliges Rezidiv. 4. Stim-
höhldneiterung mit nach außen führender Fistel infolge einer Schuß Verletzung,
Extraktion einer Revolverkugel aus dem Ductus nasofrontalis, der durch sie
verlegt worden war. Blau.
58.
Rudolphy (Lübeck), Ohroperationen bei Hysterischen. (Aus der
Universitätspoliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkranke in Breslau.)
Zeitschr. f. OhrenheUk. XLIV. 3. S. 209.
Die vier mitgeteilten Fälle beweisen, wie leicht durch Hysterie bei vor-
handenem Ohrenleiden das Bestehen schwerer Komplikationen vorgetäuscht
und der Arzt zu unnötigen Operationen veranlaßt werden kann. Und doch
läuft man, vrie Verfasser hervorhebt, gerade durch Vornahme solcher GefaJir,
die £[ranken noch tiefer in ihre hysterische Gemütsstimmung hineinzutreiben
und aus ihnen Übertreiber oder Simulanten großen Stils zu züchten. So lag
in der einen Beobachtung (IV) Hyperästhesie und Neuralgie des WTarzenfort-
satzes und Gehörganpes vor, vielleicht ausgelöst durch ein geringes Gehör-
gangsekzem und geheilt durch den konstanten Strom und Suggestion, in einer
zweiten (lU) Hyperästhesie und Neuralgie des Warzenfortsatzes mit Schwindet
und Unsicherheit beim Gehen und angeblich vorangegangenem dauernd hohem
Fieber (neben rezidivierender Otitis), so daß aufgemeißelt, aber nichts Ab-
normes gefunden wurde. In einem weiteren Fsdle (II) bestand durch die
Totalaufmeißelung geheilte chronische Mittelohreiterung, außerdem unsicherer
Gang, Schwindel, spastisch- tremorartige Bewegungen der Arme, Erbrechen,
Kopfschmerzen, angeblich mehrmalige Blutung aus dem Ohre, wahrschein-
lich durch Hineinstecken von mit Menstrualblut getränkter Watte vorge-
täuscht. Die Aufdeckung der alten Operationshöhle mit Freileffung der mitt-
leren Schädelgrube und des Sinus förderte nur normale Verhältnisse zutage.
Bei einer vierten Kranken (I) endlich waren neben geheilter linksseitiger Ohr-
eiterung Kopfschmerzen und sehr starke Druckempfindlichkeit der ganzen
linken Sch£ielhälfte, Schwindel, unstillbares Erbrechen, Benommenheit,
Sprachstörung, Gesichtslähmung links mit gleichzeitigem Spasmus, Fieber bis
zu 41,2^ vorhanden, in der Annahme einer schweren zerebralen Komplikation
wurde wiederholt das Groß- und Kleinhirn und der Sinus punktiert, ferner
die Lumbalpunktion gemacht, durchweg mit negativem Resultate. Das Krank-
heitsbild war nur durch Hysterie bedingt, die hohen Temperaturen waren
künstlich erzeugt, hinsichtlich der Facialislähmung ergab sich, daß im
Schlafe beide Gesichtshälften ganz normal aussahen, während beim plötz-
lichen Erwecken die linke mit einem Ruck wieder in den Spasmus eintrat,
und daß beide Gesichtehälften auf den faradischen Strom gut reagierten.
Blau.
59.
Zolki, Über ein kongenitales Fibrolipom der Gaumentonsille.
(Aus der Universitätsklinik für Ohrenkrankheiten zu Straßburg.) Ebenda
S. 222.
Patientin zur Zeit der Operation 7 Jahre alt. Der längliche keulen-
förmige, blaßrote Tumor der linken Tonsille, welcher schon kurz nach der
Geburt bemerkt worden war, maß in der Länge 30 mm, in der größten Breite
und Dicke je 1 1 mm, inserierte der Mandel mit kurzem Stiel und ragte mit
dem dickeren zweigipfligen Ende frei in die Mundhöhle hinein. Er bestand
histologisch aus fibrösem Gewebe mit eingelagerten Inseln von Fettgewebe
iVid ferner kleinen zerstreuten Partien adenoiden Gewebes. Eine gröi^ere
kuglige Ansammlung von letzterem fand sich ganz oberflächlich am distalsten
Ende des Tumors. Blau.
306 XXVI. Wissenscbaftlicbe Rundschau.
60.
Tollensy Angina und Pharyngitis phlegmonosa mit eitriger
Thrombose des Sinus cavernosus und eitriger Meningitis
basilaris. (Aus der medizinischen Klinik zu Breslau.) Ebenda S. 225.
Das 19j&hrige Dlenstm&dchen war vor drei Tagen unter den Erschei-
nungen einer hochfieberbaften akuten Angina erkrankt. Rachengebilde in-
tensiv geschwollen und gerötet, ohne Belag. Rechte Hftlfte des weichen Gau-
mens stark vorgewölbt, wurde inzidiert, doch entleerte sich kein Eiter. Auf-
fällige Rötung und Schwellung der rechten Wange bis zum oberen Rande
des Jochbogens und bis hinter das Ohr, wohl bereits ein Symptom der Gaver-
nosusthrombose. In der Folge Zunahme der erw&hnten Schwellung, Protru-
sion beider Augäpfel und Chemosis beider Konjunktiven, rechte Pupille weiter
als die linke, Sehnervenpapillen scharf umrandet, blaß, mit stark gefCQlten
Oef&ßen, dann meningitische Symptome und Tod 7 Tage nach Beginn der
Erkrankung. Die Inzisions wunde im weichen Gaumen war speckig belegt,
sezemierte etwas dicken Eiter, der Streptokokken in Reinkultur enthielt
Mehrfache weitere Inzisionen an verschiedenen Stellen des Rachens förderten
keinen Eiter mehr zutage. Sektionsbefund: Meningitis basilaris purulenta
und Verstopfung des rechten Sinus cavernosus durch graagelbe, der Wand
fest anhaftende, schmierige Gterinnsel. In gleicher Weise die in den Sinus
einmündenden Gef&ße verstopft Yenae ophthalmicae mit Eiter gefüllt. Brett-
harte Infiltration der oberen Halsgegend und der Mundhöhle. Schleimhaut
des ganzen Rachens schwarzgrünlich, mit schmierigem grünschwarzem Belag
und fetzigen Auflagerungen; Tonsillen in gleicher Weise verf&rbt, stark ge-
schwollen (besonders rechts), bei Druck weich und fluktuierend. Dissemi-
nierte hämorrhagische Lungenentzündung, in beiden Lungenspitzen kleine
Abszesse. Parenchymatöse Nephritis und zahlreiche septische, zum Teil ver-
eiterte Embolien in beiden Nieren. Hepatitis parenehymatosa. Milzschwel-
lung. Enteritis follicularis. Die Fortoflanzung vom Rachen nach der Sch&del-
höhle hatte hier durch die feinen Yenen stattgefunden, die vom venösen
Plexus pharyngeus in den Sinus cavernosus hineinführen. Blau.
Personal- und Faehnaehrichten.
In Berlin hat sich Herr Dr. Haike, Assistent an der Ohrenklinik der
Kgl. Charit^, für das Fach der Ohrenheilkunde habilitiert.
Auf der 76. Versammlung deutscher Naturforscher und
Ärzte, welche in der Zeit vom 18. bis 24. September 1904 in Breslau tagen
wird, sind die Einführenden für die Abteilung für Ohrenheilkunde Herr Prof.
V. Hinsberg, Breslau XVI, Tiergartenstraße 53 und Herr Dr. P. Eckardt,
für die Abteilung der Hals- und Nasenkrankheiten Herr Dr. Oscar Br leger,
Breslau I, Allerheiligenhospital und Herr Dr. Kays er.
Die Deutsche otologische Gesellschaft wird am 20. u. 21. Mai
dieses Jahres im Langenbeckhause in Berlin unter dem Vorsitz des Herrn
Geh. Med. -Rates Prof. Lucae tagen. Mit der Versammlung wird eine Aus-
stellung von Instrumenten, Präparaten, Apparaten und Lehrmitteln verbunden
sein, insbesondere soll alles auf die Taubstummheit Bezügliche zur Ausstel-
lung gelangen: Präparate, Abbildungen, UntersuchungstabeUen und Veröffent-
lichungen. Außerdem wird um Einsendung von Abbildungen von Ohren-
kliniken und Polikliniken gebeten.
Anmeldungen für die Ausstellung nimmt entgegen Herr Privatdozent
Dr. Gustav Brühl, Berlin G., Alexanderstr. 50, Anmeldungen von neuen
Mitgliedern und von Vorträgen oder Demonstrationen für die Versammlung
Prof. Hartmann, Berlin N.W., Roonstr. S.
Druck von J. B. Hirschfold in Leipzig.
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