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Full text of "Archiv für Ohrenheilkunde"

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I 



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V 



ARCHIV 



FÜR 



OHRENHEILKUNDE 

73. BAND. 

BEGRÜNDET .1864 

VON 

Dr.. A. V. TRÖLTSCH Dr. ADAM POLITZER 

Weiland Prof. in Würzbübg. in Wien. 

UND 

Dr. HERMANN SCHWARTZE 
IN Halle a. S. 



Festschrift 

HERRN 
GEHEIMEN MEDIZINALRAT PROFESSOR 

DR. HERMANN SCHWARTZE 



ZTJ 



SEINEM 70. GEBURTSTAGE 

GEWIDMET. 



I. TEIL. 

MIT l HELIOGRAVÜRE UND 8 ABBILDUNGEN IM TEXT. 

HERAUSGEGEBEN VON PROF. F. KRETSCHMANN 

IN Magdeburg. 




LEIPZIG, 
VERLAG VON F. C. W. VOGEL 

1907. 




HERRN 



GEHEIMEN MEDIZINALRAT PROFESSOR 



Dr. HEßMANN SCflWARTZE 



zu SEINEM 70. GEBURTSTAGE 



GEWIDMET 



VON KOLLEGEN, FREUNDEN UND SCHÜLERN. 



Inhalt des dreinndsiebzigsten Bandes. 

Festschrift. 



Seite 

I. Augrust Lueae, Berlin. 
Gruß an den Jubilar zum siebzigsten Geburtstage 1 

II. Fr. Kretschmann, Magdeburg. 
Gruß und Glückwunsch dem Leiter des Archivs ........ 6 

ni. J. SL West, Baltimore. 
Congratulations from America on the Occasion of the Seventieth Birthday 9 

IT. Paul Eonietzko, Bremen. 
Ein Fall von rechtsseitigen Schläfenlappenabzeß combiniert mit Laby- 
rinthfistel mit Ausgang in Heilung 11 

Y, A« Barths Leipzig. 
Pathologische Schallverstärkung bei Erkrankungen des schalleitenden 

Apparates 17 

Tl. Martin Sugär, Budapest. 
Ueber interne Behandlung des chronischen Mittelohrkatarrhes ... 21 

TIL Zeroai, Karlsruhe. 
Die ausbleibende Granulationsbildung nach der Aufmeißlung des Warzen 

fortsatzes 37 

Till.. J. S^ndziak, Warschau. 
Ueber Ohrenstörungen bei den Erkrankungen des Urogenital apparates 55 

IX. K. Bilrkner, Göttingen. 
Ueber Ohrenkrankheiten bei Studenten 61 

X. A. TriiUetti, Neapel. 
Ein Fall von otogenem extraduralem Abszess 69 

XI. K. Kishi, Tachoku auf Formosa (Japan). 
Ueber den Verlauf der peripheren Fasern des Nervus Cochleae im 

Tunnelraum 71 

XIL Bnd. Haug, München. 
Beiträge zur Kasuistik und patholog. Anatomie der Neubildungen des 

äußeren Ohres 74 

XIII. BudoJf Pause, Dresden-Neustadt. 
Labyrintherscheinungen während der Ohioperationen 78 

XIV. Victor Urbantschitsch. Wien. 
Ueber subjektive echoartige Gehörserscheinungen {Doppelthören, Dipla- 

kusis, Diplakusis echotica) 80 

XV. L. Grllnwald, Bad Keichenhall-München. 
Die Ohrenentzündungen in ihren abhängigen Beziehungen zu Nachbar- 
organen 88 



VI 

Seite 

XVL Schwidop, Karlsruhe. 
Ein Beitrag zur Kasuistik der Konkrementbildungen im äußeren Gehörgang 101 

XYII. A. Ton zur Mühlen, Riga. 
Elf Jahre Nachbehandlung der Totalaufmeißelungen ohne Tamponade HO 

XVIII. Erwin JUrgfens, Warschau. 
Ein Fall asthenischer Pyohämie . . . ^ 120 

XIX. Hanns Jnst, Dresden. 
Zur Ka^istik der otogenen Hirnabszesse 123 

XX. Ostmann, Marburg. 
Ueber ärztliche Fürsorge für Taubstumme nebst Vorschlägen zur 

Reorganisation des Taubstummenbildungswesens 131 

XXI. Matte, Köln. 
Zur Chirurgie des Ohrlabyrinths 142 

XXII. Fr. Bl$pke, Solingen. 
Ueber die Diplegia facialis mit besonderer Berücksichtigung ihrer Ätiologie 155 

XXm. Fr. Eretschmann, Magdeburg. 
Kongenitale Facialislähmung mit angeborener Taubheit und Mißbildung 

des äußeren Ohres 166 

XXIV. Ernst Winkler, Bremen. 
Die Freilegung des Facialis als Voroperation für einige Eingriffe in 

der Gegend der Mittelohrräume 179 

XXV. H. Hessler, Halle a. S. 
Ueber einen Fall von akuter Mittelohreiterung bei einem sporadischen 

Falle von übertragbarer Genickstarre 194 

XXVI. J. Herzfeld, Berlin. 

I. Ueber einen bemerkenswerten Fall von Sinus thrombose mit Stauungs- 
papille und Pulsverlangsamung bei akuter eitriger Mittelohr- 
entzündung 222 

IL Zur Kasuistik der Sarkome der Ohrmuschjl 225 

XXVII. W. Ufifenorde, Göttingen. 
Beiträge zur Indikation der Labyrintheröffnung bei komplizierter Mittel- 
ohreiterung und neue Vorschläge für die Labyrinthoperation 227 

XXVin. W. Zemann, Wien. 
Circumscripte Labyrinth-Nekrose 251 

XXIX. Theodor Heimann, Warschau. 
Diagnose des otitischen Hirnabszesses 256 

XXX. A. de Forestier, Libau. 

Kurze, zusammenfassende Uebersicht der bisher publizierten Fälle letaler 

Ohrblutungen und Bericht über einen eigenen Fall 301 

XXXI. Wittmaack, Greifswald. 

Ein rechtsseitiger Schlaf enlappenabszess mit Aphasie bei einem 

Rechthänder 305 

XXXn. Gustav Zimmermann, Dresden. 
Ueber das Intensitätsverhältnis hoher und tiefer Töne 312 

XXXm. Walb, Bonn. 
Ueber reine Transsudate im Mittelohr 317 



Die Beiträge sind in der Reihenfolge ihres Eingangs aufgenommen. 




I. 



Grnfs an den Jnbilar zum siebzigsten Geburtstage. 



Von. 

Antust Lacae 



In meiner Familie waltet seit langen Jahren das verhängnis- 
volle Gesetz, daß die Männer es kaum bis zum fünfzigsten 
Lebensjahre bringen. Ein gütiges Geschick hat mit mir eine 
Ausnahme gemacht und gestattet mir, meinem lieben Freunde 
Hermann Schwartze den Dank für die freundlichen Worte 
darzubringen, mit denen er in der mir vor zwei Jahren zu 
meinem siebzigsten Geburtstag gewidmeten Festschrift meiner ge- 
dacht hat. 

Ich kann dies wohl nicht besser tun, als daß ich an dieser 
Stelle eine kurze Skizze seines wissenschaftlichen Werdeganges 
und der Entwickelung seiner so markanten Persönlichkeit bringe. 

Drei Momente sind es, welche hierfür von wesentlichem 
Einfluß waren. Zunächst, daß er von Anfang an auf eigenen 
Füssen stand, ferner, daß er in rebus otologicis vollständig Auto- 
didakt war und endlich, daß sein Leben vielfach durch Krank- 
heit und Schicksalsschläge getrübt wurde, was ihn jedoch bei 
seinem energischen Charakter nicht hinderte, die hohe Stellung 
zu erreichen, von der er heute mit um so größerer Genugtuung 
und als seif made man im besten Sinne auf seinen langen Lebens- 
weg zurückschauen kann. 

Wer nur seine Schriften liest, der kennt eben nur den mit 
Recht selbstbewußten Autodidakten und nicht selten etwas scharfen 
Kritiker und hat keine Ahnung von dem warmen Herzen das unter 
dieser rauhen Außenseite schlägt. — 

Archiv f. Ohrenheilknnde. 73. Bd. Festschrift. 1 



2 I. LÜCAE. 

Begleiten wir ihn auf seinem Studiengange in Berlin und 
Würzburg, so war namentlich Würzburg für seine ganze Lauf- 
bahn wesentlich bestimmend. Hier war es, wo er als Assistent 
des pathologischen Anatomen Förster einen ausgezeichneten 
Grund für seine späteren wissenschaftlichen Arbeiten legte, wo bei 
ihm durch die Bekanntschaft mit v. Troeltsch zuerst das Interesse 
für die Ohrenheilkunde geweckt wurde und wo er schon als 
Student seine spätere Gattin kennen lernte. 

Nach der 1860 erlangten Approbation und absolviertem 
Dienstjahr als einjährig-freiwilliger Arzt bewogen ihn äußere 
Umstände, auf seine Niederlassung in seiner Vaterstadt Berlin zu 
verzichten und — wie er selbst in meiner Festschrift sagte — 
zunächst „den mühsameren Weg zu gehen durch die vorbereitende 
Schulung der allgemeinen Praxis", die er zwei Jahre lang in der 
kleinen Landstadt Düben betrieb. Bereits im Jahre 1862 finden 
wir ihn dort verheiratet. Neben allgemeiner Praxis beschäftigte 
er sich besonders mit Ohrenheilkunde und verdiente sich durch 
seine für Schmidts Jahrbücher gelieferten otiatrischen Eeferate 
die ersten literarischen Sporen. 

Eine sehr wichtige Wendung seiner Laufbahn brachte ihm 
das Jahr 1863, nämlich die Uebersiedelung nach Halle a./S. und 
seine Habilitation als Privatdozent an dortiger Universität unter 
den Auspizien von Prof. Th. Weber. Letzterer stellte ihm auch 
seine poliklinischen Räume zur ambulatorischen Behandlung von 
Ohrenkranken zur Verfügung. Bereits im Jahre 1868 zum 
außerordentlichen Professor ernannt, gelang ihm erst viele Jahre 
später die Gründung einer eigenen Uni versitäts- Ohrenklinik. Den 
Schluss seiner äusseren Erfolge bildete die Ernennung zum ordent- 
lichen Professor der medizinischen Fakultät am 8. April 1903, 
welche Ehrung ihm als ersten Otologen auf einer preußischen Uni- 
versität zu Teil wurde. — 

Komme ich zu seinen wissenschaftlichen Verdiensten, von 
denen ich hier nur die Hauptpunkte verzeichnen kann, so ist gleich 
seine erste Habilitations-Schrift „observationes quaedam de otologia 
practica" i) für alle seine späteren Arbeiten charakteristisch. Er 
bringt in derselben eine Reihe eigener praktischer Beobachtungen, 
mit speziellem Hinblick auf die Therapie, darunter bereits die 
Paracentese des Trommelfelles, über die er später (Halle 1868) 
eine besondere Abhandlung publizierte. Mit kritischem Scharfblick 

1) Als selbständige Arbeit in deutscher Sprache 1864 in Würzburg er- 
schienen. 



Gruß an den Jubilar zum siebzigsten Geburtstage. 3 

stellte er die rationellen Indikationen für diese Operation wieder 
her: Vor allem die Entleerung von Exsudaten in der Trommel- 
höhle, namentlich zur Heilung der gefahrdrohenden Fälle von 
eitriger akuter Mittelohrentzündung. Um dies voll zu würdigen, 
muß man bedenken, daß dieser Eingriff seit As tley Co o per fast 
in Vergessenheit geraten war, der denselben anfangs mit großem 
Erfolge bei angeblichem Verschluss der Tube E., später jedoch 
in den verschiedensten Formen von Schwerhörigkeit ohne jeden 
Nutzen ausgeführt hatte. Schwär tze verdankte seine Erfolge 
auf diesem Gebiete wesentlich der Einführung des Reflektors durch 
V. Troeltsoh und der hierdurch erst möglichen genauen Fest. 
Stellung des Trommelfell-Befundes. Wie kläglich es früher hier- 
mit stand, kann man daraus ersehen, daß Astley Cooper noch 
im Jahre 1800 einen Trommelfelldefekt mittels des Flackerns einer 
Kerze beim Valsal vaschen Versuche diagnostierte und die Größe 
der Perforation durch Sondenuntersuchung zu bestimmen suchte. 

Bei dem in den sechziger Jahren des 19. Jahrhundert noch 
wenig entwickelten Interesse für die moderne, auf die neue 
Ohrenspiegel-Üntersuchung aufgebaute Ohrenheilkunde war es 
erklärlich, daß die Paracentese des Trommelfelles sich durch die 
Arbeit Schwartze's erst allmählich einführte und von den älteren 
Otologen einfach abgelehnt wurde. So erzählte mir Schwartze 
einmal die von ihm erlittene Enttäuschung, daß ihn William 
Wilde, dem er seine Abhandlung mit einem besonderen, englisch 
abgefaßten Schreiben zugesandt hatte, keiner Antwort würdigte. 

Auch in technischer Hinsicht hat Schwartze das Verdienst, 
an Stelle der früher zur Paracentese meist angewandten bohrer- 
und troicarartiger Instrumente die einfache Lanzennadel wieder 
eingeführt zu haben, die heutzutage in dem Instrumentarium 
keines Otologen fehlend großen therapeutischen Nutzen stiftet. 

Einige Jahre später tat Schwartze einen noch bedeut- 
sameren Schritt, dessen spätere durchgreifende Folgen für die 
praktische Ohrenheilkunde und für die allgemeine Medizin er 
selbst wohl kaum damals vermuten konnte. Es war dies die 
Wiederbelebung der operativen Eröffnung des Warzenfortsatzes, 
welche bereits ein Jahrhundert früher von J. L. Petit gegen 
Ohreiterung mit Caries in die Chirurgie eingeführt und mit 
lebensrettendem Erfolge vorgenommen war. Die Operation ge- 
riet jedoch später in Mißkredit, weil sie meist unter falschen 
Indikationen vorgenommen vielfach von Mißerfolgen begleitet war 

und schließlich ihren Euf vollständig einbüßte durch den tödlichen 

1* 



4 I. LÜCAE. 

Ausgang einer Anbohrung des Warzenfortsatzes, welche im Jahre 
1791 an dem Kgl. dänischen Leibarzte v. Berg er lediglich 
gegen Schwerhörigkeit und subjektive Ohrgeräusche vollzogen 
wurde. 

Als der Jubilar mit seinem damaligen Assistenten Dr. Eysell 
seine ersten Erfahrungen über diese Operation in Bd. VII dieses 
Archivs im Jahre 1873 publizierte, bestand bei den Chirurgen ein so 
großes Vorurteil gegen dieselbe, daß ein Bernhard v. Langen- 
beck noch in dem demselben Jahre sie für lebensgefährlich erklärte. 
Er tat dies mir gegenüber als Vorsitzender der Berliner medi- 
zinischen Gesellschaft, als ich in einem Vortrage über die Ge- 
fahren des Cholesteatoms des Felsenbeins auf die Wichtigkeit 
aufmerksam gemacht, bei den ersten drohenden Erscheinungen 
den Warzenfortsatz sofort zur Entleerung des Cholesteatoms breit 
zu eröffnen und zur Warnung den Fall eines jungen Mädchens 
erwähnt hatte, in dem ich zu spät zugezogen und es mir wegen 
bereits eingetretener schwerster pyämischer Erscheinunger nicht 
mehr möglich war, durch die Eröffnung des Warzenfortsatzes 
den Exitus letalis zu verhüten. 

Diese Mitteilung schien mir wichtig, um zu zeigen, wie lang- 
sam und schwer diese segensreiche Operation allgemeine Ver- 
breitung fand, die heute von Otologen und Chirurgen als etwas 
Selbstverständliches täglich vorgenommen wird. 

Ich brauche an dieser Stelle nicht besonders darauf hin- 
zuweisen, wie durch Wiedereinführung dieser Operation die Hirn- 
Chirurgie und die operative Behandlung der otogenen intrakraniellen 
Erkrankungen, unter hervorragender Beteiligung Schwartzes 
und der Halleschen Schule, gefördert wurde und wie sich 
schließlich aus der verhältnismäßig einfachen Eröffnung des 
Warzenfortsatzes, bei der Schwartze jedoch zuerst zielbewußt 
zum Antrum eindrang, die Radikal- resp. Totaloperation entwickelte 
und zur Heilung hartnäckiger chronischer Ohreiterungen weiter 
ausgebaut wurde. Wie vorsichtig und konservativ Schwartze 
seinen Weg verfolgte, zeigt auch seine kaustische Behandlung 
der chronischen Ohreiterungen, die heutzutage fast vergessen ist. 
Sehr mit Unrecht! Bewährt sie sich doch dem mit ruhiger Über- 
legung handelnden Otologen häufig noch erfolgreich, wo Mancher 
heute sofort zum Messer und Meißel greift. 

Soviel in Kurzem über seine wissenschaftlichen Hauptarbeiten, 
Zieht man das Facit aus denselben, so ist für ihn charakteristisch, 
daß er von Anfang an seiner Vorliebe für den chirurgisch-prak- 



Gruss an den Jubilar zum siebzigsten Geburtstage. 5 

tischen Teil der Ohrenheilkunde treu blieb und, abgesehen von 
seinen bedeutenden Verdiensten um die pathologische Anatomie des 
Gehörorgans den rein theoretischen Fragen der Otologie meist 
fem blieb. So ist es z. B. sehr bezeichnend, daß er sein Lehr- 
buch der Ohrenheilkunde (Stuttgart, 1885) „die chirurgischen 
Krankheiten des Ohrs^ nannte. Diese weise Beschränkung ist 
es, der er vorzugsweise seine großen Erfolge und nicht zum ge- 
ringsten auf dem edelsten Gebiete unserer Wissenschaft, in der 
Therapie zu verdanken hat. So bewährt sich auch an ihm das 
Wort Goethes: 

„In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister.". 



1) Vgl. die zahlreichen Beiträge in diesem Archiv und seine vortreff- 
liche n Pathologische Anatomie des Ohres'^ im Klebsschen Handbuch der 
pathologischen Anatomie (Berlin 1878). 



IL 

Gniss und Glfickwansch dem Leiter des Archivs. 

Von 

Prof. Eretschmann. 



Hochzuverehrender Herr Geheimrat! 

An dem Tage, an welchem Sie Ihr 70. Lebensjahr vollendet 
haben, an welchem Ihnen Glückwünsche und Ehrungen von fern 
und nah in reichem Maße zugehen, an diesem Tage kann und 
will auch das Archiv für Ohrenheilkunde in der Reihe der Glück- 
wünschenden nicht fehlen. Ins Leben gerufen wurde das Archiv, 
wie ich Ihren eigenen Worten i) entnehme, von dem Vater der 
deutschen Ohrenheilkunde, dem genialen v. Tröltsch, welcher 
auf anhaltendes Drängen Politzers mit einem gewissen Zagen 
sich 1864 zu der Herausgabe einer separaten deutschen Zeitschrift 
für Ohrenheilkunde entschloss, aber nur unter der Bedingung, 
daß auch Sie sich an dem unternehmen beteiligten. Die Bedenken 
V. Tröltschs, daß die dauernde Existenz einer solchen Zeit- 
schrift wegen ungenügender Zahl von Mitarbeitern und Abnehmern 
zweifelhaft sei, waren nicht ganz unberechtigt zu einer Zeit, wo 
eine rationelle, wissenschaftliche Ohrenheilkunde noch in den 
ersten Anfängen begriffen war, wo in der großen Allgemeinheit 
die Ansicht vorhanden war, „daß das Gebiet der Otologie gänzlich 
hoffnungslos und steril sei, daß man auf ihm nichts erreichen, 
nichts bessern könne, und wo im Reiche der Ohrenheilkunde 
meist nur Hypothese und Raisonnement herrschten.^ Diese Be- 
denken zerstreut zu haben, dankt das Archiv Ihrem tatkräftigen 



1) A. f. 0. Bd. 31. S. 11. 



Ansprache. 7 

Eintreten. So wurde die Zeitschrift ins Leben gerufen, welche 
als erste und längere Zeit als einzige deutsche Zeitschrift für 
Ohrenheilkunde die Förderung des jungen Faches sich zur Auf- 
gabe machte, und deren Name und Titel untrennbar verbunden 
ist mit dem Namen seiner drei Begründer: Anton v. Tröltsch, 
Adam Politzer und Hermann Schwartze. 

Die Zeitschrift erschien zuerst im Verlage der Stahlschen 
Buchhandlung in Würzburg eingeleitet durch eine Arbeit von 
Ihnen: „Die wissenschaftliche Entwicklung der Ohrenheilkunde 
im letzten Dezennium." 

Die ersten Bände erfolgten unregelmäßig und schleppend, 
so daß bis zum Jahre 1873, also innerhalb 9 Jahren, nur 6 Bände 
erscheinen konnten. Von 1873 ab übernahmen Sie die Leitung 
des Archivs, das gleichzeitig in den Verlag der Firma F. C. 
W. Vogel in Leipzig überging. Durch den geregelten Geschäfts- 
betrieb des neuen Verlegers, durch zahlreicheres Eingehen von 
Beiträgen wurde ein schnelleres Erscheinen und dadurch eine 
weitere Verbreitung des Archivs erreicht Von Jahr zu Jahr, 
von Band zu Band mehrte sich die Zahl der Autoren, wuchs der 
Leserkreis; und bedurfte im Anfang die Herstellung von 6 Bänden 
9 Jahre, so konnten in letzterer Zeit 3 Bände jährlich erscheinen. 
Wahrlich, ein Aufschwung, der Sie mit Stolz und Freude erfüllen 
muß. Von einem zarten Pflänzchen, dessen Leben im Anfang zu- 
weilen bedroht erschien, hat sich das Archiv dank Ihrer unermüd- 
lichen und rastlosen Fürsorge und Tätigkeit zu einem Baum 
ausgewachsen, dessen Wipfel hoch ragt und dessen Zweige weit- 
hin schatten. Wohl kaum ein Band findet sich, in dem nicht 
Ihre Arbeiten, teils als Originalaufsätze, teils als Besprechungen, 
Kritiken, Referate dem Leser vor Augen führen, was Sie literarisch 
geleistet haben und immerwährend leisten. Was aber an latenter 
Arbeit und Mühewaltung in den 65 Bänden enthalten ist, die den 
Zeitraum von 34 Jahren umfassen, während dessen Sie die redak- 
tionelle Leitung des Archivs inne haben, das kann nur einiger- 
maßen der ermessen, der sich in ähnlicher Arbeit versucht hat. 
Und der Lohn für diese Summe stiller und nicht sichtbarer 
Mühen und Anstrengungen? Wenig Dank und viel Verdruß. 
Wahrlich, das Archiv kann Ihnen nicht genug danken für die 
stille, lautlose aber sorgenvolle und schwere ßedaktionsarbeit. 

Zweifelsohne ist für den Wert und die Bedeutung einer Zeit- 
schrift maßgebend der Redakteur. Einen gewichtigen Faktor 
bildet aber auch der Verleger. Es ist ein glücklicher Umstand 



8 IL Eretschmann. Ansprache. 

gewesen, daß das Archiv in der Firma F. C. W. Vogel einen 
so rührigen, tatkräftigen Verleger gewonnen hat, dessen Geschäfts- 
führung und Betrieb stets eine schnelle Erledigung des einge- 
lieferten Materials gewährleistete und dadurch das prompte Er- 
scheinen der einzelnen Hefte ermöglichte. Dem bereitwilligen 
Entgegenkommen des Verlegers, an dem es nie gefehlt hat, ist 
es auch zuzuschreiben, daß das Archiv Raum zur Verfügung ge- 
stellt hat für eine Festschrift, die Ihnen zu Ihrem 70. Geburts- 
tage gewidmet ist. Für dieses Entgegenkommen gebührt dem 
Verleger voller Dank der Mitarbeiter an dieser Festschrift 

In den langen Jahren Ihrer lehrenden, wissenschaftlichen und 
praktischen Tätigkeit ist die Förderung der Ohrenheilkunde das 
Ziel Ihres Strebens gewesen. Ihre Arbeiten haben befruchtend 
und anregend gewirkt auf allen Gebieten der Otologie. Wenn 
Ihnen an dem Tage, welcher für Sie einen wichtigen Lebens- 
abschnitt bedeutet, Fachgenossen, Freunde und Schüler in An- 
erkennung Ihrer hohen Verdienste um die Ohrenheilkunde eine 
Ehrung erweisen möchten, so war der Weg, auf dem dies zu ge- 
schehen hatte, vorgeschrieben. Dem Manne der Wissenschaft 
konnte eine solche Ehrung nur erwiesen werden durch Wissen- 
schaft, dem Otologen nur durch Arbeiten auf diesem Gebiete. 
Und so ist denn dieser Festband entstanden durch Sammlung 
einer Reihe Arbeiten otologischen Inhaltes. Dadurch, daß diese 
Festschrift einen Teil des Archivs, Ihres Archivs, bilden wird, 
ist gleichzeitig für das Archiv die willkommene Gelegenheit ge- 
geben, Ihnen seinen Dank abzustatten, den Dank, den es schuldet 
seinem Mitbegründer, dessen wirksames Eintreten sein Entstehen 
ermöglicht hat, seinem hervorragenden Mitarbeiter, dessen grund- 
legende Arbeiten den Wert des Archivs zu einem bleibenden 
machen, seinem verantwortlichen Leiter, der unbeeinflußt von der 
Parteien Haß und Gunst das Archiv von kleinen Anfängen zu 
seiner heutigen Bedeutung geführt hat. Möge es Ihnen von 
einem gütigen Geschick beschieden sein, noch viele weitere Jahre 
die Leitung des Archivs in bewährter Hand zu halten, der Zeit- 
schrift zu Nutz, der Ohrenheilkunde zum Gewinn. 



III. 

Congratülations from America 
OD the Occasion of the Seventieth Birthday 

of 

Geh. Rat Prof. Hermann Schwartze. 



The seventieth birthday of Hermann Schwartze is a most 
appropriate occasion to celebrate and to take a retrospective 
glance into the past to see what has been accomplished since 
the time when the „Altmeister der Ohrenheilkunde'^ went forth 
alone^ a pioneer in the then unknown field of aural surgery^ 
braving the adverse criticism of the general surgeons of the day 
to promnlgate the teachings, which his keen grasp of Otology 
had already discemed to be correct, and which are today the 
accepted doctrine the world over. 

After Schwartze had led the way and opened up the path 
through the primeval wildemess, it was easier for others to foUow 
and so the development of aural surgery progressed through the 
efforts of Küster, Zaufal, Stacke, and others, until there 
came the final triumph of Grunert, with his ,, Ausräumung des 
Bulbus Venae Jugularis." In Grunerts brilliant achievement, 
emanating, as it did, from the Hallenser clinic, may be traced 
again the guiding band of his chief. Thus the progress of 
ear-surgery passes rapidly in review, and we realize what 
Schwartze has contributed to the Science of Otology and to 
humanity. But an adequate appreciation of the value and im- 
portance of Schwartzes work can only be had when one con- 
siders how many suffering victims of aural disease have been 



10 III. SCHWARTZE. Congratulations from America. 

relieved, and how many lives have been rescued through 
the inauguration of the sargical treatment of Otitis Media 
Suppurativa. 

In no quarter of the globe, however, bas the influence of 
Schwartzes teachings borne richer fruit than in America, and 
such men as Gruening, Blake, Mackernon, Whiting were 
not slow in applying with most encouraging results the methods of 
the Hallenser clinic. And hence we, on this side of the Atlantic, in 
most grateful recognition of the debt we owe to Schwär tze 
and his School join in most sincere and hearty congratulations 
on this memorable occasion, — particularly those of us who 
have been privileged to study at the feet of the „Altmeister**, and 
to leam from his own Ups the words of truth. He has led us 
onward and upward, and inspired us with humanity and science 
as our precepts and watch -words. He has illumined ways that 
were in utter darkness, and on a harren field of Science has 
made the flowers blossom forth. We bend in reverence and 
acknowledge him our master. 

Palmam qui meruit ferrat. 

Dr. J. M. West, Baltimore, ü. St. A. 



IV. 



Ein Fall von rechtsseitigem Schläfenlappenabszefs com- 
biniert mit Labyrinthfistel mit Ausgang in Heilung. 

Von 

Dr. Paul Konietzko, Ohrenarzt in Bremen. 



Wenn ich der großen Zahl der bereits veröffentlichten ge- 
heilten Fälle von Hirnabszeß noch einen neuen beifüge, so be- 
stimmt mich der Umstand dazu, daß sich die trotz ungewöhnlicher 
Größe des Abszesses anfangs verhältnismäßig geringfügigen Hirn- 
und Lokalsymptome desselben mit den Symptomen einer akuten 
Labyrinthfistel kombinierten. 

Frau Doris L. aus A., 31 Jahre alt, kam am 3. Nov. 1906 in meine 
Behandlung; sie wurde am 12. Januar 1907 geheilt entlassen. 

Anamnese: Patientin leidet seit ihrem 6. Jahre an Eiterung aus 
dem rechten Ohre. Der Eiter war bald dickflüssig, in geringer Menge auf- 
getreten, bald dünnflüssiger und profuser, die Haut des Gehörganges und 
der Ohrmuschel mazerierend. Den Angehörigen fiel in den letzten 3 bis 
4 Monaten ihr launisches Wesen, Mißstimmung und große Reizbarkeit 
auf; während der letzten Woche klagte sie über starke Schmerzen im er- 
krankten rechten Ohre, seit 3 Tagen über rechtsseitige Kopfschmerzen, über 
Schwindel, der rapid zunahm und auch beim Liegen sich bemerkbar machte, 
Erbrechen bei nüchternem Magen, Schläfrigkeit und Benommenheit. Sie 
klagt ferner über Appetitlosigkeit, Verdauungsbeschwerden und Schwer- 
hörigkeit auf dem recnten Ohre. Außerdem ist Schwangerschaft im 3. Monat 
vorhanden. 

Statusjbräsens: Mittelkräftige Frau. Herz und Lungen gesund. 
Temp. 36.8. Puls 76 etwas hart. Sensorium benommen, Fat. gibt nur auf 
wiederholtes Fragen Antwort und muß wegen Schwindel und Gleichgewichts- 
storunff, sowohl beim Gehen wie beim Sitzen gestützt werden. Sehnen- 
und Muskelreflexe normal, Lähmungserscheinungen und Gefühlsstörungen 
sind nicht nachweisbar. Lichtreaktion träge, Pupillen etwas verengt, rechte 
Papille etwas enger als die linke, Augenhintergrund normal, geringer Nystag- 



12 IV. KONIETZKO. 

mus in der Horizontalen nach der gesunden Seite zu. Schmerzen in der 
rechten Stirugegend. Keine Nackenschmerzen und -Steifigkeit. 

Umgebung dos Ohres: ohne Besonderheiten, keine Schmerzempfin- 
dung bei Druck auf die Spitze des Proc. mast und auf das Planum, eoen- 
sowenig bei Beklopfen der rechten Schädelhälfte. 

Gehörgang und Trommelfellbefund: Aus dem rechten Gehör- 
g:ang Ausfluß von übelriechendem, gelben Eiter: in der Tiefe sind polypöse 
Granulationen sichtbar, die den Gehörgang völlig ausfüllen und den Hinter- 
grund verdecken. Links normal. 

Hörprüfung: Genaue Höiprüfung war bei dem Zustand des Sen- 
soriums nicht ausführbar. Flüstersp. r =» 0. — 

Am linken Unterarm in der Handwurzelfalte eine ca. 1 cm lange 
Wunde mit schmierig-eitrigem Belag, von dieser ausgehend Lympfgefäß- 
entzündung und Rötung der Haut der Beugeseite bis zum*^ Oberarm. 
Schmerzhalte Anschwellung der Lymphdrüsen am Oberarm und in der 
Achselhöhle. Sofortige ergiebige Spaltung der Wunde und des kleinen 
darunterliegenden Abszesses, Lysol- und Alkoholverband, Hochlagerung. 
Nach Einholung der Einwilligung des Mannes am Abend desselben Tages 

Totalaufmeißelung rechts: Weichteile und Corticalis normal, 
Knochen stark sklerotisch. Bei Eröffnung des Antrum quillt stinkender, 
grüngelber Eiter hervor, im Antrum und Aditus außerdem zerfallende 
Cholesteatommassen. Paukenhöhle von polypösen Granulationen vollständig 
ausgefüllt. Dura liegt über Aditus und Kuppelraum in Bohoengröße frei und 
ist mit graugefärbten Granulationen bedeckt; weitere Freileguug derselben. 
Hammer fehlt, vom Amboskörper nur ein kleines Rudiment vorhanden. 
An der unteren knöchernen Gehörgangswand wird eine kariöse Stelle weg- 
gemeißelt. Entfernung polypöser Granulationen aus dem Boden der Pauken- 
höhle, unberührt bleibt die Steigbügelgegend. Spaltung der Gehörgangswand ; 
wegen freiliegender Dura wird nur unterer Lappen gebildet. 

4. Nov. Temp. 86,8, Puls 76. Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen 
und Nystagmus geschwunden, Sensonum frei, allgemeines Wohlbefinden. 

6. Nov. Temp. normal. Puls etwas unregelmäßig, geringe Pupillen- 
differenz noch vorhanden , ebenso Verlangsamung der Reaktion auf Licht- 
einfall, etwas Lichtscheu auf dem rechten Auge. Kein Schwindel und 
Nystagmus. Geringe Schmerzempfindung in der rechten Schläfegegend, bei 
Perkussion mit dem Finger nicht erhöht. Appetit gut. Stuhlverstopfung. 
Lymphgefäßentzündung am linken Unterarm zurückgegangen, Wunde gereinigt. 

8. Nov. Temp. und Puls normal, keine Kopfschmerzen, Appetit gut. 
Befinden vorzüglich. Erster Verbandswechsel. Wunde sieht gut aus, Ent- 
fernung der Nähte. 

10. Nov. Bisweilen ziehende Schmerzen in der rechten Schläfegegend^ 
Pupillen reagieren gleichmäßig, erscheinen gleich groß, jedoch etwas ver- 
engt. Lichtscheu. Temp. und Puls normal. 

12. Nov. Verbandwechsel. Wunde sieht vortrefflich aus, die ver- 
färbten Granulationen auf der Dura reinigen sich. Wohlbefinden. Stuhl- 
verstopfung. 

13. Nov. Temp. normal. Puls 64, gleichmäßig voll und weich. 
Morgens und mittags bei Nahrungsaufnahme Erbrechen, rechtsseitige Kopf- 
schmerzen; Sensorium normal, kein Schwindel. — Patientin hatte am 
Tage vorher 4 Besuche empfangen, mitgebrachtem, schwerverdaulichen 
Kuchen lebhaft zugesprochen, war abends gegen Vorschrift aufgestanden, 
zudem Schwangerschaft Ende des 3. Monats. Abends Temperatur 37, 
Puls 68. 

14. Nov. Temp. und Puls normal. Verbandwechsel. Wunde gut, 
Dura mit frischen Granulationen bedeckt, geringe rechtsseitige Kopf- 
schmerzen. 

16. Nov. Kopfschmerzen in der rechten Schläfegegend stärker. 
Puls 62. Temp. 36,5. Lichtscheu. Pupillen etwas eng, reagieren gleichmäßig. 
Müdigkeit 

17. Nov. Temp. 36,4. Puls 62, etwas schwach; rechtsseitige Kopf- 
schmerzen verstärkt, Schmerzen in der Tiefe des rechten Bulbus, Licht- 



Ein Fall von rechtsseitigem Schläfenlappenabszeß. 13 

scheu, große Schläfrigkeit, Pat. gibt erst auf wiederholtes Fragen Antwort. 
Pateliarrefiexe etwas herabgesetzt, ebenso Gefühlswahrnehmungen auf der 
linken Körperhälfte und Muskelkraft. Appetitlosigkeit, Foetor ex ore, be- 
legte Zunge, Stuhlverstopfung. Augen Untersuchung (Prof. C. Grunert): 
rechte Pupille etwas enger als linke, Augenhintergrund normal. Verband- 
wechsel. Wunde sieht vortrefflich aus, die freiliegende Dura ist mit frischen 
Granulationen bedeckt. 

18 Nov. Temp. 36,3, Puls 72, gleichmäßig voll und weich. Nachts 
geringe Kopfschmerzen und Unruhe, am Tage Schläfrigkeit Pat. beantwortet 
alle Fragen richtig, nur etwas langsam. Druck der linken Hand heute 
verstärkt. Pupillenreaktion gleichmäßig und etwas lebhafter. Stuhlver- 
stopfung. 

19. Nov. Puls 82, voll und weich. Temp. 36,6, keine Kopfschmerzen. 
Pat. ist geistig regsamer und frischer, geht lebhaft vom Bett durchs Zimmer. 
Pupillen gleich weit. Zunge hat sich gereinigt, Appetit gebessert. Pateliar- 
refiexe normal. Schlaf ruhig. Verbandwechsel. Wunde sieht gut aus. Ge- 
ringe Senkung der freiliegenden Dura. 

20. Nov. Temp. und Puls normal. Nachts exazerbierende Kopf- 
schmerzen, Müdigkeit, Appetit genug, Zunge belegt. Durasenkung etwas 
starker. 

21. Nov. Temp. 34, Puls 64. Pat. konnte in der Nacht heftiger Kopf- 
schmerzen wegen nicht schlafen. Am Tage große Müdigkeit. Dura ist stärker 
vorgewölbt. Function. Bei längerem Beobachten ist in der Tiefe der Wunde 
von Punctionsstelle her das Hervortreten eines kleinen Eitertröpfchens wahr- 
nehmbar. Nachmittags ist der lockere Verband ganz mit Eiter durchtränkt, 
nach Entfernung desselben Eiterabfluß, ca. 4—5 Eßlöffel, grüngelblich und 
übelriechend. Die Dura wird im Narkose weiter freigelegt, besonders nach 
vorne bis zum Ostium tympanicum der Tube. Spalten der Dura kreuzweis 
mit dem geknöpften Messer, wobei sich die auffallende Stärke der mit der 
Abszeßmembrau verwachsenen Dura bemerkbar und die Trennung mit dem 
kleinen Messer Schwierigkeiten macht. Eingehn und Dehnung mit Komzange. 
Tamponade mit Jodoformgaze. Abends Temp. 36,8, Puls 72. 

22. Nov. Temp. 36,6, Puls 84. Pat. hat gut geschlafen, nur morgens 
noch geringe Kopfschmerzen. Verbandwechsel. Nach Entfernung des Tam- 
pons aus der Abszeßhöhle und Erweiterung der Inzisionsöffnung mit Korn- 
zange, fließen etwa 4 — 5 Eßlöffel stinkender Eiter ab. Höheudurchmesser 
des Abszesses ca. 472 — 5 cm. Einlegen eines losen Jodoformgazestreifens in 
die Abszeßöffnung. Abends nochmaliger Verbandswechsel, Abfluß von 1 Va 
Eßlöffel Eiter. Reinigung der Wundhöhle, deren Granulationen jetzt verfärbt 
sind, mit Perhydrol. 

23. Nov. Temp. 36,5, Puls 72, voll und weich. Keine Kopfschmeraen, 
Schlaf gut und fest, Appetit rege, Wohlbefinden. Bei Verbandwechsel Ab- 
fluß von ca. 1 Eßlöffel Eiter. 

24. Nov. Temp. normal. Puls 82, geringe Kopfschmerzen. Bei Deh- 
nung der Abszeßöffnung, die sich bei der Stärke der Abszeßmembran 
immer wieder verengt, Abfluß von ca. 2 Eßlöffel Eiter. Einlegen eines 
Drainrohres durch den äußeren Gehörgang in den Abszeß. Das Rohr läßt 
sich noch ca. 472— 5 cm tief einschieben, wird aber nur bis über die Abszeß- 
membran hinaus eingelegt. Abends nochmaliger Verbandwechsel, kein nach- 
fließender Eiter, Abstoßung eines nekrotischen Gewebsfetzens. Weitere 
Spaltung der Abszeßöffnung mit großem geknöpften Messer und Drainage. 
Muskelkraft links normal, Gefühlsstörungen geschwunden. 

25. Nov. Temp. 36,4, Puls 88. Keine Kopfschmerzen. Schlaf und 
Appetit gui;, Wohlbefinden. Eiterung nur gering, nicht mehr übelriechend. 
Drainage Pupillen gleich groß, reagieren normal. 

26. Nov. Bei Verbandwechsel nur wenig. Eiter, pulsierender Licht- 
reflex in der Gegend des ovalen Fensters bemerkbar, in der Tiefe der 
Wunde etwas klare Flüssigkeit. Apoetit rege, Stuhlgang normal. 

28. Nov. Nur wenig Eiterabfluß, jedoch Spuren von Liquorabfluß nocli 
vorhanden. Pat. fühlt sich kräftig, geht ohne Schwankung allein durchs 
Zimmer. 



14 IV. KONIETZKO. 

30. Nov. Temp. 36,4, Puls 96. Pulsierender Lichtreflex und Liquor- 
abfluß noch immer sichtbar. Eiterabfluß aus Abszeß nur gering. Wunde 
sieht gut aus. 

1. Dez. Temp. 36, Puls 88. Appetit und Verdauung gut, Wohlbe- 
finden. Wenig Liquorabfluß, geringe Eiterung. 

3. Dez. Temp. normal, Puls 98. Wenig Eiter, bei Sondierung ergibt 
sich jedoch noch eine Höhe des Abszesses von ca. 37* — 4 cm. Appetit vor- 
züglich. Pat. geht auch mit geschlossenen Augen sicher umher. 

5. Dez. Fulsation in der Gegend des ovsuen Fensters nicht mehr sicht- 
bar, Liquorabfluß läßt sich nicht mehr feststellen. Ätzung der Wundränder 
mit Arg. nitr. 

7. Dez. Puls und Temp. normal. Pupillen gleich groß, reagieren gleich- 
mäßig und normal, keine Lichtscheu. Eiterabfluß nur gering, Tiefe der Ab- 
szeßhöhle ca. 3 cm. Ausspritzung mit warmer Borsäurelösung, darauf mit 
0,5 Proz. Arg. nitr. -Lösung und Nachspülung mit Borlösung. Drainage. 

10. Dez. Abszeßhöhle hat sich verkleinert. Eiterabfluß gering. 

15. Dez Das Drainrohr wird fortgelassen, dafür Jodoformgazestreifen 
eingelegt 

' 24. Dez. Äußere Wunde hinter dem Ohre granuliert zu. Wundhöhle 
ist fast vollständig epidermisiert, Abszeßhöhle verkleinert sich langsam, All- 
gemeinbefinden vorzüglich. 

4. Jan.. 07. Pat. wird aus der Klinik entlassen. Abszeßhöhle etwa 
haselnußgroß. Ausspülen derselben mit warmer Borlösung. 

10. Jan. Tampon wird fortgelassen, Durafistel sehr eng. 
» 12. Jan. Fistel geschlossen, Wundhöhle vollständig epidermisiert und 
trocken, äußere Wunde fast ganz zugeheilt. Bei Kontrol-Untersuchung am 
21. Jan. ist die Wundhöhle vollkommen trocken, Paukenhöhle durch Sen- 
kung der Dura etwas verengt. Wunde hinter dem Ohre vernarbt. 

Hörprüfung: Nachdem die verklebte Tube durch Luftdusche noch 
durchgängig gemacht ist, wird Flüstersprache, die vorher nur auf 4 cm 
. Entfernung gehört wurde, auf V2 m gehört. 

Ci lateralisiert nach rechts. 

Fis4 +. 

Uhr angeblich vor und hinter dem Ohre gleich. 

Untere Tongrenze heraufgerückt. 

Epikrise. 

Das geschilderte schwere Krankheitsbild bei der Aufnahme 
der Patientin erweckte gleich Verdacht auf Hirnkomplikation. 
Da Fieber, Nackensteifigkeit und -schmerzen, Symptome, die für 
Meningitis gesprochen hätten, nicht vorhanden waren, so 
dachte ich an Hirnabszeß, um so mehr als ich bei der Total- 
aufmeißlung die Dura freiliegend und mit verfärbten Granu- 
lationen bedeckt fand. Die auffallende- Besserung im Befinden 
der Kranken sofort nach der Operation, das Schwinden aller Hirn- 
drucksymptome, ließen anfangs vermuten, daß für das Auftreten 
derselben toxische Einflüsse verantwortlich zu machen seien, die 
jedoch nach Eliminierung des Eiterherds geschwunden waren. 

Hierzu kam noch die Abstoßung und Reinigung der ver- 
färbten Granulationen der freigelegten Dura, ferner auch der Um- 
stand, daß eine Senkung der letzteren anfangs nicht festzustellen 
war. 12 Tage lang, bis zum 16. Nov., waren die Symptome 
des noch latenten, fast apfelgroßen, im Durchmesser ca. 5 cm 



Ein Fall von rechtsseitigem Schläfenlappenabszeß. 15 

messenden Scbläfenlappenabszesses nur sehr geringe; bisweilen 
nur auftretende leichte Kopfschmerzen, Lichtscheu und geringe 
Pupillenenge. Das am 13. November sich einstellende Erbrechen 
welches jedoch während der Nahrungsaufnahme, nicht bei nüch- 
ternem Magen, auftrat, kann leicht auf die erwähnten Diätfehler 
und Schwangerschaft zurückgeführt werden. Mit dem 17. Nov. 
setzten plötzlich bedenklicherere Erscheinungen ein, die im Laufe 
der Zeit einen ausgeprägten, für Himabszeß sprechenden Symp- 
tomenkomplex bildeten, aber nicht gleichmäßig und anhaltend 
auftraten, sondern z. T. fortwährenden Schwankungen ausgesetzt 
waren. Zunehmende, nachts exacerbierende Kopfschmerzen in der 
rechten Schädelhälfte^ Verlangsammung des Pulses bis auf 62 
Schläge, Appetitlosigkeit, Foetor ex ore, Stuhlverstopfung, Müdig- 
keit, häufiges Gähnen, Benommenheit, vermehrte Lichtscheu^ 
Pupillendifferenz und -Verengung, Schmerzen in der Tiefe des 
Bulbus, Herabsetzung der Patellarreflexe und der Empfindung 
auf der linken Körperhälfte nebst Verminderung der Muskel- 
kraft und zuletzt Senkung der Dura. Daß diese Senkung 
bei der Größe des Abszesses und weiter Freilegung der 
Dura erst so spät erfolgte, ist wohl auf die auffällige Stärke 
der Abszeßmembran zurückzuführen. Diese, wie auch die anfangs 
so geringen symptomatischen Druckerscheinungen und Störungen, 
lassen auf ein langsames Wachstum, — wohl durch geringe 
Virulenz der Infektionsträger bedingt, — und wahrscheinlich 
bereits langes Bestehn des Abszesses schließen. Sind doch die 
monatelang beobachtete Mißstimmung, das launische Wesen und 
die große Reizbarkeit als Symptome des bereits vorhandenen 
Abszesses zu betrachten. Ihrer jetzigen Aussage nach, hätte 
Patientin derartige Wutanfälle gehabt, daß ihr „ein Todschlag 
ein leichtes gewesen wäre''. Die Stärke der Abszeßmembran, 
und das langsame Wachstum, hat wohl auch, trotz der Größe 
des Abszesses, einen Durchbruch in den Seitenventrikel verhindert 
und war wohl auch die Ursache, daß bei dem geradezu stinkenden 
Eiter Fieber nie aufgetreten war. Auffallend war es, daß sich 
keine Störungen am Augenhintergrund und keine lokale Percussions- 
empfindlichkeit des Schädels auf der erkrankten Seite, trotz 
wiederholter Untersuchung daraufhin, feststellen ließen. Die an- 
fangs bei der Aufnahme sich so in den Vordergrund drängenden 
Erscheinungen, wie Gleichgewichtsstörungen, Schwindel, auch 
beim Liegen, bei offenen und geschlossenen Augen, Erbrechen 
und Nystagmus, sind trotz zunehmender, auf Hirndruck und 



16 IV. KONIETZKO. 

toxische Einwirkungen zurückzuführender Symptome, nach der 
ersten Operation nicht wieder aufgetreten. Die erst später zur 
Feststellung gelangte Labyrinthfistel gibt die Erklärung dafür. 
Sie waren anscheinend Folgeerscheinungen einer akut aufge- 
tretenen Perforation der Stapesplatte oder des Ligamentum 
annulare oder vielleicht schon vor dem gänzlichen Durchbruch 
von hier aus in das Labyrinth und weiter in den Blutkreislauf 
gelangter Toxine. Es waren reine Labyrinthsymptome. Nach 
Ausräumung des Eiterherdes, des Cholesteatoms aus den Mittel- 
ohrräumen, schwanden diese, ebenso wie die andern schweren 
Erscheinungen wie Erbrechen, Benommenheit, Schwindel, 
Nystagmus ; es ließen die Kopfschmerzen nach, selbst ein vorüber- 
gehendes Schwinden der Pupillendifferenz und -Verengung war 
festzustellen. Durch Ausschaltung des Eiterherds wurde femer 
eine bisher noch nicht erfolgte Infektion und Vereiterung des 
Labyrinths verhindert ; es fand wohl, begünstigt durch den Druck 
der Tamponade auf die in der Steigbügelgegend wucherndem 
polypösen Granulationen, von denen nach Schwärt ze 'scher strikter 
Anweisung scharfer Löffel und Pinzette femblieben, eine Ver- 
klebung statt, die sich erst nach gänzlichem Abstoßen der Polypen 
etwas öffnete und so Abfluß von Labyrintflüssigkeit für er. 8 
Tage gestattete, dann jedoch völlig verheilte. 

Als früherem Assistenten der Halle'schen Ohrenklinik gewährt 
es mir eine große Genugtuung, meinem hochverehrten ehemaligen 
Chef, Herrn Geheimrat Seh wartze, an diesem seinem Ehrentage 
nochmals meinen Dank und meine größte Hochachtung aus- 
sprechen zu dürfen. 



V. 



Pathologiscbe Schallverstärknng bei Erkrankungen des 

schalleitenden Apparates. 



Von 

A. Barth, Leipzig. 



Die eigentümliche Erscheinung der Autophonie, d. h. das 
verstärkte Hineinschallen der Stimme in das eigene Ohr wurde 
erklärt, durch das Offenstehen der Tube, welche den im Nasen- 
rachenraum zusammengehaltenen und hier wohl auch durch 
Resonanz noch verstärkten Schallwellen den direkten Zugang zum 
Mittelohr gestattete. Dann wurden Fälle bekannt, wo die Er- 
scheinung auch beobachtet worden war bei offenbar entzündlichen 
Schwellungszuständen im Nasenrachenraum und zum mindesten 
auch an der Tubenöffnung, sodaß die Autophonie auch bei patho- 
logischem Tubenverschluß zu Stande gekommen sein mußte. Man 
suchte sie in diesen Fällen dadurch zu erklären, daß durch die 
Schwellung des Gewebes günstigere Bedingungen für die Schall- 
überleitung in den Weichteilen geschaffen seien. Mir schien diese 
Hypothese nicht nur unbewiesen, sondern auch nicht recht glaub- 
haft, und ich stellte deswegen die Gegenbehauptung auf, daß 
unter gewissen Bedingungen die Tube, wenn auch im ganzen 
verengt, gerade durch submuköse Schwellung der Wände zum 
Klaffen des Lumens gebracht werden könnte. Auf diese Weise 
würde die Erklärung wieder eine einheitliche. 

So liegt die Frage noch heute, und obwohl ich vor allem 
auch über den zuletzt erwähnten Punkt noch die gleiche Ansicht 
habe wie früher, so befriedigte mich doch die Lösung noch nicht 
recht. Ich beobachtete weiter und bin allmählich zu folgender 
Anschauung gekommen: 

Wir können zwei verschiedene Veränderungen unterscheiden, 
welche ein verstärktes Hineinschallen der eigenen Stimme in das 

Archiv für Ohrenheilkunde. 73. Bd. Festschrift. 2 



18 V. BARTH. 

Obr zur Folge haben. Ob es noch weitere gibt, lasse ich dahin- 
gestellt. Wir brauchen während des Sprechens nur ab und zu 
ein Ohr zu verschließen und werden in ihm sofort den Schall 
unserer Stimme verstärkt wahrnehmen. Das Gleiche, nur unter 
Umständen in wesentlich erhöhtem Grade, stellt sich ein bei 
Erkrankungen der Tube und der Paukenhöhle und verdankt seine 
Entstehung genau den gleichen Ursachen, wie die des Binne'schen 
und des Weber'schen Versuches, und findet dieselbe Erklärung, 

wie diese. 

Die zweite Art der Schallverstärkung ist das heftige Hinein- 
klingen der eigenen Stimme bei Offenstehen der Tube. Jeder, 
wer die beiden Arten der Schallverstärkung einmal an sich selbst 
wahrgenommen und damit Gelegenheit zu einer Vergleichung 
gehabt hat, wird sich wundem, wie ich überhaupt diese zweite 
Form, die unbestritten viel lautere und mehr belästigende und, 
die bisher wohl allein als Autophonie bezeichnete nebeneinander 
mit der zuerst genannten in Vergleich stellen kann, welche ja 
so außerordentlich häufig und für jeden Arzt etwas Selbstverständ- 
liches ist, der über die Erscheinungen der Hörprüfung bei Luft- 
und Knochenleitung Bescheid weiß. 

Aber ich wende ein: beide Formen der Schall Verstärkung 
sind etwas rein Subjektives. Und mit dem subjektiven Wahr- 
nehmen und Empfinden hat es sein Bedenken. 

Die gleichen subjektiven Geräusche lassen den Einen, der 
gleichmütig und wohl auch bis zu einem gewissen Grade in- 
dolent ist, völlig gleichgültig. Er geht ruhig seiner Beschäftigung 
nach und schläft ungestört Den Andern regen sie auf und ver- 
leiden ihm das Dasein bis zum Lebensüberdruß. Wie* weit solche 
subjektiven Vorstellungen führen, haben wir erst vor kurzem ein 
Beispiel gehabt, wo ein junger Mann, dem die äußere Form 
seiner, nicht einmal syphilitischen Sattelnase nicht gefiel, einen, 
allerdings mißglückten Selbstmordversuch machte. Es hat sich 
mir im Laufe der Zeit die Überzeugung aufgedrängt, daß nicht 
selten Patienten mit den verschiedenen Formen von Ohrerkrankung 
über subjektive Störungen klagen, bei deren fachmännischer Be- 
urteilung sich die Überzeugung aufdrängte, daß die subjektiven 
Empfindungen in Wirklichkeit nicht so hochgradig sein könnten, 
daß ihre starke Belästigung vielmehr ans dem psychischen Ver- 
halten der Kranken zu erklären sei. Eine solche Übertreibung 
der Kranken ist gamicht so verwunderlich, wenn man bedenkt, 
wie außerordentlich reizbar manche Patienten mit Ohrenleiden oft 



Patholog. Schallverstarkung b. Erkrankungen d. schalleitenden Apparates. 19 

sind. Ob auch umgekehrt wesentlich stärkere autophonische Er- 
scheinungen von mehr indolenten Menschen, so gut wie ignoriert 
werden, kann ich nicht sagen. Nur soviel steht fest, daß wir au& 
den rein subjektiven Wahrnehmungen und Angaben der Kranken 
nicht in der Lage sind die verschiedenen Formen pathologischer 
Schallverstärkung diagnostisch auseinander halten zu können. Wir 
müssen nach objektiven, oder wenigstens objektiveren Merkzeichen 
suchen. Nun besitzen wir ja zwar schon emige soche Zeichen. 
So bei offen stehender Tube die sichtbaren Atembewegungen eines 
schlaffen Trommelfelles. Oder bei der anderen Form die ver- 
schlossene Tube^ auch für Katheterismus und Bougie nicht oder er- 
schwert durchgängig; oder den verstopften Gehörgang, nach dessen 
Freimachung die vordem vorhandene Verstärkung der eigenen 
Sprache sofort verschwunden ist, u. a. m. Da diese Erscheinungen 
aber nicht für jeden Fall anwendbar sind, se möchte ich noch 
ein unterscheidendes Merkmal anführen, das ich bei meinen Vor- 
lesungen schon seit Jahren demonstriere: Bei der ersten Form, 
also bei Tubenverlegung, den verschiedenen Formen ven Mittel- 
ohrerkrankung, 6ehörgangsvei*stopfung ist die Verstärkung der 
eigenen Sprache — ausgeschlossen natürlich das hierbei vor- 
kommende wirklich verstärkte Sprechen — wirklich rein subjektiv, 
d. h. objektiv bisher auf keine Art nachweisbar. Bei der Auto- 
phonie, bedingt durch Offenstehen der Tube, hört man die Ver- 
stärkung auch objektiv, wenn man das kranke Ohr des Patienten 
durch einen Hörschlauch mit dem Ohr des untersuchenden ver- 
bindet. Am auffallendsten ist die Erscheinung, wenn man je ein 
Ohr des Kranken mit je einem Ohr des Untersuchenden gleich- 
zeitig in Verbindung bringt und nun den Kranken sprechen, oder 
noch besser summen läßt. Der Untersuchende hört dann aus dem 
erkrankten Ohr das Brummen außerordentlich verstärkt durch das 
Otoskop. Diese Beobachtung spricht dafür, daß bei dieser Form 
der Autophonie das verstärkte Hören bedingt ist durch wirklichen 
stärkeren Klang (im physikalischen Sinne) in der Paukenhöhle, was 
beider anderen Form des subjektiven stärker Hörens nicht der Fall ist. 
Subjektiv verstärkt erscheint der Schall bei beiden Formen 
Die Empfindung hat man aber bei Offenstehen der Tube mehr 
in der Tiefe des Ohres, während sie bei Verschließen des Gehör- 
ganges mehr nach der äußeren Ohröffnung hin rückt. Wie bei 
noch anderen Veränderungen im schalleitenden Apparat dieser 
Vergleich ausfält, kann ich nicht sagen. Diagnostische Verwertung 
wird er auch kaum finden können. 

2* 



20 V. BARTH. 

Der vom Scheitel aus auf das Ohr übergeleitete und bei 
Offenstehen der Tube verstärkt erscheinende Ton einer Stimm- 
gabel klingt noch mehr verstärkt, wenn man nun, während die 
Tube offen bleibt, das Ohr verschließt, und rückt dabei in der 
subjektiven Beurteilung mehr nach außen. Diese Versuche sprechen 
für die Annahme, daß beim Web er 'sehen und Rinne 'scheu Ver- 
suche' die Verstärkung des Tones dadurch eintritt, daß der Ab- 
fluß des Schalles aus dem Mittelohr durch die gestörte Schall- 
leitung behindert ist, daß an dem verschließenden Finger viel- 
leicht eine Beflexion des Schalles, und damit eine subjektive Ver- 
stärkung statt hat. Aber die auch durch einfaches Offenstehen 
der Tube ohne gleichzeitigen Verschluß des Gehörganges ein- 
tretende Verstärkung des Schalles einer auf den Scheitel auf- 
gesetzten Stimmgabel spricht dafür, daß dies nicht die einzige Er- 
klärung für die Erscheinung des Web er 'sehen und Rinne 'sehen 
Versuches sein darf. Denn bei im übrigen normalem Ohr fließt doch 
ein Teil der Schallwellen umso leichter ab, wenn noch die Tube 
offen steht Durch diese gelangen sie nach dem Nasenrachenraum, 
von wo aus sie, wahrscheinlich noch resonatorisch verstärkt, durch 
die offene Tube auf das Ohr zurückwirken. 

Stellt man bei Autophonie den Web er 'sehen Versuch mit 
Stimmgabeln an und sucht die Tonverstärkung wie vorher bei 
der Sprache objektiv mit Hörschläuchen zu kontrollieren, so ist 
bei verschlossener Tube durch den Schlauch eine Verstärkung 
nicht wahrzunehmen. Aber auch bei offener Tube ist sie so wenig 
auffallend, daß sie öfter nicht bemerkt wird. Es ist also diese 
Art zu untersuchen für die Praxis nicht zu empfehlen. 

Krankhafte Autophonie bei offener Tube ist nach meiner 
Ansicht ein selteneres Vorkommnis, als man bisher allgemein an- 
nimmt. Vor allem aber darf man nie aus den Augen verlieren, 
daß die Autophonie ein Krankheitssymptom, nicht aber eine Krank- 
heit bedeutet 

Die angeführten Beobachtungen über Autopohonie bei offener 
Tube sind an mir selbst angestellt, da ich willkürlich die Tuben 
öffnen und längere Zeit offen halten kann. Hoffentlich finden sie 
von anderen Seiten Bestätigung und Erweiterung. 



VI, 

Ober interne Behandlung des chronischen 

Hittelohrkatarrhes. 

Von 

Martin Sugr^r in Budapest. 



Grunert, dessen frühzeitigen Heimgang wir Alle beklagen, 
trat bereits im Jahre 1903 auf der 75. Versammlung deutscher 
Naturforscher und Ärzte für die Anschauung ein, daß die Zu- 
kunft der Therapie des chronischen Hittelohrkatarrhes in dessen 
interner Behandlung liegt. Noch präziser spricht er sich dies- 
bezüglich in seinem gemeinschaftlich mit Schwartze bearbeiteten 
klassischen Buche „Grundriß der Otologie^' aus, indem er einer- 
seits von einem möglichen Erfolg der medikamentösen Therapie 
in den Anfängen der Erkrankung spricht, in denen die anatomische 
Untersuchung nur das Vorhandensein von Herden vaskulöser 
Ostitis nachgewiesen hat, andererseits aber hervorhebt, daß Angriffs- 
punkte für eine rationelle Palliativtherapie nur durch die sorgfältigste 
Untersuchung des ganzen Körpers zu gewinnen seien und allein der 
tüchtige, universell geschulte Arzt ist in der Lage dieselben zu finden. 

Die von Grunert betonten Prinzipien leiten mich seit 2 Jahrr 
zehnten, seit meiner Assistentenzeit an der Abteilung meines ver- 
ehrten Lehrers Prof. Victor Urbantschitsch in Wien, bei 
der Behandlung des chronischen Mittelohrkatarrhes und habe ich 
denselben meine bescheidenen therapeutischen Erfolge in meiner 
Heimat, ja selbst im Auslande zu danken. War es mir doch 
unter anderem gegönnt, mein Verfahren infolge konsultativer 
Berufung, selbst in der Hauptstadt Gallien's zu erproben und so 
auch die Aufmerksamkeit französischer Kollegen wachzurufen, 

Im nachstehenden will ich es daher unternehmen, die medi- 
kamentöse Therapie der Otosklerose wenigstens in groben Zügen 
zu entwerfen. 



22 VI. SUGÄR. 

Im LVII. Bande dieses Archivs habe ich über die Thiosinamin- 
behandluDg des chronischen Mittelohrkatarrhes berichtet und 
obwohl der meine Erfahrungen alsbald bestätigende Wiesbadener 
Ohrenarzt L. Hirsch land hervorhebt, daß bereits der Amerikaner 
Sinclair Tousey einen durch Thiosinaminbehandlung erheblich 
gebesserten Fall von Schwerhörigkeit schon im Jahre 1897 be- 
schrieb, blieb mir, wie vielen Anderen, diese Beobachtung voll- 
kommen unbekannt, Beweis dessen, daß man sich fachärztlich 
diesem Mittel erst in neuerer Zeit infolge meiner Empfehlung im 
Jahre 1904 zuwandte. Über günstige Erfahrungen mit Thiosinamin 
berichteten bisher außer dem zitierten Hirschland, CuUough 
in New-York, Karl Kassel in Posen, Löwensohn in St. Peters- 
burg, Tapia in Madrid, Andr6 Horeau, femer Lermoyez und 
Mahn in Paris, Lucae in Berlin, Ernst Urbantschitsch in 
Wien und Török in Budapest, durchwegs Autoren, die eine sorg- 
fältige Auswahl der Fälle vornahmen und die subkutanen oder intra- 
venösen Injektionen mit der mechanischen Behandlung kombinierten, 
wie ich dies in meiner obenerwähnten Arbeit deutlich angab. Am 
lehrreichsten sind die Beobachtungen des Kollegen Ernst Urbant- 
schitsch, der das Mittel an der Ohrenabteilung seines Vaters er- 
probte, die Injektionen nach meiner ursprünglichen Angabe sub- 
kutan unter die Haut des Oberarms vornahm, von der Anfangsdosis 
0,3 Fibrolysin, am nächsten Tage 0,6, allmählich auf 1,0 — 1,5, 
schließlich auf die volle Dosis von 2.3 (Eine ganze Ampulle) empor- 
stieg und bei nach 8 — 10 Injektionen sich äußernderBesserung, drei- 
mal wöchentlich appliziert, bis zu 20 — 50 Injektionen anwandte. 
Auch ich bevorzuge schon seit geraumer Zeit die von E. Urbant- 
schitsch geübte forcierte Anwendung des Fibrolysins Merck, das in 
braunen zugeschmolzenen Ampullen ä 2,3 cm ^ entsprechend 0,2 Thio- 
sinamin in dem Handel ist, verwende aber nicht gern Beste der 
Flüssigkeit aus den Ampullen, da das Thiosinamin beim längerem 
Stehenlassen in Form eines weißen Pulvers ausfällt und sich nur 
durch Erwärmung wieder löst. 

Klar und deutlich spricht sich E. Urbantschitsch dahin aus, 
daß nur ausgesprochene Fälle von chronischem Mittelohrkatarrh 
und beginnender Sklerose geeignet sind, daß die Wirkungsweise 
des Fibrolysins in der Erweichung des pathol. Gewebes zu suchen 
ist und die hiemit in Kombination anzuwendende mechanische 
Behandlung die Verwertung der erfolgten Dehnbarkeit des patho- 
logischen Gewebes anzustreben hat. 

Daß das Thiosinamin, besser Fibrolysin, keineswegs als 



über interne Behandlung des chronischen Mittelohrkatarrhes. 23 

Spezifikum zu betrachten ist, sondern nur als wirksamer Behelf 
sämtlicher mechanischer Behandlungsmethoden (Katheter^ Bougie, 
Yibrations- resp. Friktionsmassage mit Letzterer, Pneumomassage 
mittelst Elektromotor, Musehold'scher Sirene, Delstanche 
Masseur) habe ich in einer in ungarischer Sprache abgefaßten 
Arbeit über die Fortschritte auf dem Gebiete der Ohrenheilkunde 
bereits Ende 1906 genau und deutlich präzisiert. E. Urbant- 
schitsch kommt zu dem berechtigten Schlüsse, daß uns mit 
dem Thiosinamin tatsächlich ein Mittel in die Hand gegeben ist, 
das im Stande ist, die durch den chronisch katarrhalischen 
Prozeß hervorgerufenen pathologischen Veränderungen in der 
Paukenhöhle günstig zu beeinflussen. 

Ausführlicher muß ich noch der Arbeit des hiesigen Ohrenarztes 
Spitalsordinarius Török gedenken. Er wandte reines Thiosinamin 
in 15prozentiger Lösung mit Wasser und Spiritus vini rectificatus 
an, applizierte subkutan in die Oberarmgegend dreimal wöchentlich 
je 1 cm 3, sah bei inveterierten Fällen, insbesondere mit Hypaes- 
thesie des Acusticus, daher conform mit meiner Angabe, keinen 
Erfolg, doch umsomehr bei chronisch katarrhalischen Prozessen, 
Strikturen der Tube, posttraumatischen Adhaesivprozessen, be- 
ginnender Sklerose des einen Ohres bei stärkerer ausgesprochener 
Affektion des anderen bereits unheilbaren Ohres, und hält somit 
das Thiosinamin auch in der Ohrenheilkunde für ein sehr wert- 
volles Medikament, das in den indizierten Fällen sehr gute Dienste 
zu leisten berufen erscheint. Schließlich bemängelt er das 
Fibrolysin wegen seines hohen Preises, obwohl nach meinem 
Dafürhalten viel Mißerfolge mit der wässrig-akoholischen Lösung 
des Thiosinamin lediglich der leichten Zersetzlichkeit desselben 
zuzuschreiben sind und das Fribolysin (Merck) gerade in dieser 
Richtung volle Gewähr zu leisten im Stande ist. Wenn Török 
weiter behauptet, wir hätten keine Prüfungsmethoden zur Ver- 
fügung, mit denen wir eine Initialsclerose als solche zu diagnosti- 
zieren im Stande wären, erinnere ich an das Schwartze'sche 
Symptom, an die durch ein auffallend zartes Trommelfell hin- 
durchscheinende charakteristische violette Labyrinthyperämie, 
femer muß ich mit Hirsch land hervorheben, daß die Fibrolysinin- 
jektionen indiziert sind in allen Fällen, in denen mit dem Gel 16'- 
schen Versuch eine Fixation des Stapes nachzuweisen ist (Gell 6 
negativ) und in denen auch ohne dieses Symptom der Biene 'sehe 
Versuch bis zur kleingestrichenen Octave negativ blieb. Weitere 
Anhaltspunkte für die möglichst frühzeitige Diagnose der Otos- 



24 VI. SÜGÄR. 

klerose bieten das Herabrücken der oberen Grenze, was nach 
Jörgen Möller ein Hauptmerkmal ist, besser die Bezold'sche 
Triade (Rinne excessiv negativ, Verlängerung der Kopfknochen- 
leitung, starkes Hinaufrücken der unteren Tongrenze), welche die 
meisten Autoren als charakteristisches Symptom akzeptieren. 
Allerdings decken sich diese Kriterien mit jenem der Stapes- 
ankylose und diese in ihrer reinen Form, oder in Kombination 
mit Spongiosierungsprozessen in der Labyrinthkapsel, stellt die 
Erkrankungsform dar, welche wir dem Vorgange Bezold's gemäß 
als Otosklerose bezeichnen. Der klinische Begriff der Otosklerose 
deckt sich aber nicht immer mit dem pathologisch-anatomischen 
Substrat der Steigbügelfixation, so daß nach Katz die beiden 
Erkrankungen zu trennen wären. Es gibt nach diesem Autor 
Fälle mit intakten Bingband, jedoch Kombination von Osteoporose 
mit deutlicher partieller Nervendegeneration (N. Cochleae, Ganglien- 
zellen, Corti'ßche Zellen) und Erkrankungen mit reiner Stapes- 
ankylose zu Beginn des Krankheitsprozesses. Da die richtige 
Auswahl der Fälle bei der Fibrolysinbehandlung sehr wichtig ist 
und ohne genaue Sichtung der verschiedenen Formen der Otos- 
klerose kein Erfolg zu erwarten ist, muß ich auf die Differen- 
tialdiagnostischen Merkmale des Näheren eingehen. 

Unsere derzeitigen Kennzeichen zur Unterscheidung dieser 
Fälle sind die folgenden. 

Ist der Prozeß auf die Labyrinthkapsel im Sinne Siebe- 
mann 's ausgedehnt, mit oder ohne Erkrankung der nervösen 
Elemente im inneren Ohre, so ist die untere Tongrenze ebenfalls 
heraufgerückt, die Knochenleitung ist aber nicht verlängert, Rinne 
positiv oder zeitlich verkürzt. ViTeber wird nicht verstärkt nach 
dem schlechter hörenden Ohre lateralisiert und die Perzeptioii 
der höheren Töne (fis 4) durch die Luftleitung ist herabgesetzt. 

Nicht vollkommen verläßlich erschien mir aber wiederholt 
das von Gradenigo für Akustikusaffektionen als charakteristisch 
angesprochene Symptom : Herabsetzung für Töne mittlerer Höhe, 
sowie exzessive funktionelle Erschöpf barkeit des kranken Nerven- 
stamms. 

Ist die Erkrankung der knöchernen Labyrinthkapsel die pri- 
märe Läsion, so überwiegen Hörstörungen, die den Prozeß als im 
Labyrinthe lokalisiert erkennen lassen. 

Die auf dem Boden vorausgegangener sekretorischer Mittel- 
ohrkatarrhe (Adhäsivprozesse Politzers) entstandenen Fälle eignen 
sich durchwegs für die mit mechanischer Behandlung kombinierte 



J 



über interne Behandlung des chronischen Mittel ohrkatarrhes. 25 

Thiosinaminbehandlung. Die von der Labyrinthkapsel ausgehen- 
den sogenannten reinen Fälle von Otosklerosis , die klinisch oft 
bis auf eine geringe Transparenz in der Gegend des Promon- 
toriums jede objektive Veränderung des Trommelfells vermissen 
lassen, jedoch nur im Anfangsstadium und allenfalls eher für die 
Phosphorbehandlung im Sinne Siebenmanns, mit der ich mich 
in meiner diesbezüglichen Arbeit (dieses Archiv Bd. LXVI) ge- 
sondert beschäftigte. 

Sehr geeignet für die Fibrolysinbehandlung erschienen mir 
stets Fälle von juveniler Sklerose, weniger die kongestiven mit 
durchscheinender ßöthe des Trommelfells, am wenigsten die 
arteriosklerotischen, da das Thiosinamin auf dem Wege der Blut- 
bahn seröse Durchtränkung der Adventitia sämtlicher Blutgefäße 
zu machen imstande ist, was durch temporäre Erweiterung der 
Blutbahnen zu Hirnkongestionen führen kann. 

Die Beobachtung Maupetits würde uns hierbei sehr gut 
zustatten kommen, daß die Mehrzahl der mit hereditärer Oto- 
sklerose behafteten Patienten eine Erhöhung des arteriellen Druckes 
aufweisen, wie Arteriosklerotiker, während bei atypischer Sklerose 
der normale Druck vorhanden ist, weshalb dieser Autor blut- 
druckherabsetzende Mittel bei der Behandlung empfiehlt. Leider 
konnte Mengotti die enge Beziehung zwischen Blutdruck und 
Sklerose nicht bestätigen. 

An dieser Stelle muß ich betonen, daß in jedem Falle von 
Sklerose eingehende Blut- und Harnuntersuchung vorzunehmen 
ist, was ich den Fachkollegen, nebst genauer somatischer Unter- 
suchung, besonders empfehle. 

Wir müssen uns vergegenwärtigen, das der N. acusticus im 
Sinne des Altmeisters der Physiologie Johannes Müller ein 
„Nerv spezifischer Sinnesenergie" ist und daher auf jede Schäd- 
lichkeit, auch die konstitutioneller Art, mit Sausen und Schwer- 
hörigkeit antwortet. 

Durch die Harnuntersuchung können wir diejenigen Störungen 
des Hörorgans ausschließen, die durch Nephritis und Diabetes 
hervorgerufen werden, eventuell durch rationelles Regime dem 
Vorschreiten der Höraffektion Einhalt gebieten. Hierher gehört 
die Beobachtung Lermoyez's, der in einem Fall von durch 
muskulären Krampf bedingten heftigem Ohrensausen durch das 
gegen den vorhandenen Morbus Brighti eingeleitete salzlose 
Regime nach Widal (Dechloruration, Regime sans sei.) Heilung 
erzielen konnte. 



26 VI. SUGÄR. 

Die Blutuntersuchung führt uns zur Erkennung von post- 
puerperaler Anämie, perniziöser Anämie^ Chlorose, Leukämie und 
von dadurch hervorgerufenen Hörstörungen. 

Die genaue somatische Untersuchung ermöglicht die Diagnose 
von hyperämischen Labyrinthleiden bei Herzerkrankungen, ple- 
thorischen Zuständen, chronischer Obstipation, Arteriosklerose, 
von funktionellen Hörstörungen bei Hysterie, Neurasthenie, bei 
Intoxikationstaubheit (Salizyl, Chinin, Aspirin, Alkohol- Nikotin- 
Blei- Arsen, Quecksilber, Gelbsucht, Carcinom, Arthritis), bei 
Syphilis, Influenza, Mumps, eventuell die Erkennung von retro- 
labyrinthären neuritischen Veränderungen bei intaktem Mittelohr 
im Verlaufe von allgemeiner Tuberkulose. 

Wir müssen uns endlich gewöhnen, das Bild des chronischen 
Mittelohrkatarrhes, resp. das der Otosklerose auf seine Kompo- 
nente zu zerlegen, da wir es keineswegs mit einem einheitlichen 
Krankheitsbilde zu tun haben. Diesen Standpunkt scheint auch 
Lucae zu teilen, indem er in der Berliner otolog. Gesellschaft 
anläßlich einer Diskussion betonte, daß die Erfolge teils mit Thio- 
sinamin, teils mit Pilokarpin für verschiedene Ursachen der Oto- 
sklerose sprächen. Ich selber fand wiederholt, daß in vielen 
vielen Fällen die nervöse Schwerhörigkeit bei Otosklerose nur 
eine funktionelle, auf toxischer Basis entstandene Neuritis ist. 

Um die Erfahrungen bei Anwendung des Thiosinamins zu er- 
schöpfen, muß ich noch erwähnen, daß Lermoyez und Mahn in 
Paris anfangs die 15 prozentige alkoholische Lösung von Thiosinamin 
in Form von täglichen Ohrenbädern in der Dauer von 10 Minuten 
bei nebenheriger Anwendung des Masseur Delstanche rühmten. 
Daß diese Art der Anwendung wegen minimaler Resorption von 
der Haut des Gehörganges und des Trommelfells nicht gerade 
zweckmäßig ist, geht aus der emfachen Überlegung hervor, daß 
wir selbst den verschiedenen Anästheticis Karbolsäure mit der 
Absicht hinzufügen, eine Erosion am Trommelfelle zu setzen, um 
dadurch eine Tiefenwirkung zu erzielen. Ich muß endlich der 
Arbeit Andrö Horeau's gedenken, einer 68 Seiten umfassenden 
Monographie, die als „Thfese de Paris" mit dem Titel „Traitement 
de lotite adhesive par la thiosinamie" (Editeur G. Steinheil) er- 
schienen ist. Horeau verwendet, wie die Schule Lermoyez's 
neuestens, die 15 prozentige Lösung von Thiosinamin gemischt 
mit Antipyrin: Pp. Thiosinamini 15,0, Antipyrin 7,5, Aq. destill. 
100,0 in Form von Ohrenbäder und vorwiegend zur Einspritzung 
in die Tube per cathetram, nebstbei zweimal die Woche Massage 



über interne Behandlung des chronischen Mittelohrkatarrhes. 27 

des Trommelfells. Den sehr günstigen Bericht Horeau's will 
ich wörtlich zitieren: „Ce traitement est indique dans tous 
les cas oü Pappareil de transmission des sons ne 
functionne plus et ou le labyrinth est intact. II s'agit 
■alors d'otite adhäsive dans laquelle le tympan et les 
osselets sontplusonmoinsimmobilises par des bridres 
cicatricielles. Ge traitement simple et sans danger 
si Ton a soin de s'entourer de certaines pröcautions.'^ 
Horeau anerkennt meine Bemühungen um die Thiosinamin- 
behandlung, vergißt aber anzuführen, daß das Gemenge von 
Thiosinamin mit Antipyrin behufs Erzielung einer schmerzlosen 
Injektion bereits von deutschen Autoren auf anderen Gebieten 
der Therapie früher empfohlen wurde. Auch Lermoyez ver- 
wendet neuestens Injektionen in die Paukenhöhle, die ich bereits 
in meiner ersten Arbeit aus dem Jahre 1904 in Anwendung 
brachte. 

In 30 Fällen von Otitis adhaesiva des narbigen katarrhalischen 
und akzidentellen Typus, welche an Taubheit und Ohrensausen 
litten, erzielte er Besserung (Societe frang. de Laryngol, Otol. et 
Rhinologie, Klin.-therap. Wochenschrift 1907, 8. Juli, Nr. 27). 

Ich stelle übrigens derzeit Versuche mit einem neuen Thio- 
«inaminpräparat, genannt Tio diu e an, eine Verbindung des Thio- 
sinamin mit Jodäthyl, das gleichfalls subkutan, intravenös, eventuell 
intramuskulär, auch in Pillenform zu verwenden ist. Es soll 
durch die Kombination von Thiosinamin und Jod metasyphi- 
litische Prozesse des Nervensystems (Tabes, Paralysis progressiva) 
günstig beeinflussen, und da die Otosklerose von vielen Autoren 
als parasyphilitische Erscheinung aufgefaßt wird, ist die Anwen- 
dung wissenschaftlich gerechtfertigt. Zur subkutanen Injektion 
werden 10 — 20 Proz.-Lösungen verwendet (1 ccm) und in den 
injektionsfreien Tagen werden zwei Pillen zu 0,1 g verabreicht 
sowie mechanische Behandlung des Ohres vorgenommen. Das 
Mittel wird neuestens in Ampullen zu 0,2 g und in Pillenform 
von der Wiener k. k. Feldapotheke in den Handel gebracht. 

Bisher habe ich aber keinen begründeten Anlaß gefunden, 
das erprobte Fibrolysin Mercks zu verlassen, ja ich finde, daß 
dasselbe analog der vom Dozenten H. Neumann in Wien für 
Lokalanästhesie in der Otochirurgie empfohlenen Methode, mittels 
Punktionsnadel bis unter die obere knöcherne Gehörgangswand, 
eventuell unter das Periost des Warzenfortsatzes zu bringen ist 
so daß nebst der rascheren elektiven Wirkung durch das Blut 



28 VI. SUGÄR. 

ein lokaler Effekt in der Nähe des kranken Hörorgans erzielt 
werden kann. 

Bei der Behandlung des chronischen Mittelohrkatarrhes 
wandte sich seit jeher die Aufmerksamkeit der Kollegen derlei 
lokalen, selbst verdauend wirkenden Stoffen zu. Ich erinnere 
nur an die direkte Anwendung des Pepsins in Form von Ein- 
spritzungen in die Paukenhöhle, die zuletzt von Treitel erprobt^ 
als wirkungslos verworfen wurde. 

Ich selber experimentierte früher mit Papain Kens resp. 
Papayotin, das neuestens, seitdem Leyden in der Konferenz für 
Krebsforschung die auflösende Wirkung des Trypsins auf die 
Krebszelle konstatierte, von mehreren Autoren, insbesondere 
E. Bouchut, in der Therapie des Carcinoms empfohlen wurde. 
Tatsächlich fand ich in der physiologisch-chemischen Literatur 
eine Angabe, laut welcher bei der Papayotinwirkung reichliche 
Mengen der gleichen krystallinischen Spaltungsprodukte wie bei 
der Trypsinverdauung entstehen. Das Papain, übrigens das 
wirksame Prinzip einer Pflanze, Erica papaya, wurde auch zur 
Lösung diphtheritischer Membranen empfohlen; es erzeugt, in die 
Paukenhöhle injiziert, heftige Schmerzen und Temperatur- 
steigerung, und vertragen all diese Mittel nicht den Vergleich 
mit dem Thiosinamin resp. Fibrolysin Merck 's, dem eben eine 
ausgesprochene elektive Wirkung auf das Narbengewebe zukommt. 

Auch mit dem Adrenalin stellte ich Versuche an, von 
dessen Einbringung in die Paukenhöhle Hart mann bei hype- 
rämischen Formen der Otosklerose eine günstige Wirkung auf 
die Geräusche gefunden haben will. Von einer günstigen Wirkung 
konnte ich mich nicht überzeugen, während die subcutane An- 
wendung des Adrenalin in größerer Menge wegen eintretendem 
Nebennierendiabetes gefährlich ist. Die Funktion der Nebennieren 
hat allerdings zu dem Knochenwachstum Beziehung, so daß wir 
an eine Beeinflussung des bei der Otosklerose statthabenden osteo- 
porotischen Prozesses denken könnten. Empfiehlt doch der 
Gynaeologe Bossi bei Osteomalacie täglich subkutane Injektionen 
von V2 — 1 centigr der l^loo Adrenalinlösung und Katz faßt ge- 
wisse Formen der Osteoporose bei der Sklerose als direkt osteo- 
malacische auf. Die bei Adrenalininjektionen konstant eintretende 
Glycosurie, die Gefahr bei gelegentlich unbeabsichtigter intra- 
venöser Injektion (rapide Abmagerung, neben vasomotorischer 
Wirkung starkes Herzgift) contraindicieren die subkutane An- 
wendung dieses heroisch wirkenden Mittels. — 



über interne Behandlung des chronischen Mittelohrkatarrhes. 29 

Trotz mancher Widersprüche in der Literatur, wende ich 
bei der somatischen Untersuchung der Schildrüsengegend besondere 
Aufmerksamkeit zu, da ich das von Bloch begründete Erank- 
heitsbild von dysthyrer Schwerhörigkeit, obwohl dies Sieben- 
mann erst jüngst leugnete, für wissenschaftlich begründet erachte. 
Der Einfluß der Schilddrüse auf die Entwicklung des häutigen 
Labyrinthes ist noch nicht exakt widerlegt und wie die Diskussion 
auf dem 23. Kongresse für interne Medizin in München (April 
1906) beweist, ist die Beziehung der Schilddrüse zum allgemeinen 
Haushalt des Organismus weder in der Physiologie, noch in der 
Pathologie vollständig aufgeklärt. Hoenike in Greif wald wies 
experimentell nach, daß die Osteomalacie der Überschwemmung 
des Körpers mit übergroßen Mengen sonst normalen Schilddrüsen- 
saftes zuzuschreiben ist und finden wir bei der Osteomalacie 
häufig als Komplikation einen Kropf. Wie oben erwähnt, faßt 
Katz gewisse Formen der Osteoporose bei der Otosklerose als 
•direkt osteomalacische auf. Bloch betont wörtlich, daß wir in 
der Eegel nicht darauf angewiesen sind, die Diagnose der 
doppelseitigen Schwerhörigkeit nur aus der Gegenwart einer 
Struma allein zu stellen, doch genügt diese, wenn andere Ur- 
sachen für die durch die Untersuchung festgestellte nervöse Hör- 
störung fehlen. Die Funktion der Schildrüse ist selbst bei nur 
mäßiger Volumenveränderung nicht normal, ebenso wie die einer 
geschwollenen Leber oder Milz und die feinen Methoden sinnes- 
physiologischer Funktionsprüfungen können schon früher gering- 
fügige Alterationen aufdecken, noch ehe sie dem Kranken selbst 
fühlbar werden. In Fällen von endemischer Dysthyreose, finden 
vs^ir stets Struma oder Aplasie der Schilddrüse und die Hör- 
störungen bei Myxoedem und Cretins, gleichgültig ob durch 
toxische Akusticussneuritis oder Druckwirkung auf die großen 
Halsgefäße bedingt, sind durch Schilddrüsentabletten zur Aus- 
heilung zu bringen. Wir geben 2 Merck 'sehe Thyreoidintabletten 
(4 0.1), oder 2 Tabletten Tyroiden Knoll, event. englische Thyroid- 
tabloids (1 — 3 Stück langsam ansteigend) bei Erwachsenen zu 
0.3 pro Stück, bei Jugendlichen zu 0,1 des Tages. Nach Ein- 
nahme von 100 Stück Tabletten größere Pause, zurückgehen auf 
1 Stück per Tag, event. aussetzen, wenn Herzklopfen, Atem- 
beklemmung, Schwäche oder zu starke Abmagerung uns Warnungs- 
zeichen geben. 

In den Fällen doppelseitiger Schwerhörigkeit fand Bloch 
stets Herabsetzung der oberen Grenze der höheren Tonskala und 



30 VI. SUGÄR. 

demgemäß Störungen der Laute, in unkomplizierten Fällen Ver- 
minderung der Hördauer der auf den Scheitel aufgesetzten schwingen- 
den Stimmgabel. 

Die Erfolge, über die Eitelberg, Brühl und Ich mit An- 
wendung des Thyreoidin berichteten, gehören hieher und halte 
ich daran fest, die Schilddrüsenpräparate in geeigneten Fällen zu 
versuchen. Die Wirkung derselben ist wahrscheinlich auf das 
an organische Stoffe in der Schilddrüse gebundene Jod zurück- 
zuführen, weshalb die Firma Fried r. Bayer in Elberfeld das 
sog. Thyrojodin in reiner Form zur Darstellung brachte. Und 
damit wären wir bei der Jodanwendung angelangt, die seit jeher 
sich vieler Anhänger in der Therapie der Otosklerose erfreut Selbst- 
verständlich habe ich mich den neuem Jodpräparaten zugewandt, 
die bedeutende Vorteile über die alte Medikation mit Jodalkalien 
bieten. Was zunächst dasJothion betrifft, chemisch Jod wasser- 
stoffsäureester mit 70 Proz. Jodgehalt, soll es als 10 proz. Jothion- 
vaselin bohnengroß auf die Warzenfortsatzgegend eingerieben, im 
Sinne einer laienhaften Empfehlung von Berliner in Breslau, 
gegen Ohrensausen bei Sklerose wirken. Äußerlich kann es als 
20-— 50 prozentige Salbe mit Vaselin verwendet werden, von welcher 
ein Theelöffel voll nach Art der Schmierkur mit Quecksilber und 
im gleichen Turnus verrieben, zur Verwendung kommt Die voll- 
kommene Schonung des Verdauungstraktes bietet allenfalls einen 
großen Vorteil. Lockert einesteils die Fibrolysinbehandlung ab- 
norme bindegewebige Stränge im Mittelohr, so ermöglicht die 
forcierte Jodkur andererseits die rasche Resorption derselben. 

Ernster müssen wir uns mit dem Sajodin befassen^ das 
chemisch ein Calciumsalz der Monojodbehensäure, ein geruch- und 
geschmackloses weißes Pulver ist und nur 26 Proz. Jod enthält 
Es wird in Dosen von 1—3 gr. des^Tages nach den Hauptmahl- 
zeiten oder in Tabletten ä V2 gr^ dreimal des Tages stets 2 
Tabletten angewandt^ löst absolut keine unangenehmen Magen- 
erscheinungen aus, weil es im Magen unverändert bleibt und erst 
im alkalischen Darmsafte zur Spaltung gelangt. Bei einer durch 
Wochen oder Monate indizierten Jodmedikation, wie z. B. bei 
Otosklerose auf arteriosklerotischer Basis, ist das Sajodin, das 
drei Mal weniger Jod enthält als das Jodkali und daher weniger 
Gelegenheit bietet zum Ausbruch des Jodismus, als Fortschritt 
der Jodtherapie zu bezeichnen. Durch die mildere Jodmedikation 
scheint der Organismus eben eine größere Toleranz gegen Jod- 
präparate gewinnen zu können. 



über interne Behandlung des chronischen Mittelohrkatarrhes. 31 

Endlich das Jodipin bat den Vorzug subkutan einverleibt 
werden zu können, wodurch es nur allmählich zur Resorption 
gelangt und ist nach Lesser von den vielen neuen Jodeiweiß- 
und Jodfettpräparaten das Einzige, welches keinen Jodismus er- 
zeugt. Man injiziert nach Pinkus in den Bücken beiderseits 
neben der Wirbelsäule oder in das Gesäß Anfangs 1 ccm der 
lOprozentigen Lösung zweimal wöchentlich bis täglich, steigt bis 
auf 2 — 5—10—20 ccm des stärkeren (25 Proz.) Präparates. Die 
größeren Olquanten werden mit einer 20 ccm fassenden Ultz- 
mann'schen Spritze eingeführt, auf die eine Stahlkanüle von 
dem Kaliber der für Serumeinspritzungen paßt. Das dickflüssige 
stärkere Präparat muß kurze Zeit vor der Benutzung in warmes 
Wasser gestellt werden, wodurch es dünner und leichter injizier- 
bar wird. Eventuell können wir uns des von Pelizaeus an- 
gegebenen, durch Evers und Pistor in Cassel konstruierten 
Erwärmungsapparates bedienen, oder die von Strauß beschriebene 
Federdruckspritze zur Injektion verwenden. 

Die Jodpräparate verdienen bei Otosklerosen auf arterio- 
sklerotischer Basis ausgedehnte Anwendung. Vertrauen verdient 
noch bei diesen Formen der Sklerose, das insbesondere von fran- 
zösischen Autoren gerühmte Mittel Tr u n e c z e k's, ein anorganisches 
Serum bestehend aus einem Gemisch mehrerer Alkalisalze, die 
normaler Weise im Blutserum vorkommen. Die Injektionen da- 
mit werden subkutan am Oberarm mit Vs Pravaz gemacht, man 
wiederholt die Einspritzung nach 2 — 7 Tagen, steigert die Dosis 
jedesmal um 0.5—1.0 ccm und bleibt bei 5 ccm stehen. Pariser 
Arzte geben das Mittel auch intern. Rp. Natr. chlor. 10.0, Natr. 
sulfnr. 1.0, Calc. phosphor. 0.4, Magn. phosphor, Natr. carbon. 
ana 0.4, Natr. phosphor. 0.3 Div. in partes =«No. 12. Täglich 
1 — 3 Pulver 2 — 3 Wochen zu nehmen. Auch bei dieser Be- 
handlung werden wir der mechanischen Prozeduren nicht ent- 
raten können. 

Bei konstatierter rheumatischer Diathese verwende ich 
Einreibungen mit Mesotan (ein Salicylester) 10.0 auf 30.0 
Vaselin flav. oder mit Olivenöl (1 : 2) gemischt und öfterem Wechsel 
der Applikationsstelle, event. warme Solbbäder, Trinkquellen in 
Carlsbad, Salzschlirf, Wiesbaden, in Ungarn: Szovata, Vizakna, 
Bäzna, in allen Fällen Gebirgsaufenthalt. 

Bei luetischer Grundlage verdient zunächst wegen ihres Vor- 
zuges der Reinlichkeit und ünauffälligkeit aus Gründen diskreter 
Behandlungsweise das farblose, nicht schmutzende üng. Heyden, 



32 VI. SUGÄIi. 

eine mit 45 Proz. Calomelöl und Zusatz von 2 Proz. metallischem 
Quecksilber hergestellte Salbe, in der üblichen Dosis von 6 gr. 
pro die als Schmierkur den Vorzug. Als Nachbehandlung event. 
die Rico rd' sehe Mischung, vereinfacht von Penzoldt: ßp. 
Hydrarg. bijodat 0.1—0.2, Kali jodat. 10.0, Aq. destill, ad 300.0 
MDS. dreimal tägl. 1 Eßlöffel mehrere Wochen lang zu nehmen. 
Bei Syphilis hereditaria tarda das sehr praktische Rezept von 
Lieven: Rp. Kalii jodati 30.0, ferri citr. ammonii 4.0, Strychnin 
nitr. 0.02, Elaeosacch. menth. piper. 5.0, aq. flor. aurant. ad. 120.0 
MSt. 1 Theelöffel (= 1.0 Jodkali) dreimal tägl. in Wasser zu 
nehmen. — Zur subkutanen Behandlung luetischer Höraffektionen 
eignet sich das Rezept von F. Pincus: Rp. Hydrarg. cyanat 1.0, 
Cocal'n mur. 0.6, aq. destill, ad 100.0 S. Injektionen 1 — 2 ccm. 
pro Tag, selten mehr. 

Vollkommen schmerzlose Injektionen sichert die Kombination 
Th. Mayers aus Lassars Klinik: Rp. Hydrarg. cyanat 1.0 solve 
leni calore in aq. rec. destill, cont. Acid. boric. 1 o/o refrigera 
adde: Acoini (Heyden) 0.4 solve in aq. destill, frigid, cont. Acid. 
boric. 1 ö/o 70.0 MD. in vitr. fusco S. 2 resp. 1 ccm zu injizieren 
(in das lockere Bindegewebe beiderseits neben der Wirbelsäule 
oder intramuskulär in stets wechselnden Stellen der glutealen 
Muskulatur). 

Bei allen diesen Injektionen ist peinlichste Sauberkeit der 
Nadel durch Aufheben in Paraffinum liquidum enthaltener 
Soyka'scher Schale und nach jeder Anwendung Durchspritzung 
der Nadel mit Paraffin notwendig, eventuell Auskochen der 
Nadel in einer Eprouvette über dem Spiritusbrenner. Bei Be- 
achtung dieser Kautelen und Reinigung der Hautstelle mit Seife, 
Rasiermesser, Spiritus, Sublimat, Äther nacheinander, smd die 
von E. ürbantschitsch bei Fibrolysininjektionen beobachteten 
lokalen Komplikationen leicht zu vermeiden. Größere Infiltrate 
nach der Injektion verlieren sich unter Anwendung feuchter 
50 Voiger Spiritusverbände. Bei subkutanen Injektionen soll 
übrigens die Nadel zur Vermeidung eines geraden Stichkanales 
mit ein r gewissen seitlichen Verschiebung herausgezogen werden, 
die Stelle leicht gerieben, passive Bewegungen ausgeübt und der 
Einstichsort mit einem Zinkpflaster bedeckt werden, damit die 
Flüssigkeit nicht wieder herausfließt. 

Bei Otosklerose auf leukämischer Basis werden wir schließ- 
lich das Atoxyl, ein Metaarsensäureanilid, das 20 Mal weniger 
giftig ist als die arsenige Säure, in Form subkutaner oder intra- 



Über interne Behandlung des chronischen Mittelohrkatarrhes. 33 

muskulöser Einspritzung (Interscapulargegend resp. Nates) an- 
wenden und zwar jeden zweiten Tag 0.2, später zweimal 
wöchentlich dieselbe Dosis. Gleichwohl ist das Mittel nur unter 
steter Kontrolle anzuwenden, da der Fall Bornemanns von 
Sehnervenatrophie nach Atoxylgebrauch, wohl infolge Summation 
der Reize von Arsen und Anilin beim Medikament, zur Vorsicht 
mahnt. Die längere Darreichung von Phosphor gegen Oto- 
sklerose, insbesondere in den von Sporleder gerühmten hohen 
Gaben, werden wir auf Grund meiner obzitierten Arbeit ver- 
meiden und lieber Phytin, das derzeit reichste organische Phos- 
phorpräparat darreichen. Wenn K atz, wohl im Anschlüsse an meine 
Anregungen erklärt, daß er das an organischen Phosphorverbin- 
dungen reiche deutsche Präparat ^Sanatogen" für zweckmäßig 
hält, glaube ich erwidern zu müssen, daß bei der Empfehlung eines 
Mittels nationale Gründe nicht lediglich ausschlaggebend sein können. 

Ich muß endlich noch auf einige symptomatisch wirkende 
Mittel hinweisen. Die Empfehlung von Knopf in Frankfurt 
a. M. Valyl 3 — 9 Kapseln zu 0.125 Grm. täglich gegen das 
Sausen zu verordnen, hat nur zur Folge, daß die Verdauung arg 
geschädigt wird. Besser wird das von Riedel in Berlin in den 
Handel gebrachte Bornyval vertragen, das ebenfalls ein 
Baldrian präparat , Isovaleriansäureester des Borneols ist, jedoch 
nur gegen den Schwindel und der bei Otosklerotikem oft vor- 
handenen psychischen Depression wirksam erscheint. 

Gegen das Sausen wirkt oft das Bromipinum solidum 
saccharatum in Tablettenform von M erck; sie enthalten pro Stück 
1.2 Grm. 33 Vs Brom, entsprechend 0.4 Grm. Brom oder einen 
Teelöffel 10 o/o öligen Bromipin, welch letzteres wegen seines 
Geschmackes vielen widersteht Wenn wir mit der Fibrolysin- 
behandlung die Sistierung des Sausens nicht erzielen, leistet die 
interne Therapie mit Bromipintabletten gute Dienste, worauf ich 
bereits in meiner ersten Arbeit über Thiosinaminbehandlung in 
diesem Archive hinwies. Nur nebstbei will ich noch bemerken, 
daß ich mich betreff der letzteren ebensowenig in Prioritäts- 
streitigkeiten einlassen will, wie mit Gerber, der in seiner 
Beobachtung über Encephalitis et Otitis grippalis in diesem 
Archive meine ebenda erschienene vollständig analoge auf Jahre 
zurückdatierbare Arbeit „Über Erkrankung des Hörorganes bei 
Influenza cerebralis*' übersah, oder mit Hermann, der ein 
Eeferat über den Moniere 'sehen Symptomenkomplex liefert und 
sich über meine vorausgegangene Arbeit in geringschätzender 

Archiv für Obrenlieilkande. 73. Bd. Festschrift. 3 



34 VI. SUGÄR. 

Weise ausläßt, wohl weil ich in dieser seine vorherigen Aus- 
führungen als „wortreiche Schlüsse^ bezeichnete, worin übrigens 
meinerseits nur eine objektive Kritik gelegen ist. Es genügt mir 
eben, daß die Tatsachen für mich sprechen. 

Es erübrigt mir noch, auf die interne Behandlung jener be- 
sonders vorgeschrittenen Fälle von Otosklerose zurückzukommen, 
die bereits ausgesprochene Akustikusanästhesie zeigen. 

Sollen wir den weiblichen Nachkommen dieser unglücklichen 
Patienten im Sinne der Vererbungstheorie Körners die Ehe 
verbieten oder etwa ihren Opfermut anrufen, daß sie wie die 
Mädchen von Tenna in Graubünden, wo die Hämophilie endemisch 
vorkam, den Kampf freiwillig aufnehmen und der Ehe in der 
Absicht die Krankheit auszurotten, entsagen? Keineswegs, doch 
werden wir in solchen Familien allenfalls prophylaktisch zu 
wirken haben, durch Verbot prolongierten Stillens, Vermeidung 
von abundanten Blutungen bei Geburten , sorgfältige Behandlung 
von Nasenaffectionen, frühe Behandlung der Initialfälle und den 
übrigen bekannten Maßnahmen. In Fällen von ausgesprochenen 
Degenerationen und Atrophien des Hörnerven und seiner Zell- 
elemente im schallempfindenden Apparate, wie sie Manasse und 
Alexander bei chronischer progressiver Taubheit beschrieben, 
werden wir auch nicht weiter, etwa wie die Oculisten bei Seh- 
nervenatrophie mit Strychnininjektionen und Elektrizität ex- 
perimentieren dürfen, sondern uns die ethisch warmempfundenen 
Worte des erblindeten, jüngst erst durch intercurrente Krankheit 
verstorbenen berühmten Pariser Oculisten Emile Javal vor 
Augen halten, die er in ergreifender Weise in seinem Werke 
„Entre Aveugles*^ (Im Reiche der Blinden) den Ärzten an das 
Herz legt: „Viele Blinde erheben bittere Klage über die ärztliche 
Behandlung, deren sie zu teil werden. Mit flehender Stimme 
wende ich mich an meine Kollegen, der Versuchung zu wider- 
stehen und nicht jenes human genannte, doch im Wesen 
barbarische Verfahren zu befolgen: eitle Hoffnung bei diesen 
blinden an Sehnervenatrophie leidenden Patienten zu erwecken, 
sie mit Strychnineinspritzungen hinzuhalten, zu vertrösten, denn 
wenn wir ihnen Heilung versprechen, verhindern wir, daß sich 
ihre Lebensweise, ihr Organismus, je eher dem tristen Fait accompli 
der Erblindung anpasse. . . . Auch mir wäre es lieber gewesen, wenn 
man mich sofort in mein trauriges Schicksal eingeweiht hätte." 

Möchten doch diese schönen Worte auch bei unseren Fach- 
kollegen endlich Widerhall finden! 



über interne Behandlung des chronischen Mittelohrkatarrhes. 35 



Llteratnr : 

Grunert, Münchner med. Wochenschrift 1904 Nr. 4 u. Archiv f. Ohren- 
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Grunert-Schwartze, „Grundriß der Otologie" 1905, Leipzig, S. 344. 

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CuUough, Internat Zentralbl. f. Ohrenheilkunde Bd. III, Nr. 7, S.265. 

Kassel, Zeitschrift f. Ohrenheilkunde L. Band, 1. Heft. 

Lucae, Monatsschrift f. Ohrenheilkunde 1906, 8. Heft (Sitzung der Ber- 
liner otol. Gesellsch. 18. Febr. 1906. 

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scl^reuse Revue hebd. de laryngol. Paris 1906 ä 701 — ^707. 

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Torök , Jelentös fülgyögyäszati rendel6seiröl 1903 — 1905,Orvo8i Hetilap 
1906 (ungarisch). 

Jörnen -Möller, Internat Zentralbl. f. Ohrenheilkunde Bd. IV, Heft 7; 
Sugär, „Orvosi Zsebnaptär ^*s Közikönyv 1907. 

Katz, Archiv f. Onrenh. Bd. LXVIII. Sog. Otosclerose der Katze. 

Denker, Die Otosclerose, Wiesbaden bei Bergmann. Die Ohrenheil- 
kunde der Gegenwart etc. IV. 

Sugär, Archiv f. Ohrenheilkunde: „Über Phosphorbehandlg. der Oto- 
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A. E. Maupetit, Th^se de Bordeaux 1906, zitiert bei Möller, Internat 
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S. 151, 1905. 

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1906. 

Lermovez-Mahu, ibidem, September 1906, Tome XXXII. 

Max Weiss, Wiener med. Wochenschrift 1907, 7: „Über eine neue 
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H. Neumann, Deutsche med. Wochenschrift 1906, Nr. 15, S. 571 und 
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Tr eitel, Archiv f. Ohrenheilkunde XLIII 2 u. 3 p. 201, 1897. Deutsche 
otol. Gesellsch. 1897. 

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Deutsche med. Wochenschrift 1906, 41, S. 1683. 

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70. Band, 1.— 2. Heft 

Hoenike, zitiert bei Krokiewitz: „Myroedema f rüste", Klinisch-ther.- 
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Brühl, Monatsschrift f. 0. 1897, XXXI, 1, p, 6; Eitelberg, Wiener 
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Sugär, Ungar, med. Presse IV, 34, 35, 1899 und Gyogyäszat (ung.) 1899 
mehrere Nummern. 

Joseph und Schwarzschild, „über das Jothion*, Deutsche med. 
Wochenschrift 1905, Nr. 24. 

Lesser, Fr., „Zur Kenntnis und Verhütung des Jodismus", Deutsche 
med. Wochenschrift 1903, 46. 

3* 



36 VI. SÜGAR. Über interne Behandlung des chron. Mittelohrkatarrhes. 

Pinkus, F., Technik der Jodipinjektion^, Med. Klinik 1905, Nr. 8. 

Mayer aus Prof. 0. Lassars Klinik: ^Über Sajodin**, Dermat. Zeit- 
schrift Nr. 3, 1906. 

Pelizaeus, Technik der Jodipininjektionen, Deutsche med. Wochen- 
schrift 1905, Nr. 16. 

Strauss, M&nchner med. Wochenschrift 1904, S. 1519. 

Trun ecz ek, Wiener med. Wochenschr. 1905, 22—24; Schober, „Pariser 
Brief**, Deutsche med. Wochenschrift 1902, Vereinsbeilage S. 236. 

Pinkus, „Die spezielle Behandlung der S3rphilis'*, Deutsche Klinik 
Bd. 10, S. 573. 

Th. Mayer (Lassars Klinik): „Über schmerzlose Injektion löslicher 
Quecksilbersalze'^, Deutsche med. Wochenschrift 1906, Nr. 41, S. 1167. 

Bornemann, „Ein Fall von Erblind, nach Atoxylinjektion**, Münchner 
med. Wochenschsift 1904, Nr. 22, S. 1040. 

Katz , locus citat Arch. f. 0. Bd. 68 u. Monatsschrift f. 0. 1906, 8. Heft 

Knopf, Münchner med. Wochenschrift 1906. 53. Jahrg., Nr. 17. 

Gerber, Archiv f. 0. 66. Band, 1.— 2. Heft: Sugär, Archiv f. 0., 
XLIX. Band. 

Hermann, Internat. Zentralblatt f. Ohrenheilk. Bd. IV, Heft 9. 

Sugär, Archiv f. Ohrenheilkunde LXUI. Band. Heermann, Bresgeus 
Sammlung Bd. V, H. 3, 10—12 und Bd. VH, Heft 1—2. 

Korner, Zeitschrift f. Ohrenheilk. Bd.L, 1, S. 98. 

Manasse, Versamml. der Deutsch, otol. Gesellsch. in Homburg v. d. 
Höhe Juni 1905, Deutsche med. Wochenschrift 1905, Nr. 27, S. 1094. 

Alexander, Archiv f. Ohrenheilkunde Bd. 69, S. 95: „Zur Frage der 
progressiven Schwerhörigkeit etc.". 

Jawal, „Entre Aveugles" Paris 1906. 



VII. 



Die ausbleibende Grannlationsbildnng 
nach der Anfmeisslung des Warzenfortsatzes. 



Von 

weil. Dr. Zeroni, Karlsruhe.*) 



Die Aufmeißlung des Warzenfortsatzes, eine Operation, deren 
Einführung in die ohrenärztliche Praxis eines der hervorragendsten 
Verdienste unseres verehrten Jubilars und Meisters Schwartze 
ist, hat heute eine Verbreitung erlangt, die wohl der Erfinder 
selbst früher nicht vermutet hat. Dieser Eingriff ist bei akuten 
Mastoiditiden ein eminent segensreicher geworden und nimmt den 
gefährlichen rapid verlaufenden Mittelohreiterungen ein gut Teil 
ihrer Schrecken, sowohl rasch und sicher die Schmerzen der 
Patienten lindernd, als auch die Gefahr der intrakraniellen Kom- 
plikationen behebend und endlich die Wiederherstellung der nor- 
malen Funktion fast gewährleistend. Durch diese Operation sind 
wir aber auch in der Erkenntnis der Pathologie der Otitis be- 
deutend fortgeschritten und dies ist wieder auf die Anwendung 
der Operation nicht ohne Folgen geblieben. Im Vergleich zu 
damals entschließen wir uns heute nicht nur häufiger, sondern 
auch leichter und in früheren Stadien der Erkrankung zur Auf- 
meißlung, die anfangs der vermeintlichen damit verbundenen 
Gefahren halber nur für ganz schwere Fälle aufgespart wurde, 
nachdem wir gelernt haben, die Gefahren zu umgehen, und es 
gelingt oft durch rechtzeitige Erkennung und Beseitigung gefahr- 

1) Anm. Die Arbeit des inzwischen verstorbenen Verfassers ging 
ein am 31. März, kurze Zeit vor seinem Tode, den er dem Nachruf im 
Band 71 S. 319 zufolge gesucht und gefunden hat. 



38 VLL ZERONI. 

drohender pathologischer Prozesse die weitere Ausbreitung der Ent- 
zündung zu verhindern und schwere Erkrankungen zu verhüten. 
Während nun die Indikationen zur Operation alimählich bedeutende 
Erweiterungen gegen früher erfahren haben, ist die Operations- 
technik diesselbe geblieben. Bis auf den heutigen Tag wird die 
Operation überall im Wesentlichen in derselben Weise ausgeführt, 
wie sieSchwartze bereits in seinen ersten Veröffentlichungen ^) 
und in seinem weitverbreiteten Lehrbuch in mustergültiger Dar- 
stellung angegeben hat. Dagegen ist eine natürliche Folge der 
häufigeren Ausführung der Operation, daß deren Resultate kritischer 
beurteilt werden. Während früher, als fast nur in ganz schweren 
Fällen oder erst bei indicatio vitalis zum Meißel gegriffen wurde, 
der Erfolg der Operation in kosmetischer Beziehung ganz in den 
Hintergrund trat, legen wir heute Wert darauf, auch in letzterer 
Beziehung befriedigende Resultate zu erreichen. Während man 
sonst eine breite tiefe Narbe, ja selbst eine permanente trockene 
retroaurikuläre Öffnung, leichter mit in den Kauf nahm, richten 
wir heute, wo wir auch leichtere Fälle opferen als früher, viel 
mehr unser Augenmerk darauf, mit der Heilung den normalen 
Verhältnissen möglichst nahe zu kommen, wozu auch gehört, daß 
von dem Eingriff späterhin wenig oder gar nichts mehr zu sehen 
sein soll. Es muß nun gleich bemerkt werden, daß die dahin 
gehenden Bestrebungen recht wenig Fortschritte gezeitigt haben. 
Wie die Technik der Operation, so ist auch die der Nachbehand- 
lung im Wesentlichen dieselbe geblieben. Erhebliche Verbesserungen 
hat die lange Zeit operativer Erfahrung nicht hervorgebracht und 
die Resultate sind infolgedessen in jeder Beziehung die. gleichen 
geblieben, wie früher und wesentlich vom Zufall abhängig. In 
der neueren Zeit ist sogar über Fälle berichtet worden, in denen 
die Erfolge in vieler Hinsicht nicht allein in Bezug auf die 
Kosmetik sondern auch auf die vollständige Heilung hinler den 
früher verlangten und erreichten Resultaten zurückblieben. Ich 
habe dabei die Fälle im Auge die Hof mann. Winkler, Gerber, 
mitgeteilt haben, (Literaturangabe S. 41 u. 42), bei denen die Opera- 
tionswunde wenig oder gar keine Heilungstendenz zeigte und 
schließlich offen blieb. 

Ich bin in der Lage diesen Fällen weitere aus meiner Praxis 
hinzufügen zu können. Es seien hier die Krankengeschichten in 
aller Kürze mitgeteilt: 

1) Schwartze u. Eysell A. f. 0. 7, S. 171. Schwartze, Kasuistik d. 
chir. Eröffnung des Warzenfortsatzes A. f. 0. Bd. 10—14. 



Die ausbleib. Granulationsbild, nach der Aufmeißlung d. Warzenfortsatzes. 39 

Fall 1. Ein 13 jähriges gesundes Mädchen erkrankte nach Angina an 
rechtsseitiger Otitis media. Nach 2 Tagen Durchbruch des Trommelfells. 
Profuse Sekretion. In den folgenden Tagen noch leichte Temperatur- 
erhöhungen, Druckempfindlichkeit des Warzenfortsatzes, zunehmendes Ödem. 
18 Tage nach dem Durchbruch Aufmeißelung, da die Symptome der 
Mastoiditis zunahmen. Eiteransammlung in den hinteren oberen Zellen und 
in der Spitze. Knochen gegen das Antrum zu stark erweicht und z. T 
schon zerstört. Ausgedehnte Ausschabung. Nur Näthe in den untersten 
Wundwinkel, die Knochenwunde bleibt weit offen. Tamponade. 

In den folgenden Tagen sistierte die Sekretion aus dem Gehörgang 
vollständig. Die Trommelfellperforation schloß sich nach ungefähr 8 Tagen. 
Der Knochen bedeckte sich innerhalb der ersten 8 Tage mit schönen roten 
Granulationen. Die Sekretion aus der Wundhöhle nahm rasch ab Doch 
zeigte die Granulationsbildung fast keinen Fortschritt. Nach 4 Wochen lag 
die Wundhöhle noch so frei, wie beim ersten Verbandwechsel, die Dicke 
der Granulationsschicht hatte nicht zugenommen und auch an Seiten der 
Wandränder fehlte jegliche Granulationsbildung. Nach 2 Monaten versiegte 
die Sekretion aus der Wundhöhle fast ganz, ohne daß eine wesentliche Ver- 
änderung eintrat. Die Epidermis wanderte an den Wundrändern her langsam 
in die Tiofe des weit offenen Knochentrichters. Es wurde nun versucht 
durch Einstreuen von Itrol die Granulationsbildung in Gang zu bringen; 
dies hatte auch einen gewissen Einfluss, so dass sich danach wenigstens in 
dem oberen und unteren Wundwinkel etwas Granulationspolster entwickelte. 
Die Itrolbehandlung hatte aber auch eine Zunahme der Sekretion zur Folge. 
Die Sekretion war indes immer serös-schleimig, nie eitrig. Nach 3 Monaten 
war der Befund folgender: Nach außen hin sind die Ränder der Knochen- 
höhle mit Epidermis bekleidet, die fast direkt dem Knochen aufliegt und 
sich so etwa bis in Mitte der Höhle fortsetzt. Hier spannt sich nach Art 
eines Diaphragma eine dünne Schicht Epidermis über den tiefsten Teil des 
Wundtrichters, diesen so nach außen abschließend. In der Mitte dieser 
Diaphragmas befindet sich eine erbsengroße Öffnung, durch die man in 
eine weite Höhle sieht. In dieser Höhle bildeten sich mannigfache fibröse 
Stränge, die von Zeit zu. Zeit mit Lapis zerstört wurden. Die Menge des 
Sekretes, das sich aus der Öffnung entleerte, schwankte je nach der jeweiligen 
Behandlung, war aber nie bedeutend. Das Sekret war stets hell, faden- 
ziehend. Die Paukenhöhle blieb stets ganz unbeteiligt, das Gehör normal. 

Dieser Zustand blieb längere Zeit konstant. Dann wurde von einem 
auswärtigen Kollegen, in der Annahme, daß noch kranker Knochen in der 
Tiefe vorhanden sei, das Diaphragma eingeschnitten, die Tiefe des Wund- 
trichters ausgekratzt und mit der Freise etwas Knochen entfernt. Das 
Resultat war, daß sich die Epidermis noch tiefer in die Wundhöhle hinein- 
legte, so daß nun fast die ganze Operationshöhle mit Epidermis ausgekleidet 
frei zutage liegt. Im Grunde des Trichters, gegen das Antrum zu, blieb 
eine leicht sezeraierende Fistel bestehen. 

Fall 2. Ein 5 jähriges Mädchen hat kürzlich Pneumonie unh Pleuritis 
durchgemacht uud sich einer Rippenresektion unteraiehen müssen, die noch 
im Heilungsstadium ist. Das Kind erkrankte an linksseitiger Otitis nach 
Angina. Sofort Symptome von Beteiligung des Warzenfortsatzes. Zu- 
nehmendes Ödem, hohes Fieber, starke Schmerzanfälle, Erbrechen, Appetit- 
Josigkeit. Nach 8 Tagen Aufmeißlung. Es fand sich ein Durchbruch 
über der Linea temporalis, Eiteransammlung hier zwischen Periost und 
Knochen. Eiter in den oberhalb des Antrums und in der oberen Gehör- 
gangswand gelegenen Zellen. In den Spitzenzellen seröses Sekret. Im Antrum 
franulöse Schleimhaut. Ausgedehnte Freilegung und Ausschabung. Nath 
es obersten Wundwinkels. Die Sekretion aus dem Gehörgang versiegte 
erst nach 3 Wochen. Das Sekret aus der Wunde blieb längere Zeit sehr 
profus, nahm aber späterhin allmählich ab. Indes es trat keine ordentliche 
Granulationsbildung auf. Die Epidermis schob sich über die Wundränder 
und es blieb schließlich ein tiefer Trichter bestehen, dessen innerster Teil 
mit glatten roten Granulationen ausgekleidet ist und dessen Spitze in das 
inreit offene Antrum führt. Der äußere Teil des Trichters ist mit Epidermis 



40 VII. ZERONI. 

bekleidet und läßt die knöchernen Ränder der Operationshohle gut erkennen. 
Die Sekretion aus dem Antrum ist spärlich, hell, fadenziehend, schwankt 
für gewöhnlich in geringen Grenzen. In Anschluß an Erkältungen ist die 
Sekretion mitunter stärker und führt leicht zu Entzündungen der in die Wund- 
höhle eingewanderten Epidermis, geht aber bald wieder zur Norm zurück. 

Den folgenden Fall habe ich nicht von Anfang an behandelt. 
Hier habe ich den Versuch gemacht, die Höhle operativ zu schließen. 

Fall 3. Ein 9 jähriges Mädchen, sonst stets gesund, ist im 3. Lebens- 
jahre von einem Kollegen wegen linksseitigem retroaurikulärem Abszeß 
aufgemeißelt worden. Die Wunde heilte nicht, obwohl das Kind stets iu 
Behandlung, blieb. Es wurden 4 Mal in Narkose Auskratzungen ohne 
Erfolg vorgenommen. Nach Angabe der Eltern soll das Loch hinter dem 
Ohre nach jeder Operation größer geworden sein. Das Resultat war fol- 
gender Befund, den ich bei meiner ersten Untersuchung feststellte. Hinter 
dem linken Ohr eine große tiefe Höhle, deren Umfang einer ausgedehnten 
Auf meißlungs wunde entspricht. Der Rand der Höhle ist nach außen von 
eingewandertem Epithel bedeckt, in der Tiefe sind glatte rote Granulationen. 
Das Antrum, im tiefsten Ende des Trichters liegend, ist weit offen. Von 
hier kommt ziemlich reichlich Eiter. Die knöcherne hintere Gehörgangs- 
wand ist vollständig erhalten, in der Tiefe auf Sondierung schmerzhaft. 
Hörweite für Flüstersprache: 0,50 m. Trommelfell intakt. 

Ich vermutete hier der noch bestehenden stärkeren Eitening wegen, 
daß pathologische Prozesse in der Umgebung des Antrum vorhanden seien, 
und entschloß mich zur vollständigen Wegnahme der hinteren Gehörgangs- 
wand und daran anschließend zum plastischen Verschluß des Defektes. Das 
Trommelfell und die Gehörknöchelchen wollte ich womöglich erhalten. 
Letzteres gelang nicht, da durch eine unvorsichtige Bewegung des assistieren- 
den Kollegen der Ambos luxieit wurde. Ich nahm deshalb auch den 
Hammer heraus. Die hintere Gehörgangswand wurde vollständig entfernt, 
ohne daß sich irgendwo eine sichtbar erkrankte Knochenpartie zeigte. Nach 
vollständiger Freilegung wie bei der Totalauf meißlung Ausschabung und 
Plastik aus der hinteren Gehörgangs wand nach Pause. Dann wurden die 
Ränder der retroaurikulären Wunde losgelöst, angefrischt und vernäht. Im 
untersten Wundwinkel blieb eine kleine Öffnung zur Drainage. Die letztere 
war sehr notwendig gewesen, da- die Sekretion in der ersten Zeit na^h der 
Operation eine sehr starke war. Erst nach 6 Wochen wurde die retro- 
aurikuläre Drainage entbehrlich. Das Resultat war kein ganz befriedigen- 
des. Die Überhäutung der Wundhöhle gelang nicht vollständig, Pauken- 
höhle und aditus blieben ohne Epidermis und sezernierten noch etwas. 
Die Drainageöffnung verheilte nicht ganz und wanderte merkwürdigerweise 
vom untersten Wundwinkel, in dem sie angelegt war, langsam nach oben, 
so daß schließlich etwa in der Mitte der sonst fest und glatt gewordenen 
Narbe, die übrigens im Niveau der umgebenden Partien blieb und nicht 
einsank, eine etwa erbsengroße Perforation bestehen blieb. Trotzdem ist 
das Resultat in kosmetischer Hinsicht im Vergleich mit dem früheren Stande 
ein ganz zufriedenstellendes. 

Diese Fälle zeigen sämtlich die merkwürdige Erscheinung, 
daß eine Neigung zum Verschluß der Wunde, welcher Vorgang 
normaler Weise durch Granulations Wucherung vor sich geht, nicht 
vorhanden war. Und ich möchte vor allem betonen und voraus- 
schicken, daß dies die fundamentale Eigentümlichkeit ist, die diese 
Fälle von anderen unterscheidet. Denn wir müssen diese Fälle 
streng von den sonstigen nicht heilenden Knochenwunden ge- 
trennt halten, wie sie jeder, der schon viel operiert hat, zweifellos 
schon öfters erlebt hat, bei denen die Ursache der ausbleibenden 



Die ausbleib. Granulationsbild, nach der Aufmeißlung d. Wai-zenfortsatzes. 41 

Heilung ausschliesslich in zurürckgebliebenen Krankheitsherden^ 
entweder infizierten Knochenpartien oder nichtexstirpierten kranken 
Zellen liegt. Daß wir es mit zwei ganz verschiedenen Prozessen 
zu tun haben, lehrt die oberflächlichste Vergleichung solcher Fälle 
mit den eben beschriebenen auf den ersten Blick. Dort starke 
Eiterung und gewöhnlich stark vermehrte Granulationsbildung, 
sogar entschiedene Tendenz der Wunde zum Verschluß, dem ent- 
gegen gearbeitet werden muß, die Wunde schließt sich auch 
öfters und bricht dann wieder auf, das Resultat eine feine Fistel 
die auf den Krankheitsherd führt, — hier spärliche Sekretion, 
deren Abfluß aus der weit offenen Höhle in keiner Weise be- 
hindert ist, und kein Wachstum der Granulationen, auch nicht 
nach Weglassung der Tamponade. Und das wichtigste Unter- 
scheidungsmerkmal, im ersten Falle tritt nach Entfernung des 
kranken Herdes oft nach einmaliger leichter Ausschabung schnell 
Heilung und Verschluß der Wunde ein, im anderen Falle wird 
durch solche »Eingriffe das Uebel nur größer, die Granulations- 
bildung geht nicht besser vor sich, als früher und je mehr Knochen 
man wegnimmt, um so mehr vergrößert sich die Höhle. Die 
Epidermis wächst mangels einer geeigneten Unterlage nicht über 
die Wunde, sondern m dieselbe hinein. Was wir bei der Total- 
aufmeißlung erzielen und mit aller Mühe oft nur erreichen, tritt 
hier gegen unseren Willen von selbst ein, ein dünner Epidermis- 
überzug bedeckt den freiligenden Knochen. Oft gelangt auch die 
Epidermis nicht ganz bis in die Täefe, es bleibt ein rotes Granu- 
lationspolster unbedeckt und von außen sichtbar, und die natür- 
liche Folge ist eine bleibende geringe Sekretabsonderung, die wenn 
auch das Antmm nach außen zu offen bleibt, wie in allen unseren 
Fällen, dadurch noch vermehrt wird. Das Endresultat ist auf jeden 
Fall für den Patienten ein sehr ungünstiges, schon der Entstellung 
halber, besonders aber auch deshab, weil die Wunde stets secerniert, 
durch einen kleinen Verband ständig bedeckt werden muß und 
trotzdem der Gefahr einer Neuinfektion von außen ausgesetzt bleibt. 
Diese mangelhafte Heilung durch ausbleibende Granu- 
lationsbildung scheint nun etwas äußerst Seltenes zu sein. 
In der Literatur finden wir nur ganz vereinzelte Berichte 
darüber. Ich kann nur die von Hofmann 0? Winkler, '^) 

1) Hof mann, Über das Zurückbleiben von offenen epithelisierten 
Knochenhohlen nach der Trepanation des Warzenfortsatzes. Deutsche med. 
Wochenschrift 1892, Nr. 6. 

2) Winkler, Verh d. Deutsch, otol. Ges. 1904 S. 133. 



42 VII. ZERONI. 

Gerber 1), beschriebenen Fälle, die mit den meinigen Ähnlich- 
keiten haben, namhaft machen. Ich selbst habe außer den er- 
wähnten drei Fällen keine gesehen und es ist mir besonders aus 
meiner langjährigen Assistentenzeit an der Hallenser Klinik kein 
derartiger Fall in Erinnerung. 

In Körners 2) Werk, in dem die operative Technik und 
Nachbehandlung in erschöpfender Weise dargestellt sind, findet sich 
keine Andeutung von dem Vorkommen einer solchen Abnormität, 
auch Heine 3), der in der neusten Auflage seiner Operationslehre 
die Störungen der Heilung und die Ursachen deren Verzögerung 
eingehend bespricht, kennt keinen ähnlichen Fall. Die gewöhn- 
liche Ursache solcher literarischen Seltenheiten, die geringe Nei- 
gung der Autoren zur Veröffentlichung wenig erfreulicher Opera- 
tionsresultate, kann hierbei nicht allein die Schuld tragen. Die 
große Seltenheit solcher Vorkommnisse ist zwar auffallend, aber 
tatsächlich vorhanden, sehen wir doch, daß diese Fälle, in ein- 
zelnen großen Beobachtungskreisen anscheinend vollständig fehlen. 
Dies überraschende Ergebnis regt um so mehr an, nach der Ur- 
sache zu forschen und zum Ausgangspunkt der Untersuchung ist 
es notwendig, den normalen Vorgang der Heilung unserer operativ 
gesetzten Knochendefekte einer genauen Betrachtung zu unterziehen. 
Es ist ein Irrtum von Seiten Gerber's gewesen, anzunehmen, 
daß es sich in seinem Falle um mangelhafte Knochenneubildung 
handle, wenigstens geht es aus seiner Darstellung hervor, als ob 
er der Meinung sei, es bilde sich gewöhnHch neuer Knochen an- 
stelle des Defektes. Der Titel seiner Arbeit kann dagegen als 
durchaus zutreffend bezeichnet werden, insofern als Gerber von 
Ausbleiben des Knochenersatzes spricht. Dieser Knochen ersatz 
besteht für gewöhnlich aus anfänglich weichem massigen Granu- 
lationsgewebe, das die Wunde zunächst ausfüllt und das in weiterer 
Folge eine Umwandlung in immer derber werdendes, zuletzt manch- 
mal ganz hartes fibröses Bindegewebe durchmacht, den Typus 
des Narbengewebes. Es sind nun zwei zweifellose Fälle von voll- 
ständiger Regeneration des Knochens bei operativen Defekten der 
Schädel kapsei beschrieben worden, dem gegenüber stehen aber 
recht zahlreiche Beobachtungen über negative Befunde, in denen 

1) Gerber, Ausbleiben des Knochenersatzes am operierten Schläfen- 
bein. Arch. f. 0. Bd. 63, S. 134. 

2) Körner, Die eitrigen Erkrankungm des Schläfenbeins. Wiesbaden 
1899. 

3) Heine, Operationen am Ohr. II. Aufl. Berlin 1906. 



Die aasbleib. Granulationsbild, nach der Aufmeißlung d. Warzenfortsatzes. 43 

die Ausfüllung der Defekte lediglich durch festes Bindegewebe 
erfolgte^). Die Erfahrungen dagegen, die bei Operationen am 
Warzenfortsatz gemacht wurden, gehen übereinstimmend dahin, 
daß eine Regeneration des Knochens fast nie eintritt. Die geringste 
Neigung zur Regeneration hat hier der spongiöse Knochen. Nach 
Jahr und Tag noch zeigt die Operationshöhle nach der Total- 
aufmeißlung die Gestalt, die ihr die Operation gegeben, und wir 
sind sehr froh, daß das so ist. Daß geringe Knochenneubildungen 
an einzelnen Stellen vorkommen können, habe ich selbst beobachtet 
und mitgeteilt (dieses Archiv Bd. 63. S. 192), doch von einer 
ausgedehnten Ausfüllung der Höhle mit Knochen ist noch nie 
berichtet worden. Je nach der Beschaffenheit des Knochens und 
der Wachstumsenergie des betreffenden Gewebes verschieden und 
wesentlich abhängig von der Nachbehandlung ist dagegen die 
Dicke der den Knochen bedeckenden Granulationsschicht, der 
späteren Bindegewebeschicht, die unter Umständen zu erheblicher 
Stärke gelangen und eine bedeutende Verkleinerung, selbst eine 
vollständige Ausfüllung der Wundhöhle herbeiführen kann. 

Knöcherne Ausfüllung eines größeren operativen Defektes 
der Kortikalis habe ich nur ein einziges Mal gesehen. Bei einem 
dreijährigen Kinde nahm ich wegen fortschreitender tuberkulöser 
Karies zuerst die einfache Aufmeißelung und ein halbes Jahr 
darauf die Totalaufmeißelung vor. Bei der ersten Operation 
fanden sich ausgedehnte nekrotische Knochenpartien an der 
Schuppe, die durch Ausmeißelung mit ausgedehnter Freilegung 
der Dura entfernt wurden. Bei der folgenden Totalaufmeißelung 
ging ich deshalb zu Anfang sehr vorsichtig vor, um eine Dura- 
verletzung zu vermeiden, fand aber zu meinem Erstaunen keinen 
Schädeldefekt mehr vor, nicht einmal die Stelle war mehr zu 
sehen, wo damals die große Knochenpartie entfernt war, überall 
fand sich normal aussehender glatter Knochen. Dagegen habe 
ich sonst immer, wenn ich in die Lage kam, zum zweiten Male 
operieren zu müssen, die bei der ersten Operation entstandenen 
Defekte annähernd so wiedergefunden, wie sie im Operations- 
protokoll beschrieben waren, auch nach längerer Zeit noch; be- 
sonders gilt das von den Defekten am Sinus und am Tegmen, 
^uf die naturgemäß am meisten geachtet wurde. Ich habe erst 
kürzlich eine Nachoperation an einem Kinde vorgenommen, das 



1) Siehe v. Bergmann, Lehre von den Kopfverletzungen 1880 S. 556. 
Derselbe, Chirurgie des Kopfes im Handb. d. prakt. Chir. Bd. I S. 359. 



44 VII. ZERONI. 

etwa ein Jahr vorher von einem Kollegen aufgemeißelt worden 
war, und fand einen Operationsdefekt mit freiliegender Dura an 
der Schuppe, der so genau noch seine ursprüngliche Gestalt be- 
halten hatte, daß ich die Form und Breite des von dem ersten 
Operateur benutzten Meißels auf das genaueste hätte bestimmen 
können. 

Wie auch Gerber bemerkt, ist die Bildung neuen Knochens 
vom Periost abhängig und wird es also hier von großer Wich- 
tigkeit sein, ob es gelingt, den Defekt mit Periost zu bedecken. 
Dies gelingt wohl manchmal bei außen an der Schädeloberfläche 
gelegenen Operationsstellen, fast nie ist es aber möglich bei den 
tiefen Knochenpartien, dem Tegmen tympani und antri. Wie un- 
sicher aber auch bei gelungener Bedeckung des Defektes mit 
Periost die Knochenregeneration ist, geht aus den oben an- 
geführten Arbeiten v. Bergmanns zur Genüge hervor. 

Wir können demnach bei der Aufmeißelung des Warzen- 
fortsatzes in keiner Weise auf einen knöchernen Schluß der 
Wundhöhle rechnen, wir müssen vielmehr selbst bei Eröffnung 
der Schädelhöhle von außen darauf gefaßt sein, daß sich dort 
kein neuer Knochen bildet; die Ausnahmen darin sind zu selten, 
als daß ihnen praktische Bedeutung beigelegt werden könnte. 

Nun geht in normalen Fällen die Ausfüllung der Wundhöhle 
mit Granulationsgewebe sehr rasch vor sich, und es bildet sich 
bald nach der Heilung daraus ein festes fibröses Polster, das als 
Ersatz des Knochens vollkommen genügt und besonders den 
tiefer gelegenen etwa freigelegten Durapartien gegen äußere In- 
sulte einen hinreichenden Schutz gewährt. Dieses Granulations- 
polster nimmt nun, wie man sich an jeder in normaler Heilung 
begriffenen Warzenfortsatzwunde überzeugen kann, nicht nur vom 
Knochen selbst, sondern auch von den Bändern der Hautbedeckung 
seinen Ursprung. Je nachdem, ob eine oder die andere Partie 
an der Produktion des neuen Gewebes überwiegenden Anteil 
hat, kann man geradezu zwei Typen der Heilung unterscheiden. 
In einem Falle sehen wir eine starke dicke Zunahme der Bänder 
der Schnittwunde, die Granulationen entwickeln sich von hier 
aus mit großer Macht, treten meist sogar über das Niveau der 
äußeren Haut hinaus, zu gleicher Zeit geht in den tieferen Haut- 
schichten der gleiche Prozeß vor sich. Von beiden Seiten wächst 
das neugebildete Gewebe sich entgegen, legt sich in die Höhle 
hinein ; sobald die gegenüberliegenden Partien sich erreicht haben, 
vereinigen sie sich, und auf diese Weise nähern sich die anfangs 



Die ausbleib. Granulationsbild. nach der Aufmeißln ng d. Warzenfortsatzes. 45 

klaffenden Wundränder immer mehr, bis sie zuletzt, wenn die 
trennende Tamponade wegbleibt^ sich ganz aneinander legen und 
verwachsen. Es bildet sich eine schöne feste, schmale Narbe, 
die durchaus solid und widerstandsfähig ist und die nach einiger 
Zeit oft nicht mehr auffällt. Im anderen Falle dagegen sehen 
wir die Granulationen mehr von innen nach außen zu wachsen. 
Die Ausfüllung der Höhle geht in konzentrischer Weise von den 
Knochenwänden her vor sich. Die Hautränder bleiben dünn 
und verharren in der Lage, in der sie nach der Operation be- 
lassen wurden. Erst nachdem die aus der Tiefe kommende 
Granulationswucherung eine solche Stärke erreicht hat, daß sich 
außen ein Polster von genügender Dicke zeigt, beteiligt sich die 
Haut auch an der Heilung durch Aussendung einer dünnen 
Epidermisschicht, das Resultat ist in solchen Fällen fast stets eine 
mehr oder weniger tiefe Mulde über dem Warzenfortsatz, da die 
Granulationswucherung selten das Niveau der äußeren Haut er- 
reicht, auch deswegen, weil in der neugebildeten Narbe die Sub- 
kutis fehlt, die in den Narben des ersten Modus vorhanden ist. 
Die Haut über einer solchen Mulde bleibt dünn und deshalb in 
der ersten Zeit leicht empfindlich; es kommt nicht selten vor, 
daß die Epidermis wieder zugrunde geht und eine Zeitlang ein 
oberflächliches Geschwür entsteht. In der späteren Zeit, wenn 
die Unterlage fester wird, tritt in letzterer Beziehung Besserung 
ein, oft wird aber dann infolge von Schrumpfung des Binde- 
gewebes die Mulde noch tiefer. 

Im Bahmen dieser beiden als extreme Beispiele geschilderten 
Heilungstypen kommen natürlich die mannigfachsten Variationen 
vor, je nachdem die zwei Momente der Granulationsbildung 
wechselseitig in Erscheinung treten. Oft sind beide Momente 
an dem Heilungsprozeß gleichmäßig beteiligt, manchmal tritt 
eines allein so in den Vordergrund, daß wir ihm den überwiegen- 
den Anteil zuschreiben müssen. 

Den erstgenannten Heilungstypus sehen wir am häufigsten 
bei kleinen Wundhöhlen, bei wenig klaffenden Schnittwunden, 
den zweiten mehr bei größeren Eingriffen, bei Freilegung extra- 
dnraler und perisinuöser Eiteransammlungen, wobei eine aus- 
gedehntere B^sektion der Eortikalis erforderlich war und auch 
die Wundränder des notwendigen unbehinderten Sekretabflusses, 
wie der genauen Kontrolle der eiternden Stellen wegen längere 
Zeit weit voneinander getrennt gehalten werden müssen. Gleich- 
wohl kann auch in ersterem Falle einmal die Heilung mehr 



46 VII. ZERONL 

durch EnocheDgranulationen erfolgen, wie umgekehrt auch im 
zweiten Falle manchmal die vorwiegende Beteiligung der Weich- 
teilbedeckung an der Narbenbildung vorkommt Unter lebhafter 
Granulationsbildung nähern sich die stark klaffenden Wundränder 
allmählich und können sich schließlich noch aneinander legen 
und eine schmale glatte Narbe bilden. Nur sehen wir in letz- 
terem Falle öfters auch nach anfänglicher guter Proliferation von- 
seiten der Wundränder plötzlich ein deutliches Nachlassen der 
Heilungsenergie, in der äußeren Wunde tritt Stillstand ein, sie 
bleibt weit offen, und die Vemarbung erfolgt durch Epidermi- 
sierung der aus der Tiefe wuchernden Granulationen. 

Fragen wir nun, welcher Art der Granulationsbildung die 
wichtigste Rolle bei der Heilung zufällt, so läßt sich das nicht 
so leicht entscheiden. Beide Faktoren müssen sich gegenseitig 
unterstützen. Eine gewisse Beruhigung gewährt es zu wissen, 
daß vom Knochen allein noch der Verschluß der Höhle zustande 
kommen kann, wenn uns die Weichteilgranulationen im Stiche 
lassen. Sind wir doch manchmal durch die Notwendigkeit, die 
Wunde längere Zeit weit offen zu halten, gezwungen, auf die 
äußere Granulationsbildung mehr zu verzichten und uns fast 
ganz auf die Knochengranulationen zu verlassen. Hat man aber 
die Wahl, so wird man zweifellos dem Verschluß durch die 
Wucherung der Hautbedeckung den Vorzug geben, nicht nur er- 
reichen wir hierdurch eine größere Festigkeit der Narbe und ein 
besseres kosmetisches Resultat, sondern auch der Verlauf der 
Heilung ist in diesem Falle ein wesentlich schnellerer. 

Nun ist ja im allgemeinen die Tendenz zur Granulations- 
bildung in normalen Fällen in hohem Maße vorhanden. Meist 
ist es sogar ein zu starkes Wachstum der Granulationen, mit dem 
wir zu kämpfen haben, und seit den ersten Berichten über die 
Operationsmethode bis auf die neueste Zeit stehen im Vorder- 
grunde der Anleitung zur Technik der Nachbehandlung die Me- 
thode, die Granulationsbildung in Schranken zu halten, um den 
Abfluß des Sekretes zu sichern. Schwartze war aus diesem 
Grunde sogar zu dem heroischen Mittel des Bleinagels gekommen. 
Um das Gegenteil zu erreichen, die zu schwache Granulations- 
bildung anzuregen, hat man für gewöhnlich gar keine Veran- 
lassung. Und es muß nochmals betont werden, daß geringe 
Granulationsbildung vom Knochen her mit der Vollkommenheit 
der Operation resp. mit zurückgebliebenen Krankheitsherden gar 
nichts zu tun hat. Im Gegenteil sieht man gerade in letzt- 



Die ansbleib. GraDulationsbild. nach der Aufmeißlung d. Warzenfortsatzes. 47 

genannten Fällen keineswegs eine verminderte, zumeist eher eine 
vermehrte Wucherung, und es wäre darum auch nicht einzusehen, 
weshalb früher, als man sicher nicht allgemein so radikal und 
zielbewußt bei den Aufmeißelungen vorging, wie heutzutage, nicht 
öfters solche Beobachtungen gemacht wurden. 

Dagegen sind natürlich Unterschiede in der Stärke der Gra- 
nulationsbildung häufiger zu bemerken. Wie bei jedem Regene- 
rationsvorgang ist das Wachstum in verschiedenen Fällen un- 
gleich. Vor allem läßt sich das hier bei der Hautbedeckung 
beobachten, bei der wir auch am häufigsten ein Versagen kon- 
statieren können. Die Gründe sind, wie oben bereits angedeutet, 
in der Regel ein allzu weites Klaffen der Wundränder, doch 
spielen dabei sicher auch individuelle Dispositionen eine Rolle 
mit. Anders steht es mit der Proliferationskraft des Knochens. 
Diese läßt zwar weniger individuelle Verschiedenheiten erkennen, 
ist aber von sich aus nie sehr stark, auf keinen Fall hält sie den 
Vergleich mit der Wachstumsenergie stark wuchernder Weich- 
teile aus. Wir können das zur Genüge und auf das genaueste 
bei der Totalaufmeißelung beobachten, wo eine nicht allzu feste 
Tamponade genügt, um die Granulationen auf einen dünnen 
Überzug über den Knochen zu beschränken, und selbst die Tam- 
ponade ist nicht immer notwendig. Hierbei sehen wir auch am 
besten, daß die Geringfügigkeit der Granulationsbildung durchaus 
nicht im Zurückbleiben kranken Knochens ihre Ursache hat; 
denn wo letzteres der Fall ist, haben wir regelmäßig mit stär- 
keren unregelmäßig wachsenden Granulationen zu kämpfen, ab- 
gesehen natürlich von den ganz granulationsfreien, bloßliegenden 
Knochenstellen, die bald nekrotisieren und sich abstoßen, deren 
Umgebung sich aber gewöhnlich durch besonders starke Granu- 
lation auszeichnet 

Bei der einfachen Aufmeißelung lassen wir die Granulations- 
bildung im Knochen ungehindert vonstatten gehen, indem wir 
nur im Anfang darauf achten, daß das Antrum nicht verlegt 
wird. Sobald die Tamponade des letzteren nicht mehr notwendig 
ist, schließt sich die Öffnung in der Tiefe in normalen Fällen 
sofort. Doch läßt die Leichtigkeit, mit der es gelingt, das Antrum 
beliebig lange offen zu halten, erkennen, wie gering die Macht 
der Knochengranulationen ist. Wo wir nach der einfachen Auf- 
meißelung mit allzu starker Wucherung zu kämpfen haben, sind 
das regelmäßig von den Weichteilen ausgehende Granulationen. 
Manchmal schließt sich auch das Antrum nach der Weg- 



48 VII. ZERONI. 

lassung der Tamponade nicht sofort, die Granulationsbiidung ist 
offenbar nicht stark genug, einen Verschluß von genügender Stärke, 
hervorzubringen. Dann bleibt der Wundtrichter bis in die Tiefe 
offeU; bis die äußeren Granulationen so weit fortgeschritten sind, 
daß sie sich darüber legen und die Heilung vollenden können. 
Auf diese Weise entsteht manchmal über der Narbe ein größerer 
persistierender Hohlraum. Immerhin genügt die Granulationsbiidung 
des Knochens fast stets um eine mäßige Ausfüllung der Höhle 
und einen Verschluß des Antrums nach außen zu stände zu bringen, 
wo sie zu gering ist, wird sie von der Subkutis unterstützt. 

Können wir Abweichungen vom normalen Gange der Granu- 
lationsbiidung in der eben beschriebenen Weise nun auch häufiger 
beobachten, so muß doch ein vollständiges Ausbleiben derselben 
bis zu dem Grade, daß die Wundhöhle bis in die Tiefe offen 
bleibt, als äußerst selten bezeichnet werden, und die Frage nach 
der Ursache dieser Erscheinung muß mit der Frage nach der 
Ursache der Seltenheit beginnen. 

Daß heute nach so vielen Erfahrungen über die Operation nur 
so wenige dahin lautende Beobachtungen vorliegen, ist im höchsten 
Grade auffallend und die Lösung der Frage erscheint grade durch 
die Spärlichkeit des vorliegenden Materials besonders erschwert. 
Die auffallende Seltenheit kann ich mir vorläufig nur dadurch 
erklären, daß, wie wir gesehen haben, zwei verschiedene Gewebe 
bei der Heilung der Warzenfortsatzwunde in Tätigkeit treten. 
Alternierend tritt bald die eine, bald die andere Granulationsquelle 
in den Vordergrund. Und was auch immer der Grund sein mag, 
daß die Granulationsbiidung das eine mal stärker, das andere mal 
schwächer vor sich geht, auf jeden Fall sind die beiden Faktoren 
darin unabhängig von einander. Bei stärkster Wucherung von 
Seiten des Knochens kann die Weichteilgranulierung minimal sein, 
und umgekehrt. Die Seltenheit unserer Fälle wäre demnach da- 
durch bedingt, daß es sich hier um das unglückliche Zusammen- 
treffen zweier ungünstiger Momente handelt, nähmlich Fehlen der 
Wachstumsenergie in beiden Geweben, sowohl im Knochen, als 
auch in den Weichteilen. 

Die wichtigste Frage ist nun die nach der wahrscheinlichsten 
Ursache dieser Wachstumshemmung. Von den Autoren, die bisher 
dieser Frage ihre Aufmerksamkeit zugewandt haben, ist vor Allem 
Hof mann zu nennen. Dieser nimmt als Grund der Heilungs- 

1) 1. c. 



Die aasbleib. Granulationsbild, nach der Aufmeißlang d. Warzenfortsatzes. 49 

störang Hineinwachsen von Epithel in die Wundhöhle an, und 
zwar sowohl des Antrumepithels von innen her, als auch der 
Epidermis von außen her. Das ist zweifellos eine Erklärung, die 
der Beachtung wert ist. Daß das Hinüberwachsen des Epithels 
über Granulationen letztere zum Stillstand bringt, ist eine all- 
gemeine Erfahrung. Die Fälle Hofmann's waren für Epithel- 
Einwanderung besonders disponiert, da in allen eine Verbindung 
der Wundhöhle mit dem äußeren Gehörgang bestand. Trotzdem 
kann ich Bedenken gegen die Ansicht Hofmann's nicht ver- 
hehlen. Die Möglichkeit der Einwanderung des Epithels ist ja in 
jedem Falle vorhanden; daß sie nur in wenigen Fällen eintritt, 
scheint mir eben eine Folge der mangelhaften Granulationsbildung 
zu sein. Auch Defekte des häutigen Gehörgangs sehen wir ja 
sonst anstandslos vernarben, ohne Einwanderung des Gehörgangs- 
epithels in die Wundhöhle, wenn wir die Epithelisierung nicht ab- 
sichtlich erreichen wollen und die Granulationsbildung in Schranken 
halten. Ich möchte deshalb vielmehr sagen, das Epithel wandert 
nur deshalb ein, weil die Granulationen zu schwach sind um ihm 
Hindemisse zu bereiten. Das Gleiche können wir ja auch künst- 
lich durch Niederhalten der Granulationen erzielen. 

Dann ist noch eine Notiz BriegersO zu erwähnen, der Fälle, 
die den unsrigen etwas ähneln beschreibt, und als Ursache Tuber- 
kulose angibt. Brieger konnte in seinen Fällen den exakten 
Beweis für diese Behauptung erbringen. Auch inBriegers Fällen 
blieb das Antrum offen, doch weichen seine Befunde in einem 
wesentlichen Punkte von den charakteristischen Merkmalen unserer 
Fälle ab. Brieger spricht ausdrücklich von einer permanenten 
Fistel bei sonst vollkommener Füllung der Wundhöhle, also 
das wesentlichste, die allgemein zurückbleibende Granulations- 
bildung ist hier nicht vorhanden gewesen. Ich hielt aber trotzdem 
Brieger 's Mitteilung anzuführen für nötig, um dem naheliegenden 
Einwand zu begegnen, daß auch in unseren Fällen eine tuber- 
kulöse Ursache zu Grunde liege. Was meine Fälle anbelangt, 
so habe ich im zweiten und dritten öfters die Granulationen unter- 
sucht und nie etwas Verdächtiges gefunden. Sonstige Zeichen 
von Tuberkulose waren in keinem meiner Fälle nachzuweisen, 
auch in Gerber's Fall nicht. Hofmann's dritter Fall ist als 
tuberkulöse Karies bezeichnet. Doch ist zu bedenken, daß nach- 
weisbar tuberkulöse Mastoiditiden meist ein vollständig andres 

1) Brieger, Zur Klinik der Mitteiohrtuberkulose. Festschrift für 
Lucae 1905, S. 271. 

Archiv f. Ohrenheilkmide. 73. Bd. Festschrift. 4 



50 VU. ZERONI. 

Bild zeigen, sich eher durch vermehrte Granulationen auszeichnen 
und, wie es B rieger beschrieben, zur Bildung enger Fisteln 
tendieren. Als ausgeschlossen ist es natürlich nicht hinzustellen, 
daß nicht eine tuberkulöse Erkrankung auch einmal unter dem 
Bilde der ausbleibenden Granulationsbildung verläuft, dagegen 
möchte ich die hauptsächlichste oder alleinige Abhängigkeit dieser 
Abnormität von der Tuberkulose als durchaus unbewiesen und 
unwahrscheinlich bezeichnen. 

Auf die Frage der Tuberkulose war deshalb genauer ein- 
zugehen, weil die Ursache doch aller Wahrscheinlichkeit nach 
in einer konstitutionellen Disposition zu suchen ist. Doch läßt sich 
eine solche allgemeiner Natur nach den bisherigen Erfahrungen 
noch nicht mit Bestimmtheit eruiren. Die bis jetzt vorliegenden 
Fälle betreffen mit Ausnajmte der bd dgn ersten von Hof mann 
Kinder im Alter von 3 >tfM&^anrra,^äte?ö«n8t gesund sind. Man 
muß deshalb zur EdU^ng woKl^uf eioi^^okale Disposition 
zurückgreifen, auf eine vonA^pi^geiMiangeQlMte Heilungstendenz 
der in Frage kommenAn Gewebe. Una zwaxiicheint diese lokale 
Disposition nur auf ms^ti0mte fS^erstell^^eschränkt zu sein. 
In meinem Fall 2 kam ein6«f|^q^|^^^^fftf^edehnte Kippenresek- 
tion anstandslos zur Heilung und auch in den übrigen Fällen war 
über sonstige mangelhafte Heilungen „schlechte Heilhaut^ u. s. w. 
nichts zu eruiren. Das spricht ebenfalls gegen die Annahme all- 
gemeiner konstitutionellen Anomalie, wie gegen Tuberkulose. 

Von welchen Momenten diese lokale Disposition abhängig ist, 
muß allerdings eine offene Frage bleiben. Doch möchte ich darauf 
aufmerksam machen, ob nicht auch klimatische Einflüße eine Rolle 
dabei spielen könnten. Auf diesen Gedanken brachte mich vor 
allem die Tatsache, daß in dem großen Material einzelner Kliniken 
diese Fälle vollständig zu fehlen scheinen, während ich in meiner 
kurzen hiesigen Tätigkeit bereits über drei Fälle berichten kann, 
besonders aber auch die Vergleichung meiner eigenen Erfahrungen 
über die operative Tätigkeit in zwei verschiedenen Orten, in Halle 
und in Karlsruhe. In letzter Stadt habe ich entschieden die Be- 
obachtung gemacht, daß die Granulation vom Knochen weniger 
lebhaft vor sich geht als in Halle, bei völlig gleicher Methode 
der Operation und Nachbehandlung. Diese Eigentümlichkeit tritt 
bei der Totalaufmeißlung vielleicht noch mehr hervor, wobei die 
Nachbehandlung deshalb viel weniger Mühe macht als es in Halle 
der Fall war, aber auch bei der einfachen Aufmeißlung ist dieser 
Unterschied fühlbar. Es wäre sehr wünschenswert, wenn einmal 



Die ausbleib. Granulationsbild, nach der Aufmeißlung d. Warzenfortsatzes. 51 

unter diesem Gesichtspunkt Vergleichungen über die Heilungen in 
verschiedenen Orten angestellt würden. Die Unterschiede in der 
Dauer der Nachbehandlung sind z. B. bei verschiedenen Kliniken 
recht groß und günstige Ziffern werden bis jetzt von den Statistikern 
mit Vorliebe als das Resultat einer bestimmten Operationsmethode 
bezeichnet. Es wäre sehr interessant zu erfahren, ob nicht auch 
klimatische Verhältnisse hierbei beteiligt sind. 

Es fragt sich nun, ob und wie wir solchen schlechten Operations- 
resultaten vorbeugen können. Bei völligem Versagen der Heilungs- 
tendenz, dürfte ja keine Methode ausreichen, indes bis zu einem 
gewissen Grade läßt sich doch wohl die mangelhafte Wachstums- 
energie kompensieren. Im Vordergrund müssen selbstverständlich, 
nachdem wir gesehen haben, welche wichtige Rolle der Haut- 
bedeckung für den Wund Verschluß zufällt, die Methoden stehen^ 
die der äußeren Wunde die Narbenbildung erleichtem. Die 
primäre vollständige Nath wäre also in dieser Hinsicht das Idealste. 
Da wir diese aber nie vornehmen . können, so möchte ich doch 
eine so weit als irgend möglich durchgeführten Nath der Haut- 
wunde das Wort reden. Das gleiche Verfahren ist nach Pif f 1 1) 
in der Zau falschen Klinik mit gutem Erfolge im Gebrauch. 
Ich weiß wohl, daß die Nachbehandlung bei breitem Klaffen der 
Wundränder sehr erleichtert ist, ich weiß aber auch, daß man 
unter Zuhilfenahme der indirekten Beleuchtung auch von einer 
kleinen Öffnung aus selbst recht große Wundhöhlen noch gut 
und vollständig übersehen und für die Nachbehandlung zugängig 
erhalten kann. Im schlimmsten Falle, wenn es eben nicht geht, 
ist durch nachträgliche Entfernung einiger Näthe dem Übel sehr 
bald abgeholfen, und auch dann ist durch die vorherige Nath eine 
größere Annäherung der Wundränder erzielt worden, als wenn 
man die dieselben im status post Operationen belassen hätte. Sobald 
die Erkrankung eine größere Wegnahme der Kortikalis erforder- 
lich macht, besonders also bei Sinusoperationen, ist unbedingt zur 
Anlegung eines T Schnittes zu raten, um die Wundränder nicht 
allzuweit von einander entfernt halten zu müssen. Ich habe z. B. 
den Eindruck, daß im Falle Gerber's, in dem, wie ich nur aus 
der Abbildung schließe, die Freilegung des Sinus von dem ge- 
wohnlichen Hautschnitt aus vorgenommen worden ist, durch An- 
legung eines T Schnittes das Resultat wenigstens etwas besser 



*) Pif f 1, über AufmeiJJelung d. Warzenfortsatzes bei Komplikation der 

Mastoiditis. A. f. 0. Bd. 51 S. 129. 

4* 



62 Vn. ZERONI. 

geworden wäre. Femer lege ich Wert darauf, daß nach der Opera- 
tion die Weichteile in ihrem dem Knochen aufliegenden Partien 
die Bänder der Enochenwunde überragen ; denn den tiefsten Teilen 
der Subkutis scheint mir die wichtigste Aufgabe bei der Füllung 
der Knochenhöhle zuzufallen. Um ein allzuweites Zurückweichen 
des Periostes zu verhindern, empfiehlt es sich vor dem Zurück- 
schieben starke Seidenfäden durch dasselbe zu ziehen, die während 
der Operation liegen bleiben und später das Zurückbringen des 
Periostes sehr erleichtem. Ich glaube, daß auch das Periost für 
die Heilung einen wichtigen Faktor darstellt. Auf jeden Fall 
sollen die oberflächlichen freigelegten Stellen der Kortikalis durch 
tiefgreifende Näthe wieder vollständig mit Periost bedeckt werden, 
weshalb ich mich mit den in neuester Zeit viel angewandten 
Michel 'sehen Klammern, die nur die oberste Haut fassen, nicht 
befreunden kann. 

Die Wichtigkeit der Weichteilbedeckung für die Heilung der 
Warzenfortsatzwunde ist schon von Andern erkannt worden, und 
daraus resultiert wohl das Bestreben, bei der Operation die 
Weichteile möglichst in die Höhle selbst hineinzulegen. So hat 
Winkler^) ein Verfahren angegeben, bei dem unter Wegnahme 
fast der ganzen hinteren knöchernen Gehörgangswand der häutige 
Gehörgang mit zur Deckung der Knochenwunde benutzt wird, 
während Siebenmann nach der Mitteilung Nagers 2) durch Ab- 
schrägung der Knochenränder die Weichteile in die Wundhöhle 
hineinlegt. Beide Methoden setzen voraus, daß keine möglicher- 
weise kranken Stellen mehr im äußeren Teil der Wunde liegen, 
die sonst durch die Weichteillappen bedeckt zu nachträglichen 
Komplikationen Veranlassung geben könnten. Diese Vorschläge 
sind wohl der Erfahrang entsprungen, daß auf Knochen- 
granulationen kein sicherer Verlaß ist. Um letztere hervor- 
zubringen oder anzuregen, wo sie in mangelhafter Weise auftreten, 
haben wir kein sicheres Mittel, zumal alle granulationsbefördern- 
den Substanzen nicht angewandt werden können, da sie die frei- 
liegende Antrumschleimhaut in Beizungszzustand versetzen und 
zu stärkerer Sekretion veranlassen, wodurch wieder ein anderes 
Moment der Heilungsstörung entsteht. 



1) Winkler, Über Auf meißelung des Warzenfortsatzes und Eröffnung 
des Antrums mit folgender Gehörgangsplastik. Verhandi. d. otol. Ges. 1904 
S. 133. 

2) Nager, Zeitschr. f. 0. Bd. 53, S. 154. 



Die ausbleib. Granulationsbild, nach der Aufmeißlung d. Warzenfoitsatzes. 53 

Er ist schon früher von Heßler^), dann auch von Hof- 
mann^}, von letzterem gerade im Anschluß an seine oben er- 
wähnten Mitteilungen vorgeschlagen worden, das Antrum gar 
nicht zu eröffnen. Dieser Vorschlag hat aber wenig Anklang 
gefunden, schon deshalb nicht, weil in der Mehrzahl der Fälle 
eben das Antrum der Ausgangspunkt und der wesentlichste Herd 
der Erkrankung ist. Auch habe ich schon oben dargelegt, daß 
die Idee Hoff mann s, die mangelhafte Granulationsbildung habe 
ihren Grund in dem Heraustreten des Antrumepithels in die 
Wundhöhle eine irrige sein dürfte. Wenn im letzten Stadium 
der Heilung der Verschluß des Antrum durch Fortdauer der 
Sekretion aus dem Mittelohr sich verzögert, so genügt meist 
Weglassung aller reizenden Substanzen, wozu auch die Jodoform- 
gaze gehört, um das Sekret bald zum Versiegen zu bringen. 
Oft hat mir eine kurze Anwendung von essigsaurer Tonerde oder 
Einstäuben von Xeroform ausgezeichnete Dienste hierbei geleistet. 
Die Hauptsache ist aber, daß nach dem Versiegen der Sekretion 
die Granulationen rasch das Antrum nach außen abschließen, 
sonst sehen wir denselben Vorgang, wie bei einer nicht heilenden 
Trommelfellperforation, wo der Ausfluß der Perforation wegen 
fortdauert und die Perforation des Ausflusses wegen sich nicht 
schließen kann. 

In der neusten Zeit ist von Politzer, Brühl, Hölscher, 
und zwar mit gutem Erfolg in einigen Fällen bald nach der 
Operation die Ausfüllung der Höhle mit Paraffin und darauf 
Nath der ganzen Hautwunde vorgenommen worden. Aber auch 
diese Methode setzt voraus, daß das Antrum wenigstens schon 
geschlossen ist, sie dürfte also nur in wenigen Fällen anwendbar 
sein und gerade in denjenigen, wo die Granulationsbildung am 
schwächsten ist und sie infolgedessen am meisten am Platze wäre, 
sich von selbst verbieten. 

Wenn aber die normale Granulationsbildung ausbleibt und 
die Wundhöhle, wie in unseren Fällen offen bleibt, so ist es völlig 
unnütz durch Auskratzung und Wiederanfrischung der Knochen- 
wunde die fehlenden Granulationen hervorrufen zu wollen. Das 
macht das Übel nur noch schlimmer, die Höhle wird noch größer 
und die Granulationsbildung fehlt wie zuvor. Hier kann nur 
mittelst der Weichteilbedeckung noch ein Verschluß zustande ge- 
bracht werden, und Winkler hat ganz richtig diesen Weg, 

1) Hessler, Arch. f. 0. Bd. 27, S. 185. 

2) Hofmann, 1. o. 



54 Vn. ZERONl. 

den der Plastik schon klar vorgezeichnet. Seine Idee, durch 
Wegnahme des knöchernen Teils der hinteren Gehörgangswand 
die Ohrmuschel zu mobilisieren und nach hinten zu verlegen, 
scheint mir eine äußerst glückliche zu sein und wird in solchen 
Fällen^ wie er und wir sie erlebt haben, wohl meist zum Ziele 
führen. Bei größeren, weit nach hinten zu sich ausdehnenden 
Defekten käme eventuell noch eine Unterstützung durch plastische 
Lappen vom Occiput oder vom Nacken her in Frage, eventuell 
auch die Transplantation eines Feriostknochenlappens. Doch 
für die meisten Falle dürfte die Winkler 'sehe Plastik aus- 
reichen. 

Wink 1er hat seinen Vorschlag an den in Frage stehenden 
Patienten seiner Beobachtung nicht zur Ausführung bringen 
können. Mir ist es in den ersten beiden oben mitgeteilten Fällen 
auch nicht möglich gewesen, die Wink 1er 'sehe Operation zu 
erproben. Der erste Fall entzog sich meiner Behandlung, im 
Fall 2 gaben zwar die Eltern anfangs ihre Zustimmung, aus ver- 
schiedenen Gründen wurde indes die Operation mehrmals ver- 
schoben und die Eltern sind inzwischen wieder schwankend ge- 
worden. In Fall 3, wo allerdings die Totalaufmeißlung gemacht 
wurde, war das Resultat zwar nicht vollkommen, aber doch 
einigermaßen zufriedenstellend. 

Zum Schluß möchte ich noch auf den Ausblick hinweisen, 
der sich uns gelegentlich meiner Vermutung, daß klimatische 
Einflüsse auf den Heilungsvorgang einwirken könnten, eröffnet. 
Es wäre doch in Erwägung zu ziehen, ob nicht vielleicht die 
Klimatotherapie auch in der Otologie eine Bolle zu spielen be- 
rufen sei. 



VIII. 

Ober Ohrenstörnngen bei den Erkranknngen 
des Urogenitalapparates. ^ 

Von 

Dr. J. Sendziak, Warschau. 

Die Ohrenstörnngen im Verlaufe der Krankheiten des üro- 
genitalapparates wurden speziell erst in den letzten 15 Jahren 
bearbeitet. 

So widmete Hang, damals Dozent und jetziger Professor 
der Ohrenheilkunde in München, in seinem vortrefflichen Lehr- 
buche („Die Krankheiten des Ohres in ihrer Beziehung zu den 
Allgemeinerkrankungen" 1893 p. 185) einen ganzen Abschnitt 
den Ohrenstörungen im Verlaufe der Krankheiten des ürogenital- 
apparates. 

Im Jahre 1899 ist eine der besten Monographien erschienen, 
nämlich von Friedrich, damals Dozent in Leipzig, jetzt Professor 
in Kiel, betitelt „ßhinologie, Laryngologie und Otologie in ihrer 
Bedeutung für die allgemeine Medizin" Leipzig bei F. 0. W. Vogel, 
in welcher der Verfasser den Ohrenfetörungen bei den Erkrankungen 
des Urogenitalapparates ebenfalls spezielle Abteilungen widmete 
(p. 177—183). 

Außerdem existiert eine ganze Reihe von speziellen resp. 
kasuistischen Arbeiten, welche die Darstellung des Zusammen- 

1) Das ist ein Teil der umfangreichen Monographie über die Nasen-, 
Rachen-, Kehlkopf- und Ohrenstörungen bei den Allgemeinerkrankungen. 
Der erste Teil, umfassend diese Störungen im Verlaufe der akuten In- 
fektionskrankheiten, wurde im Jahre 1900 in polnischer Sprache (Nowiny 
Lekarskie) und bei den Krankheiten des Zirkulationsapparates (Herz, Ge- 
fäße) in Monatsschrift für Ohrenheilkunde 1906 H. 12 veröffentlicht. 



56 Vm. SENDZIAK. 

banges zwischen Ohrenstörungen einerseits und den Erkrankungen 
des Urogenitalapparates andererseits zum Ziel haben. 

Diese Arbeiten werden später im Text berücksichtigt. Ohren- 
störungen im Verlaufe der Erkrankungen des Uro — besonders 
aber weiblichen — Genitalapparates gehören zu den außerordent- 
lich häufigen Erscheinungen. 

Was die ersten d. h. Ohrenstörungen bei den Krankheiten der 
Nieren betrifft, so geben vor allem den Anlaß zu diesen Störungen 
die chronischen parenchymatösen Entzündungen der Nieren, so 
wie Nephritis scarlatinosa. 

Bürckner^) konstatierte auf 150 Fälle der Entzündungen 
des mittleren Ohres zweimal als die Ursache Nierenentzündung 
(Morbus Brighti), also ziemlich selten. 

Andererseits notierte Pissot^) viel öfters Ohrenstörungen bei 
Nephritis ehr. (nämlich auf 37 Fälle 18 Mal). 

Morf 3) gelang es, aus der Literatur 22 Fälle dieser Art 
(von denen 3 eigene) zu sammeln. 

Die häufigste Form der Ohrenerkrankungen im Verlaufe der 
Nierenentzündungen ist Otitis media acuta haemorrhagica) Fälle 
von Schwartze*), Trautmann^) und Buck^)), welche sich 
durch Ecchymosen auf dem Trommelfelle oder durch dessen Vor- 
wölbung, welche von der Füllung der Paukenhöhle mit Blut 
bedingt ist, charakterisieren, wobei Schmerzen sowie mehr oder 
weniger bedeutende, gewöhnlich mit Geräuschen verbundene Gehör- 
störungen vorkommen. 

Außer dieser häufigsten Form der Entzündung des mittleren 
Ohres gibt es noch gewöhnliche Otitis media acuta (Roosa^), 
Bürkner) mit gewöhnlichem Verlaufe oder mit Exacerbationen 
(Hedinger^)). 

Eine sehr wichtige Komplikation der Nephritis scarlatinosa 
ist die Entzündung des mittleren Ohres, welcher Voss, Haug, 
Moos^), Morf, endlich Gunowitz^^) eine große Bedeutung be- 
sonders für die Prognose geben: nämlich vermehrte Ohreneiterung 



1) Arch. f. Ohrenheilk. XXII p. 197. 

2) Thöse-Paris, 1878. 

3) Zeit. f. Ohrenheilk. XXX. 4. 

4) 5) 6) Arch. f. Ohrenheük. IV p. 12, XIV p. 91; VI p. 301. 

7) Trans, of the amer. Otil. Society 1887-5/IV. 

8) Zeit. f. Ohrenheilk. XVII p. 237. 

9) Schwartze'ß Handbach der Ohrenheilk. I p. 538. 
10) Berl. Klin. Woch. 1880 No. 42. 



über Ohrenstörongen bei den Erkraukungen des Urogenitalapparates. 57 

bei der Verschlimmerung des Zustandes der Nierenentzündung 
und vice versa. 

In Haugs Falle traten die Symptome der Nierenent- 
zündung nach der Aufmeißelung des Processus mastoideus 
zurück, kamen aber mit ganzer Kraft wieder wegen der Stag- 
nation des Eiters, welche durch die Bildung der Granulationen 
verursacht wurde. 

Morf betrachtet als charakteristisch für Ohrenstörungen im 
Verlaufe von Nephritis scarlatinosa: Otitis necrotica im mittleren 
Ohre und Processus mastoideus. Nur ausnahmsweise ist das 
innere Ohr im Verlaufe der Nierenentzündung resp. uraemia 
(Taubheit, Geräusche) alteriert, was Friedrich von den sekun- 
dären Veränderungen in den Gefäßen abhängig macht. 

In Schwartzes Falle waren beide Labyrinthe mit Ecchy- 
mosen gefüllt, in Morfs und Rosenheims i) Fällen (Gehör- 
stoningen im Verlaufe nephritidis acutae et intermittentis), existierte 
wahrscheinlich eine Schwellung der Ohrennerven, wobei diese 
Störungen im innigen Zusammenhange mit allgemeinen Ödemen 
standen; bei der Verminderung der letzteren verbesserte sich das 
Gehör und vice versa. 

Endlich wurde in Dieulafoys'^) und Pissots Fällen infolge 
des Morbus Brighti Anaesthesia acustica konstatiert. 

Wie ich schon erwähnt habe, kommen die Ohrstörungen 
im Verlaufe der Erkrankungen des Genitalapparates, be- 
sonders des weiblichen, außerordentlich oft vor und das sowohl 
bei physiologischen als auch pathologischen Zuständen. 

Verhältnismäßig am seltensten ist das äußere Ohr, öfters das 
mittlere, am häufigsten jedoch das innere affiziert. 

So klagen die Kranken manchmal vor jeder Menstruation 
sowie Schwangerschaft und Climacterium über Sensation von 
Brennen, oft unerträglichem Jucken in der Gegend der Ohr- 
muschel, sowie des äußeren Gehörganges. In einem Falle, 
welcher eine 45jährige verheiratete Kranke betraf, beobachtete 
ich die erysipelatöse Entzündung der Ohrmuschel in der Periode 
der eventuellen Menstruation (sogenannte: „erysipMe catameniale", 
französischer Verfasser). Während des Climacteriums beobachtete 
ich oft außerordentlich hartnäckige Entzündungen des äußeren 
Gehörganges entweder circumscripte (sogenannte Furunkel) oder 



1) Nervenkrankheiten. 4. Auflage 1894 p. 260. 

2) La France mßdicaie. 1877. 



58 Vm. SENDZIAK. 

diffuse, worauf Urbantschitsch zuerst die Aufmerksamkeit 
lenkte, sowie auch Eczema et Herpes auriculae (Graen^)). 

Verhältnismäßig ziemlich häufig kommen Ohrenblutungen 
vor, welche der Menstruation vorangehen, oder sie vertreten 
(menstruationes vicariae). Fälle dieser Art wurden von S t e p a n u s ^), 
Eitelberg^), Gradenigo^), Bürkner^), Jacobson^), KolP), 
Hensinger^) etc. beschrieben. Puech^) notierte auf 200 Fälle 
Menstruationis vicariae, aus der Literatur gesammelt, 6 Mal 
Ohrenblutungen, Einen interessanten Fall, welcher unzweifelhaft 
den kausalen Zusammenhang zwischen den Erkrankungen des 
Gehörorgans einerseits und Störungen in der genitalen Sphäre 
andererseits bestätigt, gibt Baratona^®): nach jedesmaliger 
Operation der Ohrpolypen trat die Blutung an den Genital- 
organen auf. 

Diese Blutungen begleitet gewöhnlich eine „Aura" in der 
Form von Kopfschmerz, Geräusch und SchwindeL 

Gewöhnlich ist die Blutung unilateral, die Quantität des 
Blutes verschieden (von einigen Tropfen bis zu der Quantität, 
welche den Blutungen der Genitalorgane entsprechend ist). Der 
Lokalisation nach wird betroffen am meisten das Trommelfell 
(Ecchymosen, [Eitelberg]) sowie der äußere Gehörgang — nämlich 
die Öffnungen der Ceruminaldrüsen — , seltener das mittlere Ohr, 
wenn eine eitrige Absonderung mit Granulationsbildung vorliegt, 
ausnahmsweise nur das innere Ohr (Jacobson und EoU). 

Ahnlich wie im Pharynx prädisponieren hier auch die 
physiologischen Zustände, besonders bei Frauen (Menstruation, 
Graviditas, Klimakterium) zu den akuten endzündlichen Prozessen 
(Otitis media acuta), wie es unter anderem in einem meiner Fälle 
war, welcher eine 40jährige Kranke betraf. Während des 
Klimakteriums trat außer anderen Störungen (Tonsillitis follicu- 
laris, Epistaxis, Tonsillitis pharyngealis abscedens, Empyema Antri 
Highmori) akute eitrige Entzündung des mittleren Ohres auf. ^ö) 

Ebenfalls unterliegen häufig die existierenden pathologischen 
Prozesse im Gehörapparate (Eiterungen) in diesen Fällen be- 



1) Americ. Journ. of Otol. IIL 2. 

2) Monat, f. Ohrenheilk. 1885, N. 11. 

3) citiert bei Friedrich (1. c). 

4) 5) 6) 7) Arch f. Ohrenheilk. B. 28 p. 82, B. 15 p. 221, B. 21 p. 280 
B. 25, p. 88. 

8) 9) loco citato. 
10) Nowiny Lekarskie 1902 N. 2. 



über Ohrenstörungen bei deu Erkrankungen des Urogenitalapparates. 59 

deut^ider Verscblimmerung, wie es Bezold^) zeigte, welcher in 
dieser Richtung spezielle Untersuchungen machte (auf 190 Fälle 
der Gehöreiterungen notierte er in 17,9 o/o Verschlimmerung, welche 
von den funktionellen Störungen bei Frauen abhängig waren). 

Wie ich schon erwähnt habe, ist in diesen Fällen d. h. 
während der Menstruation, Klimakterium und Schwangerschaft 
das innere Ohr afficiert, wovon die subjektiven Geräusche, sowie 
die mehr oder weniger bedeutende Verminderung des Gehörs 
zeugen; diese letztere kommt in diesen Fällen langsam zu Stande 
und wird wenig beeinflußt durch die Behandlung. 

Besonders die Schwangerschaft event. Geburt haben zuweilen 
einen ungünstigen Einfluß auf die Funktionen des Gehör- 
apparates. Die etwa vorhandenen pathologischen Prozesse des 
Ohres unterliegen in diesen Fällen bedeutender Verschlimmerung. 
Ausnahmsweise nur wurden umgekehrt Verbesserungen des Ge- 
hörs, sowie Verminderung der Ohrgeräusche nach der Geburt 
notiert (ürbantschitsch^), Schmaltz,^) Morland^). Otalgie 
vor und während der Menstruation, welche sich nach der 
Eokainisierung der Nasenmuschel verminderten und nach der 
Kauterisation der letzteren zurücktraten, beobachtete bei uns 
(Polen) A. Herman^). 

Ebenfalls geben die pathologischen Prozesse der weiblichen 
Geschlechtsorgane (Endo-et Parametritis , Salpingitis, Neoplasma 
etc.) oft Anlass zu Ohrenstörungen, wovon die Fälle von 
Wolf^>, Weber-Liel") (Taubheit), sowie Pagenstecher ») 
(Otalgie) zeugen. 

Eine interessante Beobachtung machte Scanzoni^): nach der 
Applizierung von Blutegeln an dem vaginalen Teil des Uterus 
trat vorübergehende Taubheit ein. 

Von den anderen üteruskrankheiten sah Habermann ^o) 



1) Arch. f. Ohrenheilk. B. 25 p. 225. 

2) zitiert bei Hang (1. c). 

3) Gehör- und Sprechkunde 1846 p. 53. 

4) Arch. f. Ohrenheilk. B. 5 p. 313. 

5) Gazeta lekarska 1903 Nr. 38. 

6) Bericht über die Naturforscherversammlung, Wiesbaden 1887. 

7) Monat, für Ohrenheilk. 1883 Nr. 9. 

8) Deutsche Kün. 1863 Nr. 41—43. 

9) Würzburger med. Zeit. v. 1860 Nr. 1. 
10) Zeit. f. Heilkunde 1887. VIII. 



60 VIII. SENDZIAK. 

bei Neoplasmen (Krebs), sowie Febris puerperalis Metastasen im 
Gehörorgane. 

Während der Masturbation wurden bei beiden Geschlechtern 
subjektive Gehörgeräusche, sowie hyperaestesia, seltener anaesthesia 
acustica (Behrendt) beobachtet. 

Eine interessante Beobachtung, welche den kausalen Zu- 
sammenhang zwischen Ohrenstörungen einerseits und denen der 
genitalen Sphäre andererseits dartun^ machte Urbantschitsch^): 
Ohrenpolyp mit unerträglichem Jucken im äußeren Gehörorgane, 
dessen Irritation (Kratzen mit dem Finger) jedesmal „Ejaculatio^^ 
ohne Erectio des penis herbeiführte. 

Zwei anologe Fälle beobachtete ebenfalls Haug.^) 

1) Jahrb. f. Kinderkrankh. 1860. 22 p. 321. 

2) zitiert bei Haug (1. c). 

3) loco citato. 



IX. 

Ober Ohrenkrankheiten bei Studenten. 

Von 

Prof. K. Bttrkner in Gottingen. 



Am 1. Oktober 1901 ist an der Universität Göttingen — und 
vermutlich auch an den übrigen preußischen Universitäten — 
eine Neuregelung des akademischen Krankenpflegeinstitutes in 
Kraft getreten, auf Grund deren jedem akut erkrankten Stu- 
dierenden, welcher sich über das Belegen von Vorlesungen ausweist, 
gegen einen obligatorischen Semesterbeitrag von 2 M. unentgeltliche 
Behandlung vonseiten der medizinischen Professoren und Dozenten 
oder eines dafür angestellten praktischen Arztes sowie in geeigneten 
Fällen freier Aufenthalt in den Kliniken gewährleistet wird. 

Dieser Einrichtung verdanke ich einen recht erheblichen 
Zuspruch von Stadenten in meinen Sprechstunden: ich habe in 
den elf Semestern seit dem Bestehen des Institutes in seiner 
gegenwärtigen Form bis zum 31. März 1907 574 Kommilitonen 
in 3025 einzelnen Konsultationen behandelt. 

Allerdings hatte ich es schon von Beginn meiner praktischen 
Tätigkeit an als ein nobile officium meiner akademischen 
Stellung betrachtet, den Studierenden unserer Hochschule meine 
Hülfe unentgeltlich zur Verfügung zu stellen; doch belief sich 
die Zahl der bis zum 1. Oktober 1901 im Laufe von 23 Jahren 
privatim von mir behandelten Kommilitonen nur auf 161, und 
etwa die doppelte Zahl mag sich wohl an die von mir geleitete 
Poliklinik gewendet haben. 

Wenn nach den Satzungen die Hülfe des akademischen 
Krankenpflegeinstitutes ausschließlich auf die Fälle von akuter 
Erkrankung beschränkt bleiben soll, so gehe ich nun allerdings, was 
meine persönliche Hülfeleistung anbelangt, erheblich weiter, indem 
ich diese meinem von jeher geübten Gebrauche getreu auch chronisch 
erkrankten Studierenden zuteil werden lasse. Damit das Institut 



62 



IX. BURKNER. 



nicht geschädigt werde, müssen solche sich dann freilich Medi- 
kamente und Verbandzeug auf ihre eigene Rechnung beschaffen. 
Nun schien es mir nicht uninteressant, einmal zu unter- 
suchen, ob sich bei einem so einheitlichen Krankenmateriale, wie 
die Tätigkeit für das akademische Erankenpflegeinstitut es dar- 
bietet, eine Disposition zu bestimmten Krankheiten oder Krank- 
heitsgruppen nachweisen lasse; und in dieser Erwägung habe 
ich meine Krankenjoumale statistisch zu verwerten gesucht. 

Es standen zur Verfügung: 

^' fo^e^'^jXen^''}^^^'"^^^^^^'^*'®^^-' ^^J^»*-» 26Mediz., 70Philo8. 
b. Pat. des Kranken- i _^ «c «^^ o^ «7^ 

Pflegeinstitutes } 5^4, „ 38 , 176 , 86 , 274 „ 

Sa.: 785, nämlich 54 Theol., 225 Jurist., 112Mediz., 344Philo8. 

Die Zahl der bei diesen 735 Patienten beobachteten Er- 
krankungsformen betrug 925. Von diesen scheiden für die Be- 
rücksichtigung in dieser Betrachtung aus 266 Erkrankungsfälle, 
welche die Nase und den Bachen betrafen, während 659 Er- 
krankungsfälle von Ohraffektionen übrig bleiben. Ihre Verteilung 
war folgende: 



Krank hei tsbezeichnung 


Summa 


Theo- 
logen 


Jurist. 


Medi- 
ziner 


Philo- 
sophen 


Angebor. Deformität (Fistula aur. cong.) 

Accumulatio ceruminis 

Ekzem 

Otitis externa circumscripta 

Aspergillus-Mykose 

Exostosen im Gehörgange 

Corpus alienum 

Trommelfellruptur 


1 

105 

12 

33 

3 
22 

1 

5 


6 
1 
2 

2 


25 
a 
8 
2 
5 
1 
2 


13 
3 
3 
1 


1 
61 

6 
20 

1 
12 

2 


Krankheiten des äußeren Ohres: 


182 


11 48 


20 


103 


Otitis media simplex acuta ..... 
Otitis media exsudativa acuta .... 
Otitis media simplex chronica .... 

Otitis media sclerotica 

Otitis media purulenta acuta .... 
Otitis media purulenta chronica . . . 

Caries und Nekrose , 

Residuen von Mittelohreiterung . . . 


130 
38 
67 
21 
50 
51 
15 
57 


16 
4 
4 
1 
9 
5 
2 
8 


32 

10 
34 

8 

18 
14 

4 
12 


27 
5 
6 
1 
7 
6 
4 

10 


55 
19 
23 
11 
16 
26 
5 
27 


Krankheiten des Mittelohres: 


429 


49 132 


66 


182 


Nervöse Schwerhörigkeit 

Sausen ohne Befund 


16 
32 


1 
2 


5 

14 


6 


10 
10 


Krankheiten des inneren Ohres: 


48 


3 


19 


6 


20 


Summe der Ohrenkrankheiten .... 659 


63 


199 


92 


305 


Summe der Nasen- >u. Rachenkrankheiten 


266 33 72 


38 


123 


Gesamtzahl 


925 


96 


271 


130 


428 



über Ohrenkrankheiten bei Studenten. 



63 



In dieser Zusammenstellung muß ohne weiteres auffallen die 
Häufigkeit des Vorkommens von Exostosen des Gehör- 
ganges und von Sausen ohne Befund. Ein Vergleich mit 
den Zahlen, welche ich in Prozenten ausgedrückt für den fünf- 
undzwanzigjährigen Durchschnitt des Göttinger poliklinischen 
Materials gefunden habe, beweist dieses Mißverhältnis schlagend. 
Man vergleiche in folgender Zusammenstellung die Werte, welche 
die Reihe I enthält, mit denen der Reihe III und femer die 
Zahlen der Reihe II mit denen der Reihe III. Reihe II gibt 
die entsprechenden Werte wieder, welche ich an dem poli- 
klinischen Materiale nur für männliche Patienten im Alter von 
über 15 Jahren festgestellt habe. 





I. 

Darohsohnitts- 

zahlen d. OOttinger 

pob'klin. Materials 

in 26 Jahren 


TL 
Erwachsene männ- 
liche Patienten ans 
d. GSttinger Poli- 
klinik in 26 Jahren 


III. 

Entsprechende 

Werte der 
Stadentenpraxis 


Accumalatio ceruminis . . . 
Ekzem 


13,40 Proz. 
2,80 , 
3,91 „ 
0,05 „ 
0,39 „ 


24,58 Proz. 
1,73 , 
3,77 , 
0,11 „ 
0,63 „ 


15,93 Proz. 
1.82 


Furunkel 

Exostosen 

Trommelfellruptur 


5,01 r, 

SM n 
0,76 „ 


Äußeres Ohr: 


26,79 Proz. 


34,44 Proz. 


27,64 Proz. 


Otitis media simplex acuta 
Otitis media exsudativa acuta 
Otitis media simplex chronica 
Otitis media sclerotica . . . 
Otitis media purulenta acuta . 
Otitis media purulenta chronica 
Residuen v. Mittelohreiteningen 


11,51 Proz. 

5,29 „ 
11,93 „ 

3,74 „ 
11,06 , 
11,35 „ 

8,83 „ 


8,76 Proz. 

2,07 , 
14,91 , 

6,79 ^ 

4,85 „ 
11,00 „ 

9,41 „ 


19,71 Proz. 

5,76 , 
10,17 , 

3,34 , 

7,58 , 
10,00 , 

8,65 , 


Mittelohr: 


68,91 Proz. 


58,52 Proz. 


65,09 Proz. 


Nervöse Schwerhörigkeit . . 
Sausen ohne Befund .... 


3,13 Proz. 
0,34 „ 


1,11 Proz. 
0,45 „ 


2,43 Proz. 
4,85 , 


Inneres Ohr: 


4,30 Proz. 


7,03 Proz. 


7,27 Proz. 



Es ist klar, daß es unstatthaft sein würde, zwischen diesen 
Reihen, obwohl sie nicht nur hinsichtlich des Befallenseins der 
einzelnen Ohrabschnilte, sondern auch hinsichtlich der pro- 
zentualen Häufigkeit der meisten Krankheiten recht gut überein- 
stimmen, ohne weiteres Vergleiche anzustellen, denn in Reihe I 
sind Kranke beider Geschlechter und jedes Alters, in Reihe II 
nur erwachsene Männer von 15 bis über 80 Jahren, unter den in 
Reihe III rubrizierten Studenten aber nur junge Männer von 18 



Archiv f. Ohrenhlkde. LIX. pag. 27 ff. 



64 BÜRKNER. 

bis 25 Jahren vertreten: die Differenz der Zahlen für Exostosen 
und für Sausen ohne Befund ist aber doch so erheblich, daß 
man ihre Erklärung in der Eigenart des Krankenmaterials suchen 
möchte. 

Sonst fällt ein wesentlicher unterschied nur noch bei der 
Otitis media simplex acuta auf, bei welcher die Prozentzahl in 
der Studentenrubrik erheblich hervortritt; doch gleicht sich diese 
Differenz ziemlich aus, wenn man die für die akuten Erkrankungs- 
formen des Mittelohres gefundenen Zahlen in den drei Reihen 
addiert, bevor* man sie vergleicht. Die hohe Zahl, welche dann 
in Reihe I resultiert, erklärt sich dadurch^ daß hier die Kinder 
mit vertreten sind, die ja das Hauptkontingent für diese Krank- 
heiten stellen. 

Was nun zunächst die Exostosen anbelangt, so kann ich 
eine Erklärung für ihr überraschend häufiges Vorkommen bei 
meinen studentischen Patienten nicht geben. Man ist gewöhnt 
anzunehmen, daß sie nur bei älteren Personen, vorwiegend männ- 
lichen Geschlechts, oft gefunden werden, und auch ich habe dies 
sonst bestätigt gefunden, kann auch nur feststellen, daß ich dieser 
Veränderung des knöchernen Gehörganges in keinem anderen 
Kreise jugendlicher Leute öfters begegnet bin; z. B. auch nicht 
bei Soldaten, deren ich im Laufe der Zeit eine große Zahl unter- 
sucht habe. 

Die Exostosen waren in fast sämtlichen Fällen nur gelegent- 
liche Befunde: am häufigsten bei solchen, welche an chronischen 
Mittelohreiterungen oder an Mittelohrsklerose litten, und wahr- 
scheinlich doch auch in ursächlichem Zusammenhange mit diesen 
Krankheiten der Paukenhöhle. Auch bei älteren Leuten finden 
sich ja Exostosen mit Vorliebe neben den erwähnten Ver- 
änderungen des Mittelohres vor, und es liegt nahe, dieses häufige 
Zusammentreffen als ein kausales aufzufassen. 

Von den 22 Fällen waren 12 einseitig, 10 beiderseitig; nur 
in 5 Fällen fand sich eine einzige Exostose, in den übrigen 
Fällen waren 2 oder 3 nebeneinander vorhanden. Einmal han- 
delte es sich um jene bekannten flachen Gebilde zu beiden Seiten 
des Processus Brevis, deren knöcherne Beschaffenheit hier auf 
beiden Ohren über jeden Zweifel erhaben war; in allen übrigen 
Fällen lagen buckelige Auswüchse vor, die, meist in der Mitte 
des inneren Ohrkanales saßen und fast regelmäßig von der 
hinteren und von der vorderen Wand ausgingen. Wo drei Exos- 
tosen vorhanden waren, entsprapg die dritte der oberen Wand. 



über Ohrenkrankheiten bei Studenten. 65 

Eine wirklich erhebliche Einengung des Gehörgangslumens 
habe ich in keinem der in Rede stehenden Fälle gefunden: 
niemals wäre in absehbarer Zeit eine operative Behandlung in 
Frage gekommen. Auch habe ich in keinem Falle eine nach- 
weisbare Neigung zur Vergrößerung der Neubildungen gefunden, 
obwohl ich einige der Patienten jahrelang habe beobachten 
können. In zwei Fällen waren die Erhabenheiten so flach, daß 
ich sie wohl ganz übersehen hätte, wenn nicht der äußerst hef- 
tige Schmerz bei ihrer Berührung mich aufmerksam gemacht 
hätte. Diese große Empfindlichkeit, die ja für die Exostosen im 
Ohre charakteristisch ist, hat in keinem einzigen Falle gefehlt. 
Im übrigen beschränkten sich die Folgen darauf, daß hier und 
da eine Retention von Haut- und Cerumenschollen verursacht 
wurde, welche bei einigen Patienten im Laufe der Zeit mehrmals 
Abhilfe forderte; bei Eiterungen erwuchsen in den 3 Fällen, in 
welchen Exostosen bei noch bestehender Otorrhoe beobachtet wur- 
den, keinerlei Störungen. 

Nur ein einziges Mal führte das Vorhandensein von Exostosen 
zu erheblichen Schwierigkeiten. Es handelte sich um einen Fall, 
in welchem bei der Reinigung des Ohres ein Stück des benutzten 
Zahnstochers in der Tiefe stecken geblieben war. Die Unter- 
suchung ergab, daß von hinten-oben und von vom-unten her je 
ein flacher Knochenauswuchs zu einer Einengung des Lumens 
und zu einer Retention einer kleinen in die Tiefe gedrängten 
Gerumenmasse führte. Der Fremdkörper war zunächst nicht zu 
sehen, wohl aber eine Exkoriation der stark geröteten Haut auf 
der hinteren Exostose, welche zu besonderer Vorsicht bei der Be- 
handlung aufforderte. Nachdem die CerumenschoUe durch mehr- 
maliges Ausspritzen beseitigt war, kam jenseits der Stenose der 
eigentliche Fremdkörper zum Vorschein. Da er festgespießt war, 
war er der Spritzflüssigkeit nicht gefolgt und mußte mit einer 
Zange entfernt werden. Diese kleine Operation aber war bei der 
Enge des Kanals und bei der ungemein großen Empfindlichkeit 
der Exostosen gar nicht leicht ausführbar, zumal da zu jener 
Zeit die Lokalanästhesie noch in den Kinderschuhen steckte. Der 
junge Mann hat später nie wieder einen Zahnstocher zur Reini- 
gung des Ohres benutzt und es vorgezogen, die öfters wieder 
auftretenden Ansammlungen durch Ausspritzungen beseitigen zu 
lassen. 

Kann ich, zumal da verantwortlich zu machende chronische 
Entzündungsprozesse im Mittelohr oder im Gehörgange der studen- 

ArohiT f. Ohronheilknnde. 73. Bd. Festschrift 5 



66 IX. BÜRKNER. 

tischen Patienten keineswegs ungewöhnlich häufig zur Beobachtung 
kamen, eine befriedigende Erklärung für das zahlreiche Vorkommen 
von Exostosen nicht geben, so ist eine solche eher möglich für 
die bereits erwähnte zweite Krankheitsform, welcher ich bei unseren 
Studierenden so oft begegnet bin: für das rein nervöse Ohren- 
sausen ohne Hörverschlechterung. 

Schon bei einer anderen Gelegenheit ^ habe ich darauf auf- 
merksam gemacht, daß dieses quälende Leiden, von dem ja geistig 
Arbeitende oft befallen werden, bei Examenskandidaten besonders 
häufig zu sein scheint, und ich habe schon damals die Juristen 
als diejenigen bezeichnet, unter denen das „Sausen ohne Befund'^ 
geradezu in typischer Form auffallend verbreitet ist Unzweifelhaft 
haben wir es hier in den meisten Fällen mit einer Teilerscheinung 
allgemeiner Neurasthenie zu tun, unter welcher ja gerade unsere 
Examenskandidaten so vielfach zu leiden haben. 

Daß unter den 32 von mir beobachteten Fällen, in welchen 
ein subjektives Geräusch der einzige Gegenstand der Behandlung 
war, 14 Fälle waren, welche Juristen betrafen, halte ich nicht 
für einen ZufalL Ich weiß zwar sehr wohl, daß auch unsere 
juristischen Studenten heutzutage im Durchschnitte nicht mehr, 
wie man ihnen es früher nachsagte, semesterlang ihre Studien 
vernachlässigen, aber es ist mir auch ebensowohl bekannt, daß 
selbst die fleissigsten unter ihnen, welche ihre Vorlesungen und 
Übungen regelmäßig besucht und sogar auch zu Hause gewissen- 
haft gearbeitet haben, es doch für notwendig erachten, in ihrem 
letzten Semester Repetitorien über die Hauptfächer ihrer Disziplin 
zu hören, welche sie zu einer sehr intensiven und in ihrer Art doch 
meist ungewohnten Arbeit nötigen, wenn sie in wenigen Monaten 
das höchst umfangreiche Pensum bewältigen wollen. Noch viel 
mehr aber müssen sich natürlich diejenigen anstrengen, für 
die das Repetitorium überhaupt den eigentlichen Anfang des 
Studiums bedeutet. So treten denn die jungen Leute oft schon 
erschöpft in ihre eigentliche Examensvorbereitung ein, und auch 
die fleißigsten werden jetzt nur all zu oft von steter Furcht vor 
dem Ausgange der Prüfung gequält. Dazu kommt dann bei sehr 
vielen noch der Abusus von Alkokol und namentlich von Tabak, 
durch welchen das Nervensystem noch weiter geschädigt wird. 
Daß meine Erklärung für das häufige Auftreten des nervösen 
Sausens bei Examenskandidaten undinsbesondere bei den juristischen 

1) über die Behandlung der nervösen Ohrerkrankungen. Deutsche 
mediz. Wochenschrift 1905 No. 3. 



über Ohrenkrankheiten bei Studenten. 67 

richtig sein muß, wird auch durch eine weitere Beobachtung 
aus meiner Studentenpraxis erhärtet: unter den ältesten Semestern 
kommt auch Heufieber auffallend oft vor ; und auch bei dieser zum 
guten Teile auf neurasthenischer Basis zur Entwicklung kommenden 
Krankheit, die ich übrigens selten mit Ohrerscheinungen verknüpft 
gefunden habe, stellen die Juristen das Hauptkontingent. 

Außerdem war in einzelnen Fällen, welche jüngere Semester 
betrafen, mit großer Wahrscheinliehkeit die unregelmäßige Lebens- 
weise, insbesondene übermäßiger Tabak- und Alkoholgenuss für 
das Ohrensausen verantwortlich zu machen; auch ließ es sich 
wiederholt feststellen, das die subjektiven Geräusche nach jeder 
Kneiperei an Intensität zunahmen. 

Um auf die nervösen Geräusche etwas näher einzugehen, so 
will ich noch erwähnen, daß es sich meist um hohe Töne: „Klingen^, 
„Pfeifen^, „Quietschen'^ handelte und daß diese Sensationen ent- 
weder kontinuierlich waren oder auch vorwiegend nur bei der 
Arbeit auftraten, bei der sie in fast sämtlichen Fällen in erheb- 
lichem Maße an Jntensitat zunahmen. Meist waren beide Ohren 
befallen oder wurde das Geräusch im ganzen Kopfe wahrgenommen; 
jedenfalls gehörte einseitiges Sausen zu den Ausnahmen. Natür- 
lich zähle ich in der Bubrik des nervösen Sausens nur diejenigen 
Fälle, in welchen objektiv und funktionell an den Gehörorganen 
keine Veränderungen nachweisbar waren; diese aber waren be- 
stimmt zu mindestens Dreivierteln neurasthenischer Natur, und ein 
erheblicher Teil der Kranken stand auch gleichzeitig in Be- 
handlung der medizinischen oder der psychiatrisch-neurologischen 
Klinik. 

Kurz erwähnen möchte ich noch, daß bei den Ohrerkrankungen 
der Studenten die Syphilis nach meinen Erfahrungen eine geringe 
Rolle spielt. Ich habe nur 17 Fälle gesehen, in welcher mit mehr 
oder weniger Sicherheit eine Mittelohraffektion oder eine Krank- 
heit des inneren Ohres auf eine spezifische Jnfektion zurück- 
geführt werden konnte; unter ihnen auch zwei Fälle von nervösem 
Sausen. Auch unter den Nasen- und Bachenpatienten waren ver- 
hältnismäßig wenige von Lues befallen. Öfters kamen Jünglinge zur 
Untersuchung durch ihr schlechtes Gewissen getrieben, wenn eine 
harmlose Angina die ärgsten Befürchtungen in ihnen erweckt hatte. 
Zum Schlüsse habe ich noch der bei Mittelohreiterungen be- 
obachteten Komplikationen zu gedenken. 

Letal verlief nur ein Fall, aber auch dieser nicht infolge der 
Otitis, sondern infolge von Typhus. Hingegen habe ich zwei 



68 IX. BÜRKNER. Über Ohrenkrankheiten bei Studenten. 

Fälle von intrakraniellen Komplikationen — und mehr habe ich 
bei Studenten überhaupt nicht beobachtet — heilen sehen. Beide 
fielen noch in die Zeit, in welcher Eingriffe in die Schädelhöhle 
bei otitischen Komplikationen noch unbekannt waren. In dem 
einen Falle bestand eine schwere otitische Meningitis noch akuter 
Mittelohreiterung ohne äußerlich erkennbare Beteiligung des Warzen- 
fortsatzes. Die Meningitis bestand noch fort, als die Mittelohr- 
entzündung bereits geheilt war; aber auch sie hat üble Folgen 
meines Wissens nicht hinterlassen, denn der damalige Patient ist 
schon längst Professor. Im zweiten Falle kam es auf Grund einer 
früher von mir behandelten chronischen Otitis media zu Sinus- 
phlebitis und Pyaemie. Ich sah den Kranken in diesem Zustande 
nur einmal im Wohnorte seiner Eltern und hatte später die Freude 
mich zu überzeugen; daß meine relativ nicht ungünstig gestellte 
Prognose «ich bewährt hat. Auch die nach meinen Vorschriften 
sor^ältig behandelte Ohreiterung war ausgeheilt. 



X. 



Ein Fall von otogenem eztradüralem Abszess* 



Von 

Prof. A. Trinietti in Neapel. 



Unter den vielen veröffentlichten Fällen dieser Erkrankungs- 
form dürfte folgender, aus meiner Privatklinik stammender, durch 
den bei der Operation aufgedeckten Befund auf einiges Interesse 
Anspruch machen. 

Ein erwachsener Patient, Soldat, sonst gesund und ohne erwähnenswerte 
Belastung, erkrankte am 10. Dezember 1905 mit Ohrenschmerzen rechts und 
bald darauf eingetretenem Ohrenfluß; ohne nachweisbaren Grund nahmen 
die Schmerzen in den nächsten Tagen an Heftigkeit zu. Die Therapie be- 
stand in reichlichen Auswaschungen und häufiger Anwendung von 
Valsalvas und Politzers Verfahren. Ich untersuchte P. zum ersten 
Male am 24. Februar 1906 und fand das rechte Trommelfell leicht gerötet, 
trüb, eine kleine Perforation am untersten Segmente, woselbst Sekret an- 
gesammelt war; Warzenfortsatz beim Druck leicht empfindlich. Patient 
gibt heftige spontane Schmerzen an, in der Tiefe des Ohres. Sonst leichte 
Fieberbewegung vorhanden, kein bedenkliches Aussehen, keine nachweis- 
baren Gleichgewichtsstörungen. Die Schmerzen standen in keinem Verhält- 
nisse zu dem aufgenommenen ßefunde, und ich dachte an das Vorhanden- 
sein der gewöhnlichsten Komplikation, d. i. Mastoiditis, zu deren Entstehen 
vielleicht die befolgte Therapie (Lufteintreibungen), vielleicht auch eine schon 
bestehende Verdickung des Trommelfelles beigetragen haben mochte. — Von 
einer Erweiterung der Perforation konnte man sich nicht viel versprechen und 
ich riet zu Mastoidotomie. Inzwischen Ausschluß der Lufteintreibungen, 
trockene Ohrbehandlung (Jodoformgaze), Rokaineinträufelungen während 
der Schmerzanfälle. Letztere nahmen in den nächsten Tagen etwas ab^ 
wurden aber am 4. Tage nach der Behandlung wieder sehr heßig und traten 
anf ausweise auf; zugleich wurde die Eiterung sehr kopiös und nahm eine 
krümelige Beschaffenheit und graue Färbung an, wie bei Knochenabszessen. 
Warzenfortsatz unverändert, Körpertemperatur eher subnormal. Der 
Widerspruch in den Erscheinungen ließen den Verdacht an einen extra- 
duralen Abszeß aufkommen, wiewohl die Möglichkeit offen stand, es 
handle sich doch nur um eine Antrumentzündun^ mit leichter gewordenem 
Aasflasse durch den Aditus, wie solche faktisch, ohne äußere Er- 
scheinungen, häufig vorkommen. Endlich entschloß sich Patient, am 
13. März zur Operation und zwar nachdem in der vorhergehenden Nacht 
eine diffuse Schwellung hinter und oberhalb der Ohrmuschel sich ge- 



70 X. TRIFILETTL Ein Fall von otogenem extraduralem Abszeß. 

zeigt hatte. Der Sitz der Schwellung, ihr spätes Auftreten bekräftigten den 
Verdacht an eine exstradurale Eitersammlung in der mittleren Schädelgrube. 
14. März : Oi)eration. Chloroformnarkose. Weichteile stark infiltriert, Periost 
blutreich, kein Eiter daselbst; Meißel Operation am Orte der Wahl; Kortikalis 
sehr hart, von kleinen Zellen durchsetzt, die wohl blutreich aber nicht 
eitrig belegt waren. Antrum tief liegend und klein, enthält einige Tropfen 
Eiter, der dünnflüssiger als das Sekret im Gehörgange sich zei^. Dieser 
Umstand deutete auf einen zweiten tieferen Eiterherd, und so drangen wir 
vorsichtig mit scharfen Löffeln weiter vor nach oben und hinten und er- 
öffneten an zwei Stellen die Kortikalis interna, aus welchen sehr reichlich 
weißlicher, lufthaltiger Eiter unter Druck herausfloß. Nach Erweiterung 
der Knochenlücke und Abtupfung des Sekrets konnte man die rotbläulich 
glänzende Dura in der Tiefe pulsieren sehen, und die vorsichtig tastende 
Sonde konnte ziemUch weit herumgeführt werden. Da wurde Patient 
apnoisch und wir mußten eiligst die Operation schließen, und zwar nach 
Reinigung der Dura mit Jodoformtupfem und lockerer Tamponade, die 
das Antrum nach innen nicht überragte. Nach 24 Stunden, beim Verband- 
wechsel, fanden wir zu unserer Verwunderung wieder viel Eiter aus der 
Tiefe hervorquellend, jedoch weniger weiß und dicklicher als am Operations- 
ta^e, was die Annahme bekräftigte, es handle sich immer um dieselbe Eiter- 
honle, deren Sekret günstig beeinflußt werde; zugleich fanden wir aber am 
Seitenwandbeinhöcker eine phlegmonöse Steile. Am nächsten Tage, als wir 
durch letztere Erscheinung bestimmt, alle Vorbereitungen zu einem zweiten 
Eingriffe getroffen hatten, fanden wir die Operationshöhle rein und ohne 
Sekret. Wir beschränkten uns daher auf Spaltung der Parietalschwellung, 
die aus einer umschriebenen subperiostalen Eiteransammlung bestand. 

Der weitere Verlauf entsprach unserer Erwartung; die umschriebene 
Phleffnaone verheilte rasch. Nach zwei Monaten war der Kranke geheilt 
und blieb auch so. 

Daß unser Verhalten in den verschiedenen Momenten des 
Krankheitsverlaufes gerechtfertigt war, geht aus dem Ganzen 
ohne weiteres hervor; wir wollen jedoch anknüpfend einige all- 
gemeine Betrachtungen zusammenfassen, ohne jedoch bindende 
Schlüsse ziehen zu wollen: • 

1. Wir glauben in unserem Falle ist der extradurale Abszeß 
nicht als Nebenerscheinung im Vergleiche zu dem sonstigen 
Befunde, wie er sich gewöhnlich gestaltet, aufzufassen; vielmehr 
war derselbe prädominierend und gleichsam primär mit der 
Otitis media pur. verlaufend, was vielleicht durch die un- 
zeitig angewendeten mechanischen therap. Maßnahmen be- 
dingt war. 

2. Zugegeben die schwierige Diagnose von derlei Abszessen, 
ist in unserem Falle durch genaue Erwägung der Krankheits- 
erscheinungen die Möglichkeit erwiesen, daß man sich der 
Diagnose nähern kann. 

3. Wenn es auch richtig ist, daß das einzuschlagende 
Verfahren von dem Operationsbefunde abhängt, so ist es ge- 
wiß erfreulich, durch die wenig eingreifende, segensreiche 
Schwartze'sche Operation eine so gefährliche Komplikation be- 
wältigt zu haben. 



XL 



Ober den Verlauf der peripheren Fasern 
des Nenras Cochleae im Tnnnelranm. 

Vorläufiger Bericht 

von 

Prof. E. Kishi, 
Prof. a. d. med. Hochschule zu Tachoku auf Formosa (Japan). 



Während andere Teile feiner Struktur am Cortischen Organ 
mehrfach Bearbeiter gefunden haben, hat die Forschung dem 
Verlauf der peripheren Fasern des Nervus Cochleae im Tunnel- 
raum seit langem keine Beachtung mehr zuteil werden lassen. 
Viele Autoren, die sich mit diesem Gegenstand beschäftigten, 
schlössen sich eng der Auffassung des um die Anatomie des 
Gehörorgans hochverdienten Forschers Eetzius an; schon vor 
diesem hatten Deiters, Loewenberg, Gottstein, Nuel, 
Hensen und Lavdowsky den peripheren Verlauf des Nervus 
Cochleae untersucht; er war aber der erste, der ihn richtig er- 
kannte und eingehend beschrieb. 

Nach Retzius^) verläuft der Tunnelstrang an der äußeren 
Fläche der inneren Pfeilerzellen, nahe an deren Fuß, dicht über 
dem Kern, und von diesem Strang gehen die radialen Tunnel- 
fasem sich etwas hebend und fast gerade nach außen zwischen 
die äußeren Pfeilerzellen ab. Außerdem fand Retzius bei der 
Katze Faserzüge, die sich von dem Tunnelstrang aus zum Tunnel- 
boden senken und sich etwa an der Grenze der Fußplatten der 
inneren und äußeren Pfeilerzellen anheften, hier zuweilen ent- 

1) Retzius, Das Gehörorgan der Wirbeltiere. Bd. II. Stock- 
holm 1884. 



72 XL KISHI. 

weder den gaozen oder einen akzessorisch spiralen Zug bilden 
und sich dann wieder heben, um zwischen den äußeren Pfeiler- 
zellen radial zu den Deiterschen Zellen zu treten. 

Genauer wurden dieselben Nervenfasern schon einmal von 
mir untersucht. Ich sagte damals: ^die Form und Größe des 
Tunnelstrangs ist nicht nur bei den verschiedenen Tieren etwas 
voneinander verschieden, sondern auch in der Gegend der 
Schneckenwindung eines und desselben Tieres oft ungleich. Ich 
fand auch bei Hunden und Kaninchen zuweilen noch einige 
kleine Züge, die unterhalb des großen Hauptzuges lagen. Über 
die radialen Tunnelfasern schrieb ich folgendes: ^ Diese Fasern 
laufen bei Kaninchen und Meerschweinchen gewöhnlich ein 
kleines Bündel bildend durch den Tunnelraum gerade nach außen, 
oder indem sie sich etwas erheben, zu den Spalten zwischen den 
äußeren Pfeilerzellen. Nicht häufig laufen sie, wie bei anderen 
Tieren, z. B. Hund und Katze, absteigend nach dem Tunnelboden, 
oder nach der Fußplatte der äußeren Pfeilerzellen. Femer findet 
sich bei Hund und Katze am Boden des Tunnels, wie Fig. 3 
und 5 T. b. S. zeigt, ein spiraler Zug, den Betzius schon bei 
der Katze zuerst beschrieben hat.^ 

Unsere Kenntnis des Tunnelstrangs und der radialen Tunnel- 
fasern steht also seit Deiters noch auf schwankendem Boden. 
In der Literatur zeigen die Endnervenfasem im Tunnelraum bei 
den verschiedenen abgebildeten und beschriebenen Präparaten 
stets ein verschiedenes Bild. Unsere Ermittelungen über den 
Grund dieser Abweichungen haben mich, nachdem ich alle 
Fixierungsmethoden, die bisher zur Anwendung gelangt waren, 
ausprobiert hatte, zu der Überzeugung geführt, daß diese Ab- 
weichungen nur auf dem Unterschied der angewendeten Fixierungs- 
mittel zurückzuführen sind. Im Tunnelraum können über- 
haupt sogenannte radiale Tunnelfasern nicht vor- 
handen sein, und die Endnervenfasern des Nervus 
Cochleae müssen im Tunnelraum immer auf dem 
Tunnelboden entlang verlaufen. Die bisher von ver- 
schiedenen Autoren beschriebenen oder gezeichneten radialen 
Tunnelfasem sind nichts anderes als ein Kunstprodukt, hervor- 
gerufen durch Schrumpfung und Ablösung der Nervenfaserschicht 
vom Tunnelboden. Faserzüge auf dem Tunnelboden, wie sie von 

1) Kishi, Über den peripheren Verlauf und die Endigung des Nervus 
Cochleae. Archiv für mikroskopische Anatomie und Entwickelungsgeschichte. 
Bd. 59. 1901. 



über den Verlauf d. peripheren Fasern d. Nervus Cochleae im Tunnelraum. 73 

Setzius und von mir beschrieben worden sind^ habe ich jetzt 
noch bei manchen Präparaten gefunden. Die sogenannten 
radialen Tunnelfasem bestehen zuweilen nur aus einigen 
Fäserchen, und zwischen diesen und dem Tunnelboden sind 
feine Nervenfasern spinnengewebeartig ausgespannt. Nicht selten 
auch habe ich bei gut gelungenen Präparaten gefunden, daß in 
einer Strecke der Schneckenwindung keine sogenannten radialen 
Tunnelfasem zu finden sind, auf dem Tunnelboden dagegen sich 
eine deutlich sichtbare Nervenfaserschicht befindet. Ich glaube 
demnach behaupten zu dürfen, daß im Tunnelraum die 
peripheren Nervenfasern des Nervus Cochleae nur 
am Tunnelboden entlang verlaufen, nie frei im 
Tunnelraum, und daß die sogenannten radialen Tun- 
nelfasern nur durch die Ablösung der Nervenfasern 
vom Tunnelboden entstehen können. 

Eine weitere eingehende Mitteilung hierüber wird später in 
einer erschöpfenden Darstellung gemacht werden. 



XII. 

Aus der Kgl. Üniversitäts-Ohrenpoliklinik in München 

(Prof. Dr. Hang). 

Beiträge znr Kasuistik nnd patholog, Anatomie der Neu- 
bildungen des äusseren Ohres. 

Von 

Rttd. Haag: in München. 



Im Anschlüsse an meine früheren teils im Archiv für Ohren- 
heilkunde, teils in Zieglers Beiträgen zur pathologischen Ana- 
tomie erschienenen größeren Arbeiten möchte ich hier kurz über 
einige von mir im Laufe der letzten Zeit beobachtete Fälle be- 
richten. 

I. Angio-myxom des Meatus. 

Ein 36 jähriger Mann stellt sich vor mit der Angabe, er fühle seit ca. 
einem halben Jahre bei dem Versuche der Reinigung des Ohres linkerseits 
einen vorher nicht dagewesenen Widerstand; die Berührung sei zwar nicht 

gerade schmerzhaft, doch immerhin unangenehm. Hie und da blute auch 
as Ohr leicht, allerdings nur vorübergehend und meistens bei mechanischer 
Reinigung. Auch sei das Hören gegen früher etwas beeinträchtigt. Erst 
sei blos ein klemes Knöpf chen gewesen ; im letzten Monate sei das „Pinkerl'* 
schnell gewachsen; so daß es seinem Inhaber Unruhe verursachte. Ohren- 
krank sei er vorher niemals gewesen. 

Die Untersuchung ergibt den linken Gehörgang nahezu völlig ausgefüllt 
am Eingange mit einer prall gespannten, stark succulenten, glänzenden, 
rosaroten, mäßig derben, consistenten, an keiner Stelle Fl uctuation aufweisenden 
Geschwulst. Sie sitzt offenbar an der untern und hintern Wand auf und läßt 
sich an der vorderen und oberen Wand mit der Sonde wegdrücken; ihre 
Basis ist keine gestielte, sondern eine mehr breite. Besondere Empfindlichkeit 
weist sie nicht auf. Die Form ist ungefähr die einer Bohne. Die functionelle 
Prüfung ergab eine sehr leichte Herabsetzung der Hörfähigkeit, beruhend 
auf einer Affection des Schalleitungsapparates. 

Die Geschwulst wird mit der kalten Schlinge nach Anästhesierung des 
Gehörgan^es durch Iniection mit Novocain-Suprarenin abgetragen und es 
gelingt, sie in intoto herauszubekommen. Die Blutung ist eine verhältnis- 
mäßig recht erhebliche und erfordert eine allerdings nur kurze Zeit dauernde 
Tamponade. 

Nach Sistierung derselben kann die Ursprungsstelle genau besichtigt 
werden; es ist nun die ganze Hautlage des knorpeligen Meatus an der 
hinteren und unteren Wand bis auf den Knorpel hinein abgeschnitten. 



Beiträge zur Kasuistik u. patholog. Anatomie d. Neubildung, d. äuß. Ohres. 75 

Auf einfache trockene Gazeeinlage heilt der Defekt innerhalb 10 Tagen 
völlig tadellos aus, so daß an Stelle der Geschwulst nurmehr ein leicht roter 
frischer Narbenfleck zu bemerken ist. 

Das nun gut zu übersehende Trommelfell ist normal. Die damaligen 
leichten Störungen sind total verschwunden. 

Makroskopischer Befund: 

Der kleine Tumor von der Größe und Form einer gut mittel- 
großen Bohne weist auf seiner ganzen Oberfläche eine äußerst 
verdünnte zarte Oberhaut auf, ähnlich der, wie sie sich bei den 
Exostosen findet. Er fühlt sich mäßig weich an. Auf dem 
Durchschnitt ist er lebhaft rot, mit gelblich rötlichen oder weiß- 
lichen Stellen untermischt; er schneidet sich mittel weich und 
gibt auf der Schnittfläche relativ viel sero-sanguinolente Flüssig- 
keit ab. 

Mikroskopischer Befund: 

(Fixierung und Härtung in Formol; Färbung mit Hämato- 
xylincarmin.) 

Die Geschwulst erweist sich zunächst allenthalben von einer 
dünnen Hautlage überzogen, in der man noch die Beste atro- 
phisch gewordener Geruminaldrüsen stellenweise finden kann. 
Die Papillarlage weist keinerlei dendritische Verzweigungen auf. 
An sie schließt sich dann ein ausgedehntes Hohlraumsystem, 
das zum größten Teil aus ziemlich dünnwandigen neuen Gefäßen 
besteht; sie sind zum Teil stark erweitert. Zwischen diese Ge- 
fäßpartien ziehen bindegewebige Scheidewände, teils schmal, teils 
breiter. 

Imra großen und ganzen ist dieses Septumgewebe nichts 
anderes als einfache gewöhnliche Bindesubstanz. 

An zwei breiteren, ziemlich mächtigen und auch an etlichen 
kleinen Bindegewebestreifen jedoch läßt sich eine myxomatöse 
Degeneration nachweisen. Es ist nicht allein die Bindesubstanz 
gequollen, sondern wir sehen auch eine ziemliche Anzahl großer 
schöner, vielfach verzweigter, zum Teil mit peitschenähnlichen 
Fortsätzen versehener Zellen. 

Wir werden also von diesem histologischen Bilde anzunehmen 
haben, daß es sich um ein Angiom im wesentlichen handelt 
mit partieller myxomatöser Veränderung des interstitiellen 
Bindegewebes. » 

II. Papilloma dendriticum meatus. 

Em 22 jähriges Mädchen stellt sich vor mit der Angahe, sie empfinde 
seit'etwa einem Jahre etwas haites im Gehörgange, das sie oft zum Kratzen 
und Jucken veranlasse, worauf dann leichtes Bluten und hinterher Schmerzen, 



76 XU. HAUG. 

wenn auch nicht hochgradig, aufträten. Früher sei Ohreiterung vorhanden 
gewesen, seit ^Ia Jahren sei nichts mehr bemerkt worden. 

Die objektive Untersuchung ergibt: 

Der Meatus des linken Ohres ist zum großen Teil verlegt durch ein 
eigentümliches graurötliches Gebilde, das sich, einer kleinen Koralle ähnlich, 
in dem knorpeligen Abschnitt befindet und in seiner Hauptsache gestielt 
aufsitzend auf zwei Stämmen, von der untern Wand auszugehen scheint. 
Die Berührung ist kaum empfindlich, jedoch blutet das Gebilde leicht In 
die Tiefe läßt sich z. Z. noch nicht deutlich vorblicken, jedoch kann man 
alten eingedickten vertrockneten Eiter wahrnehmen. 

Die Hörfunktion ist wesentlich vermindert, indem die Flüstersprache 
bloß auf 10 cm vernommen wird. Die Stimmgabelprüfungen ergeben ein 
reines Schalleitungshindemis. Beim Politzem ein breites Perforationsgeräusch, 
aber trocken, ohne Secretbeiklang. 

Da Patientin dringend um Erleichterung ihres Zustandes, der ihr sehr 
unangenehm zu sein scheint, bittet, wird sofort die Abtragung der kleinen 
Neubildung mittels der kalten Schlinge vorgenommen. Es gelingt zunächst 
leicht den einen größeren Teil abzuschnüren; jedoch ist die Blutung darauf 
eine relativ recht bedeutende, so daß erst nach einer Viertelstunde, während 
tamponiert und mit Suprarenin vorgegangen worden war, wieder an das 
zweite Stück herangegangen werden kann. Dies hat sich nun aber durch 
die Tamponade etwas verlagert und kann nur mit ziemlicher Mühe nach 
verschiedenen Versuchen schlingengerecht fest gelegt und extrahiert werden. 
Die Blutung ist hier eine geringere. Vorläufig wird bloß auf 24 Stunden 
tamponirt, nach dem man sich überzeugt hatte, daß alles Elranke tatsächlich 
entfernt worden war. Bei der Tags nach dem Eingriff vorgenommenen 
Untersuchung konnten zunächst am Trommelfell die Residuen einer abge- 
laufenen chronischen Mittelohreiterung nachgewiesen werden, in dem in der 
vorderen unteren Partie eine ca. halolinsengroße rundliche, mit verdickten 
Rändern versehene, trockene Perforation konstatiert wurde ; außerdem waren 
noch Kalkflecke weiter oben zu sehen. 

Des weiteren ließen sich z. T. die Ansatzstellen der Geschwülste deutlich 
entdecken; es sind zwei kleine, rundliche ca. 8— 4 mm im JDurchmesser 
habende, noch leicht über das Niveau herausragende, bei Berrührung wieder 
blutende Stellen. Sie werden sofort einer gründlichen Vorätzung mit Tri- 
chloressigsäure unterzogen. 

Der weitere Verlauf war ein völlig glatter, indem sich nach Abstoßung 
des Schorfes am 10. Tage alles schön vernarbt zeigte. Patientin war von 
dem Erfolge sehr befriedigt, da sie nunmehr keinerlei Unannehmlichkeiten hatte» 

Die makroskopische Untersuchung der zwei ent- 
fernten kleinen Tumoren ließ sie als graurötliche, ganz eigenartig 
wie Korallen oder Baumzweige sich verästigende, sich mäßig derb 
anzufühlende, an der Oberfläche leicht drusig gerauht anzusehende 
Exkreszenzen erkennen. 

Bei dem Durchschnitt ergibt sich eine ziemlich derbe Resi- 
stenz ; Gewebeflüssigkeit gering. An der Peripherie ist die Farbe 
eine dunklere, graurötliche bis graue, in den mittleren Partien 
weißrötlich. 

Mikroskopische Untersuchung. 

(Fixierung in Alkohol mit Eisessig; Härtung in Alkohol; 
Färbung mit Hämatoxylincarmin; Lithioncarmin mit Pikrin- 
alkohol.) 



Beitrage zur Kasuistik u. patholog. Anatomie d. Neubildung, d. äuß. Ohres. 77 

Zunächst finden wir an der Peripherie eine starke Ent- 
wickelang des Oberhautlagers, indem sich die Papillen als sehr 
lange und tiefe, dabei aber zumeist nicht breite Zapfenstreifen in 
die Tiefe senken, selten einfach verlaufend, sondern zumeist viel- 
fach oder mehrfach verzweigt, dendritisch. Dadurch entsteht 
nicht selten eine Art eines tief lappigen Baues. 

Die dunkleren Partien ergeben sich als starke pigmentierte 
Retezellen, die fast regelmäßig laufend, einen ganzen Saum 
bilden. 

Zwischen den Papillen schieben sich verhältnismäßig zahl- 
reiche und große Gefäße durch und das Bindegewebe ergibt sich 
als eine größtenteils fibrilläre, mäßig zahlreiche Bindesubstanz 
ohne irgendwelche Besonderheit. 

Diesem mikroskopischen Befund gemäß werden wir berech- 
tigt sein, die vorliegende Neubildung als ein Papilloma den- 
driiicum des Meatus anzusprechen, das vorläufig noch nicht 
die Tendenz der Malignität trägt, immerhin aber, bei längerem 
Bestände, möglicherweise eine Metapasie ins Carcinomatöse hätte 
erreichen können. Eigentümlich ist auch die an diesem Orte 
nicht gewöhnliche Pigmenteinlagerung. 

Bezüglich des Entstehens des kleinen Neoplasmas dürfte die 
eiterige chronische Mittelohreiterung durch den seinerzeitigen per- 
manenten Reiz der Gehörgangswandung ätiologisch wirksam ge- 
wesen sein. Vielleicht wäre auch denkbar, daß, von der Patientin 
bisher unbeachtet, ein kleiner naevusähnlicher Fleck an der Wand 
saß, von dem aus durch die Beizung die Bildung ihren Anstoß 
nahm; am ehesten würde sich dadurch zwanglos auch das Vor- 
handensein der pigmentierten Zellen erklären lassen. Anam- 
nestisch war aber, wie gesagt, nichts in dieser Beziehung zu 
eruieren. 

Daß trotz der relativen Dicke der Hautlager so leicht 
Blutungen auftraten, bei mechanischer Läsion, hat möglicher- 
weise seinen Grund darin, daß die einzelnen kleinen Sprossen 
leicht abgerissen oder wenigstens eingerissen werden konnten und 
so zu den Gefäßen den Zutritt gaben. 



XIIL 



Labyrintherscheinnngen w ä h r e n d der Ohroperationen. 



Von 

Rudolf Panse in Dresden-Neustadt. 



Die Frage der vom Ohre ausgehenden Gleichgewichtsstörungen 
ist durch eine unendliche Fülle von Tierversuchen, die von Stein 
bis zum Jahre 1893 zusammenstellte, durchforscht worden. Erst 
viel später fing man an die Beobachtungen an Kranken zur Klärung 
der schwierigen Verhältnisse planmäßig zu benutzen. Als ich im 
Jahre 1901 über den Gegenstand auf der Versammlung der deutschen 
otologischen Gesellschaft sprach fand ich nur wenig Teilnahme. 
Seitdem ist er nicht wieder aus den Fachschriften und Versamm- 
lungen verschwunden. Es ist aber aus einer Quelle wichtigster 
Erkenntnis bisher nur ganz wenig geschöpft worden, das ist die 
Beobachtung der Kranken während der Operation. 

Ich habe 5 Fälle von Labyrinthbeteiligung, während der Frei- 
legung der Mittelohrräume, beobachtet, allerdings die ersten nicht 
mit der Genauigkeit wie die letzten. Zweck dieser Zeilen ist auch 
die Aufmerksamkeit der Halleschen Klinik auf diesen Punkt zu 
lenken. 

1. ßobert S. 1./2. 94. 24 Jahre alt. Aufmeißelung links. Kolossale 
Weichteilblutung, Knochen hart und sehr blutreich, linea temporalis sehr 
stark ausgeprägt, ebenso laterale Kuppelwand. Aufmeißelung von vom, sehr 
kleines Antrum. Amboß cariös, am langen Schenkel reichliche Granu- 
lationen, in der Pauke Plattenepithel von weißer Farbe. In der Stapes- 
gegend werden die Granulationen gelassen. Beim Freilegen der hinteren 
ohle springt ein etwa V» cm großes Knochenstück mit einem rinnen- 
förmigen Teil des äußeren Bogenganges ab, die Richtung ist etwa 60® zur 
wagerechten. Er ist außergewönlich weit nach außen gewölbt, mit sehr 
dünner Knochenschale versehen. Beim ersten Verbandwechsel wird der 
Kranke plötzlich mit großer Kraft auf die rechte Seite geworfen; er 
empfindet Drehung des Bettes nach der linken Seite. Beim Blick nach 
rechts stets Nystagmus derart, daß der Augapfel schnell von links nach 



Labyrintherscheinungen während der Ohroperationen. 79 

rechts zuckt und langsam nach links zurückgeht, etwa 2 mal in der 
Sekunde. 

2. Hermann H., 30 Jahre. 19./6. 00. Rechts normale Weichteile, etwas er- 
weiterte Gefäßlocher, Durchbruch der Hinterwand, verkästes Cholesteatom 
mit Granulationen wird ausgeräumt. Eine Fistel von etwa Linsengröße 
■ wird freigelegt mit käsigem Cholesteatom drin. Stärkerer Druck mit einem 

spitzen Wattetampon stellt den Bulbus etwa eine Minute lang in den nasalen 
Winkel. Bei ganz leichtem Tupfen Nvstagmus wie tags vorher bei Druck auf 
den Tragus, schnell zuckend nach reents, langsam nach links zurückkehrend. 

3. 23./6. Ol. 12 jähriger. Aufmeißelung rechts. Normale Weichteile. 
Nach wenigen Schlägen Fistel in der Kortikalis freigelegt, die in eine Höhle 
mit entsetzlich stinkendem Cholesteatom und Eiter führt. Der äußere Bogen- 
gang liegt weit frei, beim Abtragen der Uinterwand (mit flachem geraden 
Meißel, also wohl mit dessen Ecke) wird ein Stück aus dem Bogengang 
herausgeschlagen. Es ist fraglich, ob eine Fistel da war, da ganz nahe dabei 
Granulationen und mehrere rundliche Höhlen in der Richtung des äußeren 
Bogenganges vorhanden waren von Hanfkomgröße mit Cholesteatom darin. 
Sinus und Dura nirgends frei, von Gehörknochen nichts mehr da. Sofort 
nachdem der Defekt im Bogengang bemerkt wurde, Nystagmus, auch am 
folgenden Tage mit schnellen Schlägen nach links, langsamen nach rechts. 

4. LudwigF. 10./12.04. 67 J. 29./10. Influenzeiterung links, 9./12. Schwindel, 
10. sehr stark und Erbrechen. Normale Weichteile, erweiterte Gefäßlöcher. 
Beim ersten Meißelschnitt quillt unter Druck Eiter hervor. Knochen sehr weich, 
ein etwa 5 Pfennigstück großes, zackiges, lockeres Enochenstück mit matschen 
Granulationen wird entfernt. Beim Tupfen in der Gegend des absteigenden 
Schenkels des äußeren Bogenganges tritt der Bulbus jedesmal langsam in die 
Stellung nach rechts und bleibt dort stehen solange der Druck dauert Hört 
dieser auf, so geht er langsam ohne Zucken wieder zurück. Eine, soweit das 
Blut gestattet, als glasigschleimig, nur undeutlich erkennbare Stelle scheint der 
geöffnete Bogengang zu sein. Lockere Jodoformborsäure — Gaze — Tamponade. 

5. HansA. 2./ 10. 05. 13 Jahre. Bei akuter Eiterung links I./IO. Erbrechen, 
Schwindel: Umgebung geht rechts und links, ab und zu. Weichteile normal, 
Knochen weich, stark blutend. Zellen erstrecken sich nach dem Hinterhaupt zu. 
Beim Sondieren in den Gehörgang und im Antrum gehen die Augäpfel wie mit 
der Sonde geschoben nach rechts weg und kommen beim Wegnehmen zurück. 
Dabei bleibt oft der rechte Bulbus stehen, sodaß beide in äußerster 
Divergenz sind. Pupillenspiel unsicher. Auch keine deutlichen Bewegungen 
nach unten und oben. Starke Blutung des Knochens verhindert deutlich zu 
sehen, ob Fenster oder Bogengang offen war. Adrenalin absichtlich nicht 
verwendet. Überall im aditus matsche Granulationen und Eiter. Granu- 
lationen und einige Sequester aus dem zu Walnußgröße ausgehöhlten Warzen- 
fortsatz entfernt. Sonde in den aditus geschoben und alles lateral davon 
befindliche weggenommen fast ohne Meißel nur mit der Knochenzange; 
Dura freiliegend. Nystagmus tritt bei Druck auf den Amboß oder dessen 
Gegend auf. Ganz lockere Tamponade. Danach steht der linke Bulbus 
nach außen, der rechte normal in der Mitte und nach oben. 

Die wenigen Fälle beweisen, welche fesselnde Erscheinungen 
wir bei der Freilegung der Mittelohrrräume beobachten können; 
bei Druck auf den Bogengang meist Abweichen der Augäpfel 
nach der gesunden Seite, aber in ganz verschiedener Weise, bald 
zuckend, bald langsam, bald hart in die Ecke eingestellt, bald beide 
Augäpfel verschieden. Beobachtungen aller dieser Erscheinungen 
werden uns in der Kenntnis der Labyrinthverrichtungen fördern 
und, wenn genau beobachtet vor gefährlichen Verletzungen bis 
zu einem gewissen Grade schützen. Sie treten eben so sicher ein 
wie Zucken des Gesichtsnerven bei seiner Berührung. 



XIV. 



Ober subjektive echoartige Gehörserscheinnngen (Doppelt- 
hören, Diplakusis, Diplakasis echotica).^) 



Von 

Tietor Urbantsehitseh in Wien. 



Die Erscheinung, daß sich ein Gehörseindruck unmittelbar nach 
seiner Erregung subjektiv wiederholen kann, ist längst bekannt. 
Sie wurde in den bisher beobachteten vereinzelten Fällen zumeist 
auf Veränderungen in der Schalleitung bezogen. In meiner Ab- 
handlung : Über das An- und Abklingen akustischer Empfindungen '^) 
habe ich angenommen, daß ein verspätetes Anklingen akustischer 
Empfindungen am schwerhörigen Ohre eine verspätete Schall- 
empfindung und dadurch eine echoartige Erscheinung bedingen 
könne; auch Kayser betrachtet eine verzögerte Gehörsempfindung 
als Ursache der Diplakusis echotica am erkrankten Ohre. Wie 
ich jedoch erneuten Untersuchungen entnehme, werden subjektive 
echoartige Gehörserscheinungen sowohl am schwerhörigen, als 
auch am gesunden Ohre keineswegs selten angetroffen, jedoch 
gewöhnlich nicht beachtet und erst dann wahrgenommen, wenn 
die Aufmerksamkeit darauf gerichtet wurde oder wiederholte Ver- 
suche stattgefunden haben. Selbstverständlich hat man sich dabei 
vor jeder suggestiven Einwirkung zu hüten. Dem Phaenomen des 
subjektiven Wiederhörens liegt, meiner Untersuchung zufolge, ein 
psycho-physiologischer Vorgang zu Grunde, der den akustischen 
Gedächtnisbildern beizuzählen ist. Es entspricht dies der optischen 
Erscheinung, daß ein unmittelbar vorausgegangener Gesichtseindruck, 



1) Kayser, Intern, medizin. Kongreß, Berlin 1S90. 

2) Pflüg ers Archiv 1881, Bd. 25. S. 325. 



über subjektive echoartige Gehöi'serscheinungen. 81 

nach Verschluß der Augen, oder im dunklen Baume subjektiv 
wiederauftreten kann. Wie die Erfahrung lehrt, können die ver- 
schiedenen pathologischen Zustände des Ohres, vielleicht durch 
Veränderung des Gehöreindruckes, durch Ausschaltung anderer 
störender Gehörseindrücke, hie und da echoartige Erscheinungen 
auffällig hervortreten lassen und da die genannte Erscheinung 
bisher nur in solchen Fällen zur Beobachtung gelangte, wurde 
sie überhaupt für pathologisch aufgefaßt, während, meiner An- 
sicht nach, nur das besonders starke Auftreten der echoartigen 
Erscheinung und nicht diese selbst als ein besonderes Phaenomen 
anzusprechen ist, sowie in ähnlicher Weise die vonNussbaumer^), 
von Bleuler und Lehmann 2) sowie vielen Andern beschriebenen 
subjektiven Farbenempfindungen bei Erregung anderer Sinnes- 
empfindungen, meinen 3) Untersuchungen zufolge als physiologische 
Erscheinung aufzufassen sind, wobei nicht das Auftreten von 
Photismen überhaupt, sondern nur das auffällige Hervortreten einer 
bestimmten Farbe als ein besonderes Phaenomen zu betrachten ist 
Die echoartigen Erscheinungen zeigen in der Art und Weise 
ihres Auftretens mannigfache Verschiedenheiten, wie sich dies aus 
den im Nachtrage angeführten 10 Fällen meiner Beobachtung 
ersehen läßt. Manche Personen, die am Beginn des Versuches 
keine echoartige Erscheinung aufweisen, beobachten eine solche 
nach wiederholten Versuchen; ein andermal wieder ist die Er- 
scheinung anfänglich nur auf einzelne Buchstaben, besonders auf 
Zischlaute oder Vokale (Fall 7 und 9) beschränkt, tritt aber später 
auch bei Wörtern ein. Zuweilen erregt das einmalige Hören eines 
Wortes für dieses kein Gedächtnisbild, während ein solches statt- 
findet, wenn dasselbe Wort öfters, rasch nacheinander vorgesprochen, 
wird, (s. Fall 9). In gleicher Weise bedarf auch ein optisches 
Gedächtnisbild zu seiner Entstehung nicht selten einer wiederholten 
Gesichtserregung. Zuweilen bleibt die echoartige Erscheinung auf 
Teile des vorsgeprochenen Wortes, besonders auf die Endsilbe 
beschränkt, so ergab im Falle 4 a das Wort „Nase'' nur für „se'' 
die echoartige Erscheinung, das Wort „Licht" nur für „cht'', die 
Wörter „Tisch" oder „Fisch" nur für „seh" (4 c und 10). Es kann 
dabei auch eine Änderung des Wortes selbst erfolgen, wie im 
Falle 4 c wo „Strasse'* als „Rasse" subjektiv wiedergehört wurde. 

1) Mitteil. d. ärztl. Ver. in Wien, 1873, No. 5. 

2) ^Zwangsmäßige Lichtempf. durch Schall'' etc. Leipzig 18S1. 

3) „Über den Einfluß einer Sinneserregung auf die übrigen Sinnes- 
empfmdungen", Pflugers Archiv 1888, Bd. 42. 

Archiv f. Ohrenheilkande. 73. Bd. Festschrift. 6 



82 XIV. ÜRBATSCHITSCH. 

Von einem zweisilbigen Worte erscheint mitunter die erste Silbe 
an dem einen Ohre, die zweite an dem anderen Ohr subjektiv 
wieder. Im Falle ergab das Wort „Polster" [am [linken Ohre 
^polst'^ als echoartige Erscheinung, am rechten Ohre dagegen 
„ster'' ; bei einem 2. Versuch vernahm das linke Ohr zuerst „pols", 
dann „polster" subjektiv wieder. Auch im Falle 3 wurde die 

1. Silbe des Wortes rechts, die 2. links wiedergehört. 

Versuche mit ganzen Sätzen ergeben bald ein den vollständigen 
Satz umfassendes Gedächtnisbild, bald wieder ist dieses auf ein 
einzelnes Wort, gewöhnlich auf das letze Wort beschränkt. Bei 
der echoartigen Erscheinung des ganzen Satzes, kann dieser auf 
dem einen oder anderem Ohr wieder auftreten (s. Fall 6), oder 
aber die einzelnen Worte werden abwechselnd mit dem rechten 
oder linken Ohre, zuweilen auch mit beiden Ohren gleichzeitig 
gehört. In diesem letzten Falle ertönt das eine Wort gleichzeitig 
im rechten und linken Ohr subjektiv wieder, oder es zeigt sich für 
dieses Wort ein im Kopfe gelegenes subjektives Hörfeld, eine Er- 
scheinung, die auf ein diotisches Hören bezogen werden kann^). 
Im Falle 4e wurden von den drei Worten eines Satzes das 1. Wort 
am linken Ohr wieder gehört, das 2. Wort mit beiden Ohren, 
das 3. am rechten Ohre; im Falle 7b das 1. Wort rechts, das 

2. in der Mitte des Kopfes, das 3. Wort links. Dabei gelangen 
die einzelnen Worte nicht immer rasch nacheinander ins Gedächtnis- 
bild, sondern sie folgen in einem Zeitraum von mehreren Sekunden 
aufeinander. Dies zeigt sich manchmal auch in solchen Fällen, 
wo mehrere Worte an demselben Ohr subjektiv wiedergehört werden. 
Im Falle 4 a gelangten von den Worten „die Lampe" das Wort 
„die" binnen 1 bis 2 Sekunden ins Gedächtnisbild, das Wort „Lampe" 
dagegen erst nach 10 bis 15 Sekunden. Die echoartige Erscheinung 
bleibt häufig auf die einmalige Wiederholung einer Silbe, eines 
Wortes oder Satzes beschränkt, kann jedoch in einzelnen Fällen 
mehreremal hintereinander auftreten. In den Fällen 3 und 4 a er- 
folgte die echoartige Erscheinung zweimal nacheinander; ich habe 
aber bei einigen Personen eine häufige Wiederholung dieser Er- 
scheinung vorgefunden. Dabei tritt die Wiederholung entweder an 
demselben Ohre auf, oder am anderen Ohr, oder aber das Echo 
wird aus weiter Entfernung vernommen. 

Die echoartigen Erscheinungen betreffen bei beiderseits gleichem 
Gehör, bei den wiederholt angestellten Versuchen bald beide Ohren, 

1) Siehe darüber: Über das subjektive Hörfeld, Pflüg. Arch. 1881, B. 24 
und: Über die Lokalisation der Tonempfindungen, ibid. 1904, B. 101. 



über subjektive echoartige Gehörserscheinungen. 83 

bald mehr das rechte oder linke Ohr. Bei ungleicher Hörfahig- 
keit findet sich das akustische Gedächtnisbild entweder vorzugs- 
weise oder ausschließlich am besserhörenden (2, 5, 6), oder am 
schlechterhörenden Ohre (6, 7 b) vor, oder aber abwechselnd auf 
dem einen und anderen Ohre. Sind beide Ohren an der echoartigen 
Erscheinung beteiligt, so erfolgt das subjektive Wiederhören des 
Wortes oder eines Teiles dieses, bald auf dem einen, bald auf 
dem anderen Ohre, doch kann die Erscheinung auch an beiden 
Ohren zugleich auftreten. Im Falle 1 a wurde das ausgesprochene 
Wort noch einige Sekunden in der Weise subjektiv wieder ge- 
hört, daß es in beiden Ohren gleichzeitig auftrat und hierauf vom 
Ohr gegen die Stime lokalisiert wurde, wo es für beide Ohren 
gemeinschaftlich ausklang. — Findet die Schallzuleitung nur zu 
einem Ohre statt, so gibt sich die echoartige Erscheinung bald 
nur auf diesem Ohre zu erkennen (2, 3, 4 a, 4 b, 6, 8), bald auf 
beiden Ohren (la, 2, 4 c), bald auf dem entgegengesetzten Ohre 
(Ib, 2, 3, 4 b, 4 c, 4d). Wenn im Falle 4 b und 7 c in das schlecht- 
hprende Ohr ein Satz gesprochen wurde, blieb das akustische Ge- 
dächtnisbild auf dieses Ohr beschränkt, während vom guthörenden 
Ohre aus, wie früher angeführt wurde, ein Überwandern in das 
andere Ohr erfolgte. Das gekreuzte Auftreten der echoartigen Er- 
scheinung am entgegengesetzten Ohr fand sich in einigen Fällen 
auffällig ausgeprägt vor (1, 2, 4d). Wenn von zwei verschiedenen 
Worten das eine ins rechte und gleichzeitig das andere ins linke 
Ohr gerufen wurden, so fand die Lokalisation der echoartigen Er- 
scheinung für das ins rechte Ohr gerufene Wort in der linken 
Kopfhälfte, für das in linke Ohr gerufene, in der rechten statt. 
Es zeigte sich bei diesen Versuchen zu wiederholtenmalen, daß 
die bei gleichzeitigem Hineinsprechen in beide Ohren nicht ver- 
standenen Wörter erst im Gedächtnisbilde erkannt wurden, wie in 
ähnlicher Weise zwei dem Ohre gleichzeitig zugeführte unharmo- 
nische Töne, die als konfuses Tongewirr gehört werden, in der 
Nachempfindung getrennt auftreten können und damit erst nach- 
träglich bestimmbar sind. 

Vergleichsweise Prüfungen mit Sprach- und musikalischen 
Tonen ergaben betreffs der akustischen Gedächtnisbilder nicht 
immer übereinstimmende Erscheinungen. Während die Sprach- und 
musikalischen Töne in manchen Fällen an demselben Ohr sub- 
jektiv wiederauftreten (1, 3, 6, 7 b), erweist sich deren Lokalisation 



1) Pflügers Arch. 1881, B. 24. 

6 



84 XIV. URBANTSCHITSCH. 

ein andermal verschieden, so daß die Sprachtöne vorzugsweise 
oder ausschließlich an dem einen Ohr, die musikalischen Töne 
dagegen am anderen Ohr subjektiv wiedergehört werden (1, 3j. 
Im Falle 4 c wurden sogar die echoartige Erscheinung oder ver- 
schiedene Arten von musikalischen Tönen ungleich lokalisiert u. zw. 
vernahm das rechte Ohr Stimmgabeltöne und die Töne angeschlagener 
Metallstäbe subjektiv wieder, nicht aber die Töne der Galtonpfeife, 
die regelmäßig nur am linken Ohre wiederauftraten. Im Falle 2 
erfolgte die echoartige Erscheinung für Sprachtöne regelmäßig zu- 
erst am linken, dann am rechten Ohre, hingegen für musikalische 
Töne umgekehrt zuerst rechts, dann links. Auch die Lokalisation 
des Gedächtnisbildes im Ohr oder im Kopf kann sich verschieden 
verhalten; beispielsweise wurde die echoartige Erscheinung im 
Falle 7 b, bei der Schallzuleitung zum linken Ohr, für Sprach- 
laute ins linke Ohr verlegt, für musikalische Töne in die linke 
Scheitelgegend, während bei der Schallzuleitung zum rechten Ohre 
bald dieselbe Verschiedenheit in der Lokalisation, wie auf der 
linken Seite bestand, bald wieder auch die musikalischen Töne 
ins rechte Ohr lokalisiert wurden. 

Das echoartige Wiederhören eines Wortes kann von einer 
diesem Worte zukommenden Mitbewegung der Artikulations-Muskeln 
begleitet sein. So teilte mir Herr Professor Sigmund Exner mit 
daß er seit seiner Jugend die letzten Worte eines gehörten Satzes 
subjektiv wieder höre, dabei aber regelmäßig eine Mitbewegung 
jener Sprachmuskeln beobachte, die zum Aussprechen der betreffenden 
Worte dienen. 

1. Frau Lukschitsch. a) Ein laut gesprochener Satz oder ein Wort 
wird nach 2—5 Sekunden echoartig wiedergehört und zwar hat die Ver- 
suchsperson dabei die Empfindung, als ob das Gesprochene gleichzeitig von 
beiden Ohren ausginge und sich von den Ohren gegen die Stime erstrecke. 
Dieselbe Erscheinung zeigt sich, wenn der Versucn nur mit einem Ohre 
angestellt wird; auch hierbei beteiligt sich nämlich auch das andere Ohr an 
dem subjektiven echoartigen Hören. Dieses erfolgt nur einmal. — b) An 
einem anderen Versuchstage zeigt sich bei offenen oder geschlossenen Augen 
nach dem Hören eines Wortes mit beiden Ohren ein echoartiges Nachhören, 
das abermals von beiden Ohren gegen die Stirn empfunden wird. Beim 
Sprechen eines Wortes in das eine Ohr tritt die Echoerscheinung regelmäßig 
am anderen Ohre auf. Wenn zwei Personen gleichzeitig verschiedene Worte 
ins Ohr sprechen, die eine Person ein Wort ins rechte Ohr, die andere ein 
anderes Wort ins linke Ohr, so tritt, gleich nach dem Hören der beiden 
Worte eine Echo-Erscheinung in gekreuzter Richtung ein, so daß das rechte 
Ohr das dem linken Ohre vorgesprochene Wort echoartig wiederhört, und 
umgekehrt. Dieselbe Erscheinung besteht für verschieden tönende Stimm- 
gabeln. Vergleichsweise Prüfung mit Sprach- und musikalischen Tönen er- 
geben bei Stellung der Schallquelle vor der Versuchsperson, daß die Echo- 
erscheinung bald für Sprachtöne auf dem einen, für musikalische Töne auf 
dem anderen Ohre stattfindet , bald wieder für beide Arten der Ton- 
einwirkung auf demselben Ohre, meistens auf dem besserhörenden rechten. 



'über subjektive echoartige Gehorserscheinungen. 85 

2. Herr Pann. Ein vor beiden Ohren vorgesprochenes Wort wird nach 
einigen Sekunden mit dem linken, gleich danach mit dem rechten Ohre echo- 
artig gehört, so auch ein gegen das Hinterhaupt gesprochenes Wort. Steht 
der Sprechende dem rechten Ohre der Versuchsperson gegenüber, so ertönt 
das gesprochene Woi-t subjektiv wieder, bald in beiden Ohren gleichzeitig, 
bald zuerst im rechten, gleich darauf im linken Ohre, bald im rechten Ohr 
allein; ein gegen das linke Ohr gesprochenes Wort wird gleich danach mit 
dem linken Ohre und daran anschließend, mit dem rechten Ohre wieder- 
gehört. Ein hoher oder tiefer Stimm^abelton dem linken oder rechten Ohre 
zugeführt, wird als fortgesetzte subjektive Empfindung zumeist nur am 
rechten Ohre noch durch einige Sekunden gehört; nur einmal vernimmt das 
linke Ohr, nach Entfernung des Stimmgabeltones vom linken Ohr, noch 
durch eine Sekunde den Ton subjektiv in geringer Starke, hierauf das 
rechte Ohr in viel bedeutenderer Intensität. Wii'd in das rechte Ohr ein 
Wort und gleichzeitig ins linke Ohr ein anderes Wort gerufen, so entsteht 
eine gekreuzte echoartige Erscheinung und zwar wird das ins rechte Ohr 
gerufene Wort, unmittelbar danach im linken Ohre leise gehört und so das 
ins linke Ohr gerufene, rechts. Dieselbe Erscheinung findet sich für zwei 
verschiedene Stimmgabeltöne vor, von denen der eine Ton auf das rechte, 
der andere auf das linke Ohr einwirken. 

Vergleichsweise Versuche mit Sprach- und musikalischen Tönen er- 
geben regelmäßig, daß bei Einwirkung der Schallquelle vor beiden Ohren, 
Wörter oder Sätze zuerst am linken, gleich danach am rechten Ohre eine 
Echoerscheinung hervorrufen, musikalische Töne dagegen zuerst am rechten 
und erst dann am linken Ohr. 

3. Fräulein Stauduar. Das jedesmal vorgesprochene Wort wird nach 
1 — 2 Sekunden bald mit dem rechten, bald mit dem linken Ohre echoartig 
wiedergehört. Bei einem dieser Versuche vernimmt das rechte Ohr die erste 
Silbe, das linke Ohr die zweite subjektiv wieder. An einem andern Tage 
zeigt sich die echoartige Erscheinung an dem Ohre, in das gesprochen wurde, 
stets zweimal hintereinander, dann wieder zuerst auf dem einen, hierauf auf 
dem anderen Ohr. Von zwei ins rechte und linke Ohr gleichzeitig gerufenen 
Wörteni tritt die Erscheinung niemals gekreuzt auf. Dasselbe zeigt sich für 
verschiedene Töne. 

Musik- oder Sprachtöne, beiden Ohren gleichzeitig zugeführt, werden 
bald am besser hörenden, rechten Ohr allein echoartig wieder gehört, bald 
die Sprachtöne am linken, die musikalischen am rechten Ohr allein. Die 
Versuchsperson hat die Empfindung, als ob das Echo bei Sprachtönen all- 
mählich in die Feme rücke, dagegen bei musikalischen Tönen dem Ohre 
sich nähere. 

4. Fräulein Windhager, a) das vorgesprochene Wort ertönt nach 
5—7 Sekunden in beiden Ohren subjektiv wieder. Die Versuchsperson hat 
dabei den Eindruck, als ob das betreffende Wort aus großer Entfernung 
gesprochen würde. Von zwei Worten, wie z. B. „die Lampe", erfolgt die 
Wiederholung des ersten Wortes „die" gewöhnHch unmittelbar nach dem 
Vorsprechen, während das 2. Wort „Lampe" mitunter erst 10—15 Sekunden 
später wieder auftritt, mitunter erscheint das erste Wort 5—7 Sekunden 
nach erfolgter Gehörseinwirkung, das zweite Wort 5 — 7 Sekunden später. 
Beim Hineinsprechen ins Ohr tritt die echoarti^c Erscheinung zumeist nur 
auf dem betreffenden Ohre auf. Manchmal ertönt anfänglich nur ein Teil 
des Wortes wieder, später das ganze Wort; so hörte die Versuchsperson 
einmal nach dem Voi'sagen des Wortes: „Nase", 5 Sekunden später die 
Silbe „se", nach weiteren 10 Sekunden das ganze Wort: „Nase", ein ander- 
mal beim Worte: „Licht", zuerst „icht", dann zweimal „Licht". Die einzel- 
nen Silben können auch am rechten oder linken Ohre getrennt auftreten: 
vom Worte „Polster** wurde am linken Ohre anfänfflich die Silbe „polst**, 
am rechten „ster** wieder gehört, worauf das linke Ohr „pols— polster** ver- 
nahm, b) An einem anderen Tage wird in das rechte Ohr das Wort 
„Straße** gerufen, gleichzeitig von einer anderen Person ins linke Ohr 
„Wagen**. Die Versuchsperson hat keines der beiden Wörter verstanden. 
Nach einigen Sekunden nört sie mit dem rechten Ohre „gen**, mit dem 



86 XIV. URBANTSCHITSCH. 

linken: „stra— Straße", hierauf links: „Straße", rechts: ,,wagen", also das 
einzelne Wort auf der entgegengesetzten Seite. Bei Wiederholung dieser 
Versuche erscheint die echoartige Erecheinung bald in gekreuzter Richtung, 
bald wieder wird das Wort mit dem Ohre nachtraglich gehört, in das es 
hineingesprochen wurde. Werden dem einen Ohr ein tiefer, dem anderen 
ein hoher Stimmgabelton gleichzeitig zugeführt, so erscheint die Wieder- 
holung des einzelnen Tones bald nur links, bald gekreuzt, bald jeder Ton 
auf der entsprechenden Seite. Werden ein hoher und tiefer Ton dem linken 
Ohre zugefünrt, so tritt das nachtragliche Hören vorerst nur links auf, dann 
bleibt der hohe Ton fortwährend links und von Zeit zu Zeit tritt im rechten 
Ohre der tiefe Ton hinzu; bei wiederholtem Versuche werden beide Töne 
rechts gehört, dann wandert der tiefe Ton nach links, während der hohe 
rechts bleibt; später erfolgt ein Austausch der Töne, indem der hohe Ton 
links, der tiefe rechts gehört wird. Beide Töne werden dem rechten Ohre 
zugeleitet: nach einigen Sekunden hört das linke Ohr den hohen, hierauf 
auch den tiefen Ton; hierauf wandert der hohe Ton von links nach rechts; 
die Versuchsperson, deren Augen geschlossen sind, meint, daß die be- 
treffende Stimmgabel vom linken Ohre, bei dem Gesichte vorbei, nach rechts 
bewegt werde. Der tiefe Stimmgabelton verschwindet links, während der 
hohe Ton rechts noch forttönt, c) Das ins linke Ohr gerufene Wort „Lampe" 
wird nach einigen Sekunden aus der Entfernung diotisch leise wieder gehört. 
Das ins rechte Ohr gesprochene Wort „Blume" ertönt im linken Ohre leise 
wieder, gleich danach auch im rechten Ohre, einige Sekunden später leise, 
wie aus der Entfernung (diotisch). Nach einigen Sekunden ertönt links das 
Wort „Blume", rechts „Lampe", zuerst rasch nacheinander, ein zweitesmal 
gleichzeitig, so daß die Versuchsperson das einzelne Wort nicht zu unter- 
scheiden vermag. Das Wort „Klavier" wird von vorne her beiden Ohren 
zugeleitet Die echoartige Erscheinung zeigt sich nur links, das erstemal 
laut, das zweitemal, wie aus der Entfernung; einige Sekunden später hört 
das rechte Ohr: „vier", hierauf das linke ,,Kla", das rechte, kurz darauf, 
„vier*', d) An einem anderen Versuchstage tritt bei einer Schalleinwirkung 
auf das eine Ohr am anderen Ohre die Echoerscheinung auf. e)jVon einem 
vorgesprochenen Satze wird das erste Wort regelmäßig mit dem linken Ohre 
wiedergehört, das letzte Wort mit dem rechten Ohre; manchmal entsteht für 
die mittleren Worte oder für den ganzen Satz eine Echoerscheinung aus der 
Entfernung. Stimmgabel- und angeschlagene Töne vernimmt nur das rechte 
Ohr wieder, dagegen den hohen Pfiff der Galton-Pfeife nur das linke Ohr. 

5. Herr Alfred W., 19 Jahre alt, rechts ertaubt. Sprach- und musika- 
lische Töne ergeben stets nur am hörenden linken Ohre eine Echo- 
erscheinung. 

6. Fräulein Jaksic. Das rechte, am Mittelohr operierte Ohr ist hoch- 
gradig schwerhöng. Laut gesprochene Worte werden nach 5 — 7 Sekunden 
leise wiedergehört, gewöhnlich am linken Ohre, doch zuweilen auch rechts. 
Spricht man in das Ohr hinein, so findet nach 5—7 Sekunden die Wieder- 
holung des Wortes an dem Ohre statt, in das hineingesprochen wurde. Die 
echoartige Erscheinung betrifft auch ganze Sätze. 

7. Herr Kratki. Laut gegen das rechte oder linke Ohr gesprochene 
ein- oder zweisilbige Wörter ergeben anfänglich keinen Nachhall, dagegen 
tritt für die Vokale eine deutliche echoartigr Erscheinung auf, sowohl am 
rechten als auch am linken Ohre. Von zweisilbigen Wörtern vernimmt die 
Versuchsperson nunmehr deutlich die Endsilbe echoartig, vom Worte 
„Tisch", jedesmal deutlich das „seh". Beim Hineinsprechen ins rechte oder 
linke Ohr erfolgt keine echoaitige Erscheinung. 

Einige Wochen später wird der Versuchsperson der Satz zugerufen: 
„Heute ist ein kalter Tag". Einige Sekunden später erfolgt die Echo- 
erscheinung am schwerhörigen linken Ohr. Der Satz: „Morgen ist Donners- 
tag" dem rechten Ohre zugerufen wird als Echo anfänglich rechts gehört, 
doch rückt die Lokalisation des Wortes „ist" gegen die Mitte des Kopfes 
und von „Donnerstag" wird „tag*' nur links subjektiv gehört. So zeigt sich 
für den Satz: „Heute ist ein kalter Tag" die Echoerscheinung für „heute 
ist ein" rechts, „kalter" in der Mitte des Kopfes, „Tag * links. Spricht man 



über subjektive echoartige Gehorserscheinungen. 87 

gegen das linke Ohr, so bleibt die Echoerscheinung auf dieses Ohr be- 
schränkt. Musikalische Töne, dem linken Ohre zugeführt, erregen eine an 
dem Scheitel lokalisierte Echoerscheinung ; dem rechten Ohre zugeführt, bald 
im rechten Ohre, bald am Scheitel. 

8. Frau Fr. U. Verschiedene, von vorne her gesprochene Worte 
werden mit dem linken Ohre echoartig wiedergehört; das Wort „Strasse*' 
als „Rasse'^ Geflüsterte Worte ergeben keine Echoerscheinung. Ins rechte 
Ohr Gesprochenes erregt am rechten Ohr eine Echoerscheinung. 

9. Herr Rudolf Kenner hört scharfe Flüstertöne nur beim Hinein- 
sprechen ins Ohr. Vorgesprochene Wörter werden nicht echoartig wieder- 
gehört, dagegen ergibt das wiederholte Vorsprechen eines Wortes nach 
5—7 Sekunden an beiden Ohren eine Echoerscheinung. Vokale werden nach 
5 — 7 Sekunden ebenfalls wiedergehört. 

10. Minna Herdina, an beiden Ohren hochgradig schwerhörig, be- 
sonders linkerseits. Die verschiedenen Vokale und Wörter ergeben keine 
Echoerscheinung, dagegen zeigt sich eine solche am linken Ohre für „seh" 
bei den auf seh auslautenden Wörtern (Tisch, Fisch). 






XV. 

Die Ohrenentzündnngen in ihren abhängigen Beziehungen 

zn Nachbarorganen, 

Eine Skizze 

von 

L« Grflnwald (Bad Reichenhall-München). 



Verehrter Altmeister! 

Nicht weit noch liegt die Zeit zurück, da eine Ohreneiterung 
nicht viel mehr denn einen unangenehmen „Fluß" bedeutete. 

Ihr Verdienst ist es, der rein chirurgischen Auffassung der 
Ohrenentzündungen Bahn gebrochen zu haben, als deren letzte 
Stufe unsere heutige Erkenntnis dasteht, daß bei endocraniellen 
septischen Prozessen in erster Linie die Beschaffenheit des Ohres 
kontrolliert werden muß. 

Der so geschaffene Vorstellungskreis teilt aber mit allen 
menschlichen Assoziationsgebieten die Gefahr, zu weit zu reichen, 
zuviel zu decken. 

Die Gefahr ist, ich werde das in den folgenden eigenen und 
fremden Erfahrungen nachweisen, nicht imaginär; sie ist mitunter 
sogar groß, weil der irrtümlich als vorwiegend oder allein vor- 
handen angesehene Ohrprozeß andere, sogar letale Grund- 
erkrankungen zu verdecken imstande ist. 

Auch in dieser Richtung den Ohrenerkrankungen ihren 
chirurgisch richtigen Platz anzuweisen, ist sicher in Ihrem Sinne, 
verehrter Altmeister, gehandelt. 



A. Durchwach von Eiter ans Nachbarorganen. 

Es ist bekannt, daß otitische extradurale und Himabszesse 
durch das Ohr ihren Abfluß finden können. Diese Ereignisse 
interessieren uns hier weniger: meist wird es früher oder später 



Die Ohrenentzündungen in ihren abhäng. Beziehungen zu Nachbarorganen. 89 

gelingen, das Bestehen des endocephalen Herdes nachzuweisen, 
an dessen Ausheilung außerdem die Behandlung der Ohren- 
eiterung einen integrierenden Bestandteil darstellt. Anders jene, 
allerdings überaus seltenen Fälle von 

I. Abfluß nicht otitischer en do cep h aler Abszesse 

durch das Ohr. 

1. Le Blanc (1). Nach einem Schlag auf den Kopf entstand nach 
vorübergehender Bewußtlosigkeit ein sich stetig steigernder intensiver Kopf- 
schmerz, zu welchem sich nach ca. 8 Tagen klonische und tonische (all- 
gemeine?) Krämpfe und Schlaflosigkeit gesellten. Nach vorübergehender 
Besserung, vom 15. — 30. Tage, lokalisierte sich wiederum ein enormes Druck- 
gefühl in der Gegend zwischen Pfeilnaht und linkem Ohr» bis in der Nacht 
zum 56. Tage nach vorgängigem Schmeiznachlaß der äußerst herunter- 

fekommene Kranke einschlief und beim Erwachen, nach einer halben 
tunde, das Kopfkissen von noch in einem anhaltenden feinen 
Strahl aus dem linken Ohr sich entleerenden Eiter durchtränkt 
fand ; der Ausfluß hielt dann, vermindert, noch einige Wochen an, während 
deren neue Schmerzen auf der rechten Seite auftraten, bis auch aus dem 
rechten Ohr am 88. Tage Eiter austrat. Intermittierend auftretende 
Gesichtszuckungen verschwanden jedesmal nach Abfluß einiger Eitertropfen 
aus dem linken Ohr. — Nach einer kleinen Verschlechterung von kürzerer 
Daner (Entstehung einer Geschwulst hinter dem linken Ohr, welche nach 
reichlicherem Ausfluß wieder verschwand], kehrten nach ca 3V4 Jahren 
plötzlich die Kopfschmerzen, begleitet von Übelbefinden, Schnupfen, Anosmie 
und Appetitlosigkeit etc. wieder, bis eines Nachts eine große Menge 
über die Maßen stinkenden Eiters aus dem Nasenrachenraum 
per OS entleert wurde, worauf rasch dauernde Genesung eintrat. 

Eine nähere Charakterisierung des Prozesses, ob cerebral, sub- 
dural oder extradural, ist kaum möglich, sicher wird er nur, durch 
Erscheinungen und Verlauf, als endocephal gekennzeichnet; 
ein Fortkriechen unter der Schädelbasis würde andere Symptome 
hervorrufen. 

2. Rust (2): Nach einem Sturz (vom Pferd) auf den Kopf stellte sich 
sich ein periodisches halbseitiges Kopfweh von solcher Intensität ein, daß 
die geistige Beschäftigung (welche die Anfälle hervorzurufen schien), auf- 
gegeben werden mußte. Nach einem neuerlichen Sturz (13 Jahre später), 
zeigte sich aus dem linken Ohre ein Abfluß von Blut und „klarem Eiter", 
der einige Tage anhielt, mehrere Unzen (k 30 ccm) betrug und nach dessen 
Aufhören dauernde volle Genesung eintrat. 

Wahrscheinlich traumatischer Extraduralabszeß, durch eine 
Basisfissur beim zweiten Sturz eröffnet. 

3. Gama (3): Hufschlag auf den hinteren Rand des rechten Scheitel- 
beins nebst Sturz auf den Kopf. Nach vombergehendem Bewußtseinsver- 
lust am 9. Tage bei der Aufnahme: Somnolenz, Blässe des Gesichtes und 
Lähmung des linken Gesichtes und Armes; mühsame Atmung, Puls be- 
schleunigt; am nächsten Tage tiefes Coma. 

Erst am 16. Tage kehrte das Bewußtsein, sowie die volle Motilität 
wieder. 

Am 29. Tage schmerahafte „Otitis" rechts, vom 32.-34. Tage überaus 
reichlicher Ausfluß von wässrigem, sehr stinkendem Eiter aus dem 
Ohr, der dann rasch nachließ und mit voller Genesung (Entleerung am 
45. Tage) endete. 



90 XV. grCxwald, 

Der Verlauf in den ersten zwei Wochen ist nur unter der 
Annahme eines Hirndruckes durch ein langsam entstandenes 
Extravasat zu erklären. Ob dieses durch eine interkurrente Otitis 
auf dem Wege einer minimalen Fissur infiziert wurde oder, primär 
auf ebensolche Weise vereitert, beim Durchbruch in das Ohr erst 
die Erscheinung einer Otitis hervorgerufen hat, ist nicht entscheid- 
bar, aber auch gleichgültig: an der endocephalen Bildung der 
Flüssigkeitsansammlung läßt sich kaum zweifeln. 

Ein weiterer Fall ähnlicher Art ist derjenige von 

4) M. 'L e d , den Barr (4), allerdings sehr kurz, referiert : 

Ein traumatisch entstandener Vorderlappenabszeß kroch an der Schädel- 
basis entlang und brach im äußeren Gehörgang durch. 

Endlich die sehr instruktive Beobachtung von 

5. Panas (5): Ein 21 jähriger Mann erkrankte im Gefolge eines Erysipels 
an rechtsseitiger Orbitalphlegmone. Ca. 8 Wochen nach Beginn des Erysipels 
entstanden Scnmerzen im rechten Ohr, Perforation und anhaltende Eiterung. 
Nachdem bald darauf einige epileptische Anfälle aufgetreten waren, stellte 
sich eine allmählich bis zur Fluktuation gedeihende SchwoUung über der 
Schuppen-Schläfengegend ein, die nach der Inzision zwei Perforationen des 
Knochens enthüllte. Nach dem, im 6. Monate der Erkrankung, im Coma 
eingetretenen Tode fand sich bei der Sektion der ganze „Keilbeinlappen'' 
(„corne sphenoidal**) in einen Eiterbrei verwandelt, die Meningen in der 
ganzen fossa sphenoidalis adhärent, die Dura intakt, aber außer den 
2 Löchern im Schuppenteil noch ein weiteres im tegmen tympani. Meningitis 
der Vorderlappenbasis bis zum Bulbus nach vorne reichend. 

Hier liegt also wiederum Durchbruch einer Hirneiterung vor, 
im Anschluß aber ist eine echte sekundäre Otitis entstanden. 

IL Beteiligung des Ohres an suboccipitalen 

Abszessen. 

1. Eigener Fall. Aus der a. a. 0. (6) ausführlich wieder- 
gegebenen Krankengeschichte hebe ich nur folgendes, hier inter- 
essierende hervor: 

Der durch Vereiterung einer abnorm gelegenen Keilbeinhöhle ent- 
standene intravertebrale Abszeß an den beiden ersten Halswirbeln trat zu- 
nächst in Grestalt einer akuten Ohren-Warzenfortsatzeiterung zutage, welche 
allerdings in ihren Erscheinungen: profusester Absonderung trotz allen Frei- 
legungs versuchen , Schwellung in der Gegend des emissarium Santorini, 
Kopfsperre, Trigeminus und Cervicalneuralgie, sowie besonders in der Stelle 
des Eiterabflusses (am Boden) usw. verdäätige Abweichungen vom Typus 
darbot, sodass zunächst an Fortkriechen eines otitisch entstandenen peri- 
sinuösen Abszesses durch das emissarium gedacht wurde (s. auch u. 11, 12) 
Der Durchbruch des suboccipitalen Abszesses erfolgte hier im recessus 
infratympanicus. Zur näheren Instruktion muß ich auf die Originalmitteilung 
verweisen. 

2. Das „raalum suboccipitale", auf tuberkulösen Entzündungen 
der Atlanto-occipitalgelenke beruhend, löst, besonders im Anfang, 
mitunter Erscheinungen von Otitis aus, die einer Verschleierung 
des wahren Prozesses dienlich sind: 



Die Ohrenentzündungen in ihren abhäng. Beziehungen zu Nachbarorganen. 91 

E. V. Bergmann (7) berichtet über zwei solcher Fälle, in 
deren erstem die durch Lucae vorgenommene Parazentese die 
im Vordergrunde des Bildes stehenden Ohrenschmerzen vermin- 
derte, während der Abszeß seinen Ausweg retropharyngeal 
suchte; im zweiten entstand sogar eine vorübergehende Eiterung 
des Ohres und bald darauf eine faustgroße retroaurikulare 
Schwellung, die jedoch in ihren kausalen Beziehungen richtig 
erkannt wurde. Diese beiden letzteren Fälle sind natürlich nur 
als Korrelate zu den eigentlichen Durchbruchsprozessen und mehr 
im Sinne der weiter unten zu besprechenden konsensuellen Ent- 
zündungen aufzufassen. 

III. Durchbruch von Parotis- und Kiefer- 
abszessen. 

Für diese Eventualität stehen mir keine Einzelbeispiele zur 
Verfügung. Nur soviel: 

Parotitische Phlegmonen bedrohen den äußeren Gehörgang 
und können durch die daselbst zunächst auftretende Anschwellung 
und das Macerationsekzem täuschende Bilder erzeugen. 

über Kiefergelenkentzündungen äußert sich Hyrtl (8) dahin, 
daß der Eiter durch die fissura Glaseri oder die nicht selten 
offene Dehiszenz in der vorderen Wand des äußeren Gehörganges 
in die Trommelhöhle gelange. 

Dentale Parulitiden vermögen denselben Weg, eventuell auch 
durch die fossa pterygo-palatina hindurch, einzuschlagen. — 

Für alle Fälle der Gruppe A gilt folgendes: 
Erstens muß das Bestehen der als eigentlicher Eiterherd 
anzusprechenden Erkrankung durch deutliche, für sich 
sprechende Symptome resp. Befunde erwiesensein. Diese hier zu 
erörtern, verbietet der Raum. Bezüglich der suboccipitalen Ent- 
zündungen verweise ich speziell auf meine letzte Publikation (9). 
Zweitens muß der zeitliche Verlauf sowohl als die Mög- 
lichkeit kausaler Verknüpfung einerseits der Ohrenerkrankung, 
andererseits dem Nachbarherd den richtigen Platz anzuweisen 
gestatten. In dieser Beziehung ist daran zu erinnern, daß so wie 
Hirnabszesse gewöhnlicher durch Ohreneiterungen hervorgerufen 
zu werden pflegen, als umgekehrt, letztere, allerdings seltener, 
ebensogut ihrerseits in suboccipitalen Entzündungen resp. peri- 
artikulären Eiterungen zu enden vermögen. Am klärendsten wird 
da zunächst die genaue zeitliche Kontrolle der Einzel- 
erscheinungen einzusetzen haben. 



92 XV. GRÜNWALD. 

Diese Kontrolle wird besonders dann Klarheit zu schaffen 
vermögen, wenn einer der seltenen Fälle otogener Entstehung 
eines suboccipitalen Abszesses, speziell auf phlebitischem Wege^ 
in Frage steht 

Auch ist an dieser Stelle daran zu erinnern, daß sogar der 
Umweg über das Hirn resp. den Extraduralraum seitens otitischer 
und andersartig entstandener Herde beschritten werden kann, um 
vermittels Durchbruches oder durch vorgebildete Wege (foramen 
condyloideum, emissarium etc.) im Nacken zu erscheinen (10, 11)- 

Endlich sollten, bei zunächst isolierten oder doch im Vorder- 
grunde des Bildes stehenden Ohreneiterungen, abnorme Eeich- 
lichkeit und Hartnäckigkeit der Sekretion, besonder» 
aber jedes nicht ganz gewöhnliche Symptom auf die 
Möglichkeit anderer Substrate aufmerksam machen. Hier nenne 
ich speziell abnorm lokalisierte Schmerzen, auffallende Lokali- 
sationen von Schwellungen, ebensolche Bewegungsbehinderungen 
(Kiefer- oder Kopfsperre), endlich gewisse motorische Lähmungs- 
erscheinungen, speziell im Bereiche des n. abducens, occulomotorius, 
trigeminus, accessorius und hypoglossus. 

B. ConsensueUe und sekundHre Ohreltemngen. 

Der Einfluß benachbarter Erkrankungen braucht sich nicht 
bis zum Durch bruch der Eiterung zu erstrecken; Infektion, auf 
verschiedenen Wegen vermittelt, kann neben der ursprünglichen 
Erkrankung einen Reizzustand, ja mehr als das, eine bis zur 
Eiterung gehende Entzündung im Ohr vermitteln, deren Abhängig- 
keit von jenen, also rein sekundäre Bedeutung, im Verlaufe er- 
kannt werden kann und, genau wie bei Durchbrüchen, dahin zu 
würdigen ist, daß die Ohrenerkrankung ohne Beseitigung 
des primären Herdes keine Heilungsaussichten bietet, 
daß sie ferner diesen Herd zu verdecken und dadurch 
die Heilungsmaßnahmen von der richtigen Bahn ab- 
zulenken imstande ist, endlich daß die konsensuelle Form nach 
Auschaltung des primären Herdes ohne weiteres von 
selbst verschwindet. 

Für all diese Eventualitäten bieten die folgenden Fälle Be- 
lege : 

1. Finlag (12): Bei einem 16jährigen Jüngling bestand seit mehreren 
Wochen linksseitige Ohreneiterung, seit zwei Tagen heftige Schmerzen da- 
selbst, Die Eiterung schwankte stark in der Menge, war zeitweise profus. 

Status: Halbcoma mit Delirien, T. 39,9, P. 120. Links kleine Per- 
foration, wenig Eiter, links Abducenslähmung; Augenhintergrund normal. 



Die Ohrenentzündungen in iliren abhäng. Beziehungen zu Nachbarorganen. 93 

Während der Narkose bemerkte man eine parallel dem linken oberen 
Orbitalrand, etwas unterhalb, verlaufende blutegelförmige Anschwellung und 
stellte die lichtige Diagnose auf Phlebitis des sinus cavernosus. Trotz- 
dem wurde nur auf das Ohr vorgegangen : Im Antmm und Mittelohr fanden 
sich nur winzige Mengen von Eiter; der Knochen, ebenso der sinus 
transversus, die Dura und das Hirn erwiesen sich als intakt. Am nächsten 
Morgen Exitus. 

Bei der Sektion fanden sich die Ohrräume eiterfrei, die Dura an der 
Basis dickplastisch infiltriert, in den sinus cavernosus und circularis ein 
„eitriges Blutcoagulum", bis in die linke v. ophthalm. (sup.) reichend, Keil- 
bein- und Siebbeinzellen mit dickem gelbem Eiter gefüllt. 

F. erkennt nachträglich selbst die rein sekundäre Bedeutung 
der Ohrenaffektion an, hält es jedoch, in Anbetracht der tatsäch- 
lich bestandenen Otitis, trotz den auf den sinus cavernosus hin- 
deutenden Symptomen für unmöglich, anders zu handeln. 

Ob diese Annahme, allein schön gegenüber der von uns 
prinzipiell erhobenen Forderung, jeden Ohrenfall auch in der 
Nase zu untersuchen, aufrecht erhalten werden könnte? 

2. üchermann (13): Einem 18jährigen Mädchen war vor 4 Jahren 
ein Abszeß des Zahnfleisches in den rechten Gehorgang durchgebrochen, 
dann waren Driisenabszesse , erst links und dann unter dem rechten Ohr 
gefolgt, jedoch alles geheilt. 

Wenige Tage vor der Aufnahme entstand unter Schüttelfrost ieine 
schmerzhafte Anschwellung hinter dem linken Kopfnickeransatz; Trommel- 
fell nur leicht gerötet, Warzenfortsatz etwas druckempfindlich, kein Ohrenfluß. 

Die Operation enthüllte einen nach der Schädelbasis zu gelegenen 
Abszeß hinter und unter dem proc. mast. Die Schleimhaut in letzterem 
fayperamisch, an der Spitze eiuige vereiterte Zellen. Sinus transv. frei. 

Neue Schüttelfröste und Temperaturanstieg bis zu 41,6 *^ veranlaßten 
zu weiterer Freilegung des sin. transv. und der v. jugul., ohne Ergebnis. — 
Tod nach 2 Tagen. 

Bei der Sektion fand sich der sinus occipitalis, bis zum confluens hin, 
samt den Cervical(Occipital?)venen thrombosiert. Hirnödem. 

U. sieht in dieser Erkrankung die Folge einer Infektion 
seitens der periphersten Zellen. 

Wenn man aber seinen Gesichtskreis nicht nur vom oto- 
logischen Standpunkt aus übersieht, so stellt sich der wahrschein- 
liche Verlauf (ohne weitere Ausdehnung der Sektion läßt sich 
keine größere Gewißheit erlangen) folgendermaßen dar: 

Eine dem ursprünglichen Herd nahegelegene oder mit ihm 
identische Infektionsquelle in der Nachbarschaft der fossa 
pterygo-palatina (Zähne, Nebenhöhlen usw.) hat über 
den plexus pterygoideus zu einer abszedierenden Phlebitis der 
Occipitalvenen geführt; die Verbindungen der v. facial. post. mit 
den Paukenwarzenfortsatzvenen vermittelten eine rein syndro- 
matische Beteiligung der Warzenfortsatzspitze, während anderer- 
seits die Infektion ihren Hauptweg weiter zum sinus occipitalis nahm. 

Die Ohrenoperation konnte an sich weder diesen Verlauf 
enthüllen noch unterbrechen; ihr negatives Ergebnis hätte aber 



94 XV. GRtNWALD. 

auf die Möglichkeit anderweitiger Zasammenhänge hiDweisen 
müssen, wenn nicht schon die Anamnese und der eigentümliche 
Befund auf eine solche aufmerksam gemacht hätten. — 

Klinischen Schwierigkeiten .durch raschen tödlichen Verlauf 
enthoben, bietet der Fall von 

3. Konietzko-Isemer (14), dessen ausführlichem inter- 
essanten Bericht ich nur die hier wichtigsten Schlagworte ent- 
nehme, umsomehr des fraglos Belehrenden: 

Alte Eiterung der linken Rieferhöhle mit Ausgang in Nekrose. Per- 
foration einerseits znra harten Gaumen, andererseits in der hinteren oberen 
Wand zur fossa pterygo-palatina. Gangrän der Weichteile daselbst sowie 
des perivaskulären Gewebes in canalis carotid., des peritubaren Gewebes und . 
des m. tensor tymp., endlich der Schleimhaut um den Steigbügel. 

Arrosion des Hinterhauptbeins bis über den linken prozessus condyloid. 
hinaus und bis über die Mittellinie nach rechts. 

Die Wände der vena und des bulbus jugul. bereits verfärbt, die Gefäße 
innen noch intakt; einzelne Drüsenpakete am Halse verfärbt, ihre Umgebung 
sulzig infiltriert. 

Eiter in der Paukenhöhle, die Gehörknöchelchen von Granulationen 
umgeben, auf deren Frische gegenüber den nekrotischen, primär erkrankten 
Partien die Autoren ausdrücklich hinweisen, um daran selost die rein sekun- 
däre Bedeutung der Otitis zu erläutern. 

4. Eigener F a 1 1 (15). Aus der Krankengeschichte, deren 
ausführliche Lektüre zur Würdigung der diagnostisch entscheidenden 
Momente des Falles unerläßlich ist, hebe ich nur folgende Daten 
kurz hervor: 

Exacerbation eines alten KieferhöhlenkataiThs. Breite Eröffnung vom 
unteren Nasengange aus. 14 Tage später neuerliche Infektion (Erkältung). 
Fortschreiten der Entzündung durch die Hinterwand der Kieferhöhle auf das 
Gewebe der fossa pterygopalatina und auf das suboccipitale Gewebe, gleich- 
zeitig, wahrscheinlich auf dem Lymphwege, zum Ohr. Profuse Mittelohr- 
eiterung mit hoher Empfindlichkeit der Warzenfortsatzspitze. Diagnose eines 
beginnenden suboccipitalen Abscesses auf Anamnese, leichte Kiefersperre, 
tiefes Nackeninfiltrat. Kopfsperre und Neuralgie der 2. und 3. Trigeminus- 
astes begründet. 

Operation des Abscesses mit Freilegung der hinteren, ganz gesund 
aussehenden Warzenfortsatzfläche. 

Nach Entfernung des Wundtampons am 4. Tage, Versiegen 
der bis dahin profus andauernden Ohreneiterung innerhalb 
weniger Stunden. 

In diesem Falle hätte in Anbetracht der fünf Wochen langen 
Dauer der profusen Ohreneiterung und der Schmerzhaftigkeit des 
Processus nichts näher gelegen, als die pneumatischen Räume zu 
eröffnen, die sicher auch, zur Befriedigung des Operateurs, Eiter- 
inhalt gezeigt haben würden. Ich habe, entgegen begründeten 
Einwänden sachkundiger Kollegen, fest auf der Auffassung einer 
nur sekundären Bedeutung der Ohreneiterung bestanden und der 
postoperative Verlauf hat dem recht gegeben. Es ist dies der 
erste Fall, in dem es gelang, unter Abstraktion von den täuschen- 



Die Ohrenentzündungen in ihren abhäng. Beziehungen zu Nachbarorganen. 95 

den Ohrenerscheinungen sofort auf den richtigen Herd loszu- 
gehen. 

In einem, viel früher, von mir ebenfalls als nicht otitisch be- 
gutachteten Falle ist von anderer Seite operiert worden. Darüber 
weiter unten. 

Es existieren noch einige, meiner Ansicht nach hierher- 
gehörige Fälle in der Literatur, speziell einer von Jansen (16), 
auf die ich aber nicht eingehen kann, weil die ausführliche, zu 
der erforderlichen kritischen Würdigung unerläßliche Wiedergabe 
hier zu viel Platz beanspruchen würde. In anderem Zusammen- 
hange werde ich dieselben ohnedies noch zu besprechen haben. 

Nur einen möchte ich, des besonderen Interesses halber, kurz 
erwähnen, denjenigen von 

2. Neumann (17): Nach einer Nasenoperation setzte eine acute Otitis 
ein, die am 6. Tage duich Schüttelfrost und hohes Fieber kompliziert wurde, 
aber keine anderen subjektiven oder objektiven Zeichen von Mastoiditis 
darbot Trotzdem wurde die Aufmeißelung vorgenommen, ,.die aber keine 
Aufklärung brachte^, weiter noch die jugularis unterbunden und der Bul- 
bus freigelegt, ebenfalls ohne positiven Befund; speziell kein obturierender 
Thrombus. 

Nach der Operation hörten die Schüttelfröste auf und sank die Tem- 
peratur lytisch ab. 

N. nimmt an^ daß eine wandständige, bei der starken 
Blutung nicht sichtbare Thrombose des Querleiters vorgelegen 
habe. 

Allerdings ist das Vorhandensein einer Otitis geeignet, dieser 
Auffassung eine Stütze zu leihen. 

Trotzdem ist dieselbe abzuweisen. Der absolut negative 
Ausfall der Operationen verlangt das; die Entzündung beschränkte 
sich ja auch nur auf die Paukenhöhle. 

Höchstwahrscheinlich saß der Thrombus in einem der sinus 
petrosi, vielleicht auch nur im plexus pterygoideus. Die lugularis- 
unterbindung unterbrach die Blutverschleppung weiteren septischen 
Materials, konnte aber nicht verhindern, daß von dem noch be- 
stehenden, jedenfalls sehr kleinen Herde aus noch septische Stoffe 
resorbiert wurden, weshalb das Fieber nicht sofort, sondern nur 
lytisch abfiel. 

Die Phlebitis war zweifellos direkt nasalen Ursprungs, die 
Otitis ein Syndrom. 

Ihre Entstehung zu erörtern, ist im knappen Eahmen dieser 
Skizze nicht möglich; unzweifelhaft ist nur, daß auch hier, wie 
in mehreren der bereits erörterten Fälle, der Inhalt der fossa 
pterygo-palatina und insbesondere der plexus pterygoideus eine 



96 XV. GRÜNWALD. 

ausschlaggebende Vermittlerrolle spielt, deren prinzipielle 
Bedeutung usw. zurzeit von mir ausführlichen Untersuchungen 
unterzogen wird. 

Eine eigentümliche und nur durch Anwendung aller ein- 
schlägigen Untersuchungsmethoden, insbesondere wieder durch 
systematische Nasenuntersuchung vermeidbare Fehlerquelle besteht 
in der 

C. Gleichzeitigkeit Ton Ohreneiternngen und andersartigen 

Schttdeleiterungen. 

1. Koebel (18): Bei emem 39 |ährigen Manne, der von Jugend auf mit 
Naseneiterung behaftet war, trat ein Recidiv einer 15 Jahre vorher ent- 
standenen rechtsseitigen Ohreneitcrung auf. In der rechten Nase wurden 
Granulationen geätzt; 14 Tage daruuf entstand plötzlich unter Reber ein 
heftiger Schmerz in der Stirn und beiden Schläfen neben allgemeinem Verfall, 
schwankendem Gang, (wie in Betrunkenheit), Erbrechen, Unruhe und, einige 
Tage später, Zuckungen in der linken Hand und Arm. Stirn nicht druck- 
empfinalich. 

Die Totalaufmeißelung ergab keine Knochenerkrankung, auch nicht der 
ossicula; Eiter im Antrum. 

In anhaltendem Sopor trat bald der Tod ein. 

Bei der Sektion fand sich eine Perforation in der Hinterwand der 
rechten Stirnhöhle (beide, auch die linke, von Eiter und Granulationen erfüllt) 
und ein hühnereigroßes Äbszess im Vorderlappen. 

Daß die Ohreneiterung die Dignität des gleichzeitigen Nasen- 
prozesses stark zu verhüllen geeignet war, ist klar. Die Druek- 
unempfindlichkeit der Stirn konnte umsomehr zur Täuschung 
beitragen, als, entgegen meinen wohlbegründeten Warnungen (23), 
seit der Kuhnt sehen Arbeit, diesem Symptom ein viel zu weit- 
gehendes Gewicht beigelegt wird; das einzige, auf den Vorder- 
lappen hinweisende Symptom der „frontalen Ataxie^^ ist nicht 
auffällig genug, um seine Vernachlässigung nicht begreiflich zu 
finden. 

Trotzdem oder vielmehr gerade darum bietet der Fall er- 
neuten Anlaß, unsere Mahnung zu noch größerer Aufmerksamkeit 
auf die Nase usw. zu wiederholen. Gerade solche Fälle mit un- 
klaren, aber doch auf endocephale Vorgänge hinweisenden Symp- 
tomen, müssen zur Erschöpfung aller Möglichkeiten durch An- 
wendung weitgehender Untersuchungen führen und speziell zur 
Anwendung der Erkenntnis, daß latente Nebenhöhleneiterungen 
häufig nur den intensivsten diagnostischen Bemühungen zu- 
gängig sind. 

2. In St enger 's (19) Fall beherrschte die Stimhöhleneiterung, da sie 
bald im Anfange zu einem Lidabszess führte, von vornherein die ebenfalls 
durch eine subakute Ohreneiterung komplizierte Lage. Demgemäß wurde 
auf der richtigen Linie vorgegangen, allerdings nicht weit genug: der unent- 
deckte Stirnlappenabszess führt zum Tode. 



Die Ohrenentzündungen in ihren abhäng. Beziehungen zu Nachbarorganen. 97 

Wenn in der Koeb eischen Beobachtung die Gleichzeitigkeit 
der Ohrenaffektion mit der tödlichen Stirnhöhleneiterung die 
Täuschung über den wahren Sachverhalt in vivo noch verständ- 
licher machte, umsomehr als auch die Lokalhirnsymptome geradeso 
gut von einem Schlaf enlappenabszeß ausgelöst sein konnten, so 
hätte in dem folgenden Fall von 

3. Jansen (20) die Möglichkeit einer anderen Aufassung, 
wenigstens post mortem, nahegelegen: 

In der rechten Nase eines mit alter linksseitiger desquamativer 
Ohreneiterung behafteten Mannes wurde g^alvanokaustisch gebrannt. All- 
gemein septische Erscheinungen traten auf und veraniaßten die linksseitige 
Anfmeißelung, führten aber 2 Ta^e später zum Tod. 

Bei der Sektion fanden sich sämtliche Blutleiter frei, nur in dem 
rechten sinus petros inf. ein eitrig zerfallender, grünlich verfärbter Pf ropf , 
ebenso in der sella turcica mißfarbige zerfallene Massen, am cUvus oer 
Knochen grünlich verfärbt. — Keine iNebenhöhlensektion. 

Daß die linksseitige Ohreneiterung diese rechtsseitige Basis- 
erkrankung, unvermittelt noch dazu, herbeigeführt haben sollte, 
ist absolut von der Hand zu weisen. Die Entstehung, im An- 
schloß an die Galvanokaustik, weist in ganz typischer Weise 
wieder auf eine nasale Entstehung der Phlebitis hin. 

Immerhin, auch in diesem letzten Falle lag doch wenigstens 
noch eine manifeste Ohreneiterung, wenn auch der anderen 
Seite, vor. 

Es bleibt uns aber noch übrig, eine Gruppe von Fällen zu 
besprechen, in denen überhaupt keine Otitis bestand, sondern nur 
durch lokale oder allgemeine Symptome, welche bei Ohren- 
eiteningen wohl vorkommen, aber auch anderen weniger be- 
kannten Erkrankungen eigentümlich sind, vorgespiegelt wurde. 

D. Yortäusehung nicht Yorhandener Ohreneiterungcn. 

In dem ersten der einschlägigen Vorkommnisse schöpfte der 
Operateur wenigstens aus dem Umstände, daß eine Ohreneiterung 
relativ kurze Zeit vorhergegangen war, einige Berechtigung für 
seine Auffassung: 

1. Eigener Fall (2 U: Geheilte Kopfverletzung vor 6 Jahren; vor 
einem halben Jahre linksseitige, rasch geheilte Ohreneiterung. 

Heftige Schmerzen hinter dem linken Ohr und BeschranKung der Kopf- 
beweglichkeit führten den behandelnden Arzt dazu, mir den Patienten als 
der Simulation verdächtig (Unfallrente) vorzustellen. 

Ich konnte absolut keine objektiven Veränderungen, auch nicht am 
Ohre, feststellen und lehnte jedes Einschreiten, aber auch ein definitives 
UrteU ab. 

Das Anhalten der Beschwerden und eine occipitale Schwellung veran- 
iaßte den Kollegen, den Warzenfortsatz aufzomdJieln, der sich als nicht 
erkrankt erwies, aber auf dem planum eine alte Fissur mit ein- 
geklemmter Fascie zeigte. 

Aichi7 f. Ohrenheilkunde. 73. Bd. Festschrift. 7 



98 XV. GRÜNWALD. 

Einen Monat spater wieder zugezogen, war ich in der La^e, den Proceß 
als einen rein subocdpitalen (es fand später noch eine rctropharyngeale 
Senkung etc. statt) anzusprechen und zu operieren. Die akute Otitis war 
selbst geheilt, hatte aber durch die, jedenfalls auch auf die 
Innenseite des Processus reichende Fissur, die Infektion sub- 
occipital geleitet. 

Bezüglich der Einzelheiten verweise ich auf die Original- 
mitteilnng. 

Die Täuschungsmöglichkeit in diesem Falle war groß und 
wohlbegründet. 

Im Gegensatz hierzu müssen wir auf die Notwendigkeit, 
schon im klinischen Verlauf andere Möglichkeiten in Erwägung 
zu ziehen, für folgende Fälle hinweisen: 

2. Biehl (22): Im Gefolge einer Nasenoperation entstanden Ohren- 
schmerzen, die zu fünfmaliger, immer vergeblicher Paracentese Anlaß 
gaben. Da abendliche Temperatursteigungen, einmal sogar Schüttelfrost 
auftraten, wurde weiter vorgegangen, immer in der Richtung auf das Ohr: 
der Warzenfortsatz aufgemeißelt^ und leer befunden; endlich fand sich ein 
kirschkemgroßer Abszess am Übergang des sinus transversus zum sinus 
sigmoideus. 

In einem zweiten Fall führten ebenfalls nach einem Naseneingriff auf- 

fetretene Ohrenschmerzen zur ergebnislosen Ohrenoperation, die aber wiederum 
ie Freilegung eines Sinusabszesses ermöglichte. 

Auch epikritisch beharrt B. auf der Auffassung otitischen 
Ursprungs dieser Abszesse, obgleich es doch sehr schwer ersicht- 
lich ist, wie eine erweislich nicht existierende Ohrenentzündung 
Folgeerscheinungen hervorrufen soll. 

Berechtigt scheint mir wiederum nur eine Erklärung, daß 
ähnlich wie in den oben erörterten Fällen durch den Nasenein- 
griff eine infektiöse Phlebitis der vena nasalis posterior veranlaßt 
und vermittels des plexus pterygoideus zu einem sin. petrosus 
und durch diesen zum sinus sigmoideus geleitet wurde. 

(Bei dieser Gelegenheit möchte es nicht unwichtig sein, darauf 
hinzuweisen, daß Sinusthrombosen im Gefolge akuter Erkrankung 
an sich schon den Verdacht auf einen anderen als otitischen 
Ursprung hinzulenken geeignet sind; nach akuten Ohrenerkrank- 
ungen kommen sie weitaus seltener zur Beobachtung; sehr er- 
klärlich durch die fast unerläßliche Notwendigkeit vermittelnder 
Knochenprozesse, wenn es sich um das Ohr handelt.) 

Das einzige wirklich oder vielmehr scheinbar auf die Ohren 
hindeutende Symptom, der Ohrenschmerz ist ferner genau so 
trügerisch, wie jede andere spontane Schmerzlokalisation. 

Auf die Hinfälligkeit aller aus diesen Lokalisationen ge- 
zogenen Schlußfolgerungen habe ich schon vielfach hingewiesen (23) 
und stehe damit ja nicht allein da (24). 



Die Ohrenentzündungen in ihren abhäng. Beziehungen zu Nachbarorganen. 99 

Was speziell den Ohrenschmerz und dessen unberechtigte 
Würdigung anbelangt, verweise ich auch auf eine jüngst erfolgte 
Zusammenstellung von komplizierenden Erkrankungen bei Eeil- 
beinhöhleneiterung, durch St Clair Thomson (25), aus welcher 
ersichtlich ist, daß Schmerzen hinter dem Ohr in einem, im Ohr 
selbst in 5 Fällen letzterer Art geklagt wurden und zwar so aus- 
gesprochen^ daß dreimal (vergeblich) der Warzenfortsatz eröffnet 
wurde und zwar von ^^ geschickten Otologen." Sogar der sinus 
sigm. wurde unnötig zweimal eröffnet. 

Th. weist in diesem Zusammenhang auch auf das oben 
erörterte gleichzeitige und unabhängige Vorkommen von Ohren- 
eiterung hin: „it is to be remembered, that Otitis may coinci- 
dently be present." 

Ich bin am Schlüsse, dieser heißt: 

Grenzgebiete berühren sich einerseits durch die 
gegenseitige Beeinflussung ihrer Zustände, andrer- 
seits durch die häufige Gleichartigkeit oder täuschende 
Ähnlichkeit der Symptome ihrer Erkrankungen. Nur 
genaueste Kenntnis jedes dieser Gebiete ist imstande, 
vorkommende Grenzüberschreitungen bald als solche 
festzustellen, so daß die vorliegende Erkrankung 
nach dem Orte ihrer Entstehung, nicht nach dem 
ihrer Erscheinung gewürdigt und behandelt werden 
kann. 



Literatur: 

1. Journal de mßdicine, chuiirgie, pharmacie etc. par Roux, Paris 1762. 
T. 17. S. 455. 

2. Handbuch der Chirurgie, Bd. 1. S. 133. 

3. Traitö des plaies de tete et de Tenc^phaiite. Paris 1835, S. 488. 
(Diese drei Zitate sind dem Handbuch der Chirurgie von V. Bruns, I.Ab- 
teilung; Tübingen 1854; S. 976—978 entnommen.) 

4. Brit med. Journal, 1887, I. S. 725. 

5. Bulletin de la societ6 de Chirurgie. 1873. S. "507. 

6. Archiv für Laryngologie, 1901. 

7. Volkmanns klipische Vorträge. Neue Folge. Heft 1. 

8. Handbuch der topographischen Anatomie. S. 300. 

9. Berliner klinische Wocnenschrift, 1907. 

10. Macewen, die infektiös-eitrigen Erkrankungen des Gehirns etc. S. 112. 

11. Zell er, zit. bei Oppenheim (24) S. 189. 

12. Zeitschrift für Ohrenheilkunde, 1904. S. 227. 

13. Revue hebdomad. de laryngol. etc. 1905. 15. Ref. Zentralbl. für 
Chir. 1906. 36. S. 978. 

14. Archiv für Ohrenheilkunde, 1905. Bd. 64. S. 92. 

15. cf. 9, Fall V. 



100 GRÜNWALD. 

16. Archiv für Ohrenheilkunde, Bd. 35. S. 279. Fall XII. 

17. Monatsschr. für Ohrenheilkunde etc., 1905. S. 557. 

18. Beitrage zur klin. Chirurgie. 1899. S. 526. Bd 25. 

19. Berl. klin. Wochensehrift, 1901. S. 639. 

20. cf. 16, S. 89. 

21. cf. 9, FaU III. 

22. cf. 17, DiskuBsion. 

23. Lehre von den Naseneiterungen, 2. Aufl. S. 257 und S. HO. 

24. Oppenheim, die Encephalitis und der Himabszeß. S. 136. 

25. Brit med. Journal; 1906. II. S. 768. 



XVI. 

Ein Beitrag znr Kasuistik der Konkrementbildnngen 

im äusseren GehSrgang. 

Von 

Dr. med. Sehwidop in Karlsruhe (Baden). 
(Mit 3 Abbildungen im Text) 



Die Angaben in der Literatur über die Konkrementbildnngen 
im äußeren Gehörgang sind äußerst spärliche. Lincke macht in 
seinem Handbuch der Ohrenheilkunde darüber einige Angaben, 
die wohl nur mehr ein historisches Interesse zu beanspruchen 
haben. Er sagt in dem „pathologische Anatomie der äußeren Ab- 
teilung des Gehörorgans^ betitelten Abschnitt in Bd. I: „Einer 
besonderen Erwähnung verdienen die steinigen Konkretionen, welche 
man einige Male im Gehörgang gefunden hat. Die älteren Schrift- 
steller standen in dem Wahne, daß das Ohrenschmalz der Galle 
an Eigenschaft gleiche und wie diese der Versteinerung fähig sei. 
Bartholin erzählt von einer Frau, daß diese lange Zeit einen 
Schmerz um das Ohr gehabt habe, der zuletzt durch eine Ent- 
ladung kleiner Steine aus dem Gehörgang gelindert wurde. Gar- 
mann beschreibt ein steinhartes Konkrement, von der Größe und 
Gestalt einer Erbse, welches aus verhärtetem Ohrenschmalz be- 
stand. Du Verney erzählt, daß er bei der Untersuchung des 
rechten Ohres einer verstorbenen Person, die in den letzten Jahren 
ihres Lebens auf dieser Seite taub gewesen war, zwei Linien weit 
von dem Trommelfell eine sehr dicke und schlaffe Haut, und vor 
dieser eine ziemlich ansehnliche Menge gipsartiger Materie gefunden 
habe. Müller gedenkt eines Mannes, dem nach lange Zeit hin- 
durch währenden Kopfschmerzen auf der linken Seite mehrere 
spitzige und harte Steinchen, mit Blut und Eiter vermischt, aus 
dem linken Ohr abgingen. Nach Collomb litt ein Mann mehrere 
Jahre hindurch an vagen Schmerzen, die oft den Kopf einnahmen 



102 XVI. ÖCHWIDOP. 

und heftige Ofarenflüsse verursachten. Nach und nach nahm sein 
Gehör ab, und er wurde ganz taub. Als man seine Ohren unter- 
suchte, traf man einen harten Körper in beiden Ohren, der jedoch 
im linken mehr hervorstand als im rechten. Man zog ihn heraus, 
und es ergab sich, daß er eine gipsartige, harte und unregel- 
mäßig geformte Masse von der Länge und Dicke einer gewöhn- 
lichen Schminkbohne bildete. Neuere Beobachtungen von stein- 
artigen Konkretionen im Gehörgang und chemische Analysen der- 
selben fehlen." 

Und in Bd. II. heißt es in einem besonderen Kapitel: „Die 
Ohrsteine oder steinartigen Konkremente im Gehörorgan, Otolithi, 
Otolithiasis" — „manchmal bilden sich im Gehörgang, in der 
Trommelhöhle und im Warzenfortsatz unorganische Konkremente 
von verschiedener Härte und Dichtigkeit .... Diese Konkre- 
mente bestehen wahrscheinlich aus phosphorsaurem und kohlen- 
saurem Kalk und aus tierischer, dem Ohrenschmalz und Schleim 
analoger Substanz. . . — Die Steinbildung setzt immer eine ge- 
wisse krankhafte Veränderung des Gehörorgans voraus, infolge 
deren die Absonderung der Schmalzdrüsen und der Schleimhäute 
alteriert ist. Vor allem muß aber ein Individuum eine solche An- 
lage haben und es muß eine Stimmung obwalten, welche die 
Steinbildung begünstigt Schon mehrere ältere Ärzte vermuteten 
nicht ohne Grund, daß die Neigung zu derselben von einer 
gichtischen Anlage herrühren müsse." — 

Nirgends in der neueren Literatur findet sich ein Hinweis 
auf diese doch recht ausführlichen Darlegungen Lincke's. 

Tröltsch, Jacobson, Eitelberg, Hartmann u. a. er: 
wähnen die Möglichkeit des Vorkommens von Konkrementbildungen 
überhaupt nicht; auch in der pathologischen Anatomie von Ziegl er 
findet sich keine Notiz darüber. In der Realencyklopädie von 
Eulenburg wird das Vorkommen von Otolithen nur ganz kurz 
erwähnt Brühl spricht davon, daß in Cerumenpfröpfen neben 
Cholestearinkrystallen, pathologischen Mikroorganismen mitunter 
auch kleine Fremdkörper und Kalk (Otolithen) gefunden wurden. 
Vohsen in der Encyklopädie der Ohrenheikunde kennt Konkrement- 
bildungen, die mit Cerumen und Epidermismassen vermengt sind 
und deren Entstehen er durch die Beschäftigung der Träger mit 
dem Baugewerbe erklärt, daneben aber auch solche aus kohlen- 
und phosphorsaurem Kalk, deren Ursprung unbekannt ist. In dem 
Handbuch von Schwartze finden wir die Angabe, daß Otolithen 
von VoltoUni, Courtes undBezold beschrieben wurden, daß 



Ein Beitrag zur Kasuistik der Konkrementbiidungen. 103 

es aber nie gelungen sei, einen zentralen Kern nachzuweisen, wie 
bei fast allen Nasensteinen. 

Barth erwähnt in der Monatsschrift für Ohrenheikunde 1897 
einen Fall von Eonkrementbildung an der Außenseite eines bei 
chronischer Mittelohreiterung lange Zeit im Gehörgang belassenen 
Wattepfropfes. Bezold allein spricht sich über das Vorkommen 
von Ealkkonkretionen im Gehörgang ausführlicher aus und er- 
wähnt die beiden von ihm beobachteten Fälle. — Während bei 
den wenigen sonst in der Literatur vorliegenden Beobachtungen 
gleichzeitig eine chronische Mittelohrentzündung bestand, fand 
Bezold in seinen beiden Fällen Trommelfell und Gehörgang in- 
takt, die Ealkkonkremente saßen innerhalb dicker Epidermis- 
sehichten, die in ihrer Mitte verkäst waren. Die gleichzeitige An- 
wesenheit reichlicher, in Form von Zooglöamassen angesammelter 
Kokken macht es ihm wahrscheinlich, daß es, ebenso wie bei der 
Bildung des Zahnsteines, der Tränensteine und der Bhinolithen 
eine besondere Bakterienart ist, die eine vermittelnde Bolle auch 
bei ihrer ausnahmsweisen Entstehung im Gehörgang spielt. In 
beiden Fällen bestand fötide Sekretion im Gehörgang, in dem 
einen auch infolge der Beizung durch die scharfen Ecken und 
Kanten des Fremdkörpers und die vielfachen Manipulationen seitens 
der Trägerin eine zapfenförmige Wucherung im Gehörgang. Beide 
Male wurde teils mit der Spritze, teils mit Löffel und Zange eine 
größere Anzahl von sehr unregelmäßigen z. T. bis zu 1/2 cm 
langen harten Partikeln entfernt, welche ihrer Farbe und Eauhig- 
keit, sowie ihrer vielfach durchlöcherten und aus Balkenwerk zu- 
sammengesetzten Oberfläche nach kariösem Knochen vollständig 
glichen. Ein Zusatz von Salzsäure unter dem Mikroskop ergab 
reichliche Gasentwickelung und erwies ihre teilweise Zusammen- 
Setzung aus kohlensaurem Kalk. Die große äußere Ähnlichkeit 
der Otolithen mit spongiösenKnochensequestern könnte insbesondere 
bei gleichzeitiger Anwesenheit einer größeren Zerstörung des 
Trommelfells leicht die Veranlassung zu einer Verwechslung mit 
Caries necrotica des Schläfenbeins geben. 

Barth 1. c. spricht auch davon, daß er in erster Linie an 
einen Sequester der Schnecke dachte und von dem Befund ganz 
überrascht war; er nahm sogar an, daß er als erster diese Konkre- 
mentbildung, wie er sie nannte, beschrieben habe. 

Der eine Fall von Bezold wurde durch Waldeyer genauer 
untersucht. Es fanden sich neben den Kalkkonkrementen reichlich 
Detritus, Fettsäurekrystalle und Bakterien. 



104 XVI. SCHWIDOP. 

In dem von Barth beschriebenen Falle fanden sich bei der 
Analyse „geringe Mengen kohlensauren und relativ größere Mengen 
fettsauren Kalks^^ 

Einen den Bezold'schen ähnlichen Fall berichtet Secchi. 

Schmulansky, Referat-Arch. f. Ohrenheilkunde Bd. A4,, 
machte eine analoge Beobachtung wie Barth. Auch hier handelte 
es sich um einen in den lateralen Schichten mit harten Konkre- 
menten durchsetzten Wattepfropf bei chronischer Mittelohreiterung 
die als Niederschläge von dem Eiter entstammenden Kalksalzen 
gedeutet wurden. 

Kretschmann berichtete auf der 12. Versammlung der 
Deutschen otologischen Gesellschaft über einen von ihm beobachteten 
Fall von Neubildung in der Paukenhöhle. Er fand bei einem 
elfjährigen Knaben, der seit frühester Kindheit an chronischer 
Mittelohreiterung litt und bei dem sich verschiedene Narben rund 
um das Ohr, herrührend von mehrfachen spontan durchbrochenen 
Abszessen, fanden, eine in Granulationsmassen eingebettete weiß- 
gelbliche Masse, die sich als harter, nicht eindrückbarer Körper 
von Erbsengröße erwies. Die Struktur desselben war keine gleich- 
mäßige. Kretschmann fand nach Entkalkung neben geschichteten 
Cholesteatom massen ein als Knochen sich erweisendes Balkenwerk 
und nimmt an, daß sich im Verlaufe der Eiterung ein Knochen- 
sequester gebildet hat, der in der Paukenhöhle liegen blieb und 
hier, umgeben von Epidermismassen zur Ablagerungsstätte von 
Kalksalzen wurde. Hier, wie auch in den beiden Fällen von 
Bezold, in denen sich die Kalkkonkremente in Epidermismassen 
eingebettet fanden, hat das Gerüstmaterial, aus Geweben des 
Körpers bestanden, während in den Fällen von Barth und 
Schmulansky ein Fremdkörper — Wattepfropf — zum Gerüst 
für die Konkrementbildung wurde, die sich Kretschmann ähn- 
lich vorstellt, wie die Ablagerung der Salze in den Gradierwerken 
infolge von Verdunstung. Die Annahme von Bezold, daß Mikro- 
organismen die Rolle der Kalkablagerer spielen, läßt Kretsch- 
mann ebenfalls gelten^ doch vermag ihm weder diese noch die 
andere Erklärung für das Zustandekommen der Konkremente im 
Gehörorgan zu genügen, da die in den erwähnten Fällen vor- 
handenen Verhältnisse — Fremdkörper, Sequester, Epidermis- 
schoUen evtl. mit Anwesenheit von Zooglöa überaus häufig vor- 
kommen und doch die Beobachtungen von Kalkkonkrementen im 
Ohr sehr selten sind. 

Diese nach allem außerordentliche Sehenheit der Otolithiasis 



^ 



£tn Beitrag zur Kasuistik der Konkrementbilduugen. 105 

dürfte es rechtfertigen, eine von mir gemachte Beobachtung aus- 
fuhrlicher zu berichten, die in vielem von den obigen Bildern 
abweicht und in keinem der Fälle ein Analogen findet. 

Frida F., IS Jahre alt ein gesundes und kräftiges Mädchen vom 
Lande, stets gesund bis auf die im ersten Lebensjahrzehnt iiberstandenen 
Rinderkrankheiten, von gesunden Eltern, ist bisher nie ohrenkrank gewesen. 

Seit April 1905 öfters auftretende Ohrenschmerzen rechts, die stets 
nach wenigen Minuten wieder vorübergingen, nie Ausfluß. Mitte Mai 
empfand Patientin außer einem nicht sehr intensiven Schmerzgefühl ein Oe- 
fühl von Druck im rechten Ohr, keine Geräusche, aber zunehmende Schwer- 
hörigkeit. Auch jetzt wieder kein Ausfluß. Natürlich wurde der vis 
medicatrix naturae vertraut, im wohltuenden Gegensatz aber zu der sonst 
üblichen Polypragmasie der Laien nichts unternommen, keine Ausspülungen, 
keine Dämp'fe, keine Einträufelungen usw. Am 13. Juli 1905, also ein 
Vierteljahr nach dem Auftreten der ersten Erscheinungen kam Patientin 
wegen des ihr lästigen Druckgefühls, gelegentlicher interkurrenter Schmerzen 
und der Schwerhöngkeit zu mir. 

Der Stimmgabelbefund war der für obturierende unkomplizierte ein- 
seitige Cerumenpfröpfe charakteristische, das Gehör für Flüsterzahlen total 
aufgehoben, für halblaute Sprache am Ohr erhalten. Druck auf den Tragus 
war nicht schmerzhaft, ebensowenig ausgiebige Bewegungen des Kiefer- 
gelenks. Der Gehörgang normal weit wie auf der anderen Seite, wo das 
Trommelfell vollständig frei lag. 

Nirgends eine Spur von Cerumen, keine Epidermisfetzen, kein Sekret, 
keine Rötung oder Schwellung, keine Granulationen. Ganz in der Tiefe, 
das Trommelten total verdeckend und nirgends eine Lücke lassend, war ein 
rauher, nicht höckeriger Fremdkörper sichtbar, der ganz und gar das Aus- 
sehen eines Kieselsteins von grauer bis gelber Farbe hatte. Die Sonde 
rechtfertigte die Annahme, daß es sich um einen Stein bzgl. steinähnliches 
Gebilde handelte. An einen Sequester habe ich bei dem negativen Befund 
im Gehörgang nicht einen Augenblick gedacht. — Nach der Anamnese war 
ein Hineingelangen des Steines in den letzten Monaten oder Jahren ganz 
ausgeschlossen. Was nun? Zuerst die Spritze, in der Hoffnung, daß doch 
nocn irgendwo eine nicht sichtbare Lücke zwischen Stein und Gehörgangs- 
wand sich fände. Vergebliche Mühel So griff ich zum Hebel und es ge- 
lang mir einige kleine Partikelchen, die am oberen hinteren Rande des 
Sternes abgebrochen wurden, herauszufordern. Die Masse war ziemlich 
hart, ließ sich nicht mit den Rngem, wohl aber leicht mit dem Griffende 
des Hebels zerdrücken und machte einen kreide- bis sandartigen Eindruck. 
Erneutes Eingehen blieb erfolglos, nirgends eine Möglichkeit mit dem Hebel 
oder einem Haken den Stein anzugreifen. Zudem war der Versuch für die 
Patientin ziemlich schmerzhaft, obwohl eine Verletzung der Gehörgangs- 
wand nicht gesetzt war. 

So entschloß ich mich zur Narkose, die am 20. Juli unter Assistenz 
des Herrn Geh. Medizinalrat Klehe-Bruchsal eingeleitet wurde. Aber auch 
jetzt war es trotz mehrfacher Versuche unmöglich den Stein zu lockern. 
Es blieb nun nur übrig, die Ohrmuschel abzulösen. Nach Durchschneidnng 
der hinteren Gehörgaugswand lag der Fremdkörper frei zugänglich da. Es 
erforderte aber auch jetzt noch einige Mühe, mit dem Hebel an der Stelle, 
wo bei den ersten Versuchen vor 8 Tagen die kleinen Partikelchen los- 
gelost waren, zwischen Gehörgangswand und Stein einzudringen, wobei 
nun freilich die Gehörgangswand eine kleine Verletzung davontrug. Ein 
Druck auf den Hebel und mit einem kleinen krachenden Geräusch war die 
obere Hälfte des Steines in zwei ungleich großen Teilen abgesprengt. Nach 
Entfernung der „Schuttmassen^' und Stillung der geringen aus der erwähnten 
Verletzung der Gehörgangswand herrührenden Blutung war das Bild fol- 
gendes: Das Trommelfell lag in den oberen Partien frei da, natürlich stark 
gerötet durch Gefäßinjektion, die untere Hälfte war durch den Rest des 
Steines, der fest in den Recessus des Gehörgangs eingekeilt saß, verdeckt 



106 XVI. 8CHWID0P. 

Unter großer Mühe und Voreicht gelang es aucli diesen Teil des Steinea und 
zwar in toto aua seiner Lage abzubringen und dann mit der Hakenpinzette 
leicht herauszuheben. Das Trommelfell war vollständig intakt. An der 
hinteren knöchernen GehörgaugBwandung wurde mit einigen leichten Meißel- 
schiHgen die Corticalis angetriacht, die Ohnnuachel wieder angenäht und der 
GehSrgang fest tamponiert, um ihn zum Anlegen an die angefrischte Corti- 
calis zu bringen. Der Verlauf der Heilung ließ nichts zu wünschen übrig; 
kleine mehrfach auf schiel] ende Granu lationsknSpf eben an den Wundstellen 
des Gehörgangs wurden mit Argentuin nitric. geätzt. Die Schnittwunde 
hinter dem Ohre heilte per primam. Am 14. August konnte Fatieatiii ge- 
heilt entlassen werden. 

Das Trommelfell war in toto etwas getrübt, ohne licbtreflex, 
anterechied sieh aber in nichts von dem des anderen Obres. Die 
Hörfäbigkeit für Flüsterzahleo betrug bei Tageslänn in belebter 
Straße auf beiden Ohren 5 m ; auch der Stimmgabelbefund ergab 
keinen Anhalt für eine Benachteiligung des rechten Ohres. Noch 
nach 6 Monaten konnte ich denselben Befund erheben. 



Fig. 1. 

Der zuletzt entfernte größere Teil des Steines hatte keil- 
förmige Gestalt und maß an der dicksten Stelle 3,6 mm bei 
einem Durchmesser von 8,6 mm. 

Von den vergrößerten Abbildungen dieser unteren Hälfte des 
Steines, die ich der Liebenswürdigkeit des Herrn Dr. phil. 
Dienstbach-Karlsruhe verdanke, zeigt Fig. 1 die laterale, im 
Gebörgange sichtbare Fläche. Fig. 2 gibt den Stein von der 
unteren Kante gesehen wieder. Der in dem Becessus des Gehör- 



Ein Beitrag zur Kasuistik der KoDkrementbilduDgen. 



107 



ganges nach vorn gelegene Teil, die scharfe Kante, entspricht 
der heller beleuchteten Partie, während die danklere, dem hinteren 
unteren Teile des Gehörganges aufgelesene Partie deatlich ein 
dreieckiges Feld zeigt, a bezeichnet die laterale Seite (Fig. 1). 



Fig. 2. 

Die in Fig. 3 wiedergegebene Skizze veranschaulicht die 
nngefäbre Lage des Fragments in situ. 

Dadurch, daß die zuerst eotfemten kleineren Stücke durch 
Zufall rerloren gingen, war es leider nicht möglich festzustellen, 
ob sich der proc. brevis des Hammers in seinen f^ 

Konturen abgedrückt hatte, wie es auf festen 
Cemmenpfröpfen öfters zu sehen ist. 

Die von Herrn Hofapotheker Dr. Stroebe- 
Earlsmhe volhttändig durchgeführte Analyse i 
ergab, daß der Stein zum größten Teil aus 
Ziukoxyd und Zinkkarbonat bestand. Kleinere 
Mengen von Oalciumbydroxyd und Calcium* 
Chlorid waren nachweisbar, desgleichen eine 
äußerst geringe Menge von Caiciumhypochlorid oder Chlorat. 
Das Bild der Analyse ist also folgendes: 

Reaktion: alkalisch. 

Gefundene Säuren: Koblensänre viel, Salzsäure wenig. 




Fig. 3. 



108 XVI. SCHWIDOP. 

Gefundene Basen: Zink viel, Calcium wenig. 

Gefundene Halogene: Chlor, jedoch in sehr geringer Menge. 
Das dem vorliegenden Falle von Otolithiasis Eigentümliche 
und im Verhältnis zu fast sämtlichen in der Literatur bekannten 
Fällen Gegensätzliche ist, daß es sich um eine für sich ganz 
allein bestehende Eonkrementbildung handelt, ohne Fremdkörper, 
ohne begleitende Eiterung, ohne Beimischung von Cerumen oder 
Epidermis usw., für deren Entstehung sich keine befriedigende 
Erklärung finden läßt. 

Die von Eretschmann gegebene Erklärung der Ent- 
stehung durch Verdunstung und Auskristallisierung kommt gar 
nicht in Betracht, da sich keine Spur von Sekretion fand und 
auch wohl nie eine bestanden hatte. 

Auch die von Bezold vertretene Ansicht, wonach die 
Kalkablagerungen mit dem Vorhandensein von Mikroorganismen 
in ursächlichen Zusammenhang zu bringen wären, würde aus 
dem gleichen Grunde zur Aufklärung der Steinbildung nicht 
ausreichen. 

Des weiteren hat auch eine andere Auffassung Kretsch- 
manns, daß nämlich die Ausscheidung von Kalksalzen aus 
dem Säftestrom, wie sie als diffuse Trübungen oder Kalkinfiltrate 
im Trommelfell, als Ablagerung von Kalksalzen in der Mucosa 
bei Sklerose so häufig beobachtet wird, zur Bildung von Kon- 
krementen führen könne, nicht große Wahrscheinlichkeit im vor- 
liegenden Falle für sich. Die Möglichkeit dieser Art der Ent- 
stehung muß immerhin zugegeben werden, würde aber auch noch 
nicht vollständig zur Aufklärung ausreichen. 

Auch von der Gicht als Ursache kann hier keine Rede sein. 
Das Zustandekommen von Konkrementbildungen im Gehörgang 
durch die Gicht kann im übrigen nicht einfach von der Hand 
gewiesen werden, obwohl sich nirgends ein Analogen dafür finden 
läßt, daß durch die intakte Epidermis hindurch eine Ausscheidung 
von gichtischen Ablagerungen stattfindet. 

Bleibt noch die Möglichkeit, daß, wie Lincke meint, und 
wie auch Kretschmann zugibt, die Ceruminaldrüsen bei ge- 
störtem Chemismus durch Absonderung anfangs gelöster Kalk- 
salze zur Bildung des Otolithen Anlaß gegeben haben. 

Aber auch die Analyse bietet ein abweichendes Bild. Wäh- 
rend sonst von allen Autoren nur das Vorkommen von kohlen- 
und phosphorsaurem Kalk neben Cholestearinkristallen, Fremd- 
körpern, Mikroorganismen usw. erwähnt wird, finden sich hier 



Ein Beitrag zur Kasuistik der Eonkrementbildungen. 109 

reichlich Zinkverbindungen. Hätte die Anamnese nicht ein in 
dieser Hinsicht absolut negatives Resultat ergeben^ so könnte sehr 
wohl daran gedacht werden, daß das Zink etwa durch Zinksalze 
enthaltende Ohrtropfen zugeführt worden wäre. Immerhin glaube 
ich einen unaufgeklärten Zufall für das Vorkommen der Zink- 
salze verantwortlich machen zu müssen, bis anderweitige Unter- 
suchungen solcher Eonkremente ebenfalls das Vorkommen von 
Zink vermelden. 

Alles in allem ist die Entstehung der Konkremente an und 
für sich noch in tiefes Dunkel gehüllt, ganz besonders aber im 
vorliegenden Falle, wo fast alle Theorien total im Stiche lassen. 
So bleibt nur zu wünschen, daß vorkommendenfalls ausführliche 
chemische und mikroskopische Untersuchungen angestellt werden 
in der Hoffnung, dadurch zu einer auch für diesen Fall aus- 
reichenden Erklärung der Eonkrementbildung zu gelangen. 



XVII. 

Elf Jahre Nachbehandlnng der Totalanfmeissehngen 

ohne Tamponade. 

Von 

Dr. med. A. Ton zur Mühlen in Riga. 



Seit nunmehr 1 1 Jahren habe ich die Nachbehandlung der 
Totalauf meißelungen sowohl bei den einfachen chronischen Prozessen, 
als auch bei dem Cholesteatom ohne die sonst übliche feste 
Tamponade durchgeführt. Es dürfte daher wohl an der Zeit sein, 
über die Resultate Bericht zu erstatten. Ich tue dieses nun um 
so lieber^ als mir eine diesbezügliche schriftliche Aufforderung 
Herrn Geheimrats Schwartze vorliegt, in welcher er sagt „daß 
es erwünscht wäre zu erfahren, wie sich die Resultate 
der Nachbehandlung nach meiner Methode nach 5—10 
Jahren gestellt haben". 

Es hat in der Tat lange Zeit gedauert, ehe sich diese Methode, 
deren Vorteile so sehr ins Auge springen, Bahn gebrochen 
hat, obgleich ich sie nicht nur in meiner ersten Publikation,*) 
sondern vielfach auch im persönlichen Verkehr den Fachkollegen 
auf das Wärmste empfohlen habe. Die Furcht vor den gelegent- 
lich etwas stärker wuchernden Granulationen war zu sehr ein- 
gewurzelt, als daß sie bald hätte beseitigt werden können. 

Dem Wunsche Herrn Geheimrats Schwartze, über die 
vor 5— 10 Jahren operierten Fälle Bericht zu erstatten, kann ich 
leider nur in beschränktem Maße nachkommen, denn es dürfte 
fast zur Unmöglichkeit gehören, in dem weiten Gebiete des Reiches, 
aus dem sich ein großer Teil meiner Patienten in Riga rekrutiert 
erfolgreich Nachfrage zu halten; auch die örtliche Bevölkerung 
der Stadt trägt einen derart fluktuierenden Charakter, daß in den 
seltensten Fällen ein Patient nach vielen Jahren wieder auf- 



1) Z. f. 0. Bd. 39. 



Elf Jahre Nachbehandlung der Totalauf meißelungen ohne Tomponade. 11 1 

gefunden werden kann. Er hat Wohnung und Ort gewechselt, 
und Niemand ist imstande, über ihn Auskunft zu geben. Doch 
will ich nicht versäumen, wenigstens die Fälle, welche mir augen- 
blicklich zur Disposition stehen, zu publizieren, sie dürften wohl 
genügen, um den Beweis der Brauchbarkeit der Methode zu 
bringen. Im Allgemeinen kann ich nur sagen, daß ich bei allen 
meinen operierten Patienten, deren Zahl keine ganz kleine ist, 
auch bei einer langjährigen Eontrolle keine Nachteile habe er- 
wachsen sehen, welche der Methode der Nachbehandlung hätten 
zur Last gelegt werden können. Der Verlauf der Wundheilung 
und das Verhalten nach vollendeter Epidermisierung entsprachen 
vollkommen den angeführten Fällen, weswegen diese als Paradig- 
mata genügen können. 

Als ich im Jahre 1901 meine Methode publizierte, war es 
mir entgangen, daß ZarnikoO im Jahre 1898 auf dem Verein 
Hamburger Arzte einen Fall vorgestellt hatte, bei welchem er 
gleichfalls die Tamponade fortgelassen, und dieselbe durch Bor- 
einblasungen ersetzt hatte. Dadurch war dann Stein ^)-Königs- 
berg i. Pr. zu der irrtümlichen Auffassung gelangt, daß ich, auf 
der Empfehlung Zar niko 's fußend, diese Methode begonnen, an 
einem größeren Materiale erprobt und sodann warm empfohlen hätte. 
In meiner „Bemerkung zur Arbeit des Herrn Dr. Stein" 3} 
habe ich diesen Irrtum Stein 's zurecht gestellt, und will dazu 
noch erwähnen, daß Stein mir brieflich seine irrtümliche Auf- 
fassung zugegeben hat. 

Wie ich in meinen „Bemerkungen etc." schon hervorgehoben 
habe, hatZarniko anstelle des Tampons die Borsäure gesetzt, er 
spricht direkt von einem „Pulververband," in dem er die 
ganze Wundhöhle mit Borsäurepulver anfüllt, während die äußere 
Ohröffnung sodann mit etwas Watte abgeschlossen wird, die der 
Operierte selbst nach Bedarf wechselt. Es ist die Bezoldsche 
Borsäuretherapie bei chronischen Mittelohreiterungen, welche 
Zarniko auch auf die Totalaufmeißelungen ausdehnt, wie er selbst 
angibt. Mich dagegen haben die langjährigen Erfahrungen meiner 
chirurgischen Tätigkeit dazu geführt, die Tamponade in der Aus- 
dehnung, wie sie von den Ohrenärzten ganz allgemein geübt wird, 
überhaupt nie anzuwenden; denn auch der aseptische Tampon ist 



1) Deutsch, med. W. 1898. Vereinsbeilage S. 255. 

2) A. f. 0. Bd. 70. S. 271. 

3) A. f. 0. Bd. 70. S. 271. 



112 XVU. ZUR MÜHLEN. 

ein Fremdkörper, dessen längeres Verbleiben in der Wunde diese 
nur reizt und die Heilung verzögert. Darum hatte ich auch den 
Tampon nie durch die Borsäure ersetzt, denn auch die Borsäure 
ist ein Fremdkörper, wenn ich auch gewiß gern zugeben will, daß 
sie nur eine geringe chemische Reizwirkung ausübt. Daß die Bor- 
säurebehandlungübrigens nicht selten schwer zu entfernende Krusten 
bildet, welche Eiterretention bedingen können, gibt Eemann,^) 
der Zarniko folgt, selbst zu. Er empfiehlt in den ersten zwei 
Wochen täglich aJle Buchten der Wundhöhle, sodann diese selbst 
und zum Schluß den ganzen Gehörgang mit Borsäurepulver an- 
zufüllen. Später wird die Pulvermenge herabgesetzt. Eemann 
schließen sich Caboche, Delsaux und Lermoyez an, auch 
Boenninghaus^) empfiehlt diese Nachbehandlung, da sie reiz- 
loser sei. 

Die Indikation zur B e z o 1 d'schen Borsäuretherapie ist; 
meinen Erfahrungen nach, gegeben in den Fällen, wo nach voll- 
endeter Epidermisierung der Enochenhöhle eine pathologische 
Sekretion der Schleimhaut fortbesteht. Das Ohr befindet sich dann 
in dem Zustande, wie eine chronische Otitis med. perf. mit großem 
Trommelf Eidefekt; ohne Enochenkaries. Erst dann ist, meinen Er- 
fahrungen nach, die Borsäure wieder an ihrem Platze, und nicht 
früher. Auch würde ich mich nicht entschließen können, gleich 
Zarniko, den aseptischen Occlusivverband so bald fortzulassen, 
um es dem Patienten anheimzustellen, den vorgelegten Wattepfropf 
nach eigenem Ermessen zu wechseln. 

Ich glaube, Zarniko unterschätzt die Nachteile der durch 
diese Manipulationen fraglos geförderten Mischinfektion. Wenn- 
gleich eine granulierende Wunde neu hinzutretenden Infektionen 
einen gewißen Widerstand entgegensetzt, so wird doch diese Grenze 
schließlich überschritten. Die Gewebsneubildung und Epidermisie- 
rung kann darunter sehr leiden. Abgesehen von Totalaufmeißelungen 
wende ich, wenn irgend möglich, den aseptischen Occlusivverband 
bei jeder Form von Otorrhoe an, und kann ihn nur bestens 
empfehlen. 

Auf die Vorzüge der tamponlosen Nachbehandlung, dann 
bestehend, daß die Epidermisierung rascher von statten geht, und 
daß auch die ganze Nachbehandlung für den Arzt, hauptsächlich 
aber für den Patienten bedeutend leichter wird, habe ich schon 



1) Zitiert A. f. 0. Bd. 58. S. 298. 

2) Z. f. 0. Bd. 49. S. 378. 



Elf Jahre Nachbehandlung. der Totalauf meißelungen ohne Tamponade. Il3 

in meiner ersten Arbeit hingewiesen, und wird dieses auch von 
anderen Autoren (Gerber, Stein, Zarniko) bestätigt. Auf 
diesen Punkt brauche ich daher kaum mehr einzugehen. 

Es ist jedoch noch ein anderer Punkt, auf den, meiner Meinung 
nach, im Allgemeinen noch zu wenig Bücksicht genommen wird, 
und zwar betrifft dieser die physiologische Funktion des kranken 
Ohres. Ich meine, abgesehen von dem Wunsche, den Kranken 
durch die Totalaufmeißelung aus einer sein Leben in höherem 
oder geringerem Grade bedrohenden Lage zu befreien, sollen 
wir es auch erstreben, durch die Operation einen Zustand 
zu schaffen, der sich den normalen anatomischen und physiolo- 
gischen Verhältnissen nach Möglichkeit nähert Nicht nur 
werden wir dann die größte Befriedigung finden, sondern 
auch der Patient wird das Gefühl der „Heilung** haben, 
d. h. das funktionsunfähige Organ hat wieder einen größeren 
oder geringeren Teil seiner normalen Funktion übernommen. 

Es ergibt sich von selbst, daß wir diese relative Bestitutio ad 
integrum nur bei einem Teile der Fälle werden erreichen können, 
und zwar bei denjenigen, bei welchen die spezifischen End- 
apparate durch den chronischen Entzündungsprozeß nicht zu sehr 
gelitten haben. Ist der primäre Krankheitsherd geheilt, und 
bilden sich die Entzündungszustände in der Umgebung desselben 
zurück, so wird noch manch schönes Besultat erreicht werden 
können, wie man es bei den ersten Untersuchungen kaum zu er- 
warten hoffte. Eine bedeutsame Bolle beim Hörakt spielt die 
Schleimhaut, narbige Degeneration und Schrumpfung werden das 
Gehör in größerem oder geringerem Grade herabsetzen, entsprechend 
der dadurch bedingten Bewegungsbeschränkung der Steigbügel- 
platte. Es darf nun wohl angenommen werden, daß die durch 
eine längere Zeit hindurch fortgesetzte subtile Tamponade auf 
die vielleicht noch regenerationsfähige Schleimhaut schädigend 
eingewirkt hat, und daß die funktionellen Besultate besser sein 
werden, wenn die Schleimhaut durch die Tampons nicht gereizt 
und dadurch in ihrer Bückkehr zum normalen Zustande gehindert 
wird. Vergleichende Untersuchungen nach dieser Bichtung hin 
stehen mir nicht zu Gebote, da ich, wie schon hervorgehoben, 
nur ganz am Anfange meiner Tätigkeit mit gelegentlich lockerer 
Tamponade behandelt, die feste aber nie angewandt habe. Die- 
jenigen Operateure, die bis jetzt tamponiert haben, werden sich 
eher ein diesbezügliches Urteil verschaffen können, wenn sie nun- 
mehr die Tamponade fortlassen. Den Wunsch, die Tube von der 



Archiv f. Ohrenheilkande. 73. Bd. Festschrift. 

I 



114 XVn. ZUR MÜHLEN. 

operierten Höhle abzuschließen der nach Gerber, *) gewiß bei 
jedem Operateur, ein lebhafter ist, habe ich nicht gehabt, auch 
würde ich, aus oben angeführten Gründen, keine Thierschen 
Läppchen ^) auf die tympanale Tubenöffnung setzen. Eine Epider- 
misierung der Paukenschleimhaut von der Peripherie aus zu ver- 
hindern, sind wir, wie die Verhältnisse nach der Operation liegen, 
nicht in der Lage, vom Zentrum aus sie durch Transplantationen 
noch zu fördern, halte ich für unnötig. Die Gefahr der Tuben- 
sekretion wird, scheint mir, überschätzt. Auch Gerb er 3) erscheint 
es sehr fraglich, ob das Tubensekret, wenn die Wundhöhle mit 
fester Epidermis bekleidet ist, dieser noch viel anhaben kann, da 
es ja durchaus nicht immer ein eitriges ist. Eine Epidermi- 
sierung der Schleimhaut wird aber gleichfalls geeignet sein, 
die physiologische Funktion des Ohres zu beeinträchtigen. Ein 
fraglicher Nachteil soll daher mit einem Vorteil ausgeschaltet 
werden. 

Damit das operierte Ohr sich nach Möglichkeit wieder den 
anatomischen Verhältnissen nähern kann, halte ich es für richtig, 
bei der Operation konservativ vorzugehen, und nicht mehr vom 
Knochen zu entfernen, als unbedingt erforderlich ist, um den 
Krankheitsherd freizulegen und günstige Heilungsbedingungen zu 
verschaffen. Ich glaube, daß häufig die Neigung besteht, des 
Guten zu viel zu tun. Je steiler die Ränder der Operationshöhle 
abfallen, um so weniger hat der Organismus später an neuem 
Gewebe aufzubauen, um so rascher kann die Epidermisierung 
erfolgen, um so mehr nähert sich später alles dem Ursprünglichen. 

Aus demselben Grunde :kann ich die Resektion der oberen 
hinteren Gehörgangswand, mit Einschluß der angrenzenden Teile 
der Concha, wie sie von Caboche*) empfohlen wird, nicht 
richtig finden. Ein Einrollen des Gehörgangslappens habe ich 
nicht erlebt, auch nicht in den Fällen, wo ich bis in die Concha 
hinein spaltete, um die äußere Öffnung zu vergrößern. An 
mangelnder Übersicht bei der Operation und Nachbehandlung 
habe ich mich gleichfalls nie zu beklagen gehabt. 

Gelegentiich bildet sich, der Insertion des Trommelfelles 
entsprechend, eine Membran aus, was ich nur als Vorteil an- 
sprechen kann. 



1) A. f. 0. Bd. 70. S. 2.1.1 u. 268. 

2) A. f. 0. Bd. 70. S. 212. 

3) cf. Z. f. 0. Bd. 49. S. 378. 



Elf Jahre Nachbehandlung. der Totalauf meißelungen ohne Tamponade. 115 

Dieser neue membranöse Ä^bschluß des Mittelohres nach außen 
hin kann auch ein absoluter sein, meist jedoch ist er nur ein 
partieller. 

Alfred Zederström 17 a. n. Seit dem 7. Jahre Ohrenfluß nach 
Scharlach. 

8. Jan. 1898. Typische Totalauf meißelung. Letzte Kontrolle 30. April 
1907. Absoluter Verschluß des äußeren Gehörganges durch eine grauweiße 
derbe Membran. Konversationssprache am Ohr. Beschwerden von Seiten 
des Ohres haben seit der Operation nicht mehr bestanden. 

Alexander Maschurin 12 a. n. Längere Zeit Ohrenfluß rechts. 
Gelegentlich heftige Schmerzen hinter dem Ohre und Schwindel. 

16. April 1901. Vollkommener Trommelfelldefekt. Hammer cariös. 
Schleimhaut injiciert, nicht verdickt. Druckempfindlichkeit auf dem Proc. mast. 

4. Mai. Ol. Totalaufmeißelung. Eröffnung des grossen mit Eiter und 
Granulation angefüllten Antrums. Der freigelegte Sinus ist gesund. Ge- 
hörknöchel nur in kariösen Resten vorhanden. Im übrigen tj^pische Be- 
endigung der Operation mit Spaltung des Gehörganges und primärer Naht. 

4. Juni. Epidermisierung beendet. Granulationsbildung war gering. 

25. Mai 1907. Das Ohr ist immer vollkommen trocken gewesen. Nach 
hinten und oben sieht man in eine große mit einer glänzenden Membran 
ausgekleideten Höhle, welche über den Facialissporn hinweg mit dem breit 
freiüegenden trockenem Recessus epitympanicus zusammenhängt. Etwa in 
der Höhe, wo sich normaliter der obere Trommelfellfalz befmdct, hat sich 
eine halbmondförmige, wallartige Erhebung der obersten Promontorialwand 
gebildet, welche sich vom Facialissporn zur vorderen Gehörgangswand er- 
streckt Diese, zusammen mit der vorderen und unteren Genörgangswand 
und der korrespondierenden Partie des Facialisspornes bildet einen zu- 
sammenhängenden Rahmen, innnerhalb welcher sich eine graue, feste 
Membran ausspannt. Durch diese wird das Mittelohr nach außen hin ab- 
geschlosssn, genau wie durch ein Trommelfell. Auch nicht die kleinste 
Kommunikationsöffnung läßt sich nachweisen. Gehör für Fl. Sp. ca. 
74 Meter. 

unter den noch vorhandenen Karten des Roten Kreuzes 
finde ich aus der Zeit bis 1902 ganz vereinzelte Fälle von Aus- 
bildung eines membranösen Abschlusses des Mittelohres, so 

A. W. 13 a. n. operiert am 16. Oktober 1900, letzte Kontrolle am 
17. Mai 1901; es hat sich eine zarte, dem Promontorium nahe liegende 
Membran gebildet, Gehör gegen früher verbessert (2 — 4 Meter.) Des weiteren 
liegt die Karte von Fritz Stepping vor, mit dem letzten Befunde vom 
10. September 1899, wo ich gleichfalls notiert finde, daß sich eine neue, 
dem ^ommelfell entsprechende Membran gebildet hat. Auch hier ist das 
Gehör gegen früher verbessert. 

Ich erinnere mich nicht, diese beiden Fälle später noch ge- 
sehen zu haben, so daß ich über ihr weiteres Schicksal keine 
Auskunft geben kann. 

Absoluten membranösen Abschluß der Paukenhöhle habe ich, 
wie schon hervorgehoben, nur selten beobachtet. In beiden ersten 
Fällen ist das Gehör stark herabgesetzt, in den beiden letzten 
gegen früher verbessert. 

Findet nach Helm ho Itz die Schallübertragung vom Trommel- 
fell auf das innere Ohr durch die Kette der Gehörknöchel statt, so 
muß Fehlen derselben bei vorhandenem membranösen Abschluß 

8* 



116 XVII. ZUR MCHLEN. 

des Mittelohres Taubheit^ zum mindesten aber sehr bedeutende 
Schwerhörigkeit im Gefolge haben. Was anderes ist es, wenn 
nach Kleinschmidt die „Paukenluftsäule" die Über- 
leitung des Schalles auf das innere Ohr übernimmt. Da kann 
durch die neue Membran das Hören bis zu einem gewissen Grade 
vielleicht auch gebessert werden. Auf die theoretische Seite dieser 
Frage näher einzugehen,- ist hier nicht der Ort. Immerhin muß die 
Möglichkeit zugegeben werden, daß vorhandene noch so kleine 
Kommunikationsöffnungen den Schallwellen Zutritt in das Mittel- 
ohr gestattet haben, und daß dadurch in den beiden letzten Fällen 
eine Hörverbesserung zustande gekommen ist. 

In meiner ersten Arbeit habe ich 3 Fälle angeführt, bei 
welchen sich nach der Operation eine konische Verengerung des 
Gehörganges ausgebildet hatte. Über zwei dieser Fälle, denen 
ich einen dritten hinzufüge, bin ich im Stande, jetzt noch Angaben 
machen zu können. 

Baronesse A. St., operiert am 17. Oktober 1900. Es bestand voll- 
kommener Trommelfelldefekt, Durebbruch der Membrana Shrapnelli und 
Caries der Gehörknöchelchen. Gehör: Fl. Spr. 1 Meter. 

Es bildete sich in diesem Falle eine ^anz erhebliche Stenose des Ge- 
hörgangs in der Tiefe, etwa in der Trommelfellgegend aus. Nach vollendeter 
Epiaennisierung war jedoch das Ohr vollkommen trocken und das Gehör 
auf ca. 3—4 Äleter fiir Fl. Spr. gestiegen. Im Laufe der Jahre hat sich 
dann die Stenose ein wenig erweitert, das Ohr blieb trocken und das Gehör 
unverändert gut. Soeben schreibt mir der behandelnde Arzt, daß das Ohr 
in vollkommen gutem Zustande ist, eine Behandlung ist nie erforderlich ge- 
wesen, das Gehör ist gut. (Auf dem anderen, nicht operierten Ohre ist die 
Dame fast taub). 

Herr Kosch- Kurland. Totalauf meißelung wegen Cholesteatom rechts 
am 11. Dezember 1899, links am 8. Dezember 1900. 

Auf dem linken Ohre bildete sich eine geringe postoperative Stenose 
aus. Befund am 28. April 1907. Mittelohr und nußgroße glattwaudige 
Choiesteatomhöhle sind mit einer silbergrauen, glänzenden Membran aus- 
gekleidet, vollkommen trocken und rein. Zwischen beiden Höhlen befindet 
sich eine wallartige Erhebung, die jedoch so niedrig ist, daß die freie Über- 
sichtlichkeit absolut nicht behindert wird. Von einer Stenose des Gehör- 
ganges ist keine Spur mehr vorhanden. 

Moritz von Gl. 15 a. n. Ohrenfluß links seit der Kindheit. — Voll- 
kommener Trommelfelldefekt, Fehlen der Gehörknöchelchen. Auf dem 
Promontorium eine oberflächliche weiße Nekrose. 

30. Jan. 1901. Totalaufmeißelung. Keine Besonderheiten. Primäre Naht 

28. März. Normaler Heilungsverlauf; Gehörgang in der Tiefe etwas 
verengert. Gehör besser. 

26. Febr. 1904. Ohr unverändert gut, trocken. Gehör besser als auf 
dem anderen Ohre woselbst es abnimmt. Stenose kaum mehr zu bemerken. 

15. Mai 1907. Laut brieflicher Nachricht ist das Ohr in Ordnung. 
Gehör unverändert. 

Wir sehen also, daß eine, auch unerwünschte Stenosen- 
bildung offenbar nicht die Gefahren in sich trägt, die man zu 



I) Z. f. 0. Bd. 39. S. 200. 



Elf Jahre Nachbehandlung der Totalauf meißelangen ohne Tamponade. 117 

glauben geneigt war, und daß die Stenosen die Neigung haben^ 
sich später von selbst mehr oder weniger zu erweitern. Der 
feste Knochenring, in welchem die Narbe angeheftet ist, gibt eben 
dem Zuge des Narbengewebes nicht nach, wie es bei den Weich- 
teilen, z. B. in der Urethra oder im Darm geschieht Die Narben- 
schrumpfung führt daher zu keiner Verengerung, sondern Er- 
weiterung des Lumens. Fall 27 aus der Kasuistik von Stein 
bietet dieselben Verhältnisse. 

Die hauptsächlichsten Einwände, welche gegen die tampon- 
lose Nachbehandlung der Totalaufmeißelungen erhoben worden 
sind, wiesen erstens auf die Möglichkeit von Cholesteatom- 
rezidiven infolge von Überwucherung von Cholesteatomkeimen durch 
die Granulationen, zweitens auf unliebsame Verwachsungen 
und Membranbildungen hin. 

Daß beide Befürchtungen in der Tat unbegründet sind, glaube 
ich, werden meine angeführten Falle erweisen. Cholesteatomrezi- 
dive habe ich nie gesehen, Membranbildungen dagegen kommen 
gelegentlich vor. Wenn sich aber nicht zufällig Detritusmassen 
hinter der Membran ansammeln, wie im Falle 25 bei Stein, 
80 sehe ich keinen Grund ein, warum man sie besonders fürchten 
soll. Bleibt die Höhle trocken, so bildet diese membranöse Vor- 
lagerung einen gewissen Schutz nach außen, sezemiert sie da- 
gegen, so kann die Membran leicht exzidiert werden, wie es ja 
auch Stein gemacht hat. Es mag ein Zufall sein, daß ich bis 
jetzt noch nicht in der Lage gewesen bin, dieses tun zu müssen. 
Daß andererseits auch ausgedehnte Membranen sich spontan 
zurückbilden können, lehrt der Fall Meta Volkmann. 

Ich lasse nunmehr meine Fälle, soweit sie nicht schon an- 
geführt sind, in chronologischer Reihe folgen: 

Oscar Sommer 5 a. n. 31. Okt 1896. Seit 4V2 Jahren Ohrenfluß 
rechts. Aetiologie unbekannt. Seit einigen Wochen Fistelbildung hinter 
dem Ohre. Gehörgang spaltförmig vereng, stark foetide bräunliche Massen 
in ihm. Uhr 1 Fuß weit gehört. 

1. Nov. 1906. Totalaiumeißelung. Dünne, zum teil necrotische Knochen- 
deeke schließt eine glattwandi^e fast den ganzen Proc. mast. mit Gholestea- 
tommasseu ausgefüllte Höhle em. Bogengang intakt, Gehörknöchel fehlend, 
hintere knöcherne Gehörgangswand zerstört. Dura und Sinus liegen nicht 
frei. Lappen bildung. Naht 

1. Nov. 1907. Höhle bis auf eine kleine Fläche in der Umgebung der 
Tube vollkommen epidermisiret. 

10. Nov. 1907. Mächtige epidermieierte Höhle, mit bräunlichen, weichen, 
leicht zu entfernenden Massen locker angefüllt. Die Höhle ist frei übersicht- 
lich. Paukenschleimhaut sezemiert, nicht epidermisiert 

Benson Otto, 1 Jahr 3 Monat 19. Dez. 1907. Scharlach vor 2 Monaten, 
darnach Ohrenlaufen rechts. Schwellung der Weichteile und Fistelbildung 
hinter dem Ohre. Gehörgang absolut verengt. 



118 XVII. ZUR MÜHLEN. 

23. Dez. 1S97. Totalauf meißelung. In einer Ausdehnung eines 10 Pfg.- 
Stückes ist der Knochen zerstört, Sinus und hintere Schädelgrube liegen 
frei, sind aber, nach Entfernung der Granulationen normal. 

30. Dez. 1897. Von einer rationellen Nachbehandlung kann keine Rede 
sein, da das Kind ganz unregelmäßig, meist in Pausen von vielen Wochen 
zum Verbände kommt. Hinter dem Ohre alles verheilt, doch fließt das 
Ohr in letzter Zeit starker. Durch das Ohr wird ein ziemlich großer Se- 
quester entfernt. 

15. Dez. 1905. Typische, trockene Höhle. 

5. Mai 1907. Laut mündlicher Nachrichten geht es dem Knaben gut. 
Das Ohr ist vollkommen trocken. 

Kosch, 31 a. n. 22. Okt. 1893. Als vierjähriges Kind Scharlach, seit der 
Zeit Ohrenfluß bds. 

r. Totaler Defekt von Trommelfell und Gehörknöchel. Foetide Sekret- 
massen im Kuppelraum und Mittel ohr. 

8. Nov. 1899. Totalaufmeißelung rechts. Knochen sklerotisch, Antrum 
nußgroß mit schmierigen Massen angefüllt; nach Beendigung der Knochen- 
operation resultiert eine sehr große Höhle. Übliche Spaltung. Primäre Naht 

Die Epidermisiemng geht auffallend rasch, ohne irgendwelche Granu- 
lationsbildung von statten; nach 4 Wochen war die Wunde ausgeheilt. Pat. 
wird entlassen und stellt sich alle 3 — 4 Monate, später etwa einmal jährlich 
vor. Gehör ganz bedeutend besser. 

4. Mai 1907. Die große Wundhöhle vollkommen trocken. Es hat nie 
Sekretion oder Ansammlung von Massen bestanden. 

Kosch. Totalaufmeißelung links. 11. Dez. 1900. 
cf. oben. 

Alexander Ukrah 18 a. n. Ohreiterung seit der Kindheit bds., 
Cholesteatom bds.; Totalaufmeißelung bds. 25. Oktober 1897 links; 18. No- 
vember 1898 rechts. 

Die Karte des Roten Kreuzes beim Umbau abhanden gekommen. Zum 
letzten Male untersucht vor 3 Jahren Beide Ohren sind immer trocken gewesen. 

Untersuchung am 25. April 1907. 

Ohr r. vollkommen trocKen, frei übersichtlich, mit glänzender grauer 
Narbe ausgekleidet. Über den Facialiswulst sieht man in die etwa bohnen- 
große trockene Cholesteatomhöhle. 

Ohr 1. ebenfalls trocken und vollkommen frei übersichtlich, nur ist die 
Cholesteatomhöhle hier bedeutend größer, etwa wie eine Nuß. 

Wikutke, Johann, 5 Jahr 8 Monate. 2. Januar 1900. Ohrenfluß 
seit 472 Jahren bds. nach Scharlach. Seit 2 Wochen fühlt sich das Kind 
schlecht und klagt über Schmerzen rechts. Schwerhörig. 

Ohr r. Vollkommener Defekt von Trommelfell und Gehörknöchelchen. 

5. Jan. 1900. Totalaufmeißelung r. Mittelohr und Antrum mit Granu- 
lationen angefüllt, Antrum sehr groß, buchtig. Sinus wird freigelegt, ist 
jedoch normal. Sehr große Operationshöhle 

12. März 1909. Höhle vollkommen epidermisiert. Paukenschleimhaut 
normal. 

15. Mai 1905. Vollkommen freiliegende große Höhle, die oben allseitig 
epidermisiert Die Schleimhaut sezerniert noch. 

Admann, Minna 25. 24. Febr. 1902. Vor 16 Jahren Scharlach. Seit 
der Zeit Ohrenfluß bds. und taub. 

Ohr r. Trommelfell defekt. Hinten oben Cholesteatamhöhle. 

25. Febr. 1902. Totalaufmeißelung. Nußgroße Cholesteatomhöhle. 

28. April 1902. Vollkommen epidermisiert 

21. April 1907. Die ganze Höhle und Mittelohr von einer perlgrauen, 
glänzenden Membran ausgekleidet, vollkommen frei übersichtlich und trocken. 
Kein angetrocknetes Sekret. 

Fasse ich die Resultate der tamponlosen Nachbehandlung 
der Totalaufmeißelungen zusammen und verwende sie mit zur 
Indikationsstellung für eine vorzunehmende Operation, so hat sich 



Elf Jahre Nachbehandlung der Totalauf meißelungen ohne Tamponade. 119 

für mich ergeben, daß ich die Indikationsstellung etwas weiter 
glaube fassen zu können, als es im allgemeinen wohl noch üblich 
ist. Die Operation an sich muß als eine gefahrlose bezeichnet 
werden, zugleich ist die Nachbehandlung eine leichte und ein- 
fache und irritiert den Patienten nur wenig. Daher darf sie, 
meiner Meinung nach, nicht nur dort empfohlen und vorgenommen 
werden, wo die üblichen konservativen Methoden versagt oder 
nur einen begrenzten Erfolg gehabt haben, sondern es muß auch 
im Auge behalten werden, daß eine langdauernde Eiterung die 
physiologischen Funktionen des Ohres nur zu sehr, oft auch un- 
wiederbringUch zu beeinträchtigen geeignet ist. Je früher wir 
daher operieren, um so besser und auch für den Patienten be- 
friedigender wird das funktionelle Resultat sein. 



XVIII. 



Ein Fall asthenischer Pyohämie. 

Von 

Dr. med. Erwin Jürgens in Warschau. 



Die verschiedenen Formen, unter denen die Pyohämie resp. 
die Septicämie, oder wie wir sie am häufigsten auftreten sehen, 
die Septieopyohämie sich äußert, können immer noch durch Einzel- 
beobachtungen ergänzt werden. Wohlverständlich sind uns die 
Formen, die unter hohen und typischen Fiebererscheinungen, 
Metastasen usw. verlaufen. Kätselhaft erscheinen die sehr seltenen, 
bekannt gewordenen Fälle, wo die ganze schwere Krankheit ohne 
alle stürmischen Erscheinungen selbst ohne Fieber verläuft und 
wie in diesem Falle selbst zum Tode führt. 

Der Soldat P. S., Tartan 22 Jahre alt, trat am 6. Jnnl 1906 in die 
Ohrenabteilang des Ujasdowschen Militärhospitals in Warschau ein. 

Stat. praes. Die untere und Hinterwand des r. äußeren Gehörganges 
sind gerötet, geschwollen, leicht excoriiert Das r. Trommelfell, rotgetrübt, 
hat in der hinteren Hälfte eine kleine runde Perforation, aus der sich mäßiger 
schleimiger Eiter entleert. Das linke Ohr ist normal, Gehör links mäßig für 
tiefe Töne herabgesetzt. Sonst kemerlei Klagen. Temperatur 37,4, Puls 80, 
regelmäßig. 

Anamnestisch läßt sich wenig emieren, Patient will etwa 3 Tage ki-ank 
sein, woher das Ohrubei gekommen, weiß er nicht, er meint: Erkältung. 
(Diesen Angaben kann erfahrungsgemäß kein Wert beigemessen werden, 
vielmehr sprechen die Reizungserscheinungen im Gehörgange für Mani- 
pulationen in selbstverstümmlerischer Absicht zum Zweck aer Befreiung 
vom Dienste.) 

Am 1. Tage der Erkrankung ist die Temperatur 38 ° gewesen, nachher 
waren keine erhöhten Temperaturen mehr vorhanden. 

Die nächsten 25 Tage bis zum 2. Juli betrug die höchste Temperatur 
37,2®, die niedrigste 36,5, die größte Schwankung zwischen Morgen- und 
Abendtemperatur betrug nur 0,7®. Die Ohreiterung war die ganze Zeit 
über schleimigeitrig, niemals sehr reichlich. Der Warzenfortsatz zeigte 
keinerlei subjektive noch objektive Erscheinungen, weder Schmerz- noch 
Druckempfinalichkeit noch Schwellung. Kopfschmerzen oder Schwindel- 
erscheinungen fehlten, ebenso Schüttelfröste. Das Bewußtsein des Kranken 



Ein Fall asthenischer Pyohämie. 121 

war die ganze Zeit über ungestört, der Kräfteverfall ein augenscheinlicher, 
sehr rasch fortschreitender. An den inneren Organen wurde die ganze Zeit 
über keine wesentliche Veränderung entdeckt; die Milz schien etwas ver- 
größert, Nervensystem und Augen boten nichts Außergewöhnliches dar, 
ebenso die Halsvenen. Die Hautdecken waren fahl, aschgrau. Der Kranke 
bot die ganze Zeit über ein eigentümlich apathisches ermüdetes Aussehen, 
lag viel , aß aber im ganzen mit gutem Appetit. 6 Stimden vor dem Tode 
am 2. Juli traten ganz plötzlich stürmische Erscheinungen ein, zuerst ein 
Schüttelfrost, dann heftiges Erbrechen, Pulsanstieg von 80 pro Min. auf 140, 
Pupillenstarre, ünbesinnlichkeit und Tod. 

Am 3. Juli erfolgte die Sektion, die vom Prosektor des Hospitals, Dr. 
Bedrekowski, vorgenommen wurde. — Ich lasse das Protokoll der Sektion 
in Kürze folgen: 

Die Dura mater ist blutreich, gespannt, die pia mater zeigt an der 
Basis ein wenig Eiter. Die Hirnsubstanz ist ziemlich blutreich, die Lungen 
sind blutüberfüTlt. Der Herzmuskel ist schlaff, auf der Schnittfläche gi-au- 
gelb, trübe. Der linke Ventrikel ist stark ausgedehnt, leer, der rechte schlaff, 
enthält ein wenig flüssiges, schwarzes Blut. Die Leber ist vergrößert, trübe 
auf der Schnittfläche, dunkelrot; die Milz um die Hälfte vergrößert, schlaff, 
ihr Gewebe aufgelockert, auf der Schnittfläche dunkelrot. Uie linke Niere 
ist etwas vergrößert, schlaff, auf der Schnittfläche dunkelrot Die Dünn- 
darmschleimhaut ist blaß, der Darm von Gasen aufgetrieben. 

Die Blutuntersuchung aus der Milz und dem Ventrikelblute ergab 
Streptokokken. 

Die Sinus sigmoid. und Ven. jugular. enthielen keine Thromben, der 
r. Warzenfortsatz war kleinzellulär. Kariöse Stellen am Tegmen wurden 
nicht entdeckt, eine direkte Eiterstraße vom Ohre nach dem Gehirn nicht 
gefunden. 

Epikrise. Die nächstliegende Ursache der Erkrankung 
war das Ohrübel, das in kurzer Zeit zur Sepsis führte. Klinisch 
waren die einzigen auch für Sepsis in Betracht kommenden Er- 
scheinungen die Mattigkeit, Milzschwellung und namentlich die 
Verfärbung der Hautdecken, während gerade die Kardinalsymp- 
tome, hohe schwankende Temperaturen (Metastasenbildungen und 
Erscheinungen am Warzenfortsatz und Ingularvenen) ganz 
fehlten. Wie läßt sich das nach dem Sektionsbefunde erklären? 
Durch den Blutbefund (Streptokokken) ist die septische Allge- 
meinerkrankung erwiesen, daß es trotzdem aber nicht im Ver- 
laufe der Krankheit zu erhöhten Temperaturen oder Metastasen- 
bildung noch anderen stürmischen Erscheinungen kam, ist, wie 
ich dem Prosektor Dr. B. beistimmen möchte, wohl größtenteils 
auf die kolossale Erschlaffung und Degeneration des Herz- 
muskels zurückzuführen, deren Anlage wohl vorgelegen haben 
mag, die aber im Verlaufe der Erkrankung augenscheinlich 
rapide Fortschritte gemacht hat. Die beginnende Meningitis, die 
die stürmischen Erscheinungen kurz vor dem Tode hervorrief, 
ist wohl als erste und letzte pyämische Metastase im Verlaufe 
der Krankheit aufzufassen, da eine direkte Eiterstraße vom Ohre 
nach dem Gehirn nicht nachzuweisen war. 

Es drängt sich in diesem Falle die Frage auf, ob durch 



122 XVin. JÜRGENS. Ein Fall asthenischer Pyohämie. 

irgendwelche spezifische therapeutische Maßnahmen das Leben 
des Kranken hätte gerettet werden können. 

Von uns wurden allgemein kräftigende Mittel, sorgfältige 
Pflege und Borbehandlung für das Ohr angewandt. Serum 
wurde nicht eingespritzt. Wir meinen, daß eine Streptokokken- 
serumbehandlung vielleicht hätte nützen können, wenn nicht die 
kolossale Erschlaffung und Degeneration des Herzmuskels, die 
bei der Sektion konstatiert wurde, jegliche Therapie von vorn- 
herein aussichtslos hätte erscheinen lassen. 



XIX. 

Zur Kasuistik der otogenen Hirnabszesse. 

Von 

Dr. med. Hanns Jnst, Ohren-, Nasen-, Halsarzt in Dresden. 



Die Diagnose der otitischen Hirnabszesse ist nach Körner^) 
in der Regel schwer, häufig unmöglich. Ausnahmen bilden nur 
die Fälle, in denen erkrankte Stellen an der Dura oder Fisteln im 
Knochen bei der Aufmeißelung oder während der Nachbehandlung 
eines aufgemeißelten Warzenfortsatzes direkt zu dem ence- 
phalitischen Herde führen, oder charakteristische Herdsymptome 
den Sitz des Abszesses verraten. Wie aber die Durchsicht der 
Literatur lehrt, sind die Fälle sehr häufig, in denen drohende 
Himdruckerscheinungen zum Aufsuchen des raumbeschränkenden 
Abszesses zu einer Zeit zwingen, in der sich die Entscheidung, 
ob es sich um Kleinhirn- oder Großhirnabszeß handelt, nicht 
treffen läßt Es ist dann Glückssache, ob man gleich beim ersten 
explorativen Eingehen den erkrankten Himteil trifft. 

Noch komplizierter wird die Diagnose, wenn beim Eintreten 
manifester Symptome von Himabszeß die veranlassende Ohr- 
eiterung bereits abgeheilt ist, und eine profuse Nasennebenhöhlen- 
eiterung derselben Seite die Aufmerksamkeit auf sich lenkt und 
das Vorhandensein eines Frontallappenabszesses in den Bereich 
der Mögliobkeit rückt. 

Über einen derartigen Fall, den ich im Winter 1906 zu be- 
obachten Gelegenheit hatte, möchte ich kurz berichten. 

Am 7. Nov. 1906 wurde ich von Dr. R. zu dem 50 jährigen Techniker 
B. (prüfen. Die Anamnese ergab: Vor 2 Jahren Influenza. Daran an- 
Bchheßend eiteriger Ausfluß aus der Nase und dumpfer Kopfschmerz. Lange 
fortgesetzte, konservative Behandlung führte zu keinem Resultat. Vor vier 
Woäien gelegentlich einer Exacerbation der Naseneiterun^ acute Otitis media 
dextra Trotz sofortiger sachgemäßer Behandlung geht die Ohreiterung nicht 

1) Lehrbuch der Ohrenheilkunde und ihrer Grenzgebiete 1906 S. 213. 



124 XIX. JUST. 

zurück. Der sehr energische Patient versieht seinen Beruf weiter, bis sich 
unter Fieber, Hinfälliglceit und starken Kopfschmerzen 3 Wochen nach Be- 
ginn der Otitis — Anfang November — eme Mastoiditis entwickelt. 

Status: Über mittelgroßer, kräftiger Mann. Auffallend bleiche, fahle 
Gesichtsfarbe, matter Blick, langsame, zögernde Antworten. Patient macht 
schwerkranken Eindruck. Zunge stark belegt, Fötor ex ore. Puls 60—70, 
Temperatur früh 37°, mittag 38,*, abend 38,-^ 

Ohrbefund rechts reichlich dickflüssiger, gelber Eiter im Gehörgang. 
Perforation hinten oben, aus der Eiter pulsierend hervorquillt Trommelfell 
verdickt, stark gerötet, Einzelheiten nicht erkennbar. Hinten oben Gehör- 
gangswand gesenkt. Planum und besonders Spitze des Warzenfortsatzes 
auf Druck schmerzhaft, Gegend des Emissariums ebenfalls. Weichteile hinter 
der Ohrmuschel leicht infiltriert. 

Links abgesehen von Trübung und leichter Einziehung des Trommel- 
fells normale Verhältnisse. 

Weber unbestimmt, Rinne links -J-, rechts — , Hörfähigkeit für Flüster- 
sprache links > 6 m, rechts am Ohre. Knochenleitung nicht verkürzt. Obere 
Tongrenze beiderseits gut erhalten. 

Nase: Beidereeits Eiter und Polypen im mittleren Nasengang, mittlere 
Muschel beiderseits h}T)ertrophisch. Kechte Stimhöhlengegend bei Klopfen 
empfindlich. 

Im Raghen und Nasenrachenraum viel Eiter. Schwindel nicht nach- 
weisbar. Kein Erbrechen oder Schüttelfrost beobachtet, dagegen völlige 
Appetitlosigkeit und starke Obstipation. 

Verordnung: Bettruhe uud Prießnitzumschläge aufs rechte Ohr. Eis 
wird nicht gut vertragen. 

8. Sept. Keine Änderung. Allgemeinbefinden schlecht Puls 65. Temp. 
bis 38,4. Pat schläft tagsüber viel, ist nachts sehr unmhig. Rechtsseitige 
starke Kopfschmerzen. Reichlicher und unbehindeter Eiterabfluß aus dem 
Mittelohr. Urin frei von Eiweiß und Zucker. 

Aufnahme in die Klinik zur Operation. 

9. Nov. Eröffnung des Warzenfortsatzes rechts in Äther. — Chloro- 
formnarkose. Processus mast. stark zellreich. Überall verdickte, infiltrierte 
Schleimhaut und Eiter in den Zellen. Die Erkrankung hat die ganze Spitze 
ergriffen, die bis auf geringe Reste reseziert werden muß. Antrum geräumig, 
voll Eiter. Sinus in Erbsengröße frei ffelegt, gesund. Dura der mittleren 
SchädelgiTibe über dem Antrum in Fünfpfennigstückgröße freigelegt, erscheint 
normal. Ausgiebige Parazentese. Xeroformgazeverband. 

10. Nov. Völliges Wohlbefinden, freier Kopf. Temperatur zur Norm 
herabgesunken. 

13. Nov. 1. Verbandswechsel. Operationshöhle sieht gut aus. 

15. Nov. 2. Verbandswechsel. Gehörgang trocken, trockene 
Perforation. Flüsterspr. rechts 4 m. 

16. Nov. Da sich Patient ausgezeichnet fühlt, darf er 1 Stunde aufstehen. 

17. Nov. Heute Kopfschmerzen. Abends 37,8. Wieder vollständige 
Bettruhe angeordnet. 

18. Nov. Heftiger rechtsseitiger Kopfschmerz. Brechneigung. Patient 
getraut sich nicht zu essen. Die Granulationen in der Wundhöhle sehen 
schlaff aus, doch weist weder die Sinusgegend noch die Dura der mittleren 
Schädelgrubc etwas Verdächtiges auf. Unterhalb des Sinus mehr nach der 
Spitze zu ist eine schwärzlich verfärbte Stelle am Knochen. Klagen über 
verstopfte Nase. Der Eiterausfluß aus Nase und Rachen sistiert Temper. 
Nachmittag 4 Uhr 38,4. 

19. und 20. Nov. Das Befinden bessert sich zusehends, die Kopf- 
schmerzen nehmen ab, der Appetit nimmt zu. Die Wunde sieht frisch aus. 
Die schwärzliche Stelle an der Spitze reinigt sich. Temperatur normal. 

30. Nov. Pat. wird mit gut granulierender Wundhöhle nach 3 Wochen 
aus der Klinik zu ambulanter Behandlung entlassen. Subjektives Befinden 
im Allgemeinen gut Nur die Nächte sind meist unruhig. Pat. schiebt dies 
auf Nervosität. Tagsüber Schlafbedürfnis. Stuhlgang nur noch nach Ab- 



Zur Kasuistik der otogeneu Hirnabszesse. 125 

führmittel oder Klystier. Gehör rechts schwankt zwischen 3 und 4 m Flüster- 
sprache. Paukenhöhle trocken. Perforation geschlossen. Trommelfell blaß. 

2.— 6. Dez. Patient kommt zum Verbinden uud geht zuweilen ins 
Geschäft, um dringliche Sachen zu erledigen. Kopfarbeit verursacht ihm 
jedoch stets rechtsseitige Kopfschmerzen Dauernd Obstipation. Temperatur 
immer normal oder subnormal. Die Wundheilung schreitet rasch fort. Derbe 
Granulationen, geringe Wundsekretion. 

8. — 10. Dez. Klagen über Stirnkopfschmei-z. Viel Eiterausfluß aus 
der Nase. Wiederholte Durchleuchtung der Nebenhöhlen ergibt rechts Stim- 
höhlenschatten. Sondierung der Stirnhöhle nicht ausführbar. Die Resektion 
des vorderen Endes der mittleren Muschel rechts wird bis zur Ausheilung der 
Ohrwunde aufgeschoben. Die Kieferhöhlen erweisen sich als gesund. 

12. Dez. Besuch in der Wohnung. Seit gestern Erbrechen und rasender 
Stirn- und Schläfenkopfschmerz, der sich bei Bewegungen des Kopfes, Auf- 
und Niederlegen steigert. Druck von innen auf die Augenhöhlen. Nahrung 
wird verweigert, oder bald erbrochen. Puls klein, zwischen 50 und 60 i. a. 
Minute. Nach Erbrechen einmal 48 gezählt. Die Prostration ist so be- 
deutend, daß Patient kaum einige Schritte zu tun im Stande ist. Gang 
taumelnd. Neigung zum Fallen nach links. Kein Fieber. 

Rechtes Mittelohr frei von entzündlichen Erscheinungen. Labj'rinth intakt. 

13.— 16. Dez. Keine Besserung. Oft unerträglicher Kopfschmera. Dabei 
nie Nackensteifigkeit. Quälender Schlucken und viel Erbrechen. Patient 
kann sich nur mit Unterstützung erheben. Pulsverlangsamung. Temperatur 
36—37. Augenhintergrund: Verwaschene Grenzen und Stauungspapille rechts. 

Da ein Himabszeß als sicher vorhanden angenommen wird, Wieder- 
aufnahme in die Klinik. Sitz des cerebralen Eiterherdes unklar. Keinerlei 
Lähmungen. Weder Ptosis noch Mydriasis, Abducens und Facialis frei. Kein 
deutlicher Nystagmus. Bei dem apathischen Zustand läßt sich nicht kon- 
statieren, ob nicht Unaufmerksamkeit das mangelhafte Fixieren und häufige 
Abweichen des Blickes verschuldet. Somnolenz wechselt mit motorischer 
Unruhe. Psyche nicht ganz klar. 

17. Dez. Nacht vom 16. zum 17. sehr unruhig. Pat. deckt sich un- 
ablässig auf. Als die Nachtwache auf kurze Zeit das Zimmer verläßt, steigt 
Pat. aus dem Bett und stürzt zu Boden. Temperatur afebril Puls 50 — 60. 
Singultus. Weder Hemiparesen , noch Hemianästhesie, noch Hemianopsie 
nachweisbar. Gehör auf^der gekreuzten Seite gut. Reflexe normal. Keine 
meningitischen Erscheinungen. Pat. ist leicht benommen 

Konzil mit Sanitätsrat Dr. Pause. Wegen ataktischer Symptome, Fallen 
nach der gesunden Seite, Schwindel bei Freibleiben des Labvrinths, und 
wegen Perkussionsempfindlichkeit über dem Cerebellum wird die Wahr- 
scheinlichkeits-Diagnose Abszeß im Cerebellum gestellt. 

Abends Operation in Äthemarkose. Puls steigt Im Beginn der Nar- 
kose auf 120—130 Schläge. Hintere Schädelgrube nach Auskratzen der mit 
derbem, gesundem Narbengewebe ausgefüllten Wundhöhle in Talergrößc 
freigelegt. Nirgends Eiter oder Karies. Sinus vom oberen Knie bis zur 
Umbiegung in den Bulbus, Dura mater bis zur Grenze mit der mittleren 
Schädelgrube freigelegt, nirgends verfärbt. Medialwärts vom Sinus wird das 
Kleinhirn mit einer dicken Punktionskanüle 2 cm tief nach verschiedenen 
Richtungen hin punktiert, ohne daß sich Eiter entleert. Öffnung in der Dui*a 
mit der Komzange erweitert. Es fließt nur klarer Liquor in reichlichen 
Mengen ab. Puls gut, 60—70. Inzisionswunde durch Jodoformgazestreifen 
offen gehalten. 

Pat. fühlt sich nach der Operation etwas leichter im Kopfe. In der 
Nacht jedoch starke motorische Unruhe und Delirien. Pat. versucht beständig, 
den Verband abzureißen. Temperatur normal. 

18. Dez. Früh ist Pat. ruhiger. Er weiß nicht, ob es Nacht oder Tag 
ist, und ist desorientiert. Geringe Nahrungsaufnahme ohne Erbrechen. Puls 
50—60. Verband völlig durchtränkt mit Liquor. 

Zum ersten Male wird heute ein vorübergehendes, leichtes 
Zittern im linken Bein und Arm beobachtet. Rohe Ki-aft jedoch gut 



126 XIX. JUST. 

erhalten. Händedruck rechts wie links schmerzhaft kräftig. Pat. gibt heute 
Nachmittag verworrene Antworten. 

19. Dez. Während der letzten Nacht Jaktationen, so daß Pat. mehr- 
fach aus dem Bett zu fallen droht und beständig gehalten werden muß. 
Rasender Stimkopf schmerz rechts. Pat. reibt entweder mit der Hand die 
Stirn, oder kniet im Bett und bohrt den Kopf in die Kissen. Sensorium 
stark benommen. Reichlicher Eiterausfluß aus Nase und Rachen. 

Der schwere Zustand erfordert dringend einen erneuten Eingriff zur 
Aufsuchung des Abszesses. 

Abends 6 Uhr wird in Äthemarkose zunächst eine Probeeröffnung 
der rechten Stirnhöhle vorgenommen, um einen Frontallappenabszess aus- 
zuschließen. Die Stirnhöhle erweist sich als gesund. Von der vorgestrigen 
Einstichstelle der Dura des Kleinhirns wird dieses noch einmal mit einer 

febogenen Knopf sonde abgesucht. Die Sonde läßt sich 4 cm tief nach 
inten oben und unten einführen, ohne daß sich Eiter zeigt. 

Nunmehr Verlängerung des alten retroaurikulären Schnittes nach vom 
oben bis 2 cm vor die Concha. Nach Zurückschieben der Weichteüe wird 
die Schuppe mit Meißel und Knochenzange in großer Ausdehnung entfernt, 
ebenso aas Dach des Antrums und Aditus. Die Paukenhöhle bleibt un- 
berührt. Bei Abkneifen des Daches dos Aditus zeigt sich, daß die Dura 
hier mit dem Knochen fest verwachsen ist. Der Schläfenlappen ist schließ- 
lich vom hinteren Rande des M. tempor. bis zum Cerebellum hin übersicht- 
lich freigelegt Die Verwachsung wird stumpf gelöst und dicht dahinter 
die Dura mit dem Skalpell breit gespalten. Die zu Tage tretende Himpartie 
erscheint weder verfärbt noch matschig und pulsiert. Eine starke Punktions- 
nadel wird nach den verschiedensten Kichtungen hin 2—3 cm tief eingeführt. 
Nirgends läßt sich mit der Spritze Eiter ansaugen. Reichlicher Abfluß von 
Liquor cerebrospinalis. Nunmehr Einschnitt mit dem Messer etwa 2 cm 
nach vom und innen. Aus der EinflußÖffnung quellen unmittelbar 3 bis 
4 Eßlöffel dicker, grüngelber Eiter in pulsierenden Stößen hervor. Erweitern 
der Inzisionsöffnung nach vorn unten. Die Sonde dringt von der Dura an 
gerechnet etwa 5 cm nach vorn oben und 2 cm nach hinten oben ins Gehirn 
vor, ehe sie die Wände des Abszesses erreicht. Ausspülung der Hohle 
mit CoUargoUösung. Tamponade mit in Collargol getränkter Gaze. Puls 
nach der Operation 72, während er kurz vor der Operation nach Va Pravaz- 
spritze Heroin 48 zählte und öftere aussetzte, 

20. Dez. Pat. fühlt sich nach dem Erwachen aus der Narkose freier 
und schläft ruhig bis früh gegen 5 Ühr. Dann leichte Unruhe, die auch 
den Tag über anhält 

Sensorium freier. Pat. nimmt wieder einige Nahrang zu sich, ohne zu 
erbrechen. Temperatur normal. Puls 60. 

Die bakteriologische Untersuchung des Abszeßeiters durch Oberarzt 
Dr. Oppe ergab als Erreger Staphylokokken, Diplococcus lanceolatus, sowie 
ein plumpes, wohl nur als BegleitDakteriuin aufzufassendes Stäbchen. 

Abends Verbandwechsel. Es entleeren sich wieder 2 Eßlöffel rahmigen 
Eiters. Einführen eines Gummidrains. Nach Verbandswechsel Puls 72. 

21. Dez. Ruhige Nacht. Befinden auch subjektiv besser. Keine Un- 
rahe mehr. Reger Appetit. Wenig Eiter im Gehim. Sensorium jetzt ganz 
frei, doch scheinen die letzten beiden Wochen in der Erinnerung des Fat. 
ausgelöscht zu sein. Puls 68—72. 

Von da an fortschreitende Besserang. Die Verkleinerung der großen 
Abszeßhöhle geht nur ganz allmählich vor sich. Von Zeit zu Zeit geringer 
Eiterverhalt. Erst am 17. Januar 1907, also nach 29 Tagen, kann das 
Drainröhrchen ganz Weggelassen werden. Kein Hiraprolaps. 

7. Febr. Der Pat. wird mit völlig ausgeheilter retroaurikulärer Wund- 
höhle aus der Klinik entlassen. Er hat seit der Operation 14 Pfund zu- 
genommen und sieht blühend aus. Seitdem auch keine Obstipation mehr. 
Völliges Wohlbefinden. Gehör für Flüstersprache rechts 5—6 m. 

Pat. wird wegen Empyems der vorderen und hinteren Siebbeinzellen 
beiderseits weiter behandelt. 



Zar Kasuistik der otogenen Himabszesse. 127 

Während der ganzen Beobachtungszeit (bis Ende Juni) fühlt sich der 
Pat. dauernd wohl, so daß er seinem Berufe als Techniker und Lehrer an 
der Gewerbeschule nachgehen kann. 

Epikrise: Von vornherein machte der Kranke durch sein 
auffallend schlechtes Aussehen, durch eine gewisse psychische 
Trägheit, die sich in zögernd abgegebenen, leisen Antworten 
äußerte^ den Eindruck, als bestände bei ihm eine intrakranielle 
Komplikation. 

Der Befund an der Dura des Groß- und Kleinhirns bei der 
typischen Aufmeißelung am 9. November und das danach ein- 
tretende ausgesprochene Wohlbefinden ließen jedoch diesen Ver- 
dacht ungerechtfertigt erscheinen. 

In mehr wie einer Beziehung zeigt ein von Hüttig i) in 
diesem Archiv veröffentlichter Fall von Großhirnabszeß bei einem 
27jährigen Mädchen die größte Ähnlichkeit mit dem meinigen. 
Auch Hüttigs Kranke fühlte sich nach der Eröffnung des An- 
trams „wie erlöst", bis nach 8 Tagen, ebenso wie hier, unter 
mäßigen Fiebererscheinungen, Übelkeit, Erbrechen, Obstipation und 
Stirnkopfschmerz auftraten. Nach einigen Tagen klangen bei 
beiden Patienten diese stürmischen Erscheinungen ab und setzten 
nach 2 — 3 Wochen mit erneuter größerer Heftigkeit ein. Auch 
der spätere Verlauf und die glatte Heilung weisen noch viele 
Vergleichspunkte auf. 

Ob in dem Falle meiner Beobachtung der Hirnabszeß schon 
vor der Aufmeißelung bestand, oder ob die 8 Tage später auf- 
tretenden Krankheitserscheinungen als Initialstadium aufzufassen 
sind, läßt sich mit Sicherheit natürlich nicht entscheiden. Daß 
der entzündliche Prozeß bereits vor der Antrumeröffnung die Dura 
ergriffen hatte, möchte ich deswegen für wahrscheinlicher an- 
nehmen, weil die Paukenhöhle bereits 5 Tage nach der Auf- 
meißelung frei von Eiter war, also jedenfalls nach diesem ersten 
Eingriff eine Eiterretention im Aditus und der Paukenhöhle nicht 
mehr stattgefunden haben wird. 

Vom 11. Dezember an traten schwere Himdruckerscheinungen 
auf, die keinen Zweifel mehr an der Diagnose Hirnabszeß zu- 
ließen. Eine Operation zur Entleerung des Abszesses wurde so- 
fort ins Auge gefaßt, aber mangels aller und jeder Hinweise, wo 
der Eiter zu suchen sei, vorläufig noch aufgeschoben. 

An und für sich wäre es wohl das Nächstliegende gewesen, 
an einen Schlaf enlappenabszeß zu denken, der ja nach Körners 



1) Archiv f. Ohrenheilk. Bd. 68 S. 247. 



128 XIX. JUST. 

Erfahrungen und nach den umfangreichen statistischen Ermittel- 
ungen von Th. Heimann ^) von den otitischen Himabszessen 
der häufigste ist, aber es waren nicht die geringsten Anhalts- 
punkte dafür vorhanden. Da es sich um eine rechtsseitige Ohr- 
eiterung handelte, konnte auch das Fehlen oder Vorhandensein 
der Aphasie differentialdiagnostisch nicht herangezogen werden. 

Auffällig bleibt es, daß ein so großer Abszeß, der bei einem 
Längsdurchmesser von 6 — 7 cm als hühnereigroß bezeichnet 
werden kann, keine Lähmungen der an der Basis verlaufenden 
Hirnnerven hervorrief. 

Nach Körner lähmen Schläfenlappenabszesse, wenn sie 
einigermaßen groß sind, fast stets den Oculomotorius der kranken 
Seite. Es kommt seiner Erfahrung nach zwar selten zu einer 
vollständigen Lähmung, aber in der Regel zu einer Parese der 
Pupillenfasern und des Hebers des oberen Augenlides. Nächst 
dem Oculomotorius werde am häufigsten der Abducens ge- 
schädigt. 

Im vorliegenden Falle bestand aber weder Mydriasis noch 
Ptosis, noch eine Abducensparese. 

Die weit nach unten und hinten sich erstreckende Erkrankung 
des zellreichen Warzenfortsatzes, die Ataxie, das Fallen nach der 
linken Seite, der starke Brechreiz bei Fehlen einer Labyrinth- 
erkrankung ließen mehr an Kleinhirnabszeß denken. 

Nachdem die Trepanation auf das Kleinhirn zu keiner Auf- 
klärung über den Sitz des Abszesses geführt hatte, glaubte ich 
zunächst, den Abszeß im Cerebellum nur verfehlt zu haben, bis 
ich angesichts des rasenden Stimkopfschmerzes, der Klopfempfind- 
lichkeit der Stirnhöhlengegend und des reichlichen Eiterausflusses 
mit der Möglichkeit eines rhinogenen, von einem Empyem des 
Sinus frontalis ausgehenden Hirnabszesses zu rechnen begann. 
Ich erinnerte mich eines von Koebel'-^) veröffentlichten Falles 
von Hirnabszeß, bei dem gleichfalls eine Kombination von Ohr- 
und Naseneiterung vorlag und vergeblich vom Ohre aus nach 
dem Abszeß gesucht worden war, der im Frontallappen saß. 

Leider war eine exakte Untersuchung sämtlicher Nebenhöhlen 
im Anfang verschoben worden und jetzt bei dem schweren Zu- 
stande des Pat., bei seiner motorischen Unruhe ganz aus- 
geschlossen. Die Stirnhöhle ließ sich beiderseits nicht sondieren. 



1) Archiv f. Ohrenheilk. Bd. 66 S. 251. 

2) Beitr. z. klin. Chir. Bd. XXX Heft II. 



Zur Kasuistik der otogenen Himabszesse. 129 

eifie BöntgendttrchleuchtuDg erschieti nicht tanlich. Die Duroh- 
leuchtiing mittelst eines kleinen elektrischen Lämpcbens ergab 
gegen links einen Schatten. 

Die Symptomatologie der Frontallappenabszesse ist 2ttr Zeit 
noch so wenig geklärt, daB man von differentialdiagnostilchen 
Anzeichen nicht sprechen kann. Die bekannten Himdrücksymp- 
tome treten hier genatt so auf, wie bei den otitiichen^ und nach 
übereinstimmender Ansicht aller Autoren macht ein Abszeß im 
Stimhim im Allgemeinen keine Herdsymptome. 

Hajeki) sagt darüber: Nur wenn die durch den Abszeß 
herbeigeführte Destruktion den hinteren Abschnitt der Frontal- 
windungen erreicht; kann eine Monoplegia brachialis oder facialis 
der entgegengesetzten Seite, bei linksseitigem Sitze auch Sprach* 
Störung auftreten. 

Nur Bruns spricht yon einer frontalen Ataxie, bestehend in 
einer GehstÖrung, welche auf einer Schwäche der Bümpfmnsku- 
latur beruhen soll. Letztere soll ihr kortikales Zentrum in dem 
Gyrus marginalis in dem medialen Teile des Stimhims haben. 

Nun trat am Tage nach der Trepanation des Kleinhirns 
zeitweise ein kleinsohlägiger Tremor des linken Armes und 
Beines auf, ein Symptom, das als Beizung des hinteren Schenkels 
der inneren Kapsel gedeutet wurde. Dieser Tremor sprach 
zweifellos für Schläfenlappenabszeß. Daß aber Femwirkungen 
auf die innere Kapsel nicht allein von Temporallappenabszessen, 
sondern unter Umständen auch von einem Abszeß in der Mark- 
substanz des Stimhims ausgehen, beweist die noch dazu durch 
Autopsie bestätigte Beobachtung von F. Cohen. 2) Es wurden 
bei der Sektion außer dem durch Operation entleerten Abszeß 
im Frontallappen noch ein weiterer, gleichfalls im Stirnhirn ge- 
legener Eiterherd von 5 cm Durchmesser gefunden. 

Zu Lebzeiten des Fat. wurden sensorische und motorische 
Aphasie, Lähmung des rechten Armes und Beines und zunehmende 
Benommenheit beobachtet. 

Die Gegend vor und hinter dem Suicus centralis, in welcher 
von Cohen der zweite Eiterherd gesucht wurde, erwies sich als 
intakt. 

Um nicht unnötig den Temporallappen zu punktieren, schickte 
ich der breiten Eröffnung der mittleren Schädelgmbe eine Probe- 



1) Pathol. u. Therapie d. entzündl. Erkrank, d. Nebenhöhlen. 1903. 

2) Münchner Medizin. Woch. 1902 S. 1867. 

Archiv f. Ohrenheilkunde. 73. Bd. Festschrift. 9 



130 XIX. JUST. Zar Kasuistik der otogenen Himabszesse. 

eroffnung der rechten Stirnhöhle voraus. Die Schleimhaut des 
Sinus frontalis erwies sich als gesund und die Höhle lufthaltig, 
denn die Schleimhautauskleidung machte jede respiratorische 
Druckschwankung genau mit 

Bei der Punktion des Schlfifenlappens versagte die Punktions- 
kanfile, obwohl sie reichlich stark war, wegen der dicken, zähen 
Beschaffenheit des £iters gänzlich. Erst Einschneiden der 1 cm 
starken intakten Bindenschicht gewährte dem Eiter Abfluß. Wie- 
wohl der Abszeß nur an einer Stelle, die allerdings bei Bücken« 
läge des Kranken die tiefste war, eröffnet wurde, war der Ab- 
fluß sehr gut und die Heilung erfolgte glatt ohne irgend welche 
erhebliche Betentionen, ein Beweis mehr^ daß eine Gegenöffnung 
von der Schuppe aus, wie sie von den Chirurgen und vielen 
Otologen empfohlen wird, nicht unbedingt erforderlich ist 

Dadurch, daß die Paukenhöhle geschont werden konnte, ge- 
staltete sich das Endresultat auch in bezug auf Erhaltung der 
Gehörsfunktion sehr günstig. 

Es sind zwar seit der Operation erst 6 Monate verflossen, 
aber der Patient fühlt sich bis heute so außerordentlich wohl, 
daß man auf eine Dauerheilung wohl hoffen darf.*) 

*) Nachtrag bei der Korrektur: Patient erfreut sich 8 Monate nach 
der Operation des besten Wohlseins. 



XX. 



Ober ärztliche Ffirsorge ffir TanbstQmme nebst Vorschlägen 
znr Reorganisation des Tanbstnmmenbildnngswesens. 



Von 

Professor Ostmann in Marburg. 



In einer Zeit, in der die soziale Fürsorge mehr wie je Staat 
und Gesellschaft beschäftigt, kann es nicht Wunder nehmen, 
daß der Fürsorge für die Taubstummen und ihrer Fortbildung 
ein erhöhtes Interqsse sich zuwendet, und insbesondere auch die- 
jenigen ärztlichen Kreise erfaßt, welche sich die Erkrankungen 
des Ohres und der Grenzgebiete zu ihrem besonderen Arbeitsfeld 
erkoren haben. 

Bis zu der Zeit, wo man mit Hilfe einer geeigneten Lehr- 
methode die Bildungsfähigkeit der Taubstummen nachweisen 
konnte, kann von einer allgemeinen Fürsorge für dieselben nicht 
gesprochen worden; die Taubstummen wurden vor dem Gesetz 
den Blödsinnigen und unmündigen gleich geachtet 

Mit dem methodischen Unterricht der Taustummen -Kinder 
war der erste große Schritt allgemeinerer Fürsorge getan. Politzer 
hat in seiner vortrefflichen Geschichte der Ohrenheilkunde ^) den 
Stand des Taubstummenunterrichts bis zum Ende des 18. Jahr- 
hunderts und das Wirken derjenigen Männer geschildert, welche 
in aufopfernder Arbeit sich um die Förderung des Unterrichts 
und damit um die Hebung des geistigen Niveaus wie der bürger- 
lichen Stellung der Taubstummen innerhalb dieses Zeitraums ver- 
dient gemacht haben. 

Mit Hei necke, welcher 1778 in Leipzig die erste Taub- 
stummenanstalt gründete, beginnt in Deutschland ein zielbewußter 
Taubstummenunterricht. . 



1) Bd. I S. 427 u. f. 

9 



132 XX. OSTMANN. 

HeEr als ein Jahrhundert ist seit Heineckes Tode — im 
Jahre 1790 — verflossen, und trotz dieser langen Zeit, in 
welcher die Bildungsfähigkeit der Taubstummen voll erwiesen 
und von 'dem Gesetzgeber durch die veränderte Stellungnahme 
ihnen gegenüber anerkannt worden ist, ^) mußte bei der Verhand- 
lung über das Taubstummen - Bildungswesen der Abgeordnete 
Bzesnitzek im Preußischen Abgeordnetenhause feststellen,^) daß 
in den Taubstummenanstalten Schlesiens zu Ostern 1900 ungefähr 
600 Schüler aufgenommen werden konnten, während etwa 500 
unbeschult blieben. Da die Verhältnisse in anderen Provinzen 
wahrscheinlich ähnlich liegen, so bedarf es auf dem Gebiete der 
Beschulung unzweifelhaft einer verstärkten Fü):sorge; denn es ist 
nicht einzusehen, weshalb gerade diejenigen Kinder^ welche durch 
ein unheilbares Leiden in der schwersten Weise in ihrer Arbeits- 
und Erwerbsfähigkeit geschädigt worden sind, auch noch in dem 
Anspruch auf die Möglichkeit der Schulbildung hinter den voll- 
sinnigen Kindern zuückstehen sollen. Wenn sich dieser Fürsorge 
dadurch Schwierigkeiten in den Weg stellen, daß die taubstummen 
Kinder untereinander hinsichtlich ihrer Bildungsfähigkeit vielleicht 
ungleichwertiger sind als die vollsinnigen, schulpflichtigen Kinder, 
so lassen sich doch die Schwierigkeiten mit wenig veränderten 
Einrichtungen und bei mäßiger Erhöhung der zur Zeit für das 
Taubstummenbildungswesen aufgewandten Mittel wohl überwinden. 

Die Bereitstellung weiterer Mittel wird vielleicht auch da- 
durch erschwert, daß der Femerstehende so wenig offensicht- 
lichen Erfolg von der Aufwendung dieser Mittel sieht. Dieser 
Eindruck entspricht indes nicht den Tatsachen; denn wenn man 
den Eindruck, welchen taubstumme Kinder bei ihrem Eintritt und 
Austritt aus der Taubstummenschule macheui mit einander ver- 
gleicht, und in jahrelanger Beobachtung die ebenso mühevolle 
wie segensreiche, stille Arbeit der Taubstummenlehrer verfolgt, so 
kann man vom rein menschlichen wie vom ärztlichen Standpunkt 
aus nur dringend wünschen, daß einem jeden taubstummen Kinde, 
sofern es sich überhaupt als bildungsfähig erweist, die Möglich- 
keit der Beschulung geboten wird. 

Aber für einen jeden, der nicht das taubstumme Kind in 
seiner gesammten körperlichen wie geistigen Entwicklung betrachtet^ 

1) P. Schlotter, Die Rechtsstellung und der Rechtsschutz der Taub- 
stummen; Blätter für Taubstummenbildung XX. Jahrg. No. 8 S. 121. 1907. 

2) Blätter für Taubstummenbildung XX. Jhrg. No. 8. 1907 S. 121. 
Stenographischer Bericht der Verhandlungen. 



über ärztliche Fürsorge für Taubstumme. 138 

mii6 in nicht wenigen Fällen der Erfolg unserer heutigen Unter- 
richtsmethode als wenig befriedigend erscheinen, insbesondere so- 
weit es sich um Verstehen und Verstandenwerden im Verkehr 
mit den Mitmenschen nach dem Verlassen der Anstalt handelt 

Es ist in den letzten Jahren von ärztlicher Seite mehrfach 
auf den unbefriedigenden Erfolg des Unterrichts gerade nach dieser 
Richtung hingewiesen worden, und es kann auch nach meinen Be- 
obachtungen kein Zweifel bestehen, daß bei nicht wenigen Kindern 
nach der Entlassung aus der Taubstummenanstalt an die Stelle 
der mit unendlicher Mühe gelehrten und erlernten Sprache bald 
wieder die Gebärdesprache tritt. 

Mit diesen Hinweisen, so möchte ich glauben, wünscht keiner 
einen Vorwurf gegen die Taubstummenlehrer und ihre Arbeits- 
freudigkeit auszusprechen; es wird von ärztlicher Seite im wesent- 
lichen nur das behauptet, was ein bekannter Taubstummenlehrer, 
A. Gutzmann, zu seinem Bedauern selbst zugeben muß, daß 
nicht „der Hälfte aller entlassenen Taubstummen Verstehen und 
Verstandenwerden im mündlichem Verkehr mit ihren hörenden 
Mitmenschen in genügendem Grade eignet.'' i) 

Auf Grund dieser Tatsachen den hohen Wert der deutschen 
Unterrichtsmethode an sich in Zweifel ziehen zu wollen, wäre 
unrichtig; denn m. E. verfügen wir über keine andere Methode, 
durch welche in gleicher oder besserer Weise die geistige Durch- 
bildung des taubstummen Kindes gefördert werden könnte. Die 
Methode paßt nur nicht für alle Kinder; so in erster Linie nicht 
für diejenigen, welche so geringe geistige Anlagen besitzen, daß 
sie kaum als bildungsfähig bezeichnet werden können. Nach der 
andern Sichtung darf man nun aber auch nicht von vornherein 
der Ansicht sein, daß die Methode sich nicht vielleicht für eine 
Minderheit der Kinder noch fruchtbringender als bisher gestalten 
ließe, indem man durch eine volle, methodische Auswertung ev. 
noch vorhandener Hörreste die Sprachentwicklung fördert 

Aus diesen Gesichtspunkten ergibt sich eine Dreiteilung der 
Taubstummen und somit auch der Taubstummenanstalten. 

Von einer solchen sachgemäßen Scheidung der Taubstummen 
sind wir leider noch weit entfernt; es sind zunächst ganz ver- 
einzelte Anfänge zur Bildung besonderer Hörklassen gemacht 

Eine Trennung der Hörlosen und der mit Hönesten ver- 
sehenen Taubstummen ist aber sofort auf den energischen Wider- 

l) Vor- und Fortbildung der Taubstummen. In zwanglosen Heften 
herausgegeben von A. Gutzmann, Berlin 1899. Heft 1, S. 15. 



134 XX. OSTMANN. 

«tand nicht weniger, alt erfahrener Taubstummenlehrer gestoßen, 
da sich nach ihrer Ansieht nicht eine Scheidung der Taub- 
stammen nach Hörresten, sondern allein nach der geistigen Be- 
gabung empfiehlt. 

Meines Erachtens ist dieser letztere Standpunkt und eine ihm 
entsprechende Gruppierung der Taubstummen in 3 Bildungsstufen 
4er richtigere; denn diese Einteilung läßt eine dem eigentlichen 
Wesen des Unterrichts sehr viel mehr entsprechende, einheitlichere 
Zusammenstellung des Kindermaterials zu. 

Auch ist die Zahl der mit wirklich verwertbaren Hörresten 
versehenen Kinder im Allgemeinen viel zu klein, als daß sich bei 
der jetzigen Organisation des Taubstummenwesens in den ein- 
zelnen Anstalten eine Zusammenstellung von Hörklassen mit an- 
nähernd gleichaltrigen und somit gleich vorgebildeten Kindern 
ermöglichen ließe. An einzelnen Stellen ist dann auch verhältnis- 
mäßig schnell der Versuch des Hörunterrichts wieder aufgegeben 
worden. 

Auf der 13. Versammlung der deutschen otologischen Gesell- 
schaft zu Berlin im Jahre 1904 1) hat Denker als wichtiges 
Ergebnis einer im Bayrischen Kultusministerium März 1904 statt- 
gehabten Konferenz zur Beratung der weiteren Ausbildung des 
Taubstummenunterrichts mitgeteilt, „daß überall da, wo die nötigen 
Mittel bereit gestellt werden können, die in den einzelnen Klassen 
vorhandenen, partiell Hörenden, sowie die später ertaubten und 
noch Sprachreste besitzenden Zöglinge von den übrigen getrennt 
in eigenen Klassen vereinigt und hier unter Anwendung einer 
Methode, welche bei den ersteren Auge und Ohr gleichzeitg in 
Anspruch nimmt, unterrichtet werden. 

Denker erhoffte eine schnelle und befriedigende Lösung 
der Geldfrage und sah in diesem Beschluß „einen glänzenden 
Sieg der seit langen Jahren auf dieses Ziel gerichteten Bestre- 
bungen Bezolds und seiner Freunde," gab der Überzeugung Aus- 
druck, daß mit diesem Beschluß ein hochbedeutsamer Schritt in 
der Entwicklung des Taubstummen -ünterrichtswesens getan sei 
und sprach den Wunsch aus, daß dem Beispiele Bayerns bald die 
übrigen Bundesstaaten folgen möchten. 

Ich vermag nicht anzugeben, wie sich für Bayern bis jetzt die 
Geldfrage gelöst hat; ich kann nur mitteilen, wie weit die übrigen 
deutschen Bundesstaaten der Anregung Bayerns gefolgt sind. 



1) Verhandlungen S. 72. 



über ärztliche Fürsorge für Taubstumme. 135 

Auf Grund des nicht ganz zutreffenden Verzeichnisses der 
deutschen Taubstummenanstalten in dem Lehrbuch von Koerner 
habe ich samtliche deutsche Taubstummenanstalten mit Aus- 
nahme derjenigen in München gebeten^ mir aber die Fragen Aus- 
kunft zu erteilen: 

1, Werden die neu aufgenommenen Xinder mit der kontinuir- 
lichen Tonreihe von einem Ohrenarzt untersucht; und 

2. findet ein Sonder-Unterricht — Hörunterricht — der mit 
Hörresten versehenen Kinder statt? 

Das. Ergebnis dieser Umfrage dürfte nicht den von dieser 
oder jener Seite gehegten Erwartungen ganz entsprechen. 

Von 78 Anstalten beantworteten die erste Frage 56 Anstalten 
mit y,nein^^; 18 fast ausschließlich süddeutsche Anstalten mit Ja^; 
4 Anstalten dahin, daß eine derartige Untersuchung in beschränktem 
Umfange von den Lehrern ausgeführt werde. In einzelnen An- 
stalten war die Stimmgabelprüfimg früher ausgeführt aber auf- 
gegeben worden, weil sich dieselbe nach dem Urteil der Lehrer 
für den Unterricht und seine Gestaltung als wertlos gezeigt hatte. 

Die zweite Frage, ob ein getrennter Unterricht der mit Hör- 
resten versehenen Kinder — sog. Hörunterricht — stattfinde, be- 
antworteten 70 Anstalten mit „nein''; darunter mehrere aus Bayern. 

In einer mitteldeutschen Anstalt wird, so weit möglich, die 
Bildung von Sonderklassen angestrebt; in einer norddeutschen 
Anstalt wurde der Hörunterricht nach mehrjährigen Versuchen als 
undurchführbar und unzweckmäßig aufgegeben, weil die Trennung 
der Kinder nach ihrer geistigen Veranlagung bessere Unterrichts- 
resultate ergab ; in einer dritten Anstalt befand man sich noch im 
Stadium des an sich wenig aussichtsreichen Versuches. 5 An- 
stalten endlich beantworteten die Frage mit „ja''; doch muß ich 
dahingestellt sein lassen, ob in den Hörklassen dieser Anstalten der 
Unterricht ausschließlich ein sog. Hörunterricht ist. 

Es ist somit die Zahl derjenigen Anstalten, welche sich bisr 
her überhaupt nur zu einem Versuch entschlossen haben, sehr 
klein und aus der Stimmung, die die Verhandlungen der Taub- 
stummenlehrer auf ihren Versammlungen z. Teil erkennen lassen, 
wie aus den mir unaufgefordert zugegangenen Äußerungen möchte 
ich entnehmen, daß nach dem Abflauen der ersten Begeisterung 
sich eine immer stärker werdende Geg-enströmung in den Kreisen 
der Taubstummenlehrer gegen die von vielen derselben nicht als 
neu anerkannte Methode des sog. Hörunterrichts geltend machen 
dürfte. 



186 XX. OSTMANN. 

Diese Gegenströmung wird durch fehlgeschlagene Erwartungen 
und durch die in langjähriger, praktischer Erfahrung gewonnene 
Überzeugung, daß man die Kinder nach ihrer geistigen Begabung 
trennen mflsse, sowie durch die betrübende Beobachtung getragen, 
daß die Frage des Hörunterrichts keine rein wiesensebaftliehe Frage 
mehr sei, sondern z. T. egoistischen Zwecken diene. Wenn ich mich 
nicht verpflichtet fühlte, gegenüber den freimütigen Äußerungen, die 
mir zugegangen sind, die strengste Diskretion zu wahren, so würde 
ich eigenartige Mitteilungen zu machen in der Lage sein. 

Gegenüber einer solchen Stimmung bei einem, wie mir scheinen 
will, großen Teil der Taubstummenlehrer wird es vor allem richtig 
sein, wenn anders der gute und gesunde Kern der Bezold 'sehen 
Anregung nicht wieder verloren gehen soll, die Frage von jedem 
Strebertum frei zu halten, und das Taubstummenbildungswesen 
so zu reorganisieren, daß die Vereinigung gleichaltriger Kinder 
mit verwertbaren Hörresten zu Hörklassen unter prinzipiellem 
Festhalten der Teilung der Taubstummen nach ihrer geistigen Be- 
gabung möglich wird. 

Die Schwierigkeiten/ welche sich einer entsprechenden Be- 
organisation des Taubstummen-Bildungswesens entgegen stellen, 
liegen auf administrativem und finanziellem Gebiet ; doch dürften 
dieselben, sobald die Notwendigkeit der Reorganisation erst er- 
kannt ist, keineswegs schwer zu beseitigen sein. 

Meine nachstehenden Ausführungen beziehen sich wesentiich 
auf Preußen, über dessen Taubstummenfürsorge ich einen gewissen 
Überblick habe. 

Die Beschulung der Taubstummen ist Sache der Provinzial* 
behörden; es gibt nur ganz vereinzelte Anstalten, welche vom 
Staat, von Städten oder durch milde Stiftungen neben eigenem 
Erwerb oder Subventionen unterhalten werden. Es fehlt also eine 
^inheiüiche Zentralinstanz in engerem Sinne, was seine Nachteile 
aber auch den Vorteil hat, daß jede Provinz für sich oder im Zu- 
sammenschluß mit anderen die m. £. notwendige Beorganisation 
des Taubstummenbildungswesens durchführen kann. 

Diese Reorganisation muß folgenden Forderungen gereoht 
werden: 

1. Für jedes taubstumme Kind muß die Möglichkeit der 
Schulbildung gegeben sein. 

2. Sämtiiche taubstumme Kinder sind, sofern nicht Idiotie 
und damit völlige Bildungsunfähigkeit klar zu Tage liegt, nach 
vollendetem 6. Lebensjahr in Taubstummenvorschulen aufzunehmen, 



über ärztliche Fürsorge für Taubstumme. 137 

welche in zwei Vorklasgen gegliedert engsten AnsobluB an die 
Taubstummenschalen haben und nach dem Vorbild der Berliner 
Taubstummenyorschule nach Art der Kindergärten ausgebildet 
werden. 

3. In den Taubstummenvorschulen verbleiben die Kinder 

2 Jahr bezw. nur so lange, bis sich ein sicheres Urteil aber ihre 
Bildungsfähigkeit in den Taubstummenschulen nach Maßgabe des 
Lehrplans derselben abgeben läßt. Bei dieser Beurteilung haben 
Lehrer, Pflegerin und Arzt zusammenzuwirken. Diejenigen Kinder, 
welche sich als völlig bildungsunfähig erweisen, werden einer 
Anstalt für idiotische und schwachsinnige Kinder äberwiesen oder 
in die häusliche Privatpfiege zurückgegeben. Letzteres geschieht 
auch bei Kindern, deren ständiges Zusammenleben mit anderen 
taubstummen Kindern infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen 
unzweckmäßig erscheint, 

4. Die durch 2jährige Beobachtung als bildungsfähig er- 
kannten Taubstummen werden nach ihrer geistigen Begabung in 

3 Gruppen geteilt, die ich als schwach (I. Gruppe), mittel (IL Gruppe) 
und gut (IIL Gruppe) bildungsfähig bezeichne. 

5. Dieser Gruppierung der Kinder in 3 Gruppen entspricht 
eine Dreiteilung der Taubstummenschulen je nach dem Lehrplan 
und der vorzugsweise angewandten Unterrichtsmethode. 

Die erste Gruppe der Anstalten nimmt nach Beendigung 
der Vorschulklassen diejenigen Taubstummenzöglinge auf, welche 
als „schwach bildungsfähig^' voraussichtlich nicht dazu gelangen, 
mit Hilfe der deutschen Unterrichtsmethode zu einer Lautsprache 
zu kommen, die einen mündlichen Verkehr in genügendem Grade 
mit einiger Sicherheit erwarten läßt. In diesen Anstalten tritt an- 
stelle des Artikulationsunterrichtes die französiche Unterrichts- 
methode, und es wird eine möglichst frühzeitige Heranbildung 
der Kinder zu handwerksmäßigen Arbeiten^ insbesondere zur Feldr 
und Gartenarbeit angestrebt Sofern die Kinder nach vollendeten 
Schu\iahrm zum selbständigen Erwerb nicht fähig und zu ihrer 
Unterhaltung verpflichtete Dritte nicht vorhanden sind, verbleiben 
sie in Heimstätten, welche diesen oder einigen dieser Taub- 
stummenanstalten angegliedert sind, oder sie werden in Taub- 
stummenbeime überführt, sofern solche von den Provinzial* 
vereinen zur Unterstützung und Pflege von Taubstummen er- 
richtet sind. 



1) Gutzmann, Vor- und Fortbildung der Taubstummen. 2. Heft. 



138 XX. OSTMANN. 

Die zweite Gruppe von Anstalten nimmt die ^mittel be- 
gabten^ Kinder auf, also den weitaus größten Teil der jetzt in 
unseren Taubstummenanstalten befindlichen Zöglinge. In diesen 
Anstalten wird die deutsche Unterrichtsmethode in der bisherigen 
Weise dem Unterricht zu Grunde gelegt Die bereits bisher be- 
stehende Fürsorge für die schulentlassenen Zöglinge in materieller, 
geistiger und seelsorgerischer Hinsicht wird in den bisherigen 
Bahnen fort entwickelt und in soweit ergänzt, als ein systematischer 
Fortbildungsunterricht eingeführt wird, worüber an späterer Stelle 
zu handeln sein wird. 

Die dritte Gruppe der Anstalten nimmt die besonders gut 
veranlagten Kinder auf; unter diesen haben wieder diejenigen den 
Vorzug, welche später ertaubt noch gute Sprachreste besitzen 
oder Hörreste aufweisen, welche eine wesentliche Förderung der 
Sprachentwickelung bei systematischer Auswertung dieser Hör- 
refite erwarten lassen. In diesen Anstalten wird in Soüderstunden der 
partiell Hörenden dem Hörunterricht eine besondere Sorgfalt zu- 
gewandt, um die Sprachentwicklung der Kinder zu fördern. Dem 
gemeinsamen Unterricht liegt die deutsche Unterrichtsmethode zu 
<5runde. 

Auf die zweite und dritte Gruppe der Taubstummenschulen 
baut sich dieFortbildungsschule auf, welche für einen größeren 
Bezirk an eine oder zwei regionär günstig gelegene Taubstummen- 
schulen angeschlossen wird. Ihr Besuch ist fakultativ. 

Der Lehrplan dieser Fortbildungsschulen lehnt sich eng an 
denjenigen der schon jetzt ganz vereinzelt bestehenden Fortbildungs- 
schulen an, erfährt indes nach der Seite der sprachlichen Fort- 
entwicklung der Zöglinge eine Erweiterung. 

Der Sprung von der Taubstummenanstalt, zumal wenn es 
sich um ein Internat handelt, in das Getriebe des täglichen Lebens^ 
von dem Verkehr mit dem Lehrer zu dem Umgang mit den ver- 
schiedensten Personen ist ein so ungeheurer, daß sehr viele Kinder 
sich nicht zurecht finden, im Gefühl ihrer sprachlichen Hilflosig- 
keit immer seltener von der Sprache Gebrauch machen und schließ- 
lieh ganz von derselben Abstand nehmen. Diesen ungeheuren 
Sprung soll die Fortbildungsschule verkleinem ; sie soll die Kinder 
von der Taubstummenanstalt in das Leben hinüberfuhren. 

Zu diesem Zwecke hat der sprachliche Unterricht in den 
Fortbildungsschulen in der Weise eine Erweiterung zu erfahren, 

1) Rundschau, Blätter für Taubstummenbildung, XX. Jhrg. No. 9. 
1. Mai 190T. 



über ärztliche Fürsorge für Taubstumme. 139 

daß derselbe nicht nur von Taubstummenlehrern, wie Qu tz mann 
will, sondern auch von Volksschallehrem und den der Fort- 
bildungsschule zur Sonderausbildung zu überweisenden, jungen 
Geistlichen erteilt wird. Bei der Verteilung des Unterrichts auf 
die 3 Kategorien von Lehrern soll im 1. und 2. Fortbildungs* 
kursus der Taubstummenlehrer; im 3. und 4. Kursus der Geist- 
liehe und Volksschullehrer die Mehrzahl der Stunden erteilen. 

So würden die taubstummen Kinder mehr und mehr geübt, 
auch mit anderen Personen als nur den Taubstummenlehrern sprach- 
lich zu verkehren und würden besser gerüstet als bisher in das 
Leben hinaustreten. 

An die Fortbildungsschulen sind die Taubstummen-Lehrer- 
bildungsanstalten anzuschließen. 

Ich glaube, daß die Durchführung dieser Vorschläge das 
Taubstummenbildungswesen erheblich fördern würde. Nach der 
heutigen Organisation enthalten die Taubstummenanstalten nicht 
ganz wenige Kinder, die nicht nur keinen nennenswerten Nutzen 
von dem Unterricht ziehen, sondern denselben sogar nicht ganz 
selten stören; sie bleiben in den Anstalten, weil man nicht weiß, 
wo man sie unterbringen soll. Ich glaube, die Taubstummen- 
lehrer würden nichts dagegen einzuwenden haben, wenn man diese 
Kinder als Gruppe I aussonderte und in einer besonderen Anstalt 
unterbrächte. 

^ ^Ebenso dürfte von ihrer Seite kein Einspruch dagegen zu 
erheben sein, daß man die besonders begabten, taubstummen Kinder 
aus einem größeren Bezirk in einer Taubstummenanstalt vereinigt. 

Es könnte nun scheinen, als ob zu der vorgeschlagenen Re- 
organisation des Taubstummenbildungs wesens ganz besonders große 
Mittel erforderlich wären. Dies dürfte keineswegs der Fall sein, 
wie eine kurze Überlegung ergibt. Es bedarf nur des Zusammen- 
schlusses zweier oder mehrerer Provinzen zu gemeinsamer Arbeit 
auf diesem Gebiet. 

In einer Provinz finden sich kaum soviel Kinder, um eine, 
wenn auch nur kleine Anstalt von 30 bis 40 Kindern der 
I. und III. Gruppe zu bilden; denn die Hauptmasse der Taub- 
stummen gehört in die IL Gruppe. Beim Zusammenschluß von 
2 oder selbst 3 Provinzen würde sich dagegen meiner Schätzung 
nach sehr wohl je eine kleinere Anstalt der I. und III. Gruppe 
zusammenstellen lassen. 

Die ganze zu lösende Aufgabe würde also darin bestehen, 
daß einerseits jede Provinz für sich an 1 oder 2 der bestehenden 



140 XX. OSTMANN. 

Taubstummenanstalteo eine zweiklassige Vorschule angliedert und 
andererseits mit einer oder zwei benachbarten Provinzen ein 
Übereinkommen [dahin trifft, daß eine Anstalt alle in ihren Be- 
zirken zur Gruppe I. und eine zweite Anstalt alle zur Gruppe III. 
gehörend^!!: Kinder aufnimmt Alle Kinder der Gruppe II. ver- 
bleiben in der Fürsorge ihrer Heimatprovinz, wie auch die Er- 
richtung der Fortbildungsschulen Sache jeder änzelnen Provinz 
ist. Neue Taubstummenanstalten würden von jeder Provinz nur 
insoweit zu errichten sein, als bisher für eine Anzahl der taub^ 
stummen Kinder die Möglichkeit der Beschulung überhaupt fehlte. 

Diese ev. neu zu errichtenden Taubstummenanstalten müssen 
Extemate und nicht Internate sein und in kleinen Landstädten 
mit vorwiegend Acker- und Gartenbau treibender Bevölkerung 
errichtet werden; denn nach meinen Erfahrungen wirken der 
ständige Verkehr mit vollsinnigen Personen, die mannigfache Ge- 
legenheit zur Mitarbeit im Feld und Garten, die einfachen Ver- 
hältnisse der kleinen Stadt auf die geistige und körperliche Ent- 
wicklung der Kinder ungemein viel günstiger, als wenn sie in 
Internaten von der Außenwelt abgeschlossen und wesentlich auf 
den Verkehr untereinander angewiesen sind. 

Es möchte scheinen, als ob uns die vorstehenden Ausführungen 
zu einer nicht nur wünschenswerten, sondern m. E. dringend 
notwendigen Reorganisation des Taubstummenbildungswesens weit 
ab von der fürsorgenden Tätigkeit des Arztes für die taub- 
stummen Kinder geführt habe. Dies ist jedoch nur scheinbar der 
Fall ; denn diese Vorschläge sind ja unter dem Gesichtspunkte 
der fürsorgenden Tätigkeit des Arztes für die Sprachentwicklung, 
Spraoherhaltung und das Sprachverständnis der taubstummen 
Kinder gemacht 

Die fürsorgende Tätigkeit des Arztes hat sich aber nicht 
allein hierauf zu erstrecken, sondern weiter auf die Beseitigung 
von Krankheitszuständen überhaupt wie insbesondere solcher des 
Ohres, des Auges, der Nase, des Bachens wie des Kehlkopfes 
und auf die Gesunderhaltung dieser Organe. Die Spezialär^tei 
Augen- wie Ohrenärzte, sind indes nur relativ selten ständige Be* 
rater in den Taubstummenanstalten; nur bei der Untersuchung der 
neu aufgenommenen Kinder werden sie in nicht wenigen An- 
stalten hinzugezogen. Der laufende ärzliche Dienst liegt dem An- 
staltsarzt ob, nach dessen Entscheidung, wie es scheint, in der 
Mehrzahl der Anstalten die Hilfe des Spezialarztes nachgesucht 
wird. 



über ärztliche Fürsorge für Taubstumme. 141 

Eine ministerielle Umfrage vom 7. September 1898 ergab 
^daß nur in seltenen Fällen die spezialärztliche Fürsorge dem 
Bedürfnis der Anstalten und dem gegenwärtigen Stande der medi- 
zinischen Wissenschaft entspricht'' — Ministerielle Verfügung vom 
23. April 1900 — , und führte zur Errichtung besonderer, fakul- 
tativer ünterrichtskurse für die Hausärzte über Taubstummen- 
anstalten an der Königlichen Taubstummenanstalt zu Berlin. Die 
Untersuchung und Behandlung des Ohres, des Rachens, des Kehl- 
kopfes wie des Auges bildeten neben der Physiologie, Psychologie 
und Pathologie der Sprache wie neben Vorträgen über Taub- 
stummenbildung die hauptsächlichsten Unterrichtsgegenstände. 

Hoffen wir, daß unsere Bemühungen auf dem Gebiete der 
ärztlichen Fürsorge für die taubstummen Kinder weiter auf frucht- 
baren Boden fallen, und daß die hier gemachten Vorschläge einen 
neuen Anstoß geben zur Fortentwicklung des Taubstummenbildungs- 
Wesens. 



XXI. 



Znr Ghinirgie des Ohrlabyrinths. 

Von 

Dr. med. Matte in Köln. 



Im März i) des vergangenen Jahres konnte ich im Alige- 
meinen ärztlichen Verein zu Köln einen von mir operierten und 
im wesentlichen geheilten Kranken vorstellen, bei dem ich wogen 
äußerst qualvoller Geräusche mich dazu entschlossen hatte, das 
Ohrlabyrinth mit einem 3 mm Bohrer zu eröffnen und dann das 
Vestibulum auszukratzen. Ich hatte dem Kranken, dessen Leiden 
nach seiner eigenen und seiner Angehörigen Schilderung eine 
furchtbare Höhe erreicht hatte, von vornherein erklärt, es bestände 
die Hoffnung, daß er durch einen operativen Eingriff geheilt 
werden könnte, allein ich machte ihn gleichzeitig darauf auf merk- 
sam, daß er der erste derart zu operierende Fall überhaupt sei, 
mit anderen Worten, daß meines Wissens wegen solcher Be- 
schwerden noch kein Mensch einen derartigen tiefen Eingriff auf 
sein inneres Ohr durchgemacht hätte. Trotz dieser gewiß nicht 
ermutigenden Eröffnungen willigte der Kranke sofort ein mit der 
Erklärung, er sei zu jeder Operation bereit, er könne das Leben 
so nicht länger ertragen, er würde Hand an sich legen, wenn er 
keine Hülfe fände. 

Daß man im allgemeinen auf solche Selbstbedrohungen 
keinen sonderlichen Wert zu legen braucht, ist bekannt. Wer 
suicidium begehen will, der redet nicht erst lange vorher davon, 
sondern überrascht die Menschen durch die Tat. Anders ver- 
hält es sich aber mit der Eröffnung meinerseits, daß er meines 
Wissens der erste Kranke sein würde, der wegen qualvoller Ge- 
räusche einen derartigen Eingriff in sein Ohrlabyrinth ertragen 
sollte. Vor mehreren Jahren nämlich untersuchte ich einen 



1) Deutsche mediz. Wochenschrift 1906 No. 21. 



Zur Chirurgie des Ohrlabyrinths. 143 

Kranken, der über derartige heftige Ohrsehwindelerscheinungen 
klagte, daß auch er am Leben verzweifeln wollte. Dieser Kranke 
lebte als Junggeselle in vorgerücktem Alter, hatte für niemand 
•zu sorgen, war sonst ganz gesund, nur quälten ihn die Ohr- 
schwindelerscheinungen derart heftig, daß er sich zur Zeit der 
Anfälle an seinem Schreibtische festhalten mußte, um nicht zu 
Boden zu stürzen. Er erhielt damals von mir dieselbe Aufklärung 
wie der zweite — und siehe da, sein ihn angeblich bis zum 
Lebensüberdrusse quälendes Ohrenleiden erträgt er noch heute! 
Der Gedanke, daß er als erster Mensch überhaupt einen endo- 
labyrinthären Eingriff ertragen sollte, schreckte ihn ab, er konnte 
sich zur Operation nicht entschließen. 

Wenn ich nun diesem Patienten einen derartigen Eingriff 
vorschlug, so tat ich es mit der auf Grund meiner wissenschaft- 
lichen Ausbildung gewonnenen Überzeugung, daß ein operativer 
Eingriff ins Ohrlabyrinth als den Sitz dieser Krankheitserschein- 
ungen nach der Theorie den gewünschten Erfolg haben mußte. 
Allerdings muß die Operation dann auch die diese Symptome 
auslösenden erkrankten Teile, und zwar nur diese mit Sicherheit 
zu treffen suchen. Wie weit das in den einzelnen Fällen erreich- 
bar sein kann, darauf wollen wir später gelegentiich zurück- 
kommen. 

Wir wollen also vorläufig festhalten, daß 

1. unerträgliche subjektive Geräusche und 

2. unerträgliche Ohrschwindelerscheinungen 
uns Ohrenärzten unter umständen Indikationen geben können, 
unseren Kranken operative Eingriffe aufs Ohrlabyrinth vorzu- 
schlagen, wo der Sitz dieser Krankheitserscheinungen zu 
suchen ist. 

Mit beiden Symptomen wollen wir uns nun etwas näher 
befassen. 

Was zunächst die subjektiven Geräusche anbetrifft, so möchte 
ich hier wiederholen, was ich bei Gelegenheit von Referaten resp, 
kritischen Besprechungen einschlägiger Literatur im Archiv be- 
tont habe: Wir Ohrenärzte müssen uns daran gewöhnen, den 
Ausdruck „Patient klagt über Ohrensausen" gänzlich als nicht 
der Höhe wissenschaftlicher Ausbildung entsprechend aus den 
Krankheitsberichten auszuschalten. „Sausen" und „Sausen*' haben 
bekanntiich oft ganz gewaltige Unterschiede. Die Fälle, in denen 
über subjektive Gehörsempfindungen geklagt wird, müssen analy- 
siert werden, indem wir .die Kranken mehr zur Selbstbeobachtung 



144 XXI. MATTE. 

erziehen. Wichtig i8t es außerdem, daß wir die Kranken ^aus- 
redend lassen. Sehr praktisch verfahrt man außerdem dabei, daß 
man sie ihr subjektives Geräusch objektiv mit dem Munde wieder- 
geben läßt, oder daß man sie einen Vergleich mit bekannten ob- 
jektiven Geräuschen ziehen läßt, oder^ indem wir selbst ihnen 
objektive Geräusche erzeugen, wie wir es in der Jenenser 
Ohrenklinik z. B. mit Muschelresonatoren gemacht haben. Leider 
sind die hierher gehörigen, eminent wichtigen Arbeiten Kessels^) 
teilweise in den wenig zugängigen Korrespondenzblättem des 
Allgemeinen ärztlichen Vereins von Thüringen erschienen. Ihre 
allgemeine Verbreitung ist dadurch erschwert worden. Jedenfalls 
haben sie die ihnen zukommende Beachtung nicht gefunden und 
doch sind sie für uns Ohrenärzte von der allergrößten Wich- 
tigkeit. 

Bei halbwegs intelligenten Kranken werden wir auf die oben 
angedeutete Weise manchen Anhaltspunkt gewinnen, ob wir ihre 
subjektiven Gehörsempfindungen richtig beurteilen. Zunächst gilt 
es also festzustellen, ob der Kranke wirklich ein subjektives Ge- 
räusch oder einen subjektiven Ton resp. Klang in seinem Gehör- 
organe wahrnimmt. Diese Entscheidung ist nach meinen Er- 
fahrungen aus der Praxis für einen sehr großen Teil auch der 
nicht gerade als musikalisch zu bezeichnenden Kranken sofort 
möglich. Recht häufig treten auch beide Gehörsempfindungen 
gleichzeitig auf, wodurch die Analyse beträchtlich erschwert 
werden kann. 

Ganz außer Betracht wollen wir hier alle die im Gehörgange 
oder im Mittelohre entstehenden oder alle sonstigen Gehörs- 
empfindungen lassen, sondern uns lediglich mit den im Ohr- 
labyrinthe entstehenden beschäftigen. 

Bekanntlich klagen die meisten derartigen Kranken über 
Geräusche, nicht über Ton- resp. Klangempfindungen. Nach 
Kessel unterscheiden wir auch an den Geräuschen die Stärke, 
die Höhe und die Klangfarbe (Resonanz). 

Die Stärke wird nach dem Prinzip der Überdeckung ge* 
messen. Eine recht gute objektive Schallquelle haben wir z. B. 
in einem Gasglühlichte^ bei dem die Gaszufuhr gut reguliert 

1) über die chronidchen Katanhe des Mittel obres und ibre Beband- 
lung. EorrespoDdenz-Blätter des Allg. ärztl. Vereins von Tbüringen 1S88. 
No. 7. 

Über die vordere Tenotomie. Vortrag, gebalten auf dem internationalen 
Kongreß z. Berlin 1890. Arcbiv f. Obrenbeilk. 1890. 



Zur Chirurgie des Ohrlabyrinths. 145 

werden kann. Hier lassen sich eine ganze Reihe von Intensitäts- 
änderungen erzeugen, bis wir gerade die dem subjektiven Ge- 
räusch des Kranken entsprechende Stärke ermittelt haben. Rückt 
der Patient von der Flamme weiter ab, so wird er nur sein 
eigenes Geräusch wahrnehmen, kommt er näher, so wird das 
Flammengeräusch das eigene überdecken. Die Intensität des 
subjektiven ^Siedegeräusches^ wird also ausgedrückt durch die 
Entfernung des kranken Ohres von der Schallquelle in dem 
Momente, wo eben die Uberdeckung aufhört. *) Dieses „Sieden** 
der Gasflamme entspricht zudem auffallend genau dem subjektiven 
„Sieden"^, welches die ungemein häufigen chronischen Mittelohr- 
katarrhe in den Anfangsstadien regelmäßig begleiten. Kessel 
hat deshalb diese „Siedegeräusohe'' typische genannt, typisch, 
weil sie einen typischen Verlauf zeigen, und führt ihre Entstehung 
auf erhöhten Labyrinthdruck zurück. 

Nach Kessel gehen diese „Siedegeräusche"^ im Verlaufe der 
Erkrankung durch Abnahme der Höhe und durch Änderung der 
Klangfarbe in tiefere Geräusche und schließlich in Töne resp. 
Klänge über. Der Krankheitsprozeß verbreitet sich also vom 
Vorhofe resp. von den Anfangsteilen der Gehörschnecke aus 
hinein in die Schnecke bis zu ihrer Spitze hin, wo die tiefsten 
Tonempfindungen liegen. Es scheint sich also dem anfänglich 
wohl anzunehmenden erhöhten Labyrinthdruck außerdem ein 
sekundärer schwerer Degenerationsprozeß anzuschließen, dem all- 
mählich die ganze Schneckenskala verfällt. Eine zunehmende 
Herabsetzung des Hörvermögens von der Konsonantentaubheit 
an allmählich bis zur Vokaltaubheit ist die Folge. Dieser regel- 
mäßig zu beobachtende klinische Verlauf entspricht also genau 
der Theorie, wonach zunächst die dem Vorhofe anliegenden, den 
höchsten Tonempfindungen entsprechenden Teile der Gehörschnecke 
erkranken und funktionsunfähig werden, worauf der Prozeß zu 
den den mittleren und den tiefen Tönen entsprechenden Teilen 
der Schnecke vorschreitet — , also erst fallen die die höchsten 

1) Anm.: Bei der Wichtigkeit gerade dieses subjektiven Geräusches 
wäre eine exaktere Bestimmung zur allgemeinen Veratändigung dringend 
wünschenswert Wir konnten z. B. bei den das brennende Gasglühlicht 
begleitenden Flammongeräaschen 3 Intensitäten unterscheiden, die etwa 
3 meßbaren Intensitäten der Leuchtkraft entsprächen — darüber vielleicht 
später Ausführlicheres. — Eine andere objektive Schallquelle für „atjrpische'* 
Geräusche stellt ein laufender Wasserkrahn dar. Auch hier lassen sich eine 
Reihe Intensitäten und Resonanzänderungen, je nach der Menge des aus- 
fließenden Wassers und der Fallhöhe beobachten. 

ArcUr 1 Ohrenheilkande. 73. Bd. Festschrift 10 



146 XXL MATTE. 

SchwinguDgszahlen umfassenden Konsonanten ans, dann ab- 
steigend die Vokale i, e, a, o, u, womit die Worttanbheit be- 
siegelt ist. 

Wir sehen hieraus, daß schon eine genauere, den Lehren 
von Hensen-Helmholtz entsprechende Anamnese wertvolle 
Aufschlüsse geben kann über den Sitz, über die Art und den 
Verlauf der Erkrankung. . 

In einer der jüngeren Arbeiten ist zu lesen: „bei zwei 
Fällen lag das Sausen bei c* und c*..." (Pause) — hätte sich 
der Verf. die zur Bestimmung dieser Tonhöhe benutzten Stimm- 
gabeln unbefangen an die Ohren gehalten, so hätte er niemals 
den Ausdruck ^Sausen^ gewählt, um die Tonhöhe zu be- 
zeichnen. Die Gabeln c* und c^ klingen. Wir wählen im 
Sprachgebrauche den Vokal i, um die Tonhöhe solcher Gabeln 
zu bezeichnen — , unsere tiefsten Gabeln brummen (also ul). 
Die deutsche Sprache ist ungemein reich an Wörtern, womit wir 
Gehörsempfindungen nach ihrer Tonhöhe bezeichnen können. 
Aus einem deutschen Sprachwörterbuche habe ich 16 mit u, 
7 mit au, 4 mit äu bezw. eu, 2 mit ü, 11 mit o, 6 mit ö, 27 mit a, 
9 mit ae, 2 mit e, 2 mit ei, 26 mit i gefunden. Aus dieser Fülle 
können wir mit einiger Genauigkeit diejenigen herausfinden^ 
welche das subjektive Geräusch des Kranken annähernd treffend 
bezeichnen. Bemerkenswert ist die große Zahl derer mit u (16), 
mit a (27) und mit i (26) gebildeten. Als die bei Ohrenkranken 
im allgemeinen am häufigsten zu beobachtenden Ausdrücke mögen 
hier erwähnt werden: 

brummen, glucksen, knurren, summen, surren, brausen, 
rauschen, sausen, säuseln, brodeln, donnern, kollern, 
pochen, rollen, dröhnen, knacken, knarren, knattern, 
platzen, rascheln, rasseln, plätschern, gischen, kicksen, 
knistern, knittern, piepsen, sieden, zirpen, zischen, zwit- 
schern, ticken, 
wobei natürlich auf ihre nosologische Bedeutung keine Rücksicht 
genommen ist 

Die allzu häufig gebrauchte Ausdrucksweise in den klinischen 
Krankheitsberichten: „Patient klagt über Ohrensausen" entspricht 
also absolut nicht der Höhe unserer wissenschaftlichen Anfor- 
derungen. — 

Ganz ähnliche Vorwürfe müssen gegen die Redeweise: Patient 
klagt über „Schwindel" erhoben werden. Die Lehren der experi- 
mentellen Physiologie und Pathologie des Ohrlabyrinthes sowohl 



Zar Chirurgie des Ohrlabyrinths. 147 

als auch die Erfahrungen am Krankenbette beweisen zur Evidenz, 
daß den in der Pars superior gelegenen nervösen Endapparaten 
in den Ampullen der Bogengänge eine ganz andere funktionelle 
Bedeutung zukommt, als den Bestandteilen der Pars inferior. 
Die Experimente von Flourens (1824 und 1842) und später 
von Goltz (1870), die bald von einer überaus großen Anzahl 
von Autoren einer Nachprüfung unterzogen wurden, beweisen, 
daß Verletzungen der Bogengänge und Ampullen mit den 
schwersten, oft dauernd irreparablen Gleichgewichtsstörungen ge- 
folgt sind. Durch umfassendste Tierexperimente im physio- 
logischen Institute in Halle ^)^ in den Ohrenkliniken in Halle '^) 
und in Jena und später in Köln'^) hat Verf. diese Lehre von 
den verschiedenen Funktionen* dieser beiden Abschnitte des Ohr- 
labyrinthes begründen helfen. Halten wir hier fest, was jederzeit 
durch einwandfreie Tierexperimente gezeigt werden kann, daß 
eine vollständige Herausnahme beider Gehörschnecken nicht die 
geringsten Störungen in der Kopf- oder Körperhaltung nach sich 
zieht, daß derartig operierte Tiere sich in ihrem Verhalten in 
keiner Weise von gesunden Tieren unterscheiden bis auf ihre 
nachweisbare Taubheit. Wie ganz anders gestaltet sich das Bild 
bei Verletzungen der Teile der Pars superior, besonders der 
Bogengänge und der Ampullen! Werden derartige Versuche in 
systematischer Weise angestellt, dann ergibt sich eine charak- 
teristische Abhängigkeit der Störungen des Kopf- resp. des Körper- 
gleichgewichts von der Lage der verletzten Teile. Alle diese 
zuweilen äußerst heftigen Bewegungsstörungen, die den Charakter 
von Eeizerscheinungen tragen, zeigen die Merkmale des sogenannten 
Drehschwindels. 

Gehen wir auf Grund der experimentellen Erfahrungen zur 
Untersuchung unserer Kranken über, so können diese uns Auf- 
schluß geben über ihre Empfindungen. Wir erfahren dann, und 
das gelingt auch bei der Mehrzahl ziemlich leicht; daß auch sie 

1) Ein Beitrag zur Funktion der Bogengänge des Labyrinths. J. D. 
Halle 1892. 

Experimentelle Untersuchungeu über die Funktion des Ohrlabyrinthä 
der Tauben. Fortschritte d. Med. 1894, 4. 

Experimenteller Beitrag zur Physiologie des Ohrlabyrinthes. Pflüg. 
Arch. 57. 

2) Ein Beitrag zur Frage nach dem Ursprung der Fasern des N. acust. 
Arch. f. Ohr. 39. 

3) Beiträge zur experimentellen Pathologie des Ohrlabyrinthes. Arch. 
f. Ohr. 44. 

10* 



148 XXI. MATTE. 

Drebschwindelempfindungen haben, die sich in der Weise 
äußern, daß sie entweder das Gefühl haben, gedreht zu werden, 
oder daß ihre ^Umgebung in eine drehende Bewegung versetzt 
erscheint Sie können uns auch Aufschluß geben über den Sinn 
der Bewegung, ob im Sinne des Uhrzeigers oder umgekehrt, ob 
in horizontaler Ebene oder in vertikaler Ebene von vorne nach 
hinten über den Kopf oder umgekehrt, ob in sagittaler Ebene von 
rechts über den Scheitel nach links oder umgekehrt. 

Bei exakter Untersuchung läßt sich in einigermaßen klaren 
Fällen eine derartige Bestimmung ermitteln, was in der Kranken- 
geschichte zum Ausdruck zu bringen ist — , also auch hier kann 
eine Ausdrucksweise: Patient klagt über „SchwindeP^ nicht den 
Anspruch auf wissenschaftliche Würdigung machen! 

Durch die Bemühungen von v. Stein 's sind weiterhin diag- 
nostische Merkmale über das statische und das lokomotorische 
Verhalten Labyrinthkranker angegeben worden, sie. sind in vielen 
Fällen äußerst wertvoll, weil sie objektiv wahrnehmbar sein 
können — , doch hüte man sich vor Überschätzung dieser Be- 
funde! Auch die vom Labyrinth ausgelösten Nystagmns- 
bewegungen der Augen, die in reinen Fällen recht gut festgestellt 
werden können, sind zu beachten. Alle diese reflektorisch aus- 
gelösten Störungen, die sowohl Beiz- als auch Ausfallserschein- 
ungen sein können, werden aber meines Erachtens nicht durch 
Strömungen der Endolymphe ausgelöst, sondern sind als Druck- 
schwankungen aufzufassen, wobei alle möglichen Vorgänge 
mitspielen können. Sie verdanken diesen Einfluß ihren im N. 
vestibularis zentripetal zum Kleinhirn ziehenden Nervenfasern, 
sie gliedern sich dem im Kleinhirn zentrierten Beflexbogen an, 
der unter der Schwelle des Bewußtseins die Stellung und Be- 
wegung des Kopfes und der Augen reguliert. Zentrifugal treten 
diese Nervenfaserzüge in Verbindung zum Dachkem und zum 
Deitersschen Kerne, um von da als tractus vestibulospinalis 
(Bruce) durch das corpus restiforme zum Hirnstamme und zum 
Eückenmarke, zum gleichseitigen Abducens und zu den beider- 
seitigen Oculomotoriuskemen zu ziehen. Durch diese anatomisch 
festgelegten Verbindungen erklären sich für uns die klinischen 
und experimentellen Erfahrungen vollkommen ausreichend, ohne 
daß wir im Ohrlabyrinth den sogenannten sechsten Sinn oder das 
Ewald sehe Tonuslabyrinth zu erblicken hätten. 

Außer diesen Drehschwindelempfindungen können aber vom 
Ohrlabyrinth noch Empfindungen ausgelöst werden, „als ob der 



Zur Chirurgie des Ohrlabyrinths. 149 

Fußboden auf einer Seite wackele und versinken würde" oder 
^als ob man auf dem Bande eines Grabens ginge und in 
ihn zu versinken drohe** — , es scheint sich hier mehr um 
eine diffuse Vorhofsreizung zu handeln, wie wir sie bei reiner 
Stapesankylose häufiger beobachten können. Die aus irgend 
einer Ursache z. B. bei Aufregungszuständen oder plötzlich ein- 
setzenden heftigen körperlichen Bewegungen auftretende Blut- 
oder Lymphdruckwelle kann im ankylotischen Labyrinthe nicht 
schnell genug ausweichen und löst nun diese als Labyrinthreizung 
aufzufassende Störung in der Gleichgewichtsempfindung aus. 
Hierhin gehören auch so manche Erscheinungen der sogenannten 
Platzfurcht Experimentell kann sich jeder eine Vorstellung 
dieser Empfindungen machen, wenn ihm ein einigermaßen kräf- 
tiger konstanter Strom quer durch den Kopf von einem planum 
mastoideum zum andern geleitet wird. Auf einem Stuhle sitzend 
hat man aldann beim Schließen des Stromes auf der Eathoden- 
seite das Gefühl, als wenn der Stuhl nach dieser Seite weg- 
gerissen würde, man macht deshalb ganz von selbst eine energische 
Bewegung nach der Anode, ja man fällt sogar nach dieser Seite 
herab bei genügend starken Strömen — , es sind dies die bekannten 
galvanischen Schwindelerscheinungen. — 

Wir hatten oben angeknüpft an Kessel 's Unterscheidung in 
typische und in atypische Geräusche — , erstere als charak- 
teristisch für beginnende resp. im Ablaufen begriffene chronische 
Mittelohrkatarrhe. Wir wollen nun näher auf die atypischen 
Geräusche eingehen, weil tius die ursächlichen Erkrankungen 
interessieren. 

Der von mir operierte Kranke klagte über ständig zu- 
nehmende, sehr heftig quälende Geräusche, die er als „dumpfes 
Bauschen^ und „taktmäßiges Klopfen^ bezeichnete und deren 
Sitz er in den Hinterkopf verlegte. Schon diese Charakterisierung, 
die vom Kranken selbst herrührt, läßt die Vermutung zu, daß es 
sich um Blutgeräusche handele, ohne aber dabei an die eigent- 
lichen endotischen Gefäßgeräusche zu denken, die bekanntlich 
häufig objektiv wahrgenommen werden können. Diese „atypischen" 
Geräusche finden wir besonders häufig als Begleiterscheinung 
der an sogenannter Otosklerose leidenden Kranken, und da wir 
wissen, daß diese Erkrankung mit einer unter entzündlichen Er- 
scheinungen auftretenden herdförmigen Umwandlung der Sub- 
stantia compacta in Substantia spongiosa verläuft, so können wir 
uns auch eine Erklärung für diese Art von Geräuschen machen — , 



150 XXL MATTE. 

sie entsprechen nämlich den jeweilig sich entwickelnden^ ver- 
schieden lokalisierten Herden. Oft wenn keine Nervenendapparate 
in der Nähe des Knochenerkrankungsherdes sind; verlänft die 
Erkrankung ohne jedwede subjektive Gehörsempfindungen, oft 
ohne Geräusche lediglich mit den vom Labyrinth ausgelösten 
Störungen der Gleichgewichtsempfindung mit mehr oder weniger 
gut charakterisierter Bewegungsrichtung, oft lassen sich sämtliche 
Symptome des erkrankten Organs exakt nachweisen — ^, wir sehen 
also zur Genüge, wie viele Anhaltspunkte über Sitz und Aus- 
dehnung der Erkrankung uns eine genaue Anamnese und eine 
entsprechende Untersuchung gewähren. 

Und nun noch ein paar Worte über den Ausdruck „Oto- 
Sklerose". Bekanntlich stammt derselbe von v. Tröltsch, 
der aber schon die Bemerkung macht, daß eine auf vielfache 
anatomische Beobachtungen gegründete Erweiterung unserer Kennt- 
nisse der Sklerose dereinst eine vollständig selbständige Stellung 
in der Reihe der Ohrerkrankungen verschaffen wird. Und wie 
recht hat ihm die spätere Forschung gegeben! In seinem Buche: 
„Die Otosklerose" definiert Denker diese Erkrankung in fol- 
gender Weise: „Wir verstehen zurzeit unter Otosklerose eine 
Krankheitsgruppe, welche bei gut durchgängiger Tube und nor- 
malem oder annähernd normalem Trommelfellbefund klinisch 
das Bild einer progressiven (mit oder ohne Geräusche), bei der 
funktionellen Prüfung bestimmte charakteristische Merkmale auf- 
weisende Schwerhörigkeit darstellt." 

An dem Ausdrucke „Sklerose" ist, da er das Wesen der 
Erkrankung in keiner Weise bezeichnet, so häufig und so allge- 
mein Anstoß genommen, daß man endlich den Mut haben sollte, 
ihn überhaupt nicht mehr zu gebrauchen. Ich habe deshalb den 
Ausdruck „Otospongiose'' vorgeschlagen und würde nunmehr 
folgende Erklärung geben: Die Otospongiose in ihrer reinen 
Form stellt eine bei gut durchgängiger (oft klaffender) Tube und 
bei normalem oder annähernd normalem Trommelfellbefund auf- 
tretende progressive Schwerhörigkeit dar, die mit oder ohne 
atypischen Geräuschen und mit oder ohne Labyrinthschwindel- 
erscheinungen verbunden zu sein pflegt. Es handelt sich bei ihr 
um herdweise auftretende Umwandlung der Substantia compacta 
der Labyrinthkapsel in Substantia spongiosa unter dem Bilde 
einer Entzündung. Prädilectionsstellen dieser Knochenerkrankungs- 
prozesse scheint die Stapediovestibularsyndesmose zu sein, wobei 
unzweckmäßige therapeutische Maßnahmen (Valsalva, Politzer, 



Zur Chirurgie des Ohriabyrinths. 151 

Gatheterismus, pneumatische Luftpumpe, kurzum jede auf das 
doch anscheinend gesunde Mittelohr einwirkende Behandlungs- 
methode) regelmäßig eine Verschlimmerung herbeiführen. 

Auf den Wert der Stimmgabelprüfung soll hier nicht näher 
eingegangen werden. Betont muß werden, daß die Wahrnehmung 
der Töne qualitativ stark verändert ist gegenüber dem ge- 
sunden Ohr, woraus auch auf eine stark veränderte Verarbeitung 
in den Zentralorganen geschlossen werden muß — darüber später 
gelegentlich! 

Die Otospongiose ist als dyscrasische Labyrintherkrankung 
aufzufassen. Wie weit etwa das herdweise Auftreten mit den 
die Blutversorgung beeinflussenden Endbezirken sympathischer 
Nervenfasern verknüpft ist, müßten spätere experimentelle Unter- 
suchungen zu erweisen suchen. 

In der Krankengeschichte meines Falles ist betont, daß es 
durch die operative Eröffnung des Ohrlabyrinthes mittelst eines 
3 mm breiten Bohrers, der durch den Elektromotor in Bewegung 
gesetzt wurde, und durch die n^hf olgende Auskratzung des 
Vestibulum gelungen ist, den Patienten von seinem ihn bis zur 
Verzweiflung und zu Selbstmordgedanken quälenden „Bauschen 
und taktmäßigen Klopfen^ gänzlich und dauernd zu befreien. 
Auch heute ist der Kranke noch vollkommen frei von seinen da- 
maligen Beschwerden — seit der Labyrinthoperation sind bislang 
2V2 Jahre vergangen. Dahingegen ist das „Siedegeräusch", 
welches ich in der Krankengeschichte schon erwähnte, auch 
heute noch vorhanden. 

Das Hörvermögen ist anscheinend dasselbe geblieben, jeden- 
falls gibt der Kranke an, daß er mit Sicherheit eine gut tickende 
Taschenuhr und ebenso die auf das planum mastoideum auf- 
gesetzten tiefen Stimmgabeln auf dem operierten Ohre höre. Man 
vergegenwärtige sich diese Angaben recht genau unter Berück- 
sichtigung des I^byrintheingriffes, aber auch unter Berücksich- 
tigung der Tatsache, daß eine Durchleitung zum gesunden Ohre 
hierbei nicht auszuschließen ist! 

Otoskopisch gewährt das ehemalige Promontorium ein total 
verändertes Bild: anstelle der Konvexität ist eine unebene flach- 
höckrige Konkavität eingetreten, die von einer Schleimhautdecke 
überzogen ist. Bei Sondenberührung, die anfangs sehr unan- 
genehm empfunden worden ist, fühlt man jetzt einen harten 
Widerstand, wahrscheinlich hat eine neue und zwar gesunde 
Knochenbildung das Loch wieder geschlossen. Eine klare Vorr 



152 XXI. MATTE. 

Stellung über die eingetretenen Veränderungen könnte natürlich 
nur die mikroskopische Untersuchung ergeben. 

Das Gesamtkrankheitsbild hatte ich damals als sogenannte 
Mischform bezeichnet und ging von dem Gedanken aus, es habe 
sich eine Otospongiose auf dem Boden eines langjährigen chro- 
nischen Mittelohrkatarrhes entwickelt. Nach dem Erfolge der 
chirurgischen Behandlung ist anzunehmen, daß mit der Operation 
der ganze entzündliche Knochenprozeß beseitigt worden ist und 
des weiteren, daß nur dieser eine Knochenprozeß vorhanden ge- 
wesen war — , alle daherrührenden Beschwerden wurden also 
beseitigt, während die von chronischem Mittelohrkatarrhe her- 
zuleitenden Symptome, besonders das typische Siedegeräusch, 
dessen Sitz also in die Gehörschnecke verlegt werden muß, ge- 
blieben sind. Die Gehörschnecke kann also, da sie noch subjek- 
tive Gehörswahmehmungen liefert, nicht ertaubt sein. Es werden 
sich, wie die vielseitigste experimentelle Erfahrung mir gezeigt 
hat, von neuem ringsum abgekapselte, mit Endolymphe gefüllte 
Schneckenabschnitte gebildet haben, die bis zu einem gewissen 
Grade funktionsfähig bleiben können.. 

Die wissenschaftliche Ausbeute dieses Falles lehrt uns 
also: 

1. Die bei chronischen Mittelohrkatarrhen auftretenden sub- 
jektiven Gehörsempfindungen verlaufen typisch (Kessel). Sie 
haben ihren Sitz in der Gehörschnecke, in der sie fortschreitend 
von den in den Anfangsteilen liegenden höchsten Tonempfindungen 
herunter bis zu den in der Schneckenspitze gelegenen tiefsten 
Tonempfindungen ziehen. Die Funktionsprüfungen ergeben dem- 
entsprechend eine anfängliche Konsonantentaubheit, der mit den 
Jahren die Vokaltaubheit bis zur Worttaubheit folgt. 

2. Die atypischen Geräusche mit ihrem wechselvollen 
Charakter haben wechselnde Lokalisationen. Die nähere Be- 
stimmung dieser erkrankten Stellen erfolgt durch exakteste Anam- 
nese und genaue Untersuchung. Die Ergebnisse der experimen- 
tellen Physiologie müssen eingehende Berücksichtigung finden. 

3. Ein für allemal sind die ganz unbestimmten Ausdrucks- 
weisen wie: Patient klagt über „Ohrensausen'' oder über 
„Schwindel" als durchaus unwissenschaftlich zu verbannen. 

Die praktische Ausbeute lehrt, daß wir imstande sind, in 
geeigneten Fällen derart verzweifelte Patienten durch operative 
Fälle am Leben zu erhalten, sie eventuell sogar gesund zu 
machen. Mit welcher Voraussage die einzelnen Fälle behandelt 



Zur Chirurgie des Ohrlabyxinths. 153 

werden dürfen, ergibt die Untersuchung — , wir dürfen aber ab- 
solut keine Hoffnungen erwecken, die nicht erfüllt werden können, 
und hier wiederhole ich nochmals meinen früher bereits formu- 
lierten Standpunkt: „Die Größe des operativen Eingriffes ist ge- 
rechtfertigt durch die Größe der Leiden des Kranken ^)." 

Sind denn aber nun die Gefahren eines solchen Eingriffes 
in der Tat so große? Daß es sich um eine Operation handelt, 
die an die technischen Fertigkeiten die weitgehendsten Anfor- 
derungen stellt, braucht nicht besonders hervorgehoben zu wer- 
den. Absolut ruhige Hand und sicheres Auge bei klarem Ge- 
sichtsfelde sind unerläßlich. Eine umfangreiche experimentelle 
Übung am Präparat und beim Tierexperiment muß vorausgesetzt 
werden. Die Durchbohrung des Promontoriums erfordert bei der 
Operation eine geraume Zeit, der Knochen ist hier bekanntlich 
recht hart Ist aber die Öffnung im Labyrinth groß genug, dann 
dringt das Instrument schnell in den Vorhof ein — , der erste 
Teil der Operation ist damit beendet. Zur nachfolgenden Aus- 
kratzung habe ich die Kesseische Curette benutzt, sie ist ein 
sehr geeignetes Instrument. Zur Orientierung im Vorhofe dient 
die Seh wartze sehe Tenotomsonde, rechtwinklig abgebogen, von 
2 mm Länge. 

Wie in der Krankengeschichte ausdrücklich bemerkt ist, ist 
die Blutung und auch der Abfluß von Endolymphe sehr gering 
gewesen. 

Ob man nun zweizeitig, wie ich es getan habe, oder ein- 
zeitig operieren will, wird wohl von Fall zu Fall entschieden 
werden müssen. Bei schwierigen anatomischen Verhältnissen 
kann der Exzision des Trommelfells und der beiden äußeren 
Ossicula (Hammer und Amboß) die Ausmeißelung des Limbus 
osseus folgen, bis ein übersichtliches Terrain für die Labyrinth- 
operation geschaffen ist. Der endolabyrinthäre Eingriff erfolgt 
dann nach der Ausheilung des ersten Eingriffes bei klarem Ge- 
sichtsfelde so gut wie unblutig. Er kann sich gegebenenfalls in 
entsprechender Ausdehnung auf den Vorhof, auf die Ampullen 
nebst Bogengänge oder auch auf die Gehörschnecke ausdehnen. 
Bei reicherer Erfahrung wird auch das Instrumentarium viel- 
seitiger werden. Bei meinen früheren Tierexperimenten habe ich 
mit größtem Erfolge ganz feine Häkchen verwendet, mit denen 
ich in größter Schnelligkeit die gewünschten endolabyrinthären 



1) Deutsch, med. Wochenschrift 1906 No. 21. 



154 XXI. MATTE. Zur Chirurgie des Ohrlabyrinths. 

Gebilde herausbeförderte bei Gelegenheit klinischer Demonstra- 
tionen. 

Über die Gefahren derartiger Eingriffe brauchen wir auch 
nicht allzu viele Worte zu verlieren. Selbstverständlich ist die 
peinlichste Sauberkeit absolut unerläßlich. Die vermeintlichen 
Gefahren einer Infektion von der Tube aus entstammen theo- 
retischer Spekulation. Der zweite Eingriff soll erst nach voll- 
kommener Ausheilung des ersten gemacht werden — , in der 
Zwischenzeit sorge man für ausreichenden Verschluß des Gehör- 
ganges mit steriler Gaze — , man hüte sich aber vor allen Zuviel- 
machen wollen ! Das gesunde Aussehen des Promontoriums zeigt 
uns den Zeitpunkt an, wo die Labyrinthoperation erfolgen kann. 
Das Zustandekommen einer Infektion ist außerdem durch den 
vorhandenen Abfluß der Endolymphe erschwert, die mit einem 
gewissen, wenn auch geringen Drucke herausquillt — , für wei- 
teren Abfluß sorgt außerdem eine lockere Gazedrainage. 

Keineswegs soll damit aber gesagt sein, daß der Eingriff ein 
unbedeutender sei — , im Gegenteil hoffe ich in der bisherigen 
Darstellung zum Ausdruck gebracht zu haben, daß hier in jeder 
Beziehung die höchsten Anforderungen an die Gewandheit und 
Sicherheit des Operateurs zu stellen sind. Deshalb soll der opera- 
tive Eingriff auch hier für die Fälle reserviert bleiben, in denen 
alle sonstigen therapeutischen Maßnahmen versagt haben und das 
Leiden eine furchtbare Höhe erreicht hat. Diese und zukünftige 
operative Erfahrungen werden uns hier mit Sicherheit weiter 
bringen, damit wir nicht gezwungen sind, unsere Kranken ihrem 
Schicksale zu überlassen. 



XXII. 



über die Diplegia facialis mit besonderer Berücksichtigung 

ihrer Ätiologie. 



Von 

Dr. Fr. Röpke in Solingen. 



Die Veranlassuhg zu Studien über die Diplegia facialis gab 
mir der folgende Fall, den ich am 21. April dieses Jahres in der 
Versammlung der Vereinigung Westdeutscher Hals- und Ohren- 
ärzte vorzustellen die Ehre hatte: 

Der 25 jährige Fabrikarbeiter W. B. aus Höhscheid bei Solingen hat 
am 8. Oktober vorigen Jahres einen Unfall dadurch erlitten, daß er unter 
eme schwere Presse, welche er mit verschiedenen Arbeitskameraden zu 
transportieren hatte, geriet und vollständig von ihr begraben wurde. Der 
Patient wurde schwer verletzt in bewußtlosem Zustande in das städtische 
Krankenhaus in Solingen geschafft, wo zunächst eine Fraktur des linken 
Unterschenkels festgestellt wurde. Außerdem wurde eine Fraktur der Schädel- 
basis angenommen, weil Blutungen aus beiden Ohren, aus Mund und Nase 
stattfanden. Von äußeren Verletzungen wurden noch Quetschwunden auf dem 
rechten Warzenfortsatze und in der rechten Schläfe, außerdem auf der Mitte 
des Kückens festgestellt. 

Am 5. Tage nach dem Unfall kam Patient wieder zum Bewußtsein. 
Einige Tage später wurde ich zur Untersuchung des mitverletzten Gehör- 
organes konsultiert. Der Befund war folgender: Patient war vollkommen 
klar, man merkte, daß er unsere Fragen, falls sie laut gestellt wurden, ver- 
stand. Er war auch bemüht, zu antworten, wir konnten ihn aber nicht 
verstehen. Bei näherer Betrachtung fiel die vollständige Unbeweglichkeit 
beider Gesichtshälften auf. Das Gesicht war starr, wie eine Maske. Er 
konnte die Oberlippe nicht bewegen, die Augen nicht schließen. Es bestand 
also eine doppelseitige Facialislähmung. Die Bewegungen des linken 
Bulbus waren normal, auf der rechten Seite bestand eine geringe Abduzens- 
lähmung. Bei Blickrichtung nach der Seite trat Nystagmus auf. Andere 
Motilitätsstörungen waren nicht nachweisbar, auch war die Sensibilität im 
Gesicht und am Körper nirgendwo herabgesetzt. 

Die Untersuchung des Ohres ergab Blutkrusten in der Tiefe beider 
Gehörgänge. Ich hielt es nicht für ratsam, irgend etwas an den Ohren zu 
ton, legte Gazestreifen in die Gehörgänge und machte zum Abschluß gegen 
Infektionen von außen noch einen Verband um beide Ohren. Eine genaue 
Funktionsprüfung war nach Lage der Dinge nicht möglich, ich stellte nur 
fest, daß die Flüstersprache beiderseits nicht verstanden wurde. 

Ich sah dann den Patienten erst am 10. Januar dieses Jahres wieder, 
also 3 Monate nach dem Unfall, nachdem er aus dem Erankenhause ent- 
lassen worden war. Nach dem Berichte des Assistenzarztes des Kranken- 



156 XXII. ROPKE. 

hauses hatten in der dritten Woche nach dem Unfall beide Ohren ange- 
fangen, zu eitern. Sonst hatte der Patient in der Hauptsache über folgendes 
zu klagen : Er war hochgradig schwerhörig beiderseits, hatte starkes Bauschen 
in beiden Ohren, litt an Überempfindlichkeit gegen Geräusche auf der rechten 
Seite und war schwindelig. Er hatte Doppelbilder, die ihn besonders störten, 
da er die Augen nicht schließen konnte. Auf der rechten Seite der Zunge 
hatte er Gescnmacksstörungen, er konnte nicht ordentlich sprechen, das 
Kauen war ihm unmöglich, namentlich konnte er die Bissen nicht im Munde 
hin und her schieben. Rechts hatte er keine Tränenabsonderung und schließ- 
lich litt er auch noch an Kopfschmerzen auf der rechten Seite. Die Er- 
nährung des Patienten hatte große Schwierigkeiten, so daß er zusehends ab- 
magerte, er wog schließlich nur noch 84 Pfund. Die elektrische Erregbarkeit 
der beiden Faciales war schon in der zweiten Woche nach dem Unfall für 
den faradischen Strom erloschen. 

In der 7. Woche hatten die Doppelbilder nachgelassen, um dieselbe 
Zeit war der Geschmack auf der rechten Zungenhällte wieder zurückgekehrt, 
auch hatte die Sekretion aus dem linken Onre aufgehört. Sonst war der 
Zustand unverändert, als ich den Patienten am 10. Januar sah. Nur hatte 
sich sein Allgemeinzustand doch soweit gebessert, daß er sich mühsam eine 
kurze Strecke fortbewegen konnte. 

Der Ohrbefund war an dem erwähnten Tage folgender: 

Links bestand eine Narbe im vorderen Abschnitte des Trommelfelles. 
Flüstersprache wurde auf 30 cm gehört. Die Taschenuhr wurde vom Warzen- 
fortsatz und von der Schläfe aus gehört. Sämtliche Töne wurden durch 
Luftleitung perzipiert. Rinne war negativ. 

Rechts bestanden Granulationen im Gehörgang und zwar gingen sie 
von der vorderen Gehörgangswand aus; nach ihrer Abtragung sah man ein 
verdicktes und gerötetes Trommelfell, in dessen unterem Abschnitte eine 
Perforation war. Die granulierende Paukenschleimhaut i^igte in die Per- 
foration hinein. Flüstersprache wurde auf dieser Seite nicht gehört. Die 
Taschenuhr wurde auch hier vom Warzenfortsatz und von der Schläfe aus 
gehört. Tiefe Töne von Ci abwärts wurden durch Luftleitung nicht perzipiert. 
Rinne stark negativ. 

Patient hatte noch Singen und Klingen im rechten Ohr, femer Nys- 
tagmus bei Blickrichtung nach den Seiten. Es bestand noch totale Facialis- 
lähmung beiderseits: Das Gesicht blieb vollkommen starr, die Oberlippe 
stand nach vom und war verdickt, die Gesichtsmuskulatur war stark 
atrophisch. Bei Blickrichtung nach oben und nach unten trat Schwindel- 
gefühl auf. Deutliches BeiFsches Phänomen. Das Gaumensegel stand 
nicht schief. 

Die weitere Behandlung des Patienten wurde mir dann von der Berufs- 
genossenschaft übertragen. Die Sekretion aus dem rechten Ohr blieb nach 
wie vor fötid. Ende Januar stieß sich der kariöse Hammer ab, der an- 
scheinend disloziert gewesen war. Die Abtragung der Granulationen hatte 
gar keinen Erfolg, nach jeder Wegnahme überwucherten sie bald wieder 
die Ränder der Perforation. Dem Patienten, der jeden zweiten Tag in 
meine Sprechstunde kam, war es besonders unangenehm, wenn ihm Regen. 
Schnee oder Staub ins Gesicht und in die Augen flog. Er hatte auch alle 
Augenblicke Fremdkörper im Auge. Eine Schutzbrille schaffte nach dieser 
Richtung hin Besserang. 

Als auch die Schmerzen im Hinterkopf schlimmer wurden, schlug ich 
dem Patienten und der Berufsgenossenschaft die Radikal Operation vor. Diese 
Operation wurde ani 9. März ausgeführt. Bemerken möchte ich, daß der 
linke Facialis in den letzten Tagen vor der Operation angefangen hatte, 
etwas zu funktionieren. 

Nach Freilegung des Knochens sah man, daß der rechte Warzenfortsatz 
bei der Verletzung frakturiert gewesen war. Es verlief eine tiefe Rinne von 
hinten unten nach vom oben über den Warzenfortsatz. Die Zellen des 
Warzenfortsatzes waren eingedrückt worden. In dem mit Eiter und Granu- 
lationen angefüllten Hohlräume lagen nekrotische Knochenstücke. Dem 
Hohlraum lag der mit Granulationen bedeckte Sinus an. Am Tegmen 



über die Diplegia facialis mit besond. Berücksichtigung ihrer Ätiologie. 157 

tympani und antri bestanden Osteophytenbildungen, andere Anzeichen für 
die überstandene Fraktur des Felsenbeines waren nicht nachweisbar. 

Nach der Operation trat zunächst einige Tage vermehrter Schwindel 
auf. Dann besserte sich das Allgemeinbefinden zusehends. Der linke 
Facialis erholte sich immer mehr, auch der untere Ast des rechten Facialis 
zeigte Spuren von Bewegung. Das Klingen im rechten Ohr verlor sich. 
Der Patient wiegt jetzt (Mitte Mai) 105 Pfund. Die Knochenhöhle epi- 
dermisiert sehr langsam, was bei dem immerhin noch schlechten Ernährungs- 
zustande nicht zu verwundern ist. 

Wir haben in diesem Falle zwischen der Facialis- Läsion 
rechts und links einen Unterschied zu machen: Links ist der 
Nerv anscheinend im peripheren Teile des Canalis Fallopiae ge- 
troffen worden, wahrscheinlich hat es sich um eine Blutung in 
diesen Kanal gehandelt. Rechts deuten die schweren Hörstörungen, 
die Überempfindlichkeit gegen Geräusche, das Versiegen der 
Tränensekretion und die Geschmacksstörungen darauf hin, daß 
der Nerv zentralwärts vom Abgange des Nervus petrosus .super- 
ficialis major am Ganglion Geniculi getroffen worden ist. 

Bemerkenswert ist in diesem Falle noch die Versiegung 
der Tränen Sekretion, da man neuerdings zu der Ansicht 
neigt, daß der Facialis mit der Tränensekretion nichts zu tun hat, 

Die ätiologischen Momente, welche zur Diplegia facialis 
führen können, sind so vielseitig, daß es mir nicht unfruchtbar 
erschien, sie einmal an dieser Stelle zusammenzustellen, zumal 
gerade wir Ohrenärzte doch so häufig mit dem gesunden so- 
wohl, wie mit dem kranken Facialis in Berührung kommen. 
Wir haben zu unterscheiden zwischen der congenitalen und 
der erworbenen Diplegia facialis. 

Die congenitale Form ist selten und ist in den wenigen 
in der Literatur bekannt gewordenen Fällen auf eine Verkümmerung 
oder auf einen vollständigen Mangel der Facialiskerne zurück- 
geführt worden. Diese Annahme wird gestüzt durch eine Mit- 
teilung Heubners (1), der bei der Sektion eines derartigen Falles, 
bei dem auch noch Lähmungen anderer Hirn nerven bestanden 
hatten, eine vollständige Aplasie der betreffenden motorischen 
Himnervenkerne fand. 

In anderen Fällen waren neben der Diplegia facialis keine 
sonstigen Lähmungen vorhanden. So beobachtete Bernhardt (2) 
ein 10 Monate altes Kind, das mit Diplegia facialis auf die Welt 
gekommen war und sonst keine Defekt- oder Hemmungs-Bildungen 
aufwies. In wieder anderen Fällen waren mehrere Familienmitglieder 
mit dieser entstellenden Mißbildung auf die Welt gekommen, auch 
hatten andere Geschwister und Blutsverwandte andere angeborene 



158 XXU. ROPKE. 

Defekte. Kost er (3) sah Diplegia facialis bei zwei Brüdern, jeg- 
liche andere Störangen fehlten. Auch Thomas (4) stellte diese Affek- 
tion bei zwei Brüdern fest, welche sonst vollständig gesund waren. 
Die Mutter dieser beiden letzten Patienten hatte außerdem noch 
ein Kind mit verkrüppeltem Fuß geboren, ebenso hatte eine Ver- 
wandte ein Kind mit angeborener Verkrüppelung eines Fußes. 

Bei Mißbildung des Gehörorganes hat man verschiedentlich 
einseitige Facialislähmung beobachtet. Ich habe in der Literatur 
aber keinen derartigen Fall gefunden, bei dem der Facialis doppel- 
seitig gelähmt war. 

Die erworbene Diplegia facialis wollen wir einteilen in 
die traumatische und nichttraumatische Form: 

Bei Traumen des Schädes können die Faciales in ihrem ganzen 
Verlaufe mitlädiert werden. Beginnen wir ganz peripher, so ist 
es selbstverständlich, daß zufällig bei Verletzungen der Parotis- 
gegend beiderseits auch eine beiderseitige Facialislähmung zu- 
stande kommen kann. 

Eine einseitige Facialislähmung durch Zangendruck bei 
der Geburt ist nichts Seltenes, man hat aber auch allerdings nur 
in einem einzigen Falle (Bernhardt) (5) eine doppelseitige Facialis- 
lähmung auf dieser Grundlage beobachtet. 

Am leichtesten können beide Faciales gleichzeitig in ihrem 
Verlaufe zwischen Foramen stylo-mastoideum und dem Eintritt in 
den Porus acusticus internus verletzt werden und dann in der 
Regel in Verbindung mit einer Fraktur der Schädel- 
basis. 

Da bei derartigen Verletzungen stets das Gehörorgan in irgend 
einer Weise mit alteriert^wird, so werden die Verletzungen dieses 
Teiles des Facialis meistens dem Ohrenarzte zu Gesicht kommen. 
Im Ganzen habe ich drei solcher Fälle in der Literatur auffinden 
können, zu denen als vierter mein oben beschriebener Fall hinzu- 
kommt. 

Politzer (6) hat einen Fall gesehen, bei dem die Funktion 
beider Nerven vollständig wiederhergestellt wurde, er nimmt an 
daß es sich nur um eine Blutung in den Ganalis Fallopiae ge- 
handelt hat. In den beiden anderen Fällen von Lannois 
et V ach er (7) und von K6tli (8) bestand neben der kompletten 
Diplegia facialis eine totale Taubheit beiderseits. Beide Fälle 
waren irreparabel; hier lag nach Ansicht der Autoren eine Zer- 
reißung der Faciales und der Acustici im Porus acusticus inter- 
nus vor. 



über die Diplegia facialis mit besond. Berücksichtigung ihrer Ätiologie. 159 

Daß auch durch beiderseitige operative Maßnahmen am 
Mittelohr oder in dem peripher vom Foramen stylo-mastoideum 
gelegenen Facialisgebiete gelegentlich eine Diplegia facialis er- 
zeugt werden kann, muß hier erwähnt werden: Ein Fall von 
doppelseitiger Facialislähmung nach Warzenfortsatz- Auf meißlung 
beiderseits ist, wir mir ein Kollege zuverlässig mitteilte, in Berlin 
Anfang der neunziger Jahre durch die Ohrenpolikliniken ge- 
wandert. 

Wenn wir uns nun die Möglichkeiten vergegenwärtigen, durch 
die eine intrakranielle traumatische Diplegia facialis zustande 
kommen kann, so kommen hier zunächst Blutungen an der Schädel- 
basis in Betracht, welche eine Drucklähmung erzeugen können. 
Auch weiter zentralwärts können im Anschluß an schwere Schädel- 
verletzungen die Bahnen der Faciales durch einen Bluterguß oder 
durch seröse Durchtränkung des Gehirns gleichzeitig so gedrückt 
werden, daß eine beiderseitige Lähmung eintritt. 

Die Besprechung der Ätiologie der nichttraumatischen 
erworbenen Diplegia facialis nehmen wir auch wieder am 
zweckmäßigsten an der Hand des anatomischen Verlaufes des 
Nerven vor, und zwar, indem wir analog dem Vorhergehenden 
von seinem peripheren Ende bis zur zentralen Bahn vordringen: 

Daß beide Faciales bei eventuellen beiderseitigen Affek- 
tionen der Parotis (Entzündungen, Eiterungen, Tumoren) oder 
bei den gleichen beiderseitigen Affektionen am Halse oder im Ge- 
sicht, entweder durch bloßen Druck oder durch direktes Mit- 
ergriffensein gelähmt werden können, ist wohl selbstverständlich. 
Eine häufigere Veranlassung zur Diplegia facialis bietet sich aber 
in Verbindung mit Affektionen des Mittelohres. Da der 
Facialiskanal bei manchen Individuen der Paukenhöhle entweder 
ganz offen oder nur unvollkommen geschlossen anliegt so können 
bei solchen Patienten Eiterungen des Mittelohres leicht auf den 
Facialiskanal übergreifen. Selbst bei akuten exsudativen Prozessen 
in der Paukenhöhle kann in solchen Fällen eine Drucklähmung 
der Faciales zustande kommen. Eine umfassende Arbeit über die 
Paralyse des Nervus facialis im Anschluß an Otitis media acuta 
stammt von Vogt (9) aus der Heidelberger Ohrenklinik. Eine 
doppelseitige Lähmung wird von diesem Autor nur bei einem 
Falle und zwar in Verbindung mit Lungentuberkulose im vor- 
geschrittenen Stadium angeführt. Der Fall ist von Ehrmann(lO) 
beschrieben worden: Die Sektion ergab, daß die Wände des 
Facialiskanales im Mittelohr gesund und intakt waren. „Der 



160 XXII. ROPKE. 

Nervus facialis bot keine makroskopischen Veränderungen dar, 
die mikroskopische Untersuchung ergab eine eitrige Infiltration 
unter dem Neurilemm. 

Außer den tuberkulösen Mittelohreiterungen sind es von den 
akuten Formen noch die bösartigen Scharlach- und Diphtherie- 
Eiterungen, welche auch vor dem vollständig geschlossenen Facialis- 
kanale keinen Halt machen. Eine Diplegia facialis im Anschluß 
an eine Diphtherie -Mittelohreiterung haben Wreden(ll) und 
Konietzko(l2) beobachtet. 

Von den chronischen Eiterungen sind es wieder die tuber- 
kulösen Formen^ dann aber auch die Fälle mit Cholesteatom- oder 
Polypenbildung im Mittelohr, bei welchen durch Eiterretention 
eine Karies des Facialiskanales und in der Folge eine Lähmung 
der Faciales eintreten kann. Grunert und Leutert(13) haben eine 
beiderseitige Lähmung bei tuberkulöser chronischer Mittelohreiterung, 
Tröltsch(14) bei Polypenbildung, Ludewig(15) bei Karies des 
Felsenbeines undMax(16) bei Ausstoßung der Schnecke eintreten 
sehen. 

Im Anschluß an die otogene Facialislähmung ist die so- 
genannte recidivierende oder rheumatische Form zu be- 
sprechen, welche, wenn auch selten, auf beiden Seiten gleichzeitig 
auftreten kann. Die Ätiologie dieser peripheren Facialislähmung 
ist noch dunkel. In einem Teil der dieser Eubrik zugezählten 
Fälle dürfte es sich sicher um nicht erkannte Lähmungen otogenen 
Ursprunges gehandelt haben, in anderen Fällen hat man dagegen 
Affektionen des Mittelohres mit Sicherheit ausschließen können. 
Man muß in diesen Fällen bei denen die pathologisch -anatomische 
Unteruschung wiederholt den Befund der peripherenNeuritis 
ergeben hat, wohl an einen infektiösen Prozeß denken. Näheres 
siehe in den Arbeiten von Hoffmann(17), Hatschek(l8), 
Minkowski(l9), Donath(20), Krüger(21), Steiger(22J, 
Fuchs(23). 

Auch im Verlaufe einer Polyneuritis kann eine Diplegia 
facialis auftreten: Unter den durch exogene Intoxikationen 
bedingten Formen hat man einigemale bei der Polyneuritis 
alkoholica doppelseitige Facialislähmung beobachtet, so z. B. in 
einem von Sinigar{24) veröffentlichten Falle, bei dem es sich 
um einen 45jährigen Trunkenbold handelte. Außer der Diplegia 
facialis bestanden noch Augenmuskellähmungen. 

Bei Arsen-, Blei-, Quecksilber-, Schwefelkohlenstoff-Polyneu- 
ritiden sind doppelseitige Facialislähmungen nicht beobachtet worden. 



über die Diplegia facialis mit besond. Berücksichtigung ihrer Ätiologie. 161 

unter den durch Autointoxikation bedingten Polyneu- 
ritiden sind außer bei Tuberkulose und Lues auch bei Diabetes 
doppelseitige Facialislähmungen gesehen worden. Benedict(25) 
konnte den drei Fällen von Polyneuritis diabetica mit Diplegia 
facialis, welche er in der Literatur fand, einen selbst beobachteten 
vierten Fall hinzufügen. In diese Katogorie fällt auch die Polyneu- 
ritis leprosa, welche vielfach schon frühzeitig mit doppelseitiger 
Facialislähmung einhergeht. 

Bei der Polyneuritis nach Infektionskrankheiten kommt 
nur sehr selten doppelseitige Facialislähmung vor: Maingauld(26) 
hat einen Fall im Anschluß an Diphtherie beobachtet, H ats che k (18) 
im Anschluß an Mumps. 

Bemerkenswert ist, daß auch bei Tetanus einigemalc Diplegia 
facialis aufgetreten ist und zwar bei Patienten, bei welchen die 
Wunde in der Mitte des Gesichts lag. 

In einem Falle von Diplegia facialis, den Rigani (27) ver- 
öffentlicht hat, hatte der Patient wegen eines Hundebisses 15 Tage 
hindurch eine präventive antirabische Kur gebraucht, als sich die 
doppelseitige totale Facialislähmung zeigte. Ob die Annahme des 
Autors, daß die Lähmung durch das antirabische Toxin entstanden 
war, richtig ist, müssen wir dahingestellt sein lassen. 

Bei Erkrankungen an der Schädelbasis kann selbstverständ- 
lich auch doppelseitige Facialislähmung eintreten. Wir nennen hier 
in erster Linie kariöse oder nekrotische Herde auf tuberkulöser oder 
luetischer Grundlage. Ferner können abnorme Flüssigkeitsansamm- 
lungen seröser oder eitriger Natur oder Tumoren an der Schädel- 
basis Drucklähmungen beider Faciales erzeugen. 

In einem Falle von Meningitis serosa, die an der Basis loka- 
lisiert war, beobachtete Cassels(28) z. B. neben Lähmungen der 
Sinnesorgane und der willkürlichen Muskeln auch doppelseitige 
Facialislähmung. Die Tumoren können entweder von den Schädel- 
basisknochen oder von den Meningen ausgehen. Von den in Be- 
tracht kommenden Tumoren sind besonders die Neurofibrome zu 
erwähnen, welche sich nicht so sehr selten in dem ponto-medullo- 
cerebellaren Räume entwickeln. Unter mehreren Neurofibrom-Fällen 
in dieser Gegend sahen Fraenkel und Hurt (29) auch einen, 
bei dem eine Diplegia facialis bestand. 

Sämtliche Erkrankungen des Bückenmarks, die sich bis 
zur MeduUa oblongata erstrecken und die Kerne des Facialis er- 
reichen, können naturgemäß zu doppelseitiger Facialislähmung 
führen. Dabei ist zu bemerken, daß bei der Tabes nur äußerst 

Archiv f. Ohrenheilkunde. 73. Bd. Festschrift. 11 



162 XXII. RÖPKE. 

selten eine Facialislähmung eintritt. Auch bei der Syringobulbie 
wird der Facialis selten und dann in der Begel nur einseitig 
mitergriffen. Dagegen kommen im Verlaufe der amyotrophischen 
Lateralsklerose und der amyotrophischen Bulbärparalyse doppel- 
seitige Facialislähmungen häufiger vor. 

Erkrankungen des Hirnstammes führen dann leicbt zu 
Diplegia facialis, wenn die Affektion von der Mittellinie ihren Ur- 
sprung genommen hat. Eingehende Untersuchungen über die 
Schädigungen, welche die Tumoren dieser Gegend hervorrufen, 
verdanken wir u. A. Siebenmann (30). Daß bei Abscessen im Pons 
der Facialis doppelseitig gelähmt werden kann, wird von Kör ner(31) 
erwähnt. Auch luetische Herde in dieser Region kommen hier in 
Betracht. Phillips (32) sah einen solchen Fall: Außer der Diplegia 
facialis bestand beiderseits Taubheit. Der Autor nahm eine Affek- 
tion des Pons an. Durch antiluetische Kur wurde Besserung 
erzielt. 

Femer kommen bei der akuten bulbären Myelitis und bei 
der Encephalitis acuta doppelseitige Facialislähmungen vor, wie 
z. B. aus Fällen von Wolfe(33), Etter(34), Hoppe-Seyler(35), 
hervorgeht. 

Schließlich ist hier noch ein eigenartiger Fall von Diplegia 
facialis einzureihen, der von den Franzosen Labadie-Lagrave 
et B oix (36) veröffentlicht worden ist: Eine 29 jährige Frau hatte im 
Anschluß an ein fieberhaftes Wochenbett einen schweren Herz- 
fehler bekommen. Zugleich mit Schmerzen im Nacken stellte sich 
kurze Zeit darauf plötzlich eine Lähmung der linken und drei 
Tage später auch der rechten Gesichtshälfte ohne jegliche andere 
Lähmungserscheinungen ein. Die linksseitige Facialislähmung ging 
wieder zurück, die rechtsseitige blieb bestehen. Die Autoren glauben, 
daß eine Embolie der den Facialiskern versorgenden Gefäße den 
Grund zu der Lähmung abgegeben hatte. 

Der Vollständigkeit halber muß noch erwähnt werden, daß 
eine zentrale Diplegia facialis auch bei etwaiger beiderseitiger 
Affektion (multiple Abscesse, Tumoren, luetische Herde) der 
Facialisbahn des (jroßhirns eintreten kann. 

Interessant sind die Fälle von Diplegia facialis, bei denen die 
Lähmung der beiden Seiten aus verschiedenen Ursachen erfolgt 
ist. So kann es vorkommen, daß die Lähmung auf der einen 
Seite peripherer, auf der andern Seite dagegen zentraler Natur ist. 
Bernhardt(5) hat folgenden Fall gesehen: Ein Kind hatte im 
Verlaufe von Diphtherie durch einen Hirnherd eine Hemiplegie 



l 



über die Diplegia facialis mit besond. BerücksichtiguDg ihrer Ätiologie. 16S 

mit Facialislähmung erlitten. Während derselben Krankheit trat 
später eine otogene Facialislähmung auf der nicht hemiplegischen 
Seite auf. Ganz besonders interessant ist auch ein von Oppen- 
heim beschriebener Fall, den Bernhardt an derselben Stelle 
zitiert: Ein luetischer Patient bekam ein Hemiplegie mit Facialis- 
lähmung. Später wurde der Facialis der anderen Seite peripher 
gelähmt und zwar durch eine basale gummöse Meningitis, welche 
auf derselben Seite entstanden war, wie der luetische Himherd, 
der zu der zentralen Facialislähmung geführt hatte. 

In der Literatur sind noch einige Fälle von Diplegia facialis 
verzeichnet, bei denen für die Lähmung entweder einer oder auch 
beider Seiten eine hysterische Grundlage angenommen wurde: 
Brück (37) stellte im vorigen Jahre in der Berliner Otologischen 
Gesellschaft eine hysterische Patientin vor, die im Anschluß an 
die Badikaloperation eine traumatische Facialislähmung auf der 
operierten Seite bekommen hatte, einige Zeit später stellte sich 
auf der anderen Seite auch eine Lähmung ein, die vom Vor- 
tragenden für eine hysterische gehalten wurde. M c. Kerno n (38) be- 
obachtete folgenden Fall : Eine Woche nach einseitiger Stacke'scher 
Operation trat bei einer Patientin eine doppelseitige Facialislähmung 
ein, welche der Autor nur als hysterische deuten konnte. Ein dritter 
Fall stammt von Lukäks(39): Es handelte sich um ein 19 jähriges 
Mädchen, das zunächst eine rechtsseitige und ein halbes Jahr später 
auch eine linksseitige Gesichtslähmung bekam. Die Lähmung war 
nicht vollständig, auch wechselte der Grad der Lähmung durch 
seelische Einflüsse. Elektrische Veränderungen fehlten. Aus allen 
diesen Gründen nimmt der Verfasser Hysterie an. 

Die Symptome der Diplegia facialis sind so markant, daß 
die Diagnose allgemeinhin leicht zu stellen ist: Die mimischen 
Bewegungen fehlen bei den Patienten vollständig, das Gesicht ist 
starr, wie eine Maske. Die Augen können nicht geschlossen werden, 
der Mund steht offen, die Oberlippe steht rüsselartig nach vom. Die 
Sprache ist undeutlich, Lippenlaute können überhaupt nicht gebildet 
werden. Das Kauen und der Schluckakt sind erschwert. Während 
die genannten Symptome allen Fällen gemeinsam sind, können je 
nach dem Ort, an dem die Faciales getroffen sind, noch eine Reihe 
von anderen Symptomen auftreten (vergl. meinen oben beschriebenen 
Fall). Es ist hier nicht der Ort, die ganze aufs subtilste aus- 
gearbeitete Diagnostik der B'acialislähmungen aufzurollen, ich ver- 
weise dazu auf die neurologischen Lehrbücher. Im allgemeinen 

ist zu sagen, daß der Arzt, welcher die Anatomie des Facialis be- 
ll* 



164 XXU. RÖPKE. 

herrscht, sich über den speziellen Sitz der Lähmung des ihm je- 
weilig zu Gesicht kommenden Falles an der Hand der bestehenden 
Symptome leicht orientieren kann. Selbstredend sind bei doppel- 
seitiger Facialislähmung beide Seiten getrennt zu untersuchen, da, 
wie bereits oben erwähnt worden ist, nicht allein der Grad, 
sondern auch der Sitz der Lähmung für beide Seiten verschieden 
sein kann. 



Literatur : 



1. Heubner: zit. bei Bernhardt: Die Lähmungen der peripherischen 
Nerven (Die Deutsche Klinik. VI, 1). 

2. Bernhardt: Über die angeborene Facialislähmung (Festschiift für 
M. Jaffe. pag. 34. ref. Schmidt's jSirbücher Bd. 273, S. 167). 

3. Eöster: Beiträge zur Lehre von der Lähmung des Nervus facialis 
(Deutsches Archiv für klin. Medizin. 1900. S. 343). 

4. Thomas: Congenital facial paralyses. (Journal of nerv, and mental 
diseases. Aug. 1S98.) 

5. Bernhardt: Die Lähmungen der peripherischen Nerven, (siehe oben.) 

6. Politzer: Sitzung der Österreichischen Otol. Ges. 26. Okt 1897. (ref. 
Zeitschrift f. Ohrenheilk. Bd. 32, S. 263.) 

7. Lannois etVacher: Surdit6 et diplegie faciale par fracture double 
des rochers. (Annales des mal de l'oreille etc. 1902, Nr. 4.) 

8. Ketli: Wiener med. Presse 1875. zit. bei Tomka: Beziehimgen 
des Nerv, facialis zu den Erkrankungen des Gehororganes. (Arch. f. Ohrenh. 
Bd. 49, S. 48.) 

9. Vogt: Die Paralyse des Nervus facialis im Anschlüsse an Otitis 
media acuta. (Dissertation Heidelberg.) 

10. Ehrmann: Remarques sur un cas de paralysie faciale double con- 
säcutive ä une double otite. (Gaz. med. de Strassbourg 1862, zit. bei Vogt.) 

11. Wreden: Monatsschrift für Ohrenheilk. Bd. 11, S. 10.) 

12. Konietzko: Ein Fall von Otitis media diphtheritica. (75. Vei-s. 
Deutscher Naturf. und Ärzte in Kassel 1905. Zeitschr. f. Ohr. Bd. 45, S. 303.) 

13. Grunert und Leutert: Jahresbericht über die Tätigkeit der 
Königlichen Universitäts-Ohrenklinik zu Halle vom 1. April 1894 bis 1. April 
1895. (Arch. f. Ohr. Bd. 42, S. 243.) 

14. Tröltsch: Grubers Lehrbuch für Ohrenkrankheiten (zit. bei 
Tomka 1. c.) 

15. Ludewig: Arch. f. Ohrenh. Bd. XXL 

16. Max: Doppelseitige Nekrose der Schnecke mit consecutiver Me- 
ningitis und letalem Verlauf. (Wiener med. Wochenschr. 1891, Nr. 48.) 

17. Hoffmann J.: Zur Lehre von der pheripherischen Facialislähmung. 
(Deutsche Zeitschrift für Nervenheilk. 1894, S. 72.) 

18. Hatschek: Zur Kenntnis der Ätiologie der peripheren Facialis- 
paralyse. (Jahrb. für Psychiatrie 1894. S. 37.) 

19. Minkowski: Zur pathologischen Anatomie der rheumatischen 
Facialislähmung. (BerL klin. Wochenschrift 1891, Nr. 27.) 

20. Donath: Über recidivierende Facialislähmung. (Wiener klin. 
Wochenschrift 1894, S. 52.) 

21. Krüger: Über einen Fall von doppelseitiger peripherischer Facialis- 
lähmung. (Dissertation Berlin 1889.) 

22. St eng er: Die rheumatische Facialisparalvse und ihre ätiologischen 
Beziehungen zum Ohr. (Deutsches Arch. f. klin. Medizin 1904. S. 583.) 

23. Fu chs: Die periphere Facialislähmung und ihre Behandlung. (Wiener 
med. Presse 1907. Heft 6 u. 7.) 

24. Sin ig ar: A case of ophthalmoplegia externa and paralysis of 
both facial nerves. (Brit. med. Journal 15. Juli 1899.) 



über die Diplegia facialis mit besond. Berücksichtigang ihrer Ätiologie. 165 

25. Benedict: Diabetes mellitus mit Diplegia facialis. (Budapesti 
Orvosi Njsag. 1904, Nr. 2. ref. Schmidt's Jahrb. Bd. 286, S. 46.) 

26. Maingauld: cit bei Eichhorst. Lehrbuch der Nervenkrankheiten 
Seite 15. 

27. Rigani: Ein Fall von Diplegia facialis. (Spitalul. XXIII, 8, S.316.) 

28. Cassels: Brit med. Joum. 1874. (ref. Arch. f. Ohrenh. Bd. XX.) 

29. Fraenkel u. Hurt: Tomorendesponto-medullo-cerebellaren Raumes. 
(Medical Record. 20. Dez. 1903. S. 1001. ref. Zeitschr. f. Ohrenh. Bd. 47, S. 411.) 

30. Siebenmann: Über die* zentrale Hörbahn und ihre Schädigungen 
durch die Geschwülste des Mittelhims etc. (Zeitschr. f. Ohrenh. Bd. 29, S. 28.) 

31. Körner: Die otitischen Erkrankungen des Gehirns etc. (J. F. Berg- 
mann ni. Aufl., S. 162.) 

32. Phillips: Ein Fall von doppelseitiger Facialisparalyse auf spezi- 
fischer Basis. (New-Yorker Otol. Ges. 26. Mai 1903. Zeitschrift für Ohrenh. 
Bd. 47, S.599.) 

33. Wolfe: Poliencephalitis superior acuta. (Joum. of. Nerv, and mental 
diseases April 1894.) 

34. Etter: Zwei Fälle von akuter Bulbärmyelitis. (Eorrespondenzbl. für 
Schweiz. Ärzte. 1882. Nr. 23 u. 24.) 

35. Hoppe-Seyler: zit. bei Oppenheim: Die Encephalitis und der 
Himabszess. (Wien 1897. Hölders Verlag.) 

36. Labadie-La^rave et Boix: Sur un cas de dipl(3gie faciale totale 
d'origine arterielle. (Aren. g6n. de Med. Jan. 1896. S. 23. ref. Schmidts Jahrb. 
Bd. 251, S. 23.) 

37. Brück: Vorstellung eines Falles von doppelseitiger (traumatischer 
nnd hysterischer) Facialislähmung (Berl. ötol. Ges. 13. Febr. 1906. Zeitschr. 
f. Ohrenh. Bd. 51, S.287. 

38. Mc. E e r n n : Facialisparalyse beiderseits nach einseitiger Stacke'scher 
Operation. (Verf. der New-Yorker otol. Ges. 24. März 1903. Zeitschr. f. Ohrenh. 
Bd. 45, S. 178.) 

39. Lukäks: Diplegia facialis hysterica. (Wiener klin. Wochenschr. 
1901. XIV 6.) 



XXIII. 



Kongenitale Facialislähmnng mit angeborener Taubheit 
nnd Hissbildnng des äusseren Obres. 



Von 

Prof. Kretschmanu. 

(Mit 2 Abbildungen.) 



Mißbildungen der Ohrenmuschel größeren und geringeren 
Grades sind ein nicht gerade seltenes Vorkommnis, und Miß- 
bildungen des Gehörganges und des Mittelohres finden sich häufig im 
Gefolge kongenitaler Ohrmuschelabnormitäten. Dagegen scheint 
eine gleichzeitige Verbildung auch des schallempfindenden Appa- 
rates ziemlich selten zu sein. Ein Fall, der kongenitale Störungen 
in allen drei Abteilungen des Gehörorgangs aufweist, würde aus 
diesem Grunde schon eine Beschreibung rechtfertigen. Das Interesse 
an ihm aber erhöht sich noch durch die Komplikation einer an- 
geborenen Facialislähmnng auf der gleichen Seite der Miß- 
bildung. In diesem gleichzeitigen Zusammentreffen kongenitaler 
Mißbildung aller Abschnitte des Gehörorganes und angeborener 
Paralyse des Gesichtsnerven scheint mir der in Rede stehende 
Fall einzig dazustehen. Ich vermochte wenigstens einen andern 
ihm in allen Punkten entsprechenden in der Literatur nicht auf- 
zufinden. 

Friederike K. ist zurzeit 33 Jahr alt. Sie mißt in der Länge 145,5 cm. 
Der Vater ist im 54. Lebensjahr an den Folgen eines Nervenschlages in einer 
Irrenanstalt gestorben, die Mutter mit 64 Jahren im Siechenhaus. Von zehn 
Geschwistern, bei denen Mißbildungen nicht zu verzeichnen waren, sind 6 
in den ersten Lebensjahren verstorben. Die vier Überlebenden, von denen 
unsere Patientin die jüngste ist, sind alle weiblichen Geschlechts und erfreuen 
sich, abgesehen von unserer Kranken, einer guten Gesundheit. Friederike 
K. ist ohne Kunsthilfe geboren. Während ihre Geschwister sämtlich die 
Mutterbrust erhalten haben, wurde sie mit der Flasche aufgezogen, da sie 
nicht im Stande war, an der Brust zu saugen. Gleich bei der Geburt wurde 
außer dem nahezu völligen Fehlen der r. Ohrmuschel eine Unbeweglichkeit der 
rechten Gesichtshälfte bemerkt. Laufen hat sie erst im dritten LehensjahFe 
gelernt. In den ersten Schuljahre^ bildete sich eine Rückgratverkrümmung 
aus. Außer den Kinderkrankheiten hat sie in den ersten Dezennien keine 



Kongenitale Facüüislähmung mit angeborener Taubheit usw. 167 

weiteren Erkrankun^n durcligemacbt. Erst in den letzten beiden Jahren stellte 
sicli ein Lungenkatarrh ein und im Auswurf zeitweilig Koch'sche Bazillen. 
Bei der Inspektion fallt in erster Linie das vollständige Fehlen dei' 
rechten Ohrmuschel auf, nur auf dem aufsteigenden Eieforast ungef^r an 
der Grenze zwischen oberem und mittlerem Drittel findet sich em kleiner 
pyramidenförmiger Höcker, dessen Basis und Höhe ca. 6 mm betrafen. Seine 
Fi>nn erinnert an den Tragus. Man fühlt deutlich einen knorpligen Kern, 
der Mch leicht verschieben läßt. Eine Asymmetrie der beiden Dnter-Kiefer- 
bSift«n bt nicht vorhanden Der M. sternocleido. ist deutlich sichtbar, der 
Pruc. mastoid. fQhlbar, letzterer ein Diittel so groß, wie derjenige der linken 
Seite. Zwischen aufsteigendem Kieferast Proc. maatotd. und oberem Ende 
des H. sternodeido. markiert sich eine tief eingezogene Grube, in welche 
man bequem das Daumenglied legen kann. Der palpierende Einger erhält 
den Eindruck, daß nur VTcichteile den Grund dieser Grube bilden. Erst bei 
tieferem Eindrucken fühlt man einen walzenförmigen, nach unten apita 
eudenden Knochen, dessen Form dem proc styloideus entspricht. Nach 
oben findet uch knöcherner Widerstand, ungefähr 2 cm überhalb des deut- 
lich fühlbaren Kiefergelenkkopfes. 



Fig. 1. 

Das Naseninnere weist normale Verhältnisse auf, desgleichen der Nasen- 
rachenraum. Die Tubenosticu sind nach Form und Lage symmetrisch. Der 
KathedrismuB gelingt leicht. Auskulltiert man mittäat eines Otoscopes, 
dessen für den Krajiken bestimmtes Ende einen Trichter von 4 em Durch- 
messer hält, in der Weise, daß der Trichterrand auf die Temporalregion der 
zu untersuchenden Pcraon aufgesetzt wird, so hßrt mau ein schwaches, fernes 
Biasegeräuscbe, wie es bei undurchgäng^gcr Tuba aufzutreten pflegt Eine 
Bougie kann 30 mm weit über das Schnabclciide des Katheders vorgeschoben 
weraen und etöGt dann auf unüberwindlichen Widerstand. 

FIfisterworto werden bei fest verschlossenem gesunden Ohre nicht wahr- 
genommen. Ebensowenig die durch Luftleitung zugefUhrten Stimmgabel- 
töne von & bis c'. c' und c' werden bei starkem Anschlag gehört. Der 
Ton dner auf den Schädel aufgesetzten tönenden Stimmgabel wird an die 
Stelle des Aufsetaens verlegt, gleichgültig, ob das gesunde Ohr verschlossen 
oder offen ist 

Die Uhr wird per Luftleitung rechts nicht gehört, dagegen beim Anlegen 
ao den Schädel. Patientin hat dabei den Eindruck, daß die Wahrnehmung 
mit dem linken, gesunden Ohre erfolge. 



168 XXm. KRETSCHMANN. 

Die zweite in die Augeo fallende Abnormität ist die mangelhafte zum 
Teil völlig aufgehobene Beweglichkeit der rechten GesiehtanäJfte. Eine 
eigentliciie Asymmetrie des Gesichtes in dem Sinne, daß die rechte Hälfte 
im Wachstum zurückgeblieben wäre, besteht nicht. Die rechte Naaolabial- 
falte ist weniger aasgesprochen als die linke. Kechtereeits fehlen an der 
Stirn die Falten, welche sich links deutlich markieren. Das rechte Ange 
kann nicht eesehlossen werden. Wird der Lidschluß intendiert, so dreht sich 
dec Augapfel etwas nach oben und innen. Bei den unwillkürlichen Lidachlüssen 
beteiligt sich nur das linke Auge. Stimmnzeln kann rechts weder in I.>ängs- 
noch in Quorfalten ausgeführt werden, während links diese Bewegung sich 
sehr deutlieh ausprägt. Die Nasenlöcher sind gleich weit, beim Nasenrümpfen 
geht die Hebung des NasenflDgels reclite, wenn auch schwächer als hnks 
von statten. In der Ruhelage ist von einer Verzerrung des Mundes nichts 
zu bemerken, dagegen bleibt beim Sprechen und Lachen der rechte Mund- 
winkel auffallend zurück. Pfeifen und Mundspitzen kann anstandslos aus- 
geführt und ebenso der rechte Mundwinkel nach rechts verzogen werden. 
Für die Palpation zwischen zwei Fingern erscheint die rechte Wange dünner 
und mangelhafter entwickelt; trotzdem findet ein Autblähen oder Flattern 
deraelbeu beim Aussprechen von Labiaten nicht statt, ebensowenig sind 
beim Essen und Trinken Störungen vorhanden. Die Zunge wird im 
wesentlichen gerade hervorgestreckt, 
zuweilen, aber Keineswegs regelmäßig, 
fmdet ganz vom an der Spitze eine 
leichte Abweichung nach links statt. 
Die Geschmacksempfindung ist auf der 
ganzen rechten Zun gen half te ebenso 
normal und gut funktionierend, wie 
auf der linken und zwar für alle Ge- 
schmacksqn all täten , wie wiederholt 
ausgeführte Prüfungen ergaben. Da» 
Zäpfchen und Gaumensegel steht in 
der Ruhelage gerade. Läßt man aber 
eine Schluckbewegung machen, so 
zieht sich die Raphe nach links den 
ihr sich nahenden Gaumenbö^en ent- 

fagen, das Zäpfchen richtet sem frmee 
nde stark nach links. Während die 
linke Arkade der Gaumenbdgen sich 
zusammenzieht bis fast zum völligen 
Verschwinden, wird die rechte infolge 
des fehlenden Nachrückens des rechten 
Arcus und des Abrückens des ZSpfcbens 
_.. von der Mittellinie immer größer. Die 

■"'S- ■*■ Sensibilität ist rechts wie links un- 

versehrt. Vermehrte oder verminderte Schweifisekretion im Beräche der 
rechten Gesichtshälfte ist nie bemerkt worden. 

Die Pupillen sind gleich und reagieren auf Lichteinfall und Akkomodation 
in normaler Weise. Ablenkung der Augäpfel, die auf irgend eine Störung 
eines der Augenmuskeln deutete, ist bei der Prüfung in den verschiedenetea 
Blickrichtungen nicht vorbanden. Bei extremer Blickrichtung nach rechts 
in der Horizontalen treten zuckende Bewegungen der Bulbi ran, bei anderen 
Blickrichtungen fehlen sie. 

Die Bewegungen des Kopfes sind allseitig und gleichmäßig ausführbar, 
beim Seitwärtsdrehen nach rechts oder links springt der M. stemocleido- 
mastoideus der entgegengesetzten Seite sehr scharf strangförmig vor. 

Das Spiegelbild des Kehlkopfes ergibt normale VerhäTtnisse. Die 
Stimmbänder smd in Abduktion und Adduktiou gut beweglich imd schließen 
beim Phonieren scharf in der Mittellinie. 

Die elektrische Untersuchung der Nerven ergab auf der gelähmten 
Seite völliges Erloschensein der EiTcgbarkcit sowohl für den galvanie^en 
wie faradischen Strom. Nur die Zweige des dritten Astes, welche den M. 



Kongenitale Facialislähmung mit angeborener Taubheit usw. 169 

orbicularis oris und Levator menti versorgen, zeigten Erregbarkeit für beide 
Stromarten, wenn auch in stark herabgesetztem Maße. Von den Gesichts- 
muskeln zeigten Zygomaticus, Orbicularis oris und Levator ment. leichte 
Zuckungen bei stärkeren Strömen; die übrigen Muskeln der r. Gesichtsseite 
und des Platysma waren nicht erregbar. 

Fibrilläre Zuckungen finden sich auf der gelähmten Seite nicht, ebenso- 
wenig Kontrakturen. 

Es zeigen sich in dem vorstehend beschriebenen Falle eine 
Eeihe von Entwicklungstörungen, die sich auf einem räumlich 
nicht sehr ausgedehnten Gebiete abspielen. Wir fanden rechts ein 
Fehlen fast der ganzen Ohrmuschel, völlige Taubheit auf dieser 
Seite und eine Lähmung der meisten Gesichtsmukeln mit Aus- 
nahme der die Bewegung des Mundwinkels und des Nasenflügels, 
ausführenden. Dabei ist der Geschmacksinn völlig erhalten; die 
rechte Seite des weichen Gaumens und die Uvula dagegen ge- 
lähmt. 

Wir dürfen annehmen aus der objektiven Untersuchung, daß 
nicht nur Ohrmuschel und äußerer Gehörgang, wie der Augen- 
schein lehrt, fehlen, sondern auch die Paukenhöhle. Dafür spricht 
das Fehlen eines knöchernen Widerstandes bei der Palpation, 
der bei Vorhandensein eines os tympanicum sich finden müßte. 
Man wird hier erinnert an Verhältnisse wie sie Bezold^) in 
einem Fall von einseitiger, angeborener Atresie, der zur Obduktion 
kam, beschrieben hat. Als palpables knöchernes Gebilde findet 
sich in dem Eaura zwischen Proc. mast. und Gelenkkopf des 
Unterkiefers erst ein Organ, das als Proc. styloideus angesprochen 
werden muß. Dieser Knochen entsteht aus einem eigenen Knochen- 
kem, ist also unabhängig von den übrigen Knochen, welche die 
Paukenhöhle zu bilden bestimmt sind, Annulus tympanicus und 
Pyramide. Das Vorhandensein des Proc. styloi. erlaubt daher in 
keiner Weise den Schluß auf das Vorhandensein einer Pauken- 
höhle. Die Eustachische Tube ist auf der rechten Seite vorhanden, 
wie in der Krankengeschichte mitgeteilt wurde. An ihr sind 
keine Mißbildungen zu erkennen. Es ist also die Entwicklung 
der Vorderdarmausstülpung, welche zur Bildung der Tube führt 
ungestört verlaufen. Die Tube endet blind und besitzt mit 30 mm 
nicht die volle Länge, die nach Hyrtl 34 bis 45 betragen soll 
Es scheint demnach der tympanale Abschnitt der Tube nicht 
zur vollen Entwicklung gekommen zu sein. Es entwickelt sich 2) 
bekanntlich der schalleitendc Apparat aus einer von der äußeren 
Oberfläche her erfolgenden geringeren ectodermalen Einsenkung 

1) Z. f. 0. Bd. 48, S. 175. 

2) Hoffmann-Schwalbe, Lehre von den Sinnesorganen. 1887. S. 293. 



170 XXm. KRETSCHMANN. 

und einer stärker entwickelten jener entgegenkommenden entoder- 
malen Tasche. Die die beiden Taschen trennende Membran zer- 
reißt und fährt zur Bildung der ersten Eiemenspalte. Der ventrale 
Abschnitt der Kiemenspalte kommt zum Verschluß, der dorsale 
bildet ein von außen nach dem Schlunddarm führendes Rohr, 
das einen ektodermalen und entodermalen Abschnitt hat An der 
Grenze beider entsteht alsdann eine Verwachsung, an der sich 
besonders das mittlere Keimblatt beteiligt. In dieser Trennungs 
masse bilden sich aus dem Gebiet der ersten beiden Kiemenbogen 
hervorgegangene Skelettstücke, die Gehörknöchelchen. Es muß 
also eine Einstülpung des ektodermalen und entodermalen Blattes 
erfolgt sein, wenn ein vollkommener schalleitender Apparat zu- 
stande kommen soll. In unserm Fall scheint die ektodermale Em- 
stülpung ausgeblieben zu sein. Das entodermale Blatt hat seinen 
Widerpart nicht gefunden und es ist daher wahrscheinlich, daß 
auch das Mesoderm der ihm zufallenden Aufgabe der Bildung 
des Trommelfelles und der Gehörknöchelchen nicht hat gerech 
werden können. Mißbildungen der Ohrmuschel und Mißbildungen 
des äußeren Gehörganges kommen häufig gleichzeittig vor, und 
soweit in solchen Fällen anatomische Untersuchungen vorliegen, 
pflegt dann auch das Mittelohr erhebliche Entwicklungsstörungen 
aufzuweisen. 

Wenn nun auch in unserm Falle ein völliges Fehlen des 
Mittelohres mit großer Wahrscheinlichkeit angenommen werden 
muß, so wäre doch durch einen derartigen Vorgang die Taub- 
heit nicht erklärt. Dafür muß eine Läsion des schallempfindenden 
Apparates in irgend einem seiner Teile verantwortlich gemacht 
werden. 

Das Labyrinth nimmt nach Steinbrügge ^) nur in seltenen 
Fällen und auch dann zuweilen nur partiell an der Entwicklungs- 
störung Teil. Unter 24 anatomisch untersuchten Fällen zeigte sich 
dasselbe nur 3 Mal wesentlich beteiligt Labyrinthäre Entwicklungs- 
störungen aus frühester Zeit, welche etwa das ektodermale La- 
byrinthbläschen betroffen hätten, scheinen, nach demselben Autor'^) 
selten vorzukommen, vielleicht infolge der gegen mechanische 
Einwirkung geschützten Lage des Bläschens, sobald die Ab- 
schnürung stattgefunden hat. Jedoch ist vollständiges Fehlen des 
inneren Ohres und des Gehörnerven auf beiden Seiten bei einem 
11jährigen taubstummen Knaben anatomisch festgestellt worden 

1) Lehrbuch der spec. path. Anatomie von Orth. Ergänzungsband. S. 1. 

2) 1. c. S. 6. 



Kongenitale Facialislähmung mit angeborener Taubheit usw. 171 

von Micbei^) bei teil weisem Mangel des mittleren Ohres und 
normalem äußeren Ohr und äußeren Gehörgang. Die Proc. 
mastoid. fehlten in diesem Falle gänzlich. Die Felsenbeine hatten 
nicht die dreieckige Pyramidenform, welche mit zwei Flächen 
sonst der Schädelhöhle zugewandt sind, sondern waren oben flach 
und hatten nur 2 Flächen, nämlich eine nach der Schädelhöhle 
und die andere nach außen hinsehend. Der N. Facialis ging in 
dem Felsenbeim weiter bis zum foramen stylomastoideum, die 
Chorda tympani fehlte. Von einer Öffnung für den Eintritt des 
N. acusticus keine Spur. Derselbe fehlte beiderseits gänzlich und 
wurde vergeblich bis in den vierten Ventrikel verfolgt. Marfan 
und Armand Delille^) berichten über einen Fall, bei dem das 
Felsenbein nur eine kleine Knochenmasse darstellt, in der mittleres 
und inneres Ohr, sowie Facialisstamm nicht nachzuweisen sind. 

Daß bei unserer Kranken ein völliger Mangel des Labyrinthes 
vorUegen kann, ist nicht so ohne weiteres von der Hand zu 
weisen. Es wurde deshalb der Versuch gemacht, durch eine 
Röntgenaufnahme etwas mehr Klarheit zu gewinnen. 

Die lichtempfindliche Platte befand sich am Hinterhaupt, 
die Röhre gegenüber der Stirn ^). Auf der Platte lassen sich sehr 
deutlich die Gelenkfortsätze des Hinterhaupts erkennen. Ferner 
springen in die Augen die Process. mastoidei, deren Größendifferenz 
zu Ungunsten des rechten sich recht auffallig markiert. Der linke 
ist bei weitem dunkler als der rechte. Zu erkennen sind deutlich 
die Orbitae und die Choanen, was einigermaßen wichtig ist, da 
eine Orientierung von diesen Punkten aus leicht stattfinden kann. 
Die linke Ohrmuschel liefert einen sehr deutlichen Schatten. Von 
der Mitte der Muschel zieht ein Kontour nach dem Hinterhauptsloch. 
Dieser Kontour ist auf der rechten Seite nur schwach entwickelt 
und verläuft ungefähr l cm niedriger wie links. Er ist nicht wie 
auf der linken bis an die laterale Wand der Schädelkapsel zu 
verfolgen. Wenn man bedenkt, wie sich die Schatten der die 
Schädelbasis zusammensetzenden Gebilde auf der Platte in- und 
übereinander schieben müssen, so ist es klar, daß man aus dem 
Röntgenbilde nicht ein absolut klares Bild von der Konfiguration 
der Schädelbasis gewinnen kann, wie es bei anderen Körper- 

1) Ref. A.f. 0. Bd. 1, S. 353. 

2) Ref. Z. f. 0. Bd. 44, S. 304. 

3) Auf eine Reproduktion wurde verzichtet, da die auf der Original- 
platte ohnehin schwachen Schatten bei einer Wiedergabe bis zur Unkenntlich- 
keit verlieren würden. 



172 XXIII. KRETSCHMANN, 

regionen möglich ist, immerhin spricht doch aber der deutliche 
Unterschied in der Schattenfigur von links und rechts mit ziem- 
licher Wahrscheinlichkeit dafür, daß das rechte Felsenbein ver- 
kümmert ist, wie das ja bei dem Proc. mast. fraglos zutrifft, und 
das in diesem verkümmerten Felsenbein sich ein verkümmertes 
Labyrinth findet, oder daß dieses völlig fehlt. Das Labyrinth- 
bläschen mit seinen Veränderungen ist ja doch das Gebilde? 
welches die Felsenbeinpyraroide erst schafft und sie zu der Form- 
entwicklung führt, die uns die Anatomie lehrt. Wenn also ein 
mangelhaftes Labyrinth vorhanden ist, oder wenn solches fehlt, 
so wird die Pyramide verkümmert sein, und daraus läßt sich mit 
einiger Berechtigung der Rückschluß ziehen, wenn die Pyramide 
verkümmert ist, so ist es auch das Labjrrinth. 

Außer den Mißbildungen im Bereiche des Gehörorganes zeigt 
unsere Patientin auch Defekte in der Innervation der Gesichts- 
muskeln, die auf eine angeborene Läsion des Gesichtsnerven zurück- 
zuführen sind. Es fallen rechterseits die Bewegungen der Stirn- 
muskeln und der Augenscbließer völlig aus. Dagegen sind aktive 
Bewegungen möglich bei dem Heber des Nasenflügels und bei 
den Muskeln, die den Mundwinkel versorgen, während das Platysma 
wiederum ohne Bewegung ist Im Gebiet der aktiven Bewegungs- 
möglichkeit ist die elektrische Erregbarkeit für galvanischen und 
faradischen Strom erhalten, nur müssen größere Stromstärken an- 
gewendet werden, wie auf der gesunden Seite. Der weiche Gaumen 
ist rechts gelähmt, dagegen der Geschmacksinn erbalten. An- 
geborene Facialislähmungen mit Mißbildungen des gleichseitigen 
Gehörorgans sind mehrfach beschrieben Thomas^): Einkerbung 
beider Ohrläppchen beiderseitige Facialislähmung und Taubheit, 
Sousques und Heller 2), Sugär^), Neuenborn'*), In letzteren 
beiden Fällen finden sich Hörreste auf der Seite der mißbildeten 
Hörorgane. Außerdem finden sich kongenitale Gesichtsnerven- 
lähmungen isoliert oder kombiniert mit Lähmungen anderer Gehirn- 
nerven mehrfach in der neurologischen Literatur verzeichnet 

So berichtet unter anderen Möbius^) über angeborene 
doppelseitige Abducens-Facialislähmungen, ferner über angeborene 
Lähmung aller motorischen Augenmuskelnerven in Begleitung von 



1) Ref. Neurol. Zentralbl. 1900. S. 576. 

2) Ref. Z. f. 0. Bd. 44, S. 304. 

3) A. f. 0. Bd. 58, S. 216. 

4) A.f.O. Bd. 63, S. 113. 

5) Münch. med. Wochenschrift. 1888. S. 91 u. 108. 



Kongenitale Facialislähmang mit angeborener Taubheit nsw. 173 

Facialisparalyse *), Bernhardt über angeborene einseitige Trige- 
minus Abducens-Facialislähmung 2). Die angeborenen Facialis- 
lähmungen weisen die eigenartige Erscheinung auf, daß gewöhnlich 
nicht alle Muskeln des Gesichtes völlig gelähmt sind, sondern daß 
eine Gruppe wenn auch verminderte, so doch deutlich ausgesprochene 
aktive Bewegungsfähigkeit behalten hat. Der aktiven Beweglich- 
lichkeit entspricht die elektrische, galvanische sowohl wie fara- 
dische, die wenn auch gegenüber der Norm herabgesetzt, so doch 
vorhanden ist Mit einer ziemlichen Regelmäßigkeit sind es die 
Muskeln des Mundwinkels, des Kinnes, auch wohl das Platysma, 
welche eine aktive Beweglichkeit aufweisen. Während in dieser 
Region eine gewisse Konstanz in dem Verhalten der verschiedenen 
Muskelgruppen bei angeborener Facialislähmung vorzuliegen scheint, 
finden sich diametrale Gegensätze bezüglich der Gaumenmuskulatur 
und des Geschmackssinnes. Es spielen ja die Störungen in diesen 
beiden Gebieten eine Rolle, insofern durch sie der Sitz der Läsion 
des N. VII. festgestellt werden soll. Erhalten ist der Geschmack, 
wie Bernhardt 3) und Sugär (1. c.) berichten und wie es bei 
unserer Patientin der Fall war. über Fehlen desselben auf dem 
vorderen Abschnitt der Zunge auf der gelähmten Seite berichten 
Kortum^) Neuenborn (1. c.) und andere. 

Über die Wege, auf denen die Nervenfasern, welche die Ge- 
schmacksempfindungen vermitteln, ins Zentralorgan gelangen, 
herrscht keineswegs Einmütigkeit der Anschauungen. Man nimmt 
wohl ziemlich allgemein an, daß derN. Glossopharyngeus und der 
Lingualis vom dritten Ast des Trigeminus die Geschmacksfasem 
beherbergen. Die Geschmacksfasern, die dem Lingualisgebiet an- 
gehören, laufen nach weitverbreiteter Ansicht durch die Chorda 
tympani. Sie treten dadurch in räumliche Beziehungen zum Facialis 
indem die Chorda sich dem N. VII. in der Paukenhöhle zugesellt 
und sein Gefährte bleibt bis zum Ganglion geniculi. Wie die centri- 
petalen Geschmacksfasem von dort weiter nach dem Zentralorgan 
ziehen, ob im Stamme des facialis oder durch den Petrosus superfic. 
major zum Ggl. sphenopalatinum und damit zum zweiten Ast 
der Trigeminus, fällt für unsere Frage weniger ins Gewicht. Zu 
berücksichtigen ist noch eine Möglichkeit des Verlaufes von Ge- 
schmacksfasem vom Lingualis des V. Dieser Weg führt vom 

1) Münch. med. Wochenschrift. 1892. Nr. 2, 3, 4. 

2) Neurol. Zentralbl. 1890. S. 419. 

3) Neurol. Zentralbl. 1894. S. 1. 

4) Neurol. Zentralbl. 1896. S. 259. 



174 XXnL KRETSCHMANN. 

6gl. oticnm des dritten Quintusastes durch den N. petros superfic. 
minor biegt in den N. tympanicus s. Jacobsonii ein und gelangt, 
mittels desselben in das Ggl. petrosum des Glossopharyngeus und 
dann zentralwärts. Den letztbeschriebenen Weg wies Meissner i) 
in seinen Vorlesungen den Geschmacksfasern zu, soweit sie nicht 
direkte Äste des glossopharyngeus waren. C a r 1 2) weist den Ge- 
schmacksfasern des Lingualis den gleichen Weg an, läßt aber 
dabei auch einen Teil der gustatorischen Fasern die Chorda passieren 
und diese durch Ggl. geniculatum und durch denBamus communicans 
zum N. tympanicus gelangen. Daß im Nervus tympanicus (lacobsonii) 
sensible Fasern vom Zungenrande herkommend verlaufen, ist nicht 
gut zu bezweifeln. Jedem Ohrenarzt ist zur Genüge die Tatsache 
bekannt, daß bei Sondenberührungen der medialen Paukenwand 
Empfindungen in dem gleichseitigen Zungenrande ausgelöst werden. 
Weswegen selten nicht auch die Geschmacksfasem diesen Weg 
nehmen? 

E. Maier 3) ist auf Grund seiner Untersuchungen über Ge- 
schmacksstörungen bei Mittelohrerkrankungen zu dem Resultate 
gelangt, daß Glossopharyngeus und Lingualis, letzterer mittels 
der Chorda tympani vielleicht auch des Plexus tympanicus sich 
in die Versorgung der Zunge mit Geschmacksfasern teilen, daß aber 
diese Versorgung individuell in verschieden hohem Grade schwankt 
Es kann in einzelnen Fällen der Glossopharyngeus, in andern die 
Chorda der einzige Geschmacksnerv sein. 

Ein wesentlich differentes Verhalten bei angeborener Facialis- 
lähmung zeigt auch die Gaumenmuskulatur. Bei unserer Patientin 
konnte eine der Facialisparalyse entsprechende Lähmung des 
Gaumens festgestellt werden, die auf Rechnung des Levator und des 
gleichseitigen M. uvulae nach dem Schema von MaxMann^) zu 
setzen ist. Über Lähmung der Gaumenmuskulatur bei angeborener 
Facialisparalyse berichten Sugar (1* c): Tief erstehen des Gaumen- 
bogen auf der erkrankten Sei te, N e u e n b o r n (1. c.) : Uvula sinkt nach 
links. Bei anderen wird ausdrücklich betont^ daß am Gaumen keine 
Störung vorliege (Bernhardt^), Schnitze ß). Welcher Nerv die 
motorische Funktion der Gaumenmuskulatur übernimmt, ist zurzeit 



1) weil. Physiologe in Göttingen. 

2) A. f. 0. Bd. 10. S. 172. 

3) Z. f. 0. Bd. 48. S. 178. 

4) Z. f. 0. Bd. 47. S. 1 ff. 

5) Neurol. Zentralbl. 1894. S. 1. 

6) Neurol. Zentralbl. 1892. Nr. 14. 



Eongenitale Facialisläbmung mit angeborener Taubheit usw. 175 

noch eine umstrittene Frage. Im allgemeinen ist man geneigt, dem 
n. Facialis die Innervation der Gaumenlieber und der Uvula zu- 
zuweisen, indem dieser vom Ggl. geniculi durch den n. Petrosus 
superficialis major motorische Fasern zum Ggl. spheno-palatinum 
s. nasale sendet, von wo aus sie in die betreffenden Muskeln ziehen. 
Rethi^) hat in einer Reihe von Arbeiten nachzuweisen gesucht,, 
daß nicht der Facialis, sondern der Vagus der motorische Nerv 
für den Gaumenheber sei und ihm stimmen darin bei Gr adenig o'-^) 
u. a. Nach Henle, Luschka, Schwalbe^) ist eine doppelte 
Innervation sehr wahrscheinlich. Nach dem Material, welches 
ßethi vorbringt, kann es nicht gut bezweifelt werden, daß der 
Plexus pharyngeus vagi die Innervation der Gaumenheber über- 
nehmen kann. Ebenso liegen doch aber zahlreiche klinische 
Tatsachen vor, welche unzweifelhaft dem Faciahs die Rolle der 
Innervation der Gaumenheber zuweisen, unser Fall läßt bei 
seiner ausgesprochenen Levator- und Azygoslähmung keine an- 
dere Deutung zu als die, daß der Ausfall der Fasern im Facialis, 
der sich ja in der Gesichtslähmung so unzweifelhaft dokumentiert, 
auch die Schuld an der Gaumenlähmung trägt. Es hieße doch den 
Tatsachen Gewalt antun, wenn man im vorliegenden Falle eine 
Lähmung von Vagusfasern, die den Levator veli versorgen, an- 
nehmen würde, während im übrigen keine weiteren Störungen 
im Gebiete des Vagus nachweisbar sind. Das verschiedene Ver- 
halten, welches die Gaumenmuskulatur bei Fällen von angeborener 
Facialislähmung an den Tag legt, macht die Hypothese, daß die 
Innervation der Gaumenheber eine doppelte sei, sehr wahrschein- 
lich. Sie läßt sich auf Grund dieses abweichenden Verhaltens 
vielleicht noch dahin erweitern, daß in manchen Fällen der Vagus, 
in änderen der Facialis der einzige motorische Nerv für den 
Levator etc. ist. Es würde dies ein ähnliches Verhältnis sein, 
wie es nach Mai er zwischen Glossopharyngeus und Trigeminus 
bei der Versorgung der Zunge mit Geschmacksfasern besteht. 

Es drängt sich nun die Frage auf: an welcher Stelle hat 
man den Sitz der Läsion des Facialis zu suchen? Möbius 
(1. c.) erblickt die Ursache in einem Schwund der Kerne und be- 
zeichnet das von ihm entworfene Krankheitsbild geradezu als in- 
fantilen Kernschwund. Bernhardt^) schließt sich ihm an und 

1) Z. f. 0. Bd. 50. S. 286. 

2) Z.f.O. Bd. 51. S.437. 

3) Zitat in der Rethischen Arbeit. 

4) Neurol. Zentralbl. 1894. S. 5. 



176 XXIII. KRETSCHMANN. 

ist der Ansiebt, daß dabei nicbt alle gangliösen Elemente und 
die von ibnen entspringenden Fasern untergeben. Die erbaltene 
Funktion einzelner Muskeln, wie der den Mundwinkel versorgen- 
den, würde so ihre Erklärung finden, wenn man nicbt den Ur- 
sprung der jene Muskeln versorgenden Nervenfasern aus dem 
Hypoglossuskern annehmen will. Dieser Hypothese der mangeln- 
den Kementwickelung gegenüber spricht sich Schnitze (1. c.) 
dahin aus, daß er in seinem Falle von angeborener Facialis- 
läbmung eine periphere Läsion für nicht ganz ausgeschlossen 
betrachten könne, da es leichter verständlich erscheint, daß dem 
peripheren Nerven bei seinem Wachstum peripberwärts irgend 
etwas zugestoßen ist, als daß in einem sonst ganz normalen 
Zentralorgan ein einzelner Kern nicht ausgebildet sein sollte. 
Zweifel an der Kernläsion bei Facialislähmung, die nicht alle 
Gesichtsmuskeln betroffen hat, hegt auch Toby Cohn*). Nach 
ihm spricht das Freibleiben einzelner Muskeln von der Lähmung 
nicht ohne weiteres für Kemaffektion, da auch in andern Nerven- 
gebieten bei Stammlähmungen ein einzelner Muskel freibleiben 
kann, z. 6. der Supinator longus bei chronischen ßadialis- 
lähmungen, der Tibialis anticus bei Paralysen im Peroneusgebiet. 

Das klinische Bild, welches die angeborene Facialisparalyse 
aufweist, führt also nicht mit Sicherheit zur Auffindung des Sitzes 
der Läsion, sondern läßt mehrfache Deutungen zu. Wenn wir 
in unserem Falle von der Mißbildung des äußeren und mittleren 
Ohres absehen, so läßt es die hier vorliegende Kombination: 
Lähmung des Acusticus, vergesellschaftet mit Lähmung des 
Facialis, als das Gewiesenste erscheinen, das Hemmnis dort zu 
suchen, wo die beiden Nerven gemeinschaftlich verlaufen, also 
auf der Strecke von ihrem Austritt aus dem verlängerten Marke 
bis zu ihrem Eintritt in den Porus acusticus internus. Wenn die 
oben auseinandergesetzte Annahme, daß in unserem Falle eine 
mangelhafte Felsenbeinpyramide vorhanden sei, zutrifft, so wird 
ein Labyrinth nur verkümmert da sein oder überhaupt fehlen. 
In letzterem Falle kann der hirnwärts gelegene Abschnitt des 
Acusticus keinen Anschluß an den peripheren Abschnitt finden 
und ein gleiches Geschick würde dem Facialis beschieden sein. 

Nur der Geruchs- und Sehnerv sind Ausstülpungen der Him- 
blasen2), die übrigen Nerven, auch der Acusticus, wachsen nicht 
aus dem Zentralorgan heraus, sondern bilden sich überall, wo 

1) Neurol. Zentrabi. 1896. S. 972. 

2) Vierordt. Grundriß der Physiologie des Menschen. 1871. 



Kongenitale Facialislähmung mit angeborener Taubheit usw. 177 

Organe und Gewebe sich differenzieren und kommen erst nach- 
träglich mit dem Zentralorgan in Verbindung. Gehirn- und 
rückenmarklose Mißgeburten haben ebenfalls Nerven. 

Die Störung würde also in unserem Falle darin zu suchen 
sein, daß der Zusammenschluß von peripheren Nerven und 
Zentralorgan nicht zustande gekommen ist. Daß ein solcher Vor- 
gang vorkommen kann, beweist der eingangs (S. 169) angeführte 
Sektionsbericht von Marfan und Armand Delille, bei dem das 
Felsenbein nur eine kleine Knochenmasse darstellte, in der mittleres 
und inneres Ohr, sowie Facialisstamm nicht nachzuweisen waren. 
In dem Mich eischen Falle (I.e.) fehlte nur der Acusticus, der 
Facialis war dagegen bis auf die Chorda tympani erhalten. Für 
unseren Fall möchte ich ähnliche Verhältnisse annehmen, wie sie 
dem Marfan und Delille 'sehen zugrunde lagen, über den 
leider klinische Beobachtungen nicht gemacht zu sein scheinen. 
Gegen eine solche Annahme spricht das Vorhandensein des Ge- 
schmackes keineswegs. In der Maier sehen Arbeit (1. c.) wurde 
festgestellt, daß zuweilen der Glossopharyngeus die gesamte Ge- 
schmacksversorgung übernehmen kann, und das wird er in unserem 
Falle getan haben, da den Geschmacksfasern die Trigeminusbahn, 
welche durch das Gehörorgan führt (Chorda tympani und n. Ja- 
cobsonii), da sie fehlte, nicht zu Gebote gestanden haben wird. 
Schwieriger ist die Deutung der Motilität der Mundmuskeln. Daß 
dieselben bei Stammläsionen des Facialis in Tätigkeit bleiben 
können, bat unter anderm T. Cohn (1. c.) und Ludwig Mann^) 
beobachtet. Die Deutung, daß die jene Muskeln versorgenden 
Fasern vielleicht widerstandsfähiger gegen Schädlichkeiten sein 
sollen, ist (L. Mann) nicht gerade sehr überzeugend. Die An- 
nahme, daß die Fasern für die Mundmuskulatur dem Hypoglossus- 
kern entstammen, würde für unseren Fall, indem wir eine Unter- 
brechung des Facialisstammes durch nicht zustande gekommenen 
Anschluß an das periphere Ende für wahrscheinlich halten, nicht 
in Betracht kommen. 

Eine allseitig befriedigende Erklärung für die Funktion ge- 
wisser sonst zum Facialisgebiet gerechneter Muskeln bei zweifel- 
loser Stammlähmung fehlt zurzeit noch, und es muß einstweilen 
lediglich mit der Tatsache gerechnet werden. Ob es vielleicht 
sich auch um eine doppelte Innervation, wie sie für den Ge- 
scbmacksinn und mit Wahrscheinlichkeit auch für die Motilität 



1) Berl. Klin. Wochenschr. 1894. S. 53. 
Archir f. Ohrenheilkunde. 73. Bd. Festschrift. 12 



178 XXm. KRETSCHMANN. 

der Gaumenheber angenommen werden muß, handeln kann, ist 
eine noch offene Frage. Kor tum (I.e.) hält es für nicht un- 
wahrscheinlich, daß von der gesunden Seite her eine Regeneration 
der Nerven erfolgt, oder daß schon von vornherein, wenn auch 
nicht konstant, Anastomosen zwischen den Endverbreitungen der 
beiden Nn. faciales bestehen. 

Die von verschiedenen Autoren bei angeborener Facialpara- 
lyse beobachteten nystagmusartigen Zuckungen bei extremer Blick- 
richtung nach außen fanden sich auch in unserem Falle. Irgend- 
welcher Zusammenhang mit der Gesichtslähmung ist nicht er- 
weislich. Kor tum findet die Zuckungen nicht so selten bei im 
übrigen normalem Körper- und Augenbefund, besonders bei 
nervös disponierten Personen. Die Tatsache ist für den Ohren- 
arzt, der ja auf Vorhandensein von Nystagmus Wert legen muß, 
nicht ohne Interesse, da sie zur Abschätzung der Bedeutung jenes 
Symptoms das ihrige beiträgt 



XXIV. 



Die Freilegnng des Facialis als Voroperation fnr einige 
Eingriffe in der Gegend der Hittelohrränme. 



Von 

Dr. Ernst Winckler in Bremen. 



Bei den Bestrebungen der modernen Otochirurgie, die Krank- 
heitsprozeße, welche eine Aufmeißlung der Mittelohrräume er- 
forderlich machen^ möglichst gründlich zu beseitigen oder derart 
freizulegen, daß sie einer Ausheilung durch offene Wundbehand- 
lung entgegengeführt werden können, wird heutzutage auch die 
Gegend des Facialkanales nicht mehr wie früher als ein ,Noli me 
tangere' betrachtet. Erkrankungen seiner sichtbaren Wand in der 
Paukenhöhle müssen beseitigt werden, undbetont bereitsStackel(l), 
daß man im Interesse einer radikalen Entfernung der Erkrankung sich 
nicht allzusehr vor einer Läsion des Nerven fürchten solle, da 
diese selten eine dauernde Lähmung zur Folge hätte. „Der 
Nervenstamm liegt in seinem Kanal wie in einer Schiene, und 
die sich neu bildenden Nervenfasern müssen sich treffen, auch 
wenn der Nerv ganz getrennt war''. Die einfache Totalauf meiß- 
lung der Mittelohrräume, zumal nach der Stack eschen Methode, 
die unter Benutzung seines Schützers wie „auf einer Sonde Kuppel- 
raum und Antrum zu eröffnen gestattet, darf Meißelverletzungen 
des Gesichtsverven an der inneren Paukenhöhlenwand nie zu- 
Stande bringen. Aber schon daß Bestreben zwecks besserer Über- 
sicht und schnellerer Epidermisierung die Niveaudifferenzen zwischen 
Trommelhöhle und neu geschaffener Knochenhöhle im Warzen- 
fortsatze so viel wie möglich auszugleichen, zwingen einmal einen 
höheren Sporn stehen zu lassen und gestatten im anderen Falle 
denselben so niedrig zugestalten, daß er kaum aus der inneren 
Paukenwand hervorragt. Abgesehen von den Labyrintheröffnungen 
an der inneren Paukenhöhlenwand, nötigen die exakte Freilegung 

12* 



180 XXIV. WINCKLER. 

des Kellerraumes, die EntfemuDg der Warzenfortsatzspitze und 
das Verfolgen eines Krankheitsherdes in der Tiefe der Mastoid- 
gegend zuweilen bis zur unteren Fläche des Felsenbeins, das 
Vordringen gegen den Bulbus der Vena jugularis interna in einer 
Nähe des Facialis zu arbeiten, die Läsionen des Nerven trotz 
aller Vorsicht nicht ausschließen. Auch hier könnte man sich 
damit beruhigen, daß die sich einstellende Gesichtslähmung in der 
Kegel eine vorübergehende ist Doch wird die Folge der Läsiou 
ohne Berücksichtigung der Verhältnisse, welche bei dem Eingriff 
vorgelegen haben, von Laien und wohlmeinenden Kollegen immer 
als Kunstfehler aufgefaßt werden. Wenn Siebenmann (2) er- 
klärt, „Varietäten im Verlauf des Facialis können als Ent- 
schuldigung für seine Verletzung nicht vorgeschoben werden, da 
solche in hunderten von Schläfenbeinen nicht einmal vorkommen, 
so kann diese Behauptung sich lediglich auf die Freilegung des 
Kuppelraumes beziehen und bedarf im übrigen einer Revision, da 
in der Praxis die anatomischen Beschreibungen über den Verlauf 
des Facialis nicht vor Überraschungen schützen, vielmehr häufig 
bei Ausräumung tiefgehender Zerstörungen einen Konflikt mit dem 
Gesichtsnerven zustande kommen lassen würden, wenn nicht 
die praktische Erfahrung genügend gelehrt hätte, daß die bekannte 
Topographie des Facialis wesentliche Abweichungen erleidet. Es 
handelt sich hier nur um unvermutete Konflikte mit dem s. g. 
vertikalen Teil des Facialisstammes, dessen Richtung nach dem 
hinteren Rande des Trommelfellfalzes abgeschätzt werden soll. 
Körner (3) fand, daß der vertikale Teil des Facialkanales vom 
hinteren Rande des Sulcus tympanicus 1,5 bis 4,3 mm entfernt ist 
und meist etwas weiter nach außen liegt als der Sulcus tympani- 
cus 1 bis höchstens 3,7 mm, welche Zahlen jedoch nur für die 
Mitte des hinteren Randes vom Sulcus tympanicus gelten^ da 
genau oberhalb der Mitte der Facialkanal auf die innere Pauken- 
wand umbiegt. Nach Bezold(4) verläuft der vertikale Teil 3 mm 
medial und rückwärts vom Sulcus tympanicus durch das Massiv 
der Pars mastoidea zum Foramen stylomastoideum, also stets so 
günstig daß man nur selten mit der Verkleinerung des Sporns 
Schwierigkeiten haben kann. Jedenfalls ist aus diesen differenten 
Angaben eine Konstanz des Verlaufes nicht anzunehmen. 

Unter Berücksichtigung dieser Angaben liegt der Gedanke 
sehr nahe, Eingriffen, die uns in unmittelbare Nähe des vertikalen 
Teiles des Facialisstammes bringen müssen, eine Operation vor- 
auszuschicken, durch welche nicht nur in jedem Falle die Richtung 



Die Freilegung des Facialis als Voroperation für einige Eingriffe usw. 181 

und Lage des Facialis ermittelt, sondern auch die Möglichkeit ver- 
schafft werden kann, den bedrohten Gesichtsnerven durch temporäre 
Verlagerung aus dem Operationsfeld herauszubringen. 

Derartige Eingriffe den Facialis vor der Eröffnung des Bulbus 
freizulegen sind bereits, wie aus einer Arbeit von Stenger(5) 
hervorgeht, s. Zt. in der Trautmannschen Klinik ausgeführt worden. 
Eine bestimmte Methode der Operation ist trotz ihrer praktischen 
Wichtigkeit leider nicht angegeben, auch hat Stenger jede Notiz 
unterlassen, ob der Facialis in der üblichen Weise von den Mittel- 
ohrräumen aus in seinem knöchernen Kanal freigelegt wurde 
oder nach der Koch ersehen Methode, welche Kenn edy (6) wie 
Manasse(7) bei ihren bekannten Implantationsversuchen in den 
Facialis benutzten, von der Austrittsöffnung des Nerven ausgehend. 

Für kompUzierte Eingriffe in der Mittelohrgegend scheint mir 
das Aufsuchen und ev. Freilegen des Gesichtsnerven als Vor- 
operation durchaus indiziert zu sein, wenn tatsächlich der Verlauf 
des Facialis großen individuellen Schwankungen unterliegt. Da 
das Letztere noch vielfach bestritten wird, so möchte ich in Kürze 
hier auf einige anatomischen Details hinweisen, die ich durch 
eigene Untersuchungen an 40 Schädeln ergänzen kann. 

Die deskriptive Anatomie unterscheidet, sobald der FaciaU 
kanal mit seinem oberen Knie zwischen Processus cochleariformis 
und Ampulle des horizontalen Bogenganges vor dem Vestibulum 
lateralrückwärts und * zugleich abwärts auf die innere Pauken- 
höhlenwand umbiegt, einen mehr horizontalen Abschnitt mit dem 
Facialiswulst und einen vertikalen Abschnitt, der unterhalb oder 
im hinteren Teil des Facialwulstes beginnt und am Foramen 
stylomastoideum endet. Hier geht der weitere Verlauf hinter der 
Eminentia stapedii, lateral vom Sinus tympani und medial von 
der Knochenhülse unter der die Wurzel des Processus styloideus 
steckt. Spee(8). 

Auch entwicklungsgeschichtlich sind beide Verlaufsrichtungen 
des Facialis zu trennen. Die horizontale entspricht der Rinne, die 
ursprünglich den an der lateralen Seite des knorplig präformierten 
Felsenbeines also außerhalb der Schädelhöhle liegenden Facialis 
aufnimmt, und die schließlich von der Substanz des Os petrosum 
zu einem zarten Kanal geschlossen wird, den wir an der innern 
Paukenhöhlenwand antreffen. Dieser Teil des Facialis behält von 
der Zeit der Fötalreife bis zur völligen Entwicklung des Schläfen- 
beins seine relative Läge, , Größe und Form. Sobald der Facial- 
kanal mit einer mehr rechtwinkligen Biegung an die hintere Wand 



182 XXIV. WINCKLER. 

der Paukenhöhle tritt und seine Verlaufsrichtung zu einer ab- 
wärtssteigenden ändert, wird seine Hülle nicht mehr allein von 
dem knorplig angelegten Felsenbein, sondern noch von neu nach 
der Geburt hinzutretenden Deckknochen geliefert. Er gelangt bei 
weiterem Wachstum des Schädels in die Tiefe des Warzenfort- 
satzes, an dessen Entwicklung sich die laterale hintere Partie des 
Felsenbeins und der ihr anliegende Processus postauditorius der 
Schuppe beteiligen. Da somit die Rinne des vertikalen Teiles des 
Fallopischen Kanales in einen Knochenabschnitt fällt, dessen Aus- 
bildung ganz besonders großen individuellen Schwankungen unter- 
worfen ist, so müßte a priori angenommen werden, daß eine 
Konstanz des Verlaufes an diesem Teil gegenüber dem horizontalen 
nicht anzutreffen ist. 

Am Schädel des Neugeborenen wird die abwärts steigende 
Einne des Facialkanals an der lateralen Seite des Felsenbeins 
nach außen vom Annulus tyrapanicus geschlossen, an dessen 
hinterem Rande unten das Foramen stylomasteidoum liegt während 
sich etwas oberhalb die Öffnung für die Chorda tympani zeigt, welche 
von ihrer Abzweigungsstelle an zunächst außerhalb des Schädels 
liegt, um dann schräg unter dem Annulus tympanicus nach oben 
gegen die Pauke zu verlaufen. Der Facialkanal liegt unten im 
Niveau des Sulcus tympanicus. Der vertikale Teil ist im Ver- 
hältnis zum horizontalen Abschnitt an der inneren Trommelhöhlen- 
wand sehr kurz. Das Foramen stylomastoideum liegt fast senk- 
recht unter dem Facialiswulst. Zu dieser Zeit hat der Annulus 
mit dem Trommelfell eine fast horizontale Lage, da die Pauke 
außerordentlich flach ist und kaum einen Boden aufweist Der 
absteigende Facialisabschnitt hat daher beim Neugeborenen eine 
Richtung nach innen. Bei weiterer Entwicklung der Paukenhöhle 
und ihres Boden, bei weiterer Größenzunahme des Os petrosum 
und Entwicklung des Warzenfortsatzes wie des sqhaufelförmig ge- 
drehten Os tympanicum aus dem äußeren Rande des Annulus 
ändert sich allmählich die Länge des vertikalen Teiles des Facial- 
kanales, welche beim Neugeborenen etwa dasselbe Maß hat wie 
der horizontale Teil. Ich fand am ausgewachsenen Schläfenbein 
den vertikalen Teil c 5 mm länger wie den horizontalen und er- 
hielt bei diesem eine durchschnittliche Länge von 7 — 8, bei dem 
vertikalen Teil dagegen von 12 — 13 mm. 

An der Bildung des vertikalen Abschnittes des Fallopischen 
Kanales partizipiert außer dem Felsenbein und dem neu hinzu- 
tretenden Warzenteil unten am Foramen stylomastoideum noch 



Die Freilegung des Facialis als Voroperation für einige Eingriffe usw. 183 

das Os tympanicum. Die innere dem Felsenbein angehörende 
Wand wird von der Pauke aus durch den Sinus tympani in 
größerer oder geringerer Ausdehnung unterminiert. Die vordere 
Wand wird von der aus dem Paukenhöhlenboden entstehenden 
Hülle des Processus styloideus der Lamina vaginalis gebildet Die 
laterale und hintere Wand fallen mehr oder weniger vollkommen 
in den neu hinzutretenden Warzenteil, dessen Zellen nach Körner 
jedoch stets durch eine l — 3 mm dicke Knochenschale eine 
Fortsetzung der Labyrinthkapsel, von dem Canalis facialis ge- 
trennt sind. 

Das Os tympanicum mit dem Trommelfellfalz legt sich während 
seines Wachtums nur an den neugebildeten Kanal an, so daß es 
sich auch am ausgewachsenen Schläfenbein vollkommen ohne 
Zerstörung des Facialkanäls von demselben nach 5 eigenen Prä- 
paraten absprengen ließ. 

Komplizierter sind die Verhältnisse an der Austrittsöffnung 
des Facialis am Foramen stylomastoideum. Der Schädel des Neu- 
geborenen zeigt das Foramen am unteren Drittel des hinteren 
Annulusrandes. Bei weiterem Wachstum der Mastoidgegend schiebt 
es sich schließlich so an die Schädelbasis, daß es in eine von 
der vordernen Wand des Warzenfortsatzes und der unteren Gehör- 
gangswand mit dem ihr anliegenden Griffelfortsatz gebildete Nische 
hineingelangt, die nicht nur in ihrer Form, sondern auch in ihren Be- 
ziehungen zu benachbarten, praktisch wichtigen Spalten und Löchern 
sehr variabel angetroffen wird. Die Entwicklung, welche der 
vertikale Teil des Fallopischen Kanales zeigt, lehrt, daß seine 
Yerlaufsrichtung unabhängig von der des horizontalen Abschnittes 
ist, da er im Gegensatz zu letzterem größtenteils in solche Be- 
zirke fällt, deren spätere Gestaltung großen Differenzen unterliegt. 
Es dürfte daher zu unangenehmen Irrtümern Anlaß geben, aus 
dem Verlauf des Fallopischen Kanales an der medialen Trommel- 
höhlenwand den weiteren, nicht sichtbaren in der hinteren Pauken- 
höhlenwand oder dem medialsten Abschnitt der hinteren Gehör- 
gangswand zu bestimmen. 

S ch w ar tz e (9) unterscheidet für den abwärtssteigenden Facial- 
abschnitt 3 Verlaufsarten: Steil-, Schräg- und Flach verlauf, je 
nachdem der Facialis in die Ebene des Sulcus tympanicus fällt 
oder sie unter einem größeren oder kleineren Winkel kreuzt. Dem- 
gegenüber behauptet Rand all (10), daß die absteigende Partie des 
Facialkanales fast genau senkrecht gerichtet ist, und diese Richtung 
zu den konstantesten Befunden am Schläfenbein gehört. 



184 XXIV. WINCKLER. 

Der Kanal soll nach Messungen dieses Autors, am Foramen 
stylomastoideum nicht im geringsten weiter nach außen abweichen 
als der Facialiawulst oberhalb des ovalen Fensters. Da die Nei- 
gung des Sulcus tympanicus derart ist, daß sein unterer Eand 
6 mm näher der Mittellinie liegt als der obere, so liegt der Facial- 
kanal, der hinter der hinteren Gehörgangs wand in 2 — 4 mm Ent- 
fernung verläuft, immer lateral vom hinteren Rande des Trommel- 
falzes und zwar auch in 2 — 4 mm Entfernung. 

um eine eigene Anschauung zu gewinnen, habe ich an 15 
Schläfenbeinpräparaten den Facialkanal vom Foramen stylo- 
mastoideum aus so eröffnet, daß ich sein Lageverhältnis zu den- 
jenigen Teilen bestimmen konnte, die wir bei der Totalaufmeißlung 
als stets gleichbleibende zu Gesicht bekommen. Hierbei ergab 
sich, daß das Foramen stylomastoideum in derselben Sagittalebene 
mit dem Facialiswulst bei 4 Schläfenbeinen — 2 kindlichen und 
2 ausgebildeten — angetroffen wurde. 7 Schläfenbeine, 2 kind- 
liche und 5 entwickelte zeigten, daß die Prominenz des äußeren 
Bogenganges und das Foramen stylomastoideum vertikal über- 
einander lagen. In diesen 11 Schläfenbeinen war demnach ein 
Steilverlauf des Facialis in seinem unteren Teil vorhanden ge- 
wesen und zwar bei 4 kindlichen Schläfenbeinen. — Ein Schräg- 
verlauf wurde 2 mal gefunden, beide Mal handelte es sich um 
noch in der Entwicklung begriffene Schädel. Hier lagen Foramen 
stylomastoideum und die Mitte des Tegmen tympani in der gleichen 
parallel der Medianlinie des Schädels verlaufenden Ebene. Zwei 
ausgewachsene Schläfenbeine zeigten einen Verlauf nach rück- 
wärts und lateral derart, daß in dem einen Präparat der Facial- 
kanal von der äußeren Wand des zum Gehörgange umbiegenden 
Warzenteils nur 10 mm entfernt war, während im Durchschnitt 
diese Entfernung 15 — 20 mm betrug. Eine durch das Foramen 
stylom. gelegte Frontalebene fiel in den vorderen Teil des Antrum 
einige Millimeter hinter der Prominenz des horizontalen Bogen- 
ganges. Eine Sagittalebene traf in dem einen die Mitte, in dem 
andern Falle den außen Kand des Tegmen Antri. 

In 6 Präparaten fand sich eine besonders stark entwickelte 
Lamina des Griffelfortsatzes und gleichzeitig eine stärkere Ab- 
weichung des Fallopischen Kanales aus dem Niveau der hinteren 
Gehörgangswand nach hinten gegen den Warzenfortsatz, 2 mal 
kombiniert mit ausgeprägtem Flach verkauf, während 4 mal 
der Sulcus tympanicus nur sehr wenig lateralwärts gekreuzt 
wurde. 



Die Freilegung des Facialis als Voroperation für einige Eingriffe usw. 185 

An sämtlichen 4 kindlichen ;Schläfenbeinen mit Steilverlauf 
lag der Facialkanal genau oder fast genau im Niveau des Sulcus 
tympänicus. Eine vom F©r. stylom. aus eingelegte Sonde zeigte 
an diesen Präparaten eine Richtung nach hinten und median- 
wärts. Die kindlichen Schläfenbeine mit Schrägverlauf des Facial- 
kanals wiesen einer vom Foramen stylom. aus eingeführten Sonde 
eine Richtung parallel der Medianebene des Schädels an. Auch 
bei ausgeprägtem Flachverkauf weicht die in den Fallopischen 
Kanal eingelegte Sonde wenig nach außen ab. 

Am uneröffneten Kanal last sich aus der Richtung einer in 
das Foramen stylom. gesteckten Sonde nur dann die Verlaufs- 
richtung des Kanals zur Medianebene angeben, wenn der Kanal 
an seiner Austrittsöffnung sehr eng ist. Hat derselbe eine Trichter- 
form, so kann man der Sonde unbeabsichtigt beliebige Richtungen 
geben, die sichere Schlüße auf einen Steil- oder Flachverlauf nicht 
zulassen. 

Deshalb sind die Messungen Randalls am uneröffneten Kanal 
nicht einwandsfrei. 

Tomka(ll) hat daraufhingewiesen, daß die Entfernung der 
Warzenfortsatzspitze zu Verletzungen des Facialis führen kann. 
Ich habe an 40 Schädeln die Distanz des tiefsten Punktes der 
Fossa mastoidea, der etwa der Mitte des Ansatzes der Warzen- 
spitze entspricht, vom Foramen stylomastoideum gemessen und 
durchschnittlich einen Abstand von über 10 mm gefunden. In 
3 Fällen mit großem, spongiösem Warzenteil betrug dieser Ab- 
stand jedoch nur 5 mm, die größte Entfernung waren 18 mm. — 
Je nach der Entwicklung des Warzenteils, namentlich der Aus- 
bildung seiner Spitze zu einer schlanken oder mehr plumpen Form, 
wechselt ferner die Entfernung des Foramen stylomastoideum von 
dem vorderen Rande des Processus mastoideus. 1 5 mal war dieser 
Abstand-0, d. h. die vordere Prooessuswand lag dem Foramen 
unmittelbar an. Im Durchschnitt war sie 3 — 4 mm und in 3 Fällen 
sogar 10 — 12 mm hinter dem Foramen. Hier lag dasselbe in 
einer Fortsetzung der Rinne der Fossa mastoidea. 

Daß die Fossa jugularis in unmittelbare Beziehung zu dem 
vertikalen Teil des Facialis treten kann, hat zuerst Zucker- 
kandl(12) erwähnt. Ich fand, daß durchschnittlich das untere 
Ende des Fallopischen Kanales 5 mm vom Foramen jugulare 
entfernt war. Als größter Abstand wurden in 4 Fällen 9—10 mm 
gemessen. Dagegen reichte 6 mal und zwar 5 mal auf der rechten 
Seite, daß Foramen jugulare dicht an die Austrittsöffnung des 



186 XXIV. WINCKLER. 

Facialkanales heran. Zuckerkandl hat an dieser Stelle Dehis- 
zenzen beobachtet, durch die dann der Facialis in direkte Be- 
rührung mit dem Bulbus kommt. In den von mir untersuchten 
Präparaten war die Scheidewand kaum 1 mm dick, nicht dehis- 
zent und ließ sich leicht aufbrechen. 

Auch der Processus jugularis sive paramastoideus, dessen Be- 
ziehungen zu den Warzenzellen für die Verbreitung eitriger Prozesse 
an der Schädelbasis bereits häufig hervorgehoben sind, muß bei 
der Anatomie des Facialkanales erwähnt werden. In 5 Präparaten 
trat er dicht an die mediale Seite des Foramen stylomasto- 
deum heran, während er im allgemeinen nichts mit der Bildung- 
dieses Loches zu tun hat, vielmehr mindestens 6 mm medianwärts 
desselben liegt. 

Vom äußeren Rande der unteren Gehörgangswand bis zum 
Foramen stylomastoideum maß ich 7 — 8 mm als Durchschnitts- 
entfernung. An 3 älteren Schädeln war die Öffnung nur 3 — 4 mm 
von der äußeren Gehörgangsöffnung entfernt, an 9 Schädeln — 
6 jugendlichen — 5 mm, während als größte Entfernung 7 mal 
12 — 13 mm gemessen wurden bei einer durchschnittlichen Dicke 
der unteren Wand von 4 — 5 mm. Sehr oft springt von dem zur 
unteren Gehörgangswand sich umbiegenden Os tympanicum eine 
größere oder kleinere Knochenlippe vor und legt sich wie ein 
Dach über die Nische, in der sich das Foramen stylomastoideum 
befindet. In 19 Fällen fehlte jede Andeutung einer Lippe, und 
war die ganze untere Fläche der unteren Gehörgangs wand bis 
zum Foramen stylomastoideum vollkommen eben. 

Ich glaube, daß man Schwartze nur dankbar sein sollte, 
daß er auf die wechselnde Richtung und Lage des vertikalen 
Facialisabschnittes die Aufmerksamkeit gelenkt hat. Ein regel- 
mäßiger Verlauf, wie ihn Bezold in seinem Lehrbuch für die 
praktischen Arzte akzeptiert hat, besteht nicht. Dies müßte ge- 
rade für den praktischen Arzt genügend hervorgehoben werden. 
Daß die angedeuteten Differenzen in der Lage und Richtung des 
absteigenden Facialkanals bei tiefgehenden Eiterungen der Mas- 
toidgegend und bei den abwärts sich fortpflanzenden Entzün- 
dungen des Sinus von Bedeutung sein können, brauche ich hier 
nicht auszuführen und verweise auf die Arbeit von Tomka. 

Da uns sowohl an der äußeren Schädeloberfläche als auch 
in den eröffneten Mittelohrräumen selbst sichere' Merkmale für 
die Lage des absteigenden Facialisstammes fehlen und wir nicht 
nur bei günstigen, sondern auch ungünstigen Verlaufsrichtungen 



Die Freilegung des Facialis als Voroperation für einige Eingriffe usw. 187 

desselben gezwungen werden können, zur Beseitigung eines 
Krankheitsherdes sehr tief in das Schläfenbein einzudringen, so 
dürfte eine Klarstellung der Richtung des Facialis vor Beginn 
der Knochenoperation eine Berechtigung haben. 

Mit weiterer Verbesserung der Röntgentechnik wird es in 
manchen Fällen gelingen, auch den Fallopischen Kanal zur An- 
schauung zu bringen, zumal bei spongiösen Warzenteilen und 
jugendlichen Individuen. Mir liegt eine Platte vor, bei der man 
in einem spongiösen Warzenfortsatz den ganzen vertikalen Facialis- 
abschnitt verfolgen kann. Indes wird jeder, welcher sich mit 
Röntgenaufnahmen des Schädels und namentlich solchen der 
Ohrgegend beschäftigt, einräumen müssen, daß uns gerade für 
diese Gegend noch jede Erfahrung fehlt, welche Röhrenbeschaffen- 
heit und welche Stromstärke für den zu untersuchenden Fall in 
Anwendung kommen muß, um ein übersichtliches Bild zu er- 
halten. Daher versagen nicht selten die Röntgenaufnahmen ge- 
rade dort, wo man zur Orientierung ein gutes Bild sich wünscht, 
während in anderen Fällen der Zufall ausgezeichnete Bilder zu- 
stande kommen läßt. Die Dicke der Schädelknochen, die Be- 
schaffenheit der ihm anliegenden Weichteile wie der Gehirnmasse 
ergeben nicht voraus zu berechnende Schwierigkeiten, welche 
vorläufig im Einzelfalle nur durch Versuche zu überwinden sind. 

Den sichersten Aufschluß erhält man durch die operative 
Freilegung des Nerven. Wenn man den Verlauf des Gesichts- 
nervenstammes vor seiner Teilung in die Gesichtsäste bis zum 
Austritt an der Schädelbasis kennt, so ist es möglich, seine Lage 
und Richtung im hinteren Abschnitt des Gehörganges bezw. in 
der Pars mastoidea zu beurteilen. 

Hueter (13) und Löbker (14) haben das Aufsuchen des 
Facialis am Foramen stylo mastoideum, wie es von den älteren 
Chirurgen Klein, Schuppert, Baum jun. ausgeübt wurde, 
verworfen, weil die Aufsuchung des Nerven etwas weiter vorn 
leichter und sicherer gelingt. In der Höhe des Ohrläppchens, 
also bereits in der Parotissubstanz spaltet sich der Facialis mit 
einem charakteristischen Winkel in einen stärkeren oberen, mehr 
horizontal verlaufenden und einen schwächeren unteren Ast, der 
nahe dem unteren Kieferrande einen nach vorn konkaven Bogen 
macht. Letzterer ist wegen seiner oberflächlichen Lage leicht zu 
finden. Hat man ihn im Parotisgewebe entdeckt, so muß man 
ihn nach oben verfolgen, kommt an die Teilungsstelle und kann 
von hier aus (Kaufmann [15]) nach rückwärts durch Ver- 



188 XXIV. WINCKLER. 

längening der Schnitte den Nervenstamm bis zum Foramen stylo- 
mastoideum freilegen, allerdings mit Durchschneidung des Parotis- 
gewebes. über dieses Verfahren konnte ich folgende Erfahrung 
machen. 

Bei einer s. g. Bezoldschen Mastoiditis hatte der Durchbruch 
zu einer Schwellung unterhalb des Ohrläppchens geführt, so daß 
der Prozeß von dem behandelnden Arzt als Parotitis aufgefaßt 
wurde. Als der 6jährige Patient von mir übernommen wurde, 
führte die Aufmeißelung des vereiterten Warzenfortsatzes nebst 
Entfernung seiner Spitze in eine Eiterhöhle unterhalb des Gehör- 
ganges, um dieselbe übersehen zu können, schob ich eine 
Koch ersehe Kropf sonde in sie hinein und dehnte äußerst vor- 
sichtig unter Beobachtung des Gesichtes die über ihr befindlichen 
Weichteile nach dem Unterkiefer hin. Ohne vorausgegangene 
Zuckungen der Gesichtsmuskulatur wurde nach Beendigung der 
Operation schon beim Verbände eine totale Facialisparese und 
am nächsten Tage eine vollkommene Lähmung festgestellt, die 
nach völliger Ausheilung der Erkrankung bestehen blieb. Da 
sich der Zustand trotz elektrischer Behandlung, Massage und 
Dehnen der gelähmten Muskeln mit einer Holzkugel unter der 
Wange nicht im geringsten besserte, so glaubte ich, daß für den 
Fall eine Nerventransplantation indiziert sei. Nach Rücksprache 
mit dem Chirurgen des Kinderkrankenhauses schlug letzterer 
dazu den Hypoglossus vor und meinte, den Facialisstamm nach 
Löbker-Hueter aufsuchen zu müssen, da das Narbengewebe 
hinter der Ohrmuschel die Koch ersehe Methode nicht durch- 
führen lassen würde. Es wurde demgemäß, 5 Monate nach der 
ersten Operation, mit einem zirka 5 cm langen Schnitt von der 
Insertion des Ohrläppchens beginnend dem hinteren Kieferrande 
entlang die Wangenhaut, dann die Fascie und schließlich vor- 
sichtig das Parotisgewebe schichtweise durchtrennt, indem die 
Messerschneide gegen den hinteren Band des Kiefers geführt 
wurde. Der untere Facialisast fand sich nicht. Es wurden dann 
vor und hinter diesem Schnitt Parallelschnitte angelegt unter ge- 
nauester Prüfung der durchtrennten Parotissubstanz auf Nerven- 
gebilde. Weder der untere noch der obere Ast kamen zum Vor- 
schein, noch sonst irgend ein Gebilde, das mit einer Nervenfaser 
Ähnlichkeit gehabt hätte. Nach vergeblichem einstündigen Ab- 
suchen wurde dann die ganze Operation aufgegeben und die 
Wunde geschlossen. Der Erfolg war der, daß sich etwa 6 Wochen 
später eine geringe aktive Beweglichkeit am gelähmten Mund- 



Die Freilegung des Facialis als Voroperation für einige Eingriffe usw. 189 

wiiikel einstellte und unter der wieder aufgenommenen elek- 
trischen Behandlung und Massage dann die komplete Lähmung 
der Gesichtshälfte vollkommen zurückging — etwas über 4 Monate 
nach dem mißglückten Versuche der Nervennaht und 9 Monate 
nach der Verletzung des Facialis. 

Nach mehreren Operationen an der Leiche schien mir 
die Hueter-Löbk ersehe Methode für otochirurgische Zwecke 
nicht geeignet zu sein. Dagegen gelang es mir stets, den Nerven- 
stamm am Foramen stylomastoideum zu finden, wenn ich in fol- 
gender Weise vorging. Mit einem nur durch die Haut 
gehenden Schnitt umkreiste ich die Ohrmuschel der- 
art, daß der Schnitt dicht unterhalb des Ohrläppchens 
am hinteren Rande des Unterkiefers endete. Nun prä- 
parierte ich stumpf die Ohrmuschel so weit ab, bis der Ansatz des 
häutigen Gehörganges oben, hinten und unten frei und über- 
sichtlich zutage trat. Nach dieser Präparation palpiert man unter 
dem Gehörgange sofort die hintere Zirkumferenz der Parotis 
unter ihrer derben Fascie, welche in ihren oberflächlichen 
Schichten, soweit sie sich an die untere Gehörgangswand an- 
setzen, bei der Präparation bereits gelockert wurde. Dicht unter 
dem Gehörgange schlitzte ich die Fascie, schob sie nach oben 
und hinten zurück und kam nun in den Raum zwischen An- 
satz des Stemocleidomastoideus, unterer Gehörgangswand und 
Parotis, in welchem ich in wechselnder Tiefe den Facialisstamm 
häufig von zwei Venen begleitet antraf. Er liegt hier in lockerem 
Gewebe und läßt sich bis zu seiner Austrittsöffnung gut isolieren. 

In dieser Weise gelang es mir, auch am Lebenden in zwei 
Fällen den Nerv freizulegen. Der erste Fall betraf einen 14jähr. 
Knaben, der an einer chronischen Ohreiterung längere Zeit aus- 
wärts behandelt war und der dann plötzlich an Schüttelfrösten 
erkrankte und eine Anschwellung hinter dem linken Ohre bekam. 

Als der Knabe einige Tage später mit einer Temperatur von 
38,6 in das Kinderkrankenhaus eingeUefert wurde, fiel außer 
einer Schwellung über dem ganzen Warzenteil und einer kleinen, 
verklebten Inzision am hinteren Rande des letzteren eine hoch- 
gradige Empfindlichkeit des linken Kopfnickers auf, welche eine 
schon fortgeleitete Infektion des Sinus wahrscheinlich machte. 
Nach Unterbindung der äußerlich normalen Jugularis wurde in 
der angegebenen Weise der Facialisstamm freigelegt und die 
Wunde locker tamponiert. Darauf wurden die Weichteile an dem 
Gehörgange bis auf den Knochen durchschnitten und nach Er- 



190 XXIV. WINCKLER. 

Öffnung des mit putridem Eiter angefüllten Processus wurde so- 
fort der Sinus aufgesucht, der flüssigen Eiter beherbergte. Die 
Sinuseiterung war am Knie zum Transversus durch soliden 
Thrombus begrenzt Nach unten zu konnte eine Sonde bis gegen 
den Bulbus hin in den vereiterten Sinus vorgeschoben werden, 
ohne eine Blutung hervorzurufen. Ich nahm nun den Tampon 
am Facialis fort und entfernte mit einer Knochenzange den 
unteren und hinteren Teil des Gehörganges, so daß der ganze 
Verlauf des Gesichtsnerven bis zu seinem Eintritt in die hintere 
Paukenhöhlenwand frei war. Unter leichten Zuckungen des 
Mundwinkels der linken Seite wurde der Facialis mit einem 
kleinen Häkchen nach vom und oben gehalten und nun der 
Bulbus durch Abkneifen seiner lateralen Wand vom Sinus aus 
eröffnet. Kuppelraum und Pauke wurden dann noch nachträg- 
lich eröffnet. In einem zweiten Falle erforderten die nach der 
Trepanation und Spaltung des thrombosierten Sinus sowie Unter- 
bindung der Jugularis fortbestehenden pyämischen Erscheinungen 
eine Kontrolle des Bulbus. Es wurde der Freilegung desselben 
die Präparation des Facialis vorausgeschickt, welche hier etwas 
schwieriger war, weil infolge der Entfernung der Warzenfortsatz- 
spitze der Kopfnickeransatz seinen festen Standpunkt eingebüßt 
hatte und die Weichteile verschoben waren. In beiden Fällen 
zeigte dieser Versuch, daß die Freilegung des Facialis von seiner 
Austrittsöffnung aus nicht nur eine Schonung des Gesichtsnerven, 
sondern auch eine sehr gründliche Besichtigung des Bulbus von 
der lateralen Seite her ermöglicht. Die Entfernung eines größeren 
Teiles der unteren Gehörgangswand verbesserte namentlich die 
Übersicht dadurch, daß den Kaum beschränkende Knochenvor- 
sprünge vom Os tympanicum fortfielen. Mit größeren Gefäßen 
kam ich bei der Freilegung des Nerven nicht in Konflikt. Die 
Pulsationen der Carotis sah man in der Tiefe der Wunde nur 
fortgeleitet, das Gefäß selbst dagegen nicht. 

Der dritte Versuch, den Facialis freizulegen, wurde bei einer 
Bezold 'sehen Mastoiditis gemacht, die eine brettharte Infiltration 
vom Ansatz des Kopfnickers bis zum Kinn aufwies und bei der 
das Ohrläppchen stark nach oben und vorn gedrängt war. Das 
Auffinden des Nerven an seinem Eintritt in die Parotis war relativ 
leicht. Die weitere Freilegung des Nervenstammes nach der 
Tiefe mußte aufgegeben werden, da durch plötzlich hervor- 
quellenden Eiter jede genauere Kontrolle unmöglich wurde. Nach 
Eröffnung des vereiterten Processus, Entfernung seiner Spitze und 



Die Freilegung des Facialis als Voroperation für einige Eingriffe usw. 191 

einer Inzision am vorderen Rande des Sternocleidomastoideus 
konnte der Senkungsabszeß entleert werden und nekrotische 6e- 
websfetzen und Granulationen wurden mit dem scharfen Löffel 
ausgekratzt, da die Lage des Facialis vorher bekannt war. Eben- 
so ließ sich auch die Ausräumung vereiterter Zellen in der Tiefe 
des Warzenteils mit großer Sicherheit ausführen, die nach der 
Lage des freigelegten Nervenstammes taxiert gut 0,5 cm rück- 
wärts von dem vertikalen Facialisabschnitt angetroffen wurden. 

Ungefähr stimmt meine Schnittführung, die nachträglich 
kaum eine wesentliche Verlängerung der sonst hinter der Ohr- 
muschel zurückbleibenden Narbe zur Folge hat, mit der von 
Kocher (16) angegebenen überein, der den Hautschnitt in die 
obere Verlängerung seines Normalschnittes — vom vorderen Ende 
der Processusspitze bis zur Mitte des Zungenbeins — verlegt. 
Bei der Präparation in die Tiefe orientiert sich Kocher nach 
dem sehnigen Ansatz des Kopfnickers und dem vorderen Umfang 
des Warzenfortsatzes, während die älteren Chirurgen nach dem 
Griffelfortsatz fühlten, welcher dem Foramen stylomastoideum 
unmittelbar anliegt oder nur wenige, höchstens 5 mm von ihm 
entfernt ist, und den der Nerv, ehe er in die Parotis eintritt, von 
hinten her umschlingt. Nach meinen Versuchen scheint es mir 
namentlich für otochirurgische Zwecke sicherer zu sein, wenn 
man oben sofort die untere Gehörgangswand zur Orientierung 
benutzt und in dem von ihr und dem vorderen Processusrand 
gebildeten Winkel den Facialis aufsucht Vom vorderen Rande 
des Warzenfortsatzes kann, wie meine Schädelmessungen ergeben 
haben, der Nerv über 1 cm entfernt sein und in vielen Fällen 
ihm wieder dicht anliegen. Von der unteren Gehörgangswand 
dagegen sind die durchschnittlichen Entfernungen weiter, so daß 
eine Läsion des Nerven während der Präparation nicht so leicht 
zu befürchten ist. Will man den Nerv in seinem Kanal freilegen, 
so kann dies mit Fortnahme der unteren und hinteren Gehör- 
gangswand sogleich ausgeführt werden. Von der Hautoberfläche 
ist nach Kocher der Facialis 2,5 cm entfernt und reichlich 
1 cm tiefer als der Vorderrand des Warzenfortsatzes und des 
Sternocleidomastoideus, Entfernungen, die nach meinen Leichen- 
versuchen sehr variabel sind. 

Die Freilegung des Facialisstammes am Foramen stylo- 
mastoideum kann nur dann indiziert sein, wenn die in seiner 
Nähe auszuführende Knochenoperation eine Läsion des Nerven 
befürchten läßt. 



192 . XXIV. WINCKLER. 

1. Bei der gewöhnlichen Totalauf meißelung könnte sie nur 
in den höchst seltenen Fällen in Frage kommen, in denen der 
Fallopische Kanal durch kariöse Prozesse unterminiert ist und 
für deren operative Inangriffnahme eine temporäre Verlagerung 
des Nerven aus seinem Kanal wünschenswert wäre. 

2. Können Eiterungen unterhalb der Spitze des Warzen- 
fortsatzes, die sich bis an den hinteren Rand des Unterkiefers 
erstrecken, die Operation indizieren. Da bei der Freilegung 
derartiger Erkrankungen stets die Warzenfortsatzspitze entfernt 
werden muß, um die Fossa digastrica, in der der Durchbruch 
gewöhnlich erfolgt, in ganzer Ausdehnung übersehen zu können, 
so ist hierbei die sehr verschiedene Entfernung des Foramen 
stylomastoideum von der Fossa wie die sehr variable Gestalt 
der Fossa digastrica selbst zu berücksichtigen. In vielen Fällen 
zeigt letztere eine ausgesprochene konvexe Wölbung nach unten. 
Durchbrüche werden sich bei einer derartigen Gestaltung vor- 
zugsweise unter dem Kopfnicker nach seinem hinteren Bande 
zu senken. In anderen Fällen besteht ein fast horizontaler Ver- 
lauf, so daß der tiefste Punkt der Fossa, welcher ungefähr 
medianwärts der Mitte der Warzenfortsatzspitze liegt, sich in der- 
selben Horizontalebene mit dem Foramen stylomastoideum be- 
findet. Hier ist dann eine seitliche Ausbreitung eines Senkungs- 
abszesses nach dem vorderen Bande des Kopfnickers wie nach 
der Austrittsöffnung des Facialis hin leicht möglich, wobei auch 
die verschiedene Form der letzteren einen Einfluß haben dürfte. 
E. Barth (17) fand eine Bezoldsche Mastoiditis, kompliziert 
durch eine Facialislähmung, die nach der operativen Beseitigung 
der Eiterung sofort zurückging, und meint, daß ein Abszeß der 
Fossa digastrica den Facialis bei seinem Austritt leicht erreichen 
kann, bedürfe bei einem Blick auf ein Knochenpräparat des 
Schläfenbeins keiner weiteren Begründung. Zweifellos lehrt auch 
sein Fall, daß die Senkungsabszesse, die sich nach vorn aus- 
dehnen, eine gewisse Gefahr für den Gesichtsnerv involvieren. 
Daher glaube ich, daß in derartigen Fällen die Freilegung des 
Facialis als Voroperation berechtigt sein kann. 

3. Eine wesentliche Erleichterung verschafft man sich durch 
diese Voroperation, wenn man den Bulbus der Vena jugularis 
von der lateralen Seite her freizulegen gezwungen ist. 



Die Freilegung des Facialis als Voroperation für einige Eingriffe usw. 193 



Literatur : 

!♦ Stacke, Die operative Freilegung der Mittelohrraume etc. 

2. Sieben mann. Mittelohr und Labyrinth- Anatomie pg. 2S1. 

3. Körner. Unters, üb. einige topogr. Verhältn. am Schläfenbein. 
Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. 22 pg. 190. 

4. Bezold. Lehrbuch der Ohrenheilkunde. Wiesbaden, Verlag von 
Bergmann 1906 pg. 18. 

5. St eng er. Zur Thrombose des Bulbus venae jugularis. Archiv für 
Ohrenheilkunde Bd. 54 pg. 222. 

6. Kennedy. Glasgow Nov. 1900. Ref. Centralbl. Chirurgie 1901 
pg. 253. 

7. Manasse. Langenbecks Archiv Bd. LXn pg. 805. 

8. Graf Spee. Skelettlehre. Kopf. pg. 148 ff. 

9. Schwartze. Varietäten im verlaufe des Facialis in ihrer Be- 
deutung für die Mastoidoperationen. Archiv für Ohrenheilkunde Bd. LVII 
pg. 96 ff. 

10. Randall. Gibt es Abweichungen im Verlaufe d. Nerv, facialis, 
welche auf die Warzenlortsatz-Operation von Einfluß sind? Zeitschr. f. 
Ohrenheilk. Bd. 44 pg. 286 ff. 

11. Tomka. Beziehungen des N. facialis zu den Erkrankungen des 
Gehörorgans. Archiv für Onrenheilkunde Bd. 49 pg. 38. 

12. Zuckerkand 1. Makroskopische Anatomie. In Schwartzes Hand- 
buch pg. 17. 

13. Hueter. Chirurgie 1883. Bd. 2 pg. 239 ff. 

14. Löbker. Chirurgische Operationslehre, pg. 317. 

15. Kaufmann. Zit bei Löbker. 

16. Kocher. Chirurgische Operationslehre 4. Auflage 1902 pg. 139. 

17. E. Barth. Zur Kenntnis der Facialislähmung infolge Bezoldscher 
Mastoiditis. Zeitschrift für Ohrenheilkunde. Bd. 50 pg. 282. 



Archiv f. Ohrenheilkunde. 73. Bd. Festschrift. 13 



XXV. 



Ober einen Fall von aknter Hittelohreiternng bei einem 
sporadischen Falle von nbertragbarer Genickstarre. 



Von 

Prof. Hessler in Halle a. S. 
(Mit 1 Kurve.) 



So häufig und wohlbekannt die Fälle von einfacher Ent- 
zündung bis zur totalen Vereiterung des inneren Ohres sind, die 
erfahrungsgemäß die häufigste Ursache von früh erworbener Taub- 
stummheit bei Kindern sind, so selten scheinen Mittelohraffektionen 
bei der früher sogenannten epidemischen Cerebrospinalmeningitis 
(übertragbare Genickstarre) vorzukommen. Wenigstens ist die Zahl 
der letzteren im Verhältnis zu den wohl beschriebenen Fällen der 
ersteren Art in der Literatur verschwindend klein geblieben. Da 
dieser Fall, den ich im Folgenden kurz beschreiben werde, noch 
eine ganze Reihe wissenschaftlich interessanter Einzelheiten bot, 
und mir persönlich wohl tat, daß er nach einer Reihe schlechter Fälle 
wieder einen unerwartet glücklichen Ausgang nahm, so ist er 
für den ganz besonderen persönlichen Zweck als Festgabe für 
meinen Lehrer so recht geeignet. 

Margarethe W.. 4 Va Jahr alt, aus Pr., wurde mir am 5. März d. J. vor- 
gestellt zur Entscheidung der Frage, ob vielleicht das Gehimleiden, die 
Genickstarre eine Folge der linksseitigen subakuten Mittelohreiterung sein 
könne. Der Vater des Kindes hatte folgenden Bericht mitgeschickt : ein im 
1. Lebensjahre entstandenes linksseitij^es Ohrenlaufen war nach einer 
Auskratzung in B. im 2. Jahre vollständig geheilt worden. Am 11. Februar 
wurde das Kind während der Nacht, also ganz plötzlich sehr unruhig, fing 
an zu phantasieren; es wurden gleich darauf Zähneknirschen, Krampi- 
erscheinungen, Augen verdrehen, Erbrechen beobachtet. Am folgenoen 
Morgen wurde ärztlicherseits Gehirnhautentzündung festgestellt und Eis- 
beutel verordnet. Dazu kamen Nackensteifigkeit, die sich rasch zur absoluten 
Nackenstarre steigerte und den Hals so stark nach vom bog, daß die Athmung 
sehr beschwert wurde, und absolute Bewußtlosigkeit. Dieser Zustand dauerte 
3 Tage, darnach trat eine kleine Besserung ein und es kehrte der Verstand 
des Kindes wieder. Auffallend war der folgende Verlauf der Temperatur: 
des Morgens war dieselbe gering und schon gegen Mittag war 40° erreicht 
und blieb das Fieber so hoch bis nach Mittemacht. Das Kind klagte zuerst 



über einen Fall von akuter Mittelohreiterung usw. 195 

nur über Kopfschmerzen, Schmerzen im Leibe und in den Füßen, aber vom 
6. Tage an schrie es laut und unaufhörlich: ^mich friert, mich zudecken, 
mich friert." An diesem Taffe wurde zum eraten Male links wieder Ohren- 
laufen beobachtet, das manchmal blutig ausgesehen haben soll. Genossen 
wurde nur Milch und viel Wasser mit Limonade oder Citrone, ohne er- 
brochen zu werden ; Suppen und feste Speisen wurden zurückgewiesen, weil 
sie infolge der Nackenstarre Schluckbeschwerden zu verursachen schienen. 
Gegen das Fieber war zweimal täglich ein warmes Bad, darnach warme Ein- 
packungen für 1 — 2 Stunden und auch lauwarme Leibumschläge gemacht 
worden. Die gegen den früher normalen Stuhl recht abstechende Obstipation 
war leicht zu beheben gewesen und bereits nach 8 Tagen von selbst wieder 
fortgeblieben. 

Das Kind zeigte bei meiner ersten Untersuchung noch eine stark aus- 
gesprochene Nackenstarre, und wurde von der Mutter so getragen daß es 
mit dem Nacken anf der Schulter derselben zu liegen kam. Er war sehr 
unruhig und schrie ohne Unterbrechung, wie bereits beschrieben, „mich friert, 
mich in den Mantel nehmen und zudecken, mich friert." Der Puls war sehr 
rasch, 136 in der Minute und sehr klein, das Gesicht ängstlich verzogen, jede 
Lageänderung des Körpers wurde wegen Bewegung des Nackens ängstlich 
vermieden und war sehr empfindlich. Die Pupillen waren ungleichmäßig, die 
rechte noch enger als die linke, aber deutlich reagierend. Unter diesen 
Umstanden war die Untersuchung der Ohren eine sehr schwierige Sache für 
mich und eine sehr schmerzhafte für das Kind. Das linke Trommelfell zeigte 
eine frische, subakute Ohreiterung mit einer mehr rundlichen Öffnung in 
der vorderen Hälfte. Eine endzündliche Reizung des Knochens bestand 
sicher nicht. Als ich auch das rechte Ohr untei-suchen wollte, bat mich die 
Mutter, von dieser Untersuchung absehen zu wollen, da das. Kind ja doch 
gut höre, bisher nie über dasselbe geklagt und auch der Arzt zu Hause noch 
bei seiner letzten Untersuchung versichert habe, daß dasselbe nicht erkrankt 
sei. Zu Aller Überraschung fand ich aber rechts die sicheren Zeichen einer 
frischen Mittelohrentzündung. Das Trommelfell zeigte eine frische Injektion 
und seröse Durchtränkung, dabei noch eine Andeutung des Lichtreflexes, 
eine totale Aufrichtung, besonders in seiner hinteren Hälfte und ließ ein 
mehr seröses als eitriges Exsudat durchscheinen. Von dem Kinde selbst 
war absolut keine Auskunft etwa über Empfindlichkeit des rechten Warzen- 
fortsatzes oder der Partien vor dem Ohre oder gar über eine Gehörprüfung 
zu erhalten, es schrie ohne Unterbrechung: ,,mich friert, ich will ins Bett, 
mich friert". Ich eröffnete nun zuerst der Mutter, daß die Genickstarre 
höchstwahrscheinlich nicht otogenen Ursprungs etwa vom linken Ohre sein 
würde, daß aber rechterseits die Paracentese des Trommelfells zur Entleerung 
der serös-eitrigen Exsudats hinter demselben nötig sei. Nunmehr kam die 
Mutter mit dem Zugeständnis heraus, daß auch ihr Hausarzt zuerst von der 
epidemischen Genickstarre gesprochen, aber nachher ihr mitgeteilt habe, daß 
diese ausgeschlossen sei. Er habe aber zu gleicher Zeit mit ihrem Kinde 
noch ein 2. Kind mit denselben Krankheitserscheinungen zu behandeln gehabt 
und sehr rasch verloren. Es war nicht leicht, die Mutter von der Not- 
wendigkeit des Trommelfellschnitts rechts zu überzeugen. Es entleerte sich 
nun bei der Paracentese eine dünne, seröse, trübe, dünngallertige, graue 
Flüssigkeit, in kaum 5 — 7 Tropfen, die nach dem Aussehen sicher nur w^enig 
Eiterkörperchen enthielt. Bei der einmaligen Anwendung des Politzer sehen 
Verfahrens hörte man beiderseits ein breites, leichtes Perforationsgeräusch. 
Beiderseits hatte sich das Sekret in verhältnismäßig geringer Menge in den 
Gehörgang entleert; dasselbe war links ein einfach schleimig-eitiiges, rechts 
ein mehr seröses. Eine wesentliche Änderung in dem ängstlichen, empfind- 
lichen Krankheitszustande des Kindes war nicht zu bemerken. Verordnet 
wurden Fortsetzung im Auflegen eines nicht zu sehr gefüllten und durch 
seine Schwere den Kopf des Kindes bedrückenden Eisbeutels, sowie Milch 
und durststillende Flüssigkeit wie bisher. Der Zustand war am folgenden 
Morgen unverändert gegen früher; Patientin hatte nur sehr wenig und sehr 
unruhig geschlafen, immerzu laut gejammert und fferufen : „mich friert, mich 
zudecken, mich friert." Das Fieber war so hoch geblieben wie zu Hause. 

13* 



196 XXV. HESSLER. 

Im rechten Ohre war nur eine sehr geringe Menge dünnen Sekrets. Aber 
es wollte mir so scheinen, als ob die Innenpartie des Warzenfortsatzes über 
seiner Spitze etwas dnickempfindlicher geworden sei als gestern. Nun trat 
ganz unerwartet ein neues Symptom auf. Als ich gestern behufs Prüfung 
der Empfindlichkeit des rechten und linken Warzeniortsatzes denselben mit 
meinem rechten Mittelfinger perkutierte, hatte ich einen kleinen Unterschied 
im Perkussionsschall zwischen links und rechts feststellen zu können ge- 
glaubt Während derselbe links mehr normal und leer war, klang er rechts 
etwas tympanitisch. Und heute war derselbe links unverändert, aber rechts 
bot er deutlich das Geräusch eines gesprungenen Topfes ; dasselbe war über 
dem Warzenfortsatz am deutlichsten und nahm in zunehmender Entfernung 
von ihm langsam ab; eine leichte Verstopfung des rechten Ohrs mit Watte 
hatte keine auffallige Veränderung des Geräusches zur Folge. Es gelang mir 
auch heute, die Frage zu entscheiden, ob das ununterbrochene Jammern des 
Eandes über das Frieren auf subjektives Kältegefühl oder auf Hyperästhesie der 
Haut zu beziehen sei. Auffallend war schon, daß es sehr bald ruhig wurde 
und den Eindruck des sich Besserbefindens machte, sowie es fest mit warmen 
Decken zugedeckt, und an die Füße eine Wärmeflasche gestellt wurde. Nun 
aber konnte ich unzweideutig feststellen, daß leichte Nadelstiche und Be- 
rührungen des Körpers bis zum leichten Kneifen nicht schmerzhafter als 
normal empfunden wurden. Eine hyperästhetische Haut, wie sie bei der 
Cerebrospinalmeningitis so häufig vorkommt, bestand demnach in unserem 
Falle nicht. Da nun eine Besserung im Zustande des Kindes nicht zu er- 
hoffen war, schluj^ ich der Mutter die Aufmeißelung des rechten Warzen- 
fortsatzes vor. Diese mußte von der Aussichtslosigkeit der bisherigen Be- 
handlung zu sehr überzeugt sein, so unerwartet rasch entschied sie sich für die 
Operation, die noch an demselben Tage ausgeführt wurde. 

Die Chloroformnarkose hatte auf die Genickstarre absolut keinen Ein- 
fluß, der Kopf des Kiudes blieb unverändert stark nach hinten retrahiert 
und erschwerte die- Operation. Zuerst wurde vom Herrn Kollegen F. die 
Lumbalpunktion gemacht: es entleerte sich eine Flüssigkeit zuerst rein und 
klar erscheinend, förmlich im Bogen herausspritzend, unter so starkem Drucke 
mußte sie im Rückenmarkskanale gestanden haben ; es wurde nun 3 bis 4 ccm 
Lumbaiflüssigkeit abgelassen; diese zeigte sich im Glase gleichmäßig leicht 
getrübt. 

Bei der Aufmeißelung des Warzenfortsatzes selbst zei^e die Oberfläche 
des Knochens keine Veränderungen, aus denen man auf eine Mitbeteiligung 
desselben an der Mittelohreiterung hätte schließen können. Man sah noch 
deutlich als unregelmäßige Furche die Fissura petroso-mastoidea verlaufen, 
und diese war durch gefäßhaltiges Bindegewebe, das sich beim Zurück- 
schieben des Periosts schwer lösen ließ, noch fester mit letzterem verbunden. 
Die Oberfläche des Warzenfortsatzes zeigte nicht die Wölbung, die man bei 
gut entwickelten Knochen findet, sondern mehr furchenförmige, unregel- 
mäßige Vertiefungen ; die Warzenf ortsatzspitze war gleich wenig entwickelt. 
Beim Meißeln fühlte sich der Knochen weicher an, als man mn sonst bei 
Kindern gleichen Alters findet. In der Tiefe von V^ cm wurde er rötlich- 
bräunlich verfärbt und weicher, und in der Tiefe von 1 cm und in der 
Gegend des Lateralsinus deutlich schwärzlich und noch weicher beim Meißeln. 
Der Sinus selbst brauchte nicht bloßgelegt zu werden. Relativ tief und 
weit nach vom lag das Antmm mastoideum; dasselbe war sehr klein und 
enthielt keinen Eiter, wenigstens sah ich bei der Eröffnung desselben nur 
dünnes Blut heraustreten. Eine Kommunikalion desselben mit dem Mittelohr 
bestand sicher nicht. Vollständige Entfernung aller verfärbten Knochenpartien, 
bis normal harter und aussehender Knochen vorlag. Einfacher Verband. 

Auf meine Veranlassung wurde die Lumbaiflüssigkeit und ein 
Stück des Warzenfortsatzknochens an das hiesige Hygienische 
Universitäts-Institut zur bakteriologischen Untersuchung übergeben. 
Es war mir der Unterschied zwischen der Stärke der Genick- 



j 



über einen Fall von akater Mittelohreiterung usw. 197 

starre und dem relativen Freisein des Sensoriums des Kindes als 
sehr abweichend von dem üblich mehr gleichen Grade derselben 
bei der otogemen Meningitis und deshalb als mehr verdächtig 
auf die übertragbare Genickstarre aufgefallen. Es war nicht leicht, 
das Kind zu beruhigen, das immer nach der Mutter verlangte, die 
stets an seinem Bette saß, und unaufhörlich sein ^mich friert, mich 
zudecken" wiederholte; gelang es aber, seine Aufmerksamkeit 
hiervon abzulenken, konnte man sehen, wie klar sein Erinnerungs- 
vermögen und sein Verstand waren gegenüber der Stärke der 
Genickstarre; irgend ein, auch nur leichter Druck auf das Gehirn 
durch irgend eines stärkere intrakranielle Affektion, als eine seröse 
Meningitis mit sehr wenig Leukocytenbeimengung konnte kaum 
vorliegen. 

Es war mir noch am Wahrscheinlichsten, daß es sich um 
einen leichten, prognostisch günstigen Fall von übertragbarer Ge- 
nickstarre handeln möchte, der mit einer doppelseitigen Mittelohr- 
eiterung kompliziert war. Da nun auch der Hausarzt zuerst unter 
dem Einflüsse des Anfanges, der Symptonengruppe und dem ersten 
Verlaufe der Krankheit stehend von einer übertragbaren Genick- 
starre gesprochen, nach einigen Tagen aber dieselbe als aus- 
geschlossen den Eltern des Kindes hingestellt hatte, nahm ich an, 
daß derselbe die Änderung seiner Diagnose auf Grund einer 
etwaigen bakteriologischen Untersuchung von Blut oder Nasen- 
rachenschleim der kleinen Patientin vorgenommen haben konnte. 
Auf meine telephonische Anfrage noch an demselben Abende erfuhr 
ich vom oben genannten Institute, daß allerdings das Blut unserer 
Patientin bakteriologisch untersucht sei; aber mit negativem 
Resultate. 

Dieses negative Resultat der bakteriologischen Blutuntersuchung 
auf die intrazellularen Diplokokken Weichselbaum's konnte durch 
3 Umstände begründet sein: 1. konnten die Krankheitserreger in 
dem zugesandten Blute nicht in genügender und sicher nachweis- 
barer Menge vorhanden gewesen sein; 2, konnten sie durch die 
Art und die Dauer der Zusendung bis zur bakteriologischen Unter- 
suchung zur Abtötung gekommen und dadurch nicht mehr nach- 
weisbar geworden sein; und 3, sie fehlten überhaupt im Blute 
des Kindes oder waren so wenig lebensfähig gewesen, daß sie 
die Entnahme aus dem Körper nicht hatten überdauern können. 
Es war also eine Nachkontrolle der ersten bakteriologischen Unter- 
suchung meinerseits nicht unberechtigt. 

Um nun noch eine Bestätigung des bisherigen Krankheits- 



198 XXV. HESSLER. 

hildes und des Krankheits Verlaufs durch den behandelnden Arzt 
zu erhalten, schrieb ich an den Herrn Kollegen und erhielt um- 
gehend folgenden Bescheid: 

Das Kind war unter den Erscheinungen eines akuten Magendarm- 
darmkatarrhs erkrankt mit Erbrechen, Durchfall, Fieber; als Ursache war 
^anscheinend schon verdorben gewesene Torte mit Schlagsahne" angesehen. 
Die heftigen meninffitischen Symptome hatten den Verdacht auf übertragbare 
Genickstarre erweckt und einmal die amtliche Meldung des Falls als ver- 
dächtig auf epidemische Genickstarre und andererseits die Entnahme des 
Blutes des Kindes behufs bakteriologischer Untei-suchung veranlaßt. Die 
Lumbalpunktion war aus Mangel an nötiger persönlicher Übung unterlassen. 
In der letzten Zeit hatten sich etwas Husten und katarrhalische bronchitische 
Geräusche eingestellt. Ein auffälliger und besonderer Schnupfen zu Anfang 
der Krankheit war nicht beobachtet worden. Am 10. Febmar, also 1 Tag 
vor Beginn der plötzlichen Erkrankung unseres Kleinen, wurde er zu dem 
4jährigen Walter H. in das benachbarte G. geholt und konstatierte er 
Bronchitis. 2 Tage später stellte sich auch bei diesem Patienten Erbrechen 
ein, am 4. Tage Zähneknirschen, Pupillenstarre, klonische Krämpfe des 
rechten Arms und Bewußtlosigkeit, die rasch eine absolute wurde. Es be- 
stand keine ausgesprochene Nackensteifheit Das Fieber war allmählich 
gestiegen und die letzten Tage auf 40 <* und darüber geblieben. Der Puls 
war zuletzt nicht mehr zu zählen gewesen. Die Untersuchung der Ohren 
ergab negativen Befund. Die bakteriologische Untersuchung des Blutes im 
schon mehrfach genannten Institute war gleichfalls negativ ausgefallen. 
Tod unter den Erscheinungen der Herzparalyse am 4. Tage nach dem 1. Er- 
brechen und ungefähr am 8. Tage der Krankheit Keine Sektion. 

Im Orte selbst war die allgemeine Volkstimme, daß es sich 
in diesen beiden Fällen um die richtige epidemische Genickstarre 
handelte. 

Der weitere Krankheits verlauf bot nichts besonderes. In den ersten 
3 Tagen war in dem Wesen des Kindes kein großer Unterschied zu merken. 
Es schrie ebenso viel nach der Mutter, die am 3. Tage wieder abgereist 
war, als es seine alten Klagen wiederholte „mich friert, mich zudecken, 
mich friert'', und zog sich dabei die Bettdecke so hoch über den Kopf, 
daß man ihn kaum noch sehen konnte. Sonst lag es ruhig auf dem Rücken, 
behielt seinen Eisbeutel auf dem Kopfe, verlangte und nahm Milch zu 
trinken, ohne danach zu brechen, der Schlaf war nicht tiefer und mehr als 
vor der Operation. Der Puls blieb gleich schnellend, dünn und schwankte 
zwischen 128 des Morgens und 158 des Abends. Die Warzenfortsatz wunde 
war absolut gut und die Sekretion aus dem rechten Mittelohre blieb eine 
mehr seröse. Da kam es plötzlich nach dem 2. Verbandwechsel und am 
4. Tage nach der Operation zu einem bedeutenden Abfall der Temperatur 
(siehe beifolgende Kurve in dem Text) von 38,6 des Abends auf 37,2, und 
seitdem blieb sie unverändert normal. Ebenso entschieden war die Besserung 
des Allgemeinbefindens. Das Kind war viel ruhiger geworden, ließ sich 
ruhig und, ohne daß es über Nackenschmeraen dabei klagte, auf eine Seite 
legen, sodaß es von ferne dem Spiel seiner Mitkranken zusehen konnte, war 
nicht mehr so abweisend gegen die Pflegerin, verlangte nicht mehr so viel 
nach der Mutter, war also viel teilnehmender, und schlief auch in der Nacht 
viel ruhiger und tiefer und nicht mehr immer in derselben Lage auf dem 
Rücken. Verbandwechsel alle 2 Tage, dabei wurden jedesmal nur 1 Mal 
mit dem Politzerschen Ballon beide Ohren von Sekret gereinigt. Beim 
4. Verbandwechsel war rechts kein Perforationsgeräusch mehr zu hören, die 
Paracentesenöffnung hatte sich geschlossen. Da nun auch im linken Ohre 
die Sekretion, die eine an und für sich schon geringe Schleimeitersekretion 
gewesen war, zusehends abnahm, habe ich seitdem nicht mehr gepolitzert. 
Die Nackenstarre nahm langsam aber deutlich ab, und die Bewegungen des 



über einen Fall von aknter Mittel oh reilciiing usw. 199 

Kopfes worden Ksnz von Bcibst. und ohne daß man das Kind zu aktiven 
BeweguDseo au^ufurdern braucnte, Bchmcrzfreier und leichter und püUer. 
An) IS. MäiY, also am 12. Tage nach der Aufmeißlung, stand das Kind 
zum 1. Male auf, konnte aber onne Untcrstötzung nicht allein gehen, so ab- 
gemagert war es; sowie es sich aber mit jeder Hand an einem l'in^r der 
Krankenpflegerin festhalten konnte, ging es ohne Schwanken durchs Zimmer, 
war also frei von jedem Sehwindel. Seit diesem Tage war auch der Schlaf 
absolut nilii^, tief und ohne Jede Störung gewesen. Nach weiteren S Tagen 
war die Kleine so weit, daß sie nur ihre Mahlzeiten im Bette nahm und 
einen langen Mittagsschlaf machte, die übrige Zeit aber aufblieb und all- 
mählich das Gehen wieder eilernte. Sprach sie vorher gar nicht, so fing 
sie jetzt von selbst an sich mit der Krankenpflegerin zu unterhalten und 
achlieOlich sprach und fragte sie mehr, als Zeit ihr zu antworten vor- 
banden war. Die Operations wunde verheilte nur eelir langsam und hielt 
gleichen Schritt mit der Zunahme des KÖrpergcwichtg , aber das Kind er- 
Eolte sieh nur langsam, und man hatte daaurdi den bestimmten Eindracb. 
daß es eine schwere Krankheit durchzumachen gehabt hatte. Man konnte 
die Hückkchr zur Gesundheit am besten am Pulse verfolgen, der eine ganze 
Zeitlang um 120 in der Minute schwankte, später langsam nuf S6— 9<> 
schwankend abnahm. Ich darf hier gleich vorbemerken, dal) der Puls des 
Kindes auch bei seiner Kntlassung am 10. Mai ijhcr S<> konstant blieb. 



Am 1. April war die Operations wunde fast verheilt und das linke Ohr 
absolut trocken geworden. Es stieg von da ab die Temperatur stetig in 
die H5he (s. beifolgende Tabelle) und erreichte am 3. April die böcliBte 
Höhe von 38,8. Das Wesen des Kindes war etwas verändert, es wollte 
wieder mehr zu Bott, sprach nicht so viel mehr, hatte keinen rechten 
Appetit, aber sonst keine Schmerzen. Die Mandeln waren beiderseits ebenso 
wie der weiche Gaumen hochrot und angeschwollen, die Halslymphdrüsen 
beiderseits deutlich vergrößert anzufühlen und bereits etwas schmerzhaft. 
An demselben Abend begann die Haut das Schariachexanthen zu zeigtai. 
Der Verlauf des Sehariacha war der Fieberkurve entsprechend ein relativ 
leichter. Die Schwellung der Mandeln und der Halslymphdrüsen nahmen 
erst von der Mitte der 1. Woche an wieder ab, dementsprechend hob eich 
von da ab das subjektive Wohlbefinden und erholte sich Patientin wieder. 
Inzwischen war die Operationswunde unter einem trockenen Schorfe von 
selbst geheilt Das Gehr.r wav gleich vom Beginne der 3. Woche der Be- 
handlung so gut wieder geworden, daß man es ruhig als normal bezeichnen 
darf; eine eigentliche Gchöqtrüfung konnte nicht gemacht werden, da die 



200 XXV. HESSLER. 

Kleine absolat nicht nachsprach. Eine Anfrage an den Vater zwecks Ein- 
willigang zur Operation der Hals- nnd Rachenmandel seines Kindes wurde 
ablehnend beantwortet, letzteres könne nicht halskrank sein, wie sie es 
bisher nie gewesen sei. So wurde Patientin am 10. Mai geheilt entlassen. 

Nun zur bakteriologischen Untersuchung des Falles. Das 
mehrfach genannte Institut hatte am Tage nach der Zusendung 
der Lumbaiflüssigkeit und eines ausgemeißelten Knochenstückchens 
vom Warzenfortsatze den Bescheid gegeben, daß es sich mit aller 
Wahrscheinlichkeit um Meningitis cerebrospinalis epidemica handle, 
daß aber erst das kulturelle Verhalten der gezüchteten Kokken 
geprüft werden müsse. 5 Tage später wurde durch das Telephon 
die Anzeige übermittelt, daß epidemische Genickstarre er- 
wiesensei. Die Jaeger- Weich selbaum'schen intracellulären Diplo- 
kokken hatten sich aber nur in der Lumbaiflüssigkeit nachweisen 
lassen, in dem Warzenfortsatzknochenstückchen waren keine zu 
finden gewesen. Eine Notiz über eine mikroskopische Untersuchung 
der Lumbaiflüssigkeit war nicht gemacht. 

Auf diese bakterielle Diagnose auf übertragbare Genickstarre 
hin wurde das Kind ins Isolierhaus verlegt, wo es sich später 
Scharlach geholt hat. 

Daß die nachträgliche 2. bakteriologische Untersuchung des 
Falles positiv beweisend ausgefallen war, hat zweifelsohne daran 
gelegen, daß das I. Untersuchungsobjekt an und für sich zur 
Untersuchung ungeeignet gewesen war. Das entspricht der all- 
gemeinen Erfahrung, daß das Blut eines Patienten nicht so 
vorteilhaft, geeignet und entscheidend ist als etwa die Lumbai- 
flüssigkeit. 

Wenn wir mit dieser Diagnose des Falles auf epidemische 
Genickstarre nunmehr den 2. Krankheitsfall in seiner Symptom- 
atologie und Verlaufsweise vergleichen, so hat man den Eindruck, 
daß der Patient so gut wie sicher an derselben Erkrankung ge- 
storben ist. So ist nachträglich der erste Verdacht des behandelnden 
Arztes auf übertragbare Genickstarre in diesen beiden Fällen 
durch die bakteriologische Untersuchung über allen Zweifel sicher 
gestellt worden. Ich will hier gleich bemerken, daß diese 2 Fälle 
die einzigen in Pr. geblieben sind, und daß ärzthcherseits die 
Entstehung und Übertragung dieser sporadischen Form der über- 
tragbaren Genickstarre haben nicht festgestellt wSrden können. 

Wir kommen nun zur Diagnose der Ohreiterung unseres 
Falles von sicher erwiesener übertragbarer Genickstarre. Es handelt 
sich da um die Entscheidung der Frage, ist die Ohreiterung eine 
symptomatische Teilerkrankung der letzteren, oder eine einfache 



über einen Fall von akuter Mittelohreiterung usw. 201 

Komplikation derselben. Hätte die bakteriologische Untersuchung 
des Mittelohrsekrets stattgefunden, was leider versäumt worden 
ist, und hätte diese sowie diejenige des Warzenfortsatzknochen- 
stückchens die Weichselbaum'schen intracellulären Diplokokken 
ergeben, so wäre die Diagnose symptomatische Otitis media bei über- 
tragbarer Genickstarre sicher gestellt gewesen. So hat aber die 
bakteriologische Untersuchung des letzteren Objekts ein negatives 
Resultat ergeben. Es gibt nun zur Erklärung desselben 3 Möglich- 
keiten. Entweder ist das Knochenstückchen zu ungeeignet zur bak- 
teriellen Untersuchung gewesen, oder es hat dasselbe überhaupt 
keine Weichselbaum' sehen Diplokokken gehabt, oder 3, die letzten 
sind so wenig lebensfähig gewesen, daß sie bis zur Untersuchung 
selbst abgestorben gewesen sind. Deshalb ist in unserem Falle 
kein Beweis dafür erbracht, daß die Ohreiterung ein Symptom 
der Hauptkrankheit, der übertragbaren Genickstarre gewesen ist 
Ohne Bedeutung für die Diagnose bleibt der Umstand, das links 
die Otorrhoe bereits am 6. Krankheitstage beobachtet worden war. 
Wenn man bedenkt, daß bei einer „Gehirnhautentzündung" weder 
der Arzt noch die Angehörigen des Kranken erfahrungsgemäß 
keine Veranlassung zu haben glauben, das Ohr zu untersuchen, 
zumal wenn wie in unserem Falle die Kranke nicht über Ohr- 
schmerz klagt und die Angehörigen keine Schwerhörigkeit be- 
merkt haben wollen, wenn man weiter berücksichtigt, daß mindestens 
2 — 3 Tage vergangen sein müssen, bis ein Ausfluß aus dem ent- 
zündeten Ohre bemerkt wird, so darf man für den vorliegenden 
Fall das als mit Sicherheit festgestellt annehmen, daß die Ohren- 
entzündung links gleich im Anfange der übertragbaren Genick- 
starre mit aufgetreten ist. Dieselbe blieb während des ganzen 
Verlaufs eine relativ einfache, wenig schleimig-eitrig sekretorische 
und kam leicht zur :Wiederausheilung mit einer wahrscheinlich 
schon von früher her bestehenden persistenten Trommelfellöffnnng. 
Es ist deshalb der Schluß von dem leichten Verlaufe der 
linksseitigen Ohrentzündung auf die allerdings viel später er- 
wiesene Mittelohrentzündung rechts wohl berechtigt, daß die letztere 
von allem Anfang an ungleich leichter, das Gehör nicht ganz auf- 
fällig störende gewesen ist. Die Möglichkeit ist nicht von der 
Hand zu weisen, daß auch die rechtsseitige Ohrentzündung wie die 
linksseitige von Anfang der Krankheit an bestanden hat. Es ist 
für den ungeübten Arzt wohl möglich, „bei der Ohrenspiegel- 
untersuchung keinen Befund" festzustellen, weil eben bei den ein- 
fachen mehr serösen als serös-eitrigen Tuben-Mittelohrkatrarrhen 



202 XXV. HESSLER. 

der otoskopische Befand am Trommelfelle ein von dem normalen 
nur wenig abweichender und deshalb leicht zu übersehender ist. 

Nehme ich alle diese Umstände zusammen, so halte ich mich 
zu der diagnostischen Annahme berechtigt, daß die doppel- 
seitige Ohrentzündung in diesem Falle eine symptomatische Teil- 
erkrankung der nachgewiesenen übertragbaren Genickstarre ge- 
wesen ist, und daß keine Veranlassung vorliegt; sie als genuine 
Otitis media und als Komplikation des letzeren aufzufassen. Und 
nach dem Befunde der bakteriologischen Untersuchung und haupt- 
sächlich nach dem Krankheits verlaufe glaube ich schließen zu 
dürfen, daß die Infektion beider Mittelohre eine mehr leichte und 
direkt durch die Tuben von der Nase und dem Nasenrachenraum 
fortgeleitete gewesen ist, was den heutigen Anschauungen ent- 
spricht; daß femer in Berücksichtigung des fast negativen ana- 
tomischen Befundes am operierten rechten Warzenfortsatz und der 
stark von Anfang der Krankheit an und im späteren Verlaufe 
derselben hervortretenden sogenannten meningitischen Symptome die 
Infektion des Cerebrospinalraums eine schwerere und hämatogene 
gewesen ist. 

Nach dem im ganzen nicht besonders schwerkranken Aus- 
sehen des Kindes und vor allem nach dem verhältnismäßig 
freien Sensorium desselben hatte ich für mich die Prognose des 
Falles mehr günstig gestellt. Dem hatte der anatomische Befund 
am rechten Warzenfortsatz nicht widersprochen. Ich mußte aber 
nach 2 Richtungen nicht unbegründete Befürchtungen haben : War 
die lokale Infektion rechts nicht bereits durch die Knochengefäße 
hindurch und etwa auf den Lateralsinus übergegangen, und 2, 
konnte nicht auch noch vom linken Ohr her eine intrakranielle 
Sekundärinfektion erfolgt sein? Der weitere Verlauf des Falles 
lehrte, daß beide Befürchtungen nicht zutrafen: pyämische Er- 
scheinungen blieben aus und die Sekretion des linken Ohres ließ 
sehr bald nach. Am 4. Tage nach der Aufmeißlung erfolgten der 
Temperaturabfall und die zunehmende Genesung der Patientin. 

So war der sichere Beweis geliefert, daß die fieberhafte Er- 
krankung, wegen welcher das Kind nach Halle gebracht worden 
war, von einer Eiterung des rechtenOhres abhängig war. Wieschon 
erwähnt, hatten die Mutter und der behandelnde Arzt keine Ahnung 
von dem Bestehen desselben gehabt. Nur die pf licht- und ge- 
wohnheitsgemäße Untersuchung beider Ohren meinerseits hatte 
den Sitz der Krankheit richtig gefunden, und meine lokale Be- 
handlung derselben noch rechtzeitig das Glück gehabt, das Leben 



über einen Fall von akuter Mittelohreiterung usw. 203 

des Kindes zu retten. Diese alte Erfahrung kann selbst heutzutage 
noch nicht oft und laut genug gepredigt werden. Gibt sie doch 
die schönste Belohnung für unsere ärztliche Gewissenhaftigkeit 
in der Möglichkeit, ein Menschenleben zu retten. Es muß für den 
vorliegenden Fall die Möglichkeit zugegeben werden, daß bei 
nicht rechtzeitiger Erkennung und operativer Behandlung der 
rechtsseitigen Mittelohr- Warzenfortsatzeiterung der schließliche Aus- 
gang derselben in dem Tod durch Gehirnentzündung erfolgt wäre. 
Es erinnert unser Fall sehr an den von Loewenberg vor genau 
35 Jahren in der Berliner Klinischen Wochenschrift 1872 Nr. 10. 
S. 116 veröffentlichten Fall von Fremdkörper im Ohre. Hier war 
bei einem Kinde in einem Ohre nach einem Fremdkörper mit 
und ohne Instrumente ärztlicherseits mehrfach gesucht und mehr- 
fache Zerstörungen im Gehörgang, Trommelfell und Mittelohr 
gesetzt worden, während der Fremdkörper durch die altgewohnte 
Sitte Loewenberg's stets beide Ohren zu untersuchen, im andern 
Ohre nachgewiesen und dann schmerzlos entfernt wurde. 

Das war die 1. Eigentümlichkeit unseres Falles, daß die 
Krankheit nicht von dem bekannt erkrankten linken, sondern von 
dem nicht bekannt erkrankten rechten Ohre herstammte. 

Die 2. Eigentümlichkeit unseres Krankheitsfalles ist, daß er der 
einzige blieb, daß Ansteckungen Anderer an übertragbarer Genick- 
starre nicht stattgefunden haben. Zur Erläuterung dieses Momentes 
muß ich weiter ausholen und diejenigen wissenschaftlichen Er- 
fahrungen anziehen, die gelegentlich der Epidemie von übertrag- 
barer Genickstarre im Frühjahr 1905 in Oberschlesien gemacht 
und von den verschiedensten Ärzten zusammen in dem Klinischen 
Jahrbuche Band XV zusammengestellt sind. Diese liegen zu 
Grunde der ministeriellen Verfügung vom 10. August 1906 die 
als „Tl. Anweisung für die Bekämpfung der übertragbaren Ge- 
nickstarre" als besondere Beilage zu Nr. 51 der Veröffentlichungen 
des Kaiserlichen Gesundheitsamts im Jahre 1906 veröffentlicht ist. 

Die Empfänglichkeit für die Krankheit ist am größten bei 
Kindern bis zum 4. Lebensjahre, selbst bei Säuglingen, auch bei 
älteren Kindern nicht selten vorhanden. Ein gehäuftes Auftreten 
ist mehrfach in Massenquartieren beobachtet worden. Die Über- 
tragung auf Gesunde kommt entweder durch den Verkehr mit 
Kranken oder durch gesunde Personen zustande, welche mit 
Kranken in Berührung gewesen sind, auch durch die Benutzung 
von Gebrauchsgegenständen der an Genickstarre erkrankten Per- 
sonen. Es ist für strengste Absonderung zu sorgen, bis die Krank- 



204 XXV. HESSLER. 

heitserreger auch nicht mehr im Nasenrachenschleim nachweisbar 
sind. Auch die gesunden Personen aus der Umgebung des Kranken 
sollten sich prophylaktisch mehrmals täglich Mund und Nase mit 
einem Desinfiziens ausspülen. 

Nach Westenhöffer^) geschieht die Infektion mit dem 
Meningokokkus durch Einatmung. Die Erankheitskeime passieren 
unaufgehalten die vorderen Nasenabschnitte, oder gehen, wenn 
sie dort liegen bleiben, zu Grunde. Sie setzen sich im lymphatischen 
Bachenraum, speziell in der Bachentonsille fest, und infizieren von 
hier aus die mit den hintersten Abschnitten der Nase in Ver- 
bindung stehenden Höhlen, das Ohr und die Eeilbeinhöhle. Eine 
Untersuchung auf die Krankheitserreger kann nur dann ein ein- 
wandfreies Resultat erzielen, wenn das ßachensekret untersucht 
wird, wenn die Entnahmesonde bis zum Sachen gelangt. . . Er 
glaubt mit einem gewissen Rechte den Satz aufstellen zu können: 
Die übertragbare Genickstarre befällt hauptsächlich Menschen 
mit dem sog. Lymphatismus (mit Hyperplasie des lymphatischen 
Systems). Wir wissen von Alters her, daß solche Menschen mehr 
als andere zu Infektionskrankheiten neigen, unter denen an der 
Spitze steht die Tuberkulose. Auch Scharlach befällt solche Leute 
mehr als andere. Diesen Infektionskrankheiten reiht sich die Ge- 
nickstarre an, ja man kann wohl sagen, daß bei keiner der anderen 
diese Beziehung so deutlich zu Tage tritt, wie bei der Genick- 
starre. Damit soll natürüch nicht gesagt sein, daß nur solche 
Menschen die Genickstarre bekommen können, oder daß dieser 
Lymphatismus das einzige disponierende Moment ist. Es ist nur 
eines derselben, die wir vorläufig sehen und mit dem wir rechnen 
müssen. Wir würden darin auch eine ganz plausible Erklärung 
für das eklektive Verhalten der Krankheit bei Kindern einer 
Familie erhalten. 

Demgegenüber behauptet v. Lingelsheim^), daß sich ihm 
trotz Achtung darauf keine einigermaßen sicheren Anhaltspunkte 
ergeben haben, daß der lymphatische Habitus zu der Krankheit 
disponiere, und weiter sagt er: was die Übertragbarkeit der Ge- 
nickstarre betrifft, so können wir sie uns nach allem nur von 
Person zu Person vor sich gehend denken, und zwar sowohl auf 
dem Wege des unmittelbaren Kontakts, wie durch feuchte 

1) Phathologisch-anatomische Ergebnisse der oberschlesischen Genick- 
starreepidemie von 1905. Klinisches Jahrbuch 1906. XV. S. 713 u. 726. 

2) Die bakteriologischen Arbeiten der Kgl. Hygienischen Station zu 
Beuthen O.-S., ebenda S. 486—488. 



über einen Fall von akater Mittelohreiterang usw. 205 

Tröpfchen, die beim Sprechen, Niesen, Husten ausgeschleudert 
werden (Flügge). Die scheinbar sprunghafte Verbreitung findet 
ihre Erklärung in der nachgewiesen leichten Übertragbarkeit der 
Racheninfektion einerseits und in der relativ geringen allgemeinen 
Disposition für die klinisch nachweisbare Meningitis andererseits. 
So können evtl. zwei an Genickstarre erkrankte Personen durch 
eine lange Kette ipfizierter, aber für die Entzündung der Hirnhäute 
nicht disponierter Individuen verbunden sein. Das dunkle Etwas der 
Disposition spielt jedenfalls bei der Genickstarre eine große Rolle. 

Nun sagt aber Flügge i): „Vorläufig ist es geradezu noch 
zweifelhaft, ob die epidemisch auftretende Genickstarre vom 
Kranken aus übertragen wird und ob nicht mindestens die 
an leichter Angina erkrankten oder ganz gesunden ;; Kokken- 
träger" ungleich gefährlicher für die Verbreitung sind/' So 
parodox diese Behauptung auch klingen mag, bleibt sie doch als 
äußerst beherzigens- und beachtenswert bestehen, da sie aus dem 
Munde einer solchen Autorität, wie Flügge ist, stammt 

Ebendort bestätigt auch Kirchner'^) die höchst auffällige 
Tatsache, daß die sogenannte epidemische Genickstarre so über- 
aus selten in epidemischer Verbreitung^ sondern meist sporadisch 
auftrat. Freilich wurden in jedem Jahre Fälle beobachtet, in 
denen gleichzeitig oder kurz nacheinander Kinder in einer und 
derselben Familie oder in einem und demselben Hause an über- 
tragbarer Genickstarre erkrankten, sie blieben aber stets in der 
Minderzahl. Sie ist zweifellos eine exquisite Kinderkrankheit und 
kommt in den höheren Lebensaltern nur in verhältnismäßig ge- 
ringer Anzahl vor. 

Was die „Bazillenträger" betrifft, so ist es nicht ganz leicht, 
sie unschädlich zu machen. Sie können nach v. Lingelsheim 
die Keime wochenlang in ihrem Rachen beherbergen, ohne selbst 
zu erkranken, und Ausspülungen führen nicht immer zum Ziele. 
Trotzdem wird man allen Personen in der Umgebung des Kranken 
raten müssen, sich Nase und Rachen häufig auszuspülen (an 
anderer Stelle, S. 738: Die Angehörigen des Kranken, die Ärzte 
und das Pflegepersonal werden sich der Möglichkeit der direkten 
Übertragbarkeit stets bewußt sein und regelmäßig darauf Bedacht 

1) Flügge, Die im hygienischen Institut der Kg. Universität Breslau 
während der Genickstarre-Epidemie i. J. 1905 ausgeführten Untersuchungen, 
ebenda S. 371. 

2) Kirchner, Die übertragbare Genickstarre in Preußen im Jahre 1905, 
ebenda S. 783 u. 739. 



206 XXV. HESSLER. 

nehmen müssen, sich bei dem Verkehr mit dem Kranken so zu 
stellen, daß sie von den Schleimpfröpfchen möglichst wenig ge- 
troffen werden. Auch werden sie sich möglichst nach jeder 
Handreichung bei dem Kranken Gesicht und Hand desinfizieren 
müssen). Dann aber sollten diese Personen nicht versäumen, 
ihren Bachenschleim bakteriologisch untersuchen zu lassen. Die- 
jenigen unter ihnen, in deren Eachenschleim sich die Krankheits- 
erreger finden, sollten, solange sie im Besitze von solchen sich 
befinden, den Verkehr mit anderen Personen möglichst ein- 
schränken und ihre Wäsche und Gebrauchsgegenstände, nament- 
lich ihre Taschentücher regelmäßig desinfizieren. 

Wenden wir uns wieder zu unserem Falle zurück. Ich habe 
schon oben erwähnt, daß in Pr. nur die beiden genannten Fälle 
von übertragbarer Genickstarre beobachtet worden sind, femer, 
daß die Quelle der Infektion in Pr. nicht nachgewiesen werden 
konnte. Das Kind kam also zu mir und gleich danach in die 
Kinderabteilung eines Krankenhauses, die damals gerade gut be- 
setzt war. Da übertragbare Genickstarre als ausgeschlossen galt, 
wurden keine irgendwelche Absperrungen gegen die anderen 
Kinder getroffen. Im Gegenteil, als die Mutter am dritten Tage 
wieder abreiste, wurden dieselben angehalten, mit unserem Kinde 
fleißig zu spielen, um ihm das Heimweh möglichst zu erleichtern 
und es zu beruhigen. Als nun an demselben Tage der Be- 
scheid vom hiesigen Hygienischen Institut kam, daß übertragbare 
Genickstarre höchstwahrscheinlich vorhanden sei, wurde das Kind 
insoweit isoliert, daß die Stationsschwester allein die Pflege des- 
selben übernahm. Fünf Tage später kam der telephonische Be- 
scheid: epidemische Genickstarre erwiesen. Daraufhin kam die 
Kleine ins Isolierhaus, gerade an dem Tage, als die Temperatur 
zum erstenmal ihren niedrigsten Stand, 36.2 erreicht hatte. Gefnau 
drei Wochen später stieg die Temperatur wieder und es bekam 
Scharlach, der dort gerade damals mehr als gewöhnlich in allen 
Stadien und Graden gepflegt wurde. 

Nun ist Tatsache, daß weder auf der Kinderstation noch im 
Isolierhause irgend ein Kind oder eine Pflegerin die übertragbare 
Genickstarre acquiriert hat. 

Ob zu diesem glücklichen Resultate mehr die ganz selbst- 
verständliche und peinlichste Reinlichkeit des Krankenhauses, die 
ja während des Bestehens der Krankheit geboten ist, wie es in 
den ärztl. Ratschlägen für die Bekämpfung der übertragbaren 
Genickstarre (10) heißt (1. c), oder der geringe Grad der Virulenz 



über einen Fall von akuter Mittelohreiterung usw. 207 

der Weichsel bau mischen intracellulären Meningokokken, die 
eine Entwicklung derselben in dem neuen Menschenwirte nicht 
mehr ermöglichten, beigetragen hat, muß ich dahingestellt sein 
lassen. Ebensowenig wage ich aus denselben Gründen in Rück- 
sicht auf den Verlauf unseres Falles die Frage dahin bejahend 
zu beantworten, daß Scharlach leichter übertragbar sei als die 
übertragbare Genickstarre. 

Mit unserer Patientin brachte die Mutter noch eine zweite 
Tochter mit, die 8 Jahre alt war und schon von weitem die 
Diagnose auf Vergrößerung der Hals- und Rachenmandel ge- 
stattete. Am folgenden Tage habe ich letztere operiert, und sind 
beide Schwestern bis zum folgenden Nachmittage immer zu- 
sammengewesen. Aber auch diese Patientin hatte weder zuhause 
in Pr. noch hier bei uns irgend ein verdächtiges Krankheits- 
symptom gezeigt, und sie war doch wegen der Wunden" nach 
der Tonsillotomie gerade zur Infektion mit den Krankheits- 
eri*egem der Genickstarre mehr noch als alle Kinder der Kinder- 
station empfänglich gewesen, und auch nach ihrer Heimkehr ist 
sie immer gesund geblieben. . 

Zu unserem Glücke und unserer Beruhigung, daß etwa 
bis zur Isolierung der Kranken eine Infektion der Kinder- 
station mit Genickstarre stattgefunden haben könnte, kam kein 
weiterer Fall. 

3. Weiter interessant ist unser Fall wegen des bruit du pot feie 
bei der Perkussion des Warzenfortsatzes. Wenn ich auf die 
Druckempfindlichkeit desselben untersuche und bei dem einfachen 
Drucke zu keinem bestimmten Resultate komme, pflege ich mit 
leichter Hand den Warzenfortsatz direkt zu perkutieren. Ich stelle 
mich dann hinter den Patienten, ziehe mit der linken Hand die 
Ohrmuschel ohne starken Zug etwas nach vorn und perkutiere 
mit dem Mittelfinger meiner rechten Hand. In unserem Falle 
trat das charakteristische Geräusch so deutliph auf, daß es auch 
der assistierenden Schwester auffiel. Diese bestätigte überrascht 
die Richtigkeit des Vergleichs des Perkussionstons mit dem eines 
gesprungenen Topfes. Dasselbe blieb immer gleich, wenn die 
Perkussion beim Liegen des Kindes auf dem Kopfkissen oder 
im Sitzen, so daß der Kopf ganz frei zwischen zwei Händen ge- 
halten wurde, wenn mit starkem oder schwachem Schlage vor- 
genommen wurde. Mir kam es so vor, als ob eine leichte Ver- 
stopfung des Ohres mit Watte den Schall selbst mehr abdämpfte 
und als ob ein Übergang von dem mehr vollen zu einem mehr 



208 XXV. HESSLER. 

leeren Perkussionsschal] beim Zudrücken des Gehörganges ein- 
träte. 

Zur Erklärung dieser Eigentümlichkeit des Perkussions- 
geräusches möchte ich den anatomischen Befund des Warzenfort- 
satzes heranziehen. Ich habe in der Krankengeschichte hervor- 
gehoben, daß derselbe nicht solid, ein fester Knochen war, 
sondern deutlich die Fissura petrosa mastoidea. als noch nicht 
geschlossen erkennen ließ, und daß er an der Knochenoberfläche 
selbst deutliche Zeichen hatte, aus denen man auf eine mehr 
verkümmerte Entwickelung des Knochens und seines Antrum 
schließen durfte. Ich habe wiederholt bei so beschaffener 
Knochenoberfiäche ein relativ kleines Antrum mastoideum ge- 
funden. So ist es ja auch hier gewesen. Die Perkussion des 
Warzenfortsatzes hätte also bei der nicht knochenfesten Beschaffen- 
heit seiner Struktur und der Kleinheit seiner Höhle einen mehr 
leeren als vollen Schall geben müssen. Wie erklärt sich nun 
aber der wirklich vorhandene bruit du pot fel6. Zur Erklärung 
dieser so seltenen Eigentümlichkeit glaube ich auch den Befund 
im Mittelohre unserer Kleinen mit in Berechnung ziehen zu 
sollen. Zuerst dürfte der Schluß nicht unberechtigt erscheinen, 
daß der Knochen, der die Mittelohrhöhle umschließt, ebenso ana- 
tomisch beschaffen gewesen ist, wie es der Warzenfortsatz war, 
sowie daß die Paukenhöhle selbst nicht besonders groß gewesen 
ist, wie auch das eigentliche Antrum mastoideum relativ klein 
war. Die Sekretion des Mittelohres war eine mehr seröse als 
serösschleimige und nur eine so geringgradige, daß es sicher 
war, daß selbst eine kleine Mittelohrhöhle niemals ganz von dem 
Sekrete ausgefüllt war. Das Trommelfell war serös durch- 
feuchtet und hatte dadurch eine Verminderung seiner normalen 
Elastizität erlitten; und noch veränderter war diese durch die 
Parazentese geworden. Alle diese anatomischen Verhältnisse be- 
dingen die Verschiedenheiten des Perkussionstones bei Perkussion 
des Warzenfortsatzes, und für den vorliegenden Fall glaube ich, 
daß die nicht knochenharte Struktur des Felsenbeins, die Abge- 
schlossenheit beider Mittelohrhöhlen voneinander, die Art und 
Menge des Ohrsekrets, das die Paukenhöhle nur teilweise aus- 
gefüllt hatte, die Elastizitätsbeschaffenheit des parazentesierten 
Trommelfells, gemeinschaftlich mit dem Perkussionston des Gehör- 
ganges, die Entstehung des Geräusches des gesprungenen Topfes 
ausgelöst haben. Mir erscheint dieser Erklärungsversuch, der 
sich auf die Unregelmäßigkeit der Schwingungszahlen des ge- 



Über einen Fall von akuter Mittelohreiterung usw. 209 

samten Ohrs beim Perkutieren des Warzenfortsatzes stützt, sym- 
pathischer als derjenige vonSahli^). Derselbe bezeichnet es als 
ein Stenosengeräusch, das dadurch entsteht, wenn infolge des 
Perkussionsschalles Luft durch eine enge spaltförmige Öffnung 
rasch entweicht, und bespricht dort auch, wie es unter ganz nor- 
malen physiologischen Verhältnissen bei der Perkussion des 
Thorax wahrgenommen werden kann und faßt die Erscheinung 
weitaus am häufigsten als Kavernenerscheinung auf. Ferner er- 
scheint mir die von mir gewählte Benennung für die Art des 
Perkussionstones unseres Falles als diejenige des gesprungenen 
Topfes natürlicher und bezeichnender zu sein als diejenige von 
Sahli des „Münzenklirrens^^ Ich glaube nicht, daß dieses so 
seltene Perkussionsphänomen des gesprungenen Topfes wissen- 
schaftlich experimentell untersucht worden ist. 

Ich habe den bruit du pot fel6 in der Praxis mehrfach ge- 
hört und mir nur als interessante Seltenheit gemerkt, ohne mir 
weiter Rechenschaft über seine etwaige Entstehung zu geben 
Es handelte sich einmal um einen Mann Ende der 40 er Jahre, 
der an einer subakuten Mittelohreiterung mit sekundärer Mit- 
beteiligung des Warzenfortsatzes litt. Die Haut über dem letzteren 
war in keiner Weise geschwollen oder infiltriert, es bestand nur 
an einer flachen Stelle am vorderen Rande desselben eine leichte 
Druckempfindlichkeit. Als ich hier wie üblich mit einem Finger 
der rechten Hand perkutierte, entstand deutlich das Geräusch des 
gesprungenen Topfes. Dasselbe änderte weder durch Verstopfung 
des Gehörgangs noch durch Offnen oder Schließen des Mundes 
seinen Charakter oder seine Schallhöhe. Bei der Aufmeißelung 
selbst zeigte sich auch hier ein mehr verkümmert entwickelter 
Warzenfortsatz, der mehr porös als hart war, mit braunroter 
Verfärbung des Knochenmarkes und einem relativ kleinen Antrum 
mastoideum, das mit dem Mittelohre kommunizierte. Der Inhalt 
des Antrums war mehr dünnflüssig, eitrig und floß nach Eröff- 
nung des letzteren nur langsam ab, hatte also bis dahin unter 
keinem starken entzündlichen Druck gestanden. Die übrigen 
4—5 Fälle betrafen Kinder im Alter von 6—8 Jahren, die später 
zur Aufmeißelung kamen; leider fehlen mir die entsprechenden 
Notizen dazu. 

Wenn ich nun die Literatur durchgehe, die sich mit der 



1) Sahli, Lehrbuch der klinischen üntersuchungsmethoden 1899. S. 157 
und 217. 

Archiv für Ohrenheilkunde. 73. Bd. Festsohrift. 14 



210 XXV. HESSLER. 

Perkussion des Warzenfortsatzes etwas eingehender beschäftigt i)^ 
so finde ich das Symptom des bruit du pot f616 nur an zwei 
Stellen aufgeführt. Bei Thies heißt es: „ Außerdem kommt 
tympanitischer und ebenfalls wohl ein Anklang an das ^bruit du 
pot fßle" vor, und bei Macewen: „Das Geräusch des ge- 
sprungenen Topfes hat der Autor beim Erwachsenen dreimal be- 
obachtet. Man erhält dasselbe bei Perkussion des Kopfes, wenn 
es sich um ausgedehnte Schädelfrakturen, die durch Fissuren 
und Absplitterung großer Knochenstücke kompliziert sind, handelt 
In dem einen Falle bestand eine weitgehende Fraktur des Seiten* 
wandbeins mit Impression der Knochenstücke und mit Fissuren, 
von denen sich die eine bis zur Stim^ die andere nach der Basis 
erstreckte — es waren basale Symptome vorhanden — , hier be- 

1) 1874. Hagen, Die Perkussion des Schädels und deren Bedeutung 
für die Diagnose von Exsudaten in der Paukenhohle. Monatsschr. f. Ohrenh. 
Nr. 10. S. 112. 

1876. Michael, Die Auskultation des Warzenfortsatzes. Archiv für 
Ohrenh. XI, S.47. 

1892. Korner u. v. Wild, Die Perkussion des Warzenfortsatzes nebst 
Mitteilung eines neuen Falles von diabetischer Caries dieses Knochens. Zeit- 
schrift f. Ohrenh. XXIII. S. 234. 

1893. Moos, Über den diagnostischen Wert der Perkussion des Warzen- 
fortsatzes, ebenda XXIV. S. 152. 

1893. V. Wild, Zur Perkussion des Warzenfortsatzes nebst Bericht über 
einen Fall von Pyämie bei akuter Erkrankung dieses Knochenteils. Archiv 
für Ohrenh. XXXV. S. 123. 

1894. Eulenstein, Die diagnostische Verwertbarkeit der Perkussion 
des Warzenfortsatzes. Monatsschrif f. Ohrenh. XXVIIl. S. 73. 

1895. Weygandt, Perkussion und Auskultation des Ohrs. Dissertation 
Marburg. 

1898. Macewen, Die infektiös-eitrigen Erkrankungen des Gehirns und 
Rückenmarks. Deutsch von Rudioff. S. 152. 

1899. Eulenstein, Zur Perkussion des Warzenfortsatzes. Zeitschrift L 
Ohrenh. XXXIV. S. 312. 

1899. Barth, Zur Perkussion des Warzenfortsatzes. Archiv f. Ohrenh 
XLVm. S. 107. 

1900. Jürgens, Über den Wert der Perkussion zur Diagnose der Er- 
krankungen des Warzenfortsatzes. Monatsschr. für Ohrenhk. XXXIV. S. 405- 

1901. Politzer, Lehrbuch der Ohrenheilkunde. 4.A. S.419. 

1901. Thies, Beitrage zur Perkussion des Warzenfortsatez. Dissertation. 
Leipzig. S. 19. 

1906. Koerner, Lehrbuch der Ohrenheilkunde und ihrer Grenzbezirke. 
Seite 116. 

1906. Kudinzew, Zur Frage über die frühzeitige Trepanation des 
Warzenfortsatzes bei eitriger Mittelohrentzündung. Chirurgija März. ref. Zeit- 
schrift f. Ohrenh. LIII. S. 361. 



über einen Fall von akuter Mittelohreiterung usw. 211 

kam man bei der Perkussion des rasierten Kopfes das charak- 
teristiche Geräusch des gesprungenen Topfes/ 

Das Vorhandensein des so seltenen Symptoms, des Ge- 
räusches des gesprungenen Topfes bei akuten Mittelohr- Warzen- 
fortsatzentzündungen in meinem Falle gab mir Veranlassung, mich 
über das Vorkommen und die wahrscheinliche Entstehung des- 
selben zu äußern. Ich wiederhole, daß es bis jetzt am meisten 
bei Kindern beobachtet ist^ und ich glaube, daß es häufiger als 
bisher gefunden werden möchte, wenn die Perkussion des Warzen- 
fortsatzes in allen Fällen von akuten Mittelohr- Warzenfortsatz- 
entzündungen vorgenommen wird. Wenn dann in einer größeren 
Reihe und nach besserer Untersuchung der Fälle die anatomischen 
Veränderungen des Knochens und des Inhaltes der Mittelohr- und 
Warzenfortsatzhöhlen genauer festgestellt sind, ist die Möglichkeit 
gegeben, die Frage zu erörtern, unter welchen Veränderungen das 
Geräusch des gesprungenen Topfes begründet und zu erwarten 
und ob weiter ein diagnostischer Schluß auf die Art und Aus- 
dehnung der sekundären Entzündung im Warzenfortsatz erlaubt ist. 
Ich möchte mir deshalb hier nur erlauben, die Kollegen auf dieses 
neue, noch unbebaute Arbeitsfeld hinzuweisen. 

4. Endlich ist unser Fall dadurch interessant, daß er die 
geringe Zahl der in der ohrenärztlichen Literatur beschriebenen 
Fälle von akuter Mittelohreiterung bei der übertragbaren Genick- 
starre vermehrt. Schon bei dem ersten Auftreten der letzteren in 
Deutschland waren Fälle von absoluter doppelseitiger Taubheit 
bei negativem Befunde am Trommelfelle und im Mittelohre be- 
kannt geworden. Ebenso ist es Tatsache, daß die Zöglinge 
unserer Taubstummenanstalten noch heute ihr Leiden in der 
weitaus höchsten Prozentziffer auf die übertragbare sporadische 
Genickstarre zurückführen, die sie in den ersten fünf Jahren 
ihres Lebens glücklich überstetnden haben. Auch bei der schon 
genannten jüngsten größeren Epidemie derselben konnte Alt- 
mannO folgendes mitteilen: Von den 193 behandelten Erkrankten 
waren 130 gestorben und zwar 103 während der ersten 5 Tage 
ihres Krankenhausaufenthaltes, 63 konnten entlassen werden — und 
von diesen waren 12 taub geworden, „ohne daß das Mittelohr 
beteiligt war", und 3 boten Zeichen leichten Schwachsinns. 
Früher hatte man bei den Sektionen nur eine ausgeprägte, aus- 
gedehnte, mehr oder weniger eitrige Gehirn- und Rückenmarks- 

1) Altmann, Zur Prognose der übertragbaren Genickstarre. Klinisches 
Jahrbuch XV. 1 906. S. 635. 

14* 



212 XXV. HESSLER. 

hanteiterang, am Felsenbein gewöhnlich nichts Krankhaftes, und 
nach einfacher Eröffnung desselben eine der Meningitis konforme 
Entzündung derart gefunden, daß man mit scheinbarem Eecht 
schließen konnte, daß die Entzündung im Ohrlabyrinth durch 
den inneren Gehörgang vom Gehirn her fortgeleitet, also eine 
sekundäre war. Da sich nun auch keine Mittelohreiterung bei den 
wenigen Ohrsektionen, die überhaupt gemacht wurden, gewisser- 
maßen von selbst vordrängte, da femer früher eine Untersuchung der 
Nase und ihrer Nebenhöhlen bei der epidemischen Genickstarre 
überhaupt nicht gemacht wurde, fehlte folgegerecht jede Erklärung 
dafür, daß die Infektion bei der Genickstarre sich ausschließlich als 
primäre Entzündung der sonst nach außen abgeschlossenen Höhle 
des Gehirns und Bückenmarks darstellte. Man behalf sich mit 
der Annahme, daß bei der epidemischen Genickstarre die Infektion 
eine hämatogene ist, mit einer lokalen Ausbreitung und Entwick- 
lung der Infektionskeime in dem genannten Höhlenraum, ebenso wie 
sich der Typhus besonders im Dünndarm entwickelt Auch heute 
sind hierüber die Akten noch nicht geschlossen. Westenhöffer 
(1. c, S. 702) fand nämlich bei allen Sektionen von übertragbarer 
Genickstarre eine durchweg gewaltige Hypertrophie, Rötung und 
Hypersekretion der Rachentonsille und eine intensive Beteiligung 
des gesamten Nasenrachens, dann (S. 707) fast stets die Keilbein 
höhlen, und zwar vom ersten Beginn der Krankheit an erkrankt 
mit einer akut entzündlichen Schwellung der Nacken- und Hals- 
lymphdrüsen. Er fand ferner (1. c, S. 705) von 30 Sektionen in 
17 Fällen, also in 65,5 Proz. das Mittelohr erkrankt, zumeist auf- 
steigend durch die Tuba Eustachi]. Es befand sich darunter 
ganz auffallend nur ein einziger Erwachsener, und bei diesem 
war die Erkrankung des linken Ohrs nur eine ganz geringe. 
Er stellt demzufolge den Satz auf: bei Kindern mit epidemischer 
Genickstarre findet sich stets eine Otitis media und zwar von 
Beginn an. Er fand femer, daß die Meningitis beginnt in der 
Gegend des Chiasma optici, über der Hypophysis und unter dem 
Tuber cinereum, also in der Cisterna chiasmatis, und daß sie von 
dort sich nach vom auf das Chiasma und die N. optici, und 
nach der Seite auf den Schläfenlappen und nach hinten auf die 
Brücke, das verlängerte Mark, und von da in den Eückenmarks- 
kanal fortsetzt. Man sollte also eine direkte Überleitung der 
Krankheitserreger durch die Nase und den Rachen auf das 
Schädeliunere annehmen dürfen. Aber unerwartet anders fällt 
sein Schlußsatz (1. c, S. 722) aus : Die Frage der Entstehung der 



über einen Fall von akater Mittelohreiterung usw. 213 

Meningitis kann meines Erachtens auf Grund des vorliegenden 
Materials noch nicht mit Sicherheit entschieden werden. So viel 
scheint mir indessen sicher, daß die Infektion in der Gegend des 
Chiasma geschieht. Allerdings muß ich zugeben, daß die Wag- 
schale sich erheblich zugunsten der hämatogenen Infektion senkt. 
So ist selbst heute noch trotz mikroskopischer Untersuchungen 
die Frage nach der Entstehung der Meningitis bei der übertrag- 
baren Genickstarre, ob auf direktem Blut- oder auf dem Lymph- 
wege, nicht gelöst. 

Ich komme wieder auf mein eigentliches Thema von der 
akuten Mittelohreiterung bei der übertragbaren Genickstarre 
zurück und will nunmehr die wenigen einschlagenden Fälle aus 
der Literatur, soweit sie mir zugängig war, in kurzen Referaten 
folgen lassen. 

I. Ziemsen und Hess. Kliuisehe Beobachtungen über Meningitis cerebro- 

spinalis epidemica. Archiv für Heilkunde 1866. 1. S. 390 (Fall 22). 

Bei einem 16 jährigen plötzlicher Beginn mit Kopfschmerzen, Mattigkeit, 
Erbrechen, Bewußtlosigkeit. Am 2. Tage ausgesprochene Nackensteifigkeit 
und Ehaxihialgie, Hyperaesthesie der Extremitäten. Herpes vom 4. Tage ab. 
Kopf- und Wirbelschmerz, Aufregung, Delirien und Fieber exacerbieren in 
Form heftiger Anfälle, welche anfangs irregulär, später im Quotidiantypus 
wiederkehren. Bei reichlicher ürinsekretion Blasenbeschwerden. Vom 25. Tage 
an „Otitis interna** mit Perforation des Trommelfells am 36. Tage, mit 
raschem Nachlassen der Ohrschmerzen, entzündliche Anschwellung des rechten 
Warzeufortsatzes ohne Eiterung. Verschluß der Trommelfellöffnung und Ge- 
hörweite rechts schließlich „für Picken einer Taschenuhr bis 1 '/a Fuß Eiit- 
femung**. 

II. Heller,*) Zur anatomischen Begründung der Gehörstörungen bei Menin- 

gitis cerebrospinalis, Deutsches Archiv für Klin. Med. III. 1869. S. 486 
und 487, 

erachtet die eitrigen Entzündungen des inneren Ohrs als häufige Begleiter 
der C. M. und als Folge derselben die zurückbleibende Taubheit, während 
andererseits natürlich auch die entzündlichen Veränderuugen der Trommel- 
höhle, die in seinen Fällen nachgewiesen werden konnten, nicht außer Acht 
zu lassen sind. Es können eben diese Gehörstörungen nicht nur in jedem 
einzelnen der zum Gehörorgan in Beziehung stehenden Teile, sondern auch 
in mehreren zugleich ihre anatomische Grundlage haben. Nach ihm ist an- 
zunehmen, daß die eitrige Entzündung dem Verlauf des Neurilemma folgend 
in das Labvnnth eindringt, als auch, daß die pathologischen Veränderungen 
in Trommelhöhle und Labyrinth sich gleichzeitig neben den Veränderungen 
der Hirn- und Rückenmarkshäute, nicht nur als deren Fortsetzung ent- 
wickeln. 



1) Die beiden von Moos in seiner Monographie über die Meningitis 
cer. spin. epidemica, 1881, S. 64 als 47. und S. 66 als 54. Fall aufgeführten Fälle 
von eitriger Trommelhöhlentzündung 12 bezw. 8 Wochen nach dem Eintritt 
der Krankheit mit Genickstarre will ich hier nur erwähnt haben, und muß es 
unentschieden lassen, ob und in welcher genetischer Beziehung beide Krank- 
heiten zu einander zu bringen sind. 



214 XXV. HESSLER. 

III. Jaf f ^. Beitrage zur Kenntnis der epidemischen Cei*ebro8pinalmeningitis. 
Deutsches Archiv f. Klin. Med. XXX. 1882. S. 336. 

27 jähriger Arbeiter erkrankt plötzlich mit Schüttelfrost, rechts Enie- 
geienksschmerzen, darnach Eopfschmensen, Kopfretraktion, Heipes labialis, 
Unks Strabismus convergens und Pupillenerweiterung, später Delirien mit 
Fluchtversuchen, Koma, partielle Zuckungen. Vom 18. Krankheitstage an 
Patient völlig ruhig, klar, besonnen, eine Woche später Nachlassen der 
Nackenstarre. Ende der 4. Krankheitswoche rechtsseitiger Ohreiterausfluß 
„ohne subjektive Beschwerden'^ Im hinteren oberen Trommelfellquadranten 
ein halblinsengroßes Loch. Es besteht völlige Taubheit für Luft- und 
Knochenleitung, Doch kehrt schon nach 4 Wochen das Gehör allmählich 
zurück. Heilung nach 4 Monaten. 

IV. Leyden. Bemerkungen über die Cerebrospinalmenin^tis und das Er- 
brechen bei fieberhaften Krankheiten. Zeitschrift f. Khn. Med. XII. und 
Die Mikrokokken der Cerebrospinalmeningitis. Zentralbl. f. Klin. Med. IV. 
1883. Nr. 10. 

56 jährige Frau erkrankt plötzlich während der Eisenbahnfahrt mit 
Erbrechen und Schwindel und fällt beim Aj^ssteigen auf den Bahnsteig. 
Gleich rechtsseitige Ohreiterung, allgemeines Übelbefinden,. Kopfschmerzen, 
Schwindel. Nach wesentlicher Besserung einen Monat lang wieder Ver- 
schlechterung mit Kopfschmerzen, Erbrechen, Benommenheit zuletzt in Koma 
übergehend, und Genickstarre. Meningitis nicht mehr zu bezweifeln. Tod. 

Die Sektion bestätigte die Cerebrospinalmeningitis, ergab .Vemarbung 
beider Trommelfelle und an den Gehörorganen keine merklichen Änderungen, 
insbesondere keine Karies, keine Eiteransammlung. L. hebt hervor, daß es 
sich um eine primäre sporadische Cerebrospinalmeninigitis gehandelt hat, 
deren erst auffällige Svmptome in einer doppelseitigen zur Perforation 
führenden Otitis bestand.*) 

Vu. VI. Schwabach. Über Gehörstörungen bei Meningitis cerebrospinalis 
und ihre anatomische Begründung. Zeitschrift f. Klin. Med. XVUI. 1891. 

1. Fall. S. 274. 32jährige Frau bekommt plötzlich heftigen Schüttel- 
frost, Steifigkeit und Schmerzen im Nacken, nach 6 Tagen beiderseits sich 
steigerndes Sausen und Schwerhören beiderseits und neben viel Kopfschmerzen 
rechts Gesichtslähmung; gehört wei-den rechts nur laute Sprache, links Flüster- 
worte, dabei zeigen oeide Trommelfelle nur in der hmteren Hälfte etwas 
Trübung und „Hervorwölbung** und „Hammergriff leicht gerötet". Ungefähr 
Ende der 3. Krankheitswocne doppelseitig Ohrzwang, die Paracentese 
entleert beiderseits „einige Tropfen Eiter**. Mikroskopische Untersuchung 
ergiebt ,,Diplokokkon, ähnlich den A. Fnienkerschen Pneumokokken**. Tod 
Mitte der 6. Woche. 

Bei der Sektion zeigte sich im innem Gehöreang rechts eine eitrige, 
links eine weißliche mikroskopisch nicht Eiter entnaltende Flüssigkeit, die 
Dura am Felsenbein ohne Veränderung leicht abziehbar. In beiden Pauken- 
höhlen kein freier Eiter. In linker Paukenhöhle außer geringem Blutextra- 
vasat in der Nische des ovalen Fensters, nichts Auffallendes, rechts fibrinös- 

1) Diagnostisch interessant ist der nur deshalb hier zitierte Fall von 
Leichtenstem, Über epidemische Meningitis, Deutsch, med. Wochenschr. 1885. 
Nr. 31, S. 538. Es waren alle Symptome einer Basilarmenigitis vorhanden, 
und Patient hatte angegeben, ganz akut erkrankt und früher nie ohrenkrank 
gewesen zu sein. Die Krankheit zog sich nun gegen die Regel der Menin- 
gitis ex otitide über 4 Wochen in die Länge. L. hatte nun die damals in 
Ooeln epidemisch auftretende Meningitis als das Piimärleiden und den 
eitrigen Ohrfluß mit Trommelfellperforation als das Sekundäre von der ersten 
diagnostiziert. Die Sektion ergab aber, daß es sich um einen Fall alter 
Felsenbeincaries mit engumschriebener eiüiger Meningitis und correspon- 
dierenden Kleinhimabszess handelte. 



über einen Fall von akuter Mittelohreiterung usw. 215 

eitriges Exsudat, sowohl in der Nische des runden, als auch der des ovalen 
Fensters: in letzterem massenhaftes Granulationsgewebe mit zahlreichen 
zartwandigen Blutgefäßen und ziemlich beträchtlichen Blutextravasaten. Zer- 
störung des Lig. annul. bas. staped. in seiner vorderen oberen Partie, An- 
füllung mit Granulationsgewebe resp. fibrinöseitrigem Exsudat. 

Schw. betont, daß die ersten Hörstörungen beiderseits bei 
der Patientin lange vor dem Eintreten der Mittelohrentzündung 
vorhanden, also von der Cerebralmeningitis abhängig waren; daß 
die Veränderungen in der rechten Paukenhöhle durch Fortpflanzung 
des Entzündungsprozesses vom Vestibulum aus unter teilweiser 
Zerstörung des Ligament, annul. bedingt waren, daß er die ärztlich 
behandelte doppelseitige Otitis media als einen durch direkte In- 
vasion der Krankheitserreger der Meningitis cerebrospinalis in die 
Paukenhöhle veranlaßten Prozeß ansehen müsse, sowie, daß eine 
Otitis media auch als Initialsymptom einer Meningitis cerebro- 
spinalis auftreten kann. 

2. Fall. S. 288. 2 Va jähriges Mädchen erkrankt plötzlich mit Erbrechen 
und Nackenstarre mit den exquisiten Erscheinungen der Meningitis cere- 
brospinalis und gleichzeitig mit doppelseitiger Ohreiterung, 8 Tage später 
nach dem Nachlassen der Bewußtlosigkeit wird doppelseitige Taubheit fest- 
gestellt Otorrhoe heilte nach 14 Tagen aus; Taubheit führte zur Taub- 
stummheit. 

VII. Fr oh mann. Zur Kenntnis der akuten primären Meningitis epidemica 
Sitzung des Ver. f. wissensch. Heilk., Königsberg, am 25. Januar 1897. 
ref. Deutsch, med. Wochenschr. 1897, Ver. Beil. S. 106 und Verhandlungen 
des Kongresses f. Innere Med. XV. 1897. S. 348. 

5 Monate altes Kind wird mit .,excessivem Opisthotonus und Fehlen 
jeglicher cerebraler Symptome*' aufgenommen. Lumbalpunktion ergab klare, 
absolut sterile Flüssigkeit. Später entwickelt sich extremer Grad von 
Opisthotonus. Die 2. Lumbalpunktion einige Tage vor dem Tode ergab 
eitrige Flüssigkeit mit Meningokokken. „Bei der Sektion fand sich ^anz un- 
erwartet außer der diagnostizierten Meningitis eine doppelseitige Otitis media 
purulenta. Im Eiter konnte mikroskopisch und kulturell als einzige Mikroorganis- 
menart gleichfalls der Diplokokkus intracellularis meningitidis konstatiert 
werden. Derselbe ist im Ohreiter bisher noch nicht nachgewiesen worden. 
Möglicherweise ist in diesem Falle das Ohr als Eingangspforte der In- 
fektion anzusprechen." 

VIII. Alt, Sitzung des Österr. Otol. Ges. v. 27. April 1897. ref. Monatsschr. 
f. Ohrenh. 31. B. S. 211. 

sah einen 14 jährigen Knaben mit M. er. sp. epidemica, bei dem die Diagnose 
durch die Spinalpunktion sicher gestellt war. Am 12. Krankheitstage traten 
die ersten Ohrschmerzen links ein. Trommelfell gerötet, geschwellt, vor- 
gewölbt. Die Weichselbaum'schen intracellulären Diplokokken fanden sich 
sowohl im Nasensekret als auch im Ohrsekret nach dem späten Spontan- 
durchbruch des Trommelfells, neben anderen Bakterien massenhaft." Die 
Ohreiterung heilte nach 17tägigem Bestand vollständig aus, es kam zu nor- 
malem Trommelfellbefund und annähernd normalem Hörvermögen. 

Alt wahrt sich die Priorität, daß im Ohreiter der Krankheitserreger 
der M. csp. ep. nachgewiesen werden konnte. 

Alt beschreibt denselben Fall in der Monatsschr. f. Ohrenhk 
Septbr. 1904 und in den Verhandlungen der Deutsch. Otol. Ge- 



216 XXV. HESSLER. 

sellsch. Berlin 1904, S. 156: Die Beziehungen der Mittelohr- 
eiterung zur epidemischen und tuberkulösen Meningitis und 
betont dort besonders, daß nach seiner Meinung bisher der Um- 
stand zu wenig gewürdigt wurde, daß das Ohr als Eingangspforte 
bezw. als Zwischenglied der Infektion bei der epidemischen Genick- 
starre zu betrachten sei. So lange schwere meningitische Erschei- 
nungen bestehen, können die Kranken nicht durch Klagen über Ohr- 
schmerzen die Aufmerksamkeit des Arztes auf dieses Organ lenken. 
Der Otiater wird erst beigezogen, wenn eine profuse Otorrhoe auf- 
getreten ist oder wenn nach Besserung des Allgemeinbefindens die 
Patienten über Ohrbeschwerden klagen. Die Folge hiervon ist, daß 
die Otitis entweder ganz übersehen wird oder aber als erst im Ver- 
laufe der Meningitis entstanden bezeichnet wird. Bei der Nekropsie 
haben die Obduzenten keine Veranlassung, Ohrenbefunde zu er- 
heben, wenn sie nicht auf eine Ohraffektion aufmerksam gemacht 
werden, während sie es jetzt unterlassen, den Nasenrachenraum ge- 
nau zu inspizieren, wobei sie fast regelmäßig im Sekrete den charak- 
teristischen Krankheitserreger nachzuweisen in der Lage sind. 

Denselben Fall hat auch beschrieben 

Schiff. Über das Vorkommen des Meningokokkus intracellularis (Weichsei- 
baum) in der Nasenhöhle nicht meningitischer Individuen. Zentraiblatt 
für Inn. Med. 1898. XIX. Nr. 22. 

Patient war mit vollentwickelter, akuter epidemischer Cerebrospinal- 
meningitis (Jleber, Delirium, Nackensteifheit, Druckempfindlichkeit der 
Wirbelsäule, hochgradiger Hyperästhesie, transitorischer Facialis- imd Ab- 
ducensparese) aufgenommen worden. In der 40 ccm messenden, stark ge- 
trübten Lumbaiflüssigkeit massenhaft intracelluläre Weichselbaum'sche Kokken 
in Reinkultur, ebensolche im Nasensekret und im Ohreiter des Kranken, 
der in der 3. Woche eine Otitis media suppurativa mit spontanem Durch- 
brach acquiriert hatte. 

IV. V. Stein, Ein Fall ven Meningitis cerebrospinalis epidemica mit doppel- 
seitiger Otitis. Trepanation oeider processus mastoidei mit Bloßlegung 
der Sinus transversi, Genesung. Zeitschr. f. Ohrenh. 32. B. 1898. S. 258, 

beobachtete als erstes Symptom heftiges Nasenbluten, leichten Husten und 
Schnupfen mit leichtem Fieber, am 4. Tage Delirium, kein Erbrechen; am 
9. Milz Vergrößerung, einige Roseolen auf dem Rücken und Leibe, zeitweise 
soporösen Zustand ; am 10. rechtsseitige spärliche Otorrhoe; am 11. auch links- 
seitig; nunmehr Steigen der Temperatur von 37,3 auf 40° Am 12. Tage 
Sistieren der Otorrhoe, Bewußtlosigkeit, Kopfretraktion, Pupillenerweiterung, 
Hyperästhesie, krampfhafte Zuckungen des ganzen Körpers, zeitweise Cheyne- 
StoKes'sches Atmen, Urininkontinenz, Decubitus. Keine Stauungspapille. Am 
20. Tage doppelseitige Aufmeißelung des Warzenfortsatzes; die Narkose hat 
auf Kopfretraktion ^ar keinen Einfluß; in beiden Warzenfortsatzhöhlen 
heller, glasiger, klebriger Schleim, mit etwas Eiter gemischt; bei Bloßlegung 
des Lateralsinus entleert sich eine glasige, klebrige, schleimige, in langen 
Fäden ziehende Flüssigkeit. Punktion des Sinus ergab normale Blutzirkulation. 
Nach 6 Tagen Besserung, wenn auch „vollständige Bewußtiosigkeit und 
Nackenstarre noch andauern". Nackenstarre ist erst Anfang der 7. Woche 
ganz geschwunden, gleichzeitig fängt Patient an zu sprechen. Darnach 
rasche Besserang. Mitte der 9. Woche Heilung der Operationswunden. 



über einen Fall von akuter Mittelohreiterung usw. 217 

„Gehör für Flüstersprache 12 m, die Perzeption für alle Töne erhalten. Die 
Trommelfelle leicht getrübt." 

Diplokokkus intracellularis Weichselbaum war im Schleimausfluß ans 
den Ohren und Schädelhöhle nachzuweisen. 

Der 4 jährige Bruder erkrankte 1 Monat nach Beginn der Krankheit 
und starb am 5. Tage unter den typischen Erscheinungen einer Meningitis. 

V. St. betont die Reibenfolge in der Wiederkehr der einzelnen 
Hirnfunktionen als besonders interessant: zuerst die Schmerz- 
empfindung, dann die Bewegung der oberen, dann der unteren 
Extremitäten, dann Bewegung der Lippen, des Gesichts, der 
Augen, endlich der Geschmack, das Gehör, schließlich Verständnis 
für Wörter, ohne sie nachsprechen zu können, und zu allerletzt 
die Nackenstarre. 

X. Albrecht und Ghon. Noch einmal der Meningokokkus intracellularis. 
Wien. med. Wochenschr. 1902. Nr. 46. S. 1222. 

6 Monate, aufgenommen mit viel Fieber, hohem Pulse, Kopf nach hinten 
und zur Seite geneigt, Beine angezogen an den Leib, geringer Strabismus, 
Nystagmus, Lumbalpunktion negativ, da „keine Flüssigkeit austritt^'. Tod 
am folgenden Tage. 

Sektion ergab: cerebrospinale eitrige Meningitis, kolossale Rhinitis, 
beiderseitige Otitis media acuta; besonders rechts, beginnende Lobulär- 
pneumonie. 

Bakteriologisch wurde der Meningokokkus intracellularis nachgewiesen. 

XL Weichselbaum und Ghon. Der Meningokokkus meningitidis cerebro- 
spinalis als Erreger von Endocarditis, sowie sein Verkommen in der 
Nasenhöhle Gesunder und Kranker. Wiener Klin. Wochschrift. 1905. 
XVm. S. 627. 

Mädchen, 9 Wochen alt. war nach 5 wöchentlicher Krankheit an Menin- 
gitis cerebrospinalis gestorben. Es hatte außerdem linksseitige eitrige Mittel- 
ohrentzündung bestanden, daneben difuse eitrige Bronchitis und Lobulär- 
pneumonie beiderseits u. s. w. Die intra vitam entnommene Lumbaiflüssigkeit 
natte den M. m. c. mikroskopisch und kulturell ergeben, derselbe fand sich 
auch bei mikroskopischer Untersuchung des Nasenrachensekrets. 

Xn. Fordan, Ein Fall von Meningitis cerebrospinalis mit Durchbruch des 
Eiters durch das Ohr. Dissertation. Erlangen 1906, 

beobachtete bei einem Kinde von 2*/4 Jahren, das einem Hause gegenüber 
gewohnt hatte, aus welchem vor V4 Jahr ein Kind an Meningitis cerebrospinalis 
erkrankt war, eine langsame, in 4 Wochen sich entwickelnde Cerebrospinal- 
meningitis mit Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Aufschreien, Rücken- und 
Körperschmerzen, und langsam zum Koma sich steigernder Apathie. 4 Lumbal- 
punktionen: die 1. entleerte ca. 50 ccm Spinalflüssigkeit im Strahle, dicke, 
trübe, grünlich verfärbte, mikroskopisch Eiterkörperchen und „wie Eiter- 
körperchen gruppenweise beisammenliegende Diplokokken". Kemig'sches 
Symptom, linke Pupille weiter, Kopfbewegungen freier, Parese des linken 
Abducens; 4 Tage später 2. Lumoalpunktion : 20 ccm Flüssigkeit unter 
starkem Drucke entleert, viel heller als bei der 1., gelb, trübe, Eiweißgehalt 
und'Diplokokkenzahl wie fräher, Sediment geringer, gleich darnach „besseres 
Befinden". Ohruntersuchung ergibt das rechte Trommelfell diffus getrübt 
und Vorwölbung im hinteren oberen Quadranten: Anfang der 10. Krankheits- 
woche. Nunmehr Erbrechen, zunehmend, Zähneknirschen. 3. Lumbalpunktion 
5 Tage nach der 2. : entleert werden nur tropfenweise 27 ccm trübe Flüssig- 
keit, die zwar bedeutend geringeres Sediment ergab, aber unverändert „viel 
Diplokokken, die wie früher außerhalb und innerhalb der Eiterkörperchen 
gelagert sind". Pupillenerweiterung und -trägheit, rechts mehr als links. 
Cheyne-Stokes'sche Athmung. Somnolenz, CoUaps, im Bade Konvulsionen. 



218 XXV. HESSLER. 

Nephritis Nachlaß aller Erscheinungen Anfang der 10. Krankheitswoche nach 
Eintritt derOtorrhoe links, mit Perforation im hinteren oberen Trommelfell- 
quadranten. Die mikroskopische Ohroiteruntersuchung ergibt „Diplokokken 
von derselben Gestalt und Verteilung wie in der Spinalflüssigkeif*. Rechts 
Papille verwaschen, plötzlich opisthosonischer Krampfanfall nach links, von 
neuem Abducensparese. Die linksseitige Otorrhoe hatte ungeföhr 5 Wochen 
gedauert. 2 Narben im linken Trommelfell. 4. Lumbalpunktion Ausgangs 
des 3. Krankheitsmonats: Entleerung von 11 ccm wasserhcller Flüssigkeit, 
die unter 23—27 cm Anfangsdruck abfließt, keine Eiterkörperchen, aber 
zahlreiche Diplokokken, teils nebeneinander, teils hintereinander liegend. 
Von da ab zunehmende Besserung, Endresultat nicht weiter verfolgt bezw. 
mitgeteilt. 

Die bakteriologische Untersuchung des Ohreitors ergab : „intracellulare 
Diplokokken in Semmelform mit deutlicher Abplattung der einander zu- 
gcKehrten Flächen. Eine Kapsel war nicht vorhanden. In Reinkulturen 
waren sie gram-negativ. Dieses Verhalten, sowie auch das mangelhafte 
Wachsen auf Nährböden spricht mit der größten Wahrscheinlichkeit dafür, 
daß es sich hier um den typischen Erreger der epidemischen Genickstarre 
handelte.** >) 

Kümmel, Referat über die Bakteriologie der akuten Mittelohreiterung. 
Deutsch. Otolog. Gesellsch. 1907. S.42, 

hat zweimal bei der epidemischen Genickstarre Mittelohrentzündung gesehen, 
aber nicht bakteriologisch untersucht. 

Von der mir nicht zugängigen Literatur führe ich an: 

Oouncilmann, Mallory und W rights Epidemie cerebrospinal Meningitis 
and its relation to other foims of meningitis 1S98. ref. Zentralblatt f. 
Bakteriol. 1899. XXVI. S.97. 

die nach dem Referate von Albrecht und Ghon, Wien. Klin. Wochenschrift, 
1901. Nr. 41 von 19 Fällen von Genickstarre die intracellulären Kokken 
15 mal im Nasensekret, und von 5 Fällen von Genickstarre 3 mal im 
Ohreiter fanden, also in einer Reihe von Fällen durch den Diplokokkus 
intracellularis bedingte Zungen-, Ohren- und Nasensekretionen. 

Gradwohl, Philadelphia monthly med. Joum. 1899. ref. Zentralblatt für 
Bakteriol. XXIX. S.265, 

der den Meningokokkus meningitidis intracellularis bei Otitis media mikro- 
skopisch nachgewiesen hat und in einem Fall einen Hund mit dem Ohreiter 
einer Frau impfte und nach 2 Tagen sterben sah. 

Airol di, Die Ohraffektion bei der Meningitis cerebrospinalis. II sordomuto 
1892. ref. Zeitschr. f. Ohrenh. XXIV. S. 196. 



1) Der von Menzer, Über einen bakteriologischen Befund bei Cerebro- 
spinalmeningitis, Berl. kiin. Wochenschr. 1901. Nr. 11. S. 283, beschriebene 
Fall, den Hasslauer in seinem Sammelreferat: die Bakteriologie der 
akuten und sekundären Mittelohrentzündung, Internationales Zentralblatt f. 
Ohrenh. II. Nr. 7. S. 297 im Abschnitt Meningokokkus intracellularis Weichsel- 
baum-Jaeger anführt, gehört nicht sicher zu unserem Thema von der übertrag- 
baren Genickstarre. M. schreibt direkt: „Es war von vornherein auszuschließen, 
daß es sich um einen Fall von epidemischer Cerebrospinalmeningitis handelt, 
da der Patient bereits sich fast 2 Monate in der Charit6 befand, und auf 
der betreffenden Station diese Krankheit weder vorher noch nachher zur 
Beobachtung gekommen war." Die bakteriologische Untersuchung der 
Lumbaiflüssigkeit und post mortem des Meningitiseiters hatte vorwiegend 
„typisch intracellulär gelegene Streptokokken'' ergeben. 



über einen Fall von akuter Mittelohreiterung usw. 



219 



Bei der geringen Zahl des vorstehenden kasuistischen Materials 
sollte man annehmen dürfen, daß akute Mittelohreiterung bei der 
übertragbaren Genickstarre relativ selten vorkommt. Wesentlich 
andere und geradezu entgegengesetzte Resultate hat aber die 
Beobachtung der großen Epidemie von übertragbarer Genickstarre 
in Oberschlesien 1905 erbracht. Ich wiederhole, daß nach Westen- 
höffer bei Kindern mit epidemischer Genickstarre sich stets eine 
Otitis media und zwar von Beginn an findet. Goeppert^) hat 
87 Sektionen an Genickstarre-Kranken gemacht und 200 Fälle 
genauer untersuchen können. Von 48 Leichen zeigten 30 = 62 o/o 
Mittelohrerkrankungen. Die Zahl derselben ist fast so groß wie 
bei Westenhöffer, und da das Mittelohr die einzige Höhle ist, 
die schon im Säuglingsalter existiert, so könnte man geneigt sein, 
dem Befunde eine große Wichtigkeit für das Zustandekommen 
der Hirnhautentzündung beizumessen. Nun ist aber das Mittel- 
ohr im allgemeinen ein recht gut gegen den Körper abgeschlossenes 
Organ, und es muß fast stets zu gröbern Erkrankungen kommen, 
ehe dieser Schutz versagt. Diese bei Meningitis gefundene Ent- 
zündung aber zeigt selten erhebliche Gewebsreizung, ja das 
Trommelfell ist in einer großen Reihe von Fällen bei Patienten 
jeden Alters das uns von kachektischen Säuglingen so bekannte, 
nämlich auf trüber durch durchscheinenden Eiter schneeweiß ge- 
färbter Membran vereinzelte radiäre Gefäße. Daher auch relativ 
selten Perforation, und auch diese erst in der 3., 4. Woche. 
Könnte man dies abweichende Verhalten durch die spezifische 
Eigentümlichkeit des Meningokokkus, geringe Gewebsreizungen 
hervorrufen, erklären, so lehrt ein Blick auf die folgende Tabelle, 
daß wir es höchst selten mit einer primären Erkrankung zu 
tun haben. 

Verhalten des Mittelohrs im Leben: 



1. 

Woche 



2.-3. 
Woche 



4.-6. 
Woche 



später 



msges. 



msges. 
Proz. 



Normal 

Ausgesprocheue Erkrankung . . 

Be^nende Erkrankung . . . 

Außerdem früher bestand. Ohren- 
leiden 



23 


9 


11 


12 


55 


10 


17 


12 


8 


47 


3 


5 


4 


4 


16 


3 


1 


1 


2 


7 



I 



44 
50 



5,6 



Während also in der 1. Woche die Zahl der Ohrgesunden 
um das Doppelte die Zahl der Erkrankten überwiegt, ist in der 

1) Goeppert, Zur Kenntnis der Meningitis cerebrospinalis epidemica 
mit besonderer Berücksichtigung des Kindesalters. Klin. Jahrb. XV. S. 528. 



220 XXV. HESSLER. 

2. — 3. Woche das Verhältnis umgekehrt und bessert sich wesentlich 
nach der 6. Woche. G. fand also in der 1. Woche 35 Proz. 

2.-3. „ 70 ^ 
4, — 6. „ 59 „ 
und in den späteren Wochen 50 ^ 
seiner Patienten an ein- oder beiderseitiger ausgesprochener oder 
eben beginnender Mittelohrentzündung erkrankt Am 1. und 
2. Tage wurde je 1 Mal im Leben und bei der Sektion eine 
beginnende Mittelohrerkrankung gefunden; die früheste ausge- 
sprochene Mittelohreiterung sah 6. am 3. Tage. 
Weiter hat Kirchner^) zusammengestellt: 

standesamtlich gemeldete Todesfälle an übertragbarer 
Genickstarre in Preußen in Sa.: 

1889 1890 1891 1892 1893 1894 189 5 1896 1897 1898 1899 1900 1901 
301 236 231 203 237 241 258 447 358 283 250 224 225 

und den Kreisärzten gemeldete Erkrankungen derselben 
(darunter mit Todesfällen) 

1899 1900 1901 1902 1903 1904 . 1905 
112 127 (86) 121 (81) 125 (88) 121 (70) 118 (79) 3673 (2044) 

und im letzten Jahre kamen allein auf den Begierungsbezirk 
Oppeln, den Oberschlesischen Industriebezirk nicht weniger als 
3102 Erkrankungen mit 1789 Todesfällen, während in den übrigen 
Regierungsbezirken Preußens noch 571 Fälle mit 255 Todesfällen 
gezählt wurden. 

Weiter betrug nach den wöchentlichen Veröffentlichungen 
des Kaiserlichen Gesundheitsamts für das Jahr 1906 die Gesamt- 
summe an übertragbarer Genickstarre 

21702), darunter 996 Todesfälle, und für das 
1 . Halbjahr 1 906 noch 1 759, „ 802 „ 

Seit Juli 1906 ist zwar ein wesentlicher Nachlaß der Er- 
krankungsziffer eingetreten, doch dehnte sich Anfang diese» 
Jahres die Genickstarre hauptsächlich in dem Kuhr-Industrie- 
bezirke aus. Am 23. April fand auf Veranlassung des Kultus- 
ministers in Gelsenkirchen eine Beratung über den Gang und 
die Bekämpfung der Genickstarre statt. Nach den neuesten Fest- 
stellungen sind die Erkrankungen räumlich sehr ausgedehnt^ 
aber leicht und nicht zahlreich. 



1) Kirchner, Die übertragbare Genickstarre in Preußen im Jahre 1905. 
Klinisches Jahrbuch XV. 1906. S. 730. 

2) Monat Dezember nach dem Durchschnitt des November gleich beziffert. 



über einen Fall von akuter Mittelohreiterang usw. 221 

So ist neuerdings das als Tatsache erwiesen, daß nicht nur 
das innere, sondern auch das mittlere Ohr und vielleicht letzteres 
noch in größerem Prozentsatz bei der übertragbaren Genickstarre 
vorkommt. Andererseits ist bei der gegenwärtig zwar nicht be- 
sonders bösartigen, aber räumlich weit ausgebreiteten Epidemie 
derselben den verschiedensten Ohrenärzten Gelegenheit gegeben, 
bezügliche praktische und wissenschaftliche Beobachtungen zu 
machen. Und nur die Bekanntgabe eines großen, vielseitigen, 
gut beobachteten Materials kann dies Dunkel der Wissenschaft 
erhellen, das für uns noch bezüglich der Miterkrankung des 
Ohres bei der epidemischen Genickstarre besteht. Hierzu sollte 
die Veröffentlichung meines Falles mit Veranlassung geben. 

In gleichem Sinne hatte Phillips in der Sitzung der New- 
Yorker Otologischen Gesellschaft vom 24. März 1904 die Auf- 
merksamkeit der Ohrenärzte auf die epidemieartige Zunahme 
der wöchentlichen Todesfälle von New-York an epidemischer 
Genickstarre mit einem Schwanken zwischen 5i) bis 100 gelenkt. 

In Halle sind nach den amtlichen Berichten des Kreisarztes 
in den letzten 6 Jahren im ganzen 15 Fälle von übertragbarer 
Genickstarre vorgekommen. Von diesen waren diagnostisch 
sicher 11, höchstwahrscheinlich 2 Fälle. Aus Halle selbst 
stammten nur 3 Fälle; diese betrafen sämtlich Kinder, verteilten 
sich auf verschiedene Jahre und Stadtteile und waren ohne Be- 
teiligung des Ohres verlaufen. 

Bezüglich der Behandlung der symptomatischen Ohrer- 
krankungen sowohl im Mittel- als im Innenohr bei der primären 
sporadischen übertragbaren Genickstarre kann ich mich kurz 
fassen. Sie fällt naturgemäß mit derjenigen der letzteren zu- 
sammen. Regierungsseitig ist für September eine Konferenz 
nach Bremen geplant, und auf dieser hat Flügge das Referat 
über die Verbreitung und Bekämpfung der Genickstarre über- 
nommen. Von ihr dürfen wir auf gute Resultate hoffen. Anderer- 
seits sind die neuerdings veröffentlichten therapeutischen Resultate 
mit Seruminjektion bei der Genickstarre so günstig ausgefallen, 
daß auch wir Ohrenärzte für unsere Patienten hoffen dürfen, 
daß endlich die Zeit gekommen ist, die uns in dem Heilserum 
ein prophylaktisches Mittel wenigstens gegen die eine Grund- 
krankheit der Taubstummheit gebracht hat, wie sie die akute 
übertragbare Genickstarre seit ihrem ersten Auftreten gewesen ist 



XXVI. 
Aus Dr. Herzfelds Klinik und Poliklinik. 

L Ober einen bemerkenswerten Fall von Sinnsthrombose 
mit Stannngspapille nnd Pnlsverlangsamnng bei aknter 

eitriger Hittelohrentznndnng. 

Von 

Dr. J. Herzfeld. 



Max Weltz, ein 15 jähriger bisher stets gesunder und mit Krankheiten 
erblich nicht belasteter junger Mann, erkrankte ohne nachweisbare Ursache 
am 10. September 1906 mit Schmerzen im rechten Ohr und Ausfluß aus dem- 
selben. Beim Gehen und auch schon beim stehen trat starker Schwindel 
aut so daß Patient sich festhalten mußte. Nachdem er 8 Tage ohne Erfolg 
von seinem Arzt behandelt wurde, erfolgte seine Aufnahme in unsere Klinik. 
Der rechte Gehörgang war voll Eiter, das Trommelfell war stark geschwollen, 
der Processus über der Spitze und dem Antrum auf Druck sehr schmerzhaft. 
Schon am nächsten Tage entwickelte sich unterhalb des Processus eine starke 
Schwellung dem Sterno cleido mastoideus entlang. Patient hält den Kopf steif 
nach der gesunden Seite, ist aber auf Aufforderung im stände, ihn nach allen 
Seiten zu bewegen. Auf dem Stein'schen Goniometer fällt er bereits bei 3** 
Erhebung nach links. Patient macht einen schwer kranken Eindruck und 
klagt über sehr starke Kopfschmerzen. Temperatur am 20. Sept, früh 37,8, 
abends 40.8. An diesem Tage zwei Schüttelfroste von 15 Minuten langer 
Dauer. Die ophthalmoskopisdie üntersudiung (Augenarzt Dr. Seligsonn) 
ergab beiderseits das Bild der Stauungspapille; die Papillengrenzen beider- 
seits verwaschen, die Venen gestaut Abends Operation in Äthemarkose. 
Nach den ersten Meißelschlägen quillt Eiter unter starkem Druck hervor, 
bald kommt auch der Sinus zum Vorschein, der weit nach vom reicht. Die 
Sinuswand ist sehr verdickt, schmierig verändert und zeigt ein übererbsen- 
großes Loch, aus dem ein wenig nicht fötide riechender Eiter hervorquillt; 
im übrigen ist er an dieser Stelle frei von Thromben, die sich erst höher 
herauf und tiefer herunter zeigen. Die parietale Wand des Sinus wird mit 
einer Grünwald'schen, gut sdineidenden Zange abgetragen, die viscerale sieht 
normal aus, erscheint aber stark vorgedrängt. Die Thromben werden 
nur teilweise entfernt, sodaß eine Blutung nicht eintritt. Infolge des weit 
nach vom gelagerten Sinus kann das Antram nicht aufgedeckt werden. 
3 Stunden nach der Operation erfolgt noch ein Schüttelfrost 

22. Septbr. Erster Verband. Aus beiden Sinusenden eitriges Sekret; 
die Schwellung am Halse entlang der jugularis besteht noch und ist druck- 
empfindlich. Bewegungen des Kopfes freier. Temperatur früh 38,6, abends 40. 
Nachmittags noch 2 Schüttelfröste, Puls 72—82. 

24. Septbr. Zweiter Verband. Nur noch aus dem jugularen Ende Eiter. 
Temperatur früh 36,6, abends 37,6, Puls 60. 



über einen bemerkenswerten Fall von Sinusthrombose usw. 223 

2. Oktober. Die Sekretion ist allmählicb immer geringer geworden. 
Heute erscheint das jngulare Ende des Sinus verklebt (In den letzten Tagen 
war die Flüssigkeit ganz serös geworden.) Die Temperatur schwankt 
zwischen 36 und 37,5, die Pulszahl ist immer sehr herabgesetzt, ca. 50 im 
Liegen, 60—64 beim Aufrichten. 

Nun macht die Heilung der Wunde wie auch die Besserung des All- 
gemeinbefindens ziemlich schnelle Fortschritte. Nur die Stauungspapille ließ 
sich noch sehr lange konstatieren. Am 10. Oktober, also 20 Tage nach der 
Operation, ergab cue ophthalmoskopische Untersuchung noch das Bild der 
doppelseitigen Stauungspapille, die aber rechts, also auf der kranken Seite, 
lange nicht so ausgeprägt war, wie auf der gesunden linken Seite Die 
Venen sind stark geschlängelt und geschwollen und zeigen in ihrem Verlauf 
starke Ealibersch wankungen, z. T. sind sie in ihrem Verlauf von weißen 
Exsudatstreifen begleitet, neben denen einzelne streif- und punktförmige 
Hämorrhagien liegen. Auch am 25. Oktober sind die Papillengrenzen immer 
noch etwas verwaschen, und zwar links immer mehr als rechts; die Venen 
sind im linken Auge gestaut und geschlängelt, rechts normal. Die Arterien 
sind beiderseits normal. Auch die Sehschärfe ist beiderseits normal mit 
korrigierendem Eonkavglas. (Dr. Seligson.) 

Am 25. Oktober ist die Wunde völlig verheilt, das Gehör normal. Auf 
dem Goniometer fällt Patient jetzt erst bei Erhebung von 30 ^ 

Der Fall ist nach verschiedenen Seiten hin interessant. Er- 
stens gehört es zur Ausnahme, daß der Sinus sich bereits 
10 Tage nach begonnener Mittelohreiterung völlig ob- 
turiert und in seiner häutigen Wand durchbrochener- 
weist. Zweitens ist die außerordentliche Pulsverlangsamung be- 
merkenswert Bei einer Temperatur von über 4 0<^ wurden 
oft nur 72 Schläge und später, als die Temperatur 
zwischen 37 — 3S^ schwankte, oft nur 50 Schläge ge- 
zählt. In einem in der hiesigen otoiogischen Gesellschaf 1 1) vor 
5 Jahren gehaltenen Vortrage berichtete ich über einen Fall von 
reiner Sinusthrombose ohne gleichzeitige Pyämie mit 
fast normaler Temperatur, bei dem der Puls bis 48 in der Minute 
heruntergegangen war. Man muß sich wundern, in der Literatur so 
selten Pulsverlangsamung bei Sinusthrombose angegeben zu finden. 
A priori sollte man bei herzwärts abschließendem Thrombus einen 
erhöhten Hirndruck und damit Pulsverlangsamung erwarten, ist, 
doch auch nach den Erfahrungen der Seh wartze 'sehen Klinik 
bei Sinusphlebitis stets die Cerebrospinalflüssigkeit vermehrt,'^) 
Es wird also die Pulsverlangsamung nicht immer, wie in dem 
Kessel 'sehen Falle auf Kompression des Vagus im Foramen 
jugulare zurückzuführen sein. 

Die Veränderungen im Augenhintergrund sind bereits vorher 
beschrieben worden. Sind dieselben schon an sich bei Sinusthrom- 



1) Verhdl. d. Berl. otol. Ges. 1901/02. 

2) S. Körner. Die otitischen Erkrankungen des Hirns usw. 3. Aufl. 
p. 86. 



224 XXVI. HERZFELD. Über einen bemerkensw. Fall v. Sinusthrombose usw. 

bose selten, so verdient hier besonders hervorgehoben zu werden, 
daß die Veränderungen im Augenhintergrund der obre 
gesunden Seite viel stärker, als auf dem der kranken 
Seite ausgeprägt waren und auch noch fortbestanden- 
als bereits fast völlige Heilung eingetreten war. Im 
Übrigen glaube ich, ist das Auftreten der Stauungspapille, ebenso 
wie die Pulsverlangsamung, wohl immer das Zeichen einer Kompli- 
kation der Thrombose, meist wohl mit Meningo*Encephalitis serosa. 
Das hier eine solche bestand, kann wohl keinem Zweifel unter- 
liegen. Hierfür spricht der Augenbefund, die Pulsverlangsamung, 
die überaus heftigen Kopfschmerzen und schließlich die sehr 
starke Hervorwölbung der visceralen Sinuswand, die sich erst 
allmählich zurückbildete. In einem ähnlichen Falle, der dem, 
nächst des Ausführlichen in einer Inaugural-Dissertation veröffent- 
licht wird, habe ich den direkten Nachweis von Liquor cerebro- 
spinalis mittels Inzision in die viscerale Wand gebracht. Es 
handelte sich ebenfalls um einen ganz jungen Burschen von nur 
18 Jahren, der auch im Anschluß an eine akute Mittelohr- 
entzündung bereits 3 Wochen nach begonnener Eiterung an Sinus- 
thrombose operiert werden mußte. Hier erwies sich nach der 
Sinusoperation und Fortschneiden der parietalen Wand die vis- 
cerale Wand mächtig vorgewölbt und machte einen direkt 
schwappenden Eindruck. Da Patient über starke Kopfschmerzen 
klagte, seinen Kopf ganz steif hielt, die Processus spinosi der 
Halswirbel auf Druck sehr empfindlich waren und das ganze 
Krankheitsbild mit seinen hohen Temperaturen an Meningitis 
denken ließ, entschloß ich mich, die vorgewölte viscerale Wand 
zu inzidieren, worauf sich überaus große Mengen seröser Flüssig- 
keit entleerten, deren stärkeres Abfließen noch in den nächsten 
Tagen einen mehrmaligen täglichen Verbandwechsel erforderte 
Merkwürdigerweise hatte in diesem Falle, der auch zur Heilung 
kam, mehrfache ophthalmoskopische Untersuchung immer nor- 
male Verhältnisse des Augenhintergrundes ergeben, während die 
Pulsfrequenz auch nicht der Fieberhöhe entsprach. 

Was den bakteriologischen Befund betrifft, so fanden sich 
in dem steril entnommenen Sinusinhalt sehr virulente Strepto- 
kokken — eine geimpfte Maus stirbt nach 12 Stunden — ira 
Ohreiter hingegen, — beide Eiterproben am Operationstage gleich- 
zeitig entnommen — Staphylokokkus pyogenes aureus (Bakteriolog. 
Institut von Dr. Piorkowski). 



II. Znr Kasuistik der Sarkome der Ohrmuschel 



von 

Dr. J. Herzfeld. 



Tumoren, lediglich beschränkt auf die Ohrmuschel, gehören 
nicht zu den häufigen Beobachtungen. Senff i) konnte in seiner 
unter Bürkner im Jahre 1898 angefertigten Inaugural- Disser- 
tation unter 71 450 gesammelten Fällen von Ohrerkrankungen 
nur 34 Tumoren der Ohrmuschel auffinden, nach welcher Statistik 
also auf 100 Erkrankungen nur 0,048 Tumoren kommen würden. 
Sämtliche Arten von Geschwülsten sind beobachtet worden, relativ 
selten das Sarkom. In der erwähnten Statistik sind nur tl Fälle 
von Sarkom erwähnt, die ihren Ausgangspunkt an der Ohr- 
muschel hatten. Auch in der hierauf folgenden Literatur sind nur 
wenige Mitteilungen über Sarkome mit reinem Sitz an der Ohr- 
muschel zu finden. Ganz besonders selten aber nehmen sie den 
Lobulus ein. — In meinem Falle handelte es sich um einen in 
der Hauptmasse auf den Lobulus beschränkten Tumor bei einer 
46jährigen Landfrau. Dieselbe gibt an, beim ersten Entstehen 
des Tumors vor ca. 4 Jahren ein Brennen in der Gegend des 
des linken Ohrläppchens verspürt zu haben. Gleichzeitig wurde 
dasselbe etwas dicker. Eine Entzündung oder Ausschlag in der 
Gegend des Ohrringloches bestand nicht. Während die Geschwulst 
in den ersten 3 Jahren nur langsam wuchs, vergrößerte sie sich 
im letzten Jahr zusehends schnell. Zur Zeit der Menses wurde 
der Tumor immer stärker und nahm eine intensivere blaurote 
Farbe an. Seit 30 Jahren hat Fat auch eine linksseitige Struma. — 
Der Lobulus der linken Ohrmuschel unterhalb des Ohrringloches, 
so daß dieses also nicht ätiologisch angeschuldigt werden darf, 
ist tumorartig um das Dreifache seines normalen Volumens ver- 
dickt^ die Haut über demselben ist zwar dünn, aber erhalten und 
erscheint bläulichrot (cyanotisch) verfärbt. Die Submaxillardrüsen 

1) 2 Fälle von Tumoren der Ohrmuschel nebst einer Abhandlung über 
die bisher veröffentlichten Fälle von Tumoren a. d. Ohrmuschel. 

Archiv für OhrozüieUkaDde. 73. Bd. Festschrift. 15 



226 XXVI. HERZFELD. Zur Kasuistik der Sarkome der Ohrmuschel. 

sind nicht vergrößert. Die Konsistenz des Tamors ist halb hart 
Die tumorartige Verdickung setzt sich auf den freien Band des 
Helix in einer Ausdehnung von 1^/2 cm fort, sodaß die ganze 
Geschwulst etwa eine Länge von 5 cm und an dickster Stelle 
einen Durchmesser von 2 cm hat Das Jnnere des Ohres ist nor- 
mal. Die ganze Ohrmuschel hingegen war livide gefärbt, sodaß 
zunächst an eine Angiommischgeschwulst gedacht werden konnte. 
Hiergegen sprach aber der Umstand, daß der Tumor auf Druck 
weder seine Größe noch seine Farbe veränderte. Auch an Tuber- 
kulose, wie sie Hang mehrfach als Enotentuberkulose beschrieben 
hat, und wie ich selbst ebenfalls einen derartigen Fall am Lobulus 
beobachtet habe, mußte gedacht werden. Die mikroskopische Unter- 
suchung des sehr weichen und im Inneren mehrere Blutungen 
zeigenden Tumors ergab aber keines von beiden, sondern ein ge- 
mischtzelliges ßundzellensarkom. In einzelnen Partieen erscheint 
das Zwischengewebe sehr locker, und in dem maschig aussehenden 
Gewebe liegen sternförmige Zellen, welche Schleimzellen sehr 
ähnlich aussehen. Diese Partien erinnern an Schleimgewebe, aus 
denen der Schleim bei der Präparation extrahiert wurde. 

Die Entfernung geschah in Anbetracht der großen Struma 
unter lokaler Anästhesie durch Abtragung des Tumors innerhalb 
der gesunden Zone. Die Blutung war sehr gering, die Wunde 
heilte schnell, sodaß Pat. bereits nach 3 Wochen aus der Be- 
handlung entlassen werden konnte. 



XXVIL 



Beiträge zur Indikation der Labyrintheroffnnng 
bei komplizierter fflittelohreitemng nnd nene Vorschläge 

fflr die Labyrinthoperation. 



Von 



Dr. W. Uffenorde, 

Privatdozent und Assistent der Kgl. Poliklinik für Ohren- und Nasenkranke 

in Göttingen. 



Seitdem die Ohrenheilkunde allmählich mehr durch klinisch 
und nekroskopisch gewonnene Erfahrungen als durch Ausbau 
von exakten physiologischen üntersuchungsmethoden einiges 
Licht in die Pathologie der Labyrintherkrankungen gebracht hat, 
ist man bestrebt gewesen, diesen sekundären und so oft besonders 
in funktioneller Hinsicht verderblichen Prozessen entgegen zu 
arbeiten. 

Daß hier die frühzeitige Behandlung des primären Leidens, 
besonders der Mittelohreiterung, in allererster Linie Platz greifen 
muß, und daß dadurch eine günstige prophylaktische Wirkung 
sehr oft möglich ist, wird allerseits anerkannt. Haben wir 
aber das Bild der Labyrintherkrankungen bereits vor uns, so 
wird auch hier noch, wie genug bekannt ist, die operative Be- 
handlung des Mittelohrleidens die Labyrinthentzündung in vielen 
Fällen günstig beeinflussen, so daß diese ohne direkten Eingriff 
heilt. In anderen ungünstigeren Fällen kommen wir mit einer 
Operation am Mittelohre allein nicht aus; jedenfalls wird dadurch 
der entzündliche Prozeß im Labyrinth nicht abgeschnitten, und 
die Meningitis wird oft nicht ausbleiben. 

Naturgemäß liegt hier, besonders angesichts des glänzenden Aus- 
baues der otochirurgischen Technik, der operative Weg sehr nahe. 

Die operative Inangriffnahme der labyrinthären Teile als 
solche wird prognostisch sehr verschieden beurteilt. Gegenüber 
Heine, Friedrich, Zeroni u. a. glaubt Hinsberg den Ein- 

15* 



228 XXVU. ÜFFENORDE. 

griff günstiger auffassen zu müssen. Seine Statistik (Verband], 
der Deutschen otologischen Gesellschaft, Wien 1906) von 67 
operativ geheilten Fällen von Labyrintheiterung gegenüber 
3 Todesfällen spricht zweifellos sehr zugunsten der Operation, 
doch möchte ich keineswegs so weitgehende Schlüsse daraus 
ziehen, wie Hinsberg es tut. Daß solche Statistiken mit einer 
gewissen Vorsicht bewertet werden müssen, ist bereits von anderer 
Seite hervorgehoben worden. Doch glaube ich, daß die Gefahr 
der operativen Freilegung des Labyrinthes bei dringender In- 
dikation, die wir noch besprechen wollen, in keinem Verhältnis 
zu der Gefahr steht, die dem Patienten bei Unterlassung der 
Operation droht. Bei genügender Beobachtung der allgemeinen 
chirurgischen Regeln, besonders bei genügender Technik und 
anatomischer Vorstellung werden hier die dankbarsten Erfolge 
nicht auf sich warten lassen, wie auch unsere beiden unten mit- 
zuteilenden Fälle zeigen. Dagegen sind auf der anderen Seite 
besonders zwei schwerwiegende Momente aufzuführen. Einmal 
hat uns, wie schon angedeutet, die physiologische Forschung 
noch keine exakten Untersuchungsmethoden an die Hand geben 
können, welche nach physikalischen Gesetzen, wie z. B. in der 
Augenheilkunde, sichere Schlüsse über deu Zustand der betreffen- 
den Teile gestatten könnten. Alle die zum Teil mit viel Fleiß und 
Mühe gefundenen Erkenntnisse, die als neue Bausteine für die 
Konstruktion der Diagnose im ersten Moment von der otiatrischen 
Welt so dankbar aufgenommen sind, werden allmählich kritischer 
betrachtet, da sie sich bei unbeeinflußter und allgemeinerer Nach- 
prüfung seitens der Fachkollegen doch nicht als so stichhaltig 
und verwertbar erweisen, wie der betreffende Autor annehmen 
zu müssen glaubte. 

Alle die Symptome, die durch verschiedene Hilfsmittel bei 
der Labyrintheiterung beobachtet werden, z. B. Fehlen des 
Nystagmus bei Rotation, bei Einspritzen von kaltem Wasser usw., 
die charakteristischen Störungen des Gleichgewichtssinnes, besonders 
bei Hüpf- und Sprungversuchen, lassen uns im einzelnen oft im 
Stiche, oder aber es sind die Untersuchungen, wie so häufig bei 
den bestehenden Verhältnissen, überhaupt nicht ausführbar. Nach 
unseren Erfahrungen erscheint es uns z. B. in vielen Fällen 
geradezu unmöglich, durch die v. St ein sehen Versuche etwas 
Sicheres zu erreichen. Gymnastisch ungeübte Menschen können 
oft überhaupt nicht auf einem Bein stehen, geschweige mit ge- 
schlossenen Augen rückwärts hüpfen und dergl. Daß die Ver- 



Beiträge zur Indikation der Labyrintheröffnung usw. 229 

suche an geeigneten Individuen positiven Anhalt geben, soll 
durchaus nicht bestritten werden, ebensowenig wie daß die weitere 
Forschung in dieser Hinsicht unsere Pflicht ist (Kümmel), wenn 
man auch im allgemeinen damit in der Praxis noch nicht viel an- 
fangen kann. Ebenso würden wir uns nur in ausgesprochenen 
Fällen getrauen, den kalorischen Nystagmus (Bärany) zu ver- 
werten und zwar nur dann, wenn er sich in den übrigen, meist 
nur lückenhaften Symptomkomplex einfügen läßt Bei der Nach- 
prüfung haben wir oft einander widersprechende Erfahrungen da- 
mit gemacht Fast alle diese Hilfsmomente, ja alle die einzelnen 
Labyrinthsymptome können für sich keine Entscheidung bringen ; 
sie können nur das Symptomenbild vervollständigen. 

Für den Arzt wird immer die große Schwierigkeit bestehen 
bleiben, die einzelnen Momente sorgfältig gegeneinander abzu- 
wägen und, unterstützt durch die gesammelte Erfahrung, seine 
Schlüsse zu ziehen. In zweiter Hinsicht wissen wir aus klinischen 
Beobachtungen, daß die Symptome der Labyrinthentzündung 
nicht nur an Grad, Zahl und Dauer sehr wechselnd sind, sondern 
daß auch viele davon — der vollständige Symptomenkomplex ist ja 
bei den Labyrinthentzündungen fast nie vertreten — bei allgemeinen 
Erkrankungen auftreten können, — bemerkenswert ist z. B„ daß 
bei Betroflexio uteri, bei Menstruationsstörungen fast das komplette 
Labyrinthsymptomenbild auftreten kann — , ja daß sie auch mittel- 
bar von dem fast immer primär eitrig erkrankten Mittelohr aus durch 
mechanische, toxische u. a. Beizung des benachbarten Labyrinthes 
in vielen Fällen ausgelöst werden können. Diese Fälle werden 
dann durch operative und auch konservative Behandlung der 
Mittelohreiterung meist geheilt werden. Und wiederum gibt es 
Fälle von entzündlichen Labyrintherkrankungen, die vielleicht 
nur zufällig bei der Operation, wozu wir einen interessanten 
Beitrag liefern können, oder bei der Sektion aufgedeckt werden. 

Die Schwierigkeit für die genaue klinische Untersuchung 
des inneren Ohres liegt wohl darin begründet, daß es, in ge- 
schützter und entsprechend schwer zugänglicher Lage eingefügt^ 
zwei wichtige Funktionsapparate in innigster Beziehung zuein- 
ander enthält, welche zum Teil ihrerseits sehr wechselvolle und 
vielseitige Verbindungen mit dem übrigen Körper und in erster 
Linie dem Gehirn unterhalten, die leider ebenfalls durchaus nicht 
genügend erforscht sind. 

Auch hier kann uns nur die histologische Untersuchung von 
klinisch gut beobachteten Fällen weiterbringen. 



230 XXVII. UFFENORDE. 

Vorläufig ist es nicht abzusehen, woher der Scheinwerfer 
kommen soll, der sein aufklärendes Licht in jedem Fall in diese 
versteckten Teile schicken könnte. Schon über die Schwierigkeit 
der innigen Wechselbeziehungen unter den einzelnen in Frage 
kommenden Teilen werden wir vielleicht nie ganz hinweg- 
kommen. 

Aber trotz dieser Unzulänglichkeiten in der Frage der Laby- 
rintherkrankungen sind dank der Forschung sichere und große 
Fortschritte zu verzeichnen, die auch von dankbaren Erfolgen 
gekrönt sind; und so ist eine weitere Pionierarbeit angebahnt. 
Es ist durchaus nicht der Zweck dieser Zeilen, auf alle die in 
Frage kommenden Momente einzugehen. 

Die schwebende Frage ist heute noch immer und wird es 
auch wohl noch längere Zeit bleiben: wann müssen wir bei, 
durch eine Beteiligung des Labyrinthes komplizierter, Mittelohr- 
eiterung nach totaler Freilegung der Mittelohrräume auch das 
Labyrinth eröffnen? Diese Frage beschäftigt schon seit ge- 
raumer Zeit die Otiater, sie ist ganz besonders akut geworden 
durch ihre Besprechung auf dem vorjährigen Otologenkongreß 
in Wien. 

Die Indikationsstellung zur Eröffnung der Labyrinthkapsel 
muß von verschiedenen Leitpunkten geführt werden. In erster 
Linie ist m. E. nicht zu vergessen, daß die in der Labyrinth- 
kapsel verborgenen beiden Sinnesorgane zwar in engstem Zusammen- 
hange stehen, aber doch auch wieder mehr oder weniger isoliert 
erkranken können. Das Gehör sowohl wie der statische Sinnes- 
apparat bilden nicht nur für den Erwerbsmenschen, sondern auch 
für jeden anderen einen sehr notwendigen Besitz. Dieses müssen 
wir als Ohrenärzte in allererster Linie berücksichtigen. Auch die 
glänzenden Erfolge unserer operativen Tätigkeit sollten uns nicht 
die sorgfältigste Beobachtung der Gehörfunktion versäumen lassen. 
So glaube ich auch, daß bei der Nachbehandlung der Totalauf- 
meißelungshöhle die besondere Berücksichtigung der medialen 
Paukenwand, die doch in allererster Linie für die spätere Funk- 
tion in Frage kommt, noch öfter ein besseres Resultat herbei- 
führen ließe. 

Je dicker das Granulationspolster auf der Labyrinthwand, 
einschließlich der Attikusgegend, bleibt, um so stärker und un- 
günstiger die spätere Bindegewebsschicht, um so schlechter die 
Funktion. Schon aus diesem Grunde erscheint die jüngst von 
Stein wieder empfohlene Nachbehandlungsmethode ohne Tarn- 



Beiträge zur Indikation der Labyrintheröffnung usw. 231 

ponade, die von zur Mühlen und Zarniko schon früher an- 
gewandt worden ist, so generell gefordert unzweckmäßig. 

So lange wesentliche Hörreste vorhanden sind, werden wir ge- 
nau abwägen müssen, ob der Eingriff ins Labyrinth dringend nötig, 
oder ob nicht mindestens ein Abwarten erlaubt ist. Dabei ist zu be- 
denken, daß jeder Eingriff am Vestibulum direkt oder indirekt 
auch die cochlearen Teile schädigen wird. 

In zweiter Hinsicht zeigt die klinische Erfahrung, durch die 
pathologisch • anatomische Untersuchung unterstützt, daß ent- 
sprechend den engen und komplizierten Verhältnissen in der 
Labyrinthkapsel bei umschriebener Karies oder Usurbildung in- 
folge der eitrig entzündlichen Prozesse in den Mittelohrräumen 
mit Fistelbildung bald Adhäsionen und Verklebungen sich bilden 
können, welche das weitere Fortschreiten der Entzündung auf- 
halten. Sicher heilen so die größte Zahl der Fälle, nachdem die 
Prozesse in den Mittelohrräumen zur Heilung gebracht sind. 
Diese umschriebenen Entzündungen des Labyrinths, die sich be- 
sonders am lateralen Bogengang etablieren, sind ja sicher nach- 
gewiesen. Aber die Erfahrung lehrt, daß sich solche Schutzwälle 
auch tiefer im Labyrinth bilden können, die dem Fortschreiten 
des eitrigen Prozesses gegen das Cranium Halt gebieten. 

Ja weiter kennen wir eine größere Reihe von Fällen aus 
der Literatur (Zeroni, Arch. f. Ohrenheilkd. 65), in denen durch 
die operative Freilegung der Mittelohrräume der tödliche Ausgang 
heraufbeschworen wurde, wo also irgend ein Insult die mehr 
oder weniger abgeschlossene Labyrintheiterung zum Aufflackern 
brachte und den tödlich endenden endokraniellen Prozeß einleitete. 
Ich glaube jedoch nicht mit Zeroni, daß in den Fällen der 
tödliche Ausgang auch ohne Eingriff sicher war. Dem wider- 
spricht doch die Erfahrung. Dagegen möchte ich ihm darin 
ganz zustimmen, daß weniger die Meißelerschütterung als das 
Tupfen, Schaben in der Pauke usw. an den veränderten Stellen 
der Labyrinthkapsel bedenklich und für die Folgeerscheinung 
anzuschuldigen ist. Wenn Hins her g verlangt, daß man in 
allen fraglichen Fällen, in denen eine Labyrinthkomplikation 
anzunehmen ist, sorgfältig nach einer Labyrinthfistel suchen, 
die Paukenhöhle dazu frei machen, von Granulationen säubern 
müsse, so ist das m. E. geradezu gefährlich. Mit Recht hält 
Friedrich es in vielen Fällen für unmöglich, sich an der 
medialen Paukenwand auszukqnnen. Es ist mir nicht ersichtlich, 
wie man hier in Fällen von stärkerer Schwellung der medialen 



232 XXVII. ÜFFENORDE. 

Paukenwandschleimhant, wie sie doch so häufig vorliegt, ohne 
große Gefahr die Verhältnisse am Stapes und an den fraglichen 
Teilen emieren will. Wäre man aus den klinischen Unter- 
suchungen vor der Operation genau unterrichtet, so wäre bei er- 
kannter Notwendigkeit des Vorgehens gegen das Labyrinth dieser 
Vorschlag ohne weiteres einleuchtend. Aber da wir nicht nur die 
Unzulänglichkeit unserer Untersuchungsmethoden für viele Fälle 
kennen, sondern auch wissen, daß bei einer sehr großen Reihe 
von Fällen die Totalaufmeißelung der Mittelohrräume alle Er- 
scheinungen seitens des Labyrinths abortiv zum Schwinden bringt, 
so sind wir wohl keineswegs berechtigt, angesichts der Gefahr 
irgendwie eine Explorierung der medialen Paukenwand zu er- 
zwingen, wenn nicht ganz dringende Momente dazu auffordern. 
Auch Hinsberg hat über schwere Folgeerscheinungen berichtet. 
Meines Erachtens kann die von Zeroni wiederholte Mahnung 
nicht genug beherzigt werden, in allen Fällen von Labyrinth- 
komplikationen die größte Vorsicht gegenüber der lateralen Wand 
der Labyrinthkapsel walten zu lassen, sie als ein Noli me tangere 
zu betrachten, so lange nicht ganz bestimmte Indikationen die 
Eröffnung des Labyrinths erheischen. Darauf kommen wir noch 
zurück. Daß durch Ausschabung mit dem scharfen Löffel, durch 
Sondierung mit der Hakensonde und dergl. leicht ein drohender 
Durchbruch ins Labyrinth eingeleitet werden kann, ist ja ohne 
weiteres einleuchtend und oft betont worden. Dasselbe gilt natür- 
lich auch von den Fisteln an den Bogengängen (Politzer). Auch . 
hier soll in allen den Fällen, in welchen nicht aus bestimmten 
Gründen ein Vorgehen gegen das Labyrinth erforderlich ist, 
größte Vorsicht walten; sowohl der scharfe Löffel wie diß Sonde 
sollte nur möglichst schonend oder gar nicht angewandt werden, 
Friedrich hat einleuchtend dargetan, daß man nicht ohne 
weiteres aus dem Befunde schließen kann, ob wir schon eine 
Fistel vor uns haben oder nur eine oberflächliche Usur oder Defekt. 
Fast jeder kennt wohl Fälle, bei welchen man von diesen Defekten 
aus durch Druck mit der Sonde u. a. leicht Schwindel, Übelkeit, 
Erbrechen, Nystagmus auslösen kann. Mit anderen Worten : man 
hat hier den häutigen, im wesentlichen intakten Bogengang mehr 
oder weniger freiliegend vor sich, und man wird selbstverständ- 
lich hier die sorgfältigste Schonung walten lassen. 

Die Verhältnisse an der Prominenz des lateralen Bogenganges 
sind schon öfter diskutiert worden. Danach erscheint es nicht so 
einfach, den Defekt, die Fistel festzustellen. Während die einen 



Beiträge zur Indikation der Labyrintheröffnung usw. 233 

u. a. Jansen, die Fistel am lateralen Bogengang relativ oft 
konstatiert haben nnd wir müssen uns diesen Erfahrungen durch- 
aus anschließen, haben andere sie seltener beobachtet. Daß man 
in vielen Fällen nur oberflächliche Defekte nachweisen kann 
(Friedrich), die das Bogenganglumen, die perilymphatischen 
Räume nicht eröffnen, ist sicher. In allen Fällen, wo man aber 
mit der vorsichtig angewandten Hakensonde auf dem sonst glatten 
Enochenwulst ganz einhakt, muß man doch eine Fistel annehmen, 
besonders wenn Beizungserscheinungen seitens des Vestibular- 
apparates auftreten. 

Hinsichtlich ^er Frage der Gefäßanastomosen zwischen Laby- 
rinth und Mittelobr möchte ich nebenbei eine Beobachtung er- 
wähnen, die ich nirgends erwähnt finde, die sich uns aber in 
mehreren Fällen b*ei der Operation darbot. In diesen Fällen 
sah man auf der fCuppe der sonst ganz glatten Bogengangs- 
prominenz ein relativ stark blutendes Gefäß. Zweifellos handelt 
es sich um einen durch den entzündlichen Prozeß erweiterten 
Gefäßkanal, wie er jederzeit dabei gebildet werden kann; doch 
mögen hier wohl präforraierte Wege bestehen. Es ist wohl als 
Ausdruck der entzündlichen Hyperämie im Bogenganginnem an- 
zusehen. Wir sahen diese erweiterten Gefäßlöcher gerade in 
Fällen mit heftigen Beizerscheinungen seitens des Labyrinths. 

Wann soll man nun ein Labyrinth eröffnen und wie soll 
man es tun? 

Wie wir schon gesehen haben, stehen sich zwei Ansichten 
einander gegenüber. Die einen glauben angesichts der großen 
Gefahr, die eine Labyrintheiterung nun einmal zweifellos für das 
Leben des Patienten in sich birgt, und andererseits angesichts 
der ziemlich günstigen Statistik von bereits operierten Fällen 
(Hinsberg u. a.) für die Eröffnung des Labyrinths in allen 
Fällen von nachgewiesener ausgedehnterer Labyrintheiterung ein- 
treten zu können. Denen stehen viele gegenüber, welche die 
Labyrinth eröffnung nur als ganz vitale Indikation gelten lassen, 
die sozusagen als ultimum refugium gilt (Friedrich, Zeroni, 
Heine u.a.). Diese Autoren können gegenüber H i n s b e r g eine 
ganze Reihe von Fällen aufweisen, wo nicht nur durch die 
operative Eröffnung des Labyrinths (Jansen), sondern auch durch 
die des Mittelohrs und seiner Nebenräunie der letale Ausgang 
gezeitigt ist, mag nun die Erschütterung durch den Meißel 
(Schwartze, Brieger u. a.) oder die Insulte durch die Kürette, 
Tupfer, Sonde u. a. (Z e r o n i) oder beides den bestandenen Schutz- 



234 XXVll. UFFENORDE. 

wall zerstört haben. Politzer hält die Fälle von Schnecken- 
eiterungen für besonders gefährlich wegen der Gefahr des Durch- 
bruchs von der Basalwindung der Schnecke gegen den inneren 
Gehörgang (Körner, Manaße). Während man die einfachen 
Bogengangfisteln ganz in Ruhe lassen soll; ist nach ihm eine 
nekrotische Promontorialwand abzutragen, weitere Kurettements 
in der Labyrinth höhle aber zu unterlassen. 

Wenn man möglichst unbefangen die Entwicklung der Frage 
der Labyrintheiterung chronologisch bis heute zu verfolgen sucht, 
so liegt der wunde Punkt doch in erster Linie in der Schwierig- 
keit der ausreichend genauen Diagnosestellung Wir haben 
eben noch keine Methoden, die uns eine einigermaßen genaue 
Differentialdiagnose ermöglichen. Wir können fast genau wie 
im Gehirn noch nicht genügend zwischen Ausfalls- und Eeiz- 
erscheinungen und F^ernwirkungen differenzieren. Während wir 
aber bei den eitrigen Entzündungen des Gehirns durch die Lumbal- 
punktion und die Punctio cerebri wertvolle Hilfsmittel haben, von 
denen auch die letztere unter der wenn auch wenig wohllautenden, 
so doch oft beherzigenswerten Devise: „Auf mehr Zeichen warten, 
heißt auf mehr Leichen warten'' oft unklare und differential- 
diagnostisch schwer abgrenzbare Verhältnisse zu klären vermag. 
Diese fehlen aber gänzlich beim Labyrinth. Hier würde eine 
derartige Probeexploration bei der eitrigen Entzündung der Um- 
gebung unmöglich und aussichtslos sein. 

Wenn ich kurz die Hauptpunkte hervorheben darf, die uns 
bei dem heutigen Standpunkte als maßgebend erscheinen, so 
kommen hier in erster Linie die Fälle von Labyrintheiterung in 
Betracht, zu denen sich endokranielle Komplikationen hinzu- 
gesellen. In allen Fällen von Meningitis serosa, welche man auf 
eine Labyrintheiterung zurückführen kann, mag diese auch nur 
bei Ausschluß von anderen Ursachen durch irgend eine Kon- 
tinuitätstrennung der Labyrinthkapsel nachweisbar sein, muß eine 
ausgiebige Eröffnung des Labyrinths vorgenommen werden. Für 
die Meningitis serosa kann auch ein tiefsitzender Extraduralabszeß 
an der hinteren Felsenbeinpyramidenwand die vermittelnde Rolle 
spielen, ebenso ein Empyem des Saccus endolymphaticus oder 
beide, hier würde dasselbe Prinzip erforderlich sein. Dasselbe 
trifft natürlich auch zu, wenn von einer Labyrintheiterung aus 
nach Durchbruch der hinteren Pyramidenfläche vom Saccus- 
empyem aus — diese Annahme gebietet eine große Vorsicht 
(Wagen er) — oder von einem tief sitzenden Extraduralabszeß aus 



Beiträge zur Indikation der Labyrintheröffuung usw. 235 

oder durch Fortkriechen der Entzündung am Nerven entlang u. a. 
ein cerebellarer Abszeß entstanden ist; auch hier würde zweifellos 
die Eröffnung des Labyrinths ohne weiteres erforderlich werden. 

Die Kasuistik der Fälle von konsekutiven endokraniellen 
Prozessen nach Labyrintheiterung kann ja, wie wir wissen, sehr 
vielseitig sein, wie die Infektion auch die verschiedensten Wege 
einschlagen kann, um in das Cranium zu gelangen. Darauf kann 
hier nicht weiter eingegangen werden. 

Daß auch umgekehrt von einem tiefsitzenden Extraduralabszeß 
aus durch Arrosion der hinteren Pyramidenfläche ein Einbruch 
in die Labyrinthräume eintreten kann, ist ebenfalls ev. zu berück- 
sichtigen und sei deshalb kurz erwähnt. 

Ebenso rückhaltlos wie bei den endokraniellen Komplikationen 
bedarf es wohl der breiten Eröffnung des Labyrinths in den 
Fällen, wo das Cholesteatom der Mittelohrräume in jenes ein- 
gedrungen ist. Daneben sei gleich die zweithäufigste Ätiologie 
der Labyrinthkomplikation, die Tuberkulose, genannt. Bei beiden 
kann nur die gründliche Eliminierung des Krankheitsherdes den Tod 
des betreffenden Individuums abwehren. Diese Punkte stimmen 
im wesentlichen mit dem von Heine (Operationen am Ohr, 
Berlin 1904) Gesagten überein. 

Wie weit man in den übrigen Fällen von chronischer Eiterung 
mit Labyrintherscheinungen, gegen dieses vorgehen soll, muß 
meines Erachtens in erster Linie von dem Ergebnis der funktionellen 
Prüfung (Wann er, Verh. d. Deutsch, ot. Ges. 1903, S. 23) 
und dem Operationsbefunde abhängig gemacht werden. Also 
wenn man bei sehr geringen Hörresten, wie sie nach Bezold 
auch bei den Taubstummen meist erhalten sind, schwerere 
Veränderungen an der Labyrinthkapsel findet, besonders wenn 
man Eiter aus den Fisteln hervorkommen sieht, dann würde 
ich das Labyrinth breit nach unserer unten zu beschreiben- 
den Methode eröffnen. Wenn jedoch noch ein größerer Hör- 
rest, und besonders wenn nur einfache Fisteln, ev. mit Granu- 
lationen darin vorhanden sind, würde ich erst den Erfolg der 
Totalauf meißelung abwarten, und nur bei Fortbestehen oder Pro- 
gredienz der Erscheinungen noch das Labyrinth angreifen, wie es 
z. B. in dem Lind tischen Falle geschah. Im übrigen ist in 
jedem einzelnen Falle zu entscheiden. In den weitaus meisten 
Fällen wird man keine Nachoperation nötig haben. Wir wissen 
ja aus der klinischen Erfahrung, daß meistens die Fälle auch so 
heilen, auch die Verhältnisse bei vielen Taubstummen sprechen 



236 XXVII. ÜFFENORDE. 

dafür. Ich glaube nicht, daß man wie Jansen von vornherein 
die Schwere der Erscheinungen seitens des Labyrinths in erster 
Linie erwägen muß, wir wissen, daß die schwersten Labyrinth- 
erscheinnngen nach Ausführung der Totalauf meißelung ver- 
schwinden können (Jsemer, Münchner Medizin. Wochenschrift, 
1907, Nr. 1, S. 23). 

Recht beherzigenswert erscheint mir die Mahnung Zeroni 's, 
daß es gerade in diesen Fällen wichtig ist, daß der Operateur, 
wie es in der Hallenser Klinik üblich ist, sich selbst das Opera- 
tionsfeld freitupft, da der Assistent leicht durch unzweckmäßiges 
Tupfen Schaden stiften könnte. Bei diesen zuletzt erwähnten 
Fällen von Labyrintheiterung heißt es meines Erachtens ganz 
besonders: entweder — oder, man muß das Labyrinth eröffnen, 
dann breit, und möglichst vollkommen^ oder man will sich exspek- 
tativ verhalten, dann ist aber größte Schonung nötig. 

Daß auch so ungünstig verlaufende Fälle vorkommen werden, 
ist nicht zu bezweifeln, das ist bei den komplizierten Verhältnissen 
gar nicht anders zu erwarten. 

Nun kommen noch Fälle von Labyrintheiterung hinzu, die 
einer besonderen Erwähnung bedürfen. 

Durch Scheibe (Verhandl. deutsch, otolog. Gesellschaft 1898, 
S. 123) ist besonders die Gefahr der Labyrinthitis nach Schar- 
lach hervorgehoben. Diese Komplikation von akuter Mittelohr- 
eiterung scheint nach seinen Mitteilungen ganz besonders bösartig 
zu sein, von 4 Fällen starben drei. Die Bösartigkeit dieser Strepto- 
kokkeninfektion kennen wir ja genügend von der Behandlung 
der einfachen Mittelohreiterung her. Wie man schon bei dieser 
bei auftretender Komplikation nicht lange mit einem operativen 
Eingriffe zu zögern pflegt, so scheint man auch zweckmäßig bei 
nachgewiesenem Durchbruch der Eiterung ins Labyrinth hier 
besonders dem großen Einschmelzungsvermögen des Scharlach- 
erregers Rechnung tragen zu sollen. Doch bleiben weitere Er- 
fahrungen hierüber noch abzuwarten. Erfahrungsmäßig schließt 
gerade hier die Entzündung öfter mit Sequestration und Aus- 
stoßung von Labyrinthteilen ab. 

Das sind mit wenigen Worten die Fälle, wo wir einen Ein- 
griff am Labyrinth empfehlen würden, wie es auch dem bisher 
in dieser Hinsicht Mitgeteilten m. E. entsprechen würde. 

Wir möchten nun entgegen Heine, Friedrich, Zeroniu.a. 
darin Hinsberg zustimmen, daß die Eröffnung des Labyrinthes 
an sich nicht so große Gefahren in sich birgt, vorausgesetzt daß 



Beiträge zur Indikation der Labyrintheröffnung usw. 237 

sie ausreichend vorgenommen wird. Daß es sich um einen harm- 
losen Eingriff dabei handele, soll nicht im mindesten gesagt sein. 
Aber ich glaube, daß man in Fällen von schweren Labyrinth - 
eiterungen, vor allem, wenn bereits Folgeerscheinungen vorliegen, 
getrost an die operative Freilegung des Labyrinthes herangehen 
kann, ja muß, und man auch herrliche Erfolge sehen wird. Ja 
noch mehr, falls einmal eine sichere Diagnosestellung möglich 
sein wird — das möge die Zukunft bringen, — wird man wohl bei 
der Indikationstellung in Fällen von Taubheit noch mehr der Ge- 
fahr der konsekutiven endokraniellen Prozesse Rechnung tragen 
können, indem man das Labyrinth operativ freilegt. 

Als Methoden zur Eröffnung des Labyrinthes gelten heute 
im wesentlichen die von Jansen, (Blau, Encyklopädie der 
Ohrenheilkd. S. 205), Hinsberg (Zeitschr. f. Ohrenheilkd. Bd. 40) 
und Neumann (Sitzung, der Österr. Gesellschaft 27. Febr. 1905. 
Ref. A. f. 0. Bd. XXXIX Nr. 10). 

Es sind natürlich den. jeweiligen Verhältnissen entsprechend 
Modifikationen des Operationsweges möglich, und auch Kom- 
binationen der angegebenen Methoden angewandt. 

Während Jansen von dem hinteren Schenkel des horizon- 
talen Bogenganges und Neu mann von dem hinterem Teile 
der medialen Antrumfläche aus vorgehen und keilförmig Schale 
auf Schale von der hinteren Pyramidenfläche abschlagen, den 
hinteren Teil des oberen Bogenganges, den hinteren [vertikalen 
Bogengang, die hintere Hälfte der lateralen, das Vestbulum er- 
öffnen und je nach den Verhältnissen in die Tiefe durch Ver- 
größerung des Keiles vordringen, gehtHinsberg in erster Linie 
von der medialen Paukenwand aus vor, indem er das ovale 
Fenster erweitert und von da aus das Vestibulum sondiert und 
den vorderen Schenkel des lateralen Bogenganges öffnet 

Die topographischen Verhältnisse, vor allem die Beziehung 
der Labyrinthteile zum Facialkanal, sind sehr eingehend von 
Bourguet (Anatomie chirurgicale du labyrinthe. Thöse de Tou- 
louse, 1905 und Annales des maladies de Toreille, Tom. XXXI) 
studiert, worauf ich auch für die weiteren Ausführungen verweisen 
möchte, (eingehend zit. bei Hinsberg, Verband, der Deutschen 
otolog. Verhandl. 1906 Wien). 

Ich will hier nicht weiter darauf eingehen, sondern gleich 
auf die Beschreibung meiner Methode kommen. 

Wenn man einmal soweit gekommen ist, die Indikation zur 
Eröffnung des Labyrinthes zu stellen, so muß nach meiner An- 



238 XXVII. UFFENORDE. 

sieht diejenige Methode die beste sein, die eine möglichst aus- 
giebige Freilegung der vestibuloeochlearen Bäume gewährleistet. 

Je offener die labyrinthären Bäume werden, um so sicherer kann 
die Drainage erreicht, um so mehr die Betention von Sekreten und 
somit die Propagation in die Schädelhöhle hintenangehalten werden. 

Ich glaube, daß bei der Erfüllung dieser Forderung vieles 
von der Gefahr verschwindet, die man bislang für diesen Eingriff 
annimmt 

Wenn schon die Mitteilungen von Hinsberg, Freitag, 
Lindt u. a. immerhin beredte Worte sprechen, so glaube ich, 
daß auch die Zukunft dieses weiter zeigen wird. 

Ich habe in zwei Fällen, die ich unten näher wiedergeben 
möchte, meine Methode zur Anwendung gebracht. 

In beiden Fällen verlief die Operation gut, leider wurde in 
dem einen Falle der Erfolg durch ein nicht erkanntes schweres 
Allgemeinleiden vereitelt, die Patientin ging später an Miliartuber- 
kulose zu Grunde. 

Die Operationsmethode ist kurz folgende: 

Nach Ausführung der Totalaufmeißlung der Mittelohrräume, 
meißle ich den Nervus facialis etwa von der Gegend des Chorda- 
abganges beginnend aus dem Faloppischen Kanal frei. Anfangs 
bis zur Eröffnung des Kanals benutze ich dazu den Schwartze- 
schen Meißel. Die Freilegung in dem horizontalen Teile gelingt 
auf diese Weise meist leicht. Darauf nehme ich einen besonderen 
seitlich abgerundeten dünnen Flachmeißel und schlage die seitlichen 
Teile vom Canalis Falopii fort, den horizontalen Bogengang- 
wulst usw. Das Promontorium entferne ich wiederum mit einem 
Schwartze'schen Meißel, der hier sehr zweckmäßig ist, da so 
bei entsprechender Meißelstellung eine Carotis- und Jugularis- 
verletzung am besten vermieden werden wird. Von Jansen ist 
ja auf die Anomalien der Carotis- und Jugularislage hingewiesen 
worden. Wir sind ja gewöhnt mit dem Meißel, ihn paradox auf- 
setzend und in der richtigen Weise drehend auf dem Facialissporn 
und auf der dura mater z. B. zu gebrauchen, hier handelt es sich 
um dasselbe Prinzip. Ich habe so auch leicht den oberen Bogen- 
gang mit entfernt. Unter Benutzung der Hakensonde kann man nun 
ganz entsprechend den Verhältnissen vorgehen. Man wird hier, wie 
bei der Neumann*schen Methode, aber vom Fazialis ab, den man 
ja nun vor sich hat, nach hinten bis zur Dura der linken Pyramiden- 
fläche alles fortnehmen, also die Bogengänge, aquaeductus vestibuli, 
je nachdem bis zum Perus acusticus internus vordringen. Auch 



Beiträge zur Indikation der Labyrintheröffnung usw. 239 

um die oberen Teile des vestibulären Teiles, also den oberen 
Bogengang zu entfernen, wird man sich am besten desSchwartze- 
schen Meißels bedienen, da auch hier die dura mater aus- 
weichen wird. 

Um die Cochlea zu entfernen, resp. um nekrotische, kariöse 
Teile von dort zu eliminieren, wird man vorsichtig einen passenden 
scharfen Löffel benutzen und dabei an die Lage des N. facialis 
der oberhalb auch etwas vor dem oberen Teile der Schnecke 
verläuft, und der Carotis, die davor liegt, denken. Intensive Be- 
leuchtung und sorgfältige Blutstillung sind dabei nötig und werden 
das Arbeiten erleichtern. Man kann so das ganze Felsenbein 
exzidieren, jedenfalls so weit es für uns von Interesse ist, ohne den 
N. facialis ernstlich zu lädieren. Die sorgfältigste Kontrolle der 
gleichseitigen Gesichtshälfte seitens eines Assistenten ist selbstver- 
ständlich erforderlich. Natürlich wird eine Parese kaum zu ver- 
meiden sein, diese wird, wenn auch oft erst nach geraumer Zeit, 
wieder zurückgehen. Daß bei sehr ausgedehnter Exzision der 
Labyrinthteile, ja des Felsenbeins — was ja übrigens nicht immer 
nötig ist — , eine ernste Verletzung des FaziaJis möglich ist, wird 
nicht zu leugnen sein, das ist schon für die einfachen Methoden 
nicht in Abrede zu stellen (Hinsberg). Andererseits zeigt der 
Fall von Lindt, daß auch ohne jede Läsion bei der Operation 
eine ein halbes Jahr dauernde Fazialislähmung eintreten kann. 
Post operationem verläuft also der FaziaJis isoliert quer durch die 
Pauken- Labyrinthhöhle. Die Ernährung wird offenbar durch das 
Periost aus dem Faloppischen Kanal und die ihn bald einbettenden 
Granulationen gesichert. Bei der nachträglichen Durchsicht der 
Literatur wurde mir der Pause 'sehe Vorschlag der Isolierung 
des unteren FaziaUs bei der Bulbusoperation wieder in Erinnerung 
gebracht, was allerdings wohl nicht befolgt wird und auch nicht 
mehr erforderlich erscheint. 

Auf diese Weise wird nicht nur das Labyrinth in eine 
ziemlich glattrandige Höhle verwandelt und leicht übersichtlich, 
sondern es fehlt auch die lästige Fazialisbrücke, an deren innerer 
Seite leicht nicht nachweisbare Prozesse zurückbleiben können. 
Ich möchte hier noch hinzufügen, daß ich mit Friedrich in 
Fällen von Labyrintheröffnung durchaus gegen eine primäre 
retroaurikuläre Naht plaidieren möchte. In diesen Fällen, wo 
doch zweifellos schwierigere Verhältnisse vorliegen, die dringend 
einer genauen Übersichtlichkeit bedürfen, soll man sich diese nicht 
durch einen primären retroaurikulären Verschluß der Wunde un- 



240 XXVIL ÜFFENORDE. 

nützer Weise zerstören. Ebenso ist die von Jansen nnd Ballance 
in je einem Falle ausgeführte Transplantation nach Thierscb 
in die eröffnete Labyrinthhöhle kaum nachahmenswert. Wenn 
sie schon mißliche Verhältnisse bei Anwendung derselben in 
der Paukenhöhle zeitigen kann, so ist sie hier wohl geradezu ge- 
fährlich. Ja man muß sogar, wie ein Fall von Friedrich zeigt, 
vorsichtig mit den Plastiklappen sein, das Labyrinth darf nicht 
verdeckt werden. Die Fraise zu benutzen, konnte ich mich nicht 
entschließen, da sie m. E. nicht ein so sicheres Arbeiten ermög- 
licht, wie der Meißel, — jedenfalls ist eine große Sicherheit' 
nötig — , da andererseits das Operationsterrain durch den Enochen- 
staub leicht verschleiert wird (Hinsberg). 

In unserem ersten Falle handelt es sich um besonders schwierige 
Verhältnisse, indem der Nervus facialis fast in seinem ganzen 
Verlaufe durch das Felsenbein freigelegt werden mußte. Es wurde 
das ganze Labyrinth, alle Bogengänge, Vorhof und JSchnecke, 
diese z. T. sequestriert, entfernt. Die ganze hintere Fläche der 
Felsenbeinpyramide wurde einschließlich der lateralen Umrandung 
des Porus acusticus internus reseziert. Über der Eminentia arcuata 
wurde die Dura mater freigelegt Trotzdem ist der Nervus facialis 
funktionsfähig geblieben, wenn er auch infolge der Jnsulte, die 
trotz aller Vorsicht nicht zu vermeiden sind, paretisch wurde. 

Es handelte sich um kolossal ausgedehnte Cholesteatominva- 
sionen der Labyrinthräume. An der hinteren Felsenbeinpyramiden- 
fläche bestand ein Extraduralabszeß. Sehr interessant ist es, daß 
auch der Saccus endolymphaticus von dem Prozeß ergriffen war, 
man sah bei der Nachbehandlung an der entsprechenden Stelle 
der Dura mater der hinteren Schädelgrube eine flache scharf um- 
grenzte Vertiefung, deren Grund von Cholesteatommatrix be- 
kleidet war. 

Der Durchbruch des Cholesteatoms vom Mittelohr aus ins 
Labyrinth fand an der medialen Adituswand statt; die mediale 
Paukenwand war frei von Durchbruch. 

Dementsprechend war trotz der fast totalen Ausbreitung des 
Prozesses im Labyrinth die Schnecke frei von Cholesteatom ge- 
blieben, aber durch die sehr destruktiven Prozesse in der Tiefe 
offenbar ungenügend ernährt und nekrotisch geworden. 

Dieser absterbende Prozeß war noch nicht ganz vollendet, 
doch ließ sich die Schnecke leicht enfernen. 

Es ist übrigens auch an diesem Falle erstaunlich, wie resistent 
der Nervus facialis ist, er war ante operationem ganz intakt. Dieses 



Beiträge zur Indikation der Labyrintheröffnung usw. 241 

weist auch darauf hin, daß man es ruhig wagen kann, den Nervus 
aus seinem Kanal frei zu meißeln. Das ernährende Periost des 
Eanales bleibt ihm, während die Knochenbrücke kaum viel zu 
seiner Ernährung beitragen wird. Aber wenn auch in solchen Fällen 
von Labyrinthkomplikation bereits ante operationem, eine Parese 
des Nerven besteht, so wird man wenigstens in allen Fällen, wo 
keine Entartungsreaktion nachweisbar ist, in der beschriebenen 
Weise vorgehen können. Solche Paresen, ja mit Entartungs- 
reaktion (Lindt). gehen ja oft, wenn auch zuweilen erst nach 
langer Zeit vollständig zurück. Heine teilt in seiner Operations- 
lehre einen Fall von Cholesteatomin vasion ins Labyrinth mit, wo 
er den paretischen Facialis mitreseziert hat, um die Verhältnisse 
gründlich freilegen zu können. 

Bei dem zweiten zu beschreibenden Fall handelt es sich um 
einen subakuten eitrigen Prozeß, mit ganz eigenartigem klinischen 
Verlauf. Die bakteriologische Untersuchung des Mittelohrsekretes 
ergab Pneumokokkeninfektion. Die Perforation d§r Labyrinth wand 
geschah am ovalen Fenster, während die Bogengänge frei er- 
schienen. Von dieser Labyrinth eiterung aus, die nur ganz geringes 
Fieber verursachte, kam scheinbar eine Meningitis serosa mit sehr 
geringen zerebralen Erscheinungen und langsamem Verlaufe zur 
Ausbildung. Neben wechselnden Kopfschmerzen bestanden während 
2 — 3 Wochen nur eine doppelseitige Abduzensparese. Auch in 
diesem Falle wurde der Facialis frei präpariert, und der ge- 
samte vestibuläre Apparat aufgedeckt. 

Aus dem Ductus endolymphaticus floß sehr reichlich Liquor 
cerebrospinalis ab, wodurch eine weitere Lumbalpunktion über- 
flüssig wurde. Der Abfluß dauerte 4 — 5 Tage (Hinsberg). 

Die Abducensparese, durch Hirndruck bedingt, wie sie oft bei 
Meningitis serosa zuerst auftritt, ging post operationem in einigen 
Wochen zurück, kehrte dann aber wieder. Auffallend sind bei 
dem Falle die sehr schweren Veränderungen an dem Augen- 
hintergrund. Die Patientin hat kurz nach der Operation nur 
mittelschwere Erscheinungen gehabt. 

Plötzlich setzten dann schwere Respirationsstörungen mit 
heftigsten Stirnkopfschmerzen ein, die Punktion des Cerebellum 
ergab nichts, die Sektion deckte dann 5 große Konglomerat- 
tuberkel im Cerebellum auf, wodurch sich die Annahme einer 
Meningitis serosa als irrig erwies. 

Ich bin mir nun wohl bewußt, daß die Veröffentlichung des 
ersten Falles etwas verfrüht erscheinen mag, doch glaube ich 

Aichiv f. Ohrenheilkande. 73. Bd. Festschrift. 16 



242 XXVII. ÜFFENORDE. 

aber trotzdem hinzufügen zn sollen, daß es sich hier in erster 
Linie um die Operationsmethode und um die Indikationsstellung 
handelt. Im nächsten Jahresbericht unserer Göttinger Poliklinik 
wird definitiv noch darüber berichtet werden. Die Fälle bieten 
mir einen willkommenen Beleg für meine Ausführungen. 

1. Fall. Bührmann, Albert, 28 J., Bahnmeisteraspirant, Riestädt bei 
Sangerhausen, kam am 22. Mai d J. in unsere Poliklinik mit der Angabe, 
daß er seit Herbst vorigen Jahres an Mittelohreiterung r. leide. Früher ist 
er nie krank gewesen. Als Kind von S Jahren in unserer Poliklinik wegen 
Mittelohrkatarrh behandelt (ad integrum geheilt). Wegen Fehlens des linken 
kleinen Fingers militarfrei. Im Frühjahr vorigen Jahres ist Patient vom 
Kreisphysikus untersucht, damals als normalhörend bezeichnet, 7 m Flüster- 
sprache. (?) Die Horfähigkeit des r. Ohres soll erst seit Frühjahr 1907 all- 
mählich abgenommen haben, zuletzt hat er r. gar nichts mehr gehört. Seit 
drei Wochen habe er heftige Schmerzen im r. Ohr, im Hinterhaupt und in 
der rechten Schläfe, die bis jetzt anhalten. Er war auswäits in spezialärzt- 
licher Behandlung gewesen. Am 19. Mai habe er an Übelkeit und Erbrechen 
gelitten, das aber nicht wieder aufgetreten sei. Er habe niemals Sausen 
oder Schwindel gehabt. Auch habe Kein Fieber bestanden. 

Der Patient macht einen schwerkranken Eindruck, eine sofort vor- 
genommene Messung der Temperatur ergab 39,4 o (mittags). 

Die Untersuchung des linken Ohres ergiebt ganz geringe Einziehung, 
Abmattung des Troinmelfellglanzes, diffuse Trübung. 

R. ist eine starke Schwellung der hinteren Wand des Gehörganges zu 
konstatieren, hinter der man mit einer Sonde hinauf kommt. Im medialen 
Teile des Gehörgangs liegen dicke Cholesteatommassen mit fötidem Eiter 
gemischt. Das Trommelfell ist nicht zu sehen. 

Die Umgebung des r. Ohres zeigt keine Besonderheiten, insbesondere 
besteht keine Schwellung oder Druckempfindlichkeit. 

Objektiv ist ebenfalls kein Schwindel und kein Nystagmus nachweisbar. 
Wegen des schwerkranken Zustandes des Patienten können keine ein- 
gehenderen Untersuchungen vorgenommen werden. 
Die Funktionsprüfung ergiebt: 

Linkes Ohr. Knochenleitung erhalten. Weber total nach 1. lateralisiert. 
Rinn6 +. Perzeptionsdauer: 10". Uhr wird 40 cm gehört (post operationem 
spontan 80 cm). 

Rechtes Ohr. Knochenleitung — . Rinne — . Perzeptionsdauer 10". 
Uhr wird nicht gehört, nur laute Sprache ins Ohr. (Lucae-Dennert?) 

Diagnose : Otit. med. suppur. cnronica dextra (Cholesteatom). Perisinuöser 
Abszess, (Sinusthrombose?). 

Therapie: Totalauf meißelung mit Freilegung des Sinus lateralis. 
Status praesens: Kräftig gebauter, mittelgroßer Mann in gutem Er- 
nährungszustande. Macht den Eindruck eines schwer Kranken. Nacken 
wird steif gehalten, Bewegungen nach r. und 1 sind ohne Schmerzen möglich. 
Bei Beugung des Kopfes nach vom empfindet Patient lebhafte Schmerzen, 
die nach unten in die Brustwirbelsäule ausstrahlen. Sensorium frei. Herz 
und Lungen ohne Besonderheiten. Urin ohne Beimengungen. In der Bauch- 
höhle keine nachweisbaren Veränderungen. Rhomberg ist angedeutet, beim 
Gehen mit geschlossenen Augen ist Patient unsicher und weicht nach links, 
der gesunden Seite ab. Pupillen sind gleich weit, reagieren auf Beleuchtung 
und bei Convergenz. Augenbewegung frei. Beim Blick nach rechts leichter 
Fixationsnystagmus, der nur ganz kurze Zeit anhält. Kein Nystagmus. N. 
facialis und n. hypoglossus frei. Patellarreflexe beiderseits erhalten. Kein 
Babinskiref lex, Fußsklonus beiderseits auszulösen. Bauchdecken und Cremaster- 
reflex erhalten. 

22. Mai 1907, nachmittags. Totalaufmeißelung in Chloroformnarkose. 
Weich teile blutreich, ohne Veränderung. Die Corticalis zeigt vor der spina supra 
meatum eine Fistel, die mit Granulationen ausgefüllt ist. Im Prozessus mastoi- 



Beiträge zur Indikation der Labyrintheröffnung usw. 243 

deus sind die Zellen untereinander verschmolzen, die Septa raref iziert, die Hohl- 
räume erfüllt mit Cholesteatommassen. In der Tiefe sind die Verhältnisse schwer 
zu übersehen, ausgedehnte.. Zerstörungen. Die hintere Gehörgangswand ist 
durchbrochen, durch die Öffnung ragen die CholesteatomschoUen in den 
Gehörgang. Amboß fehlt, Hammer ist stark kariös. Der Sinus lateralis, in 
größerer Ausdehnung freigelegt, zeigt nur geringe Auflagerungen. Resistenz- 
gefühl normal. Oberhalb des Facialwulstes geht ein größerer Recessus, der 
mit Cholesteatommassen erfüllt ist, in die Tiefe. Bei der Glättung des 
Tegmen antri et tympani löst sich die ganze Knockenschuppe und muß ent- 
fernt werden, so daß die Dura sich etwas senkt. Freilegung des n. facialis 
aus dem Fallopishen Kanal, dabei wiederholt Zucken der Gesichtsmuskulatur. 
Das Labyrinth wird weit eröffnet und einschließlich der hinteren Pyramiden- 
fläche reseziert bis zum Porus acusticus internus. Der hintere Teil des 
Labyrinthes ist ausgefüllt von weißglänzenden Cholesteatomlamellen. Unter- 
halb des Facialiswulstes wird das Promontorium mit dem S ch war tze 'sehen 
Meißel (4—6) entfernt unter Zuhilfenahme des scharfen Löffels und Kontrolle 
mit der Hakensonde. Die Knochenstücke werden vorsichtich entfernt. Dabei 
wird die Schnecke (modiolus mit lamina spiralis ossea) als Sequester 
herausgeholt. In dem cochleai'en Teile zeigen sich mehr Granulationen. Die 
Dura mater der mittleren Schädelgrube wird oberhalb des oberen Bogen- 
ganges und der Schnecke und andererseits der ganzen hinteren Pyra- 
midenfläche entsprechend bis zum Porus acusticus internus freigelegt, 
sie ist von schmutziggrauen Granulationen bedeckt. Die obere Pyramiden - 
kante wird reseziert, sinus petrosus superior und Ansatz des tentorium 
cerebelli dadurch freigelegt. Ausspülung der Wundhöhle mit physiologischer 
Kochsalzlösung. Jodoformgazetamponaae. Panse'sche Plastik. Verband. 

23. Mai. Patient fühlt sich wohl. Die Schmerzen haben aufgehört. 
Kein Schwindel, kein Erbrechen. Keine Gleichgewichtsstörungen. Der Mund- 
winkel r. hängt herab und kann beim Mundspitzen nicht gehoben werden. 
Das obere Augenlid geht beim Schließen des Auges bis über die Mitte des 
Bulbus herab. Kein Nystagmus. Pupillen reagieren. Temperatur 37,3°. Kein 
Abfluß von Liquor cerebrospinalis. 

25. Mai. 1. Verbandswechsel. Wundhöhle sieht gut aus, fast keine 
Sekretion. Lockere Jodoformgazetamponade. Die obere Wand, freigelegte 
Dura mater hat sich etwas gesenkt und verschließt z. T. den Zugang zur 
Labyrinthhöhle. Appetit gut. Augenlid schließt schon besser. 37,7 ^ Der 
n. facialis hat sich angelegt 

3. Juni. Die Sinusverhältnisse machen gute Fortschritte, starke Granu- 
lationsbildung. An der Dura mater der hinteren Schädelgrube zeigt sich 
entsprechend der Lage des Saccus endolymphaticus eine scharf begrenzte 
flache Vertiefung, auf deren Grunde Cholesteatommatrix sitzt. Kein Nystag- 
mus, keine Gleichgewichtsstörung, kein Schwindelgefühl, ebenso kein Sausen. 
Die Stärke des Händedrucks ist bds. gleich. Beim Gehen mit geschlossenen 
Augen kein typisches Abweichen, ebenso gibt das Stehen auf einem Beine 
kernen bestimmten Anhaltspunkt; die Sicherheit wechselt. Bei der Rotation 
um die eigene Körperachse tritt bds. auch auf der kranken Seite Nystagmus 
auf (Eschweiler). Der Lucae-Dennertsche Versuch positiv. 
Nachts bisweilen etwas Kopfschmerz, Schlaf mangelhaft. Rp. Ferr. lactic. 
Chinin. Ext. Valerianae. Sanatogen. 

8. Juni. Schlaf gut. Appetit gut. Labyrinth fast total von Granu- 
lationen erfüllt. Keine Entartungsreaktion bei der galvanischen Prüfung 
des n. facilis. 

14. Juni. Wohlbefinden. Galvanisation des n. facialis. 3 mal wöchentlich. 

20. Juni. Die Wundhöhle ist fast ganz epidermisiert. Patient Ist ohne 
jede Beschwerde. 

N. facialis noch paretisch, aber schon wechselnd. Gut erhaltene 
Reaktion. 

28. Juni. Die Wundhöhle ist epidermisiert. Patient entlassen. 

2. Fall. Weiland, Hedwig, J. Maurerstochter aus Göttingen kam 
am 16. Mai d. J. in die Poliklinik mit der Klage, seit etwa 4 Wochen an- 
fallsweise Kopfschmerzen zu haben. Seit der Zeit R. Ablenkung des Auges. 

16* 



244 XXVn. ÜFFENORDE. 

Keine Gleichgewichtsstöning, kein Schwindel, hat einmal erbrochen Sonst 
bestehen keinerlei Beschwerden. Die Kopfschmerzen lokalisierten sich all- 
mählich mehr in die Stimgegend. 

R. Ohr. Gehorgang, Umgebung und Trommelfell zeigen normalen 
Befund. Funktion ergiebt: Uhr 20 cm gehört, Knochenleitung erhalten. Weber 
nach Ijnks (der kranken Seite) lateralisiert. Perzeptionsdauer nicht einwand- 
frei zu prüfen. Uhr 15 cm gehört 

L. Gehorgang frei. Die Umgebung des Ohres zeigt keine Druck- 
empfindlichkeit und keine Schwellung. 

In der Tiefe des Gehorgangs Epithelschollen. Tfll. konvex, graurot. 

Fnnktionsprufung ergibt Lateransation beim Web er 'sehen Versuch 
nach links. Knochenleitung erhalten. Die Uhr wird ad concham gehört. 
Die ganze Tonreihe gehört. 

Beiderseitige Abducenslähmung und Strabismus convergens rechts. 

Kein Nystagmus. Pupillen etwas eng, reagieren, nn. facialis, hypo- 
glossus, trochlearis u. s. w. ohne Besonderheit. Hhomberg negativ. 

Diagnose: Otitis med. exsudativa acuta sin. 

Therapie: Paracentese. 

Es fließt kein Sekret aus der Pauke ab, nur Blut. 

Darauf etwas Nachlassen des Kopfschmerzes. Geringe Sekretion aus 
der Pauke. 

Seit dem 29. Mai zunehmender Kopfschmerz. Das Kind hält ständig 
die Hände an die Stirn gedrückt, jammert und klagt über Schwindel. 

30. und 31. Mai öfter Erbrechen, das Kind ist mittags zusammen ge- 
brochen. 

Das Kind ist in die Kgl. medizinische Klinik aufgenommen, dort wurde 
folgender Status praesens erhoben : Mädchen cyanotiscn, stumpf, teilnahmlos, 
mit nach hinten übergestrecktem Kopfe daliegend. Das Kind antwortet 
prompt und richtig und gibt als Sitz der Schmerzen die Stirn an. Geringe 
Nackenstarre, Kernig angedeutet. 

Abducensparese bds., Strabismus convergens dexter. Pupillen different, 
reagieren beide prompt Beiderseitige stark ausgebildete Stauungspapille, 
rechts mit strichförmigen Blutungen. Druckpunkte der Trigeminusäste bds. 
empfindlich. Gesichts- und Zungenbewegung intakt. Puls 54—60, aryth- 
misch. Leib eingesunken, gespannt. Sehnenreflexe am Knie und Ferse nicht 
auszulösen. Kein Babinski. Kein Rh omb erg. Leukocyten 22 500. 

Spinalpunktion 200—250 mm Druck. 15 cm laufen ab, unter Erniedrigung 
des Druckes auf 100 mm. Eiweißgehalt nicht vermehrt. Zucker vorhanden. 

Verle^ng in unser Spital. 

Funktionsprüfung nicht ausführbar. 

Diagnose: Seröse meningitia. Labvrintheiterung (?). 

28. Mai. Totalauf meißelung in Chloroformnarkose. 

Operationsbericht: Weichteile ohne Besonderheit. Corticalis in dem hin- 
teren Teile des Processus bläulich verfärbt. Sinus lateralis liegt direkt unter 
der Corticalis. Diese ist in dem oberen Teile der Pars mastoidea verdickt. 
Beim Anschlagen des Antrum mastoideum dringt unter Pulsationen Eiter 
hervor, der eigentümlich milchig gefärbt ist. In Antrum, Attikus und besonders 
auch in der Pauke zeigt sich geschwollene Schleimhaut. Der kurze Schenkel 
des Amboß ist stark kariös, auch sonst am Hammer und Amboß kleine 
kariöse Stellen. Der Stapes ist von Granulationen eingebettet und davon 
durchwachsen, er ist ohne weiteres damit herauszuholen. In der fossa ovalis 
Fistel nach dem Labyrinth zu konstatieren. 

Der n. facialis wird aus seinem Kanal herauspräpariert. Dabei 
wiederholt Zucken der Gesichtshälfte. Darauf breite Eröffnung des Vesti- 
bulum und der Bogengänge, diese werden ganz entfernt. Die Schnecke und 
der vordere vestibuläre Abschnitt zeigen Eiter und eitrige infiltrierte Granu- 
lationen. Das Promontorium wird ganz entfernt. Beim Fortnehmen der 
hinteren Bogengangsgegend Abfluß von Liquor cerebrospinalis. Die hintere 
Felsenbeinpyramidenfläche wird z. T. mit entfernt, um die Dura mater frei 
zu legen. Diese erweist sich als gesund. Dura mater der mittleren Schädel- 
grube bloßgelegt, ohne krankhafte Auflagerung, wölbt sich stark vor. Ohne 



Beiträge zur Indikation der Labyrintheröffnang usw. 245 

Palsation. GJättung der Wundhöhle. Auswaschen mit physiologischer Koch- 
salzlösung. Vioformgazetamponade. Panse'sche Plastik. Verband. 

2. Juni. Es hat standig starker Abfluß von Liquor cerebrospinalis 
stattgefunden. Der Verband war immer ganz durchfeuchtet und die Leib- 
wäsche beschmutzt. 1. Verbandwechsel, da abends vorher 38^. Leichte 
Schwellung um die Wunde. Starker Foetor. Entfernung der Plastiknähte. 
Austupfen der Wundhöhle mit Hydrogeniumperoxydatum. Fieber abgefallen. 
Patientin fällt beim Aufrichten nach der gesunden Seite. Subjektiv kein 
Schwindel, kein Sausen. Beim Blick nach der gesunden Seite 
starker rotatorischer Nystagmus. Appetit leidlich. Facialis paretisch, 
besonders die unteren Aste. Keine Kopfschmerzen mehr. Die bakteriologische 
Untersuchung des Eiters hat Pneumokokken ergeben (Kgl. hygienisches 
Institut). Die mikroskopische Untersuchung des Granulationsgeweoes aus der 
Pauke mit Stapes ergibt keinen besonderen Befund, ebenso ist eine Tuberkel- 
bazillenfärbung resultatlos. 

5. Juni. Der Abfluß von Liouor cerebrospinalis hat aufgehört. Immer 
Eiter in der Wunde, auch im Lalbyrinth. Nystagmus gering, nicht immer 
deutlich. Kein Schwindel. Beim 6ehen starkes Schwanken und Unsicher- 
heit Keine Kopfschmerzen. Appetit gut. Keine Temperatur. Puls noch 
schwankend. 

10. Juni. Die Abducenslähmung ist beiderseits bedeutend zurückgegangen. 
Die Pupillen sind etwa gleich weit, eher erscheint diejenige auf der linken 
Seite jetzt etwas enger. Die Veränderungen des Augenhintergrundes sind 
auf beiden Seiten noch sehr stark. Die Papillengrenzen sind ganz ver- 
waschen. Die Papille wölbt sich nicht vor. Z. T. sind die Blutungen noch 
sichtbar, z. T. sieht man nur die Narben, sie sind resorbiert. Daneben sind 
strahlenförmige Degenerationsherde sichtbar. Das Gesicht ist gut (Kgl. 
Augenklinik). 

16. Juni. Patientin hat zweimal inzwischen kurz erbrochen. Es besteht 
keinerlei Sausen, Schwindelgefühl. Steht zeitweise auf, noch stärkere Gleich- 
gewichtsstörung. Appetit gut. Die Veränderungen am Augenhintergrund 
noch ungefähr dieselben. N. facialis noch paretisch, er ist von gesund 
aussehenden Granulationen umgeben. In den vorderen Abschnitten der 
Labyrinthhöhle Granulationsbildung. Das Vestibulum zeigt noch nackten 
Knochen. Wohlbefinden. Oft Verbandwechsel. 

18. Jul. Patientin war zur ambulatorischen Behandlung entlassen. War 
herumgelaufen. Starke Kopfschmerzen, geringes Erbrechen. Die Lumbal- 
punktion ergibt keine Drucksteigerung des Liquor cerebrospinalis; dieser 
ist ganz klar. 

Neue Aufnahme. 

25. Juli. Appetit stets sehr gut. Bisweilen Klage über sehr starke 
Stimkopfschmerzen. Abducens wieder mehr paretisch. Pupillendifferenz 
gering. Der orbiculare Ast des Facialis reagiert. Läßt zeitweise unter sich. 
Sensorium aber immer ganz frei. Babinski positiv. Plötzlich nachts wird 
die Atmung sehr langsam, der Puls ebenfalls 60. Große Mattigkeit. Patientin 
kann nicht stehen. Babinski positiv. 

Operation : Mit der Borchardt'schen Fraise wird nach Zurückschiebung 
der Weichteile ein größeres Stück der knöchernen Kleinhimkapsel entfernt. 
In dem hinteren Winkel des Sinus transversus und sinus sigmo'ideus werden 
nach verschiedenen Richtungen Punktionen gemacht. Eine einsetzende Re- 
spirationslähmung wird durch künstliche Respiration besiegt. Kampherin- 
jektion. Dann bei einer erneuten Punktion des Cerebellum mit Dilatation 
durch Peance Respirationslähmung, die trotz lange Zeit hindurch aus- 
geführter künstlicher Atmung, Kampherinjektion, Kochsalzinfusion nicht be- 
seitigt werden konnte. Exitus letalis. 

Die Sektion ergibt: In dem ganzen Körper verbreite Miliartuberkulose, 
die scheinbar etwas älteren Datums ist. Lunge, Darm, Leber, Milz, Mesen- 
terium, Drüsen befallen. Während das Großhirn und die Meningen frei von 
Veränderungen sind, finden sich im Cerebellum 4 große, z. T. kleinwall- 
nußgroüe Konglomerattuberkel in der Rindenschicht, davon sitzt einer am 
Wurm, ein anderer ist mit der Kleinhimdura verwachsen und ist andererseits 



246 XXVII. ÜFFENORDE. 

nur durch seinen Stiel mit der Kleinimsubstanz verbunden. Im Bereiche 
der Operationswunde im Felsenbein finden sich weder an der Dura mater 
noch Nerven oder Blutwegen Veränderungen. Die Wundhöhle zeigt frisch 
aussehendes Granulationsgewebe. Außerdem besteht ein ziemlidi hoch- 
gradiger Hydrocephalus. (Kgl. Patholog. Institut.) 

Epikritische Bemerkungen: Bei dem 1. Falle 
ist besonders bemerkenswert, wie schleichend und symptomlos 
der so schwere Prozeß verlaufen ist. Patient ist sehr ver- 
ständig und ziemlich intelligent. Zweifellos hat die Erkrankung 
früher bestanden, wie vom Patienten angegeben wurde. Auch 
die kreisärztliche Prüfung wird nicht unbedingt dagegen sprechen. 
Zur Zeit der Operation bestand nur ein totaler Ausfall des coch- 
learen Abschnittes, der des vestibulären war durch die anderen für 
die Erhaltung des Gleichgewichts in Frage kommenden Faktoren 
bereits vollkommen ausgeglichen. Auch die später vorgenommene 
dynamische Prüfung der beiden oberen Extremitäten, die Prüfung 
des Widerstandes beim festen Stehen ergaben keinen wesentlichen 
Unterschied, auch den von E seh weil er beobachteten Nystagmus 
beim Rotieren des Pat. vop der gesunden zur kranken Seite, hier 
von 1. nach r., u. z. beim Blick nach links, konnten wir deutlich 
wahrnehmen. Erst durch eine in der letzten Zeit auftretende 
Mischinfektion ist der Prozeß aus der Latenz herausgetreten und 
hat die schweren Erscheinungen gezeitigt. Auffallend ist es, wie 
rasch sich der Patient vollkommen erholte. Die Funktionsprüfung, 
die leider vor der Operation keine vollständige sein konnte, da- 
mals auch nicht ganz sicher erschien, ergab auf dem kranken 
Ohr eine Perceptionsdauer für c'-^ und c^ von 10" (Spiegelbild 
des anderen Ohres [Bezold, Wann er]). 

Bei dem zweiten Falle, wo wir im wesentlichen einen akuten 
Prozeß vor uns haben, traten offenbar lange vor dem vollendeten 
Durchbruch der Eiterung ins Labyrinth die endokraniellen Symp- 
tome auf. 

Da man weder durch klinische Untersuchung, noch durch 
die anderen Untersuchungen: die bakteriologische Untersuchung 
des Liquor cerebrospinalis, des Pauken- und Labyrintheiters, die 
mikroskopische Untersuchung der veränderten Paukenschleim- 
haut, irgend einen Anhalt für Tuberkulose hatte, so wurde diese 
zeitweilig gehegte Befürchtung fallen gelassen. Gerade der 
Pneumokokkenbefund erschien als genügende Erklärung für das 
eigenartige Krankheitsbild. Die anfänglichen cerebralen Symp- 
tome sind wohl als hydrocephalische aufzufassen. 

Die Schnecke, die anfangs auf jeden Fall noch funktionierte, 



Beiträge zur Indikation der Labyrintheroffnung usw. 247 

war bald nach dem LabyriDth durchbrach schwer beteiligt. Zur 
Zeit der Operation waren die Bogengänge noch im wesentlichen 
frei, und nur die Schnecke und der Vorhof ergriffen. Den Reiz- 
erscheinungen vor der Operation folgten nach dieser die Aus- 
fallserscheinungen. Kurz nach der Operation war jedoch noch 
starker rotatorischer Nystagmus nachweisbar. 

Die Gleichgewichtsstörungen, dynamischen unterschiede nach 
der Operation, verschieden starker Händedruck, geringer Wider- 
stand beim Stoßen nach der kranken Seite (Wann er) waren 
offenbar durch den Labyrinthverlust bedingt, da die krankhaften 
Prozesse im Cerebellum sich nur sehr langsam entwickelten und 
beiderseits bestanden. 

Wenn auch durch die bestehende Tuberkulose des Kleinhirns 
(Schulze) das Krankheitsbild nicht ganz eindeutig ist — auch 
die Paukenaffektion ist vielleicht tuberkulöser Provenienz und als 
hämatogene Infektion aufzufassen, der Pneumokokkenbefund be- 
deutet dann nur eine stattgefundene Mischinfektion — so glaube 
ich trotzdem den Fall voll und ganz für das vorliegende Thema 
verwerten zu können, da für das Labyrinth und den nervus 
facialis die Verhältnisse ebenso so ungünstig lagen wie in anderen 
Fällen von Mittelohreiterung. 

Zum Schluße möchte ich kurz über die von uns beobachteten 
Fälle von Mittelohreiterang mit Labyrinthkomplikation berichten, 
soweit sie operativ behandelt wurden. Alle heilten spontan nach 
Ausführuung der Totalaufmeißlung der Mittelohrräume. Die Fälle 
wollen wir in akute und chronische trennen. In .Allen diesen 
Fällen mußte die Komplikation entweder wegen Nachweises einer 
Fistel an der Labyrinthkapsel oder wegen bestehender hochgradiger 
Taubheit mit schweren Erscheinungen seitens des Labyrinthes an- 
genommen werden. Daß öfter eine Fistel an der medialen Pauken- 
wand bestanden hat, ist anzunehmen, sie konnte wegen unseres 
oben mitgeteilten Standpunktes bei der Operation nicht immer 
nachgewiesen werden. Die Erscheinungen seitens des vestibulären 
Teiles waren in frischeren Fällen oft stürmisch, Übelkeit, Erbrechen, 
auch Schwindel, Kopfschmerz, Nystagmus, meist stärker nach 
der gesunden Seite, aber fast immer auch schwächer nach der 
kranken Seite, seltener Gleichgewichtsstörungen, wurde oft gleich- 
zeitig bei demselben Individuum beobachtet. Die Erscheinungen 
traten meist in Attacken auf. Daneben bestanden oft starkes Sausen, 
Klingen u. a. Wir haben beobachtet, daß die Erscheinungen bei 
sonst empfindlichen, sensiblen Menschen besonders heftig waren 



248 XXVII. ÜFFENORDE. 

und auch unangenehmer empfunden wurden. Während nun alle 
diese Symptome in einigen Fällen abortiv nach der Totalaufmeiße- 
lung abklangen y wie auch in den Fällen von Jsemer, bestand 
der Nystagmus meist noch lange Zeit fort; ich konnte ihn oft 
viele Monate^ nachdem die Aufmeißelungshöhle total epidermisiert 
war, bei den Patienten als einziges Symptom noch nachwiesen. 
Ich möchte hier besonders betonen, daß gleich nach der Opera- 
tion oft Nystagmus, z. T. sogar starker, nachweisbar ist, — be- 
sonders sehen wir das auch bei stark fiebernden Patienten, — 
das sagt m. E. nichts Besonderes hinsichtlich des Labyrinthes; er 
entsteht dann wohl durch die Erschütteung desselben beim Meißeln. 
Es scheint auch, als ob die Individuen verschieden empfindlich 
sind. Die Gleichgewichtsstörungen halten öfter auch längere Zeit 
nach ausgeheilter Totalaufmeißlung noch an, treten aber meist 
nur in der Dunkelheit oder bei der Arbeit in Erscheinung und 
sind mehr unbestimmter Art. 

In zwei Fällen haben wir Labyrinthentzündung bei akuter 
Eiterung beobachtet; einmal heilten die stürmischen Erscheinungen 
nach Ausführung der Totalauf meißelung, in dem anderen (siehe 
Fall 2 oben) wurde wegen der endokraniellen Komplikation 
das Labyrinth total eröffnet. In dem einen Falle wurde eine 
Fistel durch das ovale Fenster nachgewiesen, in dem anderen 
wurde bei vollständigem Symptomenkomplex auf der Kuppe des 
lateralen Bogenganges ein stark blutendes Gefäß gesehen. 

22 Fälle von chronischer Labyrintheiterung mit ausgesprochenen 
Labyrinthsyipptomen und Erscheinungen kamen zur Operation. 
Bei 12 von diesen Fällen ließ sich ein oder mehrere verschieden 
große Defekte am lateralen Bogengang konstatieren. Daß immer 
eine Fistel bestanden hätte, kann nicht behauptet werden, die 
Sonde hakte aber immer in dem Defekt auf der Bogengang- 
prominenz ein. Außerdem bestand sicher ein entzündlicher Prozeß 
im Labyrinth mit schweren Reiz- und Ausfallserscheinungen, oder 
es bestanden nur letztere. Bei diesen allen war mit 3 Ausnahmen 
Cholesteatombildung nachzuweisen. Wir haben ein paar Mal be- 
obachtet, wie der Patient bei Berührung des defekten Bogen- 
gangwulstes in der Narkose Würgbewegungen machte. In ein- 
zelnen Fällen wurden mehrere Fisteln, neben den an dem Tuber 
ampullare auch solche an der medialen Paukenwand nachgewiesen. 

In einem ganz vernachlässigten Falle mit hochgradiger Taub- 
heit konnten wir auf der lateralen Prominenz den seltenen Befund 
von Hyperostosen neben kariösen Stellen sehen, den Jansen 



Beiträge zar Indikation der Labyrintheröffnong usw. 249 

und Frey auch beobachteten, der von Zeroni mikroskopisch 
nachgewiesen wurde. 

In 21 Fällen kam die chronische Labyrinthentzündung spontan 
zur Heilung, nachdem die Totalaufmeißlung der Mittelohrräume 
gemacht war, in einem Falle (1. Fall oben) wurde das Labyrinth 
total freigelegt. 

Ein Fall von den übrigen ist ganz besonders erwähneiiswert 
Hier handelt es sich offenbar um einen Durchbruch der Mittel- 
ohreiterung ins Labyrinth mit konsekutiver Meningitis serosa. Der 
ganze schwere endokranielle Prozeß ist in vielen Wochen allmäh- 
lich bis auf die Mittelohreiterung spontan geheilt. Die Anamnese 
ergibt, daß der Patient plötzlich sehr viel Übelkeit und Erbrechen 
mit Drehschwindel bekommen hat, dann sehr matt geworden ist, 
Kopfschmerzen und starkes Sausen aufgetreten ist, und der Patient 
dann bettlägerig wurde. Darauf ist er mit einer kurzen zeitweisen 
Besserung mehrere Wochen ganz bewußtlos gewesen. Außerdem 
bestand, was mir der behandelnde Kollege freundlichst mitteilte, 
Nackenstarre vorübergehend, Pulsverlangsamung, etwa 60, Tempe- 
ratur um 38o. Spasmen und Lähmungen sind nicht aufgetreten. 
Allmählich ist Heilung eingetreten. Genickstarre war auszu- 
schließen. Die Operation deckte später ein Cholesteatom der Mittel- 
ohrräume mit Fisteln an dem lateralen Bogengangwulst auf . Brieger 
berichtet über gleiche Erfahrungen, er führt die Erscheinungen auf 
umschriebene Meningitis mit Liquorvermehrung zurück. 

In zwei Fällen bestanden bei nachgewiesener Fistel auf der 
lateralen Prominenz und leidlichem Gehörvermögen nur Er- 
scheinungen seitens des Vestibularapparates, wobei niemals da- 
neben Sausen bemerkt wurde. Einmal bestand bei den Fällen 
Facialparalyse, aber wiederholt lag der Nerv frei, wie bei der 
Operation festgestelt wurde. Eine häufige Erscheinung bei der 
Labyrinthentzündung ist eine ausgesprochene allgemeine Mattig- 
keit — Ich glaube, daß es aus besonderen Gründen nicht zweck- 
dienlich ist, das Verhältnis der Frequenz der Labyrintheiterung 
zu der der Mittelohreiterungen hier aufzustellen. 



Benutzte Literatur: 

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1896 und 3 Nachträge bis 1901. 

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chronischen Eiterungen. Arch. f. Ohrenh. LXÜI. 1. S. 12. 

Friedrich, Die Eiterungen des Ohrlabyrinthes. Wiesbaden 1905. 

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Zeitschr. f. Ohrenh. XL. 

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extraduralen Abzesse in der hinteren Schädelgrube. Archiv f. Ohrenhk. Bd. 
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Bd. LXm. p. 174. 

Zeroni, Über postoperative Meningitis. A. f. 0. LXVI. p. 199. 

Zur Mühlen, Zeitschr. f. Ohrenh. Bd. 39. S.380. 



Aus der Abteilung für Ohren-, Nasen- und Halskranke des k. u. k, 

Garnisons-Spitals Nr. 1 in Wien. 
(Vorstand Regimentsarzt Privatdozent Dr. C. Biehl.) 

Circnmscripte Labyrinth-Nekrose. 

Kasuistische Mitteilung 

von 

Eegimentsarzt Dr. W. Zemann, Sekundarius der Abteilung. 

(Mit 1 Abbildung.) 



Nach dem letzten ^Bericht über die neueren Leistungen in 
der Ohrenheilkunde" von Blau beträgt die Zahl der bis Ende 1904 
mitgeteilten Labyrinthnekrosen 104. Diese verhältnismäßig ge- 
ringe Anzahl läßt auf das seltene Vorkommen dieses Krankheits- 
bildes schließen. 

Nach Bezold^) „entfällt auf 3000 Ohrenkranke überhaupt 
und auf 500 chronische Mittelohr-Eiterungen 1 LÄbyrinthnekrose". 

Unter diesen sind die Schneckennekrosen relativ häufig. So 
waren unter den im Blau 'sehen Berichte erwähnten 104 Fällen 
von Labyrinthnekrose allein 53 Nekrosen der Schnecke. 

Diese Zahlen rechtfertigen die Mitteilung der nachfolgenden 
genau beobachteten Erkrankung. 

Unterpionier L. D., geb. 1884, wurde am 8. Jan. 1906 von seinem Truppen- 
körper dem Gamisons-Spital I zur fachärztlichen Behandlung seines Ohren- 
leidens übergeben. 

Er stammt von gesunden Eltern. Im Anschlüsse an einen im 9. Lebens- 
jahre acquirierten Typhus trat eine rechtsseitige Ohreneiterung auf; dieselbe 
machte weiter keine Beschwerden und sistierte zeitweise. 

Befund bei der Übergabe in das Spital: 

Patient ist mittelgroß, kräftig, bis auf sein Ohrenleiden vollständig 
gesund. 

Das linke Trommelfell ist stärker eingezogen, matt, der Lichtreflex 
nur an der Spitze vorhanden. 

Im äußeren Gehörgang rechterseits eingedickter übelriechender Eiter. 
Nach trockener Reinigung sieht man die Membran stark eingezogen, das 
Epithel abschilfernd. Im ninteren oberen Quadranten ist ein kleiner, rand- 



1) Feststellung einseitiger Taubheit, Zeitschr. f. Ohrenh. XXX. 1897. 



252 XXVUI. ZEMANN. 

ständiger Defekt, yon dem aas eine Fistel nach oben führt. Die innere 
Fläche der durch die Fistel mit der Sonde erreichbaren latei-alen Attikwand 
ist rauh. 

Die Tuben sind gut durch^ngig. Die linke Nasenhälfte durch eine 
hohe crista septi stark verengt ; Kachendach und Choanen sind frei. 

Ergebnis der Funktionsprüfung: 

W (Zeichenerklärung unten) 

Ja ^ L 

in contin. U in continuo 

— B — 
15" Cp 15" 

7 Co 8 
— 3 m JF7 — 3 m 
St 
0.4 Gt 0.4 (20 cm vor dem Ohre) 

Untere Tongi-enze R und L 24 Doppelschwingungen. 

Obere Tongrenze Galtonpfeife 0.4. Gleichgewichtsstörungen sind nicht 
nachweisbar. 

Diagnose : Chronische Mittelohreiterung des rechten Ohres, chronischer 
Mittel ohrkatarrh links. 

Da vorauszusehen war, daß wegen der Enochenerki*ankun^ im Attik 
die konservative Behandlung In absehbarer Zeit nicht zum Ziele führen 
dürfte, so wurde am 31. Januar die Totalauf meißlung vorgenommen (Itegi- 
mentsarzt Doz. Dr. Biehl). Dieselbe ergab ausgedehnte Karies der lateralen 
Attikwand. Hammer und Amboß wurden entfernt, sind aber intakt. 

Die Schleimhaut der medialen Wand der Paukenhöhle^ 
besonders in der Gegend des runden Fensters stark granu- 
lierend. 

Platisk nach Pause, Tamponade vom Gehörgang aus mit 3 7o Isoform- 
gaze ; primäre Naht der retroaurikulären Wunde mit Michel' sehen Klammem. 

3. Februar. Verbandwechsel. Bisher glatter Wundverlauf. An diesem 
Tage abends plötzlich Temperatur 38,4 "« verbunden mit starkem Brechreiz 
und Schwindelgefühl. Patient hat die Empfindung nach links aus dem Bette 
zu rollen und vermag sich nicht aufzurichten. Hoiizon taler Nystagmus be- 
sonders beim Blick nach links; kontinuierliches hohes Klingen im ope- 
rierten Ohre. 

4. Februar. Kein Reber; Brechreiz und Schwindelgefühl geringer; 
Nystagmus noch vorhanden. 

5. Februar. Mit Ausnahme des hohen Klingens sind alle subjektiven 
und objektiven Erscheinungen des Vortages verschwunden. 

Im weiteren Wundverlaufe epidermisierten der erweiterte Gehörgang, 
Attik und Antrum rasch, während von der Promontorialwand noch immer 
reichlich Granulationen aufschössen und ein oftmaliges Abtragen mit der 
Schlinge und nachheriges Ätzen mit Chromsäure notwendig machten 

Am 1. August endlich gibt Patient an, das Klingen im Ohre nicht 
mehr zu hören. 



W «. Weber'scher Versuch. 

ü = Uhr in der Luftleitung. 
UJs = Uhr an der Schläfe. 
üiü=^ Uhr am Warzenfortsatz. 

E =r Rinne'sher Versuch: Cp Stimmgabel am proc. mastoideus (nor- 
mal 15"), Co vor der Ohröffnung (normal 32"). 
Gt = Galtonpfeife. 

Fl = akzentuierte Flüsterstimme in m. 
St s= Stimme laut. 



Circiimscripte Labyrinth -Nekrose. 253 

Am 9. Angnst wurden beim abennaligen Abtragen der GranulatioDen 
von der medialen Wand ein großer Sequester (siehe Abbildung) und drei 
kleinere nicht näher zn differenziereude Kuochenteile auB dem Mittelohre 
mit der Pinzette entfernt. 

Am 28. November gingen noch zwei kleinere Rnochenpartikelchen ab. 
Nun hSrte die Granulationsbildang und Eiterung auf und am 2. Januar I90T 
war die ganze OperationabÖhle trocken und Qbcrhäutct. 

Wie aus der Krankengeschichte zn ersehen ist, handelt es 
sich im vorliegenden Falle um eine partielle Nekrose der Schnecke 
nnd zwar entspricht der abgestoßene Sequester dem größeren 
Teil der basalen Windung samt der zugehörigen Spindel. 

Verursacht war die Sequestrierung durch die während 
des Typhns im 9. Lebensjahre entstandene, durch 1 1 Jahre wäh- 
rende chronische Mittelohr-Eiterung, 

Vor der Operation, bei der 
Aufnahme ins Spital waren Laby- 
rinthsym ptom ebestimmtnichtnach- 
weisbar. Der Befund am Ope- 
rationstische, besonders die an der 
vorderen Begrenzung der Nische 
zum runden Fenster wuchernden 
Granulationen, konnten allerdings 

auf eine Erkrankung der promontorialen Knochenwand hin- 
weisen. 

Dieselben mahnten auch zu erhöhter Vorsicht sowohl bei 
den einzelnen Meißelschlägen, als auch — und zwar insbesondere — 
bei der schließlichen Reinigung der Wundhöhle. 

An dieser Stelle möge erwähnt werden, daß bei derartigen 
Eingriffen immer die mediale Faukenhöhlenwand mit kleinen 
Gazetampons geschützt wird. Dies hat auch den Vorteil, daß 
jederzeit die tiefer liegenden Teile — nach Entfernung des Tam- 
pons — ohne vorhergehende lange Reinigung dem Auge zugäng- 
lich gemacht werden können. 

Trotz dieser Vorsichtsmaßregel sind sicherlich die am dritten 
Tage nach der Operation einsetzenden Labyrinthsymptorae durch 
diese selbst, und zwar wahrscheinlich durch die Erschütterung 
bei den Meißelschlägen verursacht worden. 

Der weitere Wundverlauf rechtfertigt diese Annahme und 
das Unterlassen jedes weiteren operativen Eingriffes. Ob durch 
einen solchen die bereits demarkierte lAbyrintbeiterung zur Heilung 
gelangt wäre, ist eine Frage, deren Beantwortung menschlicher 
Voraussiebt nicht möglich ist. 

Von den charakteristischen Symptomen müssen die 



254 XXVm. ZEMANN. 

vom 3. bis 5. Febr. bestehenden Schwindelerscheinungen, Brech- 
reiz, Nystagmus als vorübergehende Reizerscheinungen des stati- 
schen Labyrinths angesehen werden. 

Leider konnten und durften wegen des schweren Krankheits- 
zustandes während dieser Zeit genauere Untersuchungen nicht 
vorgenommen werden. 

Später waren Koordinationsstörungen nicht mehr nachweisbar. 

Als Reizerscheinungen von Seiten der Schnecke ist das 
vom 3. Febr. bis 1. Aug. kontinuierlich dauernde, den Kranken 
äußerst belästigende hohe Klingen zu erwähnen. 

Schmerzen waren nie vorhanden, Fieber nur an einem 
Tage. 

Der Fazialis — dessen dauernde oder vorübergehende Läh- 
mung eine sehr häufige Komplikation (nach Bezold 83 Vo, nach 
Gerber 77 ^/o) *J der Labyrinthnekrose bildet — blieb während des 
ganzen Krankheitsprozesses verschont. 

Otoskopisch war die üppige, fast nicht einzudämmende 
Granulationswucherung von der medialen Paukenhöhlenwand für 
die Labyrinthnekrose charakteristisch. 

Ausgang: Die Eiterung im inneren und mittleren Ohre 
heilte vollständig aus, der Fazialis blieb verschont. Die Funktion 
des statischen Labyrinths ist nicht gestört. 

Drehschwindel, physiologischer Nystagmus, sowie das Gefühl 
der Gegendrehung sind beim aktiven und passiven Drehen nach 
beiden Drehrichtungen gut auslösbar. 

Die von Stein'schen Versuche werden bei der statischen und 
dynamischen Prüfung — bei offenen und verdeckten Augen — 
richtig ausgeführt. 

Einzig die Funktion der Schnecke ist zerstört, das Ohr 
ist taub. 

Mit Rücksicht auf die Größe des Sequesters, das Verschont- 
sein des statischen Labyrinths und des Fazialis konnte man 
annehmen, daß Teile der Schnecke ihre Funktion behalten 
hätten. 

Genaue, nach Bezolds^) Anleitung durchgeführte Hörprü- 
fungen widerlegten diese Vermutung; nachstehend das Resultat 
derselben : 



1) Gerber, Über Labyrinthnekrose. Arch. f. Ohrenh. LX. 1904. 

2) Über die funktionelle Prüfung des menschlichen Gehörorgans. Wies- 
baden, Bergmann, Bd. I u. II. 1897 u. 1903. 



Circumscripte Labyrinth-Nekrose. 



255 



(Zeichenerklärung oben.) 



Hörprüfunff vom 20. Januar 1907. 

W 

B<.L 

Ui.c 

~" \Uiü) + 
B 
10 Cp 15" 

— Co 7 (-25) 

— J<73m 
2 St 

2-SGtO- 4: (20 cm vor dem Ohre.) 

Untere Tongrenze i2 a, i 24 Doppelschwingungen. 

Obere Tongrenze i^ 2 • 81 pfp;fpnis«a.p 
(Galtonpfeife) i . 4/ ^^eilenlange. 

Hördauer (normal = 100). 





Rechtes Ohr 


Tiinkes Ohr 


Äl 


— ' 


83 7o 


A 




830/0 


/« 


Nur im Momente 


91 > 


U 


des Anschlagens 


a' 


10 o/o 


830/0 


a2 


1170 


830/0 


r 


5«/o 


65 0/0 


c^ 


50/0 


500/0 


fis* 


4> 


400/0 



Um jede Täuschung auszuschließen, wurde die Prüfung im 
Sinne der Lucae-Dennertschen Probe (beide Ohren verschlossen) 
wiederholt; das Resultat für das rechte Ohr blieb unverändert 

Wir finden, daß am rechten Ohre a nur im Momente des 
stärksten Anschlages gehört wird — von a nach abwärts wird 
nichts mehr gehört. 

Das Hörfeld des linken Ohres ist gegen beide Grenzen zu 
eingeengt; die Hördauer für die untersuchten Stimmgabeltöne ver- 
kürzt, von a2 bis fis^ wird die Verkürzung bedeutend größer. 

Ein ähnliches Verhalten „spiegelt sich im rechten Ohre wieder". 

Das rechte Ohr ist also taub. 

Bezüglich der Behandlung sei erwähnt, daß die operative 
Eröffnung des Labyrinths erwogen wurde, als am 3. Tage nach 
der Totalauf meißelung die Eeizerscheinungen von Seiten des 
Labyrinths so stürmisch einsetzten. 

Da sie aber ebenso rasch und vollständig wieder zurück- 
gingen, beschränkte sich die Behandlung auf das Abtragen der 
Polypen und die trockene Reinigung des Ohres. 

Der Patient wurde genau beobachtet, um nicht den richtigen 
Zeitpunkt eines eventuell notwendig werdenden Eingriffes zu ver- 
absäumen; es ergab sich jedoch hierfür keine Notwendigkeit. 



XXIX. 

Diagnose des otitischen Hirnabszesses. 

Von 

Dr. Theodor Heimann in Warschau. 



Die verhältnisinäßig befriedigenden und ermunternden thera- 
peutischen Erfolge bei einem so schweren Leiden, wie es der 
otitische Hirnabszeß ist^ veranlassen Chirurgen, vorwiegend aber 
Ohrenärzte aller Kulturländer, unermüdlich immer neues literarisches 
und kasuistisches Material, das zur frühzeitigen Diagnose und 
verbesserten Operationstechnik dieser Krankheit beitragen kann, 
zu liefern. Ungeachtet aber aller bisheriger Bemühungen kommt 
es jetzt noch nicht selten vor, daß man den Abszeß erst auf dem 
Sektionstisch findet, und oft ahnte man ihn nicht, oder dachte an 
ihn zu spät, wo alle Bedingungen zu seiner Entfernung und zu 
einem günstigen Erfolge vorhanden waren. Wieviel Verdruß man 
unter solchen Umständen hat, wieviel ungerechtfertigte Vorwürfe 
man sich oft dabei macht, davon weiß wohl fast jeder beschäftigte 
Ohrenarzt ein Wort zu sagen. Und auf der anderen Seite hat 
man eine wirkliche Befriedigung, wenn es gelungen ist einen 
otitischen Himabszeß frühzeitig zu erkennen und zu entfernen, 
wodurch man dem Kranken, der unbedingt zum Tode verurteilt 
war, nicht nur das Leben rettet, sondern auch seine geistige und 
physische Gesundheit zurückerstattet. — Daß ein bedeutender 
Fortschritt auf diesem Gebiete zu verzeichnen ist, und daß durch 
die richtige Deutung der Symptome und vorsichtige Analyse der- 
selben, bessere Erfolge zur Zeit als einst erzielt werden, läßt sich 
nicht bestreiten. 

Die Ursachen einer irrtümlichen oder zu späten Diagnose der 
otitischen Hirnabszesse sind verschieden. Jede der intrakraniellen 
Komplikationen, welche durch eine Ohreiterung verursacht wird, 
kann unter einem scharf ausgeprägten und daher die Diagnose 



Diagnose des otitischen Himabszesses. 257 

sichernden Bilde in Erscheinung treten. Für die Sicherheit der 
Diagnose ist aber nur ein deutlicher und ganz entwickelter Sym- 
ptomenkomplex erforderlich. Sind die Konturen des Bildes 
weniger ausgeprägt oder gar verwischt, so erhebt sich die Diag- 
nose nicht über Wahrscheinlichkeiten. Alle Komplikationen gehen 
von einem und demselben Herde aus, und sehr oft sind alle oder 
wenigstens zwei von ihnen gleichzeitig vertreten. Manche recht 
in die Augen springende Symptome, die man dem Abszesse zu- 
schreibt, sind vielleicht gar nicht ihm eigen, sondern der ihn z. 
B. komplizierenden Meningitis. — Bedenkt man, wie sich die 
Komplikationen untereinander entwickeln, wie Symptome anderer 
Hirnleiden, Krankheiten des Gehörorgans oder sogar funktionelle 
Nervenstörungen vortäuschen können, so muß man auf sehr ge- 
mischte Darstellungen und auf oft nicht zu entwirrende Wider- 
sprüche im klinischen Verhalten der betreffenden Kranken gefaßt 
sein. Als eins von mehreren Beispielen möge dienen, daß ein so 
viel erfahrener Meister wie Schwartze in einem Falle in der 
Diagnose zwischen Temporalabszeß und Meningitis schwankte 
und die Autopsie erwies einen Kleinhirntumor (A. f. 0. Bd. 38. 
S. 292). Kuhn beobachtete einen Fall (M. f. 0. Bd. 29), wo alle 
Symptome und vor allem die amnestische Aphasie einen links- 
seitigen Schläfenlappenabszeß annehmen ließen. Die Operation 
und Autopsie entdeckte statt dessen eine diffuse Meningitis. Einen 
ähnlichen Fall beobachtete Pause. Nicht selten sprechen die 
Symptome für einen Großhirnabszeß, bei der Operation wird der- 
selbe nicht gefunden und die Autopsie erweist einen Kleinhirn- 
abszeß (Truckenbrod, Zaufal, Drummond D. Lannois-Armand). 

Die große Verschiedenheit des häufig latenten Verlaufes des 
Himabszesses macht die Diagnose sehr oft schwierig, ja unmög- 
lich. Die größten Schwierigkeiten bieten die Fälle, bei welchen 
das latente Stadium komplet ist, die Initialsymptome sehr leicht 
sind, und die Endsymptome plötzlich auftreten und einen ganz 
rapiden Verlauf nehmen. Man begegnet recht oft Kranken, die 
bei einer exazerbierten chronischen oder bei einer akuten Mittel- 
ohreiterung von gewissen Symptomen befallen werden, die schein- 
bar mit einem Hirnleiden nichts Gemeinsames haben. Das Grund- 
leiden schwindet vollständig oder bessert sich so bedeutend, daß 
der Kranke sich für geheilt betrachtet und seiner üblichen Be- 
schäftigung nachgeht. Zwar belästigen ihn noch hie und da 
manche wenig ausgesprochene Symptome, wie z. B. leichter Kopf- 
schmerz, denen er kein großes Gewicht beilegt, und deretwegen 

Archiv f. Ohrenlieilknnde. 73. Bd. Festschrift. 17 



258 XXIX. HEIMANN. 

er oft sogar den Arzt nicht um Rat befragt. Wenn dieses aber 
geschieht, werden meistens die Symptome vom Arzte gering- 
geschätzt, unterschätzt oder nicht recht gewürdigt, oder dieselben 
sind so unbedeutend und so undeutlich, daß es dem Arzte meistens 
unmöglich ist, sie entsprechend zu würdigen. Als Beispiele eines 
solchen Verlaufes mögen zwei von mir beobachtete Fälle dienen. 

Im ersten Falle machte ein Soldat eine Otitis media acuta durch und 
wurde vollständig gesund aus dem Hospital entlassen. Zwei Wochen später 
starb er plötzlich im Regiment. Die Autopsie erwies einen hühnereigroßen 
rechtsseitigen akuten Schläfenlappenabszeß. Im zweiten Falle war es ein 
Soldat) der nach 33tägiger Behandlung einer exazerbierten linksseitigen 



chronischen Mittelohreiterung das Hospital relativ gesund verlassen sollte, 

aki 
r eines Himal)szes8es denken 1 
tops' 
Schädelhöhle entleert hatte. 



als er plötzlich an Symptomen einer akutesten Meningitis, die an die Ent- 
leerung eines Himabszesses denken ließ, in einigen Stunden einging. Die 
Autopsie erwies einen großen linksseitigen Kleinhimabszess, der sich in die 



Für den Rleinhirnabszeß fand Oka da: in 10 ^/o trat der 
Tod ein, bevor noch irgend welche Symptome auf eine intra- 
fcranielle Erkrankung deuteten. Fast in ii% waren die Sym- 
ptome, durch andere unerwartete Komplikationen otogener Natur 
verdeckt, so daß oft nur letztere Komplikationen diagnostiziert 
wurden. Eine irgendwie sichere Diagnose war unmöglich. In 
fast 42^/0 war die Diagnose unmöglich infolge anderer intra- 
kranieller Komplikationen, die mit dem Kleinhimabszeß unmittel- 
bar oder mittelbar zusammenhingen, wie Sinusphlebitis, Pachy- 
und Leptomeningitis und auch Großhirnabszeß. Kleine Abszesse 
in einer Großhirnhemisphäre machen nur dann Symptome, wenn 
dieselben in unmittelbarer Nähe der motorischen Rindenzone 
liegen, oder durch ihre Nachbarschaft indirekt auf diese Teile 
oder auf andere Hirnganglien eine Wirkung ausüben. 

Nicht aber nur kleine Abszesse können latent bleiben, sondern 
auch, wie bekannt, können Frontallappenabszesse eine enorme 
Größe erreichen und lange bestehen, bevor ein Symptom auftritt, 
das Verdacht erregt. Sogar im Schläfenlappen kommen nur 
dann Zeichen eines in ihm bestehenden Abszesses zum Vorschein, 
wenn das Volumen des letzteren sich so vergrößert hat, daß da- 
durch Störungen in der Schädelhöhle entstehen, welche die raum- 
beanspruchende Masse hervorruft und die bekanntlich in einer 
Verlangsamung der Blutbewegung in der Schädelhöhle bestehen 
und gemeinhin als Drucksymptome gedeutet werden. Glücklicher- 
weise kann man in dreiviertel der Fälle eine richtige Diagnose 
recht frühzeitig stellen, wenn man die Gehirnerscheinungen, die 
zwar selbst nicht charakteristisch sind, da sie auch bei anderen 
Himleiden vorkommen, mit den allgemeinen, für einen Eitervor- 



Diagnose des otitischen Himabszesses. 259 

gang sprechenden Erscheinungen assoziert und dabei die Ur- 
sachen, die einen Hirnabszeß gewöhnlich hervorrufen, im ge- 
gebenen Falle die bestehende oder vorausgegangene Ohreiterung 
berücksichtigt. Es sollte deshalb in jedem Falle, in welchem 
Hirnsymptome sich einstellen, oder Verdacht auf dieselben vor- 
handen ist, das Gehörorgan genau untersucht werden, ob es nicht 
krank ist, oder ob es nicht krank war. Als Momente, die eine 
Berücksichtigung bei der Diagnose des Hirnabszesses verdienen, 
sind folgende Umstände zu erwähnen. Erkrankungen der mitt- 
leren Schädelhöhle führen zu Abszessen im Schläfenlappen, selten 
zu Abszessen der übrigen Gehimteile; solche im Gebiete der 
hinteren Schädelgrube zum Abszesse im Kleinhirn. Knochen- 
erkrankung spricht ceteris paribus für einen Hirnabszeß; Schleim- 
hauterkrankung selten; Männer werden häufiger von Hirnabszessen 
befallen, als Frauen, und wie es meine Statistik erwies, ist das 
Verhältnis wie 3:1 (385 Männer, 140 Frauen). Das zweite und 
dritte Dezennium spricht zu Gunsten eines Hirnabszesses. Am 
seltensten kommt er vor bis zum fünften und nach dem sech- 
zigsten Lebensjahre; ebenso beim weiblichen Geschlecht nach dem 
vierten Dezennium. 

Ein sehr wichtiges Moment, das zur Erleichterung der Diag- 
nose beitragen kann, bildet die Zeit, wie lange der Kranke unter 
der Beobachtung des Arztes sich befindet Die Erfahrung des 
Arztes ist auch hier, wie auf anderen Gebieten der Heilkunde, 
von nicht zu unterschätzender Bedeutung. 

Um die Diagnose eines Hirnabszesses otitischen Ursprungs 
zu bestimmen, ist es nötig, denselben festzustellen, seine Stelle in 
der Schädelhöhle zu bestimmen und die ihn begleitenden Kom- 
plikationen oder die Abwesenheit derselben zu erkennen. Leider 
ist es fast unmöglich, für den Verlauf und Symptome eine typi- 
sche Form aufzustellen. Gewisse Fälle verlaufen von Anfang an 
stürmisch, mit mannigfachem Reiz und Druckerscheinungen und 
führen schon in kurzer Zeit zum Tode; andere haben einen sehr 
langen und langsamen Verlauf und geben dabei fast keine oder 
gar keine bemerkenswerten Symptome; wieder andere Fälle zeigen 
eine -ganz wechselnde Natur ihrer Symptome; bald sind sie so 
gut wie symptomlos, bald treten vorübergehend schwere Er- 
scheinungen ein. Auch gibt es Fälle, welche ganz regelmäßig 
und stadienmäßig verlaufen. Fälle letzter Kategorie sind unbe- 
dingt seltener, als die atypischen, und speziell betrifft das die 
Kleinhimabszesse. Deshalb spielen die atypischen Fälle eine 

17* 



260 XXIX. HEIMANN. 

wichtigere Rolle in der Praxis und ihre Diagnose unterliegt 
vielen hie und da unüberwindlichen Schwierigkeiten. 

Für den Verlauf eines otitischen Hirnabszesses sind zwei 
Hauptzüge charakteristisch, einmal, daß die Symptome ungemein 
selten vereinzelt vorkommen und dann, daß sie gewöhnlich einen 
anfallartigen Charakter von verschiedener Zeitdauer zeigen. Die 
eintretenden Remissionen halten manches Mal so lange an, daß 
man leicht an ein Genesen des Kranken glauben möchte. Die 
Zeit zwischen dem ersten und terminalen Anfalle kann sogar in 
Ausnahmsfällen 30 Jahre betragen. Jeder folgende Anfall ist 
heftiger, als der vorhergehende; in manchen Fällen sind die Anfälle 
einander ähnlich. Ihre Zahl ist verschieden; ein Mal tötet schon 
der erste Anfall; ein anderes Mal der 2. — 4. In ihrer Intensität 
können sie verschieden sein. — Daß aber der Kranke in den 
Intervallen zwischen den Anfällen ganz symptomlos bleibt, kommt 
fast nicht vor. Nicht selten sind auch Fälle, in welchen die 
Symptome beständig sich steigern ohne Remissionen bis zum 
Tode. — Der anfallartige Charakter der Erscheinungen ist von 
der plötzlichen Steigerung des intrakraniellen Druckes resp. 
der Vergrößerung des Abszesses wie auch von Kreislauf- 
störungen in seiner Umgebung, die sich leicht ausgleichen können, 
abhängig. 

Die Symptome des otitischen Himabszesses sind, wie bekannt, 
allgemeine und örtliche und werden, nach dem Vorgange von 
V. Bergmann in drei Gruppen eingeteilt, in solche, die von der 
Eiterung abhängig und ihr eigen sind; in solche, die einen ge- 
steigerten intrakraniellen Druck und störende intrakranielle Ver- 
schiebungen zeigen und in Herdsymptome, die dem Sitze des 
Abszesses entsprechen. Was den Verlauf des Himabszesses be- 
trifft, so erscheint es richtig, drei Stadien anzunehmen, die sich 
deutlich von einander unterscheiden. Das erste Stadium umfaßt 
das der Initialsymptome, das zweite die Erscheinungen des aus- 
gebildeten Abszesses, während im dritten Stadium Erscheinungen 
vorwiegen, welche durch die mannigfachen Ausgänge des Krank- 
heitsbildes bedingt sind. Die Symptome entsprechen dem patho- 
logischen Prozeß. Die initialen Symptome sind die der- Ent- 
zündung, variieren aber in Bezug auf ihre Intensität Manchmal 
sind sie so unbedeutend, daß sie übersehen werden; in anderen 
Fällen sind sie entsprechend schwer. Der Charakter der Sym- 
ptome wird durch die Natur des pathologischen Prozesses und 
durch seinen Sitz bestimmt. Lokale Erscheinungen, welche auf 



Diagnose des otitischen Himabszesses. 261 

den Sitz der Affektion hinweisen, fehlen hier häufiger, als bei 
Tumoren. Dies hat einen zweifachen Grund. Einmal haben die 
Abszesse häufig ihren Sitz in Gehirnpartien, wie dem Schlälen- 
und Stirnlappen, in welchen lokale Affektionen, welcher Natur 
sie auch sein mögen, häufig keine lokalen Erscheinungen machen. 
Zweitens verursacht der langsam zur Entwicklung kommende 
Abszeß weniger schwere Folgeerscheinungen, wie der Druck eines 
Tumor. 

Die Feststellung der Diagnose des Himabszesses in der Ent- 
zündungsperiode, im Initialstadium, d. h. des werdenden Abszesses, 
ist zwar wünschenswert, aber fast immer unmöglich, indem die 
Symptome dieser Periode fast vollständig mit den Symptomen 
des vorhandenen Ohrenleidens sich decken. Ein Verfehlen der 
Diagnose in diesem Stadium ist aber auch ohne Schaden für 
den Kranken, denn zu dieser Zeit ist noch kein eigentlicher Ab- 
szeß da, er fängt erst an sich zu bilden, und ein chirurgischer 
Eingriff würde deshalb erfolglos bleiben und den Arzt infolge 
des Mißerfolges vielleicht von weiteren Eingriffen zurückhalten. 
Es wird auch weder einem Chirurgen, noch einem Otiater in den 
Sinn kommen, nach einem Hirnabszeß zu suchen in Fällen, wo 
das Grundleiden resp. die Entzündung des Gehörorgans unter 
stürmischen Erscheinungen verläuft. Wenn man bedenkt, daß 
Schwartze bei 8425 Affektionen des mittleren und inneren 
Ohres im ganzen 8 Hirnabszesse, Jansen unter 5000 eitrig-ent- 
zündlichen Prozessen des Mittelohres 7 Hirnabszesse fand — und 
ein solches Verhältnis konstatierten alle mit dieser Frage sich be- 
schäftigenden Arzte — , so ist es leicht begreiflich, warum man 
eigentlich bei einer akuten oder chronischen Mittelohrentzündung 
anfangs den Verdacht nicht hat, daß im gegebenen Falle ein 
Himabszeß entsteht. Folgt dem wenig ausgeprägten Initialstadium 
eine länger oder kürzer dauernde Latenz, so wird es wahrschein- 
lieh Niemanden überraschen, wenn bei einem solchen Verlaufe die 
Krankheit nicht erkannt werden wird, oder im besten Falle nur 
einen schwachen Verdacht ihres Vorhandenseins erregen wird. 
Das ist ja selbstverständlich, will man eine Krankheit diagnosti- 
zieren, muß man dafür einen gewissen Symptomenkomplex haben, 
der dies ermöglicht. Dasselbe gilt auch vom otitischen Him- 
abszeß; um ihn zu erkennen, muß er gewisse Erscheinungen 
machen, und deshalb können wir die Diagnose eines otitischen 
Hirnabszesses erst dann mit Sicherheit oder Wahrscheinlichkeit 
stellen, wenn gewisse ihn charakterisierende, allgemeine und ort- 



262 XXIX. HEIMANN. 

liehe Erseheinungen zum Vorschein kommen. Wollte man aber 
jedesmal mit dem therapeutischen Eingriff auf das volle Bild 
eines Hirnabszesses, wie es in den Handbüchern angegeben ist, 
warten, so würde es mit unseren therapeutischen Resultaten sehr 
traurig aussehen. Zwar kann man bei der Anwesenheit eines 
oder zweier Symptome keine Diagnose auf Himabszeß stellen; 
das Abwarten aber auf alle allgemeinen und noch mehr auf ört- 
lichen Symptome ist überflüssig und für den Kranken gefähr- 
lich. — Gewöhnlich reichen einige Symptome aus, bei der Be- 
rücksichtigung der Anamnese und anderer oben erwähnter Mo- 
mente. 

Bei der Analyse der den Himabszeß begleitenden Symptome 
überzeugt man sich, daß dieselben vereinzelt für den Abszeß 
nichts Charakteristisches besitzen; daß hier die allgemeinen Er- 
scheinungen vorwiegend in den Vordergrund treten, umgekehrt 
wie bei einem Tumor des Hirns, wo vor allem Lokalsymptome 
beobachtet werden, daß in einer Reihe von Fällen ein gewisser 
Komplex von Symptomen konstant vorhanden ist, in anderen die- 
selben nur teilweise hervortreten. Auch gibt es Fälle, wo Sym- 
ptome beobachtet werden, die beim Abszeß nicht alltäglich zum 
Vorschein kommen, sondern hie und da in vereinzelten Fällen 
auftreten, und wir sind nicht sicher, ob sie wirklich dem Ab- 
szesse, oder einer anderen Komplikation in der Schädelhöhle an- 
gehören. Die lokalen Hirnsymptome, die von der Schädigung 
bestimmter Himteile, von der Femwirkung, und von der Schädi- 
gung von Himnerven in der Schädelhöhle abhängig sind, können 
während des ganzen Verlaufes des Abszesses zum Vorschein 
kommen, oder fast vollständig bis zum Tode fehlen, oder endlich 
mannigfaltig auftreten. Gewöhnlich gehören sie zu den späteren 
Erscheinungen des Abszesses und, falls sie da sind, erleichtem 
sie seine Diagnose und Lokalisation. Nach dem heutigen Stand- 
punkte der Wissenschaft gibt es aber noch keine einheitliche Sym- 
ptomatologie des otitischen Hirnabszesses. 

In dem Initialstadium, das der Entzündungsperiode des ent- 
stehenden Abszesses entspricht, beobachtet man, daß ein Mensch, 
der an einer chronischen oder akuten Mittelohreiterung leidet, 
oder dem infolge dieser Leiden der Warzenfortsatz eröffnet wurde, 
plötzlich von recht starken Schmerzen im entsprechenden Ohre 
wie auch in der entsprechenden Kopfhälfte befallen wird. Nicht 
selten sind gar keine Ohrenschmerzen vorhanden, oder dieselben 
sind nur unbedeutend, dafür klagt der Kranke über Schmerzen 



Diagnose des otitischen Himabszesses. 263 

in der Schädelkonvexität. Sehr oft tritt ein- oder mehrmaliges 
Erbrechen ohne jegliche Übelkeit auf. Beim Ausbruch der Ex- 
azerbation im Ohre läßt sich Schüttelfrost oder auch nur leichtes 
Frösteln bemerken. Die Schüttelfröste variieren nicht allein in 
Bezug auf ihre Intensität, sondern auch in Bezug auf ihre Dauer. 
Wiederholte Schüttelfröste lassen den Schluß zu, daß mit dem 
Abszesse eine Infektion des Organismus sich entwickelt, z. B. eine 
Sinusphlebitis. Wenn sich Schüttelfröste in regelmäßigen Zwischen- 
pausen einstellen, so handelt es sich um Personen, die entweder 
zuvor an Wechselfieber gelitten hatten, oder um solche, bei denen 
der Hirnabszeß mit einer anderen Erkrankung kompliziert ist 
(Macewen). Im allgemeinen aber sind wiederholte Schüttel- 
fröste beim Hirnabszeß selten. Bei einem fünfjährigen Kinde, 
bei dem ich einen Schläfenlappenabszeß entleert habe, hielt noch 
weitere sechs Wochen wechselfieberartige Temperatur an, die 
Pyämie befürchten ließ. Die weitere Beobachtung überzeugte 
aber, daß es sich in diesem Falle neben Hirnabszeß um Malaria- 
fieber handelte. — Beim unkomplizierten Abszeß ist die Tempe- 
ratur in der Initialperiode nur ein wenig gesteigert (37,7 ^ — 38,3 o); 
dazu kommt Pulsbeschleunigung, belegte Zunge, allgemeine 
Schwäche. Alle erwähnten Symptome, wie auch Schwindel, 
sind aber auch eigen einer eiterigen Mittelohrentzündung, ohne 
das irgend eine intrakranielle Komplikation vorliegt Andererseits 
aber gibt es Hirnabszesse, wo das Initialsymptom des Schmerzes 
sich nicht einstellt, und der Kranke verfällt vom ersten Augen- 
blick in einen torpiden Zustand, der mit Übelbefinden, niedriger 
Temperatur, Verlangsamung des Pulses und Respiration einher- 
geht Die Initialperiode dauert gewöhnlich einige Stunden bis zu 
einigen Tagen. Geht der Abszeß in das latente Stadium über, 
so verliert man gewöhnlich den Kranken aus den Augen bis zur 
Zeit, wo bestimmte Symptome zum Vorschein kommen. — Nicht 
selten aber geht die Initialperiode unmittelbar in die manifeste 
über, d. h. in die Periode, in welcher sich Symptome des ver- 
stärkten intrakraniellen Druckes und störender intrakranieller Ver- 
schiebungen entwickeln. Die meisten Fälle des otitischen Hirn- 
abszesses gelangen in dieser Periode zur Beobachtung. Im ersten 
Stadium wird selten ein Kranker, bei dem man Verdacht auf 
Hirnabszeß hätte, beobachtet. Ich hatte Gelegenheit, einen solchen 
Fall, der in diesem Archiv Bd. 66 beschrieben wurde, zu behandeln. 
Es versteht sich von selbst, daß zur Bestimmung einer ex* 
akten Diagnose des Hirnabszesses eine genaue Kenntnis aller 



264 XXIX. HEIMANN. 

seiner Symptome, wie auch der ihn vortäuschenden und kompli- 
zierenden Krankheiten unbedingt notwendig ist, ich halte es 
deshalb für nötig, in kurzem die Symptomatologie des otitischen 
Himabszesses hier wiederzugeben. 

Ein Kranker in diesem Stadium macht schon beim ersten 
Augenblick den Eindruck eines sehr schwer Leidenden. Dieser 
Eindruck ist ein merkwürdiger. Die Hautfarbe ist blaß, gelblich, 
erdfahl. Der Kranke ist apathisch, somnolent, schaut träumerisch 
in die Leere, und ein Mangel an andauernder Aufmerksamkeit ist 
eine regelmäßige Begleiterscheinung der verlangsamten Hirntätig- 
keit. Der somnolente Kranke antwortet ungern auf einfache 
Fragen; wird jedoch an ihn eine längere Frage gerichtet, dann 
schläft er dabei ein; auch gibt er nur einsilbige Antworten, oder 
er gibt nur den ersten Teil einer längeren Antwort richtig an, 
im weiteren Verlaufe folgen die Worte immer langsamer und die 
Artikulation wird undeutlicher; das Sprechen ermüdet ihn über- 
haupt sehr leicht. Die Schläfrigkeit ist ähnlich dem Symptomen- 
komplexe einer Opiumvergiftung (Macewen). Im weiteren Ver- 
laufe nimmt die Benommenheit zu, so daß es schließlich schwer 
wird, den Kranken für einen kurzen Augenblick wach zu be- 
kommen. Die Fähigkeit seine Kräfte zu gebrauchen nimmt 
nach und nach ab und geht schließlich ganz verloren. Die 
Kranken haben die größte Neigung, nur fortwährend horizontal 
zu liegen. Lage auf der Seite wird fast nicht beobachtet. Lage- 
veränderung ruft fast immer Schwindel und oft Übelkeit und Er- 
brechen hervor. Manche sind schwatzhaftig. In seltenen Fällen 
kommt es zum Ausbruch wirklicher Psychosen, und die Kranken 
müssen in einem Irrenhause untergebracht werden. Die Intelligenz 
leidet weniger, als bei anderen Hirnkrankheiten, speziell bei der 
Meningitis und der Himerweichung (Lebert). Das Bewußtsein 
ist beim chronischen Verlauf des Abszesses fast bis zum Tode 
ungestört; in anderen Fällen ist es zeitweise getrübt, und in den 
letzten Tagen vor dem Tode wieder vollkommen klar. Es gibt 
aber auch Fälle mit anfallsweiser Bewußtlosigkeit, die nach einigen 
Stunden wieder schwindet. Beim Kleinhirnabszesse ist das Be- 
wußtsein wenig oder garnicht getrübt; es erlischt erst am Ende 
der Erkrankung. Die Trübung des Bewußtseins kann bis zu 
Stupor und Koma steigen. Es kommen auch Delirien oder ein 
Depressionszustand, manchmal mit Neigung zum Selbstmord, vor. 
Die Schmerzen im Ohre, wenn sie im Anfange vorhanden waren, 
sind jetzt vollständig geschwunden. 



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Diagnose des otitischen Himabszesses. 265 

Das erste fast nie fehlende Symptom einer erhöhten intra- 
kraniellen Spannung in dieser Periode ist der Kopfschmerz. In 
vereinzelten Fällen kann der Kopfschmerz ausbleiben, und einen 
solchen Fall hatte ich Gelegenheit vor mehreren Jahren zu be- 
obachten (Z. f. 0. Bd. 23), gewöhnlich aber ist es eine der frühe- 
sten und konstantesten Erscheinungen des sich bildenden und 
ausgebildeten Himabszesses. Der Kopfschmerz ist bald andauernd, 
bald remittierend, bald intermittierend, er entspricht gewöhnlich 
der Stelle des Abszesses; aber das kann nicht als Begel gelten; 
denn manchmal kommen Fälle vor, wo Ohrenärzte und Chirurgen 
von der Lokalisation des Kopfschmerzes irre geleitet, den Abszeß 
bei der Operation an der entsprechenden Stelle nicht finden; erst 
die Autopsie erklärt es, daß die Diagnose zwar richtig war, aber 
die Lokalisation der Krankheit wurde nicht recht bestimmt. So 
kommt es vor, daß man z. B. den Abszeß im Schläfenlappen 
sucht, weil hier der Schmerz sich lokalisierte, und in Wirklich- 
keit befindet er sich im Kleinhirn oder umgekehrt. Es kommen 
sogar bei Kleinhimabszessen Stirnschmerzen vor. Körner zitiert 
fünf Fälle von Schläfenlappenabszessen, in welchen der Schmerz 
ins Hinterhaupt verlegt wurde. Der Kopfschmerz ist von der 
mannigfachsten Intensität, von leichter Schwere des Kopfes bis 
zu den rasendsten und fast unmöglich zu lindernden Schmerzen. 
Sie sind auf eine bestimmte Gegend beschränkt oder sie benehmen 
den ganzen Kopf. Alles was den Blutdruck in der Schädelhöhle 
steigert, erweckt oder verstärkt den Kopfschmerz, z. B. alkoholische 
Getränke, Erhitzung, Pressen beim Stuhle, geistige Arbeit, manch- 
mal das Gehen u. s. w. Kinder klagen gewöhnlich über diffusen 
Kopfschmerz. Das Beklopfen des Kopfes verursacht Schmerz an 
der Stelle, die dem Abszeß entspricht. Die Beschaffenheit des 
Schädelinhalts ist von Einfluß auf den Perkussionsschall (Ma- 
cewen). Knapp hörte den Perkussionston symmetrischer Stellen 
des Schädels stärker von der kranken, als von der gesunden Seite 
her. Beim Kleinhirnabszeß wird der Kopfschmerz gewöhnlich 
ins Hinterhaupt fixiert. Es ist dies ein wichtiges differenzierendes 
Symptom und wird in der Hälfte der Fälle beobachtet. Oft ist 
aber der Schmerz nicht fixiert. Oka da fand keinen fixierten 
Kopfschmerz in 54 "/o von Kleinhirnabszessen, Politzer be- 
trachtet den Hinterhauptschmerz als das einzige Symptom eines 
latenten Kleinhirnabszesses. 

Die Kopfschmerzen üben manchmal einen recht charakteristi- 
schen Einfluß auf den Gang und die Kopfhaltung des Kranken 



266 XXIX. HEIMANN. 

aus(B. Müller). Der Gang ist vorsichtig und gespreizt, teils in- 
folge cerebellarer Ataxie, teils um den Kopf nicht zu erschüttern. 
Freilich hat dies Symptom nur so lange einen Wert, als noch der 
Kranke herumgehen kann. Der Kopf wird möglichst ruhig und 
steif gehalten. Beim Hinterhauptschmerz wird der Kopf nach der 
kranken Seite und nach hinten über gebeugt Auch der Nacken 
und .Rumpf wird seitlich nach hinten gebogen. Eine solche 
Haltung kann eine Art Ferndiagnose auf Kleinhirnabszeß bilden 
bei einem Kranken, der an einer chronischen Mittelohreiterung 
leidet. — Kopfhyperästhesie wurde bisher beim Himabszeß drei- 
mal beobachtet. 

Vielfach findet man beim Schläfenlappen- oder Kleinhirn- 
abszeß, der von Thrombose des Sinus transversus begleitet ist, 
Rigidität des M. sterno-cleidomastoideus, sowie Schmerzhaftigkeit 
des darunter liegenden Gewebes, die sich längs der Jugularis in- 
terna verfolgen läßt. Ein in die Tiefe gehender Druck auf die 
Spitze des hinteren Dreiecks ruft eine Schmerzempfindung hervor 
(Macewen). 

Ein sehr wertvolles, ungemein wichtiges und immer bei un- 
komplizierten Hirnabszessen vorhandenes Symptom in dieser 
Periode ist die Verminderung der Pulsschläge, die bis auf einige 
dreißig in der Minute fallen kann ; gewöhnlich beträgt -die Puls- 
frequenz 48—60 Schläge in der Minute. Die Pulsfrequenz ent- 
spricht nicht der Körperwärme. — Eine Verminderung der Puls- 
frequenz wird aber auch bei anderen Hirnaffektionen, wie z. B. 
beim Tumor, bei der Encephalitis als Folge einer Zunahme des 
intrakraniellen Druckes beobachtet. Ein Moment ist nämlich beim 
Abszeß von allgemeiner diagnostischer Bedeutung; wenn bei er- 
höhter Temperatur die Pulsfrequenz vermindert ist, dann läßt das 
bestimmt auf das Vorhandensein eines intrakraniellen Leidens und 
auf das Fehlen einer Allgemeinerkrankung schließen, und wenn 
man dieselben Merkmale bei einer Ohreiterung, die das intra- 
kranielle Leiden herbeigeführt hat, antrifft, so weisen sie auf eine 
durch Encephalitis oder Hirnabszeß komplizierte Meningitis hin. 
Eine Meningitis, die durch eine Infektion oder infektiöse Throm- 
bose hervorgerufen ist, gibt einen kleinen und schnellen Puls. In 
solchem Falle ist der Charakter des Pulses nicht vom Hirnleiden, 
sondern von der Infektion abhängig. 

Die Abnahme der Pulsfrequenz ist nicht immer proportional 
der Größe des Abszesses; kleine Abszesse haben nicht selten eine 
sehr deutliche Verminderung der Pulsfrequenz, ebenso wie die 



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Diagnose des otitischen Himabszesses. 267 

großen. Es kann aber auch die Pulsfrequenz entsprechend dem 
Wachstume des Abszesses abnehmen. Wahrscheinlich ist der er- 
höhte intrakranielle Druck die Hauptursache derPulsverlangsamung, 
da nach der Entleerung eines großen Abszesses der Puls auf- 
fallend beschleunigt wird. Wenn bei manchen Fällen von Hirn- 
abszessen der intrakranielle Druck nur eine geringe Zunahme 
erfährt und zwar deshalb, weil der Eiterherd nur etwas mehr 
Baum als die zerstörte Hirnsubstanz einnimmt, dann wird natür- 
lich nur eine geringe Herabsetzung der Pulsfrequenz eintreten. 
Nach V. Bergmann ist die Pulsfrequenz häufiger beim Klein- 
hirn — als beim Großhirnabszess herabgesetzt. Ich fand keinen 
Unterschied zwischen Groß- und Kleinhirnabszessen in dieser Hin- 
sicht. Erschwerend für die Diagnose ist ein neben dem Abszeß 
vorhandenes Hirnleiden, bei welchem der Puls beschleunigt sein 
kann (Schwartze). Andererseits kann eine Pulsverlangsamung 
einen Abszeß vortäuschen (Koch). Ich hatte unlängst einen 
neunjährigen sehr heruntergekommenen Knaben beobachtet, der 
an einer chronischen rechtsseitigen Mittelohreiterung und von Zeit 
zu Zeit an rechtsseitigen Kopfschmerzen litt, bei welchem der 
Puls 42 Schläge in der Minute machte. Die Pulsverlangsamung 
war ausschließlich durch ein Herzleiden bedingt. Irregularität des 
Pulses kommt hie und da bei Kleinhirnabszessen vor. 

Schwindelerscheinungen fehlen fast nie in dieser Periode; 
bei Kleinhirnabszessen sind sie nicht selten viel deutlicher als 
bei Großhirnabszessen ausgesprochen. Schwindel kann aber tat- 
sächlich häufiger, als Erbrechen fehlen. Er ist verschiedener Art 
und Intensität; Steigerung des Kopfschmerzes und Lage Veränderung 
rufen ihn hervor oder verstärken ihn bedeutend. Schwindel- 
erscheinungen werden aber auch oft bei Erkrankungen des Laby- 
rinthes ausgelöst. 

Fast ein beständiges Symtom bildet das Erbrechen. Diese 
Erscheinung tritt aber bei anderen intrakraniellen Erkrankungen 
auch hervor. Beim Hirnabszeß zeigt sich das Erbrechen bei bett- 
lägerigen Kranken, wenn dieselben sich aufrichten oder herum- 
gehen wollen und wird von starken Schwindelerscheinungen be- 
gleitet. Beim Kleinhirnabszeß ist das Erbrechen gewöhnlich 
häufiger und anhaltender als beim Großhirnabszess, und es ge- 
hört zu den sehr wichtigen Symptomen des Kleinhimabszesses, 
in dem es in 75 Proz. der Fälle beobachtet wird. Koch erwähnt 
einen Fall, wo das Erbrechen beim Kleinhirnabszeß für ein 
Symptom der Schwangerschaft betrachtet wurde. Die Autopsie 



268 XXIX. HEIMANN. 

erklärte den wahren Grund, Schwangerschaft war nicht vorhanden. 
Große Kleinhimabszesse werden von Schluckbeschwerden begleitet 
infolge des Druckes auf die Brücke. 

Ubier Geruch aus dem Munde ist em recht häufiges Symptom 
bei otitischen Himabszessen. Die Zunge ist zumeist dick belegt^ 
oft trocken, bräunlich oder cyanotisch, beim Herausstrecken 
zitternd, auch die Zähne bedecken sich mit einem Belage. Der 
Geruch aus dem Munde ähnelt in hohem Grade dem von der 
Ohreiterung ausgehendem. 

Ein gleicher Foetor kann aber bei vernachlässigter chronischer 
Otorrhoee ohne intrakranielle Komplikationen vorkommen. Bei 
infektiöser Sinusthrombose ist dieser Foetor jedenfalls viel stärker 
als beim unkomplizierten Hirnabszeß ausgeprägt. 

In der Regel besteht Obstipation, die häufig sehr hartnäckig 
ist. Sie wird aber auch bei Meningitis, bei Tumoren konstant be- 
obachtet Bei Sinusthrombose ist Diarhoee vorwiegend. Appetit- 
losigkeit, seltener Gefräßigkeit wird sehr oft beim Hirnabszeß 
beobachtet. Die Kranken haben nicht selten einen solchen Wider- 
willen gegen jegliche Speise, daß sie künstlich gefüttert werden 
müssen. 

Hochgradige Abmagerung gehört ebenfalls zu den häufigen 
Allgemeinerscheinungen des letzten Abschnittes dieser Periode, 
und wenn sie mit niedriger Temperatur und Verstopfung bei 
vorhandenem Kopfschmerz und Pulsverlangsamung einhergeht, 
so ist diese Symptomengruppe für die Diagnose des Himab- 
szesses von großem Wert. Abmagerung von hohem Fieber, von 
Schüttelfrösten, Schweißen und Durchfall begleitet ist auf eine 
allgemeine Infektion, nicht aber auf einem Hirnabszeß zurück- 
zuführen. 

Die Atmung ist verlangsamt, zumeist jedoch regelmäßig. Bei 
Kleinhirnabszessen ist die Respiration im allgemeinen viel lang- 
samer als bei Großhirnabszessen, zuweilen zeigt sie den Cheyne- 
Stokes'schen Typus, oder sie ist unregelmäßig. Bei Druck des 
Abszesses auf die Medulla kann die Atmung lange bevor der 
Herzschlag aussetzt, aufhören. Bei Meningitis, bei infektiöser Sinus- 
thrombose ist die Atmung in der Regel beschleunigt; ist aber 
die hintere Schädelgrube in den Bereich der Leptomeningitis mit 
einbegriffen, kann die Atmung den Typus wie beim Hirnabszeß 
erhalten. 

Zuweilen wird Verhaltung des Urins beobachtet. Manchmal 
erhält der Urin kleine Mengen Eiweiß, der mit der Eröffnung 



Diagnose des otitischen Hirnabszesses. 269 

des Abszesses schwindet. In vereinzelten Fällen wurde Polyurie 
und Glykosurie notiert. 

Schüttelfröste sind in dieser Periode ungemein selten. Sie 
werden beobachtet, sobald sich neue Eiterherde in der Peripherie 
des Abszesses entwickeln. 

Die Temperatur ist im allgemeinen nahezu normal und dieses 
ihr Verhalten ist für Hirnabszeß durchaus typisch und steht im 
Gegensatz zu anderen otitischen Hirnkomplikationen, speziell zur 
Leptomeningitis. In manchen Fällen habe ich eine kurzdauernde, 
sehr mäßige Temperatursteigerung beobachtet. Eine bedeutendere 
und anhaltende Temperatursteigerung beweist das Hinzutreten 
anderer Hirnkomplikationen. 

Oppenheim hat den Satz aufgestellt „daß anhaltende, be- 
deutende Temperatursteigerung es im hohem Maße wahrschein- 
lich macht?, daß überhaupt kein Abszeß oder doch kein un- 
komplizierter Abszeß vorliegt" , obgleich geringe und vorüber- 
gehende Temperatursteigerungen abgesehen vom Initial- und 
Terminalstadium recht häufig vorkommen. Koch teilt diese 
Meinung für den Kleinhirnabszeß. Okada fand in der Hälfte der 
Fälle von Kleinhirnabszessen ziemlich deutliche Fiebererscheinungen 
im ganzen Verlaufe. Das ist aber auch ganz natürlich, wenn man 
bedenkt, daß der Kleinhirnabszeß überhaupt selten unkompliziert 
vorkommt. 

Wie überall unter den Himdrucksymptomen nimmt auch hier 
die Neuritis optica eine wichtige Stelle ein, und sie gehört zu 
den recht häufigen Allgemeinerscheinungen des Hirnabszesses. 
Sie wird vorwiegend bei großen Abszessen und gewöhnlich gegen 
das Ende dieser Periode beobachtet; ich habe sie zuweilen im 
Anfange des manifesten Stadiums gesehen. Die Neuritis erreicht 
in der Regel keinen großen Umfang und ist selten so deutlich 
wie beim Tumor ausgesprochen. Selten schließt sich eine Atrophie 
des Opticus an. Ich habe eine solche einmal bei einem syphilitischen 
Kranken, bei dem alle Symptome für Hirnabszeß sprachen be- 
obachtet, der Abszeß wurde aber weder durch Operation noch 
Autopsie festgestellt. Einige Mal wurde totale Amaurose bei Klein- 
himabszessen konstatiert. Gewöhnlich ist die Neuritis in einem 
Auge mehr als im anderen ausgeprägt. Ihre Entwicklung ent- 
spricht nicht immer der Seite der Hirnaffektion und sie zeigt zu- 
weilen ein umgekehrtes Verhalten. Bei rapider Entwicklung des 
Abszesses pflegt sich die Neuritis optica nicht zu entwickeln, weil 
die für ihre Entstehung notwendige Zeit fehlt; ebenso ist es der 



270 XXIX. HEIMANN. 

Fall bei kleinem Abszesse, wenn die Entzündung in seiner Um- 
gebung nicht erheblich ist (Macewen). Ausnahmen davon habe 
ich beobachtet Einmal trat die Neuritis optica schon 8 Tage nach 
dem Erscheinen der Symptome, die auf einen Abszeß deuteten, 
hervor. Der Himabszeß war in diesem Falle akut und die Initial- 
periode ging unmittelbar in das manifeste Stadium über. Nach 
Hansberg ist die Neuritis optica viel häufiger beim Kleinhirn- 
abszeß (2/3 der Fälle). Die Neuritis optica wird aber auch bei 
anderen intrakraniellen Erkrankungen — Meningitis, Encephalitis, 
Tumor — beobachtet Sie kann sogar bei einer Eiterung in der 
Paukenhöhle ohne intrakranielle Komplikationen vorkommen. In 
diesem Falle soll sie infolge einer Läsion des Plexus caroticus 
des sympatischen Nerven, die zu einer vasomotorischen Störung 
des Sehnerven und Augenhintergrundes führt, entstehen; bewiesen 
ist aber diese Tatsache nicht. Macewen macht dieselbe bei 
Mittelohreiterung von einem geringen Grade von Meningitis ab- 
hängig. 

Infolge 'des gesteigerten Druckes werden auch Pupillen- 
störungen beobachtet Bei Schläfen- und Frontallappen- Abszeß 
kann das Auge auf der erkrankten Seite entweder Myosis oder 
Mydriasis mit einem gewissen Grade von Pupillenstarre erkennen 
lassen. Pupillenträgheit, Mydriasis oder Myosis auf der Seite wo 
eine Ohreiterung vorhanden ist, bildet einen weiteren Beweis dafür, 
daß der Eiterherd auf der entsprechenden Seite zu suchen sei. 
Beim Kleinhirnabszesse kommt hier noch außerdem in Betracht 
die Femwirkung auf die Corpora Quadrigemina und auf den 
vorderen Abschnitt des Oculomotoriuskern (Herderscheinung). Beim 
Kleinhimabszeß tritt regelmäßig anfangs beiderseits Pupillen- 
verengerung als Symptom meningealer Beizung hervor; im mani- 
festen Stadium — Pupillenerweiterung beiderseits oder nur auf 
der kranken Seite. Bald erweitert sich die eine, bald die andere 
Pupille. Die Pupillenerscheinungen sind nicht konstant. Normale 
oder verengerte Pupillen schließen Kleinhirnabzeß nicht aus; im 
allgemeinen läßt beiderseitige oder einseitige Erweiterung das Vor- 
handensein einer raumbeschränkenden Krankheit im Schädelinnern 
annehmen. Bei diffuser Meningitis sind beide Pupillen gleichmäßig 
verengt, bis in einem späteren Stadium Drucksymptome eintreten, 
die Mydriasis und Starre der Pupillen bewirken. Die infektiöse 
Hirnbluteiterthrombose mit Ausnahme der Thrombose des Sinus 
cavernosus hat selten eine Pupillenstörung zur Folge. Strabismus 
kommt selten vor, ebenso wie Zwangsstellung der Bulbi. Ptosis 



Diagnose des otitischen Hirnabszesses. 271 

ist öfter bei Schläfenlappen, als bei Kleinhirnabszessen. Exophtalmos 
ist selten, meistens nur bei Kleinhimabszessen die mit Sinus- 
thrombose kompliziert sind. 

Konvulsionen sind in dieser Periode nur ausnahmsweise und 
vorwiegend bei Kindern vorhanden und haben nichts Charak- 
teristisches. Meist schwindet dabei das Bewußtsein für kurze Zeit 
Die Krämpfe entstehen auf Grund sekundärer Reizung des moto- 
rischen Eindengebietes oder seiner Leitungsbahn. Heftige Schüttel- 
fröste werden manchmal von Seite der Angehörigen für Krämpfe 
gehalten (Macewen). 

Herderscheinungen können vollständig fehlen, oder dieselben 
sind unbedeutend, oder kommen [erst spät zum Vorschein, was 
von der Größe und der Lokalisation des Abszesses abhängig ist. 
Herdsymptome haben für die Diagnose eine entscheidende Stellung. 
Sie bedeuten sehr viel, wenn der Abszeß in der Gegend der 
motorischen Region sich befindet, sehr wenig dagegen, wenn der- 
selbe im frontalen, occipitalen oder temporalen Lappen seinen 
Sitz hat. Die Herdsymptome sind abhängig von der Zerstörung 
der Himsubstanz, oder ihrer Erweichung, oder von einem Oedem 
welches rings um den Eiterherd dessen schubweiser Vergrößerung 
vorangeht. Letzteres kann zurückgehen und das eine oder andere 
Herdsymptom kann wieder verschwinden. Der Eiter in dem 
Marklager drängt zunächst nur die Leitungen auseinander, ohne 
sie aufzuheben. Bleibt dabei die graue Substanz noch erhalten, so 
kann der Abszeß mächtige Ausdehnung annehmen, sich fast auf 
eine Hemisphäre erstrecken, ohne daß irgend ein Herdsymptom 
in Erscheinung tritt. Je mehr er sich der Hirnrinde oder der 
inneren Kapsel nähert^ desto eher kommen Herdsymptome zum 
Vorschein. Da der Abszess an allen Stellen des Hirns vorkommen 
kann, müssen die Herdsymptome mit den Erscheinungen zusammen- 
fallen, welche den Erkrankungen der verschiedenen Hirnregionen 
eigen sind. 

Auftretende zentrale Gehörsstörung, — die zur völligen Taub- 
heit nicht führt — auf dem gekreuzten vorher gesundem Ohre, 
ist ein ungemein wichtiges Herdsymptom. Meistens ist es aber 
unmöglich bei dem schläfrigen Kranken die Schwerhörigkeit auf 
dem gesunden Ohre zu prüfen. Selbstverständlich müßte dabei 
die Untersuchung, so weit solches möglich, die Integrität des 
peripheren Gehörapparates nachweisen. 

Ein recht häufiges Herdsymptom bilden verschiedenartige 
Sprachstörungen u. z. Worttaubheit, Leitungsaphasie, amnestische 



272 XXIX. HEIMANN. 

Aphasie, Agraphie, Anarythmie, optische Aphasie, optico-akus- 
tische Aphasie, topographische Aphasie, Seelenblindheit und moto- 
rische Aphasie. Letztere wird bei unkomplizierten Hirnabszessen 
nicht beobachtet. Die verschiedenartigen Formen von Sprach- 
störungen kommen nur dann zum Vorschein, wenn der Abszeß 
in bestimmten Abschnitten der linken Hemisphäre sich befindet. 
Beim Kleinhimabszeß hängen manchmal die Sprachstörungen 
nicht unmittelbar von der Läsion der Fasern oder Kerne in der 
Brücke^ MeduUa oder Schläfenlappen, sondern bloß von der all- 
gemeinen Intelligenzstörung (Körner) oder von mechanischen 
Störungen, Eigidität der Masseteren ab (Macewen). Außerdem 
kommt ein vorübergehender Verlust der Sprache vor. Häufig 
findet man eine derartige psychische Schwäche, daß die Ent- 
deckung der Aphasie Schwierigkeiten macht 

Cerebelläre Ataxie und Kleinhirnschwindel die von einer 
Destruktion des Wurms (Nothnagel) oder von Abszessen der 
Hemisphären, die den Wurm insultieren, oder von Eiteransamm- 
lung über den Tentorium abhängig sind (v. Bergmann) haben 
dann einen diagnostischen Wert, wenn sie frühzeitig, bei freiem 
Sensorium, und stark ausgebildet sind, und wenn gleichzeitig eine 
Labyrintheiterung auszuschließen ist. Letztere begleitet aber sehr 
oft den Kleinhirnabszeß, Jansen notiert mehr als 80 solcher 
Fälle. Diese Symptome können aber auch fehlen bei Affektion 
des Wurms (Poulsen, Hei mann). Andererseits kann Ataxie bei 
hysterischen Ohrenkranken vorkommen (Oppenheim). Wenn 
man aber berücksichtigt, daß in vielen Fällen infolge der Schwere 
der Krankheit die Ataxie nicht nachweisbar sein kann, daß 
Schwankungen durch Schwindelgefühl von der typischen Cere- 
bellarataxie vielfach schwer zu unterscheiden sind, und wenn man 
die nachgewiesenen Fälle in Betracht zieht, so kann man diesem 
Symptome eine gewisse diagnostische Wichtigkeit nicht absprechen. 
Patognomonisch für den Kleinhirnabszeß ist dieses Symptom aber 
nicht, da derartige Gleichgewichtsstörungen vereinzelt auch beim 
Schläfenlappenabszeß (5 Fälle), bei Meningitis serosa und zu- 
weilen auch bei Meningitis purulenta vorkommen. 

Außer den unmittelbaren Herdsymptomen führen otitische 
Hirnabszesse zu charakteristischen Symptomen durch Femwirkung, 
die für den Abszeß speziell wichtig sind, weil diese Fernwirkung 
stets von einer der bekannten Stellen ausgeht, an welchen otitische 
Himabszesse zu sitzen pflegen. Diese Femwirkung wird, wie be- 
kannt, durch das entzündliche Oedem, daß in mehr oder weniger 



J 



Diagnose des otitischen Hirnabszesses. 273 

breiter Zone den Abszeß umgibt, wie auch durch erhöhte 
Spannung des Liquor cerebro-spinalis infolge des erhöhten und 
dadurch bedingten Druck in der Schädelhöhle, hervorgerufen. 
Außer durch die Flüssigkeit in gleichmäßiger Weise, wird aber 
auch durch die festweiche Masse des Hirns der Druck fort- 
geleitet, hier natürlich ungleichmäßig, so daß die Hirnpartien in 
der Nähe des Schläfenlappens mehr als die von ihm entfernter 
liegenden betroffen werden. Die Fernwirkung beim Schläfenlappen- 
abszeß erstreckt sich nicht über das Tentorium. Aber auch in anderen 
Hirngegenden ist sie beeinträchtigt, mit Ausnahme in der Bichtung 
nach der Capsula interna. Bei Läsion derselben treten Paresen 
der gekreuzten Extremitäten, selten gekreuzt^ Paralysen, gekreuzte 
Spasmen und Krämpfe, auch tonischer Krampf auf der gekreuzten 
Seite auf. In manchen Fällen ist die Hemiplegie offenbar eine 
Druckerscheinung, da die Wiederherstellung der Funktionsfähig- 
keit bald nach der Entleerung des Eiters erfolgt. In anderen 
Fällen sind jedoch die erwähnten Erscheinungen auf Entzündung 
zurückzuführen. Es ist wichtig genau festzustellen in welcher 
Reihenfolge die einzelnen Teile der betreffenden Körperhälfte ge- 
lähmt werden, da man dadurch klar zu stellen vermag, ob die 
motorischen Eindenzentren oder die Leitungsbahnen der inneren 
Kapsel ergriffen sind. Wird zuerst das Gesicht, dann der Arm 
und schließlich das Bein befallen, ohne daß sich eine Sensibilitäts- 
störung hinzugesellt, dann übt wahrscheinlich der Schläfenlappen- 
abszeß seine Fernwirkung auf das ßindengebiet der Zentral- 
windungen aus, die sich von unten nach oben ausbreitet. Die 
Paresen sind gewöhnlieh an der gekreuzten oberen Extremität, 
und dort meist stärker als am Bein ausgesprochen. Bisweilen 
wird gekreuzte Hemianästhesie und homonyme bilaterale Hemiopie 
beobachtet. Gleichseitige Anosmie ist ungemein selten (Stoecker}. 
Dazu kommen Paresen im Gebiete des gekreuzten Fazialis vor, 
selten Spasmen dieses Nerven. Die Parese ist Folge der Fern- 
wirkung eines Schläfenlappenabszesses auf die innere Kapsel, eines 
Kleinhirnabszesses auf die Brücke oder Herdsymptom eines Brücken- 
abszesses. Ist die Fazialislähmung Folge von Zerstörungsprozessen 
des Warzenfortsatzes und der Paukenhöhle, oder Folge von Druck 
eines Kleinhirnabszesses auf die Eintrittstelle in den Porus acus- 
ticus internus, so befinden sie sich auf ein und derselben Seite. 
Die Mitbeteiligung des Fazialis und Acustieus bei Kleinhirnab- 
szessen wird von Hansberg mit Recht für die Diagnose des 
Kleinhirnabszesses in Abrede gestellt, denn diese Erkrankungen 

Archiv f. Ohrenheilkande. 73. Bd. Festschrift. 18 



274 XXIX. HEIMANN. 

beruhen auf einem Leiden des Facialiskanales im Gebiete der 
Trommelhöhle. Es ist notwendig eine auf Bindenläsion beruhende 
Lähmung der Gesichtsmuskeln von einer durch Lähmung des 
N. facialis herbeigeführten Inaktivität einer Gesichtshälfte in solchen 
Fällen zu unterscheiden. Eine ßindenläsion bedingt selten eine so 
ausgedehnte Lähmung; bei einer solchen Läsion ist der Kranke 
im Stande das Auge zu schließen, die erkrankte Gesichtshälfte be- 
hält bis zu einem gewissen Grade die Fähigkeit Gemütsbewegungen 
zum Ausdruck zu bringen. Auch bleibt der Geschmackssinn in 
den vorderen zwei Dritteln der Zunge intakt (Macewen). 

Die Fernwirkung bei Kleinhirnabszessen betrifft häufig die 
Medulla oblongata und führt durch Respirationslähmung den Tod 
herbei. Kleinhirnabszesse in den Kleinhirnschenkeln und in der 
Brücke können außer Bespirationslähmung, Lähmung der ge- 
kreuzten Extremitäten, des gekreuzten Fazialis, beider Beine, 
homonyme Hemiplegie, Trismus, Schwäche und Parese im gleich- 
seitigen Arme und in beiden unteren Extremitäten hervorrufen. 
Außerdem wurde noch beim Abszeß in der Brücke, im Corpus 
striatum und im Thalamus opticus Anästhesie, Verlust des Muskel- 
sinnes in den Extremitäten der anderen Seite, wahrscheinlich in- 
folge von Miterkrankung des hinteren Teiles der internen Kapsel 
beobachtet. Kleine Abszesse in diesen Gegenden können symptom- 
los bis zum Durchbruche verlaufen (Govers). Beim Abszeß in 
der Brücke kommt auch Hemiplegia alternans zum Vorschein. 

Nackenstarre mit Betraktion des Kopfes und leichtem Opistho- 
tonus kommt auch anscheinend bei unkomplizierten Groß- und 
Kleinhimabszessen vor (Moos, Hansberg), öfter wird sie aber 
bei Meningitis, beim Extraduralabszeß in der hinteren Schädel- 
grube, und bei purulenter Entzündung am Pons oder an der 
Medulla durch Ruptur des Abszesses hervorgerufen, beobachtet. 

Die Reflexe die von der Haut wie von tief gelegenen Ge- 
bilden aus hervorgerufen sind, lassen zuweilen einen Einfluß des 
Hirnabszesses erkennen ; darüber läßt sieb aber nichts Bestimmtes 
sagen. Der Patellarreflex verhält sich verschieden, bald ist er ge- 
steigert, bald vermindert, bald wieder normal auf beiden Seiten 
und in manchen Fällen fehlt er auf der Seite der Läsion. Nach 
Koch bildet einseitiges Fehlen des Patellarreflexes auf der Seite 
der Läsion ein wichtiges Symptom des Kleinhirnabszesses zum 
Zweck der Differentialdiagnose (gegen den Schläfenlappenabszeß. — - 

Fibriiläre Muskelzuckungen kommen gegen das Ende des 
zweiten Stadiums oft zur Beobachtung und sind im Endstadium 



Diagnose des otitischen Hirnabszesses. 275 

sehr ausgesprochen. Sie haben aber nichts pathognomonisches für 
den Hirnabszeß. 

Schläfenlappenabszesse rufen bei gewisser Größe partielle, 
selten totale Lähmung des Oculomotorius auf der kranken Seite 
hervor. Gewöhnlich wird Mydriasis und Ptosis, zuweilen Lähmung 
des Rectus internus und superior beobachtet. Bei totaler Lähmung 
dieses Nerven kommt außerdem zum Vorschein Auswärtsschielen, 
Starre der Pupillen und Lähmung aller äußeren Augenmuskeln 
mit Ausnahme des Obliquus superior und Rectus exlemus, wes- 
halb die Bewegungen des Augapfels bis auf die Auswärtsdrehung 
und eine geringe Neigung nach unten unmöglich sind. Wie 
schon oben erwähnt wurde, kann der Oculomotorius in eine ent- 
zündliche Mitleidenschaft bei Meningitis gezogen werden. Findet 
man Lähmung des N. oculomotorius auf der Seite der Läsion, 
Hemiplegie der entgegengesetzten Körperhälfte, die im Gesicht 
ihren Anfang genommen hat und den Merkmalen der Lähmung 
entspricht, die im motorischen Rindenbezirk ihren Ursprung hat, 
d. h. in der Gesichtsmuskulatur sich am deutlichsten zeigt, den 
Arm nicht so stark ergriffen hat, während die untere Extremität 
intakt bleibt, und wenn dabei Sensibilitätsstörung fehlt, dann handelt 
es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um eine ausgedehnte Läsion, 
die im Schläfenlappen ihren Sitz hat (Macewen). — 

Gleichseitige Abduzenslähmung wird beim Groß- und Klein- 
hirnabszeß beobachtet; bei letzterem auch gekreuzte Lähmung 
dieses Nerven. 

Neuralgie des Trigeminus und Hypoglossuslähmung sind beim 
Schläfenlappenabszeß selten. Im allgemeinen entwickelt sich die 
Affektion des Hirnnerven öfter infolge von Knochenerkankung 
oder Meningitis, als infolge des Abszesses selbst. 

Zuweilen wird auch bei flirnabszessen Lichtscheu, Deviation 
conjugee, Nystagmus, Singultus, unwillkürliche Harn- und Stuhl- 
entleerung, Strangurie, Retentio und Incontinentia ürinae, wie auch 
Kreuzschmerzen und Neuralgie des Ischiadicus beobachtet. 

Das Gehörorgan weist bei otitischen Hirnabszessen Symptome 
chronischer oder akuter Ohreiterung, Cholesetatom, Granulationen, 
entzündliche Erweichungen auf dem Warzenfortsatze, Symptome von 
Eiterretention usw. öfters auf. In einzelnen Fällen führen Fistel- 
gänge unmittelbar vom erkrankten Knochen in die Schädelhöhle, 
durch welche, wie auch durch den äußeren Gehörgang sich die 
Abszeßflüssigkeit teilweise entleert. Viel seltener findet man nur 
Spuren einer vorhergegangenen Ohrentzündung oder sogar ein 

18* 



276 XXIX. HEIMANN. 

scheinbar gesundes Trommelfell. In der tiberwiegenden Mehrzahl 
der Fälle sind Kleinhimabszesse mit Labyriotheiterung verbundeu, 
was schon oben erwähnt wurde. Entsprechend den Veränderungen 
im Labyrinthe ist die Störung der Funktion beim Kleinhirnabszeß 
labyrinthärer Natur. Zwar kann die Gehörprüfung nicht immer 
zu einer exakten Diagnose führen, da labyrinthäre Funktions- 
störungen nicht selten bei Oroßhirnabszessen vorkommen und 
wieder bei Eleinhirnabszessen fehlen können , in zweifelhaften 
Fällen aber kann sie uns recht wichtige Anhaltspunkte für die 
Diagnose in Bezug auf die Lokalisation des Abszesses geben. 
In vereinzelten Fällen zeigt sich bei einseitiger Ohreiterung, bei 
Groß- und Eleinhirnabszessen eine plötzliche Zunahme der Schwer- 
hörigkeit des Ohres der entgegengesetzten Seite oder eine plötz- 
liche Besserung des Gehörs auf der kranken Seite (Schwartze, 
Lucae, Herpin). Körner erklärt ersteres dadurch, daß das 
Zentrum für das gekreuzte Ohr im Schläfenlappen liegt. So kann 
man das Eintreten einer zerebralen Gehörsstörung auf dem ge- 
kreuzten vorher gesunden Ohre als ein entscheidendes Symptom 
betrachten, aber nur wenn einseitige Ohreiterung vorliegt. Da 
dies aber auch beim Kleinhirnabszeß beobachtet wurde, so ist 
die Annahme Schwartze's, daß dieses Symptom auf hoch- 
gradigem Hydrocephalus internus beruht, oder von einer Hyperämie 
des Labyrinthes abhängig ist (Lucae) richtiger. — 

Man wollte die fehlende Kopfknochenperzeption zur Diagnose 
des Kleinhirnabszesses verwerten (Mc. Bride und Miller), 
Körner aber überzeugte sich von der Unzuverlässigkeit dieser 
Erscheinung, indem sie recht oft auch bei Schläfenlappenabszessen 
beobachtet wird und wieder nicht selten bei Kleinhirnabszessen fehlt. 

Nach dieser zweiten Periode des Hirnabszesses, die verschieden 
lange dauern kann, kommt es, wie bekannt, zu dem sogenannten 
Endstadium d. h. zum raschen Wachstum des Abszesses, zu seiner 
deletären Wirkung auf lebenswichtige Teile, und zur Eiterentleerung 
in einen Seiten Ventrikel, oder auf die Hirnoberfläche, die rasch 
unter stürmischen Symptomen zum Tode führt. Die Kranken 
gehen am häufigsten zu Grunde unter Erscheinungen einer ge- 
waltigen und rasch tötenden Meningitis, oder das Endbild hat 
den Schein eines tötlichen apoplektischen Anfalles. Stupor und 
Koma nehmen allmählich zu, aber der Tod kann auch plötzlich 
eintreten. Zuweilen kann sich ohne Eitererguß eine akute Lepto- 
meningitis entwickeln, indem die entzündliche Grenzzone des Ab- 
szesses die Pia erreicht. War der Verlauf latent, oder begleiteten 



Diagnose des otitischen Himabszesses. 277 

ihn mehrere von den oben erwähnten Symptomen, so hat das 
keinen Einfluß auf das Bild des Endresultates. Der Kranke wird 
plötzlich von Frostanfall und Fieber befallen, der Kjopfschmerz 
steigert sich ungemein heftig, es tritt mehrmaliges Erbrechen ein; 
dazu kommt Kollaps, Bewußtlosigkeit, beschleunigter kleiner Puls, 
Cheyne-Stokes'sche Atmung, oder vollständige Respirations- 
lähmung, maximale Pupillenerweiterung und Starrheit, Koma, 
Sopor und der Kranke stirbt in wenigen Stunden. Konvulsionen 
sind selten, Paralyse aller Extremitäten oder Hemiplegie wird hie 
und da beobachtet. In vereinzelten, seltenen Fällen kann der Tod 
infolge einer interkurrenten Krankheit eintreten. Von allen Hirn- 
abszessen brechen die des Schläfenlappens am leichtesten in den 
Seitenventrikel durch, daher schließt ^ich ihr Endstadium so oft 
unmittelbar an das ihrer Latenz an. Das ist aj)er auch der Grund, 
warum ein bestimmter Teil dieser Abszesse erst bei der Autopsie 
gefunden und ein anderer kurz vor dem Tode, an den Symptomen 
des Endstadium erkannt wurde. Das Endstadium dauert einige 
Minuten bis 24 Stunden, selten länger. 

Als Hilfsmittel zur Sicherung der Diagnose des otitischen Hirn- 
abszesses ist zuweilen die Lumbalpunktion zu betrachten. Dieser 
Handgriff ist aber beim Hirnabszeß gefährlich und muß bei Ver- 
dacht auf diesen sehr vorsichtig ausgeführt werden, da infolge 
von Raum Verschiebungen in der Schädelhöhle durch den Abfluß 
des Hirnwassers, der Durchbruch des Abszesses beschleunigt oder 
herbeigeführt werden kann, was zur Leptomeningitis, oder direkt 
zum plötzlichen Tod führt. Letzterer Ausgang sollte öfters bei 
Hirngeschwülsten infolge plötzlicher Athmungslähmung beobachtet 
worden sein. Außerdem kann die Lumbalpunktion eine Lösung 
von frischen Verklebungen der weichen Häute um begrenzte 
Eiterungen hervorrufen. — Wenn wir einerseits dieses Moment in 
Erwägung nehmen, und andererseits die Anamnese und den reichen 
Symptomenkomplex eines Hirnabszesses der meistens zur Stellung 
der Diagnose ausreicht, berücksichtigen, so muß die Lumbal- 
punktion beim Hirnabszeß sich nur auf vereinzelte Fälle be- 
schränken z. B. auf solche, bei denen die Symptome des Ab- 
szesses nicht deutlich ausgesprochen sind, und die Differential- 
diagnose zwischen Himabszeß und Meningitis purulenta oder 
serosa auf große Schwierigkeiten stößt. Hier ist die Lumbal- 
punktion als diagnostisches Hilfsmittel unentbehrlich. 

Nach den bisher erhaltenen Resultaten der Lumbalpunktion 
ist folgendes zu bemerken: 1. Getrübte Flüssigkeit mit Eiter- | 

\ 



278 XXIX. HEIMANN. 

körperchen oder Bakterien, erweckt Verdacht auf Hirnabszeß. 
2. Stark getrübte Flüssigkeit mit Eiterkörperchen und Bakterien 
spricht für eine diffuse, eitrige Meningitis. 3. Leicht getrübte Flüssig- 
keit mit Bakterien weist auf eine Erkrankung der weichen Hirn- 
häute, aber es bleibt zweifelhaft, ob eine diffuse, oder eine circum- 
skripte Meningitis vorliegt. Eine gleichgeartete Fiüssigkeit wurde 
aber auch bei Hirnabszessen beobachtet und führte zu traurigen 
Folgen, da der Abszeß uneröffnet blieb (Brieger, Ruprecht, 
Wolff). 4. Ist die Flüssigkeit klar und frei von Eiterkörperchen 
und Bakterien, so besteht keine oder nur umschriebene eiterige 
Meningitis. Bei vermehrter und unter hohem Druck stehender 
Flüssigkeit kommt in erster Linie Meningitis serosa und in zweiter 
circumskripte purulente Spätzündung in Frage. 5. Opalisierende 
Trübung der Flüssigkeit spricht mit großer Wahrscheinlichkeit 
für Meningitis tuberculosa, auch wenn Tuberkelbazillen im Liquor 
nicht nachzuweisen sind. 

So viele und so sichere Anhaltspunkte wir auch für die 
Diagnose des otitischen Schläfenlappenabszesses haben, schützen 
sie uns doch nicht vor Fehlgriffen und selbst charakteristische 
Symptome können irreleiten. Umschriebener Kopfschmerz, Empfind- 
lichkeit beim Perkutieren der Schläfenbeinschuppe oder des Hinter- 
hauptes, Neuritis optica, Schwindelerscheinungen, Erbrechen und 
der allgemeine Habitus des Kranken sind in vielen Fällen für 
einen otitischen Hirnabszeß maßgebend, und doch ergaben Au- 
topsien mancher solcher Fälle in der Hallenser Klinik , daß es 
sich um eiterige diffuse Meningitis handelte. In anderen Fällen 
sind die auf das Gehirn weisenden Störungen vieldeutig und un- 
bestimmt, oder das klinische Bild des Abszesses ist durch andere 
Komplikationen verschleiert. Am verhältnismässig leichtesten läßt 
sich der Schläfenlappenabszeß bei Berücksichtigung der Symptome 
und Anamnese diagnostizieren. Der Lieblingssitz der otitischen 
Hirnabszesse ist überhaupt der Schläfenlappen und das Klein- 
hirn. Den Abszessen des Frontallappens, die überhaupt sehr 
selten sind — in meiner Statistik sind 3 Frontallappenabszesse 
auf 362 Schläfenlappenabszesse angegeben (A. f. 0. Band 67) 
fehlen sichere Lokalsymptome, ebenso wie bei den entsprechenden 
Tumoren. Sie stellen sich erst bei einer gewssen Größe der Eiter- 
ansammlung als Fernwirkungen ein: Sprachstörungen bei links- 
seitigem Sitze und Monoplegien eines Facialis oder eines Armes 
auf der gegenüberliegenden Seite. Ebenso sind die Hinterhaut- 
lappenabszesse, wie Abszesse anderer Hirngegenden selten und 



Diagnose des otitischen Hirnabszesses. 279 

nach y. Bergmann sind die Abszesse des Hinterhauptlappens 
ursprünglich tief im Schläfenlappen gelegene Abszesse, die sich 
auffallend weit nach hinten verbreitet haben. 

Bei Kindern und manchmal bei jungen Leuten verlaufen alle 
otitischen intrakraniellen Eiterungen, ebenso wie die einfache 
Mittelohrentzündung, unter stärkeren Reizerscheinungen als beim 
Erwachsenen. Die Symptome des Hirnabszesses nähern sich 
deshalb bei ihnen denen der Meningitis. Bei Kindern kann ein 
gewöhnlicher Extraduralabszeß einen Hirnabszeß vortäuschen 
(Körner). Außerdem können oft bei Kindern lokale Symptome 
nicht genau oder gar nicht bestimmt werden. 

Die Diagnose des Kleinhirnabszesses bietet im allgemeinen 
viel mehr Schwierigkeiten als die des Schläfenlappenabszesses. 
Meist ist das Bild des Kleinhirnabszesses unbestimmt und viel- 
deutig, seine Diagnose meistens eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose 
und oft kann sie nur aus den Eiterungs- oder Wundverhältnissen 
am eröffneten Warzenfortsatz und dem bloßgelegten Sinus trans- 
versus gemacht werden. Nach Koch läßt sich das Bild des 
otitischen Kleinhirnabszesses in drei Typen einteilen. Den ersten 
Typus enthalten die Fälle, in welchen ausgesprochene und mehr- 
fache Lokalerscheinungen die Diagnose geben, den zweiten die 
mit ausgesprochenen allgemeinen Hirnsymptomen und spärlichen 
und unsicheren Lokalsymptomen, und den dritten die, in denen 
weder die allgemeinen, noch die lokalen Hirnsymptome deutlich 
waren, aber die Art der Eiterung, der Verlauf der am Warzen- 
fortsatz vorgenommenen Operationen, sowie bestehende in und 
durch die Dura führende Fistelgänge zur Entdeckung des Klein- 
himabszesses führten. Zwei Groß- oder Kleinhirnabszesse, oder 
je ein Abszeß im Groß- und Kleinhirn sind fast unmöglich zu 
diagnostizieren. Schwinden die vorher vorhandenen allgemeinen 
und örtlichen Symptome nach operativer Entleerung des Abszesses 
nicht vollständig oder teilweise, so muß, sofern keine Eiterverhal- 
tung vorliegt, Verdacht auf einen zweiten Abszeß entstehen, 
dessen Lokalisation aus den vorhandenen Symptomen zu be- 
stimmen ist. 

Bei entwickelten Symptomen einer otitischen intrakraniellen 
Komplikation hat die Differentialdiagnose zwischen Schläfen- 
lappen- und Kleinhirnabszeß folgendes zu berücksichtigen: Die 
allgemeinen Hirnsymptome mit Ausnahme des Kopfschmerzes, 
der beim Schläfenlappenabszeß der Stelle des Abszesses meistens 
entspricht und beim Kleinhirnabszeß meist ins Hinterhaupt oder 



280 XXIX. HEIMANN. 

in die Stirn verlegt wird, wie auch der Störungen von Seiten der 
Augenmuskeln, sind beiden Komplikationen gemeinsam. Beson- 
dere und direkte Herdsymptome dürfen wir bei dem Sitze des 
Abszesses in den Hemisphären des Kleinhirns nicht erwarten und 
deshalb ist das Kontingent der bis zum Tode latent verlaufenden 
Kleinhirnabszesse viel bedeutender als das der Großhirnabszesse. 
Freilich können die Kleinhimabszesse auch charakteristische 
Femwirkungen, die in Störungen der Funktion der Kerne und 
Stämme der sechs letzten Hirnnerven bestehen, geben, aber sie 
tun es ungleich seltener, als z. B. Kleinhimgeschwülste. Gleich- 
gewichts-, Gang-, Atmungs- und motorische Sprachstörungen, 
Nackensteifigkeit, Trismus, Nystagmus, gleichseitige Paresen des 
Fazialis» der Extremitäten, Amaurose ohne Sehnervenatrophie und 
zumal im Kindesalter häufige allgemeine Konvulsionen bilden 
Symptome des Kleinhirnabszesses. Die Sprachstörungen beim 
Kleinhirnabszeß haben bulbären Charakter. Gekreuzte Paresen, 
Paralysen, Spasmen, manchmal Konvulsionen, Hemianästhesie, 
amnestische und Leitungsaphasie, optiko-akustische Aphasie 
Worttaubheit, Agraphie, Hemiopie, Ptosis, Abduzenslähmung, 
totale Lähmung des Okulomotorius, sprechen häufiger für Schläfen- 
lappenabszeß. Der Kleinhimabszeß macht in 2/3 aller Fälle wenig 
ausgebildete oder gar keine Lokalsymptome; der Schläfenlappen- 
abszeß macht in der Eegel mehr oder weniger Lokalsymptome. 
Der Schläfenlappenabszeß wird am öftesten bei Karies am Tegmen 
tympani oder antri gefunden ; der Kleinhimabszeß bei Karies der 
hinteren Wand des Felsenbeins und bei Labyrintheiterungen. 
Hier und da sind Fälle verzeichnet, wo man, nachdem man einen 
Eiterherd im Hirn diagnostizierte, einen Schläfenlappenabszeß für 
einen Kleinhirnabszeß gehalten hat und umgekehrt (Drumond, 
Garngee, Barr u. a.). Hansberg hat bei einem Schläfen- 
lappenabszeß, welcher sich am hinteren und unteren Teil des 
Lappens befand und auf operativem Wege entleert wurde, die 
Diagnose auf Kleinhimabszeß aufrecht gehalten; die Autopsie 
erwies, daß es sich um einen Schläfenlappenabszeß handelte, der 
ganz dicht am Kleinhirn lagerte. 

Gewisse Schwierigkeiten der Lokalisation des Hirnabszesses 
können bei beiderseitiger Ohreneiterung entstehen; sie können 
sogar beim Kleinhirnabszeß unüberwindlich sein. Sind Sprach- 
stömngen vorhanden, so ist es nicht schwer zu erkennen, daß der 
Abszeß ceteris paribus in der linken Hemisphäre sich befindet. 
Wichtige diagnostische Momente bilden hier die Lokalisation des 



j 



Diagnose des otitischen Himabszesses. 281 

Schmerzes, Schmerzhaftigkeit der entsprechenden Stelle beim Be- 
klopfen des Schädels und die Seite der gekreuzten und gleich- 
seitigen Lähmungen. 

Die Differentialdiagnose zwischen Labyrintheiterung und 
Klein h ir n ab szeß begegnet großen Schwierigkeiten, da beide 
Krankheiten sehr oft gemeinsam auftreten und außerdem viele ge- 
meinsame Symptome haben. Zu diesen gehören: Gleichgewichts- 
störungen, Nackensteifigkeit, Schwindelgefühl, Übelkeit, Er- 
brechen, Kopfschmerzen und Nystagmus; Fieberbewegungen, falls 
letztere sich einstellen. Neuritis optica wird häufig bei Kleinhirn- 
abszessen beobachtet, ausnahmsweise kommt sie bei Labyrinth- 
eiterungen vor; sie kann aber auch beim Kleinhirnabszeß fehlen. 
Hemiataxie und Hemiparese kommt nie bei Labyrinth ei terungen vor. 
Gleichgewichtsstörungen können bei beiden Krankheiten fehlen. 
Nach Hinsberg (Z. f. 0., Bd. 40, S. 166) sind unter Außeracht- 
lassung der beiden Krankheiten gemeinsamen Symptome für den 
Kleinhimabszeß charakteristisch die Allgemeinsymptome eines 
Himabszesses: Abmagerung, Mattigkeit, psychische Veränderungen, 
Neuritis optica, Strabismus, Zwangsstellung derBulbi, motorische 
Reiz- und Ausfallserscheinungen , Pulsverlangsam ung , Nacken- 
scbmerzen. Recht oft fehlen aber alle diese Symptome und nur 
gemeinsame Symptome der Labyrintheiterung und des Kleinhirn- 
abszesses kommen zum Vorschein. Nach H. Neumann bildet 
der Nystagmus ein wichtiges differentialdiagnostisches Symptom. 
Bei Großhirnabszessen kommt er fast nie vor. Bei Kleinhirn- 
abszessen wird sowohl nach der gesunden wie nach der kranken 
Seite gerichteter Nystagmus beobachtet; er nimmt zu bei zu- 
nehmender Intensität der Krankheit und erreicht schließlich einen 
solchen Grad, wie man ihn niemals bei Labyrintherkrankungen 
sieht. Neumann und Baräny beobachteten, daß bei Labyrinth- 
erkrankungen anfangs Nystagmus nach der erkrankten Seite be- 
steht, dann aber später fast vollständig verschwindet. Beim 
Kleinhimabszeß besteht anfänglich Nystagmus nach der gesunden 
Seite, der dann plötzlich nach der kranken Seite umschlägt. 
Beobachtet man dieses Symptom, so kann mit Sicherheit Klein- 
hirnabszeß diagnostiziert und die Auslösung des Nystagmus vom 
Labyrinth ausgeschlossen werden. Außerdem nimmt, wenn Klein- 
himabszeß mit Labyrinth ei terung kombiniert ist, der vom Laby- 
rinth ausgelöste Nystagmus nach Labyrintheröffnung rasch an 
Intensität ab, während der vom Kleinhirnabszeß ausgelöste Nystag- 
mus durch die Labyrinth Operation nicht beeinflußt wird. Der 



282 XXIX. HEIMANN. 

Nystagmus ist stets ein rythmischer und zeigt überhaupt sämt- 
liche Charaktere des vestibulären Nystagmus. 

Die Differentialdiagnose gegenüber extraduralem Abszeß 
ist in vielen Fällen nicht schwer. Beim Extraduralabszeß werden 
manchmal auch Allgemeinerscheinungen, die dem Hirnabszeß 
eigen sind, beobachtet, wie allgemeines ünwohlfühlen, schlechtes 
Aussehen, Mattigkeit, Schwindel, Erbrechen usw. Gewöhnlich 
aber fehlen diese Symptome. Veränderungen des Pulses sind 
ungemein selten, z. B. ist er nur dann verlangsamt, wenn der 
extradurale Abszeß sehr groß ist (Hirndrucksymptom). Dasselbe 
läßt sich von anderen bei dem Himabszeß angetroffenen Er. 
scheinungen sagen. Stauungspapille und Neuritis optica ist bis 
jetzt im ganzen viermal verzeichnet (Braunstein dreimal, 
Hölscher einmal). In akuten Fällen wurde leichte Hyperämie 
des Augenhintergrundes konstatiert (Braunstein). Nystagmus, 
Konvergenz- und Divergenzstellung eines Auges, Pupillenerwei- 
terung usw. wurden hie und da beobachtet. In sehr seltenen 
Fällen kommen auch beim Extraduralabszeß in der mittleren 
Schädelgrube gekreuzte Paresen und bei linksseitigem Abszeß 
sensorische Sprachstörungen, nämlich bei Kindern, vor (Körner). 
Je einmal sind sogar melancholische Wahnideen (Biehl) und 
idee fixe (Hölscher) verzeichnet. Liegt der Abszeß in der hin- 
teren Schädelgrube, so kommt auch Nackensteifigkeit vor. Höheres 
Fieber fehlt in der Mehrzahl der Fälle; ist es vorhanden, so ist 
es in der Regel durch Warzenfortsatzempyem oder durch Sinus- 
phlebitis hervorgerufen. Geringe Temperaturerhöhungen kommen 
häufiger vor. Gewöhnlich aber gibt der extradurale Abszeß 
ebenso wie der Hirnabszeß keine Temperatursteigerung. Der 
Kopfschmerz ist inkonstant, in vielen Fällen kann er vollständig 
fehlen, in anderen besitzt er dieselben charakteristischen Zeichen, 
welchen man beim otitischen Himabszeß begegnet. Er wird auch 
über dem Ohre oder im Hinterhaupt oder an anderen, dem Abszeß 
nicht entsprechenden Stellen lokalisiert, selten ist er diffus. 
Geistige und physische Erschütterungen und Überanstrengungen, 
Perkussion der entsprechenden Stelle steigern ihn; ebenso exazer- 
biert er nachts. Neben Kopfschmerz wird häufig Ohrenschmerz 
angegeben. Außerdem wird beim Extraduralabszeß oft Periostitis 
und Mstelbildung, subperiostaler Abszeß angetroffen. Bringt man 
in Abzug die selten vorkommenden Allgemeinerscheinungen und 
die noch selteneren Herderscheinuugen beim Extraduralabszeß, 
so macht im allgemeinen die Differentialdiagnose zwischen Hirn- 



Diagnose des otitischen Hirnabszesses. 283 

und Extraduralabszeß keine großen Schwierigkeiten. Beim Hirn- 
abszeß wird man einen mehr oder weniger ausgebildeten Symp- 
tomenkomplex von allgemeinen und Herderscheinungen konstatieren, 
während beim Extraduralabszeß ein solcher Symptomenkomplex 
zu den Ausnahmen gehört. Außerdem sind beim Extradural- 
abszeß, wie schon erwähnt wurde, krankhafte Veränderungen im 
angrenzenden Knochen vorhanden. Eine auffallend starke Eiterung 
aus dem Ohre, die zu groß ist^ um aus den Mittelohrräumen 
allein stammen zu können, spricht für einen Extraduralabszeß, 
und seine Anwesenheit ist noch wahrscheinlicher, wenn mit der 
Abnahme der Ohreiterung Hirnsymptome auftreten. Sind beide 
Krankheiten gleichzeitig vorhanden, was nicht selten der Fall ist, 
so ist eine richtige Diagnose ungemein schwierig, oft unmöglich. 
Verläuft ein Extraduralabszeß unter Symptomen eines Hirn- 
abszesses, so sind Irrtümer manchmal unmöglich zu vermeiden. 
Die Differentialdiagnose kann in solchen Fällen erst auf dem 
Operationstische gemacht werden. 

Die tiefen Extraduralabszesse haben denselben Verlauf wie 
die oberflächlichen, oft verlaufen sie ganz symptomlos, oder sie 
geben dieselben Symptome wie die oberflächlichen Abszesse. 
Ihre Diagnose ist nur eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose und wird 
erst nach der Warzenfortsatzeröffnung, wenn Groß- und Kleinhirn- 
abszeß und ein oberflächlicher Extraduralabszeß ausgeschlossen 
werden kann, festgestellt. Eine Labyrinthfistel erleichtert die 
Diagnose. Das Empyem des Saccus endolymphaticus verläuft 
symptomlos, führt aber manchmal zum Kleinhirnabszeß (Schulze). 

Ebenso verhält es sich mit dem subduralen Abszeß und mit 
der Pachymeningitis interna, die auch keine typischen Sym- 
ptome machen mit Ausnahme der Fälle, wo es sich um eine typische 
Lokalsymptome auslösende Beteiligung der Hirnrinde handelt. 
In solchen Fällen ist aber auch eine Differentialdiagnose zwischen 
Hirnabszeß und Subdural- ev. Rindenabszeß vor der Operation 
unmöglich zu stellen. Subduralabszesse können vermöge ihrer 
Ausdehnung und bisweilen vielfachen Komplikationen die ver- 
schiedenartigsten und schwer zu deutenden Symptome machen. 
Bisweilen kommen lokale Herdsymptome, wie sensorielle Aphasie 
bei Lokalisierung der Affektion am linken Schläfenlapqen vor, 
so daß die Diagnose zwischen Meningitis und Schläfenlappen- 
abszeß schwankt. Bei Pachymeningitis interna und gegen die 
Subarachnoidalräume abgeschlossenem subduralem Abszeß ist der 
Liquor cerebrospinalis in der Regel klar oder nur leicht getrübt. 



284 XXIX. HEIMANN. 

Eine derartige Flüssigkeit spricht also bei der Lumbalpunktion 
für einen abgegrenzten Eiterherd. Eine Entscheidung aber ob Sub- 
dural- oder ob Hirnabszeß vorliegt, wird hierdurch noch nicht 
herbeigeführt. Kommt nach der Spaltung der harten Hirnhaut 
oder der inneren Sinuswand kein Eiter, so kommt in Frage das 
Vorhandensein eines Hirnabszesses oder einer einfachen Pacby- 
meningitis interna ohne Eiterbildung (Hol sc her). Der Subdural- 
abszeß und die Pachymeningitis interna können auch vom Durch- 
bruche eines Hirnabszesses entstehen, öfter aber kompliziert 
ersterer die Sinusthrombose und den extraduralen Abszeß. 

Encephalitiscircumscripta und Hirnabszeß sind in 
einem frühen Stadium unmöglich zu unterscheiden, da beide Er- 
krankungen gleichzeitig vorhanden sind und die Encephalitis 
eigentlich das Initialstadium des Abszesses darstellt. Bei der 
Differentialdiagnose kann man sich nicht auf die Zeitdauer stützen, 
vor allem muß die Ätiologie berücksichtigt werden. 

Zwischen Leptomeningitis und Hirnabszeß ist in 
typischen Fällen nicht schwer zu entscheiden. Beide Krankheiten 
haben zwar eine gemeinsame Ätiologie, z. B. die Ohreneiterung und 
mehrere gemeinsame Symptome, aber auch solche, die für jede 
von ihnen charakteristisch sind. Es gibt aber auch Fälle, wo 
beide Krankheiten leicht verwechselt werden können, und die 
Unterscheidung kann daher nicht immer eine unbedingte sein. 
Bei schleichendem Verlaufe der Leptomeningitis kann letztere 
gewisse Ähnlichkeit mit einem Hirnabszeß haben. Zu den Symp- 
tomen gehören Kopfschmerz, der konstant auftritt. Nur in seltenen 
Fällen bleibt er aus öder ist unbedeutend. Ferner Übelkeit, Er- 
brechen und Schwindelgefühl. Störungen des Sensoriums kommen 
fast immer vor, nur die Art und Zeit ihres Auftretens ist ver- 
schieden. Ihr Grad variiert von leichter Trübung des Sensoriums 
bis zum tiefsten Koma. Hierher gehören auch Aufregungs- 
zustände, Reizbarkeit, Unruhe, Schlaflosigkeit, Delirien, Teilnahms- 
losigkeit, Stumpfheit, Schlaflosigkeit usw., totale oder partielle 
Lähmung des Fazialis, Nackenstarre, die jedenfalls bei der 
Meningitis viel deutlicher ausgesprochen ist; Lähmungen, Myosis, 
träge Beaktion der Pupillen, Lichtscheu, später Mydriasis, Lähm- 
ungen der Augennerven, Deviation conjugee, Nystagmus, Fehlen 
oder Steigerung der Patellarreflexe, Stuhlverstopfung und Stran- 
gurie. Neuritis optica und Stauungspapille sind selten (Mace w en); 
nach Govers sind sie häufig bei der Basalmeningitis. Wie beim 
Hirnabszeß kommen Fälle vor, wo das Bewußtsein bis kurz vor 



Diagnose des otitiscben Hirnabszesses. 285 

dem Tode erhalten bleibt und die Symptome anfallsweise auf- 
treten. Beim Exsudat in der Fossa Sylvii wurde Aphasie be- 
obachtet (Körner). Bei schleichendem Verlauf der Meningitis 
ist außerdem die Temperaturerhöhung nur gering, sie kann sogar 
normal und subfebril sein; auch der Puls kann verlangsamt sein. 
Bei einem solchen Symptomenkomplex kann die Differential- 
diagnose unüberwindliche Schwierigkeiten bieten. Gewisse An- 
haltspunkte kann die Lumbalpunktion geben, wovon oben die 
Eede war. Als charakteristisches Symptom der Leptomeningitis 
ist zu verzeichnen, daß die Hirnnerven in einer größeren Aus- 
dehnung und unregelmäßigeren Anordnung als beim Hirnabszeß 
befallen werden. Die Prodromalerscheinungen sind bei der 
Meningitis von längerer Dauer. Die Hirnnerven können auch 
beim Abszeß in der Brücke in größerer Ausdehnung befallen 
werden, aber wie bekannt, sind die Abszesse dieser Hirngegend 
ungemein selten und unseren therapeutischen Eingriffen unzugäng- 
lich. Eine Fehldiagnose ist deshalb in solchen Fällen ohne 
praktische Bedeutung. Gewöhnlich aber fehlt das Fieber nie bei 
akutem und oft subakutem Entstehen der Krankheit; sein Charakter 
ist sehr verschieden, enthält aber nichts Typisches. Die Tem- 
peratur kann manchmal bis 41 ^ steigen, gewöhnlich geht sie nicht 
über 39<^. Nach Körner wird hohes Fieber vorwiegend bei 
Erkrankung der Konvexität beobachtet. Die Legtomeningitis con- 
vexitatis hat überhaupt einen mehr stürmischen Verlauf, als die 
der Basis. Der Puls zeigt meistens eine der Höhe der Tem- 
peratur entsprechende Frequenz. Im Endstadium der Krankheit 
ist er meist schnell, klein, aussetzend und oft kaum fühlbar. In 
seltenen Fällen bleibt er kräftig und regelmäßig. Außerdem 
werden bei Leptomeningitis Hyperästhesie der Haut, klonische 
und tonische Krämpfe des Fazialis, Konvulsionen und Lähmungen 
der entgegengesetzten Seite beobachtet; letztere erstrecken sich 
in gleichem Maße auf die obere und untere Extremität. Im End- 
stadium finden wir Krämpfe und Lähmung aller Extremitäten, 
teilweisen oder gänzlichen Verlust der Sprache, immer mehr zu- 
nehmende Bewußtlosigkeit, K er n igsche Flexionskontrakturen, 
kahnförmig eingezogenen Leib und unwillkürliche Harn- und 
Stuhlentleerung nach vorhergegangener Stuhlverstopfung und 
Urinverhaltung. Der Urin enthält nicht selten Eiweiß und nicht 
selten Pepton und Zucker. Lokale Symptome in den Hirnnerven 
entstehen hauptsächlich bei Meningitis basilaris; in den Extremi- 
täten bei Meningitis convexitatis. Im Blute wird nicht selten 



286 XXIX. HEIMANN. 

eine starke Vermehrung der weißen Blutkörperchen beobachtet- 
Dieses Symptom wird aber auch beim Warzenfortsatzempyem 
und bei Sinusthrombose angetroffen. Oft stellt sich Herpes am 
Mund, Lippen, Naseneingange ein. Die Meningitis, welche nach 
dem Durchbruche eines Himabszesses entsteht, hat einen ungemein 
raschen, stürmischen, apoplektiformen Verlauf und, wenn sie beim 
Hirnabszeß zum Vorschein kommt, sind ihre Symptome vor- 
herrschend und die Merkmale des Abszesses können ganz ver- 
deckt werden. 

Plötzliche Verschlechterung des Hörvermögens auf der ge- 
sunden Seite spricht mehr für Meningitis als für Hirnabszeß, ob- 
gleich dieses Symptom, wie schon erwähnt wurde, auch beim 
Himabszeß vorkommen kann. 

Da die Fernwirkung des Kleinhirnabszesses zum Teil auf 
dem Wege der Meningen erfolgt, so werden sich die Erscheinungen 
beider Krankheiten zeitweise decken. 

Otitische Abszesse in der Hirnsubstanz und Sinusphlebitis 
verlaufen bei Kindern bisweilen unter meningitischen Symptomen 
und werden oft irrtümlich für Meningitis gehalten. In anderen 
Fällen können sie neben Menidgitis bestehen, ohne charakteristische 
Symptome zu machen, so daß die Meningitis allein in Er- 
scheinung tritt. 

In manchen Fällen können die bestehenden Symptome un- 
mittelbar zu einer Fehldiagnose führen, indem entweder bei 
Meningitis das Bestehen einer anderen Komplikation oder um- 
gekehrt beim Vorhandensein einer anderen intrakraniellen Er- 
krankung Meningitis vorgetäuscht wird. B rieger z. B. be- 
obachtete einen Fall von Großhirnabszeß, der die ausgeprägten 
Erscheinungen einer Meningitis bot. Das gleiche kommt auch 
mitunter bei Extraduralabszeß vor. 

Beim Überwiegen von Allgemeinerscheinungen im Krank- 
heitsbild kann der Eindruck einer allgemeinen septischen Er- 
krankung hervorgerufen werden. Auch muß man sich vergegen- 
wärtigen, daß ein umschriebener Herd die Erscheinungen einer 
ausgebreiteten Meningitis machen kann, während andererseits 
Herdsymptome einen Hirnabszeß vortäuschen können. 

Hirnabszeß und Meningitis serosa haben nahe verwandte, 
nicht selten identische Symptome. Letztere Krankheit stellt auch 
Symptome der diffusen Meningitis dar^ doch prävalieren die 
Hirndrucksymptome. Von den allgemeinen Hirnsymptomen ist 
Neuritis optica und frühzeitige und tiefe Benommenheit des Be- 



Diagnose des otitischen Hirnabszesses. 287 

wußtseins für die Meningitis serosa gegenüber dem Himabszeß 
charakteristisch. Nackenstarre, Opisthotonus, Pupillendifferenz, 
Strabismus, Kopfschmerz, Schwindel, Erbrechen, Obstipation, 
Pulsverlangsamung, Temperaturkurve und von Herdsymptomen, 
Sprachstörungen, sind beiden Krankheiten in gleicher Weise 
eigentümlich. Gangstörungen, für Kleinhimabszeß ein so wich- 
tiges Symptom, überwiegen unbedingt bei der Meningitis serosa. 
Bei letzterer werden ernste Sehstörungen, wie Amaurose und 
Amblyopie recht häufig beobachtet. Taubheit, Geschmacks- und 
Geruchsverlust, auch doppelseitige Paresen und Lähmungen, 
z. B. beider Beine, beider Arme, beider N. N. faciales, beider N. N. 
abducentes, werden bei der Meningitis serosa nicht selten an- 
getroffen. Diese Störungen kommen zuweilen auch halbseitig 
vor, und es würde ihr gekreuztes Auftreten gegen Hirnabszeß 
und für Meningitis sprechen. Krampfanfälle sind für die Menin- 
gitis serosa charakteristisch und sie werden in einem Drittel aller 
Fälle beobachtet (Koch). Sie wurden zwar auch hie und da 
beim Kleinhirnabszeß angetroffen, aber fast in allen diesen Fällen 
war Hydrocephalus internus vorhanden. Der Hauptunterschied 
liegt im Verlaufe. Die Meningitis serosa entwickelt sich plötzlich 
mit schweren Hirnsymptomen, die nach einigen Tagen und sogar 
Stunden vollständig schwinden, ohne etwaige Folgen zu hinter- 
lassen. Der Abszeß aber in manifestem und Endstadium ent- 
wickelt sich stetig weiter bis zum Ende und seine Symptome 
dauern höchstens einige Wochen, oft nur einige Tage, während 
die Anfälle der Meningitis serosa Monate, sogar Jahre hindurch 
sich wiederholen können (Koch). Den wichtigsten Anhaltspunkt 
zur Differentialdiagnose dieser beiden Krankheiten bildet die 
Lumbalpunktion. Im allgemeinen ist die Meningitis serosa öfter 
die Komplikation eines otitischen Kleinhirnabszesses als einer ge- 
wöhnlichen Ohreiterung. 

Tuberkulöse Meningitis und Hirnabszeß. Hier ist 
zu bemerken, daß erstere vorwiegend bei Kindern bis zum zehnten 
Lebensjahre vorkommt, während der Hirnabszeß in diesem Alter 
relativ selten ist. Aber auch bei Erwachsenen wird sie bis zum 
30. Lebensjahre hie und da beobachtet Gewöhnlich ist sie von 
allgemeiner Tuberkulose begleitet, doch können die sonstigen 
Erscheinungen der letzteren in den Hintergrund treten und die 
Meningealaffektion den Eindruck einer Primärerkrankung machen. 
Die tuberkulöse Meningitis ist häufig bei Kindern von Prodromal- 
erscheinungen begleitet. Sie magern ab, werden schwach, traurig^ 



288 XXIX. HEIMANN. 

reizbar, der Schlaf ist unruhig und sie klagen oft über Kopf- 
schmerzen, die durch Ermüdung oder geistige Arbeit hervor- 
gerufen werden. Ein solcher Zustand kann wochenlang bestehen. 
Dann zeigt sich ohne jeden Grund Erbrechen, das gewöhnlich 
auf einen Diätfehler bezogen wird, und die Kopfschmerzen werden 
heftiger. Rasch danach entwickeln sich allgemeine Hirn- 
erscheinungen, die ganz dieselben sind, wie beim Hirnabszeß: 
Somnolenz, Delirien, Konvulsionen, Nackensteifigkeit, Pupillen- 
differenz, Schwindel, Stuhl Verstopfung, Pulsverlangsamung bis 
40 Schläge in der Minute. Die Temperatur steigt in mäßigem 
Grade (38,5). Von Herdsymptomen wird Aphasie, auch eine 
schwach ausgesprochene Neuritis optica beobachtet. Die charak- 
teristischen Chorioidealtuberkel können häufig fehlen. In der 
zweiten Krankenwoche oder am Ende der ersten treten Er- 
scheinungen im Gebiete der Hirnnerven auf, also Strabismus, 
Ungleichheit der Pupillen, geringe Ptosis, Parese des Fazialis. 
Die Somnolenz geht in Koma über, der Kopf wird, wenn dies 
nicht schon vorher geschah, nach hinten geneigt gehalten und 
die Extremitäten können rigide werden. Häufig bestehen auch 
lokale Konvulsionen oder Paralysen, Hemiplegie oder Lähmung 
eines Armes oder des Gesichts, selten eines Beines oder des Ge- 
ichts. Die Paralyse ist entweder vorübergehend oder dauernd. 
Der Puls ist sehr beschleunigt (140 — 180). Die Respiration ist 
erschwert oder unregelmäßig. Die Temperatur ist mäßig hoch 
oder subnormal. Der Kranke stirbt im Koma. Zuweilen tritt 
vor dem Tode eine scheinbare Besserung ein. Ist nur die Kon- 
vexität affiziert, was jedenfalls selten vorkommt, so fehlen Symp- 
tome von Seiten der Hirnnerven, und Erbrechen ist auch seltener. 
Delirien, Konvulsionen und Rigidität der Extremitäten sind die 
Hauptsymptome. 

Infolge der Gemeinsamkeit vieler allgemeiner und -lokaler 
Symptome bei dem Hirnabszeß und der tuberkulösen Meningitis 
und durch die zufällige tuberkulöse Erkrankung anderer Organe 
bei einem Kranken mit otogenera und zunächst nicht tuberkulösem 
Kleinhirnabszeß, welcher häufig während des Verlaufes Neigung 
zeigt, tuberkulös zu werden, können diagnostische Schwierigkeiten 
oft unüberwindlich sein, hauptsächlich wenn man daran denkt, 
daß bei Kindern eine akute eiterige Mittelohrentzündung heftige 
Kopfschmerzen, Erbrechen, Fieber, Delirium, Schwindel, Konvul- 
sionen, Strabismus und mehr oder weniger ausgesprochene Neu- 
ritis optica hervorrufen kann, und daß ein Hirnabszeß unter dem 



Diagnose des otitischen Uirnabszesses. 289 

Bilde der Meningitis oft verläuft. Im besten Falle kann man 
nur eine Wabrscheinlichkeitsdiagnose stellen. Wenn bei einem 
Kinde, das hereditär nicht belastet ist, eine sich hinziehende akute 
oder chronische Ohreiterung besteht, plötzlich starke Ohren- und 
Kopfschmerzen, Erbrechen und andere Symptome des gesteigerten 
intrakraniellen Druckes zum Vorschein kommen, bei normaler 
oder subnormaler Temperatur; wenn Krämpfe und Bewußtlosigkeit 
auftreten und das Bewußtsein in den Pausen zwischen den Kon- 
vulsionen klar ist und andauernd klar bleibt, so spricht dies 
ceteris paribus für einen Himabszeß. In solchen Fällen spricht 
Nackensteifigkeit, Pupillendifferenz, Zwangsstellung der Bulbi, 
Gleichgewichtsstörungen und Zwangsbewegungen für einen Klein- 
himabszeß. Ausgesprochene Neuritis optica am Ende der ersten 
Krankheitswoche spricht für letztere Krankheit. Entscheidend für 
die tuberkulöse Meningitis ist der Befund von Tuberkeln in der 
Chorioidea und Tuberkelbazillen in der nach der Lumbalpunktion 
erhaltenen Flüssigkeit, wie auch Lymphozyten in dem Sediment 
des Liquor cerebrospinalis und seine leichte Gerinnbarkeit. 
Tuberkeln und Tuberkelbazillen können aber häufig fehlen. Es 
kann auch die Punktion des Arachnoidalsackes nach voraus- 
gegangener Aufmeißelung vorgenommen werden. 

Bei größeren Kindern und Erwachsenen sind die Symptome 
der Meningitis tuberculosa dieselben wie bei kleinen Kindern, nur 
Prodrome und Krämpfe sind seltener. Puls und Temperatur 
können sich so verhalten, wie beim Abszeß. Schnell zunehmende 
Bewußtlosigkeit, Delirien, ausgebildete Nackenstarre und gekreuzte 
Störungen der Motilität und Sensibilität sprechen mehr für 
Meningitis, deren Charakter durch Untersuchungen an anderen 
Organen, durch genau durchgeführte Anamnese bis zu einem ge- 
wissen Grade sich feststellen läßt. Ist tuberkulöse Karies des 
Mittelohrs und seiner Nebenräume vorhanden, so ist die ent- 
stehende Meningitis wahrscheinlich eine tuberkulöse, es kann aber 
auch ein Hirnabszeß vorhanden sein. Entstehen bei einem Kinde 
oder Erwachsenen die erwähnten allgemeinen und örthchen 
Symptome bei gesundem Gehörgange und bei Symptomen von 
Tuberkulosis in anderen Körperteilen, so kann ein Hirnabszeß 
entschieden ausgeschlossen werden. 

Ein Tuberkelkonglomerat im Hirne führt zum tuberkulösen 
Hirnabszeß in der Weise, wie es zuerst Virchow geschildert 
hat. Ein solcher Knoten hat seinen Lieblingssitz zwischen grauer 
und weißer Hirnsubstanz. Kolliquiert sein käsiger Inhalt, was 

Archiv f. Ohrenheilkiinde. 73. Bd. Festschrift. 19 



290 XXIX. HEIMANN. 

nicht häufig geschieht, so liegen mitten im Knoten kleine, mit 
trüber molkiger Flüssigkeit gefüllte Höhlen. Um diesen Knoten 
bemerkt man auch zuweilen eine Eiterschicht, oder sogar die 
ganze Masse ist eitrig. Ein solcher Abszeß könnte leicht für 
einen idiopatischen resp. für einen otitischen angesehen werden, 
er unterscheidet sich dadurch von diesem, daß er mehr oder 
weniger Tuberkelbazillen enthält Die Symptome sind dieselben 
wie die eines otitischen Hirnabszesses^ man wird aber immer 
gleichzeitig Veränderungen verschiedenen Grades in den Lungen 
oder in anderen Organen auffinden. Zuweilen kommt es vor, 
daß zum wirklichen otitischen Hirnabszeß Lungentuberkulose 
hinzukommt; wie ich es einmal beim Kleinhirnabszeß zu kon- 
statieren Gelegenheit hatte. Die tuberkulösen Hirnabszesse ent- 
stehen am häufigsten infolge von Schädel- ev. Schläfenbeintuber- 
kulose. 

Ein otitischer Hirnabszeß mit Meningitis cerebro- 
spinalis epidemica ist wohl schwer zu verwechseln. Wenn 
neben Ohreneiterung die Symptome der Meningitis, der heftige 
Kopfschmerz, die Retraktion des Kopfes, die kutane Hyperästhesie, 
Delirien, Rückenschmerz, Muskelrigidität, Schmerzhaftigkeit der 
Nackenrauskeln und Herpes labialis usw. sich entwickeln, so 
reichen diese Symptome, abgesehen vom epidemischen und in- 
fektiösen Charakter der Krankheit, vollständig aus, um eine 
richtige Diagnose zu stellen. Kreuzschmerzen sind auch beim 
Kleinhirnabszeß angegeben (Okada). 

Sinusthrombose und Hirnabszeß. Eine Verwechselung 
dieser beiden Komplikationen der Ohreiterung kommt selten vor. 
In den meisten Fällen wird Sinusthrombose mindestens im Be- 
ginne von Kopfschmerz und Erbrechen begleitet. Der Kopfschmerz 
ist bald diffus, bald auf die ohrkranke Seite beschränkt; der 
Schmerz kann auch ins Ohr verlegt werden. In Fällen, wo nicht 
gleichzeitig Hirnabszeß oder Meningitis besteht, ist das Bewußt- 
sein anfangs nicht gestört, später ist Bewußtseinsstörung in ver- 
schiedenem Grade ausgesprochen. Es kommen aber auch Fälle 
mit starken Bewußtseinsstörungen schon von Anfang an vor. Ich 
habe mehrere Fälle von ausgesprochener Septiko-Pyämie beob- 
achtet, wo bei der Autopsie stark ausgebreitete eitrige, vorwiegend 
Basalmeningitis angetroffen, und bei Lebzeiten das Bewußtsein 
erst einige Stunden vor dem Tode in nicht hohem Grade getrübt 
wurde, abgerechnet die Betäubung, die vom infektiösen Prozesse 
abhängig war. Psychische Depression, leichte Benommenheit 



Diagnose des otitischen Hirnabszesses. 291 

und allgemeiner Kräfteverfall sind sehr häufig. Neuritis optica 
wird selten angetroffen (L entert, Hansen). Körner hat sie 
nie bei Affektion des Sinus transversus beobachtet. Sie soll bei 
Erkrankung des Sinus cavernosus vorkommen. Für Jansen hat 
die Neuritis optica bei Sinusthrombose einen diagnostischen Wert. 
Das wichtigste unterscheidende Symptom der pyämischen In- 
fektion vom Hirnabszeß ist das charakteristische, pyämische 
Fieber mit seinen Schüttelfrösten und der rapide ansteigenden 
und abfallenden Temperatur (41,5—36,2) unter starkem Schweiß- 
ausbruch. Bei Kindern kann der Frostanfall und der Schweiß 
fehlen, aber auch das Fieber selbst zeigt nicht immer bei ihnen 
die pyämische Kurve, selbst bei Vorhandensein von Metastasen. 
Der Puls verhält sich entsprechend der Temperatur, bei vor- 
handener Sepsis ist er auch während der Apyrexie beschleunigt. 
Es wird aber auch Pulsverlangsamung bis 42 in seltenen Fällen 
beobachtet (Kessel). Metastatische Hirnabszesse sind sehr selten 
und sind gewöhnlich multipel, es kann aber auch nur ein Abszeß 
im Hirn vorhanden und sogar operabel sein. Bei Ohreiterungen 
sind die metastatischen Abszesse vorwiegend peripherisch, d. h. in 
den Gelenken, im Unterhautzellgewebe und in den Muskeln, 
seltener schon werden sie in den Lungen, und am seltensten in 
anderen Organen angetroffen. 

Von äußerlichen Zeichen, welche die Phlebothrombose charak- 
terisieren, sind Schädigungen der Nerven, welche das Foramen 
jugulare passieren (Vagus, Acce8Sorius,Glossopharyngeus), wie auch 
des Hypoglossus zu verzeichnen. Ferner gehören hierher schmerz- 
haftes Odem am hmteren Bande des Warzenfortsatzes, Odem der 
Augenlider (bei Erkrankung des Sinus cavernosus), stärkere Füllung 
der Stirn venen auf der kranken Seite und ungleiche Füllung der 
Jugulares externae. Manchmal läßt sich deutlich ein harter schmerz- 
hafter Strang der thrombosierten Vene und des infiltrierten benach- 
barten Bindegewebes durchfühlen. Die Bewegung des Kopfes nach 
der gesunden Seite sowie Drehung ist schmerzhaft. Heiserkeit, 
Aphonie und Atemnot sind häufig da. Auch Krämpfe im Gebiete 
des Accessorius, Schlucklähmung (Beck), Gaumenmuskellähmung, 
schmerzhafte Schwellung des Nackens treten in Erscheinung. Die 
Verstopfung des Sinus cavernosus verrät sich durch Symptome von 
Stauungserscheinungen im Gebiete der V. ophtalmica und in 
Schädigung eines oder mehrerer Nerven, die mit dem Sinus 
cavernosus in Berührung stehen. Hohes anhaltendes Fieber, 
schwacher und sehr beschleunigter Puls, Störungen des Bewußt- 

19* 



292 XXIX. HEIMANN. 

seins, ausgesprochener Verfall der Kräfte bilden Symptome einer 
septischen Intoxikation. 

Bei Kindern verläuft zuweilen die unkomplizierte Sinus- 
Phlebitis unter sogenannten meningitiseben Erscheinungen und ist 
in solchen Fällen nicht zu diagnostizieren. Die Lumbalpunktion 
kann gewisse Aufklärung bringen. 

Ist Sinusthrombose mit Himabszeß kompliziert, oder ist gleich- 
zeitig Leptomeningitis vorhanden, dann sind die Erscheinungen 
der allgemeinen Infektion so ausgesprochen, daß die übrigen Sym- 
ptome bis zu einem gewissen Grade verdeckt werden. In vielen 
derartigen Fällen ist der Abszeß klein und kommt erst nach der 
Thrombose zur Entwicklung (Mac e wen). 

HirnabszeB und Apoplexie. Das Endstadium des Hirn- 
abszesses, eventl. sein Durchbruch in einen Seitenventrikel oder 
auf die Hirnoberfläche kann manche Ähnlichkeit mit einem apo- 
piektischen Anfall haben, hauptsächlich dann, wenn beim Hirn- 
abszeß das ätiologische Moment unberücksichtigt bleibt. Auf der 
anderen Seite aber kann Apoplexie, wenn gleichzeitig Ohreiterung 
besteht, irrtümlich für einen Himabszeß angesehen werden. Bei 
der Apoplexie dominieren wie beim Abszeß zwei Kategorien von 
Erscheinungen, u. z. die allgemeinen und örtlichen. Dem Anfall 
können bestimmte Vorboten, wie Kopfschmerz, Schwindel, geringe 
geistige Störungen, leichte Sprachaffektionen vorangehen und diese 
Symptome können bei vorhandener Ohreiterung Verdacht auf 
einen latent verlaufenden und ruptuierten Hirnabszeß erregen. 
Die Apoplexie kommt aber vorwiegend in späterem Alter vor, 
die Hirnabszesse sind dagegen am häufigsten bis zum Ende des 
dritten Dezennium. Von den Allgemeinerscheinungen ist bei der 
Apoplexie die Bewußtlosigkeit, und von den lokalen die Hemi- 
plegie am deutlichsten ausgesprochen. Der apoplektische Anfall 
tritt meist plötzlich auf; der Kranke fällt fühllos zusammen, nach 
einigen Minuten oder längerer Zeit wird er teilweise oder öfter 
vollständig bewußtlos, die Motilität und Sensibilität sind gänzlich 
erloschen, und der Kranke kann in einigen Stunden, manchmal 
in einer Stunde und sogar in einigen Minuten sterben. Der Puls 
ist im allgemeinen zuerst verlangsamt, häufig klein und kaum 
wahrnehmbar, zuweilen beschleunigt. Die Temperatur fällt meist 
eine Stunde nach dem Anfall und kann sogar unter 35^ im 
Rektum sinken und so bleiben bis zum Tode, oder sich zur nor- 
malen heben. Eine Konvulsion kann den Anfall einleiten, in der 
Segel fehlt sie. Der Kranke kann sich in bestimmten Fällen er- 



Diagnose des otitischen Himab'szesses. 293 

holen, die Allgemeinerscheinungen treten zurück, nur die Hemi- 
plegie bleibt Die Ruptur des Abszesses wird fast immer von 
Schüttelfrost und erhöhter Temperatur, ungemein heftigen, 
starken Kopfschmerz und Erbrechen begleitet; der Puls ist sehr 
beschleunigt, auch kommen andere Symptome einer akutesten Me- 
ningitis, von denen oben die Rede war, zum Vorschein. Diese 
letzteren Fälle endigen immer tödlich. Außerdem kann man sich 
beim Hirnabszeß in den meisten Fällen überzeugen, daß bestimmte 
allgemeine Hirnerscheinungen und nicht selten lokale Symptome 
schon vorher eine mehr oder minder längere Zeit vorhanden, 
waren, während beim apoplektischen Anfall diese meist fehlen 
und, wenn sie zum Vorschein kamen, so waren sie nicht so deut- 
lich^ nicht so mannigfaltig und von viel kürzerer Dauer. 

Hirnabszeß und Tumor. Hier ist die Ätiologie von 
größter Bedeutung. Das Fehlen einer jeden Ursache spricht für 
einen Tumor. Deutliche Herderscheinungen, langsame, allmähliche 
Zunahme der Symptome von gleichförmigem Verlauf, besonders 
mit progressiver Paralyse der Himnerven, sehr intensive Neuritis 
optica mit häufig progressiver Blindheit, zuweilen Hemianopsie, 
allgemeine und lokale Krämpfe, allgemeine Muskelschwäche, an- 
fallsweiser Bewußtseinsverlust, sprechen zu gunsten einer Neu- 
bildung. Das Zurückgehen schwerer Symptome deutet auf einen 
Tumor. Die Temperatur unterliegt keinen Schwankungen beim 
Tumor; auch beim Abszeß ist der Zustand meistens afebhl und 
die Temperatur kann sogar subnormal sein. Bei letzterer Affektion 
aber werden hie und da infolge anderer hinzutretender Him- 
komplikationen Temperaturschwankungen und zuweilen leichte 
Temperatursteigerungen während des Verlaufs beobachtet. Tem- 
peratursteigerung kommt gewöhnlich nur im Endstadium vor. 

Rapide Entwicklung akuter und schwerer Hirnsymptome, 
nachdem vorher leichte Anzeichen einer Hirnaffektion bestanden 
haben, spricht für einen Abszeß. Beiden Krankheiten gemein- 
same Symptome sind Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen, 
geistige Benommenheit, Neuritis optica, die jedoch beim Abszeß 
seltener und nicht so deutlich ausgesprochen ist, als beim Tumor, 
und cerebelläre Ataxie bei Kleinhirntumor. Die Neuritis optica 
ist zuweilen ein sehr frühes Symptom, besonders bei Kleinhirn- 
geschwulst und bei Erkrankung der Vierhtigel, bei Großhimtumor 
tritt sie oft erst spät ein. Beim Tumor finden sich auch oft Kon- 
vulsionen, ehe noch irgend welcher Verdacht auf eine Neubildung 
vorhanden ist. Obgleich beim Tumor der Verlauf der Symptome 



294 XXIX. HEIMANN. 

in der Regel ein langsamer nnd allraählicher ist, so ist er doch 
selten gleichförmig. Doch hier kommen auch Ausnahmen vor. 
Bei langsam wachsenden Neubildungen kann der Prozeß ebenso 
wie beim Abszeß intermittierend sein, und es können für einige 
Zeit stationäre Stadien eintreten. Zuweilen treten beim Tumor 
Druckaffekte sehr schnell hervor, z. B. ein gesunder Fazialis kann 
in einigen Tagen vollständig gelähmt werden, in anderen Fällen 
kann wieder eine rasche Steigerung der Symptome eintreten in- 
folge lokaler, durch die Geschwulst hervorgerufener Meningitis. 
Häufig folgt vorübergehende oder dauernde hemiplegische Schwäche 
nach einseitigen Krämpfen, oder auch ohne die letzteren. Bei 
nachweisbarer Syphilis ist es wahrscheinlich, daß der Tumor 
syphilitischer Natur ist, eventl. eine gummöse Geschwulst bildet, 
die unter gewissen Umständen zerfallen und so das undeutliche 
Bild eines Hirnabszesses geben kann. Die Diagnose kann wie 
beim tuberkulösen Abszeß nur eine Wahrscheinlichkeitsdia- 
gnose sein. 

Das intrakranielle Aneurysma bildet auch einen Tumor, und 
gibt Symtome, die oft ganz denjenigen eines anders gearteten 
Tumors gleichen. Der einzige Unterschied ist die Anwesenheit 
eines hörbaren Aneurysmageräusches, das deutlich im Schädel 
lokalisiert ist. 

In seltenen Fällen kann neben Ohreiterung und otitischem 
Hirnabszeß eine Neubildung bestehen, was die vollständig richtige 
Diagnose sehr erschwert und sogar unmöglich machen kann. 

Hysterie kann unter Umständen bei einer Ohr- und Schläfen- 
beineiterung und bei kurzdauernder Beobachtung einen Hirnabszeß 
vortäuschen, hauptsächlich, wenn Kopfschmerz oder Erbrechen 
bestehen. Der plötzliche Ausbruch nach Gemütsaffektionen und 
das Fehlen aller Symptome einer organischen Krankheit und 
einer Neuritis optica, die Art und Weise des Entstehens der sub- 
jektiven Symptome, wie auch der Umstand, daß hysterische In- 
dividuen große imitative Tendenz besitzen, lassen meist die richtige 
Diagnose stellen. Hemianästhesie, Störungen in den Spezialsinnen 
ohne gleichzeitige motorische Lähmung gehören zu den seltensten 
Effekten des Hirnabszesses und Hirntumors. 

Es kommt auch vor, daß ein Hirnabszeß für Hysterie ge- 
halten wird, weil die Kranke weiblichen Geschlechts ist und weil 
andere hysterische Symptome vorhanden sind. Um diagnostische 
Irrtümer soweit wie möglich zu vermeiden, dürfen die bestehen- 
den Symptome der Hysterie niemals die Diagnose beeinflussen, 



Diagnose des otitischen Himabszesses. 295 

bis entschieden ein organisches Hirnleiden ausgeschlossen werden 
kann. Eine genaue Kenntnis der Hysterie (Oppenheim) und 
eine genaue Kenntnis des Hirnabszesses (Körner), sowie eine 
reiche Erfahrung auf diesem Gebiete gewährt den sichersten 
Schutz vor diagnostischen Mißgriffen. Andererseits darf nicht 
vergessen werden, daß die Diagnose der Hysterie in den meisten 
Fällen keine nennenswerten Schwierigkeiten darbietet bei Berück- 
sichtigung der Art der Entstehung des Leidens, des Verlaufes 
desselben und der Gegenwart gewisser charakteristischer Sym- 
ptome. Die Erfahrung lehrt aber doeh, daß die Hysterie häufig 
zu diagnostischen Irrtümern Anlaß gibt, und daß die Unter- 
scheidung, ob gewisse Symptome der Hysterie angehören oder 
nicht, selbst für den erfahrenen Beobachter zu einem sehr schwie- 
rigen Problem sich gestalten kann. Handelt es sich darum, fest- 
zustellen, ob im gegebenen Falle Hysterie vorliegt, so hat man 
in erster Linie nach dem Vorhandensein der Stigmata der Krank- 
heit zu forschen. Diese bestehen in psychisch - somatischen 
Störungen, wie: Anästhesien, hysterogenen Zonen, anfallsweise 
auftretenden Krämpfen u. s. w. An die Aufsuchung der Stigmata 
muß sich zunächst die Nachforschung nach sicheren Zeichen 
einer organischen Erkrankung resp. eines Hirnabszesses anschließen. 
Aber leider sind die dafür sprechenden Symptome nicht ganz 
selten bei der Hysterie. Außer gewissen Symptomen läßt die 
Art der Entstehung und weiteren Entwicklung der Krankheit ge- 
wisse Schlüsse über den Charakter des Leidens zu. Bei der 
Hysterie zeigt das Leiden sehr selten einen gleichmäßig fort- 
schreitenden Gang. Schwere Störungen können ohne Besserung 
des Allgemeinzustandes plötzlich schwinden. Anfälle voi;i jähem 
Hervortreten neuer, wie plötzlicher Beseitigung länger bestehender 
Symptome deuten auf Hysterie. Eine Reihe von hysterischen Er- 
scheinungen (Anästhesien, Hyperästhesien, paretische Zustände, 
Kontrakturen, Tremor) kann von einer Körperhälfte auf die andere 
überspringen. Auch die Zusammengruppierung des Symptome 
gibt wertvolle diagnostische Anhaltspunkte, so z. B.: die hyste- 
rische Hemianästhesie vergesellschaftet sich nicht mit Hemiopie, 
die hysterische Paraplegie mit Anästhesie, welche sich auf die 
Beine beschränkt. 

Wie weit die Hysterie schwere Hirnkomplikationen vortäuschen 
kann, dafür möge als Beispiel ein Fall von Boissard dienen. 

Eine 45jährige Kranke wird plötzlich von heftigem Kopfschmerz und 
Erbrechen zerebralen Charakters befallen. Die Pupillen waren verengt, der 



296 XXIX. HEIMANN. 

Puls verlangsamt (48 in der Minute) auch Obstipation fehlte nicht. Die 
Temperatur war normal. Es wurde an Meningitis tuberculosa gedacht, da 
einige Mitglieder ihrer Familie an Lungenschwindsucht zugrunde gegangen 
waren. Nach einigen Tagen trat jedoch Besserung ein, es stellte sich rechts- 
seitige Hemianästhesie ein, und alsbald war die hysterische Natur de& 
Leidens zweifellos. 

Ich beobachtete vor einigen Jahren einen jungen Mann von 26 Jahren, 
bei dem infolge einer rechtsseitigen chronischen Ohreiterung die Eröffnung 
des Warzenfortsatzes ausgeführt wurde. Der Kranke klagte fortwährend 
über Symptome, die einem Himabszeß eigen sind. Es wurde von einem 
Chirargen vergeblich zweimal trepaniert und die Himsubstanz exploriert. 
Das ganze Verhalten des Kranken war das eines Hysterikers, der weitere 
Operationen am Schädel verlangte. 

Die Neurasthenie kann auch manchmal Anlaß dazu 
geben, daß der Verdacht eines Himabszesses bei bestehender 
Ohreiterung aufkommen kann. Der Hirnabszeß kann in seiner 
Anfangsperiode Symptome aufweisen, die sich bei der Neurasthenie, 
speziell bei der cerebralen, finden. Im Laufe der Zeit aber 
treten zu den zweideutigen Symptomen beim Hirnabszeß solche 
hinzu, die unzweifelhaft auf anatomischen Veränderungen beruhen. 
Je länger es aber zu einer Entwickelung von Symptomen einer 
organischen Läsion nicht kommt, desto bestimmter muß ceteris 
paribus Neurasthenie angenommen werden. Daß sich neuras- 
thenische Symptome durch ihren flüchtigen Charakter auszeichnen, 
ist nicht ganz richtig. In vielen Fällen sind diese Symptome 
sehr hartnäckig, so insbesondere die Kopfeingenommenheit, die 
nervöse Asthenopie, die Herabsetzung der geistigen Arbeitskraft 
Schwächezustände der Beine usw., Symptome, die nicht immer 
für harmlos angesehen werden können, da sie beim Hirnabszeß 
nicht selten vorkommen. Andererseits zeigt der Hirnabszeß 
wenigstens bezüglich eines Teiles seiner Symptome sehr oft er- 
hebliches Schwanken. Der Kopfschmerz erreicht bei Neur- 
asthenischen selten ohne besondere Veranlassung höhere Grade 
und dauert noch seltener in größerer Intensität längere Zeit an. 
Perkussionsempfindlichkeit des Schädels ist nicht vorhanden, 
ebenso verhält es sich mit dem Schwindel. Bei Neurasthenie 
mangelt Erbrechen, beim Hirnabszeß fehlt es fast nie. Geistige 
Depression, auffälliger Wechsel der Stimmung, flüchtige Schwäche- 
zustände, Differenzen der Pupillenweite sind beiden Krankheiten 
gemeinsam. Die beim Hirnabszeß seltene Hyperästhesie der be- 
haarten Kopfhaut ist häufig bei der Neurasthenie. Andauernde 
Veränderungen der Sprache anarthrischer und aphasischer - Natur 
fehlen bei der Neurasthenie, obgleich in seltenen Fällen Para- 
phasie, Wortamnesie und Paragraphie vorkommen kann. Von 
motorischen Störungen mangeln überhaupt bei Neurasthenie 



Diagnose des otitischen Hirnabszesses. 297 

länger andauernde Lähmungen an den Extremitäten. Lähmungs- 
erscheinnngen des Fazialis und der Augenmuskeln; Myosis, reflek- 
torische PupiUenstarre, mangelhafte Lichtreaktion, geringe Paresen 
in den erwähnten Nervengebieten müssen schon als gegen die 
Neurasthenie sprechend betrachtet werden. Der Puls ist bei der 
Neurasthenie durchschnittlich 80 — 100 in der Minute. Die bei 
Neurasthenie vorkommende Herabsetzung des Gehörs für Flüster- 
sprache, Stimmgabel und für die Kopfknochenleitung ist laby- 
rinthärer Natur. Nach Bag ins ky sind diese Störungen zentraler 
Herkunft. Sie werden aber nur bei traumatischer Neurasthenie 
beobachtet. 

Koma diabeticum kann in vereinzelten Fällen, bei an 
Ohreneiterung leidenden Personen, gewisse Ähnlichkeit mit Hirn- 
abszeß in der Terminalperiode haben und somit zu diagnostischen 
Fehlern Anlaß geben, hauptsächlich, wenn das Koma plötzlich 
auftritt und wenn man den Kranken das erste Mal zu sehen 
Gelegenheit hat. Beim Koma sind die Kranken vollständig be- 
wußtlos oder somnolent. Das Koma ist selten von dämmerndem 
Bewußtsein unterbrochen. Zeitweise kommen unbedeutende 
klonische Krämpfe vor; man beobachtet Mydriasis und Starrheit 
der Pupillen, die Lider sind halb geöffnet, der Puls ist klein und 
beschleunigt, die Temperatur sinkt weit unter die Norm nach 
vorheriger unbedeutender Steigerung; tiefe Inspirationen mit 
kurzen Expirationen und wachsende Cyanose. Die Anamnese 
ergibt in mehreren Fällen vorangegangenen Kopfschmerz, Schlaf- 
losigkeit, Unruhe, Angst, Schwindel und mehrere Tage anhaltende 
rauschartige Gefühle. Der stechende Acetongeruch, der aus dem 
Munde des Kranken dringt, reicht schon aus zur differentiellen 
Diagnose. Ein weiteres diagnostisches Moment ist Zucker im 
Harn und seine ausnahmslos starke Beaktion mit Eisenchlorid. 
Freilich kann neben dem Koma diabeticum ein otitischer Hirn- 
abszeß bestehen, seine Nichterkennung hat aber unter solchen 
Umständen keinen praktischen Wert. 

Uraemie kann auch bei eiterigen Otitiden Veranlassung 
zu Verwechselung mit Hirnabszeß geben. Man findet, wie be- 
kannt bei der ersteren Anfälle, die sich durch Bewußtlosigkeit, 
Koma, tonische oder klonische Krämpfe auszeichnen, und denen 
Kopfschmerz, Schwindel, Teilnahmslosigkeit bis zu leichter Be- 
nommenheit, gesteigerte Schläfrigkeit, nicht selten Übelkeit und 
Erbrechen und Pulsverlangsamung vorangehen. Bei abnorm 
hoher, andere Male abnorm niedriger Temperatur (42 — 30 o) 



298 XXIX. HEIMANN. 

werden lilhmuDgen, Kontrakturen, Muskelzittern seltener be- 
obachtet, noch seltener ist Manie, melancholische Verstimmung 
oder Delirium vorhanden. Die Berücksichtigung der verhinderten 
oder sehr verminderten Harnabsonderung mit ihren ursächlichen 
Momenten, wie auch die Untersuchung des Augenhintergrundes 
(Retinitis pigmentosa) werden fast ausnahmslos vor diagnostischen 
Fehlern schützen. Die Amaurose, welche nicht ganz selten ohne 
irgendwelche durch den Augenspiegel nachweisbare anatomische 
Veränderungen nach dem urämischen Anfalle auftritt, schwindet 
von selbst in kurzer Zeit, was beim Hirnabszeß nicht der Fall 
ist. Auch hier kann neben der die Urämie veranlassenden 
Krankheit und unabhängig von ihr ein otitischer Hirnabszeß 
vorhanden sein und seine Diagnose kann die größten Schwierig- 
keiten darbieten, öfter aber auch fast unmöglich zu stellen sein. 

Das Nacheinanderfolgen der Symptome beim Typhus hat 
etwas so eigentümliches, daß man kaum über dessen Charakter 
in Zweifel kommt; freilich darf man nicht auf eine solche Regel- 
mäßigkeit, besonders auch im Temperaturgange rechnen, wie sie 
das Schema für die Mehrzahl der Fälle angibt. Man muß darum 
den Kranken während einer gewissen Zeit beobachten. Leichter 
können Verwechselungen des Typhus mit Pyäraie als mit Hirn- 
abszeß vorkommen. Man muß aber auch daran denken, daß 
Typhusinfektionen ohne erhöhte Temperatur, mit verlangsamtem 
Puls, mit vorwiegenden Hirnsymptomen hie und da vorkommen, 
die Anlaß zu diagnostischen Fehlern geben können. Die genaue 
Kenntnis beider Krankheiten, längere und exakte Beobachtung, 
wie auch die Agglutinationsprobe wird meistens vot Fehlern und 
nicht entsprechender Therapie schützen. 

Ich wurde bis jetzt zweimal von Internisten konsultiert, wo 
der Verdacht auf otitischen Hirnabszeß vorlag; die genaue Unter- 
suchung und Berücksichtigung aller Symptome überzeugte uns, 
daß man es mit Typhus abdominalis zu tun hatte. In einem 
von diesen Fällen war sogar kein Ohrenleiden vorhanden und 
der Arzt stützte seine Diagnose auf beschränkten Kopfschmerz, 
Perkussionsschmerz , stechende Schmerzen im entsprechenden 
Ohre, Benommenheit, Erbrechen und erhöhter Temperatur. 

Die Epilepsie ist nicht schwer vom otitischen Hirnabszeß 
zu unterscheiden. Der epileptische Anfall zeichnet sich aus durch 
vollständigen Verlust des Bewußtseins, plötzliches Umfallen, deut- 
lich ausgesprochene Blässe des Gesichts, die rasch in Röte und 
Cyänose übergeht und sehr oft von lautem, durchdringendem 



Diagnose des otitischen Hirnabszesses. 299 

Aufschreien und Rigidität des Körpers begleitet ist. Sehr rasch 
stellen sich tonische, dann klonische Krämpfe ein. Man be- 
obachtet vollständigen Verlust der Sensibilität und jeglicher 
psychischer Prozesse. Die Pupillen sind erweitert und reaktions- 
ios, dabei Trismus, Opisthotonus, blutiger Schleim auf den Lippen, 
das Herz schlägt ungemein heftig, der Puls ist voll und rasch. 
Nach mehr oder weniger kurzer Zeit, höchstens aber nach einer 
Stunde, gewöhnlich nach 10—15 Minuten, schwindet der Anfall. 
Die Epilepsie kommt am öftesten bis zum 20. Lebensjahre vor, 
später ist sie recht selten (5 Proz. bis zum 30. Jahre). Bewußt- 
losigkeit, Krämpfe kommen zwar auch beim Hirnabszeß vor, und 
auch hier können die Anfälle nach einiger Zeit schwinden; hier 
wird aber häufig Neuritis optica beobachtet, die Krämpfe sind 
nicht so allgemein und werden von Lähmungen begleitet. 

Es sollen auch Verwechselungen zwischen Hirnabszeß und 
F. intermittens vorgekommen sein. Jedenfalls kann aber dia- 
gnostische Unsicherheit in solchen Fällen nur während einer sehr 
kurzen Zeit dauern, z. B. in den seltenen Fällen von Malaria, die 
ohne Fieber und ohne Milzvergrößerung verlaufen. Schon die 
hohe Temperatur, die bei F. intermittens konstant vorhanden ist, 
der lang anhaltende Schüttelfrost, der dem Hitzegefiihl vorangeht, 
die Untersuchung des Blutes reichen aus, um etwaige diagnostische 
Fehler zu vermeiden. Schüttelfrost und hohes Fieber sind, wie 
bekannt, beim Hirnabszeß im manifesten Stadium fast aus- 
geschlossen und werden nur in der Anfangs- oder Endperiode 
beobachtet. In letzterer tritt rasch der Tod ein, bei F. inter- 
mittens ist tödlicher Ausgang während des Anfalles ungemein 
selten. 

Als Kuriosum muß ich noch erwähnen, daß es mir vorge- 
kommen ist, zweimal in Fällen zu konsultieren, wo bei gewöhn- 
lichen umschriebenen rheumatischen und neuralgischen Schmerzen 
der Schläfenbeingegend, die paroxismal auftraten und bei Ab- 
wesenheit eines Ohrenleidens Verdacht auf otitischen Hirnabszeß 

vorlag. 

Aus all dem Gesagten ersieht man, daß die Diagnose des 
otitischen Hirnabszesses durchschnittlich mit einiger Sicherheit 
gestellt werden kann. Aber wie in allen Gebieten der Medizin 
fehlt es auch hier nicht an schwer zu deutenden, widerspruchs- 
vollen und unklaren Fällen. Wenn beim otitischen Hirnabszeß 
Fehldiagnosen noch recht häufig vorkommen oder wenn derselbe 
gar nicht diagnostiziert wird, so liegt es an der Krankheit selber. 



300 XXIX. HEIMANN. Diagnose des otitischen Himabszesses. 

die viel Ähnlichkeit mit den übrigen endokraniellen Kompli- 
kationen, die alle von einem Eiterherde im Gehörorgane abhängig 
sind, haben kann, femer daran, daß mehrere dieser Komplikationen 
gleichzeitig mit dem Abszeß in Erscheinung treten oder durch 
denselben entstehen und daher sein eigenes Krankheitsbild ver- 
decken und schließlich an der Ähnlichkeit der Symptome des 
Himabszesses mit denen anderer Allgemeinleiden, bei denen gar 
keine Eiterung vorhanden ist. Hoffen wir, daß mit dem Fort- 
schritt der Wissenschaft auch die diagnostischen Mittel des 
otitischen Himabszesses sich vervollkommnen werden. Es ist 
aber zweifelhaft, ob in der Zukunft ein otitischer Hirnabszeß 
jedesmal mit Sicherheit diagnostiziert werden wird, denn Irren 
liegt in der Menschennatur, nur muß man bestrebt sein, die Irr- 
tümer so weit wie möglich zu beschränken, und dazu kann nur 
weiteres Forschen, genaues Beobachten und richtiges Beurteilen 
führen. 



XXX. 

Kurze, zasammenfassende Übersicht 
der bisher publizierten Fälle letaler Ohrblutungen und 

Bericht Aber einen eigenen Fall 

Von 

A. de Forestier, Ohrenarzt in Libau. 



Die ersten 13 Fälle von tödlichen Ohrblutungen brachte 
Hermann Schwartze im Jahre 1878 in seiner pathologischen 
Anatomie des Gehör -Organs.*) Dazu kamen dann in der 
wichtigen Bearbeitung dieses Gegenstandes von Hessler im 
Jahre 1881 (Arch. f. 0. Bd. XVIII) dessen eigener und 6 ge- 
sammelte. Das sind die 20 älteren, gut kontrollierten Fälle. 

Politzer führt 1893 in der III. Auflage seines Lehrbuches 
3 weitere Fälle an. 

In Schwartzes Handbuch der Ohrenheilkunde, Band II, 
gibt Hessler im Literaturverzeichnis p. 617 noch Fälle von 
P. Marc6 und Toulmouche, Gruber, Bennet May, 
Körner, Zaufal an. 

In der neuesten Zeit finden sich in der mir zugänglichen 
deutschen Literatur die 3 Fälle von Zeroni (A. f. 0. Bd. 51), 
Abbe (Ztschft f. 0. Bd. 29 p. 222) und Heine (Blau und 
Jakob söhn Lehrbuch pag. 470). 

1) Anmerkung. H. Schwartze führt pag. 12— 15 Fälle von „Arrosion 
der Carotis cerebralis" an, von denen habe ich den Fall von Lavacherie 
nicht mitgezählt, weil hier im engeren Sinn nur die Zerreißungen der Carotis, 
die zu Ohrblutungen führten, addiert wurden. Der von Schwartze zitierte 
Kimmel'sche Fall kann als strittig weggelassen werden. Vollständig un- 
zulässig ist es jedoch, den Böke'schen Fall auszuscheiden, wie Hessler tut, 
einfach weil er die von Schwartze angegebene Quelle nicht finden konnte. 
Es sind mithin nicht 19, wie Hessler pag. 627 im Handbuch Band H zählt, 
sondern 20 Fälle bis 1893 beobachtet worden. 



302 XXX. FORESTIER. 

Aus der französischen Literatur hat, wie aus einem Referat 
im Centralblatt für Chirurgie, K 51, 1905 ersichtlich ist, Jourdin 
54 Fälle gesammelt. Derselbe hat ferner über 3 eigene Fälle 
berichtet. (Les 16sions du canal carotidien et les hemorrhagies 
de la carotide interne dans les caries du rocher. Annales des 
mal. de Toreille etc. Nov. 1904). Wie weit in dieser Statistik 
bereits verwertete Fälle wiederholt werden, konnte ich nicht 
kontrollieren, das muß durch Vergleich, besonders in Bezug auf 
die älteren, schon bei Schwartze zitierten französischen Fälle 
nachgeprüft werden. 

Wie leicht Ungenauigkeiten selbst gewissenhaften Forschern 
passieren können, geht aus des bekannten Warschauer Otologen 
Jürgens Arbeit über den gleichen Gegenstand hervor, der eine 
ganze Anzahl von Fällen doppelt aufzählt. Aus der eigenen 
Praxis führt er zwei Fälle an. (2 Fälle von Riß der carotis 
interna bei Erkrankungen des Mittelohrs. Wojennomedizinski 
shurnal. Dez. 1901.) Beides sind Fälle von kurz dauernder 
Eiterung bei Soldaten, die wahrscheinlich, um sich dem Militär- 
dienst zu entziehen, starke Säuren ins Ohr gegossen hatten. 

Von Schimanski stammt ein Fall von Verblutung (von 
mir referiert im Archiv f. 0. Bd. 52). 

Immerhin sind seit Schwartzes erster Publikation eine 
ganze Anzahl dieser zum Glück verhältnismäßig äußerst seltenen 
Komplikation veröffentlicht, auch ist als sicher anzunehmen, daß 
in unserer viel schreibenden Zeit noch mancher hierher gehörende 
Krankenbericht veröffentlicht worden ist, der mir entging, somit 
wäre ein weiteres Publizieren bei der großen Ähnlichkeit der 
Befunde kaum besonderes Bedürfnis. Ich muß jedoch zu meinen 
Gunsten, im Gegensatz zu diesen meistens durch Felsenbein- 
Caries bei Tuberkulose oder Cholesteatom bedingten Fällen, die 
Ätiologie der Hämorrhagie meines Falles anführen, dessen 
Ursprung ein zeitlich zurückliegendes Trauma bei intaktem Ohr 
gewesen zu sein scheint. 

Der 3 jährige Sohn einer aus Baku zur Badesaison angereisten Familie 
hatte am Abend des 20. Juli (3. August) 1900 aus dem rechten Ohr eine 
kurzdauernde Blutung, die trotz Tamponade später rezidivierte und wegen 
deren mich am nächsten Tage der behandelnde Arzt, Herr Dr. Jagdhold 
konsultierte. Die Mutter gab an, daß der Knabe bereits einige Tage Kopf- 
weh hätte, seit ungefähr 10 Tagen leicht, ohne Schüttelfrost fiebere und 
immer apathischer und matter werde. Das Ohr sei bisher immer gesund 
gewesen, wie dieses überhaupt die erste Krankheit des Kindes sei. Vor 
einem Monat und dann auch vor 3 Wochen sei das Kind aus nicht un- 
beträchtlicher Höhe gefallen, das eine mal über ein hohes Bettende. Etwas 
Näheres über diese Vorfälle ist wegen vollständiger ünzuverlässigkeit der 



Kurze, zusammenfassende Übersicht der bisher publizierten Fälle usw. 303 

Wartefrau nicht zu eruieren. Unmittelbar nach dem Fallen sollen keinerlei 
Beschädigungen oder irgend welche Krankheitssymptome, speziell keine 
Blutung, kein Erbrechen, auch kein Ausfluß von Cerebrospinalflüssigkeit 
bemerkt worden sein. Erst seit 10 Taeen sei, zugleich mit der Temperatur- 
steigerung, der Hals außen rechts gcscnwollen. 

Status : Kräftig gebauter, mit starkem Fettpolster versehener, sehr gesund 
und normal aussehender Knabe. Temperatur 38,5, Puls beschleunigt, 140. 
Athmung wenig beschleunigt. An der rechten Halsseite, unter dem proc. 
mast. und hinter und vor dem musc. stemo-cl. mast. eine breite und narte 
Schwellung von fast Kinderhandgi-öße Die Haut über der Schwellung nicht 
verfärbt, nicht druckempfindlich, keine Fluktuation zu fühlen. Es besteht 
geringe Nackensteifigkeit. Sonst am Hsls, Nacken und Schädel nichts Patho- 
logisches wahrzunehmen, auch keinerlei von einem älteren Trauma henührende 
Zeichen am Kopf. * Umgebung des Ohres : nichts Besonderes. — Im rechten, 
sehr engen Genörgaiig frisches, hellrotes Blut, das spärlich auszufließen 
scheint und auf Kompression der Carotis steht. Nach Säuberung sind 
keinerlei Spuren von Eiter oder Erscheinungen einer Entzündung zu be- 
merken. Die Gehörgangswände sind etwas verdickt, aber nicht besonders 
gerötet, das Blut scheint von dem oberen, vorderen Bande des nicht ent- 
zündeten, sonst intakten Trommelfells zu kommen. 

Das Kind hört Gesprochenes gut. Von einer genaueren Hörprüfung 
und weiteren eingreifenden Untersuchungen mußte ich Abstand nehmen. 
Das linke Ohr normal. Im Rachen frisches Blut, Zunge belegt. Aus der 
Nase kein Blut. Keine Erscheinungen, die auf eine Stömng in der Funktion 
der Himnerven hinweisen. Keinerlei anderweitige Erkrankung im Übrigen 
objektiv wahrnehmbar. 

Es bestand hier, wie aus der Farbe des Blutes und dem 
Erfolg der Kompression ersichtlich war, obgleich das Blut weder 
im Strahl noch pulsierend aus dem Ohr floß, eine arterielle 
Blutung. Wo das Blut herstammte, solches genau anzugeben, 
war im Augenblick unmögUch. Es war vorläufig klar, daß es 
sich aus einem der Paukenhöhle benachbarten Gefäß in das 
Cavum tympani ergoß und von hier aus nach außen drang. Es 
handelte sich also darum, die Unterbindung eines größeren, zu 
der blutenden Stelle führenden Gefäßes vorzunehmen. Auf dem 
Transport zur Klinik trat, offenbar infolge der Bewegungen, eine 
überaus heftige Blutung ein. Eine Tamponade des Gehörgangs 
half nichts. Der Tampon wurde herausgeschwemmt. Wie viel 
Blut das Kind approximativ verlor, konnte nicht ermittelt werden, 
ein großes Handtuch war durchtränkt. Die Notwendigkeit etwas 
Radikales zu unternehmen wurde der Mutter dadurch noch klarer. 
Gemäß den bisher publizierten Erfahrungen wurde die Prognose 
der Ligatur fast total schlecht gestellt, aber die Hände in den 
Schoß legen und der Blutung zusehen war für uns unzulässig. 
Wie bekannt, ist es das Beste, nicht die Carotis interna, sondern 
die Carotis communis zu unterbinden, da, wie Hess 1er richtig 
bemerkt, die Unterbindung der interna, wenn Blutung der 
A. meningea med. vorliegt, nichts nützen würde. — Unter der 
liebenswürdigen Beihülfe der Kollegen Seh mäh mann und 



304 XXX. FORESTIER. 

Jagd hold unterband ich die Carotis communis. Der Haut- 
schnitt wurde mit Schi eich 'scher Anästhesie gemacht, später 
wurde, da das kräftige Kind vom Blutverlust noch wenig coUabiert 
war, ab und an etwas Chloroform gegeben. Nach sorgfältiger, 
schichtweiser Präparation erwies sich die erwähnte Geschwulst 
als ein Drüsenpaket (ich hatte zeitweilig an ein Hämatom ge- 
dacht), das hinter, unter und auch vor dem m. sterno-cl. m. ge- 
legen war, die Carotis bedeckte und mit deren Scheide ver- 
wachsen war. Die Substanz der Drüsen war . durchweg hart. 
Die Wandungen der Jugularis und Carotis waren, soweit sie zu 
übersehen waren, ganz unversehrt. Durch 2 Fäden wurde die 
Jugularis zur Seite gezogen und die Carotis mit 4 dicken, sicher 
liegenden Seidenligaturen unterbunden. Wir hatten die große 
Freude, daß die Blutung sofort stand. Durch halbfeuchte Papp- 
schienen wurde ein vom Kopf bis auf die Brust reichender, 
fester Panzer gemacht, um so den Kopf nach Möglichkeit zu 
immobilisieren. In den nächsten 3 Stunden erholte sich das 
Kind zusehends, das Sensorium wurde frei, das Fieber fiel. Da, 
3 Stunden nach der Operation, trat nach Angabe der dejourieren- 
den Schwester, ohne daß das Kind sich irgendwie heftiger be- 
wegt hätte, eine kolossale Blutung aus Nase, Mund und Ohr auf 
und das Kind verschied in wenigen Minuten. 

Ich glaube, daß es sich hier um folgendes gehandelt hat. 
Das Kind ist mehrere Male, einmal sogar ca. IV2 Meter hoch, 
beim Spielen und Klettern über ein Bettende gefallen. Damals 
ist es zu einer offenbar indirekten Verletzung, zu einer wenig 
ausgedehnten, unvollständigen Schädel-Fissur gekommen. Die 
Gehörgangswand war intakt, auch war die Trommelhöhlenwand 
nicht frakturiert, ebensowenig der Warzenfortsatz. Eine Be- 
schädigung der Labyrinthkapsel und Eröffnung der Schädelhöhle 
können desgleichen leicht ausgeschlossen werden. Es waren kein 
seröser Ausfluß, kein Erbrechen, auch keine Gleichgewichts- 
störungen vorhergegangen. Berücksichtigt man die Hessl ersehen 
Ausführungen über das Zustandekommen von Carotisblutungen 
bei Felsenbeincaries — Arch. f. 0. XVIII, pag. 40 — , so ist es 
naheliegend, daß durch indirekte Gewalt die an die Paukenhöhle 
grenzende, dünne Wand des Canalis caroticus mit zersplittert 
war und das Gefäß bei den Bewegungen des Kopfes und den 
von der Pulsation erzeugten, durch einen einem Knochensequester 
ähnlichen Splitter allmählich durchsägt wurde. So mußte es 
eines Tages zu der Blutung kommen. Da die Gefäßwand nicht 



Kurze, zusammenfassende Übersiebt der bisber publizierten Fälle usw. 305 

erweicht war, dauerte es in diesem Falle 3 — 4 Wochen. Wie 
das Fieber und die Drüsenschwellung zu erklären sind, weiß ich 
eigentlich nicht recht Bei solchen Verletzungen kann Meningitis 
die Folge sein, so wären Fieber, Kopfschmerzen und die geringe 
Nackensteifigkeit gedeutet. Was die Dräsen anbelangt, so werden 
vergrößerte Lymphdrüsen wohl schon vorher bestanden haben. 
Der Knabe war recht fett, und konnten die Drüsen übersehen 
worden sein, erst als sie während des fieberhaften Zustandes stärker 
zu schwellen anfingen, wurden sie bemerkt Das ist in kurzen 
Worten die Geschichte des Falles und die Rechtfertigung unseres 
Eingriffes. 



Archiv- f. Ohrenheilknnde. 7S. Bd. Festschrift 20 



XXXI. 

Ein rechtsseitiger Schläfenlappenabszess mit Apliasie 

bei einem Rechtshänder. 

Von 

Privatdozent Dr. Wittmaack aus Greifswald. 

(Mit 1 Kurve.) 



Der folgende Fall von otogenem rechtsseitigem Schläfen- 
lappenabszeß mit typischer Aphasie bei einem rechtshändigen 
Kranken scheint mir wegen der Seltenheit dieses Befundes und 
mit Rücksicht auf die diagnostischen Schwierigkeiten, die er mir 
infolgedessen bot, einer kurzen Mitteilung wert. 

Die Krankengeschichte des Falles ist, in etwas abgekürzter 
Form wiedergegeben, folgende: 

Anamnese: U. A., 26 Jahre, Chausseearbeiter, leidet seit Kindheit 
an übelriechender Eiterung auf dem rechten Ohre. Vor 13 Jahren bekam 
er bereits einmal stärkere Schmerzen mit nachfolgender Anschwellung hinter 
der Ohrmuschel, die seinerzeit vom behandelnden Ai-zte mit einem tiefen 
Einschnitt behandelt wurde. Hiemach blieb hinter der Ohrmuschel eine 
eiternde Fistel zurück, und auch die Eiterung aus dem Gehörgang bestand 
ununterbrochen fort. Sie war stets sehr übelriechend. Da er indessen keine 
Schmerzen oder sonstige Beschwerden mehr empfand ließ er das Ohr dauernd 
ohne weitere Behandlung. 14 Tage vor der Aufnahme stellten sich plötzlich 
wieder heftige Schmerzen und Fieber ein. Er hat seitdem oft gefroren, 
sodaß der ganze Körper zitterte und darnach wieder große Hitze empfunden 
mit starkem Schweißausbruch. Außerdem hat er Kopfschmerzen, die er in 
die Stirn verlegt, dagegen keinen Schwindel. Erbrochen hat er niemals. 
Bis vor 14 Tagen will er stets völlig gesund gewesen sein. Er hat immer 
gearbeitet. — Hereditär ist er in keiner Weise belastet. 

Allgemeiner Status am 24. März 1906. Angegriffen aussehender, 
kräftig gebauter Mann. An den inneren Organen keine Besonderheiten. 
Urin ohne Eiweiß und Zucker. 

Ohrenbefund. Rechts Retroaurikulär ausgedehnte Narben, von 
zwei zu einander senkrecht stehenden Inzisionen hen-ührenü An der Kreuzungs- 
stelle der Narbenzüge besteht eine für dicken Sondenknopf durchgängige 
Fistel, aus der höchst fötider dünnflüssiger Eiter quillt. Die Umgebung 
der Fistel ist stark gerötet, der Knochen bei Druck schmerzhaft Im Gehör- 
organ besteht mäßig reichliche, auch höchst fötide eitrige Sekretion. Er ist 
erfüllt mit leicht blutenden Granulationen, von denen einige entfernt werden, 
ohne daß es gelingt ein klares Bild zu erhalten. Hörvermögen: phonieite 
Sprache ad concham. 



Ein rechtsseitiger Schlaf enlappenabszess mit Aphasie usw. 307 

Links: Trübes mattes Trommelfell, sonst keine Besonderheiten. Hör- 
vermögen: eirca 3,0 m für Flüstersprache. 

Es besteht keine Papillitis, kein N3^stagmus bei seitlicher Blickrichtung 
oder sonstige Labyrinthsyraptomc. 

Noch während der üntereuchung tritt ein starker Schüttelfrost 
auf, so daß sofort zur Operation vorbereitet wurde. Beginn der Operation 
mit primärer Jugularisunterbindung; Anlegung doppelter Ligatur, Durch- 
trennung der Vene, Herauspraeparieren der Vene kranial wärts und Heraus- 
lageni des Stumpfes in die äußere Wunde. Folgt Totalauf meißelung: Schnitt 
in gewohnter Weise mit sekundären | — Schnitt nach hinten, excidieren der 
Fistel, Ablösen der adhärenten Weichteilc. Mehrere cm hinter der Umrandung 
des Gehörganges fistulöser Defekt im Knochen aus dem fötider bräunlicher 
dünnflüssiger Eiter abfließt. Folgt Anlegung der typischen Operations- 
wundhöhle bei Totalaufmeißelung mit Abtragung der nach außen mündenden 
Knöchenfistel. Hierbei wird ein großes Cholesteatom aufgedeckt und ent- 
fernt, das oberflächlich stark zerfallen und erweicht, in der Tiefe teilweise 
noch von festerer Konsistenz ist. In der Pauke finden sich reichliche Granu- 
lationen, die mit Kürette entfernt werden. Folgt Abtragung überhängender 
Knochenspangen, Giättung und Revision der Wundhöhle: An der hinteren 
Wand führt ein Fistelkanal in die Tiefe mit der Richtung nach dem Sinus. 
Bei Erweiterung desselben quillt sehr reichlich höchst fötider, bräunlicher, 
krümmelicher Eiter hervor. Nach Abtragen des Knochens in der Umgebung 
der Fistel liegt die mißfarbene Sinuswand und schwielig verdickte Dura des 
Kleinhirns vor. Folgt ausgedehnte Freilegung dieser Partien bis man auf 
«nnähernd normal aussehende Sinuswand bezw. Dura stößt. Der Sinus sig- 
moideus ist kurz vor seinem Übergang in den Sinus transsversus fistulös durch- 
brochen, sodaß man an dieser Stelle die Sonde nach oben und unten in sein 
Lumen einführen kann. Er wird zunächst unterhalb der Durch bruchssteile 
breit eröffnet bis nahe an seinen Übergang in den bulbus venae jugularis. 
Seine Wände sind hier teilweise kollabiert, ein zusammenhängender Ihrombus 
findet sich nicht, dagegen ein dicker Belag auf der Sinus wand, von zer- 
fallenen Thrombusresten herrührend. Beim Spalten der Sinuswand nach oben 
fließt bald Blut aus, sodaß hier von einem weiteren Vorgehen abgestanden 
werden muß. Die Kleinhimdura erscheint auffallend prall gespannt und 
pulsiert nicht deutlich. Es werden daher einige Probepunktionen nach ver- 
schiedener Richtung vorgenommen, ohne daß Eiter aspiriert wird. Tamponade 
des Sinus und der Wundhöhlo und Verband. 

25. März 1906. Die Nacht, ist gut verlaufen. Patient ist klar, teil- 
nehmend, hat keine Klagen. Kein Schwindel, keine Kopfschmei-zen, kein 
Erbrechen oder dergleichen. 

26. März. Versucht zu lesen, hat leidlich guten Appetit und keine Klagen. 

27. März. Keine wesentliche Veränderungen ; klagt gegen Abend über 
leichte Kopfschmerzen, ist indessen sonst auffallend wohl und munter. 

28. März. Verbandwechsel : Dura noch stark belegt, pulsiert sehr schwach, 
erscheint immer noch gespannt und etwas vorgewölbt. In der Wundhöhle 
nur geringe Granulationsbildung, sonst keine Besonderheiten, nirgends kommt 
Eiter nacn. 

Gegen Abend erscheint der Patient auffallend unklar; kann sich nur 
mit Mühe auf seinen Namen besinnen, antwortet meistens gleichmäßig mit 
„ganz schön" oder „ganz gut" auf die verschiedensten Fragen. Sonst Keine 
cerebralen Symptome, keine Nervenlähmungen oder dergl. Augenhintergrund 
völlig normal (Frivatdoc. Dr. Halben). Kein Druckpäs. 

29. März. Der Zustand ist unverändert. Vorübergehend deutlicher 
Druckpuls (verlangsamt, gespannt, dicrotisch). Lumbalpunktion entleert 
wasserklare Flüssigkeit. Revision der Wunde. Nur Dura des Kleinhirns 
und Sinuswand noch stark belegt, sonst deutlich bessere Granulationsbildung 
in der Wundhöhle. Inzision der Kleinhimdura und Eingehen mit der Kom- 
zange in verschiedener Richtung, ohne daß Eiter entleert wird. Da das 
tegmen tympani und antri nirgends kariöse Processe erkennen lassen, wird 
von einer Freilegung der mittleren Schädelgrube und Probepunktion .des 
Schläfenlappens zunächst noch abgestanden. 

20* 



308 XXXI. WITTMAACK. 

Gegen Abend Temperaturabfall und Besserung des Allgemeinbefindens. 
Sonst keine Änderung des Zustandes. Sämtliche Antworten laucen ^ganz 
gut" und nganz schön'^ neben einigen unverständlichen Brocken. Zunge 
wird auf Befehl herausgestreckt, bei Aufgaben sonstiger Manipulationen 
z. B. Augenschließen oder dergl. beharrt er oeim Herausstrecken der Zunge. 
Weiß weder Namen noch Alter von selbst anzugeben. Doch erkennt man 
deutlich die Anstrengungen die der Patient macht, um die Frage zu beant- 
worten und an seinem Mienenspiel die Unzufriedenheit mit sich selbst, weil 
ihm dies nicht gelingt. 

30. März. Znstand unverändert. Die Aphasie heute sehr deutlich. 
„Alles guf^ und „ganz schon^ sind die einzigen Antworten, die er auf alle 
Fragen gibt; nur einmal sagt er „mir ist nicht gut"". Seinen Namen, sein 
Alter und dergl. vermag er auf diesbezügliche Fragen hin nicht anzugeben. 
Ebenso weiß er die meisten ihm vorgehaltenen Gegenstände nicht zu be- 
nennen. Statt Taschenmesser sagt er „Totamesser*'. Beim Vorhalten einer 
Uhr: .,so ein Ding hab ich auch". Auch beim Anhalten der Uhr an das 
gesunde, gut hörende Ohr weiß er sie nicht zu benennen. Einen Schlüssel 
nimmt er aus der Hand und macht Schließbewegungen „ist zum zumachen^ 
Beim Zeigen einer Bürste macht er die Bewegung des Abbürstens, beim 
Bleistift Schreibbewegungen. Eine Streichholzschachtel: „Teischaschar'S das 
Portemonnaie bezeichnet er erst als Messer, dann schüttelt er verzweifelt 
den Kopf und sagt „wo Geld drin ist''. „Meines ist hier'' und zeigt auf 
seine Schublade im Krankentisch. Beim Zeigen eines Tintenfasses macht er 
die Bewegung des Eintauchens eines Federnalters, ohne auf den Namen 
Tintenfaß kommen zu können und in ähnlicher Weise sucht er beim Zeigen 
sonstiger Gegenstände durch Gesten zu verstehen zu geben, worum es sich 
handelt, ohne daß er die betreffenden Gegenstände (Lihr, Ring, Knopf etc.) 
zu benennen weiß. Zuweilen merkt man es deutlich, wie er sich bemüht, 
auf die richtige Antwort zu kommen, „Warte mal", „wie heißt das doch", 
bis ei dann verzweifelt den Kopf schüttelt und sagt ,,ich kann nichts ver- 
stehen". Aber auch nach Vorsprechen kann er nur einige Worte nachsprechen, 
so Messer, Bleistift als Bleifist, femer seinen Namen und Vornamen, sein 
Alter und Geburtsort mit Kreis, dagegen vieles andere nicht, z. B. Bürsten, 
Pantoffel, Uhr, Schlüssel, Bing usw. 

Zahlen werden gut verstanden und nachgesprochen. Ebenso macht es 
ihm keine Schwierigkeiten, Zahlen abzulesen. So kann er z. B. genau 
die Zeit auf einer vorgehaltenen Uhr bestimmen. Sonst kann er 
nur das gut ablesen, was er nachsprechen kann, z. B. Namen, Vornamen, Alter, 
Geburtsort und das Wort Messer. Bei anderen Worten z. B. Bürsten, Uhr 
usw. buchstabiert er zunächst wie ein kleines Kind, bis er dann schließlich 
allermeist das Wort herausbringt. 

Er schreibt völlig richtig und für seinen Bildungsgrad sogar glatt und 
flott seinen Namen, Vornamen, Alter und Geburtsort. Dagegen Worte, dio 
er nicht nachsprechen kann, wie z. B. Uhr, kann er auch nicht schreiben. 
Messer, ein Wort, das er nachsprechen kann, kann er auch schreiben. Über- 
haupt fällt auf, daß ihm auch bei Angabe seines Namens etc. das Nieder- 
schreiben leichter und angenehmer ist als das Nachsprechen. Seinen Namen, 
Alter und Wohnort schreibt er auch ohne Vorsprechen auf. Da das All- 
gemeinbefinden eher etwas besser eracheint, die Temperatur niedriger ist, 
als am Tage zuvor, wird heute no<jh von der Vornahme eines operativen 
Eingriffes abgestanden, zumal die Deutung des Befundes auf Schwierig- 
keiten stieß, wie dies in der Epikrise noch erörtert werden soll. 

31. März. Der Zustand ist genau derselbe wie am Tag zuvor. Die 
Aphasie völlig unverändert und sämtliche Prüfungen liefern dasselbe Resultat. 
Gegen Mittag deutliche Verschlechterung. Patient wird unruhig, will aus 
dem Bett, schneidet viel Grimassen und stöhnt häufig. Es ist nichts mit 
mit ihm anzufangen. Er gibt keine Antworten mehr. Pupillen reagieren 
etwas träger. Sonst objektiv keine Veränderungen im Befunde, keine Läh- 
mungen oder Zuckungen in den von Gehimnerven versorgten motorischen 
Gebieten und auch an den Extremitäten keine halbseitigen Lähmungen, 
Kontraktionen, Zuckungen, keine Perkussionsempfindlichkeit auf einer Seite 



Ein rechtsseitiger Schiäfenlappcnabszeß mit Aphasie v 



des Schädels odci- 
dergl. Mit Rück- ^ 
sieht auf die typische o. 
Aphasie in der An- **• 
nähme eines 



Statist 



Ab- 



szesses Trepanation s 

iiuf den linken a. 

Schläfen läppen (Dr. < 

Saucrbrueh) mit Bil- p; 
dang eines grollen 

osteoplastischen _ 

Lappens. Durastark '^ 

gespannt; pulsiert ■< 

aber nach einiger ^ 

Zeit, Punktion in "" 

verschiedenster „ 
Richtung mit nega- iS 
tivomEnolg. Längs- ' S 
inzision der Dura. ^ 
Das Gehirn quillt " 
stark vor. Die Ge- 
fäße der weichen ,§ 
Hirnhäute ersehe! - S 
□en deutlich erwei- ^ 
tert. Eingehen mit « 
der Komzange in 
verschiedener Rieh- ^ 
tung, ohne daß Eiter |^ 
entleert wird. Keine 
Naht der Dura. Ex- S 
stirpation der Kno- 
chenplatte. Sorgfäl- e 
tiges Vernähen der S 
Weichteile mit Ein- ] 
nähen eines kleinen ^ 
Drains. Verband. 

1. April Völlige G 
Soninolenz , starke £ 
Unruhe. Schreit viel, 
aber unverständlich, K 
Gegen Abendnimmt 

er spontan Nahrung t^ 
und wird ruhiper ™ 
Urin wird nicht "* 
spontan entleert. Es » 
besteht ferner eine " 
leichte Schwäche im ^ 
rechten Fazialis und M 
der rechten oberen S 
Extremität Sonstige «■ 
Störungen von sei- " 
ten des Nerven- 
systems sind nicht .2 
nachweisbar. 's 

2. April. Nimmt _^ 
besser Kahrung zu " 
sich. Aussehen ent- ix 
schieden etwas in- -2 
scher; istaberiranier _g 
noch stark unruhig ^ 



Verbandwechsel 






310 XXXI. WirrMAACK. 

und unklar. Urin wird spontan entleeit bei Vorhalten der Urinflasche. Beim 
Verbandwechsel keine Besonderheiten. Die rechtsseitige Operationshohle 
granuliert frisch. Die Dura ist noch mäßig belegt An der Inzisionsteile 
aer Dura besteht ein kleiner Kleinhimprolaps. Die Trepanationswunde links 
ohne Besonderiieiten. Der Weichte! Happen scheint gut anzuheilen. 

3. April. Morgens keine wesentlichen Vei-änderungen. Gegen Mittag 
wird Patient auffallend ruhig und apathisch. Cheyne-Stokes'sches Atmen, 
gänzliche Reaktionslosigkeit und Exitus abends 7 Ühr unter Atemstillstand. 

Die Sektion ergab das Vorhandensein einer Sinusphlebitis ; der Sinus 
sigmoideus war am Übergang in den Transversus von einem soliden Thrombus 
verschlossen, am Übergang in den bulbus kollabiert Metastatische Abszesse 
fanden sich nirgends. Die Dura in der Umgebung des Sinus war stark 
infiltriert und verdickt, an der Inzisionsstelle fand sich ein circa wallnuß- 
großer Kleinhimprolaps, keine Meningitis und kein Abszess. Die knöchernen 
Wandungen der Operationshöhle waren in frischer Granulationsbildung be- 

friffen. Weder am tegmen t^noapani noch am tegmen antri fanden sich 
ariöse Veränderungen am Knochen oder gar ein fistulöser Durchbruch. Da- 
gegen fand sich im rechten Schläfenlappen in den dem tegmen tympani 
anliegenden Partien eine circa 3 cm im Durchmesser messende 
Abszeß höhle mit putridem bräunlichgelbem krümlichen Eiter ohne deutliche 
Kapsel. Eine Kommunikation des Abszesses durch die Dura mit derOperations- 
hönle ist nicht aufzufinden. Die Dura der mittleren Schädel grübe ist 
überall völlig intakt und von normaler Beschaffenheit Der 
Abszeß kommuniziert mit dem lateralen Ventrikel. Außerdem findet sich eine 
beginnende Meningitis in seiner Umgebung. An der Trepanationstelle im 
linken Schläfenlappen findet sich ein kleiner Erweichungsherd und Durch- 
setzung der Hirnmasse mit kleinen Hämorhagien. Der Sektionsbefund der 
anderen Organe zeigt keine er^'ähnenswerten Besonderheiten. 

Die vorliegende Krankengeschichte bedarf nur einer kurzen 
epikritischen Besprechung. Hätte es sich um einen linksseitigen 
Schläfenlappenabszeß gehandelt, so böte der Fall überhaupt kaum 
erörternswerte Besonderheiten. Daß wir im vorliegenden Falle 
das Symptom der sensorischen bezw. amnestischen Aphasie vor 
uns hatten, daran kann nach der Krankengeschichte ja kaum ein 
Zweifel bestehen. Die vorhandenen Sprachstörungen glichen 
v-oUkommen denen, die wir bei linksseitigen Schläfenlappenab- 
szessen zu beobachten pflegen. Die Kombination mit Paraphasie 
ist auch nichts Ungewöhnliches. Hervorheben möchte ich 
höchstens, daß dem Kranken die Verständigung durch Nieder- 
schreiben offenbar viel leichter fiel, als durch Aussprechen, 
während das Ablesen geschriebener Worte ungefähr in demselben 
Grade beeinträchtigt war, wie das Nachsprechen vorgesagter 
Worte. Auch das auffallend gute Verständnis für alle Zahlen 
scheint mir der Erwähnung wert. Es trat besonders frappierend 
dadurch hervor, daß er, obwohl er die Uhr nicht als solche be- 
nennen konnte, trotzdem genaue Zeitangaben machte. Eine 
optische Aphasie bestand nicht. 

Die Besonderheiten des Falles liegen darin, daß die Aphasie 
durch einen rechtsseitigen otogenen Schläfenlappenabszeß her- 
vorgerufen war, trotz Rechtshändigkeit des Kranken. An der 



Ein rechtsseitiger Schlaf enlappenabszeß mit Aphasie usw. 311 

Eechtshändigkeit des Kranken ist nicht zu zweifeln. Nicht allein, 
daß er sich bei der Nahrungsaufnahme und bei sonstigen Mani- 
pulationen während des Aufenthaltes in der Klinik stets der 
rechten Hand bediente, auch die Mutter und seine Frau gaben 
mit aller Bestimmtheit an, daß er niemals die linke Hand bei 
irgend einer Beschäftigung bevorzugt hatte. Gerade hierdurch 
wurde die Deutung des Befundes außerordentlich erschwert. 

Das am 5. Tage nach der Operation auftretende Herdsymp- 
tom der Aphasie ließ, als sich von neuem Temperatursteigerung 
hinzugesellte, bei dem deutlich nachweisbaren Druckpuls und 
der klaren Beschaffenheit der Punktionsflüssigkeit mit größter 
Wahrscheinlichkeit auf das Vorhandensein eines Himabszesses 
schließen, wenn auch weitere Symptome (Neuritis optica usw.) 
fehlten. Höchst unerwartet und in diagnostischer Hinsicht ver- 
wirrend erschien das Auftreten des Symptoms der Aphasie, eben 
deswegen, weil es sich um eine rechtsseitige Affektion handelte. 
Es war mir seinerzeit nicht bekannt, daß ein otogener rechts- 
seitiger Hirnabszeß mit typischer Aphasie schon von anderer 
Seite beobachtet worden war, und ich habe auch bei einer nach- 
träglichen Durchsicht der mir zugänglichen Literatur nur einen 
— allerdings auch nur im kurzen Eeferat zugänglichen — Fall 
von ForsellesO beschrieben gefunden. 

Daß rechtsseitige Tumoren in einigen seltenen Fällen zum 
Auftreten von Aphasie führten, ist ja bekannt; immerhin schien 
es mir doch etwas gewagt, im vorliegenden Falle ohne weitere 
Erwägungen vorzunehmen, trotz der Aphasie, die doch im allge- 
meinen als charakteristisches — um nicht zu sagen pathogno- 
monisches — Zeichen einer Affektion des linken Schläfenlappens 
gilt, auf den rechten Schläfenlappen zu trepanieren. Dazu kam, 
daß bei der ersten Operation und bei der Revision der Wund- 
höhle am 28. März das Tegmen tympani und antri frei von 
kariösen Prozessen gefunden wurde und daß auch die Dura der 
mittleren Schädelgrube überall normales, bläulich glänzendes 
Aussehen zeigte, sodaß also der in erster Linie in Betracht 
kommende Überleitungsweg für die Eiterung von der Pauke bezw. 
dem Antrum zum Schläfenlappen im vorliegenden Falle nicht 
betreten sein konnte. Es war weiterhin zu bedenken, daß bei 
dem Patienten zweifellos eine Sinusphlebitis mit eitrigem Zerfall 

1) Forseiles Arthur af: Beitrag zur Kenntnis der otogenen Folge- 
krankheiten Fmstka läkaresällsk handl. 1905. S. 203 referiert Zeitschrift f. 
Ohrenhlkde. 51. Bd. S. 316 u. Archiv f. Ohrenhlkde. 68. Bd. S. 150. 



312 XXXI. WITTMAACK. 

des Thrombus vorgelegen hatte, und mit Rücksicht hierauf mußte 
ich auch die Möglichkeit eines metastatischen Abszesses im linken 
Schläfenlappen in Erwägung ziehen. Freilich hatte auch diese An- 
nahme, zumal sonstige Metastasen nicht nachweisbar waren, nicht 
gerade sehr viel Wahrscheinlichkeit fQr sich. Ich stand also vor 
der Wahl : entweder einen rechtsseitigen Schläfenlappenabszeß zu 
vermuten, was bei dem Sitz der Ohreiterung ja bei weitem das 
Nächstliegende gewesen wäre, aber durch das Vorhandensein der 
typischen Aphasie viel an Wahrscheinlichkeit einbüßte, oder mit 
Bücksicht auf die typische Aphasie und die vorhandenen Sinus- 
Phlebitis den an sich viel selteneren Fall eines metastatischen 
linksseitigen Schlaf enlappenabszesses anzunehmen. Beide An- 
nahmen hielten sich meines Erachtens, was den Grad der Un- 
Wahrscheinlichkeit anbelangt, annähernd die Wage — , und doch 
war eine andere Deutung des Befundes kaum denkbar. 

Sonstige Symptome, die mir in der einen oder in der anderen 
Hinsicht Fingerzeige hätten geben können, fehlten gänzlich. Ich 
entschied mich schließlich in diesem Dilemma für die letztere 
Annahme eines metastatischen Abszesses im linken Schläfenlappen 
und traf damit das Falsche. Es handelte sich in der Tat um 
einen rechtsseitigen Schläfenlappenabszeß mit typischer Lagerung, 
trotz der vorhandenen Aphasie und obwohl kariöse Prozesse am 
Tegmen tympani und antri fehlten und die Dura der mittleren 
Schädelgrube gesund war. Darüber konnte schon nach dem 
Ausfall der linksseitig vorgenommenen Trepanation kaum ein 
Zweifel mehr bestehen. Ein Vorgehen gegen den rechten 
Schläfenlappen war leider wegen des schnellen tödlichen Aus- 
ganges und bei dem Schwächezustand des Patienten nicht 
mehr möglich. 

Der vorliegende Fall gehört wohl sicher zu den recht großen 
Seltenheiten. Trotzdem könnte vielleicht doch dem einen oder 
dem anderen mit seiner Veröffentlichung gedient sein. Wäre mir 
ein analoger Fall seinerzeit bekannt gewesen, so hätte ich mich 
wohl sicher für die andere Annahme eines rechtsseitigen Schläfen- 
lappenabszesses trotz der typischen Aphasie entschieden und den 
für den Patienten verhängnisvollen diagnostischen Fehler ver- 
mieden. 



XXXII. 

Ober das Intensitätsverhältnis hoher nnd tiefer Töne. 

Von 

Dr. Gustav Zimmermann in Dresden. 



Die Meinung, daß im Ohr für hohe und tiefe Töne je ver- 
schiedene Wege zum Endorgan vorgesehen seien, entsprang der 
unkritischen Verwendung der Stimmgabel zu klinischen Ver- 
gleichungen. Es hat bei näherer Betrachtung sich keines der für 
jene Meinung angezogenen Argumente bestätigen lassen und im 
besonderen sich gezeigt, daß der Mittelohrapparat wohl ganz anderen 
physiologischen Zwecken dient als denen, nur den Schall zum 
inneren Ohr zu lenken. Es läßt sich aber auch rein physikalisch 
dartun, daß hohe und tiefe Töne keine derartig verschiedenen 
Bewegungen sind, daß sie jede an besondere Fortpflanzungs- 
bedingungen gebunden wären. 

Schon aus der bekannten Tatsache der gleichen Fortpflanzungs- 
geschwindigkeit hoher und tiefer Töne wird man mit einigem 
Rechte schließen können, daß in der Natur dieser Wellenbewegungen 
kein qualitativer Unterschied gelegen ist. 

Die Unterschiede, die bei der Fortpfanzung des Schalles, in 
die Erscheinung treten, sind mehr quantitativer Art und nicht 
von einer Wesensungleichheit zwischen hohen und tiefen Tönen 
abhängig, sondern von einem innerhalb beider Gruppen gemeinsam 
und gleichmäßig bestimmenden Faktor, von der Intensität. Man 
hat dem bis vor kurzem viel zu wenig Beachtung geschenkt und 
immer nur einseitig die Tonhöhe im Auge gehabt. Und doch ist 
offenbar für die Überwindung von Leitungswiderständen das Ent- 
scheidende, nicht ob die Töne hoch oder tief sind, sondern ob sie 
schwach oder stark sind. 

Es ist neuerdings, um jene Meinung von der für hohe und 
tiefe Töne verschiedenen Leitung im Ohr zu retten, die Behauptung 



314 XXXII. ZIMMERMANN. 

aufgestellt, daß hohen Tönen an sich eine größere Intensität zu 
eigen sei. Und diese Behauptung konnte um so bequemer Eingang 
finden, als sie mangels eines objektiven Stärkenmaßes experimentell 
schwer anzugreifen war. Sie stützte sich auf die sogenannte täg- 
liche Erfahrung und machte geltend, daß hohe Töne „durch Mauern 
und Türen drängen, was tiefe Töne nicht vermöchten. Wie un- 
zutreffend diese Beobachtung ist, liegt auf der Hand; es gibt 
genug hohe Töne z. B. die einer leise angeschlagenen hohen 
Stimmgabel, die nicht bis an die nächste Wand dringen, geschweige 
sie durchdringen, und tiefe Töne z. B. einer Kirchenglocke oder 
Orgel, die auch die stärksten Mauern ohne weiteres durchsetzen. 

Läßt man die „tägliche Erfahrung*^ als Maßstab gelten^ so 
möchte eher zu behaupten sein, daß gerade die tiefen Töne be- 
sonders weit und energisch sich durchzusetzen vermögen. Wenn 
man am Ufer eines Flusses stehend das Herankommen eines 
Dampfschiffes beobachtet, so hört man schon in weiter Entfernung 
das dumpfe rythmische Stampfen der Maschine und hört nichts 
von den klirrenden und zischenden Geräuschen, die in der Nähe 
bemerkbar und hier beinahe vorherrschend werden. Ähnliches 
kann man beim Anrücken einer Marschmusik bemerken und auch 
von der Brandung des Meeres und vom Donner hört man auf 
weite Entfernung nur das dumpfe EoUen, während alle hoch- 
tönigen Komponenten daneben erloschen sind. Solche Beispiele 
lassen sich in beliebiger Anzahl erbringen. 

Es sind ja nun viele Versuche gemacht, um die objektive 
Intensität verschieden hoher Schallquellen zu messen; doch hat 
keiner befriedigende Ergebnisse gezeitigt. Selbst bei den besten 
Versuchsanordnungen ist bisher nicht genau bestimmbar, wie viel 
von der aufgewendeten Kraft wirklich in Form von Schall er- 
scheint, wie viel davon als Wärme und zur Deformierung der 
schwingenden Teile verbraucht ist. Man ist auf eine mehr theoretische 
Betrachtungsweise angewiesen an der Hand allgemeiner physi- 
kalischer Gesetze. 

Setzt man die Stärke eines beliebigen Stoßes, den die be- 
wegten Luftteilchen dem Ohre erteilen, proportional der lebendigen 
Kraft des bewegten Körpers, so findet sie ihren einfachsten Aus- 
druck in der alten Leibniz'schen Formel -^ v ^. Unter der Vor- 

aussetzung gleicher Massen ist sie deshalb gleich dem Quadrate 
der Geschwindigkeit. Die Geschwindigkeit in diesem Falle ist 
das Produkt aus Sehwingungsanzahl und Amplitude. Und in dem 



über das Intensitätsverhältnis hoher und tiefer Töne. . 315 

Produkte kann der eine Faktor beliebig vergrößert oder ver- 
kleinert werden, wenn gleichzeitig der andere entsprechend ver- 
ringert oder vervielfacht wird. Wie es ja in der Mechanik auf 
dasselbe Produkt herauskommt, ob ein Gewicht von 50 Zentnern, 
1000 Fuß gehoben wird oder ein Gewicht von 1000 Zentnern 50 Fuß 
so gilt es auch in der Akustik gleich viel, ob eine Schwingung 
z. B. 50 mal 1000 Wegeinheiten in der Sekunde zurücklegt oder 
eine andere 1000 mal 50 Einheiten. Das bedeutet, daß theoretisch 
ein Ton von 50 Schwingungen bei 20 fach größerer Amplitude 
just dieselbe Geschwindigkeit und damit den gleichen Kraftwert 
hat, wie einer von 1 000 Schwingungen mit entsprechend kleinerer 
Amplitude. Hohe und tiefe Töne von gleicher Geschwindigkeit 
müssen deshalb bei ihrer Fortpflanzung an sich gleich leicht oder 
gleich schwer die Leitungswiderstände überwinden. Nur Töne, 
deren Geschwindigkeit an sich irgendwie vermindert wäre — 
einerlei ob die Amplitude oder die Anzahl der Schwingungen 
oder beides daran Schuld ist — hätten auch eine verminderte 
Durchschlagskraft. 

Für die Beurteilung dieser Größe ist nun aber außer der Ge- 
schwindigkeit, wie gesagt, noch entscheidend der Einfluß der Masse. 
Und es ist als ein durchgehendes Gesetz anzuerkennen, daß die 
tiefen Töne erzeugt werden durch Körper von größerer oder 
trägerer Masse. Während die Körper von kleineren Dimensionen, 
durch welche die höheren Töne hervorgebracht werden, eines 
relativ geringen Anstoßes bedürfen, erfordern Körper von den 
mächtigen Abmessungen, an welche die tiefen Töne gebunden 
sind, schon einen starken Antrieb, um das gleiche Quantum Ge- 
schwindigkeit auf ihre Weise zu erzielen. Und dieser stärkere 
Impuls, den die tiefen Töne mit auf den Weg bekommen, macht, 
daß sie trotz gleicher Geschwindigkeit Hindernisse, die sich bei 
der Leitung ihnen entgegen stellen, besser überwinden müssen, 
als hohe Töne. 

Auf diese Weise erklären sich die oben zitierten Beispiele 
von der durchdringenderen Wirkung der tieftönigen Schallarten. 
Upd es ist das auch experimentell bestätigt durch die schönen 
Versuche von War bürg, der nachwies, daß aus einer Schall- 
menge bei hinreichend vermehrten inneren Widerständen in der 
Leitung alle hohen Komponenten ausfielen und nur die tiefen noch 
sich zu Gehör brachten. 

Es erscheint deshalb, rein physikalisch betrachtet, als eine 
ganz haltlose Behauptung, daß die tiefen Töne an sich zu schwäch- 



316 XXXU. ZIMMERMANN. 

lieh sein sollen, um ohne einen Extrahebelapparat zum inneren 
Ohre durchzudringen. Im Gegenteil wäre plausibel, daß für sie 
Einrichtungen vorhanden wären^ die ähnlich^ wie der Dämpfer 
auf dem Klavier, Störungen, — etwa durch längeres Nach- 
schwingen oder durch zu große Amplituden bedingt — aus- 
schalteten. Und diesem Zwecke allein scheint in der Tat der 
Mittelohrapparat zu dienen, wie ich das früher ausführlicher dar- 
gestellt habe. 

In dieser Beziehung sind noch einige Worte zu sagen über 
die subjektive Empfindungsintensität des Ohres gegen hohe und 
tiefe Töne. Es scheint, als ob das Ohr gegen die grellen und 
schrillen Töne der höchsten Lagen ganz besonders empfindlich 
wäre. Es kann das seinen Grund darin haben, daß eben die auf 
die hohen Töne reagierenden Nervenfasern an und für sich 
empfindlicher sind, infolge vielleicht der viel zahlreicher in der Zeit- 
einheit ihnen zukommenden Anreize. Es kann aber auch auf jene 
eben angedeuteten Dämpfungsvorrichtungen im Mittelohr zurück- 
zuführen sein, die es zu unangenehmeren Empfindungen bei den 
tiefen Tönen deswegen nicht kommen lassen, weil diese besonders 
gut in ihren Resonanzschwingungen gedämpft werden können. 

Läßt man einmal die Vorstellung fallen, daß jeder Sehall 
den Steigbügel in seinem Fester hin und her treiben müßte und 
gibt, wie das theoretisch und teilweise schon experimentell ge- 
zeigt ist, zu, daß nur bei stärkerem Schall oder reflektorisch durch 
Muskelkontraktion der Steigbügel sich isoliert gegen seinen Rahmen 
verschiebt, so sind die Einwirkungen solchen Drucks aufs Laby- 
rinth unschwer erkennbar. Es wird dadurch manometrisch meßbar 
der intralabyrinthäre Druck erhöht und es werden damit die 
schwingenden Fasern komprimiert und in ihren elastischen Eigen- 
Schäften geändert. Sie werden schwingungsuntüchtiger und das 
um so mehr als bei normalem runden Fenster sie zugleich sämt- 
lich in der Druckrichtung abgedrängt und festgestellt werden. Je mehr 
Fläche sie dem einwirkenden Drucke bieten um so mehr ist das 
natürlich der Fall. Es erklärt sich dadurch, daß die in relativ 
großen Breiten schwingenden Fasern der oberen Windungen, 
welche auf die tiefen Töne mitschwingen, am meisten gedämpft 
werden, wie das jeder Valsalva 'sehe oder Gell 6 'sehe Versuch 
auf das deutlichste manifestiert. 

Nach alledem wird man sagen müssen, daß alle Töne 
von vergleichbarer Intensität, einerlei von welcher Tonhöhe, 
gleicherweise an dieselben Fortpflanzungsbedingungen gebunden 



über das Intensitätsverhältnis hoher und tiefer Töne. 317 

sind und daß auch im Ohr tiefe Töne ebenso gut wie die 
hoben direkt durch den Knochen auf die mit ihm unmittelbar 
verbundenen Basilarfasern sich übertragen, statt den Umweg über 
die Kette und das Labyrinthwasser einschlagen zu müssen. Ge- 
rade die tiefen Töne haben bei sonst vergleichbarer Intensität 
die größere Wucht; sie brauchen deshalb am wenigsten eine Nach- 
hilfe, um ihren Weg zu finden, und statt dessen Einrichtungen, 
damit störende oder schädliche Wirkungen im Endorgan hintan- 
gehalten werden. 

Es ist zu bedauern, daß diesen interessanten und für die 
ganze wissenschaftliche Stellung unserer Disziplin bedeutsamen 
Fragen, ein Teil der Forscher voll Gleichgültigkeit und Vorurteil 
gegenübersteht. Die Fortschritte, wie sie auf dem chirurgischen 
Gebiete mit so glänzendem Erfolge Schwartze inauguriert hat 
winken bei gleicher ernster und voraussetzungsloser Arbeit auch 
auf dem physiologischen Gebiete. 



XXXIII. 

Ober reine Transsudate im Hittelohn 

Von 

Geheimrat Walb in Bonn. 



In seinem Referat: „Die Bakteriologie der akuten Mittelohr- 
entzündungen", welches Kümmel auf der Versammlung der 
Otolog. Gesellschaft in Bremen gegeben hat, hat Kümmel auch 
die Frage der Transsudate im Mittelohr gestreift und dabei 
erstens auf die Armut an Mikroben in denselben hingewiesen, 
so daß dieselben als steril angesehen werden können, und zweiten» 
ihre Entstehung durch den negativen Druck betont. In der sich 
anschließenden Diskussion wurde, wenn ich nicht irre, von 
Wink 1er diese Ansicht nicht geteilt und die SteriHtät dadurch 
erklärt, daß die Transsudate meistens aus Schleim beständen, der 
ein ungünstiger Nährboden für Mikroben sei. Ich teile im Gegen- 
satz hierzu mit Kümmel, Scheibe u. a. die Ansicht, daß ea 
sich bei den Transsudaten, und zwar bei den reinen Formen, in 
der Tat um Erzeugnisse des negativen Druckes handelt, und daß 
daher die Sterilität naturgemäß ist. Zunächst muß hervorgehoben 
werden, daß diese reinen Transsudate gar nicht aus Schleim be- 
stehen, sondern eine wasserklare, rein seröse Flüssigkeit darstellen^ 
die entweder farblos ist oder gelblich, zuweilen auch gelblich- 
grün erscheint. Diese Transsudate entwickeln sich bei Tuben- 
katarrh mit Verschluß unter der Einwirkung des negativen 
Druckes, bei rein passiver Beteiligung der Paukenhöhlenschleim- 
haut ohne aktive spezifische Schleimhautsekretion — der hydrop» 
ex vacuo der Alten, und zwar der Alten im doppelten Sinne, ein- 
mal der älteren otiatrischen Schule und dann auch in dem Sinne^ 
daß diese Form sehr häufig bei alten Leuten rein vorkommt, wie 
schon Grub er in der ersten Auflage seines Handbuches hervor- 
gehoben, was sich durch die Rigidität der Gewebe und die 



über reine Transsudate im Mittelohr. 319 

Brüchigkeit der Gefäße, die bei alten Leuten gefunden wird, er- 
klärt. Im Gegensatz hierzu gibt es allerdings Mischformen, wo 
eine sekretorische Tätigkeit der Paukenhöhlenschleimhaut hinzu- 
kommt, sei es, daß gleichzeitig ein Katarrh der Mittelohrschleim- 
haut besteht, oder durch die längere Anwes^heit des Trans- 
sudates veranlaßt wird. Hier findet man häufig schleimige Bei- 
mengungen, oder der ganze Inhalt stellt ein« gleichmäßige coUoide, 
durchsichtige Masse dar. Es kommt aber auch vor, daß der 
ganze Befund und die Beschaffenheit des Paukenhöhleninhalts 
für Transsudat spricht und es sich doch um ein Exsudat 
handelt. Bekanntlich sind bei akuten Mittelohrentzündungen die 
Exsudate sehr häufig im Anfang rein serös und bleiben so selbst 
nach dem Eintritt der Perforation in der ersten Zeit. Man be- 
obachtet nun gelegentlich Fälle, wo bei nicht perforierender Mittel- 
ohrentzündung die Exsudate nicht resorbiert werden nach Rück- 
gang der entzündlichen Erscheinungen, und wo später, wenn das 
Trommelfell ganz abgeblaßt und wieder hinreichend pellucide ist, 
man sehr gut die restierenden Exsudate mit schwarzer Standlinie 
und allem Zubehör sehen kann. Das sieht genau so aus, wie 
ein Transsudat und ist doch keins. Alles dies schließt aber nicht 
aus, daß es reine Transsudate gibt, die nur durch den negativen 
Druck entstehen und durch den Tubenverschluß veranlaßt sind. 
Man kann dies durch bestimmte therapeutische Maß- 
nahmen beweisen. Zur Entleerung rein seröser Flüssigkeiten 
aus dem Mittelohr genügt meist eine einfache Punktion des 
Trommelfells, wenn man daran die Luftdouche anschließt und 
durch vis a tergo die Flüssigkeit herausdrückt. Meist ist diese 
so geschaffene kleine Öffnung nach 24 Stunden schon wieder ge- 
schlossen. Man sieht dann häufig schon wieder Flüssigkeit in 
der Paukenhöhle angesammelt. Das kann so zu erklären sein^ 
daß man nicht alles entleert hat und Flüssigkeitsteile ^ die im 
Kuppelraum zwischen den Gehörknöchelchen oder sonst wo fest- 
gehalten resp. von der treibenden Kraft nicht berührt wurden, 
sich am Boden der Paukenhöhle wieder angesammelt haben, oder 
daß schon wieder frisches Transsudat unter der so- 
fortigen Wirkung des negativen Druckes nach Ver- 
schließung der Punktionsöffnung sich bildete. 

Nicht immer tritt indes der Verschluß der Punktionsöffnung 
in so kurzer Zeit ein, namentlich in Fällen, wo durch frühere 
Anfälle, durch Entzündungen oder durch lange Dauer das 
Trommelfell artophisch geworden ist, was namentlich häufig für 



320 XXXm. WALB. 

die hintere Hälfte gilt, wo man ja mit Vorliebe den Einstich 
macht. Die hochgradige Verdünnung spricht sich ja hier n. a. 
auch darin aus, daß häufig die Membran dem Punktionsinstru- 
meipte ausweicht Hier bleibt das kleine Loch oft mehrere Tage 
offeB und nun sieht man, daß zwar zuweilen am anderen Tage 
der Gazestreifen, den man in das äußere Ohr gelegt hat, noch 
etwas feucht an der Spitze ist, daß aber weiterhin der 
Streifen ganz trocken bleibt und auch am Trommelfell absolut 
nichts die Anwesenheit von alter oder neuer Flüssigkeit zeigte ja 
daß mit Sicherheit dies ausgeschlossen werden kann. Tritt nun 
nach mehreren Tagen der Verschluß der klemen Öffnung ein, 
ist meist sofort das Transsudat wieder da. Dies hat mich 
nun auf den Gedanken gebracht^ in Fällen von Transsudat einen 
größeren Schnitt zu machen. Es weichen dann meist die 
Bänder auseinander und es entsteht ein ovaler Spalt, durch den 
man hindurch einen größeren Teil der Paukenhöhlenschleimhaut 
sehen kann, gerade so wie es bei ausgiebigen Rupturen der Fall 
ist Ein derartiger Spalt braucht oft mehrere Wochen zu seiner 
Heilung. Es ist mir stets gelungen, denselben aseptisch zu halten, 
und habe ich stets schließlich den Verschluß sich einstellen sehen, 
aber wie gesagt, oft erst nach drei oder vier Wochen, gerade so 
wie bei größeren Rupturen. Hier gestaltet sich nun der Verlauf 
in sehr interessanter Weise. In den ersten Tagen ist die Schleim- 
haut, so weit sie sichtbar ist, ganz leicht gerötet^ wie es ja auch 
die Einwirkung des bis dahin bestandenen negativen Druckes 
auf die Gefäße natürlich erscheinen läßt. Dann wird die Schleim- 
haut blaß und normal. Eine Absonderung findet vom zweiten 
Tage an meist absolut nicht statt. Der Verlauf gestaltet sich nun 
verschieden und hängt ganz davon ab, ob es einem bis zum Ein- 
tritt der Schnittheilung gelingt, den Tubenkatarrh zu beseitigen 
durch Behandlung der induzierenden Krankheiten im Nasen- 
rachenraum in der Nase etc.^ sowie durch Behandlung der Tube 
selbst vom Nasenrachenräume aus. Gelingt dies in der bis zur 
Schnittheilung gegebenen Frist, so bleibt das Transsudat 
nach der Heilung des Schnittes aus, gelingt dies nicht, 
was je seine verschiedenen Gründe haben kann, so stellt sich 
das Transsudat sofort wieder ein, auch wenn es wochen- 
lang sistiert hatte. Ich glaube damit ist der Beweis geliefert, 
daß es sich in der Tat in solchen Fällen um reine Transsudate 
handelt Ich habe das Verfahren aus naheliegenden Gründen 
in der Poliklinik meist nicht angewendet, da hier die Bedingungen 



über reine Transsudate im Mittelohr. 321 

für einen . gefahrlosen Verlauf meist nicht gegeben sind. Auf der 
anderen Seite habe ich allerdings größere Bupturen, die ja in 
gewissem Sinne als gleichartig anzusehen sind, auch in der 
Poliklinik bei ambulatorischer Behandlung ohne Entzündung und 
Eiterung heilen sehen. Durch die wenn auch tägliche An- 
wendung des Katheters wird meist die neue Transsudatbildung 
nicht verhindert, häufig allerdings auf ein geringeres Maß herab- 
gesetzt. Auch ist in solchen Fällen der längere Gebrauch des 
Katheters häufig schädlich, da die Schleimhaut im Tubeneingang 
davon gereizt wird und diese, statt zu heilen und abzuschwellen, 
erst recht krank bleibt. In solchen Fällen eignet sich besser das 
Po litzer sehe Verfahren, das unter Umständen zweimal täglich 
angewendet werden muß. 



Archiv für Obrenheilkande. 73. Bd. Festschrift. 21 



Dnick von J. B. U i r s c h f e 1 d in Leipzig- 



. • • 



HIß