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Vibrarp of tbe Museum
OF
COMPARATIVE ZOÖLOGY,
| AT HARVARD COLLEGE, CAMBRIDGE, MASS.
Founded by private subscription, In 1861.
KIT INTNNNNMNN
Depositedby ALEX. AGASSIZ.
Ne: 78 ee
TONER B
U WLLTEERLEN Mu
Bram, \
NRCHTN
FÜR
ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE.
FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER,
REICHERT vw. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES.
HERAUSGEGEBEN
VON
D». WILH. HIS uno D». WILH. BRAUNE,
PROFESSOREN DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG,
UND
D. EMIL DU BOIS-REYMOND,
PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN.
JAHRGANG 1879.
SUPPLEMENT-BAND
ZUR
PHYSIOLOGISCHEN ABTHEILUNG.
LEIPZIG,
VERLAG VON VEIT & COMP.
1879. OL 22
A
AN
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H [2
f
ARCHIV
FÜR
FEYSIOLOGIE.
| PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG DES
ARCHIVES FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE.
UNTER MITWIRKUNG MEHRERER GELEHRTEN
HERAUSGEGEBEN
VON
Dz. EMIL DU BOIS-REYMOND,
PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN.
JAHRGANG 1879,
SUPPLEMENT-BAND.
“MIT 19 ABBILDUNGEN IM TEXT.
LEIPZIG,
VERLAG VON VEIT & COMP.
m 1879,
Inhalt.
G. S. Hat und J. v. Krıes, Ueber die Abhängigkeit der Reactionszeiten vom
BIETER OLE SEE ES ee ne ed
Hu6o KRONECKER und G. Stanzuey Haus, Die willkürliche Muskelaction . . . 10
ÖSCAR LANGENDORFF, Ueber die Selbststeuerung der Athembewegungen . . . 48
Max JoserH, Ueber die reflectorische Innervation der Blutgefässe des Frosches. 54
L. Brıeger, Zur Kenntniss des physiologisehen Verhaltens des Brenzeatechin,
BunehmnteundeResorein. 02. 0 en tn 6
BERNHARD Rawınz, Die Lebenszähigkeit des Embryo’ s . . 2 2 2..2.2..2.6
F. M. Starrr, Ueber den Einfluss der Erdwärme bei Tunnelbauten . . . . . 74
SCHOEN, Bemerkungen über die Dioptrik der Krystalllinse und die Periskopie des
een ey LAG
B. v. Anker, Neue Erscheinungen der Nieotinvergiftung . . . » 2» 2.2... 167
eeder Dr Nschiesew an den Herausgeber. .*. . . 2 2.2..272..2.....19
Ueber die Abhängigkeit der Reactionszeiten vom Ort
des Reizes.
Von
G.S. Hall und J. v. Kries.
Aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig.
Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung in sensibeln Nerven
ist wiederholt in der Weise bestimmt worden, dass der Unterschied der
Reactionszeiten bei Reizung verschieden weit vom Centrum entfernter
Hautstellen als Maass derselben betrachtet wurde. Die Correctheit dieser
Methode hängt, wie bekannt, von der Zulässigkeit der Annahme ab,
dass derjenige Theil der Reactionszeit, welcher nicht auf Rechnung der
Leitung im peripheren Nerven und in den langen Bahnen des Rücken-
markes, so wie auf Latenzzeit im percipirenden Sinnesorgan und reagi-
renden Muskel kommt, die reducirte Reactionszeit, in allen Fällen
dieselbe sei. In zahlreichen älteren, diesem Gegenstande gewidmeten
Untersuchungen ist diese Annahme in der Regel, theils stillschweigend,
theils ausdrücklich, gemacht worden. Die hiernach gewonnenen Werthe
waren aber wenig befriedigend. Sie schwankten von 26” pro Sec.
(Schelske) bis zu 225" (Kohlrausch) also fast im Verhältniss 1:9.
Donders! stellte zuerst auf Grund einer Vergleichung der so be-
stimmten sensibeln Leitungsgeschwindigkeit mit der unter Ausschluss
des Centralorgans bestimmten motorischen die Behauptung auf, dass die
erwähnte Voraussetzung unzulässig sei. „Durch diese directen Bestim-
mungen,“? sagt Donders a. a. O. S. 662, „sind nun alle Versuche an
Gefühlsnerven, bei welchen die Hirnthätiskeit mit eingeschlossen war,
1 Die Schnelligkeit psychischer Processe. Dies Archiw. 1868.
2 Die von Helmholtz und Baxt im Jahre 1867 mitgetheilten.
Archiv f, A. u. Ph, 1879. Suppl.-Band. z. Physiol, Abthlg. 1
De G. S. Hann un J. v. Kris:
in’s Gebiet der Geschichte verwiesen, und man- weiss, was dies sagen
will. Wittich würde gern noch seiner etwas grösser gefundenen
Schnelligkeit für die Gefühlsnerven einige Geltung lassen. Aber es geht
nicht; die Uebereinstimmung zwischen Gefühls- und Bewegungsnerven
ist in allen Hinsichten zu vollkommen, um zu erlauben, dass gegenüber
den sicheren Bestimmungen bei diesen die nach unsicheren Methoden
sefundene Leitungsgeschwindiskeit für jene aufrecht erhalten werde.“
Die Frage hätte hiermit für erledigt gelten können. Indessen theilten
im Jahre 1870 Helmholtz und Baxt neue Bestimmungen am moto-
rischen Nerven mit, welche die grosse Abhängigkeit der Leitungsgeschwin-
digkeit von der Temperatur zeigten und somit die Donders’schen Aus-
sprüche als weniger sicher begründet erscheinen liessen. In der That
sind nun auch mehrere Forscher seitdem wieder von der alten Vorans-
setzung ausgegangen. Namentlich hat Exner unter Zugrundelegung
derselben ! die Geschwindigkeit der sensibeln und motorischen Leitung
im Rückenmark bestimmt. Bloch und Garver fanden die Bestimmung
von Leitungsgeschwindigkeiten auf diesem Wege unmöglich. Richet?
hat in neuester Zeit wieder die Unabhängigkeit der redueirten Reactions-
zeiten als selbstverständliche Voraussetzung betrachtet. (S. d. Anm. am
Schlusse d. Arbeit.)
Für eine weitere Untersuchung dieser Frage ergab sich nun eine
doppelte Aufgabe: erstens eine nochmalige Prüfung der Frage, ob die
reducirten Reactionszeiten wesentlich verschieden sind; und zweitens, die
Bejahung dieser vorausgesetzt, etwas darüber in Erfahrung zu bringen,
wovon diese Differenzen derselben abhängen, welche bisher nur als un-
bestimmbare Fehlerquelle angesehen worden sind. Da die von uns an-
gestellte, nicht sehr ausgedehnte Reihe von Versuchen unsere Kenntnisse
in dieser Beziehung immerhin ein wenig erweitert, so glauben wir sie
der Veröffentlichung nicht vorenthalten zu sollen.
Wir haben nicht nur, wie die früheren Untersucher, mit Haut-
reizen, sondern auch mit optischen Reizen experimentirt. Die Methode -
unserer Versuche wollen wir kurz beschreiben, trotz der vielen zum glei-
chen Zwecke schon verwandten Methoden, weil sie gerade in dieser
Form einen sehr hohen Grad von Sicherheit und Bequemlichkeit er-
reicht hat.
Jeder Versuch wurde graphisch registrirt und zwar auf der Trom-
‚mel eines Baltzar’schen Kymographions, welches auf seine grösste Ge-
schwindigkeit gestellt war. Da die Geschwindigkeit der Trommel,
! Exner, Experimentelle Untersuchung der einfachsten psychischen Processe.
Pflüger’s Archiw u. s. w. Bd. VII, S. 634.
2 Richet, Revue philosophique. T. VI, 1878, p. 395.
ÜBER DIE ABHÄNGIGKEIT DER REACTIONSZEITEN VOM ÖRT DES ReEızEs. 3
wenn man nicht besondere Vorsichtsmaassregeln anwendet, nicht als
ganz constant angesehen werden darf, so benutzten wir zur Zeitschreibung
noch eine Registrirstimmgahel von 29 Schwingungen in der Secunde.
1. Die Markirung des Reizes geschah folgendermaassen: Der
eine Arm der Stimmgabel wird mittels eines Elektromagnetes aus seiner
Gleichgewichtslage gezogen, berührt den Anker desselben und wird von
ihm festgehalten. Der durch den Elektromagnet gehende Stromkreis
mag der Unterbrechungskreis heissen; er kann mittels eines Schlüssels
zu beliebiger Zeit von dem Beobachter geöffnet werden. Die Oefinung
des Schlüssels bewirkt also, dass die Stimmgabel vom Anker abreisst
und zu schwingen beginnt. Die Berührung des Stimmgabelarmes mit
dem Anker schliesst einen zweiten Stromkreis, welcher der Reizungs-
kreis heissen mag; beim Abreissen der Stimmgabel vom Anker wird
dieser unterbrochen. Derselbe ist entweder durch die primäre Rolle
eines du Bois’schen Schlittens oder durch die eines Ruhmkorff’schen
Induetionsapparates geführt. Es fällt also der Beginn der Stimmgabel-
schwingungen zeitlich zusammen mit dem Inductionsschlage oder In-
ductionsfunken, welche als Tast- oder Gesichtsreize dienen.
2. Die Reaction bestand in einem Fingerdruck, welcher mittels
eines leicht beweglichen Hebels einen dritten Stromkreis, den Reactions-
kreis, unterbricht; die Unterbrechung wird durch einen kleinen
.Marey’schen Elektromagnet, dessen Schreibfeder unter derjenigen der
Stimmgabel steht, ohne Zeitverlust markirt. Der Gang des Einzelversuchs
ist also folgender: Oeffnung des Unterhrechungskreises, Oefinung des
Reizkreises, Reiz, Reaction, bestehend in Oefinung des Reactionskreises.
Das von einem solchen Versuche erhaltene Bild sieht so aus:
ab misst die Reaetionszeit. Wenn der Beobachter den Unterbrechungs-
kreis nur ganz kurze Zeit geöffnet lässt, so führt die Stimmgabel jedes Mal
nicht viel mehr Schwingungen aus, als zur Zeitbestimmung der betrefien-
den Reaction erforderlich sind, weil sie alsbald wieder von dem Anker
des Elektromagnetes festgehalten wird. Man kann dann ohne Verschie-
bung der Trommel eine Reihe von circa zehn Versuchen hintereinander
machen. Die Methode gestattet also eine sehr schnelle Ausführung
1%
4 G. S. Hıru und J. v. Krıes:
von vielen Versuchen mit den denkbar einfachsten Manipulationen seitens
des Beobachtenden und ohne geringste Störung des Reagirenden.
Die Messung der einzelnen Reactionszeit ist mit Leichtigkeit auf
Zehntel ‚der Stimmgabelschwingungen auszuführen. Diese Genauigkeit
ist vollkommen ausreichend mit Rücksicht auf die Differenzen der
Einzelwerthe.
Die Versuche wurden stets so angestellt, dass eine Reihe der einen
Art zwischen zwei Reihen der anderen Art ausgeführt wurde; die Diffe-
renz zwischen jener und dem arithmetischen Mittel aus diesen beiden gab
dann den gesuchten Werth. Der Einfluss der Ermüdung ist auf diese
Weise möglichst eliminirt. Die auf solche Weise zusammengehörigen
Reihen nennen wir eine Gruppe.
I.
Was die Intensität der als Tastreize benutzten Inductionsschläge
anlangt, so machten wir sie ziemlich kräftig, ohne dass sie schmerzhaft
waren. Es fällt übrigens hierbei auf, dass es eine durchaus unlösbare
Aufgabe ist, die Schläge für zwei verschiedene Hautstellen „subjeetiv
gleich stark“ zu machen. Z. B. kann man am Finger eine sehr starke
Tastempfindung hervorbringen, die deswegen noch nicht schmerzhaft ist;
am Oberarm ist dies gar nicht möglich. Man bekommt dort, schon ehe
die Tastempfindung stark wird, eine stechende Empfindung, die am
Finger vollständig fehlt. Den Reiz für zwei so verschiedene Stellen
gleich zu machen ist daher deswegen unmöglich, weil die verschiedenen
Qualitäten der Empfindung nicht in derselben Weise functionell unter
einander verbunden sind. Uebrigens darf die Wichtigkeit dieses Punktes
nicht überschätzt werden; denn die Abhängigkeit der Reactionszeit von
der Reizstärke ist innerhalb ziemlich weiter Grenzen äusserst gering.!
Die folgenden Tabellen geben zunächst den Vergleich zwischen
Reizung der Zeigefingerspitze und einer Stelle des Oberarms, welche etwa
der Insertion des Deltoideus entsprach. Wir beschränken uns auf die
Angabe der Resultate, welche in der eben erwähnten Weise aus jeder
Gruppe hervorgegangen sind.
18.v. Kries und Auerbach, Die Zeitdauer einfachster psychischer Processe.
Dies Archiw. 1817. S. 357.
ÜBER DIE ABHÄNGIGKEIT DER REACTIONSZEITEN VOM ÖRT DES REızEsS. 5
Tabelle I.
Gereizte Stellen: Spitze des Zeigefingers und Mitte des Oberarms.
Reactionszeit in Stimmgabelschwingungen = !/,, Sec.
Reag. H. | Reag. K.
Arm. Finger. Differenz. Arm. Finger. Differenz.
4.85 4.81 — 0.04 3:94 3:86 —0-08
4.43 4.16 —0:.27 3:49 3-80 +0-.31
4.48 4.47 —0:.01 3:69 3:78 +0.09
4.12 4:16 +0-.04 3.77 373 —0-.04
4.83 4.72 —0.09 3:84 3.89 +0-05
4.10 4-05 — 0.05 3=16,: 32/6 0.0
4.12 4-03 —0.09 3:84 3-56 —0:28
4.13 4-03 — 0-10 3:52 3-78 +0-26
4.32 4.22 —0.10 3.417 3-67 +0-.20
4.41 4:19 —0:.22 3:87 3-72 -+0-35
4.63 4-24 —0.39 3-46 83:60 +0-.14
437 4-21 —0-15 3:49 3.61 +0-12
a 207 0.48 Be Ten 010
In See. 0.152 0.147 — 0.005 0.126 0.129 + 0.003
Wenn wir den Abstand der beiden Hautstellen zu 65 °%® annehmen
und für die Leitungsgeschwindigkeit die schon sehr hohe Zahl von
60%, so müsste man eine Zeitdifferenz von + 0011 Sec. erwarten. Im
Gegensatze hierzu ergiebt die Differenz 0-003 bei K. eine Leitungs-
geschwindigkeit von 214”. Aber vollkommen entscheidend ist das Re-
sultat, welches die Versuche von H. ergeben. Regelmässig ist die Reactions-
zeit vom Oberarm aus länger als vom Finger aus, trotz des kürzeren
Leitungsweges. In den 12 Einzelwerthen, welche für die Differenz ge-
funden sind, ist nur ein einziger positiv. — Schwerlich wird Jemand
geneigt sein, diesen Umstand immer noch auf die Leitungsgeschwindig-
keiten zu beziehen. Man müsste zu diesem Zwecke die unwahrschein-
lichsten Annahmen über die Abhängigkeit derselben von der Länge der
durchlaufenen Strecke, ihre Verschiedenheit in verschiedenen Theilen der
Nerven u. s. w. machen. Es kann vielmehr gar kein gegründeter Ein-
wand gegen die nächstliegende Deutung erhoben werden, dass die redu-
eirten Reactionszeiten von dem Ort der gereizten Stelle in erheblichem
Maasse abhängen, -so zwar, dass sie bei Reizung des Fingers kürzer sind
als bei Reizung des Armes. Es muss diese Differenz im betrachteten
Falle 0.011 + 0-005 = 0:016 Sec. betragen haben. Diese Differenz ist
nicht einmal sehr bedeutend im Vergleich mit dem ganzen Betrage der
6 G. S. Hau unD J. v. KrıEs:
reducirten Reactionszeit. Denn nehmen wir die Länge der Leitung vom
Finger zur Hirnrinde rund zu 1” an, so erhalten wir eine Leitungszeit
hin und zurück von 0'033 Sec., wenn wir 60” als Geschwindigkeit an-
nehmen. Rechnen wir dazu noch 0-010 Sec. als Latenzzeit im Muskel
und subtrahiren 0-043 von der ganzen Reactionszeit 0-147, so bleiben
für die reducirte noch 0-104. Der entsprechende Werth für den Ober-
arın beträgt 0°104 -+- 0:016, also nur um !/,—!/, mehr.
Man kann es in gewissem Sinne als einen glücklichen Zufall be-
trachten, wenn bei dem Vergleich der Stellen die Differenz der redu-
cirten Reactionszeiten so gross und in dem Sinne ist, dass die Differenz
der Leitungszeiten dadurch übercompensirt wird. Obgleich wir noch
eine Reihe anderer Stellen untersucht haben, fanden wir doch ein solches
Verhältniss nicht wieder. Aber es ist auch ein einzelner Fall schon
ausreichend, um das Vorhandensein von Unterschieden in den reducirten _
Reactionszeiten zu constatiren.
Bei einer Vergleichung der Reactionszeiten vom Finger und Nacken
erhielten wir als Mittelwerth aus 7 Gruppen:
Finger. Nacken. Differenz.
0.150 0.142 0:008
| K.
| Finger. Nacken. Differenz,
0126 0120 0.006
Der Unterschied in den reducirten Reactionszeiten ist hier nur in der
Weise wirksam, dass er die aus den Leitungsbahnen resultirende Diffe-
renz vermindert. Man würde daher bei einer Berechnung der Leitungs-
geschwindigkeit zu hohe Werthe erhalten (120 und 150”).
LI.
Bei der Untersuchung des Auges fanden wir ganz ähnliche Verhält-
nisse, nur erheblich prägnanter. Es handelte sich hier um eine Ver-
gleichung der Reactionszeiten bei direct und indirect gesehenem Licht-
signal. Wir benutzten nicht den durch Luft überschlagenden Inductions-
funken, sondern liessen den Schlag sich durch eine kleine Geissler’-
sche Röhre entladen. Es hatte das zwei Vortheile: erstens grössere Inten-
sität der Lichterscheinung, und zweitens Geräuschlosigkeit derselben.
(Bekanntlich darf das Lichtsignal nicht gleichzeitig ein akustisches sein.)
Dem Kopfe des Reagirenden wurde durch einen einfachen Halter eine
constante Stellung gesichert (Drehungen jedoch gestattet), und während
ÜBER DIE ABHÄNGIGKEIT DER REACTIONSZEITEN VOM ÖRT DES REIZES. 7
das Lichtsignal ebenfalls an derselben Stelle blieb, konnte das Auge auf
verschiedene Visirzeichen gerichtet werden, so dass die Lichterscheinung
bald im Fixationspunkte, bald in verschiedenen Stellen der Gesichtsfeld-
peripherie erschien. Es wurde immer nur das eine Auge benutzt, das
andere geschlossen gehalten.
Auch hier hätte können die Forderung gestellt werden, die Reize
für die verschiedenen Theile der Netzhaut gleich stark zu machen. Da
indessen die Frage, wie sich in dieser Beziehung die verschiedenen Theile
der Netzhaut verhalten, keineswegs sicher beantwortet ist, so zogen wir
es vor, einfach denselben Reiz auf alle Theile wirken zu lassen. Wie
sich sofort zeigen wird, sind übrigens die Resultate, welche wir erhielten,
so deutliche, dass sie selbst durch erhebliche Variationen der Inten-
sitäten nicht wären beeinflusst worden.
Wir bezeichnen im Folgenden die Reihen nach der Stelle des Ge-
sichtsfeldes, in welcher das Lichtsignal erschien; es bedeutet also z. B.
„Aussen“, dass dasselbe in der temporalen Gesichtsfeldhälfte sich be-
fand, demnach die mediale Netzhaut traf. Auch hier waren die Ver-
suchsreihen immer der Art zu Gruppen geordnet, dass die Ermüdung
ausgeschlossen werden konnte, z. B.
1) Aussen, 2) Innen, 3) Aussen, zum Vergleich dieser beiden Ge-
sichtsfeldstellen; oder
1) direct, 2) aussen, 3) innen, 4) aussen, 5) direct, wo dann 3) ver-
glichen wird mit dem Mittelwerth von 1) und 5) und 2) und 4). Hier-
nach sind die im Folgenden gegebenen Mittelwerthe zu beurtheilen.
Tabelle II.
Vergleich der Reactionszeiten bei directem und indirectem Erblicken des
Lichtsignals. Die Stellen des indirecten Sehens sind 30° vom Fixations-
punkt entfernt. Die Zahlen bedeuten Stimmgabelschwingungen
von !/,. Sec.
Reag. H.
Direct. Aussen. Innen. Direct. Unten. Oben.
6-33 ADETL60 Gelsn 6H70 N 8530
De er gl 6392 TS
6-15 7.24 a sADB.- |. 46437 6.99 8.11
Bess W671 7.83 6-51 107810
407% 2'8-35 790 OA TE 320419:
0-36, © 1.11... 2.58 6.4 7.20 8.33
0)
In Sec. 0:219 0.245 0.261 0.222 0.248 0.287
8 G. S. HıLu unD J. v. KRiEs:
Reag. K.
Direct. Aussen. Innen. | Direct. Unten. Oben.
4-80 5.38 5-45 4-64 5-07 6-00
9-17 5-66 5-90 5-08 5-70 6-51
4-66 5-16 5-33 4-79 5.51 6-11
4-85 5-33 5-88 5-66 . 5-49 6.22
5-22 5-58 5-64 5-13 5-40 6-17
4-92 5-19 5-83 4:99 5-18 6-45
Del 4-94 5:88 ° 5-67 4-95 5-39 6-24
InaSec. 0-31,107 0218635205396 OENl 0.186,2 0.205
Tabelle TIT.
Vergleich der Reactionszeiten bei directem und indirectem Erblicken des
Lichtsignals. Die Stellen des indireeten Sehens sind 60° vom Fixations-
punkt entfernt. Die Zahlen bedeuten Stimmgabelschwingungen -
von !/,, Sec.
Reag. H.
Unten. Oben. Differenz. | Aussen. Innen. Differenz.
8.08 29.042 0.96 Sr oe
1.48. 8:33 0.85.. | 280006 78, 790° 20.33
2.90, 0022050 20:15 6.982 2 31:322..0.84
7.0500 8.200.01.05 7.:0697983088 20,39
Sale SA 28
use ae, dal oe
In Sec. 0.263 0-291 0.028 0.263 0.281 0.018
Reag. K.
Unten. Oben. Differenz. | Aussen. Innen. Differenz.
Deo SA Deso 62a eos 0.98
Se) lo Boieh Borke Socl
Be |
en rl BRD 5 703 RO
In Sec. 0.184 0.248 0.064 0:216 0.277 0.061
Es geht aus diesen Tabellen mit voller Evidenz hervor, dass die
Reactionszeiten bei indirectem Sehen grösser sind, als bei directem; aber
es zeigt sich auch weiter noch, dass die Richtung, nach welcher wir uns
um eine bestimmte Anzahl Grade vom Fixationspunkte entfernen, keines-
1
ÜBER DIE ABHÄNGIGKEIT DER REACTIONSZEITEN VOM ÜRT DES ReızEs. 9
wegs gleichgiltig ist. Die Werthe für den unteren und äusseren Theil
des Gesichtsfeldes sind einander nahezu gleich; stets aber ist der Werth
für die mediale Hälfte grösser, als für die temporale, für die obere grösser,
als für die untere. Diese sehr erheblichen Differenzen auf Leitungszeiten
in ‘den peripheren Nervenfasern zu beziehen, erscheint vielleicht nicht
absolut unmöglich; bei weitem wahrscheinlicher aber ist jedenfalls auch
hier die Vorstellung, dass die centralen Theile der Reactionszeiten je nach
dem Orte der Reizung verschieden sind. Interessanter Weise finden wir hier
eine sehr deutliche Beziehung zu den sonstigen functionellen Verschieden-
heiten der Netzhautpartien. In der That wissen wir ja, dass die Functions-
fähigkeit der Netzhaut in jeder Beziehung (Sehschärfe, Liehtsinn und
Farbensinn) nach verschiedenen Richtungen vom Centrum hin verschieden
schnell abnimmt, so dass bei gleichem Winkelabstande stets die tempo-
rale Gesichtsfeldhälfte der medialen gegenüber, die untere der oberen
gegenüber bevorzugt erscheint. Man pflegt dies darauf zu beziehen, dass
wir auf die untere Hälfte unseres Gesichtsfeldes mehr zu achten ge-
wöhnt sind, als auf die obere und ebenso naturgemäss jedem Auge von
den seitlichen Theilen des Gesichtsfeldes vorzugsweise die gleichseitigen
(dem rechten die rechts-, dem linken die linksgelegenen) zur Beobach-
tung zufallen. Es dürfte nicht zu kühn sein, wenn wir auch die
Reactionszeiten uns von der allgemeinen Einübung der einzelnen Netz-
hautstellen in ähnlicher Weise abhängig denken. Aus -dem gleichen
Gesichtspunkte erklärt sich leicht auch die besondere Kürze der Reactions-
zeiten bei Reizung der Fingerspitze. Indessen folgt hieraus noch nicht
eine so enge Abhängigkeit zwischen Reactionszeit und Raumsinn, dass
immer von den Stellen mit feinerem Raumsinn auch die kürzere (redu-
eirte) Reactionszeit gefunden werden müsste. So fanden wir z. B. bei
einer Vergleichung der Zungenspitze mit der Stirn als Mittelwerth aus
acht Gruppen
K. | H.
Stirn. Zunge. | Stirn. Zunge.
0.122 0:126 0:163 0.166
Es ist also die Reactionszeit von der Zunge aus noch etwas länger
als von der Stirn, obwohl der Raumsinn nach Weber an der Zungen-
spitze etwa zwanzig Mal feiner ist, als an der Stirn und die Leitungs-
zeiten für beide Stellen jedenfalls nur eine sehr geringe Differenz be-
dingen können. Zwischen der dorsalen und volaren Seite der letzten
Phalange des Fingers vermochten wir keinen Unterschied zu constatiren.
Es soll daher keineswegs eine allgemein giltige einfache Abhängig-
keitzwischen Empfindlichkeit und Reactionszeit behauptet, sondern nur die
10 6. S. Hann un J. v. Kress: ÜBER DIE ABHÄNGIGKEIT U. S. w.
unverkennbaren Beziehungen, welche sie unter Umständen zeigen, ange-
deutet werden.
Wenn die Einübung derjenigen Stelle, welche vom Reiz getroffen
wird, auf die Reactionszeit von einem nicht zu vernachlässigenden Ein-
fluss ist, so werden wir erwarten dürfen, dass auch die Art der Reaction
nicht gleichgiltig ist, sondern mit manchen Bewegungen, welche wir mit
Präcision unter der Herrschaft des Willens auszuführen gewohnt sind,
schneller, als mit andersbeschaffenen geantwortet wird. Hiernach würde
die Bestimmung der motorischen Leitungsgeschwindigkeiten aus den
Reactionszeiten denselben gegründeten Einwürfen unterliegen, wie die der
sensibeln. Wenn wir erwägen, dass die Bestimmung der sensiblen und
motorischen Leitung in die Bahnen des Rückenmarks auf einem Ver-
gleich der Reactionszeiten bei Reizung der oberen und der unteren Ex-
tremität oder bei Reaction mit der einen und der anderen beruht, so
finden wir, dass die gefundenen Verhältnisse besonders geeignet sind,
uns die Leitung im Rückenmarke langsamer erscheinen zu lassen als sie
ist; denn es wird ein grosser Theil der Verzögerung, welche bei Be-
nutzung der unteren Extremität sich herausstellt, irrthümlich auf Rech-
nung der Rückenmarksleitung geschrieben.
Die Resultate des Mitgetheilten können wir dahin zusammenfassen,
dass die reducirten Reactionszeiten je nach der Stelle, welche der Reiz
trifft, nicht unerheblich verschieden sind und beim Auge diese Unter-
schiede sich ganz deutlich denen der sonstigen Functionstüchtigkeit der
verschiedenen Netzhauttheile anschliessen; dass die Reactionsmethode zur
Bestimmung: der sensibeln uud motorischen Leitungsgeschwindigkeit nicht
brauchbar ist, und daher die Leitungsgeschwindigkeit in den langen
Bahnen des Rückenmarks zur Zeit unbekannt ist.
Anm. Bei Berücksichtigung der Verschiedenheiten der reducirten Reactions-
zeiten erledigt sich ein Bedenken von selbst, welches Richet (l. e.) bei Besprechung
der von Auerbach und mir herrührenden' Arbeit geltend gemacht hat. Er frast
nämlich, ob Werthe von der Ordnung unserer Unterscheidungszeiten (1—6 Hundert-
\
.
theile einer Seceunde) nicht in die Grenzen der Versuchsfehler fallen; er hält dies °
sogar für wahrscheinlich auf Grund eigener Versuche. Diese Versuche haben nun
aber darin bestanden, die sensible Leitungsgeschwindigkeit mittels der Reactions-
methode zu bestimmen, was ihm nicht gelang. Richet hat hierbei, wie aus seinen
Worten deutlich hervorgeht, die Möglichkeit eines Unterschiedes in den reducirten
Reactionszeiten völlig ignorirt. Auf diesen letzteren Umstand und nicht auf die
seringe Genauigkeit der Versuche muss daher wohl das Scheitern seiner Bemühungen
bezogen werden. Kr:
Ber
Die willkürliche Muskelaction.
Von
Hugo Kronecker und G. Stanley Hall.
Aus dem physiologischen Institute zu Berlin.
Alle willkürlichen Acte werden nicht unmittelbar, sondern durch
Vermittelung des Rückenmarks auf die Muskeln übertragen. Auch nach
Flechsig’s Untersuchungen ! sind den motorischen Bahnen, auf welchen
die Willensimpulse vom Grosshirn zu den Muskeln verlaufen, mindestens
in den Vorderhörnern Ganglienzellen eingefügt. Wir können daher un-
sere Muskeln nicht in so directer Weise innerviren, wie es elektrische
Reize, den motorischen Nerven applieirt, vermögen. Wir haben keine
Macht, die Frequenz der dem Muskel durch seine motorischen Nerven
zugeführten, vom Willen im Rückenmarke ausgelösten Reize wesentlich
zu ändern. Der natürliche Muskelton hat immer ungefähr gleiche Höhe.
Ebensowenig sind wir im Stande, den willkürlichen Impulsen auch nur
annähernd die Intensität maximaler Nerven- oder Muskelreize zu geben. ?
Ein in Bewegung gesetztes System von Ganglienzellen giebt die em-
pfangene Erregung nicht in unveränderter Form wieder. Beweise dafür
liefern z. B. die coordinirten Reflexe. — Die Schwingungen, in welche
die Gangliencentren vom Willenscentrum her versetzt werden, wirken
auch nach der Peripherie in rhythmisch wiederkehrender Folge.
Die Reize, welche den motorischen Nerven treffen, werden, wie
1 Die Leitungsbahnen im Gehirn und Rückenmark des Menschen, Leipzig 1876,
und Ueber Systemerkrankungen im Rückenmark. Leipzig 1878. 8. 25 u. a.
2 H. Kronecker, Ueber Ermüdung und Erholung quergestreifter Muskeln,
Arbeiten aus der physiol. Anstalt zu Leipzig. 1871. S. 264.
12 Hvco KRONECKER U. G. STANLEY HALL:
Helmholtz! gezeigt hat, vom zugehörigen Muskel ihrer Folge nach
genau wiedergegeben, etwa ebenso wie eine Telephonplatte die in der.
zugehörigen Rolle kreisenden Stromstösse anzeigt, derart, dass im Mus-
keltone Timbreeigenthümlichkeiten der schwingenden Feder eines den
Kaninchenischiadicus kräftig reizenden Schlitteninductoriums hörbar wer-
den. Es mag dies so zu Stande kommen, dass die im Ganzen und mit
relativ fixen Knoten schwingende Feder ausser den starken Contacten,
die mit den Wellenbergen des Grundtons isochron sind, auch noch
schwächere, Obertönen entsprechende, veranlasst.
Es darf also aus dem sogen. natürlichen Muskeltone, wie er durch
willkürliche Erregung, und nach der Beobachtung von E. du Bois-
Reymond? durch elektrische Reizung des Kaninchenrückenmarkes er-
zeugt werden kann, auf die Anzahl der vom Rückenmarke den moto-
rischen Nerven zugeführten Reize geschlossen werden. Durch Beobach-
tungen consonirender Federn von bekannter Schwingungsdauer hat
Helmholtz (1866) die Frequenz dieser Reize zu 18—20 in der Secunde
bestimmt.
Gegenüber den „neuerdings vielfach ausgesprochenen Zweifeln, dass
die natürliche Contraction wirklich discontinuirlicher Natur sei,*? er-
scheint es wünschenswerth, die Vibrationen des durch Vermittelung des
Rückenmarkes gereizten Muskels objectiv darzustellen. Dies ist uns mit
Hülfe einer höchst einfachen Vorrichtung gelungen, der wir die in fol-
gender Figur (S. 3) abgebildete Zeichnung verdanken.
Der einfache, leicht zu improvisirende Versuch wurde in folgender
Weise ausgeführt. Dem Kaninchen wurde die Medulla oblongata ober-
halb des Athmungscentrums durchtrennt (um unnöthigen Schmerz und
willkürliche Bewegung auszuschliessen), sodann wurden unterhalb desselben
Nadelelektroden beiderseits dicht neben dem Rückenmarke eingestochen.
Quer über den blossgelesten Musculus biceps femoris, welcher nahe der
schnell rotirenden Trommel eines Cylinderkymographions von Baltzar'-
scher Construction fixirt war, wurde der Schreibhebel einer Marey’schen
Luftkapsel nahe seinem Drehpunkte leicht gelagert, der Schenkel am
Halter gut befestigt. Eine am Ende des Hebels angebrachte feine Glasfeder
schrieb mit verschwindender Reibung auf der berussten Glanzpapierfläche
1 Monatsbericht der Berliner Akademie vom 23. Mai 1864. — Verhandl. des
naturhistor. medicin. Vereins zu Heidelberg. 1866. Bd. IV, 8. 88.
2 Monatsbericht der Berliner Akademie. 1859. 8. 318.— Gesammelte Abhand-
lungen, Bd. II, S. 30.
®L. Hermann, Allgemeine Muskelphysik im Handbuch der Physiologie.
Leipzig 1879. Bd. ], S. 51.
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DiE WILLKÜRLICHE MUSKELACTION. E
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des Cylinders. Nunmehr wurden Wechselinductionsströme von der secun-
dären Spirale eines du Bois-Reymond’schen Schlitteninduetoriums mit
schnell schwingendem Hammer dem Rückenmarke zugeführt. So wurde
die unterste der in Fig. 1 abgebildeten Wellenlinien gewonnen. Zu-
gleich markirte ein Chronograph !/,oo ‚, welche ganzen Wellenlängen
der mittleren Linie entsprachen. Die obere Linie wurde gewonnen, als
anstatt des Rückenmarkes der Nervus ischiadicus direct gereizt wurde.
VVYWVWVVWVVVYVVYUVVVVVVVVVVAAWNAAV VUN VVVVUNVAWVVVVVYVEDINMVVVVN
NAVY VUVVUMANAAMA
Fig. 1.
Vibrationen des M, biceps femoris vom Kaninchen. Reiz 42 Oefinungsschläge pro Secunde:
1, dem oberen Ende des vom verlängerten Mark abgelösten Rückenmarkes applieirt (unterste Curve),
2, dem Ischiadieusnerven applieirt (oberste Curve), —
Die mittlere Linie markirt "/,, Secunden,
Diese Curven zeigen, dass ein durch Vermittelung des Rückenmarks
tetanisirter Muskel ungefähr 20 nicht sehr gleichmässige Schwingungen
pro Secunde ausführt, während vom motorischen Nerven aus recht regel-
mässige und deutliche Vibrationen, gleicher Frequenz (etwa 43 pro Sec.)
wie die wirksamen Reize, gewonnen wurden. Zur Controle haben wir
später den schwingenden Hammer selbst auf der rotirenden Trommel
zeichnen lassen und mit den Muskelvibrationen übereinstimmende Fre-
quenzen gefunden. Man könnte nun aus dem Umstande, dass die Rücken-
markstetanuscurve ziemlich genau halb so viel Wellen aufweist, als die
bei Nervenreiz erhaltene Tetanuscurve, den Verdacht schöpfen: es seien
von den Rückenmarkselektroden ausgehende Stromschleifen der wirksamen
Oefinungsinductionsschläge im ersten Falle directe Nervenerreger, wäh-
rend die dem Nerven direct applicirten Elektroden Oefinungen und
Schliessungen zur Geltung kommen lassen. Eine einfache Betrachtung
widerlest diesen Einwand gegen die Beweiskraft des Experiments. Wenn
die Vibrationsfrequenz bei Nervenreizung durch Oeffnungs- und Schlies-
sungsinductionsschläge verursacht wäre, so müsste der den Reiz auslösende
Hammer nur 43 halbe Schwingungen ausgeführt haben, denn jedes An-
legen des Hammers an den Contactstift bewirkt eine Schliessungsinduction,
jedes Losreissen zum Magnet herab einen Oefinungsinductionsstrom.
Nun vermochte aber der Hammer unseres Apparates nicht mit weniger
als 35 ganzen Schwingungen in regelmässiger Bewegung zu bleiben,
14 Hu6o KRoNEcKER v. G. Stanıer Härt:
während die höchste erreichbare Frequenz etwa 55 Vibrationen betrug."
Es hätten aber nur 21 bis 22 ganze Schwingungen den angenommenen
Effect haben können. Es sind also die Wellen des Rückenmarkstetanus
nicht durch Stromschleifen, die zum motorischen Nerven vorgedrungen
sind, zu erklären, sondern durch die prästabilirte Reizfrequenz der irgend-
wie erregten Rückenmarkscentren. Bei unserer peripheren Nervenreizung
sind demnach nur die Oeffnungsinductionsströme wirksam gewesen. Dies
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scheint den meisten Beobachtern des Muskeltons begegnet zu sein, denn 4
fast alle geben den durch direete Reizung gewonnenen Muskelton als
gleichhoch mit der klingenden Reizquelle an. Nur Helmholtz erwähnt
schon in seiner ersten Mittheilung über diesen Gegenstand (1864 a. a. O.),
dass er auf Reiz mittels einer Stimmgabel von 120 Schwingungen im
sereizten Muskel „verhältnissmässig stark auch den Ton von 240 Schwin-
gungen, die höhere Octave des Tones der Gabel hörte, welcher durch
die gleichzeitig wirkenden 120 Oefinungsschläge und die etwas-schwäche-
ren 120 Schliessungsschläge hervorgerufen zu sein schien.“ In dieser
selbigen Mittheilung weist Helmholtz auch die Annahme zurück,
„dass etwa der elektrische Strom den gespannten Muskel direct, wie
einen gespannten Draht in Erschütterung setzte. „Um auch diese Mög-
lichkeit auszuschliessen, liess ich,“ fährt Helmholtz? fort, „endlich den
Strom durch den Nervus medianus am Oberarm gehen und schwächte
seine Stärke so, dass er direct auf die Muskeln applieirt, diese nicht in
Zusammenziehung brachte. Sowie der Strom den Nerven kräftig genug
traf, dass starke Contractionen der Vorderarmmuskeln entstanden, hörte
ich aus diesen den Ton der stromunterbrechenden Feder deutlich heraus-
tönen. Wenn ich dagegen die Elektroden am Oberarm ganz wenig zur
Seite schob, dass die Wirkung auf die Vordermuskeln aufhörte, so ver-
schwand auch der Ton.... Diese Versuche scheinen mir erstens jeden
Zweifel an der Existenz eines eigenthümlichen, von dem Zustande der
Contraction abhängigen Muskelgeräusches und jede Erklärung desselben
aus einer Reibung des Muskels an den umliegenden Theilen oder dieser
an einander zu beseitigen.“ Nachdem die Untersuchungen von Helm-
holtz über den Muskelton die früher von du Bois-Reymond? ge-
sebenen Beweise für die Unstetigkeit jedes Tetanus bekräftigt hatten,
waren aus dem merkwürdigen Umstande, dass von den durch Vermit-
! Auch Helmholtz hat in der oben eitirten Abhandlung „Ueber den Muskel-
“ die Schwingungszahl der Feder gewöhnlicher Inductionsapparate zu 40—60
pro Seeunde bestimmt.
?2 Hermann (Handbuch d. Physiol. Bd. I, S.52) hat diesen Beweis nochmals
geführt.
3 Dies Archiv 1875, 8. 637 und Gesammelte Abhandl. Bd. Il, S. 506 u. 507.
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DIE WILLKÜRLICHE MUSKELACTION. 15
telung des Rückenmarks telanisirten Muskeln kein deutlicher secundärer
Tetanus zu gewinnen war, Zweifel gegen die prineipielle Identität der
Vorgänge im Muskel bei natürlicher und bei künstlicher Reizung desselben
erhoben worden. Brücke? hat diese Erscheinung durch die Annahme
erklärt, dass bei der natürlichen Erregung die einzelnen Fasern nicht
gleichzeitig nach Art von Salven, sondern nach Art eines Pelotonfeuers
ihre Reizstösse empfangen und Kühne? hat jüngst Eigenthümlichkeiten
im anatomischen Verhalten der Nervenendfasern im Muskel entdeckt,
welche für die Kenntniss der natürlichen Muskelerregung bedeutungs-
voll zu werden versprechen. Danach „können in den nirgends fehlenden
gleichgerichteten Parallelfasern keine Wellen ohne Phasendifferenz neben
einander fortschreiten.“ Wir haben weitere Aufschlüsse von den in
Aussicht stehenden eingehenden Arbeiten über diesen Gegenstand aus
dem Heidelberger physiologischen Institute zu erwarten.‘
Für unseren Zweck genügt es, objeetiv nachgewiesen zu haben, dass
eine von der Frequenz der dem Rückenmarke zugeführten Reize und von
der Masse und Art des schwingenden Muskels?® unabhängige bestimmte
Anzahl von Stössen den Muskel in Erschütterungen versetzt. Auch viel
häufigere Erschütterungen des künstlich erregten Muskels können un-
zweifelhaft durch feine Schreibmittel getreu objectiv dargestellt wer-
den. Es hat der Eine von uns schon a. a. O.° die durch Ranvier vom
weissen Kaninchenmuskel erhaltenen 357 Curvenzacken pro Secunde als
- gezeichnete Muskeltonvibrationen gedeutet und ausdrücklich hervorgehoben
dass wir „weit entfernt seien“ dem „mit den vorzüglichen Messwerk-
zeugen des Hrn. Marey ausgerüsteten Forscher“ Irrthümer in der Be-
stimmung der Reizfrequenz zuzumuthen. Es war dies schon um des-
willen hier nicht möglich, weil ja die Reizfrequenz nicht aus der Schwin-
gungszahl des Stromunterbrechers, sondern aus der Vibrationsfrequenz
des gereizten Muskels, also der Zahl der wirksamen Reize geschlossen
1 Die wesentlichen Angaben hierüber finden sich in der eitirten Arbeit „Die
Genesis des Tetanus“ S. 20 ff. zusammengestellt.
2 Sitzungsber. der Wiener Akademie. 1877. Bd. 75, Abth. III, S. 28 u. 29.
3 W. Kühne, Ueber das Verhältniss des Muskels zum Nerven. (Im Auszuge
mitgetheilt. F.) Verhandlungen des naturkistor. mediein. Vereins zu Heidelberg. N.F.
Bd. II, Heft 4.
% Nach Schluss des Druckes dieser Arbeit sind W. Kühne’s Untersuchungen
aus dem physiol. Institut zu Heidelberg, 1879, erschienen, worin, S. 65, die eben aus-
seführte Ansicht ausführlicher erörtert ist.
5 Diese schon oben erwähnte Eigenschaft des Muskels, ähnlich wie eine ape-
riodisch schwingende Telephonplatte, auf alle Anstösse zu reagiren, spricht gegen
die Vermuthung von Brücke (a. a. O. S. 30), dass der Muskel gewissermaassen
einen Eigenton habe.
6 Die Genesis des Tetanus. A. a. O. S. 18.
16 | HuGo KRONECKER u. G. StAnuer Harn: |
worden ist. Wir hatten also nicht, wie Hermann im neuen Handbuche
der Physiologie meint, die Ursache für die auffallenden Angaben Ran-
vier’s in gewissen Mängeln seiner Versuche vermuthet. Dass aber die
Verdickungswellen nicht als Merkmale unstetiger Verkürzung auf-
zufassen seien, dafür haben wir noch neue experimentelle Beweise zu den
schon in der Genesis des Tetanus gegebenen gefügt. |
Weder vom Kaninchen noch auch vom Frosche erhielten wir deut-
liche Zacken in den Krampfeurven, welche der an die Sehne befestigte
Schreibhebel auf den Cylinder schrieb, mochte der Krampf durch will-
kürliche Antriebe des Thieres, durch reflectorische Reize, durch Strychnin-
vergiftung oder durch elektrische Reizung des Rückenmarks ausgelöst
sein. Nur wenn directe Nerven- oder Muskelreize in Intervallen von !/,,
oder weniger angewendet wurden, erschien die Tetanuscurve schwach °
gewellt. Es sind demgemäss 20 untermaximale Reize in der Secunde
auch für den Warmblütermuskel gerade hinreichend, einen mässigen
continuirlichen Verkürzungskrampf zu bewirken. |
Nunmehr erhebt sich die Frage, ob der Wille, wenn er auch keine
Macht über das Reizintervall hat, die Anzahl der vom Rückenmarke aus- "
gehenden Reize beliebig, also auch bis zu einem einzigen mindern kann.
Auch Brücke wirft (a.a. O. S. 31) die Frage auf: „Giebt es überhaupt
willkürliche Bewegungen, welche durch einen einmaligen Impuls ausgelöst "
werden?“ S.33 kommt er zu dem Schlusse: „Als unzweifelhaft kann man
aber wohl annehmen, dass bei Entladungen, wie wir sie willkürlich vom
Gehirne aus zu den Muskeln senden können, unter allen Umständen
Addition stattfindet.“ Die Erfahrung, dass man willkürlich ruckweise
Bewegungen ausführen kann, welche selbst kürzer dauern als einfache
Muskelzuckungen, ist, wie a. a. O. angegeben, durch die unserem Willens-
centrum gewohnheitsgemässe Befähigung erklärlich „den Willenstetanus
“ des innervirten Muskels durch schnell darnach eingreifende Wirkung der
Antagonisten abzuschneiden.“
N. Baxt hat in Gemeinschaft mit dem Einen von uns schon vor
mehreren Jahren durch einige Versuchsreihen die Dauer einfachster
Willensbewegungen bestimmt und, wie bereits an anderem Orte kurz
mitgetheilt worden ist,! gefunden: „Dass eine willkürliche möglichst
einfache Contraction (Anschlag mit einem Finger) ziemlich genau doppelt
so lange Zeit, im Mittel, dauert als die gleiche durch einen einzelnen
Inductionsschlag ausgelöste Bewegung.“ Um die Contractionsdauer zu
bestimmen, drückte der Beobachtete, während eine seiner Hände
einen als Stütze dienenden Halter umfassten, mit einem Finger dieser
ı H. Kronecker und W. Stirling, Die Genesis des Tetanus. Dies Archiv.
1878. 'S. 23.
DiE WILLKÜRLICHE MUSKELACTION. 17
Hand die ohne Mühe biegsame Feder eines in der Elliot’schen
Werkstatt treffllich gearbeiteten elektrischen Schlüssels vom oberen
(einstellbaren) Contacte ab und auf den unteren fest, um sodann den
ruhenden Finger von der Feder zum oberen Contacte zurückheben zu
lassen. Der Schlüssel hielt einen Strom geschlossen, welcher nur während
der Zeit unterbrochen wurde, wo die Feder vom oberen zum unteren
Contacte oder in umgekehrter Richtung bewegt wurde. Ein Baltzar’-
scher elektromagnetischer Schreibapparat markirte Lösung und Verbin-
dung des Contactes. Demzufolge gab jede Contractionsperiode 4 Zeiten:
1) Beginn des Druckes, 2) Moment der definitiven Hemmung, 3) Be-
endigung des Druckes, 4) Moment, in welchem die Ruhelage wieder
erreicht ist. Es würden also die Zeiten von 1 bis 3 der Dauer der
Zusammenziehung, 5 bis 4 der Erschlaffungszeit entsprechen. Baxt hat
mit Hülfe dieses bei anderer Gelegenheit näher zu erörternden Verfahrens
folgende bisher noch nicht mitgetheilte Werthe für die Dauer einfacher
willkürlicher und einfacher künstlicher Contractionen der Finger erhalten:
I. An sich selbst:
A. Auf Willensreize
Von der rechten Hand (Mittel aus 37 Versuchen) für die
Sekınser ...\. RE ER HEN. 72.26. 4 0:8208
Von der linken and (Mittel aus 42 Versuchen) . . . 0.302”
Vom Zeigefinger der rechten Hand ee aus 15 Ver-
sachen) ee . 0.296”.
B. Auf Reizung durch einzelne Pad cksshrümer
Vom Zeigefinger der rechten Hand (Mittel aus 29 Ver-
anche) obs EHEN RE
II. An Hrn. Prof. Yeo, der diese Versuche gütigst unterstützte,
A. Auf Willensreize:
Vom Zeigefinger der rechten Hand (Mittel aus 40 Ver-
SICHER Te BE int: 082220
B. Auf Reizung durch einzelne ne
Vom Zeigefinger der rechten Hand (Mittel aus 20 Ver-
STRCHETN OL RE NN nn. Oslade
Der Eine von uns (Hall) fand bei Wiederholung dieser Versuche (ohne
vorherige Uebung’ im einfachen Anschlage) im Mittel aus 37 Messungen
vom Zeigefinger der rechten Hand:
Nena Walllensteizern. 2 se OT
B. Auf elektrische Hinzelneire, ee
Archiv £, A. u. Ph, 1879. Suppl.-Band z. Physiol. Abthle. 2
18 HuGo KRONECKER U. G. STANLEY HALL:
Die Beschränkung, welche der Wille in seiner Macht ertragen muss,
indem er diesen Endorganen keine einfachen Impulse zukommen lassen
kann, wird aber reichlich aufgewogen durch die freie Abstufung in den
Muskelbewegungen, welche das An- und Abschwellen der multiplen Reize,
das Ein- und Ausschliessen der beliebig wechselnden Widerstände gewährt.
Auch erhält sich die Reizbarkeit der Nerven gewiss länger, wenn die-
selben durch wiederholte schwache Reize, als wenn sie durch einfache,
beträchtlich verstärkte in lebhaftere Thätigkeit versetzt werden.
Gewährt nun aber, wie im Allgemeinen die Wiederholung der Reize vor
der Verstärkung derselben, auch eine grössere Reizfrequenz Vorzüge vor
einer geringeren? Steht das natürliche Reizintervall, welches sich für alle
bisher darauf untersuchten Thiere nicht wesentlich verschieden ergeben
hat, ebenso wie es unzweifelhaft von gewissen unbekannten Eigenschaften
des nervösen Centralorgans abhängt, so auch mit den Sonderheiten des
Muskels im Einklange? Zuvörderst ist es, gemäss den von Einem von uns
sefundenen Ermüdungsgesetzen, ein besonderer 'Vortheil, dass durch die
langsamste Reizfolge, welche noch dauernde Zusammenziehung zu be-
wirken vermag, die Ermüdung, die wesentlich mit der Reizfrequenz
wächst, minimal gehalten wird. Sodann wird nach den von Helm-
holtz gefundenen Gesetzen der Superposition zweier schnell auf einander
folgender Zuckungen die mechanische Wirkung am grössten sein, wenn
jede Zuckungscurve vom Maximum der ihr vorhergehenden anhebt. Damit
also die normale Reizfrequenz maximale Wirkung erzeuge, wäre es nöthig,
dass die einfache Zuckung in !/,, bis !/; ihr Maximum erreicht. Bei
vielen Muskeln des Frosches, sowie bei den weissen Kaninchenmuskeln
scheint dies unter normalen Verhältnisseu zuzutreffen. Es fehlt uns an
Beobachtungsmaterial, die Gültigkeit dieser Angabe auch für menschliche
Muskeln zu begründen.
Die Analyse der Willensbeweguug erforderte nunmehr, zu unter-
suchen, ob Zuckungen, die sich im Intervalle von !/,,” bis /,, super-
poniren, höher sind als diejenigen, welche in früheren oder späteren
Stadien sich zu summiren begonnen haben.
Von den Doppelzuckungen.
Die Beantwortung der so einfach formulirten Frage ergab bald so
mannichfaltige Verwickelungen, dass dieselben durch viele Versuchs-
reihen erst zum kleinen Theile haben gelöst werden können.
Es sind, soviel wir bisher bemerkt haben, 4 Factoren, welche die
Höhe der summirten Contraetion beeinflussen.
u di 1m ee SE nd ZZ nt LA En a Ki u 3 Ba nn al nn Fa ne Tal a a ln Lu ULLA UL u
Eee ee et ee
=
DiE WILLKÜRLICHE MUSKELACTION. 19
I. Die mechanische Wirkung des zweiten Antriebes, welcher, wenn
möglich, der vom ersten Impulse geworfenen Last eine neue Beschleunigung
ertheilt.
II. Die Ermüdung, welche ceteris paribus eine Höhendifferenz
zwischen der ersten und der zweiten Zuckung bedingt: um so mehr,
als die Erholungspause sehr klein ist.
III. Die Aenderung der Erregbarkeit, welcher ein Muskel für kurze
Zeit nach erhaltenem Reize unterliegt.
IV. Ein Erregungsrest (Contractur), welcher zu den folgenden Con-
tractionen sich addiren kann.
I. Ueber die mechanische Wirkung doppelter Zuckungsantriebe.
Helmholtz! hat in einer kurzen fundamentalen Mittheilung das
schon oben erwähnte Gesetz aufgestellt, nach welchem zwei schnell auf-
einander folgende maximale Zuckungen sich superponiren. Danach er-
hebt sich die zweite Zuckungscurve so über die erste, wie wenn der
Ausgangspunkt die natürliche Länge des ruhenden Muskels markirte.
Die Maximalhöhe der summirten Zuckung muss also immer gleich sein
der Maximalhöhe einfacher Zuckung, addirt zu der Entfernung des Aus-
sangspunktes von der Abscisse. Es verstärkt demzufolge der zweite
Impuls den ersten gar nicht, wenn dieser zur Zeit, wo der zweite me-
chanisch wirksam wird, selbst noch keine merkliche Bewegung der Last
verursacht hat. Dies ist der Fall, wenn das Intervall zwischen den
beiden Reizen kleiner ist als !/,0, Secunde. Sind die Reize nicht maximal,
so verstärken sich ihre Wirkungen auch bei der kleinsten Zwischenzeit.
Helmholtz hat allem Anscheine nach seine Untersuchung auf das
Stadium der steigenden Energie der Muskelzuckung beschränkt; es ist
aber auch von Interesse, zu untersuchen, in welcher Art die Zuckungs-
eurve im Stadium der sinkenden Energie durch einen zweiten Zuckungs-
antrieb verändert wird. Da der natürliche Muskelton des Frosches
16—20 Schwingungen entspricht, das Stadium der steigenden Energie
etwa !/,, Secunde dauert, so kann es sich ja leicht ereignen, dass der
zweite superponirte Reiz, welchen das Rückenmark aussendet, erst mani-
fest wird, wenn die Energie des contrahirten Muskels schon zu sinken
begonnen hat. Aber auch abgesehen von diesem speciellen Interesse für
1 Monatsber. der Berliner Akademie der Wissenschaften. 1854. S. 328.
3*+
20 HvGo KRONECKER UV. G. STANLEY HALL:
das Verständniss der willkürlichen Tetani, ist die Untersuchung der
Stummationsverhältnisse im absteigenden Curventheile um deswillen von
allgemeiner Wichtigkeit, weil hierdurch ein Mittel gegeben ist, die Dauer
des activen Theiles der Zuckung zu bestimmen. Zu diesem Zwecke war
eine Versuchsreihe über Doppelzuckungen von v. Raum ausgeführt wor-
den. welche in dessen Dissertation niedergelegt ist. Die Versuche waren
aber nicht mannichfach genug, um vollkommen eindeutige Resultate zu
bieten. Es ergab sich, wie zu erwarten, dass die Summation im auf-
steigenden Theile vollkommener war, als die von gleich hohem Punkte
im absteigenden Curventheil ausgehende. Auch bei Anwendung von
„Federwiderständen anstatt der Gewichte zeigte sich, dass die Entwickelung
der verdoppelten Kraft um so vollkommener ist, je weniger die Energie
zwischen den beiden Impulsen sinken konnte“. Die Lösung der oben
formulirten Frage stand also noch aus.
Nachdem wir nunmehr durch eine grössere Anzahl von Versuchen
über die Ursachen der Inconstanz der Summationswerthe manchen Auf-
schluss erhalten haben, können einige Normen für das Verhältniss von
Reizintervall und Summationshöhe aufgestellt werden.
Für den grössten Theil unserer Experimente diente der Triceps fe-
moris des Frosches, vom Plexus ischiadieus aus gereizt, als Versuchs-
object. Der Muskel zeichnete seine Zuckung vierfach vergrössert auf der
am Schreibhebel vorbeigeschossenen Platte des du Bois-Reymond’schen
Federmyographions! auf. Das Myographion ist, seit sein Erfinder es be-
schrieb, von diesem durch eine zeitmarkirende Stimmgabel vervollständist
worden. Für besondere Zwecke haben Gad und Tschirjew? daran einen
zweiten beliebig verstellbaren Reizungscontact, wir eine elektromagnetische
Auslösungsvorrichtung und eine Quecksilberdoppelrinne angebracht. Diese
letztere setzte uns in den Stand, mit einem Schlittenapparate beiden
Contacten, welche durch die geschossene Platte geöffnet werden, die Doppel-
reize in kurzen Intervallen dem Nerven zuzuleiten. Von den auf be-
russter Platte fixirten Zeichnungen wurden Photographien genommen,
welche Vorbilder für die hier wiedergegebenen Zeichnungen waren. Die
folgende Fig. 2 diene als Muster für die Darstellung der Summa-
tionscurve.
Das Curvensystem ist von einem frischen Präparate gezeichnet
worden, die Reize (Oeffnungsinductionsschläge) waren maximale, d. h.
'i. du Bois-Reymond, Gesammelte Abhandlungen, Bd. I, S. 261, aus
Poggendorff’s Annalen der Physik u. Chemie. 1873. Jubelband. S. 591.
® S. Tschirjew, Fortpflanzungsgeschwindigkeit der elektrotonischen Vorgänge.
Dies Archiv. 1879. S. 530 u. 531.
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22 Hu6o KRONECKER uU. G. STANLEY HALL:
man konnte durch Verstärkung der Einzelreize keine höheren Zuckungen
vom Muskel erhalten.
Die resultirenden Summationscurven sind höher als sie dem Helm-
holtz’schen Gesetze zufolge sein dürften. (S. 10.)
Nach der oben wiedergegebenen Regel für die Zusammensetzung
von schnell folgenden Zuckungen müsste die maximale Höhe der sum-
mirten Zuckungscurve I + IIa gleich sein der Summe aus der Maximal-
höhe der einfachen.Curve . „0 A 100
und der Entfernung des (Ausgangs-) Punktes für Curve IIa
von der Abseisse (d. h. wo Ila von I sich abzuheben
a) 300 er = 1 0)n
die geforderte Summe würde SEIN A — 23.5um,
Die Maximalhöhe der Summationscurve jr + ia ist er in Wirk-
lichkeit? .. = Br 20
Ebenso sollte ia Maximalhöhe kr Smnneimermene I + Ile, ge-
setzmässig summirt, aus dem Werthe der Maximalhöhe der einfachen
Curve gleich sein . . . —
und die Entfernung des Angers von ir Ansese a0
die geforderte Summe wäre demsemassıı Be a en
sie ist aber in Wirklichkeit 222 le Den
Freilich ist die Höhenbereehnung al aan na auszuführen,
weil die Ausgangspunkte nicht genau bestimmbar sind, zumal oft, wie
auch in diesem Falle der freigelassene Muskel während der vielfachen
Zuckungen dauernd etwas gedehnt wird, so dass die Absceissen und dem-
zufolge auch identische Zuckungseurven sich nicht vollkommen decken.
Aus diesem Grunde sind auch im vorliegenden durch Fig. 1 wieder-
gegebenen Muster die zu den vier Curven gehörigen Abscissen nicht
gezogen worden, ebenso ist Curvel, deren Verlauf ja aus der Summations-
curve I + IIe bis ganz nahe ihrem Ende erkennbar wird, nicht besonders
gezeichnet. Auch werden die Curven oft seitlich etwas gegen einander
verschoben, wenn die Schreibtafel nicht jedesmal mit genau gleicher
Geschwindigkeit an dem aufgeworfenen Schreibhebel vorbeifliest. Diese
Aenderungen der Geschwindigkeit, welche in der zeitmarkirenden Stimm-
gabeleurve, zumal jenseits des zweiten Contactes, ausgedrückt erscheinen,
sind bei der von uns angewandten Construction des Apparates unvermeid-
lich, wenn die durch diesen Contact gebildete Hemmung an verschiedene
Stellen der Bahn gerückt wird. Alle Fehler, welche durch die besproche
nen Mängel der Zeichnung in die Berechnung der Summationshöhen ein-
geführt werden, sind aber viel zu klein, um die oben bestimmten Diffe-
renzen zwischen den gesetzmässigen und den wirklichen Maximalhöhen
zu erklären.
u
DıiE WILLKÜRLICHE MUSKELAOTION. 23
Die wenigen in der folgenden Tabelle zusammengestellten Zahlen
reichen wohl hin, zu zeigen, in welcher Art die Summation maximaler
Zuckungscurven im Stadium der steigenden Energie geschieht.
I. Tabelle
der Höhenwerthe maximaler, von frischen oder wenig ermüdeten Muskeln
gezeichneter Zuckungen, die sich im Stadium der steigenden Energie
summiren.
Verhältniss , Verhältnis | | a
der Ausgangs- FR Ben Ausgangs- | Maximalhöhe | Maximalhöhe) 0... File
höhe zur BOPN RE F: Macher | der | d
Maximalhöhe | gesetzmässig höhe. ZN y: | summirten | en
eseschen berechneten Zuckung. | Zuckung. | en
. Zuckung
Zuckung. Summations- 5
Dr höhe. mm mm mm mm
0-05 1.40 1.0 18-25 27.0 19.25
0.12 1.28 2.0 17:0 24.25 19.0
0.13 | 1.41 1*1.0@-0) | 7-.5(15-0)|12.0(24.0)| 8-5(17.0)
Dar, 1-39 1-75 10-5 17-0 112.25
0:25 1.00 5.0 20-0 25.0 25-0
‚ 0.32 1-04 5-50 17.0 23-5 22.5
0.35 1.06 5-25 15.0 21-5 20.25
0.42 Noll 7.0 16-5 26-0 23-5
0.65 0-98 10-0 15-5 25.0 25-5
0.73 0.89 8-0 11.0 17.0 19.0
0.84 0.83 14.5 17-25 27.5 31-75
0.87 0275 113.0 15.0 21-0 28.0
0.97 0.93 *7.0(14-0)| 7-25(14-5)113-25(26-5)|14-25(28-5)
1.00 0:74 17-5 17.5 26-0 39.0
Die ersten beiden Spalten der Tabelle zeigen, wie der zweite Im-
puls immer mehr an Wirkung einbüsst, in je vorgerückterem Stadium
der ersten Zuckung er dieser nachhilft. Die grösste Kraft entfaltet er,
wenn er im ersten Sechstel der primären Zuckungscurve eingreift. Dann
verläuft also die Zuckung nicht so, „als wäre der in diesem Augenblicke
stattfindende Contractionszustand des Muskels sein natürlicher Zustand
* In diesen Fällen ist der Angviffspunkt des Muskels am Schreibhebel bis
zum Halbirungspunkte des Hebels vorgerückt, so dass die Hubhöhen nur verdoppelt,
nicht wie sonst vervierfacht worden. Die absoluten Werthe sind also erst verdop-
pelt mit den übrigen vergleichbar.
24 HuGo KRONECKER U. G. STANLEY HALL:
und die zweite Zuckung allein eingeleitet worden,“: sondern es bleibt
noch ferner der Antrieb der ersten Zuckung wirksam. Im zweiten und
dritten Sechstel des Anstiegs hilft die zweite Zuckung der ersten ziem-
lich genau dem Helmholtz’schen Gesetze gemäss. Wenn endlich die
zweite Zuckungscurve nahezu vom Gipfel der ersten anhebt, so „fällt sie
stets etwas kleiner aus als die angeführte Regel fordern würde,“ da sie sich
dem tetanischen Verkürzungsmaximum des Muskels nähert. Die Zuckungs-
curven, welche in einem kürzeren als dem ersten hier angegebenen
Intervalle von ?/,,,” einander folgen, scheinen ihre Wirkung nicht mehr
wesentlich zu summiren. Wir haben nicht genügend Versuche, um die
Grenze genau zu bestimmen, wo die Summation beginnt, doch haben
uns einige im Intervall von !/,,,” folgende Reize gar keine verstärkende
Wirkung mehr gezeigt, und die Bemerkung von Helmholtz: „Es wir-
ken zwei maximale Reize nicht stärker als einer, wenn ihre Zwischenzeit
so klein ist (kleiner als ungefähr !/,,, Secunde), dass beim Anfang der
zweiten Zuckung die erste noch keine merkliche Höhe erreicht hat,“
lässt darauf schliessen, dass Helmholtz auch von Reizen, die in etwas
längeren Intervallen einander folgten, nicht beträchtliche Summationen
entstehen sah. — Wenn man demnach die Summationscurven, deren für
uns wichtigste Werthe die obige Tabelle enthält, in einem System gra-
phisch zusammenstellte, indem man alle über der gleichen Zeitabscisse
construirte, so würde der Complex in seinen äusseren Conturen einem
langen Bergrücken gleichen, der vom Fusse des kurzen Vorberges sogleich
viel steiler als dieser aufsteigt.
Während die Summationen im Stadium der steigenden Energie unter
verschiedenen Umständen der Erregbarkeit und der Leistungsfähiekeit
des Präparates im Allgemeinen übereinstimmende Verhältnisse zeigen,
wird man bei Untersuchung der Zuckungssummationen im Stadium der
sinkenden Energie von allerhand merkwürdigen Unbeständigkeiten über-
rascht, so dass man ohne einen Leitfaden für das Curvengewirr häufig
veranlasst wird, an grobe Versuchsfehler zu glauben. Nachdem man
von einem guten Präparate Öurvenpaare erhalten hat, die eine gewisse
Regel der Abnahme der Summenwerthe mit dem Sinken der Ausgangs-
höhen zeigen, findet man häufig unter gleichen äusseren Versuchsbedin-
sungen ganz abweichende Resultate. Ja, es geschieht, dass von höheren
Ausgangspunkten kleinere Zuckungsmaxima erreicht werden, als von
niedrigeren; es kann sogar die Maximalhöhe der summirten Zuckung
kleiner bleiben, als die Maximalhöhe einfacher Zuckung.
1 Helmholtz, a. a. ©.
Dis WIELLKÜRLICHE MUSKELACTION.
35
Nachdem wir aber auf die Einflüsse der Ermüdung aufmerksam
geworden waren, erkannten wir von den Gesichtspunkten aus, welche
durch die Untersuchungen über die Muskelermüdung eröffnet sind, im
scheinbaren Durcheinander den geordneten Plan.
im nächsten Capitel handeln.
Jetzt betrachten wir nur diejenigen Summationsverhältnisse, die im
Stadium der sinkenden Energie bei frischen Muskelpräparaten Statt
haben.
Hiervon
Die untenstehende Tabelle diene zur Orientirung.
Verhältniss
der Ausgangs-
höhe zur
Maximalhöhe
der einfachen
Zuckung.
So
See oe oo ne
II. Tabelle
der Höhenwerthe maximaler, von frischen Muskeln gezeichneter
Zuckungen, die sich im Stadium der sinkenden Energie summiren.
werden wir
Verhältniss |
der gefun- i 5 |Maximalhöhe r Gesetz.
ar Asnes Maximalhöhe ir mässige Höhe
gesetzmässig Tode use summirten der
Dereehneten Zuckung. Zaekune. summirten
nallone ; Zuckung.
höhe. Br ar: Kr el
0.93 |%8.0(16-0)| 8-0(16-0)\15-0 (30-0) 16-0 (32-0
0.87 |*6.0(12.0)| 6-0 (12-0) 10-5 (21-0) 12-0 (24-0)
0.82 14-0 14-0 23.0 28.0
0-87 15.0 17.0 23.0 92-0
0.86 6-0 8.0 12-0 14-0
0-82 115-0 - 21-0 29.5 36-0
0.96 11.0 16-0 26.0 27.0
0-8 110-5 17.0 22.0 27.5
1.04 8.0 17.0 26-0 25.0
0.91 7.0 17.0 22.0 124-0
1.0 7.0 20.0 27.08 27.0
0.85 5-0 16.0 18-0 21-0
1-0 5.5 17-5 23-0 23-0
1.06 6-0 20.0 29 26-0
1.12 5-0 20.0 28.0 25.0
1:15 4:5 19.0 26-0 23-5
1.02 3-75 16.0 20-25 19-75
210 | 3:5 16-0 21-5 19-5
* Halbe Hebellänge.
26 Hudo KRONECKER U. G. STANLEY HALL:
| br >
Verhältniss
Verhältniss 3 | . „7 | Gesetz-
Me year a Ausgangs- a HE Elobz
ae gesetzmässig höhe. A IB summirten AR N
En berechneten j Zuckung.
der einfachen ne | ı Zuckung.
Zuckung. | hehe, mm mm | mm | mm
0.22 0.91 3.0 13.5 15.0 16.5
0.14 1.0 1-5 10:5. men 12.0
0.12 1-15 2.0 17.055011. 4522-0 19.0
0.05 1.0 1.0 20.0 21.0 21-0
0.0 1.11 0.0 18-0 20.0 18.0
0.0 1.07 0.0 7.0 led | 7.0
—0:05 | 1.10 — 0) 20.0 21-07 7er 9
—0.06 1.09 —1.0 18.0 18.5 17.0
—0.06 1.11 — 1.0 18.0 ee u er N)
—0-11 1.22 —2.0 18.0 19.5 16-0
—0.11 1.08 —2.0 17.5. 17.0 15.5
—0+18 1.15 —2.0 15.0 15.0 13.0
Ein Vergleich dieser Tabelle mit der vorhergehenden lehrt, dass die
Summation zweier Zuckungen eines ganz frischen Muskels im Stadium
der sinkenden Energie nahezu in derselben Weise erfolgt, wie im Sta-
dium der steigenden Energie, nur mit dem Unterschiede, dass, während
die im ersten Aufstieg sich entwickelnde Energie mächtig gefördert wird
durch den superponirten Impuls, dagegen der schwache Kraftrest im
letzten Zuckungsabfalle wenig mehr die Wirkung der zweiten Contraction
unterstützt.
Es ist jedoch zur richtigen Würdigung der Zahlenwerthe zu bemer-
ken, dass als Ausgangshöhe im absteigenden Curventheile das erste Mi-
nimum der zweiten Curve angenommen worden ist. Diese Minimalhöhe
ist aber merkwürdiger Weise keineswegs immer identisch mit der Höhe
des Ortes auf der absinkenden ersten Curve, wo die zweite sich abhebt.
Besser als Beschreihung und Zahlenbelese wird eine Abbildung dies
Verhalten klar machen.
Der folgende Holzschnitt (Fig. 3) stellt eine facsimilirte Curven-
gruppe dar, auf welcher drei Doppelzuckungen und die sie componirenden
einfachen aufgezeichnet sind.
In der dritten Summationscurve (vom längsten Intervall) ist deutlich
erkennbar, wie die zweite Curve sich von der ersten nahe‘ unter dem
Wendepunkte dieser ablöst, wo sie in das Stadium der sinkenden Energie
DIE WILLKÜRLICHE MUSKELACTION. 2
tritt, aber nicht sogleich aufwärts steigt, sondern zuvor noch ein Stück
mit verminderter Geschwindigkeit abfällt, sodann sich erhebend, zu be-
trächtlicher Maximalhöhe gelangt,
ziemlich parallel über der geson-
dert notirten letzten Einzelzuckung.
Ohne solche Einsenkung wendet sich
die zweite Doppelzuckungscurve
(®/, 4; Reizintervall) ziemlich genau
vom Maximum der ersten ab, plötz-
lich stark vermehrte Beschleunigung
des Hebels anzeigend, schliesslich
die Last auf etwas grössere Höhe
fördernd, als es die dritte Doppel-
zuckung vermocht hat. Der im In-
tervall °/,,; Secunden dem ersten
Reiz folgende zweite erhält die
srösste Geschwindigkeit der ersten
Zuckung, ohne Steigerung derselben,
längere Zeit gleichmässig als der
einfache Reiz dies vermag. Das
Maximum dieser summirten Zuckung
bleibt wesentlich unter demjenigen
der zweiten.
" das Intervall des
Das Intervall der
Secunde.
113
e der untersten Zeitschreiber-Linie entspricht !
bezeichnet, betragen °/,,; , das Intervall des zweiten “,;,
y
Triceps femoris eines Frosches mit 60 Gramm belastet durch drei Paare Oeffnungsinductionsströme gereizt.
Besonders interessant aber ist, E
neben diesen Formwandlungen der En
Curven, die Veränderung, welche die Er
Dauer der latenten Reizung erfährt, 3
jenach dem Thätigkeitsgrade, in wel- “2
chem sich der Muskel zur Zeit ihres |
Ablaufs befindet. Die vom Reize r, 8:,
resultirende Doppelcurve I verliess S =
die erste einfache etwanach der glei- 33
chen Latenzzeit, welche verging, be- 33
vor die zweite einfache Curve sich =
von der Abscisse erhob, hingegen 3
löste der Reiz », die summirte 3
Zuckung II viel schneller aus, als E
die entsprechende .einfache, und
ebenso war die Wirkung von dn
mitr combinirten Reiz r im Verlaufe der Curve Ill schon manifestirt,
in einem Zeitpunkte, wo die isolirte Reizung » noch lange latent blieh.
28 HuGo KRONECKER U. G. STANLEY HALL: 3
Diese Veränderlichkeit in der Zeitdauer latenter Reizung mit dem
Wechsel der Arbeitsphasen, in welchen der Muskel begriffen war, als”
ihn der neue Reiz traf, war am Einfachsten zu erklären durch die An-
nahme, dass der ein bestimmtes Gewicht hebende Muskel in den ver-
die Bewegung der trägen Masse kleiner oder grösser ist als seine eigene
Contractionsgeschwindigkeit. Daher ist im Anfange der Zuckung der
Widerstand, welchen das (zu dieser Zeit noch ruhende) Gewicht dem
schiedenen Stadien seiner Zuckung verschieden belastet ist, je nachdem |
plötzlichen Bewegungsantrieb bietet, am grössten, daher die zur Ueber-"
windung jenes Widerstandes nöthige „Spannungshöhe“ maximal. Wenn
die Widerstände der zu bewegenden Last im Verhältniss zur Muskel-
energie so gross sind, dass die für die Bewegungsantriebe aufgewendeten
lebendigen Kräfte sich ganz in Spannungen des elastischen Muskelgebildes”
umsetzen, dann kann es kommen, dass der Muskel sich gar nicht ver-
kürzt, sondern durch die erlittene Spannung, zufolge seiner unvollkom-
ruhende Last etwas verlängert bleibt. Da man nun die Entwickelung
der Zuckungsenergie nicht als instantan ansehen darf,! so kann es kom-
menen Elastieität, bald nach Beendigung seiner Zuckungen durch die”
}
men, dass erst nach einer vorgängigen Verlängerung, die der Muskel”
durch den ersten Ruck erfahren hat, die Contraction, vermöge des nun-
mehr noch übrigen Antriebes, in bewegende Wirksamkeit tritt. In der”
That haben wir bei einigen vorläufigen Versuchen vor dem Erheben
der Zuckungseurve über die Abseisse ein geringes Sinken des Zeichen-
stiftes unter die Abscisse beobachtet, ähnlich wie es neuerdings Gad?
am ruhenden Ende des partiell contrahirten Muskel beschrieben und aus
Dehnungen des ruhenden Theiles erklärt hat. Sobald die Masse in Be-
wegung gerathen ist, nehmen die Widerstände gegen die Muskelcontraction
ab und verschwinden, sobald die Contraction langsamer wird als die
Bewegung des geworfenen Gewichts. Es wird also der mit träger Masse
belastet zuckende Muskel in den Zeitmomenten, in welchen seine Energie
schnell abnimmt, völlig oder theilweise entlastet werden. Umgekehrt
kann es geschehen, dass das von der Wurfhöhe herabfallende Gewicht
durch die erlangte lebendige Kraft, dem in neuer Zuckung ihm entgegen-
eilenden sich verkürzenden Muskel einen Widerstand entgegensetzt, der
grösser ist als jener, welchen das ruhende Gewicht auf den vom Ruhe-
zustand an zuckenden Muskel ausübt. So können also die Spannungshöhen,
welche sich während verschiedener Phasen im doppelt zuckenden Muskel
l Helmholtz, Dies Archiv. 1850. 8. 283.
2 Ueber das Latenzstadium des Muskelelementes und des Gesammtmuskels.
Dies Archiw. 1879. S. 255.
Die WILLKÜRLICHE MUSKELACTION. 29
entwickeln, sehr wechselnde Werthe annehmen. Einige besondere Versuche
haben uns nun gezeigt, dass die Dauer der latenten Reizung auch beim
„belasteten“ Muskel (Gastroknemius und Trieeps femoris vom Frosche)
mit der Last wächst, wenn auch natürlich lange nicht so bedeutend,
wie es Helmholtz bei dem „überlasteten“ nachgewiesen hat.!
Es lag jetzt nahe, diese von der Trägheit der bewegten Massen her-
rührenden während des Zuckungsverlaufes veränderlichen Arbeits- und
Spannungsverhältnisse dadurch auszuschliessen, dass man den Muskel,
wie Marey, Place, Klünder, Gad u. A. oft gethan haben, Metall-
federn ziehen liess, anstatt ihm Gewichte anzuhängen.
Unter der Annahme, „dass die Spannungsänderung der Feder in
jedem Zeitmoment gleich derjenigen des mit derselben verbundenen
Muskels ist“?, können wir die Widerstände, gegen welche der Muskel
sich verkürzt, als ziemlich constant ansehen, wenn wir dafür sorgen,
dass die Spannung der widerstehenden Feder für den Umfang einer
Zuckung sich nicht wesentlich ändert.
Vergleichende Zuckungsreihen, welche wir den Triceps femoris mit
Gewichten oder mit gleich stark spannender Feder haben ausführen
lassen, zeigten, dass die vom Myographionhebel gezeichneten Zuckungs-
curven höher waren, wenn ein Gewicht, als wenn eine entsprechende
Federspannung zu überwinden war.
Die weiter unten stehenden Figuren (4a und b) geben ein charakte-
ristisches Bild von den Unterschieden der beiden Arten von Zuckungs-
curven, welche sich etwa folgendermaassen formuliren lassen:
1. Die Curve des Federmuskels steigt anfänglich (etwa ?/,4, bis "/ı4s
Sec. lang) steiler auf, als diejenige des Gewichtsmuskels.
2. Die Gewichtscurve erreicht die Federcurve und übertrifft sie, so
dass die Maximalhöhe der ersteren häufig beträchtlich höher ist, als die
der letzteren.
3. Die Federeurve fällt steiler ab, als die Gewichtscurve, welche
oft erst 2/1453 Pis ®/]4, Sec. später die Abseisse erreicht.
4. ‚Die Federeurve enthält wellige Erhebungen, welche von den
elastischen Schwankungen der gezerrten Feder herrühren.
5. Summationscurven, von Muskeln ausgeführt, die gegen Feder-
widerstände arbeiten, unterscheiden sich nicht nur in den beschriebenen
Sonderheiten, die jede Curve für sich aufweist, sondern auch dadurch,
dass das Stadium der latenten Reizung für die zweite Zuekung bei dem
1 Dies Archiv. 1850. 8. 302 ff.
2 Gad hat a. a. ©. die Bedingungen entwickelt und realisirt, unter denen das
kürzeste Latenzstadium des Gesammtmuskels zum Vorschein kommt.
STANLEY HALL:
\
I:
RB DEM
4)
Y
HvGo KRONECKI
510)
Der
st, als bei dem Federmuskel.
jewichtsmuskel wesentlich grösser i
(
die
c
tiefer die Ausgangshöhe für
je
®
ICh
deutende
elesen ist.
2"
>
so be
Interschied ist um
[
oO
- R r 31 er
zweite Zuckung
Fig.
4a u, Ab, Zwei Paar Summationseurven. Die eine Curve zeichnet der Muskel mit 60 Gramm belastet
der Muskel durch eine Spiralfeder von 60 Gramm Spannung gedehnt wurde (Curve 7).
Der Muskel ist „belastet“, doch durch nahe gerückte Unterstützung vor Ueberdehnung bewahrt.
Eine Wellenlänge entspricht 4,5".
Fig.
Fig.
‚r
4a. Reizintervall 1% 42
4b. Reizintervall 124,3".
(
Curve @
)
’
die andere, währeud
DIE WILLKÜRLICHE MUSKELACTION, 31
Die vorstehende Abbildung (Fig. 4a u. 2) illustrirt wohl ohne wei-
tere Beschreibung die eben genannten charakteristischen Unterschiede.
Ganz frei von träger Masse ist
aber auch der gegen Federwiderstand
zuckende Muskel nicht; denn immer
ist noch der (am Angrifispunkte der
Muskel durch 108" äquilibrirbare)
Zeichenhebel mit dem Systeme ver-
bunden.
Da nun bei den meisten Myo-
graphionversuchen die Schreibhebel
einerseits mit dem Muskel, anderer-
seits mit dem Gewichte locker ver-
bunden sind, so erschien es wün-
schenswerth, nachzuforschen, in wie-
weit die vom Schreibhebel gezeich-
neten Curven die Bewegung des
unteren Muskelendes oder die Be-
wegung des gehobenen Gewichtes
wiedergeben.
Um die etwaigen Differenzen
experimentell festzustellen, wurde
eine Anordnung construirt, welche
drei vertical unter einander schrei-
bende Hebel verbunden enthielt.
Die nebenstehende Figur 5 giebt
das Facsimile der durch eine Zuck-
ung mit den 3 Hebeln gewonnenen
Curven.
Der oberste Hebel war an die
Muskelsehne gehakt, der mittlere
war mit dem ersten sowie mit dem
unteren durch einen biegsamen Fa-
den verknüpft; aber mit dem unter-
sten war das belastende Gewicht
starr verbunden. Im Stadium der
steigenden Energie erfuhr das ge-
sammte System eine beschleunigte
Hebung. Sobald aber die Con-
Fig. 5.
Der Triceps femoris vom Frosche zeiehnet mit
drei Schreibhebeln eine Zuckung auf. Obere
Curve vom Hebel mit der Sehne fest vereinigt.
Mittlere Curve vom Schreibhebel, der durch bieg-
same Fäden mit Muskel und Gewichtshebel ver-
bunden. Untere Curve vom Hebel, der mit dem Ge-
wicht fest verbunden. Die senkrechten Linien be-
zeichnen die Länge der Tangenten der drei bis
zum voraussichtlichen Maximum der gezeichneten
Muskelzuckung langsam gehobenen Hebel. Rota-
tionsgeschwindigkeit des Cylindermantels 77 mm
in 1”,
tractionsgeschwindigkeit des Muskels sich minderte, flogen die frei beweg-
lichen Theile den Fallgesetzen entsprechend weiter. Der mit dem Muskel
32 Hvado KRONECKER U. G. STANLEY HALL:
fest verbundene Hebel wurde durch die unvollkommene Biegsamkeit des
Muskels, oder im Falle eines genau axial gerichteten Druckes durch die
oeringe Compressibilität gehemmt. Der mittelste, zusammen mit dem
untersten aufwärts geworfen, fand nur durch die Reibungswiderstände
an der Schreibfläche und an der Drehaxe Verzögerungen, welche ihn,
bevor er den Scheitel seiner Wurfparabel erreicht hatte, zur Umkehr
brachten. Der unterste (dritte) Hebel ging höher als der zweite, weil
die gleichen Reibungswiderstände die grössere Masse (Hebel mit Gewicht)
verbunden weniger zu hemmen im Stande waren. In der That sind die
Curven, welche die drei Hebel zeichnen, nach der Maximalhöhe abgestuft,
derart verschieden, dass die Curve des Gewichtshebels am höchsten, die
des Muskelhebels am niedrigsten, zwischen beiden die des mittleren
Schreibhebels ist. Die Dauer der Zuckung ist von allen drei gleich
lang angegeben. Dies zeigt, dass nicht nur, wie selbstverständlich, die
durch gespannte Fäden verbundenen Hebel gleichzeitig gehoben werden,
sondern dass auch der Muskel so langsam erschlafft, dass die anfänglich
freifallenden Hebel ihn noch erreichen, bevor er seine natürliche Länge
(welche ihm mit der Lastung des obersten fest verbundenen Hebels zu-
kommt) wieder gewonnen hat. Von da ab erfolgt die Dehnung (durch
den Hebel und das Gewicht) in derselben Weise, wie wenn sie ihm im
Ruhezustande angehängt worden wären. Ferner ist sowohl die Zeit vom
Anfangspunkte der Contraction an bis zur Maximalhöhe in allen drei
Fällen gleich, als auch der zweite Theil, welcher die Zeit vom Maximum
bis zum Erreichen der Ruhelänge umfasst. Hieraus ist zu schliessen,
dass nach dem ersten gemeinsamen Antriebe der Muskelhebel sowie der
mittlere Schreibhebel verzögert werden derart, dass der relativ frei
fliegende Gewichtshebel zur gleichen Zeit die grössere Höhe erreicht.
Ebenso fällt bei der Erschlaffung des Muskels der mit diesem starr
verbundene Hebel nicht schneller, als der Fallgleichung entspricht, selbst
wenn die Muskelmasse in kürzerer Zeit erschlafft war, weil der Muskel
biegsam ist. Schliesslich folgen der mittlere und der untere Hebel der
Bewegung des oberen so genau, dass alle drei Curven gleichzeitig in die
Abseisse sinken, obwohl sie von verschiedener Höhe gefallen sind.
Zu den in diesem Capitel kurz besprochenen mechanischen Com-
plicationen, die sich bei Zeichnung der Summationscurven geltend machen,
ist noch die Begünstigung zu rechnen, welche elastische Schwankungen
des Muskels am Ende der ersten Zuckungscurve unter passenden Be-
dingungen dem mechanischen Effecte der zweiten bringen können. Aus
diesem Grunde erhalten manche Maximalhöhen, die aus Summationen
ganz am Ende des Stadiums der sinkenden Energie entstanden sind,
merkwürdig hohe Werthe, besonders dann, wenn sie von Stellen der
DIE WILLKÜRLICHE MUSKELACTION. 33
ersten Curve anheben, die unter der Abscisse liegen, also im Momente
grösster elastischer Spannung.
IH. Von der Ermüdung, welche bei den Zuckungssummationen
eine Höhendifferenz zwischen der ersten und zweiten Zuckung
bedingt.
Wir haben schon oben erwähnt, dass erst Ordnung in das schein-
bare Gewirr der Vorgänge bei den Doppelzuckungen kam, als die Ein-
flüsse der Ermüdung, wie sich dieselben zumal bei den Summationen
im Stadium der sinkenden Energie geltend machten, erkannt worden
waren.
Um eine klare Vorstellung von den tief eingreifenden Aenderungen
zu geben, welche die Ermüdung in den Summationsvorgängen bewirkt,
mögen folgende zwei Figuren (S. 24) Platz finden. Die erste (Fig. 6)
siebt ein System summirter Zuckungscurven wieder, welches ein frischer
Muskel gezeichnet hat, die zweite (Fig. 7) ein auf analoge Weise vom
ermüdeten Muskel gewonnenes System.
‚Die Fig. 6 erscheint als ganz gesetzmässiger Complex; nur dass
wegen der grossen Belastung die Summation im Stadium der steigenden
Enersie nicht so schnell wächst wie in anderen Fällen. Die Fig. 7
dagegen bietet ganz auffallende Unregelmässigkeiten dar. Am merk-
würdigsten erscheint die schon oben hervorgehobene Thatsache, dass von
höheren Orten des abfallenden Theils der ersten Zuckungseurven aus-
gehende zweite Curven niedrigere Summationswerthe geben als tiefer
aufgesetzte.
Die untenstehende Tabelle III enthält eine Zusammenstellung der
das Stadium der sinkenden Energie betreffenden Summationswerthe von
Zuckungen, welche verschiedene ermüdete Muskeln gezeichnet haben.
Man ersieht daraus, dass im Allgemeinen die vom Höhepunkte der
ersten Curve ausgehenden addirten Curven nur wenig höhere Werthe
erreichen als die Normalhöhe einfacher Zuckung beträgt, dass etwas
unter dem Gipfel abgehende zweite Curven nicht einmal .den Werth ein-
facher Zuckungen erlangen, während in späteren Stadien der sinkenden
Enersie summirte Zuckungen meist etwas höhere Maxima haben; und
dass am Ende abgehende Curven die gesetzmässige Höhe erreichen, oder
unter günstigen Bedingungen wohl auch etwas überschreiten.
Archiv f. A. u. Ph. 1879. Suppl.-Band. z, Physiol, Abthig. 3
G. StAnLEY Hart:
ONECKER U.
>
j!
Hvco Kr
34
Fig. 6.
Trieeps femoris vom Frosche zeichnet ganz unermüdet mit 60 Gramm belastet ein System von 14 Doppelzuckungseurven, in wachsenden
Reizintervallen. Die senkreehten numerirten Striche markiren die 14 Reizmomente,
Die Stimmgabeleurve markirt '4,, als ganze Schwingungen.
N
N
< N
I
SS N
DEN
SE
Ben
Fig. 7.
Trieeps femoris vom Frosche zeichnet mit 30 Gramm belastet nach längerer Arbeit ein System von 14 Doppelzuckungsceurven in wachsenden
Reizintervallen. Die senkrechten numerirten Striche markiren die 14 Reizmomente, Die letzten (zuerst gezeichneten Curven) sind
bei etwas grösserer Geschwindigkeit der Myographionplatte geschrieben, als die übrigen, daher die Stimmgabelceurven, welche /,,;
markiren in einander verschoben erscheinen.
DIE WILLKÜRLICHE MUSKELACTION. 35
Ill. Tabelle
der Höhenwerthe maximaler, von ermüdeten Muskeln gezeichneter
Zuckungen, die sich im Stadium der sinkenden Energie summiren.
Nmenies es. Maximalhöhe | Pan
ae Bi zur Ausgangs- Ba, 2: der es
Moximalhöhe Eremniseis | Ne | Zuckung | anurten | summirten
der einfachen hkions- ° | Zuckung
Zuckung. 2:0 DM RER BEE. Im | ja
1.0 0-55 5.0 5.0 m 5.5 10-0
1-0 0.58 17-0 17.0 20.0 | 34.0
1-0 0.53 14-0 14-0 15-0 28.0
1:0 0.53 14-0 14-0 15-0 28.0
1-0 0.56 16-0 16-0 18-0 32.0
0-86 0:38 12.0 14-0 10-0 26-0
0-81 0-45 6253. Fe 5 14-5
Bere. -0.37 940,7 410 7 1.5 | .20.0
0.79 0.49 11-5 14-5 12775401 ,26.0
0.8 | 0.31 7.0 9.0 5.0 | 16.0
0.76 0.61 11-0 14-5 15-5 25.5
0.73 0-46 11-0 15.0 12.0 26-0
0.58 0.52 9.0 15-0 13-0 24.0
0-57 0.68 8.5 15-0 16-0 23.5
‚0-55 0.77 8.0 14-5 17.25 22.5
0.45 0.76 7:08 are, 22.5
0.44 0.72 7:00, iesassn lonzoEn + 793.0
0.38 0-56 a. 1 SE 15-9
0-35 0.71 Den en 15-0 21.0
0-3 0.68 3.3 11-0 9.74 14.3
0.21 0:99 3.0 14-5 17-25 17-5
0-17 1:08 2.5 14-5 17-5 17.0
0.09 0.95 1.0.1° 11-5 12.0
0-0 120° 0-0 den 14-5 14-5
36 Hugo KRONECKER v. G. STANLEY HALr:
Einige Verhältnisswerthe, welche von den benachbarten, analogen
Stadien angehörigen, erheblich abweichen, werden nicht auflallend er-
scheinen, wenn man bedenkt, dass die Reihen verschiedenen Muskeln
zugehören, die sich gewiss in ganz verschiedenen Ermüdungsstadien
befanden.
Die Deutung dieser Resultate wird einfach, wenn wir uns die
für die Muskelermüdung geltenden Gesetze in’s Gedächtniss zurückrufen!,
1. „Die Differenz der (arithmetischen) Ermüdungsreihe nimmt ab,
wenn die Reizintervalle wachsen.“
2. „Es arbeitet der Muskel, so oft er auch seinen Zuckungsrhythmus
hat wechseln müssen, in jedem Ermüdungsstadium, bei beliebigem Reiz-
intervalle, in derselben Weise weiter, als wenn er alle bis dahin aus-
seführten Contractionen vom Anfange an in dem gegenwärtigen Inter-
valle gemacht hätte. Die Höhen gleicher Intervalle, mit einander ver-
bunden, ergeben Ermüdungscurven, welche von einem gemeinsamen
Anfangspunkte im Allgemeinen geradlinig und divergent zur Abseisse
abfallen, indem die Ermüdungslinie kleinster Intervalle den steilsten
_ Verlauf nimmt.“
„Ein frischer Muskel zeigt daher kaum merkliche
Differenzen seiner Zuckungshöhen bei verschiedenen
Zuckungsintervallen, weil die Ermüdungslinien gegen den Anfangs-
punkt hin convergiren.“
„Am Schlusse einer Arbeitsreihe wachsen die Zuckungs-
höhen mit den Ruhezeiten beträchtlich“
Bei den Berechnungen der Summationshöhen sind immer die Höhen
der beiden componirenden Zuckungen als gleich vorausgesetzt worden.
Natürlich ist auch bei unseren Versuchen stets darauf geachtet worden,
dass die Probezuckungen, welche vom ersten und zweiten Reizcontacte
ausgelöst wurden, gleich hoch seien. Aber die Probezuckungen folgten
einander in längeren Zwischenzeiten, während sie bei den Summations-
versuchen nur Intervalle von einigen Hunderttheilen einer Secunde
zwischen sich hatten.
Aus den angeführten Sätzen ergiebt sich, dass zwei schnell fol-
gende Maximalreize, welche die summirte Verkürzung zu-
sammensetzen, von dem frischen Muskel annähernd gleich
hohe Einzelzuekungen auslösen, während der ermüdete Mus-
kel sich nach der kurzen Ruhepause, die wir ihm während
! H. Kronecker, Ueber die Ermüdung und Erholung der Muskeln. Arbeiten
aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig. 1871. S. 208, 209, 218.
Dis WILLKÜRLICHE MUSKELACTION. 37
eines Theils seiner ersten Zuckung gegönnt, nur sehr man-
gelhaft erholt.
Es wird also beim ermüdeten Muskel die zweite componirende
Zuckung um so kleiner ausfallen, je schneller sie der ersten folgt, also
in je früherem Stadium der ersten Zuckung sie sich zu dieser addirt.
Die Beobachtung, welche durch Fig. 7 illustrirt wird: dass an höherem
Orte im Abfalle der ersten Curve aufgesetzte addirte Zuckungen nicht
nur relativ, sondern auch absolut niedriger sind, als von tieferen Stellen
der ersten Curve sich erhebende, lässt darauf schliessen, dass die Ermü-
dung mit wachsender Reizfrequenz sehr schnell zunimmt. Auch die
beträchtlich grösseren Höhen, welche die Zuckungen erreichen, die sich
nahe dem Ende der ersten Curve summiren, werden aus den Ermü-
dungsgesetzen erklärlich.
„Die Verbindungslinie der Höhenendpunkte eines mit unveränder-
tem Gewichte belasteten, in gleichen Zeitintervallen sich contrahiren-
den Muskels verläuft geradlinig, bis die Werthe der Höhen kleiner ge-
worden sind, als die Werthe der Dehnung eines einfachen Muskels durch
dasselbe Gewicht. Von diesem Punkte ab wird die Verbindungslinie
nahezu eine Hyperbel, deren eine Asymptote die Dehnungslinie des
ruhenden Muskels ist.“! Dieser Ermüdungsverlauf ist? durch die be-
wiesene Annahme erklärt worden, dass die Elastieität des arbeitenden
Muskels nicht an dessen Ermüdung betheiligt ist, dass also die Hülfe,
welche die elastischen Kräfte den contractilen leisten, constant bleibt
(abgesehen von Structuränderungen, welche die Elastieität für sich schä-
digen). Wenn also der primär zuckende Muskel schon in das Dehnungs-
gebiet gelangt ist, wenn ihn die zweite Zuckung ablenkt, so erleichtern
ihm die elastischen Kräfte die Anfangsbewegung der Last.
Auf die nun naheliegende Frage, weshalb bei den noch kleineren
Reizintervallen, welche die Summationen im Stadium der ‘steigenden
Energie bewirken, doch höhere Maxima zu Stande kommen, findet sich
die Antwort in der oben S. 18 gegebenen Darstellung der während des
Zuckungsverlaufs wechselnden Belastungsverhältnisse.
Der. zweite Impuls des noch im Stadium der steigenden Energie
befindlichen Muskels trifft eine schon in Bewegung gesetzte Masse und
vermag dieselbe daher weiter zu fördern, als wenn er sie ruhend, oder
gar in entgegengesetztem Sinne bewegt (im Stadium sinkender Energie)
zu überwinden hätte. Es verhält sich der Muskel, während er seine
Doppelzuckung im Stadium der steigenden Energie ausführt, wie ein
IH. Kronecker, a. a. 0. 8. 237.
BEN® a2 0..8. 239...
38 Hvao KRONECKER U. G. STANLEY HALL:
weniger belasteter und demgemäss höher zuckender Muskel. Dieses Ver-
halten musste sich auch beim frischen Muskel geltend machen, dessen
Zuckungshöhe ja auch mit verminderter Last zunimmt. In der That haben
wir oben SS. 13 und 14 darauf aufmerksam gemacht, dass im aufsteigen-
den Theile summirte Zuckungen oft höhere Werthe geben als die Helm-
holtz’sche Regel forderte.
Diese qualitativ betrachtende Erklärung der Einflüsse, welche die
Ermüdung auf die Summationsvorgänge übt, kann nicht zu einer quan-
titativen präcisirt ‘werden, weil nach eingeschobenen längeren Ruhe-
pausen erst zwei oder drei höhere Zuckungen erfolgen, bevor die der
neuen Reizfrequenz zugehörige Ermüdungsdifferenz ihren constanten
Werth erlangt hat.! Es bleibt also ein über ein paar Zuckungen nach-
wirkender Erholungsrest, welcher in unseren Summafionsversuchen, wo
nur zwei benachbarte Zuckungen verglichen werden, störend zur Geltung
kommt.
Es wäre nun wünschenswerth, mit Hülfe von Versuchen an Muskeln,
die gegen Federwiderstände arbeiten, die eben gemachten Erörterungen
zu beweisen. Da der Eine von uns aber wegen seiner unaufschiebbaren
Abreise die Arbeit hat abschliessen wollen, so muss diese experimentelle
Probe einer späteren Untersuchung vorbehalten bleiben.
III. Von der Aenderung der Erregbarkeit, welcher ein sub-
maximal gereizter Muskel für kurze Zeit nach erhaltenem Reize
unterliegt.
Wundt? hat diesen Gegenstand schon vor mehreren Jahren einer
genauen experimentellen Prüfung unterzogen, aber nicht um die mecha-
nischen Verhältnisse der Muskelzuckung zu studiren, sondern um die
Modifieationen der Erresbarkeit von Nerven während und kurz nach
Ablauf einer minimalen, submaximalen oder maximalen Zuckung zu be-
stimmen. Uns interessiren für die vorliegende Untersuchung. folgende
Sätze über den Verlauf der Erregung bei sehr kurz dauernden Strom-
stössen (wie die von uns angewendeten Oefinungsinductionsströme sind):
1. bei der Prüfung mit Minimalreizen findet man während der
Zuckung und nach derselben in der Regel erhöhte Erregbarkeit. Doch
Lu. Var PL 0 Ps Bar
®? Wundt, Untersuchungen zur Mechanik der Nerven u. Nervencentren. I. Abth.
1871. Cap. ASS 6
Dre WILLKÜRLICHE MUSKELACTION. 39
kommen an Nerven hoher Leistungsfähigkeit zuweilen auch hier un-
mittelbar nach dem Ablauf der Zuckung flüchtige Spuren einer Hemmung
zum Vorschein.
2. Das regelmässige Bild, welches der Stromstoss mittlerer Stärke
gewährt, besteht, selbst wenn die Schliessungsdauer relativ gross ist, in
einem Abklingen der Erregung in der Form gesteigerter Erregbarkeit.
3. Ist die Dauer des starken Stromstosses sehr kurz, so ist wieder
gewöhnlich während und nach der Zuckung die Erregbarkeit gesteigert.
4. Insbesondere bei der Anwendung schwacher Stromstösse findet
man regelmässig, dass die Hemmungserscheinungen durch die in Folge
"wiederholter Reizung überhandnehmende Asthenie schwinden.
„Als das regelmässige Verhalten des Nerven nach Einwirkung eines
momentanen Reizes wird man immerhin dies zu betrachten haben, dass
die Erregung selbst mehr oder weniger nach beendeter Zuckung als
gesteigerte Erregbarkeit nachklinst. Jene positive Modification,
welche man durch häufige Wiederholung momentaner Reize in geeig-
neten Pausen erzielt, ist demnach nichts anderes als eine Summations-
wirkung. Während die vorangegangene Reizung noch abklingt, trifft
den Nerven ein neuer Reiz, der, indem er stärker wirkt, auch stärker
nachklingt u. s. f. Eine Bedingung, unter der man allein die positive
Modification beobachtet, ist darum auch die, dass die Intervalle der
Reize hinreichend klein seien, um den Nerven jedesmal noch innerhalb
des Stadiums der abklingenden Erregung zu treffen.“ !
Auch in unseren Versuchen, die mit submaximalen Reizen gewonnen
waren, machten sich die in obigen Sätzen enthaltenen Erscheinungen
bemerklich. Die übergesetzmässigen Höhenwerthe, welche bei Summa-
tionen im Stadium der steigenden Energie sich ergeben, wie aus der
folgenden Tabelle IV. (S. 40) ersichtlich ist, gleichen den Ueberschrei-
tungen, wie sie auch bei Anwendung von maximalen Reizen auftreten
und im vorigen Abschnitte beschrieben und erläutert worden sind.
Man kann die Erhöhung der Summationsmaxima bei maximal ge-
reizten Muskeln unmöglich durch erhöhte Reizbarkeit erklären, ohne den
Begriff der „maximalen Reize“ umzustossen. Der Grad der Erregbarkeit
kann doch nur bestimmt werden durch das Verhältniss der Grösse des
Reizes zur Grösse des Effects, also würde bei verminderter Erregbarkeit
der Effect constant erhalten werden können durch entsprechende Reiz-
versrösserung. Da nun aber maximale Reize so weit gesteigerte Reize
sind, dass eine Verstärkung derselben keine grössere Wirkung auszulösen
1 Wundt, Mechanik der Nerven und Nervencentren. Il. Abthl, 1876. S. 66.
40 HuGo KRONECKER v. G. STANLEY HALL:
fi
IV. Tabelle
der Höhenwerthe submaximaler, von frischen Muskeln gezeichneter
Zuckungen, die sich im Stadium der sinkenden Energie summiren.
Verhältniss | Verhältniss 3 Gesetz-
der Aussangs.| der gefun- Maximalhöhe aximalhöhe ‚mässige Höhe
En denen zur Ausgangs- che der de |
Maximalhöhe gesetzmässig höhe. Zuckung. an summirten j
der einfachen berechneten | Zee Zuckung. |
De Summations- }
* Oo höhe FR r Br mm mm F
0-21 1.60 1-0 4.75 9.5 5-75 !
0.42 1.40 2.0 4.75 9.5 6-75 |
0.63 1.16 3-0 4.75 9.0 7.75 |
0.69 0.74 8-5 13.0 6-0 21.5 F
0-77 0-76 10.0 13-0. 17-5 23.0
0.80 0.72 8.0 10.0 13-0 18-0:
0.84 1.02 4.0 4.75 9.0 8-75
0.84 0.91 8.0 9.5 16-0 17.5
0.86 0.85 12.5 14-5 23.0 27.0
0.88 0.75 11-5 13.0 18-0 24.5
0.9 0.73 I.0 10.0 14-0 19-0
0.94 1.18 8.0 8.5 19.5 16-5
0.96 0.92 12.5 13.0 23-5 25.5
0.96 0.92 12.5 13-0 23-5 25-5
1.0 0.81 14-5 14-5 23-5 29.0
1-0 0.75 13-0 13-0 19-5 26-0
1-0 0.94 4.75 4.75 9.0 9.50
1-0 | . 0.84 13.0 13-0 22.0 26-0
1-0 19 10597 9.5 9.5 18-5 19.0
1.0 0.494 8-5 8.5 16-5 17.0
vermag, so konnte auch vermehrte Erregbarkeit nicht äusserlich merklich
werden, sondern nur etwa dadurch, dass die Grenze, an welcher die
Reize maximal werden, herabrückt. — Da nun der Eine von uns früher
nachgewiesen hat, dass die Intensität der Reize, welche für den frischen
Muskel maximale sind, es auch für den ermüdeten bleiben, so tief auch mit
der Leistungsfähigkeit die Zuckungsgrösse sinkt, so kann man in keinem
Stadium des Arbeitsverlaufs eine Veränderung der Zuckungshöhen auf
Rechnung von Erregbarkeitsänderung setzen. Die Fälle, in denen die
Summationshöhen der am Ende des Stadiums sinkender Energie super-
DIE WILLKÜRLICHE MUSKELACTION. 4]
ponirten Zuckungen bei maximal gereizten, ganz frischen Muskeln höher
als gesetzmässig sind, lassen sich durch das von Fick! näher beschriebene
Verhalten eines im Anfang seines Tetanus festgehaltenen, dann losge-
lassenen Muskels erklären. Ein solcher Muskel wirft eine mässige Last
viel höher, als wenn er diese sogleich freiheben darf. Es entwickelt sich
in ihm grössere Spannung, als dem gehobenen Gewichte entspricht und
so wird durch die Elastieitätsentwickelung die Contraction begünstigt.
Bei Anwendung submaximaler Reize erscheinen, wie aus der folgen-
den Tabelle V ersichtlich, die im Stadium sinkender Energie summirten,
überhohen Zuckungen häufiger als bei Application maximaler. Wir sind
berechtigt, die übergesetzmässigen Höhen, wie sie hier (und in vielen
nicht hier angeführten Fällen) auftraten, zum Theil wohl von erhöhter
Reizbarkeit herzuleiten, weil wir häufig gesehen haben, dass die zweite
Zuckung höher ward als die erste, obwohl das Reizintervall so gross
gemacht war, dass die erste Zuckung gänzlich abgelaufen war, bevor die
zweite begann, also gar keine Summation mechanischer Effecte ange-
nommen werden konnte, auch elastische Nachschwingungen nicht mehr
merklich waren.
V. Tabelle.
der Höhenwerthe submaximaler, von frischen Muskeln gezeichneter
Zuckungen, die sich im Stadium der sinkenden Energie summiren.
Verhältniss
Verhältniss 1 r Maximalhöh | Gesetz-
ee Genen mr | Ausgangs. |Mazimelhöhe "zer jmäige Höhe
Maximalhöhe | gesetzmässig höhe. | ee summirten | „mmirten
= ee en | ? Zuckung. Bed
uc ung. höhe. mm | mm mm | mm
1:0 0:95 6-0 6.0 1108 12-0
1:0 0:92 9-5 3 175 LISO
0:98 0:93 8:25 85 15°5 16-75
0:96 084 a are) 21°5 25-5
0:95 0:56 45 4:75 8.0 9-25
0:94 0:85 8.0 8.5 14.0 16°5
0:90 0-84 ld, 130 2175 25:75
0:88 0-89 52 ll) 22301 1 Pr
0.88 0:75 ee le 15°5 24°5
0-88 0-89 1500 113-0 22-0 24-5
1 Muskelarbeit. 1867. S. 58,
42 HuGo KRONECKER U. G. STANLEY Hann:
Verhältniss Verhältnis i % Gesetz-
cefun- E .. |Maximalhöhe . . Re
Ru denn aut Hase ee a Wir wu
Maximalhöhe Se wi Zuckung. EI summirten
der einfachen | ereehneten USTnE- | Zuckung
Zuckung. Summen mm mm mm | mm
3 höhe. ih
0-85 0:99 85 10-0 18-0 18-5
0:83 0-86 5.0 6°0 9-5 11-0
ORT DE 10.0 1320 1130 23-0
0-74 0-96 Le) 955 16-0 16-5
0-73 0-77 9-5. 1320 1029 22-5
0-69 0:99 9.0 13°0 10-0 22:0
0-65 0-93 8:5 130 20-0 21:5
0-63 0-90 3.0 4-75 Ko) el
0-60 ol 6-0 10-0 16-5 16°0
0-50 0-79 6-5 13-0 925 13-5
0-42 1:0 5-5 13.0 18-5 18-5
0-40 11210) 4-0 100 119955) 14-0
0-38 1:05 5.0 13-0 18-5 15:0
0-37 11919 35 9-5 14-0 13-0
0-34 oıl® 5-0 14-5 21,98 1979083
033 0-94 2-0 6°0 1215 8.0
0-31 0-85 4-0 13.0 14-5 1)
0.19 1-0 2-5 13-0 15-5 15-5
0-15 10 20 13°0 15-0 15:0
0-12 1:03 165, 12-5 14-5 140
VOL 0-83 1195 13:0 12-0 14-5
0-0 1:10 0:0 10.0 1) 10:0
— 0.12 1.08 — 7 118) 12-5 11-5
—0 16 11238) —1°5 9.5 9.0 | 8.0
Die summirende Wirkung der Elastieität erhellt wie bei den maxi-
malen, so auch bei submaximalen Summationszuckungen aus der über-
gesetzmässigen Grösse der Werthe am Ende der Tabelle, welche sich auf
Summationscurven beziehen, die von unterhalb der Abseisse gelegenen
Orten ausgehen.
DiE WILLKÜRLICHE MUSKELACTION. 43
IV. Ueber den Erregungsrest (Contractur), welcher zu den
folgenden Contractionen sich addiren kann.
Kühne! hat gezeigt, dass auf Quecksilber schwimmende Muskeln
nach beendigtem Tetanus nur sehr mangelhaft sich wieder ausdehnen.
Schiff und Hermann haben die unvollkommene Wiederverlängerung
in niederem Grade an aufgehängten schwachbelasteten Muskeln beobach-
tet. Diese Vorgänge sind unzweifelhaft als mechanische aufzufassen,
ganz ähnlich wie die verlangsamte Erschlaffung beim ermüdeten Muskel,
welcher Valentin? freilich einen Antheil an der Arbeitsleistung zu-
weisen wollte.
Wesentlich verschieden von diesem Verkürzungsrückstand ist der
in seiner äusseren Erscheinung ähnliche Zustand des Muskels, welchen
Tiegel®? als Contractur bezeichnet und näher untersucht hat, nachdem
schon Helmholtz‘ eine hierauf bezügliche Bemerkung gemacht und
der Eine von uns die absonderliche Reizbarkeitserscheinung beschrieben
hatte®, welche sich derart äussert, dass während längerer Ruhepausen (bis
10 Sec.) die Muskeln zwischen rhythmisch folgenden einfachen Induetions-
reizen zuweilen ziemlich beträchtlich verkürzt bleiben. Dieser Vorgang
ist dadurch von einem mit der Ermüdung vergleichbaren wesentlich ver-
schieden, dass er mit der ferneren Function des Muskels nicht zu- son-
dern abnimmt. Tiegel hat gefunden, dass solche Contractur nur bei
directer Muskelreizung auftritt, und dass während dieses Zustandes die
Erregbarkeit des Muskels für seinen normalen vitalen Reiz (durch seinen
motorischen Nerven) eine minimale geworden ist, während die Contractur
selbst (von maximaler Heftigkeit bei Märzfröschen) eben so gross wird,
wie die mit ihr zusammen ausgelöste Zuckung. Auch im Blutkreislauf
befindliche Muskeln zeigten die Contractur und zwar um so stärker,
je intensiver die Reize waren, welche sie trafen. Ferner giebt Tiegel
an, dass „die Contractur mit der Zeit und unabhängig von weiteren
"Reizen abklingt.“ Endlich hat Tiegel nachgewiesen ®, dass die Dehnung
des in Contractur befindlichen Muskels bis zu seiner natürlichen Ruhe-
länge durch viel kleineres Gewicht bewerkstelligt werden konnte, als für
gleiche Dehnung des ruhenden Muskels erforderlich war; doch fügt er hinzu,
1 Dies Archiw. 1859. S. 815.
2 Valentin, Physiologische Pathologie der Nerven. 1864. 8. 191.
3 Pflüger’s Archiv u. s. w. 1876. Bd. XIIL S. 71.
4 Dies Archiv. 1850. S. 280.
5 Berichte der Berliner Akademie. 1870. S. 629.
STiesel, a. a. ©. S. 32.
v
Fig. 8.
Curve 1 einfache Zuckung des Triceps femoris. Curve 2 durch gleichen Reiz ausgelöst, 1 Secunde nachdem 10 Reize im Intervall von Yo den
Muskel vom Plexus ischiadieus aus tetanisirt hatten.
CKER U, G. STANLEY HALL:
x
4
Hvco KRrorr
Fig. 9.
Curve 1 einfache Zuckung des Triceps femoris. Curve 2 durch gleichen Reiz ausgelöst, 5 Secunden nachdem 10 Reize im Intervall von Y,,, den
Muskel vom Plexus ischiadieus aus tetanisirt hatten.
DIE WILLKÜRLICHE MUSKELACTION. 45
dass auch kurz dauernde, starke Belastung, welche die Contractur über-
windet, den Muskel dauernd zur Ruhelänge bringt, in welcher er ver-
harrt, auch nachdem das Ueberdehnungsgewicht wieder abgenommen ist.
Es ist demzufolge die Contractur nicht mit dem „Verkürzungsrück-
stand“ identisch, welchen Hermann als einen „durch gewisse Abnor-
mitäten, wie starke Ermüdung, Absterben, Ernährungsstörungen und viele
Gifte bedingten Uebergangszustand zur Todtenstarre* ! auffasst.
Einen zwingenden Beweis dafür, dass die Contractur als ein activer
Zustand anzusehen ist, konnten wir dadurch führen, dass wir den Muskel
im Stadium der Contraetur durch einen neuen Reiz treffen liessen.
Wenn die Contractur ein passiver Zustand wäre, so würde ein von
derselben befallener Muskel auf neuen Zuckungsreiz etwa so reagiren
müssen, wie ein Muskel, dem seine Last so hoch unterstützt wird, dass
er sie erst abhebt, wenn er seinem Verkürzungsmaximum nahe ist. Für
den Fall aber, dass die Contractur ein activer Vorgang ist, konnte man
erwarten, dass ein neuer Reiz, zu der dauernden Erregung addirt, die-
selbe vermehren würde.
Die an erregbaren Frühlingsfröschen angestellten Versuche liessen
keinen Zweifel darüber, dass der in Contraetur befindliche Muskel, auch
wenn er vom Nerven aus gereizt war, einen Reiz stärker beantwortet,
als ein zuvor ruhender Muskel. Unsere Experimente sind auf zweierlei
Weise ausgeführt worden. Die eine Reihe wurde derart angestellt, dass
der Muskel zuerst eine maximale Zuckungscurve zeichnen musste, dass
er hierauf durch eine Reihe von Inductionsschlägen im Intervall von
Yo tetanisirt wurde und endlich, nach mehreren Secunden Ruhe, eine
zweite Maximalzuckung, unter sonst gleichen Umständen wie die erste,
zu notiren hatte. Die folgenden 3 Figuren machen das Anfangs-, Mitte-
und Endstadium eines nach kurzem Tetanus abklingenden Erregungs-
zustandes deutlich.
In Fig. 8 (S. 44) ist die Curve I kurz vor dem Tetanus, die Curve Il
eine Secunde nach Beendigung des kurzen Tetanus gezeichnet worden.
Die höhere Abseissenlinie, von welcher die Curve II ausgeht, zeigt den
Verkürzungsrest vom jüngst vergangenen Tetanus. Es ist ohne Maassan-
gabe ersichtlich, dass die Maximalhöhe der zweiten Curve das Maximum
der ersten Curve bedeutend mehr als um das Hebungsstück der Abscisse
übertrifft. |
Die nebenstehende Figur (Fig. 9) zeigt den Erregungsrest, welcher in
diesem Falle 5 Sec. nach der Beendigung eines Tetanus von !/,, Sec.
Dauer geblieben war. Noch immer ist die zweite Curve wesentlich höher
2 Hermann, Handbuch der Physiologie. 1879. Bd. I, Theil 1, S. 251.
Fig. 10.
Curve 1 einfache Zuckung des Trieeps femoris. Curve 2 durch gleichen Reiz ausgelöst, 9 Secunden nachdem 10 Reize im Intervalle von Y,. den
Muskel vom Plexus ischiadieus aus tetanisirt hatten.
‚ STAnLEY HALL
6
Hu60 KRONECKER U.
SE Er Da Fe N Irene SIR HEINZE SEGA NAVI, Yun
yahyan, All,
Curve 1 einfache Zuekung des Trieeps femoris. Curve 2 durch gleichen Reiz ausgelöst, 15 Seeunden nachdem 50 Reize im Intervalle von Y,., den
Muskel vom Plexus ischiadieus aus tetanisirt hatten.
46
DIE WILLKÜRLICHE MUSKELACTION. 47
als die erste. Auffallend ist hierbei auch die Verkürzung der Dauer der
latenten Reizung.
Erst 9 Sec. nach dem Tetanus hat der Muskel seine normale Ruhe
annähernd wiedergefunden, wie die nebenstehende Figur 10 lehrt.
Noch deutlicher, als auf den Verlauf einfacher Zuekungen, wirken
tetanische Anfälle auf den Verlauf von Doppelzuckungen.
Die Doppeleurve I in Figur 11 ist von einem Triceps femoris ge-
zeichnet worden, welchem 50 Induectionsschläge in "/,,, See. Intervall
zugeführt wurden. Noch 15 Sec. nach Beendigung dieses Tetanusanfalls
macht sich die nachwirkende Erregung geltend. Die Doppeleurve hebt
von dem Ausläufer der Tetanuscurve an, übertrifft dann weit das Maximum
der ersten Doppeleurve. |
Diesen Erscheinungen liegen unzweifelhaft Summationserregungen zu
Grunde, nicht „Steigerung der Erregbarkeit“. Die Contractionen von
Muskeln, die unter dem Einflusse früherer Erregungen innervirt worden,
sind fundamental verschieden von den Zuckungen, welche ein Muskel
höchster Leistungsfähigkeit, vom Nerven höchster Erregbarkeit gereizt, zu
liefern vermag.
Solche Summationsvorgänge, die in peripheren Nerven nur in be-
schränktem Maasse auftreten, sind sehr verbreitet in der Sphäre der
nervösen Centralorgane. Der lange Starrkrampf, welchen ein einziger In-
duetionsschlag an dem mit Strychnin vergifteten Frosche auszulösen ver-
mag, kann nicht durch „gesteigerte Erregbarkeit des Rückenmarks“ erklärt
werden, ebensowenig kann die vom „periodisch schlagenden“ Frosch-
herzen durch einen Reiz auslösbare Reihe von Pulsen diesem ersten
Antrieb als allein wirkende Ursache zugeschrieben werden, nicht minder
endlich sind die durch Hautreize ausgelösten Athembewegungen Sum-
'mationseffecte.
1 Nachträgliche Bemerkung. Mehrere Wochen, nachdem die vorliegende
Arbeit gedruckt war und auch Probeabzüge derselben (am 1. September) nach
‚Amerika geschickt worden waren, erhielten wir von Hrn. Sewall dessen im phy-
siologischen Institut zu Baltimore ausgeführte Arbeit: „On the effeet of two suc-
ceeding stimuli upon muscular contraction‘“ (Journal of Physiology, Vol. II, No. 2).
Diese wichtige Untersuchung zeigt so mannigfache Analogien mit der unsrigen, dass
ein näheres Eingehen auf den Inhalt derselben nicht möglich wäre, ohne unsere
Abhandlung umzuarbeiten.
x
Ueber die Selbststeuerung der Athembewegungen.
Von
Dr. Oscar Langendorff.
Aus dem physiologischen Laboratorium in Königsberg ı. Pr.
Hering und Breuer hatten bekanntlich gefunden, dass das Zusam-
mensinken der Lungen als inspiratorischer, die Ausdehnung derselben
als exspiratorischer Reiz wirkt. Der erste Theil dieses Satzes ist von
allen späteren Beobachtern bestätigt worden; gegen den zweiten haben
Guttmann und Gad, sowie O. Rosenbach Einspruch erhoben, die
Ersteren auf Grund entgegengesetzter Versuchsergebnisse, der Letztere
aus mangelnder Uebereinstimmung in der Deutung der beobachteten Er-
scheinungen.
Da mit der Anerkennung des ganzen Hering-Breuer’schen Ge-
setzes die Lehre von der Selbststeuerung der Athmung steht und fällt,
so erscheint eine nochmalige Prüfung desselben sehr wünschenswerth.
Ich habe eine solche um so eher unternommen, als ich mich in früheren
Versuchen ! überzeugt hatte, dass man nicht berechtigt ist, dem N. vagus‘
athmungshemmende oder exspiratorische Fasern abzusprechen.
Ich theile hier nur diejenigen Versuche mit, die ich zur Prüfung
des zweiten Theiles des Hering-Breuer’schen Gesetzes unternom-
men habe.
Ich habe zuerst an Kaninchen experimentirt, die bald schwach, bald!
stark mit Chloralhydrat narkotisirt waren, und ich bin dabei zu so)
widersprechenden Ergebnissen gelangt, dass ich an der Feststellung einer!
bestimmten Gesetzlichkeit schon verzweifelte. Als ich meine Versuche‘
darauf an nicht betäubten Thieren anstellte, war der Erfolg ein so con--
! Der Einfluss des Nervus vagus und der sensiblen Nerven auf die Athmung..,
Mittheil. aus dem Königsberger physiologischen Laboratorium. 1878- 8. 33.
”
O0. LANGENDORFF: ÜBER D. SELBSTSTEUERUNG D. ATHEMBEWEGUNGEN. 49
stanter, dass ich mich nicht erinnere, unter vielen Versuchen auch nur
einer einzigen Ausnahme von dem sogleich zu schildernden Verhalten
- begegnet zu sein.
Dass der Versuch bei tiefster Chloralnarkose auch einen ganz be-
stimmten Erfolg hat, davon überzeugte ich mich später. —
Ich kann Guttmann nicht beistimmen, wenn er die Lufteinblasung
während des apnoischen Zustandes für den Cardinalversuch Breuer’s
erklärt. Ob man es bei der Apnoe wirklich mit nichts, als mit einer
Sauerstoffüberladung des Blutes zu thun hat, steht keineswegs ausser
allem Zweifel." Ist das aber auch der Fall, so sind doch bei der Ein-
leitung einer solchen Apnoe durch wiederholte Lufteinblasungen Mo-
mente eingeführt, die auf den Erregbarkeitszustand der intrapulmonalen
- Vagusfasern von Einfluss sein müssen. Und auf Reizung dieser kommt
es ja beim Aufblasungsversuche an. Wenn man den Einfluss eines In-
ductionsschlages auf einen motorischen Nerven untersuchen will, so wird
man sich hüten, denselben vorher durch wiederholte schwache Reizung
auf den Versuch vorzubereiten.
Will man durchaus, wozu übrigens gar kein Grund vorhanden, in
der Apnoe einblasen, so thut man besser, letztere durch kurze Reizung
des Trigeminus durch Chloroform herbeizuführen. Dieses Verfahren ist,
wenn auch nicht ganz vorwurfsfrei, doch müheloser, erfolgreicher (in Be-
zug auf die Dauer des dadurch zu erzielenden Athmungsstillstandes) und
lässt wenigstens den Vagus in Ruhe.
Das einfachste aber ist, an dem ruhig athmenden Thiere zu ope-
tiren, hier durch eine forcirte Einblasung den normalen Vorgang zu
steigern, zu übertreiben, also so zu verfahren, wie man gewöhnlich bei
der Feststellung einer Nervenwirkung verfährt.
Meine Versuche wurden in folgender Weise angestellt:
Bei einem kleinen Kaninchen wird eine Canüle mit Gummischlauch
in die Luftröhre eingebunden; darauf wird eine Seite des Thorax durch
einen kleinen Längsschnitt in einem Zwischenrippenraume eröffnet, und
in die Oeffnung eine Ludwig’sche Doppelcanüle, wie sie bei Blutdruckver-
suchen Verwendung finden, luftdicht eingeschraubt. Das freie Ende dieser
Canüle führt zu einem Wassermanometer, welches die respiratorischen
Druckschwankungen in der Brusthöhle deutlich zu erkennen giebt. Wird
graphische Aufzeichnung dieser Schwankungen beabsichtigt, so ist das Ma-
nometer mit einer specifisch schwereren Flüssigkeit (Salzlösung, ver-
dünntes Glycerin) gefüllt, und es bewegt sich auf dem freien Schenkel
des Manometers ein feiner Glasschwimmer mit Schreibfeder.
ı Vgl. z. B. Hoppe-Seyler, Physiol. Chemie. IIT. Theil. S. 520. 1872.
Archiv f, A, u, Ph, 1879, Suppl,-Band z. Physiol, Abthlg. 4
50 (). LANGENDORFF:
Es ist einleuchtend, dass der Schwimmer bei jeder Exspiration steigt,
bei jeder Inspiration sinkt — mag die Trachealcanüle offen oder ge-
schlossen sein; dass er ferner bei Einblasungen in die Lunge steigt, bei
Ansaugung aus derselben sinkt.
Wird nun einem so vorbereiteten Thiere Luft in die Trachea ein-
seblasen, nach der Einblasung aber die Trachealcanüle verschlossen, so
sieht man constant Folgendes:
Die Manometerflüssigkeit wird durch die Aufblasung der Lunge in
die Höhe getrieben; nachher steigt sie langsam an, erreicht ein
gewisses über die Abscissen weit emporsteigendes Maximum,
und verharrt auf diesem eine Zeit lang. Oefinet man während
dieses Zeitraumes die Luftröhrencanüle, so sinkt naturgemäss die Wasser-
säule rapide ab, und zwar häufig, besonders wenn der Collaps der Lunge
ein sehr plötzlicher ist, unter die Abseisse. In manchen Fällen wird
mehrere Secunden andauerndes Verharren auf diesem Minimumstande
Tabeess ale
a — a‘ Einblasung.
b Athmungsschlauch geöffnet.
beobachtet. Hat man während des Maximums die Luftröhrencanüle ver-
schlossen gehalten, so erfolgt nach Ablauf längerer oder kürzerer Zeit
ein kleines ruckweises Absinken, diesem folgt wieder ein leichtes An-
steigen, Pause u. s. f£. Der absteigende Schenkel der Curve hat somit
die Gestalt einer Treppe mit breiten Stufen.
Fig. 1 gehört einem Versuche an, in welchem an einem sehr jungen
nicht narkotisirten Kaninchen operirt wurde.
Der Schwimmer zeichnete auf das unendliche Papier des Ludwig'’-
schen Kymographions. Höhe und Dauer der Einblasung ist durch aa’
bezeichnet. Bei 5 wurde die Trachealcanüle freigegeben. —
Ueber die Bedeutung solcher Erscheinungen kann kein Zweifel ob-
walten:
Auf die Einblasung folgt eine langsam sich steigernde
active Exspiration. Das Thier verharrt dann eine Zeit
lang auf der Höhe der Exspiration. Dann beginnt die Ath-
ÜBER DIE SELBSTSTEUERUNG DER ÄTHEMBEWEGUNGEN. al
mung wieder, und zwar mit beschleunigtem Rhythmus bei frei-
gegebener, mit verlangsamtem bei verschlossen gehaltener Tracheal-
canüle.
Beschränkt man sich unter Beiseitelassung des Manometers auf die
blosse Beobachtung des Thieres, so sieht man nach der Einblasung die
Rippen langsam herabsteigen, die Bauchmuskeln sich contrahiren. Ist
die Bauchhöhle eröffnet, so sieht man gleichzeitig mit den Rippen das
Zwerchfell noch stärker nach unten gehen. Es wird Niemand diese Be-
wegung für eine inspiratorische halten, denn der Zwerchfellmuskel ist
dabei völlig erschlafft. Er wird nur durch die exspiratorische Wirkung
der Thoraxmuskeln als der nunmehr allein nachgiebige Theil des Brust-
korbes passiv nach unten gedrängt.!
Man kommt bei Anstellung dieser Versuche leicht auf den Gedanken,
es sei auch das Hinabgehen der Rippen und die Contraction der Bauch-
muskeln ein passiver Act, hervorgebracht durch die Tendenz dieser Theile,
ihr durch die Aufblasung der Lunge gestörtes elastisches Gleichgewicht
wiederzugewinnen.
Eine solche Deutung ist aber hinfällig aus folgenden Gründen:
1. Am frischgetödteten Thiere bleibt der Thorax bei der Aufblasung
in der ihm durch diese ertheilten Stellung: die Rippen gehen hier nicht
nach unten, die Bauchhöhle wird nicht verengt;
2. Die beschriebenen Erscheinungen fehlen sämmtlich nach Dureh-
schneidung der beiden Vaei;
8. sie sind dagegen vorhanden, wenn man vor dem Versuche den
Thorax ausgiebig eröffnet hat, in welchem Falle von einer insufflatorischen
Rippenhebung nichts zu sehen ist. —
In Bezug auf die Contraction der Bauchmuskeln nach der Einblasung
befinde ich mich nicht nur mit Breuer und mit Lockenberg, son-
dern auch mit Rosenbach in thatsächlicher Uebereinstimmung. Nach
letzterem Autor soll aber diese Contraction „nur ihrem zeitlichen Auf.
treten und ihrer Wirkung nach einer Exspiration gleichen, ihrem Wesen
nach (?) aber ein selbständiger, mit dem Ablauf der Athembewegungen
nicht direct in Verbindung stehender Vorgang“ sein. Die Zusammen-
ziehung der Bauchmuseulatur soll zu Stande kommen durch die bei der
Aufblasung der Lungen eintretende Dehnung und dadurch bewirkte Rei-
zung dieser Muskeln — ähnlich wie das sogenannte Unterschenkel-
phänomen durch mechanische Reizung des Quadriceps.
Ein sehr einfacher Versuch lehrt, dass Dehnung der Bauchmuskeln
nicht im Stande ist, die Bauchmuskeln zur Contraction anzureizen. Ich
I Vgl, J. Rosenthal, Die Atheinbewegungen u. 8. w. 1862. S. 49.
4*
52 0. LANGENDORFF:
legte bei einem Kaninchen eine Canüle anstatt in die Trachea in die
jauchhöhle ein. Wurde jetzt in sie Luft hineingeblasen, und dann ab-
sesperrt, so ging die Athmung ganz wie vorher, nur ein wenig schneller,
fort; die Bauchmuskeln machten keine Spur von Bewegung, Die Auf-
blasung des Abdomens konnte sogar sehr beträchtlich sein.
Ich habe diesen Versuch hauptsächlich deshalb angestellt, um zu
sehen, ob vielleicht die inspiratorische Dehnung der Bauchmuskeln in
ähnlicher Weise als exspiratorischer Reiz wirkt, wie die der Lungen,
und möglicherweise (nach Breuer) die des Thorax, Wäre ein Erfols
vorhanden gewesen, so hätte ich freilich weit eher an einen reflectorischen
Vorgang gedacht, wie an eine directe Reizung.
Die bisher mitgetheilten Aufblasungsversuche sind an nicht be-
täubten Thieren angestellt worden. Hat man dieselben dagegen, wie
Guttmann und Gad es thaten, vorher durch Chloralhydrat tief narko-
tisirt, so ist das Bild ein anderes. Auf die Einblasung von Luft in die
Fig. 2.
Lungen folst nur eine schwache Exspirationsbewegung, dann ein Athmungs-
stillstand, der an Dauer den bei nicht betäubten Thieren eintretenden
weit übertreffen kann: ich sah in einem Falle die Athmung 67” lang
stillstehen. Im Uebrigen verhielten sich die Thiere wie die nicht narko-
tisirten.
Zuweilen fehlt die Exspirationsbewegung gänzlich; der Athmungs-
stillstand schliesst sich an die- Einblasung unmittelbar an. Wahrschein-
lich hängt ihr Eintritt ab von der Athmungsphase, in welcher die Ein-
blasung das Thier traf:! Fiel der Abschluss des Trachealschlauches mit
einer Inspiration zusammen, so musste der Thorax erst die Exspirations-
stellung einnehmen, bevor er zur Ruhe kam; während beim Zusammen-
fallen mit einer Ausathmung der Thorax gleich in seiner „Endstellung“
verharrte. Jedenfalls muss man auch hier die Einwirkung der
Lungenaufblasung als eine inspirationshemmende bezeichnen;
! Man könnte sich vorstellen, dass die in den Lungen sich stärker erwärmende,
in Folge dessen sich ausdehnende Luft die Manometersäule in die Höhe treibt.
Diese Deutung wird aber schon dadurch widerlegt, dass ich meine eigene warme
Exspirationsluft in die Lungen blies.
ÜBER DIE SELBSTSTEUERUNG DER ÄTHEMBEWEG! NGEN. BR
und indem man sich vergegenwärtigt, dass zur Documentirung einer ex-
spiratorischen Wirksamkeit die Hervorbringung activer Exspirations-
bewegungen kein unbedingtes Erforderniss ist, kann man auch hier von
einer exspiratorischen Wirkung reden.
Wir erkennen jetzt, wodurch Guttmann und Gad verleitet wurden,
anzunehmen, dass Lungenaufblasung active Exspirationen nicht hervor-
zubringen vermöge. Der Grund liegt in der tiefen Chloralnarkose, der
sie ihre Versuchsthiere unterwarfen. Offenbar wurden sie zur Anwen-
dung derselben veranlasst durch die Besorgniss, dureh selbständige Re-
spirationsbewegungen getäuscht zu werden. Ich habe aber einerseits
während der Einblasung beim nicht betäubten Thiere nur äusserst selten
irgend welche selbständigen Bewegungen gesehen, und andererseits mich
durch Versuche überzeugt, dass auch nach Ausschaltung aller Willkür-
bewegungen am nicht narkotisirten Thiere der Versuch genau ebenso
gelingt, wie am unversehrten. Ich entfernte nämlich vor dem Versuche
die Grosshirnhemisphären, und sah auch dann den Aufblasungsversuch
ebenso glücken, wie in den früheren Versuchen; die active Exspiration
war nicht minder kräftig. —
Was nun den Grund für das Fehlen stärkerer Exspirationsbewe-
gungen und das Auftreten eines langen Einblasungsstillstands bei tief-
ster Chloralnarkose betrifft, so ist dieser wahrscheinlich in einer Schwä-
chung sowohl des inspiratorischen als des exspiratorischen Theiles des
nervösen Athmungsapparates zu suchen. Dass eine solche existirt, be-
weist schon die oft excessive Verlangsamung der Athmung bei tiefster
Narkose. Während der Aufblasung ist der dadurch gesetzte, sonst so
kräftige Exspirationsreiz nicht mehr im Stande, eine active Ausathmung
herbeizuführen. Seine Wirksamkeit beschränkt sich auf die Veranlassung
einer Athmungspause; und der daneben vorhandene Inspirationsreiz muss
erst zu einer ungewöhnlichen Höhe anschwellen, um das sonst leichter
von ihm überwundene Hinderniss zu beseitigen.
Ich bin in vorliegenden Versuchen somit zu Ergebnissen gelangt,
die mir die Richtigkeit auch des angefochtenen Theiles der Hering-
Breuer’schen Angaben ausser Zweifel zu setzen scheinen. Ich halte es
für überflüssig, einige Abänderungen des Versuchsverfahrens zu erwähnen,
die die gewonnenen Erscheinungen nur bestätigt haben. Gegenüber den
sinnreichen Versuchsmodificationen der Breuer’schen Arbeit bringen
sie doch nichts wesentlich Neues.
Köniesberg i. Pr., 30. Juli 1879.
Ueber die reflectorische Innervation der Blutgefässe
des Frosches.
Von
Max Joseph,
stud. med.
Aus dem physiologischen Institut in Königsberg i. Pr.
Im Wintersemester 1878—79 stellte ich auf Anregung des Hrn.
Dr. Langendorff eine Reihe von Versuchen über das angegebene
Thema an. Die von mir benutzte Versuchsmethode war folgende: y
Es wurde zu den Versuchen immer Rana esculenta verwandt; nach-
dem die Frösche curarisirt waren, wurde der N. ischiadicus präparirt
und peripher unterbunden, sein centrales Ende mit Ludwig’schen Elektro-
den versehen, darauf das Herz freigelest und in einen der beiden Zweige
des Aortenbulbus eine Glascanüle eingeführt, die mit einem Manometer
in Verbindung stand. Das Manometer war mit einer Sodalösung oder
mit einer Mischung von Soda und verdünnten Glycerin, die ich zuweilen
sehr vortheilhaft fand, gefüllt." Die Canüle war hinter der Einbindungs-
stelle zu einer Kugel aufgeblasen. Diese nahm etwaige kleine Gerinnsel
auf und hielt so lange Zeit hindurch die Bahn frei. Einige Male be-
nutzte ich statt des Sodamanometers den neuen Wellenzeichner von
Fick,? doch dürfte dieser sich beim Frosche mehr zur Darstellung der
Pulsform als zur Verzeichnung gröberer Druckschwankungen eignen.
! Die Mischung enthielt Glycerin. pur. 10cem, Sol. Natri carb. cone. 5eem, Aqua
destillata 50eem, das specifische Gewicht der Mischung war = 1044.
?2 Fick, Ein neuer Wellenzeichner. Gratulationsschrift für Rinecker. 1877.
Sun,
3
4
M. JOSEPH: ÜBER DIE REFLECTORISCHE INNERVATION U. S. W. +)
I. Ueber reflectorische Blutdrucksteigerung beim Frosche.
Nachdem durch zahlreiche Untersuchungen der neueren Zeit die
‚ Lehre von der reflectorischen Erregung der Gefässmuskeln so ausführ-
lich für den Warmblüter behandelt war, lag es, im Hinblick auf die
nahen Beziehungen zwischen vasomotorischen Apparaten und Wärme-
regulation, nahe zu sehen, ob beim Frosche trotz des Mangels der letz-
teren für die Gefässinnervation ähnliche Gesetze gelten, wie für das
Säugethier. Dies festzustellen bezweckten meine Versuche; durch mano-
metrische Untersuchungen hoffte ich hierüber bessere Auskunft zu erhalten,
wie durch mikroskopische Beobachtung der Gefässwände, die von den
früheren Beobachtern (Saviotti, Pick,! Riegel,® Nussbaum? und
Gaskell?) vorgezogen worden war.
1. Einfluss der elektrischen Reizung des N. ischiadicus.
Sobald der Nerv gereizt wurde, machte sich stets eine Erhöhung
des Blutdruckes bemerkbar, doch stellte sich ein Unterschied bei der An-
wendung schwacher und starker Ströme heraus.
Bei der Benutzung schwacher unterbrochener Inductions-
ströme (1 Daniell XX bis X °” Spiralenabstand) steigt der Blutdruck oft
um ein Beträchtliches; auf einem Maximum angelangt, verharrt er daselbst
bei Fortdauer der Reizung; hört dieselbe auf, so sinkt die Flüssigkeits-
säule entweder gleich ab, oder der Druck bleibt eine Zeit lang constant,
um dann wieder zu der Normalhöhe, oft sogar unter dieselbe zu sinken.
Hört die Reizung vor Erreichung des Druckmaximums auf, so dauert
das Steigen noch ein wenig fort, dann sinkt der Druck, ohne längere
Zeit auf der Höhe zu verweilen. Bei längerer Reizungsdauer wird somit
für die Gefässweite gewissermaassen ein neuer Gleichgewichtszustand ge-
schaffen, der sich in einer durch die Reizungsgrösse bestimmten Höhe
über den alten erhebt. Wellenartige Schwankungen um das Maximum-
niveau habe ich bei schwachen Strömen nicht gesehen. Solche Wellen
sind auch beim nicht gereizten Frosche für gewöhnlich nicht wahrnehm-
bar; zuweilen aber, besonders nach voraufgegangener Rückenmarksdurch-
schneidung treten sie mit grosser Deutlichkeit, doch anscheinend ohne
1 Pick, Ueber reflectorische Innervation der Gefässe. Diss. Berlin 1873.
2 Riegel, Ueber die reflectorische Innervation der Blutgefässe. Wien. med.
Jahrb. N. F.1.S. 9.
3 Pflüger’s Archiv u. s. w. Bd. X. 1875.
4 Journal of anatomy and physiology. Vol. XI. p. 720.
56 M. JosEpH:
besondere Regelmässigkeit auf. Vielleicht ist ihr Erscheinen hierbei
durch unbeabsichtigte Reizung des Rückenmarksquerschnittes bedingt.
Wenn ich mit starken Strömen! reizte (1 Daniell X bis O0“
Spiralenabstand), erfolgte die Steigerung des Blutdruckes steiler wie bei
schwacher Reizung, auch war sie im Allgemeinen beträchtlicher, meist °
aber sank selbst bei kurzdauernder Reizung noch während derselben der
Druck herab, sogar manchmal unter das Normalniveau. Dauerte die
Reizung noch weiter an, so erhob sich zuweilen der gesunkene Blutdruck
von Neuem, um dann wieder abzusinken. Dies beweist, dass die Er-
scheinung nicht auf Ermüdung der gereizten Nerven zu beziehen ist;
eine Erholung: derselben bei fortdauernder Reizung ist nicht wohl denkbar.
Wahrscheinlich hat man auch beim stark gereizten Frosche an einen
Kampf zwischen constrietorischen und dilatatorischen Impulsen zu denken
und die Entstehung der Wellen auf dieselben Momente zu beziehen, die
Latschenberger und Deahna? für die Erklärung derselben beim
Säugethier angeführt haben. Bei schwacher Reizung ist ein Absinken
während der Reizung nur bei sehr langer Dauer derselben (über 3 Mi-
nuten) bemerkbar. Eine Wiedererhebung tritt hier nicht ein, man hat
es also wahrscheinlich mit Ischiadieusermüdung zu thun.
2. Einfluss der mechanischen und chemischen Reizung.
Bei der Durchschneidung des N. ischiadieus gelang es mir stets,
eine Blutdruckerhöhung zu erhalten, sie war allerdings nur sehr vorüber-
gehend und meist sehr gering. Latschenberger und Deahna? da-
gegen sahen in sieben Versuchen fünfmal Drucksenkung und nur zweimal
Drucksteigerung der Ischiadieusdurchschneidung folgen.
Ebenso konnte ich durch leichtes Bestreichen der Haut mit einem
Pinsel, durch Kneifen der Pfote, durch Reizung der Haut mit Ammo-
niak eine oft recht bedeutende Blutdruckerhöhung erzielen.
II. Ueber den Ort der Gefässverengerung.
Eine weitere Versuchsreihe wurde angestellt, um zu sehen, auf
Kosten welcher Gefässgebiete die reflectorische Drucksteigerung zu Stande
! Der Täuschung durch Stromschleifen, welche leicht die Gefässwandungen
selbst, wie die Medulla oblongata oder das Rückenmark treffen konnten, war durch
die bekannten Cautelen vorgebeugt. |
2 Pflüger’s Archiv u. s. w. Bd. XII. 1876.
3A. 2.0.
ÜBER DIE REFLECTORISCHE INNERVATION D. BLUTGEFÄSSE D. FroscHes. 57
kommt. Beim Säugethiere weiss man bekanntlich seit den Untersuchungen
von Heidenhain und Grützner,! dass Haut- und Muskelgefässe für
die reflectorische Drucksteigerung nicht verantwortlich gemacht werden
können, aber die Versuche der genannten Forscher haben ausserdem das
‚merkwürdige Resultat ergeben, dass selbst Ausschaltung des Splanch-
nicusgebietes die reflectorische Drucksteigerung nicht beeinträchtigt.
Beim Frosche sieht man, guten Beobachtern zu Folge, auf sensible Rei-
zung Haut- und Muskelgefässe sich verengern und es ist hier die Frage
zu lösen, ob ausser dem musculo-cutanen Gefässgebiete auch dem abdo-
minalen oder pulmonalen Gebiete ein wesentlicher Antheil an der Druck-
steigerung zukommt. Um diese Frage zu lösen, musste man den Ein-
fluss sensibler Reizung untersuchen 1) nach Ausschaltung der Blutgefässe
der Baucheingeweide, 2) nach Ausschaltung des Gefässgebietes der Extre-
mitäten nnd 3) nach Ausschaltung der beim Frosche zum Aortenkreis-
lauf in nahe Beziehung tretenden Lungengelfässe.
Die Ausschaltung der Eingeweide wurde so vorgenommen, dass nicht
die zu ihnen führenden Nerven durchschnitten wurden, sondern dass
man, unter Vermeidung jeder Blutung, die Eingeweide (Verdauungscanal,
Leber, Milz) unterband und aussehnitt; die unmittelbare Folge der Unter-
bindung war gewöhnlich Stillstand des Herzens und Absinken des Blut-
druckes, offenbar in Folge von Sympathicusreizung und reflectorischer
Einwirkung auf das Herz. (Um dabei den schädlichen Eintritt reich-
licher Manometerflüssigkeit in das Herz zu verhindern, wurde während
der Unterbindung das Manometer abgesperrt und erst nach völliger Er-
holung des Herzens freigegeben.) Bald aber erhob sich der Druck und
erreichte seine frühere Höhe. Wurde nunmehr die Haut gereizt, so er-
gab sich in allen Fällen Blutdrucksteigerung; freilich war sie im Ver-
hältniss zum intacten Frosche viel geringer.
Abbindung der Lungen hatte meist keine Veränderung des Blut-
drucks zur Folge; sensible Reizung ergab stets Blutdruckerhöhung aber
sie war geringer als beim intacten Frosche; während man bei einem
solchen auf ein leichtes Bepinseln der Haut mit Ammoniaklösung oder
auf schwache mechanische Reizung stets eine Blutdruckerhöhung um
mindestens 1°“ erhielt, konnte man nach Entfernung der Lungen nur
eine Blutdrucksteigerung um 2””, höchsens 4”” erzielen.
Die vier Extremitäten wurden in der Weise ausgeschaltet, dass sie
nur durch den N. ischiadicus, bez. den Hauptstamm des Plexus brachialis
in Zusammenhange mit dem Rumpfe des Frosches blieben. Auch jetzt
war noch auf sensible Reizung erhebliche Blutdrucksteigerung bemerkbar.
l Beiträge zur Kenntniss der Gefässinnervation. Pflüger’s Archiv u. s. w.
Bd. XVI.
58 M. Josepr#:
Ich suchte ferner, nach gleichzeitiger Ausschaltung der Bauchein-
seweide und der Lungen den Blutdruck zu beobachten, allein ich konnte
hier nichts Sicheres sehen, da der Blutdruck, wahrscheinlich in Folge
von Schwächung der Herzkraft, fortwährend sank; sensible Reizung hielt
das Fallen nicht auf.
Wenn wir die Resultate dieser Versuche betrachten, so müssen wir
uns sagen, dass wir zu einer sicheren Anschauung über die bei der
reflectorischen Drucksteigerung betheiligten Kreislaufsgebiete nicht ge-
langt sind. Das Geringerwerden des Gefässreflexes nach Ausschaltung
der Lungen und der Abdominalorgane lässt sich natürlich für- eine Ent-
scheidung in dieser Frage nicht verwerthen. Ein Zusammenwirken
sämmtlicher Gefässgebiete erscheint als das Wahrscheinlichste, indessen
kann man sich doch der Auffassung nicht verschliessen, und dazu regen
ganz besonders die Beobachtungen von Heidenhain und Grützner!
an, dass doch vielleicht ausser der Verengerung der Arterien noch andere
Momente bei der reflectorischen Blutdrucksteigerung betheiligt sind,
deren Beachtung seit den bahnbrechenden Arbeiten Ludwigs vielleicht
allzusehr in den Hintergrund gedrängt worden ist.
Ill. Spinale Gefässreflexe.
Endlich versuchte ich den Ort des Centrums des Gefässreflexes selbst
zu localisiren, somit der Frage nach der Existenz spinaler Gefässcentra
näher zu treten. Bekannt sind in dieser Beziehung die am Warm-
blüter gewonnenen, zum Theil freilich sich widersprechenden Ergebnisse
von Schlesinger, Heidenhain und Kabierske, $. Mayer, Luch-
singer u. A. Für den Frosch giebt Nussbaum? an, nach Abtrennung
der Medulla oblongata vom Rückenmark auf sensible Reizung noch Ar-
teriencontractionen mit Hülfe des Mikroskops wahrgenommen zu haben.
Auch Gaskell berichtet, dass er durch sensible Reizung Contraction der
Muskelgefässe — ebenfalls mikroskopisch beobachtet — erzielt habe.
Ich selbst habe bei einer grösseren Anzahl von Fröschen die Medulla
oblongata vom Rückenmark getrennt und dann Reizung sensibler Nerven
angewandt. Ich konnte aber niemals eine unzweideutige Erhöhung des
Blutdruckes erzielen. Höchstens kam eine minimale 1—2"" betragende
Steigerung der Druckmessersäule zu Stande, und zwar nur bei Appli-
N
Na (0)
Aa O)%
©
[8
ÜBER DIE REFLKECTORISCHE INNERVATION D. BLuTGErÄssE D. Froscnes. 59
cation so starker Ströme, dass diese nicht mehr als unbedenklich be-
trachtet werden konnten. Zuweilen sank dagegen sogar die Sodalösung
ein wenig. Die Thiere wurden zu diesen Versuchen theils bald nach
der Durchschneidung, theils ein Paar Stunden oder sogar Tage nach
derselben benutzt, und die Durchschneidung des Rückenmarkes erfolgte,
unter gerinsfügiger Blutung, in verschiedenen Höhen.! Der Reiz war
bald ein mechanischer, bald ein chemischer, bald ein elektrischer, und’
die Frösche waren theils tief, theils schwach, theils gar nicht eurarisirt.
Die Hinterthiere befanden sich im Zustande hoher Refllexerregbarkeit;
auf leichte mechanische Reizung der Pfote traten kräftige Reflexbewe-
gungen, oft auch Entleerung von Harn ein. Trotz aller Versuchsände-
rungen war aber der Erfolg ein durchaus negativer.
Soll man aus diesen Ergebnissen schliessen, dass der Frosch spi-
nale Gefässcentra nicht besitze? Ich glaube,‘ dass man dazu nicht
berechtigt ist. Dass ein spinaler Gefässtonus auch beim Frosche vor-
handen ist, geht aus den mannigfaltisen Versuchen von Goltz wohl
augenscheinlich hervor. Auch spricht dafür die von mir beobachtete
nicht unbeträchtliche Höhe des Blutdruckes nach Rückenmarksdurch-
schneidung, die zuweilen nur wenig unter der Druckhöhe des intacten
Thieres zurückblieb. Wo aber ein Tonus existirt, da existiren auch
Centra. Mag nun dieser Tonus ein wirklich automatischer sein, mag er
in Anregungen von der Peripherie seinen Grund haben, aus den mitge-
theilten Versuchen folgt nur, dass entweder durch elektrische Nerven-
reizung dieser Tonus nicht weiter gesteigert werden kann, oder dass die
von dem übriggebliebenen Medullarantheile versorgsten Gefässgebiete zu
seringfügig sind, um einen merklichen Einfluss auf die Höhe des allge-
meinen Blutdruckes üben zu können. Zwischen diesen beiden Erklä-
rungen zu entscheiden, wage ich um so weniger, als möglicherweise
noch ein anderes Moment in Betracht kommt. Nähme man nämlich an,
dass beim intacten Frosche das Herz an der reilectorischen Druckstei-
gerung nicht so ganz unbetheiligt ist, wie man jetzt für gewöhnlich
glaubt, so liesse sich vielleicht das Ausbleiben der Drucksteigerung nach
Abtrennung der Medulla oblongata vom Rückenmark durch den Fortfall
des Herzrefiexes wenigstens theilweise erklären.
1 Man muss sich aber natürlich hüten, tiefer als über der Ursprungsstelle der
Wurzeln des Plexus ischiadicus das Rückenmark zu durchschneiden. Denn in diesem
Falle kann bei Reizung der Schenkelhaut die Medulla oblongata in den Reflexkreis
mit hineingezogen sein. In der That sah ich in zwei Fällen, in denen die Durch-
schneidung zwischen erster und zweiter Ischiadieuswurzel erfolgt war, auf mecha-
nische Reizung mancher Theile des Schenkels kräftige Blutdrucksteigerung, wäh-
rend beim stärksten Kneifen der Zehen und des Fusses keine solche zu erzielen war.
60 M. Joskpn: ÜBER DIE REFLECTORISCHE INNERVATION U. S. W.
Fasse ich schliesslich die Hauptergebnisse der mitgetheilten Ver-
suche noch einmal kurz zusammen, so folgt aus ihnen, dass
1) auch beim Frosche eine Blutdruckerhöhung auf Reizung sensibler
Nerven eintritt,
2) dass dieselbe auch nach Ausschaltung des gesammten Bauch-
gefässgebietes, oder der Lungengefässe, oder der Gefässe der vier Extre-
mitäten zu Stande kommt,
3) dass die reflectorische Druckerhöhung ausbleibt, wenn das Rücken-
mark in beliebiger Höhe unterhalb der Medulla oblongata durch-
schnitten ist.
Zur Kenntniss des physiologischen Verhaltens des
Brenzceatechin, Hydrochinon und Resorein
und
ihrer Entstehung im Thierkörper.
Von
Dr. L. Brieger.
Aus der chemischen Abtheilung des physiologischen Instituts zu Berlin.
Die Gruppe der Dihydroxylbenzole ist durch den Nachweis, dass das
' Brenzcatechin ein regelmässiger Bestandtheil des Thierkörpers ist, und
‘ dass das Hydrochinon unter gewissen Bedingungen im Thierkörper ge-
bildet wird, dem Interessenkreise der Mediciner näher gerückt. Ebstein
‘ und Müller! waren es, die zuerst aus -dem Harne eines Kindes, der
- an der Luft, namentlich nach Zusatz von Alkali, sich dunkel färbte,
‚ säulenförmige rechtwinklige Krystalle isolirten, die durch ihre Reactionen
' als Brenzeatechin sich charakterisirten. Der gleiche Körper bedingte
‚ nach diesen Autoren die Dunkelfärbung des Urins bei einem Falle, von
‚ dem Fürbringer? erzählte. Die Angabe von Fleischer,? dass die
‚ Bräunung und das Reductionsvermögen des Harns nach Verabreichung
‚ von Salicylsäure und ihrer Natronverbindung dem Brenzeatechin zuzu-
schreiben sei, bedarf noch weiterer Aufklärung. Aus Baumann ’'s Unter-
suchungen‘ geht aber hervor, dass das Brenzcatechin ein regelmässiger
Bestandtheil des Menschen- und Pferdeharns sei, und dass als Quelle
1 Virechow’s Archiv u. s. w. Bd. LXII. S. 554.
2 Berl. klin. Wochenschr. 1875. Nr. 24. — Zeitschr. f. analyt. Chemie. Bd. XIV.
S. 408.
3 Berl. klin. Wochenschr. 1875. Nr. 39 u. 40.
4 Pflüger’s Archiv u. s. w. Bd. XII. S. 63; — Bd. XIII. 8. 16.
62 L. BRIEGER:
desselben nicht das Eiweiss betrachtet werden dürfte, da bei Hunden
mit ausschliesslicher Fleischkost das Brenzcatechin im Urin nicht ge-
funden wird. Ebensowenig gelang es Preusse! bei einem Kaninchen,
das ca. 14 Tage lang auf blosse Milchnahrung gesetzt worden, Brenz-
catechin im Harne nachzuweisen. Preusse wurde deshalb zur Annahme
geführt, dass das Brenzeatechin der Pflanzennahrung entstamme und
es glückte ihm, durch Versuche zu erhärten, dass die im Pflanzenreiche
weit verbreitete Protokatechusäure im Thierkörper theilweise in Brenz-
catechin übergehe. Ueber das Auftreten von Hydrochinon im Thierkörper
sind wir erst vor Kurzem von Baumann und Preusse? unterrichtet
worden. Sie erhielten nämlich diesen Körper aus dem Harn von Hunden,
die längere Zeit mit Phenol gepinselt worden waren und erbrachten hier-
bei den Nachweis, dass Oxydationsproducte des Hydrochinon es sind,
welche die Dunkelfärbung des Carbolharns verursachen.
Die Form, in welcher die Dihydroxylbenzole den Thierkörper ver-
lassen, ist nach Baumann und Herter? die der Aetherschwefelsäuren.
Kennen wir somit, wenn auch nur theilweise, die Umstände, welche das
Auftreten dieser Substanzen im Thierkörper bedingen und die Art und
Weise ihrer Elimination aus demselben, so fehlt uns doch bisher jeder
Anhaltspunkt über ihre Wirkung im thierischen Organismus und ihr
Verhalten gegen Gährungs- und Fäulnissträger. Diese Verhältnisse auf-
zuklären, bezwecken die folgenden Untersuchungen, in deren Kreis ich
auch noch das Resorein gezogen habe, um so die Gesammtreihe der
Dihydroxylbenzole mit einander vergleichen zu können.
A. Wie verhalten sich Kalt- und Warmblüter gegen Brenzcatechin,
Hydrochinon und Resorein ?
Bei den zunächst folgenden Versuchen mit Sommerfröschen habe ich
von der subcutanen Beibringung der Dihydroxylbenzole Abstand genom-
men. Da sich zeigte, dass die betreffenden Substanzen leicht von der
Haut aus resorbirt werden, habe ich das von Christiani! angegebene
und erprobte Verfahren eingeschlagen, das einen guten Einblick in die
Reihenfolge der Symptome erlaubt.
Versuchsanordnung:
I. Ein Frosch von ca. 55°" Körpergewicht wird in ein Becherglas ge-
setzt, dessen Boden von 5 m einer Lösung (1: 1000) eines der Dihydroxyl-
benzole bedeckt ist.
II. Ein gleich grosser Frosch wird in ein Becherglas von denselben
\ Zeitschr. f. physiol. Chemie. Bd. Il, S. 329.
2 Dies Archiv. 1879. 8. 245.
> Zeitschr. f. physiol. Chemie. Bd. I, S. 244.
! Zeitschr. f. physiol. Chemie. Bd. II, 8. 273.
VERHALTEN DES BRENZCATECHIN, HYDROCHINON UND REsorcm. 63
Dimensionen wie I. gebracht und 10°" einer Lösung (1: 1000) eines
der Dihydroxylbenzole hinzugefügt.
Ill. Verfahren wie in Il., ausserdem werden noch 50 *" Wasser hin-
zugegossen.
IV. Es wird wie in II. vorgegangen, der Wasserzusatz betrug hier
ber 100°".
Die Oberfläche der Versuchsthiere war somit in geringerer oder
grösserer Ausdehnung von der Flüssigkeit umspült. In der folgenden
Tabelle sind einige Versuchsergebnisse zusammengestellt:
Eintritt etwaiger Vergiftungs- Endeffect.
snchs- erscheinungen. |
anordnung. VE THE Rn 5 ET
' 7 Brenz- Hydro- ss so Brenz Hydro- R ‘
eatechin. | chinon. Resorein. | catechin. chinon. rer:
DEN tn Erna | m
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10m Krämpfe nach einigen Minuten. en a eStanden.
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3 Stunden. | 6 Stunden. et
| sich.
er © | Keine | Tod nach | zu gun. | Frösche
Bear a Stunden. Krämpfe. | 6 Stunden. A leben.
I
Die Versuche, die öfter und stets mit dem gleichen Erfolge aus-
seführt wurden, zeigen, dass das Brenzcatechin am intensivsten to-
-xisch wirkt, ihm steht nahe das Hydrochinon, während das Resorcin
Sich als am wenigsten giftig herausstellte. Diese Schlussfolgerungen
werden noch gestützt durch die Resultate anderer Versuchsreihen, bei
denen Frösche in Lösungen von 0,005 "2" Brenzcatechin auf 100 °® Wasser
gesetzt, innerhalb 10 Stunden zu Grunde gegangen waren, während es
beim Hydrochinon einer Lösung von 0,013°” auf 100 «m Wasser benöthigte,
um denselben Hffect zu erzielen, und Resoreinlösungen in gleicher Con-
eentration wie das Hydrochinon die Frösche wenig oder gar nicht schä-
disten,
64 | L. BRIEGER:
Die toxischen Wirkungen der Diohydroxylbenzole äussern sich in
gleicher Weise, wie die des Phenols, von dem die letale Dosis für den
Frosch nach Christiani von der Haut aus 0-01” beträgt, zeigen aber
wie aus obiger Tabelle hervorgeht, quantitative Unterschiede unter sich,
Die Versuchsthiere .werden anfangs soporös, collabiren, das Aufent-
haltswasser trübt sich dabei milchig, es treten dann leichte Zuckungen
der Extremitäten ein, denen schnell refleetorische Krämpfe folgen, die
mit der Dauer an Intensität gewinnen. Die Thiere werden dann sehr
häufig in die Höhe geschnellt, so dass das Aufenthaltswasser schaumig
wird. Mit der zunehmenden Erschöpfung der Thiere lässt auch die In-
tensität der Krämpfe nach. Die Thiere beginnen mühsam zu athmen,
machen häufig schnappende Bewegungen und sind dann plötzlich todt
oder erholen sich bei nicht tödtlichen Dosen allmählich. Bisweilen er-
folgt der Tod auf der Höhe der reflectorischen Krämpfe.
Bei der Obduction der so vergilteten Frösche fand sich das Blut °
dünnflüssig, blauroth, die kleinen Arterien erweitert, Hyperämie der
Unterleibsorgane und der Schenkelmuseulatur, die Lungen emphysematös
aufgeblasen, Befunde,! wie sie Christiani, gleichfalls aber nicht con-
stant, an phenolvergifteten Fröschen bemerkt hat.
Das Aufenthaltswasser der durch die Dihydroxylbenzole vereifteten
Frösche, das sich stets sehr rasch milchig trübte, wurde eingedampft,
mit Chlorbarium versetzt und vom schwefelsauren Baryt abfiltrirt, es
entstand beim Kochen mit Salzsäure ein erheblicher Niederschlag von
BaSO,, ein Beweis, dass auch die Frösche die Dihydroxylbenzole in Form
gepaarter Schwefelsäuren ausscheiden.
Die Warmblüter vertragen relativ grössere Dosen der Dihydroxyl-
benzole als die Kaltblüter. |
Einem Kaninchen von 13708" Körpergewicht werden 0.2508°% Hydro-
chinon in Milch verabreicht. Auch nicht das geringste Unbehagen oder
irgend welche üble Folgewirkungen machen sich geltend. Als nach
mehreren Tagen demselben Thiere 0,5 8°” Hydrochinon verabfolgt wurden,
sind ca. eine halbe Stunde nach Einverleibung der Substanz kurz an-
dauernde Krämpfe in den Extremitäten wahrnehmbar, doch erholt sich |
das Thier bald und frisst in gewohnter Weise, erst 0.75®'% demselben
Thiere nach 2 Tagen beigebracht, riefen nach einer halben Stunde Krämpfe
zuerst in den vorderen, dann in den hinteren Extremitäten hervor, diese
steigern sich rasch zu allgemeinen klonischen Krämpfen, es tritt bald!
Athemnoth ein, die Arterien erweitern sich, die Ohren fühlen sich bren- -
nend heiss an. Speichel und Thränensecretion erscheint vermehrt, die?
IA. 2.0.8. 281.
VERHALTEN DES BRENZCATECHIN, HYDROCHINON UND Resorcım. 65
Sensibilität bleibt völlig intact, Keflexe rufen heftige Krampfanfälle her-
vor, die Temperatur steigt um ca. 1!/,°C. um bald wieder zu sinken,
die Krämpfe werden schwächer, die Reflexerregbarkeit nimmt ab, die
Athmung wird langsamer und nach 1!/, Stunden stirbt das Thier.
Bei der Obduction zeigte sich das Blut dickflüssig, Ventrikel prall
gefüllt, sonst nichts bemerkenswerthes.
Bei einem anderen Kaninchen von 2330 8” Körpergewicht veranlassen
0.4®°=® Hydrochinon gar keine Alteration, 1®"" mehrere Tage später ein-
gegeben ca. 2 Stunden lang klonische Krämpfe, das Thier erholte sich
darauf wieder und befand sich in der Folge ganz wohl.
Der Urin dieser Thiere war stets dunkel gefärbt und enthielt kein
freies Hydrochinon. Dasselbe trat aber auf, nachdem der Harn in Fäul-
niss übergegangen war, in Folge von Zersetzung der Aetherschwefelsäuren.
Nach Eingabe von 0.58"” Resorein verräth ein Kaninchen von 2200®""
Körpergewicht kein Unbehagen, während 1°”% clonische Krämpfe ver-
ursachen, die bald vorübergingen.
Aehnlich war die Wirkung von einem Gramm Resorcin bei einem
Kaninchen von 2740 8”® Körpergewicht, nur dauerten hier die Krämpfe
2 Stunden lang an, wenige Tage nachher, als das Thier zur Norm zurück-
gekehrt, führten 0-5 ®°® Brenzeatechin bei demselben nach einer halben
Stunde unter heftigen Krämpfen den Tod herbei. Nicht letal war die
Dosis von 0.38m Brenzcatechin bei einem Kaninchen ven 16808" Körper-
gewicht, nur eine Stunde lang wurden dadurch heftige klonische Krämpfe
ausgelöst, worauf das Thier sich wieder wohl befand. Eine Woche
später erlag das gleiche Thier einer Gabe von 0-58" Brenzcatechin in
einer halben Stunde unter ähnlichen Erscheinungen, wie eben beim
Hydrochinon beschrieben.
Das Brenzeatechin, welches dem Phenol sehr nahe steht, von dem
0-3—0-5sm Kaninchen tödten, übertrifft somit auch bei Warmblütern hin-
sichtlich seiner Giftigkeit die beiden anderen Dihydroxylbenzole, von
denen dem Resorein die schwächsten giftigen Eigenschaften zukommen.
B. Antifermentative Wirkung der Dihydroxylbenzole.
Nach Hüfner, Kühne, Nencki u. A. verläuft bekanntlich die
Fäulniss von Pankreasinfusen sehr rasch und giebt sich zu erkennen
dureh Bildung von Schwefelwasserstofl, Gasentwickelung, das reichliche
Auftreten von Bakterien und die Abspaltung aromatischer Substanzen,
wie Indol, Phenol u. s. w. Um die etwaigen fäulnisswidrigen Eigen-
schaften der Dihydroxylbenzole beurtheilen zu können, wurden je 20 e
fein zerhackten Pankreas mit je 100 °® verschieden starker Lösungen der
betreffenden Substanzen bei 40°C. 4—14 Tage lang digerirt. Daneben
Archiv f£.A. u. Ph. 1379. Suppl.-Band z. Physiol. Abth. 5
66 L. BRIEGER:
wurde stets ein Controlversuch aufgestellt. Von Zeit zu Zeit wurde auf
Bakterien untersucht und durch ein in den Kolben hineingehängten
Streifen von Bleipapier auf etwaige Schwefelwasserstofientwickelung ge-
prüft. Im Destillat eines jeden Kolben wurde sodann mit rauchender
Salpetersäure das Indol nachzuweisen versucht. Es stellte sich nun her-
aus, dass das Hydrochinon und Brenzcatechin in lprocentiger Lösung die
Eiweissfäulniss vollständig verhindern, während das Resorein in 1 procenti-
ger Lösung die Entwickelung von Bakterien und Schwefelwasserstoff
nicht zu hemmen vermochte, doch kam es hierbei nicht zur Indolbildung.
‚ Alle diese Flüssigkeiten hatten sich stets dunkel gefärbt und konnte
man dort, wo reichlich Bakterien vorhanden waren, bemerken, dass ge-
wisse Arten von Bakterien sich gebräunt hatten, während andere un-
gefärbt schienen. Uebrigens fanden sich auch in den fäulnisswidrig
wirkenden Lösungen von Brenzcatechin und Hydrochinon vereinzelte
Bakterien.
Den Einfluss der Dihydroxylbenzole auf die Buttersäuregährung stu-
dirte ich in der Weise, dass ich in Kolben, die ca. 300°” fassten, 11/, &"
milchsauren Kalk und 1'/,®” einer dieser Substanzen hineinbrachte, dann
fest verkorkte und ein durch den durchbohrten Kork gehendes Abzugs-
rohr mit einer mit Quecksilber gefüllten Absorptionsröhre in Verbindung
setzte. Selbstverständlich wurden auch stets Controlversuche angestellt.
Es zeigte sich nun hierbei wiederholt, dass Brenzeatechin und Hydro-
chinon stets in '/, procentiger Lösung die Buttersäuregährung hintan-
hielten. In den gleichprocentigen Resoreinlösungen, sowie in den Control-
versuchen hatte stets eine Gasentwickelung stattgefunden.
Der Einfluss der Dihydroxylbenzole auf die Alkoholgährung wurde |
in der Weise geprüft, dass je 10 °® einer Traubenzuckerlösung von 5 Proc.
über Quecksilber mit wechselnden Mengen der. Dihydroxylbenzole zu-
sammengebracht wurden. Diese Versuche, deren Aufzählung im Ein-
zelnen ich unterlassen zu dürfen glaube, ergaben eine nahe Ueberein-
stimmung hinsichtlich der Einwirkung der drei isomeren Verbindungen.
Bei Zusatz von 0-.1®% Brenzcatechin, Hydrochinon oder Resorein, d. h.
also in 1 procentiger Lösung wurde die Alkoholgährung vollkommen unter-
drückt, während kleinere Quantitäten dieselbe nur verzögerten.
C. Nachweis und Trennung von Brenzeatechin und Hydrochinon im
Phenolharn.
Nachdem Baumann und Preusse! aus dem Harn von mit Phenol
vergifteten Hunden das Hydrochinon dargestellt und aus dem Auftreten
Pe
VERHALTEN DES BRENZCATECHIN, HYDROCHINON UND Resorcm. 67
desselben und seiner Oxydationsproducte die dunkle Färbung des Carbol-
harns hergeleitet hatten, war es von einem gewissen Interesse, zu er-
fahren, ob auch aus dem Harn von Menschen, die mit kleinen Dosen
Phenol behandelt worden waren, das Hydrochinon sich darstellen liesse.
Bei der Verarbeitung derartigen Harns hielt ich mich genau an die
Vorschrift von Baumann und Preusse'. 40 Liter Urin von mit Phenol
äusserlich behandelten Patienten, wurden mit Salzsäure auf ca. 3 Liter
eingedampft und nach dem Erkalten mit Aether extrahirt, der wieder-
holt mit Sodalösung geschüttelt wurde. Der Aether wurde dann sorg-
sam von der Flüssigkeit getrennt, abdestillirt, der Rückstand zur Trockne
‚verdunstet, mit wenig Wasser aufgenommen und dann die harzigen
Massen abfiltrirt. Das Filtrat wurde wiederum mit Aether ausgeschüttelt,
derselbe verdunstet und der Aetherrückstand wiederholt aus heissem
Toluol umkrystallisirt. Es hinterblieben O-453 8m reines Hydrochinon, das
bei 167—168° C. schmolz und die bekannten Reactionen des Hydro-
-chinon zeigte. Seine Lösung reducirte ammoniakalische Silberlösung,
lieferte beim Erwärmen mit Eisenchlorid Chinon und färbte sich mit
Alkalien braun. Baumann und Preusse! hatten aus dem Harn von
mit Phenol vergifteten Hunden, die lange vorher nur mit Fleisch ge-
füttert waren, also Brenzcatechin nicht bilden konnten, Reactionen er-
halten, welche die Bildung des Brenzcatechin aus dem Phenol in ge-
ringen Mengen erwiesen. Es schien mir nicht unwichtig, zu versuchen,
ob auch das Brenzcatechin aus solchem Harn sich in Substanz darstellen
lässt. Dies gelang mir nach folgendem Verfahren. Der Harn wurde
zunächst wie bei der Gewinnung des Hydrochinons behandelt. Der
- Rückstand der gereinisten Aetherauszüge wurde aber nicht aus Toluol
umkrystallisirt, sondern in Wasser gelöst und mit Bleiacetat gefällt.
Das Brenzeatechin wird in neutraler Lösung von Bleiacetat gefällt, wäh-
rend das Hydrochinon in Lösung bleibt. Der dadurch entstandene Nieder-
schlag wurde abfiltrirt, mit verdünnter Schwefelsäure zerlegt und dann
mit Aether extrahirt. Der Aether wurde an der Luft verdunstet und
der Rückstand in Exsiccator stehen gelassen, wobei glänzend weisse Kry-
stalle anschossen, die durch Sublimation gereinigt wurden. Der Schmelz-
punkt dieser Krystalle wurde zu 98° C. gefunden, während Brenzeatechin
bei 102° C. schmilzt. Im Uebrigen zeigten die geringsten Mengen davon
in neutraler oder alkalischer Lösung die Reactionen des Brenzcatechin.
In wässeriger Lösung wurden sie mit Eisenchlorid grün gefärbt, welche
Färbung nach Zusatz von kohlensaurem Ammoniak durch blau in violet
Na 0. 8. 247.
2 Zeitschr. f. physiol. Chemie. Bd. III. S. 157.
5*
68 BRIEGER: VERHALTEN D. BRENZCATECHIN, HYDROCHINON U. RESORCIN.
sich umwandelte. Salpetersaures Silber wurde durch Lösungen dieser
Krystalle bei Gegenwart von Ammoniak in der Kälte, alkalische Kupfer-
lösung beim Erwärmen sofort reducirt.
Resorcin im Thierkörper nachzuweisen, gelang mir ebensowenig
wie Baumann und Preusse.
Da den Dihydroxylbenzolen eine kräftig antifermentative Wirkung
zukommt, so liegt es nahe, sie äusserlich in gleicher Weise anzuwenden,
wie das Phenol, vor dem sie den Vorzug haben, keine ätzenden Eigen-
schaften zu besitzen. Letzterer Umstand gestattet, die Dihydroxylbenzole
selbst in sehr starker Concentration auf Stellen appliciren zu können,
die ihrer Empfindlichkeit wegen die Phenolanwendung in wirksamer
Concentration verbieten. Das Hydrochinon schien sich hierfür besonders
zu empfehlen, da es bei sehr stark antifermentativer Wirkung viel weniger
siftig als das Phenol ist. Ich habe deshalb mit dieser Substanz einige
klinische Versuche unternommen. Aus denselben möchte ich schon jetzt
hervorheben, dass mit Hydrochinon bei der Gonorrho& auffällig günstige
Resultate erzielt wurden. Ich verfüge bereits über eine heihe von Be-
obachtungen, wo Leute mit abundanten eitrigen Ausflüssen, die 8 bis
14 Tage, bei einem Falle bereits ein viertel Jahr, lang bestanden hatten,
innerhalb S—10 Tagen nach 2—Ö5maligen täglichen Injeetionen von
1—2 procentigen Hydrochinonlösungen, die sorgfältig überwacht waren,
davon befreit wurden. Die Injectionen erzeugten, ausser bei einem Falle,
keine nennenswerthe Schmerzempfindung. Die Schmerzhaftigkeit, welche
jede frische Gonorrhoö begleitet, schwindet nach wenigen Tagen, sobald
der Ausfluss nach den Injectionen sich zu vermindern beginnt. Dass
aber bei diesen Fällen die Hydrochinoninjectionen es waren, welche die
copiöse Secretion sistirten, und nicht etwa zufällige Umstände, geht dar-
aus hervor, dass bei Individuen, bei denen zum Zwecke der Controle
schon im Beginn der Secretionsverminderung die Injectionen ausgesetzt
wurden, sofort eine Recrudescenz erfolgte, die durch neue Injectionen
rasch behoben wurde. Ich habe mich ferner überzeugt, dass 2 pro-
centige Hydrochinonlösungen in Augen von Kaninchen geträufelt keinerlei
ätzende Wirkungen auf die Cornea ausübten, und dürfte sich deshalb
das Hydrochinon auch bei infectiösen Augenleiden wie Blennorrho& u.s. w.
mit Erfolg in Anwendung ziehen lassen. Mit dem Resorcin habe ich
nicht die günstigen Resultate erzielt, wie mit dem Hydrochinon. 2—5 pro-
centige Lösungen von Resorein in die Harnröhre injieirt, verursachten
heftige Schmerzen und beschränkten den Ausfluss nicht im Geringsten.
Berlin, den 14. October 1879.
Die Lebenszähigkeit des Embryo’s.
Von
Dr. Bernhard Rawitz,
Unterarzt in Berlin,
Als Unterarzt in der Charit& auf der Abtheilung für syphilitische
Weiber hatte ich hin und wieder Gelegenheit, Aborte zu beobachten
(Ereignisse, die bei Puellis publieis nicht gar so ungewöhnlich scheinen),
die meist Früchte sehr früher Perioden betrafen, von denen der eine mir
einer weiteren Erwähnung deshalb werth erscheint, weil die dabei zu-
fällig angestellten Beobachtungen einen, wie ich glaube, sehr interessanten
Beitrag liefern zu jener, von Pflüger aufgestellten Lehre von der Lebens-
tenacität des Embryo’s.
Wenn ich diese Beobachtungen, die im Juni gemacht wurden, erst
jetzt veröffentliche, so hat das einerseits seinen Grund darin, dass ich, mehr
der Histologie zuneigend, in Unbekanntschaft mit der einschlägigen Literatur
die physiologische Bedeutung der beobachteten Thatsachen mehr ahnte,
als klar erkannte, deren Erkenntniss ich erst meinem verehrten Lehrer
Hrn. Prof. H. Munk verdanke. Andererseits nahmen mich die Berufs-
geschäfte auf jener der Grösse Berlins angemessen grossen Station derartig
in Anspruch, dass ich keine Zeit fand, die folgende kleine Mittheilung
druckfertis zu machen.
Das Ei war nach kurzer Wehenthätigkeit des Uterus in toto mit
allen seinen Adnexis ohne bedeutende Blutung ausgestossen worden. An
einer Stelle sah ich den Embryo durch die sehr dünnen Eihäute hindurch
im Fruchtwasser schwimmen; er hatte dabei die gewöhnliche Haltung;
Kopf nach vorn auf die Brust geneigt, Kniee an den Leib angezogen, die
Unterschenkel in stärkster Flexion. Die Länge des Eies betrug 11",
Auf einem gewöhnlichen Eiterbecken eröffnete ich durch einen grossen
Scheerenschnitt die Eihäute; das gelbliche Fruchtwasser floss ab und der
- Embryo lag für die Beobachtung offen. Derselbe maass in seinem längsten
Durchmesser 8» (31/, Zoll), die Sexualorgane waren nicht differenzirt,
an beiden Extremitätenpaaren liess sich in selten schöner Weise die Ver-
70 | B. Rıwızz:
zweigung der Hautvenen, die mit Blut ziemlich stark angefüllt waren,
erkennen. Die Grösse des Schädels betrug fast ein Drittel von der der
ganzen Frucht; die Haut des Schädeldaches zeigte Andeutung der Bil-
dung von Lanugo. Das Grosshirn, wie ich durch die viel später vor-
genommene Eröffnung der Cavum ceranii sehen konnte, hatte keine
Gyri, selbst nicht andeutungsweise, nur die Trennung von Stirn- und
Schläfenlappen war durch eine äusserst seichte Furche angedeutet. Pons,
Cerebellum, sowie der ganze Hirnstock waren sehr deutlich entwickelt.
In stummes Anstaunen eines für mich so ungewöhnlichen Gegen-
standes versunken, wie es ein dreimonatlicher menschlicher Embryo war,
bemerkte ich erst nach einiger Zeit, etwa nach Verlauf einer Viertel-
stunde, eine eigenthümliche, regelmässige, hebende Bewegung des Thorax
und Abdomen, die nichts Respiratorisches an sich hatte, sondern den Er-
schütterungen glich, die durch die Pulsation des Herzens hervorgerufen
werden. Nachdem ich das Sternum entfernt hatte, trat das folgende
Phänomen zu Tage:
Das im Verhältniss zum Volumen des Thorax ausserordentlich grosse
Herz, dessen Vasa coronaria ziemlich stark angefüllt waren, pulsirte, und
zwar liess sich dabei Folgendes feststellen:
Die Contraetion erfolgte in zwei Abschnitten, erst Contraction der
Atrien, dann Contraction der Ventrikel. In der ersten Hälfte der pul-
satorischen Bewegung, bei Contraction der Atrien, füllten sich die Ventrikel
prall mit Blut, die Musculatur derselben nahm dabei, soweit äusserlich
erkennbar, eine livide Färbung an. In der zweiten Hälfte, der Ventrikel-
Contraetion, war Diastole der Atrien; jetzt wurden diese prall mit Blut
gefüllt, ihre Farbe war fast blau zu nennen. Während der Contraction
war sowohl die Musculatur der Atrien, wie, was ich besonders hervor-
heben möchte, die der Ventrikel blass, gleichzeitig liess die Füllung
der Coronargefässe nach. Jene letztere, unzweifelhafte Thatsache
spricht wohl für jene Autoren, die annehmen, dass erst in der Ventrikel-
diastole die Herzgefässe ihr Blut erhalten.
Dieser rhythmische Wechsel von Contraetion und Dilatation ging
langsam vor sich. Der langsamen, aber kräftigen Atriensystole folgte
unmittelbar die ebenfalls sehr kräftige Dystole der Kammern. Darauf
trat ein momentaner Stillstand ein, während dessen Vorhöfe und Kammern
in Diastole verharrten; demselben folgte dann wieder die sehr kräftige
pulsatorische Bewegung.
Diesem an und für sich sehr interessanten Phänomen, denn es wird
wohl selten Gelegenheit geboten, Herzeontractionen am menschlichen,
lebenden (wenn auch nicht lebensfähigen) Embryo zu beobachten, reiht
sich das ebenso interessante der langen Dauer desselben an.
Dıe LEBENSZÄHIGKEIT DES EMBRYo’s. 71
Die Bedingungen, unter denen die Beobachtungen von dem Stabsarzt
Hrn. Dr. Krosta, sowie von meinen auf derselben Station beschäftigten
HH. Collegen und mir angestellt wurden, waren die für derartige
Sachen denkbar ungünstigsten.
Das metallene Eiterbecken was vor seiner Benutzung mehrere Stunden
den Strahlen der Morgensonne ausgesetzt gewesen und daher noch warm;
der Tisch, auf dem dasselbe stand, war mit schwarzem Wachstuch be-
deckt und ebenfalls sehr warm; ausserdem herrschte an jenem Tage eine
ungewöhnlich hohe Temperatur: kurz, Alles vereinigte sich, um die Verdun-
stung von der eröffneten Körperhöhle aus möglichst zu begünstigen.
Trotzdem hatten wir alle die Freude, volle vier Stunden hindurch,
von 9!/,—1!/, Uhr, das hochinteressante Phänomen studiren zu können.
Da nun das Herz in der Minute durchschnittlich 20 Con-
tractionen machte, die Zahl derselben, wie wiederholt constatirt
- werden konnte, bis zuletzt nicht abnahm, sondern sich gleich
blieb, so können wir die Gesammtsumme der typisch, in der vor-
hingeschilderten Weise erfolgten Contractionen auf4800 berechnen.
Wenn wir berücksichtigen, welch ein enormer Eingriff schon bei
einem sechsmonatlichen Fötus die Eröffnung der Pleurahöhlen ohne Frei-
legung des Herzens ist, dass stets als unmittelbare Folge der Tod eintritt,
wenn wir ferner die für das Phänomen physikalisch ungünstigen Be-
dingungen in Erwägung ziehen, wenn wir endlich bedenken, dass der
vom mütterlichen Organismus losgelöste Embryo keinerlei Respirations-
bewegungen machen, sein Blut also nicht decarbonisiren konnte, so werden
wir zu dem Schlusse gelangen, dass dieses Phänomen ein Beweis
für eine Lebenszähigkeit des Embryo’s ist, wie wir sie bis
jetzt nur gewöhnt waren, bei Poikilothermen als selbstver-
ständlich vorauszusetzen, bei Homoiothermen künstlich herzustellen
aber vergeblich uns bemüht hatten.
Wie dies Phänomen zu erklären sei, zu welchen Schlüssen es in
seinen weiteren. Consequenzen berechtigt, das hier auszusprechen, geht
über den engen Rahmen dieser kurzen Mittheilung hinaus.
Sub finem vitae, wenn ich so sagen darf, fing der Typus in der Con-
- tractionsreihenfolge an, sich zu verwischen. Es contrahirte sich einmal
zuerst das rechte, dann das linke Herz, und umgekehrt, bis, bei allmäh-
licher Abnahme der Kraft in den Bewegungen, Ventrikel- und Atriensystole
nicht mehr zu trennen war, und schliesslich gänzlicher Stillstand eintrat.
Hrn. Prof. Levin, sowie dem Stabsarzt Hrn. Dr. Krosta zolle ich
bier meinen aufrichtigsten Dank für die Erlaubniss, diese Beobachtungen
verölfentlichen zu dürfen.
Berlin, im Juli 1879.
Studien über den Einfluss der Erdwärme auf die
Ausführbarkeit von Hochgebirgstunneln,
Von
Dr. F. M. Stapff,
Ingenieur-Geolog der Gotthardbahn, in Airolo,
In den letzten Jahrzehnten sind verschiedene Alpentunnelprojecte
aufgetaucht, deren Urheber völlig übersehen zu haben scheinen, dass
wegen der im Inneren der Erde herrschenden hohen Temperatur mit den
bisherigen technischen Hülfsmitteln diese Projecte unausführbar sind.
Da die Tunnelbau-Literatur keine, die bergmännische Literatur aber nur
sehr wenige sichere Daten enthält, auf welche eine Beurtheilung dieser
Frage basirt werden könnte, so will ich im Folgenden einige zu ihrer
Lösung dienliche Materialien zusammenstellen und zu erörtern suchen:
1. bei welchem Temperaturgrad aus physiologischen Gründen
unterirdische Arbeit unmöglich wird; 2. bei welcher Höhe
des über dem Tunnel liegenden Gebirges dieser Temperatur-
grad zu erwarten ist.
Da ich weder Arzt noch Physiologe bin, so habe ich behufs Beant-
wortung der ersten Frage den Berliner Physiologen Hrn. Professor
EB. du Bois-Keymond um Aufschlüsse gebeten und freue mich, im Fol- °
genden einige den Gegenstand behandelnde briefliche Mittheilungen dessel-
ben vorlegen zu können. Auf den Rath des Hrn. du Bois-Reymond habe
ich im Gotthardtunnel neuerdings an mir und an Arbeitern Beobach-
tungen angestellt, auf welche sich viele der nachfolgenden Berechnungen
stützen. Dem lebhaften Interesse, womit Hr. du Bois-Reymond
diesen Versuch auf einem mir fremden Gebiet verfolgt und bereitwilligst
unterstützt hat, ist es überhaupt zu danken, wenn derselbe nicht ganz
erfolglos geblieben sein sollte Die zweite Frage hat mich seit Beginn
meiner Thätigkeit am Gotthard-Tunnel beschäftigt, so dass zu ihrer Be-
antwortung ein reichliches, im Verlauf von fast sechs Jahren gesammeltes
Material zur Verfügung steht.
ee
F, M. Staprr: EınrLUss DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 73
Erster Abschnitt.
I. Temperaturgrad, bei welchem unterirdische Arbeiten
unmöglich werden.
Beim Vergleich hoher Temperaturen, welche Menschen erfahrungs-
gemäss ohne Nachtheil ertragen können, stösst man auf eine Menge
scheinbarer Widersprüche theils zwischen den einzelnen Erfahrungen,
theils zwischen diesen und physiologischen Nothwendigkeiten. Diese
Widersprüche lösen sich aber, sobald man die verschiedenen Umstände
berücksichtigt, unter welchen die beobachteten Erscheinungen statthaben.
Es ist nicht nur der Temperaturgrad, welcher die Möglichkeit des
Aufenthaltes an einem gegebenen Ort bestimmt; gleichzeitig mit dem-
selben kommt auch in Betracht: die Gewöhnung an diesen Temperatur-
grad (Accommodation, Acelimatisation); die Zeitdauer, während wel-
cher man ihm ausgesetzt ist; die Anstrengung, womit man in ihm
arbeitet; die Beschaffenheit der Luft, in welcher man sich aufhält, ,
und zwar besonders ihr Feuchtigkeitszustand.
Albuminlösung trübt sich bei 60° und coagulirt bei 75°; dadurch ist
bekanntlich dem Leben überhaupt bei steigender Temperatur eine Grenze
gesetzt. Viel früher wird aus Gründen, die wir nicht genau kennen,
das Leben der meisten Organismen, in’s Besondere der Säugethiere und
des Menschen, unmöglich; die chemischen Processe, welche grossentheils
das Leben ausmachen, können nur innerhalb gewisser Grenzen von statten
gehen. R
Dieser Satz wird auch nicht durch die schon im vorigen Jahrhun-
dert gemachte Erfahrung umgestossen, dass Bäcker in einem Ofen einige
Minuten bei 130° verharrt seien. Aehnlich hohen Temperaturen setzen
sich wohl ganz vorübergehend auch die Arbeiter aus, welche nach
beendetem Brand Ziegel- oder Porzellanöfen austragen. Man wird aber
daraus ebensowenig schliessen wollen, dass die menschliche Organisation
geeignet ist in so hohen Temperaturgraden zu existiren, als man aus den
Thatsachen, dass in Skandinavien junges Volk durch die Mittsommer-
feuer springt, oder dass asiatische Nomadenstämme ihr Vieh durch Feuer
treiben, um es vor Seuchen zu schützen, auf die Feuerfestigkeit dieser
Leute und Thiere schliessen wird. Zurückhalten des Athems, Ueberzug
des Körpers mit einer in der umgebenden trockenen Luft rasch ver-
dunstenden Schweissschicht, ganz unzureichende Zeit für Mittheilung der
äusseren Wärme an den (bekleideten) Körper, erklären diese und eine
Menge ähnlicher Anomalien zur Genüge. Bekanntlich hat Boutigny
gezeigt, dass man ohne Gefahr am eigenen Körper sogar den Leiden-
frost’schen Versuch anstellen kann.
74 F. M. STAFF:
Einer jeden Isothermenkarte kann man die hohen Temperaturgrade
entnehmen, unter welchen tropische und subtropische Völker leben.
Beispielsweise seien die klimatischen Verhältnisse von Batavia (6° 11’
S. Br., 8" ü. M.) angeführt, wo im Verlauf des Jahres der Dunstdruck
zwischen 19-7 und 21-.8””, die relative Feuchtigkeit zwischen 78.9
und 88-1 °/,, die Lufttemperatur‘ (Mittel: 26-0°) zwischen 20.8 und 33.0°
schwankt. Die an sehr hohe Temperaturgrade gewöhnten Eingeborenen
machen sich die Hitze durch möglichste Verminderung körperlicher An-
strengung erträglich; — in der That ist die an Südländern so vielfach ge-
tadelte Faulheit eine Bedingung für ihre Existenz. Die Acclimatisation von
Europäern in Batavia ist immer mit Schwierigkeiten, häufig mit Lebens-
sefahr verknüpft, und ich habe gehört, dass dort einmal acclimatisirte
Europäer fast ohne Ausnahme wegsterben, wenn sie nach längerem Aufent-
halt in Europa wieder nach Java zurückkehren.
Als ungewöhnlich hohe Temperaturgrade ausserhalb der Wendekreise
seien jene erwähnt, welche verflossenen Winter in Südaustralien herrschten.
Im November 1878 soll die Temperatur in Neusüdwales (29—30° S. Br.)
45—47.5°, im Februar 1879 in Gippsland (Victoria), unter ungefähr
371/,° 8. Br., 35° im Zimmer, 51.25°C. in der Sonne erreicht haben.
Ausser Wegtrocknen der Viehweiden und Buschfeuern veranlasste die
ungewöhnliche Hitze Sonnenstiche unter den Eingewanderten.!
Beim Bau der St. Louis- und South-Eastern-Eisenbahn, wo ich im
Jahre 1870 als Assistent des Oberingenieurs beschäftigt war, erlagen im
Juli und August von etwa 300 zwischen dem sumpfigen Missisippi-
bottom und Belleville beschäftigten Arbeitern gegen 16 dem Sonnen-
stich. Die höchste um jene Zeit zu Belleville (ungefähr 39° N. Br.) be-
obachtete Temperatur betrug 40°; fast alle betroffenen Arbeiter waren
neueingewanderte, also noch nicht acclimatisirte, Irländer. Obwohl ich
fast täglich vom Morgen zum Abend auf der Linie arbeitete, spürte ich
während des Baues kein Unwohlsein, und erst nach Beendigung desselben
trat im October hartnäckiges Wechselfieber ein, welches nicht eher wich,
als bis ich die Gegend verliess, und nach dem nordmexikanischen Staat °
Nuevo Leone (25° N. Br.) als Ingenieur der Vallecillo-Silvermining-Comp.
gieng. Bei einer Sommertemperatur von (Mittags) 38.9—40.6° arbeiteten
! Im Mai 1877 hatte Hr. Babuchin in seinem Arbeitszimmer in Oberegypten
38-75, im Hofe seiner Wohnung oft 52-500. (Dies Archiv. 1877. 8. 273.) Hr.
Nachtigall hat auf seinen afrikanischen Reisen eine Schattentemperatur von 49-4
ausgehalten, allerdings bei sehr trockener Luft, und nur mit srösster Beschwerde
und tiefer Herabsetzung der Leistungsfähigkeit auch seiner eingeborenen Begleitung.
TE. d. B-R.]
EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 75
daselbst die „Indios eivilisados“ lieber im Freien, selbst vor den offenen
schottischen Bleiherden, als in der Grube, wo ich eine Maximaltempe-
ratur von 25° beobachtet habe. Die Grubenarbeiten verrichteten sie ohne
jegliche andere Bekleidung als Filz, Schurz und Moccassins; die Hütten-
arbeiten dagegen in verhältnissmässig dieker Kleidung, namentlich auch
zwei und dreifach übereinander gestülpten Filzhüten. Weder diese Ein-
geborenen noch die eingewanderten Europäer und Amerikaner spürten
von der Gruben- und Hüttenarbeit in diesem Klima irgend welche nach-
theilise Folgen. Allerdings war die Luft rein; zur Mittagszeit setzte
ein starker, zwar heisser, aber trockener Süd-Ostwind ein, und die heiteren
Nächte waren kühl und erfrischend.
Diese Beispiele illustriren genügend die alte Erfahrung, dass Einge-
borene 40—50° ihres tropischen Heimathklima’s bei geringer Anstrengung
wohl ertragen, und dass sich Europäer in den Tropen acclimatisiren
können. Ohne Acelimatisation wird letzteren aber anstrengende Arbeit
bei 40° im Freien lebensgefährlich, zumal in feuchter Luft. Die Folgen
- des Aufenthaltes (selbst ohne anstrengende körperliche Arbeit) in unge-
wohnt feuchter und warmer Luft zeigen sich übrigens oft erst nachträg-
lieh bei Einwirkung von Miasmen durch Wechselfieber u. d. m.
Recht hohen Temperaturen sind die Arbeiter in manchen Fabriken
ausgesetzt. In Zuckerraffinerien z. B. erfolgt das Ablaufenlassen des
Syrups von den Broden bei 30—36°; das Trocknen der letzteren bei 50°;
die Arbeiter verweilen aber nicht lange in so warmen Räumen, sondern
sie kommen und gehen.
Dr. K. Martin in Jena schriebt mir: „Unser pathologischer Anatom
Müller sagt, dass Menschen auf kurze Zeit ganz wohl in 50°C. arbeiten
können. Aber bei solcher Temperatur im Tunnel müssten in der That
die Arbeiter oft wechseln, etwa alle paar Stunden. Es wird dabei ge-
wiss sehr auf Individualitäten ankommen. Heizer auf Dampfern, welche
heisse oeschlossene Meere, z. B. das rothe Meer, befahren, müssen jeden-
falls auf kurze Zeit, d. h. stundenlang, noch viel grössere Temperaturen
aushalten. Minutenlang müssen solche Feuerarbeiter gewiss colossale
Temperaturen ertragen“.
Vorstehende Bemerkungen veranlassten mich, Hrn. Contre- Admiral
F. Batsch um Aufschlüsse über die in Heizräumen von Kriegsschiffen
herrschenden Lufttemperaturen zu bitten, und hat derselbe gütigst meiner
Bitte entsprochen durch Zusendung folgender eingehender Antworten auf
meine Fragen.
76
F. M. STAPFF:
„li. Welche Maximaltemperaturen herrschen in tropischen
Meeren in den Heizräumen der Dampfschiffe?!
Jahreszeit.
October 1874
November 1874
Januar 1875
April 1875
Mai 1875
Mai 1876
Juli 1876
August 1876
September 1876
October 1876
December 1872
Januar 1873
April 1873
Juli 1873
Ausust 1873
September 1873
|
J
In welchen Meeren
oder Häfen.
Sr. M.S. „Ariadne“. Glatt-
decks-Corvette.
Nordsee. Ä
Atlantischer Ocean .
Mittelländisches Meer .
Rothes Meer .
Indischer Ocean .
Malakka-Strasse .
Manila . B
Chinesisches Meer .
Hongkong-Arnoi.
Formosa- Strasse .
Chinesisches Meer .
Banka - Strasse
Java rn). Een N
Golf von Bab-el-Mandeb .
Rothes Meer .
Port-Said . a,
Mittelländisches Meer .
Strasse von Gibraltar —
Lissabon
Sr.M.S. „Friedrich Carl“.
Panzerfregatte.
Caraibisches Meer
Atlantischer Ocean (Fayal)
Mittelländ. Meer (Malaga)
Maximaltemperaturen
in Graden nach Celsius.
Maschinen-
raum,
36
BL
40
50
43
46
48
29
41
44
36
45
37
32
43
34
38
34
36
39
48
By
52
54
52
Heiz-
raum.
59
Kohlen-
raum.
52
85
32/30
1 Es fehlt leider an Auskunft darüber, wie die Thermometer in den betreffen-
den Räumen angebracht, ob sie nicht z. B. an den Eisenwänden hingen, da sie
dann eine höhere Temperatur anzeigen würden, als bei freier Aushängung im Raume,
EINFLUSS DER ERDWÄRME BEL TUNNELBAUTEN.
Jahreszeit.
Mai 1874
Juni 1874
Juli 1874
August 1874
August 1874
September 1874
October 1874
November 1876
December 1876
Februar 1877
- März 1977
April 1877
Juli 1877
August 1877
September 1877
October 1877
November 1877
December 1877
Januar 1878
Februar 1878
Mai 1878
Juni 1878
Juli 1878
In welchen Meeren
oder Häfen.
—]
—
Maximaltemperaturen
in Graden nach Celsius,
‚Maschinen- Heiz
Sr.M.S. „Augusta“. Glatt- |
decks-Corvette. |
Barbados 34 65 _
In See . 28..°10:98 30
Nach Bahia al 52 30
„ Rio de Janeiro . 34 55 510)
” »Sanitos. - 30 50 24
„ Montevideo 28 50 28
„ Santa Catarina . 32 57 | 25
Rio de Janeiro — Bahia . 32 62 32
Nach Maceyo. 32 66 32
„ Georgetown 35 57 30
Ar bBanbadose aaa. 33 60 —
Nord - Atlantischer Ocean 98. 49 27
Süd - x en 32 41 30
Indischer Ocean . 28 50 28
Grosser Ocean an 40 28
Auckland . 36 43 29
Grosser Ocean 37 43 29
Apia. 34 39 30
Levucka 37 40 30
Südsee . 38 40 3l
do. 23 33 22
domain. 9% 97T 38 30
Tongatabu. . 33 30 29
Vavao a 32 80
In See . 40 44 39
‚Apia. 43 54 40
dor. 39 46 27
Grosser Ocean 35 41 30
Japan 39 44° 29
Gelbes Meer . 39 46 30
Nangasaki . 38 48 30
Gelbes Meer . 37 48 30
Süd-Chinesisches Meer 42 58 33
| Kohlen-
7s F. M. STAPFF:
Maximaltemperaturen
In welchen Meeren in Graden nach Celsius.
Jahreszeit. oder Häfen. —
Maschinen- Heiz- Kohlen-
raum. | raum. raum.
Sr.M.S. „Augusta“. Glatt-
deceks-Corvette.
August 1878 Sunda-Sirasse. . . ...) 22 62 31
Indischer Ocean... . 43 55 33
September 1878 | Golf von Bab-el- Name 42 61 35
45 63 37T.
2
Rothes Meer EN 0 ba ST
Suez-Kanalee 40 OD
Mittelländisches Meer. . 38 48 34
5 ER 37 43 32
Gibraltar 2. Neo 45 27
October 1878 Er RR ee 35 51 86
Atlantischer Ocean. . . Bo a a rt
2.-Welches sind die Folgen dieser hohen Temperatur auf
die Heizer?
Wie aus der Tabelle ersichtlich, wird das ganze Maschinen-Personal,
nicht nur Heizer, sondern auch Maschinisten, Maschinisten - Maate und
Feuermeister der hohen Temperatur in den Maschinenräumen eines Schiffes
ausgesetzt. Hierbei wird der Grund zu oft unheilbaren Krankheiten
gelegt, die schnell auftreten und ungünstig verlaufen. Hierhin gehören
namentlich Brust- und Lungenleiden, Gehirnaffeetionen, Dysenterie, Magen-
leiden, Rheumatismus. Die Leute sind während und nach der Wache
vor zu rascher Abkühlung und vor zu schnellem, kaltem und vielem
Trinken möglichst zu hüten und ist, wo diese Vorsicht nicht angewendet
wurde und eine zu plötzliche Abkühlung eintrat, der Tod schon in vier-
undzwanzig Stunden erfolgt. — Zum Trinken wird officiell Haferschleim
oder eine Theeabkochung, Limonade und zeitweise ein Schnaps gegeben,
auch suchen sich die Leute selbst, wenn irgend angängig, Kaffee, Limo-
nade, auch einen Zusatz von Wein oder Rum zum Wasser, oder Brod-
wasser (Kalte Schale) zu verschaffen. Eine sehr lästige Zugabe zu der
hohen Temperatur bildet ausserdem noch der Kohlenstaub sowohl in
der Fahrt beim Heranschaffen der Kohlen vor die Feuer als auch beim
Einnehmen und Verstauen derselben in die Kohlenräume, namentlich
wenn letzteres, wie auf Kriegsschiffen, schnell geschehen muss. Zum
EinFLuUss DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 79
Schutz gegen diesen Staub nehmen die Heizer in Ermangelung geeig-
neter Respiratoren etwas Wischbaumwolle zwischen die Lippen. Das
Einathmen von zu viel Staub in hoher Temperatur hat neben sonstiger
Erschlaffung heftiges Erbrechen zur Folge; doch ist, Ausnahmefälle
abgerechnet, gemeinhin nur eine Erholung von zwei bis vier Tagen
nöthig und können dann die Leute zu weiterem Dienste herangezogen
werden.
3. Wie lange dürfen oder müssen die Leute ununterbrochen
in den Heizräumen sich aufhalten?
Das Personal, welches für die Ausführung des ununterbrochenen
Dienstes bei den Maschinen und Kesseln eines Kriegsschiffes nöthig ist,
wird so bemessen, dass die Leute in drei Wachen getheilt werden können.
Jede Wache hat ununterbrochen vier Stunden Dienst und nächstdem
acht Stunden Ruhe, welche bei Tage noch durch etwas Exereiren und
Instruetionsdienst unterbrochen wird. Eine Verkürzung des Maschinen-
dienstes ist bis jetzt nur beim Passiren des Rothen Meeres vorgekommen
und werden hier Eingeborene zum Heizen engagirt, während die eigenen
Leute bei Ablösung von zwei Stunden Kohlen heranschafien. Eine gleiche
Verkürzung des Arbeitsdienstes findet beim Kohleneinnehmen und -ver-
stauen in heissen Gegenden statt, sonst ist eine frühere Ablösung der
Leute als nach vierstündiger Wachezeit, veranlasst durch zu grosse Er-
mattung, nur in einzelnen Fällen vorgekommen und als Ausnahme zu
betrachten. Am meisten strengen die Aus- und Heimfahrten der Schitie
nach und von auswärtigen Stationen an, wenn dieselben beschleunigt
werden müssen. Eine Erholung tritt dann nur ein oder es ist theilweise
als solche anzusehen, wenn die Schiffe zur Fahrt ausschliesslich ihre
Segelkraft in den Passatgegenden benützen können. Das Maschinenper-
sonal wird dann während der Tageszeit zu Reinigungs- und Reparatur-
arbeiten der Maschinen und Kessel verwendet und hat während der
- Nachtzeit Ruhe, mit Ausnahme zweier Wachtposten in der Maschine bei
zweistündiger Ablösung oder der Bedienung des Destillirapparates mit
Kessel bei vierstündiger Ablösung.
4. Thut man (von Ventilation abgesehen) etwas zur Herab-
setzung der Temperatur in den Heizräumen?
Um einen Verlust an Wärme zu verhindern, werden die äusseren
Kesselwände, mit Ausschluss der Stirnwände und Böden, sowie die
Dampfrohre mit einer Bekleidung aus schlechten Wärmeleitern (Filz,
Holz u.s. w.) versehen und erhält der Schornstein aus Eisenblech einen
Mantel von gleichem Material, der von ersterem bis zu 15 °® Entfernung
80 ; F. M. STAPFF:
absteht. Diese Einrichtung trägt neben ihrem Hauptzweck, den Wärme-
verlust zu verhindern, auch zur Herabsetzung der Temperatur in den
Heizräumen bei. Zur hauptsächlichsten Verminderung der Temperatur
dienen die Ventilatoren (Rohre) für die Zuführung frischer und diejenigen
für die Abführung der heissen und schlechten Luft. Die ersteren werden
auf Deck mit drehbaren Köpfen (trompetenartig) versehen, um dieselben
stets gegen den Wind bringen zu können, unten münden sie trichter-
förmig bis auf etwa Mannshöhe von dem Fuss des zu ventilirenden
Raumes. Zur Zuführung frischer Luft dienen ferner die am Vor- und
Achterende eines jeden Heizraumes angebrachten Luken, die aber, wenn
sie wirksam sein sollen, durch eine vertikale Scheidewand von dem Heiz-
raum getrennt sein und die frische Luft möglichst tief nach unten ab-
geben müssen. Die Abführung der heissen Luft kann einerseits durch
die oben angeführten Luftzuführungsrohre bewirkt werden, indem man
deren drehbare Köpfe mit dem Winde stellt, dieselbe wird aber in der
Neuzeit hauptsächlich durch die Exhaustoren bewirkt. Es sind dies
Rohre von rechteckigem Querschnitt, welche im Schornstein angebracht
unten gegen den Heizraum offen sind und oben bis zu etwa ein Fünftel
vor der Schornsteinhöhe münden. Die heissen Gase, welche die Rohre
bei ihrer Entweichung durch den Schornstein umgeben, verdünnen die
oberen Luftschichten und ermöglichen so ein Nachdrängen und beschleu-
nigtes Entweichen der heissen Luft in den Kesselräumen. Zur weiteren
Abführung der heissen Luft in den Kesselräumen werden auch noch die
Podeste, welche in den Decks der Schiffe für den Durchgang der Schorn-
steinmäntel angebracht sind, oben und an den Seiten mit verschliess-
baren Oeffinungen versehen. Schliesslich werden auf grossen Schiffen oder
solchen, deren Dienst- und Wohnungsräume ausschliesslich unter Wasser
liegen und deshalb geschlossen sein müssen (Panzerthurmschiffe wie
„Lhunderer“, „Devastation“ u. s. w.), auch noch Ventilatoren angewendet,
welche, als Turbinenräder, von kleineren Dampfmaschinen betrieben die
Luft in die betreffenden Räume zu- oder aus denselben abführen.“
Ungewöhnlich hohe Temperaturgrade werden bei Bädern zugelassen
(heisse 37.5—45°; finnische Dampfbäder 35—40°, während 20 und 25
Minuten; Tepidarien der irisch-römischen 32-.5—40°; Sudatorien 56—65°;
Dandbäder 37.5—50°): allerdings unter Verhältnissen, welche weit von
jenen abweichen, unter denen man in gleich warmer Luft längere Zeit
verweilen oder arbeiten könnte.
Ueber die äussersten Temperaturgrenzen, bei welchen unterirdische
Arbeiten noch ausführbar oder zulässig sind, mangelt es bisher leider
an genügenden Beobachtungen. In England lässt man in Förder- und
\
(
u
j
„N
EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 81
Fahrschächten ausziehende Wetter mit höchstens 27—32° zu,! und in Bel-
gien nimmt man als Temperatur der ausziehenden Wetter 22.5—34.5° an.?
1818 wurden in der Fahlunkupfergrube zwei Verhaue („Mellanrums-
orten“ und „Myrbadsänkningen“) aufgemacht, in denen der Grubenbrand
von 1798 gewüthet hatte. Nach Wallmann herrschte daselbst eine Tem-
peratur von 52°, bei welcher also wenigstens die mit dem Aufmachen dieser
Räume verknüpften Arbeiten statt hatten. 1820 wurde in dem gleichfalls
vom Grubenbrande heimgesuchten „Rälamstak“ bei 30° gearbeitet. 1871
beobachtete Nordenström in „Flottgropen“ 30°; zu Anfang der sechziger
Jahre wurde die Arbeit in einem Bruchort eingestellt, dessen Temperatur
ich gelegentlich Grubenmessungen 33° fand; allerdings machte daselbst der
Staub der verwitterten Kiese, welcher die Haut der nackten Bergleute
tintenschwarz beizte, die Arbeit vielleicht noch lästiger als die Hitze.
Zu diesen Beispielen ist zu bemerken, dass die natürliche Ventila-
tion der Faluner Grube eine vorzügliche ist.
Hr. Quintino Sella erzählte mir, dass er in einer Grube in Corn-
wallis einen Arbeitsraum besuchte, wo die Lufttemperatur wegen Zer-
setzung von Kiesen „wohl 40°“ betrug. Die Leute arbeiteten immer nur
Sanz kurze Zeit, „etwa 10 Minuten,“ und stürzten sich dann, nackt wie
sie waren, in einen benachbarten kühlen und sehr nassen Raum, wo sie
sich durch Abwaschen erfrischten, um sodann, bei eintretendem Frösteln,
‘ ihre Arbeit wieder auf kurze Zeit fortzusetzen.
Nach Angaben, für welche die literarische Gewähr mir nicht zur
‘ Hand ist, hat der Silberbergbau in der Sierra Nevada der Rocky Mountains
neuerdings stellenweise solche Tiefe erreicht, dass die Erdwärme fernerer
‚ Ausbeutung der Gänge ein unüberwindliches Hinderniss entgegenstellt.
Die höchste während des Baues des Mont-Cenis-Tunnels beobachtete
‚ Lufttemperatur betrug nach Ansted (bez. Giordano) 30-1° bei 6000
und 6448” vom Südportal.
Auf die Temperaturverhältnisse des Cohen: werde ich weiter
unten ausführlicher zu sprechen kommen und will hier nur vorläufig
erwähnen, dass in der mit Feuchtigkeit übersättigten Luft der Südseite
. bei ungefähr 31°, in der etwas trockneren der Nordseite bei ungefähr
f 29° im März d. J. anstandslos gearbeitet wurde.
Da die hier zusammengestellten Erfahrungen zur Beantwortung un-
serer Frage nicht ausreichen, so habe ich bei Aerzten Erkundigungen
hen gesucht. Einige meinten, dass anhaltende Arbeit in ge-
' Be lossenen Räumen bei einer die Bluttemperatur (375°) übersteigenden
1 Lottner-Serlo, Bergbaukunde. Bd. II, 8. 162.
2 Ponson, t. I, p. 9.
Archiv f. A,u,Ph. 1879. Suppl.-Band. z. Physiol, Abthlg“, 6
82 F, M. STAPFE:
Wärme lebensgefährlich sei; andere, dass bei guter Ventilirung der Aufent-
halt in trockenen Räumen bei 50° unschädlich sei.
| Hören wir, was in dieser Unbestimmtheit die Physiologie zu rathen
wusste Hr. du Bois-Reymond schrieb mir unter dem 24. und 27.
Februar, sowie unter dem 22. März d. J. Folgendes: „Die Frage, die Sie
an mich richten, ob glaublich sei, dass Menschen und Arbeitsthiere auch
noch bei einer um 10° höheren Temperatur würden arbeiten können, als
die, bei der Sie gegenwärtig im Gotthardtunnel es aushalten (30°) ist
nicht glattweg zu beantworten, sondern die Antwort hängt von Neben- i
umständen ab.
Die Erfahrung hat schon sehr früh (vor hundert Jahren in England)
gelehrt, dass Menschen ungeheuer hohe Temperaturen, ja die des sieden-
den Wassers vertragen, wenn die Luft trocken ist. Das Gesicht
röthet sich, perlender Schweiss bricht aus, und bei seinem Verdampfen
wird soviel Wärme gebunden, dass die Temperatur des Körpers sich nur °
wenig über die Norm erhöht. Freilich muss gesagt werden, dass ın
solchen Versuchen die Personen sich nur kurze Zeit den hohen Tempe-
raturen aussetzten und sich ruhig verhielten.
Versuche der Art sind seitdem vielfach an Thieren mit gleichem
Erfolg wiederholt worden. Dabei ist von Rosenthal! z.B. festgestellt
worden, dass die Temperatur von Kaninchen in Luft von 36°C, die sie
nur durch ihre eigene Ausdünstung feucht machten, bis zu 42° stieg,
ohne dass das Leben der Thiere auch bei längerer Fortsetzung des Ver-
suches gefährdet war. Bei Temperaturen bis zu 40° stieg die Temperatur
des Thieres schnell bis zu 45°, die Thiere lagen in äusserster Erschlaffung
da und suchten instinetmässig eine Lage, bei der sie am meisten Wärme
abgeben konnten; unter diesen Umständen trat äusserst leicht der Tod ein.
Bemerkenswerth ist, dass ein so behandeltes und mit dem Leben
davon gekommenes Thier mehrere Tage hinterher stets eine niedrigere
Temperatur als die Norm zeigt. Die Physiologen erklären dies dadurch,
dass die Musculatur der Hautgefässe dauernd gelähmt wird, so dass durch
die erweiterten Gefässe mehr Blut in der Zeiteinheit strömt und dies
Blut in grösserer Oberfläche mit der Aussenwelt in Berührung kommt.
Sie sehen, dass sich aus diesen Versuchen für Sie zunächst der
Fingerzeig ergeben würde, sich nicht mit Temperaturmessungen von
Gestein und Luft zu begnügen, sondern auch Temperaturmessungen an!
den Mannschaften anzustellen. So lange deren Temperatur nicht über
40° steigt (was schon einer tüchtigen Typhusfieberhitze entspricht) könnte ı
man die Sache mit ansehen. Wenn sie sich schnell über 40° erhöbe, möchte |
1 Zur Kenntniss der Wärmeregulirung bei den warmblütigen Tieren. Er- :
langen 1872.
nn Gene mn 1 anemme _m um —mm > m
EInFrtuss DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 83
ich ferneres Verharren nicht verantworten. Sehr interessant wäre es, zu
erfahren, ob die Individuen nachher niedriger temperirt gefunden werden.
In möglichst ausgetrockneter Luft ist es also wohl denkbar, dass
Menschen bei 50° aushalten, und ich sollte meinen, dass Hochofenarbeiter
und andere Feuerarbeiter es schon bei höherer Temperatur aushielten;
ja sogar in tropischen und subtropischen Gegenden sind Lufttempera-
turen von 40° nichts Seltenes, und werden von Eingeborenen und accli-
matisirten Europäern gut ertragen.
Ganz anders gestalten sich die Dinge, wenn, wie Sie angeben, die
Luft mit Feuchtigkeit gesättigt ist. Dann sowohl, wie auch beim
Eintauchen des Körpers in heisse Bäder, wird ungleich schneller und
schon bei niederen, d.h. die Blutwärme nicht übersteigenden, Temperaturen
die Grenze der Gefahr erreicht, und wenn die Luft nahe gesättigt ist,
halte ich es a priori nicht für möglich, dass Leute in 50° warmer Luft
‘es aushalten; in mit Wasser gesättigter Luft ist es fast gewiss, dass eine
Temperatur von 40° lebensgefährlich werden würde. Luft, welche nur
!/, des zu ihrer Sättigung nöthigen Wassers enthält, erscheint uns sehr
trocken. Da die Luft unter den gewöhnlichen Umständen die Sättigung
selten erreicht, und uns doch schon sehr schwül erscheint, spielt sicher-
lich die Feuchtigkeit die grösste Rolle bei unserem Behagen schon unter
gewöhnlichen Umständen, und eine geringe Verminderung des Wasser-
gehaltes der Luft kann von grosser Wichtigkeit sein. Der Sauerstofi-
gehalt spielt innerhalb ziemlich weiter Grenzen keine grosse Rolle,
aber schädliche Gase, namentlich Kohlenoxydgas in kleinster Menge,
sind natürlich sehr bedenklich.
Dass die Pferde und Maulthiere die hohe Temperatur in halb-
feuchter Luft schlechter aushalten als die Menschen!, lässt sich so ver-
stehen, dass sie als grössere Thiere im Vergleich zu ihrer Körpermasse
eine geringere Oberfläche haben, und also weniger verdampfen.
Das Hauptmittel, um die hohen Temperaturen erträglich zu machen,
würde dem Gesagten zufolge darin bestehen, die Luft auszutrocknen. Ob
dies praktisch ausführbar wäre, bin ich nicht in der Lage zu beurtheilen.
Ich glaube aber sicher, dass eine Lowry ungelöschten Kalkes, obschon
sie sich beim Löschen erhitzen würde, den Leuten mehr wirkliche Küh-
lung brächte, als eine Lowry Eis, welche die Luft noch feuchter machte.
1 Anm. bei der Correctur. Von 42 im Tunnel zu Airolo beschäftigten
Pferden starben im November und den ersten Wochen December d. J. 12, ausser-
dem liegen heute (19. XII) 8 krank im Stall. Zu Göschenen starben im November
und den ersten Tagen December 15 Tunnelpferde. Es sollen besonders Lungen,
Leber und Herz der gefallenen Thiere krankhaft gewesen sein. Dr. Fodere in
Göschenen hält Anämie für die wesentlichste Krankheit der Tunnelpferde.
84 F. M. STAPRFF:
Am zweckmässigsten dürfte aber die Combination beider sein, nament-
lich, wenn man die Eislowry mit Viehsalz überschüttete, was den Vor-
theil höte, dass wegen der höheren Dampfspannung der Salzlösung das
Eis dann nieht dazu beitrüge, die Luft noch feuchter zu machen. Ich
sollte meinen, dass wenn nun gleichzeitig von der Mündung her frische
Luft eingehlasen würde, auch bei einer Gesteinstemperatur von 50° noch
würde gearbeitet werden können. Es müssten kurze Schichten gemacht
und die Temperatur der Arbeiter kunstgerecht mit physiologischen Ther-
mometern geprüft werden. Das Thermometer im Mund oder in der
Achselhöhle wird die Grenze der Gefahr anzeigen, welche ich, um sicher
zu gehen, bei 40° Wärme der gedachten Punkte normiren würde. Ich
würde es nicht für unverständig halten, den Leuten Eispillen mit etwas
Branntwein (um der verderblichen Wirkung des destillirten Wassers auf
die Magen- und Darmschleimhäute vorzubeugen) alle zehn Minuten’
schlucken zu lassen.“
Soweit Hr. du Bois-Reymond.
«
Durch Vorstehendes sind wir zunächst zu dem gewichtigen Resultat
gelangt, dass aus physiologischen und empirischen Gründen die Tunnel-
arbeit überhängend gefährlich wird, sobald durch die Verhältnisse,
unter denen sie stattfindet, die Körperwärme der Arbeiter auf 40° ge-
steigert wird; und dass a priori als höchste statthafte äussere Temperatur
angenommen werden darf: 40° wenn die eingeathmete Luft feucht; 50°,
wenn sie ganz trocken ist.
Hrn. du Bois-Reymond’s Rath folgend habe ich zunächst an
Tunnelarbeitern, dann aber an mir selbst eine Reihe von Beobachtungen
angestellt, deren nächstes Ziel war, festzustellen, in welcher Abhängig-
keit unter gegebenen atmosphärischen Verhältnissen die Körperwärme
steht zur Temperatur der umgebenden Luft und zur Anstrengung, womit
man in derselben arbeitet.
Die Luftbeschaffenheit im Gontendmmel lässt sich nach folgenden
Momenten beurtheilen.
1 Eine sehr witzige Art die Temperatur des Körpers zu bestimmen, erzählte
neulich Hr. Helmholtz in der physiologischen Gesellschaft. Sie besteht darin, die
Temperatur des frischgelassenen Harnes zu messen. Der Harn wird mit der Tempe-
ratur des kleinen Beckens, 383—39, gelassen. Es gelang Helmholtz, als er noch
in Heidelberg war, die Teinperaturerhöhung seines Körpers durch die Muskel-
anstrengung bei möglichst schnellem Besteigen des etwa 200m hohen Gaisberges von
seinem Haus aus dadurch nachzuweisen, dass er vor und nachher die Temperatur
des Harnes maass: oben fand er sie um etwa 10 höher. (Aus Hrn. d. B.-R.’s Brief.)
EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 85
A. Göschener Seite.
Im Februar 1879 betrug der Tunnelhohlraum 231280 ®=, wovon
124750 m -fertiger Tunnel. Da in der fertigen Strecke keine Arbeit von
Belang; verrichtet, die Ventilation derselben auch durch den natürlichen
Luftzug wesentlich mit bewirkt wird, so müssen wir hier von selbiger
ganz absehen und in unseren Rechnungen den 106530 m betragenden
Hohlraum der eigentlichen Arbeitsstellen einführen.
In den Tunnel wurden täglich im Mittel 92490 ®m Luft atmosphä-
rischer Spannung gepresst.” Nehmen wir an, dass dieselbe mit 0° an-
gesaugt wurde, so nimmt sie bei 25° (mittlerer Tunneltemperatur) ein
Volumen von 100893 m ein. Es wurden im Mittel täglich 296.4 *=" Dy-
namit verwendet, welches 148.2°m Sprenggase von 0°, oder rund 161.5 em
von 25° liefert, ?
Im Tunnel gleichzeitig beschäftigt waren im Mittel 423 Mann mit
361 Lampen und 10 Zusthiere. Rechnet man, wie üblich, den Luft-
1 Die veröffentlichten Berichte geben 110987 ebm an, unter der Voraussetzung
eines Nutzeffectes der Compressoren von 0:6. Nach Hrn. Stockalper’s direeten
Versuchen beträgt letzterer aber nur circa 0-5. Desshalb habe ich hier auch nur
5), der Ziffernangabe der Berichte einführen können.
2 Nach einer 1866 in Stockholm herausgegebenen Brochure der Nitroglycerin-
Actiengesellschaft: „Om Nitroglycerin, Nobel’s Patentspränyolja“, giebt 1 Liter =
1-6 Kilosr. Nitroglycerin 1142 Liter Sprenggase (bei 0%). Da 1 Kilogr. Dynamit rund
0.7 Kilogr. Nitroglycerin enthält, so resultiren bei der Explosion desselben 500 Liter
Gas, bez. etwa 545 Liter von 250%. Die Zusammensetzung der Nitroglycerin-Spreng-
gase bei 00 wird angegeben zu:
Wassergas . . . 34-8 Volumprocente
=
Kohlensäure. . . 411 &
Sauerstoff 304 %
NStiekstom 2 2087 =
100.0,
doch sründet sich diese Angabe auf stöchiometrische Berechnung, nicht auf Er-
fahrung. Letztere deutet auf eine grosse Ungleichheit in der Zusammensetzung
der Sprenggase, je nach den Verhältnissen, unter denen sie sich entwickeln. Bei
der Detonation in nassen Sprenglöchern bildet sich unter Anderem mehr oder weniger
salpetrige Säure, so dass der Rauch die Augenlider brennt, zu Krampfhusten
| reizt und asthmatische Beschwerden verursacht. Die Verbrennung von Dynamit
(ohne momentane Explosion) giebt einen unausstehlichen, selbst gefährlichen Rauch,
welcher (nach seinen Wirkungen zu schliessen). Kohlenoxydgas enthalten dürfte;
ebenso verderblichen Rauch entwickeln dynamitartige Sprengstoffe, bei denen ge-
kohlte organische Substanzen als Absorptionsmittel des Nitroglycerins dienen. Ein
paarmal habe ich’ (ohne die Ursache ermitteln zu können) deutlichen Blausäure-
geruch des Dynamitrauches wahrgenommen. Endlich glaube ich, dass hauptsäch-
lich verstäubtes, im Rauch suspendirtes, Nitroglycerin jene Anfälle von Augen-
reiz, Kopfschmerzen, Schwindel, Magenbeschwerden verursacht, über welche Leute
fast stets klagen, welche sich noch nicht an den Dynamitrauch „gewöhnt“ haben.
86 | F. M. STAPFE:
verbrauch einer Lampe gleich dem eines Mannes, jenen eines Pferdes
(oder Maulthieres) gleich dem von 5 Mann, so gelangen wir zu einer
ideellen (luftverzehrenden und luftverderbenden) Leutezahl von 834.
Hiernach entfällt auf 1 (ideellen) Mann:
127:7 Kubikmeter Arbeitsraum
121-1 3 frische Luft von 25°, pro 24 Stunden
0-2 r Sprenggase „ 25%, „ ei
und auf 1 Kubikmeter Arbeitsraum:
0.0078 ideelle Menschen
0.9479 m frische Luft von 25° pro 24 Stunden
0.0015 „ Sprenggase von 25° „ 24 „
In Luftproben, welche ich auf Hrn. Oberingenieur Hellwag’s An-
ordnung am 13. April 1876 bei 1940—50” vom Nordportal sammelte
und an Ort und Stelle einschmolz, fand Hr. Prof. Bunsen in Heidelberg:
Kohlensäure . . . 0-96
Sauerstoli 2 22.727220%05
StickstoHe 1899
100.00
Obwohl damals die Luftcompressionsanlagen noch nicht erweitert
waren, glaube ich doch, dass diese Analyse auch jetzt noch die allge-
meine Zusammensetzung der Tunnelluft, wie sie von den Arbeitern meist
geathmet wird, recht gut ausdrückt; denn gleichzeitig mit vermehrtem
Luftdebit haben auch die Arbeiten an Ausdehnung zugenommen.
An demselben Tage fand ich in 1 m Tunnelluft:
Staub
Ort. hischen ee Summa.
(Russ).
gsrm srm gım
58, vom Portal, unter Gewölbe ab-
ztehend .. 0:075 ı 0.100 | 0.175
1940—50” v. P., nach Weelhun il Schtisse |
in Hiweiterung RER 0.200 | 0.175 | 0.378
2974” v. P.,hinter Bohrgestell im ‚FE oh
Stollen, nach beendetem Schut-
tern Les. re 10200802150,
EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 87
Der Feuchtigkeitszustand der Tunnelluft hängt nicht nur von
den Respirations-, Verbrennungs- und Explosionsproducten und dem mit
der eingepressten Luft direet zugeführten Wasserdampf ab, sondern be-
sonders auch von den Wasserzuflüssen im Inneren des Tunnels. Aus dem
Göschener Tunnelportal fliessen 40—50 Liter Wasser in der Secunde,
welche besonders bei 2610—2740 und 5000-6000 zusitzen; doch ist
anzumerken, dass der fast nirgends ganz fehlende Bergschweiss und
schwache Tropf mehr dazu beitragen, die Luft feucht zu machen, als ge-
schlossen hervortretende Wasserstrahlen. Von grossem Einfluss auf die
Verdunstung ist die Temperatur der zusitzenden Wässer; in der Regel
war selbige niedriger als die des umgebenden Gesteines, so lange die Tem-
peratur des letzteren 25° nicht überstieg; höher im entgegengesetzten
Fall. Zwischen 5000 und 6000” treten überdies Thermalquellen hervor,
welche um 4° wärmer sind als nach der Höhe des überliegenden Ge-
birges u. s. w. geschlossen werden durfte. Sehr nachtheilig für den
Trockenheitszustand der Luft sind stagnirende Wasserpfützen mit grosser
Oberfläche und der aufgehäufte nasse Schmutz.
Am 14. März d.J. war der Feuchtigkeitszustand in Göschener Tunnel-
seite folgender:
absolut. relativ.
2500” v.P. bei 666. 1" auf O°red.: Barom. u. Temp.: 21.7°: 18.8” 97.69),
30) 761572: 1:3 GE „22.80, 20.4mm 98-60),
a „27.30. 26.gmm 99.50/,
En „28.50: 28.1em 97.00),
Eine „Vor Ort“! begonnene Beobachtung musste wegen Wegthuns der
Schüsse abgebrochen werden, doch deutet dieselbe auf einen geringeren
Feuchtiskeitsgrad daselbst.
An gleichem Tage war beim Sectionsbureau der Dunstdruck 3-
die relative Feuchtigkeit 100°/,; bei 655.3” Barometerstand und —4.2°
Lufttemperatur.
Sunı=
B. Airolo-Seite.
Im Februar d. J. enthielt der Tunnelraum 206773cm, wovon 148428<m
auf den fertigen Tunnel, 58345 m auf die Arbeitsräume entfallen. Täg-
lieh im Mittel 74550®= 2 frische Luft (von atmosphärischer Spannung) ein-
1 Vor Ort heisst in bergmännischer Redeweise der am weitesten vorgetrie-
bene Punkt eines Stollens.
2 Die Berichte geben 120890°bm unter Annahme von 60%, Nutzeflect der Com-
pressoren. Letzterer wäre nach Hrn. Stockalper’s Versuchen (zu Göschenen)
caeteris paribus auf 50%), zu redueiren. Da aber die mittleren Hubzahlen der gleich-
artigen Compressionsmaschinen zu Göschenen und zu Airolo sich verhalten wie
83 F. M. STAPFF:
seführt, entsprechend 82200®" von rund 28° (Mitteltemperatur der Ar-
beitsstellen). Dem täglichen Dynamitverbrauch von 143.6*s" entsprechen
71.8ebm Sprenggase (bei 0°) oder 79.2m bei 28°. Gleichzeitig hielten
sich im Tunnel (im Mittel) 280 Mann, mit 323 Lampen, und 15!/, Zug-
thiere auf; zusammen entsprechend 780 athmenden Menschen. Aufl
(ideellen) Mann kommt mithin:
74-8 Kubikmeter Arbeitsraum
105-4 er frische Luft von 28° pro 24 Stunden
0-1 re Sprenggase von 28° „ 24 n
und auf 1 Kubikmeter Arbeitsraum:
0.0134 ideelle Menschen
1.4089 km frische Luft von 28° pro 24 Stunden
0.0014 „ Sprenggase von 28° „ „ ”*
In einer Tunnelluftprobe, welche ich am 15./16. Mai 1876 bei 1460"
vom Portal gesammelt hatte, fand Hr. Bunsen
Kohlensäure © . . 0-30
Sauerstof Sr: 7520218
Stickstoff 19252
Summa 100.00
An demselben Tage fand ich den Staubgehalt in je 1= Tunnelluft:
Staub
Ort. organ. anorga- Snmma.
(Russ). nischer.
grm grm grm
150” vom Portal, unter dem Gewölbe ab-
ziehend 2. 2.0.0.0 2.22882992180,06250 mie 392,
1211” v. P., Calotteweiterung, oberhalb
Strasse, vor Bohrung. . .' .| 0.8175 | 0.0555 | 0.873
2950” v. P., Vor Ort, hinter Bohrgestelle,
Bohren in feuchtem Gestein
ohne Wasserinjection . . .| 0.1700 | 0.1750 | 0.600
4+5
60.3 50 darf man an letzterem Orte füglich keinen höheren Effect voraussetzen als
50x44-5 - 0
60.5 = 370%, und muss obiges Luftquantum auf — - =
setzen. (Vergl. oben S. 85, Anm.)
— 74550cbm herab-
EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 89
Die Feuchtigkeit der Luft ist wegen der viel bedeutenderen Wasser-
zuflüsse in der Südseite des Tunnels grösser als in der Nordseite, manche
Wässer von 4000” einwärts sind hepatisch.
Das Gesammtabflussquantum aus dem Südportal des Tunnels variirte
im verflossenen Jahre (März 1878/79) zwischen 206 und 240 Liter pro
Secunde von 11-8&13.4° (nahe dem Portal).
Am 28. März 1879 war der Feuchtigkeitszustand der Luft folgender:
absolut. relativ.
2170” v. P. bei 655. 9"” Barometerstand, 21.0° Luftwärme, 18-4”” >100°/,
37000 „ „ „ 555. 5mm 3 27.9, 28.Gmm > 1000),
4600% „ „, „ 655. 4mm g 30-69, 82-6mm > 1000),
59000 „ „ „ 655. 3mm A 30-29, 32.0mm > 100%),
6031 , , „ 655.2mm e 28-690, 97-jmm 93.90)
An letzterem Punkt, circa 22” hinter dem Bohrgestell v. O., variirte
während des Maschinenbohrens der Dunstdruck zwischen 25: 7—28- 2m,
die relative Feuchtigkeit zwischen 86-8 und 98-0° bei 27.1—28-1°
Luftwärme.
Während dieser Versuche war der Feuchtigkeitszustand der äusseren
Luft (beim Sectionsbureau): absolut 5-1”, relativ 100°/,, bei 655.8 "m
Barometerstand; 1°7° Lufttemperatur.
Während Arbeitsraum, Quantum der eingepressten Luft und der ent-
wickelten Sprenggase (alles pro 1 Mann, bez. lem gerechnet), in beiden
Tunnelseiten sich so verhalten, dass die summarische Bonitätsproportion
_ der Tunnelluft zu Göschenen und zu Airolo annähernd
127-7 x (0-9479—0- 0015): 74.8 x (1-4089—0-0014) = 1.1416: 1
gesetzt werden kann, ist das umgekehrte Verhältniss der mittleren Dunst-
drücke an beiden Orten (die Beobachtungen zu Airolo hinter dem Bohr-
gestelle sind zur Erzielung von Gleichförmigkeit hier ausgeschlossen)
212219723259, — hel7ssa le
Und räumen wir der Lufttrockenheit denselben Einfluss auf das allge-
meine Wohlbefinden der Arbeiter ein wie frischer Respirationsluft, so
erhalten wir als schliessliches Verhältniss der Luftgüte in beiden Tunnel-
seiten
Eorchenen :Airolo wie 121416 X 1-1783:.1x1 = 1-345:1
90 F. M. STAPFE:
Die meisten Gotthardtunnelarbeiter sind Piemontesen und an-
dere Italiener, von denen jedoch nur die professionellen Bohrmaschinen-
arbeiter, Mineure, Maurer u. s. w. ständig bleiben, während die un-
gleich grössere Zahl der „Manoeuvres‘“ kommen und gehen; namentlich
den Winter bringen sie gerne in ihrer Heimath zu.
Die normale Arbeitszeit von 8 Stunden ist zumal bei den in
Prämienaccorden arbeitenden Bohrmaschinen- und Schutterposten weiten
Schwankungen unterworfen. Da bei regelmässigem Arbeitsgang sowohl
das maschinelle Abbohren der Löcher als das Abschiessen und Beräumen
gegenwärtig je nur 2—4 Stunden beansprucht, so verrichtet in der
Regel jeder Maschinen- und Schutterposten, ohne auszufahren, je 2
Schichten nacheinander, sei es an 2 verschiedenen Arbeitspunkten
des Tunnels, sei es an demselben. In letzterem Falle, welcher gegen-
wärtig Regel ist, ruhen die Maschinenarbeiter während der Schutte-
rung und nehmen sodann ihre Arbeit wieder auf; und umgekehrt die
Schutterer. Die Dauer des Aufenthaltes beträgt daher 12—14 Stunden.
Wenn immer möglich suchen die Leute mit den Zügen ein- und
auszufahren: auf der Göschener Seite gegenwärtig (März) bis circa 3600”
(bez. 2600”); auf der Airoleser bis 4100” vom Portal. An diesen Punkten
lassen die Angestellten meist ihre wärmeren Kleidungsstücke zurück;
die Arbeiter aber entkleiden sich gewöhnlich erst nahe den Arbeitsstellen,
viele bis auf die Stiefeln. Bei der Rückkehr ist an den erwähnten
Haltestellen der Locomotiven meist Zeit genug zum Ausschnaufen, all-
mählichen Abkühlen, mehr oder weniger gründlichen Umkleiden. Wäh-
rend der Ausfahrt wird aber der rasche Temperaturwechsel (besonders
im Winter) doch sehr fühlbar, und ich glaube, dass es der Gesundheit
zuträglicher ist die 8—4*m hinauswärts gemächlich zu Fuss zurückzu-
legen als in !/,—"/, Stunde mit der Locomotive fahrend.
Ueber den Einfluss der Tunnelarbeit auf das allgemeine Befinden
habe ich an mir selbst, an Angestellten und an Arbeitern folgende Wahr-
nehmungen gemacht. Leute, welche seit Beginn des Baues täglich (mit
unwesentlichen Unterbrechungen) ihre Tunnelarbeit verrichtet, und sich
allmählich an die steigende Temperatur gewöhnt haben, hört man über
letztere nur unterhaltungsweise klagen, ungefähr wie Bauern über starke
Sommerhitze. Die meisten aber haben ein schwindsüchtiges Aussehen
(besonders die Feuerwerker, Schutterer und Maurer) und ihre Lebens-
dauer dürfte verhältnissmässig kurz sein. Dies gilt jedoch von allen
Bergleuten und ist wohl weniger auf Rechnung der hohen Temperatur als
auf die der matten Luft, der Sprensgase und des Gesteinstaubes zu setzen.
Welche verderbliche Wirkung letzterer auch auf die Bohrmaschinen-
arbeiter ausübt, die doch in verhältnissmässiger Kühle frische Luft athmen,
EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 9
geht beispielsweise daraus hervor, dass wohl alle Modaneser Bohrmaschi-
‚nenarbeiter Lungenleiden erlegen sind, während noch ziemlich viele Bar-
- donnöcher im Gotthardtunnel arbeiten. In der Bardonnöcheseite des Mont-
Cenis-Tunnels stand feuchter Kalkstein an, in der Modaneseite dagegen
trockener Sandstein, Quarzit u. d. m., deren reichlicher Staub den Lungen
verderblich wurde. Eine ähnliche Beziehung könnte man vielleicht zwi-
schen dem Einfluss der Bohrmaschinenarbeit im trockenen Gneissgranit
der Nordseite des Gotthardtunnels ausfindig machen und der gleichzei-
tigen im nassen Glimmerschiefer der Südseite.
Ich habe öfters bemerkt, dass Tunnelarbeiter, welche im Herbst gelb
und mager in ihre Heimath zogen, im Frühling frischer und kräftiger
als je zum Gotthard zurückkehrten.
Von den Tunnelärzten ist mir gesagt worden, dass (von körper-
lichen Verletzungen und einzelnen acuten Krankheitsfällen ganz abge-
sehen) die Krankheiten der Jahreszeit (Katarrhe, Lungenentzündungen,
Diarrhöen, „Fieber“ und dergleichen) die Tunnelarbeiter in viel grösserer
Proportion träfen als die Landbevölkerung.
Leute, welche für die gegenwärtige Tunnelarbeit neu engagirt werden,
fühlen sich die ersten Tage sehr unwohl, sitzen oder liegen lange schlaff
und matt an den Arbeitsstellen, verrichten wenig; — gewöhnen sich aber
rascher an die Tunnelarbeit als man meinen sollte, falls sie selbige nicht
wieder in den ersten Tagen aufgeben. Ganz ähnlich verhält es sich,
wenn man nach wochenlangen Zwischenpausen Tunnelarbeiten wieder
aufnimmt; und noch erschöpfender wirken einfache Tunnelbesuche auf
Fremde.
Ebenso wie man durch Gewöhnung die unbehagliche Tunnelatmo-
sphäre ertragen lernt, accommodirt man sich auch bei jedem neuen
Tunnelbesuch bald wieder der drückenden Schwüle, und zwar um so
eher, je häufiger und ununterbrochener man die Besuche wiederholt.
Die Erscheinungen, welche der Aufenthalt in der matten, rauchigen,
feuchten, warmen Tunnelatmosphäre hervorbringt, sind zwar bei allen
Individuen dieselben, aber von verschiedener Intensität; Gewöhnung und
ungleiche Empfindlichkeit für äussere Eindrücke lässt auch dem Einen
oft kaum auffällig erscheinen, was dem Anderen schon unerträglich vor-
kommt.
Beengung, Beklommenheit, kurzes rasches Athmen (Schnaufen der
Zugthiere), Transpiration des ganzen Körpers, welche alle Kleider brüh-
warm durchnässt, und weder durch Verdunstung noch Abtrocknen er-
träglicher wird (die ganz nackt arbeitenden Leute befinden sich am
wohlsten); grosses Unbehagen; Mattigkeit; Müdigkeit; Erschlaffung; Be-
nommenheit; gelinde Ohnmachten; Gleichgültigkeit; schwere unelastische
92 F. M. STAPFE:
Bewegungen; — sind solche Erscheinungen, welche durch mehrstündigen
Aufenthalt in derselben Tunnelatmosphäre eher abnehmen als zunehmen,
zum Theil sogar wieder verschwinden. Das aufgedunsene Gesicht röthet
sich; man wird zwar nur wenig von Durst geplagt; fühlt sich aber durch
einen kühlen Trunk doch erfrischt, und mehr noch durch Waschen der
Handgelenke und Schläfen mit kaltem Wasser. In den Ruhepausen
strecken sich die Arbeiter auf Planken in Attituden, welche lebhaft an
jene der Kaninchen in Rosenthal’s Versuchen erinnern.
Die Urinabsonderung vermindert sich auffällig; der Urin ist sehr
dunkel gefärbt und trübt sich nach einiger Zeit. Es tritt Verstopfung
ein; der Appetit nimmt ab. Eine sonderbare Erscheinung sind noch
Hautentzündungen, welche man anfangs den warmen hepatischen Wässern
der Südseite zuschrieb, welche aber nur Folge der feuchtwärmen Luft
sein können, da sie auch Personen belästigen, welche mit jenen Wässern
nicht in Berührung kamen. Prof. du Bois-Reymond sagt: „die Haut-
entzündungen haben wohl Aehnlichkeit mit den Afiectionen beim Gebrauch
des Leuker Bades, wo die Leute den ganzen Tag in lauwarmem Wasser
zubringen, oder mit denen, welche die Reisenden auf dem Rothen Meere
befallen“. Diese Entzündungen bestehen darin, dass sich unter der Haut
flache, harte, erbsen- bis nussgrosse, juckende Erhöhungen bilden, welche
anfangs weiss sind, durch Kratzen aber geröthet, stellenweise wohl auch
von der Haut entblösst werden. Sie gleichen Inseetenstichen, — ver-
schwinden nach einigen Tagen wieder spurlos, wenn man sie nicht kratzt,
sie mit kaltem Wasser wäscht und mit Glycerin bestreicht. Entgegen-
gesetzten Falles, und namentlich wenn die wunden Stellen ständig wieder
von den nasswarmen Tunnelkleidern gerieben werden, können sich aus
denselben Abscesse, Schorfe u. dergl. entwickeln. An Leuten, welche
ihre Arbeit ganz nackt verrichten, sieht man fast nie dergleichen; über-
haupt aber nehmen die Hautaffeetionen um so mehr ab, je öfter und
regelmässiger man den Tunnel besucht.!
Als spätere Folgen der Tunnelarbeit zeigen sich Abmagerung, fahle
Gesichtsfarbe und, besonders zur Winterzeit, Rheumatismus, hartnäckige
Katarrhe, Diarrhöen u. s. £.
! (Nachträgliche Bemerkung.) Aus späteren Beobachtungen scheint her-
vorzugehen, dass die Hautentzündungen doch hauptsächlich Folge der warmen
hepatischen Wässer, und weniger der feuchtwarmen Tunnelluft sind. Sie stellten
sich sofort ein, und zwar auf beiden Tunnelseiten, als zu Airolo zwischen 6393—6414,
zu Göschenen zwischen 7146—59, 300 warme Wässer erschrotet wurden, welche
so reich an alkalischen Sulfiden waren, dass deren auf Steinen und Röhren sich zer-
schlagende Tropfen dünne Krusten von Schwefel absetzen. Diese Wässer reagiren
alkalisch und machen die Finger schlüpfrig wie dünne Lauge.
EInFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 95
Die durch den Tunnelaufenthalt hervorgebrachten Aenderungen der
-Körperwärme nehmen folgenden allgemeinen Verlauf:
Beim Einfahren mit der Locomotive steigt die Bigenwärme rasch
soweit, als dem Temperaturgrad der unterwegs eingeathmeten Luft zu-
kommt, selbst wenn sie vorher unter der normalen war. Beispiele: Nach
einem Aufenthalt von 50 Minuten vor dem Tunnelportal zu Airolo bei
der Lufttemperatur (7) = 3-6° war am 8. III. 10" 10% Vormitt. meine
Eigenwärme (£) 35-05° oder 1.39% (D) unter der, gleicher Tageszeit ent-
sprechenden, normalen (bei Z’= 13-42%). Nach der Fahrt bis eirca
3800”, welche bei einer Lufttemperatur von 3-6— 27.4 (Mittel 174°) inel.
Aufenthälten 50 Min. erforderte, war 11h 10% ; z=37.71°;, D = 0.97° über
der normalen. Am 12. III. besass ich nach 25 Min. Aufenthalt auf dem
Tunnelbauplatz zu Göschenen bei 7’=4-33° die Eigenwärme t= 36.12,
d.h. D = 0.66 unter der normalen. Die Fahrt bis 2200” bei T= 4.33
419.44 (Mittel 14-64°) erforderte 10Min.; nach derselben war 12h 12:7
2 37-5% DO = + 0.45°. Am 14. Ill. fuhr ich 9 5” Vormitt. ein. Vor
dem Portal war 7 = — 1:2°; t = 36-11°; D = — 0:%6°%. Bi T= —
1.17 42.67 (Mittel 13-770) wurde in 17 Min. der Weg bis 2490" zurück-
elest, wo 330m: 7 — 36.255; D = — 0.13%.
Aus diesen Beispielen folgt, dass im Mittel per Minute eine Er-
- höhung der Eigenwärme von 0.047° eintritt, wenn die Temperatur der
umgebenden Luft gleichzeitig um 0.79% steigt. Bei den weiter unten
in Rechnung gezogenen Beobachtungen ist. aber D höchstens = 2-08",
die Erhöhung (A) der Lufttemperatur wenigstens = 5-27°. Wir dürfen
2.03 x 0.79 £
0.047 x 597 6—7 Minuten
ausreicht, um für die nachfolgenden Berechnungen brauchbare Daten zu
ergeben.
- Beim ruhigen Verweilen in warmer Tunnelluft erhält sich in der
ersten Hälfte der Sstündigen: Arbeitsschicht die dem resp. Temperatur-
srad zukommende Körperwärme; später tritt eine Abnahme ein, welche
ich jedoch nicht näher untersucht habe, da es mir zunächst nur darauf
ankam, die Relation zwischen Temperatur der Umgebung und der ent-
sprechenden Maximalkörperwärme festzustellen. Durch Verrichtung me-
ehanischer Arbeit in der warmen: Tunnelluft tritt eine fernere, mit der
Anstrengung! wachsende Erhöhung der Eigenwärme ein, welcher aber
bei eintretender Ruhe sofortige Abkühlung folgt. Letztere vermindert
die Körperwärme oft bedeutend unter jenen Grad, welcher dem ruhigen
also annehmen, dass eine Exposition von
1 Deber „Anstrengung“, welche im Folgenden immer mit 7 bezeichnet ist,
weiter unten.
94 F. M. STAPFE:
Aufenthalt in gleichwarmer Tunnelluft zukommt. Folgende Beobacht-
ungen haben zu diesen Sätzen geführt:
6. III. Airolo; 1% 7% Nachmitt. nach 5stündigen Aufnahmen im
Tunnel; Z = 30.56°; = 38-.11%; D= + 1-05°. Für 7 = 0 sollte aber
D = 1-36° sein;! daher relative Abkühlung 1-36—1-.05 = 0.31°.
8. Ill. Airolo; 1Y5=; nach 2!/,stündigem Aufenthalt im Tunnel
und Zurücklegen von eirca 2200% mit der Anstrengung 7 =-0-83, vor
Ort beim Maschinenbohren 'ausgeruht. 7’ = 27.5°; 1 = 37.67; D = +
0.820; sollte sein 1.09%. Relative Abkühlung 1.09—0.82 = 0.27°,
13. III. Göschenen; 12" 0%; nach 3stündiger Arbeit im Tunnel
Schutterarbeit vor Ort beobachtet. 7 = 28.45°; t=317.11°; D = 0.029,
hätte sein sollen 0.77%. Relative Abkühlung durch die Ruhe 0.77—
0.02=0.75°. Als ich sodann in gleichwarmer Luft 136% gegangen war,
hatte sich die Eigenwärme wiederum 0-39° erhöht. — Nach Verrichtung
meiner Arbeit 3? 28” v.O. beim Maschinenbohren geruht: 7 = 26.11°;
t = 31:16°%; D = + 0.72, hätte 0-81 sein sollen; daher relative Ab-
"kühlung 0-.81—0.72 = 0.09°.
14. III. Göschenen; 12" 15%; nach 3stündigem Aufenthalt im
Tunnel beim Maschinenbohren v. O. geruht. 7'= 24.39°; it = 37.40°;
D = + 0.36, hätte 0.53% betragen sollen. Relative Abkühlung durch
Ruhe 0.53—0:36 = 0-17.
4" 34m; nach 7!/,stündigem Aufenthalt im Tunnel; 7 = 0-92; T =
28.0°%; t = 37.22°;, D = + 0.54, hätte sein sollen 0-80°. Relative
Abkühlung 0-80—0.54 = 26°.
5 8m; nach fast Sstündigem Tunnelaufenthalt circa 1300” mit An-
strengung 7 = 0-95 zurückgelegt; 7= 25-.10°%; = 37.66°; D = 0.68),
sollte sein 1.10%. Relative Abkühlung: 1.10—0.63 = 0-47°.
526m; nach 8?/,stündigem Tunnelaufenthalt eirea 1950” mit 7 =
0.87 gegangen; 7'= 25.10°%; = 37.500; D = + 0-41’, hätte 0.84
sein sollen. Relative Abkühlung 0.84—0.41 = 0.43).
6% 44m; nach 9%/,stündisem Tunnelaufenthalt bei 3520” Locomotive
abgewartet; „ = 0; T = 22.78°, t = 36.97; D = + 0-1, hätte 0-36
sein sollen. Relative Abkühlung: 0.36°—0-1 = 0-26°.
Schutterer, welche 21. I. nach 7stündigem Aufenthalt im Tunnel
zu Göschenen bei 28.4° ruhten, hatten = 37.0°, 37.3°, 37.7°. Ein
Mechaniker, welcher 22. II. bei 27.9° ruhte, besass 2 = 36.8°; ebenso-
viel ein ruhender Fäustelbohrer bei 7 = 246°, — diese Zahlen deuten
gleichfalls auf Abkühlung nach angestrengter Arbeit, deren Grösse aber
nicht in Ziffern ausgedrückt werden kann.
1 Die Formeln siehe weiter unten.
EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 95
Nach den vorgehenden Sätzen sind für unsere Berechnungen nur
Beobachtungen aus den ersten 3—4 Stunden des Tunnelaufenthaltes
verwendbar. Diese Beobachtungen müssen womöglich während der Ver-
richtung der mechanischen Arbeit, oder doch unmittelbar nach derselben
angestellt werden. Es scheint dagegen unnöthig, die Zeitdauer des
Aufenthaltes oder der Anstrengung in der erhöhten Temperatur als Va-
riable mit in Rechnung zu führen, sofern man nur 10—15 Minuten
(anstatt der oben berechneten 6—7) vor dem Beginn einer neuen Be-
obachtungsreihe unter neuen Verhältnissen hat verstreichen lassen.
Von überwiegend physiologischem Interesse ist das von Hrn. du
Bois-Reymond erwartete Sinken der Eigenwärme unter die normale
nach dem Verlassen des Tunnels. Hierfür folgende Belege:
6. III. Airolo; 3% 13% nach 7stündigem Aufenthalt im Tunnel,
während welchen meine Körperwärme auf 1-91° über die normale ge-
stiegen war, am Portal angelangt; mit # = 36.67°%; D= + 0.27".
Während der Ausfahrt war in 51 Min. 7’ von 30.4 auf 7.8° gefallen
(Mittelwerth 19.6°%). Nach dem Zurücklegen von circa 600” zu meiner
Wohnung, bei 7’=1.8°, war 330% :7 = 33.33%; D= —3.11°. Nach
Waschen, Umkleiden etc. bei 18-44°; Ah 56%: = 384.33°; D = — 2.48",
Nach Mittagessen u.s. w. bei 17.83°; 5b 40% : = 36-94; D = —.0.06°.
8. III. Airolo; 5% 53” Tunnel verlassen nach 7!/,stündigem Aufent-
halt, während welchen D auf 2-03° gestiegen war. In 53 Min. ausgefahren,
bei 7’= 28.9&0.0° (Mittelwerth 17.78°%); vor Portal = 34.72°%, D =
— 2.28%. Bei 0.0° nach Hause gegangen, wo 6R 12": = 34-.44°;
-D = — 2.60% Nach dem Waschen, Kleiden u. s. w. bei 17.73°; 6753”:
t= 35:28°; D = — 1-80°. Nach dem Essen u.s w. bei 19.39°; 7h 40” :
56.3978 =, 0.33% Nach Lecture bis 9% 25” bei 7’= 18-67
t= 36-.61°%;, D = — 0.01".
12. III. Göschenen; 715” Tunnel nach Sstündigem Aufenthalt
verlassen, während welchem D 1-36° erreicht hatte. In 48 Minuten bei
23-.79&14.44° (Mittel 18-58°) ausgefahren; vor Portal 2 = 36-61°; D =
— 0.15%. Nach Waschen, Abendessen, Schreiben bei 17.05°; 10% 10%;
= 36-.67°; D— + 0.09.
13. III. Göschenen; 536” aus Tunnel nach 8 stündigem Aufent-
halt. Ueberhitzung 1-24°. Ausfahrt in 43 Min. bei 24-11& —0-83° (Mittel
15.26°%. Vor Portal t = 36-.39%; ® = — 0-57°. Bei 11.390 gewaschen,
angekleidet u.s. w.; 6% 30% : 286-11%; D = — 0.84%. Nach Essen u. s. w.
Jess; hei 15-17; = 36-729, D —= + 0.12%.
14. III. Göschenen. Nach 9/,stündigem Tunnelaufenthalt bei
3520m Locomotive abgewartet. Die Eigenwärme hatte an diesem Tag
um 1.15° meine normale überstiegen. 6%44® bei 17.11°:2 = 36-97;
96 F. M. Starrr:
D=-+0.1°. In 37 Min. ausgefahren, bei 22.78& —1.94° (Mittel 15-969).
Vor Portal; W45m, z= 55-41; D = — 1.30%. Abends 10%20m hei
15.28°:t = 55:94; D = — 0-69".
Diese Beobachtungen scheinen mir darauf hinzuweisen, dass Stärke
und Dauer der Abkühlung ebensowohl von der vorhergegangenen An-
strengung als von der hohen Temperatur abhängen.
Während der Kälteperiode fühlt man sich nicht unwohl, aber müde;
verspürt starken Durst, schwachen Appetit; der Puls wird ganz matt,
oft kaum fühlbar, während seine Frequenz bald über, bald unter der
normalen ist.
Um die Beziehungen zwischen Temperatur der umgebenden Luft
und der Anstrengung, womit man in derselben arbeitet, einerseits, der
gleichzeitigen Erhöhung der Eigenwärme andererseits zu ermitteln, be-
gann ich zuerst an Tunnelarbeitern Temperatur-Beobachtungen, welche
wohl über Einzelheiten Aufschluss gaben, aber für die Berechnung un-
brauchbar waren. Abgesehen von Störungen in der Arbeit und anderen
praktischen Schwierigkeiten, gab das Einschieben des Thermometers unter
die Zunge der Arbeiter unsichere Resultate, weil die Kugel bald mehr
bald weniger bedeckt, der Mund auch nicht immer ganz geschlossen
wurde. Ferner stellte sich bald heraus, dass zur richtigen Beurtheilung
der Erscheinungen nöthig sei, dasselbe Individuum fast ununterbrochen
tagelang zu beobachten, sowohl im Tunnel als aussen.
Ich begann deshalb Ende Februar 'Temperaturbeobachtungen an
mir selbst, und setzte sie durch den ganzen März fort, sowohl zu Airolo
als zu Göschenen. Leider wurde mir das Verfahren von Helmholtz,
die innere Wärme durch Temperaturmessungen des Urins zu bestimmen,
erst bekannt, als meine meisten Beobachtungen schon gemacht waren.
Um die directe Vergleichbarkeit derselben nicht zu erschweren, schien
es mir deshalb am räthlichsten, den einmal eingeschlagenen Weg weiter
‚zu verfolgen. Stets wurde die Temperatur unter der Zunge bei ge-
schlossenem Mund gemessen. Anfangs diente dazu ein sehr empfind-
liches in 1/,° getheiltes physiologisches Thermometer, welches mittels
eines kleinen Handspiegels abgelesen wurde, ohne aus dem Mund ge-
zogen zu werden. Später benutzte ich genau calibrirte, zu Kew ver-
glichene, englische Thermometer (1/,° F.), welehe wegen grosser Gefässe
so träge waren, dass man sie anstandlos aus dem Mund nehmen und
ablesen konnte. Um die langen Beobachtungszeiten abzukürzen, wurden
diese Thermometer vor jedem Versuch ein wenig über den voraussicht-
lichen Temperaturgrad erwärmt, dann unter die Zunge gelegt, bis kein
|
|
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|
|
|
|
EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBATTEN. 98
Sinken mehr wahrnehmbar war. Darauf wurden sie ein wenig abge-
kühlt und wieder unter die Zunge gebracht, bis kein Steigen mehr statt-
fand. Die so ermittelten zwei Temperaturzahlen wichen gewöhnlich
gar nicht oder nur ganz unbedeutend von einander ab; ihr Mittelwerth
kam in Rechnung.
Zur Ermittelung der Lufttemperatur dienten gleichfalls genaue eng-
lische Thermometer, frei aufgehängt. Damit dieselben möglichst wenig
von den ständigen kleinen Temperaturschwankungen afficirt werden,
sind sie in dickwandigen Glasröhren eingeschmolzen und ihre Gefässe
sind mit etwa !/,°®= dicken Spermacetihüllen umgeben. Die Temperatur-
beobachtungen mittels derselben erfordern viel Zeit, geben aber exacte
Mittelwerthe.
In vielen Fällen war es nöthig, die mittleren Lufttemperaturen in
Tunnelstrecken zu ermitteln, welche mit einer gewissen Geschwindigkeit
durchfahren oder durchgangen wurden. Ich habe dann immer die Luft-
temperatur 7’ und 7” an beiden Endpunkten der Strecke beobachtet,
zugleich aber auch die Temperatur 7’, welche ein freigetragenes (sehr
träges) Thermometer am Ende des zurückgelesten Weges zeigte, und die
# 2 2 72 IR angenommen. Ein
etwaiger Fehler dieser Mittelzahl wird dadurch eliminirt, dass man die
Beobachtungen auf derselben Strecke in entgegengesetzter Richtung
wiederholt. Ganz ähnlich verhält es sich mit den Beobachtungen der
Eisenwärme, welche nach Zurücklegen eines gewissen Weges angestellt
wurden. Die Körperwärme, mit welcher man anlangt, war (vom Einfluss
der Anstrengung abgesehen) offenbar nicht nur von der mittleren Luft-
temperatur der durchwanderten Strecke bedingt, sondern wesentlich auch
von der Temperatur der zuletzt eingeathmeten Luft. Da sie aber als
Function der mittleren Lufttemperatur ausgedrückt werden soll, so muss
man denselben Versuch auf derselben Strecke zweimal vornehmen: ein-
wärts und auswärts, und beide Resultate in Rechnung führen.
Mitteltemperatur der Strecke =
Um eine richtige Vergleichsbasis zu erhalten, habe ich wochenlang
zu verschiedenen Tageszeiten meine Rigenwärme im Bureau, Wohnzimmer
und Schlafzimmer beobachtet und durch Interpolation aus den zuver-
lässigsten 44 Beobachtungen folgende Tabelle I über den täglichen Gang
‚ "meiner normalen Eigenwärme im März entworfen.
Von den vielen disponiblen Beobachtungen mussten hier alle aus-
geschlossen werden, welche in den ersten 3—5 Stunden nach Tunnel-
Archiv f.A.u, Ph. 1879. Suppl.-Band z. Physiol. Abthlg. 7
—_
98 F. M. STAPFE:
besuchen angestellt waren. Ferner alle, welche bald nach dem Ein-
nehmen heisser Speisen oder Getränke stattfanden; endlich alle während,
oder kurz nach, Spaziergängen oder Reisen über den Gotthard in kalter
Luft ausgeführten.
Ich glaube, dass bei Temperaturmessung des Urins viele Einflüsse,
welche die Temperatur im Mund rasch ändern, völlig unbemerkbar ge-
blieben wären, Wie rasch übrigens auch unter der Zunge die durch
Einathmen kalter Luft u.d.m. gestörte normale Temperatur wieder herge-
stellt wird, erhält aus folgenden Beispielen.
Am 10. III. 5!/, bis 8?/, früh fuhr ich bei 7’ = — 5° von Airolo
nach dem Gotthardhospiz, wo 2 = 34-17%; D = — 2.18%. Nach 10 Mi-
nuten Aufenthalt in einem schwach geheizten Zimmer war = 36-22°;
D = — 0.14%. Um 10!/,® in Göschenen bei 0° angekommen, fand ich -
t= 35.94°%; D = —0.54°; nach dem Essen u.s.w. um 1?/,E bei 7’ =
12.6%. = 37:06°; D = + 0:35%. Am 23. II. besass mein Schreiber
auf der Reise über den Gotthard zu Hospenthal bei 7 = — 3.09; t=
37.0°; nach 1!/,stündiger Schlittenfahrt war auf der Gotthardhöhe bei
T= — 3.2°; t anfangs = 36-0°; stieg aber, als die Lippen um das
Thermometer fest geschlossen wurden, nach wenigen Minuten auf 36.9.
Tabelle I. Gang meiner normalen Eigenwärme; März 1879.
2eels £ BE E
Tagesstunde. =g: E 8 = Bu Tagesstunde. BE ® ea E =5 z
I, Se > ı Sg: |1eF5l ı$5
ae raen Set ee
Mitternacht, | Mittags. |
12 15-15 |36-47 | 86 12 ,16-39 |37-09 | 74
1 14:40 36-41 | 80 1 15-28 36-87 | 87
2 13-27 |36-41 | 84 2 14-34 |36-63 | 90
3 13-18 |36-46 | 88 3 1183-41 [36-35 | 86
4 12-98 136-531 | 91 4 ‚13-69 [36-54 | 87
5 12:76 36-42 | 92 5 14-08 |36-78 | 88
Früh. | Nachmittags.
6 12-64 |36-38 | 85 6 15-34 |37-11 | 87
7 12:99 1386-43 82 7 17-77 |36-78 | 91
8 14-35 136-3482 8 17-81 36-69 | 95
9 13-84 [36-37 | 91 9 16-75 |36-75 | 95
10 13-33 36-39 | 100 10 16-49 |36-59 | 97
11 18-88 |36-67 | 86 11 [15-72 \86-54 | 94
Mittelwerth pro 24 Stunden |14-58 |36-58 | 88-2
EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 99
Vorstehende Ziffernreihe für 7° hätte sich leicht durch eine Sinus-
- curve ausdrücken lassen; doch habe ich dies vermieden, weil nicht abzu-
sehen war, ob die Abweichungen vom regelmässigen Gang der Eigen-
wärme während des Tages nur zufällige sind oder periodisch wieder-
kehrende. Es treten Minima um 6 Uhr Morgens ein, Maxima um 12
und 6 Uhr Nachmitt.; zwischen letztere beide aber fällt wieder ein Mi-
nimum um 3 Uhr Nachmitt., auf welches alle Beobachtungen so regel-
mässig hinweisen, dass es nicht zufällig scheint. Das ist um so auf-
fallender, als sonst nach eingenommener Mahlzeit von den Physiologen
sanz allgemein eine Erhöhung der Eigenwärme constatirt worden ist.
Wie dem auch sei, den folgenden Berechnungen habe ich obige Ziffern
(bez. die aus denselben durch Interpolation für Zwischenzeiten ermittelten)
immer direct ‚zu Grunde gelest.
Nimmt man 37.5° als mittlere normale Wärme des ganzen Körpers
an, so ist die unter der Zunge gemessene Temperatur 37.5—36.58 =
0.92% niedriger. Wir müssen hier Parallelgang zwischen der inneren
Körperwärme und der Mundwärme voraussetzen, obwohl Rosenthal ge-
zeigt hat, dass eine solche Voraussetzung nicht in allen Fällen stich-
haltig ist.
Die Beobachtungen im Tunnel bezweckten auch festzustellen, in
welcher Beziehung Zunahme der Eigenwärme und körperliche
Anstrengung zu einander stehen.
Unter Anstrengung (7) verstehe ich hier die Proportion zwischen
gewissen der in einer Zeit geleisteten mechanischen Arbeit zu jenem
mittleren, normalen gleichzeitigen Arbeitsquantum, welches der körper-
lichen Constitution entspricht.
Meinem Gewicht (März 1879; in leichtem Tunnelgewand) von 67 ker
entspricht eine normale Arbeitsfähiskeit von 302806*em pr. 8 Stunden
oder 630.84F8m pr. Minute.
Die verrichtete Arbeit wurde nach der in einer gewissen Zeit gehend
zurückgelegten Wegstrecke berechnet. Da meine Beinlänge 1.015",
meine mittlere Schrittlänge (im Tunnel) 0.739”, so ist die pr. Schritt
: 67 x 0.739?
8x 1-015
fenden Meter Weg verrichtete: 6-1'sm. Beim Gehen auf glattem ebenem
verrichtete Arbeit theoretisch: — 4.5lksm!; die pr. lau-
1 (Nachträgliche Bemerkung.) Nennt man / die Bein-, p die Schritt-
länge, « den Winkel an der Spitze des durch die Beine und die Schrittlänge ge-
FIRE
100 \ F. M. STAPFE:
Weg wäre hierzu für Ueberwindung von Reibungen etwa 0.02 x 67 =
1.34%srm pr. Laufmeter zu legen. Im Tunnel sind auf dem kothigen,
wasserüberflutheten, holperigen Weg aber so viele kleine Hindernisse zu
übersteigen, dass wir anstatt des Widerstands-Coöfficienten 0-02 einen
wenigstens 3-8mal grösseren annehmen müssen, da sich beim Transport
auf horizontalen Strassen die Widerstände wie 1:3.8 verhalten, je nach-
dem die Strassen gut gehalten und glatt, oder zerfahren kothig und
holperig sind.
Unter dieser Voraussetzung steigt die durch Zurücklegen von 1”
(horizontal) im Tunnel verrichtete mittlere mechanische Arbeit auf
6.1 + 5-06 = 11. 16F8m,
Beim gleichzeitigen Ueberwinden von Steigungen kommt hierzu
67km für jeden vertical gestiegenen Meter. Beim Herabsteigen von
Rampen u. d. m. habe ich dagegen keinen besonderen Arbeitsaufwand
(oder Arbeitsgewinn) für die vertical zurückgelesten Wege in Rechnung
gebracht.
Die Anstrengung 7 ist nun für jeden Fall leicht zu ermitteln. Beim
Zurücklegen von 1805” mit einer Steigung von 16”, in 27 Minuten,
wird z.B die Abe Oo AN
27
verrichtet; und die Anstrengung, womit man gearbeitet hat ist
185.6
7] Zar == 1.24.
Setzen wir voraus, dass die Erhöhung D der Körperwärme über die
normale gleichzeitig und in gerader Proportion steigt 1. mit der Diffe-
renz A zwischen der jeweiligen Lufttemperatur 7’ und jener Lufttem-
peratur 7°, bei welcher die normale Körperwärme ermittelt wurde, 2.
mit der Anstrengung 7, so können wir setzen D®=«A+Pn.
Der Annahme, dass D in gerader Proportion mit A wachse, stehen
bildeten gleichschenkligen Dreiecks, so liegt obiger Formel die Annahme zu Grunde,
dass bei jedem Schritt der Körperschwerpunkt um h = sin vers — = 0-067m ge-
hoben werde, Prof. Ch. de Cuyper schreibt mir indessen, dass die erfahrungs-
mässige Hebung nur 0°02 beträgt. Wollten wir in den folgenden Rechnungen
letztere Zahl anstatt der theoretischen (0-067 m) einführen, so würden sich die For-
meln auf S. 104 wesentlich ändern, und zwar in dem Sinn, dass die Vermehrung der
Körperwärme durch die Anstrengung grösser, die Vermehrung ‘derselben durch
äussere Wärme aber kleiner ausfiele, als die Formeln ausdrücken.
EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 101
allerdings die Beobachtungen Rosenthal’s! entgegen, nach welchen die
Zunahme der Körperwärme von Kaninchen durch eine asymptotische
Curve ausdrückbar scheint, deren Abseissen A, Ordinaten D wären,
Es ist leicht zu ermessen, von wie grossem praktischem Gewicht es
wäre, die Form dieser Curve für Menschen zu kennen; meine unten ver-
zeichneten Beobachtungen bewegen sich aber innerhalb zu enger Grenzen,
als dass ich wagen möchte, mit Zugrundelegung derselben die Gleichung
fraglicher Curve abzuleiten. Deshalb blieb ich bei der Geraden stehen:
mache aber ausdrücklich darauf aufmerksam, dass wahrscheinlichst bei
noch höheren Lufttemperaturen als den hier in Rechnung gezogenen
die Zunahme der Körperwärme viel rapider ist, als die unten ermittelten
Relationen ausdrücken.
Zu der nachfolgenden Tabelle II ist anzumerken, dass zu Airolo
zwar viel mehr Beobachtungen angestellt wurden, als zu Göschenen.
Die meisten derselben aber dienten einen Modus operandi ausfindig zu
machen, und den in meinem früheren Abschnitt erörterten allgemeinen
Verlauf der Erscheinungen festzustellen; deshalb blieben davon nur
wenige für Einführung in die Rechnung geeignet, und auch diese we-
nigen sind nicht so exact, wie die später angestellten Göschener Beob-
achtungen.
Die Beobachtungen der Eigenwärme (Spalte 13) erfolgten am Ende
der in Spalte 1 verzeichneten Zeiten; die durch Interpolation aus Tab. I
ermittelten Werthe der Spalten 2, 3, 4 beziehen sich auf dieselben Zeit-
punkte. Die Ziffern der Spalte 17 drücken die Proportion aus zwischen
der Anzahl Pulsschläge bei der erhöhten Temperatur (nach Spalte 14)
und bei gewöhnlicher (Spalte 4). Da die Anstrengungsquoten (Spalte 11)
bei meiner Arbeit (geologische Aufnahmen im Tunnel) nicht direct er-
mittelt werden konnten, so habe ich dieselben gleich dem Mittel aller übri-
gen bez. Quoten beim Gehen und Ausruhen derselben Spalte angenommen.
Aus nachstehenden 16 zusammen gehörigen Beobachtungsdaten von
Göschenen für D (Spalte 16), A (Spalte 15), » (Spalte 11) folgt nach
der kleinsten Quadratmethode:
D = 0.0642 A + 0:2497 1.
1 Nach Rosenthal zeigen nämlich freie Kaninchen bei einer Lufttemperatur
von 11—320 keine‘ erhebliche Aenderung ihrer Eigenwärme (geringe vorüber-
gehende Aenderungen treten jedoch bei 26 — 32% ein). Bei 32 — 36° steigt die
Eigenwärme auf 41-420; dann tritt wieder ein Gleichgewichtszustand ein. Die
Thiere können diese Temperatur sehr lange Zeit ertragen, ohne dass ihr Leben ge-
fährdet wäre. ‚Bei 36—400 steigt die Temperatur der Thiere äusserst schnell auf
44—450, und bei zu langem Verweilen in diesen hohen Temperaturen tritt äusserst
leicht der Tod ein“. Vgl. oben S. 83.
102 F. M. STAPFE:
Gotthardtunnel:;
Tabelle II. Beobachtungen über die Zunahme der Eigenwärm
Der Tageszeit ent- | Gehend zurteR
sprechende normale, Aufenthalts- selester Weg. Meter,
Tageszeit. u ort. im Tunnel. — 777
; 28 Keine | = Hg 58 Au
Stunden und Minuten. SUSTu Br ie Meter a |$S2183°08
or oo |ı no (e) EHASE= :
s32|.0258 |2R% | vom Portal. ‚S = ©0|.© o 58
Sa ler le BE es
53 5 S 2 BSa
1 2 B 2 5 6 7 !
XII. 12h 25m — 12h 37m | 15-77 | 36-95 | 82 2200—3520 0 0 12
3 12438 — 1515 15-02 | 36-81 | 88 3520—5310 |1805* | 16:0 | 27
5 1723 —0 42 14-63 | 36.70 | 89 5310—6500 | 1190 628,519
5. 154 — 3 15 13-45 | 36-40 | 86 6460— 6623 B ? 81
> 3 15 — 4 35 13-92 | 36-68 | 88 6460 —6490 Dar Eh? 80
en 440 —- 5 0 14-08 | 36-73 | 88 -6480—5310 | 1170 0 20
3 Hot 14-94 | 37-01 | 87 5310—3520 | 1810* 0 31
ING SE Br 5 13.38 | 36-41 | 99 2200— 3520 0 0 10
fe]
= se 10 19 — 1048 13.79 | 86-63 | 88 3520-5310 |1820* | 16:0 | 29
a er 11 0 — 11 221), | 14-78 | 36-82 | 82 5310-6626 |1356* | 7-6| 22.5
2 55 12 15 — 246! | 13-60 | 36-41 | 87 6490— 6540 ? ? 153-5
(6) |
R 3 36 — 3581), | 13-68 | 36-54 | 87 6626—5310 | 1321* 205
3 4 9 — 444 13.97 | 36.72 | 88 5310—3520 | 1800* On, 35
XIV. 9 49 — 10 7, | 13-40 | 36-43 | 98 2490—3520 '1080* | 6-0 18-5
ee
|
|
is 10 19° — 1043 13.72 | 36.59 | 90 3520—5310 | 1810* | 16-0 | 24.C(}
sa 1 3%— 11 31 15:14 | 36-88 | 80 5310—6500 |1195* 6-8 | 27:3
NT: mal 12122 14-00 36-53 | 88-5 ı 5929 — 3573 | 2356 0 75
VMIEE32 50 15:97 | 37-02.| 76 3819 —4883 | 1064 5.0 18
5 120207 — 12234 15.76 , 36-97 |81 | 4883 —5948 1110*) 0-3 | 34
ö 5 1234 — 15 15-20 | 36-85 | 87 | 5985 0 0 31
_
oo .
3 & 1.20 — 32% 13-50 | 36-41 | 86 5985 —5948 ? ? 120
| |
re 320 — 410 13.76 | 36-58 | 87 5948—3819 | 2129 0 50
% 410 — 50 14-08 | 36:78 | 88 3819 0 0 50
|
1-8
17.
arz 1879.
errichtete
han. Arbeit.
Kgrmtr.
Anstrengung 7.
| Mittlere
Im Tunnel
beobachtete
Tempera-
tur 7.
Eigen-
wärme £.
91210 1785-56 1-245
197 722-42| 1-145
? [0.924
?_ 10.924
652.70] 1-035
651.42) 1.033
14738 1655-02! 1.038
20083 573-8 10-909
194** 1713-20] 1.131
350-48| 0.555
678-11|1-073
364-821 0.578
0 0
? 0.494
23748 474-96| 0-753
20 0
21-04
25.68
28-33
28-90
28-89
28-12
25-41
20-79
25.62
27-87
28-38
27-01
25.32
21-94
25-95
28-45
30-50
28-55
30-07
27-50
30-40
30-00
28-90
37-50
37.78
38-06
37-61
37.78
37.78
37.94
37-11
37-56
37.78
37.56
37.78
37.64
37-58
37-74
37.81
38.44
38-05
38-50
37.67
38-44
38-05
37.78
Pulszahl P.|
Differenz zwi-
schen normaler
u. beobachteter
a
_ Proportion
zwischen den Puls-
zahlen 5, =P-
89
120
112
100
120
106
120
88
118
134
114
104
108
108
110
112
120
104
124
12.23
13-31
16.50
12-58
14-31
12.30
16.90
16.24
14-82
EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 103
ji zunehmender Lufttemperatur und körperlicher Anstrengung.
Anmerkungen.
oo N|
[0 2
1
‚ Mit Locomotive einge-
fahren.
* Incl. 15% Umwegen.
' Gearbeitet; n Mittel-
zahl der Uebrigen.
do.
* Incl. 20% Umwegen.
Mit Locomotive einge-
fahren.
* Incl. 30% Umwegen.
' * Inel. 40% Umwegen.
Gearbeitet; 7 Mittel-
werth d. Uebrigen.
* Incl. 5% Umwegen.
' * Inel. 10% Umwegen.
* Incl. 50% Umwegen.
** Eine Bürde von
4kgr getragen, da-
her Gewicht u. Ar-
beit entsprechend
STÖSSET.
* Incl. 20% Umwegen.
* Incl. 5% Umwegen.
* Incl. 45% Umwegen.
Vor Ort beim Bohren
geruht.
| Gearbeitet; 7 Mittel-
werth d. Uebrigen.
Auf Locomotive ge-
wartet.
104 F. M. STAPFF:
Berechnet man hiernach die Werthe für D zurück, so ergiebt sich aus
den Quadraten der Differenzen zwischen Beobachtung und Berechnung
als mittlerer Fehler der nach der Formel berechneten Werthe: 015°.
Bemerkenswerth ist, dass (nach einem früheren Abschnitt) beim Ein-
fahren in den Tunnel einer Zunahme der Lufttemperatur von 0:79 eine
Zunahme der Eigenwärme von 0°047 entspricht, woraus D = 0'0595 A
folgen würde (für „=0). Dies Resultat weicht also von dem vorstehend
berechneten nicht mehr ab, als die ungleiche Luftbeschaffenheit in dem
fertigen (natürlich ventilirten) Tunnel und dem in Arbeit stehenden sehr
wohl erklärlich macht.
Die sieben zusammengehörigen Beobachtungsdaten von Airolo ergeben:
D = 0'0885 4 + 0:2295 7
mit einem mittleren Fehler des Mittels von 034°.
Es springt sofort in’s Auge, dass die durch Anstrengung verursachte
Erhöhung der Eisenwärme trotz der verschiedenen Luftbeschaffenheit in
der Göschener und Airoleser Tunnelseite fast dieselbe ist.
Da die Gewichte der Göschener und Airoleser Beobachtungen sich
verhalten wie 0:342:0.15?=4'88:1, so ergiebt sich als Mittelwerth der
Eigenwärmezunahme durch die Anstrengung 7 =1:
0:2497 x 4:88 + 0:2295 x 1
9:88
= 02463 oder rund !/,°C.
Die nur von der Temperatur und Beschaffenheit der umgebenden
Luft abhängige Zunahme der Eigenwärme in der nördlichen und süd-
lichen Tunnelseite verhält sich dagegen wie:
0.0642
ag 05.
Wie fanden aber in einem früheren Abschnitt als Verhältnisszahl
der Luftgüte zu Airolo und Göschenen:
1
1-345 —= :0.°743.
Die Uebereinstimmung der vorstehenden beiden Verhältnisszahlen
führt zum Schlusssatz :
Die Zunahme der Eigenwärme durch Erhöhung der äusseren Tem-
peratur steht in umgekehrtem Verhältniss zur Güte (inel. Trockenheit)
der umgebenden Luft. -
Auf eine fernere Beziehung bin ich erst bei Berechnung der bereits ab-
geschlossenen Beobachtung gestossen. Als Mittelwerth der Anstrengung,
mit welcher ich nach Spalte 11 der Tabelle II zu Göschenen in den Tunnel
EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 105
ging, ergiebt sich 1'142; als mittlere Anstrengung beim Herausgehen
0.972, daher überhaupt Anstrengung, womit ich in der Göschener Tunnel-
- atmosphäre körperlich gearbeitet habe: 1057.
Dagegen sind für Airolo die bez. Mittelzahlen: Anstrengung beim
Eingehen 0-827; beim Ausgehen 0°654; überhaupt: 0741.
Andererseits sind die Ueberhöhungen der Eigenwärme
zu Göschenen beim Eingehen im Mittel 106°
beim Ausgehen „, zu 1.02°
; überhaupt 1’04°
zu Airolo beim Eingehen im Mittel 149°
beim Ausgehen $„, 1:68
überhaupt 159°
Es ist aber 1°057:0-741 = 1:0-701
und 159 : 104 =1:0.654,
d. h. die Anstrengung, womit man gemächlieh (und ohne
äusseren Zwang) körperlich arbeitet, verhält sich nahezu
umgekehrt wie die gleichzeitige Erhöhung der Eigenwärme
über die normale.
Die Körperwärme wird hiernach schon dadurch zu einem gewissen
Grad regulirt, dass man, falls nicht besondere Ursachen Ueberanstrengung
bedingen, sich instinetmässig desto weniger körperlich anstrengt, je
mehr die Eigenwärme durch Temperatur und Beschaffenheit der um-
gebenden Luft an und für sich gesteigert ist. Hiernach wird die Faul-
heit der Südländer physiologisch begründet.
Die Bedeutung des Satzes bei aller Verwendung thierischer Kräfte
in der Technik sollte von keinem Ingenieur übersehen werden; weiter
unten kommen wir nochmals hierauf zurück.
Ein Vergleich der Ziffern in Spalte 16, 17 der Tabelle II zeist
sofort, dass die Pulszahl mit zunehmender Eigenwärme steigt. Abwei-
chungen sind theils daraus erklärlich, dass der Blutumlauf noch von
ganz anderen Einflüssen regulirt wird, als von jenen, welche auch die
Körperwärme reguliren, theils daraus, dass Zunahme der Pulsfrequenz
und der Körperwärme nicht immer synchrone Erscheinungen sein dürften,
sondern einander voreilende oder nachziehende Immerhin kann es von
pathologischem Interesse sein, wenigstens eine approximative empirische
Relation zwischen Eigenwärme und Pulsfrequenz zu ermitteln. Aus den
Daten der Spalte 16 und 17 (Tab. II) ergiebt sich ungezwungen als solche: !
m R2221222093%,
1 Zur Vereinfachung der Zifferrechnung habe ich bei Construction dieser For-
mel nicht die einzelnen Beobachtungsdaten in Rechnung gezogen, sondern Mittel-
106 F. M. STAPFF:
wenn P° die der normalen Eigenwärme entsprechende normale Pulszahl;
P dagegen die der Differenz D zwischen normaler und jeweiliger Eigen-
wärme zukommende gesuchte Pulszahl bedeutet. Um die Anwendung
dieser Formel bequem zu machen, habe ich nach derselben folgende
Tabelle construirt:
Tabelle III.
Differenz D zwi- | | | | | | |
schen jeweiliger | |
und normaler |
Körperwärme. | | | | | |
d= _ 3010| | m — 10,400 |+ 10 )#20 | +30 | +40 | + 50
| | | | j
Coöfhicient p, wo- 0-369.0-45010-549 0.671 0-819,1-00011-221/1-491/1-820 2.2222-713
mit die normale | | | | | | |
|
Pulszahl zu mul-
tiplieiren ist, um |
die bei veränder- | | |
ter Eigenwärme | | | | | | | |
stattfindende zu | | | | | |
ermitteln. | |
|
|
| |
| |
| | | |
|
|
|
Die vorstehenden Resultate sind individuell so, dass ich dieselben
ohne vorgehende Prüfung nicht als allgemeingültige hinstellen möchte.
Behufs dieser Prüfung habe ich gleichzeitig an mir und anderen In-
dividuen, welche an den Aufenthalt in der feuchtwarmen Gotthardttunnel-
atmosphäre theils noch gar nicht, theils in noch viel grösserem Maass
als ich gewöhnt sind, folgende vergleichende Versuche angestellt.
1. Der Eidgenössische Genie-Obrist-Lieutenant Hr. Lochmann,
welcher am 21. Juni 1879 zum ersten Mal die Airoloseite des Gotthard-
Tunnels betrat, erlaubte mir gütigst folgende Beobachtungen an sich:
(Vgl. Tab. IVa, folge. S.)
Aus Spalte 8 vorstehender Tabelle erhellt zunächst, dass die durch
gleiche Anstrengung unter gleichen Temperatur- und Luftverhältnissen
bei Hrn. Lochmann hervorgebrachten Aenderungen der Eigenwärme
im Mittel um 0-08 oder rund O-1° höher sind als bei mir. Diese Dif-
ferenz liegt zwar noch innerhalb der Grenzen der Beobachtungsfehler, doch
werthe der Gruppen von D = 0:53.10; 1&1-50; 1-5&20. Die dadurch entstandenen
Gleichungen sind: 1:258 = (0'857; 1-268 = 01'174, 1.397 = 01'823, deren Lösung
nach der kleinsten Quadratmethode € = 1:2209 ergiebt. Zurückberechnet erhalten
wir für 9:1+-187, 1-264, 1439; und aus den Quadraten der Differenzen zwischen
diesen und den vorstehenden beobachteten Werthen als mittleren Fehler des Mittels
von P:0'058 oder 4-40), der in Rechnung geführten mittleren Pulszahlen.
107
EI TUNNELBAUTEN.
n)
EINFLUSS DER ERDWÄRME
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80-0 18928 8228| STERN WI
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E : 19430[0-Iyonanz 2 "uuewyoor 'jzdegg =
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"eAT OITTOA®L
108 F, M. StarFr:
liesse sich aus derselben schliessen, dass Hrn. Lochmann’s Eigenwärme
schon in gleichem Maass wie bei mir gesteigert wird, wenn er sich
0.08
0.0885
Ausserdem veranlasst diese Versuchsreihe folgende Betrachtungen:
Beim Einmarsch von 4100 nach 5726 und zurück war im Mittel:
einer um = 0,9° kälteren Tunnelluft aussetzt.
h 99m Dahn
um nu — 4h 40.5” die Lufttemperatur 7 = a
31.9438:6
= 29.5° (also dA=29:5— 13-95 = 15-55); meine Eigenwärme?= -
0.713 + 0.899
2
dieser Werthe in die Formel D = 0-.0855 A + 0-2295 » ergiebt sich
D = 1.56; daher ! = t — D = 38:25 — 1:56 = 36:69”.
Es ist aber nach Tab. I meine normale Eigenwärme um 4t 40”
NM.: 36-70°. In der hier gewonnenen Uebereinstimmung zwischen Ex-
periment und Rechnung dürfte eine Garantie für die Richtigkeit aller
vorgehenden Beobachtungen und darauf gegründeten Schlusssätze liegen.
Andererseits war für Obrist-Lieutenant Lochmann im Mittel 4% 40”:
zul
alles andere wie bei mir; daher auch D = 1:56; und dessen normale
Eigenwärme 38.1 — 1.56 = 36-54".
Letztere wäre hiernach 86-69 — 36.54 = 0-15° niedriger als die
meinige; während die Mittelzahlen der Spalten 4 und 6 eine bez. Differenz
von 37.78 — 37.58 = 0.20 ergeben. Diese Differenz hat sich als ein-
facher Fehler der zwei benutzten Thermometer herausgestellt, welche bei
0° gleich zeigen, bei 38° aber einige Zehntel verschieden.
2. Die Comparativversuche mit einem habituellen Tunnelarbeiter (siehe
nachstehende Tab. IVb) haben aus den S. 97 ausgeführten Gründen die
grössten Schwierigkeiten veranlasst. Seit Juni habe ich sie zu Göschenen
und Airolo an verschiedenen Individuen begonnen, aber immer wieder
resultatlos abbrechen müssen. Endlich gelang es am 1. September eine
einigermaassen befriedigende Beobachtungsreihe mit dem Chef de poste des
mariniers, Oontratto, durchzuführen. Derselbe, 28 Jahre alt, hat seit 1873
in der Airoloseite des Tunnels gearbeitet, erst als Schutter (marinier), seit
1874 als Chef de poste in dem Sohlenschlitz und seit October 1878 im
Riechtstollen. Während dieser Zeit ist er 28 Tage krank gewesen, ausser-
dem einmal 40 Tage, ein anderes Mal 50 Tage auf Urlaub abwesend.
Besondere Versuche mit ihm am 19. August, 30. August, 1. September
(vor und nach dem Tunnelbesuch) stellten heraus, dass seine normale (?)
2
= 38.25°; Anstrengung 7 = = 0.806. Durch Einsetzung
109
EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN,
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110 F. M. STAPFE:
Eigenwärme zu verschiedenen Tageszeiten 37-25 — 36-64 = 0°61° höher
war als die gleichzeitige meinige; — ich wage nicht zu sagen, ob etwa
als chronische Folge der langen Tunnelarbeit; oder etwa deshalb, weil
ich vor den Beobachtungen im kühlen Zimmer gesessen hatte, während
Contratto auf dem Weg zu mir meist starker Sonnenhitze ausgesetzt
war; oder ob in Folge von Manipulationsfehlern. Allenfalls stellte sich
die zwischen 0°8 und 0-45 schwankende Differenz stets ein, und zwar
stets in demselben Sinn.
Aus Spalte 8 vorstehender Tab. IVh folgt, dass dieselben Arbeits-
leistungen, unter denselben Luft- und Temperaturverhältnissen, die Eigen-
wärme Oontratto’s im Mittel um 0-17° weniger erhöhten, als die
meinige. Möglicherweise trug dazu wesentlich bei, dass derselbe nur mit
leichtem Hemd bekleidet ging, während ich Wollenhemd und leichte
Tunnelkleider trug. Dies scheint um so glaublicher, als er sich beim
Hineinfahren und -gehen nur langsam und wenig erwärmte, beim Hinaus-
fahren aber rasch und sehr merklich abkühlte. Ich enthalte mich jeg-
lichen Urtheils, ob zu der durch diesen Tunnelbesuch hervorgebrachten
geringen Erhöhung seiner Eigenwärme nicht noch ein Theil jener 0-61
gelest werden dürfte, welche nach Obigem bei ihm constant geworden
sein könnte. Ueberhaupt betrachte ich mit dieser Versuchsserie die Frage
nicht als erledigt und wünschte sehr, dass noch recht viele und umfas-
sende Beobachtungen an Arbeitern zu ihrer Lösung angestellt würden,
und zwar durch Bestimmung der Harntemperaturen. Ich kann mich mit
Versuchen in dieser Richtung .nicht weiter befassen.
Da eine innere Erwärmung von 0,17° durch eine Erhöhung der Luft-
0,17
0,0885
gleichenden Beobachtungen an Contratto an, dass ein habitueller Tunnel-
arbeiter eine um (rund) 2° höhere Temperatur verträgt, ehe bei ihm
dieselben Veränderungen der inneren Wärme zum Vorschein kommen
wie bei mir.
temperatur von = 1,9° hervorgebracht wird, so deuten die ver-
Viele angesehene Pathologen sind der Meinung, dass Fiebertemperaturen ı
von 40—41°5° nach 2—83 Wochen an und für sich zum Tod durch Gehirn-
oder Herzlähmung führen. Solche von 42° zeigen meist den bevorstehen-
den Tod an. Es scheint mir zwar nicht ausgemacht, dass wenn der ge-
sunde Körper durch äussere Einflüsse auf z. B. 42° erwärmt wird, in
ihm ohne weiteres auch dieselben krankhaften Zustände entstehen, welche
den Tod zur Folge haben, und welche unter Anderem durch eine Körper-'
wärme von 42° oekennzeichnet sind. Wäre die Ueberhitzung lediglich!
EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 111
Folge übermässiger körperlicher Anstrengung, so liesse sich die Annahme
_ einer derartigen Reciproeität zwischen Ursache, Symptom und Wirkung
viel eher rechtfertigen. Immerhin müssen wir hier stillschweigend an-
nehmen, dass wenn durch Fieber hohe Körperwärme und rascher Puls ver-
ursacht, andererseits durch hohe Körperwärme auch ein fieberhafter Zustand
(und damit zusammenhängender rascher Puls) des Körpers erzeugt wird,
welche je nach Intensität früher oder später zum Tode führt. Den wissen-
schaftlichen Beweis für die Richtigkeit dieser Voraussetzung vermag ich
allerdings nicht zu führen; einen empirischen Beweis aber liefert das
Sterben von Kaninchen, deren Eigenwärme in Luft von 36 bis 40° auf
44 bis 45° gesteigert wurde.
Ich glaube nicht, dass sichere Aussicht auf Siechthum und früh-
zeitigen Tod erwerbsüchtige Arbeiter und ehrgeizige Ingenieure von einer
Arbeit abhalten würde, welche eine Körperwärme von 40° zur Folge hat.
Wohl aber wird das mit solcher Arbeit verknüpfte, ständig wiederkehrende,
Unbehagen die Leute von derselben ferne halten. Hierdurch wird eine
praktische Grenze fixirt für den Temperaturgrad der Luft, bei welchem
Tunnelarbeiten zwar noch ausführbar sind, aber nicht mehr ausgeführt
werden, nämlich jene Lufttemperatur, in welcher die Körperwärme auf
40° steigt. Die Sanitätspolizei würde diese Grenze bewachen und die
Bergpolizei würde ihr Ueberschreiten ebenso kategorisch verbieten, wie
sie z. B. Grubenräume absperrt, welche unabwendbar einzustürzen drohen,
oder wie sie die Arbeit in anderen Grubenräumen sistirt, wo sich
schlagende Wetter in solcher Menge anhäufen, dass deren Explosion,
trotz allen Vorsichtsmaassregeln, nicht verhütet werden kann.
Da ein Ueberschreiten der anderen Temperaturgrenze, bei welcher
die Körperwärme 42° erreicht, binnen Stunden den Tod zur Folge haben
könnte, so beginnt mit dieser Grenze die physische Unmöglichkeit unter-
irdischer Arbeiten. Es ist von praktischem Gewicht auch diese Grenze
zu fixiren; denn wenn man durch künstliche Mittel die Lufttemperatur
auch so weit unter die Gesteinstemperatur herabsetzt, dass Arbeit noch
ausführbar wird, so würde ein zufälliges Versagen dieser Mittel die
traurigsten Folgen haben, wenn die Temperatur der Arbeitsräume plötz-
lich und unabhelfbar zu einer Höhe stiege, welche sogar die Flucht der
Arbeiter hinderte.
In folgender Tab. V habe ich die Lufttemperaturen zusammen-
gestellt, bei welchen, unter gleichzeitiger Voraussetzung verschiedener
Anstrengungen, die Körperwärme von 40° und 42° eintritt; bis zu diesen
Lufttemperaturen sind also unterirdische Arbeiten ausführbar, bez.
möglich.
ul F. M. StTAPFF:
Tabelle V. Lufttemperaturen und Anstrengungen, bei welchen Fieber-
hitze von 40 und 42° eintritt.
Bd Pu=7T: Q ER
ey R- = =E 8.88: Hervorgebracht bei einer Anstrengung 7 =
Ba BI ser
B Hu a AS, t ı
[#5 SR rung 0 De | me 1.2 | 8 4
e |22lor „lERt
< #3 =E 8158 5 en unter den atmosphärischen Verhältnissen des Gott-
rular } w
= Sa DE. zaß®, hard-Tunnels in
Eee
se |®3 se| Zee Göschenen | Airolo
= =: As 2 SB =
APR 22 28 S Les durch die Lufttemperatur:
Ss Sly=
Por a | 4 IR REN Is 9 N er 5
| | | | |
40 39.08 2+5 | 1.647 93.5 49*6 45: -741-9138-0| 42- 8 40 287: 735- 132-3
42 41-08 45 | 2.455 84. 1180- 8, 76. 973: -0,69-1|| 65- 4 62- s 60. 2 "155° il
Die Ziffern in den Spalten 5—14 vorstehender Tabelle sind berechnet,
indem in die Formeln auf S. 104 für D 2-5 bez. 4-5 und für 7 suc-
cessive 0...4 eingesetzt wurde. Zu dem sich daraus ergebenden Werth
von A wurde sodann 14-58° gelegt, d. h. die Mitteltemperatur, bei
welcher ich meine normale Eigenwärme ermittelte (Tab. I). Die Zahlen
der zweiten Columne sind gleich jenen der ersten, minus 0:92 gesetzt,
da nach Tab. I u. f. die mittlere gewöhnliche Temperatur unter meiner
Zunge 36-58° ist, d. i. 0:92° tiefer, als die gewöhnlich angenommene
mittlere normale Körperwärme von 375°.
Dass, wie vorstehende Tabelle voraussetzt, Anstrengungen bis 4 bei
Tunnelarbeiten vorkommen, wenn auch nur vorübergehend bei foreirter
Arbeit, Heben grosser Lasten u. s. w., scheint mir unbestreitbar. Dass
aber die meisten Tunnelarbeiten grössere Anstrengung als 1 erheischen,
scheint mir daraus zu folgen, dass schon das zwanglose Gehen im Tunnel
bei mir eine mittlere Anstrengung von 1:06 zu Göschenen und 0-74
zu Airolo beansprucht (S. 105). Die wirkliche tägliche Arbeitszeit
eines Schutters im Richtstollen verhält sich zu der eines gewöhnlichen
Tunnelhandarbeiters wie 1:1/,; dagegen verhalten sich die mittleren
Tagesverdienste dieser Leute ungefähr wie 1?/,:1. Sind diese Lohnsätze
gerecht (woran nicht zu zweifeln, da sonst die Leute nicht bleiben würden),
so scheint mir aus beiden gegebenen Verhältnisszahlen zu folgen, dass
ein Schutter mit der Anstrengung 7=1'25 x 1'6=2 arbeiten muss,
wenn ein gewöhnlicher Handlanger mit der Anstrengung 1 arbeitet.
Hiernach werden die Ziffern der Spalten 7 und 12 vorstehender Tabelle
maassgebende Temperaturgrenzen für die Ausführbarkeit und die
Möglichkeit von Tunnelarbeiten. Ausführbar sind solche noch bei
EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 113
457° unter den atmosphärischen Verhältnissen der Göschener Tunnel-
seite; bei 37:7° unter jenen der Airoleser; möglich, bei bez. 76-9°
und 60:3°. Letzteren Temperaturgraden entsprechen zufälliger Weise jene,
bei welchen Albumin coagulirt, bez. sich trübt.
Setzen wir die Anstrengung 1 voraus, so führen die Ziffern der
Spalte 6 und 11 erster Linie, nämlich 49-6 und 40-29 zu denselben
Temperaturgrenzen, welche nach S. 83 Hr. du Bois-Reymonda priori
fixirte (50° in trockener Luft, 40° in mit Feuchtigkeit gesättigter).
Könnte mit der Anstrengung 8.23 gearbeitet werden, so würde eben-
sowohl unter den atmosphärischen Verhältnissen der Göschener als der
Airoleser Tunnelseite bei der Lufttemperatur 21-4° die Grenze der Aus-
führbarkeit von Tunnelarbeiten erreicht sein; und wäre eine An-
strengung 1485 möglich, so läge bei 26-8° die Grenze ihrer Mög-
lichkeit. Diese Relationen ergeben sich unmittelbar durch Einführung
der Anstrengungscoöfficienten 7 = 8'23 und 14-85, und der Werthe für
D:39-08° und 41:08° in die Gleichungen auf S. 104.
Die auf Tab. V zusammengestellten Grenztemperaturen wären nach
den in Tab. IVa,b enthaltenen Beobachtungen für an Tunnelarbeit ganz
ungewohnte Individuen um 0:9° zu vermindern, für habituelle Tunnel-
arbeiter um 19° zu vergrössern.
Es schien mir von besonderem praktischen Gewicht, festzustellen,
ob bei erhöhter Temperatur der Umgebung die Nutzleistung der Arbeiter
abnähme, wie solches aus der weiter oben gefundenen Beziehung zwischen
instinetiver Anstrengung und Ueberhöhung der Eigenwärme anzunehmen ist.
Zu dem Ende habe ich den Arbeitseffect der Leute beim sogenannten
Schuttern im Richtstollen, d. i. bei dem Verladen der gelösten Berge
auf die Waggons, in Göschenen und Airolo, unter verschiedenen Luft-
temperaturen, in Rechnung genommen. Die Schutterarbeit ist körperlich
sehr anstrengend, weil sie in kurzer Zeit, theilweise in dickem Rauch,
mitunter bei beschränktem Luftzutritt, vollzogen werden muss. Dagegen
fordert sie nur geringe Fertigkeit und ist deshalb um so geeigneter für
Berechnungen in angedeuteter Richtung. Bis zum April 1877 wurde in
beiden Tunnelseiten mit verschiedenen Methoden des Schutterns experi-
mentirt; seit dieser Zeit aber wird die Arbeit beiderseitig unverändert
auf gleiche Weise ausgeführt.
Nach Beendigung der Bohrarbeit werden der Bohrmaschinenwagen und
% bis 3 hinter ihm stehende Trucks, welche mit Injectionswasserreservoir,
Bohrern, Bohrmaschinen und Utensilien beladen sind, etwa 38% zurück-
Archiv f. A, u. Ph. 1879. Suppl.-Band z. Physiol. Abthlg. 8
114 F. M. STAPFE:
geschoben. An diesen 14" langen Park stösst der im Mittel 37 lange
Zug von 10 bis 15 zu ladenden Waggons. Der mittlere Förderweg vom
= 37
Einbruch zu den Waggons beträgt also circa 38 + 14 RR 70-9
(70 bis 75").
Neben dem 1” weiten Hauptgeleis liegt ein zweites nur 0-3” weites,
auf welchem in langen schmalen Waggonets die in Körbe gefüllten Berge
vom Einbruch nach den zu lastenden Waggons gefördert werden. Beim
Laden werden immer 2 Waggons so weit auseinander geschoben als das
Waggonet lang ist, so dass zwischen beiden Platz genug für die Arbeiter
ist, welche beide Waggons gleichzeitig laden. Die rückwärtsstehenden
Wägen werden stets zuerst geladen und dann folgweise die dem Ein-
bruch näher stehenden. Der regelmässige „Schutterposten“ besteht
aus 20 Mann, nämlich, 1 Chef de poste, 2 Feuerwerkern, (welche die Löcher
laden, anzünden, nach dem Abschiessen revidiren und beräumen) und 17
manoeuvres. Letztere bilden 4 Abtheilungen, nämlich 4 „sappeurs‘, welche
die Körbe füllen, 4 „rouleurs“, welche sie abnehmen, auf die Waggonets
setzen und zu den Waggons schieben; 4 „chargeurs“, welche (mit Hülfe
der rouleurs) die Waggons laden. Der 17. Mann hilft wo gerade nöthig.
Diese Eintheilung der Mannschaft kann zwar nicht immer streng
innegehalten werden, indem mitunter einzelne Leute des Postens fehlen
oder andere zur Beschleunigung des Schutterns von benachbarten Arbeits-
stellen zugezogen werden; doch habe ich gefunden, dass man durch An-
nahme von 17 Schuttern pro Posten der Wahrheit näher kommt, als durch
Versuche die täglich variirende wirkliche Zahl nach den Rapporten aus-
findig zu machen.
In der folgenden Tab. VI sind die Beobachtungsdaten zusammen-
gestellt, welche in die Rechnung eingehen.
Da in den ersten Monaten nach Einführung der oben skizzirten
Schuttermethode noch mancherlei kleine Aenderungen in ihrer Ausführung
zu treiien waren, ehe alles wohl ineinandergriff, so habe ich nur Daten
von August 1877 an benutzen mögen. Im übrigen war es mit einigen
Schwierigkeiten verknüpft, für den Vergleich Monate auszuwählen, in
denen die Lufttemperaturen beim Schuttern möglichst differirten, in denen
der Arbeitsfortschritt ein mittlerer war, und keine besonderen Arbeits-
störungen vorkamen.
Zu den Ziffern Spalte 8 ist anzumerken, dass dieselben Mittelzahlen
sind aus: 1) der Temperatur vor Ort beim Schuttern in dem betreffenden
Monate (Spalte 1); 2) der Lufttemperatur hinter Ort (im Mittel eirca
100” rückwärts von Einbruch) im gleichen und dem nächst vorgehenden
Monat. Beispielsweise ist für August 1877, Airolo: Lufttemperatur vor
EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 115
Ort beim Schuttern 27-95°, Temperatur hinter Ort: Juli 27-01, August
28-03; mittlere Temperatur H.O. also 27:52. Mithin mittlere Temperatur
in welcher die Schutterarbeit ausgeführt wurde (Spalte 8):
. «RAR
27:35 u 27:52 — 27:74 °.,
ui
Tabelle VI. Arbeitsleistung beim Schuttern in verschiedenen Luft-
temperaturen,
| £ = Elan Er
Ge |s le le Besen |
© . . u
Baallagas,s 8a asia 852.158 5-
za Zamaa28535 Br8 “25 „5 35188 u@
Zeit. RESRAER Ir s8 2 E28 BEE 545 Anmerkungen.
sea 52327338 als Eeszssen
Baal omas a2 E7e Maszass
1 2 3 4 BE? 7 8 9 7) f
Sept. 1877|129-0 | 7-073 | 912-4 369-83| & .|6-891|24-50| 9-92 * Diese Zahlen
- 28 drücken d. Stun-
Inni 1878 |124-0| 6-802 | 843-4 1342-16 5.2 | 6-897 |26-12 | 11-54
=5 denzahl aus, wel-
März 1879 |120-4| 6-496 | 779-5 330-337 2| 7'204 |23-47| 13-89 |che ein Mann
| = (von den 17arbei-
Im Mittel: | 6997 | 26-36) 11-78 | tenden) zum
- | Schuttern von
RS jebm aufwenden
>43 5
S |. würde.
Aug. 1877 106-4 6-27* | 667-1 1310-27] S | 7906| 2774| 13-16 |* In den Rap-
z on k 2 oe ’ Anne R porten sind die
Sept. „ 78-6 | 6-27 492-8 1234-27 = 8081| 27-52 | 12-94 mittleren Quer-
Oct. , 106-3 | 6-30 669-7 1325-501 5 | 8-283| 27-93 | 13-35 | schnitte dieser
f orte ß e Er x ö . Monate nicht
Sept. 1878| 123-5 | 6-27 774-3 340.80 E 17-482 29-54 | 14-96 angegeben, wes-
Dee, 122-3| 6-13 149-7 1324-39) < 71-354 29-57) 14-99 |halb dieselben
2 e } { N 3 , : hier gleich der
März 1879|) 67:6 | 6-38 431-3 1297-54 lan 11-728) 30 a 15.62 Mittelzahlhkalles
3 übrigen ange-
Im Mittel: | 8-472 28.75, Te ommen en
Aus den 3 Göschener Daten folet nach der kleinsten Quadratmethode
als Anzahl Arbeitsstunden A eines Mannes zum Schuttern von 1 solidem
Kubikmeter Ausbruch:
h = 6:0245 + 0:0826 1.
Dagegen führen die 6 Airoleser Daten direct zu keiner verständigen
Relation zwischen A und A, offenbar weil die in Rechnung geführten
Temperaturdifferenzen 4 so wenig von einander abweichen, dass ihr Ein-
fluss auf den Arbeitseffect von anderen zufälligen Einflüssen (Störungen
im regelmässigen Betrieb) bei weitem überwogen wird.
Doch können wir durch Zuziehung der für Göschenen gefundenen
Beziehung zwischen A und { wenigstens annähernd auch für Airolo die
Abhängigkeit des zu bezahlenden Arbeitsaufwandes von der Lufttemperatur
8*+
116 F. M. STAPFE:
ermitteln. Für eine mittlere Temperatur 28:75° (also A= 28-75 —
14-58 = 14:17) ist zu Airolo A= 8472. Für das gleiche 4 aber giebt
die Göschener Formel:
h = 60245 + 0:0826 x 14 17 = 17:19.
Da sich also die vom Einfluss des Temperaturunterschiedes möglichst
befreiten Arbeitsquanten in beiden Tunnelseiten verhalten wie8-472:7-195,
so können wir mit Fug annehmen, dass zu Airolo für d=0 (d. 4
T’= 14:58) die Anzahl Arbeitsstunden zum Schuttern von 1 Kubikmeter
6:0245 x 8'472
7.195 —= 7.094 ist, und dass sich diese Zahl pro Grad Tem-
8472, 010927 3118
Baar Be
hätten wir für die Airolotunnelseite allgemein: A = 7:094 + 0:0972 4.
peraturzunahme um = 0.0972 vermehrt. Daher
Das Verhältniss zwischen dem Arbeitsaufwand zum Schuttern von
im} bei gleicher Temperatur zu Göschenen und zu Airolo ist:
6-025 + 0:0826 A
7:094 + 0:0972 A
Feuehtigkeit in beiden Tunnelseiten, für welches wir fanden 1:1:1783.
= 1:1:177, also gleich dem Verhältniss der absoluten
In diesem Verhältniss wird voraussichtlich nicht nur die Schutterarbeit -
sondern wohl alle Handarbeit in der Airolotunnelseite theurer als in der
Göschener Seite; und sofern die Art der Arbeit und der dazu verwend-
bare Raum keine Vermehrung des Arbeitpersonals zulassen, zugleich
auch verzögert.
Untersuchen wir den praktischen Einfluss der Lufttemperatur auf
den Arbeitsbetrieb des Richtstollens, so stossen wir auf folgendes:
Zu Airolo wurde in dem oben (Tab. VI) aufgeführten 6 Monaten
ein Mittel verwendet
auf Abbohren der Löcher von der ganzen Arbeitszeit 50-6 Proc.
eh) Schuttern „ „ &h} 99 BR] ch} 40 5 1 eh)
Versäumnisse (Schienenlesen, Einbau, Röhrenbrüche
usw. „eluftmangel) "2. 2 nu 2 Oo
Das maschinelle Abbohren der Löcher wird durch die Temperatur
der Umgebung nicht wesentlich beeinflusst; die versäumte Zeit, während
welcher grösstentheils auch Handarbeit stattfand, können wir hier aber
geradezu zu der Schutterzeit legen. Es beanspruchen also:
Durch die Temperatur nicht wesentlich beeinflusste
Arbeiten von der ganzen Arbeitszeit . . . . ..50.6 Proc.
durch die Temperatur beeinflusste Arbeiten. . . . 49-4 „
‚hältnissen) bei 32-56 ° nur
EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 117
In der Mittelstrecke des Tunnels hat man nach dem nächsten Capitel
einer mittleren Temperatur beim Schuttern entgegenzusehen von 32-5601,
Dieser Temperatur entsprechen Arbeitsstunden zum Schuttern von
1 Kubikmeter Stollen-Ausbruch:
h = 7:094 + 0:0972 (32-56 — 14-58) = 8'842.
In den in Betracht gezogenen 6 Monaten (1877—79) war aber bei
BZ 2875: = 8-42.
Durch Steigen der Temperatur von 28:75° auf 32-58° steigt also
die Schutterzeit von 1 auf = —= 1'044, und die Gesammtarbeitszeit
von 1 auf 0:506 + 0494 x 1:044= 1'022. In gleicher Proportion
müssen (von anderen Einflüssen abgesehen) auch alle Arbeitskosten zu-
nehmen und in gleicher Proportion der erzielte Stollenfortschritt abnehmen.
Letzterer war in den behandelten 6 Monaten im Mittel 100-8”; er würde
in der Scheitelstrecke (gleiche Gesteinsverhältnisse, Wasserzuflüsse und
no — 95:6” sinken.
Zu Göschenen beanspruchte im Sept. 1877, Juni 1878, März 1879
die Bohrarbeit im Mittel 49-2 Proc. der ganzen Arbeitszeit
das Schuttern „, Se R: RR x
Zeitverluste * * Er Mad A| a ir
daher Schuttern und Versäumnisse zusammen 50-8 Proc.
In der Mittelstrecke des Tunnels wird das Schuttern von 1 Km.
Ausbruch bei 32-56 °:6-0245 x 0-0826 (32-56 — 14-58) = 17-510 Arbeits-
stunden beanspruchen, während es in den 3 in Rechnung geführten
Monaten nach Tab. VI bei 26-36° 6-997 Arbeitsstunden wegnahm. Die
Schutterzeit verlängert sich mithin auf IL 1-073; die Gesammt-
arbeitszeit würde anstatt 1- 0-:492-+-(0:508 x 1:073)= 1'037; und wenn
zufällige Störungen vorausgesetzt) auf
6997
man in den in Rechnung gezogenen 3 Monaten bei 26°36° im Mittel
124-5= Monatsfortschritt erzielte, wird man (unter sonst gleichen Ver-
124-5
1-032
kosten 3-7 Proc. grösser werden.
Dies gilt zunächst vom Richtstollen. Wir werden aber im zweiten
Abschnitt sehen, dass mit der Temperatur desselben auch jene aller rück-
=120:05" erreichen, während die Arbeits-
1 Gesteinstemperatur 31-75; Schuttertemperatur vor Ort 31-75+1:49=33+240
Mittlere Lufttemperatur hinter Ort. -» 2... . . .31.75+0-13=31-88
Mittlere Temperatur, in welcher die Schutterarbeit ver-
Biehtet werdemwird vo a en 32.56)
118 F. M. STAPFE:
wärts liegenden Arbeitsräume steigt. Daraus folgt, dass alle Handarbeit
im Tunnel während Weitereindringens des Richtstollens in wärmeres
Gebirge in derselben Proportion verzögert und vertheuert wird, welche
wir für den Richtstollen selbst ermittelt haben.
Bei den in Tab. V zusammengestellten Temperaturgrenzen für die
Zulänglichkeit und Möglichkeit von Tunnelarbeit würden sich folgende
Arbeitsaufwände zum Schuttern von 1 Kubikmeter herausstellen.
Unter Göschener atmosphärischen Verhältnissen ist bei der Luft-
temperatur 45-7° Tunnelarbeit noch zulässig, bei 76:9° noch möglich.
Nach der Formel auf S. 115 für die Anzahl Arbeitsstunden zum Schuttern
von 1 Kubikmeter, nämlich A} = 60245 + 00826 4A, erhalten wir für die
Lufttemperatur 45:7°, A = 6:0245 + 0:0826 (45:7 — 14:58) = 8:59,
und für die Lufttemperatur 76-9°, A = 60245 + 0:0826 (76-9 — 14:58)
= 11'172. Mithin werden bei diesen Grenztemperaturen Handarbeiten
8-595 11.172
6.005 1:42, bez. um das 65-0945
vertheuert, gegen den normalen Arbeitsaufwand (60245) bei der Luft-
temperatur 14-58°.
Unter Airoleser atmosphärischen Verhältnissen sind bei den Grenz-
temperaturen 377° und 60-3° zum Schuttern von 1 Kubikmeter die
Arbeitsstunden A = 7.094 + 00972 (37:7 — 14-58) = 9:341 und A=17:094
+ 0:0972 (60:3 — 14-58) = 11-538 erforderlich; d.h.1-31 bez. 1'693 mal
so viele, als wenn die Arbeit bei 14:58° verrichtet würde. Obwohl diese
Proportionen günstiger sind als die für Göschenen ermittelten, so ist doch
nicht zu vergessen, dass der absolute Arbeitsaufwand unter Göschener
Verhältnissen selbst bei 8° bis 16° höheren Temperaturen noch kleiner
ist, als unter Airoleser bei niedrigeren Temperaturen.
um das = 1:85 fache verzögert und
Zweiter Abschnitt.
II. Bei welcher Höhe des über den Tunnel liegenden Gebirges
ist eine Temperatur zu erwarten, welche Fortsetzung der Arbeit
hindern würde?!
Wollte man bei Beantwortung dieser Frage von jenem Wärme-
zunahmegradienten ausgehen, welchen z. B. die Versuche Reich’s zu
Freiberg (Grube Himmelfahrt) ergeben haben: 1° auf 33.4”, oder
von jenem, welcher sich aus Dunker’s Beobachtungen im Speren-
! Der Verfasser begiebt sich in einem Theile des zweiten Abschnittes auf ein
den Zwecken dieser Zeitschrift fremdes Gebiet. Ich habe aber geglaubt, seine Ar-
EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 119
berger Bohrloch zwischen 220 und 1064" Tiefe ableiten lässt, nämlich
1° auf 31:4”, so würde man zu sehr unrichtigen Resultaten kommen
und zwar zu unerträglichen Hitzegraden in geringeren Tiefen, als sie
der Mont-Cenis- und Gotthard-Tunnel schon unterfahren haben.
Diese Wärmezunahmegradienten beziehen sich auf das verticale Ein-
dringen unter fast ebene Flächen; ein Tunnel bleibt aber der Hauptsache
nach auf seine ganze Länge in gleicher Entfernung vom Erdmittelpunkt;
und auf die in ihm herrschende Gesteinstemperatur üben die über ihm
liegenden, seitlich freien, Gebirgsmassen einen anderen Einfluss aus, als
eine geschlossene Schale der Erdkruste thun würde, deren Dicke der
Höhe dieser Gebirgsmassen gleich wäre.
Ansted berechnete aus den von Giordano veröffentlichten Tem-
‚peraturbeobachtungen Borelli’s in der Südseite des Mont - Öenis-
Tunnels einen Wärmezunahmegradienten für den Culminationspunkt des
Profiles von 1° pr. 50”; fand aber, dass der Gradient je nach Configu-
ration der Oberfläche für verschiedene Punkte des Tunnels sehr ver-
schieden sei, wie aus folgender Tabelle erhellt:
Tabelle VII. Temperaturbeobachtungen im Mont-Cenis-Tunnel. !
Entfernung Tiefe unter | Tiefe, in welcher
Beobachtung. | yom Südportal. | Oberfläche. Temparatur 0°. | die Temperatur
Drgder Zu 1° zunimmt.
Meter.
3 1000 | 920 17.0 24
5 2000 520 19.4 27
8 3000 520 22.8 33
9 | 4000 520 23.6 39
10 5000 | 910 27-5 36
11 | 6000 1370 28.9 46
12 6448 1609 ee
14 7000 1447 27.0 | dl
Im Mittel: 37.75
beit in ihrer vollen Ausdehnung in das Archiv aufnehmen zu sollen, da der ein
unmittelbares physiologisches Interesse beanspruchende erste Abschnitt nieht wohl
aus dem Zusammenhange gelöst werden konnte, dem er entsprang, und da am
Schlusse des zweiten Abschnittes die Untersuchung auch vielfach wieder eine die
Mediein und Physiologie berührende Wendung nimmt. Ohnehin erweckt sowohl die
Frage nach der inneren Wärme der Gebirge als auch nach der Ausführbarkeit von
Arbeiten in deren Schoss die Theilnahme jedes allgemein naturwissenschaftlich Ge-
bildeten. LE. d. B.-R.]
1 Entlehnt aus: Zeitschrift der österr. Gesellschaft für Meteorologie von
Jelicek und J. Hann. Bd. VII, Nr. 23; 1. Dec. 1872.
120 F. M. STAPFF:
Meine von 1873—77 im Gotthardtunnel bis 4400” vom Nordportal
und 4100” vom Südportal angestellten Temperaturbeobachtungen habe
ich in Studien über die Wärmevertheilung im Gotthard (1. Theil, Bern
1877, Verlag der J. Dalp’schen Buchhandlung) zusammengestellt und
aus denselben empirische Formeln hergeleitet, welche zunächst dazu
bestimmt waren, eine begründete Vorstellung über die im Gotthard-
Tunnel noch zu gewärtigenden Temperaturverhältnisse zu gewinnen. Da
sich diese Formeln für die folgenden 2000—3000” des Tunnels bewährt
haben, so will ich die Hauptresultate der Gotthardbeobachtungen hier in
Kürze mittheilen.
Für einen Punkt in der Profillinie des Gotthard-Tunnels ‘ist die
mittlere jährliche Lufttemperatur
VIII. 7Z'= 5.359° + 0:000066 D — 0.006839 (7 — 1100), wenn D
seine Entfernung (in Metern) vom Göschener Tunnelportale, 77 seine
Meereshöhe (gleichfalls in Metern) bezeichnet.
Die (hier in Betracht kommende) mittlere Bodentemperatur des
Profilpunktes ist nahe unter der Oberfläche um
IX. A1= 4:032° — 0:2718 7 — 0.00174 7? grösser als die mittlere
Lufttemperatur (7)
Auf der Nordseite hat die rascheste Wärmezunahme nach dem
Inneren unter der Andermatter Ebene bei 2800—2900 vom Portal
statt: nämlich 1° auf 20-5”, die langsamste unter dem steilansteigen-
den Abhang der Wannelen 4300—4400” vom N.-P., nämlich 1° auf
42,6”. Auf der Südseite hatte (zwischen O0 und 4100” vom Portal) die
rascheste Wärmezunahme statt unter der Thalmulde des Sellasees 3800
bis 4200” vom 8. P., nämlich 1° auf 45”; die langsamste unter dem
Steilkamm der Cima Loitamisura, 2000—2200* vom Portal, nämlich 1°
auf 62,37.
Es ist zwar unverkennbar, dass Wasserzuflüsse und verschiedene
Gesteinsbeschaffenheit einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die
localen Wärmezunahmegradienten ausüben. Ein Blick auf das Chtoniso-
thermenprofil in der Ebene des Gotthardtunnels, welches ich nach
den directen Beobachtungen bis 5000” vom N.-P. und 4600” vom S8.-P.
im März 1878 für die Pariser Ausstellung entworfen habe, zeigt aber
sofort, dass diese Gradienten vor Allem durch die Oberflächencontouren
des über dem Tunnel liegenden Terrains modificirt werden.
In gleicher Tiefe ist es unter Bergspitzen kälter als unter Thälern
und Ebenen, theils weil die Oberflächentemperatur mit zunehmender
Meereshöhe des Terrains abnimmt, theils weil unter Bergspitzen die Ge-
EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 121
steinstemperatur nach dem Erdinneren langsamer zunimmt, als unter
Ebenen und Thälern.
Deshalb entfernen sich die Isothermallinien von einander unter allen
Bergen, während sie sich unter allen T'hälern nähern.
Es wäre für das Projectiren von Hochgebirgstunneln von Interesse,
a priori die, verschiedenen Profilpunkten zukommenden, Wärmezunahme-
gradienten nach dem Inneren ermitteln zu können; — und da die mitt-
lere Bodentemperatur an einem gegebenen Punkte gleichzeitig von diesem
Zunahmegradienten und von der mittleren Temperatur der Oberfläche
(Luft, Wasser, Schnee) abhängt, so lässt sich die Aufgabe durch Er-
mittelung der Bodentemperatur und der Luftttemperatur an der Oberfläche
lösen, wie ich im 2. Theil oben eitirter Schrift zu zeigen versuchen werde.
Zur Beantwortung der hier zunächst gestellten Frage genügt es
jedoch, die Erfahrungen vom Gotthardtunnel direct zu verwenden.
Aus den Temperaturbeobachtungen in beiden Tunnelseiten (bis 1877)
habe ich folgende Gleichungen abgeleitet, um den Zusammenhang zwi-
- schen Zunahme ö der Gesteinstemperatur und der verticalen Tiefe %
oder der kürzesten Entfernung n unter Oberfläche darzustellen. !
XII. ö = 0:02068: 7
Xb. ö=+Y 41-6593 — 01517 + 0-00011195 2?) +6-45+0-010587%
XV. 6 = 0:02159-n
XIH. ö=-+Y 36:1682— 0: 1278n + 0:000102n?)+6-01+0:01016n.
In Formel XV ist der normale Abstand (n) zur Oberfläche eingeführt,
um dem Einfluss der Oberflächenform und der Masse des überliegenden
Gebirges auf die Temperaturzunahme in kürzester Weise möglichst Rech-
nung zu tragen.
Die Formeln X” und XIII bezwecken indirect dasselbe. Sie drücken
empirisch aus, dass die Wärmezunahme in grösseren Tiefen abnimmt,
wie schon die oben citirten Extremgradienten zeigen und noch mehr ein
Vergleich sämmtlicher vorliegender Beobachtungen. Doch darf man
_ nicht vergessen, dass die Temperaturbeobachtungen im Tunnel nicht
in verschiedenen Niveaus einer und derselben Verticalen angestellt
wurden, sondern in einer (fast) horizontalen Linie unter coupirtem
Terrain. ;
Die in Rechnung gezogenen verschiedenen Tiefenstufen liegen also
nebeneinander, und da die ihnen entsprechenden Wärmezunahme-
k
1 Die Gesteinstemperatur selbst it 2=7+A+6; T wird nach VEIL be-
rechnet; A nach IX.; ö nach XII; Xb; XV oder XIII.
122 F. M. StAprFE:
gradienten unter den Thälern, d. h. in den verhältnissmässig geringsten
Tiefen, am grössten sind, so müssen die Formeln bis zu gewissen Tiefen
eine mit zunehmender Tiefe scheinbar abnehmende Wärme ergeben.
Sie dürfen nicht etwa als Ausdruck des allgemeinen Wärmezunahme-
gesetzes nach dem Erdinneren aufgefasst, überhaupt nicht verallgemeinert
werden.
Beide Formeln (X” und XIII) ergeben imaginäre Werthe für ö in
Tiefen h = 382-6 bis 969-4 und n = 438 bis 799-9. Wir werden weiter
unten sehen, dass in diesen Tiefengürteln der behandelten Profilstrecken
horizontal verlaufende Isothermen liegen.
Viele vergleichende Rechnungen und Beobachtungen haben ergeben,
dass die einfache Formel XII zur Lösung praktischer Fragen völlig ge-
nügt. Nur darf man bei ihrer Anwendung nicht vergessen, dass die
Temperaturzunahme von 207° auf 100” oder von 1° auf 48-4"
eine mittlere, allen mit dem Gotthard-Tunnel (bis 1877) unterfahrenen
Terrainformen möglichst entsprechende, ist. Die Formel giebt deshalb
zu hohe Werthe für Punkte unter Bergkämmen, zu niedrige für solche
unter Thälern und Ebenen; und zwar können die daher entspringenden
Abweichungen bis 4,94° betragen. Berechnet man dagegen nach der glei-
chen Formel die mittlere Temperatur einer grösseren Tunnelstrecke,
unter coupirtem Terrain, so ergiebt sie ganz richtige Resultate. Als
Beleg mögen die Beobachtungen vom Jahre 1878 im südlichen! Tunnel-
stollen zwischen 4613-6 und 5843-6” dienen, welche hier dem ‚VIII.
Geschäftsbericht der Direction und des Verwaltungsrathes der Gotthard-
bahn pr. 1878“ entlehnt sind. (Siehe Tab. VIII, folge. Seite.) Die einzel-
nen nach der Formel berechneten Gesteinstemperaturen (Spalte 5) weichen
zwar zum Theil um mehrere Grade sowohl von den direct beobachteten
(Spalte 6), als von den aus den Lufttemperaturbeobachtungen hinter Ort
ermittelten (Spalte 9) ab. Ihre Mittelzahl 29-6° differirt aber nur um
02° mit der Mittelzahl 29-4 der letzteren; und das Mittel aus den 8
direct beobachteten Gesteins- und Wassertemperaturen (Spalte 6 u. 7):
29-2°, ist genau gleich dem Mittel der 8 entsprechenden berechneten Ge-
steinstemperaturen (Spalte 5).
Für eine mittlere Tiefe von 2371-1” (Spalte 3) unter Terrain in
2530.8” mittlerer Meereshöhe (Spalte 2) ist die Mittelzahl der einzelnen
für 100 zu 100” Tunnellänge berechneten Wärmezunahmegradienten
(Spalte 10) 0-0206; oder der mittlere, aus denselben Beobachtungsdaten
1 Im nördlichen Tunnelstollen waren 1878 die normalen Wärmeverhältnisse
durch Thermen sehr gestört; deshalb können die betreffenden Beobachtungen hier
nicht als Beweismittel gelten.
123
EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN..
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124 F. M. STAPFE:
nach der kleinsten Quadratmethode berechnete Gradient 0:0204. Da-
gegen ergaben die Beobachtungen in der ersten 4000” beider Tunnel-
seiten (bis 1377) den Gradienten 0-0207. Wir sind also zu einer Ueber-
einstimmung gekommen, welche bisher wohl noch nie bei Beobachtungen
über die Wärmezunahme nach dem Erdinneren erreicht worden ist. (Die
mittlere Tiefe, für welche der Gradient 0-0207 gefunden wurde, ist
645-3” unter Terrain in 1786-2” mittler Meereshöhe.) \
Man könnte nun aus dem Unterschied der gefundenen Werthe für
ö den Schlusssatz ziehen, dass der Wärmezunahmegradient mit zuneh-
mender Tiefe abnimmt und zwar mit rund 0-0000384° pr. 100” Tiefe,
so dass er überhaupt = 002068 — [0000000384 (k— 645 :3)] gesetzt
werden könnte, und in einer Tiefe von 54550” (52765” unter Meeres-
niveau) gleich Null würde. Meinerseits möchte ich jedoch erst alle seit
1377 und bis zum Durchschlag des Gotthard-Tunnels angestellten Tem-
peraturbeobachtungen im Zusammenhang berechnen, ehe ich einen sol-
chen oder ähnliche Schlusssätze wage. Gegenwärtig sehe ich den
Gradienten 0:0207 für alle Tiefen, unter welchen Tunnelanlagen über-
haupt in Frage gekommen sind, als völlig ausreichend für praktische
Berechnungen an. |
Es wurde schon erwähnt, dass nach den Beobachtungen im Gott-
hardtunnel die Isothermen unter Ebenen und Thälern sich einander
nähern, unter Bergspitzen dagegen auseinander rücken. Unter einem
Terrain, dessen Oberfläche von regelmässig aneinander gereihten, gleich
hohen und weiten Bergsätteln und Thalmulden gebildet wird, muss des-
halb in gewisser Tiefe eine horizontale Isothermenebene liegen.
Ist die Oberfläche unregelmässig contourirt, so treten an Stelle dieser
Horizontalisotherme viele solcher, für je kurze Strecken der Oberlläche;
welche in verschiedenen Tiefen liegen und ungleiche Temperaturstufen
bezeichnen. Die Tiefen, für welche nach Formel X? und XIII die
‘ Temperaturzunahme imaginär wird, sind dieselben, in welchen unter
Contourverhältnissen,, wie sie im Gotthardtunnelprofil zwischen 0 und
4100 von beiden Portalen statthaben, die Horizontalisothermen lie-
gen. Je nach der Specialcontourirung der Oberfläche variiren diese
Tiefen zwischen 383 und 969”. Auf kürzere Strecken hat sich der
Gotthardtunnel schon nahe solchen Horizontalisothermen bewegt, zwi-
schen 3600 und 4400”% vom 8.-P., z. B. zwischen den Isothermenflächen
26°—28°, obwohl auf dieser Strecke die Meereshöhe des Terrains von
2232— 2423-5” varlirte und die Höhe des überliesenden Gebirges von -
1265— 1073”. Zwischen 4600 und 5900” vom S.-P. schwankte die be-
obachtete Temperatur von 28-1—830-8° bei Terrainhöhen üb. M. von
2410-:5—2688-1 und Differenzen in der Höhe des überliegenden Gebirges
EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 125
von 1250-:5—1528:4”. Für diese ergiebt die Rechnung Temperaturen
von 27:7—31'8°.
Für die letzterwähnte Strecke (Tab. VIII) habe ich die Lage der
Horizontalisotherme berechnet. Bezeichnet % die Höhe derselben über
Meeresfläche, z die in ihr herrschende Temperatur, // die Meereshöhe
eines Profilpunktes; © die Oberflächenbodentemperatur derselben; ö den
Wärmezunahmegradienten in der Vertikalen unter diesem Punkt, so
haben wir r= (H—h)ö+09; oder r+hö= Hd +0.
Diese Gleichung enthält die beiden Unbekannten AR und r, und es
würde die Kenntniss von H, ©, ö für 2 Profilpunkte genügen, um 4
und r zu ermitteln. Ich habe aber alle in Tab. VIII zusammengestellte
Werthe für © (Spalte 4) ö (Spalte 10) 77 (Spalte 2) gleichzeitig in obige
Gleichung eingesetzt und nach der kleinsten Quadratmethode berechnet:
h=1621:3” (Horizontalisotherme über Meer), z = 19:8° (Temperatur
in dieser Horizontalisotherme). Spalte 11 giebt die Höhe der einzelnen
Profilpunkte über der Horizontalisotherme 16213”, Col. 12 die diesen
Tiefen, (sowie ö nach 10 und © nach 4) zukommenden Temperaturen.
Nach Spalte 13 weichen letztere um 0 bis 0-70 von r=19-8° ab und aus
den einzelnen Abweichungen folst als mittlerer Fehler des Mittels +0-4°.
Uebrigens liegt die Horizontalisotherme 19-8° —- 4600—5900 ” vom S.-P.
um 1371:1—909:5 = 462” über dem Tunnelscheitel, und (im Mittel)
909-5” unter Oberfläche, also noch in der durch Gleichung X” aus-
sedrückten Zone. (Einzelwerthe der Spalte 11 fallen ausserhalb dieser
Zone, was nicht befremden kann, da die Gleichung X” aus Beobachtungen
in viel geringeren Tiefen als den nun in Frage kommenden hergeleitet
wurde.)
Da in einer gewissen Tiefe des Erdinneren alle Isothermenflächen
unter sich parallel und mit der Erdkugelfläche concentrisch verlaufen
müssen (d. h. theoretisch und von dem Einfluss localer Wärmeherde
abgesehen), was aber mit den Isothermen im Inneren der Gebirge nicht
der Fall ist, (denn die einzelnen Fragmente gleichwarmer Horizontal-
isothermen liegen in verschiedenen Tiefen, weshalb ihre Verbindungs-
stücke gewunden sein müssen), so folgt, dass die Wärmezunahmegradienten
in verschiedenen Tiefen selbst derselben Verticalen nothwendig verschie-
den sein müssen, und dies nicht nur bis zur ersten localen Horizontal-
isothermalfläche, sondern weiter hinab bis zur ersten generellen, der
Erdkrümmung folgenden. Dieser Satz dürfte manche Widersprüche lösen,
welche bisherige Temperaturbeobachtungen im Erdinneren zeigen. Er
bietet aber keinen Anhaltepunkt zur Beurtheilung der Wärmezunahme
unterhalb der ersten der Erdkrümmung folgenden Isothermalfläche.
Für praktische (bergmännische und Tunnelbau-) Zwecke können wir
126 1 F. M. Stuprr:
uns, wie schon erwähnt, mit dem Gotthard-Coefficienten 0:0207 als
dem sichersten begnügen, immer unter der Voraussetzung, dass er sach-
gemäss applieirt wird. Den Einfluss seitlicher Gebirgsmassen auf die in
einem Punkt des Erdinneren herrschende Temperatur werde ich im zwei-
ten Theile der schon erwähnten Schrift zu entwickeln suchen.
Die Theorie loealer Horizontalisothermen unter gebrochenem Terrain
ist hier wohl zum ersten Mal besprochen worden; etwas weitläufig, weil
sie für den Bau von Hochgebirgstunneln von praktischer Bedeutung ist.
Nach derselben kann die Temperatur in solchen auf Kilometer so gut
wie unverändert bleiben, obwohl im Profil Höhenunterschiede von Hun-
derten von Metern vorkommen.
Die Temperatur der unterirdisch zusitzenden Wässer braucht
nicht nothwendig gleich der Temperatur des umgebenden Gesteines zu
‘sein. Es können Thermen erscheinen, deren Temperatur zwar im vor-
aus unberechenbar ist, deren Existenz aber durch aufmerksame geologische
Untersuchung der Oberfläche öfters im voraus nachgewiesen werden kann.
Zuerst im Sommer 1876 fand ich z. B. die Temperatur einiger Quellen
in der Nähe der Serpentineinlagerungen bei Gige merklich höher als die
der benachbarten und schloss daraus, dass „am Schnittpunkt des Tunnels
mit den Serpentinstöcken (oder deren Hebungsspalte) heisse Quellen zu
fürchten seien (5000—6000” vom N.-P.)“ [Geschäftsbericht der Geol.-
Mont.-Abth. an die Centralbauleitung pr. Juli 1876, Nr. 433]. Im Jahre
1878 wurden in den erwähnten Serpentineinlagerungen mit dem Tunnel
zwischen 5157 und 6297” vom N.-P. in der That Quellen angeschnitten,
welche mit 252° bis 23-4° um 1:2—4-4° jene Temperatur übersteigen,
welche der mittleren Höhe des überliegenden Gebirges u. s. w. zukommt
(S. den schon erwähnten VII. Geschäftsbericht der Direction).
Abgesehen von Thermen, haben aber die Temperaturbeobachtungen
im Gotthardtunnel herausgestellt, dass die Tunnelwässer kälter sind,
als das umgebende Gestein, wenn dessen Temperatur 24—25° untersteist;
wärmer im entgegengesetzten Falle; und dass man im allgemeinen die
Differenz D zwischen Wasser- und Gesteinstemperatur (2) setzen kann:
D = 6-85 — 02647 t— 0.000523 7? (XV).
Es wurde im ersten Abschnitt dieser Arbeit darauf hingewiesen,
welchen grossen Einfluss auf das Befinden und die Leistungsfähigkeit der
Arbeiter der Feuchtiskeitszustand der Tunnelluft ausübt. Da derselbe
leicht sein Maximum erreicht, wenn zusitzende Wasser wärmer sind als
die Umgebung, so ist einzusehen, dass es von praktischem Werth ist,
die Wassertemperatur a priori ermitteln zu können (von Thermen ab-
gesehen).
EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 127
Die Lufttemperatur im Richtstollen des Gotthardtunnels war bis
zum Jahre 1877 im Mittel beim Maschinenbohren 105° niedriger als
die Gesteinstemperatur, beim Schuttern 1-49 höher; überhaupt 0-08°
höher. In einzelnen Fällen hat aber die Lufttemperatur die Gesteins-
temperatur beim Bohren um fast 4° unterstiegen und beim Schuttern
um ebensoviel übersteigen.
Etwa 150” hinter Ort des nicht erweiterten Stollens schwankt
(wie schon einmal erwähnt wurde) die Lufttemperatur nur ganz un-
bedeutend, welche Arbeit auch vor Ort stattfinden mag, und ist fast
gleich der Gesteinstemperatur, so dass zahlreiche Beobachtungen derselben
zur Ergänzung der immer nur geringen Anzahl directer Gesteinstemperatur-
beobachtungen benutzt werden können. Bis zum Jahre 1877 war die
Lufttemperatur hinter Ort im Mittel 0:13° höher als die Gesteinstem-
peratur.
Diese Verhältnisszahlen zwischen Gesteins- und Lufttemperatur haben
sich seit 1877 zwar etwas geändert, weil sich einerseits die absoluten
Gesteinstemperaturen geändert haben, andererseits Spannung und Menge
der während der verschiedenen Arbeitsperioden eingepressten Luft.
Doch werden sie im Folgenden noch beibehalten, weil ich eine gänz-
liche Umrechnung dieser und anderer Constanten erst vornehmen mag,
wenn der Tunnel durchbrochen ist, und alle Beobachtungen zusammen-
hängend behandelt werden können. Es sei hier in dieser Beziehung nur
erwähnt, dass 1878 zu Göschenen die Gesteinstemperatur höher war,
als die Lufttemperatur und zwar um 31° beim Bohren; 0:2° beim
Schuttern; 1-6° überhaupt vor Ort; O-1° hinter Ort.
Dagegen war in demselben Jahre zu Airolo die Lufttemperatur vor
Ort beim Bohren 3-6° niedriger als die Gesteinstemperatur; die Schutter-
temperatur 0-6° höher; die Lufttemperatur vor Ort überhaupt 15° nie-
driger; die Lufttemperatur hinter Ort 0-2° niedriger.
In dem erweiterten, aber noch nicht auf Schwellenhöhe abgestrossten
Tunnel erhöht sich die Lufttemperatur während Eindringens des Stollens
in wärmeres Gebirge allmählich sehr merkbar, so dass sie oft die mittlere
vor Ort herrschende erreicht, selbst übersteigt. Deshalb werden alle Er-
weiterungs-, Mauerungs- und Vollendungsarbeiten in einer höheren Tem-
peratur und zugleich schlechteren Atmosphäre, ausgeführt, als früher die
Stollenarbeit an denselben Tunnelpunkten. Es ist leicht zu ermessen,
von welcher Tragweite diese Thatsache ist für die Kosten, Bauzeit und
den Bauplan eines grossen Hochgebirgtunnels.
Die Thatsache findet ihre natürliche Erklärung darin, dass das die
Tunnelröhre umgebende Gebirge eine — praktisch — unerschöpfliche
'Wärmequelle ist, welche alle von aussen eingepresste Luft bald zur Ge-
128 F. M. STAPrE:
steinstemperatur erhitzt, mit welcher sie zurückströmt. Ein wenig wird
diese Temperatur noch erhöht durch die Arbeiter, Zugthiere, Gruben-
lichter, Dynamitexplosionen zwischen dem Stollenort und den rückwärts
belegenen Beobachtungspunkten.
Einige Beispiele werden genügen, dies Verhältniss zu erläutern. Im
März 1878 war die mittlere Lufttemperatur im Stollen zu Göschenen
circa 100” hinter Ort, zwischen 5202 und 5285” vom Portal, 26-1°;
am 28.—30. Jan. 1879 dagegen, in gleicher Portalentfernung, aber in
der Erweiterung, 27:0°. Der Richtstollen befand sich da eirca 1200”
weiter einwärts im Gebirge mit 28-0°.
Im April 1878, mittlere Lufttemperatur hinter Ort im Richtstollen,
5285 —5407 ” vom Portal, 268°, dagegen am 30. Jan. bis 22. Febr. 1879,
in gleicher Portaldistanz, 27:5°. Der Stollen 1150” tiefer im Gebirge
mit 183°. Zu Airolo herrschte im Februar bis Juni 1878 zwischen
4703 und 5075, hinter Ort des Richtstollens die mittlere Lufttemperatur
28-3°; dagegen ebendaselbst, nach Erweiterung des Stollens, vom 27. Nov.
1878 bis 4. März 1879, im Mittel 30-3°%. Zur Zeit des letzteren Be-
obachtung war der Richtstollen 960” vorwärts getrieben, in Gebirge
‘von 30-0°.
Sobald der Tunnel bis auf Schwellenhöhe voll ausgebrochen ist,
ändern sich diese Temperaturverhältnisse völlig. Die unter dem Ge-
wölbe ausziehende Luft erkältet langsam auf ihrem Weg nach der Mün-
dung, der auf der'Sohle einziehende Luftstrom wird allmählich von den
Tunnelwandungen u. s. w. erwärmt und vereinist sich mit dem aus-
strömenden (oberen), sobald beide Ströme ungefähr gleiche Temperatur
besitzen. Der Wendepunkt der einziehenden Wetter, bis zu welchem der
Einfluss der äusseren Temperatur sehr merklich ist, wechselt seine Lage
mit den Jahreszeiten. Zu Airolo liegt derselbe ungefähr 3000” vom
Portal, zu Göschenen 1000”.
In dem durchgeschlagenen Tunnel treten endlich ganz neue Verhält-
nisse des Temperatur- und Wetterwechsels ein, deren Erörterung aber
nicht hierher gehört. |
In den schon citirten ‚Studien über die Wärmevertheilung im Gott-
hard“ habe ich 1877 nach den oben mitgetheilten 4 Formeln für ö, als
Gesteinstemperatur, welche in der Scheitelstrecke des Tunnels zu ge-
wärtigen ist, 32-84° oefunden, mit einer Unsicherheit von + 2.59°.
Dieser Rechnung lag ein nach der Dufourkarte in 1:50000 (Hori-
zontalecurven in 30” Abstand) construirtes Längenprofil zu Grunde, nach
welchem die Meereshöhe der höchsten Profilpunkte 2940” (Aelpetligrat)
und 2960” (Kastelhorngrat) beträgt. Erst im Herbst 1877 beendete ich
EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 129
die geodätischen Aufnahmen für das Längenprofil des Gotthardtunnels,
welches von dem nach der Dufourkarte construirten allerdings wesentlich
abweicht.! Der Profilpunkt Aelpetligrad z. B. hat 2839.5”, Kastelhorn-
_ horngrat 2861-1” Meereshöhe.
nn Du ne
Die mit Zugrundelegung meines direet eingemessenen Längenprofils
berechnete Gesteinstemperatur in der Mittelstrecke des Gotthardtunnels
muss demnach von der in den „Studien“ berechneten merklich abweichen.
Zwischen 7000” vom N.-P. und 7000” vom S8.-P. (7920" vom
N.-P.) ist die mittlere Terrainhöhe (nach Abstichen von 10 zu 10” vom
Profil in 1:1000) 2757.9”; die mittlere Meereshöhe des Tunnelscheitels
auf dieser Strecke (nach der Nivelette von 1879) 1158-5; daher mittlere
- Höhe des überliegenden Gebirges: 1590-4”. Der Terrainhöhe 27-579
_ und der Entfernung 7460” vom Nordportal entspricht nach VIII. und
IX. die mittlere Lufttemperatur (an Oberfläche) — 549° und die Boden-
temperatur — 0:02°. Es folgt weiter als Gesteinstemperatur im Tunnel-
- scheitel nach: X? : 32-63— 0:02 = 32-61°; XII: 33-08—0:02=33- 06°.
Der mittlere kürzeste Abstand vom Tunnelscheitel zur Oberfläche ist
“für fragliche Strecke (nach Abstichen in 100 zu 100” Abstand vom
- Profil in 1:10000):1467-4”. Die Fusspunkte der vom Tunnel zur Ober-
#
282.61 x 1+33:06 x 0-27 +30-41 x 1:12 +32:78 x 0-27
fläche gezogenen Normalen haben ihren Mittelpunkt 2540-3” über Meer,
7498” vom Nordportal.
Diesem Punkt entspricht nach VII. und IX. die Lufttemperatur
+ 1:.09° Wir erhalten daher ferner als Gesteinstemperatur nach
X111:29-32 + 1:09 = 30-41°, nach XV:31:69 + 1:09 = 32-78°.
Die Gewichte dieser 4 Werthe verhalten sich (a. a. O. S. 55) wie
-1:0-27:1-12:0-27, daher folgt als richtigste Mittelzahl der Gesteins-
temperatur:
— alle
1+0.27+1-12 +0-27
Nach dem oben Mitgetheilten haben wir ferner in der Mittelstrecke
des Gotthardtunnels zu erwarten:
Lnfttemperatur vor Ort beim Bohren im Mittel 31: 74—1:05=30:69';
"Minimum 31:-74—4-00=27:7; bei Schuttern im Mittel 31-74-+1:49
= 33:23°;, Maximum 31:74-+4-00=35.7°. Lufttemperatur eirca 150”
hinter Ort: 31:7£-+0-.13=31'87°. Temperatur etwaiger zusitzender
Wässer (unmittelbar nach ihrem Anbohren) 31:74+2:03=33:77°.
1 Diese Abweichungen beruhen wohl hauptsächlich darauf, dass die Horizontal-
eurven der Karte im unzugänglichen Hochgebirge nach nur wenigen direct ein-
gemessenen Punkten interpolirt sind, und dass diese Curven in der Klippschrafürung
‚der Steilkämme überhaupt nicht mehr zum Vorschein kommen.
Archiv f, A, u, Ph. 1879, Suppl,-Band z. Physiol, Abthlg, 9
130 F. M. STAPFE:
Es wurde schon im ersten Kapitel darauf hingewiesen, dass dieser
hohe Wärmegrad die Arbeiten in der Mitte des Gotthardtunnels zwar
merklich verzögern und vertheuern kann, aber nicht verhindern. Auch
ist derselbe nicht lebensgefährlich.
Anwendung.
Unter den vielen Hochgebirgstunnelprojecten der Neuzeit (Maga im
Kaukasus; Arlberg in Oesterreich; Mont-Blance u. A.) steht vielleicht
keines seiner Ausführung näher als das des Simplon. Deshalb wähle ich
dasselbe um so lieber als Beispiel zur Erläuterung und Application der
im vorgehenden ermittelten Sätze, als mir einige Arbeiten über dasselbe
vorliegen, nämlich: ‚Les avantages du Simplon etc.“ par E. de Stock-
alper; Lausanne 1869; „Structure geologique du Massif du Simplon &
propos du tunnel projete“ par E. Rennevier; 1878; „Die Vorarbeiten und
das Trace der Simplonbahn“, S. P.; nach Vorträgen der HH. Huber
und Lommel in der Societe des Ingenieurs Civils de Paris: in Eisen-
bahn-Bd. X, 1879.
Die vorhandenen Projecte lesen das Nordportal des Simplon-Tunnels
bei Brieg, nahe der Mündung des Saltinethales in das Rhönethal; das
Südportal in’s Diveriathal, zwischen die Gondogallerie und Iselle. Das
Rhönethal ist bei Brieg NE—SW gerichtet, das Saltinethal, normal dar-
auf, SE-NW; das Diveriathal bei Gondo-Iselle SW—NE, d. h. dem
Rhönethal parallel, aber gegenfällis.. Dadurch, dass das Nordportal des
projeetirten Tunnels die Saltine aufwärts und das Südportal gleichzeitig
die Diveria aufwärts, verschoben wird, entstehen die verschiedenen Pro-
jectlinien, welche sämmtlich von Brieg, zwischen WNW—ESE und NNW
—SSE nach der Deveria hin ausstrahlten. Die tiefste und längste Linie
ist die am meisten ostwärts belegene, bei Iselle in’s Diveriathal mün-
dende; die höchste und kürzeste die westlichste, oberhalb Gondo aus-
mündende. Erstere zieht gleichzeitig unter den höchsten Gipfelpunkten
(Wasenhorn, Monte-Leone) der Simplonkette hin, hat-also das meiste Ge--
hirge über sich; letztere nähert sich mehr dem Simplonpass und liegt‘
unter flacherer Gebirgsbedeckung.
Die verschiedenen Projecte, von Ost nach West aufgezählt (die Zeit--
folge derselben ist fast umgekehrt), sind nun:
1. Favre und Clo:
19850" lang; N.-P. 680%; S.-P. 645% ü. M.
2. Dieselben, modifieirt:,
19075” lang; N.-P. 680%; S.-P.2687:5%; horiz. Scheitelstrecke 706” u.M.
EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 131
. Lommel:
. lang; N.-P. 711%; S.-P. 687- 5”; horiz. Scheitelstrecke von 250”; 729",
4. Stockalper (Variante eines früheren Projectes Vauthier-Lomme)):
16150” lang; N.-P. 771"; S.-P. 790”; Scheitelpunkt 793-5" üb. M.
5. Clo-Venetz:
112200” lang; N.-P. 1068”; S.-P. 1011”; Scheitelstrecke von 200%; 1071",
E 6. Jacquemin:
12000” lang; N.-P. 1070"; S.-P. 1076”; Scheitelpunkt 1145",
= (Die Projeete Flachat, Thouvenot, Lehaitre-Mond£sir, Fell u. A,
setzen Specialsysteme voraus und keine, oder nur kurze, Scheiteltunnel;
deshalb kommt bei denselben die uns hier interessirende Frage nicht in
Betracht.)
In Prof. Rennevier’s oben erwähnter Schrift sind Längenprofile
der Tunnellinien No. 2 und 3 in 1:25000 mitgetheilt, welche ich den
folgenden Bemerkungen zu Grunde lege.
B Die Linie No. 2 unterfährt bei Kil, 18-730 das 3270 m Hans Wasen-
- horn, bei Kil. 21-310 den 3565% hohen Monte-Leone. Zwischen diesen
beiden Punkten ist die mittlere Terrainhöhe 2925 =, die mittlere Schwel-
lenhöhe 707:4® u. M., daher mittlere Höhe des überliegenden Gebirges:
2220:6”. Dieser entspricht eine Wärmezunahme von 2220-6x0-02068
— =45-.9°%. Der geographischen Breite 46° 15’ und der mittleren Meeres-
höhe 2925 = des Terrains zwischen Wasenhorn und Monte-Leone kommt
‚= nach Weilemann’s Formel! die mittlere Lufttemperatur — 41° ZU,
‚und letzterer entspricht nach der früher mitgetheilten Formel IX die
mittlere Bodentemperatur (nahe Oberfläche); — 4:14 + 4:03 + 0:2718
— 0:00174 x 4:14? = +0°%.
Daher ist in der Mittelstrecke der Simplon-Tunnellinie No. 2 einer
Gesteinstemperatur 45:9 + 11-0 = 46-9° entgegenzusehen. Weiter folst:
Temperatur etwaiger zusitzender Wässer (excl. Thermen), nach For-
mel XVI: 46-9 +64 = 53-3°.
|} Lufttemperatur vor Ort: beim Bohren: 46-9 — 1:05 = 45- 850 (Mi-
- nimum 42-9°); beim Schuttern: 46-9 +1'5 = 48°4° (Maximum 509°).
Lufttemperatur hinter Ort: 46:9 + 0:1 = 41:0°.
1% 1 Schweiz. Met. Beobachtungen, VIII. Jahrgang 1871. In der Formel 7=9-150
7 — 0-00577 A H — 0.0217 A + 0-0000025 A H Ag bedeutet 7’ die gesuchte mittlere
Jahrestemperatur eines Punktes der Schweiz, AH seine Höhenlage gegen Bern
(500m u. M), Ag seine Breitendifferenz in Minuten gegen Bern (470%), Im vor-
liegenden Fall haben wir also:
T = 9.150 — 0-00577 x 2425 x 00217 x 45 — 00000025 x 2425 x 45=—4-14.
9*
132 F. M. StArrFr:
Von diesen Daten ist die mittlere Lufttemperatur hinter Ort und
ELOFESE _ 47.79 für Beurteilung
der Arbeitsmöglichkeit ausschlaggebend. Nach der von Prof. du Bois-
Reymond’s (oben S. 83) ausgesprochenen Meinung wäre bei einer sol-
chen Temperaturfanhaltende unterirdische Arbeit wohl in ganz trockener
Luft möglich, aber nicht in sehr feuchter.
Sowohl die hier berechnete mittlere Lufttemperatur vor Ort beim
Bohren (45-9) und Schuttern (48-4°), als die mittlere Arbeitstemperatur
beim Schuttern (477°) übertreffen die in Spalte 7 und 12 der Tab. V
aufgestellten Grenztemperaturen 457° und 37-7°, bei welchen unter
Göschener und Airoleser atmosphärischen Verhältnissen Tunnelarbeit noch
jene beim Schuttern vor Ort, also
zulässig ist; sie untersteigen aber die Grenztemperaturen 769° und 603°,
bei welchen solche noch denkbar ist.
Für die mittlere Lufttemperatur 47-7°, bei welcher die Schutter-
arbeit zu verrichten wäre, ergiebt sich nach den Formeln auf S. 115 als
Arbeitsstundenzahl eines Mannes pr. 1 Cubikmeter: A=6-0245-+-0:0826
(46.7 —14:58)=8:76 für,Göschener atmosphärische Verhältnisse; und A =
7:094-+ 0:0972(47-7 — 14:58)=10-31 für Airolo. Die Handarbeit in der
a oder auch a —=1:45
mal mehr kosten und länger dauern, als wenn dieselbe bei 14-58° aus-
geführt würde.
Die Projectlinie No. 3 tritt bei Kil. 17:140 unter den 3090 = hohen
Grat des Wasenhornes und unterfährt weiter südwärts zwei 3190 und
3270 = hohe Ausläufer des Monte-Leone, den letzteren Ausläufer bei
Kil. 20-430. Die mittere Terrainhöhe zwischen Kil. 17-140 und Kil.
20.430 ist 2973 =, die mittlere Schwellenhöhe 726 ”; daher Höhe des
über Tunnel liegenden Gebirges 2247 =. Dieser entspricht eine Wärme-
zunahme von 46:5° Da nun unter 46° 15° nördlicher Breite in 2973 ®
ü. M. nach den oben mitgetheilten Formeln die mittlere Lufttemperatur
—4'4° und die Bodentemperatur +0'8° beträgt, so ist in der Mittel-
strecke der Tunnellinie No. 3 eine Gesteinstemperatur von 46:5 +0'8
—47.3° zu erwarten. Diese weicht so wenig von der für die Linie
No. 2 berechneten ab, dass alles, was oben über die Unausführbarkeit
der letzteren gesagt ist, auch von No. 3 gilt.
Von den übrigen verzeichneten Projectlinien habe ich keine Längen- »
profile. Nach den Höhen der Gipfelpunkte in den verschiedenen Profil-
ebenen zu schliessen, dürfte aber das Terrain über der Mittelstrecke von
No. 4 etwa 330 ” tiefer liegen, als jenes über No. 2, und da die mittlere )
Bahnhöhe nach No. 4 gleichzeitig circa 89 = höher als No. 2 liegt, so )
Mittelstrecke des Tunnels würde mithin
EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN, 133
würde die Gebirgsdecke über der Mittelstrecke der Tunnellinie No. 4
nur circa 1800 ® betragen, woraus eine Gesteinstemperatur von etwa
37:3+2:4=39:7° folgt Diese würde die Projectlinie Stockalper
wenigstens an die äusserste Grenze der Ausführbarkeit rücken.
Ganz anders verhält es sich mit den Linien No. 5 und 6, welche
in (rund) 1100 ® ceulminiren und noch weniger Gebirgsmasse über sich
- haben als No. 4. Die Temperaturverhältnisse in denselben dürften jenen
des Gotthard-Tunnels nahe kommen und der Ausführung keine unüber-
windbare Hindernisse in den Weg legen. Gleichzeitig bieten diese zwei
Linien den nicht hoch genug anzuschlagenden Vortheil, dass sie ober-
halb der Glanzschieferregion Berg fassen und dadurch allen jenen Schwie-
rigkeiten ausweichen, welche an dies Terrain geknüpft sind.
Aber mit der Wahl eines dieser hohen Tunnellinien (für welche
vielleicht noch vortheilhaftere substituirt werden könnten), wird sofort
die Grenzlinie zwischen dem Verkehrsgebiet der Gotthard-Bahn und der
Simplon-Bahn, welche Hr. Stockalper durch Basel zieht, bedeutend
nach SW verschoben, denn mit Recht sagt Hr. Stockalper (a. a. 0.S.65):
„L’immense champ de trafic reserv&e au Simplon, comprenant la
France, l’Angleterre, la Belgique, la moitie de la Suisse, est la con-
sequence du percement & la base de la montagne.“
Durch Vorstehendes glaube ich einen nützlichen Beitrag zur Lösung
der Frage geliefert zu haben, bei welcher Temperatur und Gebirgshöhe
Tunnelbau oder Bergbau im Allgemeinen, mit den jetzigen technischen
Hülfsmitteln, physisch unmöglich wird. Ich habe mir nicht vorgenommen,
Mittel und Wege ausfindig zu machen, durch welche unterirdische Ar-
beiten auch bei noch höheren Temperaturen ermöglicht werden, d. h.
durch welche die in unterirdischen Räumen einmal gegebenen Tem-
peraturen wesentlich herabgedrückt werden könnten. Das Studium der
letzteren Frage fällt jenen anheim, welche eine solche Aufgabe zu lösen
haben; und bevor solche Studien gründlich, theoretisch und praktisch,
durchgeführt sind, dürfte keine Staatsbehörde ein derartiges kühnes Unter-
nehmen genehmigen, kein Finanzmann sich an seiner Ausführung be-
theiligen wollen.
Im Verlaufe der Untersuchungen für meine anfangs praecisirte Auf-
gabe habe ich jedoch manche Wahrnehmungen gemacht und von com-
petenter Seite manche Vorschläge gehört, welche die zweite Frage be-
- rühren, und deren Zusammenstellung wenigstens Ausgangspunkte für die
erwähnten Studien bieten kann; eine Lösung derselben verspreche ich nicht.
134 | F. M. Starr:
Nehmen wir die Höhenlage eines Scheiteltunnels als durch den
commerciellen oder politischen Zweck der Bahn bestimmt an, so bleibt
zunächst immer noch zu erörtern, inwiefern durch seitliche Verschiebung
der Tunnelaxe nicht ein Terrain gewonnen werden kann, welches wegen
günstigerer topographischer und geologischer Beschaffenheit die Ausführ-
barkeit des Tunnels erleichtert, bez. ermöglicht. Wie ich in einem (ein-
geforderten) Bericht an die Centralbauleitung der Gotthard-Bahn (No. 478,
6. Nov. 1877) zu beweisen gesucht habe, wäre z. B. der Bau des Gott-
hard-Tunnels in vieler Beziehung erleichtert worden, wenn man die
Tunnellinie 2—2!/, Kilometer westwärts verschoben hätte. Auf der Süd-
seite hätte sich dann der Tunnel nur 2500 = (gegen nun 3900 ®) in den
faulen Glimmerschiefer u. s. w. -Schichten bewegt, welche so viel Wasser
brachten; er würde im Gotthardmassiv circa 7000 = festen Gneiss und
Gneissgranit durchfahren haben, anstatt eines 6600 ® mächtigen, vielfach
zerstörten, Schichteneomplexes von dünnschieferigem scherbigem Gneiss
und Glimmergneiss!; im Ursernthal hätte man nicht mit den bösen Ver-
werfungsspalten des Köhlertgrabens (2800 = vom N.-P.) zu thun gehabt;
in der Mittelstrecke wäre man unter etwa 500 = niedrigeres Terrain ge-
kommen, wodurch die nun vom peralu gegen 7° niedriger geworden
wäre u. s. f.“
Schwieriger als die Temperaturzunahme aus der Gebirgshöhe lässt
sich a priori der Wasserzufluss und die Gesundheit des Gesteines im
Inneren, nach dem äusseren Gebirgsbau, ermessen. Glücklicherweise aber
hat man seit einigen Jahrtausenden Bergbau getrieben und die Bergleute
haben seit 3—400 Jahren ihre Beobachtungen über den Zusammenhang
gewisser innerer und äusserer Erscheinungen in den Gebirgen genau auf-
gezeichnet. Trotz entgegengesetzten Behauptungen mancher moderner
Geologen lehrt uns die bergmännische Erfahrung, dass sowohl Erzgänge
(d. h. gefüllte Spalten) als Verwerfungsspalten so tief in das Erdinnere
hinabreichen, als der Bergbau einzudringen vermochte; dass zerspaltene
und zerrissene Gebirgsstreifen durch Erosion an der Oberfläche leichter
zu Runsen, Schluchten, Thalmulden ausgehöhlt werden, als benachbarte,
nicht zerklüftete Gebirgsstreifen, um so mehr, als die durch Spalten-
systeme cireulirenden Gewässer oft das Nebengestein zersetzt haben.
Treffen wir deshalb die Oberfläche anstehenden Gesteines von ausgedehn-
ten Einmuldungen u. dgl. durchfurcht, welche Hebungs-, Verwerfungs-,
Bruch- (gewissen Antiklinal- und Synklinal-) Linien folgen, und an-deren
Wänden und Boden das Gestein zerrüttet oder zersetzt ist, so haben wir
immer guten Grund vorauszusetzen, dass auch unter solchen Einmul-
1 Wo „immer und immer wieder neue zersetzte Schichten und Wasserflüsse
drohen“,
EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 135
dungen das Gebirge zerrüttet und zersetzt ist, oft zu Tiefen, welche nie-
mals ein Mensch erreichen wird. Und documentiren sich solche Ein-
muldungen an der Oberfläche zugleich als Quellgebiete, so sind wir be-
rechtigt zu vermuthen, dass die zerrütteten Gebirgsstreifen (oder ihre
‚ nächste Umgebung) zu jeder erreichbaren Tiefe hinab Wasser führen.
Dies sind keine neuen Theorien, sondern, wie gesagt, so alte Erfahrungs-
sätze, dass es unbegreiflich scheint, wie völlig Tunnelingenieure die-
selben ignoriren können. Auf den Aufnahmeblättern (in 1:1000) für das
Längenprofil des Gotthardtunnels, welche auf der Pariser Ausstellung
waren, sind gar viele solcher „Quellgebiete“, „Bruchlinien“, „Verwerfungs-
spalten“, „Antiklinalen“, „Synklinalen“ eingetragen, welche nie verfehlt
haben, im Tunnel sich bemerklich zu machen (meist sehr ungelegen).
Nur ein Beispiel aus der neuesten Zeit sei hier als Beleg angeführt:
Nach dem (1875) umgeänderten Längenprofil des Gotthardtunnels sollte
die 390 = lange horizontale Scheitelstrecke zwischen 5705 und 6095 ”
vom Südportal liegen, der Tunnel sodann nordwärts auf 1250 ® Länge
1°/$ fallen. Im geologischen Monatsbericht pr. Januar 1879, Südseite
(No. 42/79) schrieb ich der Centralbauleitung: „Da nach dem Auffahren
der ersten zersetzten nassen Schichten des Guspisthales (5783; 5907)
wohl nicht mehr daran gezweifelt werden darf, dass auch die übrigen
drei im Guspisthal bekannten Bruchlinien (siehe Profil in 1:1000) im
Tunnel durch zerrissene, zersetzte, wasserführende Zonen sich bemerklich
machen werden, welche den Tunnelbau in söhliger, von 6095” an sogar
gegenfälliger, Strecke in hohem Grade erschweren müssen, so halte ich
es für meine Pflicht, hierdurch nicht nur nochmals auf diese drohenden
Schwierigkeiten hinzuweisen, sondern zu thunlichster Abhülfe derselben
gleichzeitig auch schleunige Aenderung des Tunnelprofiles in Vorschlag
zu bringen.“ Im März wurde das Längenprofil dahin abgeändert, dass
bis 7093-7” vom Südportal die Steigung von 0°5°/% bleibt, welcher
sodann bis Göschenen das Gefälle 5-82°/% folst; — und dass diese
Aenderung eine glückliche und rechtzeitige war, documentiren die nach-
mals bei 5961—80; 6100; 6217; 6270; 6528” durchfahrenen lettigen
Verwerfungsspalten mit zerrüttetem Nebengestein. und die Wasserzuflüsse
bei 5933—67; 75—80; 6100—5; 6215—20; 6357—6410 (zwischen den
letzten Punkten stark, aber mit Unterbrechungen).
Ich habe diesen Gegenstand etwas eingehend behandelt, theils weil
im ersten Abschnitt gezeigt worden ist, welchen eminenten Einfluss die
(durch Wasserzuflüsse veranlasste) Feuchtigkeit der Luft auf die Möglich-
keit der Arbeit bei höheren Temperaturgraden ausübt, theils weil ich zu
beweisen wünschte, dass es sicherer und leichter ist, auf Grund sorg-
fältiger technisch-geologischer Vorstudien bei der Traeiruug von Tunneln
136 F. M. STAPFE:
Schwierigkeiten zu vermeiden, als solche nachmals bei der Bauausfüh-
rung zu überwinden. Mit Vergnügen habe ich aus einem Situations-
plan der Arlbergtunnelprojecte ersehen, dass man daselbst mit einer mehr-
fach gebogenen Linie (vermuthlich) wasserführenden Gesteinsschichten
auszuweichen sucht.
Das Gesagte lässt sich dahin resumiren, dass bei Tracirung von
Hochgebirgs-Tunneln grosse Gebirgsmassen möglichst zu umgehen sind,
damit man nicht in zu warmem Gestein zu arbeiten braucht; und dass
gleichzeitig Quellschichten u. s. w. zu vermeiden sind, damit die Tunnel-
luft durch Wasserzuflüsse nicht überfeucht wird (anderer durch Wasser-
zulluss veranlasster Störungen gar nicht zu gedenken).
Ein weiter hier in Betracht kommender Punkt ist der Tunnel-
Bauplan. Die beim Gotthard-Tunnelbau gemachten Erfahrungen haben
mich nicht überzeugen können, dass für lange nur von zwei Angrifis-
punkten aus betriebene Tunnels, deren Bauzeit fixirt ist und deren Bau-
schwierigkeiten unmöglich alle im Voraus übersehen werden können, das
sogenannte belgische System das rationellste ist. Hinsichtlich der uns
hier speciell interessirenden Frage aber scheint es geradezu verwerflich.
Im Gotthardtunnel bringt Anwendung desselben mit sich, dass die
Arbeitsräume auf einer Strecke von 2—3 Kilometern vertheilt sind, denn
man vermag weder mit einfachen noch mit mehrfachen (nur durch
Pumpwerke ermöglichten) Sohlenschlitzen dem Fortschritte des First-
stollens aequidistant zu folgen, und muss deshalb auch mit allen fer-
nereren Ausbruch- und Mauerarbeiten weit zurückbleiben. Wir haben
aber im zweiten Abschnitt gesehen, dass die Temperatur in den rück-
wärts liegenden Arbeitsräumen (sofern sie nicht vom Portal aus natür-
lich ventilirt werden) während des Eindringens des Stollens in wärmeres
Gebirge sich erhöht, mitunter sogar über die vor Ort herrschende. Wenn
ich mir auch die Möglichkeit vorstellen kann, durch künstliche Mittel
auf etwa 100” hinter Ort die Lufttemperatur im Stollen. so herabzusetzen,
dass bei einer Gesteinstemperatur von 40—50° noch gearbeitet werden
kann, so vermag ich nicht abzusehen, wie dies auf einer mit Rauch und
Menschen gefüllten Strecke von 2—3 Kilometern noch praktisch aus-
führbar ist.
Das einzuschlagende Bausystem muss ferner gestatten, dass die zu-
sitzenden Wässer nicht während der ganzen Bauzeit in verschiedenen
Abbausohlen stagnirende Schmutzpfützen bilden, wie das beim belgischen
System erst im Firststollen, dann in dessen Erweiterung, ferner in den
Calottenschlitzen, endlich in den Cunetten und dem voll ausgebrochenen
Tunnel der Fall ist, bis schliesslich der Abzugskanal fertig wird. Treibt
man Sohlenstollen und lest in denselben möglichst rasch den Abzugs-
EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 137
kanal, so lassen sich alle zusitzenden Wässer leicht und in geschlossenem
Strome mit kleiner Oberfläche abführen; selbst grössere fliessende Wasser-
massen machen aber dann die Luft nicht so feucht als kleine, welche
von grossen Flächen, Schmutzhaufen u. dergl., verdunsten. Man vergesse
nicht, dass in ganz trockener Luft eine 10° höhere Temperatur ertragen
werden kann, als in ganz feuchter !
Die Schwierigkeiten, welche guter Ventilation in den Aufbrüchen
eines mit Sohlenstollen betriebenen Tunnels entgegenstehen, unterschätze
ich gar nicht. Doch scheint mir, als ob die Tunnelbau-Ingenieure noch
gar wenig studirt hätten, was man bei Bergbau mit systematischer
Ventilation meint, und wie man dieselbe ausführt. Planlos hingestellte
Aspiratoren oder Ventilatoren, oder hier und da geöfinete Hähne der
Druckluftleitung sind Palliative, aber gewiss keine Ventilationssysteme.
Beim Tunnelbau macht Ausarbeitung und Einführung eines solchen in
gewisser Beziehung grössere Schwierigkeiten als beim Bergbau, weil bei
ersterem alle Arbeitsräume viel rascher ihre Lage ändern, weshalb die
"permanenten Einrichtungen (Wetterscheider, Wetterthüren, Lutten, ganze
Tragwerke u. s. w.) auch wandelbarer werden. Handelt es sich aber um
Tunnels mit zehnjähriger oder längerer Bauzeit, so muss auch die Ven-
tilation in ein verständiges System gebracht werden, während bei kleinen
Tunnels für das Bedürfniss des Tages bestimmte Nothbehelfeinrichtungen
oft ausreichen. Beim Bergbau hat die schwierigere Ventilation von
Firstbauten deren allgemeiner Einführung lange entgegengestanden, —
aber dennoch hat der Firstenbau gegenwärtig in fast allen gut bewirth-
schafteten Gangbergwerken den ehemaligen Strossenbau verdrängt; es
lässt sich voraussehen, dass ebenso bei allen grossen und schwierigen
Tunnelbauten der Sohlenstollenbetrieb den Firststollenbetrieb allmählich
verdrängen wird.
Die Ausführung eines heissen Hochgebirgstunnels würde dadurch
sehr erleichtert werden, dass man den Tunnel beiderseitig so weit hinein
fertig stellt, als die Wärme ohne grosse Schwierigkeiten zulässt, d. h.
bis dieselbe etwa 30° erreicht. Die fertigen Tunnelstücke lassen sich
dann mit Leichtigkeit ständig und kräftig ventiliren, so dass sie selbst
hinten gesunde und verhältnissmässig frische Aufenthaltsorte gewähren.
Von diesen, als Ausgangspunkten, wäre der Sohlenstollen durchzu-
brechen, zunächst ohne irgendwelche Erweiterungsarbeiten. Die eigent-
liche Schwierigkeit wäre damit auf Kühlhaltung einer Strecke von etwa
100” redueirt. Nach vollendetem Durchschlag lässt sich die ganze noch
zu vollendende Tunnelstrecke sicher, leicht und vollkommen ventiliren
‚und (durch den das ganze Tunnelprofil einnehmenden Luftstrom, beson-
138 | F. M. Stuprr:
ders im Winter) kühl halten, so dass der Ausbau nicht besonders schwie-
rig erscheint.
Drittens wäre in dem Richtstollen der Mittelstrecke die Muskel-
arbeit von Menschen und Zugthieren in möglichst ausgedehntem Maasse
durch Maschinenarbeit zu ersetzen. Wie die anstrengendste Stollenarbeit,
nämlich das Schuttern, maschinell erfolgen könnte, ist mir noch ganz
unklar. Der Transport zu dem bereits fertigen Tunnelstück dürfte am
zweckmässigsten durch Drahtseilförderung erfolgen, wie man solche seit
Jahrzehnten unter viel schwierigeren Verhältnissen in Steinkohlengruben
ungestört betreibt (z. B. in den Burbacher Gruben bei Saarbrücken).
Luftlocomotiven scheinen mir in diesem Falle weniger angezeigt, weil
sie einen grösseren Stollenquerschnitt voraussetzen, welcher die Hand-
arbeit vermehren und die Kühlhaltung des Stollens erschweren würde.
Die vierte zu studirende Aufgabe: Künstliche Abkühlung des
Stollens, ist von allen wohl die schwierigste. Man glaube ja nicht, dass
dieselbe durch das Stichwort „vergrösserte Luftcompressionsanlagen“ ihre
Lösung gefunden hat. Die Wärmemenge, welche die umgebende Ge-
birgsmasse an die Luft im Stollen ununterbrochen abgiebt, ist praktisch
unbegrenzt; im Vergleich zu derselben sind alle künstlichen Abkühlungs-
mittel so minim, dass sie nur in ihrer nächsten Umgebung die Tempe-
ratur ein wenig herabsetzen können, ohne irgend welche dauernde oder
umfassende Wirkung auszuüben. Sie verhalten sich „wie ein Wasser-
tropfen auf einem heissen Stein“. Diese Thatsache wird durch das im
zweiten Abschnitt erörterte Verhältniss der Lufttemperatur hinter Ort
des Richtstollens (im Gotthardtunnel) erwiesen: mögen vor Ort alle
Lufthähne geschlossen oder geöffnet sein, etwa 100-200” rückwärts bleibt
die Lufttemperatur fast constant und der Gesteinstemperatur wesentlich
gleich. Ein weiterer Beleg ist die in den rückwärts liegenden Arbeits-
räumen allmählich wachsende Temperatur; alle vor Ort eingeführte Luft
nimmt sofort die Temperatur des Gesteines am Ausströmungspunkte an
und behält dieselbe auch bei, da die Wärmeabgabe an kältere Gesteins-
flächen durch jene gesammte Wärmemenge compensirt wird, welche auf
einer Strecke von Kilometern sämmtliche Arbeiter, Zugthiere, Lichter,
Dynamitexplosionen erzeugen.
Es wurde früher erwähnt, dass die aus den Bohrmaschinen (etwa
vier gleichzeitig in Arbeit) tretende Luft, welche mit 2!/),—4 Atmosph.
Druck einströmt, die Lufttemperatur höchstens um 4°, im Mittel aber
nur 1° unter die Gesteinstemperatur herabzusetzen vermag, und dass beim.
Schuttern, in Folge der in einem kleinen Raume entwickelten animalen
Wärme und der Dynamitexplosionen, die Lufttemperatur, trotz reichlich
ausströmender comprimirter Luft, die Gesteinstemperatur um 4° über-
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EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTI
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140 F. M. STAPFE:
steigen kann, im Mittel aber um 1,5° übersteigt. Um zu ermitteln,
welche grösste Abkühlung die vor Ort einströmende Luft im günstigsten
Falle hervorbringn kann, habe ich bei Absteckungen, da der Richtstollen
menschenleer und der Hahn vor Ort geöffnet war, im Stollenort tagelang
Minimum- und Maximum -Thermometer niedergelegt und dieselben zeit-
weilig beobachtet. Die Luft strömte unter 21/,—4 Atmosph. Druck aus
den 5—10 m weiten Endstücken der Röhrentour, bei verschiedenen Hahn-
stellungen. (Siehe Tab. IX.
Die vorstehenden Ziffern können in der That keine sanguinischen
Hoffnungen wecken, dass es leicht sei, durch eingepresste Luft in Gebirge
mit etwa 47° ein Stollenort während der Arbeit auf etwa 35° abzu-
kühlen. Die Wärmecapaeität der Luft ist so gering, dass eingepresste
Luft sofort die Temperatur des umgebenden Gesteines annimmt, ohne
letzteres merklich abzukühlen. Aber dennoch scheint diese Aufgabe ohne
copiöse Einführung hochgespannter trockener Luft nicht befriedigend zu
lösen zu sein; deshalb müssten zunächst auch in dieser Richtung gründ-
liche Studien durchgeführt werden.
Das Einführen grosser Massen hochgespannter Luft in einen Stollen,
wo nur vor Ort gearbeitet wird, bietet keine eigentlichen Schwierig-
keiten; grössere schon die Art und Weise der Luftausströmung in
den beschränkten Arbeitsraum. Vor der Mündung eines 10°= weiten
Luftrohres kann man in 5” Entfernung keine Arbeit verrichten: die
Schutter legen deshalb häufig einen Korb vor die Mündung, um den
Luftstrom zu brechen und zu vertheilen.
Von der Einspritzung kalten Wassers in das Stollenort ver-
spreche ich mir gar keine gute Wirkung. Am 18. Febr. 1879 war die
Luftleitung zu Göschenen in einer Wasserpfütze gebrochen. Nach der Re-
paratur trat mit der Luft eine Menge Wasser von 24,5° in die Bohr-
maschinen vor Ort, welches dichten Nebel veranlasste, aber die Lufttem-
peratur von 26°8° nicht herabsetzte. Bei früheren Gelegenheiten habe
ich allerdings beobachtet, dass die Lufttemperatur in dem geräumten
Stollenort um 3° abnahm, als der schief über eine Wasserpfütze geleitete
Luftstrom Wasserstaub aufwirbeltee Die vorher klare und verhältniss-
mässig trockene Luft wurde aber dabei sofort nebelig. Ich bin der
Meinung, dass Wassereinspritzungen (zur Abkühlung) nicht nur zu ver-
meiden sind, sondern dass im Gegentheil alle eingepresste Luft vorher
möglichst zu trocknen ist, damit sie einen Theil Feuchtigkeit aus der
Tunnelluft absorbiren kann, wodurch auch höhere Temperaturen erträg-
licher werden.
Die Luft vor ihrem Eintritt in den Tunnel künstlich abzukühlen,
scheint mir zwecklos; denn theils wirkt sie am Austrittspunkt viel
EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 141
weniger erkältend durch etwaige niedere Temperatur, als vielmehr durch
ihre plötzliche Ausdehnung; theils nimmt sie auf ihrem langen Wege
zum Stollen allmählich die Temperatur der Umgebung an, mag sie mit
Winter- oder Sommertemperatur in den Tunnel treten. Herr Stock-
alper fand:
Inder Leitung bi . . 800” 3500” 49650 5800°% v.N.-P.
uitemperatur sur. . . 16-30%. 23-350 .27-30.,27.39
Demp. der umgeb.;Luft . 19-5% 26-250 29-.501°30.0%
Differenz bei der Temp. . 3.2° a Ze
Durchmesser der Röhren. 20m Konz Lo
Sobald comprimirte Luft als eines der Abkühlungsmittel des Stollens
adoptirt wird, ist auf Luftcompressionsanlagen Bedacht zu nehmen, welche
jene des Mont-Cenis und Gotthard an Umfang und Leistungsfähigkeit viel-
fach übertreffen müssn. Als neue Aufgabe hinzu kommt die Einrichtung
von Lufttrockenapparaten. Ganz zweckmüssig in dieser Hinsicht sind
die am Mont-Cenis und Gotthard verwendeten Luftreservoirs; culturfähig
scheinen auch die sogenannten Secheurs des Gotthard, welche jedoch nach
Zahl und Umfang bedeutend vergrössert werden müssten, um recht nützlich
zu sein. Zur völligen Austrocknung der erst in Reservoirs, dann in
Secheurs von Wasserdunst möglichst befreiten Luft könnte man nach
Hrn. du Bois-Reymond’s Vorschlag gebrannten Kalk verwenden.
Es scheint leichter ausführbar, die Luft vor dem Tunnel durch Kalk zu
führen und so weit zu trocknen, dass sie beim Ausströmen vor Ort
Feuchtigkeit zu absorbiren vermag, als diese Absorption dureh in den
Tunnel gefahrenen Kalk an Ort und Stelle direet zu bewerkstelligen zu
suchen, Vielleicht wird es nöthig, die durch Kalk getrocknete Luft noch
durch Diaphragmen oder Trockenfilter von mitgerissenem Kalkstaub zu
befreien.
Dass selbst gegenwärtig die unvollkommen getrocknete comprimirte
Luft bei der im Tunnel herrschenden hohen Temperatur relativ trocken
ist, geht aus den S. 89 mitgetheilten Feuchtigkeitsbeobachtungen her-
vor, nach welchen zu Airolo beim Bohren vor Ort die relative Feuchtig-
keit nur 86.8 und 98-0), betrug, während sie überall rückwärts im
Tunnel 100°/, überstieg.
1 Diese 2 Ziffern sind wohl zu hoch. Zwisshen 5310 und 6625 habe im Ver-
laufe dieses Jahres viele Lufttemperaturbeobachtungen angestellt, welche 27-9 bis
28-450, im Mittel 28-00 für 5924m ergaben. Durch Einführung dieses Werthes (an-
statt 30-00) wird die Differenzenreihe viel gleichförmiger als obenstehende.
142 F. M. STAPFE:
Die trocknende Wirkung eingepresster Luft ist übrigens ebenso
local, als ihre abkühlende Wirkung. Der totale Feuchtigkeitszustand der
Tunnelluft hängt ganz überwiegend von den zusitzenden Wässern ab
und wird von eingeführter Luft, Respiration und Transpiration der Leute,
Dynamitexplosionen u. s. w. im Ganzen nur wenig beeinflusst. Dies
zeigen folgende Feuchtigkeitsbeobachtungen, zu Airolo angestellt, als der
Tunnel am 13. Mai 1879 zu geodätischen Zwecken geräumt und mög-
lichst vollkommen ventilirt war.
Bureau. 666-4” auf 0° reducirter mittlerer Barometerstand; mitt-
lerer Dunstdruck 4-75 %®; relative Feuchtigkeit 68°/,; bei 4-.75°.
Feuchtigkeit
absolute relative
Tunnel. , 22707 v2 Bi; Dufttemp. 21-62: Im2n: 100%,
3370 h 27.8° 2I.87 >.1007%
4600” » 29.5 30-5227 7>41009%
5467" > 29.3° 30-4"m > 100%,
5900 % 1; 29.3° 30-822 ,72>2100%%
Mittelwerthe: 15 27.5° 2 69 0
Hiergegen ergaben die am 28. März während voller Arbeit zwischen
2170 und 5900” angestellten Beobachtungen (S. 89) eine mittlere Luft-
temperatur 27.4°; mittlere absolute Feuchtigkeit 27.75"®%; relative
> 1009,
Es ist auch vorgeschlagen worden, den Tunnelstollen durch feste kalte
Substanzen abzukühlen. Moällons, welche im Winter mit — 15°&— 10°
in ganzen Waggonladungen in den Tunnel geführt wurden, und an den
Mauerstellen noch mit Schnee bedeckt ankamen, brachten aber nur in
ihrer unmittelbaren Nähe eine merkliche Abkühlung hervor, welche circa
5” tunneleinwärts und 15” tunnelauswärts vom beladenen Waggon nicht
mehr constatirt werden konnte. Deshalb scheint dies Abkühlungsmittel
nicht empfehlenswerth, um so weniger, als die festen Materialien im
Stollen den so nöthigen Platz versperren und die regelmässige Förde-
rung stören.
Ganz anders verhält es sich mit der von Hrn. du Bois-Reymond
vorgeschlagenen Kältemischung aus Eis und Salz. Mit den vor der
Schutterung in den Stollen geschobenen Waggons liesse sich dieselbe
leicht einführen und auf der der Ladeseite entgegengesetzten Seite des
Zuges abstürzen. Während des Schutterns und Ladens der Waggons
wirkte dann die Kältewirkung die ganze Arbeitslinie entlang und ent-
fernte sich, nach geleisteter Wirkung, ohne weiteren Arbeitsaufwand mit
den Stollenwässern. Dass eine Salzlösung die Luft weniger feucht macht
EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 143
als reines Wasser, hat Hr. du Bois-Reymond gleichfalls schon her-
vorgehoben.
Fünftens, und zum Schluss, wollen wir einige Momente betrachten,
welche das Arbeitspersonal, seine Verpflegung und die Arbeits-
zeit betreffen.
Die in einem warmen Klima aufsewachsenen Italiener, welche Gru-
benarbeiten mit einer gewissen Vorliebe, Geschick und Ausdauer ver-
richten, liefern für europäische Tunnelarbeiten einen ebenso werthvollen
Arbeiterstock, als mexikanische und südamerikanische Indianer für ameri-
kanische. Bei Negern habe ich weder Vorliebe noch besonderes Geschick
für Grubenarbeiten wahrnehmen können. Dass der Volksschlag, aus wel-
chem die Tunnelarbeiter rekrutirt werden, bei dieser Frage allerdings
eine Rolle spielt, beweist z. B. die Verwendung von Eingeborenen als
Heizer auf Kriegsschiffen, welche das Rothe Meer befahren (S. 79).
Bei einem langwierigen Tunnelbau, welcher während seines Fort-
schrittes in wärmeres und wärmeres Terrain führt, sollte man die an-
fangs angeworbenen Arbeiter für die ganze Bauzeit beizubehalten suchen,
so dass sich ihr Organismus allmählich den ungünstigen Verhältnissen
accommodirt, unter welchen die Arbeit stattfindet.
Hinsichtlich der zweckmässigsten täglichen Arbeitszeit habe ich noch
keine feste Ueberzeugung gewonnen. Die im ersten Abschnitt mit-
getheilten Gutachten von Physiologen und Aerzten heben kurze Aufent-
haltszeit als Bedingung für die Möglichkeit der Arbeit bei hohen Tem-
peraturgraden hervor; und dies ist ohne Zweifel richtig, sobald es sich
um Temperaturen handelt, für welche der menschliche Organismus über-
haupt nicht geschaffen ist, bei welchen also regelmässige Tunnelarbeit
ausgeschlossen ist, bis Mittel gefunden sind, die hohen Temperaturen
wirksam und sicher zu mässigen. Ist dies Ziel erreicht, so befinden wir
uns ungefähr unter denselben Verhältnissen, welche gegenwärtig im
Gotthardtunnel herrschen. Unter solchen scheint mir aber eine S- (bez.
12—14)-stündige Aufenthaltszeit nicht nur aus ökonomischen, sondern
auch aus hygienischen Gründen gerechtfertigt. — Ich brauche gegen-
wärtig wenigstens zwei Stunden, um an meinen Arbeitsplatz im Richt-
stollen des Tunnels zu kommen, und ebensoviel Zeit zur Rückkehr. In
den ersten Stunden nach der Ankunft fühle ich mich meist so unbehag-
lich und erschöpft, dass ich nicht anhaltend arbeiten kann. Später legt
sich dies Unbehagen und ich kann 2—3 Stunden ohne besondere Er-
müdung schaften. Es ist also etwa 7—9stündiger Aufenthalt im Tunnel
nöthig, wenn man daselbst etwas ausrichten, und sich nicht nur den
Unbehaglichkeiten des Tunnels aussetzen will. Nach mehreren solchen
aufeinanderfolgenden „Tunneltagen“ treten allerdings Erschöpfungs- und
144 F. M. Stuprr:
Erkrankungsfälle ein, welche vielleicht ebenso verderblich sind, als der
Tunnelaufenthalt an und für sich.
Möglichst völlige Entkleidung während der Tunnelarbeit befördert
das Wohlbefinden sehr wesentlich, wie ich mich in neuerer Zeit durch
Versuche an mir selbst überzeugt habe. Dies gilt wenigstens, so lange
die Lufttemperatur die Körpertemperatur noch untersteigt, so lange also
Bekleidung eine Abkühlung des Körpers durch Strahlung und Leitung
verzögert. Es ist wohl möglich, dass die an mir angestellten Tempe-
raturbeobachtungen (erster Abschnitt) andere Resultate ergeben hätten,
wenn ich während derselben nackt gewesen wäre. Eine ganz entgegen-
gesetzte Wirkung könnte aber Bekleidung hervorbringen, wenn die Luft-
temperatur die Körpertemperatur übersteigt, nämlich Verzögerung der
Wärmeübertragung von der Luft auf den Körper. Warum arbeiten
die mexikanischen Halbindianer in doppelten Filzhüten und dicken Klei-
dern vor den schottischen Bleiherden, und warum tragen manche Araber-
stämme auch im Sommer Schafpelze, wenn nicht, um die äussere (strah-
lende) Wärme vom Körper abzuhalten ?
Die Arbeit in einem Tunnelstollen, welche nur durch künstliche Ab-
kühlung desselben ermöglicht werden kann, setzt nahe hinter der Arbeits-
stelle Räume mit solchen atmosphärischen und Temperaturverhältnissen
voraus, dass sie eine Restauration erschöpfter Arbeiter gestatten. Solche
Räume lassen sich am Anfange des Stollens etabliren, bis wohin nach
unserer Meinung der Tunnel fertig sein sollte, ehe die eigentlich kri-
tische Stollenarbeit beginnt. Hier könnte man gut ventilirte, gehörig
abgekühlte, nach Befinden mit mässig comprimirter (trockener) Luft ge-
füllte Kammern etabliren, in denen die Leute vor der Ausfahrt einige
Zeit verweilen, sich trocknen und völlig umkleiden müssten.
Bezüglich der Nahrung enthalten die im ersten Abschnitt mitge-
theilten Briefe auch einige Winke. Die Leute sollen sich mit Fleisch-
kost nähren; während der Arbeit vor Ort Eispillen mit wenig Schnaps
nehmen u. s. w. Stets sollte nahe der Arbeitsstelle ein hinreichender
Vorrath frischen Wassers sich befinden, weniger zum Trinken, als zum
Waschen von Handgelenken und Schläfen. Als Getränke im Tunnel
scheint kaltes Wasser verwerilich. Auf den Kriessschiffen hütet man
die Heizer vor kaltem und vielem Trinken und giebt ihnen offieiell
Haferschleim, Theeabkochungen, Limonade, zeitweise einen Schnaps;
woneben sie sich Kaffee und zum Brodwasser einen Zusatz von Wein
oder Rum zu verschaffen suchen. Auf Reisen in den heissen wasser-
armen Steppen des südlichen Texas und nördlichen Mexiko hat mir
Kaffee das zuträglichste Getränk geschienen, selbst dünner, welcher tage-
lang in der Kürbisflasche mitgeführt worden war. In schwedischen Eisen-
EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 145
und Kupfergruben lässt man die Arbeiter Dünnbier trinken, damit sie
den Genuss von Wasser vermeiden. Im Gotthardtunnel mischt man den
Zugthieren Mehl in das Trinkwasser. Die Schutter- und Maschinen-
posten, welche oft 14 Stunden im Tunnel verweilen, nehmen daselbst
ihre einfachen Mahlzeiten ein, wozu sie Rothwein und Wasser, sehr
selten Spirituosa geniessen.
Dass bei der Ausführung von Hochgebirgs-Tunneln in heissem Ter-
rain die Kostenfrage, selbst die Zeitfrage, oft Nebenfragen werden
‚dürften, liegt in der Natur der zu lösenden Aufgabe.
Nicht dadurch, dass man die Schwierigkeiten einer zu lösenden Auf-
gabe leugnet, oder unterschätzt — oder als leicht zu überwindende Baga-
telle hinstellt, führt man die Aufgabe ihrer Lösung näher; sondern nur,
anchdem man die Schwierigkeiten ermittelt, genau geprüft und sodann
die Mittel abgewägt hat, über welche man zu ihrer Ueberwindung ver-
fügt, kann man mit Aussicht auf Erfolg einen Kampf gegen diese
Schwierigkeiten wagen; denn — „die erste Bedingung einer rechtmäs-
sigen und zweckdienlichen Kriegsführung ist die, dass über den Feind
keine Irrung herrsche!“
Aus diesem Gesichtspunkte urtheilend, wird Niemand die vorstehende
Studie als einen gegen Hochgebirgs-Tunnel geführten Streich auflassen,
sondern vielmehr als eine objective Kritik, durch welche die sichere
- Ausführung solcher Arbeiten vielleicht gefördert, aber nicht gehemmt
werden kann.
‘ Airolo, 1. Mai bis 3. September 1879.
Archiv f. A, u. Ph, 1879, Suppl,-Band z. Physiol. Abthlg. 10
Bemerkungen über die Dioptrik der Krystalllinse
und die Periskopie des Auges.
Von
Dr. Schoen,
Privatdocent an der Universität Leipzig.
Der Arbeit Hermann’s über den schiefen Durchgang von Strahlen-
bündeln dureh Linsen sind schnell eine Reihe anderer gefolgt, welche
hauptsächlich die Periskopie des Auges behandeln. Hermann sprach
die Meinung aus, dass man selten fehl gehe, wenn man bei einer noch
unverstandenen Einrichtung nach der Zweckmässigkeit derselben forsche.
In der That müssen ja die causae effieientes der Darwin’schen Theorie
schliesslich zu demselben Resultate führen wie die causae finales der
teleologischen. Nur wird man im Zweifel darüber sein können, was
denn wirklich das Zweckmässigste im Einzelfalle sei, und es scheint mir
durchaus nicht sicher, ob Periskopie schlechtweg als die zweckmässigste
Einrichtung des Auges bezeichnet werden darf. Wollte die Natur ein
kleines, handliches, leicht bewegliches, für Nähe und Ferne einstellbares
Gesichtsorgan mit möglichst grossem Gesichtsfelde herstellen, so war die
Kugelform des Auges mit linsenförmiger, in ihrer Form veränderlicher
Linse das einzig Mögliche. Dadurch war wiederum die Annäherung der
Seitentheile der Netzhaut an die brechenden Medien bedingt. Sollte nun
überhaupt ein einigermaassen brauchbares Bild auf der Netzhaut zu
Stande kommen, so mussten die brechenden Medien in der seitlichen
Richtung stärker brechen. Dass soweit Periskopie wirklich vorhanden
ist, kann nicht mehr bezweifelt werden.
Geht man darüber hinaus, so tauchen verschiedene Punkte auf,
welche einzeln untersucht werden müssen.
Biconvexe homogene Linsen brechen seitliche Strahlenbündel astig-
matisch. Ist zum Begriff der Periskopie oder überhaupt zu dem der
„weckmässigsten Einrichtung des Auges erforderlich, dass dieser Astig-
SCHOEN: DIOPTRIK DER KRYSTALLLINSE UND PERISKOPIE DES AuUGESs. 147
"matismus beim menschlichen Auge vorhanden oder ganz oder theilweise
beseitigt sei?
Ist zweitens Periskopie so zu verstehen und gehört es zur zweck-
mässigen Einrichtung des Auges, dass bei normal-kurz- und übersichtigen
Augen die Fernpunkte der seitlichen Netzhaut jedesmal in derselben
‚Entfernung wie der centrale Fernpunkt liegen ?
Gehört es drittens zur Periskopie und ist es zweckmässig, wenn die
seitlichen, deutlich gesehenen Punkte sich beim accommodirten Auge
ebenfalls in einer concentrischen, durch den Fixationspunkt gehenden
Accommodationssphäre befinden? Wie ist endlich das Verhältniss für
das binoculare Sehen und das Doppelsehen ?
Die meisten Schriften zielen dahin, das Vorhandensein vollständiger
- Homocentrieität schiefer Strahlenbündel beim Durchgang durch die thie-
rische Linse und die Zweckmässigkeit einer solchen Einrichtung darzu-
thun. Diese Meinung konnte ich nicht theilen, weil einmal meine Ex-
perimente an Thierlinsen ein anderes Resultat ergeben hatten und zwei-
tens eine Ueberlegung der eben aufgeführten Punkte eine derartige Peri-
skopie gar nicht einmal wünschenswerth erscheinen liess. Für das em-
metropische accommodationslose Auge wäre die Einrichtung allerdings
zweckentsprechend, hinsichtlich aller fernen Gegenstände. Trotzdem ist
auch hier eine grosse Schärfe der Bilder zwecklos, denn das räumliche
Sehvermögen der seitlichen Netzhaut ist ein sehr stumpfes und vermag
nur grobe Umrisse wahrzunehmen. Hätte die Natur wirklich die Ein-
richtung getroffen, dass auf der Netzhautperipherie gleich scharfe Bilder
wie im Centrum zu Stande kämen, so müssten wir das als verlorene
Mühe ansehen. Sehr wenige seitliche Gegenstände befinden sich ausser-
dem in derselben Entfernung vom Auge wie der Fixationspunkt.
Hinsichtlich des zweiten Punktes liest es auf der Hand, dass es
durchaus nicht als besonders zweckmässig bezeichnet werden kann, wenn
kurz- und übersichtige Augen seitlich ebenso übersichtig und kurzsichtig
wären, wie im Centrum. Denn auch für Letztere liegt keine Zweck-
mässigkeit vor, weil für die Arbeiten in der Nähe das periphere Sehen
fast gar nicht gebraucht wird. Da überdiess meistens Kurzsichtigkeit
erworben ist und zwar auf dem Wege eines krankhaften Processes, so
besteht die grosse Schwierigkeit, die verhältnissmässige Verlängerung der
seitlichen Axen zu erklären. Endlich würde das, was dem einen Auge
in voller Schärfe erschiene, wegen der Form des Horopters dem anderen
doch undeutlich bleiben. Für nicht normalsichtige Augen kann Peri-
skopie in dem Sinne, dass die Fernpunkte der seitlichen Netzhaut in
derselben Entfernung wie der centrale Fernpunkt liegen, nicht als zweck-
mässig gelten.
10*
148 SCHOEN:
Das Gleiche ist im Hinblick auf die Accommodation zu sagen, die-
selbe hat Werth nur für das centrale Sehen, einmal, weil die Stumpf-
heit der Seitentheile doch keinen Vortheil aus einem schärferen Bilde
zu ziehen vermöchte, dann, weil wir das periphere Sehen niemals für die
Nähe benutzen. Wir setzen den Accommodationsapparat nicht in Thätig-
keit um einen seitlich gelegenen Gegenstand deutlicher zu sehen, ohne
das Auge auch nach diesem zu richten. Grosse Schärfe peripherer Bil-
der würde auch zu störendem Doppelsehen wegen der Form des Horop-
ters führen.
Man darf annehmen, dass die peripherische Netzhaut anatomisch
nicht so vorzüglich von der Natur ausgestattet wurde wie die Macula,
weil die unvermeidlichen Doppelbilder dann wegen der Schärfe ihrer
Umrisse sich in sehr störender Weise bemerklich gemacht haben würden.
Es scheint somit nicht leicht, klar zu stellen, was als die zweck-
mässigste Einrichtung angesehen werden soll und ich habe daher von
vornherein grossen Werth auf die experimentelle Untersuchung von Thier-
linsen gelegt. Die ersten Resultate solcher Untersuchungen sind mit-
getheilt: Ueber die Brechung seitlich einfallender Strahlen u. s. w. Sitz.-
Ber. der ophth. Ges. Monatsblatt f. Augenheilk. 1877 und Arch. f. Ophth.
1877. XXIV. I. S. 94 und IV. S. 91. Die Lehre vom binocularen Sehen.
Das Ergebniss war, dass vollständige Homocentricität schiefer
Strahlen nicht vorhanden ist, und dass die Zweckmässiskeit in anderer
Richtung gesucht werden muss.
Die astigmatische Brechung schiefer Strahlen in Thierlinsen.
Ich habe eine Reihe frischer thierischer Linsen auf Astigmatismus
untersucht und Messungen an denselben angestellt. Es ergab sich, dass
dieselben nicht völlig periskopisch waren, und von seitlichen Gegen-
ständen deutlich astigmatische Bilder lieferten. Vom Vorhandensein der
astigmatischen Brennlinien kann man sich mit blossem Auge über-
zeugen, indem man ein Blättehen Papier in die Nähe der Linse hält.
Will man Messungen anstellen, so legst man die vorsichtig mit der
Kapsel aus dem Auge genommene Linse auf ein kleines Diaphragma,
die Vorderfläche nach unten, so dass der Rand der Linse aufliegt, und
bringt unterhalb einen Leuchtpunkt an. Der Tubus eines umlegbaren
Mikroskopes wird dann nach einander auf die I. und I. Brennlinie
und die mit ein wenig Calomel bestäubte Hinterwand der Linse ein-
gestellt. Der Tubus des von mir angewandten Mikroskopes hat eine
DIOPTRIK DER KRYSTALLLINSE UND PERISKOPIE DES AUGES, 149
Verschiebung von 5”", die Schraube macht dabei 12 Umdrehungen.
- Auf jede Umdrehung kommen somit 0-41”®, Ich habe auch die Winkel
des eintretenden und austretenden Strahlenbündels bestimmt. Das Dia-
phragma war um eine horizontale Axe drehbar und der Drehungswinkel
an einem Quadranten abzulesen; ebenso gab ein an dem Öbjeettische
des Mikroskopes befestister Quadrant den Neigungsgrad desselben an.
Die meisten Messungen sind annähernd unter dem Winkel von 60° an-
gestellt, den Berechnungen wurde daher auch dieser Winkel zu Grunde
gelegt.
Vergleichen wir die gefundenen Zahlen mit den von Hermann
berechneten (S. 23, a. a. O.), so ergiebt sich bezüglich des Schweins-
auges, dessen Constanten den von Hermann in die Rechnung aufge-
nommenen ungefähr entsprechen, eine ziemliche Uebereinstimmung.
Bedeutender ist die Abweichung bei den Ochsenlinsen. Nach Her-
mann’s Formeln S. 16, 22 und 23 berechnet wären für Ochsenlinsen
folgende Zahlen zu erwarten. Wir setzen:
Beschmescindex/der Cortiealis,. . . .. .,... „Mm... ,m=' 1:3
“ des Kernes . . . DE
Radius der ganzen als symmetrisch angenommenen ae Le
Axendicke der Linse. . . el
Radius des kugelförmig nase en De EG
Eintallswankele mit der Axeı..u . mer... 20. 0a A bl
und nehmen an, dass das Strahlenbündel durch den optischen Mittel-
punkt der Linse geht. Der Austrittswinkel mit der Axe ist in diesem
Falle = A = 60°, die Winkel mit dem Lothe ausserhalb der Linse
p = 30, die Winkel mit dem Lothe innerhalb y = 22°, die Weglänge des
Strahles in der Linse d= 15-2 "®, Der Werth &=Y m? — sin’ — cos
_ wird = 0-334. Nach dieser Berechnung ergiebt sich die Entfernung
des centralen Brennpunktes von der Hinterfläche der Linse = 8: 1vm,!
was nach meinen Messungen an den Ochsenlinsen der Wirklichkeit
entspricht.
Ich fand durch Messungen an 8 Ochsen- und 5 Schweinslinsen
folgende Mittelwerthe:
Ochsenlinse: Schweinslinse:
ME Br! II. Brl. Brennstr. Brke U. Berl.) Brennst®
1-5 5-6 Den! 0-8 2-1 1-3
! In der Mittheilung im Archiv f. Ophth. steht hier irrthümlieh em.
150 SCHOEN:
Berechnet nach Hermann’s Formel wären zu erwarten gewesen:
für zusammengesetzte Linsen:
Schweinslinse.
Br! II. Brl. Brennstr. 1. Brl. : 1L-Brl 2Brennsbr
34 4-5 1-1 1:06 1.297 0-91
für homogene Linsen:
3-0 Dede 2-3 0-9 2-6 1-7.
Die Zahlen bezeichnen die Entfernung von der Hinterfläche der
Linse in Millimetern und zwar für ein unter einem Winkel von 60°
zur Linsenaxe eintretendes Strahlenbündel. Die Entfernung, in welcher
Kieler: Kier2 0er
sich der Leuchtpunkt bei den Experimenten befand, wechselte zwischen
65, 86, 130 und 305°“. Ich habe die Versuche kürzlich noch einmal *
in etwas veränderter und verbesserter Weise wiederholt, Der Leucht-
punkt (ein rundes Loch von 6%” Durchmesser in einem Schirme dicht
vor einer Petroleumflamme) befindet sich vorn und unten in einer Ent-
fernung von 418°“ vom ÖObjecttische des Mikroskopes. Die von dem-
selben ausgehenden Strahlen bilden beim Durchtritt durch die Oefinung
des Tisches mit der Senkrechten einen Winkel von 76°. Im Uebrigen
verfuhr ich wie früher.
Beistehende Skizzen geben eine Vorstellung von dem Aussehen der
II. in der Einfallsebene und I. senkrecht zu derselben stehenden Brenn-
linse bei schwacher Vergrösserung. Hartnack, Obj. 4, Oc. 2, eingesch.
Tubus. Die Il. Brl. besteht aus einem Bündel heller Lichtlinien, die
nach unten sich ein wenig ausfasern, umgeben von viel schwächeren
! Die genauen Zahlen befinden sich im Archiv f. Ophth. XXIV. 1877. 1. 8.9.
_
DioPTRIk DER KRYSTALLLINSE UND PERISKOPIE DES AUGES. 151
Streifen. Die I. Brl. besteht aus einer hellen nach unten scharf be-
grenzten Linie; nach oben schliesst sich an dieselbe noch eiu schmaler
rasch an Intensität verlierender Saum an. Beide Brl. schillern in allen
Farben. Der Einfallswinkel betrug 60°.
Bei den weiteren Versuchen wurden statt eines Lichtpunktes deren
zwei angewandt, die sich von der Linse in einer Entfernung = 418°"
befanden. Ihr Abstand untereinander betrug 20°”. Zuerst lagen die
- beiden Leuchtpunkte in einer Horizontalen nebeneinander.
In den II. Brennlinien erscheinen die beiden Leuchtpunkte als zwei
nahezu 40”® von einander entfernte senkrechte Linien. Die I. Brenn-
linien sind nicht gesondert, fallen vielmehr zum grössten Theile auf-
einander.
II. Reihe.
Das- Resultat der Messungen an 6 Linsen ist folgendes:
Eintritts- Austritts- Behr: II. Brl. Brennstr. Entfernung der
winkel winkel Hinter der Hinterfläcke beiden II. Brl. von
mit der. Linsenachse. der Linse. einander. Bildgrösse
A h, am Ort der II. Brl.
69 55 0.61 4.1 3:48 42.5
69 55 0.82 4.1 3.28 40.5
59 45 1.84 4.51 2-67 43
56 42 2.87 4.92 2.05 36
49 35 3.48 4.92 1.44 41.5
Mittel: 1.92 A510 07 2:38 40.7 [
t
Da die Vergrösserung eine 7Ofache (Hartnack, Obj. 4, Oc. 2, aus-
gezogener Tubus) und die scheinbare Entfernung der zwei II. Brl. im
Mittel = 40.7 "m war, so betrug die wirkliche Grösse des durch die
Ochsenlinse von den beiden. horizontalen Leuchtpunkten entworfenen
Bildes 0.58 vm,
Bei den folgenden Versuchen lagen die Leuchtpunkte in einer Senk-
rechten ebenso wie oben von einander und von der Linse entfernt.
Ill. Reihe. Entfernung der I. Brl.
von einander. Bild-
A 7 eBbrl. IL: Brl.% Bildstr. erössen in der I. Brl.
biez=557 0-84 4-3 9:48 29
58 50 1.64 4.92 3:28 33
Dez 71.84 4-7 2.87 80
44 38 1-64 4:92 3:28 32
Mittel: 1.49 4.71 3.22 Scheinbare Grösse: 31
Wirkliche ; 0.44
152 SCHOEN:
Bei dieser letzten Versuchsreihe mit senkrecht übereinanderliegenden
Leuchtpunkten erscheinen zwei horizontale I. Brennlinien mit einem
wirklichen Abstande untereinander von 0-44 "m, Dagegen deckten die
II. Brennlinien der beiden Leuchtpunkte sich zum grössten Theile und
bildeten eine einzige senkrecht gelesene. Diese beiden Versuchsreihen
sind sehr zuverlässig.
Bei Linsen von einem nicht ausgewachsenen Rinde fand ich folgende
Zahlen. Verticale Leuchtpunktee Die Messungen konnten nicht oft
wiederholt werden, weil die Linsen bald unbrauchbar wurden.
IV. Reihe.
2 A, Nobel. Int, Abi, Bildstr.
60 52 2:26 4-92 2-66
- 50 42 3:69 5.74 2:05.
Zur Controle berechnen wir aus der Bildgrösse, d. h. der Entfernung
der zwei I. (bez. II.) Brennlinien unter sich im Verhältniss zu der des
Objectes, d. h. dem Abstande der Leuchtpunkte unter sich, die Lage
des Mittelpunktes der Linse und die Länge der Brennstrecke.
Die wirkliche Grösse des Bildes der in einer Horizontalen gelegenen
Leuchtpunkte, am Orte der zweiten Brennlinien, also die Entfernung der
zweiten Brennlinien unter sich ist = 0:58“. Also:
200. :4180 = 0-58: 2, oder 2, = 12-122.
Dies ist die Entfernung der II. Brl. vom Mittelpunkte der Linse Die
ersten Brennlinien geben von in der Horizontalen gelegenen Leucht-
punkten kein differenzirtes Bild.
Die wirkliche Grösse des Bildes der in einer Verticalen gelegenen
Leuchtpunkte am Orte der ersten Brennlinien, also die Entfernung der
ersten Brennlinien unter sich ist = 0-44=m. Also:
200 : 4180 = 0-44 :x2, oder &, = 9-19.
Dies ist die Entfernung der I. Brl. vom Mittelpunkte der Linse. Die
zweiten Brennlinien geben von in der Verticalen gelegenen Leucht-
punkten kein difierenzirtes Bild.
2 a 10127 92192293
ist die Länge der Brennstrecke, was genau genug stimmt.
Aus dem Werthe der II. Brl. berechnet musste sich der Mittel-
punkt 12.12 — 4:51 = 7-61 vor der hinteren Linsenfläche befinden,
aus dem Werthe der I. Brl. würde man 9.19 — 1.49 = 7.7 erhalten.
Das Mittel ist also 7-65.
’ DIoPTRIK DER KRYSTALLLINSE UND PERISKOPIE DES Augzs. 153
Da nun die Weglänge des Strahlenbündels in der Linse ö = 15:2 "m
ist, so giebt die Zahl 7.65 vor der Hinterfläche in der That den Mittel-
punkt der Linse, was mit unserer Voraussetzung (s. oben) und mit der
Wirklichkeit stimmt, da nach Matthiessen (Pflüger’s Archiv u. s. w.
1879. 8. 549) die beiden Hauptpunkte für centrale Strahlen fast genau
gleich weit von den Linsenflächen abliegen (5.7 und 5-8") und von ein-
ander nur 0-44 mm entfernt sind.
Endlich habe ich noch eine Versuchsreihe mit vier Leuchtpunkten
"gleichzeitig ausgeführt, deren Stellung die eines auf der einen Ecke
stehenden Viereckes war - “ -; Maasse und Entfernungen wie früher.
Am Orte der I. Brl. erhält man drei horizontale Brennlinien, von denen
die mittlere Rechts und Links hervorragte, am Orte der II. Brl. drei
g senkrechte; hier reichte die mittlere nach oben und unten über die
seitlichen hinaus.
V; Reihe.
| Bildgrösse in
'9 A Tbrl. = Brl. Brennstr. I. Brl. I. Brl.
Bi: 70 1-08 en: Dis 30 41
mA, 60 0-8 er 28 38.5
ws 55 121 Sl, DESdaE 28:25 240
m 55 2-05 33 09961.) 29-5 1339
9 45 2-46 33 01-84, 4 29-5 Klndl
9
1-51 2035 29-1 40 scheinbare Grösse.
0.41 0-57 wirkliche
o BE
Berechnen wir auch hier aus den Bildgrössen die Entfernungen
‚ vom Mittelpunkte der Linse.
Zu 50
a
2, — 2 = 3:36 Brennstrecke.
Be 5 = Tl Dnsfermmms des Mittelpunktes der Linse
11-91 —3-94 = 17: 9 von der Hinterfläche.
Bringt man die vier Bekehinunkte in grössere Entfernung, so kann
' man stärkere Vergrösserungen wegen der Abschwächung des Lichtes
' nicht mehr anwenden, bei schwächerer treten aber die Brennlinien sehr
‘ deutlich hervor, wenn es auch wegen der geringeren Entfernung der
' Linien von einander im Gesichtsfelde des Mikroskops nicht möglich ist,
154 SCHOEN:
die Bildgrössen mit hinreichender Genauigkeit zu messen. Die Leucht-
punkte befinden sich in 10” Entfernung, die Strahlen bilden mit der
Verticalen an der Oefinung des Objecttisches einen Winkel = 85°. Die
Leuchtpunkte erscheinen bei 20maliger Vergrösserung am Orte der
II. Brl. als drei dicht nebeneinander liegende senkrechte Linien, am
Orte der I. als ebensoviele horizontale. Die mittlere ist jedesmal länger
als die beiden anderen, weil sie aus zwei sich theilweise deckenden Brl.
zweier Leuchtpunkte besteht. Die Einstellung ist hier mit grösster Ge-
nauigkeit auszuführen. Wenn der Austrittswinkel mit der Achse 4,
kleiner als 35° wird, ist kein deutlicher Astigmatismus mehr vorhanden.
Derselbe hört schon bei 40° auf, gut messbar zu sein.
VI. Reihe.
A h Br! IOBrl B.S.
80 65 0-0 4°5 4-5
Zr 62 0-61 4-1 3.49
75 60 0.0 5) 5-3
79 60 0-41 3.9 3-48
75 55 0.82 3:69 2-87
12 57 0-41 Ar] 3:69
2 5 1:03 3-9 2.87
12 57 1:23 3:69 2-45
70 55 0-41 4-5 4-1
70 53 0-41 4-1 3.69
68 55 0-82 4-1 3:28
65 50 0-82 4-3 3:48
65 50 1:64 4-3 2-66
65 50 1723 4-3 3-07
62 47 2-05 4-5 2-46
60 45 2-46 3.69 1-25
60 45 2:66 3:9 1-23
60 45 2-87 4-92 2-05
59 44 2-87 4-92 2-05
57 42 2-66 4-5 "1-85
55 40 3:28 Jeil 1-85
Mittel: 67° 52 1:36 4-3 3.0
DIoPTRIK DER KRYSTALLLINSE UND PERISKOPIE DES Auges. 155
Fassen wir alle für die Ochsenlinse gefundenen Werthe zusammen:
Gefunden:
Mittel:
34 4:5 1-1 zusammengesetzte) .. Kid en
3-0 5-3 2.3 homogene } Linse hei a,— 60".
1-5 4:6. 3-1 1. Reihe 1. Leuchtpunkt A. f. O. XXIV.
1877. 1. 8. 195
Dale 2288, 2... 2 u horizontal.
Bas 22 3, „2 7 vertical.
Baagsensaal 2°201 A, D, Er vertical.
ag 35 5,‘ R
SE RE a ER re: r
18 45 2-8 h
Im Auge des lebenden Thieres wird die Linse wahrscheinlich weniger
kugelig sein und dürften die Zahlen daher besser auf ein accommodirtes
Auge, als auf ein ruhendes passen.
In folgender Tabellle sind die in diesem Aufsatz mitgetheilten Zahlen
nach den Einfallswinkeln zusammengestellt.
=
84
80
77
75
75
75
174
12
02.
12
70
70
69
69
69
69
68
77
62
a
62
69
99
SI oa I
Tabelle A.
| I. Brl | | II. Brl. | B.-S
03 3-5 2-46
0 5-3 | 5-3
61 4-1 | 3-49
0 05| 53 4-2 |. 5:32 713-6
Aa m rar TE ea | So
82 3-69 2-87
81 3-5 2-66
41 3-9 3-69
03 3-69 2-87 13-3
23 10.7| 4-3 4-1, 2-46, | 7
Ab Ta IA Aug,
41 4-1 3-69
61 4-1 3-48
82 4-1 | 3-28 |3-05
2029 5 Aria dan 2587
05 ra | 2
82 4-1 \ 3-28
SEDEZESEE
156 SCHOEN:
Tabelle A. (Fortsetzung.)
. M ul |... aan BA. |
65 | 50 0-82 | 4-3 4.48 |
65 | 50 102 1 2-66
65 | 50 1-23 I 4-3 3-07
Br 2.00 | 0. 2-46
Sir | 585 0-84 Be 3-48
60 | 52 5 2:26 | 4-92 2-66
60 | 45 ver Ealwere
60 | 45 E66 3 1.23
60 | 45 Be, den 2-05
59 | #5 1-84 | 4-51 2-67
59 | 4 2-46 4-3 1-84
59 | 44 2-87 4-92 2-05
58 | 50 1-64 4-92 3:28
Do > 2-66 4-5 | 1-85
60 79 a 4-92 NEE
ea eine =.
| 1-84 4-7 2-87
49 | 3 3-48 4:92 1-44
44 |.88 1:64 | 4:92 s228
Zur Vergleichung diene eine ähnliche Zusammenstellung der in
meinen ersten Arbeiten gegebenen Zahlen.
Tabelle B.
————————— u u
N A. | m Brennstr. I. Brl.
79 60 | IE SICOAN 0-82
79 | 55 m 4-1 4:5 1-03) 00-6
75 60 59 4-91 0-41
| 5-33 0-0
74 Corn 2-78 1:64
74 a. A Na 0:82 1:4
den 2:5 | 2-46 1-84 |
DIOPTRIK DER KRYSTALLLINSE UND PERISKOPIE DES Auges. 157
Tabelle B. (Fortsetzung)
1 h, z Bildstr. I. Brl.
70 1..60=«) | 74-51 | 0-41
70 | 60 Br 431 4-3 0-0 0-7
69 | 50 DT |. 3:69 zn A
68 | 50 WE ADT. * | 04
60 |, 60 3:69 0-41
58 | 46 En 2-87 1:23
mn | 28 Mer) 20 |1s
55 | 50 2-46 2-05
5 40 ee 3-28
5A 252 3-28 1-64
54 | 45 2-46 2-46
54 | & Dr 110995
54 | 40 59 1:64 | IE
53 | 40 14 an aa ara 0 2-3
52 |. 3:98 | 1252205
2 | 4 300 Ken et
48 | 45 2-87 2-05 |
A 2-05 3-69
Die Resultate der Tabelle A sind in der Fig. 3 vergrössert dar-
gestellt. Als Constanten der Ochsenlinse sind angenommen: Radius
der Vorderfläche = 13-75, der Hinterfläche 10.25, Ochsendicke = 12,
Entfernung des hinteren centralen Brennpunktes = 8" von der Hinter-
fläche. Die Strahlen a@dcdf fallen unter den Winkel A, mit der Achse
VF von 77, 71, 69, 61 und 52° auf die Linse. Ihre Trajectorien an
derselben sind von den beiden ersteren Strahlen angedeutet. Sie treten
unter den Winkeln von 62, 56, 55, 47 und 42° mit der Achse aus.
Die Austrittswinkel sind kleiner als die Eintrittswinkel. Die Differenz
variirt zwischen 15 und 10 Grad. Auf diesen Strahlen ist der jedes-
malise Ort der I. und II. Brennlinse angegeben. Unter 40° mit der
Achse hört der Astigmatismus auf messbar zu sein. Der wahrschein-
liehe Ort der Brennlinien in diesem Bereiche ist durch punctirte Linien
angezeigt.
Es ist also zweifellos, dass das Thier zwei seitlich in der Einfalls-
ebene gelegene Leuchtpunkte nicht getrennt sieht, wenn seine Netzhaut
158 SCHOEN:
sich am Orte der II. Brennlinse befindet. Ebenso wenig kann es zwei
Leuchtpunkte unterscheiden, welche in einer zur Einfallsebene senk-
rechten Linie liegen, wenn die Netzhaut sich am Orte der I. Brenn-
Fig 3.
linse befindet. In beiden Fällen würden sich nämlich die Brennlinien
zum Theil auf der Netzhaut decken.
Mit Einfallsebene bezeichnen wir die durch die Linsenaxe und den
vom Object ausgehenden Einfallsstrahl geleste Ebene. (Die beiden Leucht-
punkte sind nur ein Object.)
Die astigmatische Brechung schiefer Strahlen im mensch-
lichen Auge.
Unter der Voraussetzung, dass beim menschlichen Auge ebenso wenig
wie bei der ÖOchsen- und Schweinslinse der Astigmatismus vollständig
beseitigt sei, hatte ich der Veranschaulichung wegen die Lage der Brenn-
linie im menschlichen Auge berechnet für ein unter einem Winkel von
60° zur Achse auf die Linse auffallendes Strahlenbündel und dabei dem
|
DIOPTRIK DER KRYSTALLLINSE UND PERISKOPIE DES Auges. 159
accommodirten und nicht accommodirten Auge folgende Werthe zu Grunde
gelegt.! Der centrale Fernpunkt des accommodirten Auges befindet sich
155 ”",m vor der Hornhaut. j
LAUSHIS CI, loan Ta a nenne 4-0
Vorsorgen. na. 100 b*b
Zonsremna reed 5-0
Brechungs-Index des Hum. aqueus u. Glaskörpers 134 1.3:
5 Ftorale der Linse... =... ..... 1.45 1-45
De en... 600 60°
0.0, ,.450 550
ln. 390%. 990
Es. ergeben sich folgende Werthe:
1. Brl. II. Brl. Brennstr.
Nicht aecommodirt.
|
8.7 edel OR | 3:4 (Ferne Leuchtpunkte.)
Accommodirt.
| M “|
8-22 Wa.2) 10-7 2.5 (Ferne Leuchtpunkte.)
eo
9.5 | \ 8.9 12.2 2.9 (In der Accommodationssphäre gelegene
Leuchtpunkte.)
Den Ort der Netzhaut an dieser Stelle (60° nahm ich nach eigenen
Messungen auf 9 bis 10“=® hinter der Hinterfläche der Linse an.
Hiernach wäre die Netzhaut innerhalb der Brennstrecke bei accom-
modirtem sowohl wie bei nicht accommodirtem Auge gelegen gewesen.
Fick (Pflüger’s Archivu.s.w. 1879. II. u. II.) dagegen glaubt, dass die
Netzhaut in der Nähe der zweiten Brennlinie sich befinde und meint, dass
in der That die Netzhaut des Helmholtz’schen schematischen Auges mit
der Lage der zweiten Brennlinie zusammenfalle. Er schreibt nur der
I. Brl. Bedeutung zu, wegen der schrägen Stellung der Pupille zum
Strahlenbündel.
Matthiesen (vergl. Pflüger's Archiv u.s.w. 1879. II.u. Ill. S. 480)
findet dieLage der Brennlinien für das nieht aceommodirte Auge, so wie
ich sie berechnet habe. Er benutzt als Beispiel ebenfalls ein unter 60°
aufiallendes Strahlenbündel. Die zweite Brennlinie, deren Berechnung er
nicht ausführt, liegt ausserhalb des Auges, die I. Brl. 9-1 hinter der
Linse. Den Ort der Netzhaut nimmt Matthiesen mit 11.2 hinter der
IA.2.0.
2 In der ersten Veröffentlichung findet sich hier ein Versehen,
160 SCHOEN:
Linse an. Im accommodirten Auge liegt die I. Brl. 8-2 hinter der Linse,
also genau wie nach meiner Berechnung, die II. Brl. soll sich auch hier
ausserhalb des Auges befinden. Nach meiner Berechnung würde sie gerade
in die Netzhaut selbst fallen. Die Entscheidung der Frage kann nur
das Experiment liefern, weil die Rechnung genöthigt ist verschiedene
Werthe und namentlich Richtungen gebrochener Strahlen ohne genaue
Kenntniss annähernd einzuführen.
Wer die Verschiedenheit der Augenform bei den einzelnen Refractions-
zuständen berücksichtigt, muss erwarten, dass auch die Lage der seitlichen
Netzhaut zu den Brennlinien des dioptrischen Systems sehr wechselnd
sein wird. Der Fig. 4 liest das von Merckel entworfene Auge (2 malige
Vergr.) zu Grunde (Graefe und Saemisch, Zandb. I. S. 43). Der Strahl |
F wird an der Hornhaut so gebrochen, dass er unter einem Winkel mit |!
der Achse von 60° auf die Linse fällt; er geht durch das Centrum der !
Linse, verlässt dieselbe wiederum unter einem Winkel von 60° mit der !|
Achse und trifft auf eine 60° excentrisch gelegene Netzhautstelle.
Die I. und II. Brl. des ruhenden Auges sind in ausgezogenen Linien ı
eingezeichnet und durch eine eckige mit r bezeichnete Klammer ver-
DIoPTRIK DER KRYSTALLLINSE UND PERISKOPIE DES Auges. 161
- bunden, die des accommodirten gestrichelt eingezeichnet und durch eine
runde Klammer mit dem Buchstaben « verbunden. Der Ort der Netz-
haut nach zwei von mir ausgeführten Messungen ist durch eine kurze
punctirte Linie angedeutet, der Ort der I. Brl. des nicht accommodirten
Auges nach Matthiessen durch eine mit M bezeichnete Linie. Die
I. Brl. des accommodirten Auges Matthiessen fällt mit der von mir be-
rechneten zusammen. Durch ausgezogene und gestrichelte Linien ist
weiter angedeutet worden, wie sich die Lage der Brennstrecken für cen-
tralere Netzhautstellen wahrscheinlich gestaltet.
Ich habe auch berechnet, wo sich bei dem auf einen 155 "= = 5-7”
vor der Hornhaut gelegenen Punkt accommodirten Auge sich ein 60°
seitlieh in der Accommodationssphäre liegender Leuchtpunkt abbilden
würde. Ich fand
T. Br. MH. Br. Brennstr.
8]
9.3 (9.8 12.2 2.9
Diese Werthe sind ebenfalls eingetragen und zwar durch punctirte
Linien. Sie sind durch eine runde punctirte Klammer verbunden, die
den Buchstaben a, führt. Es bedeuten also die gestrichelten Linien die
Brennstrecke entfernter Leuchtpunkte, die punctirten die Bildstrecke in der
Accommodationssphäre gelegener Leuchtpunkte, wie sie durch ein stark
accommodirtes Auge erzeugt werden.
Der charakteristische Theil der Figur ist 4 mal vergrössert, daneben
wiederholt. V ist die Lage der Netzhaut nach Merkel, M, nach meinen
Messungen. M die Lage der I. Brl. des ruhenden Auges nach Matthiessen.
r die Bildstrecke des ruhenden Auges (mihi), a die des accommodirten
von fernen Leuchtpunkten, a, die des accommodirten von in der Accom-
modationssphäre gelegenen.
Ausserdem sind in diese Neben-Figur die Resultate der Messungen
an Menschenaugen eingetragen, zu deren Besprechung wir jetzt über-
sehen. Die Beschreibung des Apparates, dessen ich mich bei den Mes-
sungen bediente, findet sich Arch. f. Ophth. XXIV, 1877. Abth. IV, S. 91.
Da subjective Untersuchungen über die Lage der Brennlinien zur Netz-
_ haut mir kein verlässliches Resultat ergeben wollten, suchte ich nach einer
objectiven Methode und fand diese darin, dass ich mit dem Augenspiegel
Schatten von einem horizontalen und einem verticalen Gitter in das seit-
wärts um (60°) gewandte zu untersuchende Auge warf und die Entfernung
der Gitter bestimmte, welche nöthig war, um mir die Schatten im unter-
suchten Auge möglichst deutlich erscheinen zu lassen. Aus der Differenz
der Entfernungen des horizontalen und verticalen Gitters wurde der Grad
Archiv f. A. u. Ph. 1879. Suppl.-Band z. Physio]. Abthlg. al
162
SCHOEN:
des Astigmatismus berechnet und ausgedrückt durch den Werth der
Cylinderlinse, welche den Astigmatismus corrigiren würde.
Seitlich 60°.
Sämmtliche *
Central. Vertiealer | er oaleh Diffe-
. |- Tenz:
Meridian. Ei ff
1 M M 5; Me | 1
z Ma | Ma he
4. HL N
6. R. Be Me al
N; Hz ur il x
& |
9. eu
10. R. Hoi Ma |
ii MS Be M 4 2
= M r H in 55 | =
E HB © Be. | age
14. = En u N
Mittel: | 4
DioPtkIk DER KRYSTALLLINSE UND PERISKOPIE DES AuGks. 163
Augen waren atropinisirt. Es zeigte sich, dass jedes im Centrum stig-
matische Auge 60° seitlich astigmatisch ist.!
Aus diesen Versuchen geht zunächst hervor, dass der Astigmatismus
beim menschlichen Auge nicht so bedeutend ist, wie nach dem Befunde
an Thierlinsen zu erwarten gewesen wäre. Am atropinisirten accom-
modationslosen Augen beträgt der Astigmatismus für unter dem Winkel
von 60° auffallende Strahlen im Mittel = !/,,. Der verticale Meridian
ist um !/,, weitsichtiger als der horizontale.
Nehmen wir vorläufig an, die Brennstrecke sei wirklich verhältniss-
mässig so lang, wie wir sie bei Thieraugen fanden, so müsste die Länge
derselben der Differenz !/, entsprechen. In der Fig. 4 ist von allen
obigen Fällen die Lage der Netzhaut angegeben worden, wie sie sein
müsste, wenn unter Voraussetzung eines dem der Thierlinse ähnlichen
Astigmatismus im horizontalen und verticalen Meridian die entsprechende
jedem der untersuchten Augen zukommende Kurz- oder Uebersichtigkeit
vorhanden sein soll. In 10 Augen liegt die Netzhaut zwischen den
Brennlinien, in zwei über dieselben hinaus, in vier vor ihnen.
In Wirklichkeit ist nun die Länge der Brennstrecke nicht so gross
und es zeigt sich, dass die Formeln ohne Weiteres nicht auf das mensch-
liche Auge übertragen werden können. Nimmt man nämlich den Ort
der Netzhaut = 10" hinter der Linse an, so würde die Entfernung der
Brennlinien eine Myopie =!/, im horizontalen und eine gleiche Hyper-
metropie im verticalen Meridian voraussetzen. Nach meinen Messungen
beträgt der Astigmatismus durchschnittlich nur den fünften Theil, näm-
ich I) 2:
Peschel, Pflüger’s Archiv u.s. w. 1878, IX, hat, durch subjective Ver-
suche, für sein kurzsichtiges Auge gefunden, dass 60° seitwärts horizontale
Streifen bis auf 148", verticale aber bis 114m genähert werden mussten.
Ersterer Werth entspricht 6-6 negativen Dioptrien oder Myopie =
EHER
letzterer 8:7 oder M = nn Die Differenz beträgt 2-1 Dioptrieen
oder = ein Resultat welches mit den unseren hinreichend überein-
stimmt. In Hr. Peschel’s Auge würde die Netzhaut über beide Brenn-
linien hinaus etwa bei 2 und 1 unserer Figur liegen.
Die Zusammenfassung ergiebt: das menschliche Auge bricht schief
einfallende Strahlenbündel astigmatisch und zwar so, dass der in der
1 Bei einem der Augen eines central Astigmatischen war der Astigmatismus
seitlich aufgehoben.
us
164 SCHOEN:
Einfallsebene gelegene Meridian kurzsichtiger ist. (Einfallsebene ist die
durch den Einfallsstrahl und die Axe der brechenden Medien geleste
Ebene.) Bei den meisten Augen liegt die Netzhaut zwischen der I. und
II. astigmatischen Brennlinie Für unter einem Winkel von 60° mit der
Axe durch die Linse gehende Strahlen beträgt die Differenz = !/,,. Der
Astigmatismus ist nicht so bedeutend, wie er nach dem Befunde an
Thierlinsen hätte erwartet werden sollen. Die Verringerung des Astig-
matismus muss einer besonders getroffenen Einrichtung zugeschrieben
werden, welche entweder in dem geschichteten Baue der Linse (nach
Hermann) oder (nach Matthiessen) darin zu suchen ist, dass die Be-
gsrenzungsllächen der Linsenschichten nicht sphärisch sind, sondern Ro-
tationshyperbolorde darstellen. g
Nachdem ich im Vorhergehenden gezeigt habe, dass tbatsächlich der
Astigmatismus der seitlichen Brechung beim menschlichen Auge nicht
gänzlich beseitigt und vollständige Homocentrieität nicht vorhanden ist,
sei mir gestattet darzuthun, dass das Vorhandensein einer astigmatischen
Brennstrecke von gewisser Länge auch als zweckmässig gelten kann, eine
Behauptung, die ich schon in meiner früheren Mittheilung aufgestellt habe.
Bezeichnet man mit p den Radius der Pupille, mit m die Verbindungs-
linie des Pupillarcentrums mit der Fovea, mit d den halben Winkel des
Zerstreuungskegels, mit 7 die Höhe, so ist die Basis des Zerstreuungs-
kegels = een
fe) (m mn n)?
so verhält sich die Helligkeit des Zerstreuungskreises umgekehrt dem
Quadrat von », der Höhe des Kegels.
Wäre das Auge nun auch seitlich homocentrisch, also etwa so, dass
bei Accommodation auf einem in 20°” gelegenen Punkt, alle in einer
durch diesen gehenden um das Auge concentrischen Schaale, der Accom-
modationssphäre, liegenden Leuchtpunkte sich gerade auf der Netzhaut
abbildeten, so würde folgendes stattfinden. Wir denken uns vier gleich
helle Leuchtpunkte auf zwei Geraden, die sich in der Pupille des Auges
unter einem Winkel von etwa 60° schneiden. Die beiden näheren #p
und Sp liegen 20%, die ferneren #v und Sv 200” vom Auge. Nun
wird der eine #p von den näheren jfixirt, der seitliche nahe Sp er-
scheint ebenfalls scharf und nur um die Differenz der Erregbarkeit dunkler
als der fixirte.
Denken wir uns nun den seitlich näheren Sp fort, so liegt in der-
selben Richtung der seitlich fernere Sv. Die von diesem in das Auge
gelangende Lichtmenge verhält sich zu der von S'’p in dasselbe kommenden
umgekehrt wie die Quadrate der Entfernungen. Ausserdem bildet sich
aber Sr in einem erheblichen Zerstreuungskreise ab, dessen Helligkeit
Da n immer sehr klein gegenüber m sein wird,
TE
DioPTRIK DER KRYSTALLLINSE UND PERISKOPIE DES Auges, 165
umgekehrt proportional ist dem Quadrate von 7. Die Helligkeit von Sr
nimmt daher sehr rasch ab mit seiner Entfernung von Sp.
Fixiren wir Fr, so würde Sr hell und deutlich sein um bei Fixation
von Fp fast vollständig zu verschwinden. Die Helligkeit und Ent-
fernung seitlich nicht in der Accommodationssphäre ge-
legenen Objecte würde ungemeiu schwer geschätzt werden
können, da die Helligkeit sich nicht nach dem gewöhnlichen
Gesetz der Entfernung verringerte, sondern nach einem durch
Einführung des Factors 7 viel verwickelter gewordenem.
Denken wir uns z. B. Jemanden in einem 20°” entfernten 15°” breiten
Buche lesend, so würde dasselbe in jedem Auge einen Netzhautbogen
von 40° bedecken, also noch nicht die Hälfte des gemeinsamen und nicht
ein Viertel des Gesammtgesichtsfeldes.. Gewöhnlich befindet sich unn
genau in der Entfernung der Accommodationssphäre bei dieser und ähn-
lichen Beschäftigungen, neben dem fixirten Gegenstande Nichts, die
übrigen °/, des Gesichtsfeldes würden daher mit lichtschwachen ver-
waschenen Bildern mehr weniger entfernter Gegenstände ausgefüllt sein;
was, wie man sich leicht überzeugen kann, thatsächlich nicht der Fall
ist. Besteht dagegen eine astigmatische Brennstrecke ähnlich der in der
Figur angenommenen und liegt wirklich die Netzhaut während der Ruhe-
stellung innerhalb derselben in der Nähe der I. Brennlinie, so würde
mit Zunahme der Accommodation die Brennstrecke mehr nach dem Augen-
inneren zu rücken, die Netzhaut aber selbst bei äusserster Accommodations-
anspannung immer noch innerhalb der Brennstrecke sich befinden. Die
seitliche Netzhaut bekommt auf diese Weise allerdings niemals astigmatische
Bilder, diese hätten aber auch keinen Werth für dieselbe, einmal wegen
der anatomisch begründeten geringen räumlichen Sehschärfe der peri-
pheren Netzhaut, und dann weil sich sehr selten gerade in der betref-
fenden Accommodationssphäre Gegenstände befinden würden, welche für
das seitliche Sehen von Interesse wären.
Dafür würde aber die Netzhaut bei jedem Fixations- und Accommo-
dationszustande von seitlichen Leuchtpunkten, in welcher Entfernung
sie sich auch befinden mögen, solche Bilder erhalten, die wenn auch
nicht ganz scharf, doch für die Peripherie hinreichend scharf wären, —
deren Helligkeit nur nach dem allgemeinen Gesetz der Entfernung sich
änderte und nicht zwischen den Extremen vollständiger Schärfe nebst
grösster Helligkeit und gänzlicher Verwaschenheit und Dunkelheit wechselte.
So lange nämlich die Netzhaut innerhalb der Bildstrecke liegt, bleibt.
die Helliekeit vollständig dieselbe. Ueber das diese Behauptungen be-
stätigende Verhalten der Doppelbilder muss ich auf meine Arbeit über
das binoculare Sehen verweisen.
166 SCHOEN: DIOPTRIK DER KRYSTALLLINSE UND PERISKOPIE DES ÄUGES.
Wenn wir beim seitlichen Sehen es überwiegend mit ausserhalb der
Accommodationssphäre gelegenen sichtbaren Dingen zu thun haben, so
achten wir dagegen im Centrum und der nächsten Umgebung desselben
nur auf das in der Accommodationssphäre Gelegene, welches wir fixiren
und sehen wollen. Erleichtert wird dies durch das Fehlen der Brenn-
strecke im Centrum, in Folge dessen alle nicht in der Accommodations-
sphäre gelegenen Gegenstände verändert, verhältnissmässig lichtschwach
und verwaschen erscheinen.
Die Messungen au Thierlinseu habe ich fortgesetzt und werde dar-
über nächstens weiter berichten.
Neue Erscheinungen der Niecotinvergiftung.
Von
Dr. B. von Anrep.
Aus dem physiologischen Institut zu Erlangen.
Im Jahre 1867 hat Hr. Professor Rosenthal in der sSociete de
Biologie zu Paris einen Vortrag über eine eigenthümliche Erscheinung
der Nicotin- Vergiftung gehalten. Zufälliger Weise hatte Rosenthal
die Beobachtung gemacht, dass Frösche und Kaninchen, welche einmal
mit Nicotin vergiftet waren, sich während einer bestimmten Zeitdauer
(einige Tage lang) ganz anders gegen wiederholte Nicotinvergiftungen
verhalten, als ganz normale, noch nicht vergiftete Thiere. Allerdings
schienen sie sich nach der ersten Vergiftung gänzlich erholt zu haben
und zeigten keine Spur von irgend welcher Lähmung, sondern waren in
ihrem ganzen Wesen vollständig normalen, gesunden Thieren gleich.
Trotzdem war noch eine Wirkung der ersten Nicotinvergiftung an ihnen
nachweisbar. Denn wenn man ihnen jetzt zum zweiten Male Nicotin
gab, so traten die bekannten Nicotinkrämpfe und die flimmernden Muskel-
zuckungen bei solchen Thieren nicht ein, wohl aber, alle anderen Symptome
der Vergiftung, wie Athemstillstand, Verlust der willkürlichen Bewegungen,
allgemeine Lähmung u. s. w.
Da diese interessante Beobachtung weder von Rosenthal, noch von
einem Anderen seitdem weiter geprüft worden ist, habe ich mich dieser
Aufgabe unterzogen. ‚Mit Freuden spreche ich Hrn. Professor Rosen-
thal für seine Mittheilungen und Rathschläge, sowie für die freundliche
Ueberlassung aller Mittel des Laboratoriums meinen besten Dank aus,
168 : B. von ANnREP:
I. Versuche an Fröschen.
Zu meinen Versuchen benutzte ich stets eine wässerige Nicotinlösung
von den Concentrationen ein oder zwei Tropfen Nicotin auf 10 oder
20 ce. destillirtes Wasser. Ich arbeitete zunächst nur mit Fröschen
(Rana esculenta und temporaria); sie wurden durch subcutane Injectionen,
meistens unter die Rückenhaut, vergiftet.
Erst wiederholte ich die Beobachtungen von Rosenthal, und da
ich sie stets vollkommen bestätigt fand, so suchte ich weiter den Ein-
fluss von verschiedenen Nicotingaben und der Zeit auf die Erscheinungen
dieser wiederholten Vergiftungen zu ermitteln.
Ich bestimmte die kleinste wirksame Gabe und die der tödtlichen
am nächsten stehende. Es ergab sich, dass schon !/,,, Tropfen Nieotin
deutliche Vergiftungserscheinungen hervorruft, und dass grössere Gaben
als 0-1 Tropfen fast ausnahmslos lethal sind. Auch mit Giftmengen inner-
halb dieser Grenzen stellte ich meine Versuche an.
Die Wirkung einer kleinen Niecotingabe (sp —"/1oo Ir.) ist keine
lange dauernde, die merkbaren Vergiftungserscheinungen sind bald vorüber.
Gewöhnlich folgt gleich nach der Einspritzung eine kleine Erregung,
welche sich in lebhaftem Hüpfen ausdrückt; 3—4 Minuten später tritt
Unbeweglichkeit ein, der Frosch sitzt ruhig auf einer Stelle, wobei seine
Extremitäten eine ganz charakteristische Lage annehmen, wie sie von
Wechenfeld, von Praag und Rosenthal beschrieben ist. Die Vorder-
beine werden an die Seitenwände des Bauches nach hinten geschlagen
und die Hinterbeine gegen den Rücken gezogen, so dass die Oberschenkel
rechtwinklig vom Körper abstehen und die Unterschenkel in Flexion
sich befinden, wodurch sich die Fusswurzeln beider Extremitäten auf dem
Rücken berühren; diese Stellung wird, wenn man die Hinterschenkel
gewaltsam streckt, sobald der Zug nachlässt, sofort wieder angenommen.
Das Athmen wird erst beschleunigt, dann aber verlangsamt und ist mit
Beschwerden verbunden. Es entstehen weiter flinmernde Muskelzuckungen;
dieselben werden am stärksten und dauern am längsten in den hinteren
Extremitäten, jedoch nehmen auch die anderen Extremitäts- und Rumpf-
muskeln an den flimmernden Zuckungen Theil. Nach 30—60 Minuten
sind diese Erscheinungen verschwunden, es bleibt nur eine gewisse Mat-
tigkeit und Muskelschwäche zurück; 3—6 Stunden später kann man
selbst mit der grössten Aufmerksamkeit keine Nachwirkung des Giftes
mehr wahrnehmen. Der Frosch sieht wie ein vollkommen normaler aus.
Die Wirkung einer grösseren Gabe tritt schneller ein und dauert
bedeutend länger. Fast momentan nach der Einspritzung entstehen heftige
klonische Krämpfe, dann Unbeweglichkeit des Frosches, die für das Nicotin
S RR,
NEUE ERSCHEINUNGEN DER NICOTINVERGIFTUNG, 169
- eharakteristische Lage der Extremitäten, Athembeschwerden und Ver-
- langsamung der Athmung bis zum Stillstand ohne vorausgehende Be-
- sehleunigung; starke und langdauernde flimmernde Zuekungen, bedeutende
Herabsetzung der Reflexerregbarkeit auf elektrischen Hautreiz, dann Er-
- schlaffung der gesammten Musculatur und allgemeine Lähmung. Je
nach der Gabe bleiben die Frösche verschieden lange gelähmt; nach !/,, bis
U Tropfen — 12 bis 20 Stunden lang, nach !/,,—"/,, Tropfen — 20 bis
- 40 Stunden. Die Erholung fängt immer mit der Restitution der Athmung
an, indem die Frösche mit grösster Beschwerde, oft mit stark offenem
Maule tiefe, seltene Athemzüge machen; dann erst entstehen schwache
- Muskelbewegungen, auch wird die Reflexerregbarkeit allmählich wieder
zu der Norm erhöht. Ausnahmslos haben sich die Frösche nach allen
Gaben, die ich angewandt habe (bis 0-1 Tropfen), im Laufe des zweiten
Tages vollständig erholt, und wenn man nach dem Aeusseren urtheilt,
so scheinen sie gänzlich entgiftet zu sein und zeigen in ihrem ganzen
Verhalten nicht die geringsten Zeichen irgend welcher Abnormitäten.
Werden nun jetzt dieselben Frösche, gleichgiltig ob sie mit kleinen
oder grossen Gaben vergiftet waren, einige Stunden nachdem sie sich
erholt haben, mit derselben, oder mit grösseren Gaben wieder vergiftet,
so bleiben bei den allgemeinen Vergiftungserscheinungen die Krämpfe
und die flimmernden Zuckungen gänzlich aus; dagegen wird aber die
lähmende Wirkung der Gaben von gleicher Grösse, bei wiederholter Ver-
giftung eine viel länger dauernde und kann sogar zum Tode führen.
Mit sehr geringen Ausnahmen starben alle Frösche bei wiederholter Ein-
spritzung von 0-1 Tropfen, oft auch noch !/,, Tropfen, was jedoch ge-
wöhnlich nicht der Fall zu sein pflegt.
Die ferneren Versuche zeigten, dass, um bei wiederholten Vergiftungen
wieder alle gewöhnlichen Vergiftungssymptomen auftreten zu sehen, also
auch die klonischen Krämpfe und die flimmernden Muskelzuckungen, die
Frösche eine längere Erholungszeit nöthig haben, welche wieder auch,
je nach der Gabe, verschieden ist: 3—4 Tage nach kleineren Gaben und
6—8 Tage nach grösseren.
Nun war zu prüfen, worin der Grund zu dieser Verschiedenheit in
der Wirkung bei wiederholten Gaben zu suchen ist.
Schon von vorne herein ist so viel klar, dass die Annahme einer
Gewöhnung des Organismus an das Gift zur Erklärung dieser That-
sachen nicht ausreicht, in diesem Falle sollten alle Erscheinungen in
ihrer Stärke einfach gemildert sein, während in Wirklichkeit einige
- Vergiftungssymptome einen viel intensiveren Charakter annehmen, indem
bei kleineren Gaben die Lähmung längere Zeit dauert, während die zu-
170 B. von AnREPp:
erst nur dauernde Lähmung bewirkenden Gaben bei Wiederholung immer
den Tod herbeiführen.
Es stellten sich zwei Fragen entgegen. Zuerst, worin der Grund
zu der stärkeren Wirkung der wiederholten Gaben von derselben Grösse
liege, und zweitens, auf was beruht die Verschiedenheit der Vergiftungs-
erscheinungen selbst, das Fehlen der Krämpfe und flimmernden
Zuckungen ?
Wenn man das Verhalten des Herzens während einer gewöhnlichen
Vergiftung mit dem Verhalten während wiederholten Vergiftungen ver-
gleicht, so sieht man einen solchen Unterschied in den Erscheinungen,
dass mit der grössten Wahrscheinlichkeit in diesem anderen Verhalten
des Herzens die Erklärung der stärkeren Wirkung des Nieotins bei
wiederholter Anwendung zu suchen ist.
Wie bekannt (Traube, Rosenthal), reizt das Nicotin in erster
Linie die Herzvagusendigungen — es folgt ein kurz dauernder Herz-
stillstand, beträchtliche Verlangsamung der Herzschläge, dann aber wird
der Herzvagus vollständig gelähmt, der Pulsschlag wird beschleunigt,
Bevor aber die Herzthätigkeit wieder zu der früheren Norm zurückkehrt,
entsteht noch eine vorübergehende Verlangsamung des Pulses (während
die Nn. vagi gelähmt sind), welche je nach der Gabe grösser oder kleiner
wird, nur kurz dauernd oder längere Zeit fortbesteht, auch die einzelnen
Herzcontractionen werden geschwächt.
Diese zweite Verlangsamung "hängt von der Lähmung der moto-
rischen Herzganglien ab, da sie auch dann entsteht, wenn die Nn.
vagi durchschnitten oder ihre Endigungen vorher gelähmt worden sind,
und bevor dieselben wieder reizbar werden, wovon man am besten an
atropinisirten Fröschen sich überzeugt. Bei solchen Fröschen fehlt die
erste Nicotinwirkung. Es tritt weder Stillstand des Herzens oder die
erste Pulsverlangsamung ein, nach Beschleunigung der Herzschläge;
die Nieotinwirkung kann jetzt nur als herzschwächende Wirkung zu
Tage treten.
Einige Minuten nach der Vergiftung sieht man eine Schwäche der
Herzthätigkeit und Verlangsamung des Pulses eintreten (Versuch VII).
Doch ist diese Lähmung der motorischen Herzganglien nicht eine be-
deutende, und der Tod erfolgt nie durch Herzlähmung (Rosenthal,
Traube, Kroker). Anders verhält sich das Herz bei wiederholten
Nicotinvergiftungen. Gleichgiltig, ob wir die kleinsten wirkenden Nicotin-
gaben injieirten oder grössere, bei wiederholter Anwendung haben sie
alle eine viel stärkere Wirkung auf die motorischen Herzganglien. Diese
Wirkung tritt rasch ein und bleibt nach kleinen Gaben mehrere Stun-
den, nach grösseren bis zu dem Tode fortbestehen. Ich führe hier einige
NEUE ERSCHEINUNGEN DER NICOTINVERGIFTUNG.
171
von meinen Versuchen an, um diese Verhältnisse übersichtlicher zu
zeigen.
Versuch I und Il.
Rana esculenta wird auf einem Froschbrett
aufgespannt und gefenstert; 20 Minuten nach
der Operation wird die Pulsfrequenz gezählt.
Herzcontractio-
Rana esculenta wird wie die erste präparirt;
vor40 Stunden war sie mit 1/3, Tropfen Nicotin
vergiftet und schon seit 15 Stunden hat sie
sich vollständig erholt und zeigt keine Spur
vonirgend welchenVergiftungserscheinungen.
Herzcontractio-
Bemerkungen.
Zeit, N ER Seo. Bemerkungen. Zeit. BR
Ba von u Tagen FH TN.
10 — 116. 16. 15. 16. 10 — 15. 14. 15. 15.
10 15 115. 16. 16. 16. 10215215. 15.15. 19.|
10 30 |16. 16. 15. 15. 10 30 14. 15. 14. 15.)
Es werden jetzt subcutan 1/9. Tropfen Nico- | Es
tin unter die Rückenhaut injieirt (0-5 ce. c.
Wasser).
Gleich
nachher
36
40
45
55
10
Stillstand
20 Sec.
1
818. IT.
1918.18.
192 18.19.
lea rl
De 12.12,
13. 14. 14. 14.
14. 14. 14.
14. 14. 13. 14.
os: 14. 15.
ISath, 16.
16215216..16.
16. 16. 16.
U. S. W.
16.
18.
lade
12.
112):
Das Herz ist mit
venösem Blut stark
gefüllt, die Herz-
contractionen schei-
nen ein wenig
schwächer zu sein.
Die Herzceontrac-
tionen sind wieder
normal stark.
Die Herzcontrac-
tionen zeigen in
ihrer Stärke und
in rhythm. nichts
anormales.
werden 1/3. Tropfen Nicotin in 0-5 c. c.
Wasser unter die Rückenhaut injieirt und
gleich darauf
10 23
4. 2.
Stillstand 20 Sec.|
14. 14. 14. 13.
132 10.
11-1.
IR ZEI:
Pop nAmmnımpnnxn
ewonmnmmmpon
>
Semmmw nm mm co
19 11:
110:
Das Herz wird stark
mit venösem Blut
gefüllt.
Die Herzeontractio-
nen sind schwach.
Die Herzcontrac-
tionen werden im-
mer schwächer.
| Sehr schwache Con-
tractionen.
. Die Herzcontraetio-
nen werden etwas
stärker.
172 B. voN ANREP:
a reine
Versuch III und IV.
Rana esculenta wurde vor 44 Stunden mit
0-01 Tropfen Nicotin in 0-5 c. ec. Wasser ver-
giftet, seit 36 Stunden zeigt der Frosch nicht
die geringsten Vergiftungssymptome. 2
Rana eseulenta präparirt wie die erten.
Zeit. ee Bemerkungen. Zeit. ee Bemerkungen, 3
m m IN. m
3 — IA 12 5 Er 85 162.16. 192 1e:
8 15 15. 14. 15. 14. Sclne nallo- 19-310:
830.2 114,14. 14.215; 8730, 16216, 216;
Es werden 0-01 Tropfen Nieotin in 0-5 e. e. | Es werden 0-01 Tropfen Nieotin in 0-5 c.ce.
Wasser unter die Haut injieirt. Wasser unter die Haut injieirt. -
Stillstand Stillstand
25 Sec. 35 Sec.
87320 002. 83143416: 8 32 4. 14. 1A.
8 34 1 les 11h 8 34 le, ab Tel,
5 36 16.210.116: he Seidl: 8 36 AA
8 40 15° da: einzelnenHerzeon- | 8 40 a TER
tractionen und in
8 45 14. 14. 14. den Charakter der- S 45 14. 14. 13 -
8 55 | 13.13.13. || ctkharen Verän.| 8 55 | 13.14.18
910 | 13.13.12. derungen em. | 810 | 12.12.12.
9 30 19, 0%. 118% 9 30 999
10 — 155 ER 10 — 9738.09
u. S,W. ük & lm — 972.929
Die Herzeontrae:
Var gr gErd: tionen sind bedeu-
| 14% 9.10. 9 tend geschwächt’
22 0108109,9:
I 10. 10.
2 le
le‘
— |.
NEUE ERSCHEINUNGEN DER NICOTINVERGIFTUNG.
Versuch V und VI.
_ Rana esculenta präparirt wie die übrigen
Frösche.
173
Rana esculenta wurde vor 4 Tagen mit 0-1
Tropfen Nicotin in 0-5 ce. ec. Wasser vergiftet.
Seit mehr als 48 Stunden zeigt der Frosch
keine Vergiftungserscheinungen mehr.
! Bemerkungen. Zeit. a Bemerkungen.
h m hm FweoTeH) "ZI UE “
9 — 17. 17. 17. 16. I — 16.193216.
ee #152 ,5195154 16.0
9 30 16.1616. 9730 IHz13a1D. |
Es werden 0-1 Tropfen Nicotin in 0-5 ce. c. | Es werden 0-1 Tropfen Nicotin in 0-5 e. e.
Wssser unter die Haut injicirt.
Wasser unter die Haut injieirt.
Stillstand Stillstand
40 Sec. 55 Sec.
BR 320120597 4,10: 932 ART. 14.
9294.19. 19.18.19. 9 34 ee:
E39 36 118. 18. 17. 18. 9 36 Isola:
9 40 114. 14. 13. 14. 940 ale ie Di
ie Herzcontrac-
241561132013: 13. 13. 9 45 |11. 11. 11. 11.| tionen sind schon
22110712. 1111. Id — 9. 9.10. 9.) geschwächt.
20 10221. 10. 11. 10. 10 10 SER
20 30.110. 10. 10. 10. LORSON ST
20 40 |10. 10. 10. 10. LOFAON Test:
A 10210.29210: 9: 11 10 DER .0:
Ei 45 |9 9.9 9.) Falun Herz- | 11 45 ae:
| schwäche. G hwache
= 50|8. 9 9. 9. 12 30 ” 9. 6. a.
#302 910.10. 9. 1 30 6226.25
302 210.10. 10. 2.80 bes:
3.30 ANZLOSIT. 329302 102 209 D.
Ber 1.11. 12. Ar S R a
5 30 eo a 5 30 09,079:
Das H hläet : A EDiessoEl trac-
6 30 IoRlarLH: aber Be 6 30 3.9. 6. re en
N 15. 15. 15. |Jholt sich sichtbar. | 7 50 berbaub: merkbar, ganz
5 Des ie oberflächlich.
der Haut zugedeckt. Das Herz wird mit
den Hautlappen zu-
gedeckt.
Nach 42 Stunden trat eine bedeutende
Erholung in dem allgemeinen Befinden des
Frosches ein. Er hüpft und athmet wie ein
"normaler. Erst gegen Ende des dritten Ta-
ges”starb der Frosch in Folge der Operation.
Am anderen Morgen ist der Frosch todt,
das Herz im erschlafften Zustande im Still-
stande.
174 B. von Ankkp:
Versuch VII und VII.
Rana esculenta präparirt, wie die ersten Rana esculenta präparirt wie gewöhnlich und
Frösche. dann mit 0-0005 srm Atropinsulf. vergiftet. 9
Herz- Herz-
Zeit. contractionen Bemerkungen. Zeit. | contractionen Bemerkungen,
in 15 Sec. | ın 15 Sec. |
In. m TE h m >
10 2027129814: 8-30 SEAN TO:
10 30 | 14. 14. 14.
10 40 | 14. 14,13.
Es werden 0.1 Tropfen Nicotin in 0-5 c. c.
Wasser unter die Rückenhaut injieirt, es folgt | Es werden 0-1 Tropfen Nicotin in 0-5 e. &
unmittelbar nach der Einspritzung ein Herz- | Wasser unter die Rückenhaut injieirt, es folgt
stillstand von 35 See. Dauer. kein Herzstillstand.
1074277716. 15.266: Sea ee
10 45 | 14. 14. 14. Das Herz Se 8783| LO AlTEG: \ Das Herz wird stark
enösen Blut über- :
10 50 | 14. 14. 14, mıt v allt. a ee: j mit Blut ausgedehnt.
055, BA 8 40 | 13.13.13. |
Edle 1nle Alle S45, EB:
112205 71059229 Seo ae
11 40 8. 8. 8. | Die Herzeontractionen | 9 10 | 11.11.10.
werden ein wenig
zZ ch ch ©) schwächer. 92207 7.92.3906. Re .
ie erzcontractio-
1 so | 9 30 | 8. 8. 7. |! nenwerdenbedeutonl
1 30 |10.10. 9. Eee geschna
2 — | 11.10. 11. | Die Herzeontractionen dir e loss
werden wieder stärker. ee
u. Ss. W. u. Ss. w. i == |IIÖ, 10, ©;
u. 8s.w. u. Ss. w.
Die beiden Frösche erholten sich am anderen Morgen.
NEUE ERSCHEINUNGEN DER NICOTINVERGIFTUNG, 175
Wenn man diese verschiedenen Verhältnisse des Herzens zum Nicotin
graphisch darstellen wollte, so würde man folgende drei Curven zu zeich-
nen haben:
I. Die gewöhnliche Nicotinvergiftung.
N.H. Normaler Herzschlag.
YV. Niecotinvergiftung.
H.S. Herzstillstand.
Die punctirte Linie zeigt annähernd die Veränderungen in der Pulsfrequenz.
II. Wiederholte Nicotinvergiftung.
Dieselben Buchstaben haben dieselbe Bedeutung wie oben. -
III. Nicotinvergiftung nach vorausgehender Atropinisirung.
Dieselben Buchstaben haben dieselbe Bedeutung wie oben.
Alle diese Curven sind nur ein annäherndes Bild der Herzverhält-
nisse, je nach der Art der Nicotinvergiftung.
176 B. von ANREP:
Aus diesen und ähnlichen Versuchen ersieht man, dass dieselbe
Gabe, welche gewöhnlich nur eine ganz geringe herzlähmende Wirkung
hat, indem die Herzcontractionen nur auf einige Schläge in der Minute
und für eine kurze Zeit verlangsamt werden, bei wiederholter Anwen-
dung (innerhalb oben angezeigter Zeit), auch wenn die nachfolgenden
Gaben kleiner waren als die ersten, eine mehrere Stunden dauernde, viel
grössere lähmende Wirkung ausüben und die Frequenz der Herzschläge
bedeutend, etwa bis auf die Hälfte der normalen herabsetzen; gleich-
zeitig werden auch die einzelaen Herzcontractionen ganz beträchtlich
geschwächt. Bei grösseren Gaben erfolet sogar keine Herzerholung mehr,
wie es sonst gewöhnlich bei diesen Gaben der Fall ist. Der Tod tritt
unter einer immer mehr zunehmenden Herzschwäche ein. Wir sehen
übrigens, dass auch die gewöhnliche herzbeschleunigende Wirkung des
Nicotins fehlt, obwohl die Nn. vagi wie immer erst gereizt, dann ge-
lähmt werden, ein Beweis, dass der Vagustonus noch nicht restituirt ist.
Aus diesen Beobachtungen kann man nur den Schluss ziehen, dass die
motorischen Herzganglien in der Zeit der zweiten Vergif-
tung noch nicht gänzlich giftfrei sind; sie bleiben noch immer
unter einer gewissen Nicotinwirkung, welche ihre Widerstandskraft be-
deutend gemindert hat und gegen dieselben Gaben viel empfindlicher
macht. !
In diesem Verhalten des Herzens zu den wiederholten Nicotingaben
finden wir auch die Erklärung ihrer weit stärker lähmenden, oder sogar
lethalen Wirkung.
Dass nach Nicotinvergiftungen bald Erholung zintritt, hat wohl
seinen Grund darin, dass die Bluteireulation nicht für längere Zeit uud
nicht wesentlich gestört wird, wodurch die Giftmenge aus dem ÖOrganis-
mus austreten kann und die angegriffenen Nervencentren von dem Gifte
befreit werden können. Das Thier fängt an zu athmen und- die Er-
holung folgt bald darauf. Wenn jedoch die Herzthätigkeit, während alle
anderen Momente dieselben sind, schwächer wird, so muss die Aus-
scheidung des Giftes viel mehr Zeit in Anspruch nehmen, wie auch die
allgemeine lähmende Wirkung des Giftes viel längere Zeit dauern; ebenso
wird endlich bei noch grösserer und länger dauernder Herzschwäche
(bei wiederholten grossen Gaben) der Tod der Nervencentren früher ein-
treten, bevor die gesammten Giftmengen aus dem Organismus entfernt
worden sind. Demnach erkläre ich die stärkere und lethale Wirkung
1 Vielleicht dürfte folgender Ausdruck der treffende sein: ‚das Herz befindet
sich noch unter der Wirkung der ersten Gabe, wie in einer latenten Lähmung
und diese bedarf nur eines kleinen Anstosses, um als eine sichtbare active hervor-
zutreten.
NEUE ERSCHEINUNGEN DER NICOTINVERGIFTUNG. 177
der wiederholten, zum ersten Male schwächer wirkenden und zum Tode
nicht führenden Nicotingaben damit, dass die Ausscheidung des Giftes,
in Folge einer viel grösseren Herzschwäche, weit langsamer und in
kleineren Mengen zu, Stande kommt. Die Herzschwäche ist also
der indirecte Grund des Todes.
Die zweite Frage, die Verschiedenheit der Vergiftungserscheinungen,
das Fehlen der Krämpfe und der flimmernden Zuckungen, ist eine viel
schwierigere und es gelang mir bis jetzt noch nicht, sie in einer be-
stimmten Weise zu entscheiden. 5
Zunächst suchte ich den Charakter der Krämpfe und der flimmern-
den Muskelzuckungen kennen zu lernen. Ich suchte zu constatiren, ob
die Krämpfe auf refleetorischem Wege entstehen, oder ob sie von einem
directen Reiz der motorischen Rückenmarkscentren abhängen, und zwar
ob sie in einem bestimmten Nervencentrum ihre Ursache haben, oder
ob das ganze Rückenmark an den Krämpfen Theil nimmt.
Gewöhnlich sind die Nicotinkrämpfe klonische Krämpfe, selten
Streck- und noch seltener tetanische Krämpfe. Sie entstehen immer
sehr bald, fast unmittelbar nach der Vergiftung und dauern nur eine
sanz kurze Zeit. Einige Krämpfe der Extremitäten (in den Hinterbeinen
immer am stärksten) oder ein, zwei Streckkrämpfe, dann nehmen die
Beine ihre für das Nicotin charakteristische Lage ein, es zeigt sich
Verlust der willkürlichen Bewegungen und eine starke Verminderung
der Reflexerregbarkeit, sowie eine immer zunehmende Muskelschwäche,
bis endlich die allgemeine Lähmung eintritt. Die flimmernden Muskel-
zuckungen fehlen nie. Sie treten immer später ein als die Krämpfe
und noch bevor die Reflexe herabgesetzt sind und die Muskelschwäche
eintritt. In ihrer Stärke und Dauer sind sie wesentlich von der Grösse
der Gabe abhängig.
.. Behon das Bild der Vergiftung und der Krämpfe spricht gegen die
refleetorische Natur der Krämpfe. Die äusseren Reize haben auf die
Krämpfe gar keinen Einfluss, indem sie weder entstehen noch stärker
werden nach peripheren Reizen. Auch werden die Hautreflexe nach
Nicotin überhaupt entweder nicht erhöht, oder nur nach kleinen Nicotin-
gaben unbedeutend und nur vorübergehend. Sodann ist auch der klonische
Charakter der Krämpfe nicht der Charakter der reflectorischen Krämpfe,
welche viel mehr tetanischer Natur sind; auch spricht der Umstand,
dass die künstliche Athmung keinen Einfluss auf sie hat (Uspensky)',
dafür, dass Nicotin die m,torischen Nervencentren direct reizt.
Nachdem Rosenthal? bewiesen hat, dass die fibrillären Zuckungen
1 Dies Archiv, 1868.
2 Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1863.
Archiv f. A. u, Ph, 1879. Suppl,-Band z, Physiol, Abthlg, 12
178 B. von ANREP:
von der Reizung der intramusculären Nervenendigung abhängen, sind
dieselben von Allen nur als periphere betrachtet. Sie entstehen in Glie-
dern mit durchschnittenen Nerven, und sollen fehlen in den Muskel-
gruppen, deren blutleitende Gefässe unterbunden werden.
Einige von meinen Beobachtungen erregten in mir einen grossen
Zweifel über diesen Ursprung der flimmernden Zuckungen, so dass ich
nahe daran war, das gerade Gegentheil zu behaupten. Es schien mir
nämlich, dass bei Fröschen, mit vom Rückenmark abgetrenntem ver-
längertem Mark, keine flimmernden Zuckungen nach der Vergiftung ein-
treten. Ich wiederholte die Versuche immer wieder mit der grössten
Aufmerksamkeit, konnte die flimmernden Zuckungen aber nicht bemerken.
Bekanntlich sind die fiimmernden Zucekungen nach der Nicotinvergiftung
so intensiv, dass man sie sehr deutlich bei allen Muskeln durch die
unverletzte Haut hindurch sehen kann; deswegen entblösste ich ge-
wöhnlich, um sie zu beobachten, die Muskeln nicht. Als ich meine
Versuche Hrn. Professor Rosenthal demonstrirte, machte er mich auf
diesen Umstand aufmerksam, und so konnte ich mir nunmehr meine
abweichenden Beobachtungen erklären. Bei Wegnahme der Haut des
Oberschenkels sieht man in der That sehr schwache flimmernde Zuckungen
hier und da eintreten; sie sind sehr schwach, nur kurz dauernd, jedoch
unterliegt ihr Vorkommen keinem Zweifel. Ebenso konnte ich con-
statiren, dass diese flimmernden Zuckungen nicht allein diejenigen sind,
welche wir immer bei Nicotinvergiftungen eintreten sehen. Sie sind so
schwach, dass man sie durch die unverletzte Haut nicht merken kann,
ja sogar in blossgelegten Muskeln leicht übersehen kann. Die letzteren
dagegen sind viel stärker; gewöhnlich fangen sie in einigen Muskel-
fasern an und verbreiten sich dann, an Stärke immer mehr zunehmend,
auf eine ganze Muskelgruppe, um zuweilen in einen Krampf überzugehen.
Wenn die ersten nur als rein fibrilläre Zuckungen anzusehen sind, so
können die letzteren als Anfangsstadium eines Krampfes betrachtet wer-
den. Ich will nicht damit sagen, dass die flimmernden Zuckungen, von
denen ich jetzt spreche, immer in einen Krampf übergehen müssen, im
Gegentheil ist es meistentheils nicht der Fall (wie bekannt, entstehen
die flimmernden Zuckungen überhaupt erst nach den Krämpfen), son-
dern man bekommt nur den Eindruck, als ob jedesmal ein Krampf
sich einstellen sollte. Ich möchte sagen, dass diese flimmernden Zuckungen
die letzten Kflfecte der Reizung des schon in die Lähmung übergehenden
Rückenmarks sind.
Schon aus diesen Versuchen vermuthete ich, dass die flimmernden
Zuckungen, welche wir gewöhnlich ohne Vorsichtsmaassregeln bei Nicotin-
EEE WEBREETTWBDE
u Are Ar u 2
NEUE ERSCHEINUNGEN DER NICOTINVERGIFTUNG, 179
vergiftungen beobachten, keine peripheren sind, sondern einen cerebralen
Ursprung haben. Folgende Versuche haben es auch bewiesen.
Die flimmernden Muskelzuckungen sollen nicht auftreten, wenn sie
nur auf einer Erregung der intramusculären Nervenendigungen beruhen,
bei unterbrochenem Blutlaufe in den Muskeln, wo der Blutlauf aus-
geschlossen ‘ist, dagegen nach Nervendurchschneidung sollen dieselben
unbeeinflusst bleiben. Umgekehrt soll es sein, wenn sie von einer cen-
tralen Erregung abhängen.
Versuch I.
Eine Rana esculenta wird auf einem Froschbrette ausgespannt; die
linke A. iliaca comm. unterbunden, ohne Verletzung des N. ischiadicus.
Einspritzung unter die Rückenhaut von "/,, Tropfen Nicotin in 0-5“
Wasser. 4 Minuten nach der Einspritzung treten die flimmernden
Zuckungen in den beiden Hinterbeinen auf, und zwar sind sie wie in
der Stärke, so auch in ihrer Dauer auf den beiden Seiten ganz gleich.
Da man vielleicht eine collaterale Bluteirculation vermuthen konnte,
habe ich auch die Aorta abdominalis unterbunden, um mich von der
Thatsache ganz zu vergewissern.
Versuch I.
Bei einen Rana esculenta wurde die Aorta abdominalis unterbunden,
und dann !/,, Tropfen Nicotin in 05° Wasser unter die Rücken-
haut injieirt. 3 Minuten später traten flimmernde Zuckungen in beiden
hinteren Extremitäten auf, von der bei diesen Gaben gewöhnlichen Stärke
und Dauer.
Diese Versuche könnten vielleicht einen genügenden Beweis der
centralen Natur der flimmernden Zuckungen liefern, allein mit welcher
Vorsicht man diese Methode der Untersuchung nur annehmen darf, sehen
wir aus folgenden Versuchen.
Versuch II.
Einem Frosch wurden alle Zweige des Plex. ischiadicus im Becken
durchschnitten, dann !/,, Tropfen Nicotin in 0-5° Wasser unter die
Rückenhaut injieirt; 6 Minuten darauf sieht man im entblössten Ober-
schenkel hier und da sehr schwache flimmernde Zuckungen eintre-
ten, sie verschwinden fast augenblicklich, um wieder auf einer anderen
Stelle aufzutreten. Auf der anderen Seite mit unverletzten Nerven sind
die flimmernden Zuckungen wie immer bei Nicotinvergiftung stark und
_ dauernd,
125
180 | B. von AnReEp:
Viele Versuche mit Rückenmarek-Durchschneidungen ergaben, dass
sobald das verlängerte Mark von dem Rückenmark abgetrennt ist, nur
diese äusserst schwachen und kurz dauernden Zuckungen auftreten, dagegen
diejenigen, welche wir gewöhnlich beobachten, vollständig fehlen.
“ Diese Versuche beweisen uns, dass 1) die vom Nicotin herrührenden
fliimmernden Muskelzuckungen nicht allein peripher sind. Sie sind
vielmehr eine Summe von centralen und peripheren. Die ersten sind
stärker, dauernder und sind diejenigen, welche man gewöhnlich für flim-
mernde Zuckungen der Nicotinvergiftung hält, sie fallen sofort jedem
Beobachter auf, und sind ganz deutlich durch die unverletzte Haut zu
sehen. Die zweiten dagegen sind sehr leicht zu übersehen, um sie wahr-
zunehmen ist es erforderlich, dass man die Muskeln blosslegt und auf-
merksam beobachtet. 2) Die Erregung, welche die centralen flimmernden
Zuckungen veranlasst, stammt aus dem verlängerten Mark. ‚
Zur Beantwortung der Frage, ob die Nicotinkrämpfe von der Reizung
bestimmter Centren, oder von der Reizung der isanzen Rückenmarks
abängen, habe ich mehrere Versuchsreihen angestellt, aus welchen ich
folgende Ergebnisse festgestellt habe. 1) die Trennung des Rückenmarks
mit dem verlängerten Mark von dem Grosshirn bleibt ohne Einfluss auf
die Nicotinkrämpfe. 2) Dasselbe gilt auch für das Abtrennen des Rücken-
marks von dem verlängerten Mark. 3) Auch wenn man das Rückenmark
immer 2,3 =m weiter von dem verlängerten Mark abschneidet, ent-
stehen doch die Krämpfe (nur schwache), wie in den oberen so auch in
den hinteren Extremitäten, und 4) nur dann, wenn man den Schnitt,
unter der Stelle, wo die motorischen Nerven zu den Hinterbeinen ver-
laufen, führt, entstehen keine Krämpfe in den: gelähmten Hinterbeinen.
Das Durchschneiden des halben Rückenmarks zeigte auch, dass nur dann,
wenn die motorischen Bahnen unterbrochen werden, auch die Krämpfe
der entsprechenden Seite fehlen. Damit soll der Beweis geliefert sein,
dass die Nicotinkrämpfe von der Reizung des ganzen Rückenmarks
abhängen.
Kehren wir nun zu unserer eigentlichen Frage zurück. Da wir ge-
sehen haben, dass die Frösche bei der scheinbaren Erholung nach der
Vergiftung, auch wenn sie nicht die geringsten Zeichen von irgend
welchen Störungen in ihrem gesammten Verhalten bieten, trotzdem andere
Erscheinungen nach wiederholten (während einer gewissen Zeit) Ver-
siftungen mit beliebig grossen Gaben zeigen, da die Krämpfe und die
fibrillären Zuckungen stets fehlen, so ist ohne Zweifel damit bewiesen,
dass die vollkommene Entgiftung noch nicht Statt gefunden hat, und
dass noch gewisse Organe unter Nicotinwirkung verbleiben. Doch ist
dieser Einfluss des Nicotins für gewöhnliche Funetionen eines normalen
ee HE ı u
ut ie Eu
NEUE FERSCHEINUNGEN DER NICOTINVERGIFTUNG. 181
Lebens von geringer Wichtigkeit und scheint den Organismus nicht merk-.
bar zu beeinflussen. Zur Erklärung dieser Erscheinungen schienen mir
zwei Voraussetzungen am wahrscheinlichten. Meine Versuche über das
Verhalten des Herzens zu den wiederholten Nieotinvergiftungen haben
mit Sicherheit bewiesen, dass im Stadium der allgemeinen Erholung
das Herz noch längere Zeit unter der Wirkung des Nieotins bleibt, welche
durch eine gewisse Schwäche, eine geringere Resistenz der motorischen
Herzganglien zu den wiederholten Nieotinvergiftungen sich kund giebt.
Könnte dasselbe nicht auch in den motorischen Rückenmarkscentren statt-
haben? Eine Analogie in dem Verhalten der motorischen Herzganglien
und der motorischen Rückenmarkscentren wäre wohl möglich und hätte
uns die genügende Erklärung zu unseren Erscheinungen gegeben. Es
wäre ja denkbar, dass die motorischen Rückenmarkseentren, vielleicht
auch der gesammte motorische Nervenapparat, ebenso wie die motorischen
Herzcentren, auch nach der scheinbar vollständigen Erholung des Frosches,
noch in der Weise geschwächt sind, dass sie zwar eine Zeit nach der
Vergiftung schon ihre gewöhnliche 'Thätigkeit wieder aufnehmen können,
aber nicht im Stande sind, eine ausserordentliche, anstrengende Thätigkeit,
wie die Nicotinkrämpfe, welche schon gewöhnlich eine rasche Erschöpfung
der motorischen Centren zu Folge haben, ertragen können.
Die zweite Voraussetzung besteht darin, dass es vielleicht möglich
wäre, dass. die motorischen Nervenapparate nach wiederholter Vergiftung
sanz ausserordentlich schnell in die Lähmung übergehen, so dass der
Reizmoment ganz und gar ausbleiben muss.
Wie die eine, so auch die andere Vermuthung verlangen genaue Ver-
suche über das Verhalten der Nervenerregbarkeit, während der ersten
Vergiftung, im Stadium der allgemeinen Erholung und nach der wieder-
holten Nicotinanwendung.
Unsere Untersuchungsmethoden des Nervensystems überhaupt und
der Nervencentren insbesondern sind noch so unvollkommen, dass man
nicht einmal die einfachsten Fragen aus diesen Gebiete auf wirklich
genaue Weise untersuchen kann.
Meine Hauptfrage knüpfte sich an das verschiedene Verhalten (wenn
ein solches in der That vorhanden ist) der motorischen Rückenmarks-
centren zu den verschiedenen Vergiftungsweisen mit Nicotin. Und nur
das einzige Mittel hatte ich dazu, — die Prüfung der Erregbarkeit des
centralen Ende eines gemischten Nerven (Ischiadieus.) Ich konnte also
nur die Reflexerscheinungen, das Verhalten der sensiblen Nerven und
der motorischen Nervenendigungen beobachten und nur indirect auf das
Verhalten der motorischen Centren Schlüsse ziehen. Ich brauche nicht
zu erwähnen, dass alle Vorsichtsmaassregeln bei diesen Versuchen ge-
182 B. von Anrkp:
troffen wurden. Ich benützte stets dieselbe Thermosäule, dieselben Drähte
und denselben du Bois-Reymond’schen Inductionsapparat. Alle Frösche
wurden vor dem Versuch einige Stunden in das Versuchszimmer gebracht,
um den Einfluss der verschiedenen Temperaturen auf die Nervenreizbarkeit
auszuschliessen. Auf eine möglichst gleiche Temperatur in dem Versuchs-
zimmer und auf Verhütung des Eintrocknens der untersuchten Nerven wurde
stets gesehen.
Einfluss des Nicotins auf die motorischen und sensiblen
Nerven.
Versuch L
Rana esculenta auf bekannte Weise präparirt; der N. ischiadieus in
der Mitte des Oberschenkels unter Schonung der Gefässe freigelest, unter-
bunden, durchschnitten und bald die peripheren, bald die centralen Enden
desselben mit Inductionsströmen gereizt. Die minimalen Zuckungen nach
den Reizungen werden als Maassstab der Nervenerregbarkeit angenommen.
Zeit. Die minimale Zuckung erfolgte bei: Periph. Ende. Central. Ende.
h m
8 40 „ „ „ P)) 99 60-0. 61.0
a » ER 59-5 60-8
I 50 „ „ „ PR) 9 60-3 60-4
Es werden !/o Tropfen Nicotin unter die Haut injieirt
) 05 „ „ £R) 9 9 67.0 60-0
310 „5 » » 2 h 65-4 50-0
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ee » ae 41-9 20-3
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1020 „ 2 » 5 a 28-0 11-8
11 20 „ » „ „ s 270 10.0
12 20 „ „ „ „ 4 26°2 10°5
16 Stunden nach der Vergiftung während der fast vollkommenen Erholung.
en i ER 58-0 42-8
„ " „ „ » „ 584 47-0
Wir sehen aus diesem Versuche, dass nach Anwendung von !/,, Tropfen
Nocotin am ersten die sensiblen Fasern in ihrer Reizbarkeit herabgesetzt
werden, die motorischen dagegen werden erst später, nach einer kurz
dauernden Erhöhung, in ihrer Reizbarkeit geschwächt. Auch ist die
NEUE ERSCHEINUNGEN DER NICOTINVERGIFTUNG. 183
die sensiblen Nerven lähmende Wirkung des Nicotins viel stärker und an-
haltender als die der motorischen. Wir sehen ferner, dass nach 16 Stunden
nach der Vergiftung, während schon eingetretener bedeutender Erholung
des Frosches, die motorischen Nerven sich fast vollkommen erholt haben,
die sensiblen noch beträchtlich geschwächt sind. Es prävalirt also die
centrale Nicotinwirkung über die periphere.
Versuch I.
Rana esculenta auf dieselbe Weise präparirt wie die erste.
Zeit. Die minimale Zuckung erfolgte bei R. A. Periph. Ende. Central. Ende.
h m
I — ” „ : „ ” „ „ 51.8 55.0
9 10 „ „ „ „ „ „ 52-0 51°5
RAU; „ ” „ „ „ 51°5 54-8
Es werden 0:1 Tropfen Nicotin in Oce Wasser unter die Rückenhaut injieirt.
9 25 „ „ „. „ „ „ 990 50:0
I 30 „ „ „ „ ” „ 50.0 47'2
I35 „ ” „ „ „ „ 476 430
945 „ „ „ ” „ P) 39-5 20:2
10 Tan th „ „ ” ” „ 372 12-8
IK) 2 „ „ „ „ „ 26-0 10-7
12 ==) ER] ER) 3 „ „ „ 22-0 au
il = „ „ ER] „ „ 2) 20° 5 kein Reflex.
Der Hautschnitt wird zugeflickt und dem Frosche 30 Stunden zur Erholung gegeben.
31später,, = „ > te 48-5 Baus
48 „ 5) ” „ „ „ „ 50 y 7 46 5 5
54 „.» ” „ „ „ „ 50-2 51-8
Jetzt wird der Frosch noch einmal mit 0.1 Tropfen Nicotin vergiftet.
on „ ” „ „ „ 50:0 50-7
„9 £)) „ „ „ „ 50-2 470
Denn, „ ” ” „ ” 48-6 445
20 ©) „ ” .” » „ 458 344
30 Pe} „ „ ” „ „ 392 21-3
40 » m „ „ „ »» 29-8 14°5
50 9 „ „ ” ” „ 252 E37
154 | B. von AnNREP:
Dieser Versuch ist mit den ersten in Uebereinstimmung, ferner
zeigt er, dass im Stadium der allgemeinen Erholung, die periphere ebenso
wie centrale Nervenerregbarkeit sich erholt; weiter ersieht man, dass die
wiederholte Vergiftung nicht in einer anderen Weise die Nervenapparate
beeinflusst wie die erste Vergiftung. Die lähmende Wirkung wird weder
eine grössere, noch tritt sie schneller ein als nach der ersten Vergiftung.
Man könnte mir vielleicht den Vorwurf machen, dass im Laufe von
54 Stunden der geprüfte N. ischiadicus ganz andere Verhältnisse zu den
elektrischen Reizen, in Folge des Absterbens, zeigen kann. Obgleich die
Regelmässigkeit, mit welcher die Reizbarkeit des Nerven mit der ein-
tretenden Erholung zunimmt und nach wiederholter Vergiftung wieder
herabgesetzt wird, kaum zweifeln lässt, dass die moleeularen Veränderungen
im Laufe der 54 Stunden noch keineswegs gewaltig seien, so waren den-
noch genauere Versuche wünschenswerth,
Ich versuchte die mittlere Stromstärke, welche dbrlich war um
die minimalen Zuckungen bei meinen normalen Fröschen nach directen
Reizen der motorischen Nerven und nach Reizungen der sensiblen her-
vorzurufen. Es ergab sich, dass die Differenzen bei meiner Versuchs-
anordnung nicht gross waren; sie schwankten zwischen 49.0 bis 62.5”
Abstand der secundären Rolle. Nachdem ich dies bei 14 Fröschen festgestellt
hatte, vergiftete ich die Frösche mit Nicotin, ohne die Nervenerregbarkeit
voraus zu prüfen, und prüfte sie erstens in verschiedenen Stadien der
Erholung und dann an anderen Fröschen, welche ‚sich schon vollständig
nach der ersten Vergiftung erholt hatten, also je nach der Gabe, nach
20—64 Stunden, nach wiederholter Vergiftung. Es ergaben sich aus vielen
Versuchen genau dieselben Verhältnisse, wie wir es im Versuch No. II
gesehen haben. Im Zusammenhang mit der allgemeinen Erholung er-
holten sich auch die motorischen und sensiblen Nervenappärate Die
wiederholten Gaben beeinflussen die schon erholten Nerven ebenso wie
die ersten. Ich führe hier noch einen Versuch an.
Versuch II.
Eine Rana esculenta wurde mit 0-1 Tropfen Nieotin in 0-5
Wasser vergiftet; nach 40 Stunden erholt sich der Frosch vollständig.
Nach 44 Stunden wurde der Frosch zum Versuch in bekannter Weise
präparirt. Um die periphere Nicotinwirkung bei Reflexversuchen aus-
zuschliessen, habe ich auf einer Seite die A. aliaca comm. unterbunden,
und auf der anderen Seite den N. ischiadicus präparirt und durch-
schnitten.
F
.
|
7
NEUE ERSCHEINUNGEN DER NIc« )TINVERGIFTUNG. 185
Zeit. Die minimalste Zuckung erfolgte beiR. A. Periph. Ende. Cent. linde.
h m
Il... „ „ „ Er 53-6 56-7
— 40 ,„ „ „ „ el 53-0 55-9
— 50 ,„ “ 11 " melukpe 53-2 55-4
Es werden jetzt 0-1 Tropfen Nicotin unter die Rückenhaut injieirt.
105 „ 2 e h mon 53-6 55-0
nr ,; " R F ee 53-0 50-2
IR:080 n j, jr Pe? 50-0 471°3
11 15 „ „ „ „ „ „ 46-1 35-0
11 25 ” ” ” „ „ „ 39-9 21 .(
11 35 ” ” „ ” „ „ 33-5 12-3
11 45 „ „ b3) „ „ „ 27-4 9-8
12 45 ” „ „ ” „9 21-5 5.0
Ua Bo Alle
Am anderen Morgen war der Frosch todt.
Die Ergebnisse meiner Versuche über das Nervenverhalten zu dem
Niecotin sind kurz zusammengefasst folgende 1) Das Nicotin wirkt
lähmend wie auf die motorischen, so auch auf die sensiblen Nerven.
2) Die sensiblen Nerven werden früher und viel stärker und dauernder,
als die motorischen Nerven angegriffen. 3) Nach Gaben bis 0-1 Tropfen
sah ich nie eine vollständige Lähmung in den motorischen Nerven ein-
treten, wohl aber in den sensiblen, demnach ist die Nicotinwirkung mehr
der Morphiumwirkung ähnlich, als der des Curare. 4) Die kleinen Gaben
scheinen erst die motorischen Nerven vorübergehend zu erregen und erst
dann ihre Reizbarkeit herabzusetzen. 5) Die wiederholten Gaben (wie ich
sie angewandt habe) beeinflussen die beiden Nervenarten in allen Puncten
gleich den ersten Gaben.
Aus diesen Ergebnissen sehen wir, dass das Verhalten des Nerven-
systems, soweit man es prüfen kann, nicht nur keinen Leitfaden zur Er-
klärung der Verschiedenheit der Vergiftungssymptome bietet, sondern die
Frage noch dunkler macht, da die als möglich betrachtete Analogie in
dem Verhalten der Rückenmarkscentren mit dem Verhalten der moto-
rischen Herzcentren, sowohl wie meine zweite Voraussetzung als unbegründet
fallen muss. Es könnte vielleicht noch denkbar sein, dass trotz des
gleichen Verhaltens zu den elektrischen Reizen, sich die motorischen
- Rückenmarkscentren zu der reizenden Wirkung des Gifts in verschiedener
Weise verhalten. Wenn dies der Fall wäre, so wäre möglicher Weise
wahrscheinlich dieses andere Verhalten damit zu beweisen, dass man die
nach der ersten Vergiftung erholten Frösche mit Strychnin oder Pikrotoxin
186 B. von Ankrep:
vergifte um zu sehen ob dieselbe minimale Gabe, welche von den Giften
erforderlich ist, um Krämpfe bei gesunden Fröschen hervorzurufen, auch
bei solchen Fröschen hinreichend ist.
Strychnin. Als minimale Gabe um den Reflextetanus hervorzu-
rufen, habe ich bei meinen Fröschen die von 0:000035 8 bestimmt. Nach
20—25 Minuten nach der Einspritzung dieser Gabe erhöht sich die Reflex-
erregbarkeit und nach 35—45 Minuten folgt der erste Tetanus.
I. Versuchsreihe.
Gesunde Frösche. Nicotinisirte Frösche.
1 [ n nach = Minuten n nach > Minuten
u a
Lu a
ee Re
Alle Frösche wurden mit 0000035 Strychnin vergiftet. Die Frösche nach
Nieotinvergiftung zeigten eine vollständige Erholung. R bedeutet erhöhte Reflex-
erregbarkeit; T den ersten Tetanus nach der Strychninvergiftung.
Wir sehen, dass alle Frösche, so gut die gesunden wie die nach Ver-
giftung mit Nicotin, wenn nur die allgemeine Erholung eingetreten ist,
sich zu dem Strychnin genau in derselben Weise verhalten.
Pikrotoxin. Im Pikrotoxin besitzen wir ein Gift, welches die
motorischen Rückenmarkscentren direct reizt (Roeber!), also wie das
Nicotin auf dieselben Centren wirkt. Es war demnach interessant nach-
zusehen, ob im Stadium der Nicotinerholung, das Pikrotoxin, in den
gleichen Gaben angewendet, zu gleicher Zeit und gleich intensive Krämpfe
bei gesunden Fröschen und bei denen, welche vorher mit Nicotin ver-
giftet waren, hervorruft. Nach meiner Erfahrung ist die die Krämpfe
bedingende Gabe des Pikrotoxin kleiner, als die welche Roeber bestimmt
hatte. Ich fand, dass schon 0-0004®8m ausnahmslos sehr kräftige und
dauernde Krämpfe hervorruft.
1 Dies Archiv, 1869.
ee N A nn io
NEUE ERSCHEINUNGEN DER NICOTINVERGIFTUNG. 187
1I. Versuchsreihe.
Gesunde Frösche. Nicotinisirte Frösche.
I. Es folgten Krämpfe 16 ® später | Es folgten Krämpfe 26 ” später
Il. „ „ „ 24 „ ” „ „ „ 21 „ „
El: „ „ „ 18 ” „ eh) eb] eh) 20 Eh] „
IV. „ „ „ 20 „ „ „ „ „ 19 „ „
Alle Frösche wurden mit 0-0004 Pikrototin vergiftet. In der Stärke der
Krämpfe und in ihrer Dauer konnte ich keine Unterschiede wahrnehmen.
Auch die vergleichenden Versuche mit Pikrotoxin zeigten wie die
mit Strychnin, dass die Frösche, welche nach den Nicotinvergiftungen
sich erholt haben, und als ganz normale nach ihren äusseren Befinden
zu betrachten sind, auch genau wie die in der That gesunden Frösche
zu den beiden Giften sich verhalten. Allerdings konnte man in der Zeit,
während welcher die nicotinläihmende Wirkung noch sichtbar war, und
als Muskelschwäche, Trägheit in den Bewegungen sich ausdrückte, Dif-
ferenzen in der Strychninwirkung sehr deutlich wahrnehmen. Dieselbe
Gabe, welche bei gesunden Fröschen heftige tetanische Krämpfe ver-
ursachte, erhöhte bei solchen nicotinisirten Fröschen die Reflexe zwar
sehr stark, jedoch sehr oft ohne deutliche tetanische Krämpfe her-
vorzurufen.
Damit beende ich diese meine Mittheilung. Alle meine Bemühungen,
zu den fraglichen Erscheinungen eine Erklärung zu finden blieben, er-
folglos.. Alle meine Versuche beweisen nur, dass die Verschiedenheit
des Verhaltens der Frösche zu den wiederholten Nicotinvergiftungen nicht
etwa, wie wir es beim Verhalten des Herzens gesehen haben, auf eine
schwache, kleinere Resistenz der motorischen Rückenmarkscentren oder der
intramusculären Nervenendigungen beruhe (wenigstens können wir keinen
Beweis dazu liefern). Noch weniger könnte eine nur in dem motorischen
Nervenapparate entstandene „Gewöhnung“ an das Gift als glaubenswerth
erscheinen, und was hätten wir gewonnen, wenn wir eine uns unklare
Erscheinung mit einem Wort, das nur einen ebenso unklaren Begriff aus-
drückt definiren wollten. Ich bin eben im Begriffe dieselbe Frage
noch an Warmblütern einer experimentellen Prüfung zu unterwerfen und
werde nicht versäumen, die erhaltenen Ergebnisse mitzutheilen.
188 B. von AnREPp:
Anhang.
Um den. Einfluss des Nicotins auf das Rückenmark selbst zu prüfen,
habe ich einige Versuche mit directer Reizung des Rückenmarks an-
gestellt. Es ergab sich, dass die Nicotinwirkung der ersten Gaben und
den wiederholten keinen wahrnehmbaren Unterschied in dem Verhalten
des Rückenmarks hatte. Die lähmende Nieotinwirkung auf das Rücken-
mark ist dieselbe und verändert sich auch ebenso wie die auf die moto-
rischen Nerven.
Versuch I.
Das Rückenmark wird vom verlängerten Mark abgetrennt und eine
kleine Strecke blossgelest. Eine Stunde nach. der Operation mit feinen
Elektroden gereizt. Während der Operation nur geringer Blutverlust.
Es erfolgten Bewegungen in den vorderen Extremitäten bei:
44-5 Rollenabstand.
S0zzspater Al 072} =
ar 0 u
Es werden 0-1 Tropfen Nicotin eingespritzt.
10” nach der Vergiftung 358 Rollenabstand.
20 ££) „ „ 29 . [7 es en
30 17 „ oh) 20 : 0 PR) Pr} {
40 17-5 Die folgenden Bewegungen
N % R 5 i sind nur sehr schwach.
60 „ £R) er) te) x 0 ” 2
Controlfrosch. In derselben Weise präparirt.
bei 46°0 Rollenabstand energische Bewegungen.
—" 30” später 40-5 n n » „
1 — + 39 2 0 PR + er) „
1 10 „ 39 e; 0 + 9 „ „
1 20 u 2980 e 5 „ »
1 30 „ 36:0 „ 2) „ ”
1 40 + 348 er) „ ” ”
2 = „ 356 „ „ e) „
Noch drei ähnliche Versuche ergaben dasselbe.
ee Te
NEUE ERSCHEINUNGEN DER NICOTINVERGIFTUNG. 189
% Versuch II.
Ein Frosch wurde in der oben angeführten Weise präparirt:
bei 48:8 Rollenabstand folgten energ. Bewegungen der Extremit.
30” später 45-2 „ $ m R r f
IR ” 41-3 ” „ „ „ „ ” ”
es werden Yo Tropfen Nicotin eingespritzt und
iumme,. 43-8, es = r 7 a
20 ” 39 5 2 „ ” eh) eh „ >) ” &
30 „ 29 e 5 ” ” eh} ” ’ ” th) 3
40 bh) 27 x 0 ” „ ” eh} r „ ’ &
60 „ 19-7 „ ” ” „ ” „ : >
6" ” 26 ” Er! „ th} ” ” ih) £
s) ” 30 eh) ” eh] ” ER ch) ” E
15 1) 39 ” „ ” r2) eh) ER) ” ®
20 „ 29 &h) ” ” ” ” „ „ s
Es werden noch einmal 1/0 Tropfen injieirt.
10” später 27-0 kollenabstand erfolgten schwache Beweg. der Extremit.
Bm 2b-5 „ n Pr v r 5 n
SUB 20:0, # 4 " Ne 3
Ele... Y = a Fi 4 hi
N sn MD a Er i h n 5
Controlfrosch.
Bei 41-5 folgten energische Bewegungen.
30% später 40-8 S N 5
a 2 AN, n ”
7 „ 35°0 die Bewegungen sind schwächer.
m 31208, 5 e Sn
kan 01,02 30-5, ,, . ” „
am, 2809: 5: „ 2
Bam. 280, a B sn
Versuch Il.
Ein Frosch wurde mit 0-1 Tropfen Nicotin vergiftet. Nach 50
Stunden waren keine Vergiftungserscheinungen mehr wahrzunehmen.
_ Zehn Stunden später wurde der Frosch zum Versuche präparirt.
Es folgten energische Bewegungen der Extremitäten nach der Rei-
zung mit tetanisirendem Strom bei 49-0 Rollenabstand.
30m später bei 47.5 Rollenabstand
il eh) B}] 470 ” ”
190 | B. von AnREPp:
Es werden jetzt noch 0-1 Tropfen Nicotin eingespritzt.
10” nach der Vergiftung 47.5 Rollenabstand.
20 „ „ „ 44.8 ” ”
=) 22.5 ;
0 a Fl ” % ? Die Bewegungen sind
40 „ „ ” 15 «6 „ ” schwächer.
60 N) a „ 6-0 „ „
Der Controlfrosch zeigte eine Abnahme der Reizbarkeit während
einer Stunde auf 7-2°” Rollenabstand. (Anfangs 44-9 nach 60% — 37:7.)
Noch zwei ähnliche Versuche ergaben dasselbe. Das Verhalten des
Rückenmarks zu wiederholten Gaben zeigt keine wahrnehmbare Unter-
schiede mit dem Verhalten zu den ersten Nicotingaben.
II. Katalepsie-Erscheinungen nach der Nicotinvergiftung.
Bei allen meinen an Fröschen angestellten Nicotinvergiftungen sah
ich eine eigenthümliche und immer constante Erscheinung eintreten,
nämlich eine ganz charakteristische Katalepsie der vorderen Extremitäten.
Schon nach Gaben von 0:01 Tropfen und grösseren (auch nach wieder-
holten Gaben), 20—30 Minuten nach der Vergiftung, werden die Vorder-
‚beine, während schon eingetretener allgemeiner Lähmung, steif wachs-
artig; man kann ihnen jede beliebige Lage geben, mag sie so ausser-
gewöhnlich sein, wie man will, die Extremitäten behalten diese Lage
so lange, bis man sie ändert. Wenn man die Vorderbeine streckt und
dann den Frosch auf den Bauch lest, so biegen sich dieselben unter
dem Körpergewicht nicht, sondern bleiben, wie ein Stück Holz, aus-
gestreckt. Die Dauer dieser Erscheinung scheint mehr. von individuellen
Verhältnissen, als von der Grösse der Gabe abhängig zu sein. Ge-
wöhnlich dauert die Katalepsie von 20—45 Minuten lang. Diese Er-
scheinung ist so constant und so treffend, dass ich sie zur Demonstration
in der Vorlesung empfehlen kann. Was nun die hinteren Extremitäten
angeht, so tritt hier eine derartige Katalepsie nie ein. Durch eine
kleine Zahl von Beobachtungen konnte ich mich zwar überzeugen, dass
eine wahrnehmbare Steifheit in der Musculatur der hinteren Glieder ein-
trat, allein in den meisten Fällen fehlte dieselbe.
Die Reizbarkeit der kataleptischen Muskeln ist nicht vollständig ver-
nichtet, jedoch weit niedriger als die aller anderen Muskeln des gelähmten
Frosches., Nur sehr starke Inductionsströme sind noch im Stande,
NEUE ERSCHEINUNGEN DER NICOTINVFRGIFTUNG. 191
schwache Zuckungen in den kataleptischen Vorderbeinen hervorzurufen.
- Die hautsensiblen Nerven bleiben dagegen in demselben Grade reizbar
wie an allen anderen Hautstellen. Derselbe Strom ruft Zuckungen in
- den Hinterbeinen hervor wie nach der Reizung der Haut des Oberschenkels,
so auch nach Reizung des Brachium oder Antibrachium.
Worin liegt der Grund dieser Erscheinung? Es ergab sich, dass sie
vollkommen von dem Nervensystem unabhängig ist. Die Trennung des
Grosshirns, des verlängerten Marks vom Rückenmark, endlich Zerstörung
des Grosshirns, des verlängerten und des Rückenmarks bleibt, wie auf
die Dauer, so auch auf die Stärke der Katalepsie ohne jeden Einfluss.
Es entstehen demnach gewisse gewaltige vorübergehende Veränderungen
unter der Nicotinwirkung in den Eigenschaften der Muskelsubstanz selbst.
Mit Wahrscheinlichkeit sind diese Veränderungen in der Muskelelasticität
zu suchen, da ich schon in anderen Arbeiten gezeigt habe, dass in der
That Veränderungen unter der Wirkung von verschiedenen Alkaloiden
und anderen Stoffen in der Muskelelastieität stattfinden und nachweisbar
sind (B. v. Anrep, Ueber Muskeltonus, Rossbach und B. v. Anrep,
Ueber die Wirkung einiger Alkaloide auf die Muskelelastieität. Beide Ar-
beiten werden nächstens in Pflüger’s Archiv u. $. w. erscheinen). Trotz-
dem ist es ganz auffallend, dass die Katalepsie nur allein in scharf ab-
gegrenzten Muskelgruppen, in den vorderen Extremitäten vorkommt.
Worin die Gründe dieser Verschiedenheit in dem Verhalten verschiedener
Muskeln liegen, bleibt eine offene Frage.
192 | S. TSCHIRJEW:
St. Petersburg, 27. Sept. 1879.
Hochgeehrter Herr Professor!
Ich bitte Sie, im Interesse der Wissenschaft, in der von Ihnen redigirten
Zeitschrift diesem Brief einen Platz einräumen zu wollen.
Im $. 81, 82 des von ihm herausgegebenen Handbuches der Physiologie,
Bd. II, läugnet Hr. Hermann auf Grund sonst ganz unbekannter Untersuchungen
eines Hrn. Albrecht und eines Hın. Meyer die Richtigkeit meiner Angabe in
Bezug auf die quere Erregbarkeit des Nerven,’ und stellt wieder den alten
unbewiesenen Satz von der Unerregbarkeit des Nerven in der queren Richtung auf.
Hr. Hermann macht keine Emwendungen gegen die von mir angewandten
Untersuchungsmethoden, sondern erklärt mein Resultat mit der ihm eigenen
Ungezwungenheit einfach dadurch, dass ich „die Lage des Nerven, bei welcher
die Strömungscurven wirklich senkrecht hindurchgehen, nicht getroffen habe“.
Ich muss nun erstens die Richtigkeit meiner Angabe vollständig aufrecht
erhalten, und ich fordere jeden sachverständigen Forscher auf, sich davon durch
den Versuch zu überzeugen, wobei freilich alle von mir angezeigten Bedingungen,
namentlich die der immer gleichen Stromdichte im Nerven, auf das Strengste
erfüllt sein müssen.
Woran es liegt, dass die HH. Albrecht und Meyer den Nerven in der
queren Richtung unerregbar gefunden haben, kann man nicht sagen, da die von
ihnen angewandten Methoden nicht mitgetheilt sind. Wahrschemlich haben sie
ihren Misserfolg irgend welchem Fehler dieser Methoden zu verdanken, ebenso
wie Hr. Willy, welcher in demselben Laboratorium arbeitete und seinerseits die
Unabhängigkeit der Nervenerregung von der Länge der durchströmten Strecke
bewiesen zu haben glaubte. Hm. Willy’s Ergebnisse werden jetzt sogar von
dem Director des Laboratoriums selbst, unter dessen Leitung er doch wohl
arbeitete, als irrthümlich anerkannt.
Zweitens protestire ich überhaupt gegen eine derartige unwissenschaftliche
Behandlung sogar der rein thatsächlichen Aufstellungen anderer Forscher, ims-
besondere in einem Werke, welches seinem ganzen Ton nach den Anspruch erhebt,
das letzte Wort in diesem Gebiet der Wissenschaft zu sein.
Folgende Stelle auf S. 80, 81 desselben Werkes ist auch noch bemerkens-
werth. Hier sagt Hr. Hermann, dass bei der Untersuchung der Abhängigkeit
der Nervenerregung von dem Durchströmungswinkel die erste Aufgabe darin
bestehe, „dass in den verglichenen Versuchen wirklich nichts weiter als der
Winkel verändert werde, namentlich aber die Dichte (des Stromes) unverändert
18. Tschirjew, Ueber die Nerven- und Muskelerregbarkeit. Dies Archiv.
erh. IS, Ser
EL ED LOCH TEE HI.
=
BRIEF AN DEN HERAUSGEBER. 193
bleibe“. Dies wird so gesagt, als gehöre dieser Gedanke Hrn. Hermann selbst.
Den Gedanken hatten doch natürlich schon Sie selber gehabt, der Sie überhaupt
zuerst den Begriff der Stromdichte in die elektrischen Reizversuche einführten.
Aber der ganze Witz, so zu sagen, meiner Arbeit über die quere Erregung der
Nerven war ja nichts anderes, als dass ich mit allen neueren Hülfsmitteln
bestrebt war, bei derartigen Versuchen immer dieselbe Stromdiehte im Ner-
ven zu haben, oder überhaupt bei der Beurtheilung der Resultate dieser Ver-
suche hauptsächlich die Stromdichte in der gereizten Nervenstrecke im Auge zu
behalten. Hr. Hermann freilich hält die Aufgabe, immer dieselbe Stromdiechte
im Nerven zu haben, für unerfüllbar, und führt dafür folgende drei Gründe an:
1) dass der Nerv kein homogener Leiter sei, 2) dass er verschiedene Leitungs-
fähigkeit in Quer- und Längsrichtung habe, und 3) dass mit der Aenderung des
Durchströmungswinkels im Nerven die Länge der gereizten Strecke sich ändere.
Die Ungleichartigkeit des Nerven als Leiter erlaubt uns gewiss nicht, aus
unseren Reizversuchen an den Nervenstämmen einen Schluss auf die genauen
quantitativen Verhältnisse zwischen Quer- und Längserregbarkeit der Primitiv-
nervenfaser selbst zu ziehen, und ich unterscheide in meiner Abhandlung
ausdrücklich diese Begriffe, wie gesammter Muskel und Primitivmuskelbündel,
Nerv oder Nervenstamm und Primitivnervenfaser, beziehe auch z. B. meine Formel
nur auf den Nervenstamm. Es ist aber ebenso unzweifelhaft, dass man aus der-
artigen Reizversuchen doch einen Schluss in Bezug auf die Erregbarkeit oder
Unerregbarkeit in der queren Richtung der Primitivnervenfaser selbst ziehen kam,
weil bei dem Durchströmungswinkel = 90°, d.h. bei dem Einfallswinkel = 0°,
nach dem Kirchhoff’schen Brechungsgesetze für elektrische Ströme keine Brechung
an den Hüllen der Primitivnervenfaser stattfinden kann.
Der zweite Hermann’sche Grund wird einfach durch gewisse Versuchs-
anordnungen, namentlich durch Bildung eines Nervenquadrats (s. meine Abh.,
Fig. 3) beseitigt.
Endlich beruht der dritte seiner Gründe wahrscheinlich auf einem Missver-
ständniss, und könnte nur einen Sinn haben, wenn schon bewiesen wäre, dass
die Primitivnervenfaser in querer Richtung unerregbar sei. Dann aber wäre über-
haupt jeder Versuch überflüssig.
Ich beschränke mich diesmal auf diese Notiz, in der Hoffnung, dass eine ausführ-
liche Kritik dieser Hermann’schen Muskel- und Nervenphysiologie nicht lange auf
sich warten lassen wird. Eine solche Kritik ist im Interesse der Wissenschaft ent-
schieden nothwendig, weil sonst dies Hermann’sche Werk in den Ländern, wo
man sich mit diesen Fragen wenig beschäftigt, insbesondere aber in denjenigen,
wo so gut wie keine wissenschaftliche Kritik im Gebiete der Naturwissenschaften
existirt, eine bedeutende Verwirrung und überhaupt grossen Schaden anrichten wird.
Empfangen Sie, u. Ss. w.
; Ihr ergebenster
Dr. S. Tschirjew.
Archiv f, A,u, Ph, 1879. Suppl,-Band, z. Physiol, Abthig, 13
Yi N | Er ; NE Du RNIT 7 70
l ÖO
- Physiologische Abtheilung. 1579. Supplement-Band.
ERBE
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FÜR
ARCHIV
| |
ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE.
FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F-MECKEL, JOH, MÜLLER,
REICHERT v. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES,
See
Ir HERAUSGEGEBEN
VON
D:. WILH. HIS unp Dr. WILH. BRAUNE,
PROFESSOREN DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG,
UND
Dx:. EMIL DU BOIS-REYMOND,
PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN.
JAHRGANG 1879,
|| 2... PHYSIOLOGISCHE ABTHRILUNG.
| =. SUPPLEMENT-BAND. _——
MIT 19 ABBILDUNGEN IM TEXT.
LEIPZIG,
” VERLAG VON VEIT & COMP.
- | RN)
. "Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes.
> (Ausgegeben am 22. December 1879.)
Inhalt.
Seite
G. 8. Hall und 'J. v. Kries: Ueber die en der Reactionszeiten vom
Ort des Reizes . . . EEE SEHE TE ll AR => 1
Hugo Kronecker und G. Stahler Hai: Die willkürliche Muskelaetion . . 10
Oscar Langendorff: ‘Ueber die Selbststeuerung der Athembewesungen . . 48
Max Joseph: Ueber die refleetorische Innervation der Blutgefässe des Frosches 54
L. Brieger: Zur Kenntniss des physiologischen Verhaltens des Brenzeatechin,
Hydrochinon und Resorein a N er a ee ee Re N No
Bernhard Rawitz: Die Lebenszähigkeit des Embıyo’s . . . RENTE EEROU
F. M. Stapff: Ueber den Einfluss der Erdwärme bei Tunahanan NE:
Schoen: Bemerkungen über die BU, der Krystalllinse und die Periskopie
BEBZAUGEBaL N ER ERS ARE LESEN REN A Sc Abe
B. v. Anrep: Neue Erscheinungen der Nieclinnsrktkhure DE De a
Biel san den Herausgeber. Fr Sen EL N PN een 102
Die Herren Mitarbeiter erhalten vzerzig Separat- Abzüge ihrer - Bei-
träge gratis. |
Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an
Professor Dr. W. His oder Professor Dr. W. Braune
in Leipzig, beide - Königsstrasse 17,
Beiträge für die physiologische Abtheilung an
) ° Professor Dr. E. du Bois-Reymond
in Berlin, N.W., Neue Wilhelmstrasse 15,
portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind
auf vom Manuscript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich-
nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung
der Formatverhältnisse des Archives, denselben eine Zusammenstellung, die
dem Kupferstecher oder Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen.
Das
ARCHIV
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ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE,
Fortsetzung des von Reil, Reil und Autenrieth, J._F. Meckel, Joh. Müller,
Reichert und du Bois-Reymond herausgegebenen Archives,
erscheint jährlich in 12 Heften von zusammen 66 Bogen mit zahlreichen in
den Text eingedruckten Holzschnitten und 25—30 Tafeln.
6 Hefte entfallen auf den anatomischen Theil und 6 auf den physiolo-
gischen Theil.
Mit dem anatomischen Theil ist die „Zeitschrift für Anatomie und
Entwickelungsgeschichte“, welche als selbständiges Organ zu erscheinen
aufgehört hat, verschmolzen, in dem physiologischen Theil kommen auch die
Arbeiten aus dem physiologischen Institut der Universität Leipzig
zur Veröffentlichung, welche seither besonders erschienen.
Der Preis des Jahrganges beträgt 50 M.
Auf die anatomische Abtheilung (Archiv für Anatomie und Entwickelungs-
geschichte, herausgegeben von His und Braune), sowie auf die physiologische
Abtheilung (Archiv für Physiologie, herausgegeben von E. du Bois-Reymond)
kann separat abonnirt werden, und es beträgt bei Einzelbezug der Preis der
anatomischen Abtheilung 40 M., der Preis der physiologischen Abtheilung 24 M.
Bestellungen auf das vollständige Archiv, wie auf die einzelnen Ab-
theilungen nehmen alle Buchhandlungen des In- und Auslandes entgegen.
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Druck von Metzger & Wittig in Leipzig.
ATLANTEN
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Professor Dr. Wilhelm Braune in Leipzig.
Verlag von VEIT & CGOMP. in Leipzig.
Braune, Dr. Wilhelm, Professor der topographischen Anatomie zu Leipzig,
Topographisch-anatomischer Atlas. Nach Durchschnitten
an gefrornen Cadavern. Nach der Natur gezeichnet und lithographirt
von C. Scmmmeoet. Oolorirt von F. A. HaAuprTvogEL. Zweite Auflage.
33 Tafeln. Mit 49 Holzschnitten im Text. (IH u. 56 8.) Imp.-Fol.
1875. geb. in Halbleinw, . M. 120. —
Mit Supplement: Die Lage des Uterus ete. (s. u) M. 165. —
— Topographisch-anatomischer Atlas. Nach Durch-
schnitten an gefrornen Uadavern. (Kleine Ausgabe von des Verfassers
topographisch-anatomischem Atlas mit Einschluss des Supplementes
zu diesem: „Die. Lage des Uterus und Foetus“ etc.) 34 Tafeln in
-photographischem Lichtdruck. Mit 46 Holzschnitten im Text. (218 S.)
Lex.-8. 1875. im Carton. M. 30. —
— Die Lage des Uterus und Foetus am Ende der
Schwangerschaft. Nach Durchschnitten an ‚gefrornen Cadavern
Hlustrirt. Nach der Natur gezeichnet und lithog eraphirt von ©. SCHMIEDEL.
Colorirt von F. A. HAupTVoGEL. Supplement zu des Verfassers topo-
graphisch-anatomischem Atlas. 10 Tafeln. Mit 1 Holzschnitt im Text.
(4 8.) Imp.-Fol. 1872. in Mappe. M. 45. —
Auch mit englischem Text unter dem Titel:
— . The position of the uterus and foetus at the end
of pregnaney. Illustrated by sections through frozen bodies. Drawn
after nature and lithographed by C. Schmmper. Coloured by F. A.
HauprTvogeEL. Supplement to the authors topograph.-anatom. Atlas.
10 plates. With 1 woodeut in the text. (4 8.) Imp.-Fol. 1872.
in Mappe. AR M. 45. —
Der männliche und weibliche Körper im Sagittal-
schnitte. Separat-Abdruck aus des Verfassers topograph.-anatom.
Atlas. 2 schwarze Tafeln in Lithographie Mit 10 Holzschnitten im
Text. (32 8.) 1872. Imp.-Fol. (Text m gr. 8.) in Mappe. M. 10. —
- Das Venensystem des menschlichen Körpers. -
‚ Erste und zweite Abtheilung. Imp.-4. 1873. cart. M. 20. —
Einzeln:
I. Abtheilung. Die Oberschenkelvene in anatomischer und klinischer Beziehung.
Zweite Ausgabe. \6 Tafeln in Farbendruck. (288.) M. 10. —
II. Abtheilung. Die Venen der menschlichen Hand. Bearbeitet‘ von Wilhelm
Braune und Dr. Armin Trübiger. 4 Tafeln in photographischem Lichtdruck
(20 8.) M. 10. —
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Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes.
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