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Full text of "Archiv für slavische Philologie"

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FÜNFUNDZWANZIG  BÄNDE 

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DES 


ARCHIVS  FÜR  SLÄYISCHE  PHILOLOGIE. 


^^  ARCHIV 


FÜR 


SLAVISCHE  PHILOLOGIE, 


UNTER  MITWIRKUNG 


VON 


A.  BRÜCKNER,     J.  GEBAUER,     C.  JIRECEK,     A.  LESKIEN, 

BERLIN,  PKAG,  WIEX,  LEIPZIG, 

W.  NEHRING,     ST.  NOVAKOVK?,     A.  ^\i:SSELOFSKY, 

BRESLAU,  BELGRAD,  ST.  PETERSBURG, 


HERAUSGEGEBEN 


V.  J  A  G  I  C. 


FÜNFüNDZWANZIGSTER  BAND. 


53C884 


BERLIN,  ~^f~JZs7 

WEIDMANNSCHE  BUCHHANDLUNG. 
1903. 


I 
I 

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Inhalt. 


Abhandlungen.  Seite 

Analecta  romana,  von  V.  Jagic 1 

Die  Uebersetzungskunst  des  Exarclieu  Johannes,  von  A.  Leskien  .  48 

Der  Name  bOlbog  in  der  slavischen  Mythologie,  von  W.  Nehring  .  66 

Polonica,  von  A.  Brückner 74 

Die  Legende  von  der  Vision  Ampliilog's  und  der  /löyog  laxoor/.og  des 

Gregorios  Dekapolites,  von  E.  Kaluzniacki     . 101 

Cyrillische  Ligaturschrift,  von  W.  St  seh  epk  in 109 

Ueber  die  Sprache  und  die  Herkunft  der  sog.  Kracovaner  in  Süd- 
Ungarn,  von  Lj.  Miletic 161 

Zur  Liquidametathese  im  Slavischen,  von  W.  Vondräk 182 

Dialektologische  Miscellen  aus  Serbien,  von  Ljub.  Stojanovic  .    .  212 

Zur  Geschichte  der  Nasalvocale  im  Polnischen,  von  Jan  Karlowicz  219 
Wie  im  Kleinrussischen  die  Palatalisation  der  Consonanten  vor  e  und 

i  verloren  ging,  von  AI.  Schachmatov 222 

Leon's  des  Weisen  Weissagungen  nach  dem  Evangelium  und  Psalter, 

von  M.  Speranskij 239 

Die  Metrik  Gundulic's,  von  M.  Resetar 250 

Die  Bedeutung  Gogol's  in  der  russischen  Literatur,  von  A.  N.  Pypin  290 
Eni  Beitrag  zur  Geschichte  der  südslavischen  Wanderungen,  von 

L.  Niederle 307 

Villes  et  Cites  du  nioyen  ;ige  dans  TEurope  Occideutale  et  dans  ia 

Peninsule  Balcanique,  par  Stojan  Novakovic 321 

Bedeutung  des  altböhmischen  Imperfects,  von  J.  Gebauer    ....  341 

Zu  den  slavischen  Femininbildungen  auf -*//(i,  von  J.  Zubaty  .  .  .  355 
Die  griechischen  Artikelkonstruktionen  in  der  altkirchenslavischen 

Psalter- und  Evangelienübersetzung,  von  Fr.  Pastrnek    .    .    .  366 

Neues  von  der  cechisch-polnischen  Sprachgrenze,  von  G.  Polivka  .  392 

Die  Mundart  der  Gegend  von  Uherci  beiLisko,  vonl.  Werchratskij  407 
De  quelques  dep'acemenls  d'accent  dans  les  dialectes  slaves,  von 

O.Meillet 425 

Einige  litterarische  Bemerkungen  zum  «Ribanje«  von  Petar  Hekto- 

rovic,  von  Alfred  Jensen 429 

Ilias  von  Reussen  und  H'ja  Muromec,  von  M.  Chalanskij 440 

Die  typischen  Zahlen  in  der  russischen  Volksepik,  von  T.  Maretid.  452 
Jovan  Malesevac  als  Bücherschreiber  und  Büchercorrector,  von  II. 

Ruvarac,  mit  Zusätzen  von  V.  Jagic  und  Const.  Jirecek    .  463 

Die  mittelalterliche  Kanzlei  der  Ragusaner,  von  C.  Jirecek  ....  501 


IV  Inhalt. 

Seite 

Ueber  die  rumänischen  Knesen,  von  .1.  Bog d an 522 

Vita  Cyrilli,  von  V.Lamanskij    . 544 

Zum  Gebrauche  der  Verba  perfectiva  und  iraperfectiva  im  Sloveni- 

schen,  von  Stanislav  Skrabec 554 

Die  Ursache  des  Schwundes  des  prädikativen  Instrumentals  im  Slo- 

venischen  und  Sorbischen,  von  K.  Strekelj 564 

Ein  Stück  Volksetymologie,  von  Oskar  Asboth 569 

Glück  und  Ende  einer  berühmten  literarischen  Mystification:  Beaa 

CjOBena,  von  I.  Sismanov 580 

Zur  Literatur  der  »Fragen  und  Antworten«,  von  K.  Radcenko    .    .  611 

Miklosich  und  Safaiik,  von  AI.  Kotschubinsky 621 

Ein  Nachtrag  zum  »ersten  Cetinjer  Kirchendruck  vom  J.  1494«,  von 

V.  Jagic 628 


Kritischer  Anzeiger. 

Karlowicz,  Wörterbuch  der  poln.  Mundarten,  angez .  von  W.  N  e  h  r  i  n g  130 

Simiö,  Pluralis  der  ein-  und  zweisilbigen  Masculina,  angez.  von  M. 

Resetar 135 

Niederle,  Slavische  Alterthümer,  angez.  von  V.  Jagic 136 

Boguslawski,  Methode  der  Erforschung  der  slavischen  Alterthümer, 

angez.  von  L.  Niederle 145 

Maksimovid,  Poetischer  Hausschatz  In  serbischer  Sprache,  angez. 

von  Ivan  Prijatelj 158 

Stojanovic,  Altserbische  handschriftliche  Zu- und  Inschriften,  angez. 

von  M.  S  peranskij 152 

M.  Zdziechowski,  Wiedergeburt  Kroatiens,  angez.  von  V.  Jagid  .    .  317 

Heinrich  Geizer.    Der  Patriarchat  von  Achrida,  angez.  von  Jov. 

Radonic 468 

Porzezinskij,  Zur  Geschichte  der  Conjugationsformen  in  der  balti- 
schen Sprache,  angez.  von  E.  Bern  eker 473 

Askerc,  Preseren's  Dichtungen,  angez.  von  Th.  Kor  seh 637 

Kleine  Mittheilungen. 

Eine  slavische  Alexandergeschichte  in  Zara  1389,  mitgetheilt  von 

C.  Jircek 157 

Chobot  oder pobyt?,  mitgeth.  von  Vladimir  Bob rov 158 

Einige  Notizen  über  den  russischen  Dialekt  Tobolsk's,  mitgeth.  von 

V.  Jagic 159 

Zur  Geschichte  eines  Wortes,  mitgeth,  von  Jan  Karlowicz     .    .    .  160 

Wilhelm  Wollner  f  (Nekrolog),  von  A.  Leskien 500 

Jan  von  Karlowicz  "i"  (Nekrolog),  von  A.  Brückner 653 

Danksagung,  von  V.  Jagic 655 

Sach-,  Namen- und  Wortregister,  von  AI.  Brückner 656 


D. 


'as  Erscheinen  des  fünfundzwanzigsten  Bandes  des 
„Archivs  für  slavische  Philologie"  giebt  der  unter- 
zeichneten Verlagshandlung  erwünschte  Gelegenheit,  Herrn 
Professor  Dr.V.Jagic  in  Wien,  der  dasArchiv  begründet 
und  ununterbrochen  geleitet  hat,  ihren  tiefempfundenen 
Dank  für  alle  diesem  Unternehmen  zugewendete  Mühe  und 
Sorgfalt  auszusprechen.  Sie  schmückt  den  Jubelband  mit 
dem  Bildnis  des  verehrten  Jubilars  und  ist  sicher,  dass  sie 
damit  den  Lesern  des  Archivs  eine  Freude  bereiten  wird. 

BERLIN,  Januar  1903. 

Weidiiiannsche  Buchhandlung. 


Aualecta  romaiia. 


I. 

Eine  füv  andere  Zwecke,  die  die  slaviscbe  Philologie  nicht 
uumittelbar  angehen,  unternommene  Reise  nach  Italien,  gab  mir 
in  Rom,  in  der  Vaticanischen  Bibliothek,  Gelegenheit,  einige 
freie  Tage  auch  den  dortigen  Slavicis,  die  leider  nicht  durch 
ihre  Zahl  imponiren,  zu  widmen.  Nicht  die  beiden  Keimelien 
der  Sammlung,  das  Assemanische  Evangelium  und  die  Ueber- 
setzung  der  Chronik  Manassis,  durften  meine  Aufmerksamkeit  in 
Anspruch  nehmen,  dazu  reichte  die  Zeit  nicht  aus  —  ich  sah 
sie  allerdings,  begnügte  mich  aber  auch  mit  dem  freudigen 
Gefühl,  sie  in  der  Hand  gehabt  zu  haben  —  vielmehr  einigen 
anderen  Kleinigkeiten  schenkte  ich  in  der  kurz  bemessenen  Zeit 
meine  Aufmerksamkeit.  Dank  sei  es  der  liebenswürdigen  Zuvor- 
kommenheit des  hoch  würdigen  Herrn  Präfecten,  P.  Fr.  Ehrle, 
war  ich  in  die  Lage  versetzt,  einen  flüchtigen  Ueberblick  über 
die  ganze  alte  Collection  der  Slavica  zu  gewinnen.  Sie  ist 
von  dem  in  der  slavischen  Philologie  wohlbekannten  Zeif- 
genossen  Dobrovsky's  und  Kopitars,  dem  Domherrn  Bobrowski, 
kurz  beschrieben  —  seine  Beschreibungen  liegen  noch  jetzt 
auf  Zetteln  den  einzelnen  Handschriften  bei  —  und  diese  Be- 
schreibung wurde  von  Angelo  Mai  im  V.  Bande  seiner  Scriptorum 
veterum  nova  collectio,  in  der  2.  Abtheilung,  S.  101 — 111  unter  der 
Ueberschrift  »Codices  slavici«  abgedruckt.  A.Mai  zählte  nur  18 
Handschriften  auf,  gegenwärtig  sind  23  vorhanden.  Wahrschein- 
lich sind  die  Nummern  19 — 23  später  hinzugetreten,  davon  ist 

Archiv  für  slavische  Philologie.     XXV.  1 


2  V.  Jagic, 

Nr,  19  ein  glagol.  Breviarium  auf  Pergament  saec.  XV,  Nr.  21  ein 
kroat.  Gebetbncli.  Dieses  Gebetbuch  massigen  Umfangs  dürfte 
verschieden  sein  von  jenem  »alten  kroat.  Gebetbuch«  (Stari  hrvat- 
ski  molitvenjak),  das  schon  im  Jahre  1859  Dr.  Fr.  R(acki)  in  dem 
)'Zagrebacki  katolicki  List«  Nr.  46,  S.  361 — 363  als  einen  Codex 
membr.  bibliothecae  Barberinae  Nr.  2396  beschrieb.  Die  Abschrift 
und  eventuelle  Publication  dieses  für  die  Prosa  Dalmatiens  im 
XV.  Jahrh.  nicht  unwichtigen  Codex  war  schon  damals  in  Aussicht 
gestellt,  geschehen  ist  dennoch  bis  jetzt  nichts.  Für  die  Agramer 
»Starine«  würde  sich  diese  Publication  sehr  gut  eignen.  Bei  dieser 
Gelegenheit  sollte  allerdings  auch  Nr.  21  der  Vaticana  berücksich- 
tigt werden,  falls  das,  wie  ich  vermuthe,  zwei  verschiedene  Hand- 
schriften sind. 

Von  den  bei  A.  Mai  summarisch  aufgezählten  und  nach  Bo- 
browski's  nicht  immer  richtigen  Beschreibungen  kurz  charakteri- 
sirteu  Handschriften  wurden  einige  von  dem  verstorbenen,  äusserst 
fleissigen  Professor  Krasnoselcov  in  seinem  Buche  »CB'iAiHia  o 
H^KOToptix^  JiHTyprHiiecKHX'B  pyKoraieaxi.  BaTiiKaHCKon  öiio-iioxeKii« 
(KasaHB  1885)  etwas  näher  analysirt,  und  zwar  auf  S.  153  ff.  die 
unter  Nr.  9  eingetragene  und  aufbewahrte  liturgische  Rolle,  mit 
cyrillischer  Schrift  in  serbischer  Redaction  geschrieben.  Mit  Recht 
erhebt  Krasnoselcov  gegen  die  Annahme  Bobrowski's  (wiederholt 
bei  A.  Mai),  dass  dieser  Text  im  XU.  Jahrh.  geschrieben  sei,  kräf- 
tigen Widerspruch.  Die  Rolle  ist  gewiss  näher  dem  XV.  als  dem 
XII.  Jahrh.  Weiter  behandelt  Krasnoselcov  die  vaticanische  Hand- 
schrift Nr.  10,  ein  späteres  cyrillisch-serbisches  Horologium  aus 
dem  XV. — XVI.  Jahrh.  (auf  S.  157 — 161)  und  am  ausführlichsten 
die  Handschrift  Nr.  14,  die  ein  auf  Pergament  geschriebenes  Litur- 
giariura  russischer  Redaction  aus  dem  Ende  des  XIV.  Jahrh.  ent- 
hält (bei  A.Mai  als  Missale  slavicum  bezeichnet),  auf  S.  162 — 194, 
mit  einigen  Textabdrücken.  Derjenige  lateinisch-slavische  Codex, 
der  einst  zu  dieser  Serie  gerechnet  wurde,  in  welchem  sich  die  kroat. 
Umarbeitung  der  Chronik  des  sogenannten  Presbyter  Diocleas  be- 
findet (herausgegeben  bekanntlich  zuerst  von  Kukuljevic,  nachher 
1874  von  Crncic)  wird  wegen  seiner  lateinischen  Bestandtheile 
(Thomas  Archidiaconus  etc.)  in  der  Serie  der  lateinischen  Hand- 
schriften verwahrt  und  führt  die  Nummer  lat.7019,  wie  dies  Crncic 
auf  S.  XIV  seiner  Ausgabe  richtig  angibt.    Betreffs  der  slavisch- 


Aualecta  romana.  3 

bulgarischen  Uebersetzimg'  der  Chronik  des  Manasscs  erfuhr  ich  in 
Rom,  dass  es  vor  einigen  Jahren  schon  nahe  daran  war,  dass  dieser 
illustrirte  Codex,  der  eben  wegen  der  Illustrationen  grossen  kunst- 
geschichtlicheu  Werth  repräsentirt,  auf  Kosten  Bulgariens  heraus- 
gegeben worden  wäre.  Wollen  wir  hoffen,  dass  jener  Plan  doch 
einmal  zur  \yahrheit  wird.  Inzwischen  erwarten  wir  aber  die 
kritische  Ausgabe  des  Textes  von  Prof.  Bogdan  in  Bukarest. 

Die  beiden  »Codices  ruthenici«,  von  denen  Dobrovsky  nach 
Assemani  in  den  Institutioues  p.  XII — XIII  spricht  und  sie  mit 
Recht  nach  M.  Sovic  für  südslavisch  erklärt,  sind  in  der  Vaticani- 
schen  Sammlung  unter  Nr.  4  und  5  eingetragen,  das  erstere  ist  ein 
hübsch  geschriebenes  Evangeliarium  serbischer  Redaction  auf  Per- 
gament, das  zweite  ein  Tetraevangelium,  geschrieben  auf  Bomby- 
cin.  Fr.C.  Alter  hatte  schon  im  I.  (im  J.  1787  in  Wien  erschienenen) 
Band  des  Novum  Testamentum  ad  cod.  vindob.  graece  expressum, 
auf  S.  1008 — 1011  aus  einem  von  diesen  zwei  Codices,  wahrschein- 
lich aus  dem  Evangeliarium,  Textproben  (aus  Luc.  XXIV.  12 — 35) 
durch  die  Vermitteluug  des  Grafen  Wrbua  erhalten  und  mitgetheilt. 
Diese  Proben  verwerthete  später  Dobrovsky  in  seinen  Institutioues. 
Auch  Nr.  6  und  7  sind  Evangelientexte. 

Die  unter  Xr.  S  aufbewahrte  Handschrift  der  Vaticanischen 
Sammlung  ist  mit  besonderer  Schrift,  die  wir  kurz  als  tachy- 
graphisch  bezeichnen  könnten,  geschrieben;  schon  Karaman  er- 
wähnte sie  in  seinen  Considerazioni  (Cap.  138'  und  daraus  schöpfte 
Dobrovsky  in  den  Institutioues  p.  XIII — XIV  seine  Mittheilung. 
Etwas  eingehender  wurde  nachher  der  Charakter  der  Schrift  von 
Dr.  Fr.  Racki  in  Rad  Band  II,  S.  36 — 38  besprochen.  Vor  zehn 
Jahren  lieferte  ein  italienischer  Gelehrter  (De  X^unzio)  einen  wei- 
teren Beitrag  über  diesen  Psalter  im  russ.  Journal  des  Ministeriums 
der  Aufklärung  Jahrg.  1S92,  Xr.  11,  B.  CCLXXXIV,  S.  141—147. 
Alles  das  genügt  aber  noch  nicht  zur  vollen  Würdigung  dieser 
immerhin  sehr  merkwürdigen  Erscheinung. 

Unter  Xr.  1 1  ist  ein  auf  Pergament  geschriebenes  glagolitisches 
Folioblatt  zu  verstehen,  das  ich  gern  näher  studirt  hätte,  wenn  es 
mir  möglich  gewesen  wäre.  Es  enthält  allerlei  Gebete  und  Exor- 
cismen,  die  möglicherweise  mit  dem  kroatischen  Volksleben  in 
irgend  welchem  Zusammenhange  stehen,  denn  das  Schriftstück  ist 
kroatischer  Provenienz.    Schon  Dobrovsky  sprach  die  Vermuthung 

1* 


4  V.  Jagic, 

aus,  dass  das  Blatt  als  Amulet  diente.  Nr.  12  ist  bei  A.  Mai  gut 
beschrieben,  Nr.  13  und  15  enthalten  unwichtige  Psalmentexte. 
Nr.  16,  17  u.lS  bieten  drei  Handschriften  der  ragusäischen  Dichter 
Gundulic  und  Palmotic,  die  bei  den  Ausgaben  der  betreffenden 
Werke  (Osnian  und  Christias)  bisher  noch  nicht  verwerthet  wurden. 
Es  ist  aber  das  Verdienst  des  Herrn  Alfred  Jensen  in  seinem  dem 
Gundulic  gewidmeten  Werke,  S.  217— 21 S,  auf  alle  drei  Hand- 
schriften zuerst  hingewiesen  zu  haben. 

II. 

Es  traf  sich  glücklich,  dass  als  ich  nach  Rom  kam,  schon  die 
siavischen  Handschriften  der  Propaganda  in  die  Vaticanische 
Bibliothek  transportirt  waren.  Ich  erwähne  des  Umstandes  darum, 
weil  jetzt,  durch  diese  Vereinigung  an  einem  Orte,  die  Benutzung 
der  römischen  Slavica  wesentlich  erleichtert  wird.  Bekanntlich 
gab  schon  im  Jahre  1857  der  unvergessliche  Ivan  Kukuljevic  im 
IV.  Bande  seines  j)Arkiv  za  povjestnicu  jugoslavensku«  S.369 — 377 
eine  kurze  Beschreibung  der  hauptsächlichsten  siavischen  ''glago- 
litischen und  cyrillischen)  Handschriften  der  Propaganda-Biblio- 
thek. Später  hatten  die  beiden  Domherren  des  illyrischen  Colle- 
giums,  Crncic  und  Parcic,  Gelegenheit,  fleissig  die  glagolitischen 
Codices  der  Propaganda  zu  studiren.  Die  Sammlung  ging  also 
durch  mehrere  Hände.  Und  doch,  als  mir  der  Herr  Präfect  von,der 
vollzogenen  Uebertragung  Mittheilung  machte  und  mich  freund- 
lichst zu  dem  Schranke  führte,  wo  die  Handschriften  vorläufig  auf- 
bewahrt werden,  durchzuckte  mich  der  Gedanke,  wie  schön  es 
wäre,  wenn  ich  unter  den  Schätzen  der  Propaganda  jenen  vielge- 
nannten und  lebhaft  vermissten  Psalter  des  Nicolaus  von  Arbe  aus 
dem  J.  1222  auf  einmal  erblicken  könnte.  Doch  nein,  das  war  ein 
eitler  Hoffnungsstrahl,  die  Entdeckung  blieb  aus,  und  als  ich  mit 
dem  flüchtigen  Ueberblick  über  den  in  die  Vaticana  gebrachten 
siavischen  Schatz  der  Propaganda  zu  Ende  war,  konnte  ich  mich 
nicht  einer  Enttäuschung  erwehren,  es  war  mir  doch  auffallend, 
dass  in  Rom  gerade  in  dem  Institut,  wo  zu  wiederholten  Malen  die 
glagolitische  Bücherrevision  vorgenommen  wurde,  so  geringe  Spu- 
ren dieser  Thätigkeit,  gleichsam  als  Erinnerung  an  dieselbe,  übrig 
blieben.  Das  spricht  weder  für  die  hohe  Intelligenz  der  dabei  be- 
theiligt Gewesenen,  noch  für  ein  sehr  warmes  Interesse  für  die 


Analecta  romana.  5 

Sache  seitens  der  officiellen  Kreise.  Selbst  die  Erwartimf^,  dass 
ieli  wenigstens  irgend  welche  älteren  Bruchstücke,  gleichsam  Ab- 
talle jeuer  geistigen  Arbeit  früherer  Jahrhunderte,  auffinden  könnte, 
erwies  sich  als  unbegründet.  In  dieser  Beziehung  ist  das  orthodoxe 
St.  Petersburg  viel  reicher  mit  den  kleinen  Ueberresten  der  gla- 
golitischen, nach  katholischem  Ritus  in  slavischer  Sprache  nieder- 
geschriebenen Literatur  —  aus  dem  Nachlass  Bercic's  —  ausgestattet 
als  das  katholische  l\om !  Bei  der  kurz  bemessenen  Zeit,  die  ich 
erst  nach  der  Vollendung  meiner  Hauptaufgabe  den  Slavicis  zu- 
wenden konnte,  beschränkte  ich  mich  auf  zwei — drei  Handschrif- 
ten der  Propaganda,  die  ich  etwas  näher  ihrem  Inhalte  nach  prüfte. 
1.  Kukuljevic  erwähnt  unter  Nr.  1  seines  Berichtes  ein  gla- 
golitisches Missale,  das  er  in  das  XIII.  oder  den  Anfang  des  XIV. 
Jahrh.  versetzt.  Die  Zeitbestimmung  ist  richtig,  und  wenn  auf  dem 
Kücken  des  Einbandes  das  J. 1387  steht  (mit  der  Signatur  L.  VII.  4), 
so  ist  diese  Angabe  falsch,  gemacht  nach  einer  allerdings  in  dem 
Codex  befindlichen  Verordnung  vom  J.  1387,  die  jedoch  erst  später 
in  den  Codex  hineingeschrieben  worden  war.  Ich  schrieb  mir  diese 
Verordnung  ab,  ohne  mich  zu  erinnern,  dass  sie  schon  1867  von 
ür.  Crncie  in  dem  Werke  »Xajstarija  poviest  krckoj,  osorskoj,  rab- 
skqi,  seujskoj  i  krbavskoj  biskupiji«  (u  Rimu  1867)  auf  S.  123 
publicirt  worden  war.  Erst  in  Wien  konnte  ich  die  Thatsache  con- 
statiren.  Der  Text  ist  bei  Crncie  sonst  genau  abgedruckt  —  auf 
ihn*kann  man  sich  ja  in  der  Regel  verlassen,  trotzdem  er  in  der 
stilistischen  Form  seiner  antiquarischen  Publicationen  ein  Sonder- 
ling war  —  nur  im  Capitel  5  steht  in  der  Handschrift  nicht  so,  wie 
Crncie  schreibt:  »l  ki  bi  toga  vsega  nedrzal  i  zapovedi  gospodina 
Fra  Mateja  i  toga  ne  platih-,  sondern  es  muss  gelesen  werden  (ich 
transscribire  cyrillisch):  H  kh  kh  rora  Bcera  h«  ApH;aA  h  3anß;i,H 
PAHa  KCKna  h  Hera  KHKapa  r,\,Ha  (I»pa  AVaTtlv  h  ^,c>rA  iit  naa- 
THAK.  Crncie  hatte  also  aus  Versehen  die  Worte,  die  zwischen 
dem  zweimaligen  r;i,Ha"  standen,  ausgelassen.  Aus  derselben  Hand- 
schrift theilte  ferner  Dr.  Örucic  ib.  S.  129 — 131  eine  andere  aus 
acht  Capiteln  bestehende  Verordnung  mit,  die  aus  dem  J.  «sa^a^ 
(1457)  stammt.  Xach  dem  letzten  Capitel,  das  ich  gleichfalls  in 
Abschrift  besitze,  zu  urtheilen,  ist  die  Mittheiluug  Crncic's  ganz 
genau.  Ferner  gibt  er  auf  S.  132 — 133  seiner  )^ Poviest«  auch  noch 
die  auf  dem  letzten  Blatte  des  Codex  befindlichen  späteren  Ein- 


6  Y.  Jagic, 

trag-iingen,  aus  den  Jahren  1471,  1475,  1480  (übrigens  uotirte  ich 
mir  statt  1480  das  J.  1488,  d.  h.  w.».3.ä),  die  alle  für  die  locale 
Geschichte  von  Bedeutung  sind.  Kukuljevic  irrte,  als  er  im  Arkiv 
IV,  370  noch  eine  in  das  J.  1387  fallende  Eintragung  diesem  Codex 
zuschrieb.  Den  Fehler  bemerkte  schon  Dr.  Crncic,  in  der  Schrift 
»Dvie  razprave«  (U  Trstu  18ö8)  S.  16,  aber  seine  Berichtigung  wird 
kaum  Jemand  verstehen:  );Ovako  je  u  onom  dielu  breviara,  a  ne 
kako  je  u  Arkivu,  u  IV  na  370  s.«  Crncic  wollte  sagen,  diese  von 
ihm  a.  a.  0.  noch  etwas  ausführlicher  und  genauer,  als  bei  Ku- 
kuljevic, mitgetheilte  Notiz  stehe  nicht  in  dem  glagolitischen 
Missal,  das  Kukuljevic  sub  1  citirte,  sondern  in  einem  glagolitischen 
Breviar,  von  welchem  gleich  die  Rede  sein  wird. 

Dieses  Missale  ist  meines  Erachtens  das  älteste  Stück  unter 
allen  Glagoliticis,  die  ich  in  dem  Nachlasse  der  Propaganda  sah. 
Nach  dem  schönen,  blassgelblicheu,  nicht  zusammengedrängten, 
sondern  breiter  gehaltenen  Ductus  der  glagolitischen  Buchstaben 
würde  ich,  in  Uebereinstimmung  mit  Kukuljevic,  kein  Bedenken 
tragen,  den  Codex  in  den  Anfang  des  XIV.  Jahrh.  zu  versetzen. 
Sein  Text  beginnt  in  üblicher  Weise  mit  Advent,  geht  dann  auf 
Weihnachten,  Fastenzeit,  Ostern  und  Pfingsten  über,  schliesst  mit 
dem  Kalender,  nach  welchem  das  Officium  missae  folgt,  und  zuletzt 
das  Proprium.  Im  Kalender  fand  ich  unter  14.  Februar  roth  ge- 
schrieben ^a&b3<3)H'  und  schwarz  dazu  s  M3TO»<as3.  Unter  dem 
28.  September  schwarz :  'i?3W3a<a)+'ü'+  -s^y.  Der  ganze  Codex  umfasst, 
wenn  richtig  gezählt  wurde,  227  Blatt.  Auf  dem  Blatte,  das  jenen 
bei  Örncic  abgedruckten  Verordnungen  vorausgeht,  fand  ich  fol- 
gende Eintragung  einer  Schenkung  des  Fürsten  Ivan  Frankapan 
vom  Jahre  1470  (ich  transscribire  den  Text  mit  cyrillischen 
Buchstaben) : 

A\h  kh^'  hbh'  (I)paHKi\naH^  kp^kh,    yo;v,poYUJKH  h  npHaU, 

J^AUO  BHA'STH  BC'fey"'  H  KCKOlUIOVj'  K^\'K  KO^A^  nCTpHKHO  KH- 
AliTH    TO    UMUf    O^AO^HfH"«,     KO     O^^OV^"'^'^'''*     '^'*    nOKOA'UJaH'f 

Harne  h  Hamtra  cTaH^k,  j!i,i\  OAAOV'MUcyo  h  o^AO^Morfiuio  ^\,a 
HC  ßc1i\-'  KaiuTfAHY'  Haiuera  OTOKa  j\,c\  et  cao\fJKH  (ji,HA  M'ca 
{ein  Wort  unleserlich:  ß  opt)  bckh  a"'  m^*  caaBoy  kjkho\'.  h  b 
HM«  n  CAOYJKKH  .A,'^'^'^'^  "  A^*"^*^  HaujHiui'  Kanf/\aHOiui'  B  Omh- 

lUAH,    KH    CO\i'    H    KH    BOyA^^V)    "^»"IpBO  3fM,\t    BCt    TO    Ma    (    HaiU« 


Analecta  romana.  7 

iiOA    FpaA'iC   iipt,v,   OuHiuAn.r.   ,v,a   coy    iio.v    KaiiTC>.\~  k(i<)iij{ 

pfMSHM      KlvK'BliHHHI.r     HÜKOHOM,      H      K     TOMOV'      HM'     MpH.VaCf.10 
HaUIH\'k    OKan'      b-     TP    KC^'      T- 

9»  -P      KTcl^^^)    HOKfMKpa. 

2.  In  der  Bibliothek  der  Propaganda  ])efand  sieh  auch  ein 
zweibändiges  glagolitisches  Breviarium  vom  J.  1379.  Die  erste 
Hälfte  führt  auf  dem  Rücken  des  Eiubandes  den  Titel:  Breviarium 
illyricum  tom.  I.  a.  1379  mit  der  Signatur  L.  VlI.  5.  Der  ganze 
Band  umfasst,  wenn  die  Blattzählung  richtig  ist,  24S  Bl.  Die  zweite 
Hälfte  ist  mit  demselben  Titel  auf  dem  Rücken  des  Einbandes  ver- 
sehen, nur  heisst  es  hier  tom.  II,  und  die  Signatur:  L.  VII.  6,  Das 
letzte  Blatt  dieses  Bandes  trägt  die  Zahl  217.  Dr.  d'rncic  theilte 
aus  diesem  Breviarium  einige  Eintragungen  geschichtlichen  Inhalts 
in  seiner  Abhandlung  »Dvie  razprave«  S.  16 — 18  mit.  Die  bei  ihm 
ebenso  wie  bei  Kukuljevic  IV.  370,  nur  bei  diesem  falsch  auf  das 
früher  erwähnte  Missal  bezogen)  mitgetheilte  Notiz  vom  J.  13S7 
liest  man  auf  Bl.  217  des  nach  der  auf  dem  Einband  kenntlich  ge- 
machten Bezeichnung  zweiten  Bandes.  Crncic  druckte  auf  S.  17 
der  besagten  Abhandlung  noch  einige  Eintragungen  aus  diesem 
zweiten  und  einige  andere  aus  dem  ersten  Bande  ab.  Er  kommt 
ferner  auf  dasselbe  Breviarium  nochmals  im  14.  Bde.  der  »Starine« 
S.  210 — 220  zurück.  Es  wäre  überflüssig  das  zu  wiederholen,  was 
schon  Crncic  über  die  beiden  Bände  dieses  Breviariums  vor- 
brachte. Ich  ziehe  vor  zu  bemerken,  dass  bisher  leider  Niemand 
dazu  kam,  die  in  solchen  Werken  enthaltenen  Uebersetzungen  der 
Homilien  aus  verschiedenen  griech.  und  lat.  Kirchenvätern,  aus 
Ambrosius,  Augustinus,  Epiphanius,  Gregorius,  Hieronymus,  Joan- 
nes Chrysostomus,  Leo  u.  a.  einer  philologischen  Untersuchung  zu 
unterziehen.  Es  könnten  sich  ja  aus  einer  solchen  grammatisch- 
lexicalischen  und  kritischen  Prüfung  der  Texte  nicht  unwichtige 
Schlüsse  für  die  Bestimmung  der  Zeit  und  des  Ortes  der  Ueber- 
setzung  ergeben.  Gewiss  sind  die  Uebersetzungen  zu  verschiedenen 
Zeiten  und  mit  ungleicher  Sprachkenntniss  gemacht.  Vielleicht 
wird  sich  auch  über  die  Frage,  wo  sie  zuerst  zu  Stande  kamen, 
einiges  sagen  lassen.  Bei  meiner  flüchtigen  Leetüre,  die  sich  auf 
einige  Stunden  beschränkte,  fand  ich  sehr  häufig  solche  Ausdrücke 
wie  pIvCHlv  und  a'Skh,  z.  B.  in  einem  »C.tobo  EnH^aime«  liest  man: 


8  V.  Jagic, 

CHt  mÄh.  amXCKH  'k3HKk  üSK-KCTH  a  OHtlUlb  SB-RSA'^  A1vKH  'kSKK 
NKCKK.      H     TOe     ailAH     MlUlh,      AtKH      ^pO\'ra     HKCKa    ßSK'kCTHlUE 

cÄko\'  KH^hic.  In  einer  Homilie  Leo's  (aus  der  Fastenzeit):  hko 
a1vKH  oßHf  Ha  saKOAfHHE  li  H^pTBoy  be;i,chi^  fCTL  Ha  HC  K-kme 
oKHf,  H  A'kKH  arnaL^k  Kes  raaca.  Oder  man  vergl.  noch  diese 
Stelle  aus  einer  anderen  Homilie  desselben  Leo:  h  he  \c>T'k  o\,-kc> 
K  MTpHHH\'k  T'kcHOTa\*K  cKoero  OKHTaHH'k  TaHTH  npBOpo;i,Hlv 
Ha  HHfr^\,o\'  OT  Bck^k  \*OT'k  no3HaTH  ce. 

Bekanntlich  stellte  der  um  den  Glagolismus  in  Dalmatien  ver- 
dienstvolle und  noch  immer  unersetzte  Bercic  seine  »Ulomci  svetoga 
pisma«  (5  Hefte,  Prag-  1864 — 1871)  aus  den  den  glagolitischen 
Breviarien  und  Missalen  entnommenen  Texten  zusammen.  Die 
Handschriften  oder  Drucke,  aus  welchen  er  schöpfte,  sind  am  Ende 
eines  jeden  Heftes  genau  angegeben.  Man  sieht  daraus,  dass  er 
keinen  einzigen  glagolitischen  Codex  Roms,  ebenso  keinen  ein- 
zigen aus  der  damals  noch  im  Privatbesitz  Kukuljevic's  befind- 
lichen, jetzt  Agramer  akademischen  Bibliothek  zu  Rathe  ziehen 
konnte.  Nun  mag  es  sein,  dass  ihm  die  prächtigen  Vrbniker  Bre- 
viarien, oder  das  Pasmaner  und  das  Wiener  (von  Vid  aus  Omisalj, 
im  J.  139G  geschriebene)  Breviarium  dem  Umfang  nach  dasselbe 
Material  lieferten,  das  ihm  auch  die  römischen  Codices  geboten 
hätten.  Allein  wir  wissen  es,  dass  die  einzelnen  Handschriften, 
was  die  Güte  und  Correctheit  der  in  ihnen  enthaltenen  Texte  an- 
belangt, stark  von  einander  abweichen.  In  einigen  von  ihnen  blieb 
der  biblische  Text  fast  ganz  unverändert  oder  nur  sehr  wenig  ge- 
ändert gegenüber  der  ältesten  nachweisbaren,  aus  dem  griechischen 
Original  geflossenen  altkirchenslavischen  Uebersetzung,  während 
bei  anderen  die  corrigirende  Hand  eines  in  die  latein.  Texte  hinein- 
blickenden Lesers  auf  Schritt  und  Tritt  bemerkbar  ist.  Ich  habe 
das  im  IL  Heft  der  »Primeri«  (Agram  1866,  S.  67 — 70)  an  einem 
Bruchstück  des  Textes  aus  dem  Propheten  Joel  klargelegt.  Es 
wäre  daher  jetzt  eine  sehr  verdienstvolle  Aufgabe,  den  weiteren 
Schritt  zu  thiin  (nach  36  Jahren!)  und  das  Werk  Bercic's  durch  die 
Collation  des  bei  ihm  abgedruckten  Textes  mit  anderen  glagoliti- 
schen Handschriften,  die  ihm  nicht  zu  Gebote  standen,  zu  berich- 
tigen, eventuell  zu  ergänzen.  Diese  Aufgabe  wäre  leicht  für  Jeder- 
mann, der  Gelegenheit  bat,  zu  derartigen  Handschriften  zu  ge- 
langen.   Ich  bedauere  sehr,  nicht  selbst  mit  gutem  Beispiele  voran- 


Aualecta  roinana.  ^  9 

j;eheu  zu  küimeu.  Ich  will  üur  erwähnen,  dass  auch  in  diesem 
Breviarium  der  Propag:auda,  in  seinem  ersten  Theil,  der  das  Pro- 
])rium  de  tempore  enthält,  in  der  ersten  und  zw^eiten  Woche  nach 
Ustern  g-rosse  Stücke  des  Textes  aus  der  Apokalypse,  nach 
Ptingsten,  wo  die  Sonntage  zu  Ende  sind,  sehr  viel  aus  dem  Buche 
Job  (auf  Bl.  1S6— 201),  dann  aus  Tobias  (auf  Bl.  202  bis  207),  aus 
Judith  'auf  Bl.  207''  bis  215)  und  aus  Esther  (auf  B1.215''  bis  219=') 
zu  tinden  ist.  Darauf  folgen  die  Maccabäer  und  auf  B1.232''  bis  241 
Daniel  und  andere  Propheten.  Ich  bin  überzeugt,  dass  eine  Ver- 
gleichuug  dieser  Texte  mit  dem  bei  Bercic  abgedruckten  keine 
nutzlose  Arbeit  wäre.  Hat  ja  schon  Crncic  in  Starine  XIV,  S.  212 
bis  2 1 3  an  einem  Stück  aus  Isaias  gezeigt,  wie  stark  der  Text  des 
Breviariums  in  Rom  vom  J.  1379  von  dem  des  Wiener  Breviariums 
vom  J.  1396  abweicht. 

III. 

AVer  sich  für  das  glagolitische  Schriftthum  interessirt,  bei  dem 
liegt  der  Wunsch  nahe  zu  erfahren,  inwiefern  die  Ueberlieferungen 
und  Erinnerungen  an  die  beiden  Begründer  der  slavischen  Kirchen- 
sprache, die  ja  zugleich  lange  Zeit  für  viele  Slaven  Literatursprache 
war,  in  solchen  Denkmälern  fortleben.  So  wurde  auch  bezüglich 
des  erwähnten  zweibändigen  Breviariums  der  Propaganda  die  Frage 
aufgeworfen,  ob  darin  die  Commemoratio  Cyrill's  und  Method's  im 
Kalender  und  ob  ein  besonderes  Officium  für  diese  Apostel  vor- 
komme. Schon  Karaman  in  seinen  «Considerazioni«,  wo  er 
Nr.  XXXVI  die  beiden  Bände  dieses  Breviars  beschreibt,  unterliess 
es  nicht  zu  erwähnen,  dass  unter  dem  14.  Febr.  »sono  uniti  li  tre 
santi  Cirilo  e  Metodio  e  Valentino«  und  dass  ein  aus  Hymnen  und 
Lectionen  bestehendes  Officium  darin  vorkomme.  Später  haben 
Mesic  in  »Tisucnica«  (Agram  1863)  und  Bercic  in  »Dvie  sluzbe« 
Agram  1870)  diese  Frage  auf  Grund  der  glagolitischen  Codices 
behandelt  und  zuletzt  Crncic  in  «Starine«  Band  XIV,  S.  214  flf. 
geradezu  das  Propaganda-Breviarium  herangezogen.  Er  sagt  rich- 
tig, dass  in  dem  ersten  Bande  des  Breviars  im  Kalender  unter  dem 
14.  Februar  zu  lesen  sei:  KaAfHTHHa  mm.  Hoi'pHAa  h  A\tToy,v,He 
(alle  drei  schwarz  eingetragen).  Er  hat  ausserdem  aus  dem  Officium 
Cyrilli  et  Methodii,  das  im  zweiten  Band  und  zwar  ganz  am  Ende 
desselben  (auf  Bl.  213  ff.)  steht,  zu  dem  von  Mesic  in  »Tisucnica« 


1 0  V.  Jagid, 

S.  77  ff.  aus  einem  anderen  Codex  gedruckten  Text  alle  Varianten 
angemerkt  und  sie  a.  a.  0.  in  Starine  (S.  214 — 215)  publicirt. 

Nachdem  aber  der  Verehrung  des  Andenkens  der  beiden 
Slavenapostel  in  dieser  Weise  Genüge  geschehen,  muss  man  einen 
Schritt  weiter  thun  und  fragen,  ob  nicht  in  diesen  Büchern  auch 
anderer  heiliger  Männer,  die  mit  der  slavischen  Geschichte  in  Zu- 
sammenhang sind,  Erwähnung  geschehe.  Ich  habe  vor  kurzem  in 
dem  in  Erscheinung  begriffenen  Bande  des  Warschauer  PyccKÜt 
<I'HJiojior.  B'licTHHKi)  auf  den  heil.  Wen  ces laus  von  neuem  die  Auf- 
merksamkeit gelenkt  und  durch  die  Herausgabe  eines  vollständigen 
Textes,  nach  der  Laibacher  glagol.  Handschrift,  gezeigt,  dass  jetzt 
diese  glagolitische  Legende,  verglichen  mit  der  schon  früher  be- 
kannt gewesenen  cyrillischen,  für  die  ganze  Auffassung  von 
der  Entstehung  der  slavischen  Liturgie  in  Böhmen  und 
für  die  Lösung  der  Frage  von  der  Priorität  der  glago- 
litischen Schrift  von  hervorragendster,  ja  geradezu 
Ausschlag  gebender  Bedeutung  sei.  In  der  That  ich  wüsste 
nicht,  welche  weiteren  Beweise  man  noch  verlangen  sollte,  um  an 
der  Ueberzeugung  festzuhalten,  dass  in  Böhmen,  -an  dem  Fürsteu- 
hofe, die  slavische  Liturgie  als  eine  überkommene  Erbschaft  durch 
Ludmila  aufrechterhalten  und  auch  dem  Enkel  Wenceslaus  die 
Hochschätzung  derselben  überantwortet  wurde  und  dass  die  bald 
nach  seinem  Tode  in  Böhmen  selbst  in  altkirchenslavischer  Sprache 
abgefasste  Erzählung  vom  Martyrium  Wenceslai  mit  glagolitischer 
Schrift  geschrieben  war.  Bei  der  Herausgabe  des  Laibacher  Textes 
sagte  ich,  dass  hoffentlich  bald  auch  weitere  glagolitische  Zeugen 
für  diese  Legende  an  den  Tag  kommen  werden.  Früher  als  ich  es 
hoffen  durfte,  ist  diese  Erwartung  in  Erfüllung  gegangen,  und  zwar 
durch  das  in  Rede  stehende  Breviarium  der  Propaganda.  Gegen- 
über dem  Schweigen  Crncic's,  der  uns  zuerst  nähere  Daten  über 
die  beiden  Bände  des  Breviars  lieferte,  kann  ich  constatiren,  dass 
1)  schon  im  Kalender  (der  im  ersten  Band  auf  Bl.  241  ff.  zu  finden 
ist)  unter  dem  28.  September  und  zwar  roth  geschrieben  folgende 
Notiz  steht:  BeipfC/xaKa  Kp7\a  MtiuKora  mh.  h  o^hli,hh  3a 
(HlXrßopij,«  H  3a  KpaTHM»  Aiui;  und  2)  dass  im  zweiten  Bande 
desselben  Breviars,  das  auf  den  ersten  40  BI.  den  Psalter  enthält 
und  auf  Bl.  40^'  mit  dem  Commune  sanctorum,  und  auf  Bl.  77  mit 
dem  Proprium  sanctorum  (mit  dem  heil. Saturninus)  beginnt,  auf 


Analecta  romana.  1 1 

131.  ISl  flf.  dieselbe  Weuzellegende.  die  ich  vor  kurzem  aus  dem 
Laibacher  Codex  abdruckte,  im  vollen  Umfange  sich  wiederholt. 
Merkwürdig,  Crncic  faud  es  der  jMühe  wcrtli,  in  demselben  Bande 
des  Breviars,  aus  der  kurzen  Biographie  des  heil.  Hieronymus  (auf 
Bl.  185),  die  in  Dalmatien  lauge  Zeit  verbreitet  gewesene  Fabel 
herauszuheben,  wonach  dieser  grosse  Kirchenlehrer  »ujkoah 
rpHCKOH  H  iXaTMH'cKOH  H  cakuhckom  luiOHCTapk  K'S«,  aber  für 
den  heil.  Weuceslaus  zeigte  er  keine  Vorliebe,  er  überging  ihn  mit 
Stillschweigen.  Ich  will  dieses  Versäumniss  nachholen  und  da  der 
Römische  Text  der  Wenzellegende  hie  und  da  von  dem  Laibacher 
abweicht,  soll  hier  der  erstere  vollinhaltlich  zum  Abdruck  kommen. 
Aus  dem  Laibacher  füge  ich  die  Varianten  hinzu.  Die  Abbrevia- 
turen löse  ich  auf,  R.  und  L.  sind  Signaturen  der  beiden  Codices. 

Ha  Ati^)""^  cßfTarc»  REipEC/xaKa  yo\-MfHHKa. 

opan(H'R).  IloMHaoyH,  npocHMi*,  rocno^ii  paKu  tbo^ 
iipKßfTaro  CaiJEcaaBa  MC>\"HfHHKa  Tßoero  OYTejKaHH-k  caa^Ha. 
^a  ero  MnaocTHßHOH  yoAHTßawH  er  ßctYh,  3t\Ah  sai^jHTHAH 
cj  ßH\'OMii  ßcar^a  h  npoTUßncTßii.  T-Ry^K^c  (R). 

Im  Laibacher  Codex  ist  die  Einbegleitung  der  Legende  aus- 
fuhrlicher : 

TaiKA*  RfHfpk  HaßCHEpHE  GEipccaaßa  iuio\-4eHHKa. 

K    ßffjA   H)hH    aH(TH$OH)h..    GßfTH   tin|ieC/\aßK   MO\,'MrHHKK 

kc»;kh  n(it,\ßJirH  b'  GoAtcaaßAh  rpa^'k  c'ßpujH  ruioxfßOY  cßoio. 
h"  lies:  ha)  HfßecKa  n('bca)pcTßHli  caabhIj  bshth  '»\T(7Ki  ko- 
rc>Mk  L|jEAp£i|jHMK.    nA'k(Aoyna). 

Op(a)i^(H'b).  IloMHAOv'H  HACK,  npocHMk,  rocno,ii,H,  paKH  H 
pAKHH«  TßOf,  nptcßfTaro  IiEL|j{CAAßa  MO\,'HeHHKa  Tßcerc»,  4,^* 
«ro    uhaocthbhmh    rJOAiiTBaniH    ot   ßc1i\'k   ßc('k)rAa    iipoTH- 

BAH  CTßH    SaqJHTHAH    C«    KH\-OrUlK. 

GeKTfEpa    SÄ-  ^ank.    K  wtp'hh  HMkHa. 

HaCTaHk  ,V,(^*)N*^  "PHA*  AK^AfMI»^  ß'KpHHyk,  KH  MO\%V,fC'^ 
CBSTArO  Iia|l(CAAßA  nOBliA**K»Tk,  frOIK«  Kpark  AKM  KAfHk  HßfAA 
CßpklUH  MOV'MfHHKA.  GߣTH  IicL(J£CAaßk,  LIHAH  X(pHCT  0\'  ÜOV'- 
HfHHKk,  trOJKf  RpaTk,  HACTABH  HfßlJpHHYk  nOCAOyUJAßk,  Ht- 
HABHAHMk    K'k. 

Ga  CßeTH   KAA^EHk  ß  /KHBOTlv,    Ol|l(    RAAH^m'RH   ß'  CfMpTH. 

ß'kHai^k  MacraHk   noAO^KCHk  i  Hk   (lies:  ha)   taabIv   ero,    'kKO 


1 2  ^^-  Jagic, 

Oh'k  lica  Kcroy  CAaiuia,  iiAHa  nknn  k  h  iHHi\ocTiiKHa,  h  t'Rmh 
cAaKHT'  cf  rocno,\,k,  km  orAamatT'  et  'i'pHiuiH  hmehh  a  e,a,(h)hk 
Kork.    HoHUk. 

lica  c/ioy^KKa  ko\-ah  <^t  f,!,"'^'''?  ii/io\'HfHHKa.  a  ce  mth. 

Alles  das  geht  im  Laibaeher  Codex  der  Legende  voraus,  erst 
jetzt  beginnt  der  Text,  den  ich  nach  R.  mittheile,  mit  Variauten 
aus  L. 

HTe(HHf].    Oe   HHHf   KHCTk  (c'kHCT' C£  L.)  npopOMCKOf  CAOKO 

rA{(  H  (ko  L.)  caMk  rocno,A,k  wamk  llc(c»YCk)  X(pncTCtck)  pfse- 
KOYA^Tis'  (ko  pfHf  add.  L.)  k'  n<>CA'R,\n^  A""  ^'^*  Mnnyk  hhhj 
coXj'HJf  (ko^ao^lii«  L.).     BcTaHfTk  KpaTk  na  Kpa'ra,   CKink  ha 

0(Tk)U,a  H  KpaSH  MAOKUKO\f  A^^I^'^M^"  f^"^-  MAOKlil|,H  KO  CfKlv 
KOY^i\,OYTk  HJMMAH  (K.C.H.L.)  H  ß'SA^^CTk  HMk  POCnOAl»^  (KOPk  L.  1 
HO  A'SAOlUlk    H\'k.      llHCTk    'A{i    KHf3k    ß'   4fCli\'k,    HIUIEHEMk    BpA- 

THCAAEk.   JKfua  iKf  fpo  HMenfMk   (nApHnaeya  L.)   ^paroniinpa. 

P0A»BIUH    (H    pOH^A'UiA    L.)    CklHk    CKOH    npkB'kH(k)u,k    KpCTHCTa 

(im  Text:  KpcTMCTacra)  h,   HaA'ScTa  :ki   (h  HapUcra  L.)    niiiif 

tM<>\  BtHJECAAKk.  KSpaCT'mOY  Hie  (MOy  liKO  KHCTk  noAcrpHijjH 
H  'kKO   lipaTHCAABk    (H   FlpHSKa   Iip.  L.)    OTkU,k    fPO   Ha   HOTCTpH- 

;k£hh«  fro  npHsea  (fehlt  hier  in  L.)  KAaiKtHaro  KHCKO\fna,  hm«- 

HeiUlk    HoTapa,    C''  CKOHIUlk    gMO^    KAtpHKOIlUk    (KAHpOlUlk    L.). 

HTf(HHf)i).  ßcHlißuiHiui  JK£  HMk  MHcor  iyaujo\*  L.),  ßsaiuik 
KHCKO\fnk  oTpoM«  (OTpOKa  L.)  HocTaßH  H  (h  h.  ra  L.)  Ha  kphah 

CTtnfH'HOMk  (ha  KpHAli  CTf Hf H'H'ReyK  L.)  HpfA'  OATApflblk,  H 
KAarOCAOBH  pfKH-  TOCHOAH  KOJKt  IlcOl'  XpHCTC  (P.  H.  \'.  L.) 
KAATOCAOßH  OTpOKA  CfPO, 'RKOHiE  KAArOCAOBHAk  fCH  npaß(f)AHHe 
TßOe.     GhH,E    JK«    C    KAarOCAOßeHHJIUlk    KHCTk  nOACTpH>KfHk.    (L. 

beginnt  hier  eine  neue  Lection:  mtchh«).    t'Kmjkc  luiHHiuik  'Sko 

KAAPOCAOßfHHeyk    KHCKO\fnA    TOPO  HpAB(t)AHarO    H    imOAHTßAMH 

fro  HaHfTk   (nane  L.)  orpoKk  pacTH  h  kaatoaI^thio    koh^hck» 

\'pA(HH)Llk  HAßHME  (K.  K.  \.  H,  JKE  L.)  KHHff  CA(o)ß('R)HCKHe  H 
AATHHCKHE    A'^^pO. 

HTe(HHe)  1).  0\fiupßuJ0if  iKf  o(Tk)i;ov'  ero  noHTOßamf  (fehlt 
in  L.)  H  HtcH,    HocTaßHUie  h  KHf3a  ctro  Eapfcaaßa  (nocT.  h. 


1)  In  L.  hier  keine  Angabe  einer  neuen  Lection. 


Analect.a  romana.  13 

K.  c.  U.  L.).  CKiHa  tro.  KoAfCAaß  :Kf  kp^t"  ero  no,\,  hhük  pa- 
cTlvauif.  G-tvYOTa  iKt  oi|if  OKa  MiXa^-i.  Wa  um»  tro  ,\parc- 
r.iHpa  oyTBp,\,H  stMAK»  M  aK>,v,n  cTpoi«.  ,v,*5"A'l^^*  ßspacTs 
liniKcaaRK  (,vc»H;\,1vmf  ii  K3pacTK  FiciiiccaaKK  hahi  car.ik  cxpo- 

IITH    i\IO,V,H    CKOf    L.  . 

MT«(HHf)i).    Kaar o,\,1vTHW  h;«  Bon^iKio  k  hcthhoIj*  (letztes 
Wort  fehlt  in  L.)    Ii(i|iKaaßK    KHf3k    h«    t'kmo   kuhth    HaRHMC 

,\C>KpC>      ,V0Kp1v    L.),    Ha    H    K'kpOlO    CKpilIfHk    Klv.      FlCkü    IKe    HH- 

i|inMk  A'^'^'^P'*  TKopauie,  naruf  o^vlvKaiiH,  aaMC»v'i|jff  nuraui« 
'nHT'k-Ruje  L.),  CTpan'HHe  npiin.iauie  no  fKaHt^facKOMov;  raacov. 

B\V,CKMH    IK(    Hf    A'VV'l^li'f     03aOKHTH    (0KH,\,1vTH    L.),     AM>,\,M     KCf 

oYKonie  (L.  add.  h  Korariif)  MMaoRauie.  Iioroy  caov'>Ka|iMriik 
paKOTaiue  (k.  paKOTawiiJUHk  caoyjKaujf  L.),  ii^pKRan  >Kf  h 
KC-KMk  caov:K«i|iMiiik  R  HH\-k  A'^'^^pa  TRopame  (L.  ausfülnlicber. 
HpKRH  MHoriif  saaroMk  Kpaiuauie.  G'kpoi,'e  ovko  Roror  R'ckMk 
cpk^V*»H*'^'i^  CROHMk  Rca  Raaraiv  TRcpame  IviKt  KoaHJK,A,o  mc- 

'A{MUi    R    ;KHROT'k    CROfMk). 

HTf(nnt)-)-     PasVpAivme    fPa3Yp,v,'kR'mf    L.)    >ke    Mech 

(MflirU,H   UOVJKH),   HU'A^l  (h   L.)  ,\,  ''^K'^OV'  RAUSUIOV'  (RaC»;K'llJOl'  L.) 

R  cpk,v,kii,a  ii\'k  (L.  add.  IvKoiKe  h  ,\,p'kRa«  r'^  cpii,«  H»o,\n  nplv- 
,vaTfaa  rocno^yivHa).  licxaRuie  'wcTMUi  L.)  'a^(  Ha  rc>cnc>,v,a 
cROtro  (L.  add.  Iifi|ifcaaRa),  "kKCH^e  Hio,v'kH  na  XpHcra  (L.  add. 
rc*cnc»,v,a).  ÜHcaHO  ro  fCTk  'kKO  RckKk  Rcrani  (ßcraRH  L.)  na 
rctcno,va  cROfro  hw.v.'kcük  HJO,A,'k  L.)  nc»,A,OR'Hk  fCTk.  II  p'kiiif 
HaroRopHtiJf  L.)  K  liOAfcaaRC^y  ;lictafcaaRa  L.,  add.  pfRC>\,'qif} 
\-oi|je  (yoiiHTk  L.)  t(  RpaTk  crapIvH  (Baji^caaRk  L.)  oyKHTH. 

C'Rfl|iaRk    C    MaTfpHW     H     C    .VPOV'SHMH     (Ck     rilOV'IKH     CROHIllll    L.^ 

Tu  ncH  saan  h  IieiiJfcaaRa  RlvYoy  (L.  add.  np'kJK,\,e)  HaorcTHan 
narepk  (L.  add.  crok»)  HsYnaTH  Rf3  rhhh  (r.  r.  HsarnarH  L.). 
Ga  IK«  (Ha  Rfi|ifcaaRk  L.  pa3cv'ü'k  (-Rk  L.)  CTpa\'k  roikh 
CBOlv  (ov'RO'k  L.    ci  caoRccc  raaroawuja- 

MTe(HHl)3)       MTH      0(TkU^a     TROfTO     H     MaTfpk     TROW,      H 
R3aiC>RH     (R'3aK>RHUIH    L.)    HCRpHHaro    TRC>frC>     (CROfrO    L.)      kKO 

(i;aKCt  L.)  caMk  ctRs.     Xox'k  (\'ot£  L.)   ;Kf  HcnannTH  RckKOv; 


1)  In  L.  hier  keine  Angabe  einer  neuen  Lection. 
-)  Hier  beginnt  auch  in  L.  eine  neue  Lection. 
•^  Keine  neue  Lection  in  L. 


14  V.  Jagic, 

npaKA^V  (^-  ^^^^-  KOiKHK«),  KSßpaTH  maTfpk  cßow  r  ITpark 
om.  L.),  ßfALiH  (h  ß.  L.)  Kai  ce  h  raaroae  (c'  iiaaHEMk  roßopam« 
L.)-  rociic»,\H  (L.  add.  kotki)  he  nocraßH  mh'K  (L.  add.  ctrc)  sa 
rp'R\'k.  H  noLi(n)Haj  caoßo  ^aßH,\,a  npopcna  raaroaame  (ro- 
ßopaujf  L.)-  rp-Ryk  k«hocth  üo«  h  nfß(1i).\t:HHlv  ucjrc»  (L.  add. 
ncMEHH)  rociiC';k,H.  nae  jk«  et  MTliaiuf  Marcpk  cbok>.  Ona  ;Kf 
pa4,c>ßaujf  ce  o  ß'kp'fe  (L.  add.  ero)  h  Kaaro^liTH  (o.  ka.  L.)  «ro, 
wjKf  Tßopaiiif.  Hf  t'kiho  go  HnqjE,  Ha  H  npoMte  rjiHaoßauif. 
npo.vaßaHH'k  HCKOvnoßauif,  u^pußan  h;«  ß'  ßaacTH  cßoni  ßfauH 
,A,OKpo  ©Y^'^'P^M  (L.  etwas  anderes :  hhijjhm"  h  CTpan'HHMk  h  npo- 
HHük  LiHorHUik,  1vKo;k6  cnp'k^i.k  p-kyoük  ^Oßpo  Tßopauif.  na 
H  npo^aHHf  Hc'KO\j'noßaiiJf,  u,pKßH  jßf  k'S  oi'cxpcHak  ß'  ßctyk 
rpa;i,'fe:Y'*  S'kao  A*?Epli),  Htp-fec  ß  hh^i*  o^nP**^"  "^*  caovjkkov; 
ßoror  ß  HH\-k  TBOpa\-c«v'  a('*)h'*  "  Hoi|Jk  (L.  anderes:  h  caoy- 

IKHTfaH     ßO/KHf    ß'   HH\-k    ßfa'lUIH     KpaCHO    CT     MHOr'    -tSHKk,     KH 

caov-^EOi'  ßoror  t.  x  "  "•)  crpomHeMk  ßOH^HMk  (coH^HfMk  L.; 
H  paca  ero  BaiJecaaBa.   ßca  A"^EP*^  cßpujH  (L.  statt  dieser  drei 
Wörter:    B'aO/KH  ik«  elkm;  Bork  b'  cpAi^U«)  c's^^  ^«   ("  c.  L. 
i;pi:Bk  cBfTaro  IiH;i,a. 

4Te(HHf).    RoafcaaRor  jke  KpaTo^f  erc>  (L.  add.  Haov'Ljj«- 
Hoy  KHß'iiJOY)    Ha-Hk,    ßc't'k    ;k,'lvßak  b   cp;i,ki;6    crc  saoBOV. 

'RK0#K6    OyEHTH     H,     ^a     HHH'fe     CRaCfHa    ;i,OYliJ^^    f^^    ß    Bt^Kk    (L. 

anders:  ;k,a  he  kh  cnacEHa  AO\'iua  Ero  KHaa  ß  ß-tKk  L.).  IlpH- 
ma^uiOY  jke  ^^hebh  cßETaro  flspaMa  (npH^E  jke  ^kHk  CBExaro 
[In'paMa  L.),  k  hemov-ike  b-K  OB'kT'Hk    OB'feTaHk  L.)  FiEHJEcaaBk, 

H    BECEAELIIOY    CE     EMOr    B    A(|*)HI*     T''*,     T»     "CH     SaAHH    (TH    SAAM 

ßpasH  L.)  npHSßaujE  lioaEcaaBa  h  BEHJa\-o\j'  (c'ßliTk  TBopayoi' 

HEnpH'kSkH'HH  L.)    m'  HHMk    0    OV'KOH    BpaTa    Ero    (O   BpaT'fe   CEMk 

BEUiEcaaß'fe),  'Skojke  (L.  add.  ;i,p'Kbae)  HW^-feH  o  XpHCT't.  Bh- 
ßaiOLpHfj)'  (-ijJEiui)  'Aie  CBEqjEHHELik  upKBH(o)Mk  B  rpa^-kyk 
ß^  ßctyk  rpa^-feyk  L.),  Belpecaab  jke  t;3,\,f  no  bce  rpa,v,f 
rpa.\,H  L.),  BHH,VE  ß  rpa,\,»^  cpara  cboeto  (der  letzte  Satz  fehlt 
in  L.).  ß  he;i,1jaw  jke  co\fi|JH  (coviiior  L.)  b  npasAHHKk  inpas- 
;k,HHKOV  L.)  KorsMH  h  ,\oM'kHa,  h  nocAcymaßk  hihce  (üaiue  L.) 
orcTp'iuiH  CE  HTM  ß  Ilpark.  liOAECAAB  iK.i  BpaTk  ETO  (die  letzten 
zwei  Worte  fehlen  in  L.)  o^CTaBH  h  -kAHHMk   (cKBp'H'HHiuik  L.) 

OlfMCMk,    pEKH-    HE  OryO^H    (nOMTO  OTyC^HLUH  L.),    KpaTE.    HEO 

(L.  add.  h)  hhbo  u.'Kao   HMaMk.     Ga  jke  he  ctpehe  ce  KpaTov 


Analecta  romana.  15 

cKOfMoi'  (letztes  W.  fehlt  in  L.),  Ha  Kc«,v,k  Ha  KOHa  na  kohk  L.) 
urpauif  (MrpaTH  naH«  L.)  c'  cAOVTauii  (L.  ackl.  ckoiimh)  k  rpa^'k 
(om.  L.).  H  p-kuie  (uoy  (L.  anderes:  Toy  }K6  mhhmk  IvKO  noK'k- 
,V'Ruie  «iLior  p6KC>\"i|i«)-  \'oi|if  (\-oi|irrk  L.)  t(  spaTK  lioafcaaKk 
ov'KH'rii.  Oa  ;Kf  Tor.icv  he  KkpoKa  (n.  k.  t.  L.},  na  na  Kora 
ov'fiKauH  Hf  KHTH  CHt  (L.  kUrzcr .  na  Kora  kbaojkk).  Ilc»i|i'  jk« 
iipHcirk  iipMuia.v  lUH  ;ke  hoi|ih  L.)  m  cKpaKiiic  a  th  mch  (ca- 
KpauiE  cf  TM  3aaH  iipa3M  J..    na  A'^'^P'  frepa  Bpara  l'H'kßiiiiiH 

(PH'kBHCE    L.)    H    0\'TKpAHUie    SaAHf    CBliTH    0    rOCnO^lv     CROfMk 

(L.  anderes:  h  npus^Kaiiif  lioafcaaKa,  o\'TBp,VHUjf  m  Hfiuk  ra 
HcnpH'ksaH'HH  cßliTk  0  KpaT'k  eroi,  'kKO^Ke  HM>;k,'kM  o  XpucTk, 
KaKO  ov'bhiot'  h  (L.  ausführlicher:  'kKOJKe  .vpkKAf  CHM,v,oiiJe  et 
M;M,v,oßf,  MMcaniiE  na  XpHcra,  raKO  ii  cn  hami  ircn  caiua^iue 

C(    CK'kTk    CTßOpHÜJf,    KaKO    KM    OV'KHAH   TOCHO^a    CßOfTO  KHfSa). 

PlvMi«  :Ki  K  cf  K-k  (dieses  Wort  fehlt  in  L.)  ■  (r,\A  (Ka^a  L.)  noH- 
,\eT'  Ha  WTpHio.  T(a)rAa  ov'KHfM'  «ro  (L.  aaHMk  ero). 

4TE(HMf).  fOrpov;  iKf  ßMßmov  ß'sßOHHuic  na  lorpHK». 
lin|ifCi\aß  :k(  caMuiaß  3B0Hk  h  pene-  yß*»'^'*  (caaßa  L.)  TfKk, 
rccno^M,  HJKf  ,v,^*'^'^  fCM  HaMk  (dieses  Wort  fehlt  in  L.)  ,v*^g"'''h 
WTpa  cfro.  H  BCTaßk  H,\,e  jic>H,A,e  L.)  Ha  lorpHW.  m  acMf  (aK. 
HJf  L.)  cacTMJKf  M  KpaTk  fpo  (diese  zwei  Worte  fehlen  in  L.) 
Boaccaaßk  ß'  (ßjpaTeyk  (L.  add.  u^pKßHMyk).  II  pene  eMO\f  cpark 
Iifi|i«caaßk  (L.  anderes:  Eiti|jecAaß  ;k6  osp-kß'  ce  pes«  k'  MeMc»\;  • 
,\OBp'k  HaMk  cAoyjKKfHk  B-k  ßHfpa  (BpaTf,  ;i,OBapk  Bli  Haf.ik 
cAoyiKaBHMKk  ß'HEpa  L.).  lioAfCAaßor  'Ait  ^v'lißAoi'  H  (om.  L.) 
MpMHMKUJOv;  B  cp^kii,«  (ß'  ov'\-o  L.)  H  pa(3Bpa)i|j'üJ0\'  (L.  add. 
cpiJte  tro)  aKH  Htc^-k    diese  zwei  W.  fehlen  in  L.)    m  MSßA'kKk 

{ji,c\  MSßA'kKk  L.)    MfMk    pjMf    (OTß'kqia  pSKH  L.)-    HHH«   Tf  \'oi|ior 

oyBMTM.  (U  JK6  peKk  ov%\,apH  H  (L.  add.  MEHfuik)  HO  raaß'k. 
ßfilifCAAB'    HU    c>Kpai|Jk    c(    (L.   add.    k'   Hfüoy)    m   ptnf      mto 

ECM     OV'MMCAMAk,     BpATE.     H     1vM    M    H^TKi     M     Ha     3EÜAIC>     (M    'kMk 

noBp.  M  H.  3.  L.)  H  (Tfpk  ;\po\j'JKa  npHTEKk  oy^pH  Iia^ICCAABa 
b' poyKoy  (L.  anderes:  CAoyra  h<«  frtpk  npMTtKk  oyT«  Finiif- 
cAABa  B  p.).  GeijJKAaß'  Hie  ßpkl^fH  cm  pov'KCic,  noyijik  Kpara 
iiOK'kJK«  k' i^pKß-k  (L.  anderes:  Ga  TKi  ßp'kA^^H''  cm  poyKOK»,  n. 
Bparpa  n.  k  ii,pkbh).  3aoa'Iv''v  >Ke  e-  (,vßA  L.),  pfKoua  Tnpa 
M  Macra,  oyKMcra  m  b"  ßpareyk  u,pKKHH\-k.  lioAECAaß  (FH'k- 
BMca  L.)  }K€  npHTfKK  (npHiua^k  L.)  ß  rn-kß-k  (fehlt  in  L.)  npo- 


16  V.  Jagic, 

KO,v€  H  (p(i;pi\  fr.ic»v  np.  L.)  MtMfiuiK.  EniifCAaK  jk«  acHf  HciioycTH 
;k,o\'\-K  cßOii,  pfKii  ■  B  poVH'li  TiiOH,  rocnoA»«,  npeA^»^?  A^W»^ 
MOH.  O^-KHUje  JKf  (L.  add.  toxtaI^^ka«  k'  tomk  rpa,A,1v)  h  A\a- 
CTHHK»  n'fpiV  HacTHa  yoij'JKa  Iifi|ifcaaKaa.  lIpoMee  Hie  rHaiuf 
PHairiUf  L.)  B  llparh,  HSKU-Sioiiif  (L.  anderes:  obh  hschuie, 
CBH  JKf  pa3Kliro\['  c(  no  sfMAH)  H  waa^UHUE  HSAaBHuit  cro 
paAH  (L.  luia.  iKf  M\'k  usA^^ßmut),  ii  /Kshh  3a  HHe  luiorHJH  ba^ui« 
(jK.  ;k.  LiHorne  sa  rnmf  lio^h;«  b.  L.)  h  bco\j'  boaio  cbpllihlue 
(L.  ausführlicher:  caov-;KHTfAe  KOJKHf  H3VHauJ6  h  bco^  HenpHt- 

SaHHOX,'    CTBCpHUJf).      CBfTk    KC    LIO^Hf HHKK,    XpHCTOBlv    lUlOyi^'k 

npHAPoi'MUi  c(  yov'Ka  erc».    (Dieser  Absatz  fehlt  in  L.) 

4Te(iin«!.  Gaija^ov '^*^  "^  Hfiui'HecH  KaKO  HiHA«?Bf  «>  ^PHcr-k. 
(Dieser  ganze  Satz  fehlt  in  L.)  Tnpa  >Ke  pene  (L.  add.  lioaecaa- 
BO^f)-  noHAHMO  (noHA^iimi*  L)  h  ^oc^<M«^  yaTfpK  Baio  oXj'KMuyo 
[js,i\  OYKHfMu  H  rociKMO  M.  B.  L.),  A'*  HHjrAOV  CKaeiUH  Kpara 
H  MaTfpk.  Oh  JK6  (lioatcaaB  :k(  L.)  pfMr  Ht  oipe  (L.  ausführ- 
licher: Hk  KaMO  cf  A''^'fv\«'i'>^?  A'^"\\''^^^f  A'^'^cirkeyk  hhIvLIh). 
Bf LjjfcaaBa ')  jkj  othaoijj6  otha^V  L  )  pac'cKHfHa  h  H£c\\-pa- 
HSHa.  KpacH-kH  (KpacT-kH  L.)  ;k«  fp'kn  (L.  add.  «Tcpk)  B3aMk 
T-Rao  Fifi|j?caaBa£  (für  beide  Ausdrücke  L.  nur  h)  noaoHin  e  (h  L. 
npfA  UpBBOio  iiOKpHBk  naa^TOK».  GaiiuiaBiuH  jkj  uath  ero 
oYB'fHk  co\fi|ik  ckink  CBOH  npBlvH'nk  (dicscs  Wort  fehlt  L.,  dafür 
hinzugefügt:  npmuaA'iUH  HCKauie  h  c»\'3p'SB'um  u)  npHnaA« 
k'  cpLi,o\f  (L.  add.  erc)  naaMO\fL|JH  (L.  add.  c«)  h  CKpaBiuH  (L.  add. 
BCf)  o\^^,»  T'kMci  «ro  H«  ciuili  H^k  (dieses  Wort  fehlt  L.)  hkth 
B  A*''*'^'^  cKOii,  Ha  Ba  h3r1v  nonoB-K  (tpeiKi^'k  L.)  o\fiuiHBiiJH 
CKa-feH«  t  (om.  L.)  h  B3ayiJJH  (Hfc'iuH  L.)  noao/KH  e  (h  L.)  b 
ij,pKBlv  (-BH  L.).  ()\j-RO'kBUiH  (im  Texte  fehlerhaft  c»\-KC»\-BmH)  >Kt 
et  o\'c'6h''K  KlijKa  B  XpBare  (^pBaTH  L.).    GoaccaaB  jk«  nocaa 

i(  paAH  H  HE  HaHA*  f  T'^^V  (^-  '*^-  nocaaBk  he  a^c"  "  '^'►'^V  ^O- 
npM3Ba  ;k£  (llpH3BaB'ujE  ;ke  L.)  Ep'kiv  (L.  add.  ETtpa  HuifHEMk) 
llaBaa,   a^*   "   MÄTBaMH   norpEBETk  (L.  anderes:  a^*  ocAHTBk 
cTBOpHTk  HaAk  T'kaoMk  FiEiiiEcaaBaMrik  norptBOUiE  Macr'^HOE 
T'tao  ÜEiiiEcaaBAE,   A'^'^'^P^^ •'*'''    "  npaBaro    Lioyaia  h  BoroMTna 

M    \'pHCTOaWKHa.      A'^V^'^    ''^^    ^^^     B3HAe    K    KOrOY    EMCIf/KE    (L. 

add.  h)  cAorjKH  c  A\''^''ß"'kEyk  (sie,  L.  c'  roR-kHHEyk)  h  c  cTpa- 


1)  In  L.  beginnt  hier  neue  Leclion  mit  dem  vorgesetzten  ixe. 


Analecta  romana.  17 

\*OMK.  a  KpKK  <ro  K.  :Kf  f.  L.)  nc>  Tpn  ,v(«*)h»  »<«  p^mh  htu  r 
3n.i.\K>    K  3.  H.  L.),  Tprrn  jk«  a(i^)»i^  (L.  dafür  BfMCpk,  kcRmk 

KH,V,n|IHMK)     K3HAf    Hp»^'^'^    (Up'kKH    KSH.V«    L.)     Ha,V,K    HHMk    1vK0 

^HKHTH  c(  mho3'Kmk  c\i(  KMA« il'"'-'*^  (T^-  ^tatt  dci*  letzten  drei 
Worte  uur  kcKük).  m  oi|if  oviiKan.iK  na.vkn.r  et  L.  k  (L.  o) 
Koslv  (L.  add.  MoanTKauH  KAaroR'kp'narc»  h  .vosparo  nov'iKa 
liEi|i(caaRal  Rnji'iiif  Toy  ho\',v,o  (Rn|!Kiifn.ic>\'  MC»v%v,fC5')  kRUTH 
c(.  PkcH-k  y\\  pkc  HOToy  L.)  :Kf  XpHcroRk  wov'i^k  (h  cRn'M\-K 
Mov'MEHMKk  add.  L.)  iipn.\,pc\"KH  c(  (npHAO/KH  c(  L.)  MOV'Ka  fro 
(L.  gibt  noch  folgenden  Zusatz:    cR'kTk    ko   CTROp'me   o  »ifMk. 

ICKO'^f    HIO,V'kH    0    XpHCTlx.    pac'CkKOUlf    IKf    M    'kKOH^f  H   llfTpa. 

li  Maa^.'kHUf  fro  pa,A,H  usAaRniiif  'kKC»;Kf  ii  XpHcra  pa^H). 
Oyß'fHk    H^•f  Kk   (KkicTk  L.,    add.  CfipfcaaRk    K'Hf3k)    ykcena 

CfKTfKpa      S-     H    OCMH    .Vf**  H*^-      KOfk     IKf     MOKCH    ,V,Ol'UIC>V'    frO    R 

CRn"kfMk   noKOMi|iH   ck   Rckr.iH   npaR(f),v,HHr.iH  h   c  ckOH    hik« 

IIJ     HHMk     (frO     pa,VH    L.)     OVK'fHH    (H3RHfHH)     COV'Tk,      HSRHH'HH 

coyqif. 

\\(  ocraRH  (L.  add.  :\{i)  Rork  R-kpHHyk  r  nopoyraHHf  hi- 

RlvpHHMk    (-H\-k    L.),    Ha    lipHSpl^Rk    MHAOCTH    (älp'k3pkR'    MHAO- 

CTHK«  cROfK»  L.)  npHAo;KH  (L.  iip'kAOHiH)  OKaMfHfHa  cp^kna  R 
(L.  Ha)  HOKakHHf  h  pa30\'ü'kHHf  rpl^ya  (rp-k^k  L.  H\-k.  ,\a 
(h  ;»,a  L.)  BoAEcaaRk  noMfHOV'  (noMniov'Rk  L.)  KoaHKk  rp-k^k 
cVßopH  H  npHAlvHCHO  Korov  H  cRtTH(yk)  fro  caov'iKanif  (L. 
anderes,  nach  cTRopn:  norioan  et  Korov;  h  Rc-kiiik  CRtTHük 
fro)  H  npHHEce  np-kHtcf  L.  T-kao  Kpara  (L.  add.  cßOfro  npa- 
KeAM^^fO  MOV'",Ka)  Bfi|ifcaaRa  r'  llpark  M'kcen,a  üapna  ■%■  th 
;k^(k)Hk  (die  Zeitbestimmung  fehlt  hier  in  L.),  raarcae  r  ciKU  (L. 
ohne  K  cfKlv,  dafür  a3k)-  ckrp'kmH\'k  h  rpkyk  moh  c'K'kA'k. 
H  noaoiKHHif  R  ii,Hr.iHTp'k  noa.  ;k£  e  r*  KOCTfalv  L.)  CRtraro 
GH,va  0  ,v,*cHC»v;io  cTpaHoy  oarapa  oßoio  na  j^icn  (a)no(cTo)- 
ao\',  »^\('A{t  c(  Kk  pEKaak  noaoiKHTH  (k'S  h  cawk  peKaak,  ohne 
noaoiKHTH  L.)  c\3AJRk  u,pKBk  u,p'kKH  L.,  hier  steht  in  L.  fol- 
gender Zusatz :     npJMfCfHO    IKf    R'    HCTHHOr    KHCTk    TlvAC    Gfl|Jf- 

caaRa  KHf3a  \*pHCToaK>KH,a  ykcena  napna  r  ■%■  th  ,v(k)Hk). 
Ha  aoHO  h;«  cRCTH\'k  naTpHap\'k  oyü'kcTH  Kork  ^cymcy 
ero,  H.ykJKf  rch  npaKf^HH  noMHRaKtTk,  HaK>i|ic  cnacfHH-k  Tii- 
A6CH  CKOH\'k  0  XpHCTli  L.  hat  deu  Sehluss  etwas  anders:  IIa 
aoH'k   /Kf   HRpaaMaH   h   HcaKORAH   h  'liKORan  Kork    o\-ü1vCTH 

Arcliiv  für  slavische  Philoloji-?.    XXV.  2 


18  V.  Jaglc, 

..\,c»YiiJO\'  frc,  K,v,'lv  KCl!  njnmf.VHii  nOMMKaw  ru  MfKahM|ie  KCKp'uji- 

HH'b    TkAfCk    CKOH\-K    0    XpHCT't  HcOVC'k    rOCMC»;i,1v    HillUküb). 

Nach  der  Legende  folgen  noch  in  R.  und  L.  einige  Antiphonen, 
die  ich  hier  nach  L.  mittheile,  weil  mir  die  Zeit  nicht  ausreichte, 
um  sie  auch  aus  R.  abzuschreiben,  doch  aus  den  Anfangsworteu 
sehe  ich,  dass  beinahe  volle  Uebereiustimmuug  herrscht  zwischen 
R.  und  L. 

K'    y  (i\TO\-TM)HH     H    r(0),V,{HHa!llK)     a  H  (T  H  c})  0  H  k). 

Mc>\'JKk  noKOHHH  GaiJecaaßK  yo\-MJHHKh.  rocno^Hk  npe- 

^VparH,  ßaJK'/KfHk  OrHflUIh.  K0JKH6  AWKKH  TBp'^l.OCTaH^H'K  Tpnlv 
MCXfMfHHS  H  npC»  BfAHMCTBC»  MO^KH  A'^'*"A«  ^^  J^()<:i\'}KHHCTßO\' 
CKtTH\'U    aHtifAk. 

nH(TH4)0Hu).  Gero  caaiiHa  MoanTKa  Haiuik  npHOKp-RiiJH 
OTno\-i|ieHHf  rp'k\-c>Kh.  ßc1vYi»>  n^^£  npo  lic>\-kh  rpn'kHHj  b'Smhh 
o\-Te;Kt  Blvnaii,i*. 

ÜH(TH(I)C»Hh.).     Ga  CBfTH  ^OCTOaHH-k  b'  nAUfTb.  B-SHHOV'IO 

OEpaL|ja«T'  ce  MaoB-kKOMk  hik«  k  pa4,ocTH  antiEAk  npnyo^HTk, 

1iK0  B  CEMk  CTaHOBaHH  f;k,HH'kMk  TaKMO  T'kAOlUlk  nOCTABAfMk 
B'k,    MUmAfMUEMk    >Ke    H    /KHTHfyk    B'   OHOMk    B'tMH'kMk    OTCMk- 

CTB'R  (sie)  OKHTa.  (Diescs  Antiphon  scheint  in  R.  durch  ein  an- 
deres ersetzt  zu  sein,  das  mit  dem  Worte  yaa^V'kHu^e  beginnt). 

nn(TH(I)OHk).  Or  orsk  T'kAa  c'BpmtHk  raAaHT"  cfB-k 
nopo^HCHH  cBOfMoif  rocRO^v« ü't  c  AH\'BOKt  upHHfCf.  (Auch  an 
dieser  Stelle  steht  in  R.  ein  anderes  Antiphon,  das  mit  HpH^i,« 
llaBAk  beginnt).  ■ 

?lH(TH(I>c>Hk).  filinau,k  MacTank  (R.  KpacHk)  noAOJKOv  Ha 
raaB'k  yo\rM«nnKa,  raaroArrk  rocno,\,k,  n  c^v-k/K^oy  h  phsok» 
CAABH,  ivKO  cypaHH  saiioB'k.vH  yo6  H  iiU(U(  yoero  pa;i,H  hsahta 
(  KpH  «ro  Ha  seyAK». 

K  B(Aarc>CAC»Be)Hk  aHk(TH(])OHk).  GaaBa  bc»v%vh  npt- 
cBfTliH  TpoMij,H,  BKO\'n  :Ki  H  ^(^BaAk  ^'k-^HHe  H  (i  HCHsykpHykH 
yHAOCTU  Ka  TpoHyk  oraaujfHHEyk,  6,i,HH'kyk  jk«  corijjacTBcyk, 

B'    BCkH     BCeAtH-kH    OT    KCkyk     KOA'kHk    H    -kSHKk     «;i,HHC»     TliAO 

CBpmagTk  i^pKB«,  OT  HeeH^e  np'kcB'kTAarc»  mX'  poH;^*""'^  utiK- 

,A,C>\f  ,\,pO\jTHyH  TaKO  yaTfpHK»  0Kpa30BaHk  H3  BHCOM-kHUJarO 
EOEMHE  pC>A*»  MaCTHIO  H3H.A,6  nopCt,A,k  BO>KHH  MO^f^Kk  ßfUJECAaBk 
erOJKE  KpaTk  3Ali  SaBHCTHBk  H  AWTk  AliKH  KaEHk  HbEAA 
,Vp1vBAE  CBpüJH   yC>\fHEHHKa. 


Analecta  romana.  \Q 

K  b;«]-\(ii)h  h)  aH(TH«I)OHk).    OKnil  rin|ifc<\i\KK  liHiimai'o 

XpHCra  MOV'MfMMKK  K  fioAf CAaiiAM  rpa,V'k  c'iqiUlfMOV'  f.lOV'KOY 
npHliTk,  HfKfCKa  ([.('kcalpCTßH-k  CaaUH'k  ß'3MTH  OVTfHif,  fro 
npOC-kMK  llpHA'kiKHIIMII   HpOCKaMH   MOAHTM  3a   liaCK  llpHCHC». 

Op(a  u  irk).     iloMiiaov'M  nack,  lipo  .  .  . 


Diese  Anffiudung  eines  zweiten  Textes  der  Legende  kann, 
glaub'  ich,  wichtige  Dienste  leisten  für  die  Beleuchtung  der  That- 
sache,  dassundwie  eine  ursprünglich  einheitliche  Textredaction  im 
Laufe  der  Zeit  durch  allerlei  Aenderungen,  Kürzungen,  Um- 
setzungen, Auslassungen  oder  auch  Zusätze,  zu  manuichfaehen  Ab- 
weichungen bringen  kann.  Der  römische  Text  steht,  das  zeigt  schon 
eine  flüchtige  Vergleichung,  in  den  meisten  Fällen  von  der  nicht 
schwer  herzustellenden  ursprünglichen  Redaction  der  Legende  etwas 
weiter  ab,  als  der  Laibacher.  Nur  eine  Stelle  fesselt  unsere  Auf- 
merksamkeit. Wir  lesen  bei  Vostokov:  T\-iKa  npureKk  v^apH 
ß'K  PV^Vj  in  dem  Text  des  Makarius:  H  npuTfKk  f.yHH'k  OT'k 
coc'kTHHKk  T'k\-k  yckKny-BT»,  PVi^V»  ini  Laib.  Text:  Gaovra  jkc 
erepk  npHTEKk  orTC  GEL|icc/\aßa  ßk  po\-KO\,-,  im  Römischen: 
H  «Tfpk  ^\,P<>V'*^'*  npHTfKk  o\'4,pii  lia|JEcaaßa  ß'  po\,-KO\-. 
Zwischen  der  cyrillischen  Redaction  mit  ihrem  räthselhaften  t\,-h;  a 
und  der  Römischen  mit  ihrem  nicht  minder  dunklen  ^v.P'^V'*^^* 
scheint  ein  innerer  Zusammenhang  angenommen  werden  zu  müssen, 
sei  es  nun  dass  Druza  ein  Nomen  proprium  war  oder  als  ein  auch 
im  Altböhmischen  nachweisbares  Appellativum  ch'uza  (d.  h.  druze) 
die  Bedeutung:  Kamerad,  Geselle,  ausdrücken  wollte.  Im  letzteren 
Falle  hätten  wir  einen  C'echismus  mehr. 

Um  nochmals  auf  das  ganze  Officium  zurückzukommen,  will  ich 
hervorheben,  dass  die  Legende,  als  der  älteste  Bestandtheil  des 
Officiums,  ursprünglich  ganz  unabhängig  davon,  vom  Wenceslaus 
nur  als  von  einem  gerechten  Manne,  der  Gott  und  Christus  liebte, 
und  noch  nicht  von  einem  Heiligen  spricht.  Die  später  zur  Her- 
stellung des  Officiums  hinzugefügten  Antiphonen  aber  verehren 
ihn  schon  als  Heiligen.  Mau  ersieht  schon  daraus  die  nachträgliche 
Anlehnung  dieser  Bestandtheile  an  die  in  mehreren  Lectionen  ein- 
theilte  und  aus  diesem  Anlass  auch  etwas  gekürzte  Legende.  Aber 
auch  der  hier  von  mir  zuerst  abgedruckte  Hymnus  des  Laibacher 
Codex,  der  weder  in  dem  Moskauer  noch  in  dem  Römischen  Exem- 


20  ^'-  Ja»'«^' 

plar  zu  finden  ist,  verdient  beachtet  zu  werden.  In  keinem  einzigen 
lateinischen  Hymnus  zur  Verherrlichimg  des  Wenceslaus,  deren 
viele  ich  las,  fand  ich  den  Gedankengang  des  hier  erhalteneu 
Hymnus  wieder.  In  allen  anderen  sieht  man  schon  bei  der  Lob- 
preisung des  Heiligen  die  Abhängigkeit  des  Dichters  von  der  spä- 
teren Auffassung  des  Wenceslaus  nach  dem  Inhalt  der  lateinischen 
Legenden,  nur  hier  wird  er  noch  nackt  als  Opfer  eines  Bruder- 
mordes, als  Abel  gegenüber  Kain,  gepriesen.  Gewiss  ist  diese  Ent- 
hüllung der  geschichtlichen  Thatsacherj  selbst  in  dem  Hymnus  sehr 
alt,  wenn  auch  Wenceslaus  hier  schon  als  ein  Heiliger  und  Märtyrer 
mit  mehreren  Wundern  geschildert  wird. 

IV. 

Das  erste  kleine  Büchlein,  das  mir  aus  dem  slavischen  Hand- 
schriftenbestand der  Propaganda  in  die  Hände  kam,  war  die  von 
Racki  in  Starine.  Bd.  XIV,  S.21 — 29  beschriebene  und  besprochene 
bosnisch-bogomilische  Handschrift  eines  gewissen  Radosav.  Be- 
kanntlich war  auch  dieses  Büchlein  wenigstens  dem  Namen  nach 
schon  Dobrovsky  bekannt  (Institutiones  p.  XIV).  Sein  einstiger 
Besitzer  war  Matth.  Sovic,  der  es  wohl  auch  in  der  Propaganda 
zurückgelassen  hatte,  wo  seine  Spur  verschollen  war — weder 
Racki  noch  Crncic  oder  Parcic  sahen  es  während  ihres  Aufenthaltes 
in  Rom,  bis  es  nicht  zu  Ende  der  70  er  Jahre  der  russische  Kunst- 
historiker Vladimir  Stasov  von  neuem  ans  Licht  brachte  und  wäh- 
rend seines  Aufenthaltes  in  Agram  auch  Racki  davon  in  Kenntniss 
setzte.  Vergl.  Vienac  1880,  Nr.  33,  S.  535  und  Rad  a.  a.  0.  Stasov 
selbst  zog  nur  die  ornamentale  Seite  der  Handschrift  au,  er  nahm 
in  sein  grosses  dem  Ornament  der  slavischen  Handschriften  ge- 
widmetes Werk  auf  der  Tafel  XXXIII,  Nr.  19—37  eine  Figur  und 
mehrere  verzierte  Initialbuchstaben  aus  diesem  Büchlein  auf. 
Racki's  Abhandlung  beschränkte  sich  wieder  fast  ausschliesslich 
auf  den  Inhalt  der  Handschrift,  der  höchst  merkwürdigen  Form 
der  Schrift  geschieht  nur  kurz  nebenbei  Erwähnung.  Er  selbst  sah 
die  Handschrift  nur  flüchtig  in  Rom,  die  genauere  Inhaltsangabe 
lieferte  ihm  nachträglich  Domherr  Parcic. 

Den  Hauptinhalt  des  kleinen  60  Blatt  umfassenden  Büchleins 
bildet  die  Apocalypse.  Ihr  Text  ist  in  72  Capitel  eiugetheilt  mit 
Ueberschriften,  die  von  dem  Commeutator  der  Apocalypse,  dem 


Analecta  vouiiina.  21 

Andreas,  Erzbiscbof  von  Caesarea,  lierrUhreu.  In  der  Kegel  kom- 
men auch  diese  Capitel  nur  bei  der  commentirteu  Apoealypse  vor. 
Docb  beweist  der  Text  Hval's  (vergl.  Starine  IV,  85 — 88)  und  ein 
zweiter  derMareiaua  in  Venedig-,  dass  die  Eintbeilung  in  72  Capitel 
mit  den  betreffenden  Ueberscbriften  aueb  in  der  nicbtcommentirteu 


TlKt>llSCrWLJXirw^tHH  TKO 

r  HäTK  ClvCTf  KÜHt  Fr/TifE LKK-f-f- 

i  y =rr::::L !____!_ ^ i 


la 


Apoealypse  vorkommen  kann.  Vergl.  noch  OniicaHie  c.iau.  pyKomiceil 
cHiio^.  öiiöj.  1. 157.  Amphilocbius  entlehnte  in  seiner  Ausgabe  der 
Apoealypse  (AnoKa-iHncHcx  XIV  BiKa  Py.MfliiueBCKaro  Mysea,  MocKBa 
1886)  dieses  Capitelverzeicbniss  aus  den  commentirten  Texten 
(vergl.  S.  10 — 17).  Aus  der  Vergleicbung  des  Textes  dieser  Capitel 
bei  Hval  mit  dem  unseres  Büchleins  ergibt  sich  eine  beinahe  voll- 


22  V.  Jagic, 

ständige  Gleichheit.  Um  das  zu  beweisen,  führe  ich  mehrere  Bei- 
spiele an,  und  zwar  aus  dem  Büchlein  der  Propaganda,  die  wich- 
tigeren Abweichungen  aus  Hval  dazu  in  Klammern: 

FAdBa  -X  npoAork  (ü  aHtiAa  eJKf  eiuioy  js^amo»  kh.  —   b-  o 

KH,\1vHH    S    HfHilklKE    Hcä    EH^-k    HO  CpHA'K      T,-    CKHTHAkHHKH.    — 


^ 


n^  nOCAaHHE  fTfCKHf  U,pkKßf  AHtiAS.^ —  -Ji,-  CKASAHHe  HSM^pUCKH 
HpkKß«  AjSö.  —  T  CKASAHHf  nfpkrAIUlkCKHI  l^pkKBE  AHI^aS.  — 
^  Hap-RKORAHHe  T-fe-kpkCKHf  (Hv.TKIATKIpkCKejl^pkKßf  dHtw\S. — 

^HApHKOKAHHE  CAp^^HCKJ  l^pkKßE  AHl^ACy. H    CKaSAHIK  ^HAA- 

AOAk(I)HCKe  (Hv.  nklAa,/VOKklCKl)    i;pKKߣ  aHftAO\'.  —  ^-  CKasaHHf 


Analecta  romana. 


23 


H  c>  iipIvCTO/iHH.  —   ai-  w>  KHHra\'K  3ancHaT/\EMH\'b  ctA'-'"  "f- 

HaTII    KK    (iSlI,!«    IwKHH    liyu^Kf    HMKTOHCE  HE  MOHIf  paSI^PHSTH.   — 


eiH7 /SA  H|f  «l  Will  t  MM^ITl.  OiWHJAMia^ 
TH^'TCAMiUlHTt  Hl^^f  IT  KtMEltC  KUUAt 

cfl  mgcvKKiv  KUTr  Kmr  £'Ka^ 


•Rl-    0  arkHkU,H  HMSljJHMb     2^-    pork   KaKO  KHHTH  pasbrHSTH.  — 

•n-  (C'pHiuEHHf  -a-  nenaTH  HanoKaannkCKOc  (sie!)  HacaH;i,kE  ck- 

KaSatTb.    —      ,\,l-    (OpHUIfHHE      R-    nfHaTH   CKaSafTk  HCRHpkHHyk 


24 


Y.  Jagic, 


KL      K'k()KHf      KpaMh      (Hv.    HEKKIpHIIYK      UpaHk      Ha      liKipHKIf). 

^-    (UpHIU£HH£     r-    llfMaTH   CKaSafTk  CUna,\fHHf  HEKHpOBaBUJH\'K 

ya  TKph,,\c».  ^ —  -si    CC'piiiiifHHe  ■^\    iifHarH  "kKaarrk  HaBO,/v,HiiiiHE 


noKasaHHE  paHk(i)  Ha  (DpHU,ahM{JE  et  rnt  HnpkHHEiuik  {!Hv.  roc- 

nO^a  HETpkHklHHEMk),  U.S.W.       K-    0  HapO;i,H    BtHHCAkHHMk  CTO- 
El^HMk  np'fe  npliCTOAOIUlk  BH^HMk  IJKE  HM^Tk  Ck  H)COIUIk  l^pkCTßC- 


Analecta  romana. 


25 


KaTH    (Ü    t3HKK    ll\-k:Ke    HHKT0;K£    H£    M02K{TK    IICHHCTH   vi»  CTKO- 

pcHoro  Hapo.V'^  (Hv.  po,\,a),  u.  s.  w.    Im  Ganzen  ist  die  Ueberein- 
stimmiiDg  sehr  gross,  grösser  als  zwischen  dem  Texte  Hval's  und 


llLTlUf^  Hl^hnL  Kt  A^  Na  '  ^' 


1,  ■  V/ 

IJ-  HHHK     VvnmKU  K 

ÄilH Ol  'l  «X  fi^,^  ^  'IT  K-l 


f—»^ ''*««.•«  ptfj^t,  rivtifm.  t4.«»^»»««w«;,,<yW<»-^"-**''*-   ^V*'** 


jenem  der  Apocalypse  der  Mareiana  (in  Venedig);  die  letztere 
stimmt  hie  und  da  mit  dem  Text,  den  Amphilochius  aus  der  Eu- 
mjancov'schen  Handschrift  und  einer  anderen  des  XV. — XVI.  Jahrh. 
herausgab,  überein.    Z.  B.  im  Capitel  11  nach  dem  Verbum  pasa- 


26 


V.  Jagic, 


rHO\'TH  folgt  iu  Kum.  noch  iö  cTKOpfHaro  po,\,a  (gr.  Tfjg  -/.TLOTv^g 
fpvoscog),  diese  Worte  fehlen  iu  Hval.  und  Propag.,  aber  der  Venet. 
Text  hat  sie. 

Wichtiger  wäre  es,  den  Text  selbst  genau  zu  vergleichen,  so- 
wohl mit  dem  Hvarschen,  wie  auch  mit  jenem  der  Marciana,  leider 
gebrach  es  mir  an  Zeit,  um  das  in  ausreichendem  Masse  zu  thun. 
Für  den  Venezianischen  Text  besitze  ich  eine  so  genaue  Verglei- 
chung  mit  dem  Hval'schen,  die  ich  der  ausserordentlichen  Güte  des 
Professors  Dr.  Mil.  Srepel  (in  Agram)  verdanke,  dass  mir  selbst 
während  meines  letzten  Aufenthaltes  in  Venedig  diese  Arbeit  er- 
spart blieb.  Aus  dem  Texte  Radosav's  in  Piom  konnte  ich  dagegen 
nur  einige  Stellen  abschreiben.  Diese  machen  den  Eindruck,  dass 
im  Ganzen  auch  hier  die  Uebereinstimmung  zwischen  dem  Hval'- 
schen und  Propaganda-Text  sehr  gross  ist,  dass  aber  der  Propa- 
ganda-Text in  mancher  Hinsicht  ältere  Formen  (orthographisch 
und  grammatisch)  bewahrt  hat,  als  der  Hval'sche,  mag  auch  der 
letztere  um  ein  halbes  Jahrhundert  früher  geschrieben  worden  sein, 
als  der  Radosav'sche. 

Um  die  nahe  Verwandtschaft,  aber  auch  die  Abweichungen 
der  beiden  Handschriften  zu  vergegenwärtigCD,  gebe  ich  den  Text 
des  1*'*''  und  30*''''  Kecpülaiov  parallel  wieder: 


Radosav  (Propaganda- Text)  schrieb: 

!l  n  0  K  a  A  M  n  c  H  H  o  a  h  a  a  n  c  a  a 
fßaHtiaHCTa. 

I. 
1.   flnoKaaimcH    Hcyß'k    fjKt 
A<»CTK   iu'6    Bi%   noKasaTH   pa- 

ROIUII^  CßOHIUlK,  HIUlk^KE  nO,/\0- 
BaeTk    RHTH    8    CKC»p1v.      H    CKa- 

saßh.  nocaaßk  aHt>AbMb  cBOHiuik 
paRi>  cßOfiuiS  HoaHS,  2  e>Ke  crh- 
A'feTeabCTßOßa   caoßo   i^Kne  h 

s  • — 

CBHTtAkCTßO       HC^ßO,         fAMKO 

B'bA'S-        3    IlAaiKfHK      MkTfH     H 

CAHLUELIIE  CACßfCA  npOpMKCTßH-k 


Hval : 

HnoKaAlncI  IloßaHa  «ßan- 
iseaicTa  h  anocTcaa. 

I. 

1.  ^noKaAKinciü  hcoy\'phc- 
TCtßki  f;K6  ^\acrk  (luio^f  kopk 
noKasaTki  paEOMh.  cßOHiuik, 
HMkrKf  nc»^\OGarrk  ßk  cKOpki 
ßiTH,  H  cKasaßk  nocaaßk  ant^e- 
Aoiuik   cßOHMk   paKOY   cßOfyc»\; 

HoßaHOY,  2  HJKE  Cßkl^klTfAk- 
CTßOßa  CAOßo  BOJKIf  H  Cßkl^KI- 
TfAkCTßO  HCOV'YPHCTOKO  imi 
ß1vAW.   3  EAAJKtHk  HT«H   H   CAkl- 

UJfLpf    CAOBfCa    npopoMkCTBH-b 


Analecta  romana. 


27 


H  chKAS^v,'*»^M'*  naiiHcaHH'fe  ßk  II  ckKAO\\V'»i^M'*  HanhJcaHH'k  ßk 

H£Uk-    Bp'kMt    KO  Ki\H3k.    4    Ho-  Hfük'    Kplvf-lt  KO  RAHSk.     4  llo- 

aHHS  (sie)     y    i^pkKkKaMk    cö-  ßaHk   ce^mki    npkKiiar.ik    co\-- 

i|iHMk   Kk    HcHH      Kaaro^^-kTk  i|iiink    Bk   Hckin      BAaro^HTk 

BaiLik   H    MHpk  vC'  cSLjiaro  hjk«  uar.ik  ii    r.ilvpk   vvTk   cc»i;i|iaro. 

K-k  H  rpeAov'M'^^ro,  H  0)  •^- aIc«^  "^*    RkicTk   h    rpf,vov;i|iaro   h 

HJK6  COl'Tk  np'kAK  lip-kCTOAOMk  WTk    Cf ^Ukl   .VOV-yk    HH;?   COV'Tk 

«ro,    5    II  (C    H^a    fJKf    tcTk  •>P'»^Ai-  npkcTOACMk  ero,    5  11 

cXV'kTfAk      B'kpkHk      H      npkBII-  ^"•'^    **«^^T^^»  XpHCra   HIKf  tCTk 


Hki;k    H3k    MpkTBliX'k    H    KHE3k 


CBkl^klTEAk    B'kpAHk    H   llpkBKI- 


Hp.Mk     SJMAkHHMk.     ASEHIHUi;     "^"^«^    "'^«^    ^pkTBkiyk    H    KIU3k 
HH      H       pa3.VP1imkMÖ      (Sic)      0)    H^»P«'^"^3EyAkHHyk,A0VBtMJ0V- 

luiov'   Hki   H    pasApl^iui^iu^^V'-'^V 


rplvYk  HamH\'k  KpkBHio  cbocio, 

6      H      CkTBOpHAk       eCTk       HAIlIk 
HPCTBHS,      HfpfH      BS      M      (w)U,i> 

CBoenioy.    ToLiö   cAasa  h  aP"^- 
»;aBa  S  bhkh  B'kKor.ia  aMHk. 

7.  Ge  rpe.vf'rk  ck  obaabh  h 

i?3pHTk  KCaKO  OKO,  HIKf  npO-  OV'SpWTk  BCaBC  OKC»  H>Ke  H  lipO- 
EaiUC,  HAAMk  H  BkHAk  CkTBO- |  BO^OlilE,  H  HAAMk  H  BkHaAk 
pjTk    0    HfOk     BCa    KOAHKk    (slc)     CTBOptTk    0    H£Mk    KCA    KOAklHA 

stüAkHA,   at-iiik.    HrJiHk  8  a3k  3eMAkHa  aiHkiHk.    8  a3k  fcauk 


WTk  rp'kyk    Hauiki\'k   KpkBHic 

CBOfKt,  6  H  CTBOpkIAk  (CTk 
HAMk  i;apkCTBklE  HEpklE  BOTOV' 
H       OTkl^OV;       CBOfMOV;.       TOMOV; 

CAaBA  H  AP'*''*^^*'^^  *^V  •^'^'^'  ^'^~ 
KOMk    aüHk. 

7.    Gf    V^i\W^    Ck    OBAAKkl   H 


CCMk  aOAkna  H  VU,  HAMCTkKk  H 
KC)Hkl|,k,    PAtTk    Bk    CEH    BlvEH    H 

rpeA«"?  BCfAP'^'^^HTe'M^.  9  n3k 
HoBAHk   Bpark    sie?)    Baiuk  h 

OBkL(JkHHKk  Bk  nCMaAI€\'k  H 
U,pkCTBH         H  Bk         TpkRHH-k 

HC\'BH,  Il-kyk  Bk  OTOU,H  HApH- 
l^aEMHMk  .  ÖdTOMk  3a  CACBC» 
RJKHS  II  3a  CB'kA'tTfAkCTBO 
HC^BC». 


AAkna  H  0,  HaMfraKk  h  ko- 
Haii,k,  raaroAtTk  Kork,  ce  KkicTh 

II  fCTk  H  rpcAi^,  BCfAPI*'*^"- 
TfAk.    9   a3k  IIoßaHk,    BpaTk 

BaiUk  H  OBaL|JkHHKk  Bk  ilESa- 
AC\'k  M  U,apkCTBkl  H  TpkRklNkl 
ICCtV'YpHCTOBkl,  K'k\'k  Bk  CTO- 
L^kl  HapHL|,aEMkl  IlaTOMkl  3a 
CAOBO  BOH^kie  H  3a  CBklAKITfAk- 
CTBO   HCOV'YPHCTOBO. 


Dem  Venezianiselieu  Codex  (Cod.  LXXXV.  3,  vergl.  Ciampoli. 
I  eodiei  paleo-slavi  della  r.  biblioteca  nazionale  di  S.  Marco,  Roma 
1894,  p.  3),  der  neben  den  übrigen  Büchern  des  Neuen  Testa- 


28 


V.  Jagiö, 


nientes  die  Apocalypse  auf  Bl.  128 — 143  enthält,  hat  Jemand  das 
Blatt,  wo  der  Anfang  der  Apocalypse  offenbar  mit  einer  Miniatur 
stand,  herausgerissen,  so  dass  jetzt  der  Text  in  Cap.I,  v.  5  mit  den 
Worten  beginnt:  kkhk»  cßoew»  h  ctkophak  i€  waiuik  npcTßHie. 
Die  Varianten  zu  dem  oben  mitgetheilten  «'  v.EcpaLaiov  (Cap.  I, 
V.  1 — 9)  sind  grösstentheils  nur  orthographischer  Natur,  ich  hebe 
heraus  v.  6  Htpm,  S  K'kKe  (ohne  kIvKOIUIk),  v.  7  oxpptTk,  vor  iipo- 
KO,i,oiiJc  und  nAi\Hk  fehlt  h,  nach  ßknAh.  folgt  LiHork,  koahha 
3EMAkHa1i,  V.  8  Statt  IV  (to  w)  steht  CHb,  weiter  schreibt  er:  cf  kki 

II    m   H   rpf^fH,    V.  9    OCkqJkHHKk,    S  IJ|,pCTßH   H   y  TpkllHHH,    KH\-h. 

ßk  OTOi^H  HApiiiiacMHiiiik.  Auch  mit  dem  Text  der  Rumjancov'- 
schen  Handschrift  berühren  sich  unsere  südslavischen  aufs  engste, 
es  genügt,  auf  1.  9  kt».  otoi^Ij  für  Iv  xf]  vrjoco  hinzuweisen,  so  in 
allen  Texten.  Speciell  zu  dem  Text  Radosav's  stimmt  v.  8  die 
Uebersetzung  von  o  wp  -^al  ö  rjv  -/.al  6  iqyiöi.ievog:  im  Rumj.  CkiH  "i 
K'tra  H  rpA,Ä,'ki'i,  in  Rad.  ce  h  k'S«h  h  rpe^i^eH,  was  man  wahr- 
scheinlich als  cfH  H  K'SeH  H  rpe^*"  lesen  muss,  d.  h.  cm  h  ist  zu- 
sammengezogen in  ce-H,  ccH  für  o  oi?/,  einem  mittelbulgarischen 
CÄH  entsprechend,  ist  ganz  gewöhnlich,  ebenso  rpe^m  statt  rp/Ä- 
^TüH  beruht  auf  rp/Ä;i,aH,  der  Uebersetzer  machte  aber  auch  für 
o  l]v  ein  Participium  von  der  Form  K'b:  K'KfH  d.  h.  k'6I/äh,  wofür 
das  Rumjancov'sche  Klira(H)  spricht.  Auch  die  etwas  verworrene 
Lesart  des  Venezianischen  Textes  ce  Cki  h  eh  h  rpE,A,EH  kann  leicht 
in  CEH  KkiEH  (d.  h.  k'Seh,  kl  für  \\  statt  Iv)  h  rpE^vfH  corrigirt 
werden. 

Das  -AEfpäXaLov  X  (Cap.  XL  3 — 10)  lautet  so: 


Radosav  (Propaganda) : 

3.  H  ;i,aiuik  OKHiuia  cßliTEAEima 
MCHMa  H  npopHu,aETa    h-  h    c- 

II  0-  -^  ,A,HH,  OBAkMEHa  ßk  ßpH- 
MHl|JE.  4  CH  ECTa  ^ß-fc  lliiaCAk- 
HHl^H  H  ;\,ßa  CßIvtiHHKa  npHk 
KMk    Ha  3EMAH    CTOEL|Ja.     5    HTKE 

iiya     HEHpaß^y      ckTßopHTk, 

OrHk   HC)fO^HTk  H3    ÖCTk    ElO    H 

ncfe^aETk  BparH  ek>-  hh;e  )fo- 


Hval: 

3.    H    ,A,aMk  oßkiMa   cßki^w- 
TEAMa    MOHMa   H    HpopHnaETa 

•H-     H      C-    H   -O-    H   -i^   ,A,Hkl   OKAk- 

HEHa  ßk  ßp1vTkii}iE.    4  cki  Ecra 

^l.ß'k  lUiaCAklHHl^kl   H  ;^Ba  CßklL|J- 

HaKa  npli^k  eoroMk  na  SEiuiAki 
cTOEi|ja.  5  HJKE  Hiuia  HEnpaß^^Y 

CTßOpkl,    ^a    orHk    HCyC^klTk 

H3    oycTk    HK»    H     no'feA***'*''»- 


Analecta  romana. 


29 


i\ii'i\\  (sicj  Srhth  k,  ctnS  nc»- 
;VOKan'K  cvKUfHoy  kmth.  G  m 
cHlv    HMivTH    Hoara    oKaacTk 

SaTKOpHTM  HfKO,  ,\A  Hf  liafTK 
,l,a;K,V,k  Kk  ,\HH  lipOpHIJ.aHM'R 
flO,    H    OKAaCTk    HUkTH    HMaTa 

Ha  KO,va\'k  OKpaijiaTH  i>  KpkKk 

H      llC»pa3HTM       3fMaiO       KCaKOW 

•kSROio  RtAHfK»  ai|if  KkcycnifTa. 
7    H    fra    CKOHkHafTa    ck1v,\,h- 

TfAkCTKO  CKOff,  3KHpk  RKC\'0- 
,l,HTk  (0  RfSAI^HM  M  U'TROpHTk 
(sie)  Ck  HHMa  RpaHk  H  nORH- 
,V,HTk  'k   H   yRHfTk  -k.     8    H  Tp^- 

\\A  fK>  na  u'kcTayk  ocTaKfTk 
rpa,\,*t   RfAHKaro  HH;e   HapHi;a- 

<Tk  C(  ,VYORHH  Co,V,OLlk  11  GtiK»- 
JiaTk,  H^VH'/KE  Kk  fK«  paCUfTk 
RH.  9  H  SpfTk  iU'  aiO,V,H  H  KO- 
AMHk    11    C3HKk    H    nAEMEHk    TpH 

,VHH  H  noAk,  Tp^na  (k<  h«  ocra- 

RfTk    nOaC^KHTH    Rk    PpORlv    Rk 

rpH  ,\MH  H  rioak.    10  h  jrhrS- 

Ijlff  Ha  3EMAH  H  S3paAyK>Tk  C( 
H   Rk3R(C£aETk  C(   0  HfW   H  ,\A()h 

cH-k  npopoKa   MSMHCTa   /KhrS- 

l|ICC    Ha    3{MaH. 


Rpari  f K»  •  HiKf  \'oi|jn'k  ovKki- 
Tki  -k.  ciMov-  nc>,voRafTk  ov-rh- 

<HC>1-    RkITH.      G    H    Cklf     HM-kTkl 

HMara    ORaacTk     3aTRopkiTn 

HfRO,  ,\A  HE  Ha,V,fTk  ^V'^'^^A"* 
j  Rk      A">^l       MpOpHUaHHlv      (K      M 

ORaacTk  Hr.rkTki  HMara  na  ro- 
A^*\'i^  ORpai|iarki  (  Rk  RpkRk  h 

,  n0pa3klTkl   3fMAC»\'  RCaKOlO  1^3- 

ROK>  REAkicio  ai|i£  RkCYOijirra. 
7    h    fr,v,a    cKCHHarra    CRki;4,ki- 

TfAkCTBO  «H,  3Rklpk  RkCyO- 
;i,klTk    WTk    Rf3a,VHkl    H     CTRO- 

pHTk  c  Hkir.ia   RpaHk  h  noKki- 

^HTk     Iv     H     OV'RkIfTk    -k.        S     H 

rporna  fK>  Ha  nlvcrayk  ocra- 
RfTk  rpa,v,a  RjAWKaro  h;re  na- 
pHu,an'k  cf  ,\c>\'\-0RHki  Go,voük 
H  6rkinaTk,   H^vkH^e   rocno,vk 

«K»  paCUfTk  KkICTk.  9  H  3peTk 
WTk  AOV%V,kl  H  KOAlvHk  H  {3klKk 
H    HAEMCHk    rpkl     ,V,Hkl    H    HOAk. 

H  Vpov'na  fio  H(  ocTaRfTk  no- 

AOIKHTH  Rk  rpORkl  Rk  Tpkl 
,V,Hkl  H  HOAk.  10  H  ^KklR<^VI|lt 
Ha  3füAH  0V'3pa,\,C>V'M'Tk  C(  H 
Rk3RfCfA«Tk       CC     0      HfH      (?)      H 

,Vapki  noHfcov'Tk  ^vpoyrk  Rk 
ApovTov'.    'kKO    ckilx    npopoKa 

MOV'HlCTa   :KklROVl|lf  Ha  36MAkl. 


Auch  in  diesem  Abschnitt  beschränken  sieh  die  Varianten  auf 
orthographische  Abweichungen,  und  das  gilt  auch  für  die  Venezia- 
nische Handschrift,  wo  man  liest  V.3  CRAlvTfAtMa,  V.  4  cR-kiiikHaKa. 

V.  5  CkTROpHTk   H   OrHk,    flO,    V.  6  CHlv,    S   KpkRk,    V.  7  CR^^kTfAk- 
CTRO   CROf,    H  3R'kpk,  V.  8  HA   IJ|,HCTa\'k,   «WIITk,    V.   10    IKHROV'qjtf, 

0  HfK>.     In  der  Angabe  der  Zahl  v.  3  schreibt  Ven.  wie  Rum. 
M-  c-  g,  während  Hval  und  Rad.  statt  •^-  die  Zahl  -o-  z^-  bieten. 


30  V.  Jagic, 

allerdings  ist  in  Rad.  der  Buchstabe  i^  über  der  Zeile  geschrieben. 
Kum.  hat  v.  5  nonaA/JNn'ii  statt  no'k,\a6Ti«.  der  übrigen  Texte  (gr. 
'/.axEO&i&i\  für  l^ovGia  schreiben  v.  6  alle  OBAacTk,  und  für  £/ov- 
atp  ebenso  übereinstimmend  alle  HiuiaTa  HykTH.  Für  das  grie- 
chische 7Ci'(G7]  Tthjfi  (v.  G)  schreiben  übereinstimmend  Ven.  Rad. 
und  Hval  KcaKOw  Uskok»  BEaHEio,  Rum.  nur  r«ahkok>  rasßOK»;  für 
baa/,ig  lav  steht  in  Ven.  Rad.  und  Hv.  nur  aipe,  Rum.  genauer  icahko 
aipe.  Für  Ittl  rr^g  TtlaxeLas  v.  8  liest  man  überall  Ha  u,'tcTa\'K, 
ebenso  haben  ib.  für  earavQcbd-i]  alle  pacnsTk   BHCTk  (pacnAT'K 

K'KICT'K). 

Es  hat  schon  Racki  auf  die  paläographische  Eigeuthümlich- 
keit  dieser  kleinen  Handschrift  aufmerksam  gemacht.  Betreffs  der 
glagolitischen  Schrift  glaubte  er,  dass  sie  für  die  Zeit,  in  welche 
die  Handschrift  versetzt  werden  muss  —  um  die  Mitte  des  XV.  Jahr- 
hunderts —  als  sehr  charakteristisch  anzusehen  sei.  Die  Schrift- 
züge seien  zwar  eckig,  wie  man  es  für  jene  Zeit  auch  erwarte, 
allein  es  gebe  auch  solche  Buchstaben,  die  in  dieser  Gestalt  nur  in 
den  ältesten  Handschriften,  namentlich  jenen  der  runden  Glagolica, 
vorkommen,  wie  ^  "8.  Andere  Buchstaben  erscheinen  wieder  in 
einer  ganz  merkwürdigen  Gestalt,  die  man  in  den  gewöhnlichen 
Handschrift  sonst  nicht  finde,  so  36,  <v,  a,  h  (Starine  XIV. 23).  Diese 
Bemerkungen  sind  richtig,  nur  erschöpfen  sie  nicht  die  ganze  Trag- 
weite der  Thatsache.  Nicht  bloss  einzelne  Buchstaben,  der  Ge- 
sammtcharakter  der  Schrift  ist  in  hohem  Grade  eigenthümlich  und 
aus  der  gewöhnlichen  kroatischen  Glagolica  des  XV.  Jahrh.  schwer 
ableitbar.  Um  die  Thatsachen  auf  kürzestem  und  sicherstem  Wege 
zu  veranschaulichen,  gebe  ich  die  beiden  Seiten  (Bl.  55  und  59),  wo 
diese  merkwürdige  glag.  Schrift  begegnet,  möglichst  treu  nach  dem 
Original  wieder  (Facs.  auf  S.  21. 22).  Auf  S.  55  sieht  man,  gleichsam 
als  Fussnote,  das  Alphabet,  in  welchem  allerdings  einiges  auffällt, 
und  zwar  an  Stelle  des  Buchstaben  3  steht  ein  Zeichen  wie  w,  das 
nochmals  am  Ende  der  zweiten  Zeile  wiederkehrt;  für  «p  begegnet 
ein  merkwürdiges  Doppel-Kreuzzeichen  (3E),  für  das  glagol.  a«  steht 
dasselbe  Zeichen,  das  weiter  als  w  wiederkehrt,  an  Stelle  von  w 
wird  das  Zeichen  (j),  das  schon  einmal  vor  fe  steht,  wiederholt. 
Auf  S.  59  steht  mit  glagolitischer  Schrift  aus  dem  Briefe  des  Apostels 
Paulus  an  Titus  die  Stelle  H.  12 — 13.  Vergleicht  man  die  Schrift- 
züge dieser  elf  Zeilen  mit  dem  Alphabet  auf  S.  55,  so  springt  die 


Analecta  romana.  31 

Identität  der  Schrift  und  der  Hand  in  die  Augen.    Alle  charakte- 
ristischen Merkmale  des  dort  aufgezählten  Alphabetes  wiederholen 
sich  in  diesem  Texte,  so  das  aus  zwei  Vierecken  von  ungleicher 
Grosse  bestehende  nn,  so  die  eigcnthümlich  aussehenden  Buch- 
staben 9b,  £h,  Ä,  g?,  -f,  f,  b,  s,  »,  fc,  V,  ^,  A  und  j?.     Die  nnverkenn- 
bare  Consequenz  des  Schreibers  in  der  Anwendung  einzelner  Buch- 
staben ist  in  unserem  Falle  sehr  beachtenswerth.    Sie  schliesst  die 
Annahme  zufällig  aus  Unbeholfenheit  so  geschriebener  Buchstaben- 
formen aus.    So  verfährt  nur  eine  in  der  betreffenden  Schrift  gut 
geübte  Hand.    Wenn  aber  dem  Schreiber  jener  11  Zeilen  die  gla- 
golitische Schrift  gerade  in  der  für  uns  auffälligen  Gestalt  geläufig 
war,  so  darf  mit  einer  gewissen  Wahrscheinlichkeit  vermuthet 
werden,  dass  damals  nicht  eine,  sondern  viele  Personen  mit  der- 
artigen Schriftzügen  glagolitisch   zu  schreiben   gewöhnt   waren. 
Allerdings  fehlen  uns  gegenwärtig  Belege  dafür.    Man  wird  sie 
sorgfältig  aus  den  späteren  cyrillischen  Handschriften  zusammen- 
suchen müssen.     Fürs  erste  kann  ich  nur  constatiren,   dass  ich 
weder  in  den  echten  kroatischen  Denkmälern  des  XV.  Jahrb.  noch 
in  den  sporadisch  in  die  cyrill.  Handschriften  eingesprengten  gla- 
golitischen Buchstaben   treffende  Parallelen   für   die   Schrifzüge 
dieser  Zeilen  nachweisen  kann.    Racki  meinte,  dass  dieser  glago- 
litische Zusatz  nach  einer  sehr  alten  Handschrift  eingetragen  wor- 
den sei.    Dafür  kann  man  nicht  den  geringsten  Anhaltspunkt  an- 
führen.   Der  Aposteltext  ist  ja  sprachlich  von  ganz  später  Natur, 
man  vergl.  die  Formen  roBopH,  HfMacTHßH'k,  hhaoüoXjWP'^,  no- 
:khbmo,  Bk  HHHauiHEiitK  BHii,H,  B/\a>K£Hoi\\,  npocBHiiicHii-k,  der 
Ikavismus  der  serbokroat.  Sprache  ist  deutlich  sichtbar.  Und  doch 
war  der  ganze  Schriftcharakter  für  einen  Leser  der  kroatischen 
glagolitischen  Texte  etwas  so  ungewöhnliches,  dass  es  Jemandem 
einfiel,  denselben  Text  nochmals  mit  der  üblichen  kroatischen  Gla- 
golica  zu  wiederholen  (vergl.  auf  dem  Facsimile^.     Ich  erblicke 
darin  einen  Beweis  für  die  von  dem  specifisch  kroatischen  Glago- 
lismus,  dessen  paläographische  Eigenthümlichkeiten  wir  ziemlich 
gut  kennen,  ganz  unabhängige  bosnische  glagolitische  Graphik, 
deren  Beziehungen  zu  dem  weiter  südlich  (in  Macedonien)   einst 
verbreitet   gewesenen   glagolitischen  Schriftthum  für  jetzt  mehr 
vermuthet  als  nachgewiesen  werden  können.  Der  eckige  Charakter 
der  einzelnen  Buchstaben  darf  uns  nicht  irreführen.  Wir  wissen  ja 


32  '  y-  Jagic, 

jetzt,  dass  die  eckigen  Figuren  schon  sehr  früh  unten  in  Macedo- 
nien  emporzukommen  beginnen.  So  in  dem  Pariser  Abecenarium 
bulgaricum,  in  dem  sinaitischen  Psalter,  ja  selbst  im  Glagolita 
Cloziauus,  in  den  Prager  und  Kijever  Blättern.  Es  kommt 
also  nicht  so  sehr  auf  die  Eckigkeit  der  einzelnen  Buchstaben  als 
auf  den  Zusammenhang  der  ganzen  Figur  an.  Unter  diesem  Ge- 
sichtspunkte sind  viele  Buchstaben,  ob  rund  ob  eckig  gleichviel, 
dem  alten  Ductus  der  glagolitischen  Schrift  entschieden  näher,  als 
dem  gleichzeitigen  kroatisch-glagolitischen.  Das  gilt  für  -h,  %,  <n.. 
X,  F,  während  einige  andere,  wie  v„  s  oder  noch  mehr  w  (umge- 
dreht!) uj  (oben  und  unten  geschlossen),  und  w  ganz  eigeuthümlich 
aussehen.  Nirgends,  selbst  nicht  in  der  sehr  originell  ausgestalteten 
Cursive  der  kroatischen  Glagolica,  kann  ich  irgend  welche  Pa- 
rallelen dazu  finden.  Und  doch  darf  uns  alles  das  nicht  in  Er- 
staunen setzen.  Wir  sind  mit  Entdeckungen  und  Ueberrasclumgen 
noch  nicht  zu  Ende. 

Namentlich  was  die  glagolitische  Schrift  betrifft,  sind  in 
neuester  Zeit  merkwürdige  Funde  gemacht  worden.  Was  ich  noch 
vor  kurzem  für  Missverständniss  hielt,  steht  jetzt  vor  meinen 
Augen.  V.  N.  Scepkin  hat  in  der  soeben  erschienenen  geistreichen 
Abhandlung  »  HoBropoACKiÄ  iiaAniicii  Graffiti«  (MocKBa  1902)  neben 
mehreren  cyrillischen  Inschriften,  die  in  der  Novgoroder  Sophien- 
kathedrale entdeckt  wurden,  wahrhaftig  auch  schön  geschrie- 
bene glagolitische  ans  Licht  gebracht.  Die  bei  ihm  auf  Tafel  I. 
Nr.  4  facsimilirte  Inschrift  ist  in  runden  glagolitischen  Schrift- 
zügen des  XI. — XII.  Jahrh.  gehalten;  ich  lese  .aA.5^Aüo+  rffcaebog 
^b§  •  •  •  TcrsS'oS.  Da  auf  einer  anderen  Inschrift  mitten  unter  den  cy- 
rillischen auch  glagolitische  Buchstaben  begegnen  und  zwar  mit 
gleicher  Sicherheit  geschrieben  —  es  sind  durchwegs  hübsche  runde 
Züge  — ,  so  muss  daraus  auf  die  Vertrautheit  des  unbekannten  In- 
dividuums mit  beiden  Alphabeten  geschlossen  werden,  irgend 
welche  kryptographische  Absicht  ist  hier  gewiss  ausgeschlossen. 
Dagegen  ist  die  kryptographische  Verwendung  der  glagolitischen 
Schrift  nicht  zu  verkennen  in  einer  oder  zwei  Handschriften  aus 
dem  Anfang  des  XVI.  Jahrb.,  deren  Provenienz  in  Bukowina  zu 
suchen  ist.  Darüber  handelt  eine  mir  durch  die  grosse  Zuvor- 
kommenheit meines  Freundes  Prof.  Speranskij  zugänglich  gewor- 
dene Abhandlung  des  Herrn  A.  J.  Jacimirskij,  die  im  III.  Bande 


Analecta  romana.  33 

der  TpyABi  ciaBniicKoil  KOMMiieciii  der  Moskauer  Archäologischen 
Gesellschaft  erst  vor  kurzem  erschienen  ist :  Knpiw.ioßCKifi  iioriibi;! 
pyKoniiCH  CT.  r.iarojiiniecKnMii  TailnoniicuLiMH  :ianncaMii  fS.  149 — 163). 
Die  Darstelluni;-  lässt  an  Klarheit  und  Uebersichtlichkeit  viel  zu 
wünschen  übrig,  doch  für  die  genaue  Reproductiou  einzelner  Stelleu 
(zum  Theil  im  Texte,  zum  Theil  in  den  Beilagen)  sind  wir  dem 
Verfasser  zu  grossem  Danke  verpflichtet.  Man  sieht  daraus,  dass 
in  der  betreffenden  Handschrift  in  der  That  stellenweise  regelrecht 
die  glagolitische  Schrift,  in  unverkennbarem  Zusammenhang  mit 
den  üblichen  gerundeten  Charakterzügen,  angewendet  wird.  Z.  B. 
auf  einem  auf  S.  160  abgedruckten  Streifen  liest  man  ganz  deutlich 
•P+  e<n,+sb3'ü'AW3'fT3  (die  Buchstaben  a  und  v  sind  in  der  Ligatur), 
ebenso  ist  ib.  deutlich  lesbar  a^s  fc3b»'ü'T}'c8  vwabST  «,^+808.  Aut 
der  Tafel  II  sind  5  solche  deutlich  mit  glagolitischen  Schriftzügeu 
geschriebene  Zeilen  zu  sehen.  Der  Verfasser  nennt  diese  Schrift 
MTafiuonHCb  1-ro  xuna«.  Diese  Benennung  ist  nur  so  zu  verstehen, 
dass  damals  schon  die  glagolitische  Schrift  so  wenig  bekannt  war. 
dass  sie  für  die  grosse  Masse  der  Leser  in  der  That  als  Geheim- 
schrift gelten  konnte.  Au  der  Schrift  selbst  erblickt  man  aber  nicht 
den  geringsten  Versuch,  sie  durch  irgend  welche  Abweichungen 
von  den  üblichen  Formen  unkenntlich  zu  machen.  Nicht  dasselbe 
kann  man  von  den  Schriftzügen  sagen,  die  der  Verfasser  als  Tai'i- 
Honncfc  2<*  11  3"^°  xima  bezeichnet.  Das  ist  in  der  That  eine  Geheim- 
schrift, insofern  sie  aus  willkürlich  umgestalteten  Schriftzügen  be- 
steht, denen  zum  Theil  cyrillische,  zum  Theil  glagolitische  Formen 
zu  Grunde  liegen.  Leider  ist  der  Verfasser  der  Abhandlung  aui 
die  Analyse  einzelner  Buchstaben  dieser  wirklichen  »Geheimschrift« 
nicht  näher  eingegangen,  ja  nicht  einmal  eine  Aufstellung  der 
Buchstaben  in  der  üblichen  alphabetischen  Reihenfolge  ist  gemacht 
worden.  Alles  das  muss  der  Leser  selbst  thun,  wenn  er  die  Zeilen 
entziffern  will.  Dann  aber  überzeugt  er  sich,  dass  die  cyrillische 
Transscription  des  Verfassers  durchaus  nicht  immer  genau  ist! 
Diese  »vorläufige«  Mittheilung  sollte  also  einer  gründlichen  Aus- 
arbeitung Platz  machen.  Ich  bemerke,  dass  nur  ein  einziger  Buch- 
stabe dieser  Geheimschrift,  das  ist  3E,  an  die  Figur  3E  für  v  unserer 
Handschrift  stark  erinnert. 

Aber  nicht  genug  an  alledem.  Ich  bekam  vor  länger  als  einem 
Jahre  durch  die  Güte  meines  Freundes,  des  Akademikers  Ljubomir 

Archiv  für  slavische  Philologie.    XXV.  3 


34  V.  Jagic, 

Ötojannovic,  einen  aus  dreizehn  Zeilen  bestehenden  Zusatz  zu 
einem  Evangelium  cyrillischer  Schrift  auf  Pergament,  vielleicht 
aus  dem  XV.  Jahrh.  Dieser  Zusatz  enthält  den  Text  lo.  XV.  17 — 
20,  ist  mit  einer  Mischung  von  glagolitischer  und  cyrillischer  Schritt 
geschrieben.  Die  Mehrzahl  der  Buchstaben  ist  zwar  glagolitisch, 
doch  die  Figur  einiger  glagolit.  Buchstaben  ist  ungewöhnlich.  Vor 
allem  der  Halbvocal  sieht  auf  der  vorliegenden  Reproduction  wie 
ein  cyrillisches  ß  aus,  der  Buchstabe  ^  wird  umgedreht  (d.  h.  mit 
den  drei  oberen  Strichen  nach  links  gekehrt)  geschrieben,  vom 
glagolit.  a&  sieht  man  nur  den  ersten  Theil  s  mit  einem  nach  rechts 
hinaufragenden  Strich,  der  Buchstabe  ^  sieht  wie  c  aus;  das  Zeichen 
für  z,  ist  vereinfacht  aus  i% :  auch  r  sieht  wie  umgedreht  aus,  früher 
der  viereckige  Bestandtheil,  dann  der  senkrechte  Strich.  Entschie- 
den cyrillisch  sind  in  diesen  13  Zeilen  die  Buchstaben  m,  ra  und  k>, 
dann  das  einmal  angewendete  i  (in  sis)  und  vC,  vielleicht  auch  das 
in  der  zwölften  Zeile  stehende  b  (in  ip+/v\b) .  Ich  gebe  die  Zeichnung 
dieser  dreizehn  Zeilen  ganz  so  wieder,  wie  sie  mir  zugeschickt 
wurde,  ihre  Genauigkeit  bleibt  zwar  hinter  einer  photographischen 
Reproduction  zurück,  doch  soll  nach  der  Versicherung  des  Einsen- 
ders (Akad.  Stojanovic)  der  Zeichner  (Prof.  Milenko  Vukicevic)  das 
glagolitisch  Geschriebene  Zug  für  Zug,  also  auch  Zeile  für  Zeile, 
genau  (?)  copirt  haben.  Bis  wir  daher  in  die  Lage  kommen,  eine  ge- 
nauere Reproduction  auf  photographischem  Wege  aus  Cajuice  (in 
Bosnien)  zu  erhalten,  muss  man  sich  damit  begnügen.  Es  sei  aber 
für  alle  Fälle  erwähnt,  dass  die  uns  hier  interessirenden  13  Zeilen 
in  einer  der  Kirche  von  Cajnice  angehörigen  Handschrift,  deren 
Inhalt  der  Evangelientext  bildet,  zu  finden  sind.  Auf  welchem 
Blatt,  das  wird  in  der  mir  zur  Verfügung  gestellten  Notiz  nicht  ge- 
sagt, nur  soviel  weiss  ich,  dass  die  Handschrift  auf  Pergament  ge- 
schrieben ist,  dass  ihr  Format  20  und  15.3  cm,  der  Text  selbst  15 
und  11cm  gross  ist,  dass  sie  23  Zeilen  auf  eine  Seite  zählt.  Den 
Charakter  der  Schrift  bezeichnet  der  Beschreiber  als  »halbuncial« 
oder  aber  als  «kleinuncial«,  die  Höhe  der  Buchstaben  wäre  4mm. 
Die  Sprachformen  sanoBeA^*"^)  ß(js,iiTi,  npfJK^ve,  KA3HtHi\ßHj\,(, 
HtcTt,  pey,  HecTb  verrathen,  dass  der  Schreiber  der  Zeilen  kein 
I-Sprecher  (ikavac)  war. 

Nach  dieser  den  Schicksalen  der  glagolit.  Schrift  gewidmeten 
Digression  kehren  wir  nochmals  zu  dem  kleinen  Bogomilen-Büchlein 


Analecta  romana.  35 

der  Propaganda,  jetzt  Vatieaiia,  zurück,  um  auch  betreffs  der 
cyrillischen  Schriftzüge  einige  Worte  zu  sagen.  Nachdem  mau 
aus  dem  Postscrii)tnm  weiss,  dass  es  «in  den  Tagen  des  Herrn  Königs 
Toraas'f  geschrieben  war  also  nach  144:i),  so  wäre  man  geneigt, 
in  der  Schrift  den  Charakter  der  Mitte  des  XV.  Jahrh.  zu  suchen. 

Doch  will  dieser  zu  den  mir  bekannten  Proben  nicht  recht  stimmen. 
Die  Schrift  macht  durch  ihren  steifschmalen  Charakter  einen  etwas 
älteren  Eindruck,  unterscheidet  sich  nicht  unbedeutend  von  den  viel 
schöneren  Zügen  der  Handschriften  Hval's.  Ich  suchte  für  sie  Pa- 
rallelen in  der  gleichzeitigen  ürkuudenschrift  Bosniens  und  Herce- 

3* 


36  V-  Jagic, 

g-ovinas.  ohne  etwas  Entsprechendes  gefunden  zu  haben.  Mau  wird 
erst  beim  näheren  Studium  der  cyrill.  Paläographie  des  XV.  Jahrh. 
in  den  südslavischen  Ländern  auch  diesem  Büchlein  die  richtige 
Stelle  anweisen  können.  Um  für  dieses  Gebäude  der  Zukunft  einen 
Baustein  beizutragen,  sind  hier  aus  dem  Büchlein  (neben  der  einen 
glagolitischen)  noch  weitere  vier  Seiten  genau  reproducirt  worden. 
Unter  den  einzelnen  Buchstaben  mache  ich  auf  a  wegen  der  sehr 
hoch  angebrachten  Schlinge,  auf  ^  wegen  der  schon  an  die  Cursiv- 
schrift  erinnernden,  über  die  Zeile  hinausragenden  Curve  (nicht 
immer),  und  auf  die  Buchstaben  ik,  15,  p,  Ö,  h,  deren  jeder  etwas 
EigenthUmliches  zeigt,  aufmerksam.  Der  bosnische  Charakter  gibt 
sich  durch  den  Mangel  von  ra,  \e,  ki,  k»  (selten)  und  durch  die  An- 
wendung des  f»  kund. 

V. 

Im  unmittelbaren  Anschluss  an  die  in  Kom  gesammelten  No- 
tizen will  ich  einer  kleinen  Entdeckung  erwähnen,  die  ich  schon 
nach  meiner  Rückkehr  in  Wien  in  einem  Laibacher  glagolitischen 
Codex  machte.  Das  ist  das  Laibacher  Breviarium  II  C.  163  a  2, 
aus  dem  XV.  Jahrb.,  es  enthält  das  Proprium  de  tempore,  das  in 
üblicher  Weise  mit  dem  Vorabend  des  ersten  Adventsonntags  be- 
ginnt. Auf  Bl.  27  dieses  Codex  liest  man  zum  Tage  der  Geburt  Christi 
(also  Weihnachten),  aus  dem  bekannten  apocryphen  Protoevange- 
lium  Jacobi  herausgehoben,  ein  Stück  der  Erzählung,  sagen  wir 
christl.  Legende,  das  nach  Thilo -Tischendorf 's  Eintheilung  den 
Capiteln  XVII — XX  entspricht.  Auch  in  den  cyrillischen  Texten 
kommt  dann  und  wann  dieser  Abschnitt,  der  von  Christi  Geburt 
handelt,  abgesondert  unter  dem  25.  Dec.  vor.  Das  hat  also  nichts 
Auffallendes  an  sich.  Dagegen  ist  es  höchst  merkwürdig,  dass 
dieser  offenbar  auf  griechischer  Vorlage  beruhende  Text,  dessen 
Einschaltung  in  das  Fest  der  Geburt  Christi  nicht  durch  die  latei- 
nischen Vorbilder  hervorgerufen  wurde,  aus  einem  slavischen  litur- 
gischen Buch,  ob  glagolitisch  oder  cyrillisch  gleich  viel,  entlehnt 
und  in  das  katholisch-glagolitische  Breviarium  eingeschaltet  werden 
konnte.  Es  wiederholt  sich  somit  ein  ähnlicher  Fall,  wie  ich  ihn 
bereits  in  der  Beschreibung  des  glagolitischen  Missale  Hervoja's 
betreffs  einiger  Taufgebete  nachgewiesen  habe.  Ich  gebe  zuerst 
den  glagolitischen  Text  in  der  cyrillischen  Transscription  wieder. 


Analecta  romana.  37 

XVII.  1.       I'ia     A'h"      '''*"••     K     HflKf     KC\-OTlv     PK     pO,V,HTH    Cf 
IIA'THIO    ha    3fM,\M.        Hut^fAK    rJKpHAK    KMK    IIOCAaHk    R'^K'kCTM 

.VKli    M^hTh    OKpOy'Mf H'k   k     OCIUlOy     -RKO    O    H»    HMaTk    pc»,v,"'i'M 

—         '»1  ■''     ■ — ■       ■ — ■ 

c(  TK.  ;iaHkn  UJM  7Ki  ni  k  HpkKlv  o  ;k,\-a  cra  h  Hfiipa.^.v  "'•^ 
cc»Yi|iH.   H3H,i,e  iiOßEA-kHHE  0  aKTOifCTa  Ktcapa  HanHcarn  ce  kchi 

KCfAfH'kH.  PfME  OCHRK-  Cf  i\3h  HanMCaK»  CHH  MOlv  •  CfH  'A{( 
OTpOKOKHII,H    HTO  CTKOpOV  '    KaKO   HailMIllOY  K> ,    IKEHOV  AH   CfR'k: 

na  cth;k,v,k»  a  (k.  ,\h\ih)'  ah  um;  na  Kf,vn'k  cmk«  H3i\KH.  'kKO 

irkCTk    MH    A*LM"      ^f    A""*    •^"•^    A^^    CTKOpHTk    1vK0>Kf    \'C»l|ieTk. 

2.  G«  IK6  pfKk  cca^aa  (sie!)  ocae  h  Rca,\H  k>-  h  Rf^-kiiie  w  cnk 
ero  -kKOKk-  cff.iHOUk  ikj  nc»CA'k,\OKaiiJf.  II^IvYov'  >ki  h3'  rpa,\,'^ 
Ha3apaTa  k  rpa;k,'k  Rirr  koMk  •  ^a  HaniicaAH  ce  rhuij.  Kk\'c»\' 
ßo  0  ,v«?MO\'  AARH^ORa.  IcrctJKf  H  rpa^'  ra  rarr'  c«.  Ilp'k- 
uiaA'ii'ff-'  "'♦^f  HMk  Tpii  npaiipHi|ia.  OK'paiii'  ce  ocunk  ßn^'k 
uapHw  Tpc»v'\'Aov'.  H  pMf  e,\,a  KaKO  coyiije«  r  «"kH  Tpo\,'JK;i,afT^ 
K».  naKH  JK6  OKpaiii'  c«  RH,\,'k  K>  cykKMiJOV'  ce.  H  ptMe-  MpHf 
HTO  cf  fCTk,  'kKO  AHii,«  TßOf  ßHJK,\K>  CßOr^A  'rpo\f\''^'^'*,  ORor;i,a 
:Ke   cr.rkKM|i«    ce.     Ptne    fuoy    ypHlv*    3aHe    'kKO    ,v'R*^f    ak»,\,h 

RHJK,\,IO-    f^HHH    flAAMOrilJH   C(,     i\  ApOyrHf   RfCfAflJJf  Cf.       3.    Vßt- 

^wipt  'A^e  np-kH.vov;  ,\,o  cp'k;i,H  norTH-  h  pn«  MpH-k  ka  ochiiov;- 
caca,\,H  MC  na  (sie!  lies  ca)  ocAfTf  IvKC*  coviiiee  ra  ühIv  Hoy- 

;i,HT^  Mf  H3HTH.  OcHR  JKE  C'ca^H  K»  H  pfM6  f H  •  Ka.A.'k  Ti  HMaillk 
RKTH    H    CKpUTM    Tf  ;    'kKO    M'kCTO    CH«    HO^CTO    fCTk. 

XVIII.  1.    ÜRp'kTf    }K.(    AKHt    TOy    ßp^TARk  H  RAßf^C  10  T0\'. 

H   npiiCTaßaAk   Tor   chh   cßO'k,    HSii^e    hckath   eakh    «Rp'kA- 

HHHE  0  RHTA'kOMA.  2.  Ü3'  /KC  OCHIlk  X'!>A,e  YOIK^AYk  H  H« 
TpO\i'/KA'»\'  ^^-  ß^P'l^ß  '*^*  "^*  yCK<:>,  RH.V'lvYk  KpOl':KfHHf  HKCKOE 
CTO£l|l«-     H    npOMA'k    3HI\,HHirk    lUHOTA    RH^-k^k. 

XIX.  1.   Ilo  CH\-  }K(  speßk  ßH;k,'k\-k  '/KfHoy  «Ttpoy  c^o^«- 

IjlOV"  C  rOpH  H  p«M£  UH-  HAR'kM«  KAMO  H^f lUH  ;  H  P'kyh  (»' 
KAKH  «Rp'kAHHH«  m\lC>\' .  OR'kljlAlOipH  IK£  pEHf  MH  •  0  RHTA'kO- 
UA  AH  £CH  ;  H  p'k\*k  k'  H'kH  •  (H.  H  pfH«  KA  M^R-k  '  KA-fc  6CTk 
pA»;,l,A|lOL|IH'b    BA    ßpT'n-k.    H    pk\-k    tH-     OKpOVHfHA-k    MH    JKfHA" 

-  T 

HA  H-kCT'  MH  IKfHA.  GfMOV'  IKt  «JK«  pA:KA'»fTk  CTO  0  A'^VX''^ 
CTA    3AHeTHf    HMATk.      H    p£Hf   KAKA*     Aljlf    0\'K0  Cf   R  p'kCHOTOy; 


38  V.  Jagid, 

H    pfMf    OCHRk-     rpe,\,H    It    BHJKA«»^        H^li    >Kf    CA     OCHIIOMK    EAEA. 

1:  M  cf  OE/\aKK  cB'kraAk  cra  wa^  Bp'(T)noLik  m  cß-kTk  Kean 
ßCH'k  Ka  KjfT'n'b  'Ukc»  OMHiuia  m6  rp'n-kTH.  H  ptne  KaKa-  k3B«- 
aH(MH)  ce  A<^V*"^^  '^^''^  J^^^'  '^^'^  cnceHHf  bc«mc»y  LiHpor  po^H  ct. 
npHiiia.v'uiH  ;kj  Kana  bh^'S  Liaa^Rn^^U,!^  caco^iiik  cacai^k  ivipHf 
LiaTfpf  CBC>£.  H  B3anH  rawLiJH-   BeauKk  ecTk  üHli  ,\,aHk  A^^HCk, 

tKO  BHA'k\'k    MO\'A<>  HOBOf.    3.    H   HBH.i,^  "3'  BpV^na  CABCqJH  Ba. 

rpeAO\j'ijiH  iKe  cp'Rre  caaoiuiu  ii  p«Mf  jh-  caaoLiu  caaoMk. 
HOBOE  Hor,\,o  iiiuiaiuik  TH  noB'kA^T'H.  ,\Ba  po^H,  eroiKf  h«  B'iui'k- 
Ljjan'k  i'liao  «f.  PfMt  lue  caaoMk-  M^HKk  rk  Ba  (sie,  lies  Kk), 
-kBO  aijjf  HE  paso^MliK»  0  cay^yk  behjh,  he  HMatJk  BtpH  -Sth- 
ivKO  J^A  pc»;\,Haa  Ba. 

XX.  1.  Oo'bM'mH  :k£  k»  Kaca  B3BpaTH  ce  c  hek».  h  npHUi^'- 
ujH  k'  rJiapHH  pEME-  oKpHH  CE,  HE  iiiaaa  KO  r.iH  Tov'ra  naaEiKHTk 

0  TEB-fe.  IiH.Ä,1iB'uJH  >KE  CaAOMk  ypHW>  Ca  CTpOHETEIllk,  b'cKAHK- 
HOy    rÄK»qJH'     aiOTt    BESaKOHHW    MC»ErJIC»Y     H    HEBlipC»BaHHK>    ftlOE- 

. .  T  T 

MOY'    '^'^*^  HCKO\fCH\-k  Ba  ^HKa.   H  CE  po^Ka  yo'S  ona^aETk  o 

IVIEHE.     B-K    BC    HHErAC>V    HSHEyor'UJM     pOXfKCW.       2.    Op'RKAOH'mH 

:ke  BOAlin"!;  homcah  ce  k'  BAa^^HH-R  takil^ih  be  oi^k  MOMyk. 
\mi\  (lies  noMHAOYH)  iuie  1vKo  cUme  EcaiJik  aBpaayaE  h  hcakobae 

H  RKOBAE.  HE  OB'aHHH  IUIE  Mpt^'  CHH'IUIH  H3ABH  •  HA  B's'BpaTH 
IUIE    B'   HHL|JHMk,     HIllMJE    HMEHE    TBOEPO    pa,\H   lltvAEHH-R  TBOpH\'k. 

a  iims'ah    i^'c»ee  0  tebe   MascijJH   npH'kTH.     3.   H  aBHE    npHCTa 

aHt^k  rÄE  EH  CAACMk  CAAOlUlk,  OyCAHUJa  rk  Bk  tJIATBk  TBOW. 
npHHECH  pOrBOy  TBOK»  k'  OTPOMETH  H  HCI^-SA'IvEUJH-  H  BO\f^ETk 
TEB'R  ChTeHHE.  4.  Ge  >KE  CTBOp'UJH  CAAOMk  C  pa^C^CTHIO  BE- 
AHEK»    3'kAO,     ABHE    HCU,'kAlv    H    HOKAOH^IUH     CE     OTpOMETH     H3H,\,E 

H3'  Bp'T'na  onpaB,\aHa.  \\  ce  raack  e-S  b'  HliH  ra«*  caAOOk 
cAAOiuik-    HE    b'sb'Scth   -kjke    bh;i,1v    cABHa-k  ,v,aHCk  ,.i,ohV\ejke 

BHH;i,ETk    OTpOKk    Ca    B'    EpCMk. 


ü-Ryoi'  iKE  H  nacTHpH  b  tohjk,a,e  cTpaHli  KA^iP*  "  crp'S- 
roripE  CTpaJBE  hoijj'hhe  o  CTa^^R  cBOEiuik.  flntiAk  rnk  craBk 
npH   HH\'k,    B3B'kqja£  Hiuik  ncpot^EHk  MAa;i,Hau,k.   BH£3anc>\j'  ike 

•kEH    CE     lUlHCt/KaCTBO     BOl^kH     HBCBH\-k    YBAEHinyk    BA     H    pEBOy- 


Analecta  romana.  39 

IjUiyK-      CAKa     lia     KHiirHM\'K    ROV    H    \U\    3m7\II    MHpK    U   M<\K^'k\-K 

KAroßACHirk.    Tu  ;kc  rii  iiom. 

Ich  glaube  bereits  in  den  »IlaBiexia«  der  kais.  Akademie  in 
St. Petersburg  Band  III,  S. 3 15— 338  (SA.  unter  dem  Titel:  KpiiTii- 
MecKia  3aMiTKH  kt.  c.iaB;nicK03iy  nepeßojy  AByxT.  aiiOKpHa'iinecKiixi. 
cKasaHifi)  nachgewiesen  zu  haben,  dass  unter  den  verschiedenen 
slavisehen  Texten  des  Protoevangelinms  die  in  den  ]Makarins-Me- 
näen  erhaltene  Rcdactiou  der  ursprüugliehen  Uebersetzuug  dieses 
Werkes  am  nächsten  kommt.  Selbst  jener  mittelbulgarische  Text, 
den  ich  in  der  besagten  Abhandlung  zuerst  zur  Vergleichung  heran- 
zog, obwohl  er  schon  zu  Ende  des  XIII.  oder  am  Anfang  des  XIV. 
Jahrh.  geschrieben  wurde,  ist  im  Ganzen  genommen  der  ursprüng- 
lichen Fassung  nicht  so  treu  geblieben,  wie  die  in  Makarius-Menüeu 
erhaltene  Form  dieser  Legende.  Fragt  man  nun,  wie  sich  das  vor- 
liegende Bruchstück  dazu  verhält,  so  wird  man  eiuigermassen 
überrascht  von  der  Thatsache,  dass  dieser  glagolitische  Text  ent- 
schieden näher  steht  der  russischen  Makarius-Redaction  der  Le- 
gende, als  jenem  serbisch-sloveuischen,  von  Novakovic  in  Starine 
B.  X  herausgegebenen  Texte,  mit  welchem  der  bulgarisch-sloveni- 
sche,  von  Prof.  P.  A.  Lavrov  abgedruckte  (AnoKpiM'iiqecKie  TeKcxLi. 
CIIÖ.  1S99,  SA.  aus  CöopiiiiKT,  B.  LXVII,  S.  59—61)  beinahe  wört- 
lich übereinstimmt.  Diese  Thatsache  nenne  ich  überraschend  da- 
rum, weil  man  erwartet  hätte,  dass  das  besagte  Bruchstück,  wenn 
es  in  späterer  Zeit  in  das  glagolit.  Bre"viarium  Eingang  gefanden 
hätte,  in  seiner  ganzen  Fassung  jenen  südslavischen  cyrill.  Texten 
dieses  Apocryphs  gleichkommen  würde,  die  uns  in  den  Handschrif- 
ten des  XV.  Jahrh.  fed.  Novakovic-  und  Lavrov)  erhalten  sind.  Statt 
dessen  können  wir  constatiren,  dass  der  glagolitische  Text  in  man- 
cher Hinsicht  der  griechischen  Vorlage  näher  steht,  als  die  genann- 
ten zwei  südslavischen,  und  dass  man  seinen  nächsten  Verwandten 
in  Russland,  in  der  Makarius-Redaction  wiederfindet.  Alles  das 
wirft  ein  merkwürdiges  Licht  auf  die  Provenienz  des  Bruchstückes 
in  dem  glagolitischen  Breviarium.  Ich  bin  nicht  abgeneigt,  seine 
Einschaltung  in  ein  liturgisches  Buch,  in  welchem  sich  vor  allem 
der  Inhalt  der  lat.  Breviarien  abspiegeln  sollte,  in  sehr  frühe  Zeit 
zu  versetzen,  spätestens  ins  XIII.  Jahrh.  Wahrscheinlich  stand  es 
unter  dem  25.  Decemb.  schon  in  jenem  cyrillischen  oder,  was  an 
sich  nicht  unwahrscheinlich  wäre,  glagolitischen  Buche  (etwa  Me- 


40  V.  Jagiö, 

näum),  aus  welchem  bei  der  Zusammenstelluug  des  Proprium  de 
tempore  für  g-lagolitisch-katholisehe  Zwecke  des  Breviariums  einiges 
bereits  vorhaudeue  Material  verwerthet  wurde.  Dass  die  zweite 
Hälfte  des  Protoevaugeliums  Jacob:  auch  in  cyrill.  Texten  unter 
dem  25.  Dec.  begegnet,  was  ich  schon  oben  sagte,  hat  Prof.  Spe- 
ranskij  in  seiner  Monographie  constatirt.  Die  Beziehung  dagegen 
des  ersten  Theils  zu  dem  8.  Sept.  haben  selbst  die  griech.  Texte 
dadurch  gekennzeichnet,  dass  sie  die  Ueberschriften  tragen :  löyo'^ 
iOT0Qr/,bg  eig  to  yeveGtov  rT]g  v/rsgayiag  d-eorö/.ov  (cod.  Paris.  F. 
oder  dg  xo  ysved-Xiov  rfig  vtt.  d-.  (cod.  Paris.  E.Vindob.)  nach  Thilo, 
in  dem  Dresdener  Text  (nach  Tischendorf  p.  XXI)  steht  auch  der 
Tag :  ^sTTXBvqUo  rj.  In  der  That  wird  auch  in  dem  mittelbulgari- 
schen Codex,  den  ich  genau  beschrieben  habe  (Sitzungsberichte 
B.  CXXXIX,  4*^  Abb.),  diese  Legende  in  den  Monat  September 
zum  Geburtsfest  Maria  gesetzt. 

Die  nachfolgenden  Bemerkungen  sollen  das  Verhältniss  des 
glagolit.  Textes  zur  griech.  Redaction  und  zu  den  verschiedenen 
cyrill.  Texten  besser  beleuchten. 

XVII,  1.  Die  einleitenden  Worte  ßa  a'""  *^"m  entsprechen 
den  griech.  iv  öh  xalg  i]f.i€Qccig  e-Asivaig  Vatic.  A.  (nach  Thilo,  bei 
Tischendorf  F**);  dagegen  die  nachfolgenden  Worte  ß  HfJKc  bc^otIv 
bis  HfiipasA'Hli  coxfMJ")  eine  Art  Recapitulation  der  vorausge- 
gangenen Ereignisse,  kann  ich  weder  durch  griech.  noch  durch 
slavische  Texte  belegen.  Wann  sie  in  die  Erzählung  eingeschaltet 
wurden,  ist  schtver  zu  sagen. 

—  H3H/i,6  noBCAl^HHE  entspricht  dem  griech.  Text  y-elevoig  öh 
e^r^?,d-e  oder  ö6yf.ia  de  e^rjl&s  —  die  übrigen  slav.  Texte  schreiben 
B'kicT'K  {lyevETo).  Die  Wortformen  aBrc»\fCTa  KEcapa  verrathen 
deutlich  die  griechische  Vorlage  dieser  Legende. 

—  HanHcaTH  et  bceh  bccaeh'Kh  hat  ebenfalls  die  Autorität  des 
griech.  Textes  äjtoyqdcpeod-ai  (näher  aTtoyQÜipaod-ca)  näoav  x)]v 
oiy.ovt.ievrj'}/  Paris.  A.  (bei  Thilo)  für  sich.  Die  cyrill.  Texte  folgen 
der  anderen  griechischen  Redactiou :  ndvxag  xovg  ev  Bt]d-l€e{.i  xfjg 
^lovöalag. 

Der  Dual  chh  luitMi  (lies  ckihtu  imora)  ist  ganz  genau,  denn 
wenn  auch  an  dieser  Stelle  im  griech.  Text  das  Wort  öüo  fehlt,  so 
steht  es  cap.  XVIII  §  1,  nach  derselben  Vaticanischen  A-Handschrift 
bei  Thilo,  die  vielfach  mit  unserem  Text  nahe  verwandt  ist.   Der 


Analecta  romann.  41 

Verbalturm   HaiiMcaio   entspricht  ganz   so  im  Text  des  Makarius 
HaiiMcaio,  sonst  haiihiiia;. 

§  2.  Rf^vUiuf  10  —  so  liest  man  im  mittelbnlg.  und  in  mehreren 
russ.  Texten,  während  der  serbische  bei  Novakovic  und  der  l)ulg. 
bei  Lavrov  Ko;K,v,i»aiiit  Ko;K,\,iUiit;  haben,  auch  der  Accus,  w  fehlt 
hier.  Der  Name  des  ►Sohnes,  der  als  führend  gedacht  wird,  ist 
.lacobus,  der  nachfolgende  heisst  OtMiioMk:  diese  beiden  Namen 
begegnen  auch  im  griech.  Text,  nur  sind  sie  in  Vatic.  A.  beide  als 
nachfolgend  dargestellt:  /.al  '[cr/.coiiog  y.ai  ^vustür  l7tt]y.oÄov0^ouv 
i(vr>i  'nach  Tisch,  steht  diese  Lesart  in  drei  Handschriften).  Den 
ll'IvKOKk  linde  ich  sonst  in  keinem  slav.  Text,  dagegen  steht  ()n- 
üfU'HK  (oder  OhMfOH'K)  noch  im  mittelbulg.  und  in  den  russischen 
vergl.  meine  Kpirr.  3aM.  §  S),  während  der  serbische  Text  bei  No- 
vakovic und  der  bulgarische  bei  Lavrov  nach  einer  anderen  griech. 
Lesart  GaMoynAk  haben. 

Die  Worte  h,v1v\'0Y  iKi  bis  rpa,v,'  Ta  rA«T'  et  sehen  wie  ein 
erklärender,  später  eingeschalteter  Zusatz  aus,  den  ich  weder  aus 
tlen  griech.  noch  aus  den  slav.  Texten  belegen  kann. 

—  np'kiiia.v'iiicMk  jkc  HMk  steht,  wenigstens  was  die  Wahl 
des  Verbums  anbelangt,  dem  russ.  npfH,v,oiiia  näher,  als  dem  serb. 
(ion,v«Miif,  bulg,  noH^vouiA;;  der  griech.  Ausdruck  ly/yioav  weicht 
von  beiden  slavischen  Verben  ab.  Das  nächste  Particip  OKpaijik  ce 
tindet  seine  griech.  Bestätigung  in  argacpeig  DF"'Pos  (nach  Tisch.) 
und  kommt  ebenso  in  allen  slav.  Texten  vor. 

Sehr  merkwürdig  ist  das  Adjectiv  Tpc»\'\'Ak  statt  des  altkirchen- 
slav.  ,\,p/Ä\'i\'k,  das  serbisch  ^vpeyAk  lautet;  der  Ausdruck  ent- 
spricht dem  griech.  Adjectiv  OTvyvog.  Dass  im  kroat.  Text  statt 
;i,p/i\\-A'k  das  Adjectiv  Tpc»v'\-Ak  geschrieben  wurde,  das  scheint 
eine  Verbesserung  des  kroatischen  Schreibers  zu  sein;  während 
ihm  ,i,pf\-Ak  nicht  geläufig  war  —  im  Kroatischen  ist  nur  dresel, 
dreselje  für  tristis,  tristitia  wohl  bekannt — ■  erreichte  er  durch  kleine 
Aenderung  das  Adjectiv  Tpo\'\'Ak  in  der  Bedeutung  »gravidus«, 
vergl.  Tpov-\-AA  foeta,  davon  hatpoy\-ahth  gravidare,  diese  Be- 
deutung stimmt  zur  Situation  an  erster  Stelle,  nicht  jedoch  an 
zweiter  Stelle,  wo  von  ahii.«  Tpo\f\-AO  die  Kede  ist.  Der  serbische 
und  bulgarische  Text  schreiben  an  letzter  Stelle  cRtobhc»,  wodurch 
wieder  eine  Abweichung  dieser  Texte  von  der  ursprünglichen  Ueber- 


42  V.  Jagid, 

Setzung-,  die  au  beiden  Stelleu  denselben  Ausdruck  hatte,  constatirt 
werden  muss. 

—  (ji,A  KaKC  co^MJ**  ^  "''^"  Tpc>Y;K,4,i\6T'  »c»  stimmt  wörtlich 
zu  den  russ.  Texten,  darin  spiegelt  sich  die  griech.  Vorlage  Yocog 
rb  iv  ainji  ov  xeuiaLet  avTVv;  im  serb.  und  bulg.  Text  ist  das 
Verbum  Tpo\//KA^*«T'  ^  ersetzt  durch  c'KM;hi4JaeTTi.-c'Kiuioiri|jan'K. 

—  CKor,\a  Tporx'AO,  CKorAa  jkj  cy'RKM|je  et  deckt  sich  wie- 
der wörtlich  mit  dem  Makarius-Text,  entspricht  dem  griech.  Tiovi 
aev  OTvyvov^  norh  de  yelCov  (diese  zwei  Ausdrücke  allein  kommen 
in  mehreren  griech.  Texten  vor);  dagegen  im  serb.  und  bulg.  liest 
man  oßc»r,\,a  oyKO  cIvTCkho  Oßcr^\a  jk«  pa^vocTHO,  also  eine  Ab- 
weichung von  der  übrigen  Uebereinstimmung. 

—  3a Kf  raKO  ist  eigentlich  eine  Doublette,  im  serb.  bulg.  nur 
raKO;  cud.  ohne  jede  Conjunction. 

—  das  fehlende  np1i,A,b.  OHHMa  iuiOHiuia  (griech.  Iv  rolg  dcpS-al- 
f.iols  i-iov,  auch  ohne  m  könnte  eine  zufällige  Kürzung  sein,  es 
kann  aber  auch  darum  fehlen,  weil  nach  Tisch,  auch  im  griech. 
Codex  dieser  Zusatz  fehlt. 

—  AP*^V"*  BfCfaH|je  et,  im  Makarius-Text  AP-  pa,Ä,c>VK'^l^'^C'^ 
H  BfceA/Äi|ja,  nach  dem  griech.  yaiqovxa  -/.cd  aya'kluof.iEvov]  andere 
Texte  ciUllihMptCA  nach  dem  griech.  yf-lCovza. 

3.  A*^  cpUAH  nc>\j'TH,  andere  Texte  no  cp^A"  no^cTH,  im 
griech.  begegnet  ebenfalls  neben  tv  rf]  f.iiarj  böq)  noch  dra  {.leoov 
Trjg  bdov  oder  -/.ara  ro  /.laoov  r^t;  bdov;  serb.  und  bulg.  Text  lesen 
AC»  noaoY  no^TH. 

—  cacaAH  Ui  ca  ccafTf,  so  auch  russ.  Texte,  serb,  und  bulg. 
bloss  CKcaAH  ut  (ma),  im  griech.  steht  a/ro  r-^g  ovov,  doch  in  der 
sogenannten  Vulgata  fehlt  dieser  Zusatz. 

—  co\fi\iii  Ka  lUiH'S  (cud.  c\'i4Jff  ko  mh1x)  entspricht  dem 
griech.  rb  iv  if.ioi  ov  (den  Zusatz  bv  geben  nach  Tisch,  drei  Texte), 
die  Lesart  i€>Ke  Bk  mh1v  (serb.  bulg.)  gibt  das  einfache  rb  iv  if-ioi 
wieder. 

—  HC»YA"'''  ^^}  so  auch  die  russ.  Texte,  griech.  ineiyei  iis. 
aber  serb.  bulg.  noHO^JKA^^ieTk  ce  (iioha^jka^etc/ä)  ,  offenbar 
für  irceLysi  ohne  f-ie,  in  intransitiver  Bedeutung. 

—  H3HTH  haben  alle  slav.  Texte,  griech.  i^£?.d-6iv  oder  auch 
TtQoeXd-elv,  nur  nicht  rtQoael^Elv. 

—  H  CKpHTH  Tf   stimmt  zu  cud.  CKpKITTv,   SOloV.  CKpKITb  Und 


Analecta  romana.  43 

iiiakar.  noKpKiTii  t^a,  kann  dem  ii'riecb.  /.cd  y.a/.vilK-)  oder  y.orilio 
oder  a/.e.rc'cdC'j  entsprechen,  im  serb.  und  bulg.  rk  i€:Kf  iiokpkitii 
cTOV'.VK  steckt  eine  andere  griechische  Lesart:  a/e/r^ffw  {gou)  ttiv 
'iiayvvr^v. 

XVIII.  I.  Für  das  griech.  otd'i'Icuov  schreibt  unser  Text  nebst 
den  russ.  k^ktkiik  (oder  KpKTank),  der  serb.  und  bulg-.  dagegen 
napcpa.  Für  Ttagearr^ae,  oder  noch  näher  nach  der  Vulgata  Tta- 
n(cor)]aag,  steht  im  glagol.  npHcraKa/ik,  in  den  russ.  Aor.  npH- 
cTaiui,  dagegen  serb.  und  bulg.  ocTaiin. 

—  n3H,ve  HCKaTH,  SO  auch  im  Mak.-Text,  entsprechend  dem 
jiiech.  l^t]/.^£v  ^rjfjaai  (so  bei  Thilo  der  Haupttext),  serb.  u.  bulg. 

llOH,V,f  HCKaTH. 

2.  \'o,i,£  x-ojKA^yk  H  m  TfiC>y:K^\,\\K  et,  nahe  dem  Mak.-Text 
\'OJK,\a\'k  H  i\(  \'o;K,va\'k,  im  griech.  Text  ist  TteQLrcarCov  und  m- 
(jis:ichovi'  nachweisbar,  doch  nicht  beides  in  einem,  wohl  aber 
doppelt  das  Iniperfect  TisQLETtäxovv  -/.cd  ov  ^EQisTtdrovv,  cud. 
fi,v,'KiH  H  Hf  H.v^\"K.  Für  das  He  TpoYH;,i,a\'k  a  finde  ich  keine 
Entsprechung  im  griechischen,  wohl  aber  im  serbischen  und  bul- 
garischen H3HfM0r0\'k  ! 

Im  weiteren  Verlauf  ist  der  glagolitische  Text  stark  gekürzt, 
nach  Kpov'iKfHHf  hkcko«  cToeijif,  wofür  in  cyrill.  Texten  Kp;s\r'k 
HEBCHKiH  CTCtAi|ik  stcht  (entsprechend  dem  griechischen  rbv  tcö'lov 
Tov  ovQavov  iarüjTa,  nach  Thilo),  fehlt  alles  weitere,  zusammen- 
gefasst  in  die  Worte  h  npona't  snaüeHH-fe  UHora  ßH^vtyk.  Kein 
anderer  slav.  Text  ist  so  gekürzt. 

XIX.  1 .  BH;i,1vYk  jKfHor  entspricht  der  griech.  Lesart  eldov 
yvvcdy.ce^  so  auch  die  übrigen  slav.  Texte. 

—  c  ropH  :  aTTo  ri~g  üqelvy^q,  daher  im  Mak.-Text  ot^k  rop- 
Hki/ft,  andere  schreiben  Plural  OTk  ropHkiyk  (serb.  bulg.)  oder 
c  ropHHU,/ft  cud.  solov.).  Mit  dem  glagolit.  stimmt  am  nächsten 
überein  der  mittelbulg.  Text  HC\-o;k,;sii|j/Ä;*i  H3k  ropki. 

—  o  BiHT/\1;oMa,  im  griech.  l^^IoQca]?.,  so  auch  die  cyrill. 
Texte,  die  zum  Theil  (C  tp^ia  schreiben ;  die  Abweichung  des 
glagolit.  Textes  steht  vereinzelt. 

—  Ka1v  ccTk  paH;;i,aM>i|JHlv  ganz  nach  dem  griech.  rig  Igtl  i] 
yevvwGa,  russ.  Texte  setzen  kto  für  Ka'b,  serb.  und  bulg.  kürzer 

KTO  fCTk  Kk   KpkTH'fe. 


44  V.  Jagic, 

—  n.\  irkcTK  ui\  iKtHJ,  Ciid.-  imd  Makar.-Text  h  hIvCtk  um 
iKfua;  im  griecli.  als  Fragesatz,  demgemäss  auch  im  serb.  u.  bulg. 

H   H-SCTk  AH  TH   IKfHA. 

—  cfiuior  >Ke  r,K,(  ßA^i^^MTh  cto,  diese  Worte  scheinen  ein 
Zusatz  zu  sein,  der  weder  im  Griechischen  noch  in  den  slav.  cyrill. 
Texten  nachweisbar  ist,  dagegen  die  Worte  c>Tk  A^V\'**  ^'^^^  sanf- 
THf  nyaTk  stehen  in  cyrill.  Texten  nur  in  anderer  Reihenfolge : 
3a Hf  saMaTKf  HiuiaTK  0'i"h.  ,v\'a  cTa,  so  auch  im  Griechischen. 

—  Amt  oxfKO  c(  ß  p'kCHCTO\',  nahe  übereinstimmend  mitMak,- 

Text  M]it    et  OlfKO    KC»    HCTHHOY    (cud.  ßO    HCTHNOXf    C6    l€CTk),    UUr 

der  Ausdruck  p-kCHora  ist  durch  HCTHHa  ersetzt  oder  umgekehrt. 
Im  Griechischen  tovvo  uh^d-eg,  darnach  im  Serb.  et  hcthhho  ah 

WXTh. 

2.  H    CE    OßAaKk    Cß'kTAAk    CTA     Ha^'    KpkTkHOIHk    H    Cß'tTk 

ßfAH  ßCH'k  ßa  ßpVn'k  — ■  ganz  so  im  russ.  cud.  makar.  und  solov.. 
während  im  griech.  (nach  Thilo) :  -/xd  eonq  er  rcp  röircp  rov  07i\]- 
lalov  (mit  Joseph  als  Öubject)  /mi  rjv  i'scpfh]  eitia/.idi^ovaa  In),  rb 
G!Ti]lcaov,  doch  führt  Tischendorf  aus  seinem  Hauptcodex  A,  den 
er  jedoch  hier  nicht  befolgen  will,  folgenden  Satz  an:  ytal  ecpdvt] 
tpCjg  i.ieya  iv  tcJ)  07rr^?Mi(i>,  offenbare  Vorlage  der  slavischen  glagol. 
und  russ.  Redaction. 

—  'kKO  OMHiuia  He]Tpkn'kTH  entsprechend  dem  griech.  ojare 
Tovg  öcp^alfioug  iii]  cpsQsiv,  im  serb.  und  bulg.  abweichend  raKOJK« 
OMHiuia  H«  MoqjH  3p1vTH ;  russ.  Cud.-uud  Mak.-Text  stimmt  mit  dem 
glagol.  überein. 

—  Der  weiter  folgende  Satz  ort  slöop  bis  Tcaqädo'^a  ist  im 
glagol.  Text  ausgelassen,  aber  auch  die  russischen  Texte  (cud. 
solov.  makar.)  sind  hier  kürzer. 

■ —  Für  OiiJT)]Qia  top  'loQarjl  h/evvTi]d-rj  steht  im  glagol.  und 
Makar.-Text  i€KO  chcehhe  ßccmior  luinpoxf  po,A,H  cf. 

—  npHUiAA'LUH  JKf  Kasa  ßH.v'k  MAa,\, 'kHaii,k  cacoyMJi^  cacaH,k 
MpH£  lUiaTfpe  CBOe  ist  eine  abweichende  gekürzte  Wiedergabe 
dessen,  was  in  den  russ.  und  anderen  cyrill.  Texten  ausführlicher 
und  dem  griech.  Text  näher  entsprechend  dargestellt  wird. 

—  H  ßsann  rAtoipH,  so  auch  die  russ.  Texte,  entsprechend 
dem  griechischen:  xca  äveßö}]oev  [fj  (.lala)  Y.al  eItcev. 

3.  H  H3H,i,6  H3'  ßp^THA   cAaßEi|JH    BA,  die  beiden  letzten 


I 


Analecta  romana.  45 

Worte  auch  in  den  russ.  Texten,  doch  weder  im  griech.  noch  im 
serbischen  —  also  auch  in  dieser  Kleinigkeit  spiegelt  sich  der  enge 
Zusammenhang  des  glagol.  Textes  mit  dem  russischen  wieder. 

—  rpf.V'^V'l'"  't^f  cp-kTf  caAOMK  —  im  serb.  H3'Kiiik,VKiiiH 
ov'RO  OT'K  iinjKpKi  KaKa  11  cpk're  rov;  caaoMH,  entsprechend 
dem  griechischen,  während  die  russischen  nur  cpIvTf  10  caaouira 
(oder  cpIvTf  h  caAOMHii  cud.)  bieten. 

—  HOKOf  Mio,v,o,  so  auch  mittelbulg.,  Cud.  und  Mar.  Text,  nach 
der  griech.  Lesart  des  Vatic.  A.  (bei  Thilo)  y.uiv6j>  00t  ^avua  tyw 
dn]yrjoccGd^c(t,  daher  auch  in  der  Fortsetzung  HHiaMk  th  noB'k,\aTH, 
dagegen  serb.  und  bulg.  schreiben  hobo  BH^'^Hlt  nach  der  anderen 
griech.  Lesart  x«n'or  —  O^laua. 

—  «roiKf  Ht  K'u'ki|iafrk  r-kao  «f,  im  mittelbulg.  und  Makar. 
Text  «rojKf  Hf  ßMlxcruTh  r'kao,  in  Cud.  Solov.  durch  Versehen 
iroH^f  HKC»  Hf  r.U'kcTHTb,  im  serb.  und  bulg.  statt  T'kao  steht  das 
Substantiv  »ecTkCTKC»  i€f,  gr.  (pvotg  ainr^g. 

—  In  der  Antwort  Salome's  steht  ai|if  h«  pasoyiii'kK»  0  caulJYK 
BfijiH,  ganz  so  wie  im  Mak.  Text;  Cud.  h«  pa3.  ßfi|in  cfH,  Solov. 
dasselbe,  nur  im  Genit.  KeqjH  cia,  dem  griech.  Text  entsprechend 
nach  F^  (bei  Tischendorf)  lav  fxi]  v.aTavoyjGio  rrjv  rpvaiv  avzrg.  Im 
serb.  und  bulg.  nur  ai|if  h«  lunK.voy. 

—  HC  HMaMk  K-kpH  'kTH,  SO  auch  Mak.  Text,  gr,  ov  iil  .rio- 
T€vato,  im  serb.  und  bulg.  Ht  hü;^  Klipki,  so  auch  cud. 

—  'kKO  ^V'^Ka  po,\HAa  bh,  ursprünglicher  in  Cud.  und  Makar. 
Text  raKO  ,\,'kBara  po.VH,  im  serb.  und  bulg.  fehlt  dieser  Zusatz. 

XX.  1.  Die  einleitenden  Worte  no-kr-riuH  /Kf  k»  kara  B3BpaTH 
C(  c  HfK>  fehlen  in  allen  Texten,  auch  im  griech.  sind  sie  nicht  be- 
legt, man  kann  sie  also  als  einen  erweiternden  Zusatz  des  glagol. 
Textes  auffassen, 

—  H  npHUJb^vi^uiH  k'  MapHH  ptHf,  soust  Ist  BHH^f  die  üblichc 
Lesart:  /.cd  tloff/.&tv^  es  gibt  aber  auch  /.cd  eiasXd^ovaa. 

—  OTKpHH  Cf,  so  auch  makar.  cud.  und  solov.,  nach  dem 
griech,  ayj]uc(Ti'jov  GeccvTrjv;  wie  das  im  Mittelbulg.  später  corrigirt 
wurde,  das  habe  ich  a,  a.  0,  S.  21  angegeben.  Im  serb.  und  bulg. 
fehlt  der  ganze  Ausdruck,  weil  die  Erzählung  gekürzt  worden  ist. 
Ebenso  fehlt  im  serb.  und  bulg.  die  Fortsetzung  h«  Maaa  bo  oh 
Toyra  naaf/KHTk  0  TtRlJ,  die  mit  Makar.  Text  genau  überein- 


46  ^-  Jagic, 

stimmt.  Cucl.  und  Solov.  etwas  .abweiclieud  iif  luiaAa  ko  üh  tx^fa 
Hi\  reKU.  Der  griech.  Text  würde  lauten:  ov  yaq  i^iixQog  aytoy 
7r£^r/€trat{vielleiclit  eher  nach  der  Lesart:  iTtixsiTai)  ^loi  ^reQi  gov. 

—  Die  weitere  Erzählung  lässt  einiges  von  den  griech.  Einzel- 
heiten aus  und  schreibt  zum  Ersatz:  KH.^'Rß'ujH  •A^.t  caAOMk  luipHK» 
Ci\  oTpoMfTCMb,  im  Makar.  Text  h  bh;i,'6  k>  caa.,  cud.  und  solov.: 
H  Kii.V'feKiiJH  CtiA.,  aber  die  Worte  mapHK»  ca  orpoMfTfML  fehlen 
überall. 

—  ß'cKAHKHO^j''  TAHM^JH,  SO  auch  Mak.  Text,  griech.  aviy.qaS,ty 
(oder  e'/.QuvaEv)  Xeyovoa. 

—  AW>T1C  Kf3aK0HHH>  IUIC>eillO\f  H  Htß'KpOKaHHK»  MCfLlOY:  Mak. 

Text  ganz  ebenso,  cud.  nur  mit  dem  Unterschied  HEBt:pkio,  solov. 
in  anderer  Reihenfolge,  serb.  und  bulg,  anders:  rope  KesaKOHJK» 
LioeiiiiOY  H  rp^yor  luioemoij',  griech.  oval  rfj   avof^ila  f.iov  -/.cd  rfj      ' 
uTiLOria  /.lov. 

T 

—  OTnaA<»£TK  c»  IU16H6,  so  auch  makar.  cud.  und  solov.  nach 
dem  griech.  ccTcoTiiitrEvca  ccti  laov^  ganz  anders  im  serb.  und 
bulg.:  (po^Ka  MC»ra)  KfSA'l^'^H^i  kmctk  otu  uuu. 

—  K'fe  ECt  HHerAOY  HSHfimor'iuH  poxfKOio,  diese  Worte  sehen 
wie  ein  erklärender  Zusatz  aus,  der  in  den  übrigen  slav.  Texten 
fehlt  und  auch  im  griech.  nicht  nachgewiesen  werden  kann. 

2.  iip'kKAOH'LUH,  ganz  so  solov.  und  cud.  (npcKACHbiiiw  wohl 
Druckfehler,  falsch  noKAOHiuH  Makar.,  neuere  Form  im  serb.  np-S- 
KAOHHßUJH,  im  griech.  vSkivaoa  [xa  yövara). 

—  Hf  OBAHHH  Ui  np-R^'  chh''mh  H3ABH,  SO  auch  in  den  russ.  « 
Texten,  im  griecb.  (.u]  .cagader/LiaTlo/js  /.is  Tolg^IaQai]l,  der  serb.  " 
und  bulg.  Text  geben  eine  andere  Uebersetzung  dieser  Phrase:  j\,a 

He  nocpaMHuiH  ut  r-k  CKiHO\-k  ncpan/\fß'k)CK. 

—  Ha  BSBpaTH  ME  k'  HHi|jHMk,  SO  auch  makar.  und  solov., 
nach  dem  griech.  alUc  ditödog  f.i6  rolg  7t6vr]otr,  falsch  ist  im  serb. 
und  bulg.  Hk  ,i,apo\'H  me  hhi|jihiuik. 

HIUI'/KE    HMEHE    TBOEPC»    pa^H    H.'SaEHHlv  TBOpHY«»,    SO    aUCh 

Makar.-Text  (nur  mmehemk  tbohmk),  nach  dem  griech.  (Paris.  C. 
bei  Thilo) :  olg  ov  oiöag,  öeOTtOTa,  ort  rcp  a^  dvöiiavi  rag  dsQa- 
yTfi/ag  ii-iov)  ETioiovv  (in  unserem  Text  ist  b1jch  ausgelassen).  Eine 
andere  Uebersetzung  verräth   der  serb.  und  bulg.  Text:    H^kiKE 

ßtCH  raKO  0  HMEHH  TBOEMk  BpaMEBCKaa  A'^'^X'*- 


Analecta  romuna.  47 

1 

—  A  r.K\3.v,H  MOff  0   IHK  MahM|iii  iipiikTH,  tud.  iiiak.  imd 

-ul.  M3A0V'  UOK«  Mt\K«  OT'K  TfK6  np.,  im  griecli.  HUI"  /at  roj'  (.iLoiyöi' 
itov  naoli  öov  i)Mii<iavov^  daher  im  serb.  und  bulg. :  h  mk3,\ov' 

nOIO   tip1v,V,K  TOKOK»   l1pllEMAM\'k. 

3.  iipncTa  at^iiK,  mak.  ciid.  iipHCToyiiH  anr/Xi*,  aber  serb. 
iip1i;»,CTa,  griech.  tTiiavi]  spricht  für  die  Ursprünglichkeit  der  glag. 
L'ebersetznng 

—  iipMiiKii  poyKOi'  TKOK»,  SO  auch  ciid.  makar.  solov.  nach 
dem  griech.  .tQooersy/.t;  im  serb.  und  bulg.  kochh  c€  poy'KOV' 
CBOEio.  Das  nächste  Verbum  -/.cd  ßciora^ov  avrü  ist  weder  im  glag. 
noch  im  mak.oder  solov.  übersetzt,  dagegen  serb.  hat  mchech  lero. 

—  H  Hcii.'KA'kciiJH,  so  auch  cud.  makar.  solov.,  der  griech. 
Text  hat  ein  entsprechendes  Verbum  hier  nicht,  darum  fehlt  es  auch 
im  serb.  bulg. 

4.  Gf  :k6  CTKOp'ujH  caaoMb.  c  pa^vociHW  ßfaiitK«  sRao 
aKH£  HcnlvA'R  —  dieser  ganze  Satz  fehlt  in  den  übrigen  Texten, 
cud.  und  makar.  haben  nur:  (h]  pa^\,ocTk  (iKf)  npHHMiiJH  caao- 
ILIJH,  die  Öchlussworte  kommen  im  griech.  etwas  später  vor:  yxcl 
iöov  €V&ftog  Iccd^r^. 

—  h  noKAOH'ujH  ce  OTpOMfTH  H.3H,vf  Hs"  Bp'TKiia  onpaß- 
;k,aHa  ist  eine  Kürzung  der  Erzählung  gegeuüber  dem  Makar  .-Text, 
es  fehlt  in  der  Mitte:  (hokaohh  cra  eMcv)  raKMjiH-  tki  i;pK  po- 

^H   C/Ä    ICpAKK    H   nOHClu'UJH     (Cud.   HCHf IIJ^UJH )    :Kf    AE\i     HCHlvAlv 
(h  WSV\,\i). 

Die  Schlussworte,  die  nicht  mehr  aus  dem  Protoevangelium 
entnommen  sind,  darum  auch  in  den  übrigen  slav.  Texten  fehlen, 
erinnern  einigermassen  an  das  Pseudoevangelium  Matthaei,  wo  wir 
lesen:  Nam  et  pastores  ovium  qui  erant  in  regione  illa  custodieutes 
gregem  suum,  asserebant  se  angelos  vidisse  in  medio  noctis  hym- 
num  dicentes,  deum  caeli  laudantes  et  benedicentes,  et  dicentes 
quia  (Tisch.  Ev.  apocr.  79). 

Ab b a zi a ,  31 .  Juli  1 902.  V.  Jagic. 


48 


Die  Uebersetzunaskimst  des  Exarchen  Joliaimes. 


^y^AUt'fb-^ 


Die  Sprache  des  Exarchen 
ist  nach  ihrer  formalen  gram- 
matischen Beschaffenheit  unter- 
sucht von  Yondräk  (0  mluve 
JanaExarcha  bulharskeho,  Prag 
1896),  der  auch  in  gewissem 
Umfange  Wortbildung  und 
AVortschatz  behandelt.  Ich 
möchte  versuchen,  die  Schrif- 
ten des  Mannes,  zunächst  das 
sog.  EorocjOBie,  nach  ihren 
inneren  Eigenschaften  zu  be- 
urtheilen,  also  fragen:  wie  sind 
ihm  seine  Uebersetzungen  aus 
dem  Griechischen  gelungen 
und  auf  welche  Grundlagen 
hat  man  sich  bei  der  Beurthei- 
lung  zu  stutzen?  Es  war  in 
der  That  ein  kühnes  Unternehmen  des  Exarchen  Johannes,  ein 
so  schwieriges  Werk  wie  die  "Ey.doaig  äy.Qißrjg  Tirjg  ogO-odö^ov 
Ttiarstog  des  Johannes  von  Damaskus  in  eine  Sprache  zu  über- 
setzen, deren  Anwendung  in  der  Litteratur  erst  einige  Jahrzehnte 
alt  war  und  bis  zur  Zeit  des  Garen  Symeon,  so  viel  wir  sehen  kön- 
nen, nicht  weit  über  die  Version  von  Bibeltexten  und  liturgischen 
Büchern,  vielleicht  einer  Anzahl  von  Legenden  und  Homilien, 
hinausgegangen  war.  Das  Buch  des  Damasceners,  das  die  dogma- 
tische Entwicklung  der  griechischen  Kirche  abschliesst,  ist  aber  ein 
Werk,  das  die  durch  Jahrhunderte  gehende  philosophische  und 
theologische  Begriffsbildung  der  Griechen  in  sich  aufgenommen 
hat,  dessen  Verfasser  mit  einer  ganz  festen  wissenschaftlich  philo- 
sophisch-theologischen Terminologie  arbeitet,  in  der  jeder  Aus- 
druck seinen  genau  bestimmten  Sinn  hat  und  immer  in  diesem 
Sinne  gleichmässig  angewendet  wird.  Selbst  einem  heutigen 
Uebersetzer,  der  mit  wissenschaftlichem  Apparat  und  unter  ganz 


4 


Die  Uebersetzungskunst  des  Exarchen  Johannes.  49 

andern  Voraussetzungen,  mit  einer  ausgebildeten  Schriftsprache 
arbeitet,  wird  es  schwer  fallen,  genau  den  Sinn  der  Termini  und 
der  oft  recht  spitzfindigen  Gedankeneutwicklung  wiederzugeben. 
Dem  mittelalterlichen  Uebersetzer  musste  das  noch  sehr  viel 
schwerer  sein,  und  man  kann  von  vornherein  nicht  erwarten,  dass 
dem  Exarchen  das  Werk  in  höherem  Sinne  gelungen  sei.  In 
seine  Arbeit  etwas  näher  einzudringen,  hat  aber  ein  Interesse,  weil 
er  offenbar  durch  seine  Uel)ersetzungen  einen  grossen  Theil  der 
theologischen  Termini  des  Kirchenslavischen  geschaffen  hat. 

Bei  der  Beurtheilung  kommen  zunächst  einige  äussere  Momente 
in  Betracht.  Erhalten  ist  das  Eoroc.ioßie  in  einer  russisch-kircheu- 
slavischen  Handschrift  des  XII. — XIII.  Jahrhunderts.  Diese  hat 
Bodjanskij  in  der  früher  üblichen  und,  wenigstens  zu  meinem  Be- 
dauern, auch  jetzt  noch  zu  oft  geübten  Art  »diplomatisch  getreu« 
abdrucken  lassen  '  erschienen  in  Moskau  1878  mit  Einleitung  und 
Nachkollationirung  von  A.  Popov;  über  die  Schicksale  des  Druckes 
«.  diese  Einleitung  oder  Vondräk  S.  2).  Bodjanskij  hatte  die  Ab- 
sicht den  Text  zu  commeutiren,  und  die  auf  die  Noten  verweisen- 
den Zahlen  stehen  auch  im  Text  über  den  Zeilen,  zu  diesem  Com- 
mentar  ist  er  aber  nicht  gekommen.  Die  Handschrift  ist  also  etwa 
drei  Jahrhunderte  jünger  als  die  Abfassung  des  ursprünglichen 
Textes.  Ob  sie  unmittelbar  aus  einer  südslavischen  Vorlage  abge- 
schrieben ist,  kann  man  nicht  sicher  entscheiden,  sicher  aber  ist. 
dass  sie  von  Fehlern  aller  Art  wimmelt.  Ich  habe  hier  keine  Aus- 
gabe zu  liefern,  will  daher  nur  durch  eine  Auswahl  von  Beispielen 
darauf  aufmerksam  machen,  dass  sehr  viel  zu  verbessern  ist  (ich 
citire  nach  den  Seiteuzahlen  der  Ausgabe,  den  griechischen  Text 
nach  Migne,  Patr.  gr.  t.  94) : 

Mab,  le^HHkCTKO  lecTk  ^,ß'i>H  HaMaAO,  1.  ^vßc-HHTvi  oder 
^ViiOHH'k  =  iiovdda  sivai  övciöog  aQyr-v  801  D.  —  mk  a,  Ck  hho- 

KTUH    T'kHkK»    H    le^^HHTvIH    KOT'K    H«   KC»  CilOßfC«    »6CTk,    1.   Kf-CAO- 

RCCE  =  oiivog  roivvv  o  eig  -/.cd  uövog  &£og  ov/.  a/.oyug  iutiv  801  C 

—   M,\,  b,     HTv    C'kCTaß'K    MA'kTH,    1.    Ha  =  TTQÖg    Tf]V    TOV    aVJiUlTOg 

avaiaaiv  SOdA. —  Mf  b,  statt  ß'kBACVV^  ^-  ^'^  ^'^^r\^y\'^  =  ^'S 
äioa  S05A.  —  M3b,  hh  Hanar-kKa  hujth  hm  KOHku,a,  1.  hmo\;- 
UJTH  =  urje  t(QyJ]v  ty/jvoa  urje  relog  805 C.  —  M-O'b,  ^V^VX"*^ 
}Kt  noc'kiaafM'k  h  TKopra  h  TKkp,\,k  h  c'k,v,pi*^'^,  1-  Tiikp^^ra 
(=  TBp'K^k.AJ  =  TTvevuu  öt  c(7rooTi)./.6uti'0)'  /.cd  ttolovv  /.cd  oit- 

Arcbiv  für  slavische  Philologie.   XXV.  4 


50  A.  Leskien, 

Q€ovv  Acd  Gvveyiov  SOS  B.  —  u&  a,  camocKAT'ik,  1.  caimocB'kT'K  = 
avTotfwg  808  D.  —  h^  a,  HHCtM<waro  ckma  TBOtro,  1.  CKoerc-  = 
Tuv  (.lovoyBvovg  vlov  a.vtov\  ebenda  npjJKe  Bct^'i»^  ßi^  bIvK^k, 
BTk  ist  zu  streichen  ==  rcgh  Ttävriov  röJv  akovcov  809  B.  —  Hf  a. 
coyiiieBkH'KiH,  1,  coyiiJtcTBkH'KiH  =  ovaubdrjg  812  A,  zu  cor- 

liJfCTKO  =  OVaia.  —  ^B  a,    H    MHOJKbCTBO    H    JKEHkCTBO,   1.  M0\'- 

jKkCTBO  =  10  aQQsv  /.cu  to  &fjlv  816  A;  der  Fehler  ist  veranlasst 
durch  unmittelbar  vorangehendes  richtiges  ruiHOJKkCTKC»,  —  ^s  a, 
BCfro  BH;k,/Ä  :KHBOTkHaro  u.s.w.,  1.  e,u^a=^  Ttawog  sidovg  Liowv 
u.  s.  w.  817  B.  —  ^H  a,  HC^CAHiiiia,  1.  HCYO^a  «iura  =  hTtogev- 
GEOjg  ovo{.iu  820  A;  ebenda  ht».  Biicn/ÄTkH'R  wtt».  toya*^V  ^'^   -. 
cra  npe;i,a,  1.  H'ki  (=  HaMT».)  =  xovvavxiov  dh  eyiEl-d-ev  fjUlv  /.lera- 
dedoTai  820  A.  —  ob  b,  WKAa^'WH  h    (dies  h  zu  streichen)  bc«k> 
TBapK»  a  H«  WKaa^'kiiiik,  zu  lesen  OB/xa^oiun»,,  Part.  präs.  pass.  = 
deoTiÖLov  7tciO}]g  yaiastog,  ov  ÖBOTto'C6(.iEvov  821  B.  —  or  a,  coBOio     ^ 
TKopra  H  co^ipi^cTBOY  RCf  H  cB/ÄTö,  1.  cc»YHJkCTBOvra  (==  c;^-   Ij 
mTkCTBoyirft,  Part.  präs.  zu  c;iimTkCTBOBaTH  ovgi6cü)=  öl'  kcv-  M 
Tov  ■/.xLl.ov  '/.cd  ovGLOVv  TCi  Gvi,in:avTci  821  C.  —  or  b,   Hf  KO  hh     - 
IVTT».    KOrOJKf    HH    WTT».    CfKJ    BTüTklC    HIUlaTk,    statt   dcS    ZWCitCU 
HH  1.  Hlk  =  OV  yaQ  £x  tLvog^  e^  eavrov  yctq  xh  elvai  exei  821  C.  — 
pa,  BCf  raaroafM'K  naTvTkcKTvi  o  bos'K  ckKp'kBfHi».  HiuiaTk  h'K- 
KaK'k  pasoifR-rk,  1.  raarc>/\enJic»(»€)  oder  leiKt  raaroaeiun».  :=  7idyra 
xa  GiO(.iaxL'/.Cog  siQi]^ieva  inl  d-eov  '/.eAQVi,ii^tevt]V  eyßL  nvlc  Ivvoiuv 
844  B.  —   PA  3)   lUiHorivi  MAKK'ki,   1.  B'kK'ki  =  Tiol'/Mvg  aiCovag 
864  B.  —  pe  a,  ra^K«  WKaaroA'SHCTB'kiuia,  1.  -cTBHwa,  Part.  präs. 
l)ass.  zu  einem  Verbum  OKaarOA'feHCTBHTH  =  xh  Lvsqyrid-v^GÖ^ieva 

864  C.    pH  a,     TT».HkK>     JKf     HfS'KA'^H'^'*    l€CTk    H    HfHSBpaTkHO 

ecTk,  lies  fiK«  statt  JKf  =  növov  dh  xb  Icy.xLGxov  äxQsuxov  868  A.  — 

pH  b,  BfCkMkpTkHb  I.  -HTk)  fCTk  fCTkCTBlilUlk  HT*.  KaarOA<iTk- 
fUh,  1.  H(  fCTkCTB'kLik  =  dd-uvaxog  ov  rpvGSL  alka  yccQiXi  868  B. 
—  pi  a,  HH  o\;cTaBkHT».ira  raaroAK»,  zu  lesen:  hh  oxfcraBkHH 
(co\j'Tk),  OYCTaBkHTvira  ra.  =  dÖQiGxoi  yäo  bIglv  doQiGxovg  öh 
Isyto  869  A.  —  pKa,   B'kLieraTH   ß-k  MABK'ki   npoi|jfHH   co^Tk, 

1.    BTk    MAOBlvK'KI    =   7CQ0GßccklEiV    xcö    dvd-Qi'jTtqj    GVPEytoQrj&r^Gav 

877  B.  —  pK«' a,  B'kSAOVV^  ^"^  napraitiHYT»,  i€CTk  YC/KtHHf  a 
HtBO,  1.  a  He  H£BO  =  o  ärjQ  yaQ  xCov  TtexeivCov  Igxl  TtoQeia,  /xu  oi'x 
0  ovqavog  884  C.  —  pMr  a,  a  LrkicakHoe  BcraKO  ne  noi.rkiujaEHH/A 
HH  A'S'^i»'^'*  H'i^'  fCTk  A*^"»^?  n^  i^iifl  n"  sind  zu  streichen  =  xo 


I 


Die  UebersetzuDgskunst  des  Exarchen  Johannes.  5] 

()t  h)'/i/.hv  7Cc'(UT(üg  zi^g  j^or/.i]g  ijiii'  tfez-ef  didozai  893  B.  — 
pH3  b,   TAK-k,    1.  T/MKKK'k  =  ßaqv  908  A.   —   pOH  a,    ß'K    KKCtUk 

:khthh.  1.  K'k  CfMK  :k.  =  Iv  rC^  TtagöpTi  ßioj  924  A.  —  pn  a,  hk 

.V'KliOKJ  Pt\3C>\'U'l\Kt\H5M'k,    1.    WA  =  /MTCC  ÖVO  TQOTlOVg   VOOVfttP.  — 

pnR  a,  ruiK-Ki  T'ki  cra  K'k^KpaT/ÄTK,  1.  K'k  T'W  =  /.al  eig  avra 
uvuLvETOLi  925  C.  —  pnr  b,  Rfcii<\o,VKH'kiHM'k,  1.  KfcnAivTkH'ki- 
iiM'k  =  rcCig  d.oojiiäxoig  928  A.  —  c^K  a,  Ck  KO  MSCTk  BC'kM'k 
K'kiTkf,  HEKOH'k  KCfMk  cov'Tk  cov'Tk  (Dittograplüe ,  (las  eine 
cov'Tk  zu  streicheui  cov'i|jkCTKa,  statt  ßCfMk  zu  lesen  K'k  HEMk 
=  ui'Tog  yccQ  Ion  rolg  jcügi  vo  sipai,  «rr«A(5/^  Iv  avvc)  eioi  ra  oi'Tcc 
1 136  C;  der  Fehler  entstanden  durch  das  vorangehende  KckM'k.  — 

CA3  b,    nO  BCCH    3EMAH   B/\rOB'kL}JEHHe   BAPOB'k^l.f  HHIO  HOB'K^a  C/A, 

1.  KoroK'RA'^HH'^  veranlasst  durch  das  vorangehende  KAaroB.)  = 
eig  .läoai^  r/r  ;'/V  ro  svayye/.iov  rf^g  ^eoypcoalag  /.ey.r^Qv/.vcct 
1109  A.  —  CMS  a,  HaHiiT'kK'k  HHoro  HCHTkra  KOY;»,cTk  K'k  na- 
K'kipoiKkCTBO,  statt  H'k  1.  H'ki  (==  HaM'k)  =  c(Qyj^  IztQov  ßiov 
yirerui  rulv  >';  TtuUyysvEoLu  1121  C.  —  CLIH  b,  BH,\or.ik  KO  wr- 
HkH'kiHMk  raa'kiK'ki  Ha  cBAT'wra  anocroa'ki  ^i,ov;YOBkH'km 
;^ap'k  npoc'kina,  lies  orHkH'kiHMk  ras'kiKOM'k  (adnominaler  Dativ 
statt  Genitiv,  wie  bei  Johannes  gewöhnlich)  =  Iv  etöei,  yicQ  tivql- 
viov  y'/.iüoaCop  enl  rovg  ayiovg  ccrcocT(')).ovg  r'rjV  tov  Tirtvitarog 
XÜQiv  l^iyeev   1124  B.  —  cu-frb,   Hf   ko   cra  HankHCTk  3'kA'kiH 

rplv\"k  TKOpUTH,   1.  3'k(\k   H   Tp.  =  ÜVY.  tVL  yc(0  /.a/.LU  '/Ml   UUC(0TIC( 

Tio'UTtvtiui.  —  CHK  a,  B'kpOK'  KO  H  BcrüHkCKara  H  ^o\;\'OKkHarj 
ckCTOßTk  cta,  1.  Bcra  h  HaoB'kMkCKara  h  ,\.  (oder  BcrankCKara  h 
Mi\OB.  H  ^.)  =  :tioreL  yliQ  :ravvcc  tu  re.  uvO-QL07ttva  xü  re  Tcvtvuari/M 
ouvioravvai  1128  C.  —  c§K  b,  caaBkHam  soll  ausdrücken  tu  Ko- 
yi/.lc  die  vernünftigen  Wesen)  1137  A,  doch  wohl  nur  eine  Ge- 
dankenlosigkeit des  Abschreibers  für  das  sonst  so  gebrauchte  cao- 

BfCkHara.  —  cäS  b,  3aB'KT'k  HOB'k  nOAOJKH  CBAT-KIHM-k  CKOHU'k 
OV'MfHHKOM'k  H  aflOCTOAOM'k  M  T'kUH  BClvMH  B'kpOV'IOlJJHIMH 
Kk  HfMOV;,  1.  BC'kM'k  K'kpOV;K»l|IHHM'k  K'k  HfMOV  =  ÖLad^ii/.i^v 
/.uivt^v  ÖU&ETO  rolg  ayioig  avtov  uu^r^Tcdg  yxd  cacooröloig  vmI 
6i  avTÖJv  TtüOL  rolg  eig  uvtov  JiiOTtvovGiv  1140  A.  —  c^3  a,  ce 

F.IH    l€CTk    3a    B'kl    npfAOMAfHO    (1.  -HA),    nach    l€CTk    ist    HA'k'I'k 

ausgelassen  =  tovto  uov  Iotl  to  gCouci  rh  viiiq  vuCov  vJ.vjLievov 
1140  A.  —  coe  b,  nk  \-A'kK'k  npocT'k  ecTh,  H'k  u.  s.  w.,  statt  hk 
lies  Wi  =  ovy.  liqxog  /.trog  iaxiv,  äu.lt  1149B.  —  com  b,  HMk^KE 

4* 


52  A.  Leskieu, 

wri/k  H;HBOTBopkHaro  A^^VX^*  npHAiua,  1.  ripuA  cra  =  öwn.  l/. 
Tov  L.(.oo7ioiov  TTVBvaaroQ  ovveli](pd^ii  1152B.  —  cht  b,  h«  i€i|if  Ha- 
pi1U,<f^K>  KaCT».  paK'K,  Hf  K'KI  KO  HfB'RCTk  U.  8.  w.,  1.  ßack  paB'Ki,  pac'h. 
KC>  Hfß.  =  ovY.  tTL  y.alü)  vf.iäg  öovlovg,  ö  yctQ  dovlog  ovv.  oiöt 
1164  A.  —  CMKa,  WTHAf  M,'^i\i\  imorApi^cTßa  nctM'Kica-K  lecTk 
CHU«  pasoXj'iuilvßaTH,  gibt  einen  Sinn  nur,  wenn  gelesen  wird: 
OTH,A,H'  Hf  u,'Raoiuio\|'Api*CTKa  ==  coiaye'  ov  acjcpQovovvTog  lo- 
yioaoü  xa  ToiavTa  voelv  1161  C.  —  CHH  a,  l^pKßH  TßOpräL^H  KO- 
rov  BClv)^!!  HMCHa,  1.  Kiw  cn\"k  HiuiEHa  =  vaovg  eysLQovrag  r<5 
S-Ecp  krtl  Tcjj  TOVTcov  öv('){.iaTt  1165  C.  —  TA  a>  no  hcthh'S  kt^ 
H  HAOBlvK'K  Hamero  paAH  c'KnaceHH/j\,  B'h.  ist  Missverständniss 
einer  Abbreviatur  von  etvIctt*,  dadurch  auch  das  falsche  h  veran- 
lasst =  Y-dT  aXrid^eiav  ysyovEV  av&qiojtog  öiä  rriv  fiJ.ieTeQav  aco- 
Tt]Qiav  1172  A.   —   TS  b,    HCKC>HUHCt£    MkTfHHf,    1.    HKOHI%HOe  ==  ?; 

Tfjg  EVAÖvog  tif-iri  1172  C.  —  t3i  b,  nocaaB'KiuoY,  1.  nocaaBHB'K- 
lUOY  =  TtaQaxwQrjaavTog  1192  C.  —  TKa  a,  Hf  ^'^4^*'^'*  ^*  (ja,iiHis. 
Bon».  npaBbAHB'K  (ergänze  bwth),  ht».  BcfeMTv  noAOROßaTK 
ce  BO  ripOTHBOY  CHA'k,  statt  et  bo  1.  ctE'K  ^=  ov  d^ü.Ei  de  b  ^sbg 
(.lovog  eivai  ör/.atog,  dlla  Ttävtag  of-ioiovad-ai  avTco  y.c(Ta  öu- 
vaiiiv  1193  C.  —  TKf  a,  npaBkAHBO^OYiuioY  saKOHi».  wi  AT».JBn'h,, 
wis.  HtnpaBKAHB'kiHiiil'K,  1.  AfJKHTk  =  ör/Micp  yccQ  vöi.iog  ov  'AElrai, 

allcc    dÖUo)    12010.     —     TB3  a,    BAarOBOAfHHIO    HaTp'kH^HEHHie, 

1.  HaTpH>KHi€HHi€,  ZU  einem  Verbum  tphshhth  von  TpH3Ha,  = 
aQSTrig  ETtad^lov  1204  A.  —  TAr  a,  OT'h  A^*^*^  ß*^  seoAia  MAOB'kK'k 
ckTBOpH  cia,  1.  A'^B'^i'«'  (gen.  sg.;  A'Sß'wwv  3fMAbÄ)  =  h.  TtaqS-i- 
vou  yaq  yfjg  6  avd-Qiovrog  TTSTtlaaTOVQyrjTaL  1208  A.  Zur  Charak- 
terisirung  der  Handschrift  möchte  ich  noch  anführen,  dass  ihre 
Vorlage  erklärende  Glossen  gehabt  haben  muss,  die  bei  der  Ab- 
schrift in  den  Text  gerathen  sind,  z.  B.  wbok»  bo  H3Bopo\-  «pe- 
CHio  RptEiiiBaieTk  TpfBOBaHOf,  lUiHa,  t/.c(Tfoag  re  algeoscog 
TTaqaalvei  ro  xQrjauiov  808  A.  —  TBOpHTBO  BAMkCTBO,  ^rb.  — 
HapliBOBaHHEMK  3CtB0riil'K  (1.  -lUlk),  cä«-a,  dia  Tfjg-  €7tr/.lrjascog 
1141  A. 

Das  Verzeichniss  von  Nachlässigkeiten  und  Fehlern  der  Hand- 
schrift Hesse  sich  vielleicht  verzehnfachen.  In  den  meisten  Fällen 
sind  sie,  namentlich  an  der  Hand  des  griechischen  Originals,  leicht 
zu  verbessern,  dem  Exarchen  Johannes  dürfen  sie  natürlich  nicht 
zur  Last  gelegt  v^erden.  Ausser  den  Verschreibuugen,  Auslassungen 


Die  Uebersetzungskunst  des  Exarchen  Johannes.  53[ 

u.  s.  w.,  von  denen  oben  Beispiele  gegeben  sind,  zeigt  aber  der 
Text  Mängel,  bei  denen  nicht  immer  ohne  weiteres  auszumachen 
ist,  wer  daran  schuld  ist:  Vernachlässigung  der  Congruenz  zusam- 
mengehöriger Satztheile,  Anakoluthe,  schlechte  Verbindung  zu- 
sammenhängender Sätze  u.  a.  Wer  die  Mangelhaftigkeit  mancher 
Uebersetzungen  der  altkirchenslavischen  Litteratur,  z.  B.  im  Codex 
J5upr.,  kennt,  darf  keine  allzugrossc  Genauigkeit  in  diesen  Dingen 
erwarten.  Darauf  ist  bei  der  Gesammtbeurtheilung  der  Ueber- 
setzungskunst des  Exarchen  zurückzukommen,  hier  ist  nur  hervor- 
zuheben, dass  bei  aller  Nachlässigkeit  der  üeberlieferung  doch  der 
ursprüngliche  Wortbestand  des  Verfassers  kaum  Veränderungen 
erlitten  haben  wird. 

Der  zweite  in  Betracht  kommende  Punkt  ist  der :  wie  stand  es 
mit  der  Richtigkeit  des  übersetzten  griechischen  Textes,  d.  h.  hatte 
der  Uebersetzer  eine  gute  oder  schlechte  Handschrift  als  Vorlage  ? 
Es  lässt  sich  zeigen,  dass  Johannes  recht  viele  schlechte  Lesarten 
vor  sich  gehabt,  vielleicht  hie  und  da  auch  selbst  schlecht  gelesen 
hat.  Als  Beispiele  seien  angeführt:  K;i,a,  KaKo  ca  noHOBHB'k  le^H- 

MOMa^V'KIH    CTvIN-K   H   BOPT^    H    (dicS  H  ZU  tilgen)    MAOß-feK'k    K'klCT'K, 

rccog  eavTOv  /.Evcooag  o  aovoyevrjg  viog  y.cu  d-eog  av^^Qwitog  yiyo- 
)'ev  793  B,  statt  y.evtooug  (leermachend,  entäussernd)  ist  y.aivcoaag 
gelesen  oder  verstanden  (lautlich  sind  die  Worte  im  Griechischen 
des  IX.  Jahrh.  ja  gleich),  und  so  noHOKHBiv  übersetzt,  was  an  der 
•Stelle  absolut  unpassend  ist.  —  fj  dt]  -Aoivörr]g  /.al  r]  ouvc'ccpeia  y.ul 
TÖ  iv  ?-6y([)  y.ul  Ituvouc  d-uoQeizat  828  A,  hier  ist  statt  tv  verstan- 
den worden  Iv  und  das  rb  als  Artikel  zu  den  Worten  löyo)  y.al  Im- 
voicc  bezogen,  daher  die  ganz  sonderbare  Uebersetzung:  OKkUJkCTKO 

M    CT».B'kKOynk  (1.  -HTk)    H    fJK«    BT».    CAOB£CH    H    ROM'klCA'S    BH;i,HTk 

CM,  OH  b.  —  i/.aOTog  guq^  lariv  lf.npvyiof.iivi]  ipv/[jj  /.oyiyfj  xe  y.ul 
i'oeQü  828  B,  statt  dessen  ist  Nom.  ipu'/,>]  ?^oyiy.rj  ts  -/.al  voegd  ge- 
lesen, daher  KT»./Kk,v*^  nAT».Tk  fCTk  /k,OYUJkHa,  a^V^**  iHTvicaHBa 
;k«  h  pasov'MkHa,  o^a.  —  doysl  {.ihv  ouv  y.vQuoreQov  tcc'cvtiov  rCov 
ItcI  d^eov  ).eyof.iiv(.ov  dvoaccTiov  eivui  6  üv  836  A;  öoyel  (videtur)  ist 
missverstanden  als  Imper. ^oxst,  daher  MkHH  ko  o^ro  cTpkMkHlce 
Bc«ro  w  BC»3lv  raaroAfMOM'k  nufHk  K'ki'rii  caH,  no.b;  da  die 
Stelle  wohl  auch  sonst  nicht  in  Ordnung  ist,  kann  man  vielleicht 
in  dem  MkHn  einen  Fehler  der  Handschrift  für  MkHHTk  cra  anneh- 
men. —  Tox)  cfWTiGuov  y.cu  rr^g  yäoirog  fiszexorTsg  869  A,  das  y.al 


54  A.  Leskien, 

ist  nicht  gelesen  und  Tfc,'  yÜQixog  als  adnominaler  Genitiv  zu  cfiozio- 
^lov  bezogen,  daher  die  falsche  Uebersetzung  cb'üT'k  ^apoiikH'KiH 
npHi€MAioi|i£,  p*  b.  —  Ttgo-KaO^iorrotv  avrcT)  oiöp  ri  ßaatUun' 
912  A,  gelesen  ist /iaatAe/ar,  daher  o\j'roTOKa  «MOY  «ko  h  i^U- 
capKCTßO,  p,^f  b.  —  (Iva)  itüvta  %ov  nuKaihv  ^da(,i  Ir^at//»;  r^ 
vöaxL  1 124  B,  Johannes  hat  den  Geuiv  rov  Ttalcnov  Möä(.i  gelesen, 
daher  kca  ApfB'^'^"<>V*V'^^V  ^A^'^'^V  norpfUfTk,  cmh  a.  —  /;  de 
ßgCooig  avTug  b  llgrog  rfjg  'Ctofjg,  b  KvQiog  )]nCov  'li]Oovg  XQiOTog 
1137  D;  gelesen  ist  statt  6  ccQzog:  aÖQcxTog,  daher  die  ganz  sinnlose 
Uebersetzung  a  '^j^k  sro  HeKHAHiuia  jKHSHkHa,  cgsa.  —  y.a&cdQei 
(nämlich :  uns,  oder  die  Menschen)  yuQ  rüooig  /.al  TravToiaig  liii- 
cpoQulg  1152  A;  die  instrumentalen  Dative  sind  als  Accusative  ge- 
lesen, daher  rp-tKHTK  bo  rasA  h  BcraK'Ki  npHnacTH,  cosb.  — 
ffVTevd^aioa  y.al  7ric(vd^6iau  jq)  :rvev(.iaTi\  es  muss  gelesen  worden 
sein  7tav9-£loa,  daher  B'kica^KAi^iiJH  cra  h  iiokchujh  cra,  cnsa. — 
fj  ipvxr]  Tfj  d-eice  aQÖevouevi]  }'QC(Cff]  TtiaiveTcu,  die  Uebersetzung 

THb,  ,A,<>VLIJ^*  KOHikCTBkH'KIHMk  nOHMa  HHCaHHEMk  HanOHTk  CH, 

legt  die  Vermuthuug  nahe,  dass  J.  statt  TtiaivsTac  gelesen  hat  rr/- 
vsrai. 

Sicher  hat  der  Exarch,  so  vreit  er  nicht  selbst  flüchtig  gelesen 
hat,  diese  Fehler  —  die  Beispiele  Hessen  sich  noch  beträchtlich 
vermehren  —  in  seiner  Handschrift  des  Johannes  Damascenus  ge- 
habt, ist  also  an  den  schiefen  und  falschen  Uebersetzungen  der 
betreffenden  Steilen  unschuldig.  Rechneu  wir  nun  die  fehlerhafte 
Ueberlieferung  in  der  uns  erhaltenen  Handschrift  des  Eoroc.ioBie 
und  den  fehlerhaften  griechischen  Text,  der  ihm  vorlag,  dem 
Exarchen  zugunsten,  so  bleibt  die  wichtigere  Frage :  hat  da,  wo 
keine  Fehler  vorliegen,  der  Uebersetzer  das  Werk  des  Damasceners 
richtig  verstanden?  Das  Verständniss  musste  natürlich  zunächst 
von  seiner  Kenutuiss  der  griechischen  Sprache  abhängen,  d.h. hier 
der  Sprache  der  griechischen  theologischen  Wissenschaft.  Diese 
Kenntniss  ist  bei  einem  Griechen  oder  einem  zweisprachigen  Süd- 
slaven des  IX.  Jahrh.  durchaus  nicht  selbstverständlich ;  ein  solcher 
musste  diese  Sprache  schulmässig  lernen,  so  gut  wie  wir,  wenn 
ihm  auch  sein  gesprochenes  Griechisch  eine  wesentliche  Erleich- 
terung bot.  Der  nicht  von  Haus  aus  griechisch  sprechende  Slave 
war  in  noch  schwierigerer  Lage.  Aber  selbst  eine  gute  Kenntniss 
des  Griechischen  vorausgesetzt,  bleibt  es  immer  noch  möglich,  dass 


Die  Uebersetzungskunst  des  Exarchen  Johannes.  55 

ein  Uebei  Setzer  den  Sinn  der  oft  recht  schwer  zu  verstehenden 
Ausführungen  der  "Ey.dooig.  nicht  richtig  auffasst.  Die  Frage  ist 
also,  wie  es  damit  bei  dem  Exarchen  steht.  Auffällig  ist  doch,  dass 
er  öfter  einfache,  geläutige  griechische  Worte  in  ganz  leichter  Ge- 
dankenverbindung missversteht.  Man  vergleiche  folgende  Stellen : 
:ieoi  Tovvov  du(/.£$^i'oueO-a  tuv  ^rare^a  y.ai  rhr  inhv  v.al  to  ttveühci 
To  ciyiov  ETTiy.ctlBaäuevoL  796  A  (=  anrufend,  im  Sinne  der  Ver- 
ehrung),   U»    TCMK  JKf  nOKfClv,\,0\'fM'K  OTKH,a  H  CKIHa  H  CKATaro 

.\c>v'\\\  HapfKTkUje,  K3b,  v\'o  also  t.ri/.a'/M)'  im  Sinne  von  /.u/.eir 
genommen  ist.  —  809  A  werden  in  lauger  Reihe  die  Prädikate 
(xottes  aufgezählt  und  geschlossen  mit  ö  /.al  rraoado^ov  (was  sogar 
sonderbar,  unglaublich  ;  gegeben  ist  das  wr  a  mit  hjkc  ^besser  »€;k« 
H  iipKAaKKHO  (herrlich).  Es  gehört  das  allerdings  vielleicht  in  die 
buchstäblich  sein  sollenden  Uebersetzungen ,  auf  die  ich  unten 
näher  eingehen  werde.  —  Ebenso  schlimm  ist:  rivhg  ukv  ovv  kdö- 
^a^op  (=  waren  der  jMeinung)  Iv  v.v/.h'j  rb   tiüv  /teguxsip  ror 

OVQUVÖV    880  C,      l€T(pH     npOCAaRHUJa      KpO^TT^MK      ßCe     WK'K- 

APKH^raTH  HERCCH,  pKPb:  allerdings  bedeutet  das  Verbum  im 
Spätgriechischen  auch  «preisen,  rühmen«,  aber  das  Missverständ- 
niss  ist  darum  doch  stark.  —  (Die  Frühlingstag-  und  nachtgleiche) 
Öl  lc(vri]g  iieaireuaovoa  ro)  yeiuöJvi  re  y.ai  ro)  ^tQst  889  B,  wo 
{.leoiTsvtiv  also  bedeutet  »in  der  Mitte  stehen  zwischen,  die  Mitte 
bilden«',  cokok»  YC>A<»TkCTBo\'eTK  kt».  3hm1v  jkj  h  kt»,  jKiaTR'k. 
pAf  a,  es  ist  also  das  griech.  Verbum  genommen  im  Sinne  von  «Ver- 
mittler sein,  für  jemand  eintreten«,  daher  die  Uebersetzung  \'C»- 
AaTkCTBOKaTH  (x'o.v^TaHCTßOKaTH,  zu  \'C>^aTaH  ^eairr^g  Ver- 
mittler!, um  so  sonderbarer,  als  pana  in  der  gleichen  Wendung 
richtig  cp1v,\,kCTK0KaTH  steht.  —  parb  steht  Tkua  JKf  lecTk  hc 
cci\-i|iKCTBC>  H'K  CKLUkCTKKM-,  oyjiTog  dt  sGTiv  ovz  ovolct  Tig  a'ÜM 
oviißeßiyKÖg  888  a;  kann  man  annehmen,  dass  einer,  der  ovußeß)]- 
y.ög  (=  accidens)  durch  CKUikCTKhie  übersetzt,  den  Sinn  des  grie- 
chischen Wortes  gekannt  hat?  —  u:\:ctqyi]  primitiae  und  uuyj^ 
initium  werden  nirgends  unterschieden,  z.  B.  vvv  uhv  ovv  dia  rov 
ßctrcviöaarng  rr^v  arcaoyjyv  rov  Ir/Lov  TCVEVuarog  Xaiißäpoi-iei'  y.cu 
ccQyJ]  itioov  ßiov  yivevui  r^uiv  t]  TiaXiyyeveaia  1121  C,  H'kiHM 
OyCO    Kpkl|ICHHI6Mk    HaHAT'kK'k    CB/ftTarO    A*^V\'^^    npHHMCM'k    H 

HanaT-kKTv    HHcro    "/KHTkra    Eov;,\eTk    H'k[i]    naKTopoHikCTRO. 

CMS  a,  ebenso  an  andern  Stellen.  —  vTtöyoauiiog  (Vorbild,  Musteri 


56  A-  Leskien. 

ist  veistauden  als  vnoyQctcpri  (Unterschrift),  daher  übersetzt  mit 
no;k,'KnHcaHHi€:  yiverca  vnr/.oog  zqj  narol  ...  VTtöyoauuog  rulv 
v.-ia/.org  yiyoiurog,  K<>\'^\(Th.  nccAOV'iUkAHB'k  OTkHl<>  .  .  .  no^Ti- 
nHcaHHf  iiocAOV'maHHK»  wawk  kkikti,  cK*a,  ähnlich  c^^b;  in 
der  Wendung'  rv.rog  y.ul  v:ncüyQaufiog,  1124B,  hat  das  synonyme 
TVTtog  auf  eine  richtigere  Auffassung  geführt;  OKpiiSTi,  i  HdSHauf- 
HaHHE,  CMHb.  —  In  dem  Satze  ovvog  -9^vQabg  yxä  ott/.ov  /.cu  tqo- 
TtciLOj'  /.ata  xov  diaßö/.ov  1129  B,  CT»,  ijjht'kihh  ^lies  Ck  ijjhttv 
H  u'pov'JKHf  H  B'KS^k.pasTv  Ha  COTCHOV',  CH«a;  die  ganz  verfehlte 
Uebersetzung  von  TgÖTtaiov  durch  K'kSAP^S'k  (Rückschlag,  Zu- 
rückschlaguDg]  beruht  auf  Verwechslung  mit  unotQÖTtaLOv  (ab- 
wehrend, Abwehr),  vgl.  ttüvtcov  tvjv  /x'.v.Cov  uJtotQÖTtaiov  1129  C. 
Bivcm  ST^AH  B'k3;i,pa3Tk,  CHf  b.  —  eI  dl  Tov  TQÖTtov  (die  Art  und 
Weise)  £7tiCr]T£lg,  jiCog  yivExai  1145  A;  roÖTtog  ist  verstanden  als 
«Wendung«,  daher  np'feBpaT'K:  atp«  ah  np^Bpara  mkiTafUiM,  raKo 
TC  KOV';i,eTk;  ebenso  ib.  b  öa  roÖTiog  avh':ztQavvr^rog^  die  Art  und 
Weise  ist  unerforschbar,  a  npeBpaT'k  HmcA'tJK^eH'k,  coBa.  — 
tolg  de  aiteid-ovai  (es  ist  der  Gegensatz  des  eben  vorangehenden 
Tolg  TiLGTEvovaLv]  -/.ul  rolg  y.vQLOv.tövoLg  eig  Y.ö/.aGLv,  1148;  aTtei- 
S^ovai  ist  verstanden  als  dat.  plur.  von  aTteid-r^g^  dies  als  »ungehor- 
sam« und  demgemäss  übersetzt,  während  es  dat.  plur.  part.  praes. 
von  «rr£ii9^6w  >> ungläubig  sein«  ist:  a  ivcAoruiHß'KiHU'k  h  rocno^a 
o\'MC»pkUJHM'K  BTv  TOMAfHHie,  corb;  ein  gleichartiger  Fehler 
T3ia,  wo  aTtsid-sia  =  Unglaube  durch  ocAoymaHHie  gegeben  ist. 
—  ui-  aeToyoL  rf^g  v.ay.odo^iag  .  .  .  yevojusd^a  es  ist  vom  Umgang 
mit  Häretikern  die  ßede),  damit  wir  nicht  ihrer  Irrlehre  theilhaftig 
werden;  der  Uebersetzer  hat  y.a/.odo^La  als  »schlechter  Ruf«  ver- 
standen: ;i,a  Hf  npHHMkHHl^H  S'KA'Kira  CAaB'KI  .  .  .  KO\|-AeM'K, 
cnb.  —  r^  .cao&tvict  lcviod~tv  y.ul  l^  ccoyig  ivE(pvTtv&r.  rf]  ffvoet 
tCov  ävd^QWTTOJv  1205  D;  avioi^av  bedeutet  hier  «von  alters  her, 
von  je  herff,  ist  aber  verstanden  als  »von  oben-f,  daher  mhctota 

C'k  rcpivl    l€CTk  H  [HJCnpKBa    B'KCaAM   Cra    BT^  leCTkCTB-t    MAOB'fe- 

MkCT'fe,  TAra. 

Ich  unterlasse  es,  weitere  Beispiele  der  Art  anzuführen,  weil 
man  dagegen  leicht  einwenden  kann,  sie  bewiesen  nicht  eine  Un- 
kenntniss  der  griechischen  Wortbedeutungen,  sondern  wie  in  dem 
angeführten  Fall  von  rgÖTtog  np'feßpaT'K,  da  TqÖTtog  ja  wirklich 
ursprünglich   »Wendung«   bedeute,    eine   Gedankenlosigkeit   des 


Die  Uebersetzungökunst  des.Exarchen  Johannes.  57 

Uebersetzers.  Das  kann  in  manchen  Fällen  so  sein,  eine  scharfe 
Grenze  zwischen  Unkenntuiss  und  Gedankenlosigkeit  ist  nicht  zu 
ziehen;  aber  wenn  mau  diese  dem  Exarchen  zutraut,  wird  ihm 
damit  kein  besseres  Lob  ertheilt.  Andererseits  kann  man  geltend 
machen,  der  Uebersetzer  habe  freilich  ganz  gut  gewusst,  was  das 
griechische  Wort  bedeute,  habe  aber,  seiner  Neigung  entsprechend, 
möglichst  buchstäblich,  sozusagen  etymologisch  getreu  übersetzt. 
Das  mag  auch  in  gewissem  Umfange  zutreffen,  vielleicht  auch 
bei  dem  Falle  TQÖrtog,  allein  da  kommt  man  auf  die  Frage:  wer 
hat  einen  solchen  Satz,  wie  den  oben  angeführten  mit  dem  np1i- 
Kpt\T'K,  verstehen  können  ?  und  damit  auf  die  weitere  Frage :  wie 
ist  im  ganzen,  abgesehen  von  allen  Nachlässigkeiten  imd  einzelnen 
Fehlern,  die  Uebersetzung  ausgefallen? 

Zunächst  überrascht  einen  die  Gewandtheit,  mit  der  Johannes 
die  zahllosen  griechischen  Composita  durch  slavische  Composita 
wiederzugeben  versteht.  Aber  bei  näherem  Besehen  muss  man 
diese  Kunst  doch  etwas  geringer  anschlagen.  Die  Möglichkeit  zur 
Nominalcomposition  und  deren  feste  Form  bot  ihm  seine  eigene 
Sprache,  und  er  hat  in  zahlreichen  Fällen  weiter  nichts  gethan,  als 
ganz  mechanisch  die  den  einzelnen  Worten  eines  griechischen 
Compositums  entsprechenden  slavischen  Worte  zusammenge- 
schweisst  ohne  jede  Rücksicht,  ob  das  so  entstehende  Gebilde  einen 
verständigen,  für  den  Zusammenhang  der  betreffenden  Stelle  ver- 
ständlichen und  passenden  Sinn  gibt.  So  ist  z.  B.  drjuwvQyög,  das 
natürlich  bei  Johannes  Damascenus  nie  etwas  anderes  bedeutet  als 
»Verfertiger,  Schöpfertf,  öfter  ganz  richtig  durch  TKopiiij,i%,  di]iuovQ- 
yeip  durch  ckTßopHTH,  di]i.uovQyia  durch  TEapK  wiedergegeben; 
dagegen  vgl.  Stellen,  wo  das  ör]i.iiosQy6g  in  seine  Bestandtheile 
aufgelöst  und  buchstäblich  übersetzt  wird:  6  7tou]Trig  -/.cd  dt;i.iL0VQ- 
ybg  Tov  yivovg  r.uüv  1137  A,  3k;k,HTfAK  h  Hapo,voTKopKHk  pct;i,a 
Haiucro,  c^ra;    [ö  -S-abg)   öi]uiovQyüg   tov   /.cd  u'/.aTuKr^7ttog  zal 

aXTlGtog,   1193  B,   HapO^CtTRC»pKU,h.  C'W  H  Hf,\OnOCTHJKHM'K  H  H(- 

CkTKopHM'K,  T«^ib;  To  dr^uiovQyi/.öv  S36A  =  das  schöpferische 
Wesen,  Schöpferkraft,  Hapo^OTBophHC»,  iio-a;  Ix  tov  dri/iuovQyrj- 
aavTog  d^eoD  rh^v  toluvti]v  elh^cpwg  iveQytiav  840  A,  WTTv  Hapo- 
AOTRcphMKHarc»  Rora  rano  iipHHM'iv  ;i,1vHctbo,  M;i,a.  Da  Ha- 
po^OTBcpki^k  nichts  anderes  bedeuten  kann  als  »generis«  oder 
»generum  creator«  oder  »populi  (populorum)   creator«   und  doch 


5S  A.  Leskien, 

auch  vom  slavischen  Leser,  falls  er  sich  nicht  das  Wort  buchstäb- 
lich wieder  ins  Griechische  zurückübersetzen  konnte,  so  verstanden 
wurde,  kommt  ein  ganz  verdrehter  Sinn  heraus.  —  Von  der  Natur 
der  Engel  wird  gesagt,  sie  sei  rgercr]]  y.axli  yvio(.UiV  ijtol  ed-e/.ö- 
TQETVTog  868  A;  tS-sldzQe/rTog  wird  hier,  indem  IS-slo-  durch.  ßOAra 
vertreten  wird,  als  BOAfKpaTKH-K  nachgeahmt:  YOTtHi^eivih.  H3- 
BpaTHKO  i€JKf  CA  pEMfTi*  KOACßpaTkHC»,  p.s b ;  Gorskij  und  Ne- 
vostrujev,  Oraicame  II,  2.  304,  übersetzen  es  durch  no  boji^  iisMi- 
iifleMoe,  Miklosich  Lex.  Pal.  sponte  se  vertens,  das  soll  es  aber 
durchaus  nicht  bedeuten,  sondern  »im  Wollen  wandelbar«  (nicht 
wie  Gott  unwandelbaren  Willens),  vgl.  {if-'i'x'^]]  TQSJtTi]  ]]toi  Id^slo- 
TQETiTog  424  B,  H3iipaTh.Ha  fJKf  y*^'*'*^^P^'^'*"^^j  pc»*b,  und  die 
ziemlich  trefifende  Wiedergabe  von  rqejtr)]  -/.axh  yv^^uiv  868  A 
durch  Y*^''"^"'*^'^'*^  HSBpaTHBO,  psb.  Was  wird  sich  wohl  der 
slavische  Leser  dabei  gedacht  haben?  —  873  A  wird  Dionysios  der 
Areopagite  bezeichnet  als  o  ^slog  hQOTeleavrjg,  pA'b  übersetzt 
mit  ROJKkCTBKH'KiH  MHCTOA'STCAk,  Miklosich  übcrsctzt  nach  der 
Bedeutung  des  griechischen  Wortes  (in  dessen  Isqo-  eben  die  Be- 
deutung von  TCi  Ieq(x  steckt)  richtig  «qui  sacris  initiat«,  aber  aus  dem 
slavischen  Worte  kann  das  Niemand  herauslesen,  die  Uebersetzuug 
bei  dem  Exarchen  kommt  auch  nur  daher,  dass  er  öfter  isQog  durch 
MHCTTs.  wiedergibt.  Man  kann  sicher  annehmen,  dass  eine  sehr 
grosse  Anzahl  seiner  Composita  ohne  den  griechischen  Text 
und  dessen  Zusammenhang  unverständlich  waren.  Auch  gegen 
dies  Urtheil  lässt  sich  ein  Einwand  machen.  Man  könnte  sagen : 
solche  Texte  wie  das  EorocjioBie  mussten  den  Lesern,  etwa  Geist- 
lichen, von  einem  gelehrten  Manne  commentirt  werden,  der  dem 
buchstäblich  übersetzten  slavischen  Compositum  die  richtige  De- 
finition nach  dem  Begriffsinhalt  des  griechischen  Wortes  geben 
konnte.  Der  hätte  dann  auch  die  Aufgabe  gehabt,  anderen  wirk- 
lich oder  scheinbar  buchstäblichen  Uebersetzungen  ihren  richtigen 
Sinn  zu  geben,  z.  B.  auseinanderzusetzen,  dass  3B'63^kH0e  mhcmm 
(Sternenzahl)  bedeuten  soll  » Sternkunde  c,  es  ist  nämlich  die  Ueber- 
setzung  von  aorqoloyia  893  A,  oder  zu  erklären,  was  unter  tbo- 
pHTBa  z.  B.  pAHb,  das  die  Uebersetzung  von  TtoiÖTrjg  in  Folge 
seiner  vermeintlichen  Herkunft  von  tioiüo  bildet,  zu  verstehen  sei, 
denn  das  slavische  Wort  kann  unmöglich  an  sich  als  qualitas  ver- 
standen werden. 


Die  Uebersetzungskunst  des  Exarchen  Johannes. 


59 


Mag  man  das  auch  zu  Gunsten  der  Arbeit  des  Exarchen  zu- 
geben, so  wird  man  doch  verlangen  oder  erwarten  dürfen,  dass  der 
<;edankenzusammenhaug  des  griechischen  Textes  in  seiner  Ueber- 
sotzuug  erkennbar  sei,  was  natürlich  wieder  von  seinem  Eindringen 
in  diesen  Zusammenhang  abhängt.  Es  versteht  sich  ja  von  selbst, 
dass  an  vielen  Stellen  einfache,  an  sich  leicht  verständliche  Sätze 
und  Satzzusammenhänge,  deren  wörtliche  Uebersetzung  ins  Slavi- 
sche  den  Sinn  nicht  zu  verdunkeln  braucht,  gut  getroffen  sind. 
Auch  kann  man  eine  ziemliche  Anzahl  von  Stellen  herausheben. 
wo  nicht  ganz  einfache  griechische  Perioden  einigermassen  ver- 
ständlich wiedergegeben  sind,  z.  B.: 


vjorciQ  ovv  ovy^  oi.iouog  :xoul 

('.vd-Qio:tog  y.al  ^eüs'  o  /.ler  yao 

<'  i'd-ocfj/rng  ovdev  l/.  roü  firj  ovrog 

:  ig  To  eivctL  izagaysi,  a'/X  ojteq 

ioisi,   l/.  7tQOV7roA£ii.i€vr]g  vXr]g 

loui,  ov  d-e/.rjGag  tiövov,    a).}.a 

/.cd  :tQOE7tivoriaag  /.al  iv  icp  vcTj 

avarvTitüGag     ro     yevr^Gdf-isvov, 

! irrt  -/XU  yeQolv  egyaoüf-ievog  y.al 

■/.6.10V    v.toueivag,   TtolXä/.Lg   öh 

/cd   aoToyj]oag,    f.u]    aTtoßccvrog 

/('.0-u  ßovXeraL  tov  l7tiTrjdEVf.ia- 

"ig-   b  de  -d^ebg   d^E)J]aag  (.lövor 

'' /.  TOV  f.ii]    ovTog    eig    to    eivai 

rc'iVTU  TTaQriyayer,  813  B. 


TKOpHTK  HAOK'kK'K  TH  KCT'h.  • 
HtKOHTv  HAOB'kK'k  HH  f,\,MHOrC» 
HfB'KIB'klJja  K'K  K'klTkie  lipt- 
BO,l,ITk,  Hli  l€JK6  H  TKOpHTK. 
OT'K  rOTOK'KI  Kfl|IH  TKCpMTK. 
H«  KTvCYOTlvK'h,  T'kMKIO,  H'K 
npfJK.V«       IIOÜ-KICAHK-K        H       B'K 

oywU  c»Bpa3c»BaB'k  kov%vc>V" 
HJfi€,   rajK^i,«   H  po^Kaua    ^-k- 

Aaß-K  H  TpOV%\'K  npHHMli.,  MHO- 
railikA'kl  /K«  M  HE  nOACYHHB'K. 
Hf  C'kB'kIB'KmOl'  C/Ä,  /ÄKO'/Ke  r.l'KI- 
CAH,  CTpOHMOV'OV'MOY.  a  KOT'k 
X'OT'tB'k  TT^HklC  lUTTk  HEB'kl- 
Tkra    BT».    B'kITkK;    BCf    l]ß(R(,\(. 

H4)  a. 


Trotzdem  wird  ein  heutiger  Leser  sagen  müssen,  dass  im 
-  anzen  genommen  der  slavische  Text  unverständlich  ist,  wenn  man 
nicht  den  griechischen  danebenlegt.  Und  das  nicht  bloss  wegen 
der  Buchstäblichkeit  der  Uebersetzung,  sondern  auch,  weil  der 
lebersetzer  so  und  so  oft  die  griechischen  Wort-  und  Satzverbin- 
dungen falsch  konstruirt  hat.  Auch  davon  lassen  sich,  ohne  dass 
mau  das  ganze  Buch  durchnimmt,  was  an  dieser  Stelle  nicht  mög- 
lich ist,  schlagende  Belege  geben :  840  a  heisst  es  (o  u?.i]&i]g  l6yog\ 
n'  iy.ctGTO)  y.ccTa  t]]v  cpvGi/.hv  £7riTr^dei6Ti]TC(  y.a)  öe/.Ti/.iiv  dvvaiiir 


t)0  A  Leskien, 

hsQyel,    h.  d)]i.itovQyrjaavTog  d-eov  Tr]v  toiavtr^v   €ilr^cpwg  IvtQ- 
yeiavy  wo  natürlich  de/.Ti/.r]v  d'^va/^uv  (Empfiingliclikeit)  mit  von  ^ 
■Aarä  abhängt :  es  ist  aber  vom  Uebersetzer  als  Objekt  zu  Iveqyet  4 
gefasst  und  das  davorstehende  -aul  als  »auch«  verstanden  worden,  J 
daher:    ktv   KOieiUKJKkAC*    nc»   tcTi^cTßbHC»iiic>\f   no^OKkCTBOY   h  | 

ripHHyO\|'l|JK<K>    CHAO^  A'feTEAKCTKOlfeTh,    OTT».    HapO,\OTßC»pi%Mk- 

Haro  Kora  TaKO  npHHMT».  ^vshctbo,  M4,a,  wobei  vergessen  ist,  : 
dass  das  Subjekt  des  Satzes  ein  Neutrum  HCTOßOte  caoko  (6  ahi~ 
d'i]g  köyog)  ist,  so  dass  das  griechische  masc.  sü^r^cptog  ebenfalls.  "^ 
durch  das  masc.  npnityK  gegeben  wird.  —  lotog  S^  av  ng  drcoL,  otc  i\ 
•/.cd  iToltj-iiov  ovv.  aixLU  uk'ka  ar^^iBia  oiviGTavTai^  893 b;  das  av  ist 
als  Conditionalpartikel  verstanden,  daher  raijje  ktc>  pcMfTk  u.s.w., 
so  dass  der  Satz,  da  kein  Nachsatz  folgt,  in  der  Luft  schwebt.  — 
rcäd-og  =  Affekt  wird  gewöhnlich,  nach  der  Bedeutung  »Leiden«, 
übersetzt  mit  Bp'k^''»'  (abwechselnd  steht  auch  npHbÄTkie),  nun 
steht  913  B  arca&i-lg  Ißovkf^To  sivai  rji.ic(g  b  d-eög'  uTvad^eiag  yaq 
cr/.Qag  rovrö  (das  Nacktsein  und  dabei  keine  Begierde  oder  Scham 
empfinden  —  es  ist  von  Adam  und  Eva  die  Rede)  lonv^  also  »denn 
dies  ist  ein  Zeichen  äusserster  Afifektlosigkeit« ;  die  Uebersetzung 
lautet  p^Ha:  Ktsi».  ßpfA^*  Haiun».  ßfaraiue  k'kith  BorTi,  bes'k  ßpfA^i 
EO  AOKOHkHaHaro  ce  lecTk,  was  natürlich  einen  ganz  anderen  Sinn 
gibt:  »denn  ohne  vollendeten  Affekt  ist  dies(f.  —  rovriart  xh  dva- 
TiELVLoroi'  avTou  vxpog  ccTaTieivüriog  xarteivöjoag  984  B  (seine 
nichterniedrigte  Hoheit  in  nicht  erniedrigender  Weise  erniedrigend) ; 
wenn  der  slavische  Text  nicht  verderbt  ist,  kann  die  Stelle  nur 
missverstanden  sein,  vipog  ist  als  Nominativ  gefasst,  das  folgende 
als  selbständiger  Satztheil  genommen  und  zaTteivi'jaag  passivisch 
verstanden:  ce  lecTk  HcnooYBon^EHHra  (1. -Hara)  eM^\  ß'kicocTk 
H6ncc»\|'B0H;fHlv  noo\fBC»KHiun».,  cK3b.  —  (Durch  die  Inkarnation, 
Taufe  u.  s.  w.)  7]leud-eQwae  rj]i>  cpvaiv  Tfjg  aaaqriag  tov  tzqotcü- 
TOQog  1137  C  =  befreite  die  [menschliche]  Natur  von  der  Sünde 
des  Aeltervaters ;  der  Uebersetzer  hat  das  rfjg  a(.iaqTiag  als  ad- 
nominalen  Genitiv  zu  cpvoig  bezogen,  daher  cboko^h  lecTkCTßO 
rp-SyoßkHoe  npa,A,'&A'»5  c^A^. 

Die  Schwierigkeit  eines  wirklichen  Verständnisses  wird  aber 
noch  durch  mehrere  Eigenthümlichkeiten  des  Uebersetzers  ver- 
grössert. 

Bei  Johannes  Damascenus  kann  es  nicht  anders  sein,  als  dass 


Die  Uebersetzungskunst  des  Exarchen  Johannes.  61 

derselbe  philosophische  oder  theologische  Begritf  immer  durch  den 
-gleichen  festen  Terminus  ausgedrückt  ^vird;  nur  so  ist  überhaupt 
ein  Verständniss  möglich.  Bei  dem  Exarchen  wird  aber  darauf 
nicht  geachtet.  Bei  ihm  wird  vn:uaTC(Oig  wiedergegeben  durch 
oynocTacK,  eigentlich  keine  Uebersetzuug,  sondern  eine  Auglei- 
^hung  an  das  griechische  Wort  durch  slavisirte  Lautform,  daneben 
aber  übersetzt  er  es  durch  ckcraRTv,  und  braucht  ov'nccTack. 
wenn  von  den  göttlichen  Personen  der  Trinität  die  Rede  ist,  ch- 
craßT»,  wenn  von  andern  Wesen,  offenbar  weil  ihm  ynöaraoig  als 
ein  geheiligtes  kirchliches  Wort  erschien,  das  bei  nicht  göttlichen 
Wesen  vermieden  werden  musste.  Vgl.  z.  B.  allii  zo  uev  ffCJg  l/. 
rov  TivQog  ysvvcot.ievov  axwQiarcog  -/.al  iv  avTcTj  del  {.livov  ovv. 
ex^t  Idiav  VTCÖoraoiv  tzuqu  to  ^tDq,  TroiüTijg  yüq  Igti  cpvoiy.]] 
zov  Tti'Qug,  *^0  Ö6  vibg  rov  d-aov  buoLoyevijg  Iv.  Tcuxqhg  yevvr- 
Oslg  äxtoQiOTOjg  y.al  ädiaatärwg  y.al  Iv  avrcp  /.livcov  äsl  e^^i  idiav 
■VTiöataoLV  TtctQcc  ti]v  rov  TtaTQÜg,  S16  B,  Hl».  cbUtt».  ott»,  oth/A 

pCAHKIk  Cia  HeWT-KiXOyMfHT»,  (bcSSCr  OTTvAOV'HJHO  odcr  -H'S)  H'K 
E'K    H(Mk    npHCHO  CM    Hf  MMaTk    CBOtrO    C'kCTaßa    pa3Bli  OrHK 

(1.  orHia),  TRopHTKO  KaHkCTBo  (KaMkCTBO  ist  erklärende  Glosse 
zu  TßCtpHTBO,  KO  (ergänze  hier  ausgefallenes  lecTk)  tcTkCTKOBO 

WrHK»-  a  CTvIH'k  KC•^KHH  HHOHaAT^H  OT-K  OTkU,/A  C/Ä  pC>^V"BT»^ 
HfWT'KAOystHO  H   HfOCTOVnHU'k  (bcSSCr  -MO)   H    BT».  HEMk  npHCHO 

-c'ki  HMaTk  cBCio  oy-nocrack  pasB-k  OTkna,  ^rb  [dieselben 
Wendungen  ob).  Ebenso  /.ara  top  i.ueTeQor  (den  menschlichen) 
löyop  dvvTtöaTccTov ,  caoBO  Harnt  HtCKCTaBkno;  IvvTtdoTctrov. 
vom  göttlichen  Logos,  ov'nocTackHO  S04  A  =  Mßb;  ckcraßT^ 
drückt  aber  ganz  etwas  anderes  aus  als  VTTÖovaoig  und  wird  auch 
bei  dem  Exarchen  an  andern  Stellen  in  anderer  Bedeutung  ge- 
braucht: TtQo  tr^g  Tov  y.öauov  ovorüoecog  864  A,  npi€;K,Vf  CkCTaßa 
MHpa  cfro,  pßb,  =  ante  compositionem  nnindi.  —  '/.oyi/.ög  (ver- 
nünftig, vernunftbegabt)  wird  an  manchen  Stellen  ziemlich  passend 
durch  pasoyr.ikH-k,  auch  durch  MucAkH-k  ausgedrückt,  an  andern 
durch  CAOßtckH'k;  auch  das  annehmbar,  wenn  man  daran  gewöhnt 
ist,  dass  löyog  in  jedem  Sinne  durch  caobo  übersetzt  wird  (vgl. 
»verbum«  in  der  lat.  Kirchensprache  als  göttlichen  loyog).  Man 
sehe  aber  einmal  folgende  Stelle  an  :  [ayyelög)  ton  toivvv  (pvoic 
Xoyi/.rj  voeoä  re  y.al  avTS^ovoiog,  rge/rrt]  y.axa  yvio\.i\^v  ii\xül 
kd^elÖTQsn^Tog'  txCcv  yaq  y.viOTOV  y.al  TQSJtTÖv  iiöfov  de  rh  I'c/.tiövuv 


62  A.  Leskien, 

l'iTQemov    'Aal  7cC(v   loyizuv   avTe^ovoiov,    868  A,    ecTK  c>\,*ro 

fCTkCTßO  M'KICAkHO  pa30\fllilKH0  H?«  H  CaMOßAaCTh,HO ,  YOT/k- 
HkfMK  HSBpaTHKC»  tTKl  CA  ptMfTk  KOACKpaTkNC»-  KkC«  KC»  S^aHkie 
HSBpaTkHO  (CTk,    T'KS'kKt    JKf    HeS^^iHO    M5CTk    H    Hf HSßpaTkHO, 

II  ßkcf  rara  (d.  i.  raarc^aMv)  «cTk  caiuiORaacTkHC,  psb.  Kann 
man  wirklich  annehmen,  dass  jemand,  der  im  Anfang  der  Stelle 
loyi/jjg  durch  pascYiuikHi^,  am  Schluss,  wenige  Zeilen  darnach, 
dasselbe  Wort  mit  raarcahÄ  »redend,  sprechend«  übersetzt,  was 
ganz  sinnlos  ist,  auch  nur  ein  wenig  über  den  Zusammenhang 
nachgedacht  hat?  —  Wie  oben  schon  angeführt,  steht  für  rtä^og 
(=  Affekt)  ßp'k^i.'k  und  npHiATki€,  an  andern  Stellen  weder  das 
eine  noch  das  andre,  so  aya-d'bg  yag  wv  o  ■d'sbg  Ttavrog  dyad-ov 
7taQe-/.Tiz6g  eativ,  ov  (pd-övio  ovdh  7t ad- st  tlvI  vrto-AEi{.ievog'  f.ia- 
'/.Quv  yc(Q  TTig  ^eiag  cpvaswg  ff&övog,  Tfjg  ys  a^caO-ovg  /.al  f.iövr.g 
aya&fig,  792  A,  ^OKpoAaßkij,k  Kcn^  cki  ßCfiuiOY  A^^^po^f  a^i^i^UI^ 

fCTk,     H6    SaßHCTH    HH    S'KAH    HHKOfH    JK6    nOßHHkHTi.    CTbJ  *     (von 

hier  an  entspricht  die  Uebersetzung  nicht  genau  dem  griechischen 
Text)  A'^'^f^f  KC>  ecTk  ßO/Kiim  «CTkCTßa  S'kak  ßciana,  roro  ko 

eAHH*^"*  fCTkCTßO  ßO^KHie  Ke3  E,^tJH,A  1  KE-SaßHCTH,  Hl  b.  — Eiiic 

ganze  Reihe  verschiedener  Uebersetzungen  hat  ageriq,  so  A'^^P''»- 
HSRcp'k:  (Gott  schuf  den  Menschen)  /tdaf]  aQsvf]  ■/.aTi]y?xüai.ispop^ 
921 A,  ßcSiuik  ,i,*^''KP<>'^i*  H3Kopoiuik  ocß1vi]jfHa,  posb  (ebenso 
ca^b);  A'^'^P'^T'*' •  ov-K  aQert]  yu()  xo  ßla  yivoi-iepov,  924  B,  H(  j\,o- 
Kpora  KC  i€JKe  hoy^A^i^  KiviBaerk,  po^^a  (an  sich  eine  den  Sinn 
gut  treffende  Uebersetzung) ;  H3ßoai€HHi€  A<^Kpo:  xrjv  rfig  ccQExrig 
'/Mth  xo  övvaxov  bf-iolcoaiv,  920  B,  H3ßoafHkK»  A'^KpoY  npoTHßOXj' 
M014JH  noAOKHTH  cra,  posa;  ßaaroßoakCTßo:  agexal  Ttolizevov- 
xai^  1108  D,  KaarcßOAkCTßa  A'^^^^k  ca,  während  dasselbe  Wort 
an  andern  Stelleu  svöo-/.ia  (Wohlgefallen)  bedeutet,  so  MAb  pa3ß'k 
KaaroBoakCTßoiuik  =  £t  /.li]  xar'  svdoyJar  841  A;  KaaroA'^HCTBO  : 
ov  ßig  liyiov  TtQog  äqexiiv  1109  B,  wi  HOY^A*"*^  ßfA'"»^'  ^^  Kaaro- 
A'bHCTßCt,  aber  auf  derselben  Seite  i.iayiQo3vf.iiq  Ttetd-iov  xovg  äv- 
^QCOTtovg  aiQsla^ai  rr-v  aQSxrjv^  KpOTOCTkK"  H  TpkR'tHkfMk 
Maoß'kKTvi  npcnHpara  H3KHpaTH  ßaaroßoatHH«,  ca^a,  und  wie- 
derum ca^b,  also  unmittelbar  darnach,  vhsq  ei/aeßelag  y.al  «^«rjjg, 
ACKpoMkCTHia  paAi^iuia  h  KaaroA^^TH,  während  an  andern  zahl- 
reichen Stellen  ßaaroA^^Tk  die  Uebertragung  von  y/cQig  (Gnade) 
bildet.    Dies  wird  seinerseits  wieder  bald  durch  ßaaroA^Tk,  bald 


Die  Uebersetzungskunst  dea  Exarchen  Johannes.  63 

duicli  ^Vap'K  vertreten,  caa  durch  pa^ocTk:  pd^oyH  cia  ORpa,v,o- 
BaHaia  =  xcüqs,  yt^aQuiüinevri ;  ocp'kTE  KO  pa,\0CTk  OTTk  Kora  == 

sl'Qt^  yuQ  ys'(Qiv  .-tuQu  toj  &e(p,  9S5  A.  Beispiele  derartiger  unge- 
nauer und  wechselnder  Behandlung  der  Termini  Hessen  sich  noch 
viele  beibringen.  Sie  macht  ein  wirkliches  inneres  Verständniss 
des  Textes  ganz  unmöglich,  wenn  einer  ihn  etwa  ohne  das  griechi- 
sche Original  lesen  wollte. 

Zur  Erschwerung  des  Verständnisses  trägt  ferner  eine  Stil- 
eigeuthümlichkeit  des  Exarchen  bei:  er  vermeidet  möglichst  die 
Uebersetzung  griechischer  adnominaler  Genitive,  ersetzt  sie 
durch  Dative  (nicht  nur  beim  Pronomen,  s.  Vondrak  S.  36,  sondern 
ungemein  häutig  auch  beim  Substantiv],  oder  verwendet  statt 
des  Geuitivs  eine  Adjektivbildung.  Der  letztere  Gebrauch  bringt 
aber  oft  Uudeutlichkeit  oder  geradezu  Unverständlichkeit  hervor. 
Wer  würde  z.  B.  errathen,  dass  chaov  npHHMHTEAhHOY  ;i,a/Ä  cao- 
BcckHaaro  KCiKKCTKa,  caaa,  namentlich  wenn  er  caoKfCkH'K 
sonst  gelegentlich  als  «ratioue  praeditus,  /.oyixugv  verstehen  soll, 
zu  bedeuten  hat:  Tivsvua  uyiov)  dvvaf.iLV  ÖEy.Tixi]v  rfjg  xov  ^öyov 
V-iorrmg  Tvuqiyov^  985?    Ob  die  Uebersetzung  CA'KHKmo  npaiik- 

AlkHOWMO\'  npaiikA'^H'I^HM'k  VUBkCHmKMpOY,  PA  b,  =  700  T^kiov 

ziig  öi'/.aioavvrjg  xolg  öixcdoig  £7tiXäf.iTCovvog,  864  B,  verständ- 
licher war,  scheint  mir  auch  ungewiss.  Verzweifelt  wird  die  Sache, 
wenn  im  Griechischen  ein  Adjektiv,  durch  Artikel  substantivirt  und 
als  Abstraktimi  gebraucht,  einen  abhängigen  Genitiv  neben  sich 
hat,  und  nun  derUebersetzer  nicht  bloss  das  substantivirte  Adjektiv 
durch  ein  slavisches  Adjektiv  wiedergibt,  sondern  auch  den  Genitiv 
durch  ein  Adjektiv  ersetzt,  z.B.  cKsa:  KaaroA^VTkHoie  h  npirjoy- 
Apc>i€  H  npap.KAHKoie  ik«  h  MCigkNcie  KOH«Hie  =  To  äyaS-bv 
'Aal  To  oo(pbi'j  ro  öLv.uLÖv  re  y.cd  ro  dwccrov  tov  ■d-eov^  984  A. 
Noch  einen  Punkt  möchte  ich  hervorheben.  Der  Uebersetzer 
gibt  manchmal  statt  griechischer  Partizipien  (auch  Adjektive)  sla- 
vische  Relativsätze,  was  an  sich  natürlich  ganz  berechtigt  ist, 
unterlässt  aber  die  durch  den  Casus  des  Partizips  gegebene  Satz- 
verbindung herzustellen,  so  dass  man  rathenmuss,  worauf  sich  der 
auf  diese  Weise  beziehungslose  Relativsatz  eigentlich  beziehen 
soll.  Um  das  Ausschreiben  gar  zu  lauger  Stellen  zu  vermeiden, 
will  ich  nur  einige  einfachere  Beispiele  geben :  1/.  uc(QvvQL/.wt> 
keiipäviop  uvQov  ti'öjöeg  ävaßXv^siv  u7Clotov\   Ovda(.iCjg  rolg  ye 


iß4  .  A.  Leskieu, 

slööot  %}]V  Tov  d-Eov  dvvauLV  V.CU  Ti~)V  cr/Uov  naq  avrov  riinyv. 
1165  A,  WT'K  lUlOlfHfHHMkCK'KlHY'K  IUI<M|JHH  MO\'pOlj'  ;\,OKpOßOHb- 
HOy  H3HTM  HfK'kpkHO  -\H  f  CTK  ;  HHKaKOMit  H  JK  (  KlvA-^Tk 
CHAC»\f  KO/HMK»  H  CB/AT'KIHM'k  OTT*.  HfTO  MkCTH,  CHSb;  )]  yfj  de 
aiiTouarr]  rovg  xaQ7tovg  scpeqe  JTQog  xQ8iav  rCov  VjTO%eiquüv  avxC^ 
(dem  Menschen)   ^wwr,  909  A,   3f iui/\ra  Hie   caiuia  h-c« k-R  (1.  c«Kf) 

H3HC»C/ÄUJf     RAOA'K    H*^    Kp'KMAK»,     H>Kr  Kra)COY     HOßHHkHH    I6M0V 

JKHBOTH,  p^ß  b.  Bei  schwierigeren  Satzzusammenhängen  wird 
durch  diese  Manier  die  Verbindung  der  Theile  oft  völlig  verdunkelt. 
Von  dem  eigentlichen  Relativsatz  ist  der  artikelartige  Gebrauch 
des  HJKf,  der  ja  in  der  altkirchenslavischen  Litteratur  sehr  ge- 
wöhnlich ist,  nicht  scharf  scheidbar;    aus  einer  Wendung  wie 

P§Sb.  KO/KkCTBkHOie  HO  HCTHU-R  lUI-feCTO  H  A<2»CT0HH016  JKHTkl€ 

HJK£  no  OKpasoY  kojkhic,  kann  man  unmöglich  herauslesen,  was 
der  griechische  Satz  besagt:  S^eIov  ovrcog  xtoQiov  y.al  a^iov  rov  v.ax 
dy.öva  S-eov  evÖLaiTi]i.ia^  913  A,  wo  S^eov  adnominaler  (possessiver] 
Genitiv  zu  eUöva  ist,  yxct  shöra  aber  durch  den  Artikel  substan- 
tivirt,  also  »des  nach  dem  Bilde  Gottes  (Geschaffenen)«.  Es  kom- 
men die  wunderlichsten  Wendungen  dabei  heraus,  vgl.  ri  yciq 
{.lEltov  TOV  yEveod^ca  tov  dsov  avd-QcoTtov,  984  B,  mit  4kTC»  EOAf 
ejKf  ETviTH  Koro\"  MAOB'feKOY,  CKH  a,  WO  der  Artikel  tov  durch  «jk« 
ausgedrückt  ist,  aber  die  Abhängigkeit  vom  Comparativ  nicht  ge- 
kennzeichnet. DergleichenUnebeuheiten  oder  Ungeschicklichkeiten 
sind  häufig. 

Wenn  ich  ein  Gesammturtheil  über  die  Uebersetzungskunst 
des  Exarchen  Johannes  in  dem  BorociOBie  abgeben  soll,  so  möchte 
ich  sagen:  man  muss  die  Schwierigkeiten  des  griechischen  Origi- 
nals in  Anschlag  bringen,  im  Auge  behalten,  dass  der  mittelalter- 
liche Uebersetzer,  der  möglichst  wortgetreu  zu  sein  strebt,  nicht 
die  Anforderungen  an  sich  stellte,  die  wir  an  einen  heutigen  Ueber- 
setzer stellen;  man  muss  ferner  bedenken,  dass  er  mit  seiner 
eigenen  Sprache,  die  für  ein  solches  Werk  noch  nicht  genügende 
litterarische  Durchbildung  besass,  zu  ringen  hatte.  Aber  wenn 
man  auch  das  alles  erwägt  und  zugunsten  rechnet,  so  hätte  trotz- 
dem die  Arbeit  besser  ausfallen  müssen.  Auch  eine  ganz  wortge- 
treue Wiedergabe  des  griechischen  Textes  hätte  dem  Leser  einiger- 
massen  Sinn  und  Zusammenhang  dev^E/Joaig  vermitteln  können, 
wenn  nur  der  Uebersetzer  in  der  Wahl  seiner  Ueberfragungen  der 


Die  Uebersetzungskunst  des  Exarchen  Johannes.  65 

irriechischen  für  das  Verständniss  bedeutsamen  Termioi  consequent 
-ewesen  wäre,  und  wenn  er  sorgfältiger  auf  die  griechischen  Wort- 
und  Satzverbindungen  geachtet  hätte.  "Wie  das  Buch  vorliegt, 
konnte  es  weder  zur  Zeit  seiner  Entstehung,  noch  kann  es  heute 
verstanden  werden,  ohne  dass  man  den  griechischen  Text  daneben 
legt.  Dabei  habe  ich  das  Werk  als  Ganzes  im  Auge;  dass  eine 
Anzahl  von  Stellen  gut  oder  leidlich  gelungen  sind,  ist  oben  schon 
liervorgehobeu.  Beim  Lesen  habe  ich  zuweilen  den  Eindruck  ge- 
habt, die  Uebersetzung  sei  gar  nicht  das  Werk  eines  Mannes, 
sondern  vielleicht  unter  seiner  Leitung  oder  in  seinem  xVuftrage 
mehrere  Arbeiter  daran  betheiligt  gewesen,  weil  sie  eben  so  ungleich 
und  inconsequeut  ausgefallen  ist.  Doch  will  ich  das  hier  nicht 
weiter  verfolgen. 

Trotz  aller  Ausstellungen  verdiente  das  EorocjioBie  wie  auch 
der  IIIeeTOÄHeB'B  eine  neue,  dann  aber  wirkliche  Ausgabe,  die  ver- 
suchen müsste,  die  Menge  der  offenbaren  Verderbnisse  der  Hand- 
schrift zu  verbessern  und  in  Anmerkungen  oder  einem  griechisch- 
slavischen  Glossar  Wortbildung  und  Wortgebrauch  des  Exarchen 
genau  zu  bestimmen.  Denn  ein  Wortküustler  ist  er,  nicht  bloss  in 
der  Bildung  von  Composita,  sondern  auch  in  Bildung  und  Anwen- 
dung von  einfachen  und  primären  Worten. 

Man  wird  meine  Beurtheilung  der  Uebersetzungskunst  des 
Exarchen  vielleicht  zu  strenge  finden.  Sie  ist  es  auch  vielleicht, 
aber  ich  meine,  mit  der  blossen  Bewunderung  ist  es  nicht  gethan, 
und  es  kann  am  Ende  nicht  schaden,  wenn  man  die  Werke  der 
kirchenslavischen  Litteratur  zuweilen  etwas  schärfer  ansieht,  und 
uamentlich  etwaige  Herausgeber  sich  fragen,  was  eigentlich  in  den 
Texten  steht.  Wenn  ich  z.  B.  in  dem  ersten  Satz  der  sog.  ILduien 
iicTopHyecKaH  (hsg.  von  A.  Popov,  Moskau  1881)  lese:  nw^OKatTk 
hcthhhom;^  haokUkox,'  i4lv;i,i\TH  HTO  fCTk  KorTk.  laKO  BO  uiioni'h. 
lüBH  C/A  Korii.  0  Mfcoyk  HapfH«TC/Ä  Kon*,  so  sage  ich  mir,  was 
da  steht  ist  Unsinn.  Nehme  ich  den  griechischen  Text  dazu  (A.  Vas- 
siliev,  Anecdota  graeco-byzantina,  Moskau  1893,  S.  188),  wird  mir 
klar,  wie  er  entstanden  ist.  Hier  steht:  xqi]  tov  aliqd-ivbv  [alrid-fi\ 
XQiaTiavop  trcLyvCovaL  [i/riaTaad-ai]^  tig  ^ebg  /.cd  ÖGa/üg  d-ebg  y.ai 
y.ccTu  TL  e'iQi^rcu  Ssög  =  der  wahre  Christ  muss  erkennen,  wer  Gott 
und  nach  welchen  verschiedenen  Weisen  (in  welchen  Beziehungen) 
er  Gott  ist  und  in  welcher  Beziehung  er  Gott  heisst.    Das  y.ava  ri 

Archiv  für  slavische  Philologie.    XXV.  5 


G6 


A.  Leskien,  Die  Uebersetzungskunst  des  Exarchen  Johannes. 


eiQt^TaL  -d-eög  steht  nicht  in  allen  Handschriften  und  ist  vielleich 
nur  eine  erklärende,  aber  richtig  erklärende  Glosse  zu  baayCog  d-eög. 
Offenbar  hat  nun  der  slavische  Uebersetzer  statt  ooayCog  gelesen 
vjg  r^yj)^  oder  auch  nur  so  sich  verlesen  und  demgemäss  übersetzt: 
HKO  KO  mwiui'h.  raBH  C/Ä  Kor'K,  wodurch  nun  herauskommt:  »denn 
wie  ein  Geräusch  offenbarte  sich  Gott«,  natürlich  gibt  das  dann  fol- 
gende 0  MfcoiuiT«.  napfHfTC/Ä  Koriv  so  gar  keinen  Sinn. 

A.  Leskieii. 


< 


Der  Name  bellbog  in  der  slavisclieii  Mythologie. 


Man  ist  geneigt,  den  Namen 
helhog  weisser  Gott,  Lichtgott  auf 
Helmold's  Chronica  Slavorum  zu- 
rückzuführen, weil  Helmold  vom 
guten  und  bösen  Gott  bei  den 
Nordwestslaven  spricht  und  von 
dem  letzteren  sagt,  die  Slaven 
hätten  ihn  in  ihrer  Sprache  zcer- 
nehoch  genannt.  Die  Stelle,  — - 
es  ist  das  Capitel  52  im  I.  Buche, 
—  lautet :  Est  autem  Sclavorum 
mirabilis  error:  nam  in  conviviis 
et  compotationibus  suis  pateram 
circumferunt,  in  quam  conferuut, 
non  dicam  consecrationis,  sed 
execrationis  verba,  sub  nomine 
deorum,  boni  scilicet  atque  mali, 
omuem  prosperam  fortunam  a 
bouo  deo,  adversam  a  malo  dirigi  profitentes.  ünde  etiam  malum 
deum  sua  lingua  diabol  sive  zcerneboch,  id  est  nigrum  deum  ap- 
pellant.  (Die  üebersetzung  dieser  Stelle  in  Lelewel's  Czesc  bal- 
wochwalcza   Winulska,    Polska   wiekow    srednich  I,  420    ist   kaum 


MyCu-^ 


-C«*!^ 


Der  Name  bclbog  in  der  slavischen  Mythologie.  67 

richtig).  Es  wäre  zu  erwarten,  dass  hier,  wo  der  böse  Gott  als  ein 
schwarzer,  cernohog  bezeichnet  wird,  der  gute  als  Lichtgott,  weisser 
Gott,  d.  h.  bclbog  genannt  würde,  indess  findet  sich  ein  solcher  Name 
an  der  angeführten  stelle  nicht ;  auch  müsste  der  gute  Gott  dohryj  bog 
oder,  im  Gegensatz  zu  ccrnobog,  nach  der  Sprache  des  Volkes  b'olobog^ 
vielleicht  im  Munde  Helmold's  b'olebocJi  heissen;  Schleicher,  Polabische 
Sprache,  führt  S.  90  geradezu  das  Beispiel  an:  uf,.n.  heisse  i'w/,  auch 
in  Lorentz,  Das  gegenseitige  Verhältniss  der  sog.  lechischen  Sprachen, 
Archiv  XXIV,  9  finden  wir  es  unter  Nr.  2  bestätigt:  »Ä'oZ-i'o/^«;  für 
die  Form  beibog,  wie  sie  gewöhnlich  auftritt,  oder  belboch  ist  kein 
Platz.  An  sich  wäre  das  Vorkommen  dieses  Namens  bei  Helmold,  wie 
schon  bemerkt,  nicht  auffallend,  aber  das  Fehlen  desselben  beweist, 
dass  Helmold  ihn  nicht  gehört  hat. 

Nun  sind  auch  die  Nachrichten  Helmold's  über  die  Religion  der 
Nordwestslaven  nicht  ganz  klar.  Freilieh  bezieht  sich  diese  Bemerkung 
nicht  auf  die  geographische  Seite  seiner  Meldungen,  denn  seine  Worte : 
invaluit  in  diebus  illis  (zur  Zeit  der  Fürsten  Pribislaw  und  Niklot)  per 
universam  Sclaviam  multiplex  ydolorum  cultura  sind  wohl  deutlich 
genug,  dass  er  das  ganze  Gebiet  der  Nordwestslaven  im  Sinne  hat,  und 
dafür  spricht  auch  die  Stelle  über  Svantevit  und  die  Ausdehnung  seiner 
Machtsphäre:  de  omnibus  Sclavorum  pvovinciis  statutas  sacrificiorum 
impensas  etc.,  wohl  aber  erscheinen  seine  Berichte  in  anderer  Hinsicht 
nicht  ohne  Bedenken,  vornehmlich  erscheint  in  dem  ganzen  mythologi- 
schen Systeme  dieses  Chronisten  jene  oben  citirte  Stelle  mit  der  Erwäh- 
nung vom  cernobog  wie  überflüssig,  so  dass  man  sie  sich  wegdenken 
kann,  ohne  dass  der  Zusammenhang  gestört  wird ;  auch  in  mancher  an- 
deren Hinsicht  möchte  man  sich  grössere  Klarheit  wünschen. 

Helmold  spricht  an  zwei  Stellen  von  dem  Göttercultus  der  Nord- 
westslaveu :  I,  52  und  I,  S3,  und  obgleich  ihr  Inhalt  zum  Theil  parallel 
läuft,  so  dass  der  Gedankengang  ziemlich  derselbe  ist  und  hin  und  wie- 
der dieselben  Worte  gebraucht  werden,  und  obgleich  somit  beide  Stellen 
sich  ergänzen,  so  lassen  sie  doch  Einiges  im  Dunkel,  was  daran  liegen 
mag,  dass  die  Helmold  von  den  Priestern  gemachten  Mittheilungen  den 
rohen  Anfang  eines  nicht  ausgebildeten  Systemes  bilden,  dem  auch 
christliche  Färbung  nicht  fehlt.  Die  Bedenken  und  Zweifel,  vornehm- 
lich in  Bezug  auf  die  guten  und  bösen  Götter,  mehren  sich  dadurch, 
dass,  wie  schon  J.  Jireeek  in  C.C.M.  1S63  (Abschn.  II  bozi  a  besy)  richtig 
bemerkt  hat,  cernoboh  eigentlich  eine  contradictio  in  adiecto,  beloboh 


68  W.  Nehring, 

aber  ein  Pleonasmus  ist ;  ferner  dass  unter  den  vielen  Gottheiten  (inter 
multiformia  Slavorum  numina  I,  52    und  fast  wörtlich  auch  so  I,  83  : 
inter  multiformia  deorum  numina  ^]  keine  als  gute  oder  böse  bezeichnet 
werden,  so  dass  wir  nur  im  Allgemeinen  sagen  können,  dass  z.  B.  die- 
jenigen, von  denen  tristitiae  ausgehen,  bösartig  waren,  aber  dann  wer- 
den wir  wieder  nachdenklich,  indem  numina,  welches  Wort  wir  geneigt 
sind  als  wohlwollende  Gottheiten  aufzufassen,   doch  auch  Bekümmer- 
nisse (tristitias)  spenden.    Helmold  gebraucht  auch  das  Wort  daemonia 
(I,  52),  aber  auch  diese  Stelle  ist  nicht  ohne  Bedenken,  denn  der  Ge- 
danke, der  aus  dem  Zusammenhange  sich  ergibt,  die  daemonia  sanguine 
(christiani)  facilius  iuvitari  und  der  Umstand,  dass  gleich  weiter  von 
dem  Hauptgotte  Svantevit  gesagt  ist,  dass  ihm  alljährlich  christliche 
Menschenopfer  dargebracht  werden,  lässt  das  Wort  daemon  kaum  als 
bösartiger  Geist  auffassen.    Auch  die  Mittheilung  I,  83,  welche  wie  das 
Bild  einer  zadruga  sich  ausnimmt,   dass  alle  Götter  von  einem  Gott 
ausgehen,  mit  ihm  verwandt  sind  und  nach  dem  Grade  der  näheren  oder 
entfernteren  Verwandtschaft  ihre  Dignität  und  ihren  Wirkungskreis  er- 
halten, hält  den  Gedanken  an  böse  Götter  fern,  so  dass  wohl  die  Ver- 
mathung  gestattet  ist,  dass  die  eine  Mittheilung  vom  cernohog  von  einem 
anderen  Priester  herrührt,  als  demjenigen,  der  Helmold  in  die  religiösen 
Anschauungen  der  Nordwestslaven  im   Allgemeinen    eingeweiht  hat; 
dieser  diabol-zcerneboch  erinnert  übrigens  an  christliche  Vorstellungen, 
wie  der  Glaube  an  einen  Gott  auch  an  christliche  Begriffe  erinnert, 
welche  somit  bei  dem  Wiederhineinbrechen   des  Heidenthums  bei  den 
Nordwestslaven  (seitdem  »invaluit  ydolorum  cultura«  etc.)  nicht  gänz- 
lich verschwunden  sind;  dass  dieser  eine  Gott  zum  deus  deorum  ge- 
worden ist,  ist  wohl  das  Ergebniss  der  priesterlichen  Speculation.    lu 
diesem  Zusammenhange  wäre  es  nicht  unmöglich,  dass  der  bonus  deus. 
von  dem  alles  Gute  ausgeht,  eben  der  höchste,  eine  Gott  war.    Ich  will 
zugeben,  dass  eine  andere  Interpretation  der  zwei  Stellen  bei  Helmold 
von  der  Religion  der  Slaven,  eine  Deutung,  die  nicht  an  christliche  Er- 
innerungen anknüpft,  möglich  ist,  aber  diese  Möglichkeit  einer  anderen 
Interpretation  würde  beweisen,  dass  die  Nachrichten  Helmold's  von  dem 
slavischen  Göttercultus  nicht  ganz  klar  sind.     Das  Hineinfügen  des 
helbog  würde  sie  auch  nicht  klarer  machen ;  der  Name  ist  aus  dem  Zu- 


1)  Petersen,  Chronika  der  Lande  zu  Holsten,  Stormarn,  Ditmarschen 
und  Wagern  Frfrt  a/M.  1557,  wusste  ihre  Zahl  auf  1000  anzugeben  (!). 


Der  Name  beibog  in  der  slavischen  Mythologie.  69 

sammenhange  der  Stelle,  wo  er  sich  befindet,  nuv  herauscombinirt  i). 
Aber  nicht  so  bald  ist  es  dazu  gekommen ! 

Seit  dem  zweiten  Jahrzehnt  des  XVI.  Jahrhunderts  erscheint  in 
Deutschland  eine  Reihe  von  gelehrten  Werken,  in  denen  die  Geschichte 
und  Alterthümer,  darunter  auch  religiöse  Alterthümer  der  einzelnen 
deutschen  Länder  und  Landschaften  behandelt  werden,  welche  somit 
vorzugsweise  Localinteressen  dienen,  insofern  aber  auch  einige  Auf- 
merksamkeit beanspruchen  können,  als  hier  zu  sehen  ist,  wie  Mythologie 
gemacht  wurde.  Die  wenigen  chronikalischen  Nachrichten  desHelmold, 
I  Saxo  Grammaticus,  Thietmar  u.  and.,  die  sich  auf  den  Göttercultus  der 
Nordwestslaven  beziehen,  Sachsen  miteinbegrifien  (die  Biographien  des 
heil.  Otto  von  Bamberg  kommen  nicht  in  Betracht),  werden  in  unge- 
bührlicher Weise  generalisirt,  durch  falsche  Voraussetzungen  und  will- 
kürliche Combinationen  auf  Gegenden  übertragen,  denen  sie  ursprüng- 
lich nicht  gelten,  und  durch  Etymologisiren  und  geradezu  durch  Hinzu- 
dichtungen erweitert.    Eine  solche  Hinzudichtung  ist  der  Name  beibog. 

Die  ältesten  dieser  Alterthumsforscher:  Albert  Krantz  (inVandalia 
und  Saxonia),  Brotuff  in  der  Geschichte  von  Merseburg  1580,  Albinus 
in  Meissnische  Land-  und  Bergchronik  1590  u.  a.  kennen  den  Namen 
uicht,  sie  citiren  auch  Helmold  aus  dem  Original;  erst  bei  den  späteren 
Antiquaren,  welche  ihn  aus  abgeleiteten  Werken  kennen,  taucht  beibog 
auf.  Der  Erste,  der  ihn  überhaupt  nennt,  ist  der  mir  dem  Namen  nach 
unbekannte  Verfasser  der  Historia  episcopatus  Caminensis  aus  der  ersten 
Hälfte  des  XVU.  Jahrb.,  in  Ludewig  Scriptores  rerum  Germanicarum, 
tomus  II  res  Bambergenses  continens  vom  Jahre  17 IS.  Hier  steht  S.  501 
die  oben  angeführte  Stelle  aus  Helmold  von  dem  insignis  Wandalorum 
error  (soll  heissen :  mirabilis  Sclavorum  error,  —  auch  sonst  ist  das 
Citat  nicht  genau,  damals  esistirte  die  Ausgabe  von  Bangert  1659  noch 
nicht),  und  hier  ist  bei  den  Worten:  malum  deum  diabol  et  eorum  lingua 
Zernebog  i.  e.  nigrum  deum  appellabant  der  Zusatz  gemacht:  bonum 
vero  beibog  i.  e.  album  deum  appellabant  iuxta  Manichaeorum  errorem, 
—  und  hier  werden  die  Quellen  und  Gewährsmänner  genannt :  Haec  e 
f'ranzii  Vandalia  lib.  EI  c.  37  reverendi  viri  D.  J.  Bugenhag,  Chronica 
Pomer.  lib.  V  c.  S  et  D.  Cramerus,  Historia  Pom.  eccl.  c.  45  fideliter 
retulerunt.  Imo  forma  eiusmodi  idoli  in  peninsula  Rugiae  Vittoviae  la- 
pidi  incisa  adhuc  conspicitur  et  vulgariter  Wietold  vocatur  quasi  Vitus 

1  Ich  habe  diese  Ansicht  schon  im  Archiv  II,  384  ausgesprochen ;  im 
^;leichea  Sinne  hat  sich  Krek  Einleitung  etc.  404  ^  geäussert. 


70  W.  Nehring, 

autiquus  etc.  Wenn  man  diese  Anführungen  prüft,  so  findet  man  sich 
enttäuscht:  zunächst  stimmen  die  Citate  nicht  und  es  kostet  einige 
Mühe,  die  Stelleu  zu  finden.  Bei  aufmerksamem  Lesen  des  an  sich  in- 
teressanten Buches  von  Bugenhag:  Pomerania  in  quatuor  libros  divisa, 
herausgegeben  erst  1728,  findet  man  Mittheilungen  über  Prowe,  Siwa, 
Eadegast  und  Svantevit,  aber  nicht  aus  Krantz's  Vandalia  genommen, 
sondern  direkt  aus  Helmold,  den  Bugenhag  als  auctor  chronicae  Sla ve- 
rum bezeichnet.  Die  Hauptsache  ist,  dass  von  beibog  keine  Erwähnung 
geschieht,  auch  kommt  nichts  Derartiges  vor,  was  auf  Wittow-Wietold 
bezogen  werden  könnte,  und  dieses  Schweigen  ist  um  so  beredter,  weil 
Bugenhag  mehrere  Jahre  in  dem  Kloster  Belbok  an  seinem  Werke  ge- 
arbeitet hat;  die  Widmung  an  Bogislaus  und  seinen  Bruder  und  Mit- 
herrscher Casimir  vom  Jahre  1518  ist  in  Beibuk  bei  Treptow  an  der 
Rega  geschrieben.  Aber  an  keiner  Stelle  findet  sich  eine  Andeutung 
darüber,  dass  der  Verfasser  hier  von  einem  heidnischen  Abgotte  beibog 
etwas  gehört  hat.  Ofifenbar  hatte  der  Name  des  Klosters  nichts  damit 
gemein;  Bugenhag  nennt  es  auch  an  einer  Stelle  auf  S.  47  Bucoviense 
monasterium;  man  möchte  fast  glauben,  dass  der  hin  und  wieder  vor- 
kommende Ortsname  beibuk  nichts  anderes  bedeute,  als  Weissbuchenort. 
Am  auffallendsten  ist,  dass  an  den  Stellen,  wo  von  der  Gründung  des 
Klosters  Beibuk  die  Rede  ist,  unter  den  Jahren  1170  und  1208,  keine 
mythologische  Reminiscenz  sich  findet.  Freilich  gilt  erst  Bangert  in 
seinen  Commentaren  zu  der  Ausgabe  von  Helmold  1659  als  Derjenige, 
der  angefangen  habe,  aus  Ortsnamen  auf  die  Existenz  slavischer  Gott- 
heiten oder  deren  Cultus  zu  schliessen.  Was  nun  Cramerus,  Pommersche 
Kirchenchronika  1603  anbetrifft,  so  steht  auf  S.  168,  nachdem  über 
Porewit,  Porenut  u.  s.  w.  auf  Rügen  gesprochen  worden.  Folgendes: 
Ueber  dies  alles  wird  noch  heutzutage  auf  der  Insel  (Halbinsel)  Wittow 
in  Altkirchen  ein  Bildniss,  in  einen  Stein  gehauen,  gezeigt,  welches  sie 
heutigen  Tages  Wietold  nennen  und  einen  grossen  Kopf  hat,  breiten 
Barth  und  Knebelbarth,  dem  der  Kopf  gar  auf  den  Schultern  sitzt,  .... 
die  Beine  sind  kurz  und  krumm  u.  s.  w.  Aber  weder  dieser  Wietold 
wird  beibog  genannt,  noch  ist  an  dieser  Stelle  und  überhaupt  in  Kra- 
mer's  Buch  dieses  Wort  zu  finden.  Und  so  bleibt  vorläufig  der  Befund 
bestehen,  dass  der  Name  beibog  zuerst  von  dem  unbekannten  Verfasser 
der  Historia  episcopatus  Caminensis  genannt  werden  ist.  Was  nun  das 
Steinbild  auf  der  Halbinsel  Wittow  anbetrifft,  so  möge  hier  zur  Erklä- 
rung aus  Grünibke  Darstellungen  von  Rügen  II,  219  angeführt  werden, 


Der  Name  beibog  in  der  slavischeu  Mj'thologie.  71 

(lass  in  dem  Fimdameute  eines  Vorbaues  der  Kirche  zu  Alteukirclieii 
auf  Wittow  ein  unförmlicher  Steinblock  mit  einem  fratzenhaften  Relief- 
liilde  eingemauert  ist;  man  nennt  ihn  Wietold  und  meint,  es  sei  der 
Svantevit  (I).  Man  findet  aucli  in  Kugler's  Abhandlung:  Pommersche 
Kunstgeschichte  in  den  Baltischen  Studien,  Jahrgang  VIII,  S.  10  diesen 
(•egenstand  kurz  beschrieben  und  die  Ansicht  ausgesprochen,  dass  ein 
-päterer  christlicher  Steinmetz  damit  habe  den  Svantevit  darstellen 
wollen,  und  zwar  zu  dem  Zwecke,  damit  die  Einmauerung  eines  solchen 
Steines  in  die  Fundamente  gleichsam  die  Stelle  anzeigen  sollte,  wo 
i'üher  ein  Svantevittempel  gestanden  habe. 

Nachdem  nun  helbog  in  die  »slavische  Mythologie«  eingeführt  war, 
-II  ist  es  nicht  auffallend,  dass  sich  die  deutschen  und  auch  mährischen 
Schriftsteller  (Stredovsky,  Papanek)  auf  einen  Lichtgott  =  helbog  be- 
riefen, w'obei  die  Historia  episcopatus  Caminensis  als  Quelle  nicht  an- 
-  «.führt  wurde.  Es  wäre  zwecklos,  diese  Schriftsteller  zu  nennen  und 
die  Citate  anzuführen:  es  sei  nur  erwähnt,  dass  sein  Charakter  bei 
einigen  von  ihnen  ins  Schwanken  gerieth,  so  bei  dem  bekannten  Tro- 
gillus  Arnkiel  in  dessen  umfassendem  aus  vier  Theilen  bestehendem 
Werke:  Cimbrische  Heidenreligion,  Theil  I  vom  Jahre  1702,  wo  im 
Register  steht:  belboch  ein  böser  Götze  der  Wenden,  aber  im  Texte  des 
ersten  Theiles  S.  82,  wo  Bezug  genommen  wird  auf  Helmold  I,  53  recte 
.')2,  steht  es:  den  guten  Gott  nannten  sie  belboch  einen  weissen  Gott.  — 
Eine  ungewöhnliche  Freiheit  gestattete  sich  Eckhardt,  Pastor  zu  Jtlter- 
bock,  in  seinem  Buche:  Monumenta  luterbocensia  1732.  Er  erzählt 
von  seinen  Landsleuten,  den  heidnischen  Sorben,  sie  hätten  als  höchsten 
Gott  verehrt  den  Jutrebog,  welche  Gottheit  sie  auch  helbog  nannten, 
quod  etiam  beibog  sive  deum  -/.ar  t^oyJ]v  appellabant,  und  es  wird  ge- 
lehrt ausgeführt,  dass  hei  synonym  sei  mit  iutre.  Eckhardt  ist  nicht 
der  Erste,  der  einen  Gott  Jutrebog  entdeckt  hat,  denn  schon  bei  Albinus 
Meissnische  Landeschronik  findet  sich  eine  solche  Stelle :  Jüterbog  Mor- 
gengott, da  man  ohne  Zweifel  auch  einen  solchen  Abgott,  welcher  aurora 
gewesen,  verehret;  sodann  hat  auch  Abraham  Frenzel  den  Jutrebog 
unter  seine  slavischeu  Götter  aufgenommen.  Aber  Eckhardt  hat  heraus- 
geklügelt, dass  beibog  und  jutrebog  dasselbe  sei. 

Es  war  natürlich,  dass  helbog  nach  einiger  Zeit  auch  abgebildet 
■wurde.  Dafür  sorgte  der  begeisterte  Alterthumsdilettant  Gideon  Spon- 
holz,  der  in  seine  Prilwitzer  Götzenfigürchen  auch  den  Namen  helboeg 
(sie)  einritzte ;  der  Superintendent  Masch,  der  in  seinen  Obotritischen 


72  W.  Nehring, 

gottesdieustlichen  Alterthümern  1772  die  Prilwitzer  Götzenfiguren  ab- 
bilden Hess  ') ;  der  Bearbeiter  der  zwei  Mikorzyner  Steine  (Arch.ll,  383) 
n.  and.  Der  Graf  J.  Potocki  in  seinem  Werke  Voyage  dans  la  Saxe 
basse  1800,  welcher  zu  Sponholz  hinreiste,  und  Lelewel  in  seinen  Ab- 
bildungen zu  seiner  Abhandlung  über  die  heidnische  Religion  der  Slaven 
und  Andere  sorgten  für  die  grösste  Pubücität  der  Prilwitzer  Götzen- 
bilder und  für  die  Bereicherung  (1)  der  slavischen  Alterthümer. 

Es  sollte  auch  in  der  neueren  Zeit  ein  neues  Zeugniss  für  die  Glaub- 
würdigkeit des  beibog  in  die  Schanze  geworfen  werden,  und  Derjenige, 
der  es  bona  fide  that,  war  kein  anderer  als  I.  Sreznevskij  in  seinem 
Buche  CBiiTHJiHin,a  h  oöpaABi  üSHiecKaro  öorocjryjKeHiÄ  CjiaBKH'B  no 
CBH^tiTejiBCTBaMTb  coBpeMeiiHLiMt  H  npe^aHiüMt.  Charkov  1846,  Hier 
wird  auf  S.  13  gesagt,  dass  im  Lausitzerlande  bei  Bautzen  ein  Berg 
cernobog^^  und  neben  ihm  ein  anderer  sei,  welcher  belobog^  heisse,  mit 
dem  Zusätze:  y  0KpecTHBixi>  atiiTe.ieS  coxpaHH.ioet  o  nnxi.  npeAaiiie 
KaK-T.  0  3r£cTaxi.  asLi^iecKaro  öorocjiy/KeHiii,  und  wie  zur  Bekräftigung 
dieser  seltsamen  »Tradition«  wird  hinzugefügt,  dass  eine  vom  Volke  für 
heilig  gehaltene  Stelle,  ypoyHiii,e,  ein  Wiesengrund  im  Walde,  sich  in 
der  Entfernung  von  etwa  15  Werst  von  Moskau  an  dem  Wege  nach 
Troickij  monastyrt  bei  dem  Dorfe  Gorodok  befinde,  welche  vom  Volke 
öijiLie  öorH  genannt  werde.  Safafik,  welcher  in  seiner  Abhandlung  vom 
Cernoboh  vom  Jahre  1844  davon  nichts  erwähnt,  spricht,  offenbar  darin 
Sreznevskij  folgend,  in  seinem  Aufsatz  Studie  z  oboru  mythologie  slo- 
vanske  und  zwar  in  dem  Abschnitte  besi  in  Casopis  c.  Musea  1863  auf 
S.  19:  V  Luzici  nazväny  dve  hory  jedna  Cernoboh,  druha  Beloboh. 
Nun  wissen  die  älteren  lausitzer  Mythologen  und  Alterthumskenner 
nichts  von  zwei  Bergen  bei  Bautzen  mit  mythologischen  Namen:  Albi- 
nus  in  seiner  Meissner  Landchronik  1590  und  keiner  der  Brüder  Frenzel 
Brancl),  weder  der  nachherige  Pastor  in  Postwitz  und  üebersetzer  des 
Neuen  Testaments  Michael  Frenzel  in  seinen  Dissertationen  De  idolis 
Slavorum,  noch  auch  der  nachherige  Pastor  zu  Schoenau  und  üeber- 
setzer der  Bibel  Abraham  Frenzel  in  seinem  Werke  De  originibus  lin- 
guae  Sorabicae,  insbesondere  in  dem  V.  Theile  De  diis  Soraborum  etc. 
wissen  etwas  von  cernoboh  und  beloboh  bei  Bautzen.  Auch  bei  Knau- 
then,  der  in  seiner  Oberlausitzer  Kirchengeschichte  1767  alle  auf  die 

1)  Sponholz  ritzte  zuweilen  neben  den  Namen  belboeg  (!)  auch  cerneboch, 
was  Masch  sich  nicht  anders  erklären  konnte,  als  dass  er  eine  Doppelnatur 
annahm ! 


Der  Name  beibog  in  der  slavischen  Mythologie.  73 

Lausitzer  Alterthümer  bezüglichen  Nachrichten  recht  sorgfältig  gesam- 
melt und  verzeichnet  hat,  findet  sich  keine  Erwähnung  davon ;  Anton 
liätte  in  seinen  Ersten  Linien  eines  Versuches  über  die  alten  Slawen 
17S3  eine  Nachricht  darüber  aufgenommen  imd  ihrem  Ursprünge  nach- 
gespürt, aber  auch  bei  ihm  herrscht  auf  S.  42  tiefes  Schweigen.  Die 
erste  Nachricht  von  den  Zwillingsbergen  bei  Bautzen,  cernoboh  und 
hi'Ioboh^  findet  sich  zuerst  in  Stur's  Cesta  do  Luzic  C.  c.  M.  1838,  476 
und  Preisker's  Blicke  in  die  vaterländige  Vorzeit  1841  I,  186;  vgl.  auch 
Sreznevskij  in  Nota  4.    Die  Namen  sind  also  wohl  nicht  alt! 

Ganz  unerwartet  erschien  1S84  in  Ostrowo  eine  Abhandlung  von 
Dr.  Henrychowski :  Bjelbug  (sie)  oder  die  identische  Form  und  Bedeu- 
tung des  altslavischen  bjelbog  und  des  alttestamentlichen  Weltschöpfers 
Elchim.  Der  Titel  zeigt  den  wunderlichen,  verworrenen  Inhalt  an.  Der 
Verf.  sagt  nicht,  woher  er  seinen  beibog  genommen  hat,  er  spricht  von 
i)im  als  von  einer  allbekannten  Gottheit  der  Slaven. 

W.  Nehrmg. 


74 


Polouica/ 


Das  erste  Jalir  des  neuen 
Jahrhunderts  hat  erwiesen,  dass 
die  so  vielseitige  Arbeitsfreude, 
die  wir  für  1900  feststellen  konn- 
ten, keine  vorübergehende,  durch 
das  Krakauer  Universitätsjubi- 
läum hervorgerufene,  künstliche 
oder  äusserliche  Erscheinung  war. 
und  nichts  wäre  verlockender,  um 
den  grossen  und  stetigen  Fort- 
schritt zu  erweisen,  als  auf  unser 
eigenes  Archiv-Jubiläum  zurück- 
zugreifen und  die  Verhältnisse  von 
einst,  von  1877,  mit  denen  von 
heute,  von  1901,  zu  vergleichen. 
Da  würde  sich  ergeben,  wie  in- 
nerhalb dieses  Vierteljahrhunderts 
die  polnische  Philologie,  Littera- 
turgeschichte  und  Alterthumskunde  erstarkte,  wie  ihre  Methoden  ver- 
bessert sind,  das  Arbeitsfeld  erweitert  ist,  die  Zahl  der  Forscher  zuge- 
nommen hat,  ihre  Leistungen  sich  nicht  nur  vervielfältigt,  sondern  auch 
vertieft  haben.  Wohl  hat  der  Tod  Lücken  gerissen,  uns  vielver- 
sprechender und  bewährter  Kräfte  beraubt,  eines  Hanusz,  Malinowski 
und  anderer,  aber  die  Lücken  haben  sich  geschlossen,  neue  Ersatzmann- 
schaft stellte  sich  zu  der  älteren.  Die  folgende  Uebersicht  soll  zeigen, 
dass  diese  hier  behauptete  Erstarkung  und  Bereicherung  keine  Phrase 
oder  Täuschung  bedeutet. 

Wir  beginnen  mit  allgemeineren  Darstellungen,  Zeitschriften, 
Sammlungen,  Materialien. 

Die  schon  im  Bericht  für  1900  erwähnten  Litteraturgeschichten 
sind  nicht  die  einzigen  geblieben:  an  die  Werke  von  Chmielowski 
und  Tarnowski  reihten  sich  zwei  weitere  Bände  von  der  reich  illustrir- 
ten  Litteraturgeschichte  Dr.  H.  Biegeleisen's  an,  die  das  XV.  und  das 


Vergl.  Archiv  XXIV,  S.  182-205. 


Polonica.  75 

XVI.  Jahrbundeit  umfassen  (Wien,  Boudy,  0.  J.,  gr.-S^].  Biegeleisen's 
Werk  ist  äusserst  umfangreich  angelegt :  drei  starke  Bände  haben  niciit 
einmal  die  Spanne  Zeit  erschöpft,  der  das  erste  Bändchen  von  Chmie- 
lowski  gewidmet  ist.  Ein  anderer  Vorzug  ist  seine  weitgehende  Be- 
nützung der  gesammten  neueren  Litteratur,  das  blosse  Verzeichniss  der 
Monographien  und  Aufsätze  füllt  viele  seitenlange  Spalten ;  dann  die 
zahlreichen  Illustrationen;  die  lebhafte  Darstellung,  die  mitunter  mit 
der  Grellheit  der  Bilder  streitet;  das  Nichteinschränken  der  Litteratur 
;uif  die  schöne  oder  belletristische  allein ;  endlich  das  Erweitern  der- 
-olben  zu  einer  Kulturgeschichte  der  Nation.  Dagegen  fehlt  des  öfteren 
Kritik,  in  der  Gestaltung  des  Textes  sowohl  wie  in  der  Auswahl  der 
Bilder;  die  Ergebnisse  der  Forschungen  anderer  sind  nicht  recht  ver- 
blaut; die  Darstellung  selbst  ist  abgerissen  und  sprunghaft:  die  Anord- 
nung des  Stoffes  willkürlich  und  gewaltsam;  das  kulturelle  Beiwerk 
überwuchert  die  Litteraturgeschichte  vollständig.  Der  W^erth  des  Buches 
dürfte  zunehmen,  je  mehr  sich  der  fleissige,  gewandte  Arbeiter  den  ihm 
besser  bekannten,  neueren  Zeiten  zuwenden  wird.  Meine  eigene  Ge- 
schichte der  poln.  Litteratur  in  deutscher  Sprache  kann  ich  hier  übergehen. 
Nachträglich  sei  zu  den  Litteraturgeschichten  von  Chmielowski 
und  Tarnowski  bemerkt  —  waren  doch  meine  vorjährigen  Erwäh- 
nungen derselben  noch  vor  ihrer  Beendigung  und  unter  dem  ersten  Ein- 
drucke frischer  Lektüre  entstanden  — ,  dass  beide  Werke  insofern  nicht 
abgeschlossen  sind,  als  Tarnowski  mit  dem  Drucken  eines  sechsten 
und  siebenten?)  Bandes  beschäftigt  ist  —  wir  werden  also  noch  Ge- 
legenheit haben,  auf  ihn  zurückzukommen ;  hier  sei  nur  besonders  her- 
vorgehoben der  glänzende  Styl,  die  Mannigfaltigkeit  von  Inhalt  und 
Darstellung  (ausführliche  Inhaltsanalysen  gewähren  angenehme  Pausen), 
die  Sicherheit  des  ästhetischen  Urtheils;  das  Werk  selbst  ist  ein  Kunst- 
werk, handelt  nicht  nur  von  Kunst.  Die  sechs  Bändchen  von  Chmie- 
lowski reichen  nur  bis  1S65:  für  die  folgenden  Jahre  tritt  ergänzend 
ein  sein  »Zarys  literatury  najnowszej«  (vierte  Auflage,  1898),  denn  im 
sechsten  Bändchen  ist  nur  ein  Hundert  Seiten  einer  ganz  allgemein  ge- 
haltenen Analyse  der  modernen  Tendenzen  und  Ideen  gewidmet,  für 
alle  Einzelnheiten  wird  eben  auf  den  »Zarys«  selbst  verwiesen. 

Das  Buch  von  Chmielowski  ist  nun  besonders  für  das  XIX.  Jahrb., 
das  er  wie  kein  anderer  Forscher  kennt,  wichtig;  wird  hier  so  ausführ- 
lich und  eingehend,  dass  Band  III — VI  (bis  S.  290)  nur  seine  ersten 
64  Jahre  behandeln!    Dadurch  gewinnt  diese  Darstellung  bleibenden. 


76  A.  Brückner, 

quellenmässigen  Werth,  der  gesteigert  wird  durch  den  ruhigen,  streng 
sachlichen  Ton,  freilich  auf  Kosten  einer  belebteren,  spannenderen  Er- 
zählung; auch  dürfte  mitunter  allzuviel  Detail  gehäuft  sein.  Manches 
erklärt  sich  allerdings  durch  die  besonderen,  bekannten  Warschauer 
Verhältnisse,  unter  denen  der  Verfasser  schrieb,  unter  denen  sogar  alte 
Illustrationen  litten,  so  z.  B.  bietet  sein  ausgeführtestes  Faksimile  (des 
ersten  Blattes  der  Sophienbibel!!)  zwei  rothe Patzen  statt  der  TFappen- 
schilcler  des  Originals  von  1456,  welche  beanstandet  worden  sind  und 
entfernt  werden  mussten  !  1    Diese  Kleinigkeit  ist  beredt  genug. 

Von  der  unschätzbaren  Estreich  er 'sehen  Bibliographie  ist  der 
XVIII.  Band  (die  Buchstaben  H  und  I)  abgeschlossen:  Krakau  1901, 
705  zweispaltige  Seiten  und  Nachträge,  S.  I — VI.  Das  Werk,  über  das 
wir  bereits  öfters  gehandelt  haben,  erleichtert  das  Studium  der  älteren 
Litteratur  ganz  ausserordentlich:  wird  doch  z.  B.  unter  Stichworten 
(Jesuiten,  Evangelische  u.  dgl.)  die  gesammte  ältere  Litteratur  aufge- 
führt, Untersuchungen  über  Verfasser  u.  dgl.  angestellt,  die  moderne 
einschlägige  Litteratur  (über  Autoren  und  Werke)  genannt,  sogar  aus 
Zeitungen;  oft  werden  Proben  oder  interessantere  Mittheilungen  des 
Textes  selbst  abgedruckt,  und  die  einzelnen  Artikel  erweitern  sich  so- 
mit zu  kurzen  Abhandlungen,  ersetzen  die  Einsicht  in  die  Originale 
selbst,  die  bei  der  ganz  ausserordentlichen  Zerstreuung  der  polnischen 
Litteratur  oft  schwer  oder  gar  nicht  zu  erlangen  ist. 

Wie  sich  die  polnische  Geschichtsforschung  ihr  Organ  längst  im 
hochverdienten  Kwartalmk  historyczny  (jetzt  im  XVI.  Bande),  so  hat 
jetzt  auch  die  litterarische  Forschung  ein  besonderes  Organ  sich  ge- 
schaffen, von  dem  der  vielversprechende  Anfang  vorliegt.  Der  neue 
DPamie^tnik  literacku^  herausgegeben  von  den  Lemberger  Gelehrten, 
Dr.  W.  Bruchnalski,  Br.  Gubrynowicz  und  Prof.  E.  Porebowicz 
unter  Beihilfe  aller  namhafteren  Kräfte,  ist  eine  Fortsetzung  und  Er- 
weiterung des  Pamietnik^  des  Organs  der  Lemberger  Mickiewicz- Ge- 
sellschaft. Dem  Meister  selbst  und  seinen  Intentionen  gerecht  werdend 
—  von  sich  pflegte  und  liebte  Mickiewicz  am  wenigsten  zu  sprechen  — 
erweiterte  die  Gesellschaft  ihr  Organ  zu  einer  Fachschrift  für  polnische 
Litteraturgeschichte  überhaupt  und  die  drei  ersten  Hefte  weisen  einen 
reichen  und  wohl  gegliederten  Inhalt  auf:  Abhandlungen,  Materialien 
und  Notizen,  Recensionen.  Unter  den  Beisteuernden  seien  genannt: 
Chmielowski  mit  seiner  Geschichte  der  dramatischen  Theorien  in 
Polen;  Chrzanowski  mit  einer  treflf liehen  Studie  über  die  Satiren  des 


Polonica.  77 

Naruszewicz ;  G(»rski  mit  einem  Kapitel  aus  dem  Leben  des  sentimen- 
talen Lyrikers  Karpinski;  Windakiewicz  mit  einer  Analyse  der 
tiotica  des  Kochanowski:  A.  Potocki  mit  einer  Studie  über  die  polni- 
-ihen  Almanache  (Noworoczniki)  vor  1S30;  E.Por^bowicz  mit  einem 
Aufsatz  über  »Jungpolenw,  mit  dem  Nachweis,  wie  die  modernsten 
Richtungen  tief  in  der  alten,  scheinbar  längst  ausgelebten  und  erstorbe- 
nen Romantik  wurzeln,  wie  lebenskräftig  diese  noch  ist;  ich  steuerte 
hei  einen  Aufsatz  über  tukasz  Opaliiiski,  den  Bruder  des  bekannteren 
Satirikers  (Christoph  Opalinski),  aus  der  Mitte  des  XVII.  Jahrb.,  eine 
sehr  hervorragende  litterarische  Kraft,  dem  Bruder  weit  überlegen. 
Aus  den  Materialien  seien  nur  dreierlei  genannt:  Nehrmg  gibt  aus  dem 
<  >lser  Archiv  polnische,  nach  Schlesien  (an  den  Fürsten  von  Münster- 
berg gerichtete  Briefe  aus  der  ersten  Hälfte  des  XVI.  Jahrhunderts, 
sehr  interessant  für  die  Sprache  der  Zeit,  deren  freie  Ausdrucksfähig- 
keit erweisend;  Bostel  druckt  aus  Leraberger  städtischen  Urkunden 
Beiträge  über  den  Drucker  der  Ostroger  Bibel,  Iwan  Federowicz,  den 
Russen,  ab:  es  zeigt  sich,  dass  seine  Druckerei  auch  zu  den  Mamowicz 
(so,  nicht  Mamoniczü)  nach  Wilno  gekommen  ist,  nicht  nur  in  die  Lem- 
berger  Stauropigie;  dass  er  in  Lemberg  einen  Neudruck  :•]  der  Ostroger 
Bibel  begonnen  hat,  der  durch  seinen  Tod  unterbrochen  wurde:  Kallen- 
bach  erschöpft  die  erstaunlich  rege  litterarische  Thätigkeit  des  jugend- 
lichen Krasinski,  die  französischen  Arbeiten  desselben  von  1S30  und 
1S31,  in  denen  sich  bereits  beachtenswerthe  Anklänge  an  Späteres 
tinden.  Ausserdem  seien  Beiträge  von  Prof.  Fiaiek  zur  Geschichte  der 
Humanisten  (Cricius  als  Polemiker  gegen  Luther  u.  a.)  und  Czarnik 
zur  Geschichte  der  Errichtung  eines  Lehrstuhls  für  polnische  Sprache 
und  Litteratur  an  der  (damals  deutschen)  Universität  Lemberg,  IS  17. 
genannt.  So  reichhaltig  präsentirt  sich  der  Anfang  (537  S.)  der  auch 
typographisch  äusserst  sauber  hergestellten  Zeitschrift  —  dabei  haben 
wir  die  grossen  Rubriken,  Recensionen  und  Bibliographie  (vollständige 
der  modernen  schönen  Litteratur)  übergangen.  Es  wird  nicht  zu  viel 
behauptet  sein,  dass  auf  slavischem  Boden  wenigstens  keine  andere  Zeit- 
schrift zu  nennen  wäre,  die  wie  diese  Lemberger,  so  ausschliesslich  der 
Pflege  der  Litteraturgeschichte  gewidmet  wäre  und  so  reichhaltiges 
Material  bieten  würde :  hoffentlich  wird  der  Pamietnik,  wie  vor  zehn 
Jahren  die  Wisla,  bei  anderen  Slaven  Schule  machen,  Nachfolger  finden. 
Der  Pamietnik  erscheint  in  vierteljährlichen  Heften  ;i  12  Bogen  in  Lem- 
berg, im  Verlag  der  Mickiewicz-Gesellschaft. 


78  A.  Brückner, 

Von  Zeitschriften  gehen  wir  zu  Sammelausgaben  über.  Schul- 
zwecken und  der  Privatlektüre  der  Schüler  dient  eine  von  einer  Pro- 
vinzialtirma  (F.  West  in  Brody)  herausgegebene  Sammlung  u.  d.  T. : 
Arcydzieia  polskich  i  obcych  pisarzy,  bisher  9  Bändchen  (zu  äusserst 
massigem  Preise,  60  Heller  das  stattliche  Heft);  sie  enthalten  die  Marja 
des  Malczewski;  Grazyna,  Wallenrod  und  Pan  Tadeusz  (zu  diesem  nur 
den  Kommentar);  die  Lilla  Weneda  und  den  Mazepa  des  Siowacki; 
die  Ungöttliche  Komödie  des  Krasinski ;  die  Treny  des  Kochauowski ; 
die  Barbara  des  Felinski  —  mit  Einleitungen  und  Kommentar,  von 
Chmielowski  und  anderen  bewährten  Lehrkräften.  Sowohl  die  Wahl 
der  Werke  als  die  Ausführung  verdient  alles  Lob  —  freilich  sind  dabei 
die  Forderungen  des  Schulunterrichtes  allein  massgebend  gewesen. 

Die  Krakauer  Biblioteka  Pisarzöw  Polskich  macht  nur  langsame 
Fortschritte.  Sie  ist  ihrem  Prinzip  zum  Theil  untreu  geworden,  da  sie 
jetzt  auch  historische  Werke  in  lateinischer  Sprache  aufgenommen  hat 
(Nr.  39  Joli.  Lud.  Decii  de  Sigismundi  Regis  temporibus  über;  Nr.  40 
Martini  Cromeri  Polonia  sive  de  situ,  populis,  moribus,  magistratibus 
et  re  publica  regni  polouici  libri  duo),  die  noch  so  interessant  sein 
mögen,  jedoch  kaum  hierher  gehören.  Nr.  38  enthält  zwei  politische 
Pamphlete  des  habsburgischen  Parteigängers  und  auch  in  der  böhmi- 
schen Litteratur  wohlbekannten  Masuren- Exulanten,  Bartosz  Pa- 
procki,  die  gegen  Zamoyski  und  den  schwedischen  Elekten  gerichtet, 
weniger  vom  Witz,  als  von  der  Galligkeit  und  Belesenheit  (in  Klassikern) 
ihres  Verfassers  zeugen,  bibliographische  Raritäten  und  charakteristisch 
für  die  Zeit  und  die  Skrupellosigkeit  ihrer  Polemik.  Nr.  41  bringt  den 
Anfang  eines  grösseren  Unternehmens,  sämmtlicher  Werke  des  Piotr 
Kochanowski,  des  Uebersetzers  des  »Befreiten  Jerusalem«  und  des 
»Rasenden  Roland«;  ersteres  dreimal  im  XVH.  Jahrh.  gedruckt  und 
von  entscheidendem  Eiufluss  für  die  gesammte  episch-romantische  Lit- 
teratur der  Zeit,  letzteres  nur  handschriftlich  vielfach  vorhanden  (die 
Ausgabe  des  Przybylski  ist  schlecht  und  blieb  unvollendet).  Dieser 
erste  Band  (XI  und  345  Seiten,  besorgt  von  dem  trefflichen  Lyriker  und 
Dramatiker  Dr.  Lucyjan  Rydel)  bringt  die  ersten  zehn  Gesänge  des 
»Goffred«  nach  der  Ausgabe  von  1618:  das  Ganze  soll  8  Bände  um- 
fassen ;  der  achte  wird  die  Monographie  über  Kochanowski  bringen.  Es 
ist  dies  ein  sehr  verdienstliches  Unterfangen,  trotzdem  auch  im  XIX. 
Jahrhundert  der  Goffred  mehrfach  abgedruckt  ward ;  zumal  von  der  so 
wenig  bekannten  üebersetzung  des  Roland  versprechen  wir  uns  manches ; 


Polonica.  79 

-  wird  zugleich  eine  Ehrenschiijtl  dem  t.ilent-  und  temperamentvollen 
L'ebersetzer  gegenüber  abgetragen,  der  Einfluss  der  Italiener  (es  müsste 
auch  noch  der  Adone  des  Marini  herausgegeben  werden,  leider  fand  ich 
bisher  keine  vollständige  Handschrift  der  Uebersetzung  seiner  zwanzig 
<  it'Sänge),  tritt  desto  augenfälliger  zu  Tage.  In  diesen  Freudenbecher 
ischt  sich  leider  ein  Wermuthstropfen:  die  Ausgabe,  die  mit  peinlicher 
-irgfalt  den  Originaltext  ersetzen  sollte,  scheint  durchaus  nicht  ein- 
wandsfrei,  ja  sogar  ziemlich  fehlerreich  zu  sein  —  ich  kann  diesen  Vor- 
wurf aus  Mangel  einer  alten  Ausgabe  hier  in  Berlin  nicht  kontroliren, 
ich  wiederhole  ihn  nur  und  hoffe,  dass  die  Folge  verlässlicher  ausfallen 
und  die  gemachten  Fehler  (Krynski  und  Chrzauowski  zählten  deren 
eine  stattliche  Rubrik  auf)  berichtigen  wird. 

Von  der  Warschauer  Bibliothek  alter  Texte  des  Prof.  T.  Wierz- 
bowski  sind  die  Nummern  XII — XV  erschienen,  lauter  kleine,  zumTheil 
herzlich  unbedeutende  Sachen,  ein  Memorial  des  Kardinal  Radziwil 
lateinisch),  das  aufhört,  wo  es  interessanter  werden  könnte,  noch  vor 
der  Uebernahme  der  Verwaltung  von  Riga;  eine  politische  Brochure  in 
\  ersen  von  1608,  Zeitfragen  matt  und  schmucklos  besprechend;  die 
erste  Redaktion  des  politischen  Libells  des  Orzechowski  (Fidelis  sub- 
ditus  vom  Jahre  1543);  eine  Brochure  desfcopeski  in  Versen  von  1633, 
die  Freuden  und  Leiden  des  Lehrer-  und  anderer  Stände  derb,  aber 
witzig  und  treffend,  behandelnd:  Colloquium  Jannasa  Knutla :  schon  die 
L'ebersetzung  des  Tityre  tu  patule  etc.  (Tityre  du  Hündchen  —  catulus!; 
allein  ist  eine  köstliche  Parodie  des  Lateins  des  Dorf  küsters,  desKlecha; 
die  Erklärungen  und  Lesungen  des  Herausgebers  sind  durchaus  nicht 
tadellos.  Derselbe  hat  gleichzeitig  in  die  Publikationen  der  Warschauer 
Universität  (russisch)  eine  Herausgabe  der  polnischen  zeitgenössischen 
Litteratur  über  den  Pseudodemetrius  zu  liefern  begonnen ;  das  erste 
Heft  umfasst  an  zehn  Gedichte,  des  Hofdichters  der  Mniszek,  Zabczyc; 
des  geistlichen  Panegyristen  Grochowski:  eines  in  die  Tragödie  dieser 
Moskauer  Bluthochzeit  verwickelten  Bürgers,  Lifftel;  eines  anderen 
Panegyrikers  Jurkowski)  u.  s.  w.  —  alle  diese  Gedichte,  rein  epischen, 
lyrischen  oder  gemischten  Inhaltes,  behandeln  die  erste  Phase  des 
Drama,  den  Abschied  von-  Polen  der  Maryna,  den  Zug  des  Demetrius, 
die  hochgespannten  Erwartungen  Aller,  endlich  die  Tragödie  selbst : 
interessant  als  Stimmen  der  Zeit,  weniger  als  direktes  Material  zu  ge- 
brauchen, da  sie  doch  meist  auf  abgeleitete  Quellen  zurückgehen.  Viel- 
leicht bringt  ein  zweites  Heft  Interessanteres. 


80  A.  Brückner, 

Eine  angenehme  Ueberraschung,  weil  ganz  unerwartet,  brachte  uns 
die  zweite,  nach  langer  Pause  erschienene  Nummer  der  »Denkmäler 
polnischen  Schriftthums«,  herausgegeben  auf  Kosten  des  Herrn  von 
Zakrzewski  in  Petersburg.  Der  bekannte  Petersburger  Gelehrte  und 
Dozent,  St.  von  Ptaszycki,  der  sich  bereits  durch  die  trefifliche  Aus- 
gabe des  Wizerunk  um  Eey  grosse  Verdienste  erworben  hat,  gab  jetzt 
den  lange  gesuchten,  sogar  den  Bibliographen  des  XVIII.  Jahrh.,  einem 
I.  A.  Zaluski  u.a.,  unbekannten  Rey'schen  Psalter  heraus:  (Mikolaj  Rej 
z  Nagiowic)  Psaiterz  Dawidöw,  VIII  und  308  S.  S^  (viele  Seiten  doppelt 
gezählt  und  5  Blatt  Facsimile).  Das  Werk  ist  uns  in  drei  Exemplaren 
erhalten;  zu  den  zwei  vom  Herausgeber  benutzten  kommt  nämlich 
ein  drittes  in  Körnik  (ein  viertes,  ebds.,  ist  seit  einigen  Decennien  ver- 
schwunden) hinzu.  Die  Autorschaft  Rey's  war  nicht  ersichtlich,  weil 
—  nach  der  bekannten,  konsequenten  Art  Rey's  —  sein  Name  weder 
auf  dem  Titelblatte  noch  bei  der  Dedikation  an  den  König  (Sigismund  I.) 
genannt  war.  Schon  Dr.  A.  Beicikowski  hatte  1S67  Rey  als  den 
Verfasser  dieser,  nicht  knappen  üebersetzung,  sondern  weitläufigen 
Paraphrase,  erkannt;  es  störte,  dass  die  Paraphrase  prosaisch  war, 
während  nach  den  Worten  des  Freundes  und  Biographen  des  Dichters, 
Trzecieski,  eine  poetische  zu  erwarten  gewesen  wäre ;  doch  ist  diese 
Schwierigkeit  nur  eine  scheinbare.  Alle  Umstände,  Zeit  des  Druckes 
(um  1546);  Eigenheiten  der  Sprache  (Wiederholung  Rey'scher  Aus- 
drücke, upehiy  für  zupelny  u.  dgl.) ;  die  Anonymität  selbst,  die  dem 
Brauche  des  XVI.  Jahrh.  völlig  zuwiderläuft  und  sich  nur  aus  Rey's 
Eigenart  erklärt;  die  Gedanken  der  Vorrede  u.  a.  weisen  mit  Entschie- 
denheit allein  auf  Rey  als  den  Verfasser  und  sind  für  unsere  Erkennt- 
niss  dieses  merkwürdigen  Autodidakten  von  ausserordentlichem  Werthe. 
So  wird  erwiesen  die  tiefe  Religiosität  des  Mannes,  ein  Grnndzug  seines 
Charakters,  ja  seiner  Familie  schon  im  XV.  Jahrh.,  der  nicht  durch  die 
Reformation  erst  geweckt  werden  musste ;  diese  Psalterparaphrase  steht 
ja  noch  auf  katholischem  Boden,  fügt  jedem  Vaterunser  ein  Ave  Maria 
hinzu.  Und  diese  Religiosität,  tief  und  innig,  liess  sich  mit  seinem  lär- 
menden, weltlichen  Treiben  völlig  vereinen  —  für  die  slavische  Psyche 
ein  sehr  bezeichnender  Zug  — ,  diejenigen  Herren,  welche  das  Slaven- 
thum  von  der  Grazdanka,  dem  julianischen  Kalender  und  von  Byzanz 
abhängig  machen,  sollen  an  dem  katholischen  Polen  erst  lernen,  was 
Slave  zu  sein  heisst.  Unser  Respekt  vor  Rey  wächst  ausserordentlich  ; 
derjenige,  von  dem  wir  in  den  vierziger  Jahren  (bis  1557)  nur  Verse 


Polonica,  gl 

^  ( imutheten,  entpuppt  sich  als  ein  Meister  des  prosaischen  Ausdruckes 
und  man  traut  den  eigenen  Augen  kaum,  dass  diese  herrliche,  flüssige, 
klare  Prosa  über  350  Jahre  alt  sein  soll.  Es  ist  nun  das  schöne  Verdienst 
von  St.  Ptaszycki,  dieses  Denkmal  Allen  zugänglich  gemacht  zu 
haben  :  er  begnügt  sich  mit  einem  genauen,  nur  in  der  Schreibung  etwas 
modernisirten  Wiederabdruck  des  Warschauer  Exemplars,  ergänzt  das- 
selbe aus  dem  älteren  und  vollständigeren  Krakauer  (des  Czartoryski- 
schen  Museums),  verzichtet  auf  weitläufigere  Untersuchungen,  Glossare 
u.dgl.  Seinen  Verdiensten  um  Roy  hat  damit  Ptaszycki  die  Krone 
aufgesetzt.  Bei  dieser  Gelegenheit  sei  auch  seiner,  in  den  Izvestija 
liHi2  gegebenen  Uebersicht  der  polnischen  «Volksbücher ff,  der  Alexan- 
dreis, Melusine,  Magellona,  Otto  und  einiger  anderer  gedacht,  die  sämmt- 
liche  noch  erhaltenen  Drucke  und  Handschriften  aufzählt,  die  russischen 
Uebersetzungen  und  böhmischen  Parallelen  mit  berücksichtigt  —  eine 
I-^ucht  langjähriger  Sammelarbeit  in  den  verschiedensten  Bibliotheken, 
\on  Petersburg  bis  Prag,  die  Ptaszycki  mit  grösstem  Eifer  und  bestem 
Erfolg  durchforscht.  Um  Rey's  willen  sei  die  Schrift  eines  Leipziger 
Pastors,  H.  S.  von  Criegeru,  »Nikolaus  Rey  als  Polemiker«  (Leipzig 
rJÜO,  IV  und  96  S.  S^)  erwähnt;  er  spricht  tieferes  theologisches  Wissen 
dem  Rey,  der  solches  nie  beansprucht  hat,  der  die  Stimme  stets  nur  er- 
lii'b,  weil  Berufenere  schwiegen,  ab;  sammelt  zur  Erbauung  der  Zeitge- 
nossen Ausfälle  Rey's  gegen  das  Papstthum,  aus  seiner  »Apokalypse« 
namentlich,  empfiehlt  sie  nachdrücklichst  wegen  ihrer  Schärfe  und  freut 
sich  der  Ueberlegenheit  deutscher  Kultur  —  wir  wollen  sein  Vergnügen 
nicht  weiter  stören.  Endlich  auch  noch  die  Freiburger  (in  der  Schweiz) 
Doktordissertation  von  Job.  Pyczkowski,  Mikolaj  Rey's  «Wizerunekff 
und  dessen  Verhältniss  zum  »Zodiacus  Vitaecf  des  Marcellus  Palingenius, 
Krakau  1901,  S",  62  S.  Schon  Ptaszycki  hatte  in  seiner  treflTlichen 
Ausgabe  des  Wizerunek  auf  dieses  Verhältniss  aufmerksam  gemacht 
und  an  drei  Büchern  es  aufgezeigt;  Pyczkowski  vervollständigt  und 
ergänzt  diesen  Nachweis,  wie  selbständig,  willkürlich  Rey  mit  der  an- 
^  geblichen  Vorlage  verfahren  hat.  Von  kritischen  Wiederabdrucken  sei 
j  noch  hervorgehoben  in  der  Biblioteka  Dziel  Chrzescijanskich  (s.  u.  näheres) 
{ des  berühmten  Dominikanerpredigers  Ks.  Fabian  Birkowski  Mowy  po- 
'  grzebowe  i  przygodne,  Warschau  1901,  2  Bände  26S  und  200  S.  S") ; 
i  eine  ausführliche  Skizze  des  Lebens  und  der  Predigten  des  genialen 
Mannes  von  X.  An toni  Szlagowski(S.  1 — 73)  bietet  die  erste  treflfende 
kritische  Würdigung  des  Nachfolgers  von  Skarga ;  die  zwanzig  interes- 

Arcliiv  für  slavische  Philologie.    X.KV.  ^ 


82  A.  Brückner, 

santesten  Leichen-  und  Siegesreden  (auf  Skarga,  Zamoyski,  Gustav  Adolf 
u.  s.  w.)  bat  Ign.  Chrzanowski  nach  den  Originalen  herausgegeben. 

Zum  Abschluss  dieser  Rubrik  »Allgemeineres«  sei  noch  einer  mo- 
dernen bibliographisch-kritischen  Monatsrevue  gedacht,  die  u.  d,  T. 
»Ksiazka«  (miesiecznik  poswi^cony  krytyce  i  bibliografji  polskiej  pod 
kierunkiem  literackim  Marjana  Massoniusa)  in  Warschau,  jetzt  im 
zweiten  Jahrgang,  herausgegeben  wird.  Auf  einen  allgemeinen  Artikel, 
Leader,  folgen  Recensionen,  recht  ausführlich,  eingehend,  von  fachmän- 
nischer Feder,  über  alle  Erscheinungen  der  Litteratur,  von  der  Theologie 
bis  zur  Agronomie  und  Medizin;  darauf  die  vollständige  monatliclje 
Bibliographie:  ein  verdienstliches,  sehr  zweckmässiges  Unternehmen, 
das  auch  die  schöne  Litteratur  berücksichtigt,  in  der  Regel  scharf  mit 
ihr  ins  Gericht  gehend.  Ein  populär  gehaltener  »Poradnik  dla  kupuja- 
cych  ksiazki«  (unter  wechselnder  Redaktion)  daneben,  verfolgt  andere 
Zwecke,  will  anregend  und  läuternd  aufs  Publikum  wirken,  kämpft  für 
fortschrittliche  und  demokratische  Ideen ;  berücksichtigt,  im  Gegensatze 
zur  Ksiazka,  auch  fremde  Litteraturen,  verzichtend  auf  jegliche  Voll- 
ständigkeit oder  Uebersicht,  nur  dasjenige  wählend,  was  seiner  polemi- 
schen Richtung  entspricht.  Auch  er  erscheint  in  Warschau,  ebenfalls 
im  zweiten  Jahrgang. 

Noch  seien  einige  Fortsetzungen  genannt.  Prof.  Ludwig  Finkel's 
Bibliografja  historji  polskiej,  die  1891  begonnen  war,  naht  jetzt  rasch 
ihrem  Abschluss;  es  erschien  vom  2.Theil  Heft  4,  Nr.  21021—22734. 
Zu  bewundern  ist  die  Riesenfülle  des  Materials,  zusammengedrängt  in 
den  engsten  Rahmen  —  welche  erstaunliche  Arbeit  eine  einzige  Nummer 
oft  enthält,  zeige  z.  B.  Nr.  22045  »Kirchenbauten«  S.  1072 — 1081. 
diese  eine  Nummer  verzeichnet  sämmtliche  Arbeiten  oder  Aufsätze  über 
alle  Kirchen  Polens,  Hunderte  oder  Tausende  von  Namen  der  Städte. 
Dörfer  u. s.w. mit  den  entsprechenden  Nachweisen;  ebenso  die  folgende 
Nummer  über  weltliche  Bauten,  die  anderen  über  Architekten,  Klein- 
kunst, Epigraphik  u.  s.w.  —  Zibrt  hätte  daraus  einen  besonderen  Band 
gebildet,  Finkel's  Werk  ist  eine  unerschöpfliche  Fundgrube  für  die 
politische  und  Kulturgeschichte  der  Nation  —  es  ist  geradezu  unerfind- 
lich, wie  der  Verfasser  den  gewaltigen  Stoff  hat  so  zusammendrängen 
können:  keine  Bibliographie  vermag  an  Knappheit  und  doch  Fülle  mit 
der  Finkel's  zu  wetteifern.  Freilich  ist  ein  Missstand  dabei:  die  An- 
gaben selbst  sind  möglichst  kurz  gehalten  und  der  Druck  ein  sehr  zu- 
sammengedrängter,  doch  wäre  ohne   diese  Auskunftsmittel  das  Werk 


J 


Polonica.  83 

furchtbar  angeschwollen.  Unwillkürlich  drängt  sich  der  Vergleich  mit 
Prof.  C.  Zibrt's  Bibliografie  Ceske  historie  auf,  von  der  eben  der  zweite 
Kiesenband  erschienen  ist  (1902,  XI  und  1216  doppelspaltige  Seiten 
Lex.-S"  engen  Druckes),  der  die  Quellen  und  Bearbeitungen  bis  zum 
Tode  Wenzel  IV.  enthält,  15317  Nummern  (und  Nachträge  zu  Bd.  I, 
von  S.  1189  ab).  Zibrt  gibt  die  Titel  vollständig,  die  öfters  je  eine 
halbe  Spalte  allein  füllen,  zählt  auf  den  Inhalt  von  Sammelwerken,  z.B. 
Balbins,  mit  grösster  Genauigkeit,  so  dass  öfters  eine  einzige  Nummer, 
ein  einziges  Buch,  viele  Spalten  einnimmt;  es  gewährt  eine  Freude,  ihm 
zu  folgen,  den  Inhalt  unzugänglicher  Publikationen  erschöpft  zu  sehen. 
Finkel  verweist  bei  älteren  Sachen  einfach  auf  Estreicher,  bietet  eher 
den  Index  zu  einer  Bibliographie  als  eine  Bibliographie  selbst,  aber  ver- 
einigt nicht  weniger  Material,  als  Zibrt;  sein  Stoff  ist  zudem  erheblich 
grösser,  die  Litteraturgeschichte  z.  B.  umfasst  auch  die  kleinrussische 
u.  dgl.  m. 

Von  der  »illustrirten  altpolnischen  Encyklopädie«  Z.  Gloger's  ist 
der  zweite  Band  erschienen,  1901,  332  S.,  gr.-S",  doppelspaltig,  De- 
partameut  —  Kapellaui,  mit  derselben  Reichhaltigkeit  der  Angaben, 
dem  lebhaft  erzählenden  Ton,  der  warmen  Anhänglichkeit  an  alles 
Traditionelle,  die  sich  dem  Leser  mittheilt:  berücksichtigt  wird  Alles, 
alte  Sprachdenkmäler,  Bauten,  Waffen,  Kleiderstoffe,  sogar  Fälschungen 
von  Dokumenten  und  Volkstraditionen. 

Wir  gehen  zu  Einzelarbeiten  über  und  beginnen  mit  dem  Mittel- 
alter. Eigene  Aufsätze  und  Abhandlungen  habe  ich  umgearbeitet  und 
unter  dem  Titel  »Literatura  religijna  w  Polsce  sredniowiecznej«  (I.  Band. 
Predigten  und  religiöse  Lyrik;  litterarische  und  Sittenschilderungen) 
herausgegeben  (in  der  »Biblioteka  dziel  chrzescijauskich(f,  die  Z.Chei- 
micki  in  Warschau  herausgibt;  235  S.  8");  der  zweite  Band  wird  die 
übrige  Litteratur  (Psalter,  Erbauungsbücher  u.  dgl.)  umfassen.  Aus 
diesem  Bande  hebe  ich  hervor  den  Passus  über  die  Bogurodzica.  Auf 
Grund  der  allein  richtigen  Deutung  des  Twecjo  dziela  Chrzciciela  durch 
Dr.  J.  Franko  (Archiv  XXIV,  150  ff.)  konnte  ich  feststellen  alle  Neben- 
umstände dieses  Heilandliedes;  die  Heranziehung  der  biographischen 
Daten  aus  dem  Leben  der  h.  Kinga  (gest.  1292  im  Klarissinen-Kloster 
zu  Altsoncz)  ergab  mit  Sicherheit,  dass  die  Anrufung  der  Bogurodzica 
und  des  Täufers,  als  Fürsprecher  vor  dem  Heiland,  auf  Anregung  der 
frommen  Fürstin  selbst,  die  von  der  Bogurodzica  und  dem  Täufer  in 
den  entscheidenden  Wendepunkten  ihres  Lebens  Hilfe  erfleht  und  er- 

6* 


84  A.  Brückner, 

langt  hat,  zurückzuführen  ist;  dass  ihr  Beichtvater,  vielleicht  gerade 
der  Franziskaner  Boguchwal,  der  allein  um  alles  wusste,  bald  nach  12 SO 
(nach  dem  Tode  ihres  Mannes,  da  sie  ins  Kloster,  dem  sie  als  Ascetin 
geistig  längst  angehört  hatte,  endgiltig  eintrat),  für  die  ura  sie  gesam- 
melten Polinnen,  die  beiden  Bogurodzicastrophen  verfasst  hat,  welche 
von  so  ausserordentlicher  Bedeutung  für  Litteratur  und  religiöses  Leben 
geworden  sind  —  kein  anderes  geistliches  Lied,  auch  Hospodine  po- 
miluj  ny,  hat  eine  so  verzweigte  und  interessante  Geschichte,  solche 
nationale  und  historische  Bedeutung  aufzuweisen.  In  der  »Biblioteka 
Warszawska«  1902,  Maiheft,  druckte  ich  auch,  aus  Anlass  jener  Publi- 
kation von  Ptaszycki,  eine  Studie  über  alte  polnische  Psalterüber- 
setzungen, zu  der  das  gelehrte  Beiwerk  in  den  Rozprawy  der  Akademie 
geliefert  wird.  Ich  analysire  die  Uebersetzung  des  Florianer  Psalters: 
sein  erster  »Prolog«  entpuppt  sich  als  wörtliche  Uebersetzung  aus  der 
Einleitung  des  sächsischen  Karthäusers  Ludolf,  vor  1350  zu  seinem 
eigenen  Psalmenkommentar,  und  gehört  daher  einer  späteren  Zeit  an, 
als  die  für  Kinga  und  Soncz  um  1280  gemachte  Uebersetzung  der  150 
Psalmen  selbst,  die  zu  Anfang  des  XIV.  Jahrhunderts  erst  um  die  Can- 
tica  vermehrt  worden  ist ;  hierauf  die  Uebersetzung  des  Pulawer  Psal- 
ters (Abhängigkeit  vom  böhmischen;  Erweiterung  um  Argumente)  und 
stelle  fest,  dass  der  1532  zuerst  gedruckte  und  nur  noch  1535  wieder- 
holte Krakauer  Psalter  ein  unveränderter  Abdruck  einer  Krakauer 
Psalmenversion  von  circa  1470  ist:  die  Angabe  auf  dem  Titelblatt  von 
einer  neuen,  genauen  Uebersetzung  aus  dem  Latein  ist  falsch,  nu.r  die 
Orthographie  ist  geändert  worden  (und  auch  dies  nicht  überall),  sogar 
das  Explicit  einer  mittelalterlichen  Handschrift  ist  beibehalten:  der  sehr 
merkwürdige  Fall  beweist,  dass  der  Faden  der  mittelalterlichen  Tradition 
im  Polen  des  XVI.  Jahrhunderts  durchaus  nicht  abgerissen  worden  ist; 
dieser  erste  Abdruck  einer  grösseren  mittelalterlichen  Handschrift  er- 
setzt uns  die  verlorene  Handschrift  und  Psalterrecension  selbst.  Den 
Beweis,  dass  dies  eine  Handschrift,  resp.  Redaktion  von  circa  1470  war, 
ergeben  die  Modlitwy  Waciawa,  deren  Psalmentexte  (des  ersten  Theiles) 
wörtlich,  bis  auf  Fehler  und  Glossen,  mit  dem  Krakauer  Psalter  von 
1532  übereinstimmen. 

So  ergibt  sich  eine  Fülle  von  Bereicherungen  der  alten  Litteratur, 
wir  wissen  jetzt  über  Personen  und  Werke  erheblich  mehr.  Die  Bogur 
rodzica  ist  nicht  vom  h.  Adalbert  vor  dem  Jahre  1000,  sondern  von 
Boguchwal   1280  gedichtet;    ihre   siawiena  und  zwolena  sind   nicht 


Polonica.  85 

Bohemismen,  sondern  altpolnisch:  Petrus  Odranec,  der  zweite  Beicht- 
vater der  h.  Kinga  ist  derselbe  böhmische  Franziskaner,  welcher  unter 
der  grossen  Linde  bei  Glatz  Berthold  von  Kegensburg  als  Dolmetscher 
seiner  Predigten  zur  Seite  gestanden  iiat  und  1292  (in  demselben  Jahre 
wie  Kinga)  gestorben,  zu  Glatz  begraben  ist.  Die  sog.  Fortsetzung  der 
Bogurodzica,  aus  der  Zeit  des  Ellenlangen,  um  1320,  ist  merkwürdig 
durch  Einflechtung  polnischen  Details  in  die  Anrufung  des  Heilandes  : 
u-iece,  starosta  pkieJmj^  kmiec,  ströza  sind  Termini  polnischer  Ad- 
ministration und  in  Himmel  und  Hölle  —  wir  würden  sagen,  ganz  de- 
placirt,  das  Mittelalter  sagte,  glücklich  placirt.  Der  Flovianer  Psalter 
zeigt  nicht  nur  drei  Schreiber  und  Orthographien,  sondern  besteht  auch 
aus  drei  zu  verschiedenen  Zeiten  gemachten  Uebersetzungeu  (150  Psal- 
men um  1280;  die  Cantica  nach  1300;  die  Prologe  nach  1350).  Der 
Pulawer  zeigt  Bohemismen,  Ipi  [lpefi)\  przyszy^  unverständlich,  ist 
aus  der  böhmischen  Vorlage  [preje  si)  ohneweiters  zu  erklären  u.  s.w. ; 
seine  Argumente  berühren  sich  mit  lateinischen  Argumenten  in  Hand- 
schriften polnischer  Provenienz;  er  bedeutete  gegen  den  Florianer  Text 
keinen  erheblichen  Fortschritt.  Die  Mängel  desselben  berichtete  erst 
um  1470  ein  Krakauer  Universitätsprofessor  (die  Krakauer  Professoren, 
im  Gegensatze  zu  allen  ihren  Kollegen  im  Abendlande,  kümmerten  sich 
auch  um  die  verachtete  Landessprache)  oder  Bernhardinermönch,  indem 
er  die  alte  üebersetzung  (von  1280)  mit  derVulgata  eingehend  kollatio- 
nirte,  besserte  und  änderte,  d.  h.  in  Formen  und  Lexikon  modernisirte; 
die  Reste  seiner  Arbeit  sind  uns  in  den  Modlitwy  Waciawa  (um  1480) 
und  vollständig  ist  sie  uns  in  den  Krakauer  Psalterdrucken  von  1532 
und  1535  erhalten. 

Eine  andere  Bereicherung  mittelalterlicher  Texte  brachte  meine 
Studie  im  33.  Bande  der  Rozprawy  filologiczne  der  Krakauer  Akademie 
(1901,  S.  120 — 187):  Drohne  zabytki  polszczyzny  sredniowiecznej  H. 
Sie  brachte  ein  unbedeutendes  Pergamentfragment  einer  vollständigen 
Evangelienübersetzuug  von  circa  1450  (aus  Matthaeus  25),  in  schöner 
Sprache  und  grosser,  sorgfältiger  Schrift;  vor  allem  jedoch  den  «Lü- 
bener  Mammotrekt«  (Lüben  in  Schlesien,  dessen  Kirchenbibliothek  ihre 
Handschriften  nach  Berlin  verkaufte)  von  circa  1470.  Dieser  polnische 
Mammotrekt,  d.  i.  biblisches  Wörterbuch  (der  schwierigeren  Ausdrücke 
nach  der  Reihenfolge  der  heiligen  Bücher;  hier  zuerst  das  Neue,  dann 
das  Alte  Testament ;  auf  02  Blättern  folio,  zweispaltig)  beruht  auf  böh- 
mischen, ist  vielleicht  in  Schlesien  entstanden,  denn  zahlreiche  Präterita 


86  A.  Brückner, 

wie  cirpiai  setn,  pcmoival  si,  erste  sing.  Präsentia  prosim,  naiorocim 
u,  s.  w. ,  Imperfecta  piawasze^  wynikachu  u.  dgl.  m.  weisen  auf  ein 
böhmiscb-polnisches  Sprachgebiet  hin.  Dieses  Wörterbuch  eines  ge- 
wissen Bartholomaeus  weist  neben  vielen  Bohemismen  (vgl.  den  von 
Mencik  im  Archiv  V  herausgegebenen  Wiener  Mammotrektus  böhmi- 
scher Sprache)  zahlreiche  interessante  polnische  Worte  auf,  z.  B.  icqwiry 
pravus,  vgl.  böhm.  umry  (eig.  tortuosus,  zu  loir^  das  sein  i  vor  r,  gegen 
die  Generalregel,  nicht  zu  ie  bricht),  gardzina  titan  (bÖhm.  Jirdina  Held), 
miodziwna  zona  puerpera,  sijqcy  heiss  (kaschubisch  sejac  glühen, 
sijati),  skomroszny  lascivus  (häufig,  Lehnwort  wie  hojarzyn  oder  ein- 
heimisch?), dzwiekac  ruminare  (Miklosich  kennt  nur  stidslavische  Pa- 
rallelen zu  dveka  ruminatio ;  in  polnischen  Dialekten  secundäre  Nasali- 
rung,  dzwiegac  u.  s.  w.)  und  anderes  der  Art.  Die  Betrachtung  des 
Denkmales  führt  wieder  auf  interessante  Folgerungen:  es  zeigt  sich, 
dass  alle  )ikaschubischeu«  Idiotismen  im  älteren  Polnisch  vorhanden 
waren;  es  zeigt  sich  die  »zentrale«  Stellung  des  Polnischen  auch  im 
alten  Wortschatze  und  unwillkürlich  erinnert  man  sich  an  das  dziela  der 
Bogurodzica  wie  im  Weissrussischen  dziela  i),  an  das  dzinsa  derHeiligen- 


1)  Z.  B.  dziela  loialikaj  cany  wegen  des  grossen  Werthes  lese  ich  in  der 
prosaischen  Vorrede  zum  »Pan  Tadeusz.  Paemät  Adama  Mickiewlcza  pia- 
rala^yv  z  polskaho  na  bielaruski  jazyk  A.  J.«  (Lemberg  1892,  erstes  Buch). 
Der  Thaddäus  war  schon  von  Marcinkiewicz  in  den  fünfziger  Jahren  ins 
Weissrussische  übersetzt  und  Proben  davon  gedruckt  worden ;  das  ist  eine 
neue  Uebetsetzung,  sehr  interessant,  ich  führe  einen  Passus  an: 

Siarod  takich  niu,  nad  bieraham  ruczaju, 

Na  pryhorku  uiawialikam,  u  biarozawam  haju, 

Stajäu  kölis  na  padmurku  szlachocki  dwor  drauniäny; 

Swiacilisia  zdalök  scieny  pabialäny 

Tym  bolsz,  przy  ciomna  zialanawym  kolary  tapoli, 

Zakrywauszych  u  wosian  kali  wieciar  u  poli  .... 

Znac  akulica  bahata  i  rodzic  naddatak. 

Widna:^  toja  i  z  liczby  kop,  uzdoiii  i  papiarök 

Swiaciaszczych,  jak  zorki,  na  iania;  widna  z  liczby  soch, 

Aruszczych  uczesnia  dwörskija  music  papary, 

Czarnaziumuyja  palosy  i  pabnoi  stary, 

Upraüny  tak  jak  u  aharodzia  hradki : 

Peunia^  u  dware  dastatak  i  paradki : 

Bacz  i  brama  staic  nascia:^,  zdajecca  hatosic. 

Szto  hascinna,  padaro^nych  u  hascinu  prosic  .... 

U  dware  pusta,  bo  dzwiery  ad  ganku  zamknuty 

Na  klaraki  i  jönj  halkami  zatknuty  .... 


Polonica.  87 

kreuzer  Predigten  wie  das  niederserbische  zinsa,  an  die  cedo,  goleniy^ 
uigios  u.  s.  w.  polnischer  Texte. 

Eine  wesentliche  Bereicherung  erfuhr  die  slavische  Aesop-Litteratur 
vuu  zwei  verschiedenen  Stellen  aus.  Prof.  Antonin  Truhlär  gab 
nämlich  nach  dem  glücklichen  Auffinden  eines  Unicums,  der  Prostejover 
Ausgabe  von  1557  im  Verlag  der  Akademie  heraus:  Jana  Albina  Ezo- 
}>Mvy  fabule  a  Brantovy  Rozprävky  (Prag  190 1,  LXIIund  4 1 7  S.  gr.-8") ; 
die  treffliche  Ausgabe  wiederholt  sogar  (verkleinert)  die  alten  Holz- 
schnitte; die  Fragmente  des  ältesten  Aesop,  der  Inkunabel  von  148S, 
sind  imFacsimile  beigegeben;  eine  erschöpfende  Einleitung  erörtert  alle 
Fragen,  nach  der  Vorlage  (Steinhövel-Bvant),  das  Faktum,  dass  Albin 
einzelne  Partien  direkt  aus  dem  Griechischen  übersetzt  hat,  die  Un- 
gelenkigkeit  anderer  mit  ihrer  saloppen  Wiedergabe  des  deutschen 
Textes.  Die  Ausgabe  ist  eine  musterhafte  —  Krakau  bietet  keine  ähn- 
liche —  kaum  dass  in  der  Einleitung  das  eine  oder  andere  hinzuzufügen 
Oller  zu  berichtigen  wäre  (z.  B.  über  den  Doliganus  u.  a.).  Der  alte 
Text  wird  auch  mit  den  späteren  Auflagen  verglichen. 

Komplizirter  lag  die  Frage  beim  polnischen  Aesop;  die  Polen  haben 
einen  prosaischen,  im  XVI.  Jahrh.  trefflich  übersetzt,  die  Uebersetzung 
in  fortwährend  neuen,  im  wesentlichen  unveränderten  Auflagen  bis  tief 
in  das  XVIII.  Jahrh.  fortgeführt  (vgl.  Estreicher  i.  h.  v.) ;  aber  neben 
diesem  prosaischen  Aesop  (ohne  die  Vita;  nur  die  Fabeln,  mit  einer 
Auswahl  aus  Babrius,  Abstemius  etc.)  hatten  sie  eine  poetische  Bearbei- 
tung der  Vita,  ausgewählter  Fabeln,  nebst  einem  Einschub  aus  dem 
Directorium  humane  vite  (Kaiila  va  Dimna)  des  Bernhard  von  Lublin. 
erhalten  in  einem  späten  Druck  von  1578.  Diesem  Aesop  widmete  ich 
eine  Abhandlung,  Ezopy  Polskie,  in  den  Krakauer  ßozprawy  XXXIV. 
163 — 235.  Es  ist  eine  äusserst  interessante  Persönlichkeit,  dieser  Arzt 
nnd  Freidenker  in  religiösen  Sachen,  vor  Luther  noch  über  Luther 
herausgehend  (die  deutschen  Protestanten  haben  seit  Flacius  einen  Ab- 
schnitt aus  seinen  Briefen  unter  ihre  festes  veritatis  stets  aufgenommen), 
welcher  sich  die  Arbeit  in  der  Landessprache,  der  arg  vernachlässigten, 
zum  Ziele  setzte;  er  ist  ja  Verfasser  zugleich  auch  des  ersten  grösseren 
medizinischen  Compendinms  in  der  polnischen  Sprache.    Aber  ein  Un- 


Toj  sam  usiudy  sprat,  ty  samy  abiccia 

Z  katorymi  lubiü  huläc  ad  pawiccia. 

Tolka  jak  by  mienszy,  prasciejszy  ni^  kölis  hladzieli  etc. 


88  A.  Brückner, 

Stern  scheint  über  ihm  gewaltet  zu  haben:  das  Compendium  ist  erst 
nach  vielen  Decennien  als  ungeordnetes  Werk  eines  Unbekannten 
von  dem  Büchermacher  Siennik  (1564,  Lekarstwa  doswiadczone)  heraus- 
gegeben und  auch  den  Aesop  (mit  starker  antiklerikaler  Tendenz  — 
sogar  das  Wiesel,  das  sich  an  der  Feile  das  Maul  blutig  ritzt,  sind  ihm 
die  Theologen,  die  von  Gott  nur  lügen !)  scheint  man  erst  nach  seinem 
Tode  aus  einer  lüderlichen  Abschrift  gedruckt  zu  haben ;  unsere  Aus- 
gabe von  1578  (ein  Unicum)  ist  in  dem  Ausmerzen  antiklerikaler  Aus- 
fälle noch  weiter  gegangen.  Bernart  von  Lublin  gehört  somit  au  die 
Spitze  der  polnischen  Poesie  (er  schreibt  1515 — 1520)  und  Prosa;  er 
gibt  (in  den  Fabelaufschriften)  auch  die  erste  grössere  Sammlung  pol- 
nischer Sprichwörter,  die  Rysinski  1618  fast  alle  wiederholt  hat;  ich 
suchte  die  Verdienste  dieser  merkwürdigen  verkannten  Persönlichkeit 
ins  rechte  Licht  zu  rücken ;  dabei  besprach  ich  andere  polnische  Fabel- 
werke (Paprocki,  Niemirycz,  der  schon  1699  Lafontaine  nachahmte) 
bis  in  den  Anfang  des  XVIIL  Jahrhunderts. 

Der  XXXIL  und  XXXIIL  Band  derselben  Krakauer  Rozprawy  ent- 
halten zwei  wichtige  biographische  und  litterarische  Studien,  von  Jan 
Czubek  über  Wespazjan  z  Kochowa  Kochowski  (189  S.  gr.-S^")  und 
Dr.  Korneli  Heck  über  Szymon  Szymonowicz  (Simon  Simonides),  jego 
zywot  i  dzieia,  czesc  pierwsza  (160  S.  gr.-S^).  Czubek,  dem  wir  trefi- 
liche  archivalische  Studien  zur  Biographie  von  W.  Potocki  und  J.  Chr. 
Pasek  bereits  verdanken,  hat  jetzt  das  vollständige  Lebensbild  des  klein- 
polnischen,  erst  Lyrikers,  hierauf  Historiographen  gegeben,  aus  den 
Krakauer  Archiven  und  den  Werken  des  Dichters  selbst  schöpfend,  eine 
Fülle  von  Licht  über  die  Persönlichkeit  desselben  und  seinen  Freundes- 
kreis (darunter  zahlreiche  Dichter,  z.  B.  Gawinski,  Mtoszowski  und 
Chometowski)  verbreitend;  er  behandelt  den  Umfang  seiner  Bildung 
und  die  Art  seiner  Sprache,  doch  nicht  die  Werke  selbst.  Heck  er- 
schöpft alles,  Bildungsgang,  Umgebung,  Schriftstellerei  seines  Helden : 
dieser  erste  Theil  umfasst  nur  die  Jugendjahre,  bis  zu  dem  entscheiden- 
den Zusammentreffen  von  Szymonowic  (die  richtigere  Form  seines  Na- 
mens, die  der  Verfasser  ich  weiss  nicht  warum  meidet)  und  Zamoyski; 
behandelt  daher  fast  ausschliesslich  die  lateinischen  Werke  des  Dichters 
und  Philologen,  vielleicht  mit  Ueberschätzung  ihres  poetischen  Werthes, 
der  doch  schon  wegen  des  äusseren  Gewandes  gar  kein  originaler  sein 
kann.  Beide  Arbeiten  sind  treffliche  Proben  der  neueren  Forschung,  j 
die  endlich  alles  Erreichbare  heranzieht,  um  vollständige  Lebens-  und  ' 


Polonica.  89 

Autorenbilder  zu  schaffen,  in  Einzelforschungen  die  gesammte  Litteratur- 
geschichte  zu  fördern. 

Den  XXXIV.  Band  der  Rozprawy  füllt  hauptsächlich  die  Studie 
von  Dr.  Stanislaw  Windakiewicz  aus,  Teatr  ludowy  w  dawnej 
Polsce,  231  S.  gr.-S**,  1902.  Windakiewicz  beschäftigt  sich  seit 
Jahren  eingehend  mit  der  Geschichte  des  polnischen  Theaters;  wir 
verdanken  ihm  bereits  eine  treffliche  Arbeit  über  das  Theater  König 
Wladislaus  lY.  (Krakau  1893)  und  über  die  ältesten  Schauspielergesell- 
schaften in  Polen.  Nunmehr  behandelt  er  das  Volksschauspiel,  Myste- 
rien, Dialoge,  Possen,  aus  Handschriften  und  Drucken,  für  das  XVI. 
und  XVII.  Jahrhundert  hauptsächlich.  Aber  in  dem  Eifer,  ein  ent- 
wickelungsreiches  Volksrepertoir  zu  schaffen,  geht  er  viel  zu  weit  und 
bezieht  in  das  Volksschauspiel  ein,  was  zur  Schulkomödie,  zu  den  Auf- 
führungen der  Jesuitenkollegien  gehörte;  von  manchen  seiner  Stücke 
eines  angeblichen  Volksrepertoirs  kann  man  direkt  den  Beweis  liefern, 
dass  es  Jesuitenstücke  waren ;  von  vielen,  dass  sie  nur  aus  der  Schul- 
praxis entstanden  sind,  zur  Schule  ausschliesslich  gehören.  Trotz 
seiner  scharfsinnigen,  vergleichenden  Ausführungen  bleibt  es  dabei, 
dass  es  einen  »teatr  ludowy«  im  alten  Polen  nicht  gegeben  hat;  sogar 
die  Mysterien  haben  sich  nicht  recht  akklimatisiren  können,  sind  spät 
und  dürftig;  die  slavische  Psyche  empfand  eben  kein  rechtes  Bedürf- 
niss  einer  derben,  sinnfälligen  Aktion  für  das  Heilige,  begnügte  sich  mit 
Bild  und  Symbol  —  die  Gesänge  der  Gorzkie  zale  zu  Fasten  verdräng- 
ten ohneweiters  die  Osterspiele  selbst.  Es  gab  kein  Volks-,  nur  ein 
Schul- und  ein  Jesuitentheater  in  Polen,  zu  denen  hinzukamen :  deutsche 
Komödianten  bei  Sigismund  III.,  italienische  Opern  und  Ballette  bei 
Wladislaus  IV.,  Einzelaufführungen,  auch  der  Tragödien  von  Corneille 
und  Racine  und  anderer  Stücke,  am  Hofe  der  Könige  und  Magnaten  bis 
zurGentry  hinunter;  dagegen  ist  ein  ständiges  polnisches  Theater  sogar 
jünger  als  das  russische,  Volkov  und  Sumarokov  gehen  den  Bohomolec 
und  Bielawski  zeitlich  vor. 

Neben  diesen  Litteraten  und  Litteraturgattungen  seien  erwähnt 
die  Erasmiana  des  lic.  Kazimir  von  Miaskowski  (die  Korrespondenz 
des  Erasmus  von  Rotterdam  mit  Polen,  Sep.-Abdr.  aus  dem  Jahrbuch 
für  Philosophie  und  spekulative  Theologie,  Paderborn,  Schöningh,  1901, 
31  und  88  Seiten  &%  die  Beziehungen  des  Erasmus,  die  Persönlich- 
keiten (ilaski,  Decius  u.  a.),  die  Briefe  und  Dedikationen  selbst,  in  Re- 
gesten oder  in  extenso,  erläuternd  und  bringend,  ein  interessanter  Bei- 


90  A.  Brückner, 

trag  zur  Geschichte  des  Humanismus  in  Polen;  J.  Pelczar  behandelt 
das  Leben  des  Ilussovianus,  dessen  interessante  lateinische  Carmina 
er  im  Corpus  antiquissimorum  poetarum  Poloniae  latinorum  herausge- 
geben hatte;  R.  Abicht  das  Leben  und  die  Wei'ke  des  Andreas  Zbyli- 
towski  auf  Grund  von  (geringen)  Archivalien  und  seiner  Werke;  Ja- 
worski  (in  einer  Berliner  Doktordissertation)  Leben  und  (handschrift- 
lich nur  erhaltene)  Werke  des  Jan  Smolik,  welcher  noch  vor  Piotr 
Kochanowski  und  den  Morsztyns  dem  italienischen  Einflüsse  in  Polen 
die  Bahn  bricht,  Pastorellen  und  italienische  Tragödien  nachahmt  oder 
tibersetzt;  Tad.  Pazdanowski  das  polnische  protestantische  religiöse 
Lied  im  XVL  Jahrhundert,  also  die  Studien  des^  Dr.  Bobowski  über  das 
katholische  Lied  fortsetzend,  aber  mit  unzureichenden  Mitteln.  Hier 
sei  erwähnt  die  Publikation  eines  Historikers,  des  Lemberger  Forschers 
Dr.  Aleks.  Hirschberg,  der  sich  um  die  Demetrius-Litteratur  bereits 
so  verdient  gemacht  hat,  durch  seine  Biographie  des  ersten  Pseudo- 
demetrius  wie  durch  seine  Herausgabe  der  Memoiren  des  Stanisiaw 
Niemojewski.  Jetzt  beginnt  er  eine  Publikation  u.  d.  T.  »Polska  a 
Moskwa  w  pierwszej  polowie  wieku  XVH«  (L  Bd.,  1901);  der  Band 
enthält  den  bisher  ausTurgeniev  und  Szujski  nur  unvollständig  bekann- 
ten Diarius  des  Waclaw  Dyamentowski,  des  Hofmeisters  der  Maryna, 
aus  einer  vollständigen  Abschrift  des  XVHL  Jahrh. ;  das  Tagebuch  des 
Jan  Piotr  Sapieha,  des  Condottiere  der  Maryna  und  des  zweiten  Pseudo- 
demetrius,  aus  der  im  Lager  verwitterten  und  verwischten  Original- 
handschrift, die  Hirschberg  in  Schweden  auffand  —  allerdings  hatte 
bereits  Kognowicki  für  den  zweiten  Band  seiner  Biographien  der  Sa- 
piehas  daraus  geschöpft,  aber  war  ganz  willkürlich  mit  Daten,  Namen 
und  Fakten  umgesprungen ;  endlich  eine  russische  Relation  (in  polni- 
scher Schrift)  der  Moskauer  Botschaft  in  Warschau  vom  Ende  des  Jahres 
1611,  die  bisher  ganz  unbekannt  war  nnd  auf  die  Berufung  des  Wla- 
dislaus  auf  den  Carenthron,  die  Stimmung  am  königlichen  Hofe  u.  dgl. 
interessantes  Licht  wirft.  Das  gesammte  Material  ist  mit  diplomatischer 
Treue  und  musterhafter  Genauigkeit  herausgegeben  und  wir  haben 
noch  manchen  anderen  werthvollen  Beitrag  zu  den  so  verwickelten 
Zeiten  und  Intriguen  des  CMyTHoe  Bpe>ia  zu  erwarten. 

Unter  anderen  historischen  Publikationen  sei  erwähnt  die  Heraus- 
gabe der  Reichstags-Diarien  von  1585  durch  Dr.  A.  Czuczynski  als 
XVHL  Bd.  der  Scriptores  Rerum  Polonicarum  der  Krakauer  Akademie 
(1901,  XXVm  und  47,5  S.  gr.-S»),  also  gesprochener  Texte  des  XVI. 


Polonica.  91 

Jahrhunderts,  mit  ausserordentlicher  Sorgfalt  und  Umsicht  aus  vielen 
Handschriften  zusammengestoppelt :  ein  glänzender  Beleg  für  die  Höhe 
der  parlamentarischen  Beredtsamkeit  im  Polen  des  Batory ;  der  Prozess 
der  Zborowski  steht  dabei  im  Vordergrunde ;  die  Ausgabe  ist  als  eine 
musterhafte  zu  bezeichnen.  Vorher  erschien  der  IV.  Band  des  Diarium 
des  Jesuitenordenshauses  in  Krakau,  des  P.Jan  WielewickiS.J.,  heraus- 
gegeben von  Dr.  W.  Chotkowski,  umfassend  die  Jahre  1618  — 1628 
—  auch  für  die  Litteraturgeschichte,  nicht  nur  für  die  Kulturgeschichte 
von  hohem  Interesse :  waren  doch  die  polnischen  Jesuiten  die  eifrigsten 
(polemischen)  Schriftsteller  und  schrieben  meist  unter  angenommenen 
Namen,  Wielewicki  entwirrt  uns  diese  pseudonyma  (mitunter  brauchte 
ein  Verfasser  4 — 6  solcher!).  Um  noch  weiter  in  die  Vergangenheit 
zurückzugreifen,  seien  hier  noch  Arbeiten  des  uns  so  häufig  begegnenden 
Lemberger  Professors  der  Kirchengeschichte,  Dr.  Jan  Fijal'ek  ge- 
nannt, die  derselbe  in  dem  Posener  Przeglad  koscielny  (Monatsschrift, 
herausgegeben  von  X.  St.  Okoniewskij  veröffentlicht,  stets  mit  einer 
erstaunlichen  Fülle  neuen,  unbeachteten,  urkundlichen  Materials.  Er 
handelt  diesmal  zuerst  über  Paulus  Wlodkowic,  den  Vertheidiger  Polens 
auf  dem  Konzil  von  Konstanz  gegen  den  deutschen  Orden ;  ausserdem 
über  die  Geschichte  des  polnischen  Marienkultus,  der  ja  so  eng  mit  der 
Litteratur,  namentlich  mit  der  populären,  verflochten  ist. 

Diese  religiöse,  populäre  Litteratur  nöthigt  uns  zu  einem  Abstecher, 
zur  Erwähnung  eines  russischen  Werkes,  der  MaTepiajiLi  des  Herrn 
B.T.  üepexi^'L  (I,  1  und  2,  IIs-l  HCTopin  pyccKoii  nicHH,  Petersburg 
1900,  IV  und  425,  209  S.  gr.-S**),  eines  wichtigen  Beitrages  zur  Ge- 
schichte des  religiösen  Liedes  in  Moskau  und  seiner  Beeinflussung  durch 
polnisch-kleinrussische  Elemente.  üepexi^'L  bespricht  zuerst,  was 
man  theoretisch  von  der  Poesie  in  alter  Zeit  wusste  und  wie  die  Praxis 
sich  ordnete;  er  bespricht  die  ersten  Proben  der  syllabischen  Poesie, 
den  polnischen  Einfluss,  den  kleinrussischen  Kirchengesang,  ein  ange- 
feindetes novum  in  Moskau,  die  grossrussischen  Handschriften  der 
psalmy  und  kanty  und  ihre  polnischen  oder  kleinrussischeu  Vorlagen 
und  Quellen;  die  einzelnen  Gedichte;  endlich  die  Bestandtheile  sowie 
die  Redaktion  des  Bohohlasnyk  (1790  zuerst  herausgegeben,  Werk  der 
,  unirten  Basilianer,  noch  heute  im  Volke  verbreitet).  Das  Werk  greift 
; vielfach  in  polnische  Litteratur:  sind  es  doch  die  Brosamen,  die  vom 
polnischen  Tische  abfallen,  von  denen  man  sich  in  Kiev  und  Moskau 
nährt.    Leider  ist  die  Arbeit  von  Perec  unvollständig  in  einem  wesent- 


92  A.  Brückner, 

liehen  Punkte :  er  spricht  zwar  von  der  Vorliebe  der  Polen  für  klein- 
russische Themen,  von  dem  Eindringen  kleinrussischer  Texte  in  alte 
polnische  Handschriften,  aber  die  zahlreichsten,  interessantesten  Hand- 
schriften hat  er  gar  nicht  eingesehen  und  auch  nicht  beachtet,  dass 
schon  in  polnischen  Drucken  seit  dem  Anfange  des  XVH.  Jahrhunderts 
sehr  schöne  kleinrussische  Texte  vorkommen :  diese  Lücke  werde  ich 
selbst  noch  ausfüllen.  Auch  sonst  gibt  es  in  dem  Buche  Versehen  und 
Mängel,  aber  der  Verfasser  verdient  redlichen  Dank  für  die  erfolgreiche 
Bearbeitung  eines  ganz  vernachlässigten,  internationalen  Litteratur-  und 
Kulturkapitels;  ich  habe  aus  seinem  Buche  viel  gelernt.  Zur  populären 
Litteratur  erwähne  ich  noch  meine  Uebersicht  der  polnischen  Volks- 
bücher, ihres  Inhaltes  und  ihrer  Quellen,  die  ich  in  der  «Biblioteka 
Warszawska«  1900  und  1901  einrückte:  eine  Hauptstelle  nahm  darin 
ein  der  »Eulenspiegel«,  der  Nachweis,  wie  diese  Gestalt  in  Polen  po- 
pulär wurde  und  eine  ganze  reiche,  bürgerliche,  satirische  Litteratur 
hervorgerufen  hat,  sodass  die  Geschichte  des  polnischen  Eulenspiegels 
(Sowizdrzal)  im  XVH.  Jahrh.  ungleich  interessanter  und  vielseitiger 
wird,  als  die  des  Originals  in  Deutschland;  der  polnische  entäussert 
sich  der  Unfläthigkeiten  des  deutscheu  und  erweitert  sein  Können,  seine 
Kritik,  seine  Witze.  Sonst  führte  ich  auch,  zur  Charakterisirung  von 
Stoff  und  Sprache,  älteste  erreichbare  Fragmente,  aus  den  Sieben  Wei- 
sen, aus  derMagiellona  an,  die  aus  alten  Büchereiubänden  in  Warschau 
und  Posen,  durch  Wolski  und  Erzepki  losgelöst  worden  sind:  die 
Sieben  Weisen  vielleicht  aus  der  ersten  Ausgabe  von  1528,  die  Ma- 
giellona  aus  dem  XVH.  Jahrhundert. 

Für  das  XVHL  Jahrh.  liefert  urkundliche  Beiträge  Wi.  Smolenski 
in  den  drei  Bänden  seiner  gesammelten  historischen  Schriften.  Es  sind 
dies  keine  speciell  litterarhistorischen,  sondern  kulturhistorische  Auf- 
sätze, eine  Fortsetzung  seiner  »Geistigen  Umwälzung«  (Przewröt  umy-^ 
siowy)  im  XVHI.  Jahrh.  nach  verschiedenen  Richtungen  und  Ergänzung 
derselben,  z.  B.  über  die  ersten  litterarischen  Gesellschaften  in  Polen ; 
über  die  Kalenderlitteratur;  über  den  Barfüsser  Ks.  Marek,  seine  Pro- 
phezeiungen, Briefe,  seine  Rolle  und  Bedeutung ;  über  die  Mitarbeiter 
des  Kollontay,  die  sog.  »Koltontay'sche  Schmiede«  in  Warschau  um 
1790,  die  Jezierski  (mit  seinen  sarkastischen  Definitionen  und  politischen 
Pasquillen),  Dmochowski  u.  a.  Eine  treffliche  Charakteristik  des  Men- 
schen Krasicki  gab  Prof.  J.  Tretiak  im  Dezemberheft  der  Biblioteka 
Warszawska  1901. 


Polonica.  93 

Eine  sehr  eingehende  Würdigung  der  Entwickelnng  der  National- 
ökonomie  in  Polen,   von   1773  bis    1S31,   verdanken   wir  Dr.  Stan. 
rabski,  zarys  rozwoju  idei  spoleczno-gospodarczych  w  Polsce  etc. 
Przeglad  Polski   1902),   die  in  den  treffendsten  Charakteristiken  von 
Staszic   über  welclien  schon  vorher  in  derselben  Zeitschrift  Dr.  T.  Gra- 
bowski  gehandelt  hatte)  und  Kollatay  gipfelt.    Als  Beitrag  anderer  Art 
nenne  ich  das  Werk  des  Ks.  Jan  Syganski  S.  J.,  Historya  Nowego 
^cza  od  wstapienia  dynastyi  Wazuw  do  pierwszego  rozbioru  Polski. 
Bände,  Lemberg  1901  und  1902  (V  und  242;  354;  IV  und  2S3  S.): 
die  polnische  Litteratur  ist  an  Stadtgeschichten  verhältnissmässig  arm : 
Sandec,  die  Stadt  der  heil.  Kinga,  die  Wiege  der  polnischen  National- 
litteratur,  hat  sich  jetzt  des  ausführlichsten,  urkundlichen  Beitrages  zu 
rühmen,    für    polnische    Kulturgeschichte    einer   eminenten   Leistung: 
möchten  doch  auch  andere  Städte  solche  Historiographeu  finden. 

Für  das  XIX.  Jahrh.  seien  zuerst  die  Arbeiten  des  jungen  Forschers 
^tanisJaw  Zdziarski  erwähnt.  Zdziarski  ist  vom  Studium  der 
Volkslitteraturen  ausgegangen  und  verfolgt  dieselben  in  ihrer  Wirkung 
auf  die  Kunstlitteratur;  so  entstand  sein  »Pierwiastek  ludowy  w  poezyi 
polskiej  XIX  wieku,  studya  porüwnawczoliterackie«,  1901,  ein  statt- 
licher Band  von  VIII  und  590  Seiten  gr.-S".  Doch  ging  der  Verfasser 
etwas  mechanisch  zu  Werke:  er  fragte,  welche  volksthümlichen  Sujets 
der  Kunstdichter  und  wie  er  sie  behandle,  und  löste  so  seine  Arbeit  in 
Einzeldarstellungen  der  Rolle  des  volksthümlichen  Elementes  beiMickie- 
wicz,  Zaleski,  Goszczynski,  Lenartowicz,  Syrokomla  u.  s.  w.  auf;  er  zog 
die  ethnographischen  Parallelen  zahlreich  herbei,  berücksichtigte  na- 
mentlich die  kleinrussische  Volkstradition.  Eingehend  verweilte  er 
bei  Mickiewicz:  je  näher  unseren  Tagen,  desto  knapper  werden 
seine  Ausführungen;  auf  den  geueinsamen  Hintergrund  verzichtet 
er,  seine  Einzelskizzen  stehen  lose  nebeneinander.  In  Verfolgung 
derselben  Studien  förmlich  wandte  er  sich  speciell  Bohdan  Zaleski  zu 
und  verfasste  ein  Werk  über  den  polnisch-ukrainischen  Sänger  (B.  Za- 
leski, 1902,  XV  und  420  S.  kl.-S**).  Der  Verfasser  nützte  aus  die  reich- 
haltige Familienkorrespondenz  des  greisen  Dichters,  die  im  Lemberger 
Przewodnik  naukowy  i  literacki  seit  mehreren  Jahren  publicirt  wird  von 
dem  Sohne  des  Dichters,  Dyonizy  Zaleski),  sowie  die  Werke  des  Dichters 
(zumal  den  reichen  Nachlass).  doch  ist  auch  diesmal  die  Eintheilung  eine 
etwas  mechanische  und  schematische,  das  Urtheil  hätte  milder  ausfallen, 
die  Darstellung  mehr  einbegreifen  sollen :    jedenfalls  ist  es  die  erste. 


94  A.  Brückner, 

ausführliche,  vollständige  Monographie  über  den  eigenartigen  Dichter 
und  Meister  von  Melodie  und  Rhythmus.  Nur  erwähnt  seien  Wiadysiaw 
Syrokomla  i  jego  utwory,  napisai  Tadeusz  Pini  (Lemberg  1901, 
247  Seiten),  eine  populäre,  lebhafte  Darstellung  des  Lebens  und  Wirkens 
des  litauischen  Burns,  Kondratowicz  (in  der  Bibliothek  der  Macierz 
Polska,  fürs  Volk  bestimmt);  Kornel  Ujejski  (1823 — 1893)  von  Kazi- 
mierz  Wröblewski,  1902,  306  S.  kl.-80,  eine  detaillirte  Erzählung 
des  Lebens  und  Aufzählung  der  Werke,  ohne  sich  zu  einer  Totalität 
aufzuschwingen,  trotz  aller  Vorliebe  und  Pietät  für  den  Sänger  der 
Klagen  des  Jeremias  und  der  Biblischen  Melodien ;  Andrzej  Towianski, 
studyum  psychologiczne,  von  Jan  Mazurkiewicz,  Warschau  1902, 
132  S.  kl.-S*',  eine  Skizze  vom  pathologischen  Staudpunkt,  die  das 
Phlegma  analysirt,  nachdem  der  Spiritus  zum  Teufel  gegangen  und  der 
Eigenart  des  litauischen  Mystikers,  die  für  Mickiewicz,  Slowacki,  Go- 
szczynski  so  verhängnissvoll  oder  erlösend  werden  sollte,  nicht  gerecht 
wird;  die  Studie  von  Graf  Stanislaw  Tarnowski  über  Jözef  Szujski 
als  Dichter,  zumal  als  Dramatiker  (vorher  in  der  Biblioteka  Warszawska 
1901  gedruckt)  u.  s.  w.  Doch  würde  ich  nicht  zu  Ende  kommen,  wenn 
ich  aller  Monographien  gedächte ;  ich  beschränke  mich  jetzt  auf  eine 
Auswahl. 

Genannt  seien  die  Schriften  von  Dr.  Tad.  Grabowski  aus  dem 
Grunde,  weil  sie  sich  mit  der  litterarischen  Kritik  in  Polen,  die  bisher 
ganz  vernachlässigt  war,  befassen ;  der  Verfasser,  mit  der  französischen 
Kritik  und  Aesthetik,  seit  La  Harpe,  vertraut,  ist  zu  diesem  Studium 
besonders  geeignet;  er  veröffentlichte  bisher  zwei  Arbeiten:  Ludwik 
Osinski  i  öwczesna  krytyka  literacka  (Krakau  1901,  92  S.),  über  den 
Warschauer  Dramaturgen,  Lyriker  und  Kritiker,  enragirten  Klassiker, 
Gegner  der  Romantiker  —  freilich  mehr  in  den  Salons,  als  in  der 
Oeflfentlichkeit;  Micha!  Grabowski,  jego  pisma  krytyczne  i  pojecia  poli- 
tyczne(1900,  109  S.,  aus  dem  Przeglad  Polski),  den  romantischen,  zeit- 
weise sehr  reaktionären  Kritiker  mit  einem  Stich  in  den  Panslavismus, 
wobei  dessen  Abhängigkeit  von  den  Franzosen,  von  der  Mme  Stael  an, 
hervorgehoben  wird. 

Dann  seien  aus  Arbeiten  über  Slowacki,  die  sich  förmlich  drängen, 
Studien  eines  Jellent'a  u.a.,  Neupublikationen  von  Fragmenten  u.dgl., 
besonders  hervorgehoben  das  schöne  Werk  des  Warschauer  Kritikers 
Ignacy  Matuszewski,  Siowacki  i  nowasztuka(modernizm),  Warschau 
1902,  400  S.  80  —  ein  kritischvergleichendes  Studium,  in  welchem  das 


Polonica.  95 

Wesen  der  Slowacki'schen  Kunst,  der  subjektiv-musik:ilischen,  lyrisch- 
stimmungsvollen,  zerfliessenden,  im  Gegensatze  zu  der  plastisch-be- 
grenzten,  episch  ausführlichen  und  genauen  des  Mickiewicz  erklärt  und 
die  engste  Verwandtschaft  in  Mittel,  Ziel,  Ausdruck  mit  der  moderneu 
symbolisirenden,  mystischen,  suggerirenden  Poesie  und  Kunst  überhaupt 
erwiesen  wird.  Zum  ersten  Male  wird  das  grosse  Epos  des  Slowacki, 
sein  (unvollendeter)  Kröl-Duch  nach  Gebühr  gewürdigt.  Auch  sei  er- 
wähnt, dass  von  der  trefflichen,  mustergiltigen  Monographie  des  Nestors 
der  polnischen  Litterarhistoriker  und  Philologen,  Antoni  Maiecki: 
Juliusz  Slowacki,  jego  zycie  i  dziela  w  stosunku  do  wspotczesnej  epoki, 
die  dritte  Auf  läge  erschienen  ist(Lemberg  1901,  3  Bände,  XII  und  2S3, 
332  und  30S  S.  ,  ein  unveränderter  Abdruck  der  ersten,  doch  hat  Dr. 
Br.  Gubrynowicz  in  Anmerkungen  die  gesammte  neuere  Slowacki- 
forschung  ergänzend  berücksichtigt  und  im  Anhange  zu  Band  III  (von 
S.  233  ab)  neues  Material,  Briefe,  Aufzeichnungen  u.  dgl.  abgedruckt; 
die  Briefe  des  Siowacki,  zumal  die  an  seine  Mutter,  eine  der  werthvoU- 
sten  Gaben  der  Epistolographie  überhaupt,  hat  der  Warschauer  Sammler 
und  Litterat,  Leop.  Meyet,  neu  musterhaft  herausgegeben. 

Endlich  Zygmunt  Krasinski ;  auch  er  feiert,  in  anderem  Sinne 
freilich  als  Siowacki,  der  anerkannte  poetische  Heros  der  Moderne, 
seine  Auferstehung:  zum  ersten  Male  werden  seine  unermesslich  reichen 
Aufzeichnungen,  Korrespondenz  (mit  dem  Jugendfreunde,  dem  Engländer 
Reeve;  mit  dem  Vater),  Werke  (Gedichte,  Fragmente,  z.  B.  einer  Tra- 
gödie Wanda  u.  a.)  herausgegeben,  der  Enkel  des  Dichters,  Graf  Adam 
Krasinski,  Herausgeber  der  Biblioteka  Warszawska,  und  Prof.  Jozef 
Kallenbach,  jetzt  Bibliothekar  der  Ordinatsbibliothek  der  Krasinski 
in  Warschau,  theilen  sich  in  diese  Arbeit.  Hauptausgabe  ist  Correspon- 
dance  de  Sigismond  Krasinski  et  de  Henry  Reeve,  2  Bände  (LI  und 
451  S.;  364  S.  S»,  Paris  1901);  im  zweiten  Bande  sind  zahlreiche 
französische  Werkchen  und  Skizzen  aus  den  Jahren  1830  und  1831  ab- 
gedruckt; einzelnes  in  polnischer  Uebersetzung,  Briefe  und  Schriften, 
ist  in  der  Biblioteka  Warszawska  1901  uud  1902  erschienen.  Durch 
diese  Publikationen  erst  wird  ein  allseitiges  Studium  dieses  merkwürdigen, 
frühieifen  Dichters  der  Reflexion,  des  philosophischen  Gedankens,  er- 
möglicht. 

Wer  sich  über  die  polnische  »Moderne«  selbst  informiren  will,  dem 
empfehlen  wir  die  Skizzen  von  Antoni  Mazanowski  Mioda  Polska 
w  powiesci,  liryce  i  dramacie,  Krakau  1902,  199  S.  gr.-S»  (aus  dem 


96  A.  Brückner, 

Przeglad  Powszecliny  abgedruckt),  der  einen  Przybyszewski;  Wyspian- 
ski,  Kasprowicz,  Tetmajer  und  die  vielen  Anderen  ohne  jegliche  Ueber- 
schwänglichkeit  in  Lob  oder  Tadel,  mit  Berücksichtigung  der  ausländi- 
schen Strömungen  und  Vorbilder,  kurz  und  meist  treflfend,  nicht  ohne 
sichtbare  Reserve  charakterisirt.  Schärfer  geht  vor,  doch  beschränkt 
er  sich  auf  Dichter  allein,  ohne  Novellisten,  Romanciers  uud  Dramatiker 
hereinzuziehen,  P.  Chmielowski  in  seinen  im  Lemberger  Przewodnik 
naukowy  i  literacki  erschienenen  Skizzen  u.  d.  T.  Najnowsze  prady  w 
poezji  naszej.  Ganz  populär  gehalten  ist  des  Tadeusz  Piui  nasza 
wspulczesna  poezya,  Lemberg  1902,  136  S.  kl.-S",  Skizzen,  die,  Asnyk, 
Konopnicka,  Gomulicki,  Niemojewski  und  Nowicki  gewidmet,  einzelne 
Seiten  ihrer  Thätigkeit  oder  ihres  Talentes  besprechen. 

Wichtige  Beiträge  zur  Kultur-  und  Gelehrtengeschichte  des  Landes 
muss  ich  übergehen,  so  die  Geschichte  der  Wilnoer  Universität  von 
Dr.  med.  Bielinski  (in  drei  stattlichen  Bänden),  die  Geschichte  der 
Akademie  von  Zamosc  von  Kochauowski  u. s.w.,  doch  sei  wenigstens 
genannt  das  ausführliche  Werk  von  dem  Warschauer  Privatgelehrten 
luid  Historiker,  der  unermüdlich  ist  im  glücklichen  Finden  und  Heraus- 
geben neuer  Quellen  (z.  B.  eines  Memoires  des  J.  ü.  Niemcewicz  aus  den 
Zeiten  des  Warschauer  Herzogthums  u.  a.),  Aleks.  Kraushar,  To- 
warzystwo  Krolewskie  Przyjaciol  Nauk  ISOO  — 1832,  monografia  histo- 
ryczna  osnuta  na  zrödiach  archiwalnych,  drei  Bände  bisher,  der  erste 
die  pveussischen  Zeiten  umfassend  (ISOO — 1807),  die  beiden  anderen 
die  Zeiten  des  Warschauer  Herzogthums  (1807 — 1815)  (Warschau 
1900  und  1902,  407,  318  und  338  S,  8"  mit  einer  Unmasse  authentischer 
Illustrationen,  Portraits,  Baudenkmäler  u.  dgl.).  Die  »Gesellschaft  der 
Freunde  der  Wissenschaften«  suchte  nach  dem  Verluste  der  politischen 
Selbständigkeit  die  nationale  Sprache,  Geschichte,  Kultur  zu  wahren 
und  zu  fördern:  wie  sie  dieser  Aufgabe  gerecht  geworden  ist,  wie 
Grosses  sie  unter  den  widrigsten  Zeitumständen  geleistet  hat,  schildert 
Kraushar  auf  Grund  der  Sitzungsprotokolle;  in  den  Annexen  druckt 
er  wichtigere  Briefe,  Reden,  Projekte  ab;  besonders  bemerkenswerth 
ist  der  panslavistische  Zug,  der  die  Arbeiten  nicht  nur  eines  Staszic 
durchgeistigt,  die  ständige  Hervorhebung  der  Zusammengehörigkeit  aller 
Slaven :  Bischof  Kossakowski  hält  z.  B.  1803  einen  Vortrag  über  böh- 
mische Litteratur  und  die  Zusammengehörigkeit  der  slavischen  Sprachen, 
der  das  Nationalböhmische  so  feierte,  dass  der  Ueberbringer  der  ge- 
druckten Exemplare   dieser  Rede  sie  schliesslich  aus  Furcht  vor  den 


Polonica.  97 

östeireichischea  Behörden  in  die  Weichsel  geworfen  hat!  Kraushar's 
Werk  löst  sich  zwar  stellenweise  in  blosse  Sitzungsberichte  auf,  aber  es 
ist  endlich  die  Dankesptlicht  gegen  die  erleuchtete,  verdiente  «Gesell- 
schaft« erfüllt  worden,  gegen  die  Albertrandi,  Staszic,  Sapieha,  Potocki, 
Krasiuski  u.  a.,  deren  planvolle,  tüchtige  Arbeit  in  dem  Strudel  von 
1831  verschlungen  worden  ist,  wie  so  vieles  andere.  Den  Folgen  von 
1831,  der  Emigration  nach  Frankreich,  die  so  verhängnissvoll  gerade 
für  die  Litteratur.  für  Mickiewicz  und  Slowacki,  für  Zaleski  und  Go- 
szczynski  und  so  viele  andere  werden  sollte,  ist  das  Werk  eines  Emi- 
grantenselbst, LubomirGadon,  gewidmet:  Emigracjapolska,pierwsze 
lata  po  upadku  powstania  Listopadowego,  Krakau  1901  und  1902,  228, 
343  und  373  S.  S*^;  eine  sehr  eiugehende  Schilderung  auf  Grund  ur- 
kundlichen Materials,  Adressen,  Korrespondenzen  u.  s.  w.  der  Pariser 
und  Rapperswyler  Sammlungen  hauptsächlich,  welche  die  Zerfahren- 
heit und  Uneinigkeit,  das  altslavische  Uebel,  aber  auch  die  moralische 
Stählung  und  Uubeugsamkeit  dieser  Katone  —  Emigranten  schildert 
und  einen  interessanten  Hintergrund  für  die  Leistungen  der  litterarischeu 
Koryphäen  Polens  abgibt. 

Doch  wird  es  nachgerade  hohe  Zeit,  dass  wir  aus  dem  historischen 
Fahrwasser  herauskommen  und  uns  unserem  eigentlichen,  jetzt  gramma- 
tisch-lexikalischen Kapitel  zuwenden.  Auch  hier  haben  wir  sehr  be- 
deutende Leistungen  zu  verzeichnen.  Vor  allem  den  Slownik  Jezyka 
Polskiego  ulozony  pod  redakcja  Jana  Kariowicza,  Adama  Kryuskiego  i 
Wiadyslawa  Niedzwiedzkiego.  Wir  haben  schon  des  Werkes  gedacht 
und  kehren  noch  einmal  zu  ihm  zurück :  es  verdient  dies  schon  durch 
den  Rekord  der  Billigkeit  und  Raschheit,  den  es  auf  dem  Gebiete  der 
Lexikographie  jedenfalls  festgestellt  hat.  Aus  Privatmitteln  hervorge- 
gangen, ohne  staatliche,  akademische  u.  dgl.  Subventionen,  herausge- 
geben von  Leuten,  die  willig  und  unentgeltlich  ihre  Zeit  und  Kraft  zur 
Verfügung  gestellt  haben,  erscheint  dieses  vollständigste  und  genaueste 
aller  polnischen  Wörterbücher,  hierin  die  Linde,  Orgelbrandt  u.  s.  w. 
weit  hinter  sich  zurücklassend,  in  rascher  Folge  und  staunenswerther 
Billigkeit;  das  Heft  von  160  doppelspaltigen  Seiten,  jede  Spalte  von 
72  Zeilen  engen  Druckes,  kostete  zuerst  50,  dann  80  Kopejken;  das 
Werk  ist  bereits  beim  13.  Heft  augelangt,  obwohl  erst  189S  der  Druck 
begonnen  worden  ist;  der  erste  Band,  A — G,  umfasst  955  Seiten;  der 
zweite,  H — M,  1089.  Der  Wortschatz  umfasst  alles,  altes  und  neues, 
von  der  Bogurodzica  bis  Wyspianski ;  eigenes  und  fremdes,  bis  zu  tech- 

Archiv  für  slavische  Philologie.   XXV.  7 


98  A.  Brückner, 

nischen  Ausdrückeu  aller  Verkehrs-  und  Erwerbszweige;  allgemeines, 
schriftgemässes  und  volksthümliches,  dialektisches;  Angaben  über 
Brauch  und  Bedeutung;  Belege  aus  alten  und  neuen  Schriftstellern, 
zumal  aus  Sprichwörtern ;  Warnungen  vor  Neologismen,  Germanismen. 
Rnssismen,  Gallicismen;  schliesslich  sogar  die  Etymologie  eines  jeden 
Wortes.  Stichproben  überzeugten  mich  oft  von  der  ganz  ausserordent- 
lichen Fülle  des  Materials,  für  altes  sorgt  Krynski,  für  dialektisches 
Karlowicz,  dessen  besonderes  dialektisches  Wörterbuch  ich  hier  nicht 
mehr  erwähne,  auf  die  Recension  von  Prof.  Ne bring  verweisend.  Es 
wird  dies  das  erste  vollständige,  wissenschaftliche  und  doch  praktischen 
Zielen  dienende  Wörterbuch  bleiben  —  wir  wünschen  den  Heraus- 
gebern nur  unverminderte  Energie  und  vermehrte  Theilnahme  des 
p.  t.  Publikums. 

Die  alte  Generation  der  Puristen,  Skobel,  Walicki  u.  a.  ist  ausge- 
storben, doch  nicht  das  Bedürfniss,  über  die  Reinheit  der  Sprache  zu 
wachen,  zumal  die  germanisatorischen  und  russifikatorischen  Bestrebun- 
gen der  Schule,  des  öffentlichen  Lebens  eine  nicht  zu  unterschätzende 
Gefahr  und  ständige  Bedrohung  bedeuten.  Prof.  Roman  Zawiliiiski 
in  Krakau,  Herausgeber  ethnographischen  und  alten  Materials,  hat  seit 
anderthalb  Jahren  ein  Monatsblatt  für  puristische  Zwecke  geschaffen, 
^&n  Poradnik  j'ezykowy.  in  Aufsätzen  und  Korrespondenzen  (Beant- 
wortung von  Anfragen)  wird  schätzbares  Material  beigesteuert,  um  der 
Sprachverderberei  Einhalt  zu  tiiun.  Für  meinen  Geschmack  operirt  der 
verdiente  Herausgeber  vielleicht  noch  zu  viel  mit  kirchenslavisch  und 
Miklosich;  auch  finde  ich  hie  und  da  allzu  grosse  Aengstlichkeit,  das 
Polnische  ist  ja  kein  Latein  und  auf  kein  Prokrustesbett  zu  schlagen, 
aber  sonst  kann  ich  Tendenz  und  Mittel  des  Unternehmens  nur  aufs 
höchste  loben.  Ein  puristisches  Lexikon  unternimmt  Artur  Passen- 
dorfer;  er  hat  als  Probe  desselben  einen  Auszug,  Bledy  jezykowe 
mlodziezy  szkolnej  (Lemberg  1902,  37  Seiten)  erscheinen  lassen,  die 
in  lexikalischer  Form  die  gröbsten  sprachlichen  Verstösse  rügen  oder 
bei  zweifelhaften  Sachen  das  richtigere  empfehlen. 

Von  archäologisch-ethnographischen  Publikationen  —  kunsthisto- 
rische wie  historische  muss  ich  übergehen,  obwohl  die  schönen  Leistun- 
gen eines  Sokoiowski  und  Mycielski,  die  auch  äusserlich  muster- 
giltig  hergestellt  sind  und  eine  wahre  Augenweide  bedeuten,  zur  Er- 
wähnung reizen  —  sei  der  dritte  Band  des  Swiatowit  für  1901  (254  S. 
gr.-80^  Warschau,  unter  derselben  Redaktion  von  Er.  Majewski)  ge- 


Polonicii.  99 

nannt,  der  noch  reicheren  Inhalt,  mehr  Originalbeiträge  gewährt,  als 
die  vorausgegangenen ;  der  Illustrationsschmuck  ist  auf  der  alten  Höhe 
geblieben;  ich  mache  nur  aufmerksam  auf  die  archäologische  Karte 
des  Südwestens  des  Gouvernement  Wilno  und  Specialkarten  dazu  (ein- 
zelner Gegenden),  alles  dank  dem  unermüdlichen  Eifer  von  Wand. 
Szukiewiez;  auf  Einzeluheiten,  Gräberfunde  u.  dgl.  kann  hier  nicht 
eingegangen  werden.  Von  den  Materiaiy  der  Krakauer  Akademie  und 
ihrer  anthropologischen  Kommission  ist  der  V.  Bd.  erschienen  (Krakau 
1901,  IX,  93  und  272  Seiten):  sein  Ilaupttheil  umfasst  schlesische 
Märchen,  aus  den  Aufzeichnungen  von  L.Malinowski  herausgegeben 
von  E.  Zawilinski,  mit  einem  reichlichen  Index  zu  diesem  sehr  in- 
teressanten und  zuverlässigen  Material,  das  eine  wesentliche  Erweite- 
rung unseres  dialektischen  Wissens  bedeutet.  Eine  andere  wichtige 
Publikation  ist  die  des  weissrussischen,  von  Michal  Federowski  fast 
ein  Vierteljahrhuudert  gesammelten  Folklore,  von  dem  jetzt  der  zweite 
Band  erschienen  ist:  Lud  bialoruski  na  Rusi  litewskiej,  materyaly  do 
etnografii  slowianskiej  zgromadzone  w  latach  1877 — 1893  (dann  bis 
1900  fortgesetzt),  Krakau  1902,  XXXII  und  359  S.  80.  Die  Sammlungen 
von  Federowski  sind  ungleich  reichhaltiger,  instruktiver,  genauer, 
namentlich  auch  in  phonetischer  Hinsicht,  was  in  der  grazdanka  nur 
parodirt,  nicht  wiedergegeben  werden  kann,  als  alle  vorausgegangenen, 
des  Szein,  Romanov,  Dmitriev  u.  a. ;  der  Band  enthält  410  Nummern, 
Fabeln  (Thierfabeln  und  Märchen,  sowie  Sagen  (Teufel,  Hexen  etc.); 
die  Gegenden  sind  die  westlichen  des  Sprachgebietes  (Groduo,  Nowo- 
grodek,  Lida,  Sluck) ;  die  Einleitung  bietet  phonetische  Angaben,  über 
das  akanie  und  sein  Schwinden,  über  die  sakaiy  (die  sa  statt  sia  im 
Pieflexivum  sprechen'  und  wie  auch  diese  »rohe«  Aussprache  zurück- 
tritt U.S.W.  Ich  muss  gestehen,  erst  auf  Grund  dieses  Textes  ein  klares 
Bild  vom  weissrussischen  gewonnen  zu  haben  und  lebhaft  bedauere  ich, 
dass  ich  über  solches  Material  bei  meinen  lituslavischen  Studien  nicht 
verfügen  konnte:  wie  weit  bleibt  Nosovicz  zurück!  die  Stoffe  selbst  sind 
die  gewöhnlichen,  original  mitunter  die  Ausdrucksweise,  Polonismen 
s>ind  nicht  selten.  Auf  den  Inhalt  der  ethnographischen  Zeitschriften, 
der  Warschauer  Wisla  wie  des  Lemberger  Lud  kann  ich  nicht  mehr 
eingehen;  beide  gedeihen,  die  Wisla  widmet  jetzt  ganze  Hefte  bestimm- 
ten Gegenden, -z.  B.  dem  Lubliner  Lande  u.  dgl,;  der  Lud  pflegt  galizi- 
schen  Folklore  im  weitesten  Sinne  des  Wortes,  von  den  ältesten  Siedelungs- 
verhältnissen  in  der  Zips    nach  den  archivalischen  Forschungen  von 


100  A.  Brückner, 

Guraplowicz)  bis  zur  Lemberger  Gaunersprache  und  Miszellen  aus  alten 
Handschriften,  polnisches,  ruthenisches,  jüdisches  Material  in  bunter 
Abwechslung.  Aber  wegen  des  Aufsatzes  von  Landau  über  die  pol- 
nische Gaunersprache  (Archiv  XXIV,  137  ff.)  sei  eines  interessanten 
Beitrages  von  St.  Görka  in  der  Wishi  XV,  S.  1 — 7  über  die  Sprache 
der  ochwesnicy  (Heiligenbilderverkäuferj  aus  Skulsk  (Kgr.  Polen,  an 
der  preussischen  Grenze)  gedacht,  es  zeigt  sich,  wie  verbreitet  die  Aus- 
drücke dieser  Geheimsprache  sind ;  der  Verfasser  ahnte  nicht,  worum 
es  sich  dabei  handelte,  er  hat  mit  grosser  Mühe  ein  Wörterbüchlein  der 
ochwesnicy  zusammengestellt  und  wir  finden  sofort  die  guten  Bekannten 
wieder,  als  da  sind  huty -iopuchy;  ])iwo -tvofowka  (vgl,  olöwek  Lan- 
dau 142);  pan,  panna-^a5r^/("7^,  gabrij&zka  [gawriik^  gawruczka 
Landau  142),  vgl.  karyga  Mädchen,  karyzka  Tochter ? ;  okno,  oczy, 
patrzec-Zz^Ä'o,  Upld^  lipowac  [lipka  Landau  142);  ziodziej  anchus 
(Landau  141);  kupic,  sprzedac- o^m/Zc,  przepulic  (Landau  141  pula) ; 
czapka-^'amozüa,  haniola  (Landau  146);  mijac  haben  [miniac  Landau 
149),  vgl.  w^m/.•^  Hände ;  gatvör  Hof,  Haus  (vgl,  haicira  Haus,  Landau 
1 39) ;  Ä/rsyc  trinken,  Kra  Branntwein  (Landau  148) ;  mikry  klein  ;  klawy 
hübsch ;  kimac  schlafen ;  maniata  Hemd ;  skiei  Hund  [skiia  Landau) ; 
siwrac  verstehen  (sprechen  Landau) ;  grypsac  schreiben ;  kopsowac 
schlagen  [kohzac  Landau);  simier  Brod;  stygi  Rosen  (Landau  142); 
maköwa  Kopf  {maköivka  Landau).  Sonst  bringt  der  XV.  Jahrgang 
(1901,  X  und  796  S.)  ausser  Uebersetzungen  aus  Rhamm  (slavischer 
Speicher),  Kral  (Mythologie)  u.s.w.  Aufsätze  über  die  Lebakaschuben 
von  Smolski,  von  dem  Herausgeber  selbst  über  die  Biene  und  ihre  Rolle 
im  Folklore,  Märchen  und  Lieder  aus  verschiedenen  Gegenden,  den  Text 
eines  Krippenspieles  (Betlejki)  aus  dem  Wilno'schen  u.  s.  w.  —  zahl- 
reiche niustrationen  erhöhen  den  Werth  der  Beiträge.  Der  Lud  ist 
kleiner  und  ungleich  einfacher  ausgestattet;  der  VH. Band  (IV  u.  340  S.) 
enthält  S.  276 — 281  einen  Aufsatz  von  Jul.  Jaworskij  »Kumac  po 
Lembersku(f,  wieder  zur  Gaunersprache,  der  ausser  Kurka  u.  a.  auch 
die  Aufzeichnungen  des  Ks.  Henr.  Felsztynski  verwerthet,  der  die 
Gaunersprache  noch  jezyk  bosanski  von  dem  »Warschauer  Banditen 
Bosana«  (!!  heute  ist  der  Ausdruck  bereits  unbekannt)  nennt;  auch  aus 
den  Aufzeichnungen  von  Jaworskij  ergaben  sichUebereinstimmungen  mit 
der  Skulsker  Geheimsprache,  z.  B.  Jude  gudlaj  [kudiaj  YQUziyii^^)), 
dziaknac  geben,  dolina  Tasche  u.  a.,  mit  truja  Lippen  vgl.  truc 
trinken. 


Polonica. 


101 


Das  ist  ungefähr  die  Ausbeute  eines  Jahres ;  historische  Publika- 
tionen, die  mit  litterar-  und  kulturhistorischen  sich  vielfach  begegnen 
oder  berühren ,  sind  hierbei  gar  nicht  berücksichtigt  worden  ;  auch 
das  genannte  veranschaulicht  zur  Genüge  das  lebhafte  Tempo,  die 
neue  Richtung,  welche  polnische  Sprach-  und  Litteraturforschung  ein- 
geschlagen haben. 

A.  Brüchler. 


Die  Legende  von  der  Yision  Amplii log's  und  der 
^oyoQ  iGTOQrAOQ  des  Gregorios  Dekapolites. 


Ich  habe  bereits  an  einer 
anderen  Stelle,  in  den  Arbeiten 
des  dritten  archäolog.  Congresses 
in  Russland  11,8.  238  flf.  auf  eine 
allem  Anscheine  nach  aus  dem 
Griechischen  übersetzte  Legende 
aufmerksam  gemacht,  die  in  kir- 
chenslavischen  Handschriften  un- 
ter dem  nicht  ganz  zutreffenden 
Titel  eines  »CKasame  Ainwi.iora 
itapA  w  cBATifi  jiHToypViH(=  Er- 
zählung des  Königs  Amphilog  von 
der  heil.  Liturgie)«  umgeht  und 
in  Kürze  den  folgenden  Inhalt 
hat:  Ein  sarazenischer  Prinz,  der 
später,  als  er  christlicher  Mönch 
geworden  war,  den  Namen  Am- 
philog erhielt,  kam  auf  dem 
Wege  zu  seinem  Bruder,  der  Herrscher  der  Sarazenen  war  und  an- 
geblich Klikanetz  hiess,  nach  Jerusalem,  An  einer  der  hier  zahl- 
reich vorhandenen  christlichen  Kirchen  (ihr  Name  ist  nicht  genannt) 
vorbeireitend,  hielt  er  an  und  Hess  den  Priester  derselben  zu  sich 


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]  02  Kaluzaiacki, 

bescheiden.  Als  dieser  jedoch,  da  er  eben  daran  war,  die  Liturgie 
zu  beginnen,  dem  Wunsche  nachzukommen  sich  weigerte,  drang  Am- 
philog  mit  seinem  Gefolge  in  das  Innere  der  Kirche  ein  und  Hess  trotz 
der  Warnung  des  Priesters  auch  die  Kameele  hineinführen.  Im  selben 
Augenblicke,  da  dies  geschehen  war,  stürzten  die  Thiere  todt  zusam- 
men. Durch  dieses  Wunder  einigermassen  stutzig  gemacht,  verblieb 
der  Prinz  dennoch  in  der  Kirche,  um  sich,  wie  er  sagte,  den  christlichen 
Gottesdienst  anzuschauen.  Und,  siehe  da,  er  hatte  aus  diesem  Anlasse 
eine  Anzahl  von  Visionen,  von  denen  die  eine  wundersamer  war  als  die 
andere.  Schon  bei  dem  Acte  der  Proskomidie  kam  es  ihm  vor,  als 
würde  der  Priester,  rings  von  bewaffneten  Eugelschaaren  umgeben, 
statt  der  Prosphore  ein  lebendes  Kind  mit  dem  Messer  durchbohren, 
so  dass  Blut  und  Wasser  herausrannen.  Und  als  hierauf  die  Liturgie 
selbst  begann,  und  der  Priester  die  Worte:  «Segne,  o  Herr(f,  sprach, 
da  verwandelte  sich  die  Kirche  in  den  Augen  Amphilog's  in  Eis 
und  der  Altar  in  einen  Flammenheerd,  während  gleichzeitig  weitere 
Engelschaaren,  auch  die  Erzengel  Michael  und  Gabriel,  erschienen,  um 
sich  an  der  heiligen  Handlung  so  oder  anders  zu  betheiligen.  So  nah- 
men sie,  als  das  Evangelium  vorgelesen  wurde,  die  einzelnen  Worte 
desselben  aus  dem  Munde  des  Priesters  in  Empfang  und  trugen  sie 
unter  Lobpreisungen  zum  Himmel  empor.  Bei  den  Worten  des  Priesters : 
«So  ihr  Katechumenen  seid,  gehet  hinaus«,  führten  sie  die  also  Apostro- 
phirten  zur  Kirche  hinaus,  so  dass  darinnen  nur  die  Rechtschaffenen 
zurückblieben  u.  s.  w.  Doch  das  Wunderbarste  sollte  erst  folgen.  Bei 
den  Worten  des  Priesters:  «Bezeugen  wir  Liebe  einander«,  sah  Am- 
philog  Christum  und  die  12  Apostel,  bei  den  Worten:  »Stehen  wir  ge- 
ziemend, stehen  wir  mit  Ehrfurcht«  den  heil.  Geist  und  bei  den  Worten: 
»Den  Siegeshymnus  anstimmend«  Gott  den  Vater  im  Altarraume  er- 
scheinen. Dann  war  die  Liturgie  zu  Ende,  und  der  Priester  schritt, 
einem  in  der  orientalischen  Kirche  bestehenden  Brauche  Rechnung 
tragend,  zur  Vertheilung  der  nicht  verbrauchten  Reste  der  Prosphore. 
Ein  Stück  davon  trug  er  auch  Amphilog  an,  allein  dieser,  noch  ganz 
unter  dem  Einflüsse  der  an  erster  Stelle  geschilderten  Vision  stehend, 
wies  die  Zumuthung  erzürnt  mit  den  Worten  zurück:  »Habe  ich  doch. 
Elender,  genau  gesehen,  dass  du  nicht  dieses  Brod,  sondern  ein  von  dir 
erstochenes  Kind  dargebracht  hast«.  Und  als  der  Priester  betheuerte, 
hievon  nichts  zu  wissen,  wiederholte  Amphilog  noch  einmal:  «Ich 
habe  gesehen,  wie  du  ein  Kind  erstochen  hast«.     Erstaunt  darüber. 


Die  Legende  von  der  Vision  Amphilog's  etc.  103 

meinte  nun  der  Priester,  dass  ein  derartiges  Wunder  selbst  so  heilige 
Männer,  wie  Gregorios  und  Basilios,  nicht  gesehen  hätten.  Daraufhin 
bat  Ampliilog  den  Priester,  dass  er  ihn  taufen  möge.  Allein  dieser  hatte, 
mit  Kücksicht  wohl  auf  die  hohe  Stellung  des  zu  Taufenden,  nicht  den 
Muth  dazu  und  führte  ihn  zum  Patriarchen.  Der  Letztere  willfahrte 
ohne  Anstand  seinem  Wunsche  und  ertheilte  ihm,  auf  sein  weiteres  Be- 
gehren hin,  die  Mönchstonsur.  Und  als  der  Bekehrte  frug,  was  er  thun 
solle,  um  sich  das  Seelenheil  zu  sichern,  rieth  ihm  der  Patriarch,  auch 
Klikanetz  für  den  christlichen  Glauben  zu  gewinnen  versuchen.  Er  war 
sofort  bereit  dazu,  bestieg  ein  Eselein  und  kam,  mit  dem  Gewände  eines 
christlichen  Mönches  angethan,  an  den  Hof  des  Bruders.  Begreiflicher 
Weise  war  dieser  zunächst  sehr  aufgebracht  darüber,  verlangte  aber  so- 
dann, als  er  die  näheren  Umstände  erfuhr,  unter  denen  Amphilog 
Christ  geworden  war,  selbst  getauft  zu  werden.  Dies  geschah,  und  nun 
machten  sie  sich  gemeinsam  daran,  für  den  christlichen  Glauben  weitere 
Anhänger  zu  werben.  Schon  hatten  sie  80  Proselyten  gemacht,  als  die 
aufgebrachten  Sarazenen  sich  erhoben  und  die  beiden  Brüder  sammt 
allen  ihren  Anhängern  erschlugen. 

An  diese,  in  ihrer  Art  nicht  uninteressante,  von  mir  jedoch  im 
Laufe  der  Jahre,  die  seit  dem  Erscheinen  obiger  Notiz  versti'icheu 
waren,  fast  schon  vergessene  Erzählung  nun  wurde  ich  dieser  Tage 
durch  einen  Zufall  von  Neuem  erinnert.  Mit  der  Durchsicht  des  dritten 
Bandes  der  Acta  SS.  für  den  Monat  April  beschäftigt,  habe  ich  hier- 
selbst,  S.  XLII — XLIV,  einen  aus  der  editio  princeps  des  Carmeliter- 
mönches  Fr.Isidorus  vom  J.  1642  reproducirten  Artikel  i)  gefunden,  der 
tV'lgendermassen  tiberschrieben  ist:  ylöyo^  loTOQiy.bg  r^rjogiov  tov 
Iv/xircoKlxov^  Tiüvv  to(fi'kL\.i()C,  '/Ml  yKv'AVxuTOQ,  '/.uxu  7to)J.a^  tisqI 
djTTaaiag,  fjv  rig  ^aQQaxrjvög  ttote  iöiov,  ItiLgtevoe^  iiaQvvQi^aag 
öia  TOV  KvQiov  ruCov  'Ir^aoiiv  Xqlötoi'.  Ein  Blick  genügte,  um  inne 
zu  werden,  dass  zwischen  diesem  Artikel  und  der  Legende  von  der  Vision 
Amphilog's  augenfällige  Beziehungen  bestehen.  Wie  hier,  so  erscheint 
factisch  auch  in  dem  soeben  genannten  Werkchen  des  Gregorios  Deka- 
polites  (7  um  817)  als  der  Held  der  Erzählung  ein  sarazenischer  Notable, 
der  in  seinem  Hochmuthe  in  die  St.  Georgskirche  zu  Alkarem,  einer 
Stadt  in  Thebais,  Kameele  hineinführte,  dafür  jedoch  durch  den  plötz- 
lichen Tod  derselben  bestraft  wurde.    Dann  wohnte  er  dem  christlichen 


1)  Ein  weiterer,  nach  der  nämlichen  Ausgabe  veranstalteter  Abdruck 
ist  in  Migne's  Patrol.  gr.,  Bd.  100,  S.  1201—1212  zu  finden. 


104 


Kaluzniacki, 


Gottesdienste  bei  und  hatte  bei  der  Gelegenheit  eine  Vision,  unter  deren 
Einfluss  er  zu  bemerken  glaubte,  dass  der  functionirende  Priester  statt 
der  Prosphore  ein  lebendes  Kind  in  die  Hand  nahm,  es  erstach,  das 
Blut  in  den  Kelch  ablaufen  Hess,  den  Körper  in  Stücke  riss  und  die 
Theile  auf  den  Diskos  oder  die  Kelchplatte  legte.  Und  als  sodann  die 
Zeit  der  Communion  kam,  da  sah  er,  wie  der  Priester  und  die  Gläubigen 
von  dem  Leibe  des  Kindes  assen  und  von  dem  Blute  desselben  tranken. 
In  höchster  Aufregung  darüber  stellte  er  daher  den  Priester,  als  er  ihm 
nach  beendetem  Gottesdienst  das  Antidoron  tiberreichen  wollte,  wegen 
seiner  vermeintlichen  Brutalität  zur  ßede,  doch  dieser  erklärte  ihm  den 
wahren  Sinn  des  Wunders,  und  der  Sarazene  beschloss,  selber  Christ  zu 
werden.  Er  verlangte  sogar  auf  der  Stelle  getauft  zu  werden,  aber  de: 
Priester,  der  nicht  mit  Unrecht  die  Rache  der  Sarazenen  fürchtete,  riet' 
ihm,  in  das  Kloster  auf  dem  Berge  Sinai  zu  gehen  und  seinen  Wunsch 
dem  zu  jener  Zeit  dort  weilenden  Bischof  bekannt  zu  geben.  Der  Sa- 
razene gehorchte  und  empfing  vom  besagten  Bischof  zunächst  die  Taufe 
und  bald  darauf,  unter  dem  Namen  des  Pachumios,  auch  die  Mönchs- 
tonsur. Nach  einiger  Zeit  kam  er  jedoch  abermals  zu  jenem  Priester 
und  bat  ihn,  ihm  zu  sagen,  was  er  thun  solle,  um  Christum  zu  sehen. 
Der  Priester  rieth  ihm,  zu  seinem  Onkel,  dem  Emir  von  Syrien,  zu 
gehen  und  auch  diesen  zum  christlichen  Glauben  zu  bekehren  versuchen. 
Allein  der  Emir  wollte  von  einem  Religionswechsel  nichts  wissen,  und 
die  Mission  des  Pachumios  endete  damit,  dass  er  von  den  in  ihren  reli- 
giösen Gefühlen  verletzten  Sarazenen  gesteinigt  wurde. 

Es  ist  sonach  evident,  dass,  sofern  der  Inhalt  in  Betracht  kommt, 
der  ^öyog  laT0Qr/.6g  des  Gregorios  Dekapolites  mit  der  Legende  von 
der  Vision  Amphilog's  in  einer  Weise  übereinstimmt,  die  man  unbe- 
denklich als  eine  durchgreifende  bezeichnen  darf.  Hie  und  da  begegnen 
sich  aber  die  beiden  Erzählungen  auch  in  Bezug  auf  Redewendungen 
und  stilistischen  Ausdruck.  Bezeichend  ist  in  dieser  Hinsicht  namentlich 
die  folgende  Stelle: 


n      j 

m 

hl 


Amphiloglegende. 

CKOH^iiaB     JKB    non    CBATnuh    JIH- 

ToypViÄ,  H  npHHeee  eMoy  npo- 
e*oypoy  h  pe^ie :  B'Ls'iMH,  i^apio. 
Pe^e  eMoy  ii,apt :  'Bvijy&x  ta, 
UKaaHHB,  yiiJi  ecH  cjioyyKH.i,  mko 


udöyog  iGTOQiyiög. 
MsTtc  ovv  xriv  GV(X7tkriqo)GLV 
Tijg  d-eicig  XeivovQyiag,  fiereöioy.s 
zbv  avTiöioQov  6  uQevg  Ttccat  rolg 
XQLGt Lavolg  .  .  .,  '/.al  ex  de  rüv 
y.aDuGtevovGCov   rov  ccqtov   ös- 


Die  Legende  von  der  Vision  Amphilog's  etc. 


105 


Ä^THme  ecH  3api3a.T.  Wn  ace 
pe^e:  HicTt,  i^apoy,  eate  xti 
rjarojeinH;  eate  th  ecMB  npn- 
HecJiB,  TiMb  ecMt  e.Toya^Hjn.. 
Pe^e  a:e  Aii^^njorL :  Asl  bha^x 
TA,  HKO  A'STnuu.e  3api3a.i  eeii. 
Peie  2ce  kx  HeMoy  iepeil:  Tano- 
Baro  yK);i,a  imKToace  ne  Bnji,  hii 


(5w/.€  /Ml  Tcp  ^aQoa/.r^vcp.  '0  de 
Ecpi]  rf]  JiQCißiüv  (fojvfj'  Ti  Igtl 
TOVTo;  '0  dt  IsQSvg  tcpr^-  Kvois, 
i/.  xov  cxQTOV^  ov  kkeiT0VQyi]Ou- 
u£v.  '0  de  ^aoQay.t^vbg  e(fr^  i.iera 
doyr^g-  'E/.  rovtiov  IkeLTOvoyr- 
aag,  v.vov^  uiage,  cr/.ccd-aQTe  y.cu 
(fovev;     Ol'/,  döov  oe  tyi'j ,  ort 


CBATBii'i  Tvxei^t  Baen.iiil  iin  Fpii-  Ttaidiop  £?.aßeg  v.ut  eaffcc^ag  ...; 
ropiil,  eroace  tbi,  i;apio,  Bnßf^Ji.  '0  de  legevg  tovto  u/.ovGag  1^- 
Pe^ie  e.Moy  i];apB :  uTqe,  Kpecxn  >iä  |  tar/;  Keyiov    KvQie^   lyvj  uaaq- 


vh  HB,  eace  ecn  eMoy  cioyacHj. 
Pe^e  eMoy  iepefi:  He  cMirt»,  njapio, 
HA  noH;tiBa  k-b  naTpiap'xoy  etc. 


TcoXog  Tvyyßvco^  y.al  ov  dvvauai 

idelV  TOIOVTO   (.tVGT)]QLOV   .  .  .    Ol 

yccQ  (.leyähoL  yml  ■9-avuaGvoi  Tca- 
riqeg^  oi  rf^g  e/./.li]Giag  ffcjGzfj- 
Qeg  y.al  didccGy.a/.oi,  olog  rjv  b 
^£G7teGiog  f-ieyag  BaoHeLog^  y.al 
6  äoidLf.iog  XQVG6GTO!.iog,  y.al  b 
S-eolöyog  Fgr^ydoiog,  tovto  to 
(poßsQOV  y.al  (pqiy.Tov  {.ivgt^qlov 
ov/.  eßXeTtov ...  "^0  de.  laqüa/.r- 
vbg  Ttut.iv  i(p^]'  /leouaL  gov,  7tä- 

T£Q,  ßärCTLGTÖV   U£.    "^0    dh  l£Q£Vg 

k£ycov'  Mi]  yivoLTO'  iyvj  ov  dv- 
vauai  Ttoif^Gai  tolovtov  eqyov 
etc. 

Selbstredend  ist  mit  der  Feststellung  dieser  Uebereinstimmungen 
die  uns  hier  beschäftigende  Angelegenheit  keineswegs  als  erledigt  zu 
betrachten.  Denn,  da  Uebereinstimmungen,  wie  die  soeben  erwähnten, 
nur  eine  Folge  des  ümstandes  sein  können,  dass  eine  der  beiden  Er- 
zählungen das  Muster,  die  andere  deren  Nachbildung  war,  so  tritt  an 
uns  nunmehr  die  Verpflichtung  heran,  zu  bestimmen,  welcher  von  ihnen 
die  erstere  und  welcher  die  andere  Function  zufalle.  Da  Jerusalem  be- 
reits im  J.  637  in  die  Hände  der  Araber  fiel,  so  Hesse  sich  an  und  für 
sich  allerdings  recht  gut  die  Möglichkeit  denken,  dass  besagte  Legende 
älter  und  implicite  also  auch  ursprünglicher  sei,  als  der  thatsächlich 
erst  zwischen  770  und  817  entstandene  ylöyog.  Bei  näherer  Prüfung 
zeigt  es  sich  indess,  dass  die  grössere  Wahrscheinlichkeit,  als  Muster 


106  Katuzniacki, 

gedient  zu  haben,  auf  Seiten  des  Werkchens  des  Gregorios  Dekapolites 
ist.  Schon  die  darin  enthaltene  ausdrückliche  Bemerkung  des  Verfassers, 
dass  er  die  von  ihm  in  seinem  ^iöyog  erzählte  Begebenheit  aus  dem 
Munde  eines  Insassen  der  Stadt  Alkarem.  des  Strategen  Nikolaos  mit 
dem  Beinamen  Julas,  gehört  habe,  weist  die  Benutzung  der  Legende 
von  der  Vision  Amphilog's  mit  einer  Entschiedenheit  ab,  dass  man,  um 
zur  gegentheiligen  Ansicht  zu  gelangen,  höchstens  annehmen  müsste, 
Gregorios  D.  habe  eine  bewusste  Unwahrheit  vorgebracht.  Nachdem 
jedoch  für  eine  derartige  Annahme  kein  zwingender  Grund  vorliegt,  so 
bleibt  angesichts  der  im  ^/löyog  vergleichsweise  mit  der  Legende  von 
der  Vision  Amphilog's  wahrnehmbaren  Identität  der  epischeu  Motive 
wie  stellenweise  auch  der  Darstellung  nur  die  Eventualität  übrig,  dass 
die  erstere  dieser  Erzählungen  das  Muster,  die  andere  deren  Nach- 
bildung war.  In  Betracht  kommt  übrigens  die  nachstehende  Erwägung. 
Wie  aus  dem  von  mir  im  Eingange  zu  dieser  Untersuchung  dargelegten 
Inhalte  der  Amphiloglegende  zu  ersehen  ist,  wurden  in  dieselbe  ausser 
der  auch  dem  vlöyoQ,  des  Gregorios  D.  eigenthümlichen  noch  zahlreiche 
andere  Visionen  aufgenommen,  als  deren  charakteristisches  Merkmal 
die  Tendenz  erscheint,  die  christliche  Liturgie  als  etwas  derart  Hohes 
und  Weihevolles  hinzustellen,  dass  es  selbst  die  himmlischen  Mächte 
nicht  verschmähen,  in  mystischer  Weise  daran  theilzunehmen.  Wäre 
nun  die  Amphiloglegende  älter  als  der  ^öyog,  so  würde  bei  der  unleug- 
baren Anziehungskraft  gerade  der  Visionen  der  letzteren  Art  Gregorios 
D.  kaum  unterlassen  haben,  sich  ihrer  in  irgend  einer  Weise  zu  bedienen. 
Nachdem  er  dies  nicht  gethan  hat,  so  kann  der  Grund  dieser  Erschei- 
nung lediglich  der  sein,  dass  zu  der  Zeit,  als  Gregorios  D.  seinen  ^öyog 
schrieb,  die  Amphiloglegende  noch  nicht  vorhanden  war. 

Alles  in  Allem  genommen,  halte  ich  also  dafür,  dass  nicht  der 
^öyoQ  durch  die  Amphiloglegende,  sondern  dass  umgekehrt  diese 
letztere  Schrift  durch  die  erstere  beeinflusst  wurde.  Im  Besonderen 
äusserte  sich  aber  die  gegenseitige  Beeinflussung  in  folgenden  Punkten : 
1.  in  der  Beibehaltung  des  von  Gregorios  D.  geschaffenen  litterarischen 
Rahmens  1);  2.  in  der  Beibehaltung  der  darin  zur  Anwendung  gebrach- 


1)  In  dieser  letzteren  Hinsicht  ist  namentlich  der  folgende  Umstand  von 
Belang.  Wie  bereits  hervorgehoben  wurde,  unterscheidet  sich  die  Amphilog- 
legende in  ihrem  ersten  Theil  von  dem  ASyog  des  Gregorios  D.  vornehmlich 
dadurch,  dass  sie  ausser  der  auch  dieser  Schrift  eigenthümlichen  noch  eine 
ganze  Fülle  weiterer  Visionen  vorführt.    Ungeachtet  dessen  vollzieht  sich 


Die  Legende  von  der  Vision  Amphilog's  etc.  107 

ten  epischen  Motive,  so  dass  nach  dieser  letzteren  Richtung  hin  die 
beiden  Erzeugnisse  sich  factisch  wie  zwei  nur  wenig  modificirte  Be- 
arbeitungen eines  und  desselben  Erzählungsstoffes  verhalten;  3.  in  der 
Beibehaltung  einzelner  charakteristischer  Redewendungen  und  Ge- 
dankenreihen 1).  Uebrigeus  auch  das  der  Amphiloglegende  zu  Grunde 
liegende  mystisch-religiöse  Motiv  ist  in  Wirklichkeit  durch  die  be- 
treffende Partie  des  ^löyog  des  Gregorios  D.  angeregt,  nur  daas  es  in 
der  Amphiloglegende  eine  weit  über  den  ursprünglichen  Rahmen  hinaus- 
gehende Ausgestaltung  erfuhr. 

Obschon  ich  aber,  wie  aus  dem  Gesagten  ersichtlich  ist,  die  Le- 
gende von  der  Vision  Amphilog's  für  eine  blosse  Nachbildung  des 
A6)'0i  ioTOQr/.ög  des  Gregorios  D.  halte,  so  muss  ich  den  Thatsachen 
gemäss  constatiren,  dass  auf  dem  Gebiete  speciell  der  kirchenslavischen 
Litteratur  die  erstere  Schrift  eine  ungleich  grössere  Bedeutung  erlangte, 
als  die  letztere.  Denn  während  die  zuletztgenauute  Schrift  in  der 
kirchenslavischen  Litteratur  nicht  einmal  dem  Namen  nach  bekannt  ge- 
wesen zu  sein  scheint,  ist  jene,  d.  i.  die  Legende  von  der  Vision  Am- 
philog's, nicht  nur  in  einer  älteren  kirchenslavischen  Uebersetzung  vor- 
handen, sondern  sie  hat,  wie  ich  dies  bereits  in  meiner,  in  den  Arbeiten 
des  dritten  archäologischen  Congresses  in  Russland  a.  a.  0.  enthaltenen 
diesbezüglichen  Notiz  plausibel  zu  machen  versuchte,  allem  Anscheine 
nach  auch  auf  ein  so  interessantes  kirchenhistorisches  Document,  wie  es 
das  Sendschreiben  des  Erzbischofs  von  Rostov  Vassian  IL  (f  1515)  au 
den  päpstlichen  Legaten  Nikolaus  Schomberg  eines  ist,  anregend  und 
befruchtend  gewirkt.  Oder  sollte  die  üebereinstimmung,  die  zwischen 
der  betreffenden  Partie  der  Amphiloglegende  und  der  Behauptung 
Vassian's  besteht,  dass  in  gewissen  Momenten  der  christlich-orthodoxen 
Liturgie  ganze  Schaaren  von  Engeln  in  der  Kirche  erscheinen,  um  an 
den  Mysterien  der  heiligen  Handlung  theilzunehmen,  eine  rein  zu- 
ßlllige  sein? 

Zu  den  Erzeugnissen  der  kirchenslavischen  Litteratur,  in  denen 
sich  die  Bekanntschaft  mit  der  Amphiloglegende  kundgibt,  gehört  aber 


das  Gespräch,  das  Priester  und  Sarazene  nach  beendigtem  Gottesdienst  an- 
knüpfen, in  der  Amphiloglegende  genau  wie  im  ylöyo;  auf  Grund  lediglich 
der  Vision  von  der  Verwandlung  der  Prosphore  in  ein  Kind  und  zeigt  es, 
obigen  Excerpten  zufolge,  stellenweise  auch  die  gleiche  Stilisirung. 

1)  Vgl.  diesbezüglich  speciell  das  auf  S.  104—105  dieser  Abhandlung  ab- 
gedruckte Excerpt. 


108  Kaluzniacki,  Die  Legende  von  der  Vision  Amphilog's  etc. 

ferner  auch  das  Werk  des  Joannikij  Galatovskij,  das  unter  dem  Titel: 
Heöo  HOBoe,  3  iiobbimh  SB-fesAaMii  coTBopeiiiioe  etc.  in  der  Druckerei  des 
Michael  Sliozka,  Lemberg  1665,  erschien.  In  diesem  Werke, -nJas  der 
Darstellung  der  verschiedenen,  durch  die  Mutter  Gottes  an  Christen  wie 
an  Heiden  bewirkten  Wunder  gewidmet  ist,  wird  nämlich  als  Beleg  für 
die  letzteren  auf  Bl.  52^ — 53*^  thatsächlich  auch  die  erwähnte  Legende 
vorgeführt.  Allerdings  musste  sie,  um  dem  von  Galatovskij  angestrebten 
Zwecke  zu  genügen,  vorerst  entsprechend  zugestutzt  werden.  Dies  ge- 
schah in  der  Weise,  dass  von  den  auf  die  Liturgie  bezüglichen  Visionen 
Amphilog's  nur  diejenigen  herangezogen  wurden,  die  sich  an  die  Phrase: 
IIpeyHeTsio,  yncTsK)  ii  npeöjiaroc.iOBeHHsio  cjiaBHsH)  B.iaAti^ims  iiams 
6oropo;i;iii];5>  etc.,  sowie  an  die  Phrase  :  Il3pÄ;i;Hie  w  npecBATiS,  iihctoii, 
npeöjrarocjroBeiiHoii,  c.iaBHofi  B.7ia;i,Liyiii];n  Hamen  öoropo;],iii];H  etc.  knüp- 
fen und  besagen,  dass  bei  Verkündigung  der  ersteren  der  beiden  Phrasen 
Amphilog  zu  bemerken  glaubte,  wie  unzählige  Engeischaaren  mit  zum 
Himmel  erhobenen  Händen  für  die  gesammte  Christenheit  beteten,  und 
bei  Verkündigung  der  anderen,  wie  sich  den  Seelen,  die  in  der  Finster- 
niss  weilen,  die  Pforten  derselben  aufthaten.  Indem  nun  Galatovskij 
diesen  Visionen  die  Auslegung  gab,  dass  sie  durch  die  wunderthätige 
Kraft  speciell  der  Mutter  Gottes  bewirkt  wurden,  glaubte  er  genügende 
Veranlassung  zu  haben,  um  sie  unter  Zuziehung  auch  der  wesentlichsten 
Bestandtheile  der  Erzählung  als  solcher  in  sein  Buch  aufzunehmen. 

Kaiuzniacki. 


109 


Cyrillische  Ligatursclirift. 


/J 


^^.e^^^fc^-^^^i^ 


Die  slavische  Cyrillica  be- 
sitzt einen  besonderen  kalligra- 
phischen Stil,  welcher  für  Kunst- 
zwecke angewendet  und  nach 
einem  seiner  Merkmale  schlecht- 
weg Ligaturschrift  (russisch 
BasL)  benannt  wird.  Die  Ge- 
schichte dieser  Schreibart  bildet 
ein  unzertrennbares  Ganzes,  so 
dass  wir  keinen  Grund  haben, 
den  Namen  Ligaturschrift  auf 
ihre  letzten,  complicirteren  Pha- 
sen zu  beschränken.  Wir  fassen 
unter  diesem  Xamen  die  ganze 
Entwickelung  zusammen,  defini- 
ren  aber  iinsere  kalligraphische 
Schrift  nicht  nach  ihrem  Aus- 
sehen, sondern  nach  ihrem  Ziele : 
die  cyrillische  Ligaturschrift  hat  den  Zweck,  eine  Zeile  zu  einem  fort- 
Ijiufenden  Ornament  zu  verbinden.  Der  hergebrachte  Name  Ligatur- 
schrift, in  einem  weiteren  Sinne  verstanden,  passt  ganz  gut  dazu  und  darf 
daher  bleiben.  Die  Mittel,  die  zum  genannten  Ziele  führen,  sind  Ver- 
kürzungen und  Verzierungen.  Die  ersteren  müssen  dem  Kalligraphen 
immer  zur  Hand  sein,  er  ist  aber  keineswegs  gezwungen,  diese  immer 
zu  brauchen :  sie  bilden  sozusagen  eine  vis  latens  seiner  Kunst.  Das- 
>elbe  gilt  auch  von  den  Verzierungen:  diese  dienen  dazu,  Lacunen  aus- 
zufüllen, welche  sich  nur  gelegentlich  einstellen.  Es  kann  Zeilen  geben 
—  namentlich  in  der  älteren  Periode  —  die  weder  namhafte  Verkür- 
zungen noch  Verzierungen  aufweisen  und  dennoch  das  Ziel  eines  conti- 
uuiilichen  Bandornaraents  erreichen. 

Die  Ligaturschrift  erscheint  in  Handschriften,  auf  Wand-  und 
Brettmalerei,  auf  Holz-  und  Metallgeräth,  auf  Grabsteinen.  Den  Inhalt 
^ 'Icher  Schmuckzeilen  bildet  ein  Gebet,  ein  Spruch,  eine  Inschrift  in 


j  10  ^-  Stschepkin, 

memoriam  oder  —  namentlich  bei  einem  Schriftdenkmal  —  der  Titel 
des  Gegenstandes.  Es  ist  also  der  Umfang  der  Zeile  meistentheils  im 
Voraus  bestimmt  und  die  Aufgabe  besteht  darin,  eine  gegebene  Buch- 
stabenzahl auf  einem  gegebenen  Längenmasse  —  schön  und  zusammen- 
hängend zu  ordnen.  Ist  die  Buchstabenzahl  gross  und  der  Raum  klein, 
so  greift  man  zu  Abkürzungen,  im  entgegengesetzten  Falle  ist  der 
Kalligraph  auf  Maskirung  von  Lücken  angewiesen. 

Die  verschiedenen  Kunstgriffe  unserer  Ligatuvschrift  —  Abkür- 
zungen sowohl,  als  auch  Schmuckmotive  —  kamen  nicht  auf  einmal 
zum  Vorschein  und  hatten  eine  ungleiche  örtliche  Verbreitung.  Dess- 
halb  enthalten  sie  schöne  paläographische  Daten. 

Nach  ihrer  Verwerthung  muss  die  cyrillische  Ligaturschrift  streng 
in  verschiedene  Kategorien  auseinandergehalten  werden;  auf  Manuscript,- 
Gefäss  und  Grabstein  oder  Kirchenwand  zeigt  die  Schrift  im  Ganzen 
und  Grossen  die  nämlichen  technischen  Erscheinungen,  aber  der  Gang 
der  gemeinsamen  Entwickelung  fällt  in  den  einzelnen  Kategorien  chro- 
nologisch nicht  zusammen.  Wir  befassen  uns  hier  nur  mit  der  Ligatur- 
schrift der  cyrillischen  Manuscripte. 

Die  Anfänge  der  slavischen  Ligaturschrift  liegen  tief  in  Byzanz. 
Die  Südslayen  versuchten  es  schon  frühe,  diese  Kunst  ihrer  Cyrillica 
anzupassen.  Ein  slavisches  Ligaturschrift  System  wurde  zuerst  wäh- 
rend des  XIV.  Jahrhunderts  geschaflen  und  zwar  wahrscheinlich  auf 
dem  berühmten  Klosterberge  Athos.  Die  Rumänen  waren  in  der  Pflege 
dieses  Kalligraphiefaches  sehr  glücklich.  Aber  ein  wahres  Kunst- 
leben, eine  lange,  echt  organische  Entwickelung  bekam  die  Ligatur- 
schrift nur  bei  den  Russen. 

Vor  dem  Ende  des  XIV.  Jahrhunderts  finden  wir  in  Russland  eine 
Ligaturschrift  im  Sinne  eines  graphischen  Kunstfaches  nicht.  Russische 
Manuscripte  des  XII. — XIV.  Jahrh.  weisen  zwar  als  Aufschriften  Zeilen 
von  grösseren  Buchstaben  auf,  zuweilen  laufen  darin  auch  einzelne  Li- 
gaturen und  Schmuckmotive  unter  (z.B.  doppelte Buchstabencontouren). 
Aber  dem  Ziele  nach  ist  es  noch  lange  keine  Kunstschrift,  —  nur 
schlichte  Anweisungen  sind  es  für  die  Aufmerksamkeit  des  Lesenden 
oder  Suchenden. 

Als  erstes  Beispiel  einer  russischen  Ligaturschrift  führen  russische 
Paläographen  etliche  Zeilen  vom  J.  1380  an  und  zwar  mit  Unrecht.  E» 
sind  dies  Titelzeilen  im  Stichirarion  Nr.  22  der  St.  Sergius-Laura  bei 
Moskau.     Karski's  Handbuch   «der  slavisch-russischen  Paläographie« 


Cyrillische  Ligaturschrift.  111 

gibt  eine  Probe  davon  (S.  420).  Was  dieser  Zeile  abgeht,  ist  Schönheit 
und  System.  Nur  hülflose  Versuche  sind  es,  das  südslavische  Ligatur- 
system anzuwenden,  und  ein  Chaos  von  leichtfertigen  Missgeburten  ist 
das  Resultat  davon. 

Die  Thatsache,  dass  der  ältesten  Periode  des  russischen  Schrift- 
thums  die  Ligatnrschrift  noch  gänzlich  abgeht  —  lässt  errathen,  dass 
dieses  Kunstfach  noch  gar  nicht  vorhanden  war,  als  das  Schriftthum 
nach  Russland  kam  —  weder  beim  glänzenden  byzantinirenden  Hofe 
Symeon's,  noch  in  Byzanz  selbst.    Das  erhaltene  südslavische  Schrift- 
thum entscheidet  über  die  Richtiglceit  dieser  Vermuthung  nicht,  denn 
es  reicht  nur  bis  ins  Ende  des  XII.  Jahrh.  zurück.    Die  byzantinischen 
Handschriften  sind  aber  dieser  Hypothese  nicht  abhold  ^).     Vor  dem 
X.  Jahrh.  unterscheiden  sich  die  Ueberschriften  (das  Rubrum;  der  by- 
zantinischen Handschriften  graphisch  noch  wenig  von  ihrem  Text.    Sie 
werden  höchstens  durch  Farbe,  nicht  durch  besonderen  Ductus  gekenn- 
I  zeichnet.    Zu  Anfang  des  X.  Jahrh.,  mit  dem  Beginn  einer  glänzenden 
I  echt  byzantinischen  Kunstperiode,  findet  man  Ueberschriften,  —  na- 
i  mentlich  dort,  wo  der  Text  in  liturgischer  Unciale  gehalten  ist  — ,  die 
j  sich  vom  Texte  durch  Grösse  und  Schönheit  unterscheiden.    Auch  dop- 
pelte Contourlinien  erscheinen  in  solchen  Zeilen.    Zu  Ende  des  X.  Jahrh. 
bekommen  die  Zeilen  des  Rubrums  öfters  Ligaturen,  auch  Ornamente 
'  an  den  einzelnen  Buchstaben.   Als  charakteristisches  Beispiel  diene  das 
Manuscript  vom  Jahre  977  (bei  Amphilochios;.    Noch  einen  neuen  Zug 
^t  das  nämliche  Manuscript  auf:  die  Schrift  des  Rubrum  ist  etwas  in 
üio  Höhe  gewachsen  und  hat  schon  das  Mass  von  3  2).     Sonst  herrscht 
aber  während  des  ganzen  Jahrhunderts  ein  geringeres  Mass  vor:  l^/-2,  2. 
\  I  m  Anfange  des  XL  Jahrh.  an  begegnet  man  solchen  Schmuckzeilen 
schon  etwas  öfter,  und  die  Ligaturen  werden  darin  gebräuchlicher  und 
complicirter.    Um  die  Mitte  des  XI.  Jahrh.  darf  man  die  byzantinische 
Ligatnrschrift  als  constituirt  betrachten.    Ihre  vorzüglichsten  Beispiele 
sind:  eine  Moskauer  Handschrift  vom  J.  1055  (Synodalbibliothek,  litho- 
2;raphische  Abbildungen  bei  Amphilochios  und  Sabbas)  und  eine  Hand- 


ij  Ich  benutzte  für  meine  Beobachtungen  die  bekannten  Werke  der 
Bischöfe  Amphilochios  und  Sabbas  und  die  Manuscripte  der  Yaticana  und 
Marciana. 

'j  Zum  Masszeichen  nehme  ich  hier  imd  weiter  an:  die  Beziehung  zwi- 
schen der  Breite  und  der  Höhe  solcher  cyrillischen  Zweimaster,  wie  H,  H,  II. 
[n  einem  Quadratductus  ist  also  das  Mass  gleich  1. 


112  V.  Stschepkin, 

Schrift  der  Vaticana  (Nr.  463)  vom  Jahre  1062.  Das  XII.  Jahrh.  bildet 
die  Bltithezeit  der  byzantinischen  Ligaturschrift,  im  XIII.  nimmt  sie 
wieder  an  Verbreitung  ab,  sie  ist  im  XIV.  schon  auf  der  Neige  und 
verschwindet  im  XV.  fast  gänzlich.  Dabei  haben  wir  während  der 
ganzen  Existeuzperiode  der  byzantinischen  Ligaturschrift  keine  Gelegen- 
heit, von  ihrem  Leben,  ihrer  organischen  Entwickelung  zu  reden :  sie 
verblieb  in  der  Form,  in  welcher  sie  aufgetreten  war.  Ihre  Verbreitung 
war  selbst  während  der  Blüthezeit  —  mittelmässig  und  viel  geringer, 
als  auf  dem  slavischen  Boden  seit  dem  XIV.  Jahrh.  Ihr  Mass  schwankte 
immer  zwischen  2  und  3.  Ihre  technischen  Griffe  beschränkten  sich  auf 
die  Ligatur   (Mast  -|-  Mast,   seltener  Curve  -f-  Curve) ,   Unterordnung  : 

aTu ,  üeberordnung :  r^,  Berührung  im  Punkte:  '^,  jCÄ'  ^  ■   Ein- 
verleibung :  QS ,  hS ,  ^  .    Ihr   Schmuck  waren   schlichte  botanische ' 
und  geometrische  Motive :  Ranke  oder  Blatt,  Knospe  und  Drüse,  kurze 
Wurzel  oder  Pflanzenstachel,  dann  ein  flaches  Dach  und  ein  Keil.    Der 
Gesammteindruck  byzantinischer  Ligaturzeilen  ist  sehr  mittelmässig. 

Bei  den  Südslaven  ist  die  Ligaturschrift  bis  zur  Mitte  des  XIV. 
Jahrhunderts  wenig  verbreitet  und  wenig  originell.  Die  Zeilen  (doppelte 
Contouren)  des  Hexameron  vom  Jahre  1263  (Moskauer  Synodalbiblio- 
thek, Abbildung  bei  Sabbas)  sind  typisch  für  diese  Zeit.  Sie  sind  den 
byzantinischen  Vorbildern  sehr  nahe,  dabei  ohne  grosse  kalligraphische 
Lust  gezeichnet.  Die  üeberschrift  des  Manasses  vom  J.  1345  (Moskauer 
Synodalbibliothek,  Abbildung  bei  Sabbas)  erreicht  schon  die  besten 
byzantinischen  Originale. 

Zu  Ende  des  XIV.  Jahrh.  wird  die  südslavische  Ligaturschrift  auf 
einmal  interessanter  —  reicher  und  schöner  —  als  die  byzantinische. 
Serbische  und  bulgarische  Kalligraphen  haben  sich  augenscheinlich  der 
Geheimnisse  des  Stiles  bemächtigt  und  aus  diesen  viele  schöne  Conse- ' 
quenzen  gezogen.  Was  die  Stil  arten  betrifft,  so  weisen  jetzt  südsla- 
vische Handschriften  (namentlich  solche  vom  Berge  Athos)  deren  zwei 
auf:  einen  Naturstil,  der  aus  der  Pflanzenwelt  und  zum  Theil  aus  der 
Thierwelt  (Entomologie)  schöpfte,  und  einen  streng  geometrischen,  der 
viel  seltener  auftritt.  Eine  dritte  Stilart,  die  bei  weitem  schönste  und 
beliebte,  vereinigt  mit  glücklichem  Takt  beide  Arten. 

Mein  südslavisches  Material  war  ziemlich  beschränkt  und  mir  liegt' 
es  fern  zu  behaupten,  ich  hätte  damit  die  Geschichte  der  südslavischen 
Ligaturschrift  erschöpft.     Hier  mögen  die  südslavischen  Forscher  iu 


lA 


Cyrillische  Ligaturschrift.  113 

ihre  Rechte  treten.  Ich  suchte  mir  auf  diesem  Gebiet  nur  die  Ilaupt- 
momente  auf,  um  den  Schwerpunkt  meiner  Skizze  —  die  russische  Li- 
gaturschrift —  ins  richtige  Licht  zu  bringen  und  nach  ihrem  Ursprünge 
zu  beurtheilen.  Bevor  wir  aber  zu  dieser  übergehen,  müssen  wir  auf 
eine  bedeutende  Frage  Antwort  suchen. 

Wie  kam  es,  dass  unsere  grossen  Lehrer,  die  Byzantiner,  auf  dem 
Gebiete  der  Ligaturschrift  nur  Mittelmässiges  leisteten  und  so  rasch  und 
leicht  selbst  von  ihren  nächsten  südslavischen  Schülern  übertroffen 
wurden  ?  Welcher  Bann  lag  in  dieser  bescheidenen  Kunstsphäre  auf  dem 
reichen  Ornamentsinn  der  Byzantiner?  Wo  blieb  hier  die  unerschöpf- 
liche Motivenfülle  und  die  unendliche  Combinationslust  des  byzantini- 
schen Kunstgeistes  ? 

Es  war  der  Bann  der  Sprache. 

Für  das  ältere  Schriftthum  der  Serben,  Bulgaren  und  Russen 
können  wir  durchschnittlich  eine  Zahl  von  wenigstens  36  Lautzeichen 
annehmen.  Darunter  haben  26  Zeichen  einen  Mast,  einige  deren  zwei 
oder  drei.  Die  Verbindung  von  zwei  benachbarten  Mästen  zu  einem 
ist  aber  der  bei  weitem  ausgiebigste  Kunstbegriflf  der  Ligaturschrift. 
Theoretisch,  nach  der  bekannten  algebraischen  Formel,  ist  also  die 
Gesammtzahl  von  zweigliedrigen  Mastligaturen  für  das  slavische  Schrift- 
thum gleich  650.  In  Wirklichkeit  erreicht  natürlich  keine  Sprache  und 
kein  Alphabet  ein  solches  Maximum.  Einige  Lautverbindungen  von  den 
theoretisch  möglichen  werden  jeder  Sprache  abgehen,  andere  können 
wieder  — je  nach  der  Beschaffenheit  derSchrift  —  undeutlich  und  daher 
uubequem  erscheinen.  So  würde  z.  B.  eine  Verbindung  von  F  und  'h 
ein  Zeichen  abgeben,  welches  eben  so  gut  T -f- "^li  bedeuten  könnte, 
oder  die  Verbindung  von  li  +  T  (das  Häkchen  von  F  in  die  Mitte  ge- 
setzt zwischen  das  Häkchen  und  die  Schlinge  von  B)  könnte  gleichwohl 
die  Complexe  üF,  FE,  FFh  bedeuten.  Ebenso  könnte  HB  (Mast  und 
untere  Schlinge  beider  Zeichen  fallen  zusammen  und  das  Häkchen  von 
B  wird  der  oberen  Schlinge  von  G  übergeordnet)  auch  als  Fili,  Fß, 
l'iF,  BBi,  sogar  als  lih,  BP,  BPh  gelesen  werden.  Um  groben  Miss- 
verständnissen vorzubeugen,  müssen  also  solche  Ligaturen  vermieden 
oder  wenigstens  technisch  klargemacht  werden.  Beides  finden  wir  bei 
den  Slaven.  Jedenfalls  wird  vieles  dieser  Art  aus  dem  Ligatursystem 
gänzlich  ausgeschaltet  werden  müssen.  Was  aber  den  anderen  Gesichts- 
punkt betrifft,  das  gänzliche  Fehlen  gewisser  Lautverbindungen  in  der 
Sprache  selbst,  so  sind  gerade  in  dieser  Hinsicht  die  slavischen  Sprachen 

Archiv  für  slavische  Philologie.   XXY.  8 


114  V.  Stschepkin, 

recht  glücklich  gestellt.  Denn  seit  uralter  Zeit,  nach  dem  massenhaften 
Schwunde  der  schwächeren  1i  und  h,  bekamen  sie  eine  Unmenge  von 
neuen  Cousonantenverbindnngen,  die  sehr  oft  recht  schöne  Mastligaturen 
ermöglichen.  Diese  neuen  Lautcomplexe  sind  für  das  fremde  Ohr  zum 
Theil  recht  unbehaglich,  aber  desto  vortheilhafter  für  das  Ligatur-  |; 
System.  So  kommt  es,  dass  thatsächlich  die  slavische  Mastligatur  i 
wenigstens  über  450  schöne  Combinationen  gebietet ! 

Was  bieten  aber  in  dieser  Hinsicht  das  griechische  Alphabet 
und  die  griechische  Sprache?  Im  Ganzen  sind  es  nur  24  Laut-  ; 
zeichen,  darunter  nur  12,  die  Mäste  haben.  Schon  theoretisch  sind  da- 
her die  griech.  Mastligaturen  auf  die  Zahl  von  122  Zeichen  beschränkt. 
Es  fehlten  den  Byzantinern  die  slavischen  Masttypen  li,  /K,  Z„  H,  lU, 
1|J,  'Ii,  'AI,  h,  li,  K),  M,  t^,  Ut\.  Und  von  dem  Wenigen ,  was 
möglich  war,  wie  Vieles  war  da,  namentlich  aus  phonetischen  Gründen, 
ausgeschlossen.  Eine  grosse  Reihe  von  slavischen  Consonantencomplexen 
esistirte  in  der  Sprache  der  Byzantiner  gar  nicht;  was  übrig  blieb, 
wurde  theilweise  noch  durch  die  Beschaffenheit  der  Lantzeichen  oder 
durch  Orthographiezwang  beseitigt.    Statt  MF  und  HF  erschien  immer 

FF,  statt  A\K  und  HK  —  FK,  statt  HR  —  MB,  statt  Hfl  -  m\, 

HP  hatte  sich  zu  H/^P  und  MP  zu  A\IiP  verwandelt.  So  kam  es, 
dass  vom  theoretischen  Maximum  122  die  Byzantiner  thatsächlicli 
kaum  über  40  Mastligaturen  zur  Verfügung  hatten.  Besser  ging  es  mit 
der  Unter-  und  Ueberordnung,  aber  diese  beiden  Kunstgriffe,  besonderä 
der  letzte,  waren  nicht  eben  die  geometrisch  schönsten  von  allen.  Was 
konnten  nun  die  Byzantiner  aus  solch  beschränktem  Material  schaffen? 
In  der  Ligaturschrift  waren  sie  von  Hanse  aus  der  Monotonie  einfach 
anheimgefallen.  Man  sehe  sich  eine  beliebige  byzantinische  Ligatur- 
zeile an  und  merke  sich,  wie  wenig  den  Meistern  zu  Gebote  stand.  Aber 
das  üppige  Aufblühen  der  Ligaturschrift  auf  slavischem  Boden  lehrt 
uns  die  Vorzüge  jenes  Principes  besser  kennen,  welches  die  Byzantiner 
zur  Welt  brachten.  Für  die  Schüler  hatten  die  Meister  auch  hier  reich- 
lich gesorgt.  Schon  oben  ist  erwähnt  worden,  wie  schön  sich  dieses 
Princip  im  XIV.  Jalirh.  bei  den  Südslaven  zu  einem  kalligraphischen 
System  emporschwang. 

Jetzt  kam  aber  Russland  au  die  Reihe. 

Auf  dem  Balkan  nahte  das  Türkenelend.  Dahin  war  es  mit  den 
Reichen  der  Serben  und  Bulgaren,  bald  folgte  diesen  auch  Byzanz  in 
die  Gruft.    Aber  aus  den  Trümmern  fluthete  ein  mächtiger  Strom  nach 


Cyrilliache  Ligaturscbrift.  115 

Kussland.  Im  Grossen  wie  im  Kleinen  —  in  Staatsideen  und  Litteratur. 
in  Liturgik  und  Kunstgewerben  ging  die  südslavisch-byzantinische 
Fradition  nach  dem  tiefen  Norden,  wo  ein  williger  Lehrling  ihrer  harrte. 
So  ging  es  auch  mit  der  Ligaturschrift.  Die  Handschriften  erläutern 
uns  den  Gang  dieses  Einflusses. 

Man  darf  behaupten,  dass  das  XV.  Jahrh.  für  Russland  eine  Art 
Schule  war,  eine  Erlernungsepoche  der  südsla vischen  Ligaturschrift. 
Russische  Handschriften  aus  dieser  Zeit  unterscheiden  sich  principiell 
nicht  von  ihren  serbischen  und  bulgarischen  oder  gar  rumänischen  Vor- 
bildern. Es  treten  beide  südslavischen  Stilarten  auf,  —  der  Naturstil 
und  der  geometrische,  der  letzte  wie  bei  den  Südslaven  viel  seltener. 
Eine  mittlere  Abart  blieb  noch  immer  die  schönste.  Die  Ligaturschrift 
verbreitete  sich  rasch  durch  die  »Litauische«,  süd-  und  westliche 
Hälfte  des  Territoriums.  In  Grossrussland  wurden  die  St.  Sergius-Laura 
im  Centrum  und  die  alten  Städte  des  Nordwestens  —  Novgorod,  Pskov 
und  Tver  die  Hauptpunkte  der  Ligaturschriftpflege.  Berühmte  süd- 
.-lavische  Ankömmlinge,  die  im  Lande  litterarisch  und  politisch  thätig 
waren  und  der  ganzen  südslavischen  Modeströmung  die  massgebende 
Itichtung  ertheilten,  wirkten  eigenhändig  im  Bereiche  der  Ligaturschrift 
mit.  Wir  besitzen  z.  B.  noch  zwei  Manuscripte  von  Pachomios  Logo- 
thetes'  eigner  Hand,  aus  den  Jahren  1443  und  1459  Bibliothek  der 
^ergius-Laura  Nr.  185 — 21  und  Bibliothek  der  Moskauer  geistlichen 
Akademie  Nr. 23),  das  letztere  jedenfalls  in  der  Sergius-Laura  geschrie- 
beu.  Der  Verfasser  unzähliger  patristischer  und  liturgischer  Schriften 
und  wie  jüngst  vom  Akademiker  Schachmatoff  vermuthet  wird,  der 
Verfasser  des  russischen  Chronographs  —  Pachomios,  leistete  hier  zwei 
-chöne,  wiewohl  sehr  frei  aufgeworfene  Zeilen  in  der  mittleren  Stilart. 
In  derselben  Stilart  arbeitete  ein  anderer  berühmter  Südslave,  der  Me- 
tropolit von  Moskau,  Kyprianos,  auch  ein  Litterat  und  ein  Politiker  von 
hoher  Bedeutung.  Wir  besitzen  aus  dem  J.  14S1  eine  russische  Ab- 
schrift (St.  Sergius-Laura,  Nr.  1S59 — 51)  von  seinem  eigenhändigen 
Original,  und  das  Nachwort  des  Abschreibers  ist  höchst  bedeutend :  es 
zeigt  uns  recht  klar,  wie  sich  der  grosse  südslavische  Einfluss  im  Lande 
einbürgerte  und  mit  welch  einem  Glorienschein  die  grossen  und  kleinen 
Leistungen  solcher  Südslaven  in  den  Augen  der  Russen  umgeben  waren. 
Es  sagt  uns  das  Nachwort : 

»Dieses  Missale  (TpeuHiiKi.)  übertrug  aus  griechischen  Büchern  in 
■die  russische  Sprache  mit  eigener  Hand  Kyprianos,  der  demüthige  Me- 

8* 


116  V.  Stschepkin, 

tropolit  von  Kijev  uud  ganz  Russland.  Von  diesem  Missale  copirte  — 
nach  dem  Gedanken,  Gebote  und  Herzenswunsche  meines  Herrn,  Mi- 
chael Jakob's  Sohnes,  ich  sündenbelasteter  Hesydor  Molcanov  mit 
eigener  Hand  für  meinen  Herrn  Michael  Jakob's  Sohn« ....  Weiter  legt 
der  Schreiber  den  folgenden  Copisten  eine  interessante  Bitte  ans  Herz: 
»nichts  beizulegen  oder  wegzulassen,  —  weder  einen  einzigen  Punkt 
noch  ein  Häkchen  unter  den  Zeilen  oder  in  den  Zeilen,  noch  in  der 
Composition  etwas  (cjiorHK)  ir^Kyio)  zuzusetzen  oder  zu  entfernen  nach 
Art  des  Hergebrachten  und  Gewohnten«.  So  fasste  mit  der  Text- 
redaction  und  der  südslavischen  Orthographie  auch  die  Ligaturschrift 
esten  Boden  in  Russland.  Wie  schon  erwähnt,  ist  die  schöne  schlanke 
Zeile  in  der  mittleren  südslavischen  Stuart  gehalten.  Dieselbe  Schriftart 
finden  wir  schon  in  einem  Autograph  St.Nikon's  von  Radonez  (f  1427), 
eines  Schülers  St.  Sergius'.  Es  ist  ein  Evangelium  auf  Pergament  in  der 
St.  Sergius-Laura.  Daselbst  erhielt  sich  diese  Abart  noch  zu  Ende  des 
XV.  Jahrb.,  wie  uns  die  Handschriften  lehren  (z.  B.  Bibliothek  der 
Moskauer  geistlichen  Akademie,  Nr.  48).  Wir  besitzen  weiter  ein  süd- 
slavisches  Evangelium,  welches  von  einem  Russen  (Mönchpriester  Atha- 
nasios)  im  J.  1430  auf  dem  Berge  Athos,  im  Pandokrator-Kloster  an- 
geschafft wurde  und  im  J.  1434  nach  Tver  kam  —  ebenfalls  ein  recht 
schönes  Beispiel  der  mittleren  südslavischen  Abart,  die  auch  weiterhin 
in  Tver  gepflegt  wurde  (z.  B.  Evangelium  vom  J.  1478).  Dabei  weist 
aber  schon  ein  Tverisches  Manuscript  vom  J.  1447 — 48  (Horologium 
Nr.  133  der  Moskauer  Synodalbibliothek)  die  seltenere,  fast  streng  geo- 
metrische Stilart.  Die  mittlere  Stilart  finden  wir  endlich  auch  in  Nov- 
gorod,  und  zwar  noch  im  J.  1499,  in  der  berühmten  Gennadios-Bibel 
^Moskauer  Synodal-Bibliothek).  — 

Auch  interessante  Stilseltenheiten  gingen  von  dem  Balkan  nach 
Russland  über,  so  z.  B.  zwei  Zeilen  vom  J.  1430  (herausgegeben  bei 
Karski,  S.  249  u.  431),  die  in  der  bekannten  Monokondylien-Manier 
gehalten  sind.  Aehnliche  Zeichen  aus  jüngerer  Zeit  finden  wir  bei 
Karski  noch  S.  447  (aus  dem  XVH.  Jahrb.). 

Zu  Ende  des  XV.  Jahrh.  ist  die  Ligaturschrift  ein  beliebtes  kalli- 
graphisches Kunstmittel  und  durch  das  ganze  Land  verbreitet.  Die 
Handschriften  wimmeln  von  Ligaturzeilen,  und  es  kommen  höchst 
wichtige  Localerscheinuugen  zu  Tage. 

Das  russische  Territorium  war  damals  schon  in  zwei  typische  so- 
ciale Verbände  getheilt.    Ein  regeres  Leben,  eine  grössere  Formenfrei- 


Cyrillische  Ligatiirschrift.  117 

heit  bei  spärlicher  Selbstwüchsigkeit  waren  ein  charakteristisches  Merk- 
mal des  westlichen  litauisch -russischen  Verbandes,  welcher  durch 
polnisches  Medium  sich  den  westeuropäischen  Einflüssen  geöftnet  hatte, 
um  recht  bescheiden  in  dem  äussersten  Nachtrabe  der  occidentalischen 
Kultur  dahinzuwandeln.  Moskowien  war  überall  durch  unwandelbare 
typische  Formen  gekennzeichnet,  welche  alle  auf  byzantinische  Haupt- 
principien  zurückgingen.  Streng  nach  aussen  begrenzt  —  wie  nun  ein- 
mal der  byzantinische  Geist  war  —  erschienen  hier  die  Ideen  und  Ein- 
richtungen, Kunst  und  Sitte.  Aber  in  dem  unwandelbaren  Rahmen 
gährte  doch  frisches  Leben.  Die  Arbeit  der  Geister  bestand  in  einer 
nimmernihenden  Detailliruug  der  alten  Principien,  die  in  der  Mitte  des 
XVI.  Jahrb.,  unter  Johannes  IV.,  eine  letzte  eigenartige  Blüthe  zum 
Leben  brachten. 

In  der  Sphäre  der  Ligaturschrift  sprach  sich  Litauisch-Russ- 
land  entschieden  für  den  Naturstil  aus.  Südslavische  und  noch  mehr 
rumänische  Stilabarten  waren  hier  die  Originale,  die  sich  tausendfach 
in  schönen,  aber  eben  so  oft  in  rohen  oder  gar  bizarren  Nachahmungen 
wiederholten.  Auch  abendländische  Motive  drangen  hier,  namentlich 
seit  dem  Ende  des  XVI.  Jahrh.  in  die  Ligaturschrift  ein,  freilich  ohne 
diese  Kunst  besonders  zu  fördern.  Denn  ähnlich  der  altrussischen 
Ikonographie,  war  die  Ligatuvschrift  ein  recht  exklusives  Kunstfach, 
welches  sich  aus  seinen  Elementen  lange  entwickeln  konnte,  aber  keine 
Synthese  mit  einem  fremden  Princip  vertrug.  Höchstens  konnte  hier 
die  Verschmelzung  eine  neue  Manier,  niemals  einen  neuen  Stil  ins  Leben 
rufen.  Die  schönsten  Ligaturschriftmanieren  waren  in  Westrussland 
die  rumänischen,  die  ich  hier  kurz  skizzire.  Die  eine  ist  üppig, 
goldverziert,  die  Farben  sind  zart  und  treten  gewöhnlich  im  Vergleich 

;  mit  dem  Goldprunk  stark  in  den  Hintergrund;  es  sind  lauter  Pflanzen- 
gebilde, die  Stengel  strotzen  von  stachligen  kleinen  Ausläufen.  Die 
andere    rumänische    Manier    fusst    auf    der   südslavischen    mittleren : 

,  schlanke,  recht  hohe  und  hagere  Typen  stehen  in  der  Zeile  weit  aus- 
einander,  wie  einsame  Gespenster  in  einem  öden  Felde.     Die  eigen- 

I  artigen  Ligatnrzeilen  Westrusslands  sind  noch  bizarrer.    Einmal  sind  es 

';  Gartenspaliere,  von  muthwilligen  Ranken  behängt,  einandermal  lang- 
gezogene schwankende  Stengel,  Pflanzen,  die  aus  dem  Dunkel  einer 
feuchten  Kellergruft,  matt  und  fahl,  zum  Sonnenlichte  emporstreben. 
Die  rohesten  Gebilde  haben  einen  unklaren,  aber  recht  phantastischen 
Sinn:  es  sind  weder  Pflanzen  noch  Thiere  —  verwachsene  fratzenhafte 


118  V.  Stschepkin, 

Scheinbilder  —  ein  3  einem  Meerpferde  ähnlich,  ein  G*),  das  auf 
krummen  Beinen  durch  die  Zeile  eilt.  Die  seltenen  Beispiele  eines  geo- 
metrischen Stils  sind  dagegen  recht  kalt  und  monoton.  Ein  Merkmal 
ist  allen  Manieren  gemein :  sie  bringen  es  nicht  über  das  südslavische 
System,  welches  ihnen  zu  Grunde  liegt;  die  technischen  Griffe  sind 
immer  dieselben,  dabei  im  ewigen  Wiederkehren  oft  träge  oder  unbe- 
holfen angewendet. 

Moskowien  wählte  sich  fast  ausschliesslich  den  geometrischen 
Stil,  an  dem  es  dann  weiter  hartnäckig,  volle  400  Jahre  hing.  Der 
geometrische  Stil  bekam  hier  also  eine  Verbreitung,  die  ihm  früher  nie 
zu  Theil  wurde.  Maniernüancen  stellten  sich  nur  spärlich  ein.  Die  ein- 
zelnen Künstler  waren  auf  die  geometrischen  Formen  strenge  angewie- 
sen und  hatten  selber  in  Kunstsachen  nur  wenig  zu  sagen.  Aber  die 
Formen  wurden  immer  klarer,  die  Schönheit  des  Gesammten  wuchs,  um 
in  der  Mitte  des  XVI.  Jahrh.  ihren  Höhepunkt  zu  erreichen.  Es  möchte 
scheinen,  dass  nun  die  Ligaturschrift  auf  diesem  Wege  trotz  aller  ihrer 
Kunstvorzüge  dennoch  einem  steinernen  Tode  entgegeneilte.  Dem  war 
aber  nicht  so.  Dogma  blieb  zwar  das  geometrische  Princip,  aber  seine 
einzelnen  Formen  wurden  nur  allmählich  aufgefunden  und  —  was  noch 
viel  wichtiger  ist  —  der  Erfindungsgeist  richtete  sich  auf  die  tech- 
nische Seite  der  Kunst.  Neue  Griffe  kamen  während  des  XVI. 
Jahrhunderts  zum  Vorschein  und  zwar  an  verschiedenen  Punkten  des 
Moskovischen  Territoriums.  Es  waren  Localerfindungen,  die  sich  erst 
zu  Ende  des  Jahrhunderts  verallgemeinerten  und  einen  so  zu  sagen 
gesammtrussischen  Stil  abgaben. 

Den  Anfang,  und  zwar  einen  folgenreichen,  machte  Pskov.  Hier 
war  der  Uebergangspunkt  zum  westlichen  Gebiet.  Die  Pskower  Ligatur- 
zeilen waren  im  Grunde  genommen  gut  geometrisch,  aber  ihre  Typen 
nicht  ganz  so  wagrecht,  wie  die  von  Novgorod  oder  Moskau.  Die  ein- 
zelnen Zeichen  scheinen  hier  alle  zu  athmen,  es  kommt  so  vor,  als  ginge 
eine  leise  Wellenbewegung  durch  die  schlichten  hohen  Zeilen  von 
Pskov.  Der  neue  technische  Griff  besteht  aber  darin,  dass  alte  Mast- 
ligaturen in  der  Mitte  des  gemeinsamen  Mastes  einen  Bruch  bekamen: 

kN,  [H  und  jTj  werden  zu  HJ    VA  und     jj.    Die  Byzantiner  kannten 

den  Griff  gar  nicht  und  nur  zufällig  und  höchst  selten  leisteten  die  Süd- 
slaven einige  Rudimente  dazu,  ohne  das  Princip  selbst  zu  errathen, 
welches  in  diesen  verborgen  lag.    Aus  solchen  südslavischen  Zufalls- 


Cyrillische  Ligaturschrift.  119 

gebilden,  wie  [|,  |[  oder  In  (=  /c,  pri^  nn)  war  vorläufig  nichts  zu 
gewinnen,  sie  fnssten  ja  selber  nicht  auf  normalen  ^[astligaturen  und 
konnten  daher  für  diese  auch  Icein  allgemeines  Princip  abgeben,  eben- 
sowenig ein  lo  (XIV.  J    =ofi7>),  welches  nur  als  eine  Art  Unterordnung 

Ix 
aufgefasst  werden   konnte.     Die  obenerwähnte   Zeile   von  Pachomios' 


Hand,  aus  dem  J.  1459,  enthält  die  beiden  Combinationen 


und 


recht  schöne  »Pskower  Brüche«  möchte  ich  sagen,  nur  dass  die  Typen 
Hund  Ä.  n  und  A  bei  Pachomios  noch  keine  gemeinsame  gebrochene 
Senkrechte  bilden,  was  bei  den  Pskower  Brüchen  eine  Regel  ist.  Schöne 
neue  Unterordnungen  hatte  Meister  Pachomios  wohl  geschaffen,  nicht 
principielle  Brüche.  Dieselben  kommen  zum  ersten  Male  in  einer 
Pskower  Handschrift  vom  J.  1499  vor  (Margaritis  Nr.  104  der  Mosk. 
Synodalbibliothek),  dann  in  einer  anderen  vom  J.  1517  (Paläa,  ge- 
schrieben zu  Pskov,  Museum  Ramjancov,  Sammlung  Undolski),  dann 
in  dem  Jahre  1545  (Chrysostomos,  Historisches  Museum)  und  vor  1572 
^Chrysostomos,  Historisches  Museum)  - —  also  fein  ununterbrochen  durch 
das  ganze  Jahrhundert  —  keine  einzige  datirte  Pskower  Handschrift 
ohne  Bruch — ,  während  solche  Erscheinungen  in  Novgorod  und  Moskau 
vor  dem  äussersten  Ende  des  XVI.  Jahrh.  selten  blieben.  In  der  Nov- 
goroder  Schule  habe  ich  bis  jetzt  nur  einige  Brüche  gefunden,  so  ein 

nll  aus  dem  J.  1552  (Evangelium,  Hist.  Museum),  dann  einige  mehr  in 
der  Moskauer  Redaction  des  Makarius-Menäums. 

Die  Novgoroder  waren  es,  die  den  geometrischen  Stil  zur  Apotheose 
brachten,  Johannes  IV.  vererbte  nur  diese  schöne  Abart,  ähnlich  wie 
er  sich  die  Novgoroder  Ikonographie-  und  Miniaturschule  aneignete, 
indem  er  dem  Erzbischof  Makarius  (der  1540  Metropolit  von  Moskau 
wurde)  seine  besten  Künstler  einfach  wegnahm.  Was  nun  die  technische 
Erfindung  anbelangt,  so  leisteten  hier  die  Novgoroder  viel  weniger,  als 
die  Pskower,  aber  was  sie  schufen,  enthält  ein  noch  festeres  paläogra- 
pbisches  Datum,  als  der  Pskower  Bruch.  Es  ist  die  Novgoroder  Li- 
.:;  atur  f!  =  5^,  die  ich  vor  dem  J.  1552  in  keinem  Manuscript  finden 
konnte.  In  der  Schule  des  Makarius  muss  es  aber  schon  um  ein  Decen- 
nium  früher  aufgekommen  sein,  wie  uns  das  Makarius-Menäum  (Mos- 
kauer-Redaction  des  Werkes,  Exemplar  des  Mariä-Himmelfahrt-Domes, 
Monat  December)  zeigt.    Die  Moskauer  Redaction  trägt  zwar  auch  das 


120  V.  Stschepkin, 

Datum  1552,  dieses  bezieht  sich  aber  auf  die  Vollendung  des  kolossalen 
Sammelwerkes,  die  wohl  ein  Decenuium  in  Anspruch  nahm,  und  der 
Monat  December  bildet  ja  nicht  den  letzten,  sondern,  nach  dem  September- 
caleudarium,  den  vierten  Band  davon.  Die  neue  Erfindung  (J  findet 
sich  ausserdem  schon  im  Jahre  1548  auf  Stein  (Moskauer  Neu-Jung- 
frauenkloster,  Grabmal  der  ersten  Äbtissin  Helena)  und  auf  Wandfresken 
(Kloster  zu  Svijask  bei  Kazan).  Von  nun  an  konnte  die  Erfindung  im 
Worte  (rT'fi  =  GG/i\TTi  «heilig«  gebraucht  werden,  welches  un- 
zählige Male  in  den  Ligaturzeilen  der  Manuscripte  auftritt.  Vor  der 
Mitte  des  XVI.  Jahrh.  halfen  sich  selbst  die  Novgoroder  Kalligraphen 
mit  Ueberordnung  CX^  oder  Unterordnung  Mq  ab.  Das  neue  schöne 
r  ist  ähnlich  wie  der  Pskower  Bruch  vor  dem  Ende  des  XVI.  Jahrh.- 
noch  wenig  verbreitet. 

Aus  war  es  aber  nun  mit  dem  Lebensglanze  der  früheren  nörd- 
lichen Republiken.  Im  Jahre  1571  unternahm  Johannes  IV.  mit  seinen 
Schaaren  einen  Plünderungszug  nach  den  beiden  Städten.  Kirchliches 
Geräth  und  Manuscripte,  Schreiber,  Ikonographen  und  Kunsthandwerker 
aller  Art  wurden  nach  Moskau  entführt  und  die  Kunstproduction  ging 
endgiltig  nach  der  Hauptstadt  des  Reiches  über.  Hier  fielen  die  Kunst- 
nüancen  der  nördlichen  Städte  in  der  glänzenden  Schule  des  Garen 
zusammen.  Die  Meister  blieben  bei  Hofe  und  arbeiteten  für  den  Gar 
und  seine  Umgebung  lauter  Prachtwerke ,  die  theilweise  in  der  Stadt 
blieben,  theilweise  als  Andachtsalmosen  an  die  Klöster  des  Reiches 
vergeben  wurden.  Dies  förderte  natürlich  auch  die  Verbreitung  des 
schönen  Ligaturstils,  aber  nur  allmählich.  Selbst  in  dem  ersten  Viertel 
des  XVII.  Jahrh.  war  dieser  noch  selten ;  nur  in  der  St.  Sergius-Laura 
bürgerte  er  sich  fest  ein. 

Was  die  Eigenschaften  des  Ligaturstils  unter  Johannes  IV.  an- 
belangt, so  ist  zu  bemerken,  dass  dieser  im  Ganzen  und  Grossen  auf 
der  Novgoroder  Tradition  fusst  und  sich  von  den  Leistungen  der  Schule 
des Makarius  noch  wenig  unterscheidet.  Bruch  und  r  sind  noch  selten, 
aber  ein  Merkmal,  das  gelegentlich  schon  in  Novgorod  und  Pskov  auf- 
trat, wurde  doch  verallgemeinert.  Die  Buchstaben  bekamen  statt  runder 
oder  halbrunder  Schlingen  und  Theile  —  eckige.  Dies  war  schon  im 
Südslavischen  Ligatursystem  möglich,  jetzt  wurde  es  mit  Vorliebe  an- 
gewendet.    Nicht  nur,  wie  früher,  B.  B,  li,  'h,  ZI,  h,  AI  und  /K. 


Cyrillische  Ligaturschrift.  121 

sondern  auch  Ü,  ;\„  K,  i\,  P  durften  jetzt  ihre  Rundungen  in  Fractuv 
verändern.  Neue  senkrechte  Halbstärame  erschienen  auf  solche 
Weise  massenhaft  in  den  Zeilen.  Sie  bilden  ein  Charakteristikon  der 
Schule  Johannes  IV.  Ein  schönes  Beispiel  davon  gibt  ein  grosses  Ma- 
nuscript  des  Historischen  Museums  zu  Moskau.  Das  Werk  umfasst  über 
1000  Blätter  (in  Doppelformat,  d.  i.  geöffnet),  geschmückt  mit  mehr  als 
1500  Miniaturen  und  etlichen  Ligaturzeilen.  Den  Inhalt  bilden  die 
Biblischen  Bücher  —  Genesis  bis  Libri  regum  (exclus.)  und  zwei  Tro- 
janische Geschichten  —  die  von  Guido  de  Columna  und  die  bulgarische 
in  der  Redaction  des  russischen  Chronograph's.  Halbstammfractur 
kann  als  Name  für  die  ganze  Stilabart  dienen.  Ein  neues  technisches 
Motiv  war  durch  diese  gefördert:  die  benachbarten  Buchstaben  traten 
einander  näher  und  bildeten  für  das  Auge  eine  Art  Bruch,  so  ul,  (tp  | 
{kn,  sk,  nl).  Da  aber  solche  Combinationen  nie  früher  eine  einheitliche 
Ligatur  ausmachten  und  nur  für  das  Auge  einen  Brucheffekt  abgaben, 
dürfen  sie  nur  als  falscher  Bruch  gelten.  In  wie  weit  dieser  auf 
Halbstammfractur  beruht,  war  er  den  Südslaven  unbekannt.  In  Pskov 
tritt  zwar  der  falsche  Bruch  fast  gleichzeitig  mit  dem  echten  auf,  aber 
nur  selten  und  in  einer  Rudimentarform,  da  die  Halbmastfractur  noch 
nicht  durchgeführt  war.  In  Novgorod  ist  er  wegen  der  etwas  fortge- 
jschrittenen  Fractur  schon  typischer,  in  der  Moskauer  Redaction  des 
'grossen  Makarius-Menäums  fast  eben  so  beliebt,  wie  in  der  Schule 
Johannes  IV. 

Nicht  unter  Johannes,  sondern  unter  seinem  Sohne  Theodor  (Iva- 
novitsch)  erscheinen  endlich  alle  technischen  Erfindungen  codificirt : 
Bruch,  V.  ,  Halbstammfractur  und  falscher  Bruch.  Eine  überaus  schöne 
Zeile  vom  Jahre  15S7  (Undolski-Sammlung  im  Museum  Rumjancov's, 
Nr.  4S7)  zeigt  sie  alle.  Fractur  und  Rundung  erscheinen  hier  in  glück- 
ilicher  Vereinigung,  denn  es  leben  noch  di'e  hohen  Rundungen  eines 
■6,  0,  C  Dabei  kommt  noch  bei  den  letztgenannten  Typen  ein  schlan- 
ker Zweigschmuck  viel  üppiger  zur  Verwendung,  als  es  früher  in 
Moskowien  Brauch  war.  Die  technischen  Griffe  aber  werden  so  ent- 
schlossen gehandhabt,  dass  wir  auf  ein  zielbewusstes  Kunstsystem 
.  jSchliessen  müssen. 

n        Unter  Theodor  wurde  zum  ersten  Male  die  Kunsttradition  Johan- 

'  'oes  IV.  noch  sachte,  aber  nach  allen  Richtungen  erschüttert.     In  der 

;3rnameutik  der  Handschriften  durchbrachen  schöne  neue  Cartouchen 


122  V.  Stschepkin, 

die  beliebte  nevibyzantinische  Goldgrundvignette  Johannes  IV.  Leben- 
digeres, weniger  stilisirtes  Gezweige  —  weiss  mit  Goldtouchirung,  meist 
auf  schwarzem  Grunde,  füllt  diese  Cartouchen,  die  den  Clich^es  der 
Drucke  jener  Zeit  nachgebildet  sind  und  auf  italienische  Vorbilder 
zurückgehen. 

In  der  Ligaturschrift  kommt  ebenfalls  ein  neuer  —  der  letzte 
russische  —  Kunstgriff  zum  Vorschein,  der  einen  ernsten  Wende- 
punkt in  dieser  ganzen  Kunst  bedeutet.  Auch  dieser  letzte  Griff  war 
streng  geometrisch  und  führte  vorläufig  zu  neuen  schönen  Formen,  aber 
auf  die  Dauer  war  er  doch  eher  schädlich  als  nutzbringend :  er  hatte 
eine  grosse  Einseitigkeit  in  sich  und  lenkte  die  ganze  weitere  Entwicke- 
lung  der  Ligaturschrift  entschieden  auf  Manierwege. 

Dieselbe  Zeile  vom  J.  1587  weist  schon  den  ersten  Schritt  eines 
neuen  Principes  auf  und  lässt  uns  seine  Folgen  errathen:  das  Princip 
heisst  volle  Fractur.  Ganz  am  Anfange  der  Zeile  finden  wir  ein 
iC,  welches  nur  aus  Winkeln  und  geraden  Linien  besteht,  unter  den 
letzten  sind  die  senkrechten  die  wichtigsten.  Die  drei  folgenden  C 
der  Zeile,  ebenso  6  und  0,  selbst  das  geschmückte  Schluss-'li  sind  noch 
rundschlank.  Das  Fraktur- C  kam  augenscheinlich  nur  als  Modespiel  in 
die  Zeile.  Aber  unaufhaltsam  drang  jetzt  die  Vollstammfraktur  vor. 
Wohl  wurde  sie,  wie  die  Halbstammfraktur  unter  Johannes  IV.,  durch 
den  Gebrauch  der  Metalltechnik  stark  gefördert.  Die  Hofkalligraphen 
hatten  nämlich  nicht  nur  schöne  Zeilen  für  die  Handschriften  zu  zeich- 
nen, sie  waren  genöthigt,  den  Silbermeistern  des  Garen  Inschriften- 
projekte für  Prunkgeräthe  zu  liefern.  Und  eben  hier,  auf  hartem  Ma- 
terial, war  der  Frakturstil  recht  willkommen.  Ein  Vergleich  thut  es 
klar.  Während  in  den  Handschriften  der  volle  Frakturtypus  nur  in  der 
Mitte  des  XVII.  Jahrh.  seinen  Sieg  feiert,  herrscht  er  auf  Metallgeräthen 
schon  während  der  30-er  und  40-er  Jahre  des  Jahrhunderts. 

Dem  Frakturprincip  hatten  die  Buchstaben  6,  0,  C,  ^,  X,  K), 
(x),  -0^  sich  zu  unterziehen.  Sie  thaten  es  aber  in  den  Handschriften 
zu  verschiedenen  Zeitabschnitten.  Die  Daten,  die  ich  in  dieser  Hinsicht 
aus  den  Handschriften  göschöpft  habe,  sind  natürlich  vorläufiger  Art ; 
nur  eine  umfangreichere  Prüfung  kann  ihnen  jenen  endgiltigen  chro- 
nologischen Werth  geben,  auf  den  sie  principiell  das  Recht  haben.  Ich 
theile  aber  für  alle  diese  Typen  die  Daten  ihrer  ersten  Erscheinung 
mit,  wie  sie  mein  Material  bietet  i).    In  Vollfraktur  fand  ich:   ein  C 

1)  Ich  habe  im  Ganzen  gegen  100  griechische  und  gegen  200  slavische 


i 


Cyrillische  Ligaturschrift.  123 

unter  1587,  eine  andere  C-Art  —  unter  1647,  ein  X  —  ebenfalls  unter 
1647,  dann  16S0,  ein  Co  unter  1650,  dann  1659,  ein  6  mit  senkrechten 
Linien,  aber  etwas  gerundeten  Ecken  —  unter  I6r)2,  ein  Fraktur- 0  in 
der  Mitte  des  XVH.  Jahrb.  (undatirtes  Manuscript),  dann  1691,  ein  0 
(gehört  eigentlich  zur  Halbstammfraktiir,  entsteht  aber  erst  jetzt)  unter 
1658,  ein  -O*  unter  1665,  dann  zu  Anfang  des  XVIIL  Jahrb.,  ein 
echtes  Fraktur-C  in  der  zweiten  Hälfte  des  XVIL  Jahrb.,  dann  unter 
1689,  ein  Fraktur-^  unter  16S0. 

Die  einzelnen  Frakturtypen  kamen  in  dem  Schrifttbum  jedenfalls 
nicht  auf  einmal  auf  und  sie  verbreiteten  sich  nur  langsam  weiter.  Aber 
einmal  erschienen,  verschwanden  sie  nicht  mehr  vom  Horizont  und  sie 
häuften  sich  desto  mehr  und  schneller,  je  näher  wir  dem  Ende  des 
XVIL  Jahrb.  entgegeneilen.  Sclion  um  die  Mitte  des  XVII.  Jahrb.  darf 
der  Fraktur  st  11  als  constituirt  gelten,  wiewohl  die  Consequenzen 
ans  dem  neuen  Priucip  lange  nicht  erschöpft  waren.  Das  wichtigste, 
was  das  Princip  in  sich  barg,  war  nicht  sowohl  die  Fraktur  selbst,  als 
die  mitihr  verbundene  Umwandlung  von  Rundungen  in  Senkrechte. 
Nun  hatten  aber  in  der  Mitte  des  XVIL  Jahrb.  die  Senkrechten  über 
die  Rundungen  dermassen  Ueberband  genommen,  dass  der  Gesammt- 
eindruck  der  Zeilen  schon  recht  monoton  erschien.  Lücken  bildeten 
sich  dabei  oben,  unten  und  mitten  in  der  Zeile,  die  alphabetisch  nicht 
mehr  zu  vermeiden  waren,  denn  eben  die  alten  Hülfsformen  dazu  wurden 
schon  vielfach  vermisst.  Ranken  und  Zweige,  als  unumgänglicher 
Ltickenschmuck,  stellten  sich  daher  in  den  Zeilen  ein.  »Stämme  und 
Ranke  na  —  so  siebt  der  Moskauer  Vollfrakturstil  aus.  Die  Zeilen 
eines  Synodikon  vom  Jahre  1659  (Histor.  Museum)  sind  für  diesen  Stil 
bezeichnend. 

Seit  ihrem  Erscheinen  war  die  slavische  Ligaturschrift  im  steten 
Wachsen  begriffen.  Sie  wurde  immer  schlanker.  Im  XV.  Jahrb.  war 
ihr  Mass  (s.  o.  S.  1 1 1)  3 — 4,  im  XVI.  Jahrb.  4 — 7 ;  die  schönen  Zeilen  von 
Novgorod  haben  das  Mass  4^2,  42,3,  die  von  Pskov  —  5,  6  und  7, 


Manuscripte  benutzt.  Von  den  letzteren  sind  10  älter  als  das  XV.  Jahrb., 
40  fallen  in  das  XV.  Jahrb.,  SO  ins  XVI-e,  50  ins  XVII-e  und  10  ins  XVIII-e 
und  XlX-e.  Die  Gesammtzahl  der  durchblätterten  slavischen  Handschriften 
ist  natürlich  viel  grösser.  Die  angeführten  Zahlen  gelten  nur  solchen  Hand- 
.•^chriften,  die  Ligaturzeilen  aufweisen  und  in  der  Regel  ein  festes  Datum  be- 
sitzen. So  kommt  es,  dass  vor  dem  XV.  und  nach  dem  XVIL  Jahrb.  die 
Zahlen  so  gering:  sind. 


124  V.  Stschepkin, 

Groteskzeilen  aus  Litauisch-Rnssland  bringen  es  zuweilen  schon  zur  8. 
Das  Mass  7  gab  noch  recht  schöne  Zeilen  ab,  wenn  der  Bruch  geschickt 
angewendet  wurde.  In  diesem  Falle  verirrte  sich  das  Auge  nicht  mehr 
in  einem  Walde  von  gedrängten  und  feinen  Stämmen;  es  verlegte  sich 
auf  den  Bruch  in  der  Mitte  und  bewegte  sich  aus  diesem  leicht  nach 
oben  und  unten.  Seit  dem  Anfange  des  XVII.  Jahrh.  ging  es  aber 
wieder  rasch  in  die  Höhe  und  gleichzeitig  wurden  die  Stämme  immer 
gedrängter.  Die  erwähnte  Zeile  vom  Jahre  1659  hat  noch  das  Mass  71/2, 
ist  aber  schon  in  dieser  Hinsicht  keine  chronologische  Regel.  Zu  Ende 
des  XVII.  Jahrh.  erscheint  sehr  oft  die  Ligaturschrift  peinlich  gedrängt 
und  hoch.  Dies  wurde  zur  Mode,  die  Kalligraphie  griff  nun  in  die 
Kryptographie  über.  Eine  Handschrift  vom  J.  1689  (Histor.  Museum 
hat  in  einer  Zeile  das  Mass  11,  in  einer  anderen  —  das  Mass  12.  Es 
gab  noch  immer  auch  schlichtere  Zeilen,  mit  dem  Masse  4,  5,  aber  nur 
als  Ueberreste  einer  älteren  Periode. 

In  den  letzten  Decennien  des  XVII.  Jahrh.  arbeiteten  in  Moskau  in 
allen  Fächern  schon  viele  Ausländer,  namentlich  Deutsche  und  Polen. 
Zuweilen  leisteten  diese  Occidentalen  auch  auf  dem  Gebiete  der  Ligatur- 
schrift etwas  recht  Brauchbares,  in  schöner  Graviermanier,  aber  nur 
nach  dem  Gesammteindvuck  der  russischen  Vorbilder,  ohne  recht  auf 
die  verschiedenen  technischen  Griffe  einzugehen.  Daran  kann  man  den 
Ausländer  leicht  erkennen. 

Seit  Theodor  Aleksejevitsch  (1676 — 16S2)  macht  sich  der  west- 
europäische Einfluss  noch  auf  eine  andere  Weise  fühlbar,  und  zwar  viel 
namhafter.  Die  Scholastik  von  Kijev  feierte  ihren  Einzug  in  Moskau 
und  mit  ihr  die  abendländische  Kalligraphie.  Die  altrussische 
Ligaturschrift  wurde  von  dieser  fühlbar  zurückgedrängt.  Frei  und 
breit  stehende  Buchstaben,  mit  feinem  Laubwerk  geschmückt,  den 
Titelblättern  ausländischer  und  gar  heimischer  Drucke  nachgebildet, 
kommen  jetzt  mehr  und  mehr  zur  Verwerthung.  Diese  Manier  erhält 
sich  bis  tief  in  das  XVIII.  Jahrh.,  wo  sie  bei  den  Altgläubigen  selbst. 
trotz  ihres  kernfremden  Ursprungs,  als  eine  russische  Tradition  aus  der 
Neige  des  XVII.  Jahrh.  ihre  Pflege  findet. 

Der  alte  Ligaturgeschmack  schwindet  aber  seit  dem  XVHI.  Jahrh. 
bei  den  gebildeteren  Klassen,  namentlich  mit  dem  Schwünge  der  »pro- 
fanen« oder  «bürgerlichen«  Buchdruckerei.  Auch  im  kirchlichen  Ge- 
brauch werden  Handschriften  yon  Druckbüchern  endgiltig  verdrängt. 
Nur  bei  den  Altgläubigen   dauert  das  alte  Schriftthum  fort.     Die 


Cyrillische  Ligaturschrift.  125 

vielen  Secten  brauchten  nach  wie  vor  eine  Unmenge  von  Handschriften, 
da  hier  die  Drucke  der  ofhciellen  Kirche  schlechtweg  verworfen  wurden 
und  eigene  Druckereien  verhältuissmässig  spät  und  spärlich  aufkamen. 
Das  Schriftthum  der  Altgläubigen  wurde  noch  wesentlich  belebt  durch 
das  Aufblühen  einer  kirchlich-polemischen  und  hugiographischen  Litte- 
ratur.  In  diesem  Medium  lebt  noch  auch  die  alte  Ligaturschrift  rüstig 
fort  und  zwar  volle  zwei  Jahrhunderte.  Eine  glänzende  Nordmeer-  oder 
Pomoraner-Schule  liefern  die  Altgläubigen,  welche  in  Iconographie, 
Miniatur,  Ornamentik  und  Bücherabschrift  überaus  thätig  ist.  Für  un- 
sere Zwecke  genügt  in  der  Ligaturschrift  eine  ältere  (XVIIL  Jahrh.) 
und  eine  jüngere  (XIX.  Jahrh.)  Pomoraner-Manier  zu  unterscheiden. 
Beiden  liegt  der  späte  Moskauer  Stil,  die  Vollfraktur,  zu  Grunde.  Die 
Pomoraner-Schule  zieht  aber  allmählich  aus  der  ganzen  Frakturstil- 
Entwickelung  die  ausser sten  Consequenzen  und  büsst  dadurch  die 
ehemalige  geometrische  Klarheit  gänzlich  ein.     Schon  auf  der  Neige 

j  des  XVIL  Jahrh.  können  die  Anfänge  dieses  Stils  nachgewiesen  werden, 
seit  Peter  verbreitet  er  sich.     Die  ältere  Nuance,   das  Altpomorische, 

;  blüht  namentlich  in  der  ersten  Hälfte  des  XVIH.  Jahrh.,  die  jüngere, 
neupomorische,  in  der  ersten  Hälfte  des  XIX.  Zwischen  beiden  bildet 
die  Zeit  Katharina  der  Grossen  eine  Art  Verfallperiode.  Die  jüngere 
Manier  unterscheidet  sich  von  der  älteren  namentlich  durch  eine  mehr 
systematische  Anwendung  der  nämlichen  Grifle:  in  der  älteren 
kamen  sie  allmählich  auf,  in  der  jüngeren  wurden  sie  auf  die  Spitze 
getrieben ;  beide  hatten  den  echt  byzantinischen  Muth  in  der  Richtung 
der  alten  Tradition  zähe  zu  marschiren;  aber  die  jüngere  verirrte  sich 
endlich  in  einem  inneren  Widerspruch  und  half  sich  vielfach  mit  ver- 
zweifelten Mitteln  ab. 

Ich  begnüge  mich  hier  mit  einer  summarischen  Aufzählung 
der  Hauptmerkmale  des  Jungpomorischen. 

L  Halbstamm  wird  zum  Vollstamm  (vor  dem  XVIII.  Jahrh.  —  nur 
gelegentlich)  bei  \]\  =  T,  fl  =  'b,  ft  =  h- 

2.  Hängende  Halbstämme  werden  sehr  gebräuchlich:    C;   Si    H 
(zum  erstenmal  ein  verirrtes   *^    =  lil  dieser  Art  schon  in  der 


Schule  Johannes  IV.). 
3.  Stammfragmente  erscheinen  als  Schmuck 


:    |=a. 


126 


V.  Stschepkin, 
Pskower  roth  geschriebene  Ligaturschrift  vom  Jahre  1545. 


4.  Ligaturschrift  vom  Jahre  158"; 


Cyrilliscbe  Ligaturschrift.  127 

5 — 6.  jMoskai'.or  Li;i':iriir<ciiiifc  des  XVI.  J;ilirhuiuierts. 


irt 


*-»    '^  ^   *- 


111 


y 


(^ 


T.  Ligaturschrift  vom  .Tulin-   Ui'iH. 


^.  Die  Lii^atiirschrifc  der  Altgläubigen  aus  dem  Ende  des  XIX.  Jalirh. 


^   .• 


s 


y^ 


lä' 


. /, 


^'-.        > 


]  28  V.  StschepkiD, 

4.  Falsche   Fragmente    stellen    sich    ein    z.  B.    beim   |||   =  t   iu 

kot : 


5.  Die   neuen   Vollfraktiirtypen  bilden  zahlreiche  Mastligaturen : 

$ '  fC '  t{.'  IF'  fHIJ'  llji  =  ^''  ''^  '''^  ^'^  ^^'  '^  "•  ^- ''- 

6.  Die  Halbfrakturtypen  bilden  ebenfalls  zahlreiche  Halbstamm- 
ligaturen oder  Verbindungen  von  Halb-  und  Vollstamm  (die  ein- 
zige vor  dem  XVHI.  Jahrh.  ist  das  schöne  0   ,  die  neuen  sehen 

alle  wie     [y]    ans):   |^j,  y,  y,  |:J|,  |:||  =  va,   vd,   vi,   ha,   kl 
u.  s.  w. 

7.  Falsche  Ligaturen  stellen  sich  ein,  die  alle  einem  Fraktur-X 
ähneln  :    |J.I.^,  [j|^  =  yja,  Ija. 

8.  Ein  schräger  Schnitt  wird  bei  |  ?  K,  w.  s.  w.  vorgenommen, 
um  oben  Eaum  zu  gewinnen. 

9.  Symmetrische  Theile  werden,  so  namentlich  beim  M  =  T,  aus- 
einandergeführt, um  oben  Raum  zu  gewinnen  oder  in  der  Mitte 
der  Zeile  eine  Lücke  zu  füllen. 

10.  Ein  neuer  Bruch  —  oh  echter  oder  falscher  ist  kaum  zu  ent- 


scheiden, stellt  sich  ein 


'"li 


=  x^. 


11.  Unvermeidliche  Lücken,  die  jetzt  auf  jedem  Schritt  erscheinen, 
werden  mit  Gras-  oder  Strauchornameut  ausgefüllt. 

Die  Untersuchung  dieser  Jungpomoraner-Manier  ist  für  den  Paläo- 
graphen  von  keinem  Belange  mehr,  desto  wichtiger  aber  für  den 
Archäologen,  namentlich  bei  Feststellung  von  Falsificaten  oder 
grober  Restauration  von  Kunst-  und  Hausgegenständen  aus  dem  XVL — 
XVn.  Jahrb.,  vor  allem  —  von  alten  Heiligenbildern.  Den  Kunsthand- 
werkern, die  dazu  gebraucht  werden,  ist  während  des  ganzen  XIX.  Jahrb. 
fast  ausschliesslich  nur  die  jüngere  Pomoraner-Manier  geläufig,  und  sie 
stellt  sich  massenhaft  auf  Denkmälern  ein,  die  aus  diesem  Jahrhundert 
stammen,  aber  für  etwas  viel  Aelteres  gelten  möchten. 


Cyrillische  Ligaturschrift.  1 29 

Transscription  der  abgebildeten  Ligaturzeilen. 

1.  Kniga  glemaja  ucitelno  zlata. 

2.  Ot  matthea  stoe  bigovestvovanie. 

3.  Sihornikb  12-rm  mcem  skazvja  glavy- 

4.  Sija  slovesa  sofvoril  estb  itioko. 

5.  Thaleologa  kniga  hyteiskaja  vo  eze  iskoni. 

6.  Kniga  vtoraja  glemaja  ischodh  snov  iilev.. 

7.  Pomj'ani  gdi  äst  prestavhsich  sj'a. 

8.  Otresenie  cetvertyja  pecaii  Javlj'ajmce  navodi. 

Timonino,  den  29.  April  1902. 

Wenceslaus  Stschepkin. 


ArohiT  für  slavische  Philologie.   XXV. 


Kritischer  Anzeiger. 


Jan  Kariowicz,  Slownik  gwar  polskich  I  (A  bis  E),  Krakau  1900, 

mit  der  Widmung  an  die  Krakauer  Akademie  der  Wissenschaften 

zu  ihrem  vierhundertjährigen  Jubiläum.    IV  und  454  Seiten  mit 

4  Seiten  Anhang,  8».   IL  Krakau  1901,  552  S.  80. 

Das  Unternehmen  des  hochverdienten  Gelehrten,  die  reichen  Schätze 
der  polnischen  Mundarten  zu  sammeln  und  zu  ordnen,  ist  ebenso  dankens- 
werth  wie  schwierig,  sicher  in  dem  Grade  um  so  verdienstlicher,  je  grösser 
und  mannigfacher  die  Schwierigkeiten  sind,  die  eine  solche  Aufgabe  mit 
sich  bringt.  Das  grosse  Wörterbuch  von  Linde  beruht  aufgedruckten  Werken 
und  bietet  von  Mundartlichem,  abgesehen  von  Sprüchwörtern,  im  Grunde  ge- 
nommen wenig;  was  in  früheren  Wörterbüchern  von  Maczynski,  Knapski. 
Troc,  Mrongovius  u.  and.  von  mundartlichem  Material  enthalten  Avar,  ist  auch 
in  Linde  aufgenommen;  systematische  Sammlungen  und  Arbeiten,  welche  der 
Verfasser  im  Anhange  zu  beiden  Bänden  gewissenhaft  verzeichnet  hat,  sind 
ein  Erwerb  der  neueren  Zeit,  sind  nicht  sehr  zahlreich  und  erschöpfen  trotz 
aller  Anerkennung  des  Geleisteten  doch  bei  weitem  nicht  das  ganze  Material, 
beschränken  sich  oft  auf  eng  umschriebene  Gebiete  und  bieten  im  Ganzen 
keine  reiche  Ernte.  Eine  nicht  geringe  Schwierigkeit  eines  dialectischen 
Wörterbuches  liegt  darin,  dass  eine  solche  weitschichtige  Arbeit  sich  nicht 
gut  theilen  lässt,  sondern  durchaus  in  einer  Hand  liegen  muss,  weil  nur  bei 
einer  solchen  Concentrirung  die  nothwendige  Einheitlichkeit  erzielt  werden 
kann.  Neben  dem  zerstreuten  gedruckten  Material  ist  von  grösster  Wichtig- 
keit das  lebendige  Wort,  und  danicht  Jeder  dem  Beispiele  von  Oskar  Kolberg 
folgen  und  überall  herumwandern  kann,  müssen  mühevolle  Correspondenzen 
förmlich  organisirt  werden.  In  vielen  Fällen  müssen  die  gesammelten  Mate- 
rialien richtiggestellt,  corrigirt  und  in  die  zweckentsprechende  Fassung  ge- 
bracht werden,  ganz  abgesehen  von  der  Einordnung.  Der  zeitraubenden  Ar- 
beit des  Sammlers  folgt  eine  andere,  die  viel  Geduld,  Geschick  und  Umsicht 
erfordert,  die  des  systematischen  Ordnens  mit  Citaten  und  Verweisungen. 
Alle  diese  und  andere  Schwierigkeiten  hat  der  Verf.  meisterhaft  überwunden. 
Die  Thatsache,  dass  der  Verf.  in  seinem  Slownik  die  Frucht  von  30  Jahren 
bietet,  ist  für  ihn  eine  Quelle  wohlverdienter  Befriedigung,  für  uns  aber  ein 


J,  Karlowicz,  Wörterbuch  der  poln.  Mundarten,  angez.  von  Nehring.      131 

Grund  der  aufrichtigsten  Bewunderung  und  Dankbarkeit.  Im  Frühling  des 
Jahres  1900  war  der  erste  Band  erschienen,  ihm  folgte  im  Frühling  des 
Jahres  1901  schon  der  umfangreiche  zweite  Band;  man  darf  hoffen,  dass  die 
fehlenden  Bände  recht  bald  erscheinen  werden.  Das  liegt  zum  Theil,  da  die 
Arbeit  des  Verfassers  voraussetzlich  in  der  Hauptsache  abgeschlossen  ist,  an 
der  Buchdruckerei,  welche,  das  sei  gleich  hier  gesagt,  bis  jetzt  eine  seltene 
Umsicht  und  Correctheit  gezeigt  hat. 

Eine  Reihe  von  Bemerkungen  mag  mit  den  Quellen  beginnen.  Diese  sind 
in  beiden  Bänden  am  Ende  angegeben;  jetzt  ist  noch  eine  neue  hinzugekom- 
men, nämlich  die  Abhandlung  von  Landau:  »Zur  polnischen  Gaunersprache <f 
im  Archiv  XXIV.  137  ff.,  eine  wissenschaftliche  Besprechung  des  Slownik 
mowy  zlodziejskiej  von  Kurka  1S99  2,  mit  Benutzung  der  Gwara  zloczyncow 
von  Estreicher  aus  dem  Jahre  1S67;  neu  hinzugekommen  ist  auch  Powiesci 
Szl^skie  von  L.  Malinowski  1901.  Dass  von  den  älteren  Quellen  beispiels- 
weise Mrowka  Poznanska,  eine  Zeitschrift  vom  J.  1821,  nicht  benutzt  ist,  soll 
dem  Verfasser  sicher  nicht  zum  Vorwurf  gemacht  werden,  der  Verf.  klagt  ja 
selbst,  dass  er  von  den  zugänglichen  Quellen  nicht  alle  habe  ausbeuten  kön- 
nen (I.  Vorrede;,  unter  den  Bezugsquellen  fehlt  Karlowicz's  Slownik  »vyra- 
zow  obcych,  nur  unter  firleje  ist  es  citirt;  es  fehlt  auch  Kolberg's  Sandomir- 
skie,  nichtsdestoweniger  ist  daraus  wiederholt  citirt;  nicht  überall  sind  Ab- 
kürzungen verständlich,  z.B.  Sad.  (wohl  Sand.?)  bei  gaik.  Es  sei  die  Kleinig- 
keit bemerkt,  dass  S.  Polaczek  heisst:  Sierp  Polaczek,  so  nannte  sich  und  so 
zeichnete  der  bekannte  Schriftsteller  Preis  iSierp  ist  Umwendung  des  Namens). 
Seit  dem  Erscheinen  der  Zeitschriften  Wisla  und  Lud  und  seit  dem  Erscheinen 
des  I.  Bandes  von  Karlowicz's  Slownik  gwar  polskich  sind  dialectologische 
Arbeiten  nicht  besonders,  sondern  in  diesen  Zeitschriften  erschienen;  zu 
hoffen  ist  die  Veröffentlichung  der  vom  Towarzystwo  Przyjaciol  in  Posen 
veranstalteten  Sammlung  von  Flurnamen,  die  ja  nur  theilweise  veröffentlicht 
worden  sind,  —  aber  wann? 

Das  Werk  von  Karlowicz  ist  so  angelegt,  dass  das  Finden  des  Gesuchten 
sehr  erleichtert  ist.  Dem  Umstände,  dass  sehr  viele  Wörter  im  Volksmunde 
oft  bis  zur  Unkenntlichkeit  verändert  und  gar  verunstaltet  sind,  ist  dadurch 
Rechnung  getragen,  dass  das  Ursprungswort  —  sehr  häufig  ist  es  ein  Kalen- 
dername oder  ein  Fremdwort  —  in  der  hochpolnischen  Form  an  die  Spitze 
gestellt  ist  und  dann  die  veränderten  volksthümlichen  Formen  folgen,  wobei 
nur  selten  neue  graphische  Mittel  zu  Hilfe  genommen  wurden,  ein  solches 
Mittel,  y  (etwa  halbvocalisch  zu  sprechen)  ist  gelegentlich  bei  chrzebt  II,  138 
erklärt;  der  Tiiatsache  aber,  dass  so  manches  Wort  in  verschiedenen 
Gegenden  verschieden  geformt  ist  und  verschiedene  Bedeutung  hat,  oft 
selbst  in  derselben  Gegend,  wird  Ausdruck  gegeben  durch  zwei  deutliche 
senkrechte  Striche ,  beziehungsweise  durch  laufende  Nummern ;  in  beiden 
Fällen  helfen  noch  Verweisungen  aus.  Die  Erklärungen,  Definitionen  sind 
mit  einfachen,  treffenden  Worten  gegeben,  Erklärungen  Anderer,  sowie  Citate 
in  Anführungszeichen  gesetzt,  Ergänzungen,  Correcturen  oder  Bedenken 
gegen  den  Inhalt  der  Citate  sind,  wo  es  nöthig  ist,  in  kurzen  Bemerkungen 
oder  mit  Frage-  bez.  Ausrufungszeichen,  mit  Hinzufügung  eines  K.  (Karlo- 

9* 


132  Kritischer  Anzeiger. 

wicz)  augedeutet.  Die  Bezugsquellen  werden  in  den  allermeisten  Fällen  so 
angeführt,  dass  zugleich  damit  auch  die  Heimath  des  betreffenden  Wortes 
angedeutet  ist,  deutlich  ist  dies  bei  mündlichen  Mittheilungen,  z.  B.  nst.(nie) 
z  Litwy.  Bei  Pflanzen-  und  Tliiernamen  werden  oft  die  technischen  Namen 
zur  Erklärung  genannt.  Im  Allgemeinen  erwecken  die  Citate  nur  mehr 
Neugierde;  in  den  allermeisten  Fällen  findet  man  nur  das  betreffende  Wort. 
Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  auch  ungewöhnliche  grammatische  Formen 
angeführt  und,  wenn  sie  nicht  von  selbst  einleuchtend  sind,  genügend  er- 
klärt werden. 

Der  Gewinn,  den  das  Studium  des  Wörterbuches  von  Karlowicz  bietet, 
ist  sehr  mannigfach.  In  der  grossen  Zahl  von  Lehnwörtern,  meist  aus  dem 
Deutschen,  lässt  sich  das  Verhalten  der  polnischen  Sprache  gegen  den  Laut- 
charakter der  Originalwörter  verfolgen  und  die  von  L.  Malinowski  in  Kuhn's 
Beiträgen  VI  (Zur  Lautlehre  der  Lehnwörter  in  der  polnischen  Sprache^  ge- 
machten Beobachtungen  werden  hier  in  reichlichem  Masse  ergänzt.  Vor- 
nehmlich ist  das  zu  sehen  in  dem  Verhalten  gegen  das  fremde/;  es  wird 
verdrängt  durch  ^  bei  Fabian,  pamula  u.  a.,  durch  b  in  bryzowac,  durch  w  in 
wasq.g  (Fassung,  Einfassung),  durch  chiv  in  chwestunek  und  chwioiek,  auch 
durch  ch  in  chlorek  (Florian),  chaworyty  u.  a.;  aber  es  wird  auch  ohne  Be- 
denken gebraucht,  z.  B.  in  fedrowac  (fördern),  fecy  (Fetzen),  filut  u.  s.  w.,  und 
wird  sogar  spontan  für  andere  Laute,  wenn  auch  selten  vorgezogen,  z.  B.  in 
Fipolit  und  gafle  (Gabeln).  Für  die  Aufnahme  des  Ä-Lautes  ist  die  polnische 
Sprache  nicht  unempfänglich  (vgl.  holowac);  nur  selten  wird  das  fremde  h 
durch  g  ersetzt,  z.B.  in  golka  Mädchen  für  das  böhmische  holka,  aber  es  gibt 
Fälle,  wo  h  vorgezogen  wird,  so  in  hostec  für  gosciec  Rheumatismus,  es 
scheint  aus  dem  Böhmischen  entlehnt  zu  sein.  Zuweilen  sieht  man  auch,  wie 
in  Lehnwörtern  Nasalvocale  sich  bilden,  so  in  cegi  (Zange),  pagiel  (ein 
schmutziger  Bube,  aus  Bengel ?),  flq,dra  (Flunder),  wedrowac  (wandern),  beben 
(aus  dem  ital.  bambino)  u.  s.  w.  Eine  andere  lautliche  Erscheinung,  welche 
sich  darbietet  und  welche  schon  von  Anderen,  zuletzt  von  Blatt  betont  wurde, 
ist  der  An-  und  Einschub  desj,  wie  in  oznajmic;  so  ist  frujnaö  aus  frunac 
(plötzlich  wegfliegen)  entstanden,  so  lujn^c  (z.  B.  deszcz  lujn^d)  aus  lunac, 
plujnac,  sujn^c,  szajstac  für  szastac,  so  hat  sich^  angeschoben  nicht  nur  in 
dzisiaj,  wezoraj,  in  Superlativen  wie  najlepszy  f.  nsUepszy,  sondern  auch  in 
anderen  Fällen;  das  alterthüraliche  tamo  dort  lautet  in  Westpreussen  tamoj. 

Die  Statistik  der  grammatischen  (Declinations-  und  Conjugations-)  For- 
men wird  durch  die  Sammlungen  Karlowicz's  nicht  unerheblich  bereichert, 
am  meisten  wohl  bei  dem  Verbum  isö:  idemy,  idzi,  idzony,  idziono,  szedlam. 
szlem,  chodzij  (imperat.),  jademy;  ciagcie,  myslam,  gadaj^,  beides  1.  sg., 
dziejalo  si§  (uncontrahirt),  kosty  pl.,  czorcia,  dwa  lecia,  dwascia  u.s.  w.;  auch 
für  das  Studium  der  syntaktischen  Fügungen  wirft  der  mundartliche  Wort- 
vorrath  einige  Beiträge  ab;  es  ist  natürlich,  dass  im  Volksmunde  die  ein- 
fachen, parataktischen  Fügungen  fortleben,  weil  sie  der  bildlichen  Dar- 
stellungsweise näher  stehen;  man  sehe  ano,  jeno,  ady,  hanu,  hano  (=  a  ouo,, 
a  to  (=  a  oto)  u.  s.  w. 

Den  ergiebigsten  Gewinn  bietet  das  Werk  von  Karlowicz  für  lexicalische 


J.  Kaiiowicz,  Wörterbuch  der  poln.  Mundarten,  angez.  von  Nehring.      133 

Studien,  zunächst  für  Ortsnamenforscbuug,  indess  ist  der  Ertrajj  in  dieser 
Beziehung  ein  beschränkter;  ich  habe  bis  jetzt  drei  Worte  notirt,  welche 
diesem  Zwecke  dienstbar  gemacht  werden  können:  gryzyna  Kies,  kopanina 
Rodeland  und  küsty  Knochen,  feste  Stäbe,  damit  sind  die  Ortsnamen  Gry- 
^na,  Kopanin   in  Kujawien)  und  Kostomlaty  erklärt. 

Für  andere  lexicalische  Gesichtspunkte  möge  hier  zunächst  die  Be- 
obachtung notirt  werden,  dass  wie  dasselbe  Wort  fz.  B.  gosciniec)  auch  in 
derselben  Gegend  mehrere  Bedeutungen  hat,  so  auch  für  denselben  Gegen- 
stand selbst  in  derselben  Gegend  mehrere  Wörter  im  Gebrauch  sind,  so 
z.  B.  für  ^lehlsuppe  melka,  kruszanka,  prucka,  paperetka  nawarka,  vielleicht 
noch  andere.  Firleje  hat  auch  mehrere  Bedeutungen,  darunter  im  Sandomir'- 
schen  die  eines  Tanzfestes,  welches  am  heil.  Katharineutage  die  Dorfmäd- 
chen den  Burschen  bereiten,  also  synonym  mit  dem  unerklärlichen  szuda- 
wajki  in  dem  polnischen  Schlesien;  gazdynia  Hausfrau,  in  Oberschlesien  un- 
gewöhnlieh,  ist  höchst  wahrscheinlich  mit  den  bandochy  (in  Haufen,  Banden' 
wandernden  Arbeitern  aus  den  Karpathengebieten  hergewandert;  in  einer 
sprichwörtlichen  Redensart  begegnen  sich  zwei  gleichbedeutende  Wörter; 
der  Verfasser  führt  an:  juz  widac,  ale  daleko  gibac,  und  im  Gnesenscheu 
spricht  man:  daleko  dybac.  Die  Worte  mit  dem  Stamme  gizd- bedeuten  im 
Volksmunde  der  Polen  hässlich,  eine  ähnliche  Bedeutung  haben  sie  im  Böh- 
mischen, im  Serbischen  aber  bedeutet  gizdav  schön,  reizend.  Zum  Schluss 
möge  auch  noch  der  Gesichtspunkt  berücksichtigt  werden,  dass  die  Schule 
eine  ergiebige  Stätte  für  Bildung  von  neuen  Wörtern  ist ;  von  da  sind 
Wörter  ausgegangen,  wie  facka  Backenstreich  (facies),  fora  fort  Toras!  , 
fugas  reissaus,  kordja,  kordyai,  partyka,  kantyczki,  kompletnie  u. and.;  dort 
erhielten  auch  ihre  latinisirende  Gestalt  brudas,  morus  (Schmutzpeter),  ny- 
gus  Faulpelz   cf.  nega),  dworus,  chudeusz,  slabeusz  u.  s.  w. 

Ein  empfindlicher  Mangel  des  vortrefflichen  Werkes  von  Karlowicz  ist 

!  das  Fehlen  einer  genetischen  Deutung  der  oft  recht  räthselhaft  klingenden 

I  Wörter.    Der  Verfasser  spricht  sich  in  der  Vorrede  darüber  nicht  aus,  wie  er 

'sich  zu  einer  solchen  Aufgabe  stelle,  aber  man  sieht  auf  Schritt  und  Tritt, 

dass  etymologische  Deutungen,  die  Zurückführung  auf  das  Ursprungswort 

j  nicht  beabsichtigt,  vielmehr  ausgeschlossen  waren.    Dass  der  Verfasser  eine 

[solche  Beleuchtung  nicht  etwa  für  überflüssig  hielt,  bewies  er  in  seinem 

j  trefflichen  Siownik  wyrazow  obcych  1879,  er  hat  sich  darüber  auch  in  seiner 

Abhandlung  Sloworod  ludowy  in  Dwutygodnik  Krakowski  1878,  die  ich  leider 

nicht  kenne,  über  diesen  Gegenstand  geäussert,  und  hat  auch  als  der  jahre- 

,  lange,  bisherige  Leiter  der  treft'lichen  Zeitschrift  für  Volkskunde  Wisla  die 

:  umfassendste  Kenntniss  des  Volksgenius  erworben,  und  so  werden  wir  die 

;  zusammenfassende  Deutung  des   mundartlichen  polnischen  Sprachschatzes 

{ stets  von  ihm  erhoffen,  denn  nothwendig  ist  sie.  und  derjenige,  welcher  sie 

■  hätte  sonst  leisten  können,  Lucian  Malinowski  [cf.  seine  Arbeit:  0  niektorych 

;  wyrazach  ludowych.  Zur  Lautlehre  der  Lehnwörter  im  Polnischen  in  Kuhn's 

Beiträge  VI  u.  s.  w.),  ist  leider  nicht  mehr  unter  den  Lebenden. 

Die  Erklärung  ist  übrigens  oft  schon  jetzt  gegeben  durch  das  normale 
hochpolnische  Wort  an  der  Spitze,  und  in  manchen  Fällen  lugt  sie  aus  dem 


1 34  Kritischer  Anzeiger. 

Fremdwort  hervor,  so  weist  iiielka  auf  Mehlsuppe,  frasunek  auf  ein  Wort  wie 
etwa  Fressung  (Beküinmerniss),  fedrowac  auf  fördern,  fecy  Fusslappen  auf 
Fetzen  hin;  in  giedung  ist  Gedinge,  in  geltag,  gieltowac,  gnik  erkennt  man 
leicht  Geldtag,  gelten  und  Genick,  in  bryzowac  für  fryzowac  das  Ursprungs- 
wort frisiren;  gieiczec  Geräusch  machen  ist  durch  zgieik  Tumult  erklärt.  Bei 
obciasy  Absätze  mischen  sich  Deutsch  und  Polnisch  zu  einem  Gebilde  zu- 
sammen. 

Hin  und  wieder  entschloss  sich  der  Verfasser  doch,  das  Originalwort  zu 
nennen;  so  flindze  durch  das  deutsche  Wort  Flinzchen,  forwec'=  vorwärts,  bei 
kantopory  das  franz.  quatretemps  und  hajdak  ist  aus  Matzenauer  Cizi  slova 
erklärt.  Bei  czuder  (Pferderuf!)  ist  auch  die  Erklärung  aus  dem  Deutschen 
beigegeben:  zu  dir  =  nach  links,  worin  auch  eine  Andeutung  liegt,  dass  das 
gleichbedeutende  ksobie  auch  aus  dom  Deutschen  übersetzt  ist.  An  einer 
Stelle,  bei  firleje,  verweist  der  Verf.  auf  sein  Slownik  wyrazöw  obcych,  bei 
baciarz  ein  Elender  verweist  er  auf  Prace  fiiologiczne  I,  311 ,  wo  L.  Malinow- 
ski  die  Erklärung  aus  dem  Ungarischen  gegeben  hat,  der  Zusatz  nieobjasnione 
bei  dem  zweiten  Citat  Rozprawy  IX,  157  ist  störend.  Man  sieht  aber  sonst 
deutlich,  dass  etymologische  Deutungen  in  dem  Werke  nicht  beabsichtigt 
waren,  so  wusste  der  Verf.  doch  die  richtige  Deutung  von  kapcaniec  aus  dem 
Neuhebräischen,  bei  hezki  u.  and.,  die  er  in  dem  grossen  polnischen  Wörterbuch 
von  Karlowicz,  Kryuski  und  Niedzwiedzki  gegeben  hat,  wiederholte  sie  aber 
in  seinem  mundartlichen  Lexicon  nicht.  Der  Kenner  wandernder  Wörter  wird 
sich  wohl  das  eine  oder  das  andere  Wort  erklären,  apleucha  aus  dem  russi- 
schen on.Teyxa  (apleucha  ist  in  Litauen  gebräuchlich),  hultaj  Vagabund  aus 
dem  russischen  ryjinTii  mit  dem  seltenen  Suffix  -taj  (wie  bei  rataj),  aber  so 
manches  sehr  gebräuchliche  Wort  wird  wohl  nicht  so  bald  seine  Erklärung 
finden.  Das  altpolnische  chäiizba  Diebstahl  ist  wegen  der  Verschiedenheit 
der  Bedeutung  kaum  mit  dem  russ.  xaiuKuxu  zusammenzustellen;  gidea  hohe 
ungeschickte  Person  kann  wohl  als  Schulwort  (idea)  nicht  gelten,  weil  es  bei 
Neusandecz  gidyja  heisst ;  die  grösste  Schwierigkeit  bietet  der  Deutung  das 
Wort  giera  grosser,  unförmlicher  Fuss,  wofür  in  gewissen  Gegenden  das  un- 
verständliche giejce  (pl.)  im  Gebrauche  ist ;  wenn  bei  dem  Deminutivum 
gierka  auf  Bibl.  Warsz.  1864,  I,  292  verwiesen  wird,  wo  das  Sprichwort  do- 
gadza  jak  ksiadz  gierce  übersetzt  wird:  macht  ihm  oder  ihr  bequem  wie  der 
Geistliche  der  Gertrud,  so  möchte  man  doch  bei  der  bekannten  Bedeutung 
bleiben  und  lieber  übersetzen:  wie  der  Geistliche  seinen  Pedalen  (=  er  schont 
sie,  fährt  lieber);  zu  Gertrud  passen  auch  die  folgenden  Worte  nicht:  wzi^- 
iem  po  ojcu  gierke  i  magierke.  Honorzyc  sie  ist,  wie  Ref  hinzufügen  möchte, 
wohl  trotz  der  verwandten  Bedeutung  von  honosit  se  zu  trennen. 

Dass  in  dem  Werke  von  Kartowicz  noch  viele  Wörter  fehlen,  soll  dem 
Verfasser  sicher  nicht  zum  Vorwurf  gemacht  werden,  obgleich  es  gewiss  be- 
dauerlich ist,  dass  z.B. bei  dem  Namen  Barttomiej  das  scherzhafte  bartodziej 
aus  den  Gnesener  Predigten,  bei  Florian  das  polonisirte  Tworzyjan  fehlt, 
welches  in  der  hypokoristischen  Form  Tworek  die  Erklärung  für  den  ober- 
schlesischen  Ortsnamen  Tworkau  bietet,  aber  auf  Altpolnisches  wollte  Verf. 
wohl  nicht  eingehen;  bei  den  Namen  Julian  und  Juliana  fehlt  neben  Ulina 


Simic,  Pluralis  der  ein-  und  zweisilbigen  Masculina,  angez.  v.  Resetar.      135 

auch  ülana  für  Juliana  und,  wie  ich  glauben  möchte,  Ulanowo  bei  Gneaen  für 
Julianowo  (mit  Anlehnung  an  uian)  und  wohl  auch  Utas,  welches  in  Litauen 
im  Gebrauche  ist  u.  s.  w.  Ich  habe  in  meiner  Recension  vom  März  19U1, 
welche  die  Krakauer  Akademie  in  Materyalj'  und  Prace  I,  1  veröffentlicht 
hat,  eine  Anzahl  von  Lücken  des  ersten  Bandes  des  Slownik  verzeichnet, 
könnte  jetzt  auf  solche  im  zweiten  Bande  hinweisen,  aber  ich  meine,  dass  es 
darauf  weniger  ankommt,  da  die  Lücken  vom  Verf.  oder  von  Anderen  aus- 
gefüllt werden  können;  Kariowicz  hat  auch  seine  höchst  verdienstliche  Arbeit 
bescheiden  nur  als  Grundlage  weiterer  Sammlungen  bezeichnet,  und  eine 
solidere  Grundlage  kann  es  nicht  geben. 

Das  Werk  ist  nicht  nur  ein  mustergiltiges  Nachschlagebuch ,  sondern 
auch  eine  von  Meisterhand  geschaffene  Fundgrube  des  polnischen  mundart- 
lichen Sprachschatzes,  aus  welcher  Sprachforscher  in  reichlichem  Masse 
schöpfen  und  welchen  sie  immerfort  nach  Möglichkeit  und  nach  dem  gegebe- 
nen vortrefflichen  Muster  bereichern  können.  W.  Nehring. 


H.  ChmhIi,  jVIiioa^HHa  HMemma  MyiuKora  po^a  oj  jeÄHora  h  oä  aßa 

c.iora  (erschienen  im  Programme  des  Gymnasiums  zu  Mostar  [Her- 

ceg-ovina]  für  das  Jahr  1901/1902,  S.  3—48). 

Herr  S.  hat  sich  mit  grosser  Gewissenhaftigkeit  einer  Arbeit  unterzogen, 
deren  Resultate  in  keinem  Verhältnisse  zu  der  Mühe  stehen,  die  auf  dieselbe 
aufgewandt  werden  musste.  S.  behandelt  hier  die  Frage,  welche  ein-  und 
zweisilbige  Substantive  masc.  gen.  im  Serbokroatischen  den  (durch  den 
Stammauslaut  -ovo  der  «/-Stämme  im  Gen.  plur.)  erweiterten  Pluralis  bilden  ; 
in  der  Hauptsache  sagt  er  nämlich  nur  dasjenige  wieder,  was  schon  Ma- 
retic  in  seiner  grossen  Grammatik  (§§  137 — 139)  gesagt  hatte;  neu  ist  nur  die 
ganz  richtige  Bemerkung,  dass  diese  längeren  Pluralformen  im  Serbokroati- 
schen immer  mehr  an  Boden  gewinnen,  w'ofür  als  charakteristisches  Beispiel 
der  in  Mostar  gebräuchliche  Pluralis  ddnoci  von  dän  »Tag«  angeführt  wird, 
eine  Form,  die  bis  jetzt  gänzlich  unbekannt  war;  ob  aber  diese  längere  Form 
im  gegenwärtigen  Zustande  der  Sprache  vorzugsweise  im  Genetiv 
üblich  ist,  was  S.  ebenfalls  behauptet  (S.40i,  scheint  mir  nicht  gar  so  sicher  zu 
sein.  Dagegen  w  äre  die  statistische  Tabelle  auf  S.  39  und  die  auf  Grund  der- 
selben gezogenen  Schlüsse  lieber  ausgeblieben:  S.  gibt  hier  eine  Uebersicht 
der  einsilbigen  Substantive  nach  dem  auslautenden  Konsonanten  des  Nom. 
sing,  und  stellt  dann  die  Regel  auf:  »Substantive,  welche  auf  b,  v,  it,  z,j,  l,f 
und  c  auslauten,  haben  nur  den  längeren  Pluralis,  während  die  auf  einen  an- 
deren Konsonanten  auslautenden  beide  Formen  des  Pluralis  haben«.  Das  ist 
wohl  nur  zufällig!  Man  sollte  eher  auf  den  Vokal  der  Wurzelsilbe,  sowie  auf 
den  Accent  Rücksicht  nehmen,  doch  auch  von  dieser  Seite  kann  ich  zu  kei- 
nem einigermassen  sicheren  Resultate  gelangen.  Ich  glaube  daher,  dass  man 
nur  sagen  kann:  die  kürzere  Form,  welche  zu  gleicher  Zeit  die  ältere  ist, 
verliert  mit  der  Zeit  und  —  was  ebenso  stark  betont  werden  muss  —  in  der 


136  Kritischer  Anzeiger. 

Eichtung  gegen  Südosten  —  woher  überhaupt  der  Verjüngungsprocess  der 
serbokroatischen  Sprache  seinen  Anfang  genommen  hat  —  immer  mehr  an 
Boden;  welche  Substantive  aber  noch  immer  nur  die  kürzere  (ursprüngliche) 
Pluralform,  welche  nur  die  längere  (mit  -ov-  [-ev-]  erweiterte),  und  welche 
endlich  beide  Formen  haben,  das  lässt  sich  nur  aua  dem  lebendigen  Sprach- 
gebrauche feststellen.  S.'s  Arbeit  hat  daher  den  Werth,  dass  sie  uns  wenig- 
stens aus  den  Werken  Vuk's  und  Danicic's,  sowie  aus  den  von  Vuk  heraus- 
gegebenen Volkserzählungen  und  Sprichwörtern  (die  Volkslieder  wurden 
mit  Recht  übergangen,  da  hier  für  die  Wahl  der  kürzeren  oder  der  längeren 
Form  vielfach  das  Metrum  massgebend  war)  eine  vollständige  Sammlung 
der  in  Rede  stehenden  Pluralbildungen  enthält.  Wie  unzureichend  aber  dieses 
Material  ist,  zeigt  am  besten  der  Umstand,  dass  S.  oft  die  daraus  gewonnenen 
Resultate  vervollständigen  muss,  indem  er  daxu  bemerkt:  »mau  spricht  aber 
auch  . .  .«,  wobei  es  nur  zu  bedauern  ist,  dass  S.  in  der  Regel  nicht  angibt,  in 
welcher  Gegend  auch  die  von  ihm  bezeichnete,  von  Vuk's  und  Danicic's 
Sprachgebrauch  verschiedene  Form  gesprochen  wird.  Man  sollte  schon  ein-, 
sehen,  dass  auf  serbokroatischem  Gebiete  das  »Stokavische«,  welches  der 
Schriftsprache  zu  Grunde  liegt,  kein  einheitlicher  Dialekt  ist,  sondern  nach 
den  verschiedenen  Gegenden,  wo  es  gesprochen  wird,  sich  mehr  oder  weniger 
stark  differenzirt.  Dies  geschieht  auch  in  Bezug  auf  die  Pluralbildung  der 
Masculina,  und  so  will  ich  beispielsweise  erwähnen,  dass  im  Dialekte  von 
Ragusa,  der  gut  «stokävisch«  ist,  nicht  selten  die  ältere,  kürzere  Form  noch 
immer  auch  bei  solchen  Substantiven  vorkommt,  die  nach  S.  nur  den  länge- 
ren Pluralis  haben  sollen,  z.  B.  hör,  vrh,  gää,  greh  (für  Vuk's  grob),  grozcl, 
cVio-dijela,  klüc,  l'ijek,  tnij'eh,  pöp,  prlst,  prüt,  sän-snä,  c'ep,  cir,  siäp  (in  der  Be- 
deutung »Stab«),  zül,  säv-scu  u.  s.  w.;  also  auch  hier,  wie  überall  und  immer: 
qui  bene  distinguit,  bene  docet !  M.  R. 


Slovanske  starozitnosti,  sepsal  Dr.  Liibor  Niederle.    V  Praze  1902. 

Dill.  Püvod  a  pocätky  näroda  slovanskeho.  Svazekl.  S".  XV. 205. 

(Slavische  Alterthümer  von  L.  Niederle). 

»Vor  15  Jahren  wandte  ich  mich  dem  Studium  der  slavischen  Alterthü- 
mer zu,  und  vor  11  Jahren  publicirte  ich  die  erste  Abhandlung  auf  diesem 
Gebiete.  Seit  der  Zeit  gab  ich,  von  anderen  bis  zu  einem  gewissen  Masse 
\erwandten  Arbeiten  abgesehen,  noch  einige  andere  Arbeiten  heraus,  die 
insgesammt  als  Vorstudien  für  dieses  erste  Heft  des  Werkes  gelten  können«. 
Mit  diesen  Worten  der  Vorrede  wollte  der  Verf.  andeuten,  dass  er  schon  vor 
geraumer  Zeit  angefangen  hatte,  sich  mit  verschiedenen  Fragen  des  slavischen 
Alterthums  abzugeben  und  dass  er  in  der  slavischen  Alterthumswissenschaft 
nicht  mehr  als  Neuling  dastehe.  In  der  That  ist  Prof.  Niederle  seit  dem  Be- 
ginn des  letzten  Decenniums  des  verflossenen  Jahrhunderts  als  einer  der 
fleissigsten  und  fruchtbarsten  Gelehrten  der  jüngeren  böhmischen  Generation 
vortheilhaft  bekannt.    Allerdings  bewegte  er  sich  anfangs  ganz  auf  dem  Ge- 


Niederle,  Slavische  Alterthümer,  angez.  von  Jugic.  137 

biete  der  Anthropologie,  die  ja  auch  für  die  slavischen  Alterthümer  dienst- 
bar gemacht  werden  kann.    Schon  im  J.  1^91  gab  er  »Beiträge  zur  Anthro- 
pologie der  böhni.  Länder«  als  Ilabilitationsschrit't  heraus   und   im  J.  1893 
erschien  sein  grösseres  Werk  »Lidstvo  v  dobe  piedhistoricke    Prag,  80,  XVI. 
7601,  das  in  den  competenten  Fachkreisen  solchen  Beifall  fand,  dass  es  im 
J,  lb98  in  St.Petersburg  eine  russische  Uebersetzung  erlebte:  « He.ioBt'iccTuo 
BT»  joucxopuiecKiH  BpcMeiia«.    Einige  Jahre  nachhergab  er  (1896J  eine  dem 
Titel  nach  viel  besagende  Schrift:  »0  püvodu  Slovanu.  Studie  k  slovanskym 
starozitnostem«  (S'J,  149)  heraus,  in  welcher  er  selbst  die  Frage  über  den  Ur- 
sprung der  Slaven  hauptsächlich  vom  anthropologisch-arcliäologisclien  Stand- 
punkte behandelte.  Man  sieht  zwar  im  ersten  Theile  der  Schrift  auch  tieissige 
Rücksichtnahme  auf  die  Ergebnisse  der  Linguistik,  doch  dieser  Abschnitt 
des  Büchleins  ist  reine  Compilation,  die  allerdings  für  den  aussergewöhn- 
lichen  Sammelfleiss  des  Verfassers  und  für  seine  grosse  Geschicklichkeit,  sich 
schnell  in  die  Resultate  fremder  Forschungen  hineinzuarbeiten,  ein  sehr  gün- 
stiges Zeuguiss  abgibt.    Auch  die  Polemik,  die  das  Büchlein  hervorrief,  be- 
wegte sich  auf  der  anthropologish-archäologischen  Bahn  und  die  nachher  in 
der  deutschen  als  »einer  Weltsprache«  (Vgl.  S.  5)  kurz  nochmals  resumirende 
Abhandlung  »Zur  Frage  über  den  Ursprung  der  Slaven.    Ein  Nachtrag  zu 
meiner  Schrift  » 0  püvodu  Slovanu«  (Prag  1899;  gibt  sich  hauptsächlich  mit 
den  Lösungsversuchen  ab,  wie  die  heutige  Brachykephalie  der  Slaven  mit 
den  dolichokephalen  Gräberfunden  in  Einklang  zu  bringen  wäre.    Möge  auch 
'•  der  von  dieser  Seite  der  slavischen  Alterthumskunde  zugeführte  Gewinn  bis- 
jetzt  wenig  besagen,  immerhin  wird  man  den  neuen  Gesichtspunkt,  wenn  er 
zum  tüchtigen  Studium  des  Gegenstandes  nach  anderen,  näher  liegenden  Ge- 
!  Sichtspunkten  als  etwas  Subsidiäres  hinzutritt,  mit  Freuden  begrüssen.  Dass 
'  der  ehrenwerthe  Verfasser  auch  den  ethnographischen  Forschungen  nicht 
t  ganz  fern  stehen  wollte,  bewies  er  durch  seine  Betheiligung  an  dem  Prager 
Ethnographischen  Museum,  durch  seine  darüber  publicirten  Berichte,  durch 
j  die  den  ethnographischen  Abtheilungen  der  Ausstellungen  von  Budapest  und 
'  Dresden  gewidmete  Aufmerksamkeit,  endlich  durch  seine  noch  immer  fort- 
^  bestehende  Theilnahme  an  dem  Redactionscomite  des  Närodopisny  Sbornik. 
j  Erst  ganz  zuletzt  nehmen  wir  bei  dem  unermüdlichen  Gelehrten  auch 

1  die  Heranziehung  der  alten  Geschichtsquellen  als  eines  Mittels  der  wissen- 
schaftlichen Erforschung  wahr,  d.  h.  er  überschreitet  das  Gebiet  der  natur- 
wissenschaftlichen  Disciplinen  und  begibt  sich  auf  das  Gebiet  der  philolo- 
I  gisch-historischen  Forschung,  Noch  im  J.  1897,  als  er  den  Aufsatz  «Palaeth- 
nologie  Evropy«  für  den  Cesky  casopis  historicky  lieferte  (auf  S.  212 — 222), 
stand  in  der  kurzen  Uebersicht  über  die  Literatur  des  Gegenstandes  aus  der 
neuesten  Zeit  die  Anthropologie  und  Archäologie  obenan.  Dagegen  fallen 
in  das  Jahr  1S99  zwei  Publicationen  des  Verfassers,  in  denen  schon  die  ge- 
schichtliche Behandlung  des  Gegenstandes  stärker  hervortritt.  In  dem  sehr 
le-enswerthen  Aufsatz  »0  kolebce  näroda  slovanskeho«  (erschienen  in  Slo- 
i  vansky  Piehled,  SA.  8  S.)  wird  die  Frage  über  die  Ileimath  der  Slaven  (näm- 
lich vor  ihrem  Auseinandergehen  in  die  später  und  noch  jetzt  von  ihnen  be- 
wohnten Länder;  nicht  mehr  auf  Grund  der  Daten  aus  der  Anthropologie, 


1 38  Kritischer  Anzeiger. 

sondern  der  ältesten  Geschichtsquellen  behandelt,  so  dass  hier  schon  auf  die 
Angaben  der  ältesten  slavischen  (mit  vulgo  Nestor  an  der  Spitze)  und  nicht 
slavischen  Geschichtsquellen  (Tacitus,  Plinius,  Ptolemäus  u.  a.)  Rücksicht 
genommen  wird.  Der  Aufsatz  macht  keinen  Anspruch  darauf,  etwas  neues 
zu  sagen,  aber  das,  was  er  sagt  und  wie  er  es  ausfülirt,  halte  ich  für  sehr  ver- 
nünftig. Noch  stärker  macht  sich  der  Unterschied  zwischen  dem  früheren  und 
jetzigen  Niederle  in  dem  Werke  »Staroveke  zprävy  o  zemepisu  vychodni 
Evropy«  (erschienen  als  VIJI,  Nr.  1  der  Rozpr.avy  der  I.  Classe  der  böhm. 
Akademie  der  Wissenschaften)  bemerkbar.  Man  muss  geradezu  staunen  über 
die  grosse  Literaturkenntniss,  die  der  Verfasser  jetzt  auf  einem  ganz  anderen 
Gebiete,  nämlich  dem  der  alten  Geographie,  an  den  Tag  legt.  Der  historische 
Geograph  macht  dem  bisherigen  Anthropologen  Concurrenz !  Dazu  gesellt  sich 
ein  sehr  glückliches  Combinationsvermügen,  um  die  viele  Spreu  vom  Weizen 
fernzuhalten.  Der  ungeheure  Citatenapparat  erdrückte  ihn  nicht,  als  um- 
sichtigem Eklektiker  gelang  es  ihm  fast  immer,  zwischen  den  vielen  sich 
widersprechenden  Ansichten  glücklich  mit  einem  Olivenzweige  durchzukom- 
men. Auf  diese  Weise  machte  er  aus  dieser  nicht  ausführlichen,  aber  äusserst 
inhaltreichen  Schrift  ein  sehr  brauchbares  Orientirungsbueh  über  die  geogra- 
phischen Kenntnisse  der  Alten  betreifs  Osteuropas,  der  vermeintlichen  Wiege 
der  Slaven.  Das  Buch  beruht  nicht  auf  so  starker  wissenschaftlicher  Ver- 
tiefung in  den  Gegenstand,  wie  die  etwas  später  erschienene  Schrift  Braun's 
(vgl.  Archiv  XXII,  S.244  flf.),  es  ist  aber  keineswegs  eine  ganz  unselbständige 
Compilation.  Der  Verfasser  hat  auch  den  Muth  eigener  Meinung,  wie  z.  B. 
auf  S.  41  (betreffs  des  ovIveSixos  xölno;],  auf  S.  46  (betreffs  der  Bernstein- 
küste), auf  S.  104  (betreffs  der  oviyedr/.a  oQrf)  u.  ä.  Nur  in  einer  Richtung  em- 
pfiehlt er  sich  nicht:  er  weist  beinahe  ostentativ  jede  Gemeinschaft  mit  der 
»Philologie«  (sollte  wohl  richtiger  heissen  »Etymologie«?;  ab.  Man  vergl. 
S.  71.  95.  Ob  er  gut  thut,  das  ist  freilich  eine  andere  Frage.  Wenn  er  selbst 
der  Linguistik  eine  starke  Ingerenz  bei  der  Lösung  von  Fragen,  die  er  beab- 
sichtigt, zuerkennt,  so  sollte  er  doch  mit  der  »Philologie«  auf  keinen  allzu 
gespannten  Fuss  sich  stellen. 

Nach  diesen  und  einigen  anderen  Vorarbeiten  —  ich  erwähne  nur  noch 
die  im  Cesky  casopis  historicky  Jahrg.  1900  publicirte  Studie  »0  pocätcih 
dejin  zemi  ceskych«  SA.  50  S.,  sie  sieht  dem  zuletzt  genannten  Werke  in  der 
ganzen  Analyse  und  Ausführung  sehr  ähnlich,  enthält  die  ersten  Daten  über 
die  gallische,  germanische  und  slavische  Besiedelung  Böhmens,  gesammelt 
und  kritisch  besprochen  —  ist  jetzt  das  grosse  Werk  »Die  slavischen  Alter- 
thümer«  im  Erscheinen  begriffen,  wovon  das  erste  Heft  vorliegt.  Ich  will  mit 
einigen  Worten  auf  die  Bedeutung  dieser  umfangreichen  Publication  hinweisen. 
Zuvor  sei  es  mir  jedoch  gestattet  zu  erwähnen,  dass  auch  ich  gerade  vor 
15  Jahren  das  erste  Mal  in  Wien  ein  ausführliches  Colleg  über  die  slavischen 
AlterthUmer  mit  folgenden  Worten  eröffnete:  »Ich  habe  mir  selbst  eine 
schwierige  Aufgabe  auferlegt,  indem  ich  mich  entschloss,  ein  ausführliches 
Colleg  über  die  slavische  Alterthumskunde  zu  lesen.  Ich  wollte  einmal  mir 
selbst  und  auch  Ihnen  Rechenschaft  darüber  ablegen,  was  wir  heute,  nachdem 
50  Jahre  seit  dem  Erscheinen  der  slavischen  Alterthümer  P.  I.  äafaiik's  ver- 


Niederle,  Slavische  Alterthümer,  angez.  von  Jagic.  139 

flössen  sind,  —  seine  Vorrede  ist  mit  dem  Datum  5.  Sept.  1S37  versehen  — 
neues,  erweitertes  oder  umgearbeitetes  über  diesen  Gegenstand  zu  sagen  im 
Stande  sind.  Es  ist  bezeichnend,  dass  in  diesen  fünfzig  Jahren  von  keiner 
Seite  auch  nicht  einmal  ein  Versuch  gemacht  wurde,  die  slavischen  Alter- 
thümer  Safafik's  zu  berichtigen  oder  zu  ergänzen,  geschweige  denn  ein  an- 
deres selbständiges  Werk  an  die  Stelle  jenes  zu  setzen.  Wenn  ich  sage  er- 
gänzen, so  spreche  ich  im  Sinne  ^afarik's,  seinem  eigenen  Geständuiss  gemäss. 
Er  hat  selbst  seine  Starozitnosti  als  den  ersten  historischeu  Theil  des  ganzeu 
Gebäudes  bezeichnet,  dem  er  einen  zweiten  ethologischeu  (mravopisnyj 
möglichst  bald  nachzuliefern  versprach.  Die  Ungunst  der  Lebensumstände 
brachte  es  mit  sich,  dass  es  bei  dem  Versprechen  auch  verblieb«.  Mein 
CoUeg,  das  ich  später  noch  zwei-  oder  dreimal  wiederholte,  jedesmal  natür- 
lich mit  allerlei  Aenderungen,  Umarbeitungen,  Erweiterungen  —  war  haupt- 
sächlich auf  die  Ergänzung  der  Lücken  gerichtet.  Darin  weiche  ich  von  dem 
Verfasser  des  vorliegenden  Werkes  principiell  ab.  Die  Frage  über  die  alte 
Ethnographie  Europas,  das  Heraussuchen  derSlaven  unter  den  ver.schiedeueu 
Völkernamen  der  alten  Zeit,  vor  und  nach  Christi  Geburt,  bildete  nicht  die 
eigentliche  Aufgabe  meiner  selbständigen  Forschung.  Natürlich  musste 
auch  ich  von  der  ungefähren  Grenzbestimmung  des  Rayons,  in  welchem  die 
Slaven  vor  ihrer  begonnenen  Auswanderung  aus  der  osteuropäischen,  au  die 
Karpathen  angelehnten  Ebene  ansässig  waren,  ausgehen,  doch  nachdem 
dieser  einleitende  Theil  unter  Berücksichtigung  der  neuesten  Literatur  in 
möglichster  Kürze  abgethan  war,  bildete  das  äussere  und  innere  Bild  des 
Lebens  der  alten  Slaven  den  Hauptgegenstand  meiner  weiteren  Vorlesungen, 
also  das  was  fcafaiik  in  seinem  » ethologischeu«  Theil  nachzuliefern  ver- 
sprochen hatte.  Prof.  Niederle  beschränkt  sich  nicht  darauf.  Er  will  nicht 
bloss,  in  die  Fusstapfen  Safafik's  tretend,  eine  Ergänzung  seines  Werkes 
liefern,  sondern  in  allen  Theilen  nach  dem  besten  Wissen  und  Gewissen  die 
slavischen  Alterthümer  umarbeiten.  Darum  ist  auch  sein  Werk  in  viel 
grösserem  Umfange  geplant,  als  es  mir  in  meinen  Vorlesungen  vorschwebte. 
Nach  den  Worten  Niederle's  ist  das  Ganze  auf  sechs  Theile  berechnet,  von 
denen  vier  den  ethnologisch-historischen,  zwei  den  Cultur-Alterthümern  ge- 
widmet sein  sollen.  Man  sieht  schon  daraus,  dass  auch  bei  Prof.  Niederle  den 
ethnographisch -historischen  Abschnitten  des  Werkes  ein  entschiedenes 
Uebergewicht  vor  jenen,  die  Safaiik  in  seinem  Nachlass  mit  dem  Ausdruck 
mravopisny  charakterisirte,  zufallen  soll.  Er  möchte  in  Abweichung  von 
bafaiik,  der  natürlich  den  Bedürfnissen  seiner  Zeit  Rechnung  tragen  musste, 
das  Ethnographisch-Historische  in  seinem  Werke  in  zwei  grosse  Gruppen 
eintheilen:  in  der  ersten  soll  die  Darstellung  alles  dessen  erfolgen,  was  man 
von  den  Anfängen  der  Slaven,  so  lange  sie  noch  auf  ursprünglich  beschränk- 
tem Territorium  zusammen  lebten  und  nicht  den  Weg  des  schnellen  Aus- 
einandergehens betraten,  wissen  und  sagen  kann;  in  der  zweiten  soll  die 
Wanderung  der  Slaven  aus  ihrer  alten  Heimath  nach  drei  Hauptrichtungen 
und  die  Niederlassung  derselben  in  den  späteren  geschichtlich  bekannten 
Gebieten  und  Ländern  zur  Darstellung  gelangen.  Für  die  erste  Gruppe  ist 
ein  auf  zwei  Hefte  berechneter  Theil  in  Aussicht  genommen,  für  die  zweite 


140  Kritischer  Anzeiger. 

(/rei  weitere  Theile.  Das  erste  Heft  des  ersten  Theiles  —  und  dieses  liegt 
vor  —  erzählt  alles  das,  was  man  über  den  Ursprung  der  Slaven,  die 
Anfänge  ihres  Sonderlebens,  die  Ursachen  und  die  Vorgänge  ihrer  all- 
mählichen Differenciation  bis  zu  den  frühesten  geschichtlichen  Nachrichten 
betreffs  derselben  sagen  kann.  Das  zweite  Heft  soll  die  Wiedergabe  jener 
alten  Nachrichten  enthalten,  die  sich  überhaupt  auf  die  Wiege  des  Slaven-^ 
thums  und  der  Nachbargebiete  beziehen,  von  den  Anfängen  der  alten  Ge- 
schichte bis  zum  II.  Jahrh.  nach  Chr.  Die  übrigen  drei  Theile  werden  die 
Slaven  in  ihrer  Auswanderung  aus  der  alten  Heimath  behandeln,  und  zwar 
das  erste  Heft  des  zweiten  Theils  soll  den  ältesten  Uebergang  der  Slaven 
über  die  Karpathen  nebst  den  Fragen  über  ihr  eventuelles  Vorhandenge- 
wesensein schon  früher  in  dem  Karstgebiet,  in  Pannonien  und  in  den  sieben- 
bürgischen  Thälern  zur  Sprache  bringen,  das  zweite  Heft  desselben  Theils 
wird  den  nachfolgenden  Uebei'gang  der  Südslaven  über  die  Donau  und  Save 
und  die  Besiedelung  der  ganzen  Halbinsel  darstellen ;  der  dritte  Theil  soll 
der  Ausbreitung  der  Westslaven  und  der  vierte  den  ältesten  Schicksalen  der 
im  Osten  zurückgebliebenen  Slaven  gewidmet  werden.  So  skizzirt  der  Verf. 
selbst  den  Plan  seines  Werkes;  in  diesen  vier  Theilen  soll  es  sich  ungefähr 
mit  dem  Inhalt  der  Slavischen  Alterthümer  Safai-ik's  decken.  Von  den  übrigen 
zwei  Theilen  (dem  fünften  und  sechsten),  die  den  Culturalterthümern  gewidmet 
sein  sollen,  lässt  sich  nach  den  ganz  kurzen  W^orten  der  Vorrede  (S.  VI)  nicht 
viel  sagen.  Höchstens  könnte  man  fragen,  ob  der  Verf.  nicht  schon  in  den 
vorausgehenden  Heften  seines  Werkes  manches  davon  wird  berühren  müssen 
(auf  Grund  der  ältesten  Nachrichten  über  die  Slaven),  was  er  eigentlich  in 
das  Bild  der  ältesten  slavischen  Cultur  zu  verlegen  (in  den  fünften  und- 
sechsten  Theil)  gesonnen  ist. 

Das  erschienene  erste  Heft  des  ersten  Theiles  zerfällt  in  fünf  Kapitel :  im 
ersten  ist  von  den  ursprünglichen  Sitzen  der  Slaven  die  Rede,  im  zweiten  von 
der  Abkunft  (Ursprung)  der  Slaven,  im  dritten  von  den  Anfängen  des  Sonder- 
lebens des  slavischen  Volkes,  im  vierten  von  den  geographischen  Nachrichten 
über  die  Heimath  der  Slaven  nach  den  alten  Quellen,  im  fünften  von  den  äl- 
testen Nachrichten  über  die  slavischen  »Venedae«.  Man  könnte  fragen,  durch 
welche  Zauberkunst  der  Verfasser  es  zu  Wege  brachte,  mehr  als  200  eng  ge- 
druckte gross  80-Seiten  mit  der  Beantwortung  dieser  fünf  Fragen  auszufüllen,' 
wenn  man  nicht  schon  aus  seinen  vorausgegangenen  Schriften  wüsste,  dass 
er  die  Hilfsliteratur  in  geradezu  riesenhaften  Dimensionen  heranzuziehen  liebt 
und  dass  er  bei  jeder  einzelnen  einigermassen  wichtigeren  Behauptung  die 
ganze  Geschichte  der  menschlichen  Irrungen  dem  Leser  mitzutheilen  trachtet. 
So  gestaltet  sich  das  Werk  Niederle's  nicht  bloss  zu  einer  Darstellung  der 
slavischen  Alterthümer,  sondern  zugleich  zu  einer  Geschichte  der  Ansichten 
(bei  weitem  mehr  unrichtigen  als  richtigen)  über  einzelne  Fragen  des  slavi- 
schen Alterthums.  Der  Verfasser  baut  nicht  bloss  vor  unseren  Augen  ein 
stattliches  Gebäude,  an  dem  wir  unsere  Freude  haben,  nein  er  lässt  uns  auch 
die  Staubwolken  schlucken,  die  sich  aus  dem  Schutt  der  von  ihm  niederge-r 
rissenen  alten  Wände  erheben.  Persönlich  flösst  uns  zwar  dieser  immense 
Apparat  von  herangezogenen  Hilfsmitteln  den  grössten  Respect  ein,  wir  ver- 


Niederle.  Slavische  Alterthümer,  angez.  von  Jagic.  141 

beugen  uns  tief  vor  der  grossen  Belesenheit  des  Verfassers.  Ob  es  aber  noth- 
wendig,  ob  es  für  den  angenehmen  Geuuss  des  Werkes  vortheilhaft  war, 
neben  den  woblbegründeten  Ansichten  oder  scharfsinnigen  Vermuthungen, 
die  für  den  Fortschritt  der  Wissenschaft  fördernd  sind,  auch  noch  jeden  Ein- 
fall, um  nicht  zu  sagen  Unsinn  unkritischer  Köpfe  mit  gleicher  Zuvorkom- 
menheit zu  berücksichtigen,  sei  es  im  Text,  sei  es  in  den  Anmerkungen,  das 
ist  eine  andere  Frage,  die  ich  eher  verneinen  als  bejahen  möchte.  Der  Verf. 
wird  sich  allerdings  nach  einem  Sprichwort  gedacht  haben:  kadsto  i  slijepac 
napipa!  Das  ist  auch  richtig  und  doch  hätte  ich  eine  kritische  Sichtung  des 
herangezogenen  bibliograph.  Materials  entschieden  befürwortet.  Ein  anderer 
Grund  für  die  Ausführlichkeit  der  Darstellung  liegt  darin,  dass  in  dieses 
Werk  ganze  Abschnitte  aus  der  indoeurop.  vergleichenden  Linguistik,  die 
natürlich  auch  die  slavische  Sprache  angehen,  eingeschaltet  wurden  ' vergl. 
S.  05 — SO,  111 — 122\  ebenso  wie  aus  seiner  früheren  anthropologischen  Unter- 
suchung über  den  Brachy-  oder  Dolichokephalismus  der  alten  Slaven  hier 
vieles  von  neuem  Aufnahme  fand  (S.  80 — 110).  Diese  Einschaltungen  könnte 
man  vielleicht  dadurch  rechtfertigen  wollen,  dass  das  Werk  für  weitere 
Leserkreise  berechnet  ist,  die  ja  bekanntlich  aus  jeder  Wissenschaft  etwas 
zu  naschen  lieben,  doch  die  eigentliche  Aufgabe  der  slavischen  Alterthümer 
ist  dadurch  vielleicht  unnöthig  complicirt  worden.  Ausserdem  übersah  der 
Verfasser,  dass  er  sich  stark  der  Gefahr  des  Vorwurfes  einer  überladenen 
Compilation  aussetzt.  Uebrigens  möchte  ich  nicht  ungerecht  sein,  nicht  die 
irrosse  Mühe,  die  der  Verfasser  auf  sich  geladen,  mit  Undank  lohnen.  Ich 
will  lieber  gestehen,  dass  ich  dieses  erste  Heft  mit  Spannung  gelesen,  man- 
ches Neue  daraus  gelernt  und  glücklicher  Weise  in  den  allermeisten  Fällen 
die  Ansichten  des  Verfassers  so  treffend  gefunden  habe,  dass  ich  unbedingt 
meine  Zustimmung  aussprechen  kann.  Es  macht  mir  Freude  sagen  zu  dürfen, 
dass  ich  schon  seit  langen  Jahren  im  Ganzen  und  Grossen  dieselben  Ansich- 
ten über  die  Slaven  in  ihrer  Urheimath  mir  gebildet  habe,  die  in  diesem 
Werke  Niederle's  zur  Geltung  kommen.  Es  ist  erfreulich  constatiren  zu 
dürfen,  dass  die  jüngere  Generation  der  slavischen  Gelehrten,  die  auf  diesem 
Gebiete  arbeiten  —  ein  Niederle  in  Böhmen,  Braun  und  Pogodin  in  Russland 
—  frei  von  jedem  romantisch  angekränkelten  Patriotismus  nur  ein  reales  Bild 
des  slavischen  Alterthums  anstrebt,  ein  Bild,  das  durchaus  nicht  bloss  den 
Ideen  unserer  grossen  Nachbarn  im  Westen  abgeborgt  ist,  sondern  nach  der 
reinen  Wahrheitsliebe  gezeichnet  sein  will. 

Um  meiner  Anzeige  des  Werkes  auch  das  Salz  der  Einwendungen  bei- 
zumischen, will  ich  einige  Bemerkungen  machen.  Gleich  zu  dem  Grundsatz, 
der  auf  S.  3  ausgesprochen  ist,  dass  die  Entwickelung  (des  Volkes,  der 
Sprache)  zugleich  eine  Differenciation  sei,  möchte  ich  Stellung  nehmen  und 
ihn  nur  zur  Hälfte  für  wahr  erklären.  Hätte  mit  dem  Entwickelungsgang  der 
Slaven  nur  die  Differenciation  gleichen  Schritt  gehalten,  wäre  nicht  daneben 
auch  die  Kraft  der  Assimilation  und  Cohäsion  geltend  gewesen,  wo  wären 
wir  bis  jetzt  schon  hingekommen?  Nein,  der  Satz  ist  in  seiner  Allgemeinheit 
nicht  richtig  gewählt,  er  erinnert  an  jene  noch  von  Schleicher  und  Miklosich 
vertretene  Ansicht,  dass  das  Leben,  also  der  Entwickelungsgang,  der  Sprache 


142  Kritischer  Anzeiger. 

nur  im  Verfall  der  Sprachformen  bestehe !  Ich  bin  kein  Historiker  vom  Fach, 
verstehe  mich  in  die  Postulate  der  geschichtlichen  Beweisführung  wahr- 
scheinlich viel  zu  wenig,  aber  als  Philologe,  der  an  Präcision  gewöhnt  ist, 
finde  ich  durchaus  nicht  zutreifend,  dass  der  Verfasser  sein  erstes  [Kapitel 
über  die  ältesten  Sitze  der  Slaven  in  Europa  nicht  mit  der  Auseinandersetzung 
des  ihm  richtig  Scheinenden,  wofür  er  freilich  erst  im  V.  Kapitel  das  Beweis- 
material beibringt,  sondern  mit  einer  von  ihm  selbst  bekämpften  und  viel  zu 
ausführlich  behandelten  Sage  eröffnet,  der  Sage  nämlich  über  die  Urheimath 
der  Slaven  in  den  Donaugebieten  (wahrscheinlich  nicht  nur  an  dem  unteren, 
sondern  auch  an  dem  mittleren  Lauf  der  Donau).  Das  war  kaum  der  richtige 
Vorgang.  Um  von  anderen  Momenten  abzusehen,  ergibt  sich  das  schon  aus 
der  äusseren  Form  der  Darstellung:  der  Verfasser  muss  in  einem  fort  seine 
Erzählung  unterbrechen  mit  derartigen  unschönen  Zusätzen:  »jak  däle  vylo- 
zim«  (S.  6),  »vice  povime  v  stati  druhe«  (S.  "),  »o  ostatnich  düvodech  pozdeji« 
(S.  9),  »o  tom  vsak  vice  däle  povime«  (S.  12),  »jez  podrobne  sledovati  bude« 
(S.  12),  »podäm  ostatne  na  miste  jinem«  (S.  13],  »o  cemz  na  jinem  miste  ob- 
sirneji  vylozim«  (ib.),  »o  sprävach  techto  vice  v  kapitole  V«  (S.  14),  »spor  ten 
nechceme  na  tomto  miste  i-esiti«  (S.  15),  »o  nespravnosti  a  fantasticnosti  teto 
theorie  zminim  se  jestc  na  miste  dalsim«  (ib.),  »take  theorii  o  tom  ze  .  .  .  ne- 
venuji  zde  zvlästniho  rozboru«  (S.  16),  »domnelou  slovanskost  vsech  techto 
jmen  r^zebereme  podobne  na  miste  jinem«  (S.21),  »theorie  o  niz  v  druhe  ka- 
pitole vice  vylozim«  (S.  23),  »pfehled  hlavnich  .  .  .  historikü  nalezne  se  v 
kapitole  nasledujici«  (S.  24),  »jak  pozdeji  podrobne  vylozim«  (S.  27),  »vice  o 
tom  pozdeji«  (ib.),  »o  formäch  .  .  .  viz  däle  v  kap.  IV«.  Ich  glaube,  man  wird 
ohneweiters  zugeben  müssen,  dass  derartige  Zusätze  dem  Werke  nicht  zur 
Zierde  gereichen  und  dass  es  besser  gewesen  wäre  sie  zu  vermeiden.  Leider 
wiederholen  sich  solche  Vorbehalte  durch  das  ganze  Werk. 

Zum  Inhalt  des  erstenKapitels  möchte  ich  noch  eine  Bemerkung  machen. 
Für  die  Entstehung  der  Legende  von  der  angeblichen  Urheimath  aller  Slaven 
an  der  Donau  muss  wohl  auch  die  bedeutende  Thatsache  in  Betracht  kommen, 
dass  die  Russen  mit  der  Bekehrung  zum  Christenthum  ihre  Kirchen-  und 
Literatursprache  nebst  der  Schrift  von  den  Südslaven  (Bulgaren,  deren  Reich 
damals  bis  nach  Pannonien  hinein  ragte)  erhielten.  Diese  waren  also  damals 
in  den  Augen  der  Russen  die  älteren  Brüder  (heute  umgekehrt!),  es  lag  also 
sehr  nahe,  bei  ihnen  auch  die  Urheimath  aller  Slaven  zu  suchen.  Die  Sage  in 
der  Form,  wie  sie  der  altrussischen  Chronik  zu  Grunde  liegt,  wird  kaum  vom 
Süden  gekommen  sein,  sondern  eher  in  dem  Ceutrum  der  altrussischeu  In- 
telligenz, in  dem  Höhlen-  und  anderen  Klöstern  Kijevs,  aufgetaucht  sein. 
Dagegen  kommt  die  Argumentation  des  Papstes  Johannes  X.  oder  gar  die 
Hieronymus-Fabel  (vergl.  S.  10)  kaum  in  Betracht.  Was  die  sehr  verbreitete 
Bekanntschaft  der  Slaven  mit  der  Donau  anbelangt,  so  ist  sie  zwar  eine  merk- 
würdige Thatsache,  doch  spricht  ihr  Prof.  Niederle  mit  Recht  die  Kraft  eines 
Beweises  für  die  Donau-Hypothese  f.b.  Dieser  Fluss  bildete  das  erste  grosse 
Hinderniss  bei  jener  Bewegung  der  Slaven  nach  dem  Südwesten,  die  schon 
früher  begonnen,  aber  hauptsächlich  im  VI.  Jahrh.  kräftige  Vorstösse  aus- 
übte.   Möglicher  Weise  war  auch  die  Herrschaft  der  Hunnen  in  der  Donau- 


Niederle,  Slavische  Alterthümer,  angez.  von  Jagic.  1 43 

ebene  mit  im  Spiele.  Durch  alles  das  mag  sich  die  Erinnerung  an  diesen 
Fluss  selir  früh  dem  Gedächtniss  der  meisten  Slaven  eingeprägt  haben. 
Allein  an  der  Ableitung  des  Namens  aus  dem  Gothischen  sollte  der  Verfasser 
nicht  rütteln.  Der  Hinweis  auf  viele  Benennungen  der  Flüsse  mit  den  Silben 
don-dun-diin  in  den  ersten  Bestandtheilen  der  Namen,  reicht  noch  nicht  hin, 
uin  die  Ableitung  MüUenhoflf' s  umzustossen. 

In  der  Grenzbestimmung  der  angenommenen  Urheimath  der  Slaven  geht 
der  Verfasser  sehr  vorsichtig  zu  Werke,  was  ich  nur  billigen  kann.  Wenn  ich 
mir  jedoch  seine  zu  S.  30  gegebene  Karte  anschaue,  so  beschleicht  mich  das 
Bedenken,  ob  nicht  die  Grenzen  doch  zu  enge  gezogen  seien.  Ja  wenn  das 
vom  Verfasser  eingefasste  Gebiet  ein  Culturland  gewesen  wäre  oder  wenn 
die  Bewohner  desselben  eine  intensive  Ausnutzung  des  Bodens  verstanden 
hätten,  dann  konnte  man  sich  mit  dem  gezeichneten  Kayon  noch  zufrieden 
geben.  Allein  beides  war  in  jenen  alten  Zeiten  gewiss  nicht  der  Fall.  Das 
allerdings  nicht  kleine  Gebiet  war  zum  Theil  ein  ungeheures  Wald-  und 
Sumpfland  und  nur  in  weit  voneinander  getrennten  Gruppen  konnte  die  da- 
malige Bevölkerung  dieser  Gebiete  Lebensunterhalt  finden.  Nun  hebt  an 
einer  anderen  Stelle  seines  Buches  iS.  123)  der  Verfasser  selbst  hervor,  dass 
schon  die  ältesten  geschichtlichen  Nachrichten  von  den  Slaven  als  einem  sehr 
grossen  Volke  sprechen.  Sollte  man  angesichts  dieser  Thatsache  nicht  den 
Muth  haben,  die  Slaven  auch  auf  der  zu  S.  30  gezeichneten  Karte  etwas 
weiter  gegen  Westen  und  bis  in  die  Karpathen  hinein  zu  verschieben?  Ich 
wiederhole  meine  anlässlich  der  Besprechung  des  Pogodin'schen  Buches  aus- 
gesprochene üeberzeugung,  dass  schon  in  sehr  alten  Zeiten  die  Slaven  theil- 
weise  auch  dort  lebten,  wo  die  alten  Geographen  andere  Namen  kriegerischer 
Volksstämme  verzeichnen.  Von  der  Herrschaft  der  Gothen,  Hunnen  und 
Avaren  über  einzelne  Theile  der  Slaven  weiss  man,  aber  ähnliche  Fälle  kön- 
nen sich  in  anderen  Zeiten  auch  anderswo  wiederholt  haben. 

Schwierig  ist  die  Grenzbestimmung  der  ältesten  Sitze  der  Slaven  im 
Norden  und  Osten.  Wenn  der  Verfasser  faufS.  31]  in  den  Niederungen  des 
Pripet-Flusses  eine  natürliche  Grenze  der  Slaven  gegenüber  den  Litauern 
finden  zu  dürfen  glaubt,  so  möchte  ich  zwar  nichts  dagegen  für  eine  bestimmte 
Zeit  einwenden,  nur  darf  man  nicht  ausser  Acht  lassen,  dass  die  relativ  grosse 
sprachliche  Verwandtschaft  zwischen  den  Balten  und  Slaven,  an  der  ich  fest- 
halte, keine  Veranlassung  geben  kann,  nacli  verstärkten  Naturbedingungen 
der  Trennung  und  Absonderung  sich  umzusehen.  Bezüglich  der  Ostgrenze 
waren  auch  aus  der  ältesten  Geographie  Russlands,  mag  sich  auch  diese  erst 
auf  die  Zeiten  um  das  IX.— X.  Jahrh.  n.Chr.  beziehen,  nicht  zu  verschmähende 
Winke  zu  bekommen.  Auf  die  Frage  über  die  Schädelbildung  und  die  Ge- 
sichtsfarbe der  alten  Slaven  gehe  ich  nicht  näher  ein,  nur  glaube  ich,  dass 
auch  der  Verfasser  die  auf  S.  23  untergebrachte  anthropologische  Anmerkung 
besser  irgendwo  auf  S.  80— IIU  hätte  verwerthen  können. 

Im  zweiten  Kapitel  tritt  die  Erzählung  der  Frage  über  die  Abkunft  der 
Slaven  näher.  Da  wird  zuerst  mit  erstaunlichem  Fleiss  der  ganze  Staub  alter 
Jahrhunderte  über  die  genealogische  Ableitung  der  Slaven  von  einem  der 
Söhne  Noah's  aufgewirbelt  —  selbstverständlich  könnte  das  Verzeichniss 


144  Kritischer  Anzeiger. 

noch  erweitert  werden,  z.  B.  von  den  Südslaven  könnte  man  Sisj^oriö  u.  s.  w. 
citiren  — ,  den  Ausgangspunkt  bildet  die  älteste  russisclie  Chronik,  deren 
Vülkertafel  nicht  präcis  genug  mit  der  slavischen  Uebersetzung  des 
Georgius  Haraartolus  in  Zusammenhang  gebraclit  wird,  woraus  sich  aufs  un- 
zweideutigste ergibt,  ob  die  Identificirung  der  Illyrier  oder  Noriker  mit 
den  Slaven  schon  in  der  slavischen  Vorlage  Nestor's  zu  lesen  war.  Ich  ver- 
misse auch  die  Frage  über  das  Verhältniss  der  Erzählung  der  Paläa  zu  der 
altruss.  Chronik.  Von  der  gewissenhaften  Wiedererzählung  verfehlter  Com- 
binationen  des  XVII. — XVIII.  Jahrh.  über  die  Verwandtschaftsverhältnisse  der 
Slaven  zu  den  anderen  Völkern  hat  die  slavische  Alterthumskunde  keinen 
Gewinn  zu  erwarten.  Aber  wenn  schon  alles  das  aufgenommen  werden  sollte, 
so  würde  auch  die  Erwähnung  der  Kaiserin  Katharina  II.  und  ihres  verglei- 
chenden Wörterbuchs  am  Platze  gewesen  sein.  Neben  Bopp  und  Grimm  ver- 
misse ich  den  Begründer  der  wissenschaftlichen  Etymologie,  die  sich  nicht 
nach  der  Sirene  des  Gleichklanges  richtet,  Fr.  A.  Pott,  der  anfangs  die  ganze 
baltische  Spraehgruppe  zum  Slavischen  rechnete,  so  wie  es  die  Antiquarier 
des  XVII. — XVIII.  Jahrh.  thaten,  die  bekanntlich  den  ganzen  Wust  der 
litauischer!  Mythologie  den  Slaven  imputirten,  woraus  selbst  Götzen  in  Metall 
ihr  Leben  schöpften,  die  man  noch  zu  Ende  des  XIX.  Jahrh.  als  echt  in 
Schutz  nehmen  wollte. 

Das  dritte,  den  Anfängen  der  slavischen  Absonderung  nach  Dialekten 
gewidmete  Kapitel  ist  gerade  so  wie  der  grössere  Theil  des  zweiten  auf  lauter 
Combinationen,  hauptsächlich  der  vergleichenden  Sprachwissenschaft  ent- 
nommen, aufgebaut.  Die  Gewissenhaftigkeit,  mit  welcher  der  Verfasser  jede 
beinahe  Aeusserung  der  Fachmänner  und  Nichtfachmänner  verzeichnet,  macht 
auf  mich  einen  geradezu  rührenden  Eindruck,  aber  dem  in  den  eigentlichen 
Werth  aller  dieser  Combinationen  besser  Eingeweihten  thut  es  wirklich  leid, 
dass  sich  der  Verfasser  soviel  damit  abgemüht  hat.  Es  ist  ja  das  Meiste,  was 
hier  vorgebracht  wird,  durchaus  nicht  ausgemacht,  selbst  in  dem  geringen 
Masse  nicht,  wie  es  nach  der  hier  gegebenen  Darstellung  aussieht.  Ich  würde 
z.  B.  selbst  den  scheinbar  so  elementar  lautenden  Satz  auf  S.  112  :  »z  püvod- 
niho  jednoho  pranäroda  povstala  iada  historickych  kmenü  slovanskych : 
1  kmen  rusky,  2  bulharsky,  3  srbochorvatsky,  4  slovinsky,  5  ceskoslovenskv . 
6  luzickosrbsky,  7  polsky,  8  polabsky«  als  These  nicht  vertheidigen  können. 
Die  Classificationsversuche,  die  bei  Dobrovsky  zum  Dualismus,  bei  anderen 
zum  Trialismus,  bei  dritten  zum  Pluralismus  führten,  haben  kaum  dieselbe 
Bedeutung  in  der  slav.  Philologie,  wie  das  Linne'sche  System  in  der  Botanik, 
Von  den  vielen  Namen,  die  der  Verfasser  als  Anhänger  bald  der  einen  bald  der 
anderen  Classification  anführt  (auf  S.  117 — 120;,  sind  nur  wenige  durch  eigenes 
Nachdenken  dazu  gekommen,  der  einen  oder  anderen  Richtung  zu  folgen. 
Man  ist  ja  bekanntlich  noch  jetzt  nicht  einig  darüber,  wo  eine  Mundart  oder 
Dialekt  aufhört  und  wo  eine  Sprache  beginnt.  Das  Ganze  ist  eben  viel  zu 
viel  complicirt,  als  dass  man  ihm  mit  einigen  phonetischen  Merkmalen,  in 
der  Art  Maksimovic's  oder  Danicic's  beikomraen  könnte. 

Was  über  die  Einwirkung  des  Bodens  (Territoriums)  auf  die  Entwicke- 
lung  des  Volkes  gesagt  wird,  kann  beim  Mangel  an  Specialuntersuchungen 


Bogiishiwski,  Methode  d.  Erforschung  der  slav.  Alterth.,  angez.  v.  Niederle.  1  45 

auf  diesem  Gebiete  der  Anthropogeographie  nur  in  den  allgemeinsten  Aus- 
drücken sich  bewegen.  Es  wäre  auch  gefährlich,  sich  voreilig  in  tiefere  Be- 
trachtungen einzulassen,  so  verlockend  auch  das  sein  möchte.  Zur  grossen 
Auswanderung,  die  der  Verfasser  mit  Ri  cht  früher  für  den  Nordwesten  als 
den  Süden  ansetzt,  müssen  verschiedene  starke  Beweggründe  vorausgesetzt 
werden,  die  sich  unserer  Kenntniss  entzieiicn:  man  kann  nur  Vermuthungen 
anstellen.  Als  einen  Factor  setzt  der  Verfasser  dieUebervölkerung  an  (8.125). 
Diese  kann  natürlich  nur  in  sehr  relativem  Sinne  zugegeben  werden.  Auch 
Jetzt  fangt  beim  Russen  die  Uebervölkerung  dort  an,  wo  er  bei  grösserer 
Intensivität  und  Rationalität  der  Bodenausnützung  sehr  gut  auf  der  alten 
Scholle  noch  fortkommen  könnte.  Für  die  Richtung  der  Wanderung  wird 
ganz  gewiss  der  Widerstand  der  Nachharn  keine  unbedeutende  Rolle  ge- 
spielt haben.  Doch  sind  damit  die  Gründe  der  Völkerwanderung  selbstver- 
ständlich nicht  erschöpft.  Vielleicht  werden  wir  mehr  darüber  in  einem  spä- 
teren Heft  erfahren.  Ich  möchte  nur  zu  der  Karte,  welche  das  Schema  der 
ursprünglichen  Spaltung  und  Ausbreitung  der  Slaven  gibt,  die  Bemerkung 
machen,  dass  wenn  die  Slaven  wirklich  ursprünglich  so  ansässig  waren,  wie 
die  ovale  Figur  es  darstellt,  die  centrifiigal  auseinandergehenden  Richtungen 
nicht  die  einzigen  waren,  sonst  mnsste  ja  nach  dem  Abgang  der  Nordwest- 
und  Südslaven  eine  Lücke,  ein  leerer  Raum  entstehen.  Die  Sache  muss  sich 
also  in  der  Wirklichkeit  doch  ganz  anders  verhalten  haben. 

Im  Kai)itel  IV  wird  die  schon  oben  genannte,  in  den  Scliriften  der  böh- 
mischen Akademie  erschienene  Monographie  geographischen  Inhaltes  kurz 
resumirt.  Ich  hätte  diesem  Kapitel  schon  früher  eine  Stelle  angewiesen,  in 
irgend  einem  Zusammenhange  mit  dem  ersten.  Im  letzten  Kapitel  werden 
etwas  kurz  die  ältesten  Nachrichten  über  Venedae  behandelt.  Man  wird 
nämlich  auch  hier  mit  der  ausführlichen  Behandlung,  die  erst  bevorstehe 
;S.  189 — 191),  vertröstet.  Dafür  erlaubt  sich  Prof.  Niederle  ausnahmsweise 
hier  einmal  den  Luxus,  den  Namen  etymologisch  zu  erklären  —  aus  dem  Kel- 
tischen, nach  dem  Vorgange  Pogodin's.  Mir  gefällt  am  besten  die  dem  Verf. 
schriftlich  mitgetheilte  Ansicht  Thomsen's,  d.  h.  non  liquet.  V.  J. 


Boguslawski  Ed.   Methode  und  Hilfsmittel  der  Erforschung  der 

vorhist.  Zeit  in  der  Vergangenheit  der  Slaven.    Aus  dem  Polnischen 

übersetzt  von  W.  Osterloff.  (Berlin,  H.  Costenoble)  1902.   144  Ö.. 

Unter  den  Historikern,  die  sich  mit  der  alten  slavischen  Geschichte  vom 
sogenannten  »slavischen«  Standpunkte  aus«  befassen,  tritt  in  den  letzten 
Jahren  besonders  der  polnische  Gelehrte  Ed.  Boguslawski  stark  hervor. 
Ausgerüstet  mit  grosser  Belesenheit,  veröffentlichte  er  schon  eine  stattliche 
alte  Geschichte  der  Slaven  (Historya  Slowian  I— II.  Krakow  188S — 99;, 
schrieb  einige  Monographien  mit  originellen  Resultaten  und  würde  sich  ge- 
wiss den  Dank  vieler  Fachgenossen,  u.  zw.  auch  jener,  die  nicht  schon  von 
vornherein  den  Standpunkt  des  Herrn  Verfassers  theilen,  verdient  haben 

Archiv  für  slavische  Philologie.     XXV.  10 


146  Kritischer  Anzeiger. 

wenn  er  ein  Buch  in  deutscher  Sprache  herausgegeben  hätte,  um  darin  den- 
jenigen, die  seine  älteren  Originalarbeiten  nicht  lesen  wollten,  den  Einblick 
in  seine  rege  geistige  Werkstätte  zu  gewähren.  Allein  seine  diesbezügliche 
Schrift  «Methode  und  Hilfsmittel  der  Erforschung  der  vorhist.  Zeit  in  der 
Vergangenheit  der  Slaven«,  die  als  namhaft  erweiterte  Uebersetzung  des 
polnischen  Originals  (Metoda  i  srodki  poznania  czasow  przedhistorycznych 
w  przeszlosci  Slowian.  Krakow  i  Warszawa  1901)  unlängst  erschien,  ist  nicht 
derartig,  dass  man  dieselbe  günstig  aufnehmen  könnte. 

Das  Buch  präsentirt  sich  oifen  als  scharfe  polemische  Schrift  gegen  alle 
Gelehrten,  die  nicht  schon  in  vorhinein  den  Standpunkt  des  Hrn.  Verfassers 
acceptiren,  besonders  gegen  jene,  welche  seine  älteren  Schriften  nicht  günstig 
besprochen  haben  —  so  unter  anderen  namentlich  gegen  Brückner,  Miklo- 
sich,  Virchow  und  auch  gegen  den  unterfertigten  Eeferenten. 

Diese  Tendenz  selbst  würde  mich  zwar  bei  Beurtheilung  des  Buches 
nicht  beeinflussen,  wenn  sich  aber  der  Verfasser  gleich  am  Anfange  zur  sui 
marischen  Verurtheilung  der  von  ihm  als  Berliner-österreichische  Schule  1^ 
zeichneten  Forscher  entschliesst  (S.  2),  die  in  den  Worten:  »diese  Schule  i 
mehr  deutsch  als  slavisch,  mit  scharf  ausgeprägter,  den  Slaven  feindlichem 
deutsch-nationalen,  politischen  Tendenz«  gipfelt,  so  muss  ich  eine  solciv 
Verurtheilung,  und  kurz  gesagt  eine  solche  Unwahrheit,  vorweg  auf  das  ent- 
schiedenste zurückweisen  und  tadeln ;  dieselbe  zu  entkräften,  ist  nicht  der 
Mühe  werth.    Wenn  H.  Boguslawski  sein  Buch,  dessen  innerer  Werth,  wie 
ich  gleich  zeigen  werde,  nicht  gross  ist,  noch  mit  einem  solchen  äusserlichen 
Vademecum  versieht,  dann  hat  er  sich  selbst  weder  in  den  Augen  seiner 
Landsleute,   noch  in  den  Augen  jener,   für  die   er  das  Buch  in  deutsch i 
Sprache  erscheinen  Hess,  damit  einen  Dienst  geleistet. 

Ueberhaupt  ist  seine  Unterscheidung  zwischen  einer  autochthonistiscli 
und  einer  Berliner-österreichischen  Schule  ganz  unrichtig  und  überflüssig 
Für  mich  existiren  nur  jene,  die  gewissenhaft  und  wissenschaftlich  arbeiten 
und  jene,  die  dies  nicht  thun.  Der  Inhalt  der  Thesen  ist  dabei  Nebensache. 
Wie  weit  sind  z.  B.  selbst  in  wichtigen  Sachen  Jagic  und  Brückner  von 
MüUenhoff  entfernt,  oder  welch  bedeutende  Unterschiede  ergeben  sich  u.zw. 
gerade  in  den  Grundideen  bei  der  archäologischen  Beurtheilung  der  Urge 
schichte  der  Slaven  zwischen  Virchow  und  dem  Referenten?  Und  doch  soll 
wir  alle  eine  »Berliner-österreichische  Schule«  bilden! 

Was  allein  uns  verbindet,  ist  die  Negirung  des  Autochthonismus  u 
Slaven  in  Germanien,  in  den  Donaugebieten  und  am  Balkan,  woran  die  zwei 
»Schule«  zähe  festhält;  dieses  negative  Moment  bildet  aber  doch  keiueij^ 
Grundlage  für  irgendeine  »Berliner-österreichische  Schule«,  welche  noch  dazi 
vom  nationalen  Standpunkte  so  stigmatisirt  würde,  wie  dieses  seitens  di 
H.  Boguslawski  geschah.   Dies  ist  nur  ein  leeres  Wort. 

Und  wie  steht  es  eigentlich  mit  H.  Boguslawski  selbst  ?  Seine  Beleseii 
heit  lind  sein  guter  Wille,  zu  arbeiten,  sind  allbekannt,  ich  brauche  dies  nich 
von  neuem  zu  bezeugen.  Aber  wie  steht  es  mit  der  Methode  seiner  Arbeit 
Man  konnte  erwarten,  dass  er  doch  wenigstens  jetzt  in  seinem  nicht  zu  um 


D>guslawski, Methode  d.  Erforschung  der  slav.  Alterth.,  angez.  v.Niederle.  147 

i;ingreicheu  Buche,  worin  er  der  ganzen  Welt  und  hauptsächlich  den  Deut- 
(hen  die  Grundlagen  seiner  Methode  vorführen  will,  das  Vorzüglichste  aus- 
iilen  und  seine  Theorien  mit  den  besten  Gründen  stützen  wird  —  aber  wer 
~  erwartet  hat,  wird  gewiss  enttäuscht  sein.    Das  Buch  bringt  nichts  an- 
■s,  als  eine  Zusarameufassung  der  alten  Thesen,  welche  einerseits  mit  den 
ilren,  unzutreffenden  Argumenten  des  Autors  begründet,  andererseits  mit  oft 
umichtigen    Polemiken    gegen    die    Ansichten    Anderer    ausgestattet    er- 
scheinen. 

Wer  heute  auf  dem  Gebiete  alter  slavischer  Geschichte  arbeiten  will, 
!■  1-  muss  sich  nach  der  Ansicht  des  Autors  nicht  auf  eine  einzige  Disciplin, 
-niidern  auf  die  Ergebnisse  von  fünf  Lehren,  d.  1.  der  Geschichte,  Philologie, 
Ethnographie,  Sociologie  und  Archäologie  stützen.  Dagegen  wird  gewiss 
iiienumd  etwas  einwenden,  das  ist  eine  evidente,  allgemein  bekannte  Wahr- 
heit. Das  bildet  auch  nicht  das  Wesen  der  richtigen  Methode  in  der  slavi- 
-clien  Alterthumskunde,  sondern  die  richtige  Applikation  dieser 
Lehren,  und  wer  dabei  ernst,  wissenschaftlich,  massvoll  vorgeht,  der  kann 
unmöglich  zu  den  Resultaten  des  H.  Boguslawski  gelangen.  Wer  allerdings 
wie  der  Autor  vorgeht,  der  kann  und  muss  die  verschiedenartigsten  Ergeb- 
ni;^se  erzielen. 

Wenden  wir  uns  z.  B.  zur  Ethnographie.  Da  führt  uns  H.  Verfasser  für 
ilen  slavischen  Ursprung  der  adriatischen  Veneter  aus  dem  reichen  Vorrathe 
.-einer  Gründe  folgende  Beispiele  zum  Beweise  der  Richtigkeit  seiner  Me- 
'ole  in's  Treffen  :  1)  Auf  der  Insel  Veglia  werden  heute  schwarze  Kleider 
Igen,  auch  die  Resianer  kleiden  sich  so  —  im  Alterthume  trugen  jedoch 
'iie  Bewohner  an  der  Mündung  des  Po  n.  s.  w.  nach  dem  Zeugnisse  eines 
Sk3'mnos  und  Polybios  gleichfalls  schwarze  Tracht.  »Ist  das  nicht  ein  Be- 
weis« —  so  fragt  der  Autor  auf  S.  41  — ,  »dass  die  heutigen  Istrianer  die  Ab- 
kommen der  alten  Istri  oder  Istriani  und  die  Resianer  Abkommen  der  Veneter 
am  adriatischen  Meere  sind?«  Weiter:  2)  Die  polnischen,  russischen  und 
lausitzer  Mädchen  tragen  alle  einen  ähnlichen  Kopfputz  über  der  Stirn  (colko, 
cilka,  kokosnik)  —  dazu  sagt  der  Verfasser:  »auch  dieser  Umstand  gewinnt 
an  Bedeutung,  wenn  der  Geschichtsforscher  erfährt,  dass  ein  ähnlicher  Kopf- 
putz, kidaris  genannt,  in  Griechenland  bekannt  war«.  Und  3)  Nach  Prof. 
Havelka  sollen  die  Ornamente  der  modernen  mährischen  Stickereien  gewisse 
Analogien  mit  den  Ornamenten  hallstättischer  Bronzen  aufweisen  —  und 
darum  soll  Havelka  mit  Recht  behaupten,  »dass  man  die  Bronzen  und  Gefässe 
von  Ilallstatt  den  Slaven  zusprechen  müsse«. 

Das  sind  aber  alles  Voraussetzungen,  welche  nichts  beweisen,  oder 

überhaupt  falsch  sind,  wie  eben  die  letztangeführte.  Und  gerade  diese  letztere 

bildet  wieder  eine   der  Grundlagen  für  die  archäologische  These   des 

'Autors,  welche  den  Autochthonismus  der  Slaven  in  den  Donaugebicten,  in 

den  Alpen  und  am  Balkan  bestätigen  soll:  die  sog.  Hallstattkultur  sei 

-lavisch,   ihr  ganzes  Ausbreitungsgebiet  bezeichne  die  Wohnstätten  der 

Slaven,  welche  an  einigen  Orten  von  anderen  Volksstämmen,  z.B.  den  Kelten 

i  unterworfen  wurden.    Darum  und  weil  er  die  Veneter  und  Illyrer  für  Slaven 

■hält,  soll  die  Kultur  slavisch  sein  'S.  641!  Unmöglich!   Das  sowie  die  anderen 

'        '  10^ 


•J48  Kritisclier  Anzeiger. 

Aiisfiilinmgen  des  Verfassers  im  archäologischen  Theile  zeigen  insgesammt 
dass  die  Archäologie  absolut  nicht  seine  Domaine  ist  i). 

Als   sociologischer   Beweis  für  den  Autochthonismus   der  Ühv 
dient  dem  H.  Boguslawski  (S.  43)  die  Institution  der  »Zadruga«;   denn  • 
Autor  will  nicht  zugeben,  dass  die  Slaven  diese  sociale  Institution  aus  ei; 
transkarpatischen  Heimat  hätten  mitbringen  können.   Die  Zadruga  «entstain 
und  entwickelte  sich  bei  sehr  friedlichen  und  ruhigen  Verhältnissen  und  .m 
macht  besonders  bei  der  cakavischen^)  Bevölkerung  den  Eindruck  einer 
uralten  Einrichtung,  dass  man  annehmen  muss,  dass  sie  von  nirgends  her;. 
bracht  worden  ist,  dass  sie  einheimisch  sei«  (S.45).  Warum  jedoch  dieZadni. 
nicht  einen  gleichen  uralten  Charakter  aufweisen  könnte,  wenn  dieselbe  ^ 
den  Slaven  aus  ihren  alten  Wohnsitzen  auf  den  Balkan  mitgebracht  woi 
wäre,  das  wird  kaum  jemand  begreifen,  ebenso  wie  die  weiteren  hieran 
knüpften  Darlegungen  (S.  46). 

Und  welch  wunderliche,  unguis  tisch -historische  Theorien  em 
Avickelt  der  Autor!  Ich  will  nur  einige  erwähnen:  Ganz  Deutschland  bis  zm 
Khein  war  ursprünglich  slavisch,  dasselbe  beherrschten  jedoch  zuerst  di 
Gallier  (speciell  die  Bojer  in  Böhmen  und  die  Lugi  in  Polen),  dann  kamen  di  ; 
germanischen  Sueven,  unterwarfen  Alles  und  von  ihnen  bekamen  die  Slave  ' 
ihren  neuen  Namen,  gleichwie  vorher  die  Lausitzer  Serben  von  den  gallische 
Lugi  (S.  49).  Die  Lutici  Nestor's  sind  Lausitzer  Serben  (S.  51).  Ein  anschai 
liches  Beispiel  seiner  Methode  bietet  der  Verfasser  auf  S.  53,  indem  er  sagi 
»Wenn  die  Namen  wie  Bersovia  und  Tsierna  (üerna)  in  Dakien  .  .  .  slavisc  i 

1)  Dabei  polemisirt  der  Autor  mit  mir  hinsichtlich  einer  Reihe  archäol 
gischer  Thesen,  welche  er  aus  meinem  Buche  »Lidstvo  v  dobe  predlnst 
ricke«  geschöpft  hat,   und  über  die  ich  heute  zum  grossen  Th* 
auch   anders   urtheile    als   vor    10  Jahren,    als  ich  das  böhnn^ 
Original  schrieb,  oder  vor  7  Jahren,  wo  ich  theilweise  die  russische  Uo 
Setzung  vorbereitete.    Dass  aber  die  Archäologie  in  10  resp.  7  Jahren  giu.- 
Fortschritte  gemacht  hat  und  die  archäologischen  Thesen  infolgedessen  8i' 
immerwährend  ändern,  dies  ist  ganz  natürlich.  Uebrigens  kommt  zu  erwär 
dass  mein  Buch  aus  dem  Jahre  1893  überhaupt  den  ersten  Versuch  darst 
die  Archäologie  Europas  im  Grossen  mit  der  alten  Geschichte  zu  verbimu 
und  wenn  ich  damals  den  archäologischen  Theil  zumeist  selbständig  bearben 
habe,  so  war  ich  noch  nicht  soweit,  um  auch  in  der  Geschichte  die  Resultn 
meiner  selbständigen  Forschungen  wiederzugeben.    Damals  brachte  ich 
meinem  Buche  die  Uebersicht  der  alten  slavischen  Geschichte  nach  SnUv. 
Drinov,  Krek  u.  A.  mit  einer  Reihe  veralteter  Thesen  (z.  B.  über  den  N:n> 
der  Serben  und  Slaven,  über  die  Bipartition  der  Urslaven,  über  die  Ank 
der  Slaven  zur  Zeit  des  Heraklios  auf  dem  Balkan,  über  die  Bojer  und 
komannen  in  Böhmen,  über  den  slavischen  Ursprung  Justinians,  über 
Wiege  der  Slaven,  über  Skythien  und  Sarmatien  u.s.w.!,  welche  ich  scli. 
den  nächsten  Jahren  anders  erklärte  imd  worüber  ich  auch  in  meinen  spä' 
Arbeiten  anders  geschrieben  habe.      ^ 

2)  Um  zu  verstehen,  wieso  die  »Cakavci«  dazu  kommen,  als  bevorz 
Repräsentanten  der  »Zadruga«  zu  gelten,  darf  man  nicht  ausser  Acht  la.: 
dass  der  Verfasser  gerade  die  Cakavci  für  die  Autochthonen  Iliyriens  halt 


iigiislawski,  Methode  d.  Erforschung  der  shiv.  Alterth., angez.  v.  Niederle.  149 

iid,  wie  kann  man  da  behaupten,  dass  die  dakische  BevöUcerung  (Daken 
1(1  Geten,\  welche  diesen  Ansiedelungen  und  Gewässern  Namen  gab,  nicht 
,i  isch  sei?«  Wer  hat  uns  aber  gesagt,  dass  eben  die  Daken  und  Geten  diese 
iiiien  gebildet  haben?  Ausdeiu  Vorliandeusein  von  zwei  oder  drei  siavischen 
.  u  im  Banate  kann  man  zwar  schliessen,  dass  dort  Slaven  sesshaft  waren, 
aber  dass  die  Daken  und  Getcn  Slaven  waren.  Das  ganze  Buch  ist  voll 
rartiger  Beispiele  falscher  Logik. 

Und  welche  unrichtigen  Begriffe  hat  H.Boguslawski  von  den  Meinungen 

1  verschiedenen  Fachgenossen  !    Wie  kann  derselbe  z.  B.  im  Hinblick  auf 

siavischen  Forscher,  welche  er  in  die  Berliner-österreicliisclie  Schule  ein- 

.  it  hat,  behaupten,  dass  diese  Schule  den  ptolemäischen  Begriff  Germa- 

für  ausschliesslich  deutsch  ausgibt»  (S.  51),  dass  dieselbe  beluiuptet, 

■^laven  wären  erst  im  VI.  Jahrhundert  oder  etwas  früher  nach  Germanien, 

ikieu  und  Pannonien  gekommen  (S.  54),  dass  nach  vielen  Gelehrten  (unter 

uspielung  auf  diese  Schule)  das  Volk  der  Slaven  vor  dem  Auftreten  des 

auicns  Slave  in  Europa  nicht  existirte  (S.  2)?  —  Wie  kann  H.  Boguslawski 

jii  Jagic  sagen,  dass  derselbe  zu  denjenigen  gehöre,  welche  Diimuiler's 

iionrie  von  der  Ankunft  der  Serben  und  Chorvaten  im  VIT.  Jahrh.  auf  dem 

ilkan  übernahmen  (S.  8ü),  oder  von  Brückner,  dass  er  »Quellen  (zur  alten 

ivischeu  Geschichte)  aus  erster  Hand  niemals  gesehen  hat  (S.  122)«;  oder 

ic  kann  er  von  mir  behaupten,  dass  ich  auf  S.  187  meines  Buches  die 

■  ■ -ch-germanische  Spracheneinheit  venheidige,  und  wie  kann  er  ferner 

Meinung  vom  ursprünglichen  Typus  der  Slaven  und  Arier  (S.  13)  ganz 

i>  h  auslegen,  obwohl  ihm  als  eifrigen  Leser  des  »Vestnik  Slovanslcych 

lunzitnosti«  mein  Aufsatz  »Ueber  den  Ursprung  der  Slaven»,  welcher  im 

.  Bande  erschien,  nicht  entgelien  konnte  ? 

Aber  alle  diese  Irrthümer  und  Fehler  habe  ich  nicht  deshalb  hervorge- 

1,  um  etwa  das  Buch  des  H.  Boguslawski  gänzlich  zu  verurtheilen. 

!''^i'sBuch  enthält  ja  neben  vielen  Fehlern  auch  eine  Reihe  guter  oder  doch 

\v.ii,'enswerther  Beobachtungen.    Und  ich  gehöre  auch  nicht  zu  denjenigen, 

ie  lue  Bücher  der  sog.  Autochchonisten  gleich  von  vornherein  verwerfen. 

Mir  handelte  es  sich  darum,  zu  beweisen,  wie  sich  Herr  Boguslawski 
ir.  wenn  er  meint, berechtigt  zu  sein,  pauschalmässig  diejenigen  verurtheilen 
1  dürfen,  welche  mit  ihm  nicht  übereinstimmen  i),  und  speciell  wenn  er 
laubt,  dass  er  dazu  berufen  sei,  den  siavischen  Alterthumsforschern  zu 
■iueu,  welche  Methode  bei  der  Forschung  über  slavische  Alter- 
liUmer  befolgt  werden  soll;  denn  eine  wahre  Methode  der  P^'orschung 
it  es  gewiss  nicht,  was  uns  H.  Boguslawski  in  seinem  Buche  über  diese  Me- 
aode  geboten  hat. 


1]  Er  sagt  z.  B.  auf  S.  2,  dass  die  Berliner-österr.  Schule  »gering  ge- 
2hätzt«  wird,  oder  auf  S.  40  sogar,  dass  die  Arbeiten  eines  Ilanusch  und 
'amincyns  »höher  stehen  als  alles,  was  über  die  slav.  und  litau.  Mythologie 
liklosich  oder  Jagic  und  Brückner  geschrieben  haben«  u.  ähnl. 

L.  Niederle. 


150  Kritischer  Anzeiger. 

IleciiHyKH  3ÖopnHK.    YrjieAHH  npoH3BOAH  cpncKor,  xpBaxcKor  h  cxpaHor 

necHiiuiTca  3a  uikojickv  h  ^OMaliy  noxpeöy  cacTaBiio  JoBaii  MaKCHMo- 

Bidi.  y  MocTapy  1902. 

Ein  voluminöses,  von  der  Mostarer  Olficin  Fächer  &  Kisic  prachtvoll 
ausgestattetes  Sammelwerk  der  Dichtkunst,  angelegt  von  einem  Gymuasial- 
professor  zunächst  wohl  als  Behelf  für  den  Unterricht  der  Literatur  im  Gym- 
nasium. Das  Werk  will  jedoch  nicht  lediglich  poetische  Chrestomathie  für 
die  Mittelschule  sein  —  es  wäre  dazu  auch  zu  umfangreich  und  zu  —  theuer, 
—  sondern  es  soll  überdies  eine  Hauslectüre  für  die  Liebhaber  der  Poesie, 
dazu  ein  Handbuch  für  den  Dichter- Anfänger  und  dann  überhaupt  eine  Ver- 
anschaulichung des  Wesens  und  der  Form  der  Poesie  für  die  serbische  Lite- 
ratur abgeben.  Sowohl  durch  die  Entstehung  des  Werkes  als  auch  durch 
diesen  Zweck  ist  der  Standpunkt,  den  der  Verfasser  seinem  Werke  gegen- 
über einnahm,  zur  Genüge  charakterisirt.  Praktische  Rücksichten  Hessen 
das  Werk  entstehen  und  praktischen  Zwecken  ist  es  vorzugsweise  gewidmet. 
Aber  seine  Bedeutung  geht  höher:  Es  ist  dies  das  erste  rationelle,  auf  selbst- 
ständigem Urtheil  beruhende  Resume  der  poetischen  Thätigkeit  eines  Volkes, 
das  bereits  auf  ein  Jahrhundert  bewussten  nationalen  Lebens  zurückblickt. 
Dieser  Umstand  selbst  müsste  den  lohnenden  Gedanken  nahe  legen:  eine 
Revue  der  serbokroatischen  Dichtung  zu  veranstalten,  die  eine  Werthung 
der  poetischen  Thätigkeit  dieses  Volkes  ermöglichen  würde.  Im  serbokroa- 
tischen Theile  liegt  auch  die  Bedeutung  und  derWerth  der  Sammlung.  Darin 
hat  sich  ein  ästhetisch  selbständig  und  fein  fühlender  Mann  der  Mühe  unter- 
zogen, den  Schwall  des  Schriftthums  dieses  Volkes  in  eigener  Person  zu 
durchwaten,  um  daraus  alles  Wer th volle,  die  Perlen  mit  eigener  Hand  zu 
sammeln,  oft  auch  aus  der  Tiefe  der  Vergangenheit  hervorzuholen  und  an- 
einanderzureihen. Dabei  hat  sich  der  Anleger  —  was  er  im  Vorworte  zu  be- 
tonen für  nöthig  befunden  hat  —  durch  keine  vorgefasste  Meinung  betreffs 
der  nationalen  Angehörigkeit  der  Dichter  leiten  lassen.  Es  wäre  dies  sonst 
selbstverständlich,  aber  nach  dem,  wie  die  Verhältnisse  heutzutage  unten  im 
Süden  leider  sind,  soll  dies  auch  an  dieser  Stelle  als  ein  Vorzug  hervorgi 
hoben  werden.  Wir  hatten  bisher  zwei  kroatische  Anthologien,  aber  keine 
serbokroatische.  Mit  dem  vorliegenden  Werke  haben  wir  eine  solche  be- 
kommen. 

Freilich  eine  allgemeine  Anthologie,  worauf  die  Sammlung,  wie  *■ 
scheint,  auch  den  Anspruch  erheben  möchte,  ist  es  nicht.  Um  eine  solche  zu 
schaffen,  müsste  der  Redakteur  von  einem  anderen  Standpunkte  ausgegangen 
sein.  Er  müsste  sich  einen  gewissen  objektiven  Massstab  zur  Grundlage; 
nehmen;  das  Maksimovic'sche  Werk  ist  aber  gänzlich  subjektiv  angelegt. 
Alles  verräth  die  Subjektivität:  sowohl  die  Wahl  der  aufgenommenen  Proben 
als  auch  ihre  Anzahl.  Während  man  sich  mit  der  ersteren,  sofern  mau  dem 
ästhetischen  Geschmack  des  Verfassers  vertraut,  zufrieden  erklären  wird- 
sollte  die  letztere  nicht  lediglich  auf  dem  Redakteur  beruhen,  das  heisst  nichr 
von  seiner  Kenntniss  und  Unkenntniss  abhängen.  Maksimovic  hat  von  den 
ausländischen  Poesieprobeu  in  seine  Sammlung  150  russische,  10-3  deutsche, 


Maksimovic,  Poetischer  llausschatz  in  serb.  Sprache,  angez.  v.  Prijatelj.  151 

6  magyarische,  3  französische,  3  italieuische,  2  polnische,  1  kleinrussische 
und  keine  böhmische,  keine  spanische  etc.  aufgenommen.  Von  den  russi- 
schen und  deutschen  hat  er  168  Pieceu  selbst  übersetzt.  In  einer  Anthologie. 
in  welcher  die  ausliimlische  Dichtung  mit  soviel  Proben  vertreten  ist,  wie  bei 
Maksimovic.  sollten  sich  die  grössten  Geister  der  Welt  Rendez-vous  geben. 
Wenn  wir  nun  in  unserer  Sammlung  einen  Calderou,  Hugo,  Musset,  Tasso, 
Dante,  Petrarca,  Leopardi,  Mickiewicz,  Krasiuski,  Celakovsky,  Vrchlicky, 
Preseren  . . .  gänzlich  vermissen,  dabei  aber  vom  Redakteur  selber  übersetzte 
Dichter  von  solchem  Klang  wie  Fröhlich,  Pfeflfel,  Kurockin,  Barykova,  Po- 
doljinskij  darin  lesen,  werden  uns  damit  mehr  der  Redakteur  und  seine  Noth 
als  die  grossen  Meister  der  Dichtkunst  nahe  gerückt.  Es  verräth  dies  eine 
vollkommene  Zufälligkeit  der  Wahl,  die  sich  am  unangenehmsten  in  der 
Aufnahme  der  vielen  Mijalkovic'schen  Ueborsetzungen  gänzlich  unbedeuten- 
der deutscher  Dichter  bemerkbar  macht.  Umsonst  sucht  der  Redakteur  dieses 
sein  Verfahren  in  der  Vorrede  mit  der  Güte  der  Erzeugnisse  selbst  zu  ent- 
schuldigen. Eine  Anthologie,  zumal  Schulanthologie,  sollte  ihre  Leser  nicht 
nur  mit  guten  Dichtungsgattungen,  sondern  auch  mit  guten  poetischen 
Firmen  bekannt  machen.  Was  wird  der  Schüler  in  seinem  späteren  Leben 
davon  haben,  wenn  er  sich  aus  der  Anthologie  z.  B.  eine  Ida  Dühringsfeld 
gemerkt  hat? 

Infolge  dieser  Subjektivität  und  Zufälligkeit  im  Standpunkte  des  Re- 
dakteurs bekommen  die  Leser  dieses  SöopuiiK  von  der  ausländischen  Poesie 
nur  von  der  deutschen  und  russischen  ein  ziemlich  anschauliches  Bild,  ob- 
wohl gerade  hier  Weniger  vielleicht  Mehr  gewesen  wäre.  Der  Verfasser  ist 
nämlich  dieser  Sprachen  selber  mächtig  und  hat  sich  in  der  Uebersetzung 
aus  ihnen  keine  Beschränkung  auferlegt.  Er  hat  aber  seine  Uebersetzungen 
in  ungebundener  Rede  wiedergegeben,  was  er  in  der  Vorrede  mit  folgenden 
Worten  zu  entschuldigen  sucht:  »Bei  solcher  Uebersetzungsweise,  die  ich 
auch  bei  fremden  Werken  dieser  Art  gefunden,  bleibt  doch  der  nervus  rerum 
der  Poesie :  die  Metapher  wie  auch  alle  wichtigen  Elemente  der  Poesie  fast 
unberührt«.  —  Man  mag  nun  über  die  Bedeutung  des  Rhythmus  und  des 
Reimes  in  der  Poesie  verschiedener  Meinung  sein,  —  wie  man  es  unter  den 
»Modernsten«  auch  tliatsächlich  ist  —  sie  sind  doch  dasjenige,  was  die  Poesie 
(im  engeren  Sinne)  von  der  Prosa  unterscheidet.  Auch  wird  man  die  Metapher 
schwerlich  lür  den  »nervus  rerum  der  Poesie«  anerkennen,  da  ja  derselben 
auch  die  poetische  Prosa  nicht  entbehrt.  Gedichte  in  ungebundener  Rede 
wiedergegeben  sind  nicht  mehr  Gedichte,  sondern  poetische  Prosa,  und  diese 
beiden  Gattungen  sollten  wenigstens  in  einer  systematischen  Anthologie 
nicht  zusammengeworfen  werden.  Der  Redakteur  ist  durch  diese  Praxis 
auch  thatsäclilich  mit  seiner  Theorie  in  Widerspruch  gerathen.  In  den  im 
Anhange  aufgenommenen  Auszügen  aus  der  poetischen  Theorie  (nach  Beyer's 
Poetik)  wird  nämlich  über  die  lyrische  Poesie  gesagt:  »Die  lyrische  Poesie 
könnte  man  den  musikalischen  Ausdruck  des  Gefühles  in  allen  seinen 
Stimmungen  nennen,  den  musikalischen  Ausdruck  subjektiver  Gefühle, 
denen  die  Welt  der  geschlechtlichen  Erscheinungen  nur  zum  Spiegel  diente. 
Womit  kann  nun  dieses  Musikalische  zum  Ausdruck  gebracht  werden,  wenn 


152  Kritischer  Anzeiger. 

der  Rhythmus  und  Reim  ausser  Acht  gelassen  werden?  Ein  lyrisches  Ge- 
dicht in  Prosa  nacherzählen  zu  versuchen  ist  gerade  so  müssig,  wie  dasselbe 
logisch  erklären  zu  wollen.  Form  ist  darin  mit  Inhalt  innig  verwachsen : 
man  darf  nicht  die  Form  für  das  Gewand  halten,  das  man  nach  Belieben  aus- 
ziehen kann,  ohne  damit  das  Lied  zu  zerstören.  Die  Form  entsteht  bei  einem 
wahren  Dichter  vielmehr  zugleich  mit  dem  Inhalt  und  beide  gedeihen,  indem 
sie  sich  gegenseitig  unterstützen  und  fördern.  Es  ist  eine  bekannte  That- 
sache  der  poetischen  Produktion,  dass  oft  ein  guter  Reim  einen  guten  Ge- 
danken und  dieser  wieder  eine  i^lastische  Metapher  selbst  mitbringt.  Umso- 
mehr  ist  es  aber  zu  bedauern,  wenn  in  einem  poetischen  Muster  werke 
sogar  die  Lieder  dieses  einem  Liede  so  specifisch  zukommenden,  einzig  und 
allein  musikalisch  wirkenden  Mittels  beraubt  werden. 

Ivan  Frijatelj. 


CxapH  cpncKH  aanncH  h  HaTnacH.    CKyniio  hx  h  cpcÄHO  il>yö.  CTojaHO- 
Biih.  EeorpaA  1902,  8*>,  XV.  480.  Kh..I.  hsa- cpncKe  Kpaib.aKaAeMHJe. 

Das  angeführte  Buch  bildet  den  Anfang  eines  grösseren  und  wichtigen 
Unternehmens,  das  die  serbische  Akademie  in  Belgrad  auszuführen  beab- 
sichtigt, nämlich  einen  »SoopHiiic  sa  uciopHJy,  jesuK  u  KffaiiaceBHocT  cpncKor 
HapoAa«  herauszugeben.  Das  vorliegende  Werk  bildet  den  ersten  Theil  der 
ersten  Abtheilung  eines  solchen  »Zbornik«.  Diese  Abtheilung  soll  aus  der 
Publication  der  in  serbischer  Sprache  geschriebenen  Geschichts-,  Sprach- 
und  Literaturdenkmäler  bestehen;,  in  die  zweite  Abtheilung  werden,  nach 
den  Worten  der  Vorrede  dieses  Buches  zu  urtheilen,  die  fremdsprachigen 
Denkmäler  aufgenommen  werden.  Die  erste  Abtheilung  soll  nach  den  Worten 
Stojanovic's  noch  zwei  weitere  Bände  umfassen,  deren  letzter  die  Indices,  die 
nothwendigen  Erklärungen,  Ergänzungen  und  Berichtigungen  enthalten 
wird.  Das  Geschichtsmaterial  soll  sich  über  die  Zeit  von  der  ältesten 
Epoche  der  serbischen  Geschichte  bis  zum  J.  1830  erstrecken.  So  ungefähr 
sieht  der  Plan  der  begonnenen  Ausgabe  aus,  die  ausführlich  und  wichtig 
genug  sein  wird,  wenn  sie  in  gelungener  Weise  durchgeführt  wird. 

Der  Anfang  kann,  wie  das  vorliegende  Buch  zeigt,  als  gelungen  be- 
zeichnet werden,  ja  die  ganze  erste  Abtheilung,  in  dielliinde  eines  erfahrenen 
und  umsichtigen  Gelehrten  gelegt,  erregt  schon  jetzt  grosses  Interesse.  Da 
der  Herausgeber  dieses  Materials  für  den  dritten  Band  Berichtigungen  und 
Zusätze  in  Aussicht  gestellt  hat,  so  mögen  uns  einige  Bemerkungen  aus  An- 
lass  des  ersten  Bandes  gestattet  sein,  die  vielleicht  der  'ganzen  Ausgabe  zu 
Gute  kommen  könnten. 

In  diesen  ersten  Band  fanden  mehr  als  2000  in  verschiedeneu  Hand- 
schriften gefundene  und  gesammelte  Notizen  und  ebenso  die  auf  verschie- 
denen Gegenständen  befindlichen  Inschriften  Aufnahme,  angefangen  mit  dem 
Jahre  1186  und  mit  dem  J.  1700  endigend.  Alle  diese  Eintragungen  oder  In- 
schriften sind  entweder  genau  datirt  oder  können  auf  Grund  ihres  Inhaltes 
ziemlich  genau  bestimmt  werden,  sie  bilden  also  ein  sehr  erwünschtes  Mate- 


btojanovic,  Altseib.handschriftl.  Zu-  und  Inschritten,  aug.  \ .  Spciiiuskij.   153 

rial  für  (iie  serbische  Geschichte.  Das  ausführliche,  genau  zusammenji^estellte 
Quelleuverzeichniss  zeigt,  welche  grosse  Mühe  es  dem  Sammler  und  Heraus- 
geber kostete,  dieses  umtangreiche  Material  zusammenzubringen;  die  Lei- 
stung flüsst  um  so  mehr  Achtung  ein,  wenn  man  bedenkt,  dass  etwa  Vö  des 
gebotenen  Inhalts  hier  zuerst  nach  den  Originalen  herausgegeben,  etwa  Vs 
(genauer  etwa  6üU  Nummern)  von  neuem  nach  den  Originalen  verglichen 
wurde.  Bei  dem  Rest  sind  die  vom  Herausgeber  nicht  verglichenen,  in  Bezug 
auf  Genauigkeit  oder  Vollständigkeit  manches  zu  wünschen  übrig  lassenden 
Nummern  besonders  hervorgehoben.  In  geschichtlicher  Hinsicht  ist  also  das 
hier  gebotene  Material  mit  gewünschter  Genauigkeit  bearbeitet.  Etwas 
schwächer  gestaltet  sich  die  philologische  Seite  desselben:  in  der  letzten, 
vom  Verfasser  nicht  nochmals  verificirten  Gruppe  von  Texten  kommen  auch 
solche  vor,  die  inhaltlich  vielleicht  ganz  genau,  sprachlich  dennoch  nicht  auf 
volle  Zuverlässigkeit  Anspruch  erheben  können,  besonders  wo  das  Material 
aus  älteren  Werken  geschöpft  ist,  die  keine  philologische  Genauigkeit  be- 
zweckten, wie  z.  B.  die  sonst  sehr  wichtige,  aber  in  Bezug  auf  die  philologi- 
sche Genauigkeit  wenig  befriedigende  Publication  des  verstorbenen  Ivan 
Kukuljevic  Sakcinski  (Zagreb  1891)  oder  die  Ausgaben  des  PorphyriusUspen- 
skij  (philologisch  unzuverlässig)  oder  die  Publicationen  im  alten  »Srpsko- 
dalmatiuski  Magazin«  u.  ä.  m.  Auch  der  Paläograph  wird  aus  diesem  Buche 
Stojanovic's  nicht  viel  holen  können,  da  die  paläographischen  Eigenthümlich- 
keiten  der  hier  gebotenen  Texte  nur  in  beschränktem  Masse,  bedingt  durch 
typographische  Schwierigkeiten,  und  auch  das  nur  bezüglich  der  ältesten 
Periode  (XII — XIV  saec.)  berücksichtigt  werden  konnten.  Endlich  bilden 
eine  unvortheilhafte  Seite  dieser  wichtigen  Publication  solche  Notizen,  die 
nicht  den  eigentlichen  Inhalt  der  Eintragung  liefern,  sondern  nur  von  diesem 
Inhalt  berichten  (vergl.  Nr.  148.  287.  820.  133U.  1384.  1385.  148Ü.  151(3.  15.54. 
1688  u.  s.  w.). 

Bei  der  Masse  des  herangezogenen  Materials,  bei  der  grossen  Zerstreut- 
heit desselben  (in  serbischen  Bibliotheken  und  Klöstern,  in  Bulgarien,  Russ- 
land, Oesterreich,  selbst  in  Deutschland,  von  Macedonien,  Türkei,  Athos  gar 
nicht  zu  reden)  und  bei  der  Unbestimmtheit  der  Hinweise  in  den  Publicatio- 
nen meistens  nicht  streng  gelehrten  Inhalts  (und  dazu  gehört  der  grössere 
Theil  der  serbischen  Zeitschriften  allgemeineren  Inhalts)  kann  es  kein  Wunder 
nehmen,  wenn  sich  nachträglich  Lücken  herausstellen  werden,  worauf  schon 
der  Herausgeber  selbst  vorbereitet,  der  einen  Theil  des  in  Aussicht  genom- 
menen dritten  Bandes  den  Ergänzungen  und  Berichtigungen  vorbehalten  hat 
(vergl.  seine  Vorrede,  S.  VIIIj. 

Was  die  Grundsätze,  die  bei  der  Herausgabe  befolgt  wurden,  anbelangt, 
80  ersieht  man  schon  jetzt  aus  diesem  ersten  Bande,  dass  der  Verfasser  1)  in 
der  Entlehnung  des  Materials  das  chronologische  Princip  befolgt,  und  2;  in 
j  der  Auswahl  auf  den  Inhalt  der  Notiz  oder  Inschrift  Rücksicht  genommen 
I  hat,  insofern  nämlich  dieser  mit  der  serbischen  Geschichte  in  Zusammenhang 
1  steht.  Darum  finden  wir  z.  B.  unter  Nr.  8  (vom  J.  12 IS)  eine  bulgarische  In- 
i  Schrift  aus  dem  Kloster  Vitovnica),  die  im  Bereich  Serbiens  aufgefunden 
I  wurde,  unter  Nr.  IS   vom  J.  1255;  die  bekannte  Inschrift  in  der  Bojanakirche, 


j  54  Kritischer  Anzeiger. 

ebenfalls  bulgarisch,  doch  mit  der  Erwähnunfj  des  hell.  Stephau,  Königs  von 
Serbien,  ebeuso  unter  Nr.  43 — 44  (vom  J.  1313  bulgar.  Redaction  aber  mit 
dem  Namen  des  Königs  Uros-Milutin),  unter  Nr.  102  ivom  J.  1353;  bulgarisi- 
rend,  doch  mit  dem  Namen  des  Königs  Stephan,  unter  Nr.  951 — 952  (vom 
J.  1606?)  wegen  der  Nennung  eines  Sava  »BcauKaro  asxoBBHiiKa«,  unter  Nr.  586 
(vom  J.  1556)  eine  russische  Notiz  in  der  Handschrift  der  russ.  Kedaction  der 
commentirten  Prophetenübersetzuug,  erwähnt  nur  darum,  weil  die  Hand- 
schrift von  Michail  Jakovlevic  Morozov  an  das  Kloster  des  heil.  Sava  und 
Symeon  (in  Chilandarj  geschenkt  und  dorthin  geschickt  worden  war  durch 
zwei  Priester,  Silvester  und  Prochor  (die  vielleicht  Serben  waren) ;  oder  Nr. 
7)4 — 715,  eine  moldauische  Handschrift  (vor  1574  und  1588],  enthält  die 
Chronik  »w  cpi.6cKux  KpajieBL«  (von  serbischen  Königen) ,  gekauft  von  dem 
»urikar«  (Schreiber)  Gligorije  Jurasko  (der  vielleicht  ein  Serbe  war)  u.  s.  w.  Der 
Gedanke  einer  solchen  Auswahl  erweckt  an  und  für  sich  keinen  Widerspruch, 
doch  möchte  ich  den  Herausgeber  fragen,  ob  für  das  XIII.  — XIV.  Jahrh.  der 
südslavischen  Geschichte  eine  strenge  Trennung  der  serbischen  von  der 
bulgarischen  überhaupt  möglich  sei?  Die  Aufnahme  der  nicht  zahlreichen 
bulgarischen  Aufzeichnungen,  selbst  ohne  Erwähnung  specifisch  serbischer 
Thatsachen,  in  diese  Ausgabe  wäre  entschieden  sehr  willkommen,  sie  würden 
den  Werth  derselben  selbst  für  die  serbische  Geschichte  nur  erhöhen;  aus- 
zuführen war  aber  das  um  so  leichter,  da  ja  der  Herausgeber  selbst  in  dieser 
Richtung  einiges  bereits  gethan  hat,  wie  die  vorerwähnten  Beispiele  zeigen ; 
3)  unter  Anwendung  bestimmter  Zeichen  gab  der  Herausgeber  überall  den 
Zustand  seiner  Quelle  an,  ob  sie  schon  vor  ihm  herausgegeben,  ob  sie  von  ihm 
nochmals  verglichen  wurde  u.  s.  w.;  4)  in  den  Anmerkungen  zu  den  Texten 
gibt  er  seine  kritischen  Bemerkungen  bezüglich  der  Vollständigkeit,  Ge- 
nauigkeit oder  Unzulänglichkeit,  manchmal  seine  Berichtigungen  hinzu- 
fügend. Leider  herrscht  hierin  einige  Incousequenz  oder  selbst  Ungenauig- 
keit.  Man  kann  z.  B.  nicht  billigen  die  Art  und  Weise,  wie  die  Eintragung 
in  einer  Handschrift  des  St.  Paulklosters  in  Athos  (Nr.  55,  vom  J.  1329)  hier 
mitgetheilt  worden  ist.  Bei  V.  I.  Grigorovic  (nyieuieciBle  21)  und  in  F^iacHUK 
yq.  ap.  B.  XLIV,  S.  284  erschien  sie  mit  Russismen;  Lj.Stojanovic  beseitigte 
diese  Russismen  dort,  wo  sie  nicht  auf  gegenseitiger  Unterstützung  beruhen. 
Erst  eine  Vergleichung  mit  dem  Original  wird  hier  die  zuverlässige  Form  des 
Textes  liefern  können.  Dasselbe  muss  man  betreffs  der  Nr.  165  (vom  J.  1389j 
sagen,  die  aus  zwei  ungenauen  Aufzeichnungen  besteht,  wo  allerdings  die 
gegenseitigen  Abweichungen  hervorgehoben  worden  sind.  Zuweilen  fehlen 
Andeutungen  über  die  Ungenauigkeit  dort,  wo  man  sie  erwarten  würde,  z.B. 
unter  Nr.  1875  (vom  J.  1687)  eine  Notiz,  eingetragen  in  einem  alten  Drucke 
des  Klosters Krusedol,  hier  zuerst  herausgegeben,  besagt:  .liT(o)  ^j  iv  ca3- 
(AaHHM)   MHps   ^ifS-p-^i-A  (7194)  a  w  pojK(AbeTBaj  xpiicTOBa  ;f-a-x-n-3  (1687; 

poKs  >ieeeii;a  <i>eB(papH)  K>e-  ^ani..  Hier  ist  entweder  die  erste  oder  die 
zweite  Datirung  nicht  ganz  genau.    Februar  7194  sollte  1686,  oder  1687  das 

1)  Da  der  Herausgeber  die  Kürzungen  aufzulösen  pflegt,  so  würde  man 
auch  diese  Ergänzungen  erwartet  haben,  die  wir  in  Klammern  gesetzt  haben. 


htojanovic,  Altserb.  handscliriftl.Zu-  und  Inschriften,  ang.v.  Speranskij.   155 

Jahr  7195  der  Weltaera  geben.  Noch  auffälliger  ist  die  Berechnung  der  Bo- 
janer  Inschrift  (Nr.  IS):  ^ä  (wohl  ^s?)  -xl'-^-^  (67(17)  als  1255  (statt  125s— 
125^i .  Nr.  276  (vom  J.  1440)  gibt  am  Ende  das  Datum  mit  latein.  Buchstaben 
MCCCCIIII=  1404,  abermals  ohne  jede  Erklärung  seitens  des  Herausgebers. 
Ganz  unbegreiflich  erscheint,  warum  die  Notiz  über  das  Ereigniss  des  J.  7106 

159S  9,,  in  die  Handschrift  des  J.  ItiOl  eingetragen  Nr.  894;,  ins  Jahr  1598 
versetzt  worden  ist.  War  hier  das  Jahr  des  Ereignisses  ausschlaggebend? 
Endlich,  da  schon  von  einigen  Inconsequenzen  die  Rede  ist,  mag  auch  das 
erwähnt  werden,  dass  der  Ilerausifeber  mit  dem  reichen  Vorrath  von  Hand- 
schriften der  Belgrader  Nationalbibliothek  genau  vertraut  ist,  die  einzelnen 
Nummern  sorgfältig  citirt,  woraus  irgendwelche  Notiz  geschöpft  wurde,  und 
doch  unterliess  er  dort,  wo  eine  aus  der  Belgrader  Nationalbibliothek  ge- 
schöpfte Notiz  in  irgend  einem  anderen  Werke  publicirt  und  von  ihm  nur 
wiederholt  wurde,  dieselbe  Genauigkeit  zu  beobachten,  d.h.  die  genaue 
Nummer  anzugeben,  vergl.  Nr.  171  —  173,  495,  501 — 503  u.  s.  w.  Wir  hätten 
auch  in  allen  solchen  Fällen  die  genaue  Angabe  der  Nummer  erwartet.  Die 
aus  dem  Umstand,  dass  der  Verfasser  des  Buches  häufig  genug  aus  zweiter 
Hand  schöpfte,  erklärbaren  Ungenauigkeiten  müssen  ebenfalls  hervorgehoben 
werden.  Z.  B.  der  bekannte  Codex  des  Grammatikers  Vladislav  im  J.  1469, 
dessen  ausführliches  Postscriptum  bei  Stqjauovic  unter  Nr.  334  wiederholt 
wurde,  befindet  sich  nicht,  wie  damals,  als  Daniele  den  Codex  beschrieb 
(Starine  I,  45)  »in  Privathänden«,  sondern  in  der  Collection  der  Handschriften 
der  südslav.  Akademie.  Ebenso  muss  man  betreffs  des  berühmten  commen- 
tirten  Psalters  Mladenovic's  (Nr.  84 — 85,  vom  J.  1346)  nicht  mehr  die  alte  An- 
gabe wiederholen,  dass  er  im  Kloster  Bystrica  aufbewahrt  werde,  da  er 
gegenwärtig  im  Bukarester  Museum  sich  befindet  ^vergl.  Starine  IV,  29).  Doch 
das  sind  Kleinigkeiten.  Die  Benutzung  der  Quellen  aus  zweiter  Hand  hatte 
aber  noch  andere  Ungenauigkeiten  zur  Folge  :  die  zweimal  bereits  herange- 
zogene Notiz  aus  dem  Pozarevacer  Apostolus  vom  J.  1514  (einmal  in  der  Ja- 
Huua  1862,  S.  326,  das  andere  Mal  in  der  Monographie  Ruvarac's  »Crapu  Cian- 
KaMcn«   S.  27 — 28)    gibt  noch  immer  nicht   den  vollen  Text  genau   wieder 

(Nr.  418).  Ich  machte  schon  im  J.  1891  eine  genaue  Copie  der  Eintragung,  die 
ich  auch  hier  paläographisch  reproduciren  will : 

C.ia  eOBpLiunTe.iK)  6s  a  Bci"  Tpoime  craa  c.ia  reoe,  ctniica  ce  ii 

T'-.'-^j  Tc"  OX  X 

ctBpbmii  B  jii  /r^  KB  II  B  TO  Äi  6ii  rGiiKnie  IIa  xpTiaiie  ü;  npoK.ieTH 
Kpxoyma  Bt  3eM.iii  srpbCKoii,  ii  naKH^H  nooeAH  BoeBO^ta  ep^ejiCKii 
ÄOHuai),  MKO  H  npcKjere  \['e  •:■  niica  pa  rpiuiHH  XiaKO  Ö2Ka  s  Jiicxs 

H  •-.         X       X       X 

cjiaKa.MeHs.  ka-  n:  u"  u;  mh^  öparne  npocTHTe  a  ne  KJibHere.  h  npoqeTafi 
'HcnpaB-iMiiTö  .  .  vJM^'e'.  Vielleicht  ist  k;i  als  ^(ri^KA  =  7024,  d.  h.  1516, 
zu  lesen. 


V  H.  Ruvarac  schlägt  vor,  Äou^ua  als  jo  Kou^ua  zu  lesen. 


156  Kritischer  Anzeiger. 

Ich  benutze  den  glücklichen  Zufall,  um  noch  eine  Notiz,  die  ins  Juhr 
1457  fällt,  hier  mitzutheilen.  Sie  steht  in  dem  bekannten  »IHichubcux«  (der 
commentirte  Psalter)  des  Jahres  1387  (Eigenthum  der  Bibliothek  der  Kui- 
zovno  druzestvo  iu  Sofia),  auf  der  Rückseite  des  Blattes  313,  und  enthält  die 

Todesangabe  des  Despoten  Georg  in  nachfolgender  Form:  El.  Jii.'  /csn^e, 

Kpoy  cjiHii;s,  Ka,  jy,  ai  |  np'ficTaBiice  öjiroyTiiBBi  \\  xo.iioohbli  rocno- 

ÄHHb  cpbOJie  AecnoTi>  |  Kypb  i  ewne  no  rn  ösi  ero  |  BbceApb^Kn- 
Tejiii.   eMsate  cjiaBa  |  bk  BiKti  aMunt :  — 

Einige  Kleinigkeiten,  die  vielleicht  noch  der  Berichtigung  bedürfen, 
werden  ohne  Zweifel  im  III.  Bande  des  ganzen  Unternehmens  berücksichtigt 
werden.  Ich  spreche  nur  den  Wunsch  aus,  dass  es  dem  Verfasser  vergönnt 
sein  möge,  möglichst  bald  diese  foutes  rerum  serbicarum  zum  Abschluss  zu 
bringen.  Beim  letzten  Bande  erwarten  wir  in  den  versprochenen  Registern 
auch  die  Gruppirung  des  Materials  nach  den  Orten  (vergl.  das  Versprechen 
auf  S.VII  der  Vorrede),  woraus  sich  manches  Interessante  für  die  Sprache 
und  Graphik  und  für  die  Wechselbeziehungen  der  einzelnen  Literaturen  zu 
einander  ergeben  dürfte.   Ich  hebe  daraus  nur  einiges  hervor. 

Nr.  622  (vom  J.  15G1)  enthält  Daten  über  eine  in  Polen  für  Serbien  ge- 
schriebene Handschrift  (der  Schreiber  dürfte  ein  Westrusse  gewesen  sein).  — 
Nr.  775  (vom  J.  1585)  enthält  das  Postscriptum  eines  Serben,  der  das  Buch 
des  Josephus  Flavius  über  die  Einnahme  Jerusalems  aus  der  russ.  Vorlage 
abschrieb  —  Nr.  687 — 689  sind  mit  Russismen  versehene  serbische  Aufzeich- 
nungen. — 

Als  Druckfehler  mögen  in  Erinnerung  gebracht  werden:  1)  Nr. 622  muss 
gelesen  werden  ;ir3  ^  *  (nicht  -a-),  wodurch  man  das  entsprechende  Jahr 
;ira  *  ^  a  erhält,  sonst  müsste  man  7061  =  1553  lesen.  2)  Nr.  633  (J.  1583) 
statt  II  soll  der  volle  Name  Iloana  stehen.  3)  Nr.  952  (1606)  statt  1714  ist 
7114  zu  lesen.  4)  Ni\  1466  (1651)  statt  /r^-x-ii-a  ist  ^a-x-ii-a  zu  lesen. 
5)  Nr.  1512  (1654)  ist  /I,opoeea  wohl  in  /I^opoeea  zu  corrigiren  i). 

üf.  Speranshij. 

1)  Seitdem  der  Herr  Referent  diese  Besprechung  in  Abbazia  abgefasst 
hatte,  machte  er  eine  kleine  Reise  durch  Bosnien  und  Hercegovina,  die  auch 
dem  Werke  Stojanovic's  zu  Gute  kommen  wird,  da  Prof.  Sperauskij  iu  der 
Lage  war,  mehrere  Nummern  des  Stojanovic'schen  Materials  neu  zu  coUatio- 
niren  und  seine  Notizen  bereits  dem  Verfasser  dieses  Werkes  mitgetheilt  hat. 
Dadurch  gewinnen  correctere  Form  die  Nrn.  811.  922.  996.  1000.  1013.  1014. 
1037.  1043.  1054.  1067.  106S.  1094.  1212.  1309.1339.1340.1345.  1441.1472.1495. 
1497.  1550.  1.  1599.  1621.  1663.  4.  1924.  5.  6.  1939.  2008  —  alles  aus  Zitomislic. 

V.J. 


Kleine  Mittheilungen. 


Eine  slavische  Alexaiidergeschichte  iu  Ziira  1389. 

Herr  Sectionsclief  Dr.  Ludwig  von  Thalloczy  hatte  die  Güte,  uns  die 
Abschrift  eines  Inventars  aus  dem  Archive  des  k.k.  Landesgerichtes  in  Zara 
luitzutheilen,  in  welchem  auch  zahlreiche  Codices  aufgezählt  werden. 

Der  Anfang  des  Stückes  ist  wenig  leserlich:  » Item  tres  cercelli 

argentoi  deaurnti.    Item  una  catinella  parua  et  niinuta  de  argento.    Item  pi- 

roli  argentei  partim  deaurati  XXXVI.  Item  anulli  Illlor  argentei.   Item  unus 

cuppelletus  argenteus  a  manubrio  cultelini.    Item  unus  Über  Alexandri jjaruus 

in  litfera  sciaua.    Item  duo  officiola  in  littera  sclaua.    Item  libre  XVII  monete 

ec 
venete.   Item  libre  lllLI  monete  ungare.    Item  libre  XIII  pro  XIII  in  denariis 

pirnulis.    Item  unus  Rimancius  Febi  in  littera  latina  in  carta  jjapirea.    Item 

unus  liher  antiquus  et  paruus  magni  volutninis  in  littera  sclaua.    Item  unus  liber 

mcdicinarum  in  littera  latina  in  carta  papirea.    Item  unus  Mimancius  jirinceua- 

lii  in  littera  latina  in  pupiro.   Item  unus  Rimancius  paruus  Tristani.  Item  unus 

liber  gramatice.    Item  unus  Rimancius,  scriptus  partim  in  latino  et  2)artiyn  in 

sclauo.    Item  una  leciura  i'ite  in  carta  papirea.     Item  unus  quaternus,  tractans 

partim  de  amore  et  partim  de  prnjiridatibus  animalium  in  carta  papirea.     Item 

duo  caratolla  plena  vino.    Item  una  olla  ab  oleo  et  unum  tratorium  cum  tri- 

bus  mensuris  ab  oleo,  videlicet  quarta,    media  qnarta  et  quarta  parte  quarte. 

Itim  una  carta  scripta  cum  duobus  Euangelistis  a portandu  super  se.  —  Res  iste 

sunt  pignerate  dicto  condam  Damiano.    Item  unuin  breuiarium  littcre  latine, 

qund  pignerauit  Grubissa  sartor  pro  libris  VI par{unrum).    Item  una  panceria, 

quam  pignerauit  Candidus  corazarius  pro  ducatis  III  auri Millesimo 

tricontesimo  octuagesimo  nono.  die  tercio  ianuarii.    Coram  dominis  rectoribus 

Jadre.  AMdelicet  domino  Jacobo  de  Raducis  legum  doctori,  Paulo  de  Paulo, 

Johanne  de  Grisogonis  fuit  presentatum  hoc  inuentarium  bonorum  condam 

Damiani  mercarii  per  Ser  Marinum  de  Matafaris  et  Johannem  mercarium  ut  a 

comesariis  dicti  Damiani  tum  (?  Nicollao  condam  Jacobi  de  Matafaris,  procu- 

ratori  co(munitatis;  Jadre«. 

Der  »liber  Alexandri  parvus  in  littera  sclava«,  der  sich  13S9  im  Nach- 

Jass  des  Damianus  mercarius  in  Zara  befand,  wird  wohl  identisch  sein  mit 


158  Kleine  Mittheilungen. 

der  südslavischeu  prosaischen  Erzählung  von  Alexander  dem  Grossen,  die 
Jagic  in  den  »Starine«  Bd.  III  (1871)  herausgegeben  hat. 

»Riuiancius«  entspricht  dem  ralat.  romancius  in  der  Bedeutung  eines 
Romans  bei  Du  Gange.  »Rimancius  princevalis«,  »rimancius  Febi«,  »riuian- 
cius parvus  Tristani«  waren  mittelalterliche  Romane  in  italienischer  Bearbei- 
tung. Ueber  den  Einfluss  mittelalterlicher  Romane  auch  auf  die  Namens- 
gebung in  den  dalmatinischen  Städten  vgl.  meine  Romanen  in  den  Städten 
Dalmatiens  während  des  Mittelalters  1,  G8 — 69.  Um  1486  hiess  z.  B.  ein 
Metzgermeister  in  Ragusa  Tristanus.  Selbst  nach  der  Erfindung  des  Buch- 
druckes waren  noch  um  1550  die  Stoffe  der  Karlssage  neben  anderen  mittel- 
alterlichen Romanen  sehr  beliebt  und  bei  dem  Import  gedruckter  Bücher  aus 
Italien  sehr  gesucht  (Archiv  f.  sl.  Phil.  XXI,  436,  511—515). 

Der  unter  den  Rectores  der  Gemeinde  von  Zara  genannte  Paulus  de 
Paulo  ist  der  Verfasser  des  bekannten  »Meraoriale«,  eines  historischen  Tage- 
buches über  die  Zeit  1371 — 1408  (vgl.  Racki  im  Knjizevnik  2,  36 — 47), 

Const.  Jireceli. 


Cholbot  oder  pobyt? 

I.  I.  Lazecnikov,  der  Verfasser  bekannter  historischer  Romane,  hat 
in  seinen  Werken  mehrmals  den  merkwürdigen  Ausdruck  gebraucht:  »la- 
KHiMt-To  xcöoTOMT.«  (mit  solch'  einem  Rüssel !).  Diese  ungebräuchliche  Wen- 
dung fiel  den  Zeitgenossen  auf,  und  A.  S.  Puskin,  der  geniale  Dichter,  wel- 
cher die  rassische  Volkssprache  sehr  fleissig  zu  erlernen  strebte,  interessirte 
sich  für  den  »Rüssel«.  In  einem  Brief  an  Lazecnikov  vom  3.  November  1S35 
(Morozov's  Ausgabe,  B.VII,  S.  389,  Nr.  436)  unter  Anderem  erkundigt  sich 
Puskin:  »Erlauben  Sie  mir  Ihnen  eine  Frage  vorzulegen,  deren  Entscheidung 
für  mich  wichtig  ist:  in  welchem  Sinn  erwähnten  Sie  das  Wort  xoöoti.  in 
Ihrem  letzten  Werk  (d.  h.  in  dem  »Eispalast«)  und  nach  welchem  Dialect 
(ao  KaKOMoy  Hapiniio)?«  Offenbar  hegte  Puskin  in  Betreff  des  »Rüssels«  Zwei- 
fel. Aber  Lazecnikov  bestand  in  seiner  Antwort  aus  Tver  vom  22.  November 
1835  auf  dem  Seinigen  (ByMani  A.  G.  UyiuKiiHa,  herausgegeben  von  P.  Barte- 
new,  BBin.  I,  M.  1881,  Briefe  an  Puskin,  Nr.  3,  S.  127):  »Jetzt  werde  ich  Ihnen 
erklären,  warum  ich  das  Wort  xoöoti,  im  »JIgähhoh  ^om-b«  gebrauchte  und,  ich 
glaube,  noch  im  »IIocjiiÄHift  Hobiikx«.  Statt  zu  sagen:  »TaKUMi-To  oöpasoMi., 
TaKUMi.-xo  nyieMi.«  paradirt  (merojifleTT.)  jeder  fixe  Märchenerzähler  (.luxoii 
cKaao'iHiiKi.)  mit  dem  Ausdruck:  »TaKimt-To  xoöotomt.«.  Ich  habe  es  früher 
(öBTBajo)  von  meinem  alten  Kinderwärter  (satÄBKii)  gehört,  und  auch  später 
hörte  ich  es  nicht  einmal  nur  vom  Moskauer  Volk,  folglich  nach  dem  gross- 
russischen Dialect". 

Wir  wissen  nicht,  ob  Puskin  damit  zufriedengestellt  war.  Aber  keiner 
von  den  Herausgebern  der  Werke  Puskin's  und  Lazecnikov's  hat  sich  die 
Mühe  gegeben,  den  besagten  Ausdruck  zu  erklären.  Bis  auf  den  heutigen  Tag 
figurirt  der  »Rüssel«  auch  in  den  neuen  Auflagen  der  Werke  Lazecnikov's 


Kleine  Mittheilungen.  1  59 

und  die  Ilerausgober  der  Pusivin'schon  Briefe  verweisen  bloss  auf  die  ange- 
führte (offenbar  ungenügende)  Erklärung  Lazecnikov's  selbst. 

Mir  scheint  die  Lösung  des  Käthsels  eine  sehr  einfache  zu  sein.  Lazec- 
nikov  hat  falsch  gehört:  im  Munde  der  Erzähler  war  es  nicht  xoootomt., 
sondern  nootiTOMi.  (von  öhtb).  Das  Wort  no6i.rn.  findet  sich  bei  Dal  (To.i- 
KOBLiK  c.TOBapB,  Th.  III.  M.  1865,  S.  126, 1)  verzeichnet  als  im  Osten  gebräuch- 
lich und  wird  folgendermassen  erklärt:  »noöLiri.  —  ömt-b,  po;iT>  yKiismi,  ouli- 
naii  ii  iipaBu  ||  oöpasi.  u.iii  poji.  AtiiCTBia,  noprijoKi),  cnocooi.;  noc.it.aoBaTe.iB- 
HOCTB  coöiaiin«.  »Bt>  iiaiucMi.  nooBiri  Taivt  boaiitc;!".  »TaKiiM't-  ro  noobiTOMt 
MLi  II  nycTU.iiu-r.  BT)  nyTB«.  »KaKUMi.  tu  nooi.iTOMTi  TyTi.  ouyniJiCH?« 
D  0  r  p  a  t  -  J  u  r j  e  V.  Vladimir  JBobrov. 


Einige  Notizen  über  den  russ.  Dialekt  Tobolsk's. 

Vor  vielen  Jahren,  als  ich  an  den  höheren  Fraueu-Kursen  in  St.Petei'S- 
burg  thätig  war,  bekam  ich  von  einer  meiner  Zuhörerinnen  folgende  Skizze, 
die  beim  heutigen  Eifer  für  Dialektforschungen  veröffentlicht  zu  werden 
verdient. 

In  Tobolsk  und  seiner  nächsten  Umgebung  spricht  man: 

1)  Deutliches  o  des  Nordgrossrussischen,  nicht  das  hohe,  gehobene  (von 
Niznji),  sondern  eher  etwas  gedehnt,  wie  überhaupt  der  Dialekt  Tobolsk's. 

2;  q  wird  vor  dem  Consonanten  zu  w:  koiicwiio,  -MO.iouimiK'h,  .laBowiiiiKt, 
noTOMywro. 

3)  Eine  gewisse  Vocalharmonie  zeigen  Beispiele  wie  cßMaiiic;imiii,  ITrtui- 
KapeBT.  (statt  nymKapeB-bj. 

4)  Unbetonter  Vocal  c  nach  mc,  %  lautet  wie  hartes  a :  /K«iia,  yKa.a*30,  uaua, 

5)  Umlaut  des  e  zu  ü  in  Moeft,  TBoeit,  cBocft,  Bceii,  itüü;  so  auch  TBoero, 
Moero,  CBoero,  iBero. 

6)  Comparativform  lautet  entweder  gekürzt:  Beccat,  CKyuiut;,  nccrpt, 
oder  auf /ic:  necrpae,  Eece.irie,  CKyuiii;ie.   Man  spricht:  6öji'&,  Mciii. 

7)  Man  spricht  auch  chj-b,  cH.ia,  cfi.iii  (h  statt  i). 

8)  Die  Adjectivformen  werden  zusammengezogen.  Nom.  fem.  xopoiua, 
aö6pa;  Neutr.  xopöiuo,  /i;ö6po.  Dazu  Nom.  sing.:  xopümoä,  ÄÖupoii,  Nom.  pl. 
lautet  xopuiuu,  ;iö6pM.  Ebenso  Nom.  fem.  cihia,  neutr.  ciiuü,  Nom.masc.  ciiueit. 
Die  Zusammenziehung  gilt  auch  für's  Pronomen  :  Koröpa,  Koxüpo  (Nom.  Koxöpoii). 

9)  Dasselbe  gilt  auch  für  die  Conjugation,  die  so  lautet:  siiäio,  siiaiuL, 
siiart,  aiiaMT),  siiaxc,  BHaiOTt. 

10)  In  der  Rede  wird  häufig  «no;iii«  und  »Mo.n.»  eingeschaltet. 

11)  Sehr  häufig  wendet  man  ny  als  den  Ausdruck  der  Frage,  Verwunde- 
rung, Zustimmung  u.  s.  w.  an. 

12)  Ein  Lieblingswort  ist  aiiÄare  (für  nou,icMTe). 

Die  Bewohner  Tobolsk's  sprechen  langsam,  zum  Theil  gedehnt,  herb 
und  rauh.   Die  Koseformen  wenden  sie  sehr  selten  an.  V.  J. 


1 60  Kleine  Mittheilungen. 

Zur  Geschichte  eines  Wortes. 

Die  Berücksichtigung  des  volksthümlicheu  Elementes  ist  ein  Haupt- 
merkmal der  modernen  polnischen  Belletristik.  Statt  viele  Namen  und  Werke 
zu  nennen,  genügt  es.  auf  den  »Bauernsänger"  Kazimierz  Laskowski  zu 
verweisen,  der  mit  ungleich  tieferer  Wirkung  das  Werk  eines  Lenartowicz 
fortführt.  Im  »Pogrzeb«  desselben,  einer  Replik  zum  »Wesele«  des  Wy- 
spianski  finden  wir  den  Ausruf  (beim  Ausbruch  einesFeuers)  »za  wiaderka, 
chlopcj'!  mall«—  zu  den  (Wa8ser)eimern,  Burschen!  rasch!  Woher  kommt 
nun  dieses  neue  Adverbium? 

In  den  dialektischen  Wörtersammlungen  begegnet  denn  auch  öfters 
dieses  müli,  dessen  Bedeutung  mit  »rascher«,  «rasch«  wiedergegeben  wird 
(Rozpr.  VIII,  229;  IX,  209;  XI,  185;  XXVI,  :iS3.  Spr.  IV,  2(3.  Swiet.  703. 
Zb.  XIV,  231).  Dieses  malt  wechselt  nun  mit  muszli,  mäili  und  mäsli  und  ist 
sichtlich  nichts  anderes  als  masz-li,  d.  h.jezeli  masz  =  »sollst  du«.  Au  einer 
Reihe  von  Beispielen  aus  volksthümlicheu  Quellen  kann  man  alle  Ueber- 
gangsstufen  der  Form  und  des  Gebrauchs  des  Wörtchens  spüren  und  dabei 
auch  die  allmähliche  Isolirung  in  der  Bedeutung  beobachten. 

Die  vollste  Form  gebraucht  das  bedingende  »je^eli«:  »Drygaj^e,  Karcz- 
mareczko,  je^eli  masz  drygac«  (Zb.  X,  330,  Nr.  31 7).  Aber  in  demselben  Liede 
in  einer  anderen  Fassung  lesen  wir:  »Drygaj,  maszli  ty  podrygac«  (Lip.  196). 
»Wsiädajze  .  .  jezeli  mäs  wsicädac«  (Wisla  VII,  737).  »Däjcie  na  (=nam), 
sieli  '=  jezeli)  n^  mäcie  dac«  (Aten.  VI,  627). 

Die  nächste  Stufe  drückt  die  Bedingung  mit  dem  enklitischen  -li  aus: 
»Siadajze,  masli  wolfj«  (Kai.  I,  143).  »Siadajze,  masli  siadac«  (ib.  150.  194). 
»Szukaj,  maszli  szukac«  (Pozn.  III,  42).  »PiJ,  maszli  pic«  (Fed.  189;.  »Saniij 
mie,  mäsli  mie  sanowac«  (Zb.  IV,  139^    »Dajciez,  macieli  dac«  (Fed.  21ti). 

In  weiterer  Entwickelung  wird  die  Conjunction  weggelassen  :  »Kolys-ze 
sie,  mas  sie  kolysac«,  d.h.  »je^eli  masz  sie  kolysac«  (Pleszcz.221).  »Siadajcie. 
macie  siadac,  a  nie,  to  sama  pojade«  (Sienkiewicz,  Pan  Wolodyjowski,  I 
26S).   »Czepcie,  macie  czepic«  (Lub.  I,  156).   «Dawajcie,  macie  dawac«  iRa.l. 

I,  1U6). 

Bisjetzt  ist  masz,  macie  als  ein  echtes  Verbum  gefühlt  und  behandelt; 
in  folgenden  Beispielen  aber  wird  es  zu  einer  Partikel  mcfli,  die  jedoch  die 
Spuren  der  verbalen  Bedeutung  noch  nicht  verloren  hat:  »Wypijmy,  muh 
wypic«  =  marayli  =  jezeli  mamy  (Krak.  IV,  3i)0).  »Dajcie  nam  tez,  mali  dar 
(Kon.  68).  »Dawajcie,  mali  dawac«  (Pozn.  II,  24.5).  »Tacajcie,  mali  tacar 
(Sand.  67).  »Zagrajie  mi,  mali  zagrac»  (Zb.  VIII,  78).  »Dawajtaz,  mali  dawac. 
(Maz.  III,  103).   »Bierz  sie,  Kasinku,  mali  brac»  (Kiel.  I,  SO). 

Zuletzt  tritt  mali  allein  auf  mit  der  Bedeutung  » rasch,  schnell« :  » Spi'- 
sie  mali«  (Krak.  IV,  300).    »Gädäj,  babo,  mäli«  (Cisz.  I,  125).    »Mali  dalej 
Idzze  mali!   Dawaj  mali!«  (Krak.  IV,  311j.    »Chybaj  mäli!«  (Zb.  II,  245  s.  v 
Chvbac^  Jß??  Karlowicz. 


Ueber  die  Sprache  iiiul  die  Herkunft  der  sog.  Krasovaner 


in  Süd-Ungarn. 


I. 


Im  Oravicaer  Bergwerks- 
distiict  des  ungarischen  Komitats 
Krassö-Ször^ny,  im  ehemaligen 
Temeser  Banat,  befinden  sich 
sieben  slavische  Dörfer,  deren  Be- 
wohner herkömmlicherweise  sich 
»Krasovaner«  nennen  und  unter 
demselben  Namen  auch  in  der 
Wissenschaft  bekannt  sind.  Im 
engeren  Sinne  )) Krasovaner«  heis- 
sen  die  Bewohner  des  Dorfes  Kra- 
sova,  des  grössten  und  des  be- 
deutendsten unter  den  erwähnten 
sieben  Dörfern.  Die  Gesammt- 
/?   y.  zahl  der  Krasovaner  beläuft  sich 

(y/x^X'Oo^^-'.^yt^S^^Zy^i.'-t^.tA^^  nach    der    Statistik    vom    Jahre 

1S96   auf    7692    Personen,    von 
denen   3310    im   Dorfe  Krasova, 
673  in  Nermet,    S76  in  Lupak,   726  in  Rafnik,  473 
1131    in  Klokotic   leben.      Die  Krasovaner  sind  von 
altersher  reine  Katholiken.    Die  katholische  Pfarrei  von  Krasova  hat 
schon  in  der  ersten  Hälfte  des  XIV.  Jahrhunderts  bestanden ;  sie  wird 
namentlich  in  einem  »Consignatio  parochiarum,  quae  annis  1332  — 1337 
I  in  territorio  hodierno  Dioecesis  Csanädensis  exstiterunt  et  abinde  vel 
;  restauratae  sunt  vel  penitus  cessarunt«  erwähnt  (s.  Schematismus  cleri 
dioecesis  Csanädensis  pro  anno  dom.  189S,  Temesvarini  1897,  pag.  38). 
1  Es  ist  aber  zweifellos,  dass  die  jetzigen  slavischen  Bewohner  von  Krasova 
und  der  übrigen  sechs  Dörfer  spätere,  vom  Süden  hergekommene  An- 
siedler sind.    Jedoch  fehlen  bisher  genauere  Angaben,  um  bestimmen  zu 
können,  wann  und  woher  die  jetzigen  Krasovaner  gekommen  sind.    Es 

Archiv  für  slavische  Philologie.   XXV.  1 1 


503  in  Jablca, 
in  Vodnik  und 


il 


162  Lj.  Miletit-, 

ist  dabei  sehr  morkwürdig,  dass  dieselben  ihres  eliemaligen  iiatioualeu 
Bewusstseins  beraubt  sind  und  dass  sogar  in  ihrer  Volkstradition  gewisser 
nationalen  Zugehörigkeit  zu  den  benachbarten  Südslaven  nicht  die  min- 
deste Erwtthuuug  gethan  wird,  in  Folge  dessen  die  Krasovaner  sich  jetzt 
als  eine  besondere  Nation  betrachten,  und  zwar  ohne  mit  ihrem  jetzigen 
nationalen  Namen  >'Krasovan«  etwas  mehr  als  den  Sinn  eines  guten 
»krasovanischff  redenden  Katholiken  zu  verbinden.  Davon  habe  ich 
mich  persönlich  überzeugt  während  meines  kurzen  Aufenthaltes  in  Kra- 
t^ova  im  August  d.  J.  1S9S.  "Wie  es  bekannt  ist,  werden  in  der  bisherigen 
wissenschaftlichen  Literatur  die  Krasovaner  fast  einstimmig,  wenn 
auch  ohne  irgendwelche  überzeugende  Gründe,  als  Bulgaren  und  speciell 
als  ein  Zweig  der  katholischen  Bauater  Bulgaren  angegeben.  Da  ich 
im  Jahre  1S9S  eine  Abhandlung  über  die  letzten  vorbereitete,  so  war 
für  mich  die  Frage  über  die  nationale  Zugehörigkeit  der  Krasovaner  von 
grossem  Interesse,  und  um  endgiltige  Klarheit  darüber  zu  gewinnen, 
entschloss  ich  mich  selbst  Krasova  zu  besuchen  \),  trotzdem  ich  schon 
zwei  Jahre  vorher  auf  Grund  eiuiger  sicheren  Angaben  über  die  Volks- 
sprache der  Krasovaner.  welche  ich  gelegentlich  von  zwei  Banater  Bal- 
garen, früheren  Lehrern  in  Krasova  und  Jablca,  bekam,  mich  überzeugt 
hatte,  dass  die  Krasovaner  nur  dem  serbo-kroatischen  Stamme  zuge- 
hörig sein  können  ,s.  Btlgarski  Pregled  IIL  J.  IL  Bd.  S.  S7).  Und  in 
der  That  dies  bestätigte  sich  vollständig  als  ich  die  Krasovaner  selbst 
kennen  lernte,  obgleich  die  letzten,  wie  gesagt,  sich  nur  Krasovaner 
nennen  und  von  ihrer  älteren  Vergangenheit  bloss  so  viel  zu  sagen 
wissen,  dass  nämlich  ihre  Vorfahren  einst  aus  der  Türkei  herüberge- 
kommen sind.  Sie  sprechen  entschieden  einen  serbokroatischen  Dialect, 
welcher  sich  von  dem  stokavischeu  Dialecte  der  benachbarten  Serben 
in  Banat  durch  manche  wichtige  Sonderheiten  auszeichnet,  wodurch 
auch  die  Krasovaner  selbst  in  ihrem  Glauben .  sie  reden  eine  besondere 
i'krasovanische  Sprache«  unterstützt  werden.  Die  wichtigsten  von  den 
erwähnten  Sonderheiten  bestehen  im  Folgenden : 

i.  Die  Betonung  des  Krasovaner  Dialectes  hat  sich  auf  einer  älte- 
ren Stufe  erhalten,  indem  auch  in  mehrsilbigen  Wörtern  der  Accent  auf 
der  letzten  und  vorletzten  Silbe  ruhen  kann,  mit  Ausnahme  der  kurzen 
oöenen  Silben  im  Auslaute.  Wegen  des  ungenügenden  Materials,  über 
welches  ich  verfüge,  werde  ich  mich  vorläufig  von  weiteren  genaueren 

'  S.  meine  Abhandhing:  Ueber  die  Literatur  uud  die  Sprache  der  Ba- 
nater Bul^raren  im' Sbornik  des  Ministeriums  XVII.  Bd.  340. 


Ueber  die  Sprache  und  die  Herkunft  der  sog.  Krasovaner  in  Süd-Ungarn.  1  63 

Schlüssen  über  die  krasovanische  Betonung  enthalten,  ich  kann  aber 
sagen,  dass  dieselbe  mit  der  sogenannten  "Kesaver  IJetonung«,  welche 
das  ganze  Moravatlial  in  Serbien  beherrscht .  in  Verbindung  gebracht 
werden  muss  (s.  Milicevic  M.,  Knezevina  Srbija,  S.  171,  212  etc.).  Die 
ältere  Betonung  hat  sich  in  den  langen  Silben  erhalten.  In  meinen  Auf- 
zeichnungen, leider,  habe  ich  seiir  unconsequent  die  Länge  angegeben, 
weswegen  ich  in  dem  unten  folgenden  Text  einfach  die  Betonung  mit 
dem  Zeichen  '  anführe,  z.  B.  gläta  —  (jlave^  svda  od  svile;  iz  reke\ 
vhda  —  vode:  priko  vode\  zato^  kudi  da  gledt\  seki'i  (3.  pl.),  posadil, 
kotäl,  rukämi,  turcina.  velika,  kopäli,  koUbe. 

2.  Das  /  lautet  manchmal  auch  als  i,  z.  B.  iam.  ias:  es  erscheint 
nicht  durch  o  ersetzt  wie  im  .stokavischen  Dialekte,  z.  B.  pil.  posadil. 
kotäl. 

3.  Statt  7jI  [h]  zwischen  Consonanten  hat  sich  ein  silbenbildendes 
/entwickelt,  z.  'R.Jäblka,  plna. 

4.  In  Krasova  gibt  es  ein  Quartal  Kurjacica  genannt,  wo  statt  a 
(=  ^)  z.  B.  im  Worte  kotal  e  erscheint:  kotel.,  db'ael.  Ebenso  wird 
auch  in  Ravnik  gesprochen.  Das  Quartal  in  Krasova,  wo  man  kotal 
spricht,  lieisst  Püdkrse. 

5.  In  Klokotic  besteht  auch  ein  7>-Vocal,  welcher  in  Worten  wie 
shd  anstatt  des  allgemeinen  sad  —  aada  (jetzt)  und  kot\)l  hörbar  ist. 

G.  Statt  d  (cyril.  h)  hörte  ich  oft  auch  ein  </  aussprechen,  so  wie  es 
in  den  macedonischen  Dialecten  üblich  ist,  z.  B.  doye.^  porogene. 

7.  Sehr  oft  hört  man  ein  consonantisches  u  statt  Ja,  z.  B.  piu 
{=  piju,  3.  pl.),  vikau  \^=  vikaju^  smo-ii  näsVi  (=  smo  j'u  nasli). 

8.  Der  Instrumental-Sgl.  der  o-Stämme  endet  auf  -am  anstatt  auf 
-am,  z.'R. pöpam^^jezikam,  medam,  taniram.^  rückam,  sokäkam,  lübam. 

9.  Der  Accusativ  pl.  msc.  g.  endet  auf  i  und  nicht  auf  e  wie  sonst 
im  Serbokroatischen,  z.  B.  ima  dobri  kohi;  träzimo  nofci;  saküpi 
nöfci;  meine  u  koläc  sekseri;  redi  gosii;  da  slusaju  ov?  stäri. 

10.  Ich  habe  mir  einen  Dativ  pl.  msc.geu.  auf  -  «w  notirt:  decer'am. 

11.  Den  Genitiv  pl.  mit  der  Endung  ä  habe  ich  nicht  gehört,  z.  B, 
pedeset  ize;  djete  ot  petnäjest  godine ;  sedelje  mnbgo  gbdine ;  treba 
da  gazi prekb  noväc ;  pet  krajcär  ;  kotäl  ot  pet  ok.  In  zwei  Fällen 
habe  ich  Formen  auf  -a,  welche  syntaktisch  Genitiv  pl.  sein  sollten, 
gehört:  prbda  izmedu  nenih  imga;  tigänci  od  jäjca. 

12.  Für  Comparativ  und  Superlativ  der  Adjectiva  dient  die  Form 
des  Positivs   in   Verbindung   mit   den  Partikeln  /jo,  resp.  naj .    z.  B. 


164  Lj.  Miletic, 

pomlogu;  da   hude  po-velik  i  po-visok ;  dode  tu  koja  7iäj-stara 
haha. 

13.  Das  Imperfect  und  Aorist  werden  äusserst  selten  gebraucht. 
Man  kann  sagen,  dass  diese  Verbalformen  schon  der  täglichen  Umgangs- 
sprache abhanden  gekommen  sind. 

14.  Es  wird  die  Partikel  ce  in  der  Function  einer  causativen  Con- 
junction  gebraucht,  z.  ^.  Je  si  li  cul ,  ce  hije  dzvönac ;  ikäze,  ce  je 
cisto  srehro ;  v}de  ,  ce  tie  Je  d'efka.  a  ce  Je  d'ete ;  ce  kad  ne pop)Ju 
svu  rakiju  onda  .  .  . 

15.  Oft  fungirt  Accusativ  nach  der  Praeposition  u  statt  des  Loca- 
tivs,  z.  B.  'V  tej  grad  tämo  Je  hil  türciii.  —  Ebenso  erscheint  Accu- 
sativ für  partitiven  Genitiv:  tmali  &u  zläto,  srehro  dösta;  dok  popiju 
polak  kotäl  raktje. 

16.  Von  den  lexicalischen  Sonderheiten  des  Dialectes  soll  das  Ver- 
bum  7am  in  der  Bedeutung  ich  wünsche,  ich  will,  ich  werde,  ebenso 
ne  lam,  erwähnt  werden,  z.  B.  rtcut^  ce  sad  la  da  dode  türcin^'.. 

Um  einen  volleren  Begriff  vom  Krasovaner  Dialect  zu  geben,  theile 
ich  hier  einige  Stellen  aus  meinen  Notizen  mit,  wo  ich  die  Volkssprache 
in  Prosa  möglichst  genau  gemerkt  habe.  Ich  fragte  die  Leute  aus,  ob 
etwas  von  der  Türkenzeit  noch  in  ihrer  Tradition  erwähnt  wird.  Die 
Bauern  Kurjak  Peter  und  Nedeljko  Gjurkica  erzälilten  mir  darauf  man- 
ches von  den  Türken,  d.h.  von  der  Zeit  der  türkischen  Herrschaft  inBanat: 

»Ukrtij  selu  ima  jedän  orej  türski,  pa  taj  örej  ürv.al  se  na  pedeset  — 
sesdeset  gödin,  izginul;  onda  posadili  drügoga;  onda  i  taj  se  ürval:  sad  ovej 
je  treci,  onje  övok  debel,  on  je  sad  zivjeste,  alije  vecstar.  Pi-vi  örej  bil 
posäden,  kad  je  jeste  türcin  bil  —  türcin  ga  posadil.  Zatö  i  sad  mu  velimo 
türski  örej.  —  Pak  jest  i  vodenica,  sto  je  ostala  ot  turcina  —  velika  vode- 
nica  .  .  Pa  kad  je  sedel  türcin  ovde  —  sedel  je  mnögo  gödine.  Onda  su  näsi 
izbegli  u  kläncu  —  u  pecku,  pa  pösle  kad  je  dösel  näs  cär,  on  ga  istiril  ga  je. 
Onda  döSii  nätrag  näsi  lüg'e,  önda  napräve  kolibe,  pokriju  lübam  od  lipe  — 
to  je  znäte.  kad  oderu  lipu,  pa  sekü  nadve  önu  közu,  pa  se  pokrije  je^na  od 
zdöla,  drüga  od  zgöra.  Selo  je  önda  bilo  tämo  pod  krsöm  —  tämo  je  i  örej  is- 
pöd  krse  döle.  Pedeset  ize  sii  bile.  Pösle  su  cinili  ize  —  kolibe  su  bili.  Imali 
su  zläto,  srebro  dösta  —  dükati  i  täleri.  Dög'e  türcin  nätrag,  a  oni  to  zläto 
ukopäju  ü  zemnu.  Zatö  smo  ml  zatreni  .  .  .  Svi  znäu,  svi  znäu  .  .  .  Kad  sam 
bil  uiäli,  pistim  da  mi  da  niäma  pitu  ili  maläj,  a  mäma  veli:  cut,  ce  sad 
Ja  da  döSe  türcin.  To  su  se  böjali  ot  turcina.  Ima  mnögo,  ali  neznam  sve 
näpamet  iz  glave ....  Tämo  göre  je  grad  i  sad.  V  tej  grad  tämo  je  bil  türcin, 
i  tämo  imäl  mäli  töpovi  —  kudi  da  gledi,  da  püca.  I  sad  su  düpke  tarn  övak  ve- 
like.  —  A  onda  dösal  nas  car  —  tämo  jest  jedna  cöka  velika,  täko  zve  se  mesto  : 
Zabel' —  sämo  priko  vode  je  pücal  u  grad;  vöda  velika  —  i  türcin  zaköpa 


Ueber  die  Sprache  und  die  Herkunft  der  sog.  Krasovaner  in  Süd-Ungarn.  16ö 

blägo;  —  täko  se  kopäli  i  näsi  u  zeniiiu  i  onda  bejzi  iz  gräda  i  do  saj  d;in  glö- 
danio  nüvci  i  nemozemo  da  näg'emo.  —  Näsli  smo  bünar  u  grädu.  Ottiida  su 
vädili  vödu  iz  reke.  I  täko  je  uzidan  grad  —  ue  mt)ze  da  se  skine.  Jest  Jena 
düpka  u  kläiicu  —  pa  sämo  türaj  oväko  prut  u  düpku  pa  odiinda  päda  nöfei 
—  mkli,  srebrni;  pa  noseni  su  u  Bec  da  vidi  cär,  i  kä/e,  ce  je  cisto  srebro,  a 
ne  vredi  nista,  a  sämo  vredi  na  kantär  ....  Näsli  su  püske  uf  tim  bunäru, 
näsli  SU  neke  cöle' ,  i  ovde  suio  näsli  jednu  käpu  —  ovde  bas  priko  vöde.  Pa 
näsli  su  glä,ve  —  plna  kola.    Käpa  östala  —  ot  eiste  svile.  a  öno  driigo  svi' 

istruleuo « 

Dieselben  Bauern,  nachdem  ich  noch  einmal  mit  ihnen  zusammen- 
kam, erzählten  mir  ihre  Volksbräuche  ^)ot  porogena  do  ozenetian: 

»Sad  kad  Ima  zena  d'ete.  dog'e  tu  köja  näjstara  bäba,  ünda  to  üna  pri- 
väti  i  oküple.  Pösle  piju  rakiju.  Siitra  hajd  na  krscena.  Kad  täiuo  na 
krsceiiu;  »Käko  las  ime?«  —  »Marija«  —  käzu  kiimu,  a  kum  pöpu.  I  kum 
pijan  i  bäba.  Tu  sam  pak  videl,  ni  da  sam  cul.  Kad  dog'u  düma  da  kiipl'e,  a 
öna  vidi,  ce  ne  je  d'efka,  a  ce  je  d'ete.  Hajd  idu  pak  kod  gospodina  prvom 
idu  kod  »pöpa«,  a  püsle  kod  "gospodina« :  kad  smo  p^jäni,  on  je  »pop«,  a  kad 
smo  trezni.  onda  je  »gospodin«;  kad  smo  p^jäni,  önda  je  »pop«  — je  ,  .  em 
ga,  pükla  mugläva;.  -Sto  säda,  sto  ste  dösli?«  —  »Gospodine,  ni  d'efka  nego 
je  d'ete».  A  ono  pisano  u  kvscänom  pismu Marija.  Nato  veli :  »da  krstimo  po- 
driigi  put«.  Onda  metne  »Märjan«',  —  ne  zatira  u  krscänom  pismu.  I  önda 
bilo  dübro  —  bäba  ne  j*"  videla,  pijäna. 

Onda  zvii  ki'ima;  je,  pije  —  na  cäst.  Svi  jedu.  piju:  i  bäba  i  kum,  kiima 
i  komsije;  i  koj  dög'e.  i  to  je  gost.'  Onda  kum  dobije  jedan  lep  dar  —  mä- 
ramu.  a  küma  dobije  driigi  dar  —  krpu,  a  bäba  —  pa  ki-pu.  Pösle  häjda  idu 
da  provedu  küma  i  ki'imu  sokäkam.  I  täko  idu  daleko,  dok  popiju  pöiak  ko- 
täl  rakije  —  nöse  kotäl  rakijom,  kotäl  od  deset  ili  ot  pet  ök,  kaki  je  gäzda. 
Köga  sköbe2)  na  piitu.  tömu  rakiju.  Pösli  se  vi-nu  nätrag.  Do  döma  popiju  i 
önu  rakiju  —  svü,  ce  kad  ne  popiju  svü,  önda  vrnuta  rakija  nätrag  i  kad  se 
zeni,  a  on  vrne  nätrag  d'efku  —  »ne  läm  ovu  d'efku«  — . 

Sad  dög'e  zenidba.  Sad  kad  se  zeni.  ide  nena  mu  —  ötac  mu  —  i  jeste 
jedan,  komsija  ili  brat,  idu  da  pröse  d'efku.  A  sin  niti  poznäva  d'efku  niti  ju 
znä  cijä  je  i  kakä  je.  D'ete  ot  petnäjes  gödine,  a  d'efka  —  cetrnäjs.  Takö 
SU  se  zenili.  Oni  sto  pröse,  opüste  na  zemnu  dva-tri  krajcära.  koliko  kösta 
sveca,  sto  gori.  Razgoväraju  i  ne  piju.  dok  se  ne  uväte,  dok  ne  da  kapäru.  A 
nöse  cuti'iru  s  rakijom.  Dva-tri  püta  dölaze  tako.  Onda.  kad  je  treci  put  — 
äli  i  drügi  put,  a  i  pivi  put,  kat  se  raöze  dogoditi  da  dädu  kapäru  —  önda  idu 
uz  ni  pömlogu:  i  mäti  i  röd  —  komsije;  d'ete,  mladozena —  tej  ostäne  na  30- 
käku  pod  obliikamS,  pa  slüsa.  sto  öni  govöre  u  niitra,  u  söbi.  Onda  nena 
d'efkiu.  kad  su  se  vec  pogodili,  vika:  »kapäru :«    »Ja-1  önda  dam  kapäru«, 

1)  Kleider. 

-   »skobiti«  bedeutet:  treffen,  begegnen. 

'',  obluk,  vergl.  sloven.  oblok,  ung.  ablak  —  Fenster. 


166  I^j-  Mibtic, 

veli  d'etctov  nena.  Ouda  dög'u  oni  mlüdi  —  d'ete  i  defka  u  sobu.  »No,  iäs 
da  ides  za  ruöjega  sina?«  —  plta  nena  d'etetov.  »Kad  lue  da  nena  i  iBäma,  ja 
lära«,  odgovori  defka.  »A  las  li  ü  aöre,  begerii')  li  ti  n;nja  d'efka?",  pita  pa 
li'efkin  nena  dete.  On  veli;  »Pa  kad  begeni  möjemii  neni  i  ttämi,  ja  laui". — 
No  sad  kapärn  n;i-zemnu.  Onda,  otkad  sn  vec  l'ücili  kapäru  nä-zemnu,  pö- 
vade  rakijii  i  izmesaju  rakiju  od  raläde  i  od  mladozene  u  jedan  kotäl,  pa  pösle 
häjd  da  väcamo  —  cäsom  —  i  da  pijemo.  Onda  dbSe  mläda  ona  tVefka  pa 
treba  da  gjizi  preko  novac  (ce  se  lüce  pedeset  täleri  ili  dva-tii  forinta)  i  da 
se  obrne  piiko  k'apjire.  Sad  »uzmi  kapäru".  N'en  nena:  »Ako  se  iizbas"-)  da 
sliisas  svekra  i  svekrvu  i  muza,  uzml  kapäru,  äko  ne,  ne  fliraj«.  Pa  ona  käze: 
»Pa  länQ  da  slüsam",  i  sakiipi  nöfci.  Häjd  sütra  na  pisäne  kod  popa.  Kad 
idu  tärao,  sto  lämo  da  cinimo  s  pöpana :  d'ete  je  mälo.  Häjd  önda  u  clzme 
övako  luecu  rize^),  da  lüde  püvelik,  pövisok.  Nego  gospodinu  pak  nösinao 
övna  ili  jenu  kösnicu  medaui,  svincinam,  kako  da  prlmne.  "Mölim  te  gospo- 
dine,  d'ete  je  mälo,  pa  nä  ovo«.  Pa  onsiizmi:  »Döbro  je,  döbro«.  On  to  ne 
vidi,  sto  mu  nösimo,  nego  znä,  dabögme.  Pösli  navesti  nih  tri  püta,  i  sad  tri 
put  idu  na  näuk  krscanski  gospodinu,  da  ju  uci  kakö  da  sliisäju  ovi  stäri,  nenu  i 
luämu,  svekra  i  svekrvu.  Onda  u  cetvi-tak  lämo  da  püstimo  lag'iju  —  köiäc  i 
culüru  rakijom  —  kod  küma,  i  kum  tämo  da  rücak  önomu  deveru,  lepo  ga 
casti  iiickam  i  posle  metne  u  köläc  sekseri  i  kräjeari  —  nabäce  oväk  u  kö- 
iäc. Posli  dever  Ide  u  selu  pa  redi  gösti,  koj'^  läju  da  dodu  na  svädbu  u  nedel'u 
kod  d'efke.  A  övi  stäri  u  cetvitak  idu  da  eine  sprävdu;  i  raladozena  ide.!  I 
täko  d'ete  da  d'efki  jäblku  i  u  jäblki  uöfci  i  joj  raetne  u  päzuhu  pred  närai 
svimi.  Ondak  mi  ni  vise  ne  vidimo  —  mläda  i  mladozena  idu  u  driigu  ka- 
märu,  a  j;östi  si  piju,  aoni  su  tämo  bäska.  Igramo  i  veselimo  se,  pijemo  —  to 
se  zve  sprävda.  U  subotu  sijemo  steg  kod  mladozene  nävecer.  Tämo  jedu  i 
piju  i  posle  idu  deveri  s  läniram,  pa  svi  sto  su  jeli  i  koji  su  gusde  blli,  svi 
dädu  kräjcar,  da  deveri  ireäu  nöfci  da  küpe  mlädu.  No  sütra  idu  u  ci-kvu,  da 
se  vencaju.  Kad  su  se  vencali,  önda  mläda  ide  näpred.  Kakö  izleznu  iz 
crkve,  mläda  hajd  bezi  eäma  döma.  Kad  döma  siignu,  önda  deveri  i  cäiis,  sto 
nösi  Steg:  »trag  ot  llsice  smö  näsli,  pa  smo  dosli  tu«.  Ondak  tu  se  pögaöaju, 
kum  je  fraj  —  kum  i  stäri  svat  i  mladozena  su  slöbodnl  da  tiire  (=  da  uläze) 
u  EÖbu.  A  deveri  i  caus  bane  prid  pörtom  na  sokäku,  dok  ne  dobiju  li^icn. 
A  dok  je  prösal  kum  i  stäri  svat  i  mladozena,  a  mläda  je  na  pödu,  pa  rasko- 
räci  nöge  na  öknu  ot  zgöra  —  ne  vidi  se,  ökno  zatvöreno  —  da  prö.^'u  iz- 
meitu  nenih  nöga.  Pa  kad  öni  sednu  da  piu,  öna  slezne  döle,  pak  pösli  ju 
prodävaju  nena  i  mäma  cäusu  i  dever'am.  Deveri  vele  na  kräjcar  hil'äda:  pet 
kräjcara  su  pet  hii'äde,  deset  kräjcar  su  deset  hil'äde.  »Kiime,  avo  näsa 
lisica  —  vikäu  deveri  kürau  —  smo  u  näsli«.  Pa  si  ona  ciikne  kümu  uiku  i  stä- 
romu  svätu  i  sväko  joj  da  ki  äjcar.    Mladozena  ue  cükne  rüku,  on  sämo  sedi. 


1)  begeniti  —  gefallen,  türk.  Wort. 

2)  üzbas  —  statt  »uzdas«. 

3)  Fetzen. 


Ueber  die  Sprache  und  die  Herkunft  der  sojr.  Krasovaner  in  Süd-Ungani.  1  (37 

Onda  lautäsi  —  cigani  —  pocmu  da  svire,  a  dever  i  luläda  igräju  prid  kii- 
mam.  Unda  kum  iiznie  tigänci  ot  belog  brasna,  ot  Jäjca  i  ot  sirena  slüdkog  ta 
rasece  tigänak  na  cetiri  pa  pivo  pärce  ot  cetvrtke  mladozeiii,  a  driigoga 
mlädi,  a  dva  parceta  dever'am.   Pösle  Je  iiicak  i  east". 

Bei  den  Krasovaiiern  wird  viel  gesungen ,  aber  es  gibt  sehr  wenig 
nationale  Volkslieder.  Gewöhnlich  wird  beim  Trinken  gesungen.  Im 
Krasova-Komitat  wird  überhaupt  viel  Obst  gebaut ,  namentlich  die 
Zwetschken,  die  man  hauptsächlich  zum  Branntweinbrennen  verwendet. 
Früher  hat  man  noch  mehr  getrunken,  weil  der  Branntwein  billiger  ge- 
wesen. i)Ne  SU  bili  oväko  finance«  —  sagte  zu  mir  ein  Bauer  —  »sämo 
räkija  fece,  a  mi  pijemo«.  Von  ihren  j'Popevke«  habe  ich  mir  einige 
notiert: 

Säjdan  jesmo,  siitra  nesmo 

Do  godine  Bog  zna  dösmo. 

Na  nebu  je  slävni  raj 
A  na  zemni  kelneräj. 

A  sto  cemo  mi  u  räju 

Tamo  pice  ne  daväjii. 

Goliibico  beb, 

Biidi  mi  vesela. 
AI  kakvo  cu  ja  veseia  biti, 
Kad  moj  drägi  ide 
Od  sela  do  &ela; 
Püred  ize  prüge, 

Kod  mene  ne  döge. 

Koj  sedi  do  mene, 
(Jasicii  uzima; 
Koj  je  viidan  üzeti, 
On  je  vridan  pöpiti; 
Koj  je  vridan  popiti, 
Taj  je  vridan  zivot  ziviti. 

Daj  gazda  vina 
Da  ti  kiica  mirna  etc. 

Es  ist  augenscheinlich  auch  aus  den  Worten  wie  "kelneraj«,  dass 
diese  »Popevke«  keine  echte  und  alterthümliche  Xationallieder  vor- 
stellen. Auch  die  ikavische  Form  «vridan«  weist  auf  fremden  Ur- 
sprung hin. 

Die  Priester  sollen  sich  viel  bemüht  haben,  die  Krasovaner  von  der 
Trunksucht  abzuwenden,  jedoch  ihre  Mahnungen  haben  nicht  gewirkt. 


168  Lj.  Miletic, 

Man  hat  dem  Priester  gewöhnlich  geantwortet:  «A  zäludo  se  kinujes 
gospodine,  mi  ostänemo,  köji  smo  bili«. 

Es  wäre  sehr  unbegründet  zu  meinen,  dass  die  Priester,  welche 
meistens  Fremde  gewesen  sind  —  in  den  letzten  Decennien  hauptsäch- 
lich Bulgaren  aus  Bauat  und  Slovaken^)  —  auf  die  Volkssprache  der 
Krasovaner  in  irgend  welcher  Richtung  einen  Einfluss  geübt  haben.  In 
den  krasovauischen  Schulen  wird  von  altersher  nach  kroatisch-illyrischen 
Büchern  —  meistens  specielle  Ausgaben  der  Franciskaner  in  Ungarn 
—  gelernt.  Die  Lehrer  jedoch  sind  ebenfalls  Fremde  gewesen,  welche 
die  krasovanische  Mundart  anfangs  nicht  gekannt  haben.  Vor  sechzig 
Jahren  hat  in  Krasova  lange  Zeit  als  Lehrer  ein  Balgare  aus  Besenov, 
Namens  Karadzöv  fungirt.  Nach  diesem  ist  wieder  der  Lehrer  ein 
Bulgare  Namens  Lilin  gewesen.  Daraufist  Brätanov,  ebenfalls  Bul- 
gare aus  Besenov,  gekommen;  der  Vater  von  Brätanov  ist  damals  im 
krasovanischen  Dorfe  Vodnik  Lehrer  gewesen.  Zuletzt  sind  die  Brüder 
Topcov,  Bulgaren  aus  Besenov,  Lehrer  gewesen  und  zwar  einer  in 
Krasova  und  der  andere  in  Jablca.  Erst  in  der  letzten  Zeit  haben  die 
Krasovaner  Lehrer  aus  ihrer  eigenen  Mitte  bekommen.  In  Krasova 
z.  B.  ist  der  Lehrer  ein  aus  Rafnik  gebürtiger  Krasovaner,  Namens 
Vlasic. 

IL 

Aus  dem  oben  Angeführten  ist  klar,  dass  kein  Zweifel  mehr  über 
den  ethnographischen  Charakter  der  Krasovaner  bestehen  kann.  Nach 
ihrem  Dialect  kann  man  mit  gewisser  Bestimmtheit  schliessen,  dass  sie 
etwa  aus  dem  Gebiete  des  jetzigen  sogenannten  Resaver  Dialectes  aus- 
gewandert sind.  Dies  letztere  wird  auch  durch  andere,  historische  An- 
gaben, welche  ich  unten  kurz  begründen  will,  wahrscheinlich  gemacht. 

Ausser  in  den  obengenannten  sieben  krasovanischen  Dörfern  gibt 
es  ältere  krasovanische  Colonien  auch  in  anderen  nahe  liegenden  Ort- 
schaften. E^ne  solche  Colonie  lebt  z.  B.  in  Lipa  bei  Radna  (im  Arader 
Komitat),  wo  ich  im  September  1896  Gelegenheit  hatte  mich  persönlich 
zu  überzeugen,   dass  auch  dieser  Zweig  der  Krasovaner  der  Sprache 


ij  In  Krasova  wirkte  als  Priester  im  J.  1S98,  als  ich  daselbst  war,  der 
Dekanus  Delin,  ein  Bulgare  aus  Vinga  in  Banat.  Vor  Delin  hat  wieder  ein 
Bulgare  aus  Vinga,  der  jetzige  Vinganer  Dekanus  Vadäsz,  einige  Zeit  in 
Krasova  verweilt. 


Ueber  die  Sprache  uud  die  Herkunft  der  sog.  Krasovauer  iu  Süd-Uugarn.  ]  69 

nach  zum  serbokroatischen  Stamme  gehört.  Die  Familiennamen  der 
Krasovaner  in  Lipa  haben  jetzt  die  übliche  serbokroatische  Endung 
-ic,  wie  z.  B.  Misetic,  Gomilesevic,  Makovlevic  u.  a.  (s.  auch  in  B-BJg. 
Pregled  III.  J.  II.  Bd.  87)  '  .  Nicht  weit  von  Radna-Lipa  befindet  sich 
das  Dorf  Otvas,  wo  ebenfalls  einige  krasovanische  Ansiedler  leben. 
In  einer  »Descriptio  Parochiae  Ottvasiensis,  Comitatus  Aradiensis«, 
welche  ich  in  einem  Mannscript  im  Franciskaner-Kloster  zu  Offen  (Buda- 
pest) gelesen  habe,  werden  die  Krasovauer  ausdrücklich  Serben  (»Ra- 
sciani«.  genannt:  »Ottvas  est  misserimus  pagellus,  constans  e  pauperculis 
ruricolis  olim  catholicis,  probabilius  Carassova  oriundis  et  tempore  bel- 
lorum  eo  translatis,  qui  successu  temporis  absque  spiritnali  solatio  inter 
Silvas  pecudum  more  viventes,  valachis  permixti,  et  linguara  rascia- 
nicam  tidemque  catholicam  usque  ad  duas  familias  amiserunt,  ad  Grae- 
corum  Schisma  declinantes.  Eos  autem  originem  trahere  Carassova  et 
Rascianos  fuisse  vel  militares,  vel  nautas  vectoresque  salis,  cognomina 
eorum  satis  produnt«. 

Es  ist  merkwürdig,  dass  Geza  Czirbusz  in  seinem  Werke  »Die 
Südungariscben  Bulgaren«  (Wien  und  Teschen  1884.  8^.  64)2)^  trotz- 
dem er  consequent  die  Krasovaner  für  ehemalige  reine  Bulgaren  be- 
trachtet und  dieselben  einfach  »krasovanische  Bulgaren«  nennt,  doch 
ausdrücklich  sagt,  dass  ihr  Dialect  »serbisch«  ist.    An  einer  Stelle  ist 

'j  In  Krasova  habe  ich  mir  folgende  Familiennamen  notirt :  Aus  dem 
»Liber  baptizatorum«  der  Krasovaner  Pfarrei  vom  Jahre  1739:  Joannes  Ra- 
dio, Viika  Mrsin.  Lackic;  —  vom  J.  1753 — 1754:  Muselin,  Vlasic,  Pozderka, 
Babe  fjetzt  Babic,,  Blka  aus  Ravnik),  Furkin,  Moeoka.  Benedük,  Sudor, 
Panca,  Beca,  Ankic,  Blaz,  Gluhak  (aus  Lupak),  Arambasa,  Filipona,  Filka. 
Bunja,  Joncin,  Yataf,  Vranija,  Dragija,  Dragin  (aus  Ravnik  ,  Ocil,  Hoea,  Jti- 
reg,  Milcev  aus  Klokotic),  Topcija,  Jankov,  ^era,  Grgin,  buga. 

Jetzige  Familiennamen:  Babic,  Beca,  Bogdau,  Bisina,  Cervenjäk,  Cir- 
cija,  Dzuga,  Dobra.  Dugalin,  Dragija.  Frana.  Vranja.  Fera,  Fakric,  Grgin, 
Gera.  Gjurgica.  Grlica,  Gluvak.  Gjurasa,  Hacaga.  Hoea,  Harambas,  Hera, 
Hrza.  Ivanica,  Ivka.  Hin,  Jiinaska,  Janca,  Kurjak,  Kajman,  Krsta,  Koto- 
lusa,  Keda,  Katic,  Kaiina,  Lazar,  Lackic.  Lacka,  Lucin,  Manul.  Mrsa.  Macea, 
J>i;16s.  Mamil,  Miok.  Miloja,  Mita,  Moeoka,  Moldovan,  Njagul,  Pozderka,  Paun, 
Paica,  Petraska,  Pekar,  Pirca,  Radan,  Rebezila,  Radul,  Rac,  Samak,  Sorka, 
Stc^janovic,  Sudor,  Todor,  Turna,  Toma,  Cinkul,  Udovica,  Ursul,  Ugrin,  Uj- 
kica,  Vataf,  Vlasic,  Voka,  Vorca,  Vrnjka,  Zigmui,  Zurkul,  Zdrinja,  Zenka, 
Zonka. 

-;  Das  Werk  erschien  als  Beilage  zum  XI.  Bde.  des  Werkes  »Die  Völker 
Oesterreich-Ungarns «. 


170  Lj-  Miletic, 

Czirbusz  geneigt,  die  Krasovaner  als  eine  Mischung  von  Serben,  Ru- 
mänen und  Bulgaren  zu  betrachten,  weswegen  ihm  die  Frage  über  die 
); ethnologische  Stellung«  derselben  noch  immer  als  »unentschieden«  er- 
scheint. Zum  Schluss  meint  Czirbusz,  dass  die  Krasovaner  jetzt  in 
sprachlicher  Beziehung  keineswegs  reine  Bulgaren  sind,  jedoch  dass  sie 
einst,  als  sie  in  ihrer  jetzigen  Heimat  sich  niedergelassen  haben,  wirklich 
solche  gewesen,  soll  aus  den  Büchern  der  Pfarrei  zuKrasova,  namentlich 
aus  der  dortigen  »historia  domus(f  klar  ersichtlich  sein.  Deswegen 
suchte  ich,  als  ich  selbst  nach  Krasova  kam,  mit  Neugierde  zuerst  das 
Manuscript  auf,  welches  die  erwähnte  »historia«  enthält,  um  die  wichti- 
gen geschichtlichen  Beweise,  welche  die  bulgarische  Abkunft  der  Kraso- 
vaner bestätigen  sollten,  zu  prüfen.  Es  stellte  sich  aber  heraus ,  dass 
die  erwähnte  »histoiia  domus«  in  der  That  ein  Abschnitt  von  der 
Geschichte  der  Franciskaner  der  bulgarischen  und  walachischen  Provinz 
ist  und  dass  sie  auf  Grund  dieser  Geschichte  mit  Hinsicht  auf  die  Pfarrei 
zu  Krasova  von  einem  unbekannten  Franciskaner  compilirt  worden  ist; 
sie  ist  betitelt:  «Historia  parochiae  Kraszovensis.  Extractus  protocoUi 
provinciae  Bulgariae  et  Valachiae«.  In  diesem  «Extractus  protocoUi«, 
namentlich  im  Capitel  über  »Residentia  et  parochia  Kraszovensis« 
(pag.  247),  nachdem  kurz  die  geogi'aphische  Lage  von  Krasova  be- 
schrieben und  der  Name  des  Dorfes  von  dem  gleichnamigen  Flusse  ab- 
geleitet sind,  wird  auch  des  Ursprungs  der  Krasovaner  Erwähnung  ge- 
than.  Diese  Stelle,  welche  die  eigentliche  «historia«  der  Krasovaner 
darstellen  soll ,  citire  ich  hier  vollständig,  weil  sie  die  einzige  Haupt- 
quelle ist,  woraus  man  in  der  bisherigen  Literatur  den  Beweis  für  die 
vermeintliche  bulgarische  Abkunft  der  Krasovaner  geschöpft  hat.  Der 
unbekannte  Verfasser,  welcher  sich  als  Franciskaner  ausgibt,  schreibt 
unter  dem  Titel:  «De  loco,  gentis  origiue  nostroque  inde  discessu«  Fol- 
gendes : 

»Gentem  hanc  ex  Bulgaria  originem  trahere  ac  veros  Bulgaros  esse 
nuUus  dubitet.  Postquam  enim  circa  annum  Christi  1366  sub  Urbano  V.  Pon- 
tifice  Ludovicus  rex  Bulgariam  sibi  subjecisset  et  zelo  fidel  propagandae  in- 
census,  adhortante  ad  hoc  fratre  peregrino  episcopo  Bosnensi,  fratres  minores 
eo  destinasset  sieque  intra  30  dies  ultra  ducenta  hominum  millia  ad  fidera 
convertissent,  quos  deinceps  plures  ac  plures  alii  secuti  sunt,  Bulgaria  se  de- 
dit  in  clientelam  regum  Huugariae.  Manente  vero  Bulgaria  et  Valachia  circa 
annum  Christi  1393  sub  Sigismundo  in  turcica  potestate  ac  tyranide,  Bulgari, 
neoconversi  ac  jugo  turcico  non  asueti  potius  patriam,  quam  fidem  velinquere 
volentes  una  cum  putribus  ad  regnum  Hungariae  se  contulernnt.  Eex  Hunga- 
riae,  noscens  bellicosum  illorum  animum,  eos  limitares  fecit  ac  ad  limites 


Ueber  die  Sprache  und  die  Herkunft  der  sog.  Krasovaner  in  Süd-Ungarn.  171 

regni  custodiendos  circa  Lipoviani,  Rekaschinum,  Lugoschiniim,  Caransebe- 
sinum  aliisqiie  in  locis  collocavit,  sicquo  factum  est,  quod  nos  'j  in  illis  locis 
stabiliti  fuerimus,  in  quibus  acijacentibus  bulgaris  inilitaribus  spiritualia 
ubsequia  praestiteramus. 

Deinde  circa  annuiu  1526  peracto  infelicissiino  conflictu  die  29-a  Au- 
gust), in  quo  tot  christianorum  millia  nianserunt  et  ipse  rex  Ludovicus  2-dus 
in  palude  sufFocatus  est  prope  Mohacsinum,  Turca  incepit  dominari  non 
solum  in  Banatu.  sed  etiam  in  Ilungaria.  Sic  contigit  militares  Btilgaros 
partim  in  conflictu  occidi  et  vulnerari,  partim  per  superiorem  llungariam  hinc 
inde  dispergi,  remanentibus  paucis  in  suis  sedibus,  qui  videntes  se  non  posse 
sub  Turca  tutos  vivere,  ad  horrida  et  aspera  loca  Carassoviensia  fuga  se  re- 
ceperunt,  exspectantes  rei  exitum.  Et  quia  Turca  ob  haereticorum  factiones 
semper  magis  ac  magis  invalescebat,  sie  coacti  sunt  in  ferarum  latibulis  habi- 
tacula  tigere  ibique  stabiliter  perruanere.  —  Nee  quispiam  miretur,  eos  tarn 
agrestes  evasisse,  primi  enim  absque  dubio  magis  culti  erant,  sed  subsequen- 
tcs  generationes,  qui  in  silvis  excreverunt,  silvestres  mores  acquisiverunt, 
quos  tamen  nunc  paulatim  deponere  incipiunt.  His  itaque  pauperculis,  Lipo- 
viae,  Rekaschini,  Slatinae,  Caraschovae  et  aliis  in  locis  existentibus,  patres 
nostri  semper  spiritualia  praestiterunt  alimenta,  eosque  in  fide  catholica 
inundantibns  licet  undique  haeresibus  conservarunt  usque  ad  annum  1600. 
Barbara  Lugosiana  patribus  societatis  Jesu  aliqua  bona  Lugoschini  et  Ca- 
ransebesini  contulisset,  sie  ceperunt  Jesuitae  missionem  etiam  Carasovae 
exercere.  Post  aliquot  annos  vero  Räkoczius,  Calvinianae  haeresi  addictus, 
Jesuitas  Lugoschino  et  Carausebesino  pepulit,  nam  haec  loca  tunc  ad  Tran- 
silvaniae  principatum  spectabant.  Crasovae  autem  manserunt  usque  ad  ulti- 
mum bellum  quo  tempore  una  cum  Carasoviensibus  in  supradicto  foramine 
habitarunt,  quos  nempe  Jesuitas  deinde  semimortuos  Temesvarinum  de- 
duxerunt". 

Weiter,  unter  dem  Titel  «De  nostra  iu  parochiam  Carassoviensem 
resiitutione«  wird  speciell  die  Tbätigkeit  der  Franciskaner  in  dieser 
Gegend  beschrieben.  Dass  die  oben  citirte  »historia  parochiae  Kraszö- 
vensis«  bald  nach  dem  Jahre  1718,  als  der  Banat  laut  dem  Frieden  von 
Pozarevac  von  den  Türken  befreit  wurde,  verfasst  ist,  erhellt  aus  den 
Worten  des  unbekannten  Verfassers,  welcher  sagt,  dass  die  Jesuiten  in 
Krasova  geblieben  sind  »usque  ad  ultimum  bellum c,  womit  nur  der 
Krieg  von  1716 — 17 IS  gemeint  sein  kann.  Der  Verfasser  hat 
augenscheinlich  eine  ältere  Geschichte  der  Franciskaner  von  der  bulga- 
rischen Provinz  benützt  und  in  seinem  Glauben,  dass  die  Krasovaner 
gewesene  Bulgaren  sind,  hat  derselbe  die  Geschichte  der  katholischen 
Bulgaren  in  Banat  gänzlich  auch  auf  die  Vergangenheit  der  Krasovaner 
übertragen.    Und  diese  Geschichte  hat  er  sicher  aus  dem  Manuscript 

*)  »nos«  bezieht  sich  hier  auf  die  Franciskaner. 


1 72  Lj-  Miletic, 

»Ortus  et  progressus  Provinciae  Bulgariae  et  Valachiae  sub  tit.  Imac. 
Concep.  B.  V.  Mariae  Ord.  Fratrum  Minorum  s.  P.  N.  Francisci  Regu- 
laris  observautiae  exhibens  praecipua  memorabilia  in  illa  ad  haecusque 
tempora  gesta«  gekannt  ^j.  Und  es  ist  im  Interesse  der  neurestituirten 
Frauciskaner  in  der  Pfarrei  von  Krasova  gewesen ,  ihrerseits  alte  ge- 
schichtliche Rechte  auf  dieselbe,  besonders  in  Anbetracht  der  Ansprüche 
des  Jesuitenordens  hervorbringen  zu  können.  Deswegen  hat  man  die 
Geschichte  der  Krasovaner  Pfarrei  mit  der  Thätigkeit  der  Frauciskaner 
in  Bulgarien  zur  Zeit  des  Königs  Ludwig  I.  von  Ungarn  und  zwar  ange- 
fangen vom  Jahre  1366,  verknüpft,  gerade  so  wie  die  Geschichte  der 
Frauciskaner  der  bulgarischen  Provinz  in  dem  erwähnten  »Ortus  et 
progressus  etc.«  dargestellt  ist. 

Durch  Franciskanerschriften  hat  die  falsche  Meinung,  dass  die 
Krasovaner  aus  Bulgarien  stammen,  bis  zu  Ende  des  XVIII.  Jahrhun- 
derts weite  Verbreitung  gefunden  und  wurde  von  den  namhaftesten 
Historikern  und  Slavisten  angenommen.  So  hat  schon  Jos.  Dobrovsky 
die  Krasovaner  für  Bulgaren  betrachtet,  indem  er  sich  in  seiner  »Slo- 
wanka«  (I.  213)  über  ein  ABC-Buch,  herausgegeben  vom  Frauciskaner 
Mich.  Grozdic  (»ABC  ili  uprava  za  potribu  shularske  Dalmatiuske  mla- 
dezi,  Temesvar,  17  79«),  folgendermassen  äussert:  »Der  Verfasser,  Frau- 
ciskaner der  bulgarischen  Provinz  und  Administrator  der  Karaschover 
Pfarrei  im  Banat,  hielt  sich  darin  mehr  an  die  dalmatisch-illyrische  als 
an  die  eigentliche  bulgarische  Mundart,  wenngleich  das  Buch  für  die 
bulgarische  Jugend  seiner  Pfarrei  bestimmt  war«  (s.  noch  Safai-ik  P., 
Gesch.  der  südsl.  Lit.  II.  101).  Auch  Miklosich  in  seinem  Werke  «Die 
Sprache  der  Bulgaren  in  Siebenbürgen«  (Denkschrift  d.  kais.  Ak.  d. 
Wiss.  hist.-phil.  Cl.  VII.)  hat  nicht  recht  deutlich  die  Krasovaner  von 


lj  In  eiuer  Abschrift  desselben  »Ortus  et  progressus  etc.«,  welche  leb 
im  Franciskaner-Kloster  zu  Ofen  gelesen,  wird  erwähnt,  dass  die  Angaben 
zu  der  Geschichte  der  Frauciskaner  der  benanuteu  zwei  Provinzen  um  die 
Mitte  des  XVII.  Jahrb.  gesammelt  worden  sind:  »lam  in  generali  capitulo 
Toletano  anni  164  5-ti  reverendissimum  Directorium  ordinis  sub  obligamine 
sacrae  obedientiae  Ministris  Provincialibus  injunxerat,  ut  ad  continuandam 
Illmi  Gouzagae  Chronologiam  origines  conventuum  memorabilia  in  provinciis 
gesta  aut  Komam  aut  Matritum  transmittant,  cum  proin  circa  istud  tempus 
divisa  fuerit  custodia  Bulgariae  a  FroviuciaBosnae,  supouendum  est  de  illius 
temporis  moderatoribus,  seu  recens  divisae  Custodiae,  seu  praesertim  provin- 
ciae Bosnae,  cui  fiierat,  nihil  eos  industriae  omisis&e  quomiuus  ea,  quae  histo- 
riam  neodisjunctae  custodiae  Bulgariae  atinebant,  litteris  mandarent  etc.« 


Ueber  die  Sprache  und  die  Herkunft  der  sog.  Krasovaner  in  Süd-Ungarn.  173 

den  Banater  Bulgaieu  unterscheiden  können ,  indem  er  die  oben  ange- 
führte Stelle  der  Krasovaner  historia  domus ,  welche  mit  den  Worten 
»gentem  hanc  ex  Bulgaria  originem  trahere  etc.«  anfängt,  nach  einer 
Ausgabe  von  1733  (Annales  Minoruni ,  Romae  Vlll.  195 — 196)  ganz 
unpassend  anlässlich  der  Frage,  wann  die  Bulgaren  in  Banat,  nament- 
lich in  Be^enovo,  Vinga,  Bodrog  u.s.w.  sich  angesiedelt  haben,  citirt  (op. 
c.  105).  Nach  Miklosich  sind  die  Banater  Bulgaren  »theils  in  1737  theil.s 
in  1739«  gekommen,  und  die  erwähnte  Notiz  aber,  welche  M.  sub  linea 
anführt,  soll  »wie  es  scheint  aus  dem  siebzehnten  Jahrhundert«  her- 
rühren. Es  ist  sonderbar,  dass  gleich  darauf  Miklosich  die  Krasovaner, 
von  welchen  speciell  die  besagte  Franciskaner  Notiz  handelt,  ebenfalls 
zu  den  Bulgaren  rechnet,  indem  er  meint,  dass  sie  »um  das  Jahr  1700 
eingewandert  sind«  ))Bulgaren  bewohnen  ferner  5000 — 6000  Seelen 
stark,  im  Oravicaer  Bergwerksdistrict,  die  in  den  Ausläufern  und  Schluch- 
ten des  Semenik  gelegenen  Orte  Krasova,  Lupak,  Vodnik  u.  s.  w.  .  .  Sie 
sind  um  1700  eingewandert,  gehören  gleichfalls  der  katholischen  Kirche 
an,  und  dürfen  sich  mit  der  Zeit  romauisiren«  op.  c.  106).  —  Miklosich 
beruft  sich  dabei  auf  K.  Fr.  Czörnigs  »Ethnographie  der  österr.  Mo- 
narchie« (Wien  1855).  Nach  denselben  Quellen  werden  auch  von 
J.  H.  Schwicker  (s.  »Geschichte  des  Temeser  Banats.  Historische  Bilder 
und  Skizzen.  Gross  Becskerek  1861«)  die  Krasovaner  als  Bulgaren  dar- 
gestellt. Schwicker  schildert  zuerst  den  Feldzug  des  ungarischen  Königs 
Ludwig  I  vom  Jahre  1365  nach  Bulgarien,  in  Folge  dessen  damals  die 
ersten  »Slaven«  nach  Ungarn  angesiedelt  wurden  und  zwar  in  dem 
»Lippaer  Bezirke«.  Da  zwischen  den  neuen  Ansiedlern  eine  schisma- 
tische Propaganda  sich  heimlich  verbreitet  hat,  so  hat  im  Jahre  136(> 
der  König  Ludwig,  welcher  ein  strenger  Katholik  gewesen  ist.  »die  zahl- 
reichen Gemeinden  der  Slaven  in  dem  lippaer  Bezirke  gezwungen, 
ihre  schismatischen  Popen  zu  verlassen  und  von  griechisch-unirten  Prie- 
stern Seelenpflege  anzunehmen  ....  Als  die  Slaven  gleichwohl  nach 
einiger  Zeit  zur  Spaltung  zurückkehrten,  Hess  Ludwig  nach  einem 
vom  25.  Juli  13G6  datirten  Briefe  in  den  Gespanscliaften  Krasso  und 
Keve  sämmtliche  Priester  der  griechisch-gläubigen  Slaven  angreifen, 
dem  Obergespane  zur  Untersuchung  übergeben  und  diejenigen,  welche 
dem  Lehrbegriffe  der  römischen  Kirche  zuwider  gelehrt  hatten,  ihres 
Amtes  entsetzen  und  aus  dem  Reiche  verbannen«  (op.  c.  67 — 68  .  Nach- 
dem wird  von  Schwicker  an  anderer  Stelle  die  Ansiedlung  der  bulgari- 
schen Paulichianer  im  Jahre    1737    erwähnt    op.  c.  362)   und   gleich 


174  Lj.  Miletic, 

darauf  äussert  er  sich  über  die  Krasovaner  in  dem  Sinne,  als  wären  sie 
gleichzeitig  mit  den  Paulichianern  in  ihre  jetzigen  Wohnsitze  gekommen: 
))Ein6  andere  Abtheilung  bulgarischer  Einwanderer  wurde  in  dem  Ora- 
vitzaer  Bergwerksdistricte  angesiedelt,  wo  sie  noch  heute  in  den  Ort- 
schaften Krassova,  Luppak,  Vodnik,  Nermeth,  Jabolcsa,  Klokodics, 
Rafnik  .  .  .  sich  befinden.  Sie  sind  unter  der  Bezeichnung  Krassovaner 
bekannt«  (op.  c.  363j.  Nach  Czörnig,  Miklosich  und  Engel  (Geschichte 
von  Bulgarien,  S.  462)  hat  auch  M.Drinov  (in  seinem  Werke  «Istoriceski 
pregled  na  btlgarskata  cxikvacf,  Wien  1870)  die  Krasovaner  und  die 
Banater  Bulgaren  unterschiedslos  als  Bulgaren  aufgefasst,  indem  er  meint, 
dass  die  Krasovaner  früher,  nämlich  im  Jahre  1700,  angeblich  aus  der 
Gegend  von  Sofia,  und  nachher  die  Banater  Bulgaren  im  Jahre  1739, 
nach  Ungarn  angekommen  sind  (op.  c.  170).  Andererseits  nimmt  Drinov 
ebenso  wie  Mikloiich  an,  und  zwar  auf  Grund  derselben  franciskanischen 
Notiz,  welche  in  Miklosichs  wDie  Sprache  der  Bulgaren  in  Siebenbür- 
gen« citirt  ist,  dass  in  den  Jahren  1392  und  1395  aus  der  Gegend  von 
Widin  viele  bulgarische  Paulichianer  nach  Ungarn  übergesiedelt  sind 
(op.  c.  158),  trotzdem  nach  derselben  Notiz  die  Vorfahren  der  Kraso- 
vaner von  diesen  Paulichianern  abstammen  sollten  und  folglich  nicht 
erst  im  Jahre  1700  aus  Bulgarien  kommen  konnten,  wie  Drinov  im  Ein- 
klang mit  Miklosich  meint.  Es  soll  noch  erwähnt  werden,  dass  auch  C.  Jire- 
cek  in  seiner  Geschichte  der  Bulgaren  (russische  Uebersetzung)  nach 
denselben  Quellen,  namentlich  nach  Czörnig's  Oesterr.  Ethnographie 
I.  73  sagt,  dass  die  Krasovaner  katholische  Bulgaren  sind,  welche  um 
das  Jahr  1740  in  den  erwähnten  sieben  krasovanischen  Dörfern  sich 
angesiedelt  haben  (op.  c.  615^. 

Dieselbe  Meinung  über  die  Nationalität  und  die  Herkunft  der  Kra- 
sovaner nach  denselben  Quellen  ist  in  vielen  Werken  über  die  Geschichte 
und  die  Ethnographie  Süd-Ungarns  vertreten,  wie  z.  B.  in  Ladislaus 
Gorove  »Tudomänyos  Gyüjtemeny«  1837.  VIII.  18,  in  Baräny  Agoston 
j)Torontäivärmegye  hajdana«  (Buda,  1845.  S.  149)  und  desselben  »Te- 
mesvärmegye  emleke«  (Gross  Becskerek,  1848.  S.  162 — 163),  in  Böhm 
Lenärt  »Del  Magyarorszäg  vagy  az  ugyuevezett  Bansäg  külön  tör- 
tenelme«  (2.  Ausg.  Pest,  186  7),  wo  buchstäblich  Schwickers  Meinung 
wiederholt  wird  (S.  70),  und  in  Victor  Czirbusz  »Delmagyarorszägi  Boi- 
gärok  ethnologiai  maganräza,  wo  die  Ideen  des  Geza  Czirbusz  ver- 
treten sind.  Der  letztere,  im  schon  erwähnten  Werke  «Die  südungari- 
schen Bulgaren«,  beruft  sich  auch  auf  Ortmeyer  (Tört.  Adattär,  1871. 


Ueber  die  Sprache  und  die  Herkunft  der  sog.  Krasovaner  in  Süd-Ungarn.  175 

S.  GIO).  welcher  die  franciskanische  Erzählung  von  der  angeblichen 
Einwanderung  der  Krasovaner  aus  Bulgarien  zur  Zeit  des  Königs  Lud- 
wig im  Jahre  1366  wiederholt.  Geza  Czirbusz  dagegen  ist  auf  Grund 
der  »historia  domus  parochiae  Krassowensis«  der  Meinung,  dass  dies 
im  Jahre  1393  geschehen  ist.  Zum  Schluss  soll  noch  bemerkt  werden, 
dass  auch  Kanitz  in  dem  Werke  »Donau-Bulgarien«  (I.  Ausg.,  Bd.  I. 
S.  132)  von  der  üebersiedelung  einer  grossen  Menge  katholischer  Bul- 
garen nach  Ungarn,  und  zwar  im  Jahre  1391  spricht.  Zwischen  diesen 
Katholiken  sollen  viele  heimliche  Bogomilen  oder  Paulichianer  gewesen 
sein,  welche  sich  in  Banat,  und  speciell  in  Krasova,  liavnik  und 
»Jabolca«  niedergelassen  haben. 

Gegen  die  oben  erwähnte  Auffassung,  dass  nämlich  die  Errichtung 
der  bulgarischen  Custodie  der  Franciskaner  nnd  deren  Klöster  in  Süd- 
Ungarn  erst  in  Folge  des  bulgarischen  Feldzuges  des  Königs  Ludwig 
zu  Stande  gekommen  ist,  hat  Pater  Eusebius  Fermendzin,  ein  Banater 
Bulgare  ausVinga,  in  der  Vorrede  seines  Werkes  »Acta  Bulgariae  eccle- 
siastica«  (Zagreb)  Stellung  genommen,  indem  er  behauptet,  dass  die 
franciskanischen  »Conventus«  in  Sebes,  Orsova  und  Cherig  (jetzt  Cerevic 
zwischen  den  Jahren  1372  und  13S5  vom  König  Ludwig  errichtet  wor- 
den sind  und  zwar  mit  politischer  Tendenz,  um  dadurch  die  Gegend  von 
Karansebes  besser  schützen  zu  können.  Mau  soll  folglich  nicht  die  Er- 
richtung dieser  Custodie  in  die  Zeiten  nach  der  Schlacht  von  Kicopolis 
(1396)  verlegen,  und  noch  weniger  behaupten,  dass  dieselben  Klöster 
hauptsächlich  mit  der  Aufgabe  creirt  w^orden  sind,  um  den  Emigranten 
aus  Bulgarien,  welche  vermeintlich  viele  Tausende  gezählt  haben  sollen, 
wie  z.  B.  Pater  Blasius  Kleiner  in  seinem  handschriftlichen  «Archivium 
Bulgariae«  annimmt,  in  religiöser  Hinsicht  dienen  zu  können.  Fermendzin 
ist  geneigt  anzunehmen  (»facile  concesserim«),  dass  einige  und  nament- 
lich nicht  viele  Emigranten,  wie  z.  B.  der  Fürst  Fruzin ,  damals  aus 
Bulgarien  nach  Ungarn  gekommen  sind,  jedoch  damit  kann  man  die  in 
Frage  stehende  Errichtung  der  franciskanischen  Klöster  in  Süd-Ungarn 
nicht  erklären,  und  noch  weniger  durch  die  wirklich  zahlreiche  Emigra- 
tion aus  Bulgarien,  welche  viel  später,  nämlich  erst  zu  Ende  des  XVIL 
und  anfangs  des  XVIII.  Jahrhunderts  zu  Stande  kam.  Also  man  kann 
gar  nicht  auf  Grund  der  erwähnten  Angaben  aus  den  franciskanischen 
Quellen  die  Abkunft  der  Krasovaner  aus  Bulgarien  zu  der  erwähnten 
Epoche  —  Ende  des  XIV.  Jahrhunderts  —  herleiten.  Ausserdem  ist 
Fermendzin,  als  Bulgare,  auf  Grund  des  krasovanischen  Dialectes  über- 


176  Lj.  Miletic, 

zeugt,  dass  die  Krasovaner  keine  Bulgaren  sein  können  und  ganz  richtig 
meint,  dass  »linguam  Krasovensium,  quae  est  croatica  seu  serbica, 
hulgaricani  dicere  principia  pJälologiae  vetanta. 

Es  ist  nach  dem  Gesagten  sehr  befremdend,  dass  noch  heutzutage 
selbst  in  der  slavischen  Wissenschaft  noch  von  einer  speciellen  »kraso- 
vanischen  Sprache«  und  von  einer  »unbestimmten  ethnologischen  Stel- 
lung« der  Krasovaner  die  Rede  sein  kann.  Und  in  diesem  Sinne  hat 
sich  unlängst  P.  Syrku  in  einer  Abhandlung  über  den  krasovaner 
Dialect  (rtNarecije  KarasevcevL«),  welche  in  Izvestija  IL  Otd.  Imp.  Ak. 
N.  zu  Petersburg,  Bd.  IV.  (1899),  Heft  2.  S.  641—660  veröffentlicht 
wurde,  geäussert.  Herr  Syrku  hat  Krasova  im  Sommer  1898  besucht 
—  einige  Tage  nur  vor  meiner  Ankunft  daselbst  —  und  hat,  besonders 
als  Slavist,  reichliche  Gelegenheit  gehabt,  die  Sprache  und  darnach  die 
nationale  Zugehörigkeit  der  Krasovaner  an  Ort  und  Stelle  kennen  zu 
lernen.  In  wiefern  Herr  Syrku  dies  erreicht  hat,  kann  man  vorläufig 
nur  nach  seiner  oben  erwähnten  Abhandlung  urtheilen.  Und  gegen 
jede  Erwartung  findet  man  in  derselben  keine  deutliche  Antwort  auf 
die  erwähnte  Frage,  welche  so  eng  mit  dem  Thema  des  Verfassers  ver- 
bunden ist.  Herr  Syrku  hat  vorgezogen  ganz  unbegründeterweise  der 
Frage  auszuweichen ,  indem  er  mit  lauter  undeutlichen  Bezeichnungen 
wie  »krasovanische  Sprache«  und  »krasovanischer  Dialect«  sich  begnügt. 
Dass  er  auch  in  ethnographischer  Hinsicht  die  Krasovaner  als  selb- 
ständig oder  wenigstens  noch  unbestimmt  betrachtet ,  ersieht  man  aus 
einigen  Stellen,  wo  die  Frage  über  deren  Stammverwandtschaft  neben- 
bei berührt  wird:  es  wird  nämlich  bemerkt,  dass  die  Krasovaner  nicht 
nur  officiell,  sondern  auch  von  den  benachbarten  fremden  Nationen, 
namentlich  von  den  Serben,  Rumänen,  Magjaren  und  den  Deutschen  mit 
demselben  Namen  bezeichnet  werden,  und  dass  sie  von  »den  Ungaren« 
für  Bulgaren  betrachtet  werden.  Also  die  Serben  sind  den  Krasova- 
nern  gegenüber  •»inorodcy.f^  während  sie  von  den  «Ungaren«  (Magjaren?) 
zur  bulgarischen  Nation  gerechnet  werden  i).  Dass  die  Krasovaner  auch 
keine  Kroaten  sind,  kann  man  aus  einigen  Worten  des  Verfassers  be- 
züglich der  »krasovanischen  Sprache«  schliessen :  »die  Sprache  (»govort«) 
der  Krasovaner  —  sagt  Herr  S.  —  ist  unter  dem  Namen  ,die  krasova- 


1)  »Po  imeni  etogo  sela  ziteli  vsecht  semi  seit  nazyvajutsja  kwasevcMii 
(Ott  karasevaki),  kaki  oni  sami  sebja  imenujutx,  ili  krasovanami,  kaki.  ime- 
nujuti.  icht  officialtno  (ot-B  Krasova);  takze  nazyvajuti.  icht  inorodctj:  serby, 
rumyny,  madtjary  i  nem'cy.  Vengry  scitajuti.  icht  bolgarami«  (op.c.641— 42). 


Ueber  die  Sprache  und  die  Herkunft  der  sog.  Krasovaner  in  Süd-Ungarn.  177 

nische'  bekannt  ...  In  der  Kirche  neben  dem  Lateinischen  wird  auch 
die  kroatische  Sprache  gebraucht,  da  in  der  Sprache  der  Krasova- 
ner (»na  jazyke  karaseveevB«)  keine  Bticher  bestehen  .  ,  .  Die  kroati- 
schen Schulbücher  sind  dieselben,  welche  in  den  kroatischen  und  nicht- 
kroatischen Schulen  Ungarns  eingeführt  sind.  Deswegen  gebraucht  man 
in  der  Sprache  der  Krasovaner  einige  neue  serbokroatische  Wörter 
(Poetomu  VB  jazyke  karasevcevB  upotrebljajutsja  nekotoryja  iiovijja 
slova  serhskoc]iorvatskiJa^  op.  c.  642)«.  Aus  dem  Angeführten  ersieht 
man,  dass  Herr  S.  den  krasovanischen  »Dialect«  (die  Abhandlung  ist 
betitelt:  »narecije  karasevcevL«!  für  eine  besondere  »Sprache«  hält: 
es  scheint,  dass  in  diesem  Sinne  auch  der  Verfasser  das  Wort  «jazyk'L« 
auffasst,  indem  er  sagt:  «Jazykij  karasevcevL  predstavljajeti>  dovoljno 
interesnyja  osobenosti  so  storony  foneticeskoj ,  morfologiceskoj  i  vb 
otnosenii  k-B  udareniju«  (644).  Dass  auch  das  Wort  »narecijea  als  Syno- 
nim  für  j^Sprache«  in  dem  erwähnten  Sinne  dem  Verfasser  gilt,  ist  aus 
der  folgenden  Bemerkung  ersichtlich:  »Pri  izobrazenii  zvukovych'B  oso- 
bennostej  karasevskago  narecija^  ja  upotrebljaju  nekotoryje  znaki 
serbskoj  grafiki,  vt  osobennosti  vi.  techt  slucajachi,  kogda  to  ili  dru- 
goje  slovo  serbskago  proischozdenija,  kaki,  ib,  .b,  h  i  \)<j.  (6442).  Herr 
Syrku  erwähnt  noch,  dass  der  Lehrer  »Vlasic-LCf,  welcher  ein  gebürtiger 
Krasovaner  ist,  vor  ihm  behauptet  hat,  dass  die  Krasovaner  »serbische 
und  kroatische«  Volkslieder  singen,  was  gegen  die  Annahme,  die  Kraso- 
vaner hätten  keine  ))proizvedenija  narodnago  tvorcestva«  spräche  (644). 
Im  Einklang  mit  der  gezeigten  ganz  unbestimmten,  ja  sogar  dunk- 
len Auffassung  des  Verfassers  in  Betreff  der  principiellen  Frage  über 
das  Verwandtschaftsverhältniss  des  krasovanischen  Dialectes  zu  den 
sndslavischen  Sprachen,  steht  auch  dessen  kurze  Darstellung  der  Haupt- 
eigenschaften des  Krasovaner  Dialectes :  sie  wimmelt  von  sonderbaren 
Erklärungen  und  Ungenauigkeiten ,  welche  insgesammt  eine  schwache 
Vertrautheit  des  Verfassers  mit  der  serbokroatischen  Sprache  bekunden  i). 


1,  Ich  werde  folgende  Beispiele  anführen:  »ö  neredko  zamenjajett  ja- 
snyj  zvukx  i  po  preimuscestvu  a«  (646);  —  »Ott  h  ostalist  oceni.  slabyje  sledy« 
?!!,  647;;  —  »slcdujeti  otmetiti.  esce  obrazovanije  suscestviteljnago  iz 
osnovy  prilagateljnago :  zidov  —  evrej,  zidt«  (647);  —  ».  .  .  javljajetsja  vo- 
prost:  jestb  11  forma  ,clovika^  forma  roditeljnago  padezaili  viniteljnago,  kak-B 
VT.  bolgarskom-L?«  (!);  —  ...  »Forma  tvoriteljnago  padeza:  s  clovikam  takze 
napominajeti.  formu  bolgarskuju  «  (?!!);  »No  zenskoje  sklonenije  i  sklonenije 
prilagateljnycht  i  otcasti  mestoimenij  predstuvljajutt  schodstvo  stu  sklone- 

Archiv  für  slavische  Philologie.   XXV.  12 


178  Lj.  Miletic, 

Es  sei  noch  bemerkt,  dass  Herr  S.  auch  einige  Angabeu  über  die 
äussere  Erscbeinuug  der  Krasovaner  erwähnt  (044),  indem  er  sich  vor- 
behalten hat,  in  einer  speciellen  Abhandlung  ausführlicher  über  die 
Ethnographie  und  Geschichte  der  Krasovaner  zu  berichten'),  was  jedoch 
bis  jetzt  nicht  geschehen  ist. 

Es  soll  noch  einer  curiosen  Meinung  neuestens  Datums  über  die 
Sprache  der  Krasovaner  Erwähnung  gethau  werden.  In  der  Zeitschrift 
«Ucilisteni.  Pregledi«  (Ausgabe  des  Unterrichtsministeriums  zu  Sofia) 
referirt  K.  Mahan  über  die  Excursion,  welche  er  als  Lehrer  sammt  eini- 
gen Schülern  von  der  Lehrerpräparandie  in  Silistra  nach  Süd-Ungarn  im 
Sommer  1898  unternommen  hatte  und  erzählt  unter  anderem,  dass  er 
in  Resica  mit  dem  schon  erwähnten  Lehrer  aus  Krasova,  Vlasic,  zusam- 
mengekommen ist  und  dass  er  dort  Gelegenheit  gehabt  hat,  nachdem  er 
die  Banater  Bulgaren  in  Vinga  kennen  gelernt  hat,  auch  einige  Kraso- 
vaner zu  sehen.  »Ich  weiss  nicht  wie  —  sagt  Mahan  —  und  es  ist  auch 
nicht  meine  Sache  zu  erklären,  aber  es  ist  Thatsache,  dass  der  Dialect 
der  krasovaner  Bulgaren  viel  näher  der  jetzigen  bulgarischen  Sprache 
steht,  als  der  Dialect  der  Bulgaren  in  Vinga  und  Besenov;  ja  man  kann 


nijemt  serbskimt  vx  formachi  roditeljnago  i  tvoriteljnago  padezej  edinstve- 
nago  cisla.  Krome  togo,  znaciteljnaja  castt  form'B  mestoimennychi.  javla- 
jetsja  schodnqju  si.  serbskimt  sklonenijemi.  mestoimenijas  (647;;  —  Der 
Locativ  wird  immer  vom  Verfasser  mit  der  Präpos. «  :  »m  clociku«,  »ti  Jjudjam« 
(?),  »u  zeni«,  »u  zenu  (?)  angeführt.  —  »Vse  glagoljnyja  formy  bolee  serbskija, 
za  iskluceniiemi»  formt  buduseago  vremeni,  kotoryja,  do  nekotoroj  stepeni 
iraejutt  schodstvo  si  bolgarskimi«  (652);  —  »da,  castica,  kakt  vt  bolgarsk. 
jaz.,  sluzascaja  svjazju  vsporaagateljnago  i  sprjagajemago  glagolovt  dlja  iz- 
bezenija  infinitiva«  (654);  —  »Este  —  u  bolg.  joste  —  esce«;  —  » Zezko,  kak'B 
bolgarskoje,  —  teplo,  gorjaco«.  —  »Jayoda,  —  derevo«  (655);  —  «Kurasevci  — 
oti.  karasevakt«  (!!)  (641,  656).  Es  ist  merkwürdig,  dass  Herr  S.  statt  »Kra- 
sevo«,  »Krasovan«  etc.  auch  »Karasevo<',  »Karasevci«  etc.  gebraucht:  die 
Form  kara-  existirt  nicht.  —  »Kuce  —  bolgarsk.,  sobaka«;  —  »K^rpa,  —  bol- 
garsk. bela  ktrpa,  —  belyj  platokt  na  golove« ;  —  »Lajher, —  bolgarsk.  dolak- 
tanki  (ili  dolabtanki),  —  muzskaja  odezda  .  .  .«  ;  —  »Lajno  —  bolgarsk.  kalt, 
pometi.«.  —  »Presni,  -a,  -o,  Ott  presut,  presni,  bolgarsk.  present  ....  svezij, 
presuyj«  (658) ;  —  »Film,  -a,  -o,  bolgarsk.,  —  poluyj« ;  —  »Sve  da  si,  ^—  svett 
da  si?»  (659);  —  »hiljada,  bolgarsk.  hiljada  Ott  grecesk.  xiKiudov  ty- 
sjaca«  (660). 

1)  »ZdesL  ja  ogranicusi.  etimi  nemnogimi  zamecanijami  po  etnografii  ka- 
rasevcevt.  Boleje  podrobnyja  etnograficeskija  i  istoriceskija  svedenija  o 
njicht  sostavjatt  predmett  osobago  razsuzdenija,  kotoroje  pojavitsja  na 
stranicacht  Izvestij«  (644). 


Ueber  die  Sprache  und  die  Herkunft  der  sog.  Krasovaner  in  Süd-Ungarn,  l  79 

sagen,  dass  fast  kein  Unterschied  bestellt  (nämlicli  zwischen  dem  Kra.^o- 
vanischen  und  Bulgarischen).  Ausserdem  wird,  nach  der  Behauptung 
des  Lehrers  von  Krasova,  Herrn  Vlasic,  in  allen  sieben  krasovanischen 
Dörfern  jetzt  derselbe  Dialect  gesprocheuw  (op.  c.  J.  189S,  S.  S25 — 26). 
Es  ist  wirklich  unerklärlich,  wie  Herr  Mahai'i,  welcher  zwar  ein  Ceche 
von  Geburt  ist,  jedoch  als  langjähriger  Lehrer  in  Bulgarien  auch  die 
bulgarische  Sprache  kennt,  keinen  Unterschied  zwischen  der  Sprache 
»der  krasovanischen  Bulgaren«  und  der  eigentlichen  bulgarischen 
Sprache  zu  merken  im  Stande  gewesen  ist.  In  dieser  Frage  darf  man 
auch  den  Einfliiss  des  Lehrers  Vlasic,  welcher  sich  auch  in  gewissen 
Ansichten  des  Herrn  Sj'rku  geltend  gemacht  hat,  nicht  unterschätzen: 
Vlasic  glaubt  fest  an  eine  engere  Verwandtschaft  zwischen  den  Kraso- 
vanern  und  den  Bulgaren,  namentlich  den  katholischen  Bulgaren  in  Ba- 
nat,  ohne  einen  rechten  Begriff  über  die  Sprache  der  Bulgaren  und  der 
Serbokroaten  zu  haben. 

III. 

Zuletzt  will  ich  die  noch  offene  Frage  über  die  Herkunft  der  Kra- 
sovaner ein  wenig  eingehender  berühren. 

Wie  schon  oben  gesagt  wurde,  weist  der  krasovanische  Dialect  auf 
eine  ältere  Heimat  der  Krasovaner  südlich  von  der  Donau  hin,  etwa  im 
Gebiete  des  sogenannten  Resaver  Dialectes  des  Serbokroatischen. 
Ausserdem  soll  man  als  sehr  wahrscheinlich  voraussetzen,  dass  die  Vor- 
fahren der  Krasovaner  in  ihre  jetzige  Heimat  schon  als  Katholiken 
herüber  gekommen  sind.  Die  älteste  Nachricht  über  die  Krasovaner  in 
Fermendzins  CoUection  »Acta  Bosnae  ecclesiastica«  datirt  vom  J.  1628. 
Zu  dieser  Zeit  hat  in  Krasova  (»Carassevo«)  der  franciskanische  Missio- 
när von  der  bosnischen  Provinz  (»della  provincia  di  Bosna  Argentina«) 
Marco  Bandulovic  als  Seelsorger  gewirkt.  Lange  Zeit  vordem  sind  die 
Krasovaner  ohne  Priester  gewesen,  denn  laut  der  Beschreibung,  welche 
Bandulovic  über  den  damaligen  Zustand  der  Pfarrei  von  Kvasova  gibt, 
hat  es  daselbst  keine  Kirche  gegeben  und  SO — 90jährige  Leute  haben 
seit  ihrer  Geburt  nicht  gebeichtet  u.  s,  w.  (op.  c.  3Sr.  In  ähnlich 
trauriger  Lage  hat  derselbe  Missionär  die  Krasovaner  auch  in  Karan- 
sebes  und  in  Lipa  gefunden*;.     Für  unsere  Frage  ist  von  nicht  miu- 


^j  Bandulovic  erzählt  über  den  »uiiserrimum   statum  et  conditionem 
multaruui  animarum  iu  potestate  diabolica  absque  pastore  ac  coelesti  duce  a 

12* 


180  Lj-  Miletic, 

derer  Wichtigkeit  die  Thatsache,  dass  die  Krasovaner  damals,  obgleich 
sie  Katholikea  waren,  dennoch  den  alten  Kalender  hielten  i),  was  eben- 
falls auf  südliche  Heimath  in  Altserbien  hinweist,  wo  die  durch  fran- 
ciskanische  Missionäre  zum  Katholicismns  im  XIV. — XV.  Jahrh.  be- 
kehrten älteren  orthodoxen  Serben,  geradeso  wie  es  in  Nord-  und  Süd- 
Bulgarien  mit  den  sogenannten  Paulichianern  der  Fall  gewesen  ist, 
lange  Zeit  nachher  noch  den  alten  Kalender  behielten.  Auch  der  Um- 
stand, dass  Missionäre  von  der  bosnischen  Provinz,  welche  hauptsäch- 
lich für  die  Katholiken  in  Serbien  zu  sorgen  hatten,  zu  den  Krasovanern 
geschickt  wurden,  weist  auf  ältere  Zugehörigkeit  der  letzteren  zu  dem 
Episcopat  von  Prisren.  Denn  die  Krasovaner  sind  unter  der  serbischen 
Custodie  geblieben  auch  später,  als  nämlich  zu  Mitte  des  XVII.  Jahrh. 
die  bulgarische  von  der  bosnischen  Custodie  endgiltig  getrennt  wurde  2). 
Und  zu  derselben  Zeit,  als  Bandulovic  in  Krasova  sich  bemüht  hat,  die 
verfallene  katholische  Kirche  in  Krasova  zu  heben,  befanden  sich  auch 
die  wenigen  Reste  der  ehemaligen  blühenden  katholischen  Episcopie 
von  Prisren  respective  von  Novobrdo  (Novamente)  fast  in  demselben 
vernachlässigten  Zustande  3).  Und  das  ist  in  Folge  der  Katastrophe, 
welche  über  den  Katholicismus  in  Altserbien,  namentlich  in  Novobrdo, 
Janjevo,  Trepcia,  Pristina,  Novipazar,  Krusevac,  Procuplje  u.a.,  in  der 
Mitte  des  XV.  Jahrb.  herangekommen  ist,  als  nämlich  etwa  im  J.  1466 
die  Türken  die  Kirche  in  Novobrdo  zerstört  und  dann  die  städtische 
Bevölkerung  nach  Constantinopel  verschleppt  haben  (s.  Jirecek,  Gesch. 


multis  temporihis  et  annis  positarum Inter  illos  homines  diu  derelictos 

a  sacerdotibus  catholicis,  orte  sunt  et  oriuntur  sismata,  heresia  ceterique  quam 
plurimi  errores  et  hoc  ob  carentiam  sacerdotum  catholicorum«  (op.  c.  382). 

1)  In  einem  Briefe  von  Fr.  Th.  Ivkovic  (v.  J.  1630)  wird  erwähnt,  dass 
M.  Bandulovic  und  sein  Gefährte  in  Krasova  sehr  dürftig  leben :  »perche 
quella  gente  uon  ha  usanza  di  far  eleemosina,  et  tiene  il  cahndario  antico,  ma 
pur  sono  catholici  et  sono  in  poco  tempo  boni«  (op.  c.  394). 

-]  Der  bulgarisch-katholische  Bischof  Deodatus  sagt  an  einer  Stelle 
is.  Fermendzin,  Acta  Bulg.  eccles.  247  v.  J.  1654):   ».  .  .  non  havendo  da  far 

niente  la  Servia  con  quella  provincia  della  Bulgaria et  perö  di  novo  ne 

affermo  et  testifico,  che  quelli  pochi  christiani,  che  stanno  nella  Servia,  siano 
stati  sempre  sotto  la  cura  del  vescovo  di  Prisrena  et  primate  di  [Servia, 
quando  perö  vacava  la  chiesa  di  Frisrena«. 

3)  Petrus  Masarechi,  Erzbischof  von  Antivari,  sagt  in  einem  Briefe  vom 
J.  1630:  «...  e  Prisren  con  li  suoi  villaggi  e  terre  nel  interno  ha  migliaia  de 
cattolici,  che  per  mancamento  di  sacerdoti  si  vanno  perdendo«  (Acta  Bos- 
nae,  398). 


Ueber  die  Sprache  und  die  Herkunft  der  sog.  Krasovaner  in  Süd-Ungarn.  181 

d.  Balg.  russ.  Uebers.  517).  Der  Katholicismus  in  Altserbien  hat  da- 
mals viel  Schaden  erlitten,  als  nach  dem  Feldzuge  des  Königs  Viadislaus 
von  Ungarn  (1443)  die  katholischen  Gemeinden  von  Novobrdo,  Smede- 
revo,  Golubac,  Krusevac,  Prokuplje  unter  die  Macht  des  serb.  Despoten 
Brankovic  verfielen,  welcher  heimlich  gegen  die  Katholiken  gesinnt  ge- 
wesen ist,  weil,  wie  es  scheint,  er,  sowie  die  Türken,  in  ihnen  gefähr- 
liche Agenten  der  Österreich-ungarischen  Monarchie  gesehen  hat^;. 
Bald  darauf  ging  fast  ganz  Serbien  unter  die  türkische  Herrschaft  über, 
und  zweifellos  damals  haben  die  Katholiken  Altserbiens,  ausgesetzt  der 
türkischen  Rachsucht,  am  meisten  gelitten.  Es  ist  sehr  wahrscheinlich, 
also,  dass  während  der  zweiten  Hälfte  des  XV.  Jahrb.,  wenn  auch  nicht 
früher,  ein  Theil  von  diesen  Katholiken  sich  nach  Norden  über  die 
Donau  in  die  wilden  und  unzugänglichen  Gebirge  von  Krasova  und  der 
Umgebung  geflüchtet  haben.  Dass  die  jetzigen  Krasovaner  schon  im 
XV.  Jahrb.  in  ihre  jetzigen  Wohnsitze  sich  angesiedelt  haben,  ist  sehr 
wahrscheinlich  auch  desswegen,  weil  sie,  wie  schon  oben  hervorge- 
hoben wurde,  jetzt  gar  nicht  ihrer  Herkunft  aus  Süden  sich  bewusst 
sind  und  in  nationaler  Hinsicht  nicht  durch  irgendwelche  Traditionen 
mit  den  Serbokroaten  verknüpft  sind.  Endlich  auch  der  Umstand,  dass 
die  Krasovaner,  laut  den  oben  angeführten  Zeugnissen  der  franciskani- 
schen  Missionäre  vom  Anfange  des  XVH.  Jahrb.,  ein  ganzes  Menschen- 
alter vorher  in  religiöser  Hinsicht  ganz  vernachlässigt,  ohne  Priester, 
gelebt  haben,  und  doch  sich  als  Anhänger  des  Katholicismus  bewahrt 
haben  —  spricht  zu  Gunsten  der  oben  dargestellten  Hypothese,  welche 
selbstverständlich  erst  gründlich  vom  historischen  Standpunkte  ge- 
prüft werden  muss. 


ij  Vgl.  einen  Brief  vom  J.  14.55,  in  welchem  J.  Capistranus  sich  gegen 
Despot  Brankovic  beklagt:  ».  .  .  .  Eo  me  siquidem  ratio  compulit  et  coegit 
ad  scribendum,  nam  cum  proximis  diebus  collocutus  essem  cum  despota 
Rasciae,  qui  hie  a  dominis  et  baronibus  hujus  regni  Hungariae  auxilium  pro 
tutandis  dominus  suis  et  recuperaudis  deperditis  postulabat,  inveni  eum  adeo 
miile  sentientem  de  fide  catholica  et  in  erroribus  suis  pertinaci  duritia  per- 
severantem,  quod  in  omnibus  christicolis  maxime  est  dolendura  ....  atque 
fidei  nostrae  impensius  studendnm«  ;Acta  Bosnae  224  . 

Sofia,  1.  VH.  1902.  Dr.  Lj.  Miletic. 


182 


Zur  Li(inidametatliese  im  Slavischen, 


Torbiörnsson,  Tore:  Die 
gemeinslavische  Liquidameta- 
these.  I.  Upsala  1901.  S«.  107  S. 
(in  »Upsala  üniversitets  Arsskrift« 
1902). 

Das  einer  befriedigenden  Lö- 
sung immernoch  harrende  Problem 
der  urslavischen  Lantgruppen  ort. 
olt^  tort^  tolt^  tert.,  telt^)  und  was 
alles  damit  zusammenhängt,  hat  in 
H.  Torbiörnsson  einen  unermüd- 
lichen Forscher  gefunden.  Schon 
im  Jahre  1893  widmete  er  diesem 
Problem  eine  Schrift:  Likvida- 
metates  i  de  slaviska  spräken 
(ebenfalls  in  der  Upsala  Univ. 
Arsskrift  1891  — 1S94).  Um 
diese  Abhandlung  einem  weitereu 
Leserkreise  zugänglich  zu  machen,  veröffentlichte  er  sie  auch  in  Bezzen- 
bergers  «Beiträgen«,  Bd.  20  (1894),  S.  124—148.  Hier  behandelt  er 
die  Resultate  der  erwähnten  Lautgruppen  ausführlicher  nur  im  Russi- 
schen, Polabischen  und  Sorbischen,  während  die  anderen  slavischen 
Sprachen  nur  flüchtig  berührt  werden.  Er  stellt  sich  vor  allem  die  Frage : 
welches  war  die  gemeinslavische  Form  dieser  Lautverbindungen,  und 
wie  sind  aus  dieser  gemeinslavischen  Form  die  in  den  verschiedenen 
slavischen  Sprachen  thatsächlich  vorhandenen  Formen  entstanden? 
(S.  126)  und  bespricht  zunächst  die  verschiedenen  Resultate,  welche  an- 
lautendes ursprüngliches  or-.,  ol-  und  inlautendes  -or-,  -ol-  im  Russischen 
liefert:  röv7iyj\  rido  gegen  (jörocl^  gölod^  goröch,  Jcolöda]  Torbiörnsson 
fragt  nun,  wenn  man  in  görocl^  qölod  (analog  auch  böreg,  bereza  etc.) 
den  zweiten  Vocal  als  Einschiebsel  zwischen  r,  /  und   dem   folgenden 


1)  t  kann  in  diesen  Gruppen  jeden  beliebigen  Consonanten  bezeichnen. 


Zur  Liquidametathese  im  Slavischen.  183 

Consonanten  (Svarabhaktivocar  erklären  wollte,  warum  hat  *orcb}i7> 
nicht  auch  zu  einem  entsprechenden  Resultate  geführt?  Deshalb  glaubt 
er  eine  jede  Erklärung  verwerfen  zu  müssen,  die  den  zweiten  Vocal  als 
secundär  erklärt.  Er  will  beide  Fälle,  den  Anlaut  und  Inlaut,  einheitlich 
erklären.  Auch  *gord  wäre  durch  die  Metathese  (ebensowie  orvhm  zu 
rovwryj)  zunächst  zu  *f/rod  geworden.  Da  aber  dieses  grod  nicht  bleibt 
wie  z.  B.  dieselbe  Lautgruppe  m  prositb,  wo  sie  schon  ursprachlich  ist, 
so  müsse  das  r  in  der  neuen  Stellung  doch  einen  anderen  Charakter  ge- 
habt haben,  es  müsse  nämlich  silbenbildend  gewesen  sein:  3ins*gord 
wäre  demnach  eigentlich  zuerst  'grod  entstanden,  das  dann  im  Russi- 
schen zu  gorod  führte.  Während  man  nun  weiter  zumeist  annahm,  dass 
sich  in  den  polabischen  Worten  clwrna  j) Nahrung«,  gord  »Schloss«, 
torta  uThor«  etc.  das  unveränderte  vorslavische  -or-  wiederfinde,  hält 
es  Torbiörnsson  für  secundär.  Nach  ihm  hätten  wir  es  auch  hier  mit  der 
Uebergangsstufe  *  grod  zw  thun,  aus  welcher  sich  dann  gord  entwickelte. 
Ebenso  deutet  er  auch  eine  Eigenthümlichkeit  des  Sorbischen  auf  dem 
Gebiete  unserer  Lautgruppen  im  Sinne  seiner  Hypothese.  Es  handelt 
sich  hier  um  die  Thatsache,  dass  r  in  den  ursprünglichen  Verbindungen 
h\  pr^  tr  assibilirt  oder  zu  einem  Ä-Laute  geworden  ist.  Vor  palatalen 
Vocalen  ist  dies  sowohl  im  Ober-  als  auch  im  Niedersorbischen  gesche- 
hen, vor  anderen  Vocalen  nur  im  Niedersorbischen  (Mucke,  S.  221  ff.  u. 
223  ti'.].  Ist  aber  die  Gruppe  ^r^pr,  fr  erst  durch  Metathese  entstanden, 
so  bleibt  —  bis  auf  einzelne  Ausnahmen  —  das  r  unverändert.  Es  muss 
nun  eine  Zeit  gegeben  haben,  in  welcher  die  ursprünglichen  Gruppen 
kr,  pr,  tr  neben  den  durch  Metathese  entstandenen  Gruppen  kr,  pr,  tr 
gleichzeitig  bestanden.  Da  aber  das  Resultat  dennoch  verschieden  ist, 
so  müssen  sie  sich  irgendwie  unterschieden  haben.  Dieser  Unterschied 
bestünde  nun  nach  Torbiörnsson  wiederum  darin,  dass  man  es  in  der 
letzteren  Reihe  mit  einem  kr,  pr,  tr  zu  thun  habe. 

So  gelangte  Torbiörnsson  zu  folgenden  drei  Resultaten  (S.  I44j: 

1.  der  erste  Vokal  der  russischen  VoUautsformen  torot,  teret  etc. 
ist  secundär; 

2.  polabisches  tort  ist  nicht  unmittelbar  mit  vorslavischem 
fort  identisch; 

3.  das  sorbische  trot,  das  polabische  tort,  das  russische  torot  hat 
sich  aus  trot,  das  auf  das  ursprüngliche  tort  zurückgeht,  entwickelt. 
Dasselbe  gilt  auch  von  tlot,  tret,  ilet  aus  tolt,  tert,  telf. 

In  der  eingangs  erwähnten  Schrift  kommt  nun  Torbiörnsson  noch 


1 84  W.  Vondräk, 

einmal  auf  alle  hier  berührten  Fragen  zurück.  Nebstbei  berücksichtigt 
er  aber  hier  auch  das  Südslavische,  Böhmisch-Slovakische,  das  Kasubi- 
sche  in  seinem  angeblich  nahen  Verhältnisse  zum  Polabischeu  und  be- 
handelt hier  überhaupt  noch  andere  sprachlichen  Eigenthümlichkeiten, 
die  mit  unseren  Lautgruppen  irgendwie  zusammenhängen,  so  insbeson- 
dere: den  VoUaut  im  Kleinrussischen  und  die  Dehnung  der  Vocale  o,  e 
zti  i  (S.  22 — 25);  den  Einschub  von  t  in  der  gemeinslav.  Verbindung  6t 
(S.  28 — 35),  woran  sich  eine  übersichtliche  Chronologie  zu  den  konso- 
nantischen Lautgesetzen  des  Gemeinslavischen  anschliesst  (S.  35);  dann 
folgt  eine  eingehendere  Behandlung  des  urslav.  el  (S.  36 — ^49),  die  Ac- 
cent-  und  Quantitätsverhältnisse  (8.  50 — 58).  Den  Schluss  bildet  ein 
Wortverzeichniss  (S.  59^ — -107)  und  zwar  sind  hier  nur  die  Worte  mit 
A)  or-,  ol-  im  Anlaut,  wobei  weiter  nach  dem  Accent  unterschieden 
wird,  B)  mit  -e/-,  -ol-  im  Inlaut.  Es  fehlen  also  noch  insbesondere  die 
Worte  mit  or  im  Inlaut,  was  offenbar  in  einer  weiteren  Schrift  nachge- 
tragen werden  soll. 

Unter  den  Gründen,  die  Torbiörnssou  für  die  Ansetzung  solcher 
Formen  wie  "^vrona  u.  s.  w.  früher  ins  Feld  führte,  möchte  er  hier  die 

o  ' 

Entwickelung  der  inlautenden  Verbindungen  or,  ol  gegenüber  der  an- 
lautenden im  Russ.,  Böhm.,  Polab.  und  Kasub.  ganz  besonders  her- 
vorheben und  zwar  in  folgendem  Schema  (S.  4): 


Im  lulant 

Im  Anlaut 

russ. 

görod^  gölod 

:  roz-,  lökoth 

böhm. 

hrad,  lilad 

:  roz-^  lohet 

polab. 

gord^  gläd 

:  rüz-^  lüJHt 

kas. 

gard^  glbd 

:  roz-^  iokc 

gemeinsl 

iav.  ^nrod^,  *QIod^ 

:  ^roz-,  *lok^fb 

urslav.  *gord^^*gold^  :  ^orz-^'^olkbi'b. 

Füge  man  noch  das  Sorbische  hinzu,  so  führen  alle  vier  Dialect- 
gruppen  (russ.,  polab.,  kas.,  poln.  u.  sorb.,böhm.-slovak.mitdemSüdslav., 
auf  ^grod^^  ^^l'^^'^  zurück ;  die  Ansetzung  dieser  Formen  stelle  also  für 
das  Gemeinsl avische  keine  blosse Vermuthung,  sondern  den  einzigen 
(!)  Ausweg  dar,  dem  Material  gerecht  zu  werden.  Das  ist  eine  allerdings 
etwas  zu  selbstbewusste  Sprache,  welche  nur  dann  einigermaassen  be- 
rechtigt wäre,  wenn  die  hier  vorgetragenen  Ansichten  einer  objektiven 
Kritik  halbwegs  Stand  halten  könnten.  Das  ist  nun  hier,  wie  wir  sehen 
werden,  kaum  der  Fall,  und  es  war  daher  H.  Torbiörnsson  nicht  berech- 


Zur  Liquidametathese  im  Slavischen.  185 

tigt.  übe:  die  anderen  Ansichten,  die  von  der  seinigen  abweichen,  so 
abzuurtheilen,  wie  es  in  der  vorliegenden  Schrift  geschieht. 

In  dieser  Schrift  werden  eigentlich  keine  neuen  Beweisgründe  ins 
Feld  geführt,  sondern  es  werden  hauptsächlich  die  oben  erwähnten  laut- 
geschichtlichen und  etymologischen  Fragen,  die  in  Zusammenhang  mit 
der  Liquidametathese  stehen  und  hierdurch  in  ein  anderes,  und  zwar 
nach  Torbiörnssons  Ansicht  in  ein  rechteres  Licht  gerückt  worden  sind, 
erörtert.  Wir  können  daher  hier  gleich  Torbiörnssons  Hypothese  näher 
prüfen,  und  alles,  was  noch  dafür  sprechen  soll  und  hier  noch  gelegent- 
lich angeführt  wird,  kann  bei  der  Erörterung  der  betreffenden  slavischen 
Sprachen  in  dieser  Hinsicht  vorgebracht  werden. 

Ich  will  hier  nun  ohne  weiteres  zugeben,  dass  Torbiörnsson's  Hy- 
pothese im  ersten  Momente  blenden  kann:  sie  ist  scheinbar  geeignet,  die 
vielen  Schwierigkeiten,  die  sich  an  unsere  Frage  knüpfen,  in  einer  be- 
friedigenden Weise  zu  lösen.  Aber  dieser  günstige  Eindruck  währt 
leider  nicht  lange,  bei  einer  genaueren  Prüfung  erweist  sie  sich  eben 
auch  als  unhaltbar.  Ich  will  hier  gleich  ihren  wundesten  Punkt  berühren: 
ein  ursprüngliches  ioj't  soll  gleich  zu  frot  werden.  Wir  wissen  ja  und 
geben  es  gern  zu,  dass  das  r  seine  Stelle  vertauschen  kann,  dass  es  aber 
gleichzeitig  sein  Wesen  derartig  alterirt  und  zu  einem  silbischen  bei 
dieser  Gelegenheit  wird,  das  wird  Herrn  Torbiörnsson  kaum  Jemand 
glauben  können.  Warum  sollte  es  silbisch  werden,  wenn  es  seinen  Platz 
aufgegeben  hat?  Sollte  etwa  nur  deshalb  ein  trot  und  nicht  ein  trot  zu 
Stande  gekommen  sein,  weil  schon  z.  B.  in  prositi  von  Haus  aus  das  r 
sich  in  einer  analogen  aber  erbersessenen  Stellung  befand?  Das  kann 
doch  kein  stichhaltiger  Grund  sein.  Sollte  es  eine  grössere  Neigung  zu 
dem  Consonanten  als  zu  dem  folgenden  Vocale  sein  (denn  nur  so  ist  ein 
silbisches  r,  z.  B.  in  trot,  zu  verstehen)?  Da  würde  man  etwas  dem  Ge- 
meinslavischen  zuschreiben,  was  sich  darin  gar  nicht  nachweisen  lässt. 
Ein  silbisches  ^-  dieser  Art  können  wir  überhaupt  nicht  im 
Urslavischen  nachw^eisen,  und  schon  aus  diesem  Grunde  ist 
es  recht  unwahrscheinlich,  dass  hier  ein  r  bloss  in  Folge 
einer  Metathese  silbisch  werden  könnte.  Denn,  wenn  man 
fürs  Urslavische  noch  ein  tort.  ein  gorch,  PH^'^^  welche  bei  den  letzteren 
Typen  im  Russischen  angesetzt  werden,  annehmen  wollte,  so  wäre  das  r 
in  dieser  Stellung  {rt)  noch  nicht  identisch  mit  einem  r,  z.  B.  in  ti'  u.  s.w. 
Von  einem  tort  kann  man  also  nicht  zu  einem  /ro^  gelangen.  Aber  selbst 
auch  wenn  man  die  Uebergangsstufe  tort  annehmen  wollte,  d.  h.  wenn 


186  W.  Vondräk, 

man  ans  tort  zunächst  ein  tort  entstehen  Hesse,  aus  dem  sich  dann  trot 
entwickeln  sollte,  so  würden  nebstbei  noch  andere  Scbwieiigkeiteu  auf- 
tauchen. In  trot  aus  tort  hätte  ja  dann  das  r  eine  ganze  Silbe  (in 
unserem  Falle  -o-)  übersprungen.  Wir  können  uns  dabei  doch  nur  dann 
die  Metathese  erklären,  wenn  vorausgesetzt  wird,  dass  das  r  zu  dem  o 
in  irgend  welche  Beziehung  trat,  in  seine  Silbe  eindrang.  H.  Torbiörnsson 
hält  es  zwar  nicht  für  wahrscheinlich,  dass  ein  tort  vorausging  (BB.  20, 
S.  145),  aber  bei  der  Annahme  eines  trot  wird  man  auch  zu  ^or^  förmlich 
gedrängt  (dieses  hat  auch  Fortunatov  angenommen). 

Gehen  wir  aber  weiter,  ort  gibt  bekanntlich  ein  anderes  Resultat 
als  tort.  H.  Torbiörnsson  glaubt  es  aber  doch  nach  einem  und  dem- 
selben Princip  erklären  zu  müssen,  d.  h.  er  nimmt  an,  in  beiden  Fällen 
wäre  eine  Metathese  eingetreten,  nur  hätte  im  ersteren  Falle  das  r  seine 
Qualität  bewahrt,  so  dass  wir  nur  zu  einem  rot^  beziehungsweise  rat 
(durch  Accentdifferenzirungen),  gelangen,  während  es  im  zweiten  Falle 
zu  einem  r  geworden  wäre.  Auch  diese  verschiedenartige  Behandlungs- 
weise  des  r,  die  da  angenommen  wird,  ist  nicht  recht  glaubwürdig.  In 
prositi  vertrug  sich  das  r  ohne  weiteres  mit  dem  folgenden  o,  daher 
bildete  hier  [jro-  eine  Silbe,  in  grod  aus  gord  musste  das  r  offenbar  eine 
Abneigung  gegen  das  o  haben,  da  es  lieber  mit  g  eine  Silbe  bildete : 
gr-.  Diese  Abneigung  des  r  gegen  den  folgenden  Vocal  nach  der  Meta- 
these müsste  sich  aber  auch  dort  äussern,  wo  kein  Consonant  vorhergeht, 
also  in  rot  aus  ort.  Ich  sehe  nicht  ein,  wenn  die  obige  Annahme  richtig 
wäre,  warum  dann  auch  hier  nicht  das  Resultat  ein  rot  wäre.  H.  Tor- 
biörnsson wird  doch  nicht  einwenden  können,  die  Liebe  des  r  zum  Con- 
sonanten  wäre  grösser  als  seine  Abneigung  zum  nachfolgenden  Vocal, 
so  dass  es  sich  bei  Abgang  eines  Consonanten  dem  verschmähten  Vocal 
in  die  Arme  geworfen  hätte.  Solche  Caprizen  können  wir  dem  sonst  so 
wankelmüthigen  r  doch  nicht  recht  zumuthen.  Da  das  Urslavische  be- 
kanntlich nur  offene  Silben  duldete,  so  musste  sich  das  r,  wenn  es  schon 
einmal  aus  seiner  altererbten  Stellung  aufgescheucht  und  verdrängt 
wurde,  uoleus  volens  in  solider  Weise  dem  nachfolgenden  Vocal  an- 
schliessen  und  mit  ihm  eine  Silbe  bilden.  Ein  grod  aus  gord  kann  dem- 
nach neben  einem  rot  aus  ort  keinen  besonderen  Anspruch  auf  eine  ge- 
wisse Wahrscheinlichkeit  erheben.  Uebrigens  nimmt  H.  Torbiörnsson 
an,  dass  das  r  auch  im  Anlaut  in  den  metathesirten  Wörtern  von  dem  r 
in  anderen  Fällen  durch  grössere  Anzahl  der  Schläge  iZungenschläge) 
wahrscheinlich  verschieden  gewesen  wäre  (Die  gmsl.  Lmth.  S.  15).    Das 


Zur  Liquidametathese  im  Slavischen.  187 

sieht  aber  schon  verzweifelt  ähnlich  einem  r,  wenn  er  es  auch  durch  r 
graphisch  darstellt,  und  der  von  ihm  statuirte  Unterschied  zwischen 
einem  r  in  rot  aus  ort  und  einem  ?•  in  *(jrod  aus  *gord  wäre  dadurch 
wieder  so  gut  wie  aufgehoben. 

Eine  Thatsache,  die  aber  am  meisten  gegen  die  Ansetzung  eines 
gemeinslavischen  grod  aus  gord  spricht,  wird  bei  der  Behandlung  der 
Lautgruppen  Ui-t,  thrt  angeführt  werden. 

Wie  soll  aber  sonst  die  Differeuziruug  zwischen  ort  (im  Anlaute) 
und  tort  (im  Inlaute)  erklärt  werden  ?  Was  die  erstere  Gruppe  anbe- 
langt, so  glaube  auch  ich,  dass  sie  schon  im  Urslavischen  zu  rot  bez. 
rat  führte,  von  welcher  Annahme  bekanntlich  Fortunatov  ausging. 
Wenn  es  sich  nun  um  die  Gründe  handelt,  welche  es  veranlassten,  dass 
diese  Gruppe  zuerst  beseitigt  wurde,  so  glaube  ich  auf  folgendes  auf- 
merksam machen  zu  müssen.  Wollte  man  die  zu  beseitigende  Schwierig- 
keit bloss  in  dem  Zusammentreffen  des  r  mit  dem  folgenden  Consonanteu 
suchen,  so  wäre  es  freilich  nicht  zu  begreifen,  warum  auch  in  tort  der- 
selbe Vorgang  nicht  gleichzeitig  beobachtet  werden  sollte.  Die  zu  be- 
seitigende Schwierigkeit  muss  demnach  bei  ort  noch  wo  anders  stecken. 
Ich  vermuthe  sie  nun  in  dem  vocalischen  Anlaut.  Wenn  wir  den 
vocalischen  Anlaut  im  Urslavischen  näher  prüfen,  so  kommen  wir  zu 
folgenden  Kesultaten.  Kein  Wort  konnte  bekanntlich  mit  einem  k,  'K 
oder  'Kl  anlauten.  Analog  verhielt  es  sich  offenbar  auch  mit  f-,  daher: 
jelenh^jesmh^jezh,  Jehchä^  Jezero  u.  s.  w.  Aber  wir  finden  Spuren, 
dass  selbst  bei  a  und  o  [(i)  der  vocalische  Anlaut  in  gewissen  Fällen 
gemieden  wurde  und  das  kommt  hier  vor  allem  in  Betracht,  z.  B.  Bli 
raRlc,  raßHTH  neben  aiiHiMi,  ai.  äüis  adv.  «offenbar«,  lit.  ovije  »im 
Wachsen«.  Alle  slav.  Sprachen  haben  in  raUA'KKO  und  was  davon  ab- 
geleitet ist  ein  /  im  Anlaut  mit  Ausnahme  des  Aksl.  und  Bulg.,  wo  auch 
Formen  ohne y  vorkommen  (vgl.lit.  o^w/as,  ohelis,  \&ii.ähoh)\  dasselbe 
gilt  von  rar H/Ä  (vgl.  lat.  a^/ww«),  aksl.yq;c  »Ei«,  serbokr. y^y^,  böhm. 
vejce^  dial.  vajco^  vajko  etc.,  vgl.  gr.  Coov\  jastreb^  »accipiter;  oKro 
\ästro\  vgl.[lat.  accipiter^  gr.  co/.v-TteTr^g,  ai.  ciQupätvan  (Meillet,  Mem. 
11.  S.  1S5);  Javor^,  vgl.  d.  »Ahorn«;  russ. ya/>;orfo ,  lit.  inkaras,  lat. 
ancora.  l€CEHb  »Herbst«  ist  offenbar  aus  ^josenh  und  dieses  aus  *osenh 
entstanden,  vgl.  got.  asans  »Erntezeit«,  gr.  *6ciqü  in  ditiooä  »Nach- 
sommer«. Hierher  gehört  vonja  »odor«  neben  achati  »riechen«,  vgl. 
got.  anan.  Man  vgl.  auch  \x^^<^  neben  Kh^AA  und  ;^3a,  dann  B;RC'k 
neben    ;*ic'K    und   qsenica  neben  gqsenica  ^   v.üoy.  vöse?icci,  gösenca; 


188  W.  Vondräk, 

raro/i,a  »Beere«,  lit.  üga  »Beere,  Kirsche«  u.s.  w.  Man  ersieht  daraus, 
dass  zwar  der  vocalische  Anlaut,  namentlich  bei  o,  nicht  etwa  eine 
Schwierigkeit  bot,  die  unter  allen  Umständen  gemieden  werden  musste. 
denn  wir  haben  ja  eine  grosse  Anzahl  von  Worten,  die  mit  o  anlauten, 
aber  wenn  sich  eine  günstige  Gelegenheit  bot,  so  wurde  dieser  Anlaut 
offenbar  doch  gemieden,  ich  meine  wenn  in  der  Nähe  z.  B.  ein  r  war, 
das  seinerseits  mit  dem  ihm  nachfolgenden  Consonanten  eine  schwer 
auszusprechende  Gruppe  bildete  und  daher  seine  Stellung  aufgeben 
musste.  Noch  deutlicher  ist  aber  dieses  Princip  bei  anlautendem  a  ent- 
wickelt und  darauf  kommt  es  uns  hier,  wie  es  sich  weiter  unten  zeigen 
wird,  vor  allem  an.  Trat  dieses  r  in  den  Anlaut,  so  wurden  dadurch 
zwei  Schwierigkeiten  vermieden,  die  an  und  für  sich  nicht  unüberwind- 
lich waren,  die  aber  in  ihrem  Effect  sich  potenzirten,  so  dass  aus  einem 
art^  ort  ein  rat^  rot  werden  konnte.  Wie  unter  gewissen  Umständen 
der  vocalische  Anlaut  gemieden  wurde,  ersehen  wir  z.  B.  aus  HHOro 
hftSiviKa  lecH,  raujTC  cero  Heo\i'B'fe,\'S  Supr.  361.  29,  während  wir 
sonst  überall  aiUTt  haben  (in  unserer  Stelle  endet  das  vorhergehende 
Wort  mit  einem  Vocal,  vielleicht  kommt  hier  aber  noch  mehr  in  Betracht 
der  Umstand,  dass  zwei  vorhergehende  Worte  bAB'kiKa  und  l€CH  eben- 
falls mit  einem/ anlauten).  Dieser  Zustand  des  Urslavischen  bezüglich 
des  Anlautes  führte  dann  in  den  einzelnen  slavischen  Sprachen  zu  mehr 
ausgebildeten  Neigungen.  So  Hess  z.  B.  das  Russische  bei  o  im  Anlaut 
die  Jotation  wieder  schwinden,  nachdem  sich  diese  im  Urslavischen  bei 
anlautendem  e  entwickelt  und  im  Russischen  das  e  in  o  durch  den  Um- 
laut verwandelt  hatte,  z.  B.  ozero  gegen  jeze7'o  der  anderen  slavischen 
Sprachen  (lit.  ezeras^  lett.  ezars). 

Dieselbe  Erscheinung,  welche  wir  bei  art  annahmen,  sehe  ich  auch 
bei  kamy  »Stein«.  Das  Wort  kann  man  nicht  von  lit.  akmü  »Steiner 
trennen,  und  an  letzteres  schliesst  sich  das  griech.  cxyauov  an. 

Wenn  damit  weiter  ai.  älman  —  »Donnerkeil«  verglichen  und  von 
einer  Wurzel  ak-  »spitz,  scharf«  ausgegangen  wird  (vgl.  äsri-t;,  lit. 
äszmens  pl.  tant.  »Schneide«,  astrns  » scharf (f,  aber  auch  lit.  akütas 
»Granne«,  slav.  ostr^  »scharf«),  so  ist  das  eine  Frage  für  sich,  die  zu- 
nächst den  Wechsel  dcK  Gutturallaute  betrifft  und  uns  hier  nicht  weiter 
zu  beschäftigen  braucht. 

In  einem  urspr.  akmon  fanden  nun  die  Slaven  einen  vocalischen 
Anlaut  und  eine  für  den  Silbenanlaut  doch  ungewöhnliche  Consonanten- 
gruppe,  nämlich  km  (man  bedenke,  dass  k  damals  ein  hinterer  Guttural- 


Zur  Liqiiidametathese  im  Slavischen.  1  g9 

laut  war).  Also  auch  hier  nehme  ich  zwei  Factoren  an,  die  die  Um- 
stellung zn*ka?)2ön,  hamij  bewirkten.  Das  armenische  Jcamurj  »Brücke« 
wird  man  also  damit  nicht  vergleichen  können,  es  sei  denn,  dass  sich 
auch  hier  eine  ähnliche  Umstellung  nachweisen  liesse.  Hirt  nimmt  ein 
idg.  Thema  akanwn  »Steinif  an  Der  idg.  Ablaut.  1900.  S.  137).  Die 
Vollstufe  der  ersten  Silbe  hätte  sich  erhalten  in  lit.  ahnä,  ai.  a^mä  — 
»Stein«,  gr.  cr/.ucov,  die  Vollstufe  der  zweiten  Silbe  dagegen  in  aksl. 
kamt/,  gr.  y.auivog  »Ofen«,  ahd.  hamar.  Das  ä  in  kamy  wäre  eine 
Dehnung,  die  freilich  nicht  erklärt  wird.  Mir  ist  aber  die  Zusammen- 
stellung des  kainij  mit  y.ccf.iwog  nicht  recht  wahrscheinlich ;  schon  die 
verschiedene  Quantität  der  Vocale  spricht  dagegen  dasselbe  gilt  auch 
von  hamar).  Ich  lasse  also  kamy  speciell  auf  slavischem  Boden 
entstehen.    Die  Praejotirung  war  noch  nicht  aufgekommen. 

Das  Resultat  der  vorausgesetzten  urspr.  Gruppe  ort  ist  nun  zwei- 
fach;  entweder  finden  wir  in  allen  slavischen  Sprachen  rat,  z.B.  aksl. 
rame  »Schulter«,  bulg.  rämo  »id.c,  serb.  rchne,  sloven.  rdme,  poln. 
ramie  «Arm«,  nsorh. ramj'e,  ohevsorh. ramj'a,  polab.  ramt?,  höhra. trime, 
rameno.  russ.  rämo.,  vgl.  lat.  artyncs,  ahd.  aram^  arm.,  lit.  ärms.  Oder 
aber  finden  war  ra-,  la-  im  Südslavischen  und  theilweise  im  Slovaki- 
schen.  während  das  Russische  mit  den  westslavischen  Sprachen  ein 
ro-,  lo-  aufweist.  Freilich  einzelne  Abweichungen  finden  sich  auch 
hier.  Dem  lit.  alküne  »Ellenbogen,  Unterarm«  entspricht  in  dieser  Hin- 
sicht im  Aksl.  lak^tb^  bulg.  lakaf,  serb.  lakaf,  slov.  lakdf,  aber  poln. 
iokiec,  nsorb.  ^oki,  osorb.  iokc.,  kas.  ^okc,  polab.  lükit,  böhm.  loket, 
russ.  lökotb.  Dagegen  haben  wir  z.  B.  neben  dem  südslavischen  raz- 
auch  schon  im  Aksl.  sporadisch  roz-,  im  Russ.  roz-  und  ras-  u.  s.  w. 

Es  handelt  sich  nun  vor  allem  zunächst  um  die  Erklärung  dieser 
zwei  Gruppen  von  Worten  mit  ra-,  la-  in  allen  slav.  Sprachen  und  dann 
der  zweiten,  die  theils  ra-,  /«-,  theils  ro-,  lo-  aufweist.  Es  sind  hier 
zwei  Hypothesen  aufgestellt  worden.  Man  meinte,  dass  dort  in  allen 
slavischen  Sprachen  ein  rat  zum  Vorschein  komme,  wo  es  sich  ursprach- 
lich um  ein  ari-  handle  (vgl.  IF.  Anz.  IV,  S.  60),  da  ja  die  meisten,  ja 
vielleicht  alle  dieser  Worte  wirklich  auf  idg.  «r^-,  alt-  zurückgehen. 
Nach  einer  anderen  Hypothese  sollen  diese  verschiedenen  Resultate  auf 
accentuelle  Unterschiede  zurückgehen:  urslav. *orÄ^j,  russ.  rost^.|  serb. 
rast  hätte  einen  fallenden  Accent  gehabt,  dagegen  ursl.  *ordlo.,  russ. 
rälo^  serb.  ralo,  böhm.  rädlo  einen  steigenden.  Es  ist  bemerkeus- 
werth,  dass  die  hierher  gehörigen  Worte  fast  alle  im  Serb.  einen  gleichen 


190  W.  Vondräk, 

Accent  haben:  serb.  ItUom,  russ.  Idkomyj  (alkäth),  \it.  älkstu,  älkfi 
»hungern«;  sevh.  Idne,  lauäd,  russ.  lanb,  Wt.  elnis  »Hirsch«;  serh.rdka. 
russ.  rd/ca ;  rdl,  rilla  (bei  Yuk  als  kroatisch  angegeben,  ein  Feldmass  = 
1600  n°  bei  Nemanic  I.  13  n//,  rdla)\  serb.  rTdo^  £ak.  rälo^  russ. 
i'älo^  lit.  drklas  »Pflug«;  serb.  rdme,  russ.  rdmo,  lit.  ärms:  serb.  rat. 
russ.  7'a^fe;  serb.  ra^a;'  [rata?'],  kleinruss.  ratdj,  lit.  m-töj'is.  Hinsichtlich 
des  Accentes  (aber  nur  des  Accentes)  weist  das  inlautende  tort,  wenn. 
er  steigend  ist,  analoge  Erscheinungen  auf:  serb.  vräna,  russ.  voröna. 
böhm.  üräwa,  lit.  vdrna.  Dagegen  bei  fallendem  Accent:  sevh.  Idc/j'a. 
aber  cak.  läj'a,  russ.  lodhjd  neben  lödbja  (kleinruss.  lödja.^  hier  schwankt 
also  die  Betonung);  SQxh.ldkat^  russ.  lökoth^  l\t.  ülektis  [ölektis]  »Elle«; 
serb.  Idni  [Idni^  Idne)^  russ.  I6ni\  serb.  Idp^  russ.  I6patih\  serb.  rdom^ 
rdvan,  russ.  rövnyj^  serb.  räza7y\  rdzuja,  russ.  rozem,  roznä;  serb. 
räkita,  kleinruss.  roA-yte;  serb.  rast,  rdsta  (cak.  rdst,  rdsti  f.)  »Wachs- 
thum«,  russ.  rösth  (serb.  rdsti^  rdstem^  slovak.  räst\  russ.  rosH  und 
rasii) . 

Diese  Fälle  haben  hinsichtlich  des  Accentes  ihre  Parallele  im  in- 
lautenden tort  mit  fallendem  Accent,  z.  B.  serb.  «mw-,  russ.  vörom^ 
lit.  vafnas.  Serb.  ro6  weicht  ab,  was  noch  zur  Sprache  kommen  wird. 
Diese  in  so  vielen  Fällen  übereinstimmenden  Accente  kann  man  wohl 
nicht  für  zufällig  halten.  Andererseits  aber  ist  doch  auffallend,  dass  bei 
gemeinslav.  anlautendem  ra  ein  ursprachliches  a  häufig  oder  immer  vor- 
kommt: ralo^  radloj  lat.  arare^  gr.  ciq6io\  raka^  lat.  circa]  rame,  lat. 
armus^  ahd.  ararn.  arm.  Es  werden  demnach  wohl  beide  Factoren  zu 
berücksichtigen  sein.  Ein  secundär  langes  a  erhielt  sich  in  der  art- 
Stellung  als  solches,  wenn  es  den  steigenden  Ton  hatte,  d.  h.  wenn 
die  Silbe  nach  Fortunatov  als  fortdauernde  Länge  erscheint.  Hatte 
es  den  fallenden  Ton,  d.  h.  erscheint  die  Silbe  als  unterbrochene 
Länge,  so  wurde  das  secundär  lange  ä  verkürzt  zu  a,  das  dann  o  er- 
geben musste.  Auf  diese  Art  würden  wir  das  russ.  rölhja^  pol.  rola., 
böhm.  role^  ro/e  begreifen.  Aksl.  rahja^  slov.  ral  kann  von  den  ver- 
wandten Worten  mit  ra-  beeinflusst  sein,  oder  aber  es  hat  ein  slavisches 
Gebiet  gegeben,  auf  dem  die  secundäre  Länge  des  a  selbst  unter  den 
angegebenen  Verhältnissen  erhalten  blieb,  und  das  ist  mir  wahrschein- 
licher. So  wäre  auch  klruss. ro^7/i!a  «Purpurweide«,  ^olxi.rokita  »Sand- 
weide«,  böhm.  rokyta  »Palmweide(f,  serb.  rdkita  »Rothweide«,  bulg. 
rakita  »Weide«  zu  beurtheilen,  falls  mau  es  wirklich  mit  lat.  arcus  zu- 
sammenstellen muss. 


Zur  Liquidametathese  im  Slavischen.  191 

Ganz  analog  wie  das  anlautende  uvsprachl.  art  mit  steigendem  Ton 
Avurde  auch  akm-  behandelt  in  aksl.  kamy,  serb.  kcimeti,  slov.  hämen^ 
russ.  kämenh^  klruss.  käminb,  böhm.  kämen  (dial.  kamen),  polu.  kamien 
u.  s.  w.,  lit.  akmü  (der  lit.  Accent  weicht  ab). 

Ein  secuudär  lang  gewordenes  ö  in  der  Stellung  ort-  wurde  im 
Rassischen  und  Westslavischen  (von  dem  das  Slovakische  hier  theilweise 
ausgeschlossen  werden  mnss)  unter  beiden  Accentarton  zu  o  wieder  ver- 
kürzt, was  oflenbar  nur  so  möglich  war,  dass  es  nicht  die  volle  Länge 
erreicht  hatte,  nur  sporadisch  scheint  es  im  Russischen  die  volle  Länge 
erreicht  und  behauptet  zu  haben  [rasti  und  rosli,  ruaih  u,  rosh,  serb. 
rast,  rüstet,  t-ak.  rast,  rästi  f.).  Man  wird  wohl  hier  nicht  immer 
kirchenslavischen  Einfluss  suchen  müssen.  Auf  dem  Gebiete  des  Ge- 
meinslavischen,  aus  welchem  das  Südslavische  und  zum  Theil  das  Slo- 
vakische hervorging,  erreichte  o  die  volle  Länge  und  bewahrte  sie,  doch 
kamen  auch  hier  Fälle  mit  verkürztem  o  vor,  was  offenbar  zunächst  bei 
fallendem  Accent  möglich  war,  z.  B.  raz-  neben  roz-  und  and.  Serb. 
roh  fasst  man  auf  als  ein  Lehnwort  aus  dem  Nordslavischen.  Diese 
Annahme  ist  aber  wohl  nicht  unbedingt  uothweudig,  wenn  wir  hier  auch 
einen  anderen  Accent  erwarten  möchten. 

Es  handelt  sich  nun  um  die  Erklärung  dieser  Erscheinungen.  Die 
Metathesis  fällt  hier  in  jene  Zeit,  als  das  r,  l  schon  die  Tendenz  hatte, 
sich  in  der  nächsten  Silbe  heimisch  zu  machen.  Man  suchte  sich  schon 
mit  dem  r,  l  in  der  zweiten  Silbe,  so  gut  es  ging,  abzufinden.  Das  war 
offenbar  nur  dann  möglich,  dass  sich  aus  dem  r,  l  ein  r,  7  zu  entwickeln 
begann :  o-rto  ^),  oder  dass  nach  r,  /  sich  ein  svarabhaktisches  vocali- 
sches  Element  geltend  machte:  o-r''to  [o-rhto).  Offenbar  tauchten 
gleichzeitig  beide  Principieu  auf,  ohne  dass  es  noch  dem  einen  oder  dem 
anderen  gelungen  wäre,  sich  auf  einem  Gebiete  ausschliesslich  zu  be- 
haupten. Wäre  es  hier  schon  zu  stabilen  Verhältnissen  gekommen,  so 
hätte  sich  nicht  so  leicht  die  Metathesis  schon  damals  einstellen  können. 
Es  kam  daher  noch  nicht  zu  einem  allgemein  geltenden  o-rto,  o-lto, 
aber  auch  nicht  zu  einem  derartigen  o-7-''lo  [o-rhto),   to-lHo  [to-hto). 


^]  Ein  r,  /  bemerke  ich  ganz  genau  z.  B.  im  Böhmischsn  im  Anlaute, 
wenn  nach  dem  r,  l  noch  ein  Consonant  folgt,  z.  B.  rdousiti  wird  so  aus- 
gesprochen, dass  man  ein  r-rrfowst^i  deutlich  hürt,  ebenso  r-tuia.\s  r-rtui,  Isticy 
als  l-htivij  u.  s.  w.  Dasselbe  natürlich  im  Silbenanlaut,  wenn  die  vorher- 
gehende Silbe  mit  einem  Consonanten  endet;  sonst  wird  das  r,  l  in  die  vor- 
hergehende Silbe  Kezoffen :  zarclousiü  =  zar-dousiti. 


192  W  Vondräk, 

Die  Differenz  dieser  beiden  Varianten  war  allerdings  nicht  gross  und 
bestand  vornelimlich  in  einer  verschiedenen  Anzahl  der  Zungenschläge, 
die  bei  r,  /  grösser  zu  werden  begannen,  als  bei  r,  l  der  zweiten  Art. 

In  dieser  Zeit  des  Schwankens  taucht  das  Princip  der  Metathese 
auf,  das  gefördert  wurde,  durch  das  Streben,  den  vocalischen  Anlaut  zu 
meiden.  Dieses  Princip  machte  sich  jedenfalls  bei  ursprachlichem  art, 
alt  zuerst  geltend,  als  das  urspr.  a  im  Slavischen  mit  o  noch  nicht  zu- 
sammengefallen war.  Wir  haben  ja  oben  gesehen,  dass  das  Streben, 
den  rein  vocalischen  Anlaut  zu  meiden,  bei  a  mehr  ausgebildet  war  als 
bei  0.  Die  ort-^  o/^- Gruppen  wurden  offenbar  erst  von  der  art-^  rat- 
Gruppe  mitgerissen. 

Die  secundären  Silben  rto^  tHo^  Ito,  Vto  erforderten  nun  zu  ihrer 
Aussprache  eine  über  das  Normale  der  kurzen  Silben  gehende  Zeit:  sie 
erreichten  fast  die  Quantität  der  von  Haus  aus  langen  Silben  und  waren 
sich  hinsichtlich  dieses  Effektes  gleich.  Bei  der  Metathese  wurde  nun 
der  sich  an  r,  r\  /,  /'  knüpfende  Quantitätstheil  auf  die  Silbe,  die  nun 
das  r,  /  bekam,  übertragen.  Normale  Längen  wurden  zwar  wohl  noch 
nicht  erreicht,  aber  es  war  die  Möglichkeit  zu  ihrer  Entwickelung  vor- 
handen :  das  hing  einerseits  vom  Vocale  selbst  ab,  andererseits  von  der 
sich  entwickelnden  Accentuation.  Bei  dem  ursprachlichen  a  hat  sich 
offenbar  leicht  unter  einem  ununterbrochenen  Accente  die  Länge  ent- 
wickelt, daher  das  gemeinslavische  rame. 

Bei  0  ist  dagegen  die  nicht  völlig  entwickelte  Länge  zu  jener  Zeit, 
als  ein  normal-langes  o  zu  a  wurde,  in  vielen  slav.  Dialekten  auf  der 
o-Stufe  geblieben  (wurde  reducirt),  ist  nicht  zu  a  geworden,  daher  z.B. 
böhm.  roha^  aksl.  raha^  böhm.  roz-^  aksl.  raz^  aber  dialektisch  selbst 
auch  hier  roz-^  wie  auch  in  anderen  Fällen. 

Jedenfalls  spricht  der  Umstand,  dass  jene  Gruppe  von  slavischen 
Sprachen,  die  im  Inlaute  für  tort^  tolt  ausnahmslos  trat^  Hat  hat,  hier 
im  Anlaute  auch  ro^,  lot  aufweist  (wie  z.  B.  im  Böhm.),  dafür,  dass  wir 
es  da  mit  Prozessen  zu  thun  haben,  die  in  verschiedene  Epochen  zurück- 
reichen. 

Wir  haben  hier  aber  auch  ein  lautliches  Resultat  zu  beachten,  das 
der  \x\QY  vorgebrachten  Theorie  zu  widersprechen  scheint.  Im  Aksl. 
haben  wir  nämlich  neben  lahati  auch  ein  ahkati^  neben  ladii  auch  ein 
ahdii.  Hier  ist  also  zunächst  die  alte  Stellung  gewahrt,  die  Metathese 
ist  nicht  eingetreten,  dennoch  ist  hier  aber  die  Dehnung  durchgeführt 
worden.    Diese  Dehnung  stammt  aber  wohl  aus  einer  späteren  Zeit.   Es 


Zur  Liquidametathese  im  Slavischen.  193 

handelt  sich  hiev  immer  um  die  Gruppe  olt  [alf],  die  auf  einem  kleine- 
ren Gebiete  des  späteren  Südslavischen  (speciell  Bulgarischen)  blieb.  Es 
ist  vielleicht  bezeichnend,  dass  es  innerhalb  einer  Dialektgruppe  ge- 
schehen ist,  die  sich  dann  auch  durch  eine  Vorliebe  für  den  vocalischen 
Anlaut  auszeichnet,  so  dass  hier  der  jotirte  Anlaut  vielfach  aufgegeben 
wurde  oder  sich  überhaupt  gleich  im  Anfang  nicht  entwickelt  hat.  Das 
olt  machte  dann  dieselben  Schicksale  durch,  wie  das  inlautende  tort, 
zu  dem  wir  gleich  kommen  werden :  es  wurde  zu  ö/^,  alf  gedehnt,  wie 
fort  zu  tart  [traf]  in  derselben  Gruppe.  Bei  der  ursprünglichen  Gruppe 
aj't-,  ort  bemerken  wir  dagegen  nie  diese  Erscheinung,  sondern  es  ist 
hier  immer  die  Metathese  eingetreten,  das  ;•  erwies  sich  hier  also  als 
mehr  beweglich. 

Ebenso  müssen  wir  den  Grund  der  Dehnung  bei  kamt/  aus  *akmön 
in  einer  Qnantitätsverschiebung  suchen.  Man  muss  wieder  von  der 
Phase  der  Sprache  ausgehen,  als  man  das  Wort  als  a-kmon  {^t.ak-mdn^ 
da  keine  geschlossene  Silbe  geduldet  wurde)  auszusprechen  begann.  In 
a-kmon  erforderte  nun  die  Aussprache  der  Silbe  -kmon  eine  jedenfalls 
über  die  normale  Länge  einer  laugen  Silbe  gehende  Zeit  mit  Rücksicht 
auf  die  Gruppe  km  (hinterer  Gutturallaut  damals  noch  mit  einem  bila- 
bialen Laute,  es  ist  als  ob  k''mon  oder  k^mön  —  allerdings  nicht  ganz 
genau  —  ausgesprochen  worden  wäre,  es  lag  also  ein  leiser  Ansatz  zu 
einer  Zweisilbigkeit,  ohne  dass  jedoch  diese  natürlich  erreicht  worden 
wäre,  vor.  Bei  der  Umstellung  des  k  wurde  nun  der  entsprechende 
Theil  dieser  Länge  auch  auf  die  das  k  jetzt  enthaltende  Silbe  über- 
tragen. Es  sind  hier  also  ganz  analoge  Verhältnisse  wie  bei  urslav. 
rame  aus  *arme. 

Was  die  inlautenden  Gruppen  tort^  tolt  tert^  telt  anbelangt,  so 
machten  sie  natürlich  zunächst  die  Phase  von  art^  alt  ort^  olt  auch 
durch,  d.  h.  auch  hier  begann  das  r,  l  sich  in  der  nächsten  Silbe  fest- 
zusetzen, wobei  wieder  dieselben  Mittel  in  Anwendung  kamen  wie  bei 
art,  ort  etc.,  um  den  Anschluss  des  r  an  die  nächste  Silbe  zu  ermög- 
lichen. Während  es  jedoch  bei  den  Gruppen  art^  ort  etc.  nicht  zu  einer 
Stabilisirung  kommen  konnte,  indem  die  Metathesis  hier  früher  aus  den 
angegebenen  Gründen  durchgeführt  worden  ist,  musste  bei  tort,  tolt  etc. 
ein  Zustand  erreicht  worden  sein,  in  welchem  das  r,  /  zur  nächsten 
Silbe  definitiv  gehörte  und  auf  jedem  Gebiet  ein  einheitliches  Princip 
durchgeführt  war.  Von  den  beiden  zunächst  möglichen  Functionen,  die 
i  das  r,  /  hierbei  übernehmen  konnte,  hat  nämlich  auf  einem  Gebiete  das 

Archiv  für  slavische  Philologie.    XXV.  13 


1 94  W.  Vondräk, 

r,  l,  auf  dem  anderen  das  r?;,  h  [r\  V)  den  Sieg  davongetragen.  Dieser 
Zustand  hat  sich  dann  offenbar  lange  hindurch  unverändert  behauptet. 
So  lange  in  diesen  Gruppen  ein  r,  /  vorhanden  war,  konnte  es  zu  einer 
Metathese  nicht  kommen,  da  ja  die  Stellung  des  r,  l  hier  eine  feste  war. 
Das  änderte  sich  aber  mit  der  Zeit.  Als  es  nämlich  später  zu  einer 
schärferen  Scheidung  der  einzelnen  slavischen  Sprachen  kam,  da  wurden 
auch  unsere  Gruppen  mit  dem  r,  /  in  Mitleidenschaft  gezogen.  Das  ?',  / 
begann  zum  vorhergehenden  o  zu  gravitireu,  seine  Stellung  wurde  ge- 
lockert, es  löste  sich  von  der  zweiten  Silbe  und  hörte  auf  ein  r,  l  zu 
sein.  Da  aber  letztere  Laute  mit  mehr  Zungenschlägen  ausgesprochen 
werden  als  das  gewöhnliche  r,  /,  so  tibertrafen  die  Silben  rto,  Ito  u.s.  w. 
hinsichtlich  der  Quantität  die  gewöhnlichen  kurzen  Silben,  ohne  jedoch 
die  normale  Länge  der  langen  Silben  zu  erreichen.  Die  frühere  Länge" 
des  r,  /  wurde  nun  dorthin  übertragen,  wohin  eben  das  ?•,  /  gravitirte, 
d.  h.  auf  den  vorhergehenden  Vocal.  Das  hatte  eine  theilweise  Deh- 
nung desselben  zur  Folge,  ohne  dass  diese  überall  die  normale  Länge 
einer  Silbe  erreicht  hätte.  Die  Entwickelung  der  normalen  Längen  war 
offenbar  damals  davon  abhängig,  wie  überhaupt  sich  die  Sprache  den 
Quantitäten  gegenüber  empfindlich  zeigte.  War  die  Sprache  in  dieser 
Hinsicht  nicht  mehr  so  empfindlich,  so  entwickelte  sich  auch  keine 
Länge  (z.  B.  das  Polnische). 

Aber  das  Gesetz,  wonach  sich  nur  offene  Silben  behaupten  konn- 
ten, bestand  noch  weiter,  wenn  es  auch  vielleicht  nicht  mehr  so  streng 
wirkte  wie  früher.  Daher  wäre  es  begreiflich,  dass  auf  einzelnen  Ge- 
bieten die  Laute  ?',  /  in  dieser  Stellung  jetzt  verbleiben  konnten.  Man 
kann  ja  vielleicht  auch  annehmen,  dass  sich  hier  der  Einfluss  fremder, 
benachbarter  Sprachen  wiederspiegele. 

Dieser  fremde  Einfluss  hätte  dem  alten  Gesetze  entgegengewirkt 
und  es  theilweise  aufgehoben.  Aber  es  muss  angenommen  werden,  dass 
das  Gesetz  überhaupt  nicht  mehr  mit  seiner  früheren  Intensität  wirkte. 
Hätte  das  Gesetz  in  ungeschwächter  Kraft  noch  gewirkt,  so  wäre  viel- 
leicht eine  Lockerung  des  r,  /  in  rto^  Ito  u.  dgl.  gar  nicht  möglich  ge- 
wesen. Dort,  wo  das  Gesetz  sich,  wenn  auch  in  geschwächter  Kraft, 
behauptete,  wurde  nun  eine  Metathese  vorgenommen,  tx)rt  [tart)  wurde 
zu  trat^  tolt  [talt]  zu  tlat^  tert  [tert]  zu  tret  u.  dgl.  Wo  die  vollstän- 
dige Länge  sich  nicht  entwickelt  hatte,  wurde  einfach  umgestellt:  tlol. 
trot,  tret^  tlet. 

Wir  müssen  also  annehmen,  dass  in  diesen  Gruppen  die  Dehnung 


Zur  Liquidametathese  im  Slaviscben.  195 

vor  der  Metathese  eingetreten  ist.  Wäre  dies  nach  der  Metathese  ge- 
schehen, so  würde  es  in  eine  verhältnissmäs^^ig  späte  Zeit  fallen,  'wo 
dann  kaum  von  einem  7j  als  Uebergangsstufe  zu  a  ausgegangen  werden 
könnte.  Das  fühlte  wohl  auch  Torbiörnsson  und  daher  drückt  er  sich 
diesbezüglich  nicht  so  deutlich  aus,  als  es  wünschenswerth  wäre.  S.  15 
iDie  gsl.Lm.)  sagt  er:  Der  urspr.  o-Vocal  zusammen  mit  der  zwischen 
den  beiden  letzten  y-Schlägen  liegenden  o-Artikulatiou  (einschliesslich 
der  o-Farbe  des  r-Schlages  selbst  hat  einen  langen  Laut  gegeben. 
Dieser  lange  Vocal  ist «,  da  in  alter  Zeit  in  den  slaviscben  Sprachen  ü 
der  entsprechende  lange  Laut  zu  6  wara.  Torbiörnsson  lässt  nämlich 
auch  hier  die  Dehnung  erst  nach  der  Metathese  eintreten. 

Aber  wie  bei  anlautendem  olt  [alt]  auf  einem  kleineren  Gebiete  die 
Metathese  unterblieben  ist,  so  bemerken  wir  bei  tolt^  talt  etwas  Ana- 
loges und  zwar  wieder  im  Bulgarischen:  haVtiny^  maVdiciJe^  sahiost, 
pafffi.  Jagic  vermuthet  übrigens,  es  könnte  hlafo  im  Munde  der  uicht- 
slavischen  Bulgaren  die  den  Sprachwerkzeugen  dieses  Volkes  geläufigere 
Form  *huIto  angenommen  haben.  Damit  müssen  natürlich  die  Fälle 
wie  aVkat),  aVdii  u.  s.  w.  zusammengestellt  werden ;  die  sind  schon  im 
Aksl.  häufiger.  Jedenfalls  ersieht  man  aus  ihnen,  dass  die  Dehnung 
noch  vor  der  Metathese  eingetreten  ist.  Interessant  ist  auch  das  Wort 
zoloia  st.  tlata  im  Psalterium  sinaiticum,  71,15.  Es  ist  hier,  als  ob 
sich  in  der  Gruppe  to-rto,  um  dieser  Aussprache  mit  der  offenen  Silbe 
gerecht  zu  werden,  ganz  nach  russischer  Art  ein  tonto  entwickelt 
hätte  (st.  des  to-rto).  Nun  muss  man  bedenken,  dass  sich  das  Kussische 
mit  dem  Bulgarischen  (namentlich  mit  einer  Dialektgruppe;  vielfach  be- 
rührt. Man  denke  z.  B.  an  die  gleiche  Vertretung  der  beiden  Halb- 
vocale  durch  volle  [o  und  e).  Wir  würden  es  dann  auch  begreifen, 
warum  keine  Dehnung  hier  eingetreten  ist.  Allerdings  haben  wir  es  hier 
nur  mit  einem  vereinzelten  Falle  zu  thun,  der  die  ihm  zugesprochene 
Bedeutung  nicht  vollständig  auf  sich  nehmen  kann. 

Es  hat  hier  noch  ein  zweites  Gebiet,  das  mit  dem  letzteren  nicht 
zusammenhing,  gegeben,  wo  bei  tort  tart  die  Metathese  auch  unterblieb, 
nämlich  im  Polabischen:  korivö^  horioii,  starna  und  zum  Theil  auch 
im  Kasubischen,  wovon  noch  die  Rede  sein  wird. 

Es  fragt  sich  nun,  warum  ein  ursprüngliches  tovf^  thit,  tbrf,  ihlt 
nicht  auch  analog  behandelt  wurde  wie  ein  tort,  tert  etc.  Wir  müssen 
annehmen,  dass  auch  hier  in  den  ersten  Stadien  analoge  Erscheinungen 
auftraten,  dass  also  daraus  zunächst  auf  einem  Gebiete  t^rt^  ihlt,  thyt, 

10* 


196  W.  Vondräk, 

thJt  geworden  ist.  Allein  die  weiteren  Resultate  waren  verschieden. 
Der  Grund  davon  ist  in  den  Halbvocalen  zu  suchen.  Als  eine  charak- 
teristische Eigenthttmlichkeit  derselben  sehe  ich  auch  ihre  quantitative 
Kürze  an,  die  unter  die  normale  Dauer  einer  kurzen  Silbe  ging.  Ein 
Aufkommen  von  Längen  war  hier  also  von  vornherein  ausgeschlossen. 
Als  sich  dann  auf  einem  Gebiete  das  r,  l  von  seiner  folgenden  Silbe  los- 
gelöst hatte,  ging  der  vorhergehende  Halbvocal  ganz  verloren,  wobei 
er  jedoch  dem  nun  neu  entstandenen  r,  7  einen  entsprechenden  Timbre 
verliehen  hatte  (hell  bei  fc,  dumpf  bei  ^).  Daher  erklärt  es  sich,  warum 
im  Aksl.,  namentlich  in  den  Kiever  Blättern  (Spuren  davon  auch  in  an- 
deren Denkmälern)  nach  diesem  r,  /  die  Halbvocale  so  geschrieben  wer- 
den, wie  wir  sie  auch  etymologisch  erwarten.  Es  sieht  so  aus,  als  ob 
hier  auch  eine  Metathese  stattgefunden  liätte,  aber  das  ist  nur  schein- 
bar, gehört  wurde  wohl  nach  dem  r,  /  kein  Halbvocal.  Aus  diesem  r,  / 
konnten  sich  dann  in  den  betreifenden  slavischen  Sprachen  verschieden- 
artig vocalisirte  Lautgruppen  entwickeln,  oder  es  konnte  auch  bleiben, 
je  nach  dem,  was  der  dem  r,  l  vorhergehende  Consonant  war. 

Es  ist  wahrscheinlich,  dass  auf  einem  anderen  Gebiete  auch  thrto 
zu  *ibrhto,  thrto  zu  *t^r^to  u.  dgl.  geworden  ist,  also  analog  wie  bei 
torto  u.  dgl.  Es  würde  hier  natürlich  zunächst  das  Russische  in  Be- 
tracht kommen.  Als  dann  im  Russischen  die  Halbvocale  durch  volle 
ersetzt  wurden,  so  erstreckte  sich  dieser  Prozess  hier  nur  auf  die  ersten, 
auf  die  ursprünglichen,  nicht  aber  auf  die  zweiten,  auf  die  secundären, 
wie  dies  bei  *tor~ot  u.  dgl.  der  Fall  war.  Die  zweiten  Halbvocale  in 
*t^r^fo^  ^thrhto  u.  s.  w.  waren  nicht  vollwerthig,  sie  könnten  graphisch 
vielleicht  durch  ^,  also  t^r^f^  thrt  dargestellt  werden.  Wurde  aus  Urt 
ein  tert^  so  gewann  die  Silbe  mit  dem  e  jetzt  quantitativ  so  viel,  dass 
das  nachfolgende  halbvocalische  Element  ganz  verloren  ging  ^j.  Es  war 
hier  demnach  wahrscheinlich  eine  quantitative  Abstufung:  in  "tont, 
tcrht  u.  dgl.  folgte  auf  einen  vollen  Vocal  ein  secundärer  Halbvocal,  in 
*t^rfy  thrt  nach  einem  Halbvocal  ein  halbvocalisches  Element. 

Dieser  Umstand  nun,  dass  das  r,  l  in  den  besprochenen  Gruppen 
eine  ursprüngliche  Stellung  im  Russischen  bewahrt  hatte,  spricht  uns 
deutlieh  genug,  wie  wir  ein  russisches  torot^  tolot  beurtheilen  sollen. 


1)  Den  secundären  russischen  Volllaut,  z.  B.  verechro  u.  dgl.,  wird  man 
damit  kaum  in  Zusammenhang  bringen  können,  denn  er  datirt  wobl  aus  einer 
späteren  Zeit. 


Zur  Liquidametathese  im  Sla viseben,  197 

Auch  hier  ist  oöenbar  r,  /  in  seiner  ursprünglichen  Stellung  geblieben, 
es  führt  also  tort^  tolt^  tert,  telt  zu  torot,  tolot^  teret^  telet  (über  toTot. 
toht,  terU,  teht).  Das  erste  o  [e)  ist  primär,  das  zweite  secundär,  und 
es  kann  daher  Torbiörnsson's  Erklärung,  die  (orot  aus  trot  entstehen 
lässt,  unmöglich  richtig  sein.  Er  hätte  auch  die  Behandlung  der  Grup- 
pen t^rt^  tbrf  u.  dgl.  berücksichtigen  sollen. 

Einige  der  slavischen  Sprachen,  die  sonst  irgend  welche  Anhalts- 
punkte bei  der  Behandlung  unserer  Frage  bieten  können,  sollen  speciell 
im  Folgenden  zur  Sprache  kommen. 

Polabisch. 

Dem  o-a-  [la-]  der  anderen  slavischen  Sprachen  für  ursprüngliches 
anlautendes  ar-,  al-  [or-,  ol-)  -f-  Consonant  entspricht  im  Polabischen 
n/,  lä  :  rudlu  »Pflug«  (böhm,  räcUo),  7'« ^o/' «Pflüger«  b.  rataj),  rämä 
»Schulter«  (aksl.  rame),  räk\lj  i.  »Kasten«,  rakväica  »Kästlein«  (serb. 
rdka  »Grabhöhleo,  b.  rakev  »Sarg«).   Hierher  gehört  auch  Lähi  »Elbe«. 

Wo  dagegen  eine  Gruppe  der  slavischen  Sprachen  im  Anlaute  ro-. 
lo-  hat,  da  finden  wir  im  Polabischen  rw-,  lü-  :  rida  »gepflügtes  Land« 
(poln.  rola  »Ackerfeld«,  kas.  rola^  rol6)\  rüst^  rüste  (3.  Pers.  Sg.i 
»wachsen«  (kas.  rose,  rostq,  poln.  rose,  rösc]\  rüz-  »auseinander«  (poln. 
sorb.,  böhm.  roz-,  aksl.  raz-^  vereinzelt  roz-)\  lüd'a  »Schifi"«  (kas.  löc. 
löca,  poln.  iödz,  ^odz,  iodzia,  obersorb.  /oc/i,  aksl.  ahdii,  ladii,  serb. 
lädj'a);  lü/at,  lük^iit  »Elle«  (kas.  /o^c,  ]^o\n.  iokiec,  nsovh.  ioks,  obsorb. 
iokc,  böhm.  loketj  aksl.  lak^th).  So  wurde  aber  auch  das  ursprüngliche 
o  behandelt,  z.  B.  s)nüla  »Harz,  Hölle«  (die  anderen  slav.  Sprachen 
smola),  Ji'usa  »Sense«  {kosa)\  püd  »unter«  [pod'o]  u.  s.  w.  Wenn  schon 
im  Urslavischen  das  ort  in  diesen  Fällen  zu  rot  geworden  war,  so  kann 
man  natürlich  auch  keine  andere  Behandlung  im  Polabischen  hinsicht- 
lich des  o  erwarten. 

Ursprüngliches  tolt  wurde  zu  tlät  (geschrieben  zumeist  tlat,  sel- 
tener tlot^  dann  auch  tlaat^  tloot^  tlaot^  tloat\  z.  B.  gläva  »Kopf«. 
russ.  golovä,  böhm.  hlava\  klus  »Aehre«  (kas.  klos^  poln.  nsorb.  klos, 
böhm.  klas^  russ.  kölos)]  glüd  »Hunger«  (kas.  glod^  poln.  glöd,  nsorb. 
giod,  obsorb. Ä^oc/,  böhm. ///«(/,  ym?,?,. g6lod)\  s/r/ma  »Stroh«  (kas.  Ä^oma, 
poln.  nsorb.  obsorb.  sloma^  böhm.  släma,  serb.  slama,  russ.  soUma). 
Es  ist  wichtig  zu  constatiren ,  was  für  ein  Vocal  hier  von  dem  ä  ver- 
treten wird.    Für  Schleicher  war  es  wahrscheinlich,  dass  hier  zunächst 


198  W.  Vondräk. 

mit  liücksicht  auf  das  Polnische  ein  ursprüngliches  o  vorliegt,  dann 
auch  mit  Eiicksicht  auf  das  polab.  pUlcat^  pohi.  plakac^  polab.  slohy, 
poln.  slaby  etc.,  wo  also  dem  a  ein  polab.  o  entspricht  (Schleicher  §  39,. 
Aber  ich  glaube  entschieden,  dass  man  hier  von  einem  a-Laute  aus- 
gehen müsse  und  zwar  mit  Rücksicht  auf  rädlu^  rätoj  ^{q,.^  wo  das  u 
ebenfalls  eiuem  ursprünglichen  a  entspricht. 

Ursprüngliches  iert  wird  zu  trit,  tret:  brig  «Ufer«  (poln.  hrzeg, 
osorb.  hroh^  nsorb.  hrog^  b.  hreh^  russ.  hei'eg^^  ahd.  herg)\  prid  »vor« 
ipoln.  przod,  kas.  przed^  nsorb.  predny^  pre^nj^  osorb.  preni^  russ.  pe- 
red)\  sreda  »Mitte«,  sridny  (poln.  srzoda,  srzedni^  ksis. strzoda,  strzeni 
»mittlerer«,  obsorb.  sreda,  srodka  »Krume«,  nsorb.  sredny,  böhm. 
sfreda,  sfh'da,  russ.  sereda)  u.  s.  w. 

Auch  hier  müssen  wir  also  von  einem  frei  aus  tert  im  Polabischen 

ausgehen.     Dafür  spricht  unzweifelhaft  lirid  od.  päred,   das  nur  aus 

*pred  erklärt  werden  kann.    Wäre  hier  ursprünglich  nur  ein  *pred  aus 

perd,  so  müsste  das  e  unverändert  bleiben,  vgl.  /e«r/,  nied,  rnetla  u.s.w. 

(Schleicher  §  20,  Nr.  3). 

Ursprüngliches  feit  wird  zu  flaf:  mlaka  (Gen.)  »Milch«  (poln. 
mleko,  kas.  mlekoe,  nsorb.  obsorb.  mloJco,  böhm.  mleho,  russ.  molokö, 
aevh.  t}tIijeko);  plavui  »Spreu«  {])o\xi.  pletca,  näovh.  plozvy,  obsorb. 
pluivy,  böhm.  pleva  u.  plica,  russ.  peleca,  dial.  polovid)  u.  s.  w.  Wie 
wir  es  schon  im  Altkirchenslavischen  beobachten  können,  dass  le  in  Ici 
übergeht  (vgl.  zladq  neben  zledü\  dann  im  Altböhm,  [zieh  aus  *zleb 
neben  zlah,  zleza  neben  zläza  u.  s.  w.),  so  müssen  wir  auch  hier  ein  ( 
voraussetzen.  So  auch  in  anderen  Fällen  im  Polabischen,  z.B.  7io  statt: 
(=  na  SV  et  e),  zarat  »schauen«  (aksl.  ^^bre/"/,  Schleicher  §  52,  2).  Durch 
den  Uebergang  des  el  in  ol  (analog  wie  im  Russischen:  molokö)  kann 
es  nicht  erklärt  werden,  denn  dann  würden  wir  ein  tldt  erwarten,  vgl. 
gluva). 

Merkwürdig  ist  aber  das  Resultat  bei  der  ursprünglichen  Gruppe 
fort]  diese  gibt  nämlich  einmal  tart :  stärna  »die  Seite«  (poln.  strona. 
obsorb.  nsorb.  strona^  böhm.  strana,  russ.  storonci],  einmal  trilt  aus 
frot:  brüd'a  »Bart«  (poln.  broda],  obsorb.  nsorb.  broda,  böhm.  brada, 
russ.  borodd),  sonst  aber  regelmässig  wieder  fort:  bördza  »Furche« 
[bördza  »er  eggt«),  russ.  borozdä]  chörna  »Nahrung«,  aksl.  chramti 
»bewahren«;  gord  »Schloss«,  tmh.  görod  «Stadt«;  pörsa  »Ferkel«, 
okil.  prase;   törta  PL- n.  »Thor«,  russ.  foroifa;  gorch  »Erbse«,  russ. 


Zur  Liquidametathese  im  Slavischen.  t99 

goi'öch;  korvo  »Kuh«,   v\m.  koröva\    bcorkö  »Elster«,   r\x%%.  soroka: 
tornö  »Krähe«,  riiss.  voröna  n.  s.  w. 

Die  Erklärung  der  erwähnten  Gruppe  bietet  Schwierigkeiten. 
Jedenfalls  glaube  ich  aber,  dass  man  von  trot  aus  tort  nicht  ausgehen 
kann,  wie  es  Torbiörnsson  thnt.  In  trot  wäre  entweder  das  r  analog 
behandelt  worden  wie  in  urspr.  trt^  hätte  also  etwa  'tai'of  ergeben,  vgl. 
smardl  {ak&\.  smrbditb);  pursten  [?Lk^\.  prhatejih):  märzne  (r/lr^znet^) 
u.  s.  w.,  oder  trot  wäre  zu  trot  geworden.  Dass  ein  trot  (sprich  etwa 
tr-rotj  wegen  des  ursprünglichen  *p)-osö,  po\ah.  prüsü  »Hirse«  u.  dgl. 
wäre  eine  andere  Aussprache  nicht  vorauszusetzen)  zu  tort  werde,  das 
kann  nicht  recht  wahrscheinlich  gemacht  werden.  Das  o  in  tort  könnte 
dann  nur  ein  svarabhaktisches  sein  (aus  tr^)^  wohin  wäre  aber  das  ui"* 
spriingliche  o  in  dem  angenommenen  trot  geschwunden?  Eine  vortreff- 
liche Illustration  würde  uns  das  polab.  pär'cd  neben  prid  »früher«  bie- 
ten, das  uns  zeigt,  dass  der  ursprüngliche  Staramvocal  nicht  schwindet, 
wenn  sich  ein  svarabhaktischer  daneben  entwickelt  [pdred  neben  prid 
bei  Schleicher  S.  92,  Nr.  2).  Freilich  könnte  man  leicht  daran  denken. 
d:iss  in  der  polabischen  Gruppe  tort  das  ;•  nichts  mit  seiner  ursprüng- 
lichen Stellung  zu  thun  habe.  Wir  haben  ja  im  Bulg.  gesehen,  dass  das 
r  beweglicher  war  als  das  /.  Wenn  nebstbei  bei  l  und  in  den  anderen 
Fällen  das  r  im  Polabischen  eine  Metathese  erlitten  hat,  so  würde  man 
es  auch  bei  der  urspr.  Gruppe  tort  erwarten.  Man  müsste  dann  an- 
nehmen, dass  ein  tort  oder  richtiger  tart  (denn  wir  haben  ja  im  Pola- 
bischen in  den  analogen  Fällen  überall  die  Dehnung  beobachtet)  zu 
einem  trt  führte.  Aus  einem  trt  würde  man  aber  dann  ein  tdrt  erhalten 
(vgl.  oben  smdrdi^  mdrzne  u.  dgl.).  In  unseren  Worten  ist  aber  bis  auf 
zwei  vereinzelte  Fälle  tort.  Wenn  wir  nun  berücksichtigen,  dass  im 
Polabischen  überall  in  diesen  Fällen  auch  die  Dehnung  auftritt,  so  er- 
halten wir  aus  urspr.  tort  zunächst  ein  tart.  Ein  betontes  a  wird  zu  o 
und  ein  unbetontes  meist  auch  ebenso.  Darnacli  kommen  wir  wieder 
zu  tort .,  das  wir  wirklich  im  Polabischen  haben.  Vor  allem  kommt 
aber  in  Betracht,  dass  nach  dem  Tone  das  a  sich  mitunter  noch  erhalten 
hat  und  ganz  analog  haben  wir  hier  auch  neben  yon/ ein  tugurd  iograd^) 
'Schleicher  §  38).  In  starna  ist  offenbar  auch  das  ursprüngliche  a  ge- 
blieben (der  ursprüngliche  Accent  ist  aus  dem  russ.  storond  ersichtlich). 
Warum  die  Gruppe  tort.,  tart  verblieb,  erklären  uns  wohl  Worte  wie 
püred  nehen  prid,  por,  das  fast  ausnahmslos  füT  pro  steht  [pörstrelit 
» durchschiessen  (',/;/?•?' <^  »darum-  etc.    Schleicher  §  111,  S.  154,  Z.  28). 


200  W.  Vondräk, 

Hier  ist  also  auch  eiu  o-Vocal.  Man  vergleiche  noch  kärili  »Blut«  [kry), 
tdri^  täräi  »drei«  (Schleicher  S.  30).  Wenn  auch  die  Gruppe  Conso- 
nant  +  r  hänßg  vorkam,  so  wurde  sie  gelegentlich  doch  gemieden,  und 
das  erklärt  uns  schön,  warum  die  ursprüngliche  Gruppe  tort^  tart  im 
Polabischen  verblieb.  Nur  bei  brüda  ist  auch  die  Metathese  eingetreten. 
Torbiörnsson  fasst  es  auf  als  eiu  Lehnwort  aus  dem  Polnischen  oder 
Sorbischen  oder  vielleicht  eher  aus  einem  jetzt  ausgestorbenen  Dialekt 
(BB.  20,  S.  133).  Ich  glaube,  es  ist  diese  Annahme  nicht  nothwendig. 
Wenn  Torbiörnsson  siegesbewusst  ausruft :  »Die,  welche  der  Meinung 
sind,  dass  vorslav.  or  in  letzterem  Falle  im  Polabischen  unverändert 
beibehalten  ist,  sind  auch  verpflichtet,  die  Ursache  anzugeben.  Dies  ist 
noch  von  keinem  gethan,  und  meiner  Meinung  nach  ist  es  auch  ganz 
unmöglich«,  so  glaube  ich  auf  die  erwähnten  Fälle  hinweisen  zu 
können. 

Es  ist  übrigens  noch  eine  Möglichkeit  zu  erwähnen :  fort  und  das 
vereinzelte  fart  hätten  durch  eine  abermalige  Metathese  aus  trot  (nicht 
aus  dem  Torbiörnsson'schen  trot)  trat  entstehen  können.  Dann  würde 
aber  damit  nicht  in  Einklang  stehen,  dass  das  ursprüngliche  trot  (aus 
trat  und  trot]  nicht  diesen  Prozess  mitmacht.  Wir  haben  im  Polabi- 
schen: iro^  »Bruder«  (aus  ^rä?*),  ^rof/ »Hagel«  [trat],  präsü  »Hirse« 
[trot),  chrümy  »lahm«  [trot)  u.  s.  w.  Es  blieb  also  das  r  in  dieser  Stel- 
lung gewahrt,  wenn  auch  diese  Gruppen  nicht  unantastbar  waren,  wie 
die  oben  erwähnten  Fälle  zeigen.  Nie  aber  griff  man  zu  einer  Meta- 
these, wenn  diese  Gruppen  gemieden  wurden,  sondern  es  entwickelte 
sich  ein  svarabhaktischer  Vocal.  Das  würden  wir  dann  auch  bei  einem 
angenommenen  trot  aus  tort  erwarten,  nicht  aber  eine  abermalige 
Metathese. 

War  das  r  infolge  eines  nachfolgenden  palataleu  Vocals  erweicht, 
so  scheint  es,  dass  es  sich  dann  eher  bei  seinem  Consonanten  behauptete 
und  sich  mit  ihm  überhaupt  verbinden  konnte,  daher  brig^  criv,  srida 
etc.,  kurz  alle  jene  Fälle,  die  auf  ursprüngliches  tert  zurückgehen. 
Erst  später  ist  aber  im  Polabischen  offenbar  eine  Verhärtung  des  r 
(unter  dem  Einflüsse  des  Deutschen  ?j  eingetreten ,  wofür  das  schon 
mehrmals  erwähnte  pured  neben  prid,  und  täri^  täräi  spricht.  Da 
war  aber  schon  tert  zu  tret  geworden. 

Tolt  gab  tlät,  weil  die  Gruppe  Cousouant  +  /  nicht  gemieden 
wurde,  denn  kiljautz  neben  dem  richtigeren  kloilz,  kläutze  (aksl. 
kljuch),  dann  hilljawe  neben  blcnve  (aksl.  blbvet^),  dillän  neben  dlän 


Zur  Liquidametathese  im  Slavischen.  201 

(Schleicher  S.  39,  25;  70,  2()),  melauca  ueben  mlauha,  mlaka  (Schlei- 
cher S.  S9,  9;  209,  31)  sind  mir  ungenaue  oder  wenn  man  will  germa- 
nisireude  Schreibweisen,  die  mit  der  richtigen  Aussprache  nichts  zu 
thun  haben.  Diese  verschiedenen  Kesultate  bei  ursprüngl.  Cons.  +  r 
einerseits  und  Cons.  -\-  1  andererseits  erklären  uns  also  hinlänglich,  wa- 
rum man  bei  fort  [tart]  verblieb  und  warum  man  ein  frof  [trat)  mied. 

Es  muss  noch  einmal  hier  darauf  hingewiesen  werden,  dass  Pola- 
bisch  zu  jenen  Sprachen  gehört,  in  denen  in  unseren  Fällen  die  Deh- 
nung eingetreten  ist.  Es  ist  dies  deshalb  wichtig  zu  constatiren,  weil 
mitunter  irrthümlicher  "Weise  das  Gegentheil  davon  behauptet  wird.  So 
finden  wir  es  noch  bei  Baudouin  de  Courtenay  (Zürn.  min.  nar.  prosv. 
189,  Maiheft  S.  113),  der  das  Polabisch-Kasubische  zur  vierten  Gruppe 
aller  slavischen  Sprachen  rechnet,  in  welcher  die  ursprünglichen  Laut- 
verbindungen -or-,  -ol-,  -er-^  -el-  einfach  -ro-^  -lo-^  -re-,  -Je-  ergeben. 
Allein  das  ist  nicht  richtig.  Baudouin  de  Courtenay  kann  sich  dann 
freilich  das  a  in  farf  nicht  recht  erklären  (1.  c.  S.  120). 

Kasubisch. 

"Wo  die  anderen  slavischen  Sprachen  im  Anlaute  ra-.  la-  haben. 
da  finden  wir  es  auch  im  Kasubischen :  iaknoc  »hungern«,  lahoemy 
(poln.  laknqc^  lacznqc,  lacnqc  «hungern (f,  lakomy  «lecker,  gierig(f. 
nsorb.  hicmj  »hungrig«,  obsorb.  lacnij). 

In  der  zweiten  Reihe  von  Worten  ist  auch  hier  rc-,  lo-:  kas.rosc, 
rostq  »wachsen«  (poln.ro6'c,  rüsc^  osorb.  nsorb, ro5c,  rostu  »wachsen«); 
kas,  rözny  »verschieden«  (poln.  rözny,  osorb,  rözno  »aus  einander«); 
kas.  rohic,  rohoefa  (poln.  rob,  nsorb.  rohis,  osorb.  i'ohota);  kas.  ioni 
»im  vorigen  Jahre«  (poln.  loni^  nsorb.  Ioni,  osorb.  ioni  und  Ioni). 

Ursprüngliches  folf  wurde  zu  tlof:  kas.  gfova  »Kopf,  Haupt« 
{poln. nsorb.  ghica^  osorb.  Moica).  Auf  kasubischem  Boden  entwickeln 
sich  hier  noch  weitere  Eigenthümlichkeiten:  giod,  glode  »Hunger« 
(Ramutt),  daneben  auch  glöut,  glüoda  (Mikkola)  (poln.  ghkl,  glodu. 
usoTh.  giod,  osorb.  hiöd);  kas.  kfoda  (R.j,  klüoda  (M.^  [\io\n.  kioda 
»Klotz«,  nsorb, Ä^oc/a  »Stock«,  >t^0(/ »Brückenholz«,  oaovh.  klöda,  kioda 
»Balken,  Stock«);  ka.s.  klos  »Aehre«  (R.j,  neben  kluosa  (M.Gen.?, 
(poln.  nsorb.  Ä7o6',  oaorh.  kfös,  klosa);  kas.  miot  »grosser  Hammer«  (R.), 
mluotk  (M.)  (poln,  miot)\  kas.  mlouci  »er  drischt«  (M.)  (poln.  mUcic 
»dreschen«,  nsorb.  jnfosis,  osorb.  mlöcic). 


202  W.  Vondräk, 

Te7't  wird  zu  tret  [ff et)  und  dieses  lautet  häufig  zu  frod  um  :  przed, 
poln.  jJ^zod,  nsorb.  predny,  preny,  osorb.  preny;  kas.  sfrzoda  »Mitte«, 
strzeni  » mittlerer «,  poln.  irzoda^  h'zedni,  nsorb.  sredmj,  osorb.  sreda^ 
srodlici. 

Dieselbe  Erscheinung  bemerken  wir  bei  telt^  das  neben  tief  auch 
zu  tlot  werden  kann ;  letzteres  wird  dann  mitunter  so  behandelt  wie 
das  tlof  aus  folt,  woraus  man  ersehen  kann,  dass  es  sich  hier  um  ver- 
hältnissmässig  spätere  lautliche  Vorgänge  handelt:  kas.  vlec,  cloka^ 
poln.  iclec^  wieke  [wloke],  nsorb.  {w)lac^  osorb.  wiec,  wlekw,  kas,  mle-^ 
koe  (R.),  daneben  mlouko  (M.  vgl.  oben  glout  neben  glod\  ^^oXw.  mleko 
[mleko]^  nsorb.  osorb.  mloko\  kas.  plüovli  »Spreu«  (M.),  vgl.  oben 
klüoda  neben  kloda,  i^o\n.  pleiva^  plewy,  nBorh.  plowy,  osorh.  pluwy; 
kas.  cion,  clonk  (R.),  hldnk  (Bronisch)  »Glied«,  poln.  cz}on^  czlonek, 
nsorb.  clonk,  osorb.  clönk\  kas.  plon  »Beute,  Raube,  poln.  jaZow;  kas. 
zlöp,  zloha  (Br.),  zlöh,  zlohu  (R.),  poln.  2^dÄ,  zinhu,  osorb. nsorb.  Hol; 
kdik.mldc  (Br.),  mlec^  mjelq{K.),  poln.w/ec,  miele  [miole,  mele),  nsorb. 
mlaSj  osorb.  mlec;  kas.  plöc  »jätenc,  altpoln.  plec,  plewe,  neu  plec. 
piele  etc.,  nsorb.  plas,  pUju  (od.  -Jörn),  osorb.  pJec,  pUju. 

Merkwürdig  ist  wieder  das  Resultat  bei  iort.  Bis  jetzt  haben  wir 
im  Kasubischen  überall  die  Metathese  ohne  ursprüngliche  Dehnung  be- 
obachtet; es  ist  also  analog  wie  im  Polnischen.  Dementsprechend  er- 
warten wir  bei  fort  die  Gruppe  trof.  Das  findet  sich  wirklich  und  zwar 
haben  wir  Worte,  die  ausschliesslich  diese  Gruppe  aufweisen,  wie  hrög. 
droga,  drodzi,  groch,  krok,  kröl  etc.  (nach  der  Zusammenstellung  vou 
Baudouin  de  Courtenay,  auch  bei  Torbiörnsson  S.  18).  Daneben  hat 
aber  Baudouin  de  Courtenay  mehr  als  30  Worte  mit  tari,  torf  zusammen- 
gestellt, denen  allerdings  in  den  meisten  Fällen  Nebenformen  mit  trot 
zur  Seite  stehen,  z.  B.  j^arg  (Mikkola  pörk)  neben  präg,  poln.  /jroy, 
nsorb.  jt>roy,  obsorb.  ^roÄ  »Schwelle«;  kak.  gard  m.,  garda  i.,  poln. 
grod,  nsorb.  grod,  obsorb.  hrod;  in  Westpreussen  ist  gröd  vorherr- 
schend, in  den  Ortsnamen  haben  wir  nur  -gard,  -garda  (Ramult  unter 
gard).  Ramuit  hat  nun  die  Gruppe  tart  als  einen  der  charakteristisch- 
sten Züge  des  Kasubischen  hervorgehoben  (Siownik  S.  XXXVI) ;  er 
meint,  dass  sie  einst  zweifellos  im  ganzen  Pommern  allgemein  gewesen 
sei.  Und  so  war  man  geneigt  anzunehmen,  dass  die  jetzt  neben  dem 
tart  die  Gruppe  trot  aufweisenden  Wörter  polnische  Lehnwörter  wären, 
die  das  Kasubische  freilich  dann  in  grosser  Menge  aufgenommen  hätte. 
und  welche  sogar  sehr  häufig  die  einheimischen  Wörter  verdrängt  hätten 


Zur  Liquidametathese  im  Sluvischen.  2U3 

vgl.  Baudouiu  de  Coiirtenay,  Zürn.  IS'JT,  Maiheft,  8.  113  —  120).  Da- 
für entscheidet  sich  auch  Torbiörnsson  (S.  19).  Ja  er  meint,  von  seinem 
Standpunkte  aus  lasse  sich  die  nähere  Verwandtschaft  der  beiden  Spra- 
chen, nämlich  des  Kainbischen  und  des  Polabischen,  mit  noch  triftigeren 
Gründen  vertheidigen.  Polabisch  und  Kasubisch  wären  in  Bezug  auf 
die  hier  in  Frage  stellenden  Lnutverbiudungen  eine  Strecke  lang  mit- 
einander gegangen.  Den  beiden  Sprachen  wäre  nämlich  die  zweite 
Metathese  *grod^  gord  (polab.),  ga7-d  (kas.)  gemeinsam.  In  beiden 
Sprachen  wären  die  drei  anderen  Verbindungen  (er,  ol^  el)  keiner  aber- 
maligen Metathese  unterworfen  worden.  Es  liege  auf  der  Hand,  dass 
polab.  gord  und  kas.  gard  sich  nicht  unabhängig  von  einander  haben 
entwickeln  können.  Als  die  zweite  Metathese  [*grody  go7-d,  gard 
durchgeführt  wurde,  müssen  die  beiden  Sprachen  geographisch  und 
historisch  mit  einander  in  solcher  Verbindung  gestanden  haben,  dass 
gemeinsame  Lautgesetze  über  das  ganze  Gebiet  durchgeführt  werden 
konnten,  und  auch  thatsächlich  durchgeführt  worden  wären,  wie  die 
genannte  zweite  Metathese  [*gi'od  )  gord^  ga^'^i,  und  wahrscheinlich 
viele  andere.  Diese  Ansicht  halte  ich  nicht  für  richtig.  Torbiörnsson 
geht  hier  offenbar  von  der  irrthümlichen  Voraussetzung  Baudouin's  aus. 
das?  im  Polabischen  einfach  die  Metathese  ohne  Dehnung  stattfand  (ab- 
gesehen von  tort)  wie  im  Kasubisehen,  allein  das  ist,  wie  wir  oben  sahen, 
nicht  richtig.  Im  Polabischen  wurde  gedehnt,  im  Kasubisehen  nicht. 
Schon  das  mahnt  zur  Vorsicht,  wenn  man  das  Kasubische  dem  Polabi- 
schen näher  als  dem  Polnischen  stellen  wollte.  Wenn  nun  im  Kasubi- 
sehen in  allen  übrigen  Fällen  die  Metathese  einfach  ohne  Dehnung  auf- 
trat und  zwar  ausschliesslich  'also  wie  im  Polnischen),  bei  fort  zwar 
auch,  aber  mit  Nebenformen,  so  folgt  für  mich  daraus,  dass  nur  trot 
dem  Kasubisehen  eigentlich  angehört.  Ein  fart  können  wir  hier  bei 
solchen  Merkmalen  unmöglich  erwarten.  Das  setzt  ja  die  Dehnung  des 
0  in  tort  voraus,  die  wir  sonst  in  unseren  Fällen  im  Kasubisehen  nir- 
gends bemerken.  Wir  kommen  auch  nicht  weiter  mit  der  Annahme, 
tart^  tort  hätte  sich  aus  einem  trt  entwickelt,  das  wieder  ein  Resultat 
von  urspr.  tort  wäre  (woran  man  ja  schliesslich  auch  denken  könnte), 
denn  es  lässt  sich  kein  plausibler  Grund  für  eine  derartige  Schwächung 
des  0  finden  (nebstbei  wäre  ja  die  Behandlung  nicht  gleichniässig  mit 
jener  von  *thrt  und  V«;/",  z.  B.  in  cvjardi  .  Wenn  wir  im  Polabischen 
ein  tort  [tart]  fanden,  sonst  aber  —  bis  auf  einen  einzigen  Fall  —  kein 
trot^  so  Hess  sich  dort  dafür  ein  halbwegs  plausibler  Grund  finden,  der 


204  W.  Vondräk, 

hier  im  Kasubischen  bei  Vorbandensein  von  Nebenformen  mit  trot  aus- 
geschlossen ist.  Ich  glaube  demnach  —  ähnlich  hat  sich  übrigens  auch 
Jagic  ausgesprochen  Archiv  XX,  S.  42  — ,  dass  den  Kasuben  nur  die 
Formen  mit  frot  zukommen,  dass  aber  ein  dem  Polabischen  verwandter 
Dialekt  angrenzte,  dem  das  tart^  fort  zuzuschreiben  ist.  Das  tart  ent- 
sprach dem  polabischen  fort  und  geht  auf  ein  gedehntes  fort  zurück. 
Da  es  aber  ein  Grenzdialekt  war,  so  machten  sich  schon  in  demselben 
auch  Formen  ohne  Dehnung  geltend  (die  ja  auch  ausschliesslich  dem 
Kasubischen  und  Polnischen  zukommen),  und  der  Reflex  derselben  ist 
das  fo7't.  Es  ist  übrigens  auch  möglich,  dass  in  vielen  Fällen  fort  eine 
Compromissform  aus  farf  und  dem  kasubischen  torf  ist.  Da  dem  Kasu- 
bischen eigentlich  nur  die  Formen  mit  trot  zukommen,  so  finden  wir  es 
nicht  befremdend,  wenn  es  pommersche  Namen  schon  aus  dem  VIII. — 
IX.  Jahrh.  mit  trot  aus  tort  gibt. 

Auf  Grund  dieser  so  wichtigen  Merkmale  glaube  ich  auch,  dass 
das  Kasubische  zu  dem  Polnischen  in  engerer  Verwandtschaft  steht  als 
zum  Polabischen,  eine  Ansicht,  die  in  letzterer  Zeit  vielfach  bekämpft 
wurde,  so  insbesondere  von  Ramuit  (Siownik  jezyka  pomorskiego  czyli 
kaszubskiego.  Krakau  1893)  und  Baudouin  de  Courtenay  (»Kasubskij 
jazyk,  kasubskij  narod  i  kasubskij  vopros«  in  Zürn.  min.  nar.  prosv. 
1897,  Aprilheft  S.  306—357  und  Maiheft  S.  83—127).  Letzterer  gab 
zwar  zu,  dass  das  Kasubische  in  vielfacher  Hinsicht  »plus  polonais  que 
le  polonais  meme«  ist,  glaubte  aber  dennoch  mehr  für  die  Ramult'sche 
Ansicht  eintreten  zu  müssen.  Dagegen  war  G.  Bronisch:  ihm  war  es  im 
Gegensatz  zu  Ramult's  Ansicht  nicht  zweifelhaft,  dass  Kasubisch  (Pom- 
mersch,  Polabisch)  und  Polnisch  zusammengehören,  da  ihre  beider- 
seitigen Lauterscheinungen  auf  einen  Sprachzustand  zurückführen,  der 
ihnen  gemeinsam  ist  und  sich  gegen  die  übrigen  westslavischen  Spra- 
chen als  Besonderheit  abhebt.  Die  Schleicher'sche  Anschauung  von 
Ost-  und  Westlechisch  trefte  das  Richtige  (Archiv  XVIII,  S.  322).  Auch 
Brückner  will  das  Kasubische  als  blossen  Dialekt  des  Polnischen  auf- 
fassen (Archiv  XXI,  S.  62 — 78).  Er  findet,  alles  was  das  Polnische 
eben  zum  Polnischen  gemacht  hat,  wiederhole  sich  ebenso  im  Kasubi- 
schen, sogar  so  späte  Erscheinungen,  wie  die  sog.  Erweichung  der  Den- 
talen, der  Wandel  von  ie  und  lo  oder  von  ia,  ie^  oder  der  Wandel  von 
t^rt  zu  tai'tj  z.  B.  kar^k^  was  sonst  nur  im  Polnischen  vorkomme.  Oder 
die  Entwickelung  des  «  [an]  aus  o  {o?i),  also  gas  {(/ans)  aus  ggs^  wie 
im  Polnischen  noch  des .  XV.  Jahrh.  und  dialektisch  noch  heute,   dann 


Zur  Liquidametathese  im  Slavischen.  205 

mqz-mdza,    icurzqd-icurzqde  wie  polnisch   maz-meza^   urzqd-urzcdu 
(vgl.  S.  63). 

Ferner  bemerkt  Brückner  (S.  64),  das  Kasubische  nehme  jedoch 
an  noch  späteren  Erscheinungen  des  Polnischen  Theil,  z.  B.  an  der 
Brechung  des  i  (y)  vor  r  zu  ie  [c],  die  im  Polnischen  im  XIV.  Jahrh.  be- 
gonnen hat  (in  einigen  wenigen  Fällen  und  erst  im  XVI.  Jahrh.  ab- 
schloss,  der  Kasube  habe  somit  genau  wie  der  Pole  serp  [sierp)  für 
älteres  airzp,  serzcJd  und  serzchla  (poln.  sierchl)  für  älteres  sirzcJil, 
nerota  [sierota]  für  sirota,  ser^ce  für  sirce,  rozbierac  für  rozbirac^  roz- 
dzerac  für  rozdzirac^  icemierac  für  icymirad ,  icierzch  für  tvirzch^ 
cerpier  und  cerzpiec  für  cirzpicc^  cerii  und  cerznie  für  cirznie  u.  s.  w. 

Sorbisch. 

Das  Niedersorbische  schliesst  sich  hinsichtlich  unserer  Gruppen  im 
Allgemeinen  an  das  Polnische  an :  es  kommt  hier  also  Metathese  vor 
ohne  Dehnung  des  Vocals.  Das  gilt  auch  vom  Obersorbischen,  aber  in 
einigen  Fällen  weicht  es  ab.  Diese  Abweichungen  sind  jedoch  das  Re- 
sultat einer  späteren  selbständigen  Entwickelung,  so  dass  die  Anfangs- 
glieder trotzdem  dieselben  sind.  Osorb.  nsorb.  radio  »Pflug«:  osorb. 
iacny^  nsorb.  lacny  »hungrig«;  osorb.  robofa  »Frohndienst«,  nsorb. 
robis  »arbeiten«. 

Hinsichtlich  des  Obersorbischen  hat  nun  Fortunatov  constatirt, 
dass  es  mit  dem  Böhmischen  theilweise  übereinstimme  (Archiv  IV, 
S.  575  —  576).  Er  hat  nämlich  in  den  fallend  betonten  Silben  o  [trot] 
nnAj'e^j'o  {frjef,  frjof),  in  den  steigend  betonten  6  [trot  und  w  vor  w. 
truw)  und  e  [tret] :  zloto,  brj'o/i,  drjewo^  crjexco  gegen  blöto^  toröna^ 
huwa^  breza^  bremj'a.  Uebrigens  dürfe  man  nicht  ausser  Acht  lassen 
—  bemerkt  weiter  Fortunatov  —  dass  das  obersorbische  6  vor  gewissen 
Consonanten,  wie  vor  Gutturalen,  nicht  eintrete,  weswegen  auch  keine 
volle  Uebereinstimmung  stattfinde,  osorb.  droha^  sloma  (st.  dröha, 
slöma)  gegenüber  dem  böhm.  dräha^  släma,  russ.  doröga^  salöma.  In- 
sofern es  sich  um  die  Quantitäten  handelt,  wird  man  ja  zugeben  müssen, 
dass  hier  eine  theilweise  Uebereinstimmung  stattfindet,  aber  eine  Ueber- 
I  einstimmung  hinsichtlich  der  alten  Dehnungen  besteht  hier  nicht,  indem 
im  Obersorbischen  der  ursprüngliche  Vocal  bleibt,  denn  man  muss  auch 
das  e  hier  als  eine  graphische  Varietät  wie  das  6  auffassen  (vgl. Mucke. 
iHist.  u.  vgl.  Laut-  und  Formenlehre   der   nsorb.  Spr.  §  43  Anm.,  es 


206 


W.  Vondräk, 


handelt  sich  um  eine  Verengung  des  e] .  Mit  einem  etymologischen  e 
haben  wir  es  hier  eigentlich  nicht  zu  thun.  Daher  bemerken  wir  auch 
hier  nicht  selten  den  Umlaut  zu  o,  wie  im  Polnischen  und  Niedersorbi- 
schen.   Als  Beispiele  mögen  dienen : 

Für  tert: 

osorb.  hrjoh^  nsorb.  hrjocj^  poln.  brzeg^     altböhm,  hreg^  hreh 

»      drjeico        -»      drjoico  »      drzewö  >         drevo 

»      preki          »      prjehi^  böhm.  pHky 

Für  telt: 
osorb.  mloko,    nsorb.  mtoko^    poln.  mleJco^    russ.  molokö 


zlob 


ziob 


':iob 


elob 


Für  tort : 
osorb.  krötki^    nsorb.  krofki,    poln.  kröfki 
»      proh  »      2^^'^9  '^     2^^'^9 

Für  foU: 
osorb.  hiowa,    nsorb.  gioioa,     poln.  giowa,    russ.  golovä. 

Nun  kommt  aber  noch  eine  andere  Eigenthümliehkeit  des  Sorbi- 
schen in  Betracht.  Bekanntlich  wird  hier  das  r  in  den  ursprünglichen 
Verbindungen  h\  pr^  tr  zu  einem  i-Laute.  Am  weitesten  ging  dieser 
Prozess  im  Niedersorbischen,  wo  er  sich  nicht  bloss  auf  gewisse  nach- 
folgende Vocale  beschränkt  wie  im  Obersorbischen,  wo  dieser  Laut- 
wandel nur  vor  palatalen  Vocalen  bemerkt  wird.  Im  letzteren  Falle 
haben  wir  im  Nsorb.  einen  .v-Laut,  im  Obersorb.  ein  i,  sonst  im  Nsorb. 
ein  6. 

So  wird  vor  palatalen  Vocalen  kr^  pr^  tr 

im  Obersorbischen    zu  ^-6^  ps^  fs  (geschrieben  ki;  pr,  tr) 
»  Niedetsorbischen  -    ks.  ps^  ts, 
z.  B.  nsorb./?*'/,  osorb.  pri  ))bei«;  nsorb.  th\  osorb.  tri  «drei«;  nsorb. 
piesiwo,  o&orh.  pr  ecke  0  »gegen«. 

osorb.  kraj  »Land» 

krocic  »schreiten« 
jutro  )) morgen« 


Dagegen  aber  nsorb.  khaj^ 
»       ksocyk 
»      jutso 
»      /JÄatfy 
» '     psosys 


praivy  »recht« 
prosyc  »bitten«. 


Zur  Liquidametathose  im  Slavischen.  207 

Ist  aber  das  ;•  in  h\  pr^  fr  nicht  ursprünglich,  so  bleibt  das  ;• . 
triu  trjoss  aksl.  tbrct,  tbreki.  Ist  das  kr^  pf\  fr  durch  Metathese  entstan- 
den, so  bleibt  auch  hier  ;•,  sowohl  im  Osorb.  als  auch  im  Nsorb. ;  man 
vgl.  oben  prcki,  prj'e/ii,  pro/t  etc.  (eine  Ausnahme  bildet  nur  im  Osorb. 
pre,  pred,  prez,  im  Nsorb.  p^e,  pied,  pscz). 

Da  nun,  wie  Mucke  meint,  der  Uebergang  von  ;•  in  .s-Laut  nicht 
vor  ungefähr  1300  eingetreten  sein  kann,  wie  die  um  jene  Zeit  fixirten 
deutschen  Formen  der  sorbischen  Ortsnamen  bezeugen,  z.  B.  Krimnifz- 
Kilmice,  so  stellt  Torbiörnsson  die  Frage  auf,  wie  sich  um  diese  Zeit 
und  vor  derselben  die  Gruppen  mit  ursprünglichem  kro,  pro,  fro 
vo;i  denen  mit  urspr.  /,or,  por,  for  unterschieden  und  kommt  zu  dem 
Schlnsse,  dass  die  Diflferenz  nur  wieder  in  kr,  pr,  fr  und  ki\  pr,  fr 
bestehen  konnte. 

Allein  auch  das  kann  nicht  richtig  sein.  Veranlasst  wurde  dieser 
Uebergang  des  ;•  in  *•  i  ofl'enbar  durch  das  k,  p,  f,  welches  dem  r 
eine  specifische  Färbung  verlieh.  Dann  wäre  aber  nicht  einzusehen, 
warum  dies  nicht  auch  bei  einem  nach  Torbiörnsson  als  urslavisch  an- 
gesetzten kr,  fr,  pr  eingetreten  sei.  Der  Grund  wird  offenbar  der  sein, 
dass  das  r  in  kr,  pr,  fr  schon  längst  eine  durch  den  stummen  Conso- 
nanten  veranlasste  nüancirte  Aussprache  hatte  '),  als  das  r  mit  dem  f  in 
der  aus  forf  entstandenen  Gruppe  frof  in  Verbindung  trat.  Diese  spe- 
cifische Aussprache  des  ;•  führte  dann  zu  s  (.y),  während  das  r  in  frof 
aus  forf  blieb.  So  nahm  ja  auch  schon  Leskien  an  (Archiv  III,  S.  94). 
Es  ist  begreiflich,  dass  dieser  Process  dann  auch  über  die  ursprüng- 
lichen Grenzen  hinaus  wirken  konnte,  so  dass  die  oben  erwähnten  Aus- 
nahmen pse,  psed,  psez  entstanden,  zumal  es  von  Haus  aus  schon  ein 
psi  gab.  Es  ist  auch  erklärlich,  warum  die  zuletzt  erwähnten  Formen 
nicht  allgemein  sind:  in  einzelnen  nsorb.  Ortschaften  findet  sich  prjed 
st.  psed  und  prjez  bzw.  prez  (in  Horno)  neben  psez  und  zu  prje  die 
bemerkenswertbe  Form  prja. 

Gebauer  vergleicht  mit  dieser  Erscheinung  den  sporadischen  Ueber- 


V  Aus  einem  r  konnte  natürlich  nicht  direct  ein  s,  s  werden;  wahr- 
scheinlich gab  es  hier  mehr  als  eine  Mittelstufe.  Eine  solche  könnte  vielleicht 
bei  Jukubica  (lö4S,  durch  Schreibungen  wie  })rczijschla  etwa  =  i^  r]sisia, 
nutrschayschego,  d.  i.  nut[r]sajsego  angedeutet  sein,  wenn  sich  bei  ihm  nicht 
Spuren  einer  Beeinflussung  von  der  böhmischen  Orthographie  zeigen  würden 
(vgl.  Leskien.  Archiv  I.  S.  16S  . 


208  W.  Vondräk, 

gang-  des  fr^  pr^  kr  und  ehr  in  fr^  pr,  kr  und  ehr  im  Altböhmischen 
(Hist.  ml.  j.  e.  I,  S.  346),  z.  B.  prdzdniti  »vacare«.  Allein  im  Altböh- 
mischen werden  es  wohl  auch  noch  andere  Ursachen  gewesen  sein,  die 
diesen  Uebergang  herbeiführten,  so  z.  B.  in  przo  hrzyeehy  Pass.  Klem. 
200a,  przostrzijed  ib.  263a,  przostrzyedku  ib.  214b  sehen  wir,  dass 
wolil  das  r  der  nächsten  Silbe  massgebend  war;  in  prec  neben  ptrec 
war  es  wohl  das  c  u.  s.  w.  (vgl.  Verf.  Aksl.  Gramm.  S.  369).  Immer- 
hin mögen  aber  selbst  im  Altböhmischen  einige  Fälle  vorhanden  sein, 
in  denen  das  /'•  durch  den  vorhergehenden  Consonanten  hervorgerufen 
worden  ist,  so  in  chrtän  und  krtän  neben  chrtcm^  ehrupati  neben 
chrupati  u.  ähnl. 

Russisch. 

Hier  dreht  sich  die  Frage  zunächst  darum,  ob  in  görod^  völok  etc. 
das  erste  oder  das  zweite  o  secundär  ist.  H.  Torbiörnsson  meint,  dass 
das  erste  secundär  ist,  weil  sonst  z.B.*orvhm  auch  analog  ein  *orovnyj 
hätte  ergeben  müssen,  wenn  görod  aus  gord  direct  entstanden  wäre. 
Wir  haben  oben  mit  Fortunatov  das  orvhm  schon  im  Urslavischen  in 
ronhnxjj  übergehen  lassen  und  auch  den  Grund  angegeben,  weshalb 
hier  diese  Gruppe  zuerst  in  Augriff  genommen  worden  ist.  Für  die  ür- 
sprünglichkeit  des  ersten  o  in  görod  u.  ähnl.  sprechen  mehrere  Gründe. 
Vor  allem  ist  es  die  Bewahrung  der  Stellung  des  r,  l  in  den  Gruppen 
'^thrt^  ^Uri^  "^thlt,  *toIf,  wie  schon  oben  erwähnt  wurde.  Ferner 
sprechen  dafür  die  russischen  Lehnwörter  im  Finnischen,  wo  sie  ar,  al 
etc.  haben.  Sie  sind,  wie  Mikkola  (Berührungen  zwischen  den  west- 
finnischen und  slavischen  Sprachen,  S.  43  ff.)  richtig  bemerkt,  zu  einer 
Zeit  aufgenommen  worden,  als  der  russische  svarabhaktische  Vocal 
nach  r,  l  noch  nicht  entstanden  ist,  z.  B.  palttina  =  r.  polotnö,  talk- 
kima  =  r.  toloknö^  vürtülnä  =  r.  veretenö.  Dann  kommt  auch  in 
Betracht  der  sog.  secundäre  Volllaut,  der  dialektisch  im  Russischen 
vorkommt,  z.  B.  verech  neben  verch.  Joh.  Schmidt  hat  auf  einige  let- 
tische Dialektformen  wie  gaPva  =  lett.  galva  aufmerksam  gemacht. 
Sie  würden  auch  den  lautlichen  Prozess  im  Russischen  illustriren.  Man 
beachte  auch  irahe  =^  irbe  «Haselhuhn«,  ilagi  =^  ifgi  »lange«  aus 
der  Sprache  der  preussischen  Letten. 

Weiter  sind  es  die  russischen  Worte  wie  zeloh,  selöm  u.s.w.  Man 
kann  hier  entweder  von  *zelb  direkt  ausgehen  oder  dieses  erst  zu  *zolb 
werden  lassen.    Im  Sinne  der  Torbiörnsson'schen  Hypothese  entsteht 


Zur  Liquidametathese  im  Slavischen.  209 

aus  dem  ersten  *z/ej,  aus  dem  zweiten  zlob.  *Zleb  könnte  nun  nur  zu 
*zeleh  führen,  nicht  aber  zu  zelob,  denn  das  zweite  o  bliebe  sonst  un- 
erklärt. Von  einem  *zelö  können  wir  demnach  direkt  nach  der  Tor- 
biörnsson'schen  Hypothese  nicht  ausgehen.  Gehen  wir  aber  von  zolb 
aus,  das  zu  zlob  werden  sollte,  so  müsste  das  letztere  zolob  ergeben. 
Das  erste  o  müsste  ja  hier  nach  einem  ~  ebenso  möglich  sein  wie  in 
dem  angesetzten  *zolb.  Bei  dieser  Annahme  können  wir  uns  also  das 
e  von  zelob  [zelob)  nicht  erklären.  Es  geht  demnach  nicht,  wir  können 
auch  ein  zolb  aus  zelb^  um  der  Torbiörnsson'schen  Hypothese  gerecht 
zu  werden,  nicht  ansetzen.  Gegen  ein  zolb  sprechen  übrigens  auch  die 
Formen  wie  zelc^  zeltia,  zelmyj  gegen  molcamh,  volk^  soluce  u.  s.  w. 
Die  Torbiörnsson'sche  Hypothese  stösst  hier  demnach  auf  unüberwind- 
liche Schwierigkeiten.  Gehen  wir  dagegen  von  der  Ansicht  aus,  dass 
der  erste  Vocal  im  Russischen  der  ursprüngliche  ist,  so  entfallen  diese 
Schwierigkeiten.  Ein  melko  lautete  zunächst  wegen  des  harten  l  zu 
*molko  um  und  dieses  ergab  nach  dem  früheren  moloko.  Ein  *zelb 
dagegen  konnte  wegen  der  Weichheit  des  z  nicht  zu  *zolb  umlauten, 
aber  nach  dem  harten  /  entwickelte  sich  wie  in  den  anderen  Fällen  ein 
svarabhaktisches  o  [^)  und  so  erhalten  wir  zelob  [zelob).  War  aber  nach 
dem  /  ein  Laut,  der  ein  o  [^)  nicht  vertrug,  so  entstand  auch  hier  ein  e : 
selezenka,  vgl.  aksl.  slezena.  So  konnte  auf  Grund  eines  Dat.  Loc.  Sg. 
*zelze  ein  zeleze  und  dazu  ein  zeleza  entstehen,  auf  Grund  der  anderen 
Casus  dagegen  zelza^  zelza  etc.  ein  zeloza. 

Aus  dem  Klein  russischen  muss  hier  auch  eine  Erscheinung 
zur  Sprache  kommen :  es  ist  der  Uebergang  des  o  zu  i  in  geschlossenen 
Silben,  ein  lautlicher  Prozess,  der  durch  die  Labialisation  des  ö  zu  er- 
klären ist.  Diesem  Prozesse  steht  dann  auch  der  Uebergang  des  e  in  i 
infolge  der  Palatalisation  zur  Seite.  Da  sich  der  Prozess  nur  auf  ein 
ursprüngliches  o  erstreckt  und  da  die  Gruppen  o;Y,  olt  schon  im  Ur- 
slavischen zu  rof^  lot  wurden,  so  erwarten  wir  auch  in  diesen  Silben, 
falls  sie  geschlossen  werden,  das  /.  Das  finden  wir  nun  auch  thatsäch- 
lich  in  einer  ganzen  Reihe  von  Fällen.  z.B.  lökotb,  liktja\  rozen-riznä: 
riljä-rilnyj\  rist-rostu\  rwmjj\  vse  rimio;  riznyj\  rizno.  In  loch, 
lödka  erwarten  wir  auch  t",  doch  kommt  es  hier  nicht  vor,  daher  fasste 
man  das  Wort  als  ein  grossrussisches  Lehnwort  auf  (das  einheimische 
Wort  wäre  eher  coven,  covnä  =  r.  ce/?«),  und  so  gibt  es  noch  einige 
andere  Abweichungen  in  dieser  Hinsicht,  aber  die  Thatsache  steht  fest, 
dass  eine  ganze  Reihe  von  Fällen  mit  dem  o  in  dieser  Stellung  wirklich 

Archiv  für  slavische  Philologie.    XXV.  14 


210  W.  Vondräk, 

einen  Uebergang  in  i  aufweist,  was  eben  mit  unsere!"  Hypothese  in  voll- 
kommener Uebereinstimmung  steht. 

In  to7'ot^  folof  kann  natürlich  das  zweite  o,  wenn  es  auch  in  ge- 
schlossener Silbe  steht  (z.  B.  in  horod^  volok)  nicht  in  /  übergehen, 
denn  es  ist  secundär  und  geht  vielleicht  auf  ein  ^  zurück. 

Torbiörnsson,  der  wieder  auch  hier  von  seinem  gi'od  ausgehen 
muss,  meint,  in  dieser  Gruppe  wäre  o  wegen  der  Verbindung  ro  nicht 
gedehnt  worden  (die  Labialisation  des  o  setzt  zuerst  seine  Dehnung 
voraus).  Zu  Gunsten  seiner  Hypothese  spricht  hier  eigentlich  nichts,  da 
alle  diese  Erscheinungen  im  Kleinrussischen  mit  unserer  Hpothese  eben- 
sogut, wenn  nicht  besser,  in  Einklang  gebracht  werden  können. 

Hier  beim  Russischen  kann  noch  eine  Erscheinung  besprochen 
werden,  die  eigentlich  das  Slavische  überhaupt  betrifft :  es  handelt  sich 
um  die  Gruppen  «r,  sti\  Das  russ.  storoz,  sterec  [stei'egü)  soll  nach 
Torbiörnsson  ganz  lautgesetzlich  gebildet  sein,  indem  ein  urslavisches 
sr  mit  einem  ursprachlichen  s  zu  str  führte.  In  seredä^  soröga^  soröka, 
soröm  etc.  hätten  wir  kein  f,  weil  es  sich  um  die  ursprüngliche  Laut- 
verbindung sr  mit  einem  s  aus  k  handle.  Das  dem  k  entsprechende  s 
wäre  demnach  damals  vom  ursprachlichen  s  noch  verschieden  gewesen. 

Nun  müsste  ein  solches  dem  k  entsprechendes  s  gewiss  schon  im 
Urslavischen  mit  s  zusammengefallen  sein,  wie  uns  osfr%  aller  slavischen 
Sprachen  zeigt.  Da  nun  ein  sr  mit  einem  s  aus  k  nach  Torbiörnsson  j 
ins  ürslavische  zu  versetzen  ist,  so  müsste  auch  dieses  s  mit  dem  ur- 
sprachlichen noch  vor  der  Diflferenzirung  der  einzelnen  slav.  Sprachen 
zusammenfallen  (wie  wir  es  bei  osfr^  gesehen  haben).  Wir  müssen  uns 
aber  dann  fragen,  warum  hier  kein  str?  Warum  also  kein  *stereda7 

Zwischen  Anlaut  und  Inlaut  wird  ja  bei  sr  kein  Unterschied  ge- 
macht (vgl.  striija  und  sestra).    Man  bemerke  noch  weiter,  zu  welchen 
verzweifelten  Auswegen  Torbiörnsson ,    der  unter  anderem  Mikkola's  ^ 
Erklärung  der  Worte  störoz^  srogi  etc.  (IF.  VI,  S.  349)  als  sehr  ver- 
künstelt hinstellt  (S.  29),    seine  Zuflucht  nehmen  muss  S.  30  Anm.  3: 
r.  strögij\  slov.  strog^  kr.  sfrog  könnte  zu  d.  strack  gezogen  werden. 
Die  enge  Verbreitung  des  Wortes  errege  aber  Bedenken,  weshalb  für 
das  slov.  kr.  Wort  vielleicht  mit  Maretic  Rad  CVIII  95  Entlehnung  aus 
dem  Russischen,  für  das  Russ.  aber  mit  Miklosich  EW.  S,  293  Entleh-i 
nung  aus  dem  poln.  srogi  anzunehmen  sei  (!).    Ist  das  nicht  erst  rechti 
verkünstelt?    Bei  der  Erklärung  der  Worte,  um  die  es  sich  hier  han-| 
delt,  wird  man  wohl  ohne  Annahme  von  Contaminationsbildungen  kaum 


Zur  Liquidaraetathese  im  Slavischen.  211 

an's  Ziel  gelangen  können.    Freilich  ist  es  fraglich,  ob  gerade  Mikkola's 
Etymologien  richtig  sind. 

Bei  der  Annahme,  nur  ein  iirslav.  sr  mit  ursprünglichem  *•  hätte 
sfr  ergeben,  kommt  Torbiörnsson  auch  mit  nsorb.  srjebas,  osorb.  src- 
buc,  slov.  srehat!  und  srebs/i  in  CoUision.  Er  muss  annehmen,  *srebati 
wäre  zu  einem  *,sbrbati  (slov.  srbati)  neu  gebildet,  oder  es  liege  ein 
ursprünglicher  Wechsel  der  Ablautsstufen  *serb  und  *shrb  vor.  Allein 
€S  ist  durchaus  nicht  wahrscheinlich,  wenu  einmal  im  Urslavischen  die 
Lautverbindung  6r  ;hier  nach  Torbiörnsson  sr),  die  doch  unter  allen 
umständen  dann  sfr  ergeben  müsste,  zu  Stande  gekommen  wäre,  dass 
sie  von  einem  später  entstandenen  sr  (aus  *sw)  derart  beeinflusst  wor- 
den wäre  und  ihr  f  wieder  verloren  hätte.  Eher  können  wir  uns  das 
,  Gegentheil  vorstellen:  kam  einmal  ein  6/r  auf,  so  behauptete  es  sich 
I  und  konnte  auch  dort  eindringen,  wo  es  eigentlich  ursprünglich  nicht 
*  berechtigt  war.  So  wird  es  sich  wohl  bei  einigen  Formen  der  Sippe 
sferec,  störoz  etc.  verhalten.  Ein  serb  hat  demnach  nicht  im  Urslav. 
aus  si'eb  ergeben  können  und  es  spricht  auch  diese  Erscheinung  gegen 
Torbiörnsson's  Hypothese.  W.  Vondräh. 

Zusatz.  Vor  diesem  früher  geschriebenen  Artikel  ist  Solmsen's 
Recension  der  Torbiörnsson'schen  Arbeit  in  dieser  Zeitschrift  erschienen 
(Bd.  XXIV.  S.  56S — .579).  Man  wird  es  also  verzeihen,  wenn  hier  das- 
selbe noch  einmal  besprochen  wird,  zumal  es  auch  in  solchen  theoreti- 
schen Fragen  gilt,  »si  duo  faciunt  idem,  non  est  idem«.  Ich  constatire 
nur,  dass  auch  Solmsen  diese  Hypothese  verwirft.  Neben  Anderem  führt 
er  dagegen  die  russ.  Accente :  görod  (aus  *gdrd)  und  goröch  (aus  *gorch] 
an,  denn  die  Urformen  müssten  sonst  (bei  Annahme  der  Bewahrung  der 
Tonbewegung  zu  grodo  und  gYocln,  führen,  woraus  doch  nur  gor  öd  o 
und  göroclio  werden  könnte.  Auch  S.  setzt  bei  ort-,  olt-  eine  frühere 
"  Metathese  voraus  als  bei  -ort-,  -olt-.  Im  russ.  torot,  toJot  ist  auch  ihm 
der  2.  Vocal  secundär.  Es  ergeben  sich  noch  andere  Berührungspunkte 
wie  z.  B.  bezüglich  des  Kleinrussisehen).  Es  ist  nur  zu  bedauern,  dass 
■^  nicht  darauf  eingeht,  warum  tort,  toJf,  fert,  telt  dialektisch  schon  im 
meinslav.  zu  tart,  teilt,  telt,  tert  gedehnt  wurde,  woraus  trat,  tlüt, 
iiL't^  tret  geworden  ist   Fortunatov'sche  Hypothese).  Tf!  V. 


14^ 


212 


Dialektologische  Miscellen  aus  der  Gegend  von  Vrnci 
im  Kruseyacer  Kreise  (in  Serbien). 


Im  Sommer  des  Jahres  1893 
hatte  ich  Gelegenheit  in  der  Um- 
gebung von  Vnici,  im  Kreise  Kru- 
sevac,  mehrere  Orte  zu  besuchen, 
wie:  Jasikovica,  Vrnci,  Vrba,  Po- 
dunavci.  Ohne  systematisch  vor- 
zugehen zeichnete  ich  doch  manche 
Eigenthümlichkeit  in  der  serbi- 
schen Sprache  dieser  Gegend  auf, 
um  sie  später  einmal  wissenschaft- 
lich zu  verwerthen.  Da  seitdem 
mehrere  Jahre  verstrichen  sind. 
ohne  dass  ich  von  Neuem  in  die 
Lage  gekommen  wäre,  demselben 
Gegenstand  meine  Aufmerksam- 
keit zu  schenken,  und  da  ich  voi- 
aussichtlich  auch  in  nächster  Zu- 
kunft kaum  nochmals  mit  dieser 
Frage  mich  befassen  werde,  so  sei  es  mir  gestattet,  das  Wenige,  was  ich 
in  meinen  Notizen  vorfand,  so  fragmentarisch  es  auch  sein  mag,  zm 
Kenntniss  der  Leser  dieses  Fachorgans  zu  bringen. 


^y^^A^-H^^-T^A^ 


I. 

1 .  Die  stärkste  und  charakteristischste  Eigenthümlichkeit  der  serb.l 
Sprache  dieser  Gegend,  die  zuerst  auffällt,  besteht  in  der  Wahrung  der? 
alten  Betonung:  der  moderne  Zug  des  Betonungsübergangs  auf  die 
nächstvorhergehende  Silbe  kommt  hier  nur  bei  der  Ultimabetonung  kur- 
zer Silben  zur  Geltung ;  sonst  bleibt  die  Betonung  überall  auf  ihrer  ur- 
sprünglichen Stelle.  Demgemäss  würde  man  erwarten,  dass  in  den 
Fällen  des  vorgerückten  Accentes  die  Betonung  bei  kurzen  Silben  die 
Gestalt  ',  wie  das  in  den  übrigen  Dialekten  der  Fall  ist,  annehmen  werde. 


Dialektolog.  Miscellen  aus  der  Gegend  von  Vriici  im  Krusevacer  Kreise.  213 

Doch  ist  es  nicht  so.  Der  neu  auftretende  Accent  ist  eben  so  fallend 
wie  ",  höchstens  könnte  man  sagen,  dass  er  etwas  minder  exspiratorisch 
'klingt.  Ich  habe  einen  studirten  Freund  aus  diesen  Gegenden,  der  nicht 
im  Stande  ist  in  den  zweisilbigen  Worten  '  von  "  zu  unterscheiden;  die 
iiim  von  mir  vorgesagten  Beispiele  sprach  er  immer  so  aus,  dass  ich 
mich  überzeugte,  dass  in  seiner  Aussprache  die  betreffenden  Wörter 
immer  fallende  Betonung  hatten,  er  spricht  BOAa  und  Bo^y  ganz  gleich 
aus.  Ich  werde  darum  für  diesen  Accent  die  Bezeichnung  "  anwen- 
den, weil  die  wirkliche  Aussprache  dem  letzteren  näher  steht  als  dem 
Accent  \ 

Ist  die  Silbe,  auf  welche  der  vorgerückte  Accent  fällt,  lang,  so  wird 
(He  Tonerhöhung  kaum  wahrgenommen.  Man  spricht  beinahe  ganz 
gleich  die  erste  Silbe  in  rjiaua  (Nom.  sing.)  und  r.iäße  (Nom.  plur.). 
Diesen  Accent  wollen  wir  darum  durch  '  ausdrücken,  weil  die  Aus- 
sprache desselben,  wenn  sie  auch  nicht  schon  jetzt  so  lautet,  so  doch 
\a/.\\  führt. 

Die  ursprünglichen  Accente  "  und  "  sind  ganz  gleich  der  Geltung 
selben  in  den  übrigen  Dialekten,  mögen  sie  auf  der  ersten  oder  auf 
welch' immer  anderen  Silbe  stehen:  a:iiöa,ceKHpa,  r.iäBÖiba,  npfnia, 
Konäae  u.  s.  w. 

Der  einzige  Ueberrest  einer  kurzen  Ultimabetonung  beschränkt  sich 
lauf  den  Fall,  wo  die  vorausgehende  (vorletzte)  Silbe  laug  und  die  letzte 
kurz  aber  consonantisch  geschlossen  ist,  z.  B.  KäJMiiK,  .läacoB  (auch 
.läacoB),  neTKGM,   noTöuKei«. 

2.  Die  Abweichung  von  der  im  Vuk'schen  Wörterbuch  verzeich- 
neten Betonung  kann  durch  folgende  Beispiele,  die  ich  besonders  auf- 
gezeichnet habe,  illustrirt  werden:  BocaK  (V.  BocaK),  rymxep  (V. 
jrymxep),  jäj^a  (Vuk:  jäj^a),  ÄpB^e  (V.  ApB^e),  SMiij  (V.  snäj), 
'miiTop  (V.  maxop),  KyhHmTe  (V.  KyhfiuiTe);  verbunden  mit  der 
Zurückziehung  auf  die  Ultima:  uaöe  (V.  näöe),  KpneA  (V.  Kpne.t, 
gen.  Kpneita),  cxpmeH  (V.  cTpmAeH,  genit.  cTpmAeHa),  päaöSj 
j  (V.  päsöoj),  JiönoB  (V.  jiönoB;,  öecnocjm^iäp  (V.  ßecnocJiHyäp), 
IJOHifih  (V.  joH^nh).  Alle  zweisilbigen  Worte  auf  ic  zeigen  die  mit 
Quantität  versehene  Ultimabetonung:  öpaTnh  (V.  öpaTnh),  öpycfih 
|(V.  öpycnh),  öp^iiih  (V.  öpunh),  öperuiih  (V.  öpem^nh).  öyTiih 
!(V.  öyTnh),  MaAiih  (V.  Mäybiih),  uneTiih  (V.  UBexnh),  upBnh  (V. 
ji^pBHh),  u,penHh  (V.  upennh)  u.  s.  w.  Mit  der  sonst  üblichen  Zu- 
rückziehung (richtiger  Wahrung  der  alten  Stellung):  BOAenH^ap  (V. 


214  Ljiil).  Stojanovic, 

]3o;(,einniäp),  Eoro.Lyö  (V.  Eoro/'byö  und  Eöro.i.yö),  113  Kpar\- 
jeBij;a  (V.  KparyjeBu;a),  KpäAeBO  (V.  Kpä/beBo),  rja^HOHHina 
(V,  rjiäAHOHHua),  iiapiiOHHUja  (V,  napnonima).  Vergl.  noch  no- 
HHO  (V.  noniio),  Aeciuio  (V.  ;i,ecii;ro),  opTaniiiia  V.  opTauHiia),  i, 
BHÄäKOBHh  (BHAaKOBHii),  öojiOBao  (6()jioBao),  oxKOBiijio  ce  i 
(oTKOBäJio  ce).  Man  spricht  jariLeuiu,e,  japemi],e,  Te.ieume 
für  jiiriLeume,  japemu;e,  Tejieume. 

3.  Folgt  auf  die  betonte  eine  mit  Quantität  (Länge)  versehene 
Silbe,  so  wird  diese  sehr  schwach  gehört,  z.  B. 

bei  zweisilbigen  Wörtern  mit  "  auf  der  ersten  und  der  Quantität 
auf  der  zweiten  Silbe  (Rad.  LIX,  S.  58):  ruBpaH,  06 Sa,  Kopäic, 
MH.TOCT,  pä^ocT  u.  s.  w. ;  eben  so  bei  dreisilbigen  Wörtern  (Rad  LIX, 
S.  60):  njräHAHUiTe,  söopilmTs;  eben  so  bei  den  dreisilbigen  Wör- 
tern mit  der  Quantität  'Länge)  auf  der  Ultima  (Rad  LIX,  S.  61) :  Bo- 
atH^äp,  Be-niiMilp,  KOJiüBpäT,  BHHorpäÄ  U.S.W.  Vergl.  noch 
iirpä.inmTB,  pBajulmTc,  KOHonTbiimTe  u.  s.  w.  und  öpbaHKa, 
i^nriiHKa. 

4.  Vor  der  betonten  Silbe  hört  man  deutlich  die  Quantität  (zu- 
weilen auch  dort,  wo  man  sie  nicht  erwarten  würde),  z.  B.  jiäatoBH 
(.laacÖBH),  KöJirnnja  (V.  KÖMmnja),  Tepsiga  (V.  TepsHJa),  npän- 
THJe  (V.  npaHTHJe),  KpäibeBHHa  (B.  KpaAeBHHa),  p^äKOBHh  (V. 

pJ^aKOBUh),    KÖMmHHHl],a  (V.    KOMUIHHHIi;a),    ÖribHBO  (V.   ÖritHBO  . 

öpäo  (V.  opao)  plur.  öpjiuBH,  ko^  nöAPJMa  (für  ko^  nb^pyMaj. 

5.  Die  Quantität  fällt  mit  der  Betonung  zusammen  in  solchen  Fäl-  ; 
len,  wie:  öoroMOAau,  (V.  öorÖMOTbau),  AoifcoaeMai];  (V.  ^oitöse- 
Mau,),  AOitoeejaii;  (V.  AOftbee.iau;),  HeBaybaüaii;  (V.  HeBaÄ>ajiau), 
CBBTOröpau;  (V.  CBexbropai;)  oder  je3epii,e  (V.  jesepuje),  ÖJia- 
TaHi];e  (V.  (iJiaTaime),  öpAämu,e  (V.  öpAami^e),  ite^äpita  (V.  ilc- 
Aäp^a). 

Gewiss  würde,  nach  diesen  Proben  zu  urtheilen,  die  Betonung  die- 
ses Dialektes  verdienen  eingehender  studirt  zu  werden. 

IL 

6.  Ein  zweites,  stark  ins  Ohr  fallendes  Merkmal  dieses  Dialektes 
besteht  in  der  Wiedergabe  des  '£  bei  verschiedenen  Casusendungen  der 
pronominalen  Declination  (Instr.  sing.,  Gen.  Locat.  Dat.  Instr.  plur.) 
durch  e,  das  dann  auch  in  den  Loc.  sing.  Eingang  fand  und  ausserdem 
in  der  zusammengesetzten  Declination  der  Adjectiva,  ja  selbst  der  Sab- 


Dialektolog.  Miscellen  aus  der  Gegend  von  Vinci  im  Krusevacor  Kreise.  215 

stantiva  im  Instr.  sing,  zum  Vorschein  kommt,  wodurch  die  letzteren 
Formen  mit  der  Casusendung  der  weich  auslautenden  Stämme  der 
o-DecIination  ausgeglichen  werden.  Man  vergl.  Instr.  sing,  obcm,  mo- 
jeM,  HilmeM,  ^pyreji,  3a  iterüßeM  öpuTCM,  iih  c  tcm  Jukobsm 
HH  c  Teai  EpäiiKeM,  ca  cbgm  CBexeM,  tcm  nyxeM,  Kojeai  ny- 
xeM,  AaiiKeM,  iiäcnneM,  noxo'iKeM,  c  MapfiiiKeM,  c  PäHKeji, 
e  EorojicöeM .  c  iteHeM  xecxaMeHxeM.  Oder  Loc.  sing.:  y  xesi 
HMaity,  y  je^neM  BnuörpaAy,  na  onaciieM  Mecxy,  no  CBe- 
xeM  Jlyve,  y  npoKynlhiKeM  Kpajy,  no  BJiämKeM  noAy,  no 
ce.iCKeM  oönyajy,  no  öyräpcKeM  piiTy,  cas^eo  ceno  o  bh- 
AOBCM  Aany.  Oder  Instr.  plur.  mo gm  rpy^HMa  öpunnx,  nämeM, 
tteroBSM  U.S.W.  Gen.  und  Loc.  plur. :  Moje,  iiäiue,  iterÖBe 
(auslautendes  //  wird  nicht  ausgesprochen  . 

7.  Im  Zusammenhang  mit  dem  unter  6  Gesagten  steht  auch  die 
Eigenthümlichkeit  des  Dialektes,  dass  das  i  im  Nominativ  des  Compa- 
rativs  nicht  zu  zi  (vor  ü-j]  wird,  sondern  als  e,  das  zugleich  immer  be- 
tont ist,  ausgesprochen  wird.  Man  hört  daher:  öeciiej,  öjia^ej, 
Öoraxej,  öyjiiej,  Becejicj,  BH;i;Hej,  Bpanej,  Bpyhej,  rJiaA- 
nej,  rop^iej,  rp;iHej,  rojnej,  rpeiuHcj,  ^eÖAej,  Ayacnej, 
KeAHej,  atajiocHej,  3;ipaBej,  spejicj,  jeBXHHej,  je/tpcj,  KopHc- 
Hej,KpacHej,  Kpxej,  Kpynuej,  Kycej,  jintiiiej,  jraAnej,  Jiomej, 
MacHej,  MHjiej,  MnpHej,  MOKpej,  mpauHej,  wpcHej,  Myxnej, 
My;i;pej,  npaßej,  npocxej,  npasnej,  pa;i;ej,  panej,  pasHej, 
pyatHej,  cnxej,  cnrypHcj,  cjajnej,  cjiaöej,  oiemHej,  cna- 
ÄHej,  exHAHej  .  cxapej  ,  cpehHej,  cxpauiHej,  cbbxjicj,  cxpMej, 
TaMHej,  xecHcj,  xonjiej,  xpeanej,  xpoMej,  xynej,  ynop- 
Hej,  qecxej  (auch  Memlm),  yßpcxej  (auch  yBpmhn),  iincxej 
(auch  qnmhn),  myxej. 

Es  sei  hier  gleichzeitig  hervorgehoben,  dass  dieser  Dialekt  auch 
die  Comparativbildung  auf  -mii,  die  auf  den  Formen  der  Casus  obliqui 
beruht,  ungemein  liebt.  So  hört  man  nicht  bloss  .laKuin,  .lenrnn, 
MeKmn.  sondern  auch  ÖJeiriuH  (neben  öjiaacej),  BpiiiimH  (neben 
Bpaiiej),  Bpyhmn  (neben  Bpyhej),  3;i;paBmH  auch  3ApaBmej 
(neben  3/i;paBej),  spe.imn  (neben  3pejiej},  Kpxmn  (neben  Kpxej), 
npasrnH  (neben  npaßej),  cjiänmH  (neben  cjiaöej).  Andere  der- 
artige Comparativbildungen  sind:  6ejbuiii,  6.T.efl,mii  (neben  öjibI^h). 
BHCüKmH  (neben  BiimH),  Bpe-imn,  r.3yßmH  (neben  r.iyBAH), 
rpynmii,   ;i;paKmn  (auch  ;[paKyH),  acHBUiii,  acnjuin  (auch  /Kh^h, 


216  Ljub.  Stojanovic, 

KH'iii,  von  acHA^K),  atyTuiH  (auch  iKyqe  und  acyhe),  3Jieuin 
(auch  3JiHme),  KpHBUiH,  KpaiuH,  KpyTuiH,  jryAuiH  (neben  Jiyl)«). 
AyTuiH,  Maa^iuH  (auch  Mjca^n),  MJiaKmH,  MpKinn,  iiobuih, 
njraBUiH,  njiHTiuH  (auch  njinhn),  nyHuiH,  naTOMiunje,  paAiuo 
(neben  paAiije),  CHBrnn  (neben  CHB.tHj,  ceAuiH  (neben  celjv,, . 
cKynuiH.  cMB^niH,  cnopuiH,  cyBuiH  (neben  cjBJb-a),  cypinH, 
TBpAuiH  (neben  TBpt|ii),  Tpyjrmn,  i];pniiiH  (neben  ii;pH.H).  Neben 
THUiH  sagt  man  auch  thmuioj  und  THiuqej. 

Dass  daneben  die  übliche  Comparativbildung  aufrecht  bleibt,  zei- 
gen folgende  besonders  aufgezeichnete  Formen:  öpatn,  öoah,  bbIih. 
rop^iH,  ryiuliH,  ^yö^n,  Ay^KH,  ja^H,  Kpalm.  MaitH,  iih3Kh, 
pei^H,    cjal)H,    TaitH  (auch  TaniiiH),  Teatn,    yrojeiiHJH,    luiipH. 

III. 

8.  In  dem  Vorgebrachten  sind  wohl  die  Haupteigenthümlichkeiten 
des  Dialektes  zusammengefasst.  Selbstverständlich  ist  damit  nicht  alles 
erschöpft.  Es  verdienen  noch  einige  Einzelheiten  hervorgehoben  zu 
werden,  und  zwar: 

a)  dass  der  Consonant  x  [h]  nie  ausgesprochen  wird ; 

b)  dass/ im  Auslaute  sehr  gern  wegbleibt,  wie  in  hbmo,  nä,  aü 
(für  HBMOJ,  iiaj,  Aaj),  in  xä,  onä,  onä  (fürraj,  OBaj,  oHajj; 

c)  dass  die  Lautgruppe  str  in  ocTap,  ocTpa  bleibt  und  nicht  zu 
st7'  wird:  ocTpa  BOAa,  oBKnpa,  öcTap  hok;  für  ncyJBM  wird 
nii;yJ6M  gesagt.     Statt  nei];HBO  wird  neynso  gesprochen; 

d)  dass  bei  den  Präpositionen  h3,  pas  vor  ib  keine  Assimilation 
zu  at  eintritt,  also  nur:  pasAyTHT,  HS^tyÖHT; 

e)  dass  die  Lautgruppe  zj  (auch  3aJ,  in  den  Auslaut  -shk,  -3ahk 
durch  Auslassung  des  a  und  Umstellung  zu  J3  wird  in  jroJ3e,  rpoJ3e 
(neben  ji03je,  rposje),  aber  rB63JB  neben  rnoai^B;  rposjanä 
ÖBpöa.    So  auch  jhcjb  üblicher  als  jinuihe; 

f)  dass  durch  die  Contraction  der  Vocale  aus  ao:  a,  aus  ao  u:  aj\ 
auch  w,  entsteht:  Kä  (y  rnue),  Kä  (moj  öpar),  Kaj  ivroje,  Kaj  naiu, 
icfi  (cBeTor  CaBy  jäJD;a); 

g)  dass  bei  den  Substantiven  auf  -k  der  üebergang  in  u,  aus  dem 
Nom.  plur.,  wo  er  berechtigt  ist,  auch  auf  den  auf -e  auslautenden  Ac- 
cus, plur.  sich  erstreckt:  npÖMHO  My  cbbaÖi^b,  onä  noABeo  cbb- 
AÖii;e,   onäHi];e,   y  ^iJiaimB,  je3Hii;B,  Ky.iyi];B  hy  Kyjiy^iHT: 


Dialektolog.  MiscL'llen  aus  der  Gegend  von  Vinci  im  Kriisevacer  Kreise.  217 

h)  dass  im  Dat.  Loc.  sing,  der  «-Decliuatiou  die  Endung  auf  -e 
auslautet:  jyKe,  6iio-caM  y  böjckö.  no  peKC,  no  poce,  y 
co6e.   no  rjiäBe: 

i)  dass  der  Loc.  plnr.  mit  dem  Geuit.  plur.  zusammenfällt.  Man 
sagt  also  nicht  nur  o^öiijem  o;i  oue  KMoxojiä,  Tpäne  oa  syuä, 
Moje  Topaöa  (name,  iteroBe  u.  s.  w.),  ABoje  BojiOBä  u.  s.  w.. 
sondern  auch  no  BiniorpäAa.  no  AyKaTä,  Moace  ;ia  .Me  hoch  y 
3y6ä,  no  one  noTöKä,  no  öänaKa  ^a  HÄeur,  no  HÜmÄ  .iii- 
Bäjä,  no  Jiejä,  no  jiicäjä,  no  CTpyräpä,  na  Kpmxeibä,  no 
nti-ijä,  na  Ko.iä  ocxa,  no  obh  öpAiijä  öeAnii.  no  xe  öynäKä. 
Darum  sagt  man  ganz  gleich:  o^  Moiie  onänäKä  und  na  Moiie 
onaHaKa. 

k)  dass  die  neutralen  o-Stämme  in  den  Casus  obliqui  gern  den 
consonantischen  Zuwachs  -äx  (also  serbisch  -ex)  annehmen,  also:  113 
Ko.ienexa,  nepexa,  ^ejcexa.  Anderseits  hat  man  solche  Plural- 
formen: öpAHJa,  acnxiija  (für  öp^a,  acnxa).  Man  sagt  indecl. 
Ä060:  y  Koje  A060  (statt  Aooa). 

1  Das  Pronomen  hat  diese  Formen:  ja,  Mene,  Mene,  Mene-Me, 
möhom,  Mene;  mh,  näc.  naMa-HaM-HH,  näc-He,  naMa;  xfi, 
xeöe,  xeöe,  Teöe-xe,  xoöom,  xeöe;  Bia,  säe,  BaMa-BaM-Bii, 
näc-Be,  BaMa;  eeöe,  ceöe,  ce6e-ee,  coöom,  ceöe.  Seltener 
ist  liSH  als  H.e3HH.  dafür  aber  steht  eine  besondere  Form :  iLojan. 
ttojiia,  itoJHO,  H.ojnora  u.  s.  w. 

Das  Adjectiv  jiiB.bn  hat  noch  vom  Xom.  sing.  masc.  die  Nominal- 
form: AiiBa-L. 

m)  Der  Infinitiv  lässt  das  auslautende  n  immer  weg :  nricax,  mii- 
xax,  BiiKax,  jec  (=  jecxn),  Sc  (=  Hhn),  Kxex,  noh,  nopäc 
(=  nopacxn),  noxpömnx,  noMyc  (=  noMycxH),  ysex,  pii^ax. 

n)  Einige  Verbalformen  verdienen  noch  erwähnt  zu  werden:  zu 
Inf.  Kxex  lautet  3  pers.  pl.  oxe.  xe,  nexe:  cum  xe  AÖh.  nexe 
OHH  xo  y^iiinnx,  oxe  saite.To.  Zu  Kosax  hat  man  Präs.  kobcm, 
-em,  Imperat.  kobii.  Zu  XKax  Präs.  XKeM.  Die  3.  Person  plur. 
lautet  ne^iy,  Byqy,  Bpmy.  cxpnaty,  und  3pe  a^nxa,  Bpe  johuh. 
Man  sagt  1.  Pers.  sing.  Biiljy,  necaM  und  wendet  an  die  Form  öiiji;- 
HeM.   ÖHAe. 

0)  Ftir  den  Imperfect  habe  ich  solche  Belege :  ^lyBä,  yyBäme, 
^ysäme.   yvBäMO,   eben  so  :MoräMo. 


218  Ljub.  Stüjanovic,  Dialektologische  Miscellen  etc. 

Pj  Im  Aorist  1.  Pers.  pl.  bleibt  x  (welches  natürlicli  nicht  ausge- 
sprochen wird):  iiaöpaMo,  yBUTHMO,  .läjaiio,  CiaTäJiHMO,  npe- 
BVKoMO,  yMe,T,03io,   Aol)<"'MO,  npeKonäBii MO. 

IV. 

Gewiss  hat  ein  jeder  Dialekt  seine  Lieblingsausdrücke,  die  man 
erst  beim  längeren  Studium  kennen  lernt.  Sie  verdienen  eben  so,  wie 
die  lautlichen  oder  formalen  Eigenthümlichkeiten,  besonders  angemerkt 
zu  werden.  Ich  kann  das  hier  nicht  bieten,  beschränke  mich  nur  auf 
einige  Ausdrücke,  die  ich  aufzeichnete,  weil  sie  mir  auffielen:  Bö;i;e- 
iiaKe:  0B;i,e  (hier),  ByAenaKe:  OBy^a  (hier)  —  Byniija:  ApBenii 
jiBBaK  (Holztrichter)  —  tbosa:  KjmHau,  (Nagel)  —  Ayca:  KOMa^  (ein 
Stück,  z.  B.  cHpa,  Meca,  3eM/Le)  —  3jräK:  /la  ce  CTOKa  03jäyH  —  Kiio, 
Ka.LHmTe:  ÖJiaTO  (Koth)  —  Ke^ia,  Ke^iryita:  o/i;  KOCTpeTii  »koso- 
BHHe«  HsaTKana  ^lOÖancKa  ryita  Koja  ne  npHMa  BO^y  (ein  aus  Ziegen- 
haar gewebtes,  wasserdichtes  Hirtenkleid)  —  jioct:  o3h6  (Hebel)  — 
Miiiueliii:  MumJH  (Mäuse-)  —  MaceiiHi^a:  Bpyha  npoja  pas^poö/Lena 
na  nocoABHa  h  npejuiBena  BpejiOM  Mamhy  (eine  Speise  von  Hirsenmehl, 
Polenta)  —  MemHHii;e:  raj^e  6e3  np^a^Ke  (Dudelsack  ohne  Bourdon) 

—  oraife  (nie  dafür  Baxpa  gebraucht)  —  nejieKäpHT:  neT/baxH,  npa- 
BHTH  Hemxo  (thun)  —  najaMH^a:  ypoAHi],a  y  atHxy  (der  Kuhweizen) 

—  npyA,  npy;i,a,  -o:  naamAHB  (scheu),  z.  B.  jarite,  cpHa,  nacxpMKa 

—  nocfinKa:  amoB,  Baxpa^t  (eiserne  Schaufel)  —  npmKaB,  -a,  -o: 
np^aB  (schmutzig),  z.B.  o^  rjiHÖa,  3H0Ja  —  cxpoiuKa:  po3ra,  ys  Kojy 
CS  neae  ii  ciwa3H  na  cbho  u.  s.  w.  (eine  Stange,  auf  der  man  hinauf- 
und  hernnterkriechen  kann)  —  yAyx-y;i,y  xa :  aiel^a  HSMe^y  ifcHBa, 
063  xpH,a  (Rain  ohne  Gestrüpp)  —  ycyKa:  Kao  rajxan  (Schnur)  — 
mybHBa:  nsMa  m.wiBe  (im  Singular  collectiv  gebraucht). 

Belgrad.  LJuh.  Stojanovic. 


219 


Zur  Geschieht^  der  Nasalvocale  im  Polnischen.*) 


m 

^ 

Zahlreiche  Beispiele ,  welche 
Brückner  zum  Beweise  des  Ueber- 
gangs  von  n  und  f  in  tc  im  Polni- 
schen (Archiv  XXIII,  233—236:  an- 
gehäuft hat,  haben  Herrn  Lorentz 
nicht  überzeugt  (Archiv  XXIV,  ', 
Fussnote);  desshalb  sei  es  mir  er- 
laubt, noch  eine  Anzahl  Beispiele 
dieses  Uebergangs  zu  liefern  und 
sie  mit  einigen  Bemerkungen  über 
den  Schwund  der  nasalen  Färbung 
der  Yocale  in  der  polnischen  Schrift- 
sprache wie  auch  in  den  Dialekten 
zu  ergänzen. 

Der  Uebergang  von  r/,  c  in  (/ 
geschieht  durcli  die  Stufe  //;  somit 
ist  das  u  in  diesen  Fällen  ein  ent- 
nasalirtes  /(  und  tritt  in  Parallele 
mit  «,  o,  e,  die  durch  den  Verlust  des  Nasalelements  von  ä,  «,  f  hervorge- 
gangen sind. 

Es  kommen  zuerst  Beispiele  ans  dem  Altpolnischen  (aus  dem  Buche 
von  J.  Baudouin  de  Courtenay  »0  drevue-poltskomi.  jazyke,:  Sundomirie 
1243  neben  Zudomer  1221,  Sudomir  1240;  Podiunze  1281  neben  Podluze  1254; 
Criuosudone  1242,  Criuosud  1246,  Kriuozudus  1228  neben  den  heutigen  Krzy- 
wosqdowo,  Krzijicosqdza;  Prudota  1244  neben  den  heutigen  Piandocin  und 
Prandota;  Odrouus  1222  neben  dem  heutigen  Odroicqz;  Suthoc  neben  dem 
heutigen  Santoha;  Luchizia  d.i.  Lpczyca,  ebenso  Sudizlauus  1252  neben  dem 
heutigen  Spdzis hucke  u.  s.  w.  In  der  Bibel  von  Szaroszpatak  findet  sich  die 
Form  poskxdzic,  vgl.  das  altbulg.  s7iqd^. 

In  den  Dialekten  der  polnischen  Sprache  tritt  dasselbe  >{  nicht  selten 


J^h  ^(X(-loKria^ 


*]  Die  hier  gebrauchten  Abkürzungen  sind  dieselben  wie  in  meinem 
»Slownik  gwar  polskich«. 


220  «^^^  Karlowicz, 

hervor:  ivutek  [Gröjec);  stnj)a,  hrzujcac  [Maz-Y, 21  \);  muka,  kujcol,  iujca,  snijcai- 
(Rozpr.IX,  127);  bjtßzie  (Lub.  I,  323);  tt/sinc,  zaprz^gaj,  rucke  (Wisla  III,  250— 
252);  pstvzka  (=  ivstqzka  Zb.  I,  16). 

In  einigen  Gegenden  versehwindet  der  Rhinismus  aus  dem  ?/.  und  es 
wird  zu  einem  u:  ivygludä,  muka,  skupo  (Kozienice);  swisnid,  uscisnut  (Maz. 
V,  27.  Rad.  II,  56);  kusek,  potciusio,  snzyn  {=  sqzen),  ksiuze,  ksiuzka,  wusi/, 
utrzus  (=  utrzqsi),  wiuzae,  muz  (Rozpr.  IX,  127);  grzecnu,  Ju,  siablu,  praivu 
(Wisla  III,  250);  idu,  su,  twoju  (Krasn.  288)  u.  s.  w. 

In  den  folgenden  Wörtern  bietet  die  Schriftsprache  u,  wo  sich  in  pa- 
rallelen Formen  oder  in  den  Dialekten  Nasallaute  finden :  ciqmqc  (in  jyrzij- 
cupnqc)  neben  dem  dialektischen  czppiec  (Pr.  ffl.  IV,  282)  und  cepiec  (Rozpr. 
VIII,  227;  XX,  426  und  sonst);  duzac  si^  neben  dem  dial.  dqzac  sip  (Wal.  s.v.) ; 
gniby  neben  dem  altbulg.  grqbi,;  gusla  neben  gpsl  und  gpslarz;  kupa  nebeu 
krpa;  niiich,  niuchac  neben  den  dial.  mrjc7t,  niachac  (Krasn.  305);  paskudny 
neben  dem  altbulg.  skqd^■,  jioruczyc  neben  dem  dial.^or«c:?/c'  (Kai.  I,  238  sq.j: 
pos^(pic  neben  2>osppic  (bei  dem  Seklucian);  wypukiy  und  icypuczyc  neben  dem 
dial.  wypäkia  (=  gravida  Zb.  VIII,  255)  und  wyp^czyc  (Zb.  VIII, 95.  Lecz.  145. 
Spr.  V,  124);  smuga  neben  dem  dial.  smqga  (Rozpr.  XVII,  61);  Ipchiy  neben 
tuchnqc;  zhuk,  zhukiy  neben  dem  dial.  zhpk,  zbqkly  (Krasn.  288);  zuhr  oder  zuhr 
neben  dem  altbulg.  zqhrh. 

Umgekehrt,  dialektischem  m  entspricht  in  der  Schriftsprache  oder  w 
einem  anderen  Dialekt  ein  Nasallaut:  dial.  otq.pno  neben  dial.  otupno  (Wrzes. 
15);  puk  {=  puch  =  Muchlichkeit  Spr.  IV,  311)  neben  ppch  {=  ic^ch  Kuj.  I, 
199);  pupuszka  (Pozn.  III,  150)  neben  dem  liter.  p^puszek;  putka  oder  pptka 
(=  Pfad.  Zb.  I,  35)  neben  dem  altbulg.  pqU;  stuzka  (Pozn.  II,  64)  neben  dem 
liter.  tvstqzka;  tqtkac  ;=  saufen  Derd.  103)  neben  dem  dia\. tutkac  (Krasn. 310); 
zasupiui  sie  (Chelch.  II,  102)  neben  dem  liter.  zasppic  siq,  vgl.  oben  posupic. 

Noch  einige  Beispiele  aus  den  Ortsnamen :  Prqdy  (Kreis  Niemodlin  = 
Falkenberg),  ehemals  Prudy,  in  den  Urkunden  P/-a«J«,  deutsch  Bi-ande , 
Prudka  (Fluss  im  Petrikauschen)  und  Prudnia  (See  im  Kreise  Swiecie  = 
Schwatz)  neben  prqd;  Pqtnöw  neben  Putnöw  (Kreis  Konin);  Tuchola  (=  Tu- 
chel)  und  Tuchlino  (See  im  Kreise  Kartuzy  =  Karthaus)  neben  technqc,  stpchty 
(vgl.  Miklosich  Etym.  Wörterbuch  tonch  —  2)  u.  dgl. 

Den  Verlust  des  nasalen  Elements  erleidet  nicht  nur  das  ?< ;  es  ist  be- 
kannt, dass  in  der  Aussprache  der  Polen  die  Nasalvocale  q,  ?  in  den  Endungen 
wie  0,  e  lauten  und  nur  in  gehobener  Rede  hervorgebracht  werden.  Es  gibt 
aber  Dialekte,  in  welchen  nicht  nur  im  Nachlaute,  sondern  auch  im  Inlaute 
<j,  f  zu  o,  e  werden ;  das  geschieht  z.  B.  in  der  Gegend  von  Sandomierz,  Tar- 


Zur  Geschichte  der  Nasalvocale  im  Polnischen.  221 

nobrzeg  und  weiter  gegen  Radom  zu,  wo  man  nicht  nur  tvielho  gioice,  uioze, 
so,  sondern  auch  moka,  reka,  sodziö,  meczy6  u.  s.  w.  hört. 

Die  Entnasalirung  des  altpolnischen  und  dialektischen  ä  (=  an)  wurde 
bis  jetzt  noch  nicht  berücksichtigt;  sie  scheint  mir  ebenfalls  Thatsache 
zu  sein. 

Zuerst  in  den  Ortsnamen. 

Langenau  bei  Danzig  heisst  bei  den  dortigen  Polen  Lcgoico  oder  Lag- 
nietco; ich  stelle  damit  zusammen  drei  Ortsnamen  Lugöw  (Gouv.  Kieice,  Ra- 
dom und  Fürstenthum  Lowicz),  wahrscheinlich  ehemals  Lägöw,  von  *i(ig  = 
^ff7  =  ^"5'  =  altbulg.  Iqg'o.  Heutiges  Beszöw  heisst  im  XV.  Jahrhundert  aus- 
schliesslich Banszowa.  Pakoshiw  (Kreis  Ilza)  in  den  Urkunden  heisst  Panko- 
s/auf,  ^^norze  (Kr.  Inowrociaw)  schrieb  man  im  XIII.  Jahrh.  Wanorze.  Das 
Dorf  Sqdkoiva  (Kr.  Jaslo)  heisst  auch  Sadkoiva.  Es  gibt  einige  Bozacin ;  diesen 
Namen  muss  man  mit  Bozpcin,  Borzfcin,  Bodzentyn  und  Bodzcmta  zusammen- 
stellen. Neben  den  Namen  Wawel  und  Waicelno  stehen  Wqwolnica,  Wqwalno, 
Wqwelno,  Wqivai  und  Wqicelnia. 

In  der  Deklination  geht  in  einigen  Dialekten  das  ä  in  a  über,  so  im 
Accusativ  aing.  czapka,  gorzalka,  godzina,  pocecha  u.s.w.  (Bisk.l9 — 20);  matka, 
uciecha,  siekiera  u.  s.  w.  (Rozpr.  IX,  310);  cörka,  smota  (Opol.  25);  dasselbe  in 
der  Conjugation:  ida,  siysza,  czuja,  kupia,  chca  u.s.w.  (Bisk. 20);  pöjda,  inusza 
(Rozpr.  IX,  310). 

Im  Inlaut:  banä  (Opoi.  24)  statt  bädä  =  ifrff ;  drzazga  neben  dem  dial. 
drzpzg  (Rozpr.  XVII,  30);  kolatac  neben  dem  dial.  kolqtaö  (Pozn.  IV,  225);  ma- 
tew  und  mateicka  (Ram.  98.  Pobi.  46)  neben  mqtew,  mqtewka;  nac  neben  dem 
dial.  «fc  Swiet.  6.  20)  und  nrtka  (Zb.  1,46),  aber  vgl.  Miklosich  Etym.Wörterb. 
211  nati. 

Jan  Karlowicz. 


222 


AVie  im  Kleinrussisclieii  die  Palatalisation  der  Coii- 
sonanteii  vor  e  und  ^  verloren  ging. 


In  sämnitliclien  Dialekten  der 
kleinrussischen  Sprache ,  soweit 
dieselben  nicht  unter  dem  Ein- 
flüsse der  benachbarten  russi- 
schen, polnischen  und  slovakischeu 
Mundarten  zu  leiden  hatten,  wer- 
den bekanntlich  die  einfachen 
Consonanten  (d.  i.  nicht  geminir- 
ten,  nicht  verlängerten)  in  der 
Stellung  vor  gemeinruss.  und  ge- 
meinslav.  e  und  i  nicht  palatali- 
sirt  ausgesprochen.  In  den  gross- 
russischen dagegen,  sowie  in  den 
Weissrussischen  Dialekten,  werden 
alle  Consonanten  mit  Ausnahme 
derjenigen,  welche  jetzt  in  jeder 
Lage  hart  sind  (zu  ihnen  zählen 
in  einzelnen  Dialekten  i,  i,  c,  r,r), 
in  der  Stellung  vor  den  genannten  Vocalen  palatal  ausgesprochen.  Vgl. 
klr.  selo^  vedete^  tiyo  (und  tyyr^o)^  vino  (und  vy?io)  einerseits  und  gross- 
russ.,  weissruss.  selo,  ved'ef'e^  vino,  ciyo  andererseits. 

Im  Einklang  mit  der  Mehrheit  der  Mitforscher  nehme  ich  au,  dass 
in  den  grossrussischen  und  weissrussischen  Dialekten  in  dieser  Beziehung 
alterthümlichere  Verhältnisse  bewahrt  sind,  als  im  Kleinrussischen,  mit 
anderen  Worten,  dass  die  kleinrussischen  Consonanten  vor  e  und  i  den 
ihnen  ursprünglich  eigenen  palatalen  Charakter  in  der  Aussprache  ver- 
loren haben. 

Ohne  mich  näher  auf  die  Beweise  einzulassen,  verweise  ich  nur 
darauf:  1)  dass  vor  i  (mundartlich  vor  den  Diphthongen  «'e,  %e\  hervor- 
gegangen aus  älterem  ie  (gemeinsl.  ■£  und  e,  das  im  Gemeinrussischen 
sich  verlängerte),  diese  palatale  Aussprache  sich  noch  bis  heute  im 
Kleinrussischen  erhalten  hat;   2)  dass  diese  Palatalisation  der  Conso- 


C^y^^-'^^^/t-^--<yc.A.'*^^e,^eri^ 


Wie  im  Kleinruss.  die  Palatalisation  der  Cons.  vor  e  u.  i  verloren  ging-     223 

nanten  vor  (/,  da3  auf  nasales  e  zurückgeht,  anzutreffen  ist :  3)  dass  die 
Consonanten  vor  jetzt  geschwundenem  halbkurzen  h  ihren  palatalen 
Charakter  im  Grossen  und  Ganzen  bewahrt  haben ;  4)  dass  -t  in  der 
2.  Person  Pluralis  des  Imperativs,  das  auf  -te  zurückgeht,  palatal  aus- 
gesprochen wird:  vgl.  ved'if\  yod'if'  neben  oed'ite,  yod'ite  (aus  älteren 
ved'eie^  yod'e(e). 

Gestützt  auf  die  augeführten  und  melirere  andere  Thatsachen,  nehme 
ich  als  erwiesen  an,  dass  im  Gemeinrussischen  die  Consonanten  in  der 
Stellung  vor  e  und  i  palatal  ausgesprochen  wurden.  Meine  hier  folgen- 
den Bemerkungen  sollen  als  Antwort  gelten  auf  die  Frage,  auf  welchem 
Wege  und  warum  die  Palatalisation  im  Kleinrussischen  verloren  ging. 


Ich  hebe  schon  gleich  hier  hervor,  dass  ein  dem  Kleinrussischen 
ähnlicher  Verlust  der  Palatalisation  in  den  übrigen  slavischen  Sprachen 
nicht  constatirt  werden  kann.  Zwar  haben  wir  alle  Ursache,  vom  Ver- 
lust dieser  Palatalisation  in  einigen  west-  und  stidslavischen  Sprachen 
zu  reden;  z.  B.  im  Öechischen  bleiben  im  Gegensatz  zum  Slovakischeu 
die  Consonanten  vor  e  unpalatalisirt:  eine  Zusammenstellung  des  slovak. 
neho  mit  dem  cech.  neho  ergibt  ein  cecho-slovakisches  n^eho^  wobei  n^ 
unvollständige  Palatalisation  von  7i  ausdrückt.  Was  aber  cecho-slova- 
kisches n  (also  vollständig  palatalisirtes  n)  vor  e  anlaugt,  so  blieb  das- 
selbe im  Cechischen  unverändert,  z.  B.  do  neho,  k  nemu.  Gleicherweise 
ergibt  die  Zusammenstellung  vom  slovenischen  nlzek  mit  mundartlichem 
mzek  (auf  der  Wocheiner  Save  spricht  man:  nlska  göra)  ')  ein  vor- 
slovenisehes  n^izEk,  nicht  aber  iiizEk,  da  eben  das  allgemeinslav.  in 
fast  in  sämmtlichen  slovenischen  Mundarten  unverändert  blieb  (vgl.  wifr/, 
knlga,  geschrieben  njica,  knjiga).  In  der  kleinrussischen  Sprache  da- 
gegen ging  vor  e  und  /  die  Palatalisation  in  vollem  Grade  sogar  bei  den 
Consonanten  r,  /,  w  verloren,  trotzdem  sie  als  ererbt  aus  dem  Allgemein- 
slavischen  anzusehen  ist:  niva  (und  «?/üa),  kniha  [nnd  knt//ia),  sineJio 
(und  syneho),  do  neho,  k  nemu,  pole  [eLher  pol'a,  pol'u),  zemleju  (aber 
zeml'a   u.  s.  w. 

Wenn  wir  aber  auch  für  die  gemeinslavische  Periode  keine  voll- 
ständige Palatalisation  der  Consonanten  vor  e  und  /  annehmen  wollten, 
so  kann  dennoch  in  den  eben  ansreführten  Fällen  der  kleinrussischen 


^)  Baudouin  de  Courtenay,  Ox^ctbi  o  saHATinx-b  no  asbiKOBtÄtHiu»,  L.  II 
(KaaaHB  1877),  S.  65. 


224  -A.!-  Schachmatov, 

Sprache  von  einem  vollständigen  Verlust  dieser  Palatalisation  die  Rede 
sein,  weil  hier  w,  /•,  l  auf  nj\  rj\  Ij  zurückgehen.  Gemäss  den  oben  an- 
geführten Erwägungen  glauben  wir  annehmen  zu  müssen,  dass  n  in  niva 
und  nizok  sowie  in  neho  und  do  neJio  im  Gemeinrussischen  gleichmässig 
palatal  ausgesprochen  wurde. 

Betreffs  dieses  Verlustes  der  Consonantenpalatalisation  in  der  Stel- 
lung vor  e  und  /  ist  bisher,  wie  uns  scheint,  keine  genügende  Erklärung 
gefunden  worden.  Der  Hinweis  auf  angeblich  ähnliche  Erscheinungen 
im  Serbischen  und  in  anderen  slavischen  Sprachen  klärt  die  Sache  nicht 
zur  Genüge  auf,  da  man  in  den  angedeuteten  Fällen  nur  annehmen  darf, 
dass  eine  im  Gemeinslavischen  gewissermassen  unvollständige  Palatali- 
sation der  Consonanten  vor  e  und  /,  wenn  dieselbe  sich  in  Wirklichkeit 
im  Allgemeinslavischen  entwickelt  hat,  verloren  ging.  (Fälle  wie  itiiBa, 
iio-te  u.  s.  w.  haben  die  gemeinslavische  vollständige  Palatalität  der 
Consonanten  vor  e  und  i  unverändert  aufbewahrt).  Im  Kleinrussischen 
dagegen  ist  vollständige  Palatalität  der  Consonanten  verloren  gegangen. 
Während  im  Serbischen  halbpalatale  Consonanten  in  jeglicher  Stellung 
(südl.HHJeM,  östl.HeM;  koct;  Tama:  Finsterniss)  diese  Palatalisation  ver- 
loren haben,  hat  das  Kleinrussische  dieselbe  nur  vor  e  und  i  eingebüsst. 

Angesichts  dieser  Umstände  ist  überhaupt  die  Meinung  ausge- 
sprochen worden,  dass  als  Ursache  dieses  Verlustes  der  palatalen  Aus- 
sprache im  Kleinrussischen  der  Uebergang  gemeinrussischer  Vocale  e,  «', 
also  der  praepalatalen  oder  palatalen,  in  die  palatogutturale  Reihe  (Sie- 
vers) war;  dieser  Uebergang  habe  nun  eine  Erhärtung  der  weichen 
(mouillirten)  Aussprache  der  Consonanten  vor  solchen  Vocalen  zur  Folge 
gehabt.  Als  Beweis  für  diese  Behauptung  wurde  der  Uebergang  von  ^ 
in  y  in  verschiedenen  kleinrussischen  Muudarten  angeführt,  wobei 
einige  Forscher,  wie  z.  B.  Potebnja,  von  der  gutturalen  Aussprache  des 
kleinrussischen  Vocals  e  redeten.  Man  liess  aber  dabei  ausser  Acht,  dass 
im  Kleinrussischen,  in  mehreren  Dialekten,  i  und  y  in  einen  solchen  i- 
Laut  zusammenfallen,  der  sich  vom  grossrussischen  i  nur  durch  die 
offene  Aussprache  unterscheidet  (wide  i  der  englischen  Phonetiker,  e'^ 
von  Sievers  transscribirt).  In  der  Aussprache  des  e  in  einem  kleinrussi- 
schen Worte  wie  sesira  ist  durchaus  kein  palatogutturaler  Charakter 
bemerkbar.  Wir  müssen  also  annehmen,  dass  der  Entwickelungsprocess. 
welcher  die  kleinrussische  Aussprache  ?iiva  {?iyva] ,  nebo  zur  Folge 
hatte,  keineswegs  in  einem  Uebergange  von  ^  und  e  in  die  palatoguttu- 
rale Reihe  {z,  e)  bestand. 


Wie  im  Kleinruss.  die  Palatalisation  der  Cons.  vor  e  \\.  i  verloren  ging.     225 

Bei  der  Erklärung  des  Processes,  welcher  die  Erhärtung  der  Con- 
sonanten  vor  e  und  i  im  Kleinrussischen  zur  Folge  hatte,  ist  es  unum- 
gänglich nöthig,  folgende  Lautverhältnisse  der  gemeinrussischen  Sprache 
als  Ausgangspunkt  zu  nehmen.  Fast  in  allen  Lautlagen  waren  uuaffi- 
cirte  Consonanteii  dem  Gemeinrussischen  fremd,  d.h. solche  Consonanten. 
welche  unpalatalisirt  und  nnlabialisirt  ausgesprochen  wurden.  Eine 
Ausnalime  bot  nur  die  Stellung  eines  Consonanten  vor  altem  (nicht  aus 
nasalem  e  hervorgegangenem)  a  dar,  in  welcher  der  Consonant  unafficirt 
blieb.  Die  Ursache  dieser  Erscheinung  des  Gemeinrussischen  ist  in  der 
slavischen  Gemeinsprache  zu  suchen,  in  der  eine  Assimilation  des  Con- 
sonanten an  den  folgenden  Vocal  stattfand  (vgl.  Sievers,  Phonetik  * 
§  460),  wobei  der  Consonant  eine  Articulation,  die  dem  folgenden  pala- 
talisirten  oder  labialisirten  Vocale  entsprach,  besass.  In  der  gemein- 
slavischen  Sprache  kamen  als  Resultat  des  angedeuteten  Assimilations- 
processes  unvollständig  palatalisirte  und  labialisirte  Consonanten  zum 
Vorschein  (s.  über  die  verschiedenen  Stufen  der  Palatalität  Sievers 
§  454):  dieselben  waren  hier,  wenigstens  in  der  Reihe  der  Lippenlaute 
üod  der  Dentalen  (im  weiteren  Sinne  dieses  Ausdrucks)  halbpalatal,  und 
wiederum  in  der  Reihe  der  Dentalen  halblabialisirt,  obgleich  gleichzeitig 
auch  palatale  r,  w,  /  besonderen  Ursprungs  (aus  rj\  ;?/,  JJ)  anzutreffen 
waren.  Was  die  Gutturalen  oder  Velaren  anlangt,  so  wurden  dieselben 
in  der  Stellung  vor  palatalen  Vocalen  erweicht  (daraus  c',  h\  c,  s  u.  s.  w.). 
In  der  Stellung  vor  gutturalen  Vocalen  waren  dieselben  in  der  gemein- 
slav.  Sprache  oflTenbar  labialisirt:  hierbei  fielen  die  indoeuropäischen 
labialisirten  wie  nichtlabialisirten  gutturalen  Consonanten  zusammen. 
Gleicherweise  ist  Grund  anzunehmen,  dass  auch  die  gemeinslavischen 
Lippenlaute  einer  vollständigen  Labialisation  unterlagen.  Vor  palato- 
gutturalem  y  (russ.  w)  wurden  die  Consonanten  (also  auch  die  Dentalen) 
labialisirt,  was  damit  im  Zusammenhang  steht,  dass  dieses  y  vielleicht 
gerundet  ausgesprochen  wurde. 

In  der  gemeinrussischen  Sprache,  sowie  gleichfalls  in  einigen  west- 
slavischen  Sprachen,  gingen  gemeinslavische  halbpalatalisirte  und  halb- 
labialisirte  Consonanten  in  vollkommen  palatalisirte  resp.  labialisirte 
über,  und  zwar  nicht  bloss  vor  i  und  ^^,  sondern  auch  vor  anderen  Vo- 
calen, wie  e  und  o,  nasalen  e  und  o,  h  und  7^.  Dass  im  Geraeinrussischen 
die  Consonanten  vor  /,  ie  (i),  e.  nasalem  e  =  «),  ?>  palatalisirt  waren, 
beweist  die  Betrachtung  sämmtlicher  russischer  Dialekte,  unter  anderen 
auch,  wie  wir  sahen,  der  kleinrussischen,  in  ihrer  Geschichte.    Auf  die 

Archiv  für  slavische  Philologie.    XXV.  15 


226  AI.  Schachniatov, 

Labialisation  der  Consonanten  vor  ?/,  o,  nasalem  o  (=  u\  v  weist  auch 
die  Veränderung  des  e  in  ö  vor  einem  nicbtpalatalisirten  Consonanten 
niöd^u  aus  med"'u)',  hierbei  beweist  gerade  das  kleinrussische,  jetzt 
mundartliche,  mj'uod,  welches  auf  mrhh  zurückgeht,  dass  diese  Laut- 
änderung der  allgemeinrussischen  Epoche  angehört.  Eine  ganze  Reibe 
von  Erscheinungen  der  Labialisation  vor  Consonanten  im  Gross-  und 
Weissrussischen,  sowie  der  üebergang  von  o  in  u  unter  dem  Einflüsse 
dieser  Consonanten,  alles  dieses  berechtigt,  von  einer  weiteren  Verbrei- 
tung der  Labialisation  in  der  Epoche  der  allgemeinrussischen  Sprache 
zu  sprechen.  Wir  nehmen  somit  an,  dass  die  gemeinslavischen  Halb- 
palatale p^,  f  in  gemeinrussische  /»,  t'^  ebenso  dass  die  halblabialisirten 
Laute  t^,  d^  u.  s.  w.  in  gemeinrussische  V%  f/^'  u.  s.  w.  übergingen.  Da- 
bei "waren  aber  die  Consonanten  vor  palatalen  resp.  gutturalen  Vocalen 
mehr  palatal  resp.  labial  (gerundet),  als  die  auf  sie  folgenden  Vocale : 
in  einigen  Mundarten  fand  dies  sogar  statt  in  der  Stellung  eines  Conso- 
nanten vor  '/  und  u  i). 

Dieser  Umstand  hat  im  südrussischen  (kleinrussischen)  Dialekte 
einen  Uebergangslaut  (Gleitlaut)  zwischen  dem  palatalisirten  resp.  labia- 
lisirten  Consonanten  und  dem  darauffolgenden  palatalen  resp.  gerundeten 
Vocale  hervorgebracht  2).  Hinter  dem  palatalen  Consonanten  entwickelte 
sich  ein  nicht  silbenbildendes  /  ({),  hinter  dem  labialisirten  Consonanten 
ein  w,  womit  der  üebergang  des  darauffolgenden  Vocals  in  einen  Vocal 
mit  mehr  offener  Aussprache  zusammenhängt.  So  kamen  statt  gemein- 
russ.  piv^^o^  üw'''-a,  cesna^  möd"'u,  dehi,  se'^sü,  h^''o'^h^^a  —  jnjflvuo^. 
nip'd^a^  iißsna^  miäduu^,  d'iän,  s'iäHii^,  huo^b^a  zum  Vorschein.  In 
den  Lautverbindungen  ii'^^  iä  hatte  alsdann,  bald  nach  ihrer  Entstehung, 
eine  Zusammenziehung  von  i  mit  dem  folgenden  Vocal  stattgefunden ; 
hieraus  entstanden  «2,  il  —  offene  Vocale,  vor  denen  die  Consonanten 
infolge  dieser  offenen  Aussprache  nicht  palatal  ausgesprochen  wurdeu. 
Ebenso  wurden  tiu^  iio  zu  u^^  o^,  das  ist  offenem  ?/,  o,  contrahirt:  so 


1)  Man  vergleiche  Sievers'  Bemerkung  über  die  palatalisirten  Conso- 
nanten :  »nicht  selten  geht  dabei  die  Palatalisirung  über  die  Zungenhöhe  des 
palatalisirenden  Vocals  hinaus  (auch  bei  ^■  selbst;  so  ist  z.  B.  die  Zunge  bei 
der  Bildung  des  ii  in  u'üg.nyilik,  A.\\.mli1{,  dem  Gaumen  noch  mehr  genähert, 
als  für  das  i  erforderlich  ist)«.  Phonetik  *,  §  454  (5.  Aufl.  §  486). 

-)  Vgl.  Sievers'  Hinweis  darauf,  dass  ähnliche  Gleitlaute  sich  gerade 
leicht  dort  bilden,  wo  in  der  Articulation  des  Consonanten  und  des  darauf- 
folgenden Vocals  keine  vollkommene  Uebereinstimmung  herrscht  (1.  c.  §  456 . 


Wie  im  Kleinruss.  die  PalatiUisatiou  der  Cons.  vor  e  u.  i  verloren  ging.     227 

kamen  piHo"^,  ni^D"^a,  väsna,  müdu^^  dün,  sästi^,  ho^b^'a  zu  Stande ; 
man  vergleiche  die  heutige  (mundartliche)  Aussprache  der  kleinruss. 
Worte:  pi'^co,  ni^üct,  vüsiia  oder  veh?ia,  f7iüdu  oder  me^dti,  dün  oder 
de'^h,  se^sti^,  boha.  Das  war  also  das  Schicksal  von  Lautverbindungen: 
palatalisirter,  resp.  labialisirter  Consonant  +  kurzer  palatalisirter, 
resp.  labialisirter  Vocal. 

Vor  langem  Vocal  dagegen  machten  sich  andere  Erscheinungen 
geltend ;  die  Gleitlaute  ?,  u  verlängerten  sich  nämlich  und  veränderten 
sich  in  i,  u,  wobei  der  folgende  Vocal  sich  verkürzte :  statt  {e,  ^ö,  {ö 
traten  diphthongische  Lautgruppen  ie,  uo,  iö  auf.  Hierbei  verloren 
natürlich  die  vorhergehenden  Cousonanten  nicht  ihre  Palatalität,  resp. 
Rundung.  So  entstanden  aus  gemeinrussischen  pec\  s'ei^,  ?i"ö5",  p^öp^, 
ihöd"' — piec,  s'lest\  ?i"uos^\  p^'uop"',  ihiöd^''  (und  dann  thüöd).  Was 
die  Lautverbindung  palatalisirter,  resp.  labialisirter  Consonant  +  7, 
resp.  ü  anlangt,  so  wurden  die  daraus  in  der  Sprache  entstehenden  /?, 
uu  zunächst  in  t,  ü  contrahirt  und  dann  in  t,  ü  verkürzt,  vor  denen, 
wie  überhaupt  vor  jeglichem  i,  u,  die  Palatalisation  resp.  Labialisation 
der  Consonans  verloren  ging. 


Ehe  wir  aber  auf  die  Entwicklung  der  Folgerungen  und  Thesen 
eingehen,  welche  sich  aus  der  dargestellten  Hypothese  ergeben,  die  die 
Veränderung  des  te,  t^o  zu  te,  to  im  Kleinrussischen  mittelst  ^jä,  tuo 
erklärt  und  die  kleinrussischen  Lautgruppen  ^ie,  tuo,  tilö  aus  t'e,  ^"ö,  /ö 
mittelst  analoger  Uebergangserscheinungen  \üe,  i"uö)  herleitet,  —  ver- 
weise ich  noch  auf  ähnliche  Erscheinungen  sowohl  im  Kleinrussischen, 
als  in  den  übrigen  verwandten  Sprachen. 

1.  In  den  uordkleinrussischen,  galizischen  und  ebenso  in  den  rus- 
[  sischen  Mundarten  in  Ungarn  fand  eine  Veränderung  des  a  nach  mouil- 
I  lirten  Cousonanten  zu  (V  statt,  woher  e  und  weiter  e*,  i^  (oflfenes  /),  i^ 
j  geschlossenes  /):  vgl.  Kowelsk.  (Wolynien):  Mueco,  MiieTti  (kneten); 
!  Kadomysl.  (Kijew):  Kynex,  AHBexi^e;  Zabludow  (Grodno):  KJe.Miy  (Ukr. 
■;  TflMiiyi,  Pinsk:  Kone,  Kopo.ie  (Gen.  sg.);  Bielsk  (Siedletz):  ee^b,  ntexb, 
i  JieaceTB  und  sogar  yaiy  (er  nahm),  ci^e  (er  wird  sich  setzen),  a:iTH 
i  (ernten),  uicxo  (oft),  xe.!ii  (Kalb);  Radin  (Siedletz):  Kone  (Gen.  sg.), 
i  meuKa;  Galiz. :  ssMjie  (Nom.  sg.),  Kone  (Gen.  sg.),  njexb  und  nJHXt, 
j  xe»:Ko,  m^iHCbxe  und  uiyicfcxe,  myecbxe,  BJeiiyxii  und  lyiniyxH,  ^lec, 
ineuKa;  Stanislau:  KeatKo;  in  den  an  die  Huzulen  angrenzenden  Mund- 
arten: Ha  Koue,  Aeßexb,  ace6a_,  CBHiie,  MiieKuil,  cbßexo,  xpecxu;  Hozul. 

15* 


228  ^l-  Schaclunatov, 

KiiHSB,  jKiiJib,  ^liic,  (joraiiH  (Geu.sg.),  CBiiTtiil,  rojoc'ix,  roBopir  (3.pl.), 
Lemk.  A^nne,  iiaMJixi,,  njiTa,  ciMHi  u.  s.  w.  i).  Besonders  verbreitet  ist, 
wie  aus  den  angeführten  Beispielen  hervorgeht,  diese  Erscheinung  so- 
wohl in  Galizien  als  auch  im  Gouvernement  Siedletz,  wo  diesem  Ueber- 
gang  in  e,  i  auch  betontes  a  unterliegt,  während  in  den  übrigen  nord- 
kleinrussischen  Mundarten  vorzüglich  an  unbetontem  a  diese  Verände- 
rung bemerkbar  ist. 

Auf  diese  Weise  erscheint  als  Folge  des  angegebenen  Ueberganges 
die  Lautverbindung  palatalisirter  Consonant  +  ä  oder  e,  welche  ziemlich 
selten  in  dem  grössten  Theile  der  kleinruss.  Mundarten  anzutreffen  ist. 
Wir  sehen  nun,  dass  eine  dieser  nordkleinrussischen  Mundarten,  nämlich 
die  von  Kornitz  (Kirchspiel  Kornica,  Kreis  Konstantinow,  Gouv.  Siedletz), 
welche  von  Herrn  Jantschuk  beschrieben  ist  2) ,  sich  von  diesen  Laut- 
verbindungen losgemacht  hat  und  zwar  auf  ähnliche  Weise,  wie  es  bei 
der  Veränderung  des  gemeinrussischeu  f'e  der  Fall  war.  Zunächst  be- 
merke ich  nur,  dass  j  im  vor-kornitzischen  Dialekt  durchaus  nicht  die 
Veränderung  von  a  zu  ä  erwirkte:  vgl.  die  Conservirung  des  a  in  den 
galizischen  (aber  nicht  in  den  huzulischen)  Mundarten  in  der  Stellung 
nachy  (nojac,  cTojaTH,  Moja,  jaro^a,  Ogonowski,  Studien,  §  10,  4). 
Deshalb  bleibt  Ja  auch  in  der  heutigen  kornitzschen  Mundart  unver- 
ändert und  zwar:  a)  in  Fällen  wie  ctohth,  cbohki,  moh,  öohthch,  apaa 
u.  s.  w. ;  b)  in  Fällen  wie  njaxt,  Bjast,  Mjaxa,  Mjaco,  BLipoöjaTH  (Herr 
Jantschuk  schreibt  naxt,  bast.  u.  s.  w.,  constatirt  aber  die  Aussprache 
MOBJax,  AeBJaxt,  zwar  auch  poö'ax,  Jiyn'ax),  d.  h.  überhaupt  in  der 
Stellung  nach  Lippenlauten.  Von  der  Voraussetzung  ausgehend,  dass  in 
der  vor-kornitzischen  Mundart  jedes  a  nach  mouillirten  Consonanten  zu 
ä  wurde,  welches  noch  nicht  in  e,  vor  dem  Eintritte  eines  besonderen 
Lautvorganges,  den  wir  unten  näher  beschreiben,  übergegangen  war. 
sehen  wir  nun,  dass  die  Lautgruppen  f'ä,  n'd  u. s. f.  zu  tia^  nia  sich  ver- 
änderten. Diese  tia^  nia  unterlagen  aber  weiter  verschiedenen  Ver- 
wandlungen, je  nachdem  sie  accentuirt  oder  unaccentuirt  waren.    Im 


1)  S.  Ogonowski,  Studieio,  §  10;  Potebnjfl,  3aMiTKu  o  Ma.iop.  napiiiu: 
CoöoJieBCKiii,  OqepK.  pyccK.  ÄiajreKTO.zioriu,  III;  ro.iOBauKifi,  TpaMMaTuica  pycKoro 
H3LiKa,  §  11 ;  BepxpaTCKHH,  3HaÄo6u  a^ifl  nisnaHa  yropcKO-pycKUX  roBopis,  I,  S.  19, 
und  and. 

-)  »MaJiopyccKaa  CBaatöa  Bt  KopHUUKOMi.  npuxoaiKoHCTaHTUHOccKaro  ytasa 
CiajieuKoii  ryöepHiii«  (TpysBi  SxHorp.  Oxä.  OömecxBa  JIioö.  ecTeciBOSH.,  anTpon. 
H  3THorp.  npu  MocK.  yHUB.,  KH.  VII,  M.  1S86;. 


Wie  im  Ivleimuss.  die  Palatalisation  der  Cons.  vor  e  u.  i  verloren  ging.     229 

Vor-Kleiurussiscben  erlitten  die  Lautgruppen  hji,  tiiä  (aus  fe,  üe),  wie 
wir  oben  gesehen  haben,  verschiedene  Veränderung,  je  nachdem  e  kurz 
oder  lang  war.  In  dem  Vor-Kornitzischen  aber,  wie  aus  den  übrigen 
Lauteigenthümlichkeiten  hervorgeht,  entstand  (vielleicht  als  Folge 
Weissrussischen  Einllusses  der  Gegensatz  von  betonten  und  unbetonten 
Vocalen  ^).  Aehnlich  wie  im  Vor-Kleinrussischen  fiä  aus  f!('  sich  erhielt 
und  nur  später  in  tu  überging,  hat  das  vor-kornitzische  //«,  falls  un- 
betont, /  conservirt,  woraus  dann  f'a  wurde:  vergl.  AieT/iXKO.  ao  Kopena. 
iipocHT,  HSHÖcflT,  3a3yjfl,  iiarjiflAieTH  u.  s.  w.  Im  Gegentheil,  gleichwie 
im  Vor-Kleinrussischen  fui  aus  f'e  zu  tiü-tic  wurde,  also  ging  das  vor- 
kornitzische  tui  unter  dem  Accente  in  tia  über  (mit  der  Betonung  auf 
dem  ersten  Theile  des  Diphthonges):  vergl.  atiajib,  TjaacKO,  ryjiialOTt, 
Bcia.  HiaubKa,  cia^t,  pia^x,  Aymia.  Kpn'iiaTji,  iipiavKKa.  nepcreHiaMii, 
KpBi.TbuiaMii,  AeciaToro  u.  s.  w.  —  Die  Zusammenstellung  der  kornitzi- 
schen  iia-t'a  mit  den  gemeinkleinrussischen  tie-tä  (woraus  te)  ist  in 
verschiedenen  Beziehungen  belehrend:  1  weist  sie  auf  einen  allgemei- 
nen Lautvorgang  hin,  mit  Hilfe  dessen  die  Sprache  die  Lautverbindung 
palataler  Consonant  +  palataler  Vocal  weiter  entwickelte  :  dieser  Laut- 
process  bestand  in  der  Eutwickelung  eines  Gleitlautes  zwischen  dem 
Consonanten  und  Vocal  in  der  Gestalt  eines  i\  2j  obige  Zusammen- 
stellung beweist,  dass  die  Entstehung  eines  i  vor  einem  palatalen  Vocal 
den  Verlust  eines  Theiles  seiner  Palatalität  und  den  Uebergang  in  einen 
mehr  offenen  Vocal  zur  Folge  hat:  eben  in  diesem  Sinne  sprechen 
wir  von  einer  vor-kleinrussischen  Veränderung  des  t'e  zu  t'iä',  3)  das 
weitere  Schicksal  des  {  hängt  davon  ab,  ob  der  folgende  Vocal  betont 
resp.  unbetont,  kurz  resp.  lang  bleibt:  vor  betontem  Vocal  in  der  kor- 
nitzischen  Mundart,  vor  langem  —  im  Vor-Kleinrussischen  geht  i  in  i 
über  und  bildet  mit  dem  darauf  folgenden  Vocal  einen  Diphthong ;  im 
Gegentheil,  vor  einem  kurzen  Vocal  im  Vor-Kleinrussischen,  unbetontem 
im  Kornitzischen  hat  i  die  Tendenz  sich  zu  verflüchtigen 2). 


')  Vergl.  das  Schicksal  der  Diphthonge  ie,  uo  in  der  kornitzischen 
Mundart.  Diese  Diphthoge  bleiben  unter  dem  Schutze  der  Betonung  er- 
halten, wobei  das  Uebergewicht  dem  ersten  Theile  des  Diphthongs  zukommt 
lalso  cbbIctx,  pieKa,  iia  MC/Kie,  Bt  pyuie;  miectut,  cieMt,  Kopicae,  aie-ie;  cxycii., 
KvoTi,  oopywKa,  KyouiKa.  nyorn.;  iioorKa,  ko.iiooci.,  iuooct.,  bioobx);  —  gehen 
aber  in  unbetonter  Silbe  in  i,  e,  u  über  (buapo,  ju.iutu,  BUKOBaiu;  luectmr, 
CöMD  ;  KysKii,  nyacKii ;  tioikh,  .üioaiOMt % 

1   Ich  lasse  ausser  Acht  die  mir  nicht  ganz  klare  Frage,  warum  in  den 


230  AI.  Scliaclmiatov, 

2.  Einige  polnische  Mundarten  bieten  Analogien  zu  der  für  das 
Vor-Kleinrussische  vorausgesetzten  Veränderung  eines  ^"o  zu  hio  (wo- 
raus to)  und  eines  fö  zu  tuo.  Herr  Polanski  hat  im  Jahre  1S98  das 
kleinrussische  und  (-echische  uo  (uo)  aus  ö,  das  auch  in  anderen  slavi- 
Schen  Sprachen  anzutreffen  ist,  in  Zusammenhang  gebracht  mit  der 
Labialisation  des  ö,  und  dabei,  hauptsächlich  auf  Grund  polnischer 
mundartlicher  Erscheinungen,  die  Thesis  aufgestellt,  dass  der  Zerfall 
von  ö  in  wo,  uo  (ich  möchte  uo  schreiben)  dem  Uebergange  eines  o  in  "o 
(d.  i.  uo)  entspreche  ^).  Einige  polnische  Mundarten  lassen  in  der  That 
voraussetzen,  dass  der  Wanderung  des  kurzen  o  in  «o  der  Zerfall  des  o 
«pochylonego«,  d.  i.  ursprünglich  langen  o,  in  uo  gegenübersteht.  Ich 
constatire  zunächst  die  weite  Verbreitung  in  den  polnischen  Mundarten 
der  Erscheinung,  dass  dem  o  «ein  kurzer  labialer  «-Laut  vorgeschlagen 
wird«.  Solch  ein  uo  statt  o  führt  unter  anderen  L.  Malinowski  an  in  der 
Oppelnschen  Mundart,  sowohl  im  Anfang  des  Wortes  (was  regelmässig 
beobachtet  wird),  als  auch  nach  dem  Consonanten:  itocec,  süobe  (Bei- 
träge zur  slav.  Dialectologie  1, 4 — 5) ;  Zawilinski  —  in  der  Mundart  von 
Ropcica  (in  Galizien),  wo  dasselbe,  wie  in  der  Oppelnschen  Mundart,  zu 
bemerken  ist:  '^otvarli,  sk'^^ocu^^  zelaz^o  (Rozprawy  wydz.  filolog.  der 
Akademie  zu  Krakau,  t.  VIII,  183);  Los  —  in  der  Mundart  von  Opocna: 
'"'ogin.,  pole  und  p^ole  (Rozprawy,  t.  XI,  151)  u.  anderen.  Herr  Matusiak 
erwähnt  in  der  Mundart  von  Liasowa  (in  dem  Gebiete  von  Sandomierz 
den  üebergang  eines  o  in  "o:  1)  im  Wortanfange,  z.  B.  '^'ostatek^  2)  im 
Innern  des  Wortes,  besonders  wenn  auf  das  o  der  Ton  fällt,  z.B.  r^obic, 
d'^olä, sm'^oia, gof^ovaMä,  sl'^onecko.^'^odzelein:,  gleichzeitig  wird  das  o 
»pochyloneu  durch  den  Diphthong  uö  [ö  drückt  das  geschlossene  o  aus; 
ersetzt:  kruöl,  huöb,  pluöt  (d.  \.  plötl).!  sluöjce  (d.  i.  sionce)  u.  s.  w. 
(Rozprawy,  t.  VllI,  79  u.  89).  Dasselbe  kann  man  nach  Leciejewskij  in 
der  grosspolnischen  Mundart  von  Mieska  Görka  beobachten  (Rozprawy. 
t.  IX).    Das  Hervortreten  eines  uo  statt  des  kurzen  offenen  o  und  eines 


von  Herrn  P.  Hiltebrandt  im  J.  1866  gedruckten  Volksliedern  aus  Zabludow 

(CöopHHKx  naM.  Hap.  TBop^i.  B1.  ciBcposan.  Kpai,  Etin.  1)  iio  statt  o  sogar  in  offe- 
nen Silben  geschrieben  wird  (ByoÄOio,  Myo.ioaHMi.,  Myope,  ByopoHi,,  ciyoHyy, 
CTyojtHKOMi.).  Von  einer  Verfälschung  (vergl.  Potebnja's  Aeusserungen  in 
SaMiiKu  0  Majiop.  Hapiiiu,  §  94 — 95)  kann,  wie  ich  glaube,  nicht  die  Rede  sein. 
Eher  muss  man  an  polnischen  Einfluss  denken. 

1)  P.  Polanski,  Die  Labialisation  und  Palatalisation  im  Neuslavischen. 
Berlin  1898,  S.  1—15. 


Wie  im  Kleinruss.  (Ue  Palatalisation  der  Cons.  vor  e  u.  i  verloren  ging.     23t 

tiö  statt  des  geschlossenen',  einst  langen  o  erklärt  für  die  polnischen 
Mnndarten  die  Labialisation  der  vorhergehenden  Consonanten :  f"o  (/" 
bezeichnet  hier  das  labialisirte  /)  wurde  zu  fno,  während  t^ö,  oder  viel- 
leicht noch  ^"'5,  in  fiio  überging.  Solcher  Art  hat  in  den  erwähnten 
polnischen  Mundarten  fast  derselbe  Lautprocess  sich  vollzogen,  wie  er 
für  das  Vor-Kleinrussische  in  obiger  Darstellung  angenommen  wurde. 

3.  Mit  der  Lautveränderung  f'ö,  i"ö  zu  fuo,  tuo  in  den  slavischeu 
Sprachen  können  analoge  Vorgänge  im  Lateinischen  und  Urgermani- 
schen verglichen  werden,  in  denen  indoeuropäische  labialisirte  Gutturale 
(die  Gutturale  waren  bekanntlich  in  der  indoeurop.  Ursprache  sowohl 
rein  guttural,  als  auch  labioguttural)  in  Gutturale  +  u  sich  verwandel- 
ten. Vergl.  lat.  qu  (d.  i.  kv  aus  ku]  in  quattuor,  quam^  sequor^  coquo, 
und  auch  ngu  statt  ng^  und  ng^h :  ungud,  ninguit.  anguis.  Der  ur- 
germanische Uebergang  von  indogermanischen  q^^  g^^  g^h  in  y^u^  gt^, 
ku^  :^ti  lässt  sich  in  allen  germanischen  Sprachen  nachweisen,  vergl.  got. 
hvis^  althochdeutsch  /aves,  tces,  got.  qtnus  (vergl.  griech.  ßiog),  qitiman 
(griech.  ßaivco).    Brngmann,  Grundriss,  I-,  §§  660 — 664,  674  ff. 


Ausser  den  hier  angeführten  Analogien,  welche  die  Möglichkeit 
eines  Ueberganges  von  f,  t^  in  ti,  tu  belegen,  weisen  wir  noch  auf  einige 
Spracherscheinungen  aus  dem  Kleinrussischen  selbst  hin,  welche  die 
oben  vorgeschlagene  Erklärung  des  Verlustes  der  Palatalisation  vor 
altem  e  und  i  bekräftigen.  Im  Zusammenhang  hiermit  steht  nämlich 
der  Umstand,  dass  die  Kleinrussen  den  gemeinrussischen  ^-Laut,  das  ge- 
schlossene /,  in  offenes  umwandelten,  d.  i.  in  dasjenige  ij  welches  von 
einigen  russischen  Forschern  mittleres  i  genannt  wird:  i^  ging,  wie 
wie  wir  sahen,  in  ri'^  über,  woraus  /^  entstand.  In  den  ungrorussischen 
Mnndarten,  welche  den  Unterschied  von  i  und  y  erhalten  haben,  wird 
der  erste  Laut,  wenn  er  auf  das  gemeinrnssische  i  zurückführbar  ist, 
überhaupt  »offen«  ausgesprochen,  wogegen  ij  überhaupt  zu  den  »ge- 
schlossenen« Lauten  zu  rechnen  ist  (Broch,  Archiv  XVII,  324  ff.).  In 
der  Mehrzahl  der  kleinrussischen  Mundarten  aber  fielen  i-  und  y  zu- 
sammen, wobei  in  einigen  von  ihnen  (in  den  ukrainischen)  i'^  das  y  ver- 
drängte, in  anderen  (den  galizischen)  umgekehrt  y  das  i"^. 

Im  Zusammenhang  mit  dieser  Erklärung  steht  noch  die  Erhaltung 
der  mouillirten  Consonanten  vor  diphthongischen  Lautgruppen  wie  ie  (t). 
In  diphthongischer  Verbindung  konnte  i  seine  »geschlossene«  Aussprache 
nicht  verlieren:  daher  z.B.  das  Wort  niemyi,  wenn  es  auch  gemäss  dem 


232  AI.  Sciiachniatov, 

Vorhergehenden  in  nriemyi  überging,  bewahrte  dennoch  sein  palatales  ti 
wegen  der  »geschlossenen«  Aussprache  des  folgenden  /.  Man  vergleiche 
die  spätere  aber  dialektisch  sehr  verbreitete  Erweichung  der  Consonan- 
ten  vor  geschlossenem  i  aus  ü,  das  aus  diphthongischem  tco  hervorging : 
kiev.-galizisches  nis^  d'im  aus  gemeinruss.  nos^  dorn. 

Die  Geschichte  der  gemeinrussischen  Lautgruppen  %,  </«/,  /y  im 
Kleinrussischen  gibt  auch  einen  Einblick  in  die  uns  interessirenden 
Fragen.  Der  Laut  y  war  labialisirt  im  Gemeinrussischen,  im  Gegensatz 
zur  heutigen  Aussprache  im  Grossrussischen,  sowie  in  der  Mehrzahl  der 
Weissrussischen  und  galizischrussischen  Mundarten.  In  einigen  weiss- 
russischen  Mundarten  des  Minsker  Gouvernements  wird  y  wie  u  ausge- 
sprochen, hauptsächlich  nach  Labialen,  aber  auch  nach  Dentalen.  Herr 
Jantschuk  hat  in  seinem  Aufsatze  »IIo  Mhiickoii  ryöepiiin  iSaMixKii 
HST.  no'iSAKH  B-L  18SG  ro^y)«  i)  auf  eine  solche  Aussprache  in  den  Mund- 
arten des  Kreises  von  Recica  hingewiesen  und  als  Beispiele  My,  öyKt. 
öycxptiH,  cyiit  angeführt.  Der  verstorbene  Ethnograph  H,  Schein 
zeigte  mir  eine  Aufzeichnung  aus  dem  Gouvernement  Minsk,  in  der 
ebenfalls  überall  u  statt  y  zu  lesen  war.  Vergl.  hiermit  die  Eigenthüm- 
lichkeit  der  Karpatendialekte,  hauptsächlich  der  Mundart  der  Bojken 
wo  »der  Vocal  y  eine  tieftönende  gutturale  Aussprache  bekundet 
(Ogonowski,  Studien,  §  39).  Im  Laufe  der  Zeit  jedoch,  nachdem  die 
Gemeinsprache  der  Russen  in  Dialekte  zerfallen  war,  büsste  y  im  Einzel- 
leben der  Dialekte  seine  ursprüngliche  Aussprache  ein  und  verlor  die 
Labialisation  2].  Im  Zusammenhang  hiermit  mussten  auch  die  voraus- 
gehenden, früher,  wie  wir  sahen,  labialisirten  Consonanten  diese  ihre 
Labialisation  verlieren:  statt  ^",  ;^'*,  />"  u.  s.  w.  entstanden  vor  y  —  i. 
«,  p.  Gleicherweise  verloren  diese  Labialisation  auch  die  Gutturalen, 
was  von  der  Veränderung  der  sämmtlichen  Articulation  dieser  Conso- 
nanten begleitet  war.    Statt  der  Gutturalen  entstanden  palatale  /*;,  g  [y]^  / 


1)  TpysBi  9rHorp.  otj.  OömecTBa  JIioö.  cciecrB.,  aurpoii.  u  STHorp.,  kh.  IX 
(CöopH.  CBis-  Ä-ia  Hsyienia  öMia  KpecT.  Hace^reiiia  Pocciu,  elih.  I). 

2)  Vergl.  Aebnliches  in  fast  allen  slavischen  Sprachen,  wobei  mehrere 
von  ihnen  bis  zum  Uebergang  von  ij  in  i  reichten.  Sehr  belehrend  sind  die 
Lautverhältnisse  des  Niederlausitzischen,  wo  gemeinsl.  y  vor  labialen  und 
gutturalen,  wenn  kein  solcher  Coasonant  vorausgeht,  auch  vor  mouillirten 
Consonanten,  bis  jetzt  gerundet  (aber  palatal)  ausgesprochen  wird,  während 
es  in  anderer  Lage  palato-guttural  und  nicht  gerundet  wird.  Mucke,  Histor. 
uad  vergl.  Laut-  und  Formenlehre  der  Niedersorb.  Sprache,  §  8. 


Wie  im  Kleiuriiss.  die  Palatalisatiou  der  Cons.  vor  e  u.  /  verloren  ging.     233 

und  zwar  im  Zusammenhange  mit  dem  Verluste  der  gutturalen  Aus- 
sprache des  Vocales.  Solche  Palatallaute  waren  in  der  Sprache  uube- 
kannt,  da  das  Gemeinrussische  aus  dem  Gemeinslavischen  nur  die  gut- 
turalen k,  (j  (/  ,  •/  ererbte.  Was  aber  die  vom  Gemeinslavischen  alt- 
ererbte Palatallaute  anbetrifft,  so  waren  sie  alle  schon  im  Gemeinslav. 
mouillirt  ausgesprochen  (vergl.  /<,  /',  ä',  z\  ,v,  i).  Dies  war  die  Ursache, 
dass  neuentstandeue  Palatallaute  auch  mouillirt  wurden;  palatale  k, 
9  {y\  y.  gingen  in  /',  g  (/'),  '/  über.  Nach  diesen  Lauten  musste  Voeal 
y  in  i  übergehen  in  Folge  einer  Lautassimilation  und  so  bildeten  sich 
aus  gemeinrussischen  k"ynuh,  (/"ybnufi,  y"ytryi  in  den  einzelnen  rus- 
sischen Mundarten  Icimiti,  yibnuf'i^  y'itryi.  Die  südrussischen  (klein- 
russischen) Mundarten  veränderten  schon  frühzeitig  k^y^  y^y,  yj^y  in 
k'i,  y'i,  y'i.  Dies  lässt  sich  aus  den  Schriftdenkmälern  nachweisen, 
welche  schon  im  XI.  und  XII.  Jahrh.  Schreibungen  wie  kh,  th,  xh 
statt  KM,  rti,  xti  aufweisen.  Vergl.  im  Dobril.  Ev.  vom  Jahre  1164: 
unKun  ace  5ld,  b-bckhco  5i)d,  152b,  im  Galizischen  Ev.  vom  J.  1 144  : 
HOCbCKiiii  13b,  9()a  u.  andere  mehr,  ^i.t'ickhu  :^7a  u.  andere  mehr. 
Diese  k'i,  y'i,  y'i  veränderten  sieh  noch  in  der  gemeinkleinrussischen 
Epoche  in  ki-,  yi-,  yi'^  nach  demselben  Gesetze,  wonach  (i,  ni,  l'i  zu 
ti-,  ni'^,  U-  werden.  Dass  die  gegenwärtige  kleinrussische  kidati,  glu- 
pi,  noyi  (Gen.  sg.)  auf  urkleinrussische  kiclaii,  gltiy'ii,  noy'i,  nicht  aber 
&vii  kydaf'i,  ghiyyi,,  noyy  zurückgehen,  ist  ersichtlich  1)  aus  den  ungro- 
russischen  Mundarten,  welche  ^-  und  y  bisjetzt  unterscheiden  und  nach 
k^  y,  X  nicht  y,  sondern  i^  aufweisen  {vhidyki^,  ki^i,  druyiH:  Broch), 
2;  aus  Fällen,  wo  wir  vor  ki"^  ein  s  oder  z  im  Kleinrussischen  treffen: 
kleinruss.  pyciiKim,  pycbKoro.  .itBißCBKiij,  u.iuolkhj,  niisbKuj,  c.iii.3bKHJ 
u.  s.  w.  kann  man  nur  dadurch  erklären,  dass  k  im  Nomin.  sg.  vor  i 
(resp.  älterem  y)  einst  palatalisirt  ausgesprochen  wurde. 


Einige  chronologische  Daten  über  die  Zeit  des  Verlustes  der  Pala- 
t€alisation  der  Consonanten  vor  e,  i  gewinnen  wir  aus  der  Erforschuug 
der  Geschichte  der  gemeinrussischen  Verbindungen  t'bje,  ihji  im  Klein- 
russischen.    Es  ist  bekannt,   dass  in  den  Lautgruppen  mouillirte  Con- 
!  sonans  +  hj  -f-  Vocalis  in  der  gemeinkleinrussischen  Epoche,  nachdem 
' ')  geschwunden  war,  eine  Anähnlichung  des  j  an  den  vorhergehenden 
I  Consonanten  stattfand:  so  ging  gemeinruss.   icinhja  in  iiinna  über, 
vergl.  die  gegenwärtige  cbhhha,  öpaxTH,  iii'rao,  rpa3.3io,  ajA^V)  (Accus, 
sg.),  31JI.II0  (Dat.  sg.),  yKHTTlÖ  (Loc.  sg.)  u.  s.  w. 


234  AI.  Schachmatov, 

Statt  des  gemeinrussiscLen  t'hje  kam  im  Auslaute  im  Gemeinklein - 
russischen  t'ia  zum  Vorschein  (hierbei  entstand  galizisches  iie^  i!e  in  Folge 
des  allgemeinen  Gesetzes  über  den  Uebergang  des  a  in  e  nach  einem 
palatalen  Consonanten);  iia  statt  ihje  tritt,  wie  bekannt  ist,  unabhängig 
davon  auf,   ob  der  Accent  auf  den  Endvocal  fällt,  oder  nicht:  vergl.    \ 
ukrain.  jkhtth,  BeciJijrH  und  Becixia,  anaxTa,  BO.iocca,  desnyTTa,  öen- 
BWfl,  sijuifl  und  sijijiK  (OcHOBa,  I,  1 1)  u.  s.  w.    Nun  fragt  es  sich  aber, 
führt  solch  ein  iia  unmittelbar  zu  gemeinrussischem  ihje  oder,  ob  viel-    \ 
leicht,  noch  vor  dem  angedeuteten  Assimilationsprocess,  das  e  im  Aus- 
laute in  der  Stellung  uach/ij)  zu  a  wurde.    Wenn  wir  das  nordgrosü- 
russische   JincTtH,   KOJita,    Kjio^ita  u.  s.  w.  in   der  Bedeutung  zunächst 
eines  Nominativs   singularis   und   später   dann   als  Nominativ  pluralis 
(statt  gemeinrussischen   Ksthj'e^  kohje^   klochje)   ins  Auge  fassen,   so 
müssen  wir,  glaube  ich,  annehmen,  dass  der  Uebergang  von  je  zu  ja    . 
unabhängig  von  der  Veränderung  des  vorhergehenden  Consonanten  zu 
Stande  kam.    In  dieser  Annahme  bestärkt  mich  unter  anderem  die  Aus-    . 
spräche  des  ukrainischen  Bifia  (Deichsel  beim  Ochsenwagen,  Potebnja),    | 
vergl. galiz.  ßie,  aus  gemeinruss.  vojhje  (vergl.  grossruss,  und  weissruss.    j 
Bofie,  Bane,  serb.  oje):  offenbar  ging  e  in  diesem  Worte  eben  nachy(?')     ' 
in  a  über.     Natürlich  erschien  /a  an  Stelle  von /e  vermittelst  y« :  der    i 
Uebergang  von  ja  h\  ja  ist  analog  dem  Uebergang  eines  jw  in /m,  yö    t. 
in /o  (vergl.  grossruss.  und  kleinruss.  moj(/  aus  gemeinslav.  motu,  nord- 
grossruss.  und  kleinruss.yomw  aus  gemeinslav.  yömw).     Was  dann  die 
Veränderung  eines  ye  zu  ja  anlangt,  so  kann  hier,  wie  mir  scheint,  nur 
von  einer  unphonetischen  Veränderung  einesyö  (ausye)  zuyä  die  Rede 
sein:  die  gemeinrussische  Sprache  ererbte  aus  dem  Gemeinslavischen 
im  Auslaute,  nach  mouillirten  Consonanten  und  nach  demy,  den  ö-Laut 
und  nicht  ä  (vergl.  altruss.  o  in  khäiko,  ABopumo,  namo),  während 
in  der  Stellung  nach  (  (?' vertraty  ursprünglich  vor  einem  betonten 
Vocal)  e  im  Auslaut  im  Gemeinrussischen  (und  offenbar  auch  im  Gemein- 
slavischen)  wie  ä  lautete   (daher  kleinrussisch   Moe  im  Neutrum ,  aus 
moiä,  nicht  aber  aus  mojö). 

Bedingt  von  Accentverhältnissen  kamen  nun  z.  B.  in  den  Worten 
neutrius  generis  folgende  verschiedene  Ausdrucksweisen  im  Gemein- 
russischen zum  Vorschein  :  döhrojö,  aber  moiß,  vesehjöy  aber  veseha, 
voUshjö,  aber  zithia.  In  den  grossrussischen  Mundarten  verdrängte  yö, 
woraus  yo,  die  Endung  iä  (daher  grossruss.  a:HTte,  Moe),  wobei  iä  nur 
in  den  Worten  mit  coUectiver  Bedeutung  sich  erhielt  (daher  a  in  jincTLa, 


Wie  im  Kleinruss.  die  Pahit.ilisation  der  Cous.  vor  e  w.  i  verloren  jjing.     23.') 

KOJibfl.  BOJioefcfl,  was  jetzt  als  Nom.  pl.  in  den  meisten  Mundarten  gilt). 
Im  Kleinrussischen  dagegen  verdrängte  {ü  die  Endung  jö:  so  kamen 
rAiirom  (^odpoß),  voiöshiä,  veselhiä  zum  Vorschein.  Nachdem  h  ausfiel, 
wurde  i  zwischen  Consonanten  zu  J:  auf  solche  Weise  entstanden  vi- 
sefjä,  voiö.ijä,  zifja.,  woiaus  vielleicht  noch  vor  der  Anähnlicliung 
eines  y  an  den  vorhergelienden  Consonanten,  vesrlja,  coiösja^  zitjä. 
Aus  diesen  letzteren  Formen  sind  die  gegenwärtigen  nece.on  und  Be- 
cijJiH,  BGüoccfl,  atHTTH  ZU  erklären.  Wir  sehen  also,  dass  von  einem 
hje  im  Auslaut  keine  Rede  im  Gemeinrussischen  sein  kann,  weil  e  im 
Auslaut  entweder  ö  oder  (7  wurde:  im  Gemeinkleinrussischen  kann  man 
nur  von  hiä  sprechen,  da  die  Endung/o  vollständig  durch  iU  verdrängt 
wurde. 

Was  finden  wir  nun  aber  statt  der  gemeinrussischen  f'hji  und  t'hjc 
im  Inlaut?  Bei  der  Entscheidung  dieser  Frage  müssen  wir  die  Formen 
des  Instrumentals  cmItthm,  BeciJijrHM,  oöjhwihm  bei  Seite  lassen,  da 
dieselben  unter  dem  Einflüsse  der  Form  des  Nominativ  singularis  auf- 
treten: vergl.  Instr.  sg.  Te.iaM,  ahthm,  bhmt.hm  neben  Nomin.  Te.iii. 
AHTfl.  BHMtH.  Weiter  lassen  wir  ausser  Acht  öjex,  oöijiexi];«  (beiKvitka 
oöiiiberuH,  II,  205),  da  diese  und  ähnliche  Formen,  wie  auch  noniöje 
(bei  Kvitka  noniiilie,  II,  195),  oöijije  (bei  Kvitka  oöiiJt.ii,  II,  26), 
unter  dem  Schutze  des  Einflusses  der  Formen  der  1.  Pers.  sg.  und 
3.  Pers.  pl.  wie  BijiJiK)  [b-räjiio  bei  Kvitka,  I,  130),  6jy,  noniöjyTii 
auftreten . 

Andererseits  können  wohl  kaum  in  Betracht  gezogen  werden  Fälle 
wie  CBimeK),  dial.  CBiiHHeio  (FpaMMaTiiKa  IIaB.jOBCKaro) ,  mit  nicht 
mouillirtem  w,  da  ähnliche  Formen  leicht  angesichts  svina,  svinna  unter 
dem  Einflüsse  von  zemleju  (mit  nicht  mouillirtem  /)  und  zeml'a  ent- 
stehen konnten. 

Auf  diese  Weise  erscheint  die  Zahl  der  zur  Entscheidung  der  Frage 
nöthigen  Daten  als  ungenügend.  Trotz  alledem  haben  wir  aber  einigen 
Grund  anzunehmen,  dass  die  Lautverbindungen  t'hji  und  t'hje  (letztere 
als  nicht  in  der  Endsilbe  stehend)  im  Kleinrussischen  zu  ti"^  und  te 
wurden.  So  treffen  wir  entsprechend  dem  grossruss.  tref'jii  (vergl.  alt- 
russ.  TpeTBHH,  TpexHHH,  weissruss.  Tpeitbi];H,  dialekt.  nordgrossruss. 
TpexTÜI)  im  Kleinrussischen  TpexHir  und  xpexiö  an.  Die  Form  xpexnit 
könnte  man  vielleicht  aus  gemeinrussischem  trehi  erklären,  das  heisst 
aus  der  Nominaldeclination  des  Ordnungszahlwortes  (vergl.  grossruss. 
Tpexeä   in    solchen    Zusammenrflekungen    wie    caMT^-xpexeS).     Doch 


236  AI.  Schiichmatov, 

müssen  wir  1)  die  Formen  Tpexa,  Tpexe  im  Femininum  und  Neutrum 
statt  der  zu  erwartenden  TpexTa,  TpeTxe  (vergl.  das  Wörterbuch  von 
Zelecliowski)  anführen;  2)  den  Umstand  in  Anspruch  nehmen,  dass 
man  wohl  aus  syntaktischen  Rücksichten  kleinruss.  TpcTiiu  mit  gross- 
russischem TpsTeä  identificiren  darf;  3)  an  Stelle  des  gemeinrussischen 
tret'hi  würden  wir  kleinrussisches  xpeTeil  erwarten,  vergl.  kleinruss. 
co.iiOBefi,  und  ebenso  den  Geuit.  plur.  kohoiI,  Kiiflseii,  cBinieii,  TiHeS. 
obleich  im  galizischen  Dialekt  Formen  auf-iiil  im  Gen.  plur.  wie  kocthiI, 
KOHHH,  rpouiHä  verbreitet  sind.  In  Folge  alles  dessen  halte  ich  für  noth- 
wendig,  kleinruss.  TpexHä  auf  gemeinruss.  tret'bjii  zurückzuführen.  In 
dieser  Annahme  bestärkt  mich  noch  die  Parallelform  TpsTifi :  dieselbe 
lässt  sich  leicht  aus  Tpexiiii  ableiten,  wobei  das  mouillirte  t  (vor  i)  aus 
dem  Einflüsse  der  Form  des  Singularis  feminini  (welche  xpexxa,  xpexxio 
u.  s.  w.  lauten  musste),  sowie  auch  dem  Genitiv  oder  Dativ  sing,  (xpex- 
xero,  xpexxeMy)  sich  erklärt.  Bei  dieser  Erklärung  lässt  sich  begreifen, 
warum  wir  in  xpexiii  nur  ein  t  antreffen,  während  bei  Herleitung  eines 
xpexifi  direct  von  xpextiiil  es  Hindernisse  gerade  in  dem  Umstände  dar- 
bietet, dass  in  xpexiil  nur  ein  t  und  nicht  zwei  t  vorkommen.  Dasselbe 
müssen  wir  sagen  von  den  Adjectivis  wie  kosüI,  jtiiciil,  welche  statt 
Kosnil,  .iiicnil  unter  dem  Einflüsse  von  Formen  wie  icossa  (jetzt  kosa), 
K033IO  (jetzt  K03IO)  Vorkommen  (vergl.  die  Aussprache  ciffliä  neben 
CHHHil  unter  dem  Einflüsse  von  eiini,  und  ebenfalls  von  ciiuaa,  chiiioio)  ^): 
ein  einfacher,  nicht  verdoppelter  Consonant  ist  abzuleiten  gerade  aus 
der  Aussprache  Kosiii'i,  jiwcmi.  Vergl.  noch  den  Uebergang  von  hji  in  i 
in  nxamiiri,  öoacuil  (altruss.  ßoacbiiii),  ivnvimi,  BOByHi'i. 

Solcher  Gestalt  sind  wir  in  der  Lage  zu  behaupten,  dass  der  Ver- 
lust der  Palatalisation  vor  e  und  i  im  Kleiurussischen  vor  sich  ging, 
nachdem  die  gemeinrussische  Lautgruppe  Consonaus -j- y  +  Vocal  sich 
verändert  hatte  in  eine  Lautgruppe  Doppel-  oder  langer  mouillirter 
Consonant  +  Vocal.  Zur  Zeit  des  Ueberganges  eines  Wortes  nwa  in 
niiva  und  7iiva  wurde  boz'bjii  schon  wie  bozzii  ausgesprochen,  vergl. 
die  weitere  Entwickelug  zu  bozz'ni  und  bozzii,  bozii. 

Im  Zusammenhang  mit  den  hier  ausgesprochenen  Verrauthungen 
steht  auch  die  Frage,  warum  wir  in  xpexiä,  Kosiä,  kosüIh,  öoatHH  e,  o  | 
antreffen  und  nicht  Diphthonge  ?'e,  uo,  woher  ukrainisches  und  galizi- 

1)  Im  Genitiv  und  Dativ  lautet  cuhIü  (ciihuu)  wie  cuiiero,  cuucmv,  aber 
.luciii  Dur  JiHcero.  Dies  erklärt  sich  daraus,  dass  .iiicero  JiHcero  vertrat,  denn 
lisbjeyo  fing  man  noch  im  Gemeinrussischen  an  wie  lisbjoyo  auszusprechen. 


Wie  im  Kleinniss.  die  Palatalisation  der  Cons.  vor  e  n.  i  verloren  -iing.      237 

sches  ^.  Statt  tret'bii  konnten  wir  trefbv',  statt  kozhii  —  Jiözhii  erwar- 
ten, da  h  in  dieser  Lage  halbkurz  war  und  später  weggelassen  wurde 
(daraus  würden  wir  Kisiil,  Tperiil  nach  oben  Gesagtem  haben  .  Auf  die 
Verkürzung  dieses  e  und  o  war  die  Stellung  von  einem  verdoppelten 
(langen)  Consonanten  von  Einfluss.  Ebenso  stossen  wir  in  den  serbi- 
schen Tpclifi,  K()3jfi,  dtr/KJn  auf  kurze  6,  e  vielleicht  gerade  eben  des- 
halb, weil  der  Consonant  vor/,  nach  dem  Ausfall  des  h,  einst  ver- 
doppelt oder  lang  war. 

Oben  ist  darauf  hingewiesen  worden,  dass  der  Verlust  der  Palatali- 
sation vor  den  Vocalen  e,  i  im  Kleinrussischen  nicht  seines  gleichen  hat 
in  den  übrigen  slav.  Sprachen.    Hier  muss  ich  aber  eine  Einschränkung 
machen :  offenbar  haben  ähnliche  Erscheinungen  in  der  polab.  Sprache 
stattgehabt.    Im  Polabischen,  wie  auch  in  den  anderen  westslav.  Spra- 
chen, waren  einst  die  Consonanten  vor  den  palatalen  Vocalen  erweicht. 
Später  wurden  im  Polabischen  noch  Z;,  </,  y  vor  o,  w,  y  erweicht,  nach- 
dem diese  zu  palatalen  Vocalen  geworden.     Wenn  wir  hier  bei  Seite 
lassen:    1)  die  eben  genannten  neueren  palatalen  Consonanten  [K\  </,  /'), 
welche  ihrer  Palatatität  niemals  entbehren,   2)  die  Consonanten  r,  z^  s 
aus  c,  z,  s,  bei  denen  die  Verhärtung  in  jeder  Lage  stattfand,  3)  Con- 
sonanten c,  dz  aus  urslav.  c,  dz,  welche  immer  weich  ausgesprochen 
wurden,  —  so  sehen  wir,  dass  die  Erweichung  der  Consonanten  im  Po- 
labischen sich  nur  vor  solchen  Vocalen  erhielt,  welche  selbst  ihren  ur- 
sprünglichen palatalen  Charakter  verloren  hatten.    So  erhielten  sich  er- 
weichte Consonanten  vor  den  Vocalen  o  und  a  (beide  aus  dem  urslav.  §): 
:   posiik,  ionü  und  sa7iü  (Heu),   sosod,  va /'dal  und  vaid'ol;  ferner  vor  o 
(aus  urslav.  e):  desqty,  poty  (fünfter),  pota  (Ferse),  stenota  (plur.  von 
i    stinq:  junger  Hund);  vor  a  (aus  urslav.  a  oder/a,  hja):  mll'a  (Wille), 
I    zirka  (Erde),  hrot'a  (Brüder) ;  vor  ä  (aus  urslav.  i),  wenn  diesem  Laute 
i    ein  harter  Consonant  folgt:  l'än  (Lein),  viirä!  (opb.ii,),  pds  (Hund),  l'a/ii/ 
\    (leicht);  vor  dr  (aus  urslav.  tr),  wenn  dem  ?•  ein  harter  Dental  oder 
hartes  /folgt:  ewhurtij  (gestorben),  zärnü  (Korn:,  vergl.  fjärdy  (hart). 
Weiche  Consonanten  dagegen  wurden  zu  harten  vor  den  Lautentsprechun- 
\    gen  der  gemeinslavischen :  e,  /,  ^(wenn  letztes  vor  Gutturalen,  Labialen. 
'    weichen  Dentalen  und  auch  am  Ende  des  Wortes  kommt),  e  (in  derselben 
Stellung),    hr    vor  Gutturalen,  Labialen  und  weichen  Dentalen),    6  (vor 
weichen  Consonanten,  vielleicht  aber  auch  vor  Labialen);  das  ist  also 
vor  allen  Vocalen,  welche  ihren  palatalen  Charakter  aufrecht  erhielten : 


238    Al.Schachmatov,  Wie  im  Kleinruss.  die  Palatalisation  verloren  ging. 

sestra^  med^  medeu  (gen.  sg.  zu  med)^  here  (er  nimmt,  plc  (Ofen);  lije 
(er  giesst),  laipo  (Linde),  j!?ae^  (trinken),  trainadist  (dreizehn);  semnü 
(Same),  pesti  (Gesang),  pünedel  (Montag),  sveti  (erglänzt),  deva  (Mäd- 
chen); fnq  (mich),  f/e5«^  (zehn),  sa/>«c2  (schlafend),  tilq  {tbäaj'j  vdrla, 
vdrch,  pdrsUn^  mdrzne  (er  friert),  päry  (erster),  smärdi  (er  stinkt);  dän 
(Tag),  dväi'  (Thür),  päsenäica  (Weizen),  poldc  (Finger),  Idv  (Löwe). 
Dass  aber  die  Consonanten  einst  in  solcher  Stellung  mouillirt  ausge- 
sprochen wurden,  bezeugen  solche  Fälle,  wo  wir  vor  ihnen  ein  erweich- 
tes k  oder  g  oder  7  finden:  Jmqz,  Jognq  (Lamm),  ch'mil  (Hopfen)  i). 

Dem  Wesentlichen  nach  sind  die  polabischen  und  kleinruss.  Laut- 
gesetze, nach  welchen  der  Consonant  verhärtet  wird,  identisch,  denn  auch 
im  Kleinrussischen  finden  wir  Verhärtung  vor  sämmtlichen  Palatal vocalen 
mit  Ausschluss  des  Diphthonges  ic.  Die  Verschiedenheit  des  Klein- 
lussischen  und  Polabischen  in  Bezug  auf  einzelne  Fälle  hängt  davon  ab. 
dass  im  Polabischen  noch  vor  dem  Eintritt  des  Gesetzes  der  Verhärtung 
der  Consonanten  vor  palatalen  Vocalen  eine  beträchtliche  Anzahl  dieser 
Consonanten  in  die  Reihe  der  gutturalen  Laute  überging :  so  entpalatali- 
sirten  sich  die  Lautentsprechungen  der  urslavischen  e,  '£,  w  und  fe  vor 
folgenden  harten  (also  labialisirten)  Dentalen  (^,  (7,  5,  0,  w,  r,  /),  woraus 
die  Vocale  0,  a  hervorkamen,  vor  welchen  die  mouillirten  Consonanten 
sich  erhielten.  Im  Kleinrussischen  dagegen  wurde  nur  urslavisches  e 
(und  zwar  in  jeder  Stellung)  entpalatalisirt,  woraus  a,  vor  welchem  die 
Mouillirung  sich  bewahrte;  alle  anderen  palatalen  Vocale  blieben  (beim 
Eintritte  der  Consonantenverhärtung)  noch  palatal,  sogar  das  ö  (aus 
urslav.  e  vor  harten  resp.  labialisirten  Consonanten),  welches  viel  später 
in  den  anderen  russischen  Dialekten  sich  entpalatalisirte  (woraus  0)  ^). 

Somit  ist  die  polabische  Verhärtung  der  Consonanten  eine  der  kleiu- 
russischen  analoge  Erscheinung  und  findet  daher  ihre  Erklärung  in  der 
Annahme  des  Hervortretens  eines  Gleitlautes  (?)  zwischen  erweichtem 
Consonanten  und  darauffolgendem  palatalen  Vocal. 

1)  Vergl.  Schleicher,  Laut-  und  Formenlehre  der  polab.  Spr.  124  und  die 
vortrefflichen  Bemerkungen  Lorentz's  (Archiv  XXIV,  8  ff.)  und  Mikkola's 
(Betonung  u.  Quantität  in  den  westslav.  Sprachen,  I,  10  ff.). 

2)  Bemerkungswürdig  ist  das  0  in  ji'on,  Nebenform  von -ich  (Lein,  Flachs): 
.ü'  stammt  aus  den  Casus  obliqui  (.i'ny  ji'hom);  o  vertrat  e  also  nicht  auf  laut- 
lichem Wege,  sondern  durch  Analogiewirkung  solcher  Wörter  wie  coH-cua, 
poT-pia  u.  s.  w. 

St.-Petersburg,  im  October  1902.         Al.Schachmatov. 


239 


leoii's  des  Weisen  AVeissaguugeu  nach  dem  Evangelinm 

nnd  Tsalter. 


In  meiner  vor  drei  Jahren 
erschienenen  Monographie  über 
die  Weissagungs-Psalter  i)  hatte 
ich  Gelegenheit,  eines  südslavi- 
schen  handschriftlichen  Psalters 
Erwähnung  zu  thun,  in  welchem 
eine  Anleitung  vorkommt,  wie 
man  auf  Grund  der  guten  oder 
bösen  Vorbedeutung  des  ersten 
Buchstabens  der  ersten  Zeilen 
einer  zufällig  aufgeschlagenen 
Seite  im  Evangelium  oder  Psal- 
ter Weissagungen  machen  kann. 
Das  ist  die  sogenannte  ßißho- 
/.lavTsia  (Büchermantik).  Vergl. 
S.  59 — 62  meines  Werkes.  Die 
Analyse  jenes  Textes 2)  führte 
mich  zu  der  schon  damals  aus- 
gesprochenen Vermuthung,  dass  die  slavische  Fassung  dieses  Tractates 
auf  derUebersetzung  aus  dem  Griechischen  beruhe,  doch  hatte  ich  damals 
die  vermuthete  griechische  Vorlage  noch  nicht  zur  Hand.  Gegenwärtig 
ist  meine  damalige  Vermuthung  zurThatsache  geworden:  ein  wenn  auch 
nicht  vollständig  übereinstimmender  griechischer  Text  wurde  nach  dem 
in  dem  monumentalen  Werke  K.  Krumbacher's  (Gesch.  d.  byzant.  Lite- 
ratur, München  1897,  S.  631)  enthaltenen  Citate  leicht  gefunden  und 
für  mich  aus  der  Berliner  Handschrift  (Cod.  Berolin.  Philipp.  1479)  von 
Herrn  Dr.  H.  Schöne  freundlichst  abgeschrieben  ^).     Sein  Titel  lautet : 

•)  IIsT.  ucTopiu  OTpeicHHLixT)  Kuiiri..  I.  ra.iauifl  no  nca.!iTHpH  (Haa.  Hiinep. 
06m.  JIioö.  Äp.  nucBM.  Cnun.  1899,  Nr.  CXXIX;. 

2;  Er  ist  in  dem  unter  i)  citirten  Werke  als  Beilage  II  (S.  15 — 20)  abge- 
druckt. Vergl.  Archiv  f.  slav.  Phil.  XIV.  46. 

3)  Ich  berichtige  aus  diesem  Anlasse  eine  üngenauigkeit  des  Krum- 
bacher'schen  Citats.    Der  uns  angehende  Text  in  der  Berliner  Handschrift 


«^^ 6^"^^^^;^^^^^^ 


2  10  M.  Speranskij, 

Blid-odog  itgayvioorr/J]  rnü  ayiov  Evayyüdov  >)  rov  ipaXrriqiov. 
TCoirif.ia  tivvqo  yleovrog  tov  aorpov.  Der  slavische  Text  schreibt  die 
Abhantlhing  dem  Propheten  Samuel  zu  (vgl.  S.  15  meiner  Ausgabe 
in  der  Beilage)  und  schon  dadurch  gibt  sich  die  Unabhängigkeit  der 
slavischen  Redaction  von  dieser  griechischen  kund.  Nichtsdestoweniger 
ist  der  hier  zur  Veröffentlichung  gelangende  griechische  Text  für  die 
Beleuchtung  des  Slavischen  sehr  wichtig,  wenn  man  nur  ihr  gegen- 
seitiges Verhältniss  richtig  so  auffasst,  dass  in  den  vorhandenen  zwei 
Texten  (dem  griechischen  und  slavischen)  Varianten  eines  griech.  Ur- 
textes vor  uns  liegen,  zu  dessen  Reconstruction  bald  die  griechische 
(Berliner),  bald  die  slavische  Redaction  bessere  Ueberlieferung  gewahrt 
hat.  Auf  diese  Weise  kann  also  der  slavische  Text  dann  und  wann  füi 
die  Wiederherstellung  des  griech.  Urtextes  gute  Dienste  leisten. 

Die  Weissagung-  geht  nach  folgendem  allgemeinen  Schema  vor 
sich :  Nach  der  Vorbereitung  durch  Fasten  und  Gebet  wird  betreffs  der 
gewünschten  Frage  das  Evangelium  oder  der  Psalteiy  aufgeschlagen  und 
betrachtet,  mit  welchem  Buchstaben  die  aufgeschlagene  Seite  beginne; 
nach  einer  beigefügten  Alphabettafel  wird  leicht  herausgebracht,  ob  der 
gefundene  Buchstabe  zu  den  glücklichen  oder  unglücklichen  zähle  (die 
an  ungeraden  Stellen  stehenden  Buchstaben  des  griech.  Alphabetes 
gelten  als  unglücklich) :  im  ersten  Falle  schreibt  man  auf  einen  Streifen 
Papier  [nnuiiim,:  rcoirjoov]  zwei  Punkte,  in  letzterem  nur  einen  Punkt. 
Durch  die  viermalige  Wiederholung  dieses  Vorganges  (nach  den  vier 
aufeinander  folgenden  Zeilen)  gewinnt  man  das  Gy/]i.ia  (=  oöpast)  mit 
allen  seinen  möglichen  Combinationen,  im  Ganzen  sechzehn  Figuren 
(vergl.  unten  beim  griech.  Texte).  Im  weiteren  Verlaufe  des  Textes 
wird  die  prognostische  Bedeutung  einer  jeden  Combination  erklärt.  Der 
Vorgang  der  Weissagung  ist  zwar  in  dem  griechischen  und  slavischen 
Text  identisch,  doch  die  Darstellung  selbst  weicht  im  slavischen  von 
dem  griechischen  etwas  ab,  so  dass  hier  der  griech.  Text  nicht  mit  Hilfe 
des  slavischen  reconstruirt  werden  kann,  obgleich  er  in  Folge  des 
schlechten  Zustandes  der  handschriftlichen  Ueberlieferung  einer  Be- 
richtigung bedarf.     Ein  weiteres  Auseinandergehen  der  beiden  Texte 


reicht  nur  bis  fol.  Si",  weiter  folgt  ein  anderer  Text  astrologischen  In- 
halts, der  mit  unserem  nichts  zu  thun  hat,  nur  die  Weissagung  nach  den 
Punkten  ist  ihnen  gemeinsam.  Der  Anfang  dieses  Textes  hautet :  -fei  yivä- 
G/.Eii'  oTi  TQEli^  ei(TU'  oi/.oi.  Aus  dem  Schluss  [i.  4^)  erfährt  man  den  Titel  die- 
ses Tractates:   TtXog  %r,g  ITvO^KyontyJ;;  ßi'i'/.ov. 


Leon's  des  Weisen  Weissagungen  nach  dem  Evangelium  und  Psalter.  211 

besteht  in  der  Aufzählung  der  glücklichen  und  unglücklichen  Buch- 
staben: der  griechische  zählt  ganz  riclitig  l;eini  vollen  Umfang  von  24 
Buchstaben  12  als  unglückliche  (die  ungeradeu  12,  mit  einiger  Störung; 
auf,  der  slavische  hat  nur  1 1  unglückliche  aufgezählt,  indem  er  i>  (das 
im  griechischen  nach  C  steht)  auslässt,  an  die  Stelle  des  griech.  o  den 
Buchstaben  p  und  statt  7t  den  Buchstaben  t  schreibt.  Die  Auslassung 
<3es  i9-  könnte  in  der  seltenen  Anwendung  dieses  Buchstaben  im  Slavi- 
schen  ihren  bewussten  Grund  haben.  Was  aber  den  Wechsel  zwischen 
7t  und  T  anbelangt,  so  ist  hier  der  slavischeu  Ueberlieferung  der  Vorzug 
einzuräumen :  denn  in  der  zweiten  (glücklichen)  Reihe  des  Alphabetes 
wäre  das  griech.  7t  an  seiner  Stelle,  während  r  im  griech.  Texte  gänz- 
lich fehlt.  Andererseits  würde  die  Verwechselung  des  .t  mit  t  in  dem 
zweiten  Theile  die  Reihenfolge  stören  [':^  t  q  yi  .  .  .).  In  dem  zweiten 
(glücklichen)  Alphabettheil  bietet  der  griech.  Text  nur  II  Buchstaben, 
doch  die  Lücke  des  ausgelassenen  w  ist  nicht  schwer  auszufüllen.  Im 
Ganzen  fehlt  im  griechischen  Text  nur  w,  das  durch  den  slavischen 
Text  an  richtiger  Stelle  eingesetzt  wird.  Der  slavische  Text  lässt  im 
zweiten  Alphabettheile  (der  glücklichen  Reihe)  fehlerhaft  den  Bucli- 
staben  k  aus  (die  mit  k  beginnenden  Wörter  sind  bekanntlich  im  Sla^i- 
schen  recht  zahlreich),  statt  q  gibt  er  aber  s,  was  leicht  dadurch  erklärt 
wird,  dass  p  in  den  ersten  Theil  des  Alphabets  gestellt,  folglich  hier 
tiberflüssig  war,  seinen  Ersatz  durch  s  könnte  man  vielleicht  aus  der 
Häufigkeit  der  mit  diesem  Buchstaben  anfangenden  slav.  Wörter  ab- 
leiten, allein  in  der  alphabetischen  Reihenfolge  findet  8  als  solches  (statt 
oyl  keinen  Platz.  Der  einer  verhältnissmässig  späten  Zeit  angehörende 
slavische  Schreiber  wusste  von  der  Entstehung  des  b'  nichts  mehr,  und 
wie  er  o  'von  j  auseinanderhielt,  so  machte  er  auch  den 'Unterschied 
zwischen  o  und  5>.  Im  slavischen  Text  blieb  ferner  o  unbeachtet,  das  ent- 
weder im  ersten  Theile  statt  p  oder  im  zweiten  statt  s  seinen  Platz  hätte. 
Das  Schema  der  Deutungen  über  die  gefundene  Combination  der 
Punkte  ist  im  griechischen  und  slavischen  Texte  gleich,  und  zwar  in 
folgender  Weise:  a)  zuerst  steht  die  Benennung  der  gegebenen  Combi- 
nation (dafür  die  Formel  '/.aXelrai  =  iiapiiuaeT  ce),  b)  dann  folgt  die 
Bedeutung  derselben  (dafür  die  Formel  ör^Xot  =  MBjiMexb)  für  vertichie- 
^ene  Einzelfälle  und  c)  ihre  Bedeutung  im  Allgemeinen  (arthog  ■-— 
npocTo).  Die  verschiedenen  Anwendungsfälle  der  Weissagung  sind 
durchaus  nicht  mannichfaltig;  mit  grösserer  oder  geringerer  Vollständig- 
keit in  jedem  Schema  wiederkehrend,  können  sie  auf  folgende  Gruppen 

Archiv  für  slavische  Philologie.    XXV.  IG 


242  M.  Speranskij, 

zurückgeführt  weräen:  tvsqI  Ttgäyf-iarög  zipog  (=  o  Koeii  Beiii,H)  —  so 
im  Schema  1.  2.  3.  6.  9;  nSQi  TtoXefiov  (=  o  ÖpaHn)  —  so  in  3.  6.  7. 
8.  9.  10.  11.  12.  13.  14.  16;   rteql  rUr^g  lyßQÖjv  (=  o  noö^A'^  ßpart) 

—  30  in  5.  6.  8.  9.  10.  11.  12.  13.  14.  15;  nsQ).  aQqtooxiag  (=  o 
HeM0iii,H)  —  so  in  6.  7.  8.  9.  10.  1 1.  12.  14.  15.  16;  tieqI  Tey.voTtoUag 
[==  0  qeAOTBopeHiH)  —  so  in  8.  9.  11.  15;  7tE()l  '/.üorqov  (=  o  rpaA») 

—  in  10.  15.  16;  TCEqi  xQrji.idrtov  (=  o  HMimii)  —  in  8 ;  7t€Ql  ßaoi- 

lelag  {=  o  i];ptbh)  —  in  4 ;  jceqi  ya(.iLy.ov  avvalldyf.iaTog  (=  abest) 

—  so  in  1 1 ;  tteqI  lyyvov  yvvaiKÖg  {=  abest)  —  so  in  13.  Die  übliche 
Einführungsformel  für  einzelne  Fälle  lautet:  ei  de  neql  .  .  .  eqdorrioig 

'S"  c" 

(=  ame  0  .  .  .  K  Btnpo). 

Aus  einer  Vergleichung  des  slavischen  mit  dem  griechischen  Text 
nach  diesen  Rubriken  ergibt  sich  folgendes :  der  slavische  Text  gibt 
nicht  alle  Einzelfälle  der  Weissagung  dort,  wo  sie  der  griechische  hat. 
So  fehlt  im  6*®"^  Schema  die  Beziehung  auf  die  Fragen:  neq!  Ttolef-iov, 
Tteql  ftqäyiiaTÖg  ripog;  im  8*®°  Schema  auf  die  Fragen:  TteQi  TtoXi- 
f.iov,  7t.  rezvoTtoUag,  7t.  %OYi(.uxrcov\  im  9*^"^  Schema  auf  die  Fragen 
7teQl  7tolef.iov,  7t.  ex^QÖJv  vl'/.rjg,  7t.  äggioarlag;  im  Uten  ^^^f  ^jg 
Fragen  7t.  yafj.iy.ov  avval,X<xyf,iaTog.,  7t.  7tolef.iov,  7t.  ccQQcootiag,  7t. 
Texvo7toUag ;  im  12*^"  auf  die  Frage  7t.  Ttoleuov,  im  13*^°  auf  die 
Fragen  tteqI  ey&qüv^  7t.  7toXe(.iov.,  7t.  aQQCoorlccg^  7t.  eyyvov  yvvui- 
y6g\  im  14*^"^  7t.  7toXei.iov,  7t.  aQQioatiag;  im  IS*®"^  7teQL  zdotQov. 
Eine  solche  Menge  von  Auslassungen  im  slav.  Text  lässt  voraussetzen, 
dass  unserer  Uebersetzung  eine  andere,  kürzere  griechische  Redaction 
zu  Grunde  liegt.  Diese  Voraussetzung  gewinnt  an  Wahrscheinlichkeit, 
wenn  man  bei  sonst  gleichem  Inhalt  an  verschiedenen  Stellen  im  slavi- 
schen eine  kürzere  Darstellung  bemerkt,  als  im  griechischen  Text.  Z.B. 
in  oy.  e  liest  man  griechisch:  ei  de  Tteql  aQQioatlag  öiqkol  vyeiav  Y.a\ 
dTtaXlayrjv  tfjg  vöaov,  im  slavischen  nur:  aiii,e  jih  o  HeMoni,H  HEJiBeTt 
spaBie ;  oder  0%.  'C :  yaX  a7tX(hg  dia  av  eitj  eQiürrjatg,  eiq  IvTtrjv  xa* 
drtOTVxiav  xarai/r«,  im  slavischen :  h  npocTO  bcb  Heoyjs^ieme  hb- 
jiMBT  ce;  Gy.  ig  :  xal  ei  7teQl  Ttole^iov  iorlv  f]  tgtorinoigj  viy.r]S-Tqae-' 
rat  b  eqoirCöv  '/.aX  xaraiaxw^rjaerai,  im  slav.  nur:  h  au],e  o  paxH, 
noö^AHT  06  BT)npocHBtiH  u.  s.  w.  Diese  Abweichungen  sind  nicht  als 
zufällige  Auslassungen  des  slavischen  Textes,  sondern  als  redactionelle 
Aenderungen,  die  auf  einer  anderen  griechischen  Vorlage  beruhen,  auf- 
zufassen,   was  man  auch  aus  folgendem  Beispiele  erschliessen  kann: 


Leon's  des  Weisen  Weissagungen  nach  dem  Evangelium  und  Psalter.   243 

Seh.  1 0  im  slavischen  Text  lautet  so :  MBjiMex  ate  tt^vj^t,  t^jibchmS  h 
iipo.3HTie  KpfcBH  H  npocTO  B'Lce  iieoyjibqenie  h  3jio  KaÄeTi,  der  griech. 
Text  ist  hier  viel  ausführlicher.  Die  Auslassungen,  die  man  mechanisch 
deuten  darf,  d.  h.  die  keinen  griech.  Hintergrund  haben,  sehen  anders 
aus,  z.  B.  der  slav.  Text  beginnt  wie  der  griechische  consequent  immer 
mit  der  Benennung  des  Schema  (oöpast),  allein  in  dem  7.  u.  10.  Schema 
fehlt  die  stereotypisch  sich  wiederholende  Phrase:  iiapimaexce  =  x«- 
XslTUL.  Diese  ist  also  hier  aus  Unachtsamkeit  ausgeblieben,  Aehnlich, 
durch  mechanische  Auslassung,  sind  zu  erklären  die  Lücken  in  Seh.  g 
der  fehlenden  Uebersetzung  für  y.ai  ev(pQoovvi]g^  im  Seh.  ß'  für  eqi- 
dog,  im  Seh.  ai  für  -/.al  evcpQoavvrjv,  im  Seh.  yi  für  tiXovtov  xai,  im 
Seh.  et  für  vyiaivei  u.  s.  w. 

Weiter,  ungeachtet  aller  üebereinstimmung  des  griechischen  und 
slavischen  Textes  in  analogen  Stellen,  enthält  der  letztere  dennoch  auch 
solche  Züge,  die  ohne  Zweifel  auf  ein  griechisches  Original  zurückzu- 
führen sind,  aber  in  dem  griech.  Text  unserer  Redaction  vergebens  ge- 
sucht werden.  Ein  solcher  Fall  kommt  zur  Geltung  bei  der  Beschrei- 
bung der  einzelnen  Combinationen  der  Punkte:  der  griech. Text  zeichnet 
zuerst  das  betreffende  Schema  in  Punkten  und  fährt  dann  so  fort :  ro 
.  .  .  .  (Zahl)  oyr^ucc  voiovrov;  der  slavische  Text  dagegen  findet  es  ar- 
gezeigt,  das  betrefi"ende  Schema  (oöpasi.)  mit  Worten  zu  beschreiben, 
z.  B.  so:  ce^MLiH  o6pa  k  chkob^,  H3Ke  ü;  BÄHHoro  .luxaro  h  wj  ;i;boh 
TTbKMH  H  BÄHHoro  jHxaro  u.  s.  w.  Endlich,  wie  bereits  oben  angedeutet 
wurde,  gehen  die  beiden  Texte  schon  in  der  Ueberschrift  nicht  bloss 
stilistisch,  sondern  auch  inhaltlich  auseinander :  der  eine  wird  dem  in 
der  griech.  Literatur  sehr  bekannten  Leon  dem  Weisen,  der  andere  dem 
Propheten  Samuel  zugeschrieben.  Bei  der  sonstigen  Gleichheit  in  der 
Beschreibung  des  eigentlichen  Vorganges  der  Weissagung  wird  das 
Material  selbst  in  jedem  Text  anders  gruppirt:  der  griechische  setzt  die 
Tafel  der  glückliehen  und  unglücklichen  Buchstaben  ans  Ende  der  Ein- 
leitung, der  slavische  in  die  Mitte  der  einleitenden  Beschreibung,  und 
auch  die  Stilisirung  der  Beschreibung  der  Weissagung  ist,  so  weit  man 
das  nach  der  fragmentarischen  Ueberlieferung  des  griechischen  Textes 
beurtheilen  kann,  eine  verschiedene.  Alle  diese  Umstände  sprechen  da- 
für, dass  der  hier  folgende  griechische  Text  und  jener  andere,  nach  der 
slavischen  Uebersetzung  vorauszusetzende,  zwei  Abarten  eines  älteren 
Prototypons  darstellen. 

16* 


244  M.  Speranskij, 

Auf  der  anderen  Seite  stimmen,  ungeachtet  dieser  Abweichungen, 
die  beiden  Texte  doch  in  so  vielen  Einzelheiten  tiberein,  dass  man  ruhig 
behaupten  kann,  ein  jeder  von  ihnen  enthalte  einige  sichere  Winke  für 
die  Reconstruction  des  Ursprünglichen.  Diese  ergeben  sicli  aus  der  be- 
dingten Form  und  dem  Plane  des  Textes,  wovon  wir  soeben  gesprochen 
haben.  Wenn  wir  auch  das  Original  der  slavischen  Uebersetzung  für 
eine  gekürzte  Redaction  halten  müssen  und  folglich  den  vorliegenden 
griech.  Text  als  näher  stehend  dem  griechischen  Prototypon  betrachten 
dürfen,  so  gibt  doch  der  slavische  Text  sichere  Anhaltspunkte  für  die 
Annahme,  dass  in  einigen  Fällen  unser  griech.  Text  von  seiner  älteren 
Vorlage  abwich,  während  das  griech.  Original  der  slav.  Uebersetzung 
die  ursprüngliche  Lesart  treuer  bewahrte.  So  beschaffen  ist  z.  B.  der 
Schluss  des  10*®"  Schemas,  wo  der  slavische  Uebersetzer  sagt:  »h  npo- 
CTO  Btce  Heoy.3siieHie  h  3jio  Ka/KeTt«,  während  im  griech.  Text  ein 
diesen  Worten  entsprechender  Zusatz  fehlt,  obgleich  nach  dem  Plane 
der  Darstellung  am  Schluss  eines  jeden  Weissagungsfalles  eine  solche 
Generalisirung  der  Weissagung  am  Platze  ist.  Wahrscheinlich  stand 
auch  wirklich  in  der  ursprünglichen  griechischen  Vorlage:  -Aal  aitlCoo, 
Tiäoav  aTtoTvyJav  -/.cu  y.ay,bv  örjlol^).  Im  Schema  e  steht  nach  den 
Worten:  -/.al  &lißrjaevai  tzuq'  avrCov  -/.ai  aix/.ialcoTLO&i]0€Tai,  äeven 
gekürzte  Uebersetzung  so  lautet :  h  oneiiajiHT  ce  t^mh,  noch  folgender 
Zusatz  im  Slavischen:  äme  jih  o  noö^JKAeiiiH  öpanti,  pasöien'L  ösAexx 
Btüpomaeii.  Als  ein  besonderer  Fall  der  Weissagung,  der  auch  sonst 
begegnet,  könnte  dieser  Zusatz  in  dem  ursprünglichen  Text  hier  am 
Platze  sein.  Nicht  ohne  Grund  blieb  er  also  in  der  slav.  Uebersetzung 
stehen,  deren  Original  sonst,  wie  bereits  erwähnt,  eher  zur  Kürzung  als 
zur  Erweiterung  hinneigt.  In  der  ursprünglichen  Vorlage  mag  also  etwa 
folgendes  gestanden  haben:  ei  oh  TteQi  rr/.r]g  7tolei.iov  {fj  €Qc!jTr]aLg)^  | 
vi/.Tjd'rjosTaL  ö  IqiOTvjv.  Andere  kleine  Aenderungen  oder  Berichti- 
gungen des  griechischen  Textes  findet  man  bei  der  Ausgabe  desselben 
angedeutet. 

Zuletzt  noch  einige  Bemerkungen  betreffs  der  Texte :  der  Autor- 
name Leon's  des  Weisen  im  griechischen  Texte  darf  einen  grösseren 
Anspruch  auf  Ursprünglichkeit  erheben,  als  jener  Samuel's  in  der 
slavischen  Uebersetzung,  da  bekanntlich  gerade  in  der  Orakelliteratui 

1)  Ein  ähnlicher  Fall  begegnet  zu  Ende  des  Seh.  d':  u  npocio  BcaK'i.  bi- 
npocT)  CHKOBBiii  HCoy^isieHie  h  .lumcHie  ii  neya-it  las.ütrieT'L:  -/.al  «ttAw»  näac< 
{Qwirjai^j  o'ici  av  Ei'rj,  anoTV/lay  y.ai  KTTOQiat^  y.cd  S-Xtipii'  &r]7.oi. 


Leon's  des  Weisen  Weissagungen  nacli  dem  Evangelium  und  Psalter.  245 

der  erstere  Name  sehr  populär  war  i;.  Der  andere  Name  (Samuel, 
kommt  zwar  auch  in  der  byzantinischen  Literatur  an  die  Orakelliteratur 
geknüpft  2]  vor,  doch  war  er  bei  weitem  nicht  so  populär.  Was  die  Zeit 
der  Entstehung  der  slavischen  Uebersetzung  betrifl't,  sehr  alt  kann  sie 
nicht  sein:  sie  gefällt  sich  pedantisch  in  der  wörtlichen  Genauigkeit; 
eine  Eigenschaft,  die  bekanntlich  vor  allem  den  späteren  Uebcrsetzungen 
zukommt,  die  meistens  das  XIV.  Jahrh.  über.schreiten.  Uebrigens  ist 
der  slavische  Text  auch  schlecht  erhalten,  man  müsste  viele  Aenderungen 
im  Einzelnen  vornehmen,  um  ihn  ganz  lesbar,  grammatisch  correct  zu 
gestalten. 

31i^odog    TTQoymoatiy.rj    rov    ayiov     Evuyy^'kiov    i)     rov 
xpuKxr^qiov.     Tloi\]^i<x   •/.VQOV  yliovxoq    rov   aorpov^). 

ulaßiov  xh  ayiov  evayyüunv  fj  ro  ipalrrjQiov  vrjoTig  ngCorov 
luv  TCoLrioov  vQiadyiov  /.al  7toir]aov  TraQax'Arjatv  TtQog  rov  ^sbv 
lUTu  ovvreTQif.iuivi]g  -AaQÖiag,  yxd  ercEira  GrqCoaov  ro  ayiov  evay- 
yikiov  i]  TO  ipalrrjQiov  '/.al  Xtyiov  Iv  rfj  •/.aodia  ti]v  igibrijaiv 
Gou,    y.al    ävaTtxv^ag   ro   ßißXiov   7tQ6ar]tov   (sie)  '*)    rcj)   ccqlotbqc^ 

iiiQSi  Tov  ßißXiov   riyovv   ro ^)   ro  a *')   rov  ayiou 

öodivov  y.cu  rov  öevtsqov ^)   rov  rQtrov  /.cci  rov  xeräqrou 

/.al  ei  }.iiv  ton  ro  .  .  .  .  ®)  ygäf^iua  rov  rcQcurov  oQdivov  r)r  .  .  .  .  ^) 

uvtI  rov ^^)  OTLy^iriv  ei  de ^^)  i]yovv  7iou]öov  ariyuag 

dvo.  i'JoavTiog  7ioii]Uov  '/.al  rovg  ereQOvg  rqelg  oQÖLvovg  rov  ßiß- 
Uou  avrl  rov  /.lövov  ygaf-if-iarog  ^aQcirrcov  iv  r(^  j^agrio)  VTtO'/arco 
rfig  7CQcbrr]g  ariyf.ifig  erigav  ovr/f^irjv,  ävrl  de  rov  Cvyov  ariyfiag 
ovo.  lüGavTiog  rcoirjaor  xca  eig  rovg  eräqovg  ÖQÖivovg  rqelg.  Aal 
olov  av  oyji(.ia  dvafpapf]  dno  rfjg  roiavTrjg  -9-ioeiog  ex  rCov  ig   o^t]- 


1)  Vergl.  Krumbacher-  S.  168.  628.  721  und  H.  6.  Kpaciiocoj[i>ueBT,  Ad- 
denda  zur  Ausgabe  der  Anecdota  graeca  Vasiljev's. 

'-)  Vergl.  meine  Hai  ucropiu  oipdcimLixi.  Kimn.  I.  60  und  Migne  Dic- 
tionnaire  de  sciences  occultes  II.  359  sq.,  479 — So. 

3)  Slav.  aliter,  quae  verba  verterim:  EvayyeXiauog  nccXcccog  . . . .  xo  fic<- 
^'^f;uce  TovTo  tw  nQotprir]  Sccuovi;^  unv/.a'kvff^ri  vno  xov  ayytXov  tov  d-eov  Iv 
IS   ayr-uuai  y.(cl  tnoocprjTEVE  xoli  afi^oünois  neQi  iwi'  uc?.?.6i'twi'. 

■*)  Slav.  api-acu  jitBsio  CTpaiis  w  iiaicja;  also  wohl  nQoatojy. 

5)  Lacuna  litterarura  circa  XXII.  C)  Lacuna  litter.  circa  VIII. 

";  Lacuna  litter.  circa  V.  8)  Lacuna  littcr.  circa  IV. 

^)  Lacuna  litter.  circa  XI.  W)  Lacuna  litter.  circa  XVI. 

*')  Lacuna  littcr.  circa  IV. 


246  M.  Speranskij, 

(.lätcov  eari  Ivravd-a  yQacprjOÖi-ievov  '/.al,  -/.ud-tog  Iv  s/.darq)  tov- 
Tov  drjlovvai,  öey^ov  ri]v  ccTtö'/.Qioiv  rfjg  eQtorrjaeöjg  oov.  Ta  .  .  i) 
.  .  .  .  (.löva  y^dfi/^iavä  siat  ravta' 

a.  y.  €.   ^.  i9'.  i.  l.  V.  0.  tc.^]   cp.   ip. 
ta  de  tvyä  ravva: 

ß.   ö.   /j.  X.  II.    '§.  n:   Q.  X.   G.  V.   W.3] 
aQQSvsg. 

TÖ  TtQWTov  GyJifxä  eavi  tolovtov  y.al  ytalslrat  bdog.  avrr]     ,, 
avacpavElGa    öiqXol   böov   /.al  f.iETC(ßaGLV  artb   y/oQav  eig 
yioQav  {.lETO.  wcpEleiag  y.ai  dyad-i]v  evaXlayrjv  fxeva  v.iq- 
.  4)     dovg.    iav  de  eon  €QcbTi]Gig  tieqI  aXXov  rivog  7rQdyi.iaTog, 
yLvo)Gv.E  OTL  GVf-KpeQEL   Tcp   eQwtCovTi  ytazocQ^aG^ai  Tfjg  v.a%a  rrj'V 
eQCJTTjGLV  VTtod-eGBCog.  aTtXCbg  yccQ  dio.  läv  laxi  rj  eQwtrjGig  örjXol-  i 
To  Gxfjf.ia  TOVTO  rfjg  böov  evcodtoGeiog. 

d-rileig. 

.    TOVTO  TO  Gyfi{.ia  y.alelTaL  Gvväd-QoiGig^],  drjXol  Se^],  GVva- 
.    ycoyrjv  Jtoklrjv  Xaov  -/al  eyd-Qiov  ßaoi'keiov  xal  cctiogtu- 
.    Tcop.   ei  de  Tteql  itegov  Tivbg  Ttgay^iaTog  '^)  eQcoTäg,  drjXol    I 
.    oylrjGLV  xai  TaQayrjV  xal  laov  Gvva^tv  dt  exelvo  yevea&ai    \ 

TO    7tQäyf.ta    yial   dvpaGTsia   yial  cpilopeiy.la   y.al   eQidog  ^)   xal  ov    ' 

GV(.ifpeQeL   loiTtbv  '/.aTaQ^aGd-at  tovtov  tov  nqäy^aTog.    eav  yccQ 

TaQayJ]  yevrjTai,  ovy.  elg  ■/.aVov  egyeTai. 

aQQereg. 

.    TO  TQitov  Gyjifia  eOTL  TOLOVTOV  Y.a'kelTai  Tiüyri  tJtol  eiGo- 
.    dog  dvvä^ietog ^).    d^jlol  ßaGileiav  /.al  l'^ovGtav  v.al  Tiurjv    ■ 
l.ieydlt]v^^)^  e7tiyiQdTr]Gir  ey&QCov  '/.al  viarjv  ev  7TO?^€fioig,    1 
el  EGTL  Tceql  tolovtov  Tivbg  fj  eQcoTrjGLg'  ei  de  Tteqi  TLVog    \ 
ETegov  TtQdyiiaTog^    drjlol  otl  GVf,i(peqeL  äQ§aGd-ai  tov  tolovtov, 
'/al  yevrjGeTai  /.al  eig  TL^irjv  aTtoßrjGeTaL  T(p  Iqiotüptl, 


1)  Lacuna  litter.  circa  II.  -]  Slav.  t. 

3)  Ex  slav.  4)  Cod.  jj  cf.  infra  et  slav. 

5)  Slav. :  JiiOÄie  u  CBÖpaHie,  i.  e.  jiioäTii  ctöpaHie.  ^]  Cod.  i. 

'^)  Cod.  male  yqäfAfA.axog;  cf.  supra  et  slav.  o  Koeii  Bemu. 

^]  Cod.  tQQidos.  •■;  Slav.  Bejria  xa  iitcx-t. 

10)  Cod.  lAEyälr,. 


Leon's  des  Weisen  Weissagungen  nach  dem  Evangelium  und  Psalter.   247 

öyJii.ia  TtzaQTov  y.akovf.iEVOi'  ui/.qu  riin]  ^/ 
di]?.ol  dh  TLf.iriv  tvXtjv  ov  f.ieycckr]v^)'  y.al{ei)^) 
.  v7t£Q  ßaaü.eiag  larlv  f]  egcoTiiaig,  avurpioei 
.    yx(TctQiaoi}ai  ravTt]g*]. 

.  ro  7tif.i7irov  oy^ifict  eart  roiovtop  y.ca  y.a'Lüvai  a/torvxicc 
.  y.al  d^Uipcg'  drj}.oi  de  otevoxcoQiuv  /.al  ^kiipiv  /.al,  et 
.  Tieql  vr/.t]g  ly&QCov^)  rj  tQchrr^aig,  fiTTrj&rjasvai  b  sQioxCbv 
'/.al  V7tOTayiqd^r]oeTC(L  rolg  ly&Qolg  aurov  y.al  d-lißrid^rj- 
üetai  Trag'  avtCbv  '/.al  aixf.ia).oitLGd-rjOBvaL,  y.ui  /.ad-  6'Äov  Inl 
navthg  egtorrjuaTog  rb  roiovtov  oyf^aa  ccTioxvyiuv  y.al  d-lLxpiv 
Y.al  OTEVoyioQiav  y.al  evdeiav  öi]}.ol. 
^i]lsig. 

To  V/.XOV  GyJ]aa  toxi  xolovxov  y.al  '/.alelxaL  ijtixvyia  y.al 

.    yaQf.iovrj  ^)'  ör-).ol  öh  yaqav  y.al  d-vi.u]diav  y.al  ev(pqoovvr'V 

.    y.al  Ijtixvyiav  xrjg  EQCüxrjasiog  yal  xif^ir]v  y.al  vipcooiv  /.al 

.    aväßaöLV    '/al  /tXovxov    '/al,     [ei)  ')    vrcsq    vr/rjg  lyd^qov 

.eaxiv)   f]  sQtbxriOig,  rr/rjoet  b  IqloxCov'    ei  dh  neql  7toMf.iov,   vi- 

■/rjoei  xovg  l-y&QOvg  avxov  b  ßaoü.evg  -/al  VTXoxd^sf    ei  de  tteqI 

aQQOJOxiag,  öijlol  vytiav  y.al  anaXXayriv  xf^g  vöoov^)'  ei  de  txbqI 

7tQayt.iax6g  xivog  ^  x^if^g,  yev^oexai'  ei  öe  Tteql  xe/voTtoäag,  ov).- 

Irjipexai,  ^  yvvi]  "/al  xe§ei  aooer.   /al  a/tkwg  jtäaav  eQioxrjOLV  eig 

'/agav  /al  d^vut^diav  /al  evcpqoovvr^v  Ttagioxäv. 

xb  L    oyr^HCc  eaxi  xolovxov  /al  /aXelxai  (fvla/i]  y.al  xcc- 

.     (fog'    di]Xol  de   ajioxvyiav  xfig   eQCüxrjaecog.    -/al  ei  neql 

.    7toXe{.iov  loxlv  fj  eQCüxr]aig,    vi'/rj&tjoexat   b   egcoxwv  /al 

•/VQieud-i]GexaL    Ttaga    xCov    ey&qüv   aiixov'    ei    de    Tteql 

aqqcüGxov,    /.la/qovoGrjoei  b  äqqcoGxiov    y.al   vGxeqov  [xeksvxtjGei. 

■/al  ccTtXwg,  o'ia  av  eirj  fj  eqioxTqaig,  eig  XvTtrjv  xai  aTtoxvxiav  -/axavxä. 

.    xb  r'  G^fjud  Igxl  xoiovxov  '/al  -/aXelxai  7i\ovxog  '/al  eu- 

qeGLg  -yqr^uäxiov  /al  y.xT]GLg^)  7To?Jmv  7iqayf.idxiov  drjXol 

.    de  y.al  vipcoGii'  /al  ctvdßaGiv  /al  xiui]v.    ei  de  rteql  vi- 

■/rjGLV  ex^q(Jöv,    vr/i]Gei  b  eqcoxöjv  /al  /axd  /qdxog  xovg 

1)  Cod.  TtfJir^t'i  slav.  qit  h  BJia. 

c 

2)  Slav.  oöaie  hu  ectuks  hh  bhcoks.  3    Slav.  u  ame  o  apiBBi. 

*)  Slav.add.  li  npocxo  B-BcaKO  BT>nponieHie  b'b  aoöpo  npuKJHoquxee.  Cf.supra 
ach.  primum.  '^]  Cod.  Enivixeg  lyO^ooy;  slav.  u  ame  oy6o  o  noötfle  Bpan>. 

")  Slav.  pajOBauie  Ixanuayr';).  '•]  Slav.  ame  0  noöiae. 

8)  Slav.  =  y.ai  .  .  .  i'oaov  om.  '')  Cod.  xir^aii'. 


248   •  M.  SpDranskij, 

lyi&Qovg  avvov  v/coräBei'  et  de  7ceQi  7CoXei.iov,  vjcoTayrjoovvai  0/ 
lyid-Qol  Iv  eiQTjvi]  xat  7iQOG€lBvaovTai  adrip'  ei  dh  Tteql  ccqqiog- 
riag,  vyiaivei^)  b  vooCov  ei  de  Jteql  rey^voTtoilag,  yerrjaerai'  ti 
öe  VTtü  Tvxrjv  xQrj^iärtiJV ^  V7ToraS,ei  noXha.  Y.al  TtkavTifjoei.  -/.ai 
arcXCog  näoa  eQibrrjaig,  (na  eu],  eig  -Aukov  xavapzä. 

TU  ^'  axfjf.iä  eovi  toiovtop  v.a\  -/.aXelxat  äyaO^bg  7töXe(.iog, 
vi/.)]    7To'ie(.iOV    ÖYjlol    öe    eTtiTvyJav    rov    egiorrjO-ervog 

.  TCQCiyf.iatog'^).  v.al  ei  Tteql  vlxrjg  rtolei-tov  eirj  fj  eQcorrjoigj 
vrATjGei  b  eQWTCüV  ei  de  Tteql  eyd-qwv,  vr^rjoei^)  avrovg 
Aal  vnord^eL'  ei  de  Tteql  aQQioöTiag^  vyiairei'  ei  de  Tteql  Texvo- 
TCoUag  rj  -/.al  ovvalXayf.iarog^  yevijoexai.  dtjXol  de  '/.al  eQWTr/.riv 
eTti-9-vf.iiar  '/.al  tTtirvyJav]*)  y.al  anlCog  Ttäoa  iQwxr^oig  eig  ayad-hv 
eX&ei  -/.al  cpegei. 

.    TO  i    ayfji-ia  tülovvöv  Iotl   yial  v.aXelTai  xo/rog  otoiiaxog 
'/.al  yvGLg  ai\.iaxog'  dr]lol  ajtoxvyiav  xfjg  eQioxrjaeiog  /.al 

.    TtaQa'/ad-iGf.iovg  -/.al    eTiißovXag   yial  xourjv  GiOj.iaxog  dib. 

.  GidriQOV  y.al  yvGiv  a%(.iaxog.  xca  ei  Tteql  eyd^qCöv  fj  eqio- 
xrjGtg,  ßXaßrjGexai  b  eQcoxwv  /.al  VTtoxayrjGexai  xolg  tyd-qolg  av- 
xov'  ei  de  Tteql  TtoXefj.ov,  i^iyir]-9-rjGexai  xal  xqcod-rjGevat  xb  GCof.ia. 
avxov  vito  GTtäd-iqg  7^x01  (paGydrov  rj  döqaxog  ^]  '/al  cnto'/etpa- 
kLGd-i\Gexai'  ei  de  Ttegl  dqqcoGxiag^  d/to^avelxaf  ei  de  Tteqt  ' 
■/äoTQOv  rj  eQcbxrjGig,  GvlXrjcpd-rjGexai  xb  '/aGxqov  '/al  TtoXXr]  ^ 
yvGig  ai^iaxog  yevrjGexaL ''). 

.    xb  la'  Gxfji.ia  eoxt  xotovxov  -/al  /akelxai  b  lev/bg  agyv- 

•    Qog  ^).   di]Xol  de  xeXeitoGiv  xfjg  eQioxrjGeiog,  yuquv..  vyeiav 
'/al  evcpQOGvvrjV   '/al  ei  Tteql  ya^-iL'/ov   GvvaXXäy(.iaxog'-* 

.    fj  eqiüxrjGig^  yevxjGexaf  ei  de  rteol  TtoXef.iov,  xaxaXXayrjV 
'/al   GV(.ißißaGLV    diqXol'    ei   de  Tteql   aqqcoGxiag^    vyialvei'    ei  ök     ^ 
Tteql  xe/voTtoiiag,  yeviiGexai.    -/al  aTtXcdg,   dia  eGxiv  f]  eqcbxrjGig^ 
'/aXbv  drjXol  Tteql  xovxov  xov  Gyrif.iaxog  ^^). 


1)  Cod.  vyiaivoi.  '-)  Slav.  11  paiiircjiBHoe'  oyjisieHie  add. 

3)  Cod.  viy.rjar].  *)  Cod.  ITTITV/Ei. 

5)  Cod.  cFw^ßrof.  6)  Cod.  noXh. 

"^'1  H  npocro  ETice  Heoy.is^eHie  u  sjio  Kaaceix  add.  Slav.;  cf.  supra. 

^)  Cod.  KQyvQi^.  9)  Cod.  avfu^.ay/LiaTo^. 

.    10)  Slav.  aliter :  Aoöpo  u  isecciie  oöpa  CKassexT,  {=  xa).oy  xm  avcpQoavyr^i' 
&7]kol  TO  ayrjfxcc). 


Leon's  des  Weisen  Weissagungen  nacli  deui  Evangelium  und  Psilter.  249 

rb  tfi  oyj^uu  Ion  zoiovtov  y.ai  /.ciKÜTai  ur/.Qog  /löXeiiog' 

.    öi]Xoi   öh   uTtorvxiav    r^c    iQWTrjOttog'    '/.al   sl   f.uv  tvsqI 

ex&QÜr  ^)  t;  eQi'orrjGig,  vr/J^oovoiv  oi  ey&Qoi'  ei  öe  tieqI 

7io?Juoi<,    /.cd  nukiv  rr/.r^O-rjGETai  u  iQiovüv    et  de  71B(ji 

äggiüOTiag,  ör^kol  .t€Qiy.07trjV  rov  eyy.€(fa'/.ov  /.cu  &EQ(.iuoiav.   y.cd 

IxTTkCüg  si/ielv,  tig  näoav  toöjrr^oiv  eig  IvavTuooiv  t^dyei. 

rb  ly   oyjjicc  Ion  tolovtov  v.al  /.aXelrcti  ycaooig  y.ai  änio- 

.    ).eia'  di]hn  di  tiXovvov  xat  ygriudvcüv  untoXetav.  /mI  ei 

jisQc    lyiyQiov    I]    iQiurraig,    i]rTr-d-riOErai    b    IqiotCjv    y.ui 

.    urcokaliuL'    sl  de  txsqI  7roX£f.iov,  c(iyua?uüTtGd-i]o£Tat  y.cu 

öovko}d-i]OETUi'    tl  Ö£  TtsQi  lyyvov  yvvaiybg,    ly.TQLod-rioexai.    /.cd 

i(/t'/.iüg  eig  nüouv  tQcoTr-oiv  eig  evavricoaiv  tTXiOTQerpei. 

.    Tb  lö'  oyi](^iä  eoTL  tolovtov  y.ai  y.cü.elxcd  ovvöea^iog'  ör- 

?.ol  öe  f.ieo6vrjTa^)  egioTTjaecog.    y.cd  ei  jieQi  lyd-gCbv  eoxiv 

}]  egiorr^OLg^   vi/.rj&f^oeTai  b  eQcoTiüv,    ov  ^itjv  de  xara/v- 

.    Qiev-d-rjOeTat  virb  xCov  eyS'Qtov  ei  de  jcbqI  rcolef-iov  eOTiv 

r  egtüTr^aig,   rjTTr^d-rjoevai'    ei  de  tveqI  ccQQcoOTiag,  /.lay.QOPOOrjoet. 

/.cd  ccTtXCog  näoav  usoÖTr^xa  drjXol  Ttaar^g  iQioTTjaecog^). 

.    TO  IE    o%fi(.i(!i  eOTL  TOLOVTOV  xai  /.aleiTai  y.EcpaXr]'    drfKol 

de  ■*)    yaqciv   y.ai   ev&vuiav    y.ai    avSr^OLV    '/.al    rcQÖd-eoiv 

TLuf^g    y.cd   7tQ0/.07tfig.     /.al   ei  jceql  ey&qüv  fj  £QiüTr]aig, 

VL/.roeL  b  IqcotCov  ei  de  Ttegl  äogcjOTiag,  vyiaivEL'  ei  de 

rreof   Te/.vo7toLiag,    yevrjOeTaL   y.cd   Te^eL  aoQev    ei  de  tieqI   /.cto- 

TQov,  ov  nuQaXr^cpd-rioeTUL.    /.al  arcLcog  ttügu  tgcjTt]Gig  eig  ayc(- 

d^bv  LieTaroercEL. 

Tb  Lg    ay^rjua  tolovtov  Igtl  /.cd  y.a'/.elTcu  ovqc'c  drj'/.ol  de 

rtEQLKOTtrjv  tfjg  eQWTTjGecog  /.al  diaßo'/.ag^}  y.ai  Gv/.ocpav- 

Tiag.   y.ai  ei  ttsqI  Tto^.iaov  IgtIv  ?;  eQcoTijGig.,  VLy.rjO-rjGeTaL 

.    6  eQcoTwv  y.ai  y.aTaLGyvvO^r^GeTaL'  ei  de  Tieql  aQQcoGTiag, 

TekevTrjOBL'    ei  dh  tteql  y.ÜGTQOv,    TTaQaXrjcpd-rjGeTai.     /.al   arcXchg 

Ttäaa  £QWTr]GLg  ditb  evavTicov  (.leTavQerceTaL. 


']  0  noöiji  Slav.  (=  neq\  vixr,g). 
-]  Cod.  ueaärr^TOi,  slav.  nocpiae  BTbnpomeHia. 

3;  Slav.  aliter:  ame  jlm  o  BcaKoii  isemu,  nocpijcico  MB.iMe  (=  f6  dt  neoi 
nayxog  noccyncdog,  uEaäir^Tu  &r;).ol;. 

■*)  Cod.  &r;?.f(dr;.  äj   Cod.  (fi(cSov?.as^ ;  slav.  uaBiTH. 

J/.  Speranskij. 


250 


Die  Metrik  Guiidulic  s. 


yU^^ 


Gundulic's  Auftreten  auf  dem 
Gebiete  der  ragusanisch-dalmati- 
nischen  Literatur  bezeichnet  so- 
wohl in  Bezug  auf  die  innere 
Seite,  auf  Inhalt  und  Tendenz 
derselben,  als  auch  in  Bezug  auf 
deren  äussere  Form  eine  entschie- 
dene Wendung,  welche  sich  spe- 
ciell  mit  Rücksicht  auf  das  Metrum 
hauptsächlich  darin  kundgibt, 
dass  der  im  XV.  und  XVI.  Jahrh. 
vorzugsweise  gebrauchte  schwer- 
fällige zwölfsilbige  Vers  durch  den 
leichteren,  vor  Gundulic  nur  aus- 
nahmsweise gebrauchten  Acht- 
silber fast  gänzlich  verdrängt 
wird.  Da  nun  die  Metrik  der  äl- 
teren serbokroatischen  Dichter 
bisher  - —  mit  Ausnahme  der  Frage  über  den  Ursprung  des  Zwölfsilbers 
—  gar  nicht  studirt  wurde,  so  ist  es  angezeigt,  gerade  G.'s  Metrik  zum 
Gegenstande  einer  näheren  Untersuchung  zu  machen,  weil  eben  in 
dieser  Beziehung  G.  bis  zum  Anfange  des  XIX.  Jahrh.  fast  allen  serbo- 
kroat.  Dichtern  als  Vorbild  diente. 

In  metrischer  Beziehung  lassen  sich  G.'s  Werke  in  zwei  Gruppen 
theilen;  in  den  Dramen,  welche  bekanntlich  —  mit  Ausnahme  der  Du- 
hravka  —  zu  den  ältesten  Erzeugnissen  G.'s  gehören,  hat  G.  wenigstens 
zum  Theil  noch  immer  den  alten  Zwölfsilber,  doch  auch  hier  schon  vor- 
wiegend den  von  ihm  bevorzugten  Achtsilber,  daneben  als  seltene  Aus- 
nahmen noch  andere,  kürzere  Verse  (von  6,  5  und  4  Silben,  während 
die  lyrischen  und  epischen  Gedichte  (wenigstens  die  uns  erhaltenen!) 
ausschliesslich  aus  Achtsilbern  bestehen.  G.  hat  also  den  älteren 
Zwölfsilber  nur  in  den  Dramen  gebraucht,  was  nicht  einfach  so  erklärt 
werden  kann,  dass  er  in  seinen  älteren  Werken,  also  in  den  Dramen 


Die  Metrik  Gundulic's.  251 

ueben  dem  Achlsilber  noch  zum  Tbeil  den  Zwölfsilber,  in  den  späteren 
Werken  dagegen  ausschliesslich  den  ersteren  Vers  anwendete,  denn 
sein  Hirtendrama  Duhravka^  welches  nach  einer  guten  Ueberlieferung 
im  J.  162S  dargestellt,  und  wohl  auch  verfasst  wurde,  besteht  ebenfalls 
znm  grossen  Theil  aus  Zwölfsilbern,  obschon  die  Duhravka  den  Pjesni 
Pohorne  (1621)  und  den  Suze  sina  razmeinoga  (1622)  folgte,  wo  G. 
schon  ausschliesslich  den  Achtsilber  anwendet ;  ja  in  der  IJubravha  wird 
vom  Zwölfsilber  viel  stärker  Gebrauch  gemacht,  als  in  den  älteren 
Dramen  Prozerpina  und  Arijadna^  so  dass  auch  dieser  Umstand  ent- 
schieden dafür  spricht,  dass  G.  den  Zwölfsilber  als  ein  speciell  für  die 
Dramen  geeignetes  Metrum  betrachtete.  Das  hängt  ohne  Zweifel  damit 
zusammen,  dass  alle  Dramatiker  vor  G.  (insofern  sie  nicht  in  Prosa 
schrieben)  in  ihren  Werken  fast  ausschliesslich  den  Zwölfsilber  anwen- 
deten: auch  G.'s  jüngerer  Zeitgenosse  Palmotic  hat  in  seinen  Dramen 
noch  immer  Zwölfsilber  —  allerdings  in  viel  geringerem  Masse  als  G. 
selbst;  aber  erst  G.'s  Sohn  Sisko  gab  in  seiner  im  Jahre  1662  aufge- 
führten Suncanica  das  erste  ragusanische  Drama,  in  welchem  gar  keine 
Zwölfsilber  vorkommen. 

Warum  hat  G.  ausserhalb  des  Dramas  ausschliesslich  den  Acht- 
silber gebraucht?  Wenn  man  bedenkt,  dass  G.  unter  allen  älteren 
ragusanischen  Dichtern  besonders  den  Cubranovic  liebte  (er  hat  be- 
kanntlich dessen  Jedupka  mehrere  Verse  entlehnt!),  so  ist  wohl 
die  Vermuthung  berechtigt,  dass  G.  in  seinen  nichtdramatischen  Ge- 
dichten dem  von  Cubranovic  in  seinem  lyrischen  Gedicht  angewendeten 
Vers  den  Vorzug  gab,  eine  Vermuthung,  die  durch  den  weiteren  Umstand 
gestützt  wird,  dass  G.  in  seinen  älteren  Gedichten  nicht  nur  den  — 
wir  wollen  sagen  —  Cubranovic'schen  Vers,  sondern  auch  Cubranovic's 
vierzeilige  Strophe  (mit  der  Reimverbindung  abhd]  vorzugsweise  an- 
wendete. Doch  es  ist  kaum  daran  zu  zweifeln,  dass  G.  dem  achtsilbigen 
Vers  nicht  nur  aus  diesem  Grunde  den  Vorzug  gab ,  sondern  auch  aus 
richtiger  Erkenntniss  seiner  grösseren  Leichtigkeit  und  Beweglichkeit 
im  Vergleich  zum  schwerfälligen  Zwölfsilber;  es  genügt  ja  darauf  hin- 
zuweisen, dass  dieser  letztere  Vers  durch  seine  Cäsuren  die  Anwendung 
mehr  als  dreisilbiger  Formen,  die  im  Serbokroatischen  ja  so  häufig  sind, 
fast  ganz  unmöglich  machte !  Dagegen  ist  an  eine  Beeinflussung  von 
Seite  der  italienischen  Kunstpoesie  —  die  sonst  ohneweiters  zugegeben 
werden  könnte  —  nicht  zu  denken,  denn  hier  hat  der  achtsilbige  Vers 
nie  die  Rolle  gespielt,  welche  ihm  seit  G.  in  der  serbokroat.  Poesie  zukommt. 


"252  M.  Resetar, 

Silbeuzähluug. 

Gundnlic  wendet  niu'  solche  Verse  an,  die  eine  feste  Anzahl  von 
Silben  haben,  es  ist  daher  zunächst  zu  erörtern,  wie  G.  die  Silben  zählt. 
Regelmässig  gilt  bei  ihm  jede  Sprachsilbe  auch  als  metrische  Silbe;  nur 
dort,  wo  zwei  Vokale  zusammentreffen,  sei  es,  dass  dieselben  einem  und 
demselben  Worte  angehören  oder  dass  der  eine  im  Auslaute  und  der 
zweite  im  Anlaute  steht,  werden  sehr  häufig  die  beiden  Silben  durch 
Synäresis  verbunden.  Z.B.  zelnu  misao  srca  moga  Ar.  ib^Jeda  Ijepos 
tvoga  uresa  Ar.  39;  G.  ist  darin  (im  Gegensatze  zu  der  serbokroatischen 
volksthümlichen  und  modernen  Metrik)  dem  Gebrauche  der  älteren  ra- 
gusanischen  Dichter  gefolgt;  G.  ging  aber  in  dieser  Beziehung  weiter  als 
alle  seine  Vorgänger,  besonders  in  Bezug  auf  die  Synäresis  zwischen 
zwei  verschiedenen  Wörtern,  was  wohl  als  eine  Beeinflussung  von  Seite 
der  ital.  Metrik  zu  betrachten  ist,  die  bekanntlich  einen  Hiatus  zwischen 
zwei  Wörtern  nicht  duldet.  Es  lässt  sich  aber  nicht  feststellen,  dass  G. 
dabei  gewisse  Principien  (etwa  mit  Rücksicht  auf  bestimmte  Vokalgrup- 
pen oder  Wortformen)  beobachtet  habe  oder  mit  der  Zeit  diesbezüglich 
verschieden  vorgegangen  sei ;  vielmehr  hat  er  zusammentreffende  Vo- 
kale ganz  willkürlich  bald  (nach  der  wirklichen  Aussprache)  getrennt, 
bald  (durch  Synäresis)  vereinigt.  Diesbezüglich  möchte  ich  nur  darauf 
hinweisen,  dass  er  im  Gegensatze  zu  den  älteren  Dichtern  das  aus 
silbenschliessendem  /  entstandene  o  nicht  selten  von  dem  vorausgehen- 
den Vokal  trennt,  während  bei  den  älteren  Dichtern  dieses  o  ziemlich, 
regelmässig  mit  dem  vorausgehenden  Vokale  zu  einer  Silbe  verbunden 
wird;  die  Dichter  vor  G.  haben  nämlich  gewöhnlich  das  silbenschlies- 
sende  l  unverändert  geschrieben:  z.  B.  clal^  mclil,  wesswegen  sie 
dann  den  so  geschriebeneu  Wortauslaut  als  eine  Silbe  messen  mussten, 
was  sie  auch  dann  thateu,  wenn  sie  doch  -o  schrieben,  während  bei  G.. 
der  regelmässig  das  -l  nach  seiner  wirklichen  Aussprache  als  -o  schrieb, 
die  Schreibweise  voc.  +  o  die  zweisilbige  Messung  begünstigte.  Speciell 
sei  noch  erwähnt,  dass  die  Interjektion  jaoh^  welche  bei  G.  sehr  oft 
vorkommt  (z.  B.  Dub.i)  27.  108.  113  u.  s.  w.,  Osm.  8,  438.  619.  63G. 
677.   12,  300.    18,  90.    19,  648.  666.   20,  129  u.  s.  w.  u.  s.  w.),  immer 


1  leb  citire  selbstverständlich  nach  der  von  Pavic  besorgten  Ausgabe 
der  Agramer  Akademie  [Stat-i  jnsci  hrcatski  IX) ;  in  Bezug  auf  die  Abkürzun- 
gen muss  icli  nur  erwähnen,  dass  Ar.  die  Arijadna  und  Ann.  die  Armida  be- 
zeichnet. 


Die  Metrik  Gundhlic's.  253 

als  eine  Silbe  gemessen  wird.  —  Hie  und  da  verbindet  G.  auch  drei 
Vokale  zu  äiner  Silbe,  in  solchen  Fällen  nämlich,  wo  zwischen  einem 
vokalischen  Auslaut  und  einem  ebensolchen  Anlaut  eine  aus  einem  ein- 
zigen Vokal  bestehende  Partikel  sich  befindet,  z.  B.  onarno  u  onijeh 
sjena  tmini  Ar.  445;  vergl.  noch  Dub.  1080.  Su.  1,  93.  3,  233.  J^ub. 
37.  Osm.  2,  21.    12,  225.  560.    IG,  348.    17,  338.    18,  314.    19,  133. 

Eine  besondere  Art  der  Synäresis,  die  von  G.  zuerst  häufig  ange- 
wendet wird,  bilden  die  Fälle,  wo  zwei  durch  ein  /  getrennte  Vokale 
als  6'me  Silbe  gefühlt  werden.  Dies  geschieht  besonders  häufig  bei  den 
verschiedenen  mehrsilbigen)  Formen  der  Pronomina  fJioj,  tvoj\  svoj. 
dann  koj'i,  ciji  und  deren  Compositis,  aber  nicht  selten  auch  sonst  z.  B. 
mi  cujem  nebo  gdij'e  zamnüo  Ar.  1727,  dta  sunca  s  istoci  goje  raj- 
sku  ruzicu  Dub.  S64,  stoji  tugdjela  zgar  crvena  Osm.  2,  78;  bio  je 
do'sö  vojecoda  oci  Osm.  4,  442  u.s.w.  u.  s.  w.  Diese  Art  der  Synäresis 
tritt  aber  nicht  nur  in  einem  und  demselben  Worte,  sondern  auch  zwi- 
schen zwei  verschiedenen  Wörtern,  jedoch  ist  sie  dann  auf  die  (übrigens 
sehr  zahlreichen)  Fälle  beschränkt,  wo  das  zweite  Wort  eine  der  (nach 
G.'s  Orthographie  mit  dem  vorhergehenden  Wort  zusammengeschrie- 
benen Enklitiken ye  (»ist«),  danny?<-^'e-;;'o/'(»sie-ihro)  ist,  z.H.JednoJe 
sunce  vrh  ?iebesa  Osm.  S,  59;  sonst  habe  ich  hier  nur  einige  Fälle  no- 
tirt,  wo  sich  die  Konjunktion  ^  an  erster  Stelle  befindet:  i  ja  Pok.  2,  26. 
Su. 1,233.  Osm.  8,400;  e^ec^i^a  Osm.  8,  467;  ^yo5  Osm.  19,  416  ;  ganz 
vereinzelt  ist  das  Beispiel  najednom  mj'esti  viJc  ne  stane  Osm.  1 1 ,  646. 
Die  auf  diese  Weise  als  eine  Silbe  geltenden  zwei  Silben  können  dann 
noch  einmal  durch  Synäresis  mit  einem  darauffolgenden  Vocal  verbun- 
den werden,  z.  B.  gdi  zmije  otrovnc  zmaji  goruci  Su.  2,  301;  kli- 
kuje  dvako  pocinnti  Osm.  9,  280;  &ve  sto  Je  ugodno  milo  i  drago 
Osm.  8,  4. 

Für  G.  wareu  wohl  dabei  verschiedene  Momente  massgebend;  zu- 
nächst fand  er  im  Italienischen  ein  Analogen,  wo  (im  Wortauslaute  und 
in  der  Mitte  des  Verses,  auch  drei  Vokale  z.  B.  miei,  tuoi^ßgliuoi  als 
eine  Silbe  gelten ;  es  kam  dann  der  Umstand  hinzu,  dass  zur  Zeit  G.'s 
das  konsonantische y  vielfach  auch  durch  i  geschrieben  wurde,  so  dass 
z.  B.  moJcL  koje  —  als  7noia^  koie  geschrieben  —  wirklich  das  Aus- 
sehen von  Formen  mit  drei  Vokalen  im  Auslaute  erhielten ;  ferner  ist 
ohneweiters  anzunehmen,  dass  schon  zu  G.'s  Zeit  im  ragusanischen 
Dialekt  intervokalischesy  zum  Theil  schwand  (so  besonders  in  der  En- 


254  M.  ßesetar, 

dimg  -aju  der  3.  plur.  praes.);  endlich  wurde  ein  solches  Vorgehen  G.'s 
auch  durch  den  Umstand  begünstigt,  dass  er  selbst,  und  noch  mehr  die 
älteren  Dichter,  gerade  bei  den  Possessiven  und  dem  Relativpronomen 
neben  den  zweisilbigen  Formen  wie  vioja-tvoje-koju  auch  einsilbige 
Formen  wie  ma-toe-ku  gebrauchten,  was  auch  für  die  einsilbige  Mes- 
sung der  Formen  moja  u.  s.  w.  gewiss  nur  fördernd  war.  —  Dass  aber 
G.  zwei  Vokale,  wenn  sie  durch  einen  anderen  Konsonanten  als/ ge- 
trennt sind,  dennoch  zu  ^iner  Silbe  verbindet,  sind  ganz  vereinzelte 
Fälle:  ah  uputi  se  mirna  vece  Osm.  6,  237;  vece  udarac  tuzna 
Ibrahima  Osm.  18,466;  i  me  nepomne  hezumnosti  Pok.  3,  24;  da- 
gegen im  Vers  covjek  ne  zgleda  tuzna  toli  Ar.  1137  steht  cotjek  wohl 
aus  irgend  einem  Versehen  für  coek^  welche  Form  in  demselben  Drama 
V.  1527.  1665  u.  s.  w.  zu  lesen  ist. 

Für  sich  muss  die  Frage  erörtert  werden,  wie  sich  G.  in  metrischer 
Beziehung  gegenüber  langem  e  verhält,  das  bekanntlich  in  der  serbo- 
kroatischen Schriftsprache  in  der  Regel  durch  ein  zweisilbiges  ije  wie- 
dergegeben und  in  der  modernen  Metrik  vorwiegend  zweisilbig  gemessen 
wird.  Unter  den  Hunderten  und  Hunderten  von  Fällen,  wo  bei  G. 
langes  e  vorkommt,  wird  nun  dasselbe  in  der  Regel  als  eine  Silbe,  und 
nur  im  offenen  Auslaute  sowie  in  den  Endungen  -ijem,  -ij'eh 
der  Pronominaldeklination,  bezw.  des  Loc.  plur.  der  Sub- 
stantive 1)  auch  zweisilbig  gemessen.  Die  Fälle  somit,  wo  G.  über- 
haupt langes  e  als  zwei  Silben  gelten  lässt,  umfassen  folgende  zwei 
Gruppen : 

I.  Gruppe:    langes  e  im  offenen  Auslaut. 

prije:  Ar.  706.  846.  1136.  1555.  1584.  Proz.  625.  1303.  Dub. 
380.  507.  553.  558.  565.  582.  585.  593.  Arm.  62.  79.  Pok.  1,  47. 
Su.  1,  354.  2,  115.  162.  260.  3,  381.  ^.ub.  39.  Kai.  73.  Osm.  1,273. 
2,  555.  299.  519.  3,  155.  330.  5,  450.  6,  288.  7,  164.  264.  312.  8,  72. 
9,  425.   10,  37.  328.  11,  458.  544.  12,  2.  13,  232.  264.  270.  16,  194. 


1)  Ich  habe  bis  jetzt  in  dieser  Frage  die  Endung  des  Loc.  plur.  der  Sub- 
stantive uicht  berücksichtigt,  weil  ich  mich  iu  Bezug  auf  den  Dialekt  von 
Ragusa  hauptsächlich  auf  dessen  gegenwärtigen  Stand  stützte,  nach  welchem 
—  mit  Ausnahme  von  na  nebesijeh  im  Vaterunser,  sowie  von  m  Mlecijem  »in 
Venedig«  (mit  dem  pronominalen  -ijem  als  Endung!)  —  der  Loc.  plur.  der 
Substantive  die  alte  Endung  -ijeh  schon  gänzlich  eingebüsst  hat. 


Die  Metrik  Gundulic's.  255 

243.  17,  744.  IS,  22.  155.  597.  19,  579.  103S;  najprije  Ar.  1S24. 
Proz.  1393.  Dub.  139.  431.  1191.  1395.  Osm.  11,202.  275.  12,  122: 
oilprije  Osm.  7,  405. 

najposlije:  Su.  1,  229.  282.  367.  401.  2,  94.  3,  83.  Osm.  2,  217. 
517.  6,  394.   9,  38.    10.  401.    11,  426.    16,  241.    19,  601. 

svudije:  Ar.  230.  Arm.  78.  Pok.  4,  95.  Osm.  7,  125.  9,  144. 
10,  403. 

dvij'e:  Kai.  316.  Osm.  2,  349.  8,  147.  152  (?).  8,  444.  11,  53; 
ohjedvije  Osm.  12,  103. 

7iije:  Ar.  565.  567.  689.  714.  805.  10S5.  1175.  1554.  Proz.  79. 
258.  447.  461.  628.  793.  953.  1250.  1308.  1360.  1451.  Dub.  127.  337. 
339.  378.  389.  408.  417.  1110.  11.  28.  1256.  Pok.  1,  17.  2,  7.  3,  9. 
40.  44.  5,  80.  Su.  1,  86.  285.  2,  238.  3,  379.  l^ub.  38.  62.  95.  99. 
222.  Kai.  75.  113.  Ferd.  90.  Osm.  1,  242.  2,  193.  219.  382.441.479. 
495.  3,  277.  332.  4,  304.  5,  75.  238.  378.  452.  505.  535.  6,  47.  286. 
396.  7,  162.  9,  337.  349  (2).  469.  11,  431.  542.  617.  848.  12,  4.  44. 
101  (2).  124.  165.  294.  451.  13,  177.  16,  48.  196.  325.  17,  37.  148. 
196.  233.  403.  445.  608.  630.  742.  18,  24.  57.  75.  153.  306.  531. 

ye\  Dub.  675.  1479.  Su.  1,  369;  iiije  Dub.  1052;  izije  Su. 
1,  34. 

sniye:  Proz.  568.  Osm.  2,  133.  4,  415.  S,  246.  10,  329.  16, 
46.  206.  382.  IS,  147.  524. 

umije:  Ar.  1047.  Dub.  560.  Osm.  2,  135.  384.  8,  372.  761.  13, 
272;  razumij'eNQi.  36. 

spovije:  Pok.  1,  20. 

odij'e:  Su.  1,  82. 

—  2.  und  3.  sing,  praes.  von  Verben  auf  -eti'.  prozdrije  Ar.  1038. 
8u.  1,  281;  ohstrije  Dub.  140.  Osm.  4,  257.  9,  242;  prostrije  Osm. 
3,  279.  312.  4,  143.  10,  99;  donije  Dub.  531;  odnije  Osm.  11,  846; 
prinije  Osm.  20,  185;  unirije  Su.  2,  259.  ^^ub.  64;  podrije  Su.  3,  84. 
Osm.  6,  11;  odrije  Osm.  5,  238. 

n.  Gruppe:  Endungen  -ij'em^  -^jeh- 
a)  Instr.  sing.,  dat.  instr.  plur.,  bezw.  gen.  loc.  plur.  der  pronom. 
und  zusammenges.  Deklination:  Ar.  5.  126.  282.  372.  455.  553.  554. 
57S.  602.  626.  713.  924.  982.  984.  1127.  1129.  1392.  1508.  1582. 
1672.  1703.  1706.  1722.  1732.  1S25.  Proz.  267.  324.  415.  604.  655. 
765.  766.  775.  832.  841.  869.  1086.  1285.  1401.    1472.   1492.   1493. 


256  M.  Resetar, 

1532.  1535.  1647.  Diib.  058.  74  1.  1042.  1055.  1057.  1162.  129o. 
1562.  Pok.  2,  47.  4,  42.  5,  104.  112.  7,  49.  65.  Vel.  66.  77.  79.  Su. 

I,  338.  3,  177.  434.  480.  513.  ]^.ub.  173.  Kai.  67.  Ferd.  4.  75.  242. 
Osm.  2,  325.  383.  3,  141.  4,  396  (?).  450.  5,  158.  6,  276.  390.  7,  203. 
8,  432.  440.  492.  9,  329.  330.  331.  441.  10,  424.  496.  11,  210.  23(J 
505.  834.  853.  12,  52.  314.  389.  476.  13,  4.  17.  19.  20.  16,  330.  348. 
411.  17,  146.  156.  18,  113.  488,  19,  498.  837.  839.  1017.  20,  23.  66. 

b)  Loc.  plur.  von  Substantiven:  srcijeh  Ar,  505;  poUjeli  Proz. 
823.  1024;  hrilyeh  Dub.  578;  Osm.  6,  68;  kostljeh  Pok.  3,  13;  prsijeh 
Su.   1,  184;    Osm.   10,  410;   pismijeh  Osm.  7,  213;    krajijeh  Osm. 

II,  61. 

Ungefähr  ebenso  häufig  wird  aber  in  den  zu  diesen  beiden  Gruppen 
gehörenden  Wortformen  langes  e  auch  einsilbig  geraessen ;  allerdings, 
wenn  man  einzelne  unter  denselben  herausnimmt,  lassen  sich  ziemlich 
starke  Unterschiede  konstatiren,  z.B.  snivj'e  wird  10  Mal  zweisilbig  und 
nur  2  Mal  (Proz.  1 183.  Osm.  IS,  492)  einsilbig  gemessen,  und  noch  auf- 
fallender ist  es,  dass  bei  najpojslije  (das  einfache /)os/y'e  kommt  bei  G. 
nicht  vor!)  an  allen  14  Stellen,  wo  es  G.  gebraucht,  das  e  zweisilbig  ist. 
Doch  Alles  das  wurde  wohl  bloss  durch  das  Metrum  veranlasst  und  be- 
ruht kaum  auf  einer  verschiedenen  Aussprache  des  langen  e  im  Auslaute. 

Ausser  diesen  beiden  Gruppen  von  Fällen  kommt  es  bei  G.  nur 
äusserst  selten  vor,  dass  ein  langes  e  als  zwei  Silben  gemessen  wird: 
dass  dies  in  den  drei  Beispielen  snnjes  Proz.  1165,  ijes  Dub.  825, 
umijes  Dub.  826  geschieht,  ist  leicht  zu  erklären,  denn  alle  drei  ge- 
hören zu  denjenigen  Praesentia,  deren  3.  sing,  langes  e  im  offenen  Aus- 
laute hat ;  es  ist  daher  sehr  wahrscheinlich,  dass  (wie  heutzutage)  schon 
zu  G.'s  Zeit  das  e  im  ganzen  Praesens  in  zwei  Silben  gespalten  war.  In 
den  Wurzel-  und  sonstigen  Stammsilben  gilt  aber  langes  e  für  G.  in  der 
Regel  als  eine  Silbe;  Ausnahmen  davon  sind  äusserst  selten,  und  auch 
diese  sind  nicht  sicher,  nämlich :  üjer  hij'eli  i  ruzicu  (oder  lije7'  Vyeli 
i  ruzicti)  Proz.  197,  was  sehr  leicht  ein  Absehreibefehler  in  der  Hand- 
schrift vom  J.  1795  sein  könnte,  nach  welcher  Pavic  die  Prozerpina 
edirt  hat,  denn  in  der  Ausgabe  von  Ragusa  aus  dem  J.  1843  steht  UJer 
pribiJeU  i  ruzicu  und  in  der  Agramer  vom  J.  1847  lijer  prehijeli  i 
ruzicu\  vielleicht  gilt  dasselbe  auch  für  das  Beispiel  svijet  drugi  sred 
vesele  Proz.  402,  obschon  hier  auch  die  Ragusaner  Ausgabe  dieselbe 
Lesart  bietet,  während  die  Agramer  /  svijet  drugi  sred  vesele  hat ;  in 


Die  Metrik  Gundulid's.  257 

iie  ri/epri  lubovniku  Dub.  1425  bat  aber  Pavic  obne  zwingende  Noth- 

wendigkeit  im  Anfange  des  Verses  ein  /  ausgelassen  (/  ne  — ),  welches 

sowohl  in  der  ihm  als  Grundlage  dienenden  Handschrift  als  auch  in  der 

Kagusaner  Ausgabe  steht,   während  die  Agramer  Ausgabe  die  Lesart 

ne  Ujepomu  lubovniku  bietet.     Alle   drei   Beispiele   sind  somit  nicht 

sicher,  doch  wenn  wir  auch  annehmen  wollen,  dass  G.  in  allen  dreien 

wirklich  das  lange  e  als  zwei  Silben  gemessen  hat,   so  steht  doch  die 

Thatsache  fest,  dass  er  —  ausserhalb  des  offenen  Auslautes  und  der 

I  Casusendungen  -//Vw,  -iJeJi  — •  in  Hunderten  von  anderen  Beispielen 

das  lange  e  nur  einsilbig  misst.     Sind  aber  die  soeben  erwähnten  drei 

I  Beispiele  echt,  so  ist  es  vielleicht  kein  Zufall,  dass  alle  drei  fallend  be- 

j  tont  sind,   somit   den  Accent  auf  der  ersten  Silbe  des  gespaltenen  e 

;  tragen. 

l  Da  also  G.  langes  e  in  der  Regel  als  ^ine  Silbe  gelten  lässt,  so  wird 

dasselbe  in  Bezug  auf  die  Synäresis  ganz  so  wie  ein  jeder  andere   ^ein- 
t  fache)  Vokal  behandelt;  im  (offenen)  Wortauslaute  kann  das  lange  e  so- 
mit mit  einem  folgenden  Vokal  zu  einer  Silbe  verbunden  werden,  z.  B. 
!  odkuda  se  tfoj'prije  oglasi  Ar.  1439,  ebenso  kann  ein  langes  c  mit  einem 
!  vorausgehenden  Vokal,  der  von  ihm  durch  ein  j"  getrennt  ist,  als  eine 
1  Silbe  gelten,  z.B.  nee/  sfravien  mlad pasf/'r,  ki  s  ocl  fcnjijeh  gori  Dub. 
514.     Allerdings  werden  solche  Messungen  dadurch   erleichtert,   dass 
nach  der  von  G.  befolgten  Orthographie  das  zweisilbige  ije  durch  ein 
einsilbig  erscheinendes /c'  wiedergegeben  wurde,  so  dass  in  der  Schrift 
ein  najprje  oglasi.  bezw.  ein  tvojeh  vorlajg,   wo  also  dem  Anscheine 
nach  eine  gewöhnliche  Synäresis  nur  zweier  Vokale  stattfand. 

Es  steht  somit  fest,  dass  G.  langes  e  regelmässig  als  eine  Silbe 
misst,  und  dasselbe  nur  im  vokalischen  Auslaute,  sowie  in  den  Casus- 
endungen -Jw,  -eil  zum  Theil  auch  als  zwei  Silben  gelten  lässt.  Warum 
hat  er  das  gethan?  Eine  Beeinflussung  von  Seite  der  italienischen 
Metrik  ist  absolut  ausgeschlossen,  da  in  dieser  der  unserem  jeknvisch 
ausgesprochenen  e  am  nächsten  stehende  Diphthong  ie  in  langen  und 
kurzen  Silben,  und  zwar  sowohl  im  Auslaute  als  auch  im  Inlaute,  bald 
einsilbig,  bald  zweisilbig  gemessen  wird.  Uebrigens  lässt  der  Umstand, 
dass  bei  G.  langes  e  nicht  nur  im  Auslaute,  sondern  auch  in  den  speciell 
slavischen  Casusendungen  zum  Theil  zweisilbig  ist,  den  vollkommen 
sicheren  Schluss  zu,  dass  G.  darin  nicht  einer  fremdsprachigen  metri- 
schen Regel,  sondern  seiner  eigenen  lebendigen  Aussprache  gefolgt  ist, 

Archiv  für  slavische  PhUologie.    XXV.  17 


I 


258  M.  Resetar, 

und  dass  er  in  der  metrischen  Behandlung  von  kurzem  und  langem  ^ 
desswegen  einen  Unterschied  gemacht  hat,  weil  er  in  der  Aussprache 
die  beiden  Kategorien  von  Fällen  voneinander  unterschieden  hat. 
Worin  mag  nun  dieser  Unterschied  bestanden  haben?  Dass  er  etwa 
in  /jre,  ume,  meh  u.  s.  w.  das  e  nur  einfach  lang  (im  Gegensatze  zu 
kurzem  mjera,  vj'etar  u.  s.  w.)  ausgesprochen  habe,  kann  desswegen 
nicht  angenommen  werden,  weil  kein  Zweifel  darüber  möglich  ist,  dass 
in  den  jekavischen  serbokroatischen  Dialekten,  speciell  auch  im  ragu- 
sanischen,  lange  vor  G.'s  Zeit  das  e  auch  in  Fällen  wie  vek^  lep  u.  s.  w. 
lang  ausgesprochen  wurde  (was  sich  speciell  für  den  ragusanischen 
Dialekt  auch  durch  die  in  Ragusa  seit  dem  Anfange  des  XVI.  Jahrli. 
übliche  Orthographie  direkt  beweisen  lässt).  Wenn  also  G.  das  lange  e 
von /Jre,  umv^  oneh  u.  s.w.  als  zwei  Silben  nimmt,  so  thnt  er  dies  ohne 
Zweifel  einzig  und  allein  aus  dem  Grunde,  weil  er  hier  thatsächlich  das: 
lange  e  als  zweisilbiges  ije  ausgesprochen  hat,  wie  eben  heutzutage  das 
lauge  e  in  der  Schriftsprache  regelmässig  ausgesprochen  wird.  Die 
Frage  muss  also  lauten,  wie  folgt :  warum  kommt  bei  G.  die  zweisilbige 
Aussprache  des  langen  e  nur  im  offenen  Auslaute,  sowie  in  den  Casus- 
endungen zur  Geltung?  Darauf  kann  verständigerweise  nur  die  eine 
Antwort  gegeben  werden:  weil  G.  nur  in  diesen  beiden  Kategorien  von 
Fällen  langes  e  zweisilbig  ausgesprochen  hat,  während  er  sonst  langes 
e  in  der  Regel  als  eine  Silbe  ausgesprochen,  hat.  Ich  habe  schon  in 
einem  kleinen  Aufsatze  im  Archiv  XIII,  dann  in  meiner  Studie  über  die 
Sprache  der  serbokroatischen  Lektionarien  aus  dem  XV.  Jahrh.  (er- 
schienen im  Agramer  Rad.,  Band  134  u.  136)  den  Beweis  zu  liefern 
versucht,  dass  in  den  jekavischen  Dialekten  des  Serbokroatischen  langes 
e  ursprünglich  als  (einsilbiges)  %e  lautete,  wie  es  auch  heutzutage  zum 
grossen  Theil  noch  immer  in  gewissen  Kategorien  von  Fällen  ausge- 
sprochen wird,  und  dass  die  zweisilbige  Aussprache  ihren  Anfang  im 
Auslaute  genommen  und  dann  die  Casusendungen  ergriffen  hat.  Die 
genaue  Untersuchung  der  Metrik  G.'s  bestätigt  dies  vollständig,  denn 
(wenn  man  von  den  drei  oben  erwähnten  unsicheren  Beispielen  absieht) 
hat  auch  G.  thatsächlich  ein  zweisilbiges  langes  e  nur  im  (offenen) 
Auslaute  und  in  den  Casusendungen.  Auf  dieselbe  Weise  ge- 
brauchen das  lange  e  auch  alle  Dichter  vor  G,,  nur  sind  bei  ihnen  die 
Beispiele,  wo  langes  e  im  Auslaute,  sowie  in  den  Casusendungen  zwei- 
silbig gemessen  wird,  bei  weitem  nicht  so  zahlreich  wie  bei  G.  Dafür 
aber  finden  wir  bei  den  älteren  Dichtern  einige  sichere  Beispiele,  wo 


Die  Metrik  Gunduliö's.  259 

langes  e  auch  in  Wurzelsilben  als  zwei  Silben  gilt ;  Budmani  (in  Stari 
pisci  XXI,  XLiii)  hat  einige  Beispiele  aus  Rauina  angefühlt :  hrijestje^ 
vljeJi^  rlj'e/i,  svtjet^  Vtjese ;  ich  kann  noch  erwähnen :  ctjepa  se  u  sto 
vila  M.  Drzic,  Tirana  1406;  necidom  u  tmasti  kako  slijep  klljeli  Zla- 
taric  S.  209,  Lxxvi,  10,  meu  cmjetjem  i  meu  travom  Aminta  585; 
sicher  sind  aber  nur  die  Beispiele  bei  Ranina,  weil  sie  aus  einer  vom  Autor 
selbst  besorgten  gedruckten  Ausgabe  stammen,  während  bei  Zlataric 
vielleicht  zu  lesen  ist:  .  .ja  idijeh,  bezw.  tnedti  (oder  ineju)  cmjetjem. 
Doch  die  Beispiele  aus  Ranina  beweisen,  dass  schon  vor  G.  langes  c  aus- 
nahmsweise auch  bei  Wurzelsilben  zweisilbig  gemessen  und  wohl  auch 
ausgesprochen  wurde;  ich  bin  um  so  eher  bereit  dies  zuzugeben,  als  die 
Beispiele  bei  Ranina  lauter  solche  sind,  wo  das  e  fallend  accentuirt  ist 
(vgl.  auch  ctjepa  sc  bei  M.  Drzic,  cvtjetjem  bei  Zlataric,  bezw.  auch 
Vljer^  svijefj  Vljepu  bei  Gundulic),  und  ich  behaupte  eben,  dass  die  Spal- 
tung des  langen  e  im  ragusanischen  Dialekt  in  dieser  Kategorie  von 
Fällen  ihren  Anfang  genommen  hat.  Diese  vereinzelten  Fälle  sind  eher 
eine  Bestätigung  des  oben  ausgesprochenen  Satzes,  dass  nämlich  G. 
langes  e  ausserhalb  des  Auslautes  und  der  Casusendungen  desswegen 
einsilbig  gemessen  hat,  weil  er  es  in  der  Regel  so  auch  ausge- 
sprochen hat. 

Wie  sehr  die  wirkliche  Aussprache  für  G.  massgebend  war,  ersieht 
man  am  besten  daraus,  dass  er,  trotzdem  bei  ihm  so  häufig  (239  Mal) 
langes  auslautendes  e  als  zwei  Silben  gilt,  nie  auslautendes  kurzes  e  so 
misst;  man  hat  also  bei  ihm  nur  ohje  und  ausschliesslich  einsilbiges 
je  in  den  nicht  seltenen  Fällen  des  2.  und  3.  sing.  aor.  mit  kurzem  e, 
z.  B.  hfje  Ar.  627.  Su.  3,  IL  269.  285.  l^ub.  52.  68.  Osm.  13,  151. 
17,  479  u.  s.  w.;  vidje  Ar.  853.  Su.  1,  404.  2,  15.  Osm.  20,  33.  197; 
prispje  Ar.  1191.  Dub.  518;  kopnje  Su.  2,  101;  trepfje  Su.  3,  92; 
pozudje  Kai.  186,  uzrasfje  Ferd.  232,  umje  Osm.  10,  437,  mrzje  Osm. 
17,  114  u.  s.  w.  u.  s.  w. ;  ebeusowenig  hat  G.  dasjenige  (kurze)  auslau- 
tende je  zweisilbig  gemessen,  welches  zwar  keinem  e  entspricht,  aber 
von  G.  selbstverständlich  von  einem /e  aus  e  absolut  nicht  hätte  unter- 
schieden werden  können;  ich  meine  die  sehr  zahlreichen  Fälle  des 
nom.  acc.  sing,  von  Substantiven  auf  -je  wie  Ihtje.,  gvozdje,  znanje., 
mucanje^  zvjerenje  u.  s.  w.  u.  s.  w.,  wo  ebenfalls  das  auslautende  -je 
nie  als  zwei  Silben  gilt,  weil  das  -je  eben  kurz  ist.  Es  ist  somit  voll- 
kommen sicher,  dass  G.  in  den  Fällen  wie  pre,  tiajposle,  dve,  sme,  ume 
u.  s.  w.  das  auslautende  e  nicht  —  etwa  einer  künstlichen  metrisch- 

17* 


260  M.  Resetar, 

orthographischen  Kegel  folgend  —  desswegen  häufig  zweisilbig  misst, 
weil  es  im  Auslaute  steht,  sondern  weil  es  lang  ist. 

Einen  weiteren  Beweis  für  die  oben  gegebene  Erklärung  der  me- 
trischen Behandlung  des  laugen  e  von  Seite  G.'s  finden  wir  in  dessen 
Vorgehen  gegenüber  der  Lautgruppe  ij  +  t'oc.  Diese  Verbindung, 
speciell  auch  primäres  (nicht  aus  e  entstandenes)  //e,  gilt  nämlich  bei 
G.  sehr  häufig  als  zwei  Silben.  Die  Fälle,  wo  dies  im  Auslaute  ge- 
schieht, z.  B.  zmija  Ar.  9,  nesrecnija  Proz.  361,  dobije  Dub.  432,  ohü- 
nije  Pok.  4,  94,  hukliji  Dub.  832,  sf/udeniji  Su.  3,  86,  o'ciju  Ar.  IG40, 
umiju  Osm.  7,  136  u.  s.  w.  u.  s.  w.  (ich  habe  mir  165  Beispiele  notirt, 
wo  eine  solche  Verbindung  als  zwei  Silben  gilt  gegenüber  59  Fällen,  wo 
die  Verbindung  einsilbig  gemessen  wird),  brauchen  nicht  einmal  ange- 
führt zu  werden,  da  aus  dem  bisher  Gesagten  zur  Genüge  ersichtlich  ist, 
dass  G.  langes  e  im  Auslaute  zweisilbig  ausgesprochen  und  desswegen 
auch  zum  grossen  Theil  zweisilbig  gemessen  hat.  Umsomehr  will  ich 
aber  die  Beispiele  anfuhren,  welche  beweisen,  dass  G.  auch  im  In- 
laute, wo  ihm  nach  seiner  Aussprache  wirklich  die  Verbindung  ij-\-  voc. 
vorlag,  sich  gar  nicht  scheute,  dieselbe  auch  zweisilbig  zu  messen: 
jjyrijatel  Su.  l,  348.  Osm.  12,  543,  prijatela  Osm.  11,  395.  16,  411, 
prijateU  Ar.  321.  842.  1384.  1729(2).  Pok.  3,  45.  Su.  1,  123.  Osm. 
8,  100,  prijatele  Su.  1,  331.  2,  47,  prijatehka  Ar.  903,  prijatelshih 
Osm.  8,  138,  'prijatehivo  Osm.  11,  627,  neprijatel'^Qk.  7,  13.  Osm. 
12,  308.  13,  27.  18,  35.  ^^2,  prijazan  Dub.  406.  711.  Osm.  11,  819. 
prijazni  Su.  2,  154.  Osm.  11,  812;  hrodijahe  Ar.  1597,  vapijase  Dub. 
1398.  Osm.  16,  149.  380,  slijedijase  Osm.  20,  364.  rasiijahu  8u.  1, 
392,  napijahu  Osm.  10,  12;  smijat  Dub.  1163,  smijalm  se  Kai.  80; 
razhijat  Di.  72,  razhijati  Osm.  18,  603,  prijat  Di.  94;  Matijasa  Osm. 
8,  339;  krijete  Ar.  504,  vijemo  Proz.  182,  krij'esDwh.  206.  Osm.  6, 
92.  18,  579,  ^>//e6- Dub.  825,  dohijem  Dub.  1042,  'djes  Osm.  6,  100; 
srecnijeg  Osm.  9,  456,  mudrijega  Osm.  16,  349;  vapijuci  Ar.  1159. 
Pok.  2,  15.  Osm.  16.  309.  18,  519.  20,  33U,  krijuclDuh.  394,  krijuc 
Dub.  1131.  Osm.  8,  767,  prohljuci  Su.  2,  134.  Osm.  12,  11.  pijuc 
Osm.  1,  211.  Der  Umstand,  dass  G.  in  61  Fällen  die  Verbindung 
ij  +  voc.  im  Inlaute  als  zwei  Silben  gezählt  hat,  gewinnt  noch  mehr  an 
Bedeutung,  wenn  man  die  relative  Zahl  dieser  Beispiele  berücksichtigt; 
wenn  man  nämlich  von  den  hierher  gehörenden  mehr  als  viersilbigen 
Formen  (bei  G.  nur  einige  Male  casus  obliqui  von  neprijatel,  ferner 
vapijahoie  Osm.  1,  181)  absieht,  in  welchen  die  Verbindung  iJ  -\-  voc. 


\ 


Die  Metrik  Gundulic's.  261 

de3  Metrums  wegen  als  dine  Silbe  gelten  muss  (da  fünfsilbige  Wörter 
weder  im  zwölf-  noch  im  aclitsilbigen  Vera  untergebracht  werden  kön- 
nen), so  ergibt  sich,  dassG.  genau  in  der  Hälfte  der  Fälle  die  Verbindung 
ij -\-  coc.  im  Inlaute  als  zwei  Silben  gemessen  hat,  denn  dieselbe  kommt 
bei  ihm  circa  120  Mal  vor;  das  Verhältniss  ist  aber  noch  günstiger  für 
die  Zweisilbigkeit  dieser  Verbindung,  sobald  man  das  Wort  nljedan 
trennt,  welches  in  verschiedenen  Formen  bei  G.  36  Mal  vorkommt  und 
immer  (ebenso  wie  die  zweimal  vorhandene  Form  ijedna  Ar.  383.  657) 
das  //('  einsilbig  hat;  mit  Ausnahme  somit  von  mjedaxs.  (und  ijedan)  hat 
G.  in  der  grossen  Mehrzahl  der  Fälle,  wo  er  die  Verbindung  ij  -\-voc. 
im  lulaute  hat,  letztere  als  zwei  Silben  gemessen.  Diese  Thatsache 
ist  entscheidend  für  die  Beantwortung  der  Frage,  warum  G.  langes  e  im 
Inlaute  (mit  Ausnahme  der  Casusendungen)  einsilbig  gemessen  hat : 
hätte  er  nämlich  das  lauge  e  auch  im  Inlaute  in  der  Regel  zweisilbig 
ausgesprochen,  so  hätte  er  dasselbe  ebenfalls,  wenn  nicht  gerade  in  der 
Mehrzahl  der  Fälle,  so  doch  unter  den  Hunderten  von  Beispielen  wenig- 
stens einige  Male  als  zwei  Silben  gemessen;  wenn  er  aber  deunoch  dies 
nie,  oder  höchstens  3  Mal  gethan  hat,  so  ist  kaum  ein  Zweifel  darüber 
möglich,  dass  dies  einzig  und  allein  desswegen  geschah,  weil  er  eben 
langes  e  im  Inlaute  in  der  Regel  noch  als  eine  Silbe  ausgesprochen  hat, 
somit  ein  zweisilbiges  prlje  (=  pre)  oder  pijem  von  einem  einsilbigen 
/{?/?,  nu'm  deutlich  unterschieden  hat.  Man  kann  somit  ohneweiters  die 
Behauptung  aufstellen,  dass  G.  langes  e  nur  im  (oflenen)  Auslaute  und 
in  den  Casuseudungen  als  zwei  Silben  gemessen  hat,  weil  er  nur  in 
diesen  Fällen  langes  e  zweisilbig  ausgesprochen  hat.  Warum  er  aber 
nur  in  diesen  beiden  Kategorien  von  Fällen  langes  e  so  aussprach,  ist 
nicht  mehr  eine  Frage  der  Metrik,  sondern  der  historischen  Lautlehre, 
mit  welcher  wir  uns  hier  nicht  befassen  wollen. 

i  Reim. 

In  Bezug  auf  den  Reim  hat  G.  keine  wesentliche  Neuerung  ein- 
geführt; auch  bei  ihm  beruht  derselbe  auf  einer  blinden  Nachahmung 
der  italienischen  Metrik,  welche  das  Wesen  des  Reimes  nicht  trifft.  Das 
Wesen  des  Reimes  besteht  ja  darin,  dass  die  miteinander  reimenden 
Worte  vom  den  Accent  tragenden  Vokal  bis  zum  Schlüsse  gleich  lauten 
und  auch  in  Bezug  auf  die  Quantität  der  Silben  übereinstimmen.  Dieser 
wesentlichen  Voraussetzung  einer  jeden  Reimverbindung  konnten  die 
ältesten  serbokroatischen,  speciell  die  ältesten  ragnsanischen  Dicliter 


262  M.  Resetar, 

bei  der  grossen  Beweglichkeit  des  (stokavischen)  Accentes  und  der  ver- 
schiedenartigen Quantität  auch  der  nicht  accentuirten  Silben  nicht  leicht 
gerecht  werden,  und  so  machten  sie  sich  die  Sache  leicht,  indem  sie  — 
ohne  auf  Accent  oder  Quantität  Rücksicht  zu  nehmen  —  in  blinder  Nach- 
ahmung der  italienischen  Metrik,  welche  in  der  Regel  weibliche  Reime 
und  seltener  männliche  hat,  ganz  einfach  den  Reim  als  hergestellt  be- 
trachteten, wenn  sie  zwei  (in  der  Regel  vokalisch,  seltener  konsonantisch 
auslautende)  Worte  gegenüberstellten,  welche  vom  vorletzten  Vokal  an- 
gefangen gleich  lauteten;  so  reimt  in  der  ersten  Strophe  des  Osman 
(ich  bezeichne  mit  '  den  Accent)  zahväUla  mit  krila^  öJioläsd  mit  pusü. 
Es  ist  allerdings  wahr,  dass  im  Serbokroatischen,  wo  die  Verse  —  inso- 
fern sie  einheimischen  Ursprungs  sind  —  ohne  Rücksicht  auf  Accent 
und  Quantität  gebaut  werden,  dieser  Mangel  des  eigentlichen  Wesens 
des  Reimes  fast  gar  nicht  gefühlt  wird,  so  dass  unseren  ältesten  Dichtern 
kaum  ein  Vorwurf  daraus  gemacht  werden  kann,  dass  sie  sich  nicht  un- 
nöthigerweise  allzu  enge  Fesseln  in  Bezug  auf  den  Reim  anlegen  woll- 
ten: einem  ohne  Rücksicht  auf  Accent  und  Quantität  gebauten  Vers 
entspricht  ganz  gut  ein  nach  demselben  Princip  zusammengestellter 
Reim ! 

Der  Reim  ist  bei  G.,  mit  der  soeben  angegebenen  Einschränkung, 
in  der  Regel  vollkommen  rein ;  es  reimen  also  in  der  Regel  nur  solche 
Worte  zusammen,  die  wirklich  einen  —  wenigstens  in  Bezug  auf  die 
Laute  —  ganz  gleichen  Ausgang  haben.  Eine  Ausnahme  macht  G.  nur 
in  Bezug  auf  einige  sich  sehr  nahe  stehende  Laute,  die  nach  der  da- 
maligen Orthographie  gleich  geschrieben  wurden;  dies  geschieht  vor- 
zugsweise bei  s-z^  dann  6-i,  welche  gleichmässig  durch  «,  bezw.  sc-srj. 
wiedergegeben  wurden,  z.B. da  kralice  nasej'esi  -\-  slavna  mati,  amo 
uljezi  (»uljesi«)  Proz.  1193/94,  7ia  rijeci  me  ona  drzi  (»darscj«)  -j- 
ohecava.,  a  ne  vrsi  (»varscj«)  Su.  1,  251/52;  auf  dieselbe  Weise  ent- 
spricht im  Reime  ein  s  einem  z  in  folgenden  Fällen:  Ar.  6.  202.  218. 
439.  481.  503.  860.  1011.  1243,  1339.  1418.  1438.  1488.  1651.  Proz. 
158.  170.  206.  243.  442.  479.  495.  512.  519.  796.  1053.  1144.  1150. 
1193.  1273.  1380.  1460.  1594.  1615.  1665.  Dub.  50.  149.  747.  869. 
1353.  1656.  1681.  Vel.  33.  Su.  1,  17.  197.  199.  230.  419.  l^ub.  49. 
102.  149.  214.  286.  Kai.  210.  233.  234.  257.  262.  294.  297.  333. 
Ferd.  182.  Osm.  7,  42.  11,  350.  401.  12,  341.  13,  309.  17,  62.  18, 
418.  19,  530,  bezw.  es  entspricht  einem  s  ein  z  in  Ar.  551.  619.  998. 
1242.  Proz.  133.  142.  504.  655.  872.  1088.  1240.  1352.  1533.  1583. 


Die  Metrik  Gundulid's.  263 

Arm.  22.  Pok.  5,  13.  Vel.  10.  Su.  1,  251.  2,  181.  199.  Osm.  3,  181. 
1,  Ü2.  16,  134.  Ich  habe  alle  die  hierher  gehörenden  Fälle  angeführt, 
weil  aus  deren  Vertheihing  auf  die  einzelnen  Werke  des  G.  ein  ziemlicli 
sicherer  Schluss  gezogen  werden  kann:  unter  den  grösseren  Werken 
G.'s  hat  das  letzte,  nämlich  der  Osma/i ,  mit  seinen  mehr  als  10.000 
Versen  viel  weniger  Fälle  eines  solchen  unreinen  Keimes  als  die  An- 
jadna und  besonders  die  Prozerpitia,  welche  bekanntlich  zu  den  äl- 
testen Werken  G.'s  zählen ;  man  kann  also  wohl  sagen,  dass  G.  in  der 
späteren  Zeit  seiner  dichterischen  Thätigkeit  seine  Reimbildung  inso- 
ferne  rervollkommnete,  als  er  später  den  Gebrauch  unreiner  Reime,  wo 
die  Laute  s-s  mit  den  Lauten  z-z  reimen,  bedeutend  einschränkte. 

In  der  gleichen  schriftlichen  Wiedergabe  hat  ihren  Grund  eine 
zweite  Kategorie  von  Fällen,  wo  G.  ähnliche,  aber  doch  verschie- 
dene Laute  miteinander  reimen  lässt,  ich  meine  die  Fälle,  wo  ein 
Palatallaut  mit  einem  einfachen  /,  oder  aber  zwei  Palatallaute,  von 
welchen  dem  einen  ein^  folgt,  der  andere  aber  alleinsteht,  im  Reime 
sich  entsprechen,  z.  B.  Saturnov  sin  sam  ja  ...  Ar  u  zemli  moguca 
(»moguchja«^  Proz.  399,  bezw.  umjedo  mi  su  od  rudeza  (»rudescja«) 
...-{-  od  hrahrensUa  ohijezja  («obigljescja«)  Dub.  386  ;  für  den  ersten 
Fall  vergleiche  noch  Ar.  285.  681.  Proz.  399.  1135.  1150.  1476.  Dub. 
705.  1045,  und  für  den  zweiten  Dub.  386.  1271  (gedruckt  y>7ialiceii 
Ü2Lii  iialuje\).  Ferd.42.  110.  Osm.  4, 129.  11,421.481.809.  16,230 
(»boXi«  statt  bozJi\).  18,  177.  20,  378  (»öoiV«  statt  bozji\).  Durch  die 
mangelhafte  Wiedergabe  der  Laute,  bezw.  Lautgruppen  i-j-ji-iji  nach 
der  alten  Orthographie  erklären  sich  ferner  folgende  Reime :  moji  + 
svoj  Ar.  659,  dohUJih  (gedruckt  ndob/tihul)  -j-  cestitih  (vielleicht  zu 
lesen  rtcestitiJiJH^)  Ar.  1806,  svahiji  -\-  placi  Proz.  1152,  vijedniji  -{- 
dtii  Proz.  1640,  rascipi  -\-  pij  Dub.  417,  prelijepi  -\-  pij  Dub.  853, 
dicji  gedruckt  ndivi«])  +  zici  Osm.  19,  853,  tlaci -\-  svaciji  Osm. 20, 
266  ;  hier  hat  nämlich  G.  wohl  überall  den  Wortauslaut  gleich  geschrie- 
ben, also  moj  -f-  ivoj\  svacij  -\-  tlacij  u.s.w.  —  Der  gleichen  Schreib- 
weise verdanken  wir  endlich  folgende  Reime:  crna  (gedruckt  y)car7iav.\) 
-4-  Varna  Osm.  3,  226,  crni  -|-  hlagodarni  Osm.  10,  546,  usrnu  (ge- 
druckt r>usarnuvi^)  +  Varnu  Osm.  20,209;  G.  hat  nämlich  vokalisches 
r  durch  ar  wiedergegeben,  hat  aber  nicht  verlangt,  dass  man  so  auch 
ausspreche!  Wenn  man  nun  von  diesen  Fällen  absieht,  wo  der  in  der 
That  unreine  Reim  durch  die  Gleichartigkeit  der  Schreibweise  er- 
klärt werden  kann,  lassen  sich  nur  noch  ein  Paar  Beispiele  anführen, 


264  M.  Resetar, 

wo  bei  G.  zwei  verschiedeue  und  verschieden  geschriebene  Laute  im 
Reime  sich  entsprechen,  nämlich  sunca  +  glumcu  Dub.  409,  vijencom 
-\- Nijemcom  Osm.  10,498;  G.  hat  jedoch  hier  vielleicht  gluncom 
(wie  thatsächlich  in  einer  guten  Handschrift  zu  lesen  i&i)  - Nijeticom 
geschrieben,  da  schon  vor  seiner  Zeit  (vgl.  Rad  136, 108)  silbenschliessen- 
des  m  im  ragusanischen  Dialekt  als  n  lauten  konnte. 

Die  sonstigen  unreinen  Reime,  die  bei  G.  vorkommen,  sind  nicht 
auf  seine,  sondern  eher  auf  Rechnung  der  Abschreiber  zu  setzen.  So 
zunächst  die  nicht  seltenen  Fälle,  wo  ein  ije-j'e  (als  Vertreter  eines  e 
einem  i  entspricht,  z.  B.  ime  -\-  vrijeme  Osm.  11,  725;  da  in  den  zu 
Lebzeiten  G.'s  herausgegebenen  Werken  {Är.^  Pok.^  Fe/.,  Su.)  kein 
einziges  Beispiel  vorkommt,  wo  der  Reim  auf  diese  Weise  gestört 
wäre,  so  ist  kein  Zweifel  darüber  möglich,  dass  überall  dort,  wo  in  den 
nach  G.'s  Tode  handschriftlich  erhaltenen  Werken  die  Laute  e  und  /  im 
Reime  sich  entsprechen,  dies  einzig  and  allein  dadurch  entstanden  ist, 
dass  die  Abschreiber  die  von  G.  geschriebene  (ihnen  aber  nicht  geläufige 
ikavische  Form  durch  die  gewöhnliche  jekavische  ersetzten.  Ebenso 
sicher  scheint  es  mir,  dass  dort,  wo  bei  G.  den  einfachen  Lauten  l-ü  die 
Gruppen  Ij-nJ  im  Reime  entsprechen,  er  in  der  Regel  einen  reinen  Reim 
hatte,  indem  er  —  da  es  sich  zumeist  um  sächliche  Substantive  auf  -je 
handelte  (bei  welchen  beide  Aussprachen  bei  G.  möglich  sind!),  —  an 
beiden  Stellen  gleichmässig  1-n  oder  Ij'-nj  schrieb ;  auf  diese  Weise  wäre 
z.  B.  auszugleichen  der  Reim  ufanje-stane  Dub.  121,  ähnlich  Dub. 
119.  1003.  1525.  Vel.  121.  Osm.  2,  118.  506.  4,  306.  7,  290; 
es  gibt  nämlich  nur  ein  einziges  Beispiel,  wo  bei  G.  n  mit  nj  reimt: 
posvecen  je -\- pene  Osm.  4,330.  In  folgenden  vereinzelten  Fällen 
sind  die  Unebenheiten  im  Reime  in  den  nicht  zu  Lebzeiten  G.'s  heraus- 
gegebenen Werken  ^)  ebenfalls  leicht  zu  beheben ;  ich  setze  die  richtige 
Lesart  in  Klammern:  kaze-^parze  [praze)  Proz.  3,  poslase  [posla  se) 
+  naponase  61,  sli'sate  +  dajte  [date]  227,  primaljefjem  +  cvijecem 
[cmjetje?7i)  2 4:1^  cvijecti  [cvijefju]  -\- pi-oljefjwiOd,  bice  [bifje)  -{- usilit 
ie  810,  uzmnoznoj -\-  to  [toj)  1391,  poslusaj  [poslusa')  -\- ja  1476, 
prze  [praze)  -\-  draze  1525,  tvomu-\-  ovemu  [ovomu]  Dub.  201,  kucne 
[kucne]  4-  ne  ßll,  hitrosti  [hitrostim]  +  gostim  763,  pace  [pece)  + 

^)  Nur  in  Su.  3,  295  haben  wir  razlicijem  +  vrime,  was  in  razlicime  ( +  vrime] 
zu  ändern  ist,  wie  thatsächlich  wenigstens  in  der  mir  vorliegenden  Ausgabe 
vom  J.  1703  zu  lesen  ist;  ebenso  ist  nidati  Vel.  18  (im  Reime  mit  ^e Jan!)  ge- 
wiss nur  ein  Druckfehler  für  nijedan  {»niedan»  oder  »njedan«). 


Die  Metrik  Gundulic's.  265 

tece  847,  pogledaj  [pocjleda]  +  meda  lül4,  gospode  igospojc  + 
svoje  Kai.  26,  primaljetju  +  cvijecu  [cvijetju]  Osm.  2,39,  carskom  -\- 
ugrskom  [ugarskom)  10,  528,  svjcdok  bi  mu  tomu  bio  -\-koga  je  silu 
silom  odbio  [koga  Je  silom  silu  odbio)  11,  583,  imena -\- stijena 
[stijena>  20,  SS8. 

In  Bezug  auf  den  Umfang  des  Reimes  befolgt  G.  strenge  Re- 
geln :  melirsilbige  Wörter  reimen  vom  vorletzten  Vokale  an ;  bei  ein- 
silbigen Wörtern  dagegen,  sowie  bei  den  mit  ihnen  reimenden  melir- 
silbigen  Wörtern  umfasst  der  Reim  bei  konsonantischem  Auslaut  den 
Schluss  des  Wortes  vom  (letzten)  Vokal  augefangen,  und  bei  vokalischem 
Auslaute  den  (letzten)  Vokal  und  den  diesem  vorausgehenden  Konso- 
nanten, z.  B.  narati  +  lulavi^  prosim  -\-  nosim\  jad  -f-  sad^  moj  + 
nepokoJ\  rve  +  tce,  iii  +  hivcni.  Ausnahmen  von  diesen,  schon  bei 
den  ältesten  ragusanischen  Dichtern  ziemlich  feststehenden  Regeln  sind 
äusserst  selten :  es  finden  sich  nämlich  ein  paar  Mal  einsilbige  vokalisch 
auslautende  Wörter,  die  nur  mit  ihrem  letzten  Vokal  reimen :  te  -\-  tve 
Proz.  655,  da  -j-  i?na^  776,  to  +  toliko  1544,  sfa  +  isfoga  Dub.  751 ; 
sowie  mehrsilbige  vokalisch  auslautende  Wörter,  welclie  nur  mit  ihrem 
letzten  Vokal  und  dem  vorausgehenden  Konsonanten  reimen :  sada  -j- 
spocijeda  Proz.  479,  ?iasaf>te  -\-  laste  Dub.  625,  voj'ecö  (hat  G.  vielleicht 
voj'ovu  geschrieben  ?) -|- oüo  Osm.  4,  94;  etwas  häufiger  sind  nur  die 
Fälle,  wo  mehrsilbige  konsonantisch  auslautende  Wörter  wie  die  ein- 
silbigen Wörter  derselben  Art  miteinander  reimen,  also  vom  letzten  (und 
nicht  vorletzten)  Vokal  angefangen:  odrijesit  +  u?7irit  Ar.  557,  icoj'oj 
-\- pokoj  Fvoz.  437,  pravim -\- krajim  Proz.  844,  nepristav -\~  lubav 
Dub.  663,  vaskolik  +  uvik  Dub.  929  (entspricht  aber  der  Regel,  sobald 
man  2i  vik  trennt !),  izide  f  -\-  slijedjet  Dub.  1293  (wo  man  auch  izide  f 
—  slidjet  lesen  könnte,  so  dass  dann  der  Reim  vollständig,  hier  in  der 
letzten  Silbe  unrein  wäre). 

In  Bezug  auf  die  mehr  oder  weniger  häufige  Anwendung  der  ein- 
zelnen Arten  von  Reimen  ist  zu  bemerkeu,  dass  zunächst  in  den  acht- 
silbigen  Versen  einsilbige  Wörter  im  Reime  nicht  vorkommen,  und  zwar 
aus  dem  Grunde,  weil  einsilbige  Wörter  nothwendigerweise  betont  sind, 
während  der  achtsilbige  Vers  am  Schlüsse  eine  betonte  Silbe  nicht  ver- 
trägt. Selbstverständlich  können  nicht  als  Ausnahmen  hiervon  die 
Fälle  gelten,  wo  am  Versschlusse  ein  einsilbiges  Wort  hinter  einer  Pro- 
klitik  steht,  denn  dann  werden  die  beiden  Worte  durch  den  gemeinsamen 
Accent  fest  zusammengehalten  und  bilden  in  Bezug  auf  den  Reim  eine 


266  M.  Resetar, 

Einheit,  z,  B.  ureda -\- ne-dä  Osm.  G,  1  IG,  sehi -\- ne-hl  Osm.  7,  214, 
zlato -\- nä-to  Osm.  12,  3G9  u.  s.  w.;  noch  weniger  sprechen  dagegen 
die  sehr  zahlreichen  Fälle,  wo  am  Versschlusse  einsilbige  Enklitiken 
stehen  /e,  se,  Z»/,  ga  u.  s.  w.),  denn  diese  wnrden  ihrer  Tonlosigkeit 
wegen  gar  nicht  als  selbständige  Wörter  gefühlt.  Als  wirkliclie  Aus- 
nahmen würden  somit  nur  die  Fälle  verbleiben,  wo  am  Schlüsse  eines 
achtsilbigen  Verses  ein  selbständiges,  betontes  einsilbiges  Wort  steht; 
solche  Beispiele  gibt  es  aber  bei  G.  fast  gar  keine,  denn  im  Vers  da 
razgovor  poda  i  Uk  Ar.  1260  ist  wohl  (der  wirklichen  Aussprache  ent- 
sprechend) zu  lesen:  «.  .  .  ^i-Il/c«,  so  dass  dann  dieses  Beispiel  zu  den- 
jenigen gehören  würde,  wo  zwei  konsonantisch  auslautende,  mehrsilbige 
Wörter  nur  vom  letzten  Vokal  angefangen  sich  miteinander  reimen ; 
dann  aber  sind  mir  nur  zwei  Fälle  bei  G.  bekannt,  wo  am  Schlüsse  eines 
Achtsilbers  ein  betontes  einsilbiges  Wort  steht :  dobit  -f-  to  Vit  Osm. 
17,  327;  svil  hl  (3.  sg.  aor.)  ■\-  pograhi  Osm.  19,  1034.  —  Was  aber 
die  mehrsilbigen  Wörter  anbelangt,  so  werden  in  der  grossen  Mehrzahl 
der  Fälle  zur  Reimbildung  vokalisch  auslautende  Wörter  genommen, 
während  konsonantisch  auslautende  viel  seltener  vorkommen ;  in  den 
zwölfsilbigen  Versen  (also  in  den  Dramen)  sind  noch  ziemlich  häufig  die 
Fälle,  wo  (in  den  Zwölfsilbern !)  ein  männlicher  Reim  zwischen  einem 
mehrsilbigen  und  einem  einsilbigen  Worte  gebildet  wird,  aber  Reime, 
wo  an  beiden  Stellen  mehrsilbige,  konsonantisch  auslautende  Worte 
stehen,  sind  sehr  selten,  so  findet  man  z.  B.  unter  den  1144  Reimver- 
bindungen der  fünf  ersten  Gesänge  des  Osman  nur  37,  welche  konso- 
nantisch auslauten.  Besonders  selten  sind  aber  Reime  dieser  letzteren 
Art  in  den  Zwölfsilbern :  in  der  Prozerpina^  Dij'ana  und  Armida 
findet  sich  kein  einziges  Beispiel  dafür,  und  in  der  Arijadna  nur  zwei  : 
pokojom  +  mojom  310,  ucvilen  -j-  tisüen  949;  erst  in  der  Duhravka 
finden  sich  mehrere  Beispiele,  vgl.  Vers  125.  171.  207.  727.  755.  759. 
761.  763  (wo  des  Reimes  wegen  hitrosti  in  hitrostim  zu  ändern  ist). 
771.837.841.935. 1007. 1 147  (wo 7>/■^o6raf^/ in />noZ»ra2«Y auszubessern 
ist).  1277  (2).  Man  wäre  somit  fast  geneigt  anzunehmen,  dass  G.  in  der 
späteren  Zeit  (und  aus  dieser  stammt  ja  die  Duhravka)  diese  Art  von 
Reimen  in  den  Zwölfsilbern  häufiger  angewendet  habe.  In  der  That 
aber  steht  dies  damit  im  Zusammenhange,  dass  die  Duhravka  3 — 4  Mal 
so  viel  Zwölfsilber  zählt,  als  die  Arijadna^  bezw.  Prozerpina.  Da- 
gegen steht  wohl  fest,  dass  G.  in  den  aus  achtsilbigen  Versen  be- 
stehenden Partien  derselben  Dramen  Reime  dieser  Art  relativ  ziemlich 


Die  Metrik  Gunduliö's.  267 

häufig  anwendet,  so  z.  B.  in  der  Prozcrpina  25  Mal.  Diesen  Unter- 
schied würde  mau  nun  verstehen,  wenn  man  sehen  würde,  dass  G.  in 
den  hierher  gehörenden  Fällen  in  den  achtsilbigen  Versen  wenigstens 
viersilbige  Wörter  verwendet  (wie  z.  B.  spomenvjem  -}-  cujem  Proz. 
s27),  die  also  für  den  Zwölfsilber  zu  lang  wären,  in  der  That  aber 
liat  er  auch  hier  fast  ausschliesslich  zwei-  oder  dreisilbige  Wörter,  die 
auch  in  Zwölfsilbern  hätten  ganz  gut  untergebracht  werden  können. 
r.s  ist  daher  diese  Erscheinung  wohl  dadurch  zu  erklären,  dass  G.  in 
ilen  Zwölfsilbern  mehrsilbige  konsonantisch  auslautende  Wörter  leicht 
dadurch  unterbringen  konnte,  dass  er  sie  mit  einem  eiusilbigen  Wort 
reimen  Hess,  während  dies  bei  den  Achtsilbern  nicht  möglich  war,  so 
dass  er  dann  in  diesen  letzteren  mehrsilbige  konsonantisch  auslautende 
Wörter  nur  paarweise  verwenden  konnte. 

Der  zwölfsilbige  Ters. 

Diesen  Vers  hat  G.  im  Grossen  und  Ganzen  ebenso  behandelt  wie 
seine  Vorgänger:  er  wird  somit  zunächst  durch  eine  Hauptcäsur  nach 
der  sechsten  Silbe  in  zwei  Reihen  gleichen  Umfanges  getheilt,  welche 
wiederum  durch  je  eine  Nebencäsur  nach  der  3*®°,  bezw.  9*®"  Silbe  in 
je  zwei  dreisilbige  Füsse  zerfallen,  z.  B. 

Sio  zelis^  \  maj'ko  ma^  ||  sto  zudih^  \  bozice, 
sve  pita  \  hez  srama  ||  u  moje  \  desnice', 
und  zwar  werden  durch  die  Hauptcäsur  in  der  Regel  Sätze  oder  sonst 
in  syntaktischer  Beziehung  zusammenhängende  Satztheile  getrennt,  so 
dass  z.  B.  ein  Attribut  von  dem  Wort,  auf  das  es  sich  bezieht,  oder  eine 
Präposition  von  ihrem  Nomen  oder  eine  Konjunktion  von  ihrem  Verbum 
nicht  getrennt  wird.  Dagegen  wird  bei  den  Nebencäsuren  auf  das  syn- 
taktische Verhältniss  der  einzelnen  Worte  keine  Rücksicht  genommen, 
80  dass  hier  wie  man  schon  aus  dem  zweiten  hier  angeführten  Verse 
sieht)  solche  Trennungen  ohueweiters  vorkommen. 

Von  dieser  Eintheilung  des  Zwölfsilbers  weicht  G.  sehr  selten  ab ; 
es  ist  aber  sogleich  hervorzuheben,  dass  in  der  Arijadna^  dem  einzigen 
Drama,  das  noch  von  G.  selbst  herausgegeben  wurde,  kein  Beispiel 
einer  solchen  Abweichung  vorkommt.  Es  ist  daher  möglich,  und  zum 
Theil  gewiss,  dass  manches  der  in  den  übrigen  Dramen  hierher  ge- 
hörenden Beispiele  auf  Rechnung  einer  mangelhaften  Ueberlieferung  zu 
setzen  ist.    So  rühren  gewiss  nicht  von  G.  diejenigen  Verse  her,  welclie 


268  M.  Resetar, 

lim  eine  Silbe  z\i  kurz  oder  zu  lang  sind,  somit  zwei-,  bezw.  viersilbige 
Füese  enthalten:  ich  meine  folgende  Fälle:  krivi  ce  se  \  suditi\\po 
voll  jjo  tvoj'oj  Proz.437  (wahrscheinlich  krivi  ce  «',  vgl.  Inder  Agramer 
Ausgabe  /crive  cei);  izidimo  \  na  dvor  svi  \\  jjastij'ei-i  \  opeta  Proz. 
647  (natürlich  izid''mo  wie  in  der  Agramer  Ausgabe);  znas^ 
odi  \Ja  sam  bog  \\  kako  Jove  \  na  nebi  Proz.  1219  (wahrschein- 
lich kao  oder  auch  kak'' ]  Agramer  Ausgabe  kd)\  Ja  pustam.  \  Eto 
i  ja\  11  je  li  dje  ko^  \  pomozi!  Dub.  795  (gewiss je  V  dje  ko)\  ili  hi 
se  I  nac  liajo^  \  sto  cemo  \jesti  i  pit  Dub.  840  (es  ist  zu  lesen  ili  hi 
[ohne  se\  wie  in  der  Agr.  und  Ragus.  Ausg.  steht,  oder  noch  eher  iV  hi 
se,  wie  Budmani  im  Akad.  Wbch.  s.v.  hajatl  liest);  pastiru,  |  kazi  tni 
tim,  ^Jedaju  \  gdi  vidi  Dnh.  1303  (einfach  kai^  mi  (im,  wie  in  der 
Agr.  Ausg.);  ter  straJia  \  nije  u  nas  ||  srcu,  \  za  sve  da  Proz.  1072 
(das  Richtige  hat  die  Agr.  Ausg. :  ter  straha  \  nije  u  nas  H  ostalo  \  za 
sve  da);  da  mi  nt  |  cica  te  \pridrage  \  me  vil  Proz.  1375  [moj'e  vil, 
wie  in  der  Agr.  Ausg.);  ki  je  sud,  \  da  sve,  \\  sto  ima  \  svij'etlo  hit 
Proz.  1386  (es  ist  zu  lesen  da  s  ove  [d.  s.  durch  Proserpina],  in  der 
Ragus.  Ausg.  falsch  gelesen  da  zove):  vjera  u  hoj  \  krepak  stan  ||  7ia- 
d:e  I  i  stehe  Dub.  141  (diese  Eintheilung  ist  des  Reimes  wegen  noth- 
wendig ;  vielleicht  ist  zu  lesen  i  naäe  i  stehe);  Ja poheh  \  on  cas,  ||  ti 
me  opet  \  izmijetii  Dub.  436  (es  ist  zu  lesen  o}ii  has,  vgl.  Osm.  12,  136); 
nu  neka  \  huka,  |1  smijatcu  \ja  se  i  zan  Diib.  1103  (ganz  einfach  on 
liuka,  wie  in  der  Ragus.  und  Agr.  Ausg.).  Wie  man  sieht,  lässt  sich 
also  auch  in  diesen  wenigen  Fällen  die  richtige  (und  ohne  Zweifel  ur- 
sprüngliche) Silbenzahl  leicht  wiederherstellen.  Dagegen  ist  es  nicht 
mehr  so  sicher,  ob  auch  in  denjenigen  seltenen  Fällen  eine  Korrektur 
des  Textes  vorzunehmen  ist,  in  welchen  die  Cäsur  zwischen  den  einzel- 
nen Füssen  einer  Reihe  (zwischen  den  beiden  Reihen  kann  sie  schon 
des  Reimes  wegen  nicht  fehlen  !)  nicht  eingehalten  wird.  Allerdings 
muss  man  den  umstand  berücksichtigen,  dass  in  der  vom  Dichter  selbst 
herausgegebenen  Arijadna  die  Cäsur  nie  vernachlässigt  wird;  anderer- 
seits aber  haben  die  älteren  Dichter  (z.  B.  Zlatavic  in  den  Dramen)  nicht 
selten  die  Cäsur  nicht  eingehalten,  und  auch  G.  selbst  hat  ein  Paar 
sichere  Beispiele  hierfür:  kako  naj\ljepsemu  ||  najljepsu  \  od  vila 
Dub.  788,  kako  naj\vecemu\  lupezu  |  vjesala  788,  a Ja  vas\zivot 
moj  II  hranim  naj\miliji  831 ;  hier  konnte  sich  aber  G.  nicht  anders 
helfen,  da  er  viersilbige  Formen  anwenden  wollte ;  übrigens  handelt  es 
sich  an  allen  drei  Stellen  um  die  Trennung  des  Superlativsuffixes  naj. 


Die  Metrik  Gundulic's.  2ö9 

das  in  der  That  mit  dem  Adjektiv  nur  locker  zusammenhängt.  In  den 
folgenden  Fällen  dagegen  hat  vielleicht  G.  selbst  die  Cäsur  vernach- 
lässigt, obschon  sie  mehrmals  durch  eine  einfache  Wortumstellung  her- 
gestellt werden  kann:  iz  svoje  ku\ce  da  uzet  ||  smije  drag  \porod  tvoj 
Proz.  <;(i8  (die  Handschrift  Pavic's  und  die  Ragus.  Ausg.  haben  das, 
allerdings  noth-wendige,  da  nicht,  während  die  Agr.  Ausg.  die  wohl 
richtige  Lesart  bietet:  iz  tcoje  \  kuce  izet  |j  da  smije  drag  \  porod 
tvoJ]\  strähne  stca\ri  od  nas  ||  svaki  hu  \  i  gleda  Proz.  1073  (die 
Agr.  Ausg.  hat  hier  strasne  stDa\ri  od  danas  |1  •  .  ■,  was  metrisch  schon 
richtig  wäre,  aber  das  danas  gibt  keinen  Sinn);  da  je  lje\i)sa  soja  || 
neg  gohih  \  pribljeli  Dub.  100  (die  Ragus.  Ausg.  hat  das  je  nicht; 
vielleicht  ganz  einfach  da  Ijepsa  \  je  soja  |1  .  .  .) :  uputi  \  se^  uputi^  |] 
stado  mo\je  prije  Dub.  507  (die  Ragus.  Ausg.  falsch  7ne  für  moje); 
oprhlu  I  i  modru  ||  kozu  u\stie  blide  Dub.  62 1  (zwei  Handschriften  und 
die  Ragus.  Ausg.  haben  das  wohl  richtige  .  .  .  ||  kozu  usne  \  üih  blide): 
nu  me  strah^  \  da  veca  \\  neg  je  ig\da  lila  Dub.  699  (die  Umstellung 

.  .  II  neg  igda  \  je  hila  würde  genügen);   sto  u  glas  j  najvisi  ||  sad 
vas  nioju  ovi  Dub.  1653    (auch  hier  könnte  man  einfach  umstellen: 

...  II  sad  molu  \  vas  ovi). 

Sicher  sind  dagegen  die,  ebenfalls  sehr  seltenen  Fälle,  wo  G.  die 
beiden  Füsse  einer  und  derselben  Reihe  durch  Synäresis  verbindet  (eine 
ähnliche  Verbindung  zweier  Reihen  ist  natürlich  des  Reimes  wegen 
ausgeschlossen),  um  auf  diese  Weise  eine  Silbe  weniger,  bezw.  einen 
dreisilbigen  Fnss  zu  bekommen,  wobei  dann  die  Cäsur  eigentlich  in  die 
Mitte  eines  Wortes  fällt,  z.  B.  ako  vijen\ci  od  slave  \\  cela  im  j  ne  rese 
Ar.  305,  sto  s  chnjenjem  \  od  hoda  |1  ustavlalmo  odluku  Ar.  317;  vgl. 
noch  Proz.  324.  1126.  1128.  Dub.  120.  123.  221.  238.  429.  456.  622. 
623.  624.  633.  662.  690.  79(;.  832.  844.  847.  850.  876.  926.  1012. 
1298.  1348.  1352(2).  1510.  1559.  Hierher  kann  man  schliesslich  auch 
die  Fälle  rechnen,  wo  eine  Enklitik  durch  eine  solche  Synäresis  von 
ihrem  Hauptworte  getrennt  wird,  obschon  hier  eigentlich  nur  zwei  durch 
öinen  Accent  zusammengehaltene  Wörter  getrennt  werden,  z.  B.  er  mi- 
los  I  rodjaka  \\  ne  moze-\se  uvrijedit  Ar.  712,  vgl.  noch  Dub. 454.  507. 
689.  739.  787  (2).  789.  839.  876.  1340.  1351.  1354;  ähnlich  ist,  dass 
im  Vers  vjeran  driig  \  hicu  tvoj.,  Wjßda  i  ja  u-^mom  trudu  Dub.  153 
die  Präposition  von  dem  regierten  Wort  getrennt  wird;  dagegen  ist  mir 
das  Beispiel  /  veca  j  neka  ti  \\je  sramo Ja  I  sfeta  Dub.  433  verdächtig. 
weil  die  Enklitik  durch  die  Hauptcäsur  getrennt  ist :  die  Ragus.  Ausg. 


270  M.  Resetar, 

hat  das  je  überhaupt  nicht,  es  ist  daher  möglich,  dass  gelesen  werden 
soll:  i  veca  \  neka  ti  \\  sramota  |  je  i  steta.  Wenn  man  nun  auch  die 
grössere  Anzahl  der  in  der  Duhravka  vorkommenden  Zwölf silber  be- 
rücksichtigt, so  ergibt  es  sich  dennoch,  dass  G.  in  diesem  Drama  sich 
in  Bezug  auf  diese  Synäresis  eine  grössere  Freiheit  erlaubt  hat,  als  in 
den  älteren. 

Für  den  Bau  des  zwölfsilbigen  Verses  sind  also  nur  die  Anzahl  der 
Silben,  sowie  die  Cäsuren  massgebend;  Accent  und  Quantität  spielen 
dagegen  keine  Rolle;  nur  dies  Eine  kann  beobachtet  werden,  dass 
nämlich  einsilbige  Wörter,  wenn  sie  am  Schlüsse  einer  Reihe  (also  im 
Reime)  stehen,  in  der  Regel  lang  (z.  B.  da  koji  hoc  li  ti  ||  iimrli  na 
svijeti  Ar.  43),  seltener  kurz  (z.  B.  pastijeri  tuj  su  svi  ||  sa  drugijem 
gospod^am  Proz.  413)  sind;  so  haben  wir  in  der  Arijadna  und  Pro- 
zerpina  54,  bezw.  100  Längen  gegenüber  18,  bezw.  32  Kürzen.  Ich 
glaube  aber,  dass  dieses  Verhältniss  nur  dadurch  bedingt  wird,  dass 
gerade  die  am  meisten  sich  eignenden  Wörter  (wie/a,  tl^  toj^  "^ndj,  tcoj^ 
svoj,  vläst,  cäsf,  sv/jet,  vil  u.  s.  w.  u.  s.  w.)  lang  sind. 

Der  achtsilbige  Ters. 

Auch  diesen  Vers  hat  G.  von  seinen  Vorgängern  unverändert  über- 
nommen; derselbe  wird  somit  durch  eine  stehende  Cäsur  nach  der 
vierten  Silbe  in  zwei  gleiche  Hälften  getheilt,  die  übrigens  —  wie  die 
Nebencäsur  beim  Zwölfsilber  —  auf  die  syntaktische  Verbindung  der 
einzelnen  Worte  keinen  Eiufluss  ausübt.  Während  aber  beim  Zwölf- 
silber Accent  und  Betonung  keine  Rolle  spielen,  wird  beim  Achtsilber 
auf  den  Accent  insofern  Rücksicht  genommen,  als  die  Schlusssilbe  der 
beiden  Reihen  in  der  Regel  den  Accent  nicht  haben  darf.  Da  nun  ha 
Serbokroatischen  (mit  durchgeführter  neuerer  Betonung)  nur  einsilbige 
Wörter  endbetont  sein  können,  so  ergibt  sich  daraus,  dass  am  Schlüsse 
der  beiden  Reihen  ein  einsilbiges  Wort  nicht  stehen  darf,  ausgenom- 
men etwa  eine  Enklitik,  die  nothwendigerweise  unbetont  ist.  Die 
seltenen  Fälle,  wo  G.  von  diesen  Regeln  abweicht,  sind  zum  grossen 
Theil  als  Fehler  der  Abschreiber  zu  bezeichnen,  so  zunächst  wohl  alle 
Fälle,  wo  ein  Vers  um  eine  Silbe  länger  oder  kürzer  ist :  /  dati  ce  se  \ 
tebi  lubi  Proz.  56  (selbstverständlich  i  dat  ce  se  .  .  wie  in  der  Ragus. 
und  Agr.  Ausg.);  pjesni  nase  \  slaike  rastavla  Proz.  212  (.  .  .  |  slat- 
ko  ustavla  Ragus.  Ausg.,  nase  tistavla  Agr.  Ausg.,  ustavla  ist  unbedingt 
richtig);  odgovorite  \  vijojza  me  Proz.  695  [odgovorHe  |  •  ■  .,  wie  in 


Die  Metrik  Gundiilic's.  271 

der  Ragus.  und  Agr.  Ausg.);  er  ako  Ijcpos^  \  ka  se  pazi  Sn.  B,  193 
(in  den  alten  Ausgaben  steht  e  [wohl  ein  Druckfeliler  für  /!],  welcher 
von  Pavic  zu  er  »korrigirtu  wurde!);  (ßavu  imaju  \  deli-StJepana 
Osm.  11,  217  auch  hier  hat  Pavic  unter  den  vier  Varianten  deli-del- 
pan-Pac  diejenige  gewählt,  welche  einen  neunsilbigen  Achtsilber 
gibt!);  htjej\  molim  te^  \  samo  mi  rijeti  Osm.  12,  238  (die  älteste 
Handschrift  hat  .  .  .  |  samo  irC  rijeti^  und  diese  älteste  und  allein  rich- 
tige Lesart  hat  der  Herausgeber  im  kritischen  Kommentar  stehen  las- 
sen !);  crncu  i  vezijeru  \  Dilaceru  Osm.  19,  1025  (die  Ragus.  und  Agr, 
Ausg.  haben  —  was  Pavic  gar  nicht  erwähnt  —  crncu  i  vezijer-  [bezw. 
vezir-]  I  Dilcweru,  ebenso  eine  Handschrift  aus  der  ersten  Hälfte  des 
XVHI.  Jahrb.,  die  ich  besitze);  er  mlados  \  s  prva  uziva  Pioz.283  (das 
Richtige  in  der  Ragus.  und  Agr.  Ausg.:  ere,  hezw.jere  mlados  |  . . .); 
ne  mnah  vik  \  da  ce  doci  Proz.  1328  (die  Ragus.  Ausg.  hat  hier  7ie 
mnog  [!]  vik  |  .  .  .,  die  Agr.  ne  tnhah  vij'eke  |  .  .  .;  G.  hatte  ohne 
Zweifel  geschrieben  ne  mhali  viku  |  .  .  .);  velec^  da  ti  \  pohio  Osm. 
16,  111  [pohio  ist  wohl  nur  ein  Druckfehler  für  poguhio^  wie  in  der 
Ragus.  und  Agr.  Ausg.,  sowie  in  der  soeben  erwähnten  Handschrift 
steht);  glasi :  evo  \  zgar  s  neha  Osm.  19,  179  (wenn  auch  hier  kein 
einfacher  Druckfehler  vorliegt,  so  hätte  der  Herausgeber  mit  ziemlicher 
Sicherheit  das  Richtige  getroffen,  wenn  er  wegen  des  Reimes  mit  uresa 
das  neha  in  nehesa  geändert  hätte !).  —  Wie  die  bisher  erwähnten 
rällc,  so  lassen  sich  leicht  auch  die  ganz  vereinzelten  Beispiele  aus- 
merzen, wo  in  der  akademischen  Ausgabe  die  Cäsur  nach  der  vierten 
Silbe  nicht  eingehalten  wird:  neka  u  mojoj  radosti  Ar.  1798  (wie 
es  in  der  gedruckten  Ausgabe  stand,  wissen  wir  nicht,  denn  dem  ein- 
zigen erhaltenen  Exemplar  fehlt  der  Schluss,  aber  die  sonstigen  Hand- 
schriften und  neueren  Ausgaben  haben  das  richtige  7ieka  u  mojoj  \  u 
radosti\)\  ka  ovo  sad  svJe\tIos  vidi  se  Proz.  229  (wohl  umzustellen  ka 
ovo  svj'eflos  I  sad  vidi  se,  wie  in  der  Ragus.  und  Agr.  Ausg.);  ah  ne- 
moj]  sudce  od  tmine  Proz.  1378  (die  Ragus.  und  Agr.  Ausg.  haben  ah 
nepravi  |  sudce  od  tmine ^  was  sowohl  dem  Metrum,  als  auch  dem 
Sinne  besser  entspricht!);  nauci  nie,  kako  tvoriti  Pok.  7,  .">3  (wahr- 
scheinlich durch  einen  Druckfehler  für  nauci  me,  \  kao  tvoriti,  wie  die 
Ragus.  und  die  Agr.  Ausg.  haben,  sowie  eine  in  meinem  Besitze  befind- 
liche Handschrift  aus  dem  J.  1755/50)  i). 


ij  Die  Handschrift  tragt  auf  dem   ersten   nuiuerirten  Blatte  folgende 


272  M.  Resetar, 

Viel  häufiger  als  beim  Zwölfsilber  hat  sich  G.  erlaubt,  die  beiden 
Hälften  des  Achtsilbers  durch  Synäresis  zu  verbinden,  z.  B.  slavne  do- 
bi\tri  hrahrene  Ar.  264;  vgl.  auch  Ar.  1001.  1018.  1027.  1295.  148(i. 
IGSG.  Dub.  21.  78.  229.  557.  604.  967.  1048.  1196.  1381.  14M. 
1417.  1430.  Pok.  2,  73.  4,  64.  74.  77.  91.  94.  5,  65.  Su.  1,  317.  372. 
2,  138.  158.  205.  309.  330.  3,  21.  42.  276.  l^xxh.  142.  151.  266.  Osni. 
1,  255.  2,  169.  250.  279.  290.  340.  3,  87.  149.  212.  4,  39.  43.  13(1 
281.  292.  293.  363  u.  s.  w.  u.  s.  w.  (noch  101  Beispiele  im   OsmanV). 


Aufschrift:  »Raslika  pievagnia  i'asparsciana  po  Dubrovniku  skladana  po 
Givu  Frana  Gundulichja,  vlastelinu  dubrovackomu,  koj  sloviasce  oko  lltt;i 
Gospodinova  1620  [später  koirigirt  zu  »1622«],  a  skupiena;  pripisana,  i  slo- 
scgena  ii  ovo  libro  po  Mihu  Gjona  Eastichja.  Litta  Gospodinova  1744  Dio 
drughi".  Es  ist  dies  der  zweite  Theil  einer  Sammlung  der  Gedichte  G.'s,  der 
die  Arijadna  und  die  lyrischen  Gedichte  enthält,  während  der  erste  Theil 
wahrscheinlich  den  Osman  und,  eventuell  ein  dritter  Theil,  die  übrigen  Dra- 
men enthielt.  Die  Handschrift,  aus  4  nicht  numerirten  und  116  numerirten 
Blättern  in  kl.40  bestehend,  jgt  sehr  sauber  geschrieben,  wahrscheinlich  durch 
längere  Zeit,  denn  auf  Blatt  47,  wo  das  Gedicht  auf  Ferdinand  II.  von  To- 
scana  (nach  Schluss  der  Arijadna)  anfängt,  findet  sich  die  Anmerkung:  »Pri- 
pisanona  15  Prosijnza  Litta  Gospodinova  1756«,  man  sieht  aber  deutlich,  dass 
ursprünglich  »1736  u  Rimu«  geschrieben  war:  die  Ziffer  3  ist  nämlich  durch 
5  überschrieben  und  die  Worte  »u  Rimu«  wegradirt.  Der  Abschreiber  hat 
sich  viel  Mühe  gegeben,  einen  möglichst  korrekten  Text  zu  haben,  denn  er 
sagt  auf  dem  ersten  nicht  numerirten  Blatt :  »Ariadna...  dobro  emendana 
is  libarza  sctampana,  ma  ne  svud:  ondi  diesu  ovi  segni  f,  nie  emendana, 
nitie  emendan  at  peti«;  später  fügte  er  hinzu:  »Piesni  Pocorne  emendane  is 
libarza  sctampana,  takoghier  i  Piesan  od  Velicianstva  Bosgiegha  —  Süsse 
Sina  Rasmetnogha  emendane  iz  libarza  stampana«;  er  hat  somit  seinen  Text, 
insofern  es  möglich  war,  mit  den  gedruckten  Ausgaben  vergliclien;  speciell 
aus  dem  Vergleiclie  der  Lücken  in  dieser  Handschrift  mit  denjenigen  in  der 
akademischen  Ausgabe  ergibt  es  sich  mit  vollkommener  Sicherheit,  dass 
Rastic  im  J.  1755  dasselbe  unvollständige  Exemplar  der  Arijadna  benützte, 
welches  in  der  Franziskaner-Bibliothek  zu  Ragusa  aufbewahrt  wird  und  lei- 
der das  einzige  erhaltene  ist.  Unter  der  soeben  erwähnten  Anmerkung  steht 
etwas  tiefer,  aber  noch  von  Rastic's  Hand  geschrieben,  die  Jahreszahl  »1624«, 
welche  ich  mir  nicht  recht  zu  erklären  vermag,  denn  dieselbe  entspricht 
weder  dem  Jahre  der  Entstehung,  noch  der  Drucklegung  eines  der  oben  be- 
zeichneten Gedichte.  Dieser  Miho  Gono  Rastiüa  (Michael  des  Junius  Resti) 
ist  schon  bekannt  als  fieissiger  und  korrekter  Abschreiber  ragusanischer  Ge- 
dichte; auch  die  Ausgabe  der  PJesni  rnzlike  des  D.  Zlataric  beruht  auf  einer 
Abschrift  von  ilim  (vgl.  Siari pisciXX.\  S.  xxxvi — xxxvii).  Ich  besitze  aber 
von  ihm  noch  eine  sehr  schöne  Handschrift  der  Gedichte  des  Jaketa  Palmotiö 
Gonovic,  welche  er  im  Jahre  1749  abschrieb. 


I 


Die  Metrik  Gunduliö's.  273 

Wie  beim  Zwölfsilber,  so  wird  auch  beim  achtsilbigen  Vers  manchmal 
durch  die  Cäsur  nur  eine  Enklitik  oder  Proklitik  von  ihrem  Hauptwort  ge- 
trennt, z.  B.  u  kralevstvu\si  od  Polaka  Osm.  3,  1 12  ;  vgl.  noch  Ar.  1459. 
Proz.  IGO.  457.  851.  Dub.  386.  Pok.  7,  12.  Vel.  34.  Su.  1,  12.  272. 
2,232.  234.  Osm.  7,299.  10,  17.  11,  141.  19,  695.  —  Ziemlich  häufig 
sind  bei  G.  auch  die  Ausnahmen  von  der  Regel,  dass  am  Ende  der  Reihe, 
eine  betonte  Silbe  (also  ein  betontes  einsilbiges  Wort)  nicht  stehen  darf. 
Allerdings  beziehen  sich  diese  Ausnahmen  fast  nie  auf  die  zweite  Reihe, 
also  auf  den  Schluss  des  Achtsilbers,  für  welchen  ich  nur  die  beiilen  auf 
S.  265  schon  erwähnten  Beispiele  habe:  da  nvakako  \  ima  to  Vit  Osm. 
17,  327  und  vrJijch  citez  \  pomnu  sva  bi  Osm.  19,  1334;  hingegen 
für  den  betonten  Schluss  der  ersten  Reihe  —  z.  B.  dokli  vas  suj  \  soijet 
Obvojini  Osm.  1,  304  —  habe  ich  im  Ganze^  an  140  Beispiele  gefunden, 
vgl.  Ar.  313.  1190.  1286.  Proz.  28.  73.  278.  Dub.  310.  341.  565. 
Arm.  73.  Pok.  2,  37.  3,  57.  5,  13.  Vel.  27.  93.  Su.  1,  107.  202.  270. 
Kai.  50.  213.  Ferd.  65.  94.  Osm.  1,  20.  2,  132.  187.  313.  449  u.  s.w. 
Dass  G.  auf  diese  Weise  nur  in  der  Mitte  des  Verses  eine  betonte  Silbe 
hat,  ist  leicht  erklärlich,  denn  die  Verbindung  zwischen  den  beiden 
Hälften  eines  und  desselben  Verses  ist  jedenfalls  sowohl  in  metrischer 
als  auch  in  syntaktischer  Beziehung  eine  viel  innigere,  als  zwischen  zwei 
aufeinander  folgenden  Versen,  eine  accentuirte  Silbe  stört  somit  viel 
weniger  am  Schlüsse  der  ersten  Reihe,  als  am  Schlüsse  des  ganzen 
Verses.  Nichtsdestoweniger  war  G.  bestrebt,  wo  es  nur  ging,  einen  be- 
tonten Schluss  der  ersten  Reihe  zu  vermeiden,  zu  welchem  Zwecke  er 
dann  nicht  selten  eine  weniger  gewöhnliche  Wortfolge  wählte,  um  da- 
durch ein  einsilbiges  Wort  nicht  als  vierte  Silbe  zu  haben,  z.  B.  cim  tva 
puni  I  slava  mnoga  Osm.  1,  59,  wo  die  gewönliche  Wortfolge  wäre: 
cim  puni  tva  |  slava  7nnoga. 

Da  aber  G.  den  achtsilbigen  Vers  zum  fast  ausschliesslichen  Metrum 
in  der  serbokroatischen  Poesie  seiner  und  der  späteren  Zeit  machte,  so 
ist  es  angezeigt  zu  untersuchen,  ob  er  im  Baue  desselben  etwas  Neues 
eingeführt  habe.  Dabei  können  aber  nur  die  Betontheit  der  letzten 
Silbe  der  beiden  Reihen,  sowie  die  Cäsur  in  Betracht  kommen.  Was  die 
letztere  anbelangt,  so  muss  gesagt  werden,  dass  die  besseren  unter  den 
älteren  ragusanischen  Dichtern,  welche  also  in  dieser  Beziehung  dem 
G.  als  Vorbild  dienen  konnten  (ich  meine  Vetranic,  Öubranovic,  M.  DrXi(5, 
Najeskovic,  Rauina  und  Zlataric;  MenSetic  und  G.  Dr?,ic  kommen  mit 
ihren  vereinzelten  Achtsilbern  nicht  in  Betracht),  ebenfalls  als  Regel  die 

Archiv  für  slavische  Philologie.    }ülV.  18 


274  M.  Resetar, 

Cäsur  nach  der  vierten  Silbe  haben;  Beispiele,  wo  dieselbe  nicht  ein- 
gehalten wird,  sind  äusserst  selten:  da  ju  zivo\tom  razdruzi  M.  Drzic, 
Tirena  1448;  vgl.  noch  Tirena  1484;  Vetranic,  Hekuba  2230;  Nalesk, 
S.  155,  V.  59.  S.  339,  V.  4;  Zlataric,  Elektra  567.  Sehr  selten  sind 
auch  die  Fälle,  wo  durch  die  Cäsur  eine  Enklitik,  oder  Proklitik  von 
dem  Wort,  an  welches  sie  sich  anlehnt,  getrennt  wird :  i  slobodi-\vas 
od  rohstva  Vetranic  B.  I,  S.  350,  V.  738,  vgl.  noch  Hekuba  1557  ;  M. 
Drzic,  Posvet.Abram.664;  Nalesk.  S.  116,  V.  5.  S.  151,  V.  13.  S.  162, 
V.  34.  S.  164,  V,  39.  S.  167,  V.  55.  Dagegen  kommt  es  bei  den  älteren 
Dichtern  relativ  häufig  vor,  dass  die  beiden  Reihen  des  Achtsilbers 
durch  Synäresis  verknüpft  sind,  aber  in  dieser  Beziehung  besteht  zwi- 
schen den  älteren  Dichtern  und  G.  ein  grundsätzlicher  Unterschied; 
während  nämlich  G.,  wie  wir  gesehen  haben,  nicht  selten  die  letzte  Silbe 
der  überzähligen  ersten  Reihe  mit  der  ersten  Silbe  der  zweiten  Reihe 
verbindet,  haben  die  älteren  Dichter  von  der  Synäresis  in  der  Mitte  des 
achtsilbigen  Verses  nur  in  der  Richtung  Gebrauch  gemacht,  dass  sie 
mit  der  letzten  Silbe  der  normalen  (also  viersilbigen!)  ersten  Reihe  eine 
einsilbige,  syntaktisch  zur  zweiten  Reihe  gehörende  Proklitik  verbanden, 
so  dass  dennoch  die  Cäsur  nicht,  wie  bei  G.,  in  die  Mitte  eines  Wortes 
fällt,  sondern  nur  eine  Proklitik  von  dem  Worte,  an  welches  sie  sich 
anlehnt,  trennt  und  mit  der  letzten  Silbe  der  (viersilbigen!)  Reihe  ver- 
bindet, z.  B.  tnisli  rotno  i  \  rogohorno  Cubran.  103;  zumeist  handelt  es 
sich  eben  um  die  Konjunktion  /,  vgl.  noch  Cubran.  182.  194.  266.  441. 
596;  Vetran.  B.  I,  S.  12,  V.  9.  S.  28,  V.  104.  S.  29,  V.  108.  111. 
S.  36,  V.  406.  S.  208,  V.  7.  S.  233,  V.  95.  S.  235,  V.  176.  S.  246, 
V.  119.  S.  253,  V.  56.  59.  S.  319,  V.  105.  S.  321,  V.  162.  S.  322, 
V.  203.  S.  323,  V.  228.  244.  S.  332,  V.  31.  S.  345,  V.  536.  S.  346, 
V.  574.  S.  350,  V.  720.  S.  418,  V.  33.  Posvetil.  811.  Hekuba  293; 
M.  Drzic,  Tirena  1408;  Zlataric,  ^iubmir  1122.  1940;  einige  Male 
wird  auch  die  Präposition  ti  ,so  angewendet:  ner  ako  mu  u  \  hraiko 
reda  Öubran.  418,  vgl.  noch  Vetranic  B.  I,  S.  30,  V.  30.  S.  230,  V.  6. 
S.  249,  V.  66.  S.  250,  V.  81.  S.  322,  V.  215.  S.  330,  V.  80.  S.  332, 
V.  29.  S.  345,  V.  546.  S.  419,  V.  22;  so  endlich  auch  die  Präposition 
od  bei  Cubran.  291  und  Vetranic  B.  I,  S.  243,  V,  224.  Aus  den  an- 
geführten Beispielen  ergibt  sich,  dass  diese  Art  der  Synäresis  am  mei- 
sten Cubranovic  und  Vetranic,  sehr  selten  M.  Drzic  und  Zlataric,  dagegen 
Naleskovic  und  Ranina  gar  nicht  angewendet  haben.  Diejenige  Form 
der  Synäresis,   welche  wir  nunmehr  als  die  speciell  Gundulic'sche  be- 


Die  Metrik  Gundulid's.  275 

zeichnen  können,  ist  bei  den  älteren  Dichtern  fast  gar  nicht  vorhanden; 
ich  habe  nur  6'm  Beispiel  gefunden:  tat  puroze nu  ocdi  te  ode  M.  DrXic, 
Tireua  1456,  aber  die  Stelle  ist  unverständlich  und  wahrscheinlich  ver- 
dorben; eine  umgekehrte  G.'sehe  Synäresis  findet  sich  dagegen  in  fol- 
genden Beispielen:  tko  ce  majci  o  r//?o^;v7?'Vetranic,  Hekuba  1050,  so- 
wie vrh  (jroha  se  u  o\n(z/u  ukuza  486;  übrigens  sind  vielleicht  auch 
diese  beiden  Stellen  —  wie  die  Varianten  zeigen  —  einer  Verbesserung 
bedürftig.    In  Bezug  auf  die  Cäsur  ergibt  sich  somit,  dass  G.  den  acht- 
!  silbigen  Vers  kaum  verbesserte,  da  die  von  ihm  eingeführte  Art  der 
'  Synäresis  die  den  Vers  in  zwei  gleiche  Theile  trennende  Cäsur  eigent- 
lich verschwinden  lässt,  während  —  wie  uns  am  besten  die  Metrik  der 
!  Volkslieder  (und  der  modernen  Dichter)  beweist  —  für  den  Achtsilber 
;  die  Cäsur  nach  der  vierten  Silbe  im  Serbokroatischen  absolut  nothwen- 
dig  ist. 

In  Bezug  auf  den  Accent  hat  G.  nur  insofern  eine  Neuerung  einge- 
;  führt,  als  er  einen  accentuirten  Versschluss  nicht  zugelassen  hat,  während 
j  Vetranic  einen  solchen  in  der  Hekuba  (V.  323.  357.  434.  435.  440. 
453.  467.  476.  664.  1234.  1507.  1550.  1552.  2031.  2041.  2247.  2302), 
j  sowie  Ranina  (Nr.  144,  10.  18.  21.  46.  54.    Nr.  145,  22.    Nr.  146,  9. 
j  49.  Nr.  357,  3)  ziemlich  häufig,  M.  Drzic  (Tirena  1466)  und  Naleskovic 
(8.  158,  V.  152)  in  ihren  nicht  zahlreichen  Achtsiibern  wenigstens  je 
einmal  haben.    G.  hat  dadurch  jedenfalls  das  Richtige  getroffen,  denn 
auch  hier  spricht  die  volksthttmliche  (und  moderne)  Metrik  entschieden 
für  die  absolute  Unbetontheit   der  Schlusssilbe.    Allerdings  aus  dem- 
selben Grunde  hätte  G.  auch  eine  accentuirte  Silbe  an  vierter  Stelle 
vermeiden  müssen,   doch  hier  wirkt  die  Betontheit  der  Silbe  nicht  so 
störend  wie  am  Schlüsse  des  Verses;  diesbezüglich  ist  aber  G.  wenig- 
stens nicht  weiter  gegangen,    als  alle  seine  Vorgänger,    die   ebenfalls 
ziemlich  oft  die  vierte  Silbe  betonen,  vgl.  z.  B.  Vetranic,  Hekuba  27  7. 
16.  388.406  U.S.W.,  Öiibrauovic  51.  100.  HO.  113.  125.209  u.s.w., 
Zlataric,  Elektra  164.  554.  991.  1001  u.  s.  w. 

Die  übrigen  Versmasse. 

Ausser  den  zwölf-  und  achtsilbigen  Versen  finden  sich  noch  bei  G., 
und  zwar  nur  in  den  Dramen,  auch  kürzere  Verse  von  6,  5  und  4  Silben, 
die  er  fast  immer  nur  in  Verbindung  mit  Achtsilbern  zur  Bildung  grös- 
serer Strophen  anwendet.    Der  Sechssilber  ist  gleich  einer  Hälfte  seine 

18- 


I 


276  M.  Resetar, 

zwölfsilbigen  Verses,  hat  daher  wie  letztere  eine  stehende  Cäsur  nach  der 
dritten  Silbe,  z.  B.  razhludno  \  zdruziti  Ar.  1742;  es  kann  ferner  an 
dieser  Stelle  eine  Synäresis  stattfinden:  pjesni  dra\ge  i  mile  Proz,  1494. 
und  am  Schluss  kann  ein  einsilbiges  betontes  Wort  stehen :  ovako  j  lij'epa 
(^m  Ar.  1749,  vgl.  noch  Ar.  17  63.  Proz.  221.  222.  478.  531  u.s.w. — 
Der  fünfsilbige  Vers  dagegen  hat  zwei  verschiedene  Formen:  a)  (häu- 
figer) mit  der  Cäsur  nach  der  zweiten  Silbe,  z.  B.  rajskom  \  h'iposti 
Ar.  1745,  b)  (seltener)  mit  der  Cäsur  nach  der  dritten  Silbe,  z.  B.  pri- 
slatke  veze  Ar.  174G  (vgl.  noch  Ar.  1739.  1741.  1751.  1762.  Proz. 
1086.  1114.  1116.  1280  u.  s.  w.);  die  G.'sche  Synäresis  tritt  auch  hier 
auf:  sred  mi\la  uresa  Ar.  1753,  sveti  I\metieo  Ar.  1738;  nur  ein  ein- 
ziges Mal  ist  weder  die  eine  noch  die  andere  Cäsur  vorhanden :  da  sje- 
dine  se  Ar.  1748,  wo  die  Cäsur  (und  die  gewöhnliche  Wortfolge)  da 
se  I  sjedine  dem  Reime  mit  prislatke  veze  geopfert  wurde;  ein  betontes 
Wort  steht  nie  am  Schlüsse  der  Verse.  —  Der  viersilbige  Vers  kommt 
bei  G.  nur  ganz  vereinzelt  vor,  und  doch  hat  auch  er  in  der  Regel  eine 
Cäsur  nach  der  ersten  Silbe,  und  zwar  so,  dass  der  Vers  aus  einem  ein- 
silbigen und  einem  dreisilbigen  Worte  besteht:  zrak  j  obj'avi  Ar.  730. 
vgl.  noch  Ar.  731.  Proz.  939.  1082.  1098.  1112.  1278.  1290.  1456. 
1590.  1616.  1678;  ausnahmsweise  finden  wir:  eto  \  dragi  Froz.  1670, 
und  ohne  Cäsur:  prilozite  Proz.  1686. 

Stropheubilduug. 

G.,  wie  in  der  Regel  alle  älteren  serbokroatischen  Dichter,  kenn!; 
keine  reimlosen  Verse,  welche  einzeln  gebraucht  wären,  vielmehr  er- 
scheinen bei  ihm  in  der  Regel  als  metrische  Einheiten  zwei-  oder  vier- 
zeilige  Strophen.  Die  einfachsten  Verhältnisse  bieten  in  dieser  Beziehung 
die  zwölfsilbigen  Verse :  sie  werden  nämlich,  wie  auch  in  der  Zeit  vor 
G.,  immer  für  sich  allein  und  immer  paarweise  verbunden,  und  zwar  bei 
G.  immer  —  wie  auch  zumeist  bei  seinen  Vorgängern  —  so,  dass  die 
beiden  Verse  auf  die  bekannte  Weise  durch  einen  Doppelreim  am 
Schlüsse  der  beiden  Vershälften  verbunden  sind.  —  Der  Hauptvers  G.'s, 
der  Achtsilber,  wird  dagegen  viel  mannigfaltiger  angewendet;  in  der 
Regel  aber  erscheint  er  in  vierzeiligeu  Strophen,  welche  eben  seit  G.  das 
gewöhnlichste  Metrum  sind.  In  Bezug  auf  die  Reimverbindung  hat  G. 
beide  schon  vor  ihm  bestehenden  Arten  angewandt,  nämlich  a)  diejenige 
mit  dem  Reime  ahba,  und  b)  diejenige  mit  dem  Reime  ahah : 


Die  Metrik  Gundulic's.  277 

;i    Od  neheske  slatke  lire  b)  7m  zamdlo  od  ruzica 

Djecna  straza  bog  suncani^  ako  vidis  rujnos  milu 

kl  po  visnoj  lijepoj  strani  promijenut  Ju  usred  lica 

zlatna  kola  zrak  prostire  hijelih  lij'era  na  hlj'edilu ; 

null  ZWEI"  hat  G.  die  Reimverbindung  ahba  nur  in  den  Dramen  (neben 
abab)  und  in  den  PJesni  pokorne^  sonst  dagegen  ausschliesslich  die 
Reimverbindung  abab.  Da  wir  nun  wissen,  dass  die  Dramen  die  äl- 
testen unter  den  erhaltenen  Werken  G.'s  sind,  so  kann  man  wohl  an- 
nehmen, dass  G.  in  der  späteren  Zeit  die  Reimverbindung  abba  fallen 
Hess.  Das  bestätigt  uns  das  jüngste  seiner  Dramen,  die  Dubravka\ 
während  nämlich  in  den  Dramen  aus  der  Zeit  vor  dem  J.  1620  die  Zahl 
.  der  Strophen  mit  der  Reimverbindung  abba  diejenige  der  Strophen 
mit  dem  Reime  abab  bedeutend  übertrifl't  idie  beiden  Gruppen  stehen 
in  folgendem  Verhältniss:  Arijadna  239  :  69;  Prozerpina  181  ;  43: 
Di  Jana  20  :  0;  nur  Armida  12  :  13),  haben  wir  in  der  Dubravka  das 
umgekehrte  Verhältniss,  nämlich  175  Strophen  mit  dem  Reime  abab 
und  bloss  22  mit  dem  Reime  abba.  Man  kann  somit  sagen,  dass  die 
Reim  Verbindung  abba  bei  G.  die  ältere,  die  andere  [abab]  dagegen  die 
jüngere  ist;  wenn  er  aber  in  der  Dubravka  dennoch,  allerdings  in  ge- 
ringem Umfange,  die  Achtsilber  auf  ältere  Art  reimen  liess,  so  geschah 
dies  aus  demselben  Grunde,  aus  welchem  er  in  demselben  Drama  den 
älteren  zwölfsilbigen  Vers  ebenso  oft  anwendete  wie  den  neueren  Acht- 
silber, —  weil  die  Dubravka  eben  ein  Drama  ist,  das  sich  auch  in  der 
metrischen  Form  an  die  älteren  Dramen  anschliesst.  Wie  es  aber  dazu 
kommt,  dass  G.  unter  seinen  lyrischen  und  epischeu  Gedichten  nur  in 
den  Pjesiii pokorne  den  Reim  abba  anwendete,  erklärt  uns  der  Anfang 
der  das  Datum  vom  1.  Oktober  1620  tragenden  Widmung:  yiPJesni po- 
korne  Davida  krala  minutij eh  Ijeta  odmene  ujezik  slovinski pri- 
netiene« ;  die  Uebersetzung  war  also  schon  »in  den  vergangenen  Jahren« 
fertig  und  wurde  im  J.  1620  erst  herausgegeben;  sie  gehört  somit  auch 
in  die  ältere  Periode  der  Thätigkeit  G.'s;  wäre  diese  Uebersetzung  erst 
im  J.  1620  zu  Stande  gekommen,  so  hätte  G.  für  dieselbe  wahrscheinlich 
die  Reimverbindung  abab  vorgezogen,  wie  er  dies  für  das  mit  den 
PJes7ii pokortie  im  J.  1620  herausgegebene  Gedicht  Od  velicanstva  ho- 
zijeh  gethan  hat,  welches  vielleicht  erst  in  diesem  Jahre  verfasst  wurde. 
Ich  glaube  somit,  dass  man  mit  genügender  Wahrscheinlichkeit  behaup- 
ten kann,  dass  auch  die  drei  Gedichte  Lubovnik  sramezliv^  TJ  smrt 
Marije  Kaiandrice  und  Ferdinandu  II.  schon  deswegen  in  die  zweite 


278  M.  Resetar, 

Periode  der  Thätigkeit  G.'s  fallen,  weil  sie  die  Reimverbindung  ahab 
aufweisen.  Bezüglich  des  Liedes  auf  Ferdinand  II.  steht  das  fest,  da 
die  Heirath  dieses  Fürsten,  auf  welche  sich  eben  das  Gedicht  bezieht, 
im  Jahre  1631  stattfand.  Aus  noch  späterer  Zeit  stammt  wahrschein- 
lich das  Lied  auf  den  Tod  der  schönen  Wittwe  Marija  Kaiandrica,  denn 
diese  heirathete  erst  im  J.  1636  und  starb  bald  nach  dem  Tode  ihres 
jungen  Mannes  ^).  Die  Entstehungszeit  des  Lubovnik  sramezliv  lässt 
sich  nicht  genauer  feststellen,  aber  wenn  man  bedenkt,  dass  Preti's  Ge- 
dichte erst  im  Jahre  1619  zu  Mailand  zum  ersten  Male  gedruckt  wurden 
(Quadrio,  Della  storia  e  ragione  d'ogni  poesia  II,  297),  so  weiss  man 
wenigstens,  dass  G.'s  Luhovnik^  der  eine  Kontamination  zweier  Lieder 

1)  Man  hat  bis  jetzt  allgemein  angenommen,  der  Faniilienname  dieser 
Frau  habe  auf  italienisch  Calendari  gelautet;  die  Sache  ist  aber  nicht  so  eiu- 
fach,  denn  Kulandrica  ist  nach  ragusanischer  Art  das  Femininum  zu  Kalan- 
dric,  was  die  slavische  Form  eines  romanischen  Calandra  ist  und  nicht  etwa 
Calendari,  das  Xo/e« Jane  ergeben  würde.  In  der  handschriftlichen  »Genea- 
logia  delli  cittadini  Eagusei«',  welche  in  der  Priesterkongregation  zu  Ragusa 
aufbewahrt  wird,  befindet  sich  aber  eine  Familie  Calandra  nicht,  wohl  aber 
eine  Familie  Calendari,  als  deren  letzte  Sprösslinge  angeführt  werden :  ein 
Nicolö,  der  Jesuit  wurde,  und  dessen  Schwester  »Maria  —  fü  moglie  di  Ma- 
rino di  Pietro  Russini  Mer(can)te  Raguseo  come  per  P(acta)  M(atrimonialia) 
del  1636:  20Giugnio».  Diese  Maria  Calendari,  verehelichte  Russini,  ist  wahr- 
scheinlich die  »Marija  Kalandrica^^  des  G.,  denn  sie  ist  die  einzige  Maria 
Calendari  aus  der  Zeit  G.'s  (ihre  Mutter  hiess  Katharina).  Dass  dies  richtig 
ist,  bestätigt  die  gewiss  alte  Ueberlieferung,  dass  diese  Marija  Kaiandrica  die 
nlijepa  i  vrijedna  zena  Giva  Vlajkin  war  (so  schon  in  meiner  Handschrift  aus 
dem  J.  1755/56  [s.  S.  270,  Anm.]) ;  in  Wirklichkeit  war  aber  die  Maria  Calen- 
dari-Russini  nicht  die  Frau,  sondern  die  Schwiegermama  des  Johannes  Vlajki, 
denn  in  derselben  »Genealogia«  steht  bei  der  Familie  Vlaiehi  sub  Nr.  13 
»Gio(vanni):  Batista  figlio  Cristoforo  si  maritö  con  Maria  unica  figlia  di  q" 
Marino  di  P(iet)ro  Russinni  come  per  P[acta)  M(atrimonialia)  del  1652:  19 
Aprile  .  .  . «,  was  vollkommen  sicher  ist,  weil  im  Eheregister  der  Stadtpfarr- 
kirche zu  Ragusa  die  am  29.  Dezember  1652  stattgefundene  Heirath  des  «Jo- 
annes Baptista  q™  Christophori  Vulaichi«  mit  »Maria  filia  q™  Marini  Rusino- 
vich  «  verzeichnet  wurde.  Wenn  diese  Kombination  richtig  ist,  dann  heira- 
thete Marija  Kaiandrica  (Calendari)  im  J.  1636  den  Marinas  Rusinovic,  der  im 
folgenden  Jahre  starb  (vgl.  Vers  221 — 222)  und  dem  sie  bald  darauf,  jeden- 
falls noch  im  Laufe  desselben  Jahres,  in  den  Tod  folgte  (vgl.  Vers  273 — 276); 
dann  wäre  das  Gedicht  Usmrt  Marije  Kaiandrice  G.'s  Schwaneugesaug,  kurz 
vor  dem  Tode  des  Dichters  selbst  (f  S.Jänner  1638)  entstanden!  Die  oben- 
erwähnten Angaben  airs  der  »Genealogia«  und  aus  dem  Eheregister  des  J.  1652 
verdanke  ich  Herrn  N.  Gjivanovic,  Stadtkaplan  in  Ragiisa,  dem  ich  hierfür 
meinen  innigsten  und  verbindlichsten  Dank  ausspreche. 


'•^»-w* 

*^***.. 

^*^« 


Die  Metrik  Gundulic's.  279 

des  Preti  ist,  höchst  wahrscheinlich  erst  nach  dem  J.  1619  entstanden 
;>t,  waü  den  aus  der  metrischen  Form  des  Gedichtes  gezogenen  Schluss 
mir  bestätigt.  —  Warum  G.  in  seiner  späteren  Zeit  die  Reimverbindung 
'iha  zu  Gunsten  des  ahah  gänzlich  aufgab,  ist  schwer  zu  sagen;  es  mag 
ä;ibei  gewirkt  haben  einerseits  die  italienische  Metrik  mit  ihren  zumeist 
alternirenden  Reimen,  andererseits  die  richtige  Erkenntniss,  dass  die 
N'erbindung  ahah  wohlklingender  ist,  weil  sie  den  zweifachen  Reim  in 
der  Strophe  besser  hervortreten  lässt.  In  der  Prozerpina  finden  wir 
einige  Male  auch  Strophen  von  4  Achtsilbern  mit  dem  Reime  aahh,  wo- 
bei zu  bemerken  ist,  dass  diese  Strophen  immer  vereinzelt  stehen  (vergl. 
I'roz.  230.  245.  255.  301.  657.  708.  8(58.  1106.  1184.  1378.  1546)  i), 
was  dafür  zu  sprechen  scheint,  dass  G.  diese  Reimverbindung  als  etwas 
für  den  gewöhnlichen  Dialog  nicht  Passendes  betrachtete;  dies  geht 
auch  daraus  hervor,  dass  an  den  vier  ersten  Stellen  diese  Strophen  dem 
''hör  zugewiesen  sind,  und  an  weitereu  vier  Stellen  i657.  868.  1106. 
I  r)46)  in  Verbindung  mit  Zwölfsilbern  stehen,  welche  von  derselben 
Person  gesprochen  werden. 

Gleich  nach  der  Strophe  von  4  Achtsilbern  kommt,  was  die  Häufig- 
keit der  Anwendung  anbelangt,  die  Strophe  von  je  6  solchen  Versen. 
In  diesem  Versmass  sind  zunächst  die  Suze  siiia  razmetnoga  gehalten, 
sporadisch  kommen  sie  dann  auch  in  allen  drei  grösseren  Dramen  vor. 
In  den  Suze  ist  durchwegs  die  Reimverbindung  abahcc  durchgeführt, 
also  die  gewöhnliche  4  zeilige  Strophe  mit  einem  zweizeiligen  Abschluss : 
Gorko  suzim  gork  plac  sada^ 
gorko  placem  grozne  suze, 
ke  razmetni  sin  njekada 
kajan  z  grijeha  lijevat  uze; 
j'eda  i  moje  grijehe  oplacu 
suze  u  suzah,  plac  u  placu. 
j  Hingegen  in  den  Dramen  kommt  daneben  auch  nach  älterer  Art  die 
Reimverbindung  ahbacc  zur  Geltung   (die  ältere  zur  jüngeren  Art  in 
'  folgendem  Verhältniss  stehend:  Ar.  11:10,  Proz.  18  :  18,  Dub.  5:7); 
-auz  vereinzelt  ist  der  Reim  aabchc  in  Ar.  1737.      Nur  in  der  Ari- 
,jadna  finden  sich  ferner  Strophen  von  je  5  und  je  S  Achtsilbern:  die 
!  Szeiligen  Strophen  haben  in  der  Regel  den  Reim  ahhac  (vgl.  257.  293. 
312.  713.  835.  908.  1222.  1768.  1789)  und  nur  ausnahmsweise  ahabc 

*)  Bei  Anführung  von  Strophen  bezeichne  ich  nur  den  ersten  Vers,  um 
'He  Anhäufung  von  Zahlen  zu  vermeiden. 


280  M-  Resetar, 

(771,  792).  Die  8 zeilige  Strophe  findet  sich  überhaupt  nur  in  zwei 
Scenen  der  Arijadna  (848.860),  das  erste  Mal  mit  dem  Reim  ahabhccd 
[d  wird  im  ersten  Vers  des  jeder  Strophe  folgenden  Refrains  wieder 
aufgenommen)  und  das  zweite  Mal  mit  dem  Reim  ahahahcc.  In  der 
Prozerpina  endlich  hat  man  einige  Male  je  ein  Paar  (mit  einander  rei- 
mender) Achtsilber  (571.  577.  701.  1088.  1452),  welche  mit  Ausnahme 
der  vorletzten  Stelle  (wo  das  Metrum  dreimal  wechselt)  je  eine  kurze 
Aussprache  ausmachen,  für  welche  eben  zwei  Verse  genügend  waren. 
Sonst  hat  G.  an  monometrischen  Strophen  nur  einmal  in  der  Duhravika 
271  eine  Strophe  von  8  fünfsilbigen  Versen  mit  dem  Reime  aabhccdd. 
die  sich  291  wiederholt.  Dagegen  kann  man  von  einer  Strophenbildung 
in  Bezug  auf  diejenigen  Stellen  in  der  Prozerpina  sprechen,  wo  Sechs- 
silber in  kleinen  Gruppen  auftreten;  letztere  sind  vielmehr  als  eine  Er- 
gänzung der  Zwölfsilber  zu  betrachten,  welch'  letztere  Verse  die  ersteren 
immer  begleiten,  bald  ihnen  vorausgehend  (Proz.  1122.  1164.  1624), 
bald  ihnen  folgend  (477.  531.  1234),  bald  sie  von  beiden  Seiten  um- 
fassend (651.  778.  1320.  1494);  diese  Sechssilber  reimen  immer  je  zwei 
miteinander,  und  treten  in  der  Regel  paarweise  auf,  mit  Ausnahme  von 
1122  und  1234,  wo  je  zwei,  und  von  1164,  wo  drei  Paare  aufeinander- 
folgen. 

An  polymetrischen  Strophen  hat  G.  zunächst  in  zwei  Scenen  der 
Prozerpina  (I.  2  und  III.  4)  eine  Strophe,  die  aus  4  Achtsilbern  und 
2  Sechssilbern  besteht,  und  zwar  hat  dieselbe  an  der  ersten  Stelle  (217. 
239.  271.  305)  die  Reimverbindung  abhacc^  an  der  zweiten  (1296. 
1360.  1446.  1498.  1546.  1596)  dagegen  aahhcc.  In  der  Prozerpina 
(537)  finden  wir  auch  eine  (in  der  Scene  II.  1  viermal  sich  wieder- 
holende) Strophe  von  je  3  Sechssilbern  und  Achtsilbern  mit  dem  Reime 
ahhacc^  und  in  der  Arijadna  1733  eine  sich  ebenfalls  viermal  wieder- 
holende Strophe  von  je  7  Versen,  von  welchen  der  dritte  6,  alle  übrigen 
5  Silben  zählen,  mit  dem  Reime  aabbccd\  in  derselben  Arijadna  728 
finden  wir  weiter  eine  aus  2  Achtsilbern  +  2  Sechssilber  +  2  Acht- 
silber bestehende  Strophe  mit  dem  Reime  ababac^  welche  als  Refrain  in 
einem  Chor  dient.  Noch  verzweigter  sind  einige  Strophen,  die  in  den 
lyrischen  Partien  der  Prozerpina  und  Dubravka  vorkommen :  a)  Proz. 
938  eine  refrainartige  Strophe  von  6  Versen  (1  Achtsilber -f-  1  Viers.  + 
1  Achts.  -}-  1  Fünfs.  -}-  1  Achts.  +  1  Sechss.)  mit  dem  Reime  ababcc; 
b)  Proz.  III  ( 1 3  Mal  j  i)  eine  Strophe  von  8  Versen  (2  Achts.  +  1  Viers.  -f- 

1)  Vers  1676  der  akademischen  Ausgabe  {stvari  luvene)  ist  fehlerhaft;  das 


Die  Metrik  Gundulid's. 


281 


1  Achts.  H-  1  Ftinfs.  +   l  Secbss.  +  I  Fünfs.  +   1  Sechss.)   mit  dem 
Keime  abbaccdd)',  c)  Duhr.  1505  als  Refrain  eine  Strophe  von  5  Versen 

2  Achts.  +  1  J^ünfs.  +  1  Sechss.  +  1  Fünfs.  mit  dem  Reime  aabcc): 


a)  Proz.  938—943. 

Koje  sreem  tvrdi  kami, 

(hl  nc  cvili, 

da  ne  place  odi  s  naini 

uzrok  neytiili, 

s  koga  tuzi  sad  bez  mjere 

hozica  Cerere  ? 


b)  Froz.  1080—1087. 

O  moguce  nase  tmine, 

vjecmjem  oguem  itaresene, 

0  paklene 

slavne  strane  nad  sve  ine, 

u  kih  pribica 

od  zemle  krepos  sva, 

prid  knjijem  sve  se 

snebiva  i  trese. 


c)  Dubr.  1505—1509. 

Hod',  od  pira  boze,  hodi, 
igre  inilc  s  nami  vodi, 
zdruzi,  sjedini 
pod  pjesni  medene 
ove  luveiie. 


Einzelne  Strophen  hat  G.  endlich  als  Refrain  gebraucht,  und  zwar 
Ml,  dass  dann  auch  deren  Text  sich  Aviederholt  (vgl.  Proz.  537  tf.  938  ff. 
Dubr.  271  ff.  1505  ff.),  sie  stehen  aber  sonst  in  keiner  metrischen  Be- 
ziehung zu  den  Strophen,  denen  sie  folgen.  Eine  metrische  Verbindung 
tiudeu  wir  nur  im  Chor  der  Ai'ijadna  in  I.  2  (Vers  72S — 775],  wo  zuerst 
der  Refrain,  dann  dreimal  alternirend  je  eine  Strophe  und  der  Refrain 
vorkommen ;  hier  also  wird  die  Strophe  mit  dem  Refrain  so  verbun- 
den, dass  der  letzte  Vers  der  ersteren  mit  dem  ersten  Vers  des  Refrains 
zusammenreimt.  Etwas  Aehnliches  geschieht  auch  in  dem  Chor  der 
Arijadna  1733 — 1767,  wo  die  fünf  Strophen  desselben  auf  die  Weise 
miteinander  verknüpft  sind,  dass  der  ganze  letzte  Vers  der  einen  Strophe 
als  erster  in  der  folgenden  sich  wiederholt. 

Es  erübrigt  uns  noch  in  Bezug  auf  G. 's  Strophenbildung,  die  Frage 
zu  beantworten,  was  in  dieser  Beziehung  als  eine  von  ihm  eingeführte 
Neuerung  zu  betrachten  ist.  Die  hauptsächlichen  Strophen,  nämlich 
die  aus  2  Zwölfsilbern,  sowie  die  aus  4  Achtsilbern  (mit  beiden  Reim- 
verbinduugen)  hat  G.  ohne  Veränderung  von  den  älteren  ragusanischen 
Dichtern  übernommen,  dagegen  ist  die  Strophe  von  0  Achtsilbern,  in 
welche  das  gefühlvollste  Werk  G.'s  —  seine  Suze  sina  razmetnoga  — 
eingekleidet  wurde,  —  wenigstens  in  der  Form,  welche  sie  in  diesem 
Gedichte  hat  —  wohl  als  ein  selbständiges  Erzeugniss  G.'s  zu  betrach- 
ten.   Schon  die  älteren  Dichter  haben  allerdings  Strophen  von  mehr  als 


Metrum  verlangt  einen  Sechssilber,  also  etwa  radosti  luvene,  wie  in  der  Agra- 
mer Ausgabe,  oder  vielleicht  satcari  luvene  [satvar  für  stcar  kommt  bei 
Ranina  oft  vor). 


282  M.  Resetar, 

4  Achtsilbern  gebildet;  speciell  Stroplien,  die  aus  6  Achtsilbern  be- 
stehen, haben  sowohl  M.  Drzic  als  auch  noch  mehr  Naleskovic,  ersterer 
in  einem  Chor  seines  Posvetiliste  (Stari  pisci  VII,  479.  480),  letz- 
terer in  einem  frommen  Liede,  einem  Faschingsliede  und  in  einigen 
Chören  seiner  Komödien  (Stari  pisci  V,  116.  Kil.  198.  206.  226).  Diese 
Sextinen  der  beiden  Dramatiker  aus  dem  XVI.  Jahrh.  unterscheiden  sich 
aber  wesentlich  von  denjenigen  G. 's:  zunächst  bilden  sie  Lieder,  welche 
für  den  Gesang  bestimmt  waren  (und  gewiss  thatsächlich  auch  gesungen 
wurden),  deswegen  folgt  bei  Drzic  und  Naleskovic  einer  jeden  Strophe 
ein  mehrsilbiger  Refrain,  der  mit  der  Strophe  selbst  durch  den  gleichen 
Reim  des  letzten  Verses  der  Strophe  und  des  ersten  Verses  des  Refrains 
verbunden  ist;  zweitens  ist  die  Reimverbindung  eine  ganz  andere:  bei 
Drzic  (übrigens  es  handelt  sich  bei  ihm  nur  um  2  Strophen!)  ahabac^ 
bei  Naleskovic  im  Liede  auf  S.  116  ahbaac,  sonst  aber  ahabbc.  Die 
Sextine  der  Suze  finden  wir  erst  in  einem  Liebeslied  des  etwas  älteren 
Zeitgenossen  G.'s,  Oracijo  Mazibradic  (Stari  pisci  XI,  176,  Nr.  22),  wel- 
cher schon  am  5.  Februar  1623  die  Widmung  seiner  gesammelten  lyri- 
schen Lieder  datirte  ^St.  p.  XI,  124,  V.  51  —  52);  in  die  Sammlung,  wie 
sie  bis  auf  uns  kam,  geriethen  aber  auch  Lieder  aus  viel  späterer  Zeit 
(vgl.  Nr.  65  auf  S.  154 — 155,  welche  das  ausgeschriebene  Datum  vom 
7.  December  163  7  trägt!);  es  ist  somit  höchst  wahrscheinlich,  dass 
auch  das  soeben  erwähnte  Liebeslied  von  0.  Mazibradic  erst  später  ver- 
fasst  wurde,  wobei  er  in  Nachahmung  G.'s  dessen  Sextine  für  dasselbe 
verwendete.  Es  ist  daher  eher  an  italienischen  Einfluss  zu  denken,  was 
umsomehr  angezeigt  ist,  als  der  gefeierte  Reformator  der  poetischen 
Form  auf  dem  Gebiete  der  italienischen  Lyrik,  Gabriello  Chiabrera 
[1552 — 1637)  kurz  vor  G.  als  solcher  aufgetreten  war  und  in  Italien 
allgemeinen  Beifall  gefunden  hatte ;  bei  ihm  finden  wir  nur  thatsächlich 
als  eines  der  üblichsten  Metra  seiner  Canzonette  eine  Strophe  von 
6  Achtsilbern  mit  dem  Reime  ababcc  ^),  also  genau  die  Sextine  G.'s,  z.B.: 

Giä  SU  verde  fresca  erbetta 

che  fioriva  al  primo  aprile, 

una  vaga  verginetta 

s'  adornava  il  crin  gentile, 
e  di  gir  prendea  diletto 

lungo  un  dolce  ruseelletto. 


»)  Vgl.  T.  Casini,  Le  forme  metriche  italiane  '^  (Florenz  1890),  S.  18—20. 


Die  Metrik  Gundulic's.  283 

DassG.  den  Chiabrera  gekannt  hat,  kann  man  ohne  weiteres  sicher 
annehmen,  es  wäre  daher  leicht  möglich,  dass  er  dieses  Metrum  von  ihm 
outlehnt  habe;  weniger  wahrscheinlich  ist  es  dagegen,  dass  G.  dieses 
Metrum  den  alten  italienischen  lyrischen  und  dramatischen  Imicle  ent- 
nommen habe,  denn  diese  zumeist  ungedruckten,  für  das  niedere  Volk 
bestimmten,  aber  zu  G.'s  Zeit  schon  veralteten  Werke  dürften  G.  kaum 
bekannt  gewesen  sein.  Die  anderen  bei  G.  seltener  vorkommenden 
Strophen  machen  schon  durch  ihren  mehr  oder  weniger  künstlichen  Bau 
und  ihre  seltene  Anwendung  die  Vermuthung  wahrscheiulicli,  dass  G. 
sie  durchwegs  nur  zu  dem  Zwecke  gebildet  hat,  um  seinen  Dramen 
wenigstens  zum  Theil  die  bunte  metrische  Zusammensetzung  der  ita- 
lienischen Melodramen  zu  geben ,  welche  ihm  bei  seinen  Dramen  als 
Vorbild,  zum  Theil  direkt  als  Vorlage  dienten.  Doch  hat  er  vielleicht 
auch  hier  zum  Theil  ältere  Bildungen  verwerthet;  so  hat  Naleskovic 
einige  Male  Strophen  von  je  8  Achtsilbern,  allerdings  mit  anderer  Reim- 
verbindung (vgl.  Stari  pisci  V,  163.  165.  167.  171.  238);  und  die  aus 
1  Achtsilbern  mit  2  Viersilbern  in  der  Mitte  bestehende  Strophe,  welche 
G.  in  einem  Chor  der  Arijadna  verwendet  (V.  1733 — 176  7),  finden  wir 
ebenfalls  in  einem  Chor  der  Joka&ta  des  M.  Bunic  [Stari  pisci  XI, 
tif)— 68). 

Anwendung  der  einzelnen  Versmasse. 

Es  kommen  hier  nur  die  Dramen  in  Betracht,  denn  nur  hier  werden 
verschiedene  Metra  in  einem  und  demselben  Gedicht  verwendet.  Am 
Einfachsten  steht  es  diesbezüglich  bei  der  Dijana  und  Armida,  welche 
wie  sie  uns  vorliegen  —  aus  nur  je  einer  Scene  bestehen  mit  je  zwei 
Personen,  einem  Mann  (Endymion,  bezw.  Rinaldo)  und  einer  Frau  (Diana, 
bezw.  Armida) :  der  Mann  spricht  in  gewichtigen  Zwölfsilbern  ^),  die  Frau 


ij  In  den  gedruckten  Ausgaben,  welche  alle  auf  die  Ragiisauer  vom 
J.  1837  zurückgehen,  sind  allerdings  anstatt  der  Zwülfsilber  je  zwei  Sechs- 
silber gedruckt;  G.  aber  hatte  gewiss  die  gewöhnlichen  zwölfsilbigeu  Verse 
geschrieben,  welche  dann  der  letzte  Abschreiber  (oder  der  erste  Herausgeber?) 
auf  diese  Weise  den  gewöhnlichen  Achtsilbern  näher  bringen  wollte.  Bei 
dieser  Gelegenheit  will  ich  erwähnen,  dass  mir  gar  nicht  so  sicher  zu  sein 
scheint,  dass  diese  beiden  Dramen  bloss  Fragmente  sind,  als  welche  man 
sie  gewöhnlich  bezeichnet:  besonders  scheint  mir  dies  bezüglich  der  Dij'ana 
unwahrscheinlich  !  Was  könnte  da  noch  vorausgehen  oder  folgen  ?  Die  in  En- 
dymion verliebte  Göttin  steigt  vom  Olymp  licriirter,  j^ibt  ihrer  Liebe  vor  dem 
schlafenden  Jüngling  Ausdruck,  weckt  ihn  mit  einem  Kuss,  worauf  der  aus 


284  M.  Reaetar, 

in  leichten  Achtsilbern  !     In  den  grossen  drei  Dramen  dagegen  ist  die 
Sache  viel  verwickelter,  doch  auf  den  ersten  Blick  ersieht  man,  dass  — 


dem  Schlafe  plötzlich  Geweckte  anfangs  sich  ziemlich  ablehnend  verhält,  als 
er  aber  die  Augen  besser  aufmacht  und  sieht,  wer  um  seine  Liebe  wirbt,  da 
gibt  er  jeden  Widerstand  auf  und  will  der  »Diener«  der  schönen  Göttin  wer- 
den. Mir  scheint,  der  ganze  Mythus  ist  hier  erschöpft  und  die  Handlung  ab- 
geschlossen. Man  hat  es  also  wohl  bloss  mit  einer  dramatischen  Scone  zu  thun, 
welche  nie  den  Anspruch  erheben  wollte,  ein  ganzes  Drama  zu  sein.  Weniger 
sicher  ist  dies  in  Bezug  auf  die  Annida,  denn  hier  haben  wir  thatsächlich 
nur  den  Schluss  der  betreffenden  Episode  bei  Tasso:  die  zum  Tode  ent- 
schlossene Armida  klagt  über  ihr  unglückliches  Loos;  als  sie  sich  aber  den 
Todesstoss  geben  will,  erscheint  Rinaldo,  der  ihre  Hand  abhält  und  ihr  seine 
Liebe  betheuert,  so  dass  sich  Armida  mit  ihm  und  mit  dem  Leben  versöhnt. 
Dass  sich  nun  aus  der  Armida-Episode  ein  ganzes  Drama  machen  lässt,  hat 
speciell  auch  in  der  serbokroat.  Literatur  Palmotic  mit  seiner  Armida  gezeigt, 
in  welcher  nicht  einmal  der  ganze  bei  Tasso  vorhandene  Stoff  verarbeitet  ist. 
Was  mich  aber  glauben  lässt,  dass  auch  in  G.'s  Annida  wie  in  dessen  Dijuna 
kein  Fragment,  sondern  eine  einfache,  aber  vollständige  dramatische  Scene 
vorliegt,  ist  der  Umstand,  dass  weder  bei  der  einen  noch  bei  der  anderen 
der  Chor  auftritt;  hätten  wir  dagegen  in  beiden  Stücken  nur  den  Schluss 
eines  grösseren  Dramas  vor  uns,  so  würde  gewiss  am  Schlüsse  das  obligate 
Chorlied  vorhanden  sein  und  überhaupt  würden  in  der  Schlussscene  — 
wie  sonst  in  der  Regel  in  den  Dramen  des  XVII.  Jahrhunderts,  speciell 
auch  in  G.'s  Prozeryina  und  Dubravka  —  eine  ganze  Menge  von  Personen 
auftreten  und  nicht  bloss  zwei.  Ich  bin  daher  überzeugt,  dass  uns  auch  G.'s 
Armida  vollständig  erhalten  ist,  vermuthe  sogar,  dass  unter  den  verloren 
gegangenen  Dramen  des G. vielleicht  noch  manche  (oder  gar  alle!)  aus  solchen 
einfachen  Scenen  bestanden  haben,  was  uns  dann  zum  Theil  deren  Verlust 
erklären  würde,  üebrigens  ist  G.'s  Armida  kein  Originalwerk,  sondern  eine 
Uebersetzung;  man  braucht  nämlich  nur  die  Gerusalemme  liberata  in  die  Hand 
zu  nehmen,  und  man  sieht  sogleich,  dass  G.  ganz  einfach  aus  der  Schlussscene 
der  Armida-Episode  im  XX.  Gesang  die  von  Arniida  und  Rinaldo  gesproche- 
nen Worte  Satz  für  Satz  übersetzt  hat,  während  er  ans  eigenem  die 
erste  Strophe,  welche  die  Situation  erklärt,  sowie  Vers  49 — 56  hinzugefügt 
hat,  mit  welch'  letzteren  Rinaldo  die  Hand  Armida's  abhält,  was  bei  Tasso 
nur  erzählt  wird.  Sonst  aber  sind  V.  5 — 4S  bei  G.  übersetzt  aus  Tasso  V.  981 
bis  1000,  V.  57—104  aus  V.  1U41— 1064,  V.  10.5—124  ans  V.  1070—1076  und 
endlich  V.  125—128  aus  V.  1087.  1088.  Charakteristisch  für  das  Vorgehen 
G.'s  ist  es  aber,  dass  er  nach  V.  48  eine  ganze  Ottava  (V.  1001 — 1008)  ausge- 
lassen hat,  wo  Annida  dem  treulosen  Rinaldo  droht,  ihn  auch  aus  der  Unter- 
welt mit  ihrem  Hass  verfolgen  zu  wollen;  ebenso  hat  er  (nach  V.  124)  fünf 
Verse  des  Originals  (V.  1076 — 1080)  nicht  übersetzt,  in  welchen  Rinaldo  den 
Wunsch  ausspricht,  Armida  möge  sich  zum  Christenthume  bekehren.  Noch 
charakteristischer  ist  es  aber,  dass  der  Geschichtsschreiber  des  ragusanischen 


Die  Metrik  Gunduliö's.  285 

wie  oben  angedeutet  —  ihre  Polymetrie  eine  Nachahmung  der  Poly- 
metrie  des  italienischen  Melodramas  ist,  welches  seit  dem  Anfange  des 
XVII.  Jahrh.  die  relative  Einfjichheit  der  metrischen  Form  in  dem  älteren 
Drama  (welche  sich  auch  in  den  ragusanischen  dramatischen  Werken 
des  XVI.  Jahrh.  wiederspiegelt)  durch  die  Mannigfaltigkeit  der  metri- 
schen Form  in  den  lyrischen  Partien  ersetzte.  Wie  also  in  den  italieni- 
schen Melodramen  der  Dialog  (das  Recitativ)  hauptsächlich  aus  elfsilbigen 
und  siebensilbigen  Versen  besteht,  während  für  die  lyrischen  (die  ge- 
sungenen) Partien  alle  möglichen  lyrisclien  Metra  dienten ,  so  hat  auch 
G.  für  den  Dialog  seine  gewöhnlichen  Strophen  (12  X  2,  bezw.  8  X  4), 
während  die  anderen,  weniger  üblichen  Metra  in  der  Regel  für  die  lyri- 
schen Partien  verwendet  wurden.  War  aber  dieser  Unterschied  in  der 
metrischen  Form  bei  G.  auch  mit  einem  unterschied  in  der  Vortrags- 
weise verbunden?  mit  anderen  Worten :  bestanden  auch  G.'s  Dramen 
wie  ihre  Vorbilder,  die  italienischen  Melodramen,  aus  Recitativ  und  Ge- 
sang? Dies  ist  eine  Frage,  die  bei  dem  absoluten  Mangel  darauf  bezug- 
nehmender Nachrichten,  schwer  zu  beantworten  ist.  Dass  bei  der  Dar- 
stellung der  Dramen  G.'s  auch  musicirt  wurde,  steht  fest:  in  Dubravkal.7 
(V.  393  flF.)  findet  ein  musikalischer  Wettstreit  statt  zwischen  Gorstak 
and  Divjak  mit  der  ausdrücklichen  Bemerkung :  »  Ovdi  svireic  Wurden 
auch  die  Dramen  zum  Theil  gesungen  ?  lu  älterer  Zeit  gewiss ,  denn 
M.  Drzic  und  Naleskovic  haben  in  ihren  Dramen  —  wie  die  betreffenden 
Didaskalien  uns  belehren  —  von  Musik  und  Gesang  einen  ziemlich  aus- 
giebigen Gebrauch  gemacht^);  ob  aber  dies  auch  bei  den  Dramen  G.'s 
der  Fall  war,  lässt  sich  nicht  sagen ,  denn  es  genügt  nicht  auf  Partien 

Dramas  diesen  innigsten  Zusammenhang  zwischen  der  Annida  G.'s  und  Tasso 
nicht  erkannt  hat,  obschon  er  bemerkt  hatte,  dass  die  erstere  den  Schluss  der 
Armida-Episode  bildet. 

')  Ein  weiteres  interessantes  Zeugniss  für  die  Anwendung  der  Musik 
bei  der  Aufführung  der  Dramen  M.  Drzic's  gibt  uns  der  ragusaiiische  Gelehrte 
Nikolaus  Gozze  in  seinem  Werke  Dello  stato  chlle  republiche  (Venedig  1591 
bei  Aldo  auf  S.  403:  ».  .  .  che  questa  Musica  sia  stata  sempre  potente  a  in- 
gagliardire  i  animi  nostri  .  .  .,  io  grandemente  l'ho  esperiiuentato;  perche 
quando  tra  la  mia  brigata  inuitato  era  a  rappresentare  nelle  comedie,  o  nelle 
Tragedie  i  nobilissiini  atti,  acciö,  che  la  mia  natura  non  si  spauentasse  in 
cotai  apettacoli  ordinauo  per  solleuar  Tanimo,  &  il  cuore  dalla  tenerezza  fan- 
ciulesca,  che  le  Trombe,  &  i  Pifari  allegramente  sonassero;  &  poscia  rappre- 
scntauo  in  quella  mia  teueiissima  etä  quella  parte  con  j^randissima  sodisfat- 
tione,  e  dell'  autore  B(eatae).  M(emoriaei.  Marino  Darxa,  e  degli  spettatori 
insieuie«. 


286  M.  Resetar, 

hinzuweisen  (wie  der  Anfang  der  Prozerpina  und  Dubravka),  deren 
Inhalt  für  den  Gesang  sich  ganz  gut  eignen  würde ,  bezw.  in  welchem 
direkt  zum  Singen  aufgefordert  wird.  Wahrscheinlich  wurden  im  Ragu- 
sanischen Theater')  nur  einzelne  Lieder  gesungen,  es  ist  aber  kaum 
wahrscheinlich,  dass  man  je  in  Ragusa  die  nothwendigen  Kräfte  gefun- 
den hätte,  um  ein  ganzes  Melodrama  in  serbokroatischer  Sprache  aufzu- 
führen; ich  glaube  daher,  dass  G.'s  Dramen,  obschon  sie  treue  Nach- 
bildungen, bezw.  Uebersetzungen  der  italienischen  Melodramen  sind, 
nicht  gesungen,  sondern  bloss  recitirt  wurden.  Dementsprechend  glaube 
ich  auch,  dass  der  Unterschied  im  Metrum,  welcher  bei  G.  zwischen  dem 
Dialog  auf  der  einen  und  den  mehr  lyrischen  Partien  auf  der  anderen 
Seite  besteht,  nur  als  eine  blinde  Nachahmung  der  äusseren  Form  der 
italienischen  Melodramen  aufzufassen  ist. 

Im  Dialoge  gebraucht  also  G.  hauptsächlich  die  gewöhnlichen  Stro- 
phen (12X2  und  8  X  4),  während  die  übrigen  Metra  in  den  mehr 
lyrischen  Partien  eine  Verwendung  finden.  Für  die  drei  grossen  Dramen 
gilt  aber  nicht  dasjenige,  was  wir  bei  der  Dijana  und  Armida  gesehen 
haben,  es  sprechen  also  die  Männer  nicht  durchwegs  in  Zwölfsilbern  und 
ebensowenig  die  Frauen  durchwegs  in  Achtsilbern,  vielmehr  theilen  sich 
beide  Gruppen  von  Rollen  auch  in  beide  Kategorien  von  Versen.  Nichts- 
destoweniger lässt  sich  konstatiren,  dass  G.  den  gewichtigen  Zwölfsilber 
auch  hier,  wenigstens  zum  Theil ,  mit  Vorzug  auch  bei  den  wichtigeren, 
daher  zumeist  männlichen  Rollen  verwendete ;  so  spricht  in  der  Arijadna 
die  meisten  Zwölfsilber  (4  6)  Theseus,  während  Ariadne  unter  274  von 
ihr  gesprochenen  Versen  nur  2  Zwölfsilber  hat;  auch  der  Gott  der  Liebe, 


1)  Das  alte  Ragusa  besass  kein  eigenes  Theatergebäude :  dargestellt 
wurden  die  Kircheüdramen  wolil  in  oder  vor  Kirchen,  die  Dramen  Avelt- 
lichen  Inhaltes  vor  dem  Rektorenpalast  »pnVZ  drorom«  oder  in  Privathäusern 
(z.B. bei  Hochzeiten).  Wie  man  aus  folgendem  Beschlüsse  des  ragusanischen 
Senats  vom  4.  April  1554  sielit,  wurde  schon  in  der  ältesten  Zeit  für  öffent- 
liche Theatervorstellungen  der  Saal  des  «grossen Rathes«  verwendet:  »Priuia 
pars  est  de  provideudo,  quod  de  cetero  in  Aula  Majoris  Consilii  non  possint 
recitari  Comediae,  Tragediae  aut  aliquae  Mascaratae  fieri,  sed  ea  reservari 
debeat  ad  usum  sacrorum  consilioruni«  (Liber  reforra.  Cons.  Rogat.  1553—1555 
im  Staatsarchive  zu  Ragusa);  wir  können  jetzt  der  Richtigkeit  der  Angabe 
Glauben  schenken,  dass  Drzic's  Dundo  Maroje  im  J.  1550  im  Rathssaale  dar- 
gestellt wurde  [Stari pisci  Y\\,  239).  Hinter  diesem  Saale  war  das  alte  Arse- 
nal, Orsan  genannt,  in  welchem  in  der  späteren  Zeit  Theatervorstellungen 
gegeben  wurden,  bis  das  Gebäude  im  J.  1817  abbrannte. 


Die  Metrik  Gunduli<$'s.  287 

Luhac ,  gebraucht  wenigstens  einige  (12)  Zwölfsilber,  Venus  dagegen 
und  die  Hirtin  KoraTka  haben  keinen  einzigen.  Auch  in  der  Prozerpina 
spricht  der  finstere  Gott  der  Unterwelt,  Pluto ,  fast  zur  Hälfte  in  Zwiilf- 
silbern  (101  von  221),  ebenso  die  anderen  Erscheinungen  der  Unterwelt 
(Rhadamanthys,  Megaera  und  Tisiphone);  und  während  die  Prozerpina 
;;i>t  ausschliesslich  mit  den  bescheideneren  Achtsilbern  sich  begnügen 
muss,  wird  ihrer  Mutter  eine  relativ  viel  grössere  Anzahl  von  Zwölf- 
silbern zugewiesen.  In  der  Dubracka  wiederum,  wo  G.  nur  deswegen 
ie  Zwölfsilber  so  sehr  bevorzugte,  weil  dieses  Drama  ein  (allegorisches) 
Hirtenspiel  ist,  sind  es  selbstverständlich  die  Hirten,  welche  vorzugs- 
weise in  Zwölfsilbern  sprechen  (nur  JMvjak  und  Lubdrag  machen  dar- 
unter eine  Ausnahme);  aus  demselben  Grunde  sprechen  auch  in  der 
Arijadna  der  Hirte  PelinlxO  und  in  der  Prozerpina  die  Hirten  Lu- 
bimir  und  Lovorko  vorwiegend  oder  doch  zum  grossen  Theil  in  Zwölf- 
silbern. Man  kann  somit  sagen  .  dass  G.  den  Zwölfsilber  hauptsächlich 
bei  erhabeneren  (männlichen),  sowie  bei  HirteuroUen  anwendet. 

Eine  und  dieselbe  Person  spricht  in  der  Kegel  an  den  einzelnen 
Stellen  ununterbrochen  und  in  demselben  Versmass ;  in  den  vereinzelten 
Fällen,  wo  eine  Strophe  zwischen  zwei  Personen  getheilt  ist,  spricht  jede 
Person  je  eine  Hälfte  (1  Zwölfsilber,  bezw.  2  Achtsilber),  vgl.  Proz.  567. 
069.  113G.  1174.  1240.  1306.  1348.  1396.  1434.  Dubr.  783.  913. 
ir)49;  in  den  meisten  Fällen  handelt  es  sich  dabei  um  ein  in  erregtem 
Tone  geführtes  Zwiegespräch,  daher  die  Unterbrechung  der  Einheitlich- 
keit des  Versmasses.  Derselbe  Grund  liegt  auch  in  den  noch  selteneren 
Fällen  vor,  wo  ein  Vers  (es  kommen  dabei  nur  Zwölfsilber  in  Betracht) 
von  zwei  verschiedenen  Personen  gesprochen  wird,  wobei  dann  eine  jede 
der  beiden  wenigstens  einen  ganzen  der  vier  dreisilbigen  Füsse  spricht; 
vgl.  Proz.  1128  —  1134.  Dubr.  793 — 795.  —  Nicht  immer  ist  es  da- 
gegen ebenso  klar,  wesswegen  ein  Sprechender  mitten  in  der  Rede 
das  Versmass  wechselt;  an  einzelnen  Stellen  ist  das  allerdings  deutlich, 
z.  B.  in  der  Dubravka  153  nimmt  der  nach  Duhrava  (nach  Ragusa) 
geflüchtete  dalmatinische  Fischer  die  Einladung  zur  Theilnahme  an  dem 
Freiheitsfeste  mit  Zwölfsilbern  an,  und  stimmt  unmittelbar  darauf  einen  in 
Achtsilbern  gehaltenen  Lobgesang  auf  Ragnsa  an ;  ebenso  finden  wir 
begreiflich,  dass  in  der  Schlussscene  der  Dubravka  eine  jede  der  auf- 
tretenden Personen  mit  Zwölfsilbern  das  von  einer  jeden  derselben  vor- 
L'etragene,  und  in  Achtsilbern  gehaltene  Gebet  einleitet,  vgl.  noch  Ar.  5 1  5. 
Wir  brauchen  aber  nicht  einmal  einen  inneren  Grund  für  einen  solchen 


288  M.  Resetar, 

Wechsel  im  Metrum  zu  suchen,  denn  auch  hievfür  konnte  das  italienische 
Melodrama  mit  seinem  hauptsächlich  aus  Versen  von  1 1  und  7  Silben 
zusammengesetzten  Dialog  als  Vorbild  dienen,  was  wohl  G.  veranlasste, 
da  bei  ihm  die  Strophe  von  2  Zwölfsilbern  und  die  Strophe  von  4  Acht- 
silbern die  metrischen  Einheiten  sind,  diese  beiden  Arten  von  Strophen 
miteinander  zu  verbinden,  vgl.  z.  B.  Ar.  37.  661.  829.  Proz.  391,  657. 
1516.  Dub.  167.  217.  1037  u.  s.  w.  G.  hat  aber  Strophen  von  4  Acht- 
silbern auch  mit  ebenfalls  aus  Achtsilbern  bestehenden  Strophen,  aber 
verschiedenen  Umfanges,  vereinigt;  vgl.  Ar.  287.  1695.  Proz.  1208, 
ebenso  auch  Zwölfsilber  mit  den  selteneren  Strophen  von  Achtsilbern, 
vgl.  Ar.  311.679.  963.  Proz.  670.  1088.  Da  aber  der  Zwölfsilber  eigent- 
lich aus  zwei  Sechssilbern  besteht,  so  hat  G.  ferner  —  allerdings  nur 
in  der  Prozerpma^  deren  Metrik  überhaupt  am  meisten  gekünstelt  ist,  — 
auch  Zwölfsilber  mit  Sechssilbern  verbunden,  vgl.  Proz.  477.  531.  645. 
776.  1118.  1162.  1234.  1318.  1486.  1622;  einmal  (natürlich  in  der 
Prozerpina  [1168])  finden  wir  Sechssilber  auch  mit  Achtsilbern  zusam- 
men. Selbstverständlich  findet  sich  auch  bei  G.  die  grösste  metrische 
Mannigfaltigkeit  in  den  selbständig  vorgetragenen  Chorliedern,  und  so 
finden  wir  nur  hier  die  grösseren  aus  verschiedenartigen  Versen  be- 
stehenden Strophen.  Wenn  man  aber  die  drei  grösseren  Dramen  im 
Ganzen  nimmt,  so  muss  man  sagen,  dass  das  jüngste  darunter,  die  Du- 
hravka.  in  metrischer  Beziehung  am  einfachsten  gebaut  ist:  ausser  den 
beiden  gewöhnlichen  Strophen  enthält  dieses  Drama  nur  in  Scene  I.  5  ' 
(V.  259 — 316)  ein  an  die  Morgenröthe  gerichtetes  Lied  der  Dubravka, 
welches  aus  mehrzelligen  Strophen  von  Achtsilbern  besteht  und  zweimal  [ 
durch  eine  aus  Fünfsilbern  bestehende  Strophe  des  Chors  unterbrochen  ' 
wird,  dann  in  Scene  III.  7  (V.  1475 — 1504)  eine  Aufforderung  des  Chors 
zum  Tanz  und  Hochzeitsschmaus,  ebenfalls  in  Strophen  von  6  Acht-  fe 
silbern,  und  endlich  in  der  vorletzten  Scene  (V.  1505  fi".)  eine  viermal 
sich  wiederholende  zusammengesetzte  Strophe,  mit  welcher  der  Chor 
der  Hochzeit  präludirt;  auch  der  Wechsel  des  Versmasses  inmitten  des 
Dialoges  ist  in  sehr  massigen  Grenzen  gehalten,  indem  nur  einigemale  | 
die  beiden  gewöhnlichen  Strophen  miteinander  verbunden  sind.  Etwas  : 
komplicirter  ist  der  metrische  Bau  in  der  Arijadna^  wo  wir  auch  Strophen 
von  5,  6  und  8  Achtsilbern,  zwei  verschiedene  Strophenlieder  des  Chors 
und  einen  viel  verwickeiteren  Wechsel  der  Versmasso  haben.  Am 
meisten  gekünstelt  ist  aber,  wie  schon  augedeutet,  die  Metrik  der  Pro- 
zerpina: zu  den  beiden  gewöhnlichen  Strophen  gesellen  sich  Strophen 


Die  Metrik  Gundulic's.  289 

von  G  Achtsilberu,  Gruppen  von  je  2  Achtsilbern  und  Sechsailberu.  so- 
wie mehrere  Strophenlieder;  hier  kommt  auch  die  Verbindung  von 
Sechssilbern  mit  Zwölfsilbern  und  mit  Achtsilbern,  hier  endlich  ein 
häufiger  und  mannigfaltiger  Wechsel  im  Versmasse  vor.  Da  nun  die 
Dubracka  mit  ihrer  einfachen  Metrik  das  jüngste  Drama  G.'s  ist,  sollte 
iie  Prozerpina  dennoch  nicht  älter  sein  als  die  Arijadtia?  Man  könnte 
hierfür  auch  auf  den  zwischen  beiden  Dramen  bestehenden  Unterschied 
in  Bezug  auf  die  unreinen  Reime  mit  s-z,  ö-~  hinweisen  (vgl.  S.  2(1  Ij. 
Wie  sehr  aber  G.  in  seinen  jüngeren  Jahren  einen  mannigfaltigen  me- 
trischen Aufbau  des  Dramas  liebte,  zeigt  uns  am  besten  seine  Ai-ijach/a, 
die  üebersetzung  der  Ariatma  des  Ottavio  Rinuccini  (erschienen  zuerst 
im  Jahre  1GÜ8):  das  italienische  Original  besteht  fast  ausschliesslich  aus 
Elfsilbern  und  Siebensilbern,  welche  in  verschiedener  Weise  aufeinan- 
der folgen  und  miteinander  reimen ;  nur  im  Prolog,  sowie  in  vier  Chor- 
liedern (welche  den  Stellen  V.  257—276.  728—775.  1487— löKi. 
1733 — 1767  der  Arijadna  entsprechen)  hat  Rinuccini  ein  anderes 
Versmass.  Wir  würden  nun  erwarten,  dass  G.  für  den  Dialog  sich 
ebenfalls  mit  seinen  beiden  Strophen  (8X4,  12x2)  begnügen  und 
nur  an  den  oben  bezeichneten  Stellen  ein  anderes  Versmaass  wählen 
wird;  in  der  That  aber  hat  G.  nicht  nur  für  die  vier  Chorlieder  beson- 
dere Metra  genommen  (den  aus  vierzeiligen  Strophen  von  Elfsilbern  be- 
stehenden Prolog  hat  er  mit  der  gewöhnlichen  achtsilbigen  Strophe  über- 
setzt!), sondern  noch  an  ziemlich  vielen  Stellen  Strophen  von  5,  G  und 
b  Achtsilbern  angewendet;  übrigens  diesen  letzteren  Umstand  könnte 
man  auch  als  eine  Anlehnung  an  das  an  keine  bestimmte  Anzahl  der 
Verse  gebundene  Versmass  des  Originals  erklären.  —  Durch  die  gegen- 
wärtige Untersuchung  der  Metrik  G.'s  glaube  ich  einige  Punkte  hervor- 
gehoben zu  haben,  welche  bei  der  Frage,  ob  ein  Gedicht  in  die  Zeit  vor 
oder  nach  Gundulic  fällt,  neben  anderen  Argumenten  ins  Feld  geführt 
werden  können;  speciell  in  Bezug  auf  G.  selbst  kann  man  einzelne  Er- 
scheinungen (Reimverbindung,  unreine  Reime,  Mannigfaltigkeit  der 
Versmasse)  auch  für  die  chronologische  Reihenfolge  der  Werke  G.'s 
verwerthen,  besonders  aber,  —  da  in  der  neuesten  Zeit  dem  G.  auch 
Werke  zugeschrieben  werden,  die  kaum  von  ihm  herrühren  dürften,  — 
kann  man  auch  aus  einer  genauen  Kenntniss  der  Metrik  G.'s  ein  sehr 
starkes  Argument  pro  oder  contra  in  dieser  Frage  haben. 

M.  Beietar. 


Archiv  für  slavisehe  Philologie.    XXV.  19 


u 


290 


Die  Bedeutimg  Gogol's  für  die  heutige  internationale 
Stellung  der  russisclien  Literatur. 


Nicht  selten  trägt  die  histo- 
rische Gedenkfeier  zu  Ehren  ir- 
gend eines  grossen  Mannes  in  der 
Literatur  oder  Kunst,  wie  derzeit 
zu  Ehren  Gogol's.  einen  doppel- 
ten Charakter  an  sich:  den  der 
weihevollen  Erinnerung  an  das 
grosse  vom  Denker  oder  Künstler 
vollbrachte  Werk,  häufig  aber 
auch  zugleich  den  des  wehmüthi- 
gen  Gedenkens  jeuer  schweren 
Kämpfe,  denen  nicht  nur  Denker 
und  Männer  der  öffentlichen  Thä- 
tigkeit,  sondern  oft  auch  Dich- 
ter ausgesetzt  waren ,  eines 
Ringens,  in  welchem  auf  den  heis- 
sen  Tag  nicht  immer  ein  milder 
Abend  des  Trostes  über  den  er- 
zielten Erfolg  folgte,  oft  sogar  den  Betreffenden  bange  Zweifel  beschli- 
chen,  ob  er  auf  richtigem  Wege  zu  seinem  Ruhme  gelangt,  ob  nicht 
dieser  Ruhm  selbst  eine  Sünde,  ein  Verbrechen  sei,  während  ev  in  Wirk- 
lichkeit ein  gerechter,  wohlverdienter  war.  Diese  beiden  Eindrücke 
machen  sich  auch  bei  der  Erinnerung  an  Gogol  geltend:  wir  können 
jetzt  schon  den  vollen  Umfang  seiner  segensreichen  Wirksamkeit  auf 
dem  Gebiete  der  vaterländischen  Literatur  überblicken,  und  doch  müht 
man  sich  noch  immer  mit  der  Lösung  der  schwierigen  psychologischen 
Frage  über  jenen  qualvollen  seelischen  Zwiespalt  ab,  der  ihn  in  den 
letzten  Lebensjahren  wie  ein  Alp  drückte  und  unter  dessen  Druck  er 
auch  sein  Leben  abschloss. 

Seine  Lebensgeschichte  ist  bekannt,  es  genügt  einige  Hauptzüge  sei- 
nes intimen  Lebens  und  Schaffens  hervorzuheben,  die  die  Grundlage  sei- 
ner Biographie  und  seiner  grossen  geschichtlichen  Bedeutung  ausmachen.  ! 


Die  Bedeutung  Gogol's  für  die  heutige  Stellung  der  russ.  Literatur.      291 

Gogol  steht  auf  dem  ganzen  Gebiet  der  russischen  Literatur  als  eine 
Grösse  ersten  Ranges  da.  Die  Würdigung  seiner  geschichtlichen  Rolle 
legt  vor  allem  den  Gedanken  nahe,  einen  Vergleich  zwischen  der  russi- 
schen Literatur  von  damals,  als  er  den  Schauplatz  verliess,  und  von 
heute,  bei  dem  hundertjährigen  Jubiläum  desselbeu,  anzustellen.  Im 
Ganzen  und  Grossen  hat  sich  die  Stellung  und  die  Rolle  der  russischen 
j  Literatur  während  dieser  Zeit  ihrer  Geschichte  gewaltig  geändert.  Vor 
'  einem  halben  Jahrhundert  war  die  russische  Literatur  in  Europa  so  gut 
wie  unbekannt,  nur  dunkle  Gerüchte  über  ihre  Existenz  drangen  nach 
dem  Westen,  nur  Avenige  Namen  wurden  nach  den  Angaben  der  Russen 
selbst  immer  von  neuem  genannt,  mau  fand  an  ihr  kein  besonderes  In- 
teresse, und  zwar  mit  Recht,  da  man  ja  zumeist  nur  direkten  Widerhall 
i  der  damaligen  geistigen  Bewegung  Europas  in  ihr  wiedergefunden  hätte. 
Im  gegenwärtigen  Augenblick  steht  dagegen  die  Sache  ganz  anders :  die 
russische  Literatur  hat  in  den  Augen  der  europäischen  Lesewelt  und 
Kritik  ihre  eigene,  unabhängige  Stelle  eingenommen ;  die  neueren  russi- 
schen Schriftsteller  erscheinen  in  unzähligen  Uebersetzungen,  machen 
einen  mächtigen  Eindruck,  ihre  Namen  werden  allgemein  bekannt,  man 
fängt  an  in  den  Sinn  der  russischen  Literatur  einzudringen,  oder  gibt 
sich  wenigstens  die  Mühe  denselben  zu  erfassen.  Ein  berühmter  Name 
derselben  geniesst  jetzt  schon  im  wahren  Sinne  des  Wortes  einen  Welt- 
ruhm, ja  man  schickt  sich  an,  in  dem  russischen  Buch  das  erlösende 
Wort  zu  suchen. 

Die  in  den  letzten  Decennien  bis  zur  grossen  Popularität  in  den 
europäischen  Literaturen  gelangten  Namen  sind  wohl  bekannt:  allen 
ging,  wie  es  scheint,  Turgenjev  voran,  dann  kam  Dostojevskij,  zum 
Theil  Goncarov  an  die  Reihe,  alle  überstrahlte  der  Ruhm  des  Grafen 
L.  N.  Tolstoj,  jetzt  aber  spricht  Europa  auch  schon  von  unserer  jungen 
Generation,  in  erster  Reihe  von  Maxim  Gorkij.  Forscht  man  über  den 
Ursprung  jenes  inneren  Gehaltes,  der  der  heutigen  russischen  Literatur 
eine  so  grossse  Anziehungskraft  verleiht,  geschichtlich  nach,  so  muss 
man  unzweifelhaft  gerade  Gogol  als  eine  der  Hauptquellen  jenes  tiefen 
inneren  Sinnes  anerkennen. 

Man  könnte  zwar  dagegen  einwenden,  dass  Gogol  in  der  europäi- 
schen Literatur  keine  besondere  Popularität  geniesst,  keinen  bedeu- 
tenden Einfluss  ausübt  und  wohl  auch  nie  ausgeübt  hat.  Das  ist  wahr. 
Gogol  ist  der  europäischen  Lesewelt  wenig  bekannt  und  wahrscheinlich 
auch  wenig  verständlich;  er  enthält  zu  viel  specifisch,  technisch,  russi- 

19* 


292  A.  N.  Pypin, 

sches,  für  die  europäischen  Begriffe  fremdes,  nicht  selten  geradezu  etwas 
wie  von  einer  anderen  Culturstufe  herrührendes.  In  gleicher  Weise  ist 
der  europäischen  Lesewelt  auch  ein  anderer  von  den  grossen  Schrift- 
stellern der  russischen  Literatur  so  gut  wie  unzugänglich  —  der  Sati- 
riker Saltykov.  Möglicherweise  liegt  auch  L.  N.  Tolstoj  in  seineu  Er- 
zählungen und  Dramen  aus  dem  Volksleben  dem  europäischen  Verständ- 
niss  nicht  nahe  genug.  Doch  betreffs  Gogol's  schwebt  uns  eigentlich  der 
Entwickelungsprocess  der  russischen  Literatur,der  ebenfalls  der  Kritik  des 
Westens  wenig  bekannt  sein  dürfte,  vor:  Gogol  gebührt  der  Hauptantheil 
an  der  Schaffung  jener  sittlichen  Stimmung,  die  ihm  nebst  seinen  genialen 
künstlerischen  Anlagen  eine  führende  liolle  in  der  russischen  Literatur 
verschaffte ;  gerade  diese  Stimmung  war  es,  die  in  die  weitere  Literatur- 
entwickelung den  hohen  Ton  des  gesellschaftlichen  Interesses  und  sitt- 
lichen Gefühls  brachte,  woraus  sich  zum  grossen  Teil  jener  moralische 
und  poetische  Zauber  ableitet,  durch  den  gegenwärtig  die  russische 
Literatur  das  europäische  Lesepublicum  fesselt. 

Wie  fasst  nun  die  westeuropäische  Kritik  jene  russischen  Schrift- 
steller auf,  die  in  Europa  so  viele  Verehrer  finden  ?  Wir  sprechen  von  der 
Kritik,  weil  offenbar  diese  hauptsächlich  bemüht  ist,  die  unmittelbaren 
Eindrücke  zum  Bewusstsein  der  Massen  zu  bringen.  Vor  allem  war  man 
von  der  Fülle  und  Originalität  der  russischen  Kunstproduction  überrascht. 
In  der  That  repräsentiren  die  oben  genannten  Schriftsteller  eine  hohe 
und  seltene  Stufe  der  knnstschöpferischen  Begabung,  die  allein  schon 
ihnen  einen  bleibenden  Erfolg  gesichert  hätte  —  doch  welche  Ziele  ver- 
folgte dieses  Schaffen,  welche  Ideen,  welche  Gefühlsstimmungen  suchte 
es  zu  verkörpern? 

Unter  den  zahlreichen  Aeusserungen  der  europäischen  Kritik,  die 
wir  an  dieser  Stelle  nicht  alle  durchnehmen  können,  wählen  wir  das  Ur- 
theil  eines  Schriftstellers,  wahrscheinlich  eines  der  bekanntesten  und 
vielleicht  geschicktesten  europäischen  Kritiker  der  russischen  Literatur. 
Wir  meinen  den  Vicomte  Melchior  de  Vogüe.  Die  wesentlichste  Vor- 
stellung, zu  der  er  bezüglich  der  russischen  Schriftsteller  gelangte, 
besteht  für  ihn  darin,  dass  diese  (so  würde  wahrscheinlich  auch  Taine 
sagen)  ihre  eigene  Rasse  zum  Ausdrucke  bringen.  Vogüö  wiederholt 
einige  Male  diesen  Gedanken:  dieser  Rasse  schreibt  er  die  Grundlage 
jener  Originalität  zu,  der  er  allem  Anscheine  nach  in  der  eigenen  fran- 
zösischen Literatur  nichts  entsprechendes  zu  finden  vermochte.  In  Tur- 
genjev  eutdeckte  er  »une  äme  slave«,  eine  slavische  Seele;  in  Dosto- 


Die  Bedeutung  Gogol's  für  die  heutige  Stellung  der  russ.  Literatur.      293 

ji'vskij  sah  er  »un  vrai  scythe(f,  einen  wahren  Skythen,  ii.  s.  w.  Allerdings 
würde  dem  Kritiker  wahrscheinlich  gar  nicht  leicht  fallen  mit  Genauig- 
keit zu  bestimmen,  worin  diese  »slavische«  Seele  besteht,  und  schliesslich 
wäre  es  einfacher  gewesen,  von  der  russischen  Seele  nnd  vom  russischen 
.\;itionalcharakter  zu  sprechen ;  noch  sclnvieriger  als  dies  wäre  es ,  die 

^kythische«  Seele  Dostojevskij's  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  zu  er- 
klären, nachdem  von  den  Skythen  nicht  nur  Vicomte  de  Vogüe,  sondern 
auch  wir  einstweilen  noch  ziemlich  unklare  Vorstellungen  haben.  Zwei- 
felsohne hat  der  französische  Kritiker  mit  diesen  umfangreichen  Epitheten 
auf  jenes  uranfängliche,  urwüchsige,  tiefe  und  originelle  "Wesen  im  rus- 
>ischen  Volksthum,  im  russischen  Stamme  anspielen  wollen,  welches  in 
unseren  grossen  Schriftstellern  zum  Ausdruck  kommt. 

Uns  scheinen  solche  Definitionen  schon  wegen  ihres  weiten  Umfanga 
wenig  zu  besagen.  Wir  geben  zu,  dass  von  einem  weiteren  internatio- 
nalen Standpunkte  die  Definition  der  Literatur  mit  dem  Hinweis  auf  die 
r.igenthümlichkeiten  der  Rasse  beginnen  kann,  —  doch  nicht  bloss  von 
.li'i-  ethnographischen  Seite.  Die  Rasse  stellt  nichts  Gegebenes,  Unbe- 
wegliches dar;  sie  ist  —  eine  geschichtliche  Erscheinung.  Wie  die  ur- 
alte Eigenart  der  slavischen  Rasse  beschaffen  war,  wissen  wir  im  Wesent- 
lichen nicht.  Aus  jenen  vorausgesetzten  Eigenschaften  ging  z.  B.  die 
grosse  Verschiedenheit  der  heutigen  slavischen  Völker  hervor,  weil  auf 
die  ursprüngliche  Grundlage  sich  ganze  Jahrtausende  der  Geschichte 
aufgeschichtet  haben.  In  Dostojevskij  gerade  einen  «Skythen«  suchen 
zu  wollen,  ist  so  sehr  gewagt,  dass  es  beinahe  lächerlich  klingt.  Aller- 
dings kann  man  das  nur  eine  rhetorische  Figur  nennen,  angewendet  zu 
dem  Zwecke,  um  die  elementare  Originalität  der  russischen  Literatur  in 
Vergleich  zu  den  europäischen  besonders  stark  zu  betonen. 

Diese  Originalität  unterliegt  in  der  That  keinem  Zweifel.  Unge- 
achtet der  ungeheueren  Beeinflussung  Seitens  der  europäischen  literari- 
schen Bewegung,  die  mit  grosser  Kraft  ihres  genialen  Schaffens  in  der 
Wissenschaft  und  Poesie  auftrat,  vermochte  doch  die  russische  Literatur, 
Sobald  sie  aus  ihren  Lehrjahren  des  XVIIL  und  der  ersten  Decennien 
lies  XIX,  Jahrh.  heraustrat,  sogleich  die  ihr  von  dem  Volkscharakter 
und  dem  Zusammenhang  des  russischen  Lebens  mitgetheilten  Eigen- 
thümlichkeiten  zur  Geltung  zu  bringen.  Als  sich  nun  diese  Eigenthtim- 
lichkeiten  an  einer  ganzen  Reihe  begabter  und  zum  Theile  wirklich 

•nialer  Schriftsteller  äusserten,  war  es  kein  Wunder,  dass  dem  europäi- 
hen  Lesepublicum  diese  Eigenthümlichkeiten  auffielen,  da  sie  bei  ihnen 


294  A.  N.  Pypin, 

entweder  ganz  unbekannt,  oder  schon  längst  überlebt,  vergessen  und 
darum  wieder  neu  waren.  Der  russische  Schriftsteller,  nicht  selten  hoch 
gebildet  und  mit  allen  literarischen  Strömungen  Europas  wohlvertraut, 
arbeitete  dennoch  in  seinem  Milieu  und  für  sein  Milieu:  diesem  entnahm 
er  bewusst  oder  unbewusst  die  Eigenart  des  russischen  Geistes,  aus 
ihm  schöpfte  er  die  besten  Gefühle,  und  diese  Lebensbedingungen  eines 
Culturmenschen  im  patriarchalischen  Milieu  schufen  jene  eigenartige 
Stimmung,  die  so  oft  den  Gegenstand  der  Bewunderung  und  daneben  einer 
warmen  Sympathie  seitens  des  europäischen  Lesers  bildete.  Es  schien 
so,  als  ob  man  vor  einer  eigenen  »Rasse«  stände.  In  der  That  ist  aber 
unsere  Rasse  in  ihren  Haupteigenschaften  gerade  so  gut  »europäisch« 
wie  die  übrigen;  zwischen  der  europäischen  und  russischen  Welt  besteht 
gar  nicht  jene  Scheidewand,  welche  seit  jeher  die  arischen  Völker  von 
den  nichtarischen  auseinanderhält.  Aber  die  Verschiedenheit  der 
historischen  Bedingungen  war  allerdings  ungeheuer  gross.  Die  Ge- 
schichte trennte  schon  seit  den  ältesten  Zeiten  das  russische  Volk  von 
den  Völkern  des  westlichen  Europa  durch  eine  Menge  cultureller  Unter- 
schiede ,  welche  am  Ende  der  Rasse  selbst  anzugehören  schienen.  Zu- 
nächst war  der  Sitz  dieser  Völker  an  den  entgegengesetzten  Enden  des 
europäischen  Festlandes.  Der  Westen  nahm  auf  einem  verhältnissmässig 
engen  Raum  eine  Anzahl  von  Völkern  auf  den  Ruinen  Roms  auf.  Aus  der 
lebhaften  Entwickelung  internationaler  und  innerer  politischer  Beziehun- 
gen ging  bei  wachsender  geistiger  Rivalität  schon  seit  dem  Mittelalter 
der  Renaissance  eine  reiche  Literatur  und  Wissenschaft  hervor.  Das 
russische  Leben  wusste  nichts  davon.  Während  Europa  den  glänzenden 
Weg  der  wissenschaftlichen  Entdeckungen  betrat,  während  es  einen 
Shakespeare  hervorbrachte,  die  schöne  Literatur  und  den  freien  Gedan- 
ken des  XVII.  und  XVIII.  Jahrh.  ins  Leben  rief,  herrschte  im  russischen 
Volk  und  sogar  in  seiner  höchsten  Klasse  noch  immer  das  Mittelalter. 
Auch  hier  hatten  sich  seit  den  ältesten  Zeiten  eigenartige  Lebensbe- 
dingungen gebildet.  Den  Russen  war  es  beschieden,  das  asiatische 
Joch  zu  tragen,  um  es  schliesslich  siegreich  abzuschütteln.  Russlands 
politische  Einigung  zu  einem  Reich,  unter  den  schwierigen  historischeu 
Bedingungen  des  XV.  Jahrh. ,  als  die  Mittel  karg  waren  und  Hilfe  von 
nirgends  zu  erwarten  war,  stellt  eine  gewaltige  nationale  That  dar  in 
politischer  und  moralischer  Beziehung ,  überdies  eine  That  vollführt 
durchaus  im  europäischen  Geiste  —  weil  ja  nicht  nur  der  europäische 
politische  Gedanke  über  den  asiatischen  Herdeninstinkt,  sondern  auch 


Die  Bedeutung  Gogol's  für  die  heutige  Stellung  der  russ.  Literatur.      295 

das  europäische,  vom  Christeiithum  grossgezogene  Nalionalgefülil  den 
Sieg  davontrug.  Nie  sank  das  russische  Volk  in  moralischer  Be- 
ziehung, auch  nicht  in  der  schwersten  Noth  des  tatarischen  Joches, 
stets  fühlte  es  sich  moralisch  erhaben  über  seine  Eroberer.  Im  russischen 
Volksbewusstsein  war  Eiissland  »heilig«,  der  asiatische  andersgläubige 
Osten  «heidnisch«  («unrein«).  Diese  Unterscheidung  dauerte  ganze  Jahr- 
hunderte hindurch  und  in  den  schwersten  Bedrängnissen  war  sich  das 
russische  Volk  stets  seiner  nationalen  Ueberlegenheit  und  zugleich  damit 
seiner  moralisch-religiösen  Pflicht  bewusst.  Das  neugegründete  Reich  war 
noch  sehr  unfertig,  primitiv  in  deu  Lebensformen  und  Sitten;  mit  jedem 
Jahrhundert  war  unser  Abstand  von  der  Kultur  Europas  grösser,  der 
Westen  hielt  uns  für  Barbaren  und  findet  noch  heutzutage  leicht  Skjthen 
unter  uns;  —  aber  wenn  auch  die  Kultur  fehlte,  so  bildeten  sich  doch  in 
der  russ.  Volksmasse  andere  Züge  von  eigenem  moralischen  Werth  aus. 
Die  einzige,  weitverbreitete  Literatur  der  vorpetrinischen  Zeiten  bestand 
in  der  Erbauungslectüre,  in  den  Kirchenbüchern,  die  sich  schliesslich 
dem  Erkenntuissvermögen  des  Volkes  anpassten,  in  der  Legende,  die 
zuweilen  ein  wenig  abergläubisch  war,  aber  immer  mehr  den  Ausdruck 
der  allgemeinen  Ueberzeugung  und  Lebensregel  bildete.  Den  Massstab 
des  Seelenheils,  d.  h.  der  Sittlichkeit,  lieferte  die  kirchliche  Frömmig- 
keit, —  beim  niedrigen  Stand  der  Bildung  zuweilen  gar  zu  äusserlicli, 
was  im  XVIL  Jahrb.  den  für  den  Staat  unüberwindlichen  Separatismus 
des  Raskol  herbeiführte.  Andererseits  schuf  diese  sich  selbst  überlassene 
Volksmasse  eine  reiche  Volkspoesie,  die  in  unseren  Tagen  der  Wissen- 
schaft ein  höchst  kostbares  Material  lieferte  und  die  idealistischen  Patrio- 
ten zur  Entdeckung  des  Volksthümlichen  führte  .  .  .  Als  nun  die  neuere 
Gesellschaft  eifrig  daran  ging  über  diesen  Zustand  des  Volksthums  sich 
Klarheit  zu  verschaffen,  da  entstand,  wie  bekannt,  eine  eigene  Geistes- 
richtung, die  für  die  verderbte  Gesellschaft  das  einzige  Seelenheil  in 
der  »Einigung«  mit  dem  Volke,  zuletzt  in  der  absoluten  Vereinigung,  in 
dem  »Ins-Volkgehen«,  in  der  »Verbauerung«  u.  s.  w.  sah. 

Wir  wollen  nicht  sagen,  dass  damit  die  absolute  Wahrheit  entdeckt 
wurde ;  dennoch  möchten  wir  auf  diese  —  im  Westen  gänzlich  unbekannte 
—  Erscheinung  hinweisen,  als  auf  einen  deutlichen  Beweis  dafür,  dass  die 
russische  Gesellschaft  selbst  in  jenem  sittlichen  Inhalt,  den  der  Instinkt 
und  das  Gefühl  der  ungeheueren  Volksmassen  im  Verlaufe  von  Jahrhun- 
derten schuf,  etwas  Grosses,  Erfrischendes  fühlte,  etwas,  was  zur  Stellung 
grosser  Frageu  führen  kann.    Die  Sociologeu  begeisterten  sich  für  die 


296  A.  N.  Pypin, 

Landgemeinde,  in  welcher  sie  die  Panacee  zur  Lösung  der  Agrarfrage 
sahen,  und  für  das  Artelwesen,  als  die  fertige  Form  einer  Arbeitergenos- 
senschaft.   Als  ein  wesentlicher  Zug  des  patriarchalischen  Alterthums 
machte  sich  das  Volkslied  geltend.  Nirgends  in  Europa  hat  sich  eine  so 
ungeheure  Menge  von  Volksliedern  erhalten,  wie  sie  unsere  eifrigen  Eth- 
nographen gesammelt  und  noch  fortwährend  sammeln.    Und  diese  Poesie 
ist  im  höchsten  Grade  interessant.   In  lebenden  Texten  sind  Reste  der  Ge- 
fühlsstimmung und  der  Sitten  aus  entferntesten  Zeiten  auf  uns  gekommen. 
In  der  Volkslyrik  treten  uns  in  poetischen  Gebilden  die  Ausdrücke  eines 
tiefen  menschlichen  Gefühls  entgegen,  die  einen  um  so  mächtigeren  Ein- 
druck machen,  wenn  man  bedenkt,  unter  welchen  Bedingungen  sich  dieses 
naive,  herzinnige  und  nicht  selten  tief  erschütternde  Schaffen  vollzog. 
Die  europäischen  Gelehrten,  die  in  der  Lage  waren,  sich  mit  den  Denk- 
mälern dieser  Poesie  im  Originale  bekannt  zu  machen,  staunten  über  den 
imgeheueren  Reichthum  und  poetischen  Werth  unseres  patriarchalischen 
Schöpfungsgeistes,  der  im  Westen  Europas  schon  längst  ausgestorben  ist. 
So  beschaffen  war  die  «Rasse«  und  das  Milieu. 
Die  westliche  Kritik  irrte  sich  nicht,  als  sie  in  den  grossen  neueren 
Schriftstellern  der  russischen  Literatur  den  Widerhall  dieser  »Rasse«  sah, 
nur  war  sie  sich  vielleicht  des  Weges  nicht  ganz  bewusst,  auf  welchem 
diese  »Rasse«  thätig  war  ...  In  der  That,  so  oft  in  unserer  Literatur 
ein  Dichter  von  der  genialen  Kraft  eines  Puskin,  Gogol,  Tolstoj,  oder  ein 
hochbegabter  Schriftsteller  wie  Turgenjev,  Dostojevskij  u.  a.  auftrat, 
keiner  von  ihnen  war  im  Stande,  sich  dem  Einflüsse  des  Milieus,  das  sie 
umgab,  zu  entziehen;  bewusst  oder  unbewusst  nahmen  sie  seine  Ein- 
drücke in  sich  auf,  und  (mögen  die  sogenannten  reinen  Aesthetiker  noch 
so  laut  das  Gegentheil  behaupten)  alle  wahrhaft  grossen   Talente  ent- 
nehmen stets  dem  Leben  seine  besten  und  höchsten  sittlichen  Elemente. 
In  der  russischen  Literatur  trat  zu  dem  noch  eine   andere  Bedingung 
hinzu.    Die  gebildeten  Leute  der  neueren  Zeit  waren  selbstredend  nicht 
mehr  die  Leute  der  patriarchalischen  Zeit,  wie  ihre  Vorfahren  —  die 
Bojaren  und  Dvorjanen  des  XVI.  und  XVII.  Jahrh. :    die   Erfolge  der 
europäischen  humanen  Bildung  und  der  eigene  gesunde  Instinkt  flössten 
ihnen  neue  Beziehungen  zur  Volksmasse  ein:  die  überwiegende  Mehrheit 
derselben    schmachtete    aber   in   der  Leibeigenschaft,    und  schon  seit 
der  zweiten  Hälfte  des  XVIII.  Jahrh.  Hessen  sich  aus  dem  Kreise  der  Ge- 
bildeten stets  von  neuem  überzeugende  Rufe  nach  der  Befreiung  verneh- 
men.  Bei  der  damaligen  Lage  der  Dinge  waren  diese  Rufe  keineswegs 


Die  Bedeutung  Gogors  für  die  heutige  Stellung  der  russ.  Literatur.      297 

ungefährlich,  zuweilen  geradezu  unmöglich,  und  wenn  man  dessen  unge- 
achtet den  Muth  hatte  diesen  Gedanken  auszusprechen,  so  bedeutet  das 
offenkundig  einen  beachtungswerthen  Ausdruck  der  sittlichen  Würde 
unserer  Literatur,  und  wenn  diese  Stimmung  sich  die  kunstschöpfe- 
rische Kraft  dienstbar  machte,  wie  z.  B.  in  einigen  Schöpfungen  Puskin's, 
in  den  «Aufzeichnungen  eines  Jägers  <  Turgenjev's,  im  »Anton  Gore- 
myka«  Grigorovic's,  so  schwang  sich  hiermit  die  Literatur  bis  zu  ihrer 
höchsten  Aufgabe  auf  —  der  Vertheidigung  der  Menschenwürde  in  dem 
Rechtlosen,  Erniedrigten  und  Gekränkten. 

Das  Bündniss  der  Literatur  mit  der  Sache  des  Volkes  war  allen  klar. 

Dieses  Bündniss  trat  sowohl  im  Inhalt  als  auch  in  der  Form  orten  zu 
Tage.    Im  Inhalt  konnte  es  durch  nichts  kräftiger  dokumentirt  werden 
als  durch  den  besagten  beharrlichen  Gedanken  von  der  Befreiung  der 
Bauern,  ein  Gedanke,  der  auf  gleiche  Weise  die  Leute  zweier  Haupt- 
richtungen in  der  Literatur  bis  zu  dem  Befreiungsact  begeisterte.   Hand 
in  Hand  ging  damit  jenes  gesteigerte  Streben  nach  der  Erforschung  des 
Volkslebens,  das  einerseits  zahlreiche  kunstvolle  Darstellungen  des  Volks- 
charakters hervorbrachte,  ■ —  sie  bilden  eine  eigene,  stark  und  klar  aus- 
geprägte Richtung  in  der  russischen  Literatur  —  anderseits  eine  Reihe 
wissenschaftlicher  Forschungen  über  das  russische  Alterthum  und  Volks- 
thum  ins  Leben  rief.    Schon  in  diesen  Produkten  künstlerischen  Schaf- 
fens, angefangen  im  XVIII.  Jahrb.  mit  Novikov  und  Radiscev,  fortge- 
setzt von  Zukovskij,  Puskin,  Gogol  und  seiner  Schule,  äusserte  sich 
jener  eigenthümliche  Zug  der  russischen  Literatur,   welcher  der  west- 
europäischen Literatur  fast  unbekannt  und  beinahe  unbegreiflich  ist  — 
die  wunderbar  unvermittelte,  klare  und  nicht  selten  innige  Nähe  des  rus- 
sischen Schriftstellers  zum  Volke  und  seinem  Leben  . . .  Unsere  Litera- 
tur war  eben  zu  jugendlich,  um  die  patriarchalische  Stimmung  des  Volkes 
nicht  mehr  begreifen  zu  können,  wie  dies  bei  der  europäischen  Literatur 
selbstverständlich     war.    Die    letztere    arbeitete   ganze    Jahrhunderte 
daran,  um  schliesslich  eine  literarische  Kunst  zu  schaffen  mit  eigener 
Richtung  und  conventioneller  Sprache.     Dazu  trug  auch   die  Volks- 
masse das  Ihrige  bei,  die  auf  einer  verhältnissmässig  hohen  Stufe  der 
Kultur  stehend  jene  patriarchalische  Poesie,  die  das  Interesse  der  Gebil- 
deten hätte  erwecken  können,  schon  längst  verloren  hatte.    Turgenjev 
erzählte,  Merime,  der  bekannte  französische  Schriftsteller,  der  mit  un- 
serer Literatur  vertraut  war,  habe  über  die  biblische  Einfachheit  der 
Werke  Puskin's  ;  «Gastmahl  Peter's  des  Grossen«),  die  bei  einem  euro- 


298  A.  N.  Pypin, 

päischen  Dichter  unbegreiflich  wäre,  gestaunt.  Wegen  ihrer  Jugend 
und  ihrer  im  Vergleiche  zu  den  anderen  geringen  Verbreitung  in  der 
Gesellschaft  hat  unsere  Literatur  noch  bis  heute  nicht  jene  conventio- 
nelle  und  oft  gesuchte  Redeweise  ausgearbeitet,  welche  den  westlichen 
Literaturen  eigen  ist.  Sie  bewahrte  sich  stets  ihre  Nähe  zu  dem  reiclien 
Born  der  lebendigen  Volksrede.  Wir  selbst  waren  Zeugen  davon ,  wie 
der  grösste  russische  Schriftsteller  der  Jetztzeit  sich  entschloss,  seine 
früheren  Kunstwerke  ganz  zu  verläugnen,  weil  sie  für  ein  höheres  Lese- 
publikum geschaffen  waren,  um  seine  Thätigkeit  künftighin  der  gesammten 
lesenden  Volksmasse  zu  widmen:  eine  ganze  Reihe  seiner  Schöpfungen 
aus  dem  Volksleben  und  der  Legende  schrieb  er  mit  Ausserachtlassung 
des  Conventionellen  in  der  Form  und  Sprache,  um  dem  gesammten  lese- 
kundigen Publikum  zugänglich  zu  sein ;  dabei  schreckte  er  sogar  vor 
ungehobelten  und  rauhen  Ausdrücken  der  Volksrede  nicht  zurück. 

Dies  alles  musste  dem  europäischen  Leser,  der  mit  der  russischen 
Literatur  in  Contact  kam,  ungemein  originell,  fremd  und  oft  auch  wenig 
verständlich  erscheinen.  Es  verblüfl"ten  ihn  auch  Inhalt,  Form  und 
Sprache.  Kein  Wunder  also,  wenn  der  europäische  Kritiker  bei  der 
Bestrebung  sich  diese  eigenartigen  Züge  zu  erklären,  wie  Vicomte  de 
Vogüe,  zu  dem  Schlüsse  kam,  diese  Eigenthümlichkeiten  seien  auf  die 
»Rasse«  zurückzuführen,  die  russischen  Schriftsteller  besässen  eine 
»slavische  Seele«  u,  s.  w.  Wir  haben  oben  dargelegt,  dass  es  sich  nicht 
so  sehr  um  die  »Rasse«  als  um  die  historische  Nationalität  handelt.  Die 
russische  Literatur  ist  thatsächlich  ein  Produkt  russischen  Nationallebens 
und  in  ihren  bedeutendsten  Erzeugnissen  ein  treuer  Ausdruck  seiner 
besten  sittlichen  Stimmungen  und  Ideale. 

Wir  feiern  das  Jubiläum  Gogol's  zu  einer  Zeit,  in  der  die  Wirkung 
der  russischen  Literatur  das  Territorium  Russlands  und  seiner  Sprache 
bereits  überschritten  hat  .  .  .  Wenn  sich  bei  uns,  aus  unseren  eigenen 
Reihen  noch  vor  kurzem  die  Unzufriedenheit  über  die  ungenügende 
Selbstständigkeit  unserer  Literatur  gegenüber  den  europäischen  Ein- 
flüssen vernehmen  Hess,  so  beweist  der  gegenwärtige  Erfolg  in  Europa 
mit  den  erwähnten  slavischen  und  skythischen  Epitheten  zur  Genüge, 
dass  dieser  Unzufriedenheit  nichts  weiteres  als  eine  optische  Täuschung 
zu  gründe  lag.  Unserer  Literatur  war  lange  die  internationale  Kritik 
unbekannt,  und  darum  ist  es  begreiflich,  dass  ein  ungetrübtes,  dazu 
noch  fremdes  Auge  manches  entdecken  konnte,  was  unseren  Blicken 
entging.    Die  ausländische,  mehr  oder  weniger  competente  Kritik  be- 


Die  Bedeutung  GogoPs  für  die  beutige  Stellung  der  russ.  Literatur.       299 

merkte  den  Zusammenhang  russischer  literarischer  Erscheinungen  mit 
den  westlichen,  zuweilen  sogar  eine  gewisse  Abhängigkeit,  zugleich  aber 
fand  sie  darin  eine  ungewöhnliche  und  in  Europa  unbekannte  Origi- 
nalität und  Gewalt.  80  gelangte  die  Frage  von  den  selbstständigen 
Elementen  der  russischen  Literatur  zur  Lösung. 

Wenn  wir  uns  fragen ,  wo  diese  Selbstständigkeit  ihren  Ursprung 
hat,  finden  wir  die  Antwort  vor  allem  in  der  unlängst  feierlich  ausge- 
sprochenen Anerkennung  der  grossen  nationalen  Verdienste  Puskin's. 
Er  verlieh  unserer  Literatur  ein  selbstständiges  künstlerisches  Gepräge, 
aber  vollständig  löste  er  diese  Aufgabe  noch  nicht.  Ein  grosser 
Theil  fiel  Gogol  zu.  Einige  Male  wurde  die  Frage  gestellt,  welcher  von 
den  beiden  grossen  Dichtern  einen  stärkeren  Einfluss  auf  die  Bewegung 
in  der  zweiten  Hälfte  des  Jahrhunderts  ausübte ;  wer  wirkte  mehr  —  Pus- 
kin  oder  Gogol.  Diesen  oder  jenen  vorzuziehen  wäre  ein  willkürliches 
und  eitles  Beginnen.  Die  Erscheinungen  der  Literatur  sind  immer  so 
complicirt,  dass  wir  uns  umsomehr  der  Wahrheit  nähern,  je  mehr  zu- 
sammenwirkende Factoren  wir  entdecken.  Diejenigen,  die  Puskin  zum 
einzigen  Begründer  der  neueren  russischen  Literatur  erklären  wollten, 
führten  unter  anderm  die  begeisterten  Worte  an,  mit  welchen  Gogol 
selbst  Puskin  als  seinen  Lehrer  anerkennt;  sie  führten  auch  die  Worte 
Turgenjev's  an,  der  sich  in  der  zweiten  Generation  zum  Schüler  Puskin's 
bekennt.  In  der  That  war  Puskin  ein  mächtiger  Factor  bei  der  Gründung 
der  neueren  russischen  Literatur ;  er  schloss  die  alte,  vorbereitende  Periode 
ihrer  Entwickelung  ab  und  entdeckte  zuerst  den  Weg  des  selbstständigen, 
nationalen  Schaffens.  Deswegen  aber  fällt  Gogol  ein  nicht  weniger  be- 
deutender Antheil  zu.  Möge  er  auch  noch  so  sehr  Puskin  als  seinen  Lehrer 
hervorgehoben  haben,  der  Schüler  und  der  Lehrer  waren  sich  so  wenig 
ähnlich,  dass  man  sie  unter  keiner  Bedingung  in  das  Verhältniss  einer 
unmittelbaren  Abhängigkeit  bringen  kann.  Gogol  selbst  gab  an,  das 
Sujet  der  «Todten  Seelen«  von  Puskin  bekommen  zu  haben,  aber  der- 
selbe Gogol  erzählte  auch,  dass  Puskin  nach  dem  Durchlesen  der  ersten 
Skizze  aus  diesen  »Todten  Seelen«  tief  ergriffen  war  von  dem  Bilde, 
welches  sich  ihm  augenscheinlich  ganz  unerwartet  aufrollte.  Nach 
den  eigenen  Worten  Gogol's  wurde  «Puskin,  der  beim  Lesen  meiner 
Sachen  stets  zu  lachen  pflegte  (er  liebte  nämlich  das  Lachen  sehr),  wäh- 
rend er  jetzt  las,  allmählich  immer  finsterer  und  finsterer,  bis  er  zuletzt 
ganz  düster  aussah.  Als  das  Lesen  zu  Ende  war,  sagte  er  mit  betrübter 
Stimme:  Mein  Gott,  wie  traurig  unser  Piussland  ist<:  ...  In  diesem  Ein- 


300  A.  N.  Pypin, 

drucke  kam  der  ganze  Unterschied  zweier  Schriftsteller  und  ihrer  Einwir- 
kungen klar  zu  Tage.  In  der  genialen  Begabung  Gogors  gab  es  Züge, 
die  Puskin  fehlten.  Neben  einer  aussergewöhnlichen  Beobachtungs- 
fähigkeit, mit  der  er  die  Charaktere  zu  erfassen  und  darzustellen  ver- 
stand, und  die  ihn  zum  Begründer  des  russischen  Realismus  iu  der  Lite- 
ratur machte,  schaute  er  auf  die  Welt  mit  jenem  eigenartigen  (der  »Rasse« 
nach  —  kleinrussischen,  nach  der  literaturhistorischen  Richtung  zum  Th. 
romantischen)  Humor,  der  ihm  die  Fähigkeit  gab  «durch  das  sichtbare 
Lachen«  auf  »die  unsichtbaren  und  unbekannten  Thränen«  hinzudeuten; 
mit  anderen  Worten  unter  der  äussern  Form  einer  scherzhaften  Erzäh- 
lung den  Vorhang  von  einem  schweren,  dunklen  Bilde  des  wirklichen 
Lebens  fallen  und  das  persönliche  sittliche  Gefühl  sowie  das  der  Gesell- 
schaft höher  steigen  zu  lassen.  So  beschaffen  waren  schon  jene  Peters- 
burger Erzählungen,  die  als  Erstlingswerke  Gogol's  Bielinskij  veran- 
lassten in  Gogol  einen  grossen  russischen  Schriftsteller  zu  begrüssen;  so 
beschaffen  war  dann  sein  »Revisor«,  und  schliesslich  sein  Hauptwerk, 
die  «Todten  Seelen  <f  ...  In  der  Folgezeit  verwarf  Gogol  in  seiner 
düstern  Gemüthsstimmung  (in  der  zweiten  Hälfte  der  vierziger  Jahre)  mit 
Hartnäckigkeit  diese  sociale  Seite  in  seineu  Werken,  als  ob  dadurch  in 
eine  hohe  Kunst  leichtsinuiger  Spott  und  Karrikatur  eingerissen  wären, 
aber  das  Publikum  davon  zu  überzeugen  war  er  nie  im  Stande,  und 
dieses  bat  bis  heute  nicht  aufgehört,  gerade  diese  seine  Werke  für  die 
Krone  seines  Schaffens  und  für  die  besten  Schöpfungen  der  russischen 
Literatur  überhaupt  anzusehen  .  .  .  Um  diese  seine  Werke  verläugnen  zu 
können ,  musste  sich  Gogol  von  sich  selbst  lossagen.  Und  wirklich  be- 
herrschte ihn  schon  seit  seiner  frühesten  Jugend  ein  dunkles  aber  be- 
harrliches Bewusstsein,  er  sei  zur  Vollführung  einer  grossen  und  für  sein 
Vaterland  wichtigen  Leistung  berufen.  Schon  zur  Zeit,  als  ihm  dies  als 
eine  unklare  Ahnung  vorschwebte,  stellte  er  sich  Fragen,  die  diese  seine 
Mission  betrafen,  und  sah  mit  Geringschätzung  auf  jene  seiner  Gefährten 
herab,  die  sich  von  keinen  Lebensfragen  beunruhigen  Hessen;  er 
nannte  sie  verächtlich  »Existenzen«,  gerade  so  wie  er  später  stets  mit 
verächtlicher  Ironie  von  den  Leuten  der  Gesellschaft  sprach,  die  »ein 
Bisschen  gleichgiltig  sind  gegenüber  der  Literatur«  u.  s.  w. 

In  den  ersten  Jahren  seines  Petersburger  und  Moskauer  Aufent- 
haltes, als  er  noch  nichts  anderes  als  seine  »Abende«  geschrieben  hatte, 
verblüffte  Gogol  als  ein  Jüngling  von  zwei-  oder  dreiundzwanzig  Jahren 
erfahrene  Literaten  der  älteren  Generation  wie  Pletnjev  und  S.  T.  Ak- 


Die  Bedeutung  Gogol's  für  die  heutige  Stellung  der  russ.  Literatur.      301 

sakov  mit  seineu  tiefernsten  Ansichten  betreffs  der  hohen  Bedeutung 
der  Kunst;  und  dass  mau  in  ihm  eine  aussergewöhnliche  Schöpfungskraft 
erblickte,  davon  zeugen  die  Artikel  über  ihn  sowohl  von  Pletnjev  als 
Aksakov,  wie  auch  der  Umstand,  dass  der  junge  Anfänger  als  ein  eben- 
bürtiger Schriftsteller  in  den  Kreis  Puskin's  und  Zukovskij's  aufgenom- 
men wurde.  Welche  Ziele  verfolgte  nun  diese  seine  schöpferische  Kraft? 
Gerade  jene  Verwendung  der  Kunst,  die  sich  mit  der  ruhigen  epischen 
Darstellung  des  Lebens  oder  mit  der  Lyrik  seiner  eigenen  Gefühle  nicht 
zufrieden  stellt,  sondern  darnach  strebt  sittliche  Fragen  des  socialen 
Lebens  aufzuwerfen,  durch  die  äussere  Hülle  der  gesellschaftlichen 
Sitten  in  ihr  wahres  Inneres  zu  dringen,  die  ganze  sittliche  Verdorben- 
heit aufzudecken  und  auf  die  daraus  entspringenden  Leiden  hinzu- 
weisen. Das  Resultat  war  nicht  nur  ein  künstlerischer,  sondern  auch  ein 
tiefer  socialer  Eindruck.  In  seinen  spätem  Jahren  machte  sich  Gogol 
in  seinem  konservativen  Pietismus  Gewissensbisse  daraus,  dass  er  in 
seinen  Schriften  zu  viele  schlechte  und  fast  gar  keine  ideale,  die  Seele 
erhebende  und  mit  dem  Leben  aussöhnende  Charaktere  gezeichnet  hatte ; 
er  behauptete,  seine  satirischen  Darstellungen  wären  Karrikaturen  (ob- 
schon  er  auch  später  selber  zugab,  dass  man  eine  Aussöhnung  nicht  her- 
vorzaubern kann,  wenn  sie  in  der  Wirklichkeit  nicht  existirt),  — jedoch 
diese  seine  späteren  Selbstbeschuldignngen  waren  völlig  ungerecht.  Dass 
seine  Darstellungen  des  russischen  Lebens  nicht  falsch  und  keine  Karri- 
katuren waren,  das  bewies  am  besten  das  russische  Publikum  mit  dem 
Garen  Nikolaj  I.  an  der  Spitze,  der  den  »Revisor«  auf  die  Bühne  brachte; 
das  Volk  aber  verschaffte  Gogol  einen  literarischen  Erfolg,  der  mit  jenem 
Puskin's  rivalisirte.  Die  literarische  Kritik  —  mit  Ausnahme  jener  Weni- 
gen, dieauseinerDieustfertigkeiteigenthümlicher  Art  bestrebt  waren,  die 
öffentliche  Bedeutung  des  Dichters  herabzusetzen  oder  den  Realismus  Go- 
gol's infolge  ihrer  Vorliebe  für  den  romantischen  Schwulst  thatsächlich 
nicht  verstanden  —  empfing  Gogol  mit  Bielinskij  an  der  Spitze  mit  wahrem 
Enthusiasmus,  indem  sie  nicht  nur  seine  überwältigende  künstlerische 
Meisterschaft  bewuilderte,  sondern  in  ihm  auch  jene  sociale  Bedeutung 
richtig  und  hoch  zu  schätzen  wusste,  in  welcher  sie  das  Unterpfand  des 
öffentlichen  Gewissens  sah,  das  vor  Gogol  in  unserer  Literatur  noch  nie 
mit  einer  solch  überzeugenden  Kraft  zum  Ausdrucke  gekommen  war.  Die 
Kritik  war  weit  davon  entfernt,  Gogol  den  Mangel  »idealer  Gestalten« 
vorzuwerfen,  —  ein  erhabenes  sittliches  und  gesellschaftliches  Ideal  stieg 
vor  dem  Geiste  des  Lesers  von  selbst  auf,  das  Ideal,  nach  dem  das 


302  A.  N.  Pypin, 

instinktive  Gefühl  als  nach  dem  Gegensatz  zu  diesen  Bildern  der  nega- 
tiven Wirklichkeit  verlangte.  Aber  auch  der  Dichter  selbst  wies  an  vielen 
Stellen  dem  Leser  den  Weg  zu  diesem  Ideale.  Häufig  unterbrach  er 
selbst  den  Gang  der  Satire  oder  der  Darstellung  drückender  Erschei- 
nungen des  Lebens,  und,  als  ob  er  selbst  vom  schweren  Bilde  ermüdet 
wäre,  aus  der  Rolle  des  Erzählers  fallend,  ergoss  er  seine  eigenen  Ge- 
fühle in  lyrischen  Excursen  und  moralischen  Commeutaren.  Die  Gefühle 
stiegen  in  Gogol  so  hoch  und  spiegelten  sich  in  einer  solchen  Tiefe  der 
Menschlichkeit,  dass  ihm  ein  scherzhaftes  Geschichtchen  unwillkürlich 
in  ein  Drama  überging  oder  in  eine  tieferschütternde  Erzählung,  bei 
welcher  der  Leser  unmöglich  gleichgültig  bleiben  konnte  .  .  .  Schon  in 
den  ersten  Petersburger  Erzählungen  kündigt  sich  diese  Seite  seines 
Talentes  laut  an. 

Von  welcher  Innigkeit  ist  die  Erzählung  vom  stillen,  unbemerkten, 
anscheinend  nichtigen  Dasein  der  »Gutsbesitzer  aus  der  guten  alten 
Zeit«  durchdrungen!  Wie  gewaltig  ist  der  Eindruck  der  einfachen  Ge- 
schichte «Der  Mantel«,  worin  erzählt  wird,  wie  einem  armen  alten  Be- 
amten sein  Mantel  von  Räubern  gestohlen  wurde.  Wir  erinnern  nur  an 
eine  Episode:  »Erst  wenn  der  Spass  gar  unerträglich  wurde,  als  man 
ihn  an  dem  Arm  fasste  und  bei  seiner  Arbeit  hinderte,  sagte  er:  ,Lasst 
mich !  Warum  kränkt  ihr  mich  ? '  und  etwas  Seltsames  lag  in  diesen 
Worten,  sowie  auch  in  der  Stimme,  mit  welcher  er  sie  hervorbrachte. 
Es  klang  heraus  so  etwas  Trauererregendes,  dass  ein  junger,  erst  vor 
kurzem  eingetretener  Mensch,  als  er  sich  nach  dem  Beispiele  Anderer 
auch  einen  Scherz  mit  ihm  erlaubte,  plötzlich  inne  hielt,  wie  durch's 
Herz  gestochen,  und  seitdem  schien  es  ihm,  als  ob  sich  alles  vor  ihm  ver- 
ändert und  in  anderem  Lichte  gezeigt  hätte.  Irgend  eine  übernatürliche 
Macht  zog  ihn  weg  von  seinen  Kollegen,  mit  denen  er  in  Bekanntschaft 
getreten  war,  weil  er  sie  für  anständige,  feine  Männer  gehalten  hatte. 
Und  noch  lange  nachher  erschien  ihm  oft  in  den  fröhlichsten  Augenblicken 
der  kleine  Beamte  mit  dem  Glätzchen  auf  dem  Scheitel  und  seinen  er- 
greifenden Worten:  ,Lasst  mich!  Warum  kränkt  ^hr  mich ?  •  Und  in 
diesen  erschütternden  Worten  klangen  andere  Worte  mit:  ,Icü  bin  dein 
Bruder'.  Und  der  arme  junge  Mensch  bedeckte  sich  das  Gesicht  mit  den 
Händen,  und  viele  Male  in  seinem  Leben  erzitterte  er,  wenn  er  sah,  wie 
viel  Unmenschliches  im  Menschen  steckt,  wie  viel  grausame  Roheit  in 
der  gebildeten ,  gesellschaftlichen  Finesse  und ,  mein  Gott !  sogar  in 
jenen  Menschen,  die  die  Welt  für  edel  und  rechtschaffen  hält«  .  .  .   Die 


Die  Bedeutung  Gogol's  für  die  lieutige  Stellung  der  russ.  Liteiutur.      303 

scherzhafte  Geschichte  vom  Streite  Ivan  Ivanovic's  mit  Ivan  Nikiforovic 
schliesst  mit  einer  traurigen,  vom  Leser  nicht  erwarteten  Note,  die  über 
die  ganze  Erzählung  einen  Schatten  verbreitet.  In  den  wunderbaren 
»Aufzeichnungen  eines  Irrsinnigen k  erscheint  im  komischeu  und  furcht- 
baren Bilde  des  Irrsinns  am  Schlüsse  die  Erinnerung  des  unglücklichen 
Irren  an  die  Mutter  —  bei  ihr  allein  hofft  er  Zuflucht  zu  finden.  Das 
Finale  der  «Aufzeichnungen«  ist  eine  ganze  Tragödie,  eine  der  gewal- 
tigsten Episoden  in  der  ganzen  russischen  Literatur.  In  der  Skizze 
»Nach  dem  Theater«  schrieb  Gogol  in  den  letzten  Schlussworten  des 
Dichters  seine  eigenen  Gedanken  über  die  Bedeutung  der  Literatur 
nieder.  Der  Dichter  sagt,  dass  seine  Seele  nicht  ruhig  ertragen  konnte, 
wenn  die  vollendetsten  Schöpfungen  mit  den  Worten:  »ein  Histörchen«, 
«dummes  Zeug«  abgefertigt  wurden:  »Meine  Seele  härmte  sich  ab,  als 
ich  sah,  wie  viele  stumme,  todte  Erdenbewohner  es  hier,  mitten  unter 
uns  gibt,  furchtbar  durch  die  unbewegliche  Kälte  ihrer  Seelen  und  un- 
fruchtbare Oede  ihrer  Herzen;  sie  härmte  sich  ab,  wenn  in  ihren  gefühl- 
losen Gesichtern  nicht  ein  Schein  des  Ausdrucks  zu  bemerken  war  dort, 
wo  eine  heissliebende  Seele  in  himmlische  Thränen  ausbrechen  würde,  und 
ihre  Zunge  nicht  zögerte  ihr  ewiges  Wort  hervorzubringen :  ,  Histörchen  ! ' 
Histörchen !  .  .  .  Aber  Jahrhunderte  sind  vergangen,  Städte  und  Völker 
verschwunden  von  der  Oberfläche  der  Erde,  wie  Kauch  ist  zerstoben 
alles,  was  da  war,  aber  die  Histörchen  leben  und  wiederholen  sich  noch 
heute  und  es  hören  sie  weise  Kaiser,  tiefsinnige  Verweser,  der  herrliche 
Greis  und  der  von  edlen  Strebungen  beseelte  Jüngling«  ...  Es  folgt  die 
Vertheidigung  seines  eigenen  Werkes. 

In  diesem  Stück  hat  Gogol  in  einer  Reihe  fein  geschriebener  Scenen 
verschiedene  Eindrücke  der  Leser  und  Zuschauer  seines  Stückes  gesam- 
melt und  er  verweilt  besonders  bei  jenen  Vorwürfen,  die  ihm  von  den 
Anhängern  der  literarischen  Routine  und  nicht  weniger  von  jenen  der 
Beamtenroutine  gemacht  wurden,  die  sich  gewöhnt  hatte  zu  behaupten, 
es  stehe  alles  gut  und  darum  über  jedeMissethat  das  Gras  wachsen  Hess. 
Das  Stück,  in  welchem  zum  ersten  Male  in  der  russischen  Literatur 
darüber  bittere  Wahrheit  unumwunden  ausgesprochen  wurde,  erregte 
im  Lager  der  Getroffenen  furchtbaren  Unwillen :  man  beschuldigte  den 
Dichter,  er  greife  die  Autorität  der  Regierung  an;  feindliche  Kritiker 
warfen  ihm  rohes  Karrikiren,  leeres  Gespötte  u.  s.  w.  vor.  Fest  über- 
zeugt von  der  Richtigkeit  seines  Schaffens  sprach  er:  «Muthig  vorwärts! 
Und  möge  meine  Seele  sich  nicht  verwirren  lassen  von  dem  Tadel  .  .  . 


304  A.  N.  Pypin, 

und  sie  möge  sich  nicht  verdüstern  auch  dann,  wenn  ihre  hohen  Be- 
strebungen und  ihre  heilige  Vaterlandsliebe  in  Verdacht  gezogen  würden! 
Die  Welt  ist  wie  der  Wasserwirbel :  ewig  steigen  darin  Meinungen  und 
Begriffe  auf  und  ab;  die  Zeit  aber  mahlt  alles  wieder  um:  wie  die 
Schalen  fallen  die  falschen  ab  und  den  schweren  Körnern  gleich  bleiben 
die  wahren  liegen  .  .  .  Und  wer  kann  es  wissen,  vielleicht  werden 
einst  Alle  einsehen,  dass  infolge  derselben  Gesetze,  nach  welchen  ein 
stolzer  und  gewaltiger  Mensch  im  Unglück  schwach  und  nichtig  er- 
scheint, der  schwache  aber  sich  hoch  aufrichtet,  in  seinem  Elend  einem 
Riesen  gleich,  —  dass  nach  denselben  Gesetzen  Derjenige,  der  die  mei- 
sten und  bittersten  Seelenthränen  vergiesst,  vielleicht  am  meisten  lacht 
in  der  Welt « !  ... 

Schon  früher  sah  Bielinskij,  wie  wir  oben  sagten,  unter  dem  Ein- 
drucke der  ersten  Erzählungen  Gogol's  in  ihm  einen  grossen  Schrift- 
steller der  russischen  Literatur  (Gogol  zählte  damals  ungefähr  25  Jahre, 
der  Kritiker  war  um  ein  Jahr  jünger);  »Revisor«  und  »Todte  Seelen« 
bestätigten  seine  begeisterte  Prophezeiung.  Gogol  selbst  sprach  in  den 
»Todten  Seelen«  an  einigen  lyrischen  Stellen  überzeugt  davon,  was 
Russland  von  ihm  erwartet,  und  vor  seinen  Augen  stieg  das  Bild  der  be- 
vorstehenden, zukünftigen  Grösse  des  russischen  Volkes  auf. . .  In  jenem 
Momente  schienen  die  Worte  des  Dichters  über  sich  selbst  au  einem  zu 
grossen  Selbstvertrauen  zu  leiden;  seitdem  aber  der  Schriftsteller  und 
sein  Werk  Eigenthum  der  Geschichte  geworden  sind,  werden  diese 
anscheinend  phantastischen  Worte  zum  kostbaren  Zeugnisse  der  unbe- 
dingten und  selbstlosen  Ergebung  des  Dichters  in  seine  hohe  Aufgabe, 
zum  Zeugnisse  seiner  feurigen  Erwartungen  der  Grösse  des  russischen 
Volkes  und  Staates  .  .  .  Das  Finale  des  ersten  Theiles  der  «Todten 
Seelen«  bildet  das  bekannte  phantastische  Bild  Russlands,  welches  vor 
ihm  wie  «ein  flinkes,  uneinholbares  Dreigespann«  dahinfährt  »ganz 
gottbeseelt«.  »Russland,  wo  fährst  du  denn  hin?  Antworte.  Es  anwortet 
nicht  .  .  .  und  andere  Völker  und  Staaten  treten  mit  scheelem  Blick  zur 
Seite  und  machen  ihm  den  Weg  frei «. 

Wir  haben  gesehen,  dass  thatsächlich  andere  Völker  »mit  scheelem 
Blick«  unter  anderem  auch  der  russischen  Literatur  den  Weg  freigaben. 

So  war  der  Dichter  beschaffen.  Die  grosse  Bedeutung  Gogol's  be- 
steht darin,  dass  er  zuerst  seine  geniale  künstlerische  Thätigkeit  nicht 
den  abstrakten  Themen  der  Kunst  und  auch  nicht  einem  ruhigen,  dem 
Leben  gegenüber  apathischen  Epos,  sondern  gerade  der  unmittelbaren 


Die  Bedeutung  Gogol's  für  die  heutige  Stellung  der  russ.  Literatur.      305 

und  alltäglichen  Wirklichkeit  des  Lebens  gewidmet  hat  und  in  sein 
Werk  die  ganze  Leidenschaft  des  Suchens  nach  Wahrheit,  der  Liebe  zum 
gemeinen  Volke,  Vertheidigung  seiner  Rechte  und  Würde,  Blosslegung 
eines  jeden  sittlichen  Uebels,  das  unser  Leben  umgibt,  hineingelegt  hat. 
Er  wurde  zum  Dichter  der  Wirklichkeit  und  sein  grosser  Ruhm  war 
schon  nicht  mehr  das  Resultat  des  ästhetischen  Geschmackes  allein, 
sondern  auch  einer  gewaltigen  öffentlichen  Wirkung  .  .  .  Wenn  wir  die 
weitere  Entwickelung  der  russischen  Literatur  verfolgen,  so  erscheint  uns 
klar  und  deutlich,  dass  die  Vorliebe  dieser  Literatur  für  die  Darstellung 
der  inneren  Vorgänge  seines  eigenen  Lebens  und  für  die  Darstellung 
öffentlicher  Erscheinungen,  für  die  Verurtheilung  der  socialen  Lüge  und 
das  Suchen  nach  dem  sittlichen  Ideal,  dass  alle  diese  Lebensstrebnngen 
der  Gesellschaft  —  auf  dem  rein  künstlerischen  Gebiete  vor  allem  auf 
Gogol  zurückgehen.  So  entstand  das  erste  Werk  Dostojevskij's  »Elende 
Menschen«  unter  dem  sichtbaren  Einflüsse  des  Gogol'schen  «Mantels«  ; 
ebenso  erinnern  seine  Helden,  die  das  innere  Gleichgewicht  verloren 
haben  (»Hausmeister«  u.a.)  an  die  »Aufzeichnungen  eines  Irrsinnigen«: 
die  sogenannte  »naturalistische«  Schule  der  Vierziger  Jahre  leitete  sich 
schon  damals  von  den  Eingebungen  Gogol's  ab.  Die  ganze  Färbung 
der  darauffolgenden,  auf  das  Studium  der  öffentlichen  Erscheinungen 
gerichteten  Literatur  zeugt  vom  moralischen  Einflüsse  Gogol's  .  .  . 

Man  kennt  den  schweren  inneren  Kampf,  den  Gogol  in  seinen 
letzten  Jahren  durchlebte,  nach  dem  wahren  Sinne  der  Kunst  forschend. 
Sein  Geist  war  nicht  im  Stande,  die  Aufgaben,  die  er  sich  stellte,  zu 
lösen;  unzufrieden  damit,  was  er  bisher  geschaffen  hatte,  kam  er  dazu, 
seine  früheren  grossen  Schöpfungen,  sein  »Lachen«,  das  er  früher  so 
beredt  zu  vertheidigen  wusste,  zu  verdammen;  er  gerieth  in  einen  ver- 
hängnissvollen Widerspruch  mit  sich  selbst  und  in  öffentliche  und 
traurige  Verirrungen,  die  (nach  dem  Erscheinen  der  »Ausgewählten 
Stellen«)  einen  heftigen  Unwillen  unter  den  begeisterten  Verehrern 
seiner  früheren  Werke  hervorriefen,  —  aber  mitten  in  diesem  be- 
dauernswürdigen Irrthum,  der  für  ihn  eine  wahrhaft  tragische  Bedeu- 
tung gewann,  blieb  ihm  dennoch  ein  Zug,  welcher  entwaffnete  und  ver- 
söhnte :  dieses  —  Preisen  der  Kunst,  das  in  ihm  die  Form  eines  reli- 
giösen Gottesdienstes  annahm. 

Unter  den  schwierigen  äusseren  Umständen,  in  welchen  sich  die 
russische  Literatur  infolge  des  ihr  von  der  Geschichte  zu  Theil  gewor- 
denen Geschickes  befindet,  kam  sie  in  den  bedeutendsten  Momenten  ihrer 

Archiv  für  slavische  Philologie.    XXV.  20 


;i06  A.  N.  Pypin, 

Entwickelung  ihrer  hohen  moralischen  Aufgabe  thatsächlich  voll  nach. 
In  der  auf  Gogol  folgenden  Periode  zeigte  die  russische  Literatur  einen 
seltenen  Reichthum  hoher  Talente,  die  eigens  dafür  aufgetreten  zu  sein 
schienen,  um  das  theuere  Vermächtuiss  Piiskin's  und  Gogol's  zu  er- 
füllen; Arbeiter  stellten  sich  ein,  nachdem  vorher  das  Ziel  klargelegt 
worden  war. 

Das  waren  mächtige,  originelle  Talente;  ein  jeder  Schriftsteller 
ging  seine  eigenen  Wege,  jeder  brachte  in  die  Literatur  seine  eigenen 
künstlerischen  Eigenthümlichkeiten ,  doch  alle  beseelten  dieselben  ge- 
meinsamen idealen  Bestrebungen,  diejenigen,  die  heute  in  den  Litera- 
turen Westeuropas  Bewunderung  und  Sympathien  hervorrufen.  Die 
westlichen  Kritiker  scheinen  hier  vor  der  »slavischen  Seele«  zu  stehen, 
es  schweben  ihnen  die  «Skythen«  vor:  indess  ist  dies  einfach  nichts 
anderes,  als  das  Resultat  der  inneren  Geistesarbeit  der  besten  Kräfte 
des  russischen  Volkes.  Diese  Arbeit  fand  ihren  Ausdruck  in  der  Lite- 
ratur, in  welcher  ein  langes  Suchen  des  sittlichen  Gefühles  und  der 
künstlerischen  Thätigkeit  mit  allgemein  menschlichen,  theilweise  von 
Europa  beeinflussten,  im  Ganzen  aber  in  eigener  Arbeit  entwickelten 
Kulturidealen  innige  Verbindung  einging,  wozu  sich  noch  die  herzliche, 
menschliche  Nähe  zu  seinem  Volke  hinzugesellte.  Die  Arbeit  war  schwer, 
verlangte  nicht  selten  wahrhafte  Selbstaufopferung.  Daraus  allein  aber 
konnten  schliesslich  jene  erhabenen  Schöpfungen  hervorgehen,  die 
sich  so  sehr  durch  einen  warmen  Idealismus,  durch  das  Suchen  der 
Wahrheit  und  staunenswerthe  künstlerische  Einfachheit  auszeichnen. 
Das  eine  wurde  durch  eine  langandauernde  sittliche  Thätigkeit  der  Ge- 
sellschaft, das  andere  durch  eine  langandauernde  liebende  Beziehung 
zum  Volke  erreicht.  Und  der  Löwenantheil  in  dieser  bedeutungsvollen 
Bewegung  fiel  dem  vielgeprüften  Gogol  zu. 

St.  Petersburg.  A.  N.  Pypin. 


307 


Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  südslavischeii 
Wanderungen. 


Einige  in  der  letzten  Zeit  er- 
schienene Arbeiten,  welche  die 
Ausbreitung  der  Slaven  nach  den 
Balkanländern  behandeln,  stim- 
men mit  den  älteren  Ansichten 
Mülienhoff's  oder  Rössler's  nicht 
nur  in  dem  Punkte  überein,  dass 
sie  den  Uebergang  der  Slaven  in 
das  alte  Moesien  erst  in  das  VI. 
Jahrh.  hinaufrücken,  sondern  auch 
überhaupt  deren  Erscheinen  an 
der  unteren  Donau  vor  dem  V. 
Jahrb.  nicht  anerkennen  wollen  '). 
Und  Herr  Radonic  äusserte  sich 
vor  kurzem  in  einem  sonst  sehr 
lesenswerthen,  gegen  A.  Vasiljev 
gerichteten  Aufsatze  in  folgendem 
Sinne:  KpajeM  V.  n  noyexKOM 
VI.  BBKa  jeAHiiii  onacHH  nenpiija- 
TeAHEnsaHTBJe  iia  Sana^y  oexy  Xynn  n  Eyrapn,  a  Cjioceiin  öexy  jom 
npH-iH^iiio  y^aibeHH  na  Ceßepy  o;i;  rpaimi^e  BHsaHTHJcKe  HMnepnje,  tb 
Hx  c  Tora  H  He  bhahmo  y  pejonnMa  EiiTH.iHJaHOBe  BojcKe  a  c  Tora  ee 
OHH  HHKaKO  II  HB  Mopy  saMiiui.LaTii  noj  Mapue.iHiiOBiiM  reTnMa«2). 

1)  S.  z.B.  Smirnov  OiepKii  kv-ibt.  hct.  io>kiiuxx  C'jiaBain..  Kasaiir.  1900. 
1.62,80;  Kos  Izv.  mus.  dr. za  Kninjsko  1898,  55  ff.;  Pogodin  Hsi.  ucr. 
cjaB.  nepejiB.  Cn6.  1901,  50;  Klaic  Povjest  Hrvata  I.  1S99,  26.  Rü ssler 
schrieb  (Ueber  den  Zeitpunkt  der  slav.  Ansiedelung  auf  der  unteren  Donau. 
Sitzungsber.  Akad.  Wien  1S73.  84  ,  dass  erst  der  Sturz  des  Hunnenreiches  im 
J.  453  den  Slaven  den  Anstoss  zur  Ausbreitung  gegen  die  Donau  gab,  und 
Müllenhoff  sagt  (DA.  II.  89  ,  dass  die  Slaven  während  der  Regierung  der 
Goten  im  Süden  Russlands  noch  nicht  bis  an  die  Donau  reichten.  Vergl.  dazu 
S.  375  fif. 

~)  Im  Aufsatze  «Ko  cy  Texu  y  xpommu  KOMeca  MapucjiJiiiiia?«  (Fjiac  cpn. 
Akeä.  LX.  213;. 

20* 


^^^U»r//Ut<)^^'M^ 


308  L.  Niederle, 

Mit  dieser  Ansicht  kann  ich  mich  nicht  einverstanden  erklären. 
Die  Reaktion  gegen  die  alte  Theorie  Drinov's  scheint  mir  doch  zu  weit 
zu  gehen,  besonders  wenn  man  sich  auf  den  Standpunkt  des  H.  Radonic 
stellen  sollte,  welcher  von  dem  unmöglichen  Rössler'schen  Standpunkte 
wenig  abweicht.  Ich  bin  anderer  Meinung  betreffs  des  Zeitpunktes,  seit 
dem  man  mit  den  Slaven  an  der  unteren  Donau  rechnen  muss  und  in 
welchem  man  auch  ihr  Vordringen  nach  dem  Süden  annehmen  kann. 
Und  ganz  oflfen  gesagt:  ich  begreife  überhaupt  nicht,  wie  man  dies  auf 
Grund  geschichtlicher  Quellen  leugnen  könnte.  Die  Sache  verhält  sich 
meiner  Ansicht  nach  wie  folgt. 

Zuerst  ist  nicht  nur  wahrscheinlich,  sondern  beinahe  gewiss,  dass 
wir  schon  in  der  ersten  römischen  Kaiserzeit  in  Ungarn  einige  slavische 
topographische  Namen  antreflfen,  die  uns  bezeugen,  dass  dort  die  Slaven 
schon  damals  festen  Fuss  gefasst  hatten.  Hierher  gehören  die  Namen 
Tsierna  —  Jieqva^  Berzobis  —  Berzovia,  Ulcus  —  OvolKog,  später 
der  (.isöog  der  Bevölkerung,  welche  dem  Attila  unterthan  war  etc. 
Auch  die  Slavinität  einiger  Stämme  nördlichen  Ursprungs,  z.  B.  der 
Costoboci  oder  Lugii,  die  im  II.  Jahrh.  in  Dacien  und  Ober-Moesien  er- 
scheinen, ist  sehr  wahrscheinlich.  Dazu  kommen  noch  andere  Gründe 
archäologischer  Natur  (z.  B.  die  vielversprechenden  Hypothesen  Bien- 
kowski's,  die  Anwesenheit  der  sogen,  schlesischen  Gräber  in  Ungarn 
u.  s.w.).  Auf  Grund  dieser  Thatsachen  i)  stelle  ich  mir  vor,  dass  die  Slaven 
schon  sehr  früh  über  die  Karpathen  vorgedrungen  sind  und  längs  des 
Laufes  einiger  Flüsse  keilartig  in  den  fremden  Körper  eindrangen  und 
slavische  Inseln  in  den  Ebenen  und  Gebirgen  Ungarns  bildeten.  Ins- 
besondere stelle  ich  mir  vor,  dass  sie  einige  Flussgebiete  der  heutigen 
Slowakei  einnahmen,  und  dass  ein  derartiger  Keil  sehr  zeitig  längs  der 
Donau  und  der  Theiss  in  das  obere  Moesien  weiter  vordrang,  so  dass 
wir  dort  in  der  römischen  Kaiserzeit  eine  bedeutende  Slaveninsel  von 
Sarmaten  und  Dakern  umringt  annehmen  müssen.  Aber  abgesehen 
von  dem  mehr  oder  weniger  verlässlichen  Materiale. 
welches  in  die  ersten  Jahrhunderte  nach  Chr.  gehört,  halte  ich  auf 
Grund  historischer  Thatsachen  nicht  nur  für  bewiesen,  dass  die  Slaven 
im  III. — IV.  Jahrh.  an  der  Donau  sassen,  sondern  auch  für  sehr  wahr- 


1)  Ich  werde  sie  im  zweiten  Bande  meiner  Slaw.  Alterthümer  ausführ- 

y  V 

lieh  behandeln.    Ueber  die  Kostoboker  siehe  meinen  Aufsatz  im  Oes.  Gas. 
Eist.  1903. 


Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  siidslavischen  Wanderungen.        309 

scbeiülich,  dass  sie  schon  wenigstens  Ende  dieses  Jahrhunderts  den 
FIuss  überschritten  hatten,  —  also  zwei  Thesen,  welche  allerdings  von 
der  Meinung  des  H.  Radonic  oder  Smirnov's  weit  entfernt  sind. 

Die  erste  These  wird  durch  die  Tabula  Peutingeriana  bewiesen 
und  klargelegt  ^j.  Auf  dieser  Karte,  deren  letzte  Redaction  spätestens 
in  das  IV.  Jahrh.  zu  versetzen  ist,  erscheinen  die  Slaven  zweimal : 
1)  als  VENADI  SARMATAE  inDacien  zwischen  der  Stsiüou  Ad  Aquas 
und  dem  Karpathengebirge  und  2)  als  VENEDI  in  der  Nähe  der  Donau- 
mflndungen.  Danach  sassen  also  die  Slaven,  welche  die  älteren  Schrift- 
steller noch  oberhalb  der  Karpathen  verlegten  (Plinius,  Tacitus,  Ptole- 
maios)  in  der  Nähe  der  Donau  und  wir  haben  keinen  Grund,  sie  von 
hier  im  III.— IV.  Jahrh.  zu  entfernen.  Die  LYPIONES  SARMATE 
östlich  von  Temes,  die  Namen  Tierna,  Bersovia  liefern  nur  weiteres  Be- 
weismaterial dazu. 

Das  Versetzen  der  Peutingerischen  Tafel  in  das  UI. — IV.  Jahrh. 
scheint  mir  unstreitig  zu  sein,  wenn  wir  das  Ganze  und  nicht  die  Einzel- 
heiten betrachten.  Das  Ganze  ist  entscheidend,  nicht  die  Einzelheiten, 
welche  von  der  Hand  eines  späteren  Kopisten  stammen  können.  Ein 
späterer  Kopist  konnte  leicht  einen  Namen  in  der  Weise  korrigiren, 
wie  man  ihn  zu  seiner  Zeit  aussprach,  er  konnte  leicht  die  Karte  mit 
einem  christlichen  Embleme,  oder  mit  einer  neuen  geographischen  Le- 
gende versehen.  Deshalb  soll  nicht  ein  einzelnes  Zeichen,  sondern  deren 
Summe  die  Zeitstellung  bestimmen,  und  von  diesem  Gesichtspunkte  aus 
kann,  so  glaube  ich,  nicht  strittig  sein,  dass  das  Original  nicht  jünger 
ist  als  aus  dem  Ende  des  IV.  Jahrh.  Wann  dasselbe  aber  vor  diesem 
Termine  entstand,  ist  schwer  zu  sagen.  Miller  entschliesst  sich  auf 
Grund  einer  zwar  gründlichen  Analyse  der  Karte  für  das  Jahr  366  2), 
aber  ich  möchte  in  seiner  Untersuchung  noch  Verschiedenes  entbehren, 
z.  B.  das  tiefere  Eindringen  in  die  ethnographischen  Verhältnisse,  wel- 
che mir  eher  eine  ältere  Datirung  nahelegen  würden.  Auf  mich  macht 
die  Karte  d»n  Eindruck,  dass  zwar  das  Original  der  Wiener  Kopie  im 
IV.  Jahrh.  entstand,  wie  einige  Namen  bezeugen,  insbesondere  die  Be- 


2)  Der  Traetat  des  Kaisarios  von  Nazianz  spricht  zwar  auch  von  den 
Slaven  an  der  Dapau  {ly./i.avf]i'oi  xa't  (Pvotoyliai  ol  x(d  ^ai'ovßtoi  nqoaayo- 
()Bvuutyoi],  aber  ich  führe  ihn  deshalb  nicht  an,  weil  seine  Datirung  in  das 
IV.  Jahrh.  noch  nicht  genügend  erwiesen  ist. 

2)  K.Miller.  Die  Weltkarte  des  Castorius.  Ravensburg  1888.  53.  Vergl. 
dazu  die  Kritik  Hirschfeld's  Berl.  phil.  Woch.  1888.  632. 


310  L.  Niederle, 

Zeichnung  Konstantiaopolis,  die  drei  kaiserlichen  Residenzen  u.  s.  w.  i), 
dass  aber  dabei  dieses  Original  nichts  Anderes  war,  als  eine  Kopie  einer 
Karte,  die  noch  früher,  etwa  am  Ende  des  III.  Jalirh.  entstand,  und 
erst  später  mit  Legenden  und  Vignetten  aus  der  nachlionstantinischen 
Zeit  versehen  wurde. 

Dem  III.  Jahrh.  gehört  insbesondere  das  ethnographi- 
sche Bild  der  Donauländer  an,  und  nicht  dem  IV.  Jahrh.  So 
finden  wir  hier  die  Buren  (BÜR)  noch  in  Oberungarn,  die  Lugier 
(LUPIONES  SARMATE)  im  südlichen  Ungarn,  und  was  die  Hauptsache 
ist:  das  Nomadenvolk  der  sarmatischen  Jazyger  (SARMATE  VAGI  und 
SARMATE  AMAXOBII),  welches  erst  Kaiser  Konstantin  im  J.334  nach 
dem  Süden  der  Donau  übersiedelte  2),  sitzt  noch  zwischen  der  Donau  und 
der  Theiss  südlich  von  Acqincum.  Ebenso  stehen  auch  die  Legenden 
ALAMANNIA,  MARCOMANNI,  QVADI,  VANDVLI,  IVTVGI  (=  Ju- 
thiingi)  nicht  der  Versetzung  in  das  III.  Jahrh.  entgegen  3)  und  auch  die 
PITI,  in  welchen  ich  mit  Sicherheit  die  Ge-piti^  Gepidi  erblicke  und 
nicht  wie  MtillenhofT  die  Tyrigeteu  oder  Gethe-Githen  (DA.  III.  218), 
oder  Tomaschek  die  »picti  Geti«  (Die  Thraker  I.  108),  drangen  schon 
um  das  Jahr  250  bis  zu  den  Karpathen  vor  und  besiedelten  zugleich 
mit  den  Goten  nach  dem  Jahre  275  Dacien.  Der  Name  der  alten  Daken 
DAGAE  ist  hier  nur  als  geographischer  Terminus  angeführt.  In  dem 
Namen  GAETE  sehe  ich  entweder  die  alten  Geten,  deren  Bezeichnung 
sich  bei  den  gleichzeitigen  Schriftstellern  in  geographischem  Sinne  fort- 
während erhielt  (s.  z.  B.  omnes  getici  populi  bei  Vopiscus  v.  Probi  16  . 
oder  bedeutet  derselbe  die  germanischen  Goten,  wofür  namentlich  wieder 
der  Umstand  sprechen  würde,  dass  es  nach  dem  J.  238  ganz  eigenthüm- 
lich  wäre,  wenn  ein  römischer  Karthograph  hinter  der  Donau  nicht  den 
damaligen  grössten  Feind  der  Römer  angeführt  hätte.  Im  übrigen  wird 
bereits  zur  Zeit  Caracalla's  der  Name  Goti  mit  Geti  verwechselt*). 
Kurz,  die  ethnographischen  Verhältnisse  weisen  eher  auf  das  III.  Jahrh.. 
als  auf  das  J.  36B  hin,  und  wir  tbun  daher  am  besten,  wenn  wir  aner- 
kennen, dass  die  im  III.  Jahrh.  verfertigte  Karte  (freilich  auf  Grund 
eines  noch  älteren  Archetypus)  jemand  im  IV.  Jahrb.  bearbeitet,  mit 
neuen  Daten  und  Vignetten  ergänzt  hat,   und   dass   die  Kopie   dieser 


1)  Miller  1.  c.  -iS  sl. 

2)  Anon.  Valesianus  6,  Hieron.  Chron.  ad  an.  334  etc. 

3)  Vergl.  Müllenhoff  DA.  III,  i^76. 
*)  Ib.  III,  162. 


Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  südslavischen  Wanderuiifren.         Hl  1 

letzten  Redaktion  uns  erhalten  ist.  Dass  aber  unseres  Original  nicht  vor 
dem  Jahre  22(i  entstehen  konnte,  erhellt  daraus,  dass  hier  schon  das 
neue,  in  demselben  Jahre  gegründete  Perserreicli  der  Sasaniden  ver- 
zeichnet ist  1). 

Wenn  aber  nun  neben  den  angeführten,  ethnograpliischen  Namen 
auch  die  Slaven  verzeichnet  erscheinen  unter  dem  Namen  der  >Sar?na- 
fae-  Ve?iadi  (offenbar  die  gleichzeitigen  Sarmaiarum  servi  des  Anony- 
mus Valesianus  6.  ed.  Mommsen,  oder  S.  Limiganfes  des  Hieronymus 
Chronica  ad  334,  oder  ^auQouuTtov  öovkot  des  Eusebios  Vita  Cou- 
stantini  IV.  6)  und  der  Venedi,  so  unterliegt  es  keinem  Zweifel,  dass 
wir  es  hier  mit  einer  glaubwürdigen  Urkunde  zu  thun  haben,  woruach 
die  Slaven  bereits  im  III.  Jahrh.  im  unteren  Ungarn,  in  Siebenbürgen 
und  an  der  unteren  Donau  sesshaft  waren. 

Was  die  zweite  These  anbelangt,  dass  die  Slaven  höchst  wahr- 
scheinlich und  spätestens  am  Ende  des  IV.  Jahrh.  die  Donau  überschrit- 
ten hatten  und  sich  in  Moesien  anzusiedeln  begannen,  so  stütze  ich  mich 
diesbezüglich  auf  folgenden  Gedankengang. 

Unter  den  Verhältnissen,  unter  welchen  diese  Slaven  im  Laufe  des 
IV.  Jahrh,  sich  befanden,  wäre  es  fürwahr  nichts  absonderliches,  wenn 
sie  auch  thätig  an  den  Einfällen  betheiligt  gewesen  wären,  welche  schon 
vom  J.  238  an  die  Goten,  die  Bastarnen  und  andere  Germanen,  später 
auch  die  Hunnen  und  Bulgaren  in  das  römische  Reich  unternahmen. 
Die  Slaven  sassen  unmittelbar  an  der  Donau  und  eben  an  ihnen  vorbei 
und  durch  ihr  Gebiet  wurden  die  Einfälle  der  genannten  Stämme  nach- 
einander ausgeführt;  es  ist  gewiss  schon  a  priori  wahrscheinlich,  dass 
die  Slaven  hierbei  nicht  ruhig  blieben,  dass  sie  nicht  un thätig  diesen 
kriegerischen  Einfällen  zusahen,  sondern  dass  sie  selbst  an  ihnen  theil- 
nahmen.  Und  als  die  Goten  im  J.  376  von  den  Hunnen  eiue  entschiedene 
Niederlage  erlitten,  welche  ihrer  Herrschaft  in  Russland  ein  Ende 
machte  und  sie  zu  einem  vollständigen  Zurückweichen  einestheils  in 
westlicher  Richtung  nach  Dacien,  anderentheils  nach  dem  Balkane  zu 
nöthigte,  da  geschah  es  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  abermals,  dass 
von  diesem  massenhaften  Strome  auch  die  slavischen  Donaustämme 
mitgerissen  wurden ;  es  wäre  so  die  Kombination,  nach  der  diese  Slaven 


1)  Den  eigentlichen  Grundstock  der  Karte  setzte  neuerdings  0.  Cuntz 
zum  Jahre  170  n.Chr.  fHermes  1894,  586),  und  L.  Schmidt  in  die  Zeit  vor 
dem  markomannischen  Kriege  (Gesch.  der  Vandalen.  Leipzig  1901,  10). 


312  L.  Niederle, 

schon  um  diese  Zeit  die  Donau  überschritten  und  unter  dem  Andränge 
der  Goten  weiter  südwärts  vorrückten,  an  und  für  sich  nicht  unwahr- 
scheinlich. Das  hat  auch  A.  Vasiljev  richtig  bemerkt.  Es  käme  nur 
darauf  an,  noch  Bestätigungen  in  den  Quellen  aufzufinden. 

Eine  solche  Bestätigung  finde  ich  —  abgesehen  von  all'  den  Fällen, 
wo  wir  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  unter  verschiedenen  Namen  der 
stidrussischen  Barbaren  auch  Slaven  vermuthen  können,  —  in  einer 
Quelle,  welche  zwar  etwas  entlegen,  aber  doch  der  Art  ist,  dass  wir  sie 
mit  vollem  Rechte  berücksichtigen  müssen. 

Dem  Vater  der  armenischen  Historiographie,  Moses  von  Chorene. 
wird  von  mancher  Seite  ein  geographischer  Traktat  zugeschrieben, 
welcher  hauptsächlich  auf  der  verlorenen  Geographie  des  Pappos  von 
Alexandrien  (IV.  Jahrh.)  fusst,  und  dadurch  indirekt  das  Werk  des 
Ptolemaios  zur  Grundlage  hat ;  doch  ist  er  nicht  eine  blosse  Abschrift 
dieser  Werke,  Man  findet  dort  verschiedene  Zusätze  und  besonders 
Armenien  mit  Persien  sind  selbständig  beschrieben.  Auch  sieht  man. 
dass  der  ursprüngliche  Text  vielfach  von  späteren  Abschreibern  inter- 
polirt  wurde,  denn  die  verschiedenen,  uns  erhaltenen  Handschriften 
gehen  manchmal  sehr  weit  auseinander  und  bei  dem  heutigen  Stande 
der  Textkritik,  sowie  der  Beschaffenheit  der  einzelnen  Ausgaben  können 
wir  nicht  gut  feststellen,  was  dem  Originale  und  was  den  späteren  Ab- 
schreibern angehört.  Nichtsdestoweniger  hat  man  kein  Recht,  eine 
Nachricht,  die  sich  in  einer  completteren  Handschrift  befindet,  in  einer 
anderen  aber  fehlt,  eo  ipso  zu  verwerfen,  besonders  wenn  sie  mit  den 
von  anderswo  bekannten  Thatsachen  im  Einklang  steht. 

Und  eine  derartige  Nachricht  bringt  auf  einmal  die  gotische  Ge- 
schichte mit  der  südslavischen  Wandenmg  in  Zusammenhang.  Auf  der 
Stelle  nämlich,  wo  mit  der  Beschreibung  von  Thrakien  begonnen  wird, 
las  man  in  den  älteren,  früher  bekannten  Handschriften  folgenden 
Passus  ^) : 

»OpaKifl  K't  BOCTOKy  oxt  ^aJMai];iH,  pa^OMt  et  CapMaTieä,  HMiext 
naxb  HeöojtniHX'E  h  o^ny  öojitmyio  oöjiacTi  st  KOTopoä  sKHByTi  25 
cjraBKHCKHX'B  (Sklavajin)  napoAOB'B.  Hxx  M^cxa  saHüJiH  Toxti  (Goudkh). 
öpaKin  3aK.iH)qaexi,  b'B  ce6'6  roptT.  piKH,  ropo^a,  osepa  h  ctoäviisj  — 

C^aCTJIHBLIH  K0HCXaHXHH0n0jrL((. 


1)  Nach  der  russischen  Uebersetzung  von  Patkanov  im  aCMHII.  1883. 
Nr.  226,  S.  25. 


Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  südslavischen  Wanderungen.         313 

Dagegen  heisst  diese  Stelle  in  einem  neueren,  weit  vollständigeren 
Codex,  welcher  im  Jahre  ISSl  in  Venedig  entdeckt  und  desselben  Jahres 
von  Sucvi  veröffentlicht  wurde,  in  der  russischen  Uebersetzung  Patka- 
nov's  folgendermassen : 

»^ecHTaa  crpaiia  Enponti,  öpaKia,  .leaciiTi.  kx  BOCTOKy  ort  ^a.i- 
Mai;iH,  pflAOMt  ci.  CapMaTieii,  iiamniaa  ot-l  piicn  Tapoca  h  ao  A^nvöa. 
Bt  HBH  nflTb  oö.iacTeH  h  eme  expana  BepuMycB  h  /^ap^anifl  cb  le- 
TbiptMH  ropoAaMH.  Ha  K>ri  Haxo,i,HTCH  CoöcTBenHaa  OpaKin  a  Kh  ci- 
Bepy  BBJHKaa  cTpana  ^araa,  bx  KOTopoil  jkhbj'f'b  C.iaBLi  —  25  napo- 
äobx.  Miexa  iixi.  Boiliioil  saHHJiH  roxti,  npiiÖtiBmie  inx  ocxpoBa 
CKanin,  Ha3i>iBaeMoi1  repMancKUMt  reMiycoMT..  Ho  CK.iaBU  nepeÜAfl 
piKy  ^anaii,  saiiHJiii  ceß'fe  Apyryio  o6.iaexi>  Bt  ÖpaKiii  ii  ^NlaKBAOHin  ii 
npouiJiH  Bt  Axaiio  ii  ^a.iMai],iK)  efc.  i). 

Diese  Stelle  bemerkte  schon  Westberg,  als  er  gegen  Patkauov  den 
Flussnamen  Taros  für  Drina  und  nicht  für  Tyras  erklärte  ~),  aber  ver- 
werthet  hat  sie  für  die  slavische  Geschichte  meines  Wissens  niemand. 

In  diesem  Bericht  liegt  uns  ein  direktes  Zeugniss  vor  Augen,  dass 
die  Goten  vom  Norden  kommend  und  mit  Waffen  in  der  Hand,  eine 
Reihe  von  slavischen  Stämmen,  die  vor  ihnen  in  Dacien  sassen,  über  die 
Donau  gedrängt  haben,  worauf  sich  die  Slaven  in  Thrakien  und  noch 
südlicher  niedergelassen  hatten.  Im  Hinblicke  auf  dasjenige,  was  wir 
nun  einerseits  über  die  Eroberungen  der  Goten  in  Dacien,  welches  schon 
seit  dem  J.  256  sich  faktisch  in  ihrer  Macht  befand  und  im  J.  275  auch 
nominell  vom  Kaiser  Aurelian  diesen  Barbai'en  überlassen  wurde  3),  und 
anderseits  von  der  dortigen  Ansiedelung  der  Slaven  im  Laufe  des  III. — 
IV.  Jahrh.  auf  Grund  der  Peutingerischen  Tafel  wissen,  haben  wir  ge- 
wiss keinen  Grund,  diesen  hochinteressanten  Bericht  des  armenischen 
Geographen  unberücksichtigt  zu  lassen.  Ich  wenigstens  betrachte  den- 
selben mit  voller  Ueberzeugung  als  eine  sehr  wichtige  Machricht  zur 


ij  lieber  diese  neue  und  ältere  Redaktion  der  Geographie  siehe  den 
Aufsatz  K.Patkanov's  »Ilst  iioBaro  cnucica  rcorpa*lii  npunucuBacMoö  Mouceio 
XopeHCKOMy«  ;KMHII.  1S83.  Nr.  226,  S.  21  ff.  und  dessen  ältere  Schrift  »Ap- 
MflHCKaa  reorpa*i>i  VII.  BiKa  npunuciiBaBiuaacfl  M.  XopeucKOsiy  Cnö.  1877,  die 
ich  leider  nicht  zur  Einsicht  bekommen  konnte.  Vergl.  auch  Museon  IV. 
(Louvain  1882). 

2j  H3B.  AKaÄ.  HavKi.  T.  XI.  312. 

3)  So  datirt  neuestens  Rappaport  in  der  vorzüglichen  Schrift  »Die  Ein- 
fälle der  Goten  in  das  röm.  Reich  bis  auf  Constantiu.  (Leipzig  lS9^i  51  ff.,  9!.». 


314  L.  Niedeile,  !* 

siidslavischen  Geschichte,  welche  uns  den  Uebertritt  der  Slaven  über 
die  Donau  schon  in  das  III. — IV.  Jahrb.  hinaufrückt.  Nur  ist  schwer 
zu  entscheiden,  auf  welches  genauere  Datum  sich  diese  Nachricht  be- 
zieht: denn  man  kann  sie,  und  zwar  am  wahrscheinlichsten  mit  dem 
letzten  Einfall  der  Goten  im  J.  37  6  0".,  in  welchem  die  Goten  von  den 
Hunnen  aus  Südrussland  verdrängt  wurden,  verbinden  (vergl.  die  unten 
angeführte  Stelle  aus  Zosimos),  aber  es  ist  auch  nicht  unmöglich,  dass 
schon  frühere  Einfälle  der  Goten  in  Dacien  eine  Uebersiedelung  von 
älteren  Bewohnern  bewirkt  haben,  besonders  die  heftigen  Stürme  in  den 
Jahren  250  und  folgenden. 

Freilich  eins  ist  wahr:  der  Ursprung  und  die  Zeit,  in  welcher 
diese  armenische  Geographie  entstand,  sind  heutzutage  noch  nicht  klar. 
Es  ist  noch  nicht  erwiesen,  wann  sie  entstand,  ob  im  VII,  Jahrb.,  wie 
ihr  Herausgeber  Patkauov  und  auch  Gutschmid  annahmen,  oder  schon 
früher  im  V.,  denn  die  Lebenszeit  des  Moses  von  Chorene  ist  bisjetzt 
nicht  sichergestellt.  Ja  wir  wissen  sogar  nicht,  ob  sie  wirklich  dem 
Moses  angehört.  Patkanov  schreibt  sie  dem  armenischen  Mathematiker 
Ananius  Sirakaci  zu;  Kiepert  und  Sucri  dem  Moses,  und  beide  letzteren 
verlegen  sie  ins  V.  Jahrh.  ^).  Diese  Unsicherheit  verlangt  eine  gewisse 
Reserve  der  ganzen  Quelle  gegenüber.  Nichtsdestoweniger  glaube  ich, 
dass  die  Frage  über  den  Ursprung  und  die  Datirung  der  Geographie  für 
uns  eine  untergeordnete  bleibt.  Wenn  sich  auch  ergeben  würde,  dass 
das  Werk  nicht  dem  Moses  angehört,  dessen  Glaubwürdigkeit  heute 
nicht  bezweifelt  wird,  obgleich  er  in  der  älteren  Partie  seiner  Geschichte 
Apokryphen  benutzte  2],    so  könnten  wir  über   die  Verlässlichkeit  der 


1]  Patkanov  1.  c,  Gutschmid  Kl.  Schriften  III.  336,  Kiepert  Mo- 
natsber.  Berl.  Akad.  1873,  599. 

-)  Es  handelt  sich  da  besonders  um  die  Geschichte  des  Syrers  Mar- 
Abas-Katina,  deren  Glaubwürdigkeit  strittig  ist.  Vergl.  Cbalacjanc  G. 
Haia.ao  KpiiTuiecKaro  Hsy^eHia  Hcropiu  ApMCHiu  yKMHII.  1894.  Okt.  383  ff. 
Dem  Moses  selbst  wird  allgemein  Glauben  geschenkt,  so  von  Patkanov  l.c, 
Gutschmid  (Kl.  Schriften  III.  282,  331),  Cbalacjanc  (W.  Zs.  für  Kunde 
des  Morgenlandes  1893,22;,  Anninskij  (vergl.  unten).  Ueber  die  Datirung 
der  Lebenszeit  des  Moses  dauert  der  Streit  uunnterbrochen  fort.  Früher 
dachte  man  allgemein  an  das  V.  Jahrh.  trotz  verschiedener  Einwände,  so 
z.  B.  die  Gebrüder  Whistons,  Garagasian,  Gutschmid,  Sucri,  Kie- 
pert, dann  hat  sich  die  Datirung  zu  Gunsten  des  VII. — VIII.  Jahrh.  gewendet 
(zuerst  Gutschmid,  besonders  aber  im  J.  1893—94  Carriere  Nouvelles 
sources  de  Moise  de  Khoren,  Vieune  1893,  Supplement  dazu  1894,  und  Cha- 
lacjanc  aCMHII.  1.  c.  401).    In  der  neuesten  Zeit  kehrt  wieder  Alex.  An- 


Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  südslavischen  Wanderungen.         31  5 

oberen  Nachriebt  Zweifel  nur  daou  erheben,  wenn  sie  mit  anderen  Be- 
richten der  verlässlichen  Quellen  im  Widerspruche  wäre,  und  wenn  wir 
durch  andere  direkte  Quellen  sichergestellt  hätten,  dass  die  Slaven  un- 
möglich vor  dem  VI.  Jahrb.  die  Donau  übertreten  konnten.  Dem  ist 
aber  nicht  so.  Es  gibt  vor  allem  keine  direkte  Nachricht,  wornach  die 
Möglichkeit  der  früheren  Ankunft  ausgeschlossen  wäre,  zweitens  steht 
diese  Nachricht  im  Einklänge  mit  der  ganzen  Geschichte  der  Donau- 
länder und  erfährt  schliesslich  auch  eine  indirekte  Bestätigung  z.  B.  bei 
Zosimos  und  Lactantius. 

Erwägen  wir  nun,  dass  in  der  Zeit  der  ersten  Jahrhunderte  nai-h 

,  Chr.  eine  grosse  Bewegung  der  transkarpathiscben  Völker  die  Rich- 
tung nach  Süden   einschlug,    und    zwar   der  Völker   sowohl  von  der 

j  Weichsel  als  auch  vom  Dnepr.  Verschiedene  Volksstämme  drängen 
sich  mehr  oder  weniger  geräuschvoll  und  mehr  oder  weniger  eroberungs- 

I  süchtig  zur  unteren  Donau  und  über  die  Donau  auf  die  Balkauhalbinsel. 

i  Das  ist  ein  unstreitiges   und  bekanntes  Faktum.     Erwägen   wir   dann 

j  weiter,  dass  zur  Zeit  dieser  Bewegung  auch  Slaven  im  III. — IV.  Jahrb. 

j  im  südlichen  Dacien  in  Ober-Moesien  und  unweit  der  Mündung  in  Bes- 

I  sarabien  erscheinen  und  dass  auf  dieze  ganze  Strömung  plötzlich  mit 
Beginn  des  III.  Jahrb.  von  Osten  her  die  Anstürme  der  Goten  statt- 
fanden, und  dass  sogar  im  J.  376  der  grosse  Anprall  der  Hunnen  er- 
folgte und  die  Goten  mit  noch  nicht  dagewesener  Gewalt  vom  Schwarzen 
Meere  aufbrechen  und  schnell  zur  Donau  und  hinter  die  schützenden 
Gebirge  Daciens  zurückweichen.  Sehen  wir  also,  wie  die  ganze  gewal- 
tige von  Norden  nacli  Süden  stattfindende  Bewegung  durch  diese  seit- 
lichen Anstürme  noch  bestärkt  wurde  und  wie  die  Goten  mit  voller  Ge- 
walt Dacien  okkupiren  und  sich  über  die  Donau  nach  Nieder-Moesien 
werfen,  —  dann  müssen  wir  die  Nachricht,  dass  sie  dabei  auch  die 
transdanubischen  Slaven  mit  s4ch  gerissen  haben,  als  natürlich  und 
glaubwürdig  anerkennen.  Und  dies  umsomehr,  als  die  Nachricht  des 
armenischen  Geographen  nicht  ganz  vereinzelt  dasteht.  Auch  andere 
Nachrichten  besitzen  wir,  welche  diesen  Bericht  bekräftigen,  nur  dass 
dies  indirekte  Nachrichten  sind,  welche  nicht  die  Namen  der  Slaven  an- 
führen.   Lesen  wir  z.  B.  bei  Lactantius  von  einem  nicht  näher  bezeich- 


ninskij  zu  den  Jahren  340  bis  Mitte  des  VI.  Jahrb.  zurück  (ilpeBHbie  apMHu- 
CKie  HCTopuKu  KaK-t  ucTop.  UCT01UHKK.  Odcssa  1S99.  Vergl.  das  Referat  von 
Sokolov  in  Bus.  BpcM.  1900.  505  . 


316     L-  Niederle,  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  südslav.  Wanderungen. 

neten  Stamme,  welcher  von  den  Goten  aus  seinen  Sitzen  verdrängt 
wurde  und  sich  lieber  dem  Maximian  als  den  barbarischen  Goten  unter- 
warft), oder  lesen  wir  bei  Zosimos,  dass  nebst  den  Goten  und  Taifalen 
noch  viele  andere  Stämme  gezwungen  Avaren,  den  Istros  zu  überschrei- 
ten, und  dass  diese  Stämme  Thrakien  besiedelten'-),  und  vergleichen 
wir  hiermit  den  oben  angeführten  Text  des  armenischen  Geographen. 
so  muss  doch  schliesslich  anerkannt  werden,  dass  diese  Nachricht  ihrem 
Inhalte  nach  eine  derartige  ist,  dass  ihre  Glaubwürdigkeit  füglich  nicht 
angezweifelt  werden  sollte. 

Wenn  ich  hierbei  noch  irgendwelche  Zweifel  hege,  so  betreflen 
dieselben  nur  die  Person  des  Autors,  keineswegs  aber  den  Inhalt  der 
Nachricht.  Ablassen  könnte  ich  von  dieser  Ansicht  nur  dann,  wenn 
bewiesen  würde,  dass  unsere  Voraussetzung  betreffend  die  Existenz  der 
Slaven  in  Dacien  und  an  der  Donau  im  III. — IV.  Jahrh.  nicht  richtig 
ist,  und  dass  der  Anprall  der  Goten  diese  Slaven  nicht  erreichte. 


^)  Lactantius  de  mortibus  persecutorum  38:  «ex  gente  eoruni,  qui  aGo- 
this  terris  suis  pulsi  Maximiano  se  tradiderunt,  malo  generis  humani,  ut  illi 
barbaram  servitutem  fugientes,  in  Romanos  dorn!  narentur«. 

-)  Zos.  IV.  25.  nXrd-ov  de  noXXov  rw»/  vnso  Thvlaxqov  ^xv&tJiy,  r6x9-(av 
'Aeyu)  y.cu  TctKpu'kwv  xccl  San  xovxoig  i]v  ofxo&iaixa  n qöx eqov  td-yr;, 
7iEQ(xi(ad-ii'X(oi'  xccl  xtils  i'Tio  TTjf'Pw/ucciMf  (iQxh*'  ovaais  7i6?.S(Ji  it'oxXsly  auay- 
xtt^ofxifwy  cFt«  xo  nlTjd^os  Ovi't^wf  xh  71«q'  avxojy  oixovuefci  xttxaa%ely,  o  (j,iv 
ßctaiXBi's  Oeoöoaioff  ff  nöXzfiov  nayaxQcniö:  nccoeaxevd^exo'  näar^s  öi  xr;; 
(-foifXT];  r  71  o  X  (ö  y  ei  qj]  a  iv  oi  i'  s  d-  y  w  y  /;  (f  77  xaxe  l'It;  fj.  u  i  yt}  g  .  .  .  . 

L.  Niederle. 


317 


Kritischer  Anzeiger. 


M.  Zdziechowski.  Odrodzenie  Cborwacvi  w  wieku  XIX  (lUiryzm. 
Stanko  Vraz.  Ivan  Mazuranic.   Piotr  Preradovic).    W  Krakowie 

1902.  so.  217. 


-*i^r  ,      tC^O  <5#-6»  c-«/^«*«  ^C(} 


Im  geistigen  Leben  der  Siidslaven,  vor 
allem  der  Kroaten,  während  des  XIX.  Jahrh. 
liefert  der  lUyrismus  ein  solches  Bild,  bei 
welchem  das  Auge  des  Geschichtsschreibers 
und  Literaturhistorikers  mit  Vorliebe  ver- 
weilt. Man  kann  eigentlich  von  mehreren 
Illyrismen  sprechen,  die  zu  verschiedenen 
Zeiten  in  verschiedener  Weise  auf  ein  be- 
stimmtes Ziel  lossteuerten,  auf  die  bald  lite- 
rarische bald  politische  Vereinigung  mehrerer 
Splitter  zu  einem  Ganzen.  Im  XVII.  u. 
XVIII.  Jahrh.  machte  sich  das  Bestreben 
bemerkbar,  durch  die  Bevorzugung  des  sto- 
Dialektes  namentlich  des  bosnischen!  gegen- 
über dem  ca-Dialekt  den  damaligen  Büchern 
religiös -moralischen  Inhaltes  den  Stempel 
einer  grösseren  Verbreitungsfähigkeit  auf- 
zudrücken. Solche  Werke  segelten  unter 
der  Flagge  der  illyrischen  Sprache  und  ihren 
Ausgangspunkt  bildete  Rom  mit  seiner  Propaganda  iKasic,  Mikalja  u.  a.).  Zu 
Anfang  des  XIX.  Jahrh.  schuf  der  mächtige  Wille  Napoleon's  ein  politisches 
"Illyrien".  das  bekanntlich  in  anderen  Grenzen  seine  Schöpfung  überdauerte. 
Dieses  »lUyrien«  hatte  in  Ragusa  und  Laibach  seine  Centren.  Zuletzt  kam  in 
den  dreissiger  Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts  der  kroatische  Illyrismus 
auf,  der  von  Agram  aus  seine  Strahlen  ausbreitete.  Dieser  Illyrismus  machte 
durch  sein  Heraustreten  aus  dem  Rahmen  der  literar.  Bewegung  in  die  Arena 
des  politischen  Kampfes  grosses  Aufsehen  in  Europa,  er  entfesselte  eine 
reiche,  wenn  auch  zumeist  tendenziöse  Literatur  politischer  Schriften  und 
Broschüren.  Sein  literarischer  Hintergrund  jedoch,  mit  dem  sich  die  Fremden 
wenig  befassten,  weil  er  ihrem  Verständniss  zu  fern  lag,  blieb  den  einheimi- 
schen oder  wenigstens  slavischen  Literaturhistorikern  anheimgestellt.  Leider 
geschah  zu  Hause  selbst  für  die  Aufhellung  dieser  denkwürdigen  Epoche 
bisher  viel  zu  wenig.  Das  bedeutendste  findet  man  im  80.  Bande  des  »Rad« 
beisammen.  Eine  systematische  Geschichte  des  Illyrismus  geht  jedoch  der 
serbokroat.  Literatur  ab.  An  diese  Aufgabe,  in  den  Grenzen  der  literarischen 
Bewegung,  machte  sich  vor  mehreren  Jahren  ein  russischer  Slavist,  Professor 
Piaton  Kulakovskij  :  ILLinpiisMi..  HaciiiOBaHie  no  Hcxopiu  xopBaTCKoii  .iHTcpa- 
TypM  BoapoHueHlfl  (BapmaBa  1894,  8".  VIII.  411. 093,  vergl.  Archiv  XVII.  304  flf. 
und  meine  Besprechung  in  dem  »Oxqexi.  o  npucy>KjeHiH  npcMift  npo*.  Kotjh- 
peBCKaro  et.  1895  rojy.   SA.  in  StPtbg.  erschienen  auf  15  Seiten  80j.    Dj^g  um- 


318  Kritischer  Anzeiger.  i 

iangreiclie  Werk  erfüllt  zwar  nicht  alle  Bedingungen  einer  systematischen 
Geschichte  des  lUyrismus,  immerhin  ist  es  gut  zu  brauchen.    Jetzt  (also  nach 
S  Jahren)  gesellt  sich  zu  dem  russischen  ein  polnischer  Gelehrter  mit  einer 
kleineren,  demselben  Illyrismus  gewidmeten  Schrift,  die  sich  »Wiedergeburt 
Kroaziens«  betitelt.    Der  Verfasser,  durch  eine  Reihe  von  Essays  und  eine 
ausführliche  Behandlung  des  Byronismus  in  den  westeuropäischen  und  sla- 
vischen  Literaturen  (2  Bände)  vortheilhaft  bekannt,  nimmt  unter  den  moder- 
nen polnischen  Literaturhistorikern  eine  besondere  Stellung  ein  durch  seine 
ausgesprochenen  philosophisch-religiösen  Tendenzen,  die  stark  zum  Mysticis- 
mns  und  Messianismus  hinneigen.     Auch  das  oben  citirte  Buch  hält  sich  von 
diesen  Tendenzen  nicht  frei.    Prof.  Zdziechowski  ist  ein  grosser  Freund  der 
Kroaten  {aber  nur  der  Kroaten,  weniger  schon  der  Serben,  deren  Angehörigkeit 
zur  orthodoxen  Kirche  seinen  Gefühlen  nicht  zusagt).  Er  verweilte  zu  wieder- 
holten Malen  in  ihrer  Mitte,  studirte  fleissig  ihre  neuere  Literatur  und  gab 
bei  verschiedenen  Gelegenheiten  seinen  Sympathien  für  das  geistige  Leben 
der  Kroaten  Ausdruck.    Seine  Liebe  motivirt  er  auch  in  dem  neuesten  Buch 
mit  der  von  ihm  Avahrgenommenen  besonderen  Uebereinstimmung  der  beiden 
Völker  in  den  Grundzügen  ihres  Nationalcharakters,  die  er  einmal  in  dem 
Katholicismus,  dann  aber  auch  in  der  Adelsherrschaft,  die  bei  den  Kroaten 
wenigstens  bis  1S48  anhielt,  wiederfindet.   Mögen  auch  damit  die  Sympathien 
des  polnischen  Literaturhistorikers  für  das  Kroatenthum  hinreichend  motivirt 
erscheinen,  so  weit  sollte  die  Liebe  doch  nicht  gehen,  um  alle  Erscheinungen 
des  geistigen  Lebens  der  Kroaten  mit  dem  polnischen  Massstab  zu  messen, 
um   auch  den  lUyrismus    durch    die    specifische    Färbung    der    polnischen 
Ideen  zu  beleuchten.    Doch  Prof.  Zdziechowski  will  nicht  objectiv  sein,  er 
will  nicht  sich  dem  lUyrismus  unterordnen,  sondern  dieser  muss  das  Joch  i 
seiner  philosophisch -religiösen   Weltanschauung  passiren.     Wahrheit  und! 
Dichtung  wechseln  in  diesem  Buche  fortwährend  ab.    Wenn  der  Verfasser  i 
behauptet,  seine  Darstellung  beruhe  auf  einheimischen  Forschungen  kroati- 
scher Gelehrten,  so  ist  das  mehr  bescheiden  als  richtig  gesagt.    Das  That-  [ 
sachliche  hat  er  allerdings  von  ihnen  entlehnt,  doch  die  Würdigung  und  Be- 
leuchtung dieser  Thatsachen  ist  sein  Verdienst,  sein  Werk.    Der  polnische 
Messianismus,  der  den  Verfasser  ganz  in  seinem  Bann  hält,  von  dem  er  sich 
nicht  lossagen  kann,  mag  er  über  Byronismus  oder  lUyrismus  handeln,  unter 
dessen  Einfluss  er  sich  seine  eigene  Gedankenwelt  und  seine  eigene  Sprache 
schuf,  verleitet  ihn  auch  in  dem  kroatischen  lUyrismus  und  dessen  Haupt- 
vertretern in  der  Dichtung  krankhaft-phantastische  Züge  zu  suchen,  um  nur 
eine  um  so  innigere  Geistesverwandtschaft  zwischen  den  Kroaten  und  Polens 
herauszuschlagen.    Vielleicht  sind  die  Gemüther  der  jetzigen  Generation  in 
Kroatien  für  derlei  Stimmungen  empfänglich.   Ich  selbst  las  schon  Anzeigen 
die  das  Buch  überschwänglich  loben,  eine  Uebersetzung  desselben  verlangen 
u.  s.w.  Bei  näherer  Prüfung  dürfte  sich  jedoch,  wenigstens  für  einen  Repräsen-i 
tauten  der  älteren  Generation,  dessen  Jugend  in  die  Zeit  der  Nachwehen  de- 
Illyrismus  fiel,  der  die  meisten  »Illyrier«  persönlich  kannte  —  der  ganze  neu 
artige  Versuch  Prof.  Zdziechowski's  als  sehr  bedenklich  und  nicht  zu  guteui 
Ende  führend  herausstellen.    Das  Buch  ist  ganz  darnach  angethan,  um  den 
lUyrismus  seines  schönsten  Schmuckes  zu  berauben,  um  das  was  ihn  gross: 
machte  zu  verkleinern,  um  das  Trennende  an  die  Stelle  des  Einigenden  zui 
setzen.   Alles  das  geschieht  nicht  etwa  in  böser  Absicht,  es  leitet  sich  uh 
logische  Consequenz  aus  der  eigenartigen  Weltanschauung  des  Verfassers  ab. 


Zdziechowski,  Wiedergeburt  Kroatiens,  angz.  v.  Jagic.  319 

Schon  die  einleitenden  Worte  über  Kroatien  und  Kroatentlnim  sind  stark 
subjectiv  iiud  mehr  poetisch  als  wahr.  Wenn  z.B.  Prot.  Zdziechowski  iu  dem 
Holden  des  Komans  »Zmaj  od  Bosne«  von  Eugen  Tomic  einen  Typus  des 
Kroatenthums  erblicken  zu  können  glaubt,  so  werden  die  Kenner  der  kroati- 
schen Geschichte  bedenklich  den  Kopf  dazu  schütteln.  Mit  eben  so  grosser 
Verwunderung  las  ich  (S.ll),  dass  der  Verfasser  zwischen  dem  Illyrismus  und 
dem  polnischen  Dreigestirn  (iMickiewicz,  Slowacki,  Krasinski)  eine  Parallele 
ziehen  möchte.  Viel  zu  viel  Ehre  einerseits,  ganz  unzutreffende  Vergleiche 
anderseits!  Die  nächsten  Kapitel  der  Einleitung  sind  hauptsächlich  nach 
Siuiciklas  ausgearbeitet,  aber  mitten  in  die  auf  geschichtlichen  Grundlagen 
beruhende  Darstellung  wird  auf  einmal  als  Kapitel  5  die  Analyse  des  Romans 
»Osvit«  von  bandor  Gjalski  eingeschaltet!  Also  schon  wieder  —  Wahrheit 
und  Dichtung.  Was  der  Verf.  aus  diesem  Anlass  gegen  Gjalski's  Ausführung 
einwendet,  mag  dieser  selbst  mit  ihm  ausmachen.  Mir  kommt  es  so  vor,  dass 
wenn  Gjalski  in  dem  Aufbau  des  Romans  nach  den  Weisungen  Zdziechowski's 
vorgegangen  wäre,  seine  Erzählung  von  der  realen  Wirklichkeit  viel  weiter 
abstände,  als  so  wie  sie  jetzt  lautet.  Erst  im  6.  Kapitel  der  Einleitung  kommt 
Gaj  zur  Sprache,  eine  wahrhaftige  bete  noire  des  Illyrismus  nach  der  Auf- 
fassung dieses  Buches,  welcher  allerdings  durch  Smiciklas  und  Kulakovskij 
nicht  unbeträchtlich  vorgearbeitet  wurde.  Nach  meiner  Ueberzeugung  ver- 
dient Gaj  eine  so  unglimpfliche  Behandlung  nicht.  Er  war  allerdings  kein 
krystallreiner  Charakter,  doch  vereinigte  er  offenbar  Eigenschaften  in  sich, 
die  bei  keinem  seiner  Zeitgenossen  in  gleichem  Masse  die  Aufmerksamkeit 
auf  sich  lenkten;  diese  machten  ihn  für  die  damaligen  Bedürfnisse  unentbehr- 
lich, sie  Hessen  ihn  die  Rolle  eines  Odysseus  des  Illyrismus  spielen.  Wäre 
Gaj  nur  das  gewesen,  was  Zdziechowski. aus  ihm  macht,  man  würde  seine  domi- 
nirende  Stellung  im  Illyrismus  einfach  unbegreiflich  finden.  Wer  nicht  selbst 
Zeuge  des  Zaubers  war,  den  Gaj's  Persönlichkeit  auf  seine  Umgebung  ausübte 
—  der  Schreiber  dieser  Zeilen  sah  ihn  nur  noch  als  eine  national-politische 
Ruine,  und  auch  diese  vermochte  im  hohen  Grade  zu  fesseln!  —  wird  in  den 
Aufzeichnungen  jener  Zeit  nicht  viel  Anhaltspunkte  finden,  wenigstens  nach 
den  bisher  geschehenen  Mittheilungen,  für  die  volle  und  richtige  Beurtheilung 
Gaj's.  Doch  mag  man  noch  so  viel  gegen  Gaj  einzuwenden  haben,  am  aller- 
wenigsten sollte  man  ihm  das  als  Verbrechen  anrechnen,  wesswegen  er  bei 
Zdziechowski  in  besonderer  Ungnade  steht,  nämlich  dass  er  seine  Blicke  und 
Schritte  selbst  nach  Rnsslantt  richtete.  In  diesem  Verdammungsurtheil  Zdzie- 
chowski's äussert  sich  vielmehr  der  besondere  Standpunkt  des  polnischen 
Literaturhistorikers,  der  ihm  jede  objective  Betrachtung  schwier  macht.  Ich 
gönne  ihm  die  kleine  Freude,  dass  er  zur  Beschwichtigung  seines  Unbehagens, 
80  oft  er  bei  denlllyriern  etwas  lobendes  oder  hoffnungerweokendes  über  Russ- 
land las,  einmal  bei  Vukotinovic  auch  einen  Passus  gegen  die  russische  Knute 
entdeckte  (S.  59),  allein  seine  Gesammtauffassung  des  Illyrismus  halte  ich 
doch  trotz  der  Begeisterung,  mit  welcher  er  manches  hervorhebt,  für  verfehlt, 
für  subjectiv  einseitig.  Die  damaligen  Ulyrier  waren,  um  es  kurz  zu  sagen, 
ganz  andere  Menschen,  als  er  sie  darstellt,  sie  waren  nicht  so  engherzig,  wie 
er  sie  haben  möchte,  weder  gegen  die  Orthodoxie  der  Serben  so  befangen,  wie 
er  es  voraussetzt,  noch  in  ihrem  im  Grunde  sehr  platonischen  Verhältniss  zu  den 
übrigen  Slaven  so  genau  berechnend,  wie  er  ihren  Panslavismus  heute  geisselt. 

Auf  die  Behandlung  der  drei  Dichter  im  einzelnen  kann  ich  leider  nicht 
eingehen.  Ueberall  findet  man  in  die  Resultate  fremder  Forschungen  die  Kritik 


320  Kritischer  Anzeiger. 

des  Verfassers  eingeflochten,  die  einen  entschiedenen  Widerspruch  heraus- 
fordert. Einiges  davon  ist  bei  Stanko  Vraz  zu  finden  (Novalis!),  mehr  bei  Mazu- 
ranic  und  Preradovic.  Was  soll  man  z.  B.  dazu  sagen,  dass  er  die  Charakter- 
züge der  Türken  in  Mazuranic's  »Cengic«  im  Geiste  der  polnischen  Auffassung 
gezeichnet  haben  möchte.  Also  desswegen  weil  die  polnischen  Emigranten  bei 
der  hohen  Pforte  in  Gnaden  waren,  namentlich  da  es  gegen  Russland  losgehen 
sollte  —  desswegen  hätte  der  Dichter  die  Anschauungen  des  serbischen  Vol- 
kes, die  in  seiner  Volksdichtung  niedergelegten  Ueberlieferungen  verläugnen 
sollen? !  Auch  das  was  Prof.  Zdziechowski  von  der  Gottesidee  in  den  Dich- 
tungen Mazuranic's  spricht,  wird  den  Dichter  gewiss  nicht  in  der  hier  vorge- 
tragenen Weise  beseelt  haben.  Mazuranic's  Gottesidee  deckte  sich  mit  dem 
christlich-nationalen  Glauben  des  serbokroatischen  Volkes,  dessen  bekannte 
Devise  lautete:  »za  krst  casni  i  slobodu  zlatnu«  !  Die  volksthümliche  stille 
Ergebenheit  in  den  Willen  Gottes  bethätigte  sich  in  schlichten  Formen  und 
Worten,  frei  von  jedem  Mysticismus.  Der  Dichter  verklärte  und  läuterte  die 
religiösen  Gefühle  des  Volkes  noch  durch  die  poetische  Verehrung  der  All- 
macht in  der  Natur,  die  ja  selbst  eine  Schöpfung  Gottes  ist.  Wir  sind  froh, 
dass  Mazuranic  diese  Harmonie  mit  den  religiösen  Gefühlen  seines  eigenen 
Volkes  (ob  Katholik  ob  Orthodoxe,  gleichviel,  da  gab  es  für  die  lUyrier  keinen 
Unterschied)  in  seinen  Dichtungen  aufrecht  zu  erhalten  verstand  und  nicht  in 
den  vom  polnischen  Literaturhistoriker  so  hoch  gepriesenen  Tiefsinn  des 
polnischen  Messianismus  verfiel!  Der  dritte  und  ausführlichste  Essay  ist  dem 
Dichter  P.  Preradovic  gewidmet,  der  nach  eigenem  Geständniss  des  Verfassers 
zu  dem  engen  Kreis  der  lUyrier  nicht  gehörte.  Auch  in  dieses  Bild  sind  neben 
den  aus  fremden  Forschungen  entlehnten  Zügen  auch  eigene  Reflexionen  des 
Verfassers  in  sehr  reichlichem  Masse  eingeflochten,  denen  man  gleich  den  aus- 
geprägten polnischen  Ursprung  ansieht.  Z.  B.  Prof.  Zdziechowski  missfällt 
im  hohen  Grade  der  von  Preradovic  gegen  die  Jesuiten  erhobene  Vorwurf, 
wornach  sie  an  dem  Verfall  der  Republik  Ragusa  Schuld  tragen  (S.  139),  er 
macht  aber  auch  dafür  nicht  Preradovic  selbst,  sondern  den  —  Panslavismus 
verantwortlich  !  Ernstes  Nachkenken  über  das  wenig  beneidenswerthe  Leos 
seiner  Connationalen  (worunter  Preradovic  mit  gleicher  Liebe  Kroaten  und 
Serben  umfasste)  brachte  den  Dichter  in  seinen  späteren  Schöpfungen  auf  das 
grosse  Thema  der  europäischen  Civilisation.  Es  liegt  nahe,  dass  er  darüber  als 
höherer  activer  Officier  der  österr.  Armee  nur  mit  halbem  Munde  dichten 
durfte.  Prof.  Zdziechowski  kennt  keine  Compromisse,  er  hält  dem  Dichter 
die  Beispiele  Hercen's,  L.  Tolstoj's  und  —  Krasinski's  vor.  Nun  war  aber 
Preradovic  kein  politischer  Parteimann,  kein  Moralist  im  Sinne  Tolstoj's, 
aber  auch  kein  Mystiker  in  der  Art  Krasinski's.  Mit  dem  letzteren,  der  ja 
Zdziechowski's  Ideal  ist,  soll  Preradovic  volens  nolens  in  engeren  Contact 
gebracht  werden.  Daher  lautet  ein  Kapitel  des  Essays:  Preradovic  a  Kra- 
sinski,  wo  alle  Anstrengungen  Zdziechowski  nicht  weiter  gebracht  haben,  als 
bis  zum  Hinweis  auf  die  bekannte  Uebersetzung  «Resurrecturis«.  Das  be- 
weist aber  so  weriig  die  nähere  Verwandtschaft  zwischen  den  beiden  Dich- 
tern, wie  wenig  aus  der  Uebersetzung  Iridion's  durch  Veber-Tkalcevic  auf  die 
wirkliche  Beeinflussung  Veber's  seitens  Krasinski's  geschlossen  werden  kann. 
Doch  auch  das  ist  für  Herrn  Zdziechowski  nur  eine  Vorstufe  für  das  letzte 
und  höchste,  was  er  in  Preradovic  finden  möchte  —  den  Messianismus!  Ich 
will  hoffen,  dass  auch  diese  «marzenia»  des  verehrten  Professors  nur  wenige 
überzeugen  werden.  V.  J. 


321 


Yilles  et  Cites  du  moyeu  age  dans  TEiirope  Occideiitale 
et  dans  la  Peiiiiisiile  Balcauique. 

Chapitre  (rintrodiiction  mix.  lecherches  sur  les  villes  et  cites 
dans  la  Serbie  du  moyen  age. 


L'essor  humain  vers  la  vie 
sociale  et  politique,  dans  l'en- 
semble  de  la  civilisation .  com- 
mence,  en  realite,  avec  la  fondation 
des  villes  et  des  cites.  L'histoire 
nous  montre  que  la  famille  et  la 
tiibii,  ces  parties  integrantes  de 
la  nationalite,  u'out  pas  tant  con- 
tribue  au  developpement  de  cette 
vie  sociale  et  politique,  que  les 
villes  et  les  cites ,  parce  que 
celles-ci  sont  les  nerfs  moteurs  des 
civilisations  et  des  nationalites  les 
plus  diverses,  sur  lestiuelles  elles 
exercent  autant  d'iufluence  quel- 
les  en  subissent  elles-memes. 

Les  villes  et  les  cit^s  sont  les 
Premiers  centres  d'ecbange  et  d'ex- 
pansion.  Nous  voyons  peu  ä  peu 
les  diverses  familles  et  les  diverses 
tribns  se  reunir  autour  de  certaines  villes,  car  celles-ci  leur  oflfrent  un 
centre  pour  la  defense  de  lenrs  int^rets  communs  dont  le  maiutien  ne 
peut  etre  assure  qu'ä  la  condition  d'une  plus  grande  communaute  et  in- 
timite  d'existence.  Grace  au  besoin  de  cette  plus  grande  communaute 
d'existence,  les  connaissances  humaines  ainsi  que  les  arts  regoivent  une 
nouvelle  impulsion.  Tout  l'interet  social  cesse  de  se  trouver  confin^ 
dans  la  vie  simple,  isolee,  d'un  clan  ä  moitiö  sauvage,  satisfait  de  peu, 
et  fait  place  ä  des  interets  politiques  superieurs,  dont  les  villes  et  les 
eit^s  deviennent  les  centres,  autour  desquels  sont  contraintes  de  se  reu- 
nir les  tribus  voisines,  impuissantes  a  resister  au  gouvernement  plus  fort 

Archiv  für  slavisclio  Thilologie.    XXV.  21 


322  Stqjan  Novakovic, 

de  la  cite,.et  ä  trouver  dans  leurs  propres  ressources  les  moyens 
de  subsister  par  elles-memes.  Or,  en  meme  temps  que  ces  divers  faits 
se  produisaieut,  commengait  aussi  l'ere  d'une  vie  plus  nationale,  plus 
progressive,  plus  civilisöe,  et  c'est  a  ce  moment  que  furent  jet^es  les 
premieres  bases  de  la  vie  politique.  En  effet,  une  fois  ces  divers  centres 
crees,  il  n'y  avait  plus  pour  eux  qu';i  se  reunir  en  un  ensemble  plus  fort 
pour  donner  naissance  ä  une  vie  politique  plus  solidement  organis^e. 
La  famille  et  la  tribu  ont  ete  les  premiers  Clements  et  les  premieres  par- 
ties  constitutives  de  la  ville  et  de  la  cite;  d'autre  part,  on  ne  peut  con- 
cevoir  Celles- ci  sans  une  contree  qui  les  environne,  qu'elles  representent 
et  qui  les  soutient.  La  ville  et  la  cite,  ayant  sous  leur  dependance  plu- 
sieurs  tribus  et  familles,  ont  du  spontanöment  ^prouver  le  desir  de 
s'elargir  et  de  faire  des  conquetes ;  elles  ont  6t6  les  premiers  germes  de 
la  politique  centralisatrice  qui  reunit,  conquiert  et  organise,  et  qui,  par 
cela  meme,  donne  une  extension  plus  grande  ä  son  Organisation  d^jä 
formee.  Cette  politique  conduit  tout  naturellement  ä  la  politique  de 
l'Etat,  qui,  dans  l'histoire  de  la  civilisation  humaine,  apparait  aussitot 
qu'une  ville  a  place  sous  sa  dependance,  a  fonde  ou  a  incorpore  plu- 
sieurs  autres  villes,  arrivant  ainsi,  par  une  voie  naturelle,  ä  une  evolu- 
tion  nationale  et  politique,  et  se  transformant  d'une  simple  et  petite 
unite  geographique  en  uue  unite  ethnographique  plus  vaste  et  plus 
puissante. 

Ces  unites  geographiques  formant  un  cadre  naturel  pour  une  pa- 
reille  evolution,  ont,  pour  ainsi  dire,  designe  aux  hommes  les  frontieres 
naturelles  jusqn'oü  devaient  s'etendre  leurs  aspirations  nationales  et 
politiques,  et,  en  leur  fournissant  un  centre  pour  la  defense  et  pour 
l'attaque,  elles  ont  trac6  les  limites  naturelles  dans  lesquelles  devait 
s'operer  leur  union.  L'unit^  du  terrain,  r^sultant  de  la  nature,  a  donnd 
lieu  ä  l'unite  des  interets  dans  la  vie  nationale. 

Si  nous  jetons  un  coup  d'oeil  sur  l'histoire  ancienne,  specialement 
sur  l'histoire  grecque  et  romaine,  qui  ont  posd  les  fondements  de  \'6vo- 
lution  politique  et  de  la  civilisation  de  l'Europe,  nous  voyons  que  cette 
Evolution  n'a  commencö  qu'avec  la  fondation  des  villes  et  des  cit^s.  Les 
excursions  commerciales  de  la  Phenicie  et  de  l'Egypte,  qui,  simultan^- 
meut  avec  leur  propre  developpement,  ont  fondö  les  premieres  stations 
en  Greee,  probablement  commerciales  ä  l'origine,  ont  servi  de  base  ä  la 
vie  municipale  grecque  ult^rieure.  Autour  de  ces  stations  se  r^unis- 
saient,  gräce  aux  facilitös  present^es  par  la  Situation  geographique,  les 


Villes  et  Cites  du  moyen  iige.  323 

agglomerations  ainsi  que  les  tribus  voisines,  formant  ainsi  des  cites  et 
des  villes;  et  c'est  dans  ces  villes  que  s'est  d(5veloppee  tout  d'abord  cette 
vie  plus  civilisee,  qui  a,  dans  la  suite,  surtout  par  la  voie  des  conquetes 
romaines,  transforme  l'Europe.  Et,  en  effet,  dans  l'histoire  grecque, 
tout  a  son  point  de  depart  et  tout  se  meut  dans  la  cite.  Dans  le  progres 
de  la  civilisation  grecque,  c'est  Troye  et  Athenes,  Thcbes,  Sparte  et 
Corinthe,  qui,  parmi  les  autres  villes  de  moindre  importance,  ont  eu  la 
plus  grande  part.  Athenes  devient  le  representant  des  idees  democrati- 
ques  et  du  culte  de  la  liberte,  Sparte  —  celui  du  gouvernement  aristo- 
cratique  et  monarchique.  La  civilisation  grecque,  s'^tendant  aux  con- 
tröes  voisines  de  la  Mediterranee,  aussi  loin  que  pouvaient  atteindre  les 
navires  de  commerce  grecs,  s'y  manifesta  encore  par  la  fondation  des 
villes.  Nous  avons  pour  exemple  la  fondation  si  connue  de  Marseille 
dans  le  sud  de  la  France.  II  en  fut  de  meme  de  1  Etablissement  des 
Grecs  dans  toutes  les  villes  de  la  Presqu'ile  Balcanique,  oü  la  politique 
de  l'Empire  Byzantin,  pour  maintenir  son  autoritö  sur  le  territoire,  pre- 
nait,  eile  aussi,  soin  de  l'asseoir  d'abord  fortement  dans  les  villes  et 
dans  les  cites.  Au  moyen  de  l'administration  religieuse,  et  meme  dans 
les  temps  modernes  au  moyen  de  la  propagande,  la  politique  grecque  a 
observE  jusqu'ä  nos  jours  cette  pratique  traditionnelle,  tendant  ä  faire 
rentrer  ethnograpliiquement  dans  sa  sphere,  et  en  ne  tenant  compte  que 
de  la  population  des  villes,  les  contrees  dans  lesquelles  les  Grecs  se 
trouvent  reellement  en  minoritö.  Dans  toute  l'histoire  ancienne  ce 
Systeme  a  ete  constamment  employe  pour  assurer  la  conquete  des  terri- 
toires.  Nous  voyons  les  derniers  conquerants,  les  Turcs,  le  mettre  aussi 
en  pratique  dans  nos  contrees:  eux  aussi  ont  cherche,  par  la  conquete 
des  villes,  ä  realiser  la  conquete  complete  du  sol. 

Ce  meme  Systeme  nous  le  retrouvons  dans  l'Italie  ancienne,  avec 
des  modifications,  toutefois,  que  lui  a  fait  subir  le  sentiment  politique 
plus  fort  chez  les  peuples  qui  l'habitaient. 

En  Grece,  levolution  s'operait  toujours  d'une  maniere  Isolde:  les 
villes  etaient  autonomes,  non  liöes  entre  elles,  et  l'union  n'a  jamais  pu  y 
etre  realisde,  ce  dont  il  faut  rechercher  les  causes  tant^dans  la  configu- 
ration  generale  du  sol  que  dans  le  caractere  de  la  population. 

En  Italic,  l'evolution  politique  a  pris  naissance  dans  les  limites  de 
la  cite  de  Rome  et  de  ses  environs,  et  cette  ville  a,  peu  ä  peu,  conquis 
l'empire  non  seulement  sur  l'Italie,  mais,  pour  ainsi  dire,  sur  tout  le 
monde  alors  connu.    II  n'est  pas  sans  importance  de  remarquer  que  le 

21* 


324  Stojan  Novakovic, 

Grand  Etat,  fondö  par  des  citoyens  romains,  ne  portait  pas  le  nom 
d'Italie,  ni  celui  d'nne  unitö  geographique  quelconque,  mais,  empruntant 
le  nom  de  la  ville  qui  l'avait  creö,  il  s'est  d(5nomm6  l' Empire  Romain. 
Et  pendant  longtemps,  cet  Empire  a  €i€  reellement  nn  Empire  Romain, 
dont  la  villo  de  Rome  etait  le  maitre.  Pendant  longtemps,  Rome  a  con- 
sidör^  comme  son  acquisition,  comme  sa  propriete  privee,  tout  ce  qui 
portait  le  nom  d'Empire Romain;  ses  sujets  n'ont  pu  avoir  que  lajouis- 
sance  des  terres  dont  eile  etait  proprietaire,  et  ont  du  se  soumettre  au\ 
maitres  et  aux  gouverneurs  qu'elle  leur  envoyait.  Pendant  longtemi)>, 
les  maitres  et  les  gouverneurs  de  la  cite  de  Rome  —  et  plus  tard,  l'em- 
pereur  romain  —  ont  ^te  les  seuls  representants  de  l'autorite  et  de  la 
loi  dans  les  provinces  conquises;  leurs  armees  ont  imposö  les  institutious 
et  le  langage  de  Rome  aux  tribus  et  aux  peuples  non  civilisös  [harhan 
qui,  ä  cause  de  leur  defaut  d'organisation,  de  leur  incapacite  et  de  leur 
ignorance,  etaient  devenus  ses  esclaves. 

Mais  en  meme  temps  que  Rome  ^tendait  sur  le  monde  entier  son 
autorite  avec  l'assujetissement  qui  en  dtait  la  consequence,  eile  lui  lais- 
sait  aussi  en  patrimoine  l'art  avec  lequel  eile  organisait,  administrait  et 
gouvernait  les  territoires  conquis.  Rome  a  divis^  en  provinces  pres  de 
la  moitie  de  l'Europe ;  eile  a  etabli  les  frontieres  qui  ont  subsiste,  malgre 
les  assauts  et  les  revolutions  qui  se  sont  succed^s  pendant  des  siecles. 
Et,  malgre  les  resistances,  le  developpement  de  chaque  nationalite  s'est 
souvent  confine,  par  la  suite  du  temps,  dans  ces  frontieres  romaines,  et 
les  a  respectees  alors  meme  qu'avaient  disparu  les  causes  qui  les  avaient 
fait  etablir  par  les  Romains.  Cela  tient  ä  ce  que  ces  frontieres,  la  plu- 
part  du  temps,  etaient  en  harmonie  avec  la  conformation  geographique 
du  sol  qui  probablement,  avant  comme  apres  que  Rome  l'eüt  prise  comme 
base  de  delimitation,  a  influe,  d'une  fagon  directe  et  durable,  sur  le 
developpement  des  diflferents  groupes  nationaux,  en  vertu  des  lois  inöluc- 
tables  etablies  par  la  nature  elle-meme.  Rome  a  cree  un  Systeme  simple 
pour  le  gouvernement  et  Tadministration  des  territoires,  Systeme  dont 
la  pratique  garautissait  l'autorite  publique  contre  les  troubles  et  les 
revolutions,  mais  qui,  d'autre  part,  donnait  aussi  ä  la  liberte  individuelle 
une  arme  contre  la  centralisation  politique  et  les  exagerations  du  pou- 
voir  autocratique. 

Les  conquörants  ulterieurs  se  sont  conformes  aux  traditions  simples 
de  Rome,  pour  mieux  fortifier  leur  autorite  dans  les  pays  conquis;  de 
meme,  les  peuples  conquis  ont  trouve  dans  les  institutious  de  la  vie  in- 


I 


Villes  et  Cites  du  moyen  äge.  325 

terieure  romaine  des  ressources  qui  leur  ont  permis  de  defendre  leur 
liberte  et  d'en  assuier  la  conservation  et  le  developpement. 

C'est  pourquoi  l'histoire  de  la  cito  de  Rome,  ainsi  que  l'etonnante 
destinee  de  cette  ville,  qui  lui  a  permis  d'cteudre  3on  empire  —  un  em- 
piie  romain  —  sur  tant  de  peuples  et  de  territoires  differents,  marquent  une 
etape  nouvelle  dans  l'histoire  de  toutes  les  cites  et  de  tous  les  pays,  et 
leur  donuent  un  röle  jusqu'  alors  inconnu,  un  rOle  politique.  S'inspirant 
de  l'exemple  fourni  par  les  Romains ,  beaucoup  d'autres  conqu^rants  se 
sout  servis  de  villes  pour  leurs  besoins  politiques  et  strategiques.  Aussi 
voyons-nous  le  nombre  des  villes  augmenter,  surtout  dans  les  pays  con- 
quis.  oü  l'emplacement  en  est  designe  par  les  indications  puisees  dans 
les  procedes  du  regime  politique  et  militaire  de  Rome.  Les  Romains 
maintenaient  leur  pouvoir  principalement  h  l'aide  de  garnisons  militaires, 
installees  dans  les  villes,  centres  de  leurs  colonies  militaires.  Ces  gar- 
nisons militaires  urbaines,  reliees  entre  elles  par  les  routes  dont  chaque 
province  ctait  sillonnee,  et  qui  mettaient  les  provinces  en  communication 
les  unes  avec  les  autres,  formaient  un  veritable  reseau  qui  embrassait 
par  ses  mailies  les  territoires,  les  tribus  et  les  nationalites  les  plus  di- 
verses. Chacune  de  ces  cites  militaires,  de  ces  colonies,  avait  sous  sa 
dependance,  dans  un  certain  rayon,  le  territoire  environnant.  A 
chaque  province,  ainsi  enserree  par  ce  reseau  de  villes  et  de  colonies,  les 
Romains  envoyaient  un  gouverneur :  celui-ci  y  avait  une  autorite  ^gale 
ä  Celle  d'un  empereur,  un  pouvoir  despotique,  saus  bornes:  il  ne  relevait 
que  de  lui-meme.  C'est  lui  qui  fixait  l'impot;  c'est  lui  qui  exergait  l'auto- 
rite  militaire,  qui  rendait  la  justice.  Aucune  Constitution,  aucune  loi  ne 
determinait  ses  rapports  avec  ses  sujets  ou  ses  allies.  Comme  les  lois 
romaines,  ä  l'origine,  ne  s'appliquaient  pas  aux  babitants  des  provinces, 
le  gouverneur  ne  pouvait  avoir  aucun  pouvoir  superieur  au-dessus  de 
lui.  Rendait-il  la  justice  ä  ses  sujets,  il  pouvait  le  faire  au  gre  de  sa 
fantaisie :  il  n'etait  pas  en  effet  tenu  d'appliquer  la  loi  romaine,  attendu 
in  il  ^tait  en  province,  et  il  pouvait  aussi  ne  pas  tenir  compte  de  la  loi 
provinciale,  attendu  qu'il  etait  romain.  Ainsi  munis  d'un  pouvoir  de 
juridiction  absolu ,  les  gouverneurs  possedaient  aussi  le  pouvoir  legis- 
latif:  c'est  pourquoi ,  en  arrivant  dans  leur  province  ils  rendaient  un 
('■dit  qui  etait  considere  comme  leur  programrae  de  gouvernement ,  ou 
comme  un  code  de  lois,  qui  les  liait  jusqu'a  un  certain  point  moralement. 
Kt  comme  les  gouverneurs  ^taient  souvent  chang^s,  ä  chaque  change- 
ment  correspondait  aussi  un  changement  dans  la  l^gislation,  si  bien  que 


326  Stojan  Novakovie, 

l'execution  d'un  jugement  rendu  par  im  gouverneur  se  trouvait  suspen- 
due  par  l'arrjv^e  d'un  autre,  par  devant  lequel  le  litige  devait  etre  portd 
ä  nouveau.  Quant  aux  premiers  habitants  de  la  province,  ils  devenaient 
de  v^ritables  esclaves,  et  ils  restaient  dans  cette  condition  tant  qu'ils 
n'eussent  acquis  individuellement  le  droit  de  die  romaine^  comprenant 
ä  peu  pres  les  droits  civils  actuels ,  c  est  ä  dire  les  droits  personnels  et 
le  droit  de  propri^te.  C'etait  lä  leur  condition,  ä  l'origine  du  moins, 
car  dans  la  suite  quelques  changements  y  furent  apportes.  Pour  ce  qui 
est  du  sol  dans  la  province,  il  etait  la  proprietö  de  Rome  ou  de  1' Em- 
pire; il  n'etait  pas  considere  comme  propriete  priv(5e:  celle-ci  ne  pouvait 
exister  et  n'dtait  autoris6e  que  sur  le  territoire  qui  etait  ager  romanus^ 
territoire  romain.  Ce  droit  de  propriete  roniain  fut  accorde  d'abord  seu- 
lement  dans  l'Italie,  aux  villes  qui  ne  coustituaient  pas  a  l'origine  l'Etat 
Romain  et  qui  avaient  ^te  couquises  par  Rome,  puis,  peu  ä  peu,  gräce 
au  droit  de  cite  et  au  developpement  des  droits  prives,  il  fut  6tendu  a 
tout  l'Empire,  tout  au  moins  dans  les  priucipaux  centres.  L'extension 
de  ce  droit  dans  l'Empire  Romain  en  dehors  de  l'Italie,  commenga  dans 
les  villes  les  plus  importantes  des  provinces.  Ces  villes  commencerent, 
les  premieres,  ä  s'identifier  avec  Rome  au  point  de  vue  de  la  jouissance 
des  droits  prives.  Dans  les  autres  villes,  d'importance  moindre,  le  re- 
gime anterieur  demeura  en  vigueur,  C'est  pourquoi  il  se  cr^a,  peu  ä  peu, 
deux  categories  de  villes:  les  unes  possedant  les  droits  personnels,  les 
droits  de  propriete  et  les  droits  municipaux,  c'est-ä-dire  le  droit  de 
s'administrer  par  les  representants  nommes  dans  son  sein  et  d'apres  ses 
lois  locales;  les  autres  n'ayant  aucun,  ou  presque  aucun  de  ces  droits. 
Tel  etait  l'6tat  dans  lequel  se  trouvait  le  grand  Empire  Romain  au 
moment  de  deux  importants  evenements,  de  l'invasion  des  peuples  et  du 
partage  de  l'Empire  ^).  L'invasion  des  peuples  envahit  l'Europe  toute 
entiere,  et  eile  brisa  et  detruisit  partout  les  frontieres  de  l'Empire  Ro- 
main, '  L'Empire  lui-meme  se  scinda  en  deux  moiti^s,  l'Empire  d'Occi-  ' 
dent  et  l'Empire  d'Orient.  Cet  envabissement  et  cette  scission  donnent 
lieu  ä  piusieurs  considerations  de  tres  grande  importance  pour  la  que-  ^ 
stion  que  nous  etudions.  En  premier  lieu,  il  faut  mettre  ä  part  l'Empire 
Romain  d'Orient  qui,  devenu  l'Empire  Byzantin,  a  subsistd  jusque  vers 
la  fin  du  moyen  äge.  D'autre  part,  parmi  les  divers  Etats  cr6es  ä  la 
suite  de  l'invasion,  il  faut  distinguer  deux  categories:  dans  les  uns  le 


1)  Fustel  de  Coulanges.  La  Cite  Antique.  Paris.  II  ed.  1885,  415— 4r)5. 


Villes  et  Cites  du  moyen  uge.  327 

regime  romain  etait  moins  fortement  organise,  l'el(5ment  non-romain 
predominait  dans  la  Population,  Tinvasion  remportait;  dans  les  autres 
ce  fut  le  regime  romain  qui  prcvalait,  il  resista  facilement  ä  Tinvasion, 
et,  par  suite,  linfluence  de  celle-ci  y  fut  moins  sensible  ou  se  r^duisit, 
penäpeu,  a  des  traces  sans  importance.  Dans  les  premiers  pays,  le 
regime  romain,  (\m  ii'y  avait  jamais  prevalu,  s'est  maiutenu  :i  un  moindre 
degre,  et  linfluence  du  droit  romain  y  a  ete  plus  faible;  dans  les  autres, 
le  regime  romain  a  subsiste  apres  linvasion  et  les  institutions  du  droit 
romain  se  sont  maintenues,  Tordre  romain  a  dure.  Cette  autre  categorie 
de  pays  comprenait  generalement  des  contrees  romanes,  oii  les  vieilles 
coutumes  romaines  se  sont  transmises  dans  les  dialectes  romans.  Les 
historiens  fran^ais  ont  designö  le  midi  de  la  France  comme  rentrant 
dans  la  premiere  categoiie,  et  la  France  du  nord  et  du  nord-ouest  dans 
la  seconde.  Dans  le  midi  de  la  France  la  langue  romane  s'est  mieux 
conservee;  Tordre  et  le  droit  romain  y  ont  subsiste  ainsi  que  les  Souve- 
nirs romains,  et  avec  ces  derniers  les  Souvenirs  de  l'autorite  centralisa- 
trice  imperiale  romaine.  Dans  l'AUemagne  et  au  nord  de  la  France, 
l'autorite  separatiste  des  seigneurs  a  pris,  avec  le  temps,  le  dessus,  et 
peu  ä  peu,  eile  a  pris  les  formes  du  droit  feodal,  dans  lequel  les  seig- 
neurs se  sont  arroge  une  autorite  tont  ä  fait  contraire  ä  Tautorite  cen- 
tralisatrice  de  l'Empire  Romain.  L'Italie,  et  sa  voisine  ä  l'Est  de  la  Mer 
Adriatique,  la  Dalmatie,  ont,  le  plus  souvent,  conserve  les  institutions 
municipales  romaines  et  avec  elles  le  droit  romain,  autant  que  cela  leur 
a  ete  possible  au  miiieu  de  loppression  generale  du  moyen  äge.  Partout 
oü  le  droit  romain  sest  maiutenu,  les  institutions  du  droit  feodal  ont  eu 
plus  de  peine  ä  penetrer,  et  si  elles  y  ont  penetr^,  elles  ont  pris  moins 
de  d^veloppement. 

C'est  dans  la  Peninsule  Balcanique,  sur  le  territoire  de  l'Empire 
d'Orient,  que  le  droit  romain  est  reste  le  plus  longtemps  eu  vigueur:  il 
y  a  ete  codifiö,  on  l'y  a  appliquö  d'une  maniere  continue,  on  l'y  a  con- 
fondu  avec  la  legislation  ecclesiastique  de  la  religion  chretienne.  Aux 
Slaves  orthodoxes  il  se  presenta  avec  la  legislation  e'ccl^siastique,  comme 
une  chose  sacree ,  en  debors  de  toute  discussion.  La  seulement,  dans 
cet  Empire,  les  anciennes  traditions  de  l'autorite'  imperiale  romaine  se 
sont  conservees  dans  leur  integrite.  On  sait  que  le  droit  feodal  se  dis- 
tingue  du  droit  public  romain  par  la  maniere  dont  y  est  comprise  et 
exercee  l'autorite  royale  et  imperiale.  Dans  le  droit  feodal,  oü  le  regime 
de  la  decentralisation  a  prevalu,  l'autorite  royale  est  dispersee  et  af- 


328  Stojan  Novakovic, 

faiblie;  dans  le  droit  ronaain,  l'autorite  imperiale  est  forte  et  centralisee; 
le  roi  et  l'empereur  sont  tont  dans  l'Etat.  Dans  le  droit  feodal,  le  roi  ou 
l'empereiir  est  contraint  de  partager  l'autorite  administrative  et  legis- 
lative avec  ses  puissants  vassaux.  C'est  pourquoi  dans  les  Etats  f^odaux 
rautorite  royale  disparait  presque  toutes  les  fois  quo  le  roi  est  person- 
nellement  faible,  tandis  que,  dans  le  Systeme  romain,  eile  subsiste  dans 
toute  sa  foree  mßme  dans  ce  cas,  gräce  aux  puissantes  institutions  cen- 
tralisatrices  de  l'Etat.  Quoiqu'il  ne  soit  pas  exact  de  dire  que  les  insti- 
tutions feodales  n'ont  exerce  aucune  influence  dans  la  Peninsule  Bal- 
canique  —  car  elles  ont  p^netre  dans  toute  l'Europe,  il  n'en  est  pas 
moins  vrai  qu'elles  n'ont  pu  se  dövelopper  dans  les  contrees  de  l'Empire 
Romain  d'Orient  aussi  fortement  qu'ailleurs  en  Europe,  parce  que  l'auto- 
rite imperiale  y  avait  garde  et  continue  la  pratique  de  l'aneienne  tra- 
dition  romaine. 

En  meme  temps  que  le  droit  public,  le  droit  privd  romain  s'est  aussi 
mieux  conserv^  dans  la  Peninsule  Balcanique  que  dans  le  reste  de  lEii- 
rope,  oü  la  continuite  du  pouvoir  n'ayant  pu  etre  maintenu  au  point 
de  vue  du  droit  public  n'a  pu  l'etre  davantage  au  point  de  vue  du 
droit  prive. 

Gräce  ä  cette  circonstance,  l'autorite  imperiale  romaine,  aidde  sans 
doute  aussi  dans  ses  aspirations  par  les  anciennes  traditions  des  peuples 
de  rOrient,  a  pu  y  revetir  un  veritable  caractere  autocratique.  De  lä 
resultait  cette  extreme  consequence:  tandis  que,  dans  les  contrees  du  nord 
de  l'Europe,  toute  atteinte  au  droit  romain  tournait  au  profit  des  seigneurs 
feodaux  et  au  detriment  de  l'autorite  centrale,  dans  la  Peninsule  Balca- 
nique, au  contraire,  eile  profitait  la  plupart  du  temps  a  l'autorite  imperiale 
et  servait  des  tendances  autocratiques.  On  en  trouve  la  preuve  dans  la 
restriction  des  droits  municipaus,  dont  il  resta  tres  peu  de  traces  en  Orient. 

C'est  ainsi  que  deux  courants  contraires  —  ä  l'Orient  l'expansion 
de  l'autorite  centrale  imperiale,  ä  l'Occident  l'imposition  du  regime 
feodal  —  ont  conduit  au  meme  resultat  en  ce  qui  concerne  Tautonomie 
municipale,  c'est  ä  dire  ä  l'abolition  de  cette  ancienne  Institution  de 
l'epoque  greco-romaine. 

L'existence  de  villes  et  cites  libres  et  autonomes  ne  pouvait  se  con- 
cilier  avec  les  besoins  de  l'autorite  centralisatrice  de  Constantinople ; 
celle-ci,  en  effet,  sollicitee  dejour  en  jour  plus  imperieusement,  tant  par 
les  dangers  venant  de  l'exterieur  que  par  ceux  de  l'interieur,  d'assurer 
la  defense  de  l'Etat,  se  sentait  contraiute  de  tendre  de  plus  en  plus  a 


Villes  et  Cites  du  moyen  äge.  329 

retablissement  d'un  Etat  militaire  centralise  'j.  Les  aspiratioDS  effren^es 
et  arbitiaires  des  seigneurs  feodaux  ä  moitie  barbares  aboutissaient  au 
meme  resultat.  Gräce  :i  la  force  brutale,  ils  soumettaient  souvent  ä  leur 
autorite  le  sol,  et  sarrogeaient  ensuite  tous  les  droits  sur  ce  sol  et  sur  les 
hommes.  Or  de  pareils  procedes  exclnaient  toute  autonomie  et  toute 
liberte,  et  c  est  pourquoi  Tautonomie  municipale  en  a  (ite  la  premiere 
victime,  car  eile  etait  la  premiere  et  la  plus  ancienne  source  de  la  liberte 
et  du  progres.  Ce  sont  donc  naturellement  les  villes  surtout  qui  ont  en 
le  plus  ä  souffrir  des  violences  fc'odales  et  des  exigences  de  l'autorit^ 
autocratique  imperiale;  et  les  attaques  dirigees  contre  eiles  ont  eu  une 
repBtcussion  dautant  plus  grande  que  c'etaient  non  pas  des  particuliers 
raais  des  societes  organisees  qui  en  etaient  l'objet.  Malgre  ces  attaques, 
cependant,  le  souvenir  de  lautonomie  municipale,  ce  foyer  des  anciennes 
libertes,  s'est  conserve  pieusement  dans  la  memoire  des  peuples,  et  c  est 
en  s'inspirant  de  ce  souvenir  quils  devaient  plus  tard,  au  moment  oppor- 
tun, provoquer  et  commencer  la  lutte  pour  la  liberte. 

Nous  avons  montre  plus  haut  comment,  au  debut  de  la  civilisation 
grecque  et  romaine,  les  villes  et  les  cites  sont  devenues  les  premiers  cen- 
tres  du  progres,  de  lordre  et  de  la  civilisation;  comment  s V  sont  form^s 
les  principes  de  la  vie  privee  et  publique;  comment,  ä  l'epoque  romaine, 
la  vie  municipale  autonome  a  pris  naissance  sous  la  protection  de  l'Etat 
et  en  harmonie  avec  lui.  Lors  de  l'invasion,  les  violences  barbares  ont 
detruit  tout  lancien  ordre  des  choses  et  l'ont  remplace  par  le  regime  de 
larbitraire  et  des  exactions  du  gouvemement  militaire,  par  resclavage 
legal  et  par  Tautorite  brutale  des  seigneurs.  II  fallait  des  champion» 
pour  engager  la  lutte  contre  cette  Invasion  qui  avait  fait  table  rase  de 
tout€s  les  institutions  municipales  et  politiques  anterieures,  pour  les  rem- 
placer  par  le  droit  du  plus  fort  —  et  ces  champions  furent  ä  TOccident 
les  villes.  De  meme  qua  lorigine  nous  les  voyons  creer  1  Organisation 
municipale  et  politique,  de  meme  les  voyons-nous,  ä  l'epoque  dont  nous 
parlons,  se  mettre  les  premieres  ä  lutter  pour  le  retablissement  de  droits 
hamains,  foules  aux  pieds  par  l'arbitraire  du  moyen  äge.  C'est  que 
l'amouv  du  progres,  du  travail  et  de  la  propriete.  ainsi  que  le  besoin  des 
droits  personnels,  de  l'ordre  et  de  la  securite,  ne  pouvaient  se  faire  sen- 
tir  nulle  part  d'une  maniere  aussi  forte  que  dans  les  villes.   Les  paysans 


i   Ch.  Diehl.  Etudes  sur  T Administration  byzantine  dans  l'Exarcat  de 
Ravenne,  56S— 761.  Paris  18S8,  Sl— !94. 


330  Stojan  Novakovic, 

etaient  trop  dispers(?s,  trop  abattus,  trop  faibles  poiir  s'organiser  et  en- 
gager  la  lutte.  Dans  les  Etats  de  l'Ouest  de  TEurope,  lautorite  royale 
etait  affaiblie  ainsi  que  l'autorite  municipale;  c'est  pourquoi  les  rois 
eux-memes  etaient  forcös  d'attendre  qu'il  leur  vint  des  allies,  car,  en 
leur  absence,  seuls,  ils  ne  pouvaient  entreprendre  la  liitte,  puisque  leur 
propre  entourage  (5tait  compose  precisement  des  ennemis  de  la  royaute. 
Les  villes  et  les  cites  ressentaieut  donc  seules  le  besoin  et  etaient  seules 
en  mesure  de  lutter  contre  l'oppression  feodale  et  de  tenter  d'acquerir 
de  nouveau,  pour  elles  et  les  agglomerations  qui  les  avoisinaient,  les 
droits  possedes  anterieurement.  11  faut  se  Souvenir  qu'en  ces  temps 
d'agression  brutale  il  fallait  lutter  pour  les  droits  les  plus  ordinaires, 
dont  nous  ne  concevons  pas  aujourd'hui  que  l'on  puisse  se  passer.  Les 
habitants  des  villes,  comme  ceux  des  campagnes,  n'avaient  pas  cette 
simple  liberte  materielle  de  circuler;  ils  ne  pouvaient  pas  acheter  et 
vendre  librement;  ils  n'etaient  pas  maitres  cliez  eux;  ils  n'etaient  pas 
toujours  assurös  de  pouvoir  laisser  ä  leurs  enfants  les  biens  qu'ils  avaient 
acquis.  C'est  pourquoi  dans  les  villes  de  l'Europe  Occidentale  commenga 
une  lutte  acharnee  et  celebre  pour  la  liberte  municipale  et  civile.  Elle 
se  developpa  surtout  en  Italie,  oü  les  anciennes  institutions  etaient  le 
mieux  connues ,  et  oü  les  circonstances  pour  le  retablissement  de  la  li- 
berte municipale  etaient  les  plus  favorables,  ä  cause  des  tiraillements 
eutre  l'autorite  papale  et  la  föodalite.  De  lä,  eile  se  communiqua  ä  la 
Lombardie,  puis  ä  TAUemagne;  en  France,  enfin,  eile  prit  une  extension 
consid^rable.  Le  celebre  historien  franQais ,  Augustin  Tbierry,  qui  a 
ddcrit  le  premier,  d'une  maniere  magistrale,  cette  lutte  et  l'a  com- 
ment^e  selon  les  principes  modernes  de  la  science  historique,  la  com- 
pare  ä  la  lutte  moderne  en  Europe  pour  le  regime  constitutionnel. 
Au  XIII ''^'™*^  siecle,  dit-il,  les  communes  luttaient  pour  la  liberte  civile. 
et  les  mots  commune  et  autonomie  avaient  alors  pour  les  villes  la  sigui- 
fication  qu'a  aujourd'hui  pour  les  peuples  le  mot  Constitution.  Le  droit 
municipal  signifiait  pour  les  villes  le  droit  d'avoir  leur  propre  tribunal 
et  leur  propre  administration :  et  ee  droit  etait  special  ä  chaque  ville. 
Dans  la  lutte  pour  la  Constitution,  ces  memes  droits  etaient  reclamea 
pour  le  peuple  tout  entier;  au  moyen  äge,  chaque  ville  luttait  separe- 
ment  pour  ses  droits  municipaux;  dans  les  temps  modernes  les  peuples 
tout  entiers  luttaient  pour  leurs  droits  constitutionels  ^j.    C'est  ainsi  que 


1)  A.  Thierry,  Lettres  sur  l'Histoire  de  France. 


J 


Villes  et  Cites  du  moyen  age.  331 

les  villes  et  les  citös,  protagonistes  de  la  liberte  et  du  progres  aux  temps 
anciens,  entament  de  nouveau  la  lutte  pour  cette  mcme  liberte,  foul(5e 
par  l'arbitraire  feodal.  Ainsi  les  villes  devinrent  des  auxiliaires  precieux 
de  la  lioyaut^  et  liii  permirent  de  tenter  la  restauration  de  Tautoritö 
centrale.  En  effet,  les  villes  avaient  toujours  interet  ä  se  placer  sous  la 
protection  de  cette  autoritö,  puisqu'elles  y  trouvaient,  :i  cause  de  son 
caractere  politique  et  gen^ral,  des  gavanlies,  introuvables  dans  l'autorite 
dgoiste  et  exigeante  des  seigneurs  söparatistes  de  la  feodalite. 

Apres  avoir  esquissc  le  tableau  genöral  ci-dessus,  nous  allons  main- 
tenant  fixer  plus  specialement  notre  attention  sur  les  contrees  balcani- 
ques.  Quelle  a  ete  la  condition  de  la  Peninsule  Balcanique  ä  l'^poque 
dont  nous  nons  occupons?  Quel  sort  y  a  subi  le  droit  romain?  Quelle 
influence  y  a  ete  exercee  par  la  migration  des  peuples  ?  Quelle  a  6t6  la 
resistance  opposee  par  le  droit  romain  aux  id^es  de  nouveaux  peuples 
qui  s'y  sont  fixes?  Quelle  empreinte  y  ont  laissee  et  quelles  cons^- 
quences  y  ont  provoquees  les  idees  feodales?  Dans  quelle  voie  se  sont 
engagöes,  au  point  de  vue  du  droit,  les  institutions  de  nouveaux  Etats 
et  de  nouveaux  peuples  qui  ont  pris  place  dans  l'histoire? 

Teiles  sont  les  questions  que  nous  avions  surtout  en  vue  jusqu'ici. 
Nous  pouvons  de  suite,  en  nous  rapportant  ä  ce  ({ue  nous  avons  dejä 
dit,  röpondre  ä  quelques-unes  de  ces  questions.  La  Peninsule  Balca- 
nique rentre  dans  cette  cat^gorie  de  contr^es  oii  les  institutions  romaines 
et  l'ordre  romain  se  sont  maintenus  le  plus  longtemps.  L'institution  ro- 
mainede  l'autorit^  imperiale  ou  centrale,  avec  son  caractere  politique,  s'est 
conservee  tres  nettement  dans  la  Peninsule  Balcanique.  Le  regime  feodal 
s'y  est  bien  developpe  aussi,  en  partie  sous  l'influence  des  traditions 
primitives  romaines,  en  partie  sous  l'influence  des  contrees  de  l'ouest  de 
I'Europe,  qui  s'y  est  fait  sentir  surtout  ä  l'epoque  des  Croisades;  mais 
ce  regime  n'a  cependant  jamais  pu  y  prendre  cette  Organisation  de 
l'anarchie  oligarchique  qu'il  avait  prise  dans  l'ouest  de  I'Europe. 

L'institution  romaine  de  l'autorite  centrale  a  ete  consacr^e  chez  les 
Grecs  par  des  dispositions  legales,  et  eile  s'est  perpdtuee  chez  eux  jus- 
que  dans  ces  derniers  temps.  Les  lots  grecques  ä  ce  sujet  ont  ete  adop- 
t^es  par  les  Slaves;  ils  en  ont  traduit  une  partie,  et  Celles  qui  n'ont  pas 
€t6  traduites  ont  dte  mises  en  pratique  chez  eux  dans  la  forme  de  la 
coutume.  Ces  lois  ont  ete  empruntees  meme  par  les  Roumains  et  les 
Russes,  par  les  Armeniens  et  les  Georgiens,  et  ont  6t6  appliquees  dans 
des  contrees  qui  n'ont  jamais  fait  partie,  ou  n'ont  fait  partie  que  peu  de 


332  Stojan  Novakovic, 

temps,  de  l'Empire  Romain.  Les  diverses  institutions  du  droit  romain  se 
sont  meines  et  confondues  avec  les  coutumes  nationales ;  et  comrae  les 
Slaves,  les  Grecs  et  les  Romains  sont  de  souche  indo-europöenne,  et  que 
la  vie  sociale,  ayant  une  base  commune,  s'est  developpee  chez  ces  peu- 
ples,  ä  l'crigine,  d'une  maniere  identique  —  il  en  resulte  qu'il  est  sou- 
vent  difficile  de  de'couvrir  ce  que  les  nouveaux  arrivants  dans  la  Pönin- 
sule  Balcanique  ont  emprunte  ä  ses  premiers  habitants,  les  Grecs  et  les 
Romains.  Les  peuples  slaves  de  la  Peninsule,  n'ayant  apport^  dans  leur 
nouvelle  patrie  qu'une  civilisation  tres  rudimentaire,  y  ont  aecepte  et 
subi  pendant  des  sieeles  la  suzerainete  directe  de  Byzance,  c'est  k  dire 
la  suzerainete  romaine  ou  grecque.  Dans  tout  le  cours  des  sieeles,  ils 
ont  subi  l'inflnence  de  la  religion,  de  la  civilisation  et  de  l'ordre  social 
de  ceux  qui  etaient  tantot  leurs  maitres,  tantot  leurs  allies  dans  la  Penin- 
sule Balcanique.  C'est  ainsi  que  memo  aujourd'hui  on  trouve  dans  les 
coutumes  du  peuple  en  Grece,  en  Serbie,  en  Bulgarie  et  en  Roumanie, 
plus  de  ressemblances  que  de  diflferences,  souvent  dans  les  details  memes. 
L'ancien  Empire  d'Orient  avait  cree  dans  toutes  ses  provinces  des  cen- 
tres,  des  villes,  des  routes.  des  frontieres,  ainsi  qu'un  ordre  politique  bien 
concu  et  conforme  aux  frontieres  naturelles  et  ä  la  configuration  g6o- 
graphique  du  sol.  L'histoire  nous  montre  que  les  nouveaux  arrivants 
n'ont  apporte  aucun  regime  etabli,  et  que  rt^gulierement  ils  se  sont  pli^s 
ä  ce  qui  existait,  se  confondant  avec  les  premiers  habitants  et  se  conten- 
tant  de  tres  peu  de  modifications.. 

Ce  fait  se  reproduit  taut  dans  l'ordre  materiel  que  dans  l'ordre 
moral,  de  sorte  qu'il  serait  malaise  de  dire  quelle  contribution  person- 
nelle  ont  apportee  les  Serbes  et  les  Bulgares  aux  institutions  romaines- 
orientales  qu'ils  ont  trouvees  en  vigueur  dans  les  pays  oü  ils  se  sont 
fixes.  Une  severe  critique  trouverait  que  eette  contribution  est  bien 
minime,  bien  insignifiante,  et  ne  pourrait  la  döterminer  facilement.  Ceci 
ne  semblera  nuUement  etonnant,  si  l'on  veut  bien  se  rendre  compte,  par 
l'ötude  comparee  des  idees  et  des  institutions  humaines,  que  les  idees 
neuves  et  originales  sont  extremement  rares;  qu'en  regle  generale,  c'est 
la  repdtition,  avec  des  changements  insignifiants,  qui  caracterise  toujours 
l'oeuvre  humaine,  et  que  cette  oeuvre,  meme  ainsi  bornee,  est  suffisam- 
ment  belle  et  glorieuse,  si  eile  est  habilement  conduite  au  profit  de  la 
civilisation  generale.  Les  idöes,  en  eflfet,  ont  rarement  une  empreinte 
purement  nationale,  mais  brillent  surtout  par  leur  perpetuel  cosmopoli- 
tisme.    Etant  donnes  d'une  part  la  simplicite  et  les  cotes  pratiques  evi- 


Villes  et  Cites  du  moyen  äge.  333 

dents  des  institutions  de  rEmpiie  Romaiu,  et  d'autre  pari  Tiguorance  et 
le  degre  de  civilisation  peu  avance  des  nouveaux  peiiples  qui  plua  taid 
3ont  venus  s"y  fixer,  il  est  tout  simple  que  ces  derniers  fusseiit  coiuluits 
ä  adopter  et  ä  maintenir,  en  les  renouvelant,  les  institutions  toutes  faites 
quils  y  avaient  trouvces. 

Pour  ce  qui  est  du  regime  politique  dans  la  Peninsulc  Balcanique 
au  moment  de  linvasion  slave,  et  avant  la  fondation  des  Etats  slaves,  il 
dtait  base  sur  des  principes  centralisateurs  qui  donnaient  la  plus  grande 
extension  possible  ü  l'autorite  imperiale,  au  detriment  des  droits  muni- 
cipaux  ou  regionaux  primitifs.  La  cause  en  etait  dans  le  dangev  per- 
petuel  qui  mena^-ait  les  frontieres  de  l'Empire;  dans  la  [nature  meme  de 
lautorite  imperiale  centralisatrice,  et  dans  les  chocs  incessants  qu'avait 
ä  subir  l'Empire,  par  suite  des  perturbations  qui  se  produisaieut  au  mo- 
ment de  Tinstallation  de  ses  nouveaux  babitants.  Au  moment  oü,  en 
Europe,  la  feodalite  se  developpait  au  detriment  taut  de  Tautorit^  muni- 
cipale  que  de  Tautorite  centrale,  ä  ce  moment  meme,  dans  l'Empire 
Byzantin ,  toute  autorite  autre  que  celle  de  l'empereur  et  de  ses  hauts 
dignitaires  s'affaiblissait  au  profit  de  cette  deiniere.  Les  anciennes  insti- 
tutions civiles  de  l'Etat  Romain  disparaissent  une  ä  une  dans  lEmpire 
Byzantin  ä  partir  du  VII*  siecle ;  l'Etat  y  recevait  de  plus  en  plus  le 
type  d'un  Etat  militaire;  l'administration  y  ^tait  presque  exclusive- 
ment  militaire.  Seule  la  juridiction  civile  demeura  distincte  de 
l'administration  militaire  ,  comme  dernier  vestige  de  l'ordre  romain, 
oü  les  administrations  militaire  et  civile  etaient  nettement  separ^es. 
C'est  ainsi  que  les  anciennes  institutions  municipales  ont  toutes  disparu 
les  unes  apres  les  autres;  les  villes  ont  recu  pour  administrateurs  et 
chefs  des  capitaines  militaires,  et  dans  les  campagnes  (themata)  toute 
raotorit^  fut  r^unie  entre  les  mains  des  ducs  ou  des  comtes  (en  Serbie 
BOJBO^e  ou  KHesoBii'  .  Les  capitaines  des  villes  (en  Serbie  lied-a-iiije) 
avaient  sous  leurs  ordres  le  territoire  qui  entourait  la  ville;  ils  y  repre- 
sentaient  l'empereur  et  l'autorite  imperiale,  avec  des  forces  süffisantes 
pour  pouvoir  l'exercer  efi'ectivement.  Concurremment  avec  l'autorite 
imperiale,  l'Eglise  exer^ait  aussi  son  autoritö  dans  le  sens  de  la  centrali- 
sation;  par  les  eveques  et  les  protopopes,  eile  tenait  dans  sa  dependance 
les  öglises  et  les  pretres  dans  les  circonscriptions  urbaines,  tout  comme 
63  capitaines  des  villes  y  maintenaient  sous  la  leur  le  peuple,  les  no- 


1)  Diehl  Ch.  Etudes  sur  T Administration  byzantine  dans  l'Exarchat  de 
Ravenne  (568—751).  Paris  1888,  pages  81—194. 


334  Stojan  Novakovic, 

tables  ou  les  seigneiivs.  Les  exceptions  ä  cette  rfegle  g^n^rale  prove- 
naient  —  soit  de  la  tolerance  imperiale,  gräce  ä  laquelle  des  vestiges  de 
l'ancienne  Organisation  purent  subsister  dans  certains  centres  de  l'int^- 
rieur,  oü  le  maintien  en  etait  exigö  par  des  consid^rations  speciales  — 
soit  des  circonstances  locales,  comme  dans  certains  centres  du  littoral 
de  la  Dalmatie,  oü  l'ancienne  Organisation  subsista  et  se  maintint  dans 
son  intdgrit^. 

Nous  trouvons  une  Organisation  tout-ä-fait  semblable  ä  celle  qae 
nous  venons  d'exposer  dans  une  autre  ancienne  province  de  l'Empire 
Romain,  situee  ä  l'autre  bout  de  l'Europe,  dans  la  Gaule.  L'ancien 
regime  romain  y  a  subsiste  meme  apres  l'invasion  germaine;  il  s'y  est 
maintenu  sous  la  monarchie  franque,  dans  son  integrite,  tout  comme 
dans  la  Peninsule  Balcanique,  et  na  succombö  que  plus  tard,  lors  de 
l'etablissement  döfinitif  de  la  Feodalite.  Les  Francs  n'ont  donc  pas 
touchö,  en  Gaule,  ä  l'organisation  romaine:  ils  se  sont  contentes  d'en- 
trer  dans  le  cadre  romain,  de  prendre  possession  des  centres  romains, 
des  maisons ,  des  villes ,  des  frontieres  et  des  routes  romaines.  II  n'y 
a  eu,  apres  l'invasion  franque ,  rien  de  change  dans  le  regime  de  la 
Gaule,  si  ce  n'est  qu'elle  a  regu  de  nouveaux  maitres.  Les  rois  m^ro- 
vingiens  (428  —  742)  ont  gouverne  comme  les  empereurs  byzantins, 
en  se  conformant  absolument  aux  traditions  romaines.  C'est  l'auto- 
rite  centrale  royale  qui  gouvernait  alors  la  France:  c'est  eile  qui 
nommait  ou  destituait  les  comtes  dans  les  villes;  eile  possedait  le  pouvoir 
judiciaire  —  eile  ötait  toute  puissante,  etl'autoritö  feodale  de  la  noblesse 
ne  se  faisait  pour  ainsi  dire  pas  sentir.  Les  comtes  rendaient  la  justice 
dans  les  citös  au  nom  du  roi.  La  France  entiere  etait  divisöe  en  circon- 
scriptions  urbaines,  semblables  aux  marclies  ou  aux  contr^es  urbaines 
(5Kyna),  et  c'est  par  l'intermödiaire  des  villes  que  s'exergait  et  se  deve- 
loppait  l'autorite  royale  dans  le  pays  ^). 

Tout  se  passait  de  la  meme  maniere  dans  l'Empire  Byzantin.  Mais 
il  est  surprenant  de  constater  qu'il  en  a  ete  de  meme  dans  le  Royaume 
et  l'Empire  Serbes,  jusqu'ä  la  disparition  de  celui-ci.  Les  villes  y  for- 
maient  la  principale  base  pour  la  division  territoriale.  A  leur  tete  se 
trouvaient  des  capitaines  comme  ä  Byzance  (appeles  he<i>a.aHJa),  et  ces 
capitaines  y  avaient  exactement  les  attributions  des  comtes  dans  les  villes 
de  la  Gaule.  Nous  avons  indique  ailleurs  combien  l'organisation  militaire 


1)  F.  de  Coulanges,  Histoire  des  Institutions  politiques  de  rancienne 
France  —  La  Monarchie  Franque  —  Paris  1S88. 


Villes  et  Cit^s  du  moyen  äge.  335 

de  l'Empire  de  Charlemagne  etait  semblable  :i  celle  de  lempereur  serbe 
Douchan:  et  il  est  evident  qu'il  en  a  ete  ainsi,  parce  qu'ä  cette  dpoque, 
le  regime  romain  etait  encore  en  vigueur  dans  l'Empire  de  Charlemagne, 
et  parce  que  l'autorite  fdodale  n'a  pu  s'y  developper  qu'apres  la  disso- 
lution  de  cet  Empire  ^).  Meme  les  chants  nationaux  serbes,  en  chantant 
la  mort  de  Douchan,  raentionnent  cette  divi.sion  territoriale,  comme  une 
idee  ancienne  qui  s'est  fondue  avec  les  idees  nationales.  L'empereur, 
decrivant  ä  Voukachine  l'heritage  qu'il  lui  laisse,  lui  dit:  «Je  te  laisse 
en  ddpöt  nion  empire,  et  toutes  mes  cites  et  tou3  mes  ducs,  dans  toute 
letendue  de  mon  empire« 2j. 

A  quoi  tient  cette  ressemblance  qui  se  manifeste  dans  les  institutions 
de  la  monarchie  franque,  non  seulement  avec  Celles  de  TEmpire  Byzan- 
tin,  mais  encore  avec  Celles  de  l'Etat  serbe  du  moyen  äge?  A  une 
identitö  de  causes  de  part  et  d'autre.  Les  Francs,  race  germaine,  pa- 
rente  de  la  race  slave,  pönetrent  dans  la  province  romaine  de  la  Gaule, 
et  remplacent  le  gouverneur  romain  par  un  roi  franc,  qui  continue  ä 
gouverneur  d'apres  les  traditions  romaines.  Les  Serbes,  et  les  autres 
tribus  slaves  qui  ont  forme  plus  tard  avec  eux  une  meme  nationalitö, 
p^netrent  dans  les  provinces  romaines  de  la  Peninsule  Balcanique:  ils  y 
entrent  en  contact  avec  la  population  originaire,  et  en  apprennent  ä  con- 
naitre  les  anciennes  institutions  romaines,  qu'ils  adoptent  et  assimilent 
aux  conditions  de  leur  vie  nationale  •^).     Dans  la  suite ,  les  empereurs 


1}  Zeller,  Histoire  rösumde  de  rAlleniagne  et  de  FEuipire  Germanique. 
Leurs  institutions  au  moyen  äge.  Paris  1889,  pages  76 — 168; 

Ilpöujijapu  u  EaiuTuiiuuu.  Tjuxc  GpncKc  Kpa.L.  AKa^CMuje,  I.  Eeorpa«  1887, 
cip.  11 — 14. 

-}  B.  Ct.  Kapauuh.  CpriCKe  Hapo;iHe  IlecMe  II.  Beq  1846,  crp.  187. 

3j  Le  dernier  livre  de  M.  Fustel  de  Coulanges  (Histoire  des  institutions 
politiques  de  Tancienne  France,  La  Monarchie  franque  —  Paris,  1888)  est  tres 
iniportant  et  tres  interessant  au  point  de  vue  dont  nous  nous  occupons.  II 
est  surprenant  de  voir  corabien  il  y  a  de  ressemblances  entre  la  monarchie 
franque  et  l'Etat  serbe  du  XIV  siecle.  Comme  il  y  a  dejä  un  certain  temps 
que  j'etudie  l'Etat  serbe  du  XIV  siecle,  et  que  je  m'en  suis  forme  une  image 
assez  nette,  j'ai  ete  etonne  de  voir  combien  il  y  a  d'analogies  surprenantes 
entre  les  principales  institutions  franques  (empereur  —  palais  —  villes  — 
comtes  —  ducs  —  tribunaux)  et  Celles  de  la  Serble  du  XIV^  siecle.  Cette 
constatation  m'a  confirme  dans  mon  opinion  anterieure,  ä  savoir  que  dans 
l'etude  de  nos  coutumes,  de  nos  institutions  et  de  notre  Organisation  sociale, 
il  faut  proceder  par  comparaison  historique,  et  s'inspirer  de  la  loi  de  Tem- 
prunt  des  peuples  moius  civilises  aux  peuples  plus  civllises  —  plutOt  que  de 


336  Stojan  Novakovic, 

byzantins  ont  ä  plusieurs  reprises  enleve  aux  Serbes  l'autorite  sur  le 
territoire  entier  dans  la  Peninsule,  surtout  sur  certaines  rögious,  et  les 
Serbes  reeiproquement  Tont  reprise  aux  empereurs.  Mais  ces  change- 
ments,  fröquents  notamment  dans  les  contröes  de  la  Serble  meridionale 
et  de  la  Macedoine,  n'ont  pas  eu  pour  consequence  un  cliangement  dans 
le  regime.  Le  maitre  serbe  etait  remplace  par  un  maitre  grec,  le  maitre 
grec  par  un  maitre  serbe.  Teile  a  ete,  parait-il,  la  seule  difterence  — 
du  VII e  au  XIV «^  siecle;  quant  au  regime,  personne  n'y  a  jamais  touche, 
et  il  est  demeurö  presque  toujours  tel  qu'il  etait  jx  l'origine. 

La  vie  politique  et  municipale  a  donc  pris,  a  Torigine,  dans  les 
anciennes  provinces  de  l'Empire  Romain,  une  forme  identique,  aussi  bleu 
ä  l'Est,  dans  la  Peninsule  Balcanique,  qu'ä  l'extreme  Ouest,  dans  la  Gaule. 
A  l'Est,  les  uouveaux  Etats  qui  se  fonderent  dans  les  anciennes  provinces 
romaines  de  la  Peninsule  Balcanique  inaugurerent  leur  vie  politique  et 
sociale ,  en  la  pliant  au  cadre  romain  au  poiut  de  vue  politique  et 
ecouomique,  et  au  cadre  byzantain  au  point  de  vue  de  la  religion  et  de 
la  culture.  A  l'Ouest,  les  Gaulois  et  les  Germains  se  conforment  d'uue 
fagon  pareille  aux  traditions  romaines  et  italiennes,  et  se  melent  ä  la 
Population  roraaine  et  ä  la  population  romanisee  primitive.  Par  suite  des 
vicissitudes  et  des  guerres  d'une  epoque  troublee,  presque  tous  les  droits 
municipaux  disparurent,  tant  ä  l'Est  qu'ä  l'Ouest,  et  toute  l'autorite  se 
concentra  dans  le  chef  de  l'Etat.  Or  il  faut  nous  demander  comment  les 
choses  se  passerent  dans  la  suite,  et  quel  fut,  dans  le  cours  du  moyeu 
äge,  le  developpement  ulterieur  d'un  etat  de  choses  ä  l'origine  identique. 

Nous  avons  vu  que  dans  l'Europe  Occidentale,  l'arbitraire  feodal  a 
pris  le  pas  sur  l'autorite  centrale  royale  qu'il  a  annihilee,  et  a  detruit  les 
droits  personnels  des  particuliers,  en  les  remplagant  par  le  regime  de  l'oli- 
garchie  anavchique  et  de  l'oppressiou.  Dans  les  contrees  de  cette  partie 
de  l'Europe,  les  villes  et  les  cites  furent  les  centres  et  les  chefs  de  la 
lutte  coutre  cette  oppression  feodale.  S'appuyant  souvent  sur  l'autorite 
royale  elle-meme,  et  s'alliant  avec  eile,  les  villes  et  les  cites  y  ont  entre- 
pris  cette  lutte  —  lutte  sanglante  et  meurtriere  —  pour  la  conquete  des 
droits  bumains,  de  la  libert^  personuelle,  de  la  liberte  de  circulation,  et 
elles  ont  aiusi  servi  la  cause  de  la  civilisation  et  du  progres,  dont  elles 

l'idee  de  roriginalite  nationale.  C'est  la  methode  qui  nous  est  dictee  par 
l'histoire  generale  des  idees  et  des  institutions,  lesquelles  emigrent  et  s'em- 
pruntent  plus  souvent  qu' elles  ne  s'inventent.  Nous  en  avons  d'ailleurs 
Texemple  daus  notre  propre  epoque,  si  pleine  de  phraseoiogie. 


Villes  et  Cit^s  du  moyen  äge.  337 

ont  et6  les  pionniers,  en  developpant  partout  la  richesse,  Tindustrie  et  le 
commerce.  EUes  ont  en  outre  maintenu  en  usage  de  nombreux  droits, 
de  nombreuses  coutumes  de  lepoque  romaine,  elles  ont  conservö  ou  con- 
tribu^  ä  faire  revivre  les  anciennes  institutions  municipales  romaines. 
Gräce  ä  leur  influence  morale  et  ä  leurs  efforts,  elles  ont  reussi  ä  rem- 
plir  leur  mission  dans  la  lutte  pour  le  droit  et  la  libert^,  et  ont  ainsi 
brillamment  pr^pare  l'avenement  de  lere  nouvelle. 

C'est  ainsi  que  les  choses  se  sont  passees  dans  TOuest  de  l'Europe, 
mais  il  en  fut  autrement  dans  l'Est,  oii  le  developpement  social  et  poli- 
tique,  quoique  identique  au  d^but,  prit  une  marche  difförente. 

L'autorite  centrale  du  chef  de  l'Etat  s'y  maintint  avec  ses  Präro- 
gatives anciennes,  du  moins  au  commencement,  et  ne  permit  pas  ä  l'auto- 
rite seigneuriale  de  s'y  organiser  comme  dans  l'Ouest  de  l'Europe.  Les 
tentatives  ulterieures  des  seigneurs  en  ce  sens  —  qui  se  manifesterent 
surtout  en  Serbie,  apres  les  conquetes  de  Douchan  —  furent  totalement 
enrayees  par  la  conquete  turque. 

C'est  pourquoi  l'autorite  centrale  imperiale  supprima  de  nombreuses 
institutions  municipales.  Si  celles-ci  se  maintinrent  sans  discontinuitö, 
dans  certains  centres,  c'est  parce  que  l'autorite  centrale  meme  trouvait 
des  raisons  de  ne  pas  y  toucher,  et  parce  que  rien  n'est  moins  uniforme 
que  le  moyen  äge.  En  effet,  ici  encore,  le  developpement  du  commerce, 
de  l'industrie  et  des  entreprises  privees,  rendait  necessaires  certains  Pri- 
vileges particuliers.  La  se  trouve  la  raison  de  nombreux  Privileges  auto- 
nomes que  possedaient  certaines  colonies  etrngeres,  notamament  lescolo- 
nies  et  les  villes  romanes  du  littoral  de  la  Mediterranee.  II  parait  que  dans 
la  Pcniusule  Balcanique  on  a  prodigue  encore  davantage  les  Privileges 
de  cette  cat^gorie.  Ici  les  corporations  et  leurs  Privileges  rappellent  et 
representent  cette  autonomie  des  villes  romanes  de  la  Mediterranee. 
Nous  savons  de  meme,  par  des  documents  certains,  par  exemple  par  le 
Code  de  l'empereur  serbe  Etienne  Douchan,  que  des  villes  de  la  P^nin- 
sule  Balcanique  avaient  certains  Privileges,  quoique,  malheureusement, 
.  nous  ne  possedions  aucun  detail  precis  sur  leur  nature.  Mais  il  faut  re- 
i  marquer  qu'en  general  le  developpement  des  institutions  municipales 
ne  sopere  pas  ici  k  la  suite  d'une  lutte,  et  n'est  pas  le  r^sultat  dune 
conquete  sur  les  seigneurs,  comme  ä  l'Ouest  de  TEurope,  mais  qu'il  pro- 
cede,  soit  d'un  don  special  de  l'autorite  imperiale,  soit  danciens  Privi- 
leges qu'elle  laissa  subsister.  C'est  ainsi  que  dans  certaines  regions  les 
institutions  municipales  romaines  se  maintinrent  d'elles-memes,  aprös 

.Vrchiv  für  slavische  Philologie.    XXV  22 


V 


338  Stojan  Novakovic, 

l'invasion,  dans  leur  forme  primitive.  Tel  est  le  cas  de  la  Dalmatie  oü, 
en  raison  des  circonstauces,  les  nouveaux  maitres  slaves  eux-memes  ne 
c^derent  pas  ä  la  tentation  de  satisfaire  leur  amour- propre  autoritaire, 
par  l'imitation  des  exemples  de  la  souverainete  centralisatrice  romaine. 
De  meme  ä  l'autre  bout  de  la  peninsule,  nous  voyons  que  Constantinople 
a  eu,  pendant  toute  la  duree  du  moyen  äge,  et  jusqu'ä  la  prise  de  Con- 
stantinople, une  Constitution  speciale  qui  en  faisait  un  monde  ä  part  dan- 
l'Empire  Byzantin,  possödant  des  institiitions  particulieres.  Constanti- 
nople a  eu  ainsi  une  Situation  ä  peu  pres  semblable  ä  celle  de  Rome  dans 
l'Empire  Romain;  le  nom  de  nouvelle  Rome  lui  a  meme  ete  donne  dans 
les  documents  du  moyen  äge,  et  il  est  certain  qu'ä  cause  de  cette  Situa- 
tion particuliere  il  a  du  avoir  quelque  influence  sur  les  autres  villes  de 
la  Peninsule  Balcanique,  tout  au  moins  sur  les  plus  importantes.  Nous 
mentionnerons  cependant  ici  que  les  Privileges  des  villes  balcaniques 
n'etaient  en  aucune  faQon  analogues  ä  ceux  que  possedaient  ä  la  meme 
epoque  les  villes  de  l'Ouest  de  l'Europe.  Seules  les  villes  du  littoral  de  la 
Dalmatie  peuvent,  sous  ce  rapport,  6tre  comparees  aux  villes  de  l'Italie  et 
du  midi  de  la  France,  oü,  sauf  de  rares  interruptions,  la  tradition  romaine 
a  persiste.  En  Dalmatie,  du  reste,  la  langue  italienne,  et  jusqu'ä  un  certain 
point,  la  nationalite  italienne  se  sont  maintenues  jusqu'ä  nos  jours,  quoi- 
que  la  population  primitive  purement  romane  s'y  soit  melangee  avec  la 
population  voisine  serbe,  et  se  soit  meme  le  plus  souvent  confondue  avec 
eile.  Comme  preuves  de  cette  similitude  d'organisation  entre  les  villes  du 
littoral  de  la  Dalmatie  et  Celles  des  autres  regions  romanes  de  l'Europe 
(y  compris  la  Gaule),  nous  citerons  les  faits  suivants.  Dans  les  unes  comme 
dans  les  autres,  nous  trouvons  un  comte  (comes)  comme  cbef  elu  de  la 
cite.  Celle-ci,  gouvernee  par  le  comte  et  par  le  conseil  qui  l'assiste,  y  a 
le  type  de  l'Etat,  et  ce  type  a  persiste,  dans  son  cadre  restreint,  pendant 
tout  le  cours  du  moyen  äge.  Dans  les  villes  du  littoral  de  la  Dalmatie. 
comme  dans  Celles  de  la  France  et  de  l'Italie,  c'est  aux  sons  de  la  cloche 
que  sont  convoquees  les  assembldes  municipales.  Dans  les  unes  comme 
dans  les  autres,  l'administration  municipale  est  r^gie  par  un  meme  prin- 
cipe —  le  principe  electif.  L'organisation  interne  y  est  semblable,  in- 
spiree  par  le  geuie  commercial.  gräce  auquel  elles  rependaient  dans  les 
contr^es  voisines,  avec  leurs  marchandises,  leur  culture  plus  developpee 
et  leurs  idees.  Les  mots  Italiens  «razione«,  »vaglia«,  rloggiaff,  ainsi  que 
beaucoup  d'autres  qui  ont  passe  dans  la  langue  serbe,  temoignent  de 
cette  influence  exercee  par  l'oeuvre  commerciale  des  villes  de  la  Dalmatie. 


Villes  et  Cit6s  du  moyen  äge.  339 

Si  maintenant  nous  nou3  demandons  quel  role  ont  jouö  les  villes  et 
les  citcs,  dans  la  vie  sociale  de  la  Serbie  du  moyen  äge,  nous  trouverons 
que  les  tendances  naturelles  vers  le  progres  devaient  y  etve  soumises  ii 
trois  influences  distinctes.  En  premier  lieu  s'exer^ait  celle  de  Constanti- 
nople:  nous  savons  que  Tesprit  centralisateur  y  dominait,  et  qu'il  avait 
pour  consequence  la  restriction  des  tendances  et  des  institutions  munici- 
pales,  ainsi  que  la  concentration  de  tonte  lautoritt'  dans  Tomnipotence 
militaire  du  souverain  et  de  ses  representants.  Or  les  Serbes  ^taient 
rattaches  ä  Constantinople  par  la  communautc  de  religion  et  par  l'affinite 
de  culture:  c'etaient  la  de  puissants  liens  qui  avaient  leur  r^percussion 
sur  la  vie  sociale  et  politique  entiere  de  la  Serbie.  De  la  Dalmatie,  par 
contre.  nous  venaient  des  idees  liberales.  II  est  vrai  que  nous  en  etions 
separes  par  la  difference  de  religion,  qui  ä  cette  epoque  creusait  un 
abime  entre  les  divers  pays,  et  que  les  modeles  d'institutions  municipales 
qu'elle  nous  presentait  pouvaient  etre  en  contradiction  avec  les  institu- 
tions centralisatrices  byzantines  en  vigueur.  Malgre  cela  cependant,  des 
liens  commerciaux  et  economiques  s'^tablirent  entre  la  Serbie  et  la  Dal- 
matie, et  se  multiplierent  ä  mesure  que  la  Sei'bie  progressait  elle-meme. 
D'ailleurs  les  souverains  serbes  en  favoriserent  eux-memes  le  de'veloppe- 
ment,  car  l'emancipation  commerciale  et  ^conomique  ä  l'egard  de  (Con- 
stantinople, qui  en  resultait,  servait  les  tendances  anti-grecques  de  leur 
politique,  et  formait  un  puissant  appoint  dans  la  lutte  qu'ils  soutenaient 
avec  Byzance,  pour  se  soustraire  ä  sa  Suprematie  politique.  A  cote  de 
ces  deux  influences  s'exercait  une  troisieme.  provenant  des  aspirations 
de  la  noblesse  et  des  seigneurs  serbes  du  moyen  äge.  Bien  qu'elles 
n'aient  pas  atteint  en  Serbie  le  meme  resultat  que  dans  les  contrees  de 
rOuest  de  l'Europe,  les  pr^tentions  des  seigneurs  y  constituerent  nean- 
moins  un  obstacle  tres  serieux  au  developpement  des  institutions  muni- 
cipales. En  effet,  une  condition  primordiale  de  ce  developpement,  en 
Serbie  comme  ailleurs,  etait  qu'il  fut  bas^  sur  la  libert^  personnelle.  Or 
cette  liberte  n'existait  pas:  les  seigneurs  ötaient  maitres  du  sol,  et  mai- 
tres  des  hommes  qui,  en  majeure  partie  ainsi  que  leurs  descendants, 
etaient  attach^s,  k  vie,  ä  la  personne  ou  aux  biens  de  leurs  maitres.  Pour 
satisfaire  leurs  desseins  egoistes,  les  seigneurs  restreignaient  souvent  les 
libertes  les  plus  essentielles,  comme  celle  d'acheter  et  de  vendre  k  son 
gre,  si  bien  que  nous  voyons  enfin,  au  XIV  siecle,  la  legislation  royale 
forcee  d'intervenir  pour  assurer  au  moins  l'exercice  de  ce  dernier  droit. 
D'oü  il  ressort  que  cliez  les  Serbes  aussi,  les  villes  et  les  cites  durent 

22* 


340  Stqjan  Novakovic,  Villes  et  Citcs  du  moyen  age. 

chercher  dans  l'autorit^  royale,  jusqu'ä  un  certain  point,  des  garanties 
pour  leur  developpement.  Nous  voyons,  en  verite,  le  code  de  Stefan 
Douchan  en  Serbie  prendre  solennellement  en  protection  les  Privileges 
des  villes  et  des  cites  de  la  partie  occidentale  de  la  Pdninsule  Balcanique 
tout  entiere. 

Au  milieu  de  ces  influences  diverses ,  les  villes  ont  progresse  tres 
leutement  en  Serbie,  et  nous  en  donnons  comme  preuve  pr^cisement  ce 
fait  que  nous  connaissons  tres  peu  de  chose  d'elles.  Alors  que  dans  les 
contrees  plus  favorisees  de  l'Ouest  de  l'Europe  les  villes  pouvaient  s'en- 
ovgneillir  d'une  autonomie  complete,  au  point  de  vue  tant  de  la  juri- 
diction  que  de  l'administration ,  chez  les  Serbes  les  questions  de  libert6 
personnelle  n'etaient  elles-memes  pas  encore  r^solues.  En  effet,  si  nous 
nous  pla§ons,  en  dernier  lieu,  ä  l'epoque  oii  la  Serbie  reconquit  son  in- 
dependance,  au  commencement  du  XIX  siecle,  nous  verrons  dans  ce 
pays  un  ötat  de  choses  tout  ä  fait  contraire  ä  celui  que  nous  avons  con- 
statd  dans  l'Ouest  de  l'Europe.  Nous  avons  vu  que  les  villes  et  les  cites 
y  ont  prepare  la  voie  vers  le  regime  constitutionnel;  en  Serbie,  au  con- 
traire ,  nous  voyons  toutes  les  villes  dans  le  meme  etat  qu'ä  l'epoque 
romaine ,  soumises  au  pouvoir  etranger,  habitees  par  des  etrangers.  Ce 
ne  sont  pas  elles  qui  entreprennent  et  menent  ä  sa  fin  ia  lutte  pour  l'in- 
dependance  nationale,  mais  bien  les  campagnes  et  les  villages.  D'apres 
cela  nous  pouvons  juger  quelle  devait  etre  leur  condition  anterieure ; 
nous  pouvons  nous  rendre  compte  qu'elles  jouerent  un  role  insignifiant 
au  point  de  vue  du  developpement  de  la  nationalite  ainsi  que  de  l'öman- 
cipation  et  de  la  liberte  civiles,  et  qu'enfin  elles  formerent  toujours  les 
nceuds  du  filet,  dans  lequel  l'autorite  nou  nationale  enserrait  le  pays 
Serbe,  et  gräce  auquel  eile  y  maintenait  sa  domination.  Comme  unique 
trace  de  repr^sentation  municipale,  nous  pouvons  y  noter  seulement 
Celle  exercee  par  les  notables,  qui  etait  toleree  par  l'autorite  centrale, 
pour  pouvoir  etre  consultee,  le  cas  ^cheant,  dans  les  questions  religienses, 
charitables  et  Celles  concernant  les  coutumes.  Les  corporations  —  esnafs 
—  y  etaient  toujours  prises  en  consideration.  C'est  en  meme  temps  tres 
vague  et  tres  loin  d'une  autonomie  reguliere,  mais  c'est  tout  ce  qu'on 
peut  decouvrir  positivement  ä  Athenes  ou  ä  Serres  aussi  bien  qu'ä 
Beigrade  et  ä  Uscub ,  ou  ä  Sofia  et  ä  Andrinople.  Tout  le  reste  döpen- 
dait  de  l'autorite  centrale,  omnipotente,  et  pour  la  plupart  du  temps, 
arbitraire.  Stojan  Novakovic. 


341 


Bedeutimg  des  altböhmisclieii  Imperfects. 


Erklärung  der  Abkürzungen 
der  hier  angeführten  altböhm.  Texte : 
Alh.  =  Räj  duse  Paradisus  anim*) 
von  Albertus  Magnus  aus  dem  XIV. 
Jahrhundert;  —  -4/j-.  =  Alexandreis. 
u.  zw.  AlxH.  das  Neuhauser  Frag- 
ment derselben  aus   dem  Ende  des 

XIII.  Jahrb.,  .4/xT'.  das  St. Veiter  aus 
dem  Anfange  des  XV.  Jahrb.,  die 
übrigen  aus  dem  XIV.  Jahrb. ;  —  Ans. 
=  Anseimus,  XIV.  Jahrh. ;  —  Baic.  = 
Baworowski'sche  Hs.,  v.  J.  1472;  — 
BMG.  =  ein  Bibelfragment,  XV. 
Jahrh.;  —  Comest.^^  Comestor,  XV. 
Jahrh. ;  —  Dal.  =  Dalimirs  Chronik ; 
—  £lA.  =  eiu  Evangelienfragment, 

XIV.  Jahrb.;  Ev Seilst.  =  Evangeliar 
von  Seitenstätten,  XV.  Jahrb.,  Ev  Vid. 
=  Ev.  von  Wien,  2.  Hälfte  d.  XIV. 
Jahrb.;  —  Hrad.  =  Königgräzer 
Handschrift,  XIV.  Jahrh. ;  —  Kat.  = 
Leg.  V.  d.  hl.  Katbarina,  ca.  1400;  — 

Kor.  =  Korcek's  Neues  Testament  vom  J.  1425;  —  Krist.  =  Leben  Christi. 

XIV. Jahrb.; —  Ä'n<»i/.  =  Krumauer  Handschrift,  aus  d.Anf.d. XV.  Jahrb.;  — 

.Va.sf.  z=  Mastickär,  der  Quacksalber,  2.  Drittel  des  XIV.  Jahrb.;  —  3Iat.  = 

Evang.Mattba'i  mit  Homilien.  2.  Hälfte  des  XIV.  Jahrb.  ;—  ML.  =  Modlitby 

a  legendy,  Gebete  und  Legenden,  XIV.  Jahrb.;  —  Modi.  =  Modlitby,  Gebete 

etc.,  XIV.  Jahrb.;  —  Ol.=  Olmützer  Bibel  v.  J.  1417;  —  Otc.  =  Otcove,  Vitiv 

patrum,  XV.  Jahrb.;  —  Puss.  =  Passional,  XIV.  Jahrb.;  —  PulA:  =  Pulkava's 

i  Chronik,  ca.  1400;  —  Bozh.  —  Rozbor  literatury  staroceske  1840  u.  1841 ;  — 

j   Stilfr.  =  Stilfrid,  XV.  Jahrb.;  —  Stit.  =  Stitny,  SUtBiid.  aus  d.  Anf.  des  XV. 

i  Jahrb.,  Stit.r.  v.J.  1392;  —  Tns<.  =  Tristram,  v.J.  1449;  —  Troj.  =  Trojaner- 

cbronik,  v.  J.  1488;  —  Vit.  =  St.  Veiter  Handschrift,  1380—1400;  —  Vi/b.  = 

Vybor  z  literatury  ceske,  1. 1845,  II.  1S68;  —  ZWäth.  =  Zaltär  Wittenbersky, 

Wittenberger  Psalter,  XIV.  Jahrb. 

I. 

Das   Imperfectum  1]    eines    verbum   imperfectivum    drückt    die 


M  Die  obige  Abhandlung  ist  ein  Ausschnitt  aus  meiner  Histor.  Grammatik 


342  J.  Gebauer, 

Handlung  als  eine  a)  in  der  Vergangenheit  dauernde,  oder  b)  in  der 
Vergangenheit  dauernde  und  zugleich  wiederholte  aus. 

Beispiele  zu  a):  kdyz  scdiechom  nad  hrnci  masa  a.  j'ediechom 
chleb  Ol.  Ex.  10,  10,  Vulg. :  quando  sedebamus  .  .  et  comedebamus;  — 
ta  (dcera)  mrtese  Kor.  Luk.  8,  42,  moriebatur,  starb  =  lag  im  Sterben; 
—  (Alexander)  otcika  juz  nejmejiese^  matky  take  nevidiese^  jedno  miese 
mistra  sveho  AlxV.  124  ff. ;  —  ta  ry tiefe  prosiesta  svateho  Petra,  aby 
z  mesta  postiipil  Pass.  298;  —  Fares  jednomu  jme  biese^  druhy  Elifas 
sloüiese  AlxB.  3,  31 ;  —  u.  s.  w. 

Hierher  gehören  auch  die  eine  directe  Rede  ankündigenden 
Imperfecta  der  verba  dicendi  dieti^  praviti^  mluviti  u.  a.  Z.  B.  ta  pani 
k  tej  babe  diese:  «Povez  mi«  etc.  Hrad.  103'^;  —  Petr  svatemu  Janu 
diese:  j)Rac5z  palmu  vzieti«  etc.  Vit.  37^;  —  pacholiky  zalostive  kri- 
ciesta,  »matko  pomoz !  matko  pomoz!«  diesta  DalZ.  50;  —  Kristus 
praviese  apostolöm :  »Nenie  vase,  znati«  etc.  Alb.  102'';  —  svaty  Pa- 
vel .  .  praviese:  »Kto  ny  ot  milosti  bozie«  etc.  ib.  103^;  —  sv.  Ansel- 
xim^  praviese:  »Vzhrozije  se  möj  zivot«  etc.  Stit.  f.  90^;  — Job,  zkusiv 
hubenstva  tohoto  sveta,  praviese:  «Clovek  vzejde  jako  kvet  a  zetfien 
bude«  StitBud.  114; —  (David),  kakzkoli  mnoho  mel  krmi  k  svemu 
stolu,  y\ak praviese:  »Teprv  se  nasytim,  kdyz«  etc.  227;  —  ona  dva 
mlazsie  '^xv&iosa praviesta:  ;;Zda-li  v  näs  srdce  nehoriese«  etc.  Stit.  r. 
72^;  • —  (sv.  Pavel)  mluviese:  »Jäz  pferäd  se  dam  za  vsecky  duse«  etc. 
Alb.  107^;  —  SV.  Prokop  .  .  mluviese:  »Milä  bratfi,  nedivte  se«  etc. 
Hrad.  lO**;  —  pani  jeho  .  .  takto  mluviese:  »Panku,  viz  o  sobe«  etc. 
Hrad.  143^;  —  (David)  v  tom  tüzeni  to  mluviese:  »E  höre,  tak  se  jest 
prodlilo  mö  bezbydle!(f  StitBud.  227;  —  tato  dva  takto  mluviesta:  »0 
mily  hospodine«  etc.  Pass.  290;  —  pfietele  placic  mluviechu  takto:  »0 
mila  Maria  Magdaleno,  proc«  etc.  Pass.  343 ;  —  nekteii  k  niej  (sv.  Mai- 
kete)  tak  mlumechu:  »0  prekräsnä  dievko«  etc.  Pass.  320;  u.  s.  w.  — 
Dagegen  ist  veceti  [st.veceti,  asl.  vestati  loqui)  in  dieser  Stellung  immer 
im  Aorist.  —  Vgl.  asl.:  otT.vestav%  ze  glagolaase  imi.:  «imej^i  dbve 
rize«  etc.  a7toy,Qid-elg  ?Jyet  Zogr.  Luc.  3,  11,  glagolaase  elsysr  Cod. 
Mar.  Marc.  0,  4  u.  ö.,  oUvestaase  imi,  glagol'e  cc7tey.QivaT0  Zogr.  Luc. 
3,  10  u.  s.  w. 


der  böLm.  Sprache  (IV,  Syntax),  es  ist  also  immer  das  altböhmische  Im- 
perfectum  zu  verstehen;  Analogien  gibt  es  in  anderen  slavischen  Sprachen 
wohl  für  alle  oben  erörterten  Fälle.  —  Vgl.  auch  Pelikan:  Vyznam  imper- 
fekta  ve  stare  cestine  (Königgräz,  1886,  Gymn. -Programm). 


Bedeutung  des  altböhmischen  Impeifects.  343 

Häufig  sind  und  ebenfalls  hierher  gehören  Fälle  des  Imperfects, 
wo  eine  in  der  Vergangenheit  dauernde  Handlung  als  eine  mit  einer 
anderen,  ebenfalls  vergangeneu  gleichzeitige  erscheint;  diese  Fälle 
meint  man,  wenn  man  sagt,  das  Imperfectum  drücke  die  Gleichzeitig- 
keit in  der  Vergangenheit  aus.  Z.  B. :  kdyz  Josef  snimähe  telo,  Maria 
stäse  eakajüci  Ans.  'J,  als  während)  Josef  den  Körper  vom  Kreuze 
herabnahm,  stand  Maria  .  .;  —  v  tu  hodinu,  kdyzto  jeho  (sv.  Prokopa) 
svate  iUo  j)oc/iovävächu,  voläse  jeden  slepy  a  ika  Pass.  316;  —  kdyz 
^Oldiich)  sk'rze  jednu  vesjediese,  uzfe  etc.  DalH.  41;  —  kdyz  Cechy 
(Bohemi)  v  kUkter  jdiechu,  skry  se  (Jitka)  za  oltarem  DalH.  42;  — 
kdyz  diese  Durink  s  hradu,  vece  DalC.  21:  —  kdyz  jeho  (sv.  Jakuba) 
na  popravu  vediec/tu,  jeden  nemocny  poce  volati  Pass.  353;  —  Kochan 
kdyz  okolo  sochy  chodiese  a  z  sehe  treva  tociese,  na  svöj  rod  poce  tii- 
ziti  DalC,  40;  —  kdyz  (sv.  Vaclav)  na  praze  Jdeciese  a  svü  dusu  u  bozi 
ruce  porüciese^  Hneza  a  jeho  bratrie  pi'iskocichu  DalH.  30;  —  v  tu 
hodinu,  v  niz  sv.  t>cepdna  v  hrob  k  sv.  Vavnnci  kladiechu^  svaty  Va- 
viinec  .  .  na  stranu  v  hrobu  polehl  Pass.  400;  —  (sv.  Arnulfus),  v  nizto 
dobu  okolo  iieho  svaty  pruvod  pejiechu,  dusi  pustil  ib.  331 ;  —  kdyz  ta 
cnä  zena  s  synoma  svyma  pres  moi'e  plociese,  jedne  noci  vicher  se 
vztrze  etc.  ib.  287  ;  —  kdyz  to  tele  myjiechu,  hrozny  bl'sket  vidiechu 
Vit.  37'';  —  u.  s.  w. 

Beispiele  zu  b):  Gallikan  zle  duchy  z  lidi  rAjhänieie  Pass.  282, 
trieb  (öfters,  zu  wiederholten  Malen)  böse  Geister  aus  den  Menschen ;  — 
earodejnik  knihy  sv^  u  more  uvrhl  boje  se,  by  nebylo  proneseno,  ez  se 
6äry  obchäziese  ib.  294,  dass  er  sich  mit  Zaubereien  beschäftigte:  — 
casto  k  nemu  lidie  nemocni  pnchäziechu.  jesto  iizdravaväse  ib.  314;  — 
vyßezdiese  David,  kamz  jeho  koli  Saul  posielase,  a  vse  müdfe  zpöso- 
boväse  Ol.  1.  Reg.  IS,  5,  egrediebatur,  quo  eum  Saul  misisset,  .  .  age- 
bat;  —  lide  jine  lidi  tepiechii  a  svariece  y^  jediechu  DalC.  109;  —  u.s.  w. 

II. 

Das  Imperfectum  eines  verbum  perfectivnm  drückt  die  Handlung 
als  eine  in  der  Vergangenheit  wiederholte  aus.  Die  Wiederholung 
geschieht  auf  die  Weise,  dass 

a)  entweder  dasselbe  Subject  aS"  dieselbe  Handlung  p  einigemal 
ausführt,  also:  -S'  [p^  p^p  .  .  .)\ 

b)  oder  dass  mehrere  Subjecte  »Sj,  -69,  «5*3  ..  .  zugleich  oder  nach- 


344  J-  Gebauer, 

einander,  aber  jedes  für  sich,  die  gleiche  Handlung  ausführen,  also. 
[S^,  S2,  S,  .  .  .]  p. 

Die  Subjecte,  welche  die  gewisse  Handlung  ausführen,  können 
selbstverständlich  im  Sing.,  Du.  oder  Plur.  sein. 

Beispiele  zu  a):  ac  uzriese  zlodeje,  beziese  s  nim  ZWittb.  49, 
18,  si  videbas .  .,  currebas  .  .,  =  jedesmal,  wenn  du  erblicktest  .  .;  — 
(Dobes)  pojdiese  do  Jerusalema  Ol.  Tob.  1,  G,  =  Tobias  ging  jedesmal 
nach  Jerusalem ,  wenn  .  .  . ,  Vulg. :  cum  irent  omnes  ad  vitulos  aureos, 
hie  solus  .  .  pergebat  in  Jerusalem  ad  templum  Domini,  in  der  Bibel  v. 
J.  1857:  chodival;  —  (knezj  kolikrät  se  tam  jiti  pokusiese ,  tolikrät  se 
jemu  vzdy  tez  prihodilo  Pass.  341,  so  oft  (jedesmal,  wenn)  der  Priester 
es  versuchte  .  .,  so  oft  (jedesmal)  ist  ihm  dasselbe  geschehen;  —  kdyz 
koli  zly  duch  nadlapiese  Saula.  David  vzhudiese  Ol.  i.  Reg.  16,  23, 
quandocunque  Spiritus  malus  arripiebat  Saul,  David  tollebat  citheram  et 
percutiebat  eam;  —  kdez  koli  vejdiese  Ptolomeus  do  ktereho  mesta, 
vzdy  postaviese  sträze  v  kazdem  meste  BiblG.  1.  Mach.  11,  3,  cum 
introiret  .  .,  ponebat,  in  der  böhm.  Auffassung  und  Uebersetzung:  wo 
immer  er  eintrat,  jedesmal  (überall)  errichtete  er  Wachen :  —  (sv.  Petr) 
kdyz  kokota  pejic  usly siehe  ^  tak  inhed  zaplakäse  Krist.  97"^,  Petrus 
brach  jedesmal  in  Weinen  aus,  wenn  er  den  Hahn  krähen  hörte  (ver- 
nahm); —  (syn)  kdyz  pivo  uzriese^  na  vodu  oka  neprodriese  Mast.  294, 
wann  immer  er  Bier  erblickte ,  schaute  er  kein  Wasser  an ;  —  (obr) 
kohoz  sochorem  dosiehniese,  toho  velmi  uraziese  Baw.  27G;  —  kdyz 
se  ona,  ulizniese,  on  se  zasmej'iese,  a  kdyz  se  ona  posmüriese  na  n, 
lisäse  0  niej  Ol.  3.  Esdr.  4,  31  ,  si  arriserit  ei  (concubina  regi),  ridet, 
nam  si  indignata  ei  fuerit,  blanditur,  die  böhm.  Uebersetzung  etwas  frei; 

—  ktozkoli  pHJdiese  obeti  obetovat,  pribehniese  pacholik  Ol.  1.  Reg. 
2,  13,  quicunque  immolasset,  veniebat  puer,  in  der  böhm.  Auffassung : 
wer  immer  ==•  wann  immer  jemand  kam . .,  jedesmal  kam  der  Knabe  etc. : 

—  komu  se  nedostamese,  u  druha  jako  sve  vezmiese  Dal.  2  ;  —  (Uhri 
kam  se  jedno  ohrätiecJm^  vezde  Premysla  uzriechu  DalJ.  88;  —  na 
vsaky  den  pridiese  k  nemu  nemocuych  velmi  mnoho,  k  nimzto  ruku 
vyskyta  z  okence  a  kazdemu  na  hlavu  vlozie'se  Otc.  139%  Kranke  kamen 
Tag  für  Tag  und  der  Einsiedler  legte  jedem  jedesmal  die  Hand  auf;  — 
(pisai-  a  biskup)  zectiesta  penieze,  jesto  nalezniesta  Ol.  4.  Reg.  12,  10, 
numerabant,  quae  inveniebantur;  —  u.  s.  w. 

Auf  die  hier  gemeinte  Weise  ist  auch  das  Impf,  pribliziese  se  zu 
erklären  in  den  Beispielen:    kdyz  nemoc  se  pribliziese^  on  (bohatec 


Bedeutung  dea  altböhmischen  Imperfects.  345 

chtiese  se  tiilati  Hrad.  IIP,  —  kdyz  (Boleslav)  pocitil  smrt,  ze  se  k 
nemn  pH bh'ztese,  povolav  k  sobt'  syna  sv(?ho  a  jej  mnohym  ctnostem 
ucil  Pulk  R.  35'';  —  durch  das  Imperfectum  des  verb.  perf.  prlbliziti  se 
ist,  meine  ich,  das  Nahen  als  ein  schrittweises  angedeutet  und  wird  ge- 
sagt, dass  ein  Schritt  nach  dem  anderen  ausgeführt  wurde:  die  Krankheit, 
der  Tod  kam  näher,  und  wieder  näher  .  .  .,  neubühm.  nemoe,  smrt  se 
pHblizovala  (impftiv,,  iterat.). 

Ahnlich  ist  auch  das  Impf,  protrziese  in  Hrad.  125'^  zu  deuten: 
svec  provrze  ten  kros,  i  sadi  druhy  spiese;  ten  (druhy)  kros  op<^t  provr- 
ziese,  osm  vrhöv  vesdy  pospolu  ztrati  övec.  Der  Schuster  —  erzählt 
das  Gedicht  —  würfelte  mit  dem  Wirt ;  verlor,  verspielte  einen  Groschen : 
setzte  dann  einen  zweiten  Groschen  ein;  und  verlor,  verspielte  auch 
diesen,  und  zwar  auf  acht  Würfe  :  provrziese  =  verspielte  den  zweiten 
Groschen  in  mehreren  auf  einander  folgenden  Würfen  (daneben  im 
ersten  Satze  provrze,  Aor.,  worüber  weiter  unten  Y).  Verliert  jemand 
heute  z.  B.  im  Kegelspiel  einen  Gulden,  su  sagt  er:  prokouleljisem  zlatku, 
während  man  altböhmisch  prokulech  hätte  sagen  können :  die  Nuance 
der  Handlung,  welche  im  Altböhmischen  durch  die  Bedeutung  des  Im- 
perfects ausgedrückt  werden  konnte,  muss  im  Neuböhmischen,  das  kein 
Imperfectum  mehr  hat,  durch  die  Bedeutung  des  Imperfectivs  aus- 
gedrückt werden. 

Beispiele  zu  b):  kräl  käza  na  n  na  Kristofora)  strieleti,  v  tu 
dobu  kazdä  stiela  jeho  neduojdiic  u  povetri  ostaniese  Pass.  363,  jeder, 
d.  i.  der  erste,  zweite  ,  dritte  .  .  abgeschossene  Pfeil  blieb  in  der  Luft 
hängen  (wäre  nur  ein  Pfeil  abgeschossen  worden,  so  würde  das  Beispiel 
lauten:  strela  .  .  u  povetri  osta,  Aor.  :  —  k  tej  (lipe,  Vrsovici)  kneze 
priväzachu  .  .  i  pocechu  jako  k  ciliu  k  fiemu  strieleti,  ale  s.  Jan  kneze 
zasläniese,  v  s.  Jana  hüni  sipi  tciechu,  kniezecieho  tela  nedotkniechu 
DalC.  34,  die  abgeschossenen  Pfeile,  einer  nach  dem  andern,  Hessen  deu 
Körper  des  Fürsten  unberührt;  —  kdyz  kterä  zena  porodiese  syna 
prvence  prveho,  jmiese  vyplatiti  jeho  beränkem  Hrad.  ()9",  wenn  ein 
Weib  einen  Erstling  gebar,  so  sollte  es  ein  Lamm  opfern,  und  dasselbe 
sollte  geschehen,  wenn  ein  zweites,  drittes  .  .  .  Weib  einen  Erstling 
gebar;  —  kteryz  nemocuy  najprve  se  u  vodu  utekl,  ten  uzdraven  bu- 
diese  Krist,  Ü4^,  der  wurde  geheilt:  es  wurden  geheilt  von  den  warten- 
den Kranken  immer  einer,  und  wieder  einer  .  .  .,  jedesmal  derjenige, 
der  als  erster  in  das  erneute  Wasser  trat;  —  v  ten  cas  se  vsech  stran 
lidie  (k  s.  Alexi)  pobehü,    a  kteriz   ho   nemocni  dotkniechu,  ti  inhed 


346  J-  Gebauer, 

uzdraveni  byli  Pass.  327,  der  erste,  zweite,  dritte  . . .  von  den  Kranken, 
die  den  Leichnam  des  hl.  Alexius  anrührten  ,  wurde  geheilt;  —  ktefiz 
se  kolivok  dotJmiechu,  spaseni  budiechu  Mat.  14,  36  in  Rozb.  742, 
quicumque  tetigerunt  (fimbriam  vestimenti  eins),  salvi  facti  sunt;  — 
ktoz  koli  jemu  v  tvär  vezriese,  inhed  uzasniese  ML.  9P,  wer  immer 
(*Sj,  S'2,^  Sg  .  .  .)  ihn  anblickte,  erschrak;  —  (Sara)  biese  däna  pofäd 
za  sedm  mn^öv,  a  kteröhoz  s  ni  poloziechu,  toho  crt  Asmodeus  udä- 
cie'se  Ol.  Tob.  3,  8,  man  gab  Sara  den  ersten,  zweiten,  dritten  . . .  Mann, 
Asmodeus  erdrosselte  einen  nach  dem  andern;  —  kdyz  Maria  porodi 
syna,  pfijedü  pied  ni  trie  kräli  .  .  .,  a  kdyz  prijediechu^  vsickni  zajedno 
klekniechu  Hrad.  120^,  als  sie  fahrend  ankamen,  knieten  sie  alle  nieder 
=  es  kam  an  und  kniete  nieder  der  erste,  zweite,  dritte  König  i). 

Zu  L  und  II. 

Das  Imperfectum  kommt  vor  in  Beschreibungen  und  in  S c h i  1  - 
derungen  vergangener  Handlungen,  Gewohnheiten  und  Zustände;  es 
eignet  sich  hiezu  das  Imperfectum  der  verba  impeifectiva,  weil  es  in  der 
Vergangenheit  dauernde  (I.  a) ,  oder  dauernde  und  zugleich  wiederholte 
I.  b),  und  das  der  verba  perfectiva ,  indem  es  in  der  Vergangenheit 
wiederholte  (II.  a  u.  b)  Handlungen  ausdrückt.  In  den  hieher  gehörenden 
Belegen  kommen  sehr  oft  Imperfecta  von  imperfectiven  und  von  per- 
fectiven  Verben  nebeneinander  vor.  Z.  B. :  pfed  zästupem  .  .  tähniechu 
vöz  osm  koni  .  . ,  s  obii  stranü  toho  voza  Jediese  dranäcte  muzi  .  . ,  po 
tech  diecJm,  jizto  jeho  (Dariova)  rodina  biechu  .  .,  ti  vsici  biechu  na 
predku,  säm  'K.\?i\  j'diese  na  prosredku,  jenz  .  .Jediese  na  voze  visatem, 
a  ten  ves  Jioriese  zlatem  u.  s.  w.  AlxH.  2,  4flf.;  —  biese  v  tom  meste 
jeden  clovek  müdry,  ten  nevinnym  pomähase  a  dobrü  radu  ddväse  Hrad. 
11 7^*;  —  (mniskove)  u  polsk^m  lesu  sediechu,  zelice  za  obycej  jediec/m, 
chleb  po  riedku  mejiec/ni,  jähly  na  velikü  noc  j'ediechu ,  masa,  syra, 
vajec  menovati  nechfiechu,  rohoze  za  posteli  mej'iec/m,  kämen  hlave  za 
podusku  kladiechu,  hroznym  bitim  na  modlitve  se  tepiechu,  riedko  kdy 
CO  mezi  sobü  mluviec/m,  jedno  kdyz  bic  v  svej  ruce  mej'iechu  DalC.  37; 


1)  Hiermit  ist  zu  vergleichen :  oni  (tf ie  kräli)  proti  nemu  poklekavse  hohem 
jej  byti  ukazovächu  Kruml.  108'^,  nicht  poklekse  oder  klekse  u.s.w.;  die  Nuance 
der  Handlung,  die  in  Hrad.  durch  das  Imperfectum  von  kleknüti  ausgesprochen 
ist,  ist  in  Krural.  durch  das  Impei-fectivum  poklekati  ausgedrückt.  Anders, 
u.  zwar  als  Fehler  statt  prijedechu  u.  kleknuchu  ( Aor.),  erklärt  die  Imperfecta 
in  Hrad.  Jagic  im  Cod.  Mar.  459.    S.  noch  weiter  unten  sub  V. 


Bedeutung  des  altböhmischen  Imperfects.  347 

—  (mnich)  kdyz  s  svyeh  modlitev  vstaniese,  nalezniese  polozeny  chleb, 
jehoz  clovek  iz.idny  neprinosiese :  a  kdyz  toho  pochvale  boba  phj'mici>e, 
mejiese  dosti  az  do  druhe  nedt'le  Otc.  12S'^;  —  ti  lidie  velmi  verni 
hiechu,  vse  sbozie  ohecnoj'mej'iechu:  komu  sß  co  nedostaniese,  u  druha 
jako  &y€jmejieie:  jeden  obyccj  z\y j/ntl/iec/iu,  ze  mauzelstva  nedrzieclni ; 
tehdy  i  jedna  zeua  muzem  jista  nehiese^  jeden  muz  zen  xiixuiSxo  jmiese  \ 
pnive  i\(i\%\y  prebijvächu^  na  vsak  vecer  nov^ho  manzelstva  A/ef/ac/t«^; 
siidce  i  jednoho  nejmejiechu ,  nebo  sobe  nekradiechu  DalC.  2  ;  —  (Ce- 
chove)  dfeve  na  vojna  di'ice  sve  zeme  nehnhiechu^  mezi  neprätely  me£em 
dohudiechu]  pak,  dreve  nez  na  nephitely  üyndiechu,  az  svi'i  zemiu 
zJmhiechu.  V  tom  tehdy  dobie  ciniechu,  zadusnieho  nepletiiechu ;  potom 
nektere  vlädycie  sc.  sbozie)  ctiechu,  zädusnie  pusto  poloziechu^  a  kdyz 
na  vojne  med  vypiechu^  beze  cti  sc  vzdy  vrütiechu.  Dreve  vetrech  dnech 
na  vojnu  vstaniechu.  tehdy  ve  ctviti  löta  na  vojnu  zapovediechu  .  .; 
dreve  lovci  sami  loviechu,  piini  k  nim  na  cas  cyJediecJni  u.  s.  w.  DalC. 
79 ;  —  (sv.  Vjiclav]  boziü  cest  plodieke^  kupuje  pohanske  dietky  kHie'se^ 
ke  msiem  sam  oplatky  peciese,  vdoviciem  z  lesa  drva  tiosiese,  po  svatym 
V  noci  bo9  chodiese,  ez  mu  po  ceste  kvev  z  noh  tecieke',  zaltai-  pod  pazdi 
nosiese:  panose  jeden  pied  nim  lehäse^  tomu  skorne  szuje  w^/eraie DalC. 
27;  —  kdyz  Israhel  posel  loli,  vzchäziese  Madian  a  Amelech  i  jini  a 
vse  sträüiecJm,  niceboz  ovsem  . .  neostaciechu  .  .,  nebo  oni  jako  kobylky 
vsecko  7iaplniechu .  kdez  padniechu,  to  vse  potlaciecJiu  Ol.  Jud.  ü, 
4 — 5;  —  kdyz  Mojzies  zdmhniese  ruc*',  tehdy  osiävase  &  premdhäse 
lid  israhelicky  Alb.  59^;  —  odtad  ju  (sv.  Mari  Magd.)  na  kazdy  den 
sedmkrät  andt'li  pod  nebesa  vznäsiechu  .  .,  odtad  ju  opet  andeli  v  jejie 
priebytek  v  skälu  prinesiecJm.  V  ty  casy  jeden  knez  .  .  odtad  nedaleko 
peles  sobe  ucinil.  A  kdyz  tu  ten  püstennik  bydlese,  zevil  to  jemu  hospo- 
din,  ez  na  kazdy  den  vtddse,  kdyz  andeli  svatü  Maii  Mandalenu  pod 
nebesa  nosiec/iu,  kdy-li  se  s  ni  vrätlechu  Pass.  341;  —  v  zidovskem 
präve  meßechu,  ze  mrtve  telo  myjiechu  Vit.  37^^;  —  Pilat  ten  obycej 
jmejiehe^  ze  na  velikii  noc  jednoho  vezne  pmcie'se  Hvad.  S7'';  —  ten 
(zalär)  hieke  tak  tajemny,  jakz  ve  n  nikoho  jineho  nevsadiechu ,  jedno 
toho,  jenz  u.  s.  w.  Kat.  v.  2409  ;  —  ti  (vlasy  sv.  Kateiiny,  pri  bicoväni) 
se  chveJiecJiu  po  jejie  pleci,  a  kdez  ti  bicove  meci,  mezi  ne  se  zaple- 
tiechu,  tu  je  i  s  plti  vytrJtniechu^  pak  .  .  jdiice  zase  ostaniechu  ji  u 
mase  ib.  v.  2368  flf. :  —  u.  s.  w. 


348  J-  Gebauer, 


TU. 


Das  Imperfectum  kommt  im  negativen  Satze  vor,  in  Fällen,  wo 
der  entsprechende  positive  Satz  den  Aorist  hätte.  Z.  B. :  jizto  vrätichu 
se  i  nejedieclm  proti  krali  Ol.  2.Par.  11,  4,  reversi  sunt  nee  perexerunt; 
im  lat.  Original  zwei  Perfecta,  ein  positives  und  ein  negatives,  in  der 
böhm.  üebersetzung  das  erste  durch  einen  Aorist,  das  zweite  durch  ein 
Imperfectum  ausgedrückt;  wäre  auch  das  zweite  Verbum  positiv,  so 
würde  es  böhm.  Jedechu  lauten,  d.  h.  im  Aorist  stehen,  wie  das  parallele 
vrätichu  se;  —  muzie  .  . .  koni  dobychu,  vsak  dievek  podstüpiti  tiesme- 
j'iechu  DalC.  11;  positiv:  smechu^  Aor.,  wie  dobyclnf.  —  most  Bavori 
po(d)rubichu  .  .  div  ze  neletiese  DalC.  89,  in  der  mhd.  üebersetzung:  ez 
waz,  daz  si  (die  Brücke)  nit  vil,  ein  wundir;  positiv:  lete^  Aor.;  —  ty 
päny  Hornici  jechu  a  zivoty  jim  otjieti  inhed  chtechu  (od.  chtiechu),  toho 
uciniti  nekteri  nedadieclm  DalJ.  102,  Hessen  es  nicht  ausführen;  positiv:^ 
dachu,  Aor. ;  —  ze  jemu  nedadiechu  vsiesti  na  kuonTroj.  114%  Hessen 
ihn  nicht  auf  das  Pferd  steigen;  positiv:  dachu^  Aor.;  —  auvech  .  ,, 
ze  jemu  i  jeden  vody  nepodadiese  Hrad.  91'',  niemand  reichte  ihm 
Wasser;  positiv:  uekto  poda  vody,  Aor.;  —  jehoz  (Jidäsovo)  srdce 
Jeziüs  dobi-e  vediese,  vsak  na  n  toho  nezjeviese  Hrad.  78*^,  machte  es 
nicht  bekannt;  positiv:  zjevi.  Aor.;  —  tut  plamenem  kef  horiese,  kdyS 
boh  slovekem  byti  chtiese,  tvej  cnosti  nie  neuhkodiese  Vyb.  I,  331  (aus 
Modi.),  fügte  keinen  Schaden  bei;  positiv:  uskodi,  Aor.;  —  ker,  jenz 
nekdy  horiese  a  vesken  plamenit  biese,  svö  krasy  nie  nepotratiese ,  ale 
ve  vsiej  zelenosti  stojiese  Vyb.  I,  330  (aus  Modi.),  verlor  nicht;  positiv; 
potrati,  Aor.;  —  kazdy  patiiese  na  Mojziese,  donadz  nevejdiese  do 
stanu  Ol.  Ex.  33.  8,  donec  ingrederetur;  positiv:  vnlde^  Aor.  —  Dieses 
Imperfectum  erinnert  an  das  Iterativum,  welches  sonst  in  negativen 
Sätzen  statt  des  Perfectivs ,  mitunter  auch  statt  des  Durativs  positiver 
Sätze  auftritt,  am  deutlichsten  im  Imperativ,  wenn  man  z.  B.  sagt:  dej 
gib,  aber  nedävej  gib  nicht,  —  rekni  sage^  aber  nerikej  sage  nicht,  — 
vataii  steh  auf,  aber  nevstävej  steh  nicht  auf,  — jdi  (durat.)  geh,  aber 
nechod  geh  nicht  u.  s.  w.  —  Vergl.  Listy  filologicke  1883,  272  f. 

IT. 

In  einigen  Beispielen  hat  das  Imperfectum  die  Bedeutung  des  Con- 
ditionals  der  Vergangenheit.  Ich  führe  alle  an,  die  ich  kenne:  tupan 
Jan  z  Sträze  po  uepHetelech  jediese  a  ovsem  po  nich  v  hrad  vendiese, 


Bedeutung  des  altböhmischen  Imperfects.  349 

by  byl  s  nim  most  u  pfiekop  neletal  DalJ.  104,  Jan  z  Sträze  ritt  den 
Feinden  nach  und  drang  ein  :=:  wäre  eingedrungen  in  die  Burg,  wenn 
die  Brücke  nicht  eingestürzt  wäre:  —  Bozojc'iv  syn  do  lesa  beziese  a  jiz 
ovsem  utecieiie,  ale  sukne  jej  crvena  prosoci  DalJ.  öG.  der  Sohn  Bozej'a 
lief  in  der  Richtung  zum  Walde  und  entkam  =  wäre  entkommen ,  aber 
der  rothe  Kittel  verrieth  ihn :  —  Vitek  Ojieiovic  .  .  jiz  prjive  Jaf  biese^ 
by  s»'  neopravil  spiese  etc.  DalJ.  104,  Vitek  .  .  war  gefangen  =  wäre 
gefangen  worden,  wenn  er  sich  nicht  schnell  anfgeralft  hätte ;  —  v  ten 
cas  bez  mesta  lud  lese,  by  se  lepe  nedomnMi  a  s  krälera  primcfie  vzeli 
AlxV.  2134  und  AlxVid.  ib.,  da  war  die  Stadt  verloren  =  wäre  ver- 
loren gewesen,  wenn  (die  Einwohner)  sich  nicht  eines  Besseren  besonnen 
hätten  u.  s.  w. ;  —  (Filotu)  potka  Saracenstva  mnoho,  v  ten  ras  budieiie 
bez  neho,  by  nebylo  otce  jeho  AlxV.  1032,  da  war  Philotasj  verloren 
=  wäre  verloren  gewesen,  wenn  nicht  sein  Vater  (mit  Anderen  zu  Hilfe 
herbeigeeilt  wäre) ;  —  juz  hrad  na  ztracenü  biese,  by  se  byla  ciesarovna 
nedomyslila  .  .  takto  volati  DalH.  :^9,  da  war  die  Burg  im  Begriffe  ver- 
loren zu  gehen  =  wäre  verloren  g^ewesen,  wenn  die  Tochter  des  Kaisers 
sich  nicht  besonnen  hätte  u.  s.w.:  —  jedno  ze  zäkon  tvoj  myslenie  me 
jest,  tehdy  suad  zhniech  u  pokore  m^j  Zudittb.  11 S,  92  (in  der  Hand- 
schrift zhnyech ,  von  zlinifi  putrescere ,  vielleicht  ein  Schreibfehler  für 
zhyniech^  von  zhy7iüti  ^qx'ixq.,  nisi,  quod  lex  tua,  meditatio  mea  est, 
tunc  forte  periissem  in  humilitate  mea.  Vgl.  Listy  filologicke  1SS2,  12S. 

Auch  in  der  neuböhm.  Alltagssprache  kann  gesagt  werden  :  syn 
utekl,  kdyby  ho  cervenji  sukne  nebyla  prozradila,  entkam  =  wäre  ent- 
kommen, —  koupil  Jsem  ten  dum,  kdybych  byl  mel  penize,  ich  kaufte 
(indic.)  =  hätte  gekauft  das  Haus,  wenn  ich  Geld  gehabt  hätte,  —  u.s.w. 
Statt  des  Imperfects,  welches  hier  ehedem  üblich  war  und  inzwischen 
ausgestorben  ist,  wird  das  Perfectum  verwendet,  die  einzige  Tempusform, 
die  dem  Neubölimischen  als  Ersatz  für  das  gewesene  Imperfectum  zur 
Verfügung  steht. 

In  allen  hier  angeführten  Beispielen  drückt  das  altböhmische  Im- 
perfectum im  Neuböhmischen  in  Vertretung  desselben  das  Perfectum) 
eines  Hauptsatzes  eine  in  der  Vergangenheit  bedingte  Handlung  aus; 
das  sie  Bedingende  ist  in  einem  zweiten  Satze  ausgesprochen,  der  den 
bedingten  Hauptsatz  meistens  als  conditionaler  Nebensatz  [by  biß  most 
neletal,  xcenn  die  Brücke  niclii  emyestürzf  v:'dre  u.  s.  w.',  selten  als 
Hauptsatz,  der  implicite  gleichfalls  eine  Bedingung  enthält  [ale  sukne 
jej  prosoc/,  aber  der  Kittel  verriet  ihn,  implicite:  xcenn  der  Kittel  ihn 


350  J.  Gebauer, 

nicht  verraten  hätte) ^  begleitet;  das  Bedingende  macht  Stimmung, 
die  in  Frage  stehende,  durch  das  Imperfeetum  (neuböhm.  Perf.)  aus- 
gedrückte Handlung  als  eine  bedingte  aufzufassen  —  und  in  dieser 
Stimmung  wird  dem  iudicativen  Imperfeetum  (nböhm.  Perf.)  die  Bedeu- 
tung des  Conditionals  aufgedrückt.  Dieselbe  Erklärung  passt  auch  für 
ähnliche  bulg.  Beispiele :  az  si.  uh%pu'cac]i^  ako  ne  bese  vodt  t'B  tolkos 
studena,  ich  badete  (indic.)  =  ich  hätte  gebadet,  wenn  das  Wasser  nicht 
so  kalt  gewesen  wäre  Kyiak-Cankof  bulg.  Gramm.  83  undMikl,  4,  786: 
brat  mi  ohedutase  dnes  u  doma,  ako  ne  bese  st  razbolel ,  mein  Bruder 
speiste  (indic.)  heute  bei  uns  =  hätte  bei  uns  gespeist,  wenn  er  nicht 
krank  geworden  wäre  Cank,  108,  Mikl.  ib.;  —  für  das  sorb.  Imperfee- 
tum hudzech ^  hiizach  in  der  Umschreibung  des  Conditionals:  osorb. 
hdy  by  ty  tudy  byi.  möj  bratr  njebudzese  wumrjel^  si  fuisses  hie,  f rater 
meus  non  fuisset  mortuus  Jo.  11,  21,  nsorb.  buzach  zgubjony  ich  wäre 
verloren  gewesen,  wenn  .  .  .,  osorb.  hudzech  pytai,  nsorb.  huzach  pytat 
ich  hätte  gesucht,  wenn  .  .  .  Mucke  6 1 0  f. ;  —  und  auch  für  lat.  :  labebar  n 
longius,  nisi  me  retinuissem  Cic.  in  Kosina's  Lat.  Gramm.  §  580.  —  \ 
Nicht  die  in  der  Etymologie  des  Imperfects  liegende  oder  vermuthete 
Bedeutung  ist  es,  die  diese  Tempusform  zum  Ausdruck  der  Condiciona- 
lität  tauglich  macht,  sondern  die  durch  den  Zusammenhang  mit  einem 
bedingenden  Satze  geschaffene  Stimmung  bringt  es  zustande ,  dass  das 
indicative  Imperfeetum  als  Conditionalis  aufgefasst ,  in  einen  Conditio- 
nalis  umgeprägt  wird. 

i 

Die  im  \  orhergehenden  I — IV  gegebenen  Erklärungen  reichen  für    n 
die  allermeisten  Fälle,  wo  sich  ein  altböhm.  Imperfeetum  vorfindet,  aus 
und  finden  in  ihnen  ihre  Bestätigung. 

Manchmal  kann  die  Deutung  verschieden  sein,  d.  h.  das  Im- 
perfeetum kann  im  gegebenen  Falle  nach  einer,  und  auch  nach  einer 
anderen  Auffassung  und  Erklärung  berechtigt  erscheinen.  Z.  B.  das 
Imperfeetum  nepfimluviechu  se  in  DalC.  1 1 :  nektere  (panie)  se  k  tomu 
neprimluviechu ^  neb  tajne  u.  s.  w. ,  kann  in  der  Negation,  oder  auch 
darin  seinen  Grund  haben,  dass  es  eine  Handlung  ausspricht,  die  mehrere 
Subjecte,  jedes  für  sich,  ausführten:  einige  Frauen,  jede  für  sich,  uuter- 
liessen  es  fürzusprechen. 

Oft  kommt  das  Imperfeetum  in  Verbindung  mit  gewissen  Adverbial- 
ausdrücken, Relativen  und  Relativadverbien  (Conjunctionen)  vor;  z.  B. 


Bedeutung  des  altböhmischen  Imperfects.  351 

kdez  koli  vej diese  Ptolomeus  do  kteröho  mesta,  vzdy  postaviese  sträze 
BiblG.  1.  Mach.  11,  3  =  wo  ?"w/;?er  Ptolomaeus  emtrsit^  jedesmal  {nber- 
ull]  errichtete  er  Wachen,  —  kdyz  Josef  snimäse  telo,  Maria  stäse  ca- 
kajüci  Ans.  9  =  als  [während)  Josef  den  Körper  vom  Kreuze  herab- 
nahm, —  ktoz  koli  jemu  v  tvaf  vezfiese,  inhed  uzasniese  ML.  9P  = 
wer  immer  ihn  anblickte  u.  3.  w.  Alle  diese  und  solche  das  Imperfectum 
begleitenden  Ausdrücke  tragen  dazu  bei ,  dass  seine  syntaktische  Be- 
deutung —  die  Bedeutung,  dass  die  vergangene  Handlung  eine  entweder 
dauernde,  oder  wiederholte  war  —  mehr  hervortrete;  das  Imperfectum 
ist  aber  nicht  von  ihnen  abhängig,  wie  man  zu  sagen  pflegt,  sondern 
wird  von  der  Nuance  der  Handlung  bestimmt,  die  der  Stilist  auszu- 
drücken hat. 

Mitunter  findet  man  den  Aorist,  wo  das  Imperfectum  berechtigt 
wäre.  Der  Aorist  spricht  die  Handlung  als  eine  vergangene  aus,  und 
nichts  weiter;  das  Imperfectum  dagegen  als  eine  vergangene,  aber  dabei 
auch  als  eine  (in  der  Vergangenheit)  dauernde  oder  wiederholte.  Die 
Wahl  zwischen  diesen  beiden  Tempusformen  war  der  Auffassung  und 
dem  subj  ectiven  Ermessen  des  Stilisten  anheimgestellt,  sie  hing 
davon  ab,  ob  er  eine  in  der  Vergangenheit  dauernde  oder  wiederholte 
Handlung  als  solche,  oder  aber  bloss  als  eine  vergangene  aussprechen 
wollte ;  im  ersten  Falle  wählte  er  das  Imperfectum ,  im  zweiten  den 
Aorist.  So  ist  der  Aorist  in  folgende  Beispiele  gekommen:  kdyz  sv. 
Alexie  s  jeho  choti  na  pokoj  vedüj  poce  sv.  Alexius  mluviti  Pass.  325, 
wo  vediechu  statt  vedü  sein  könnte,  =  als  (während)  sie  ihn  führten, 
fing  er  an  u.  s.  w. :  — kräl  nesme  Cech()v  u  potrebu  piivinüti  DalC.  102, 
wagte  es  nicht,  wo  nesmeßese  ebenso  am  Platze  wäre,  wie  nesmeßechu 
im  Satze:  (muzie)  dievek  bojem  podstiipiti  nesmeßechu  ib.  11 ;  —  das- 
selbe gilt  von  den  Aoristen  in:  müdrejsi  toho  uciniti  nedachu  DalC.  4  7, 
=  Hessen  es  nicht  thun,  neben:  toho  uciniti  nekteri  nedadiechu 
DalJ.  102,  —  Boleslav  käza  zemanöm  u  Boleslavi  mesto  zditi,  o  to  se 
zemene  jechu  raditi,  po  fecnikn  kneziu  odpovedechu,  toho  uciniti  nero- 
dichu  DalC.  31,  =  wollten  nicht,  neben  nerodiechu,  welches  eine 
jüngere  Handschrift  (Ff)  an  derselben  Stelle  bietet;  u.  s.  w.  —  In  dem 
oben  angeführten  Beispiele  aus  Hrad.  120*:  trie  kräli  .  .  kdyz />/'(/'fc'- 
diechu,  vsichni  zajedno  klekniechu^  detätko  hohem  nazvachu  a  sve 
jemu  dary  vzdachu  sind  zwei  Imperfecta  und  zwei  Aoriste ;  es  könnten 
aber  nach  der  eben  gegebenen  Erklärung  auch  durchwegs  Imperfecta, 
oder  durchwegs  Aoriste  sein.  —  In  einem  zweiten  obigen  Beispiele  ans 


352  J.  Gebauer, 

derselbeu  Handschrift  Hrad.  125''  wird  erzählt,  dass  der  Schuster  im 
Würfeln  zwei  Groschen  verspielte ;  vom  ersten  Groschen  heisst  es :  Ivec 
pj'ovrze  ten  kros,  Aor.,  vom  zweiten:  (svec)  ten  kvok  provrziese^  Impf.: 
durch  den  Aor.  provrze  ist  die  Thatsache  des  Verlustes  ausgesprochen, 
und  nichts  weiter,  während  durch  das  Impf,  provrzic^e  ausserdem  noch 
der  Umstand  angedeutet  ist,  dass  der  Verlust  durch  mehrere  (wie  weiter 
gesagt  wird,  durch  acht)  auf  einander  folgende  Würfe  zustande  kam; 
hätte  der  Erzähler  diesen  Umstand  nicht  ausdrücken  wollen ,  so  hätte 
er  abermals  provrze  sagen  können,  ebenso  wie  er  gleich  weiter  sagt: 
osm  vrhöv  vesdy  pospolu  zfrati  (Aor.)  svec. 

Es  bleiben  nur  noch  einige  abweichende  Beispiele  späteren  Ur- 
sprunges anzuführen,  die  imVer  fall  der  altenRegel  ihren  Grund  haben. 

Das  Imperfectum  stirbt  aus,  und  ebenso  der  Aorist:  für  altes 
voläse  (oder  volajiese]^  3.  sing.,  clamabat,  und  ebenso  für  «jo/a  clamavit 
sagt  mau  seit  dem  Ende  des  XVI.  Jahrhunderts  nur  volal  [Jest],  = 
clamabat  und  auch  clamavit;  und  ebenso  in  den  übrigen  Personen.  Das 
Aussterben  geht  allmählig  vor  sich,  s.  Histor.  Mluvnice  III,  2  S.  62  flf. 
In  der  Zeit  des  Ueberganges  vom  alten  Usus  zum  neuen  sagt  man  nach 
älterer  Art  noch  volase  =  clamabat  und  vola  =  clamavit,  und  nach 
neuerer  Art  auch  schon  volal  [Jest]  =  clamabat  und  clamavit.  Statt 
volal  Jest  sprach  man  gewöhnlich  nur  colal,  d.  h.  das  finite  Verbum 
/enf  (in  der  3.  Pers.  sing. ,  und  ebenso  in  der  3.  Pers.  du.  und  plur.) 
wurde  weggelassen  und  das  übrig  gebliebene  Participium  volal  hat  die 
Bedeutung  des  ganzen  Ausdruckes  volal  Jest  angenommen,  —  volal  ist 
=  vola  clamavit  und  voläse  clamabat  geworden.  Es  handelt  sich  um 
die  Zeit,  wann  dies  geschehen  ist^  und  namentlich  wann  man  das  Im- 
perfectum mit  dem  Z-Participium  zu  identificiren  begann.  Darüber  be- 
lehren uns  folgende  Beispiele:  biese  Jezfs  chtiese  EvVid.  (2.  Hälfte  des 
XIV.  Jhd.)  Luc.  11,  14  (Vulg. :  erat  eiciens),  wo  der  altböhmische  Aus- 
druck biese  chtiese  ebenso  unsinnig  ist,  wie  seine  wörtliche  lat.  Ueber- 
setznng  erat  volebat,  und  nur  in  dem  Falle  zustande  gebracht  werden 
konnte,  wenn  sein  Urheber  zwischen  dem  Impf,  chtiese  und  dem  Part. 
chtel  keinen  Unterschied  mehr  fühlte,  sondern  beide  Worte  für  gleich 
hielt,  für  gleich  in  dem  Grade,  dass  er  sich  auch  biese  chtiese  für  biese 
chtel  zu  sagen  traute;  —  dasselbe  Beispiel  kommt  an  derselben  Stelle 
im  EvSeitst.  (XV.  Jhd.)  vor:  biese  Jezis  chtiese  vyhnati  besä  ;  —  und 
ähnliche  andere  sind:  tu,  kdeX  biese  Jan  krtiese  prv^  Comest.  (XV,  Jhd.) 
240'\  statt  biese  kftil,  —  dva  mesiece  biechu  minusta  Troj.  (XV.  Jhd.) 


Bedeutung  des  altböhmischen  Imperfects.  353 

157*,  statt  biechu  (richtiger  biesta,  minula  u.  s.  w.  ^-  —  Diese  Beispiele 
bezeugen,  dass  es  im  XV.,  ja  schon  im  XIV'.  Jhd.  altböhmische  Schrift- 
steller gab,  die  den  Bedeutungsunterschied  zwischen  dem  Imperfectum, 
z.  B.  coläse  clamabat,  und  dem  entsprechenden  Part,  colal  nicht  mehr 
genügend  fühlten. 

Diesen  und  solchen  Schriftstellern  und  Stilisten  war  voial  (statt 
colal j'est]  einerseits  =  coläse  (Impf,),  andererseits  =  vola  Aor.),  — 
folglich  auch  volme  =  ro/a,  und  auch  zcoläse  =  zcola  u.  s.  w.;  ihnen 
erlaubte  es  ihr  Sprachgefühl,  coläse,  zcoläse  statt  cola,  zvola  u.  s.  w. 
zusagen,  und  überhaupt  das  Imperfectum  statt  des  Aorists  zu 
verwenden.  Und  so  entstanden  die  Beispiele:  Kekuov  mnozstvie  na 
pomoc  jemu  prihuavse  na  kräle  Laumedonta  se  oboriechu  Troj.  (v.  J. 
1488),  St.  ohoHchu\  — jehoz  (des  Troilus,  udatnost  .  .  pochcäUchu  ti, 
kteriz  pH  tom  stdchu  ib.  107,  st.  pochcälichic:  jakzkoli  Zibrid  na  koni 
osedise,  v.sak  jej  Stilfrid  hlnboce  zabodise  Stilfr.  fXV.  Jhd.  im  Wb.  II, 
50,  St.  osede  (oder  osede)  und  zabode;  —  -Stilfrid)  velikü  prudkosti 
A.^x\Sina.  promrstüe  ib.  47,  st.  promr'sti:  u.  s.  w.  —  In  Vit.  (1380  — 
1400;  36^  heisst  es:  tu  se  jich  kazdy  [apostol  pribra^  bozie  moc  j^ 
divne  sebra,  und  dafür  hat  die  jüngere  Variante  VitM.  2.  Hälfte  des 
XV.  Jhd.):  kdyzto  se  kazd\  joreiras'e,  neb  je  bozi  moc  vsecky  sebrdse, 
der  um  beiläufig  hundert  Jahre  jüngere  Abschreiber  des  Textes  hat  es 
für  erlaubt  gehalten,  die  richtigen  Aoriste  seiner  Vorlage  durch  Im- 
perfecta zu  ersetzen. 

War  die  Möglichkeit,  das  Imperfectum  als  Aorist  zu  gebrauchen, 
einmal  vorhanden,  so  machte  man  von  ihr  Gebrauch,  so  oft  sie  eine  Er- 
leichterung bot.  Dies  war  der  Fall  in  Versen,  wenn  durch  Anwendung 
des  Imperfects  der  nötige  Reim  oder  auch  nur  eine  Assonanz  erzielt 
wurde.  Z.  B. :  Kaedin  se  toho  uzese,  kdyz  je  (Tristram  u.  Isalde)  uzfese 
Trist,  (v.  J.  1449^  330,  statt  uzre  und  wegen  uzese;  —  vida  to  lev,  ze 
pän  leziese,  zalostemi  velikymi  zafvdse  Baw.  11*.  st.  zaica  und  wegen 
leziese;  —  lev  .  .  vsecky  obnoze  z  draka  obtrhal  biese,  Bruncvik  .  . 
vzhöru  cyskociese  ib.,  st.  vyskoci  und  wegen  biese:  —  u.  s.  w. 

In  üebersetzungen  findet  sich  das  Imperfectum  manchmal  als 
Wiedergabe  des  lat.  Conjunctivs  impf,  und  plqpf.;  es  ist  da  aber  nicht 

'  Beispiele  dieser  Art  kommen  auch  sonst  im  Slavischen  vor  und  sind 
ebenso  entstanden  und  ebenso  zu  erklären,  wie  die  obigen  aitböbmiechen ; 
einige  altslov.  und  altruss.  sind  in  meiner  Histor.  Mluvnice  III,  2,  64  an- 
geführt. 

Archiv  für  slavische  Philologie.   XXV.  23 


354  J-  Gebauer,  Bedeutung  des  altböhmischen  Imperfecta. 

etwa  die  conjunctive  Bedeutung  durch  die  Tempusform  des  Imperfects 
ausgedrückt,  sondern  es  steht  auch  hier  einfach  das  Imperfectum  statt 
des  Aorists.  So  in  den  Beispielen:  ten  (krälik)  kdyz  uslysise,  ze  Jezis 
prisel  z  Zlidovstva,  sei  k  nemu  EvOl.  299'',  Vulg. :  cum  audisset,  abiit 
Je.  4,  47,  statt  uslyse,  vgl.  ten  kdyz  uslyse  EvVid.  ib.,  kdyz  to  uslyse 
EvSeitst.  ib.;  —  kdyz  vsiase  s  modlitby  a  pfijide  k  ucenniköm  svym, 
nalezl  je  spice  EvOl.  Luk.  22,  4.3,  cum  surrexisset  et  venisset,  invenit, 
st.  vsta  (ebenso,  wie  das  gleich  folgende  irrijide  für  venissef  steht);  — 
Marta  kdyz  uslysise,  ze  Jezis  prisel,  vybeze  protiv  nemu  EvOl.  Jo.  11, 
19,  ut  audivit  =  cum  audisset,  occurrit,  st.  usly-se;  —  (Jezis)  kdyz 
uciniese  bicik,  vseckny  vyhna  z  chrämu  EvVid.  Jo.  2,  15,  cum  fecisset, 
eiecit,  st.  ucini;  —  kdyz  pojdiese  Jezis  s  hory  EvVid.  Mat.  8,  1  und 
EvSeitst.  ib.,  cum  descendisset,  %i.  pojide^  richtiger  snide\  —  i  sta  se, 
SiZ  pojdiese  k  Jerusalemu  EvSeitst.  Luk.  18,  35,  cum  appropinquaret, 
st.  pojide^  richtiger  y/c?e ;  —  kdyz  (Maria)  budiese  otdäna  Josefu  .  .. 
Josef  kdyz  budiese  pravy  EvSeitst.  Mat.  1,  18  u.  19,  cum  esset. 

In  der  Vulg.  Mat.  12,  43  heisst  es:  Cum  autem  Spiritus  immundus 
exierit  ab  homine,  ambulat  per  loca  arida,  für  griech.:  otav  l^ü.d'i], 
öieQxerai  =  kdyz  vyjde,  chodi  in  der  Kralicer  Bibel.  Dafür  hat  die 
altböhm.  Uebersetzung  in  EvA.:  kdyz  zly  duch  winidiesse  (so  in  Patera's 
Abdruck)  ot  cloveka,  chodi  po  mieste  suchem  u.  s.  w.;  ihr  Urheber  ver- 
stand die  Stelle  nicht  recht  und  mag  bei  vy?idiese  an  wiederholtes 
Herauskommen  in  der  Vergangenheit  gedacht  haben. 

/.  Gebauer. 


Zu  den  slavisclieu  Femminbildungeu  auf  -yln 


355 


Das  im  Slavischen  so   weit 
verbreitete    Sekundärsuffix    -yni 
(Miklosieh,  Vergl.  Gr.  II,   1 43  f.) 
findet    in   dieser    seinen    Gestalt 
ausserhalb  der  slavischenSprachen 
keine  direkte  Entsprechung.  Man 
könnte  an  preuss.  maldTinin  Asg. 
«Jugend«  denken,  welches  genau 
ein  slav.    ^moldyni  sein   würde: 
doch  ist  die  Bildung  gar  zu  ver- 
einzelt,  auf  dass  man   mit   Ver- 
trauen   einige    Belehrung   daraus 
schöpfen  dürfte  (Leskien,  Bildung 
der  Xomiua  im  Lit.  394,  führt  es 
unter  lit.  -o/«- Bildungen  auf,  wo- 
bei wohl  eine  üebertragung   der 
in  supüni^  smüfii,  neben  peröni, 
lautlich  begründeten  Endung  -Taii 
anzunehmen  wäre).  Aus  demselben 
Grunde   möchten   wir    auch   dem 
;at.  pecünm,  ursp.  » Viehreichtumtf,  kein  allzugrosses  Gewicht  beimessen. 
)ie  lit.  Endung  -üne  [begiine  »weibl.  Flüchtlinge,  j-j/esc/Tw^*  »Reisserin, 
, chueidige  Arbeiterin«  u.  s.  w.)  ist  nur  die  Femininendung  zu  -änas  und 
;  iese  wiederum,  wie  dies  schon  der  Schleifton  nahelegt,  eine  Entlehnung 
es  slav.  -ufio  (Leskien,  ebd.  39.5).  wobei  auch  eine  Vermengung  alter 
{ildungen  auf  -unos  -o/ms  mit  im  Spiele  sein  mag.    Diese  Isolirtheit  des 
uffixes-y/«' ist  natürlicherweise  niclit  darnach  angethan,  seine  ürsprüng- 
chkeit  besonders  glaubwürdig  erscheinen  zu  lassen;  Brugmann  (Grund- 
iss  II,  316)   sieht  darin  wohl  mit  Hecht  eine  Art  Verallgemeinerung 
jes  alten  Femininsuffixes  *-?iia  *-nl. 

IDas  Suffix  -j/ni  gehört  ofifenbar  in  die  besonders  in  unursprünglichen 
'erallgemeinernnoren    so  stark  vertretene  Kategorie  der    kombinirten 

23* 


356  J.  Zubaty, 

Stammbildungen  (vgl.  Listy  filol.  XXIX,  229].  Es  fällt  auch  nicht 
schwer,  -yni  in  -y -\- id  zu  zerlegen:  d.  h.,  die  ersten  Muster,  nach 
welchen  die  so  zahlreich  gewordenen  Nomina  auf  -yhi  gebildet  wurden, 
waren  so  zu  Stande  gekommen,  dass  alte  Bildungen  auf  -y  (ursp.  *-ws) 
durch  Einfluss  ebenso  alter  Bildungen  auf  -id  (ursp.  *-ma  *-w7)  zu  -ijni 
(oder  wie  die  Endung  zur  Zeit  der  Entstehung  jener  ersten  Muster  ge- 
lautet haben  mag)  erweitert  wurden,  geradeso  wie  späterhin  durch  Kon- 
tamination der  Abstraktendungen  -osth  bzw.  -ota  und  -yni  selbst  Bil- 
dungen wie  ksl.  K/\arocT'KiHH  AkrocT'KiHH,  serb.  6ocoTiiH.a  caMOTniba 
u.  s.  w.,  wie  durch  ähnliche  Kontamination  der  älteren  Suffixe  -hka  und 
-yni  vielfach  ein  neues  Femininsuffix  -hkyni  (z.  B.  cech.  Nemka :  Nem- 
kyne^  slvn.  zidockinja  sestonedelkinja^  serb.apanKa:  apanKiiaa  u.  s.  w.) 
zustande  kommt.  Es  ist  im  Grunde  derselbe  Process,  durch  den  neben 
ksl,  nacTOpivK'ivi  auch  nacTop'kKiviHH,  neben  ksl.  ciuiok'KI  auch 
CMOK'KIHH,  neben  llii;^;KaK'Ki  slvu.  mozakinja  steht,  mit  dem  Unter- 
schiede, dass  in  diesen  Formen  wohl  der  Einfluss  des  bereits  zustande 
gekommenen  -y/ii,  nicht  mehr  jener  des  alten  -ni  zu  erblicken  sein  wird. 

Der  Zweck  des  vorliegenden  Aufsatzes  ist,  einige  Belege  der  beiden, 
dem  -yni  zu  Grunde  liegenden  Suffixbildungen  vorzuführen.  Doch  wollen 
wir  vorerst  die  bekannte  Thatsache  erwähnen,  dass  die  slav.  Bildungen 
auf  -y/d  vorwiegend  Bezeichnungen  weiblicher  Personen  (ksl.  KOr'KiHH 
,l,pov'r'KiHH  u.  s.  w.)  sind,  woran  sich  die  weniger  zahlreichen  Abstrakta 
wie  ksl.  ,A,CKp'KiHH  AkP'KiHH  u.  s.  w.  reihen;  mehr  vereinzelt  sind 
Ableitungen  mit  anderen  Bedeutungen,  die  sich  jedoch  in  der  Regel 
unschwer  semasiologisch  in  die  eine  oder  die  andere  der  beiden  ange- 
führten Kategorien  einreihen  lassen:  so  gehören  Früchtebezeichnungen 
wie  cech.  hlo/ty/ie,  serb.  rjioriiM.a  »Hagedornfrucht«,  serb.  ^HB^aKHita 
')  wilder  Apfel«,  CMpeKiiita  »^Wachholderbeere«  wohl  zur  ersten,  Orts- 
bezeichnungen wie  pusty/d  jjWildniss«,  svetyüi  »Heiligtum«  zur  anderen 
Gruppe.  Es  kommt  auch  vor,  dass  andere  Suffixe  durch  -y/d  verdrängt 
werden;  so  steht  z.  B.  klr.  yy^Kimn  »Fremde«  für  'ij^atHua  u.  A.  m. 

Das  Suffix  -y,  ursp.  *-ms,  ist  im  Slav.  selbst,  meist  in  den  beiden 
obigen  Grundbedeutungen,  auch  noch  in  der  nicht  zu  -yni  erweiterten 
Gestalt  vertreten:  Miklosich,  Vergl.  Gr.  II,  59 f.  Man  vgl.  Bezeich- 
nungen weiblicher  Wesen  wie  ksl.  iui;^>KiiK'Ki  HfnaOA'W  nacTop'kK'Ki 

TpfTkIdK'KI     ))TQl8Tl]gK     bÄTp'kl     CBfKp'KI    *CT».pOJK^l,aK'KI     (C'KpOJK- 

A^KKa)   und  Abstrakta  wie  ksl.   AK>K'ki    iiptawK'ki   i;'KA'hJ.    Diese 
Uebereinstimmung  ist  es  auch  vorzugsweise,  welche  die  Auffassung  der 


Zu  den  slavischen  Femininbildungen  auf  -y>>i.  357 

Bildungen  auf  -ijni  als  solcher,  die  erst  im  Slavischen  durch  Suffix- 
erweiterung zustande  oder  doch  wenigstens  zur  vollen  Entfaltung  ge- 
kommen sind,  besonders  glaubwürdig  erscheinen  lässt  ^j.  An  diese 
Bildungen  reihen  sich  einige  mit  abweichenden  Bedeutungen  (von  den 
bekannten  Lehnwörtern  abgesehen).  So  ein  «rsl.  ^kuro-pidy  »Reb- 
huhn« (oder  wie  das  Wort  ursprünglich  gelautet  haben  mag,  Miklosich, 
Et.  Wort.  149);  das  Wort  verdankt  seinen  Ursprung  dem  bei  einer 
Hühnerart  als  Anomalie  erscheinenden  Fliegen  des  Rebhuhns.  Die 
Pflauzennamen  sl.  fykij  «Kürbiss«  und  smoJcy  «Feige«  lässt  man  wohl 
lieber  beiseite :  schon  als  solche  sind  sie  des  Verdachtes,  entlehnt  zu 
sein,  nicht  frei.  Ein  ^phatry  und  'osfry  liegt  in  der  südslavischen 
Forellenbezeichnung  slvn.  pestrv  pestrca  postrv  postrca^  serb.  nacrpBU, 
big.  nxcTpi.B'i.,  und  in  cech.  ostrev  »Baumstamm,  Pfahl,  Leiterbaum«, 
poln.  ostrzeic  (Bezeichnung  allerlei  aus  Pfählen  hergerichteter  Leitern 
u.  s.),  slvn.  ostrv  »behauener  Nadelbaum«,  serb.  ocxpBa,  klr.  oexpoBa 
(ähnl.i,  Ersteres  den  »Buntfisch«  {\ phsttn»),  Letzteres  »das  scharf  Be- 
hauene«  {:osti^)  bezeichnend.  Um  Vereinzeltes  zu  übergehen  .  möchten 
wir  noch  an  die  merkwürdigen  sekundären  und  zusammengesetzten  Ab- 
leitungen ksl.  nastegny  »Beinschiene«:  stegno,  *naraky  (serb.  napy- 
KBHua,  slvn.  narökev  narökva  »Armband«):  rqka  aufmerksam  machen. 
Eine  Gruppe  für  sich  bilden  Ableitungen  auf  ursl.  *-ty,  die  allerdings 
einer  bei  den  -//-Stämmen  überhaupt  zu  Tage  tretenden  Tendenz  ver- 
fallen und  nur  in  allerhand  unursprünglichen  Umwandlungen  erhalten 
sind  (meist  als  -tra).     Alte  Bildung  ist  *zhrny  »Mühlstein«  u.  A.  m. 

Entsprechendes  bieten  nun  auch  die  verwandten  Sprachen.  Sl. 
*zhrny  erscheint  als  -u-  (urspr.  wohl  -«-?)- Stamm  in  lett.  dzirnus 
(preuss.  (/tmoyiois?)  wieder.  Dem  vorausgesetzten  slav.  "^-fy  entspricht 
gl*.  ßQWTvg  lörjTvg  u.  s.  w.  Ich  verweise  auf  Kretschmer,  Kuhn's  Zts. 
XXXI,  332 flF.,  wo  die  indoeur.  w-Stämme  des  näheren  besprochen 
werden.  Hier  wollen  wir  uns  damit  begnügen,  dass  wir  die  Ent- 
sprechungen der  beiden  Haujjtkategorien  der  slav.  -y-  und  -y?n-B\\- 


ij  Es  ist  ja  schliesslich  durchaus  nicht  unmöglich ,  dass  das  Slavische 
irgend  eine  vereinzelte  Bildung  derart,  wie  preuss.  maldüui,  lat.  pecüvia  'vgl. 
ob.  S.  355),  ererbt  haben  mag,  deren  Eiufluss  dann  selbstverständlich  mit  im 
Spiel  gewesen  wäre.  Doch  lassen  wir  diese  Möglichkeit,  die  wohl  nicht  zu 
bestreiten,  aber  sicherlich  auch  zu  keiner  Wahrscheinlichkeit  zu  erheben  ist. 
lieber  bei  Seite. 


358  J.  Zubaty, 

düngen,  jener  der  Bezeichnungen  weiblicher  Wesen  und  der  Abstrakta, 
näher  ins  Auge  fassen. 

üass  die  ü  -  Bildungen  ersterer  Art  in  der  Ursprache  so  zahlreich 
vertreten  gewesen  wären,  als  im  Slavischen,  lässt  sich  nicht  voraus- 
setzen. Aber  ein  ursprachliches  Wort  ist  *sceJh'üs  »Schwiegermutter«, 
Motion  zu  *sveJmros  «Schwiegervater«:  vgl.  lat.  socrus^  ai.  svairühy 
npers.  xusrü  (aus  einem  *yusrü-k-),  fei.  svekry  (Delbrück,  Die  idg.  Ver- 
wandtschaftsnamen,  Abh.  Sachs.  Ges.  d.  Wiss.,  XI  V,  S.  535).  Daran 
reiht  sich  Anderes  in  Einzelsprachen:  so  ai.  vadJtüJt  »Neuvermählte«, 
puscaluh  »die  den  Männern  {pi{s-]  Nachgehende  [calati],  Hure«  (auch 
pf/scali),  slsiy.j'etri/,  lat.  atitis,  ?iurus,  gr.  wog,  falls  das  Letztere  urspr. 
ein  ?^-Stamm  war  (vgl.  das  Nebeneinander  von  ulög  :  vlvg).  Es  ist  mög- 
lich, dass  das  eine  oder  das  andere  von  den  angeführten  Wörtern  auf 
Umbildung  beruht  (so  wohl  slav.Jefri/  nach  svekry,  Delbrück  1. 1. ;  *snusä 
in  ai.  S7iusä,  d.  Schnm\  slv.  smcha,  armen,  nu  steht  für  *sm(süs,  lat. 
?mrus,  nach  den  ä-Stäramen,  oder  umgekehrt  '^S7iusus  für  *snusä  nach 
*sve/hus;  vgl.  Delbrück  534) ;  die  Bildung  selbst,  mag  auch  nur  ^sve/crüs 
allein  verbürgt  sein,  steht  für  die  Ursprache  fest.  Wie  die  Endung  -ü- 
aufgekommen  ist,  wissen  wir,  wie  so  vieles  Andere,  nicht  zu  sagen  i). 


1)  Als  eine  blosse  Vermuthung  wollen  wir  hier  bemerken,  dass  vielleicht 
auch  slav.  str2/jh  »patruus«  in  diesem  Zusammenhange  seine  Erklärung  finden 
könnte.  Wir  halten  es  für  nicht  unmöglich,  dass  ein  urspr.  Fem.  *srüs,  ursl. 
*stri/  »Vaterschwester«  anzusetzen  ist,  welches  in  dem  allerdings  nicht  son- 
derlich stark  beglaubigten  slav.  stri/üi  »amita«  (cech.  dryne,  serb.  cxpuna  u.  A.) 
seine  Fortsetzung  besitzen  mag  'dieses  stryüi  selbst  wird  schon  frühzeitig 
durch  das  alte  Lallwort  teta  beeinträchtigt).  Das  alte  Wort  für  »Vaterbruder« 
war  ja  doch  ursprünglich  eine  Ableitung  von  *p9ter-  gewesen  (ai.  pitrcjah 
~  av est.  iüiijö,  gr.  nccTQU)^ ,  l»,t.  j^atrutis ,  iihd.  fetiro,  welches  dem  Slavischen 
mit  dem  alten  *pdter-  verloren  ging.  Das  supponirte  *srüs  *stry  (:  stryni)  wäre 
dann  etwa  ursprünglich  eine  Ableitung  von  *sveser-  *seser-  »Schwester«  und 
zunächst  die  Bezeichnung  der  unverheiratheten ,  im  Elternhause  lebenden 
Schwester  des  Vaters  im  Munde  seiner  Kinder  gewesen ;  beachtet  man  die 
Kürzungen  der  Ableitungen  *sveUrüs  neben  *sveJcuros,  *snusas  (oder  *snusä) 
neben  *sünu[s]-  *tiunu[s]-  (die  Stammform  *sünus-  *sunus-  »Sohn«  findet  in  ai. 
mänus-  neben  manu-  »Mann,  Mensch«  ein  Analogen),  wäre  auch  ein  *ssriis 
*srüs  neben  *svesr-  *sesr-  nichts  Unmögliches.  Als  die  ursprachliche  Bezeich- 
nung des  Vaterbruders  allmählig  verloren  ging,  wurde  sie  durch  eine  Maskulin- 
bildung zu  jenem  *stry  {stry/ä]  »Vaterschwester«,  slav.  stryjb,  ersetzt.  Dieser 
Vorgang  ist  nicht  selten  zu  belegen.  Sl.  vidocbcb,  lat.  viduus,  d.  Wittwer  ist 
das  maskulinirte  ursp.  *rüUievä  (der  Begriff  »Wittwer«  war  ja  den  Urzuständen 


Zu  den  slavischen  Femininbiklungen  auf  -yni.  359 

Auch  für  die  andere  Gruppe  der  slavischen  -y-  (und  -?/w/-)-Stämme 
hat  man  Analogien  in  den  verwandten  Sprachen,  Kretschmer  führt  1.  1. 
das  homerische  Abstraktum  Id-V^  «Richtung,  Unternehmung«  u.  dgl. 
nur  im  Akkus  sg.,  besonders  in  krc  id^vv,  äv  Id-vv  vorkommend)  neben 
dem  Adjektiv  lO^vg  {tv3^vg)  an,  ebenso  das  bereits  indo-iranische  fanns 
«Leib,  Körper«  (urspr.  wohl  »das  Gestreckte«,  vom  gestreckten  Men- 
scbenleib  im  Gegensatze  zum  Tierkörper)  neben  dem  Adj.  fanüs,  urspr. 
»gestreckt«,  dann  »dünn«  u.  s.  w.  ;  ferner  ai.  hadruh  eig.  »das  Braune, 
die  Braune«  (von  einem  hölzernen  Somagefäss,  von  einer  Personifikation 
der  Erde;  auch  als  Eigenname,  ein  weibliches  Wesen  bezeichnend,  in 
welchem  auch  eine  Personifikation  der  Erde,  neben  ihrer  Schwester 
F/V«a^ä  «der  Ausgewölbten« ,  dem  Himmel,  zu  suchen  ist)  neben  dem 
Adjektiv  kddruh  »braun«.  Es  sind  dies  ganz  oflFenbare,  oxytonirte 
Feminina  zu  adjektivischen,  oxytonen  oder  barytonen  2«- Stämmen.  An 
diese  reihen  sich,  wie  auch  bereits  Kretschmer  1.  1.  gesehen,  die  adjek- 
tivischen Feminina  auf  -Tih  neben  männlichen  auf  -m7/,  die  übrigens 
mehr  aus  den  Grammatiken  bekannt,  in  der  wirklichen  Sprache  ziemlich 
selten  sind;  so  in  Femininis  der  sekundären  Adjektiva  auf -/?<-  [udanjnh, 
Fem.  udanjüh  »Wasser  verlangend,  wasserreich«)  und  in  einigen  andern : 
carisnüh  carisntih  ^  tanüh  tanüh  (als  Adjektiv)  u.  A.  m.  (Whitney 
§  355c,  Lanman,  Journ.  Amer.  Or.  Soc.  X  101,  Benfey,  Vollst.  Gramm. 
§  704).  Auch  a\.prdäku//  m.,  prdUkiili  f.,  »Schlange « gehört  wohl  hier- 
her. Die  Substantiva  fem.  auf  -us  sind  also  morphologisch  als  Feminin- 
bildungen von  Adjektiven  auf -e^s  aufzufassen:  ob  die  Femininbildungen 
wie  *sveKrüs  wenigstens  zum  Theile  nicht  Nachbildungen  von  Femininen 
wie  etwa  *t9nüs  waren,  ist  eine  Frage,  die  sich  derzeit  weder  verneinen 
noch  bejahen  lässt.  Aber  wie  die  Sachen  stehen,  ist  es  wahrscheinlich, 
dass  dieser  Art  Feminina  auf  -üs  bei  nicht-?^-Stämmen  auf  Verall- 
gemeinerung der  Endung  üs  beruhen  dürften. 

Das  Altindische  bietet  nichts  dergleichen.  Im  Griechischen  könnte 
man  an  cqltvq  »Dreiheit,  suovctaurilla«  als  von  ro/rog  abgeleitet  denken, 


wohl  fremd  ;  aus  dem  oben  angeführten  a\.  j^ifscah  puiicalah  »Hure«  wurde  ai. 
puscalah,  wie  aus  d.  Hure  auch  Hurer  gebildet;  ebenso  aus  agruh  »die  nicht 
Schwangere,  Jungfrau«  gelegentlich  das  Mask.  dgruJi  »der  Jungfräuliche, 
Ledige«;  aus  gr.  M?;roD<«  »Stiefmutter«  auch  ein  fxrjxqviög  »Stiefvater«;  sl. 
svekr-o  geht  auf  svekrij,  slvn.  mozah  auf  sl.  inazahj  zurück;  auch  ai.  nrtüh 
»Tänzer«  scheint  ein  urspr.  nrtnh  »Tänzerin«  zu  sein,  u.  s.  w.  Doch  wie  ge- 
sagt, will  das  hier  Vorgetragene  weiter  nichts  als  eine  Vermuthung  sein. 


360  J-  Zubaty, 

wenn  es  nicht  näher  läge,  mit  Kretschmer  einfach  das  Abstraktsuffix 
-tu-  anzunehmen;  dasselbe  gilt  von  reiQay.iVg  «die  Zahl  4 v.  Im  Sla- 
vischen  könnte  ein  alter  z<-Stamm  in  celij  vorliegen,  vgl.  preuss.  kailTi- 
stiskan  Asg.  « Gesundheit (c  (Geitler,  Listy  filol.  III  2,  =  0  slov.  kme- 
nech  na  ii  §  16):  sicherlich  liegen  solche  in  ksl.  AKr'KiHH  KATvr'KiHH 
neben  den  alten  2^- Stämmen  lbgi>-/ch^  vhiff^-k^  vor  (Geitler,  ebd.  (IS, 
§  95).  Vielleicht  könnte  man  mit  Geitler,  ebd.  1,  §  Ki,  auch  in  obigem 
*phstry^  *ostry  ähnliches  erblicken,  falls  man  berechtigt  ist,  die  im  Lit. 
vorkommenden  -r?^-Stämme  -Leskien  1.  1.  440  f.)  auch  dem  Slavischen 
zuzuschreiben;  jedenfalls  werden  wir  uns  jedoch  hüten,  mit  Geitler  bei 
einem  jeden  -y  oder  -yni  schon  gleich  einen  ursprünglichen  -?<;- Stamm 
zu  wittern. 

Auch  Bildungen,  die  ausserhalb  unserer  beiden  Hauptkategorien 
der  -y-  {-y?u-]-Stämme  liegen,  finden  sich  in  den  verwandten  Sprachen. 
So  ai.  camüh  »Bodeu  der  Soma- Presse«  u.  a. ,  zu  ä  -cümati  [camafi] 
»schlürfen«,  so  namentlich  sicherlich  ein  guter  Theil  der  lat.  Feminina 
der  IV.  Deklination,  so  die  Feminina  auf  -tg  im  Griech. ;  freilich  sind 
in  den  beiden  letzteren  Sprachen  die  u-  und  «-Stämme  stark  in  einander 
geflossen. 

Doch  wollen  wir  uns  auf  die  beiden  Hauptkategorien  der  slav.  -y- 
(-?//w-)-Stämme  beschränken,  weil  hier  die  Verhältnisse  doch  deutlicher 
und  greifbarer  sind.  Wie  unterscheidet  sich  der  Stand  der  Dinge  im 
Slavischen  von  jenem  der  übrigen  Sprachen?  Lediglich  dadurch,  dass 
diese. Bildungen  im  Slavischen  viel  zahlreicher  vertreten  sind,  und  auch 
in  Fällen  vorkommen,  die  nicht  jene  Bedingungen  aufweisen,  unter  wel- 
chen im  Ai.  oder  Gr.  jene  Feminina  auf  -üs  erscheinen:  das  Slav.  hat 
nicht  blos  Ihgy-ni  vblr/y-ni^  es  hat  auch  JJuby,  ksl.  npoCTi^HH,  TBpTv- 
^\,'KIHH  u.  s.w.,  wo  keine  adjektivischen  -«^-Stämme  zur  Seite  stehen,  oder 
wenigstens  mit  keinerlei  Wahrscheinlichkeit  anzunehmen  sind.  Es  ist 
möglich,  dass  das  Vorslavische  oder  Urslavische  ursprüngliche  weibliche 
w-Stämme  treuer  bewahrt  hatte  als  andere  indoeur.  Sprachen :  aber 
sicher  ist,  dass  diese  Bildung  im  Slavischen  —  namentlich  in  der  Er- 
weiterung zu  -yni-  —  durch  Nachahmung  weit  ihre  ursprünglichen 
Grenzen  überschritten  hat. 

Weniger  klar,  als  für  den  ersten  Theil  des  Suffixes  -y-ni\  sind 
die  Verhältnisse  bei  dem  zweiten,  wenigstens  auf  den  ersten  Blick. 
Wir  haben  ziemlich  viele,  und  darunter  auch  sicherlich  alte  Bil- 
dungen auf -?/  anführen  können:   solche  auf -/?/ allein  (von  -y-ni  ab- 


Zu  den  slavischen  Feruiniubildimgen  auf -,v'i».  361 

gesehen)  scheinen  im  Slar.  zu  fehlen.  Eine  solche  hat  es  aber  ur- 
sprünglich wohl  sicherlich  gegeben.  Ein  ursp.  *p6tnia  *p6tnl  »P'rau, 
Gemahlin«  ist  neben  *p6tis  »Herr,  Gemahl«  im  Ai.  [pätnl]  ^  Avest. 
(-pad-ni-),  Griech.  [TiÖTVia)  und  seit  Kurzem  auch  im  Lit.  {tcesch-patnl 
in  der  Wolfenbütteler  Postillenhandschrift  a.  d.  J.  1573,  Gaigalat,  Mitt. 
d.  Lit.  Ges.  V  119)  so  gut  verbürgt,  dass  es  kein  gewagtes  Spiel  ist, 
wenn  man  dasselbe  Wort  auch  für  das  Vorslavische  voraussetzt.  Mög- 
licherweise waren  Feminina  auf  -w/a  -m  früher  sogar  zahlreicher  ver- 
treten. Im  Lit.  ist  im  Laufe  der  Zeit  altes  *patni  dem  Maskul.  patis 
pats  zuliebe  durch  die  Neubildung  pafi  ersetzt  worden :  dasselbe  kann 
auch  sonst  geschehen  sein.  Das  Ai.  bietet  in  der  That  Belege  davon, 
die  meist  tibersehen  werden:  zu  etah  «bunt«,  auch  »eine  Art  Hirsch«, 
lautet  das  alte  Feminin  enl  »Hirschkuh«;  zu  palitäh  »grau,  greis« 
pdliknl  (Wv  "päJifni,  zu  asitäh  »schwarz«  ebenso  äsiknl^  zu  häritah 
)igelb,  grün«  /län'm  oder  auch  *häriJnü  im  Demin.  häriknikä:  vgl. 
Benfey,  Göttg.  Nachr.  1872  lfi\,  bes.  §  4.  Die  Formen  yjä///i:m  ä&ikui 
*härik)ü  bieten  den  » sporadischen «  Lautwandel  von  tn  zu  kn,  der  auch 
im  Yölkernamen  Scikna-  [Svaikna-]  für  *u'itna-  (Ludwig.  Rigveda  IV 
326)  vorliegt.  Ob  man  diesen  »sporadischen"  Lautwandel  durch  Dialekt- 
mischung oder  sonstwie  erklären  will ,  zu  bezweifeln  ist  er  nicht ,  trotz- 
dem der  »sporadische  Lautwandel <f  heutzutage  ebenso  ungerechterweise 
verpönt  ist,  wie  er  früher  missbraucht  wurde:  es  gibt  »sporadischen  > 
Lautwandel  auch  bei  dem  heutigen  Stand  der  Sprachwissenschaft  mehr 
als  genug,  nur  dass  man  heutzutage  (mit  Recht  die  Forderung  stellt,  er 
solle  irgendwie  gedeutet  werden  i).   Für  *pä/ifnipälikn'i,  *äsitnl  äsiknl 


1;  Joh.  Schmidt,  Pluralbild.  398,  will  den  Zusammenbang  von  den  En- 
dungen -ita- :  -iktü  und  somit  den  Lautwandel  von  tn  zu  Im  nicht  gelten  lassen 
und  findet  darin  Zustimmung  von  AVackernagel ,  Altind.  Gramm.  130.  Der 
Fall  gehört  zu  jenen,  die  nicht  mit  Sicherheit  zu  entscheiden  sind:  jedenfalls 
iist  die  ältere,  Benfey'sche  Auffassung  die  natürlichere,  und  wurde  nur  aus  Ab- 
ineigung gegen  Lautveränderungen,  die  sich  nicht  auf  allgemein  gültige  Laut- 
jgesetze  zurückführen  lassen ,  aufgegeben.  Der  Wandel  von  tn  zw  kn  wurde 
jmit  der  Schreibung  tkn  tkm  für  tii  tm,  die  in  gewissen  vedischen  Handschriften 
iinzutreffen,  in  Zusammenhang  gebracht:  tkn  bildet  eben  die  Mittelstufe 
jzwischen  tn  und  kn.  Man  vgl.  ebensolches  tkn,  bzw.  kn  aus  etymol.  ^«  bei 
'Gebauer.  Histor.  mluv.  I  451  c.  vyvrtknnuti ,  vi/vrk}iouti  für  ii/crtnoufi;  in 
{fr<A«üy  gehört  k  wohl  zum  Suffix,  vgl.  lepkai;/,  ilhkaiij  u.  a.):  auch  im  Cech. 
handelt  es  sich  da  um  keinerlei  durchgreifendes  Lautgesetz.  —  Wackeroagel 
fuhrt  ebd.  135  Belege  an,  die  auf  einen  gleichfalls  sporadischen  Lautwandel 


362  J-  Zubaty, 

gibt  die  spätere  Sprache  dem  Mask.  palitäh  asitäh  zuliebe  den  Formen 
palitii  asitU  den  Vorzug;  die  alten,  metaplastischen  Formen  sind  ver- 
schollen. Wenn  im  Griech.  dem  ai.  palitäh  ein  jitkirvög  7tB}.i8v6g 
entspricht,  so  ist  da  wohl  das  Umgekehrte  geschehen :  einem  ehemaligen 
*7i(iXiTvia  =  ai.  *pälitm  zulieb  ist  das  ursp.  *n-eliT6g  =  ai.  palitäh 
zu  TtsliTPÖg  geworden.  Auch  für  enl  j)  Hirschkuh  a  kommt  ein  etä  (nach 
etah)  vor,  welches  mit  lett.  m'te  identisch  ist  (Uhlenbeck,  Kurzgef.  Etym. 
Wtb.  der  ai.  Sprache  35).  Und  ähnliches  mag  sich  auch  sonst  öfters 
auf  Unkosten  jenes  femininischen  *-?iia  *m  ereignet  haben  i). 

Aber  auch  auf  anderem  Wege,  als  durch  die  Ausgleichung  der 
verschiedenen  Motionsformen,  konnte  das  Gebiet  der  femininen  "-mß 
*-m-Form  Einschränkung  finden :  diese  Form  konnte  ihrer  charakte- 
ristischen Merkmale  durch  Einfluss  anderer  Femininbildungen  beraubt 
werden.  Auch  hiefür  können  wir  einen  lehrreichen  Beleg  anführen.  — 
Für  Kurschat's  (Wörterb.  s.  v.,  Gramm.  §  634,  vgl.  §  591,  auch  Leskien, 
1.  1.  375)  v'eszne  «weiblicher  Gast«  schreibt  Schleicher  (Gramm.  181) 
veszni.    Diese  Schreibung  dürfte  auf  einem  Verhören  beruhen  ;  wer  je 

von  ts  zu  Äs  im  Ai.  hinweisen :  nach  Wackernagel  hätte  man  hier  mit  einer 
dialektischen  mittelindischen  (eig.  vormittelindischen)  Erscheinung  zu  thun. 
Hierin  stimmen  wir  Wackernagel  im  Wesentlichen  bei :  es  scheint  uns  jedoch, 
Wackernagel  hätte  die  Auffassung,  die  bei  dem  Wandel  von  ts  zu  ks  unab- 
weislich  (in  seinen  Belegen  handelt  es  sich  um  wurzelhaftes,  nicht  suffixales 
t),  auch  bezüglich  jenes  von  tn  zu  kn  wenigstens  als  möglich  sollen  gelten 
lassen. 

1)  Auch  hier  mag  eine  vielleicht  etwas  kühne  Vermuthung  Platz  finden: 
wieso  es  kommt,  dass  der  lit.  Komparativ  -esnis,  Fem.  -esne  lautet.  Thui- 
neysen  erklärt  in  seinem  bekannten  Aufsatze  (Kuhn's  Zts.  XXXIII  553f )  das 
lit.  Komparativsuffix  aus  einem  ursp.  -;;'es-en-Stamm ,  den  man  auch  im  ger- 
manischen Komparativ  (got.  -Izan-  -izin-)  hat.  Wiedemann,  Handbuch  der  lit. 
Spr.  §  107  u.  165  gibt  ihm  darin  Recht.  Nur  dass  es  bei  der  Stellung,  die  die 
->2-Deklinatiou  im  Germanischen  erreicht  hat,  etwas  gewagt  ist,  aus  dem  Be- 
stehen eines  -n-Stammes  im  Germanischen  ohne  Weiteres  Rückschlüsse  auf 
andere  Sprachen  zu  ziehen.  Ich  halte  das  Bestehen  eines  ehemaligen  *-jes-nia 
*-Jes-ni  im  Feminin  des  Komparativs  für  nicht  unmöglich :  und  dieses  *-jesni 
könnte  ja  direkt  in  den  altlit.  Neutrls  und  Adverbien  auf  -esni  -esn,  in  Ver- 
mummung in  der  heutigen  Femininform  -esm  vorliegen.  Das  Maskulinum 
hätte  sich  späterhin  nach  dem  Feminin  gerichtet ,  gerade  so  wie  dies  in  der 
lat.  Deklination  der  -?<-Adjektiva  geschehen  ist,  wie  die  Deklination  der  kon- 
sonantischen Adjektiva  (Partizipien  und  Komparative)  im  Baltisch-Slavischen, 
die  der  adjektivischen  -««-Stämme  im  Germanischen  und  Baltischen  das  deiu 
Femininum  entstammende  j  vielfach  auch  ins  Mask.  überträgt. 


Zu  den  slavischen  Femininbildungen  auf  -ijni.  363 

einen  Litauer  gehört,  wird  die  Möglichkeit  davon  wohl  gerne  zugeben, 
namentlich  in  Anbetracht  der  vom  Vf.  i.  d.  Sitzb.  der  Kgl.  Böhm.  Ges. 
d.  W.  1901  VII  17  f.  angeführten  Thatsachen.  Abernichtsdestoweniger 
dürfte  doch  veszne  durch  Angleichung  an  die  zahlreichen  sonstigen 
Feminina  auf  -e  aus  '^ vl-szui  entstanden  sein.  Dieses  *ceszm  wäre 
dann  das  Femininum  zu  reÄc/s  » Gast«  lett.  oesis):  veszis  lebt  in  lit. 
c'esziu  kelias ,  gew.  venzkeh's  «Landstrasse«  (eig.  »Fremdenweg,  Gast- 
weg«, poln.  go.iciniec,  r.  rocTiiHeu-B  ,  ist  aber  sonst  verschollen,  was  die 
bei  Szyrwid  vorkommende  Umdeutung  zu  tcieszas  kielas  veranlasst  hat 
(Leskien,  1.  1.  1S5;  auch  vieszaus  kelelis,  vieszüsis  kelüzis  kommt  vor, 
Juszkewicz  Liet.  d.  4r)6  2,  ."iSl  14,  Leskieu  240,  worin  vielleicht  Spuren 
der  vom  Vf.  Sitzb.  d.  Kgl.  Böhm.  Ges.  d.  W.  1S97  XIX  21  f.  besprochenen 
Verhältnisse  zu  suchen  sein  werden).  Man  kommt  überhaupt,  vergleicht 
man  die  Motion  des  Ai.  mit  jener  im  Lit.,  zur  üeberzeugung,  dass  im 
Lit.  die  Grenzen  der  -^-Feminina  gar  vielfach  zu  Gunsten  der  Endung 
-<■  verrückt  worden  sind. 

Bezüglich  des  im  Gegensatze  zur  Maskulinform  im  Femininum  auf- 
tretenden it  meint  Brugmann,  für  welchen  in  erster  Reihe  nur  *pötnia 
pötnl  in  Betracht  kommt  (Grundr.  II  315  ,  die  Bildung  beruhe  auf  Nach- 
bildung von  Femininen  der  ;?-Stämme,  wie  ai.  tak'anJ  rey.Taiva  zu  M. 
täkmn-  xi/.xiov.  Dies  mag  auch  das  Richtige  sein.  Jedenfalls  ist 
wenigstens  'pöinia  *pätnl  bereits  ursprachlich,  und  wenn  nicht  andere 
Sprachen,  die  östliche  Sprachengruppe  des  indoeuropäischen  Sprachen- 
stammes mag  nach  Ausweis  der  oben  zusammengestellten  lit.  und  ai. 
Spuren  dieser  Bildung  mehr  Belege  davon  besessen  haben.  Es  ist  nicht 
unmöglich,  dass  die  Bildung  dem  Charakter  der  indoeuropäischen  -n- 
Bildungen  gemäss  ursprünglich  mehr  substantivischen  Charakters  ge- 
wesen: selbst  von  *p6tma  *  pötnl  und  lit.  cesznc  abgesehen,  sind  die 
spärlichen  Belege  jener  ai.  Feminina  vorwiegend  substantivischen  Cha- 
rakters ').    Auch  der  von  uns  vermuthungsweise  angesetzte  Ausgangs- 


!  1)  Nur  dsikni  kommt  im  Veda  öfters  adjektiviscli  vor  (vgl.  das  Peters- 

j  burger  Wüiterbuch;,  aber  auch  als  Substantiv:  es  bezeichnet  in  dieser  Art 

1  «die  Schwarze«  ^Nacht],  «das  Dunkel«,  nach  den  Lexikographen  auch  »eine 

weibliche  Dienerin  im  Harem«    wohl  »eine  Schwarze«,  vgl.  dsikni  tvdk ,  visah 

äsiknih  RV  IX  73  5,  VII  5  3;  nach  dem  Petersburger  Wtb.  »von  mittleren 

1  Jahren,  noch  schwarz,  noch  nicht  grau«),  und  kommt  auch  als  Nomen  propr. 

I  vor  auch  als  Flussname,  'Jy.eaiy/;^  im  Pendschab  .    rdlikm  (RV  V  2  4,  VS  30 

15)  scheint  eher  ein  Substantiv  zu  sein    »die  Greise,  Greisin«,  »weisse  Kuh«), 

ebenso  hdriknikä  im  Atharvaveda  (»falbe  Stute«);  bei  lairihnkü  ist  dies  schon 


364  J-  Zubaty. 

punkt  der  litauischen  Komparativbildung  (8.  362  ^j  könnte  ursprünglich 
eine  Art  Substantivirung  gewesen  sein :  sind  unsere  Auseinandersetzungen 
Idg.  Forsch.  VIII  2 14 f.  richtig,  so  war  der  heute  übliche  Komparativ 
auf -WM  -iaüs  auch  ursprünglich  substantivischen,  nicht  adjektivischen 
Charakters  gewesen  i).  Man  sieht,  dass  wir  somit  auf  Umwegen  doch  im 
Grunde  zu  Thurneysen's  Auffassung  des  lit.  Komparativs  zurückkehren. 

Für  den  andern  Teil  der  slavischen  Femininendung  -y-ni  müssen 
wir  uns  leider  mit  der  Erkenntniss  begnügen,  dass  ein  *-mfl!  *-yn  in 
verwandten  Sprachen  gut  beglaubigt  ist.  Aus  dem  Slavischen  können 
wir  keinen  völlig  entsprechenden  Beleg,  eben  die  alte  Verbindung  -y-ni 
ausgenommen,  beibringen.  Es  ist  dies  leider  nicht  der  einzige  Fall,  in 
welchem  man  nicht  Alles  zur  Hand  hat,  was  man  zur  Deutung  einer 
sprachlichen  Thatsache  benöthigen  würde.  Aber  am  Ende  sieht  man 
gar  nicht,  was  -ni  in  slav.  -yni  sein  könnte,  wenn  die  alte  Feminin- 
endung *-7iia  *-m  nicht  darin  stecken  sollte. 

Um  zum  Schlüsse  noch  eine  Vermutung  anzubringen,  ein  altes 
Nomen  auf  *-;?m  *-nl  hat  auch  das  Slavische  aufzuweisen :  allerdings  Ij 
kein  solches,  wo  der  -w-Stamm  nur  auf  das  Femininum ,  wie  in  *pötnia  |i 
^pötni  neben  *p6tis  u.  s.  w,,  beschränkt  wäre.  Es  ist  dies  ksl.  aAT^HMH  ' 
aA'kHH  /laHH  aaHHra  AaHk  «Hindin«  zyjijelenh  »HirschK.  Bekanntlich 
ein  altes  Wort.  Im  Lit.  findet  man  eine  »Hindin«  (Leskien,  1.  1.  282),  , 
welches  wohl  für  '^elni  (vgl.  S.  363),  bezw.  "^alni  steht,  neben  dem  : 
Mask.  e7w',s  »Elentier «2);  dazu  gehört  ferner  gr.  IXlöo,  »junger  Hirsch«, 


an  der  substantivischen  Weiterbildung  ersichtlich  (vgl.  nsiknikä ,  nach  dem 
Lexikographen  =  asikin  »Haremsdienerin«).  —  Das  Fem.  im  »Hirschkuh«  ist 
durchaus  Substantivuiu.  Man  beachte  hier  den  vollen  Suffixwechsel :  M.  *-tos, 
F.  *-nia  *-ni  (vgl.  dazu  hürih  härim,  häriiah  huriknl). 

1)  Man  kann  sich  die  Sache  so  vorstellen,  dass  die  Form  auf -es>n',  von 
der  der  heutige  Komparativ  ausgegangen  wäre  ,  ursprünglich  in  Sätzen  wie 
geresni  yrä  »es  ist  besser«,  ursp.  eig.  »es  ist  ein  Besseres,  eine  bessere  Sache« 
üblich  gewesen.  —  Zu  dem  oben  angeführten  Aufsatze  möchte  ich  bei  dieser 
Gelegenheit  noch  einen  Beleg  aus  Juskevic's  Wörterbuch  nachtragen  :  »dvt- 
jaii  ir  dvtju  adv.  EÄBoeMX,  ÄBaBMicxi;  dwoje,  we  dwoch.  Dvijau  kiileva  vers\. 
Dmjau  büvova  tdn.  Ar  apspesitau  därbq  dirhti  dvtJu,  kad pirm  hüvote  trisu , 
keturt  SU ,  devt/nlsu ,  desimüs ,  viemllikna.  Man  beachte  die  veraltete ,  in 
dieser  Redensart  erstarrte  Lokativendung  -su  in  tnsu  u.  s.  w.,  nach  welcher 
die  Endung  -au  des  Lok.  Du.  dvejau  dvijau  in  Juskevic's  dv'iju  zu  -u  angeglichen 
wurde. 

-]  Lit.  eine  Steht  wohl  für  *alne  *alni:  die  Vokale  a  und  e  wechseln  im 
lit.  Wortanlaute  sehr  stark  ab,  und  zwar  geschieht  dies  unter  unverkennbarem 
Einfluss  des  Vokalismus  der  folgenden  Silben:  vor  engen,   palatalen  Silben 


Zu  den  slavischen  Femininbildungen  auf  -ijni.  365 

V.aifog  "Hirsch«  (aus  *eln-bhos),  cymv.  claln  {'ehfil),  ir.  e/it  {*elntis) 
»Reh*',  arm.  <v./?,  vgl.  z.B.  Stokes,  Fick  11^  42.  Falls  ai.  etü  )>  Antilopen- 
art« durch  volksetymologische  Anlehnung  an  obiges  t-nl  (S.  362)  für 
'an'i  aus  "alm  steht  (Uhlenbeck,  1. 1.  35),  wäre  es  mit  slav.  *ahn  *ahi'bji 
identisch.  Allerdings  ist  das  Verh<ältniss  der  hier  erscheinenden  Nomi- 
nativendung -nhji  zu  ursp.  *-«/  nicht  recht  klar,  wie  überhaupt  die 
slavischen  männlichen  und  weiblichen  Nominative  auf  -hji  dunkel  sind. 
Betrachtet  man  z.  B.  *alnbji  lanhji  «Hindin«,  *aldhji  ladhji  lochj'i 
); Schiff«,  sqdbji  »Richter«  u.  A.  neben  hogy/d  u.  A. ,  kommt  man  zum 
Gedanken,  der  Unterschied  zwischen  -/  und  -hji  im  Nominativ  hänge 
mit  der  Struktur  der  vorausgehenden  Silbe  zusammen:  ist  sie  ursprüng- 
hch  offen,  kommt  dem  Nominativ  die  Endung  -i,  ist  sie  ursprünglich 
geschlossen,  dagegen  die  Endung  -hji  zu.  Und  vergleicht  man  ferner 
noch  z.  B.  ksl.  -a^ujth  im  Nom.  sg.  fem.  der  Partizipia,  so  will  es 
weiterhin  scheinen,  dass  auch  die  Tonqualität  hiebei  ein  Wort  mitzuj- 
reden  gehabt.  Nachdem  bei  der  urspr.  Nominativ -Endung  *-l  dgl. 
Unterschiede  nicht  begreiflich  sind,  müsste  man  deren  Ursprung  in  den 
übrigen  Kasibus  suchen:  im  Slavischen  wäre  der  Nominativ  —  wie  dies 
im  Slav.  auch  sonst  der  Fall :  ^-(ff/i  -oiii  -Jisi  im  Nom.  der  weiblichen 
Partizipien  und  Komparative;  nozh  im*nozh  u.  dgl.,  vgl.  lett.  nazis 
naza\  -i/iii  für  *-ym  —  durch  die  übrigen  Kasus  beeinflusst  worden. 
EnrZ;  ich  stelle  mir  den  Prozess  folgendermassen  vor:  ursp.  Nom.  sg. 
*-ia-  *-7,  in  den  andern  Kasus  *-m-  bezw.  *-{e-);  vorslav.  Nom.  sg. 
*-7-,  in  den  andern  Kasus  je  nach  Beschaffenheit  der  vorangehenden 
Silbe  *-iä-  *-ie-)  oder  "-mi-  (*-?V5-);  slavisch  Nom.  sg.  -/,  z.  T.  durch 
Angleichung  an  andere  Kasus  -yV,  in  den  andern  Kasus  -Ja-^  bzw.  -hja. 
Wobei  noch  die  Möglichkeit,  wenn  nicht  Wahrscheinlichkeit  zu  berück- 
sichtigen ist,  die  durch  die  Beschaffenheit  der  vorangehenden  Silbe  be- 
dingte Stammes  Verschiedenheit  sl.  -Ja-  -ija-  wurzele  in  sehr  alten,  viel- 
leicht schon  ursprachlichen  Zeiten.  Natürlich  wäre  später  auch  hie  und 
da  allerlei  Störung  durch  Formenassoziation  eingetreten:  z.  B.  ksl. 
Kp'kMKMHH  Und  auch  sonst  manches  Andere,  würde  sich  der  oben  ver- 
muthungsweise  aufgestellten  Regel  widersetzen. 

erscheint  meist  e,  vor  breiten,  nicht  palatalen,  meist  a.  Offenbar  ist  die  ganze 
Erscheinung  durch  Dialektmischungen  und  durch  andere  störende  Eintiüsse 
verdunkelt.  Man  vgl.  aszva  *eXc<i,  asz  *e(jo>n,  aberz.  B.  ercUs  auch  arelis,  slv. 
orbh  »Adler«  neben  üras  Juszkevicz  Dain.  103  20;  u.  s.  w.  Vgl.  Bezzenberger 
in  seinen  Beitr.  XXIII  29öff.  Jos.  Zuhat ij. 


366 


Die  griechisclien  Artikelkonstruktioneu   in   der  alt- 
kirclieuslavisclien  Psalter-  und  Evaugelieuübersetzung. 


I.    lu  der  Psalterübersetzung. 

In   der    sorgfältigen    Studie, 
welche  Matija  Valjavec  im  J.  l  SSS 
der    altkivchenslav.    Psaltevübei- 
setzung  gewidmet  hatte  (Rad  ju- 
goslav.  akad.,  Bd.  9S,  S.  1 — S4, 
Bd.  99,  S.  1—72,  Bd.  100,  S.  1  — 
64),  lesen  wir  den  Satz,  es  sei  bei 
der  Herstellung  des  ältesten  sla- 
vischen  Textes  gelegentlich  auch 
die  lateinische  Uebersetzung  (Vul- 
gata)  herangezogen  worden   (vgl. 
Rad,  Bd.  9S,  S.  4 — 7).    Um  einen 
solchen,  ohne  Zweifel  ungewöhn- 
lichen   Vorgang     zu     beweisen, 
führte    Valjavec     zunächst    eine 
Reihe   von   Belegen   an,   wo   der 
finale   Infinitiv   des    Griechischen 
(in   der    Regel    mit   dem  Artikel 
versehen,    aber  auch  ohne    den- 
selben) im  Lateinischen  und  Slavischen  durch  einen  Finalsatz  mit  der 
Konjunktion  ut,  resp.  da,  wiedergegeben  wird.    Die  von  Valjavec  heran- 
gezogenen Belegstellen  —  die  slavischen  stammen  aus  dem  Ps.  sin.,  ed. 
Geitler  —  sind,  nach  der  Perfektivität  der  slavischen  Verba  geordnet, 
folgende:  a)  Verba  perf.  für  den  griech.  Infinitiv  des  Aorists:  Ps.  8,  3 
Tov   v.aTciXvociL    fx&Qoi'   v.ai    e/.di-urjTfjP    ut    destruas    inimicum    et 
ultorem  ^a  pas^pOYiUHUJH  ßpara  h  MccTkHHKa;  25,7  rov  a/.omai 
(fioi'fjs  aivsaewg  y.al  öuiyi!]Oaad-ai  Ttavra  ra  d-avauaiä  gov  ut  au- 
diam  vocem  laudis  et  enarrem  universa  mirabilia  tua  ^a  OYCa'kiilJ;!^ 
raac'h.    yBaA-Ki    tbocja    (h)    Hcnoß-kMi».    kt^cS   HW^fca   TKOt:; 
35,  4  ov'A  tßovXrjrd-r]  ovviivai  rov  dyaitovpat  noluit  intellegere,  ut 


Die  griech.  Artikelkonstruktionen  in  der  altkirchenslav.  Psalterübers.      307 

bene  ageret  Hf  hsboah  pa30\*MliTH,  ,\,a  OYKAaM;HTTi,;  66,  3  rov 

yvCovcti  Iv  rfi  yfj  ri-p  bööv  öov  ut  cognoscamus  in  terra  viam  tnam 
X&  nctSHiVfM'K  Hd  3fMH  n;siTKTKOH;  72,  2S  rov  l^uyytiXai  yrä- 
(jac  rag  alriang  aou  ut  annuntiem  omnes  praedicationes  tuas  ^d 
HCnOKliM'K  KkCI/J\  YKi\i\'KI  TKOI*A  ;  75,  10  TOÜ  oCjoui  TtcevTag  Tovg 
7T()(U(g  rr^g  yr^g  ut  salvos  faceret  omnes  mansuetos  terrae  ^\,a  OViia- 
cn"k  KbCbÄ  KpoT'kK'kri/Ä  3EMAH;  79,  3  D.d^e  elg  to  oCjoul  rii.iäg 
veni,  ut  salvos  facias  nos  npH,\,H,  ,\,a  H'ki  c'kiiacEiiiH ;  100,  8  rov 
l^o/.od-QBvoaL  Iv.  TtöKEfjig  y.vQiov  rcüvTag  Tovg  tQyal^oftevovg  rtjv 
döiüiav  ut  disperderem  de  civitate  domini  omnes  operantes  inquitatem 
^a  noTp'RKAtiti  OT'K  rpa,v,a  rH'k  kkcia  Tßopi>AUiTi/fti^  Kf3a- 
K^HHkE:  108,  27  >T«j'r«  TXQog  ot  /CQogdny.toai,  öovvccl  rqv  rqncpijv 
avTolg  omnia  a  te  expectant,  ut  des  illis  escam  BkCÜ  OTTv  TtKt 
HawRT'K,  ^A  A,ACi\  nvxxuTTtv  v\wk:  104.  22  Toü  naiöevGai  rovg 
uqynrrug  avrov  vjg  icanöv^  y.cu  rovg  TZQeofyUTtQovg  avvov  aoffioai. 
ut  erudiret  principes  eius  sicut  semet  ipsum,  et  senes  eius  prudentiam 
doceret  ji,A  Haov'HHTT»,  K'kHiwvi^iw\  «ro  'feKO  CAWW  ci»ä,  h  crapku,!^ 
trc>  ov'MO^l.pHT'k;  104,  3i»  toD  (pioriaca  avtolg  rip'  vv/.xct  ut  lu- 
ceret  eis  per  noctem  \A  npocB'kTHT'k  HM'k  HOiUT'kiii^:  105,  8  xoi) 
yvioQiocit  Tt]v  dvvaareiav  avrov  ut  notam  faceret  potentiam  suam 
,\A  CkKa/KfT'k  HMT».  cha;^  CKOfiR;  105.  23  rov  t^o/.od-Qauoa/  av- 
rovg  ....  Tov  i.ii;  i^oXoS-Qtvoai  ut  disperderet  eos  .  .  .  ne  disperderet 
eos  ^a  Mk  noTp'kKA»^  .  .  .  ;i,a  h«  norov'KHT'k  H\"k:  112,  8  rov 
j  ■/Miyiaa.i  avrov  uera  aqyövnov  ut  coUocet  eum  cum  principibus  ^a 
I  noca,\HT'k  H  Ck  K'k.Hiift^H;  118,  76  yevEd-erio  rh  'i'Uög  aou  rov 
I  naqa/.a).ioat  ue  fiat  misericordia  tua,   ut  consoletur  me  k;*^^"  ^f 

MHAOCTk    TBCfk,    ^A    OYT'felllHT'k    MbÄ;    118,   173    ySPSOO-lO  f]  XEIQ 

oov  TOV  oCjouL  ue  fiat  manus  tua,  ut  salvet  me  K;^;k,H  p^^Ka  TBCk, 
!  Ji,A  CknactTTk  MiiÄ.  Hierher  kann  wohl  auch  die  im  Ps.  sin.  lücken- 
i  haft  erhaltene  Stelle  eingereiht  werden:   9,  35  rov  TtaQadovvai  av- 

rovg  eig  xelQc'cg  aov  ut  tradas  eos  in  manus  tuas  ,\A  (np1v,vaHH   K^\- 

4»;iiT'k  BTk  p;iii;'t  tboh).  b)  Verba  imperfektiva  im  Slavischen  für 
I  den  griech.  Infinitiv  des  Praesens:   26,  4  rov  /.arcixelv  f.ie  Iv  orKO) 

/.VQiov  rcäaag  rag  r^utQag  rf^g  Ltor^g  fiov,  rov  &£coQ£iv  /.le  ri-f 
\re.Q7Ti'6rr^ra  y.vQiou  /.ai  htio'y.ercrea&ai  rov  vahv  avrov  ut  inhabi- 
jtem   in   domo  domini  omnibus  diebus  vitae   meae,  ut    videam   volup- 

tatem  domini  et  visitem  templum  eius   J^A  »CHB^   BT».  ;i,OMOY  THH 

KliChA    ^l.'kHH    JKHBOTa    MOffC»,     \A    3'kp;*i    KpaCOTTvl    THIA    H    HO- 


368  Fr.  Pastrnek, 

cKuirai^  HpK'KKH  cTikiA  fro;  35,  2  (prjGiv  o  TtaQ(xvo(.iog  tov 
uiiuqrüvkiy  Ir  auicj)  tlixit  iniustus,  ut  delinquat  in  semet  ipso  ChÄT'K 
saKOHonp'tcTA^n'KHHK'K,  ,A,a  c'KrplviijahfixT'k  K'k  cfK-k;  38,  2 
€/?r«,  cpvM^co  zag  böovg  /.lov,  rov  (.ir]  uuceQzävsiv  Iv  yktboar]  fxov 
dixi,  custodiam  vias  meas,  ut  non  delinquam  iu  lingua  mea  pIv^'K,  CK- 
YpaHü^k  RA^TH  MObÄ,  ,\,a  Hf  CKrplvUjajiK  I/A^'kikom'k  iuiohm'k. 
Das  Verbum  BH^\15TH  erscheint  auch  hier  bald  in  perfektiver,  bald  iu 
imperfektiver  Bedeutung:  118,  37  aycöozQeiliov  zobg  ocpS-a'Ainovs 
iiou,  TOV  f^iij  iötlv  /iiaTaturrjTa  averte  oculos  meos,  ne  videant  vani- 
tatem  OTT^BpaTH  ohh  moh,  ^a  hc  ehj!l,»t(  cOYfT'Ki;  68,  24  gko- 
TLod-t'jtioaav  OL  (xp^aXj-iol  avTÜv ,  tov  f.u]  ßlirceiv  obscurentur 
oculi  eorum,  ne  videant  {\a)  nctiuipaMH[c]Te  ciA  cmh  (h)Y'K,  ;i,a  m 
ßH^\,iAT'k.  Andere  Abweichungen  von  dieser  Regel  erklären  sich 
durch  Anlehnungen  an  zunächst  liegende  Verba:  105,  47  ETtLGwäyaye 
t]f.iäg  fc/  TÜv  Id-vüv  ^  TOV  e^of.ioloyijGaad-aL  zip  öv6/.iaTi  gov  tcJ) 
ir/iojy  zov  ky^avy/iGd^ai  iv  zf]  aiveGsi  gov  congrega  nos  de  natio- 
nibus,  ut  confiteamur  nomini  sancto  tuo  et  gloriemur  in  laude  tua  Ck- 
KfpH    H'hl    OTTv    MVS'KIK'K,    ,\Ä  HCnOß-KAaC MTk  CIA  HüfHH  TROfMOV' 

CTO\fMO\|'  H  YRaAHy'h.  ci/Ä  li'K  Y^**^'^  TßoeH:  das  imperfektive 
Hcnoß'tAi^M'K  (für  Hcnoßlilin».,  vgl.  25,  7)  dürfte  durch  das  nach- 
folgende YßaAHMTv  ChA  veranlasst  worden  sein.  Aehnlich  in  einem 
andern  Falle:  22,  6  zb  eAsög  gov  /.azadub^sTai  /.le  rtÜGug  zag 
i]^ieQag  zfjg  Kiofjg  /,iov,  -aul  zb  /.aTOLY-elv  f.iE  Iv  oiuo  kvqiov  elg 
l.icr/.Q6zi]za  fjf.iEQÖJv  misericordia  tua  subsequetur  me  omnibus  diebus 
vitae  meae,  et  ut  inhabitem  in  domo  domini  in  longitudinem  dierum 
MHAOCTb    TßOli    nO/K«HfT'K    MIA    ß'h.CI»Ä    ,\,bHH     JKHßOTa     MOfPC», 

H  ,A,a  ß'KCEAi^  CIA   K'h.   ^i.oiui'K    PHk    ß'h  AAT»,roT;f»  ;i,h.HkH :    die 

Wahl  des  perfektiven  Verbums  ßi^Cfaiiii  geschah  wohl  mit  Rücksicht 
auf  das  vorangehende  Futurum  iioiKeHfT'k.  An  der  zuletzt  angeführ- 
ten Stelle  ist  die  üebereinstimmung  zwischen  der  lateinischen  und  sla- 
vischen  Uebersetzung  besonders  auffallend ;  indessen  ist  es  nicht  aus- 
geschlossen, dass  diesen  Uebersetzungen  die  griechische  Lesart  zov 
•/.azomelv  zu  Grunde  liegt.    Vgl.  die  gleichlautende  Stelle  26,  4. 

Diese  von  Valjavec  herangezogenen  Stellen  sind,  soweit  es  sich  um 
die  Wiedergabe  des  griech.  finalen  Infinitivs  durch  einen  Finalsatz  han- 
delt, ziemlich  vollständig.  Hinzuzufügen  wären:  9,  32  aTteGZQSipe  zb 
TiQÖgioTTov  avzov  zov  i^irj  ßXejtELV  eig  ziXog  avertit  faciem  suam,  ne 
videat  in  finem  OT-kßpaTH  /\H^f  CßOf,  \A  Wi  ßH;k,HT'k  A*^  KOHhl^a; 


Die  griech.  Artikelkonstraktionen  in  der  altkirchensl.av.  Fsalteriibers.     369 

Ol,  15 — 16  y.cu  svTvad^ovvTsg  eaovTai  rov  avuyyukui  et  bene  pa- 
tientes  erunt,  nt  annuntient  H  A'^'^^P'^  iipHfMAKi^un'f  r;!;^^^!!,  \^ 
K'h3RlvCTlȀT'K.  Einige  Male  finden  wir  im  Psal.sin.  den  blossen  Indi- 
kativ: 24,  14  ■/.qara.i(ji[ia  -avqioq  töjv  tpoßov^tVDv  aurbv,  xai  t]  dia- 
&\]/.i]  ctvrov  Tov  di]?ulJoai  avTotg  et  testamentum  ipsius  ut  manifcstetur 

illis    AP''»^'*^'*^'*    f'**    KOIAUITHHM'K    ChÄ    fPO,    H  SaKOHl».  fPO  aKHT'K 

HWK  (auch  in  den  kroat.-glag.  Texten  ;  33,  17  tov  tiolo^Qeüaai  l/. 
//Je  To  (.ivr]!^iüavvov  aurOJv  ut  perdat  de  terra  menioriam  eorum  no- 
Tp'feKHTTv  OTTk  3fM/MA  naMi*ÄTk  H\"K  (hier  haben  die  kroat.-glag. 
Texte  den  Infinitiv  noTp'kKirrii  und  dies  ist  wahrscheinlich  die  ur- 
sprüngliche Lesart);  55,  14  Toii  EvaQEöxr^aai  erw/riov  tov  d^tov  tv 
cpcor)  LiovTiov  ut  placeam  coram  Deo  in  lumine  viventium  wrC/KA'^ 
npIvATk  nun»,  b^k  crpaHlv  (sie)  /KHß;Ki|jHH\"K  (die  kroat.-glagol. 
Texte  haben  hier  das  ursprüngliche  ,\A  OYron;AC»V)5  öl>  10  iliavdüg 
Ol  vtoi  rCüv  ard-QÖ)7tojv  Iv  Cvyolg  rov  adr/.rdai,  ccvtoI  It.  liiarai- 
üvrjTog  IrTLToavrö  mendaces  filii  hominum  in  stateris,  ut  decipiant  ipsi 
de  vanitate  in  idipsum  atv'/KHBH  chkh  hakhh  kt^  M'kpni\k\"K  \\( 
onpaRkAHUJH  (sie),  th  ottv  coY(T'KI  k^k  K0\fn1v  (hier  liegt  wohl 
nur  ein  Schreib- oder  Druckfehler  vor:  Hf  onpaBk.VHTH,  die  kroat.- 
glag.  Texte  haben  hier  nach  dem  Latein.  \A  iip'kAacTtr').  Von  diesen 
Indikativen  (ohne  ,\a)  ist  demnach  nur  ein  Fall  für  die  älteste  Zeit 
sichergestellt:  24,  14. 

Um  diese  üebersetzung  eines  griech.  finalen  Infinitivs  durch  einen 
Finalsatz  im  Slavischen  richtig  zu  würdigen,  darf  man  jedoch  eine  Keihe 
von  Stellen  nicht  ausser  Acht  lassen,  wo  derselbe  finale  Infinitiv  in  an- 
derer Weise  wiedergegeben  wird.  So  nach  einem  Verbum  der  Bewegung 
durch  ein  Supinum  :  40,  7  y.al  ei  dgsycoQsvero  tov  iöelv  et  si  ingre- 
diebatur  ut  videret  H  auJTf)  K'KCYC»JK,V,'*UJf  KH,\'kT'k;  58,  16  avTol 
diaü/.OQ7Ciod-rjaovTai  rov  cpayelv  ipsi  dispergentur  ad  manducandum 
TH  paSHA^TTi  chÄ  IvCTT».;  durch  ein  attributives  Participiura  prae- 
sentis:  6u,  9  avTiug  ipcüM  tcj  opöuati  aou  slg  tov  uiCot'u  tov 
aiüvog,  tov  ctTTodovvai  ue  rag  avy/tg  ^lov  fifiegap  f^  fjf.ieQag  ut 
reddam  vota  mea  de  die  in  diem  raKO  likcnoi*  mmehh  TKOfMor  li'k 
K-KKlü,  ßk3A^>^  MOAHTB'KI  MOIA  ^\\l(  J{,H(  (sic);  b2,  15  logtl 
(p?.bi  y.aTa/.avoai  oQrj  sicut  flamma  comburens  montes  liKC  iiaaMtHk 
nOHC'krai/fvH  rop-w.  In  dem  zweiten  Falle  liegt  zwar  eine  üebereiu- 
stimmung  mit  dem  Lateinischen  vor,  allein  die  kroat.-glag.  Texte  haben 

Archiv  für  slavische  Philologie.    XXV.  24 


370  Fr.  Pastrnek, 

hier  einen  Relativsatz :  H>Ke  no>KHra(TK  rcpH,  was  auf  ein  attribu- 
tives Participium  auch  in  der  griechischen  Vorlage  hinweist.  Vgl.  74,  5 
ELTta  Tolg  7ta(}uvof.iovoi^  fii]  TtaQuvof^ielr,  xal  zolg  ai.ia()TdvovGi,. 
firi  vipüVTE  KSQag,  auch  weiter  folgen  Imperative:  fit]  sTtaiQers^  (xt^ 
lalelTs;  und  diese  Form  (den  Imperativ)  finden  wir  auch  an  erster 
Stelle  (für  firj  7xaQavo{.iüv)^  sowohl  im  Lateinischen,  als  auch  im  Sla- 
vischen:  nolite  inique  agere,  nolite  exaltare  u.s.w.  Hf  iip1iCT;i^naHTf 
saKOHa,  Hf  B14.3H0CHT«,  Hf  K^KSAßHJKHTf,  HC  TAarCAHT«.  Wahr- 
scheinlich waren  diese  Imperative  an  allen  Stellen  bereits  in  der  griech. 
Vorlage. 

Ferner  ist  es  nothwendig,  zu  betonen,  dass  der  griechische  finale 
Infinitiv  an  zahlreichen  Stellen  durch  den  blossen  Infinitiv  im  Slavischen 
wiedergegeben  wird,  während  im  Lateinischen  ein  finaler  Satz  vorliegt: 
9,  29  eyKa^rjrai,  evedqa  /«er«  nlovaicov  iv  aTiov.Q'ixpoLg,  tov  cctco- 
XTiXvai  dS-coor  ut  interficiat  iunocentem  np'feC'fe^HT'K  B'K  AaTtAHY'K 
CK  KOraTTvIMH,  KT»,  TaHH'KlHY'K  O^KUTH  Hf  HOBHH'kHarO  ;  9,30 
h'sÖQsvsi  TOV  aQ/cdaai  tztcoxöv  insidiatur  ut  rapiat  pauperem  aaeT^K 
K'KCY'KTHTH  (sic!)  HHUJTafrc»;  10,  2  f^Toli-iaaar  ßskt]  sig  cpaQexqav^ 
TOV  ■KaTaTo^evGCii  Iv  OKOTOfrrjvj]  Tovg  evd^sig  Tf]  xaQÖia  ut  sagittent 
in  obscuro  rectos  corde  OYroTOßaiUMv  cTp-kaivi  KT».  Toyali,  cts.- 
CTp'kA'kTH  KTi  lUipaK'K  npaßiübA  cpT^/VkU^eiHk  ;  13,2  y.vQiog  ex  tov 
ovQavov  öi€Kvip€r  eiti  Tovg  vlovg  tCov  dvd-QcoTtcov,  tov  ideiv  ut  vi- 
deat  rb  CT»,  hkch  npHHHHC  Ha  ch'KI  mamia,  KH^IiTH;  26,  2  Iv  t(7j 
iyyiCEv  eTt  efie  ■/.aKOVVTag,  tov  cpayelr  Tag  aaQjiag  /.lov  ut  edant 
carnes  meas  trjü,A  iipHKAHJKhÄT'k  cia  na  Uhti  3'kAOKOYJi^iUTfH, 
C'KH'tCTH  HA'kTfH  MOH^T^;  30,  3  Tccxvvov  TOV  i'^sliad^ai  f.i£  ac- 
celera  nt  eruas  me  0\|'i/iS/k,pH  hswith  mI/ä;  30,  3  yevov  f.i0L  sig  d-sov 
VTteQaGTtiGTfjV,  xai  sig  olyiov  zaTafpvyfjg  tov  oCJaai  fie  ut  salvum 
me  facias  k;^A"  ^^  ^^^  ^^  saiUTHTea'K  (sic),  h  k-k  ^oiuit».  npn- 
E'kH^HiiJiC)  CKnacTH  MMk;  35,  3  otl  Idöloyoev  IvtojtLov  avTov,  tov 
evqelv  Tyjv  ävof.iLar  avTov  -/.al  (.iiGf^oat  ut  inveniatur  iniquitas  eins 
ad  odium  'kKO  koat^cth  np-k^y-K  nnyk,  oup'RcTH  BE3aK0HHHf 
CBOe  H  BT^snenaBH^IiTH ;  36,  14  qo^upaiav  eortäGavTo  ol  ai-iaQ- 
TwXol,  IveTELvav  tö^ov  avTiov^  'tov  -/.aTaßaXslv  jttcoxov  'aal  ni- 
vr]Ta,  TOV  Gcpä^ai  TOvg  ev&elg  Tfj  ■/.aqdia  ut  decipiant  (var.  deii- 
ciant)  pauperem  et  inopem,  ut  trucident  (var.  occidant)  rectos  corde 
HaaiiftujiA  A;f^K'K  cboh,  cKcrp'kA'feTH  HHL|jaErc  h  ovKoratro, 
saKAaTH  npaßUbfi  cpi^yi».;  36,  34  vxu  viptoosL  gs  toö  xaTay.Xrj- 


Die  griech.  Artikelkonstruktionen  in  der  altkirclieuslav.  Psulterilbers.      371 

ooi'oufjGai  Ti]V  yfjv  ut  hereditate  capias  teriam  H  B'k3Hfcn"K  tia 
HiKAlv,\,HTH  3fMAiiK:  39,  9  Tou  7rou]aai  ro  O^iXv^ud  aov  o  O^ebi^ 
1.101'  i]ß(jv/.i\(})])'  ut  facerem  voluntatem  tuam,  Deus  mens,  volui  CTüO- 

PHTH    BCAHf^    TKOtti    K>K«    MOH   li'KC\'OT'k\"K ;    39,    13    AUl  Oj)x   l)Öv- 

V(ioO-i]v  Tov  ßXijiEiv  et  non  potui  ut  viderem  h  h«  KTvaMOrik  3'k- 
p'kTH;  39,  14  evöd-Ärjaor  v.vqie  tov  QVöaod-ai  fit  complaceat  tibi 
Doraine,  ut  eruas  me  KAaroKOAii  th  ii3K<\khth  mi/ä;  39,  15  oi 
Cr]TOVVT€g  Ti]v  if.ivxrjv  fiov^  tov  t^ÜQai  avvr^v  qui  quaerunt  animam 
meam,  ut  aufeiant  eam  HCK;^i|itH  ,i,uii'^  MOfiA  h3I/4^tm  b^;  4  0,  9 
fii]  o  y.oiuioaevog  ovyj  ^rQogO^ijUei  tov  uvaoTr^vai]  numquid  qui 
dormit,  non  adiiciet  ut  resurgat?  i\A  CkiiiAH  hj  npH/XOJKHT'k  ßiv- 
CKp'kCH;*;TH?  52,  3  b  d^EOQ  ix  TOV  ovquvov  duy.vipsv  htl  Tovg 
viovg  Tiöv  av&QÖJ7iiov,  tov  iöelv  Deus  de  caelo  prospexit  super  filios 
hominum,  ut  videat  K'k  chkh  npHHHH£  Ha  ch'ki  makhia  KH^V'kTH; 
58,  1  /.ai  icpvla^s  tov  oizov  avTov  tov  ■d^avaTwaat  aiiTov  et 
custodivit  domum  eius  ut  interficeret  eum  h  C'k\'paHH  A*^'^'^  ^^'^  ^V" 
KHTH  h;  59,  G  idcü/.ag  Tolg  (poßovutvoig  at  oijueiiooLV^  tov  (fvyelv 
ScTtb  TiQogcoTCov  Toiov  ut  fugiant  a  facie  arcus  ^aATi  fCH  ROi>fvi|iH- 
HM'k  CIA  TfK«  3HaM{HkE,  O^R-RH^aTH  CT'k  AHUA  AA^KA;  tJ2,  3 
uiiTiog   Iv    T(p    i(yi(iJ   ('[itpd^rjv   ooi,    tov   idelv  rrjp  övruuiv  aov  ut 

i viderem  virtutem  tuam  T'kKO  (siel)  Bk  CT'kM'k  1vßH]("k  ci/A  TtGU, 
RH^tTH  cha;s;  tkoitR;  63,  4 — 5  ivtTsivav  töBov  Ttgäy^ia  TtixQov, 
TOV  /MTaTO^evGca  Iv  aTiOY.ovcpoLg  c'cficofior  ut  sagittent  in  occultis 
immaculatum  HaAi>Aiiiiw\  A;^K'k  ckoh  [h]  Rfqik  ropkR;^^,  ckCTpIv- 
AliTH  RTsL  TaHH'ki\"k  HfiiOpOHkHa;  70,3  ysvov  fiOL  sig  -d-ebv  v7ceQ- 
aoiciGri^r^  y.ul  ug  ro;ror  oxvqop  tov  oCoaai  f.ie  ut  salvum  me  facias 
R;SiAH     MH-k     ß'h.    RA   3aiUTHTHTfAli    H    Kk    M'kCTO    TBp'k,\,0    Ck- 

InacTH  MIa;  72,  16  /.cd  VTtiXaßov  tov  yvwvai  et  existimabam  ut 
cognoscerem  h  HenkiUTfRaYT».  paso^MliTH;  76,  8  Y.ai  ov  :rQog- 
d-^öEL  TOV  tvdoy.fjaai  tTi;  et  non  apponet,  ut  complacitior  sit  adhnc  ? 

|H    he    npHAOJKHT'k    RTkRAArOKOAMTH    HAKTÜ  ?     77,    18    YMl    IBsjCEl- 

Quoav  Tbv  ^sbv  iv  Talg  yMQdlaig  avTÜv,  tov  ahr^ouL  ßQiüi.iaia 
Talg  xpvyalg  avTvjv  ut  peterent  escas  animabus  suis  (h)  HCKorcHiiiiA 
RA  BTv  Cp'k^\,kH,H\"k  CßOHY'k,  B'kCnpOCHTH  RpaiHkH'k  ^^lUaM'k 
ICBOHM^k;  77,38  yal  jcXrid-vvEl  tov  äTtoöTQEipaL  rbv -i^vf-ibv  avTov 
et  abundavit  var.  mwltiplicavit)  ut  averteret  iram  suam  H  ©YMTkHO- 
^HTTk   B'k3ßpaTMTH  lipocTk    cßoi^;     84,   10   TiVriv   lyyvg   tljv 

24* 


372  !'>■  Pastrnek. 

(poßovf-ievcov  avrhv  ro  acorrjQiov  avrov,  rov  '/.azaayirjvätaaL  dö^av 
er  rfi  yfi  rn^iCo^'  ut  inhabitet  gloria  in  terra  nostra  OKani  kahst^ 
BOhAllJTHM'K  C\^  CPO  CnHHE  EPO,  ß'kCEAHTH  CAdB;^  B'K  SEMAK^ 
HdUJÄ^;  85,  11  £vq)QavS^rjTa)  fj  Aagdia  f.iov,  rov  cpoßelo&ccL  ro 
ovn{.i(x  aov  laetetur  cor  meura,  ut  timeat  nomen  tuum  ^a  B'KSBtCf- 
AHTTk  CbÄ  CpT».;i,kHe  MO«,  BO'feTH  ChÄ  HMEHI1  TKOtrO ;  90,  11  (kl 
roig  äyyeloLS  aiirov  ei/rslelrac  tteqI  gov,  rov  öiacpvlu^at  ae  Iv 
Ttdoaig  ralg  döolg  aov  ut  custodiant  te   in   omnibus  viis   tuis   IvKO 

aAl^AOM'K     CBOHM'K     SanOB'RCT'K    0    TfE-R ,      C'kJCpaHHTH    TIjA    BO 

BkCli\"K  n;i>TfYT^  tbohy'k;  100,  6  ol  öcfd-ali-ioi  /.lov  Inl  rovg 
Ttiarovg  rfjg  yfjg,  rov  ovy/.a&fiG&ai  avrovg  {.ler  k^ov  ut  sedeant 
mecnm  omh  mc»h  Ha  B'kphH'Kii/A  semah,  nocaJK^aTH  Ck  coboi^ 
(sie!);  101,  20 — 22  xvqiog  l^  ovqavov  l/ii  rijv  yfjp  STzeßleipe,  rov 
dxovoaL  rov  arsvayfiov  rCov  7T£7teör][.ievo)r,  rov  Ivaai  rovg  vlovg 
rtov  r€^avarco(Ä€voJV  ^  rov  ivayyelXat  iv  ^uov  ro  ovoi.ia  v.vqlov 
ut  audiret  .  .,  ut  solveret  .  .  .,  ut  annuntiet  r^k  CT»,  hbch  Ha  3£MAI^ 
npHSkp'k,    OYCA'kiiiiaTH    Bk3/i,'ki)CdHHf   OKOBaH'kiY'k,    pas^P'^" 

UJHTH    CH'kl    C>\flUip'klMBfH'kIY'k,     B'k.SB'KCTHTH     Bk     CHOHiv    HMhÄ 

rne;  101,  23  ev  r^  owa^S-f^vai  kaovg  EJtiroavrb ,  xa«  ßaoilsig 
rov  dovlsveiv  rcp  y.VQUo  ut  serviant  Domino  iVji^A  C'kH'kluiÄiT'k  Cbft 
AfO^kf  Bk  Koyn'k,  h  ij^pH  paBOTaTH  rio;  103,  14  6  e^avareXhov 
%ÖQrov  rolg  xrrjveai,  zal  x^orjv  rfj  dovlsia  rCov  dvd-qwTtcov,  rov 
k^ayayelv  aqrov  iy.  rr^g  yffg  ut  educas  (var.  edueat)  panem  de  terra 
nposirJ^BaiwiH  naH^HTk  cKOTOiuik,  h  TpaB;i;  na  cAcy/KkE* 
MABRüT».,  HSBfCTH  YAliB^k  OTT»,  3tMAhi\ ;  103,  15  xai  olvog  EvcpqaivBi 
'/.aqdiav  dv&QcüTtov,  rov  iXaqwai  iTQÖgMTtov  kv  eXaiM  ut  exhilaret 
faciem  in  oleo  H  bhho  B'kSBCCCAHT'k  C(iß,u,(  hako^,  0\'MacTHTH 
AHU,6  OAliHMk;  104,  25  y.al  f.ieriorQexpe  rr]v  yiaqdiav  avrüv  rov 
fiiafjaaL  rov  labv  avrov,  rov  dolwvoS-ai  iv  rolg  do'öXoig  avrov 
ut  odirent  populum  eins,  et  dolum  facerent  in  servos  eius  (h)   np'fe- 

BpaTH    CßJi,U,l    CBOf    (sie),    B'kSHfHaBH^'kTH    AlO;i,6H    CPO    H    AfCTT» 

CTBOpHTH  Bk  paB'6)("k  f PO ;  105,  23  si  i.ir]  Mcovafjg  ö  Ey.ksy.rbs 
avrov  EOriq  iv  rfj  d-qavoEL  EviojtLOv  avrov,  rov  ccTvoarQEipai  aTto 
^vfiov  oQyfjg  avrov  ut  averteret  iram  eius  ai|if  He  KH  luiocH  H3- 
B'kpaH'ki  ero  caaa-k  bt».  c'kKpoYUieHHH  np'k^'k  HHMk,  B'kSßpaTHTH 
'bpocT'k  ero  (sie);  105,  26  yal  ijtfiQE  rrjv  x^lqa  avrov  In  avrovg, 
rov  yaraßaAslv  avrovg  iv  rfj  EQrj/iKt)  ut  prosterneret  eos  in  deserto 


Die  griech.  Artikelkonstruktionen  in  der  altkirchenslav.  Psalterübers.      373 

H  RlkSAKH^Kt  p;f^K;Fk  CBOI^  Ha  Hl/ft,  HII3'K/\0/KHTH  IWV  K'K  lioy- 
CT'KIHH,  27  /.a\  toi'  y.aiuiia/.eiv  tu  a.iiuua  uvcCjv  tv  roig  i.'Jrtoi, 
y.at  dtaO'/.OQTiioai  avrovg  Iv  caig  yÜQccig  et  ut  deiiceret  semen 
eorura  in  nationibus,  et  dispergeiet  eos  in  regionibiis  H  hh.H'KAO/KHTH 

CfcMIrA     H\'K     K'k    hÄ3'lvlU,1i\"k     H     paCTOHHTH     l/ft     li'K     CTpaH'KI  : 

106,  7  Kai  iüdfjyi^atv  avrovg  eig  böov  euS^eiuv,  tob  iioQEvd^fivai 
eig  jcokiv  yMTOiy.rjri](jioi>  ut  irent  in  civitutem  habitatioiiis  H  HaKt^C 
M  Ha  n;^T'k  npaii'K,  BikHHTH  b'k  rpa;i,'ii,  OBHT'kAKH'KH;  108,  31 
bcL  icctqeOTi]  h.  de^iwv  TtivrjTog,  rov  oCoaai  tx  tCjv  Kurad uoy.övTiov 
Ti^v  ipvxrjv  f.ioi'  ut  salvam  faceiet  a  persequentibus  aniinam  raeam  liKC» 
cra  0  ;i.fCH;iii7fw  oyKoraaro,  cnrn  ot'k  roHi/MiiTHsiyk  x^x,. 
M0(^;  110,  6  ioyvv  i^ytav  uutov  dvi'jyyeüe  ccp  Luv^  uvtou,  loü 
öoi'vai.  avTolg  y.XrjQovof.iiav  Id-vCov  ut  det  illis  hereditatem  geutium 

KpknOCTk  A'l^'^''»^  CKOHjCK  RKHK-kCTHT'K  AW^^MT».  CKOHM'k,  \A\V\ 

HU'K  ;i,c»CTCt'tHHf  CB06  ^sic^  I/a;-i'kik'Iv ;   117,  13  ojod-tig  uvti()C(:ii]v 
tov  Tieoelv  impulsus  eversus  sum  ut  caderem  ßk3ApnH'2tK{H'K  npk- 
KAOHHY'k  CbÄ   JiacTH ;    118,  60  rjzoifiäod^riV  y.ai   ovy.   Ivaqäx^rjv, 
TOV  (fu?M^aod^uc  rag  IvroXag  oov  ut  c.istodiam  mandata  tua  oyro- 
TOBa\"k  ChÄ  H  Ht  dvMMiCK    CJ/Ä,    Ck^paHMTH    3-\nOK'k;k,H  TBOI<Ä  ; 
IIS,  95   i^iE  v/reu£ivav  auaQTiokol  tov  d^iolioai  ut  ut  perderent 
me  U(Ht  ^KVi^AT'K  rp1iiiikHHi;H  noroYKHTH  MMi.    An  allen  diesen 
Stellen  vertritt  den  finalen  Infinitiv  des  Griechischen  ein  lateiuischer 
Finalsatz,  während  im  Slavischen  der  blosse  Infinitiv  steht,  oft  vollkom- 
men berechtigt,  gar  oft  jedoch  in  deutlicher  Anlehnung  an  die  griechi- 
sche Vorlage.    Diese  finalen  Infinitive  sind  nicht  etwa  erst  in  späterer 
Zeit  in  den  slavischen  Text  eingedrungen,  sondern  mtisseu  schon  der 
ältesten  Uebersetzung  angehören,  da  sie  zumeist  auch  iu  den  kroatisch- 
glagolitischen Texten  angetrofi'en  werden.    Vgl.  einige  Belege  bei  Valja- 
vec,  Rad  98,  33  —  34.     Nach   diesen  Texten   lassen   sich  auch  einige 
fehlerhafte   Lesarten    im  Psalt.  sin.  (ed.  Geitler)  leicht    richtigstellen : 
5S,  6    B'kH'kMH    nOCKTH      richtig    nOCfeTHTH;     B-kCkX"»^     l*Ä3'klK'k 
\  icQdoxeg  TOV  e/tiay.eipao&ai  jtävxa  xh  ed^vrj  intende  ad  visitandas 
iomnes  gentes;  63,6  noB'k^'SujiA  c'kKpTü  (richtig  C'kKp'kiTH)  ckTH 
:  diriy)]oavTo  tov  y.QVipui    ituyiöug   narraverunt   ut  absconderent  la- 
iqueos.   Cf.  auch  89,  11  HiUTHCah  für  HiUTHcaHTH  t^ccQi&arjaao&ai. 
i  Durch  die   kroatisch-glagolitischen  Texte  wird  auch   der  Graecismus 
'eines  negativen  Infinitivs  für  das  Verbot  gedeckt:    33,  14  0\'AP'*^^" 
{lASK-k  CBCH  »M-k  3Aa,  H  OyCTkH-S  CBOH  H(  FAATH  AkCTH  7CUV00V 


374  Fr.  Pastrnek, 

Tt]V  yXCooGccv  Gov  arco  ■/«xof/,  -/.al  y^ilrj  oov  rov  f.ir]  kaXfiouL  Öölnv 
et  labia  tua  ne  loquantur  dolum.  Die  Fälle,  wo  für  den  griechischen 
finalen  Infinitiv  (mit  dem  Artikel  im  Gen.  toi)  auch  im  Lateinischen  der 
Infinitiv  steht,  wurden  nicht  angeführt;  vgl.  26,  13;  30,  14;  36,  32; 
64,10;  76,10;  77,17;  88,23;  101,5;  108,16;  118,  4,  20,  .57,  106 ; 
125,  3.  Einigemale  finden  wir  im  Lateinischen  das  Gerundium  (Gerun- 
divum):  101,  14  ort  xaiQog  toi  oi7.T€i()f^aai  avTi]v,  ort  rf/.si  '/MiQÖg 
tempus  miserendi  eius  'kKO  Kp-feMiA  noMHAOßdTH,  "tKO  npH^\f  (sie) 
Bp'kMiWi;  118,  126  Y.aiQog  rov  itOLfjaai  tcj  'avqioj  tempus  faciendi 
Domino  ßpljMiA  CkTßOpHTH  rw;  87,  1  (Itörj  ifialitov  rolg  vlolg 
KoQ£,  €ig  tb  reXog  vrtlq  /.laeXeS-  rov  äjtoy.Qid^fiPat  ad  responden- 
dum  mkca/xoMT».  choiuit».  KopecKoyK  bt^  kohel^k  o  luiaHAHTli 
OT'h.ß'feiUTaTH;  102,  18  y.al  f,i£(.ivr]f^svoig  rüv  IvtoICov  avrov 
rov  Ttüifjoca  avrdg  ad  faciendum  ea  H  nc»iuii^nijAipHH\"k  .sanoßlv^H 
«ro  TßOpHTH  Mv;  102,  20  evloyelrs  rbv  ■/.vqlov  TiüvTeg  äyyeloi 
avToi,  dvvatol  ioyvl  Ttoiovvreg  rov  Xöyov  avrov^  rol  äyiovoui 
Tfjg  (piopfjg  Ttüp  Xöycov  avrov  ad  audiendam  vocem  sermonum   eius 

KAfTC  rli  BKCH  aH-R^H  frO,  CHA'KHHH  KplJnOCTkM^  TßOpWvqjf 
CAOBO  frO,  OYCA'KimaTH  TAACK  CAOßfC'l^  «PC»;    105,4  —  5   iniOASlpai 

fij.iäg  SV  r(p  GOjrqQuo  aov,  rov  Idelv  Iv  rf]  xQr]ar6Ti]rL  rwv  h'/.Xev.rüv 
ffov,  rov  EU(pQC(vdfjvai  Iv  rfj  evcpQoavv)]  rov  e&vovg  aov  ad  viden- 
dum,  ad  laetandum  noc'KTH  HacK  cnHKeiuiT».  tbchmii.,  ßH/i,'tTH 

BTi.    BAarOCTH     H.SB'KpaH'KlY'K     TBOH^Tj.,      ß"h.3Bf Cf AHTH    CIA     B'K 

BECEAbE  (sie)  iif^3iviKa  TBOETO ;  118,  5  Öcpslov  •Aarev^vvösirjoav 
cd  od  Ol  i-iov,  rov  cpvXü^ao'&at  ru  ör/.au'oi.iccrd  oov  ad  custodiendas 
iustifieationes  tuas  H6  j^A  HcnpaßhAAH  (sie!)  cia  n;i^TkE  moh,  Ck- 
YpaHHTH  onpaB'K^aHH'k  tboü;  118,  62  (.ieoovv-atlov  e^eyeiQÖ- 
fxrjv,  rov  E^ouoXoyelöd-ui  gol  Inl  ru  'Aqii.iara  rfjg  ör/Miooiivrjg 
Gov  ad  confitendum  tibi  noAOYHOiUTH  BT^CTa^Tv  Hcnoß'KA'*'''" 
CIA  TEB't  Ha  c;^^''»^^''^'  npaß'K^V'Ki  TBOfbÄ;  118,  112  e^iliva  r7]v 
■/.aQÖiav  ^wv  rov  TtOLfJGai  ra  dr/.au'uf,iard  gov  ad  faciendas  iustifi- 
eationes tuas  npHKACHH  Cp7^f  MOE  CKTBOpHTH  Onpaß'K/^aHHli 
TßO'K ;  121,  4  t/.ü  yciQ  aveßi]Guv  cd  rpvlal,  .  .  .  rov  l^of.io?.oyri- 
GUG&ut  r^  övöi-iarL  xvqIov  ad  confitendam  nomini  Domini  TaMO  BO 
Bk3HA;ii  KOA'SHa,  .  .  HcnoB'k,i,aTH  CIA  HMEHH  PHK».  Im  Slavischen 
bleibt  in  diesen  Fällen,  wie  wir  sehen,  der  Infinitiv;  nur  vereinzelt  stellt 
sich  auch  eine  andere  Konstruktion  ein;   39,14  th  na  iiOMOiiJb  MOI* 


Die  griecb.  Artikelkonstruktionen  in  der  altkirchenslav.  Psalterübers.      375 

npHa'KpM  y.vQie  dg  ro  ßoi]d-t]oai  /.loi  fcfjöox^g  Domine  ad  adiuvan- 
dum  me  respice;  54,  21  l^iceive  rriv  '/siQC(  ctvtov  Iv  nji  ujCodi.ö6yai 
extendit  manum  suam  in  retribuendo  npocTp'kT'K  pA^KA^  ckoi*  Ha 
B'k3HaHHC  (richtig  soll  es  wohl  heissen  K'K3A'»HHf,  wie  in  den  kroat.- 
glag.  Texten  thatsächlich  gelesen  wird). 

Der  finale  Infinitiv  des  Griechischen,  in  der  Regel  mit  dem  Genitiv 
des  Artikels  cov  versehen,  wurde  demnach  im  Lateinischen  in  zwei- 
facher Weise  wiedergegeben :  a)  durch  einen  Finalsatz  mit  der  Kon- 
junktion ut,  b)  durch  eine  Gerundium-,  beziehungsweise  Gerundiv-Kon- 
struktion. Einigemal  erscheint  auch  im  Lateinischen  ein  Infinitiv,  wohl 
deshalb,  weil  die  finale  Bedeutung  nicht  ausser  Zweifel  war.  In  der 
griechischen  Vorlage  mag  in  solchen  Fällen  der  blosse  Infinitiv,  ohne 
tov,  vorgelegen  haben.  Vgl.  49,  4  yrQogy.a?.tG£rat  xov  ovQavoi>  uvoj 
■/.cd  Tt]v  yr^v  öuc/.Qlvac  top  huhv  avcoü  advocavit  (var.  advocabit) 
caelum  desursum,  et  terram  discernere  poijulum  suum  npM30KfT'K  HKd 
c-k  B'KiuJe,  H  seüAi*  pac;s;,i,"T'M  AK'A"  cboia.  Der  slavische  Text 
schmiegt  sich  viel  enger  an  die  griechische  Konstruktion  an;  in  den 
meisten  Fällen  finden  wir  den  blossen  Infinitiv,  daneben  aber  auch  an- 
dere Konstruktionen,  wie  das  Supinum,  ein  Participium,  endlich  auch 
Finalsätze  mit  der  Konjunktion  da.  Es  liegt  nahe,  zu  vermuthen,  dass 
diese  letztere  Konstruktion  auf  den  Einfluss  der  lateinischen  Ueber- 
setzung  zurückzuftihren  ist.  Dies  ist  die  oben  angeführte  Meinung  von 
Valjavec,  welche  auch  die  Billigung  vonV.Jagic,  Zur  Entstehungsgesch. 
der  ksl.  Sprache,  II,  51  gefunden  hat. 

Bevor  man  in  einer  so  wichtigen  Frage  eine  Entscheidung  fällt, 
dtlrfte  es  sich  empfehlen,  die  Beobachtung  auf  jene  Fälle  auszudehnen, 
wo  der  mit  dem  Artikel  versehene  Infinitiv  im  Griechischen  eine  andere 
Bedeutung  hat  und  demgemäss  im  Lateinischen  und  Slavischen  durch 
andere  Konstruktionen  wiedergegeben  wird. 

Da  sind  zunächst  die  zahlreichen  Stellen,  wo  der  mit  einem  prae- 
positionalen  Casus  des  Artikels  verbundene  Infinitiv  des  Griechischen 
einer  temporalen  oder  causalen  Satzbestimmung  dient. 

Temporale  Bestimmung.  Im  Slavischen  erscheint:  1)  ein  Tempo- 
ralsatz mit  der  Konjunktion  fr,i,a  oder  K'kHtr^a  und  dem  entsprechen- 
den Tempus  des  finiten  Verbums:  a)  Praesens  verbi  imperf.  ftir  den 
griech.  Infin.  des  Praesens:  36,  34  Iv  tcTj  t^o/.o^Qevead^ai  auagrio- 
kovg  oipti  cum  perierint  peccatores,  videbis  «r^a  MCTp'feKa'RliRT'k 
CbÄ  rp'KujiiHHiJ^H,  oyai^pniUH;  42,  2  /.al  IvaTi  a/.v^Qiüjca^iov  tco- 


376  Fr.  Pastrnek, 

QEVOfiai  iv  T(p  ly.d-'kißeiv  cov  tx^qdv  i.iov  et  quare  tristis  incedO;  dum 
affligit  me  inimicus  H  ß'KCKit^iii^  ckToyi/Ä  \'o;k^v»*,  «''A^*  C'Kta;- 
;Ka«T'K  MH  ßpari*;  45,  3  dia  rovro  ov  cpoßrji}-rjo6f.ie^a  Iv  rcp 
ragäöOEOd-ai  ti]P  y?iv,  v.cn  /.lEvaTld-ead-ai  oqyj  Iv  ytaQdlaig  d-a- 
XciOoCov  propterea  non  timebimus,  dum  turbabitur  terra  et  transf'erentur 
montes  in  cor  maris  Cfro  pa^v»  m«  oifKOHy'k  ci/ä,  er^ya  c'KM^^L|ia- 
fT'h,  cMi  aeniiA'k  h  llp1vAa^aK^^T'^v  tvj\  ropivi  k-k  cp;i,ii,a  MopTv- 
CKaa ;  ebenso  63,  2;  67,  15;  70,  9;  108,  7;  b)  Praesens  verbi  perf. 
für  den  griech.  Inf.  des  Aorists:  13,  7  iv  rcp  STtiarQsipaL  avqlov  ttjv 
aixi-iahoolav  tov  laoü  avvov,  ayalXiäa^to  ^Icczioß  cum  averterit 
Dominus  captivitatem  plebis  suae,  exultabit  Jacob  fr;!i,a  ßiiSBpaTH'nv 
rw  natHTi  aio^fH  ckohy'k,  (;i,a)  kksapaa^V^'^'*^  ^^^  H-Rkortv; 
ähnlich  52,  7;  16,  15  %OQTaod"r]ooi.iai  ev  tcö  d(pd-fjvai  ti]v  öu^av 
Gov  satiabor,  cum  apparuerit  gloria  tua  HacKiiUTÄ^  ChÄ,  trji,A  aRMT^k 
lUlH  Chh  caaca  tkcR;  29,  10  rlg  ilxpeleia  Iv  r(p  u{(.iarL  jxov,  iv 
T(p  '/.araßfival  /.le  eig  öiacp^oQÜv ;  quae  utilitas  in  sanguine  meo,  dum 
descendo  in  corruptionem  ?    Ka'k  noA'ki^'fe  ßo  Kpi^ßH   Mom,    «r^a 

C'KHH/k,;ii    B'Kl — HCTbaIvHkf?     38,  2    Id-tl-UlV    T(p    OTO^ICXTL    fXOV    (pv- 

Xaxr]v,  Iv  T(^  ovarfjvai,  tov  afiaQTColbv  ivavriov  f.iov  cum  con- 
sisteret  peccator  adversum  me  noAOJKHX"»».  oycTOlui'k  lUiOMyk  \pA- 
HHAO,  fr^a  ß'kCTaHfT'K  rpIvUlkHHK'h.  Ha  ybÄ;  101,23  h  rcp 
ovvaxd^fjvaL  laovg  STriroavTO,  -^^ai  ßaoilslg  tov  dovXsvstv  T(p 
y.VQi(i)  in  conveniendo  populos  in  unum  (rj\,&  C'KH'KM;ii^T'K  CMi  Ai04,kf 
ßk  KO^n^S,  H  i;pn  paKOTaTH  PK»;  108,  23  loosl  axia  ev  tcTj  l/.- 
■/iklvcti  avTrjV  dvTai')]Q^S-t]v  sicut  umbra  cum  declinat,   ablatus   sum 

-kKO    CÜHTs.     fr^a    OlfKAOHMTl».     CMi,    OT'khÄC'k    CMv;    75,    10    fV    T^ 

ävciGTfjvai  eig  /.qLolv  tov  d-eöv  cum  exurgeret  in  iudicinm  Deus 
ß'kHir^i.a  ßOCKp'kCHCT'k  Ha  c;^^!«.  bt^;  9,  30  nquäoaL  nTioyov 
iv  Tcp  kl-Avoai  avTÖv  rapere  pauperem,  dum  attrahit  eum  BT^CjCk- 
THTH  (sie)  HHiUTaero,  ^a  (richtig  soll  es  heissen  trji,A)  h  np'RßA'K- 
HtTTk.  Neben  dem  Infinitiv  des  Aorists  erscheint  im  Griechischen  auch 
der  Infinitiv  des  Perfekts :  4,  4  AVQiog  eigay.ovGsral  f.iov  iv  Tip  /.e- 
v.qayivai  ua  TtQog  avTÖv  Dominus  exaudiet  me  cum  clamavero  ad  eum 
rk  oij'CATviujHT'k  inwv,  (Fj^A  Bk30B;^  K'k  Hfruiov.  Einigemalliegt 
auch  der  Infinitiv  des  Praesens  zu  Grunde:  26,  2  ev  T(p  iyylteiv 
in  ifie  vMy.ovvTag  dum  appropriant  super  me  nocentes  «r^a  npH- 
BAH/KbÄTTv  CbÄ  HA  MIA  S'kAOKOYJJ^lliTf  H ;  27,  2  eigd'/iovoov  Tf^g 
cpiovfjg  Tfjg  derjoewg  fiov,  iv  Tcp  öeea^ai  /iie  7CQog  ae  iv  t^  aiQeiv 


Die  griech.  Artikelkonstruktionen  in  der  altkirchenBlav.  Psalterübers.      377 

f.i€  xHQag  uov  aig  vubv  ayiöv  oov  dum  oro  ad  te,  dum  extollo  manus 
meas  oyc/MdiUH  th  rAacK  moamtku  mo(i<a,  tr^v^*  kt^sok;*;  K'K 

TtBt,  tr^A  ß'KSA'fe»*  p;iiH'K  UOH  K'K  Upk'KBH  CTH  TKOtH;  118,6 
t6t6  ou  ixff]  alayvy^w,  Iv  rq)  f.ie  i7tiß).iTceLV  irtl  rcaaag  rag  Iv- 
xoläg  oov  cum  perspexero  in  omnibus  mandatis  tuis  TOr^a  Hf  no- 
cT'Ki}K;i,Ai  CMv,  ir\A  iipiiSkpii^  Ha  KKci/A  sanoKlv^VH  TKObft.    Die 

perfektiven  Verba  sind  hiei-  überall,  so  scheint  es,  bereits  in  die  ältesten 
Texte  zu  versetzen,  c)  Imperfektum  für  den  griech.  Infinitiv  praesentis: 
34,  13  kyco  dt  tv  rq)  avzovg  :caQti^oy'/.tiv  uoi  Iviövöur^v  oc'r/./.ov 
ego  antem  com  mihi  molesti  essent,  induebar  cilicio  a3'K  >K6  KkHtr,i,a 
OHH  oraüHf  TBop-RayA;  mh,  OKAaMaa\-;ii\  sie!  für  das  richtige 
OK/UMaa\*'K)  ChÄ  KT».  Bp-feTHiii«;  41,  4  lyevrjd-rj  tu  dü/.ovü  fi(w 
luol  ccQTog  TjueQag  /.al  vir/.rbg,  iv  rcp  keyead^ai  uoi  v.ud^  £y.uaTr]v 
Tii-iegav,  tiov  lotiv  6  d-eög  oov]  dum  dicitur  mihi  quotidie  KUiiii/A 

CaiiSTvl  MObÄ  MH'S  X'A'KK'K  \i\\'h.  H  HOL|JK,  iV \ä  rAaa\-;^  UH'fe 
Ha    BkCHK-K    AfHT^,    l^T^A«    fCTT»,    KT».    TKOH  ?     41,    11    Iv    T^   XttTa- 

^käo&ai  TU  öovü  uov  wveiöioav  /.le  ol  d^Xißovrig  f.ie'  tv  r<^  ).i- 
ytiv  avTovg  aot  y.a&'  l/.üovr^v  fjuigav,  7T()V  Iotlv  b  ^eög  oov; 
dum  confringuntur  ossa  mea,  dum  dicunt  mihi  (r,\A  CKKpov'iiiaaYA; 
ci/ti  KocTH    MOMk,    nc»HOUjaa\';s^  mh  Bpa^H  uoh;    (r^A   ri\AA^;f^ 

UH1S.    Ha    B'KC'feK'k    AfH'l*j    ^1^4,6    fCTT».    RT».    TBOH  ?     62,   1    Ipu'/.ixbg 

T((i  Jav\d  iv  TcT)   elvciL  uvrbv  Iv   rfj    lor^uo)   cum  esset  in  deserto 

ncaaMTk  ;k,a^OBTv,  BkHcr4,a  e1v  b-k  norcTiüHH;  67,8  b  d^ebg  h 

I  T(p  ixTiOQEVEod^cii  OE  Iviojiiov  Toü   '/MOV  OOV,  kv  x(^  öiaßaivEiv  OS 

Tov  eoruov  Deus  cum  egredereris  in  conspectu  populi  tui,  cum  per- 

transires  in  deserto  k\  irj^A  HC\-0/KAauj«  nplv^k,!».  <\ic>4,kMH  cbohmh 

iSfMAt],  ir^A  MHUO\'0>K;i,aiuf  Bk  nov'CT-KiHH.    Nur  einmal  steht 

i  das  Imperfektum  für  den  griech.  Infinitiv  des  Aorists:    30,  14   Iv  T(p 

1  ovvayd^rvai   avrovg   aua    in    hu,    rov    /.aßeiv  rrjv   ipv%r]v  ftov 

i  ißov?.£voavTO  in  eo  dum  convenirent  simul  adversum  me  «ro  (richtig 

soll  es  heissen :  fr;i,a)  c'kKHpaaY;^  cia  KoynkHO  ha  miȊ,  npHbftTH 

4»üj;ii  MOl*  CkBlviiiTaujhA.    d)  Aorist  für  den  griech.  Infinitiv  aoristi: 

31,  4  iGTQcaptp'  eig  xa/xcLmooiav  Iv  TtJ)  turcayrvai  ay.av^av  dum 

}  configitur  spina  BTv3BpaTHX"k  ci/ä  Ha  crpacTTv,  (r^^  bohtvS«  mh 

Tp'kH'K;   37,  17   /.ul  Iv  TÖi  ocü.Evd^rrui  jcböag  uov,  Li'  Itxe  lue- 

ya'AoQm]u6vr^oav  et  dum  commoventuv  pedes  mei  Bi^Hfr^i^d  no^BH- 

i  JKacTf  chÄ  Ho:i1v  MOH,  Ha  UMi  BfAkpICMtBAiiibÄ ;  50,2  ivrcpD.&slv 


378  Fr.  Pastrnek, 

TCQog  ovTov  Nccd-ar  top  7CQ0(pr^Tr]p  cum  venit  ad  eum  Nathan  pro- 
pheta  li'KHfivV^v  iipH^f  K^k  HCMoy  Harani»  npK'K;  ähnlich  51,  1; 
53,  2;  GO,  3  Iv  tcp  d/.rjdidaai,  rrjp  Tiagdlav  f.iov,  tv  Jiivqa  vtpioaag 
fie  dum  anxiaretur  cor  meum' fr^a  oifH'Ki  cpjyn,t  MOf,  Ha  KaiuifH'K 
KT^aHfCf  MhÄ;  72,  18  '/.areßaXeg  avTovg  Ip  %C(i  IjraqiyiivaL  deiecisli 
eos  dum  allevaientur  HHS'kaojKHA'K  ia  fCH,  ß'KHfr^\,/\  pasrp'K- 
;i,'6iiiijä;  80,  ü  Iv  %Cg  e^slOelr  avrov  cum  exiret  CKß'k.xIvHHf  Ha 
HOCH(I>'k  nOAOH^H  f,  fr^\a  KK3H,\t;  91,  8  Ip  %o)  äpaTEllai  rovg 
cci-taQTcoXovg  toaal  xöqTov  cum  exorti  fuerint  peccatores  sicut  foenum 
fr;i,a  np03hÄKH;ftLuwv   rplvmh.HHu,H    liKo  rp-RBa,    h   Bi^aHHK;^ 

BkCH  TßOpiAUJTHH  CE3aK0HHHE;  125,  1  h>  %({)  liCLOVQilpai  7.VQ10P 
TOP  aixi-icdcoolap  ^uop  iyevrjd-rj^iep  ojael  7raQcr/.6yJ.rjf.iepoi  in  con- 
vertendo  Dominus  captivitatem  Sion,  facti  sumus  sicut  consolati  fPyj^a 
B'k3BpaTM  rii  HAliH'K  CHOH-R,  KTvijcoMi'L  1vK0  o\p"SmJHH.  Da- 
neben erscheint  auch  der  Infinitiv  des  Perfektum:  21,  25  xal  ep  rq) 
xEXQayepai  f.iB  TtQog  uvrop  sigrjyiovoe  (.lov  et  cum  clamarem  ad  eum, 
exaudivit  me  H  irji,A  K03'KBaX"K  K'K  HEiiiio\f  ovcA^Kimaiue  mia;  ähn- 
lich 30,  23.  Ferner  liegt  auch  der  Infinitiv  praesentis  zu  Grunde:  4,  2 
€P  T(p  ETZLytalslod-ai  (.le  elgi'yAOvos  /.lov  6  d-aög  cum  invocarem, 
exaudivit  me  Dens  KTi,Hfr,A,a  K'k3'kiKaYT^  o^CAiviiua  UMi  kjk«; 
56,  l  ep  rij)  avTOP  d/rodidQCcG/ietp  cum  fugeret  ifJs^A  K'feJKa  OT'h 
AH^a  caoY^^<^ß^  KTk  ßp'KTOM'k;  105,  44  -/.al  dös  -/.vqtog  Ip  rcp 
d^Ußeo&at  avTOvg  et  vidit  cum  tribularentur  H  kh^U  rb  fr^a  bt^- 
CT;PkJKHUJhÄ;^ ähnlich  IOC,  6,  13,  19,  28;  119,  1.  e)  Ein  periphrasti- 
scher  Verbalausdruck  von  perfektiver  Bedeutung  für  einen  griech.  In- 
finitiv aoristi:  9,  31  xvtpei  -/.al  nsaelTat  Iv  Tq>  avrop  ■/.uxay.vQLEVoaL 
IUP  TtsvrjTiov  inclinabit  se  et  cadet,  cum  dominatus  fuerit  pauperum 
np'tKAOHHT'K  cMi  H  Ha.A.fT'K,  (rj!k,A  <i'\[ji,Qi A'kiVh.  k;r,a,jtt».  <:>\kq>- 
r'kiHiiii'K.  Im  Lateinischen  ist  hier  ebenfalls  ein  periphrastischer  Verbal- 
ausdruck; doch  dürfte  diesem jUmstand  kein  allzugrosses  Gewicht  bei- 
zulegen sein,  da  anderwärts,  vgl.  91,  8,  einer  solchen  Konstruktion  des 
Lateinischen  ein  einfaches  Verbum  im  Slavischen  entgegensteht,  f )  End- 
lich erscheint  im  Slavischen,  in  offenbarer  Anlehnung  an  das  Griechische, 
ebenfalls  ein  Infinitiv  mit  B'kHfr^a :  9,  4  ev  rtp  djtoaTfjacpfjpai  tov 
ixd-QÖp  {.tov  elg  xa.  drcioto^  da^sprjoovoi  'Aal  dnoXovpxai  a/to 
7tQogöj7iov  Gov  in  convertendo  inimicum  meum  retrorsum :  infirmabun- 
tur  et  peribunt  a  facie  tua  B'KHtr^a  B'T%3ßpaTHTH  CfcA  Bparoy  MOt- 

MOy      BkCniATT»,,      H3HfIUI0r;i^T'h,      H      nC»r'hJKH;RT'K      OTTi      AH^a 


Die  griech.  Artikelkonstruktioneu  in  der  altkirchenslav.  Psalterübers.     379 

TBOfro.  Der  Inf.  mit  der  Konj.  KTvHfr^\a  ist  auch  in  den  kroat.-glag. 
Texten.  18,  12  /«/  yuQ  b  dovXög  aov  (pu/Moaei  auca,  tr  xvi  <pv- 
'/Maasiv  avTu  aviajcödoaig  TioXlrj  etenim  serviis  tuus  custodit  ea,  in 
custüdieudis  Ulis  retributio  multa  mko  paß'K  tkoh  \'paHHT'K  liÄ, 
K'KHfr;»,a  c'k\'ptVHHTH  lA  ii'k3A't><(»c  MHoro.  An  dieser  Stelle  liat 
zwar  das  Pazman'sche  Brev.  c\'paHHT'  (,  was  zu  der  Vermuthung  führen 
könnte,  dass  die  ursprüngliche  Lesart  war:  C'K\'paMH'r'k  w\;  allein  im 
Lobkowitzer  Ps.  liest  man  KH-kr.va  c\-paHHTH  i  VLH,\A\iHt  Miioro, 
wodurch  der  Infinitiv  für  den  ältesten  Text  wohl  sichergestellt  ist.  50,  6 
6Vrwg  av  di/MUü^^fig  sv  roig  köyoig  aov,  y.ai  vr/.rjGrjg  kv  z(^  xqi- 
reafhal  oe  ut  iustificeris  in  sermonibns  tuis,    et  vincas  cum  iudicaris 

-tKO    Ji,A    OnpaKk,V,HlUH    ChÄ    K'K    CAOKeCf\"K     TliOHX"K,     H    llplvllk- 

pHUiH  B'kHfr^i.a  oc;ft;\HTH  ChÄ,  Auch  hier  wird  diese  Lesart  durch 
die  kroat.-glag.  Texte  sichergestellt:  vgl.  iiHfr,i,a  co^AHTH  C(  Lobk. 
IIS,  7  6^of.ioloy}]0ouai  ooi  Iv  ev&vrrjTi  '/.aoöiag,  ev  t(^  ^lenaO-rj- 
Kevai  US  tu  /.Qif.iara  Trjg  ÖL/xaoovvi]g  aov  coufitebor  tibi  in  direc- 
tione  cordis,  in  eo  quod  didici  iudicia  iustitiae  tuae  hciiokIvMK  ciȊ 

TtK-K   B'k     npaKOCTH    Cpl\a,     KkHtrA«»    HaoyHHTH    MH    Ct/A    C^^A'k- 

caM'k  iipaK'k,v,'ki  TKOfhÄ.  Hier  hat  der  Pazman'sche  Text  bereits 
eine  nach  dem  lateinischen  Wortlaut  hergestellte  Aenderung:  K  ceMk 
fJKf  HaoyMH\''  cc  allein  der  Lobkowitzer  Ps.  hat  eine  ältere  Lesart 
bewahrt:  O  ctin'  f>Kf  Hao^^"'*'"  W"  ^f?  wodurch  der  Infinitiv  für  die 
älteste  Uebersetzung  gesichert  ist.  118,  9  Iv  tivl  y.aroQd^cjosL  vew- 
TBQog  rrjv  bdov  avTOV',  iv  tcp  rpv/M^aoO^ai  rovg  löyovg  aov  in  quo 
corrigit  (var.  corriget)  adolescentior  viam  suam  ?  in  custodiendo  sermo- 
nes  tuos  0  MfMk  HcnpaBHTTv  iohoh  niSiT'k  cboh?  BkHcr^a  Ck- 
YpaHHTH  CAOBtca  TBOli.  Auch  die  kroat.-glagol. Texte  haben  diese 
Konstruktion  bewahrt.  123,  2  d  (.irj  ort  y.vQiog  fjv  ev  fj^iiv,  Iv  T(p 
l.ravaoTfjvai  av^QCüitovg  ecp'  rjf^ccg  nisi  quia  Dominus  erat  in  nobis, 
( um  exurgerent  homines  in  nos  1vK0  aujTf  Hf  rk  kh  K'kiA'k  B'k 
Hac'k,  BkHfr^a  B^kcraTH  MABKOWk  Ha  n'ki.  Auch  im  Lobk.  Ps. 
liest  man:  BH'kr^v.a  BcraTH  MKMk  Ha  hh.  123,3  aou  Iwvrag  ccv 
/.axirciov  fif.ic(g,  ev  Tq>  dqyiaO^fjVai  rhv  d^vuhv  avrüv  hp"  fi(.iäg 
forte  vivos  deglutissent  nos,  cum  irasceretur  furor  eorum  in  nos  oyKO 
HCHB'ki  noiKp^kAH  H'ki  B-kiiui/^,  B-kHfr^va  RporH'tBaTH  CIA  -Kpo- 
CTH  y\\'K  WA  H'ki.  Die  Stelle  stammt  zwar  im  Psalt.  sin.  von  einer 
jüngeren  Hand  (vgl.  die  Bemerkung  Geitler's  p.  X),  doch  die  Infinitiv- 
konstruktion wird  abermals  durch  die  kroat.-glag.  Texte  sichergestellt : 


380  Fr.  Pastrnek, 

KHlvr;i,a  iiporH-KKaTH  cf  lipocTH  H)Ck  HA  HH  Lobk.  Diese  la- 
finitivkonstruktion  mit  er^a  erscheint  einmal  im  Psalt.  sin.  sogar  für 
einen  griechischen  Temporalsatz:  36,  33  ovöe  f^üj  %ata6i%äoai  avvov, 
orav  yiQii^rjvai,  auTcp  nee  damnabit  cum  cum  iudicabitur  illi  hh  oca^- 
^i.HT'K  ero,  (r^\A  c;^^"'''"  ^*^  tuoyf.  In  diesem  Falle  weichen  je- 
doch die  kroat.-glagol.  Texte  ab :  hh  ocoy^\,ht  JKe  «ro  «r^a  coy- 
j^tTk  (Moy  Lobk.  Hier  ist  die  ursprünglichere  Lesart  ohne  Zweifel 
auf  Seite  der  kroat.-glag.  Texte. 

2)  Die  temporale  Bestimmung  wird  im  Slavischen  durch  einen 
Temporalsatz,  eingeleitet  durch  np-kJK^e  ^aJK«  he  oder  npivBtLE  j\,A}K.( 
Hf,  auch  ^\OH^e>KC,  wiedergegeben:  38,  14  «Vsg  not  'iva  avaipv^co 
TiQo  Tov  (.le  icTteld-elv  remitte  mihi,  ut  refrigerer  priusquam  abeam 
OCaaBH  lUIH,  J!^A  nOHHI*,  nplwJK/l,«  J\,i\}K.(  HE  OTH,/\^^;  57,  10  TtQO 
TOV  ovvievai  rag  avdvd-ag  v/^iwv  xr^v  qäf-ivov,  toQsl  t,CovTaq  ioge\ 
Iv  öqyfi  yiaxuTCLüTai  v/^iäg  priusquam  intellegerent  Spinae  vestrae 
rhamnum  npli^Ky^^  A^^^^  "*  pasoYiui'tijfiT'k  Tp'KHfcL-K  BauJEro  pa- 

U't.HA  (sie),    'kKO  H^HKIvl   H  'kKO  BT».  PH'SB'K  HOJK'KpET'K  BTÜ  ;    89,  2 

TZQO  TOV  OQr^  yevrj^rjpat  '/.al  TtXaad^fivat  vriv  yfjv  xai  Tr]v  oiy.ov- 
U€rr]V,  y.al  ärrb  tov  alCovog  etog  tov  aiwvog  ov  et  priusquam 
montes  fierent  aut  formaretur  terra  et  orbis  np'SJK/ijE  ji^ATKf  ropiü  he 

BIvIllJlTfV    H    C03TvA<*    CIW^    3EMAlv    H    OYCEAEHa'S,    H  OTT».  EtKa  H  A*^ 

B'bKa  T'Ki  ech;  118,  67  7rQb  tov  f.i€  Ta7C£Lriod-f]vai,  syio  €7tXr]i.if.ie- 
Xrjaa  priusquam  humiliarer,  ego  deliqui  np'kB'KE  j^A}K(  HE  c^Klut:- 
pHyTi  cbÄ,  asTx  np'Krp'feujHX"K;  104,  19  /^lexQi-  'vov  eld^elv  tov 
löyov  avTov^  to  köyinv  tov  -avqLov  Ijcvqlogev  avTÖv  donec  veniret 
verbum  eius,  eloquium  Domini  inflammavit  eum  A^^A*^*  npOHA* 
CAOBO  Ero,  caOBO  THE  pa/KA^^^  "•  In  anderen  Fällen  erscheint 
für  den  griechischen  Infinitiv  ein  Substantivum  verbale  mit  der  ent- 
sprechenden Praeposition :  26,  1  tov  Javld^  ttqo  tov  "iQLö^fivccL 
psalmus  David,  priusquam  liniretur  A'*'^''^  np'tJKAf  noMasaHK't; 
128,  6  yEprjd-rjTCJoav  togei  xoQTog  diof-iärojv.,  og  ttqo  tov  eKOJtaod-fj- 
vat  ES,iqQ<kv^ri  fiant  sicut  foenum  tectorum,  quod  priusquam  evellatur 
exaruit  ji,A  E.7hji,N^T'\s.  tKO  Tp'^Ba  Ha  3t»,A'*"""X''*)  '^'^^  nptJKA« 
K03APT^ß*»HHlv  hckuje;  126,  2  iyEiqeod^E  ^ietcc  to  -/.a^fjad^ai  sur- 
gite  postquam  sederitis  B'KCTaH'tTE  HO  c'feA''^HHH.  In  ähnlicher 
Weise  wird  auch  eine  lokale  Bestimmung  übersetzt:  108,  4  ävTi  tov 
ayaTtäv  f-is,  EvediißaHöv  {.is  pro  eo  ut  me  dilgerent,  detrahebant  mihi 
Bik  AiOBiiBH  lUitLCTO  OBA'Kiraa\'/Ä  Mhft.    Diese  Art  der  Uebersetzung 


Die  griech.  Artikelkonstruktionen  in  der  altkirclienslnv.  Psalterübers.      381 

ist  im  slavischen  Texte  durchaus  selbständig.  Dagegen  ist  die  Bewah- 
rung des  Infinitivs  eine  offenbare  Anlehnung  an  das  Griechische:  30,  20 
{)Ti  Ol  c(f.taQTtt)koi  ccTioXovvTai,  Ol  ök  tx^Qol  Tov  y.vQiou  Sf.ia  i(p 
öo^aad-fjvaL  avzovg  /.cu  vipio^fjvai,  t/.XetTtovTeg  logel  xa/rvog 
t^fliTTOv  inimici  vero  Domini,  mox  ut  lionorificati  fuerint,  et  exaltati, 
deficientes  quemadmodum  fumus  deficient  'kKO  rp'kiiiKHHi|,H   iior'Ki- 

RAüRTTk,    Bpa^H    :Kf    TUM    KOV'llkHO    HpOCAaKHTH   ChÄ   HUT»,  H   K'ka- 

HfCTH,  Hqrksabfiijic  Icko  ,V''^*^'|^  hi|i<3a;.  Die  Infinitive  sind 
durch  die  kroat.-glagol.  Texte  sichergestellt;  dieselben  setzten  noch 
BHtr.va  hinzu:   BpasH  oyRO  phh  ßHer,\,a  KoynHO  iipoc7\ßHTH  a 

hm'  H   BSH'bCTH  Lobk. 

Die  causale  Bestimmung  wird  ausgedrückt:  1)  durch  einen  Satz: 
69,  1  €1^  TU  rfkog  T(p  Juinö  eig  uväf.ivi]OLV^  sig  ro  awoai  iie 
y.vQiov  in  finem,  psalmus  David,  in  rememoratione,  quod  salvum  fecerit 
me  Dominus  Bi^  KOHEi^k  A*C\<>V  i^^'^)  ß'KCiiOMHHaHHf,  3a  he  cht 
MbÄ  Tb;  104,  12  ev  t(^  elvat  avrovg  a()L^i.i({)  (iqwielg^  ölcyoovovg 
y.ai  iraQOixovg  Iv  avTjj  cum  essent  numero  breves,  paucissimi  et  in- 
colae  eins  3a  ne  R'kimi>9k  Maao  mhcaomtv,  hs  mho:^h  (h)  npn- 
UJ{AkU,H  Bk  h«h  ;  2)  durch  ein  Participium:  31,  3  ort  lai'/i]oa,  hra- 
Xaiwd^ri  ra  ootü  [lov  cctio  /.qüZeLV  //t  öXr^v  rtjv  rii.iiQuv  quoniam 
tacui,  inveteraverunt  ossa  mea,  dum  clamarem  tota  die  'kKO  ©ymat^- 

MaY"K,     OKfT'KUJailJIA     KOCTH    MOIA,     30R;f»llJTf     MH    BKCk    A»^"*»> 

ursprünglich  wohl  SOKAiiUTK'  MH,  wie  es  in  den  kroat.-glag.  Texten 

bewahrt  ist;    68,  4   e^eXiTtov  ol  öcfd-aXf-iol  }.iov  ärco  tov  eXTti^eiv 

(.u  inl  TOV  ^töv  iiou  defecerunt  oculi  mei,  dum  spero  in  Deum  meum 

!     HiUTfsn'e  OMH  MOH  oynkBaii^^iiJTKi  mh  na  Ka  Motro;   136,  1  /.ul 

\     iY.Xavoai.iev  Iv  t^  f.ivi]a^fjrai  fjf.iäg  Tfjg   2uov  et  flevimus,    dum 

i    recordaremur  Sion  h  naaBayoMTv  cwv  noMiiftH/^B'kUJc  CHona;  48,  18 

I     &'Tt  ovv.  Iv    TCO  aTToS^vr^oy.eip   amov   /?)j/'«rat   ra    7rc'(vru   quoniam 

cum  interierit,    non  sumet  omnia  HJK^e  oi'MHpai/f^H  Hf  ocTaKHT'k 

j     AH  B'kcero  —  in  allen  diesen  Fällen  ist  die  Participialkonstruktion 

durchaus  selbständig,  doch  vielleicht  mehr  im  temporalen  Sinne  aufge- 

fasst ;  3)  durch  ein  Substantivum  mit  der  entsprechenden  Prueposition : 

I     9,  23  kv  xig  VTteqricpavevEO&aL  tov  aasßfj  kfXTtvqitetaL  ö  Jirioxög 

dum  supeibit  impius,  incenditur  pauper  rTv  rpTv,\0CTH  HfMkCTHBaro 

K'k3rapatT'K  cia  hkl^jeh;   17,  7  y.o.1  Iv  rcp  d-Xi^itod^ai  lu  Ijiiya- 

).ea(X(.ir]v  tov  avqlov   in  tribulatione  mea  invocavi   Dominum   H   B'k 

CKpiiBk  MOi^  npH3'KBaY'K  r1v,  in  Uebereinstimmung  mit  dem  Latei- 


382  Fr.  Pastrnek, 

nischen;  41,  10  ivari  ay.vd-QcoTtcc^cop  7tOQEvnf.iaL  Iv  rCp  exd^lißsiv 
TOI'  hiS^Qor  iior  quare  contristatus  incedo,  dum  affligit  me  inimicus 
K^KCKA^i^  ckToyi/A  jcc^K^;^  CT'h  MfMd/iH  ßpara  Moero. 

Endlich  dürfen  bei  der  Beurtheilung  dieser  Konstruktionen  auch 
die  Relativsätze,  beziehungsweise  die  sie  vertretenden  Participia  nicht 
ausser  Acht  gelassen  werden.  Auch  hier  gibt  es  merkwürdige  Ueber- 
einstimmungen  mit  dem  Lateinischen,  daneben  aber  durchaus  selbstän- 
dige Ausdrucksweisen.  Auf  zwei  Fälle  der  ersteren  Art  hat  bereits 
Valjavec  (Rad  98,  6)  aufmerksam  gemacht:  94,  0  y.Xavawf-iev  kvavriov 
yiVQLOv  Tov  Tcoirjaavrog  r];.iäg  ploremus  ante  Dominum  qui  fecit  nos 
KTkCnAaMHIUlT».  CMi  np1v^\'h.  FMK,  H>K«  HTÜ  UT'h.  C'KTßOpHA'k; 
104,42  oTi  tf-ivrjo&r]  rou  loyov  tov  ayiov  avvov  tov  tiqoq  MßQaäi.i 
quoniam  memor  fuit  verbi  sancti  sui,  quod  habuit  ad  Abraham  'kKO 
noMlvH;«;  caobo  cto«  CßOf,  eiK«  hm'S  k'k  aßpaaMO^-  Andere  Be- 
lege für  derartige,  vom  Griechischen  abweichende  und  mit  dem  La- 
teinischen übereinstimmende  Ausdrucksweisen  sind:  15,  3  rolg  uyioig 
Tolq  SV  rfi  yfi  avTOV  sS-avi-iäaTiOGe  sanctis,  qui  sunt  in  terra  eins, 
mirificavit  cbt'kim'K  hjk«  c;^T'k  Ha  seiuiH  ero,  o\fA"ßn;  ''3,  22 
l^ivrjad-rjTL  tCov  övELÖLOf-iCov  aov  rCov  vtio  ag}Qovog  olt]v  trjv  7]f.uQav 
memor  esto  improperiorum  tuorum,  eorum  quae  ab  insipiente  sunt,  tota 
die  nOM'bHH  nOHOlUEHHE  TßOf,  fJKf  ECTT»,  OT^k  Kf30\f MkHaro, 
BkCk  A*"!*:  68,  21  xat  Vfiii-ieiva  auXXv/rovf.ievop  et  sustiuui  qui 
simul  contristaretur  H  ^KbA^iY'K,  HJKf  CO  Ml'KHOK!^  nocKp'KBHT'k; 
68,  26  Tial  er  rolg  axr]vcjf.iaaiv  avxCov  (.tri  eono  b  ■/.aroi'/.üv  et  in 
tabernaculis  eorum  non  sit  qui  inhabitet  H  ßk  CfA'kY''*  ^X^  "^  k;^A^^ 
HJKC  JKHBfT'k.  Daneben  finden  sich  jedoch  andere,  durchaus  selbst- 
ständige Uebersetzungen,  welche  mit  dem  Lateinischen  nicht  überein- 
stimmen: 43,  14  ed-ov  fjf.iäg  ovsiöog  rolg  yetroaiv  r^ficov,  f.ivy,Trj- 
QLG{.iov  y.cu  ■/.arayiXiora  rolg  y.v/.Xi^  fji.iä)v  et  derisum  bis  qui  sunt 
in  circuitu  nostro  noAP'SiKaHke  h  nop;^raHkE  c;i^L|JHHM'k  OKp'kCT'k 
Hack;  64,  6  fj  iXrclg  /rccvTior  xCbv  TtsQdrwv  Tfjg  yfjg,  y-ccl  tCov  ev 
O^aläöO]]  j.iay.Qäv  spes  omnium  finium  terrae,  et  in  mari  longe  C^nk- 

BaHkE    BkCkY'K    KOH£l^'k    SIMAI^    H    CÄ^L|JMK\"1^    Bk    LIOpH  J^&M^i\ 

75,  12  TTCivreg  ol  xi;/Zf(>  avrov  oloovgl  öwQa  omnes  qui  in  circuitu 
eins  afferent  munera  ßkCH  c;i^mTm  OKp'kCT'k  ero  npHHec;iiT'k 
A^P'bJ ;  78,  4  xlevaG^iog  rolg  kv/Jm  f]f.iä)i/  illusio  his  qui  in  circuitu 
nostio  sunt  nc>p;^raHH'k  (sie)  c;^iiJTHiui'k  OKp'kCT'K  Hack.  Dazu 
vgl.  auch  die  kürzere  Wiedergabe  durch  blosse  Adjektiva:    88,  8  eTti 


Die  griech.  Artikelkonstmktionen  in  der  altkiiclieiislav.  Psalterübers.       383 

'anag  rovg  Ttsgi-av^Xia  avtov  super  omnes  qui  in  circuitu  eins  sunt 

H.vvc»  RKC'KMH  OKpivCT'kHHMH  f PO ;   14,  3  sTtl  Tovg  hyyiota  avvov 

adversus  proximo3  suos  na  KA(KKHi/A  CRObft;   14,  3  t(^  nXijoiov  avr<p 

pioximo  suo  HCKpKHJOMOY  cm;  ebenso  14,4;  121,  8  xa/  tüv  TtXrjoiov 

i    fiuv  et  (sc.  propter)  proximos  nieos  n  rah^KHK'K  MC»n\*'k. 

Den  sogenannten  selbständigen  Artikel,  d.  li.  denjenigen  Artikel, 

welcher  in  gedankenloser  Nacbahmnng   des  Griechischen  in   die  alt- 

i  kirchenslavischen  Texte  eingeführt  wurde,  finde  ich  im  Psalt.  sin.  nur 

I  zweimal:    132,  1   iöov  öi]  vi,  xa?.bp,  i]  ri  rtQTCvuv^  ukX^  >)  ro  y.aroL- 

\  xelv  adsXffovg  ejtiToavTÖ]  ecce  quam  bonum  et  quam  iucundum,  ha- 

\  bitare  fratres  in  iinum  c«  OV'BO  KCAh  ;\,ORpo  h  KO/\b  KpackHO,  e^Kf 

;  HiHTH  KpaTHH  RTi.  Kcyn-k.  Und  merkwürdigerweise,  dieser  Artikel  ist 

]  auch  in  den  kioat.-glagol.  Texten  enthalten,  ein  Beweis,  dass  die  Stelle 

i  bereits  in  den  ältesten  Uebersetzungen  so  gelautet  hat.     Der  Infinitiv 

i,  als  Satzobjekt  wird  sonst  ohne  Artikel  gesetzt,  vgl.  z.  B.  51,  5  r-yäin]- 

\  oag  .  .  dör/.iav  virtQ  tö  Xa'/.f^oca  dr/Mioovvt]v  quam  loqui  aequitatem 

^  B'KSaiciBHA'K  fCH  .  .  HcnpaB'k^;^  Hf^Kf  TATH  npaßb^i,;)!^ ;  ebenso  als 

i|  Satzsubjekt,  z.  B.  126,  2   sig  uäT)]v  vulv  tovi  zb  uQd-Ql'^eiv  vanum 

\  est  vobis  antes  lucem  surgere  Eh  coye  KaMTv  fCT'k  lOTp'KHfKaTH. 

t  Der  zweite  Fall,  wo  im  Slavischen  ein  selbständiger  Artikel  erscheint, 

*  ist  folgender:    121,6   iqcoTrioaxE  dij  ra  eig  eiQrjvrjv  Trjv'l£Qovoa?,rjf.i 

rogate  quae  ad  pacem  sunt  Jerusalem,  dagegen  im  Psalt.  sin.  oymOAHTt 

}K(  Iv/Kf  0   Mnp'k  HHAMa:    in  den  kroat.-glag.  Texten  ist  zwar  ein 

vollständiger  Relativsatz,  doch  ist  dies  wahrscheinlich  auf  das  lateinische 

Vorbild  zurückzuführen. 

Ueberblickt  man  die  angeführten  Belegstellen  des  Psalt.  sin.,  so 
ergibt  sich  folgendes  Bild  der  slavischen  und  lateinischen  Uebersetzungen 
eines  griechischen  substantivirten  Infinitivs  oder  eines  .relativen  Aus- 
drucks : 

I.  Der  finale  Infinitiv  mit  tov,  nur  vereinzelt  ohne  vov,  wird 
im  Slavischen  wiedergegeben  : 

1.  durch  einen  Finalsatz  mit  der  Konjunktion  ^A  an  27  Beleg- 
stellen; für  den  blossen  Indikativ  ohne  ,\a  ist  nur  1  sicherer  Beleg;  im 
Lateinischen  steht  überall  ein  Finalsatz  mit  ut; 

2.  durch  ein  Supinum  an  2  Stellen,  im  Lateinischen  einmal  ein 
Gerundium;  durch  ein  attributives  Participium  an  2  Stellen,  davon 
einmal  auch  im  Lateinischen,  sonst  ein  Finalsatz ; 

3.  durch  einen  Infinitiv  an  47  Belegstellen,   wo  im  Lateinischen 


384  Fr.  Pastrnek, 

ein  Finalsatz  mit  ut  steht;  in  andern  14  Fällen  ist  auch  im  Lateinischen 
ein  blosser  Infinitiv;  in  weiteren  10  Fällen  steht  im  Lateinischen  ein 
Gerundium  (Gerundivum): 

4.  durch  ein  Substantivum  im  Akkusativ  mit  der  Präposition  na, 
2  Belege,  im  Lateinischen  beidemal  ein  Gerundium. 

IL  Der  temporale  Infinitiv  mit  Iv  rq},  tzqo  tov,  (.lera.  rb, 
aua  r(p  wird  im  Slavischen  übersetzt: 

1.  durch  einen  Temporalsatz  mit  der  Konjunktion  «r^a  oder 
K'kHfrA^*  an  47  Stellen,  im  Lateinischen  steht  zumeist  ebenfalls  ein 
Temporalsatz  mit  cum  oder  dum  und  nur  äusserst  selten,  unter  diesen 
Fällen  nur  2  mal,  ein  Gerundium ; 

2.  durch  einen  Infinitiv  mit  E'K\iirji,A  an  8  Stellen,  im  Lateinischen 
steht  3 mal  ein  Gerundium,  4 mal  ein  Temporalsatz  mit  cum,  Imal  ein 
Kausalsatz  mit  in  eo  quod; 

3.  durch  einen  Temporalsatz  mit  np1vM</i,e  j\,A>Vi(  Hf,  3  Fälle, 
oder  np'kß'Kj  ji,A}Ki  Hf,  1  Fall,  im  Lateinischen  Temporalsätze  mit 
priusquam;  ferner  durch  einen  Temporalsatz  mit  ^OH^tJKC,  l  Fall, 
im  Lat.  ein  Temporalsatz  mit  donec\ 

4.  durch  ein  Substantivum  verbale  mit  der  Präpos.  npl^Hi^k,«, 
2  Fälle,  im  Lat.  Temporalsätze  mit  priusquam\  durch  ein  Subst.  ver- 
bale mit  der  Präpos.  no,  1  Fall,  im  Lat.  ein  Temporalsatz  mit  2^ostquam\ 

5.  durch  einen  Infinitiv  mit  KO^rikHO,  im  Lat.  ein  Satz  mit  mox 
ut,  1  Fall. 

III.  Der  kausale  Infinitiv  mit  eig  to,  Iv  T(p,  aftb  xov  wird 
im  Slavischen  übersetzt: 

1.  durch  einen  Satz  mit  3a  H«,  2  Fälle,  im  Lat.  stehen  Kausalsätze 
mit  quod  und  cum ; 

2.  durch  ein  absolutes  oder  attributives  Participium,  4  Fälle,  im 
Lat.  Sätze  mit  f/wm,  3  Fälle,  und  quoniam,  1  Fall ; 

3.  durch  ein  Subst.  mit  einer  entsprechenden  Präposition,  3  Fälle, 
im  Lat.  ein  Satz  mit  dic?n,  2  Fälle,  oder  ebenfalls  ein  Substantivum  mit 
einer  Präposition,  1  Fall. 

IV.  1.  Attributive  Participia  werden  im  Slavischen  und  Lat. 
durch  Relativsätze  wiedergegeben  in  3  Fällen ; 

2.  relative  Präpositionalbestimmungen  mit  dem  Artikel  werden  im 
Slavischen  und  Latein,  durch  Relativsätze  wiedergegeben,  in  3  Fällen; 
durch  attributive  Participia  im  Slavischen,  durch  Relativsätze  im  Lat. 
in  4  Fällen. 


Die  griecb.  Artikelkonstniktionen  in  der  altkirchensluv.  Psalteriibers.      385 

V.  Der  substantivierte  Infinitiv  als  Subjekt  wird  einmal  im 
Slavischen  durch  den  Infinitiv  mit  fJKt  übersetzt,  im  Lateinischen  steht 
an  dieser  Stelle  der  blosse  Infinitiv.  Ein  anderes  Mal  drückt  der  Artikel 
1i;Kf  mit  einem  präpositionalen  Kasus  das  Objekt  aus. 

Die  ZnsammensteUiing  und  Uebersicht  der  in  Betracht  kommenden 
Belegstellen  enthält  zugleicli  eine  Antwort  auf  die  Frage,  ob  und  inwie- 
weit bei  der  slavischen  Psalterübersetzung  ein  Einfluss  der  Vulgata  an- 
zunehmen ist.  Eine  Uebereinstimmung  in  der  Wiedergabe  gewisser  der 
griechischen  Sprache  eigenthümlicher  Konstruktionen  ist  vorhanden 
und  durch  viele  Stellen  belegt.  Allein  daneben  gibt  es  zahlreiche  Fälle, 
wo  die  slavische  üebersetzung  selbständige  Wege  wandelt  oder  sich  in 
deutlicher  Abhängigkeit  von  der  griechischen  Vorlage  befindet.  Wie 
soll  man  sich  den  Vorgang  bei  der  ersten  üebersetzung  denken  ?  Blickte 
man  nur  gelegentlich  und  zufällig  in  den  lateinischen  Text  und  liess  ihn 
in  zahlreichen  anderen  Fällen  unbeachtet?  Das  scheint  mir  doch  wenig 
wahrscheinlich  zu  sein.  Eher  möchte  ich  annehmen,  dass  der  ursprüng- 
liche slavische  Text  nach  der  einen  oder  andern  Eichtung  liin  conse- 
quenter  war,  und  dass  die  Abweichungen  erst  später,  aber  allerdings 
noch  in  der  mährisch-pannonischen  Zeit  hineingeriethen.  Von  besonderer 
Wichtigkeit  ist  dabei  die  Frage,  wo  der  Psalter  zuerst  ins  Slavische 
übersetzt  wurde.  Wenn  dies  erst  in  Mähren  geschah ,  dann  wäre  es  im 
höchsten  Grade  auffallend ,  dass  der  Einfliiss  der  lateinischen  Üeber- 
setzung sich  nur  in  einigen  zufälligen  Konstruktionsnachahmuugen 
äussern  sollte.  Leichter  Hesse  sich  begreifen,  dass  in  eine  ursprünglich 
durchaus  und  ausschliesslich  nach  der  griechischen  Vorlage  hergestellte 
Üebersetzung  nachträglich  einzelne  syntaktische  Wendungen  dem  in 
Mähren  und  Pannonien  bekannten  lateinischen  Texte  angepasst  wurden. 
Doch  müsste  dies  noch  in  der  Zeit  der  Apostel  geschehen  sein;  für  die 
folgende  Zeit  sind  Aenderungen  bei  dem  ganz  aussergewöhnlichen  Con- 
servatismus  der  slavischen  Abschreiber  so  gut  wie  ausgeschlossen,  wie 
dies  aus  der  Uebereinstimmung  des  Psalt.  sin.  einerseits  mit  dem  süd- 
slavischen  und  russischen  Texten  aus  dem  XII.,  XIII.  und  späteren  Jahr- 
hunderten (vgl.  V.  Jagic,  Zur  Entstehungsg.  II,  5  t),  andererseits  mit  den 
kroatisch-glagolitischen  Texten  des  XIV.  Jahrb.  klar  hervorgeht. 

Indessen  sucht  man  SpureneinerBeeinflussuug  durch  den  lateinischen 
Text  auch  in  lexikalischer  Richtung.  Die  Worte  zwar,  auf  welche 
>afarik,  lieber  den  ürspr.  u.  die  Heimath  des  Glag.,  S.  12  hingewiesen 
hat,  kommen  nicht  mehr  in  Betracht;  allein  die  von  Valjavec  (Rad  98,  7) 

Archiv  für  slavische  Philolofrie.     XXV.  25 


386  Fr.  Pastrnek, 

angeführte  Stelle  ist  beachtenswert :  118,  130  »^;  drj?uüaig  rCov  Xöytav 
Gov  (fioTisl  y.ai  oweriel  vrjTtiovg  deelavatio  sermonum  illuminat  et 
intellectum  dat  parvulis  C'kKd3anH6  CAOKfCk  TKOHX"k  iipocK-kuiTa- 
(Tis.  H  paacifiuiT».  ^aET'K  luiAa^fHUtiufk.  Die  Uebereinstimmung 
zwischen  dem  Slavischeu  und  Lateinischen  liegt  hier  in  der  Wiedergabe 
des  griech.  Verburas  GwetiCeiv.  (Nebenbei  bemerkt,  setzen  beide 
Uebersetzungen  eine  griechische  Lesart  im  Präsens  voraus :  cpioriLsL 
y.al  avvsTtLsi.)  Doch  wie  hätte  der  slavische  Uebersetzer  das  Verbum 
owETiteLV  anders  wiedergeben  sollen?  Ein  entsprechendes  Faktitivum 
von  paso^Hil'^  ist  im  Slavischen  nicht  vorhanden.  Der  Uebersetzer  war 
daher  gezwungen,  eine  Redensart  anzuwenden,  welcher  das  Substantivum 
paso^fiui'K  ij  avveoig  (vgl.  pasoriuikHTv  ovvsvög)  zu  Grunde  lag.  Er 
wählte  das  nächste  und  passendste  Verbum  /\aTH;  er  that  dies  um  so 
leichter,  als  im  evang.  Texte  diese  Redensart  ebenfalls  zu  finden  ist: 
Luk.  I,  77  ^aTH  paBOYluiT».  c'knaceHH'k  AK>,\,fiui'K  ero  rov  dovrai 
yvCooLV  Oiovr^Qiag  reo  lacp  avvov  ad  dandam  scientiam.  In  ähnlicher 
Lage  befand  sich  der  Uebersetzer  gegenüber  dem  Verbum  ay.ovri'CELV, 
auch  hier  lag  eine  Redensart  mit  caoYX"*^  cr/.oi]  und  ji,ATy\  am  nächsten. 
Wir  lesen  demnach:  50,  10  cacy^oxf  lUiOfMOY  A^^H  pa^ocTT».  h 
BECtAkE  cvAOvrulg  fie  ayaüäaoiv  y.cd  evcpQOövvip'  auditui  meo  dabis 
gaudium  et  laetitiam.  Die  Uebereinstimmung  zwischen  dem  Slavischen 
und  Lateinischen  ist  allerdings  schlagend.  Dieselbe  tritt  noch  deutlicher 
zum  Vorschein,  wenn  man  eine. zweite  Stelle  in  Betracht  zieht,  wo  das- 
selbe Verbum  anovriteLV  zu  Grunde  liegt:  75,  9  c  hki  0\fCA'KlUjaH'K 
CTROpHATi  ccTTk  CA^A"!^  ^'^  '^ov  ovQttvov  Tf/iovxLGag  ZQiGiv  de  caelo 
auditum  fecisti  iudicium.  Andere  Fälle  einer  solchen  Uebereinstimmung 
zwischen  dem  Lateinischen  und  Slavischen  sind:  16,  14  y.vQi£,  ä/ro- 
kviov  ciTto  yfig,  dagegen  im  Lat.  Ddmine,  a  paucis  de  terra  und  ebenso 
im  Slavischen  rü,  OTk  maAT».  ott^  3fiuiAWV;  68,  33  B'k3HuJT'&Tf 
Ei\  H  JKHßa  b;üa*'^t»^  A"''*  Kama  ay.Li]TrjaaT8  tov  S-sbv,  y.al 
LtjGead'e  quaerite  Deum,  et  vivet  anima  vestra;  indessen  ist  es  nicht 
ausgeschlossen,  dass  eine  übereinstimmende  Lesart  auch  im  Griechischen 
zu  Grunde  liegt;  vgl.' jkhb'K  (ohne  Verbum)  Lf]  vivit  17,  47;  >KHB'k 
BÄ^A^T"!»'  Cijoerai  vivet  71,  15;  jedoch  wieder  118,  17  jkhbh  Hlhft,  H 
CK^paniTR  CAOBfca  tbo1v  urjaouai  /.cd  rpvld^co  rovg  Xöyovg  gov 
vivifica  me  et  custodiam  sermones  tuos,  ebenso  25,  37,  40,  50,  93, 
während  wir  anderwärts  lesen:  79,  19  /KHBHUJH  H'KI  ttoÜGeig  rjuäg 
vivificabis  nos,  ebenso  84,  7.    Klarer  liegt  die  Uebereinstimmung  in  der 


Die  griech.  Artikelkonstrnktionen  in  der  altkirchenslav.  Psaltei übers.      387 

Wiedergabe  eines  griechischen  Ausdruckes  vor  in:  72,  22  'kKO  CKOTTk 
KTü^'K  oy  T(K(  /.Tt^pioörj^  lyti'('jui]v  :r«o('(  aoi  ut  iumentum  factiis 
sum  apud  te;  77,  55  H  110  H;p'kBHK<  pas^liAH  iiM'k  3CMAi>fv  ;^H;{Mk 
4,'kAOMlvpKH'kiM'k  xal  e-/.h]Qod6zr^öBV  auTfjvg  Iv  ayoivüt)  x/./;(>o- 
dooiag  et  sorte  divisit  eis  terram  in  funiculo  distributionis ;  87,  8  H 
BkCI<A  BA'KH'KI  TROhA  ttMif^l  HA  MIA  /.«/  ycäpTag  TOVi;  lUTElo- 
Qiouovg  oov  (Tir^yayeg  hc  eue  et  omnes  fluctus  tuos  induxisti  super 
me,  verglichen  mit  92,  4  ^.hbkh'KI  K'MCOT'ki  MOpKCK'KiiA  ^av^-iaorol 
Ol  uezBioQiauol  rf^g  d-akäooijg  mirabiles  elevationes  maris,  wo  das- 
selbe griech.  Wort  u€TswQiai.ioi  im  Lat.  und  Slavischen  einmal  durch 
fluctus  KAiiH'Ki,  das  andere  Mal  durch  elevationes  ß'KicOT'Ki  wieder- 
gegeben ist.  Vgl.  dazu  einige  Uebereinstimmungen  melir  formalen  Cha- 
rakters: 9,  17  ytviüO/.ETcu  y.vQLog  cognoscitur  (var.  cognitus  est) 
Dominus  SHatM'K  (CT'K  tk:  9,  29  ey/MOrizai  IveÖQcc  uetu  tiXovöuov 
tv  cc:toy.QV(poig  sedet  in  insidiis  cum  divitibus,  in  occultis  np'kc'k^VHT'k 

ETk    Aa['6]T€AHY'k    Ck    KOrAT'WMH,    KT».    TaHH'KiyK;    38,   10  ÜVL  OV 

ei  b  Tion]Gctg  fie  quoniam  tu  fecisti  iJKC»  T'KI  CKTKOpn;  77,  34  /.at 
u)q'}Qi^ov  TTQög  TOP  &EÖV  et  diluculo  veniebant  ad  Deum  H  paHO 
npH\'C>;K,V*VV'*^  ^^  '^^Vi  "'»50  wdoitoir^OE  tq/^ov  tt)  doyf]  avTov 
viam  fecit  semitae  irae  suae  iia;tk  CkTBOpH  CTk^;^  rH'ÜBoy  ciiot- 
UOl',  doch  vgl.  79,  10  LüdoTCoirjaag  ef-iTtQoo^ev  avTfjg  noTk  (sie) 
C'kTBOpH  np1v,VT^  HHMk,  während  die  lat.  Uebersetzung  lautet:  dux 
itineris  fuisti  in  conspectu  eins.  Trotz  dieser,  zum  Theile  recht  auf- 
fallenden Concordanzen  möchte  ich  die  Möglichkeit  nicht  ausschliessen, 
dass  die  gleichmässige  Uebersetzung  auf  einer  gleichartigen  Inter- 
pretation des  griechischen  Textes  beruht.  In  vielen  andern  Fällen  liegt 
offenbar  eine  abweichende  Lesart  des  Griechischen  zu  Grunde.  Ich  will 
einige  derartige  Fälle  anführen:  37,  8  ort  rj  ipvyr^  iiov  e/tAtjad^t] 
eu7Taiyf.iCüv,  dag.  im  Lat.  quoniam  lumbi  mei  impleti  sunt  illusionibus 
und  Slav.  -Rko  AMk,VBHi/A  Moin\  HanA'kHHiiiiiA  chÄ  iiopA^raHtH; 
38,  6  idov  TtaXuLug  td-ov  rag  rjueqag  /.lov,  dagegen  im  Lateinischen 
j  ecce  men?urabiles  posuisti  dies  meos  und  ähnlich  im  Slavischen  ce 
niiA^V,'^'^  H.^yfcpnrki  (d.  h.  mit  der  Spanne  gemessene)  iiOAOlKHA'k 
tCH  \\*»  UOhÄ:  41,  9  r^(.iiQag  evTeXelrac  y.VQiog  xh  tleog  avTov, 
xcu  vv/.vog  örih'joei,  im  Lateinischen  jedoch  in  die  mandabit  Dominus 
misericordiam  suam,  et  nocte  canticum  eius  apud  me,  ebenso  im  Slavi- 
schen K'k  ,\(H'\s,  .^anOß'feCT'k  rk  MHACCT'k  CBOWk,  H  MOl|Jkl;^ 
n'kcH'k  fro  OT'k  um;  44,  14  7räaa  i)  öoia  aitTfjg  d^vyarqog  rov 

25* 


388  I*'r.  Pastrnek, 

ßaöiXkog  ^Eaußöjv^  dagegen  im  Lateinischen  omuis  gloria  eins  filiae 
regis  abintus,  ebenso  im  Slavischen  RTvCk  C/xaKa  ,\'h.i|ifpH  npH  K'Kh;^- 
TP'KI*^\,0Y;  45,  G  ßo)]d-t]G£i  avTji  o  Oebg  Tip  7CQogLü7t(i),  im  Latei- 
nischen dagegen  adiuvabit  eam  Dens  mane  diluculo,  ebenso  im  Slavi- 
schen noMOiKrr'K  €MO\j'  et»,  oyrpo  3a  oY'''P^^:  64,  13  TtLav^rjasrai 
ra  0Q1]  Tf;g  eqrif-iov^  dagegen  im  Latein,  pinguescent  speciosa  deserti, 
und  ebenso  im  Slavischen  paanoT'feKixT'K  Kpac'KHaa  no\'CT'KiHhÄ; 
72,  21  oti  i]vrpQdp3r]  f]  xccQÖla  (.lov  quia  inflammatum  est  cor  meum 
'JvKO  pasropli  CIA  cp'kAl»^",«  '^*^*;  ^3,  IG  oh  y.arriQTloi.o  riliov  y.al 
a£lrjr>]V  tu  fabricatus  es  auroram  et  solem  Tivi  Ckßp'kUJH  30pi^  H 
CA'KHkU.E;  79,  10  y.cd  eTilrjaS-i]  i]  yfj,  dag.  im  Lat.  et  implevit  terram, 
lind  ebenso  im  Slav.  h  hcha'KHH  3iMM^:  S7,  .5  eyein'jS-rjv  log  av- 
■d-qioTiog  dijor]d^)]Tog,  im  Lat.  homo  sine  adiutorio,  und  so  auch  im 
Slavischen  B'hiX"k  'feKO  MAOß'tK'k  KfC  noiuiomTH;  87,  G  logsl  tqav- 
fiaviat  SQQLf^iuavoi  ■/.ad-evöovTeg  Iv  räipw,  im  Lateinischen  kürzer 
sicut  vulnerati  dormientes  in  sepulchris  und  ebenso  im  Slavischen  'tKO 
1i3ßi^HH  CkneiUTH  (sic) ;  88,  46  loi^iUqvvag  zag  fjf^iegag  rov  ^q6- 
vov  avToVj  dag.  im  Lat.  minorasti  dies  temporis  eius  oi'imaaHAnk  fCH 
ja,iHh  ßp'biiiiEHH  ero;  118,  136  öu^ödovg  vdariüp  -/MTißr^aav  ol 
dcp^ali-ioi  uov  exitus  aquarum  deduxerunt  oculi  mei  HC^CAHUiTa 
ßo;i,kHaa  H3B'ScTe  omh  moh  :  131,  15  Trjv  ■9-7]qccv  avrfjg  svloycov 
svloyr]Otü,  dagegen  im  Lateinischen  viduam  eius  benedicens  benedicam 
und  ebenso  im  Slavischen  BT^ACßHUhÄ  ero  BACTßOYWv  BAip;!;;  140, 
6  dy.ovoovTo.1  xa  qi]^ia%ä  f.iov  ort-  fjdvi^S-rjaap^  dagegen  im  Lat. 
audient  verba  mea,  quoniam  potuerunt  und  ebenso  im  Slavischen  oycAH- 
lUfTh.  et  TAH  MOf,  1iK0  ßSMOrov  Lobk.  Stellen  dieser  Art  dürfen 
also  nicht  herangezogen  werden ,  wenn  es  sich  darum  handelt ,  eine  Be- 
einflussung der  slavischen  üebersetzung  durch  die  Vulgata  nachzuweisen. 
Diese  Beeinflussung  bleibt  trotzdem  zweifelhaft,  besonders  mit 
Rücksicht  auf  Stellen,  wo  die  slavische  üebersetzung  von  der  über- 
einstimmenden Lesart  beider  Texte ,  des  griechischen  und  des  latei- 
nischen, abweicht.  Warum  blickte  man  da  nicht  in  die  lateinische 
üebersetzung?  Man  wird  vielleicht  einwenden,  der  üebersetzer  sei 
tiberzeugt  gewesen,  er  lese  und  verstehe  die  Stellen  richtig ,  und  habe 
eben  deshalb  keinen  Anlass  gehabt,  seine  Auffassung  einer  Prüfung  zu 
unterziehen.  Allein  diese  Erklärung  hat  nur  dann  Geltung,  wenn  wir 
an  einer  Vorlage ,  in  diesem  Falle  der  griechischen ,  festhalten.  Sobald  ! 
wir  jedoch  die  Möglichkeit  zugeben,  dass  auch  ein  anderer  Text  neben 


Die  griech.  Artikelkonstruktionen  in  der  altkirchenslav.  Psalterübers.      389 

dem  griechischeD,  der  lateini-jclie,  herangezogen  wurde,  dann  lassen  sich 
solche  eigenartige  Abweichungen  nur  schwer  begreifen,  und  solche 
Fälle  kommen  in  der  slavischen  Psalterübersetzung  in  der  That  vor. 
Einige  davon  sind:  19,  8  ovtoi  ir  agi-iaai  '/.al  ovrot  ev  uriroig  hi 
in  cnrribus  et  hi  in  equis,  im  Slavischen  dagegen  CH  R^K  opi^lK'KHY'K 
(d.  h.  in  Wafi'en)  H  CH  Ha  KC»HH\"k;  dazu  vgl.  die  Stelle  67,  18,  wo 
tb  uQua  currus  richtig  durch  KOAECHHi^a  wiedergegeben  wird:  34,  8 
(XO'eTio  avvoig  ;iayig  /^r  ou  yipi'ooy.nvoi,  -/.al  fj  &riQC(  i]v  i/.QVipav 
Gvllaßirvj  avrovg  veniat  illi  (sie)  laqueus  quem  ignorat  et  captio  quam 
abscondit,  apprehendat  eum,  dagegen  im  Slavischen  ,\,a  npH^\,fT'K 
(mov  ckTK  n/A:K(  he  CKK'kcT'k  h  aktk  (d.  i.  frans,  dolus)  krjkc 
CkKp'Ki  OK'kMtT'K  H;  37.  6  nQOQioLeoav  /.cd  bgccjCijouv  oi  lu'j- 
hoTcig  uoif  putruerunt  et  corruptae  sunt  cicatrices  meae,  dagegen  im 
Slavischen  KkCMp'K,V'^'i"'*^  "  CkrHHUii/Ä  paH^Ki  (d.i.  Wunden)  moia; 
vgl.  die  richtige  Uebersetzung  37,  18  Ha  paH'Ki  tig  uüartyag  in 
flagella:  47,  3  evqiCiov  ccyaXkuif.ta.Ti  Ttccar^g  zfjg  y^g  fundatur  exul- 
tatione  universae  terrae,  im  Slavischen  dagegen  BaarOKOpEHHk(H)M'K 
pa;i,CtKaH'kHM'k  Bkctt/A  acMaiiA  (d.  i.  etwa  svqilo)  ccya)J.ui(.iaTL  ; 
55,  14  rov  Evc(QEGrf\Gcii  IvtoTtLOV  Tov  d-env  Iv  rpcoTi  Lojvtcov  ut 
placeam  coram  Deo  in  lumine  viventium,  dagegen  im  Slavischen  (;i,a) 
ov'rO/K,\,;ii  np-S.Vk  mn».  btv  crpanli  /KHKÄ^i|jHH\"k  (d.  i.  in  regione 
viventium);  70,  15  otl  ovv.  tyvojv  Troccynareictg  quoniam  non  cognovi 
literaturam,  dagegen  im  Slavischen  'Kkc  h«  nc^na^T^  K'kHHJKkHHKa 
(d.  i.  yQauuaxia  scribam);  70,  20  y.cu  v/.  rtov  ußvGGLov  vfjg  ypg 
TTC(?.iv  dyr^yayig  ue  et  de  abyssis  terrae  iterum  reduxisti  me,  dagegen 
im  Slavischen  H  OTTk  KfSAi^H'k  3EMAH  ,\߀ßt\(  (d.  i.  7ccdc(i  olim) 
K'k3Rf,\,f  MhÄ;  77,  31  y.cu  t(.rr/.T£iv£v  Iv  rolg  TcioGLV  cwrCüv  et 
occidit  pingues  eorum,  dag.  im  Slav.  h  0\j'bhrT\  (sie,  oi'KM  Lobk.) 
LCKHO^KaHUit/M/A  R'k  HH^Tv  (als  ob  im  Griech.  stände  Iv  zoig 
TT/.slooiv  auvcüv);  87,  15  ivarl  y.VQie  c(7C0ji}elg  xriv  TCQogevy^riv  fiou 
orationem  meam,  dag.  ß'kCK;^!;^  ri  OT'kp'ktiiiH  ;i,uj;^  MCi*  (d.  i. 
Trv  ipvyj]v  uov)',  137,  5  /.cd  ccGc'awGav  iv  rcäg  uöotg  y.vqiov  et 
cantent  in  viis  Domini,  dagegen  im  Slavischen  H  [^A)  Kkcnoi*T'k  Bk 
iHvCHfY'k  PHlCYT^,  als  wenn  im  griech.  Text  stände  h'  i'idalg.  Vgl. 
auch  9,  37  ßaGi'/.tvGEL  y.voiog  alg  tov  auopca  Dominus  regnabit  in 
aeternum,  dag.  im  Slavischen  rk  np'k  (d.i.  ßuGiltvg)  BTv  B'kK'ki ; 
13,  5  OTL  b  -d-ebg  Iv  ysvtc'c  dr/atci  quoniam  Dominus  (var.  Deus)  in 
generatione  iusta  est,  dagegen  im  Slavischen  'kKO  rk  (=  Dominus)  rtv 


390  Fr.  Pästrnek, 

po^X'k  iipaKe^\'kH'Ki\"K  (d.  i.  in  generatione  iustorura) ;  17,  41  xat 
Tovg  kyJ^Qovg  uov  töto/Ai;  not  vCöxov  et  iniinicos  meos  dedisti  mihi 
dorsum,  dag.  im  Slav.  H  ßparTv  luiOH)("k  (d.  i.  inimicorum  meorum) 
/kia/VK  lUlH  tCH  YPHRtTTv  ;  S8,  44  -/.al  ovY.  ävsXäßov  avtov  iv  tc^ 
7to?Jiii([)  et  iion  es  auxiliatus  ei  in  hello,  dag.  im  Slavischen  H  He; 
sacTAiiiH  cro  ßi^  ,\(iih.  cpaHH  (d.  i.  er  ^,"f^«  ^^ov  TioXeiiov}. 
Möglich,  dass  alle  diese  eigenartigen  Abweichungen  zum  Theile  auf  be- 
sondere Lesarten  des  griechischen  Textes,  zum  Theile  auf  individuelle 
Auffassungen  des  Uebersetzers  zurückzuführen  sind ;  immerhin  scheint 
es  sicher  zu  sein ,  dass  dabei  der  lateinische  Text  nicht  zu  Rathe  ge- 
zogen worden  ist. 

Aus  allen  diesen  Erwägungen  möchte  ich  den  Schluss  ziehen,  dass 
bei  der  Herstellung  des  ältesten  slavischen  Psaltertextes  an  eine  Be- 
nützung der  lateinischen  üebersetzung,  so  verlockend  eine  solche  An- 
nahme in  einzelnen  Fällen  auch  sein  mag,  dennoch  nicht  zu  denken  sei. 
Die  ersten  slavischen  Uebersetzungeu  biblischer  Texte  verrathen  denn 
doch  ein  ganz  hervorragendes  Talent.  Sie  sind  so  wörtlicb  und  so 
genau  als  möglich.  Bei  einem  Texte,  welcher  das  Wort  Gottes  enthält, 
ist  ein  solcher  Standpunkt  wohl  einzig  berechtigt.  Allein  daneben  geht 
einher  das  deutliche  Bestreben,  der  Sprache  in  keiner  Weise  Gewalt  an- 
zuthun.  Daraus  ergibt  sich  eine  gewisse  formale  Selbständigkeit,  wo- 
durch sich  die  ältesten  kirchenslavischen  Texte  von  den  späteren,  leider 
zumeist  ganz  sklavischen  Uebersetzungeu  so  vortheilhaft  abheben. 
Welcher  Art  diese  formale  Selbständigkeit  ist,  das  sollen  einige  Bei- 
spiele darthun:  9,  10  ßor]S-bg  h>  evzaiQiaig  Iv  -d-liipsi  adiutor  in 
opportunitatibus,  in  tribulatione,  dagegen  im  Slavischen  noiuiOifJbHHK'k 
Eis.  KAdro  Bp'kMiA,  BT».  nfMaAf\''i^ !  17,  39  -/.al  ov  f.ii]  diivcovrai 
GTfjvat  nee  poterunt  stare,  dagegen  freier  und  dennoch  vollkommen 
richtig  H  Hf  niiii;ftT'K  i\iioi|iH  rocto'Kth;  27,  7  i/r'  c(vt(^  ijAitiaev 
i]  'Aaqdia  f.ioVj  '/Mi  ißorjd-ijd'Tqv  in  ipso  speravit  cor  meum,  et  adiutus 
sum  Ha  Toro  oxfn'kKa  cp'KAT^u.e  imof  h  noiuioiuTb  mh  KUCTTk; 
35,  5  Ttagearr  näoi]  öö(p  ov'a  ciya^fj  astitit  omni  viae  non  bonae 
CTa  Ha  Bn\Cli\"K  n;^Tf\"K  HeKAa^'t(\"K);  47,  3  ca  ttIsvqcc  tov 
BoQQä  latera  Aqullonis  pcBpa  cfeBfpOBa,  ebenso  77,  26  drcfjQev 
Nötov  £^  ovgapoVj  '/.ai  ejtr^yaysv  Iv  rf]  diraareia  avrov\Aißa 
transtulit  Austrum  de  caelo,  et  induxit  in  virtute  sua  Africum  B'kS- 
AßHJKf  wr'K  A«^  (sie)  HtBfCH,  H  HaBf,v,f  chaoijR  CBCtft*  sana^fHi^; 
ferner   119,  5  ■/.uTea-Aiirwaa  fisrä  tlov  ay.rjvtouärcop  Kr^daQ  habitavi 


Die  griech.  Artikelkonstruktionen  in  der  altkirchenslav.  Psalterübers.      391 

cum  habitantibus  Cedar  Bkccah\"K  cirfk  kk  c(,\a  TtUhUA'k;  50,3  zar« 
TU  7r'/.i.d-o-;  tCjv  oi/.riouvjy  oov  secundum  multitudinem  miserationum 
tuarum  nc»  lifAimk  mhaocth  TßOfH;  72,  5  y.al  utrlc  uvd-QvJTtojy 
Ol)  uaüriycoO-t^ooiTca  et  cum  hominibus  non  flagellabuntur  h  ck 
HAKio  H(  npHHu;^T'k  paH'k;  77,  45  l^ccuaTsdei'  tig  aurovg 
■/.vi'üLiviar  misit  iu  eos  cynomyiam  iiocKAa  Ha  hi/A  nccki/A  MC>\,'Y'ki; 
78,  1  ei^svTO  'feQ0VGcc?.i]jii  eig  ömoQOfpvXd/.ioi'  posuerunt  Jerusalem 
in  pomorum  custodiam  noAO/KHUii/A  iiAEMa  IvKO  OBOiiiTKHOf  \ßA- 
HHAHiUTf;  91,  15  y.ca  evTTa&orj-reg  'iaoj'tai  et  bene  patientes  eriint 
H  A'^'^P''''  iipMfM/XkÄ^iiiTf  K;¥»,v,i^T'K;  104,  17  €lg  öoüluv  iTiQÜd-r] 
'[vjO)](f'  in  servum  venundatus  est  ß'k  paKOT;^  npo,v,aH'K  K'kict'K 
HOCHcIUi:  113,  12  =  134,  15  ra  s'idco'/.cc  tCov  Id^vCj)'^  aoyvoiov  y.ai 
yovaio)'  simulachra  gentium,  argentum  et  aurum  h^CAH  i^sk'K  ck- 
pcBp'KHM  H  3i\aTH.  Auf  einer  derartigen,  in  gewissen  engen  Grenzen 
sich  bewegenden  formalen  Selbständiglceit  der  ältesten  slavischen  Ueber- 
setzung  bernben  somit  meines  Eracbtens  aucli  jene  Satzkonstruktionen, 
durch  welche  die  substantivirten  Infinitive  des  Griechischen  wiederge- 
geben werden. 

Indessen  darf  man  sich  bei  der  Lösung  dieser  Frage  nicht  auf  den 
Psaltertext  beschränken.  Dieselben  Salzfügungen,  welche  wir  hier  an- 
getroflen  haben,  finden  wir  auch  in  dem  evangelischen  Texte  wieder. 
Dazu  ist  das  Material  viel  reichlicher  und  ermöglicht  eine  eingehendere 
Darstellung.  Endlich  sind  auch  die  Belege  für  die  formale  Selbständig- 
keit der  ältesten  Uebersetzuug  mannigfacher  und  reichhaltiger.  Wir 
wenden  uns  sonach  dem  Evangelientexte  zu. 

Fi:  Pastrneh. 


392 


Neues  You  der  cecliiscli-poluisclien  Sprachgrenze. 


n 

VjW^^ 

Der  in  dem  neuesten  V.  Bd. 
der  Materyaiy  antropol.-archeol. 
i  etnograiiczne  herausgegebene 
2.Theil  der  dialectologischen  Ma- 
teriale  »Powiesci  ludu  polskiego  na 
Slaskuc,  die  Luc.  Malinowski  im 
J.  18G9  bereits  in  Ober- Schlesien 
gesammelt  hatte  (vgl.  Archiv XXV, 
99),  enthält  nicht  ausschliesslich' 
Erzählungen  des  polnischen  Vol- 
kes, nicht  bloss  reichhaltiges  Ma- 
terial zur  polnischen  Dialectolo- 
gie,  sondern  auch  in  ziemlich 
starkem  Masse  Beiträge  zur 
cechoslavischenDialectolo- 
gie.  Diese  sollen  Gegenstand  fol- 
gender Besprechung  sein.  Sie 
haben  nicht  bloss  grossen  Werth 
für  die  cechoslavische  Dialectologle,  sondern  bieten  nicht  weniger  wertl  - 
volles  Material  für  eine  Frage,  die  neuerdings  eifrig  ventilirt  wurde,  näm- 
lich die  Frage  nach  der  Mischung  verwandter  benachbarter  Dialecte. 

Die  Aufzeichnungen  des  um  die  polnische  Sprachforschung  hoch- 
verdienten Gelehrten  zeichnen  sich  durch  ungewöhnliche  Sorgfalt  aut«, 
so  dass  sie  auch  dem  Stubengelehrten  als  verlässlicher  Stoff  zu  einge- 
henderen dialectologischen  Studien  dienen  können.  Freilich  stossen  wir 
bei  dem  Lesen  dieser  Aufzeichnungen  oftmals  auf  Wörter,  die  durch 
ihren  Wortlaut  hie  und  da  Zweifel  und  Unsicherheit  hervorrufen.  Das- 
selbe Wort,  dieselbe  Form  ist  nicht  selten  in  derselben  Erzählung  aus 
demselben  Munde  verschieden  aufgezeichnet.  Gleicherweise  in  den  Pro- 
ben der  cechoslavischen  Dialecte,  wie  auch  in  echt  polnischen  Texten. 
Z.  B.  in  einem  Text  aus  dem  Rgbz.  Gleiwitz  S.  157 f.  lesen  wir  neben- 
einander zyd  und  zyd,  gleicherweise  für  r  je  nachdem  s  oder  z:  J^aräus, 


Neues  von  der  cechisch-polnischeu  Sprachgrenze.  393 

do  faräza^  s  faräazem^  dzoizoma^  aber  auch  sfoozi/ic,  und  auch  r: 
pryili,  prysuo  Druckfehler  statt  pry6Uo],  pri/c/iodzi^  pry  ty  fare  und 
psy  mastecku^  einmal  auch:  o  tych  reraf  (Druckfehler?  statt  fecaf- 
recach).  Wir  können  da  nicht  immer  genau  unterscheiden,  ob  wir  hier 
wirkliche  verschiedene  Laute  in  der  lebenden  Sprache  anzunehmen 
haben,  oder  ob  wir  manche  Abweichungen  bloss  auf  Rechnung  des 
weniger  sorgfältigen  Correctors  setzen  sollen.  Vielfach,  besonders  bei 
der  Bezeichnung  der  Nasallaute,  können  wir  wohl  in  den  verschiedenen 
Aufzeichnungen  mehr  die  peinliche  Sorgfalt  erblicken,  mit  welcher 
Malinowski  die  Lautnuancen  schriftlich  zu  fixiren  bemüht  war. 

Wir  wollen  nun  die  einzelnen  uechoslavischen  Dialecte,  von  denen 
wir  in  Malinowski's  Buch  mehr  oder  weniger  zahlreiche  Proben  lesen, 
eingehender  besprechen.  Zuerst  finden  wir  Aufzeichnungen  in  einem 
cechoslavischen  Dialect  in  der  Ortschaft  Tworkau  Rgbz.  Ratibor.  Dieser 
Dialect  ist  ziemlich  stark  von  polnischen  Sprachelementeu  durchdrungen. 
Die  Proben  dieses  Dialectes  sind  ziemlich  reich  (S.  18 — 38)  und  wenig- 
stens zwei  Personen  entnommen,  so  viele  nämlich  nennt  Malinowski; 
bei  einer  ist  auch  deren  Alter,  21  Jahre,  angegeben. 

Vor  dem  ursprünglichen  und  dem  aus  ö  entwickelten  e  lauten  alle 
Consonanten  weich  bis  auf  die  Labialen:  präs.  1.  sg.  odheru  19,  3.  sg. 
bcre  33,  pec  36,  part.  prät.  act.  ved  21,  privezli  24,  celky  22,  vecer  26, 
mec  34,  7ned  18,  7nedu  13,  medzy  22,  kamen  36,  na  raniene  27,  do 
sehe  21,  dla  sehe  37 ;  vereinzelt:  dla  ceÖe  30,  Jia  ceÖe  31,  vepra  18.  — 
pes  19,  20,  pekelmjm  20,  myslivec  18,  21,  24,  ves  20,  22,  vereinzelt 
s  pekla  20,  do  pekia  27. 

Der  Laut  ^e  geht  nicht  wie  im  Poln.  in  gewissen  Fällen  in  'o  über, 
sondern  bleibt  unverändert,  bloss  vereinzelt  finden  wir  in  einer  einzigen 
Probe:  zony  37,  zöny  38,  na  veselc  byi  tez  prosony  38,  daneben  noch 
Fotr  26  neben  Fetr  27. 

Manchmal  kommt  a  statt  e  vor:  inano  24.27,  camu  mu  ten  prinös 
albo  skuci  to  vzoi  33,  camu  ön  ne  prijd^e  söm.  35. 

Für  e  finden  wir  dieselben  Laute  wie  in  den  csl.  Dialecten:  do 
mesta  18,  /es  21 ,  22,  ieter  33,  sveÜo  22,  sused  36,  ohjed  25,  za  tri 
Uta  21,  ve  dvöch  letach  19,  se  spovedali  19  u.  a.  Udu  21,  idlo  25, 
posnidal  26,  posnidali  i  po  tym  h'iidanu  29,  auch/erf/o  27,  medane  30, 
posi'iedali  30  u.  a. 

Selten  findet  sich  'a  füre:  Ut  19,  caleho  24,  calovali2^,  snädane 
26,  do  riiasta  36,  svadomy  38,  co  se  ou^mu  dzälo  30,  Üdla  29,  30, 


394  G.  Pollvka, 

und  auf  S.  31  neben  der  c-sl.  Form  mit  der  Anmerkung  des  Erzählers: 
pyrve  byia  jeny  jedna  osoba  medzy  iiemi  IjeUi^  bald  [Inilä  tojejedno) 
a  teraz  byly  vsycke  Uäle  abo  Hele  (jeden  pravi  häie  druhy  helft) . 

ä  hat  manchmal,  nicht  durchwegs  einen  labialen  Nachklang:  y«" 
19,  tr(i."pih' 18,  blä^zna  18,  M^zali  18,  zä^dnych  I9,dä^vn6  19,  präs. 
2  sg.  md'^s  IS,  paus kä"^  zahrada  18,  sedld^k  18,  vojd^k  25,  u.  a.  Da- 
neben kommt  aber  öfters  ä  ohne  diesen  Nachklang  vor.  Vor  w,  m  lautet 
d  wie  in  den  benachbarten  polnischen  Dialecten  wie  ö:  pön  18,  Pöm~ 
höh  27,  zbön  38,  söm  18,  söm  27,  impt.  stön  20,  30,  stönmy  19,  zo- 
stönmy  19,  präs.  1  sg.  möm  18,  dorn  19,  ^>os^^om  18,  ja  ie,  pytöm  20, 
1.  pl.  vydöme  19,  mömy  19,  21,  dat.  pl.  nöni  19,  vom  21,  zömeh  29, 
35  u.  a. 

Für  die  Nasalvocale  sind  fast  durchwegs  dieselben  Laute  wie  in 
der  csl.  Sprache.  Selten  kommen  daneben  Formen  mit  den  Nasalvocalen 
vor,  und  zwar  im  Ganzen  in  gewissen  Wörtern,  in  einer  gewissen  Reihe 
von  Wörtern. 

1.  Für  e  a)  pol.  'e:  prasata  18,  celata  20,  vaksu  19,  mcy  26,  28, 
nescaslivy  21,  nom.  pl.  masare  1\,polakaly  se  27  u  a. ,  hleddl  21. 
dzekoväl  3 1 . 

b)  pol.  'o:  gen.  pl.  prasdH  18,  trosia  34,  vzoi  23,  24,  26,  35,  30, 
38,  vzöl  23,  vzdH  20,  21,  23  ;  üio'V  18,  35,  36;  —potohnöil^,  rosio- 
hnull^,  roztdhnui '21. 

2.  Für  q  ist  gewöhnlich  u  z.  B.  huheti  35  huhnovac  35,  susedovi 
37,  u.  a.    Daneben  kommen  polnische  Formen  vor: 

1.  für  e  a)  poln.  "e:  pe'^c  20,  pehdzeso'^t  18,  p^entdk  36,  pej^tak 
36,  sventa  38  (Feiertag,  svatky),  kienty  P'otr  26,  sve^ty  P'etr  27, 
of'ara  ive^tä  19.  —  podzekuj  \%,  dla  ksendza  19,  carnokheznik  21,  ty 
zverynta  23,  zverenta  24,  zierenta  24,  dat.  pl.  zveryntöm  24. 

b)  poln.  ^o :  peno^dzy  27,  28,  31,  35;  peiW^dzy  19,  penö^-dze  26, 
31,  peno^^dze  19,  peno^'dzy  20,  penq'^dzy  36,  peno^dze  37,  penq- 
dzami  "i^,  pencf'dzami  36;  —  tysönc  36,  tysif'c  36,  tys6"'ce  36;  we- 
sq^cek  36,  majo^tek  21  \  v poröndku  31,  rö'^dzü  31,  vypor6"dzil  38, 
porondnejse  31 ;  —  kso"'zky  26,  ksözki  21,  26,  ksozky  26.  —  od  tych 
zveroH  24,  zierönt  25;  —  vycögnöm  35,  vycogli  35,  vyco"'gli  34,  «?y- 
cöngli  34,  vyc<f'gmic  34,  ohco'^gaia  34,  vyco^gac  34,  vycö'*^gnöl  24, 
zacq^gli  35,  nacogdi  26  neben  rostohnui  26. 

2.  für  a  a)  poln.  e:  prff^dko  20,  pre^tko  20,  y  pre^^dkosci  19, 


Neues  von  der  cecbisch-polnischen  Sprachgrenze.  395 

prendkö  \^,  pry7idko  18;  ne  v  yembu  ale  do  ruky  20  instr.  sg.  ge'"bum 
23 ;  gen.  pl.  z  ghnböü  29. 

b)  pola.  o:  aby  ci  nahotovai  kumpel  a  to  se  okiipeti  23;  mö'^drejsi 
'ii),  tri  iöpaty  zimneho  vögla  a  tri  lopaty  rozpalenebo  rör/la  20. 

Ausserdem  tiuden  wir  und  zwar  beständig  in  der  Endung  des  instr. 
ßg. :  se  svoj'öm  ruköm  pisdl  18,  s  ßinfö^'m  18,  kerum  cestöm  22,  io"^ 
stvyrtköm  36,  totn  mahcom  23,  z  velköni  sihim  34,  jaköm  smyrcöm  25, 
töm  cestom  32,  u.  a.  m.  —  za  sebum  37,  2a(.re)  seböm  20,  24,  ä  wo"* 
34.  —  In  der  Endung  der  3  präs.  pl.  söm  18,  38,  povezom  24,  pH- 
döm  19,  20,  nemozöm  18,  lezom  35,  pytajom  se  18,  mövöm  IS,  uzdra- 
vöm  28;  pytajom  se  19,  5Öm  29,  äo'"  35. 

Oft  lautet  so  der  acc.  sg.  fem.yö/«:  poznäi  hjij'öm  18,  tu  kravu 
iakjom  prived  21,  tuz  viol  j'ion  a  xhwljöm  o  zem  tag/om  zaräz  zab'il 
24;  äbnlich  wie  in  den  poln.  Dialecten,  Teschenyow,  Oppeln/o. 

Ausserdem  finden  wir  manchmal  in  der  Endung  des  acc.  sg.  bei 
den  a-Stämmen  neben  der  regelmässigen  auf  u  auch  a:  vyjäl  (wyjmui) 
tu  kartka  (tez  se  mövi  tu  kartku)  19  ;  jak  se  mii  umenic  za  kona  a  bo 
za  kravu  (abo  za  krava)  21,  co  chee  za  tu  kravu  [za  ta  krava)  21 ; 
povedzei  mu,  ze  .  .  .  .  ön  dostaje  polovica  a  on  tez  poiovica,  ale  ten 
zebrak  mu  ne  verii,  ze  dlä  sebe  vaksu  polovxcu  ich  zostavil  37.  Diese 
Form  ist  in  anderen  schlesisch-polnischen  Dialecten  bekannt  (Malinowski, 
Beiträge  zur  slav.  Dialectologie  I,  25)  und  drang  von  dort  jedenfalls  in 
diesen  Grenz-Dialect  ein. 

Endlich  soll  noch  bemerkt  werden,  dass  auch  secundär  entwickelte 
Nasallaute  in  diesem  Dialecte  von  Malinowski  gehört  wurden,  so  tZi  für 
tarn :  jak  tä  stäto  tuz;  tU  stäio  21,  to  tä  sei  do  te  chalupy  23,  ze  ta  so"^ 
35  ;  aus  potem:  poty  26,  poty^  33:  ans  tym  :  tyn  zverentom  24.  - —  z 
jake  pficiny  se  drake^^^  stal  20  ;  zcmknute  29,  odenknul  35  statt  odem- 
knul,  nq  nöc  zöstac  20. 

Für  r,  /  lautet  ähnlich  wie  im  sogenannten  lachischen  Dialect  (Bartos, 
Dialektologie  I,  107)  7-,  /  mit  einem  mehr  wenig  volltönenden  Beiiaute. 
Malinowski  suchte  ihn  auf  verschiedene  Weise,  mit  verschiedenen  Schrift- 
zeichen zu  fixiren.  Soviel  können  wir  aus  seinen  Aufzeichnungen 
achliessen,  dass  manchmal  das  vocalische  Element  neben  r  ziemlich 
schwach  klang,  doch  schien  die  Aussprache  selbst  bei  einem  und  dem- 
selben Individuum  stark  geschwankt  zu  haben.  Auch  die  Qualität  des 
vocalischen  Kebenlautes  ist  nicht  ganz  sicher,  gewöhnlich  wird  y  ge- 
achrieben,  doch  kommt  auch  i,  aber  seltener  vor.    Wir  dürfen  aber 


396  ^-  PoHvka, 

kaum  annehmen,  dass  dieser  mit  y  bezeichnete  Laut  dumpf  klang  ähn- 
lich dem  poln.  y,  und  wie  es  im  lachischen  Dialecte  lautet,  sondern  es 
war  eher  ein  heller  Laut,  der  sich  von  i  nur  dadurch  unterschied,  dass 
er  nicht  die  Mouillirung  der  vorausgehenden  Consonanten  bewirkte.  So 
finden  wir  also  in  diesen  Aufzeichnungen:  fvyrde  33,  stvyrfku  36, 
hyrcma  22,  25,  joo  kircmach  34,  kyrk  25,  29,  35,  roztyrhana  24,  roz- 
tyrhany  25,  rostyrhali  25,  7'ozterhany  25,  zrjrko  22,  t^rpUwy  18, 
ft/rne  38,  tyrnem  20;  dyrzi  20,  dtjrzyl  29,  obdyrzi  37.  vydyrzi  27; 
smyrci  19,  25,  pfi  smyrci  38;  /Jt/m  22;  pyrvy  21,  jo^/rs/  dzen  27; 
pyricen  33,  iym  pyrscenem  ?,^\  pyrscen  2A^  perscen  34,  pirscen  33, 
34,  s  tym  pirsce?'iem  35,  ku  vyrchu  24,  po  vyrchu  29;  na  tym  virchu 
34  ist  mit  der  Bezeichnung  des  v  vereinzelt. 

Weich  ist  t'^/X;  23,  25. 

Selten  kommen  polnische  Formen  vor,  beständig  ist  bardzo^  tvardy 
in  der  Bedeutung  Thaler,  ausserdem  garhec  18,  v  tych  gärneckach  23; 
s  tym  gär[n)kem  25,  do  gär  sei  24,  gardzic  35;  mrwe  29,  carno- 
kseznik  21;  vereinzelt  do  te  karcmy  25  bei  einem  Erzähler,  der  ge- 
wöhnlich kyrhna  sagte. 

Regelmässig  ist  für  psl.  tort^  tolt  übereinstimmend  mit  csl.  trat^ 
tlat:  zahrada  18,  hradzic  18,  vrata  29,  krava  20,  /^/as  19  u.  s.  w. 
Daneben  kommt  auch  die  Form  vor,  welche  für  das  poln.  charakte- 
ristisch ist.  Manchmal  ist  diese  üebereinstimmung  secundär,  dort  wo 
sich  0  aus  ä  oder  aus  a  in  geschlossener  Silbe  entwickelte,  wie  im  lachi- 
schen Dialecte  hiod-hladu  (Bartos  op.  c.  101),  z.  B.  gen.  pl.  Möv  21 
neben  gewöhnlichem  hiava;  so  wird  auch  zu  erklären  sein:  tu  oMövku 
21,  z  ohlöwköm  21,  gleicher  Weise:  v  krotkyni  case  19,  sablu  krotku 
24,  namiocili  37,  schronii  se  34,  poschrönali  38;  'oyorö^cU  18  (vgl. 
vzd^l  18),  prevrocil  21,  nawrocim  22,  oh'oceny  23  —  24,  impt.  vroi 
se  22  —  ebenso  im  lachischen  Dialecte  impt.  V7'oc^  mloc  (Bartos  op. 
c.  101). 

Daneben  kommen  natürlich  auch  unbestreitbare  Polonismen  vor, 
so  regelmässig  chiop^  kröl^  krolestvo\  ausserdem:  sromotnym.  20,  ein 
dem  csl.  fremdes  Wort.  Neben  dem  regelmässigen  zdravy  lesen  wir 
auch  zdrovy :  i  zas  byla  zdrovä  jako  pyrve  i  na  rano  kiupali  na  dv^ri 
(na  dveri)  i  ten  chtop  im  odevi-il  i  vidz^i,  ze  öna  jest  zdravä  28,  weiter 
auf  derselben  Seite  nur  zdravä  uzdravic,  —  to  rekni,  zech  jest  zdravä 
jagbych  se  na  novo  narodzila  to  se  tez  ty  chlope  okup,  jezis  ne  jes 
zdrovy  (popr.  zdravy)  23.  Vielleicht  ist  zdrovä  ein  blosser  Schreib- oder 


Neues  von  der  cechiscli-polnischen  Sprachgrenze.  397 

Druckfehler.  —  Neben  miady  kommt  mlochj  vor,  doch  hat  da  das  poln. 
Wort  eine  eigene  Bedeutung.  S.  25  lesen  wir  zu  »i  dtil  te  mloJc  pani« 
die  Anmerkung  y^mluile  to  miadzäta  —  a  mioda  pani  to  mloda«;  so 
wird  auch  S.  22  gesagt:  »hoiub  .  .  .  vlecil  mlode  pani  na  pyrsi«,  da- 
neben aber  wird  auch  in  einer  anderen  an  Polen  Ismen  reichen  Erzählung 
8.  38  die  csl.  Form  gebraucht:  sei  do  svojej  mladc  paui.  Neben  ein- 
ander kommt  vor  mlody  pön  25,  miodzi  panove  25,  und  aucli  mladij 
pön  S.  38.  Sonst  regelmässig:  vilea  miade  23,  vilkovi  mlademu  23, 
mlade  Ivy  23,  k  tym  dvema  mladym  23.  Für  das  poln.  povroz  wird  die 
Neubildung />roüa0  ^X^provöz  34  gebraucht.  Dagegen  ist  statt  des  csl. 
klobasa  wie  im  poln.  kelhasa  38.  —  Ein  Polonismus  ist  nejpröd  32 
neben  najpiedy  32,  nejpredy  32. 

üebereinstimmend  mit  dem  csl.  ist//  für  g'.  hranica  18,  horacJi  19, 
nöcUh  20,  ohen  29,  u  Boha  19,  pros  Boha  19  u.  a.,  aber  tomu  Buk 
naräz  da  19.  Statt  h  ist  manchmal  ch  geschrieben:  prechUdali  18, 
vi/c/i/ed(U  29,  shicha  29  neben  vyhlidäVl'd,  vyhJedal  29,  sluha  29,  auch 
umgekehrt  h  statt  ch:  jeden  byl  bohaty  a  druhy  byl  hudohny  35.  —  In 
Worten ,  die  dem  Poln.  entnommen  sind,  ist  auch  g  erhalten ;  wie  in 
den  an  den  betreffenden  Stellen  bereits  erwähnten:  gemba,  vycogac, 
gardzic,  garic,  garnec ,  ausserdem  in  rozgresene  19,  od  teho  hfychu 
[grijchu  vplyv  koscola)  31,  ganha  22,  zgac  26,  zgali  26,  zgrebnä  38 
neben  hrziÖa  38,  hriba  38,  ohfebila  38,  ghneio  29,  30,  velky  grzmot 
(bo  hrzmot  to  je  po  moravsku  bardz^)  30  —  eine  sehr  bezeichnende 
Aeusserung  des  Erzählers  —  ogöny  2  7,  diuheho  ogöna  32,  potkal  gada 
38,  pytäi  teho  svojeho  siugy  31  neben  siuha  in  derselben  Erzählung 
S.  29.  —  Einige  andere  phonetische  Eigenthümlichkeiten : 

Nach  m  fiel  i  aus:  mynär  22,  durchwegs  möi'ic.  Aus  der  Con- 
sonantengruppe  rnk\  s  teho  garka  25,  s  tym  gärkem  25.  Im  Anlaute  s : 
lzy2^. 

Assimilation:  krf^e  19,  vytrfäs  30,  tföj  20,  zachf^äl  34.  Im 
Satze  vor  einem  mit  einer  Media  anfangenden  Worte  :  chodz  by21 ,  dozdz 
daleko  34  Jag  bych  26,  tag  zas  29,  35,  Jag  zas  29,  30,  Jag  byly  29, 
tag  davny  cas  3 1 ;  ausserdem  ist  die  auslautende  Tenuis  in  die  Media 
übergegangen  auch  vor  vocalischem  Anlaut :  pröz  o  krölestvo  lieb'esk'e 
27.  Jezdz  a  pic  29,  gleichfalls  vor  Labialen:  puzdz  ine  27,  modz  vozöv 
31,  tag  mu  data  mec  34.  Doch  hielt  unser  Dialectolog  nicht  immer  die 
streng  phonetische  Schreibweise  inne,  so  schrieb  er  nieder  z.  B.  pod 
pec  37,  lödki   35   u.   a.     Durchwegs   ist  Dissimilation   eingetreten   in 


398  G.  Polivka, 

oj'cove  19,  20  u.  a.,  und  darnach  analogisch  noin.  sg.  ojcec  20,  22,  38, 
neben  öcec  19,  ihfijsce  19,  20  u.  a.  Es  kommt  auch  Umlaut  vor,  der- 
selbe wie  in  den  benachbarten  poln.  üialecten:  nejiac  20,  dockej  18, 
spowedejmy  se  19,  dejmy  19,  poznejce  21,  part.  prät.act.  II  znejd  34. 
nejd  38,  nej'dli  18  neben  ^fef/c/üa/ce  21  u.  a. 

Eigenthümlichkeiten  in  der  Wortbildung.  Nach  dem  Infinitiv- 
Stamm  wurde  gebildet  das  Präs.  1.  sg.  bydu  21,  22,  2.  sg.  hydzes  21, 
3.  sg.  hydze  18,  19,  21,  1.  pl.  bydzemy  19,  25,  3.  pl.  hydöm  19,  26; 
Impt.  bycce.  —  Nach  dem  Präs.  wurde  gebildet  das  Part.  prät.  act. 
nej'd  36,  kaj  se  tam  znejd  34,  nejdli  18.  —  Nach  der  II.  Classe  wurde 
gebildet  veznu  21,  22,  veznemy  ie  19  u.  a.;  ähnlich  odepia  22,  poeia 
27.  Eine  analogische  Neubildung  ist:  on  se  sebul  29  statt  zul.  Ein 
Polonismus  ist  das  Part.  prät.  act.  zezar  34  neben  zezräl  19,  wogegen 
in  polnischen  Dialecten  wie  im  csl.  die  Form  zral  vorkommt:  im  Tesche^ 
ner  zral^  Oppeln  zräu  (Bystron  0  mowie  pol.  w  dorzeczu  Stonawki  i 
iiUcyny  67). 

Ganz  unter  deutschem  Einflüsse  ist  der  Gebrauch  des  Part.  prät. 
pass.:  meso"cek  ne  by i  jesce  zejdzeny  36,  wie  auch  in  den  poln.  Dia- 
lecten, vgl.  Bystron  op.  c.  72. 

Der  polnische  Einfluss  macht  sich  natürlich  auch  im  Wortschatze 
dieses  Dialectes  geltend,  man  gebraucht  nicht  selten  nebeneinander  das 
im  Poln.  gebräuchlichere  Wort  und  das  csl.,  z.  B.  rec  statt  und  neben 
iec:  i  on  se  na  vsycky  te  recy  (abo  te  iecy)  dal  pozör  31 ;  —  mafzonka: 
jeho  princesu  dostanöm  za  maizonku  (abo  za  babu,  abo  za  malzonku,  to 
tu  je  poröndiiejse)  31.  —  ezi  by  kaj  nebyla  ves  (abo  dzedzina  jako  tu 
napisöm)  22. 

Aus  dem  Rgbz.  Ratibor  gehört  noch  in  das  cslav.  Sprachgebiet 
Owschütz  (S.  39 — 41).  Dieser  Dialect  stimmt  im  Ganzen  mit  dem  von 
Tworkau  überein,  doch  ist  das  polnische  Element  in  ihm  schwächer;  es 
wird  z.  B.  kral  39  gebraucht  —  einmal  aber  auch  do  teho  kröla  39, 
vielleicht  ein  Druckfehler,  wie  daselbst  relazoma  39  statt  retazoma 
(vgl.  Gebauer  Eist.  Mluv.  I,  392),  so  auch  zreUlne  66;  ohracil  s&  40. 
Aber  durchwegs  cMop  40,  chlopek  40. 

Für  ä  ist  reines  a,  auch  vor  m,  7i:  pan  39,  40,  sani  39,  zamku  40, 
nur  vereinzelt /*ow  40. 

Für  die  Nasallaute  sind  durchwegs  dieselben  Laute  wie  im  cslav., 
auch  in  der  Endung  der  3.  pl.  präs.  su  39,  4  0,  ebenso  bloss  knizku  40 
statt  der  im  Tworkan  gebräuchlichen  polnischen  Form. 


Neues  von  der  cechisch-polnischen  Sprachgrenze.  399 

Reines  r  klingt  auch  hier  nicht,  sondern  umyrlu  40,  rosfyrJia  40, 
V  te  kyrcme  40,  dY/rzec  40. 

Ausgefallen  ist  /:  mynar  39,  aber  771  f in  39  —  der  Unterschied 
zwischen  /  und  y  wurde  nicht  eingehalten ;  cunk('»v  39. 

Das  Prät.  wird  auf  die  in  der  csl.  Sprache  gebräuchliche  Weise 
umschrieben;  daneben  aber  auch  wie  in  den  benachbarten  lachischen 
und  poln.  Dialecten : /acÄ  uz  ne  liiel  nie,  tak  sem  mu  seblek  39.  —  Wie 
in  den  benachbarten  Dialecten  sind  auch  hier  gebräuchlich  die  um- 
schriebenen Formen:  choc  se77i  Ja  Je  hlupi  39,  my  su  tre  bratfi  39,  ze 
sce  SU  starsi  40.  —  Ein  Druckfehler  ist  gewiss  die  1.  sg.  präs.  ja  vas 
tu  n€  moza  nocovac  40. 

Aus  dem  Rgbz.  Leobschütz  finden  wir  hier  zuerst  zahlreiche  Auf- 
zeichnungen aus  Eiglau  (S.  41  f.).  Alle  sind  polnisch,  bloss  in  den 
Liedern,  die  Malinowski  von  demselben  Mann  hergesagt  wurden,  der 
ihm  einige  rein  polnische  Märchen  erzählte,  sind  starke  Bohemismen 
auffallend. 

Ausserdem  finden  sich  hier  Aufzeichnungen  aus  Karniöw  Jägern- 
dorf (S.  53 — 63).  Bloss  die  erste  ist  in  einem  polnischen  Dialect  ge- 
schrieben, alle  anderen  in  einem  cechoslavischen  Dialect,  der  freilich 
stark  dem  polnischen  Einflüsse  unterlegen  ist.  Leider  ist  nur  bei  einer 
einzigen  Erzählung  angegeben,  welcher  Person  sie  nachgeschrieben 
wurde.  Der  polnische  Einfluss  ist  in  den  einen  Texten  stärker  durch- 
gedrungen, in  anderen  weniger,  und  schwer  ist  zu  entscheiden,  inwie- 
fern der  sprachliche  Charakter  der  Texte  bloss  die  Sprache  eines  Indi- 
viduums wiedergibt,  auf  dessen  Sprache  verschiedene  Einflüsse  sich 
geltend  machen  konnten,  oder  inwiefern  der  Charakter  des  Dialectes 
einer  ganzen  Gegend  in  denselben  zum  Ausdrucke  kommt.  S.  56  lesen 
wir  das  Vaterunser  und  Gegrüsst  seist  du  in  reinem  csl. ,  bis  auf  einige 
wenige  dialectische  Abweichungen,  ö  statt  ä:  odpuscöme,  weiter  ojce 
und  instr.  sg.  stehimi.  S.  60 f.  ist  eine  kurze  Erzählung  gedruckt,  wo 
der  Erzähler  angemerkt  ist,  welcher,  wie  aus  dem  Inhalte  hervorgeht, 
aus  Baborov  (Bauerwitz)  stammte,  er  sagte:  y>tu pH  /ui"s  pH  Baho7-ove 
ho  hy^o  lesöv  7710c«.  In  diesem  Dialecte  nun  finden  wir  «"  für  ä\  zd"de7i, 
hospodä^re^  pH  7iä^s,  für  e,  für  die  Nafsallaute  dieselben  Laute  wie  im 
csl.,  p'et,  nsi pä^'iym  dzile,  uradzili,  bloss  in  der  3.  pl.  präs.  5wm,  idu77i, 
für  r:  na  stv'Jrfy77i.  dzile.  In  den  anderen  Texten  dringt  mehr  weniger 
der  polnische  Einfluss  durch.  In  der  Erzählung  S.  54  f.  kommt  neben 
mMcke77i^  7iaj77iktdsfc/tj  hlavu  ^\i,q\\  pokr6ce7iy^  tJro"c/c  vor,   doch  wird 


400  ^-  Polivka, 

hier  o,  ö"  sich  selbständig  aus  d  entwickelt  haben:  nazd"d,  pait,  prät. 
pä^d,  vgl.  auch  ftitro" la  neben  futrol,  po  futrolu.  Bloss  im  instr.  sg. 
s  kozum^  s  )'ium  könnten,  freilich  irrthümlich.  Reste  der  Nasalvocale  er- 
blickt werden.  Polonismen  sind:  vecör^  caiy,  nago,  glupi.  In  dem 
ersten  Texte  S.  55  kommen  dieselben  Polonismen  vor:  vecör^  caie, 
bardzo,  weiter  instr.  sg.  z  jeji  cerum,  s  viim.\  krd^^tho^  für  r  —  "^r: 
v^rcK ^  d^rzela.  In  dem  zweiten  Text  auf  S.  55  lesen  wir  den  unbestreit- 
baren Polonismus  gunkör^  und  die  halbpolnische  Form  sumsed.  —  Der 
erste  Text  S.  56  hat  gar  keine  Polonismen,  der  zweite  dortselbst  bloss 
glupi ^  daneben  aber  die  echt  csl.  Form  penize.  Dieses  "Wort  ist  in 
Tworkan,  Rgbz.  Ratibor  bloss  in  der  polnischen  Form  bekannt.  — 
S.  57  hat  der  erste  Text  den  Polonismus  porundzali ^  und  einen  ver- 
meintlichen Nasalvocal  in  der  analogischen  Form  instr.  sg.  s  hanhum\ 
regelmässig  ist  A,  vereinzelt  </:  nagich\  h  ist  abgefallen  na  rbece^  ze 
rbeta;  Metathesis:  zgmi  [rgmi]  st.  grmi\  für  |:  vilk^  für  das  deutsche 
ir\  hrsfengr  und  hxjrsf enger \  r  ist  ausgefallen:  tfä^'^  st.  trvä.  In  dem 
zweiten  Texte  auf  derselben  Seite  lesen  wir  die  bemerkenswerthe  An- 
gabe des  Erzählers:  mudri  [lub  mundri  to  je  j'edno],  ausserdem  die 
poln.  Form  hokcöl  neben  do  kosceia^  ku  temu  kosceiu\  regelmässig  ist 
/?,  welches  auch  ch  zu  lauten  scheint :  tri  mechy  clirachu ;  durch  Ana- 
logie wird  V  von  b  verdrängt:  poseblikali.  —  In  der  Erzählung  S.  58 
bis  59  finden  wir  wieder  die  Polonismen  siimseda^  gunsor,  gönsor, 
gunsör  und  daneben  auch  die  csl.  Form:  na  druhy  dzeii  pravii  gunsor 
ja^  tuz  polecim  s  ten'ii  dzivohemi(?)  husenia;  sonst  sind  die  Nasalvocale 
durchwegs  mit  reinen  Vocalen  vertreten,  bis  auf  3.  pl.  präs.  idum, 
trefium^  sum,  und  den  instr.  sg.  s  tebum.  Pol.  ist  chlop^  daneben 
hiava\  statt  dem  pol.  ketbasa  kommt  die  Form  na  kulbasach  vor.  Für 
e  ist  regelmässig  ^e,  vereinzelt  chcai\  regelmässig  ist  /i,  aber  dlugo, 
ogönkem^  zgnul  ho  tum  strachelclum  do  oka.  Abweichend  von  anderen 
benachbarten  Dialecten  wird  r  ausgesprochen:  vrch^  skrz  ceho  —  in 
dem  letzteren  Beispiel  ist  die  Assimilation  z-c  in  zc  (vielleicht  eher  sc) 
bemerkenswerth.  —  In  der  Legende  (S.  59  —  6ü)  kommt  die  csl.  Form 
svati  P'etr  vor,  wogegen  in  den  Dialecten  im  Bz.  Ratibor  die  poln.  Form 
svety  gebräuchlich  ist.  Neben  dem  gewöhnliehen  pön  Böh  kommt  ein- 
mal pön  Bök  vor  mit  der  bezeichnenden  Bemerkung  in  der  Klammer 
»  vyrazne  k  ne  h «,  Polnisch  ist  die  Begrüssung  pochvalony  Jezus  Kristus, 
sonst  die  csl.  Form  poruceno  Bohu.  Polnisch  ist  po  caiej  roli,  sonst  e 
für  e :   met.    Promiscue  wird  die  csl.  und  pol.  Form  gebraucht :  pHsli 


Neues  von  der  cechisch-polnischen  Sprachgrenze.  40 1 

ku  k^rhhe  abo  ku  karcihe.  —  Auch  in  dem  Märchen  S.  60  kommt  ein- 
mal die  pol.  Form  mundri  von,  sonst  nur  ein  vermeintlicher  Nasalismus 
im  instr.  sg. :  Jilavum,  riikum:  es  lautet  r:  zrnku,  und  daneben  auch 
poV'rhac,  regelmässig  ist  o"  für  d:  zff"Ief/a/c,  nebeneinander  vzaf  und 
vzof,  die  zweite  Form  wird  aber  bevorzugt:  »vzof  to  bud^e  sikovnejsic 
—  Häufig  sind  Nasalvocale  in  dem  Texte  S.  61 — 62:  sömiedöc  ^  sum- 
sedzi,  pospohaidzäf,  poczo"f/cu  (sie),  dal  to  maso  do  kumina  ncundzic, 
jaghylo  uvandzene,  daneben  vyfahnute,  s  pä^teho  stavenä",  deiet: 
sonst  nur  im  instr. sg.  tum  sehijrum,  ^iedsi77rcum,  3.pl.präs.s//w.  Pol. 
sind  cah,  chJop^  vecnr^  vielleicht  auch  ohröcU  se.  Es  lautet  r,  /: 
kf^mnik,  krk,  /iruec,  smrcujyi,  plny,  daneben  aber  anch p^lny  ten  h'-^r/uc 
(62),  k'Jrk,  zad'^rzec.  Es  lautet  bloss  /t ,  aber  daneben  rozitemök  .ve; 
ausgefallen  ist  // :  ve  rhet\  ceva,  od  tich  cevöc,  csecöv,  einmal  ist  auch 
treva  geschrieben.  —  In  der  letzten  Aufzeichnung  in  diesem  Dialede 
S.  62 — 63  kommt  mioidri  S.  63  neben  7nudn  am  Anfang  der  Erzählung 
vor;  sonst  nur  in  der  3.  pl.  präs.  su7n,  instr.  sg.  z  matkum.  Für  ä 
klingt  ä":  hracä^\  hospodä^'i\  2.sg.  rozhnicä^s^  3.  sg,  rozhnivä^]  vor 
w,  m:  jä"se  rozhnivöm.  Polnisch  ist  caly^  po  cahm  chodmku.  Für  r, 
/:  p-'rsi^  obd'Jrzef,  p-'hto  svetel ;  ausgefallen  ist  r:  do  kycmy,  ku  kycmc 
Für  einen  Polonismus  könnte  vielleicht  auch  mioucic,  vymlo^'cil  ge- 
halten werden ;  ohne  Zweifel  glupi.  Gen.  sg.  der  «-Stämme :  do  c/iahtpe, 
vzol  pa"ru  liiechöv  ?}U(kc .  hledac  sluzbe  neben  ue  dostal  s/uzby,  do 
kyhny.    Präs.  3.  sg.  chalupa  höre:  1.  pl.  sömesce. 

In  den  Bereich  der  csl.  Sprache  fällt  noch  die  Ortschaft  Stolzmütz 
(Tlustomosty)  desselben  Bezirkes ,  in  dessen  Dialecte  bloss  ein  einziges 
Märchen  niedergeschrieben  wurde  (S.  63 — 65).  Einige  Wörter  werden 
hier  ebenfalls  in  ihrer  polnischen  Form  gebraucht,  so  besonders  mit 
Nasalvoealen  :  inesunc  (64),  sundzic,  rozsundzic  neben  sudzic,  rozsiidzic, 
bei  dem  Worte  i>ud  ist  in  der  Klammer  (S.  64)  die  Bemerkung  »po  lyior. 
sud  a  po poh.  sumUi  beigefügt;  daneben  aber  in  der  csl.  Form  svatich^ 
penize]  wie  gewöhnlich  lautet  auch  hier  der  instr.  sg.  za  nuium,  nad 
fum  cenifn;  präs.  3.  pl.:  dovkajiim.  Eine  eigenthümliche  Spur  des 
Nasalvocals  hat  sich  noch  in  der  Form  ja"  dozvaJü  erhalten,  zu  welcher 
in  der  Klammer  beigefügt  ist  »popr.  dozvolim«;  wir  würden  wünschen 
zu  wissen,  wem  wir  dieses  »poprawiono«  zuzuschreiben  haben,  hat  sich 
der  Erzähler  da  etwa  selbst  verbessert?  Pol.  ist  chlop,  kröt,  koscöl. 
.daneben  do  koicehi.    Doch  auch  der  Einfluss  der  böhm.  Schriftsprache 

I        Archiv  für  slavisclie  Philolo^'ic.    XXV.  26 


402  G.  Polivkii, 

macht  sich  geltend,  wir  lesen  ii'iel  svojeho  lera  (Lehrer)  takoveho  uci- 
tela;  sonst  ist  durchwegs  die  Deutale  erweicht,  nom,  pl.  /w.sce  u.  a. 

Sehr  reichhaltig  sind  die  Aufzeichnungen  aus  der  Ortschaft  Petro- 
witz  desselben  Bezirkes  (S.  65 — 82).  Polonismen  kommen  verhältniss- 
mässig  weniger  vor.  Wir  finden  zwar  einige  Worte  mit  Nasalvocalen : 
mondri  G5,  mondrej'si  6(1,  wo"dräk  67,  poroiidzil  67,  sporzo'Hlzüa 
6S,  poro?idzaiy  73,  dal  mu  strasne  prez  gambu  68,  pod  jazyk  do 
ga^hy  75;  jak  byl  zajöncein  11,  zajq^^ca  natura  77,  klakla  na  kolena 
a  Idaca^cy  14,predcq  74,  möj  komarek  z  dymba  spad  81.  Am  häufigsten 
kommen  solche  Formen  in  dem  letzten  Texte  S.  82  vor,  welcher  ein  auf- 
fallendes Beispiel  einer  cech.-poln.  Mischsprache  gibt:  Vysel  mysliva- 
sek  z  rana  na  zajwicky,  nadesel  tan  dzevce  pod  jaborem  spg^^cy  .  .  . 
ona  pryndko  vstala  .  .  .  vidzi  myslivaska  na  (sie)  sebom  stojönceho  .  . . 
gdys  ty  se  mnum  spaia  .  .  .  poc  se  mnu  kcfdy  (abo  kady)  das  mi  jesce 
ganihy  dzi  odemue  dom  ja  ci  gämby  az  ci  tin  kamenem  vybiju  zamby 
(nebo  zuby)(f.  —  Aber  neben  diesen  Formen  finden  wir  in  andern 
Wörtern,  welche  in  den  andern  benachbarten  Dialecten  den  Nasalvocal 
nach  poln.  Weise  gewöhnlich  haben,  hier  einen  reinen  Vocal:  kniz  67 
—  das  ^e  in  i  verengt,  wie  es  in  den  sogen,  lachischen  Dialecten  ge- 
bräuchlich ist,  —  cernokniznik  66,  74,  knizactvo  7  6,  do  teho  knizaca 
76,  kniza  IS,  ve  svati  Scepön  67,  svacii  67.  Im  instr.  sg.  semnöm  68,  i 
aber  gewöhnlich  w.  ze  svoim  sluhu  68,  tez  se  tak  pomazät  tu  mascu  69,  j 
z  velku  bradu  70,  s  tu  söicku  68  z  velku  cazkoicu  74.  Die  3.pl.  präs. i 
endigt  regelmässig  auf  o,  welches  freilich  nicht  aus  o,  sondern  aus  ä  sichj 
entwickelt  hat:  v'sicy  .spo  68,  ci  mi  hroio  68,  rozmante  mysli  a  tesknica 
pHcJiodzo  72,  pnlecö  tii  kacice  72,  zrobio^  se  s  nich  tri  panny  72,  vsicy 
krico  78  u.  a.  Ebenso  ist  o  für  ä  aus  'e:  rzod  68  gegen  v  radze  ' 
gen.  pl.  kelenasce  soh  68,  uvozälech  68,  po  scozanu  70,  vzol  70,  d:ic-^ 
cotko  76,  78,  kacotko  11.  —  Regelmässig  sind  csl.  die  Formen  trat,j 
selten  pol.  trot:  ki'öl  78,  nebeneinander  kralostvo  und  krölostvo  in| 
demselben  Text  S.  78,  kralovny  78,  krcdovsku  potupu  78.  tri  princesy' 
kralovske  72;  chiop  72,  do  dloid  75.  In  anderen  ähnlichen  Formenl 
hat  sich  o  aus  ä  entwickelt:  do  vrot  74,  aber  pred  tima  vratama  74,| 
pHnavrocil  74,  pfevrocala  76,  vrocil  72.  Auch  hier  ist  durchwegs  die 
poln.  Form  caly.  cale  to  drevo  67,  po  calej  üBe  68,  caly  svet  74J 
caly  rok  74.  Vereinzelt  finden  wir  noch  kolana  neben  kolena  S.  74.1 
etwa  ein  Druckfehler? 

Selten  ist  g  statt  h  :  neben  gamba  kommt  noch  vor  striga ,  gium 


Neues  von  der  cechiscli-polnischen  Sprachgrenze.  403 

73.  oglupnul  73,  do  naga  72,  do  jeho  ojcöv  tag  nagä  pfez  haubii 
piisc  116  moze  7  2,  noclegaröm  68,  rozi'iemög  ü5.  dopomög  77,  aby  tö 
moglo  byc  7  7,  Pün  Bog  7(i. 

Reines  r  ist  sehr  selten  verzeichnet :  ku  k^köm  67  —  gewöhnlich 
AV/i- 68,  75,  liSikVrku  6S,  ki'rcma  68,  69,  m^'i-tveho  67,  77i''rtüi  75, 
na  v-'rchu  68,  o  te  ü"rchg  69,  ü-'rzeli  66,  ohd''rzit>  67,  vyd-'i'zi  72, 
jö^rse  74,  p'Jrsi?}i  78,  jo'V*/  77,  z^Jrnko  67,  i>m*Jiy  73.  75,  t'h'pec  75, 
/)'V//w  68;  manchmal  schrieb  Malinowski  Ä-^r/t  7  7,  do  tej  k''rcmy  70, 
m''rtci  7U,  do  v'^rchu  11 ,  p'Jrsu  noc  70,  m->lcec  66,  vereinzelt  do  cgrcliu 
66,  do  tej  kyrcmy  70.  Aus  dieser  Form  fiel  auch  ?•  aus:  kycmärka 
68,  69,  70.  Daneben  kommt  freilich  selten  die  poln.  Form  vor:  serce 
76,  79,  ku  svojemu  Ae;-c2<  78,  serdecne  78,  do  smerci  78.  Für  das 
secundäre  ^'  aus  deutschem  /r  finden  wir  gleichfalls  wie  dem  csl,  r 
gegenüber:  k'JrcJiof  67  na  tim  Uh'cliove  67.  Sonantisch  wurde  r  wie 
im  csl.:  trvalo  75.  —  Einmal  kommt  die  poln.  Form  vor:  jeho 
rodzony  ocec  78  neben  jeho  rodzeny  tacik  auf  derselben  Seite.  —  Es 
entwickelte  sich  dm  der  Lautgruppe  z{d)r:  dozdraleio  70,  uzdrii  73. 
Eigenthümlich  ist  die  Form  ue  dzbej  ua.  to  74.  Assimilation:  ve  velkej 
sfornosci  78,  sforno.sc  mazelsku  (sie)  7  5.  Umlaut:  juz  tam  dell  ue  bylo 
mozno  byc  78.  —  Analogieform  nach  den  ?"o-Stämmen:  to  maie  dzeco  77. 
Die  letzte  Ortschaft,  in  welcher  Malinowski  Material  zur  csl.  Dia- 
lectologie  aufzeichnete  ist  Jernau  (Jarovnüv  S.  82 — 85.  Nasalvocale 
sind  vereinzelt :  sumsedzi  85  jak  mu  se  uvqndzila  (krava)  84,  ausser  der 
3.  pl.  präs. :  sum  84,  pijum  83,  84,  dostanum  83,  pecum  84,  zijuni 
84,  Jiryzum  84,  und  instr.  sg.  s  num  84,  kukla  klucovum  (sie)  diurkum 

I  84,  z  hahum  85.  Secundär  entwickelte  sich  der  Nasalvocal  q  aus  om 
dat.  pl. :  vydlubac  ofco  vsicke  oka  83,  q  aus  am:  tq  84.  Sonst  sind  nur 
reine  Laute  wie  im  csl.  z.  B.  tela  peniz  83  mit  dem  in  i  verengten  ^e. 
Poln.  ist  vereinzelt  chcäl  83  neben  chcef^  welches  dreimal  auf  derselben 
Seite  vorkommt;  weiter  sano  85,  do  sana  84.    Für  ä  ist  gew.  «"  oder 

:  o:  vzoi  83  neben  vzali  83;  hieher  gehört  vielleicht  auch  uhrö^celo  se  83, 
Tnio^'cili  84.    Polnisch  ist  natürlich  cJtlop.  Für  r  wie  gew.  V'rhaly  84, 

'  vytyrhala  84,  tv^rdich  83,  einmal  kommt  vor  sk^rs  83.  Polnischer 
Weise  o  aus  e:  peconhu  84,  pecönku  84.  Neben  gew.  //  kommt  ver- 
einzelt g  vor:  ni  7nög  dostac  83,  Pön  Bog  82  neben  BoJia  S3,  z  Bohem 

■  83.  C//  lautete  manchmal  wie  h:  hudobni  82,  Mop  84,  85.  Ausgefallen 
ist  d  in  der  Gruppe  f/7:  krä^'ia^  kräHi  84  statt  kradia,  -i.  Es  ist/  ein- 
gedrungen: sla  tu  kozu  paJHc  85,  auch  mit  o  aus  a:  ku"zaia  tej  druhej 

!  26* 


404  G.  Polivka, 

dzo"tieju  pojsc  85.  Abweichend  vom  poln.,  übereinstimmend  mit  6sl. 
x^i  protä^^zeh  84.  —  Deutscher  Einfluss  wirkte  auch  zersetzend:  a  e^li 
umrici  smn  84. 

In  anderen  oberschlesisclien  Bezirken,  wo  Malinowski  sein  reiches 
Material  sammelte,  kommen  keine  Reste  cslav.  Dlalecte  mehr  vor,  auch 
sonstige  Einflüsse  des  cslav.  Elementes  machen  sich  selbst  in  den  an- 
grenzenden Dialecten  ganz  unbedeutend  geltend.  Wir  können  sie  nur 
feststellen  in  einigen  wenigen  Liedern  aus  Rakow  im  Bz.  Leobschütz 
S.  85,  im  1.  Liede  ohliida  (sie)  se  zas  ze  strumj  na  stra^iu^  besonders 
im  2.  Liede:  ByJ  tejz  jedön  pivovarek,  menovjil'  se  Vencel  Sladek  .  .  . 
stery  leta  spolem  zili,  na  pa!^ti  rok  sina  riieli  u.  s.  w. 

Wir  hatten  bisher  sehr  ungenügende  Kenntniss  von  diesen  Grenz- 
dialecten.  Wir  waren  nur  auf  die  geringfügigen  Texte  in  der  Dialecto- 
logie  Sembera's  angewiesen,  und  die  scheinen  nicht  besonders  verlässig 
zu  sein,  besonders  das  Beispiel  aus  Bavorov  (Bauerwitz)  S.  120  scheint 
uns  nicht  ein  treues  Bild  der  wirklichen  Volkssprache  dieses  Ortes  zu 
bieten.  Fr.  Bartos  versuchte  zwar  auch  diese  Dialecte,  wenigstens  den 
an  der  Grenze  von  österr.  Schlesien  zu  studiren  (Dialectologie  mor.  1. 
134),  doch  die  ersten  Hindernisse,  an  die  er  bei  nationalen  Fanatikern 
stiess,  schreckten  ihn  von  weiteren  Versuchen  ab.  Desto  grösseren 
Dank  schuldet  die  böhmische  Philologie  den  Herausgebern  der  Nach- 
lassenschaft Malinowski's.  Freilich  bieten  uns  diese  Aufzeichnungen 
ein  Bild  dieser  Dialecte,  welches  eigentlich  bereits  vor  30  Jahren  richtig 
war.  In  dieser  Zeit  werden  wahrscheinlich  in  der  neu  herangewachsenen 
Generation  nicht  unbedeutende  Sprachveränderungen  vor  sich  gegangen 
sein.  In  neuerer  Zeit  beschäftigt  sich  mit  dieser  cechoslavischen  Be- 
völkerung in  PreussischOber-Schlesien  Herr  Jan  Vyhlidal,  doch  mehr 
als  Ethnograph.  In  seinen  bisherigen  Arbeiten  theilte  er  ziemlich  wenige 
Texte  mit,  sodass  wir  uns  daraus  ein  kaum  genügendes  Bild  dieses 
Dialectes  machen  können.  Es  sind  hier  zwei  Schriften  besonders  zu  er- 
wähnen: L  das  Buch  Cechove  v  pruskem  Slezsku.  V  Kromerizi.  Nä- 
kladem  V.  Povondry.  1900.  Der  Charakteristik  der  Volksliteratur  ist 
ein  kurzes  Capitel  S.  74  —  83  gewidmet.  Die  hier  mitgetheilten  zwei 
Erzählungen  und  etliche  Lieder  bieten  weniges,  was  von  den  sogenannten 
lachischen  Dialecten  abweichen  würde,  instr.  sg.  sebum^  ohid  und  auch 
po  ohide]  aus  Branitz  (S.  7  7)  unweit  von  der  Österreich.  Gxqwzq  Joden. 
Auch  die  bei  der  Beschreibung  der  einzelnen  Jahresfeste  mitgetheilten 
Lieder  bieten  verhältnissmässig  wenig:  Kobernitz  S.  42  instr.  sg.  sva- 


Neues  von  der  cechisch-polnischen  Sprachgrenze.  405 

tum  krvjum,  Bauer witz  S.  44  dat.  pl.  carovtiicum,  Branitz  S.  3  7  peco- 
neho  holubka.  Am  meisten  charakteristisch  ist  eine  vom  Verfasser  aus 
einer  oberschlesischen  Volksschule  erzählte  »wirkliche«  Begebenheit 
(S.  62).  Als  nämlich  in  einem  böhmischen  Dorfe  (»v  cesk^  dcdine«)  der 
Schulinspector  einen  Knaben  den  Anfang  des  Liedes  »Sei  uns  gegrüsst, 
du  schöner  Wald«  übersetzen  Hess,  sagte  dieser  r)zaJonc  ogrys  sumny  les«. 
Leider  ist  das  Dorf  nicht  genannt.  Nacli  diesem  zajonc  scheint  es 
kaum  »böhmisch«  zu  sein.  In  einer  anderen  Schule  in  Kranowitz  reci- 
tirle  ein  Schüler  das  Lied  »Sum,  sum,  sum,  Bienchen  summ  herum«  die 
andere  Stunde:  »Zum,  zum,  zum,  galaty  se  drum  .  .  .«  (S.  62).  Von 
der  Kirche  in  Beneschau  nahe  an  der  Österreich.  Grenze  citirt  der  Ver- 
fasser (S.  9)  ein  eigenes  Lied  « Benesovsky  kostelicku,  stojis  na  peknem 
kopecku,  vytjhindajl  panny  z  tebe,  jako  anjelove  z  nebe«;  die  halb- 
polnische  Form  vyghmdaji  nimmt  sich  sonderbar  neben  dem  sonstigen 
ganz  schriftböhmischen  Charakter  des  Liedes  aus. 

2.  Verhältnissmässig  mehr  Material  bietet  ein  anderer  Aufsatz  des- 
selben Verfassers:  »Zapomenuty  cesky  kout.  Slovo  o  Cesich  v  prusk^m 
Slezsku«  Osveta  XXXI,  1901.  S.  289  f.,  4S5f.  Hier  finden  wir  S.  298 
ein  Weihnachtslied  aus  Jarohnev  (=  Jarovnov  ==  Jernau)  bei  Bauer- 
wjfz  in  einer  cechopolnischen  Mischsprache:  ya/b/  (wohl  eher  jauoi); 
pastuskove  se  polenkali,  na  kolenka  poklt'kali,  pacholrt"tko.  Mehr 
Nasalismen  finden  wir  in  dem  an  derselben  Stelle  abgedruckten  Weih- 
nachtslied, aus  einem  anderen  Orte  Sulkov  =  Zulkowitz  bei  Bauerwitz  : 
acc.  sg.  Jcolendeikiwi,  pl.  kolendecky,  (j  für  h  :  yoti/jes,  gospodd"ru 
neben  /lospoda^'rovi ,  Boga\  doch  1.  sg.  präs.  gotuju.  Der  Verfasser 
will  in  diesem  Liedclien  einen  Beweis  dafür  erblicken,  dass  diese  Ort- 
schaff eher  böhmisch  als  polnisch  ist,  für  welches  sie  gewöhnlich  ge- 
balten wird.  Nach  diesem  Liedclien  zu  urtheilen,  haben  wir  es  auch  da 
mit  einer  Mischsprache  zu  thuu.  Dasselbe  gilt  von  den  S.  491  f.  mit- 
getheilten  Liedchen  aus  der  Bauerwitzer  Sprachinsel,  auch  in  diesem 
treffen  wir  neben  csl.  oder  speciösch  lachischen  Spracheigenthümlichen 
offenbare  Polonismen  z.  B.  in  einem  Soldatenlied:  Svicila  se  hvezda  od 
'jasna  do  jasna,  hunili  tam  Benedeka  od  rniasta  do  miasta\  prvijs  mi 
da"vol  sa7io  a  ovjes,  in  einem  Liebeslied:  Ne  vid/'elach  kochanecka  ju2 
caly  tydzin;  srdce  sobech  ustarala;  in  einem  Kinderlied  .  .  .  carovnica 
■metlum  iv\c\,jasfh(mb  leci  nedol- ci,  ptacek  leci,  ten  doleci; — Durch- 
wegs lautet  die  Endung  der  3.  pl.  präs.  -um:  idum,  majum,  starajum, 
äum  u.  a.,  so  auch  die  2.  pl.  präs. :  hvezdecky  .  .  co  ,sce  sum  jasnusky. 


406      Gr.  Polivka,  Neues  von  der  cechisch-polnischen  Sprachgrenze. 

Gleichfalls  lautet  so  die  3.  pl.  präs.  in  den  Liedern  aus  Hultschiu 
(S.  485  f.)  unweit  von  der  österr.  Grenze:  sura,  svitajum,  padajum,  i^- 
dzum  u.  a.  Da  lesen  wir  unläugbare  Polonismen :  Na  nasim  raa^jicku 
4ed/'i  zaju?ic,  robi  nuzkama  pr epletajunc ,  neben  für  das  csl.  charakte- 
ristische Phonemen:  drahe  caay,  vrata,  zlata  u.  a. ,  li  und^:  pani  /^ospo- 
dynka  sedzum  na  ru^  stola. 

Die  von  Vyhlidal  im  Cesky  Lid  X,  153  f.  in  verschiedenen  Ort- 
schaften Preussisch-Schlesiens  aufgezeichneten  Weihnachtslieder  weisen 
keine  bemerkenswertheren  Eigenthümlichkeiten  auf. 

Aus  diesen  von  Vyhlidal  angeführten  Liedern  kann  man  sich  kaum 
ein  Bild  von  diesen  Dialecten  bilden,  da  es  ja  sehr  schwer  ist  zu  ent- 
scheiden, wie  weit  in  denselben  Liedern  der  wirkliche  Dialeet  sich 
spiegelt.  Vielmehr  ist  darin  Kreuzung  verschiedener  Spracheinflüsse  zu 
constatiren,  der  csl.  Schriftsprache,  besonders  in  den  religiösen  Lie- 
dern wie  auch  den  verschiedenen  festlichen  Liedern,  mit  den  Local- 
dialecten,  und  daneben  auch  der  polnischen  Sprache,  vielleicht  Üeber- 
nahme  einzelner  Lieder  und  Verse. 

Die  Ortschaften,  aus  welchen  wir  nun  mehr  oder  weniger  dialecto- 
logische  Materialien  besitzen,  liegen  fast  durchwegs  an  der  Sprach- 
grenze, an  der  Zinna  (vgl.  Tetzner,  Die  Slawen  in  Deutschland  S.  270), 
nur  Tworkau,  in  dessen  Sprache  der  polnische  Einfluss  sich  am  stärk- 
sten äusserte,  liegt  etwas  südlicher  von  diesem  Flusse;  nahe  dabei 
Owschütz,  wo  der  polnische  Einfluss  bereits  schwach  ist.  Künftigen 
Forschern  bleibt  also  besonders  die  gründliche  Erforschung  des  Dialec- 
tes  in  den  Ortschaften  westlich  von  der  Oder  zwischen  der  Zinna  und 
der  Oppa  vorbehalten.  Aus  Tetzner's  Werk  konnten  wir  natürlich 
nichts  zu  unseren  Zwecken  entnehmen,  ein  »Tscharotenitza«,  ein 
»Dsefdscha«  ist  fast  räthselhaft.  Das  beigefügte  «mährische«  Vater- 
unser nach  der  Aussprache  in  Nassiedel  bietet  nichts  bemerkenswerthes. 

G.  Polivka. 


407 


Die  Mundart  der  (leiieud  von  Ulierci  bei  Lisko. 


Bekanntlich  sind  die  Mund- 
arten einer  Sprache  nicht  ganz 
scharf  und  strenge  von  einander 
geschieden ,  indem  zahlreiche 
Uebergänge,  namentlich  an  den 
Grenz-  oder  Saumlinien  der  Ge- 
biete einzelner  Mundai-ten  auf- 
treten und  auf  diese  Weise  die 
Gültigkeit  des  Spruches  saltus  non 
datur  in  natura  bewähren. 

So  ist  es  auch  mit  der  lem- 
kischen  Mundart  in  Galizien.  In 
den  am  meisten  gegen  Westen  vor- 
gerückten ,  an  das  Masurengebiet 
grenzenden  Gegenden  zeigt  die 
Sprache  der  Lemken  im  gewissen 
'^-va..^^^/  Grade  den  Einfiuss  des  masu- 
/  rischen  Idioms,  welches  wiederum 
seinerseits  auch  vom  lemkischen 
beeinflusst  wird.  Im  Osten,  wo  die  Lemken  an  die  Doly  und  Bojken 
stossen.  lässt  sich  der  Einfiuss  desContactes  auf  beiden  Seiten  erkennen. 
Das  Lemkische  nimmt  manche  Eigenthümlichkeiten  von  den  benach- 
barten ruthenischen  Dialekten  auf,  die  auch  einige  Eigenheiten  von  der 
lemkischen  Mundart  übernehmen.  In  der  Mundart  der  galizischen 
Lemken  ihrer  Hauptmasse  nach  ist  der  Accent  stabil,  d.  h.  in  zwei- 
silbigen Worten  wird  stets  die  erste,  in  drei-  und  mehrsilbigen  stets  die 
vorletzte  Silbe  betont  z.  B.  Boja.  ^i.ioBeK,  kliiiiit;  mo.ioko  ,  nopocTary- 
BaTH.  Doch  je  weiter  wir  in  dem  Lemkengebiete  nach  Osten  schreiten, 
desto  öfter  begegnen  wir  einzelnen  Worten  und  Wortformen  mit  beweg- 
lichem Accent,  die  aber  oft  ganz  anders,  als  im  Gemeinruthenischen 
betont  werden  —  bis  endlich  der  mobile  Accent  allgemein  wird  und  die 
bezügliche  Mundart  die  charakteristischen  Merkmale  des  Lemkischen 
grösstentheils  einbüsst,  ohne  eben  auch  die  Merkmale  der  angrenzenden 


408  I-  Werchratskij, 

Mundarten  prägnant  zu  zeigen.    Es  entstehen  auf  diese  Weise  im  ge- 
wissen Grade  Misch-  oder  Uebergangsdialekte.  Als  einen  solchen  dürfen    j 
wir  auch  den  Dialekt  der  Gegend  von  Uherci  bei  Lisko  bezeichnen. 

Manchen  Eigenheiten  der  lemkischen  Mundart  begegnen  wir  in 
diesem  Dialekte,  namentlich  li  nach  Gutturalen:  rLiiiyTii,  xLi>Ka, 
coKwpa;  nom.plur.  ptnlaKLi,  acanopoiiKM,  c.iiibkli.  —  afür  ez. B.: 
,iamo  ^=  lemk.  ^amTo;  ,T,uÖAe  Y.  =  gruth.  ,T,e-He-Ae.  —  a  in:  'lae, 
iiiiinKa,  ;i,yina,  jKaTH.  —  h  in  ca,  BUMa,  3ihco,  rjraAaTH,  noiwa- 
iiyTH,  öypa,  öo^napa,  xji6nij,a,  Kici^a  (genit.  v.  KÖceuft)  =  Kocei];ij 

Mäher): iu\a  (=  psl.  -HiJ^a)  in  nmeiii'ma,  rpiMHHii;a,  rojiy6Mu;a, 

3aBa.itiiHi];a. a  =  psl.  Hi€  z.B.  Becti.ia,  .^licTa.  — Lip  fürasl. 

p'K :  AwpBa^,  rtipTUHt,  oötipBLi.  —  i  für  lo:  öpix.  — xh  statt  Ji: 
noHe;i;Li.7ii,oK  f.  noHe^iJOK.  —  Die  Formen  TpLOx,  TpbOM,  iutli- 
ptox,  luTLipbOM;  Formen  der  1.  Pers.  plur.  präs.  auf  nie  z.  B.  x6- 
;;H3ie,  poöii-Ms,  öepeme,  iiastiBaMe.  —  ausschliesslich  volllautende 
Formen:  oöojiona,  Tepesöwii,  yejieHOK. 

Doch  finden  wir  auch  Eigenthümlichkeiten  der  benachbarten  doli- 
scben  Mundart:  y  wechselt  mit  o:  Bypyöejt  und  Bopoöejit,  öjiyxä 

neben  öjioxa,  Kycei];b  neben  Koceu;t,  yxei^i.  neben  0Tei;b  (es  ist  gleich- 
sam ein  Mittellaut  zwischen  o  und  y,  den  wir  mit  ö  bezeichnen  wollen): 
der  vokalische  Anlaut  wird  meistens  gemieden:  iiiHefi,  boko,  BOBaA: 
BojiOBO  Blei,  BO^bina,  ropix,  Byxo,  By^apuTii;  Genit.  Plur.  der 
Subst.  gen.  fem. :  öaöiB,  cecTpiB,  BspöiB;  die  Endung -mo  in  der 
1.  Pers.  Plur.  Präs. ,   die  nt-ben  der  lemk.  -ms  gebraucht  wird:  iiaati- 

BaMO,  AaMo.    Einige  Erscheinungen  erinnern  an  das  bojkische  Idiom 

i'i  II  /.  .  • 

z.  B,  der  weiche  Ausgang  in  xjionei^b,   Kpiiryjieixb  ;  die  Innnitiv- 

formen:  yMepeTii,  enepexH,  ^epeTn;  die  harten  Formen:  ciiHbiii, 

ciiiia,  ciiHe;  Tpexbiii,  Tpexa,  xpexe. 

Als  specielle  Formen  in  diesem  Mischdialekt  wären  wohl  hervor- 
zuheben :  Kanixii,  xaöa.  jia^aK,  öiniaBHO  f.  gruth.  khiiixk,  xiiöa, 
.iiiyaK.  ÖHiiHBHO,  sodann  M^cypnxH  für  das  allgemein  bei  den  Rutbenen 
gebrauchte  acMypnxH. 

Viele  für  das  Lemkische  charakteristische  Worte  und  Wortformen 
werden  hier  nicht  gebraucht.  Statt  lemk.  .leM  (=  nur)  gebraucht  man 
hier  xLibKO  oder  iho;  statt  apeii;  —  ayMiiib;  statt  KonpnBa  —  Kpo- 
iiiiBa;  statt  mxo  —  ni;o;  statt  rycjii  —  cKpiinKbi;  statt  ^exLip^ecaT, 
iioxbip,T,eeax  —  copoK.    Neben  nonep  genit.  noiipio  sagt  man  auch 


Die  Mundart  der  Gegend  von  Uherci  bei  Liskö.  409 

nepei^(t),  nepi;K);  neben  xLiaca  (wie  bei  den  Lemken)  ist  auch  xa.iyna 
gebräuchlich.  Statt  lemk.  rBopiiTii  spricht  man  lOßopiiTii  lokal  laBO- 
piiTii;  statt  lemk.  'i.iOBeK  —  'io.iobik. 

Grutb.  Formen  öyxn,  öyy,  öy.ia,  öy.io  lauten  hier:  ölith,  ÖLiy, 
ubi.ia,  6  LI  .10. 

Der  Acceut  der  Bylakeu  um  Uherci  bei  Lisko  ist  mobil.  Doch 
gibt  es  eine  beträchtliche  Anzahl  Wörter  und  Wortformen ,  die  anders 
als  im  Grutb.  betont  werden.  So  fallen  als  Paroxytona  auf:  sö^a, 
ßecbiAa,  cona,  /lApo,  cyniio,  Bepöa  .  .  .  für  gruth.  BO^a,  öeciAa. 
coBa,  H^ipo,  cyKiio,  nepöd;  s.iOBiiy  Koxa  f.  s.tobhb  KOTa;  u;o  Besem  f. 
mo  Be3eui.  Hingegen  werden  manche  Wörter,  die  im  Gruth.  Paroxytona 
abgeben,  osytonirt:  xy^a,  xepesötiil,  BepxiiniiKa  f.  gruth.  xyqa, 
XBepe3iiii.  BepxiiniiKa. 

Das  vorliegende  Sprachmaterial  sammelte  ich  Ende  August  1S97 
auf  meiner  Rückreise  aus  Nordungarn,  wo  ich  die  Mundarten  der  unga- 
rischen Lemaken  an  Ort  und  Stelle  studierte.  Auf  der  erwähnten  Rück- 
reise besuchte  ich  damals  folgende  Ortschaften  in  Galizien:  1.  Uherci 
(bei  Lisko),  2.  Bibrka.  3.  Polaneyk,  4.  tobizwa,  5.  Ustianowa. 

Erklärung  der  Abkürzungen :  B.  =  EiöpKa.  —  Ä.  =  .loöisBa. 
n.  —  IIo.iHuyiiK.  —  y.  =  yrepi],bi.  —  Ye.  =  YcxHHOBa. 

A.  Grammatik. 

1.  Zur  Lautlehre. 

Vocalismus.    i  (aus  o,  e  oder  i).     Im  Allgemeinen  wird  o  in  i 
,  gedehnt  in  Wörtern  wie:   cxiy   (psl.  ctoa^k),  kihl  (psl.  KOHbi,  ^a- 

;  piBHHK  (psl.   MapOKkHHK'k),    Kix    geuit.  KOXa,  CBiniB   (psl.   CKIHOBT».), 

I  Öiß  CH  (psl.  KOH  CA),  Bin  nimöy  (psl.  oh'k  nomKA'K  »€cti»). 

In  einigen  Ausdrücken  wird  h  statt  i  gehört  z.  B.  bli,t,kli  ä.  = 
gruth.  Bi;;Kii,   lemk.  OAKa.ib    oxKa.ib)  z.  B.  bliaklt  bm  npnuuii?  woher 
j  seid  ihr  gekommen?    lemk.  OAKa.ib  exe  nprim.m? 

e  wird  hie  und  da  in  einigen  wenigen  Ausdrücken  in  lo  statt  in  i 
gedehnt  z.  B.  ntiBiopKa  Y.  (psl.  B'KBcpHi^a;  doch  in  E.  BLißipKa).  — 
I  .Tio;i;  Y.  psl.  ^(^,'K^  doch  in  Yc.  .ibi^. 

a  für  i  (=  i)  tritt  auf  in  dem  Ausdrucke  mi.iKOM  Yc,  pol.  calkiem, 
;  grutb.  ubi.iKO.M  s-anz. 


410  I-  Werchratskij, 

Den  mittleren  ii-Laut  hört  man  deutlich  in  den  Worten:  hiixto 
Ye.  gruth.  hixto.  —  mm.  ao  miKoro.  iia  ini'i  Yc.  zu  nichts,  gruth,  u'i 
iia  ii;o. 

a  für  11  (lt):  KaniTH  Y.  Yc.  =  lemk.  Kanixii,  gruth.  KiiniTH.  no^a 
Kani'iT  y.  =  gruth.  Bo^a  KnnHTh.  BOAa  io5K  cKaniJia  Y.  =  gruth.  BO^a 
B5Ke  cKiini.ia;  Kan>iqa  Bo^a  Yc,  gruth.  KHiiOTa  BO^a  siedendes  Wasser. 

—  xaöa  E.  f.  XHÖa,  lemk.  xtiöa:  y  nac  iieMa  rojiyuiB  ciiiiLix,  xaöa 
>iK  ;;a  bh^kh  3a.ieTflT  E.  bei  uns  nisten  keine  Hohltauben,  höchstens 
fliegen  manchmal  einige  herüber.  —  JianuK  E.  für  jin^iaK  »jinnoBKa  3 
.iMKa«.  —  uiBat'aTH  Yc.  st.  mBiiraTu  geissein,  peitschen,  schlagen. 
Bin  uiBafax  öh^ch  Yc.  er  schlägt  mit  der  Peitsche.  —  ÖHuäsHO  Yc. 
Peitschenstiel,  f.  öiniiiBHO. 

Nach  Gutturalen  wird  li  gesetzt:  coKLipa  Y.  psl.  C'SK'wpa.  — 
xwaca  Ä.  psl.  \"KiJKa. —  tlihyth  Y.  rtiÖHyxH  Ä.  psl.  r'KiKH/TiTH^ 

.jriimKti  Y.  (Nom.plur.  v.  jiHuiKa)  Füchse.  —  ^poÖÄSKH  Y.  kleine 

Sachen.  —  ptTjiHKti  Y.  Rüssel  (Nom.  sing.  pLijiaK).  —  öopcyKLi  Y. 
Dachse.  —  mnaKti  Y.  Staare.  —  KponHBHHKLi  Y.  Waldsänger,  Sil- 
viae.  —  mynaKti  Y.  Hechte.  —  luanKH  Y.  —  .lacTiBKti  Y.  —  | 
MyuiKti  Y.  —  4>iHi[KBi  Y.  Veilchen.  —  cjhbkm  Y.  —  a^aBopoHKti  fc 
E.  —  jKoyxypKti  E.  —  BoyKti  II.  Wölfe.  —  Ai'pKb'i  Yc.  Löcher.  ( 

fii  im  Anlaute:  äiHeit  Ä.  psl.  hhhh.  —  iliiK  11.  Ä.  psl.  leHJk. 

H  für  und  neben  i  (=  asl.  'S):  jiaraxH  .71.  für  und  neben  .ibiraxH 
psl.  A-sraTH. 

Anlautendes  e  erhält  sich:  e^en  psl.  le/ljHHTk,  gruth.  oahh,  o;i;eH. 

—  i  für  anlautendes  e :  in],e,  ini,H  Ä.  für  eiii,e,  iu,e,  psl.  leujTf.  —  für  e 
(==  asl.  k)  ein  Mittellaut  zwischen  e  und  h,  welchen  wir  mit  e  bezeichnen 

l'l  II  VI 

wollen:  oxei];L  .a.psl. otku^k.  —  ashb  psl.  ,a,kHh.  —  pa6ei];i.II.  Eber- 
esche, Sorbus. 

a.  entspricht  dem  Suffixe  -Hi€  im  Asl.:  Bojiocfl  Ä.  collect.  Haare. 

—  CBMixi  psl.  CTvlUlfTHie  fimus.  —  Becbi.ifl  Y.  —  Doch  nach  ^i  er- 
hält sich  mitunter  e  z.  B.  caMO  nme  Y.  lauter  Stengel  (mit  Blättern),  I  ■ 
während  in  E.  ru^ia  gesprochen  wird  (gebildet  von  rtiKa  =  Stengel 

in  Ostgal.  gewöhnlich  rH'iKa  (aus  riiKa  +  tKa) . 

Nach  Palatalen  e:  aienä  E.  —  Bnepa  Ä.  Yc.  —  mecxtifi  Jl. 
n.  Yc.  —  Haiuero.  Bameniy  E.  —  ero.  gm^"'.  Doch:  n^iojiä.  >ko- 
JiyAt-   Horo  (neben  erö). 

a  statt  e  (ii):  Kapxiina  Y.  E.  Maulwurfshaufen  f.  KepxHHa,  Kpe- 
THHa;  doch  Kpex  Y.  E.  Maulwurf.  —  In  II.  Kapxiina   1)  Maulwurf,  j 


Die  Mundart  der  Gegend  von  Uherci  bei  Lisko.  411 

2'  Maulwuifshaufen.  —  uapKbi  Y.  Kätzchen  der  Bäume,  besonders  der 
Palmweide  f.  ÖHpKii  =  eigentl.  Lämmer,  vgl.  cech.  beruska  Lamm, 
rnth.  öepy.iMca,  öepyieqKa. 

Anlautendes  o  erhält  sich:  oko.  O'iii  ä.  —  oötipBLi  .^I.  Augen- 
brauen. —  opt^'V  n.  genit.  BLip.iu  oder  ijip.ia  IT.  jedoch  in  Y).  opeya, 
nom.  plur.  ope^bi  L. 

Dem  anlautenden  o  wird  b  vorgesetzt :  Bona^a  Y.  collect,  stechende 
Insekten,  Viehbremsen,  6Ba;in.  —  boko  Y.  bo'iii  Y.  —  bo.iobo  ä.  = 
o.ioBO,  Blei.  —  .BÖAAajit  II.  fern  =  OAAa.ii.,  BiAAaJifc.  Bu^i^ajib  bltä 
Bü;^LI  fern  vom  Wasser,  vom  Wasser  entfernt,  cf.  ukr.  OAAa-iiK,  o^iaJieKii. 

Anlautendes  o  bekommt  den  Vorschlag  r.  ropix  Y.  Nuss.  —  o 
wird  nicht  gedehnt:  cKopa  II.  1)  Haut;  Leder.  2)  Rinde:  in  Ostgal. 
meistens  CKipa,  mKipa,  ukr.  mKypa.  —  CKopaHLiii  ledern,  CKipfliuiil.  — 
Boilna  n.  Y.  Krieg,  gruth.  Biüiia.  —  o  in  i  gedehnt:  eiilKa  Y.  Eichel- 
heher  gruth.  coilKa. 

a  für  0  (ganz  lokal):  raBopiiTH  Ye.  f.  gruth.  roBopHTH,  lemk.  rBa- 
puTH.  a  raBopiö,  tbi  raBoprim.  Bin  raBopiix  (sprich:  havorjü,  havorys, 
havoryt  =  gruth.  roBopib,  roBopiiiu,  roBopiiTb,  lemk.  rBapio,  rpapiim, 
TBapiiT.  —  a  für  lemk.  o:  Bapfa  L.  pol.  warga  Lippe  =  lemk.  Bopra, 

sprich:  vorha. ra.iysb,   ra.iysa,   ra.iysKa  =  lemk.   rojiyn, 

ro.iysa,  ro.iy3Ka.  —  3a3y.ia  Kuckuck,  lemk.  303y.ia. 

V 

y  für  0  (ein  Zwitterlaut:   ö):    Bypyöejib  f.   und  neben  Bopoöe.!ib 
i'i  .  i'i 

Ä.  Sperling.  —  Bypyöei^b  neben  nopoöei^b  ^  c.  item.  —  B^yBeub  "3  e. 

f.  BAOBBUb,  psl.  Bk^OBbi^K;  aber  B;i,0Ba  >  e.  =  gruth.  bjobu.  —  öxeub 

Ä   (beinahe  yTeu;b)  f.  oreub. 

Anlautendes  a  bekommt  den  Vorschlag  n:  Hcxpeö  ^'.  B.  Yc.  astur, 
Habicht,  bei  den  Lemken  meistens:  acTpao,  in  Ostgal.  aexpiö,  genit. 
Hcxpeöa  oder  acxpyu  genit.  acxpyua. 

Der  präjotirte  Vocal  a,  sowie  a  nach  erweichten  Consonanten  er- 
leidet keine  Wandlung:  K;i;po  Y.  Kern.  —  uuinKa  Y.  —  nmeiiiii^a. 
—  MKco  etc. 

e  (=  iie)  für  a  (ua):  ei;e  Y.  enu,e  Ä.  f.  hhub.  —  emmiufl  Ä.  f. 
flmiiHua,  aemHima  (aus  aeiHHua). 

i  entspricht  dem  asl.  a:  sanpiriixH  Yc.  f.  3anparaxH.  sanpirää 
KOHbi.  —  c^iicxH.   Hec^iicxa  Ä.  f.  ciacxa.  iiecyacxa. 

a  statt  des  asl.  ?h.,  gruth.  y:  Kajbi  JI.  f.  ktaii.  Ky;ia,  psl.  K;si,va. 


412  I-  Werchratskij, 

KaAW  CTG  HuiJiH?  Jl.  wohin  seid  ihr  gegangen?  —  AeKii^M  Yc.  hie  und    \i 
da;  doch:  Ty;i;i>iHKbi  Ä. 

Anstelle  des  asl.  /A  erscheint  yn  in:  öpyiniaTii  II.  psl.  KpAMaTH. 
öpyuTOT  nyoitä  die  Biene  summt. 

Anlautendem  y  wird  il  vorgesetzt:  icm.  Y.  psl.  OV/Kf,  lemk. meistens    L 
y>K,  gruth.  y'/Ke,  nace. 

Anlautendem  j  '^^^d  r  vorgesetzt:  ryceniii^a  Y.  Ä.  doch  in  E. 
yeeiii'ma,  psl.  ;^c1vHHi|,a,  im  Gruth.  ycLibHima,  yceimi^a,  ryceHHua. 

Anlautendem  y  wird  b  vorgesetzt:  ByAi'ipHTii  Ä.  f.  yAapiiTH.  — 
Byxo  f.  yxo. 

i  für  ig:  öpix  Yc,  bei  den  Lemken  öpiox  und  öpix,  russ.  öpioxo 
Bauch. 

Dem  asl.  'K  entspricht  o :  B3ay  xy  a6()hio  c  njieua  3  0  CBoro  JI.  —  30    ;, 
m^ojihi  Ä.  (psl.  CK  et  hS'K).  —  Asl.  'K  geht  in  y  über  (sekundäre  Bildung^  r 
des  y-Lautes):  Bym  II.  plur.  Byuiii,  psl.  B'kiUk,  gruth.  boui,  —  Asl. 
•K  im  Inlaute  fällt  aus:  cxHyrii  Y.  f.  coxiiyTn,  psl.  c'i\YH;f»TH.  —  mox    L 
Y.  n.  genit.  Mxy.  ' 

Dem  asl.  k  entspricht  0:  nonep  B.  genit.  nonpio,  psl.  nknp'k.  — 
Im  Inlaute  geht  k  verloren:  TMa  Yc.  f.  TLMa  Finsternis.  —  Asl.  k  geht    |> 
nicht  in  e  über,  sondern  schwindet:    nca  TL.  psl.  rikC/A,  gruth.  neea.     ' 
ncaxa  =  gruth.  necaxa. 

Auslautendes  k  erhält  sich:  KiHb  Y.  —  pocxonacxt  Y.  Scholl-  < 
kraut.  —  rych  II.  —  rtipxaiib  II.  Kehle.  —  nacxb  Ä.  geballte 
Faust.  —  Jibicxb  Ä.  Wade.  —  bojiotl  Yc.  Rispe.  BejuiKa  bojicxb 
npöca.  —  AÖcbixb  Y.  genug.  —  no^b  reß !  Y.  xo^b  reß !  Y.  =  komm 
her!  —  cyxb  Y.,  doch  in  E.  cyx,  in  II.  cyxb  neben  cyx.  —  In  Sub- 
stantiven, die  vermittelst  des  Suffixes  -klj,k  gebildet  werden,  lautet  das 
ij;  bald  weich,  bald  hart.  KpHry.ieii;b  Y.  Sperber;  doch  Koceuib  Mäher 
plur.Kici];bi,  genit.  Kicij;biB.  —  KOMapeu;  Y.  Schnacke,  kleine  Mücke  (plur.  j 
K0Mapii,bil .  —  ciineu,  Y.  Kornblume.  —  na^taiieu;  J.  Bruchschlange, 

V      11 

Blindschleiche  Anguis  fragilis.  —  öxeij,b  Ä.  Vater. 

Dem  asl.  pi».  entspricht  bip:  oöbipBbi  Y.  Ä.  Augenbrauen,  psl. 
OKpi^ßH,  gruth.  öpoBii,  nom.  sing.  oöbipBa.  —  jbipBa  II.  Holz,  psl. 
AP'kßt»,  gruth.  ;ip6Ba  oder  ^pina.  —  rbipxaHb  II.  Kehle,  psl.  rp^kTaiik, 
gruth.  ropxanb,  —  nbipray  Y.  P''ledermaus.  —  Dem  asl.  p'k  entspricht 
ap,  selten  pe  oder  ep:  Kapxnna  Y.  Maulwurfshaufen,  aber  Kpex  Y. 
E.  Maulwurf;  in  II.  Kapxiina    1)  Maulwurf  »m,o  Me^e  r.inny  no  Kyn- 


Die  Mundart  der  Gegend  von  Uherci  bei  Lisko.  413 

Kax«  2)  Maulwurfshaufen  DKynKti  Toat  ansMe  KapTinuKf.  —  rapTaiii. 
Yc.  Kehle.  —  nepxaTii  .'I.  f.  gnith.  nopxaTii:  nepxaiOT  KypLi  Kpii- 
jraMH  Ä.  die  Hühner  flattern  mit  den  Flügeln. 

Dem  asl.  at^  entspricht  .le  oder  jij  (.lö) :  c.ie3a  Ve.  psl.  cAT^sa.  — 
jiLiacKa  Yc.  psl.  A'K/KKKA  (charakteristische  Formen  im  Lemk.  ctiysa 
und  y^nuji,  acnua  =  psl.  a-kh^hi^a).  —  ö.iyxii  .^I.  psl.  KAT^ya,  gnitb. 
ßjioxa. 

Volllaut.  Die  volllautenden  Formen  werden  hier  beinahe  aus- 
schliesslich gebraucht.  Die  im  Lemk.  ziemlich  häufigen  Formen  wie 
r.iae.  M.iaAtiil,  3,T,paBfi,  cxpaiia,  cjiaMa,  öpeainia,  Bpaxa  werden  in  der 
hiesigen  Umgangssprache  nicht  gehört.  Lemk.  'ooBeK  lautet  hier  nur 
MO.iOBiK,  statt  lemk.  rnapiiTii  hört  man  roBOpiiTii,  lokal  raBopuTii. 

Als  charakteristische  volllautende  Formen,  die  auch  merkwürdiger- 
weise im  Lemkischen  ausschliesslich  auftreten,  sind  zu  erwähnen: 
oöojioiia  y.  Haut  rech,  blana  und  TepeaßLinV.  (psl.  TplJ3R'K  gruth. 
TBepeswH  durch  Metathesis  aus:  Tepe3BHii)  sowie  auch  ^le-ieii 6k  Y. 
Glied,  Fingerglied,  psl.  ha'Kh'KK'K,  gruth.  ti.ieHeub.  Hervorzuheben  sind 
auch  die  volllautenden  Infinitivformen  yMepexii  Ä.  psl.  OV'Mp'kTH.  — 
cnepeTH  Ä.  psl.  CTvnp'kTH  (C/ä).  —  Tepexii  IT.  psl.  rpIvTH.  — 
^teperii  IT.  psl.  ^vP'^th.  BLiAepeTii  IT.  —  sayepeTii  Bo^y  (psl. 
-Mp1\TH)  Yc.  Wasser  schöpfen  f.  gruth.  yniepTH,  cnepTii,  xepTH,  AepTH, 
sa^iepTH  ('lepTH,  ^lepn-c-TH). 

Anlautendes  i  (=  e)  schwindet:  me  Ä.  f.  ime,  eui,e  psl.  KiiHTf.  — 
i  schwindet  im  Inlaute:  6ö'me  neben  66iim,e  Ye.  für  ööime  Ä.  Tenne. 
—  e  fällt  im  Inlaute  aus :  noMKan  E.  f.  no^eKail.  —  o  fällt  ab:  uai)3  JI. 
für  6ap30,  pol.  bardzo,  Bin  6ap3  CKynara  Ä.  er  ist  ein  grosser  Geizhals. 

Accent. 
Während  im  Lemk.  in  zweisilbigen  Wörtern  stets  die  erste  Silbe, 
in  mehrsilbigen  Ausdrücken  stets  die  paenultima  betont  wird,  ist  der 
Accent  im  Gebiete  von  Uherci,  Bibrka,  Polancyk,  Lobizwa  und  Ustia- 
Dowa  ähnlich  wie  im  Gruthenischen  frei  und  an  keine  Stelle  des  Wortes 
gebunden.  Recht  viele  Worte  werden  so  wie  im  Gruth.  betont  z.  B. 
Jtici'i  Y.  Wälder.  Heaia  .iLiciB  BejriiKtix.  iienepra^i  (uenbiprd'i;  Y. 
Fledermaus.  acoyTopi^iKti  Y.  nom.plur.  Goldammer;  ro.iyu  rypyiiT 
y.  KypflTKO  i^bBi.iiiT  Y.  KypaxKa  uhBijar  Y.  eo.30Biii  Y. 
tämhtii  Y.  gedenken.  cbBflXOKHyHKLi  ^'.  nom.  plur.  Johannis- 
würmchen. BiBii;H.   no.ieAHu;«  Y.  Glatteis.  3hBipH.in  ca  aoihkij  Y. 


414  I.  Werchratskij, 

saKpyxKi'i  AO  cicpHiiOK  y.  BechiÄH.  xpodaKM  y.  Würmer.  — 
iiypKÖ  E.  Wasserstaar,  Cinclus  aquaticus  «i  niA  .ii^iA  iiue«.  Koryx 
nie  E.  xyxKo  E.  Wiedehopf.  OBeuKLi  E.  nom.  plur.  v.  oßeyKa  in 
der  Bedeut.  Assel,  Mauerassel  (eigtl.  Schäfchen;,  atena  E.  ö.iyxa  ]>. 
no^KciH  E.  fl,\yK.ß.niiTj.  warte!  iiOBiiTHua  E.  Winde,  Convolvulus. 
öyKOBe  AepeBO  E.  Buchenholz  (um  Lemberg:  oyKOBe  a^'P^^'^)-  — 
mypLi  cyTb  no  m.iliiuix  II.  3a  KypMii  i^yT  Txopi  II.  :atepeÖÄ  II. 
yc.  Ä.  Fohlen,  ömkli  II.  Ochsen.  AäibhA  II.  Färse.  nTaiuHH  II. 
collect.  Vögel.  >KaBopoHOK  II.  —  ptiöaKLi  II.  Seeschwalben.  xy^Ko 
xyAKaT  n.  der  Wiedehopf  ruft.  BepxtiJiBHHi^fl  II.  lacerta.  AyHtKW 
n.  Näslinge  (Fische).  Byrapill.  Finnen.  KynavKall.  plur.  KynayKti 
Leuchtkäfer,  Johanniswürmchen.  OKSJieub  genit.  oave.ibitib  II.  Eis- 
zapfen an  Bäumen,  nopnaiox  ca  Kypu  II.  die  Hühner  scharren  in 
der  Erde.  cii.iHi],a  II.  Unterkiefer.  —  mo  iia>i  Aopore  öujio  Ä.  \ 
*yxK6  Ä.  Wiedehopf.  acoyxipKU  Ä.  nom.  plur.  Goldammer,  bojigch 
na  rojroBi  Ä.  Kopfhaar.  Bepexti.iibiiHi];H  Eidechse,  läx  naB^iiix  Ä. 
Ka^iifi  genit.  Ka^iiÄ  ä.  Entenzwitter.  rycH  •"eßöaiox  ä.  die  Gänse 

schnattern.    öIjibmo  ä.  ^ep^ay  Ä.  Wachtelkönig. nyray  ye.    L 

Uhu.    cK.iHHKH  yc.  Gläser.    Bißu,«  yc.  nyojia  ye. 

Einige  Worte  und  Wortformen  weisen  andere  .Betonuugsweise  wie 
im  Gruth.  auf  z.  B.  coBa  II.  im  Gruth.  coBa.  BÖ^a  y.  II.  Ä.  f.  Bo^ä. 
Bepöa  y.  Ä.  f.  Bcpöa,  nom.  plur.  Bepöw  für  gruth.  sepöii.  rjiyxa  Kpo- 
niiBa  y.  f.  r.iyxä  KponiiBa  Taubnessel.  uyAV-  ßy^yx  Y.  f.  öyAy» 
öyAyx.  Myciix  y.  f.  Myciixb  als  Adv.  wahrlich,  wohl,  es  scheint. 
BOBaAH  y.  f.  OBa^fl.  ßapaiiHHa  y.  f.  öapaHuna.  xe^raxiina  y.  f. 
xe.iaxnHa.  3ao5Kh  na  kohh  y3AfliiHU,io  y.  =  sjioacn  iia  kohh  y3AaHimio. 
Becbijifl  y.  gewöhnlich  im  Gruth.  BecLie,  doch  auch  hie  und  da  Beci.ie, 
ukr.  BBCbijibjrfl.  xoro  poKy  y.  f.  xoro  poKy.  öecbiAa  pycbKa  y.  = 
öeci'Aa  pycKa.  HApo  y.  f.  HApo.  hhhkhx  hö.iok  y.  f.  hihkiix  A6äov:. 
lacaBopoHOK  Plur.  acaBopÖHKbi  E.  doch  in  II.  >KaBopoHOK,3KaBopoHKbi, 
gruth.  atäBopoHOK,  JKaBopoHKii.  cyKiio  Ä.  f.  cyKHO.  cxoniacKa  Plur. 
cxöHijKKbi  Ä.  Assel,  im  Gruth.  gewöhnlich  :  cxoiiöra,  exoHi'-icKa.  Kayyp 
Ä.  gruth.  Ka^iyp.  Koxa  Ä.  genit.  v.  kix  gruth.  Koxä.  bo.ili  II.  Ochsen 
gruth.  BOJiH.  —  111,0  Beseiu  yc.  =  mo  Besem.  xyqa  yc.  gruth.  xyqa 
starker  Regenguss,  Sturmregen.  xepesÖMii  y.  nüchtern  gruth.  XBe- 
pesHii,  lemk.  xepesöbiü.  a-ih  Koro  yc.  gruth.  gewöhnlich:  a-ih  KÖro. 
xpaMae  ajböo  KyAHe  bIbii;«  yc.  gruth.  xpanäe  aöo  Ky.iae  b.  ne^iHKfci 
n.  plur.  von  neyiHKa  Leber.    öiAbi  neyiHKLi  Lungen.    BepxHimKa  ye. 


Die  Mundart  der  Gegend  von  Uherci  bei  Lisko.  415 

Sabne,  Oberes,  Scbraetten  grutb.  liepxiiiiHKa.  Zuweilen  wird  im  Infinitiv 
das  11  im  Auslaute  betont,  namentiicb ,  wenn  auf  das  Wort  besonderes 
Gewicht  gelegt  wird  z.  B.  iie  muhcy  cnpo;i,aTii  Torü  ASbüipa  Jl.  ver- 
kaufen  kann  ich  das  Tier  nicht,  iipouiy  rinchMo  enoe  siA^aTn  Meiibi  Jl. 
ich  bitte  um  Zurückstellung  Ihres  Briefes,  hk  oli  tli  iie  xoThiy  rpomii 
B3HTii  3a  Toro  ,i3hi;ipa  .1.  wenn  du  für  das  Thier  kein  Geld  nehmen 
wolltest.  Manchmal  werden  ähnlich  klingende  Wörter  verschieden  be- 
tont, um  leichtere  Verständlichkeit  zu  erzielen  z.B.  sauLixiiY.  ver- 
gessen. 3auuy  coKi'ipy  b  xU/Kii  er  vergass  die  Axt  in  der  Hütte.  saÖHTU 
y.  hineinschlagen,  siiuiij'  rnisAb  n  A^peno  er  schlug  den  Nagel  ins  Holz 
hinein. 

Consonantismus. 

Liquidae  .i,  p.  }'  statt  .i:  cxiy  II.  Tisch.  —  niy  II.  Ochs.  Ana 
Bo.iti.  —  opey  n.  plur.  Bip.ihi  (Btip.TLi)  II.  —  ,ii.  statt  .i:  noiieABi.(iiOK 
Yc.  f.  iioHeAi.ioK,  genit.  noneAbi.itKa. 

II  statt  Ji:  .itiTeniiLiil  Yc.  f.  JiiTenjmü  lau,  etwas  warm,  .ibi- 
xenna  noAa  laues  Wasser.  —  ATniiaBtiä  Yc.  f.  ATn.iauiiil.  AynHaBa 
fl.iHUa  hohler  Tannenbaum.  —  niiAanei;  Ä.  Blindschleiche,  Anguis 
fragilis  f.  nuAaaeub  B. 

il  für  .ib:  npailiiiiK  E.  Waschbleuel,  psl.  npaAbHHK'K. 
Bei  den  mit  dem  Suffix  -apiix  gebildeten  Substantiven  lautet  p  im 
Nominativ  hart  aus:  Binuäp,  ropuap,  öoAnap;   in  den  casus  obliqui 
tritt  mouillirtes  p  auf;    BiB^iapa,  ropyapK,  öoAiiapa,  BißyapbOBH,    rop- 
yapbouH  etc. 

Erweichtes  p  in:  })aAbixH,  KpaK,  ao  Mopa,  ranopiö,  iiiapio; 
pboxKaxH  E.  pboxKaiox  CBiiiibi  die  Schweine  grunzen. 

Sibilante  c,  3,  ii;.  cb  für  gruth.  c:  pycbKLiil  Y.  E.  f.  pycKnil, 
!  psl.  pov'CiiCK'K.  Kpail  pycbKbiii  Y.  öecbiAa  pycbKa  Y.  —  MopcbKBiii 
;  E.  f.  MopcKiiil,  psl.  MopkCKTk.  MopcbKbi  nau,axa  cyx  b  iiami  xbiacH 
;  Meerschweinchen  sind  in  unserer  Hütte.  —  clbicbKO  E.  f.  .Ticko.  — 
:  nacbMo  Yc.  f.  nacMo.   iiacbMa  a.iböö  cjioiii  b  a.ii'mbi  die  Jahresringe  im 

Tannenstamme. 
j  m  für  c:  mKapa.iyma  Ä.  f.  cKapa^yma  Schale,  Eischale. 

I  A3  für  gruth.  3:  Ase.ieHLiil  A.  Yc.  f.  3e.ienHi1.    A3e.iena  a:äda 

(  Laubfrosch.  —   A3bBip  genit.  ASbnipa  Ä.  f.  3bBip,  Sbnipa  (stnipa), 
;  psl.  3Blipk. 

3b  für  gruth.  3:  pi3böbiil  Y.  f.  pi3Biiii  cf.  psl.  pliSK'K. 


41(5  I-  Werchratskij, 

K  statt  grufh.  n:  KHUTiiyrH  V.  st.  ußiuiyTii,  ubhctii.  ^epei.n 
KBHTHe  y.  Bi;i;KBHTiie  y.  —  KBiTfl  y.  f.  ubiJiTH  coUcct.  Bltimeii,  Blüten. 

Dem  asl.  Suffix -kUh,  entspricht  meistens  ei^b,  doch  scheint  der 
weiche  Ausgang  dem  harten  allmählich  zu  weichen:  oxenb  und  otvu, 
(oTen),  CHiienbund  ciiHeii;,  CKpHry.iei];i>  und  CKpyry.iei;. 

-;iUb  statt  des  lemk.  nu,:  sdnixh  Y.  B.   uricHUib  Y.  E. 

Dem  asl.  Suffix  -Hi^a  entspricht  durchweg  -ima:  nmeHiiusi 
Weizen.  —  nojie^tima  Y.  13.  Glatteis.  —  iiaBa.itHiiu,«  y.  Schnee- 
verwehungen ,  Schneewehe,  starker  Schneefall,  —  cLiii>Ki'm;a  y.  II. 
Schneewetter,  Schneegestöber. 

Palatale  i1,  >k,  n.  m.  Nach  i1  steht  o:  iloro,  iloMy',  ao  iiboro 
etc.  oft  neben  ero  etc.  (siehe  Vocalismus  unter  e). 

ac,  y,  m  werden  nicht  weich  ausgesprochen:  ataBoponoK.  ata  tu. 
BHÄ^y.    xoA^Ky.    yac.    xoyy.    rti^ia.    inanKa.   uihjio  etc. 

u;  für  ^:  ööi^an  Ä.  cech.  bocan  Storch.  —  ii;h  ä.  f.  yii.  —  u;ii.ii 
E.  oder,  pol.  czyli.  —  inai^e  y.  f.  inaye. 

^i  für  in:  ^KOiia  Y.  f.  uiKo^a  Schaden,  —  miOjiÄUBiin  Y.  E.  f. 
mKO^jiHBni'i,  schädlich.  —  ^uuiKa  Ä.  f.  yiiiuKa  patella.  Kniescheibe. 

Dentale  t,  a,  h.  a  wechselt  mit  t:  ^yp^ix  neben  Typicir  II. 
Klopfen,  Poltern,  Rollen  (vom  Wagen). 

Ab  in  5:  ABaiii];HTb  II.  (aus  ABaAeeaTii,  ABaABCyiTii,  ABaAbu,aTH. 
ABafmaxH,  ABaHU,aTb),  TpHHU,aTb  II. 

i1  für  Hb  in  den  Deminutivformen  der  Adjectiva  wie:  ciiBeäKtiä 
y,  f.  CHBeHbKHH.  —  MajienKbiii  Y.  MajieiieÜKbin  y.  für  Ma.ieubKHH, 
MaJteHBHbKHH  parvulus. 

u],  für  ct:  cbBaxou^n  Ä.  f.  cbBaTocxii  (Nom.  pl.  von  cbBaxicxb) 
heilige  Sachen. 

Gutturale  k,  r,  i',  x.  f  statt  k:  Mbii'axii  Ä.  f.  MHKaxii  hin  und 
her  bewegen,  nee  Mbir'ax  xbocxöm  der  Hund  wedelt  mit  dem  Schwänze. 

i"  für  r:  i^'pysbjio  E.  in  Ostgal.  gew.  rpysiijio  Senkblei,  Senkel. 
—  focnoAapHXH  (sprich:  gospodaryty)  Ä.  f.  rocnoAapHXH  (sprich:  hospo- 
däryty). 

r  für  x:  ^lepeByra  E  Ä.  f.  yepeByxa  Rhodeus  sericeus,  Bitterfisch. 

Labiale  n,  ö,  b,  m.  k  statt  n:  Kjeöainia  aus  dem  pol.  plebania 
Pfarre,  Wohnung  des  Pfarrers.  —  niAKO.ioxbKo  E.  aus  niAnojioxtKO 
(der  Wachtelruf  wird  vom  Landmanne  scherzweise:  niAno.ioxb!  oder 
niAnojiixb!  gedeutet;  nojioxii  jäten), 

B  für  asl.  K  :  BOBaA  y.  II.E,./[.  Rinderbremse,  Tabanus,  psl,  OKa^.'K. 


Die  Mundart  der  Gegend  von  Uherci  bei  Lisko.  417 

.1  statt  grnth.  u:  miina.iKa  Yc.  f.  miinanKa,  Ohrwurm,  Forficula. 

ö  statt  b:  piabÖLiil  y.  f.  pisBHH.  pi3b6a  BÖ;i;a  frisches  Wasser,  cf.  psl. 
p'kSß'K  i9-(>affvg, audax. —  Tepe36tiHy.{au3:  TepessHÄ)  psl.rp'feaß'k, 
lemk.  Tepesöuii.  gruth.  Tüepesnil. 

xfür*:  KaxTaii  E.  f.  Ka'i>TaH.    »KaxTaii  no.ioTiiaHHil,  uijilih.« 

H  für  m:  iiisHJitHBiH  na.Teu(b)  Ä.  f.  Mi3ii.ii.HHA  na.iei;i.. 

Assimilation  und  Dissimilation  der  Consonanten. 
H — p  in  p — p:  py.Mep  E.  f.  uyMep,  Nummer.   ejeH,  pyMep;  p — p 
zu  .1 — p:  .ii'map  .'I.  (genit. .Ti'mapH,  vocat. .iiiuapio)  aus:  pnnapb,  Ritter. 
Consonanten Verdoppelung. 

.IBJiaTH  Ä.  statt  JHTH.    BLIJIb-iaTH  St.  BblJTflTH. 

Anfügung  von  u  an  die  Vocale  des  Auslautes. 
TOAH-ii.  TOAbi-fi-Kti  Ä.  dann,  sodann.  —  tjah-h.  Ty;i,ti-ii- 
KW  Ä.  hieher. 

Schwund  von  Consonanten. 

II  11 

Anlautendes  j  schwindet:  iiect  E.  iiecbKti  E.  heute,  jetzt,  psl. 

;i,kHkCK.  Anlautendes  r  schwindet:  jorLiY.  doch  in  Vc.  imoili  Nom. 
plur.  V.  rjiir,  Weissdorn,  Crataegus  oxyacantha.  Schwund  des  anlau- 
tenden b:  mtiTKO  (uiHTKo)  y.  für  und  neben  buihtko  gemeinruth.  Bce. 
—  CTeK.iLiil  n.  cech.  vztekly  pol.  wsciekiy.  nee  cxeKiMii  wütender 
Hund;  doch:  nee  BcxbiK  ca  der  Hund  wurde  toll. 

5'  fällt  aus  (in  o\'  aus  asl.  A'k  oder  y  =  jio  ^=  asl.  Mx):  ao'öhä 
Ä.  f.  AOBÖHH,  grössere  Keule.  —  aÖKO  Y.  Ä.  Yc.  .  .  .  psl.  aBAivKO, 
gruth.  HÖJioKo.  —  jo'öaxH  Y.  (cf.  psl.  ^IjAT^kcth). 

Ausfall  von  p:  EiÖKa  E.  f.  EiöpKa:  jedoch:  Eiöpane  =  yRiirejü. 
ce.ia  EiÖKa  (=  EiöpKa).  —  n  wird  elidirt:  eii;e  Y.  ovum,  Ei;  doch  eilite 
plur.  €i1u,a  Jl.  psl.  a\e.  (die  im  Gruth. 'gebrauchte  Form  mu.e  ist  eigtl.  ein 
Deminutivum  von  *nane).  —  t  schwindet:  oÖKticb  Yc.  f.  oÖKHCXb, 
oKiicxb  Reif  an  Bäumen,  zugefrorene  Eiszapfen  an  Baumästen,  genit. 
"HKuexn.  Miioro  oökhcxh  na  AepeBnnbi.  —  ^ocb  Yc.  f.  aocxb  aus  ^o- 
ctixL,  (ao  clixh)  genug. 

Ausfall  von  n:  ropyoK  Ä.  aus  ropnqoK,  genit.  ropuKa;  im  Gruth. 
ist  die  minder  regelmässige  Form:  ropmoK  genit.  ropmKaim  Gebrauche. 
3  röpuMH  Ä.Y.  (v.ropneub)  mit  den  Töpfen  cf.,  psl.  rp'KH'k,  rpTvMkUK. 

Abfall  der  Silben:  no  E.  f.  ^oro  oder  noyif  warum,  weshalb,  aus 
welchem  Grunde:  xa  no  6u  ne  May  yäcy.  —  xoy  Ä.  f.  xoiieui.  poö,  u^o 
\o»i  =  poÖH  mo  xoiem. 

Archiv  für  slaviäche  Philologie.   XXV.  27 


418  I-  Werchratskij, 

Metathesis.  iwat  statt  des  gruth.  >km:  MyKypiiTn  .T.  f.  gruth. 
acMvpiiTH.  saMacypiiy  oko  =  3aac.MypiiB  6ko  er  blinzte  mit  dem  Auge, 
er  kniff  ein  Auge  zu,  er  nickte  mit  dem  Auge.  cf.  psl.  MkH^aTH 
nictare,  oculos  claudere.  noMkJKapHTH.  CbUkJKapHTH,  cech.  mliou- 
rati,  mzourati.  Die  lokale  Form  iviacypuTH  ist  ursprünglicher,  als  die 
durch  Metathesis  entstandene,  der  leichteren  Aussprache  wegen  sowohl 
im  Volksmunde ,  als  auch  in  der  Schriftsprache  jetzt  bei  den  Ruthenen 
allgemein  gebrauchte  Form  jKiwypHTH  rad.  luikr. 

2.  Zur  Stammbildungslehre, 

Einige  merkwürdige  Suffixe. 
Substantiv a.    a.  masculina.  -ätXh.  nepnä.ib  II.  plur.  nepHajiBi  1 
Larve  der  Rinderbremse  Hypoderma  bovis.  —  Mypjijib  II.  plur.  My-j 
pajiti  Ameise,  formica.  —  -Hllik.  Bopoxiim  Y.   Rainfarn,  Tanacetum 

vulgare. kHk.  niAÖepeateiit  Y.  plur.  niAÖepeacHbi  Uferschwalbe, 

Cotyle  riparia. aH'K.    cLBipraii  E.  Gryllus.    ctBipran  cLBiprax  die 

Grille  zirpt. 'KK'K.  MesBeAÖK  Ä.  plur,  MCABeAKH  Maulwurfsgrille, 

Gryllotalpa  vulgaris ;  in  Ostgal.  gewöhnl.  MOABe^tuK  plur.  MSÄBeAHKii.  — 
-T^KC.    xyxKo  E.  n.  <i>yTK6  Ä.  Wiedehopf.  —   KpaMKo  11.  Yc,  Ä.\ 

KpyMKO  E.  Rabe,  Corvus  corax,  KpyK. kKO.    niAKOJiOTLKO  E. 

Wachtel,  Coturnix  communis. aK^K  (-laKTk).    A3K)6äK  Y.  Schnabel. 

—  ptiJiHK  Yc.  Rüssel. lara.  cKyn/ira  Ä.  Ye.  Geizhals. 

b.  feminina.  -HAW.  BopoatiiJiH  TT.  iu  der  Bedeut.  Marienkäfer, 
Coccinella  (septempunctata),  eigtl.  Wahrsagerin.  —  -0^'^^^-  KBii^iyjia 
E.  Krammetsvogel,  Turdus  pilaris  (hie  und  da  von  den  Lemken  »|KBini'f 

genannt). OAia.  3KyKÖ.ieE.  (statt  der  zu  erwartenden  Form:  atyKo.i 

Name  einer  schwarzen  Kuh   cf.  jKyK  =  Rosskäfer,  Geotrupes  sterco- 
rarius,  dessen  Epitheton  in  den  Liedern:  yöpiinit,  z.B.  IIo  ^oposbi  ^KyK, 

no  Äopösbi  TOpHHH  ! fJKk.  raxbijK  Y.  genit.  raTLiatn  gen.  fem.  und 

raxLi^  genit.  raxtiaty  gen.  masc.  BejniKuä  raxtiac  E.  Treibeis,  aufge- 

thürmte  Eismassen  auf  dem  Flusse  (cf.  raxt,  raxiixii). ama.  pa- 

näHK  n.  oder  ponyxaHH  H.  Kröte,   Bufo.   —  -(TA.  cnnexa  1' 
Kornblume,  Centaurea  cyanus. 

c.  neutra.  -Hi€.  BOBa^Ä  Y.  collect,  stechende  Insekten,  Vieh- 
bremsen. —  BOJioxi  Y.  collect.  Rispen. AT.  CKOxa  (TBopiBHe.i 

cxy;i;eHe,  CokIbiihk)  junges  1 — 2jähriges  Rindvieh ;  plur.  CKOxaxa.  — 
H JiB^ia  n.  Kalbe;  junges  Hornvieh,  plur.  Miß^axa.  —  nynqä  Y. 


Die  Mundart  der  Gegend  von  Uherci  bei  Lisko.  419 

Komponirte  Nominalstämme. 
Von  zusammengesetzten  Ausdrücken  seien  hier  erwähnt:  yopiio- 
KHjiacniiK   Ä.    Schwarzkünstler,    Tauberer.    —  ALipBopyö    Ä.    ein 
grösserer  Klotz,  an  dem  Holz  gespalten  wird. 

Einige  Substantiva  haben  anderes  Genus,  als  im  Gruth.:  no.io- 
Miub  ist  gen.  masc.  z.  B.  He.iuKLiil  iio.ioMinb  IT.:  in  Ostgal.  ist  no.ioMiiih 
gewöhnl.  gen.  fem.;  im  Ukr.  nojyittfl  gen.  neutr.  —  Mi.ii.  gen.  masc. 
z.  B.  Mi.ih  norpM3  kokvx  V.;  in  Ostgal.  ist  m.ih  gew.  gen.  fem.  — 
öpocTb  genit.  öpocxii  ist  gen.  fem.  se.iena  (jpocTb;  bei  den  Lemken  gen. 
masc.  TOT  öpocT.  —  atiißopoiiKa  Yc.  Lerche,  alauda.  gen.  fem.,  im 
Gruth.  acäcopoHOK  gen.  masc. 

Am  meisten  dürfte  .liKTü  Y.  Ä.  ==  Ellenbogen  auffallen,  welches 
generis  neutrius  ist  z.  B.  caho  jiIkto,  genit.  eAiioro  jiiKTii,  während 
dieses  Substantiv  im  Gruth.  generis  masculini  ist  und  .i6koti>  genit. 
.iiKTfl  lautet  (psl.  At\K'KTK,  genit.  AaK'kTH  gen.  masc). 

Adjectiva.  -HCTik.  piiiiicTtii'i  Ye.  mit  Rollsteinen  bedeckt,  mit 
Rollsteinen  überfüllt.  3e.M.ia  piniicTa.  no.ie  piniicTe  (cf.  piiib  =  Ge- 
schiebe, GeröUe).    iianajiicTtiil  Yc.  auffahrend.  —  -acTii.   iioaob- 

roBacTLiii  Y.  länglich. racTT\.  Bii.i'iacTLiri  Y.  gabelig.  Bii-niacTa 

ra.iy3a  Y.  Gabelast.  —  ciiBacTbiii  Y.  graulich.  eiiBacTa  bIbuh.  — 
-Oß'k.  noaiiiTKOBbiil  Y.  nützlich,  nutzbringend,  toto  kbith  hb  no- 
acHTKOBe  diese  Blumen  sind  ohne  Nutzen  (nutzlos).  —  -aK^K.  jrbiKa- 
BLiil  Y.  zäh.  nopoxnuBbiH  Y.  morsch,  vermodert.  —  xpicKaBbiil  Y. 
klatschend,  aufspringend,  reissend.  xpicKaBbiri  .MaK  Klatschmohn,  caM 
Ol  po3ebiBaT  (poccbiiiaT):  vlepyT  iia  ropa'iKy,  aK  xto  30xopie.  cipaBbifi 

Ä.  graulich. AHß'k.  iianbipcKJiiiBbin  II.  aufbrausend,  schnippisch. 

Verbalthemen. 
cbiTHy-Tii  n.  sprühen   (vom  Regen).     3    MpaKy  cbiTiiyy  aou;. 
I  3  MpaKy  cbiTHe  Apiönuil  ^oui,.  —  cbiTHii-xii  II.  sprühen  (vom  Regen). 
I  CbiTHHT  Aom;.  —  SÄpyTBi-xii  Ä.  oder  3ApeiiTBi-Tn  Ä.  vermodern, 
!  faul  werden.    At^peBO  3;ipyTBie  das  Holz  wird  morsch.  —  yBii;i,bi-TH 
I  .1.  erblicken.  —  ubBi.iii-Tn  Y.  piepen,  kläglich  schreien  (cf.  kbhjihth) : 
KypaxKO  ubBÜiiiT  das  Küchlein  piept,    KypaTKa  i^bßijiaT  die  Küchlein 
piepen.  —  Ba.ib'iii-Tn  iia  Koro  .1.  jemand  bekämpfen:  gegen  jemand 
feindselig  auftreten.  —  pi3nH'iH-Tii  II.  das  Fleischergeschäft  betrei- 
ben, pisHHKOM  öyTii.  —  r.iaja-TU  Yc.  suchen,    niajaft  b  xbiatn  co- 
Kbipy  suche  die  Axt  in  der  Hütte.  —  öiluKa-Tii  ca  !>.  stossen.  6;'tu- 
KaiOTca  öapaiibi  die  Widder  stossen  mit  ihren  Hörnern  an  einander. 


420  I-  Werchratskij, 

3.  Zur  Wortbildungslehx'e. 
Deklination  der  Substantiva. 

.leii  genit.  jeiiy;  .leB  genit.  jieBa;  opeygeuit.  opeya,  nom.  plnr. 
opeyLi  E.;  doch  genit.  inpjia  II.  nom.  pliir.  ßipjiJ  H. 

Hervorzuheben  ist  der  Genit.  Sing.  ^lacu  f.  'lacy  z.B.  yacti  mhöfo 
II.  viel  Zeit;  ^lacH  Majio  11.  wenig  Zeit  (=  ^laey  Miioro,  yacy  Majio), 
welche  Form  in  dem  lerak.  is  ^oitti  f.  ia  AOJiy  ihr  Analogon  findet. 

Txip  genit.  Txopa  II.,  doch:  KpijiL  genit.  Kpi-in  nom.  pl.  Kpijiti 
n.,  im  Lemk.  Kpi.ib  genit.  Kpcia, 

0Tei],t  genit.  bItu,«,  dat.  BiTUiib  etc.  vocat.  oxye!  Im  Nomi- 
nativ schwankt  die  Aussprache   zwischen   otcii;!,  (oTeu;)  und  yxei^b 

(ÖTeii,t).  Meinem  Dafürhalten  nach  ist  die  Aussprache  yxei^t  ein  Resi- 
duum aus  älteren  Zeiten ,  wann  noch  o  in  y  gedehnt  wurde  und  man, 
ByTii,a,  Byxuiio  (=  psl.  OTbU,a,  OTbU.or)  etc.  sprach.  Die  Dehnung 
wurde  auch  auf  die  Nominativform  übertragen:  (Bjyxeii,b.  Aehnlich 
entstanden  im  Lemkischen  aus  der  gedehnten,  älteren  Form  ByBi];^  (aus 
0Bii,a  =  psl.  oiikij,a,  gruth.  bIbi^h)  die  jetzt  von  den  Lemken  häufig 
gebrauchten  Formen :  ByBU,a,  yi];a.  ho roxi>  Fingernagel  hat  Nom.  plur. 
Hirxa  Ä.  Yc.  =  gruth.  Hirxi.  nojroMiHt  genit.  nö.iOMenii  II.  cf.  psl. 
nAaiUlivi,  ni\AM(H(,  im  Gruth.  no.TOJiiiit  genit.  nö.ioMiHa,  nach  Kint,  oder 
no.iOMiiiL  genit.  nojoMinii  nach  Kicxb:  im  ükr.  ist  n6.iyMH  genit.  no- 
.ly.MH  gen.  neutr.  nach  II,  3. 

^  ü 

Zu  merken  ist  der  Instr.  Plur.  ropij;MH  Ä.  von  ropHei];L. 

Instr.  Sing,  der  Subst.  gen.  fem.  auf  -oy  (=  gruth.  -oio)  z.  B. 
CBÖiioy  Aopöroy  Y.  —  öpiixBoy  Y.  —  BOAoy  Y. :  sehr  selten  werden 
auch  lostrnmentalformen  mit  dem  Ausgange  -  o  m  gehört,  welch'  letztere 
im  Lemkischen  bei  weitem  überwiegend  sind. 

Genit.  Plur,  der  weibl.  Subst.  auf  -Ib  sind  häufig:  naxb  ceexpiB  Ye. 
==  gruth.  nflxb  cecxep:  koöli.iib  neben  koöli.i:  Ei.itxiB  Yc.  neben 
Bi.ibx  Yc;  BspöiB  neben  Bepu:  —  doch  immer  icyp  (v.  Kypa). 
KopÖB  (v.  KopoBa). 

Merkwürdig  ist  der  Instrumentalis  KypMii  statt  KvpaMH  (nach 
C'kiH'KlUlH,  BOA'KMH  gebildet).  xoAii.ia-eni  sa  KypMii  =  gruth.  r  xo^ii-ia 
3a  KvpaMH  (KypKaMH  oder  KypHii;aMH).  Diese  Instrumentalform  eigtl. 
zu  icyp  =  Huhn  gehörig  verdrängte  die  Form  KypaMii  (v.  Kypa  Henne]. 
3a  KypMH  i^yx  xxopi  die  Iltisse  stellen  den  Hühnern  nach. 


Die  Mundart  der  Gegend  von  Uherci  bei  Lisko.  421 

Zu  notiren  ist  der  Nom.  Plur.  cbB«TomH  Ä.  (für  ebBSTOCTii  von 
cbBHTicTb)  =  heilige  Sachen;  ähnlich  im  Ukr.  jioßomH  Liebessachen, 
Liebe;  xiiTpou;H  listige  Kniffe,  List,  iia  xinpoinu  iiiAHUTHCb  List  er- 
sinnen, auf  listige  Weise  handeln.  —  Instrum.  Sing,  cbiiiev'.  koctbv. 
no-ioiiey;  Locat  Plur.  b  ctinex  E.,  na  >K6p;Tex  B.,  y  Aßepex  1). 
—  BbiMü  .T.  genit.  blim«,  dat.  blimio  etc.;  i.Mn  genit.  imh  etc.  also 
nach  der  IL  Dekl.  o  imiKuiiM  Imio.  —  uepKOB  Genit.  uepKBii  (uepKBe) 
Instr.  i;epKBOV'. 

Spuren  der  nominalen  Deklination  der  Adjectiva. 
Dativ.  Sing,  no  pycbKy  11.  ruthenisch,  no  Tiixy  still.  —  Accusa- 
tiv.   Sing.  a:öyT0.  qepBoiio.  cinio.  Kpaeiio  (als  Adverbia  gebr.).  — 
Echte  Adverbia  werden  von  den  Adjectiven  gebraucht:   Aoöpi,  3.1  bi, 
.iiiu;Hbi,  KpacHbi. 

Pronomina. 
Statt  der  Accusalivformen  >ifl,  Ta,  ck  werden  häufiger  Genitiv- 
formen Meiie,  Teöe,  ceui!  gebraucht:  BiiAbiy  MSiie,  npomy  xeöe,  caM 
aäÖK)  ceöe.    Die  Genitivformen  werden  nie  durch  Accusativformen  er- 
setzt, also:  AO  51 6 II e,  ao  Toöe,  j.o  ceöe,  während  die  Lemken  ao  mhh 
(im),  AO  Tfl,  AO  ca.  etc.  sprechen.  —  Statt  miioio,  toook),  coöoio  wird 
MHoy,  Toöo}',  coöoy  gesprochen.. —  Die  enklitischen  Formen  m,  r'i,  ei 
werden  ziemlich  häufig  gehört,  xon  ASbßip  B-iacTiiBbiä  m  ecx  das  Tier 
ist  mein  Eigenthum.  —  Die  Formen  iioro,  iioMy,  äo  iiboro  werden 
häufig  gebraucht,  daneben  auch :    ero,  eMy,  äo  nero.  —  Statt  Moero, 
TBoero,  CBoero,  >ioeMy,  TßoeiMy,  cBoeMy  wird  meistens  >ioro,  XBoro. 
CBoro,  MOMy,  XBOMy,  CBOMy  gebraucht.  —  Statt  gruth.  namoro, 
Bamoro,  luiuiOMy,   Bamo.My  hört  man  öfters  uamero,  samero,  iia- 
lUisMy,  BamsMy  wie  bei  den  Zamischantzen  (SaMimaHUi).  DerAccent 
schwankt:  no  nameMy  Y.  und  no  nameMV  E.,  no  BanieMy  Y.  und 
no  BiiuieMy  B.  —  Im  Instr.  Plur.  der  Pronomina  werden  gewöhnlich 
regelmässige  Formen:    xbiMH,    uhmh,   aioiliMH,    XBoili.Mn   etc.  ge- 
braucht,  nur  sporadisch  treten   die    bei  den  Lemken    üblichen  Dual- 
^  formen  wie  xbiMa,  MoiliMa  etc.  auf. 
I  Zusammengesetzte  Deklination. 

I          Im  Nom.  Plur.  für  alle  drei  Geschlechter  werden  oft  zusammen- 
Igesetzte   Formen   gehört:    uepennbiiii  3y6bi  Backenzähne,    öi.ibiiii 
'pLiöti   y.    weisse   Fische.     BmwxKbiili    AtiiJ'iaxa   Y.    sämmtliche 
Mädchen.    Statt  gruth.  Becb  wird  nur  BUibixKbin  (BmHXKtiii)  gebraucht: 
BiubiXKbiil  x.ibiu :  doch  BCbo  e;i,n6  II.  alles  eins. 


422  I-  Werchratskij, 

Instr. Plur. der  Adjectiva  lautet  auf -hmii.  cliblimh  uo.iaMH,  Aa-ie- 
KfciMH  ;ioporaMH,  co.toaklimh  flÖKaivni. 

CHiitiH,  CHiia,  CHHe  blau  (bei  den  Lemken:  CHHiil,  cinifl,  cHiie  . 

Numeralia. 

e^eH,  e^na,  ejyno  (seltener  cAen,  e^na,  e^Ho)  =  grutli.  oahu, 
o;^IIä,  o^Ho;  xpn  hat  imGenit.  xpLOx,  Dat. -rptoM  etc.;  uixtipH  Genit. 
uiTBiptox,  Dat.  lUTwptOM  etc.  wie  bei  den  Lemken.  —  naxi.. 
luicTt.  clIm.  sietiM.  ;i;eBHTb.  AecaTt.  —  eAennaäi^eTb  Y. 
CLiMHafiiieTfc  y.  ABaHii,eTi>  e^en  Y.  —  eAeHHai^aTt  Y.  ABaö- 
miTh  n.  TpiifmflTt  n.  copoK  gr.  reoaaQC(Y.ovTa  ngr.  ociQÜ-Kovra^ 
oaga-Aoarrj  (bei  den  galizischen  Lemken :    ^lexLipAecHT,  yoTwpAecflT, 

psl.  MtTKipri    J!L,(CiiiTH]. 

Wenn  Einer  mit  Zehnern  verbunden  werden,  so  werden  oft  die 
Einer  vor  den  Zehnern  gesetzt,  wie  es  im  Deutschen  durchaus  üblich 
ist:  Tpii  ABaimaTL  11.  drei  und  zwanzig;  cbIm  /iiBaHii,aTfc  II.  sieben 
und  zwanzig,  während  im  Gruth,  nur  ABai1i],aTi,  xp« ,  ABai1ii,aTt  cim  ge- 
braucht wird.  —  naTLAecHT.  micTtAecaT  (naACcaT,  luicAecaT^ 
CLiMAecHT.  BicLiMAecaT.  AeBaTLAecaT  II.  (AeBHAecaT),  welche 
Formen  den  asl.  nATk  js^iCAT'K,  lUfCTk  ^ecATi*,  CfA^""^  js^tc^Tii., 
ociuik  /k.fC/AT'K,  ;i,fK/ÄTK  j\,(CAT'K  entsprechen  (AeeaT  asl.  ^6C/ÄT'k 
Genit.  Plur.  v.  Aecaxt  asl.  /k,fC/ÄTk)  und  regelmässiger  sind,  als  die  in 
der  ruth.  Schriftsprache  in  Galizien  gebrauchten  Formen  naxbAecaTh. 
ciMABCHTL  etc. ,  in  welchen  AecaTb  als  erstarrt  und  indeklinabel  auf- 
gefasst  wird. 

TpeTLiä.  Tpexa,  xpexe  Y.  [bei  den  Lemken  weich:  xpexiH(bei- 
nahe:  xpextiil),  xpexa,  xpexe].  luecxtiii  sextus.  ceMtifi  septimus  etc. 

Eigenthümlich  sind  die  Multiplicativa  :  ABinyacxtiil  11.  duplex. 
xpiä^iacxLiH  n.  triplex.  bhjiu  xpiSuäcxLi  in  der  Bed.  dreizähnige 
Gabel.    ^lexBepacxiiil.  naxepaexLiH.  AecHxepäcxfciH. 

Als  Distributivum  zu  merken:  no-eAen  II.  z.  B.  Bin  no  eAen  ropix 
Kycax  n.  er  zerbeisst  eine  Nuss  nach  der  anderen  (auch  bei  den  Lemken 
z.  B.  rycaTOK  ctiiinx,  no  gagh  xjitiö  cmli^hx)  im  Gruth.  no  OAHOMy. 

Verba. 
1.  Pers.  Plur.  lautet  so  wie  bei  den  Lemken  auf -mo.    yijHpuMe 
y.    xoAHMe  y.    roBopiiMe  y.    Maeivie  y.    ctnißaMe  y.    SHame^. 
und  snaeMe  y.  KycaMe  II.  Nur  selten  tritt  die  eigentlich  ruthenische 
Endung  -mo  auf  z.  B.  nasLiBaMO  E.  AaMÖ  Ä. 


Die  Mundart  der  Gegend  von  Uherci  bei  Lisko.  423 

Bei  den  Verben  der  V,  1  Kl.  wird  der  Präsensvokal  mit  Ausnahme 

iler  3.  Pers.  Plur.   ausgestossen:    nasuBaM,   iia^biBain,    iiaaMBar; 

iiaabiBaMB,  nasBiBUTe,  3.  Peis.  Plur.  nastiBÜiOT.  — noyöupaT  Y. 

I  i'üat  KaTy.iflT  ch  no  auKOx  Y.  —  co.iobih  TtöxKax  Y.  die  Nachtigall 

'  schlägt.  —  cbniBaT  Y.  noBiAaiw  Y.  noBiAar  Ä.  —  Seltener  sind  die 

Formen  mit  dem  Präsensvokal:    nasLiBuio,  nasLiBaeiii,   iiasuBiie; 

iiiastiBaeMe,   iiaaLiBaexe   u.  a.  —  Von  MaTii   habe  ich  nur  muio, 

Maem,  Miie;  MaeMe,  Maere  gehört  (bei  den  Lemken  gewöhnlich:  >iaM, 

Mam.  Mar;  niaMe,  Maxe). 

Im  Imperativ  wird  das  Modussuffix  ii  öfters  zu  h  abgeschwächt  wie 

iu:  xo^t,  n.iexB,  iiecb,  Me-ib,  iio.tb,  Ko.ib,  öy^i».  raxb,  cxaiib, 

rbiiib  u.  dgl. ;  nach  p  sowie  auch  nach  Palatalen  und  Labialen  geht  das 

j  durch  Abschwächung  des  h  entstandene  b  verloren:  oep,  nojio»:,  pym, 

'  pbiy,  poö,  .lyn,  mob. 

■  Imperat.  plur.  n.ioxbMe,  n.iexbxe,  uecbMe,  iiecbxe  etc.  neben 

j  den  im  Gruth.  üblichen  Formen:  n.iexbiM,  njrexbix  etc. 

Die  imLemk.  gebräuchlichen  Formen  ÖLi.ia-eM  Ä.  cbniBa.ia-eM 
H  ähnl.  werden  auch  hier  gebraucht,   neben   6bi.ia-M,   cbniBa.ia-M, 
welch'  letztere  Formen  übrigens  in   allen  ruthenischeu  Mundarten  in 
jGalizien  angetroffen  werden. 

Von  Imperfectiven  wird  Futurum  durch  Verbindung  des  Infinitivus 
'oder  des  Particip.  praet.  act.II.  mit  dem  Präsens  von  öy^y  ausgedrückt, 
z.  B.  uyAV  cbiAi'ixii  oder  öyjiy  cbi^ay-   o""  öyAyx  ebi;i;axn  oder 
OHii  öyAyT  cbi,T,a.Tn  Y. 

Passive  Form  wird  so  wie  im  Gruth.  ausgedrückt,  doch  im  Ganzen 
selten  gebraucht  z.  B.  xBoili  cyKiibi  xoöi  3.3  6aceiibi  öy^yx  Ä. 

Hervorzuheben  ist  die  Ausdrucksweise:  öo  Xbi  öbi  cMepxey  sicxay 
noKapaiibiii  .1.  denn  du  würdest  mit  dem  Tode  bestraft  werden. 

Zur  Syntax. 

Was  die  Syntax  anbelangt,  so  sind  keine  besonderen  Eigenthüm- 
iichkeiten  zu  verzeichnen,  die  einzig  und  allein  diesem  Dialekte  zukämen. 

Die  Imperativform  öy^b  wird  ähnlich  wie  im  Lemkischen  den  ent- 

' sprechenden   Pronominibus  vorgesetzt  also:    öy^fc  Koxpbiii,    öy^fc 

laKbiii,  uy;i;b  iu;o  =  lemk.  öja  Koxpbiß,  uyA  hkuü,  öyA  uixo  =  gruth. 

jKoxpHH  6yAb,  KoxpHH  HB  öy^t,  flKiiil  6jß,h,  flKHH  HB  6yAt,  mo  öyAb,  mo 

He  övAb  (auch:  Koxpnil  iie  öy^b,  hkiiii  iie  öy^b,  mo  iie  öy^b). 

Dativus  wird  öfters  statt  Genitivus  gesetzt  in  solchen  Fällen  wie: 


424      I-  Wcrchratskij,  Die  Mundart  der  Gegend  von  Uherci  bei  Lisko. 

i 
OTeij,b  ci'iiiaM,  MäTii,  A^^TeM  für  OTei;b  chhIb,  MaxH  ÄtiTeä,  was 

übrigens  auch  in  anderen  ruth.  Dialekten  gefunden  wird. 

Instrumentalis  wird  stets  so  wie  im  Gruth.  und  Asl.  ohne  Prä- 
position gesetzt:  nepom  nHcaTH,  iiO/KeM  pisaxH,  cepnoM  ataTii. 
während  die  Lemken ,  sowie  die  ungarischen  Lemaken  in  solchen 
Fällen  meistens  den  Instrumentalis  mit  der  Präposition  c,  3,  30 
(=  psl.  CK)  gebrauchen,  also:  c  nepoM  nncaTH,  3  ho5Kom  piaaTH,  30 
cepnoM  »:aTH. 

Hervorzuheben  seien  die  Redensarten:  Ba.(it^iHTH  na  Koro  jmd. 
bekämpfen.  öy^yT  na  TeCte  BajibyiiTH  Ä.  man  wird  dich  bekämpfen. 
60  na  Teöe  BmLiTKti  Ba.nMaT  Ä.  denn  alle  sind  deine  erbitterten  Gegner. 
—  BLiJioKHTH  rpomH  Ä.  Geld  ausgeben.  —  ;i;o  cBBira  für  b  ctsiT. 
niiuoy  ^o  cLBiTa  Ä.  er  ging  in  die  (weite)  Welt,  tu  noilixay  äo  ctBira 
rex  Ä.  du  bist  in  weite  Weltgegenden  gefahren.  —  Eigenthtimlich  ist 
die  Ausdrucksweise:  Bin  öap3CKyiiara  JI.  er  ist  ein  Geizhals  im 
hohen  Grade. 

Das  Reflexivpronomen  ca  kann  in  dieser  Mundart,  wie  in  allen 
ruthenischen  Dialekten  Galiziens  vor  oder  nach  dem  Verbum ,  zu  dem 
es  gehört,  gestellt  werden,  bih  gü  HasLiBax  und  Bin  iiasLiBax  cü. 
Vor  ca  und  dem  bezüglichen  Verbum  können  auch  andere  Bestimmungen 
treten:  Bin  ca  tltm  xji6ni];eM  xtiuiHX  Ä.  öapso  ca  Aoöpe  b  ^iKOjax  b^iht 

Ä.  a  bIh  ca  xox  xji6nei],t  ntixae  Ä.  u,li  a  ca  b  iiK6.aax  iie  yiy?  X 

Als  concessive  Konjunktionen  werden  a^ejii,  ejKejii  gebraucht: 
acejii  XLi  an  spoönm  xoxo  wenn  du  mir  dies  vollbringst.  —  ea^ejii  toto 
sepiio  3Öepein  wenn  du  dieses  Getreide  sammeln  wirst. 


425 


De  (luelques  deplacemeuts  d'accent  (laus  les  dialectes 

slayes. 


ij.  J/l.i//^ 


M.  F.  de  Saussure  a  reconnu 
que  »Taccent  lituanien  sest  re- 
gulierement  port^  d'une  syllabe 
en  avant  quand,  reposant  origi- 
nairemeut  sur  une  syllabe  douce 
(geschliffen),  il  avait  immödiate- 
ment  devant  lui  une  syllabe  rüde 
(gestossen)«  (Indo-ger  manische 
Forschungen,  vol.  VI,  Anzei- 
ger, p.  157);  il  a  öte  indique  ix. 
diverses  repvises  que  pareille  loi 
etait  valable  pour  ceux  des  dia- 
lectes slaves  qui  n'ont  pas  un 
accent  ä  place  fixe  (voir,  en  der- 
nier  lieu,  Memoires  de  la  So- 
ciety de  linguistique,  XI,  345 
et  suiv.),  et  M.  R.  Gauthiot  a  in- 
dique (1.  c,  p.  344  et  suiv. :  cf.  maintenant  Pedersen,  K.-Z.  XXXVIII, 
332  et  suiv.)  comment  s'explique  en  slave  ce  glisseroent  d'accent  (pareille 
loi  est  aussi  enseign^e  independamment  par  M.  Fortunatov,  malheureuse- 
ment  Sans  aucun  detail,  KpiiTiniecKiii  pasöopTt  .  .  .  y.itflHOBa,  p.  62  . 
L'importance  de  la  loi  est  teile  et  les  exemples  en  sont,  en  partie  au 
moins,  si  obscurs  quil  ne  sera  pas  inutile  de  discuter  ici  certains  faits 
dialectaux  qui  tendent  ä  la  confirmer. 

M.  0.  Broch  a  observö  dans  le  russe  d'üblya  (en  Hongrie)  la  flexion 

suivante  des  verbes  en  -aje-\  1"®  pers.  sing,  hyväuu,  S'""^  pers.  plur. 

byvcmut,  mais  2^™®  pers.  sing,  byvas ,  et  de  meme  avec  accent  sur  bij- 

\k  toutes  les  formes  qui,  ayant  -aj'e-  en  slave  commun,  ont  subi  la  con- 

traction  en  -a-  (Archiv,  XVII,  p,  404,  et  YrpopyccKoe  iiapiyie  ccjia 

^Y6äii,  p.  106):  cette  accentuation  rdpond  exactement  ä  celle  du  serbe: 

'^bivaju,   mais  biväs,   k  ceci  pres  que  le  serbe  a  remplac^  l'ancienne 

1"*  personne  *bwaju  par  bwäm\  l'explication  du  fait  russe  dialectal 

et  Celle  du  fait  serbe  sont  exactement  les  memes  (v.  M^m.  Soc.  ling., 


426  0.  Meillet, 

1.  c,  p.  351).  Le  contraste  entre  le  russe  d'üblya  clrimmmt  et  le  Serbe 
drljhnajü  indique  simplement  une  difförence  de  l'intonalion  radicale, 
douce  dans  s.  drtjemäm ,  rüde  dans  ce  dialecte  russe ;  des  differences 
de  ce  genre  se  rencontrent  par  ailleurs ,  ainsi  s.  klänjaii  avec  a  rüde, 
en  regard  de  -lägati,  avec  a  donx. 

M.  Pedersen  (K.-Z.,  XXXVIII,  335)  eonteste  la  port^e  de  rargument 
tirc  de  l'opposition  de  s.  ^Igrü's  :  igrajü;  il  lui  parait  )' surprenant  et 
invraisemblabletf  que  le  deplacement  d'acceut  d'une  syllabe  douce  sur 
une  rüde  suivante  ait  eu  lieu  independamment  dans  les  divers  dialectes 
slaves;  et  ilpr^fere  poser  une  loi  en  vertu  de  laquelle  une  tranche  rüde 
devenue  douce  secondairement  perdrait  son  accent  au  profit  de  la  syllabe 
pr^cedente;  il  explique  ainsi  un  genitif  pluriel  tel  que  s.  jezikä  en 
regard  ÖlQ  Jezik^  jezika\  mais  pareille  loi  ne  trouve  quelque  appui  dans 
les  faits  que  pour  le  serbe,  tandis  que  le  type  \grajü  est  attest^  en  kasub 
et  dialectalement  en  russe;  de  plus,  en  serbe  meme,  eile  est  fort  incer-~ 
taine;  en  efifet  eile  n'explique  pas  ioiwi: £elenü  doit  en  tout  cas  etre  tenu 
pour  analogique,  et  aussi  le  type  dialectical  lüpezä  (Resetar,  Stidslav. 
Dialektstudien,  I,  p.  79);  d'une  maniere  generale,  il  n'est  pas 
douteux  que,  dans  le  ddplacement  de  l'accent  au  genitif  pluriel  serbe, 
lanalogie  ajouö  un  grandrole;  des  lors  il  est  legitime  de  supposer  que 
koritä^  orähä  par  exemple  ont  conserve  l'ancienne  place  de  l'accent  et 
que  korito,  brali  ont  l'accent  sur  i  et  sur  a  eu  vertu  de  la  loi  de  M,  F. 
de  Saussure ;  tous  les  mots  qui  n'ont  pas  l'initiale  douce  et  la  seconde 
syllabe  rüde  devraient  ä.  ranalogie  le  recul  de  l'accent  du  genitif  plurie'. 
—  Au  surpius,  le  caractere  dialectal  du  deplacement  d'accent  d'une 
tranche  douce  sur  une  rüde  suivante  n'a  rien  de  surprenant  ni  d'invrai- 
semblable ;  car  de  ce  qu'une  innovation  est  commune  ä  plusieurs  dia- 
lectes, il  ne  suit  nuUement  que,  comme  le  croient  encore  beaucoup  de 
linguistes,  eile  soit  anterieure  ä  la  Separation  de  ces  dialectes;  les  inno- 
vations  se  produisent  independamment  dans  chaque  localite,  ehez  chaque 
individu,  et  l'identite  des  innovations  n'est  qu'une  consequence  naturelle 
de  l'identite  des  conditions  dans  lesquelles  se  transmet  le  langage  d'une 
generation  ä  l'autre  dans  des  dialectes  ayant  une  meme  structure. 

Sans  etre  aussi  lumineusement  clair  que  celui  des  verbes  en  -aje-, 
le  fait  suivant  emprunte  aux  dialectes  serbes  vient  aussi  apporter  ä  1;* 
loi  une  pr^cieuse  confirmation.  Dans  ses  Südslavisebe  Dialekt- 
studien, I,  p.  108,  M.  Resetar  etablit  l'existence  d'une  accentuation 
vrijeme  qui  lui  semble  difficile  ä  expliquer,  et  qu'il  est  en  efFet  malaiso 


De  quelques  deplaceruents  d'aecent  dans  las  dialectes  slaves.       427 

de  justifier  sans  admettre  la  loi  proposce  ci-dessus,  niais  qui  Irouve  ä 
l'aide  de  celle-ci  une  explication  tres  naturelle,  sinon  tres  simple.  Le 
finale  -c  suppose,  comme  on  le  sait,  une  anciennc  finale  *-en^  ä  voyelle 
longue,  et  dont  l'intonation,  ä  en  juger  par  les  finales  -?}r,  -lov,  -iqQ, 
-vjQ  du  grec,  devait  etre  rüde.  D'autre  part  la  syllabe  radicale  de  v. 
sl.  hremq  etait  rüde,  cf.  hieme  (d'apres  Vuk),  lusse  öepeMH,  tch.  hrime 
et  v6d.  bhärlmafi-,  bharifj-am,  gr.  (fagirga,  lat.  praefericulum\  au 
contraire  la  syllabe  radicale  de  creme  devait  etre  douce,  car  il  s'agit 
d'un  representant  de  la  racine  *wert-  {yii.verczia,  vaPfo],  et  en  effet  le 
petit  russe  a  veremja  (v.  Hanusz,  Archiv,  VII,  301,  p.  71  du  tirage 
ä  part).  Des  lors  les  deux  themes  paralleles  *berme  et  *vermq  avaient, 
apres  application  de  la  loi,  les  formes  suivantes : 

Xom.    *berme.         *verme 

Gen.  ^bermene  *cerme7ie 
(en  attribuant,  pour  plus  de  simplicit^,  le  d^placement  d'aecent  ä  la 
forme  slave  commune,  bien  qu'il  soit  seulement  dialectal);  il  est  r^sulte 
de  lä  des  actions  analogiques;  le  russe  a  npeMH  (qui  d'ailleurs  est  une 
forme  savante)  d'apres  le  gönitif  et  d"apres  les  autres  mots  en  -men-\  le 
Serbe  a  des  formes  diverses  suivant  les  dialectes :  vrijeme  (=  bulg. 
treme]  a  conserve  la  forme  correcte  et  conforme  ä  ce  que  fait  attendre 
la  loi ;  le  genitif  vremena  est  aussi  correct  en  ce  qui  concerne  la  place  de 
Taccent  (la  quantitö  a  subi  une  alteration  dans  l'explication  de  laquelle 
il  n'y  a  pas  Heu  d'entrer  icij ;  cak.  et  ikav.  vrxme  provient  de  la  meme 
action  analogique  que  le  russe  BpeMa.  La  forme  brijeme  attestee  ä 
Raguse  et  ailleurs  (v.  ßesetar,  1.  c.)  est  analogique  de  vrijeme.  —  Les 
mots  tels  que  s.  sjeme.,  räme,  vlme  ont  rögulierement  conserv^  leur  an- 
cienne  accentuation  radicale  ä  tous  les  cas;  ime  et  pTeme  sont  ana- 
logiques du  genitif,  etc.  et  des  autres  mots  en  -men-.  —  Le  petit  russe 
a  plus  de  traces  que  le  serbe  meme  du  glissement  de  l'accent  sur  la 
finale  rüde  -me  du  nominatif  et,  dans  son  travail  sur  l'accentuation  des 
substantifs  en  petit  russe ,  Hanusz  enseigne  que  plusieurs  substantifs 
themes  en  -n-  du  petit  russe  accentuent  au  nominatif  la  finale,  aux  autres 
cas  la  syllabe  radicale  (Archiv,  VII,  358  =  p.  GS  du  tirage  ä  part); 
des  trois  exemples  cit^s:  imjä  (genit.  ime7n)^  vimjä  et  stremjä.  le  pre- 
mier  et  le  dernier  avaient  phon6ti([uement  le  deplacement  d'aecent  au 
nominatif;  dans  vimjä^  comme  dans  ramjä  qu'on  cite  aussi,  le  deplace- 
ment est  analogique  de  celui  de  imja^  etc.  Le  fait  essentiel  est  que,  en 
petit  russe  comme  en  serbe ,  le  deplacement  a  lieu  seulement  au  nomi- 


428  0.  Meillet, 

natif,  c'est-ä-dire,  l:i  oü  la  finale  avait  l'intonation  rüde;  ce  ([lü  enl^ve 
ä  l'exemple  beaucoup  de  clarfö,  c'est  que  les  divers  mots  appartenant 
au  type  ont  reagi  les  unes  siir  les  autres  et  que  partout  il  a  tendu  ä  se 
poser  une  accentuation  unique  du  type  tout  entier :  en  fait,  le  grand  russe 
n'a  conserv6  dans  tous  les  cas  sans  exception  d'autre  accentuation  que 
l'accentuation  radicale. 

Les  mots-  en  -qt-  du  type  preise  prdsentent  trop  de  complications 
pour  qu'il  soit  aisö  d'en  rien  conclure.  NeanmoinS;  on  sait,  par  les  formes 
qui  portent  l'accent  sur  c^  que  ce  phoneme  y  est  intoue  rüde,  ainsi  s.  cljh- 
teta ;  des  lors  le  contraste  de  tele,  chjete  d'une  part  et  deya(^)//ederautre 
a  Raguse  est  tres  remarquable :  l'aecent  est  reste  sur  la  syllabe  pre- 
suffixale  quand  celle-ci  (^tait  rüde,  et  il  a  passe  sur  -et-  quand  la  pr^- 
suffixale  etait  douce ;  chjete  est  d'ailleurs  aussi  l'accentuation  de  Danicie 
et  de  Vuk.  Le  serbe  a  tendu  ä  gendraliser  dans  ces  mots  l'accentuation 
presuffixale  originairement  propre  aux  mots  ä  presuffixale  rüde,  tandis 
que  le  russe  a  gendralisö  l'accentuation  suffixale,  originairement  propre 
aux  mots  ä  presuffixale  douce :  s.  jclgne  et  r.  porosja  representent  l'etat 
phonetique;  v.  j'agnjä  %i  s.  j!?ra5e  resultent  d'innovations  analogiques: 
le  petit  russe,  qui  oppose  zmrja,  9''fsja,  hürja  (cf.  le  feminin  r.  Kypa 
pour  l'intonation  rüde  de  u]  h.  porosJä,  difjd^  iß^Jf'-,  a  maintenu  d'une 
maniere  tres  remarquable  l'etat  ancien  (cf.  Hanusz,  Archiv,  VII,  35fi 
=  p.  66  et  suiv.  du  tirage  ä  part);  le  bulgare  oppose  de  meme  ägne 
[s.  j eigne),  pile  [%.  pile),  Jure  {'Si.  Jure)  k  preise,  dete,  tele.  Les  des- 
accords  qu'on  observe  entre  les  divers  dialectes  slaves  ne  sauraient 
d'aucune  maniere  s'expliquer  par  une  accentuation  une,  comme  semble 
le  vouloir  M.  Resetar,  1.  c,  p.  109,  mais  supposent  des  deplacements 
dont  la  loi  posee  ci-dessus  revele  la  cause  premiere. 

Enfin  les  pronoms  personnels  presentent  dans  certains  dialectes 
cakaviens  une  Opposition  du  g^n.-acc.  mene,  tebe,  sehe  et  du  dat.  loc. 
menl,  teil,  sehl,  c'est-ä-dire  accent  sur  l'initiale,  quand  la  finale  est 
douce,  et  sur  la  finale,  quand  celle-ci  est  longue  et  sans  doute  rüde  (cf. 
cependant  Pedersen,  K.-Z.,  XXXVIII,  326  et  suiv,);  presque  partout 
l'une  des  deux  accentuation s  a  ete  g^neralisöe:  mene,  meni ,  tebe,  tehi. 
sehe,  sehi  dans  la  langue  fix^e  par  Vuk,  mene,  nieni,  tebe,  tebi^  seht 
^eii  ä  Raguse  (v.  Resetar,  Südslavische  Dialektstud. ,  I,  143);  le 
russe  a  de  meme  generalise  l'accent  sur  la  finale,  mais  ce  n'etait  sans 
doute  pas  l'etat  ancien,  et  M.  0.  Broch  a  observö  dans  le  russe  d'Ublya 
une  hösitation  entre  mene  et  mene.  tebe  et  tebe.    L'accentuation  sur  l.i 


De  quelques  deplacements  d'accent  dans  lea  dialectes  slaves.       429 

syllabe  initiale  est  d'ailleurs  attestee  dans  las  feuilles  de  Kiev  et  autres 
vieux  textes  (v.  Kusskij  filologiceskij  vestnik,  XLV,  33). 

Les  faits  qui  viennent  d'etie  exposes  permettent  d'entrevoir  quel 
trouble  a  apportä  dans  l'accentuation  slave  le  glissement  d'accent  d'une 
syllabe  douce  sur  une  rüde  suivante;  le  slave  n"a  pas,  comme  le  lituanien, 
constitiie  des  classes  de  mots  accentucs  d  une  maniöre  detinie  qui  resulte 
Je  Tapplication  de  la  loi :  il  y  a  eu  des  actions  analogiques,  mais  la  ten- 
dance  ä  lunification  n'a  pas  eucore  produit  tous  ses  eflets,  et  les  compli- 
cations  signalöes  ici  sont  les  consequences  encore  visibles  d'une  loi  dont 
lapplication  remonte  ä  bien  des  siecles. 

Paris,  Jan  vier  1903.  A.  Meillet. 


Kiuige  litterarisclie  Bemerkuugen  zum  »Kibauje  <  von 
Petar  Hektorovic. 


Die  serbokroatische  Littera- 

turgescbichte  ist  durch  die  von 
dem  Jungen  russischen  Forscher 
N.  Petrovskij  im  vorigen  Jahre 
verfasste  und  im  Archiv  i)  schon 
angezeigte  Studie  über  Petar  Hek- 
torovic und  seine  didaktisch-rea- 
listische Idylle  »Ribanje«  (Fi?ch- 
fang)  nicht  unbedeutend  berei- 
chert, und  zwar  liegt  das  Verdienst 
dieses  ausländischen  Gelehrten 
hauptsächlich  darin,  dass  er  zum 
ersten  Male  die  litterarischen  Quel- 
len vor  allem  »Diogenis  Laertii 
Vitic  philosophorum«)  des  didak- 
tischen Tlieiles  systematisch  un- 
tersucht und  dabei  die  von  den 
italienischen  Egloghe  pescatorie 
völlig  unabhängige  Originalität  des 


1    B.  XXIV,  X  PetrovsJa,  0  sotinenijah  Tetra  Hehtorovica  (14S7— 1572), 
azan  1901,  angez.  von  M.  Resetar. 


430  Alfred  Jensen. 

Südslavischen  Gedichtes  nachgewiesen  hat.  Selbst  wenn  die  Egloghe 
pescatorie  del  Slg.  Berardino  liota  dem  Dichter  des  »Ribanjev  nicht 
bekannt  gewesen,  wäre  die  dalmatinische  Fischeridylle  unzweifelhaft 
doch  geschrieben,  denn  die  Aehnlichkeit  ist,  wie  auch  P.  hervorhebt, 
eine  nur  äusserliche  und  flüchtige.  Aus  den  Untersuchungen  von  Pe- 
trovskij  ersieht  man  weiter,  wie  die  Sentenzen  der  griechischen  Philo- 
sophen (Thaies,  Bias,  Bion,  Chilon,  Solon,  Sokrates,  Pittakos  etc.) 
durch  die  trockene,  nüchterne  Vermittelung  der  lateinischen  Sprache  in 
die  südslavische  übertragen  wurden,  und  wie  die  ursprünglich  heidnische 
Weltweisheit  von  dem  christlich  frommen  Verfasser  einen  streng  katho- 
lischen Anstrich  bekam  ^),  nicht  am  mindesten  durch  den  litterarischen 
Einfluss  von  Marko  Mariilie. 

Wenn  demnach  der  originelle  und  nationale  Werth  dieser  morali- 
sirenden  Verse,  die  670  Zeilen  in  Anspruch  nehmen  und  in  fast  gar 
keinem  Zusammenhang  mit  slavisch  volksthümlichen  Redensarten  stehen, 
ein  verschwindender  ist,  so  kann  die  Litteraturgeschichte  dem  Dichter 
doch  nur  dankbar  sein,  dass  er  auf  die  falsche,  sentimentale  Erotik  der 
italienischen  Renaissance  gänzlich  verzichtete;  und  diese,  für  uns  heut- 


>)  Mit  Benutzung  des  von  F.  zusammengestellten  Materiales  führe  ich 
einige  Beispiele  an.  Wenn  Thaies  sagt:  »Antiquissimum  ""eorum  omniiim 
qute  sunt,  ileus:  ingenitus  enim«,  kann  Hektorovic  nicht  umhin,  die  mono- 
theistische Lehre  der  Kirche  durch  Zufügung  eines  kräftigen  :  jedini  (der  ein- 
zige Gott),  V.  885,  zu  betonen.  Wenn  bei  Diog.  Laertius  Aristoteles 
auf  die  Frage:  »quidnam  cito  consenesceret?«,  antwortete:  »Gratia»,  gibt 
Hektorovic  den  Bescheid:  »Alle  guten  Werke,  die  nicht  oft  wiederholt  wer- 
den« (v.  987—990). 

Nur  ein  einziges  Mal  ist  Petrovskij  in  Verlegenheit  betreffs  der  griechi- 
schen Quelle  und  zwar  v.  1319 — 1122: 

»Tko  zeli  dobavit  brasna  se  za  dosti, 

pocan  od  mladih  lit  do  vele  starosti, 
dobav'  se  razuma,  jere  bo  ni  ina 
od  mudroga  uma  vridnia  bascina«. 
Das  antike  Vorbild  dieses  Spruches  findet  sich  auch  im  Werke  des 
Diog.  Laertius  (1 :  5  :  88),  welches  den  Bias  sagen  lässt :  »Itpööiov  hno  i'£Öti]xo^- 
£1^  yt]^ag  ayccXafißaye  aocpiav  ßsßaiotEooi'  yuQ  xovxo  töji'  rl.XXtau  xTrjf^dzo)i'<<. 

Den  interessanten  Untersuchungen  Fetrovskij's  über  den  Ursprung  di'> 
Räthsels  von  ozuhatac  —  bogatac  (v.  121 — 28,  142 — 52)  ist  zuzufügen,  dass  Sim- 
rock  in  seinen  »Deutschen  Volksbüchern«  B.  VII,  S,  284  gerade  das  Riithsel 
von  dem  im  Netz  gefangenen  Fische  anführt,  so  lautend : 
»Es  kam  ein  Gast  ins  Wirthshaus, 
Da  fiel  das  Haus  zum  Fenster  hinaus«. 


Einige  litterarische  Bemerkungen  zum  »Ribanje«  von  Petar  Hektorovic.  431 

zutage  etwas  ermüdende  Ethik  in  Versen  hat  einen  hohen  Kulturwerth, 
insofern  dass  sie  von  dem  Staudpunkte  der  damaligen  Bildung  und  von  der 
zur  Lebenszeit  des  Hektorovic  beliebten  Litteratur  eine  Andeutung  geben 
kann.  Eine  andere,  nie  völlig  zu  entscheidende  Frage  ist  die,  ob  der 
Fischfang  in  allen  Punkten  mit  der  Wirklichkeit  übereinstimmt,  d.  h.  ob 
die  beiden  Fischer  in  der  Tliat  einen  so  hohen  Bildungsgrad,  wie  diese 
Räthsel  und  klassische  Sentenzen  bezeugen,  haben  besitzen  können. 
Selbstverständlich  wird  die  Realität  an  sich  nicht  beeinträchtigt,  wenn 
man  auch  annehmen  muss,  der  Dichter  habe  aus  metrischen  und  künst- 
lerischen Gründen  den  sachlichen  Stoff,  d.  h.  das  tiefsinnige  Gespräch 
zwischen  den  beiden  Fischern,  verschönert  und  aufgeputzt, 

Petrovskij  stellt  diese  Realität  in  Abrede,  indem  er  stark  bezwei- 
felt, dass  dalmatinische  Fischer  so  gelehrt  sein  könnten,  und  er  meint, 
dass  dieser  ganze  didaktische  Theil  dem  Gedichte  als  realistischem  Zeit- 
gemälde nur  schadet.  Noch  strenger  —  in  diesem  Falle  ausserdem  etwas 
oberflächlich  —  beurtheilt  Tomo  Matic  ^).  Wenn  man  auch  zugeben 
muss,  dass  dieser  Wortstreit  zwischen  den  beiden  Fischern  unmöglich 
so  glatt  und  litterarisch  hat  stattfinden  können,  wie  es  in  einem  Ge- 
dichte dargestellt  wird,  und  wenngleich  mehrere  Sprüche  sowohl  dem 
Verfasser  wie  den  Fischern  unverständlich  sein  mussten  (z.  B.  die  py- 
thagoräischen  «r?c«  hrez  otvora«.  v.  1045 — 64),  finde  ich  im  grossen 
Ganzen  die  Darstellung  weder  unnatürlich  noch  wesentlich  übertrieben. 
Abgesehen  davon,  dass  Hektorovic  in  seinem  wichtigen  Schreiben  an 
Miksa  Pelegrinovic  die  Wahrheitstreue  seiner  Erzählung  selbst  kräftig 
betont  (St.  p.  hrv.  B.  VI,  S.  54),  wundert  er  sich  selbst  (v.  1476 — 90) 
darüber,  dass  diese  schlichten,  armen  Leute  so  gescheit  sein  konnten 
und  dass  sie  ihre  moralischen  und  intellektuellen  Fähigkeiten  {»kripost«) 
unter  das  grobe  Gewand,  wie  Gold  in  die  Erde,  verstecken.  Paskoje 
und  Nikola  waren  keine  gewöhnlichen  Fischer,  sondern  die  besten  auf 
der  grossen  Insel  [nnajbo/ja  od_Hüara«,  v.  4  6);  Paskoj  gibt  ja  selbst 
zu,  er  habe  viel  von  den  Franciskanern  gelernt  (v.  321 — 462),  und  er- 
kundigt sich  beim  Dichter,  von  wem  er  in  der  Stadt  noch  mehr  erfahren 
könnte.  Und  wenn  sie  thatsächlich  Volkslieder  auswendig  kannten  und 
zwar  von  Personen  und  Gegenden,  von  denen  sie  sonst  wohl  nichts  wuss- 
ten  (z.B.  von  dem  Bruder  Marko  Kraljevic's,  der  Stadt  Siverin,  rd(b)in(a). 
Sveta  Gora,  der  Donau),  weshalb  sollte  man  dann  die  Möglichkeit  ver- 

1]  Siehe  »Archiv  für  slav.  Phil.«  B.  XIX,  S.  475 — 76,  nebst  den  zurück- 
weisenden Bemerkungen  von  T.  J. 


432  Alfred  Jensen, 

neinen,  sie  hätten  Räthsel  und  Weislieitssprüche  aus  irgend  einer  Er- 
bauungsschrift erlernen  können  ?  Sogar  diese  sog.  pythagoräischen  Klü- 
geleien (symbola),  obgleich  dem  slavischen  Volksbewusstsein  gänzlich 
fremd,  dürften  für  die  naive  Volksphantasie  einen  sympathischen  Reiz 
gehabt  haben,  obgleich  sie  entschieden  mehr  für  den  Bildungsgrad  des 
Dichters  als  den  der  Fischer  passen.  Petrovskij  bemerkt,  dass  diese 
Räthsel  und  Sentenzen  gesungen  wurden,  adpivati  oder  pripivati 
[v.  877^  878,  966].  Dieses  Wort,  das  übrigens  als  Reim  benutzt  wird, 
braucht  wohl  hier  nicht  als  Melodie  aufgefasst  zu  werden,  sondern  nur 
so,  dass  die  auswendig  gelernten  Sprüche  rhythmisch  (deklamatorisch) 
vorgetragen  wurden.  Dagegen  wird  ja  ausdrücklich  hervorgehoben,  in 
welcher  Weise  und  nach  welchen  Noten  die  drei  Volkslieder  gesungen 
wurden.  Was  schliesslich  die pocasnica  (v.  227 — 38)  betrifft,  so  wurde 
wahrscheinlich  auch  sie  gesungen  —  darauf  deutet  das  opet  {bis)  v.  238 
hin.  Nur  macht  es  mir  den  Eindruck,  dass  dieses  Trinklied  aus  zwei  ver- 
schiedenen Liedern  bestehe.  Der  zweite  Theil  von  y)Majka  mu  je  lipo 
ime  dila(i  an  scheint  ziemlich  volksthtimlich,  der  Anfang  aber  (»iVßs 
gospodin<x  etc.)  mehr  künstlerisch.  Petrovskij  bemerkt  auch  (S.  154) 
nach  Vid  Vuletic  Vukasovic,  dass  eine  von  Petar  Kauavelovic  verfasste 
pocasnica  auf  der  Insel  Korcula  vom  Volke  selbst  gesungen  wurde. 
Ausserdem  sind  die  beiden  Theile  in  metrischer  Hinsicht  nicht  gleich. 
Vielleicht  darf  ich  hier  meiner  Vermuthung  Ausdruck  geben,  dass  dieses 
»Volkslied«  ein  volksthümlich  verwischter  Nachklang  der  abendländi- 
schen Ritterpoesie  sein  könne.  Wie  Bogisic  bemerkt,  kommen  in  den 
epischen  Liedern  des  südlichen  Dalmatien  höfliche  —  ich  möchte  sagen 
höfische  Umgangsformen  vor,  und  nach  Vuk  stammen  diese  Trinklieder 
besonders  aus  den  Bocche  (Perasto).  Mir  kommt  die  Besehreibung  von 
«dem  Herren  zu  Pferd,  mit  dem  seidenen  Hut  und  dem  befiederten  Schild 
und  mit  dem  singenden  Diener  voran«  ganz  wie  ein  Bild  aus  dem  fahren- 
den Ritterleben  vor;  man  sieht  vor  sich  den  Ritter  und  seinen  Knappen, 
während  seine  Mutter  und  Frau  sich  von  ihm  bei  seinem  Ausritt  ins 
fremde  Land  verabschieden.  Wie  viele  deutsche, Volkslieder  verdanken 
ihren  Ursprung  diesem  mittelalterlichen,  künstlerischen  Stoffe  (»Es  war 
ein  Jäger  wohlgemuth,  der  trug  eine  Feder  auf  seinem  Hut«  etc.)! 
Wenn  nun  aber  die  beiden  Fischer  mit  derartigen  feinen  poetischen 
Manieren  etwas  vertraut  waren,  weshalb  sollten  sie  denn  die  schlichten 
Wahrheiten  und  Lebensregeln  der  Religion  und  der  damaligen  Ethik 
nicht  kennen? 


Einige  litterarische  Bemerkungen  zum  »Ribanje«  des  Petar  llektorovic.   433 

Wenn  der  )^Riltanje((-Stoft'  in  Bezug  auf  die  vergleichende  Litte- 
raturgescbicbte  durch  die  Studie  von  Petrovskij  griindlicli  auseinander- 
gesetzt worden  ist,  bietet  er  doch  so  viel  Werth volles  in  realistischer 
und  speciell  slavisch-kultnreller  Hinsicht,  dass  es  sich  wohl  lohnt,  etwas 
länger  bei  diesem  Realismus  zu  verweilen.  Der  Hektorovic'sche  »Fisch- 
fang« ist,  meinem  Wissen  nach,  in  technisch-sachlichem  Sinne  nur  ein- 
mal flüchtig  behandelt  und  zwar  in  der  werthvollen  Abhandlung  von 
Luka  Zore:  »0  ribanju  po  Dubrovnckoj  okolici  sa  Dodatcima  iz  ostalog 
naseg  primorja«  \). 

Es  ist  bemerkenswerth,  dass  der  Dichter  bei  Erwähnung  einfacher 
Gegenstände,  die  sich  auf  die  Schifffahrt  beziehen,  sich  von  rein  slavischen 
Namen  bedient:  plav  [Boot],  j)'dro  (Segel),  veslo  (Ruder);  wenn  es  sich 
aber  um  technisch  mehr  ausgebildete  Sachen  handelt,  treten  die  italieni- 
schen Lehnwörter  hervor:  latitina  (=  lentenna),  timun  (timone),  ar- 
gutla  (Steuerpinne)  v.  107, 163.  Auch  für  Masthaum  wird  das  italieni- 
sche arbor  {=  albore)  benützt  (v.  53),  und  die  dalmatinische  Benennung 
siclro  für  Anker  ist  auch  fremder  (griechischer)  Herkunft,  und  im 
Gegensatz  zu  dem  schlichten  slavischen  y^/ae?  [laiJja]  steht  die  grosse 
venetianische  galij'a  (=  galea,  galera)  v,  1135. 

Ueber  das  Manövriren  auf  dem  See  gibt  »Ribanje«  viele  sprachliche 
Aufschlüsse,  von  welchen  die  meisten  Ausdrücke  in  der  Abhandlung 
von  Zore  schon  notirt  worden  sind.  Die  Ruder  ausschieben  (beim  Be- 
ginnen der  Fahrt)  heisst  tesla  napravitl  (v.  762)  oder  vesla  zamaknuii 
(v.  1216).  Das  kräftige  Rudern  —  sie  sassen  dabei  —  wird  mit  -oju- 
nacki  iiprikeii  (v.  78),  ))dobro  napirucia  (v.  694)  oder  mit  y)Voziti  na 
pospih^'^  (v.  875)  bezeichnet.  Nach  dem  Ende  der  Fahrt  wurde  das 
Boot  entweder  verankert,  »jw/ay  surgavliia  [v.  1081)  oder  am  Ufer  ver- 
teit,  »plav  prwezaviiff  (v.  724).  Beim  Segeln  wurden  die  Rahe  und  das 
Ruder  zugerichtet,  y)lanfmu  svrnuse^^  (drehen)  und  ntimun  nacinivH« 
>  (v.  1215 — 16).  Das  Hissen  des  Segels  wird  mit  ^^jiclro  nupraviti«. 
\  (v.  107)  ausgedrückt.  Wenn  das  Segel  zu  schwellen  anfing,  heisst  es: 
li  DJidro  tiapesea.  (v.  1217).  Gegen  den  Wind  halten  wird  mit  -üdrzati  se 
vrh  vitra<.<~  (v.  511)  seemannsmässig  wiedergegeben,  wogegen  »skuta 
potegniiti'i  (v.  1234)  mit  «deinsen«  gleichbedeutend  ist,  wenn  der  Wind 
»läuft  schulen«  [padase).  Den  Wind  im  Rücken  haben  heisst  »vitar  u 
skutti  (v.  112),  was  für  das  sorglose  Plaudern  der  beiden  Fischer  recht 
vortheilhaft  war.    Der  Gegensatz  zum  schwachen  AVind,  »vitarac  mal«. 

' '  i;  Arkiv  za  poyjestnicu  jugoslavensku.  B.  X,  Zagreb  18(59. 

Archiv  für  slavische  Philologie.   XXV.  28 


434  Alfred  Jensen, 

(v.  513),  war  »stnoracc-  (v.  105),  die  heftige  Brise,  die  sich  für  Fisch- 
fang schlecht  eignete. 

Ueber  die  Methoden  des  damaligen  Fischfanges  belehrt  uns  der 
Dichter  durch  mehrere  realistische  Details.  Ausser  den  gewöhnlichen, 
fein  gezwirnten  Netzen,  die  während  der  Fahrt  schwammen,  aber  dann 
zum  Meeresgrund  hinuutergesendet  wurden  (» mrize  tankoga  tega^  koje 
padaju  der  do  dna  morskoga  i  putom plwajuv.^  v.  55 — 50)  vermittels 
festgebundener  Steine  {i>kolac  od  kmnika'.'^,  v.  83),  hatten  sie  ein  altes, 
feines  Netz  {tnrizica,  v.  72)- mitgebracht,  womit  Muscheln  gefangen 
wurden.  Für  das  Fischen  mit  Schleppnetz  braucht  der  Dichter  npote- 
zati  tratuv-  (v. 772)  vom  xi^.tratta  (tirare).  Als  Köder  wurden  gewisse 
Pflanzen,  am  Seil  gebunden,  benutzt  [-»uhrana  trava  gorske  paae  licmi- 
nom  vezanaii.  (v.  57,  58). 

Gewöhnliches  Angeln  scheint  hier  nicht  vorgekommen  zu  sein; 
wenigstens  wurde  Nikola  von  dem  älteren  Paskoje  zweimal  (v.  75,  739) 
gerügt,  weil  er  vergessen  hatte,  eine  kanjcenica  mitzunehmen  [gewöhn- 
liche Schnur  mit  Angel,  womit  kanj'ac  —  siehe  weiter  unten  —  gefangen 
wird] .  Dagegen  hatte  man  kopitnjak^  eine  Zange,  womit  Muscheln  ge- 
nommen wurden,  sowie  osti^  Fischgabel,  und  /mc,  Kienfackel  (v.  59)  in 
svicalo  (eiserne  Krampe),  v.  1622.  Dieses  Fischstechen  beim  Feuer- 
schein, wo  der  eine  ruderte,  der  andere  die  Fischgabel  hielt,  hatte  für 
den  Dichter  einen  besonderen  Reiz  (v.  1625),  und  es  war  ihm  überhaupt 
ein  grosses  Vergnügen  anzusehen,  wie  die  aus  dem  Netze  herausge- 
flochtenen [izplitahii,  V.  1123)  Fische  zappelten  und  einander  zer- 
drückten. Was  für  Zweck  der  von  Nikola  nachträglich  geholte  Kasten 
[skrahijica^  v.  71)  eigentlich  hatte,  erfahren  wir  nicht;  dagegen  wissen 
wir,  dass  der  schweigsame  Sohn  des  redseligen  Paskoj  eigens  dafür  mit-  1 1 
genommen  wurde,  um  die  Fische  gegen  die  ausgespannten  Netze  zu 
treiben  {»da  huca  na  ribeK,  v,  62)  und  zwar  mit  Hülfe  eines  neuen 
pobuk  {y.  71),  eines  hölzernen,  glockenähnlichen  Instrumentes,  womit! 
auf  das  Wasser  geschlagen  wurde,  um  die  Fische  in  eine  gewünschte  i 
Richtung  zu  verscheuchen').  Während  des  Fischens  wurde  nur  der' 
Ausruf  ))mit!«  vernommeu  (v.  1109),  dasselbe  Wort  das  Nikola  sprach, 
indem  er  die  vergessenen  Gegenstände  holen  wollte  (v.  65).  Und  da- 
mals wie  noch  heutzutage  war  es  streng  verboten,  die  gefangenen  Fische 
zu  zählen  (v.  IUI  — 12). 


1)  Zore.   Ark.  za  povjestn.  jugosl.  B.  X,  S.  360.    Schuchardt,  Koman. 
Etymologien  II,  S.  159  (Sitzber.  der  phil.-hist.  Classe.  Wien  1899,  B.  CXLI 


Einige  litterarische  Bemerkungen  zum  »Bibiinje«  von  Petar  Hektorovlc.  435 

Von  den  erbeuteten  Fischen  weiden  15  verschiedene  Arten  er- 
wähnt. Das3  die  junge  serbokroatische  Litteraturt^prache  für  viele  dieser 
Gattungen  eigene  Benennungen  schon  in  der  Mitte  des  XVI.  Jahrli. 
kannte,  wundert  uns  doch  weniger  als  der  glückliche  Umstand,  dass  ein 
Dichter,  wenn  er  auch  für  Fischerwerb  und  Ichfylogie  ein  praktisches 
Interesse  gehabt  haben  dürfte,  diese  naturalistischen  Details  für  die 
Poesie  verwerthen  konnte  und  wollte.  Hinsichtlich  der  Bedeutung  dieser 
Namen  verweise  ich  auf  zwei  italienische  Arbeiten,  die  auch  für  die  süd- 
slav. Lexicographie  werthvoU  sein  können:  P.  Doderlein^  Manuale  ittio- 
logico,  I — V,  Palermo  ISSI — 91,  und  Canestrihi,  Fauna  dltalia,  Milano 
1874,  wo  die  dalmatinische  Fauna  mehrmals  etymologisch  berücksichtigt 
wird.    Nach  diesen  Gewährsmännern  führe  ich  diese  Fischnamen  an. 

V,  9.").  Zubatac,  Zahnbrassen,  Spams  dentex  (»gross  wie  ein  Kälb- 
chen ^)  und  mit  klafterbreitem  Maul»).  —  Doderl. :  subac,  suhataz 
natürlich  zubac,  zubatac  auszusprechen),  venet.  dental. 

V.  741.  Kanj'ac.  Serranus  Scriba  (Vuk:  .Schriftbarsch;.  Doderl. 
gibt  die  »illyiischena  Formen:  katijah^  lanica  und  s7nokvaga  und  für 
Spalato:  Pirka  und  Vucic  Pirgasti(?)  an.  Canestrini  macht  das  venet. 
cagnia  gemeinsam  für  mehrere  Arten:  Heptaneus  cinereu?,  Triglochis 
ferox,  Charcarodon  Rondeletii,  Selache  maxima,  Oxyrrhina  Spallanzanii 
und  Lamna  cornubica.    (Nach  Krisch  ist  kanj'ac  serr.  cabrilla). 

V.  742.  Procipov  ? 

V.  742.  Janjac  (Lämmcheu)  reimt  mit  kanjac.  Nach  Doderl.  heisst 
Pagellus  mormyrus  (Marmorbrassen)  in  Spalato  ovcica.  Zore  erwähnt 
sowohl  occica  wie  occa  la  marmona].  Die  Leute  sagten  nämlich  von 
Fischen,  wie  von  anderen  Thieren,  dass  sie  weiden  [pasti). 

V.  1113.  -S'X-r/» WC/,  Scorpa'na  porcus,  Drachenkopf.  Nach  Doderl. 
in  Spalato  die  Benennungen:  Bodeljka  crljena^  Skarpoc  cerveni. 
Skarpina  velika  (eine  andere  Gattung :  Skarpina  mala  oder  zarna).  Nach 
Canastrelli  in  Triest  und  Venedig:  scarpena.    Auch  von  Zore  erwähnt. 

V.  1114.  komarca,  Chrysophorys  aurata,  Goldbrassen.  Doderl.: 
komarca.    Zore:  orada.    (Nach  Krisch  lovraia-komarca). 

v.  1115.  Crnorep,  Oblata  raelanura.  Vuk:  ukljata,  ital.  ochiata. 
Doderl.:  crnorep,  Biandbrassen  (Fiume).    Zore:  syuon.  usala. 

v.  1117.  Salpa,  Box  salpa,  Goldstrich.  Zore  «.^  Doderlein:  söpa. 
Goldstriem.     Nach  Krisch  salpa). 

1)  Telic.  Nach  Zore  nennt  mau  doch  gerade  auf  der  Insel  Hvar  eine 
Fiachart  tele  morsko. 

28* 


43G  Alfred  Jensen, 

V.  1117.  Vra?ia.  Nach  Caoastrelli  und  Zore  =  figa.  Figa  ist, 
nach  Canastv.,  sowohl  Lampuga  Doiata  (Stromateos  fiatola,  nach  Krisc'i 
ömokca)  wie  Centrolophus  pompilns. 

V.  1117.  Drozak:  labrus  festivus  (Wörterbuch  der  Agramer  Aka- 
demie), wohl  identisch  mit  dem  von  Zore  erwähnten  clroz. 

V.  1117.  Pic.  Nach  Doderl.  pic  =  Sargus  (litorale  Croazia).  Bei 
Zore  =  namasteni  spar  (Krisch:  spar). 

V.  ms.  Pagar,  Pagrus  vulgaris,  ital.  pagro,  der  Pagel.  Doderl.. 
»illyrische«  Formen  pagar,  pagrun,  fagaro. 

V.  1119.  Sarg^  Doderl.:  Sargus  vulgaris,  Geissbrassen. 

V.  1119.  Trilja,  ital.  triglia,  Mnllus  (barbatus).  Zore:  barbone 
Vened.).  Doderl. :  für  Spalato  trJj'a  hatoglaviza^  Bradazicic  [bradascic). 

V.  1120.  Arbmi,  Sparus  erythrinus  (Pagellus  erylhrinus).  Doderl.: 
«illyrisch«  arhwi^  fagaro.    Canastrelli:  ribon  (Triest),  arboro  (Vened.). 

Von  Muscheln  wird/ei/wa  mehrmals  erwähnt,  dann  hopxto  (v.  807) '). 
Auch  ein  jastog  ^j ,  ein  Meereskrebs  (Locnsta  marina),  wurde  erbeutet 
V.  1640).  Der  Fischfang  wurde  bei  Zavala  begonnen  (v.  79),  deren 
geographische  Identität  S.  Ljubic  konstatirte.  Es  mag  doch  erwähnt 
werden,  dass  —  nach  Zore  —  ein  untiefer  Meerbusen  überhaupt  zavala 
genannt  wurde. 

Wenn  dieser  naturwissenschaftliche  Realismus  in  der  südslavischen 
Dichtung  des  XVI.  Jahrh.  unser  Erstaunen  erwecken  muss,  so  erfreuen, 
uns  nicht  weniger  die  wahrheitstreue  Naturbeschreibung  und  die  kleinen 
Genrebilder  dieser  »Idylle«.  Ich  erinnere  vor  allem  an  die  köstlicbt 
Erzählung  des  alten  Paskoj  von  den  Mönchen  y>na  SolinskoJ  rici  kon 
Urmanic  mlina  i  kastilcm  (v.  267 — 3 IS),  wie  sie  sich  am  Flusse 
wuschen,  beteten.  Mittag  assen  und  tranken,  »malo  govorici«  und  dann 
wieder  beteten;  wie  Wein  »2<  veloj  bokari<i  und  Käse  hervorgeholt 
wurden  und  wie  sich  danu  mit  Gesprächen  über  alltägliche  physikalische 
Erscheinungen  unterhielten  (gar  nicht  so  »wissenschaftlich«,  wie  Tomo 
Matic  sich  die  Sache  denkt,  denn  um  solche  Experimente  auszuführen, 
brauchte  mau  nicht  die  Kenntnisse  eines  Aristoteles).  —  Das  Landgut 


1)  Ist  wohl  mit  dem  slav.  hopito,  Huf,  verwandt.    Nach  Canestriui  notiri 
ich  die  zufällige  Aelinlichkeit  mit  dem  ital.  cohite,  einem  Fische  (Cobitia 
Nach  derselben  Quelle  ist  lupara  iu  Neapel  gleichbedeutend  mit  einem  Fiscli.. 
Merlangus  communis.    Im  südi.  Daltnatien  ist  lupar  eine  sehr  verbreitete  Art' 
kleiner  einschaliger  Austern. 

-)  Darüber  eine  Notiz  von  M.  Metlic  in  »Brank.  Kolo«  1900,  Nr.  44. 


Einige  litterarische  Bemerkungen  zum  »Eibanje"  von  Petar  Hektorovic.    137 

des  Dnjmo  Banistrelli  am  Hafen  von  Necujam  [y.  1085 — 109():  mit  r/if- 
ftfirna  Cistern),  trfalj  Obstgarten;  ist  nur  flüchtio:  skizzirt;  um  so  aus- 
führlicher aber  ist  das  reizende  Bild,  das  der  bescheidene  Verfasser 
durch  den  Mund  des  Kapitains  der  Galere  von  seinem  eigenen  Heim  in 
Cittavecchia  uns  sribt  v.  1177 — MSI):  Parkanlage,  das  im  Bau  be- 
griftene  Kastell  ttrclolj\,  das  »zu  Ehren  Gottes,  der  Gemeinde  zur 
Hülfe  und  ihm  selbst  zur  Erholung«  (v.  37 — 38)  aufgeführt  wurde;  die 
Obstbäume,  «von  gescheiten  Händen  gepflanzt (r,  Fischteich,  Wasser- 
leitungen und  Brunnen,  Pferde-  und  Hühnerstall,  Taubenhaus,  gereimte 
Inskriptionen  an  Mauern  und  Steinen,  steinerne  Säulen  unter  Wein- 
reben —  kurzum  eine  vorzüglich  gepflegte  Landwirthschaft,  die  man 
heutzutage  so  selten  inDalmatien  findet.  Und  dann  der  herrliche  Garten 
mit  Cypressen,  Holunderstiäuchen  [bazde]^  Buchsbäumen  buse),  Tama- 
risken, Kaperstauden,  Crocus-Läuchen  (Safran),  indischen  Feigen  »mit 
Blättern  wie  Bremsen«,  Jasminen,  weissen  Lilien  [^i^Ji],  Rosmarinen  und 
Oleandern.  Und  wer  hatte  dem  glücklichen  Besitzer  diese,  theilweise 
tropischen  Pflanzen  verschafft,  wenn  nicht  sein  greiser  Altersgenosse 
und  Uichterbrudev  in  Ragusa.  dorn  Maco7\  Mavro  Vetranic  Cavcic,  der 
grösste  poetische  Naturfreund  der  damaligen  slavischen  Welt,  den  Hek- 
torovic im  folgenden  Jahre  persönlich  aufsuchte. 

Ebenso  realistisch  sind  die  beiden  Fischer  gezeichnet  —  es  sind 
wahrhaftig  keine  liebeskranken ,  vermummten  Knlturgeschöpfe  des 
städtischen  Lebens,  auch  keine  idealisirten  Typen  des  dalmatinischen 
Fischerstandes,  sondern  echte  Individuen,  aus  der  schlichten  Wirklich- 
keit genommen  und  in  langen  Röcken,  Dolmaneu  [dolame,  v.  1068)  an- 
gezogen. Paskoj,  der  ältere,  ist  ein  gutherziger,  biederer  Kerl  und,  nach 
dem  Spitznamen  Debelj  zu  urtheilen,  robust  und  etwas  beleibt.  Geneigt 
zum  Philosophiren,  gibt  er  den  Anlass  zu  dem  Rathen  der  Räthsel  und 
zu  dem  Dialog  in  Sprüchen ;  er  ist  auch  besonders  wissbegierig,  denn 
[er  will  sich  etwas  mehr  über  die  physikalischen  Wunder  erkundigen 
und  fragt  nach  dem  Namen  des  vornehmen  Herrn  auf  derGali're  wahr- 
scheinlich ist  es  ein  venetianischer  nobilis).  Schliesslich  hat  er  die  Nei- 
gung des  Alters,  etwas  ,'mürrisch  zu  sein,  denn  er  rügt  den  jüngeren, 
theils  weil  dieser  vergessen  hatte,  die  kanjcenica  mitzunehmen,  wodurcli 
gute  Reisekost  hätte  geangelt  werden  können  (v.  739 — 10),  theils  weil 
Nikola  die  bukJj'a  Flasche)  am  Ufer  zurückgelassen.  Der  junge,  präch- 
tige [mlad  i  glzdav\  Nikola  wiederum  ist  sehr  rasch  und  scharfsinnig, 
dabei  aber  auch  etwas  vevgesslich  und  bekommt  zuerst  das  Fischen  satt, 


438  Alfred  Jensen, 

als  der  osmoiac«  hinaufvvebt  (v.  105);  er  ist  schliesslich  gegen  den 
Aeltercn  ehrfurchtsvoll  (v.  1 17 — 1 8),  verlegen  »wie  eine  Braut«  (v.  203 — 
208)  und  bescheiden,  denn  er  begnügt  sich  mit  einem  Becher  Wein,  ob- 
gleich Hektorovic  ihm  sogar  drei  zutheilen  will.  Er  ist  auch  derjenige, 
der  die  j)ocasnica  zu  Ehren  ihres  hohen  Gastes  vorsclilägt.  Alle  beide 
aber  sind  gleich  anspruchslos,  denn  nachdem  Hektorovic  sie  wegen  der 
geistigen  Unterhaltung  gelobt  hatte,  antwortete  Paskoj  mit  Verbeugung, 
sie  seien  ihrer  Armuth  und  Geringheit  bewusst  wie  die  meisten  Leute 
ihres  Standes  (v.  1503 — 04);  dabei  verleugnen  sie  doch  ihre  aufrichtige 
Selbständigkeit  nicht,  denn  sie  erklären  geradezu,  dass  sie  die  tbeure 
Zeit  bei  solchem  »Sonntagsa-Fischen  nur  verlieren  (v.  1659),  und  sie 
müssen  neue  Fackelstäbchen  schneiden  und  die  Netze  flicken,  um  nach 
Vis  (Lissa)  zu  fahren. 

Wenn  es  v.  1084  heisst.  dass  die  beiden  Fischer  sammt  Hektorovic 
in  die  Kapelle  gingen  und  das  Gebet  verrichteten,  jeder  auf  seine  Art, 
glaubt  Petrovskij,  dass  dieses  »svakpo  ohicaj  suoj((  vermuthen  lässt. 
dass  die  beiden  Fischer  ungleicher  Konfession  waren,  und  er  sucht  diese 
gewagte  Hypothese  mit  der  Hinweisung  zu  kräftigen,  dass  Nikola  das 
Singen  »Si'bskim  nacinom«  (v.  519)  vorschlägt.  Meiner  Ansicht  nach 
gibt  es  keinen  Grund  für  eine  derartige  Vermuthung.  Diese  Worte,  wo- 
mit der  Zwölfsilber  ausgefüllt  wird,  können  wohl  nichts  anderes  bedeu- 
ten, als  dass  die  Fischer  so  beteten,  wie  sie  es  nach  ihrer  individuellen 
Sitte  gewohnt  waren,  wenn  kein  Priester  dabei  war.  Wie  Bogisic  nach- 
gewiesen hat,  war  in  Dalmatien  die  heikle  Nationalitätsfrage  mit  der 
konfessionellen  gar  nicht  identisch,  und  da  der  junge  Nikola  »Ze^< 
hiess,  darf  man  vielleicht  annehmen,  er  sei  ein  Schwiegersohn  von  Pas- 
koj, den  er  ja  auch  r)cacka<.<  (Vater)  nannte.  Wie  schön  wäre  es  aber, 
wenn  es  bewiesen  werden  könnte,  dass  schon  vor  mehr  als  350  Jahren 
ein  katholischer  Kroate  und  ein  orthodoxer  Serbe  —  beide  niedrigen 
Standes  —  sich  volle  drei  Tage  auf  einer  dalmatinischen  Insel  so  schön 
und  einig  vertragen  hatten ! ! 

Auch  über  den  Dichter  selbst  und  seine  litterarische  Persönlichkeit 
verbreitet  das  Gedicht  Licht.  Man  erfährt,  dass  er  zur  Zeit  dieses  Aus- 
fluges 70  Jahre  alt  war  (v.  158);  obgleich  er  sich  etwas  schwach  fühlte 
(v.  43),  war  der  rüstige  Greis  doch  fähig,  die  körperlichen  Strapatzen 
dieses  Fischfanges  mit  jugendlichem  Interesse  mitzumachen,  und  da  es 
eine  frische  Reiseerinnerung  war  [nminutih  ovih  dann.^  v.  17),  darf  man 
um  so  weniger  die  Glaubwürdigkeit  seiner  Schilderungen  von  Gesprächen 


Einige  litterarische  Bemerkungen  zum  >Ribanje«  von  Petar  Hektorovic.  439 

etc.  io  Zweifel  ziehen.  Von  seiner  litterarischen  Bildung  zeugt  das  Lob 
über  das  damalige  Split  i)  und  dessen  Alt-Meister  Marko  Manilic 
(v.  772 — 804),  nur  seine  tiefe,  rechtgläubige  Religiosität  spiegelt  sich 
in  der  langen  Abschiedspredigt  {v.  l. '):<.') — 1619)  ab,  worin  er  die  Ge- 
bote der  christlichen  Liebe  und  Barmherzigkeit  schön  betont.  Und  mit 
Recht  hebt  Petrovskij  kräftig  hervor,  wie  freundlich  der  geborene  Aristo- 
krat, Sohn  eines  der  vornehmsten  und  reichsten  Patricier  von  Hvar,  mit 
diesen  Plebejen  verkehrte;  er  nannte  sie  »ch-uzi  mi//'.<  (v.  IT.j)  und 
nahm  keinen  Anstand  daran,  mit  ihnen  die  Kost  zu  theilen,  obgleich  die 
»jezine«  ihm  grossen  Durst  verursachten. 

Nach  der  Studie  von  Petrovskij  wird  hoflfentlich  kein  slavischer 
Litteraturkritiker  zu  schreiben  wagen,  dass  Hektorovic  sich  »durch  eine 
realistische  Darstellungstreue  nicht  auszeichnete«.  Im  Gegentheil:  der 
Verfasser  des  »Ribanje«  war  einer  der  am  meisten  realistischen  Dichter 
des  ganzen  Jahrhunderts,  und  wenn  sein  » Fischfang  i'  ein  paar  Jahrhun- 
derte zu  früh  geschaffen  wurde,  um  sofort  gewürdigt  werden  zu  können, 
haben  wir  eine  um  so  grössere  Pflicht,  seinem  »Ribanje«  den  gebühren- 
den Platz  in  der  Weltlitteratur  zu  geben.  —  Freilich  —  mit  dem  Zeit- 
genossen Mavro  Vetranic  kann  Petar  Hektorovic  keineswegs  verglichen 
werden;  schon  der  erste  Thell  des  Vetranic'schen  «Remeta«  mit  der 
grossartigen Invokation  «Staute  zvieri,  staute  ptice  .  .  .«  genügt,  um  dem 
»Dom  Mavar«  den  Ehrenplatz  unter  den  südslavischen  Cinquec^ntisten 
zu  sichern.  Aber  ihm  zur  Seite  in  Bezug  auf  poetischen  Realismus  steht 
?eiu  Freund  von  Lesina,  und  Hektorovic  konnte  in  den  Schlusszeilen  au 
Brtucevic  mit  stolzem  Selbstbewusstsein  behaupten ,  dass  sein  Name 
durch  diese  litterarische  Ausbeute  des  Fischfanges  leben  werde,  »dok/e 
ova  strana  hude  ctit'i  slova  nasega  jezikav^. 

V  Wo  Hektorovic  (v.783)  von  Marulic  sagte,  dass  er  sich  auch  durch  die 
slavische  Sprache  jezih  slomnski  auszeichnete,  macht  Petrovskij  (Note  S.  169) 
die  Bemerkung,  dass  die  pansl  avistische  Idee  dem  Dichter  des  »Ribanje« 
nicht  fremd  sei.  Wie  kann  man  das  beweisen?  Wusste  Hektorovic  überhaupt 
etwas  von  West-  und  Nordslaven?  Der  Sinn  ist  doch  so  einfach  klar:  Marulic 
ist  zu  loben,  weil  er  nicht  nur  lateinisch  schrieb,  sondern  auch  in  seiner  sla- 
vischen  Muttersprache.  Wenn  Roman  Brandt  sich  für  den  Gundulic'schen 
"Panslavismus"  begeisterte,  ist  es  mehr  verständlich,  weil  die  historischen 
Verhältnisse  im  Anfang  des  XVII.  Jahrh.  anders  lagen  und  weil  die  geogra- 
phischen Kenntnisse  dann  mehr  verbreitet  waren.  Das  ewige  Suchen  nach 
einer  politisch  angehauchten  panslavistisehen  Vorzeit  sollte  überhaupt  den 
Journalisten  und  den  Dichtern  überlassen  werden. 

Alfred  Jensen. 


440 


Ilias  von  Keussen  und  Il'ja  Muromec 


Die  im  Mittelalter  zwischen 
den  russischen  u.  deutschen  Volks- 
dichtungen bestandenen  Wechsel- 
beziehungen kommen  in  dem 
Namen  und  Typus  des  Ilias  von 
Keussen  oder  jarl  of  Greca  der 
Dichtungen  Ortnit  und  Thid- 
rekssaga  klar  zum  Ausdruck. 
Schon  MüUenhoff  hatte  an  der 
Identität  dieser  Namen  mit  dem 
russischen  Il'ja  Muromec  festge- 
halten: «Ilias  of  Greca  oder  von 
Reussen  ist  nemlich  unzweifelhaft 
derilija  von  Murom  der  russischen 

SSage,  der  Hauptheld  unter  den 
Wunderhelden  Wladimirs«  (Z.  f. 
D  A.  XII  S.  353).  Diese  Be- 
'hauptung  MüUenhoffs  blieb  bis  zur 
letzten  Zeit  nichts  weiter  als  eine  Hypothese,  die  allerdings  von  solchen 
Gelehrten  wie  Majkov,  Jagic,  Wesselofsky,  Pypin  angenommen  wurde, 
durch  die  jedoch  einige  wesentliche  Thatsachen  aus  dem  darauf  bezüg- 
lichen Kreise  von  Erscheinungen  keine  Erklärung  fanden,  wie  z.  B.  die 
Grundlage  der  augenscheinlichen  Identität  der  Namen  Ilias  und  Il'ja, 
bei  der  gänzlichen  Unbekanntschaft  der  russischen  Annalen  mit  einem 
Helden  Il'ja,  oder  der  Unterschied  sowohl  in  dem  Inhalt  der  Erzählungen 
von  Ilias  von  Reussen  und  von  Il'ja  Muromec,  als  auch  in  dem  Haupt- 
charakter dieser  Helden,  der  so  bedeutend  ist,  dass  er  vor  Jahren  den 
russ.  Gelehrten  Kirpicnikov  veranlasste,  den  Gedanken  an  die  Identität 
dieser  Personen  abzuweisen  (IIoaMti  jioMÖapACKaro  ii,HK.iia  M.  1873, 
S.  109 — 111),  u.  s.w.  Doch  die  in  neuerer  Zeit  erzielten  Resultate  der 
russischen  Sprachforschung  im  Zusammenhang  mit  einer  neuen  Zusam- 
menstellung von  Daten  aus  der  Geschichte  des  altrussischen  Epos  er- 
möglichen jetzt  schon  die  Begründung  der  MüllenhofF'schen  Annahme 
von  der  Identität  des  Ilias  von  Reussen  mit  dem  Il'ja  Muromec. 


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Ilias  von  Reussen  und  Ilja  Miiromec.  441 

Die  Beziehungen  naher  Verwandtschaft  zwischen  den  altdeutschen 
Ueberliefernngen  von  Ilias  von  Reu!>seu  und  den  rassischen  epischen 
Erzählungen  von  Il'ja  Muromec  werden  durcli  ein  tertium  comparationis 
vermittelt,  durch  die  altrussischen  Erzählungen  von  Oleg  dem  Weisen,  in 
welchen  wesentliche  Anklänge  einerseits  an  die  Motive  in  »Ortnit«  und 
»Thidrekssaga't,  die  mit  Ilias  von  Reussen  oder  jarl  of  Greca  zusammen- 
hängen, anderseits  an  die  russischen  Bylinen  von  Volga  Svjatoslavic  und 
Il'ja  Muromec  nachgewiesen  werden  können.  Der  Inhalt  Ortnit's  hat 
unverkennbar  grosse  Verwandtschaft  mit  der  auf  den  ersten  Seiten  der 
altrussischeu  Chronik  verzeichneten  Sage  von  Oleg  dem  Weisen,  nament- 
lich in  folgenden  Bestandtheilen :  1.  in  der  Erzählung  von  dem  Zug 
Oleg's  mit  Igor  aus  Novgorod  gegen  Kijev,  und  2.  in  der  Schilderung  der 
kriegerischen  Abenteuer  Oleg's  gegen  Konstantinopel  und  die  Griechen. 
Die  Verwandtschaft  bezieht  sich  sowohl  auf  die  Grundmotive  der  Er- 
zählungen als  auch  auf  einige  Eigennamen  der  handelnden  Personen 
und  der  Oertlichkeiten. 

1.  Das  Gedicht  Ortnit  erzählt  von  der  Meerfahrt  Ortnit's  zum  Zweck 
der  Brautwerbung  aus  dem  lombardischen  Garten  Garda)  nach  Suders 
inSurie,  wobei  alsHauptbeistaud  des  lombardischen  Königs  der  russische 
Fürst  —  von  der  Riuzen,  der  Kunic  —  Ilias  (A.  Amelung  u.  O.Jänicke, 
Deutsches  Heldenbuch  III.  Tb.  1.  B.  Ortnit)  oder  Eiigas  (A.  v.  Keller, 
Das  deutsche  Heldenbuch  in  der  »Bibliothek  des  litterarischen  Vereins 
in  Stuttgart«  1S67),  sein  Oheim  mütterlicherseits,  erscheint.  Die 
russischen  Annaleu  erzählen  von  dem  Zug  des  Fürsten  Igor  aus  Nov- 
gorod auf  dem  grossen  warägischen  Wasserweg,  dessen  Endziel  Sud 
[==  Sund)  bei  Konstantinopel  bildete.  Als  Helfershelfer  Igor  s  nennt  ein 
Theil  der  Annalen  seinen  Oheim  mütterlicherseits,  Oleg  (»Byil«),  den 
»russischen«  oder  den  »urmanischen«  (d.  h.  normannischen)  Fürsten. 

2.  Ortnit  und  Eligas-Ilias,  denen  das  deutsche  Gedicht  noch  den 
Zwerg  Alberich  zugesellt,  bemächtigen  sich  des  Ortes  Suders  oder 
Sunder  mit  Hilfe  desselben  Listanschlags,  dessen  sich  Igor  und  Oleg  bei 
der  Einnahme  Kijevs  bedienen,  d.  h.  sie  verstecken  ihre  Soldaten  im 
Innern  der  Schifife,  geben  sich  für  Kaufleute  aus ,  führen  die  Stadt- 
bewohner hinters  Licht  und  werden  von  diesen  gutwillig  in  den  Hafen 
hineingelassen. 

3.  Der  Bewegung  der  Schiffe  Oleg's  auf  dem  Landwege  von  Sud 
bis  zur  Stadt  Konstantinopel  entspricht  in  Ortnit  der  wunderbare  Ueber- 
gang  der  Krieger  Ortnit's  und  Eligas'-Ilias'  aus  den  Schiffen  ans  Ufer 


442  M.  Chalanaldj, 

(Suders')  in  den  Barken,  die  den  Bewohnern  Suders'  angehörten ,  mit 
Hilfe  einer  Zauberei  Alberich's. 

4.  Mit  der  Bewegung  des  Heeres  Ortnit's  und  Eligas'-Ilias'  von 
Suders  gegen  Muntabfir,  unter  der  Anführung  Alberich's,  der  von  den 
Leuten  für  einen  Engel  gehalten  wurde,  kann  man  den  Zug  Oleg's  von 
Sud  gegen  Konstantinopel  zusammenstellen;  der  letztere  wurde  ebenfalls 
von  den  verwunderten  Griechen  für  den  h.  Demetrius  gehalten. 

5.  Die  Grausamkeiten  Eligas'-Ilias'  in  Suders  decken  sich  mit  denen 
Oleg's  und  Igor's  in  Sud. 

6.  Die  russische  Erzählung  der  Annalen  von  der  Niederlage  Oleg's 
oder  Igor's  in  Sud  und  von  der  Verbrennung  russischer  Schiffe  mit  Hilfe 
des  «griechischen  Feuers«  hat  ihre  Parallele  in  der  Episode  Ortnit's  von 
der  Niederlage  Eligas'-Ilias'  in  Suders,  dieser  war  von  Ortnit  im  Hafen 
Suders'  gelassen  aus  Angst,  dass  die  Heiden  seine  Flotte  »mit  wildem 
Fiure«  niederbrennen  könnten. 

7.  Dem  Aufhängen  des  Schildes  am  Thore  Konstantinopels  seitens 
Oleg's  oder  Igor's  zum  Zeichen  des  Sieges  kommt  gleich  das  Aushängen 
seiner  eigenen  oder  der  Fahne  Ortnit's  seitens  Eligas'-Ilias'  auf  der 
kaiserlichen  Zinne  in  Suders. 

8.  In  Ortnit  bemüht  sich  Eligas-Ilias  um  das  Zustandekommen  der  I 
Heirath  Ortnit's  mit  der  Tochter  Machorel's :  in  der  russ.  Chronik  führt 
Oleg  dem  Igor  die  Frau  zu  aus  Pskov  (Hhkoh.  Ä'It.)  oder  aus  Izborsk 
(TaTumeBt,  Poe.  hct.  I.  372)  oder  aus  Polovecer  Pleskov  (SKCKypcti  bx 
ovji.  ÄpeBHiixi.  pyROiTHceii  XXI — XXIII,  1 2) . 

9.  Garte  oder  Garten,  die  Residenz  Ortnit's  in  Lamparten,  ist  nach 
der  übereinstimmenden  Ansicht  Müllenhoff's  Nogarten,  Nogardeu,  Nov- 
gorod,  associirt  mit  dem  lombardischen  Garda.  In  den  russischen  Annalen 
beginnen  Oleg  und  Igor  ihren  Zug  von  Novgorod  aus.  In  der  von  mir 
herausgegebenen  Chronik  (cf.  BKCKypcti,  S.  11)  ist  Novgorod  Residenz 
Ortnit's,  der  darnach  »Fürst  von  Novgorod«  genannt  wird. 

10.  Die  verschiedenen  Redactionen  Ortnit's  bieten  folgende  Formen 
des  Namens  des  russ.  Fürsten,  der  Ortnit's  Oheim  und  Helfer  war: 
Eligas,  Elygas,  Elyas  (A.  Keller  a.  a.  0.),  Elias,  Ylias,  Yljas,  Ilias. 
lUias.  lUas  (Amelung-Jänicke  a.  a.  0.  S.  4).  Die  aus  dem  Bereich  der 
Geschichte  der  russ.  Sprache  gewonneneu  Daten  gestatten  in  diesen 
Formen  den  Abklatsch  und  die  Wiedergabe  der  entsprechenden  alt- 
russischen Volksvariationen  des  Namens  Oleg  (des  Weisen)  zu  erblicken, 


Ilias  von  Reussen  und  U'ja  Muromec.  443 

die  in  den  südwestlichen  und  westlichen  Dialekten  des  Russischen  schon 
IUI  XII — XIII.  Jahrh.  möglich  waren. 

a)  Eligas.  Auf  Grund  des  von  Fortunatov  (JeKuin  no  4>0HeTHKt 
crapocjaB.  iistiKa  217)  und  JSchachmatoff  (IlacJiiAOB. nt  oßjiacTH  pyccKoii 
ipaMM.  12  u.  ö."i  aufgestellten  Gesetzes  über  den  russ.  Lautwandel  beim 
anlautenden  he  und  in  der  nächsten  Silbe  nachfolgenden  v  oder  /,  sind 
wir  berechtigt,  in  der  altruss.  Sprache  die  Existenz  paralleler  Formen 
Ujbrx  oder  0;ii>ra  und  *E.ir'i.  oder  *E.iM"t,  *Ejra  oder  *E.ibra  zur 
Wiedergabe  des  altnordischen  Helgr  oder  irgend  einer  Variante  des- 
selben (lloelge,  Helgi,  Helicho,  Heiliga,  lateinisch  bei  Saxo  Grammaticus 
Helgo  oder  Heigus)  zu  erwarten  (Kunik,  Die  Berufung  der  schwed. 
Rodsen  II.  142 — 14S,  Raszmann,  Die  deutsche  Heldensage  l.  7H). 
Vergl.  Ojbra  und  "Ekya  (bei  Konstantin  Porphyrogenuitus  und  Ked- 
reuos)  neben  dem  altnordischen  Helga,  oder  ojibxa  und  e.ixa,  O.Mejiflirr. 
und  EMe.ibflm.,  Euoxx  und  Ühox'l  (Bezsonov  Ka.iiKH  nepex.  V.  119), 
ropa  E.ieoHCKaa  und  O.ieoHCKaa  (ib.  VI.  213),  03epuii;e  und  Eaepiiiue 
^im  Gouv.  Witebsk),  E4>peMi.  und  UxpiMi,  ii.  s.  w.  Betrefls  des  /  in 
Eligas  vergl.  .IiiBOB'b,  .T^iiBOB'iaiie  in  der  Urkunde  vom  Jahr  145G  (Ogo- 
uowski,  Studien  55),  O.inrapAV  in  einer  Kaufurkunde  des  XIII.  Jahih. 
nach  der  Abschrift  des  XVII.  Jahrh.  (  Boctokobt.,  Onnc.  pvK.  WM.  1 1  7i. 

b)  Elyas  oder  Elias  entspricht  der  russ.  Form  E.iba,  die  man 
als  eine  Variante  zur  Form  Bo.iba  (Hilferding,  Oaeac.  ubi.i.'  N.  32; 
neben  der  üblichen  Bojibra  ansehen  muss.  Bo.iba  ist  entweder  aus 
Bo.ibra  durch  die  Mittelstufe  Bo.ibra  (vergl.  moskauisch  O.ibra  in 
CßopiuiKT)  CTaTeii  bt,  uecxb  «l'opTynaTOBa  5U3)  oder  aus  der  Form  des 
Nominativs- Vocativs  0.ibre,  Bo.ibre  iWjri  IlnaHOBH  in  der  Novgor. 
Chronik  nach  dem  Archivtext  s.  a.  13S1,  vergl.  Sobolevskij,  .'leKnin 
S.  175,  Potebnja,  nsb  3aii.  no  pyecK.  rpaMMaTHKi^  94 — 97)  hervor- 
gegangen, daher  O.ibie,  Bo.ibre  (wie  Eionexb,  lOpiil,  lOpbie)  und  O.iba, 
Bojibfl  (wie  lOpba  als  Nominativ  sing.);  ähnlich  entstand  E.iba  entweder 
aus  *E.ibra.  *E.ibia  oder  aus  *E.ibre,  ^Ejibie. 

c  Ilias,  Ylias,  Yljas  ist  Wiedergabe  der  russ.  Form  Il.iba,  in 
welcher  das  anlautende  11  (?)  euphonischen  Ursprungs  sein  kann  beim 
Nominativ .Ibra  oder  bei  der  nomin. -vocativischen  Form.Ibre  zum  Nomi- 
nativ .Ibri.  (Ilo.in.  eoup.  pyccK.  Ätr.  IX.  21),  O.ibrx  (vergl.  ILibroBX, 
ILibroBCKÜl,  lLIbTH^«  u.  a.)  und  das  auf  le  im  Worte  E.iba  durch  die 
Vermittlung  der  Diphthongen  y?/o,  yt/<^  zurückgeht,  vergl.  IIujiÄiiny 
(Leben  Vladimirs  nach  der  Handschrift  vom  J.  1494  ,  lO.ira,  ICiämut. 


444  M.  Cliahmskij, 

(im  Ovrucer  Kreis  des  Gouv.  Volliynien,  vergl.  Korobka,  CKaaaiiia  o6t> 
Ypoimmaxx  onpyij.  y.  Cnpan.  kii.  Ecjibiiickoh  ryö.  1899),  lOjibioma, 
lOjhiomeiibKa  (Ticlionr.  Miller,  Ijlliiiiili  cxap.  h  hob.  3an.  Nr.  13). 
Uebrigens  ist  der  Uebergang  von  e  in  i  (Ejita-HjitH)  auch  unter  dem 
Einfluss  der  Weichlieit  der  nachfolgenden  Silbe  (cf.  Schachmatoff  a.  a. 
0.  S.  24  u.  Cap.  19)  erklärlich,  vergl.  ILiiine  "ii/A^jrt?  (Hsö.  1073), 
HnApiixt:  Heinrich  (HnaT.  ji^t.),  HpHniil  (Vita  Arcadii  Novgor. 
XIV.  saec),  IIjiBa  neben  3.7i6a  (Chronogr.  XVII.  Jahrh.  bei  Andr.  Popov 
Il3ÖopHiiKi>  49 S)  u.  a. 

d)  Illias  und  lllas  geben  die  westrussische  Form  T/Lääe  wieder. 

11)  Die  Benennung  Eligas',  Ilias'  als  Kunic  von  Reussen  ent- 
spricht der  in  den  russischen  Annalen  üblichen  Bezeichnung  Oleg's  als 
»russischer  Fürst«  oder  » urmanischer c  d.  h.  »murmanischer«  Fürst, 
gemäss  der  alten  Synonymik  dieser  beiden  Ausdrücke.  Der  Ausdruck 
MypMaHCKÜl:  veränderte  sich  unter  dem  Einfluss  der  Volksetymologie 
in  MypoMcidii  oder  MypaBCKifi:  man  vergl.  die  Benennung  My- 
poMCKÜl  und  MypMaHCKiii  MOHacxLipb,  MypoMCKiit,  Mypivio  und 
MypoMCKÜl  ocxpoBT.  (in  dem  Testament  des  Lazar  Mnrmanskij  oder 
Muromskij  bei  Barsukov,  IIcto^hiikh  pyccK.  ariorpa*in  S.  322;  Am- 
vrosij,  IIcTop.  poee.  iepapxiu  V.  115  ff.],  oder  die  Bezeichnung  MypaB- 
CKÜI  nyxb  für  den  grossen  warägischen  Landweg  nach  Griechenland, 
oder  die  Insel  MypoBei^x  am  Dnjepr  entsprechend  dem  alten  Namen 
Waräger- Insel.  Folglich  entspricht  auch  in  der  Benennung  Ilias'  sein 
Zuname  MypoMcu.x  oder  MypoBeu,-!) ,  MypaMeu,!.  u.  a.  der  Bezeichnung 
desselben  als  Ilias  von  Reussen. 

12.  Der  Name  der  von  Ortnit  und  Eligas-Ilias  eingenommenen 
Stadt,  nämlich  Suders,  Sunders,  Suder,  kommt  sehr  nahe  der  Benennung 
Sud  (cfhfl^T,),  eines  Vorortes  von  Konstantinopel,  dessen  sich  Oleg  und 
Igor  bemächtigt  hatten. 

13.  Der  Name  des  Königs  Machahol,  Nachaol,  Nachael  (Machorel). 
dessen  Tochter  Ortnit  heirathet,  erinnert  stark  an  den  Namen  des 
griechischen  Kaisers  Michael,  in  dessen  Zeiten  einige  russ.  Annalen 
den  Zug  Oleg's  gegen  Konstantinopel  versetzen. 

14.  Merkwürdigerweise  besteht  auch  zwischen  den  Charakteren 
Machahol's  oder  Nachaol's  in  Ortnit  und  Kaisers  Michael  in  der  anna- 
listischen Oleg-Erzählung  einige  Verwandtschaft :  Machahol- Machorel  ist 
ein  zügelloser,  grausamer  Mensch  und  der  Kaiser  Michael  ist  nach  der 
Auffassung  der  russischen  Chronik  (in  Uebereinstimmung  mit  den  griech. 


Ilias  von  Reussen  und  Il'ja  Muroiucc.  445 

Quellen)  »ue.iOB'£KX  CKiiepnoaaiTe.ieni.,  nijiiiiiu;a  11  oöhaiuik'b,  .  .  .  iipe- 
'itiBaiOLuin  bt.  öjiVA'Ii  n  iiiaiicTuL«    Hiikoii.  .Itr.  . 

Da  die  deutschen  Varianten  des  Namens  des  russ.  Fürsten,  der  dem 
russischen  Oleg  Vjescij  entspricht,  aus  den  Eigenthümlichkeiten  der 
südwestlichen  und  westlichen  Dialekte  der  altrussischen  Sprache  erklärt 
werden  können ,  so  sind  die  Erzählungen  über  Oleg  wahrscheinlich  aus 
westrussischen  Gegenden  nach  Deutschland  vorgedrungen.  Die  cultu- 
rellen  Beziehungen  Smolensks  und  Polotzks  mit  Deutschland  im  XIII.  bis 
XIV.  Jahrh.  sind  wohl  bekannt.  Das  auslautende  a  oder  an  der  Form 
Eli  gas  würde  auf  die  litauische  Vermittlung  in  der  Uebertragung  der 
Oleg-Erzählungen  aus  Russland  nach  Deutschland  hinweisen.  In  der 
That  existirt  ein  interessantes  Zeuguiss  Tutiscev's  (rocciucK.  ncTopin  t. 
I  S.  390.  553)  dafür,  dass  die  Ueberlieferung  über  »den  Stamm  Rjuiik's« 
noch  im  XV.  u.  XVI.  Jahrh.  in  Litauen,  mit  der  Fixirung  auf  das 
preussische  Litauen .  und  in  der  Association  mit  der  Ueberlieferung  von 
Kaiser  Augustus,  bekannt  war;  aus  Litauen  kamen  »oiiLm  uaciiH«  (jene 
Fabeln)  durch  Glinskij  oder  irgend  einen  andern  nach  Moskau 
(im  XVI.  Jahrh.)  und  hier  spiegelten  sie  sich  in  den  entsprechenden 
Vorstellungen  betreffs  der  Abstammung  lijurik's  und  Oleg's  von  dem 
Pruss  »aus  dem  Land  der  Prussen«  und  in  den  bekannten  stolzen  Ten- 
denzen, die  die  russischen  Rjurikovici  (Rjurik's  Abkömmlinge)  mit  dem 
Stamm  des  Kaisers  Augustus  in  Verbindung  brachten ,  ab.  Auf  diese 
Weise  enthalten  die  mit  Eligas- Ilias  Kunic  von  Reussen  zusammen- 
häugenden  Motive  Ortnit's  ein  schätzbares  Material  nicht  nur  für  die 
äussere  Geschichte  des  Epos  von  Oleg,  sondern  auch  für  die  innere, 
specitisch  russische.  Während  sie  auf  der  einen  Seite  von  der  Ver- 
breitung der  Erzählungen  über  den  russischen  Oleg  jenseits  der  Grenzen 
Russlands  das  Zeugniss  abgeben,  enthalten  sie  anderseits  sehr  schätz- 
bare, einzige  in  ihrer  Art,  Hinweise  auf  die  alten  nationalrussischen 
Varianten  des  Namens  Oleg,  die  sich  in  der  russischen  Annalistik  infolge 
des  starken  Conservatismus  der  Literatursprache,  die  der  Beeinflussung 
seitens  der  lebendigen  Volkssprache  abhold  war ,  gar  nicht  erhalten 
haben.  Die  Namen  ILilü  und  E.iba,  die  den  Haupthelden  des  Wladi- 
mir'schen  Kreises  erst  seit  dem  Endo  des  XVI.  Jahrh.  (Ilija  Murawlenin 
bei  Kwitka  im  J.  157  4,  Elia  Morowliu  bei  Erich  v.  Lassota  im  J.  1391) 
zugeschrieben  werden,  gehörten  ihm  in  der  Wirklichkeit  viel  früher, 
schon  im  XIII.  Jahrh.  an.  Durch  sein  zufälliges  Zusammentreffen  mit 
dem  Namen  des  Propheten  Elias   'Hliov)  schliesst  sich  der  Name  des 


446  M.  Chalanskij, 

Fftrsten  lUas  der  Reihe  anderer  im  Altrussischen  anf  dem  Boden  der 
engen  Beziehung  mit  den  Normannen  entstandenen  Eigennamen  an; 
vergl.  die  Wiedergabe  der  Namen  Liutr  und  Blundr  oder  Bh'itr  durch 
JlwTT,  und  IS.iyAT.  (Kunik  a.  a.  0.  II.  187)  oder  Fretr  durch  IXpiTHui. 
(ib.  185)  oder  den  Namen  »des  Viehgottes  Volos«,  entstanden  aus  der 
Assimilation  des  Namens  irgend  einer  altslavischen  Gottheit  des  »Regens« 
(vergl.  varsas  sanskr.,  nach  Potebnja,  Cjiobo  o  n.  Ilr.  22)  oder  der  »Sonm 
(vergl.  volsuna,  volsungen,  Bergmann,  Die  Eddagedichte  Strassburg 
1879.  49.  203)  mit  den  Namen  des  griech.  heil.  Blasius,  des  Beschützers 
der  Herden,  oder  wie  er  von  loannes  Geometros  genannt  wird  dBoiov 
hdx^fi'i,  ßluoiE,  ffQovQog  ^leyag«  (Vasiljevskij  Griech.  byz.  Frag- 
mente :;}CMHnp.  1876,  Märzheft  177). 

Die  hauptsächlichsten  Facteu  der  eigentlich-russischen  Erzählungen 
von  OjievTy  Bimiil  bestehen  im  folgenden:  1.  Auf  die  Zweitheilung  des 
poetischen  Bildes  Oleg's  wird  schon  in  den  ältesten  Annalen  angespielt: 
in  einem  Theil  der  Annalen  ist  er  ein  selbständiger  Fürst;  in  anderen 
ein  Heerführer  Igor's;  2.  die  Idealisation  der  Persönlichkeit  Oleg's  be- 
wegte sich  in  den  beiden  schon  angegebenen  Richtungen. 

In  der  ersten  Gruppe  von  Erzählungen  erscheint  Oleg  als  Re- 
präsentant des  mächtigen  Novgorods  und  des  »slavischen  Russenstaates« 
zur  Zeit  der  Begründung  desselben;  an  seinen  Namen  sind  geknüpft  die 
Erinnerungen  an  den  ersten  Zug  der  Russen  gegen  Konstantinopel,  an 
den  Zug  gegen  Suroz ;  ihm  wurde  die  staatliche  Organisation  Russlands 
zugeschrieben  (Kx  HCTopiii  no3T.  cKasanifi  o6i>OjiertB'£uj;eM'B,>iCMHnp. 
1902,  Augustheft).  Die  auf  dieses  Thema  Bezug  nehmenden  Erzählungen 
gravitirten  zu  Novgorod,  lebten  hauptsächlich  in  seinem  Gebiete  und 
spiegelten  sich  in  den  Bylinen  von  Vol'ga  (=  Bojitra,  Bcilh,  Bo.ii.Ba 
—  Bo.itx'L  —  BojIxt.)  Svjatoslavic  ab.  In  ihrem  Inhalt  tritt  ein  enger 
Zusammenhang  mit  der  annaüstischeu  Tradition  hervor,  vielleicht  sogar 
eine  Abhängigkeit  von  derselben.  Die  zweite  Gruppe  von  Erzählungen 
nahm  ihren  Ursprung  und  Entwickhmgsgang  von  den  Südwest-  und 
westrussischen  Gebieten,  die  zu  Kijev  gravitirten  und  lange  Zeit  von 
den  geschichtlichen  Ueberlieferungen  Kijevs  lebten.  Hier  wurde  Fürst 
Vladimir  Centralfigur  der  poetischen  Traditionen  aus  der  Kijever  Periode 
des  politischen  Lebens,  er  konzentiirte  um  seine  Person  die  Erinne- 
rungen au  andere  Fürsten  und  an  sein  ganzes  Gefolge.  Oleg,  Igor's 
Heerführer,  wurde  von  den  Igor  behandelnden  Traditionen  getrennt,  er 
associirte  sich  mit  den  poetischen  Erzählungen  über  Vladimir,  und  be- 


Ilias  von  Reussen  und  ITja  Muroinec.  447 

kam  die  Stelle  eines  Heerführers  dieses  Fürsten.  Dieses  Stadium  der 
epischen  Entwickelung  von  Oleg-H'ja,  belegt  durch  die  Vita  d.  h.  Vla- 
dimir (aus  dem  XV.  Jaluh.,  im  II.  Band  der  UTeiiiji  cum.  JiiTon.  He- 
cTopa,  KieBT.  188(i),  ist  in  der  Darstellung  der  Thidrekssaga  durch 
Ilias  jarl  of  Greca  als  dem  Bruder  Vladimir's  vertreten. 

Die  Erzählungen  vonOleg-Erja-Ilja  machten  ihren  Entwickelungs- 
gang  in  Südwest-Russland  ohne  Zusammenhang  mit  der  annalistischen 
Geschichtsüberlieferung.  Von  hier  ans  verbreiteten  sie  sich  in  die  ost- 
rossischen  Moskauer  Gebiete.  Ohne  ControUe,  ohne  Verjüngung  durch 
die  annalistischen  Traditionen,  dem  Volke  selbst  in  ihrem  Entwicklungs- 
gang überlassen ,  zogen  sie  unbehindert  allerlei  literarische  und  münd- 
liche epische  Motive  an  sich  und  erweiterten  sich  allmählich  in  ihrem 
Inhalt.  Im  Moskauer  Russland  unterwarfen  sich  die  Erzählungen  von 
OJieny-lEiJihsi-lljihii  bedeutenden  Modificationen :  hier  associirten  sie  sich 
»it  den  Erinnerungen  an  die  tatarische  Epoche :  ihr  Held ,  der  mur- 
mannische  Fürst  und  Heerführer,  kunik  oder  jarl,  verwandelte  sich  all- 
mählich in  den  Bauer  von  Mnrom;  einer  solchen  Verwandlung  leistete 
Vorschub ,  abgesehen  von  den  aus  Lebensbedingungen  resultirenden 
Factoren  (vergl.  die  Sage  von  dem  dänischen  Tiietleif,  verwandt  mit 
der  Bylina  von  dem  Zug  Ilijas  von  Murom  nach  Kijev)  auch  noch  die 
Sprache  selbst,  in  welcher  das  Wort  KpecxLHHHUx  seine  Bedeutung 
ehristianus  in  rnsticus  verwandelt,  der  Name  ILiba  seinen  etymolog. 
Zusammenhang  mit  den  Varianten  Ejibh  ,  BaJitfl,  IOjiba  verloren  hatte ; 
die  Benennung  Oleg's  »MypMaHCKiii«,  »ypMaHCKiil«  wurde  als  MypoM- 
CKin  oder  MypaBCKiu  aufgefasst  und  veranlasste  ihre  Fixirung  an  Murom 
oder  Krakov  (Rybnikov  III.  13)  u.  s.  w. 

Die  Vervielfachung  des  alten  Bestandes  der  Erzählungen  von  Oleg 
durch  neue  Motive  musste  im  Zusammenhang  mit  neuen  Anwendungen 
und  Namensveränderungen  den  Abstand  zwischen  den  alten  süd-  und 
westrussischen  Erzählungen  über  Oleg  und  den  Bylinen  über  II  ja-JulJ'a 
nur  noch  erweitern.  Um  so  schätzbarer  sind  die  Fälle  der  erhaltenen 
alten  epischen  Ueberlieferung  in  dem  Epos  von  Ilija  Mnromec.  Sie 
können  beobachtet  werden  in  den  Bylinen  über  den  ersten  Gang  dieses 
Helden  nach  Kijev  und  in  dem  Märchen  von  der  Heirat  Vladimir's  mit 
einer  transmarinen  Prinzessin  Martha;  das  Märchen  stellt  ein  altes,  der 
metrischen  Form  entkleidetes  episches  Lied  dar. 

In  den  geographischen  Namen  und  den  damit  verbundenen  epischen 
Motiven  der  Bylinen  vom  ersten  Heldengang  Ilija's  sind  unzweideutige 


448  ^1-  CluilauskiJ, 

Züge  der  Verwandtschaft  mit  den  annalistischen  Erzählungen  von  dem 
Zug  Oleg's  nach  Kijev  nachweisbar:  1.  Der  Name  der  Stadt  Murom 
oder  Murov,  Morov  muss  als  eine  Metonymie  der  murom'scheu  oder 
murav'schen,  d.  h.  murmann'schen,  normann'sehen  Gegenden  oder 
Gebiete  aufgefasst  werden.  Man  vergl.  solche  Beispiele  wie  die  Stadt 
IlpycLi,  die  Stadt  ErimeTT,,  die  Stadt  Kiinpi.,  die  surische  Stadt  u.  s.  w. 
Die  Benennung  Muv-grad  (Tichouravov-Miller  a.  a.  0.  S.  3)  ist  wahr- 
scheinlich ebenfalls  kraft  der  Metonymie  von  dem  Adjectiv  *murskij\ 
das  dem  norddeutschen  norsk  (Kunik,  IIsBicTia  A.ii,  EeKpn  I.  S.  79) 
entspricht,  abgeleitet  worden.  Die  Benennung  HjitH  MypaMei^ii 
(A.  Marko V,  E'SjiOMopeK.  ölijiiiiih  Nr.  42]  oder  Muram  (Vsev.  Miller 
OyepKH  S.  377)  bezeichnet  dasselbe  wie  MypaBCKiü,  moravicus,  bohe- 
micus,  vergl.  MypaBCKoe  cyKHO  und  MypaM'B  eymio  (d.  h.  mährisches 
oder  böhmisches  Tuch).  Auf  diese  Weise  entspricht  die  Abreise  ll'ja's 
aus  Murom ,  Murov,  Mur  der  Ankunft  Oleg's  nach  Russland  von  den 
murmauschen  Gegenden.  —  2.  Oleg.  auf  seinem  Zug  aus  Novgorod  nach 
Kijev  begriffen,  besetzt  unterwegs  die  Städte  Smolensk  und  Ljubec  der 
Cernigover  Gegend.  Die  Bylinen  von  dem  ersten  Gang  Iljas'  erzählen 
ebenfalls  davon,  dass  er  sich  bei  Smoljacin  d.  h.  Smolensk  und  Cernigov 
aufhielt  und  von  den  Bewohnern  dieser  Städte  aufgefordert  wurde  da- 
selbst zu  herrschen.  —  3.  Der  in  verschiedenen  Varianten  der  Bylina 
von  dem  ersten  Gang  ll'ja's  nach  Kijev  erwähnte  Flussname  Smoro- 
dina  ist  ein  merkwürdiger  Archaismus,  der  von  dem  grossen  Alter  der 
Fixirung  dieses  Motivs  an  die  auf  der  Wasserscheide  der  Flüsse  Lovat', 
Dviua  und  Dnjepr  gelegene  Oertlichkeit  zeugt,  an  jenen  historischen 
»votok«,  den  alle  aus  dem  Waräger-  in  das  Land  der  Griechen,  oder, 
von  Deutschland  auf  dem  Wasserwege  zu  den  Griechen  Reisenden  über- 
schreiten mussten  (vergl.  Cynpacji.  pyKonHCt.  M.  1836  S.  2).  Noch 
jetzt  sind  im  Gouvernement  Smolensk  (in  den  Kreisen  Dorogobuz,  Ros- 
lavsk  und  Duchovsciny)  Flüsschen  und  Weiler,  die  den  Namen  Smoro- 
diny,  Smorodinki  führen,  vorhanden.  —  4.  Der  Gefangennahme  des 
Räubers  Solovej  durch  Il'ja  Muromec  entspricht  in  der  annalistischen 
Erzählung  über  Oleg  die  Mittheilung  von  der  zur  Zeit  jener  fürstlichen 
Herrschaft  in  Novgorod  durch  die  Novgoroder  erfolgten  Gefangennahme 
der  »grossen  Räuber«  Kij,  Scek,  Choriv  und  ihrer  Schwester  Lybed'; 
in  einem  späteren  Chronograph  (des  XVII.  Jahrh.)  wurde  Kij  als  »Fürst 
der  Drevljanen  und  Krivicen«  (A.  Popov  IIsö.  136)  bezeichnet.  —  5.  Den 
»Brynskischen  Wäldern«  der  Bylinen  von  Il'ja  Muromec  entspricht  in 


Ilias  von  Reussen  und  Il'ja  Mnromec.  449 

der  annalistischen  Erzählung  von  Oleg  »,^eöpb  BeJiiKaii«  als  eine  auf 
dem  Weg  zwischen  Novgorod  und  Kijev  gelegene  Gegend,  die  man  in 
der  Dauer  von  zwei  Monaten  durchwandern  musste  (vergl.  meine  Excurse, 

5.  li>  und  das  altrussische  Jjpbiin.  und  llpaucKT.,  aus  .XbopancKi.).  — 

6.  Der  Gang  Il'ja  Muromec's  nach  Kijev  trägt  den  Charakter  der  Be- 
freiung: er  vertreibt  das  feindliche  Heer  von  Smoljagin  und  Cernigov, 
macht  den  geraden  Weg  (» npa.Moinacyio  ,i,oi)ory<()  nach  Kijev  von  dem 
Räuber  Solovej  frei.  Auch  der  Zug  Oleg's  nach  Kijev  aus  Novgorod  hat 
nach  der  Darstellung  der  Annalen  Joachims  einen  Befreiungszweck: 
die  Kijever  Bewohner  laden  Oleg  ein,  sie  von  der  Macht  des  gewalt- 
tliJitigen  Oskold  zu  befreien.  Ein  Chronograph  des  XVIII.  Jahrh.  nennt 
Oskold  und  Dir  als  Neflfen  des  drevljanischen  und  krivicischen  Fürsten 
Kij,  die  den  in  Novgorod  ansässigen  Slovenen  Gewalt  thaten.  (A.  Popov 
a.  a.  0.  131.)  —  7.  Endlich  wird  Fürst  Oleg  » noyropo;i;cKiH «  der  spä- 
teren annalistischen  Erzählungen  als  ein  barmherziger  Herrscher,  als 
ein  Gegner  der  Todesstrafe,  als  ein  Vertheidiger  der  Bedrückten  ge- 
schildert, wodurch  er  dem  epischen  Bild  Ilija's  von  Murom,  der  sich  als 
Devise  für  seine  Wirksamkeit  den  Spruch  seines  Vaters  gewählt  hatte : 
rtHe  no^iticjH  s-tomt.  na  TaxapHiia,  iie  yöeil  ni.  yucTMMTi  nojii  KpecTba- 
Hnna«,  sehr  nahe  kommt. 

Das  Märchen  von  dem  Kijever  Fürsten  Vladimir  und  Iljusa  dem 
Matrosensohn,  das  im  Gouv.  Perm  aufgezeichnet  wurde  (3an.  reorpa<j'. 
Olim.  I  659 — 06 1)  spricht  von  der  Betheiligung  eines  Ilja,  oflfenbar,  des 
von  Murom,  an  der  Brautfahrt  Vladimirs  übers  Meer.  In  seinem  Grund- 
motiv erinnert  dieses  Märchen  an  das  Sujet  der  Nibelungen  von  der 
Heirat  Günthers  mit  Brunhild  und  an  die  verwandten  südslavischen 
Volkslieder  (vergl.  meine  IO/Kiioct.  CKaa.  0  Kpa.ieBinii  !MapKl  Cap.  XI). 
Il'ja  'im  Märchen:  Iljuska  p'janjuska,  vergl.  in  dem  serb.  Volkslied  von 
der  Hochzeit  Dusan's  die  Rolle  Milos's :  naimiin  ee  i];pHn  oyrapiiiie  und 
in  dieser  Gestalt  zieht  er  mit  Hochzeitsgästen  in  die  Stadt  Legjan),  der 
Vladimir  bei  der  Erlangung  der  Braut,  der  hinterlistigen  Tochter  des 
weisen  Kaisers  jenseits  des  Meeres,  hehilflich  ist.  ruft  den  Vergleich 
sowohl  mit  Ilias  von  Reussen,  der  Ortnit  auf  der  Brautfahrt  Beistand 
leistet,  als  auch  mit  dem  Fürsten  Oleg,  der  von  Vladimir  um  die  griech. 
Prinzessin  Anna  geschickt  wurde,  in  Erinnerung. 

Zu    späteren   Aufschichtungen    auf  dem   ursprünglichen   Kijever 

yclns  von  Erzählungen  über  Oleg-Elja-Il'ja  gehören  folgende  epische 

Motive,  deren  traditioneller  Charakter  durch  eine  Reihe  von  Special- 

Archiv  für  slavisclie  Philologie.    XXV.  29 


450  M.  Chalanskij, 

forschungen  über  das  russische  Epos  uaebgewiesen  worden  ist:  a)  das 
Motiv  von  der  wunderbaren  Genesung  Il'ja's  Muromec  von  seiner 
Lähmung  Be.iHKop.  öllihhbi  Kien.  i^uKJia  !)5),  b)  von  der  Begegnung 
Il'ja's  mit  Svjatogor  und  der  Frau  Svjatogors  (yK.ÄaiiOB'B,  Kt  jiuTep. 
HCTopiu  6biJienon  noasiii;   PobiihcküI  ,  PyccK.  iiap.  KapTHUKU  IV.   16); 

c)  von  dem  Heldenmut  der  Frau  Il'ja's  Savisna  (vergl.  IOjKiiocji.  ck.  (iöO); 

d)  von  dem  Conflict  Il'ja's  mit  dem  Idolisce  und  dem  Zidovin  (ib.  481); 

e)  vom  Il'ja  Muromec  und  Kalinin-car'  (ib.  506 — 522);  f)  von  dem  Con- 
flict Il'ja's  mit  dem  Sohn  (Or.  Miller,  ILitn  MypoMeu;-!.  Cap.  I  —  III, 
Wesselofsky,  lOacHopyccKiH  (jtiJiHHW  Cap.  IX);  g)  die  Bylinen  von  Baty. 
von  Mamaj  und  die  damit  zusammenhängenden  Bylinen  vom  Untergang 
der  Helden  berühren  sich  mit  den  südslavischen  und  griechischen  Er- 
zählungen von  dem  Fall  Koustantinopels  und  der  Centren  südsl.  polit. 
Lebens  unter  dem  Anprall  der  Türken  (Wesselofsky  a.  a.  0.  VIII).   Aus 
der  Vergleichung  dieser  griech.-slavischen  Erzählungen  mit  einander 
und  namentlich  mit  den  literarischen  Darstellimgeu  des  Falls  Konstan- 
tinopels gewinnt  man  die  Erklärung  mancher  Einzelheiten,   die  darir 
enthalten  sind,  z.  B.  des  berühmten  Safatllusses,  in  dessen  Thälern  der 
Ilja  Muromec  und  andere  Helden  das  Schicksal  ereilte.    In  der  literar, 
Darstellung   vom  Fall  Koustantinopels   (IIojih.  coöp.  p.  ji^t.  VIII.  13CJ 
bis  143)  wird  wiederholt  die  »grosse  Kirche  der  göttlichen  Weisheit«.! 
d.  h.  Hagia  Sofia,  und  »der  Platz  vor  der  grossen  Kirche«  als  Centriin: 
jeuer  historischeu  Ereignisse  erwähnt,   in  welchen   der  Verfasser  de! 
Erzählung  die  Offenbarung  des  göttlichen  Zornes  erblickt.    In  einen 
biilg.  Volkslied,  das  den  Fall  des  bulg.  Reiches,   unter  dem  Kaiser  Jo 
Sisman,  in  Bildern,  die  mit  dem  erwähnten  Cyclus  der  griech.-slavischei 
poetischen  Producte  zusammenhängen,  beweint,  wird  als  der  Schauplat 
des  letzten  Kampfes  des  Kaisers  Sisman  mit  den  Türken,  der  über  da 
Schicksal  Bulgariens  entschieden  hat,   Co^iiiCKoe  nojie  genannt  — 
offenbar  als  Ersatz  für  die  Kathedrale  und  den  Platz  der  h.  Sofia  ij 
Konstantiuopel.    Im  bulgar.  Lied  lautet  die  Stelle:  »öoil  m,e'sn>  ^a  c. 
CtneMi),  MHJia  MOiiMaHKa,  na  Cgbüicko  no.ie«;  in  den  russ.  Bylinen  wurd 
aus  »Co*iilcKoe  nojie«  oder  njiou^aAb  —  das  Thal  des  Flusses  Sofa 
Salfa  und  dann  unter  dem  Einfluss  des  Josaphath-Thales  das  Thal  de 
Safat-Flusses  gemacht. 

Unter  dem  Einfluss  einer  andern  Strömung  in  der  Geschichte  de 
russ.  Gedankens  und  der  russischen  Volksliteratur,  die  in  der  Auer 
kennung  durch  das  russ.  Volk  der  lateinischen  Träger  der  Ideen  de 


Ilias  von  Reussen  und  ITja  Muromec.  451 

Liebe,  des  Guten  iiud  Gerechten  als  Heilige  ihren  Ausdruck  fand  ^vergl. 
den  Antonius  »KimjaninK.  denMercurius  von  Smolensk,  den  Lazar  Mur- 
manskij  u.  a.)  wurde  auch  der  » murmannische«  Held  des  russ.  Volks- 
epos  11  ja  oder  Elja  in  den  Chorus  der  Heiligen  aufgenommen. 

Charkow,  211.  Dec.  liHi2.  31.  Chalanskij. 

Zusatz.  In  dieser  combinationsreichen  Abhandlung  wird  die  allgeuaeiu 
zugegebene  Bezugnabme  des  Ilias  von  Riuzen  auf  den  russ.  U'Ja  Muromec  in 
zwei  so  zu  sagen  Individualitäten  gespalten.  Die  Form  des  Namens  Eligas 
für  dieselbe  Persünliclikeit,  die  sonst  Elias  oder  Ilias  beisst,  möchte  der  Verf., 
statt  Eligas  orthographisch  als  Elijas  zu  lesen,  mit  dem  Namen  Olcg  in  Zusam- 
menbang bringen  und  zwar  mit  einer  theoretisch  allerdings  denkbaren,  aber 
thatsächlich  nicht  nachweisbaren  Form  Elig  (E-iLri.;.  Mit  anderen  Worten  aus- 
gesprochen würde  das  bedeuten,  dass  damals,  als  die  Deutschen  durch  Han- 
delsbeziehungen mit  den  russischen  Slaven  die  Bekanntschaft  der  russischen 
epischen  Sage  gemacht,  der  Held  von  Murom  noch  nicht  Hja,  aber  auch  nicht 
Oleg,  sondern  Elig  hiess.  Wenn  wir  das  zugeben,  obgleich  schon  in  den  äl- 
testen russischen  Nachrichten  die  bekannte  historisch-mythische  Persönlich- 
keit immer  nur  den  Namen  Oleg  (OlBgx)  führt,  so  möchte  man  wissen,  warum 
dann  in  derselben  deutschen  Sage  neben  Eligas  für  dieselbe  Persönlichkeit 
auch  Ilias  und  Elias  als  Name  vorkommt?  Soll  man  sagen,  was  oft'enbar  auch 
gemeint  ist,  dass  zu  Hause  auf  russischem  Boden  aus  Elig  in  volksetymolo- 
gischer Weise  schon  Hja  hervorgegangen  war,  so  entsteht  die  Frage,  wie  so 
in  Russland  selbst  bis  auf  den  heutigen  Tag  neben  H'ja  doch  noch  Vol'ga 
sich  erhalten  hat?  Wollte  man  annehmen,  Vol'ga  habe  sich  in  einigen  russi- 
schen Gegenden  erhalten,  in  anderen  sei  er  als  Eligas  durch  H'ja  verdrängt 
worden,  wie  kommt  es  dann  aber,  dass  die  deutsche  Dichtung  von  dem  der 
Wortform  Vol'ga  unzweifelhaft  zu  Grunde  liegenden  Namen  Oleg  nichts 
weiss?  Sehr  wenig  wahrscheinlich  würde  die  Annahme  klingen,  dass  die 
deutsche  Dichtung  gerade  zu  jener  Zeit  mit  der  russischen  Sage  Bekanntschaft 
machte,  als  diese  neben  Elig  schon  Elja  als  Benennung  eingeführt  hatte,  ohne 
jedoch  zwei  verschiedene  Typen  entwickelt  zu  haben,  wie  sie  uns  heute  in 
H'ja  und  Vol'ga  vorliegen  und  ohne  noch  Oleg  so,  als  Oleg.  genannt  zu  iiaben. 
Ich  finde  den  Versucli,  zwischen  dem  russischen  Oleg  und  dem  Inhalt  der 
deutschen  Volksdichtung,  wo  auch  Ilias  mitthut,  einen  Zusammenhang  nach- 
zuweisen, sehr  beachtenswerth.  aber  die  Deutung  der  Wortform  Eligas  aus 
Elig  (d.  h.  E.iBn.  für  O.ibfx,  O.icn.)  will  mir  nicht  einleuchten.  Auf  diese  wie 
es  mir  scheint  anfechtbare  Seite  in  der  Beweisführung  des  Verfassers,  dessen 
ausdauernder  Eifer  gewiss  alle  Achtung  verdient,  möchte  ich  mit  diesem  Zu- 
satz seine  Aufmerksamkeit  lenken.  T-  .^. 


2'.)' 


452 


Die  typischen  Zalileu  in  der  russisclieu  Yolksepik. 


Im  VII.  Bande  des  von  der 
Südslavischen  Akademie  in  Agram 
herausgegebenen  «Zbornik  za  na- 
rodni  zivot  i  obicaje  jiiznih  Sla- 
vena«  (Agram  1902)  erschien 
meine  Abhandlung  über  die  typi-  1 
sehen  Zahlen  in  der  serbokroati- 
schen Volksepik  (»Stajaci  brojevi 
u  nasoj  narodnoj  epici«).  Das 
Material  ist  der  Vuk'schen  Samm- 
lung der  serbischen  Volkslieder 
entnommen  (Band  I — IV).  Zur 
Ausarbeitung  und  Herausgabe 
dieser  Abhandlung  bestimmte  mich 
die  Ueberzeugung,  dass  die  typi- 
schen Zahlen  in  jeder  Volksepik 
ebenso  zur  Ausschmückung  der 
poetischen  Diction  gehören,  wie 
z.B.  die  Epitheta  und  Gleichnisse. 
Nachdem  mein  genannter  Aufsatz  schon  ausgearbeitet  vor  mir  lag; 
wurde  in  mir  der  Wunsch  rege,  mich  zu  orientireu,  wie  es  sich  mit  den 
typischen  Zahlen  in  der  russischen  Volksepik  verhält.  Da  ich  aber  in 
der  mir  bekannten  und  zugänglichen  Literatur  äusserst  wenig  über  die- 
sen Gegenstand  vorfand  ^j,  so  entschloss  ich  mich,  selbst  eine  Sammlung 
darüber  anzulegen. 

Bei  der  grossen  Einförmigkeit  der  serbokroatischen  epischen  Volks- 
lieder in  Bezug  auf  Form  und  Inhalt  bietet  nach  meinem  Dafürhalten 
das  von  mir  Entworfene  ein  im  Ganzen  ziemlich  treffendes  Bild  des 
Gegenstandes  für  die  gesammte  Volksepik  der  Serben  und  Kroaten  im 
XIX.  Jahrhundert,   obwohl  ich  mich  auf  die  Vuk'sche  Sammlung  be- 


^)  Vgl.  bei  VI  ad.  Stasoff:  IIpoucxo/Kjeuie  pyccKuxi.  uti.mHi.  in  »Bf.'.T- 
HUKT.  EBpoHM«,  186S,  Ik).!!!.,  S.  309  ff.,  lind  bei  W.  Wollner:  Untersuchungen 
über  die  Volksepik  der  Grossrussen,  S.  13—14. 


Die  typischen  Zahlen  in  der  russischen  Yolksepik.  453 

schränkt  Labe.  Sollte  Jemand  den  typischen  Zalilen  auch  in  anderen 
Sammelwerken  der  serbokroatischen'  Volksepik  nachgehen,  so  glaube 
ich  annehmen  zu  können,  dass  das  \on  mir  gebotene  Bild  im  Wesent- 
lichen dasselbe  bliebe.  —  Auch  die  russische  Volksepik  zeichnet  sich 
durch  grosse  Einförmigkeit  aus  (die  wohl  noch  grösser  ist,  als  in  den 
serbokroatischen  epischen  Volksliedern  ;  darum  war  ich  der  Meinung, 
dass  ich  mir  betreffs  der  typischen  Zahlen  in  der  russischen  Volksepik 
dasselbe  erlauben  kann,  was  ich  mir  für  die  serbokroatischen  Lieder 
erlaubt  habe,  ohne  Gefahr  zu  laufen,  ein  für  die  gesammte  russische 
Volksepik  unwahres  Bild  zu  bieten.  Nach  kurzer  Ueberlegung  entschied 
ich  mich  für  die  wohl  bekannte  Sammlung  AI.  Hilferding's :  ÖHeyKCKia 
ÖLUnnii.  Cnu.  1S73. 

Wenn  ich  hier  zu  den  Zahlen  der  Hilferding'schen  Sammlung  Ver- 
weise auf  die  Zahlen  der  Vuk'schen  Lieder  hinzufüge  und  sich  daraus 
wirklich  manche  Uebereinstimmungen  ergeben,  so  soll  der  Leser  darin 
keineswegs  den  Ausdruck  meiner  Meinung  von  der  besonderen  Ver- 
wandtschaft der  einen  und  der  anderen  Volksepik  erblicken.    Ich  be- 
tone es  nachdrücklich,  dass  ich  weit  entfernt  davon  bin,  an  eine  solche 
Verwandtschaft  und  einen  inneren  Zusammenhang  der  beiderseitigen 
Epik  zu  glauben :  ich  bin  vielmehr  der  Meinung,  dass  die  meisten  die 
Technik  und   die   Darstellung  betreffenden   Parallelen  i)   rein   zufällig 
;ind;  nur  einige  erkläre  ich  mir  aus  der  Gemeinsamkeit  der  internatio- 
lalen  Quellen,   woraus   die   eine   und  die  andere  Volksepik  schöpfte. 
3Jeser  Meinung  habe  ich  bereits  vor  einigen  Jahren  in  meiner  Recension 
1er  Dissertation   »Kaciio-ciaBHUcKia  CKasaiiifl  o  Kpa.ieBniit   Mapivic 
•on  M.  Chalanskij  (in  »Rad  jugoslavenske  akademije«  Band  132)  Aus- 
Iruck  gegeben.    Zu  den  rein  zufälligen  Uebereinstimmungen  zähle  ich 
.uch  die  im  vorliegenden  Aufsatze  mitgetheilten.    Auch  solche  Ueber- 
instimmungen   entbehren   eines  gewissen   Interesses  nicht,    denn   sie 
eigen  uns,   wie  die  menschliche  Natur  trotz  aller  Unterschiede  des 
Raumes,  der  Zeit,  des  Milieu  u.s.w.  manchmal  zu  denselben  Mitteln  in 
er  Kunst  greifen  kann.    Bemerken  will  ich  noch,  dass  meine  Verweise 
'  uf  die  typischen  Zahlen  bei  Vuk  in  der  möglichst  knappen  Form  ge- 
alten sind.     Das  konnte  um  so  leichter  geschehen,   weil   mein   oben 
jtirter  Aufsatz  im  »Zbornik«  leicht  zugänglich  ist,  und  der  Leser  kann 
ich  ohne  Mühe  meine  Angaben  vervollständigen. 


j        ^,  Einige  derartige  Parallelen  werde  ich  gelegentlieh  im  -Zbornik«  ver- 
jflfentlichen. 


i 


154  T.  Maretic, 

Aus  diesen  Angaben  wird  sich  für  den  Leser  alles  ergeben,  was 
er  über  die  Häufigkeit  dieser  oder  jener  Zahl  bei  \"uk  zu  wissen  wünscht; 
hier  muss  ich  nur  diejenigen  Zahlen  anführen,  welche  bei  Vuk  mehr 
oder  weniger  häufig  sind,  aber  bei  Hilferding  nicht  vorkommen.  Diese 
Zahlen  sind  34,  74,  77,  GÜO,  12.000.  (Es  gibt  noch  einige,  welche 
aber  bei  Vuk  sehr  selten  sind  —  nur  ein-  oder  zweimal  belegt  — ,  auf 
welche  man  also  keine  Rücksicht  zu  nehmen  braucht.) 

Die  russische  Volksepik  weist  im  Gebrauche  ihrer  typischen  Zahlen 
zwei  Eigenthümlichkeiten  auf,  welche  man  in  den  serbokroatischen 
Volksliedern  nicht  findet.  Die  erstere  Eigen thümlichkeit  besteht  darin, 
dass  man  einer  Zahl  noch  '/2  hinzugibt,  und  so  finden  wir  Beispiele  für 
*1^  2>  ÖV2>  7V2i"id  12Y2-  Die  zweite  Eigenthümlichkeit  zeigt  sich  darin, 
dass  die  Sänger  der  6hiÄimu  den  runden  Zahlen  30,  40,  50  manchmal 
noch  die  Zahl  1  hinzugeben;  sie  sprechen  z.  B.  von  30  Mannen  mit 
ihrem  Anführer  (30  MOjio;i,uiOBi.  oder  öoraTtipeil  co  e^miumn).  In  einem 
solchen  Falle  haben  wir  also  die  Zahlen  30 -f- 1  (40+  1,  50  +  1).  Es 
wäre  falsch,  hier  von  den  Zahlen  31,  41,  51  zu  reden,  weil  wir  sonst 
diese  Zahlen  deutlich  und  klar  ausgedrückt  so  gut  wie  nirgends  finden. 
Wir  müssen  also  auch  in  diesem  Falle  ohne  Rücksicht  auf  das  hinzu- 
gegebene 1  die  runden  Zahlen  30,  40,  50  annehmen,  weil  sie,  und  nicht 
das  1,  das  Hauptsächliche  sind  ').  Hier  ist  noch  zu  bemerken,  dass  man 
einige  Male  auch  den  Ausdruck  30  —  1  findet,  z.  B.  30  Mannen  ohne 
ihren  Anführer  (30  mo.ioäu.obt,  öbs-l  eAHnaro).  Solche  Beispiele  fasse 
ich  natürlich  nicht  als  29,  sondern  als  30  auf. 

Dieser  Aufsatz  zerfällt  in  zwei  Abtheilungen  ;  in  der  ersten  werden 
die  Belege  für  die  einzelnen  Zahlen  vorgeführt,  wo  sie  allein  vorkom- 
men; in  der  zweiten  Abtheilung  ist  die  Rede  von  den  Fällen,  wo  zwei 
oder  mehrere  Zahlen  mit  einander  verbunden  sind  (gewöhnlich  im 
Dienste  der  Gradation).  In  der  I.  Abtheilung  werden  keine  Beispiele 
für  die  Zahlen  2,  3  vorgeführt,  und  der  Grund  dafür  ist,  weil  2  meiner 
Ansicht  nach  eine  typische  Zahl  nicht  genannt  werden  kann,  die  Zahl  3 


^!  Vlad.  Stasoff  in  seiner  oben  genannten  Schrift  nimmt,  wo  in  den  Öu- 
JiuHhi  die  Rede  von  40  +  1  ist,  die  ZahHl  (und  nicht  40)  an.  Diese  Zahl  41  ist 
ihm  sehr  willkommen,  weil  sie  im  besten  Einklänge  mit  der  Tendenz  seiner 
ganzen  Schrift  steht:  sie  ist  ihm  nämlich  eine  starke  Stütze  in  seiner  Beweis- 
führung von  der  totalen  Abhängigkeit  der  rassischen  Volksepik  von  dem 
Erzählungsstoffe  der  asiatischen  Völker.  In  meinen  Augen  ist  diese  Stütze 
ganz  werthlos. 


Die  typischen  Zahlen  in  der  russischen  Volksepik.  455 

I  ist  zwar  typisch,  aber  (wie  auch  in  den  serbokroatischen  Liederni  über- 
i  ans  häufig,  und  da  sich  von  dieser  Häufigkeit  jeder  Leser  leiclit  über- 
1  zeugen  kann,  wenn  er  nur  einige  öbuiihbi  ganz  oberflächlich  durcli- 
nimmt,  so  habe  ich  es  (auch  im  Interesse  der  Kaumersparniss]  unter- 
lassen, die  Belege  für  3  in  der  I.  Abtheilung  zu  geben.     Es  versteht 
sich  von  selbst,  dass  die  Zahlen  unberücksichtigt  bleiben,  welche  etwas 
I  in  der  Natur  Gegebenes  ausdrücken,  wie  z.  B.  die  4  Seiten  der  Welt.  — 
'  Für  die  durch  die  Zahlen  bezeichneten  Gegenstände  ist  diese  Reihen- 
folge massgebend:    Zeit,  Geld,  Masse,  Male  (wie  viele  Mal  etwas  ge- 
j  schiebt),  Theile,  Thiere,  Menschen,  Verschiedenes,  —  und  zuletzt  kom- 
men die  Beispiele,  wo  dieselbe  Zahl  mit  sich  selbst  verbunden  ist.  — 
Die  Zahlen  in  den  Klamnern  bezeichnen  die  Seiten  des  Hilferding'schen 
Buches. 

I. 

4  :  4  Theile  (z.  B.  der  Kopf  springt  in  4  Theile,  der  Schatz  wird 
in  4  Theile  getheilt,  das  Herz  des  getödteten  Feindes  wird  in  4  Stficke 
zerhauen  u.  s.  w.,  21,  18G,  200,  233,  278);  —  4  Auerochsen  mit  gol- 
denen Hörnern  (205,  1179);  —  4  Zimmer  (531);  —  4  Sperren  (sacxanM. 
sind  auf  der  Strasse  von  Kiev  bis  Galic,  1105).  —  Bei  Vuk  viel 
häufiger. 

4^  -2  :  ein  Fass  von  4^2  Eimer  illS2,  1270);  —  ein  Fass  von 
41  .  Eimer  und  41/2  Pud  (118). 

5  :  5  Rubel  'als  Geschenk  oder  Steuer,   574,  1129,  1238);  — 

5  Meilen  (iionpiime,  597);  —  5  Klafter  (caateiii.,  1228);  —  5  Brüder 
von  9  werden  getödtet,  1228) ;  —  5  Nägel  (mit  welchen  Potyk  Ivanovic 
ui  die  Wand  angenagelt  wird,  65,  280).  —  Bei  Vuk  auch  selten. 

6  :  6  Jahre  (213,352,736,1303);  —  6  Wochen  (188);  —  6  Tage 
(308,  327);  —  6  Stunden  (383);  —  6  Meilen  (eepcTt,  129,  987);  — 
1  Klafter  (caacom,,  1236);  —  6  Pud  (457);  —  6  Reihen  Frauen  (86);  — 

6  Kaufleute  (388);  —  6  Eichen  (auf  welchen  Solovej  razbojnik  sitzt. 
S70)  1).  —  Bei  Vuk  nicht  viel  häufiger. 


1)  Im  Gouvernement  Orlov  besteht  ein  Dorf,  welches  JeBflTu-/työoEi. 
}3der  ileBflTu-^yöbi  ;=  neun  Eichen)  heisst.  Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass 
wir  da  den  Sitz  des  Solovej  razbojnik  d.h.  eines  Häuptlings  aus  dem  Stamme 
1er  Vjaticen  im  XII.  Jahrh.)  zu  suchen  haben.  Vgl.  N.  I.  Petroff  in  iraB-tcxi-T 
)x,li.ieuia  pyccKaro  nstiKa  u  ciOBecnocxii  umu.  .iKaj.  iiavKx,  V.  628. —  Bei  Hilfer- 
ling  ist  oft  die  Rede  von  den  Eichen  des  Solovej,  aber  die  Sänger  verbinden 


456  T.  Maretic, 

6V2  :  6V2  Pud  (1096,  1120,  1231). 

7  :  7  Jahre  (684):  —  7  Tage  (1186);  —  7  Meilen  (ßepcTx,  892. 
1143,  1162);  —  7  Mal  (müsste  man  die  Stadt  Kiev  verkaufen,  um  Tinte 
und  Papier  anzuschaffen,  wenn  man  die  Schätze  Djuk'3  beschreiben 
wollte,  1011);  — -  7  Söhne  (149,  1237);  —  7  Helden  (628,  1199);  — 
7  Seidenstoffe  (cgmh  kibjikobx,  woraus  sehr  verschiedene  Gegenstände, 
z.  B.  Peitschen,  Sattelgurte,  Schuhe,  Segel,  Gürtel  u.s.w.  bestehen,  33, 

123,  212,  283,  367,  546,  584,  629,  682 );  —  7  Eichen  (auf 

welchen  Solovej  razbojnik  sitzt,  300,  988);  —  7  Brote  (frisst  Idolisce 
poganoje  auf  einmal,  1037);  —  das  Haus  Solovej's  ist  erbaut  »na  cbmh 
CTOjiöax'B  ;i,a  na  ce>m  BspcTaxi.«  (989).  —  Bei  Vuk  überaus  häufig. 

71/2  :  ein  Stock  71/2  Pud  schwer  (1020). 

8  :  ein  Balken  8  Klafter  (caateHx)  lang  (154);  —  eine  Schlange 
mit  8  Köpfen  (665).  —  Bei  Vuk  ebenfalls  sehr  selten. 

9  :  9  Jahre  (1018,  1094);  —  9  Tage  und  Nächte  (1298);  —  9 
Klafter  (ca^eni,,  1245,  1310);  —  9  Auerochsen  (1117);  —  9  Helden 
(25);  —  9  Brüder  (120,  1228);  —  9  Töchter  (154):  —  9  Weinfässer 
(593);  —  der  Türkencar  will  9  russische  Städte  erobern  und  dieselben 
unter  seine  9  Söhne  vertheilen  (554).  —  Bei  Vuk  viel  häufiger. 

10  :  10  Jahre  (112,  678);  —  10  Helden  (438);  —  die  Tataren 
überfallen  Dobrynja  »AecHTKaMH«  (492);  —  »yjiHii;y  Kasiiiuix  ohi.  j\eca.- 
Tyio,  Bt  ÄecaToii  KasHHjn.  oh^  ^ecHTaro«  (die  Rede  ist  vom  gütigen 
Carevic  Feodor  Ivanovic,  979).  —  Bei  Vuk  auch  ziemlich  selten. 

12  :  12  Jahre  (118,  161,263,322,381,493,543,557,574 ): 

—  12  Jahre  (=6  +  6,8.41,  133,  162,178,486,580,753 );  — 

12  Tage  (133,  341,  363,  581,  591,  656,  736);  —  12  Pud  (292,  693, 
967,  1051,  1203);—  1 2 Klafter  (caaceHcn,  985);  —  1 2  Meilen  (Bepcxi,, 
692);  —  12  Pferde  (306);  —  12  Schlangen  (321);  —  12  Tataren 
(werden  von  dem  herabgestürzten  Thor  getödtet,  241);  —  12  Helden 
(450,  461,  490,  530,  636,  709,  869,  1297);  —  12  Mädchen  (1053);  — 
12  Eichen  (aufweichen  Solovej  razbojnik  sitzt,  17,  597,  652,  1220);  — 
12  Schweife  an  einer  Schlange  (30,  57,  79,  744,  776,  800,  1071);  — 
12  Sattelgurte  an  einem  Pferde  (75,  161,  109,  177,  339,  359,  449,  637, 
643 );  —  12  Filzdecken  an  einem  Pferde  (707,  984);  —  12 


sie  nicht  mit  der  thatsächliclieu  Zahl  9,  sondern  mit  den  Zahlen  6,  7,  12  und 
einmal  mit  3  (S.  lüOO).  Sie  haben  offenbar  schon  längst  die  wahre  Bedeutung 
der  Eichen  Solovej's  vergessen. 


Die  typischen  Zalilen  in  der  russischen  Volksepil^.  457 

Facetten  an  einem  geschlifleuen  Pfeile  (1104,  1140  :  —  12  Schwäne 
und  12  Falken  als  Steuer  für  12^  \,  Jahre  (480);  —  12  silberne  Kettchen 
und  12  dünne  Zügel  an  einem  Pferde  (967).  —  Bei  Vuk  ebenfalls 
sehr  häufig. 

I2V2  :  12 '2  Jahre  (475,  4S0,  Sil). 

15  :  15  Jahre  (33,  153):  —  15  Meilen  (nepcT-B,  StiS,  1294:;  — 
die  Schar  von  30  Helden  theilt  sich  in  2  Abtheilungen  von  je  15  Mann 
(383).  —  Bei  Vuk  viel  häufiger. 

17  :  ein  Jüngling  von  17  Jahren  (()57  ;  —  17  Jahre  (025).  —  Bei 
Vuk  ebenfalls  selten,  und  zwar  nicht  für 'Jahre  gebraucht. 

18  :  ein  Jüngling  von  IS  Jahren  (1184);  —  IS  Jahre  1=  3  +  :^  + 
12.  S.  lOlS).  —  Bei  Vuk  auch  sehr  selten. 

20  :  20  Klafter  'caa^em.,  1234).  —  Bei  Vuk  nicht  besonders 
häufig,  aber  viel  häufiger  als  bei  Hilferding. 

25  :  25  Rubel  (als  Geschenk,  1330).  —  Bei  Vuk  auch  sehr 
selten. 

27  (ein  besonderer  Ausdruck  für  diese  Zahl  in  den  russischen  Volks- 
liedern —  so  wie  in  den  Märchen  —  ist  xpnjeBHTb,  d.  h.  3X9): 
Opraksija  Mikulicna  sitzt  geschlossen  hinter  27  Riegeln  und  27  Wäch- 
tern (712);  —  Staver  Godinovic  besitzt  27  Stuten  und  ebensoviele 
Füllen  (S51).  Merkwürdig  sind  die  Verse:  y  iieil  ubi.io  bt.  no.iii  xpn- 
AesHTt  TypoBT.,  cuLi-ica  B-L  no.iii  TpHÄecHTBiii  Typ-L  (S34).  —  Bei 
Vuk  kein  Beispiel. 

30  :  30  Jahre  (241.  294.  336,  646,  731,  9S7,  1000,  1317);  — 
30  Meilen  (ßepcTx,  300,  923,  104S);  —  30  Klafter  (ca/KSHt,  1119);  — 
30  Pferde  (1079);  —  30  Menschen  tödtet  mit  dem  Brunnenschwengel 
die  Köchin  des  Vasilij  Buslajevic  (153);  —  die  Kriegerschar  30  Mann 
stark  ^157,  1169);  —  dieselbe  Schar  sammt  dem  Anführer  (3U  —  1. 
8.  378,  436,  552);  —  dieselbe  Schar  ohne  den  Anführer  (30+  1, 
S.  409.  600,  795);  —  30  Töchter  (097);  —  30  Pilger  sammt  dem  An- 
führer (30  —  1,  S.  1104);  —  30  Schiffe  (173,  367.  391,  739,  976).  — 
Bei  Vuk  ungemein  häufig. 

33  :  33  Pferde  (700);  —  33  Töchter  (1242);  —  33  Schiffe  (2S3, 
1132  ;  —  33  Pfeile  (627,  1230).  —  Bei  Vuk  seltener  als  bei 
Hilferding, 

40  :  40  Jahre  (621);  —  40  Tage  (1177);  —  40  Pud  ^14,  23,  114, 

159,  168.  250.  359,  437.  649 ) ;  —  40  Eimer  (öouKa  copoKonaa, 

1176,  1235);  —  40  Klafter  (ca«eHX,  caatOHi.,  663,  6S2,  1075,  1114, 


45S  i-  Miiietic, 

1155,  1177,  120;^  1213 );  —  40  Meilen  (BepcTt,  931);  —  40 

Stuten  (614);  —  40  Schützen  (14);  —  4<i  Soldaten  (68,  1226);  —  40 

Räuber  (923,  1023,  1155,  1212 ) ;  —  40  Scharfrichter  (882);  — 

40  Mädchen  (12(13) ;  —  40  Helden  ohne  den  Anführer  (40+  1,  S.  621); 

—  40  Pilger  ohne  den  Anführer  (40  +  1,  S.  4  1 1  i),  569,  875,  1279);  — 
40  Mädchen  ohne  ihre  Anführerin  (40+1,  S.  879);  —  40  Fuhren 
Schatz  (263);  —  40  Kanonen  (964 ) ;  —  40  Kaiser  mit  40  Kaisersöhnen 
und  40  Könige  mit  40  Königssöhnen  182,  196,  585,  658,  749,  974, 
1204  ...;;  —  40  Kaiser  und  40  Könige  (556);  —  40  Kaufleute  mit 
40  Kaufmannssöhnen  und  40  andere  Jünglinge  (924);  —  40  Bojaren 
und  40  Tataren  werden  getödtet  (931);  —  40  Schützen  und  40  andere 
Helden  (768);  —  40  Jahre  Dienst  für  40  Fuhren  Schatz  (265);  —  40 
Kaiser  aus  40  Ländern  (1293).  Hier  erwähne  icli  auch  die  Zahl  copoi.i. 
eopoKOBT.,  d.  h.  40  X  40  :  copoKT)  copoKOBi)  ^lepiiLixT.  coöcieBt,  d.  h. 
40  X  40  schwarze  Zobel  (284,  361,  1063).  —  Bei  Vuk  viel  weniger 
gebräuchlich. 

50:  50  Rubel  (als  Geschenic,  171,  545,  575,  678);  —  50  Helden 
ohne  den  Anführer  (977);  —  50  Tataren  und  50  Bojaren  werden  ge- 
tödtet (843).  —  Bei  Vuk  auch  nicht  häufig. 

(>()  :  60  Helden  (567).  —  Bei  Vuk  ziemlich  häufig. 

70  :  70  Rubel  (als  Geschenk,  679);  —  70  Meilen  (Bepcxx,  1015/, 

—  70  Hallen  (TepeMOB-B  hat  das  Haus  des  Curilo  Plenkovic,  1062);  — 
70  Bilder  (1074);  —  70  Mündungen  (hat  der  Wolgafluss,  1091,  1302). 

—  Bei  Vuk  ein  wenig  häufiger. 

SO  :  SO  Pud  (599);  —  80  Menschen  (1135).  —  Bei  Vuk  ebenso 
selten. 

90  :  90  Jahre  lebt  der  alte  Buslaj  oder  Svjatoslav  (152,  435,  593,1; 

—  90  Pud  (301,  519,  593,  595,  967,  97  1,  974,  1023,  1170).  Hier  be- 
merke ich,  dass  ich  mir  den  Sinn  folgender  Verse  nicht  recht  erklären 
kann:  'mhäi,  Aa  öh.i'l  l)yejraBi>  ;i;a  AeBHUocTo  .t^ttb,  ;i;eBfluocTo| 
.lixT.  j,a  11,'S^y  xticamy  (215),  —  bt,  cjraBHOMi.  öbijo  bo  HoBiropo;ti. 
acH.it  EyciaBt  ;i;eBaH0CT0  ji'6ti.,  acH.n,  EyciasT.  ix^-äj  TticflU];y  (722). 

—  Bei  Vuk  viel  seltener. 


1)  Zu  Anfang  des  Liedes  spricht  man  von  30  und  später  von  40  Pilgern  ' 
Ich  habe  mich  für  die  letztere  als  die  typische  Zahl  für  die  Pilger  entschieden-j 
Solche  Fehler  in  der  Angabe  der  Zahlen  in  einem  und  demselben  Liede  findeuj 
wir  manchmal  auch  bei  Vuk,  wie  aus  meinem  Aufsatze  in  «Zbornik«  zu  er- 
sehen ist.  ! 


Die  typischen  Zahlen  in  der  russischen  Volksepik.  459 

100  :  100  Jahre  lebt  der  alte  Biislaj  (1243);  —  100  Rubel  ((J40;; 

—  100  Pud  (131,  132,  159,  UT'i,  1244).  —  Bei  Vuk  viel  häufiger. 

270  (TpHAeBfliiocTO,  d.  h.  3  X  90)  :  270  Pud  (313).  —  Bei  Vuk 
kein  Beispiel. 

300  :  300  Meilen  (Bspcn,,  310,  G!)4;i;  —  300  Soldaten  (173);  — 
300  Novgoroder(llS5); —  drei  Scharen  von  je  300  Mädchen  (397):  — 
300  Pfeile  (322).  —  Bei  Vuk  viel  häufiger. 

303  :  303  Meilen  (uepcTLi,  ()!)9):  —  303  Pferde  (695);  —  303 
Pfeile  (775,  817,  1069,  1104).  —  Bei  Vuk  2  Beispiele. 

330:  330  Meilen  (BepcTx,  1005'.  —  Bei  Vuk  auch  nur  ein 
Beispiel. 

350  :  350  Jahre  ist  Ilja  Muromee  alt  (946);  —  »neMa.iii  ptuKa 
Tpucxa  nflTtjtecHT'Lcf  (aber  was?  Meilen?  oder  Klafter?  oder  Schritte? 
man  weiss  auch  nicht,  ob  die  Zahl  vou  der  Länge  oder  von  der  Breite 
zu  verstehen  ist,  S.  584).  —  Bei  Vuk  kein  Beispiel. 

400  :  400  Räuber  (649).  —  Bei  Vuk  2  Beispiele. 

600  :  500  Rubel  (75,  106,  148,  313,  439,  798,  919 '  :  — 

500  Schritte  (als  Längemass,  509,  591);  —  500  Pud  (622  ;  —  5o0 
Räuber  (1052);  —  500  Soldaten  (1061,  1099);  —  500  Rubel  an  500 
Arbeiter  vertheilt  (837).  —  Bei  Vuk  etwas  häufiger. 

TOO  :  700  Rubel  (als  Geschenk,  575,923);  —  700  Meilen  (uepcxi, 
1202).  —  Auch  bei  Vuk  selten. 

1000  :  1000  Bauern  erschlagen  (797).  In  den  öbi.ihhbi  ist  öfters 
die  Rede  von  «vielen  Tausenden«  (Miioro  TLicameil,  auch  ul.itiMa  tli- 
camaMii)  oder  von  «mehr  als  Tausend«  (uo.itme  od.  uo.it  TLieHUH  od. 
Tticflmn);  z.  B.  betreffs  der  Rubel  (533),  der  Soldaten  20,  22,  373. 
1063,  11S7),  der  Bauern  (159).  —  Bei  Vuk  viel  häufiger. 

2000  :  2000  Rubel  (1134).  —Auch  bei  Vuk  sehr  selten. 

3000  :  3000  Meilen  ist  der  Wolgafluss  lang  (1015,  1055,  lOOl. 
1302);  —  3000  Pud  (1186);  —  3000  Soldaten  (327).  Man  vgl.  noch 
den  Ausdruck :  no  xpii  TtMLi,  no  xpii  TLicflimi,  u.  zw.  betrefls  der  Sol- 
daten (196,  975),  des  Schatzes  (961).  —  Bei  Vuk  seltener. 

30.000  :  30.000  Rubel  (eigentlich:  Geld,  Aenerx,  390).  —  Bei 
Vuk  aucli  nur  ein  Beispiel. 

40.000  :  40.000  Rubel  (geilen,  oder  30jiotoii  Ka3HLi,  255,  56S, 
69S,  923,  1300);  —  40.000  Räuber  (95,  296,  310,  867,  1137,  1202); 

—  40.000  Soldaten  (111,  117,  17  5,  205,  255,  322,  335,  351,  358... .\  — 
Bei  Vuk  kommt  nicht  vor. 


460  T.  Maretic, 

100.000  :  100.000  Soldaten  (1294).  —  Bei  Viik  ziemlich 
selten. 

300.000  :  200.000  Rubel  (1186).  —  Bei  Vuk  kein  Beispiel. 

.300.000  :  300.000  Soldaten  (1183).  —  Bei  Vuk  auch  nur  ein 
Beispiel. 

II. 

Die  meisten  der  im  Folgenden  vorkommenden  Zahlen  finden  wir 
auch  in  der  I.  Abtheilung.  Dort  fehlen  nur  die  Zahlen:  13,  16,  31,  200, 
800,  900,  7.000,  9.000,  10.000.  —  Einige  von  den  jetzt  folgenden 
Verbindungen  kommen  auch  in  den  Vuk'schen  Volksliedern  vor,  und 
das  werde  ich  überall  ausdrücklich  bemerken ;  wo  der  Leser  keine 
solche  Bemerkung  findet,  das  soll  ihm  ein  Zeichen  sein,  dass  sich  für 
die  betrefifenden  Verbindungen  keine  Beispiele  bei  Vuk  finden. 

2 — 3 — 5  :  Meilen  (1071);  —  Vergeltung  (eine  zweifache,  eine 
dreifache  und  eine  fünffache,  1237). 

3 — 4  :  Tataren  (»a  ir  HecyTi.  ohii  ^a  Kopo^ießCKOii  .lyKi.,  a  ii  xpir 
HXTb  ^leTBipe  TaTapima«,  490);  —  Pferde  («ci.  kohh-to  oh-l  na  Koni. 
nepecKaKHBae,  ^lepesi)  Tpn-xo  oh'l  kohh  ^a  na  ^exBepToro«,  1103);  — 
Jahre  («oiii.  jih  atHJEi  co  KHarnnon  poBno  Tpn  ro^M,  na  yerBepToil 
TOAT,  OH'L  ry.TflTt  nomoji'i«,  1166,  ähnlich  S.  1249)  i).  — -  Kommt 
auch  bei  Vuk  vor,  und  zwar  sehr  oft. 

3—5—6—7  :  Rubel  (555). 

3—6  :  Monate  (1074);  —  Klafter  (749);  —  Brüder  (1311);  — 
Wagen  (1078);  —  Schweife  an  der  Schlange  (340—345);  —  3  Schrei- 
ber beschreiben  durch  6  Jahre  die  Schätze  des  Djuk  Stepanovic,  und 
sind  kaum  mit  dem  6'^"  Theil  fertig  (123).  —  Kommt  auch  bei 
Vuk  vor. 

3—6—9  :  Kirchen  (208,  326). 

3—6—9—12  :  Jahre  (145,  638). 

3—7  :  3  Pfund  und  7  Pud  (130).  —  Kommt  auch  bei  Vuk  vor. 

3 — 9  :  ein  Knüttel  «^eBATH  caacoiix«  lang  und  »xpn  oöoiiMeHH« 
dick  (335). 

3 — 12  :  3  Köpfe  und  12  Schweife  an  einer  Schlange  (476).  — 
Kommt  auch  bei  Vuk  vor. 


i\ 


Aus  diesen  Beispielen  kann  der  Leser  ersehen,  wie  manche  Zahlver- 
bindungen gebraucht  werden;  darum  sind  weitere  wörtliche  Zitate  nicht 
nothweudig. 


Die  typischen  Zahlen  in  der  russischen  Volksepik.  461 

3 — 30  :  Jahre  illl);  —  30  Schreiber  hätten  3  Jahre  was  zu 
schreiben  ,1114).  —  Kommt  bei  Vuk  öfters  vor. 

5 — 7 — 12  :  Jahre  (552). 

5—10  :  Helden  (797). 

5 — 500  :  5  Kosaken  in  jedem  von  500  Wagen  (175). 

6—9  :  Jahre  (.3  +  3  und  3  +  3  -|-  3,  S.  !J6S  . 

6 — 12  :  6  Schreiber  könnten  in  12  Jahren  nicht  alles  beschreiben 
(123):  —  Klafter  (SOS).  —Kommt  auch  bei  Vuk  vor. 

7 — 9  :  Jahre  (1057).  —  Kommt  auch  bei  Vuk  vor. 

7 — 70 — 700  :  das  Haus  des  Öurilo  Plenkovic  ist  7  Meilen  breit, 
über  den  Thoren  stehen  70  Heiligenbilder  und  umfasst  dasselbe  700 
Hallen  (1100). 

9—10  :  Jahre  (1154,  1253,  1259;  —  die  Zahl  !l  wird  als  3  +  3  +  3 
ausgedrückt,  S.  115,  1088,  1205);  —  Jünglinge  116,  1088,  1139, 
1205,  1250);  —  9  Söhne  und  eine  Tochter  als  die  10*«  'S44,  884, 
1154,  1265,  1309);  —  9  Kaiser  und  10  russische  Helden  (113).  — 
Kommt  bei  Vuk  häufig  vor. 

9—12  :  Jahre  i927,  1166). 

9 — 60  :  die  Kappe  eines  Pilgers  ist  6u  Pud  schwer  und  seine 
Krücke  ist  9  Klafter  lang  (1234). 

10—20—40  :  Klafter  (11S7). 

12—13  :  12  Jahre  und  noch  eines  dazu  als  13'«^  '692.  1229);  — 
12  Tage  und  noch  einer  dazu  als  13*"  (346);  —  12  Sattelgurte  auf  dem 
Pferde  und  noch  ein  besonderer  dazu  als  13*"  (40,  48,  79,  190,  203, 

485,  747,  751,  776 \     Man  vgl.  noch:    (jaiib)    3a  ;iBiHaAUaTb 

rojT,  Aa  3a  TpHna^uaTb  .lixi,  (193),  3a  ABiiiaAnaxb  roAX  ^a  3a  rpii- 
iiaAnaTb  ji^T-B,  3a  TpiinaAu;aTt  .lixt  jLa.  et  no.TOBHHOH)  (47,  760).  — 
Kommt  auch  bei  Vuk  vor,  aber  viel  seltener. 

15—20  :  Meilen    1199— 120u). 

16 — 17  :  16  Sattelgurte  auf  dem  Pferde  und  noch  ein  besonderer 
dazu  als  IT*"  (1034). 

20—30—10  :  Klafter  (707—709). 

20—40  :  Klafter  (254,  727). 

20—100  :  Pud  (1241). 

30—31  :  im  Schiffe  sind  30  Jünglinge  und  die  Mutter  des  Solovej 
Budimirovic  ist  als  die  31^*^  unter  ihnen  (367). 

30—40  :  Klafter  (219).  —  Kommt  auch  bei  Vuk  einmal  vor. 


462      T.  Maretid,  Die  typischen  Zahlen  in  der  russischen  Volksepik. 

30 — 50  :  ;i<»  Helden  und  50  Tataren  werden  erschlagen  von 
Kostrjuk  (139). 

40 — 100  :  Pud  (790).  —  Kommt  auch  bei  Vuk  einmal  vor. 

40 — 500  :  40  Könige  aus  40  Ländern  und  noch  500  Fürsten 
dazu  (373). 

70 — 300 — 900  :  Kostrjuk  hat  70  Schlachten  mitgemacht,  30(i 
Kämpfer  hat  er  erschlagen  und  900  Städte  erobert  (1191). 

100—200—300  :  Rubel  (1060,  1207,  1313). 

100—200—500  :  Rubel  (1073). 

100—500—1.000  :  Rubel  (1219). 

100—1.000  :  Rubel  (S77);  —  Pferde  (1070).  —  Kommt  auch 
bei  Vuk  vor. 

200—300—400  :  Jünglinge  (1103). 

270 — 2.000  :  Meilen  (»xpH  ÄeBanocxa  Bepcxi)  —  ab^  TLicflu;H«| 
870). 

300 — 500  :  «i];apL  Ilßanx  ^a  BacHjrte.BHyi.,  OHt  ksbo.ihji'l  >KeHii- 
TiiCH  .  .  .  .  Aa  0H1.  MHoro  B-L  npH^auLi  öpaji'L,  OH-L  TpHCxa  yjiaHOBefi,  ^aj 
naTtcoTT)  yjitiBaHOBeil«  (1315).  —  Kommt  auch  bei  Vuk  vor. 

300—700  :  Meilen  (021). 

300—3.000  :  Meilen  (966,  996).  —  Kommt  auch  bei  Vuk  vor. 

500—1.000  :  Rubel  (15,  91,  228,  298,  311,  541,  699,  874,  946i 
);  —  Meilen  (440);  —  Jünglinge  (1102  —  1103).  ' 

500—1.000—9.000  :  Rubel  (1137). 

500—2.000  :  Rubel  (1023,  1212). 

500—2.000—3.000  :  Rubel  (1202). 

800—1.000:  Rubel  (731). 

1.000—2.000  :  Meilen  (987). 

1.000—2.000—3.000  :  Rubel  (1071). 

1.000—7.000—9.000  :  Rubel  (1052). 

1.000—10.000  :  Soldaten  (658). 

10.000 — 40.000  :  «bosbmh  tli  y  ^leiin  chjih  copoK'B  TBica^ieH,j 
B03LMII  KasHti  AecHTb  TLicayeH«  sagt  Fürst  Vladimir  zu  seinem  Ge- 
sandten (562). 

40.000—300.000  :  Soldaten  (550). 

Agram.  Ende  1902.  Dr.  T.  Maretic. 


463 


Jovau  Malesevac  als  ßücherschreiber  und  Bücher- 

corrector. 


In  dem  vor  kurzem  erschie- 
nenen ersten  Band  der  »('rapH 
cpncKii  sannen  n  na'rnncn«.  ge- 
sammelt und  herausgegeben  von 
dem  serbischen  Akademiker  Lju- 
bomir  Stojauovic  (Belgrad  1902 
sind  folgende,  aus  verschiedenen 
Handschriften  zusammengetra- 
gene Notizen  zu  finden:  l.  Unter 
Nr.  451,  unter  dem  Jahre  1524, 
in  einem  Menäum  ist  davon  die 
Rede,  dass  im  J.  1524  in  Trebiuje, 
in  der  Mariahimmelfahrt-Kirche, 
dieses  Buch  geschrieben  wurde 
»in  den  Tagen  des  bösen,  die  heil. 
Dreifaltigkeit  lästernden  und  die 
Christen  verfolgenden  türkischen 
Kaisers  Sulejman«.  Als  sein 
Schreiber  wird  ein  Dijakon  Joann 
Malesevac  genannt:  CMepenin  n  :\iHororpiirHiH  paöh  ö/Kin  luanuh  ]Ma.ie- 
men^Ub  (jetzt  ist  diese  Handschrift  in  der  kais.  öffentl.  Bibliothek  zu 
St. Petersburg,  woliin  sie  durch  den  gewesenen  russ.  Consul  Hilferding 
gelangte).  —  2)  Unter  Nr.  525  und  unter  dem  J.  1545  liest  man  eine 
Notiz,  ans  dem  »Glasnik«  des  Sarajewer  Landesmuseums  (Jahrg.  1902. 
S.  295;  wiederabgedruckt,  sie  steht  in  einem  handschriftlichen  Prolog, 
der  nach  der  besagten  Notiz  von  einem  leromonach  Sava  begonnen  und 
nach  dessen  Tode  von  einem  Dijak  Jovan  vollendet  wurde:  Aonneaxb 
ÄBa  :*rLcei;a  6e3  nex  p,iui  rpLunni  h  Mtnmn  na^ie  ncixb  /liaici.  Ilunanb. 
(Diese  Handschrift  befindet  sich  in  dem  Dreifaltigkeits-Kloster  bei 
Plevlje).  —  3)  Unter  Nr.  526,  von  demselben  Jahre,  steht  eine  im  bosn. 
Glasnik  1901,  S.  307  mitgetheilte  Notiz,  ans  einer  anderen  Handschrift 
desselben  Klosters,  einem  Typikon.  abgedruckt,  deren  Schreiber  sich 


^  <^C<:^<^c^ 


464  U-  Ruvarac, 

abermals  Dijak  Jovau  nennt:  rpimnii  ii  MMiuiiii  na^ie  Bcixb  ;i,iaKi>  Hw-j 
BaHb.  —  4)  Unter  Nr.  533  und  unter  dem  J.  154G  steht  eine  Notiz,  auä 
dem  Nachwort  eines  Tetraevangeliums,  das  in  dem  vorerwähnten  Drei- 
faltigkeits-Kloster bei  Plevlje  aufbewahrt  wird,  entlehnt,  die  abermals 
als  den  Schreiber  der  Handschrift  den  »sündhaften  und  kleinsten  unter 
allen  Dijak  Jovan«  bezeichnet. 

Auf  Grund  dieser  vier  Notizen,  die  vor  wenigen  Jahren  nicht  so 
leicht  war  zusammenzustellen,  wie  das  jetzt  durch  die  Publication  Sto- 
janovic's  der  Fall  ist,  machte  mir  Herr  Archimandrit  Ilarion  Ruvarac 
zum  24.  Dec.  1900  folgende  briefliche,  bisher  nicht  verwerthete  Mit- 
theilung: 

»Jetzt  wollen  wir  uns  den  Dijak  Jovan  Malesevac  aus  dem  XVI. 
Jahrhundert  etwas  näher  ansehen.  Wenn  man  die  obenerwähnten  vier 
Notizen  miteinander  vergleicht,  möchte  ich  wissen,  ob  man  mir  darin  bei- 
stimmen wird,  dass  ich  den  Diakon  oder  Dijak  Jovan  aller  vier  Notizen 
für  eine  und  dieselbe  Person  halte,  also  auch  unter  Nr.  2.  3.  4  den 
Schreiber  der  Bücher  vom  Jahre  1545  und  1546  im  Vrhobreznicer 
Kloster  bei  Plevlje  für  denselben  Iiuauiib  MajreuieBLii,!,  erkläre,  der  im 
J.  1524  (nach  der  Notiz  Nr.  1)  in  Trebinje  das  Menäum  schrieb.  Nun 
hat  aber  Prof  Ljuba  Kovacevic  in  Belgrad  noch  auf  ein  fünftes  Werk 
hingewiesen,  auf  ein  im  Jahre  1532  geschriebenes  Evangelium  (vergl 
r.iacHHK  epn.  yy.  ;i;p.  Band  LVI,  S.  33 7j,  in  dessen  Nachwort  ebenfalls 
als  Schreiber  desselben  »der  sündhafte  Knecht  Christi  Dijak  Jovan«  ge- 
nannt wird.  (Bei  Stojanovic  jetzt  unter  Nr.  471.)  Will  man  auch  noch 
diesen  Dijak  Jovan  mit  den  früher  Genannten  unter  den  Jahren  1545  u. 
1546  identificiren,  so  kann  auf  die  Vermuthung  Kovacevic's  verwiesen 
werden,  dass  der  in  der  letzten  Notiz  genannte  Erzbischof  Vasilije,  in 
dessen  Zeit  die  Fertigstellung  des  Evangeliums  fällt,  Metropolit  Monte- 
negros (von  Cetinje)  gewesen.  Darnach  wäre  derselbe  Jovan  Malesevac 
zuerst  in  Trebinje,  dann  in  Montenegro,  zuletzt  in  Plevlje  als  Bücher- 
schreiber thätig  gewesen«. 

»Jetzt  will  ich  aber  einen  gewaltigen  Sprang  machen,  so  gewaltig, 
dass  man  ihn  fast  einen  Sprung  ins  Leere  bezeichnen  könnte.  Lachen 
Sie  mich  nicht  aus,  wenn  ich  Ihnen  folgende  Combination  vorschlage : 
Ich  glaube  nämlich,  dass  jener  Dijak  Jovan,  der  im  Jahre  1524  in  dem 
Trebinj er  Kloster  das  Menäum  geschrieben,  der  im  J.  1532  in  einem 
Kloster  Montenegros  das  Tetraevangelium  fertiggestellt,  der  im  J.  1545 
den  Prolog  zu  Ende  geführt  und  ein  Typikon  geschrieben  und  im  nach- 


Jovan  Malesevac  als  Bücherschreiber  und  Büchercorrector.         455 

sten  Jahr  154G  abermals  ein  Tetraevangelium  zu  Wege  gebracht  — 
Niemand  anderer  gewesen,  als  der  fünfzehn  Jahre  später  als  Uskoken- 
pope  auftretende  Jovan  Malesevac,  dessen  Wirksamkeit  im  Jahre  1561, 
gelegentlich  des  protestantischen  Bücherdrnckes  mit  cyrillischen  Buch- 
staben in  Urach ,  von  hafarik  (Geschichte  der  südslavischen  Literatur 
III,  1.  136)  nach  Schnurrer  erzählt  wird.  Für  seinen  Gefährten  Mate 
Popovic,  der  als  tüchtiger  Trinker  sich  den  Namen  gemacht,  habe  ich 
augenblicklich  kein  Interesse.  Dagegen  fesselt  meine  ganze  Aufmerk- 
samkeit der  zweite  LTskokenpope,  der  ebengenannte  Jovan  Malesevac. 
Soll  das  nicht  jener  früher  erwähnte  Dijakon  Joanu  Malesevac,  jeuer 
Dijak  Jovan  sein?  In  seinen  jungen  Jahren  gab  er  sich  in  Hercegovina 
und  Montenegro  mit  dem  Abschreiben  der  Kirchenbücher  ab.  Jetzt 
sehen  wir  ihn  als  Uskokenpopen  in  Krain  (bei  Möttling,  an  der  kroati- 
schen Grenze),  von  wo  er  von  dem  eifrigen  Trüber  nach  Deutschland 
gebracht  wurde,  um  dort  mit  seinen  Erfahrungen  bei  dem  cyrillischen 
Bücherdruck  Dienste  zu  leisten.  Ist  alles  das  nicht  recht  wahrschein- 
lich? Ich  denke  mir,  dass  er  in  seinen  späteren  Jahren,  als  er  das 
Bücherabschreiben  satt  bekommen  hatte,  aus  dem  Bereich  der  Türken- 
herrschaft nebst  so  vielen  Anderen  unter  die  Fittige  des  Kaisers  Ferdi- 
nand I.  sich  flüchtete.  Mir  fehlen  weitere  Beweise  für  diese  von  mir 
vermuthete  Identität  der  Person;  ich  bin  von  hier  aus  nicht  in  der  Lage 
etwas  mehr  als  die  einfache  Combination  in  Anregung  zu  bringen.  Ich 
habe  schon  in  dem  Büchlein  »0  nehiCHM  naxpHJapcHMa«  auf  S.  24  ver- 
sprochen, irgendwo  über  Jovan  Malesevac  etwas  mehr  zu  sagen.  Das 
im  Jahre  1SS8  gegebene  Versprechen  löse  ich  jetzt  zu  Beginn  des  neuen 
Jahrhunderts  ein,  so  gut  ich  es  kann.  Ich  füge  nur  noch  eine  Bemer- 
kung hinzu,  nämlich  dass  Prof.  Jirecek  in  dem  Werke  »Das  christliche 
Element  in  der  topograph.  Nomenklatur«  auf  S.  40  einen  Vlach  Kerak 
Milosevic  aus  dem  Katun  Malesevac  erwähnt.  Könnte  nicht  auch  der 
Dijak  Jovan  Malesevac  aus  jenem  Katun  stammen  und  daher  auch  die- 
sen Beinamen  führen  ? «  //.  Ruvarac. 

Mein  Zusatz.  Dem  Wunsche  des  hochwürdigen  Herrn  Archi- 
mandriten  II.  Ruvarac,  des  treuen  Freundes  unserer  Zeitschrift',  möchte 
ich  gern  nachkommen,  wenn  es  mir  möglich  wäre,  weitere  Beweise  für 
^die  Identität  jenes  vormaligen  Dijakon  Jovan  Malesevac  mit  dem  spä- 
teren, in  die  protestantische  Bewegung  hineingezogenen  Uskokenpopen 
desselben  Namens  zu  finden.    Leider  ist  das  nicht  der  Fall,  wir  bleiben 

Archiv  für  slavische  Philologie.   XXV.  30 


466  IJ-  Ruvarac, 

auf  die  scharfsinnige  Vermuthung  des  Herrn  Ruvarac  beschränkt.  Etwas 
scheint  mir  für  diese  Vermuthung  zu  sprechen.  Erstens  nach  Lopasic. 
der  ISSl  eine  kleine  Schrift  »Zumberak«  herausgab,  können  die  ältesten 
Uskoken  (vergl.  S.  26)  Sichelburgs  nicht  nur  aus  Bosnien,  sondern  auch 
aus  Hercegovina,  Serbien  und  Rasa  (Rascien)  eingewandert  sein.  Dafür 
spricht  auch  der  südliche  Dialekt.  «Uniatski  je  Uskok  stokavac  najradikal- 
nije  jekavstine«  sagt  Lopasic  S.  6.  Ferner  darf  man  betreffs  Malesevac, 
dessen  sich  Trüber  für  den  cyrillischen  Druck  bediente,  nach  dem  bei 
Kostrencic  (Urkundliche  Beiträge  zur  Geschichte  der  protestantischen 
Literatur  der  Südslaven.  Wien  1874)  gedruckten  Brief  Nr,  16  vom  1  T.Mai 
1561  die  Vermuthung  aussprechen,  dass  er  vielleicht  aus  Hercegovina 
oder  Montenegro  nach  Venedig  gekommen  war  und  vou  dort  weiter  zu 
den  Uskoken,  an  der  Grenze  zwischen  Kroatien  und  Krain.  Denn  Gregor 
Vlachovitsch  meldete  am  besagten  Tag  dem  Klombner,  dass  ihm  »der 
usskokhisch  pfaflf  angezaigt,  wie  einer  zu  Venedig  sein  soll,  der  die 
tschurnliza  schreiben  undt  auch  alle  puechstuben  aussschneiden  undt 
darzue  alles  in  derselben  SchrifFt  druckhen  khan  undt  in  dem  druckhen 
gar  wohl  gbiss  sein  soll«  ^).  Alle  diese  Nachrichten  sehen  darnach  aus. 
dass  Jovan  Malesevac  selbst  in  Venedig  gewesen,  dass  er  auch  nachher 
mit  einem  beim  serb.  Bücherdruck  in  Venedig  beschäftigt  gewesenen 
Manne  in  Correspondenz  stand  und  dass  er  sich  anheischig  machte, 
abermals  im  Interesse  der  cyrillischen  Drucklegung  der  protestantischen 
Werke  nach  Venedig  zu  reisen,  um  von  dort  seinen  Freund  für  das  pro- 
testantische Unternehmen  zu  gewinnen  (Nr.  19,  Brief  Klombner's  an 
Freiherrn  von  Ungnad).  In  den  Briefen  Truber's,  die  der  verstorbene 
Theodor  Elze  im  J.  1897  herausgab  (in  der  Sammlung  »Bibliothek  des 
litterarischen  Vereins  in  Stuttgart«),  geschieht  Malesevac's  in  einem  Briefe 
Truber's  an  König  Maximilian  Erwähnung  (Nr.  22).  Der  Brief  war  schon 
früher  bekannt.  Obschon  die  Protestanten  den  Üskoken-Priester  in  der 
Regel  »Pfaö"«  nennen,  so  scheint  Malesevac  doch  immer  Mönch  geblieben 
zu  sein.  Denn  man  erzählt,  unter  anderen  Klagen,  die  gegen  diese  Us- 
koken erhoben  wurden,  auch  die,  dass  sie  nicht  Fleisch,  sondern  nur 
Fische  essen  wollten  (vergl.  bei  Elze  S.  165).     Trnber  war  mit  ihren 


1)  Ueber  die  Nothwendigkeit,  einen  Setzer,  der  cyrillisch  versteht,  aus 
Venedig  zu  haben,  spricht  Pr.  Trüber  in  dem  Brief  an  die  steierischen  Stände 
vom  8.  Aug.  1561  (cf.  Starine  XXVI,  S.  167):  »Man  bedarflf  aines  setzers  in 
disen  baiden  schrifften,  den  muess  ich  mit  schwären  uncosten,  gefar  unnd 
per  contrebando  von  Venedig  haben«. 


Jovan  Malesevac  als  Bücherschreiber  und  Büchercorrector.        467 

Dienstleistungen  zufrieden,  wenigstens  im  November  1561  schrieb  er  an 
Freiherrn  von  Ungnad  einen  Brief,  worin  er  die  beiden  Uskokeu  gegen  den 
Stefan  Consul  in  Schutz  nahm.  Uebrigens  hielten  sich  die  beiden  Mönche 
nicht  lange  in  Urach  auf,  im  Febr.  1562  wurden  sie  nach  Laibach  zurück- 
geschickt, ausser  Bezalilung  und  Reisekost  bekam  ein  Jeder  noch  ein 
Boss  auf  die  Reise.  Was  sie  in  Urach  geleistet,  darüber  vergl.  Elze  S.  2  1 0 : 
»Primus  habe  zwei  uskokische  Priester,  welche  die  besten  und  geschick- 
testen sein  sollen,  mit  sich  von  Laibach  herausgeführt,  welche  auch  beim 
Vertieren  der  Evangelien  und  der  loci  communes  in  die  cyrillisclie 
Sprache,  bei  deren  Drucken  und  Corrigieren  allhier  gewesen ;  er  habe 
sie  auch  oft  selbst  in  sein  Haus  beschieden  und  mit  ihnen  vom  Druck 
geredet  .  .«  DasUrtheil  über  die  Arbeit  begegnete  auch  Einwendungen, 
cf.  Elze  241.  Wie  es  ihnen  unten,  unter  den  Uskoken  erging,  davon 
spricht  eine  kurze  Notiz  bei  Elze  402:  Popovic  wurde  von  einem  an- 
deren uskokischen  Pfaffen  («etliche  sagen  vonwegen  seines  Glaubens«) 
zu  Tod  geschlagen;  der  andere  (d.  h.  Jovan  Malesevac)  war  auch  »hart 
verwandt«  (Mai  1564).    Das  Ende  des  Mannes  ist  uns  unbekannt. 

V.J. 

Anm.  Die  Malesevci  (in  den  Denkmälern  Maleseuze,  Malliseui^e, 
Malleseuaz,  Male3ceua§  u.  s.  w.)  waren  ein  Katun  (Hirtengemeinde)  der 
Morolacchi«  oder  Vlachi  in  der  heutigen  Hercegovina  und  werden  in 
den  Archivbtichern  von  Ragusa  1397  — 1468  oft  erwähnt.  Mit  ihren 
Saumpferden  vermittelten  sie,  ebenso  wie  die  Drobnjaei  u.  A.,  Waaren- 
transporte  aus  Ragusa  nach  Crnica,  Gorazda,  Ustikolina,  Onogost  (Nik- 
sic),  in  das  Limthal,  nach  Priepolje,  Praca,  Borac,  Visegrad,  Archilia 
(jetzt  Arilje),  Rudnik  u.  s.  w.  Die  Wohnsitze  lassen  sich  aus  diesem 
Material,  welches  nur  Miethsverträge  über  Waarentransporte  bietet, 
nicht  feststellen.  Sicher  ist  es,  dass  sie  um  1422 — 1433  Unterthanen 
des  Radoslav  Pavlovic  waren,  nicht  des  Vojvoden  Sandalj.  In  den  Ver- 
zeichnissen der  Ortschaften  des  heutigen  Bosnien  wiederholt  sich  der 
Name  Malesevci  zweimal,  bei  Livno  und  bei  Zvornik;  die  Gemeinde  der 
alten  Malesevci  ist  aber  wahrscheinlich  weiter  im  Süden  zu  suchen. 

C.  Jirecek. 


30' 


Kritischer  Anzeiger. 


Heinrich  Geizer.    Der  Patriarchat  von  Achrida.    Geschichte  und 

Urkunden.   (Abhandl.  d.  phil.-hist.  Classe  der  Königl.  Sächsischen 

Gesellschaft  d.  Wissenschaften.  Bd.  XX.  Nr.  V.)  Leipzig  bei  B.G. 

Teubner.   Einzelpreis:  7  Mark  20  Pf.   1902.  gr.-S».  S.  231. 


Prof.  Geizer  in  Jena  hat  sich 
seit  mehreren  Jahren  dem  Studium 
der  Geschichte  der  orientalischen 
Kirche  gewidmet.  In  dieser  Be- 
ziehung ist  seine  Abhandlung  »Un- 
gedruckte und  wenig  bekannte  Bis- 
thümerverzeichnisse  der  orientali- 
schen Kirche  «  (Byz.  Zeitschr.  1. 11) 
besonders  wichtig,  da  er  hier  aus 
gedruckten  und  ungedruckten  Quel- 
len reiche  Beiträge  zur  Geschichte 
der  Orient. Kirche  geliefert  hat.  Hier 
handelte  er  ausführlich  über  die 
Schicksale  der  Diöcese  von  Achrida 
bis  Ende  des  XII.  Jahrb.,  indem  er 
zwei  unbekannte  Verzeichnisse  der 
Suflfragane  von  Achrida  aus  dem  XI. 
und  XII.  Jahrb.  herausgab  und  beide 
mit  den  von  ihm  wiederholt  abge- 
druckten drei  Erlässen  des  Kaisers 
Basileios  II.  an  den  Erzbischof  Jo- 
hannes von  Achrida  verglich.  Mit  einer  trefflichen  Analyse  und  einem  rei- 
chen Commentar  hat  er  das  grundlegende  Werk  von  Golubiuskij  »KpaTKlÄ 
o'iepK'B  ncTopiii  npaBocjraBm.ix'B  uepKBefi.  Moskau  1871«  in  mancher  Hinsicht 
vervollständigt  und  verbessert,  und  uns  einen  sicheren  Einblick  in  die  ältesten 
Zustände  der  Diöcese  von  Achrida,  besonders  in  Bezug  ihres  Umfanges  und 
ihrer  Diözesanordnung,  gewährt. 

Im  vorliegenden  Werke  will  uns  der  Verfasser  die  ganze  Geschichte  der 
autokephalen  Kirche  von  Achrida  geben  und  in  erster  Linie  viele  Verände- 
rungen hinsichtlich  der  Grenzen  des  achridanischen  Sprengeis  und  seiner 
Diüzesanordnung  in  verschiedenen  Epochen,  wie  auch  das  innere  Leben 
innerhalb  der  Diöcese  während  der  türkischen  Herrschaft  vors  Auge  fuhren. 
Im  Werke  unterscheiden  wir  fünf  Hauptabschnitte.  Im  ersten  wird  die 
älteste  Geschichte  des  Patriarchats,  im  zweiten  die  Geschichte  seit  Ende  des 
XII.  Jahrh.  bis  zum  Untergange  der  griechischen  Herrschaft  14.53,  im  dritten 


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Gelzer's  Patriarchat  von  Achrida.  angez.  von  Kadonic.  469 

die  Schicksale  der  Diöcese  während  der  Türkenzeit  bis  zur  Aufhebung  des 
Patriarchats  1767  seitens  der  türkischen  Regierung  und  phanariotischen 
Partei  in  Constantinopel  dargestellt.  Der  vierte  Abschnitt  belasst  sich  mit 
der  inneren  Geschichte  des  Patriarchats,  indem  hier  zwei  Richtungen  im 
Klerus  von  Achrida  (Autochthonen  und  Phanarioten',  die  Finanzen  des  Stuhles 
von  Achrida,  die  Patriarchen-  und  Bischofswahlen  etc.  vorgeführt  werden. 
Der  fünfte  Abschnitt  enthält  die  Urkunden,  mit  dem  dazugehörigen  und  sehr 
fleissig  zusammengestellten  Unterabschnitte  »Zur  Sprache  der  Urkunden«. 
Den  grüssten  Werth  hat  nach  unserem  Dafürhalten  der  vierte  Abschnitt,  wo 
der  Verf.  auf  Grund  des  reichen,  bis  jetzt  unbekannten,  Materials  des  soge- 
nannten Codex  des  heil.  Clemens  das  innere  Leben  des  Stuhles  von  Achrida 
mit  sicheren  Zügen  plastisch  dargestellt  hat.  Der  Benutzung  der  Synodal- 
protokolle von  Achrida,  vom  Verf.  nebst  einigen  Anhängen  nach  der  Copie 
vcn  Anthimos  und  Bodlev  im  fünften  Abschnitte  herausgegeben,  hat  auch 
die  zweite  Hälfte  des  dritten  Abschnittes  zu  verdanken,  dass  in  ihr  die 
Reihenfolge  der  Patriarchen  von  Achrida  (1660 — 1767)  viel  vollständiger  ist, 
als  z.  B.  in  der  ersten  Hälfte  des  dritten  und  im  zweiten  Abschnitte,  wo  sich  der 
Verf.  hauptsächlich  an  das  vor  30  Jahren  erschienene  Werk  von  Golubinskij 
stützt.  Seit  dieser  Zeit  hat  man  aber  bei  den  Serben  ziemlich  reiches  In- 
Bchriftenmaterial  in  verschiedenen  wissenschaftlichen  Organen  und  Zeit- 
schriften publicirt,  welches  durch  die  königl.  Akademie  in  Belgrad  unter  der 
Redaction  des  Akad.  Lj.  Stojanovic  jetzt  systematisch  herausgegeben  wird 
(Crapu  cpacKu  sannen  u  nainucu.  I\H.]ira  I).  Manche  Arbeiten  auf  dem  Ge- 
biete der  serb.  Kirchengeschichte  berühren  auch  einzelne  Momente  aus  der 
Vergangenheit  des  achridanischen  Stuhles,  wie  z.  B.  die  einschlägigen  Ab- 
handlungen des  Archim.  H.  Ruvarac,  was  der  Verf.  des  vorliegenden  Werkes 
nicht  unberücksichtigt  lassen  durfte.  Obgleich  der  Verf.  bis  zu  einem  ge- 
wissen Grade  als  Entschuldigung  anführen  könnte:  er  sei  mit  der  altkirchen- 
slavischen  und  serbischen  Sprache  nicht  vertraut,  so  ist  es  doch  auffallend, 
dass  er  einige  Publicationen  im  Archiv  f  slav,  Phil.,  Bii3.  BpeMeunuKi.  und  Ha- 
BtciiÄ  d.  archäolog.  Instituts  zu  Constantinopel  ausser  Acht  gelassen  hat. 

Wir  werden  jetzt  meistens  auf  Grund  der  altserbischen  Inschriften  und 
der  vom  Verf.  unberücksichtigt  gebliebenen  Publicationen  versuchen,  die 
Verzeichnisse  der  Erzbischüfe  von  Achrida  und  ihrer  Suffragane  im  zweiten 
und  dritten  Abschnitte  [der  erste,  w  ie  erwähnt,  hat  zur  Grundlage  die  treff- 
lichen Vorarbeiten  des  Verf.  selbst;  zu  vervollständigen,  wie  auch  manche 
Fehler  zu  corrigiren.  Bevor  wir  zum  zweiten  Abschnitte  übergehen,  sei  es 
erwähnt,  dass  ein  Pergamentevangelium  eine  griech. Inschrift  aus  dem  J.  1368 
enthält,  wo  ein  Antonius  7iuyieQwxaios  tniaxono;  D.arlT^r-^-^  rjot  nü.h]i  er- 
wähnt und  dadurch  die  Notitia  des  XII.  Jahrh.  vervollständigt  wird  (IlaBtCTia 
IV.  3.  p.  133).  Die  Daten  über  den  Erzbischof  Demetrios  Chomatianos  im 
zweiten  Abschnitte  sind  bei  Geizer  äusserst  dürftig,  und  doch  hätte  er  in 
Bezug  der  Zeitbestimmung  von  Demetrios'  Kirchenregierung  die  treffliche 
Arbeit  Drinov's  » 0  HtKOTopwxi.  ipyitaxx  ^uMUTpiii  XoMaTiaua  KaKx  ucropu- 
^ecKOMx  Maiepia.ii  (Bu3.  BpcM.  I.  p.  319—340.  II.  p.  1—23;  zu  Rathe  ziehen 
sollen.    Die  vom  Verf.  (S.  13  und  15)  nach  bulgarischer  Ausgabe  (Sbornik  Xi 


470  Kritischer  Anzeiger. 

citirten  griechischen  Bauinschriften,  wo  die  Erzbischöfe  Makarios  (Ende  des 

XIII.  Jahrh.)  und  Gregorios  (zweite  Hälfte  des  XIV.  Jahrh.)  erwälmt  werden, 
hätte  er  nach  der  besseren  Abschrift  in  HsBicTia  IV.  1.  p.  90.  95  benutzen 
sollen.  Die  von  Geizer  aufgefundene  wichtige  Notitia  in  einem  Codex  der 
Nationalbibliothek  in  Athen  über  die  Organisation  der  Diöcese  von  Achrida 
im  XIII.  und  XIV.  Jahrh.  (8.20)  wird  durch  eine  griechische  Bauinschrift  aus 
dem  J.  1390  in  der  Umgebung  von  Korytza  ergänzt.  Hier  wird  nämlich  ein 
Bischof  Nymphon  genannt  (HsBicxiH  IV.  1.  p.  75),  nur  schade,  dass  die  Eparchie 
nicht  ausdrücklich  erwähnt  wird.  Wichtig  ist  weiter  eine  altserbische  In- 
schrift in  der  Umgebung  von  Prilep,  wo  in  den  60-  oder  7ü-er  Jahren  des 

XIV.  Jahrh.  Johannes  Zografos  als  Metropolit  genannt  wird  (Lj.  Stojanovic, 
op.  cit.  p.  63).  Man  sieht  also,  dass  um  diese  Zeit  Prilep  mit  Pelagonia  ver- 
einigt war.  Die  Notiz  über  den  Patriarchen  Dorotheos  (Glasnik  VII.  S.  177), 
welcher  nicht  1468  'S.  21),  sondern  1466  von  Mohammed  II.  gefangen  und  nach 
Constantinopel  geschleppt  wurde,  wird  durch  eine  ausführliche  altserbische 
Inschrift  des  Diakon Dmitar  aus  Kratovo  ergänzt  (Stojanovic,  op. cit.  p. 98  sqq.). 
Diese  Inschrift  bestätigt  weiter  die  von  Papadopulos-Kerameus  ausgespro- 
chene Vermuthung,  dass  Dorotheos'  Nachfolger  Markos  unmittelbar  nach  der 
Gefangennahme  des  Dorotheos  von  Constantinopel  nach  Achrida  gekommen 
war.  Es  ist  interessant,  dass  Markos  nach  der  Inschrift  noBejiiHieMB  uapL- 
CTBoyioiUcaro  den  Thron  von  Achrida  eingenommen  hatte. 

Ueber  den  Patriarchen  Prochoros  aus  der  ersten  Hälfte  des  XVI.  Jahrh, 
weiss  der  Verf.  nur  soviel  zu  sagen,  dass  er  nach  einer  Version  bei  Malaxos 
von  Achrida  nach  Constantinopel  kam,  um  vor  dem  Patriarchen  Jeremias  I, 
Ansprüche  auf  Beröa,  nach  der  Version  bei  Meletios  von  Athen  auf  Servia 
(dem  Erzbisthum  von  Thessalonike  gehörig)  zu  machen.  Hätte  aber  Geizer 
von  der  Existenz  einer  Urkunde  des  ökumenischen  Patriarchen  Jeremias  I. 
aus  d.  J.  1531,  wo  auf  Gesuch  des  Prochoros  das  ehemalige  autokephale  Erz- 
bisthum von  Pec  mit  dem  Patriarchat  von  Achrida  vereinigt  wurde,  gewusst, 
so  hätte  er  einsehen  müssen,  dass  weder  die  erste  Version  bei  Malaxos  noch 
die  zweite  bei  Meletios  richtig  ist.  Und  diese  wichtige  Urkunde  wurde  bisher 
dreimal  publicirt.  Zum  ersten  Male  durch  den  bekannten  russischen  Gelehr- 
ten A.  S.  Pavlov  in  "tlxenis  iiuu.  oöm.  ucr.  ii  ÄpeBHOCTeü  pocciMCKiix-B  1876. 
Bd. 4,  abgedruckt  daraus  in  FjiaciinK  Bd.  4",  und  von  Papadopulos-Kerameus 
in  Bii3.  BpeM,  III.  p.  118 — 120  wiederholt  herausgegeben,  dem  aber  Pavlov'a 
Ausgabe  unbekannt  blieb.  Die  grundlegenden  Arbeiten  des  Archim.  II.  Ru- 
varac  (rjiacHUKBd.47  0  nehcKiiM  naxpujapciiMa  oa  r.  1557 — 1690)  haben  sichere 
Beweise  erbracht,  dass  mit  dem  endgültigen  Untergange  des  serbischen  Rei- 
ches 1459  auch  die  Unabhängigkeit  der  serb.  Kirche  zu  Grunde  ging.  Die- 
selbe nämlich  blieb  dem  Stuhle  von  Achrida  bis  zum  J.  1557  untergeordnet, 
erhielt  aber  ihre  alte  Selbständigkeit  durch  energische  Thätigkeit  des  Maka- 
rios, eines  Bruders  des  Grossveziers  Mehmed  Sokolovic.  Innerhalb  dieser 
Zeit  der  Unterjochung  versuchte  ein  gewisser  Paul  um  das  Jahr  1530,  die 
alte  Selbständigkeit  der  Diöcese  von  Pec  herzustellen.  Sein  Versuch  aber 
blieb  infolge  der  energischen  Action  seitens  des  Patr.  Prochoros  erfolglos, 
wie  das  aus  der  erwähnten  Urkunde  des  Patr.  Jeremias  I.  ersichtlich  ist. 


Gelzer's  Patriarchat  von  Achrida,  angez.  von  Radoniö.  47 1 

Dass  Prochorosnach  dieser  Zeit  die  Jurisdiction  auch  über  das  Territorium  der 
alten  selbständigen  Diöcese  von  Pec  ausgeübt  hatte,  sieht  man  klar  aus  einer 
eigenhändigen  slavischen  Notiz  des  Patr.  Prochoros  selbst,  geschrieben  im 
Orte  Janjevo  im  J.  1548,  als  er  den  Metropoliten  von  Novo  Brdo,  Nikanor, 
besuchte  (Lj.Stojanovic,  op.  cit.  p.  17t);.  Ruvarac  hebt  mit  Recht  hervor,  dass 
Prochoros  in  der  sogenannten  historischen  Skizze  der  serb.  Erzbischöfe  und 
Patriarchen  deswegen  eingetragen  ist,  weil  er  als  Patriarch  von  Achrida  zu- 
gleich die  serbische  Kirche  unter  seiner  Hand  hatte  (FjiacuuK  XLVII.  272). 
Sonst  wird  Prochoros  in  altserbischen  Inscriptionen  1528.  1544.  1547.  1548. 
1549  erwähnt  Stojanovic,  op.  cit.  p.  147.  167.  175.  176.  IIsBicxiH  IV.  1.  p.92). 
Gestorben  ist  er  im  J.  155Ö  (r.iacuuK  XXXV.  p.  272.  HsBicTia  IV.  3.  p.  140). 

Ueber  den  Erzbischof  Nikanor,  einen  Nachfolger  des  Patr.  Prochoros, 
weiss  der  Verf.  ebenso  wie  Golubinskij  fast  gar  nichts  zu  sagen.  Es  ist  leicht 
müglich,  dass  dieser  Nikanor  identisch  ist  mit  jenem  in  der  obenerwähnten 
eigenhändigen  Notiz  des  Patr.  Prochoros  und  dass  er  nach  dem  Tode  des- 
selben von  seinem  Metropolitansitze  in  Novo  Brdo  auf  den  Stuhl  von  Achrida 
gelangt  war.  Soviel  aber  ist  sicher,  dass  er  auf  dem  Patriarchenthrone  bis 
1557  verblieb,  in  welchem  Jahre  er  gestorben  war  (FjacuuK  XXXV.  p.  272). 
Er  ist  zugleich  der  letzte  Patriarch  von  Achrida,  welchem  die  Peder  Diöcese 
unterstellt  wurde,  und  hiermit  wird  auch  der  Umstand  erklärt,  dass  sein 
X:ime  in  der  historischen  Skizze  unter  die  serbischen  Erzbischöfe  eingetragen 
wurde. 

Nach  dem  Patr.  Sofronios  setzt  Geizer  als  seinen  Nachfolger  den  Ma- 
karij  ein  (S.  25).  Dafür  findet  er  einen  Stützpunkt  im  Tagebuche  Gerlach's, 
welcher  unter  dem  J.  1574  berichtet,  der  NeÖ'e  des  Grossveziers  Mehmed 
Sokülovic  sei  damals  zum  Erzbischof  von  Achrida  ernannt  worden.  Da  er 
weiter  in  einer  serbischen  Chronik  (F.-iacHUK  V.  p.  75)  die  Nachricht  fand, 
dass  Makarij,  Patriarch  von  Pec  (1557 — 1574),  ein  Bruder  des  Grossveziers 
Mehmed  Sokolovic  gewesen  sei,  durch  dessen  Einfluss  er  die  Erlaubniss  er- 
halten habe,  sämmtliche  serbische  Klöster  herzustellen,  kam  er  zu  einem  fal- 
schen Schlüsse,  dass  die  späte  serbische  Quelle  den  Bruder  mit  dem  Neifen 
verwechselt  habe  und  dass  Makarij  im  J.  1574  durch  seinen  Oheim  von  Pec 
nach  Achrida  befördert  wurde.  Hätte  er  aber  von  den  Arbeiten  des  Prof. 
C.  Jirecek  »Der  Grossvezier  Mehmed  Sokolovic  und  die  serb.  Patriarchen 
Makarij  und  Antonij«  (Archiv IX)  und  des  Arch. Ruvarac  «Nochmals  Mehmed 
Sokoloviö  und  die  serb.  Patriarchen«  (Archiv  X)  gewusst,  so  hätte  er  nicht 
an  eine  Verwechselung  der  serbischen  Quelle  denken  können.  Der  serbische 
Patriarch  Makarij  starb  nämlich  am  23.  Oktober  1574.  Ihm  folgte  auf  dem 
Patriarchenstuhle  von  Pec  sein  Nefte  Antonij,  welcher  bald  darauf  im  J.  1575 
starb.  In  der  Meinung,  dass  Makarij  im  J.  1573  gestorben  war,  hat  Prof. 
Jirecek  die  Vermuthung  ausgesprochen,  dass  Gerlach  unter  dem  September 
1574  falsch  berichtet,  und  dass  er  hier  wohl  den  im  J.  1574  erwählten  Erz- 
bischof von  Pec  Antonij  gemeint  habe,  den  er  aber  unter  dem  J.  1577  richtig 
als  serbischen  Erzbischof  nennt.  Da  aber  im  September  1574  der  EB.  Ma- 
karij noch  am  Leben  und  der  Stuhl  von  Pec  nicht  vakant  war,  und  da  weiter 
Gerlach  den  serbischen  und  achridanischen  Erzbischof  ganz  klar  unterschei- 


472  Kritischer  Anzeiger. 

det,  wie  das  Ruvarac  nachgewiesen  hat  (0  nehcKUM  narp.  13.  Archiv  X.  45), 
so  ist  die  Annahme  einer  falschen  Nachricht  bei  Gerlach  unhaltbar.  Noch  : 
weniger  kann  Gelzer's  Hypothese  irgend  weiche  Ansprüche  auf  Haltbarkeit  i 
machen.  Der  Name  Makarij  ist  also  aus  der  Liste  der  achridauischen  Erz- 
bischöfe in  der  zweiten  Hälfte  des  XVI.  Jahrh.  zu  streichen  und  statt  dessen 
muss  man  einen  namenlosen  Neflfen  des  Grossveziers  einsetzen.  Dieser 
namenlose  Patriarch  war  im  J.  1574  nur  Hieromonach,  »so  dass  ihn  der  Pa- 
triarch von  Constantinopel  Jeremias  zuerst  zum  Jerarchen  beziehungsweise 
zum  Erzbischof  weihen  (ordinäre)  musste«  (Archiv  X.  45). 

Die  Lücke  zwischen  dem  Patr.  Gabriel  und  Nektarios  (S.  26)  ist  mit  dem 
Patriarchen  Barlaamos  zu  ergänzen,  welcher  von  den  Türken  in  der  Stadt 
Veles  am  28.  Mai  1598  hingerichtet  wurde  (HsBicTifl  IV.  3.  p.  139). 

Die  Reihenfolge  der  Patriarchen  von  Achrida  1G60 — 1767  ist  viel  voll- 
ständiger und  richtiger  als  bei  Golubinskij,  da  dem  Verf.,  wie  erwähnt,  rei- 
ches Material  aus  dem  Codex  des  heil.  Clemens  zur  Verfügung  stand.  Doch 
lässt  sich  aach  in  diesem  Abschnitte  das  Verzeichniss  der  Erzbischöfe  und 
ihrer  Suffragane  hie  und  da  ergänzen.  Der  Patr.  Zosimas  (S.  135)  wird  in 
einer  altserbischen  Bauinschrift  im  Kloster  des  heil.  Johannes  bei  Veles  im 
J.  1670  erwähnt,  also  im  Jahre  als  er  gestorben  war  (Lj.  Stojanovic,  op.  cit. 
p.  404).  ^  , , 

Bei  Betrachtung  der  chronologischen  Reihe  der  Suffragane  von  Achrida  i ' 
ist  es  sehr  auffallend,  dass  der  Verf.  die  treffliche  Arbeit  des  gelehrten  Au- 
gustiners L.  Petit  »Le  monastere  de  Notre-Dame  de  Pitie  en  Macödoine« 
(HsBicxia  VI)  nicht  benutzte,  da  dort  ein  Verzeichniss  der  Hierarchen  von  |  ■ 
Strumica  (Tiberiopolis)  vom  IX.  Jahrh.  bis  in  die  Neuzeit  zusammengestellt 
ist.  Das  Verzeichniss  der  Bischöfe  von  Veles  ist  mit  einem  Bischof  Josef  zu 
ergänzen,  welcher  vor  Metrophanes  1670  auf  dem  bischöflichen  Stuhle  sass 
(Lj.  Stojanovic,  op.  cit.  p.  404). 

Die  Reihenfolge  der  Bischöfe  von  Debra  (Dibra)  (S.  141)  ist  auch  mit : 
Joakimos  zu  vervollständigen,  der  im  J.  1698  als  Bischof  von  Debra  und  Ki-  i 
cevo  (Kitzabon)  genannt  wird  (Lj.  Stojanovic,  op.  cit.  p.  472),  Vor  diesem  i 
Joakimos,  der  dem  Verf.  unbekannt  blieb,  gelangte  1694  auf  den  bischöf- 
lichen Stuhl  von  Debra,  David,  der  ehemalige  Protothronos  von  Kastoria. 
Einer  Bemerkung  von  Vaphidis  folgend,  glaubt  der  Verf.,  dass  dieser  noch 
im  J.  1703  am  Leben  war.  Indessen  verhält  sich  die  Sache  anders.  Wenn 
wir  die  Unterschriften  des  gewesenen  Protothronos  von  Kastoria,  David,  in 
Synodalprotokollen  verfolgen,  werden  wir  bemerken,  dass  er  bis  in  das  Jahr 
1695  an  erster  oder  zweiter  Stelle  zeichnet.  So  z.  B.  zeichnet  er  im  J.  1694 
an  erster  Stelle:  nqMrji'  Kuaxoqic.g  zla^iiä  (S.  60);  im  J.  1695  zeichnet  er  an 
zweiter  Stelle  gleich  nach  dem  gewesenen  Patriarchen  Germanos:  nQoniP 
KaaToqias  TiQioTod-Qoyog  v.al  nqoBÖqo;  Jt^qüv  zJaßi&  [8.  63);  am  9.  Juli  1695 
zeichnet  er  gleich  nach  dem  Protothronos  von  Kastoria  Dionysios  (S.67j,  Im 
J.  1699  zeichnet  aber  ein  Bischof  von  Debra  David  unter  den  acht  Hierarchen 
'an  letzter  Stelle:  JeßQwv  y.al  Kix^äßov  JaßiS  (S.  79).  In  der  Meinung,  dass 
dieser  David  identisch  mit  jenem  aus  dem  J.  1695  sei,  sieht  der  Verf.  in  die- 
sem Umstand  eine  priesterliche  Bosheit,  durch  welche  dem  David  das  Recht 


Porzezinskij,  Conjugation  in  den  balt.  Sprachen,  angez.  von  Berneker.     473 

genommen  worden  ist,  fernerhin  den  Titel  Protothronos  zu  führen.  Da  aber 
David  im  J.  1699  nicht  als  Protothronos  zeichnet  und  da  1098  Joakimos  als 
Bischof  von  Debra  erwähnt  wird,  muss  jener  Protothronos  David  vor  dem 
J.  169S  gestorben  sein.  Sein  Nachfolger  war  der  erwähnte  Joakim,  aber  nur 
eine  kurze  Zeit.  Demnach  also  ist  jener  David,  der  im  J.  1699  an  letzter 
Stelle  zeichnet,  nicht  identisch  mit  David  aus  dem  J.  1695,  wodurch  aber  die 
Liste  von  Debra  mit  zwei  Bischöfen  Joakimos  und  David  II.  vervollständigt 
wird.  Das  Verzeichniss  der  Bischöfe  von  Prespa  wird  durch  zwei  griechische 
Inschriften  ergänzt,  wo  ein  Bischof  Parthenios  im  J.  1741  und  1743  erwähnt 
wird  (Ilaiitcxi;!  IV'.  1.  p.  37.  54  . 

Indem  ich  die  Recension  über  dieses  wichtige  Werk  schliesse,  füge  ich 
noch  folgende  Bemerkung  hinzu.  Es  ist  merkwürdig,  dass  der  Verf.  in  Bezug 
der  Aufhebung  des  Patriarchats  von  Achrida  im  J.  1767  sich  nur  auf  äusserst 
dürftige  Notizen  in  r.iacHHK  Bd.  VIII  stützt,  obwohl  ihm  die  griechischen 
Schriften  darüber  aus  dem  Werke  von  Golubinskij  (S.292)  wohlbekannt  waren. 

Jov.  Radonic. 


Kl,  HCTopiH  ^opMt  cnpÄatenin  bt.  öajrxificKHX'i.  nsLiKax'B.    Oömee  bbc- 

Aenie;    oöpaaoBaHie  <i>op>n>   .aima  h  ochob'b  BpeMenn  h  HaKjlOHenifl. 

HscjiiAOBaHie  B.  K.  nopa:e3HHCKaro.    MocKca,  1901.  YII,  166. 

In  schneidendem  Kontrast  zu 
dem  Bilde  hoher  Alterthümlichkeit, 
das  die  baltischen  Sprachen,  voran 
das  Litauische,  in  ihrem  Lautstand, 
ihren  Accentverhältnissen,  ihrer  De- 
klination bieten,  steht  die  verblüf- 
fende Unursprünglichkeit  auf  dem 
Gebiete  ihrer  Verbalfiexion :  auf 
Schritt  und  Tritt  Neubildungen,  kein 
Stein  scheint  auf  dem  andern  geblie- 
ben zu  sein,  und  Schwierigkeit  häuft 
sich  auf  Schwierigkeit.  So  kann  man 
nur  freudig  eine  Monographie  be- 
grüssen,  die  bestrebt  ist,  neues  Licht 
in  dieses  Dunkel  zu  bringen,  indem 
sie  in  bisher  noch  nicht  gebotener 
Vollständigkeit  das  ganze  in  Be- 
^_^^^    tracht     kommende    Material 

vorbereitet  tritt  V.  K.  Porze- 
zinskij an  seine  Aufgabe,  die  Geschichte  der  baltischen  Konjugationsformeu, 
heran :  in  glücklicher  Weise  verbindet  er  sprachwissenschaftliche  Methode 


474  Kritischer  Anzeiger. 

mit  umfassenden  philologischen  Kenntnissen  auf  dem  Gebiete  der  balti- 
schen Sprachen,  auf  dem  ihm  die  alten  Quellen  wie  die  heutigen  Dialekte, 
namentlich  die  noch  wenig  erforschten  russisch-litauischen,  wie  selten  einem 
vertraut  sind.  Dass  trotz  aller  Mühe  und  allen  Scharfsinns  der  Ertrag  des 
Buches  an  neuen  gesicherten  Ergebnissen  nicht  gerade  reich  zu  nennen  ist, 
dafür  wird  kein  Einsichtiger  dem  Verfasser  die  Schuld  beimessen.  Dass  wir 
in  vielen  Punkten  über  vage  Hypothesen  nicht  hinauskommen,  liegt  eben  in 
den  Verhältnissen.  In  die  Zeiten,  da  Schlag  auf  Schlag  die  Katastrophen  er- 
folgten, die  den  aus  dem  Indogermanischen  ererbten  Verbalbau  in  den  balti- 
schen Sprachen  so  von  Grund  aus  umgestalteten,  haben  wir  keinen  Einblick 
und  werden  ihn  auch  nie  haben.  Im  XVI.  Jahrb.,  daher  unsere  ältesten 
Ueberlieferungen  stammen,  ist  bereits  alles  fertig  und  bleibt,  sich  verhältniss- 
mässig  wenig  ändernd,  bis  heute,  und  Theorien  und  Konjekturen  müssen  die 
klaffende  Lücke  von  Jahrhunderten  der  Entwickelung  ausfüllen. 

P.  gliedert  sein  Werk  in  drei  Kapitel :  das  erste  gibt  eine  kurze  orien- 
tirende  Einleitung  über  das  Verbum  und  seine  Formen  in  der  indogermani- 
schen Grundsprache  und  in  den  baltischen  Sprachen,  das  zweite  behandelt 
die  Personalendungen,  das  dritte  bei  weitem  das  längste,  die  Bildung  der 
Tempus-  und  Modusstämme,  und  zwar  in  vier  Abtheilungen:  1)  der  Präsens- 
stämme, 2)  der  Futurstämme,  3)  der  Präteritalstämme,  4)  der  Modusstämme. 

»Von  den  ersten  Seiten  meiner  Untersuchung  an  wird  dem  aufmerk- 
samen Leser  nicht  entgehen,  dass,  sie  aus  der  Feder  eines  Autors  hervorge- 
gangen ist,  der  zur  Moskauer  linguistischen  Schule  gehört,  und  dass  die 
blosse  Möglichkeit  ihres  Erscheinens  bedingt  ist  durch  die  Arbeiten  auf  dem 
Gebiete  der  baltischen  und  slavischen  Sprachen  von  Seiten  des  Hauptes  die- 
ser Schule  (Philipp  Fortunatov),  wie  auch  seines  Schülers,  Prof.  G.K.Uljanov« 
sagt  der  Verfasser  im  Vorwort.  Dieses  Bekenntniss  muss  die  Frage  hervor- 
rufen: was  ist  das  für  eine  neue  Schule?  was  unterscheidet  sie  von  den 
übrigen?  welches  sind  ihre  Principien?  Mich  dünkt  fast,  P.'s  Worte  beziehen 
sich,  wie  natürlich,  in  erster  Linie  auf  russische  Verhältnisse  und  sollen  seine 
Zugehörigkeit  zur  Moskauer  Schule  gegenüber  anderen  russischen  linguisti- 
schen Schulen  ausdrücken.  Denn  ich  muss  gestehen,  dass  ich  Seiten  und 
Seiten  seiner  Schrift  gelesen  habe,  ohne  dass  mir  auch  nur  einmal  zum  Be- 
wusstsein  gekommen  wäre,  dass  Freund  P.  zu  einer  anderen  Schule  gehört 
als  ich.  In  allem  Wesentlichen,  in  der  allgemeinen  Methode  und  in  allen 
Grundanschauungen,  die  sich  aus  dem  Kampf  der  Meinungen  in  den  siebziger 
und  den  achtziger  Jahren  entwickelt  haben  und  jetzt  allgemein  anerkannt 
sind,  gibt  es  keinen  Unterschied  zwischen  der  Moskauer  und  den  westeuro- 
päischen Richtungen  in  der  vergleichenden  Sprachwissenschaft.  Dass  das 
Haupt  der  Moskauer  Schule,  Ph.  Fortunatov,  dessen  dreissigjähriges  Jubi- 
läum segensreicher  Wirksamkeit  an  Russlands  hervorragendster  Universität 
seine  dankbaren  Schüler  jüngst  feierlich  begangen  haben,  in  vielen  wichtigen 
Punkten  unabhängig  vom  Westen  zu  den  gleichen  Resultaten  gelangt  ist  und 
sie  schon  früher  in  seinen  Vorlesungen  gelehrt  hat,  macht  diese  Ueberein- 
stimmung  um  so  werthvoller  und  erfreulicher. 

Die  Abweichungen  (wenigstens  so  weit  sie  in  Porzezinskij's  Buch  her- 


Porzezinskij,  Conjugation  in  den  balt.  Sprachen,  angez.  von  Berneker.     475 

vortreten)  sind  nicht  so  scliwerwiegend.  Ein  Aeusserliches  —  andere  Be- 
zeichnung gewisser  für  die  Grundsprache  anzusetzender  Laute  (vor  allem  die 
M-  nicht  gerade  nöthig  und  etwas  unpraktisch  erscheinende  Bezeichnung 
.1",  ä'',  ü°,  WO  wir  idg.  e,  0,  e,  ö  schreiben);  sodann  abweichende  Ansichten 
über  die  Erklärung  einiger  Flexionsendungen  beim  Nomen  und  Verbum  — 
Jas  ist  so  ziemlich  Alles. 

Und  letztere  kann  man  noch  auf  einen  Nenner  bringen;  sie  wurzeln 
eigentlich  sammt  und  sonders  in  der  Neigung,  für  gewisse  Varianten  in  der 
Einzelsprache,  die  man  sich  sonst  innerhalb  dieser  zu  erklären  bemühte,  Ver- 
schiedenheiten schon  in  der  Grundsprache  verantwortlich  zu  machen:  wie 
denn,  um  ein  Beispiel  zu  geben,  der  honi.  Gen.  'inzioio  auf  idg.  -oslo,  der  ion. 
'.tt.  Innov  auf  idg.  -ow  zurückgeführt  wird.  P.  spricht  dieses  Princip  einmal 
■  US  (146/7):  »Das  Streben,  alle  Fakta  der  Ursprache  auf  ihre  einfachste  Ge- 
stalt zurückzuführen,  das  auch  jetzt  noch  nicht  völlig  aufgegeben  ist,  hat 
mehr  als  einmal  den  Blick  getrübt  gegenüber  den  wirklich  geschichtlich  ge- 
gebenen Fakten  der  Einzelsprache«.  Gewiss  ist  das  ein  richtiger  Gedanke. 
Die  Erkenntniss,  dass  die  Grundsprache  nicht  so  einfach  sei,  dass  viele  Ver- 
schiedenheiten der  einzelnen  Sprachen  schon  in  ursprachlichen  Verschieden- 
heiten wurzeln,  ist  ja  das  fruchtbare  Princip  gewesen,  dem  wir  vor  allem  die 
Portschritte  der  indogermanischen  Sprachwissenschaft  seit  Schleicher  danken. 
Die  Einsicht,  dass  e  und  0  schon  der  Grundsprache  eignen,  die  Entdeckung 
der  sonantischen  Liquiden  und  Nasale,  der  drei  Gutturalreihen,  der  indoger- 
manischen verschiedenen  Accentqualitäten  u.a.m.  sind  die  Früchte,  an  denen 
wir  die  Berechtigung  dieser  Auffassung  erkennen  können.  Aber  keine  Me- 
thode verträgt  ein  »Mechanisirt'n«,  wie  es  einmal  Wilhelm  Scherer  treffend 
genannt  hat.  Wenn  wir  alle  DiÖ'erenzen  in  der  lautlichen  und  formalen  Ent- 
wickelung  der  Einzelsprachen,  wenn  sie  uns  aus  ihnen  selbst  nicht  gleich  klar 
«•erden,  auf  Verschiedenheiten  der  Grundsprache  zurückführen  wollen  (und 
dazu  neigt  die  Moskauer  Schule),  dann  wird  diese  schliesslich  zur  grossen 
Rumpelkammer,  in  die  man  getrost  alles  das  sperrt,  womit  man  nicht  gleich 
fertig  wird,  und  zu  einer  ständigen  Verführung,  die  Fakta,  die  unsere  Ent- 
scheidung heischen,  einfach  an  die  höhere  Instanz  zu  verweisen,  wo  uns  die 
Entscheidung  nicht  mehr  zusteht.  Zu  solchen  unberechtigten  Annahmen 
grundsprachlicher  Verschiedenheiten  rechne  ich  z.  B.  in  P.'s  Buch  die  Unter- 
scheidung von  idg.j(  undy  im  Inlaut,  die  Annahme  zweier  idg.s,  die  Annahme 
einer  Präsensendung  -e-i  neben  -e-si  in  der  2.  Pers.  Sg.  und  manches  andere. 
Uebrigens  hat  sich  Porzezinskij,  der  seiner  ganzen  Richtung  nach  seinem 
Meister  Fortunatov  am  nächsten  steht,  weit  seltener  in  dieser  Schlinge  seiner 
Schule  verfangen,  als  man  es  bei  anderen  Gliedern  derselben  beobachten  kann. 

Nach  diesen  einleitenden  Bemerkungen,  die  wohl  gezeigt  haben,  dass 
jedenfalls  unsere  Wege  nicht  so  weit  auseinandergehen,  dass  man  nicht  auf 
eine  allmähliche  Verständigung  und  Einigung  hoffen  dürfte,  beginnen  wir 
mit  einer  Betrachtung  des  P.'schen  Werkes  im  Einzelnen. 

Kap.  II  ist  den  Personalendungen  gewidmet.  Während  das  Lit.  und  das 
Le.  in  der  \.  Pers.  Präs.  der  thematischen  Verba  einhellig  -u  zeigen,  lit.  vedü, 
le.!cerfj<,refl. -(<-«,  das  allgemein  auf -ö  mit  gestossenemTon  zurückgeführt  wird, 


476  Kritischer  Anzeiger. 

weicht  das  Preiiss.  mit  seinem  a  aus  :  as  imina,  as  polaiiiinna,  ns  crixtia.  Und 
es  erhebt  sich  nun  die  Frage:  was  ist  dieses  preussische  «?  In  meiner  »Preuss. 
Sprache«  hatte  ich  seiner  Zeit  angenommen,  dass  die  im  Lit.  und  Le.  als  o[ä] 
und  u  geschiedenen  idg.  ö,  das  mit  e  und  das  nicht  mit  e  ablautende  (später 
als  ö  und  n  bezeichnet)  im  Preuss.  in  ä  zusammengefallen  seien.  Inzwischen 
scheint  ja  die  von  Fortunatov  stets  gelehrte  und  auch  von  P.  in  seinem  Buch 
vertretene  Auffassung  allgemein  durchgedrungen  zu  sein,  dass  lit.-le.  ü  allein  ; 
die  reguläre  Vertretung  jeglichen  idg.  ö  sei,  und  dass,  wo  wir  im  Lit.  o  (le.  ü)  ■. 
für  zu  erwartendes  ü  finden  (wie  zole,  le.JTde,  pr.  sälin,  neben  zälias,  ielti;  so-  ■■ 
dinü  neben  siisti  u.  s.  w.)  dieses  eine  Neubikhing  nach  dem  Muster  des  Wech- ! 
sels  a  :  ö{a)  =  uridg.  a  :  ä,  beziehungsweise  e  :  a  —  uridg.  e  :  o  ist  (vergl.  jetzt 
auch  Brugmann,  Kurze  vgl. Gr.  §  114  Anm.).  Poizezinskij  glaubt  nicht  an  den 
von  mir  behaupteten  Zusammenfall  von  lit.  u  und  lit.  ö  (le.  ü]  in  «  im  Preuss. 
und  ich  muss  ihm  darin  völlig  recht  geben.  Denn  in  peröni  uuö.  tickrömiskan 
kann  man  in  der  That  das  ö  kaum  anders  auffassen  wie  als  eine  Entsprechung 
von  lit.?«  (vgl.  etwa  le.f/jv^^ewhPl.Zittern,«?^-«««««  Verderben, «»Vf/ilnis Krankheit, 
Leskien,  Nomina  391);  auch  in  der  Präposition  no  =  [\t.nu  möchte  ich  jetzt  ein' 
solches  o  =  z<  sehen.  Fortunatov  und  mit  ihm  P.  nehmen  an,  dass  idg.  o  mit 
fallender  Betonung,  der  lit.  gestossener  Accent  entspricht,  im  Preuss.  zu  ü  ge- 
führt habe,  während  steigend  betontes  erhalten  geblieben  sei.  Das  ist  nun 
freilich  nicht  sehr  sicher,  da  man  für  erstere  Behauptung  nur  zwei  Beispiele 
anführen  kann,  nämlich  noümans,  noüson  und  poüf,  initon  «trinken«.  Voni 
diesen  muss  aber  noümans,  noüson  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  entfallen, 
da  es  sein  oü  von  joümans,  j'nüson  bezogen  haben  wird  wie  lit.  müsü,  w^«w^^ 
sein  u  von  jYisü,jums  (Pr.  Spr.  149),  und  auch  bei  poüt  gibt  es  Schwierigkeiten. 
Wie  will  man  z.  B.  poieiti  »trinket«  im  Enchiridion  erklären  (Kat.  I  2>ugei(t;/. 
pogeitty,  II  liuicyti,  jmiettt),  wo  der  Wechsel  von  o  und  ti  auf  kurzes  m  deutet.' 
Zubaty  hat  seiner  Zeit  auf  die  ai.  Form  agrepü-  (neben  agrepä-]  aufmerksam 
gemacht  und  ich  möchte  es  nicht  für  ausgeschlossen  halten,  dass  wir  für  das 
Idg.  eine  Base  *p5u  neben  *p5i  »trinken«  anzusetzen  haben,  und  dass  iu 
Tpveuss. puietii — püton,  pout  dasselbe  Verhältniss  vorliegt  Avie  in  slav.^jy'e^e  — 
jnti.  Aber  selbst  wenn  dies  unannehmbar  erscheint,  wenn  das  preuss.  püton 
auf  idg.  pö-  zurückgeführt  werden  muss,  so  kann  an  dem  ü  immer  noch  eher 
das^  [\g\.müti,  supüni)  als  der  gestossene  Ton  Schuld  sein.  Denn  wir  finden, 
ja  auch  scn  ku  »womit«,  kuilgimai  »je  länger«,  wo  ku  dem  lit.  kü-mi,  iii  »mit; 
dem«,/u  »desto«  mit  geschleiftem  Ton  entspricht,  was  zu  Fortunatov's  Regel 
nicht  stimmen  will;  hier  ist  preuss.  ö  nach  dem  Gutt.  zu  v,  geworden. 

So  könnte  ich  zwar  mit  P.  das  zweimalige  asmn  »ich  bin«  [asmau  sehe 
ich  als  Fehler  für  asmai  an)  auf  ein  *asmö  zurückführen  (wie  lit.  dial.  esmü,  le. 
esmu),  doch  könnte  ich  für  das  u  nur  das  m  verantwortlich  machen.  Wie  das 
zweimalige  as  dlnkama  »ich  danke«  zu  deuten  ist,  darüber  schweigt  P. 

Wie  erklärt  nun  P.  die  preuss.  1.  Personen  auf  -a?  Er  leugnet,  dass 
man  in  dem  a  eine  Verkürzung  von  ä  im  ixnbetonten  Auslaut  sehen  dürfe,  dal 
im  Preuss.  an  sich  auslautende  Längen  nicht  verkürzt  werden.  Das  Für  und' 
Wider  ist  hier  schwer  zu  discutiren,  da  im  Preuss.  nur  betonte  Längen  das 
Längezeichen  tragen.   Wenn  man  aber  sem>»e  »Erde«,  loedde  »führte«,  ismigi' 


Porzezinskij,  Conjugation  in  den  balt.  Sprachen,  angez.  von  Beinckcr.     477 

nentschlief«  gegen  »lüti  »Mutter«,  smüni  »Person«,  rtki  «Reich»,  perträukt 
«verschloss«  hält,  so  dünkt  mich,  ist  es  doch  schwer,  au  diesem  Verkürzungs- 
gesetz  zu  zweifeln  (vgl.  Fr.  Spr.  139;.  P.  sielit  also  in  den  preuss.  a  von 'Haus 
aus  kurze  a  und  findet  sich  mit  ihnen  in  folgender  Weise  ab:  Aus  dem  Idg. 
empfing  das  Urbaltische  für  die  1.  Pers.  Sg.  Präs.  der  thematischen  Verba  die 
Endung  -ö  (eine  Nebenform  von  -ön).  Als  dann  in  der  3.  Pers.Sg.  die  primäre 
Endung  -ti  durch  die  Sekundiirendung  -t  verdrängt  wurde,  erliielt  auch  die 
erste  Person  die  Sekundärendung  -m,  so  dass  Formen  wie  *turin  (aus  *turim) 
neben */i^nö,  *cedan  [■A\\s,*cedom]  neben *t'«/ö,  *zui(ln  i'aus *£('««»()  neben  *zinüö 
aufkamen.  Als  diese  dann  eine  Zeitlang  neben  einander  bestanden  hatten, 
erfolgte  wieder  eine  Ausgleichung,  und  zwar  verloren  unter  dem  Einfluss  der 
von  Hause  M-losen  Formen  die  Neubildungen  ihr  «,  so  dass  wir  *turi  neben 
Huriö,  *veda  neben  *vedv,  *zinä  neben  *zinäb  erhalten ;  erstere  verdrängten  im 
Preuss.  [polaipinna,  iurri,  sinna]  die  letzteren,  während  diese  im  Lit.-Le. 
herrschend  wurden.  »Preuss.  asmu,  aus  gemeinbalt.  asinö  entstanden,  wo  ö 
unter  dem  Einfluss  der  1.  Pers.  Sg.  der  thematischen  Conjugation  noch  vor 
der  Epoche  des  Auftretens  der  Bildungen  vom  zweiten  Typus  existirte,  stellt 
begreiflicherweise  einen  besonderen  Fall  dar«.  Ja,  mit  welchem  Kecht  darf 
man  aber  aus  der  Existenz  von  preuss.  asmu,  lit.  dial.  esmü  (neben  esmi],  le. 
esmu  schon  von  einem  gemeinbaltischen  *esmö  sprechen?  Sicherlich  sind 
doch  diese  Formen  erst  spät  in  den  Einzelsprachen  entstanden,  und  nur  die 
Gleichheit  der  Verhältnisse  und  das  Naheliegen  dieser  Ausgleichung  hat  zu 
dem  gleichen  Resultat  geführt.  Wie  oft  rufen  gleiche  Grundlagen  in  verschie- 
deneu Sprachen  gleichartige  Neubildungen  hervor,  ohne  dass  man  ein  histo- 
risches Band  annehmen  darf  (vgl.  Brugmann,  Grundriss  1^  24;  auf  slavische 
Parallelen  hat  Meillet  unlängst  treffend  aufmerksam  gemacht).  Wenn  aber 
asmii  erst  preussisch  ist,  so  erhält  P.'s  Hypothese  einen  argen  Stoss  und  sein 
ganzes  Gebäude  geräth  ins  Wanken,  wenn  er  nicht  annehmen  will,  dass  die 
Ausgleichung  erst  im  Preuss.  erfolgte;  und  dann  fragt  man  doch  sofort,  wie 
kommt  es,  dass  wir  im  Lit.-Le.  keine  Spur  der  ?i-Formen  haben,  wie  kommt 
es,  dass  im  Preuss.  gerade  nur  asmu  die  alte  Form  bewahrt  hat? 

Diese  Theorie  ist  also,  ganz  abgesehen  von  ihrer  inneren  Unwahrschein- 
lichkeit,  die  in  der  absoluten  Unbeweisbarkeit  der  einstigen  Existenz  der  7i- 
Formen  liegt,  mit  den  Thatsachen  unvereinbar. 

Wenn  man  den  preuss.  Formen  (zusammengestellt  Pr.  Spr.  221  ff.)  über- 
haupt Realität  zugestehen  will  (was  mich  betrifft,  so  könnte  ich  es  keinem 
verargen,  wenn  er  bei  dem  bekannten  Zustand  unserer  preuss.  Sprachquellen 
daran  zweifelt  und  sie  einfach  für  dritte  Personen  hält  —  einem  Uebersetzer, 
der  kaum  einmal  den  Gen.  und  Dat.,  vom  Loc.  und  Instr.  ganz  zu  schweigen, 
richtig  wiedergibt,  dem  kann  man  doch  wohl  schliesslich  alles  zutrauen),  so 
möchte  ich  mir  ihre  Entstehung  so  denken:  die  ursprüngliche  Endung  war  -ö. 
Dieses  -ö  wurde  durch  -ä  ersetzt  infolge  jener  oben  besprochenen  Ausgleichung 
als  ü  z.  B.  in  sälin  aufkam),  ebenso  wie  z.  B.  beim  Gen.  PI.  gnkan,  swintan, 
noüsan,  steisan  in  der  Endung  *-ö«,  und  beim  Dat.  Sg.  in  *-öi,  wenn  wirdai,  sen- 
'haugi-tveldnikai  solche  Formen  sind.  Dass  hier  im  Lit.-Le.  ti  erscheint  und 
nicht  durch  ä  verdrängt  ist,  erkläreich  mir  so,  dass  auslautendes  (wenigstens 


478  Kritischer  Anzeiger. 

absolut  und  mit  Nasal  sowie  mit  i)  -5  in  diesen  beiden  Sprachen,  als  die  Aus- 
gleichungeintrat, schon  anders,  und  zwarnach  ii  hin,  lautete  als  im  Inlaut,  daher 
von  dem  Verdrängungsprocess  nicht  mehr  betroffen  werden  konnte.  In  einer 
Endung  scheint  auch  im  Lit.-Le.  altes  ö  durch  ä  analogisch  verdrängt  zu  sein, 
nämlich  im  Gen.  Sg.  der  o-Stämme,  dem  alten  Ablativ,  lit.  fiUo,  le.  tilta  — 
abg.  vhka  aus  idg.  -öd,  da  die  Annahme  eines  idg.  Ablativsuffixes  -äd  wohl 
ihre  Bedenken  hat.  Die  Fortunatov'sche  Erklärung  aus  -oio  neben  -os^o  kann 
ich  nicht  annehmen,  da  nichts  gegen  die  Herleitung  von  griech.  -ov  aus  *-oaj.o 
spricht,  namentlich  nachdem  jetzt  Joh.  Schmidt  (KZ.  3S,  34  ff.)  die  letzten  Be- 
denken weggeräumt  hat;  und  wenn  sich  die  Unvereinbarkeit  der  hom.  Endung 
-010  mit  -ov  doch  einmal  herausstellen  sollte,  so  wäre  immer  noch  Johansson's 
Deutung,  De  derivatis  verbis  coutractis,  Upsala  1886,  215,  von  -ov  aus  -oao 
vorzuziehen,  weil  -so  ein  wohlbelegtes  Genitivsuffix  ist,  -io  aber  ganz  unsicher 
ist.  Was  den  geschleiften  Ton  betrifft,  der,  sehe  ich  recht,  vor  allem  Fortu- 
natov  an  der  Herleitung  des  lit.  ülto  aus  *-öd  zweifeln  lässt,  so  ist  darauf  auf- 
merksam zu  machen,  dass  der  Ablativ  ja  auch  im  Griech.  mit  Circumflex  er- 
scheint: gr.  kret.  w,  lokr.  w,  kret.  twcFs,  vgl.  auch  Hirt,  Accent  115.  Balt. 
*til(dd  wurde  also  zu  *tiltüd,  als  *iö/e  zu  *züle  ward,  woher  lit.  ülto,  le.  tilta. 
lieber  die  vermeintlichen  Genitive  oder  Ablative  auf  -ü,  -u  im  Lettischen  vgl. 
jetzt  K.  Mühlenbach,  IF.  13,  220  ff. 

Wenn  diese  Deutung  des  preuss.  -ä  für  zu  erwartendes  -5  annehmbar 
erscheinen  sollte,  so  könnte  mit  dieser  Aenderung  die  Pr.  Sprache  221  ff.  vor- 
getragene Erklärung  der  preuss.  1.  Fers.  Sg.  bestehen  bleiben,  natürlich  mit 
der  oben  angedeuteten  Einschränkung,  dass  man  nach  Lage  der  Sache  allen 
diesen  preuss.  Formen  skeptisch  gegenüberstehen  muss. 

Im  Vorübergehen  verweilt  Porzezinskij  auch  bei  dem  schwierigen  Aus- 
gang der  ersten  Person  auf  -q  im  Slavischen,  z.  B.  berq.  Brugmann's  Erklä- 
rung, dass  es  aus  Herum  entstanden  sei,  der  »futurischen  Konjunktivform, 
die  zunächst  bei  den  Verba  perfectiva,  deren  Präsens  als  Futurum  diente,  die 
alte  Form  auf  -ö  verdrängte«,  lehnt  er  ab,  da  wir  1)  keine  Spuren  des  idg. 
Konjunktivs  im  Slav.  vorfinden  (Oblak's  gegentheilige  Ansicht  Archiv  X,  143 
ist  unwahrscheinlich,  vgl.  Leskien,  Handbuch  144;  Vondräk,  Aksl.  Gr.  201) 
und  2)  die  Futurbedeutung  des  Präsens  der  Verba  perfektiva  für  das  Ursla- 
vische zum  mindesten  nicht  sicher  beweisbar  ist  (vgl.  Yjii.iiuoB'L,  SHaieHia 
rjtarojrtHMxt  ochobt.  II,  190  ff.  und  ^^opTynaTOBi.,  KpuTHiecKiii  pasöopi.  dieses 
Buches,  137  ff.).  Und  ich  muss  ihm  darin  beistimmen.  P.  erklärt  die  slavischc 
Form  auf -r/  mit  Fortunatov  aus  idg.  -ön  »mit  nichtkurzem  beweglichen  n«, 
woraus  im  slav.  q,  in  den  anderen  idg.  Sprachen  ö-  entstanden  sei.  Dieser 
Ansicht  kann  ich  mich  nun  freilich  nicht  anschliessen.  Wie  Fortunatov  in 
seinen  lithographirten  Vorlesungen  vom  Jahre  1892  (CpaBuuTejituaa  Mop*o- 
jtoriH.  Cnpaacenie  Et  uHÄO-eBponeiicKOMi.  üSbiKi),  p.  101  ff.  ausführt,  stützt  er 
sich  bei  dieser  Deutung  ausser  auf  das  Slavische  vor  allem  auf  die  ai.  Kon- 
junktivendung -äni  (wie  ai.  hräväni,  av.  mraväni  neben  b7'avö,  mrava),  wO  -on 
unter  Einfluss  der  Endungen  -mi,  -si,  -ti  zu  -öni  umgebildet  sei.  Dass  das  -ii 
dieser  Formen  wirklich  von  Haus  aus  ein  Bestandtheil  der  Endung  der  l.Pers. 
war,  lässt  sich  aber  nicht  erweisen,  und  ist  sogar  höchst  unwahrscheinlich. 


Porzezinskij,  Conjugation  in  den  balt.  Sprachen,  angez.  von  Berneker.      479 

wenn  man  sich  an  die  Endung  -na  in  der  2.  Sg.  Imp.  im  Ai.  und  Av.  erinnert, 
und  an  das  -na  in  ved.  -thana,  -tana  »besonders  häufig  in  adhortativen  For- 
men« (ved.  acäna,  grhänä  2.  Sg.  Imp.,  2.  PI.  Opt.  syätana,  2.  PI.  Imp.  Praes. 
yäfdna,  haniarta  u.  s.  w.),  auf  dessen  Zusammengehörigkeit  mit  dem  konjunk- 
tivischen-?»"  Brugmann  aufmerksam  gemacht  hat  (Gruudriss  II,  1357).  Was 
das  slav.  -q  angeht,  so  möchte  ich  darin,  nach  dem  Vorgang  mehrerer  For- 
scher, ein  -5>n  mit  angetretener  Sekundärendung,  oder  wie  man  es  neuerdings 
nennt,  »konjunkter  Endung«  sehen. 

Die  Endung  -tni,  der  beim  Keflexivum  -mes  entspricht,  hält  P.  für  die 
echte  Aktivendung,  während  in  -tnes  die  Medialendung  vorliege.  Er  spricht 
sich  gegen  Brugmann's  (Grundriss  II,  1340)  Meinung  aus,  dass  -m«  auch  aus 
-me  deutbar  sei,  und  dass  ein  Theil  der  aktiven  Endung  -mi  auf  die  alte  Me- 
dialendung zurückgehen  könne.  Es  lasse  sich,  so  führt  P.  aus,  nicht  erweisen, 
dass  -??j<' gestossen  betont  gewesen  sei. 

Bei  der  zweiten  Person  wendet  sich  P.  gegen  die  landläufige  Erklärung, 
dass  veiU  sein  i  von  est  bezogen  habe  (wie  pr.  tühnnai  sein  -ai  von  assai).  Ihm 
(^■1  scheint  diese  Erklärung  unüberzeugend,  weil  es  schwer  begreiflich  sei,  wie 
das  einzige  est  die  Uebertragung  der  Endung  -i  auf  alle  übrigen  Verba  habe 
bewirken  können;  er  schliesst  sich  daher  der  Ansicht  Fortunatov's  an,  dass 
es  im  Idg.  bei  den  thematischen  Verben  eine  Endung  -ei  neben  -esi  gab. 
Ebenso  hätten  die  abstufenden  /o-Verba  im  Idg.  die  Endung  -ii  gehabt:  tun 
gehe  aber  auf  eine  Neubildung  mit  -ai  zurück,  wo  das  -a  zu  erklären  sei  wie 
überhaupt  in  den  Präsensendungen,  d.  h.  durch  Verallgemeinerung  des  o(a) 
der  1.  und  3  PI. 

Welche  Stützen  hat  nun  die  Aufstellung  einer  idg.  Endung  -ei  neben 
-csi?  Fortunatov  beruft  sich  dafür  (a.  a.  0.  S.  11")  auf  das  griech.  q^igeis,  um- 
gebildet aus  cpinec.  »Was  die  Ansicht  einiger  Linguisten  betrifft,  gr.  qyiqcis 
stelle  eine  Anfügung  von  -»■  an  eine  Form  qpf^f /  =  ai.  hhärasi  dar,  so  spricht 
gegen  eine  solche  Erklärung  schon  der  Umstand,  dass  wir  im  homerischen 
Dialekt  die  Form  mit  dem  Diphthongen  et  finden,  und  nicht  die  Formen  mit 
-f(V,  die  wir  in  diesem  Falle  im  homerischen  Dialekt  erwarten  müssen«.  Nun 
begegnet  doch  aber  auch  nie  ti,  ti?  »du  bist«  für  tl,  hom.  herod.  el;,  das  doch 
auch  Fortunatov  aus  idg.  *esi  herleitet ;  es  steht  daher  nichts  im  Wege,  mit 
Brugmann  {Gr.  Gr.  59)  schon  urgriechische  Kontraktion  von  ft  (aus  *c<r<)  an- 
zunehmen, und  hom.  f^ivü  als  Neubildung  nach  fiiveoi;  zu  erklären.  Im  Sla- 
vischen  soll  diese  idg.  Endung  -ei  (S.  120  flf.)  bei  abg.  chosti  (russ.  xouib  für 
*xoii.)  und  bei  russ.  dial.  MoacB  (neben  Moaceiui.)  repräsentirt  sein.  Die  alte 
Erklärung  als  Optativ  (vgl.  Leskien,  Handbuch  149,  Vondräk,  Aksl.  Gr.  240), 
die  ja  wegen  des  got.  wiljau,  wo  der  Optativ  ganz  an  die  Stelle  des  Indikativs 
getreten  ist,  so  sehr  wahrscheinlich  ist,  und  die  auch  für  mo>ki.  zutreffen 
könnte,  lehnt  Fortunatov  nicht  gerade  ab,  nur  meint  er,  dass  diese  Optativ- 
formen sich  gerade  nur  in  der  2.  Sg.  Praes.  erhalten  hätten,  das  läge  daran, 
■dass  sie  mit  jenen  alten  Präsensformen  *cÄos<t,*;noiVaus*cAo(yet,*;no(7ei  lautlich 
zusammenfielen.  Ich  glaube,  das  aste  chosti  des  Supr.  erklärt  sich  einfach  so,  dass 
in  dieser  formelhaft  gewordenen  Wendung  »si  vis«  die  Optativform  bewahrt 
blieb;  was  moske  anbetrifi't,  so  ist  es  höchst  unwahrscheinlich,  dass  es  eine 


480  Kritischer  Anzeiger. 

alte  Form  ist,  und  nicht  vielmehr  als  eine  jener,  ich  müchte  sagen,  »unorga- 
nischer Kurzformen«  aufzufassen  ist,  die  wir  bei  häufig  gebrauchten  Wörtern 
gerade  im  Slavischen  in  grosser  Ausdehnung  finden,  wofür  Zubaty  IF.  6, 
294  Anm.  auch  aus  dem  Baltischen  schöne  Belege  beigebracht  hat.  Aus  mei- 
nen Notaten  gebe  ich  ein  paar  Beispiele :  Aus  dem  Russ.  ueia  (für  ne^ero) 
CKasaTB,  Afanasjev  V,  41 ;  ou-l  roBopuii  öosuaiL  (Eorx  sHaeii.)  ito,  Af.  II,  40 
(Tambow);  rtiit  »er  sagt«  aus  roBopiiit  oder  eher  ry-ropHTt,  Af.  I,  42;  II,  30 
u.  ö. ;  Mo^iTb  (kir.  mobi)  aus  MOjiBajiTy;  im  Kleinruss.  begegnet  z.  B.  mo  xoite 
(xoieie),  Kaace,  spoöjno  »was  ihr  wollt,  sagt  er,  werde  ich  thun«  (Tpyati  axitorp.' 
CTaiHCT.  KOM.  II,  132);  xpa  (poln.  trza)  für  ipeöa  [trzeba];  im  Weissrussischen 
(Federowski,  Lud  bialoruski,  ungemein  häufig)  kä  für  naace,  mö  für  Moace;  im 
Voln. pada,  peda  üu potviada  »sagt«;  im  Slovakischen  (Dobsinsky  I,  38)  vraj 
aus  vravi  »man  sagt«,  wie  cech.  pry  ans  pi-avi;  im  Bulgarischen  (CöopmiKi.  3, 
209)  ÄGKa  ie  na  moiu  (=  mohcciu)  Äa  CBipmem?  »wirst  du  es  auch  fertig  macheu 
können?«  ebenso  wie  (ebenda  213)  inxo  Kam,  ateno,  inio  Kam?  »was  sagst  du, 
Frau,  was  sagst  du?«  (nam  für  KajKem);  na'  für  HesHaMi«,  z.  B.  nä'  mo  ch  »ich 
weiss  nicht,  was  du  bist«  (/lioBepHya,  CjioBapi.,  1268).  Mir  ist  sogar  zweifel- 
haft, ob  angesichts  aller  dieser  Fälle  das  russ.  xomB  (klr.  xo^ix,  z.  B.  TpyÄBi  II, 
328  iiy,  iioro-acT,  tli  xo^t?)  wirklich  unbedingt  mit  aksl.  chosti  zu  vereinigen 
ist.  Jedenfalls  beweisen  weder  chosti  noch  mozb  etwas  für  eine  idg.  En- 
dung -ei. 

Aus  allem  angeführten  kann  ich  natürlich  auch  nicht  vedl  für  aus  altem 
*vedei  entstanden  betrachten.  Andererseits  muss  ich  Forzezinskij  Recht 
geben,  dass  die  Uebertragung  des  -i  von  esi  auf  alle  Verba  etwas  auffällig  ist, 
weniger  aus  der  Erwägung,  dass  est  ganz  allein  der  Ursprung  sein  würde,  als 
dass  eigentlich  der  Ausgangspunkt  fehlt,  von  dem  aus  die  charakteristische 
Endung  -sim  einem  *i;efZesi  oder  *feJasi  (vgl.  pr.^t^oass^  »du  lebst«)  verdrängt 
sein  sollte.  Brugmann  weist  daher  auch  darauf  hin,  dass  der  Uebergang  von 
*  dies  i  zu  diidi  dadurch  begünstigt  sein  mag,  dass  jenes  zugleich  2.  Sg.  Futuri 
war  und  dass  auch  eine  Präsensform  wie  Hlndösi  durch  *lind5i  ersetzt  worden 
sei,  weil  sie  mit  der  2.  Sg.  Fut.  zusammengefallen  war  (Grundriss  II,  1345). 
Diese  Auffassung  involviert  aber  die  Annahme,  dass  die  Endung  -si  (neben 
l.Pers.  -siu)  im  Futurum  früher  dagewesen  sei,  als  im  Präsens,  worüber  Brug- 
mann nichts  bemerkt.  Ich  möchte  daher  folgenden  Weg  annehmen.  Wie  man 
lit.  büs  ris  gaiis  aus  *Inist  *rist  *gmtst  als  athematische  Formen,  Injunktiv- 
formen  des  s-Aorists,  erklärt  (Brugmann,  a.a.O.  1187,  so  auch  die  Pluralformen 
vestne,  büsme,  esme  neben  vesime,  büsime,  esime  *),  so  gab  es  einst  eine  zweite 


1)  Ohne  hier  auf  Bezzenberger's  neue  Behandlung  des  lit.  Futurums  ein- 
gehen zu  können  (BB.  26,  169),  wo  er  es  mit  dem  dorischen  Futurum  zusam- 
menbringen will,  muss  ich  hier  doch  ein  paar  Worte  über  seinen  Versuch 
bemerken,  auch  Formen  wie  diisme  an  das  gewöhnliche  Futurum  anzuschlies- 
sen.  Er  scheint  mir  nicht  gelungen,  und  nach  wie  vor  scheint  mir  Job. 
Schmidt's  Wort  in  Gültigkeit  zu  bleiben  :  »  So  wenig  wie  gedimes  sein  /  ver- 
liert, konnte  diisime  zu  düsme  werden«.  Bezzenberger  meint  nun,  die  Mög- 
lichkeit dieses  Verlustes  sei  nicht  zu  bestreiten,  wobei  er  sich  1)  auf  die  alt- 
litauischen Imperativformen  mokiktes,  ivalgikt  beruft,  2)  auf  die  Formen  wie 


Porzezinskij,  Conjugation  in  den  balt,  Sprachen,  angez.  von  Berneker.      481 

Person  *büss  ,'solche  liegen  im  Preuss.  als  Imperative  vor:  teU-^  stelle,  yerdaus 
sage,  engerdaus  erzähle,  die  auch  P.  als  Fiiturlbrmeu  auffasst).  Als  nun  nach 
Abtall  des  -t,  den  sehr  früh  anzusetzen  nichts  im  Wege  steht,  die  3.  Sg.  der 
2.  Sg.  gleicli  wurde,  trat  au  die  2.Pers.  zur  Kenntlichmachung  die  Endung  -si 
i-sai)  vom  Präsens  her  an;  eine  solche  Form  liegt  in  pr.postäsei  vor  (Pr.  Spr. 
220,  Porzezinskij  20';  bei  den  im  Preussischen  Imperativisch  fungirenden 
Formen  auf  -s  unterblieb  diese  Neubildung,  weil  sie  genügend  deutlich  waren. 
Oder  man  könnte  wohl  auch  annehmen,  dass  von  Haus  aus  Formen  wie 


stöicmi  neben  stöwiu,  die  nicht  ursprünglich  sind,  sondern  einen  späten  An- 
tritt von  -mi  darstellen;  »ich  weiss  nicht,  wie  dies  anders  hätte  geschehen 
können,  als  dass  stoicime,  stöwite  u.  8.  w.  zu  *st6tcme,  *stnicte  wurden  und  da- 
durch das  Präsens  von  stotceti  in  die  ?ni-Konjugation  überführten«.  Beide 
Punkte  sind  nicht  stichhaltig.  Die  Imperative  stellen  keine  lautliche  Ent- 
wickelung  dar,  sondern,  als  altes  mokikt,  walgiki  das  auslautende  i  verlor, 
wurden  nach  mokik,  walgik  für  und  neben  mokikite,  tcalgikite  die  Formen  mo- 
ki'kfe,  tcalgikt  neugebildet,  gerade  wie  im  Russ.  Bipt,  sipLie  »glaube,  glaubet« 
neben  Kynii,  KyniiTc  »kaufe,  kaufet«  steht  für  slpi,,  *EipHTe,  denn  nur  im  ab- 
soluten Auslaut  ist  u  zu  L  verkürzt  worden,  BiptTO  ist  also  Neubildung  nach 
Bipi. ;  ebenso  bildete  man  zu  imi,  »iss«,  phonetische  Schreibung  für  iaci,  = 
abg.ya:f/&,  eine  2.  PI.  imBie  für  altes  iaiiie  ^  vtk^X.jadite.  Und  was  den  zwei- 
ten Punkt  betrifft,  so  kommt  man  hier  leicht  ohne  Bezzenberger's  Annahme 
aus,  denn  bei  dem  Verbum  stV/eYi  »sitzen«  lag  im  Litauischen  aus  alter  Zeit 
ererbt  die  7Ht-Flexion  neben  der  fo-Flexion,  wie  gr.  rjaxai  :  lit.  si-^t  und  abg. 
stzdq:  Wi.sedziu  zeigen,  und  nach  dem  Muster  südziu  zu  st;V/»u' konnte  zu  stöiciu 
ein  stöicmi  gebildet  werden.  B.  selbst  legt  auch  kein  grosses  Gewicht  auf 
diese  lautliche  Erklärung  und  sagt:  »bei  der  Beurtheilung  des  Verhältnisses 
von  ddsme  zu  dusime  kann  die  Lautlehre  ganz  aus  dem  Spiele  bleiben,  da 
düsme  eine  aus  dem  gewöhnlichen  Futurum  erwachsene  Neubildung  sein 
kann,  und  zwar  eine  Neubildung  auf  Grund  der  III.  c/«'««.  Die  Möglichkeit 
dieser  Neubildung  will  ich,  zumal  B.  treffende  Beispiele  für  solche  unorga- 
nische Neubildungen  anzuführen  weiss,  an  sich  nicht  bestreiten.  Doch  was 
istf/«'s?  Bezzenberger  selbst  macht  auf  die  merkwürdige  Erscheinung  auf- 
merksam, dass  selbst  die  Mundarten,  welche  ein  türi,  güli  in  der  3.  Pers.  er- 
halten haben,  ein  diisi  3.  Pers.  Fut.  an  sich  nicht  kennen;  z.  B.  die  Mundart 
Szyrwid's.  Warum  soll  nun  aber  ein  *düsi  früher  sein  i  verloren  haben  als 
turi,  guli?  Diese  Thatsache  ist  doch  ein  deutlicher  Beweis  dafür,  dass  eben 
dus  nicht  aus  *di(si  entstanden  sein  kann.  B.  meint  freilich,  »da  aber  die  III. 
Fut.  im  Medium  auf-.s/«  endigt,  so  ergibt  sich  hieraus,  dass  dus  früher  düst 
gelautet  hat  und  nicht  eine  Injunktivform  des  sigmatischen  Aorists  ist«. 
Dieser  Schluss  ist  nicht  zwingend;  denn  wenn  man  an  die  Form  *di<s  aus 
*di>st  das  Reflexivpronomen  -s  gefügt  hätte,  so  wäre  die  Form  nicht  kenntlich 
gewesen,  infolgedessen  wurde  vor  dem  Reflexivpronomen  die  Nebenform 
düsi  verallgemeinert.  Wenn  man  aber  das  aus  *dusf  erklären  muss  (und  dafür 
spricht  doch  das  Nebeneinander  der  unverkürzten  turi,  guli  neben  diisl),  so 
kann  man  auch  düsme,  duste  als  Inj unktivformen  auffassen,  zumal  man  doch 
auch  fragen  muss,  warum  die  von  B.  angenommene  Neubildung  gerade  im 
Futurum  eingetreten  ist  und  in  den  Dialekten  die  'infolge  späteren  Abfalles 
des  i;  tur  neben  altem  dds  bieten,  nicht  auch  Formen  wie  *turme,  *turte  auf- 
treten wie  düsme,  düste. 

Archiv  für  slavische  Philologie.  XXV.  31 


482  Kritischer  Anzeiger. 

*siäs-5  und  *stäs-si  (beziehungsweise  *stüs-sai)  neben  einander  lagen;  dass 
die  Vertheilung  aber  so  vor  sich  ging  wie  ira  Preuss.,  die  Form  mit  -s  Impe- 
rativ, die  mit  -si  Futurum,  dürfte  auf  dem  angegebenen  Grunde  beruhen. 
Jedenfalls  aber  lieferte  so  das  balt.  Futurum  *stdsiu  1.  P. :  *stäst  2.  P.  das 
Muster  für  das  Verhältniss  -u :  -i  und  danach  konnte  dann  zu  turiü  ein  tun 
für  *turisi.  zu  i-edü  ein  ved'i  für  *vedesi  gebildet  werden,  wobei  erstens  ein  ge- 
wisses rhythmisches  Princip  —  zweisilbige  Formen  im  Singular,  dreisilbige 
im  Plural  —  mitgewirkt  haben  mag,  und  zweitens  der  von  Brugmann  ange- 
führte Umstand.  Diese  ganze  Annahme  wäre  nicht  nöthig,  wenn  wir  die  von 
Kurschat  Gramm.  304  ff.  angeführten  -mi-Yerhn  für  sehr  alt  halten  dürften, 
weil  man  dann  annehmen  dürfte,  nach  dem  Verhältniss  esmj :  esl  wäre  einfach 
ein  dec/i  zu  degm'i,  megi  zu  megnn  u.  s.  w.  gebildet  worden.  Doch  sprechen 
viele  Gründe  dafür,  dass  wir  in  der  überwältigenden  Mehrzahl  der  hier  ange- 
führten -»n'-Verba  verhältnissmässig  junge  Neubildungen  zu  sehen  haben. 

S.  21  ff.  erfährt,  gestützt  auf  ungemein  reiches  Material,  die  2.  Pers.  Sg. 
Imp.  eine  eingehende  Erörterung,  sowohl  die  Form  mit  der  /c-Partikel,  als  die 
ohne  dieselbe:  red,  aileid,  vedi,  klausai,  sähay  in  den  alten  litauischen  Texten, 
die  im  Le.  noch  heute  als  einzige  vorliegt:  meW  neben  metti,  dur  neben  duri. 
Bei  der  Erklärung  schliesst  er  sich  ganz  der  ebenso  einfachen  wie  einleuch- 
tenden Deutung  Fortunatov's  an:  ved  ist  aus  *veda  entstanden,  einer  Form 
wie  ai.  bhdra,  gr.  g)iQe,  während  redt  aus  *cede  entstanden  ist  und  pr.  weddais 
gr.  (piQois  entspricht  bis  auf  den  Schwund  des  -s,  der  zu  der  Zeit  analogisch 
erfolgte,  als  die  Sekundärendung  -s  in  der  2.  Pers.  Sg.  überhaupt  verdrängt 
wurde;  bei  den  Verben  vom  Typus  turiü  fielen  beide  Bildungen,  *turi  und 
Huriois,  im  Laufe  der  Zeit  in  eine  lautlich  zusammen.  Ebenso  entspricht 
altes  klausai,  säkay  dem  pr.  ettrais,  atträiti  »antworte,  antwortet«  bis  auf  den  j 
oben  erklärten  Schwund  des  s. 

Bei  der  3.  Pers.  greift  P.  natürlich  vor  allem  das  alte  Problem  von  dem  i 
Zusammenfall  der  dritten  Personen  aller  Numeri  in  der  3.  Pers.  Sg.  von  neuem 
an.  Joh.  Schmidt's  Hypothese,  dass  diese  merkwürdige  Erscheinung  von  yra 
ausgegangen  sei,  das  für  alle  drei  Numeri  gebraucht  werden  konnte,  weil  es 
eigentlich  ein  Instrumental  Sg.  Fem.  »existentiä«  bedeutend  sei,  weist  er 
durch  den  richtigen  Einwand  zurück,  dass  der  Zusammenfall  schon  urbal- 
tisch, yrä  le.  ira  im  Preuss.  aber  nicht  vorhanden  sei.  Doch  stimmt  er  eben- 
sowenig Brugmann's  Deutungsversuch  bei  (Grundriss  II,  §  999),  der  von  der 
Thatsache  ausgeht,  dass  im  Uridg.  neutrales  Subjekt  im  Plural  und  im  Dual 
mit  der  3.  Pers.  Sg.  des  Verbums  verbunden  wurde.  »B.'s  Ansicht  kann  nicht 
angenommen  werden  schon  aus  dem  Grunde,  weil  die  baltischen  Sprachen, 
wie  bekannt,  fast  vollständig  das  Neutrum  verloren  haben,  und  ausserdem 
das  von  Brugmann  und  einigen  anderen  Linguisten  für  die  idg.  Grundsprache 
angenommene  Kongruenzgesetz  unerwiesen  ist«.  Das  scheint  doch  etwas  zu 
kurz  und  zu  hart  geurtheilt.  Das  preuss.  Vocabular  bietet  eine  ganze  Anzahl 
Neutra:  assaran  :  abg.  jezero;  pedan  Pflugschar  :  gr.  nridöv  Ruderschaufel;; 
creslan  »Lehnstuhl«  :  abg.  krhlo;  kelan  »Rad«  :  abg.  kolo;  prassan  »Hirse« 
Sibg.proso;  mestan  Stadt :  abg.  mesto;  hmkan  Bast  :  abg.  lyko,  dalptan  »Meis- 
sel«  :  abg.  dlato,  von  den  Thierjungennamen  :  maldiati,  eristian,  wosistian  u.  a. 


Porzezinskij,  Conjugation  in  den  balt.  Sprachen,  angez.  von  Bernsker.      483 

ganz  zu  schweigen.  So  darf  es  doch  für  ausgemacht  gelten,  dass  das  Baltische 
in  früher  Zeit  —  und  der  Zusammenfall  der  drei  Personen  ist  ja  sicher  urbal- 
tiseh  —  noch  Neutra  besass.  Und  warum  ist  die  Kongruenzregel,  dass  das 
Neutrum  sich  im  Nom.  PI.  und  Du.  mit  singularischem  Verb  verband,  für  das 
Uridg.  uubeweisbar?  Warum  soll  hier  die  üebereinstimmuug  des  ältesten 
Griechischen,  Vedischen,  Avestischen  mit  leichter  Hand  beiseite  geschoben 
werden  [Joh.  Schmidt,  Pluralbildungen  S.  4  ff.;  Delbrück,  Vgl.Synt.IIl,2iO)? 
Diese  Erscheinung  macht  doch  wahrlich  nicht  den  Eindruck,  als  ob  sie  eine 
Neubildung  der  Einzelsprachen  wäre,  wenn  eine,  so  erscheint  doch  sie  vom 
Hauch  fernster  Vorzeit  umweht. 

Porzezinskij's  eigene  Erklärung  ist  folgende.  Allgemein  wird  die  3.  Pers. 
urbalt.  *ce(Ia  aus  *cedet  erklärt;  die  entsprechende  3.  PI.  lautete  dann  *cedan 
aus  *ve(lonf,  ebenfalls  mit  Sekundärendung.  Nun  gab  es  ja  (nach  P.'s  oben 
skizzirter  Ansicht)  neben  der  1.  Pers.  Sg.  *cedö  eine  Neubildung  *cedan,  die 
dann  unter  Ausgleichung  von  Seiten  der  ersteren  ihr  -n  verlor  und  zu  veda 
wurde.  »Dem  endgültigen  Verlust  des  Lautes  >i  musste  eine  Epoche  voraus- 
gehen, als  dieses  «  sozusagen  beweglich  war,  und  ich  denke,  diese  Beweg- 
lichkeit des  /;  wurde  auch  auf  die  Endung  der  Form  der  3.  PI.  übertragen. 
Die  Bildungen  ohne  n  fielen  hier  lautlich  mit  den  Bildungen  der  3.  Pers.  Sg. 
zusammen,  und  das  Resultat  war  das,  dass  auch  hier  die  Bildungen  mit  n 
verdrängt  wurden«.  Diese  Deutung  ist  natürlich  schon  deshalb  ganz  unan- 
nehmbar, weil  die  Existenz  von  Formen  der  1.  Pers.  mit  n,  wie  oben  gezeigt, 
absolut  unbeweisbar  und  unwahrscheinlich  ist.  Aber  sie  ist  auch  an  sich  an- 
fechtbar, denn,  das  Bestehen  jener  -?i-Formen  einmal  vorausgesetzt,  warum 
sollte  nach  dieser  schwachen  Parallele  *cedan,  *ceda  in  der  1.  Pers.  Sg.  auch 
eine  3.  PI.  *cedan  durch  Tilgung  des  -yi  ganz  ohne  Noth  der  3.  Sg.  gleich  ge- 
iij  icht  worden  sein?  Sonst  beobachtet  man  immer  gerade  den  Zug  in  der 
Sprachentwickelung,  Menn  lautlicher  Zusammenfall  verschiedener  Formen 
eintritt,  diese  Gleichheit  durch  Umbildung  der  einen  oder  gar  beider  Formen 
wieder  aus  der  Welt  zu  schaffen,  und  hier  sollte  das  Umgekehrte  stattgefun- 
den haben,  und  das  Urbalt.  dereinst  ein  *veda  für  die  1.  Pers.  Sg.  und  3.  Pers. 
Sg. und  3. Pers. PI.  durch  allerhand  Neubildungen  künstlich  gezüchtet  haben? 
Das  ist  doch  wohl  schwer  zu  glauben. 

So  wird  man  wohl  nach  wie  vor  die  Gründe  für  die  betrachtete  Erschei- 
nung auf  syntaktischem  Gebiet  suchen  müssen.  Man  wird  jenes  Kongruenz- 
gesetz beim  Plural  der  Neutra  vor  allem  heranziehen  müssen;  man  wird 
ferner  annehmen  dürfen,  dass,  wenn  auch  vielleicht  nicht  bei  allen,  so  doch 
bei  einer  Anzahl  von  o-Stämmen  in  dem  -ui  des  Nom.  pl.  das  alte  -«j-Sufäx 
des  Nom.  pl.  der  Neutra  vorliegt,  wie  es  Joh.  Schmidt  (Pluralbildungen  231) 
g  lehrt  hat,  bei  denen  dann  auch  das  Prädikat  im  Sg.  stehen  konnte ;  man 
wird  endlich  an  jene  Eigenthümlichkeit  des  Verbums  »sein«  denken  können, 
dessen  3.  Sg.  mit  Vorliebe  bei  pluralischem  Subjekt  steht,  die  aus  dem  Päli, 
dem  Griechischen,  dem  Germanischen  und  in  ganz  besonderer  Ausdehnung 
aus  dem  Slavischen  zu  belegen  ist  (Einzelheiten  bei  Delbrück,  Vgl.  Synt.  III, 
-  >"2  ;  und  vielleicht  noch  an  manches  andere,  denn  die  komplicirten  Erschei- 
nungen desSprachlebensbrauchen  ja  nicht  immer  nur  eine  Ursache  zu  haben. 

31* 


484  Kritischer  Anzeiger. 

Die  Form  yrä  (le.  ira)  »ist«  erklärt  P.  als  3.  Pers.  Sg.  eines  Verbalstam- 
mes  ira-  zu  ai.  irie,  gr.  oquvjui.  Die  ursprüngliche  Form  sei  h'a  (so  le.  und  in 
Dauksa's  Katechismus) ;  die  Länge  des  t  soll  nach  Analogie  von  Bildungen 
wie  bTra  aufgekommen  sein,  die  ihrerseits  das  Nasalinfix  durch  Neubildung 
erhalten  haben.  Aber  das  muss  dann  eine  späte  und  rein  lautliche  Analogie 
gewesen  sein.  Denn  als  im  Urlit.  das  Nasalinfix  in  birü  aufkam,  »gab  es  bei 
*ira  noch  keine  solche  Neubildung,  weil  *tra  in  das  Konjugationssystem  des 
Verbums  »sein«  einbezogen  worden  war  und  nicht  die  Bedeutung  des  inchoa- 
tiven Zustandes  (Haiuuaxe.itHoe  cocTOHHie)  hatte.  Ira  Laufe  der  Zeit  trat  dann 
auch  hier  i  auf  nach  Analogie  des  { in  blra,  und  diese  Uebertragung  des  i  er- 
klärt sich  durch  Einfluss  von  Lautanalogie;  ....  nicht  überall  indess  vollzog 
sich  diese  uebertragung  in  ein  und  derselben  Epoche,  und  die  ständige  Nicht- 
bezeichnung  der  Nasalität  in  ira  bei  Dauksa  deutet  augenscheinlich  darauf 
hin,  dass  hier  in  der  Sprache  ira  galt«. 

Diese  Deutung  von  ira  erweckt  Bedenken.  1)  ist  in  den  baltischen 
Sprachen  keine  Spur  von  einem  dem  griech.  oqi'v/ui,  ai.  irte  (welch  letzteres 
man  jetzt  beiläufig  mit  gr.  it/XAco,  ahd.  tien,  tllen  «eilen«  verbindet,  Uhlen- 
beck,  Etym.Wb.  d.  ai.  Spr.  25)  entsprechenden  Verbum  bezeugt.  2)  ist  die 
Annahme  der  rein  lautlichen  Analogie  nicht  überzeugend,  die  die  Längung 
des  i  erklären  soll.  Die  Nasalirung  des  i  in  birü,  blra  ist  ja,  wie  P.  selbst  her- 
vorhebt, eine  sehr  späte  Erscheinung;  und  von  da  aus  hätte  ^  auf  i/ni  wohl 
nur  übertragen  werden  können,  wenn  noch  andere  Personen  zu  ira  existirten, 
wie  *iri),  *iri  u.  s.  w.,  wofür  man  keinen  Anhalt  hat.  Dass  einfach  des  laut- 
lichen Gleichklangs  wegen,  als  b)ra  über  *binra  zu  b\ra  wurde,  von  diesem 
einzelnen  und  gewiss  nicht  häufigen  Verbum  aus  eine  so  vielgebrauchte  Form 
wie  ira,  die  sich  noch  dazu  durch  ihren  Accent  unterschied,  zu  irä  umgebildet 
werden  konnte,  kann  ich  nicht  glauben.  Gerade  dass  yra  von  der  allgemeinen 
Zurückziehung  des  Accents  in  der  3.  Pers.  verschont  blieb,  zeigt  doch  wohl, 
dass  es  —  wenn  es  je  eine  3.  Pers.  Praes.  eines  Verbums  war  —  zu  der  frühen 
Zeit  als  diese  erfolgte,  nicht  mehr  als  solche  empfunden  wurde,  und  deswegen 
konnte  auch  das  späte  blra  sicher  nicht  eine  Beeinflussung  auf  yrä  ausüben. 
Ausserdem  macht  P.  in  seiner  umsichtigen  Art  selbst  noch  darauf  aufmerksam, 
dass  in  den  iemaitischen  Dialekten,  wo  Bildungen  wie  blra  nicht  existiren,  yrä 
erscheint,  und  nimmt  deshalb  Entlehnung  aus  anderen  Dialekten  an  (ebenso 
bei  Juszkiewicz,  der  nach  seiner  sonstigen  Bezeichnung  inra  schreiben  müsste, 
aber  yra  bietet) ;  eine  Annahme,  bei  der  ich  ihm  für  ein  Wort  wie  yrä  nicht 
folgen  kann.  Ich  selbst  vermag  ira  nicht  zu  erklären;  was  aber  das  Neben- 
einander von  ira  und  yrä  betrifft,  so  möchte  ich  annehmen,  dass  die  Länge  in 
yrä  unter  Einfluss  der  negirten  Form  entstanden  ist;  ein  *ne  ira  ergab  durch 
Kontraktion  *neira,  nerä,  nerä  und  nach  diesem  Muster  kam  die  Länge  in  das 
positive  ira.  Das  Le.  hat  ira  [ir)  mit  der  Kürze  bis  auf  den  heutigen  Tag; 
doch  hier  gab  es  auch  nicht  die  Verschmelzung  mit  ne,  ne  ir  kommt  nicht  vor 
sondern  mau  braucht  für  »ist  nicht,  ist  nicht  vorhanden«  näw  [iniu],  naica,  nevc 
aus  newaid;  newaidäs  (zu  wäidu  wäist  »sich  wo  aufhalten«)  und  danach  hat 
man  dann  ira  zu  den  von  Bielenstein  (Le.  Spr. II,  130)  als  dunkel  bezeichneten 
Formen  irdid,  iräidds  umgebildet. 


Porzezinskij,  Conjugation  in  den  halt.  Sprachen,  angez.  von  Berneker.      485 

Das  preuss.  -ts  bei  Verbalformen  in  der  dritten  Person,  wie  astits,  däts 
erklärt  P.  im  Einklang  mit  Fortunatov  aus  -tas  und  zwar  als  identisch  mit 
dem  -tz,  das  im  Aksl.  in  der  3.  und  •2.Pers.)  Sg.  des  Aoristes  auf  -cho  bei  den 
primären  Verben  thematischer  Flexion,  z.  B.  bäz,  petz,  joto  erscheint.  Die 
Identität  mit  dem  -tz  der  altbulgarischen  Aoriste  möchte  ich  aber  doch  bezwei- 
feln und  an  der  alten  Erklärung  festhalten,  dass  hier  die  Endung  des  Präsens 
angetreten  ist,  wie  es  hystz  {sir.b)/stb)  und  dasiz,  jastz  aY.dastb,jastb]  gegenüber 
Fr'is.Jestz  iiiT.jestb]  u.  s.  w,  darthun.  Dass  in  den  aksl.  Quellen  russ.  Redaktion 
die  Formen  wie  bitz,  petz,  jatz  mit  z  erscheinen  (während  doch  bystb  wiejes<6 

1.  hat;,  wird  so  zu  erklären  sein,  dass  diese  Formen  im  lebenden  Altrussischen 
nicht  existirten  und  der  Schreiber  sie  nur  aus  seiner  altkirchenslavischen 
Vorlage  übernahm.  Die  bei  der  Fortunatov-Porzezinskij'schen  Auffassung 
nüthige  Annahme,  dass  -tz  erstarrt  sei  (denn  für  das  Fem.  müssten  wir  ja 
*bi-ta,  '^pe-ta,  *jp-ta  erwarten,  ist  auch  nicht  dazu  angethan,  sie  annehmlicher 
erscheinen  zu  lassen. 

Bei  der  2.Pers.Pl.  lehnt  P.  mit  Recht  meine  unüberlegte  Erklärung  der 
preuss.  Form  auf  -ti  [turriti,  ersinnati)  aus  *(e  =  lit.  -tes  ab,  da  dieses  ja  eine 
Neubildung  ist;  sehr  ansprechend  erklärt  er  die  pr.  -tei-,  -ti,  -tai  (dieselben 
Endungen,  wie  sie  in  der  2,  Sg.  vorkommen)   als   Nachbildung  nach   der 

2.  Pers.  Sg. 

Auf  S.  56  ff.  unterzieht  sich  P.  der  schwierigen  Aufgabe,  Ordnung  in  die 
verwickelten  Verhältnisse  des  lit.  Optativs  und  le.  Konditionals,  dieser  eigen- 
thümlichen,  durch  Zusammenrückung  des  alten  Supinums  mit  einem  Optativ 
von  Inti  »sein«  (slav.  bimb]  gebildeten  Form,  zu  bringen;  er  macht  es  sich 
nicht  leicht  und  hat  wohl  mehr  Material  dazu  zusammengebracht,  als  irgend 
ein  Forscher  vor  ihm. 

Für  das  ürbaltische  ist  auszugehen  von  zwei  Haupttypen;  1)  eine  Form 
auf  -tum,  vereint  mit  der  entsprechenden  Form  des  Stammes  be,  bi,  und  2;  eine 
Form  2i\\i -tum  ohne  eine  solche  Anfügung;  doch  gab  es  auch  bei  1)  in  der 
dritten  Person  eine  Form  ohne  das  angeführte  Element  vom  Stamme  bi-.  Die 
Formen  des  ersten  Typus  überkam  das  Litauische  [süktumbei,  suktumbime, 
süktumbite),  die  des  zweiten  das  Lettische  [suktu  für  alle  Singularpersonen) ; 
die  Nebenform  des  Typus  1)  liegt  in  der  3.  Pers.  des  Lit.  süktu  vor  (vgl.  -tun 
bei  Bretkun.  -tt{  bei  Dauksa).  Zu  diesen  beiden  alten  Typen  bildete  sich  nun 
in  der  lit.-le.  Gemeinsprache  noch  ein  dritter  Typus:  nach  Analogie  des 
zweiten  Typus  kamen  Formen  auf  -tu7n  auf,  losgelöst  aus  den  A^erbindungen 
mit  dem  Hülfsverbum,  zu  einer  Zeit,  als  die  alten  Verbindungen  Vok.  +  Nas. 
im  Wortauslaut  schon  nicht  mehr  existirten.  Dieser  dritte  Typus  ging  in 
Dialekte  der  lit.  Sprache  über:  2.  Sg.  süktum,  1.  PI.  süktum,  2.  PI.  süktum, 
1.  2.  Du.  süktum.  Endlich  kam  noch  ein  vierter  Typus  auf  im  Lit.-Le.,  indem 
1)  und  3)  sich  ausglichen;  so  entstanden  die  konjugirten  Formen  ohne  b,  die 
in  lit.  Dialekten  erscheinen:  2.  Sg.  süktumei,  1.  PI.  süktumim,  2.  PI.  sükiumit. 

Dann  bleiben  nur  noch  Einzelheiten  zu  erklären  übrig:  in  den  bei 
Dressel  überlieferten  le.  Formen  sarrgahtubam,  sarrgahtubaht  ist  «  eine  Neu- 
bildung nach  Analogie  der  abgeleiteten  Stämme ;   im  le.  Reflexivum  suktus 


486  Kritischer  Anzeiger. 

zu  suktu  ist  ü  entstanden  nach  dem  Verhältniss  von  suku  zu  sukus  in  der 
1.  Pers.  Sg.  Praes.;  die  le.  Pluralformen  auf  -fum,  -tut  sind  begreifliche  Neu- 
schöpfungon  nach  den  sonstigen  Endungen  dieser  Personen;  in  der  lit.2.Per8. 
Sg.  suktumhi,  süktumi  ist  das  i  für  ei  [süktumhei)  durch  die  Präsensendungen 
auf -t  veranlasst;  die  lit.  dial.  (Memel)  Bildungen  auf  -tai  [2.  Pers.  Sg.)  und 
-tot  (2.  Pers.  PI.)  sind  Ausgleichungen  nach  der  1.  Pers.  Sg. -<a?<  nach  dem 
Muster  von  zinaü,  u.  a.  m.  In  den  Formen  des  Lit.  auf -<m'  neben  -ti{  in  der 
3.  Pers.  Sg.  (in  alten  Texten  und  im  Kreis  Heydekrug)  sieht  P.  mit  Bezzen- 
berger  den  Dat.  des  Supinums  neben  dem  gewöhnlichen  Accusativ  auf -^mw. 

So  bleiben  nur  noch  die  1.  Pers.  Sg.  auf -cza,  -czo,  -czau  Erklärung  hei- 
schend übrig. 

Im  Allgemeinen  kann  ich  mich  bis  hierher  den  Ausführungen  P.'s  nur 
anschliessen.  Bis  auf  den  einen  Punkt:  die  Bildung  des  zweiten  Typus,  der 
in  Formen  wie  *sHktum,  le.  Sg.  suktu,  suktü-s  und  in  der  3.  Pers.  Sg.  des  Lit, 
suktu,  vorliegt.  Ich  kann  nämlich  nicht  verstehen,  wie  das  blosse  Supinum 
zu  optativischer  Funktion  gekommen  sein  sollte,  denn  die  S.  65  Anm.  beige- 
brachte Analogie  aus  dem  Slavischen,  die  russ.  Prüterita  wie  bcji^,  höci 
U.S.W,  (»wie  auf  dem  Gebiet  der  slavischen  Sprachen  die  Auslassung  des 
Hülfsverbums  zuerst  bei  der  Form  der  3.  Pers.  erfolgte,  und  dann  im  Russi- 
schen im  Laufe  der  Zeit  durch  alle  Personen  durchgeführt  wurde,,  so  erschien 
auch  im  Gemeinbaltischen  butun  ohne  Hülfsverbum  zuerst  in  der  3.  Pers.  und 
wurde  dann  auf  alle  übrigen  Personen  überführt«)  scheint  mir  doch  ihrer 
ganzen  Art  nach  sehr  verschieden  zu  sein.  Im  Russischen  wurden  doch  nur 
die  Präsensformen  des  Hülfsverbums  ausgelassen,  nie  finden  wir  im  Aruss., 
so  lange  es  noch  vorkommt,  beim  Plusquamperfectum,  dem  ^-Part.  mit  heachi, 
die  Auslassung  von  öauiexi. ;  und  das  ecxi,  der  3.  Pers.  in  bg.i'l  ecii.  ist  sicher 
nur  deshalb  allmählich  ausgelassen  worden,  weil  im  Russ.  von  allem  Anfang 
her  copulalose  Sätze  vom  Typus  ycioBiKi  öoraxt  existirt  haben.  Wie  konnte 
aber  in  einem  balt.  vorauszusetzenden  *suktumbit  das  *bit,  die  Form,  die  das 
Wesentliche  in  der  ganzen  Verbindung  war,  die  ihr  allein  das  optativische 
Gepräge  aufdrückte,  plötzlich  ausfallen,  und  das  Supinum  allein  der  Aus- 
druck für  den  Optativ  werden,  obwohl  es  in  jenen  alten  Zeiten  doch  sicherlich 
noch  in  vollem  supinalen  Gebrauch  üblich  war? 

Ich  möchte  daher  die  Vermuthung  aussprechen,  dass  es  dereinst  im 
Baltischen  Imperativische  Formen  tmi^töd  gegeben  hat  (ai.  -täd,  gr.  -tw,  lat. 
-töd,  -tö),  die  in  der  2.  und  3.  Pers.  in  das  System  des  baltischen  Optativs 
traten  zu  der  Zeit,  als  der  alte  aus  dem  Idg.  ererbte  Optativ  Imperativische 
Funktionen  auszuüben  begann.  Wie  das  Ä-Suffix  von  den  vokalischen  Stäm- 
men aus  an  den  Infinitivstamm  auch  der  nichtvokalischen  gefügt  wurde,  so 
auch  -töd,  also  *suktöd  nach  *ettöd  (alat.  eifö).  Diese  Form  liegt  dem  \e.sukta-i. 
suktu,  lit.  3.  Pers.  suktu  zu  Grunde;  bei  Bretkun  liegt  -tun  neben  -tu,  ebenso 
bei  Dauksa  -tu,  neben  -tu,  und  Kurschat  berichtet  (Gramm.  §  1098),  dass  im 
Zemai tischen  neben  dem  Supinum  aui -tu  (=  -tu^)  die  diesem  gleichgestaltete 
Form  der  3.  Pers.  Opt.  kurzes  -u,  also  -tu,  habe.  So  glaube  ich  also,  es  lag  einst 
"neben  2.  Pers.  suktumbei,  3.  Pers.  suktumbi  ein  suktu,  suktu  (aus  *suktöd),  und 
erst  diese  Form  konnte  bewirken,  dass  das  5-Element  als  etwas  Entbehrliches 


Porzezinskij,  Conjugatiou  in  den  balt.  Sprachen,  angez.  von  Berneker.      487 

.mpfunden  wurde  und  so  Formen  wie  *süktu7n  aufkommen  konnten,  das  .iuktt{ 
irgab;  die  einen  Dialekte  haben  suklu,  die  anderen  suldu  verallgemeinert, 
anfangs  bestanden  wohl  beide  neben  einander.  Nach  diesem  süktu,  suktn  er- 
folgte schon  spät,  als  schon  das  Lautgesetz,  das  Vok.  -t-  Nas.  im  Auslaut  zu 
Nasalvokal  werden  Hess,  zu  wirken  aufgehört  hatte,  die  Loslüsung  der  For- 
men suktum  für  die  2.  ög.,  die  1.  u.  2.  PI.  und  Du.  aus  den  Bildungen  mit  dem 
6-Element. 

Sehr  spät  sind  offenbar  die  Bildungen  wie  2.  Pers.  suktai,  die  vor  allem 
im  Mittellitauischen  Preussens  begegnen.  Vielleicht  sind  sie  vorzugsweise 
den  Gegenden  dieses  Gebietes  eigen,  die  auslautendes -o  zu  -u  verkürzen 
(vgl.  Bezzenberger,  BB.  9,  273  ff.;  mir  z.  B.  aus  Lasdehnen,  Kreis  Pillkallen, 
bekannt],  wo  süko  als  suku  erscheint;  nach  dem  Muster  sukdi,  suku  (aus  süko) 
■bildete  man  ein  sitkiai  zu  süktu,  und  danach  auch  eine  2.  PI.  snklot  (Kurschat 
Gr.  §  1158). 

Mit  diesen  Modifikationen  möchte  ich  P.'s  Erklärungen  in  allem  Sonsti- 
gen zustimmen.  ... 

So  bleibt  also  nur  noch  die  schwierigste  aller  Formen,  die  1.  Pers.  Sg., 
stikczau,  sukcza,  sükczo  übrig;  die  oft  citirte  Form  süktitmhiau  ist,  wie  P.  her- 
vorhebt, nirgends  belegt.  P.'s  Ausgangspunkt  ist  der  alte  idg.  oj-Optativ ; 
■das  Balt.  habe  einst  eine  1.  Sg.  Opt.  auf  -cfif^m  besessen  [oder  wie  wir  an- 
setzen -oi-m,  vgl.  ai.  bhäreijam],  woraus  dann  im  Balt.-Slav.  -a"u)}  entstehen 
musste.  Doch  noch  zur  Zeit  der  lit.-slav.  Spracheinheit  wurde  diese  Endung 
.-un  aus  idg.  -am  ersetzt  durch  den  Ausgang  -a°n  nach  Analogie  der  Bildungen, 
wo  diese  Endung  aus  idg.  -a"m  entstanden  war.  So  überkam  das  Gemein- 
baltische  eine  Endung  -ü"n  als  1.  Pers.  Opt.  der  thematischen  Konjugation 
mit  »unterbrochener  Länge«  (d.  h.  der  im  Lit.  geschleifter  Accent  entspricht]. 
Als  dann  das  /;  in  den  Endungen  der  1.  Pers.  bei  den  sonstigen  Verbalbildun- 
gen schwand,. erschien  auch  hier  als  Endung  einfaches  ■iiP.  Unter  dem  Ein- 
fluss  der  Endung  -ö  mit  »dauernder«  Länge  (der  im  Lit.  gestossener  Ton  ent- 
spricht) empfing  auch  diese  Optativform  -«"  mit  dauernder  Länge. 

So  stand  ein  *sukä'^'  (das  Eesultat  allerhand  Umbildungen  eines  alten 
*sukoi-in]  neben  *sitJctumhiau.  Beide  wirkten  auf  einander,  und  es  entstanden 
sukczau,  sükczu,  sitkczo;  von  letzteren  ist  sukcza  die  allein  lautliche  Entwicke- 
lung;  sükczo  stammt  aus  dem  Reflexiv  sükczo-s,  wo  die  Länge  berechtigt. 
Dieser  Analogie  der  thematischen  Verba  folgten  dann  auch  die  wenigen 
athematischen,  und  es  kamen  Formen  wie  diiczau,  diicza,  deczau,  deczä 
u.  s.  w.  auf. 

Dieser  Deutungsversuch  beruht  auf  mehreren  Voraussetzungen,  denen 
ich  nicht  zustimmen  kann :  1)  auf  der  Annahme,  dass  /  zwischen  Vokalen  ge- 
schwunden ist,  was  unbeweisbar  ist,  2).  auf  der  Annahme  der  Existenz  von 
•Verbalformen  wie  *cedan,  die,  wie  oben  gezeigt,  ganz  haltlos  ist,  3;  ist  wohl 
höchst  unwahrscheinlich,  dass  das  vorausgesetzte  Kontraktionsprodukt 
*sukä^  einfach  analogisch  nach  *sukö  seine  unterbrochene  Länge  d.h.  lit.  ge- 
schleifte Betonung;  in  dauernde  (d.  h.  lit.  gestossene  Betonung)  gewandelt 
habe,  wenn  man  bedenkt,  wie  treu  das  Lit.  sonst  die  Accentqualitäten  be- 
wahrt hat.    Was  mich  betrifft,  so  kann  ich  nur  allenfalls  noch  eine  Form  wie 


488  Kritischer  Anzeiger. 

sükczau  als  Kreuzung  eines  *suJitumbiuu  mit  einer  Form  wie  le.  suktu  für  alle 
Singularpersonen  verstehen;  vor  sükcza  und  sükczo  muss  ich  die  Waffen 
strecken;  mit  denen  von  Porzezinskij  gebotenen  ist  ihnen  jedenfalls  nicht 
beizukommen. 

Hiermit  verlassen  wir  das  Gebiet  der  Personalendungen  und  kommen 
zum  dritten  Kapitel,  der  Bildung  der  Tempus-  und  Modusstämme,  und  ver- 
weilen zunächst  bei  seiner  ersten  und  bei  weitem  längsten  Abtheilung,  der 
Bildung  der  Präsensstämme.  P.  bietet  folgende  zweckmässige  Eintheilung : 
Zwei  Hauptgruppen  —  1 )  als  Infinitivstamm  erscheint  ein  unabgeleiteter 
Verbalstamm,  2)  als  solcher  erscheint  ein  abgeleiteter  Verbalstamm.  Die 
Präsensstämme  der  ersten  Gruppe  zerfallen  wiederum  in  zwei  Unterabthei- 
lungen: a)  thematische,  b)  athematische  Bildungen.  Unter  1)  a)  werden  zu- 
nächst behandelt  die  Stämme  auf  idg.  e/o,  das  im  Lit.  als  a  erscheint,  also 
Typus  vedü,  veät,  veda,  vedame.  P.  erörtert  eingehend  das  Verhältniss  der  idg. 
wurzelbetonten  (mit  hochstufiger  Wurzel)  und  der  suffixbetonten  (mit  tief- 
stufiger Wurzel),  also  der  ind.  I.  und  VI.  Klasse.  Er  nimmt  an,  dass  sich  im 
Uridg.  die  beiden  Klassen  von  Haus  aus  ihrer  Aktionsart  nach  unterschieden : 
die  erstere  bezeichnete  die  durative  {bum>  RxuTeÄhuhiii),  die  zweite  die  nicht 
durative  Aktionsart  (buä'b  iiex^iaTeji-huhm].  »Als  dann  imUridg.  nach  Analogie 
des  Verhältnisses,  das  zwischen  den  Präsentien  und  Imperfekten  bei  den  Stäm- 
men der  I.  Klasse  bestand,  auch  Stämme  der  II.  Klasse  in  das  Präsenssystem 
überführt  wurden,  behielten  diese  letzteren  im  Resultat  ihre  alte  Aktionsart 
nur  in  den  Fällen,  wo  eine  solche  Ueberführung  nicht  stattgefunden  hatte, 
wo  mit  der  Bedeutung  der  imperfektiven  Aktionsart  entweder  Stämme  der 
I.  Klasse  oder  andere  abgeleitete  Stämme  vorlagen«.  D.  h.  also,  wenn  ich 
recht  interpretire,  P.  nimmt  an,  dass  die  Präsentia  der  II.  Klasse  im  Uridg. 
entstanden  sind,  wie  etwa  in  der  Einzelsprache  gr.  dor.  tqcctio)  (für  *rqcf.no)]  zu 
izQKTioy.  Die  balt.  Stämme  auf  e/o  zeigen  keinen  Unterschied  der  Aktions- 
art mehr  (ob  sie  hochstufige  oder  tiefstufige  Wurzel  haben;  der  Accent- 
unterschied  ist  ja  bei  beiden  ausgeglichen),  und  zwar  ist  dieser  Verlust  aus 
der  Fortdauer  jenes  oben  angenommenen  Processes,  der  schon  in  der  Grund- 
sprache begann,  in  der  Einzelsprache,  speciell  im  Balt.-Slav.,  zu  erklären, 
wonach  immer  mehr  Präsentia  vom  Typus  ai.  girdti,  sl.  hret-o  aufkamen,  bis 
schliesslich  die  alten  Verhältnisse  völlig  zerstört  wurden;  so  dass  man  heute 
im  Balt.  wie  im  Slav.  zwar  Präsentia  mit  hochstufiger  Wurzelsilbe  neben  sol- 
chen mit  tiefstufiger  findet,  aber  ohne  Bedeutungsunterschied. 

S.  79  ff.  wird  über  die  Verba  gehandelt,  deren  Wurzel  den  Diphthong 
eu  gehabt  hat.  Auch  P.  nimmt  an,  dass  eu  im  Balt.-Slav.  von  ou  geschieden 
war:  im  Slav.  wurde  es  zu  iu,  im  Balt.  blieb  es  als  eu  und  wurde  im  Lit.-Le. 
zu  tau  (vgl.  auch  Zupitza,  Germ.  Gutt.  145,  und  Rec.IF.  X,  145  ff.).  Wie  kommt 
es  nun,  dass  wir  doch  in  so  vielen  Fällen  au  finden?  P.  stellt  sich  diesen  Vor- 
gang so  vor:  schon  im  Balt.-Slav.  begann  der  Process,  dass  sich  e  in  dem 
Diphthongen  eu  dem  ti  in  Bezug  auf  den  Grad  der  Zungenhebung  zu  nähern 
begann,  d.  h.  ein  mehr  »hoher«  Vokal  wurde;  und  dieser  neue  Vokal  wirkte 
auf  den  vorhergehenden  Konsonanten  etwas  erweichend,  früher  noch,  als 
sonst  die  palatalen  Vokale  diesen  erweichenden  Einfluss  ausübten.    So  ent- 


Porzezinskij,  Coojugation  in  den  balt.  Sprachen,  angez.  von  Beineker.      489 

stand  das  slav.  im.  In  der  gemeinbaltischen  Epoche  wurden,  noch  ehe  die  Er- 
weichung gewisser  Konsonanten  vor  palatalen  Vokalen  eintrat,  die  erweichten 
Konsonanten  vor  dem  Diphthong  eii  zum  Theil  auf  nicht  lautlichem  Wege 
verdrängt  durch  nicht  erweichte  Konsonanten  unter  dem  Einfluss  verwandter 
Bildungen,  wo  der  Diphthong  eu  nicht  vorlag.  So  ergab  die  Gruppe  »er- 
weichter Kons.  4- Diphth.  ew«  im  Resultat  die  lit.-le.  Gruppe  »weicher  Kons. 
4-Diphth.  au«,  die  preuss.  Gruppe  »weicher  Kons.+ Diphth.  ew«;  während 
sich  die  Gruppe  »unerweichter  Kons.  +  Diphth.  e««  zuletzt  in  die  Gruppe 
»unerweichter  Kons.  +  Diphth.  au»  wandelte. 

Ich  glaube,  dass  P.  hier  im  Wesentlichen  das  Richtige  trifft,  und  damit 
eine  Reihe  von  Ausnahmen  erklärt,  wo  man  au  an  Stelle  des  zu  erwartenden 
tau  findet.  Leider  habe  ich  in  meiner  Behandlung  dieses  Gegenstandes  a.a.O. 
im  Uebereifer  wohl  manches  falsche  und  manches  unsichere  Beispiel  beige- 
bracht, und  es  wäre  schade,  wenn  dadurch  die  ganze  Annahme,  dass  eu  im 
ürbalt.-Slav.  noch  von  ou  verschieden  gewesen,  wie  es  jetzt  fast  scheint,  in 
Misskredit  kommen  sollte.  Beispiele  wie  abg.  IJud^  Volk,  le.  laudis  »Leute, 
Volk«  :  ahd. /m^;  aXig.ljuho  »lieb«,  lit.  Iiäu2isinti  loben  :  got.  Hufs;  nhg.bl/udq  : 
ur.  TiEvO^eTcci;  r.  cur^  »Mass,  Grenze«  :  mhd.  gehiure  sanft,  anmuthig;  ahd.  mm- 
(jihiuri  »unheimlich, schrecklich«;  p.ihiub  Höhlung  in  einem  Baum  :  got.diups 
tief;  c.  kliditi  reinigen  (aus  Jdiuditi]  :  got.  hlütrs  rein;  s.  Ijuljati,  p.  lulac  vf'xQ- 
gen  :  ai.  lölati,  abg.  pljusta  Lunge  :  gr.n'Aevfxojv,  ahg.sujb  link  :  ai.  savi/u;  abg. 
zuzeh  »Käfer«;  ai.  gunjati  summt,  brummt;  abg.  zupa  »Bezirk«  zu  ai.  göpu- 
u.  s.  w.  (Brugmann  IF.  XI,  11);  lit.  dziduti,  le./chaut  »trocknen,  räuchern«  : 
mI.  dunöti  »brennt  im  Feuer«;  lit.  kiaüszis  Ei,  alt  kiauszia  Hirnschädel  :  ai. 
hisas  Behälter,  Vorrathskammer;  lit.  spriäudzu  »klemmen,  drängen«  :  mhd. 
spriezen,  2Lg%.  spryttan  »sprossen,  keimen«;  skiaudzu  niesen,  \e.  schMut  :  ai. 
J.-säuti;  lit.  sriautas,  sriaujas  »schnell  fliessend«  :  ai.  srdcati,  gr.  (liu);  le.kr'aupa 
»Grind  der  Pferde«  :  an.  hriüfr,  ahd.  riob  »rauh,  grindig«,  u.  a.  mehr.  Ich 
glaube  diese  Fälle  sollten  wohl  genügen,  das  Gesetz  von  der  Vertretung  des 
eu  im  Balt.-Slav.  sicherzustellen;  nur  muss  man  zugeben,  dass  die  Verhält- 
nisse, namentlich  im  Baltischen  mit  seinem  lebendigeren  Ablautssystem,  sich 
nicht  ganz  rein  erhalten  haben,  dass  öfters  au  für  iau  erscheint,  hervorgerufen 
wohl  vor  allem  durch  die  Tiefstufe  u,  lu  die  eu  mit  T)u,  au  theilt,  wie  auch 
umgekehrt  bisweilen  die  Erweichung  unorganisch  in  die  Tiefstufe  einge- 
drungen ist. 

S.  81  behandelt  P.  die  Verba,  die  im  Präs.  a  haben,  obwohl  ihre  Wurzel 
zur  Ablautsreihe  e  :  o  gehört:  lit.  käst),  le.  kasu  :  abg.  cesq;  lit.  barü,  le.  baru  : 
lat./enö;  lit.  malü  :  got.  mala,  abg.  7neljq,  eine  Erscheinung,  die  aus  dem 
Slavischen  kaum,  aus  dem  Germ,  dagegen  häufig  zu  belegen  ist  (vgl.  Streit- 
berg, Urgerm.  Gr.  293).  P.  lehnt  die  Erklärung  aus  idg.r,  /für  die  beiden  letz- 
teren mit  Recht  ab,  und  sieht  hier  vielmehr  ein  Eindringen  der  Perfektstufe, 
die  im  Germ,  auf  Präsensstämme  mit  tiefstufiger,  im  Baltischen  aber  mit  hoch- 
smfiger Wurzel  übertragen  wurde,  kasü  ist  also  umgebildet  aus*kestt,  sl.  cesq 
nach  dem  Perfektstamm,  wo  a  (=  idg.  o)  heimisch  war.  Das  idg.  Perfekt  em- 
pfing noch  in  balt.-slav.  Zeit  die  Bedeutung  des  Präteritums  und  ging  schliess- 
lich verloren,  indem  es  sich  mit  den  Bildungen  dieses  letzteren  vermischte. 


490  Kritischer  Anzeiger. 

Den  endgültigen  Verlust  des  idg.  Perfekts  verlegt  P.  noch  in  die  Zeit  der 
balt.-slav.  Sprachgemeinschaft;  die  Bewahrung  des  slav.  vedii  erklärt  sich 
aus  ähnlichen  Ursachen,  wie  sie  bei  der  Entstehung  der  germanischen 
Präteritopräsentia  wirkten.  Dass  dem  lit.  kasü  einst  ein  hochstufiges  *kesü 
zu  Grunde  lag,  dafür  spricht  das  Präteritum  kasiuü  mit  seinem  e-Stamm,  wie 
weiter  bei  der  Bildung  des  Präteritums  auseinandergesetzt  wird. 

S.  90  ff.  bespricht  P.  die  Präsentia  mit  Nasalinfix:  1)  Typus  m>,  krintü, 
grixjcü;  2)  Typus  kimbit,  stimpü;  3)  Typus  pra7itt(,  randü;  endlich  die  weit 
selteneren  Fälle,  wo  das  Nasalinfix  bei  hochstufiger  Wurzel  erscheint: 
tenkü,  hrendü. 

Ursprünglich  war  das  Nasalinfix  nur  bei  Stämmen  mit  tiefstufiger  Wurzel 
heimisch ;  doch  nimmt  P.  an,  dass  nach  Analogie  dieser  Klasse  schon  im  Uridg. 
Bildungen  mit  Nasalinfix  auch  bei  nichttiefstufiger  Wurzel  aufkamen.  Doch 
sind  natürlich  nicht  alle  heute  in  den  baltischen  Sprachen  begegnenden  Bil- 
dungen mit  Nasalinfix  ein  ursprachliches  Erbstück;  sicher  spät  sind  die  lit. 
Bildungen  wie  liru,  szqlu,  pi/vu,-  gijü  (d.  h.  also  bei  den  Wurzeln  auf  Vok.  + 
Liqu.  oder  Nas.  oder  auf  Diphthong  in  ihrer  hochstufigen  Gestalt),  denn  das 
Le.  kennt  diese  Bildung  nicht,  ebensowenig  die  ^emaitischen  Dialekte,  'wo 
k\lstu  hhstii  szälstu,  pünii  yinic  dafür  erscheinen.  Man  hat  mehrfach  die  Na- 
salirung  bei  diesen  Verben  überhaupt  geleugnet  und  die  Schreibungen  wie 
binra  bei  den  Juszkiewicz  und  szqiü  bei  Kurschat  für  Missverständriisse  ge- 
halten, weil  im  Ostlit.  und  bei  Szyrwid  szaiu  erscheine.  Doch  wendet  P.  tref- 
fend dagegen  ein,  dass  sich  szalu  von  szqlu  in  der  Bedeutung  unterscheide 
(nur  letzteres,  nicht  ersteres  ist  inchoativ},  ausserdem  macht  er  darauf  auf- 
merksam, dass  in  der  ersten  Ausgabe  des  defekten  Exemplars  von  Szyrwid's 
Dictionarium  auf  der  Moskauer  typographischen  Bibliothek,  dessen  Ausgabe 
er  in  Gemeinschaft  mit  Fortunatov  verheisst,  s.  v.  marzn§  \  cornjetasco,  conu- 
resco  thatsächlich  steht  szulu,  suszalu.'  Ferner  sind' sicher  litauische  Neubil- 
dung Fälle  wie  lempü  (neben  lepas),  rentü  (neben  retas). 

Eine  schöne  und  überzeugende  Deutung  finden  S.  97  ff.  die  Fälle,  wo 
Uebertritt  der  Verba  mit  n-Infix  in  die  io-  und  in  die  io-Klasse  erfolgt  ist; 
diese  Erscheinungen  sind  nicht  gleichartig,  sondern  beruhen  auf  verschiede- 
nen Gründen.  Das  Suffix  -sta  finden  wir  vor  allem  im  Le.,  weil  hier  durch  die 
lautlichen  Wandlungen,  die  die  Verbindungen  Vok.  +  Nas.  vor  Konsonant 
erfuhren,  der  Nasal  schwand:  einem  litbiindtc  büsti  müsste  hier  ein  *büdu  bust 
entsprechen.  Thatsächlich  finden  wir  aber  ein  büstu  bust,  d.  h.  das  Suffix  -sta 
ist  hier  angetreten,  um  die  inchoative  Bedeutung  festzuhalten,  die  sich  vor- 
dem mit  dem  Nasalinfix  verband,  und  nach  Verlust  des  Nasals  nicht  mehr 
deutlich  genug  formell  ausgedrückt  war.  Ganz  ähnlich  sind  die  lit,  Fälle 
jünksiu,  sünkstu,  sklißtic,  linksiü  aufzufassen,  deren  Vorbild  Brugmann(Grund- 
riss  II,  1004)  in  Präsentien  wie  bllsta  »es  dunkelt«  neben  blindo  W.  bhlendli- 
sehen  will,  was  P.  ablehnt.  Vielmehr  liegt  die  Sache  hier  so,  dass  dies  Verba 
sind,  in  denen  in  der  lit.-le.  Epoche  der  Nasal  über  das  Präsens  hinaus  durch- 
geführt wurde  (wofür  Beispiele  aus  anderen  Sprachzweigen  Brugmann,Grun'i- 
riss  II,  994).    Dadurch  musste  sich  natürlich  die  inchoative  Bedeutung  dieser 


Porzezinskij,  Conjugation  in  den  balt.  Sprachen,  angez.  von  Berneker.      491 

Präsentia  verdunkeln  und  es  trat,  um  die  Öiichtige  formell  festzuhalten,  this 
Suffix  -sta  an. 

Ganz  anders  der  YaW  Jutujiu  «spanne  ins  Joch«;  hier  war  die  Durch- 
führung des  Nasals  schon  vorbaltisch  wie  Vdt.jungo.Junxi  zeigt,  infolgedessen 
hatte  das  Präsens  dieses  Verbums  schon  im  Urbaltischen  nicht  mehr  inchoative 
Bedeutung,  sondern  drückt  einfach  die  Handlung  aus;  deswegen  konnte  es 
in  die  /o-Klasse  überführt  werden,  die  vorwiegend  diese  Bedeutung  der  ein- 
fachen Handlung  zeigt  gegenüber  der  durch  Infix  uder  -ata  bezeichneten  in- 
choativen Bedeutung. 

Zu  diesen  letzteren  wendet  sich  nun  P.  auf  S.  99  ff.  Die  Stämme  auf 
-sta-,  -tzta-,  le.  -sta-  sind  nur  aus  dem  Lit.  und  Le.,  nicht  aus  dem  Preuss.  be- 
zeugt. In  der  Erklärung  dieses  Suffixes  geht  er  mit  Schleicher,  Brugmann, 
üljanov  gegen  Bezzenberger  und  Wiedemann,  d.  h.  auch  er  nimmt  an,  dass 
das  ite-Suffix  eng  mit  dem  ^a-Suffix  zusamracngehürt,  aus  diesem  entstanden 
ist  zunächst  bei  den  Stämmen  mit  t,  d,  s  im  Wurzelauslaut  und  dann  in  der 
Form  -sta-  auch  auf  andere  Verba  übertragen  worden  ist ;  ebenso  sei  -szta- 
aufgekommen  zunächst  bei  den  Wurzeln  auf  sz  und  £  und  dann  verallgemei- 
nert. Doch  auch  sonst  ist  -szt-  lautlicher  Entstehung,  nämlich  in  der  Verbin- 
dung -kszta-,  die  durch  Umstellung  aus  -szkta-  entstanden  ist,  z.B.  in  tyksztu, 
trökszfu  aus  *t>/szktti,  *tioizktii  wie  die  Prät.  tiszkaü,  tröszkau  erweisen  ;die 
gleiche  Umstellung  auch  im  Inf.  tlkszti,  trökszti);  so  auch  -sta-  in  hl'igstu, 
tvi/kstu   Prät.  bDzgau,  tvyslejau). 

Es  folgt  die  Besprechung  der  Suffixe  -na-  [no\c]  und  -da-  doe  und  dho\e] ; 
endlich  S.  110  das  Suffix  -skoe  und  -sqo'e-.  Hier  erregt  namentlich  das  -szk- 
in  lit. j'iszkau,  le.  eskät  (slav.  iskati,  ai.  icchati,  ahd.  eiscön)  Aufmerksamkeit, 
das  Brugmann  aus  dem  Germ,  entlehnt  sein  lassen  möchte,  ebenso  wie  das 
slav.  iskati:  es  handelt  sich  hier  um  die  Frage,  wie  im  Lit.  und  Slav.  sk  ver- 
treten ist.  Brugmann  nimmt  die  Vertretung  lit.ss,  sl.  s  als  die  lautgesetzliche 
an.  P.  hält  alle  Beispiele  nicht  für  beweisend,  da  in  lit.  szütiju,  sl.  sujq  :  ahd. 
sciujU,  in  lit.  szöku  :  got.  skeicjan,  av.  sacäHe  die  bekannte  Erscheinung  der 
Wurzelvarianten  ohne  s  vorliegen  könnte;  ebenso  in  abg.  scnb  »Schatten«:  : 
ai.  chüyü,  und  da  endlich  in  triszii  auch  das  idg.  Suffix  ke\o  argenommen  wer- 
den könnte.  Das  wichtigste  und  sicherste  Beispiel,  nämlich  &\.pasq  :  lat.;j«seö, 
ist  ihm  aber  entgangen.  Diese  beiden  Wörter  wird  man  doch  nur  sehr  ungern 
auseinanderreissen  wollen.  Deswegen  meine  ich,  wird  man  doch  annehmen 
müssen,  dass  sk  im  Lit.  durch  sz,  le.  *•,  sl.  s  vertreten  ist.  Die  Entlehnung 
von  Jeszkoti,  sl.  iskati  erscheint  mir  aber  trotzdem  unwahrscheinlich,  weil  ahd. 
eiscön  nur  »fragen«  bedeutet,  Wt.jtszkoti,  sl.  iskati  aber  nur  »suchen«  \im  Balt. 
wie  im  Slav.  hat  sich  daraus  oft  sogar  die  prägnante  Bedeutung  »suchen  = 
Läuse  suchen,  lausen«  entwickelt,  so  le.  eskdt  »lausen«,  klr.  skati  aus  iskati 
»lausen«).  Ausserdem  müsste  man  die  Entlehnung  schon  urslavisch  aus  dem 
ürgerm.  ansetzen:  dann  forderte  man  aber  ein  *eskati  ü.\\%  *aiskön,  da  in  allen 
sicheren  Fällen  nur  e  der  Vetreter  vonot  im  Anlaut  ist  und  nicht  *';  im  »ein« 
geht  auf  *6«c.  zurück  wie  jed-htio  neben  jedim,  wo  die  absolut  anlautende 
Form  im  wieder  eingesetzt  ist,  deutlich  zeigt;  *h)to  ist  die  Tiefstufe  *inos  zu 
\^g.*oinos.    So  möchte  ich,  was  auch  P.  meint,  injeszkoti,  iskati  die  Nebeu- 


492  Kritischer  Anzeiger. 

form  -sqo-  zu  -sko-  suchen;  zur  Erklärung  des  sz  vgl.  Pederaen  IF.  5,  80.  Ein 
doppeltes  idg.  s,  von  denen  das  eine  im  Slav.  (ausser  vor  Kons.)  immer  cA,  im 
Lit.  sz  ergab,  das  andere  im  Lit.  s  blieb  und  im  Slav.  zu  ch  wurde  nur  nach  », 
u  und  den  i  und  u  enthaltenden  Diphthongen,  vermag  ich  aus  denselben 
Gründen  nicht  anzuerkennen,  wie  Pedersen  a.  a.  0.  87. 

Wir  kommen  nunmehr  auf  S.  112  flf.  zu  der  eingehenden  Besprechung 
der  JaV^'Verba.  P.  hält  es  für  nöthig,  hier  streng  zwischen  JaV"  und  ^a'/"  zu 
scheiden.  Dies3S  letztere  hatte  im  Idg.  neben  sich  die  Tiefstufe  -i-,  während 
ersteres  eine  solche  nicht  haben  konnte,  weil  es  nur  in  der  Verbindung  mit 
hochstufigen  Wurzeln  gebraucht  wurde,  wo  der  Ton  auf  der  Wurzel  lag.  Für 
diese  Auffassung  vermisse  ich  jeden  Beweis,  zumal  P.  selbst  zugeben  muss, 
dass  schon  in  der  idg.  Ursprache  »zur  Zeit  ihres  Zerfalls«  die  ursprüngliche 
Vertheilung  verwischt  worden  sein  muss;  von  der  Unmöglichkeit,  im  Inlaut 
i  von  J  zu  scheiden,  weiter  unten.  So  ist  P.  natürlich  genöthigt,  eine  Erklä- 
rung für  die  Fälle  zu  geben,  in  denen  nicht  abstufendes  -ja-  im  Lit.  (d.  h.  sein 
idg. jo  im  Gegensatz  zvxio]  bei  tiefstufiger  Wurzel  erscheint:  szvilpiu,  giriü, 
buriü  u.  s.  w.  (S.  115/116),  die  mir  nicht  einleuchtet. 

Im  Folgenden  bespricht  der  Verf  dann  noch  einige  Einzelheiten,  z.  B. 
die  ya-Verba,  in  denen  im  Präs.  e,  in  den  andern  Formen  e  erscheint:  lekiü 
Ukiaü  lekti,  kvepiü  kvepiaü  kvipti.  Er  nimmt  an,  dass  hier  altes  e,  das  mit  ö 
und  a  ablautet,  vorliegt.  Das  e  des  Präs.  muss  eine  Neubildung  sein.  Von 
Haus  aus  kann  e  nicht  im  Präs.  berechtigt  gewesen  sein,  denn  dann  wäre  keia 
Grund  einzusehen,  warum  ea  daraus  —  angesichts  plekiu, plekiau,  edu,  edzau  — 
verdrängt  sein  sollte,  e  ist  vielmehr  an  die  Stelle  von  a  (=  idg.  &)  getreten, 
weil  der  Ablaut  a :  e  sonst  keine  Analogien  hatte  (vgl.  auch  Wiedemann,  Lit. 
Prät.  130).  Nicht  alle  j/b-Verba  natürlich  sind  aus  dem  Idg.  überkommen : 
Neubildungen  liegen  vor  z.  B.  auf  Kosten  der  na-Verba  in  lit.  leju  neben  dial. 
lenu,  \e.auju  neben  aunu,  szauju  neben  szaunu;  ferner  in  den  oben  besproche- 
nen Fällen  -wiejungiu,  endlich  in  lit.  Uidzu,  Leidau,  leisti,  wo  das  Prät.  Uidau 
auf  ein  ursprüngliches  a-Verbum  weist  und  etliche  andere  Fälle.  Beachtung 
verdient,  dass  nach  den  Beobachtungen  von  Jaunis  der  i^emaitische  Dialekt 
des  Kreises  Rossieny  diekonsonantischen^a-Stämme  überhaupt  (bis  auf  ganz 
geringe  Reste)  aufgegeben  hat:  es  heisst  hier  vertu,  verü,  vert,  vertatn,  vertat; 
ausgegangen  ist  diese  Neubildung  von  der  2.  Pers.  Sg.  vertl  (zu  verczu). 

Aufs.  124  geht  dann  P.  zu  der  Betrachtung  der  Präsensstämme  über, 
denen  ein  abgeleiteter  Infinitivstamm  zur  Seite  steht;  und  zwar  zunächst  der 
Verba  mit  -jm,  -i-  im  Präsens  und  e  im  Infinitiv:  mijliu  —  tnyleti.  Das  i  in 
mylime  u.  s.w.  fasst  P.  als  Tiefstufe  auf.  Die  Bemerkung:  »In  den  baltischen 
Sprachen  finden  wir  bei  den  betrachteten  Stämmen  nicht  die  Neubildung,  die 
in  den  Nominalstämmen  vom  Typus  \\t.gaidj)s  erscheint  und  in  den  slav.  Prä- 
sensstämmen auf  asl.  ij  gemeinsl.7,  das  aus  Kontraktion  von  vi  entstanden  ist, 
wobei  das  erste  i  hier  nach  Analogie  der  Formen  von  den  Stämmen  einge- 
drungen ist,  wo  schon  in  der  idg.  Ursprache  die  Verbindung  existirte 
»^'-j- Langer  Vokal«  aus  Kontraktion  von  a"  in  der  Endung  des  Stammes- 
suffixes mit  a°,  das  in  den  Bestand  der  Personal-  oder  Kasusendung  trat«  ist 
mir  in  ihrem  zweiten  Theil  völlig  dunkel  geblieben.  Ich  vermisse  bei  der  Be- 


Porzezinskij,  Conjugation  in  den  balt.  Sprachen,  angez.  von  Berneker.      493 

Handlung  dieser  Verba  ganz  ein  Eingi'hen  auf  das  VerhUltniss  des  Präsens- 
zum  Infinitivstamm;  der  Verf.  hätte  wohl  auf  die  Ansicht  eingehen  sollen, 
die  in  diesen  Verben  Stämme  auf  ei  sieht,  zu  dem  i  (i)  die  Schwundstufe  ist 
(wogegen  jetzt  Bezzenberger  BB.  26, 172  aufgetreten  istV 

Nach  Erörterung  einiger  Einzelheiten,  der  Neubildungen  im  Le.  und 
Preuss.,  der  Entstehung  der  Verba  mit  starkstufiger  Wurzel  S.  126/27),  der 
Verba,  die  eine  «Handlung«  und  nicht  einen  »Zustand«  bedeuten  (wie />er(M 
regiü),  wobei  sich  der  Verf.  im  allgemeinen  Uljanov,  Znacenije  I,  35  an- 
schliesst,  bespricht  er  die  Verba  mit  -a-  im  Präsensstamm  und  -c-  im  Infinitiv 
wie  kiibii,  kabefi;  und  lit.  ntunü  neben  jitiirti :  niureti.  Die  ersteren,  eine  Neu- 
bildung der  baltischen  Sprache,  kamen  hauptsächlich  auf  an  Seite  von  Stäm- 
men, die  den  inchoativen  Zustand  bedeuten,  und  bezeichnen  alsdann  den 
nichtinchoativen  Zustand:  so  Tiabii  Aabefi  »hangen«  neben  Aimbü  »hängen 
bleiben«.  »Die  verwandten  Sprachen  kennen  diese  Bildung  nicht«.  Ich 
möchte  hier  aber  doch  auf  einen  Rost  ira  Slavischen  aufmerksam  machen. 
Hier  weist  nämlich  die  eigentbümliche  Participialbildung  gorqt  —  (aksl.  go- 
rqste  Zogr.  Mar.  Luc.  12,  35;  gorqsff.  Supr.  9,  29;  gorqstimi  Psalt.  119.  4,  vgl. 
Leskien,  Handbuch  149,  Vondräk,  Aksl. Gr. 241)  zu  gorHi  »brennen«,  die  auch 
im  c.  horouci  und  p.  gorqcy  —  im  Kuss.  dürfte  ropio^iii  eine  Mischbildung  von 
*ropyqiii  und  ropHiiii  darstellen  —  vorliegt,  auf  die  Existenz  eines  Präsens- 
stammes ohne  -J-,  bietet  also  im  Rest  ein  Gegenstück  zu  den  besprochenen 
baltischen  Verba. 

Es  folgen  die  Verba  mit  dem  Suffix  -ina-,  wie  WtJdikinu,  tukinü,  gaminü 
u.  s.  w.  Betreffs  ihrer  Entstehung  schliesst  sich  P.  der  Ansicht  Osthoff's, 
Brugmann's  und  Fortunatov's  an,  betrachtet  sie  also  als  eine  aus  der  idg. 
Grundsprache  überkommene  Bildung,  zu  vergleichen  mit  den  gr.  Verben  auf 
-uvio  und  den  armen.  ?i\xi-anem.  Ihre  Grundbedeutung  war  die  des  »Zustandes« 
und  die  faktitive;  die  iterative  ist  unursprünglich  und  kam  erst  auf  unter 
Einfluss  der  Verba  auf  -inü-,  •t7ie-,  die  diese  ihrerseits  wieder  von  den  Stäm- 
men auf -ä-,  -e-  erhielten.  Diese  Ansicht  ist  an  sich  nicht  unwahrscheinlich, 
aber  doch  auch  nicht  strikt  zu  erweisen. 

Nun  kommen  S.  132  die  ihrer  Entstehung  nach  abgeleiteten  Stämme 
mit  den  Suffixen  ä",  ö,  «",  1,  au  an  die  Reihe.  Zwei  Ansichten  stehen  sich  hier 
gegenüber:  die  einen  nehmen  bei  ihnen  athematische  Flexion  für  das  Präsens 
im  Idg.  an,  die  andern  halten  dieses  nicht  für  richtig  und  setzen  die  thema- 
tische Flexion  an.  P.  ist  der  Ansicht,  dass  alle  Fakta  der  Einzelsprachen 
sich  vortrefflich  bei  der  zweiten  Ansicht  erklären,  und  dass  die  Fakta  der 
baltischen  Sprachen  nur  bei  der  zweiten  deutbar  sind.  Diese  zweite  An- 
sicht, die  Fortunatov's  und  Porzezinskij's,  erfordert  aber  die  Annahme  eines 
idg. y  neben  j  auch  im  Inlaut;  y  blieb  im  Balt.-Slav.  intervokalisch,  während 
%  in  dieser  Stellung  schwand;  d.  h.  also  z.  B.  laikaü  ist  aus  *laikä-i-ö  zu  er- 
klären, während  etwa  inazgnju  auf  *mazgü-J-ö  zurückgeht.  P.  meint,  wie  die 
meisten  Indogermanisten  im  Anlaut  ein  idg.  j  vom  idg.  i  scheiden,  so  müsste 
man  es  auch  im  Inlaut  thun;  »freilich  sprechen  die  Fakta  im  Anlaut  auch 
allzu  laut  dafür«.  Ich  kann  selbst  aus  den  Anlautsverhältnissen  für  ein  von  i 
geschiedenes  j  nur  sehr  schüchterne  Stimmen  heraushören.   Im  Ai.  steht  zwar 


494  Kritischer  Anzeiger. 

yastäs,  gr.  feffroi-  neben  iküs  zu  yäjati,  gr.  aCexai,  aber  das  reduplicirte  yesati, 
av.  yaehjehi  ruft  ans  ein  deutliches  memento  zu  (vgl.  Brugmann,  Grundr.  I, 
794),  so  dass  eigentlich  selbst  für  den  Anlaut  das  Griech.  ganz  allein  übrig 
bleibt,  und  schon  mehren  sich  die  Stimmen  derer,  die  in  dem  gr.  f  eine  speciell 
griechische  Erscheinung  sehen  wollen,  zum  mindesten  aber  keinen  voUgiltigen 
Zeugen  für  idg./  (Pedersen  KZ.  36,  103  ff.,  Hirt,  Handbuch  der  gr.  Laut-  und 
Formenlehre,  151).  Für  die  Unterscheidung  von  /  undj  im  Inlaut  beruft  sich 
P.  auf  den  Aufsatz  von  Th.E.  Korsch:  »HicKo.jtKo  saMiiaHiö  kt.  rpeiecKOÖ 
^oiicTUKi  EpyrMana«  im  C6.  XapKoucKcaro  iict.-i>uji.  oöm.  3a  1895  r.  und  auf  die 
nur  zum  Theil  veröffentlichten  Ansichten  Fortunatov's.  Ich  meinerseits  habe 
den  Eindruck,  dass  es  selbst  dem  Scharfsinn  Korseh's  nicht  gelungen  ist,  die 
Scheidung  eines  idg.y  von  i  im  Inlaut  aus  dem  Griechischen  zu  erweisen. 
Er  leitet  ^wiQiSog  aus  *Iqi-j-o5  her  (was  beiläufig  schon  Curtius,  Grundzüge^ 
640  gethan  hat),  während  man  in  diesem  Wort  doch  nichts  anderes  als  einen 
tf-Stamm  suchen  darf,  und  was  die  Differenz  xrciQw,  fuoloa  einerseits  und  Jon. 
att.  xTduü),  q)d-eio(!}  lesb.  -/.lifvoi,  cpO^ioooi  andererseits  anbetrifft,  so  verweise 
ich  auf  die  Darlegungen  in  den  griechischen  Grammatiken  von  G.  Meyer, 
Brugmann  und  Hirt.  Das  Griechische  gibt  keinen  Anhalt  für  die  erstrebte 
Scheidung,  für  die  also  nur  das  Baltische  und  das  Slavische  allein  übrig 
bleiben.  Und  hier  ist  doch  sehr  auffällig,  dass  diese  Sprachen,  die  j  und  i  im 
Inlaut  so  streng  scheiden  sollen,  im  Anlaut  diesen  Unterschied  so  ganz  ver- 
wischt haben:  es  heissty«s2M,  po-jas'b  :  gr.  Cf^airiq  und  Jimgas,  igo  :  gr.  Cvyov 
genau  so  wie  Ja,  Jdni,  Jame,  s].Jego,jemu,jemb  :  gr.  o;.  Aus  dem  Slav.  werden 
für  idg.  i  namentlich  angaführt  die  Fälle  wie  abg.  byvaasi,  s^hiraat^,  razumeaH 
neben  byvajesi,  s^hirajet^,  razumejeH.  Ja,  soll  man  denn  wirklich  annehmen, 
dass  bei  diesen  Verben  noch  im  Altbulgarischen  die  Formation  mit  idg.  t 
neben  der  mit  idg.j  herlief?  Sind  denn  wirklich  die  Fälle  wie  i>%hiraaU  sicher 
urslavisch?  Die  weitaus  grössere  Wahrscheinlichkeit  ist  doch  wohl,  dass 
s^hlraati,  auf  abg.  Boden  aus  szhirajei^  entstanden  ist,  ebenso  wie  der  gleiche 
Vorgang  sich  im  Laufe  der  Geschichte  in  mehr  oder  weniger  grosser 
Ausdehnung  auf  einzelsprachlichem  Boden  abspielt:  so  in  grr.  Dialekten 
z.  B.  im  Bezirk  Kasimov  (Gouv.  Rjazan)  aÖMipaiu'B,  CKynä,  paööiyTi.,  TpcöyT-B 
aus  gemeinr.  grr.  oÖMipaeiuB,  cKy^äext,  paööraiOTi.,  TpioyioTX  (Budde,  Kt>  ^ia- 
jieKTOjroriH  BejuKopyccKHxt  Hapiiiii,  Bapuiaca  1892,  125)  und  in  den  klr.  Berg- 
dialekten; cniBaiuB,  cniBaTt,  cniBaMe  aus  gemeinklr.  cniBaeuiL,  cniBa6(T'i.), 
cnieaeMO  u.  s.w.  Die  gleiche  Erscheinung  findet  sich  auch,  wie  bekannt,  im 
aksl.  bestimmten  Adjektivum  dohraago  neben  äohrajegn,  dobruumu  neben 
dobrujemu  u.  s.w.  Iin  Baltischen  aber  fehlt  in  diesen  Formen  nie  dasj,  es  heisst 
immer  lit.  büHoJo,  geraijai  u.  s.  w.,  so  dass  man  also  annehmen  müsste,  dass 
das  Slav.  hier  die  i-Formen,  das  Balt.  die /-Formen  überkommen  habe. 

Aus  allen  diesen  Gründen  kann  ich  nicht  zugeben,  dass  die  Anhänger 
der  Hypothese  von  der  verschiedenen  Behandlung  des  idg.  i  und  /  im  Inlaut 
diese  ihre  Ansicht  wahrscheinlich  gemacht,  geschweige  denn  bewiesen  haben; 
und  ehe  dies  nicht  mit  ausführlicher  und  überzeugender  Begründung  ge- 
schehen ist,  kann  ich  die  lit.  Formen  wie  laikaü,  sitkau,  ariaü  nur  auf  *laikä-u, 
*sukä-u,  *are-u,  nicht  aber  nui  *laikäiu,  *sukäi>i,  *arcj^u  zurückführen.  Was  die 


PorzczlnskiJ,  Conjugation  in  den  balt.  Sprachen,  angez.  von  Berneker.      495 

geschleifte  Betonung  des  o  und  e  von  läiko,  sitho,  an'  betrifft,  so  erklärt  sie 
sich  ebenso  befriedigend  aus  dem  Ansatz  eines  *laikä-a,  *sulü-a,  *are-a  wie 
aus  dem  eines  *laikä-xa,  sukä-^a,  *are-ia. 

Gehen  wir  nun  auf  P.'s  weitere  Darlegungen  ein,  S.  136  fF.  Die  Stämme 
auf  ä"  zerfallen  in  zwei  Klassen :  die  eine  hat  im  Inf.  ä",  die  andere  l  [züiaü, 
zinöti  —  sakaü,  saki'/ti].  Beide  unterscheiden  sich  auch  der  Bedeutung  nach  ; 
erstere  hat  im  Lit.  »intensiv-durative«  Bedeutung,  während  im  Le.  die  Verba 
auf-2<  :  -dt  als  iterative  und  denominative  erscheinen;  die  zweite  tritt  theils 
in  iterativer,  theils  in  kausativer  Bedeutung  auf.  Die  Yerba  mit  intensiv- 
durativer Bedeutung  erscheinen  P.  als  eine  Neubildung  des  Lit.,  da  wir  weder 
im  Le.  noch  im  Preuss.  diese  Stämme  finden;  auf  eine  Neubildung  weise  auch 
die  Längung  des  Wurzelvokals  in  diesen  Bildungen:  kyhau  neben  k'ihti,  rymati 
neben  rimti,  Ihiduu  neben  /?s<i.  Und  zwar  sei  diese  Neubildung  so  entstanden : 
>als  die  Stämme  auf  -ä"a  in  der  Form  der  Vergangenheit  die  alten  Bildungen 
dieser  Form  bei  einem  Theil  der  nichtabgeleiteten  Stämme  verdrängten,  und 
als  im  Gemeinbaltischen  die  völlige  Vermischung  der  Personalendungen  des 
Präsens  und  des  Präteritums  vor  sich  ging,  da  konnten  natürlich  die  Stämme 
auf  ä°a  sich  nicht  länger  in  der  Eigenschaft  von  Präsensstämmen  halten,  mit 
Ausnahme  der  Fälle,  wo  ein  solcher  Stamm  nicht  als  Präteritum  zu  einem 
unabgeleiteten  Verbum  gebraucht  wurde  (hierher  gehört  z.  B.  balt.  *zinä-, 
lit.  zino-,  \e. /inä-,  pr.  zinä-].  Was  geschah  nun  mit  den  übrigen  Stämmen? 
Sie  erhielten  sich  mit  einer  gewissen  Neubildung  in  der  Lautgestalt  der 
Wurzel,  sie  empfingen  nämlich  »fortdauernde«  Länge  anstatt  alter  »nicht- 
dauernder« oder  alter  Kürze  (lindau  neben  lindaü,  Prät.  zu  letidu,  und  kybau 
neben  kibaü).  Sie  blieben  erhalten  schon  aus  dem  Grunde,  weil  die  Stammes- 
form an  sich  die  besondere  Bedeutung  der  Daner  hineintrug«. 

Ich  kann  dieser  Erklärung  deswegen  nicht  beistimmen,  weil  ich  Neu- 
bildung bei  diesen  Verben  im  Litauischen  nicht  zugeben  kann.  Das  Bildungs- 
princip  dieser  »intensiv-durativen«  Verba  deckt  sich  vielmehr  so  auffällig 
mit  dem  der  slavischen  Iterativa,  wie  dies  Joh.  von  Rozwadowski,  IF.  4,  405, 
scharfsinnig  ausgeführt  hat,  noch  dazu  unter  Heranziehung  von  Parallelen 
aus  anderen  idg.  Sprachen,  dass  man  diese  Fakta  nicht  auseinanderreissen 
darf  und  die  Bildungen  wie  kyba>i,  kijboti  bei  diesem  Licht  betrachtet  viel- 
mehr einen  sehr  alten  Eindruck  machen.  P.  geht  auf  Rozwadowski's  Aufsatz 
nicht  ein,  so  dass  nicht  ersichtlich  wird,  was  er  dagegen  einzuwenden  hat. 

Wir  kommen  nun  zu  den  Verben  auf -a!<,  -yti:  badaü,  badf/ti  »mehrfach 
stechen«;  daraü, daryti  »thun«;  ganaü,  ganyti  »hüten,  weiden«  —  mit  iterativer 
Bedeutung;  und  maiszaü,  maiszyli  »mischen«,  guldaü,  guldyti  »Viegeu  machen« 
mit  faktitiver  und  kausativer  Bedeutung. 

Wie  sind  diese  Stämme  auf  u'  —  l  zu  erklären?  Leskien  fasst  sie  in 
seinem  Ablaut  442  ff.  als  denominative  auf;  P.  leugnet  dies  nicht  für  gewisse 
Fälle,  doch  sei  so  die  ganze  Masse  nicht  zu  begreifen.  Er  schliesst  sich  viel- 
mehr im  Wesentlichen  der  Ansicht  Uljanov's  (Bna^cHie  II,  236ff.)  an,  der  diese 
Verba  von  idg.  Iterativstämmen  auf  ä"/ :  t  herleitet.  (Hier  hätte  auch  wohl 
Joh.  Schmidt,  Festgruss  an  Roth,  184,  eine  Erwähnung  verdient).  Uljanov's 
Ansicht  ist  in  Kürze  folgende:  er  nimmt  nach  Bartholomae  für  die  idg.  Ur- 


496  Kritischer  Anzeiger. 

spräche  einen  Ablaut  der  Affixe  ä"j,  ä''i,  l  und  ebenso  ü''i,  u'i,  i  bei  den  itera- 
tiven Stämmen  an.  Weil  nun  die  alten  Kausativa  vermittels  des  Affixes 
ä^ja^je  gebildet  wurden,  trat  eine  gewisse  Vermischung  beider  Klassen  ein, 
die  dazu  führte,  dass  Kausativa  mit  solchen  Affixen  aufkamen,  die  ursprüng- 
lich nur  Iterativstämmen  gebührten.  »Indess  auch  bei  den  Stämmen  mit  den 
Affixen  ü"i  :  a^i :  i  waren  zwei  Klassen  zu  unterscheiden :  Stämme  mit  itera- 
tiver Bedeutung  und  Stämme  ohne  solche.  Der  formale  Unterschied  zwischen 
diesen  beiden  Stämmen  bestand  darin,  dass  die  iterativen  die  hochstufige 
Verbalwurzel  zeigen.  Die  Stämme  mit  Tiefstufe  erscheinen  in  den  Formen 
des  baltischen  Präteritums,  die  Stämme  mit  Hochstufe  existiren  fort  in  den 
iterativen  und  kausativen  Stämmen  der  baltischen  Sprachen.  Dieser  Theil 
der  Hypothese  Uljanov's  gründet  sich  auf  die  Vergleiehung  der  Fakta  des 
Balt.  und  Slav.  mit  denen  des  Griech.,  wie  die  Stämme  noxü-,  nunä-,  'Arjxtt-  . . . 
Weiter  spricht  er  folgenden  Gedanken  aus:  in  der  balt.-slav.  Sprachgemein- 
schaft verloren  die  Kausativa  ihre  Bildung  mit  dem  Affix  a^'ja"le  und  ersetzten 
es  durch  die  Affixe,  die  die  iterativen  Stämme  bildeten;  alsdann  erfolgte  eine 
gewisse  regelrechte  Vertheilung  der  verschiedenen  Affixe,  anstatt  ihres  alten 
Wechsels,  woher  im  Resultat  die  balt.  Präsensstämme  auf  -«  und  die  Prä- 
teritalstämme  auf  -e-«. 

P.  steht  principiell  auf  dem  Boden  der  Uljanov'schen  Theorie,  von  der 
er  nur  in  Einzelheiten  abweicht;  ich  lasse  seine  Ausführungen  hier  folgen : 
»Erstens,  was  Bartholomae's  Hypothese  anbetrifft,  so  nehme  ich  unter  Zu- 
stimmung zu  seiner  Erklärung  des  Wechsels  der  Affixe  ü"i :  ii'^i :  l  und 
ä^i  :  iiH  :  i  an,  dass  wir  zwei  Affixe  scheiden  müssen,  und  zwar  die  Diphthonge 
«"i  und  ä'^i  in  voller  Lautgestalt  und  die  langen  Vokale  ä"  und  ü'^  .  .  .  Wenn 
wir  beachten,  dass  die  baltischen  Affixe  ä"  und  e,  da,  wo  sie  nicht  ans  Kon- 
traktion zweier  Vokale  entstanden  sind,  auf  idg.  »fortdauernde«  Länge 
weisen,  und  dass  die  gleiche  Längenqualität  auch  in  den  Affixen  ä"  und  ä* 
bei  den  fem.  Nomina  existirte,  so  gewinnt  der  Gedanke  an  die  Identität  dieser 
Affixe  bei  den  Nomina  und  den  Verba  in  unseren  Augen  um  so  grössere 
Wahrscheinlichlceit.  Weiter,  scheint  mir,  sind  die  Linguisten  völlig  im  Recht, 
die  für  die  idg.  Ursprache  einen  Wechsel  der  Suffixe  ä  und  ät  bei  den  Nomina 
annehmen.  Die  Beziehung  zwischen  äi  und  ä  stelle  ich  mir  so  vor,  dass  ä  eine 
Lautvariante  des  Diphthonges  äi  ist,  und  zwar  verloren  Diphthonge  mit 
langem  Nasal-  (sie!  hocoboö  vÄSLcnoii,  soll  aber  wohl  czioroBofi,  d.h.  »sylbischen« 
heissen)  Vokal  unter  gewissen,  für  uns  nicht  ganz  klaren  Bedingungen  in  der 
Stellung  vor  Konsonant  in  der  idg.  Ursprache  ihren  unsylbischen  Bestand- 
theil;  so  kam  neben  dem  Diphthong  äi  im  Präsensstamm  in  der  Stellung  vor 
«thematischem«  Vokal  a"/e  im  Infinitivstamm  (und  in  etlichen  anderen  For- 
men] in  starker  Lautgestalt  ä  auf.  Was  den  Präsensstamm  betrifft,  so  existirte 
hier  im  Stammauslaut  eben  der  alte  Diphthong  äi,  der  vor  Vokal  a"/^  in  die 
Gruppe  ä  +  j,  überging,  welch  letzteres  zur  Folgesilbe  gezogen  wurde,  d.  h. 
mit  anderen  Worten,  es  existirte  hier  die  Lautgruppe  äia'^f.  Die  Wurzel 
zeigte  begreiflicher  Weise  Tiefstufe.  So  stelle  ich  mir  die  Frage  nach  den 
idg.  Stämmen  des  betrachteten  Typus  vor,  die  nicht  die  Bedeutung  der 
Iterativität  hatten.   Was  die  zweite  Klasse  der  betrachteten  Stämme  angeht, 


Porzezinskij,  Conjugation  in  den  balt.  Sprachen,  augez.  von  Berneker.     497 

nämlich  die  Stämme  mit  hochstufiger  Wurzel  und  iterativer  Bedeutung,  so 
sehe  ich  darin  eine  bestimmte  Neubildung  schon  der  idg.  Grundsprache,  die 
hier  durch  Vermischung  der  Stämme  mit  bochstufigerWurzel  und  tiefstufiger 
Gestalt  des  Suffixes  (d.  h.  t)  und  der  Stämme  mit  tiefstufiger  Wurzel  und 
hochstufiger  Suffixgestalt  (d.  h.  äi  und  ä]  entstand.  Alsdann  empfingen  diese 
Neubildungen  eine  besondere  Bedeutung  und  trennten  sich  schliesslich  von 
den  Stämmen  des  ersten  Typus,  die  überall  die  Tiefstufengestalt  durchgeführt 
hatten.  So  bleibt  noch  übrig  zu  erklären,  warum  bei  den  betrachteten  Stäm- 
men wir  in  der  hochstufigen  Gestalt  den  Vokal  a"  der  Reihe  a*" :  o",  und  theils 
auch  die  sogenannte  Dehnstufe  finden.  Die  Antwort  auf  diese  Frage  kann 
ich  einstweilen  nicht  geben,  da  für  mich  überhaupt  die  Bedingungen  für  die 
Entstehung  des  Ablautes  a°  :  a"  sowie  auch  der  Dehnstufe  vorläufig  unklar 
sind.  —  Nun  bleibt  mir  noch  übrig  zu  sagen,  wie  ich  mir  die  Entstehung  der 
kausativen  Stämme  des  betrachteten  Typus  in  den  baltischen  Sprachen  vor- 
stelle. Die  Meinung  Uljanov's  kann  ich  in  ihrem  Ganzen  nicht  annehmen,  da 
mir  die  Möglichkeit  einer  Vermischung  der  beiden  Stammestypen,  wobei  die 
Aehnlichkeit  der  Suffixe  a''ia°/'^  und  ä'ja"/''  (alte  Kausative)  die  vermittelnde 
Rolle  spielte,  wenig  wahrscheinlich  vorkommt.  Mir  scheint,  die  Sache  ging 
so  vor  sich:  das  Bindeglied,  welches  die  Vermischung  der  iterativen  und  der 
alten  kausativen  Stämme  hervorrief,  und  sodann  die  völlige  Verdrängung  der 
letzteren  in  der  gemeinbaltischen  Sprache,  war  die  Aehnlichkeit  in  der  Be- 
ziehung, dass  die  eine  wie  die  andere  Klasse  der  Stämme  als  tiefstufige  Laut- 
gestalt des  Suffixes  den  Vokal  i  besass  (kurz  und  lang  bei  den  Kausativen). 
Dadurch  erklärt  sich  auch  die  Beziehung  der  Kausativa  zu  den  Bildungen 
auf  -t/Jii,  vgl.  Grdr.  II,  1143  ff.<.. 

Ich  habe  geglaubt,  die  Ausführungen  P.'s  über  die  Verba  -au  :  -yti  ver- 
botenus  geben  zu  müssen,  da  sie  schon  an  sich  so  knapp  gehalten  sind,  dasa 
sie  einen  Auszug  nicht  mehr  vertragen  hätten.  Ich  muss  gestehen,  dass  mir, 
wohl  infolge  dieser  Knappheit,  in  der  dargelegten  Entwickelung  vieles  nicht 
klar  geworden  ist.  Vor  allem  vermisse  ich  jegliches  Eingehen  auf  die.  sla- 
vischen  Verhältnisse.  Es  ist  doch  unmöglich,  die  Geschichte  eines  lit.  vartaü, 
carti'/ti,  le.  tcar'tit  von  der  des  slav.  vrastq,  vratiti  zu  trennen  I 

Sodann  ist  es  P.  entgangen,  dass  im  Altlitauischen  (und  noch  heute  in 
ostlitauischen  Dialekten)  bei  den  Verben  auf  -au,  -ijti  eine  Flexion  vorkommt, 
die  mit  der  slav../o-Flexion  der  entsprechenden  Verba  zu  vergleichen  ist  (er 
kommt  nur  im  Vorübergehen  an  anderer  Stelle,  S.  121,  mit  sehr  unwahr- 
scheinlicher Erklärung  darauf  zu  sprechen).  Beispiele  bei  Uljanov  (SuaieHie 
I.  57):  bei  Szyrwid  pudziu  üir  püdau,  zudzia  für  zudaü,  ziido;  giesiu  für  gesaü, 
rndziu  für  rödau  u.a.m.  Zubaty,  der  mich  in  gewohnter  Güte  darauf  hinweist, 
hat  noch  weit  mehr  Material ;  hoffentlich  enthält  er  es  uns  nicht  lange  Vor. 
Diese  Erscheinung  ist  doch  kaum  anders  zu  deuten,  als  dass  hier  im  älteren 
Litauischen  noch  eine  der  alten  idg.  Iterativ-Kausativflexion  auf  -4j,ö  wenig- 
stens relativ  genauer  entsprechende  Konjugationsart  vorliegt,  rodzu,  r6dyti  = 
sl.  razdq,  raditi,  wofür  heute  rödau,  rödyti  erscheint. 

So  möchte  ich  doch  stark  daran  zweifeln,  dass  der  Typus  -au,  -yti  ein 
Erbstück  aus  dem  Idg.  darstellt.    Man  vergleiche  le.  bradät  hin  und  her  wa- 

Archiv  für  slavische  Philologie.     XXV.  32 


498  Kritischer  Anzeiger. 

tan  :  sl.  hroditi;  wadät  liin  und  her  führen  :  sl.  voditi,  icafät  schleppen  :  sl.  vo- 
ziii^  nesiit  hin  und  her  tragen  :  sl.  nositi  einerseits,  und  le.  dirdt  schinden  :  sl. 
diraii,  tekät  »laufen,  fliessen«  :  sl.  tckati  andererseits.  Und  wenn  nun  einem 
slav.  metati  in  gleicher  Bedeutung  im  Le.  metät,  im  Lit.  aber  mütau,  metyti 
entspricht,  soll  man  dann  wirklich  nicht  auf  den  Gedanken  kommen,  dass  wir 
in  der  Flexion  von  metau,  metyti  eine  Verschmelzung  der  ä-  und  der  ?-For- 
mation  erst  auf  baltischem  Boden  vor  uns  haben  ?  Ich  kann  diese  Vermuthung 
im  Rahmen  dieser  Recension  leider  nicht  so  ausbauen,  dass  sie  überzeugende 
Kraft  ererhält;  natürlich  müssten  alle  Kausativ-  und  Iterativbildungen  und 
-flexionen  der  idg.  Sprachen  dazu  herangezogen  werden  (wichtig  scheinen  mir 
namentlich  die  gr.  Verba  vwfxäw,  Tgionono,  to^xcoo,  ncoTccof^ai,  Hirt,  Gr. 
Gr.  387).  Jedenfalls  muss  ich  nochmals  betonen,  dass  mich  die  Ausführungen 
P.'s  zur  Erklärung  der  «w-y- Verba  aus  idg.  Stämmen  auf  äi :  l  nicht  über- 
zeugt haben. 

Im  Folgenden  bespricht  P.  (S.  142)  die  Verba  auf  äja,  5Ja,  ej'a,  ija,  auj'a 
u.  a.,  in  denen  er,  wie  oben  auseinandergesetzt,  Bildungen  mit  idg.  j  sucht. 
Bei  den  Verben  auf  -äja  (wie  päsakoju'}  bemerkt  er,  dass  nicht  alle  diese  Bil- 
dungen denominativ  seien.  »Was  die  Bedeutung  der  Iterativität  betrifft,  so 
berühren  sich  diese  Bildungen  (wie  z.  B.  lit.  globoti  fortgesetzt  umarmen)  mit 
den  behandelten  Stämmen  auf  äa  :  j,  und,  mir  scheint,  sie  stehen  mit  ihnen 
auch  ihrer  Herkunft  nach  in  Verbindung,  und  zwar  sehe  ich  in  ihnen  Stämme 
auf  idg.  ä'l^'a°r,  welches  eine  Lautvariante  zu  idg.  rfiaPj''  darstellt,  d.  h.  ich 
glaube,  dass  idg.j  hier  aus  i  unter  gewissen  phonetischen  Bedingungen  ent- 
standen ist,  und  nach  meiner  Meinung  besteht  überhaupt  ein  unleugbarer 
Zusammenhang  in  der  Entstehung  dieser  Laute  in  gewissen  Fällen«.  Ja, 
wenn  das  so  ist,  dann  verlieren,  wir  doch,  scheint  mir,  vollends  allen  Boden 
unter  den  Füssen  bei  der  Unterscheidung  von  idg.y  und  i  im  Inlaut!  Da  ist 
es  doch  wirklich  einleuchtender,  in  den  Verben  auf  -au  von  Haus  aus  athe- 
matische, und  in  den  Verben  wie  glohöju  von  Haus  aus  -^o-Flexion  anzuneh- 
men, wie  es  bisher  ein  grosser  Theil  der  Sprachforscher  gethan  hat,  derart, 
dass,  ursprünglich  promiscue  gebraucht,  hier  die  eine,  dort  die  andere  durch- 
geführt worden  ist. 

Auch  bei  den  Verben  auf  -m/m,  -üti  und  -eju,  -Hi  erschwert  die  Annahme 
eines  Suffixes  -jo-  neben  -io-  die  Verständigung  mit  F. ;  einleuchtend  dagegen 
ist,  was  S.  147  ff.  über  die  Verba  auf  -ineti,  -inöti,  le.  -inät  gelehrt  wird; 
ebenso  über  die  Verba  auf  -ya  (da  nach  i  nach  Fortunatov's  und  P.'s  Ansicht 
i  überhaupt  zuj  werden  musste) ;  bei  den  Verben  auf  -auju  stimmt  er  im  All- 
gemeinen Brugmann  (Grdr.  II,  1133)  zu. 

Die  Verba  auf  -tereti,  -teleti  sind  jetzt  durch  Leskien's  Abhandlung 
»Schallnachahmungen  und  Schallverba  im  Litauischen«,  IF.  13,  165,  in  ein 
neues  Licht  gerückt. 

Eine  kurze  Uebersicht  über  die  athematischen  Verba  im  Baltischen 
S.  156 — 159)  beschliesst  den  langen  ersten  Theil  des  dritten  Kapitels. 

Der  zweite  Theil  bringt  eine  kurze  Rekapitulation  über  die  im  Wesent- 
lichen schon  bei  den  Personalendungen  abgehandelte  Bildung  des  Futurums. 
Der  dritte  Abtheil  bringt  auf  drei  Seiten  etwas  summarisch  die  Bildung  der 


Porzezinskij,  Conjiigation  in  den  balt.  Sprachen,  angcz.  von  Beineker.     499 

Präteritalstämme,  über  die  man  trotz  Wiedemanns  trefflicher  Monographie 
gern  noch  mehr  hören  würde. 

Wichtig  ist  hier  die  Ansicht  Fortunatov'a  von  der  ursprünglichen  Ver- 
theilung  der  Suffixe  r  und  ri"  im  Präteritum  der  Stämme  mit  dem  Präsens- 
suffix «7":  starkstufige  Wurzel  hat  <",  tiefstufige  ä";  und  zwar  ist  diese  Ver- 
theilung  schon  urbaltischslavisch.  Xg].\\t.nesze,  vedc,  käsr  mit  ahg. nese-achz, 
vede-acho,  moza-acho,  und  lit.  lipo,  hüvo  mit  abg.  zbda-acho.  susa-acho. 

Der  vierte  Theil.  die  Bildung  der  Modusstämme,  verheisst  die  Behand- 
lung des  lit.-le.  Optativ-Kouditionals  in  der  Fortsetzung  des  Werkes,  wo  über 
die  Herkunft  der  zusammengesetzten  Stämme  im  Baltischen  gehandelt  wer- 
den wird. 

Und  so  stehen  wir  am  Ende  unserer  Wanderung  durch  das  Gebiet  des 
baltischen  Verbalbaues  unter  Porzezinskij's  sachkundiger  Führung.  Wenn 
es  uns  auch  manchmal  scheinen  will,  als  hätte  er  uns  hier  einen  Irrweg,  dort 
nicht  den  geradesten  Weg  geführt,  im  Ganzen  können  wir  doch  sagen,  wir 
sind  weitergekommen,  als  wir  am  Anfang  waren,  und  das  bedeutet  auf  diesem 
schwierigen  Gelände  nicht  wenig.  Ich  scheide  von  dem  Buche  meines  lieben 
Freundes  mit  dem  Wunsche,  er  möge  uns  bald  den  zweiten  Theil,  den  er  in 
der  Vorrede  in  Aussicht  stellt,  schenken! 

Smichow  bei  Prag,  December  1902.  E.  Bemeker. 

Zusatz  zu  S.  4S2. 

Mikkola  kommt  jetzt  in  einem  Aufsatz  »Baltisches  und  Slavisches« 
(Finska  Vetenskaps-Societetens  Förhandlingar  XLV.  1902 — 3.  Nr.  4)  zu  dem 
Ergebniss:  »So  finden  wir  überhaupt  kein  sicheres  Beispiel  von  den  vermeint- 
lichen Neutra  auf  -n»  im  Preussischen«.  Und  zwar  hält  er  lahhan  im  Enchiri- 
dion  für  ein  Instrumentaladverbium,  die  Nom.  Sg.  auf  -an  im  Elbinger  Voca- 
bular  für  Accusative  Sg.  msc.  oder  fem.  und  die  Diminutiva  von  Thiernamen 
auf  -ian  für  Entlehnungen  aus  dem  Ostseewer.dischen.  Gern  will  ich  ihm  zu- 
geben, dass  unter  den  Formen  auf  -an  im  Vocabular  auch  Accusativformen 
vorliegen.  Doch  darf  man  nicht  gleich  das  Kind  mit  dem  Bade  ausschütten. 
Es  wäre  doch  höchst  sonderbar,  wenn  wir  nur  zufällig  in  der  überwiegenden 
Mehrzahl  von  Fällen,  wo  wir  in  üebereinstimmung  mit  anderen  Sprachen  das 
Neutrum  erwarten,  die  -a«- Formen  fänden.  So  zu  den  oben  gegebenen  Bei- 
spielen Voc.  295  kelan  »Rad«  (und  321  malunakelan  (sollte  das  Zufall  sein!) 
»Mühlrad«  :  an.  huel  n. ;  288  pamiean  »Moosbruch«  (i.  e.  paniaii]  :  got.  fani n. 
Koth;  384  piicatnaltan  »Malz«  :  p.  7nMo;  weiter  das  idg.  Suffix  -tlom  in  150 
spertlan  »Zehballe«,  547  piicdan  »Sichel«.  687  «fat/a«  »Milch«  entspricht  ai. 
dädkin.,  695  »Kobilmileh«  wird  durch  das  darauf  bezügliche  Neutrum  des 
Adj.  aswinan  gegeben.  Und  was  sollen  endlich  die  Farbenbezeichnungen 
460 — 68  kirsnan,  syican,  golimhan,  wormyan,  gelati/nan,  cucan,  maysotan,  roahan, 
saligan  anderes  sein  als  Neutra?  Ich  muss  daher  nach  wie  vor  an  der  Ansicht 
festhalten,  dass  das  Preussische  des  Elbinger  Vocabulars  noch  Neutra  auf  -an 
besessen  hat. 

Mai  1903.  E.  B. 


500 


Kleine    Mittheilungen. 


Wilhelm  Wollner  f. 


4fri:iin-<^ 


Am  H.Dezember  1902  starb  in  Leipzig 
Wilhelm  Wollner  nach  kurzer  heftiger 
Krankheit.  Wollner  ist  1851  in  Moskau  ge- 
boren, kam  mit  elf  Jahren  nach  Deutsch- 
land, besuchte  das  Wilhelmsgymnasium  in 
Berlin  und  studirte  von  1874  —  1879  in 
Leipzig,  wo  er  1879  promovirte  und  sich 
1886  an  der  Universität  als  Privatdozent 
habilitirte;  1890  wurde  er  ausserordent- 
licher Professor.  Seine  erste  grössere 
Schrift:  »Untersuchungen  über  die  Volks- 
epik der  Grossrussen«  (Leipzig  1879)  wurde 
mit  Beifall  aufgenommen.  Wollner  zeigte 
schon  darin  seine  grosse  Kenntniss  der 
Volkspoesie  und  seine  Befähigung  zur  Be- 
handlung der  in  ihr  liegenden  Probleme. 
Eine  Reihe  von  Jahren  beschäftigte  er  sich 
mit  der  Volksliteratur  nicht  bloss  aller 
slavischen,  sondern  in  umfassender  Weise  auch  vieler  anderer  Völker.  Ein 
Resultat  dieser  Studien  war  die  vortreffliche  Abhandlung:  »Der  Leonoren- 
stoff  in  der  slav.  Volkspoesie«  (Arch.  VI).  Vielfach  wurde  seine  Beherrschung 
dieses  Gebietes  von  anderen  Gelehrten  in  Anspruch  genommen;  so  schrieb 
er  zu  den  »Litauischen  Volksliedern  und  Märchen,  gesammelt  von  Leskien 
und  Brugmann«  (Strassburg  1882)  die  umfangreichen  und  werthvollen  ver- 
gleichenden Anmerkungen,  begleitete  »The  English  and  Scottish  Ballads  ed. 
by  Fr.  J.  Child«  (Boston  1882)  ebenfalls  mit  solchen,  und  schrieb  die  Einlei- 
tung zu  »The  Vision  of  Mac  Cougliaue  ed.  by  Kuno  Meyer«  (London  1892). 
Wollner's  Neigung  ging  nicht  nach  der  grammatischen,  sondern  nach  der 
literarhistorischen  Seite  der  Philologie,  und  so  fasste  er  vor  Jahren  den  Plan 
einer  Geschichte  der  russischen  Litteratur.  Zu  deren  Bearbeitung  war  er  be- 
sonders befähigt  durch  eindringendes  Studium  der  russischen  Geschichte 
und  Kultur,  durch  eine  bewundernswerthe  Kenntniss  der  deutschen,  englischen 
und  französischen  Litteratur,  durch  feinen  Geschmack  und  kritisches  Urtheil. 
Aus  den  umfangreichen  Vorarbeiten  hat  ihn  der  Tod  hin  weggenommen. 

A.  Leshien. 


Die  niittelalterUclie  Kanzlei  der  Kagusauer. 


hatten , 
bildeten 


In  den  Städten  Dalmatiens. 

^ß"^!^.,^  welche  römischen  oder  spätrömi- 

j^  ^\  sehen  Ursprungs  waren,  bedienten 

m       ^^i^tS  ^^^^  ^^^  Gemeinden  im  Mittelalter 

W    *^^^l^  bei  der  Abfassung  ihrer  Urkunden 

und  öffentlichen  Bücher  der  latei- 
nischen Sprache  und  ihrer  jünge- 
ren I'ormen.  So  war  es  auch  in 
Ragusa.  Die  Aufnahme  slavischer 
Elemente  erfolgte  zu  allmählich, 
um  eine  Strömung  gegen  das  La- 
tein im  ürkundenwesen  herbei- 
führen zu  können  2j.  Die  Ansiede- 
lung von  zahlreichen  Neubürgern 
im  XIV.  und  XV.  Jahrh.  während 
des  grössten  Aufschwunges  der 
^^CCß^KL^  Stadt  fällt  in  eine  Periode,  wo  die 
Altbürger,  welche  alle  Regierangs- 
gewalt in  den  Händen  behalten 
als  Nobilität  bereits  eine  abgeschlossene,  herrschende  Classe 
Amtliche  Schriftstücke  in  slavischer  Sprache  aus  dem  Mittel- 


1)  Diese  Abhandlung  ist  im  Anfang  des  J.  1892  geschrieben  worden  und 
•either  durch  zehn  Jahre  ungedruckt  geblieben,  da  sich  das  Material  bei  jeder 
späteren  archivalischen  Arbeit  in  Ragusa  vermehrte.  Ich  Übergebe  sie  der 
Oeflfentlichkeit,  obwohl  Ich  ihre  Lücken  gut  kenne.  Die  Serie  der  slavischen 
Kanzler  ist  bis  15.50  vollständig;  weiter  habe  ich  sie  bisher  nicht  verfolgen 
können.  Die  Serie  der  lateinischen  Kanzler  ist  vollständig  bis  ca.  1400;  weiter 
gebe  ich  nur  das,  was  Ich  bisher  gesammelt  habe. 

2)  Ueber  diese  ethnographischen  Fragen  vgl,  meine  Abhandlung:  Die 
Romanen  in  den  Städten  Dalmatiens  während  des  Mittelalters,  L  Theil,  Denk- 
schriften der  phil. -bist.  Classe  der  kais.  Akademie  der  Wissenschaften,  Bd.  48 
(Wien  1902;. 

Archiv  für  slavische  Philologie.    XS.V.  33 


502  C.  Jirecek, 

alter  bilden  gegenüber  der  Masse  der  anderen  in  dem  gewaltigen  erhal- 
tenen Material  der  Archive  stets  nur  eine  Ausnahme.  Man  machte  diese 
Ausnahme  zur  Erleichterung  des  Verkehrs  mit  den  Nachbarn  und  für 
den  Gebrauch  der  weniger  Gebildeten  unter  den  nichtadeligen  Bürgern 
»de  populo«.  Auch  die  wachsende  Slavisirung  seit  1500  änderte  nichts 
an  den  traditionellen  Institutionen. 

In  Ragusa  blieben  die  Verhältnisse  in  diesem  Zustande  bis  zum 
Fall  der  Republik  im  J.  1808.  Die  Rathscollegien  berathschlagten  im 
localen  romanischen  Patois  oder  später  in  einem  reinen  Italienisch;  die 
Kanzler  schrieben  die  Instructionen  und  diplomatischen  Correspondenzen 
italienisch,  die  Rathsprotokolle  und  die  Verträge  lateinisch.  Die  Proto- 
kolle des  Consilium  Rogatorum  sehliessen  lateinisch  am  ll.October  1807 
»indictione  romana  Xma«,  die  »Libri  Maioris  Consilii«  am  28.  Jänner 
1808  mit  der  »Electio  Illustrissimi  et  Eccmi  Rectoris«  Math.  Nie.  de 
Ghetaldis  für  den  Februar,  der  aber  nicht  mehr  antrat,  die  »Libri  Mi- 
noris  Consilii«  unter  der  französischen  Herrschaft  am  22.  August  1809 
gleichfalls  in  lateinischer  Sprache  i). 

Die  Jahrhunderte  lange  Oberhoheit  des  byzantinischen  Reiches 
über  die  Städte  Dalmatiens  hat  nicht  zur  Abfassung  von  Documenten  in 
griechischer  Sprache  geführt.  Die  erhaltenen  Urkunden  der  byzantini- 
schen Periode  sind  lateinisch  verfasst;  spätgriechische  Documente  und 
Inschriften,  etwas  Analoges  den  unteritalischen  und  sicilischen  Denk- 
mälern, hat  man  in  Dalmatien  bis  jetzt  nicht  gefunden.  Es  fehlten  in 
den  dalmatinischen  Stadtbevölkerungen  aber  auch  die  griechischen 
Volkselemente,  welche  in  den  Dialecten  von  Unteritalien  und  Sicilien 
zahlreiche  Spuren  hinterlassen  haben,  abgesehen  von  einigen  heute  noch 
von  Griechen  bewohnten  Dörfern  bei  Otranto. 

Die  griechische  Schrift  war  aber  in  Dalmatien  einmal  wohlbekannt. 
In  Neapel,  Bari  und  anderen  Städten  des  südlichen  Italien  haben  sich  in 
diesen  Jahrhunderten  viele  Zeugen  auf  lateinischen  Urkunden  griechisch 
oder  wenigstens  mit  griechischen  Schriftzeichen  unterschrieben.  Etwas 
Aehnliches  mag  auch  in  Dalmatien  mitunter  vorgekommen  sein.  Die 
älteste  Urkunde  von  Ragusa  ist  die  Stiftungsurkunde  der  Benediktiner- 
abtei auf  der  Insel  Lacroma,  datirt  »temporibus  sanctorum  imperatornm 


ij  Ueber  die  Aufhebung  der  Republik  Ragusa  durch  den  französischen 
Marschall  Marraont  am  31.  Jänner  1808  vgl.  meine  Studie:  Poselstvi  republiky 
dubrcynicke  k  cisaiovne  Katerine  II.  v  1.  1771 — 1775,  Frag  1893,  S.  92  (Roz- 
pravy  ceske  akademie,  tiida  I,  rocnik  II,  cislo  2). 


Die  mittelalterliche  Kanzlei  der  Ragusaner.  503 

Basilii  et  Constantinitf,  ind.  VI^  unter  der  langen  Regierung  Basillos  II. 
976 — 1025  wiederholt  sich  die  Vl.Indiction  viermal,  in  den  Jahren  OTS, 
993,  1008,  1023.  Die  Urkunde  ist  nur  in  Copien  erhalten,  darunter  eine, 
die  vor  dem  Comes,  dem  Erzbischof  und  anderen  Zeugen  vom  Notar 
Presbyter  Pascalis  im  J.  1229  geschrieben  wurde.  Pascalis  copirte  eine 
der  Unterschriften  in  folgender  Art :  »f  i\aHiipf3H  fil.  Andree  Saraca«  ^). 
Die  Schrift  ist  ohne  die  zwei  vorletzten  Buchstaben  eine  Unciale,  die 
man  für  cyrillisch  halten  könnte.  Der  sechste  Buchstabe  sieht  aus 
wie  ein  russisches  rechts  umgewendetes  n,  wohl  nur  ein  verstümmeltes 
e  der  griechischen  Minuskel.  Der  siebente  Buchstabe  sieht  einem  arabi- 
schen Neuner  ähnlich ;  es  ist  wohl  ein  'C  der  Minuskel,  dessen  abgerun- 
deter oberer  Theil  sich  links  geschlossen  hat.  Lautlich  ist  die  Form 
Lanprezi  nicht  ungewöhnlich;  vgl.  «domus  que  fuit  Lampresij  de  Ba- 
lisclauatf  in  den  Diversa  Cancellarie  1313  von  Ragusa  und  die  Familie 
Lamprezo  (de  Lampredio)  in  Zara^).  Eine  zweite,  nicht  datirte  Copie 
der  Urkunde  von  Lacroma  im  Archiv  von  Ragusa,  geschrieben  auf  Per- 
gament in  langobardischer  Schrift,  hat  an  dieser  Stelle  die  Unterschrift: 
»Ego  lampredi  fil.  dni  andre  testis  sum«.  Den  vor  diesem  Lampridius 
unmittelbar  vorangehenden  Namen  hat  Notar  Pascalis  1229  nicht  mehr 
entziffern  können  und  ihn  nur  mit  zusammenhangslosen  Buchstaben 
wiedergegeben:  »f  Ego  kpbnfulkxfdpupxpfb  tts  fx  (testis  sum)«.  Man 
könnte  an  lyvj  y.vQ  und  bei  dem  xp  zu  Ende  an  leiqi  denken,  nach  der 
in  Unteritalien  mitunter  üblichen  Formel:  (.laQTVQÜv  VTviyqaipa  löia 
'/itül  oder  oiyieia  %ELqi.  Die  erwähnte  zweite  Copie  hat  an  dieser 
Stelle:   »Ego  buzini  fil.  dom.  sisinni  testis  sum«  3]. 

Die  von  den  byzantinischen  Kaisern  den  einzelnen  Städten  Dal- 
matiens  gegebenen  Privilegien  waren  natürlich  in  griechischer  Sprache 
verfasst.  In  Ragusa  sind  die  Kaiserurkunden  des  XII.  Jahrb.  nur  mehr 
aus  den  Auszügen  in  den  Chroniken  des  Gondola  und  Resti  bekannt. 
Erhalten  haben  sich  die  Urkunden  der  Despoten  von  Epirus  aus  dem 
XIII,  Jahrh.  und  einige  Privilegien  aus  den  letzten  Jahren  des  christ- 


1)  Kukuljevic,  Codex  diplomaticus  regni  Croatiae,  Dalmatiae  et  Slavo- 
[niae  I  (Agram  1874)  103  hat  /\aMnpE3H. 

2)  Vgl.  meine  Romanen  in  Dalmatien  II,  41 — 52  (Artikel  Lampridius). 

3)  Merkwürdiger  Weise  haben  nur  3 — i  Unterschriften  der  Urkunde  in 
ider  Mitte  der  Reihe  diese  Formel:  »Ego  ....  testis  sum«;   alle  anderen  be- 
ginnen mit  den  Worten:  »Signum  manus ». 

33* 


504  C.  Jirecek, 

liehen  Kaiserthums  von  Constantinopel  ^).  In  Spalato  ist  eine  Urkunde 
des  Kaisers  Manuel  Komnenos  von  1180  über  die  Besitzungen  des  dor- 
tigen Erzbisthums  bekannt,  aber  nur  aus  einer  lateinischen  Uebersetzung, 
gedruckt  bei  Lucius,  Farlati  und  Kukuljevic.  Die  Unterschrift  des 
Kaisers  auf  dem  jetzt  verschollenen  Original  oder  auf  einer  anderen  Ur- 
kunde desselben  ist  in  einer  Copie  auf  uns  gekommen.  In  einem  Perga- 
mentcodex der  Chronik  des  Archidiaconus  Thomas  von  Spalato  (7  1268), 
geschrieben  in  langobardischer  Schrift  und  verwahrt  im  Archiv  des 
Domkapitels  von  Spalato  2],  ist  sie  auf  der  Vorderseite  des  letzten  Blattes 
abgezeichnet  in  Uncialschrift :  MaHoy"'^  *H  X'W  tw  *w  |  mcTOC 
(Ligatur  für  ar)  KacHAfirc  nop(J>rporfHH|TOC  [vr]  als  Ligatur)  0  ko- 

MHHHOC  i  Kai  ai'TOKpaTlVp  piUMailVH  1  0  KOMHHHOC.  Es  ist  die 
bekannte  Formel:  MavovrjX  tv  XQiorip  tco  S-ei;}  niarbg  ßaotXBvq 
•/.al  avTOvtQdrcoQ  'Pcof^iaitov  b  Ko^uvrjvög,  nur  ist  der  Name  6  Kofivi]' 
v6g  vom  Abschreiber  irrthttmlich  zweimal  wiederholt  worden,  das  erste 
Mal  an  unrichtiger  Stelle  ^). 

Seit  dem  XIII.  Jahrh.  wurden  bei  dem  Aufschwung  der  Handels- 
verbindungen mit  dem  Binnenlande  eigene  Kanzler  für  slavische  Corre- 
spondenz  unentbehrlich.  Es  gab  solche  Schreiber,  Notare,  Kanzler  und 
Dolmetscher  in  allen  Städten,  aber  am  vollständigsten  war  dieses  Amt 
entwickelt  in  Ragusa,  wo  sich  auch  seine  Geschichte  am  besten  ver- 
folgen lässt. 

Es  sind  also  in  Ragusa  zwei  Kanzleien  näher  zn  untersuchen,  die 
lateinische  und  die  slavische. 


1)  Ueber  die  Beziehungen  zwischen  Byzanz  und  Ragusa  vgl.  einige  Be- 
merkungen in  meiner  Abhandlung:  Die  Bedeutung  von  Ragusa  in  der  Han- 
delsgeschichte des  Mittelalters,  Wien  1899,  S.  31—33  und  Ann).  83—88  (SA. 
aus  dem  Almanach  der  kais.  Akademie  der  Wissenschaften,  49.  Jahrg.,  1899). 

2)  Dr.  Isidor  Krsujavi,  Zur  Historia  Salonitana  des  Thomas  Archidiaco- 
nus von  Spalato,  Agram  1900  (kroatisch  im :  »Vjestnik  kr.  hrvatsko-slavonsko- 
dalmatinskog  zemaljskog  arkiva«,  Bd.  II,  Agrara  1900),  S.  4  hält  diese  Hand- 
schrift für  ein  Autograph  des  Thomas  selbst  oder  wenigstens  für  einen  unter 
seinem  Dictat  entstandenen  Codex. 

3)  Vgl.Zachariae  von  Lingentha),  Jus  graeco-romanum  III,  497:  derselbe 
Titel  Kaiser  Manuel's  copirt  in  lateinischer  Schrift  als  »subscriptio  proprie 
manus  imperatoris«  auf  der  Uebersetzung  seines  Privilegiums  an  die  Genuesen 
1169  (über  das  Jahr,  gewöhnlich  irrig  mit  1170  angegeben,  vgl.  Heyd,  Ge- 
schichte des  Levantehandels  im  Mittelalter  I,  224). 


Die  mittelalterliche  Kanzlei  der  Ragusaner.  505 

I.  Die  lateinische  Kanzlei. 

Die  erhaltenen  Urkunden  der  dalraatinisclien  Stadtgemeinden  be- 
ginnen erst  mit  dem  X.  Jahrli.  (Zara  9 1 S).  Viele  der  ältesten  sind  nur 
mehr  in  alten  Copien  vorhanden.  Das  Material  wird  reichhaltiger  seit 
dem  XI.  Jahrb.,  in  Ragusa  erst  seit  der  Mitte  des  XII.  Jahrb.  Es  ist 
ausdrücklich  zu  bemerken,  dass  alle  diese  erhaltenen  Urkunden  bis  zum 
XIII.  Jahrb.  nur  Fragen  des  bürgerlichen  Rechtes  berühren:  Kaufund 
Verkauf,  Schenkungen,  Stiftungen  und  dgl.,  höchstens  kirchliche  Fragen 
oder  Verträge  zwischen  Stadtgemeinden.  Urkunden  strafrechtlichen  In- 
halts fehlen  vollständig. 

Die  Stadtschveiber  in  Dalmatien  waren  in  dieser  Zeit,  bis  ins 
XIII.  Jahrb.,  einheimische  Geistliche:  Subdiaconi,  Diaconi,  Presbyteri, 
Canonici,  ausnahmsweise  Avchipresbyteri  oder  Abbates,  Es  gibt  auch 
einige  Urkunden,  als  deren  Schreiber  ausdrücklich  die  Bischöfe  der 
Städte  selbst  angegeben  sind,  so  in  Zara  986,  Arbe  1018,  Cattaro  1124 
u.  s.  w.  Als  weltliche  Schreiber  sind  im  XI. — XII,  Jahrb.  bezeugt  nur 
ein  «magister  Gregorius  gramaticus«  in  Arbe  107  0  und  ein  »magister 
Gualterius,  communis  notarius«  in  Spalato  1176  — 11841). 

Es  ist  dieselbe  Erscheinung,  wie  zur  selben  Zeit  in  Italien,  wo  das 
ganze  Notariat  in  den  Besitz  der  Geistlichkeit  kam,  gegen  den  Willen 
der  weltlichen  Fürsten  2).  Auch  in  Venedig  wurden  bis  ins  XIII.  Jahrb. 
die  ötfentlichen  Acten  von  Subdiaconi,  Diaconi,  Presbyteri,  Plebani, 
domini  ducis  capellani  u.  A.  verfasst  und  geschrieben;  erst  z.  B.  1234 
finden  wir  einen  Bartholomeus  sacri  palatii  notarius,  1246  einen  Gabriel 
Paulinus,  notarius  et  ducalis  aule  eaucellarius  u.  A.  Ebenso  war  in  der- 
selben Zeit  das  geistliche  Element  unter  den  Urkundenschreibern  von 
Apulien  überwiegend.  In  den  Stadturkuuden  von  Bari  wird  der  Schreiber 
im  X. — XI.  Jahrb.  in  der  Regel  bezeichnet  als  ))Subdiaconus  et  notarius«, 
»diaconus  et  notarius«,  »clericus  et  notarius(f.    Ausnahmen  sind  selten. 


1)  Racki,  Documenta  historiae  chroaticae  periodum  antiquam  illustrantia 
'=Monumenta  spectantia  historiam  Slavorum  meridionalium,  vol.  VII),  Agram 
1877,  p.  SO.   Kukuljevic,  Codex  diplomaticus  II,  97  fF. 

-  Eine  auch  in  Italien  eingeführte  Verordnung  Karl's  des  Grossen  hat 
den  Presbytern  das  Schreiben  von  Urkunden  untersagt,  um  sie  von  dem  Amt 
der  Grafschaftsnotare  auszuschliessen,  jedoch  vergeblich;  darüber  Harry 
Bresslau,  Handbuch  der  Urkundenlehre  für  Deutschland  und  Italien,  I  (Leip- 
zig 1889)  464.  Noch  mehr  kam  das  Notariat  in  jfeistliche  Hände  in  Nordeuropa ; 
vgl.  das  engl,  clerk   aus  clericus)  Schreiber,  Secretär. 


506  C.  Jirecek, 

z.  B.  939  Sikenolfus  notarius  f.  qd.  Ursi,  Adelchis  notarius,  Ursengaräo 
notarius,  957  Nikiforus  protocancellarius  f.  q.  Johanni  de  civitate  Vari, 
1039  Rodostomus  notarius,  1089  Nikiforus  protonotarius  u.  A.  i).  Erat 
im  XII.  Jahrh.  wächst  in  den  apulischen  Städten  die  Zahl  weltlicher 
Notare.  Dasselbe  Ueberwiegen  geistlicher  Elemente  ist  auch  im  byzan- 
tinischen Reiche  zu  beobachten,  sowohl  bei  den  zunftmässig  organisirten 
TaßovXccQiOL  (tabelliones),  als  bei  den  von  der  Staatsbehörde  ernannten, 
höher  stehenden  rof-iiy-ol.  Sie  bezeichnen  sich  meist  selbst  als  leQelg 
oder  KlrjQizol,  obwohl  diese  nichtkirchliche  Beschäftigung  von  Geist- 
lichen, wie  Zachariae  von  Lingenthal  bemerkt  2),  mit  den  Vorschriften 
des  kanonischen  Rechtes  kaum  harmonirt.  Der  Zusatz  Tfjg  ETtta^OTtrjg 
oder  rfjg  (.trirgoTtölscog  bei  Vielen  zeigt,  dass  sie  zum  Theil  von  den 
Bischöfen  oder  Metropoliten  abhängig  wurden.  Ein  Bischof  von  Joanninai 
in  Epirus  fragte  in  der  That  den  Erzbischof  Demetrios  Chomatianos  von 
Ochrid  (c.  1219 — 1234)  nach  einem  Process  zwischen  einem  Diakon  und 
zugleich  raßovXccQiog  und  einem  Laien,  in  welchem  das  vom  Archonten 
des  Ortes  verordnete  Gottesgericht  gegen  den  ersteren  ausfiel,  ob  der 
Diakon  nicht  seiner  kirchlichen  Würde  und  auch  rfjg  TaßovlaQi-/.fjg 
araTLOivog  verlustig  werden  soll.  Der  Erzbischof  verneinte  dies  und 
bezeichnete  das  Gottesgericht  als  eine  fremde,  dem  einheimischen  Rechte 
widersprechende  Neuerung 3). 

Die  dalmatinischen  Städte  waren  zu  klein,  um  die  Bildung  einer 
eigenen  Corporation  (schola)  der  Notare  zu  ermöglichen,  wie  es  in  Italien 
und  im  byzantinischen  Reiche  üblich  war.  Es  fehlt  demnach  auch  die 
in  Dyrrhachion  und  in  Bari  vorkommende  Würde  eines  »protonotarius(f. 
Sicher  ist  es  aber,  dass  es  unter  den  geistlichen  Stadtnotaren  Dalmatiens 
vereinzelt  auch  Fremde  aus  Italien  gab.  Man  erkennt  sie,  ebenso  wie 
unter  den  Aebten  der  Stadtklöster ,  an  den  langobardischen  Personen- 
namen, so  einen  Anfredus  presbiter  et  notarius  in  Zara  1034 — 1036. 
In  welchem  Verhältniss  die  geistlichen  Notare  zu  der  in  Ragusa  seit 
1247  urkundlich  nachweisbaren  »fraternitas  (fratilia,  societas)  presbitero- 


1)  Codice  diplomatico  Barese,  vol.  I  (Bari  1897),  p.  5,  65,  vol.  IV  (Bari 
1900),  p.  3—4,  60. 

2)  Zachariae  von  Lingenthal,  Beiträge  zur  Geschichte  des  byzantinischen 
Urkundenwesens,  Byz.Zeitschrift  11(1893),  181.  Auch  KvayvöjaTrjs  (kirchensl. 
HKTliU,k)  xcu  voixixös,  Acta  graeca  VI,  176,  185. 

3)  Demetrios  Chomatianos  ed.Pitra,  Analecta  sacra  et  classica  splcilegio 
Solesmensi  parata,  vol.  VII  (1891),  col.  389  f. 


Die  mittelalterliche  Kanzlei  der  Ragusaner.  507 

rum«  standen,  auch  wfraternitas  S.  Stephanie  genannt,  nach  der  ursprüng- 
lichen, schon  bei  Kaiser  Konstantin  Porphyrogennetos  genannten  Haupt- 
kirche der  Stadt,  ist  nicht  bekannt'). 

Wir  wissen  auch  nicht,  in  welcher  Art  diese  Notare  ihre  Vorbildung 
erlangten  und  wer  sie  zu  prüfen  und  zu  controliren  hatte.  Ein  Fall  ist 
bekannt,  wo  in  Ragusa  1282  der  dort  auf  der  Durchreise  befindliche 
venetianische  Bailo  von  Tyrus  im  Namen  des  Dogen  feierlich  einen  vene- 
tianischen  Geistlichen  zum  xpublicus  tabellio«  ernannte-). 

Die  älteren  Notare  führen  keine  Bezeichnung  als  Functionäre  einer 
Stadt,  Gemeinde  oder  Behörde.  Dies  beginnt  erst  seit  der  Mitte  des 
XII.  Jahrb.:  Johannes  ladertinus  notarius  =  Johannes  S.  Anastasie 
subdiaconus  atque  notarius  1164 — 1107,  Marcus  diaconus  et  communis 
notarius  in  Ragusa  IHiS,  Mattheus  S.  Anastasie  subdiaconus  et  ladrensis 
curie  notarius  llSl  f.  u.  A.  Der  Amtsantritt  eines  neuen  »communis 
notarius«  erfolgte  mit  Eidesleistung  vor  den  versammelten  Stadtbehörden. 
\yir  kennen  noch  den  Eid,  den  ein  Ragusaner  Kanzler,  der  oben  er- 
wähnte Presbyter  und  später  Canonicus  der  St.  Marienkathedrale  Pas- 
calis  aus  dem  einheimischen  Geschlechte  der  Capalu  (1228 — 1262)  bei 
seinem  Antritt  leistete,  «in  curia  cum  sonitu  campane  secundum  usum 
nostre  ciuitatis«  vor  den  Comes,  dem  Rath  und  dem  Volk.  Er  versprach: 
»cartas  tabelii  fideliter  scribere,  nee  amicum  iuuare  nee  inimicum  ledere, 
nee  pro  aliquo  muuere  tollendo  nee  pro  aliqua  minatione;  et  secretum 
domini  comitis  et  consiüariorum  mihi  creditum  secretum  illud  tenebo; 


1)  Es  ist  die  spätere  «confraternitas  sacerdotum  Ragusinorum  sub  invo- 
catione  S.Petri  in  cathedra«,  deren  Statut  vom  J.  1391  Conte  Dr.  K.Vojnovic 
in  den  Monumenta  bist,  jurid.  Siavorum  meridionalium  VII  (1899J,  1,  1(3  ff. 
herausgegeben  hat. 

-)  Am  3.  September  1282  ernannte  der  in  Ragusa  auf  der  Durchreise  be- 
findliche Bailo  von  Tyrus  Marcus  Geno  in  Anwesenheit  des  Leouardus  Ve- 
nerio,  Bailo  von  Accod,  »in  publica  concione  ciuitatis  Ragusiue,  congregata 
per  sonitum  campanarum,  ut  moris  est«  den  Presbyter  Johannes  S.  Johannis 
Crisostomi  nach  der  Ablegung  eines  Eides  über  dem  Evangelium  »de  obser- 
uanda  domini  ducis  fidelitate«  und  »de  exercendo  bona  tide  sine  fraude  se- 
cundum formam  capitularis  tabelionum  de  Veneciis  tabelionatus  officio«  zum 
»publicus  tabellio'.  Es  geschah  auf  Grund  eines  an  Geno  gerichteten  und 
öffentlich  vorgelesenen  Ducales  des  Dogen  Johannes  Dandolo  vom  IS.  Aug. 
d.  J.,  nach  welchem  der  genannte  Geistliche,  »per  canceliarios  nostros  dili- 
genter  examinatus,  fuit  repertus  sufficiens  ad  tabelionatus  officium  exercen- 
dum«  (Div.  Notarie  1282—1284  im  Archiv  von  Ragusa). 


508  C-  Jirecek, 

et  nullam  cartam  tabelii  faciam  sine  iudice  iurato,  qui  et  testis  sit«  u.  s.  w.  ^). 
Das  Formular  dieses  »capitulare«  von  1228  mag  wohl  öfters  bei  der  Be- 
eidigung neuer  Notare  wiederholt  worden  sein. 

Aber  die  Schreibekunst  befand  sich  nicht  nur  im  Besitze  der  Geist- 
lichen. Es  gab  im  XIII.  Jahrh.  auch  weltliche  Dalmatiner,  welche  eine 
lateinische  Urkunde  abzufassen  verstanden.  Bei  dem  Abschluss  eines 
Vertrags  zwischen  den  Ragusanern  und  Almissanern  war  in  Almissa 
1262  kein  Notar  zugegen  und  da  schrieb  die  Urkunde  lateinisch  in  guter 
Rundschrift  der  Zupan  Peter  von  Almissa ^j.  Warum  eben  diese  Ur- 
kunde von  keinem  Kleriker  geschrieben  wurde,  geht  aus  ihrem  Inhalt 
hervor.  Sie  betrifft  einen  Ausgleich  wegen  der  Ermordung  einiger  Al- 
missaner,  also  ein  »homicidium«,  einen  strafrechtlichen  Fall.  Wertiber- 
haupt  die  strafrechtlichen  Acten  geschrieben  hat,  ob  einer  der  Richter 
oder  ein  weltlicher  Schreiber,  ist  bei  dem  Mangel  an  Material  nicht  be- 
kannt. Dass  es  nicht  Geistliche  waren,  scheint  aus  den  Bestimmungea 
für  Stagno  im  XV.  Jahrh.  klar  hervorzugehen. 

Diese  älteren  Zustände  haben  im  XIII.  Jahrh.  eine  grosse  und 
bleibende  Veränderung  durchgemacht.  An  Stelle  der  einheimischen 
Geistlichen  traten  gelehrte  weltliche  Notare,  studirte  Juristen  aus  Italien. 
Die  oft  wenig  geschulten  alten  Urkundenschreiber  waren  den  sich  meh- 
renden Aufgaben  ihres  Berufes  nicht  mehr  gewachsen.  Die  Städte  ver- 
grösserten  sich,  gewannen  neue  Bewohner  und  neue  Territorien,  der 
Handel  zu  Land  und  zur  See  steigerte  sich,  und  bald  wurde  eine  Ver- 
besserung und  Vermehrung  des  städtischen  Kanzleipersonals  nothwendig. 
Alle  Geschäfte  mussten  genau  beurkundet  werden.  Dazu  war  eine  juri- 
dische Vorbildung  der  Beamten  nothwendig.  Die  Genauigkeit  der  schrift- 
lichen Acten  wurde  auch  in  den  Handelsverträgen  ausdrücklich  gefordert, 
wie  dies  z.  B.  ans  einer  Stelle  über  die  »quaterni  curie«  und  »quaterni 
communis«  von  Cattaro  in  einem  Vertrage  zwischen  dieser  Stadt  und 
Venedig  1335  ersichtlich  ist 3).  Die  einheimischen  intelligenten  Leute 
beschäftigten  sich  fast  alle  mit  Handel  und  Schifffahrt;  die  geistliche 


1;  Orig.  in  den  Pergamenturkunden  des  Rag.  Archivs  1200 — 1300  fasc. 
II,  Nr.  127.   S.  die  Beilagen. 

-)  »Ego  iupanus  Petrus,  cives  (sie)  Almisiensis,  quia  carente  notario  in 
nostra  ciuitate  rogatus  ab  utraque  parte,  scriptor  sum  et  testis«,  Aliuisii  29. 
Sept.  1262.  Orig.  im  k.  k.  Hof-  und  Staatsarchiv  in  Wien.  Bei  Ljubiö,  Listine 
I,  99  nur  im  Auszug. 

3)  Ljubic,  Listine  I,  464. 


Die  mittelalterliche  Kanzlei  der  Ragusaner.  509 

Laufbahn  hatte  wenig  Anziehungskraft  mehr.  In  Ragusa  wird  im  XIV. 
und  XV.  Jahrh.  sogar  ein  Mangel  an  einheimischen  Klerikern  bemerk- 
bar; in  Klöstern  und  Kirchen  begegnen  wirdesshalb  zahlreichen  Priestern 
und  Mönchen  aus  dem  katholischen  Nordalbanien. 

Die  rechtskundigen  welllichen  Notare  aus  Italien  beriefen  sich  in 
ihren  oft  prunkhaften  Titeln  meist  auf  eine  kaiserliche  Autorisirung 
(imperiali  auctoritate),  seltener  auf  eine  päpstliche  (notarius  sacri  [Late- 
ranensis]  palatii)  ^).  Sie  stammten  meist  aus  Nord-Italieu,  besonders  aus 
der  Umgebung  von  Bologna,  wo  die  »ars  notaria«  an  der  Universität  ge- 
pflegt wurdet),  aus  der  Lombardei,  Toscana,  der  Anconitanischen  Mark; 
selten  kommt  ein  Istrianer  vor,  sehr  selten  ein  Dalmatiner.  Im  Archiv- 
wesen der  Städte  ist  diese  Veränderung  mit  einer  Neuerung  verbunden. 
Mit  den  geschulten  Notaren  treten  an  die  Stelle  loser  Urkundenblätter 
regelmässig  geführte  Bücher.  Die  bis  auf  den  heutigen  Tag  erhaltenen 
Archivbücher  beginnen  in  Ragusa  12 7 S,  in  Zara  1288,  jedoch  hat  das 
Schreiben  von  Quaternionen  schon  mehrere  Jahre  früher  begonnen ^J. 
Seit  dem  XIII.  Jahrh.  ging  man  daran  auch  die  Stadtrechte  in  eigenen 
Gesetzbüchern  (Statuten)  zu  sammeln.  Neben  der  Gemeindekanzlei  be- 
liess  man  die  Geistlichen  noch  in  der  eigentlichen  Notaria,  doch  nahm 
auch  dies  zu  Anfang  des  XIV.  Jahrh.  ein  Ende.  Im  Statut  von  Cattaro 
finden  wir  aus  der  Zeit  um  1:522  sogar  einen  strengen  Beschluss,  in  der 
Stadt  dürfe  fortan  kein  Kleriker  mehr  Notar  werden^).  Auch  in  Ragusa 
hatte  die  Regierung  nach  dem  Rücktritt  des  letzten  geistlichen  Notars, 
des  Canonicus  Andreas  de  Benessa,  in  den  J.  1326 — 1327  die  grössten 


1)  Ueber  den  Ursprung  dieser  Titel  vgl.  Bresslau,  Handbuch  der  Ur- 
kundenlehre I,  460  f.,  469  f. 

-)  Ueber  die  Lehrer  der  »ars  notaria«  in  Bologna,  Rainerius  Perusinus 
1219,  Salathiel  1237,  Rolandinus  Passagerii  1256  u.  A.  und  ihre  Lehrbücher 
tSumma  artis  notariei  vgl.  Bresslau  op.  cit.  I.  631  f. 

3)  Luccari,  Copioso  ristretto  degli  annali  di  Rausa  (Venedig  1605  p.  44, 
2.  Ausg.  Ragusa  1790  p.  67)  citirt  ein  »libro  de'  Diuersi  di  Notaria  dell'  anno 
1268«. 

*]  Statut  von  Cattaro  §  294:  «Ut  clericus  non  possit  esse  notarius.  Quia 
diuersa  genera  scandali  nobis  oriebantur  propter  ofticium  tabellionatus  (Cod. 
talleonatus;,  quod  erat  in  manu  clericorum,  et  multa  iura  nostra  amisimus 
propter  ipsorum  arogantiara,  idcircho  statuimus  et  ordinamus,  ut  uullus  cleri- 
chus  possit  esse  notarius.  Quod  statutum  proposuimus  inuiolabiliter  obseruari 
in  pena  ypp.quingentorum«  (Codex  der  St.  Marcusbibliothek  f.  67',  vgl.  Archiv 
XXII,  184  .   Steht  zwischen  einigen  datirten  §§  vom  J.  1322. 


510  C.  Jirecek, 

Schwierigkeiten,  um  von  ihm  seine  Conceptbücher  (catasticha)  heraus- 
zubekommen. Die  Berufung  von  Fremden  hatte,  ähnlich  wie  die  Be- 
rufung von  italienischen  Comites  oder  Potestates  in  Spalato  und  Trau, 
auch  den  Grund,  damit  das  Amt  dem  Einfluss  einheimischer  Familien 
oder  Parteien  entrückt  werde  ^j. 

Wie  diese  Veränderungen  in  den  einzelnen  Städten  Dalmatiens  vor. 
sich  gingen,  lässt  sich  in  den  Urkundensammlungen  von  Lucius,  Farlati, 
Kukuljevic  und  Ljnbic  ziemlich  gut  verfolgen. 

Auf  den  Quaruerischen  Inseln  finden  wir,  neben  einheimischen 
geistlichen  Notaren,  auf  Che r so  1276  einen  Compagnus  Filippi  de 
Montesco,  aule  imperialis  notarius^),  in  Veglia  1248  einen  Joannes 
Matei  de  Cerdano  de  Padua,  imperiali  auctoritate  notarius^),  in  Arbe 
1243  einen  Lanfrancus,  Arbi  notarius*).  In  Zara  blieb  die  Notaria 
noch  lange  im  Besitz  der  Diacone  von  S.  Anastasia,  der  Presbyter!  von 
S.  ApoUinaris  oder  S.  Stephanus,  der  Plebani  S.  Petri  veteris.  Auch^ 
der  Schreiber  des  ältesten  erhaltenen  Notarialbuches  von  1289,  Creste 
de  Tarallo,  war  nach  seinem  Vornamen  (Creste  sL  Erste,  von  Christo- 
phorus)  ein  Einheimischer,  wie  er  sich  auch  als  »civis  et  publicus  notarius 
Jadrensis«  bezeichnet^).  Unbekannt  ist  das  Vaterland  des  Rainerius, 
Jadrensis  notarius  1229  — 1233  und  des  magister  Gregorius,  Jadrensis 
notarius  1236 — 12406).  Erst  zum  Schluss  des  Jahrhunderts  erscheinen 
in  Zara  fremde  Notare:  Rolandus  f.  q. Thomasini  mercatoris,  sacri  palatii 
notarius  publicus  ac  ipsius  egregii  comitis  Jadre  1274,  Nicolaus  Fel- 
trensis,  sacri  palatii  et  Jadrensis  notarius  1275  — 1277,  Kogerius  de 
Giberto  Apulus,  nunc  notarius  Jadre  1282  ^j,  1294  Antonius  quondam 
Rolanduci  de  Bononia,  judex  et  notarius^). 


1)  Vgl.  im  Statut  von  Budua  (XIV.  Jahrh.)  cap.  LXV:  »Ordinemo,  che 
dopo  la  morte  d'  Ascanio  noa  possa  esser  notaro  nissuno  nostro  cittadino.  se 
non  forestier,  buoa  homo  e  con  buona  scientia«  (Mon.  bist.  jur.  Slavorum 
merid.  III,  p.  17). 

-)  Ljubic,  Listine  I,  112. 

3)  Starine,  Bd.  20,  S.  5. 

4)  Starine,  Bd.  24,  S.  224. 

5)  Herausgegeben  von  Professor  Dr.  L.  Jelic  im  Vjestnik  kr.  hrvatsko- 
slavonsko-dalmatinskog-  zemaljskog  arkiva,  Bd.  I — III  (1899 — 1901).  Ib.  1, 
162 — 165  ein  Verzeichniss  der  Notare  von  Zara. 

f)  Starine  19,  98  f.;  21,  293  f.;  23,  196. 

7)  Ljubic  III,  413,  Starine  19,  104  und  23,  213. 

«)  Starine  28,  S.  165. 


Die  mittelalterliche  Kanzlei  der  Ragusaner.  511 

Einen  grösseren  Fortschritt  als  in  dem  seit  1202  mehr  oder  weniger 
stets  von  Venedig  abhängigen  Zara  finden  wir  in  zwei  Städten,  die  da- 
mals unter  ungarischer  Hoheit  standen,  in  Spalato  und  Trau.  Die  Po- 
destä's,  meist  aus  Ancona  und  den  Marken  berufen,  brachten  Kanzlei- 
beamte von  dort  mit.  In  Spalato  berichtet  Thomas  Archidiaconus,  ein 
Zeitgenosse,  wie  der  »potestas  de  geute  latina«  Garganus  de  Arscindis 
aus  Ancona  (1239 — 1242)  gleich  mit  einem  «notarius«  ankam^).  Sein 
Name  ist  aus  den  Urkunden  bekannt:  1239 — 1240  Petrus  de  Trans- 
mundo,  Anconitanus  civis  et  nunc  communis  Spalati  notarius;  sein  Sohn 
Karlettus  domini  Petri  Transmundi,  imperiali  auctoritate  notarius,  er- 
scheint 1292  als  Notar  in  Ancona -j.  Später  werden  in  Spalato  genannt 
1243  Joannes  Desa  Marci  de  Capodistria,  notarius  marchionis  Istriae  et 
cancellarius  Spalatensis,  1261  — 1289  magister  Franciscus  Anconitanus, 
imperiali  auctoritate  notarius  et  nunc  communis  Spalati  iuratus,  neben 
dem  1255 — 1282  genannten  einheimischen  Notar  Canonicus  Lucas. 
Ebenso  finden  wir  in  Trau  neben  den  Podestä's  aus  Ancona  und  Fermo: 
1264  Bonaventura  Petri,  civis  Anconitanus,  notarius  communis  Tragurii, 
1274  Franciscus  Benvenuti  de  Cingulo,  1281  Bonaventura  Coradini  de 
Ancona,  1285  Jacobus  de  Firmo  u.  A.  Zu  Anfang  des  XV.  Jahrh.  gab 
es  in  Spalato  und  Trau  je  einen  Cancellarius  und  einen  Notarius;  die 
Venetianer  haben  1421  nach  Uebernahme  der  Städte  der  Ersparung 
wegen  in  beiden  Städten  den  Notar  der  Gemeinde  abgeschafi"t^). 

Ragusa  war  conservativer  als  Spalato.  Der  Umschwung  vollzog 
sich  später.  Der  erste  italienische  Notar  der  Stadtgemeinde  war  der 
Magister  Thomasinus  de  Savere  aus  Reggio  d'Emilia  12 7 S — 1286,  mit 
dessen  schöner,  zierlicher  Schrift  auch  die  ältesten  erhaltenen  Bücher 
geschrieben  sind.  Die  Kanzlei  wurde  damals  getrennt  von  der  eigent- 
lichen Notaria,  die  1285— 1292  ein  Presbyter  Johannes,  1292—1324 
der  Canonicus  Andreas  aus  dem  Patriciergeschlechte  der  Benessa  führte; 
die  erhaltenen  Bücher  des  Benessa,  in  einer  Schrift  noch  mit  Elementen 
langobardischen  Ductus,  sind  im  Bezug  auf  Lesbarkeit  der  gerade  Gegen- 
satz zu  deren  des  Magister  Thomasinus.  Später  wurde  die  ganze  Kanzlei 
mit  Italienern  besetzt,  mit  Ausnahme  der  Stelle  des  slavischen  Kanzlers. 


>)  Thomas  archidiaconus  cap.  33,  ed.  Racki  (Monumenta  spectantia 
historiam  Slavorum  merid.,  vol.  26),  p.  120. 

2j  Starine  23,  251  und  24,  204,  aus  Lucius.  Vgl.Ljubic  1, 153  und  Matko- 
vic,  Rad  Bd.  15,  S.  57  (ürk.  1292,. 

3)  Ljubic,  Listine  VIII,  94. 


512  C.  Jirecek, 

Das  Personal  der  Stadtkanzlei  von  Ragusa  wurde  vermehrt.  An- 
fangs kam  man  mit  einem  Cancellarius  und  einem  Notarius  aus.  Seit 
1331  hatte  der  Kanzler  einen  »socius«  oder  »vicecancellarius«  zur  Seite. 
Ein  neuer  »Ordo  cancellarie«  wurde  vom  Consilium  Mains  am  20.  März 
142S  erlassen,  in  dem  die  Rechte  und  Pflichten  der  nunmehr  4  Notare 
oder  Kanzler  geregelt  wurden.  j)Alli  consigli  pizolo  e  de  pregadi  et  alla 
notaria  di  Ragusa«  wurden  »duo  secretari«  bestellt,  »che  siano  notari  e 
caucellierj  delli  consigli  dil  comun  di  Ragusa(f.  Zwei  andere  Kanzler 
waren  dem  »consiglo  grande«  zugetheilt,  zugleich  aber  auch  der  »corte 
civile  et  criminale«,  »al  canciel  di  fuora«;  sonst  sollten  sie  den  beiden 
erstgenannten  Secretären  aushelfen,  aber  nur  in  Angelegenheiten,  die 
nicht  geheim  waren.  »Ma  librj  deli  consigli  et  registri  di  carte  e  di 
lettere  e  commessiou  et  per  simile  la  notaria  debia  stare  in  man  et  sotto 
chiaue  delli  secretarj«  ^).  Eine  nähere  Beschreibung  der  Kanzlei  zu  der- 
selben Zeit  gibt  (um  1440)  Philippus  de  Diversis  aus  Lucca,  Rector  der 
Stadtschule:  »Quattuor  primum  sunt  librorum  contractuum,  judiciorum, 
statutorum  et  electionum  diversorum  principatuum  scribani,  litterati 
quidem,  docti  grammaticam  et  alia,  qui  et  conservatores  illorum  sunt. 
Istorum  quattuor  nuUus  est  aut  potest  esse  Ragusinus«  ^j .  Der  Wirkungs- 
kreis der  beiden  Paare  der  Kanzleibeamten  wird  von  Philipp  mit  allem 
Detail. geschildert.  Ein  fünfter  Beamter  war  der  Buchhalter  oder  »ra- 
tionatus«,  auch  ein  Fremder ^j.  »Hi  quinque  Italici  continuo  fuerunt  et 
sunt.«  Dazu  kommt  ein  Ragusaner  als  slavischer  Kanzler *).  Im  Laufe 
des  XV.  Jahrh.  kam  dazu  ein  eigener  »cancellarius  judicum  de  criminali«. 


1)  Liber  Maioris  Cons.  1424—1428. 

'-)  Dass  es  wirklich  ein  solches  Verbot  gegeben  habe,  wird  nirgends 
ausdrücklich  bezeugt. 

3)  Die  Rationati  waren  in  dieser  Zeit  in  derThat  Italiener,  wie  z.B.  1387 
Ser  Petrucius  de  Corado  de  Plorentia.  Später  finden  wir  Dalmatiner  als 
»scribani  officii  rationum«,  wie  1511 — 1512  Nicolaus  Nichse  Marini  de  Nale 
aus  Antivari  und  1512 — 1523  Stephanus  Nicolai  Stephani  de  Nale  aus  Ea- 
gusa,  den  Vater  des  Dichters  Naljeskovic  (Archiv  XXI,  478,  480).  »Razunat« 
kommt  auch  als  Personenname  vor:  ein  Ragusaner  Giuchus  (Zivko)  dictus 
Racionello,  auch  Giuchus  Razunat,  Giuchus  Braicouich  dictus  Raclouelo  war 
Kaufmann  in  Serbien,  in  Rudnik  und  Zajaca,  1444 — 1447  Gabellot  oder  Doa- 
nerius  von  Srebrnica. 

4)  Philippus  de  Diversis  de  Quartigianis  Lucensis,  Situs  aedificionim, 
politiae  et  laudabilium  consuetudinum  civitatis  Ragusij.  Pubbl.  da  V.  Bru- 
nelli,  Zarä  1882,  S.  75 — 76  (SA.  aus  den  Programmen  des  Gymnasiums  von  Zara 
1880—1882]. 


Die  mittelalterliche  Kanzlei  der  Ragusaner.  513 

Hie  und  da  hat  man  dann  «coadiutores  cancellaiiae«  aufgenommen ,  bei 
Vacanzen,  Beurlaubungen,  Krankheiten,  hohem  Alter  der  Kanzlei- 
beamten. Noch  zu  Anfang  des  XVI.  Jahrh.  wurden  alle  diese  Beamten 
nicht  lebenslänglich,  sondern  alljährlich  oder  in  selteneren  Fällen  für 
je  zwei  Jahre  neu  bestätigt  (iirma).  Luccari  (1605  erwähnt  in  seiner 
Darstellung  der  Verfassung  der  Republik  in  der  Regierungskanzlei  zwei 
Notare  oder  Secretäre,  mit  einem  »sostituto«,  und  bei  Gericht  »tre  can- 
cellieri  pubblici  e  un  coadiutore«  ^). 

Diese  schriftkundigen  Männer,  meist  Patricier  italienischer  Stadt- 
gemeinden, waren  sehr  geachtet  und  wurden  von  den  Ragusanern  oft 
auch  zu  Gesandschaftsreisen  verwendet.  Im  XIV.  Jahrh.  war  es  meist 
ein  fahrendes  Volk,  das  nirgends  lange  aushielt.  Aber  die  Zahl  der- 
jenigen italienischen  Notare,  die  in  Ragusa  heiratheten,  liegende  Güter 
erwarben  und  Nachkommen  hinterliessen,  ist  im  Wachsen.  Im  XV.  Jahrh. 
finden  wir  auch  eine  längere  Dienstzeit,  ja  nach  1490  sogar  den  Fall, 
dass  auch  die  Söhne  von  Kanzlern  wieder  in  der  Kanzlei  der  Ragusaner 
Anstellung  fanden  2).  Entlassung  und  schwere  Strafen  drohten  dem 
Secretarius,  wenn  er  sich  insgeheim  in  Correspondenz  mit  ausländischen 
Herrschern  oder  Staaten  einliess.  Wir  wissen  nicht,  warum  der  Kanzler 
Marquardiis  1303  so  plötzlich  entlassen  wurde.  Articucius  von  Rivignano 
aus  der  Diöcese  von  Aquileja  wurde,  wie  es  scheint,  wegen  einer  ge- 
heimen Correspondenz  mit  König  Stephan  Tvrtko  I.  von  Bosnien  13S3 
eingekerkert  und  weggeschickt,  fand  aber  bald  wieder  für  viele  Jahre 
eine  Anstellung  in  Zava.  Am  schlimmsten  erging  es  dem  Franciscus 
Sylvanus  aus  Macerata  im  J.  1529.  Man  hat  ihm  nachgewiesen,  dass 
er  insgeheim  mit  den  Venetianern  correspondire  und  ihn  im  Kerker  als 
Hochverräther  geköpft.  Und  das  war  ein  Kanzler,  dessen  Vater  bereits 
Jahre  lang  den  Ragusanern  Dienste  geleistet  hat,  auch  auf  Gesandt- 
schaftsreisen nach  Italien. 

'  Die  Schüler  der  damaligen  Universitäten  Italiens  schrieben  ein 
fliessendes  Latein,  dem  man  es  ansieht,  dass  es  von  den  Gebildeten  auch 
gesprochen  wurde.  Im  XV.  Jahrh.  tauchen  classische  Brocken  auf, 
meist  aus  Vergil,  oft  an  recht  ungeeigneter  Stelle  angebracht.    So  wird 


1)  Luccari,  Copioso  ristretto  degli  annali  di  Ragusa,  2.  Ausg.  Ragusa 
1790,  p,  270,  285. 

2)  Ueber  die  Nachkommen  italienischer  Kanzler  in  Ragusa  vgl.  Professor 
Giuseppe  Gelcich,  Dello  sviluppo  civile  di  Ragusa,  Ragusa  1884,  p.  93 — 94. 


514  C.  Jirecek, 

1429  der  Diebstahl  von  »duo  equi  quadrupedantts  cum  sellis  et  frenis'< 
verzeichnet;  die  Orangen,  die  man  bisher  als  arangie,  narancie  bezeichnete, 
heissen  um  1112  volema.  Byzantinische  Archonten  aus  Morea  hat  man 
1427  als  domini  Grai  eingetragen.  Ebenso  werden  die  Türken  unter 
dem  aus  Vergil  und  Ovid  bekannten  Namen  der  Trojaner  als  Teucri  be- 
zeichnet. Das  Latein  wurde  durch  diese  Zuthaten  vielleicht  eleganter, 
aber  sicher  unverständlicher. 

Der  »vulgaris  sermo«  erscheint  zuerst  in  Briefen  von  Privatleuten. 
Noch  um  1285 — 1303  bemühte  man  sich  lateinische  Briefe  zu  schreiben, 
dies  pflegte  aber,  wie  die  erhaltenen  Beispiele  zeigen,  oft  recht  plump 
auszufallen.  Mit  1302  beginnen  die  erhaltenen  italienischen  Privatbriefe 
von  Ragusanern,  Zaratinern  und  Anderen,  mit  Spuren  venetianischen 
Einflusses,  aber  auch  mit  deutlichen  Resten  des  Altdalmatinischen,  des 
einheimischen  romanischen  Dialektes  der  Städte  ^j.  Die  Commissiones 
an  Beamte  und  die  Instruktionen  an  Gesandte  wurden  seit  dem  XIV.  Jahrh. 
nur  italienisch  geschrieben,  ebenso  auch  deren  Berichte  an  die  Regierung 
von  Ragusa.  Die  Testamente  redigirten  die  Notare  lateinisch,  bis  die 
furchtbare  Pest  1348  es  nothwendig  machte  sie  in  aller  Eile  nieder- 
zuschreiben, was  mit  dem  Latein  nicht  so  leicht  ging.  Der  Codex  der 
Testamente  von  1348  ist  italienisch  verfasst,  geschrieben  von  dem  »scri- 
banus«  einer  eigenen  Commission,  wohl  einem  ragusanischen  Kleriker, 
mit  vielen  Spuren  des  localen  Dialectes,  wie  z.  B.  fechi  für  fecit.  Der- 
selbe Codex  enthält  auch  die  italienisch  abgefassten  Testamente  des 
folgenden  Pestjahres  1363,  copirt  vom  Kanzler  Theodorus  Scolmafogia 
aus  Brindisi^).  Der  Pergamentcodex  der  »Testamenta  Notarie  1365 — 
1378«  ist  aber  wieder  vorwiegend  lateinisch.  Dagegen  finden  wir  in 
dem  Band  1391 — 1402  abermals  fast  nur  italienisch  verfasste  Testa- 
mente, mit  wenigen  lateinischen  Stücken;  dasselbe  gilt  auch  für  alle 
folgenden  Bände  der  Testamenta  Notarie  bis  ins  XVI.  Jahrh.  In  den 
»Lamentatf,  den  Gerichtsbüchern  hielt  sich  das  Latein  bis  1487 ;  italienisch 
sind  die  Bände  1454  und  1487  f. 3).  Die  Protocolle  der  RathscoUegien, 
die  Diversa  Cancellarie,  Diversa  Notarie  u.  s.  w.  blieben  lateinisch  bis 


*)  Vgl.  die  kleine  Sammlung  in  meinen  Romanen  in  den  Städten  Dal- 
matiens,  II.  Theil  (Denkschriften  der  kais.  Akademie  Bd.  49),  S.  1 — 19. 

-)  Ein  Auszug  aus  dieser  Handschrift  in  meinen  Romanen  in  Dalmatien 
II,  6—15. 

3)  Vgl.  Archiv  XIX,  54. 


Die  mittelalterliche  Kanzlei  der  Ragusaner.  515 

in  die  Neuzelt;  eine  Ausnahme  bilden  einzelne  in  diese  Bücher  ein- 
getragene italienische,  in  den  Diversa  auch  slavische  Acteustücke. 

Den  Geburtsort  der  einzelnen  Notare  und  Kanzler  kennen  wir  recht 
gut.  In  den  J.  1300 — 1400  werden  ihrer  20  genannt.  Davon  stammten 
aus  Pistoja  3,  Bergamo  2,  je  einer  aus  Bologna,  Parma,  Piacenza,  Cre- 
mona,  Ravenna,  Ferrara,  aus  dem  jetzigen  Kurort  Arco  nördlich  vom 
Gardasee,  aus  Belluno,  Cividale  (Forum  Julii)  und  der  Dioecese  von 
Aquileja.  Süditalien  ist  durch  einen  einzigen  Notar  aus  Brindisi  ver- 
treten. Unbekannt  ist  die  Heimath  von  vier  Notaren.  Eine  literarisch 
denkwürdige  Persönlichkeit  war  darunter  Johannes  von  Ravenna 
(13S4 — 1387)  oder  mit  vollem  Namen  Ser  Johannes  quondam  magistri 
Conversini  de  Fregnano.  ein  Schüler  Petrarca's',  nach  seinen  interes- 
santen Briefen  aus  Ragusa  ein  wehleidiger,  für  das  klassische  Latein 
begeisteter  Schwärmer,  welchem  der  rastlose  Geschäftsgang  in  der  da- 
mals blühenden  Handelsstadt  an  der  Grenze  zwischen  der  occidentalischen 
und  orientalischen  Kultur  nicht  gefiel  ^). 

Aus  den  J.  1400 — 1500  sind  mir  24  Namen  neu  eingetretener 
Notare  bekannt.  Aus  Süditalien  stammte  kein  einziger.  Je  einer  war 
gebürtig  aus  Florenz,  Bologna,  Reggio,  Faenza,  Rimini,  Macerata,  Fermo, 
ebenso  aus  Padua,  Feltre  (bei  Belluno),  Piacenza,  Soncino  (zwischen 
Cremona  und  Bergamo).  Der  Norden  ist  vertreten  durch  zwei  Notare 
aus  Muggia  bei  Triest  und  einen  aus  Marano  in  Friaul.  Aber  das  voll- 
ständige üebergewicht  hatten  die  Cremonesen,  seit  ungefähr  1425  ver- 
treten durch  nicht  weniger  als  zehn  ihrer  Landsleute-).  Der  hervor- 
ragendste dieser  Patricier  von  Cremona  war  Ser  Bartholomeus  de 
Sfondratis,  der  über  ein  halbes  Jahrhundert  (1449 — 1504)  der  Republik 
diente.  Er  wurde  vom  Kaiser  Friedrich  III.  147S  durch  den  Titel  eines 
Pfalzgrafen  ausgezeichnet,  mit  dem  Recht  Notare  zu  ernennen  und  nicht- 
adelige Bastarde  zu  legitimiren  3).  Ser  Bartholomeus  sorgte  auch  um 
die  Vermehrung  der  Bevölkerung  von  Ragusa ;  man  berichtet  von  ihm, 


1)  Vgl.  die  von  Eacki  gedruckten  Stücke  im  Rad,  Bd.  74  (1885),  S.  164  ff., 
welche  das  ganze  Amtsgeschäft  der  Kaczlei  anschaulich  schildern. 

-)  In  Venedig  waren  im  XIV.  Jahrh.  die  meisten  Aerzte  gebürtig  aus 
Cremona,  nach  Cecchetti,  Archivio  Veneto,  Bd.  26  (1883),  S.  85. 

3)  Seit  dem  XIV.  Jahrh.  wurden  die  Ernennungen  zu  »lateranensischen 
!  Pfalzgrafen«  sehr  häufig;  seit  1360  ernannte  man  dazu  nicht  nur  Edelleute, 
sondern  auch  einfache  Ritter,  Bürger  und  namentlich  Rechtsgelehrte  (Bress- 
lau,  Handbuch  der  Urkundenlehre  I,  471}. 


516  C.  Jirecek, 

dass  er  von  seinen  zwei  Frauen'nicht  weniger  als  28  Kinder  hatte.  Er 
gründete  eine  förmliche  Dynastie  von  Kanzlern;  die  Sfondrati  sind  nach 
ihm  noch  durch  drei  Mitglieder  ihres  Geschlechts  in  der  Serie  der  Ragu- 
saner  Kanzleibeamten  vertreten.  Die  Familie  wurde  in  Ragusa  so 
heimisch,  dass  die  Ragusaner,  als  der  Cardinal  Niccolö  Sfondrato  aus 
der  Cremonenser  Linie  des  Hauses  zum  Papst  als  Gregor  XIV.  (1590 — 
1591)  gewählt  wurde,  eine  Freude  empfanden,  als  ob  es  ein  Lands- 
mann wäre. 

Es  kam  die  Zeit  des  Wiedererwachens  der  klassischen  Studien  und 
der  grossen  Umwälzung,  welche  durch  die  Erfindung  der  Buchdrucker- 
kunst herbeigeführt  wurde.  Vertreter  der  italienischen  gebildeten  Ge- 
sellschaft der  Renaissance  waren  in  Ragusa  die  drei  Gruppen  der  Notare, 
der  Rectoren  der  Stadtschule  und  der  städtischen  Aerzte.  Sie  fanden 
Anschluss  bei  den  begabteren  Ragusanern,  wissbegierigen  und  Bücher 
liebenden  Mitgliedern  des  Stadtadels,  der  Kaufmannschaft  und  des  Clerus. 
Die  Notaria  und  die  Stadtschule  standen  einander  nahe  und  die  darin 
beschäftigten  Männer  konnten  einander  leicht  ablösen.  Es  gab  auch 
Aerzte,  die  nur  »faut  de  mieux«  in  der  Schule  dienten.  Magister  Jacobiis 
de  Ferraria,  »rector  scolarum«  1419  — 1430,  wollte  schon  1425  lieber 
Stadtarzt  werden  und  wurde  durch  Beschluss  des  Consilium  Mains  vom 
24.  Juli  1430  wirklich  »pro  fisicho  nostro  medico«  aufgenommen,  mit 
der  Vollmacht  seinerseits  einen  «magister  scolarum«  aufzufinden.  Stepha- 
nus  Flischus,  aus  Soncino  an  den  Ufern  des  Oglio  in  den  Ebenen  der 
Lombardei,  verliess  1444  die  Kanzlei,  um  Rector  der  Stadtschule  zu 
werden.  Umgekehrt  wurde  der  Rector  der  Schule  Daniel  Clarius  aus 
Parma,  ein  gelehrter  Maun,  welchem  Aldus  Manutius  die  Editio  princeps 
des  Aristophanes  (1498)  gewidmet  hatte,  1505  zum  Notarius  und  Can- 
cellarius  ernannt  i).  Die  Pflege  der  klassischen  Literaturen  äusserte  sich 
in  Gedichten,  in  denen  sich  die  Mitglieder  dieses  kleinen  Kreises  gegen- 
seitig verherrlichten.  Man  darf  an  die  erhaltenen  Reste  dieser  Gelegen- 
heitspoesie kein  allzu  strenges  Mass  anlegen;  für  die  Kenntniss  der  An- 
fänge der  Literatur  in  Ragusa  sind  sie  werthvoU  genug.  Der  Kanzler 
Ser  Nicolaus  de  la  Ciria  aus  Cremona  begrüsste  1440  das  Werk  des 
Philippus  de  Diversis  aus  Lucca  über  Ragusa,  das  uns  ein  so  werthvolles 
Bild  der  Stadt  in  ihrer  schönsten  Zeit  erhalten  hat,  mit  einem  lateinischen 
Carmen.   Um  1451  besangen  einander  lateinisch  und  italienisch  die  drei 


*)  Vgl.  Archiv  XIX,  35  f.  und  die  Beilagen  zur  gegenwärtigen  Abhandlung. 


Die  mittelalterliche  Kanzlei  der  Ragusaner.  517 

Kanzler  Joannes  Laurentius  Keginus  aus  Feltre  bei  Belluno,  die  Brüder 
Bartholomeus  und  Jobannes  Sfondrati  aus  Cremona,  der  ScLulrector 
Stephanus  Fliscus  Soncinensis  und  ihre  ragusanischen  Freunde.  Unter 
den  Kanzlern  war  auch  eine  der  vornehmsten  Humanistenfamilien  dieser 
Zeit  vertreten  durch  Xenophon  Philelphus  (1460 — 1470),  Sohn  des 
Franciscus  Philelphus  aus  Tolentino  und  einer  edlen  Byzantinerin, 
Xenophon  hatte  in  Eagusa  geheirathet,  ist  aber  dort  noch  jung  an 
Jahren  gestorben. 

Ueber  den  Papierverbrauch  in  den  Kanzleien  der  Republik  Ragusa 
gibt  ein  Beschluss  des  Consilium  Rogatorum  vom  11.  Mai  1501  Auf- 
schluss,  über  die  »carta,  que  expeditur  et  consumitur  in  notaria  et  can- 
cellariis  nostris«:  »ad  chadauno  deli  notarj  et  cancellieri,  tanto  dela  can- 
cellaria  grande,  quanto  dela  cancellaria  schiaua  et  dela  cancellaria  del 
criminal  se  debia  dar  del  comun  uua  risma  per  capo  et  non  piii«.  Ebenso 
nach  Stagno  «risma  una«,  nach  Tersteniza  (auf  der  Halbinsel  Sabbion- 
cello), Slano,  Zupana,  Isola  di  Mezzo,  Canal  «meza  risma«.  Jeder  Beamte 
zahlt  einen  Perper  Strafe,  wenn  er  davon  Papier  «ad  alguna  special  et 
priuata  persona«  abgibt. 

In  den  J.  1500 — 1550  bemerken  wir  eine  Veränderung,  In  die 
Ivanzlei  kommen  einzelne  Ragusaner,  zuerst  als  Coadiutoren,  Neben 
der  italienischen  Kanzlerdynastie  der  Sfondrati  entsteht  eine  ragusanische 
Kauzlerfamilie  der  Primojevic,  lat.  Primi  oder  de  Primo,  in  der  latei- 
nischen Kanzlei  vertreten  ( 1504 — 1524  durch  Lucas  Pasqualis  de  Primo, 
lU'uselbeu,  der  die  erste  Buchdruckerei  in  der  Stadt  gründen  wollte. 
Aus  Albanien  stammte  der  Kanzler  Hieronymus  Proculianus  (1523 — 
1  .")26),  ein  Patricier  von  Atitivari.  Die  übrigen  sind  noch  immer  Italiener. 
Neben  Cremona  und  später  Lucca,  welche  die  stärkste  Vertretung  fanden, 
ist  Mittelitalien  bevorzugt:  Macerata,  Pesaro,  Reggio,  Parma,  in  den 
Abruzzeu  Aquila  und  Solmona,  im  Norden  Mailand,  Vicenza  und  aber- 
mals Feltre. 

Die  Darstellung  der  Verhältnisse  nach  1550  ist  nicht  mehr  unsere 
Aufgabe,  Zu  erwähnen  ist,  dass  Luccari  (1605)  keine  Ausländer  als 
Notare  oder  Secretäre  mehr  kennt ;  es  waren  in  seiner  Zeit  nichtadelige 
Bürger  von  Ragusa,  »dal  popolo(f. 

Die  geistlichen  Notare  waren  während  dieser  Zeit  nicht  ganz  ver- 
schwunden ;  nur  der  Umfang  ihres  Wirkungskreises  hatte  sich  verschoben. 
Wir  wissen  auch,  wie  sie  zu  Notaren  ernannt  wurden:  von  den  Männern, 
die  den  Titel  kaiserlicher  Pfalzgrafen  oder  päpstlicher  Vicecomites  er- 
Archiv für  slavische  Philologie.  XXV.  34 


518  C.  Jirecek, 

halten  hatten.  Ser  Bartholomeus  de  Sfondratis,  Kanzler  der  Republik, 
ernannte  als  vom  Kaiser  bestellter  »sacri  Late.ranensis  palatii  comes  pa- 
latinns«  1 199  im  Palast  des  Erzbiscliofs  von  Ragusa  zum  »notarius  seu 
tabellioc  den  Geistlichen  Johannes  Simonis  de  Zupana,  den  wir  bald 
darauf  als  »imperiali  auetoritate  notarius  publicus«  und  als  Kanzler  und 
Archivar  des  Erzbischofs  vorfinden  i).  Genauer  ist  das  Ceremoniell  ge- 
schildert in  einer  Aufzeichnung  vom  S.Juni  1524,  Vor  dem  »presbyter 
Andreas  Nicolai  Radulich,  sacerdos  Ragusinus,  sacri  palatii  apostolici 
Lateranensis  vicecomes,  in  quem  de  apostolica  pleuitudine  potestatis 
ereandorum  notariorum  et  judicum  ordinariorum  emanauit  auctoritas« 
erschien  »in  officio  notarie  palatii  communis«  in  Begleitung  geistlicher 
Zeugen  der  Diaconus  Hieronymus  Nicolai  spatarii,  Bürger  von  Ragusa. 
Er  bat,  »flesis  genibus  humiliter  constitutus  et  deuotustt,  um  die  Ver- 
leihung des  »notariatus  sive  tabellionatus  et  judicatus  ordinarii  officium 
et  dignitas«.  Die  Bitte  wurde  »inspecta  habilitate  et  fidei  puritate«  des 
Bittstellers  erfüllt.  Die  Investitur  erfolgte  durch  Feder  und  Tintenfass, 
sowie  mit  einem  Ring,  unter  Verabreichung  eines  wohl  gelinden  Backen- 
streiches: »per  pennam  et  calamarium,  que  in  ipsius  manibus  posuit,  et 
per  impositionem  anuli  ad  digitum  eius  manus  legitime  et  soUemniter 
inuestiuit,  alape  percussione  secuta  in  Signum  humilitatis  et  tolerantie«^). 
Der  neubestellte  Notar  hatte  das  Recht,  «quod  possit  per  totum  Romanum 
Imperium  facere,  conscribere  et  publicare  contractus,  instrumenta,  ju- 
dicia,  testamenta  et  ultimas  uoluntates«  etc.  Die  Urkunde  über  den 
ganzen  Akt  wurde  von  Franciscus  Sylvanus,  Notar  der  Republik,  aus- 
gefertigt 3). 

Die  Aemter,  die  den  Geistlichen  zum  Theil  blieben,  waren  die 
Kanzleien  der  ragusanischen  Comites  auf  dem  Lande,  in  Canale,  Slano, 
Stagno,  auf  den  Inseln  Isola  di  Mezzo  (Lopud),  Giupaua,  Lagosta  und 
Meleda.  Als  »cancelliere  del  maleficioa  war  aber  in  Stagno  (1436)  neben 
dem  geistlichen  Notar  der  weltliche  Befehlshaber  der  Burgwache  ange- 
stellt 4).  Aber  auch  da  beginnt  im  XV.  Jahrh.  das  weltliche  Element 
vorzudringen;  es  occiipirte  besonders  die  drei  wichtigeren  Kanzleien 


1)  Siehe  die  Beilagen,  unter  Ser  Baitholomeus  de  Sfondratis. 

~)  Als  Investitursymbol  dienen  auch  in  Italien  regelmässig  Tintenfass 
und  Feder;  vgl.  Bresslau,  op.  cit.  I,  468. 

3)  Diversa  Notarie  1524,  f.  5.5'  sq. 

*)  Vgl.  Conte  Constantin  Vojnovic,  Sudbeno  ustrojstvo  republike  dubro- 
vacke,  Rad  jugoslav.  akaderaije  isd.  108  (1892),  S.  166. 


Die  mittelalterliche  Kauzlei  der  Ragusaner.  519 

von  Canale,  Slano  und  Stagno.  Diese  Kanzler  waren  Kagusaner  »de 
populo«;  einige  von  ihnen  stiegen  dann  in  die  slavische  Kanzlei  der 
Republik  empor.  Für  Lagosta  war  1  193  bestimmt  »per  cancelliero  della 
isola  ....  che  sia  et  esser  debbia  seculare  et  non  sacerdote«,  jedoch 
der  Beschluss  wurde  bald  darauf  rückgängig  gemacht;  eine  Gesandscliaft 
der  Inselgemeinde  (universitä  della  isola)  bat  um  dessen  Aufhebung, 
»perö  che  dicono  esser  impotenti  ad  far  la  spesa  per  el  salario  de  can- 
giliero  seculare« i). 

Ganz  abseits  steht  naturlich  die  Kanzlei  des  Erzbischofs,  stets  von 
Geistlichen  verwaltet. 

In  C  at  t  aro  2)  folgt  auf  einheimische  Diaconi  und  Presbyter!  Magister 
Thomas  de  Firmo  1285  — 1294  als  erster  italienischer  Notar.  Aber 
dessen  Nachfolger,  zwei  weltliche  Cattarenser  aus  dem  Geschlechte  Vito, 
waren  bis  13H0  wieder  Einheimische.  Dann  folgt  eine  Serie  italienischer 
Beamten,  wir  kennen  sie  aber  nur  unvollständig,  meist  aus  den  in  den 
Büchern  von  Ragusa  registrirten  Docuraenten,  nachdem  sich  im  Archiv  des 
k.  k.  Kreisgerichtes  von  Cattaro  aus  der  Zeit  vor  der  venetianischen  Be- 
sitzergreifung (1420)  nur  drei  Stadtbücher  erhalten  haben  und  von  diesen 
ist  eins  durch  Nässe  fast  zerstört.  Wie  Ragusa  für  die  Cvemonesen  eine 
besondere  Anziehungskraft  hatte,  so  ist  unter  den  Notaren  von  Cattaro 
die  Ankonitanische  Mark  besonders  durch  die  Bürger  von  Auximum 
(Ossirao)  und  von  Fermo  stärker  vertreten.  Man  sieht,  dass  diese  Notare 
nie  lange  blieben;  es  ist  erklärlich,  da  die  Stadt  1371 — 1420  oft  sehr 
bedrängt  und  in  politisch  recht  misslicher  Lage  war.  Mit  der  venetia- 
nischen Herrschaft  (142o)  kamen  auch  venetianische  Notare. 

Von  den  Städten  Dalmatiens  sind  nicht  zu  trennen  die  Städte  Nord- 
Albaniens  im  Erzbisthum  von  Antivari.  Alle  erhaltenen  mittelalterlichen 
Urkunden  der  Stadtkanzleien  von  Antivari,  Dulcigno,  Scutari 
und  Drivasto  sind  lateinisch  oder  italienisch  geschrieben,  keine  einzige 
slavisch.  An  den  Namen  der  Einwohner  und  an  den  Flurnamen  der 
Umgebung  erkennt  man  die  ursprüngliche  romanische  Bevölkerung,  die 
im  Laufe  der  Zeiten  immer  mehr  albanisirt,  zum  Theil  auch  slavisirt 
wurde  ^).     Die  Städte  waren  finanziell  zu  schwach ,   um  sich  bessere 


1)  Libro  delli  ordinamenti  e  delle  usange  della  uniuersitade  et  dello  com- 
mun  della  isola  de  Lagusta,  herausg.  von  F.  lladic,  Monumenta  bist,  jurid. 
Slavorum  meridionaliuin  VIII  (1901),  cap.  9S,  p.  55.  -)  S.  die  Beilagen. 

3)  Vgl.  darüber  meine  Romanen  in  den  Städten  Dalmatiens,  I,  5,  58— 5'J, 
97—98. 

34* 


520  ^-  Jii'ßcek, 

Kauzler  zu  halten,  obwohl  es  an  Versuchen  dazu  nicht  fehlte.  Dass  ihr 
Urkundenwesen  iu  Folge  dessen  nicht  den  Erwartungen  entsprach,  sehen 
wir  aus  einem  Gesetz  von  Cattaro  aus  dem  J.  13221). 

Antivari  hatte  eine  lateinische  Stadtkanzlei  mit  einheimischen 
Priestern  und  Domherren,  nur  selten  mit  italienischen  Notaren ;  aus  der 
Periode  1252 — 1445  sind  neun  Namen  bekannt,  unter  ihnen  der  eines 
Neapolitaners. 

Aus  Dulcigno  kennen  wir  die  Namen  von  sechs  Urkundenschreibern ; 
drei  davon  sind  einheimische  Geistliche,  zwei  aber  sicher  diplomirte  Ita- 
liener aus  Padua  und  Ferrara. 

Aus  Scutari  in  serbischer  Zeit  ist  eine  einzige  lateinische  Urkunde 
von  1330  bekannt,  geschrieben  von  einem  einheimischen  Weltlichen, 
»manu  Climenti  filii  Gini,  notarii  communis  Scutari«.  Unter  den  Vene- 
tianern  pflegten  die  Comites  aller  dieser  Städte  natttrlich  venetianische 
Notare  mitzunehmen. 

Das  kleine  Drivasto  blieb  bis  ins  XV.  Jahrh.  bei  dem  Notariat  der 
städtischen  Geistlichen,  die  auch  in  der  Fremde  Erwerb  suchten;  z.  B. 
ein  Presbyter  Andreas  de  Drivasto  schrieb  alsNotarius  der  Insel  Lagosta 
1317  eine  Urkunde  in  schlechtem  Latein  und  primitiver  Schrift,  die  man 
dem  Aeusseren  nach  für  viel  älter  halten  würde. 

Diese  Städte  sind  im  XV. — XVI.  Jahrh.  alle  von  den  Türken  er- 
obert worden,  wodurch  sich  auch  ihre  Bevölkerung  ganz  veränderte. 
Drivasto  liegt  seit  der  Eroberung  1478  in  Ruinen.  Scutari  besetzten  die 
Türken  1479,  Dulcigno  und  Antivari  1571. 

Die  südlichste  Stadt  mit  lateinischen,  zum  Theil  geistlichen  Ur- 
kundenscbreibern  noch  unter  den  griechischen  Despoten  von  Epirus  und 
mit  italienischen  Notaren  unter  den  Anjou's  und  den  Venetianern  war 
Durazzo.     In  dieser  Gegend  grenzten  im  XIV. — XV.  Jahrh.  die  drei 


1)  »De  cartis  notariorum  alterius  civitatis.  Anno  domini  MCCCoXXII, 
mensls  octobris  die  VI.  Nos  communitas  Cathari,  attendentes  negligentiam 
notariorum  quorundam  ciuitatum,  que  sunt  sab  domini  regis  nostri  dominio 
constitute  (unter  dem  König  der  Serben),  quod  in  faciendis  instrumentis  pu- 
blicis  modum  et  formam  iuris  nullam  penitus  obseruabant,  propter  quod 
nostre  coramunitati  multa  daiupna  euenire  poterant  et  deffectus,  ideo  statui- 
mus:  quod  nulkuu  instruraentum  notaiii  publici,  cuiuscunque  modi,  forme 
aut  coüditionis  existat,  preterquam  de  perchiuo,  factum  uel  faciendum  super 
aliquem  ciuem  uostrum  ab  aliquo  notario  publice  ciuitatum,  que  sunt  sab  do- 
mino  nostro  rege  constitute,  incipiendo  a  ciuitate  Anthibari  usque  Dura- 
chium,  valeat  aut  teneat  aliquo  modo  in  curia  ciuitatis"  (Statuta  Catari  §  296). 


Die  mittelalterliche  Kanzlei  der  Ragusaner.  52] 

grossen  Gebiete  der  mittelalterlichen  Urkundenspracheu  an  einander, 
das  lateinische,  griechische  und  slavische.  Seit  ir)01  befindet  sich  auch 
Durazzo  im  Besitz  der  Türken  i). 


1)  Kanzlei  von  Durazzo.  Griechische  Stadtiirknndeii :  unter  König  Man- 
fred 1258,  geschrieben  von  Ffiönyios  noMTOfOTäniOi-  x«}  dKc/.ni'o;  t/;»  ayiioKl- 
jr^S  /LirjTQonoXew^  .Jvooce/tov  xai  xa^iov'O.t'cQio;  Hnyai'o^  o  yixiovQio^,  Acta 
graeca  medii  aevi  III,  239—242 ;  1359  geschrieben  von  'IwäwriS  o  evTt).T;s  «>'«- 
yi'üaxrjg,  nowToyordoio^  tt;s  ayiioTaiTj^  ^rjxoonö'k£(as  ^vQoayiov  xtd  Taßov').7.t(- 
Qioi  o  KooiaXvTr,;.  herausgeg.  von  Sakellion  im  Je^Tioy  der  bist.  Gesellschaft 
von  Athen  Bd.  II  (1S8.5).  S.  471—475. 

Lateinisclie  Notare  unter  griechischer  Herrschaft:  »Dominicus  sacerdos 
et  Dirrachii  notarius  autenticus«  1215  (Text  enthalten  in  einer  Urkunde  vom 
15.  Nov.  1215  im  Archiv  von  Ragusa:.  »Magister  Jacobus  imp.  et  puplicus 
Dirrachii  notarius«  1243  in  zwei  Urk.  des  Rag.  Archivs.  »Nicoluus  diaconus, 
iniperialis  et  puplicus  Dirrachii)  notarius«  1248 — 1256  (ebenda  in  drei  ürk. . 

Unter  den  Angiovinen  und  Venetianern:  Mag.  Xpoforus  de  Cerrefo,  pu- 
blicus  terre  Durachii  notarius  1335  (Diversa  von  Ragusa).  Nie.  Lupi  de 
Briüidusio  1379  (Ib.).  Johannes ßlhcs  quondam  Pisarini  de  Arimino,  imperiali 
auctoritate  notarius  et  iudex  1392  (Ljubic  IV,  295).  Johannes  de  3Iorigiis  quon- 
dam Anthonii  de  Mediolafio,  imperiali  auctoritate  notarius  ac  domini  baiuli  et 
capitanei  ciuitatis  Durachii  cancelarius  1393  (Ljubic  IV,  314;  derselbe  1395  in 
Alessio  ib.  351).  Manfredinus  quondam  Ser  Gutberti  de  3fonte  Claro,  vice- 
cancollarius  Durachii  1437  (Diversa  von  Ragusa\ 

«Notarii  greci  autentici  et  alii  notariiboni  latini«  in  Durazzo  1401  neben 
dem  Notar  des  venetianischen  Statthalters.  Makusev,  IIcTopuiecKia  paaucKa- 
Hia  0  CjLaBiiHaxx  et.  A.iöauiu,  Warschau  1S71,  S.  118. 

(Fortsetzung  folgt.) 


522 


Ueber  die  rumänischen  Knesen. 


Das  rumänische  Wort  cnez  oder 
cneaz  (pl.  cnej\  slav.  K'kH/ÄSk, 
K'kH/^aii,  das  sich  heute  in  der 
rumänischen  Volkssprache  bloss  in 
der  Form  chinez  (ung.  kenez,  ki- 
■nez,  bei  Rogerius  canesius)  im 
Banat,  woselbst  es  Dorfschulze 
bedeutet,  erhalten  hat,  hatte  in 
der'  Vergangenheit  bei  den  Ru- 
mänen zwei  Hauptbedeutungen: 
Dorfrichter  und  freier  oder  grund- 
besitzender Bauer.  Nie  hat  es  die 
Bedeutung  des  Oberhauptes  der 
rumänischen  Fürstenthümer  ge- 
habt, wie  dies  Miklosich  irrthüra- 
lich  im  Etym.  Wörterb.  S.  155 
»rm.  knez^  ehedem  der  regierende 
Fürst  der  Moldau  und  Walachei« 
angenommen  hat.^  Diese  Fürsten  nannten  sich  stets  Woewoden  (koi€- 
KC»,l,a,  ßfAHK'KiH].BOl€BOAa,  volksthümlich  vodä),  und  wenn  sie  das 
XVII.  Jahrh.  hindurch  zuweilen  cnej't  genannt  werden,  so  muss  diese 
Bezeichnung  als  eine  litterarische  Entlehnung  aus  den  russischen  Bü- 
chern erklärt  werden,  welche  um  jene  Zeit  in  die  rumänischen  Lande 
eingeführt  wurden  und  zum  Theil  die  alten  Kirchenbücher  bulgarischer 
Redaktion  ersetzten  ^). 


f^J^  li^^J^JU'^L 


1)  J.  Bogdan,  Originea  voevudatului  la  Romini,  Bucuresti  1902,  S.  1".  — 
Wickenhauser,  Geschichte  und  Urkunden  des  Klosters  Solka,Czernowitz  1877, 
S.  205,  behauptet,  dass  die  Inschrift  der  Kirche  zu  Rädäuti  vom  J.  1559  den 
Alexander  Läpusneanu  »khab«  nennt;  der  Text  (siehe  Melchisedek  in  der 
Revista  p.  istorie,  archeologie  si  filologie  v.  Gr.  G.  Tocilescu  II,  S.  55)  hat  je- 
doch »BoeBoaa«.  —  Zur  Zeit  des  Matei  Basaraba  treffen  wir  auch  in  Urkunden 
das  Wort  kuasb  statt  BoeBoja  an  ;  in  einer  Urk.  vom  13.  Jan.  1634  (Staatsarchiv) 


Ueber  die  rinuänisclien  Knesen.  523 

Ich  will  im  Nachstehenden  ein  Kesume  der  Forschungen,  die  bisher 
über  die  rumänischen  Knesen  gemacht  worden  sind,  geben  —  eine 
Frage,  die  von  gleicher  Wichtigkeit  für  die  Geschichte  der  alten  rumä- 
nischen Institutionen,  wie  für  die  Natur  unserer  Beziehungen  zu  den 
slavischen  Völkern  ist,  und  werde  zu  gleicher  ^cit  einige  neue  Daten 
über  die  Knesen  in  den  rumänischen  Fürstenthümern  beifügen,  denen 
noch  Niemand  bisher  ein  spezielles  Studium  gewidmet  und  über  welche 
die  rumänische  Geschichtsschreibung  noch  ungenaue  Begriffe  hat. 
unsere  Historiker  und  die  Fremden,  die  sich  mit  der  rumänischen  Ge- 
schichte befasst  haben,  insbesondere  die  Ungarn,  beschränkten  sich 
bisher  fast  ausschliesslich  auf  das  Studium  der  rumänischen  Knesen  in 
Ungarn  und  Siebenbürgen,  die  unbestreitbar  eine  wichtige  Rolle  in  der 
Geschichte  dieser  beiden  Länder  das  XIV.  und  XV.  Jahrh,  hindurch 
gespielt  haben.  Da  sich  in  den  Fürstenthümern  die  Knesen  zu  keiner 
militärischen  Bedeutung  emporschwangen,  wie  in  Ungarn,  sondern 
die  ganze  Zeit  hindurch  Dorfbeamte  und  einfache  Bauerngrundbesitzer 
verblieben,  so  sprechen  die  Urkunden  anfänglich  sehr  selten  von  ihnen, 
und  beginnen  sie  erst  in  der  Epoche  ihres  Verfalles,  vom  Ende  des 
XVI.  Jahrh.  an,  öfters  zu  erwähnen. 

Die  ersten  rumänischen  Knesen,  von  denen  in  der  Geschiclite  Er- 
wähnung geschieht,  sind  meiner  Ansicht  nach  die  beiden  Wlachenhäupt- 
linge,  deren  Gebiet  Stefan  Nemanja,  sammt  mehreren  Dörfern  von  na- 
pHi^H,  zu  Ende  des  XII.  Jahrh.  dem  Kloster  Chilandar  verschenkt: 
W,V,U  ßAa\-k  pa^OKO  COVWkCTKO  H  t^öpKTtKO,  i\  ßCfrf  ßi\a\-k  pct-i). 
Wiewohl  Rad  und  Durd  nicht  Knesen  genannt  werden,  so  ist  es  offen- 


ist das  Fürstenthum  Walachei  KHA>KecTBO,  khascteo  genannt,  die  Landesherren 
KHAsu,  die  fürstliche  Weinsteuer  qacrt  kuasctbo  wt  Buuapui,  der  fürstliche  Zoll 
Bama  KHASCTsa;  all  dies  jedoch  sind,  wie  die  aanjaHencKia  BJiaxiÄ,  litterariscbe 
WillkUhrlichkeiten  des  Schreibers.  Uebrigens  bemerkt  man  z.  Z.  des  Matei 
Basaraba  bei  mehreren  Schreibern  die  Tendenz,  einige  Neuerungen  in  die 
alten  Formeln  hineinzubringen;  so  z.  B.  naut  statt  Hcsiiaut  in  einer  Urkunde 
aus  dem  J.  1635  für  den  Logotheten  Sima,  naut  und  JKsnani.  in  einer  vom 
;<.  April  1640  für  den  Vornik  Hrizea,  kohioiuiu,  lauiutiK,  äoms  cTpoiiicji  in 
einer  aus  dem  J.  1631,  März  10,  statt  ko-muc-b,  nexapuuKt,  nocTCiuuKi.;  csXi- 
iciiu  Bceä  CTpaHU  ccBcpuHCKU  (=6au'b)  und  äoms  cipoHieji  in  einer  vom  lö.Mai 
1641  u.  s.  w.  (alle  im  Bukarester  Staatsarchiv). 

1)  Miklosich,  Monumenta  Serbica  S.  5;  E.  Kaluzniacki,  bei  Hurmuzaki, 
Documente  privitoare  la  istoria  Rominilor  I.  2,  S.  772.  Die  Urkunde  wird 
gewöhnlich  1198—1199  datirt. 


524  J-  Bogdan, 

bar,  dass  sie  unter  den  170  Wlachen  das  Amt  von  Knesen  oder  Pre- 
mikjuren  hatten,  deren  in  den  späteren  Schenkungen  der  serbischen  Kö- 
nige und  Dynasten  als  Obrigkeiten  der  Weiler  oder  Dörfer  der  Wlachen 
Erwähnung  geschieht.  So  im  Diplom  des  Stefan  Prvovencani  mit  Bezug 
auf  das  Kloster  Zica  (1222 — 1228):  a  Cf  ß/\acn  :  rpk^k  KH63k  u.s.w.i); 
in  dem  des  Stefan  Uros  II.  für  Chilandar  (1293 — 1302):  a  C(  ßaaCH  : 
KHE3b  KOHyHa  u.  s.  w.  2) ;  im  Diplom  desselben  für  das  Kloster  Banja 
(c.  1318):  Karov'Hk  Bap1iA»€KCKHH  :  KOCTa,\HHk  np'kiuiHKiopk, 
KaTOXfHk  KOROieß'n":  np'kiuinKwp  ßOHCHAk,  KaToyHk  ßOHCHAki^k: 

np'klllMKIOpk  ßOllCHAk  U.  S.  W.3). 

Unter  den  Weilern,  die  von  Stefan  Dusan  der  Kirche  zum  Heil. 
Erzengel  von  Prizren  (c.  1348)  geschenkt  wurden,  werden  die  ßaacH 
KaaT^MaHf  mit  ßancaaßk  npIviuiHKiopk  an  der  Spitze  erwähnt,  der 
Weiler  raHMHiiJa  mit  dem  np-feiiiiHKKtpk  ßCHyua,  der  Weiler  KOCTpk- 
MaHk  mit  dem  nplj!UiHKiopk  KOi'AaHk  und  der  Weiler  rOAC^'^'^ßUH 
mit  dem  KHfSk  rK^prk^). 

Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  einige  von  den  Wlachen,  die  im 
XIV.  u.XV.  Jahrh.  den  Klöstern  oder  den  serb.  Adeligen  geschenkt  und 
nach  je  einem  Personennamen  benannt  wurden,  nach  ihren  Knesen  oder 
Premikjuren  benannt  worden  sind :  so  Ursulovci,  Sisatovci  des  Klosters 
Banja,  nach  ürsul,  Sisat  (ed.  Jagic,  28,  33;  cf.  lUHUiaTk  in  dem  Diplom 
für  Decani  S.  54)  ^).  So  Lepcinovci,  Tudoricevci,  Katisevci  des  Klosters 
Decani,  nach  Lepcin,  Tudoric,  Ratis :  Lepcin  und  Tudoric  sind  an  der 
Spitze  ihrer  Mitbewohner  aus  demselben  Dorf  genannt,  unter  den  Ka- 
tisevci aber  wird  als  Grossvater  (,A,1J/I,k)  zweier  anderen  Wlachen  Ratis 
genannt  6);  so  Vlasi  Voichnici,  geschenkt  im  J.  1434  vom  Woewoden 
Juraj  den  drei  Brüdern  Jurjeviei,  oder  Vlasi  Radivojevci  und  Vlasi 
Vojkovci,  geschenkt  von  Georg  Brankovic  im  J.  142  8  dem  Radic  Cel- 
nik,  —  nach  Voichna,  Radivoj  und  Vojko^j. 


i]  Mon.  Serb.  S.  12;  Hurmuzaki  I,  2,  S.  775. 

2)  Mon.  Serb.  S.  59;  Hurmuzaki  I,  2,  S.  797. 

3)  V.  Jagic,  Svetostefanski  chrisovulj  kralja  Stefana  Urosa  II.  Milutina, 
uBecu  1890,  S.  32,  33,  35. 

4)  Glasnik  XV,  S.  288,  291,  292,  294;   cf.  ibid.  S.  295,  297  und  Hasdeü, 
Archiva  istoricä  a  Eominiei  III,  S.  136 — 137. 

5)  Decanske  chrisovulje,  im  Glasnik,  od.  II,  kn.  XII  (1880). 

6)  Ibid.  S.  49,  51;  vgl.  Mon.  Serb.  S.  96. 

")  Mon.  Serb.  S.  378;  Spomenik  III,  S.  3.  Darüber  näheres  bei  St.  Nova- 
kovic,  Selo  (Gks  XXIV),  S.  41  sq. 


lieber  die  ruiuänischen  Knesen.  525 

Die  Hauptattributionen  dieser  Knesen  waren  aller  Wahrscheinlichkeit 
nach  nachstehende:  a)  sie  sammelten  von  den  wlachischen  den  Klöstern 
oder  Adeligen  unterthänigen  Hirten  die  ihnen  auferlegten  Abgaben, 
unter  welchen  die  »quinquagesima«  von  den  Schafen  den  ersten  Kang 
einnahm,  gerade  so  wie  bei  den  Rumänen  in  Ungarn  und  Siebenbürgen  i) ; 
b)  sie  garautirten  die  Leistung  der  Frohnarbeiten  in  den  Dörfern  der 
wlachischen  Landbauern:  c)  sie  übten  die  Dorfpolizei  aus,  wofür  sie 
ein  Artikel  aus  dem  Zakonik  des  Stefan  Dnsan  verantwortlich  macht^); 
d)  sie  uitheilten  die  kleinen  Processe  der  Inwohner  ab.  Diese  letzte 
Attribution,  welche  mir  die  älteste  zu  sein  scheint,  spiegelt  sich  in  dem 
Worte  cc>V',VtvCTKO  »terra  iudicis«  aus  dem  Diplom  des  Stefan  Nemanja 
ab,  welches  genau  dem  rumänischen  Worte  ))judecie«  (JKOV',\,fM"if)  aus 
den  moldauischen  Urkunden  entspricht  und  welches,  wie  wir  weiter 
unten  sehen  werden,  den  Sinn  eines  Bezirkes  hatte,  innerhalb  dessen 
der  »cneaz«  oder  Richter  «Jude«  sein  Richteramtsbefugniss  ausübte.  Es 
ist  möglich,  dass  die  Knesen  der  Wlachen  in  Serbien  in  ihrer  eigenen 
Sprache  »judeci«  oder  »juzi«  (sg.  judec,  Jude)  genannt  wurden,  gerade 
so  wie  die  aus  der  Walachei  oder  der  ^loldau  3). 

Ungefähr  mit  den  gleichen  Attributen  ausgestattet  erscheinen  die 
ersten  rumänischen  Knesen  auf  den  rumänischen  Territorien  im  Norden 
der  Donau  und  in  Ungarn.  Die  Knesen  Joan  und  Farcas  aus  dem 
Severinerlande,  die  der  König  von  Ungarn  den  Johannitern  im  J.  1247 
unterstellte,  hatten  für  diese  die  Hälfte  aller  königlichen  Einkünfte  die 
ihnen  cedirt  wurden-^)  einzusammeln;  dieselben  bestanden,  wie  aus  den 
späteren  ungarischen  Quellen  zu  entnehmen  ist,  vorzüglich  aus  der  quin- 
quagesima ovium,  aus  dem  Zehent  der  Schweine  und  Bienen  und  aus 
<  iner  Steuer  census    für  die  benützten  Grundstücke^).    Sie  hatten  ferner 


')  V.  Jaglc,  Svetostef.  chris.  S.  36:  a  ce  saKoa^  ujaxoMt,  aa  aaio  na  BcaKO 
.itro  wT  -H-  u'Buoy  ch  larHKTeMB  a  jpoyroy  M.!ioEoy.  Vgl.  Decanske  chrisovulje 
S.  309. 

2;  Ed.  Novakovic.  1S98,  S.  113,  §  146. 

3;  Nach  Novakovic  war  der  Ausdruck  Icnez  gebräuchlicher  in  den  nord- 
westlichen Theilen  des  serbischen  Gebietes,  während  premiljur  in  jenen 
Theilen  vorherrschte,  die  dem  griechischen  Einflüsse  ausgesetzt  waren.  Selo, 
S.  233;  vgl.  ibid.  S.  108—109. 

4)  »Medietatem  omuium  utilitatum  et  reddituum«;  Hurmiizakil,  1,  S.250. 

5)  »Medietas  collectarum  quinquagesimaruni«  1383;  J.  Mihälyi,  Diplome 
maramuresene  din  secolul  XIV  si  XV,  Maramures-Sziget  1900,  S.  77;  »quin- 
quagesima« 1387;  Hurmuzaki  I,  2,  S.  301.  —  »Praestatio  ovium,  porcorum« 


526  J-  Bogdan, 

die  Dienste  (servitia),  die  die  Einwohner  dem  Könige  zu  leisten  hatten, 
die  Instandhaltung  und  die  Vertheidigung  der  Burgen  zu  überwachen 
und  Kriegsdienste  zu  leisten  (»defensio  terrae  cum  apparatu  suo  bel- 
licotc  in  dem  Diplom  von  1247). 

Auf  den  königlichen  praediis  und  Burgländereien,  auf  den  Gütern 
des  Klerus,  des  Adels  und  der  Stadtgemeinden  waren  die  Kuesen  (kenezii) 
Verwalter  der  Dörfer,  im  Namen  der  Grundherren,  und  Richter  der  In- 
sassen. So  erscheinen  sie  in  den  ersten  Urkunden  nach  dem  Diplom 
Belas  IV.,  um  1301  auf  dem  Gebiete  der  Szekler  in  Siebenbürgen  i),  im 
Jahre  1319,  1326,  1343,  1344  im  Banat  und  Marmarosch2).  Mit  Be- 
ginn der  zweiten  Hälfte  des  XIV.  Jahrh.  werden  die  Nachrichten  über 
die  rumänischen  Knesen  in  Ungarn  sehr  zahlreich  und  präzise;  sie  lassen 
gar  keinen  Zweifel  über  die  Natur  der  Attribute  und  der  juridischen 
Situation  derselben  zu. 

Von  der  alten  Organisation  der  Knesen  in  den  rumänischen  Dörfern 
Gebrauch  machend,  bedienten  sich  die  Könige  Ungarns  und  in  deren 
Namen  die  Woewoden  oder  Vice-Woewoden  Siebenbürgens,  die  Comites 
der  Comitate  und  die  Kastellane  der  königl.  Burgen  der  Knesen  für  ihre 
Kolonisationszwecke,  indem  sie  ihnen  für  die  Einkünfte,  die  sie  von  den 
Kolonisten  von  Alters  her  bezogen,  Gewähr  leisteten  oder  sie  erhöhten. 
Indem  sie  aiif  einen  Theil  ihrer  Einkünfte  zu  ihren  Gunsten  Verzicht 
leisteten,  gewährten  die  Könige  und  nach  ihnen  die  übrigen  Grundeigen- 
thümer  den  Knesen  das  Kenezialrecht  (jus  kenezatus,  keneziatus,  jus 


1370;  Keiueny,  Ueber  die  ehemaligen  Knesen  und  Kenesiate  derWalachen  in 
Siebenbürgen,  Kurz,  Magazin  II  (1846),  S.  309.  »Decima  ovium,  porcorum« 
1506 — 1512;  Rethy  L.,  Az  oläh  nyelv  es  nemzet  megalakuläsa  1887,  S.  159. 
»Redemptio  porcorum  et  apum«  1553;  Kemeny,  1.  c,  S.316.  —  »Tres  grosses 
de  qualibet  sessione«  1387;  Hurmuzaki  J,  2,  S.301 ;  »dicam  secundum  sortem 
levatam,  secundum  sortem  suam«  1553  (zu  je  8,  16,  20,  50  Denaren);  Kemeny, 
1.  c,  S.  316. 

1)  Die  Szekler  aus  dem  zur  Burg  Udvord  (Udvarhely)  gehörigen  Dorfe 
»Olähtelek«  (villa  olachalis)  werden  der  Jurisdiction  der  Knesen  (a  iuvisdic- 
tione  knesij)  entzogen;  die  Rumänen  aber  »prestent  knesio  ipsorum  pre- 
standa«;  Hurm.  I,  1,  S.  553—554.  Vgl.  das  Privilegium  der  Bereczkafalvaer 
Rumänen  aus  dem  J.1426:  die  niedere  Gerichtsbarkeit  wird  unter  ihnen  vom 
»ipse  kenesius  predictus  pro  tempore  constilutus  cum  villanis  dicte  ville«  ge- 
handhabt; Hurm.  I,  2,  S.  535—536. 

2)  Hurm.  I,  1,  S.  579,  596,  687 ;  Mihälyi,  1.  c,  S.  8. 


Ueber  die  rumänischen  Knesen.  527 

keneziale)  und  zwar  für  eine  unbegreuzte  Zeit^)  oder  auf  Lebenszeit  und 
mit  dem  Verfiigungsrechte  dasselbe  auf  die  direkten  Erben  zu  über-  ■ 
tragen  2j,  welche  zur  gesammten  Hand  an  den  Beuefizien  des  kenezatus 
Theil  hatten  ^j .  Diese  Verleihungen  wurden  entweder  durch  die  Bestäti- 
gung der  bestehenden  Knesen  in  ihrer  Funktion  bewerkstelligt  oder  durch 
die  Bevollmächtigung  neue  Dörfer  (villas)  auf  friscbgerodeteu  Waldboden 
oder  auf  von  Bewohnern  verlassenen  Gründen  zu  bauen  (novae  planta- 
tiones)-*).  In  diesem  Falle  hatte  der  Knese  eine  mit  dem  «scultetus« 
oder  »iudex«  der  deutschen  Kolonien  aus  dem  Norden  Ungarns  analoge 
Situation ;  er  glich  einem  deutschen  » Lehnschulzen  «s).  Nebst  dem  Rechte 
einen  Antheil  an  Grund  und  Boden  zu  besitzen,  welcher  für  gewöhnlich 
grösser  als  der  der  übrigen  Inwohner  war  (mansio,  mansus)  und  welcher 
vom  jjceusus«  und  der  «quinquagesima«  frei  war  ^),  und  nebst  dem  Rechte 
eine  Mühle  zu  haben")  und  sich  der  Arbeitsleistung  der  Dorfinsassen 
zum  Zwecke  der  Bebauung  seines  Antheiles  an  Grund  und  Boden  zu  be- 
dienen S),  hatte  er  auch  gewisse  Einkünfte  von  den  Rechtssprüchen  »in 
causis  minoribusft'j). 


1)  »Nostro  durante  placito«  1409;  Hurm.  1,  2,  S.464;  »usque  ad  nostrum 
beneplacitum«;  Rev.  p.  ist.,  arch.  si  filolog.  V,  S.  137. 

-1  »Titulo  perpetuae  kenesiatus  donacionis«  1445;  Hurm.  I,  2,  S.  721 — 
722,   Von  Nachkommen  ist  fast  in  allen  Urkunden  die  Rede. 

3)  Sie  waren  »condivisionales«;  Urk.  a.  d.  J.  1412,  Rev.  p.  ist.,  arch.  si 
filolog.  V,  S.  135—137. 

•*)  Sehr  wichtig  sind  in  dieser  Hinsicht  folgende  Urkunden :  1360  Solyom- 
Fekete  Ferencz,  A  niagyarsäg  es  az  oläh  incolatus  Hunyadban,  in  den  Jahr- 
büchern der  histor.  u.  archäolog.  Gesellschaft  aus  Hunyad,  Budapest  1882, 
S.  60  sq.;  1363  Hurm.  I,  2,  S.  73;  1380  Sölyom-Fekete,  1.  c. 

5)  »Kenezii  seu  sculteti«  1555,  ap.  Hunfalvy,  Neuere  Erscheinungen  der 
rumänischen  Geschichtsschreibung  18S6,  S.  1 19.  Vgl.  sculteti  seu  kniaziones, 
advocati  sive  sculteti  kniaziones  in  den  galizischen  Dörfern  iure  valachico, 
ap.  Stadnicki,  0  wsiach  tak  zwanych  woloskich  na  polnocuym  stoku  Karpat, 
w  Lwowie  1848,  S.  35,  44. 

6)  Die  »antiqua  libertatis  praerogativa«  der  Knesen  in  Hunyad  bestan- 
den darin,  dass  sie  keine  »taxas,  census  et  contributiones«  zahlen  mussten. 
Urk.a.d.  J.  1482.  In  einer  wichtigen  Quelle  aus  d.  J.  1552  heisst  es:  kenezii 
non  solvunt  quinquagesimam ;  ap.  Kemeny,  1.  c,  S.  311 — 312. 

")  Vgl.  die  Urk.  v.  J.  1326,  Hurm.  I,  1,  S.  528  und  Hunfalvy,  Az  Olähok 
törtenete  I,  S.  408. 

8;  Obgleich  dies  in  den  ung.  Quellen  nicht  ausdrücklich  gesagt  wird, 
kann  man  für  die  ung.  Knesen  dasselbe  annehmen,  was  für  die  galizischen 
bewiesen  ist.   Stadnicki,  1.  c,  S.  15 — 16. 

9)  »Ipsi  autem    sc.  kenezii  Juga  und  Bogdan  im  Comitate  Krassö)  po- 


528  J-  Bogdan, 

Die  Knesen,  die  sich  auf  den  Gütern  der  Adeligen,  des  Klerus 
oder  der  Gemeinden  befanden,  hatten  eine  niedrigere  Stellung;  sie  hatten 
kein  erbliches  Kenezialrecht  und  waren  von  dem  «onus  terrestralis«  nicht 
befreit,  von  welchem  nicht  einmal  die  vom  Könige  bestätigten  Knesen 
immer  befreit  waren i).  Daher  der  Unterschied,  welchen  König  Lud- 
wig I.  im  J.  1366  zwischen  einem  »kenezus  per  nostras  litteras  regales 
in  suo  kenezatu  roboratustf  und  einem  »communis  kenezus«  mit  Bezug 
auf  das  »homagium«  macht;  der  erstere  ist  einem  «nobilis«,  der  zweite 
einem  »villicus  fidei  unius  fertonis«  gleichgestellt;  weder  der  Eine  noch 
der  Andere  war  ein  wahrer  »nobilis«'^). 

Und  bei  alledem  war  ein  Theil  der  rumänischen  Knesen  in  den 
Adelstand  des  Königreiches  vor  1366  erhoben  worden;  sehr  viele  wurden 
gegen  Ende  des  XIV.  und  im  XV.  Jahrb.  geadelt.  Der  erste  mir  bekannte 
Fall  ist  vom  J.  1326:  Karl  Robert  gibt  einem  Stanislaus  kenezius  aus 
Marmarosch,  für  dessen  Dienste,  »terram  Zurduky  (heute  Szurduk,  rum. 
Strimtura)  iure  perpetuo  ac  hereditarie  possidendam«,  dieselbe  von 
jeder  Jurisdiktion  und  von  allen  Abgaben  eximirend,  wobei  er  dem 
Stanislaus  »omne  ipsius  terre  debitum  et  coUectam,  niore  et  lege  nobi- 
lium  regni  percipiendam.c  verlieh  3).  Durch  eine  derartige  Schenkung 
wurde  der  Knese  adelig,  er  war  kein  »jobbagio  regalis«^)  mehr,  sein 
Kenezat  kein  »officiolatus«^);  das  Eigenthum  besass  er  nicht  mehr  »sub 
Servitute  keneziatus«  ^j ,  er  schuldete  dem  König  nicht  mehr  gewisse 
»obsequia,  servicia  ac  solutiones«'),  wie  die  übrigen  Knesen.  Den 
Besitz  oder  die  Besitzungen  die  er  bis  dahin  »sub  nomine  keneziatus« 


terunt  iudicare  preter  tres  causas,  scilicet  latrocinium,  furtum  et  incendarium« 
1352  (Hurm.  I,  2,  S.  28—29).  Vgl.  die  Privilegien,  die  Elisabeth  in  den  J.  1366 
und  1370  den  Knesen  aus  Beregh  ertheilt:  »Olachi  et  jobagiones  ipsorum« 
sollen  nur  der  Gerichtsbarkeit  ihrer  »doraini«  unterstellt  sein,  »exceptis  furto, 
latrocinio  et  aliis  publicis  criminalibus«  (Mihälyi,  1.  c,  S.  59,  63).  Dasselbe 
Hecht  hatten  die  deutschen  »villici«  in  der  Zips  und  in  der  Marmarosch ;  Urk.  aus 
d.  J.  1303  und  1315  bei  Schwardtner,  De  scultetiis,  Bndae  1S15,  S.  148  sq., 
]329  bei  Mihälyi,  1.  c,  S.  8—10. 

1)  Kemeny,  1.  c,  S.  297,  306;  Hurm.  I,  2,  S.  241—242. 

2)  Hurm.  I,  2,  S.  120;  vgl.  Kemeny,  1.  c,  S.  294  sq. 

3)  Mihälyi,  1.  c,  S.  6. 

4)  Urk.  aus  d.  J.  1370;  Hurm.  I,  2,  165. 

5)  Urk.  aus  d.  J.  1387;  ibid.  S.  300. 

6)  Urk.  aus  d.  J.  1394;  ibid.  S.  356. 
^)  Urk.  aus  d.  J.  1394;  ibid.  S.  354. 


Ueber  die  rumänischen  Knesen.  529 

inne  hatte  und  die  er  »nomine  regio«  verwaltete,  erhielt  er  nunmehr  »per- 
petuo  et  irrevocabiliter«,  ;)omni  eo  jure  et  titulo  quo  eedem  ad  nostram 
(sc.  regiam)  collationem  pertinere  dinoscuntur«  ^i.  Im  Verhältuiss  zur 
ersten  Kenezatssc henkung,  wird  diese  stets  »nova  donatio«  genannt 2^. 

Die  unter  Karl  Robert  begonnene  Verleihung  des  Adelstandes  an 
die  rumänischen  Kuesen  setzt  sich  unter  Ludwig  I,  und  Sigismund  fort 
und  nimmt  in  Folge  der  wichtigen  Dienste,  die  die  Knesen  dem  König- 
reiche in  den  Türkenkriegeu,  hauptsächlich  in  den  südlichen  Comitaten 
Ungarns:  Krassü,  Szöreny  und  in  Huuyad  leisten,  unter  den  Königen 
Albert  und  Wladislaw  und  unter  Hunyadi  als  Woewoden  von  Sieben- 
bürgen und  Gubernator  Ungarns,  einen  grossen  Aufschwung.  Unter 
Matthias  Corvinus  wird  dieselbe  spärlicher.  In  der  zweiten  Hälfte  des 
XV.  und  zu  Ende  dieses  Jahrhunderts  sind  die  «Valachi  nobiles«  im 
Banat  und  im  Hunyader  Comitate  äusserst  zahlreich  3).  Adelig  geworden, 
pflegten  die  Knesen  aufzuhören  Itumänea  zu  sein;  theils  freiwillig,  theils 
gezwungen  durch  die  seitens  Ludwig  I.  getroflenen  und  von  Sigismund 
imJ.  142S  bestätigten  Massregeln,  gehen  sie,  um  sich  auch  fernerhin  ihre 
Güter  zu  erhalten,  zum  Katholizismus  über  4).  Den  Rumänen  verbleiben 
blos  die  »kenezii  commuueso,  die,  sei  es  dass  sie  den  königlichen  Burgen, 
sei  es  dass  sie  den  Kapiteln,  den  Adeligen  oder  den  Stadtgemeinden  zu- 
gehörten, nun  nichts  Anderes  als  Doifiichter  sind,  »villici  seu  kene- 
zii«^;,  "judices  vel  keneziia^jj  »pro  tempore  constituti«,  dem  Grundherrn 
wie  auch  ihre  Mitbewohner  unterthänig,  unfrei,  da  sie  jenen  ohne  seine 
Erlaubniss  uud  ohne  vorher  das  »terragium  justum«  ^)  bezahlt  zu  haben, 
nicht  verlassen  konnten;  sie  zahlten  einen  »census«;  für  ihre  Dienst- 


1;  Urk.  aus  d.  J.  1370;  ibid.  S.  167—168.  Vgl.  »pleno  iure«  1387;  ibid. 
S.  300. 

-)  Urkunden  aus  d.  J.  1387,  1394,  1439,  1445,  1446,  1447:  totum  et  omne 
\  ius  regium,  totum  et  omne  ins  regni ;  ibid.  S.  300,  356 — 357,  649 — 650,  653 — 
'  654,  721 — 722.  727,  731.  Vgl.  die  Schenkungsurkunde  an  Karapch  Olachus 
1365,  der  kein  Knese  war;  ibid.  S.  98 — 100. 

3)  Siehe  z.  B.  die  Urkunde  aus  d.  J.  1496  bei  Sulyom-Fekete,  1.  c. 

*)  Das  Decret  Sigismund's  aus  d.  J.  1428  verlaugt,  dass  die  Adeligen 
und  Knesen  in  den  Comitaten  Szüreny  und  Hunyad  (Distrikte  Sebes,  Mihäld, 
Hätzeg)  keine  Popen  mehr  auf  ihren  Gütern  unterhalten  und  dass  sie  ihre 
Kinder  katholisch  taufen  sollen.  Hunfalvy,  Az  Olähok  törtenete  I,  S.  480  — 
481  ;  II,  S.  65. 

5)  Urk.  aus  d.  J.  1447;  Hurra.  I,  2,  S.  739. 

6)  Urk.  aus  d.  J.  1543,  1552;  ap.  Kenieny,  1.  c,  S.  312. 
')  Urk.  aus  d.  J.  1407 ;  Hurm.  I,  2,  S.  454—455. 


530  J-  Bogdan, 

leistiing  aber  hatten  sie  ein  jährliches  Entgelt,  nach  Uebeieinkommen. 
Diese  Knesen  sind  identisch  mit  den  »villici«  der  ungarischen  und  sächsi- 
schen Dörfer  (ung,  birö^  sächs.  Hann)  und  unterscheidet  sich  ihre 
Rechtsstellung  in  Nichts  von  der  der  übrigen  »iobbagiones«!). 

Ihr  Name  (unter  der  Form  cnez  oder  cJiinez)  erhält  sich  in  dieser 
Bedeutung  bis  an  das  Ende  des  XVI.  Jahrb.;  im  XVII.  Jahrb.  ist  er    j 
durchaus,  ausser  im  Banat,  wo  er  sich  auch  bei  den  dortigen  Serben  er-   |i 
halten  hat,  mit  dem  Terminus  jade^  Jiidet^  gnide,  giudet  (iudex)  oder 
hiruu  (ung.  birö)  ersetzt  2). 

Derart  werden  die  Knesen  in  Ungarn  und  Siebenbürgen,  nachdem 
sie  anfänglich  Dorfbegründer  und  Dorfhäuptlinge,  hierauf  erbberech- 
tigte Schulzen  der  Könige  und  der  Grossgrundbesitzer  und  zuletzt  Land- 
adelige gewesen,  blos  Verwalter  adeliger  Domänen  und  Dorfgemeindeu. 
die  im  Abhängigkeitsverhältniss  von  Städten  standen ;  in  den  ersteren 
verlieren  sie  sich  unter  den  Hörigen  3). 


1)  Kemeny,  1.  c,  S.  297—298,  306.  Die  Urkunde  aus  d.  J.  1377,  auch  bei 
Hurmuzaki  I,  2,  S.  241 — 242,  ist  sehr  wichtig  für  die  Stellung  der  gemeinen 
Knesen.  Vgl.  das  Statut  des  Värader  Kapitels  1506 — 1512:  kenezii  vero  tarn 
ad  ovium  quam  porcorum  praestationeiu  astriuguntur  iuxta  conventionem 
factam  (Rethy,  1.  c,  S.  159)  und  die  Resolution  des  Siebenbürgischen  Land- 
tages vom  J.  1538:  villici,  kenezii,  Valachi  presbiteri  solvant  (sc.  tributum  ; 
Kemeny,  1.  c,  S.  311—312. 

2)  Kemeny,  1.  c,  S.  327  sq.;  N.  Jorga,  Säte  si  preoti  din  Ardeal,  Bucu- 
resti  1902,  S.  109,  112,  116,  121,  122,  128,  132,  138,  165;  Derselbe,  Documente 
romtnesti  din  archivele  Bistritei,  Bucuresti  1899—1900,  I,  S.  XVI,  24,  29,  91. 
96;  n.k  64,  76—79,  90,  91,  99,  108,  113.  In  den  Rechnungen  der  Stadt  Her- 
mannstadt aus  dem  XV.  u.  XVI.  Jahrh.  kommt,  neben  der  ungarischen  Form 
kenesio,  auch  die  rumänische:  knesio,  knesius,  knysio,  knyes  vor;  Rechnungen 
aus  dem  Archiv  der  Stadt  Hermannstadt  I  (1880),  S.  131,  182,  207,  208,  215, 
221,  222,  233—234  sq. 

3)  Diese  Darstellung  stimmt  nicht  mit  der  Meinung  einiger  rumäni- 
schen Historiker  überein,  die  geneigt  sind,  die  rumänischen  Knesen  in  Un- 
garn und  Siebenbürgen  als  »Distriktskapitäne«  oder  »Militärpräfekten«  mit 
adeligem  Range  und  politischen  Functionen  aufzufassen.  N.  Densusianu, 
Chinesiatul  familiei  Bäsärabä  din  tara  Hategulni,  in  der  Revista  p.  istorie, 
archeol.  si  filolog.,  Bucuresti  1902,  S.  50  sq.  Vgl.  desselben  Revolutiuuea  hu 
Horia  in  Transilvania  si  Ungaria,  Bucuresti  1884,  S.  45  sq.  Besser  hat  die 
Natur  des  Kenezats  Xenopol  verstanden,  Istoria  Rominilor  I  (1888),  S.  503 — 
505.  Unter  den  ungarischen  Historikern  hat  sich,  nach  Kemeny,  mit  dieser 
Frage  am  eingehendsten  P.  Hunfalvy  befasst:  die  Rumänen  und  ihre  An- 
sprüche 1883;  Neuere  Erscheinungen  der  rumänischen  Geschichtsschreibung 


Ueber  die  rnmänischen  Knesen.  531 

Eia  ganz  anderes  Loos  hatten  die  Knesen  in  den  rumänischen 
Fürstenthümern.  Mit  diesen,  unter  den  rumänischen  am  wenigsten  be- 
kannten Knesen  werden  wir  uns  auf  Grund  eines  neuen  Urkundenmate- 
rials  eindringlicher  befassen  müssen. 

Man  hat  vermuthet,  dass  die  alte  rumänische  Institution  des  Kene- 
zats  auch  in  den  beiden  rumänischen  Fürstenthümern  im  Süden  und  Osten 
der  Karpathen  bestanden  haben  müsse  und  dass  dieselbe  in  der  Wa- 
lachei und  der  Moldau  eine  von  den  Gründern  der  Fürsteuthümer  aus 
Ungarn  mitgebrachte  Einrichtung  sei  ^).  Diese  Vorstellung  ist  eine  nur 
zum  Theil  richtige.  Sie  sind  in  den  beiden  Fürstenthümern  südlich  und 
östlich  der  Karpathen  ebenso  alt,  als  auf  den  nördlich  gelegenen  Ge- 
bieten: hier  wird  jedoch  ihrer  selten  Erwähnung  gethan,  wie  von 
Allem  was  das  Dorf  leben  anlangt;  die  meisten  fürstlichen  und  Privat-Ür- 
kunden,  vom  XV.  Jahrh.  angefangen  2),  beziehen  sich  auf  die  den  Bo- 


1S86;  Az  Olähok  törtenete  I--II,  1894.  Letzteres  Werk,  worin  auch  die  Stu- 
dien Solyom-Fekete's  resumirt  sind,  —  ausser  der  oben  citirten  über  das  wa- 
lachische  Incolat  iu  Hunyad  ist  noch  besonders  hervorzuheben:  Väzlatok  az 
oläh-kenezi  inteziuen}-  t<>rtenete  s  ismertetesehez,  in  denselben  Jahrbüchern 
A  huuyaclmegyei  törtenelmi  es  regeszeti  tärsulat  Ovkünyve),  II.  Heft,  Arad 
1SS4,  S.  14 — 37  —  enthält  ein  sehr  reichhaltiges  Material.  Ilunfnlvy's  und 
Solyom-Fekete's  Ansicht,  dass  die  Knesen  einfache  Kolonisationsunterneh- 
nier  waren,  die  Wlachen  vom  Süden  nach  Norden  mit  sich  brachten,  ist  als 
£ranz  verfehlt  zu  verwerfen.  Ein  Auszug  aus  Hunfalvy's  Werken  gibt  Jancsö 
Henedek,  A  romän  nemzetisegi  törekvusek  törtenete  es  jelenlegi  ällapota, 
Budapest  1896,  I,  S.  225 — 2.53.  Mehr  oder  weniger  werden  die  rumänischen 
Knesen  in  den  Schriften  über  die  sogenannte  rumänische  Frage  oder  die 
Siüzer-Roesslersche  Theorie  berücksichtigt.  Die  Bibliographie  dieser  Frage 
wurde  zuletzt  vollständig  von  D.  Onciul  in  seiner  Broschüre:  Kominii  din 
DaciaTraianä  pänä  la  intemeiarea  principatelor  (Chestiunea  rominä),  Bucure§ti 
1902,  gegeben. 

1)  L.  Pic,  Die  rumänischen  Gesetze  und  ihr  Nexus  mit  dem  byz.  und 
slav.  Recht,  1886,  S.  17—19.  —  A.  D.  Xenopol,  Istoria  Rominilor  I  '1888], 
S.  503  sq.,  II  ;1S89),  S.  229  sq.  —  D.  Onciul,  Originele  principatelor  romine, 
Bucuresti  1899,  S.  86  sq.,  134  sq.  —  Vom  juridischen  Standpunkte,  ver- 
ständnissvoll aber  ohne  neue  Daten,  J.  Nädejde,  Din  dreptul  vechiü  romin, 
Bucuresti  1898,  S.  102  sq.  —  Speciell  über  die  moldauischen  Knesen,  R.  Ro- 
setti,  Despre  clasele  agricole  in  Moldova,  in  der  Rcvista  nouä,  I.  und  II.  Jahr- 
gang (1888— 1S89):  eine  sehr  gute  Arbeit.  Ich  übergehe  die  minder  wichtige 
oder  werthlose  Litteratur,  wie  z.  B.  Zanetov,  Bi-lgarskoto  naselenie  v-b  sred- 
nite  vekove,  Ruse  191)2. 

2;  Urkunden  aus  dem  Ende  des  XIV.  Jahrh.  gibt  es  sehr  wenige  und  in 
denselben  wird  kein  einziger  Knese  genannt. 


532  J-  Bogdan, 

jaren  gehörigen  Liegenschaften,  auf  Schenkungen,  Käufe  und  Tausch- 
fälle. Wenn  aber  dennoch  von  ihnen  in  den  Urkunden  eine  Erwähnung 
geschieht,  so  wird  fast  nichts  über  ihre  Attributionen  gesagt,  auch  wird 
ihre  juridische  Situation  den  anderen  Klassen  der  Bevölkerung  gegen- 
über nicht  präcisirt,  wie  wir  dies  in  Ungarn  gesehen  haben.  Eines  er- 
gibt sich  jedoch  mit  Sicherheit  aus  den  moldauischen  und  walachischen 
Urkunden:  die  Knesen  können  hier  nichts  als  Dorfrichter  sein.  Dies 
zeigt  1)  der  Name  Jude  in  der  Moldau,  judec  in  der  Walachei,  2)  der 
Ausdruck  y«<c/ec?V,  gebraucht  in  der  Moldau,  um  den  Kreis  zu  bezeich- 
nen in  welchem  der  Richter  (rum.  Jude)  seine  richterlichen  und  admini- 
strativen Befugnisse  ausübte;  3]  der  Ausdruck  vatatnan^  der  sich  seit  den 
ältesten  Zeiten,  ebenfalls  in  der  Moldau,  im  gleichen  Sinne  mit  dem 
cneaz  und  dem  jW/e  vorfindet,  und  von  dem  wir  aus  den  späteren  Ur- 
kunden mit  Sicherheit  wissen,  dass  er  den  Richter  und  den  Verwalter 
des  Dorfes  bezeichnet,  wie  der  der  nvorniceitn  oder  »vornicu'i  der  spä- 
teren Zeiti). 


*)  Das  Wort  vataman  scheint  von  den  galizischen  und  podolischen  Klein- 
russen entlehnt  zu  sein,  bei  denen  es  sich  unter  den  Formen  ataman,  otaman, 
vatamcDt,  votaman  vorfindet  und  nicht  nur  »Kosakenhäuptling,  Kosakenober- 
haupt» (Miklosich,  Freuadwörter  S.  75,  Etymologisches  Wörterbuch  S.  5)  be- 
deutet, sondern  auch  »Dorfschulze« :  villicus  alias  cywan  seu  watman  [watta- 
man]  z.  J.  1456  inPodolien;  Bantkie,  Juspolouicum,  Varsaviae  1831,8.293.  Für 
das  XVI.  Jahrh.  sehr  oft  belegt,  z.  B.  in  dem  Vertrage  Sigismund's  I.  mit  dem 
moldauischen  Fürsten  Stefänitä  vom  Dez.  1519:  pan  ktori,  abo  ziemianin,  yle 
urzednik  loataman;  pan  ziemianin,  abo  urzednik  icataman  u  gymieniu;  urzed- 
nici,  voitowie  y  watamanotvie  gdzie  pan  swa  glowa  nie  mieszka  w  gimieniu ; 
ma  pan  sam  przisiadz,  a  wata77ian  samotrzec  (Archiva  istoricä  a  Rominiei  II, 
S.  2sq.,  aus  den  Acta  Tomiciana  V,  S.90— 93).  Vgl.  »wöjtowie,  watamani  alho 
tywonowie  przysiegac  beda  na  sprawiedliwe  oddanie  poboru  z  dom6w  i  phi- 
gow«  in  den  Volumina  legum,  ap.  Linde,  Slownik,  s.  v.  wataman.  Man  findet 
das  Wort  auch  bei  den  Grossrussen.  Sreznevskij  citirt  es  unter  der  Form 
BaTaMMaHt,  BOTaMani.  aus  einer  Dvinaer  Urk.  vom  J.  1294  und  aus  zwei  Ur- 
kunden des  Klosters  Troickij  Sergijevi  von  den  J.  1448  und  1477:  a  hg 
csAUTH  uxt  cxapuoBi.  ceprieBCKHXi,  hii  hxx  BoraMaHOBX,  hh  hxt.  ocHaiCBt;  Ma- 
terialy  dlja  slovarja  dr.-russk.  jazyka.  St.Peterburg  1893,  col.  231.  Linde 
und  Sreznevskij  bringen  es  in  Verbindung  mit  vataha,  vataga,  das  auch  bei 
den  Rumänen  vorkommt  (Ipat.  letopis)  und  sich  aus  Urkunden  von  1294, 1340, 
1446  belegen  lässt:  ein  Wort  tatarischen  Ursprungs  (tat.  vataha  »Menge, 
Fischergenossenschaft»,  Miklosich,  Etym.  Wörtb.;.  Nach  Miklosich  ist  wata- 
man aus  dem  deutschen  Hauptmann  herzuleiten,  »woraus  zunächst  hetman«: 
eine  Etymologie,  die  auch  Cihac,  Dictionnaire  d'etymologie  dacoromaine, 


lieber  die  rumänischen  Knesen.  533 

Die  Knesen  werden  fast  ausschliesslich  in  den  Dörfern,  die  zum 
Krongute  gehörten,  erwähnt,  es  sind  dies  jene,  welche  der  Fürst  den 
Bojaren  oder  den  Klöstern,  mittelst  der  Formel  »wo  cneaz,  Jude,  vataman 
der  und  der  gewesen«  oder  «ist«,  »wo  der  und  der  wohnt  (haust)«  oder 
»lebt«,  »wo  der  und  der  gewohnt  hat«  oder  »gelebt  hat«,  «wo  der  und 
der  eine  Dorfniederlassung  errichtet  hat«.  Die  Klöster  oder  die  Bojaren 
behielten  zuweilen  die  »cnejii,  juzii  und  vatamanii«  auch  fernerhin  als 
ihre  Vögte;  in  den  allermeisten  Fällen  jedoch  verschwinden  sie  nach  er- 
folgter Schenkung  seitens  des  Fürsten,  zuerst  in  den  Dörfern,  woselbst 
die  Bojaren  ihre  Häuser  oder  Höfe  (^VOM'Kl,  ^Kopivi)  hatten,  hierauf  in 
den  übrigen:  darum  wird  ihre  Erwähnung  immer  seltener,  gleichzeitig 
mit  der  Verminderung  der  Krongüter. 

Als  Krongutsbeamte  geschieht  der  cnejit  schon  im  XV.  Jahrh. 
äusserst  selten  Erwähnung  —  der  letzte  mir  bekannte  Fall  ist  aus  dem 
J.  1502.  Vom  XVI.  Jahrh.  an  treffen  wir  in  den  Urkunden  nur  «juzi, 
vatamani,  vornici  und  vornicei«^). 

Ich  werde  im  Nachstehenden  die  Hauptbelege  vorführen,  auf  die 
sich  die  obige  Meinung  gründet,  und  zwar  zuerst  für  die  Moldau  und 
dann  für  die  Walachei.  Dieses  Material  hat  nicht  den  Anspruch  voll- 
ständig zu  sein,  da  wir  edirte  Urkunden  wenige  besitzen,  während  die 
unedirten  sehr  zahlreich  sind  und  ich  nur  einen  kleinen  Theil  derselben 
(in  dem  Bukarester  Staatsarchiv  und  in  der  Bibliothek  der  rumänischen 
Akademie)  zu  Rathe  ziehen  konnte. 

1.  KH/ft3K.  1414,  Aug. 2:  DerWoewode  Alexander  schenkt  seinem 
treuen  Vasallen,  dem  Bojaren  (naH   Toader  Pitic,  drei  Dörfer:  6^\nno 

CfAO    \\\    KOBklA'k    r,V,f    Mi>    «CT    A'''*f-"^,     ''A*    fCTk    KKIAk    K'kpHUJk 

CTaMHCAaBk,  a  ,\.P^roe  ctAO  na  ov'ctih  JKfpaKH'K,  r^f  ^na^atTk 

Elements  slaves  etc.  1879,  S.  137,  angenommen  hat.  Die  Betonung  wider- 
Bpricht  aber  dieser  Erklärung:  im  Klcinruss.  wird  oTaMäui.  (wie  im  Rumäni- 
schen), im  Weissruss.  aiaMaHt  betont   Zelechowskij,  Nosovic). 

1  Vgl.  z.B.N.Jorga,  Studii  si  documente  cu  privire  la  istoria  Rominilor 
V,  S.  84  (c.  1650).  225  ;1699 \  396  fl5S6;:  vatamani;  S.  111  (1788),  423  :1783): 
vornlcei;  S.  109  (1757) :  giuzi  domnesti  Ri  boiare^ti.  —  Melchisedek,  Chronica 
Husilor,  Bucuresti  1869,  S.33  4629,  1676),  44  (1747),  54—55  (1676).  —  Wicken- 
hauser,  Molda  II,  S.6  (1747).  —  Uricariul  XVIII,  S.3Ö3— 364  (1805).  Vgl. ibid. 
IV,  S.  2 :  .si  vornicii  si  vatamanii  satilor  sä  fie  scutiti,  si  ei  sä  stringä  banii  §i 
sä-i  deie  la  zapciul  ce  va  fi  riuduit  (1752)  und  Neculcea  (Chronist  aus  dem 
XVIII.  Jahrh.)  bei  Kogalniceanu,  Cronicele  Rominiei,  II.  Ausg.,  S.  281  :  »vor- 
nicii. vorniceii,  vatamanii«  der  Dörfer. 

Archiv  für  slavische  Philologie.    XXV.  35 


534  J-  Bogdan, 

Ha  Kp'kAa^,  Ha  hm£  r^\e  KUAh.  ahe  h  i],HraHci|i'iH  kh/ABOkc,  a 
Tprn'f  c(ao  na  Kp'kaaA'li  rA«  ^^  «ct  aP^''"^  A*''*Mk,  r^e  «CT 
TaMaiiiK  H  HKaHk  KHiÄSOKf  (Im  Privatbesitze).  Aus  demselben  Jahre 
und  vom  selben  Tage  haben  wir  eine  Schenkung  des  Alexander  an 
Sandrnl,  betreffend  das  Dorf  »Muntenii  scutasi,  unde  laste  cneaz  Litu 
si  f^erban«  (rumänische  üebersetzung  aus  d.  J.  1793,  in  der  Bibl.  der 
Rum.  Akademie). —  1427:  Alexander  schenkt  dem  Kloster  Homer 
»ceao  r,\(  kkia  KH/ftSk  craH'K«  (Pic,  Die  rumänischen  Gesetze,  S.  19; 
vgl.  Wickenhauser,  Geschichte  der  Klöster  Homor,  St.  Onufri,  Horodnik 
und  Petrautz,  S.  83  ;  R.  Rosetti,  Revista  nouä  II,  S.  71).  —  1428,  Juli  24 : 
Alexander  schenkt  dem  Sinata  drei  Dörfer,  »eines  auf  dem  Zeletin,  wo 
sich  sein  Haus  befindet,  und  auf  dem  Frumusel,  wo  Dragos  gewesen,  und 
an  der  Tiitova,  wo  Orsat  cneaz  ist  (Th.  Codrescu,  Uricariul  II  (2.  Aufl.), 
S.  252:  Cneagorsat,  zu  lesen  »cneaz  Orsat«,  nach  der  Vermuthung  des 
Herrn  Dr.  G.  Popovici).  —  1436,  Dez.  20:  Unter  den  vielen  Dörfern, 
die  die  Woewodeu  llie  und  Stefan  dem  Bojaren  Mihail  aus  Dorohoiü 
schenken,  befindet  sich  auch  »ceao  noA  KapajKHHOM'K,  rjK,(  chM'Kwh 
KH'kS  o\f  Kfp\"K  A^^KpSuJH«  (Rum.Akad.). —  1438,  Juni  20:  Hie  und 
Stefan  schenken  dem  Vornik  Hudici  »ein  Dorf  am  Wege  an  der  Mün- 
dung des  Baches  Borodak,  wo  der  Königsrichter  (knjas)  Michael  ge- 
wesen« (Wickenhauser,  Bochotin,  Wien  1874,  S.  65;  cf.Solkall,  S.205; 
Wickenhauser  übersetzt  das  Wort  kH/ä.3Ii  fehlerhaft  mit  »Königsrich- 
tera).  —  1487,  Okt.  15:  Stefan  schenkt  der  Metropolie  von  Roman 
»Aß'S  CfA-K  Ha  HMA  nOAlvHa,  TAE  KHAH  KH'kSOBC  B'kACtill  H 
A<»HHiCiA«,  beide  von  einer  Nichte  des  Bojaren  Coste  Andronic  gekauft, 
der  sie  von  Alexander  dem  Guten  erhalten  hatte.  Im  J.  1471  spricht 
man  von  einem  Dorfe  »PA't  KHAH  kh»3CBE  K'KAOQj  h  a**"^!^'^« 
(Melchisedek,  Chronica  Romanului,  Bucuresti  1874,  I,  S.  134  sq.).  — 
1502,  Febr.  17:  Stefan  schenkt  den  Söhnen  des  Coste  Murgoci, 
Neffen  des  Urkundenschreibers  (rpaniiaTHK'k)  Mihail,  »Murgocenii,  wo 
cneaz  Ivan  gewesen  ist,  und  mit  dem  hierzu  gehörigen  Weiler  *),  wo 
Torontäi  war,  und  in  der  Turia  Bäsenii,  wo  Basa  gewesen,  und  an  der 
Jijia  Träjoaca,  wo  lacob  vataman  gewesen«  (rum.Uebers.  a.  d.  J.  1799, 
im  Staatsarchiv;  vgl.  Foaia  Societätii  Rominismului  I,  S.  395)  2|. 

1)  Rum.  »cu  cotunul  lor«,  im  Orig.  wahrscheinlich  Royii.. 

^)  Auch  die  Zigeuner  hatten  ihre  Knesen.  Alexander  schenkt  i.  J.  1428, 
Juli  8,  dem  Kloster  Bistrita  31  qejiiÄi»  iiHraHt,  an  der  Spitze  mit  khäsb  KOMaiTB 
(Arch.ist.1, 1,S.  121).   Vgl.  in  einer  Urkunde  vom  S.März  1458  von  VladTepes 


Ueber  die  ruDiUnischen  Knesen.  535 

2.  /KS,Vf.  140!»,  Jan.  28:  Alexander  bestätigt  dem  Jurj  Ungu- 
reanul  unter  anderen  Dörfern  eines  >i\\t  «er  Hlcr'Kiii'K  HiS.Vk«  (Rum. 
Akad.).  —  14  25,  Jän.liO:  Alexander  schenl^t  dem  Kirclienmaler  Stefan 
die  Dörfer:  >>RfpKMiiin|iii  11  (pcMüipH  11  iic>riE(|iH  h  r,\,f  (ctk  ;K8,\e 
iiauiKO«  llurmuzaki,  Doe.  I,  2,  S.  8;{ü;  Kahizniacki  übersetzt  fehler- 
haft »ubi  Zude  Pasco  habitat«  ibidem  S.  837).  —  1434,  April  24  : 
Stefan  schenkt  an  Juga,  nnter  anderen  Dörfern,  «MTfi|JH  r,\f  tCT  MH- 
KO\'/\a /K©v%i,r'  und  »Ha  Rtpy  crpajKHUn'k  r,v,f  «ctk  /k8,\,(  mh^^- 
HAO«  (Uljanickij,  Material}'  dlja  istorii  liossii,  Polbsi,  Moldavii,  Valachii 
i  Tnrcii,  Moskva  1887,  S.  42;  Hurmuzaki,  Doe.  I,  2,  S.  853,  woselbst 
TOpMHTfi|iM  fehlerhaft  ist .  —  1447,  Febr.  11:  Stefan  bestätigt  dem 
Kloster  Moldovita  einige  Schenkungen  Alexander's  des  Guten,  unter 
welchen  auch  das  Dorf  »r,V<  kwa  /KS,\,t  Kp'kCTi;«  (wo  der  Pächter 
Kirste  gewesen ;  Wickenhauser,  Die  Urkunden  des  Klosters  Moldowitza, 
8. 02;  vgl.Solka,  S.205). —  1455,  Juli  2:  Peter  schenkt  dem  Logotheten 
Mihail,  unter  Anderen,  das  Dorf  »na  ov'CTi«  ncKparli  r^\(  icr  jk8^\( 
KKipcTli  H  ^xaHHya'k«  (Uljanickij,  Materialy,  S.84). —  1487,  Dez.  13: 
Stefan  bestätigt  den  Verkauf  eines  Dorfes,  das  Stibor  von  Alexander 
dem  Guten  erhalten:  )>f,A,HO  c«ao  Ha  Kp'kAa,v,  r,\(  kha  '^^,\(  köA<* 
H  ,i,p'hrc>K',  wea  }K8,i,fMmaf «  (Kevista  p.  istorie,  archeologie  si  filolo- 
gie  I,  S.  369 — 370). —  1517,  Nov.  9:  Stefanitü  bestätigt  dem  Vistiernik 
Gavriil  neben  anderen  zwei  Dörfern  ))MH\'aHAOiiU,M  r,v,f  kkiak  iKS,\t 
fiiTpHHKa«  wahrscheinlich  nfTpHKa  zu  lesen;  Dr.  Orest  Popescul, 
Citeva  documente  moldovene,  Cernäuti  1895,  S.  23;  vgl.  Wickenhauser, 
Woronetz  und  Pntna,  S.  191.  Ein  solcher  »Jude«  scheint  auch  »Kp'kCTli 
ytJ^VfH  .  .  .  WT  KaAOMHpfijiia  zu  sein,  der  als  Zeuge  in  einem  Akte 
der  Metropolie  von  Roman  aus  d.  J.  1586,  Jan.  I  3,  fungirt  (Archiva  isto- 
ricä  a  Rominiei  I,  1,  S.  134)  ^). 

3.  BaraMaH'K.  1421,  Dez.  25:  Alexander  schenkt  dem  Bogus 
das  Dorf  ))K\'H\'pOB'K  r^\(  kkia  BaraMaH  repMAHu  (Uljanickij,  Mate- 
rialy, S.  27).  —  Im  J.  1423,  Apr.  15,  ist  ein  KtpHra  KaxaMaH  in  einem 


herrührend:  KHesb  auuraHCKu  (Venelin,  Vlachobolgarskija  gramaty,  St. Peter- 
burg 1840,  S.  91). 

ij  Richter  (juzi  hatten  auch  die  Zigeuner.  Im  J.  1448,  ,Iuli  13,  schenkt 
derWoewode  Peter  dem  Ivan  Porca  »mirauu  ua  umI;  ciiuan.  11  iiuKs.ia  ;ksä6  u 
iiaHx  H  ^p^ÄIO  H  KocTf.«  und  noch  einige  andere  Zigeuner  (Rum.  Akad.}.  Sie 
trieben  die  Abgaben  von  den  Zigeunern  ein  (Melchisedek,  Chronica  Husilor, 
Bucuresti  1869,  S.  80:  Urk.  von  1711;. 

35* 


536  .!•  Bogdan, 

Dorfe  neben  Baia  erwähnt,  der  Grenzstreitigkeiten  mit  den  Söhnen  des 
Bojaren  Rotiimpan  hat  (Hurmuzaki  I,  2,  S.  835 — S3ß;  Kaiuzniacki 
übersetzt  fehlerhaft  «capitaneus«);  der  Vataman  verwaltete  gewiss  ein 
Krongut.  —  1436,  Juli  17:  Ilie  schenkt  dem  Logotheten  Oancea 
das  Dorf  »npoKOiiHHU,!!,  r,\f  bkia'k  npoKcni».  h  BacHAk  ßa- 
TayaH  H  CK  MAHHOM'K«  (Hurm.  I,  2,  S.  S70).  —  1455,  Juli  15: 
Stefan  schenkt  dem  Logotheten  Oancea  unter  anderen  Dörfern  »Ha 
KOMHaBli  no/iOKHHa  cfACt  rj\,(  ecT  naujKO  KaraMaH'K«  (Uljanickij 
S.  ()7).  —  1473,  Jan.  8:  Stefan  bestätigt  dem  Kloster  Moldovita  die 
Hälfte  vom  Dorfe  Ostäpceanii  in  dem  Distrikte  lasi,  nämlich  den  unteren 
Theil,  »wo  Ostapek  der  Vataman  von  Turia  gewesen  ist«  (Wicken- 
hauser,  Moldowitza,  S.  68;  vgl.  ibid.  S.  77,  eine  Urkunde  vom  4.  Febr. 
1522,  publizirt  im  Original  im  Uricariul  XVIII,  S.  91:  »OCT'knMaHH 
C»Y  TOlfP'"  ^A^  KWAI».  KATAMaH  WCTaRKO«).  —  1519,  Juiii  30: 
»Stefänita  bestätigt  einen  Dörfertausch;  darunter  wird  erwähnt:  »t^HO 
cfAW  3a  npSTCM  noA  ,\eß\Mii\un,  r^f  bkiah  ßaTaimaHOKE  KaAH- 
yan  H  lüKHM  H  aSkam«  (Arch.  ist.  I,  1,  S.  86).  Dieselben  Vatamane 
sind  in  einer  Urkunde  vom  J.  1517,  Jan.  17,  resumirt  von  N.  Jorga. 
Studii  si  documente  V,  S.  550,  erwähnt.  —  1603,  März  27:  Eremia 
Movilä  bewilligt  dem  Kloster  Pobrata  und  »B'kT'kMaHOKfMi  wt  C(A0 
KTvAlvHH  WT  KOAOCT  Knr'kHCKOrjlS(f,  dass  sie  aus  fremden  Ländern 
Leute  ins  Dorf  zusammenbringen  und  befreit  dieselben  durch  3  Jahre 
von  Steuerleistudgen  (Arch.  ist.  I,  1,  S.  117).  —  1631,  Aug.  9:  Moise 
Movilä  schreibt  an  den  Vataman  und  die  Dorfinsassen  von  Losna,  dass 
er  das  Dorf  dem  Kloster  Solka  geschenkt  habe  (Wickenhauser,  Solka, 
S.  96).  Vatamanen  im  XVL — ^XVIIL  Jahrh.  sind  in  fast  allen  moldaui- 
schen ürkundensammlungen  erwähnt:  z.  B.  Wickenhauser,  Moldowitza. 
S.  86,  99,  140  (aus  1570,  1608,  1755);  Jorga,  Studii  si  Documente  Y, 
S.  84,  225,  396  (aus  c.  1650,  1699,  1586);  von  ihnen  ist  auch  in  den 
Chroniken  die  Rede^). 

4.  Bedeutend  häufiger  sind  im  XV.  u.  XVL  Jahrh.  die  Fälle,  wo 
der  Dorf  Verwalter  bloss  dem  Namen  nach  erwähnt  wird,  ohne  einen  der 
drei  Attribute  cneaz,  Jude  oder  vataman;  es  versteht  sich  von  selbst, 
dass  in  allen  diesen  Fällen  auch  von  Bojaren  die  Rede  sein  kann,  die  die 


1)  Vatamanen  hatten  auch  die  in  der  Moldau  ansässigen  Tataren.  Im 
J.  1442,  Mai  8,  befand  sich  unter  9  Tatarenhäusern,  die  dem  Kloster  Pobrata 
geschenkt  wurden,  ein  tma  BaxaMaH  (Arch.  ist.  I,  1,  S.  123). 


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Ueber  die  rumänischen  Knesen.  537 

betreftenden  Dörfer  vor  der  neuen  Schenkung  zu  eigen  halten:  die 
Knesen  werden  uns  am  sichersten  durch  die  bei  Bojareii  nicht  üblichen 
Nameu  angedeutet. 

14U0,  Febr.  11:  Alexander  gibt  Dan,  dem  Zöllner  (uhthukk), 
0  Dörfer,  unter  denen  )>rJKOK(i|riH  r,vf  u'H^iiKaAH  läKCKk  CA'kiiaro  < 
(nach  einer  Photographie  der  Kum.  Akad.).  —  1  loS,  Sept.  lü:  Alexan- 
der schenkt  der  Kirche  der  heiligen  Paraskewa  (Sf.  Vineri)  in  Roman 
zwei  Dörfer,  von  denen  das  zweite  »fCT'K  3a  MOA,v,aKOK>  r^\(  kkia'K 
Kpa'ryA'K«  (Rum. Akad.).  —  111.'),  April  l'A:  Alexander  schenkt  dem 
Kloster  Homor  ein  Dorf  ))  HA  Kp'K\-k  coaohh/A  i\\(  (cv  kkiak  ta- 
TCMHp'K  H  ii(i'KT/Ä"  und  auferlegt  eine  Strafe  SAK/ACKÖ)  von  iid  Silber- 
rubeln  )  rkuk  i|ic>  TOf  cfAO  ^vp'kikaah  h  ,\,kT«r.r  it  k-kccmS  po,v^ 
HY«,  sobald  sie  um  des  geschenkten  Dorfes  wegen  einen  Rechtsstreit  an- 
strengen (Rum.  Akad.). —  1423,  März  12:  Alexander  schenkt  dem  Batin 
drei  Dörfer  an  der  Putna,  eines  »r^e  füS  fCT  .V, '''''■••*>  Api»'''^«  ''A« 
KKiAk  ASnuj{.  Tprr«f  r,i,e  fCTk  Kpo.v,  ha  iiSthoh  <  (Rum.  Akad.). — 
1427,  Sept.  16:  Alexander  schenkt  den  Söhnen  des  Protopopen  Simion 
»[rpiM  I.VfHIH  HA  Ki>ll,HTHOH  r,\(  RhJA'k  KpAT^A'k«  (Rum.  Akad. : 
auf  der  Rückseite  der  Urkunde  befindet  sich  die  Anmerkung:  );Tri- 
midicii  pe  Cutätna  la  Vasluiü«).  —  1429,  Juni  1:  Alexander  schenkt 
dem  Onica  ein  Dorf  an  der  Jijia  «unde  este  casa  lui«  (Uebers.  aus  dem 
J.  17S7,  bei  der  Rum.  Akad.,  mit  der  Anmerkung,  dass  die  Urkunde 
das  Dorf  Oniceanii  betrifft;  Onica  scheint  ein  Knese  gewesen  zu  sein). 
— ■  1 129,  Juni  19:  Alexander  schenkt  dem  Dan  üncleata  sechs  Dörfer, 
unter  denen  eines  >r^(  KUtX'K  bahi^Ac  (Rum.  Akad.). —  1431,  Febr.  ü: 
Alexander  schenkt  dem  Kloster  z.  heil.  Nicolai  (Pobrata)  den  Ort  y>rji,( 

BklAli,  Y^KA  H   CTv  CfAWM'k   H   CK  MAHH   H   C(AHl|IEM'k  WT   HHKH.V,^» 

(Staatsarchiv). —  1431,  Juni  15:  Alexander  schenkt  dem  VornikCupcici, 
unter  anderen  Dörfern  «noA'kHÖ  rj\,(  RkiAiv  ^VAH'ktf  (Rum.  Akad.).  — 
1432,  April  2S:  Ilie  .schenkt  der  Matusita  ein  Dorf  an  der  Plotunita  »HA 
HM<A  r^e  KkiA  H'fero«  r'kHfCKOV'A«  (Rum.  Akad.).  —  1433,  Febr.  26: 
Ilie  gibt  dem  Vornik  Dan  das  Dorf  Tama.swr.Vf  Ki'kiA'k]  nerpHi^Ti«  (Rum. 
Akad.).  —  1434,  April  24:  Stefan  bestätigt  dem  Popen  Inga  »HA  T\,-- 

TOBt    Aß1^    CfAA.    r,\(    KTk    MHKA/A   WT  KAyHV,'    H    TA«    «CTk    KA- 

AAnik  U'T  CTpkiMKA«.  hierauf  Buciumenii  >)r,\(  uy  i  ,\^i\'h.i',  eine 
<Jde  Stätte  am  Baseü  und  »ceahi)JE  ivi^fAOBo;  a  yoT'^P'K  cjah^jh  h 

nOl'CTHHH     KOAKO     EkSMOryT-k    WIKHBATH    .Vß**- CfAA    A'^'^WT'ka 

(Hurrauzaki  I,  2,  S.  S52].     Die  zwei  Dörfer  wurden  dem  luga  seitens 


538  J-  Bogdan, 

Alexander's  des  Guten  am  1  I.April  1431  als  Erbgut  geschenkt:  »\ea 

CtAA  Ma  HM/A  MHKA/A  WT  Ha^HV  "^*  T\-TOR'lv  II  RaAaH'k  WT 
CTpKIMKa,  IIIOKkl  <M\-  ICCT  OlfpHK'K  Hf IIOpyilltHO  H  llO^l,  O^pUKTk 
,\a    C/Ä    H(    Ji,A^\\f'r'W    HHOM\*    HHKOAHJKt    Ha    ß'kKH,    H    ^\A    Ct\\')(A- 

fCT-K  Hac,  a  HMTv  c^^fH'!».  ,\i\  Hi  HMai<M"K((  ibid.,  S.  S38).  Im 
J.  1 435,  Dez.  7,  bestätigen  die  Söhne  Alexander's,  Ilie  und  Stefan,  dem 
luga,  jetzt  Protopope,  unter  Anderen,  die  Dörfer:  »na  o\fCT"ü  CTy- 

.A.fHU'K    rj\,i    KKIAH    TfU(lUH\lH   WKlv  MaCTH   KSTKI,    H   Ha  'i'YTOK'fe 

rj\,t  fCTk  MHKa/A  WTK  Ka\'Ha,  h  mokkiluc  na  oycTÜ  cip'KMK'k 
rj{,(  fCTh,  caaaH'K,    h  rjs,(  tcTh  Kaps'h,   CTaH'k  h  cTaHMica  Ha 

ßp'kX"K    CTp'kMK-k    U'K'K    JKi^A*^'*)  ...  H   Ha  KOHOßHUSy  P^,«  fCTk 

MHyaHao  KOAHMk«  (ibid.,  8.  86S).  Im  J.  1439,  Juli  2,  bestätigt 
Ilie  dem  Protopopen  luga  die  Dörfer  vrjk,(  RkiA'k  rjiHyaHAO  KCtAHMTi, 

H    Ha    CTpklMKlv    r,\,(    KklATv    RapC'k,     CTaH'k    ORA    MaCTH,    .   .   .    H 

r^f  ecTk  RaaaHiv  h  mhyhIv  wt  Ka\'H'k,  m  na  oi'cth  CTi>,A,fHna 

TCMElJJEljJH    r^\(    RklAH   C»Ra  K\|-Tkl,  .   .   .   H   r;V,f   ICTk  TOA^pi»^  IHWK- 

3an,H  (ibid.,  S.  876).    Stanciul,  der  in  der  Urkunde  vom  J.  1435  der  dritte 

»Jude«  in  den  beiden  »judeeie«  an  der  Strimba  ist,  fehlt  hier,  in  der  L, 

»judecia«  des  Balan  hingegen  findet  sich  Mihnea  statt  Miclea  vor.  —  1 
Vgl.  noch:  ein  Dorf  an  der  Bogdaua  «r,!,«  fCT  RaaaH'k  h  cwh'K  ^pa- 

JKaHOß'k((  und  eines  auf  dem  Chigheciü   »Ha  noTOKTv  Kp'kHHi|,aM'k  ji 

rjK,(  RkiA'k  wana  aARÖA'k«   1436,  Juni  13  (Rum.  Akad.);  »CkCkHH  ' 

r^f  HiHßfTk  AaO^P'k«  und  ))AO\fKaHH  na  HM/AT^I,«  RkiA'k  HtpMHklH 

lora«  1443,  März  6   (Hurmuzaki  I,  2,  S.  880):  das  Dorf  Säseanii  wird    j; 
von  dem  Bojaren  Boldur  verkauft,  Laur  war  somit  »jude'f  oder  »vata-     ' 
man«  desselben;  »ctAHLjJE  r/k,e  RkiAk  KAHa  RfpRHMf,  h  r,\(  RkiA'k 

iptMfH,  .  .  .  H  r,,\,f  RkiA'k  RtipKHUJ'k,  H   HOHH^KC  rj\,(  RkiA'k  \'0;i,C»p 

Ri>pHi>K'k((  1443,  Mai  30  (ibid.,  S.  884);  »CfAa  Ha  Rp'k.SfTli  na  HM-k 
r^f  «CT  M\'HKa  CTaH'k  h  rj^i  RkiA'k  H\*HKa  ;K\'p;K'ku  1445,  Apr.  5 
(Uljauickij,  S.  66);   zwei  Dörfer   »na  Hiufk   r^(    RkiA'k  ;\p'kr\-urk 

TAMeUJ'k    HA    OyCTH«    CT^'^i.fHUa,    H   T^f    RkiA'k    CTAp'klH   T/AMflll 

nn'p'k  noKkiiu«  1447,  Sept.  22  (ibid.,  S.  71);  ein  Dorf  »r^e  «er 
non  A^Ma«  1451,  Dez.  21  (Rum.  Akad.;  Original  und  Uebers.  aus  dem  |  j 
J.  1775):  der  Pope  Duma  verwaltete  das  Dorf  als  »Jude«;  zwei  zum 
Krongut  gehörige  Dörfer:  »WT  HaiiiHY  CfAa\'  (sagt  der  Woewode)  .  . 
Ha  HLi'k  r,\t  RHA  i\)(T(  HA  Ror^\,aHa,  h  e,\,iic\  ccAHi|ja  ...  na  Hyk 
rj{,i  RHA  wanajVT  MC«Hiua((  1448,  Apr.  5  (Archiva  Societätii  stiiu- 
tifice  si  literare  din  lasi  I,  S.  375;  tibersetzt  fehlerhaft  »wo  der  Brunnen 


Ueber  die  lumUnischen  Knesen.  539 

des  Bogdan  gewesen  ist«/;  «HriRpK'ryiC'  m^ct  ct,\a  Hi\  Tyrou'k  Ha 

HM'k    (j>a8p(l|IH     r,Vlv     KHA     craUKO    i>    HIKKHSK»     C'l'OpOHi>>      1492, 

März  14  (Uricariul  XVIII,  S.  439);  nf,\,iiHO  cfAMi|i{  na  noyTHOH  Ha 
MMlv  K'kaiv  r\(  KM,V  MKiKiX'KCV'ink  KaTHHa«  1498,  Nov.  26  (Re- 
vista  p.  ist.,  arch.  .^i  tilolog.  V,  S.  393;;  »Ha  <I)pSMOmHi|,'k  cfao  r;i,( 
Bkia  <I>aaHHH  hhh;«  an^vpiMiiiaa  1503,  Febr.  2  (Sammlung  i.ukasie- 
wicz  im  Musenm  Rumjancov,  Moskau);  wnoaoKHHa  c(i\Mi|i£  na  ck- 
paTH  noR'Kiujc  iii8p,\,fipH  r,\(  kkiak  MtKura  h  iia^aku  ir>h), 
Mai  27  iUncavinl  XVIII,  S.  124);  «ctao  Ha  iipS'rk  r,\k  kkia  i|if4])aH 
HOpHiH«  1554,  Apr.  30  (Zapiski  Odesskago  obscestvall,  S.5G4);  »j!^E'k 
cfA-k  Ha  raaaH-k  r,v«  kha  poMan  KA'kH.vi>A  na  ckpar-K,  h  ,\,P^'''>« 
CfAO   i\\f   KHA   \-ÜcSA((    15G1,  Juni23  (Uricariul  XMII,  S.  159,. 

Von  gi-ossem  Interesse  ist  die  Urkunde  aus  dem  J.  1430,  Dez,  2<), 
mittelst  welcher  die  Woewoden  Ilie  und  Stefan  dem  Bojaren  Mihail  aus 
Doroboiü  eine  Anzabl  von  Dörfern  bestätigen,  die  dieser  durch  die 
ihnen  und  ihrem  Vater  Alexander  geleisteten  Dienste  erworben  hatte ; 
unter  diesen:  y>c(,\(^  r,\(  kha  .vparoMHp   MkH^vpHHHH'k,  .  .  .  cfAO 

r^€  mH3K0  KHA,  .  .  .  CfAC»  l\\(  KHA  MAAHM  OV  •a;i>p:KHKH  ,  .  .  . 
CfAO  r,\e  HfTpHUJOp'k  CH,V,HA,  .  .  .  CtAO  HCt^V,  AkH^KOM  l\V,*  AP*»" 
rOMHp-K  CH^HT,  .  .  .  CfAO  r,\(  KOX'C'kp'k  KHA,  .  .  .  CfAC»  r,\(  KApa- 
r\|-HHHfßf.   .  .  .   CfAO   r,\t   HOr^HKOH   H   CtAO   r,\(   KHA   K-V'kUHH'K,   .  .  . 

ctAO  r,i,f  pocnon,  .  .  .   c«ao  r,\,f  npKHH,  .  .  .  c«ao  no,v,  Kapa^iH- 

HOM'K,     rj^i    CHM'kWH    KHk.3    Ol'    R<p\"k    A*>Kp^'"H-  ^^'^^    H^» 

ßfp\"k  pf3HHkI  l\\,(  UHraH'K  CH^HT,  .  .  .  CtAO  OV'  HHJKHIH  MOia- 
THH  r,V«  HHKHTA,  H  CfAO  r,V,6  rpaKOKH,H  CH,V,/AT,  Ol'  KHHIHIH 
KOHHI,!!  K^AHCEKA,    r,\t    pa,l,8A    CH^HA,    fljl«    C(,\\il\ll    l\\(  CTAß   HO 

EaroiikJM  pwroM,  r,\i  chah  khah  hockokh  c(ki  HOKf,  n|i£  ceahl||{ 
noivv  M'krdTHHaMH  i\\i  pov':khh  cH;k,HT,  h  ov;  ßHUJHiH  momthh 
ccAa  i|JO  KH-krHHHHa  Kkiaa,  h  oy  rpaKOßH  ceao  rj\,e  cran  ch^ht, 

H    Ol'    ßHUJHIH    KOHfU'k    PpaKOß    Ha    KaHIH     r,\(     Ma*«H    CH,V,HT,    H 

no^V  BHCOKOW  ^voKpoßOK»  r,v,f  MHKAoyuj'k  CH,\,HT(  Rum.  Akad.). 
üragomir  Miindricin,  Sizko,  Malici,  Cusear  und  alle  anderen,  mit  deren 
Namen  die  Seitens  der  Fürsten  geschenkten  Dörfer  bezeichnet  erscheinen, 
sind  gewesene  oder  gegenwärtige  Knesen,  Richter  (juzi)  oder  Vatama- 
nen,  die  Krondörfer  verwalteten,  und  die  zum  Theil  diese  Dörfer  auch 
nach  der  an  den  Bojaren  Mihail  erfolgten  Schenkung  zu  verwalten  fort- 
fuhren; einige  sind  der  Apanage  der  Fürstin  entnommen  oipo  KHl^rH- 
HHHa  KkiAAn);  in  allen  ist  nur  ein  »Jude«  angeführt,  mit  Ausnalime 


540  J-  Bogdan, 

der  Dörfer,  wo  Grabovci,  Karaguniceve  und  die  Söhne  des  Nosco 
sich  befanden  ').  Derselbe  Sachverhalt  lässt  sich  auch  aus  den  oben 
angeführten  Urkunden  des  Protopopen  luga  feststellen. 

Aus  alledem  ist  zu  entnehmen,  dass  die  Dörfer  zu  je  einen  oder 
zwei  »juzi«,  selten  mehrere  hatten:  die  meisten  unter  denselben  schei- 
nen in  zwei  Theile  getheilt  gewesen  zu  sein,  die  man  r,judecüii  (h;ov'- 
/l,fHiH  pl.)  nannte:  ein  Ausdruck,  der  ab  und  zu  bald  mit  MacTk,  bald 
mit  KOifT'k  abwechselt ;  letzteres  hat  sich  bis  heute  in  einigen 
Gegenden  [cut^  pl.  cuturi  in  der  Bucovina)  erhalten,  und  hat  mit  »ca- 
tun«  (KaTorHii)  nichts  zu  schaffen.  Vgl.  TfMfLueqiH  wk'6  nacTH 
iKSA^^if  1434,  Apr.  24;  TtMfmtijiH  wk1v  sacTH  kStki  1435, 
Dez.  7  ;  bca'KMCLijh  WKd  :ko1|'a*^'h  1436,  Juli  24  (Columua  lui  Traian 
VII,  S.  501  —  503;  vgl.  Jorga,  Studii  si  documente  V,  S.  3);  kutclijh 
rj^i  «er  MHKnbk  h  iiAirauik  WKli  HiS^i,fMif  1435/36,  Aug.  20  (Rum. 
Akad.);  3a  npSTCMk  npOTHRTv  noAOA'RH'K  OK't  Korrki,  h  iio,v 

KOlfKOKHHOK»  "/iiHr'kpliHIH  OB'S  H;i>Af^'";   »'^^  CTpkIMKiv  l'^k.«  BklAlv 

KapETv,  craHTk  ok/sv  nacTH  1439,  Juli  2;  Ha  KpaKOKt:  r^t  kwa 
cac  ^AW  H  ^i\y\  ...  vvRlv  jkSa*^'"  (Arch. ist. I,  1,  S. 74);  H\-iui'kA«qiH 
OKA  K\'Tki  H  CK  lUlAHHOM'k  1445,  Febr.  18  (Uljanickij,  S.  65);  Ha 
oycTie  noKpaTli  r,A,f  «ct  'iW'Sj^i  KkipcT-fe  h  ^annyAT».  0K15  Hcy- 
^«mYh  1455,  Juli  2  (ibid.,  S.  84).  Ein  seltener  Fall  sind  drei  «judecii'', 
wie  in  der  Urk.  aus  d.  J.  1453,  Juli  20:  C£AO  KtpH^KAHt  0\"CH  TpH 
K^fTkl  (ibid.,  S.  81),  oder  in  jener  vom  J.  1519,  Juni  30,  wo  ein  Dorf 
mit  drei  Vatamanen  vorkommt  (siehe  oben). 

Das  Wort  «judecie«  (/KO\f^eM"if,  mit  Artikel  >KO\|%l,fH"i/A,  -s'ia)  in 
den  moldauischen  Urkunden  entspricht  genau  dem  C0\f^l,kCTB0  in  dem 
Diplom  des  Stefan  Nemanja,  dem  »kenezatus«  der  ungarischen,  dem 
»knjaztwo«  der  galizischen,  dem  »Judicium«  oder  «judicatus«  der  nord- 
ungarischen Urkunden  2).    Es  bedeutete  anfänglich  «das  Amt,  das  Kecht 

1)  In  einer  Schenkung  Stefan's  aus  d.  J.  1491,  Febr.  26,  wird  das  Dorf 
»TAe  6hj[  hocko«  erwähnt  (Staatsarchiv). 

2)  »Ville  regalis  dicte  Macowa  scultetia  alias  knijasztwon  in  einem  Diplom 
aus  d.  J.  1464,  Mai  2  (Akta  grodzkie  i  ziemskie  VI,  S.  86).  Cf.  Stadnicki,  0 
wsiach  woloskich,  S.  8,  25, 35,63.  —  »Judicium  seu  villicatus«  einer  »villa«  im 
J,  1297  (Schwardtner,  De  scultetiis,  S.  28);  »scultetia  aeujudicatus»  i.  J.  1459 
(ibid.,  S.  156),  was  anderwärts  »officium  judicis«  genannt  wird  (ibid.,  S.  39, 
1465).  Im  J.  1393  wird  einem  »scultetus«,  auch  iudex  genannt,  ein  »iudicium 
cum  duobus  laneis  et  libera  curia  et  una  taberna,  tria  molendina«  verliehen 
(ibid., S.  37).  »Villicatio«  wird  in  demselben  Sinnegebraucht(ibid.,S.  148, 1303). 


Ueber  die  rumänischen  Knesen.  541 

zu  richten«,  »das  Recht  ein  Dorf  als  .judec'  zu  verwalten«,  späterhin 
hat  es  den  Sinn  «terra  iudicis«  angenommen.  Es  ist  dies  eine  alte  ru- 
mänische Wortbildung  aus  »/W/^'c«,  die  Dublette  des  )>/wf/e«,  mit  dem 
Suffix  -ie  (lat. -m),  gerade  so  wie  aus  domn-domnie,  impärat-impärätie, 
cneaz-cnejie,  staroste-stärostie,  baciü-bacie  u.  s.  w.  In  allen  diesen 
Wörtern  ist  der  Sinn  der  Amtsthätigkeit,  der  Funktion  der  primäre,  der 
der  territoriellen  Ausdehnung  der  secundäre  ^). 

Diese  ursprüngliche  Bedeutung  des  Wortes  beglaubigt  uns  wohl, 
allem  Anscheine  nach,  nachstehende  moldauische  Urkunde  de  dtto  Su- 
ceava,  S.  Okt.  1434,  die  Einzige,  in  welcher  r>judecie^(  im  Sinne  eines 
Amtes,  einer  Funktion  gebraucht  erscheint.  Mittelst  dieser  Urkunde 
schenkt  der  Woewode  Stefan  dem  Jurj  Atoc  auf  Lebenszeit  die  »judecia« 
eines  Dorfes ,  woselbst  vor  ihm  Fat  und  Ilie  Richter  gewesen  waren : 
das  Dorf   lag   aller   Wahrscheinlichkeit    nach    im    Jassyer    Distrikte : 

)).  .  .  UKI  CTf<I)iVH'K  KOfKO.Va  .  .  .  HHHHMO  3Hi\MfHHT0  .  .  .  OJKt 
TOTKI    HCTHHHIH    ;KOyp:KK    aTOKK    .yaAH   «CMH    [fUS   f,V,HO    Cf AOl  2) 

Ha  RKpY'K  capaT'k  r,A,'k  ec[T]  /KOi;,\,f  (IrkTT^  h  hau,  ,\,a  KC»v',\n"K 

HM'I».     HiOyAf  Hl/Ä     OrpHKTv     H    MO,V     OV'pHK'K     \\     C/A     Hf    A**^  '•' 
HHKOMOV',    a    HH'K    C  Oy  ,1, « H, '"^ '^j    A'*    "*    MLiaK-T,    paSlilv    \A    AP'"^" 

jKar'K  WT  Hauiero  a^'^P'*  wt  /äck^).  TaKOH^V«  A'»  Kov'AfT'k 
H  A'^Tf'-''»^  HV»^  "  KpaTiaü  H\-'K  11  ov'HO\'MaTC»LrK  MyTv  H  iipaov;- 
HoysaTor-rk  h\"k  m  KkCfMov;  pOAOv;  h\-'k  na  irkKKi  ii  MfiiopS- 
iu[e]Ho;    a  yoTapiv   a^^    '-'*>V    KoyAfT'i^    "«^   crapony*  \-ctTap\*« 

(Zapiski  Odesskago  obscestva  II  [184S],  S.  562).   Diese  Urkunde  beweist 


1)  Cf.Hasdeü,  ColumnaluiTraianVII,  S.  501— 503:  »acoyÄeiTa-judecia  = 
Weiler,  in  welchem  ein  »judece«  oder  »judec«  amtet.  —  Die  ganz  verfehlte 
Behauptung  des  verstorbenen  Bischofs  Melchisedek  will  ich  übergehen,  der  der 
Ansicht  war,  »judecie«  bedeute  »judet,  tinut«  (=  Bezirk,  Distrikt)  und  dass 
der  »Jude«  der  Verwalter  des  Bezirkes,  wie  der  »pärcalab«  oder  »ispravnic« 
der  späteren  Zeit,  wäre  (Chronica  Romanului  I,  S.  144  und  Revista  p.  istorie. 
archeol.  si  filolog.  I.  S. 374— 375).  ein  Irrthum.  der  bereits  von  Gr.G.Tocilescu 
in  seiner  »Revista«  richtiggestellt  wurde. 

2]  An  Stelle  dieser  drei  Worte  hat  die  Ausgabe  der  Odessaer  Denk- 
schriften Punkte;  unsere  Ergänzung  ist  jedoch  keine  sichere,  da  der  Raum 
der  fehlenden  Worte  dort  nicht  genau  angegeben  wird. 

3)  Vgl.  die  S.  538  citirte  Urkunde  aus  d.  J.  1431. 

4j  Die  Uebersetzung  des  Herrn  Hasdeü:  »ich  habe  ihm  ein  ,uric'  mit 
dem  Rechte  der  eigenen  Lokalgerichtsbarkeit,  jedoch  in  Abhängigkeit  von 
unserem  Hofe  zu  lasi  gegeben«   Arch.  ist.  1,  1,  S.  81)  ist  nicht  genau. 


542  J-  Bogdan, 

uns,  dass  die  »judecia«  auch  in  der  Moldau  auf  Lebenszeit  verliehen 
wurde,  wie  dies  mit  dem  »Kenezat«  in  Ungarn  vor  sich  ging;  ähnliche 
Fälle  werden  wohl  im  XIV.  —  XV.  Jahrh.  häufiger  vorgekommen  sein, 
dieselben  sind  jedoch  in  geschriebenen  Privilegien  nicht  verzeichnet 
worden,  oder  sie  wurden  uns  nicht  aufbewahrt  ^). 

Es  ist  anzunehmen,  dass  ein  grosser  Theil  der  moldauischen  Dörfer 
von  diesen  Knesen,  Richtern  (juzi)  oder  Vatamanen  gegründet  wurde, 
die  vom  Landesherrn  das  Recht  erhielten,  Leute  aus  dem  Lande  und 
aus  der  Fremde  zusammenzubringen,  um  neue  Dörfer  anzusiedeln 
»oca^i,H'rH  cfAa«2).  So  Tigänestu,  hergeleitet  von  Tigan  (1414:  vgl. 
r^f  U,Hi\\H'K  cn,A,HT  1436),  Tamasenü  YoiiTavcL^s  (vgl.  TaMaitik  h 
HBaHK  KH/ÄS0K6  1414),  Pascanit  von  Pasco  (vgl.  i\\e  tCTk  M;i>,\e 
naiUKO  1425),  Oniceanvi  von  Onica  (1429),  Balanesth  von  Balan 
(1434,  1443),  Z/es^n  von  Lie  (1414,  1443),  Procopew/^««  von  Procop 
(1436),  Stanijestu  von  Stuniga  (1445,  Apr.  5 :  CT'kHHHCEljJH  r^\e 
KklA'h.  CT'KHHra  Uljau.  S.  66),  isVew^V.s^^?  von  Eremie,  Betr'hisestn  won 
Berchis  (fpfMÜipH  und  REpKHmEL|JH  aus  d.  J.  1425  werden  im  J.  1443 
unter  »T,\i  ukian».  iptiuieft,  r,i,f  KkiA'k  R-kpKHUJk«  angeführt),  Te- 
mesesfn  von  Teames  (1435,  1 447),  Verijann  von  Veriga  (1453,  Juli  20  ; 
Uljan.  S.  81),  Fäurestn  von  Faur  (1492,  März  14;  üricariul  XVIU, 
S. 439);  HMaraestH\ovL'S.iiA.(\x{\Vi  (1497,  März  19;  ibid.,  S. 76),  Basemi 
von  Basa  (1502),  lacobcstü  oder  lacohenii  von  lacob  (1400,  1502), 
Ostäpceatiit  von  Ostapeo  (1473,  1522),  Päncestii  von  Panca  (1529: 
Chronica  Romanului  I,  S.  160);  Piscann  von  Pisc  (1533,  März  13:  C«/\0 
IVT  HHCK^iHH  r,\f  KkiA  nucK'k;  Uric.  XVIII,  S.  120),  Piiiceann  von 
Pitic  (1548,  März  23:  cfAO  .  .  .  nuTHManiH  .  .  .  r,i,e  KkiAk  ^ßOp 
ncTpiiKii  niiTHKa;  ibid.,  S.  135)  u.  s.  w. 

Diese  Dörfer  waren  einen  bestimmten  Zeitraum  hindurch  von 
Abgaben  befreit,  welcher  nach  der  Willkür  des  Herrschers  oder  nach 
althergebrachter  Sitte  zwischen  zwei,  drei  oder  mehreren  Jahren 
variirte;  der  Boden  wurde  in  gleichen  Loosen  unter  den  Bewohnern  auf- 

1)  Derselben  Meinung,  in  Bezug  auf  das  Wort  »judecie«,  ist  Herr  Dr. 
Georg  Popovici,  ein  ausgezeichneter  Kenner  des  älteren  rumänischen  Rechts, 
dem  ich  hier  für  manche  werthvoUe  Winke  meinen  verbindlichsten  Dank 
ausspreche. 

2)  "Cf.  »caÄHTH  ce.io  oy  BOJiociKoe  npaßo«  im  Privilegium,  das  im  J.  1377 
von  Wladislaw  von  Oppeln  dem  Moldauer  Ladomir  für  ein  Dorf  im  Distrikte 
Przemysl  verliehen  wurde.  Akta  grodzkie  VII,  S.  22.  In  den  moldauischea 
Urkunden  wird  gewöhnlich  ocaanTH,  o;KUBarH  gebraucht. 


lieber  die  rumiinischen  Knesen.  543 

getbeilt;  der  »cneaz«  oder  »jnde«  behielt  sich  einen  grösseren  Antheil 
vor,  bei  dessen  Bearbeitung  ihm  die  Dorfinsassen  behilflich  waren i); 
er  hatte  auch  noch  das  Recht  eine  Mühle  zu  halten  2),  und  bezog  von 
den  Gerichtstaxen  den  dritten  Theil,  die  sogenannte  TpiTHHJ^]:  eine 
Gepflogenheit,  die  wir  bei  den  rumänischen  Knesen  Galiziens  (Stadnicki. 
1.  c,  S.  17),  bei  den  deutsehen  sculteti  oder  sächsischen  villici  Nord- 
Ungarns  und  Siebenbürgens  antreffen  (Schwardtner,  1.  c,  S.  51,  148; 
Dr.  G.  A.  Schuller.  Bilder  aus  der  vaterländischen  Geschichte,  Her- 
mannstadt lS9y,  S.  15)  und  die  ganz  gewiss  auch  bei  den  rumänischen 
Knesen  dieser  beiden  Länder  bestand.  Es  ist  dies  eine  Gepflogen- 
heit, der  man  im  Mittelalter  in  Deutschland  durchgehends  begegnet 
(H.  Brunner,  Deutsche  Rechtsgeschichte,  II,  8.  3<i9)  und  welche  bei  den 
Rumänen  wohl  nicht  älter  als  das  XIII.  Jahrh. ist;  zu  dieser  Zeit  scheint 
dieselbe  nach  Ungarn  aus  Deutschland  eingeführt  worden  zu  sein.  »Der 
dritte  Groschen«  («al  treilea  ban  din  judecata  satelor«),  welchen  die 
Fürsten  der  Walachei  den  Klöstern  sehr  häutig  das  XVII.  und  XVIII. 
Jahrb.  hindurch  abtraten^),  dürfte  gleichen  Ursprungs  sein:  die  Klöster 
nahmen  denselben  an  Stelle  der  Knesen  oder  Paikalaben  (wegen  Parka- 
laben siehe  weiter  unten;. 

(Öchhiss  folgt.) 

1)  In  den  rumänischen  Dürfern  Galiziens  hatte  der  kujaz  zwei  oder  vier 
Hufen  Landes  'areas,  mansos,  portiones,  poln.  obszary,  dworziszcza;;  Stad- 
nicki, I.e.,  8.20,38.04,91.  Die  Bauern  leisteten  für  ihn  mindestens  3 — 6  Tage 
im  Jahre  Frohndienste;  ibid..  S.  18. 

2)  Sehr  oft  in  den  Urkunden  erwähnt;  vgl.  z.B.  oben  zu  d.  J.  1431,  1445. 

3]  Urk.  a.  d.  J.  1448,  Apr.  5:  Peter  befreit  drei  dem  Kloster  Pobrata  ge- 
hörige Dürfer  von  Abgaben  und  Dienstleistungen,  und  fügt  hinzu:  »a  xaKo^K 
cnami  TOT  Hcox  u  wt  xpi-iOBa  u  r.ioouimu  ux,  mi  npunauiapu,  moÖBi  ue  HMaJH  au-ia 
C8;iiiTU  Tbix  Jiwj,  uu  rpa6ii.iu  ux,  im  r.ioo  hu  Tperiiiis  oysixii  wt  tmx  .iK>Xi  (Arch. 
ist.  I.  1,  S.  153).  Im  J.  1458  befiehlt  Stefan  der  Grosse  mit  Bezug  auf  zwei 
Dörfer  der  Metropolie  von  Eoman  »im  r.io6s  uc  oparii  uc  imxi.  ii  im  Tpetuus,  a 
He  UHoe  HHiuo,  iiu  aa  BO.iuKoe  ;;i.io  im  sa  Majioe«  (Chronica  Romanului  I,  S.  118,'. 

4)  Akten  des  Klosters  Arnota,  Urk.  v.  IS.  Apr.  1666  und  10.  Jänner  1715 
(Staatsarchiv). 


544 


Vita  Cyrilli. 

Kritische  Bemerkungen. 
I. 


Seit  der  Schrift  Dobrovsky's 
»Cyrill  und  Method«  (1823)  bis 
zur  Mouograpliie  Gorskij's  in 
MocKBHTfliiHH^  (1 843)  galt  die  so- 
genannte italische  Legende  des 
Bischofs  Gauderich,  von  den  offi- 
ciellen  Documenten  und  einer 
kurzen  Erwähnung  des  Bibliothe- 
kars Anastasius  abgesehen,  als 
die  hauptsächlichste  Quelle  über 
das  Leben  und  die  Wirksamkeit 
der  beiden  Slavenapostel,  zumal 
Konstantin's.  Nach  jener  Mono- 
graphie Gorskij's  und  nach  der 
Pnblication  der  ihren  Ausgangs- 
punkt bildenden  pannonischeu  Le- 
gende, wozu  noch  die  lateinische 
Uebersetzung  dieser  letzteren 
durch  Miklosich  hinzukam,  betrachteten  sowohl  die  slavischen  als  auch 
die  westeuropäischen  Gelehrten  diese  sogenannte  pannonische  Legende 
als  die  hauptsächlichste  Quelle  unserer  Kenntnisse  über  Konstantin  den 
Philosophen  .  .  Gegenwärtig  gilt  gleichsam  als  ausgemacht,  dass  diese 
Vita  Cyrilli  von  einem  der  Schüler  der  beiden  Slavenapostel  in  Mähren 
oder  Pannonien,  gewissermassen  nach  dem  Dictat  des  Methodius,  ge- 
schrieben wurde.  Einige  russ.  Gelehrte,  z.  B.  Hilferding,  Kunik  und 
unter  seinem  EinHiiss  stehend  Bilbasov,  machten  allerdings  dagegen 
allerlei  Einwendungen;  Viktorov  trachtete  nachzuweisen,  dass  die  itali- 
sche Legende  oder  die  Skizze  Gauderich's  (f  898)  auf  der  slavischen 
Legende  beruhe  (KiipiiJiJi'E  h  Meeo^iu,  A.  BiiKTopOBa  M.  1865).  Golu- 
binskij  wollte  sie  nicht  Gauderich,  sondern  dem  Bischof  von  Ostiae,  Leo 
Marsicanus,  der  zu  Ende  des  XL  und  Anfang  des  XIL  Jahrh.  lebte,  zu- 
schreiben (rciyöuncKÜl,  Ku^UÄÄT,  ii  ]\Ieeo;i,in,  MocKBa  1865,  53).    Vo- 


^.A 


^CUMMt^ 


y 


Vita  Cyrilli.  f,45 

ronov  ging  noch  weiter  und  behauptete,  der  Verfasser  der  ital.  Legende 
habe  das  Werk  des  Dominikaners  Jacobus  de  Voragine,  Bischofs  von 
Genua  (1292 — r29S)  benutzt  und  seine  Schrift  erst  in  dem  ersten  Viertel 
des  XIV.  Jahrh.  abgefasst  (RoponoBT>,  Kiip.  h  Mee.  KiecT.  1S77).  Lav- 
rovskij  wollte  die  italische  Legende  selbst  hinter  die  mährische  setzen 
(>01inii).  IS8G,  iio.ib — anr.).  Diesen  Anfechtungen  gegen  die  italische 
Legende  machte  der  vor  längerer  Zeit  entdeckte,  aber  erst  unlängst 
herausgegebene  Brief  des  Bibliothekars  Anastasius  an  den  Bischof  Gau- 
derich ein  Ende:  ihre  hervorragende  Bedeutung  als  Quelle  für  die  Bio- 
graphie des  grossen  Slavenapostels  unterliegt  jetzt  keinem  Zweifel  mehr 
(vergl.n.P).  Jlnnii.  im  Coopii.  Ak.H.  1 893  und  A.  ITeTpoBT,  im  /K^IIIITp. 
1S93).  Dabei  bleibt  allerdings  auch  die  grosse  Tragweite  der  pannoni- 
schen  Legende,  auf  die  zuerst  Gorskij  aufmerksam  machte,  aufrecht- 
erhalten, doch  mit  einigen  nicht  unbedeuteudeu  Einschränkungen.  Man 
darf  nämlich  nie  ausser  Acht  lassen,  dass  wir  nicht  eine  Chronik  oder 
annalistische  Erzählung,  sondern  ein  halb  künstlerisch,  halb  didactisch 
abgefasstes  Literaturdenkmal  vor  uns  haben,  eine  Heiligenlegende,  die 
in  den  Kirchen  und  Klöstern  als  Erbauungslectüre  gelesen  wurde.  Wie 
es  religiöse  Lyrik  und  religiöse  Dramen  (Mysterien)  gibt,  so  gibt  es  auch 
religiöse  epische  Dichtung.  Dazu  gehören  Erzählungen  und  Romane 
religiösen  Inhaltes  —  die  Vitae  Sanctorum.  Dem  Verfasser  einer  solchen 
Vita  schwebt  ein  ganz  anderes  Ziel  vor  als  dem  Annalisten.  Das  Ver- 
hältniss  hat  viel  Aehnlichkeit  mit  Jenem  der  Romanschreiber  und  Dra- 
maturgen gegenüber  den  Historikern.  An  die  Verfasser  der  historischen 
Romane  und  Dramen  kann  der  Leser  nicht  die  gleichen  Forderungen 
stellen,  wie  an  die  Historiker.  Ebenso  darf  man  an  den  einst  sehr  üb- 
lich gewesenen  Typus  der  literarischen  Production,  an  die  Vitae  Sancto- 
rum, nicht  mit  gleichen  Forderungen  herantreten,  wie  an  die  Annalistik 
oder  Chronographie.  Ein  gewissenhafter  Annalist  bemüht  sich  mit  mög- 
lichster Genauigkeit  die  Zeit-  und  Ortsangaben  der  behandelten  Ereig- 
nisse beizusteuern.  Der  Verfasser  der  Legende  weicht  oft  absichtlich 
solchen  Einzelheiten,  mögen  sie  auch  ihm  bekannt  gewesen  sein,  aus, 
um  nicht  die  Aufmerksamkeit  des  Lesers  oder  Zuhörers  von  der  Haupt- 
person und  der  Verehrung  des  in  ihr  gegebenen  moralischen  Vorbildes 
abzulenken.  Der  Held  der  Legende  soll  auch  beim  Leser  oder  Zuhörer 
dieselben  Gefühle  der  Begeisterung  und  Verehrung  erwecken,  wie  beim 
Verfasser.  Das  war  die  Hauptaufgabe  und  das  Hauptziel  der  Verfasser 
der  Vitae  Sanctorum,  darum  darf  man  genaue  Ortsangaben  und  wahre 


546  ^  •  Lamanskij. 

Folgerichtigkeit  der  erzälilten  Ereignisse  in  den  Heiligenlegenden  eben- 
sowenig suchen  wie  in  den  historischen  Romanen  und  Dramen. 

Mag  nun  sein,  dass  die  Vita  Cyrilli,  in  Mähren  oder  Pannonien  bei 
Lebzeiten  des  Bruders  Methodius  geschrieben  (oder  bald  nach  seinem 
Tode),  ein  Denkmal  aus  dem  Ende  des  IX.  Jahrb.  darstellt,  allein  sie 
ist  nur  in  den  Abschriften,  nicht  älter  als  aus  der  zweiten  Hälfte  des 
XV. — XVI.  Jahrb.,  auf  uus  gekommen.  Wer  wird  es  aber  behaupten 
wollen,  dass  die  Legende  in  den  ihrer  ersten  Abfassung  nächstnach- 
folgenden Zeiten,  z.B.  im  X. — XII.  Jahrb.,  oder  auch  später,  nicht  habe 
geändert  oder  erweitert  werden  können,  oder  dass  allen  jetzt  bekannten 
Abschriften  die  genau  erhaltene  Vorlage  des  IX.  Jahrb.  zu  Grunde  liege 
und  nicht  eine  spätere  Berichtigung  oder  Ergänzung,  also  ein  im  Laufe 
des  XI. — XV.  Jahrb.  modificirtes  Denkmal,  das  bei  den  Bulgaren,  Serben, 
Kroaten  und  Russen  durch  Abschriften  und  eventuell  auch  durch  Ein- 
schaltungen fortgesetzt  wurde  ?  Die  Darstellung  in  der  russ.  älteren 
Chronik  setzt  schon  eine  etwas  andere  Version  voraus,  als  wir  sie  in  der 
uns  bekannten  Legende  haben.  Mit  einem  Worte,  es  ist  hoch  an  der 
Zeit,  die  einzelnen  Angaben  der  sogenannten  pannonischen  Legende 
über  Konstantin  Philosoph  einer  Kritik  zu  unterwerfen. 

IL 

Beginnen  wir  mit  der  Gesandtschaft  Konstantin's  zu  den 
Sarazenen.  Nach  der  Darstellung  der  Legende  sollen  die  Sarazenen 
die  heil.  Dreifaltigkeit  beschimpft  haben,  indem  sie  sagten,  dass  die 
Christen  den  einen  Gott  in  drei  theilen;  sie  wünschten  widerlegt  zu 
werden.  Der  byzantinische  Kaiser  wandte  sich  in  einer  Versammlung 
an  Konstantin  mit  den  Worten :  du  hörst  die  Beschimpfung,  gehe  hin 
und  bekämpfe  sie.  Konstantin  willigte  freudig  ein,  man  gab  ihm  als 
Geleite  den  Asikrit  (a  secretis  =  do)]/.QfiTig  =  Staatssecretär)  und 
Georgius  Polassa.  Die  Vita  sagt  nichts  von  dem  eigentlichen  End- 
ziel dieser  Mission.  Gorskij  glaubte,  Konstantin  sei  beim  Emir  v.  Meli- 
tene  gewesen.  Golubinskij  und  Malysevskij  wollten  aus  der  Nennung 
»aiviepMHHHUo«  (amermumnis)  folgern,  dass  er  beim  Khalifen  in  Baghdäd 
gewesen.  Konstantin  zählte  damals  nach  der  Legende  24  Jahre  und  da 
er  869  im  42.  Jahre  starb,  so  war  er  S27  geboren,  folglich  stand  er  im 
24.  Lebensjahr  im  Jahre  851.  Hier  fällt  auf  (und  diese  Einwendung 
beschäftigt  mich  jetzt  nicht  das  erste  Mal),  1)  der  rein  theologische 
Zweck  der  Gesandtschaft,  und  2)  die  Wahl  eines  so  jungen  Mannes  zur 


Vita  Cyrilli.  547 

Disputation  mit  deu  Sarazenen.  Gab  es  denn  damals  in  Byzanz  nicht 
auch  ältere  Männer  mit  tüchtiger  theologischer  Bildung,  die  mit  der 
Lehre  des  Korans  und  mit  einer  der  verbreitetsten  Sprachen  am  Hofe 
des  Khalifen  vertraut  waren  ?  Unter  demselben  Kaiser  Michael  waren 
ja  von  einem  so  gut  wie  Altersgenossen  Konstantin's,  dem  Nicetas  von 
Byzanz,  drei  Werke  gegen  den  Islam  abgefasst,  zwei  davon  durch  sara- 
zenische Sendschreiben  an  den  Kaiser  Michael  über  die  heil.  Dreifaltig- 
keit (Migne  V.  55  verursacht.  Warum  wurde  also  nicht  dieser  Nicetas, 
der  ebenfalls  Philosophos  und  Didaskolos  hiess,  statt  des  Konstantin 
hingeschickt?  Ich  dachte  einst,  ob  nicht  vielleicht  die  Kenntniss  der 
slavischen  Sprache  für  ihn  ausschlaggebend  war,  weil  die  Eunuchen 
slavischer  Nationalität  und  überhaupt  die  slavisciien  Muselmänner  beim 
Khalifen  in  Baghdad  keine  geringe  Rolle  spielten.  Nach  dem  Zeugniss 
des  Baghdäder  Postdirectors  Ibn  Chordad-bey  (der  sein  wichtiges  Werk 
im  J.  840  7  u.  877  schrieb)  liest  man  im  Itin^raire  des  marchands  russes 
folgendes:  Les  Russes  qui  appartiennent  aux  peuples  slaves,  se  rendent 
des  regions  les  plus  eloiguees  de  Taklaba  (le  pays  des  Slaves)  vers  la 
mer  romaine,  et  y  vendent  des  peaux  de  castor  et  de  renard  noir,  ainsi 
que  des  epees.  Le  prince  des  Romains  preleve  un  dixieme  sur  lenrs 
marchandises.  Ou  bien,  ils  descendent  le  Tanais  (Don),  le  fleuve  des 
Slaves,  et  passent  par  Khamlydj,  la  capitale  des  Khazares,  oü  le  souve- 
rain  du  pays  preleve  sur  eux  un  dixieme.  La  ils  s'embarquent  sur  la 
mer  de  Djordjän  (la  Caspienne)  et  se  dirigent  sur  tel  point  de  la  cöte 
qu'ils  ont  en  vue.  Cette  mer  a  500  parasanges  de  diametre.  Qiielque- 
fois  ils  transportent  leurs  marchandises,  a  dos  de  chameau.  de  la  ville 
de  Djordjän  ä  Bagdad.  Ici  les  eunuques  slaves  leur  servent  d'inter- 
pretes.  Ils  pretendent  etre  chretiens  et  payent  la  capitation  comme  tels<' 
'De  Goeje  Bibl.  Geogr.  Arab.  VI,  p.  1 1 5). 

Doch  nicht  so  sehr  die  auf  Konstantin  gefallene  Wahl  der  Persön- 
lichkeit, als  vielmehr  die  Absendung  der  Gesandtschaft  im  J.  851  und 
ihr  angeblich  rein  theologischer  Zweck  erwecken  Bedenken.  Ich  schil- 
dere hier  in  meiner  russischen  Ausführung  nach  Weil  (Gesch.  der  islam. 
Völker)  die  Lage  des  Khalifats  seit  dem  Tode  Almutassim's  (■;- 5.  Jänner 
842)  bis  862  und  setze  dann  fort  so:  Die  von  einem  Gelehrten  des  XIX. 
Jahrh.  (Weil)  gegebene  Schilderung  der  Lage  des  Khalifats  in  den  50er 
und  60er  Jahren  des  IX.  Jahrh.  muss  zweifellos  auch  der  Regierung 
der  Kaiserin  Theodora  und  ihres  minderjährigen  Sohnes,  des  Kaisers 
Michael,  die  über  sehr  vernünftige  und  fähige  Staatsmänner,  wie  deu 


548  ^^-  Lanianskij, 

Logothet  Theoktistos,  den  Magister  Manuel  und  den  Bruder  der  Kai- 
serin den  Patricier  Bardas  verfügte,  genau  bekannt  gewesen  sein.  Ueber 
die  Persönlichkeit  Mutabakill's  und  die  äussere  und  innere  Lage  seines 
Reiches  werden  die  byzant.  Minister  gut  unterrichtet  gewesen  sein. 
Was  sollte  sie  nun  veranlassen,  im  J.  851  einen  24jährigen  Priester- 
Philosophen  und  Lehrer  als  Gesandten  zu  MutabakiU  zu  schicken  be- 
hufs der  Bekehrung  desselben  zum  Christenthum  oder  der  Vertheidigung 
der  christl.  Lehre  von  der  heil.  Dreifaltigkeit?  Die  klugen  byzant. 
Minister  hätten  von  einer  solchen  Mission,  von  der  so  naiv  die  panuonische 
Legende  erzählt,  gewiss  selbst  nichts  anderes  erwarten  können,  als 
Schimpf  und  Spott,  ja  selbst  irgendwelchen  wilden  Ausbruch  der  Leiden- 
schaft oder  Gewaltthätigkeit.  Nach  der  Legende  soll  der  zwölfjährige 
Knabe,  Kaiser  Michael,  eine  Rathsversammlung  zusammenberufen  und 
in  derselben  mit  einer  Rede  an  Konstantin  sich  gewendet  haben,  deren 
Wortlaut  (nach  der  Miklosich'schen  Uebersetzung)  so  lautet:  »audisne 
philosophe  quae  dicunt  Agaren!  impii  contra  fidem  nostram  ?  tu  vero 
quoniam  sanctae  trinitatis  servus  et  discipulus  es  proficiscere  et  disputa 
cum  eis,  et  deus  qui  omnes  res  perfecit,  qui  laudatur  in  trinitate,  pater 
et  filius  et  Spiritus  sanctus,  det  tibi  gratiam  et  vim  sermonis  et  velut 
alterum  Davidem  novum  contra  Goliath  quem  tribus  lapidibus  vicit, 
te  faciat  et  reducat  ad  nos,  dignum  iudicatum  regno  coelesti.  Quibus 
auditis  respondit:  cum  gaudio  proficiscar  pro  fide  christiana,  quid  enim 
mihi  est  dulcius  in  hoc  mundo  quam  pro  sancta  trinitate  vivere  et  mori. 
Adiunxeriint  vero  ei  secretarium  Georgium  et  dimiserunt  eos«  i).  Kein 
ordentlicher  Annalist  würde  eine  so  einfältige  Argumentation  führen. 
Der  Verfasser  der  Legende  war  selbstverständlich  kein  Augenzeuge  der 
Scene,  er  legte  seine  Worte  einmal  in  den  Mund  eines  zwölfjährigen 
Knaben,  dann  in  den  des  Helden  seiner  Legende.  Kann  nun  so  was  von 
dem  Dictat  des  Methodius  herrühren?  In  der  Erzählung  ist  von  Asikrit 
und  Georgius  Polassa  die  Rede.  Diese  Notiz  setzt  doch  eine  gewisse 
Bekanntschaft  mit  historischen  Thatsachen  voraus,  sie  spricht  von  einem 
Asikrit,  der  Photius  war,  der  nachmalige  berühmte  Patriarch,  und  von 
einem  Georgius  .  .  .  Die  byzantinischen  Quellen,  die  für  diese  Zeit  sehr 
karg  sind,  können  durch  die  arabischen,  im  gegebenen  Falle  durch  Ta- 
bari  (geb.  839,  f  923)  ergänzt  werden.    Darüber  besitzt  jetzt  die  russ. 

1)  Der  Verfasser  zieht  hier  die  Lesart,  die  ÄafaMkgibt,  vor,  darnach 
müsste  man  übersetzen:  »adiunxerunt  vero  ei  Secretarium  (asecretis)  et  Geor- 
gium Polassam«.  V.  J. 


Vita  Cyrilli.  549 

Literatur  eine  hübsche  selbständige  Forschung  von  A.  A.  Vasiljev  (Bh- 
3aHTia  n  Apaoti.  IIo.iiiTiniecKifi  OTiiomenifl  Bnsauxiii  11  ApaoonT.  3a 
BpeM>i  AMopiilcKoü  ;iiiuacTin.  cnun,  1900).  Mit  Hilfe  dieses  Werkes 
können  wir  jetzt  die  Nachrichten  über  die  Beziehungen  der  Araber  zu 
den  Byzantinern  zur  Zeit  der  Regierung  Mutabakill's  (S51  —  80 1)  er- 
gänzen. »Seit  dem  letzten  Austausch  der  Gefangenen  im  J.  S45  finden 
wir  keine  Nachrichten  über  die  arabisch-byzantinischen  Conflicte  bis 
Sol.  Von  diesem  Jahre  angefangen  hat  Ali  Ibn  Jacliia  al  Armeni,  der 
Anführer  des  Grenzobservationscorps,  durch  drei  Jahre  (S.'Jl.  852.  S5:i) 
in  die  byzantinischen  Grenzgebiete  Einfälle  gemacht.  Nähere  Nach- 
richten darüber  fehlen.  Im  J.  S53  erschien  die  byzantinische  Flotte  vor 
Damiettatf.  So  lesen  wir  bei  A.  A.  Vasiljev.  Weder  Tabari  noch  Mas- 
sudi  (t  956 — 95S)  erwähnen  irgend  eine  byzantinische  Gesandtschaft 
zu  den  Arbarn  oder  irgend  einen  W^aftenstillstand  mit  denselben  zur 
Auswechselung  der  Gefangenen  in  dem  J.  8.51  und  den  nächst  darauf- 
folgenden. Vor  851  ist  bei  Tabari  und  Massudi  nur  von  dem  Waffen- 
stillstand im  J.  845  eine  Nachricht  zu  finden,  und  vor  diesem  Jahre 
gab  es  keine  derartige  Negociation  seit  den  Jahren  809  —  811,  nach 
dem  Waffenstillstand  aber  vom  J.  S15  geschah  der  nächste  ähnliche 
Waffenstillstand  nach  Tabari  und  Massudi  zu  Ende  des  Jahres  855  und 
Beginn  550. 

Die  nach  der  pannonischen  Legende  erzählte  saracenische  Mission 
Konstantins  des  Philosophen  war  also  nichts  anderes,  als  eine  byzanti- 
nische Gesandtschaft,  abgeschickt  zu  den  Saracenen  behufs  eines  Waffen- 
stillstandes und  des  Austausches  der  Gefangenen.  Unter  dem  J.  241 
der  Hedschra  (22.  Mai  855  —  9,  Mai  856)  liest  man  bei  Tabari  (nach 
der  Cebersetziing  Vasiljev's;:  »In  diesem  Jahre  überfielen  die  Griechen 
Anazarba  und  nahmen  gefangen  die  darin  befindlichen  Sutiten  mit  ihren 
Weibern  und  Kindern,  Büffeln  und  Heerden  von  Ochsen  und  Kühen.  In 
diesem  Jahre  fand  ein  Austausch  der  Gefangenen  zwischen  den  Musel- 
männern und  Griechen  statt.  Man  erzählt,  dass  die  Kaiserin  Theodora, 
die  Mutter  Michaels,  einen  Mann  Namens  Georgios,  den  Sohn  .  .  .  'i  ge- 
schickt habe,  um  den  Austausch  der  Muselmänner,  die  sich  in  den 
Händen  der  Griechen  befanden,  zu  erbitten.     Und  Mutabakill  schickte 

1  »Nach  dem  Worte  Sohn  geben  bei  Tabari  die  arabischen  Buchstaben 
ohne  ausreichende  Anzahl  von  Punkten  keine  Möglichkeit,  den  Namen  des 
Vaters  genau  zu  bestimmen.  Vielleicht  Karbeasa?«  so  Vasiljev.  Jedenfalls 
steckt  darin  der  »Polasa-  der  slav.  Legende. 

Archiv  für  slavische  Philologie.    XXV.  36 


550  V.  Laraanskij, 

einen  Boten  aus  der  Zahl  der  Poeten,  Namens  Nasr-ib-al  Asliar  ibn- 
Faradja,  um  genau  zu  erfahren,  welche  muselmüunischen  Gefangenen  sich 
in  griechisclieu  Händen  befinden,  und  um  deren  Loskauf  anzubefehlen. 
Das  geschah  im  Monat  Schaban  dieses  Jahres  (15.Dec.855 —  12.  Jänner 
856).  (Und  Nasr  ging  von  dannen),  nachdem  er  einige  Zeit  bei  ihnen 
(den  Griechen)  zugebracht«.  —  Weiter  wird  des  bei  den  Muselmännern 
verbreitet  gewesenen  Gerüchtes  Erwähnung  gethan,  wonach  die  Griechen 
nach  der  Abreise  Nasr's  bei  12  Tausend  Gefangene,  die  sich  weigerten 
Christen  zu  werden,  hingerichtet  hätten.  Die  Nachricht  klingt  recht 
unwahrscheinlich.  »Und  es  kam  das  Schreiben  Mutabakill's  zu  den 
Gouverneuren  des  syrischen  und  mesopotamischen  Grenzgebietes  mit 
der  Nachricht,  dass  der  Eunuch  Schenif  schon  in  die  Verhandlungen 
getreten  mit  Georgios,  dem  Gross-Gesandten  der  Griechen,  bezüglich 
des  Austausches,  und  dass  sie  schon  ein  Uebereinkommen  getroffen. 
Georgios  bat  um  Waffenstillstand  vom  5.  des  Monats  Hedscheb  241 
bis  zum  22.  des  Monats  Schevval  desselben  Jahres  (vom  19.  Nov.  855 
bis  5.  März  856),  um  Zeit  zu  haben  die  Gefangenen  zu  sammeln  und  in 
gefahrlosen  Orten  unterzubringen.  Das  Schreiben  darüber  kam  am  Mitt- 
woch den  5.  des  Monats  Redscheb  (19.  Nov.  855j.  Und  Georgios,  der 
Bote  der  griechischen  Kaiserin,  trat  die  Reise  in  der  Richtung  gegen 
das  Grenzgebiet  am  Samstag  den  22.  des  Monats  Redscheb  (6.Dec.855j 
auf  70  Maulthieren,  die  für  ihn  bestellt  waren,  an.  Mit  ihm  zugleich 
brach  auf  Abu-Kachtab,  Magribier  aus  Tortosa  .  .  .  Mit  Georgios 
waren  viele  Patricier  und  Diener,  bei  fünfzig  Mann,  an- 
gekommen. —  Beim  Austausch  waren  viele  Neugierige  anwesend,  so 
der  Oberrichter  und  viele  reiche  Leute  aus  Baghdäd.  Man  erzählt, 
dass  der  Austausch  auf  dem  griech.  Gebiet  am  Flusse  Allamis  (Lamus; 
stattfand,  Sonntag  am  12.  des  Monats  Schevval  241  (23.  Febr.  856);  es 
gab  785  gefangene  Muselmänner,  darunter  125  Frauen«. 

»Georgios  der  Grossgesandte  der  Griechen«  wird  wohl  mit  dem  in 
der  pannonischen  Legende  erwähnten  Georgios  (Polassa)  identisch  sein. 
Die  Richtigkeit  des  zweiten  Namens  ist  allerdings  zweifelhaft,  doch  die 
Uebereinstimmung  in  dem  Namen  des  Georgios  ist  gewiss  mehr  als  ein 
blosser  Zufall.  Die  Legende  erwähnt  noch  den  Asikrit.  Dadurch 
wird  die  Vermuthung  Hergenröther's  ij,  dass  Photius  als  Secretär  an  der 


ij  Hergenröther  Photius  L342 — 343.  »Um  855 — S56  fand  wiederum  eine 
Auswechselung  der  Gefangenen  statt.    Wohl  bei  dieser  Gelegenheit,  wenn 


Vita  Cyrllli.  55I 

Gesandtscliaft  zu  den  Arabern  im  J.  856  oder  schon  84G  betbeiligt  war. 
bestätigt.  Hergenröther  gab  schon  zu,  dass  es  richtiger  sei,  an  dem 
J.  S50,  als  an  dem  J.  S  15  festzuhalten.  Denn  für  die  vierziger  Jährt- 
war  Photius  zu  jung,  um  Asikrit  zu  sein.  Aus  der  ganzen  Erzäliluns 
der  Legende  von  der  sogenannten  Saracenen-.Mission  ist  somit  sicliev 
nur  die  Erwähnung  von  Georgios  und  Asikrit.  Doch  was  hatte  Kon- 
stantin dabei  zu  thun  ?  Nach  meinem  Defürhalten  bekam  er  eine  ge- 
heime und  genug  gefährliche  Mission.  Als  Kenner  der  slavischen 
Sprache,  der  zu  dieser  Zeit  (S55)  schon  einen  grossen  Theil  seines 
grossen  Werkes  vollbracht  hatte  (z.  B.  die  Uebersetzung  des  Evangelia- 
riums,  des  Apostels,  des  Psalters),  war  Konstantin  zu  der  Gesandtschaft 
zugezogen  wegen  der  Slaven,  die  in  den  Kriegen  zwischen  den  Arabern 
und  Byzantinern  keine  geringe  Rolle  spielten  ....  Ich  mache  hier  einen 
Excnrs  über  die  slav.  Militärcolonien  in  Kleinasien  unter  Justinian  II.. 
über  ihre  Ansiedelungen  in  Bithynien,  Cilicien,  worüber  ich  kurz  auf 
mein  Werk  «0  c.iaBjiiiaxi.  bt.  Ma.ion  Aain«  (CIIörT,  1859),  auf  Harkavi's 
Werk  und  zuletzt  auf  die  Abhandlung  Pancenko's  (XlaMHTHHKx  ciaBHUi. 
BT.  BuHnnin  VII  b.  in  den  IIsBicxin  des  Konstantinopler  Archäol.  In- 
stituts B.  VIII.  1 — 2)  verweise  .  .  .  Dann  setze  ich  so  fort:  Möglicher- 
weise war  Konstantin  bestimmt,  sich  der  Gesandtschaft  des  J.855  nicht 
bloss  darum  anzuschliessen,  weil  er  einer  der  Hauptpersonen  der  Ge- 
sandtschaft, dem  Asikrit  Photius.  und  dem  beim  Hofe  einfiiissreichen 
Logotheten  Theoktist  sehr  nahe  stand.  Die  Regierung,  die  ja  über  ge- 
bildete Männer,  die  als  gewesene  Gefangene  Gelegenheit  hatten,  arabisch 
und  persisch  zu  erlernen,  in  hinreichender  Anzahl  verfügte,  während 
Konstantin  keiner  dieser  Sprachen  mächtig  war,  muss  doch  ihre  be- 
stimmten Gründe  gehabt  haben,  wenn  sie  diesen  jungen  Mann,  dessen 
Gesundiieit  keineswegs  kräftig  war,  bestimmte,  der  Gesandtschaft  sich 
anzuschliessen.  Ich  suche  diese  Gründe  in  seiner  Kenntniss  der  slav. 
Sprache.  Die  Regierung  Wollte  es  auf  den  Versuch  ankommen  lassen, 
ob  sie  die  bei  den  Arabern  im  Dienste  gewesenen  und  bis  zu  einem  ge- 
wissen Grade  muhammedanisirten  Slaven  nicht  zum  Christenlhum  be- 
kehren könnte.  Der  Weg,  der  zu  dem  Ort  der  Verhandlungen  am  Flusse 
Lamus  führte,  berülirte  nahe  die  Festung  Lulu  (Faustinopolis)  und 
durchschnitt  die  dahinter  gewesene  slavische  Ansiedelung.  Ob  nicht 
infolge  des  Aufenthaltes  und  des  Verkehrs  des  Philosophen  Konstantin 


nicht  schon  bei  einer  früheren  (845,  kam  unser  Photius  als  Gesandter  des 
kais.  Hofes  in  den  muhammedanischen  Orient". 

36» 


552  V.  Lamanskij, 

mit  ihnen  seit  dem  J.  856  sich  in  Lulu  ein  Kreis  von  Männern  bildete, 
die  zum  Christenthum  und  zu  den  Repräsentanten  desselben  zu  Byzanz 
Neigung  fühlten  und  von  Baglidäd  sich  losreissen  wollten?  Im  J.  659 
und  vielleicht  schon  früher  (in  den  Jahren  856 — 858)  war  die  Festung 
Lulu,  wie  mau  aus  den  arabischen  Quellen  ersieht,  bereits  in  den  Hän- 
den der  Griechen  uud  der  Commandant  derselben  war  ein  Patricier  aus 
Byzanz.  Doch  im  J.  859  nahm  die  muselmännische  Partei  wieder  die 
Oberhand,  der  Patricier  war  den  Arabern  ausgeliefert  und  an  seine 
Stelle  kam  ein  muselmännischer  Commandant.  Vielleicht  ist  die  Mit- 
theilung von  dem  Attentat  der  Saracenen  auf  das  Leben  Konstantin's 
durch  Vergiftung  nicht  ganz  unbegründet. 

Auf  jeden  Fall  also  bekam  der  Verfasser  der  Legende  einige  No- 
tizen über  die  Gesandtschaft,  an  der  sich  Konstantin  betheiligte,  von 
dem  Bruder  desselben  Methodius.  Da  die  Mission  Konstantin's,  wie  ich 
glaube,  geheim  war,  so  durfte  auch  Methodius  die  Details  derselben 
nicht  erzählen.  Nur  die  Namen  theilte  er  mit.  Die  in  Pannonien  ab- 
gefasste  Vita  mag  den  Namen  des  Asikrits  absichtlich  verschwiegen 
haben,  da  der  Name  Photius  in  den  römischen  Diöcesen  des  Endes  des 
IX.  und  Anfangs  des  X.  Jahrh.  schon  missliebig  war.  In  dem  Datum 
der  Gesandtschaft  kann  Methodius  keinen  Fehler  gemacht  haben,  da 
ihm  sein  jüngerer  Bruder  gewiss  davon  manches  erzählt  haben  wird, 
z.  B.  während  ihrer  gemeinsamen  Reise  zu  den  Chazaren.  Der  Fehler 
also,  d.  h.  die  Versetzung  der  Mission  in  das  24.  Lebensjahr  des  Philo- 
sophen, mag  eher  beweisen,  dass  die  Vita  Constantini  nicht  nach  dem 
Dictate  des  Methodius  geschrieben  und  nicht  von  ihm  durchgesehen 
wurde,  oder  dass  die  Stelle,  die  vom  24.  Lebensjahre  Konstantin's 
spricht,  in  dem  ursprünglichen  Text  nicht  enthalten  war. 

Was  die  in  der  Vita  angeführten  Reden  Konstantin's  mit  den  Sara- 
cenen anbelangt,  so  kann  man  fragen,  ob  der  bekanntlich  äusserst  be- 
scheidene Konstantin,  der  nie  von  sich  selbst  und  seiner  Wirksamkeit 
zu  reden  liebte,  es  für  nöthig  gehalten  hätte,  seine  Reden,  seiue"Wider- 
legung  der  muselmännischen  Ansichten  niederzuschreiben,  um  sie  für 
die  Obrigkeit  oder  die  Nachwelt  zu  retten?  Ich  glaube  nein,  das  alles 
ist  vielmehr  eine  Zuthat  des  Verfassers  der  Legende,  ganz  so  wie  die 
oben  erwähnte  Rede  des  zwölf-  oder  dreizehnjährigen  Kaisers  Michael  III. 
üebrigens  die  saracenischen  Reden  der  Legende  konnten  auch  erst  später 
(im  XII. — XIII.  Jahrh.)  aus  verschiedenen  Abhandlungen,  die  gegen  den 
Mohammedauismus  gerichtet  iiud  in  der  altkirchenslavischen  Literatur 


Vita  Cyrilli.  553 

populär  waren,  excerpirt  worden  sein.  Das  Bedürfniss  solclier  Abhand- 
lungen war  bei  den  Slaven  sehr  früh  vorhanden,  da  sie  als  die  ersten  unter 
den  europäischen  Völkern  mit  den  Mohammedanern  in  Berührung  und 
in  Gefahr  kamen,  zum  Islam  überzutreten.  Wenn  aber  diese  Reden 
nicht  den  Heften  Konstantins  entnommen  wurden,  wenn  iiinen  die  do- 
cumentale  Bedeutung  nicht  zukommt,  so  fragt  es  sich,  ob  sie  dem  Ver- 
fasser der  sogenannten  pannonischen  Legende  angehören?  Bei  den 
mährischen  Slaven  gab  es  keine  Muselmänner,  ja  im  IX.  .lahrh.  werden 
sie  überhaupt  kaum  etwas  vom  Islam  gehört  haben.  Wozu  sollte  sich 
also  ein  mährischer  Slave  so  ausführlich  darüber  auslassen,  woher  hätte 
er  die  entsprechenden  griech.  polemischen  Abhandlungen  bezogen  ?  In 
den  neueren  Abschriften  der  alten  pannonisch-slovenischen  Denkmäler 
des  X. — XI.  Jahrb.  finden  wir  keine  solche  polemische  Schrift.  Grie- 
chische Originale  derselben  sind  für  den  Ausgang  des  IX.  Jabrh.  im 
Bereich  Pannoniens  gewiss  ausgeschlossen.  Soll  man  nicht  annehmen, 
dass  auch  diese  Saracenenreden,  die  in  der  pannonischen  Legende  dem 
Konstantin  in  den  Mund  gelegt  werden,  in  den  ursprünglichen  Text  be- 
deutend später  eingeschaltet  wurden  und  auch  anderswo,  sei  es  im  Nor- 
den in  Russland,  sei  es,  was  noch  wahrscheinlicher  klingt,  im  Süden, 
jenseits  der  Donau. 

In  der  Vita  steht  es:  j)pinxerant  enim  formas  daemonum  extrinse- 
cus  in  iauuis  omnium  christianorum,  res  deformes  facientes  atque  illu- 
dentes  eis«.  Konstantin  konnte  sehen  und  sah  auch  wahrscheinlich 
nicht  gezeichnete  oder  gemalte,  sondern  aus  Holz  gemachte  Figuren 
der  Teufel,  und  auf  diese  konnten  die  Muselmänner  seine  Aufmerksam- 
keit lenken.  Kann  also  diese  Fassung  der  Erzählung  von  Konstantin 
herrühren?  Die  ihm  in  den  Mund  gelegte  Antwort  gehört  unzweifelhaft 
dem  Volkswitz  der  christlichen  Unterthanen  des  boshaften  und  be- 
schränkten Khalifen  an:  »daemonum  formas  video,  qui  daemones  cum 
non  possint  vivere  intus  cum  iis  fugiant  foras«.  Konnte  der  kluge  und 
reine  Idealist  Konstantin  einen  solchen  vulgären  Witz  in  den  Mund 
nehmen?  Gewiss  hat  die  christliche  und  hebräische  Bevölkerung  aus 
Rache  dafür,  dass  der  Khalife  eine  solche  verletzende  und  dumme  Ver- 
ordnung erlassen,  über  jene  Holzstatuen  ihren  Witz  und  Spott  ergehen 
lassen.  Den  AVitz  mag  auch  Methodius  gehört  haben,  vielleicht  nicht 
gerade  vom  Bruder,  doch  hätte  er  kaum  zugegeben,  dass  er  dem  Kon- 
stantin in  den  Mund  gelegt  werde.  V.  Lamannkij . 

Fortsetzung  folgt.) 


554 


Zum  Gebrauche  der  Verba  perfectiva  und  imperl'ectiva 
im  Slovenischeu. 


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Vor  etlichen  Jahren  hatten 
bei  uns  einige  eifrige  Dilettanten 
eine  Agitation  gegen  das  Futurum 
der  Verba  perfectiva  eröffnet,  das 
sie  als  Germanismus  beseitigen 
und  durch  das  Praesens  dieser 
Verba  ersetzen  wollten.  Es  sollte 
nicht  mehr  heissen  «bom  dal«, 
sondern  nur  »dam(f,  und  in  der 
That  hörte  man  schon  sogar  von 
Vereinen,  deren  Mitglieder  sich 
verpflichteten,  für  jedes  »bom«. 
das  ihnen  entschlüpfen  würde, 
eine  bestimmte  Strafe  zu  zahlen. 
Die  Agitation  hatte  demnach  nicht 
geringe  Aussicht  auf  Erfolg.  Ich 
glaubte  mich  jedoch  des  alten, 
allgemein  gebräuchlichen  Futu- 
rums annehmen  zu  müssen,  und  nach  einem  ziemlich  langwierigen 
Kampfe  scheint  gegenwärtig  von  den  meisten  die  Berechtigung  und 
Slavicität  der  fraglichen  Futurform  als  erwiesen  betrachtet  zu  werden. 
In  der  betreffenden  Polemik  wurden  aber  meinerseits  nebenbei  auch 
einige  andere  den  Gebrauch  der  perfectiven  Verba  im  Slovenischeu  be- 
treffende Fragen  gestreift,  auf  die  hier  etwas  näher  einzugehen  von 
einigem  Interesse  sein  dürfte,  da  es  eben  Fragen  sind,  in  Betreff  deren 
der  gegenwärtige  Sprachgebrauch  noch  melir  oder  weniger  schwankend, 
die  Theorie  noch  ziemlich  mangelhaft  und  unbefriedigend  zu  sein 
scheint. 

Die  griechische  Syntax  weiss  von  einer  »effectiven«  oder  »resulta- 
tiven«  Funktion  der  Aoristformen,  also  vom  Gebrauche  des  Aoristes  zur 
Bezeichnung   des  Endpunktes  oder  liesultates  einer  Handlung  zu  be- 


^-  ^o_^^^*^   ',Ayt^J>^^ 


Zum  Gebi-iuicho  der  Verba  perfectiva  und  imperfectiva  im  Slovenischen.  555 

licliten.  Icli  habe  in  meiner  eben  erwähnten  Polemik  das  Wort  »effec= 
tivum«  in  einem  etwas  verschiedenen  Sinne  gebraucht,  nämlich  von  einem 
Praesens,  das  die  Handlung  nicht  nur  bezeiclinet,  sondern  eben  durch 
(las  Aussprechen  des  betreftenden  Verburas  zugleich  vollzieht.  An  die 
Eigenthümlichkeit  dieses  Falles  scheinen  die  Forscher,  die  über  den 
Gebrauch  der  Verba  perfectiva  und  imperfectiva  im  Slavischen  geschrie- 
ben, soweit  mir  ihre  Schriften  zu  Gesichte  gekommen  sind,  nicht  gedacht 
zu  haben;  und  doch  ist  der  Fall  kein  seltener.  Durch  das  Aussprechen 
der  Worte:  »ich  danke,  verspreche,  gelobe,  empfehle  mich«  sind  die  be- 
treflfenden  Akte  vollzogen.  Das  Aussprechen  des  Wortes  mag  zwar  eine 
gewisse,  wenn  auch  noch  so  kurze  Zeitdauer  erfordern,  aber  daran  denkt 
der  Sprechende  nicht  und  es  kommt  darauf  auch  gar  nicht  an,  der  Akt 
ist  als  momentan  aufzufassen.  Es  ist  nun  sonderbar,  dass  diesen  mo- 
mentanen Akt  die  meisten  slavischen  Sprachen  durch  Aussprechen  des 
Praesens  eines  imperfectiveu  Verbums  vollziehen,  so  namentlich  das 
Altslovenische,  vgl.  Euchol.  Sin.  G7b:  HcnoKli^V^*'*?  '>Sb:  orpimai*. 
72b:  iiplv^yai*  u.  s.  w.  Desgleichen  das  Kroatische,  Rimski  Ritual 
(u  Rimu  lS93j  pag.  5S:  »ja  te  odrjesujem  od  tvojih  grieha«  u.  s.  w. 

Eine  Ausnahme  macht  das  Slovenische;  es  scheint  in  demselben 
nämlich  bei  den  imperfectiveu  Verben  das  Gefühl  für  das  Unvollendete 
der  Handlung  zu  lebhaft  zu  sein,  als  dass  man  ohne  weiteres  sich  eben- 
falls so  ausdrücken  dürfte.  Wer  z.  B.  nur  behauptet,  dass  er  mit  dem 
Absolviren  beschäftigt  ist,  von  dem  kann  man  es  nicht  wissen,  ob  er  je 
damit  fertig  wird.  Die  Vorfahren  der  heutigen  Slovenen  gebrauchten 
also  schon  vor  800 — 900  Jahren  in  solchen  Fällen  Verba  perfectiva. 
Das  bezeugen  die  Freisinger  Formeln  mit  ihrem  ispovede,  porqcq^ 
zoglagoJJq.  Miklosich,  Synt.  777,  nennt  dies  allerdings  ein  uraltes 
Verderbniss;  es  ist  aber  schwer  zu  begreifen,  warum  das  logisch  richtige 
gegenüber  dem  logisch  falschen  ein  Verderbniss  sein  sollte.  Sagt  ein 
Kaufmann  zum  erschienenen  Kauflustigen  den  Preis  einer  Waare  und 
der  Kauflustige  antwortet:  ))kupim<'-  ich  kaufe,  so  ist  der  Kauf  abge- 
schlossen. «Kupujem«  dagegen  wäre  nur  entweder  vor  Abschluss  des 
Kaufes  als  referirendes  Praesens:  »ich  bin  bestrebt  zu  kaufen«,  oder 
vom  öfteren  Kaufen  zu  brauchen.  So  sagt  man  auch  ganz  gewöhnlich: 
»Nä,  to  ti  dam  za  spomin«,  das  gebe  ich  dir  zum  Andenken,  wenn  das 
Geben  mit  diesen  Worten  tollzogen  wird;  »dajem«  wäre  ein  referiren- 
des Praesens:  »Vidite,  kaj  mu  dajem^  pa  se  brani«.  Ebenso:  Se  kesal 
se  bos,  to  tipovemu,  dagegen:  »Jaz  ma.  pravim,  da  se  bo  se  kesal'f. 


556  Stanislav  Skrabec, 

Nach  diesen  ganz  gewöbnlicljen  alltäglichen  Fällen  zu  schliessen, 
dürfte  wohl  auch  in  anderen  weniger  häufigen  nicht  an  ein  Verderbniss 
zu  denken  sein,  so  namentlich  in  den  in  religiösen  und  gerichtlichen 
Formeln  gebräuchlichen:  «izpovem,  odpovem,  dolzan  se  dam,  prisezem^i. 
Die  Formeln  bestehen  allerdings  aus  mehr  Worten,  die  entsprechenden 
Akte  nehmen  somit  eine  merkliche  Zeit  in  Anspruch;  allein  es  handelt 
sich  dabei  nicht  um  die  Zeitdauer,  sondern  um  die  Vollziehung  des  Aktes, 
die  mit  dem  betreuenden  Verbum  ausgesprochen,  also  gleichsam  in  dem- 
selbem  concentrirt  ist.  Wenn  es  sich  um  die  Zeitdauer  handelt,  wenn 
z.  B.  im  Verlaufe  des  Aktes  der  denselben  Vollziehende  von  Jemandem 
gestört  wird  etwa  mit  der  Frage,  was  er  thue,  wird  die  Antwort  sicher- 
lich mit  einem  Verbum  imperfectivum  erfolgen:  »spovedujem  se,  odpove- 
dujem  se,  prisezam«. 

Es  wurde  mir  eingewendet,  «spovem  se«  sei  ein  Futurum,  mit  dem 
das  folgende  Sündenbekenntniss  angekündigt  wird.  Dies  war  mit  Leich- 
tigkeit zurückzuweisen;  es  hat  es  übrigens  bereits  Miklosich  gethan. 
»Spovem  se«  (in  den  Freis.  Formeln  noch  in  archaistischer  Form  »ispo- 
vede«)  ist  eine Uebersetzung  des  lat.[«confiteor((,  keineswegs  eines  »con- 
fitebor«,  es  entspricht  einem  altslov.  »ispovßdaja«.  einem  kroat.  »ispo- 
vijedam« ;  mithin  kann  es  kein  Futurum  sein.  Es  ist  auch  keine  Ankün- 
digung eines  folgenden  Sündenbekenntnisses,  da  es  ja  nicht  allein  bei 
der  Beichte  recitirt  wird,  sondern  auch  bei  jeder  Messe,  vor  jeder 
Communionspendung  u.  s.  w. ;  es  ist  also  nur  ein  allgemeines  Bekennt- 
niss  der  Sündhaftigkeit. 

Viel  eher  als  diesen  Einwand  hätte  ich  in  der  That  den  anderen 
erwartet,  es  seien  alle  diese  Fälle  nach  Miklosich  eben  ein  »uraltes 
Verderbniss«,  wie  ja  auch  wirklich  gegenwärtig  die  allgemeine  Strömung 
unter  unseren  »Schriftgelehrten«  dahin  geht,  möglichst  viele  Perfectiva 
durch  Imperfectiva  zu  ersetzen.  Während  das  Volk  im  Ktistenlande 
z.  B.  ganz  gewöhnlich  sagt:  «jih  lepö  pozdravim,  jih  lepo  zahvalim,  to 
Jim  obljubim,  jih  pustim  z  ßogom«  u.  s.  w.,  hört  man  unter  Gebildeten 
überall  schon  vorwiegend  :  «pozdravljam,  zahvaljujem  se,  obljubujem, 
dovoljujem  sl  naznanjati«  (mit  dem  imperfectiven  Infinitiv  in  letzterer 
Formel  sind  wir,  wie  es  scheint,  schon  allen  übrigen  Slaven  voraus)  u.  s.  w. 
Sogar  in  liturgische  Formeln  scheint  die  vermeintliche  Correctur  dringen 
zu  wollen ;  so  heisst  es  in  einem  neueren  Schulbuch  auf  die  Frage  des 
Taufritus:  »Ali  se  odpoves  hudicu?«  —  »Odpovedujem  se«,  wo  es  in 
der  Weise  der  slovenischen  Volkssprache  heissen  müsste:  «Odpovem« 


Zum  Gebrauche  der  Verba  perfectiva  und  imperfectiva  im  Ölovenischen.  557 

(ohne  »se«,  oder  auch  «sec«,  ohne  »odpovem«).  Die  «Schriftgelehrten' 
betrachten  sonach  das  Praesens  der  Perfectiva  in  solchen  Fällen  mit 
Miklosich  als  Verderbniss,  auf  dem  EiuHusse  des  Deutschen  beruhend. 
Nun,  fremder  Einfluss  soll  auch  meinerseits  nicht  durchaus  ge- 
leugnet werden.  Das  Vollziehen  eines  Aktes  durch  Aussprechen  des 
denselben  bezeichnenden  Wortes  ist  ja  allerdings  ein  Vorgang,  der  eine 
Kulturstufe  vorauszusetzen  scheint,  zu  der  die  Slaven  erst  durch  das 
Christenthum  gehoben  worden  sein  mögen.  Da  diese  Fälle  auch  nament- 
lich in  Bibelstellen  und  religiösen  Formeln  vorkommen,  so  muss  sicher- 
lich zugegeben  werden,  dass  die  Sache  selbst  nicht  etwas  ursprünglich 
slavisches  ist,  mag  dabei  nun  ein  perfectives  oder  ein  imperfectives  Ver- 
bum  zur  Anwendung  kommen.  Ob  aber  dieses  oder  jenes,  das  scheint 
mir  doch  nicht  von  einer  fremden  Sprache  abzuhängen,  am  wenigsten 
von  einer,  die  den  Unterschied  der  Verba  perfectiva  und  imperfectiva 
nicht  kennt,  wie  es  die  lateinische  oder  deutsche  ist.  Eher  dürfte  es 
denkbar  sein,  dass  das  Griechische,  dessen  Praesens  nur  eine  dauernde 
Handlung  bezeichnen  kann,  das  Altslovenische  in  diesem  Falle  zur  An- 
wendung imperfectiver  Verba  gebracht  habe,  als  das  Lateinische  oder 
Deutsche  das  Neuslovenische  zur  Anwendung  perfectiver.  Nothwendig 
scheint  mir  jedoch  auch  fürs  Altslovenische  diese  Annahme  gerade  nicht: 
es  kann  der  Grund  in  dem  Gebrauche  des  Praes.  perfectiver  Verba  zur 
Bezeichnung  des  Futurums  liegen.  Da  im  Neuslovenischen  diese  Be- 
deutung des  Praesens  perfectiver  Verba  nicht  so  durchgedrungen  ist, 
blieb  die  Verwendung  als  eflfectives  Praesens  möglich  und  wurde  vom 
Sprachgefühl  des  slovenischen  Volkes  auch  immer  entschiedener  gefor- 
dert. So  würde  es  sich  erklären,  warum  im  ungarischen  Slovenisch  wie 
im  Altslov.  das  effective  Praesens  in  der  Regel  durch  Verba  imperfectiva 
bezeichnet  wird,  so  bei  Küzmic  Mat.  26,  63:  y^primurjam  te  na  zivoga 
Bogä,  naj  näm  poves,  ci  si  ti  Kristus,  Sin  Bozi?«  Mark.  9,  24:  «jas 
tebi  zapovedam ;  Luk.  23,  46 :  »Oca,  vu  roke  tvoje poräiam  düso  mojo «. 
—  Dagegen  Joan.  20,  21 :  »Liki  je  mene  poslao  Oca,  i  jas  vas  po'demv. 
Luk.  23,  46  hat  nach  Miklosich  auch  Trüber  rtporocam^  bei  Dalm.  steht 
hingegen  ))porocim(',  wie  auch  Mark,  i),  24:  ytzapocetnc  — Mat.  26,  63 
hat  sogar  Dalm.  y)zaJdinanm  :  Japelj  und  die  auf  Kosten  des  Fürstbischofs 
Wolf  gedruckte  Uebersetzung  dagegen  y^zarotimn.  Sonderbarerweise 
finden  wir  Luk.  2,  10  nicht  blos  bei  Dalm.,  sondern  auch  bei  Japelj: 
»jest  vam  oznaniijemv^  erst  in  der  nach  Wolf  genannten  Ausgabe:  >>ozna- 
nim  vam  veliko  vese'je^i.    Dass  letzteres  das  richtige,  d.  i.  dem  heutigen 


558  Stanialav  Skrabec, 

Sprachgefühl  des  slovenischen  Volkes  entsprechende  ist,  kann  man  sich 
überzeugen,  wenn  man  das  Imperfectivum  »oznanujem«  oder  das  noch 
gewöhnlicliere  jjpripovedujem«  in  einem  Falle  des  gewöhnlichen  Lebens 
anzuwenden  versucht.  Würde  ein  Lehrer  z.  B.  einen  Ferialtag  mit  den 
Worten  ankündigen:  «Otroci,  pripovedujem  vam,  da  jutri  ne  bo  sole«, 
so  würde  man  das  lächerlich  finden,  dagegen  klingt  es  ganz  natürlich 
z.  B.:  »Otroci,  najprej  vam  povem,  da  jutri  ne  bo  soletf. 

Nach  alledem  wäre  es  zu  billigen,  dass  in  der  Uebersetzung  des 
neuen  österreichischen  Katechismus  unser  Praesens  effectivum  meist 
beibehalten  wurde:  »se  spovem,  se  obtozim,  trdno  sklenem,  odvezem  te« 
u.  s.  w.  Auch  statt  der  knorrigen  Neuheiten  »zdruzujem«,  »zahvaljujeni« 
würde  es  wohl  besser  klingen:  j)zdruzim«,  »zahvalim«,  obwohl  hier  allen- 
falls an  dauernde  oder  wiederholte  Akte  gedacht  werden  könnte. 

Als  Praesens  effectivum  muss  auch  dasjenige  betrachtet  werden, 
das  einen  entsprechenden  materiellen  Akt  begleitet  und  formell  als  sol- 
chen erklärt,  wie  das  bereits  angeführte  »dam  a  und  wohl  auch  «povem«. 
Die  hiebei  erforderliche  materielle  Handlung  mag  längere  Zeit  in  An- 
spruch nehmen;  es  wird  aber  daran  nicht  gedacht,  da  es  darauf  gar 
nicht,  sondern  lediglich  auf  den  Vollzug  des  Aktes  ankommt.  Wie  man 
also  richtig  sagt:  »to  ti  danm^  so  schreibt  man  richtig  auch:  »to  ti  />06- 
Ijenm^  wobei  auch  gar  nicht  daran  gedacht  wird,  wie  ich  irrthümlich 
ehedem  meinte  (»Cvetje«  XVI.,  9,  Fussnote  am  Ende),  dass  während  des 
Schreibens  nur  erst  die  Absicht  besteht  und  das  Schicken  selbst  noch 
in  der  Zukunft  liegt.  In  demselben  Sinne  sagt  auch  der  Ueberbringer 
z.  B. :  «to  i\  posljejo  mati«,  indem  erst  durch  die  Uebergabe  der  Akt 
des  Schickens  vollbracht  ist. 

Dagegen  wäre  es  wohl  nicht  richtig  ein  gerichtliches  Urtheil  etwa 
mit  den  Worten:  »sodisce  te  obsodi  na  2  leti  v  zapor«  zu  verkünden, 
da  ja  das  Urtheil  vor  der  Verkündigung  desselben  gefällt  werden  musste: 
es  muss  somit  die  Verkündigung  mit  den  Worten:  »sodisce  te  je  obso- 
dilo«  geschehen. 

Um  so  mehr  ist  es  verfehlt,  wenn  Zeitungen  schreiben :  « Vsi  vcerajsni 
listi  ostro  obsodijo  tako  grozovito  zlocinstvoc  Richtig  müsste  es  heissen : 
«so  obsodili«,  oder,  solange  die  Blätter  noch  gelesen  werden  können: 
»obsojajo«. 

In  der  Sprache  des  Volkes  kommt  der  hier  gerügte  Fehler  wohl 
kaum  vor ;  hingegen  ist  er  aus  Büchern  und  Zeitungen  nicht  auszumerzen. 
Man  liest  noch  fortwährend  z.  B. :  «0  poslanski  zbornici  vlq  pove  ta  list 


Zum  Gebrauche  der  Verba  perfectiva  und  imperfectiva  im  Slovenischen.  559 

uic  pozitivnegaw  .  .  richtig  nuisste  es  heissen :  «ne  ve  pocedafi(()  — 
"Kouecno  ta  list  se  ocetovsko  poscari  graski  Senat«  .  .  (richtig:  »scari«) 

—  »Pismo  grofa  Fr.  C.  v  katerem  obrazlozi  svoje  nazore  o  dezelnem 
solskem  zalogu« . .  riclitig:  ^Jc  razlozlln  oder  »raziagaa)  —  »Izbesed  grofa 
Th  .  .  .  posnamemo  toliko,  da  morarao  smatrati«  .  .  .  (richtig:  »smemo 
posneti«  oder  »se  da  posneti»)  —  »Cetrti  evangelj  pa  n&s  pouci  o  ne- 
posrednih  govorih  .  .  .  richtig:  »uci«  oder  jjpoiiruje«)  —  »Spise,  na 
katere  nanrigne  vpredgovoru  . .  .  (richtig:  »je  namignil«  oder  »na  ketere 
misli  V  predgovoru«)  —  Obcno  izrocilo  sv.  cerkve  postavi  sestavo  prvega 
evangelja  luej  letora  33.  in  40«  .  .  .  (richtig:  »stavi«  oder  «si  misli«)  — 
»Globoke  doline  ga  osamijo  od  vseh  strani«  .  .  .  'richtig:  »so  ga  osa- 
mile«  oder  »delajo  osamljenega«;  n.  s.  w. 

Bei  solcher  Abgestumpftheit  des  Sprachgefühls  ist  es  nicht  zu  ver- 
wundern, wenn  sich  auch  Abirrungen  in  entgegengesetzter  Richtung 
finden,  namentlich  bei  Leuten,  die  selbst  alles  am  besten  zu  wissen 
glauben:  «Imenom  poljskega  kluba  je  vitez  A.  predlagal^  naj  bi  se 
vrkila  seja  naceluikov  klubovcr .  .  (richtig  müsste  es  vermuthlich  heissen: 
»predlozil«  und  »sklicala«)  —  »Zato  se  ga  lotujemo  danes  v  tako  kratki 
obliki«  . . .  (richtig  entweder:  »smo  se  ga  lotili«  oder  »se  ga  lotimoi'  im 
Sinne  von  »hocemo  lotiti«  oder  »bomo  lotili«;  die  Bedeutung  des  Wortes 
schiiesst  ein  Imperfektivum  aus,  »lotujemo«  ist  eine  in  der  Volkssprache 
unerhörte  Missbildung,  leider  doch  von  Pletersnik  ins  Lexikon  aufge- 
nommen) —  nPoziiaval  je  Koseski  dobro  mili  jezik  slovenski«  .  .  . 
(richtig:  »poznal«)  —  »Njena  pulitika  obstoja  v  tem«  ^richtig:  »obstoji«) 

—  »Tak  clovek  zasluzuje  najostrejso  kazen«  .  .  .  richtig:  »je  zasluzil« 
oder  ).zasluzi«).  —  Die  Worte  »poznavati,  obstojati,  zasluzevati«  sind 
der  slovenischen  Volkssprache  unbekannt:  »pozna,  obstoji,  zasluzi« 
sind  gegenwärtig  selbst  Imperfectiva,  brauchen  also  keine  neuen  Imper- 
fectivbildungen.  Wenn  man  meint,  dass  sie  zu  dieser  Bedeutung  durch 
fremden  Einfluss  gekommen  sind,  so  mag  dies  richtig  sein;  es  ist  aber 
kein  Grund,  sie  deshalb  als  solche  nicht  anerkennen  zu  wollen.  Wollte 
man  allea  beseitigen,  was  in  einer  Sprache  durch  fremden  Einfluss  auf- 
gekommen ist,  so  müssten  sich  nicht  nur  alle  slavischen,  sondern  wohl 
auch  die  meisten  anderen  gebildeten  Völker  auf  Erden  ein  sehr  strenges 
Silentium  auferlegen. 

Uebrigens  so  ganz  ausschliesslich  massgebend  dürfte  in  unserem 
Falle  der  fremde  Einfluss  doch  nicht  gewesen  sein.  Nehmen  wir  das  so 
häufige  Verbum  »zdi  se  mi«,  es  scheint  mir,  so  ist  dies  eben  auch  einst 


560  Stanislav  Skrabec, 

ein  Perfectivum  gewesen:  ck^^IvTH,  Ck^^fH^A^'^;  es  dürfte  sich  aber 
kaum  ein  deiitsclies  oder  sonst  fremdes  Wort  finden,  das  den  Ueber- 
gang  desselben  in  ein  Imperfectivum,  was  es  gegenwärtig  ist,  veranlasst 
haben  könnte;  es  war  nach  Verdunkelung  der  Etymologie  wohl  die 
Analogie  mit  anderen  Verben  auf-'RTH,  sowie  das  Bedürfniss  eines  Im- 
perfectivums  für  den  betreffenden  Begriff,  was  die  Aenderung  herbei- 
führte. Aehnlich  mag  es  sich  verhalten  mit:  domisliti  se  (sich  erinnern), 
dopasti  (gefallen),  obstati,  obstoji  (bestehen),  poznati  (kennen),  podati  se 
(wohl  anstehen),  pustiti  (zulassen),  razlociti  se  (sich  unterscheiden),  smili 
se  mi  (erbarmt  mir),  spodobi  se  (schickt  sich),  sprevideti  (einsehen),  spri- 
sta  se  (steht  gut,  von  Kleidern),  stane  (kostet:  man  schreibt  jetzt  dafür 
vielfach  »velja«,  als  ob  es  besser  slovenisch  wäre;  leider  ist  es  nur  das 
italienische  «vagliaw,  lat.  »valetff,  und  hat  eben  auch  nur  die  Bedeutung 
dieses,  also  «gilt«',  nicht  «kostet«),  vtegnem  (habe  Zeit,  dürfte),  vterpim 
(kann  erübrigen),  zadrzati  se  (sich  verhalten),  zameriti  ^vermessen],  za- 
nesti  se  (sich  verlassen),  zasluzi  (verdient),  zastopiti  (verstehen,  Irci- 
araad-ai],  zaupati  (vertrauen)  u.  s.  w.  Manche  von  diesen  Verben 
haben  zum  Theil  noch  die  ursprüngliche  perfektive  Funktion  bewahrt, 
so  namentlich :  domisliti  se,  pustiti,  razlociti,  zameriti,  zanesti  se,  zaslu- 
ziti.  Dass  auch  ein  Imperfectivum  zum  Perfectivum  werden  kann,  zeigt 
»obhajati((  (Communion  spenden),  das  ebenfalls  in  beiden  Bedeutungen 
gebraucht  wird. 

Nach  alledem  finde  ich  es  lächerlich,  Imperfectiva  wie  »poznati«. 
»obstati«,  »zasluziti«  durch  andere  Imperfectiva,  wie  die  vorne  ange- 
führten Neubildungen,  ersetzen  zu  wollen.  Indessen  sind  dies  vereinzelte 
Fälle.  Aerger,  weil  viel  häufiger  vorkommend,  ist  der  Gebrauch  von 
gewöhnlichen  Imperfectiven,  wo  der  Sinn  Perfectiva  oder  das  Futurum 
erheischt.  Das  ist  der  Fall  in  Absichtssätzen,  wie  solche  namentlich  in 
Gebetsformeln  ungemein  häufig  vorkommen:  »0  velika  Gospa,  sprosi 
mi  to  milost,  da  noc  in  dan  zalujem  uad  svojimi  grehi  .  .  .«  (richtig: 
»da  bom  noc  in  dan  zaloval«;  dagegen  hiesse  es  in  einem  Folgesatz 
richtig:  »sprosila  si  mi  to  milost,  da  noc  in  dan  zalujem«.)  —  »Daj  mi 
tako  Ijubezen  do  kriza,  da  vselej  s  tvojo  sluzabnico,  sv.  Terezijo,  iscem 
in  zelim  .  .  .«  (richtig:  »da  bom  iskal  in  zelel«;  dagegen  Folgesatz: 
»dal  si  mi  tako  Ijubezen,  da  iscem  in  zelim^')  —  "Stori,  o  Jezus,  da  tu- 
kaj  s  teboj  jokam  in  trpim,  potlej  pa  s  teboj  v  nebesih  gospodujem  .  .  .« 
(richtig:  «da  bom  s  teboj  jokal  in  trpel  .  .  .  gospodaval«;  Folgesatz: 
»Jezus  hoce,   da  clovek  tukaj  z  njim  joka  in  trpi,  potlej   pa  z  njim  v 


Zum  Gebrauche  der  Veiba  perfectiva  und  imperfectiva  im  Slovenischen.  561 

nebesih  gospoduje«).  Die  lateinischen  oder  deutschen  Originale  haben 
allerdings  auch  in  Absichtssätzen  das  Präsens,  es  ist  aber,  wenigstens 
im  Latein,  nur  Conjunctiv,  und  dieser  lässt  sich  eben  nicht  immer  ohne 
weiteres  durch  den  Indicativ  desselben  Tempus  wiedergeben ;  das  wissen 
leider  unsere  Gebetbücherübersetzer  nicht. 

Doch  linden  sicii  auch  sonst  in  Büchern  und  Zeitungen  ähnliche 
Fehler:  «P.  general  usmiljenih  bratov  je  odpotoval  danes  v  Kandijo,  da 
nadzorujc  bolnico  tc.  usm.  bratov«  (richtig:  >  odpotoval  nadzorovat«)  — 
»Zeli  se,  da  bi  se  duhovniki  za  delavce  zdruzili  v  kako  druzbo,  da  zdru- 
zeni  toliko  lozje  delujejo  za  njih  blagor  .  .  .«  (richtig:  »da  bodo«  oder 
»da  bi  zdruzeni  delovali«)  —  «Upamo,  da  se  take  zupnije  vendar  en- 
krat  vzdramijo  ter  tchmujejo  s  svojimi  sestrami  .  .  .«  [richtig:  «ter 
zacno  tekmovati«)  —  «Kardinal  V.  se  je  zadovoljil  z  odgovorom  s  pri- 
pombo,  da  vlada  o  tem  zbornici  nemudoma  poroia  .  .  .«  (richtig:  »da 
naj  vlada  sporoci«)  —  «...  ki  je  zabical  Slovencem,  da  mirujejo  .  .  .« 
(richtig :  »da  naj  mirujejo«)  —  «Previdni  profesor  je  predlagal.,  naj  tako 
sedeva,  da  se  s  hrbtoma  tiUva  .  .  .«  (richtig:  »je  predloziltf  .  .  .  »da  se 
bova  tiscala«)  —  Mat.  5,  IG :  »Tako  naj  sveti  vasa  lue  pred  Ijudmi,  da 
cidijo  vase  dobre  dela  in  castijo  vasega  oceta  .  .  .«  (richtig:  »da  bodo 
videli  in  castili«). 

Es  könnte  aber  eingewendet  werden,  auch  das  Altslovenische  ge- 
brauche vielfach  das  Präsens  imperfectiver  Yeiba  statt  des  Futurums, 
wie  die  von  Dr.  A.  Music  im  XXIV.  Bd.  des  Arch.  8.  484 — 4S6  ange- 
führten Stellen  beweisen ;  es  kommt  dies  sogar  in  einem  Finalsatze  vor 
(1.  c.  S.  504).  Dagegen  wäre  zu  erinnern,  dass  die  Thatsächlichkeit 
dieser  Fälle  im  Altslovenischen  ebensowenig  die  Berechtigung  derselben 
beweist,  wie  das  in  unserem  Slovenischen  der  Fall  ist.  Die  altsloveni- 
schen Uebersetzer  werden  nicht  immer  bessere  Meister  der  Sprache  ge- 
wesen sein,  als  es  unsere  gegenwärtigen  Uebersetzer  sind.  Jedoch  auch 
zugegeben,  dass  die  Sache  im  Altslovenischen  ganz  sicher  in  der  Ord- 
nung ist,  so  folgt  daraus  noch  nicht,  dass  es  auch  bei  uns  so  sein  muss. 
Manche  schöne  Vorzüge  des  Altslovenischen  hat  unsere  neuslovenische 
Sprache  leider  verloren,  vielleicht  hat  sie  einige  Schwächen  und  ün- 
voUkommenheiten  des  Altslovenischen  dafür  ausgebessert.  Als  eine 
solche  Schwäche  müsste,  wenn  sie  als  wirklich  zulässig  erwiesen  werden 
könnte,  die  Anwendung  des  Präsens  imperfectiver  Verba  für  die  in  der 
Zukunft  dauernde  Handlung  im  Allgemeinen  sicherlich  angesehen  wer- 
den,   isehmen  wir  gleich  das  erste  von  Music  angeführte  Beispiel:  »Hf 


5t)2  Stanislav  Skrabec, 

n'n't're  C/ä  ,v,ov'iiJfi7R  cßCtKi^,  hkto  IvCTf  nah  mkto  iiiirrf«.    Das 

niüsste  doch  wohl  vor  allem  bedeuten :  »Sorget  nicht,  was  ihr  esset  oder 
trinket«,  d.  i.  «was  ihr  gegenwärtig  esset  oder  trinket c,  also  »was  das 
ist,  was  ihr  in  Wirklichkeit  schon  esset  oder  trinket«.  Und  doch  soll 
man  diese  Worte  in  einem  andern  Sinne  verstehen,  einem,  den  sie  an 
und  für  sich  eigentlich  nicht  haben  können  !  Ist  dies  nicht  eine  fühlbare 
Schwäche  der  Sprache  ?  Leider  sind  aber  unsere  Sprachverbesserer  schnell 
bereit,  auch  oflfenbare  Mängel  namentlich  des  Altsloven.  nachzuahmen. 

Es  ist  gewiss  eine  Mangelhaftigkeit,  wenn  das  Altslovenische  zwi- 
schen dem  Conditional  des  Präsens  und  des  Perfectums  keinen  Unter- 
schied macht.  Freilich  zeigen  unsere  Freisinger  Formeln  sowie  auch 
das  ungarische  Slovenisch  dieselbe  Mangelhaftigkeit:  »ecce  bi  detd  nas 
nezegresil«;  »Gospodne,  da  bi  eli  bio,  brat  moj  ne  bi  mr'u«  (Küzm.  Jo. 
11,  21);  allein,  da  schon  Dalm.  in  diesem  und  andern  Fällen,  die  ihn 
erheischen,  den  Conditional  des  Perfekts  hat:  oGofpud,  de  bi  ti  bil  tu- 
kaj,  moj  brat  bi  ne  bil  vmerlw,  da  derselbe  ferner  unter  dem  sloveni- 
schen  Volke  gegenwärtig  allgemein  tiblich  ist  und  da  endlich  andere 
slavische  Sprachen  denselben  auch  kennen,  so  ist  das  in  den  letzten 
Jahren,  wie  es  scheint,  modern  gewordene  Meiden  dieses  Conditionals 
als  Schädigung  der  slovenischen  Schriftsprache  wohl  mit  Recht  zu  ta- 
deln. Es  ist  unzweifelhaft  eine  auf  der  mangelhaften  Darstellung  bei 
Miklosich  beruhende  Furcht  vor  deutschem  Einflüsse,  die  der  Sache  zu 
Grunde  liegt.  Meines  Erachtens  ist  diese  Furcht  im  vorliegenden  Falle 
unbegründet.  Dagegen  wäre  sie  in  manchem  andern  Falle  nur  zu  be- 
rechtigt, wo  man  sie  doch  nicht  zu  fühlen  scheint.  Ich  will  hier  nur 
noch  einen  solchen  Fall,  wo  es  sich  eben  auch  um  den  richtigen  Ge- 
brauch perfectiver  und  imperfectiver  Verba  handelt,  kurz  besprechen: 
ich  meine  die  Zulassung  der  Imperfectiva  im  Plusquamperfectum. 

Man  trifft  gegenwärtig  sehr  häufig  auf  Fälle,  wie  die  folgenden 
»Sedaj  sem  zvedel,  kar  nem  bil  ztleh(  .  .  .  (richtig-  hiesse  es:  »kar  sem 
zelel»)  —  »Ravno  kar  je  bil  zagotavljal^  kako  visoko  Ijubi  in  spostuje 
Kristusa« .  .  .  (richtig:  »ravno  kar  je  zagotavljal«)  —  »Prej^e  bil pi- 
sal  ,Narod',  da  je  sploh  vse  krscanstvo  le  neka  zmes  iz  .  .  .,  v  vabilu 
na  naroebo  pa  se  huduje  nad  katolieani,  ker  so  oni  zatajili  ,zlahtno  ro- 
zico'  Jezusove  religije«  .  .  .  (richtig:  »prej  je  pisal«)  —  »Ze  H.Taineye 
bil  1.  1894  povdarjal  veliko  korist,  katero  ima  javnost  od  kongrega- 
cij«  .  .  .  (richtig:  »je  povdarjal«)  —  »Najde  jib,  kakor  so  niuj'ih  bili 
popisovali'.^  .  .  .  (richtig:   »so  mu  jih  bili  popisali«)  u.  s.  w. 


Zum  Gebrauche  der  Verba  perfectiva  und  imperfectiva  iiri  Slovenischen.  563 

Aber  auch  ein  Plusquamperfect  eines  perfectiven  Verbs  trifft  man 
hie  und  da,  wo  es  nicht  hingeluirt :  »Listi  pravijo,  da  se  bo  po  novem 
letu  nadskof  umakuii  nazaj  v  franciskanski  samostan,  iz  kateregay^^  hil 
izselu  .  .  .  (richtig:  »iz  katerega  je  (ob  svojem  casu)  izesel«). 

Den  richtigen  Gebrauch  des  Pluscjuamperfects  hat  schon  Metelko 
in  seiner  noch  immer  nicht  genug  ausgebeuteten  Grammatik  S.  22()  sehr 
fein  präcisirt.  Die  Stelle  verdient  hier  wörtlich  angeführt  zu  werden : 
sie  lautet: 

»Das  Plusquamperfectum  im  ludicativ  haben  die  Iterativa  aus  dem 
Grunde  nicht,  weil  hier  die  Handlung  als  ganz  vollendet  gedacht  werden 
muss,  als  die  zweite,  auch  schon  vergangene  Handlung  erfolgte,  die 
Iterativa  oder  Frequentativa  aber  immer  nur  die  Wiederholung  ohne 
Rücksicht  auf  die  Vollendung  der  Handlung  bezeichnen,  und  den  Be- 
grift"  der  vollendeten  Handlung  nur  die  perfective  Form  angibt.  Man' 
kann  z.  B.  nicht  sagen:  .kaj  si  mu  bil  dajal.  kaj  si  mu  bil  delal,  de  te 
ne  mogel  pozabiti?'  sondern  ,kaj  si  mu  bil  dal,  storil,  de  te  ne  mogel 
pozabiti?*  So  auch  nicht  ,sem  bil  gonil',  sondern  ,sem  bil  gnal',  nicht 
,sem  bil  klical',  sondern  ,sem  bil  pokücal',  nicht  ,sem  bil  nosil',  sondern 
,sem  bil  nesel'  u.  s.  w.  ,nesel"  ist  zwar  imperfectiv,  aber  nicht  iterativ, 
und  wird  im  Plusquamperfectum  ,sem  bil  nesel'  als  perfectiv  betrachtete. 

Das  oben  gerügte  «sem  bil  zelel«  ist  nicht  möglich,  weil  man  sich 
einen  Wunsch  nicht  vollendet  denken  kann,  bevor  die  Erfüllung  erfolgt, 
der  Wunsch  besteht  auch  dann,  wenn  auch  befriedigt,  weiter.  »Prej  je 
bil  pisal«  könnte  man  sagen  von  einem  vollendeten  Schreiben  (z.  B. 
»prej  je  bil  plsul,  kedaj  pride,  tisti  dan  je  pa  se  berzojavil");  an  ein 
solches  Schreiben  denkt  man  aber  bei  einer  Zeitung  nicht,  es  kommt  da 
nicht  auf  die  Vollendung,  sondern  auf  die  Dauer  in  der  Vergangenheit 
an.  Richtig  wäre  :  »Ko  ste  k  nam  prisli,  smo  bili  ze  molili«  (d.  h.  »waren 
wir  mit  dem  Beten  schon  fertig«,  dagegen:  »smo  ze  moliii"  hiesse 
»beteten  wir  schon,  hatten  schon  angefangen  zu  beten«).  Richtig  heisst 
es  auch  bei  Dalm.  I.  buque  teh  krajleu  19:  »Inu  kadar  je  on  bil  jedil 
inu  pyl,  je  on  l'pet  legal  rpat(f.  Dagegen  ist  der  in  Janezic  Gramm. 
^.  Aufl.  angeführte  Satz :  »Ko  je  bil  trideset  let  kraljeval,  je  umrl»  nicht 
befriedigend,  da  das  Herrschen  nicht  als  vor  dem  Tode  vollendet  ge- 
dacht werden  kann;  richtig  würde  es  heissen:  »ko  je  bil  trideset  let 
kralj,  je  vmerl«.  Unzweifelhaft  falsch  ist  auch  das  Plusquamperfectum 
in  dem  bei  Marko  (Slov.  Sprachlehre  für  Deutsche,  1.  Aufl.  S.  142)  an- 
'-'t'führten  Beispiele:  »oce  so  z  njima  sli  in  jima  pokazali,  kakor  so  pred 


564       Stanislav  bkrabec,  Zum  Gebrauche  der  Verba  perfectiva  etc. 

treh  letih  (1)  bili  vzdigali  in  zadnjic  tud  vzdignili «  .  .  .  Richtig  müsste 
es  heissen:  «kako  so  pred  tremi  leti  vzdigovali  in  naposled  tudi 
vzdignili '. 

Görz,  31.  I.  1903.  Stanislav  Skrahec. 


Die  Ursache  des  Schwundes  des  prädikativen  Instru- 
mentals im  Slovenischen  und  Sorbischen. 


Bekanntlich  ist  der  Gebrauch 
des  prädikativen  Instrumentals  in 
den  einzelnen  slavischen  Sprachen 
keinesfalls  gleichmässig  verbrei- 
tet. Am  weitesten  geht  in  der 
Anwendung  dieser  Consfcruction 
das  Polnische  und  Russische;  die- 
sen kommt  zunächst  das  Cechi- 
sche,  darauf  erst  folgt  das  Serbo- 
kroatische und  Altkirchenslavi- 
sche,  in  welch  letzteren  Sprachen 
der  ursprüngliche  Besitzstand  des 
prädikativen  Instrumentals  am 
treuesten  bewahrt  zu  sein,  während 
er  in  den  zuerst  genannten  zuge- 
nommen zu  haben  scheint,  wie  dies 
Jagic  in  seinen  »Beiträgen  zur 
slavischen  Syntax  I«  (Denkschrif- 
ten der  k.  Akad.  d.  W.  in  Wien,  Bd.  XLVI,  Abh.  V,  pg.  49—54)  dar- 
gelegt hat.  In  zwei  slavischen  Sprachen  (vom  Bulgarischen  natürlich 
abesehen)  ist  indess  diese  Constrnction  ganz  geschwunden,  jetzt  nur  in 
spärlichen  Ueberresten  vorhanden:  nämlich  im  Slovenischen  und  Sor- 
bischen, was  gleichfalls  schon  von  Jagic  (o.  c.  pg.  55)  hervorgehoben 
ward.    Wie  lässt  sich  nun  diese  Thatsache  erklären? 

Der  prädikative  Instrumental  war  vor  allem  am  Platze  in  der  Fügung 


%.  ^^r£^^Ce^ 


Die  Ursache  des  Schwuudes  des  prädikativen  Instr.  im  Sloven.  ii.  Sorb.   565 

•in  einen  Zustand  versetzt  werden'  (zunächst  im  passiven  und  medialen 
Sinn:  zu  etwas  werden,  zu  etwas  gemacht  oder  ernannt  werden,  in 
etwas  verwandelt  werden  u.  s.  w.,  dann  auch  im  activen  Sinn:  zu  etwas 
machen,  ernennen,  in  etwas  verwandeln  u.  s.  w.)  und  dann,  nach  Ana- 
logie von  diesen  Constructlonen,  auch  in  der  Fügung  'sich  in  einem  Zu- 
stande befinden"  (etwas  sein,  etwas  scheinen,  als  etwas  erscheinen,  als 
etwas  erkannt  werden,  im  Rufe  von  etwas  stehen  u.  s.  w.).  Dass  diese 
beiden  Hauptarten  des  prädikativen  Instrumentals  einst  auch  im  Slove- 
nischen  und  Sorbischen  üblich  waren,  lässt  sich  nicht  blos  aus  deren 
Vorhandensein  in  den  übrigen  Slavinen,  sondern  auch  aus  deren  Ueber- 
resten  schliessen,  die  sich  noch  erhalten  haben.  Es  beweist  uns  dies  für 
das  Slovenische  zunächst  der  Dialekt  der  ungarischen  Slovenen  (die 
prekmurscina),  dann  der  Uebergangsdialekt  zum  Kroatischen,  die  soge- 
nannte kajkavscina.  Aus  der  letzteren,  wo  diese  Construction  noch 
ziemlich  lebendig  ist,  citirt  Miklosieh  in  der  VG.  IV.  731  Bildungen  wie 
detetom  postajem  'puerasco'  (Habdelic'i,  kakur  (möz)  iz  enega  praseta 
jelenom  postane  "wie  er  aus  einem  Ferkel  ein  Hirsch  wird'  (Frankopan 
XIII),  dospel  herbom  posle  izmrtja  staresev  'heres  factus  est'  iPripov. 
83)  und  mit  biti:  dicno  je  biti  kotrigom  (auch  kotrig)  vucenoga  drustva, 
ja  takaj  buduci  pastirom  i  biskupom  cirkve  zagrebecke  (Kristijanovic 
192);  andere  Beispiele  aus  der  kajkavscina  siehe  bei  Jagic  (o.c.pg.  55). 
Aus  der  prekmurscina  citirt  Miklosieh  Beispiele  mit  i>^^.  dao  je  njim 
oblast  z  bozimi  sinmi  postanoti  (Joann.  1. 12),  naj  eto  kamenje  s  krühom 
postaue  (Matth.4,3),  gde  tejlo  s  prahom  postane;  merke  auch:  spoumni 
se,  da  si  präh  i  z  prahom  postanes  (Zobrisani  Sloven  97).  Für  das  Sor- 
bische führt  Miklosieh  (o.  c.  732;  an:  z  hospodarom,  z  knezom,  z  kral'om, 
z  wudowu,  z  hospozu  byc  'Hauswirth,  Herr,  König,  Wittwe,  Hauswirthin 
sein"  ^Seiller);  dyz  möj  wujk  mi  z  krawcom  bese  *da  mein  Oheim  Schnei- 
der war'  (Smoler  Volksl.  1.212),  Wilem  je  z  kral'om  'Wilhelm  ist  König' 
(Schneid.  229).  Liebsch,  Syntax  der  wendischen  Sprache  21  f.,  hat  noch 
folgende  Verbindungen:  hdyz  je  to,  luby,  ztej  twojej  wolu  'nachdem 
es  dein  Wille  ist',  budz  nam  w  nuzy  z  pomocu  'sei  unsre  Hilfe  in  der 
Noth',  budz  nam  z  trostom  'sei  unser  Trost',  njej'  to  mi  ze  skodu  'das 
ist  nicht  mein  Schade',  by  dze  z  hrechom  bylo  'es  wäre  eine  Sünde',  to 
je  z  hrechom  'das  ist  eine  Sünde',  z  knezom  uad  nekim  byc  'über  jeman- 
den Herr  sein'.  (Bei  Liebsch  ist  natürlich  p.  22  das  Beispiel  Jan  be 
za  wotrocka  zu  streichen,  da  es  ja  keinen  prädikativen  Instrumental 
enthält.)  Aus  den  hier  augeführten  Beispielen  ist  demnach  die  ehemalige 

Archiv  für  slavische  Philologie.   XXY.  37 


566  K.  strekelj, 

Existenz  eines  prädikativen  Instrumentals  im  Slovenischen  und  Sorbi- 
sclien  zur  Evidenz  erwiesen. 

Liebsch  meint  (o.  c.  pg.  21),  der  prädikative  Insrumental  sei  im 
Sorbischen  aus  demselben  Grunde  gescliwundeu,  wie  der  Genitiv  des 
Subjekts,  wo  die  sorbische  Sprache  »vielfach  ihr  slavisches  Gewand 
durch  den  Einfluss  des  Deutschen  und  die  Nachlässigkeit  und  Unkennt- 
niss  der  älteren  Schriftsteller  verloren  (hat),  denen  eine  derartige  Con- 
struction  als  ein  wahrer  Barbarismus  vorkommen  musste,  da  sie  in  den 
klassischen  Sprachen  vergeblich  nach  einer  Analogie  suchten«.  Dieser 
Grund  ist  bezüglich  des  prädikativen  Instrumentals  kaum  zutreffend,  ja 
ich  glaube  mit  Jagic  (o.  c.  pg.  52),  dass  auf  die  Anwendung  oder  Nicht- 
anwendung des  prädikativen  Instrumentals  die  fremde  Beeinflussung 
sich  nicht  erstreckt,  ganz  sicher  nicht  in  dem  Masse,  dass  deren  Auf- 
geben direct  darauf  zurückfiihrbar  wäre.  Der  eigentliche  Grund  für  den 
Schwund  der  in  Rede  stehenden  Construction  in  den  beiden  genannten 
Sprachen  liegt  vielmehr  in  dem  Umstände,  dass  beide  den  präpositions- 
losen Instrumental  überhaupt  verloren  haben. 

Im  Slovenischen  kommt  der  Instrumental,  ähnlich  dem  Local,  ohne 
Präposition  gar  nicht  vor,  ausser  in  adverbieller  Function,  in  welchem 
Falle  er  aber  gar  nicht  mehr  als  Casus  gefühlt  wird,  wie  das  gleiche 
vom  Local  (z.  B.  sredi-sred,  glihi  vizi  'gleicherweise')  gilt;  derartige 
adverbiale  Instrumentale  sind  krizem,  maJiom^  cim-tem^  ceno,  dann  die 
Bildungen  auf  ma,  wo  a  an  altes  im  durch  Uebertragung  von  Adverbien 
auf  a  sich  festgesetzt  hat  und  nicht  etwa  ein  Instrumental  dualis  ist 
[vekoJna  aus  veköma-veköm  [viküm],  popolnoma  ist  gar  ein  Local  po- 
polnom,  u.  s.  w.);  bei  den  Prekmurci  kommt  auch  prispodobnim  tälom 
'gleicherweise'  (kn.  mol.  30)  noch  vor.  Die  bei  Miklosich  in  der  Syntax 
(passim  beim  Instrumental)  ohne  cS^  erwähnten  Beispiele  sind  kajkavisch. 
Das  gleiche  wie  vom  Slovenischen  gilt  vom  Sorbischen :  auch  dieses 
kennt  den  Instrumental  ohne  Präposition  jetzt  nur  in  Adverbien  auf  y. 
wo  ihn  eigentlich  nur  der  gelehrte  Philologe  herausschälen  kann;  es  ist 
demnach  im  Sorbischen  vom  präpositionslosen  Instrumental  nicht  ein- 
mal soviel  übrig  geblieben  wie  im  Slovenischen.  Es  rechnet  zwar  Liebsch 
0.  c.  pg.  147)  auch  Beispiele  wie  sobu  (cech.  sebou,  'mit'),  sfronu  'zur 
Seite'  (swoju  stronu  hie,  cech.  stranou)  dazu,  allein  dies  sind  zumindest 
höchst  unsichere  Beispiele,  da  ja  im  anlautenden  s  wie  im  slov.  sul" 
[sehöj)  die  Präposition  s^  stecken  kann :  sobu  =  z  sobu,  stronu  =  z 
stronu,  swoju  stronu  =  z  swoju  stronu.    Aus  demselben  Grunde  kann 


Die  Ursaclie  des  Schwundes  des  prädikativen  Instr.  im  Sloven.  u.  Sorb.    5G7 

ich  auch  an  die  präpositionslosen  Instrumentale  bei  AVarichius  (1597), 
welche  Liebsch  aus  einem  mir  nicht  zugänglichen  Aufsatz  Hörnik's  auf 
S.  147,  Anmkg.,  anführt,  nicht  recht  glauben,  weil  alle  angeführten 
Beispiele  mit  s  oder  z  beginnen :  slowami  a  skutkami,  ztotom  ale  sle- 
borom,  swojimi  darami,  swojeju  hnadu.  Ist  es  möglich,  sollte  es  denn 
nur  ein  Zufall  sein,  dass  nur  Wörter  mit  s,  z  im  Anlaute  den  Instru- 
mental ohne  Präposition  gebildet  hätten,  während  sonst  die  Präposition 
zur  Anwendung  kam  ?  Kaum.  Aber  Miklosich  führt  ja  gleichfalls 
pg.  732  seiner  Syntax  ein  bud/.  kuezom  na  swojich  bratrach  (aus  Genesis 
27,  29  bei  Novik.  127)  an!  Gegen  diesen  Einwand  erwidere  ich,  dass 
hier  dem  Instrumental  ein  mit  dz  auslautendes  Wort  vorausgeht,  so  dass 
auch  hier  eigentlich  budz  z  knezom  damit  ausgedrückt  sein  konnte. 
Das  einzige  Wort,  welches,  abgesehen  von  y -Adverbien,  als  prä- 
positionsloser Instrumental  im  Sorbischen  aufgefasst  werden  könnte, 
wäre  siceru  'treu,  mit  Treue',  wenn  es  wirklich  von  einem  alten  *s^vcra 
stammt;  dann  müsste  nämlich  ein  S'B  stveraja  im  Sorbischen  ze  sweru 
ergeben.  Nun  kommt  aber  dieses  Substantiv  im  Slavischen  sonst  nicht 
vor,  sondern  nur  rera  (eech.  düvera  ist  wie  russ.  cBlipKa,  cuipoK-B  ein 
Deverbativum),  und  mir  scheint  es  nicht  unmöglich,  dass  sorb.  nvera 
Treue'  erst  aus  dem  Instrumental  S'l  veraja  (sweru)  'mit  Treue'  ab- 
strahirt  ward,  um  für  'Treue'  ein  W^ort  zu  gewinnen,  welches  nicht  mit 
wera  'Glaube,  Religion,  Konfession'  zusammenfiele.  Sei  indess  die 
Sache  mit  stveru  welche  immer,  eines  ist  sicher,  dass  das  Sorbische  den 
präpositionslosen  Instrumental  noch  viel  gründlicher  und  allem  An- 
scheine nach  auch  früher  abgestreift  hat  als  das  Slovenische. 

Die  unmittelbare  Folge  dieser  Abneigung  gegen  den  präpositions- 
losen Instrumental  war  nuu  die  Einführung  einer  Präposition  auch  bei 
dessen  prädikativer  Anwendung.  Gewählt  ward  dazu  natürlich  jene, 
von  welcher  man  fand,  dass  sie  schon  in  der  vorhandenen  Sprache  zur 
Bezeichnung  desjenigen,  mit  dem  ein  anderes  verbunden  ist,  oder  zur 
Bezeichnung  der  eine  Handlung  begleitenden  Umstände  (cf.  Miklosich. 
Syntax  723 — 725,  Punkt  IG  und  17)  bald  gesetzt  werden,  bald  fehlen 
konnte,  nämlich  die  Präposition  s^,  wobei  zum  Ausdruck  des  Mittels 
vielleicht  auch  fremde  Sprachen  (deutsch  7nif,  Italien,  cofi]  theihveise 
einen  Einfluss  ausüben  konnten.  So  bildete  man  denn  auch  den  prädi- 
kativen Instrumental  mit  *7j,  z.  B.:  s  prahom  postanes,  z  bozimi  sini 
postati,  naj  eto  kamen  je  s  krühom  postane;  aus  dem  biti  kotrigom  vu- 
cenoga  drustva  kann  man  einen  sicheren  .Schluss  ziehen  auf  ein  biti  s 

37* 


568  K.  Strekelj, 

kotrigom  viic.  drustva,  ebenso  auf  Constructionen  wie  bil  je  s  pastirjem, 
bil  je  s  hlapcem,  izbran  je  bil  s  cesarjem,  bil  je  s  kvuljem;  aus  sorb. 
moj  wujk  z  kraAvcom  bese  kann  man  auch  schliesseu  auf  ein  Jan  b<'  z 
wotrockom  und  ähuliches.  War  aber  dies  einmal  eingetreten,  so  mussten 
die  Constructionen  bil  je  s  kraljem,  bil  je  s  pastirjem,  izbran  je  bil  s 
kraljem  (er  war  König,  er  war  Hirt,  er  ward  zum  König  gewählt)  mit 
logischer  Nothwendigkeit  mit  jenen  vermischt  und  verwechselt  werden, 
wo  die  Präposition  s^  zur  Bezeichnung  einer  Verbindung,  des  sogenann- 
ten Sociativs,  gebraucht  wird,  wo  also  bil  je  s  kraljem,  bil  je  s  pastirjem, 
izbran  je  bil  s  kraljem  so  viel  bedeutete  wie:  er  war  mit  dem  König 
zusammen  in  Gesellschaft  des  Königs),  er  war  in  Gesellschaft  des 
Hirten,  er  ward  zugleich  mit  dem  König  gewählt.  Dadurch  war  aber 
die  Sprache  in  das  Dilemma  der  Zweideutigkeit  gerathen,  aus  welchem 
sie  sich  nur  dadurch  retten  konnte,  dass  sie  den  prädikativen  Instru- 
mental ganz  aufgab,  indem  sie  theils  zum  Nominativ  zurückkehrte  (bil 
je  kralj,  bil  je  pastir,  postal  je  kralj,  Jan  be  wotrock),  theils  zur  Con- 
struction  mit  za  mit  dem  Accusativ  ihre  Zuflucht  nahm:  bil  je  za  kralja. 
bil  je  za  pastirja,  bil  je  izbran  za  kralja,  Jan  be  za  wotrocka.  In  dieser 
letzteren  Construction  deutschen  Einfluss  zu  suchen,  geht  nicht  an,  weil 
ja  das  Deutsche  zu  gebraucht,  welches  beim  Ausdruck  der  Bewegung 
mit  h)  wiedergegeben  werden  müsste. 

Das  Aufgeben  des  prädikativen  Instrumentals  im  Slovenischen  und 
Sorbischem  beruht  demnach  nicht  auf  fremdem  Einfluss,  sondern  auf  der 
logischen  Nothwendigkeit  einer  Auseinanderhaltung  des  Sociativs  von 
dem  prädikativen  Instrumental,  der  in  diesen  Sprachen  die  Präposition 
sh  zu  sich  genommen  hatte;  der  Sociativ  konnte  wegen  der  durchaus 
nothwendigen  Setzung  der  Präposition  s^  aus  seiner  Stellung  nicht  wei- 
chen, deswegen  musste  der  prädikative  Instrumental  elimiuirt  werden. 

Zu  Beginn  der  neueren  sorbischen  Literatur  versuchte  man,  wie 
Liebsch  bemerkt,  die  Construction  des  prädikativen  Instrumentals  wieder 
in  Aufnahme  zu  bringen;  »nachdem  sie  aber  als  eine  dem  Sprachbe- 
wnsstsein  fast  ganz  entfremdete  Erscheinung  wenig  Anklang  fand,  Hess 
man  sie  fallen«.  Auch  die  slovenischen  Schriftsteller  legen  seit  etwa 
20 — 25  Jahren  das  Bestreben  an  den  Tag,  die  abgestorbene  Construc- 
tion zu  neuem  Leben  zu  erwecken ;  leider  sind  sie  nicht  so  gescheit  wie 
die  sorbischen,  um  das  Vergebliche  ihres  Bemühens  einzusehen  und  ihre 
Sorgen  lieber  auf  Besseres  und  Nothwendigeres  zu  richten.  Wie  wenig 
übrigens  diese  Construction  ihnen  selbst  ins  Fleisch  und  Blut  überge- 


Die  Ursache  des  Schwundes  des  i)rädikativen  Instr.  im  Sloven.  u.  Soib.    569 

gangen  ist,  d.  L.,  wie  gering  bei  ihnen  die  Kenntniss  von  deren  Anwen- 
dung in  den  verwandten  sluvischen  Sprachen  ist,  welche  sie  nachahmen 
wollen,  ersieht  man  am  besten  daraus,  dass  von  ihnen  Tag  für  Tag  Sätze 
verbrochen  werden  wie  der  folgende:  Gospodje  x,  y  in  z  so  bili  izbrani 
poslancem  (instr.  singularis  1  ;  ja  ein  Blatt  schrieb  vor  nicht  langer  Zeit 
Gospode  in  drustva,  ki  si  ne  mislijo  narociti  lista,  prosimo  uljudno,  da 
nam  takoj  vrnejo  prvi  zvezek,  ker  bi  jih  sicer  smatrali  narocnikom 
(instr.  singularis I).  Ob  es  wohl  dem  \'erleger  recht  wäre,  wenn  die 
Herreu,  denen  er  sein  Blatt  zugeschickt  hatte,  alle  zusammen  nur  einen 
einzigen  Abnehmer  abgeben  würden?  K.  Strekelj. 


Ein  Stück  Yolksetymologie. 

1.  Bulg.  3;^i^iVACi^'K,  böhm.  slovak.  zuhadlo\  2.  Bulg.  n;siTeKa). 


1. 


Es  gibt  Wörter,  deren  Ur- 
sprung auf  den  ersten  Augenblick 
so  klar  scheint,  dass  der  Forscher 
gewöhnlich  an  ihnen  vorübergeht, 
als  verdienten  sie  keine  weitere 
Beachtung.  Ein  solches  Wort  ist 
bulg.  3A^KäAEiVK,  böhm.  slovak. 
zubadlo.  Dass  es  mit  sa^K'K 
böhm.  slovak.  zub)  »Zahn«  zu- 
sammenhängt, scheint  ja  so  zwei- 
fellos —  vgl.  Miklosich  EW.  unter 
zemb-i.:  «Mit  zotnbu  ist  zu  ver- 
binden c.-wößfZ/oGebissff  — .^  dass 
man  über  alles  andere  leicht  hin- 
weggeht, zwingt  aber  Einen  der 
Zusammenhang  dazu,  dem  Worte 
schärfer  ins  Gesicht  zu  sehen,  so 
wird  man  leicht  durch  die  vorge- 
fasste  Meinung,  der  Stamm  könne 
nun  einmal  nichts  anderes  als  3;i^K-  sein,  irregeführt  und  man  hilft  sich 


^    -^^ 


570  Oskar  Asboth, 

eben,  wie  man  kann  —  in  Miklosich,  Stammbildungblelire  lesen  wir: 
»SecündsLY  zuljudlo  frenum«  Vergl.  Gr.  II,  8.  100;  das  bulgarische  Wort 
scheint  Miklosicli  unbekannt  geblieben  zu  sein.  Mich  hat  zuerst  das 
ungarische  zabola,  zahla  stutzig  gemacht,  das  bei  vollkommen  gleicher 
Bedeutung  auch  lautlich  nahe  genug  liegt,  um  uns  an  der  Identität 
desselben  mit  dem  slavischen  Worte  keinen  Augenblick  zweifeln  zu 
lassen.  Dieses  ung.  zabola^  zahla  wollen  wir  nun  einmal  näher 
untersuchen. 

Vergleichen  wir  das  böhm.  slovak.  zuhadlo  mit  dem  bulg.  3;^Ka- 
(\6iJt'K,  so  ergibt  sich  uns,  auch  ohne  dass  wir  weiter  ah  irgend  einen 
Zusammenhang  mit  zub-^7i^Ki^  »Zahn«  denken,  mit  grosser  Bestimmt- 
heit ein  altbulg.  *3A\RaA0  als  ursprünglicher  Mame  des  Gebisses.  Es 
fragt  sich  nun,  lässt  sich  das  ung.  Wort  aus  diesem  *3;i^Ki\i\c»  erklären? 
Das  ganze  Gewicht  der  Frage  fällt  darauf,  ob  sich  das  betonte  a  der 
ersten  Silbe  aus  slav.  ^  entwickeln  konnte;  denn  dass  dem  slav.  Wort- 
auslaut -a/\0  im  Ungarischen  -ola,  -la  sehr  wohl  entsprechen  kann,  be- 
darf keines  weiteren  Beweises.  Nur  für  den  Fernstehenden  bemerke 
ich,  dass  jedes  schliessende  -0  der  slavischen  Wörter  im  Ungarischen 
regelrecht  in  -a  übergeht,  und  verweise  im  Uebrigen  auf  meine  Aus- 
führungen im  Arch.  XXII,  S.  464 — 466  i),  wo  ich  nachgewiesen  habe, 
dass  dem  slav.  a  in  alten  Lehnwöi  teru  im  Ungarischen  nur  in  der  be- 
tonten ersten  Silbe  ä  entspricht,  während  dasselbe  in  der  ursprünglich 
am  schwächsten  betonten  zweiten  Silbe  zu  a  und  o  geschwächt  werden, 
ja  ganz  schwinden  kann.  Aus  dem  Wortauslaut  -a/XO  konnte  also  sehr 
wohl  ung.  -o/a,  -la  werden,  wie  dies  z.  B.  auch  das  aus  altbulg.  T/ä- 
iKaao^^  gewordene  mi^.tezsola,  tezsla  «Vordeichsel«  anschaulich  macht 
s.  meinen  Aufsatz  Tezsola  im  Magyar  Nyelvör  XXXI,  S.  379  ff.  1902). 
Das,  was  bei  der  Erklärung  Schwierigkeit  macht  und  was  mich  schliess- 
lich darauf  geführt  liat,  dass  wir  überhaupt  nicht  von  *3;RKaAC»  aus- 
gehen dürfen,  ist  der  Stammvokal  a ;  denn  ein  ung.  «,  welches  einem 
altbulg.  ^  gegenübersteht,  ist  im  allerhöchsten  Grade  auffallend.  Dem 
altbulgar.  ;si  gegenüber  haben  wir  im  Ungarischen  in  erster  Linie  on 
oder  om  zu  erwarten,  wie  dies  eine  Reihe  von  Fällen  zeigt:   EaA;,.v,'i\^ 


1)  Ich  bitte  gleichzeitig  2  Druckfehler  an  den  angeführten  Stellen  zu 
berichtigen:  S.  465,  Z.  5  ist  »papräd  neben  papräd«  zu  lesen  und  S.  406,  Z.  16 
Drttga  statt  Draga. 

~)  Vgl.  poln.  cjfzW/o,  Vöhm.tezadlo,  slovak.  föi'a«7/o,  rum.  thijala  {\-J  =  -!)• 


Ein  Stück  Volksetymologie.  571 

holond  dumm,  thöricbt^j,  rp^iK'K,  -a, -0  ^^orowAa  grob,  i'AiKa^ 
(jomba  Pilz,  \i^h^V'}\~^doroit(j  Knüttel,  \2ixVA~l>donya  Fassdiiube, 
Kp;^(ir'k^/torow/7  Scheibe,  *Vi.K^\^w~^kondor  kraus  ^j,  K^iKOAk^» 
konkoly  Kornraden,  Lolch,  K;S\C'k^/i;owc  Bissen,  Stück  Fleisch,  Kno- 
chen u.  g.  w.,  OKpA^Hk;>a/>';-o//c6',  n\^X*\'\'^porond  sandige  Stelle, 
Ci\?i\W&^  szaloNka  Schnepfe,  c?i\\i'i>'\\\^  szomhaf  Sonnabend,  c^- 
z^X^^^^omszed  Nachbar,  'V  \)Xs.x^'^  torongy  (veraltet)  eine  Krank- 
heit, T;Rn'k,  -a,  -^'^tompa  stumpf,  *H?ix^\)w'^cs(>mbor  Polei,  Flöh- 
kraut, A^TCp'k  ^oy/Yora  die  Kimme  am  Fass,  ?t^'\"Vs.\\'W  2>  onto/c  Ein- 
schlag beim  Weben.  Zu  diesen  19  Fällen  kommt  als  20ater  das  in 
2  alten  Quellen  belegte  ronc^ika  »Gefäss«<^p;ii;MkKa;  ich  erwähne  es 
besonders,  weil  es  neuerdings  zu  manchen  Missverständnissen  Veran- 
lassung gegeben  hat,  die  ich  in  IIsBi&cTifl  Ot^.  pyccK.  h3.  o.iob.  t.  VII, 
KU.  4-fl,  S.  264 — 26G,  1903  beleuchte.  Ausdrücklich  muss  davor  gewarnt 
werden,  in  diesem  o/i-om,  dem  gewöhnlichen  Reflex  von  altbulg.  ?if^. 
irgend  etwas  Slovenisches  zu  sehen.  So  wie  es  mir  überhaupt  nicht  ge- 
lungen ist,  auch  nur  in  einem  einzigen  allgemein  verbreiteten  slavisclien 
Lehnwort  der  ungarischen  Sprache  etwas  speziell  Slovenisches  zu  ent- 
decken, so  haben  wir  hier  am  allerwenigsten  Grund,  gerade  vom  Slove- 
nischen  auszugehen.  Zunächst  entspricht  dem  reinen,  nicht  nasalirten 
slav.  0  im  Ungarischen  in  der  Regel  a,  und  nicht  o,  ein  entsprechender 
o-Laut  mit  nasaler  Ausströmung  dsr  Luft  hätte  also  an-am,  ergeben, 
nimmt  man  aber  auch  eine  geschlossenere  Aussprache  des  <>  in  dem 
Nasalvokal  an,  so  kommt  man  doch  nicht  weit  damit,  eiit.-pricht  doch 
das  ung.  0  oft  geradezu  einem  slavischen  oy:  K'kHOV'K'k  u.  H'kHOV'Ka^ 
unoka  Enkel,  Enkelin,  rnov'CTv>^owo«2  (adj.)  böse,  KOi'M'k  u.  ko\'- 
Ma^/to/^m  Gevatter,  komasszomj [kotnn -{-  asszony  »Frau«)  Gevatterin, 
*KC»\'\'Hrd>>Z;ow////a  Küche,  OKpov'Ck^ ai^^-osr  Tischtuch,  caoy'''*^ 
szolga  (aus  *szoloya]  Diener,  H^y^^'^csoda  (seltener  csudu)  Wunder 
u.  s.  w.  In  diesen  Zusammenhang  liesse  sich  U7i^\\A^ inunka  »Arbeit« 
anführen,  sowie  die  Thatsache,  dass  die  ältesten  lateinisch  geschriebenen 
Urkunden  statt  szombat  »Sonnabend«  in  Ortsnamen  vielfach  Zumbot 
u.  Aehnliches  bieten.  Doch  ist  die  Wiedergabe  der  ungarischen  Laute 
in  der  ersten  Zeit  eine  schwankende  und  die  Frage  eine  strittige,  wie 
wir  dies  Zumbot  zu  lesen  haben,   und  munka  lässt  sich  sehr  wohl  aus 


1)  Im  Ungarischen  sind  mehrere  slavische  Substsintiva  zu  Adjektiven 
geworden. 


572  Oskar  Asboth, 

älterem  *monka  als  jüngere  Form  erklären.  Auch  szüszek  »Kornkam- 
mer« <^c;S\C'kK'k  und  güzs  «Wiede,  Weidenband« -cT^^rA^/Kk  mit  vor 
Zischlauten  auch  sonst  in  slavischen  Lehnwörtern  häutigem  Verlust  des 
Nasalen  entscheiden  nichts,  da  das  lange  ü  im  Ungarischen  oft  erst 
aus  älterem  langen  6  entstanden  ist;  szüszek  u.  güzs  hätten  demnach 
ebensogut  aus  einem  alteii  *szomszek  u.  *gonzs  als  aus  einem  *szum- 
szek  u.  *gunzs  werden  können.  Ebensowenig  lässt  sich  aus  pok  »Spinne« 
<^iiä;i^K'K  und  dem  gewiss  aus  *na;R,.3HHa  zu  evklsn-enden p6z?ia  «grosse 
Stange,  Wiesenbaum«  (s. IIsBicTia  a.a.O.  S.  227  f.)  etwas  Sicheres  ent- 
nehmen. Die  Entscheidung  macht  nur  noch  schwieriger,  dass  das  ung.  o 
auch  einem  altbulg.  T\  entsprechen  kann:  M'K^'k'^ moh  Moos,  pTxJKK 
'^rozs  »Roggen«  u.  s.  w.,  wonach  also  on-om  vortrefflich  zu  einem  alt- 
bulg. ;^  =  'k"  (vgl.  den  Reflex  von  ^  im  Rumänischen  fn-tm  mit  dem 
dumpfen  Vokal  vor  n-m !)  stimmen  würde,  wie  dies  schon  Oblak  richtig, 
bemerkt  hat  (CöopnHKT,  Mim.  XI,  S.  547),  wobei  er  freilich  manches 
Nichthergehörige  mit  hineingemengt  hat,  so  stammt,  um  nur  ein  Beispiel 
zu  nennen,  ros^  das  nach  Miklosich  »rufiis«  bedeutet,  wenn  es  überhaupt 
im  Ungarischen  ein  solches  Wort  gibt,  was  durchaus  nicht  ganz  sicher 
ist,  nicht  aus  altbulg.  p'K/K4,k,  sondern  aus  rum.  ros  (1.  s  =  s)  »roth«!]. 
Wir  haben  aus  dem  Bisherigen  gesehen,  wie  misslich  es  ist,  aus 
dem  Reflex  des  altbulg.  ^  in  den  ungarischen  Lehnwörtern  auf  den 
Lftutwerth  desselben  schliessen  zu  wollen.  Eines  jedoch  ist  gewiss,  dass 
die  Ungarn  in  diesem  Laute  weder  ein  a  vor  der  nasalen  Ausströmung 
gehört  haben,  noch  ohne  andere  Einflüsse  je  zu  einem  a  in  dem  Reflex 
des  ;?»  gelangt  sind.  Es  war  also  ein  Missgriff  von  Potebnja,  wenn  er 
sich  auf  ung.  galamh  »Taube«  u.  pisztrang  «Forelle«  berief,  um  wahr- 
scheinlich .zu  machen,  dass  in  Nx  ursprünglich  ein  a-Laut  ertönt  habe 
(Arch.III,  616  f.).  Pisztrang^  in  der  Schriftsprache  pisztrang,  ist  noch 
immer  nicht  recht  erklärt  —  einem  *nkC'i'p;»;r''k  gegenüber  hätten  wir 
^pisztrong  zu  erwarten,  doch  ist  zu  beachten,  dass  wir  es  hier  mit  dem 
Wortauslaut  zu  thun  haben,  der  durch  Anlehnung  an  ähnlich  auslautende 
Wörter  leichter  eine  sonst  ungewohnte  Vokalisation  erhalten  konnte. 
Dass  aber  galamh  nichts  für  einen  ursprünglichen  «-Laut  in  Jt^  beweisen 


i)  Oblak's  Aufsatz  ist  nach  meiner  Abhandlung  A  szläv  szök  a  magyar 
nyelvben  Budapest  1893  erschienen,  wo  ich  zu  dem  Resultat  gekommen  bin, 
dass  die  Ungarn  bei  den  in  ihrer  neuen  Heimat  angetroffenen  Slaven  das  a 
mit  einem  nasalirten  ü['h)-  oder  i<(oy)-Laut  gehört  haben  müssen,  s.  S.  26. 


Ein  Stück  Volksetymologie.  573 

kann,  musste  doch  Potebnja  schon  daraus  ersehen,  dass  in  der  ersten 
Silbe,  also  dem  slav.  o  gegenüber,  ebenfalls  a  steht,  wie  ja  das  kurze 
ung.  a  sehr  geschlossen,  stark  gegen  o  zu  gesprochen  wird  und  in  den 
slavischen  Lehnwörtern  thatsächlich  in  der  Regel  aus  älterem  o  gewor- 
den ist.  Nur  so  ist  es  ja  zu  begreifen,  dass  Oblak  ung.  rjalamh^  lanha  u. 
parancsol  aus  dem  üngarisch-Sloveuischen  erklären  wollte  (CöopnnKi, 
Mhh.  a.a.  0.  S.541).  Das  schwierige  lanka,  dessen  slavischer  Ursprung 
vielfach  bestritten  worden  ist,  lasse  ich  bei  Seite,  da  ich  keine  sichere 
Lösung  zu  bieten  vermag,  bemerke  jedoch,  dass  schon  die  Verbreituug 
des  Wortes  —  es  ist  nur  im  Osten  des  Landes  bekannt  —  gegen  Oblaks 
Annahme  spricht  und  dass  überdies  lonka  daneben  vorkommt.  Galamb 
»Taube«  \\.  parancsol  «befehlen«  lassen  sich  viel  einfacher  erklären  und 
brauchen  durchaus  nicht  von  den  übrigen  Fällen  losgerissen  zu  werden  : 
wir  haben  in  denselben  gewiss  nichts  anderes  zu  suchen,  als  eine  voll- 
kommene Ausgleichung  der  aufeinander  folgenden  Vokale,  (jalamh  und 
parancsol  ist  also  aus  älterem  *galomh  und  *paroncsol  zu  erklären. 
Bei  der  erwähnten  nahen  Verwandtschaft  des  ung.  a  mit  o  ist  diese 
Ausgleichung  doppelt  leicht  zu  begreifen,  kommt  sie  doch  auch  in  Fällen 
vor,  wo  die  Laute  ungleich  weiter  von  einander  abstehen,  wie  in  äbräz 
(jetzt  nur  mit  Weiterbildung:  ährüzat  »Antlitz«)  aus  OKpaS'k  und  zä- 
vär  »Kiegel«  aus  aaiiopTk,  statt  deren  man  *abrdz  und  *zärar  zu  er- 
warten hätte,  da  dem  slav.  o  kurzes  mit  Lippenrundung  gesprochenes  a 
zu  entsprechen  pflegt  und  nicht  das  lautlich  weit  abliegende,  ohne  Run- 
dung gesprochene  lange  «,  das  sonst  dem  slav.  a  gegenübersteht.  Ein 
besonders  interessanter  Fall  einer  derartigen  Ausgleichung  ist  mostoha 
<CMaujTtYa,  s.  meine  Ausführungen  in  IhBt.cTia  a.  a.  0.  S.  310.  Die 
vollkommene  Ausgleichung  zweier  in  unmittelbar  aufeinander  folgenden 
Silben  stehenden  Vokale  ist  ja  auch  im  Slavischen  nicht  unbekannt,  vgl. 
bulg.  r'KA;RB'K,  was  natürlich  ebensogut  r;i^AA^KTv  geschrieben  werden 
könnte,  ja  thatsächlich  zuweilen  so  geschrieben  wird  für  altbulg.  r<>/\;^Bk 
und  noT'KH;iKA'K  (=  noT;fxH;*iA'K)  für  altbulg.  noTOn;s\<\'K,  serb. 
cTajaTii,  Inf.  zu  cxojnM,  vgl.  altsl.  ctohth  ctc»;r,  MaHacTHp  vgl. 
altsl.  MOHacTKiph.  gr.  uovaarrjQiov. 

Ich  erwähne  nur  noch,  dass  es  neben  piszfräng  »Forelle«  mit  sei- 
nem auffallenden  än=^  ^  kein  zweites  Wort  gibt,  in  dem  slav,  lu  gegen- 
über ung.  cm  stünde;  denn  läncsa  ist  ital.  lancia  und  hat  mit  a;iiUJTa 
gar  nichts  zu  thun,  ein  ung.  *ängor  aber,  das  Miklosich  aus  ^^ropk  er- 
klärt, gibt  es  nicht,  s.  Il3BtcTi;i  a.  a.  0.  S.  257. 


574  Oskar  x\sbüth, 

Nach  dem  Gesagten  hätten  wir  einem  altbulg.  3;f^ca/\0  gegenüber 
ein  *zo)7iho1a  zu  erwarten  und  nicht  zahola\  sowohl  der  Verlust  des 
Nasalen,  der  sonst  bloss  vor  Zischlauten,  vereinzelt  auch  vor  k  [pok 
Spinne  <C  naA^K'k)  schwindet,  als  auch  a  statt  o  überrascht  uns.  Ich 
kenne  allerdings  noch  Einen  Fall,  wo  dem  altbulg.  Tf*.  ein  reines  a  gegen- 
übersteht, doch  bedarf  dieser  Fall  selbst  gar  sehr  noch  der  Erklärung ; 
ich  meine  das  Wort  rakonca  Aufhaltegabel,  Spreize  am  Wagen.  Mi- 
klosich  stellt  es  neben  serb.  pyicyiiima,  das  altbulg.  *p;^KO\fHHU,a  lauten 
würde;  diesem  entspräche  zunächst  ein  ung.  "^ronkonca^  woraus  sich 
die  bei  den  Szeklern  in  Siebenbürgen  übliche  Form  röko7ica,  mit  ähn- 
lichem Verlust  des  Nasals  wie  in  />ö^'  aus  naÄ^K'K,  leicht  erklären  Hesse, 
wobei  zugleich  die  Dehnung  des  Vokals  vermuthen  lässt,  dass  früher 
thatsächlich  *ronkonca  mit  einem  Nasal  nach  dem  ersten  o  gesprochen 
wurde.  Wie  aber  rakonca^  die  allgemein  gangbare  und  auch  aus  der 
alten  Sprache  reichlich  belegte  Form,  zu  erklären  ist,  weiss  ich  nicht ; 
nur  der  Verlust  des  Nasals  in  Folge  von  Dissimilation  ist  mir  verständ- 
lich, die  Entstehung  von  a  aus  dem  zu  erwartenden  o  nicht.  Immerhin 
wiegt  dieser  Eine  Fall,  der  überdies  den  Schwund  des  Nasals  in  zahola 
aus  dem  etwa  vorauszusetzenden  '^'zomhola  unerklärt  lässt,  nicht  schwer 
genug,  um  den  Wunsch  nach  einer  anderen,  befriedigenderen  Erklärung 
zurückdrängen  zu  können. 

Da  uns  die  slavischen  Wörter  zu  keiner  eigentlichen  Lösung  geführt 
haben,  so  wollen  wir  einmal  den  umgekehrten  Weg  versuchen  und  von 
ung.  zahola  ausgehen.  Da  ung.  a  regelmässig  einem  slav.  o  entspricht, 
so  lässt  sich  ung.  zahola  anstandslos  aus  einem  slav.  *30Ka/\0  erklären. 
Dass  wir  in  dem  slovenischen  Wörterbuch  von  Pletersnik  in  der  That 
eine  solche  Form  finden  (»2.  zohälo  das  Pferdegebiss  ogr. — C«),  fördert 
die  Frage  um  keinen  Schritt;  einmal  ist  die  slovenische  Form  zweideutig 
und  kann  ebensowohl  einem  altbulg.  *30RaA0  als  einem  *3/TxBa/\o  ent- 
sprechen, dann  aber  kann  von  einem  speciell  slovenischen  Einfluss  auf 
das  Ungarische,  so  weit  meine  bisherigen  Forschungen  mich  belehren, 
überhaupt  nicht  geredet  werden.  Ein  jüngerer  Mitforscher,  Dr.  Melich, 
scheint  allerdings  zu  ganz  anderen  Resultaten  gekommen  zu  sein,  doch 
da  er  rocska,  die  Nebenform  des  oben  erv/ähnten  alten  roncsika  (<[  ^ü^- 
HkKa),  allerdings  ganz  unbegründeter  Weise  (s.IIsBicTia  a.a.O.  S.  265) 
für  slovenisch  hält,  so  würde  er  selbst  wohl  einem  slovenischen  zobalo 
=  altbulg.  *3;ii^Ka/\0  gegenüber  im  Ungarischen  kein  zahola  mit  a  in 
der  betonten  ersten  Silbe  erwarten.    Ich  lasse  also  das  slovenische  Wort, 


Ein  Stück  Volksetymologie.  575 

iils  für  unsere  Zwecke  werthlos,  bei  Seite  und  untersuche,  was  wir  mit 
der  Annahme  eines  allgemein  slavischen  *30Ki»A0  gewinnen. 

Im  ersten  Augenblick  scheint  es  allerdings  geradezu  verwegen, 
Angesichts  des  deutlichen  Zeugnisses,  das  zwei  so  weit  von  einander 
abliegende  Sprachen,  wie  das  Bühmisch-Slovakische  einerseits  und  das 
Bulgarische  andererseits,  abgegeben  haben,  zu  behaupten,  dass  die 
Slaven  das  Pferdegebiss  ursprünglich  nicht  *3;>^KaAC»  genannt  haben, 
dass  der  Name  desselben  mit  3AiK'k  ))Zahn«  auch  gar  nichts  zu  thun 
hat,  sondern  anfangs"  *3C>Kai\c>  gelautet  hat.  Wenn  wir  uns  aber  da- 
rüber hinwegsetzen  und  auf  die  Einzelheiten  eingehen,  so  stellt  sich 
heraus,  dass  uns  die  Bildung  des  Wortes  und  die  Bedeutungsentwickelung 
desselben  plötzlich  ganz  merkwürdig  klar  wird,  wenn  wir  von  *.^OKi\AO 
ausgehen.  Denn  das  wii-d  doch  wohl  Jedermann  gestehen,  dass  das 
Verhältniss  von  *3;i^KaACt  zu  3ÄiK'K,  sowohl  was  die  Ableitung  des 
Wortes,  als  auch  was  die  ursprüngliche  Bedeutung  anbelangt,  nichts 
weniger  als  klar  ist.  3oKaAO  dagegen  stellt  sich  ganz  von  selbst  zu 
30KaTH  und  bezeichnet  etwas,  hktc»  kohk  30KAn"k:  ein  Werkzeug, 
eine  Vorrichtung  zum  Nagen,  genau  so  wie  lans-serh.  /tryzadlo  »Gebiss 
für  Pferde«  aus  Itrijzac  «nagen,  benagen«.  Diesem  laus. -serb. //;'y2rtf//y 
entspricht  vollkommen  das  sloven.  ^risa/o,  das  Janezic  mit  »Beisswerk- 
zeugc,  Pletersnik  mit  »Gebiss«  übersetzt,  und  ganz  eben  dieselbe  An- 
schauung liegt  auch  dem  sloven.  zvala^  serb.  zvale  zu  Grunde  (vgl.  alt- 
slov.  >KkBaTii  »kauen«).  An  der  Thatsache  also,  dass  die  Bezeichnung 
für  das  Gebiss  der  Pferde  aus  einem  Zeitwort,  das  »nagen,  kauen«  be- 
deutet, stammen  kann,  ist  gar  nicht  zu  zweifeln,  und  wie  nahe  eine  der- 
artige Grundanschauung  liegt,  zeigt  auch  das  deutsche  Gebiss,  engl,  hit, 
ital.  fnorso,  franz.  mors.  Die  sachliche  Erklärung  dafür  muss  ich  den 
Hippologen  überlassen,  will  aber  hier  wenigstens  noch  das  mittheilen, 
was  bei  uns  Frecskay  darüber  sagt,  ein  Mann,  der  sich  auf  solche 
Sachen  versteht.  Frecskay  setzt,  nachdem  er  einen  alten  ung.  Ausdruck 
für  »Trense«  ejnlö  aus  emlejii  »saugen«  erklärt  hat,  also  fort:  »Mit 
dieser  emlö  genannten  Vorrichtung  veranlasst  man  das  Pferd  den  Kopf 
zu  neigen  und  vertreibt  die  Hartmäuligkeit  des  Pferdes,  was  eine  Be- 
dingung der  Lenkbarkeit  desselben  ist.  Zu  diesem  Zwecke  muss  man 
aber  das  Pferd  daran  gewöhnen,  am  Mundeisen  zu  nagen.  Diesbezüg- 
lich schreibt  das  für  die  Honvedkavallerie  1900  herausgegebene  Regle- 
ment S.  158:  Besondere  Aufmerksamkeit  ist  darauf  zu  wenden,  dass 
das  Pferd  an  der  Trense  nage.     Und  in  einem  deutschen  Werke  lese 


576  Oskar  Asböth, 

ich  folgendes:  ,Mau  muss  das  Pferd  zu  fortwährendem  Kauen  und 
Saugen  der  Trense  veranlassen'.  Das  Pferd  muss  also  an  der  Trense 
fortwährend  nagen,  saugen «,  s.  Magyar  Nyelvör  XXX,  S.  192. 

Die  Ueberraschung,  mit  der  Mancher  meine  Behauptung  gelesen 
haben  mag,  böhm.-slovak.  zuhadlo  und  bulg.  .'iA\Ka/\ni,'K  seien  nicht 
auf  ein  *3;^KaAC»,  sondern  auf  *30Kai\0  zurückzuführen,  dürfte  im 
Laufe  meiner  Auseinandersetzungen  einer  ruhigen  Erwägung  Raum  ge- 
macht haben.  Die  Spur,  aufweiche  uns  das  ung.  zahola  geführt,  hat 
uns  eine  Perspektive  eröffnet,  die  uns  die  Entstehung  des  entsprechen- 
den slavischen  Wortes  auf  einmal  vollkommen  klar  gelegt  hat  und  im 
schönsten  Einklang  mit  anderen  Bezeichnungen  für  denselben  Gegen- 
stand erscheinen  liess.  Was  Bedenken  erregen  könnte,  was  mich  selbst 
bestimmt  hat,  mit  der  allergrössten  Vorsicht  zu  Werke  zu  gehen  und 
mit  der  Veröffentlichung  des  gewonnenen  Resultates  zu  zögern,  ist  die 
immerhin  auffallende  Thatsache,  dass  auf  zwei  von  einander  weit  ab- 
liegenden Gebieten  die  gleiche  Anlehnung  von  ursprünglichem  *30KaA0 
an  die  Bezeichnung  für  ))Zahn«  [^7i^^'\s.-zub]  stattgefunden  haben  soll. 
Doch  muss  man  zugeben,  dass  diese  Anlehnung  weder  lautlich  noch  be- 
grifflich gar  zu  ferne  lag.  Ich  wundere  mich  daher  gar  nicht,  dass  sich 
im  Grunde  genommen  genau  dieselbe  Anlehnung  vereinzelt  auch  im 
Kroato-Serbischen  wiederfindet;  denn  es  zweifelt  wohl  Niemand  daran, 
dass,  wenn  man  bloss  in  Risan  (Risano)  syöaTH  »kauen«  sagt,  es  sonst 
aber  auf  dem  ganz  grossen  Sprachgebiet  überall  sböaxH  heisst,  wir  es 
mit  demselben  Hineinspielen  des  in  jeder  Beziehung  nahe  liegenden 
3y6  »Zahn«  zu  thun  haben. 


Ich  schliesse  der  Besprechung  von  ^^^am\s,'\>.- zuhadlo  einige 
Worte  über  das  bulg.  n;siTe'Ka  an,  verbindet  doch  auch  eine  gewisse 
äusserliche  Aehnlichkeit  diesen  Fall  mit  dem  vorigen:  in  n;RTeKa  steht 
ganz  ebenso  ;r^  für  älteres  o,  wie  in  3;i^BaA£i^'h.,  und  auch  hier  führt 
uns  eine  fremde  Sprache  am  leichtesten  zu  dem  richtigen  Verständniss 
des  slavischen  Wortes. 

Duvernois  erklärt  das  bulg.  n;fkTfKa  mit  russ.  xponHHKa,  Tponu- 
HOyKa  und  führt  folgende  Belegstellen  an:  ÜKopo  ropa  sanapAiTe, 
n-LTCKH  npeciqiTs;  TaMx  rfsra  hh  n&TB  hh  n&TeKa;  Kim%  öpirxx'B, 
MOMyexal  cjiasfliiTe  no  ii/üTs^iKaTa  noji;x  cjoriTi,  na-i^Bo;  XyMÖojrATi. 
cjiiABame  iieroBLi-TLi  ndiTeKti  eu^e  ot^b  öammio-xo  cii  orHHUj;e.    Die 


Ein  Stück  Volksetymologie.  577 

Bedeutung  von  nhxTh  (»Weg^  und  n;t^TEKa  («Pfad«)  liegt  so  nahe, 
dass  eine  Anlehnung  des  letzteren  an  das  erstere  sehr  leicht  statt liuden 
konnte,  eine  direkte  Ableitung  des  Wortes  ii^^TEKa  aus  n;^Th,  wie  sie 
Miklosich  EW.  unter  potitu  annimmt,  ist  dagegen  geradezu  ausgeschlos- 
sen ;  auch  Duvernois  denkt  nicht  daran,  sondern  macht  den  verzweifel- 
ten Versuch,  das  bnlg.  iiA^TCKa  aus  einem  peis.-türk./^ä/X/ä  »le  sentier« 
zu  erklären. 

Das  Wort  wird  uus  sofort  klar,  wenn  wir  uns  in  einer  Nachbar- 
sprache umsehen,  auf  welche  das  Bulgarische  einen  mächtigen  Eintluss 
gehabt  hat,  ich  meine  das  Rumänische.  Dort  wird  derselbe  Begriff 
m\tXe\^i potecu  '"  ausgedrückt,  ja  das  Wort  oder  besser  gesagt  das  daraus 
gebildete  potecasi  hat  eine  historische  Bedeutung  erlangt,  so  hiessen 
nämlich  eine  Zeit  lang  die  Grenzwächter,  welche  die  Gebirgsübergänge 
bewachten  2).  \)\q^  potecafi  ist  wieder  vergessen,  aber  weit  und  breit 
kennt  man  das  Wort,  aus  dem  es  gebildet  worden  ist,  potecü^  resp. 
dessen  Umgestaltung  joo^ira.  Das  jüngere  ^0^20«  ist  eine  Rumänisirung 
des  fremdartig  klingenden  potecif.  im  Rumänischen  ist  nämlich  betontes 
e  vor  ü  der  folgenden  Silbe  ein  ganz  ungewohnter  Laut,  in  einheimischen 
Wörtern  wird  das  e  in  derartiger  Stellung  regelmässig  zu  ea.  Ganz  ver- 
einzelt scheint  auch  das  fremde  poteca  zu  einem  den  rumänischen  Laut- 
gesetzen vollkommen  entsprechenden  poteaca  ausgewichen  zu  sein,  mir 
wird  es  von  einem  meiner  Hörer  aus  Seliste  in  Siebenbürgen  mitgetheilt, 
daneben  gebraucht  man  dort  poteca  und  ein  auch  sonst  belegtes  mascu- 
lines  potec.  Dass  sich  in  dem  soeben  erwähnten  masc.  pofrc  ein  slav. 
iiOTfK'k  spiegele,  wie  in  poteca  das  fem.  no'i'tKa,  lässt  sich  durchaus 
nicht  mit  Sicherheit  annehmen,  da  bei  der  ungewohnten  Lautgestalt 
von  poteca  jenes  potec  sehr  wohl  eine  Neubildung  sein  kann  :  ein  regel- 
rechter masc.  Singular  zu  dem  ursprünglich  fem.  Plural  poteci,  etwa 
wie  das  bulg.  KOAaMk,  dem  im  Rumänischen  colaci  (spr.  kolac]  ent- 
sprechen würde,  als  Mehrzahl  empfunden  zu  einem  Sing,  coläc  (spr. 
kolak)  führte-^).     Der  Nom.  Flur,  endigt  nämlich  bei  einem  Theil  der 


1)  Ich  bezeichne  absichtlich  den  Accent  mit  dem  Gravis,  weil  poteca 
nach  einer  weit  verbreiteten  orthographischen  Gepflogenheit  leicht  missver- 
standen werden  konnte :  Viele  schreiben  e  für  ea. 

-\  S.  in  Dames  Wörterbuch  poteca{i  (anc.j  corps  de  troupe  organis^e  en 
1834  pour  garder  les  sentiers  des  frontiei'es. 

3i  Das  bulg.  Ko.iaKT.,  welches  neben  Ko.iaqt  vorkommt,  erklärt  sich  wohl 
auch  am  einfachsten,  wenn  wir  darin  einen  auch  sonst  nachweisbaren  rum. 


578  Oskar  Asbotb, 

weiblichen  Hauptwörter  auf  -ä  genau  so  in  -i  aus,  wie  bei  den  konso- 
nantisch schliessenden  männlichen  Hauptwörtern.  Ich  bin  daher  geneigt 
das  mm.  mac.  potec  als  eine  Abstraktion  aus  dem  Plural  zu  betrachten  und 
poteca  als  älteste  Form  anzunehmen,  aus  der  poficä  und  das  vereinzelte 
Yum. pofcaca  sich  lautlich,  pofec  morphologisch  entwickelt  hat;  mich  be- 
stärken darin  die  grössere  Häufigkeit  der  femininen  Formen  und  der  Um- 
stand, dass  ich  aus  dem  Bulgarischen  ebenfalls  nur  ein  fem.  Wort  kenne. 
Miklosich,  der  viele  Jahre  vor  Erscheinen  seines  Etym. Wörterbuches  viel 
klarer  in  der  Sache  gesehen  hat,  als  später,  und  das  bulg.  n;i^TfKa 
,  ganz  richtig  erfasst  hat,  ist  in  seinen  Rumän.  Elementen  1860  von  dem 
msc.  nOTfK'K  ausgegangen:  »nOTfK'k  :  bulg.  p-tteki,.  —  riOTiK  m. 
nOTeuTv,  noTHK'K  f.  semita«  i).  Später  hat  Miklosich,  wie  schon  die 
Stelle  im  EW.  zeigt,  den  richtigen  Faden  gänzlich  verlasen  und  bringt 
das  rumänische  Wort  ebenso  wie  das  bulgarische  mit  n;i^Tk  in  Verbin- 
dung: r)hxi\g. pefeke  Fusssteig  Jir. 212,  mm. poteke,  aslov. pqfh  u.s. w.«, 
s.  Die  slav.,  magy.  u.  rum.  Elem.  im  Türk.  18S9  unter  patHa  S.  17. 

Wenn  ich,  weil  die  fem.  Form  im  Rumänischen  die  weiter  verbrei- 
tete ist  und  ich  aus  dem  Bulgarischen  nur  eine  solche  kenne,  auch  ge- 
neigt bin  von  *noTfKa  auszugehen,  so  fällt  es  mir  natürlich  nicht  ein 
zu  läugnen,  dass  im  Bulgarischen  einst  auch  ein  masc.  *nc>T£K'K  hat 
existiren  können,  etwa  wie  im  Russischen  das  masc.  und  fem.  neben 
einander  vorkommt.  Daran  ist  nämlich  gar  nicht  zu  zweifeln,  dass  russ. 
noxeKt,  noTBKa  (auch  iioTeuKa  kommt  vor,  ganz  wie  im  Bulgarischen 
n;i^TfMKa  neben  n;^TeKa)  dasselbe  Wort  ist  und  dass  wir  auch  für  die 
Bedeutung  »Pfada  von  der  Vorstellung  des  »Rinnens«  auszugehen 
haben.  Beachten  wir,  dass  im  Rumänischen  in  der  Nähe  des  Gebirges 
potecä-poticä  auch  heute  noch  speciell  den  Alpensteg,  Gebirgspfad  be- 
deutet, z.  B.  in  Also  Porumbäk  (Komitat  Fogaraschl  unweit  der  Foga- 
rascher  Gebirge,  so  macht  es  nicht  die  geringste  Schwierigkeit,  die  Be- 


Eiufluss  anueliinen.  Ein  türk.  kolak,  von  dem  Miklosich  im  EW.  S.  124 
spricht,  kenne  ich  nicht;  in  seinen  Türk.  Elementen  hat  er  nur  ein  türk. 
»Kulac'i  [?],  unter  das  er  ganz  willkürlich  das  bulg.  KOjiaK-B  stellt. 

1)  Das  an  der  Spitze  des  Artikels  stehende  noTCKt  ist  als  ein  voraus- 
gesetztes altslov.  Wort  zu  nehmen  und  das  schliessende  -t  danach  zu  lesen; 
im  bulg.  p-Ltekt  ist  das  schliessende  --h  genau  so  zu  sprechen,  wie  das  i.  im 
Wortinuern,  pttekt  deckt  sich  also  dem  Lautwerthe  nach  genau  mit  nAieKa 
der  Schriftsprache,  die  rum.  Formen  entsprechen  den  oben  erwähnten:  ^>o^t'c, 
j)oteca,  potiva. 


Ein  Stück  Volksetymologie.  579 

dentung  ))Pfad.<  aus  der  des  «Rinnsals,  Wasserabflusses«  zu  erklären 
(vgl.  auch  sloven. />o^f/?,- »Ablauf«,  pol.  ^^ociV/»- »Abfluss«).  Hatte  sich 
aber  erst  aus  der  ursprünglichen  Bedeutung  des  «Rinnsals«  die  des 
Pfades«  entwickelt,  so  lag  im  Bulgarischen  die  Anlelinung  von  110- 
'i'fKa  an  iiAiTK  nahe  genug  und  so  entstand  das  heutige  n;s;TfK»\  mit 
genau  demselben  Lautwandel,  wie  *:-JOKi\i\C'  zu  *3A^Kai\o  ^bulg.  :-JA^Ka- 
AfH'K    wurde. 

Ich  habe  gleich  Anfangs  darauf  hingewiesen,  dass  sich  zwischen 
den  2  Fällen  auch  insofern  eine  gewisse  Verwandtschaft  zeigt,  dass  uns 
den  Schlüssel  zum  richtigen  Verständniss  auch  bei  n;i\Tf  Ka  eine  fremde 
Sprache  in  die  Hand  gibt,  wo  allein  genau  dieselbe  Bedeutung  wie  im 
Bulgarischen  zu  linden  ist,  bei  treuer  Bewahrung  der  älteren  Lautgestalt. 
Ich  glaube  also,  dass  dieser  zweite,  einfachere  Fall  immerhin  ein  ge- 
wisses Licht  auf  jenen  ersten  komplicirteren  zu  werfen  geeignet  ist. 
zeigt  er  doch  auf's  Neue,  dass  die  Volksetymologie  eben  gar  nicht  selten 
ihr  Spiel  treibt  und  Wörter,  die  ursprünglich  nichts  mit  einander  zu  thun 
haben,  manchmal  in  einer  Weise  aneinander  knüpft,  dass  der  Forscher 
oft  seine  liebe  Noth  hat,  die  Fäden  wieder  auseinanderzuwirren,  um  das 
ursprüngliche  Gebilde  von  späterer  Zuthat  zu  säubern.  Wir  haben  es 
als  einen  seltenen  Glücksfall  zu  betrachten,  wenn  sich  die  ursprüngliche 
Form  gleichsam  wie  ein  Petrefakt  in  einer  benachbarten  Sprache  er- 
halten hat;  denn  wir  bekommen  dadurch  neuen  Aufschluss  über  das 

Leben  und  Weben  der  Sprache. 

OsJcar  Ashöth. 


580 


(jlück  und  Ende  einer  berühmten  literarischen  Mystifi- 
cation:  Be/i,a  CjiOBeHa.^) 

(Capitel  aus  der  Geschichte  der  bulgarischen  Ethnographie.) 


I. 


Es  ist  vielleicht  noch  man- 
chen in  Erinnerung,  die  genau 
vor  35  Jahren  (1867)  zur  Zeit  der 
Moskauer  Ethnographischen  Aus- 
stellung am  Slavencougress  theil- 
nahmen.  welch'  freudige  üeber- 
raschung  ein  den  21.  Mai  aus  den 
Tiefen  Makedoniens  eingelangtes 
Telegramm  folgenden  Inhalts  ver- 
ursachte: »Seres,  Professor  Po- 
pov.  BegTüsse  die  slavischen  Brü- 
der vereint  im  heiligen  Moskau 
und  benachrichtige  sie  von  der 
Entdeckung  des  sehr  alten  Epos 
in  bulgarischer  Sprache  Orpheus' 
Heirat.  Bulgarischer  und  serbi- 
scher Archäologe  Stefan  Verko- 
vic«  2]. 

Der  Name  des  glücklichen 
Entdeckers  war  der  slavischen 
Welt  nicht  ganz  unbekannt.    Herr 


1)  Eine  bibliographische  Vollständigkeit  ist  hier  selbstverständlich 
weder  beabsichtigt,  noch  möglich.  (Die  Literatur  bis  zum  Jahre  1888  führte 
ich  an  im  Sbornik  des  bulg.  Unterrichtsministeriums,  Bd.  I,  p.  2  Anm.)  Es 
sollen  nur  die  Hauptmomente  in  der  Entwickelung  einer  einst  recht  heissen 
Frage  gezeigt  und  vorzüglich  die  Resultate  meiner  persönlichen  Unter- 
suchungen in  der  Materie  kurz  angegeben  werden.  In  einer  grösseren  Studie 
werde  ich  das  Thema  erschöpfender  behandeln,  wobei  hauptsächlich  die 
Einzel-Beweise,  bestehend  aus  einer  grossen  Anzahl  ungedruckter  Docu- 
mente,  vorgelegt  werden  sollen. 

-":  BcepoccificKaa  9THorpa*iiiecKaH  BticxaEKa.  CiaBHUCKlü  ctisÄt  b-b  Ma'fe 
1867  r.  M.  1S67,  p.  419. 


Glück  und  Ende  einer  berühmten  literar.  Mystification:  Bcja  CioBciia.      58 1 

Verkovic.  ein  Bosnier  aus  der  Posavina  ^),  hatte  sich  ein  gewisses  Ver- 
dienst erworben  durch  eine  Sammlung  makedonisch-bulgarischer  Frauen- 
lieder, die  in  Belgrad  ISOO)  unter  dem  Titel  «IhipoAHc  necMe  Ma- 
KeAOHCKii  6yrapa.  Kit.  I.  yKeiicKe  necMe«  erschienen  war. 

Diese  Sammlung,  im  Grossen  und  Ganzen,  trotz  ihrer  nicht  unbe- 
deutenden Mängel,  ein  Werk  objectiven  Wahrheitsstrebens,  war  ge- 
wissermassen  a  priori  eine  Gewähr  für  die  Authenticität  der  feierlich 


1)  Eine  leidlich  gute  Biographie  des  Mannes  (mit  Porträt)  findet  der 
Leser  in  der  bulg.  illustrirtcn  Ztschr.  »CBiuiiua«,  herausgegeben  in  Philippo- 
pel,  Bd.  II,  Heft  9.  Zu  vergl.  die  Zeitung  »CBouoaa",  Sofia  1894,  4.  Jänner. 
Nr.  1287.  Nach  dem  Tode  Verkovie's  entdeckte  ich  unter  seinen  Papieren  das 
Bruchstück  einer  brcitangelegten  Autobiographie,  die  jedoch  nicht  über  die 
Kiudcrjahre  reicht.  Das  Leben  des  einst  vielgenannten  und  vielgesehmähteu 
Mannes  lässt  sich  (theilweise  nach  unedirten  Briefen  und  Berichten;  kurz 
folgenderuiassen  resurairen  :  Geboren  im  Dorfe  Ugljara  in  der  Posavina  im 
J.  1827.  machte  er  seine  Studien  im  Sutinerkloster  und  sodann  am  Agramer 
theol. Seminar,  wo  er  Gelegenheit  hatte,  sich  mit  den  politischen  Idealen  und 
Plänen  eines  Ludevit  Gaj  vertraut  zu  machen.  Bald  kehrte  er  dem  geistlichen 
Stande  den  Rücken,  kam  1848  nach  Belgrad  und  machte  Garasanin's  Bekannt- 
schaft. Der  kluge  Staatsmann  wollte  ihn  für  seine  geheime  politische  Propa- 
ganda gewinnen,  doch  Verkovic  schlug  das  verlockende  Anerbieten  aus,  um 
sich  seinem  Lieblingsstudium,  der  Archäologie,  praktisch  widmen  zu  können. 
Er  überschritt  den  6.  Dez.  1850  die  Grenzen  Makedoniens,  das  sein  zweites 
Vaterland  werden  sollte,  und  bereiste  im  Laufe  von  10  Jahren  (1850 — 1860' 
das  ganze  Land,  Avobei  er  nicht  allein  viele  seltene  antike  Münzen,  Kunst- 
gegenstände und  Manuscripte  fand,  sondern  auch  eine  grosse  Anzahl  von 
Volksliedern  sammelte  das  erste  zeichnete  er  noch  im  J.  1856  auf.  Im  Jahre 
1857  siedelte  er  sich  ständig  in  Seres  an,  wo  er  auch  heiratete.  1862  gab  er 
doch  dem  Andrängen  Garasanin's  nach  und  wurde  Chef  und  Leiter  der  ge- 
heimen serbischen  Mission  in  Makedonien,  eine  Stelle,  die  er  bis  zum  J.  1875 
bekleidete.  Diese  Seite  der  Verkoviöschen  Thätigkeit,  die  ich  nur  aus  eini- 
gen confidentiellen  Briefen  des  Mannes  an  Stambulov  und  andere  Staats- 
männer kenne,  verdient  gewiss  eine  eingehendere  Würdigung.  Es  sei  hier 
nur  bemerkt,  dass  wer  den  Ethnographen  Verkovic  studiren  will,  Einsicht  in 
seine  politischen  Bestrebungen,  die  den  Idealen  eines  Ludevit  Gaj  treu  blie- 
ben, nehmen  muss.  (Verkoviö  sagt  gelegentlich  einmal:  »Ich  bin  kein  Suma- 
dinac,  sondern  ein  Agramer«.  Er  stemmte  sich  mit  allen  Kräften  gegen  eine 
Serbisirung  des  Landes).  Im  verhängnissvollen  Jahre  1865  entdeckte  Verko- 
viO  das  erste  Specimen  aus  der  Reihe  der  Vedalieder  und  hiermit  war  sein 
Schicksal  besiegelt.  Seit  diesem  Momente  lebte  er  nur  für  seine  »epochale« 
Entdeckung.  Das  weitere  findet  der  Leser  bei  der  Geschichte  der  Veden 
selbst.  Nachdem  Verkovic  14  Jahre  in  Russlaud  verbrachte,  kehrte  er  Ibül 
nach  Bulgarien  zurück,  wo  er  den  30.  Dez.  1S93  im  Alter  von  66  Jahren  starb. 

Archiv  für  slavische  Philologie.   XXV.  38 


582  I-  t^ismanov, 

ausposaunten  Entdeckung,  und  so  konnte  es  nicht  fehlen,  dass  im  all- 
gemeinen Rausch  des  Momentes,  wo  man  eher  mit  dem  Gefühl,  als  mit 
der  Urtheilskvaft  lebte,  die  Existenz  des  bulgarischen  Epos  von  der 
Heirat  des  thrakischen  Orpheus  von  Niemandem  ernstlich  bezweifelt 
wurde.  Ad  majorem  Slaviae  gloriam  kam  zwei  Tage  nach  dem  Tele- 
gramm, wie  das  schön  in  einer  kleinen  Broschüre  aus  jener  Zeit  erzählt 
wird  *),  das  852  Zeilen  lange  Epos  selbst  an  mit  einem  an  Professor 
NilA.Popov,  Mitglied  des  Organisationscomit^s  der  Ausstellung,  adres- 
sirten  Brief,  worin  Verkovic  nicht  allein  nähere  Orts-  und  Zeitangaben 
über  seine  »epochemachende«  Entdeckung  macht  2|,  sondern  es  auch  in 
schwungvollen  Ausdrücken  versucht,  den  überaus  seltenen  Werth  des 
angeblich  von  ihm  in  der  Macva  von  einem  105  Jahre  alten  Pomaken 
aufgezeichneten  Epos  zu  bestimmen  3).  Charakteristisch  ist  es,  dass 
schon  hier  die  wagehalsigsten  Hypothesen  aufgestellt  werden  (so  bei- 
spielsweise die  Hypothese  von  der  Urverwandtschaft  der  jetzigen  Bul- 
garen mit  den  alten  Thrakern),  auf  Grund  einer  Bemerkung  Emile  Bur- 
nouf's  (Essai  sur  le  Veda)  wird  weiter  ausgeführt,  dass  Thraker 
Makedonier,  Illyrier  wie  alle  Slaven  dem  »Sanscritstammetf  angehören, 
was  den  hämischen  Deutscheu  und  vorzüglich  Max  Müllern  (!;  nicht 
ganz  angenehm  sein  dürfte  und  dergleichen  mehr.  In  normalen  Zeiten 
hätten  diese  Fantasien  eines  Dilettanten  vielleicht  genügt,  um  die  Pro- 
venienz des  Epos  selbst  zu  verdächtigen,  allein  man  war,  wie  gesagt,  iu 
besonders  gehobener  Stimmung,  deshalb,  weit  davon  entfernt,  Verkovit 
der  Mystification  zu  zeihen,  billigte  man  den  Vorschlag  des  Präsidenten 
des  Organisationscomites  der  ethnographischen  Ausstellung,  des  späte- 
ren Directors  des  Oeffentlichen  und  Rumjaucov'schen  Museums  in  Mos- 
kau,  V.  A.  Daskov,    das  eingesandte  Epos  von   Orpheus'  Heirat  im 


1)  ^pcBHKfl  öojirapcKaH  9nonea  oöt  Op*e4.  MocKBa  1867.  Abdruck  aus 
eiuem  Artikel  Nil  Popov's  in  der  Zeitung  »MocKBa«,  Nr.  130,  1867. 

2)  Die  wunderbare  Geschichte  seines  Fundes  hat  Verkovic  später  oft 
bebandelt,  so  vor  allem  in  zwei  Briefen,  veröffentlicht  in  einer  langen  Reihe 
von  Feuilletons  der  Agramer  Zeitung  »Narodne  Novine«  (der  2.  Brief  allein 
zieht  sich  durch  25  Feuilletons,  vom  29.  Nov.  1869,  Nr.  270  bis  24.  Januar  1870, 
Nr.  18).  Wichtig  iu  dieser  Beziehung  ist  auch  das  Vorwort  zum  ersten  Bande 
des  »Besä  CioBeaa«.  Beide  Quellen  haben  jedoch  mehr  eine  Bedeutung  für 
die  Geschichte  der  Entstehung  der  Veden.  Es  sind  vorzüglich  Documente 
zur  Kenntniss  der  psychologischen  Voraussetzungen  der  Entdeckung. 

3)  Später  berichtigte  Verkovic  selbst  (BeÄa  CjoBCHa  I,  p.  XV),  dass  der 
Sänger  nicht  105,  sondern  nur  70—80  Jahre  alt  gewesen  sei. 


Glück  und  Ende  einer  berühmten  literar.  Mystification:  Beja  CtoBena.      583 

Original  mit  russischer  Uebersetzung  unverzüglich  drucken  zu  lassen, 
was  auch  im  selben  Jahre  nach  Schluss  der  Ausstellung  geschah  '). 

Allein  dabei  liess  man  es  in  Kussland  im  Grossen  und  Ganzen  be- 
wenden. Obwohl  Verkovic  zum  wirklichen  Mitgliede  der  Moskauer 
Gesellschaft  der  Freunde  der  Naturwissenschaft,  Anthropologie  und 
Ethnographie  ernannt  wurde  und  die  Petersburger  Geographische  Ge- 
sellschaft sich  mit  Vergnügen  Bruchstücke  aus  dem  Orpheuslied  vor- 
lesen liess,  that  man  nichts  weiter,  um  die  Entdeckung  zu  popularisiren, 
oder  gar  weitere  Forschungen  nach  ähnlichen  Schätzen  in  Makedonien 
anzuregen.  Das  Interesse  für  den  slavischen  Veda  schien  mit  dem 
Rausch  der  slavischen  Verbrüderung  verflogen  zu  sein. 

Verkovic's  «wissenschaftlicher«  Fund  war  gar  der  Gefahr  ausge- 
setzt, in  Vergessenheit  zu  gerathen,  wenn  der  begeisterte  Archäologe 
nicht  rechtzeitig  vorgesorgt  hätte,  dass  seine  Entdeckung  auch  den 
westeuropäischen  Gelehrten  bekannt  werde.  Verkovic  hatte  sich 
nämlich  in  seinem  Jubel  nicht  allein  an  die  im  heiligen  Moskau  verein- 
ten Brüder  gewendet,  sondern  auch  an  einen  Mann,  von  dem  er  sich 
nicht  umsonst  reges  Interesse  für  seinen  Fund  versprach,  den  damaligen 
Director  der  Französischen  Schule  in  Athen,  Emile  Burnouf,  den 
Verfasser  des  obencitirten  Essai  sur  le  Veda  2),  und  diesmal  hatte  Ver- 
kovic Glück,  nicht  allein  gepriesen,  sondern  auch  wirklich  ernst  genom- 
men zu  werden,  und  zwar  von  einem  einflussreichen  Gelehrten,  dessen 
Wort  im  französischen  Unterrichtsministerium  schwer  wog.  Wie  ich 
weiter  ausführen  werde,  hat  sich  die  ganze  Correspondenz  Verkovic's 
aus  jener  Zeit  erhalten.  Aus  den  zahlreichen,  sehr  interessanten  Briefen, 
die  jetzt  in  meinem  Besitze  sind,  und  vorzüglich  aus  den  Briefen  des 
Consnls  Dozon.  lässt  sich  mit  Genauigkeit  feststellen,  dass  es  niemand 


1,  ^pCBiiaa  öoJirapcKafl  nicii/i  o6t>  Op*ei.  OrKpuraa  Creo-aiiOM-L  BepKOBU- 
^CMT),  cepICKUMt  u  öojirapcKUMT.  apxeojioroMX.  M.  1867.  Das  Büchlein  ist  mit 
einem  Vorwort  versehen,  in  dem  auf  die  grosse  nationale  Bedeutung  des 
entdeckten  Epos  für  das  ganze  Bulgarenthum  hingewiesen  wird.  Nach  allem 
zu  urtheilen,  ist  dasselbe  von  dem  als  bulgarisch-makedonischen  Dichter  be- 
kannten Zinzifov  verfasst. 

-)  Emile  Burnouf,  ein  Neffe  Jean  Louis  Burnouf 's.  geb.  1821,  1854  Pro- 
fessor der  alten  Literatur  in  Nancy,  1867  Director  der  Ecole  fran^aise  d'Athe- 
nes.  Von  seinen  Werken  sind  hauptsächlich  zu  nennen:  Methode  pour  etudier 
la  langue  sanscrite.  1S59;  Essai  sur  le  Veda  ou  introduction  ä  la  counaissance 
de  i'Inde,  1863;  Dictionnaire  class.  sanscrit-fran^^is,  1S63— 1865. 

38* 


584  I-  '^isDaanov, 

anders  als  Burnouf  selbst  war,  der  die  ganze  Action  in  der  westeuro- 
päischen Literatur  zu  Gunsten  des  Slavischen  Veda  einleitete^). 

Er  war  es,  der  vor  allem  den  bekannten  Archäologen  Albert 
Dumont  bestimmte,  auf  einer  Durchreise  durch  Belgrad  in  die  Verko- 
vic'schen  Manuscripte,  die  damals  (1868)  in  der  Serbischen  Literari- 
schen Gesellschaft  verwahrt  wurden,  Einsicht  zu  nehmen.  Obwohl 
Dumont  kein  Wort  slavisch  verstand  und  sich  deshalb  ein  Urtheil  über 
die  in  Belgrad  deponirten  Lieder  (im  Ganzen  34  mit  13817  Versen)  nur 
mit  Hilfe  Janko  Safarlk's,  des  damaligen  Directors  des  serbischen 
Nationalmuseums  und  wissenschaftlichen  Berathers  Verkovic's  ^),  bilden 
konnte,  unterliess  er  nichts,  um  Burnouf 's  Wunsch  zu  erfüllen.  Das 
Ergebniss  seiner  Untersuchung  legte  er  in  einem  Briefe  an  seinen  Di- 
rector  nieder,  der  in  dem  »Bulletin  de  l'Ecole  frangaise  d'Athenes« 
(Heft  UI— IV,  Sept.— Oct.  1868,  p.  68—73)3)  erschien  und  haupt- 
sächlich feststellt,  dass  die  Authenticität  der  Lieder  keinem  Zweifel 
unterliegen  könne,  denn:  1)  entspreche  das  Ganze  einer  sehr  kennt- 
lichen Einheit  (ä  une  unite  tres  reconnaissable) ;  2)  sei  der  Werth  der 
Lieder  nicht  derart,  dass  ihn  ein  Fälscher  leicht  begreifen  könne: 
3)  sei  die  Ursprünglichkeit  der  Lieder  eine  solche,  dass  sie  absolut  an 
nichts  Aehnliches  erinnern  (ne  ressemblent  absolumeut  ä  rien,  or  un 
pastiche  ressemble  ä  quelquechose);  4)  zeichnen  sich  diese  Fragmente 


1)  Verkovic  dürfte  sich  zum  erstenmale  an  Burnouf,  der  damals  noch  in 
Frankreich  weilte  und  eben  erst  zum  Director  der  französischen  Schule  in 
Athen  ernannt  worden  war,  im  Jahre  1867  gewendet  haben.  Den  21.  Juli  des- 
selben Jahres  antwortet  ihm  Burnouf  in  einem  italienisch  geschriebenen 
Briefe,  dass  er  einen  jungen  Professor  der  Athener  Schule,  der  sich  mit  der 
Archäologie  Thrakiens  und  Makedoniens  befasst,  nach  Seres  senden  werde, 
um  seine  Entdeckung  zu  prüfen.  (Davon  ist  die  Rede  noch  in  einem  Briefe 
vom  26.  Mai  1868.  Dumont  war  jedoch  verhindert,  sich  direct  nach  Seres  zu 
begeben).  »Ho  gia  parlato,  signore«,  theilt  er  gleichzeitig  mit,  »della  vostro 
discoperta  et  del  vostro  utilissimo  lavoro  a  qualcuni  dotti  uomini  fra  i  miei 
amici«.  Aber  der  erste  Eindruck,  den  er  von  dem  angeblichen  Orpheuslied 
empfing,  schien  nicht  Verkovic's  Hypothesen  zu  bestätigen:  »Dunque  pare«, 
schreibt  er,  »che  la  sopradetta  canzone  suH'  Orfeo  non  sia  molto  antica.  Se 
non  fu  fahricata  'per  }7ioderno  poeta  del  vostro  paese,  non  mi  pare  esser  piü  an- 
tica che  la  mezza  etä :  e  affatto  simile  alle  canzoni  di  questo  tempo ;  che  souo 
numeiose  in  Europa  et  sono  chiamate  Romans  de  chevalerie«. 

2j  Ueber  Safarik  vgl.  den  werthvollen  Nachruf  Novakovic's  im  Agramer 
Rad  XLI,  1877,  p.  190—226.   Cf.  auch  }KMHnp.  1878,  Heft  XIL 

3)  Abgedruckt  in  Bd.  VI  der  »Archives  des  missions  scieutifiques«. 


Glück  und  Ende  einer  berühmten  literar.  Mystitication:  Be;ia  CioBeiia.      585 

durch  Jugend.  Einbildungskraft  und  dichterische  Eigenschaften  aus, 
was  der  beste  Grund  sei,  an  ihre  Authenticität  zu  glauben;  5)  nach  den 
Referenzen,  die  er  (selbstverständlich  von  Janko  Safarik)  gesammelt 
habe,  könne  man  an  der  Ehrlichkeit  Verkovic's  nicht  zweifeln.  »Die 
Eintdeckuug  der  slavobulgarischen  Rhodopelieder  scheint  demnach  ein 
Ereigniss  (evenement)  ersten  Ranges  zu  sein«,  schliesst  Dumont.  »Man 
kann  zwar  nicht  genau  vorhersagen,  welche  Wiclitigkeit  sie  für  die 
Wissenschaft  gewinnen  werden,  aber  dieselbe  dürfte  bedeutend  sein«  i). 

Dumont's  Mission  konnte  begreiflicherweise,  trotz  des  besten 
Willens  des  Forschers,  keine  besseren  Resultate  liefern,  deshalb  musste 
sich  Burnouf  nach  einer  anderen  Kraft  umsehen,  die  geeigneter  zu  einer 
Verification  des  Verkovic'schen  Veda  wäre.  Der  richtige  Mann  fand 
sich  auch  bald  in  der  Person  des  damaligen  französischen  Consuls  in 
Philippopel,  Auguste  Dozon,  der  wenigstens  des  Serbischen  mächtig 
war,  reges  Interesse  für  die  südslavische  Volkspoesie  bewiesen  und  be- 
reits auf  Verkovic's  Bitte  das  »Orpheus-Epos«  ins  Französische  über- 
setzt hattet).  Aus  den  mir  vorliegenden  Briefen  Dozon's  ersehe  ich. 
dass  spätestens  zu  Anfang  des  Jahres  1S()9  Buruouf  seinem 
Unterrichtsministerium  den  Vorschlag  gemacht  hatte,  den  französischen 
Consul  in  Philippopel  mit  der  Mission  zu  betrauen,  die  Authenticität 
der  Verkovic'schen  Lieder  zu  prüfen.  In  einem  Briefe  Dozon's  vom 
22.  Januar  1S69  heisst  es:  »Mr.  Burnouf  qui  attache  beaucoup  de  prix 
ä  votre  decouverte.  a  pense  que,  vu  mes  etudes  ant^rieures,  je  pourrais 
avec  fruit  etudier  les  origiuaux  sur  place  et  il  a  demande  en  conse- 
quence  au  Ministere  de  l'Instruction  Publique  de  me  charger  d'une  mis- 
sion  speciale  ä  cet  eflfet«. 

Kurz  vorher  war  von  Dozon  im  y  Bulletin  de  l'Ecole  Francaise 
d'Athenes«  (Heft  V— VI,  Nov.— Dec.  ISGS,  p.  94  — lOa;  eine  ausführ- 
liche Analyse  des  Liedes  »Orpheus'  Heirat«  erschienen 3).     Inzwischen 


1)  Später  kam  Dumont  auf  die  Frage  von  der  Authenticität  des  Slavi- 
8chen  Veda  noch  einmal  zurück  in  seinem  Buche  »Le  Balkan  et  TAdriatique«. 
Paris  1873,  p.  165—170  'zuerst  erschienen  in  einer  Serie  von  Artikeln  in  der 
Revue  des  deux  Mondes  .  Hier  ist  er  zwar  reservirter,  doch  meint  er  immer- 
hin, dass  die  Frage  viel  zu  wichtig  sei,  als  dass  sie  nicht  von  Gelehrten 
untersucht  werden  sollte,  ohne  Rücksicht  auf  Panslavismus  oder  Hellenismus. 

-)  Die  Uebersetzung  war  für  Burnouf  bestimmt. 

3)  Später  veröffentlichte  er  im  Heft  VII  (Januar,  1870)  u.  VIII  (Februar 
d.  J.)  noch  einige  UebersetzungenVerkovic'scher  Lieder  und  Sagen.  Bekannt 
ist  es,  dass  Dozon  einiges  aus  dem  Verkovic'schen  Schatz  auch  in  seine 


586  I-  Sismanov, 

hatte  ihn  aber  seine  Regierung  nach  Epirus  versetzt.  Aus  Janina  mel- 
det er  den  14.  Februar  1870,  dass  er  sich  vermählt  habe,  und  dass  in- 
folgedessen Burnouf's  Project  sehr  problematisch  geworden  sei.  »Quant 
ä  la  mission  que  je  devais  avoir  pour  vos  contrces  l'ann^e  derniere,  mon 
mariage  m'a  force  de  renoncer  ä  ce  projet,  qu'il  n'est  probable  que  je 
pourrais  Jamals  executer.  Esperons  toujours  cependant«.  Die  Hoffnung 
war  auch  nicht  ganz  eitel,  denn  schon  den  15.  Mai  desselben  Jahres 
erfreut  Dozon  den  mit  Ungeduld  harrenden  Verkovic,  dass  er  denn  doch 
gegen  Ende  des  Monats  Juni  vom  Ministerium  mit  der  bekannten  Mission 
betraut  werde.  Allein  das  Schicksal  wollte  es  anders.  Inzwischen  bricht 
der  deutsch-französische  Krieg  aus,  und  Burnouf's  Plan  zerschlägt  sich 
diesmal,  wie  es  scheint,  auf  immer.  Auch  dem  Consul  Dozon  ist  selbst- 
verständlich alle  Lust  vergangen,  in  den  Momenten  der  schwersten 
Prüfung  für  sein  Volk  sich  mit  dem  Slavischen  Veda  zu  befassen.  Er 
schreibt  aus  Janina,  den  31.  August  1870:  »En  attendant  et  quand  la 
Situation  sera  devenu  un  peu  plus  favorable  et  me  permettra  de  re- 
prendre  mes  etudes  je  recevrai  avec  reconnaissance  tous  les  renseigne- 
ments  que  vous  voudrez  bien  me  donner  sur  vos  decouvertes  les  te- 
7iant,  il  est  inutile  de  le  dire,  pour  parfaitement  authentiques  (also 
noch  vor  der  Untersuchung!)  et  nous  pourrons  nous  concerter  et  cher- 
cher  moyen  de  leur  donner  de  la  publicitec  —  Es  vergehen  volle  zwei 
Jahre,  bezeichnet  auch  in  der  Correspondenz  durch  eine  entsprechende 
Lücke.  Erst  den  15.  Januar  1872  gibt  Dozon  wieder  ein  Lebenszeichen 
von  sich.  Bemerkenswerth  ist  es  jedoch,  dass  inzwischen  sich  in  ihm 
Zweifel  über  die  Echtheit  des  »Veda  Slovena«  geregt  haben.  Verkovic 
hat  dem  Consul  ein  Lied  von  der  Entdeckung  des  Alphabets  mit  der 
Bitte  zugeschickt,  dasselbe  ins  Französische  zu  übersetzen.'  Er  wolle 
ihm  gerne  ein  entsprechendes  Honorar  für  die  Mühe  zahlen.  »Mais  la 
question  de  la  remuneration  de  mon  travail«,  schreibt  Dozon,  »est  bien 
moins  ce  qui  me  preoccupe  que  celle  de  l'anthenticite,  et  ici  il  faut  que 
je  sois  d'une  entiere  franchise  avec  vous.     Des  doutes  se  sont  eleves 

ä  ce  stijet,  comme  jadis  ä  propos  de  Kraledvorski  Rukopis Non 

pas,  cela  va  sans  dire,  que  je  suppose  un  instant  que  vous  ayez  pu  fa- 
briquer  ces  pesme,  mais  d'autres  pourraient  avoir  abuse  de  votre  bonne 


Sammlung  bulgarischer  Volkslieder  aufnahm.  'E-hJir.  Hap.  nicHir.  Chans,  pop. 
bulgares  inedites,  Paris  1875,  p.  123 — 143.  Chants  mythologiques  de  la  Macc- 
doine  Orientale. 


Glück  und  Ende  einer  berühmten  literar.  Mystification:  Beaa  C.ioBCHa.      587 

foi  (il  y  a  plusieurs  exemples  de  ce  genre  dans  l'histoire  littöraire)(f. 
Aber  zwei  Monate  später  erfreut  Dozon  unerwartet  seinen  Freund  Ver- 
kovic  mit  der  Nachricht,  dass  der  Krieg  denn  doch  nichts  am  Plane 
Burnouf's  geändert  habe,  denn  er  Dozon]  habe  den  3(i.  März  ein  Tele- 
gramm von  seinem  Unterrichtsministerium  erhalten,  sich  unverzüglich 
nach  Seres  zu  begeben  »de  veritier  l'authenlicitö  des  chants  bulgares 
d^couvert  par  M.  Verkovitch«.  Diesmal  war  das  Schicksal  gnädiger. 
Dozon  langt  glücklich  in  Seres  an,  nimmt  die  Gastfreundschaft  Verko- 
vic's  an*;,  und  nach  sechs  Wochen  25.  Mai — <j.  Juli  1872)  kehrt  er 
auf  seinen  Posten  zurück,  vollkommen  von  der  Authenticität  des  damals 
177  Lieder  (im  Ganzen  S.").')r)2  Verse)  enthaltenden  Veda  überzeugt.  Wie 
er  zu  dieser  Ueberzeugung  kam,  ist  ausführlich  in  seinen  zwei  officiellen 
Berichten  zu  lesen,  die  er  an  das  Ministerium  sandte  und  vorerst  im 
Journal  officiel  (I.  Bericht  4.  u.  S.Nov.  1S72,  II.  Bericht  17.  u.2u.Febr.). 
alsdann  mit  Anmerkungen  bereichert  in  den  »Archives  des  missions 
scientifiques«  erschienen  2).  Bekanntlich  hielt  es  Dozon  für  seine  Haupt- 
aufgabe, nachzuweisen,  dass  weder  Verkovic,  noch  sein  Schreiber 
(scribe)  in  Krusovo,  Gologanov,  der  Fälschung  geziehen  werden 
können.  Eine  Viertelstunde  genügte  ihm,  um  sich  von  der  Offenherzig- 
keit des  ersteren  zu  überzeugen.  Verkovic  könne  nur  beschuldigt  wer- 
den, eine  exaltirte  Interpretation  seiner  Texte  versucht  zu  haben  3). 
Gologanov  aber  sei,  sozusagen,  ein  lebender,  impassibler  Phonograph, 
ein  jedes  Verstandes  barer  Mechanismus.  Wie  hätte  auch  ein  ganz 
simpler  Mensch,  der  kaum  des  Schreibens  kundig,  eine  solche  Masse 
liochpoetischer  Lieder  fabriciren  können  *),  —  ergo  muss  der  Veda  der 

1)  Wie  zufrieden  Dozon  aus  dem  Hause  V.'s  schied,  sieht  man  gleich  aus 
seinem  kroatisch  geschriebenen  Dankbrief,  worin  er  seineu  Freund  ver- 
sichert, dass  er  niemals  seine  Gastfreundschaft  vergessen  werde.  »Ja  cu  tu 
nikad  zaboraviti«.   Brief  vom  9.  Juli  1872. 

'-)  Archives  des  missions  scientifiques  et  litteraires,  choix  de  rapports 
et  Instructions  publies  sous  les  auspices  du  Ministere  de  ITnstruction  publique 
des  cultes  et  des  beaux  arts.  Troisieme  serie.  Tome  premier.  Paris  1873. 
Premier  rapport  sur  une  mission  litteraire  en  ilacedoine  par  M.  Auguste 
Dozon,  p.  51 — 75.  Appendice  76 — 79.  Second  rapport  in  dem  nämlichen 
Bande  p.  193 — 235,  Appendice  236 — 246.  Als  Separatabdruck:  »Les  chants 
populaires  bulgares.  Rapport  sur  une  mission  litteraire  en  Macedoine«.  Paris 
1874,  p.  84. 

■')  »Je  suis  loin  d'etre  d'accord  avec  lui  sur  la  valeur  des  textes  d^cou- 
verts  et  sur  les  conclusions  qu'il  en  tire«.   Kapport,  Sep.-Abdr.  p.  54. 

^)  lieber  Gologanov  spricht  sich  Dozon  folgendermassen  aus:  »Yovan 


588  I-  i>i8manov, 

Slaven  echt  sein.  Der  Schluss  konnte  natürlich  eine  strengere  Logik 
kaum  befriedigen,  dazu  ist  es  aus  den  Berichten  nicht  ganz  klar,  ob 
Dozon  die  incriminirten  Lieder  aus  dem  Munde  der  angeblichen  Volks- 
sänger  hörte  i),  allein  wir  üben  hier  keine  strenge  Kritik,  sondern  ver- 
suchen hauptsächlich  den  Lauf  einer  literaturgeschichtlichen  Begeben- 
heit zu  skizziren  und  verweisen  den  Leser  auf  die  diesbezüglichen 
Rapporte  des  Consuls,  sowie  an  die  sicli  daran  knüpfenden  Erörterungen 
der  Freunde  und  Widersacher.  Wenn  wir  uns  mit  Dozon  etwas  länger 
befassten,  thaten  wir  es  aus  dem  Grunde,  weil  er  in  der  Geschichte  des 
Slavischen  Veda  eine  überaus  wichtige  Rolle  spielt,  und  weil  ohne  ihn 
manche  bedauerlichen  Verirrungen  hintangehalten  worden  wären  ^j. 
So  sind  zunächst  die  phantastischen  Conjecturen  eines  Chodzko 


avait  6te  maitre  d'ecole,  mais  son  savoir  etait  des  phis  bornes;  il  le  devait 
entier  ä  un  pope  de  village  et  dans  les  ecoles  rurales  grecques  de  la  Turquie 
renseignement  est  on  ne  peut  pas  plus  elementaire«  (p.  62).  »II  n'avait  d'ail- 
leurs,  comme  je  m'en  suis  convaincu  dans  mes  conversations  avec  lui,  ancmi 
goüt  pour  la  poesie,  ni  pour  le  metier  de  collecteur«  (16}. 

').  Dozon  gesteht  selbst:  »L'examen  auquel  je  me  suis  livre  ä  Seres  n'a 
pu  ctre  lui  menie  que  tres  rapide«.  Zwar  lesen  wir,  dass  er  in  Begleitung  von 
Verkovic  mehrere  Ausflüge  (wahrscheinlich  nach  Krasovo)  unternahm  »desti- 
nees  ä  m'eclairer  par  mes  propres  yeux  sur  Vorigine  de  ces  manuscritsf,  aber 
ob  er  bei  diesen  Excursionen  die  Lieder  selbst  singen  hörte,  das  ist  sehr 
zweifelhaft.  Prof.  Leger  schreibt  mir  in  dieser  Frage:  »En  1874  ou  1875 
Dozon  vint  ä  Paris;  il  vint  me  voir:  je  fus  stupefait  de  son  ignorance.  II 
avait  appris  les  langues  comme  un  droginan,  mais  il  ne  savait  pas  un  mot  de 
Philologie  slave.  Je  lui  demandai  s'il  avait  entendti  chanter  par  quelquun  les 
chants  du  Veda.  11  me  repondtt  que  non,  mais  que  Verkovitch  lui  avait  montre 
des  manuscrits«.  Gologanov's  Sohn  schrieb  mir  einmal,  dass  sein  Vater  und 
Dozon  sich  nicht  verständigen  konnten,  denn  letzterer  sprach  sehr 
schlecht  bulgarisch.  Zur  Geschichte  der  Dozon'schen  Mission  gehören  auch 
folgende  sehr  interessante  Stellen  aus  zwei  Briefen  Gologanov's:  »Wenn 
jener  Franzose  nach  Seres  kommt,  müssen  Sie  mich  vorher  benachrichtigen, 
bevor  Sie  nach  Kruaovo  kommen«  (Brief  vom  10.  Juni  1868).  »Wenn  der  fran- 
zösische Consul  aus  Philippopel  nach  Seres  kommt,  sagen  Sie  ihm  nichts 
von  den  Pomaken,  sondern  (sagen  Sie  ihm),  dass  Sie  die  Lieder  aus  dem 
hiesigen  Kreise  erhalten  haben.  Auch  von  mir  bitte  ich  nichts  sprechen  zu 
wollen«  (Brief  vom  21.  October  desselben  Jahres).  Später  (1872)  hatte  Golo- 
ganov  alle  diese  Bedenken  überwunden.   Er  fühlte  sich  sicherer. 

2)  Es  mag  gleich  bemerkt  werden,  dass  eines  der  ersten  Opfer  Dozon's 
Burnouf  selbst  war,  der  verleitet  wurde,  zu  behaupten,  dass  die  Verkovic'- 
schen  Sammlungen  das  Speciraen  einer  arischen  Sprache  aufweisen,  die  viel- 
leicht älter  sei,  als  das  Griechische. 


Glück  und  Ende  einer  beiühmteu  literar.  Mystification :  Beja  Cioneiia.       5S9 

(wie  später  eines  Geitler)  ohne  Dozon's  Rapporte  schwer  denkbar. 
Chodzko,  Professor  der  Slavistik  am  Pariser  Colh'ge  de  France,  war 
seiner  angeborenen  Naivetät  halber,  sozusagen,  praedisponirt,  an  die 
Echtheit  des  slavischen  Veda  zu  glauben  i).  Nun  kam  Dozon  und  deckte 
mit  seiner  ganzen  Autorität  den  verdächtigen  Fund.  Wie  wäre  es  auch 
möglich,  dass  ein  officieller  Regierungscommissär,  der  an  Ort  und  Stelle 
seine  Untersuchung  durchgeführt  hatte,  sich  so  arg  täuschen  konnte-). 
Und  nun  liess  Chod/.ko  seiner  Phantasie  die  Zügel  schiessen.  Er  kün- 
dete zunächst  für  das  Wintersemester  (1873 — 1S74)  eine  Vorlesung 
über  den  Slavischen  Veda  an.  Das  Jahr  darauf  rückte  er  eine  kurze, 
aber  begeisterte  Kecension  des  ersten  Bandes  des  «BeAa  CioneHii«  ein 
in  die  »Revue  bibliographique  de  phiiologie  et  d'histoire<  (Nr.  4,  5, 
14.  Juli  1S74,  p.53 — 57),  worin  er  Verkovic  auf  Grund  des  Dozon'schen 
Rapportes  von  jedem  Verdacht  reinwäscht  und  den  tiefen  geschichts- 
philosophischen  Satz  aufstellt,  dass  das  Ideal  der  Urslaven  nach  dem 
Slavischen  Veda  der  Ackerbauer  (rhomme  cultivateur)  gewesen  sei. 
Recht  idyllisch!  Allein  als  er  zur  theoretischen  Verwerthuug  der  )) über- 
aus wichtigen«  Entdeckung  schreiten  wollte,  erwuchsen  ihm  plötzlich, 
wie  aus  der  Erde  gestampft,  zwei  gefährliche  Gegner.  Zuerst  in  Frank- 
reich selbst.  Ein  angehender  Slavist,  der  später  seine  Stelle  einnehmen 
sollte,  Louis  Leger,  liess,  um  die  angesetzte  Vorlesung  Chod/'ko"s 
wenn  möglich  zu  vereiteln,  einen  Aufsatz  in  der  «Revue  politique  et 
litteraire«  vom  22.  Nov.  1S73  erscheinen  unter  der  Aufschrift:  »Les 
Chants  bulgares  du  Rhodope  d'apres  un  travail  de  M.  Dozon«  mit  dem 
bezeichnenden  spanischen  Motto:  »De  todas  las  cosas  seguras,  La  mas 
segura  es  dudar«,  worin  sich  schon,  nebenbei  bemerkt,  der  ganze  Gegen- 
satz zwischen  der  neuen  kritischen  Schule  der  Slavistik,  vertreten  durch 
Leger,  und  der  alten  Offenbarungstheorie  eines  Mickiewicz  scharf 
zeichnet  ^]. 


1]  Er  war  in  Beziehungen  zu  Verkovic  im  Jahre  1873  getreten.  Sein 
erster  Brief  ist  vom  7.  Sept.  desselben  Jahres  datirt.  Durch  ihn  wurde  Bus- 
lajev  mit  dem  Slav.  Veda  bekannt.  »Je  vais  chez  Buslaev  lire  ensemble  vos 
pesmas«  lesen  wir  in  einem  Briefe  vom  16.  Juli  1S74. 

2;  »L'authenticite  des  pesmas  anuoncees  par  M.  Verkovicz  a  ete  recon- 
nue  incontestable ;  des  lors  ces  nouveaux  poi-mes  bulgares  ont  definitivement 
pris  rang  dans  les  cbansons  slaves«  schreibt  er  im  Bulletin  de  la  socit-tc  de 
linguistique  de  Paris,  Nr.  12,  p.  clxij. 

3,  Ein  Beispiel  gerade  aus  seinen  Studien  über  den  »Veda  slave«  mag 
genügen,  um  die  wissenschaftliche  Methode  Chodzko's  zu  iilustriren:   Der 


590  I-  Sismanov, 

Chodzko  war  über  die  pietätslose  Behandlung  der  Vedenfrage  auf- 
gebracht ^)  und  sah  sich  veranlasst,  die  schönen  Sachen,  die  er  seinem 
voraussichtlich  nicht  sonderlich  zahlreichen  Auditorium  über  den  slavi- 
schen  Gott  Visnu  und  seine  Mutter  Zlata  Majka,  über  die  bulgarische 
Trinität,  die  an  die  indische  Trimurti  erinnere  und  dergl.  mehr,  vor- 
gelesen hatte,  auch  der  Pariser  Sprachgesellschaft  vorzulegen.  Diese 
bestimmte  aber,  dass  Chodzko's  Studien  nicht  in  den  Memoiren,  sondern 
in  dem  »Bulletin  de  la  Societe  de  linguistique  de  Paris«  (Nrn.  12,  13, 
14,  1875)  gedruckt  werde  unter  dem  Titel  »Chants  du  Rhodope  au 
point  de  vue  de  leurs  reminiscences  mythiques  et  historiques  (d'apres 
les  documents  pour  la  plupart  ineditsjc  Später  fasste  Chodzko  seine 
Studien  zusammen  unter  der  einfacheren  Aufschrift  »Etudes  Bulgares« 
(Paris,  Ernest  Leroux,  1875).  Allein  Leger  Hess  sich  mit  seinem  ersten 
Erfolg  nicht  zufriedenstellen.  Unterdessen  war  (1874)  der  erste  Band 
des  »Be^a  CaoBeiia«  in  Belgrad  mit  einem  langen  serbischen  Vorwort 
vom  Herausgeber  und  einem  kurzen  französischen  Avant-propos  von 
Dr.  J.  S.  (Dr.  Janko  Safarik)  erschienen  unter  dem  hochtönenden  Titel 
»Der  Veda  der  Slaven,  Bulgarische  Volkslieder  aus  prähistorischer  und 
vorchristlicher  Zeit,  entdeckt  in  Thrakien  und  Makedonien  von  Stefan 
Verkovic«  2), 

Leger's  kritische  Zweifel,  die  ersten  überhaupt  in  der  mir  bekann- 
ten europäischen  Literatur  3]  ^  fanden  unvermuthet  eine  Bekräftigung 
in  der  sehr  abfälligen  Beurtheilung  des  L  Bandes  des  »Be/ta  CjiOBeHacf 
durch  Josef  Jirecek.  In  einer  Sitzung  der  königl.  böhm.  Gesellschaft 
der  Wissenschaft  in  Prag  hatte  dieser  am   17.  December   1874   einen 


Name  Pomak,  über  den  schon  viel  etymologisirt  wurde,  ist  ihm  einfach  »wne 
corrtiption  de  momak  «  (Bulletin  de  la  Soc.  de  linguistique.  Nr.  12,  p.  clxij  note). 

1)  »II  etait  furieux«  schreibt  mir  Prof.  I^eger,  dem  ich  die  Kenntniss 
dieses  intimen  wissenschaftlichen  Duells  verdanke. 

2)  Besä  CjiOBeHa,  ötjfrapcKii  h  HapoÄHii  necHH  ott.  npejiHCTopn'iHO  h  xpucTu- 
ähcko  Äoöa.  OiKpHjn.  bi>  TpaKiia  u  Mane^ioHiia  ii  usja^ti.  CTe*aHi.  H.  BepKOBH^i, 
KH.  I.  Le  Veda  Slave,  chants  populaires  des  Bulgares  de  Thrace  et  de  Mace- 
doine  de  Tepoque  prehistorique  et  prechretienne,  decouverts  et  edites  par 
Etienne  J.  Verkovitch.  Volume  L  Eeorpa^t  1874,  XVI  +  II  (avant-propos)  + 
545.  Enthält  15  Lieder  mit  rund  7800  Versen. 

3)  Nach  Verkovic  waren  es  vor  allem  »griechische  Gelehrte«,  die 
über  seine  Entdeckung  in  Tagesblättern  und  Broschüren  spotteten.  Sie  sollen 
ihn  oft  »Neuen  Columbus"  genannt  haben.  Mir  ist  diese  polemische  Litera- 
tur, die  kaum  etwas  mit  der  Wissenschaft  gemein  haben  dürfte,  nicht  bekannt. 


Glück  und  Ende  einer  berühmten  literar.  Mystification:  Beja  OaoBeua.      591 

Vortrag  über  einige  problematische  slavische  Volksliederausgaben  ge- 
halten und  gestützt  auf  folgende  formale  und  inhaltliche  Gründe  die 
Behauptung  aufgestellt,  dass  der  Slavische  Veda  das  Brandmal  der 
Fälschung  an  der  Stirne  trage,  denn:  1)  sei  das  Metrum  der  Lieder 
ganz  unregelmässig,  was  bei  echten  Volksliedern  unstatthaft  sei;  2)  sei 
es  absolut  unmöglich,  dass  sich  unter  den  Pomaken  Erinnerungen  an 
die  Einwanderung  der  Slaven  aus  Indien  erhalten  hätten ;  3)  sei  es 
ebenso  undenkbar,  dass  die  Pomaken  die  Namen  eines  Visnu-Boga, 
Ogne-Boga  kannten.  Dies  beweise  zur  Genüge,  dass  der  Slavische  Veda, 
ebenso  wie  die  bekannten  Lieder  von  Milqjevic  [falsa  nejhrubsiho  zrna) 
als  directe  Nachahmungen  der  Kakovski  sehen  quasihistorischen  Lieder, 
die  er  in  »H'£kojko  PtuH  0  Acinio  L«  (Belgrad  ISüO,  p.  68,  121) 
publizirte,  entstanden  sein  müssen  ^). 

Diese  scharfe  Kritik  gegen  den  «Be^a  Cioßena«  liess  sich  Leger 
nicht  entgehen.  Er  übersetzte  sie  eilig  und  rückte  sie  in  die  »Revue 
critique«  vom  3.  April  1875  ein.  Chodzko  verstand  wohl  die  Absicht 
seines  Gegners  und  sah  sich  gezwungen,  zur  Abwehr  eine  kleine  Bro- 
schüre zu  verfassen:  »L'authenticite  des  chants  du  Rhodope  d^couverts 
et  ddits  par  Etienne  Jules  Verkovitch,  defendue  et  prouvee  par  A. 
Chodzko«  (Paris,  Leroux  lS7ö),  worin  er  sich  hauptsächlich  Mühe 
gibt,  die  Gründe  zu  entkräften,  die  Josef  Jirecek  gegen  die  Echtheit  des 
»Be^a  C.iOBeHatf  vorführt.  Dies  war  aber  auch  der  letzte  Versuch 
Chodzko's,  die  Verkovic'sche  Sammlung  vor  einem  gelehrten  Publicum 
zu  vertheidigen.  Nach  der  letztgenannten  Broschüre  legte  er  sich 
Schweigen  auf,  und  nur  aus  seinen  Briefen  ersehe  ich,  dass  er  doch  ge- 
brochenen Herzens  capituliren  musste  -).  Seine  immer  und  immer 
wiederholten  Ermahnungen,  Verkovic  möge  sich  vom  Verdachte  der 
Fälschung  reinwaschen,  beweisen,  dass  er  selbst  an  die  Autorität  Do- 
zon's  zu  glauben  aufgehört,  ja  dass  er  sich  sogar  mit  dem  Gedanken 
vertraut  gemacht  hatte,  von  einem  Fälscher  dupirt  worden  zu  sein  ^j. 

1)  Sitzungsberichte  der  königl.  böhm.  Gesellschaft  der  Wissenschaft  in 
Prag.  Zprävy  0  zasedäni  Kralovske  ceske  spolecnosti  nauk  v  Praze.  Jahrg. 
1874,  Nr.  8,  p,  248.  "0  nekterych  zähadnych  vydanich  närodnich  pisni  jiho- 
slovanskych«. 

-)  Der  gefährlichste  Feind  der  Veden  war  ihm  C.  Jirecek.  »Je  viens  de 
recevoir  les  dernieres  livraisons  de  Dejiny  Näroda  Bulbarskeho  par  C.  J.  Ji- 
recek. C'est  le  plus  dangereux  de  tous  les  adversaires  de  TAuthenticite  de 
vos  Vedas«  lesen  v/ir  in  einem  Briefe  Chodzko's  vom  Februar  1S76. 

3j  »Le  Dr.  Safatik,  M.  Dozon  et  moi  qui  avons  eru  qua  les  Vedas  sont 


592  I-  ^ismanov, 

Leger  hatte  gesiegt.  In  demselben  Jahre,  da  Chodzko  seine  letzte  Ver- 
theidignngsschrift  piiblizirt  hatte,  erschien  in  der  xBibliotheque  Univer- 
selle« von  Lausanne  (1875)  sein  Artikel  «Un  essai  de  mystification 
littöraire«  (abgedruckt  ohne  Aenderung  in  seinen  »Nouvelles  etudes 
slaves«,  Paris  1880,  p.  49 — 74),  in  dem  er  beweist,  «dass  der  Slavische 
Veda  nicht  gar  so  vedisch  sei,  als  man  es  glauben  machen  wollte" 
(a  beau  mentir,  qui  vient  de  loin),  dass  Verkovic,  » un  ignorant  de  primo 
cartelo,  un  marchand  d'antiquites,  un  slave  fanatique«  möglicherweise 
»tout  ensemble  trompeur  et  trompe«  sei.  Seine  Gründe  sind  im  Allge- 
meinen die  eines  Josef  Jirecek.  Als  Franzose  hat  er  natürlich  ein  be- 
sonders feines  Gefühl  für  die  Mängel  der  quasi-französischen  Ueber- 
setzung  des  bulgarischen  Textes,  die  thatsächlich  von  elementaren 
Fehlern  wimmelt. 

Leger's  Artikel  ist  jedoch  nicht  allein  deshalb  interessant,  weil  er 
resolut  mit  dem  Fetischglauben  eines  Chodzko  bricht,  sondern  weil  er  in 
einem  persönlichen  Briefe  au  den  Verfasser  uns  die  früheste  Meinung 
Constantin  Jirecek's  über  den  Slavischen  Veda  wissen  lässt.  »Je 
suis  curieux  de  savoir  d'apres  quel  manuel  d'histoire  bulgare  ils  ont  ete 
fabriques«  schreibt  der  junge  Gelehrte  (p.  73,  n,  1),  der  später  einige- 
male  die  Gelegenheit  ergreift,  um  sich  sehr  abfällig  über  den  Be^a  Cjio- 
BCHa  zu  äussern.  So  zunächst  in  seiner  Geschichte  der  Bulgaren,  wo 
wir  auf  S.  568  (D^jiny  p.  516)  folgendes  lesen:  »Schon  der  völlige 
Mangel  jeglichen  Versmasses  zeigt,  dass  diese  Veda's  vom  Volke  nie 
gesungen  wurden  und  berechtigt  diese  Entdeckung  für  eine  literarische 
Mystification  zu  halten«.  Jirecek's  Meinung  ist  kurz  folgende:  »Dass 
in  der  Rhodope,  die  von  Melnik  bis  Cepina  und  Dimotika  durch  so  viele 
Feldzüge  der  Byzantiner,  Bulgaren,  Serben  und  Türken  unaufhörlich 
erschüttert  wurde,  im  Volksgedächtnisse  so  alte  Epen  sich  erhalten 
hätten,  muss  a  priori  gegründeten  Zweifel  erregen.  Ausserdem  ist  die 
Rhodope  allzugut  bekannt,  als  dass  so  merkwürdige  und  angeblich  so 
verbreitete  Lieder  unbekannt  hätten  bleiben  können.  Die  Mythologie 
der  Veda-Lieder  weist  sonst  unerhörte  Götter,  einen  Visnu,  ja  einen 
Koleda  auf.  Ein  metrisches  Gefüge  geht  diesen  Liedern  vollkommen 
ab«.  Jirecek  prophezeit,  dass  über  die  Veda-Frage  »unnöthigerweise 
eine  ganze  Literatur  entstehen  werde«.    Was  jedoch  wichtiger,  ist  die 


authentiques,   nous  n'aurons   que   le   reglet   d'etre   dupes  d'un  imposteur« 
(ibidem; . 


Glück  und  Ende  einer  berühmten  literar.  Mystitication:  Eeja  CiOBcua.      593 

auf  S.  5()9  ausgesprochene  Vermuthung,  dass  allem  Anscheine  nach 
Verkovic  selbst  an  der  Fälschung  unschuldig  sei.  »Nach  der  Schilde- 
rung des  Herrn  Dozon,  eines  Vertheidigers  der  Veda,  dürfte«,  schreibt 
Jirecek,  «der  ehemalige  Lehrer  von  Krusovo,  welcher  die  Veda's  um 
schweres  Geld  dem  Verkovic  verschaffte,  Aufschluss  darüber  geben 
können«.  Später  in  seinen  Cesty  po  Bulharsko  (ISSS,  p.  344,  Anm.  7U; 
und  im  Fürstenthum  Bulgarien  (1S91,  p.  I<i7,  Anm.  1)  kam  er,  von  Sla- 
vejkov,  dem  besten  damaligen  Kenner  des  bulgarischen  Volkslebens, 
verleitet,  auf  eine  andere  Vermuthung,  dass  nämlich  die  Veda's  das 
Fabrikat  einer  ganzen  Gesellschaft  von  Lehrern  in  der 
Landschaft  von  Seres  und  Melnik  seien.  Ob  diese  complicirtere 
Hypothese  eher  der  Wahrheit  entspricht,  als  jene  in  der  Geschichte  der 
Bulgaren  angedeutete  einfache  Conjectur,  wollen  wir  später  sehen.  Hier 
gentigt  es  darauf  hinzuweisen,  dass  mit  dem  Anschluss  Constantin  Jire- 
cek's  an  die  Skeptiker,  wie  Louis  Leger,  Josef  Jirecek,  sich  nothwen- 
digerweise  eine  sehr  starke  Coalition  gegen  den  Verkovic'schen  »Hum- 
bag«  bilden  musste.  gar  als  sich  auch  Jagic,  Pypin  und  Drinov  auf 
die  Seite  der  Zweifler  stellten  ^j. 

Jagic  sprach  sich  sehr  scharf  gegen  die  Echtheit  des  Slavischen 
Veda  aus  zunächst  in  seiner  Bibliographischen  üebersicht( Archiv  I,  57 G, 
Anm.  (35.")  auf  derselben  Seite).  Es  ist  keine  grosse  Kunst,  Volkslieder 
zu  fälschen«,  lesen  wir  hier,  «aber  auch  die  Fälschungen  nachzuweisen 
dürfte  weniger  schwierig  sein,  als  es  viele  wähnen.  Dies  hätten  ein 
Milojevic  bei  den  Serben  und  ein  Verkovic  bei  den  Bulgaren  bedenken 
sollen,  bevor  sie  sich  dazu  hergaben,  offenbare  Fälschungen  unter 
ihrem  Namen  herauszugeben  und  sich  zu  Mitschuldigen  solcher  Atten- 
tate au  der  slavischen  Volkspoesie  zu  machen«'.  Ausführlicher  sprach 
Jagic  später  seine  Meinung  über  den  »BeAa  CiOBena«  in  seiner  Kecen- 
sion  von  Geitlers  )>Poeticke  tradice  etc.«  (Archiv  IH,  p.  742  —  744),  in 
der  sehr  abfälligen  Kritik  des  11.  Bandes  der  Veden  (Archiv  VI,  p.  144, 
Kleine  Mittheil.)  und  zuletzt  noch  in  einem  Artikel  in  der  Neuen  freien 
Presse  vom  20.  Mai  1S92,  Nr.  9963  (Die  verlorene  Handschrift. 

Pypin  war  in  seiner  Geschichte  der  slavischen  Literaturen  ge- 


1,  Ihnen  schlössen  sich  Makusev  und  Sreznevskij  an,  wenn  auch  nicht 
öffentlich.  Verkovic  klagt  oft.  dass  letzterer  ihn  in  Petersburg  sehr  wohl- 
wollend empfangen  habe,  doch  hätte  er  geäussert:  «Wie  kann  ich  mehr  Bul- 
gare als  die  Bulgaren  selbst  sein.  Ihre  erste  Autorität,  Drinov,  verachtet 
diese  Lieder«. 


594  I«  Sismanov, 

Wissermassen  gezwungen,  Stellung  zu  derVedafrage  zu  nehmen,  und  er 
that  es  beherzt  im  Sinne  der  Skepsis.  Seine  Meinung  war  und  blieb, 
»dass  solange  noch  nicht  neue  Proben  herausgegeben  sind  und  weitere 
Forschungen  angestellt  werden,  sich  der  Charakter  der  ganzen  Sache 
nicht  definitiv  bestimmen  lasse.  Eine  Mystification  liege  ohne 
Zweifel  vor,  die  Frage  sei  nur,  inwieweit  sich  die  Lieder  vielleicht 
doch  auf  wirkliche  Volksüberlieferungen  gründen,  was  ja  nicht  unmög- 
lich wäre«  (IIcTopifl  CjiaB.  .iHTepaTyi^-B,  CIlö.  II.  Ausg.  1S79,  p.  134. 
Deutsche  Uebers.  p.  177 — 180).  Es  sei  weiter  klar,  dass  Verkovic's 
Entdeckung  nichts  anderes  als  eine  Erfüllung  des  im  »IIoKasa.iei^'B« 
(1859)  und  in  der  »Ejn.rapcKa  CTapima«  von  Rakovski  aufgestellten 
Programms  sei.  Diesen  Standpunkt  vertheidigte  Pypin  in  Hauptstücken 
auch  später,  sowohl  in  einer  noch  zu  erwähnenden  Notiz  im  BicTHHK'B 
EnponLi  (Juli  1877,  p.  378 — 381),  als  auch  in  seiner  ausführlichen  Re- 
cension  von  Jirecek's  »Fürstenthum  Bulgarien«  (B.  EeponH,  1891,  No- 
vember, 302  fg.  »HoBaa  Kunra  o  Bojirapin«). 

Aehnlich  wie  Jirecek,  Jagic  und  Pypin  war  auch  Drinov  gleich 
anfangs  der  Meinung,  dass  Verkovic'  Be^a  CjiCBeiia  keinen  besonders 
guten  Eindruck  mache.  Zwar  zweifelt  er  nicht,  dass  die  in  ihnen  er- 
wähnten Gebräuche  und  Lieder  echt  sind  (gemeint  ist  nur  der  Fond 
derselben),  allein  sie  seien  unrichtig  aufgeschrieben  und  dazu  von  den 
Aufzeichnern  umgearbeitet  und  vervollständigt  worden  (Bp.  IlepHOii. 
CnncaHHe,  XI— XII,  152—157). 

Welchen  geradezu  panischen  Schrecken  die  Urtheile  der  Skeptiker 
im  Lager  der  orthodoxen  Gläubigen  hervorriefen,  kann  man  erst  jetzt 
aus  der  Correspondenz  Verkovic's  mit  Janko  Safarik  und  Chodzko 
sehen.  Verkovic  suchte  sich  zunächst  auf  Andrängen  seiner  Berather  in 
Belgrad  und  Paris  in  den  kroatischen  Zeitungen  Obzor  und  Nar.  Novine 
zu  rechtfertigen,  doch  der  Effect  war  nichtig.  Was  Verkovic  besonders 
schmerzen  musste  war,  dass  nicht  allein  der  moralische,  sondern  auch 
der  materielle  Erfolg  seines  Buches  compromittirt  war.  Der  slavische 
Veda  war  so  gewisserraassen  geächtet  und  fand  keinen  Absatz.  Der 
Herausgeber  contrahirte  Schulden,  um  den  Druck  bezahlen  zu  können 
—  eine  recht  missiiche  Lage!  Ein  Jeder  an  Stelle  Verkovic's  wäre  ver- 
zweifelt, er  aber  hielt  ziemlich  wacker  aus.  Er  schien,  trotz  der  wuch- 
tigen Schläge  gegen  seine  Veden,  an  eine  bessere  Zukunft,  an  eine  Ver- 
geltung zu  glauben,  und  er  behielt- —  Recht!  Es  geschah  das  Unglaub- 
liche.   Trotz  Josef  und  Constantin  Jirecek,  trotz  Jagic  und  Pypin,  Leger 


Glück  und  Ende  einer  berübuiten  literar.  Mystiücation:  BcÄa  O.ioBcua.      595 

und  Drinov,  schlug  die  Meinung  eines  Theiles  der  europäischen  (lelehr- 
ten  über  den  Slavischen  Veda  um  die  Wende  der  70  er  Jahre  unver- 
sehens um.  Der  Streit  über  die  Echtheit  der  ganzen  Sammlung  loderte, 
wenn  auch  für  kurze  Zeit,  von  neuem  auf. 

Chodzko  fand  zunächst  einen  würdigen  Nachfolger  in  G eitler, 
der  in  seinem  ganz  unkritischen  Werke  i» Poeticke  tradice  Thrakü  a 
Bulharü  (Prag  187S)  *)  mit  allem  Ernst  die  alten  Dozon'schen  Gründe 
für  die  Echtheit  der  Veden  vorbrachte.  Er  hatte  im  Jahre  1S75  Mittel- 
und  Westmakedonien  bereist,  doch  ein  tückisches  Fieber  verhinderte 
ihn ,  sich  nach  Seres  zu  begeben .  um  sich  von  der  Authenticität  des 
Verkovic'schen  Schatzes  zn  überzeugen.  Er  bekennt  oflenherzig,  zu  der 
Zeit  noch  gewisse  Zweifel  gehegt  zu  haben.  Erst  später,  als  er  Gelegen- 
heit hatte,  ein  grosses  Heft  von  nicht  weniger  als  16000  Versen  my- 
thologischer Lieder  durchzusehen,  die  Verkovic  der  Agramer  Akademie 
behufs  Kecension  gesandt  hatte,  wurde  sein  Skepticismus  wankend. 
Zwar  war  er  anfangs  in  grosser  Verlegenheit,  lange  konnte  er  sich  keine 
wissenschaftliche  Rechenschaft  über  den  ungeheuren  Schatz  geben;  mit 
Ausnahme  der  Sprache  und  des  Metrums  fand  er  ja  in  der  ganzen  sla- 
vischen Volkspoesie  nichts,  das  sich  annähernd  mit  dem  Veda  verglei- 
chen Hesse:  vor  allem  die  Mythologie  der  Lieder!  Welch'  Reichthum 
an  Hymnen,  die  ohne  jegliches  Bedenken  mit  den  altindischen  verglichen 
werden  könnten,  sowohl  nach  Umfang  und  Zahl,  als  auch  nach  ihrem 
poetischen  Werth  1  Aber  auch  andere  Bedenken  plagten  ihn.  Der  Sla- 
vische  Veda  machte  ihn  mit  einer  Cultur  bekannt,  der  nichts  Analoges 
in  der  übrigen  slavischen  Welt  entgegenstand.  Endgiltig  wurden  seine 
Zweifel  besiegt,  erst  als  er  das  seltene  Glück  hatte,  die  ganze  Verkovic- 
sche  Sammlung  (von  200 — 250i»0(i  Versen  durchzusehen.  Nun  war  er 
vollkommen  von  der  Authenticität  der  Sammlung  überzeugt.  Er  musste 
zwar  bekennen,  dass  der  schreiende  Titel  »Be^a  CiOBena«  ganz  unpas- 
send sei,  naiv  sei  auch  Verkovic's  Bekenntniss,  seine  grosse  Entdeckung 
vorgeahnt  zu  haben,  nicht  wenig  haben  die  Bedenken  der  wissenschaft- 
lichen Kritik  sowohl  die  gefälschten  Lieder  des  Serben  Milojevic,  als 
auch  die  indischen  Phantasien  des  Bulgaren  Rakovski  und  die  unwissen- 
schaftliche Vertheidigung  Chodzko's,  bestärkt,  allein  darin  besteht  eben 


1;  Es  sind  noch  zu  vergleichen  seine  zwei  Studien  im  Bd.  X  (1881,  der 
Wiener  Anthropol.  Ges.:  »Die  Sage  von  Orpheus-Orfen  der  Rhodope-Bulga- 
ren,  p.l65— 196  und  »Die  Juda  in  den  Mythen  der  Balkanvölkern,  p.  197— 2o2. 


596  I-  i^ismanov, 

das  grosse  Unrecht,  das  dem  Sammler  widerfahren  sei.  Man  habe  zu 
sehr  den  Schein  der  Analogien  gegen  ihn  sprechen  lassen.  Hätten  die 
Kritiker  Verkovic  persönlich  gekannt,  nie  wären  sie  auf  den  Gedanken 
gefallen,  ihn  der  Fälschung  zu  zeihen.  Verkovic  sei  kein  Fälscher:  er 
sei  weder  Dichter  noch  Gelehrter,  er  verstehe  seine  eigenen  Lieder 
nicht  1).  Wer  seine  wissenschaftliche  Methode  beurtheilen  will,  der  möge 
die  Feuilletons  der  Agramer  Nar.  Novine  aus  den  Jahren  1869 — 1870 
lesen,  wo  er  selbst  über  Zeit  und  Umstände  seiner  Entdeckung  referirt. 
Nichtsdestoweniger  schulden  wir  Verkovic  grösstes  Lob  und  Bewunde- 
rung, sein  Patriotismus  verdient  grösseren  Lohn,  als  den  ihm  die  Feder 
des  Schriftstellers  geben  kann.  Geitler  möchte  gewiss  den  sehen,  der 
ohne  jegliche  Hoffnung  auf  materielle  Belohnung  durch  volle  15  Jahre 
unermüdlich  unter  ungünstigsten  socialen  und  politischen  Bedingungen, 
ohne  Verkehr  mit  Gelehrten,  ohne  Geldunterstützung,  wohl  wissend,  dass 
das  erste  Mütterchen  aus  dem  Pomakenlande  den  ersten  besten  Reisen- 
den über  den  Werth  der  Sammlung  belehren  könne,  ein  solch'  giganti- 
sches Werk  zu  Ende  führen  könnte !  Nein,  Verkovic  war  kein  Fälscher. 
Höchstens  könnte  dieser  Verdacht  seinen  Hav^ptagenten,  Gologanov, 
treffen,  doch  der  Consul  Dozon  habe  ja  bewiesen,  dass  der  armselige, 
ungebildete  ehemalige  Dorfschullehrer  nie  im  Stande  gewesen  wäre,  eine 
so  grossartige  Masse  von  Liedern  zu  fabriciren :  » Die  Phantasie  eines 
Einzelnen«,  schliesst  Geitler,  »selbst  die  Phantasie  eines  sehr  begabten 
Menschen,  wäre  nicht  fähig,  alle  diese  Lieder  zu  erdichten  (f.  Vielleicht 
könnte  man  schliesslich  behaupten,  dass  an  dem  Werke  mehrere  Hände 
theilgenommen  haben,  vielleicht  eine  ganze  Gesellschaft?  Aber  Geitler 
verwirft  auch  diese  Hypothese,  denn  aus  der  ganzen  Sammlung  weht 
ein  Geist,  sie  ist  wie  aus  einem  Stück  gegossen  und  ist,  trotz  ihrer  Arier 
und  Orpheus',  volksthümlich.  Sie  hat  auch  den  Charakter  von  etwas 
Unvollendetem.  Man  sieht,  dass  sie  nicht  ganz  ist,  dass  vieles  verloren 
gegangen  und  vieles  noch  ungesammelt  sei ;  sie  macht,  mit  einem  Worte, 
denselben  Eindruck  wie  jede  Volksliedersammlung  im  Vergleich  mit 
einem  Kunstepos.    Doch  selbst  an  sich,  von  rein  ästhetischem  Stand- 


1)  Dieses  nicht  sehr  schmeichelhafte  Urtheil  scheint  Verkovid,  wie  aus 
der  vorliegenden  Correspondenz  erhellt,  sehr  verstimmt  zu  haben.  Dasselbe 
gab  den  Anlass  zum  endgiltigen  Bruch  zwischen  ihm  und  dem  gelehrten  Com- 
mentator,  der  einige  Zeit  sich  mit  dem  Gedanken  trug,  eine  wissenschaftliche 
Ausgabe  der  Veden  zu  wagen.  Geitler  hatte  viele  Unannehmlichkeiten  mit 
der  Sache. 


Glück  und  Ende  einer  berühmten  litenir.  Mystitication:  Beja  C.ioBeua.       597 

punkte  beurtheilt,  ist  » Be,T;a  C.iOBeiia «  eine  seltene  literarische  Erschei- 
nung, deren  Vater  ein  Genie  sein  müsste,  wie  es  unter  den  neubulgari- 
schen Schriftstellern  nicht  anzutreften  ist. 

Von  Geitler  direct  beeinflusst  und  angeregt,  versuchte  der  Ethno- 
loge Fl i gier  in  zwei  Artikeln,  erschienen  in  den  Mittheilungen  der 
Wiener  Anthrop.  Gesellschaft  (»Ethnologische  Entdeckungen  im  ,Rho- 
dope-Gebirge«,  Bd.  IX,  Nr.  7  u.  S,  Wien  1879,  und  »Neuere  ethnologische 
Entdeckung  auf  der  Balkanhalbinseh«,  Bd.X,  1S81)  den  slavischen  Veda 
für  seine  thrakische  Theorie  zu  verwerthen,  wobei  er  die  wunderlich- 
sten Combinationen  wagte  ^),  Der  zur  Eiklärung  einzelner  Stellen  auf- 
gewendete grosse  wissenschaftliche  Apparat  wirkt  leider  um  so  komischer, 
als  das  Object  an  sich  nichtig  ist.  Da  wir  bei  Fligier  sind,  möge  er- 
wähnt werden,  dass  der  Veda  der  Slaven  fast  um  dieselbe  Zeit  die  Ehre 
liatte,  noch  von  einem  anderen  Ethnologen  commentirt  zu  werden.  Der 
Mann  hiess  L.  Podhorszky  und  liess  in  den  Klausenburger  »Acta 
comparationis  litterarum  universarum«  (herausgeg.  von  Brassal  und 
Hugo  V.  Meltzl,  neue  Serie  1879,  Nr.  IV,  col.  55,  58)  einen  Aufsatz  ein- 
rücken (»Ein  Volksepos  aus  der  Steinzeit.  Erhalten  in  dem  bulgari- 
schen Epos  von  des  Sonnengottes  Ehe  mit  der  Wylkana.  Aus  der 
Höhlenperiode  [Troglodytenleben^  der  jetzigen  Slaven«),  worin  er 
Fligier  übertrumpft:  denn  Herr  Podhorszky  will  allen  Ernstes  darthun. 
dass  'lals  genanntes  Epos  gedichtet  wurde,  die  Südslaven  sammt  Kind 
und  Habe,  Könige  und  Pöbel,  in  Höhlen  gelebt  haben«  ^}.  Dieser  geist- 
reichen Hypothese  setzt  aber  einer  der  Herausgeber,  Hugo  Meltzl,  noch 
die  Krone  auf,  indem  er  in  einer  Anmerkung  ausführt,  dass  das  Lied 
von  des  Sonnengottes  Ehe  mit  der  W)'lkana  »Reminiscenzen  aus  der 
alten  Siutfluthsage«  enthalte.  «In  diesem  Falle  dürfte,  nach  Meltzl. 
dieser  turanisch-bulgariscbe  Mythus  älterer  Bestandtheile  sich  rühmen 
können,  als  selbst  der  mosaische  Bericht«.  Der  Aufsatz  Podhorszky's 
sei  aber  besonders  bedeutend,  »weil  er  den  Horizont  unserer  verglei- 
chenden Literatur  (!)  mit  einem  Schlage  bis  zur  Tertiärzeit  erweitere«. 

V>  Fligier  findet  in  dem  Veda  der  Slaven  eine  glänzende  Bestätigung 
seiner  Theorie,  dass  die  zahlreichen  thrakischen  Stämme  nicht  spurlos  ver- 
schwunden sind.  Geitler's  Buch  »Poeticke  tradice  etc.«  hatte  er  mit  grosser 
Freude  gelesen  und  besonders  war  er  frappirt  von  der  grossen  Anzahl  von 
Fremdwörtern  in  den  Veden,  die  er  mit  Geitler  unbedingt  für  thrakisch  hielt. 

-)  Noch  curioser  ist  des  Verfassers  Untersuchung  in  Nr.  V  desselben 
Bandes:  »Symmikta  zum  Volksepos  aus  der  Steinzeit»,  p.  55  fg. 

Archiv  für  slavische  Philologie.   XXV.  39 


598  !•  üisraanov, 

Aber  genug  des  Spasshaften,  denn  Verkovic  Latte  das  Glück,  noch 
einen  sonst  vorsichtigen  Vertheidiger  in  der  Person  des  russischen  Ge- 
lehrten Vsevolod  Miller  zu  gewinnen.  Wie  dies  geschah,  ist  schwer 
zu  errathen.  Aus  den  Briefen  kann  man  nur  so  viel  schliessen,  dass 
der  Herausgeber  des  Slavischen  Vedas  Miliern  von  Nil  Popov  empfohlen 
wurde.  Kurz  vor  dem  Ausbruch  des  russisch- türkischen  Krieges  hatte 
sich  nämlich  Verkovic  aus  Furcht  vor  den  Basibozuks  und  der  türkischen 
Polizei  nach  Russland  geflüchtet,  wo  er  mit  Jubel  aufgenommen  zu  wer- 
den sich  versprach.  Den  7.  Februar  1877  verliess  er  Seres,  reiste  über 
Salonichi,  Corfu,  Triest,  Agram  und  Belgrad  und  kam  in  Russland  um 
Mitte  Mai  an  i).  Um  diese  Zeit  dürfte  er  auch  in  Moskau  die  Bekannt- 
schaft Miller's  gemacht  und  ihm  seine  Sammlungen  vorgelegt  haben. 
Bald  erschien  auch  im  B'Scthhk'l  EßponBi  (1877,  Juli,  p.  364— 378)  ein 
längerer  Aufsatz  des  russischen  Gelehrten  unter  dem  Titel  »0  nicHHX'B 
MaKeAOHCKHxi.  öcjirapt  coöpaHHtix'L  BepKOBnqeMi.«  ^),  worin  der  Verf. 
zum  erstenmale  in  Russland  die  Frage  ernstlich  aufwirft:  »Sollen  wir 
Verkovic's  Sammlung  für  eine  jeder  Bedeutung  baren  Fälschung  halten, 
oder  sind  diese  Lieder  wirklich  Erzeugnisse  des  Volkes,  und,  in  diesem 
Falle,  welchen  Werth  haben  sie  für  die  slavische  Wissenschaft?  ^(  Indem 
Miller  Dozon's  Autorität  unangetastet  wissen  will  (niemand  könne  dem 
französischen  Forscher  bulgarenfreundliche  Gefühle  zuschreiben!),  be- 
sieht er  sich  das  weit  wichtigere  Zeugniss  der  Lieder  selbst  und  kommt 
zu  dem  Schluss,  »dass  nach  ihrgr  Lecttire  kaum  jemand  zweifeln  dürfte, 
dass  sie  wirklich  das  Eigenthum  der  makedonischen  Bulgaren  sind« 
(p.  368).  Die  Lieder  sind  unbedingt  echt,  nur  die  Interpretation,  die 
ihnen  Verkovic  gibt,  sei  falsch  (was  noch  Dumont,  Dozon,  Chodzko  und 
Geitler  behauptet  hatten).  Orfen  hat  nichts  gemein  mit  Orpheus.  Er 
hat  nichts  Slaviscbes  an  sich.  Orfen  ist  eher  mit  dem  finnischen 
Wäinamöinen  zu  vergleichen  (folgen  Belege),  wie  ja  der  ganze  slavische 
Veda  vielmehr  an  Kalevala  als  an  Rigveda  erinnert  s). 


1)  Hier  verblieb  er  bis  zum  Jahre  1S91.  Nur  den  Winter  1877  verbrachte 
er  in  Agram,  wo  er  in  nähere  Beziehungen  zu  Geitler  trat.  Er  war  nach  dem 
Ka'zaner  Archäolog.Congress  nach  Belgrad  gereist,  um  seine  Manuscripte  ab- 
zuholen, und  befand  sich,  als  er  sich  entschloss,  in  der  kroatischen  Haupt- 
stadt zu  überwintern,  wieder  auf  dem  Rückwege  nach  Petersburg. 

2)  Vgl.  JK.M.H.Üp.  1877,  CXCIII:  «SaiiiTfiK  no  nonojüy  CöopHUKa  Bep- 

KOBHia«. 

3)  Dass  Miller  noch  ein  Jahr  später  an  die  Authenticität  der  Veden 


Glück  und  Ende  einer  berühmten  literar.  Mj^stification  :  Bc;i;i  CjoBena.       599 

Miller's  Aufsatz  war  gewiss  eiu  ehrlich  gemeinter  Versuch  einer 
theilweisen  Rehabilitation  des  vermeintlichen  Fälschers  (obwohl  mit 
vollständiger  Aufopferung  seiner  wissenschaftlichen  Prätensionen  ,  allein 
dieser  Versuch  bezeichnet  gleichzeitig  auch  das  Ende  der  neuentfachten 
Campagne  zu  Gunsten  der  Veden.  Wie  wenig  eigentlich  Miller's  Aus- 
führungen in  Russland  selbst  Anklang  fanden,  sieht  man  am  besten  aus 
Pypins  kurzer  Notiz  zu  seinem  Aufsatz  (in  demselben  Hefte  des  B.  E. 
»0  TOMT,  ace«  p.  M78 — 381).  Pypin  ist  wohl  geneigt,  Dozon's  Autorität 
anzuerkennen,  er  ist  sogar  der  Meinung,  dass  die  Rhodope  noch  nicht 
in  jeder  Beziehung  erschlossen  sei,  allein  er  erwartet  von  neueren  Nach- 
forschungen nur  soviel,  dass  sich  möglicherweise  dabei  auch  einige 
Aufklärungen  über  den  slavischen  Veda  fänden,  der  wohl  einiges  auch 
dem  wirklich  bestehenden  Sagenmotive  entlehnt  haben  könnte.  Diese 
Ansicht  ist  aber  gewiss  weit  entfernt  von  Miller's  Glauben  an  die  unbe- 
dingte Echtheit  der  Vedalieder.  Uebrigens  musste  Verkovic  selbst  sehr 
bald  erfahren,  dass  ihm  Miller's  Vertheidigung  wenig  genützt  habe.  Er 
war  nach  Russland  gekommen  in  der  Hoffnung,  in  allen  Kreisen  be- 
geisterte Aufnahme  zu  finden ;  es  stellte  sich  aber  heraus,  dass  seine 
Widersacher  überall  die  Oberhand  hatten.  So  gleich  in  Petersburg,  w^o 
er  goldene  Berge  erwartete,  musste  er  von  dem  Geheimrath  Kornilov 
hören,  dass  er  nichts  für  ilm  thun  könne,  denn  Lamanskij  und  der 
Fürst  Vasilcikov  hätten  ihn  überall  als  einen  geraeinen  Charlatan  und 
Fälscher  verschrieen.  Eine  kleine  moralische  Befriedigung  hatte  wohl 
Verkovic,  als  er  zum  IV.  Archäologischen  Congress  in  Kazan  eingeladen 
wurde,  wo  er  in  einem  bulgarisch  verfassten  Referat  die  Mitglieder  mit 
seiner  Entdeckung  bekannt  zu  machen  versuchte  ^).  Allein  schon  aus 
der  von  Sreznevskij  versuchten,  leicht  ironischen  Wiedergabe  seiner 
von  niemandem  verstandenen  Worte,  hätte  er  begreifen  können,  wenn 
er  weniger  naiv  gewesen  wäre,  dass  seit  dem  Moskauer  Congresse 
manches  sich  zu  seinen  Ungunsten  in  den  russischen  Gelehrtenkreisen 
geändert  hatte.  Da  er  aber  dies  nicht  verstand,  bildete  er  sich  nach 
und  nach  ein,  das  Opfer  einer  fürchterlichen  Verschwörung  zu  sein,  an 
deren  Spitze  bald  Lamanskij,  bald  Drinov  stand.    In  den  langen  Jahren, 

glaubte,  siebt  man  aus  seinem  Aufsatz  »IIo  noBOÄy  TpoaHa  h  Eoana  u  Cjiovo  0 
Ho^iKV  HropeBi«.  :;iC.:M.H.np.  1878,  H.  12,  p.  239—269. 

1,  Abgedruckt  im  II.  Bande  der  Tpyju  des  Congresses  im  Original  mit 
russ.  Uebersetzung  von  M.  0.  l'etrovskij.  Vgl.  HaBtciiff  0  aaiuiTiHxt  leiBcp- 
Taro  apxco.i.  chisxsi  Bt  Kasauii.   Nr.  10,  21.  Sept.  1877. 

39* 


600  I-  ^israanov, 

die  er,  oft  unter  unsäglichen  Qualen,  in  Petersburg  unwillkürlich  ver- 
bringen musste,  gestaltete  sich  diese  Idee  zu  wahrem  Verfolgungswahn. 
Neben  ihr  bestand  nur  noch  der  Gedanke:  die  Mittel,  woher  es  auch 
sei.  zu  erlangen,  um  die  Authenticität  seiner  Veden  zu  beweisen,  auf 
dass  seine  zahlreichen  Feinde  endlich  zerschmettert  werden.  Es  würde 
mich  zu  weit  führen,  wollte  ich  alle  Schritte  schildern,  die  er  in  dieser 
Richtung  unternahm.  Einige  darunter  wären  geradezu  komisch  zu 
nennen,  wenn  zie,  leider,  nicht  gar  zu  traurig  wären.  Als  Verkovic 
z.  B.  an  alle  Thüren  von  Russland  und  Bulgarien  vergeblich  gepocht 
hatte,  entschloss  er  sich,  seine  Sache  einem  Amerikaner,  dem  bekannten 
Herausgeber  des  New  York  Herald,  James  Gordon  Benett,  anzu- 
vertrruen  mit  dem  Vorschlag,  Benett  möge  ihn  au  der  erstbesten  Esche 
oder  Buche  aufhängen,  sollte  eine  officielle  wissenschaftliche  Commission 
eonstatiren,  dass  der  Slavische  Veda  pure  Fälschung  sei  i).  Nachdem 
aber  der  praktische  Amerikaner  die  ihm  zugedachte  ehrenvolle  Mission 
barsch  abgewiesen  hatte  "^j,  wendete  sich  A'erkovic  nun  au  Kaiser  Wil- 
helm, an  Bismarck,  an  einen  österreichischen  Erzherzog,  doch  wurde  er 
auch  von  dieser  Seite  abgefertigt.  Eine  kleine  Besserung  in  seiner 
materiellen  Lage  trat  erst  ein,  als  er  den  H.  Band  seines  Veda  in  Peters- 
burg zum  Drucke  vorbereitete  ^).  Er  hatte  diesmal  das  Glück,  namhaftere 
Unterstützungen  in  Form  von  Subscriptionen  von  der  Kaiserlichen  Fa- 
milie und  von  anderen  hohen  Gönnern  zu  gemessen.  Aber  der  mora- 
lische Erfolg  des  Buches  war  noch  geringer,  als  der  des  ersten 
Bandes.     Selbst  in  Russland  schwieg  man   die  Ausgabe   todt.     Nur 


ij  »  Appicarmi  solennemente  al  11  primo  faggio  o  frassino  che  si  trovasse 
presse  il  luogo  ove  la  commissione  scientifica  terra  le  sue  adunanze  veri- 
ficatorie  alla  presenza  dl  tutta  la  popolazione  della  cittä  di  Nevrocopo  non 
che  dei  villagj  circonvicini«  etc.  heisst  ea  textuell  in  einer  mir  vorliegenden 
»Copia  della  memoria  scritta  a  un  americano,  James  Gordou  Benett« ,  vom 
26.  August  1883. 

2)  Er  Hess  kurz  antworten:  »II  signor  Benett  non  .  .  puo  sviarsi  dalla 
strada  battuta  sino  ad  oggi «. 

3)  Dieser  zweite  Band  erschien  mit  einem  1 1  Seiten  langen  russischen 
Vorwort  von  Verkovic  und  2  Seiten  franz.  avant-propos  im  Jahre  1881  unter 
dem  Titel:  »BeÄaC^roBenaxT.,  oöphähu  necHii  otb  nsuiecKO  sp-feMH  ynasemi  covctho 
npe^aHHe  npu  MaKeÄOHO-PoÄOncKii-Te  ExjTrapo-IIoMauH.  Coöpanii  h  iissaHU  Cre^a- 
HOMtHji.BepKOBHqeME.  Kaaraspyra.  Beaa  C-iaBflHi>.  OöpHAHwa  niCHM  jisu^ecKaro 
BpeMeHH  coxpaHHBmifl  cn  jcTHuwh  npeÄaHieMx  y  MaKcsoHCKuxt  ii  öpaKiiicKHxi. 
BojirapT.-noMaKOB%.  Co6pa.3i>  ii  iiSÄajix  CTC^aHt  H-i.  BepKOEHqx.  Tomt.  II.  Clle- 
lepöyprt.  XIV  +  583.    Enthält  gegen  15000  Verse. 


Glück  und  Ende  einer  berühmten  literar.  Mystification:  Beja  O-iOBCua.      601 

A.  Bykov  wagte,  soviel  mir  bekannt,  eine  längere  lobende  Recension 
in  den  C.IIeTepuYpreKia  BiAOMOCTii  (Nr.  230,  22.  Sept.  1S81].  Die 
ernsten  westeuropäischen  Gelehrten  waren  der  Meinung  Jagic's,  der  im 
Archiv  (VI,  p.  144,  Kleine  Mittheil.'  sieh  nur  mit  der  Hoffnung  tröstet, 
»dass  man  doch  nach  und  nach  herausfinden  wird,  was  alles  in  dem 
Buche  erlogen  (man  muss  geradezu  diesen  harten  Ausdruck  gebrau- 
chen) und  was  echt  sei«.  Verkovic  aber  6el  bald  in  die  frühere  Misere. 
Wenn  man  seinen  herben  Klagen  aus  jener  Zeit  (18S4)  glaubt,  wäre  er 
oft  dem  Hungertode  nahe  gewesen  ').  Aber  es  war  ihm  beschieden, 
noch  volle  sieben  Jahre  in  Russland  zu  verleben,  so  dass  seine  freiwillige 
Verbannung  fast  14  Jahre  dauerte  (von  187  7 — 1891)2].  Während  der 
Zeit  arbeitete  er  an  seinem  topographisch-ethnographischen  Werke  über 
Makedonien  '^],  das  vom  russischen  Generalstabe  herausgegeben  wurde. 
Nun  fühlten  auch  die  Bulgaren  ein  menschlich  Rühren.  Man  erinnerte 
sich  des  Armen,  Verlassenen  und  rief  ihn  als  Staatspensionär  zurück, 
wovon  weiter  unten. 

II. 
So  etwa  steht  die  Slavische  Vedafrage  heutzutage.  So  stand  sie 
im  Grossen  und  Ganzen  auch,  als  ich  mich  mit  ihr  zu  befassen  anfing. 
Und  ich  muss  bekennen,  dass  sie  mich  sehr  früh  anlockte,  sowohl  durch 
ihr  wechselvolles  Schicksal,  als  auch  durch  ihr  specielles  Interesse  für 
die  Geschichte  unserer  Ethnographie  und  Folklores.  Das  Problem,  das 
so  viele  hervorragende  Geister  beschäftigt  hatte,  schien  auch  mir  einer 
Untersuchung  werth,  umsomehr  als  Männer  wie  Jagic,  Pypin,  Drinov, 
trotz  ihrer  scharfen  Negirung  der  Veden  als  Ganzes,  bedingungsweise 

1)  Vgl.  besonders  seine  Broschüre  »CeMii.!iIiTuia  CTpaaaHifl:  (1 II.  BepKOBu>ia 
Et  PoccIh  1877 — 1884«.  »Alquante  volte  correvammo  il  pericolo  dl  morire 
da  fame«  klagt  er  auch  dem  Amerikaner  Benett. 

-)  Er  soll  während  dieser  Zeit  sich  und  seine  Familie  durch  den  Detail- 
verkauf seiner  slavischen  Manuscripte  erhalten  haben.  Hie  und  da  erschienen 
in  einzelnen  russischen  Zeitschriften  Fragmente  aus  seinem  ungedruckten 
Vedaschatz,  so  z.  B.  finden  wir  drei  lange  Lieder  »aus  dem  Trojacyclus«  in 
der  Ztschr.  »Jl^yv-h  Ccmbu«  (1891,  Januar,  Nr.  1,  p.  62—90).  Dem  Text  geht 
eine  recht  langweilige  Studie  von  einem  gewissen  Herrn  A.  Almazov  unter 
dem  vielsagenden  Titel  »CiOBAHCKaa  Hiifija«,  worin  lustig  auf  die  «patentir- 
ten  Gelehrten«  und  »stumpfsinnigen  Pedanten«  geschimpft  wird,  die  die  Echt- 
heit der  Veden  bezweifeln.  Bei  dieser  Gelegenheit  sei  bemerkt,  dass  auch 
ein  Herr  M.  Filippov  im  Feuilleton  der  Zeitung  »>IeuB«  (1889,  Nr.  534,  535) 
ähnliche  Ansichten  über  Verkovic's  Entdeckung  vorbringt. 

3    Tonorpa*.-3iuorpa'i'.  o^eput  MaKcjouiu.  CIIö.  1889. 


{)02  I-  Sismanov, 

anerkannten,  dass  die  Mystification  vielleicht  auf  einzelnen  Elementen 
echter  Volkspoesie  beruhe.  Aber  selbst  das  Factum  der  Fälschung  zu- 
gegeben, blieben  noch  immer  zwei  wichtige  Fragen  offen:  Wer  ist  der 
Fälscher  und  von  welchen  Motiven  liess  er  sich  wohl  in 
seinem  Werke  bestimmen?  Wie  aus  der  obenskizzirten  Evolution 
des  Processes  erhellt,  findet  man  gerade  auf  diese  zwei  Fragen  keine 
bestimmte  Antwort.  Als  Fälscher  hat  man  zu  verschiedenen  Zeiten  bald 
Verkovic,  bald  Gologauov,  bald  ein  Consortium  von  Lehrern  bezeichnet. 
Noch  unklarer  ist  man  sich  über  die  Motive  der  Mystification.  Und  so 
war  denn  auch  für  mich  so  manches  zu  thun  übrig.  Natürlich  theilte 
auch  ich  gleich  anfangs,  wie  so  viele,  die  Meinung,  dass  man  der  Sache 
nicht  anders  beikommen  könne,  als  durch  eine  Prüfung  an  Ort  und 
Stelle.  Der  Gedanke  an  eine  solche  Untersuchung  drängte  sich  mir 
förmlich  auf,  zumal  die  günstige  Stellung,  die  ich  damals  einnahm,  mir 
einen  Eingriff  in  die  baldige  Entscheidung  der  Frage  zu  gestatten 
schien.  Ich  war  erst  vor  kurzem  zum  Sectionsehef  im  Unterrichts- 
ministerium ernannt  und  hatte  das  Glück,  in  der  Person  des  seither 
verstorbenen  Georg  Zivkov  einen  für  bulgarische  Ethnographie  sich 
recht  warm  interessirenden  Minister  zu  entdecken.  Es  mag  in  dieser 
Beziehung  nur  darauf  hingewiesen  werden,  dass  der  auch  in  dieser 
Zeitschrift  oft  wohlwollend  besprochene  «CöopmiK'L  sa  napo^ini  yMOTBO- 
pemifl«  ohne  das  verständnissvolle  Entgegenkommen  dieses  Mannes 
kaum  hätte  ins  Leben  gerufen  werden  können.  Einer  so  thatkräftigen 
Unterstützung  sicher,  schien  es  mir  ein  Leichtes,  den  Gedanken  an  eine 
Verification  des  Slavischen  Yeda  zu  realisireu.  Es  fragte  sich  nur:  auf 
welche  Weise  und  durch  Aven  das  beabsichtigte  Experiment 
auszuführen  sei?  Es  waren  zur  Zeit  zwei  Lösungen  möglich:  ent- 
weder den  schwer  beschuldigten  Verkovic  selbst  mit  der  Führuug  einer 
von  ihm  unabhängig  orgauisirten  wissenschaftlichen  Expedition  zu  be- 
trauen, oder  fürs  erste  von  dem  hauptsächlichen  Interessenten  in  der 
Frage  gänzlich  abzusehen  und  die  Untersuchung  in  die  Hände  intelli- 
genter Pomaken  zu  legen.  Ersteres  entsprach  nicht  allein  dem  heissen 
Begehren  des  Petersburger  Märtyrers  selbst,  sondern  auch  dem  kate- 
gorischen Verlangen  einer  ihm  gutgesinnten  einheimischen  Presse,  die 
es  plötzlich  geradezu  für  eine  nationale  Schmach  ansah,  dass  mau  noch 
immer  zögere,  durch  die  Erfüllung  eines  berechtigten  Wunsches  Licht 
in  die  ganze  Frage  zu  werfen.  Und  so  wurde  denn  beschlossen,  Ver- 
kovic durch  eine  lebenslängliche  Pension  baldigst  in  die  Lage  zu  setzen. 


Glück  und  Ende  einer  berühmten  literar.  Mystification:  Beja  CjioBeua.       (J03 

selbst  die  Sache  seiner  Vertheidigiing-  in  die  Hand  zu  nehmen.  Eine 
diesbezügliche  ministerielle  Vorlage  wurde  von  der  Nationalversammlung 
mit  Wohlwollen  aufgenommen,  und  dem  mit  dem  Stigma  einer  Fälschung 
behafteten  Verkovic  wurde  am  S.  Dec.  IS90,  in  Betracht  seiner  hohen 
Verdienste  für  die  bulgarische  nationale  Sache  überhaupt  eine  jährliche 
Pension  von  3000  Francs  votirt. 

Allein  so  berechtigt  und  edel  der  Beschluss  des  Sobrauije  auch 
war,  es  konnte  mir  nicht  entgehen,  dass  diese  Lösung  der  Frage  nicht 
gerade  die  praktischeste  war.  Einen  Angeklagten  mit  der  Untersuchung 
seiner  eigenen  Aftaire  zu  betrauen,  war  ja  schon  an  sich  misslich,  noch 
schwerer  wogen  aber  die  Gründe,  dass  eine  officiell  ausgerüstete  Expe- 
dition kaum  etwas  auszurichten  im  Stande  wäre  in  Betracht  der  äusserst 
ungünstigen  localen  Verhältnisse  gerade  in  jenem  Tl.eile  der  Rhodope, 
die  uns  interessirt.  So  schien  mir  denn  die  zweite  oben  angedeutete 
Lösung  bessere  Gewähr  für  das  Gelingen  der  Untersuchung  zu  leisten. 
Noch  bevor  Verkovic  in  Bulgarien  eintraf,  wurden  denn  zwei  muhamme- 
danische  Bulgaren  aus  Ccpinska  Banja  in  der  Rhodope,  zwei  intelligente 
Pomaken,  die  dem  Ministerium  von  früher  bekannt  waren,  Mehmed 
Tumbev  und  Jusuf  Sinapov,  mit  der  geheimen  Mission  betraut,  sich 
in  einige  von  Verkovic  namentlich  angegebene  Ortschaften  jenseits  der 
bulgarischen  Grenze  zu  begeben,  Bekanntschaft  mit  einigeu  der  hypo- 
thetischen Sänger  der  Vedalieder  anzuknüpfen  und  durch  geschickte 
Fragen,  resp.  Vortragenlassen  der  Lieder,  festzustellen,  inwiefern  den 
Gewährsmännern  Verkovic's  Glauben  zu  schenken  sei. 

Die  jungen  Leute  nahmen  die  vertrauliche  Mission  gerne  an.  Nach 
etlicher  Zeit  erschienen  sie  jedoch  im  Ministerium,  um  über  das,  leider, 
sehr  negative  Resultat  ihrer  Untersuchung  zu  berichten.  Sie  hatten 
sich  den  24.  Sept.  1SS8  über  die  Grenze  begeben  und  fast  mit  Lebens- 
gefahr die  in  den  Veden  bezeichneten  Ortschaften  Elesnica,  Ribnovo. 
Skrebatno  und  einige  andere  besucht.  Nach  IS  Tagen  kehrten  sie  je- 
doch unverrichteter  Dinge  zurück.  Nur  in  Ribnovo  (BcAa  U^iOBena,  II, 
Vorwort  p.  X:  PnÖHHi^a)  trafen  sie  einen  gewissen  Said  Aga,  der  er- 
schrocken schien,  als  sie  ihn  über  gewisse  Lieder  befragten,  sonst 
aber  war  nirg-ends  eine  Spur  zu  finden  von  den  Verkovic'- 
schen  Sänge ru.  Nach  diesem,  trotz  seines  fragmentarischen  Ergeb- 
nisses, überzeugenden  Versuch  verliess  mich  der  Gedanke  au  die  Mysti- 
fication des  Slavi sehen  Veda  nicht  mehr,  und  ich  setzte  mir  nun  fest 
vor,  den  Fälscher  zu  eruiren.     Dies  führte  mich  natürlich  zunächst 


604  I-  feismanov, 

zum  Text  des  Veda  selbst  zurück,  den  ich  etwas  vernachlässigt  und  eher 
durch  die  Brillen  seiner  nicht  immer  competenten  Kritiker  angesehen 
und  beurtheilt  hatte.  Eine  nähere  philologische,  folkloristische  und 
ästhetische  Analyse  der  Vedalieder  überzeugte  mich  bald,  dass  die  be- 
geisterten Exclamationen  eines  Geitler  über  den  sprachlichen,  cultur- 
geschichtlichen  und  ästhetischen  Werth  derselben  rein  grundlos  sind, 
und  dass  wir  es  mit  einem  in  jeder  Beziehung  überaus  plumpen  Mach- 
werk zu  thun  haben,  jedenfalls  mit  dem  Erzeugniss  einer  poetisch  sehr 
mittelmässig  beanlagten  Seele.  Dies  einmal  erkannt,  konnte  ich  natür- 
lich mich,  trotz  der  entgegengesetzten  Behauptung  Dozon's  und  Geitler's. 
nicht  des  Gedankens  erwehren,  dass  der  bulgarische  Mac  Pherson,  Hanka 
oder  Sulakadzev  (vgl.  IlaMHTHHKH  ^tpesHeä  nHCbMeHHOCTii,  CXXVII)  ^] 
recht  wohl  ein  halbwegs  gebildeter  Dorfschullehrer  sein  könnte,  dass 
also  das  Signalement  ganz  gut  auf  den  einzigen  Lieferanten  des  Verko- 
vic,  den  von  Dozon  und  Geitler  als  geradezu  blöd  und  ganz  ungebildet 
hingestellten  Gologanov,  passen  könnte.  Wer  ist  also  Gologanov. 
was  ist  zunächst  wahr  an  den  Aussagen  über  seine  Person. 
Ist  er  wirklich  so  geistesarm  und  ungebildet,  dass  er  nicht 
im  Stande  gewesen  wäre,  geleitet  von  patriotischen,  eigennützigen  oder 
sonst  von  einem  der  Motive,  die  Pypin  in  seiner  interessanten  Studie 
i)Jlofl,fl,i,Jimi  pyiconiiceu  h  napcAHtixT,  n-ieoHtK  (üaivmTHHKii  ^pesH. 
.micLM.  CXXVII,  1S9S,  p.  98:  Mothbh  noAA^-ioKnb)  zusammengestellt 
hat,  den  Slavischeu  Veda  zu  erdichten  oder  zu  compiliren,  selbst 
wenn  er  an  Zahl  der  Verse  die  grössten  bisher  bekannten  Volks-  und 
Kunstepen  überstiege  -)  ?  Diese  Fragen  zwangen  mich,  in  persönliche 
Beziehungen  zu  dem  interessanten  Manne  zu  treten.  Bevor  ich  jedoch 
die  weiteren  Ergebnisse  meiner  Nachforschung  mittheile,  seien  mir  einige 


1)  Der  Vergleich  mit  dem  letzteren,  der  die  slavischeu  Runen  erfand, 
passt  wohl  besser.  Die  Fälschungen  eines  Mac  Pherson,  Hanka  oder  de  la 
Villemarque  (Barzaz-Breiz)  stehen  denn  doch  formal  und  inhaltlich  weit  über 
den  Veden ! 

2)  Dozon  und  Geitler  und  viele  Andere  haben  viel  Gewicht  gerade  auf 
dieses  Criteriuui  gelegt.  Die  ungeheuere  Quantität  des  Materials  hat  sie  voll- 
ständig irregemacht  über  die  Qualität  desselben.  Man  braucht  aber  nur  den 
ersten  Band  der  Veden  durchzusehen,  um  sich  gleich  zu  überzeugen,  dass  alle 
darin  enthaltenen  Lieder  Varianten  zweier  oder  dreier  Grundmotive  sind. 
Mit  einer  solchen  bequemen  Technik  war  es  gewiss  nicht  schwierig,  die  Veden 
bis  zu  300,000  Versen  zu  bringen,  welche  Zahl  sie  schon  im  Jahre  1877  erreicht 
haben  sollen ! 


Glück  und  Ende  einer  berühmten  literar.  Mystification:  Bew  CioucHa.       605 

Worte  gestattet  über  die  mittlerweile  versuchten  persönlichen  Be- 
mühungen Verkovic's,  um  den  Wahrheitsbeweis  in  seinem  Processe 
zu  erbringen. 

Der  «Petersburger  Märtyrer«  hatte  die  ihm  von  der  Nationalvor- 
sammlung bewilligte  jährliche  Pension  mit  Dank  angenommen  und  hatte 
sich  im  Mai  1891  in  Philippopel  niedergelassen,  wohin  seine  Familie 
noch  im  Jahre  ISSl  gezogen  war.  Lange  litt  es  ihn  jedoch  hier  nicht 
und  er  unternahm  einen  Ausflug  auf  eigene  Gefahr  und  Kosten  »ins 
dunkle  Gebiet  der  Rhodopei  (allenfalls  hütete  er  sich,  die  Grenze  zu 
tiberschreiten).  Aber  das  gehofi'te  Resultat  blieb  aus.  Da  übersiedelte 
er  nach  Sofia  und  wandte  sich  nun  an  das  Ministerium  mit  der  Bitte,  er 
möge  ofticiell  beauftragt  werden,  nach  den  Quellen  seiner  Veden  zu 
forschen,  und  man  willfahrte  seiner  Bitte  (war  er  doch  zurückberufen 
worden  unter  anderem,  um  die  Existenz  seiner  Lieder  zu  beweisen'.  Er 
wurde  zweimal  mit  einer  solchen  Mission  betraut  (während  der  Jahre 
1S91  und  1892).  Das  zweitemal  reiste  er  in  Begleitung  eines  der  besten 
Kenner  der  Rhodope,  des  seither  verstorbenen  Christo  Konstanti- 
no v.  und  hielt  sich  volle  20  Tage  im  Cepiuothal  auf.  Aber  auch  dies- 
mal —  vergebens.  In  den  zwei  ihm  von  Gologanov  bezeichneten  Dör- 
fern, Korovo  und  Dorkovo,  fand  er  keine  Spur  von  Sängern,  Namens 
Sülüman  Aga  und  Sali  Hasüv.  Ja,  er  musste  zu  seinem  grossen  Leide 
erfahren,  dass  der  Name  Sülüman  im  Cepiuothal  überhaupt  ungebräuch- 
lich und  unbekannt  sei  ^j.  Andere  Sänger,  die  er  aus  der  Gegend  von 
Nevrokop  erwartete,  kamen  nicht,  obwohl  er  jedem  —  im  Namen  des 
Ministeriums  —  1000  Francs  versprach,  der  ihm  mythologische  Lieder 
verschaffte!  Auf  der  Rückreise  passirte  ihm  noch  das  Unglück,  aus 
dem  Wagen  herauszufallen,  wobei  er  sich  ernste  Verletzungen  zuzog. 
Konstantinov  aber  bekam  den  bestimmten  Eindruck,  von  dem  er  mir 
kein  Hehl  machte,  dass  Verkovic's  Bemühen  ganz  aussichtslos  sei,  und 
dass  die  Regierung  gut  thäte,  nicht  weiter  ein  fruchtloses  Unternehmen 
zu  unterstützen.  Nach  einem  Jahre  war  Verkovic  todt.  Er  starb  den 
30.  Dec.  1893  und  wurde  auf  Staatskosten  begraben.  Das  Unterrichts- 
ministerium kaufte  alle  seine  Papiere.  Einen  grossen  Theil  seiner 
Correspondenz  aber,  die  sich  hauptsächlich  auf  die  Veden  bezog, 
hatte  er  mir  noch  während  seines  Lebens  anvertraut  2).  Er  wusste,  dass 

1,  Selbstbekenntniss  aus  einem  Brief  vom  23.  Juli  1S92. 

-]  Darunter  tindea  sich  hauptsächlich  eine  grosse  Anzahl  sehr  interes- 


GOß  I-  Sismanov, 

ich  mich  mit  der  Geschichte  seiner  Entdeckung  befasse  und  wollte  mir 
die  Aufgabe  in  jeglicher  Beziehung  erleichtern,  obwohl  ich  ihm  nicht 
verhehlte,  dass  auch  ich  zu  den  Zweiflern  gehöre.  Ich  habe  oben  ein- 
zelne Stellen  aus  dieser  Correspondenz  citirt,  aus  denen  man  sehen 
kann,  wie  wichtig  dieselbe  für  die  Geschichte  der  Veden  ist.  Doch  den 
grössten  Werth  bekamen  für  mich  die  Briefe  Gologanov's,  die  sich  in 
grosser  Anzahl  (gegen  400)  vorfanden  ').  Das  sind,  wie  man  sich  nach 
ihrer  theilweisen  Publication  überzeugen  wird,  keine  Briefe,  das  sind 
wahre  Anklageacte !  Aus  ihrer  Leetüre  gewinnt  man  nach  und  nach 
den  Eindruck,  einen  der  durchtriebensten  Erpressungskünstler  vor  sich 
zu  haben.  Und  was  diesen  Eindruck  bis  zur  Verblüffung  steigert,  ist 
der  Umstand,  dass  der  unerhörte  »Schwindel  volle  Decennien  vor  sich 
gehen  konnte,  ohne  dass  der  Beschwindelte  auch  den  leisesten  Verdacht 
schöpfte 2).  Man  fragt  sich,  wie  ist  eine  solche  Verblendung  möglich? 
Nun,  man  ist  hier  auf  einem  rein  psychopathologischen  Gebiete.  Ver- 
kovic  wollte  unbedingt  betrogen  werden  und  der  Betrüger  Hess  nicht 
lange  auf  sich  warten.  Der  Armselige  hatte  bald  nach  seiner  Etablirung 
in  Seres  die  unglückliche  Idee  gefasst,  die  Spuren  der  Thraker  und 
Makedonier,  koste  es,  was  es  auch  wolle,  aufzufinden.  Er  hatte  nach 
seiner  Art  theoretische  Studien  getrieben,  wie  man  aus  seiner  hinter- 
lassenen  Bibliothek  sehen  kann,  die  übrigens  nichts  von  einer  directen 
Einwirkung  unseres  Rakovski  auf  ihn  verräth.  Verkovic  war  eine  con- 
geniale  Natur  und  konnte  deshalb  ganz  wohl  selbständig  auf  die  ver- 
schrobenen Ideen  verfallen,  die  man  sonst  dem  Rakovski  zuschreibt, 
dass  nämlich  die  alten  Thrako-IUyrer  Slaven  waren  und  füglich  auch 
Orpheus  und  Alexander  der  Grosse  Slaven  gewesen  sein  müssen  und 
dgl,  mehr  3).    .Jeglicher  kritischen  Fähigkeit  bar,  hatte  Verkovic  manches 

santer  Briefe  von  Janko  SafaMk  (gegen  160),  die  auch  eine  gewisse  Bedeutung 
sowohl  für  die  politische  und  Culturgeschichte  Serbiens,  als  auch  für  die  Ge- 
schichte der  Slavistik  besitzen,  Briefe  von  Burnouf,  Dumont,  Dozon,  Chodzko. 
Geitler,  Hilferding,  Miklosich,  Racki,  Ljubic,  Velimir  Gaj,  Nil  Popov  u.  and. 

1)  Es  ist  Schade,  dass  wir  nicht  auch  die  entsprechenden  Briefe  Verko- 
vic's  besitzen.  Gologanov  soll  sie  alle,  1876,  aus  Furcht  vor  der  türkischen 
Polizei  vernichtet  haben.  Sonst  wäre  es  interessant  zu  sehen,  wie  Verkovic 
nach  und  nach  den  Fälscher  indirect  zum  traurigen,  aber  lucrativen  Geschäfte 
förmlich  trieb  und  erzog. 

-)  Erst  kurz  vor  seinem  Tode  schien  er  in  seinem  Glauben  an  Gologanov 
wankend  geworden  zu  sein.  In  einem  Briefe  nennt  er  ihn  geradezu  »Judas 
Ischariot«  und  wirft  ihm  Treulosigkeit  vor. 

3)  Dies  schliesst  jedoch  nicht  die  Möglichkeit  aus,  dass  Verkovic  mit 


Glück  und  Ende  einer  berühmten  literar.  ^fy8tification :  Bcaa  CjoBcua.      6()7 

gelesen,  ohne  es  recht  zu  assimiliren.  Da  kam  er  eines  Tages  auf  den 
verhängnissvollen  Gedanken,  hohe  Geldprämien  für  gewisse  ethnogra- 
phische Materialien  auszuschreiben.  Man  sollte  zunächst  nach  Liedern 
von  Alexander  dem  Grossen  und  Philipp  nachforschen.  P'iir  ein  Orphens- 
lied  versprach  er  sogar  10  Dukaten 'j.  Zehn  Golddukaten  I  Bedenkt 
man,  dass  diese  Summe  zu  jener  Zeit  ein  Capital  darstellte,  so  kann  es 
niemanden  verwundern,  dass  die  gewünschten  Lieder  nicht  lange  auf 
sich  warten  Hessen.  Gelegenheit  macht  Fälscher,  wie  Diebe.  Es  fand 
sich  auch  bald  ein  Schlaumeier,  der  die  Exploitation  einer  so  reichen 
Mine  in  die  Hand  nahm,  und  nun  ging  das  Geschäft  flott.  Es  wurde 
losfabricirt.  Was  sich  auch  Verkovic  wünschte,  war  da.  Dank  der  my- 
steriösen, meist  steinalten,  lichtscheuen  und  fürchterlich  fanatischen 
Pomaken,  die  merkwürdigerweise  nur  vor  Gologanov,  nie  vor  Verkovic 
singen,  resp.  recitiren  wollten  2].  Mit  der  Nachfrage  wuchs  natürlich 
das  Angebot  —  und  welches  Angebot !  Zur  Entschuldigung  Gologanov's 
muss  man  jedoch  anerkennen,  dass  die  Absurdität  seiner  Fabrikate 
ohne  den  Köhlerglauben  eines  Verkovic  undenkbar  wäre.    Selbst  das 


Rakovski's  Fantasien  gut  bekannt  war.  Er  muss  jedenfalls  dies  oder  jenes 
seiner  Werke  besessen  haben,  wie  aus  gewissen  Briefen  Gologanov's  erhellte. 
So  bittet  dieser  im  März  ISTl:  »Schicken  Sie  mir  wieder  eine  Zeitung  und 
jenes  Buch  von  Rakovski«.  Er  wiederholt  vergeblich  die  Bitte  noch  den 
10.  Mai,  18.  u.  27.  Oktober  desselben  Jahres  und  den  30.  Januar  1872.  Den 
2S.  Febr.  d.  J.  berichtet  er  endlich,  das  gewünschte  Buch  erhalten  zu  haben. 

1)  Vgl.  das  Vorwort  zum  I.  Bd.  des  Veda.  Noch  ausführlicher  in  den 
obencitirten  Feuilletons  der  Agramer  Narodne  Novine,  N.N.  295,  296,  297  u. 
299.  Als  grössten  und  glänzendsten  Tag  in  seinem  Leben  bezeichnet  Verko- 
vic den  S.August  1865.  da  ihm  ein  kleines  Lied  '22  Verse)  von  Philipp  von 
Makedonien  gebracht  wurde  (den  I.März  desselben  Jahres  hatte  er  nota  bene 
die  Bekanntschaft  Gologanov's  gemacht!).  Später  bekam  er  ein  ganzes  Epos 
über  die  Wanderung  der  Slaven.  was  eine  Bestätigung  einer  von  ihm  5  Monate 
früher  ausgesprochenen  Conjectur  war.  Gar  als  das  »Orpheuslied«  entdeckt 
wurde,  war  er  überglücklich.  Als  Gologanov  mit  der  Einsendung  desselben 
etwas  säumte,  fühlte  er  sich  nniedergeschlagener  als  Napoleon  bei  Waterloo». 
Das  merkwürdigste  an  der  Sache  war  natürlich,  dass  sich  alle  seine  Ahnungen 
bewahrheiteten. 

2)  Ausser  den  Andeutungen  Verkovic's,  seinen  eigenen  Inspirationen 
und  Schulreminiscenzen,  folgte  Gologanov  den  theoretischen  Ausführungen 
eines  Rakovski  und  scheint  sich  daneben  mit  der  Geschichte  Venelin  s  be- 
fasst  zu  haben.  Es  findet  sich  ein  Brief  von  Gologanov  vom  8.  Nov.  1870, 
worin  es  heisst :  »Ein  Werk  von  Rakovski  habe  ich  nicht,  mir  haben  sie  die 
Geschichte  Venelin's  BcHO-iiieBa  ucTopua,  gegeben«. 


608  !•  ^ismanov, 

verlockende  Gold  hätte  den  Fälscher  wenigstens  vor  der  Erfindung  der 
vermeintlichen  thrakischen  Sprachreste  (wie  nina,  unal,  veta,  vetisa, 
chruj,  sefita,  udita,  sanita,  dia,  prena  etc.)  abgehalten,  wenn  sich  Ver- 
kovic  einen  Moment  besonnen  hätte.  Aber  der  naive  Mann,  der  an 
Offenbarung  und  Eingebungen,  an  innere  Stimmen  und  Träume  glaubte 
(in  seinen  hiuterlassenen  Papieren  finde  ich  eine  grosse  Anzahl  von 
Traumdeutungen  und  prophetischen  Träumen  ^],  konnte  nicht  an  seiner 
hohen  Mission  zweifeln,  die  ihm  von  Gott  auferlegt  war  und  an  die  ihn 
besonders  Janko  Safarik  lange  Zeit  glauben  machte:  der  slavischen 
Welt  ein  monumentum  aere  perennius,  eine  Iliade,  einen  Rigveda  zu 
schenken,  umsomehr,  als  ja  alles  nach  seiner  vorgefassten  Idee  ging  2). 
Dafür  sorgte  schon  Gologanov,  der  sowohl  nach  seiner  Correspondenz, 
als  auch  nach  dem  Curriculum  vitae,  das  ich  von  ihm  erhielt,  bei  weitem 
nicht  so  harmlos  zu  nehmen  war,  als  es  Dozon  wollte.  Ich  habe  oben  an- 
gedeutet, dass  ich  mich  eines  Tages  an  ihn  wandte  und  zwar  mit  einer 
Reihe  von  Fragen,  die  ohne  meine  Absicht  zu  verrathen,  hauptsächlich 
Dozon's  Meinung  über  seine  Person  berichtigen  sollte.  Dies  war  zur 
Zeit,  als  mir  seine  Briefe  noch  nicht  vorlagen.  Wie  gross  war  meine 
Ueberraschung,  als  ich  bald  von  Gologanov  selbst  erfuhr  (er  schrieb  mir 
einen  langen,  recht  interessanten  und  in  sprachlicher  Beziehung  correc- 
ten Brief),  dass  er  einen  verhältnissmässig  sorgfältigen  Unter- 
richt in  einer  griechischen  Schule  genossen  habe,  und  man 
weiss,  welcher  Werth  in  diesen  Schulen  auf  Mythologie  gelegt  wurde  ^) ! 


1)  Auch  in  dieser  Beziehung  scheint  ihn  Gologanov  exploitirt  zu  haben. 
Er  kannte  die  Schwächen  seines  Freundes  und  theilte  ihm  seinerseits  öfters 
solche  Träume  mit. 

-)  Die  Vermuthung,  dass  Verkovic  mit  seinen  Veden  rein  geschäftliche 
Zwecke  verfolgt  habe,  ist  abzuweisen.  »Die  Ehre  ist  theuerer  als  das  Leben« 
heisst  es  in  einer  Denkschrift  an  den  Director  des  asiatischen  Departements 
in  Petersburg,  Lisovskij,  v.  17.  Oct.  1S89,  worin  Verkovic  erklärt,  warum  er 
mit  solchem  Ungestüm  eine  Revision  seines  Processes  betreibt.  In  einem 
Briefe  klagt  er  einmal  bitter,  dass  ihm  seine  Frau  unausgesetzt  vorwerfe, 
sein  ganzes  Vermögen  für  seine  Entdeckung  ausgegeben  zu  haben.  »Wo 
sind",  fuhr  sie  ihn  an,  »die  60,000  Francs,  die  du  dir  mit  den  Antiquitäten  er- 
worben hast,  und  die  6000  Golddukaten,  die  du  von  der  serbischen  Regierung 
erhieltest?  .  .  .  Diese  ganze  ungeheuere  Summe  hast  du  dem  Golo- 
ganov und  den  Pomaken  gegeben«,  was  auch  die  pure  Wahrheit  war. 

3;  Jovan  pop  Ilijev,  genannt  Gologanov  (diesen  Namen  gab  ihm  Verko- 
vic), warinTrlis  bei  Nevrokop  lSä9  geboren,  lernte  zuerst  in  seinem  Ge- 
burtsorte, sodann  1853  inProsocen  [Kreis  vonDrammaj  und  1856  in  Alistratik, 


Glück  und  Ende  einer  berühmten  literar.  Mystification :  Boja  CjioBcaa.       609 

Weiter  wurde  mir  klar,  dass  der  zweifelhafte  Ruhm,  die  Veden  vom 
Munde  des  Volkes  gesammelt  zu  iiabeu,  ausschliesslich  ihm  gehtire'j. 
Zum  Beweise  dafür  schickte  er  mir  einige  Lieder,  die  er  nach  Verkovic's 
Uebersiedelung-  nach  Russland  ))gesammelti(  hatte.  Man  muss  dem 
Manne  auch  Recht  geben.  Alle  diese  Proben  tragen  nach  Form  und 
Inhalt  den  Charakter  seiner  übrigen  Fälschungen.  Uebrigens  bedurfte 
es  für  mich  dieses  Beweises  nicht,  denn  auch  aus  den  Manuscripten,  die 
mir  vorliegen,-  überzeugte  ich  mich,  dass  Verkovic  sich  stets  begnügt 
hat,  Gologanov's  Texte  ohne  die  geringste  Aendernng  abzudrucken. 
Selbst  die  Commentare  und  einzelnen  Erklärungen  gehören  nicht  ihm, 
sondern  seinem  Famulus. 

Aber  aus  den  Verkovic'schen  Papieren,  zu  denen  ich  zurückkehre, 
erfuhr  ich  noch  Besseres".  Gologanov  entpuppte  sich  mir  unvermuthet 
aucli  als  —  Originaldichter!  Ich  fand  nämlich  ein  altes  Heft  aus 
der  ersten  Entwickelungsperiode  des  Fälschers,  worin,  ausser  verschie- 
denen authentischen  Volksliedern,  auch  ein  »mythologisches«  Gedicht 
von  ihm  erhalten  ist.  Zwar  hat  dieses  Kind  der  sehr  nüchternen  Muse 
Gologanov's  nicht  den  geringsten  poetischen  Werth,  aber  schlechter  ist 
es  gewiss  nicht,  als  die  gesammten  Vedalieder,  die  ja  im  Grossen  und 
Ganzen  aueh  ein  Erzeugniss  der  Gologanov'schen  Dichtkunst  sind  -). 


wo  er  die  für  jene  Zeit  blühende  griechische  Centralschule  besuchte.  Bis  1868 
war  er  Lehrer  in  Krusovo,  von  1868 — 1S78  hielt  er  hier  einen  Krämerladen 
f Schreiber,  scribe,  Verkovic's  war  er  aber  nie).  Von  1879 — 188.'i  lelirte  er 
wieder.  Nach  1883  zog  er  sich  von  der  Schule  zurück.  Seine  Lieblingsbe- 
schäftigung war  jetzt  die  Leetüre  der  altgriechischen  Classiker  und  vor- 
züglich Homer's.  Gologanov  starb  im  Rufe  eines  ausgezeichneten  Kenners 
des  Altgriechischen.  Einem  solchen  Manne  konnte  die  Gestalt  eines  Orpheus 
gewiss  nicht  fremd  sein.  In  einem  Briefe  vom  18. März  1868  schreibt  er:  »Das 
Lied  von  Orpheus'  Tod  ist  auch  nach  meiner  Meinung  vor  die  Alexanderlieder 
zu  setzen,  weil  man  nicht  weiss,  wann  Orpheus  gestorben  ist;  nach  der  grie- 
chischen Mythologie  hat  er  lange  auf  Erden  gelebt«.  — 

1)  Auch  in  dieser  Beziehung  straft  Gologanov  Dozon  Lügen,  denn  ihm 
war  es  doch  nicht  ganz  uninteressant,  was  mit  seinen  Materialien  geschieht. 
Noch  im  Jahre  186S  schreibt  er:  »Der  Redacteur  des  ,Svetovid*  wird  das 
Orpheuslied  drucken:  ich  bitte  daher,  wenn  es  erscheint,  es  mir  zuschicken 
zu  wollen«.  Dies  scheint  denn  doch  nicht  einem  »blöden«  Phonographen 
ähnlich ! 

■-)  Von  diesem  Gedicht  ist  schon  in  den  ersten  Briefen  Gologanov's  an 
Verkovic  die  Rede:  »Ein  mythologisches  Gedicht  habe  ich  verfasst, 
wenn  es  Ihnen  «rut  scheint,  schreiben  Sie  mir.  ich  habe  noch  3—4  solche« 


610  I-  Öismanov, 

Und  damit  wollen  wir  abscbliessen.  Die  Einzelbeweise  für  die  hier 
vorgebrachten  Behauptungen,  die  besonders  in  der  Correspondenz  des 
Mystificators  enthalten  sind,  kann  ich,  wie  schon  oben  erwähnt,  hier 
nicht  liefern.  Sie  werden  andernorts  und  in  ergiebiger  Anzahl  vorge- 
legt. Aber  auch  aus  den  bisherigen  Ausführungen  kann  Jeder  den 
Schluss  ziehen,  dass  die  Vedafrage  an  sich  nur  mehr  als  Object  des 
Literarhistorikers  bestehen  kann,  folglich  müssen  auch  die  Rufe  nach 
einer  speciellen  Durchforschung  der  Rhodope  behufs  einer  Verification 
der  Veden  aufhören.  Es  mögen  auch  die  bisherigen  fruchtlosen  Ver- 
suche in  dieser  Richtung  genügen  i).  Der  Streit  über  die  Echtheit  des 
Slavischen  Veda  kann  füglich  als  abgethau  gelten.  —  selbst  wenn  es  sich 
herausstellen  sollte,  dass  dies  oder  jenes  kleinere  Lied  aus  Gologanov's 
Officine  (dem  Hinterstübchen  seines  Krämerladens  und  Weinschanks  in 
Krusovo)  »ins  Volk«  geschmuggelt  wurde,  was  ja  nicht  ganz  un- 
denkbar ist.  Möglicherweise  war  der  schlaue  Mystificator  doch  so  vor- 
sichtig, seine  Missethat  wenigstens  vor  Fremden  (vor  Verkovic  brauchte 
er  nicht  zu  fürchten!)  durch  ein  paar  falsche  Zeugen  halbwegs  decken 
zu  können  2) ! 


(Brief  vom  26.  April  1865).  »Ich  schicke  Ihnen  noch  ein  Lehrgedicht, 
wie  auch  ein  mythologisches  Lied  mit  der  Bitte,  sie  baldigst  in  einer 
Zeitung  veröffentlichen  zu  wollen«  (10.  Mai  1865). 

1)  Soviel  mir  bekannt,  haben  bisher,  ausser  Dozon,  Verkovic  selbst  und 
meine  Pomaken,  folgende  Personen  versucht,  das  »Mysterium«  der  Veden  an 
Ort  und  Stelle  zu  lüften  •  Syrku,  der  unlängst  verstorbene  Prof.  Kacanovskij 
und  der  ehemalige  russische  Viceconsul  in  Adriauopel,  Lisin. 

2)  Hoffentlich  wird  man  sich  auch  in  Bulgarien,  wo  es  begreiflich  noch 
recht  Viele  gibt,  die  an  die  Existenz  der  Veden  glauben,  resignirt  beruhigen. 
Als  ich  eines  Tages  die  Resultate  meiner  Recherchen  dem  Dichter  Vazov 
mittheilte  und  er  sich  beeilte,  dieselben  in  einer  poetischen  Beschreibung  der 
Rhodope  zu  verwerthen  (CöopHUKx  sa  nap.  yivioTBop.  VIII,  p.  71 — 75)  regte  sich 
gleich  das  Gefühl  mancher  Patrioten,  die  es  nicht  fassen  konnten,  dass  die 
rühmlichen  Veden  das  Werk  eines  gemeinen  Fälschers  seien.  Vollends  als 
man  den  Namen  des  Mannes  erfuhr,  geriethen  Manche  ausser  Rand  und  Band. 
Das  Organ  des  Exarchats  in  Constantinopel,  »Hobhhh»,  öffnete  (1893)  seine 
Colonnen  einem  Jeden,  der  etwas  über  die  Vedalieder  auszusagen  hatte.  Es 
wurde  eine  regelrechte  Enquete  organisirt,  aber  auch  diesmal  war  das  Re- 
sultat nichtig.  Gologanov  sah  sich  gezwungen,  sich  in  einem  laugen  Briefe 
zu  rechtfertigen,  doch  überzeugte  er  Niemand.  Selbst  die  wohlwollende  Re- 
daction  war  ganz  enttäuscht.  Alles  was  man  fand,  war,  dass  ein  kurzes  Lied 
von  «Jurfen  Junak«  in  Krcovo  und  in  einem  von  Gologanov  bezeichneten 
Rhodopedorfe  fSkrebatno)  gesungen  wird,  allein  bei  näherer  Nachforschung 


Glück  und  Ende  einer  berühmten  liteiar.  Mystification :  Be;ia  Cioneiia.       (511 


ergab  es  sich,  dass  der  einzige  Sänger  und  Imi>ortenr  des  Liedes  in  Ökrebatno, 
der  weitgereiste  und  schriftkundige  DimoTaskov,  dasselbe  irgendwo  und 
von  irgendwem  abgeschrieben  hatte.  Ein  gewisser  I.  S.  in  Nevrokop  be- 
hauptete (IIonuiiii  '2(t.  Juli  1893),  ilas  Lied  sei  in  Skrebatno  erst  mit  dem  ersten 
Bande  der  Veden  erschienen.  Dieser  Meinung  war  auch  der  OrtsschuUelirer. 
Da  jedoch  die  Abschrift  aus  dem  Jahre  1869  sein  soll,  so  ist  es  möglich,  dass 
ihr  die  Moskauer  Ausgabe  des  Orfenliedes  vorlag,  wenn  wir  es  nicht  mit 
einem  der  hypothetischen  falschen  Zeugnisse  Gologanov's  zu  thun  haben. 
Wundern  würde  es  mich  jedenfalls  nicht,  wenn  selbst  einzelne  Pomaken  für 
nicht  allzu  theueres  Geld  von  Gologanov  in  diesem  Sinne  gedrillt  wurden. 

/.  iSihyianov. 


Zur  Literatur  der  «Fragen  und  Antworten«. 


In  der  letzten  Zeit  bat  die 
Bearbeitung  der  in  der  alten  kir- 
chenslavischen  Literatur  sehr  po- 
pulär gewesenen  Form  von  Ab- 
handlungen unter  dem  Titel  »Fra- 
gen und  Antworten (f  eine  neue, 
viel  Erfolg  versprechende  Rich- 
tung genommen,  Dank  den  Be- 
mühungen des  verstorbenen  Kras- 
noselcov  und  jetzt  Dr.  Nach- 
tigall's.  Jetzt  gibt  man  sich  damit 
ab,  um  die  Eintheilung  der  »Fra- 
gen und  Antworten«  in  einzelne 
Kategorien  zu  bestimmen  und  um 
die  ursprüngliche  Form  dieser  Ka- 
tegorien auf  Grund  der  Verglei- 
chung  der  verschiedenen  Texte 
unter  eiuauder  und  mit  den  grie- 
chischen Vorlagen  herauszufinden.  Alles  das  halte  ich  zwar  für  sehr 
nothwendig,  doch  sollte  man  dabei  nach  meinem  Dafürhalten  auch  die 
andere  Seite  der  Sache  nicht  ausser  Acht  lassen,  nämlich  die  culturelle 
Bedeutung  dieser  Producte,  mögen  sie  nun  in  ursprüngliclier  Form  oder 


{A^w<- 


'c-c^i^y^ 


012  K.  Radcenko, 

in  späterer  Umaibeitung-  und  Erweiterung  vorliegen.  Diese  Producte 
kennzeichnen  im  merkwürdigen  Grade  das  Culturniveau  des  Publicums, 
bei  dem  sie  populär  waren.  Doch  nicht  genug  an  dem.  Es  unterliegt 
keinem  Zweifel,  dass  auch  die  Bogomilen  sich  dieser  Form  der  literari- 
schen Behandlung  des  Stoffes  zur  Verbreitung  ihrer  religiösen  Lehren 
bedient  haben.  Allerdings  sind  in  den  bisher  bekannten  Texten  der 
»Fragen  und  Antworten«  nur  schwache  Spuren  der  bogomilschen  Pro- 
venienz nachzuweisen,  allein  bei  der  hartnäckigen  Bekämpfung  der 
Bogomilen  seitens  der  orthodoxen  Geistlichkeit,  der  auch  die  weltliche 
Macht  zur  Seite  stand,  die  die  Ausrottung  ihrer  Werke,  des  haeretischen 
Inhalts  wegen,  zur  Folge  hatte,  müsste  man  sich  eigentlich  wundern, 
wenn  sich  viel  davon  erhalten  hätte.  Besonders  hat  es  den  Anschein, 
dass  die  Bogomilen  für  ihre  religiösen  Zwecke  sich  der,  die  einzelnen 
Stellen  der  heil.  Schrift  allegorisch  deutenden  Fragen  gerne  bedient 
haben,  um  diese  in  ihrem  Sinne  auszubeuten  und  auch  eigene  Fragen 
hinzuzufügen.  Von  der  Neigung  der  Bogomilen  zur  Erklärung  der 
heil.  Schrift  im  allegorischen  Sinne  im  Geiste  ihrer  Lehre  spricht  Pres- 
byter Kosmas  ^)  und  Euthymius  Zigabenus,  Darum  verdienen  nach 
meinem  Dafürhalten  die  eine  allegorische  Deutung  der  heil.  Schrift  ent- 
lialtenden  «Fragen — Antworten«  besondere  Beachtung  seitens  der  For- 
scher, auch  ganz  unabhängig  von  der  Entstehungszeit  der  einzelnen 
Texte.  Ja  es  ist  die  Hoffnung  nicht  ausgeschlossen,  dass  nach  der  Zeit 
neue,  mehr  Bogomilisches  enthaltende  Texte  aufgefunden  werden.  Das 
kann  man,  wie  es  mir  scheint,  von  zwei  Reihen  der  Fragen  und  Ant- 


1)  ....  cjtsimame  60  CBaHrejuCTbi  BCJier.TacHO  nponoBtAaioma  ^iiOAeca  roc- 

noÄHH,  pasEpamaioxt  h ,  rjiarojiiome :  »Hicib  XpiiCTOCT>  cjiina  npocBii'KJi'b,  hu 

xpoiia  He  iicuijni.iT)  .  .  .  .  uo  npiiitia  to  cyxt .  .  .  .  rpixbi  60,  piuia,  ui^eHLui 
k;iochi.mh  60  CBaHrejiHcni  no.io-,Kiima;  weiter  führtKosmas  die  allegorische  Deu- 
tung des  Wunders  mit  5  Broten  seitens  der  Bogomilen  an  (S.  108,  vergl.  noch 
S.  83,  95,  97,  99,  lüO).  Aus  den  von  Zigabenus  mitgetheilten  bogomilischen 
Deutungen  der  heil.  Schrift  (vergl.  S.  35— 44  ed.Gieselerj  führe  ich  eine  Stelle 
an,  die  in  einer  Belgrader  Handschrift  der  Fragen  und  Antworten  eine  Pa- 
rallele hat:  M?!  (fwTf,  (prjixi,  to  ayiov  toi;  xvai  etc.  .  .  .  Z4yiov  fxif  Xiyovai 
ZTjy  xai'  ttvTohg  unlovart^av  niffiii',  /nagyaonas  &£  tu  fAvaziy.ansQa  y.ui  no- 
kvieXiaTSQa  &6y/uaTc<  T^<r  n'kuvrig  avxiav   xivag  St  y.cd  y^o'iQovs  ....  To'vg  xctit' 

C  3  C  j  /  CM  'C  'C'  "■ 

7,fjc(g  svasßeh,  wi-  aiöwloXcnQccg  ....  (S. 41),  vergl.:  Btnpo:  qip  e  iie  aasuie  Crro 

XU  T 

n^coM  ,  Hii  oHCCpB  BäuiH  n^A  CBUHiaMU.  wBi.  neu  iiapuqeTt  HCEip^uLie,  cbThTc 
jKe  BipuH,  HB  uMsutiu  CKEpBHo  aciTio,  a  eace  hg  «aauie  cxro,  lauHBi  6roc;ioBia 
pe  fla  He  peuiu  HCBipiis,  öucep   Hce  oyicHie  ctmu  nucauiu. 


Zur  Literatur  der  »Fragen  und  Antworten«.  (3  j  3 

Worten  behaupten,  die  in  der  Handschrift  Nr.  188  des  Zographos- 
Klosters  enthalten  sind.  In  keiner  von  diesen  Reihen  kann  man  irgend- 
welche von  den  von  Dr.  Nachtigall  auscinandergehaltenen  Kategorien, 
also  Adamfragen,  Ephraim's  Paränesen  oder  das  Gespräch  der  drei 
Heiligen  in  ursprünglicher  Fassung  entdecken.  In  der  ersten  Reihe 
stellen  die  Fragen  1 — 3,  5 — 8  eine  gemischte  Redactiou  der  Adam- 
fragen dar,  13  und  vielleicht  19  sind  ans  dem  Gespräch;  4.  12.  14 — 
18  und  20  begegnen  in  den  bekannten  Texten  der  Fragen  und  Ant- 
worten nicht.  Einige  von  diesen  Fragen  sind  durch  ihre  demokratischen 
Tendenzen,  ihre  Ausfälle  gegen  die  Geistlichkeit,  durch  die  besondere 
Art  der  Erklärung  der  heil.  Schrift  so  bezeichnend,  dass  man  unwill- 
kürlich an  die  Betheiligung  der  Bogoniilischen  Haeresie  bei  ihrer  Ent- 
stehung denken  muss.  In  der  zweiten  Reihe  der  Fragen  und  Antworten 
sind  die  Fragen  3,  5.  6 — 9.  11.  13.  14.  19.  23.  24  aus  der  zweiten 
Redaction  der  »Beseda«  entlehnt;  15.  16.  18.  22  enthalten  Adamfragen 
der  gemischten  Redaction :  17.  20.  27 — 32  begegnen  in  anderen  Texten 
nicht,  die  Fragen  12  u.  22  bieten  eine  so  eigenartige  Umarbeitung  der 
nach  anderen  Texten  bekannten  Fragen,  dass  auch  hier  die  Annahme 
von  der  Beeinflussung  seitens  einer  Sekte,  vor  allem  der  bogomilischen, 
sehr  nahe  liegt. 

Weiter  unten  fahre  ich  den  Text  der  beiden  Reihen  dieser  Fragen  und 
Antworten  mit  einigen  erklärenden  Bemerkungen  an.  Gelegentlich  wird 
auf  den  Inhalt  des  übrigen  Theils  der  Handschrift  hingewiesen.  Fügt 
man  zu  dem  bereits  Gesagten  noch  die  Bemerkung  hinzu,  da.ss  auch  die 
sonst  nachweisbaren  Fragen  merkwürdige  Varianten  zeigen,  so  wird 
dadurch  das  Interesse  für  unseren  Text  noch  erhöht,  zugleich  aber  muss 
zugestanden  werden,  dass  in  den  Handschriften  noch  allerlei  Texte  der 
»Fragen  und  Antworten (f,  bisher  unbekannt,  stecken  können,  die  mög- 
licher Weise  die  bisherigen,  auf  Grund  des  bekannten  Materials  gewon- 
nenen Resultate  stark  modifieiren  oder  ergänzen  werden. 

Die  Handschrift  des  Zographosklosters  aus  dem  XVH.  Jahrb.  ist  in 
16"-Format  geschrieben,  in  bulgar.  Orthographie,  rumänischer  Redaction, 
und  enthält  bis  zum  Blatt  238  ein  Gebetbuch,  aber  auf  Bl.  238  findet 
man  den  Aufsatz:  »^licioi)  rpOiMOBiuiKoy  ii  /Khbothh'' (f . 

fol.  240:  cKasaHie  o  rpoMouniiu'fe.  Anfang:  A^e  d-l  iiiicio  xiime 
norpbMHTb  uTb  BXCTOKa  nji^iienie  Kii/KCTf.  h  parii  u  iiarjtdH  6/i.AeTh  n 
vh  cTpuEa  MHora  BJii)ii;H  ö/h;i;<i.Tb  .  .  . 

»)  Ich  habe  die  Abbreviaturen  aufgelöst,  doch  die  Betonung  bewahrt. 

Archiv  für  slavische  Philologie.    XXV.  40 


614  K.  Radcenko, 

fol.  244:  er.  öoroMb  no^iHiiaeMt  jioymioe  Teienie. 
fol.  269^:  3^6  Bi  KiiMeHt;  darauf  xpoiiojiorifl. 
fol.  271:  CKaaaHie  o  wciiOBaHiH  aeMjii.  3a  s  ;i;bHH  CLTiiopH  ßorT. 
iieöo  H  3eM;iÄ  h  Mopi  h  p'j^Kti  h  b-bc^  aate  coyxt  b-l  hhxb,  b-l  ceAMtm 

^Mlb  noyil   WTb   BtCiXB  Ä^JIh    CBOHXb  H  ÖJiarOCJOBH    6orX    ^bllb   CeAMHH 

H  iiape^ie  öori.  ai»hi>  TtH  He^'S-^e.  noiieate  cxTBÖpH  öonb  yjTOBtKa  a^a^a 
MicAi^a  Mapxa  b^  Ke  bt>  s  qacb  ahb. 

Jetzt  beginnen  die  Fragen:  1)  wti.  Tjii,Ka  ^i6cth  cLTBopenb  ÖLicit 
a^aivii..  Im  Vergleich  mit  den  bekannten  Texten  zeigt  die  Antwort  auf 
diese  Frage  beachtenswerthe  Abweichungen,  ich  führe  sie  wörtlich  an : 
wTb  wcMbiH  TiecTH:  a.  Tijio  WTB  nphCTH,  B  cpAbi^e  u'Tb  KaMBne  1),  r.  k6- 
CTH  wTb  wöjaKa  2),  A  n.!ibTb  w  Mxrjibi  3),  e  Kpf.Bb  WTb  ^ipiiMHaro  Mopi  ^  . 
s  T6nJo(fol.271)Ta  wTb  wrirä,  C    O^h  uxb  cjibHUia,  h  cawb  rocnOÄb 

ÄSXb  B'bA'iXHAJIb,  a  KOCTH  BbCiXb  B1.  MJrii;^,  TM  CtCTaBUBb  5). 

2)  B^npocb  Ha  yiiMb  sbmjiI  cTOHTb.  u  TB'iTb*  Ha  BOAa ;  a  BÖAa  — 
Ha  KaMBHb  (?);  a  KaMSHb  —  na  u/fha;  a  wrnb  —  na  'lexHpn  CTJibnn: 
^exHpH  cTJibHH  coyTb  evarrejHCTH,  na^e  3Ke  na  CBexiH  floaiiH  clb^cxii 

—  diese  Frage  und  Antwort  stellt  eine  ganz  abweichende  Redaction 
dar  im  Vergleich  zu  der  entsprechenden  Frage  und  Antwort  nach  den 
übrigen  bekannten  Texten  ^j : 

Bt  neA^JTA  CBTBopH  öorb  Heöo  h  aeniJiA  Atiib  n  HOiii,b  h  B^ce  Bt- 

CBJieHHAA,  B-L  HOHBABJIHHKb  CI-XBOpH  CJIbHI],e  H  MiCBU,b  H  SBi3AH  H  Btct 

HBÖecHaa,  ßt  BXopHHKb  HacäAH  päH,  b'b  cpliAa  oyexaBH  boaa  b-b  MipA 
(sie !),  BT,  qexBpbXT>Kb  CT>xß6pH  CKOxk  H  niAbi  H  Btce  nxHi],6  nepHaxH, 
bx  nexxKb  (fol.  27 T)  cbXBopH  a^äiwa,  wxb  mhcxhb  rjiHHbi,  bt>  caöoXiIi 
Aajib  BMs  AsuiÄ  '^)- 

1)  In  allen  bisher  bekannten  Texten  der  »Adamfragen«  —  sind  Knochen 

—  von  Stein,  vom  Herzen  ist  überhaupt  keine  Rede.  Vergl.  Moculskij,  »Hcxo- 
puKO-JiHTepaTypHbiii  aHa^iHSi.  cmxa  o  rojiyÖHHOH  KHuri«  87. 

2)  Kommt  sonst  nicht  vor. 

3)  Fehlt  ebenfalls. 

*J  Eine  solche  Entstehung  des  Blutes  wird  erwähnt  in  der  apokryphen 
»Genesis«  Victor  Grigorovic's,  und  in  der  Golubinaja  kniga  wird  das  Blut 
abgeleitet  vom  Schwarzen  Meer,  Moculskij  88. 

^)  Vergl.  die  14.  Frage  des  »Gesprächs  der  3  Heiligen«  der  1.  Redaction 
nach  Nachtigall  (Arch.  f.  sl.  Phil.  Bd.  XXIV,  358). 

f»)  Vergl.  Moculskij,  op.  c.  72,  id.  in  »Cjiiab:  HapoÄHoii  öaöjiiu«  69;  Nach- 
tigall (Arch.  XXIV,  324,  Frage  8  (Adamfrag.  1.  Red.). 

')  Vergl.  den  bulgarischen  Ministerial-Sbornik  VII,  402. 


Zur  Literatur  der  «fragen  und  Antworten«.  615 

3)  Ha  KOjiiKO  yecTH  pa3,T,t.iH  6orb  yecTb  a^aMOBA  —  dieselbe  Re- 
daction,  die  in  der  Ausgabe  NaSov's  enthalten  ist^). 

4)  KO.iHKO  Jiioö.Tfciiie  uorh  a,iaMa  —  ko.tuko  Jii66tiTfc  utbux  cuiia 
CBoero  —  nur  so  viel  in  unserer  Handschrift. 

5)  KTo  ci^e  BBiiiibiue  rocno^a  na  nptcTü.ai  —  a,T,aMb,  er^a  ASJib 
eM8  6orh  AsniA  2)  (fol.  272). 

6)  uTKAAs  3aiece  Ä'im.Si,  3Ji66a,  K^reneTa,  xoyjia,  saBucTh,  neiia- 
BHCTb,  TUTÖa  H  CH.iOBaHia  —  er^a  aacTpt.iii  .laMexi.  Kaiiia  Tor,ia  peue 
eMs  roenoAb :  3.iih  3.it  ,'ta  oy.MpeTb  —  am  nächsten  verwandt  ist  Tichonr. 
A  III  a  b  3). 

7)  rio^To  iiocTaBH  rociioAH  KUHHa  ci.  .;ioyiio/i.  —  am  nächsten  steht 
der  Text  Tichonr.  IH  a  7  (II,  44S)4). 

8)  jiaMexb  6o  6i  cjiinb  etc.  —  ohne  Ende^). 

Die  Fragen  9 — 11  stimmen  ganz  mit  den  Fragen  des  Sbornik  vom 
Jahre  134S  tiberein:  ä  er^a  noK.ioHHui<i.cA  TejiquH  rjiaut  u.  s.  w. ö^. 

Weiter  folgt  eine  Abhandlung  vom  Abendmahl  Christi. 

fol.  274:  oyysHi'mH  xpiicTOBH,  HKO  KHesH  nocTaB.ieiiH  öiiuie  no 
BT&ceMs  MHps  H  nponoßtAame  cjiobo  roenoAne,  no  Bxcixb  e3i'mix'b  cb- 
öpaBmece  et  BipouäBmHMH  ^lOBOJiHbiMH  cxmbAuie  ee  bt,  aHTiuxiH  ct- 
6wpb  Bt  Heu  CLTBopiime  (fol. 274^)  h  B'fepsAu^HXb  b-b  xpHcxa  xpHCTiane 
HapsKome  ce,  iis-io^iime  yKe  ii  iiamicäme  npÜBHJia  upbKOBbiiaa,  a^e 
p/iiKOÄ  Hannca  K.?iHMeHTb:  toh  ö'i  nana  pHMCKbin,  ero  a^e  nocraBH  b-l 

piIMi  CBBTblH  nexpb  BpbXOBHMH  anOCT0.3b,  H  H3J02CMme  .MOJIHTBH  ÖOSKIA 

CBexbiÄ  cjibacdbi  n  Kpbmenia  cBeToro  Mvpa  cbTEopenia  n  noMasania  n 
nocTaB.ieHie  CBemeniiybCKaro  yniia  h  o  B'Bctxb  Hiibinxb  neinexb  i^pb- 
KOBHbixb  ctTBOpiime  H  noTOMb  nocxaBHme  enncKonn  no  BtceJieniH  h 
Exet  oyueHiiKLi,  npbBHii  naxpiapxb  u,pbKBbT  Bi.ce.ieH^cKOH  b-b  iepsca- 
.iHMi  caMb  rocnoAb  noexaniub  uiKUBa  öpäxa  (fol.  275)  CBOero,  Bxopoe 
2ce  nexpb  nocxaB.itexb  b'b  Apoyron  upbKBbi  B-BcejeHCKon,  b-b  aHXHiixiH 

HMBHeMb  BBBO^ia,    XpeXlH  jK.e  naBB.lb    B'B  pHMCKOH    U;pbKBbI    B'BCBJienCKOH 

nocxaBJiiBXb  KJiaBA'ia  BnncKona,  yßXBpbXbi  ys.e  MapKO  b-b  a-iB^auApin 
i;pbKBbi  BxcBJieHCKOH  HOcxaBJitBXb  aii^ponia  enncKona,  hbxoc  /Kb  bt. 
i^pbKBBi  BBJiHi^tn  B-BCBJtBHCTiH  BH3aHXiHCKaro  rpa^a  natB  HBiHt  napnuaex 


1)  Vergl.  Nachtigall  1.  c,  326,  Frage  13. 

2)  Nacht.  334,  Frage  7  (Adam fr.  2.  Red.;. 

3)  Vergl.  Nacht.,  334,  14.  Frage  (Adamfr.  2.  Red. . 

*)  Ibid.  335,  17.  5)  Ibid.  335,  18  (Tichonr.  A  III  a  8, 

6)  Vergl.  meinen  Bericht  nOiiex^«  72. 

40» 


ßlg  K.  Radcenko, 

ce  KOHCTaHTHHb  rpaAb  anocTOJib  aiupew  noeTaB.iieTb  enHCKona  wHHclMa 
H  noTOMb  no  BiiCixb  rpä^feb  h  bx  cejiixb  nocTaBUiiie  eniiCKonH. 
Darauf  folgen  wieder  Fragen  : 

12)  ybco  pa,T;H  peye  rocno^b  nexpoBH  xpiiiKAH:  chmohc  i'uHHHb, 
ji}o6hiuin  .in  mb?  —  none/Ke  h  tt.h  xpiiac^iii  wTBpbmi  ce  ero. 

13)  pe'ie  roenoAb:  ne  Bt.iHBauTe  biiho  hobo  b-l  Mtxbi  Bixxbi,  wh 
Bt.iHBaHTe  Biiiio  iioBO  B'L  M^xii  iioBbi  II  wöoe  c'bö.iiOAeTce,  ame  .in  /ae  hh, 
npocA;;eTce  m^ch,  h  biiiio  npo.i'iexce  —  MicH  CÄTb  BixcH  >Kii;i;oBe  a 
iiOBiH  xpHcxiaHH,  a  BHHO  HOBoe  KpbmeHie,  ßipa  ii  oyyeiiie  —  vergl. 
Nacht,  op.  c.  384,  Frage  15. 

14)  BMsate  ;!;äH0  öiaexb  MHoro,  mhopo  BT>3Lmi,exce  wxb  Hero  — 
ce  5Ke  rjiaro.iexb  naxpiäpxuMb  ii  eniicKoniiMb  h  oyyiixe.ieMi,  iiace  npn- 
eMuie  BJiaexb  oyuiixe.icxBa,  a  .116X111  ne  npaBexb  ;i,o6pi.  —  Diese  Frage 
und  Antwort  begegnet  sonst  nirgends. 

15)  peue  rocnojb :  rope  BaMb  «tapHceii  (fol.  276  11  ciiniH  .ii'me- 
Mipii,  MKO  npoi^i'/KAaexe  KOMapH,  a  Be.iösAa  noacHpäexe  —  ce  r.iaro- 
jiexb  0  Bjiacxejiexb,  hko  coy^exb  no  KpuBA,  MTba^u  npHeMjAme,  a  npä- 
Baaro  norsß.iiioxb,  xaKc^^e  11  nonoBe  iia  Aaps  npaiu,äioxb  h  mo.ihxba 
XBopAXb  no  :si4,3jii.  xaKOiK^e  n  enncKonn  no  31x3;!,^  nonti  cxaBexL  ne- 
;twcxoHHn  —  der  bogomilische  Ursprung  dieser  Frage  kann  keinem 
Zweifel  unterliegen  \). 

16]  rope  BaMb  bü2c;i,li  ciinin,  hko  B-LHiuiHie  ex-bKiinni^/ii  11  6äwjl'S 
uMHU^aexe,  a  Btnoyxpbio^is  oipa^a  n.ibnn  CAXb  —  ce  ate  r.iarojrexb, 
H2ce  Kxo  nöcxHXbce  .ini^eMipieMb  Btct  XBopnxb,  BeJinyäece  h  XBajH 
HU^e  üjxb  q.ioBiKb,  a  Bx.  xaniii  öesaKonie  XBopnxb  (fol.  276^).  ce  ate 
r.iaro.iexb  h  noxoMb,  nate  He^ocxoriniixb  öoraxiHMb  npnHomeHia  npin- 
Mciioxb  B'L  itpbKOBb,  a  ;i;ocxoHHbixb  HHiii,iHxb  wp^Baicxb  —  auch  eine 
Frage  bogomilischen  Ursprungs.  Die  Bogomilen  zeichneten  sich  durch 
demokratische  Tendenzen  aus  -]. 

17)  Majib  KBacb  Btce  xicxo  KBacnxb  —  cböpanie  HenpäBCAHoe 
Btce  HMiHia  noxonnxb,  ne  xX)Kmo  HMiHia,  H'l  h  Asui/ti:  rpa6.ieHie, 
HenpaBe^Hoe  .iiixonMame ,  Kpb^ibMHoe  ciöpäiiie  n  Kprisaro  caaih  ct- 
öpaHie  —  auch  diese  Frage,  ebenso  wie  die  nachfolgenden,  ist  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  bogomilischen  Ursprungs. 

18)  Oben  steht  aufgeschrieben:  s.iaxooycxb  —  anocxo.ib  naße.ib 

ii  Vergl.  bei  Presbyter  Kosmas:  »xy.iuxe  iepen  h  eck  caHti  uepKOBHWK, 
*apuceH  c.iiabiH  soBvme  npaBOBipHtia  nonti  h  mhofo  Ha  ha  jiaiome  —  ITpaB.  C06. 
1864,  83 ;  Döllinger,  Beiträge  I,  46.  2)  Vergl.  bei  Kosmas  S.  202. 


Zur  Literatur  der  "Fragen  und  Antworten«.  Q\  7 

rjiarojieTi.:  öpäxie!  nejitno  ecTi.  'i.iout.us  noKpiint'iioMi.  r.i;ii;nMh  mo- 
jiiTHce  —  ce  ecTF.  noKptBeHHtiA  imubli  MO.ioHie,  HÄCe  irr.  Taiiiit  K.ie- 
Bemexb  öpiira  ii  CiMiiTh  ii  s-iocjobiitk  ii  npo'iaa,  m>  ame  xomexi.  i'j);iTa 
CBoero  HJiM  ^ipoyra  iicnpauuTn.  th  bt>  raunt  fol.  277)  3.ia  ne  r.iaiojiii. 
eate  eexh  iioKpuTO,  ni.  MO.Tiice  3a  iiero  ki>  uofn  xuxeii  Tpbrsßo  no- 
KpwBce:  eroHte  6o  bt.  Taiini  mcihth  ce  Ciorv;  ii  nooyiiiiTii  öpdra  h  ut- 
BecTH  uTh  3.ia,  To  TU  ecTb  r.TUBa  ne  noKpi.Eeinia,  AHve  luiBe.ii.  rjiaro- 
jieTh:  HeKpbBcnHOA  r.iiiBOA  6ora  mo.iii.  anocTOJib  Äor)pi  rjaro.ieTK  iii. 
passMiioiUHMb  BiHoyxpbnta,  a  ne  BT.HtmHta,  HKO>Ke  .iiaxiiHii  (Jea"  k.io- 
ßoKUBb  .ie>Kemii  dora  Mo.iexb  —  diese  Phrase  ist  möglicherweise  eine 
grössere  Einschaltung  —  ii  kx  iepeuMi.  pe'ie,  ame  uMiiie  paasMt.in 
nHcaHHiiiiMh. 

19)  (3Jiaxooycxb)  npiiniexb  .in  nonb  rpixbi  iioiioBiAniiKa  CBoero 
H.Tu  IUI  —  c.iLimn  jiaBHja  r.iarojioma:  cb  inßpaiiHbiMb  möpaiib  ö.iiÄeuiii 
II  CT.  3.ibiMb  pa3BpaxHUiHce:  na  3eMJiii  ^liBJimnxb  (fol.  27  7*)  äme  cbiiii. 
oyKpäjexb  h  kt>  uu;s  npHHeeexb,  xo  ne  cBeaiihXb  .iii  cbma  et  wueMb. 
npiiBejuxb  iixb  u'6a  ?  ii  ne  u"5a  jiii  xax6<i.  Bxcn.iaxiixii,  n6ji,o  u"6ii;e  rp'txb 
ecxb  ivÖiMa:  nop<i^iiiiiKb  6o  ecxb  3a  Hb  ii  npiieMjiexb  rptxbi  ero  ^ . 

20)  MAApoMj;  Omi  Bt  maBi  erb,  a  öessMUbiii  b-l  xi.Mt  xo,inxb  — 
xjbKb:  r.iaBa  Bbim'me  Btcero  xi.ia  eexb,  iios-i  /Ke  iui3K0  Kt  seM.iu  iipn- 
Kaeaexa  ce:  x^Mace  erAa  Bjia^biKa  oyjib  Miicxb  uiiUexb,  xo  Bumiibixb 
CLMaxpiexb,  a  hb  nace  na  3eM.iH,  xo  xaKOBLiii  Bt  rjiaßt  onii  iniaxb.  a 
erjia  ace  .iii  o  3eMJrbHbixb  no  Mbic.iii  iiMaxb.  xo  bx  Hors  onii  UMaxi.  ii 
seM.ibHbiiiMb  npn.iimae. 

Nun  folgt  die  Aufzählung  der  Tugenden  und  Laster : 

fol.  279:  0  6oaK.ecxB§.  —  fol.  279^^^:  CBexaro  rpiiropia  doroc;i6Ba 

^^o  ecxb  xpHcxocb.  —  fol.  280:  CBexaro  Ma^uMa  ii3jio>Kenie  o  Bipf. 

B-b  Kpaxut.  —  fol.  282:  cBexaro  iiiaHiia  sjaxooycxaro  o  eKOiiyaniii 

/KHXia  qjioBiibCKaro.     Anfang:    yxo   ecxb   ea:e   pö'ie   iiiicauie:    erja 

wnoycxiexb  3eM.TA  .... 

fol.  2S3:  abermals  Fragen  unter  dem  allgemeinen  Titel :    uxnpo- 

meHie  CBexbixb  cxesaniH  passMHO. 

1)  Kxo  ÄBa  exoiixa,  jma.  ubxexa,  Aßa  pas.isyaexa  ce  —  j\unh  n  uuui,b 
cxoHxa,  cjiHbue  ii  Miceub  cBixiixa,  iieoo  ii  3eM.TA  pas.is'iaexa  ji^sma. 
uxb  xijiecb  npiBe;iHbixb  q.iOBibb  '-). 

2)  KXO  npbßie  norpeoeHb  ubicxb  na  seM.iii  —  er^a  uocu  a^aMb 


',  Vergl.  Archangelskij  S.  122.         -   Vergl.  Moculskij,  Cstati  S.  158.  8. 


(jl8  K.  Radcenko, 

etina  CBoero  iiBe^ia  r  ahh  h  bha'£  rpb.iiuvi»  norpeöui/i.A  (fol.2S3^)  nTHi^A 
BT>  nieiti,  xor^a  a^aMt  norpeöe  etiiia  CBoera  bt,  3eM.iÄ  i). 

3)  Kaa  Asa  öopexa  ce  ;io  npHuif^CTBia  xpiicTOBa  —  jifi  npHiiri>CTBia 

XpHCTOBa   /KIIBOTI.  H  C^MpLTh ;    BT.  XpHCTOBO    JKe    npHUlBCTBie   WfifiÄ'iaBTh 

acHBaTb  B-BCKpLceHia  2). 

Frage  4  ist  identisch  mit  der  25.  Frage  nach  dem  Text  Tichonra- 

vov's  (II,  435). 

5)  KTO  licTHiiHA  pBKb  ctc.  entspricht  der  21.  und  22.  Frage  der 
»Beseda«  der  2.  Redaction  nach  der  Eintheilung  Nachtigall's  ^j,  doch 
zeigt  die  Antwort  Abweichungen  im  Vergleich  zu  den  übrigen  bisher 
bekannten  Texten,  desswegen  führe  ich  sie  im  vollen  Umfang  an: 

ioy;i;a  jictiiiiha  peKi>  nofi'iöe  h  peKt:  »tbi  cch  hcthhhlth  xpnc- 
Tocfc !  HMixe  Toro ;  neTpK  w6iu],ace  et  xpHCTOMt  oyivipiTii  h  ci^räjib 
11  3aT0  KopKO  (sie)  n.iaKä.ib  ii  cnaesHt  ÖLicxb. 

6)  =  21  Bes.  der  2.  Redaction  (Nacht.  394). 

7)  =  40  Bes.  2.  Red.  (ib.  397). 

S)  =  28  nach  dem  Text  Archangelskij's  (S.  30)'*),  nur  statt  iire- 
saBe.ib  steht  h  eiicixb. 

9)  r^e  UTHb  CB  MpaswMb  ci>6bipaiOTce  —  bi,  coa6m'£  h  roMÖpi, 
vergl.  Nacht.  395,  Frage  29. 

10)  lUTbU,!.    MB    pÖAH,     aSL     atB    pOAHXb    MaTBpb    ;i,iTeMb    CBOHMb   II 

sKeHÄ  ceöi,  jKena  kb  Moa  po^H  wti];s  MOBMb'  MaxBpb  —  öort  exs^ä 
a^awa,  a  ö;  a^ania  esBiffi,  h  öticxb  öoropo^ima  uxb  cfMBHB  nxb  no 
n.ibxii  —  vergl.  Moculskij,  Cii^w  etc.  S.  l04,  Frage  48.  In  ähnlicher 
Gestalt  kommt  die  Frage  in  einer  türkischen  Handschrift  vor :  KpacHO- 
CBJIb^6B^,  (1898)  131,  Frage  30. 

11)  Kxo  poAiicB  ujxb  MpbXBbi  MaxepB  n  naKbi  exhuab  Bt  oyxpö6& 
MaxBpHA  —  vergl.  Nacht.  396,  Fr.  35. 

12)  KoxoptiH  npäBB(fol.  284)ÄHnKb  hb  norpeöeHb  öbicxb  h  xpexin 
AbHb  B-bCKpLce  —  luaHHb  öorocioBi,  —  vergl.  Vjazemskij  116,  Fr.  13, 

1)  Aehnlich  die  Frage  einer  türkischen  Handschrift  —  Krasnoselcev 
1898,  32.  —  Nachtig.  334,  Frage  10  hat  in  der  Hauptsache  nichts  gemein- 
sames mit  unserer  Frage. 

-)  Nacht.  394,  Frage  19  (Beseda  2.  Red.),  doch  in  unserem  Text  enthält 
die  Antwort  einige  Einzelheiten,  die  sonst  nicht  vorkommen. 

3j  Doch  begegnet  sie  auch  in  der  sogenannten  »Rede  des  h.  Ephraem«, 
vergl.  Nacht.  347,  Frage  4  u.  5.  In  unserem  Texte  sind  beide  Fragen  in  eine 
verbunden,  so  wie  z.  B.  in  dem  Texte  Sreckovic's. 

4)  Nacht.  395. 


Zur  Literatur  der  »Fragen  und  Antworten".  (jjg 


6 


doch  nur:  KOTopti  anTo.ii.  iienorpeuein.  —  HoaHii'B  Öroo.io  i).  Rührt 
nicht  diese  Ergänzung  der  Frage  von  einem  Bogomilen  her  ?  Es  ist  be- 
kannt, welcher  Popularität  sich  bei  den  Bogomilen  gerade  Jobannes 
Theologus  erfreute-). 

13)  KTo  B-BStue  }ia  iie^o  c"*  n.ihxiA  —  vergl.  Nacht.  3S5,  Fr.  41, 
351,  Fr.  19. 

14)  =  Syn.  C.  25  —  vergl.  Nacht.  395,  Fr.  20. 

15)  KOTopLiu  nonb  uti.ib  npiiBie  iio  noxoni  —  Me.i''xHceAeKb,  vergl. 
KpacHOcejbucBT.  (1S9S)  Nr.  4,  Fr.  Id:  Tlg  TCQwxog  UQSvg  tyivero 
1:tI  zf^g  yf^g]  ^n:.  \)  31ü.yiatdr/.    S.  124). 

16)  =  32  Adamfragen  1.  Red.  Nacht.  327. 

17)  uTO  e2Tb  uTbUb  11  CLiHb  II  CBexbiii  A>>xb  —  iLTbUb  ecTb  norb, 

CblHb  eCTb  yKHBUTb,  R  CBCTblll  A^iXb  BCTb  UTllb. 

IS)  uTb  yxo  ecTb  c.iiibi;e  —  axb  pusb  rocnoAbiib  axpacib  — 
vergl.  Nacht.  324,  Fr.  6  (Adamfr.  1.  Red.). 

19)  =  Bes.  der  2.  Red.  Nacht.  399)  —  (caTaHau.ii.  in  unserem 
Texte)  fol.  28 4 ^ 

20)  Kor^a  iie  ut  iieöo  im  aeji-iA.  r;ie  6i  xpHCTocb  —  iia  aepbi,  iia 
Kpii.ix  B^TpbHio  II  niiKbi  3:e  na  CBeTiii  ero  cbb^cth. 

21)  uTK/ias  saueme  ce  bi  anocTOjib  —  uTb  ;ij;xa  uoaci'a  —  auch 
eine  Frage  bogomilischen  Ursprungs.  Irgend  ein  Bogomile  mag  die 
Engel  mit  den  Aposteln   verwechselt  haben  —  vergl.  Nacht.  332,  2 

Syn.  C.  8  —  Adamfr.  2.  Red.  3  . 

22)  iia  yiiMb  3eM.i.\  cTonxb  —  iia  Bo^a;  a  B6;i,a  —  iia  KaMeubi;  a 
KUMSHb  —  Ha  Üthh;  a  wrnb  —  Ha  yerbipexb  cxjibnexb,  näye  a:e  na 
CBBxiH  öoacin  ctBicxbi  —  vergl.  Nacht.  324,  Fr.  8  Adamfr.  1.  Red.) 
und  Moculskij,  Cit^w  etc.  69,  Fr.  7  —  unsere  Frage  zeigt  eine  ganz 
eigenthümliche  Redaction. 

23)  =  53  Bes.  2.  Red.,  24)  =  54  Bes.,  doch  in  der  gekürzten 
Redaction.^). 


1)  Vergl.  ausserdem  Karpov's  AsöyKOBuuKu  120. 

-)  Vergl.  unter  anderem  Döllinger,  Beiträge  II.  34,  277;  I.  119,  151,  154. 

3;  EinKatharer  Wilhelm Belibast  behauptete:  »quod  duodecim  apostoli, 

qui  descenderunt  de  coelo  cum  Christo,  erant  spirituales <  —  Düllinger, 

Beiträge  11,179.  Nach  den  Worten  eines  anderen  Häretikers:  "per  duodecim 
apostolos  spirituales.  qui  venerunt  cum  eo  Filio  Dei,,  intellexit  duodecim 
angelos,  qui  non  acceperunt  carnem,  nee  corpus  terrenum«  ibid.  192. 

*)  Vergl.  Nacht.  400— 401. 


620  ^-  Radceiiko, 

25)  no'iTO  xpHCTOci.  rjiaBA  cnoA  npHKJioiiujii,  gctb  na  ;i;ecuo  na 
pacnexiH  cüoeMb  —  Aa  utAexb  HeiitpsAu;jH  h  iiOKJiOHAXce  e.Ms. 

26)  no^iTO  xpucTOCi.  iiorA  cboa  ji'feBA  npiKjroiiHJib  na  ÄeciiiJ»  —  Aa 
B'ipsiomui  u  ^.ler^'iaiOTce  iT  rpixa  —  diesen  beiden  Fragen  Entsprechen- 
des findet  man  in  der  Frage  bei  Moculskij  unter  Nr.  13  in  seinen  «( 'jitAti« 
S.  169.    Unser  Text  stellt  eine  theilweise  gekürzte  Redaction  dar. 

2  7)  KTo  MptTBb  acHBaro  KpimäeTT.  —  pi.Ka  iwpbXBa  asuia  khba  — 
ist  nicht  auch  diese  Frage  mit  der  Gegenüberstellung  der  todten  Hand 
der  lebendigen  Seele  bogorailischen  Ursprungs  ? 

28)  TAB  ce  xüöpixaexb  AbHb  BbicoKÖexHbiH  —  erAa  HStiAe  fol.  285^) 
Hieoycb  HaBbiHHb  npoxiiBA  njibKs  ervnexeKOMs  h  npiiÖJrHatHce  CAHbue 
KT,  Beyeps,  H  noMOAHce  6ors,  Aa  ee  BtSBpiixHXb  e.ibuue,  Aa  noöiAHXb 
CBnoexaxa,  h  nocxonxb  cjibime  r  yacH ;  h  ci.ÖHpaxb  ace  ce  W  roAHma 
r  yacH,  H  xj;  naxoAATb  sa  a  -i^xa  bi  yäciuBb,  ii  xuko  öbiBaexb  AtHb  blt- 

COKOeXHblH. 

29)  KO.JIHKIÜ  ecxb  arrejEb  oy  npbßaro  npicxo^ia  rocnoAUA  —  p  xbMb ; 
a  Ha  ceAMWMb  hgöo  ecxb  öes""  ^iHCJa  arre.ib  —  diese  Frage  ist  wahr- 
scheinlich aus  der  Visio  Isaiae  entlehnt. 

30)  KorAa  yjiOBiKb  KpbmeHb  —  ü;  Bpbxa  ao  noaca  Kpbii^eHb  aAä>ib 
3a  CbSAanie,  aBpaaMb  sa  nosnaHie,  HÖe  sa  ciixpaHeHie. 

31)  H  KoxopbiH  wxb  HHXb  öors  oyroAH —  hob  npaBBAHbiH  fol.  286. 

32)  ^ixo  Bcxb  xpHcxiaHHHb  —  nacB  bi  6o3i  acHBexb  ÖAaroyecxHO 
H  uorojiH).ie3Hu;  npiöbiBäexb. 

Hiermit  endigt  die  zweite  Serie  der  Fragen. 

Ich  will  noch  den  weiteren  Inhalt  der  Handschrift  angeben: 

fol.  286^:  np^MAApwcxb  h  nosueHiB  CBexbixb  iuxbu;b  —  Melissa  — 
Anf. :  oyHB  BCXb  oyivipixn  xijiOMb  neacejiii  3KHBb  rpixs  paöoxaxH  .... 

fol.  294:  U'XKAAs  naiexb  nana  pioicKbin  et  jraxiiHCKHMb  ASbiKU'Mb 
onpiCHO^iHaa  cioyaciixK  h  wxkaas  npHHBJii  cia.  « 

fol.  300^:  0  royrHHBOMb  nexpli  h  o  jraxiiH'txb. 

fol.  302^':  KoyBHHuiB  aA'SH^iii  —  Worterklärung. 

fol.  306:  o  eate  ^ixo  ecxb  aA.iHjibTa  —  öoacecxBHSH)  ntcBiib  uasna- 
MBHjexb,  eate  6o  aji-ib  Api>:«^äBeHb  pe^iB,  a  liacB  lijib  öorb  (fol.  306),  a 
e^e  oyi'a  BAiiHb.  h  ihiaKO  hcb*  ajiJib  rpiABXb,  Mb — u'XbUib,  oyia  mbhcb; 
H  iiHaKO  2CB  (lÄÄh  ujxbu;b,  H.ib  —  cbiHb,  oyia  —  ji,}ixh  CBexbiii. 

Weiter  folgt  ein  Aufsatz  von  den  hebräischen  Massen.  Fragen:  yeco 


Zur  Literatur  der  »Fragen  und  Autworten". 


621 


pa^H  nscTU  C)orb  i  Ka3iiii  etc.  n  'ito  öuuie  Kibim  tTh  *),  Aufzählung  von 
Tugenden  und  Leidenschaften. 

fol.  307:  0  eyRe  'iro  ec-xb  u'ie  naiiih. 

fol.  309:  0  cMMpiit,  .la^oiit  ii  jini'.aiit. 

Im  Ganzen  enthält  die  Handschrift  347  B.,  sie  verdient  in  hohem 
Grade  beachtet  und  genau  studirt  zu  werden,  ungeachtet  ihrer  verhält- 
nissmässig  späten  Entstehungszeit,  in  der  sogenannten  rumänischen 
Periode.  K.  liadicnko. 


1)  Vergl.  meinen  Bericht  »OTq(;n>«,  S.  72. 


Miklosieli  imd  Safaiik. 

Ein  Beitrag  zu  ihren  wechselseitigen  Beziehungen.*) 


Kopitav  und  Dobrovsky,  8a- 
farik  und  Vostokov,  zuletzt  Mi- 
klosich  und  Safah'k,  diese  bedeut- 
samen Namen,  zumal  in  der  an- 
geführten Reihenfolge,  besagen 
für  einen  Historiker  derslavischen 
Philologie  sehr  viel.  Damit  sind 
die  drei  aufeinanderfolgenden 
Etappen  bezeichnet,  welche  das 
Studium  der  slavischen  Philologie 
bei  den  Westslaven  in  dem  ersten 
halben  Säculum  des  vorigen  Jahr- 
hunderts, der  Reihe  nach,  durch- 
gemacht hat.  Der  erste  Name  in 
einem  jeden  der  drei  Paare  re- 
präsentirt  zugleich  den  Bahn- 
brecher in  der  slavischen  Philolo- 
gie nach  ihrer  stufenweise  vor  sich 
gehenden  Entwickelung  —  alle  zusammen  bilden  die  Summe  der  Ab- 


*)  Gewidmet  dem  Andenken  des  verstorbenen  Vojtech  Safaiik. 


622  AI.  Kotschubinsky, 

schnitte  oder  Kapitel  ihrer  Geschichte.  Die  wechselseitigen  Beziehungen 
der  beiden  Namen  des  erstgenannten  Paares  sind  uns  sehr  gut  bekannt, 
dank  sei  es  der  Publication  ihres  Briefwechsels  im  Sbornik  der  kais. 
Petersburger  Akademie  (Band  XXXIX  u.  LXiri,  durch  den  Herausgeber 
dieser  Zeitschrift.  Das  in  dem  Briefwechsel  zwischen  Dobrovsky  und 
Kopitar  enthaltene  reichhaltige  Material  wurde  seiner  Zeit  von  verschie- 
denen Gelehrten  in  verschiedener  Weise  verwerthet.  Die  Beziehungen 
Safaiik's  zu  Vostokov  waren  nicht  so  eng,  traten  auch  weniger  hervor, 
doch  gekennzeichnet  durch  die  Offenherzigkeit  bekamen  sie  ausreichende 
Beleuchtung  in  einigen  Briefen  der  vor  30  Jahren  publicirten  Correspon- 
denz  Vostokov's  CöopHiiKi.  V,  Heft  Hj.  Eine  nothwendige  Ergänzung 
dazu  lieferte  der  Unterzeichnete  erst  unlängst  in  dem  in  JldBicria. 
für  1S99,  S.  126  — 136  mitgetheilten  Beitrag :  »^.ih  HCTopia  pyccKOH 
MBiciii.    Tpii  niiCMia  A.X.BocTOKOBacf.    Weniger  bekannt  sind  dagegen 

y 

die  wechselseitigen  Beziehungen  Miklosich's  zu  Safank,  die  anfänglich 
in  gewisser  Hinsicht  als  Beziehungen  des  Schülers  zum  Lehrer  bezeich- 
net werden  könnten,  doch  bald  war  es  dem  Schüler  beschieden,  mit 
seinem  Namen  einem  langen  Zeitraum  in  der  weiteren  Entwickelungs- 
geschichte  der  Siavistik  den  Stempel  aufzudrücken,  der  die  ganze  zweite 
Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts  umspannte. 

Schon  aus  der  bisher  herausgegebenen  Correspondenz  Safai-ik's 
mit  seinen  Freunden  in  Russland  (Pogodin,  Bodjanskij)  ersieht  man 
deutlich  das  eine  — -  das  lebhafte,  selbstlose  Interesse,  das  der  berühmte 
böhmische  Gelehrte  in  Prag  jeder  Kundgebung  der  wissenschaftlichen 
Thätigkeit  des  jungen  Slovenen,  der  um  die  Mitte  der  40er  Jahre  aus 
dem  Juristen  in  den  Slavisten  sich  verwandelte,  entgegenbrachte,  und 
wie  nahe  sie  sich  standen  selbst  in  kleinen  Dingen  von  geringem  Belang. 
Ich  gehe  noch  weiter  und  sage :  wahrscheinlich  fühlte  der  alternde 
Safaiik  geradezu  Freude  über  die  Erfolge  Miklosich's  in  der  Siavistik 
und  mit  erleichtertem  Herzen  blickte  er  auf  ihn  als  seinen  Nachfolger 
und  Ersatzmann  unter  den  Westslaven.  Ich  erinnere  mich  jetzt  noch 
lebhaft  einer  Erzählung  meines  verstorbenen  Freundes,  Prof.  Vojtech 
Safank  (1S29 — 1902),  aus  dem  Anfang  der  neunziger  Jahre  des  vorigen 
Jahrhunderts,  während  unseres  üblichen  Verkehrs  in  den  Sommer- 
monaten in  Prag,  in  seiner  gastfreundlichen  und  merkwürdigen  astro- 
nomischen Villa,  Orlovka.    Die  Erzählung  betraf  seinen  Vater, 

'Beim  Nahen  seines  fünfzigsten  Lebensjahres  (folglich  um  das 
J.  1845)  gestand  einmal  mein  Vater  (so  erzählte  mir  sein  Sohn  Vojtech) 


Miklosich  und  ^afafik.  (323 

meiner  Mutter,  dass  er  bis  zum  50.  Lebensjahre  bauptsäcblicli  mit  dem 
Sammeln  des  Materials  sieb  abzugeben  beabsichtigt  hatte,  dann  erst  an 
das  eigentliche  Werk  sich  machen  wollte ;  doch  jetzt,  wo  dieser  Termin 
nahe  war,  sehe  er,  dass  alles  was  er  tüchtiges  geleistet,  schon  früher 
geschehen  war,  und  dass  er  jetzt  nicht  mehr  etwas  gleich  bedeutendes 
zu  schaffen  hoffe,  da  seine  Kräfte  nachlassen«.  Zur  Ablösung  des 
Alternden  trat  nun  Miklosich  auf,  der  angeblich  nach  einer  schnell  er- 
loschenen Neigung  zu  einer  Russin,  aus  dem  Juristen  ein  für  den  armen 
Idealisten,  den  alternden  Safaiik,  nicht  gleichgiltiger,  energischer  Sla- 
vist  wurde. 

Derselbe  Prof.  Vojtech  Safarik  erzählte  mir  auch  während  eines 
Gesprächs  mit  ihm,  dass  sein  Vater  einst  seine  volle  Zufriedenheit  da- 
rüber äusserte,  dass  der  Sohn  nicht  Philologe  geworden:  »Du  siehst  es 
an  mir,  was  für  Resultate  fürs  Leben  mir  meine  Philologie  gebracht  — 
kaum  gab  sie  mir  ein  Stück  Brot«  ^). 

Ja,  äafafik  beobachtete  mit  Sympathie  die  ihm  theueren  Neuig- 
keiten in  Slavicis,  die  aus  Wien  kamen,  und  angesichts  derselben  sah 
er  die  Bedeutung  des  Namens  Miklosich  voraus.  »Dr.  Miklosic  in  Wien, 
schrieb  er  am  IS. Sept.  1S44  an  Freund  Bodjanskij,  absichtlich  deutsch, 
damit  es  auch  Pogodin  lesen  könnte,  ein  Krainer,  druckt  soeben,  wie 
ich  höre,  Radices  linguae  slavicae,  mit  dem  Sanskrit  verglichen.  Also 
die  höhere  Philologie  ist  bei  uns  nicht  ganz  eingeschlafen«.  Man  kann 
selbst  vermuthen,  dass  unter  dem  Einfluss  der  Empfehlung  Safarik's  im 
russ.  Journal  des  Ministeriums  der  Volksaufklärung  1S4G  eine  sehr 
lobende  Besprechung  des  Werkes  des  jungen  Miklosich  erschien.  Kaum 
werden  wir  fehlgehen,  wenn  wir  die  Behauptung  aufstellen,  dass  Safaiik 
hauptsächlich  an  Miklosich  dachte,  als  er  in  einer  der  ersten  Sitzungen 
der  neu  gegründeten  kaiserlichen  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien 
(Anfang  des  J.  1848)  als  ein  Thema  für  eine  Preisaufgabe  die  verglei- 
chende Grammatik  der  slavischen  Sprachen  in  Vorschlag  brachte.  Am 
13.  März  1S4S  schrieb  Safaiik  dem  Pogodin:  ». . .  wollen  sehen,  ob  die 

1  Ich  will  noch  eine  Erzählung  desselben  Vojtech,  die  auf  die  40er  Jahre 
Bezug  nimmt,  inittheilen.  Einst  besuchte  den  Safaiik  im  Clementinum  der 
bekannte  Byzantinist  Tafel,  ein  Greis  von  kleinem  Wuchs.  Ich  sass,  so  er- 
zählte Vojtech,  in  meinem  Stüblein  ganz  vertieft  in  die  Bücher,  als  der  Vater 
mit  Tafel  eintrat.  »Es  ist  ihr  Sohn?«  Ja.  "Was  macht  er  da?«  Die  Astro- 
nomie studirt  er.  »Ja,  die  Sterne  sind  gut,  aber  nicht  da.  sondern  hier«. 
Dabei  zeigte  er  mit  der  Hand  auf  die  Brust-. 


(j24  AI.  Kotschubinsky, 

Herren  Celakowskij  und  Miklosic'  etwas  leisten c  Man  weiss,  dass  die 
Preisaufgabe  Miklosich  gelöst  hat.  Soweit  man  aus  derselben  Correspon- 
denz  äafafik's  mit  seinen  russ.  Freunden  schliessen  kann,  stand  Miklo- 
sich, während  er  selbst  Hofbibliotlieksbeamter  und  Censor  in  Wien 
war,  zu  Safaiik  fortwährend  in  Beziehung  eines  dienstfertigen  Helfers 
bei  verschiedenen  Anlässen,  sowohl  kleinen,  als  auch  bedeutenderen, 
soweit  dabei  Wien  in  Betracht  kam.  So  z.B.  aus  dem  Brief  an  Bodjan- 
skij  vom  22.  Aug.  1S45  ersehen  wir,  dass  Miklosich,  obwohl  er  selbst 
nicht  ganz  gesund  war,  nicht  zögerte,  auf  die  Bitte  .Safarik's  ein  Fäss- 
chen mit  Büchern  des  Moskauer  Slavisten  (Bodjanskij)  bei  dem  Wiener 
Zollamt  frei  zu  machen  »o  wasi  bedne  s  knihami  jedna  Miklosic  we 
Widni  s  auiadem.  Ted',  churaw  jsa,  odesel  uekam  na  mesic.  Po  nawra- 
ceni  jeho  budeme  jednat  znowa  horliwev.  Im  Brief  vom  20.  Juli  (?)  1845 
wird  eine  neue  (oder  dieselbe?)  Beschwerde  Bodjanskij's  abermals  in 
die  Hände  Miklosich's  gelegt  —  nämlich  einen  Bücherkoflfer  aus  Kroatien 
frei  zu  machen  ^]. 

Dasselbe  aufrichtige,  vertrauensvolle,  mit  dem  Gefühl  der  Hoch- 
schätzung für  Miklosich  als  Gelehrten  verknüpfte  Verhältniss  tritt  auch 
in  der  Bodjanskij  gegebenen  Auskunft  entgegen,  in  welcher  Weise  man 
den  Wunsch  des  Fürsten  Obolenskij,  des  damaligen  Directors  des  Ar- 
chivs des  Ministeriums  der  auswärtigen  Angelegenheiten  in  Moskau,  in 
Erfüllung  bringen  könnte,  der  eine  diplomatische  Kopie  der  Wiener 
»Acta  synodalia«,  die  vor  kurzem  von  V.  J.  Grigorovic  entdeckt  worden 
waren,  zu  erlangen  wünschte.  Nach  Safarik  war  die  einzige  Möglich- 
keit, diese  schwierige  Angelegenheit,  nämlich  die  Abschrift  zweier  um- 
fangreicher griechischer  Handschriften  zu  erzielen,  die,  dass  man  sie  — 
Miklosich,  »unserem  berühmten  slavischen  Philologen  in  Wien«,  anver- 
traue.   »Ich  schrieb  ihm,  sagt  Safank  im  J.  1847,  bereits  davon,  und  er 


1)  üiiCBMa  n.  I.  IIIa*apuKa  kx  O.M.EoÄaHCKOMoy.  MocKBa  1895,  Nr.  46.  In 
der  Ausgabe  ist  das  Schreiben  vom  20.  Juli  jenem  vom  22.  August  nachge- 
setzt. Warum?  Ueberhaupt  ist  diese  so  werth volle  Ausgabe  weit  entfernt 
von  der  diplomatischen  Genauigkeit.  Kaum  gibt  es  ein  Schreiben  mit  böhm. 
Text  ohne  grobe  Fehler.  Besonders  ist  das  Schreiben  Safarik's  an  Grigorovic 
vom  23.  Dec.  1855  voll  von  üngeuauigkeiten.  Mag  es  auch  sehr  schlecht  ge- 
schrieben sein,  wie  es  der  Herausgeber  bemerkt,  so  hätte  man  doch  (S.  122 
die  Worte  »pieje  Väs  stäleho  zdravä«  leicht  in  die  richtige  Lesart  »preje 
Väm  stäleho  zdravi«  corrigiren  können.  Die Uebersetzung  dieser  Stelle  fehlt 
(S.  225)! 


Mikiosich  und  ^afaiik.  625 

ist  der  einzige  Mann,  der  diese  Angelegenheit  im  Stande  wäre  zu  Ende 
zu  führen K.  Safarik  theilte  auch  für  den  wissbegierigen  Fürsten  die 
Wiener  Adresse  Miklosich's  mit. 

In  dieser  Weise  gestalteten  sich  im  Verlaufe  von  wenigen  Jahren 
die  Beziehungen  zwischen  dem  jungen  Mikiosich  und  dem  alternden 
Safarik  fest,  aufrichtig  und  vertrauensvoll.  In  den  Augen  Safarik's  ist 
Mikiosich  »unser  berühmter  Philologe«.  Allein  diese  Hochschätzung 
hinderte  ihn  nicht,  auch  scharf  gegen  Mikiosich  aufzutreten,  wo  er 
glaubte,  dass  sich  dieser  stark  von  den  Ideen  Kopitar's  beeinflussen 
Hess,  wie  z.B. in  der  unglücklichen  Frage  über  die  Heimath  der  kirchen- 
slavischen  Sprache.  »Er  ist,  sprach  er  mit  Bedauern  zu  Pogodin,  durch 
und  durch  von  K.  (=  Kopitar's)  Phantasien  imprägnirt  und  verschliesst 
mordaciter  der  Wahrheit  die  Augenii. 

Der  berühmte  junge  Slavist  hat  schnell,  zur  Freude  Safaiik's,  seinen 
Ruf  in  der  W^issenschaft  begründet.  Doch  auch  diese  Veränderung  sei- 
ner Stellung  in  der  Gelehrtenrepublik  hat  der  mit  den  Jahren  der  Arbeit 
grossgezogenen  Bescheidenheit  des  hochbegabten  Slovenen  aus  Steier- 
mark keinen  Abbruch  gethan,  er  blieb  wie  früher  gegenüber  dem  alten 
Mentor  in  Prag  ein  Schüler.  Die  bekannte  Suprasler  Handschrift,  das 
lexikographische  Material  der  kirchenslavischen  Sprache  —  Kachlass 
Kopitar's  —  diese  Aufgaben  nahmen  die  ganze  Aufmerksamkeit  Miklo- 
sich's um  die  Mitte  der  -10er  Jahre  in  Anspruch.  Er  fasste  den  Plan, 
das  Vermächtniss  Kopitar's  auszuführen,  ein  kirchenslav.  Wörterbuch 
herauszugeben.  Einige  zufällige  äussere  Umstände  begünstigten  dieses 
immerhin  gewagte  Unternehmen.  In  Wien  lebte  damals  ein  vermögen- 
der Serbe,  der  junge  Fürst  Michael  Obrenovic,  der  gern  für  die  süd- 
slavischen  wissenschaftlichen  Publicationen  den  Mivcenas  spielte.  Er 
trug  Mikiosich  an,  die  Druckkosten  eines  kirchenslavischen  Wörter- 
buches zu  decken.  Wahrscheinlich  spielte  in  diesem  Falle  Vuk  Karadzic 
die  Vermittlerrolle,  der,  ein  alter  Freund  Kopitar's,  durch  ihn  auch  Mi- 
klosich's Freund  geworden  war. 

Mit  der  Drucklegung  der  neuen  Arbeit  beschäftigt,  benachrichtigte 
Mikiosich  vertraulich  seinen  Freund  und  Lehrer  in  Prag  von  dem  Vor- 
haben. Er  erkundigte  sich  bei  ihm  über  einige  Vorbedingungen  des 
geplanten  Unternehmens,  wünschte  von  ihm  Auskunft  über  die  Auf- 
nahme einer  ganzen  Partie  von  Wörtern  ins  Wörterbuch  zu  erfahren 
und  bat  ihn,  sein  Material  zu  bereichern  durch  Zusendung  von  Aus- 
zügen, die  für  Safaiik  sein  früh  verstorbener  Freund  Preiss  aus  der 


626  AI.  Kotschubinsky, 

Handschrift  des  Georgius  Hamartolus  gemacht  hatte.  Diese  merkwür- 
dige Bitte  und  Anfrage,  die  so  schön  die  gegenseitigen  Beziehungen 
eines  aufsteigenden  und  eines  untergehenden  Sternes  illustrirt,  fand  im 
Herbst  des  Jahres  1848  statt:  das  Schreiben  Miklosich's  ist  vom  2.  Okt. 
datirt.  Noch  in  den  achtziger  Jahren  fand  ich  dieses  Schreiben  in  der 
Bibliothek  des  königl.  böhmischen  Museums  in  Prag,  in  der  Abtheilung 
Safai'ik's,  hineingelegt  in  das  prachtvoll  eingebundene  Exemplar  der 
ersten  Ausgabe  des  kirchenslavischen  Wörterbuchs  Miklosich's,  das  be- 
kanntlich im  J.  1850  in  Wien  erschien  mit  der  Widmung:  lUustrissimo 
principi  Michaeli  M.  Obrenovic.  Ich  schrieb  es  damals  mir  ab  und  wenn 
mir  in  der  Publication  dieses  interessanten  Documentes  aus  früheren 
Jahren  unserer  Wissenschaft  niemand  zuvorkam,  so  wird  die  Veröffent- 
lichung desselben  in  dieser  Zeitschrift  am  besten  die  Wechselbeziehungen 
der  beiden  bedeutendsten  Repräsentanten  der  slavischen  Philologie  in 
ihren  zwei  aufeinanderfolgenden  Etappen  beleuchten.  Das  Schreiben 
lautet: 

»Hochverehrter  Freund! 

Ich  übersende  Ihnen  anliegend  eine  Probe  meines  altslovenischen 
Wörterbuchs,  dessen  Druck,  so  Gott  will,  in  einigen  Tagen  in  Angriff 
genommen  werden  wird.  Ich  fühle  die  Mangel  meines  Werkes  in  mehr- 
facher Hinsicht,  und  haette  es  sicher  nicht  gewagt,  damit  vor  die 
Welt  zu  treten,  wenn  nicht  theils  die  Betrachtung,  wie  leicht  aehnliche 
Sammlungen,  die  Frucht  anhaltenden  Fleisses,  verloren  gehen,  theils 
der  Umstand,  dass  Fürst  Michael  Obrenovic  die  Kosten  entweder  ganz 
oder  theilweise  übernimmt,  mich  zur  Veröffentlichung  desselben  bewogen 
haetten.  TheilenSie  mir  gefaelligst  Ihre  Bemerkungen  mit,  und  seien  Sie 
versichert,  dass  ich  dieselben  mir  nach  Möglichkeit  zu  Nutze  machen 
werde. 

Zugleich  überschickte  ich  Ihnen  ein  kleines  Verzeichniss  von  dunk- 
len Wörtern  mit  der  Bitte,  mir  darüber  Ihre  Meinung  mitttheilen  zu 
wollen:  KopeiiibCTßo  cod.  sup.  KO-peMkCTßC»  (ars)?  —  KpaMHHa 
bell.  troj.  —  Kp'KCfAHie  cod.  sup.  cf.  brslen  (epheu)  ?  —  Kp'KHHH'K 
prol.  vestis?  —  BOVKapHm  grom.  seditio  ?  —  BkiA»  cod.  sup.  — 
Klv;k,ki€  cod.  sup.  —  K-kAacT».  prol.  —  R\-Tßapk  cod.  sup.  —  ßana 
pat.  MkraHHie  noBA'kK'KLue  ßanoü^  ot  MfAa  y\,o  Hoca.  —  ßHH'k 

pat.   ßkCk^T^  A'^GP'^'HV'**^    ßHHOß'k    MO/KELUH    B'kCT;PinHTH   Ha  Ck- 

ßpikUJCMHie.  —  ßaacH  pat.  a'Shhiijh  C/Sv  ßaacH  ta  no  KOHki^or 
^a  OGAHM/ftTk.  —  BAaiUTkCTBHie  ant.  hora.  —  ßpivAMMa  tviod.  — 


Mikloslch  und  Safarik.  627 

Bp'KT(^Kk  prol.  —  Waere  es  Ihnen,  Verehrter  Freund,  nicht  möglich, 
die  von  Preiss  gemachten  Auszüge  aus  Georgios  Hamartolos  zum  Ge- 
brauche auf  einige  Tage  mitzutheilen  ? 

Mit  wahrer  Hochachtung 
2.  okt.  1S48.  Ihr  Freund  Miklosich.« 


Was  Safai'ik  seinem  Freund  in  Wien  geantwortet,  das  wissen  wir 
nicht  \\  Die  aufgezählten  «dunklen«  Wörter  begegnen  in  der  2.  Aufl. 
des  Wörterbuchs  unter  peMbcxBO,  6i>i;ib,  öiAtut,  Bjaxt,  HaBJiamtcxBure 
u.  s.  w. ,  unklar  bleiben  öijacB,  öyTBapb,  BpiAHua.  Eins  ist  gewiss, 
dass  die  Auszüge  Preiss'  Miklosich  überlassen  wurden.  Davon  gibt  er 
selbst  Nachricht  bei  der  zweiten  Auflage  des  Lexicon  palaeosloveuico- 
graeco-latinum,  S.  X  unter  dem  Stichwort  Georg  ISaf. 

So  beschaffen  waren  die  Beziehungen  Miklosich's  zu  Safarfk  —  auf- 
richtig, vertrauensvoll.  Unwillkürlich  fallen  uns  dabei  die  Beziehungen 
eines  russischen  Slavisten,  eines  Altersgenossen  Miklosich's,  I.  I.  Srez- 
nevskij's,  aus  derselben  Zeit  und  noch  früher,  zu  demselben  Prager 
Lehrer  ein.  Am  18.  Februar  1842  schrieb  er  aus  Wien  ein  vom  leb- 
haftesten Interesse  für  die  »Entdeckung«  der  Reimser  Fragmente  Hanka's 
erfülltes  Schreiben  an  den  letzteren,  das  er  so  abschliesst:  »IIokjiohh- 
Tect  ^e.iaKOBCKOMy,  lIIa<tapHKy  (eoönpaioct  kx  iioiy  nncaTt,  ^a  Bce 
ew,e  He  snaio  o  ^bm'b),  lOHrMany«.  Wahrlich  ein  sehr  charakteristi- 
sches Geständniss! 

Noch  vor  dem  Schreiben  vom  2.  Oktober  forderte  Safaiik  seinen 
Freund  auf,  eine  glagolitische  Chrestomathie  und  eine  neue  glagolitische 
Schrift  herzustellen.  Als  aber  im  Jahre  1850  (eig.  1849)  das  kirchen- 
slavische  Wörterbuch  Miklosich's  erschien,  begrüsste  es  Safaiik  mit 
freundlichen  Worten:  «von  ersterem  (=  Miklosic)  ist  (so  schreibt  er  an 
Pogodin  am  15.  März  1850)  ein  altslaw.  Lexikon  erschienen,  eigentlich 
'Vocabular,  aber  sehr  reichhaltig«  (ÜHCtMa  IIoroÄHHy  Nr.  101).  Einen 
Rivalen  hatte  Miklosich  in  Russland  in  Davydov  und  seinem  Wörter- 
buch vom  J.  1847  .  .  . 

Odessa,  10.  Juni  1903.  AI.  Kotschubinskij. 


1)  In  der  Sammlung  der  Briefe  ^afalik's  an  Miklosich.  die  sicli  im  Nach- 
lass  Miklosich's  finden,  kommt  das  Antwortschreiben  Safaiik's  nicht  vor,  wie 
ich  davon  durch  die  Güte  des  Herrn  Landesgerichtsrath  Moriz  v.  Miklosich 
benachrichtigt  worden  bin.  V.J. 


628 


Ein  Nachtrag  zum  «ersten  Cetinjer  Kirchendruck 
vom  J.  1494«. 


I. 

Ich  gab  im  J.  1894,  in  dem  43.  Band  der  Denkschriften  der  kaiser- 
lichen Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien  (philos.-histor.  Classe), 
zwei  ausführliche  Abhandlungen  über  den  Cetinjer  jjOctoechos«  vom 
J.  1494  heraus,  deren  Aufgabe  nicht  so  sehr  in  der  äusserlich-biblio- 
graphischen  Beschreibung  des  alten  Druckes  nach  einem  in  der  Wiener 
Hof bibliothek  befindlichen  gut  erhaltenen  Exemplar  bestand ,  vielmehr 
die  genaue  Analyse  des  Inhaltes,  im  Verhältniss  zum  griech.  Original 
und  auch  der  Uebersetzung  in  lexicalischer  Beziehung  bezweckte.  Ich 
ging  von  der  seit  der  Behauptung  Safariks  allgemein  geglaubten  An- 
nahme aus,  dass  nur  der  erste  Theil  des  Buches,  die  ersten  vier  Stimmen 
enthaltend,  im  besagten  Jahre  gedruckt  wurde.  Die  Vermuthung,  als 
ob  im  nächstfolgenden  Jahre  (also  1495)  auch  der  zweite  Theil  des 
Octoechos  im  Druck  erschienen  wäre,  erklärte  ich  für  einen  Irrthum 
(S.  10  der  ersten  Abhandlung).    Das  war  aber  meinerseits  ein   grosser 

Y 

Irrthum,  den  ich  Safaiik  nachschrieb,  und  diesen  möchte  ich  jetzt 
mit  diesen  Zeilen  berichtigen  auf  Grund  einer  vor  kurzem  erschienenen 
Abhandlung  des  serbischen  Akademikers  Ljub.  Stojanovic:  »Ilpii.iosn 
Ka  6H6.3Horpa<wijn  CTapnx  cpncKiix  lUTaMnaHHx  Kitiira«  (r.iac,Bd.  LXVI). 
Es  war  allerdings  bereits  in  den  ersten  Decennien  des  vorigen  (19.) 
Jahrh.  durch  die  Angaben  Lucian  Musicki's  (in  seiner  handschriftlichen 
Bibliographie)  auch  der  zweite  Theil  des  Cetinjer  «Octoechos«  als  im 
J.  1494  gedruckt  hingestellt,  man  sprach  sogar  von  34  Bogen  als  dem 
äusseren  Umfang  des  Buches.  Diese  Angabe  wurde  jedoch,  da  man 
kein  Exemplar  mehr  auffinden  konnte,  durch  Safarik  zum  Schweigen 
gebracht.  (Geschichte  der  südslav.  Litter.  III.  253,  Nr.  210.)  Jetzt  erst 
hat  Herr  Stojanovic  einen  wichtigen  und  ausschlaggebenden  Fund  ge- 
macht, und  zwar  in  der  Belgrader  Nationalbibliothek.  Es  gelang  ihm 
allerdings  nicht,  jenes  von  L.  Musicki  erwähnte  vollständige  Exemplar 
wieder  zu  finden  —  dieses  wird  irgendwo  verlegt  oder  verschleppt  sein, 
eine  Vernichtung  des  Buches  ist  kaum  anzunehmen  —  dafür  aber  fand 
er  von  einem  anderen  Exemplar  acht  Blätter,  die  unzweifelhaft  dem 


Ein  Nachtrag  zum  »ersten  Cetinjer  Kirchendruck  vom  J.  1494«.      629 

zweiten  Theil  des  Octoechos.  der  die  Stimmeu  fünf  bis  acht  enthielt, 
angehören ,  wofür  ja  schon  der  Inhalt  spricht.  Und  zwar  bilden  sechs 
Blätter  davon  einen  zusammenhängenden  Text  der  fünften  Stimme,  an- 
gefangen von  der  grossen  Vesper  des  Samstags  und  ohne  Unterbrechung 
fortsetzend  bis  in  die  •'?.  Ode  eines  Sonntagskanons.  Da  ich  durch  die 
Güte  Stojanovi(.*s  alle  acht  Blätter  benutzen  kann,  so  will  ich  zuerst  die 
von  ihm  constatierte  Thatsache  hervorheben,  dass  die  Boiidar  Vuko- 
vic'sche  Ausgabe  des  Octoechos  vom  .1.  1537  auf  diesem  ältesten 
Cetinjer  Druck  beruht  als  ein  Wiederabdruck.  In  der  That  ein  Stück 
des  Bozidar'schenOktoichs,  das  mir  durch  die  Freundlichkeit  des  Akade- 
mikers Stojanovic  zur  Collation  mit  diesem  Text  zugeschickt  wurde,  zeigt 
beinahe  buchstäbliche  Uebereinstimmung.  Ich  fand  auf  der  ersten  Seite 
der  6*^"  Stimme  nur  wenige  Abweichungen,  z.B.  Ha  MaAEHc. :  na  MaalCH 
b.,  KfMfpHH  c.  :  KtHfpHKi  b.,  o^'a;«  c. :  K>}K(  b.,  cncf  c.  :  Cum«  b., 
MKpOKH  c:  MHpS  b.,  nach  lix^  fehlt  in  b.  'Akt,  nach  Mcraa  steht  in 
boz.  H  vor  KkCf  Baa^Kenaa,  nach  nacK  folgt  in  c.  H/K«  vor  Ha  3CMaH 
—  das  sind  aber  auch  alle  Abweichungen  einer  Seite.  Dagegen  weicht  die 
Ausgabe  des  Oktoich  von  Gracanica  aus  d.  J.  1539,  die  auf  der  Bozidar'- 
schen  Redaction  zu  beruhen  scheint,  bedeutender  ab.  Im  Vergleich  mit  der 
mir  zugänglichen  russischen  (Moskauer  Synodal-jAusgabe  (vom  J.  1880) 
des  »Oktoich'c  will  ich  folgende  Analyse  des  Inhaltes  der  erhaltenen 
Blätter  geben: 

Die  ersten  sieben  Sticheren  stimmen  mit  der  heutigen  Textanordnung 
überein.  Die  auf  Blatt  r'"  der  neuen  Ausgabe  befimdlichen  drei  Sticheren 
fehlen  in  dem  alten  Druck,  es  folgt  gleich  das  Tbeotokion  Fik  npKM- 
HlvMk  MVÜpKi,  alles  nachfolgende  enthält  der  noch  heute  übliche  Text. 
Der  auf  Blatt  ^V  bis  zu  Ende  s""  der  vorerwähnten  Moskauer  Ausgabe 
befindliche  Kanon  auf  die  Nachvesper  fehlt  im  alten  Text,  es  folgt  viel- 
mehr gleich  der  für  Sonntag  früh  bestimmte  Kanon,  dessen  Akrostichon 
in  der  Uebersetzung  lautet:  llpäßHao  nn'O«  CKkrov;  TpHcakHMHÖ- 
uov'  (so  auch  heute).  Im  neuen  Abdruck  wird  dieser  Kanon  als  Tkc»- 
pfHJ«  A\HTpCßaHOBC»  bezeichnet,  der  Cetinjer  Druck  nennt  den  Ver- 
fasser nicht.  Im  Kanon  selbst  fehlt  bei  sonstiger  Uebereinstimmung  in  der 
vierten  Ode  die  dritte  Strophe,  die  in  der  Moskauer  Ausgabe  so  beginnt : 
0,\hhS  RaacTK.  In  gleicher  Weise  ist  in  der  sechsten  Ode  die  heutige 
dritte  Strophe:  IhcocTaBHO  ci>i|iKTBC>  im  alten  Druck  ausgelassen. 
Das  auf  die  sechste  Ode  folgende  Kathisma  bietet  im  alten  Druck  einen 

.Vrchiv  für  sl.ivische  Philologie.    XXV.  41 


630  V.  Jagic, 

anderen  Text,  nämlich  noMAOifH  ME  cncf  MCH  iiomaoIj'h  luie  u.  s.  w. 
(jetzt:  TpHCOAHtMHKiii  CRlJT'K  U.S.W.),  doch  das  darauffolgende  Theo- 
tokion  ist  dasselbe.  In  der  siebenten  Ode  fehlt  abermals  die  dritte 
Strophe:  FäßHiv  ynoiCTacc  u.  s.  w.,  ebenso  in  der  achten  Ode  die 
dritte  Strophe:  CT'K  oii,!».  Kr'k  npfß-kMHKiH,  und  in  der  neunten  Ode 
die  dritte  Strophe:  lica'ia  T/ä  kh^v,''^  u.  s.  w.  Die  dritte  Strophe  der 
angeführten  Oden  fehlt  auch  in  der  griech.  Ausgabe  vom  J.  1523.  Von 
den  nun  sich  anschliessenden  Kathismen  (auf  die  erste  Stiehologie)  stimmt 
das  erste  mit  dem  heutigen  überein,  dann  folgt  aber  im  alten  Druck  als 
Einschaltung  das  Theotokion:  0\-/KäcHCtE  Mio^i,o  saMcVia  u.  s.  w.,  das 
im  heutigen  Text  nicht  vorkommt,  und  auf  die  zweite  Stiehologie  bezieht 
sich  das  im  heutigen  Text  noch  zur  ersten  Stiehologie  gerechnete  Kathisma : 
r»!  lUipbTKKK  UAßmict  nebst  dem  Theotokion  Pa\'HC£  craa  ropo. 
Die  im  heutigen  Text  folgenden  Zwei  Kathismen  der  zweiten  Stiehologie 
(auf  Bl.  ■fr'^)  fehlen  im  alten  Druck.  Der  griech.  Text  des  Jahres  1523 
befolgt  in  allen  diesen  Dingen  schon  die  heutige  Anordnung  der  Synodal- 
ausgabe. Dagegen  die  l'/ra/ojj  und  die  dreimal  drei  Anabathmen  stim- 
men überein.  Gleich  darauf  enthält  der  alte  Druck  (nach  dem  Prokei- 
menon  und  den  Sticheren)  zwei  Canones  anastasimi,  und  ebenso  den 
dritten  Kanon  auf  Muttergottes,  alle  drei  parallel  nebeneinander  nach 
einzelnen  Oden,  die  auch  im  heutigen  Oktoich  vorkommen.  Auf  dem 
letzten  erhaltenen  (sechsten)  Blatt  bricht  der  Text  im  Theotokion  der 
dritten  Ode  des  zweiten  Kanons  ab. 

Den  Schlusä  der  fünften  Stimme  und  den  Beginn  der  sechsten  bildet 
in  dem  alten  Druck  das  siebente  von  den  neu  gefundenen  acht  Blättern. 
Auf  seiner  rechten  Seite  nimmt  den  ganzen  Raum  eine  Illustration  ein, 
die  wir  in  genauer,  nur  etwas  verkleinerter  Reproduction  hier  wieder- 
geben (s.  S.  631).  Auf  dieser  Zeichnung,  die  eine  Mischung  der  Vene- 
zianischen Illustrations-  oder  Vignettenmotive  mit  dem  byzantinischen 
Inhalt  des  in  der  Mitte  stehenden  Bildes  darstellt,  lenkt  die  Aufmerk- 
samkeit auf  sich  zunächst  das  Wappen  des  Georg  Crnojevic,  das  mit 
dem  auf  fol.  2  des  ersten  Theils  des  Oktoichs  befindlichen  (bei  meiner 
Ausgabe  des  »ersten  Cetinjer  Kirchendrucks«  in  der  Beilage  zur  ersten 
Hälfte  reproducirt)  ziemlich  genau  übereinstimmt,  dann  die  drei  in  der 
Mitte  der  ganzen  Zeichnung  vor  einer  Kirche  sitzenden  Hymnologen 
(Joseph,  Joannes  Damascenus  und  Theophanes):  jeder  von  ihnen  hält  als 
Hymnolog  einen  Griffel  in  der  rechten  Hand,  mit  welchem  er  in  dem  auf 
den  Knieen  liegenden  und  von  der  linken  Hand  gehaltenen  Buch  schreibt. 


Ein  Nachtrag  zum  »ersten  Cetinjer  Kirchendruck  vom  J.  1494«.     631 


41 


032  V.  Jagic, 

Auf  der  Rückseite  dieses  Blattes  beginnt  das  Vesperofficiura  des 
Samstags  der  sechsten  Stimme  mit  drei  rotli  gedruckten  Zeilen,  deren 
erste  ligaturartijr  folgende  Worte  enthält:  Iik  GsIioTS  lifHCiFb  Hä 
A\fh\{ll  lifHflpHH  n.  s.  w.  Die  drei  Stichereu  stimmen  mit  dem 
heutigen  Text  (fol.  OS^)  überein,  das  Theotokion  weicht  jedoch  ab,  es 
beginnt  Kto  TfKf  Hf  RAa^KHTk  np-kcraa  j\,k.q>  u.  s.  av.  (heute: 
^^OCroHHO  (CTK  raKW  KOHCTHHö  u.  s.  w.j.  Der  Text  schliesst  mit 
flg  TOP  arlyop:  BkCKpcfHJj  TßO«  \'e  cnc(  u.  s.  w.  In  der  griech. 
Ausgabe  des  Jahres  1523  steht  das  Theotokion  Tig  urj  f.ia/.aQioei  oe 
Tcavuyia  nach  den  vier  avaTolLv.ä. 

Es  hat  sich  noch  ein  achtes  Blatt  erhalten,  dessen  linke  Seite  mit 
einer  der  vorerwähnten  sonst  ganz  gleichen  Zeichnung  versehen  ist  (vgl. 
S.  633),  nur  in  der  Mitte  stellt  hier  statt  der  drei  Hymnologen  Christus, 
der  auferstandene,  mit  den  ihn  umgebenden  elf  Figuren.  Diese  Seite  des 
Blattes  wird  man  sich  als  die  umgekehrte,  d.  h.  rechte,  zu  denken  haben, 
da  die  andere,  d.  h.  die  vordere,  linke,  den  Abschluss  eines  Textes  bildet, 
den  ich  nicht  näher  zu  bestimmen  vermag.  Um  die  Lage  dieses  Blattes, 
d.  h.  seine  Stellung  im  Oktoechos  leichter  ausfindig  zu  machen,  soll  hier 
der  ganze  Text  genau  abgedruckt  werden  (das  gesperrte  ist  roth  ge- 
druckt) —  KHKI.     np-KCT-KH    KUH.    nO,\WKHC>.      TpH   ^  H  6  ß  H  0  j 

CTH^i^,   G/\kiuiH  ^\k'uiH   (sie  pro  ,\ki|in)  H   ß H JK A •*   "  npH- 

KA0HI1.  •:•  I  npHCTaHHl|Jt  HfGO\'pHOe.  H  CTliHOy  HfllOßlOpH- 
lUlOyK»,  I  KU,f  Tf  Hyaykl  ß-kpHklH.  H  CTAk'rik  CyTßpk  JK,^,*i"''^• 
H  A'^^P*^  noKaänia.  h  cnceHie  au^^^i^t^  HamHJPiik  •:•  CTH\-k, 
noMfHoy-  HM6  TBOf  ßk  ßcaKivuik  •:•  ]  llcsaßH^lißi»^  coy'-- 
rikpHkiKk  paBoij' TßOffJioy  iip'feHCTaa.  |  Ha  ßkcaKk^Hk  paroytTk 

aC»\'KaßklH.  GkHliAl*  CI^'^ß'^pHTH  CfB-K.  Hk  Tkl  Kl^f  CfVlV  ßp-^A»* 
Ut    H3Ka|ßH     •:•      CTH^'k,     /\HHO\'    TßOfMOy    nOLlAfTCf.    •:•    | 

3aHmf  Kfsc'^yfHHO.  h  pivjKAkCTßo  K63MO\'H^HC>e  i  ckMarpa- 
I04JH.  oy-JKacahJce  S'kAH'fe.  KaKO  |  chi;«  raßo  baoaI^h  hsboah 
OYiuip'^TH  cHf.  Bkce  I  Mcraa  ßkSkißauJE  •:•  Gaaßa,  h  hhw. 
Ko.  •:■  I  Gaobo  ckßfSHaHeaHOf  wi^oy  h  AX^V-  Ap\'arrAOß'R|iiiik 
BL^e    rAacvOnik.      Gk   AÖ>KfCHa  Aßi^CTBuaa  th    ßk  ceah  ct.    \'<- 

pOlj'BHlUIk     I      rä'ßH      H      Cfpa^lMk      1      M      RpliCTOAk     {      fip'KBHJlUk- 

UlOy      .;.      .;.      .;.      .;. 

Die  ersten  zwei  von  diesen  Sticheren  findet  man  allerdings  in  der 
sechsten  Stimme  des  Oktoichs  auf  Mittwoch  abends  (in  der  Moskauer 


Ein  Nachtrag  zum  'ersten  Cetinjer  Kirchendnuk  vom  J.  1494«.      633 


634  V.  Jagic, 

Ausgabe  auf  Bl.  paT),  doch  ist  dort  das  erste  Sticheron  nicht  an  die 
Mutter  Gottes  gerichtet,  sondern  an  einen  Heiligen  ^cthtcaio)  und  das 
zweite  steht  als  Theotokion  dazu.  Die  übrigen  zwei  fehlen  dort  gänz- 
lich und  darnach  scheint  der  Text  unserer  Blattseite  nicht  auf  diesen 
Zusammenhang  hinzuweisen. 

II. 

Was  die  Uebersetzung  als  solche  anbelangt,  sie  ist  noch  in  der 
neuesten  Moskauer  Ausgabe  im  Grunde  dieselbe.  Ich  fand  im  Ganzen 
nur  wenige  Abweichungen,  die  ich  auch  aufzählen  will  (wobei  selbst- 
verständlich die  grammatischen  oder  orthographischen  Abweichungen 
nicht  in  Betracht  gezogen  werden) : 

Im  zweiten  Sticheron:  c»\-;Kacoujf  a  :  heute  oycTpaiUHUid  CA, 

—  Im  dritten:  MAOcpkXif'^  :  heute  KAaroSTpÖKÜMTk,  vC  akcth  : 
ö)  npt/\fCTH,  BK  Tpe\'b  ckC'i'aBlv\'K  :  rt».  Tpie^T^  rnocrackiCK. 

—  Im  ersten  Anatolikon :  na  KOHMHHii  KlvKcyh.  :  Ha  KO- 
Hj'i^'K  ß'SKVVKTk,  CbUJKAiuo\j'  :  HH3iuf.A,iUf M S ;  im  zweiten:  iC  ak- 
CTH  :  CC  iipfAfCTH,  KlJCOßCKaa  AkCTk  :  ajiuiohwkt».  npeafCTK;  im 
dritten:  ßbCKpcfHif  :  ßOcraHie ,  luipbTßbi^k  :  niiepTßKiH,  sOHpuow 
fehlt  heute,  nctrpHKareAHaa  :  norpfßaakHaA  cboa,  HfAkCTHTf  er 
H£  npfAki|jaHTf  C/Ä.  —  Im  Theotokion:  npoiiHca  C(  ;i,p1ißAi€  :  Ha- 

IIHCaC/A    HHOr;i,a.      Im    dva    OriyÖV.    BkSßCAHMHMk  :   BeAHMaEU'K. 

Für  die  Sticheren  no  aA<I)aBHTOi|'  verwendet  der  alte  Druck  den 
Ausdruck:   CH'Ypki  nc»  a3k  B'fe;^i,'k.     Im  zweiten:  oy/KHHKki  :  heute 

K>3HHKH,    HaCAd,i,HTH   Cf  CtVc»  :   BOCnpl/ATH    CfPO,    pAEßkl    JKHTtAI€ 

ckTBapa«  :  pa^  ^khtiah  cho^okaa/A.  Im  Theotokion:  h3  hi€Ih«i 
.  .  Bkcia  :  heute  ewH^f  .  .   raßHC/A,  HMCtyiiim  :  cTA/KaBUiaA.    Im 

Theotokion  des  nächsten  Anastisimos-Tropars :  ;i,B£pki  :  Ai^'P*  (dieser 
unsinnige  Vocativ  wird  noch  in  den  heutigen  Ausgaben  immer  so  an- 
gewendet!),   HC  np'k3pH  :  HJ  WCKÖ^V.'l^ß^"- 

Im  Kanon  auf  Sonntag  früh  steht  KpafrpaHfdf :  heute  KpaecTpö- 
Hi«.  InderOde  a,  zweite  Strophe:  arrACKkiHi  npacoTH  MHCAkHkiie: 
arrAkCKA/ft  oyA'^KpeHiA  oyrJlHA/Ä,  in  der  zweiten  Strophe:  nHßO: 
OHTif,  CAA^KOE  :  CAa^MaHiu«;  im  Theotokion:  Ke3  nioyKa  :  Bf3' 
m^iuia.     In  der  Ode  /,  erste  Strophe:   noükiCAHßk  :  ct\,-iuikicAHß'k. 

TpkCTt    ülKf  :  TpHCß-^TAklH    KJKf,    \-ßaAOY  H   MOAKOV  :   MOAfHIf  H 


Ein  Nachtrag  zum  «ersten  Cetinjer  Kirchendruck  vom  J.  I-1'J4<'.      635 

moakkS,  M<\ocp,v,k  :  K,\.\roi>i'pÖKfH'K;  zweite  Strophe:  npl^Kpäiiie- 
Hia  :  iiptU'kHfHi'Ä,  iipkrpkiiifHifUK  :  corpIviiifHJn,  das  Eude  an- 
ders: CAKHUe  CxäKKI  TpHCAHHHC  :  H  CliaCfHU  MKW  Ki\aroi>Tp«?- 
KtH'K.     Im  Kathisma:   KC6i|if,Vpi^i>i   kpk   h   MHOroMACTHKk  :  heute 

KCfl|l£,VP'*      COCTp.»AiiTf,\KIK»      H     MHOrOMATHKa.      CkTpIvlllf HIH    ; 

rp'kyMH,    KKcäKoru'    mo\;m«hu\  :  kcäki^  m^kh.     Im    Tlieotokion 

dazu:  npHTlvKaKMIIlHYK  :  llpHK'kl\\IOqiH\"K,  MTtpHKiMII  TH  M*?<\- 
KiW.lM     llpMCHO     UKk(MAK«l|IH    :    MTpHI/A    T  K  0 /S     MATKkl      llpHCHW 

o\|-|iOTpfKA/Äioi|iH.  —  lu  der  Ode  d',  erste  Strophe:  das  erste  Wort 
TÄHHiv  fehlt  im  alten  Text,  TpHcuinHOf  :  TpHCK-k'i'AOMoy;  in  der 

zweiten  Strophe :  rpoHMHaa  CkCTaKMH  :  TpsHa  rnocTackMu.     Im 

Theotokion:  CKÄHAUif  :  WKA^mr  In  der  Ode  t\  dritte  Strophe: 
HfpaSAlv'^HKiM  ap'kTH  :  Htpas.V'kAkHkiH  (ohne  Hp'k'rn);  im  Theo- 
tokion:  iiplvciwa  :  iip<H«nopOMHa/Ä,  ;ipfi|iov'K<  A'^fpi»  :  3p/Äi|ia/!v 
Bpara.  In  der  Ode  g\  erste  Strophe:  ckcraKH'k  :  riiocracH'k: 
zweite  Strophe:  CKasa  :  hs^/äkh  :  im  Theotokion:  HaiiäcrcMk  : 
K'k;i,'k.     Das  nach  der  seelisten  Ode  eingeschaltete  Kathisma   lautet 

so  :  IIOMAOV'H  ME  CflCE  MOH  IIOMAO\'H  ME.  H  HE  IVEAkiHH  MEHE 
MACTHßE  TH-kßU'Mk  TKOMMk.  HH  >KE  BkHH^H  Kk  CC\,'-AI*  CK 
paKOMk      TKOHMk.       a3      KO      KlvMk      Kk      HCTHHOV*      tilKO      HA      ME 

raiOTk  Mora  KE.SMHcakHaa  ckrp-kiiiEHia.  iip'k,\,k  tökoio  i|ie- 
;i,pkiH.  T-kM  >Ki  TH  SOKOr  iiOMAOyH  ME.  Das  Theotokion  stimmt  mit 
einigen  unbedeutenden  Abweichungen.  In  der  Ode  T,  erste  Strophe: 
ijjEApH  :  qiE,\,pOT'k,  TpHCUHHa  Rra  Kkclcyk  :  rpHCK-k-raarc»  Kra 
BckY'k;  zweite  Strophe:  wh1vI|iehie  ckrp'kiiiEHiEMk  :  u'Miii|iEHiE 
rpIvYU'ß'k.  Im  Theotokion:  CTkK.Xk  :  (l>päc/\k.  In  der  Ode  //,  erste 
Strophe:  CkcraKk  :  i'iiocrack ;  zweite  Strophe :  spliTH  :  K.^HpärH, 
RkCE^vpKiKHTEaio  :  i|iE',v,pkiM.  Im  Theotokion :  /\c»\-me  :  caäuki,  nao\,'-'- 
HaiöL{ia  :  TaftHO  HaSHäioL|ia.  In  der  Ode  ^',  erste  Strophe:  tahte 
HABMkCiVi" :  rAaruAani/A  MEAORlvMECKa/A,  Kkcii'kKaTH  :  n-krii  T/A: 
zweite  Strophe:  paRHOCToraTEAkua  caärmt  te:  paRMOCTÄTHOM'  caa- 
roiot/A;  imTheotokion:  CV»  HCTA'kMia  :  CP  hckSiiiehjh,  HMCiiC'Ci\a'rH 
MAH  ce:  A'^T"  c^ro  MOAH.  In  der  ersten  Stichologie  das  Kathisma: 
CkRk3,V,i^KiH^E  :  COKOSCTÄRH.    Das  Theotokion  dazu  anders:  Oy'/Kac- 

HOE      MIO,\,C>      aaHETia      H     HECKa.^aHHklH     VVRpä3k      pCiH^,V,EHia.      Kk 

TER-k  iioanacE    Mcraa    iipHCHO   ,\ii<^.    oyV\HRAratT  mki  oyMk.    h 


636  V.  Jagiö, 

oy->Ki\Ci\trK    nÖMkicAK,    c,\MW\    TKcra    Kii,f.     KhCA    iipocTpkTaä 

liK  CIICfHie  ,\,"'**'-'*»  HälUMMh. 

In  der  zweiten  Stichologie  stimmt  der  Text  mit  dem  zweiten  Stiche- 
rou  der  heutigen  Ausgabe :  c»\-ypKi(JBAi€H  ckMpKTk  :  c»\,'rj|fpTKHKijJH 
CLifpTk.    Im  Theotokion  dazu:  KroRk\'o;k,Haa  :  Ki'onpc>\'ö,\,Hi\/A,  Kk 

K'kHHlvH    ;KH3Hkl    :    KK     KliHHOlUIÖ     JKHKOTS,      HtHCKO\-CORpäHHO    : 

HfHCKScomSHUio.  D'iG  '^YTta-KOTj  stimmt  übereiu :  oy,\,HKi\raici(jf  : 
ciiiSi|jäKM|iki/A,    nocn'kiiikCTKOi'iciiJOij'  :  co^'RhctkökmiiS.    In  den 

Anabathmen  herrscht  Uebereinstimmung:    Ib  KJKCTkKHkiHMk  T^itXA- 

HULlk    Bk3KHIUaK»ipHIUI    d    :    UTK.   paHfHIEIUI'k     BOCKpHA AIOHJHMC/Ä. 

2a:  npiH^fTk  :  H,\mv,  2b:  npocTHpa« luia :  KacaioqjaA  ca,  nplc- 
AkCTH  :  CD  AfCTH,  2c:  TKiAAHit  :  paMCHif,  pa30\-iiik  :  oyiui'k;  3a: 
Bir.3CH/\a(Mk  :  Kosckiaafo;    3b:  cKßpkHkHk  :  cpaMHkiH. 

Der  Kanon  anastasimos  stimmt  in  beiden  überein :  Ode  a  in  der 
zweiten  Strophe:  HeHCKO^CHO  :  HtHSKSmtHHW,  im  Theotokion  dazu: 
iip'Kpa^VÖKaHHaa  :  KAro,\aTHaw\.  Kanon  stauroanastasimos  Ode  a' , 
erste  Strophe :  vUpfMtHia  :  CD  HSpfneHiA;  im  Theotokion  :  HBBaKHTH: 
CiiCTH.  Der  Muttergotteskanon  Ode«',  zweite  Strophe:  iVBpa^VÖBaH- 
Haa  :  BaaroA^THa/ft.  Im  Theotokion:  BrOHiß-kcTO  :  mth  ,\,bo. 
In  der  3.  Ode,  erste  Strophe:  OY''TKpk>K^fH  :  BO.vpy.SHBkiH,  pacnpö- 

Crpk    :    nOB-kCHRKIH,       HeUt\pkIKHMC>\j''K>     Tf'rOTÖ    :    HfU'AtpHIHIllW 

T/SsrOT'ki<M|JÖK>;  in  der  zweiten  Strophe:  Hfpaso^'iUHBÜ  :  HfEAaro- 
;i,apHiH.  Im  Theotokion:  HtckMSTaHHO  BkicTk  :  HfcoMfTaHHW  pc- 
^i,HAa  tCH.  In  der  3.  Ode  des  zweiten  Kanons:  TpH^\,HfBHO«  TBOf  Bk- 
craHie  :  BOAkHO«  tbo«  pacnATif ;  in  der  zweiten  Strophe:  noua- 
3aTH  ohne  den  Zusatz  lUli/'pcM'k.  Im  Theotokion:  H3  Mp'fecAk  TBOH\'k: 

H3'  BOKÖ  TBOtK». 

Auf  dem  7.  Blatt,  wo  auf  der  Vorderseite  die  erste  Illustration 
mit  den  drei  Hymnologen  enthalten  ist,  beginnt  auf  der  Rückseite  der 
Anfang  der  sechsten  Stimme,  die  Sticheren  stimmen  mit  dem  heute  üb- 
lichen Texte  im  Ganzen  überein,  mit  einzelnen  kleinen  Abweichungen. 
In  dem  zweiten  Sticheron :  alt  HcnpHKOCHOBEHMkiH  :  neu  HfnpHCTÖn- 
HkiH.  Das  auf  die  drei  Sticheren  folgende  Theotokion  stimmt  zu  den 
heute  an  dieser  Stelle  befindlichen  nicht,  wohl  aber  liest  man  das  Theo- 
tokion der  Cetinjer  Ausgabe:  Kto  t«b«  H(  BAÄJKHTk  np'kcraa  ^\R0 
in  der  Moskauer  Synodal-Ausgabe  auf  Bl.  OH^,   in  dem  Officium  der 


Ein  Nachtrag  zum  »ersten  Cetinjer  Kirchendruck  vom  J.  Um«.      637 

grossen  Vesper  des  Samstags  der  sechsten  Stimme  mit  folgenden  Ab- 
weichungen: Hf  KAJJKHTK  :  jetzt  H(  OyKAATKHT'h.,  Kk  ,\,K'|C  AMIJ,H  : 
ßO  ^ROIO  i\Hi;Ö.  Bk  ,V,»'»'''*"U"  »€CTBk  :  KC»  ;k,ßOIC  fCTKTKi>,  Hf- 
Ck/\li\HMO  :   HKAHTHU'. 

1/14.  Jänner  1903.  V.  Jagic. 


Kritischer  Anzeiger. 


Presernove  poezije.    Uredil  A.  Askerc.    V  Ljubljani  10()2.    Zalozil 
Lavoslav  Scliwentner. 


Diese  geschmackvolle  Ausgabe 
Preseren's  ist  vor  allem  für  das 
grosse  Publicum  bestimmt;  nichts- 
destoweniger nimmt  sie  in  der  Er- 
forschung der  Preseren'schen  Poesie 
einen  wichtigen  Platz  schon  dadurch 
ein,  dass  sie  die  erste  vollständige 
Sammlung  sowohl  origineller  als 
auch  übersetzter  Producte  des  Dich- 
ters ist.  Zu  Grunde  liegen  ihr  die 
drei  früheren  Ausgaben  (des  Dich- 
ters-selbst  aus  dem  Jahre  lb4T,  Jur- 
cic's  undStritars  1SG6,  Pintar's  litOO) 
und  das  Material,  das  durch  verschie- 
dene Gelehrte  im  »Presernov  Album« 
publicirt  wurde.  Eine  solche  slove- 
nische  Gesammtausgabe  that  umso- 
mehr  noth ,  als  eine  Sammlung 
sämmtlicher  deutscher  Gedichte  Pre- 
seren's bereits  erschienen  ist  V'. 

Der  Herausgeber  hat  dem  Texte 
eine  ziemlich  umfangreiche  Einlei- 
tung vorausgeschickt  (XI— LIV),  die  wie  alles,  was  aus  der  Feder  Askerc's 
kommt,  lebhaft  und  interessant  geschrieben  ist.  Vielleicht  wird  darin  mit 
Recht  Preieren  mit  Trubar  verglichen,  nur  scheinen  mir  dabei  die  Verdienste 
Vodnik's  zu  sehr  in  den  Hintergrund  gestellt  zu  sein.    Es  ist  zwar  wahr,  dass 


■  J^^ly^Co^^JL/ 


^■K 


1;  Dr.  Franz  Preseren's  Deutsche  Gedichte.  Laibach  1901.    Kleinmayr 
und  Bamberg. 


638  Kritischer  Anzeiger. 

Voduik  kein  origineller  Bahnbrecher  gewesen  ist,  aber  dichterisches  Talent 
kann  und  darf  ihm  nicht  abgesprochen  werden.  Er  lebte  in  einer  der  Muse 
nicht  günstigen  Zeit  und  musste  sich  die  Literatursprache  selber  schaffen. 
Kein  Wunder  also,  dass  ihm  viele  Formfehler  unterliefen.  Aber  eines  darf 
ihm  auch  in  formeller  Hinsicht  nicht  abgesprochen  werden,  und  zwar  Jenes, 
was  er  selbst  betont  in  seiner  bekannten  Strophe: 

Naj  pesem  umetna. 

Naj  merjena  bo; 

Nikdär  ni  prijetna,  ' 

Ak'  ziili  uho. 
Er  bewies  nicht  nur  die  Möglichkeit  slovenischer  künstlerischer  Verse, 
er  zeigte  auch,  wie  man  sie  schreiben  soll.  In  dieser  Beziehung  erinnert  er 
an  Tredjakovskij  und  Lomonosov.  Doch  war  er  mehr  Dichter  als  jene,  denn 
er  verpflanzte  die  Poesie  schon  in  seinen  ersten  Versuchen  auf  den  helmath- 
lichen  Boden,  obwohl  er  fremde  Muster  nie  verschmähte.  Preseren  hielt  sich 
nicht  für  seinen  Schüler  (vgl.  Gazelle  71,  er  machte  sich  sogar  über  seinen 
praktischen  Anacreontismus  lustig  (Epigr.  12),  dennoch  wusste  er  seine  Ver- 
dienste hochzuschätzen,  was  er  im  Gedichte  Vspomin  Valentina  Vodnika  be- 
wies, worin  er  ihn  in  demselben  Sinne  verherrlicht,  in  welchem  Vodnik  von 
sich  selbst  sang  (Moj  spominek) : 

Zivi  se  brez  pleuka 

0  petju,  ko  ptlc, 
und  weiter: 

Ne  beere,  ne  sina 

Po  meni  ne  bo; 

Dovölj  je  spomina: 

Me  pesmi  pojö. 
Der  Biographie  des  Dichters  fügte  Askerc  auch  eine  kritisch-ästhetische 
Würdigung  Preseren's  bei,  in  welcher  er  ausführlicher  bei  der  Satire  Nova 
pisarija  und  dem  Poem  Krst  pri  Savici  verweilt,  beim  letzteren  sich  augen- 
scheinlich auf  die  Abhandlung  des  Agramer  Professors  Music  stützend.  Ge- 
dichte, die  vom  Dichter  in  dessen  Ausgabe  von  1847  nicht  aufgenommen  wur- 
den, führt  Askerc  nicht  im  Anhang  an,  wie  es  in  der  zweiten  Auflage  ge- 
schab, sondern  versetzt  sie  unter  die  Abtheilungen,  in  welche  Preseren  selber 
seine  Sammlung  eingetheilt  hat.  Niemand  wird  leugnen,  dass  sich  für  eine 
populäre  Ausgabe  die  Reihenfolge  auf  Grund  der  Dichtungsarten  am  meisten 
eignet;  nur  möchte  man  den  Herausgeber  fragen,  warum  er  die  von  Preseren 
nicht  aufgenommenen  Gedichte  an  verschiedenen  Stellen  einfügte  und  sie 
nicht  konsequent  am  Schlüsse  einer  jeden  Abtheilung  folgen  Hess.  So  kommt 
Zdravica  am  Schlüsse  der  Pesmi  vor  (S.  33 — 3.5),  während  die  ebenfalls  neuen 
Svarllo  und  Vsö  sreco  ti  zelim  (20—23)  zwischen  Soldaska  und  Vspomin  Va- 
lentina Vödnika  eingeschoben  wurden.  Leichter  würde  man  sich  einverstan- 
den erklären  mit  der  Einfügung  der  Gedichte  Nüna  in  kanärcek,  Zarjavela 
devica,  Sveti  Senän,  Od  zidanja  cerkve  na  .Smärni  göri,  Smärna  gora  und  Ne- 
beska  procesija  (72— 8Si  zwischen  der  Originalballade  Örglar  und  der  über- 
setzten Bürger's  Lenora,  zu  welcher  Askerc  die  übrigen  üebersetzungen  — 


Preseren's  Dichtungen,  herauag.  von  Askerc,  angez.  von  Korsch.     639 

Licova  strelci  Körncr's,  Tri  zcije  (Grün's;,  Parizina  Hyron's  hinzufügte. 
Begreiflich  ist  auch  die  Einscliiebuugdes  lialbofriciellen  Gelegenheitsgedich- 
tes Janezu  N.  Ilradeckeiuu  llS— 121,  zwischen  die  Elegie  V  spoiuiu  Matija 
Cöpa  und  die  Satire  Nüva  pisarija,  weil  sich  nach  dem  letzten  Gedichte 
dieser  Abtheilung  Razlicne  poezije',  nach  der  hochpoetischen  Glosa,  die 
etwas  prosaische  Verherrlichung  der  ötfentlichen  Verdienste  des  Laibacher 
Bürgermeisters  wie  eine  arge  Dissonanz  ausnehmen  würde.  Auch  gegen  die 
Versetzung  der  Epigramme:  Abecedärju  nach  dem  Rävnikarju.  Izdajävcu 
Völkmerovih  fäbul  in  pi'sem  und  Novicarjem  138;  zwischen  Kn''iui)eljnu  und 
Kopitar  und  des  Sonettes  Vi  ki  vam  je  Ijnbezni  tiranija  hinter  dem  (3dprlo 
bo  nebö  po  sudnem  dnevi  lässt  sich  nichts  einwenden;  solche  Kleinigkeiten 
gruppirte  der  Dichter  selbst  nach  den  metrischen  Merkmalen.  Nicht  ohne 
Bedenken  wird  man  dagegen  der  Einschiebung  des  Sonettes  Mihu  Kastelcu 
(195 — 196;  zwischen  die  satirischen  Sonette  zustimmen  können,  weil  es  eben 
alles  eher  als  satirisch  ist.  Aber  in  der  Reihenfolge  der  übrigen  IT  neuen 
Sinnsprüche  und  Aufschriften  (140—146)  ist  schon  gar  kein  leitendes  Gesetz 
zu  bemerken:  die  Albumverse  Gospödu  Izmäjlu  Sreznjevskemu  und  Prijätlu 
Ferdinäudu  Schmidu  befinden  sich  unter  den  genug  bissigen  Epigrammen,  so 
wie  auch  der  endlich  als  Dreizeiler  gedruckte  gnomische  Bog.  Auf  diese 
Weise  geschah  es,  dass  das  Epigramm  Bözje  in  hudiceve  hi.se  v  Ljubijäni  von 
den  anderen  sinn-  und  formverwandten  Epigrammen  fast  über  drei  Seiten 
weit  verschoben  wurde.  Bei  dieser  Einfügung  der  neuen  Gedichte  in  die 
alten  Abtheilungen  passirte  dem  Herausgeber  ein  unangenehmes  Missver- 
ständniss  mit  der  metrischen  Anmerkung  Preseren's  zwischen  den  Epigram- 
men Ahacelnovim  pesmam  und  Nekim  pevcam  duhovnih  pesem,  nach  welcher 
die  nachfolgenden  Epigramme  alle  quantitativ  zu  lesen  sind,  was  aber  jetzt 
für  die  vom  Verfasser  eingeschobenen,  auf  dem  accentuirenden  Gesetze  be- 
ruhenden nicht  stimmt.  Darum,  glaube  ich,  wäre  es  mehr  am  Platze  gewesen, 
wenn  der  Harausgeber  die  Zabavljivi  napisi  Preseren's  stehen  gelassen  und 
für  die  Drugi  napisi  eine  neue  Abtheilung  eingeführt  hätte. 

Bei  der  Redaction  des  Textes  hielt  sich  Askerc.  wie  es  zu  erwarten 
war,  meistentheils  an  Pintar.  Entsprechend  dem  Zwecke  der  Ausgabe  ist 
nicht  nur  die  alte  Orthographie  durch  die  jetzige  ersetzt,  sondern  auch  die 
Sprache  der  heutigen  Literatursprache  angepasst.  Ich  habe  schon  darauf  hin- 
gewiesen, dass  die  neue  Schreibweise  »prijateij«  für  das  alte  »perjatel«  einen 
metrischen  Fehler  im  ersten  Verse  des  Epigramms  Danicarjem  verursacht  hat 
(vgl.  meinen  Aufsatz  »Nekaj  o  tekstu  Presernovili  pesmi«  im  Presernov  Al- 
bum S.  809;  nur  ist  dort  die  Stelle  theilweise  fehlerhaft  gedruckt,  es  sollte 
heissen:  in  tako  je  tudi  o  besedi  »prijateij»,  kjer  je  ta  zlog  del  korenincj. 
Uebrigens  gab  sich  schon  Levstik  in  seiner  vielumgearbeiteten  Ausgabe 
Preseren's  wenig  Mühe,  um  eine  richtige  und  deutliche  Wiedergabe  die.ser 
»griechischen«  Hexameter  und  Pentameter  zu  erzielen.  Darum  schrieb  er 
ruhig  nieder:  Prijatel,  und  dachte  auch  nicht  an  die  Anwendung  des  Apo- 
strophes,  um  im  Verse 

Düh  praznöte  kfi)  imä.  bOzjega  präzna  duhä 


(540  Kritischer  Anzeiger. 

den  Hiatus  nebst  der  übertiüssigen  Silbe  zu  entfernen.   Ebenso  wäre  der  Apo- 
stroph durch  die  Schreibweise  'zdä  im  folgenden  Verse  anzuwenden: 

_i^'v^|_i_l       _1_|       —   ^    \y  \     J-   ^     \^\  J.  \^ 

Sh'ivo  sraraöti  (i)zdä  cenc  Volkmera  Murko  'zdajävec 
In  diesem  Versmasse  erlaubte  sich  Preseren  augenscheinlich  nach  dem  Bei- 
spiele der  Griechen  und  Römer  noch  kühnere  Elisionen.   Z.  B. : 

I  1^  11  I  I 

Ako  rokovnjäske^in  mänj  bi  kraetävske  bile 

J.      _|_i<^\^|_i     _l        -1       —  I     J.   \^    \y  \  —  ^ 

AI  Dubrövnicanov,  serpski,  al  mär  verli  hrovaski 


Od  drügih  mänjsi^in  casten  mänj  rod  je  slovenski. 
Uebrigens  schreckte  er  auch  in  accentuirenden  Versen  vor  Elisionen 
nicht  zurück: 

Isces  oküli  me  s  plasnim'  ocmi  (14), 

Jezik  ji  laznjiv'  obeta  (30), 

Pravljica  po  Ezop'  od  väs  zapeta  (135), 

Das'  od  Ijubezni  üsta  so  molcäle  (169), 

Das'  üpa  tvöj  pogled  v  srce  ne  vlije  (ibid.). 
Konnte  in  den  angeführten  Fällen  der  Endvokal  ausgefallen  sein  wie  in 
dem  dialektischen  Liedchen  Svarilo  (20): 

Das'  vincek  je  kisel, 
so  weisen  folgende  Verse  zweifelsohne  auf  die  an  die  italienischen  und  ragu- 
säischen  Dichter  erinnernden  Elisionen  hin: 

Bog  te  obvar'  (viermal  in  Zapuscena  S.  30), 

In  kär  mu  obetate_ocesa  nje  (62); 
in  der  zweiten  Ausgabe  109:  obetati  ocesi,  in  der  dritten  (TS)  und  vierten: 
obetajo  ocesi,  in  allen  also  mit  Beibehaltung  der  Elision; 

Srce  bridko  zdihüje.  Bog  te_obvärji  (131), 

Emone  bödo  letopisi^oteli  — 
eine  Elision,  die  viel  riskirter  ist,  als  die  zwischen  den  beiden  lateinischen 
Wörtern  in  Nova  pisarija  (127): 

Horaci  »dulce_et  utile«  veleva. 
Auf  ähnliche  Weise  wie  im  oben  erwähnten  Epigramm  die  metrische 
Kichtigkeit  in  allen  nachpreseren'schen  Redactionen  der  neuen  Orthographie 
zum  Opfer  fiel,  wurde  auch  das  Metrum  des  von  Levstik  nicht  angetasteten 
Pentameters 

—   \^^\-L   \y    \y  \  J.  \\  J.   -^   -^  \  J.\^    "^1  — 

Läkota  släve,  blagä  vlece  pisärja  drugäm 
durch  die  metrisch  unrichtige,  aus  der  »Censurhandschrift«  herrührende 
Variante        Läkota  d'narja,  casti  .... 

verdorben.  Ob  die  letztere  Lesart  um  so  viel  besser  ist,  dass  ihr  zu  Liebe  die 
rubere  metrisch  richtige  fallen  musste,  ist  zu  bezweifeln  *).    Endlich  wurde 


•)  Ich  bin  noch  immer  der  Meinung,  dass  der  erste  Vers  des  Epigrammes 


Proseren's  Dichtungen,  herausg.  von  Askerc,  angez.  von  Korsch.    641 

dnrch  die  neue  Orthographie  auch  das  Akrostichon  im  Sonette  Mars'kteri 
roinar  gre  v  Kim,  v  Kouipostelje  IsT]  verdorben,  so  dass  es  jetzt  durch  die 
Schreibweise  »Onstranske«  für  das  Preseren'ache  »Unstranskc"  —  »Matevzo 
Langusu«  lautet.  In  den  zwei  letzten  Fällen  gingen  also  die  neuesten  Heraus- 
geber, die  sich  sonst  luügliciist  an  Preseren  zu  halten  bemühten,  sogar  weiter 
als  Levstik,  der  sich  noch  an  einigen  Stellen  conservativer  erwies.  So  corri- 
girte  zwar  auch  er  in  den  Preseren'schen  Nominativen  und  Accusativen  pl. 
der  Neutra  auf-o  das -e  in  -a  entsprechend  der  neueren  Literatursprache, 
ausgenommen  wo  es  der  Reim  nicht  zuliess.  In  K  slove8U(13)  und  Lenora(9S, 
half  er  sich  durch  leichte  Textcorrecturen,  indem  er  im  ersten  Falle  statt 
pöta  temötne  —  poti  temötne  setzte,  im  zweiten  aber  auf  cudesa  neznana 
(Preseren:  cudeza  neznäne  das  Singular  capica  sezgana  Preseren  PI.:  cäpice 
sezgäne)  reimte.  Die  neuen  Redactoren  behielten  cudesa  iweil  cudez  Masc. 
ist,  auch  bei  Preseren  im  Sonett  Na  jäsnem  nebi  uiila  h'ina  sveti  ,  sonst  aber 
Hessen  sie  alles  unverändert,  trotz  der  jetzt  unliterarischen  Form  cudesa 
neznane.  Au  anderen  Stellen  war  aber  auch  Levstik  nicht  im  Stande,  die 
Form  auf  -a  consequent  durchzuführen.   So  in  Nebeska  procesija  (S6; : 


Bahäci  cvetero  bölj  mnöznih  Släve  rodöv:  Ceh,  Poljäk  in  Ilir,  Rus  svöj  'zo- 
bräziti  jezik  durch  die  Einschiebuug  einer  ausgefallenen  Silbe  corrigirt  wer- 
den muss  vgl.  Presernov  Album,  S.  SOI»),  nur  halte  ich  nicht  mehr  an  der  da- 
selbst vorgeschlagenen  Copula  »in«  trotz  der  Parallele  in  dem  accentuirenden 
Hexameter  Ceh  in  Poljäk,  kar  Ri'is  in  Ilir,  kar  röd  nas  slovenski 
(V  spomin  Matija  Cöpa  fest,  da  Preseren  die  Position  aus  dem  Schlussconso- 
nanteu  des  ersten  und  dem  Anfangsconsonanten  des  zweiten  Wortes  beach- 
tete, im  Verse  des  Epigramme»  Nekim  pi'vcam  duhuvnih  pesem,  auf  welche 
ich  mich  damals  berief,  aber  folgende  Elision  möglich  ist: 


Res  je  duh6vna_in  res  pesem  ni  väsa  duhovna. 
Darum  ziehe  ich  jetzt  vor,  den  Ausfall  der  Partikel  «le«  anzunehmen,  die 
auch  im  zweiten  Vers  vorkommt: 

.-  -  -I-  --7   -  I   -,    -I  --1--1 

Ceh  le,  Poljäk  in  Ilir,  Rüs  svoj  'zobräziti  jezik, 

—  \J     ^U        1.     \J     s^    \    —    \    1.    ^      ^    \    —  '^    \-/\l. 

Njlh  le  mogöcni  ga  röd'  ima  pravico  pisät'. 
Wenn  auch  das  Ij,  rj  von  den  Slovenen  nicht  wie  einfache  weiche  1,  r,  son- 
dern fast  getrennt  ausgesprochen  werden,  ist  es  dennoch  zweifelhaft,  dass 
Preseren  den  accentloscn  Vocal  auf  solche  Weise  verlängert  hätte,  zumal  der 
Vers  in  Danicarjem 

-  ^^r  -i-     I  -  ,"-    -----i- 

Dobrovius  modröst"  prasa  Kopitarjevo 
für  das  Gegentlieil  spricht.   Man  könnte  auch  fragen,  ob  im  Verse 

Bell  Hrovät,  Rusnjäk  ne',  Sloväk  ne,  a  Slovenci  ne  drugi 
das  z  nicht  überflüssig  ist.    Die  Auslassung  der  Präposition  würde  den  Sinn 
drugi  Slovenci  =  andere  Slaven  geben. 


(542  Kritischer  Anzeiger. 

Veuja  mesta  so  krscanske  (Reim  Ijubljanske), 
in  Nova  pisarija  (123): 

Peccne,  Ijübcek,  pisceta  na  sveti 

Nikömur  niso  v  gMo  prilet61e  (R.  zrele  und  viscle;  nach  prile- 
tele  behielt  er  auch  die  sich  nicht  unter  dem  Reime  befindende  Form  pecene 
bei),  daselbst  ( 1 27) : 

Kaj  prida  slis'jo  vsesa  näse  räde  (R.  baläde  und  mläde,  dar- 
nach auch  nase  bei  allen),  in  Prva  Ijubezen  (129): 

Ze  rairu  sfcnemu  nevarne  leta, 

Mladösti  leta  so  slovö  jemäle  (R.  zäle  und  vstajäle,  im  Adjektiv 
behielt  Levstik  das  -e,  die  neuen  Redaktoren  vertauschten  es  inconsequent 
mit  -a),  daselbst  (130) : 

Ne  oraece  je  lica  obledene  (R.  zapuscene  und  mene;,  in  Slovö 
od  mladosti  (131): 

Mad6sti  leta,  kmälo  ste  minüle  (R.  osüle  und  rjule),  im  Sonett 
Kupido,  ti  in  tvoja  lepa  starka  (165) : 

Ta  leta,  ki  so  meni  se  ostäle*)  (R.  säle  und  bokäle,  das  Pron. 
dem.  bei  Levstik  te,  bei  den  neuen  ta),  im  Sonetni  venec,  Son.  2  (168): 

Vremöna  bodo  Kränjcem  se  zjasnile  (R.  glasile  und  raile), 
Son.  3  (169) : 

Das'  od  Ijubezni  üsta  so  molcäle  (R.  pognäle,  hväle  und  razo- 
deväle),  Son.  7  (173): 

Ki  so  Jim  Iji'idstva  Träcije  siröve 

Krog  Hema,  Rudope  bile  se  odäle. 

Da  bi  nebesa  milost  nara  skazäle, 


Z  domäc'mi  pesmam'  Örfeja  posläle !  (R.  skäle,  bile  von  allen 
beibehalten),  Son.  8  (174): 

Ker  vredne  dela  niso  jih  budile  (R.  sile  und  redile,  das  Adjek- 
tivum  sowohl  bei  Levstik,  wie  bei  Pintar  und  Askerc  vredna),  Son.  10  (177): 

Vmirileprsi,  lica  se  zjasnile  (R.  sile,  polastile  und  mile),  im 
Krst  pri  Savici  (214): 

Orözja,  ki  so  nam  nepremagljive  (R.  zive  und  Ijubeznjive), 
daselbst  (217): 

Leze  sovräznikov  truplä  krväve   (R.  präve  und  trdnjäve) , 
daselbst  (222):  Da  so  nas  döm  visoke 

Nebesa  (R.  otröke  und  röke).  Der  Correctur  Askerc's  entzog 
sich  die  nicht  durch  den  Reim  geschützte  Stelle  in  dem  neuen  Grobni  napis 
dvema  deckoma  (146): 

Oca,  mätere  ocesa 

Mökre  gledajo  v  nebesa, 


1)  In  der  ersten  Ausgabe  steht  ostäla,  wahrscheinlich  nach  dem  Dialect 
des  Setzers  oder  Correctors.  Könnte  man  nicht  solche  Spuren  auch  anderswo 
vermuthen,  z.  B.  im  Local  auf -i?  vgl.  unten. 


Preseren  s  Dichtungen,  hcriiusg.  von  Askerc.  angez.  von  Korsch.    (343 

vielleicht  durch  die  Analogie  mit  der  Form  oci.  die  jetzt  für  den  Noiu.  pl. 
fem.  gen.  gehalten  wird.  Deshalb  musste  aber  das  -e  an  drei  anderen  Stellen 
dem  -a  Platz  machen,  an  welchen  es  durch  den  spanischen  Reim,  die  A.sso- 
nanz  geschützt  war.   Sie  lauten  in  der  ersten  Ausgabe  (46  : 

Prosen,  stn'ine  vbOre,  pOje 

Dela  vitezov  junäske 

In  deklet  oci  nebeske, 

Sica  od  njih  ugnja  vzgäne 
und  47):         Brez  otrök  inoj  zäkon  büdi, 

Brez  veselja  leta  r-täre! 
Weder  Levstik  (82,  84;  noch  Pintar  ;49,  5ü)  wagten  es,  durch  die  gramma- 
tische Correctur  die  Assonanz  zu  zerstören,  Ackere  that  es,  indem  er  die 
Formen  junaska.  vzgana  (44)  und  stara  46)  einführte  .  .  . 

Bei  einer  genaueren  Durchforschung  würden  sich  vermiithlicli  noch  an- 
dere Fälle  solcher  Abweichungen  ergeben ;  wenn  sich  nun  die  Sache  so  ver- 
hält, drängt  sich  einem  unwillkürlich  die  Frage  auf,  ob  es  denn  wirklich  an- 
gezeigt war,  diese  Aenderung  des  -e  in  -a  an  einigen  Stellen  vorzunehmen 
und  dadurch  in  die  Preserensche  Rede  eine  solche  Buntheit  hineinzutragen? 
Das  gleiche  gilt  für  den  Local  der  Stämme  auf  -o,  welcher  bei  Preseren 
grösstentheils  auf -i  ausgeht,  in  der  heutigen  Literatursprache  jedoch  auf-u 
endet.   Auch  hier  sieht  man  dieselbe  Sucht  nach  der  Anpassung  an  das  Zeit- 
gemässe  und  denselben  Erfolg,  wie  die  Beispiele  zeigen.  Z.  B. 
Od  zelezne  ceste   27, :  DrügQ  Ijübco  v  vsäkem  m6sti  !R.  cesti), 
Nuna  in  kanärcek  i73, :  Käk  zivel  bi  zünaj  na  sveti    R.  trpeti), 
Nebeska  proc(''8ija;S4;:  Bog  sedi  na  svujem  stöli  (R.  okoli , 
Lenüra  ;90,91,:  Ni  milosti  pri  Bögi    R.  vbogi), 
daselbst:        Pri  svetem  obhajili    R.  smili , 
daselbst  (93/:  Sem  vstäl  na  ceskem  sveti  (R.  vzeti), 
daselbst  (96):  Gel  tröp  po  könja  sledi  ;R.  besedi;, 
daselbst  (98):  Lenora  tarn  v  trepeti  fR.  zivetij, 
Licova  strelci   100  :  Se  vziga  v  krvävem  plameni  ,'R.  pomeni , 
Nüva  pisarija  122  :   Ak  höces  käj  veljäti  v  näsem  trupi   R.  zastopi  u.  stöpi), 
daselbst:  Ces  biti  v  kränjskih  kläsikov  stevili  (R.  sili  und  trobili), 

daselbst  (123,:  AI  se  bojira,  pri  lüvtarju,  pri  kmeti  (wo  sogar  Levstik  die 
Preseren'sche  Form  rovtarji  beibehielt),  daselbst  ein  Vers  weiter: 

Pecene,  Ijübcek,  pisceta  na  sveti   der  dritte  Reim  ziveti), 
Pi-va  Ijubezen  ;130/ : 

Ki  je  od  nje  na  zädnji  petek  v  posti    R.  gosti  und  sladkosti), 
Glösa  (133):  Le  zacniva  pri  Homeri  (R.  beri  und  Alighieri  . 
Gazela  5  (155  :  Da  zacne  se  leto  starat'  ze  v  srpäni  (R.  läni,LjubIjäni,  oznäni, 
vstrah'väni,  räni  und  bräni  , 
Sonett  Tak,  käkor  hrepeni  oko  colnärja  163  : 

Po  morji,   po  razjäsnenem  azuri    R.  Diosküri,   üri  und  düri  , 
Sonetni  venec,  Son.  &  (174) : 

Kar  raste  röz  na  mlädem  nam  Parnäsi   R.  cäsi  und  gläfli  , 


644  Kritischer  Anzeiger. 

Souett  183  dessen  erster  Vers:  Sanjalo  sc  mi  je,  da  v  svetem  räji  iR.  kräji, 

mläji  und  väji], 

Son.  Velika,  Togenburg,  bilä  je  mera  (184) :  Da  bi  ne  zälil  je,  v  vednem  trepeti 

(R.  ozreti  und  sveti), 

Sou.  Na  jäsnem  n(§bi  mila  li'ina  sv6ti  (186): 

Da  nenevärna  je  stvarem  na  sveti, 
Son.  Oci  bile  pri  njl  v  deklet  so  sr^di  (189): 

Hodile  so  noge  le  po  nje  sledi 


Po  rök,  ust  in  oci  so  se  izgledi  (R.  sredi  und  pogledi), 
Sonett  (191),  dessen  erster  Vers: 

Odpflo  bo  nebo  po  sodnjem  dnevi  (R.  levi,  'links,  levi,  Löwen,  und  revi), 
daselbst:        Mi  pred  ocnii  je  v  närtemnejsem  köti   (R.  naproti  und  pöti), 
Son.  Ne  bod'mo  salobärde  (194):  Ko  ziobudräli  so  tarn  v  Babiluni  (R.  Emoni  . 
Son.  Zopet  izdajälcu  Völkmerovih  fabul  in  pesem  (195): 

Prihodnjih  cäsov  up  v  uiladen'ca  deli  (R.  sprejeli  und  dezeli), 
Son.  Mihu  Kasteien  (196): 

Stezice  zlozne,  cvet  disec  po  medi, 

Säd  brez  poti'i;  zapIecVat  so  po  redi  (R.  sredi  und  sledl), 
daselbst:        Ti  si  nas  zbüdil,  zbräl  ob  hüdem  cäsi 


Prostöre  na  domäcem  so  Parnäsi  (R.  gläsi)," 
Krst  pri  Savlci(211):  Mänj  sträsna  noc  je  v  cfne  zetnlje  kriii 


Strahljlvca  v  celeni  ni  iniel  stevili  (R.  sili), 
daselbst  (214):  Tarn  v  cäsih  Crtomira  na  otöki  (B.  stoki  und  jöki;, 
daselbst  (215):  Sloveca  Hero  je  bilä  v  Abidi  (R.  vidi  und  sprfdi), 
daselbst:  Od  tega,  kar  raste  pri  njega  grädi  (R.  navädi  und  mlädi),', 

daselbst  (217):  Premägan  pri  Bohinjskem  säm  jezeri  (R.  meri  und  veri), 
daselbst  (220):  Ni  meni  mär,  kär  se  godi  na  sveti  (R.  objeti), 
daselbst:  Me  ti'ikaj  vidis  zdäj  v  samutnem  kräji  fR.  näji)i), 

daselbst  (221):  Veckrät  v  otöka  sem  samotnem  kräji  (R.  näji  und  najsläji , 
daselbst  (222):  Käk  greh  prisel  na  svet  je  po  Adämi  (R.  z  väuii,  z  nämi;, 
daselbst:  Bledo  lezäti  na  mrtväskem  pfti   (R.  cr'ti  und  smrti), 

daselbst  (224):  Po   smrti  näma  täm  v  nebeskem  dvöri  (R.  zazöri), 
daselbst  (225):  V  visävah  pri  Mesijesa  prihodi  (R.  bödi  und  narödi), 
daselbst  (226):  In  tämkaj  mlli  Bog  v  nebeskem  raji  (R.  narsläji  und  näji), 
daselbst:  V  zeljä  bridkösti,  v  üpa  räjskem  siji  (R.  Mariji  und  Mesiji), 

daselbst  (228):  Gorela  v  cistem,  v  vecnem  bo  plameni  (R.  meni,  njeni), 
daselbst:  Kar  dni  odlocenih  mi  bö  na  sveti 


V  uebesih  cäkala  bom  pri  oceti  (R.  obeti). 


1,!  Das  im  ersten  Verse  dieser  Strophe  vorkommende  pocäsi,  d.  i.  po 
cäsi  =  langsam  wird  auch  in  der  heutigen  Literatursprache  so  geschrieben, 
wie  auch  poleti  =  im  Sommer  (186). 


Preseren's  Dichtungen,  herausg.  von  Askerc,  angez.  von  Korsch.     645 

Aber  nicht  nur  den  Local  der  o-Stäuuue,  sondern  auch  den  Dativ  lässt 
Preseren  zuweilen  unter  dem  Reim  auf  -i  ausgehen.  Z.  B.  Nova  pisarija  (123): 
In  pozeu  vni'ik  poroma  k  tvoj'mu  gröbi    R.  zaröbi  und  otrijbi;. 
Son.  Ni  znal  molitve  zlähtnic  tvrde  gläve  (182  : 

Od  zöra,  da  se  nagne  dän  k  veceri  (R.  hceri  und  zam6ri;, 
Son.  Zöpet  izdajälcu  Volkmerovih  fäbul  in  pesem  ;195;: 

Gorje,  gorje,  gorje  mu  izdajälci !  (R.priliz'välci  und  nemsk'väici], 
Krst  pri  Savici  (220  :  Povesta  mu,  da  slüzi  Nazareni  R.  oblozCni,  zeleni), 
daselbst  (221):  Kakö  prislä  k  resufce  sem  pogledi  (R.  zvedi , 
daselbst  (229) :  Moice  podä  desnico  ji  k  slov^si; 
Solze  stojijo  V  vsäkem  mu  ocesi, 
daselbst  (230):  Domü  je  Bogomila  slä  k  oceti. 
Nie  vec  se  nista  videla  na  sveti. 
In  den  letzten  zwei  Beispielen  haben  die  neuen  Herausgeber,  von  Lev- 
stik  angefangen,  die  u-Endungen  eingeführt;  an  zwei  anderen  Stellen  kam 
ihnen  der  Dichter  selbst  in  seiner  Ausgabe  zuvor.   Vgl.  K  slovesu: 
Desno  ruko  brez  skerbi 
Däj  k  prijäznimu  slovesu, 
Sölz  V  nobunim  ni  o^esu, 
Zal  —  besede  v  üstih  ni 
und  Soldäska: 

Säj  vem,  da  mora  vsäk  umret', 
In  iti  vsäk  k  poköju. 
Na  postlji  ali  v  böju. 
Poterta  stärost,  mlädi  cvet. 
Um  die  Frage  ruhig  lösen  zu  können,  welchen  Weg  der  Redactor  einer 
populären  Ausgabe  einschlagen  soll,  um  die  überflüssige  grammatische  Bunt- 
heit ohne  willkürliche  Vergewaltigung  des  Originaltextes  zu  vermeiden,  will 
ich  eine  Uebersicht  der  Bildung  dieses  Falles  bei  Preseren  auch  ausserhalb 
der  Reime  geben.    Die  Zahlen  beziehen  sich  auf  die  Seiten  der  ersten  Aus- 
gabe: V  sercu  5,  15,  17,  aber  v  serci  145,  155;  ob  easu  T,  68,  v  casu  80;  v  goj- 
zdi  10;  V  pölji  10,  na  pölji  102,  po  polji  171;  per  Bogi  21  zweimal,  aber  per 
Bögu  75;  V  potöpu  22;  po  mörji  ibid.,  77,  129  (=  163  auch  in  der  neuen  Aus- 
gabe —  vgl.  oben!,  na  mörji  93;  v  gröbu  27,  74,  na  zgodnjim  grobu  134,  na 
gröbi  na  tvöjim  96;  v  obüpu  27;  po  sveti  34,  47,  74,  89  zweimal,  na  sv^ti  187, 
190,  aber  po  svetu  53  zweimal;  per  ökni  39;  Je  v  sestnäjstim,  mislim,  leti  43 ; 

V  Turjäskim  dvöri  45;  po  tergi  5o,  aber  na  starim  so  tergu  69;  v  klöstru  54; 
po  pödu  70;  na  nebu  70,  aber  na  nebi  77,  na  jäsnem  nebi  152;  po  kuneu  70, 

V  prednje  köncu  133,  aber  po  könci  175;  na  bregu  71  fes  sei  bemerkt,  dass 
die  Seiten  69,  70,  71  die  Ballade  PovOdnji  möz  einnimmt;;  po  p^vcu  73;  per 
poköpu  73;  V  mestu  SO,  aber  po  mesti  130,  na  mesti  192  zweimal  (Anmer- 
kungen 2  und  4  zum  Krst  pri  Savici,;  na  prägu  82;  v  grädu  84,  85  zweimal: 
per  rövtarji  98  =  123  auch  in  der  neuen  Ausgabe  —  vgl.  oben);  po-nasledu 
112;  per  kafeti  120;  per  Sisku  127;  v  Betlehemu  132;  v  spänji  133;  v  upu 
135;  V  gledisu  136;  v  pogledu  137;  po  obräzi  137;  v  strähu  138;  na  mräzu 

Archiv  für  slavische  Philologie.     XXV.  42 


(j46  Kritischer  Anzeiger. 

142;  V  germovji  140;  v  poköji  164;  v  mertväskim  perti  167;  v  dnü  174,  182; 
vzräki  180;  v  kniji  180;  per  släpi  180;  na  krizi  184;  v  veselji  180;  vcvetji  187; 
V  zaköiiil89;  v  imeni  191;  unbestimmt  110:  Pravljica  po  Ezöp'  od  väs  zapeta. 

Diese  beiden  Zusammenstellungen  sind  unvollständig,  die  letztere  schon 
desswegen,  weil  ich  mich  darin  nur  auf  die  erste  Ausgabe  beschränken 
musste,  welche  dazu  noch  manches  enthält,  was  nicht  von  Preseren  herrühren 
dürfte :  so  einige  falsch  angebrachte  Accente  und  die  in  drei  Versen  fehlen- 
den Doppelsilben  (worüber  unten).  Wie  es  dem  nun  sei,  solange  dies  der 
einzige  aus  den  Lebzeiten  Preseren's  herrührende  Text  ist,  kann  man  sich 
nur  auf  ihn  stützen,  wenn  einem  die  «Censurhandschrift«  nicht  zur  Verfügung 
steht.  Die  obigen  Zusammenstellungen  haben  ergeben:  39  Beispiele  auf-u, 
davon  nur  2  unter  dem  Reim,  und  94  auf  -i  (die  Dative  nicht  mitgezählt),  da- 
von 51  im  Reim.  Also  überwiegt  die  Zahl  der  Beispiele  auf  ~i  die  der  Fälle 
auf  -u  um  mehr  als  das'  Doppelte.  Auf  -i  gehen  bei  Preseren  im  Local  alle 
Beispiele  weicher  Stämme  aus.  Die  Ausnahme  bildet  nur  die  oben  erwähnte 
Form  boju  als  Reim  auf  den  Dat.  poköju,  welche  mit  der  als  hart  geltenden 
ebenfalls  localen  Form  ocesu  als  Reim  auf  den  Dat.  slovesu  bei  der  Möglich- 
keit der  Dative  pokoji  und  slovesi  allerdings  befremdet.  Von  den  Wörtern, 
die  bei  Preseren  den  Local  auf  -u  bilden,  schwankt  das  einzige  dno  nicht, 
10  Wörter  sind  dem  Schwanken  zwischen  -u  und  -i  unterworfen,  von  den 
übrigen  kann  man  nichts  Bestimmtes  aussagen,  weil  sie  nur  je  einmal  vor- 
kommen. Vielleicht  ist  es  nicht  ohne  Interesse,  das  Vorkommen  beider  For- 
men auch  nach  einzelnen  Gedichten  zu  constatiren:  So  weist  die  Ballade 
Povodnji  möz  (69—71),  wie  ich  schon  oben  dargelegt  habe,  5  Beispiele  mit  -u 
auf,  wogegen  in  dem  Poem  Kr  st  pri  Savici  (174 — 191)  auf  zwei  dnü  19  Fälle 
mit  -i  (die  4  Dative  auf  -i  nicht  mitgezählt)  kommen.  Daraus  könnte  man 
folgern,  dass  Preseren  anfangs -u  dem -i  vorzog,  was  aber  erst  genauer  zu 
untersuchen  wäre,  besonders  wenn  man  bedenkt,  dass  das  erwähnte  Gedicht 
vom  Dichter  vor  der  Drucklegung  noch  einmal  durchgesehen  und  umge- 
arbeitet wurde.  —  Um  die  Sprache  Preseren's  der  heutigen  Literatursprache 
einigermassen  anzupassen,  wurden,  wie  wir  gesehen  haben,  42  Beispiele  nach 
39  umgeändert,  die  übrigen,  mit  diesen  39  nicht  übereinstimmenden  50  Fälle 
mussten  jedoch  unangetastet  gelassen  werden,  weil  sie  der  Reim  schützte. 
Man  sieht,  es  lohnte  sich  kaum  der  Mühe;  und  wenn  schon  eine  Gleichförmig- 
keit angestrebt  wurde,  so  würde  die  umgekehrte  Arbeit  besser  am  Platze  ge- 
wesen sein. 

Aehnlich  verhält  es  sich  mit  einer  Vokalerscheinung  der  Preseren'schen 
Sprache.  lu  den  Verbalstämmen  vom  Typus  btr-  (bräti)  —  ber-  (bere)  —  bir- 
(izbirati)  bediente  sich  Preseren  anstatt  des  in  der  heutigen  Literatursprache 
üblichen  i  gewöhnlich  eines  e,  welches  bei  ihm  einigemale  auch  in  den  Nomi- 
nibus vorkommt!).   So  lesen  wir  S.  10  seiner  Ausgabe: 


*)  Davon  rührt  auch  die  Verschiedenheit  der  Schreibweise  seines  Namens 
her:  er  selber  schrieb  sich  Prefhern,  seltener  Pref herin  —  Preserin,  Levstik 
sehrieb  ihn  Presiren,  jetzt  einigte  man  sich  für  Preseren. 


Preseren's  Dichtungen,  herausg.  von  Askerc,  angez.  von  Korsch.     647 
Po  drügih  se  ozeraj 

Se  men'  oci  odperaj, 
Seite  1 1 :        Säj  nä  me  se  ozeraj 

Oci  lui  säj  odperaj; 
Seite  25:        In  miro  nabera 

Se  vbäda,  se  vpera, 
Seite  30:       Zene  jez  ne  böm  zap^ral 


Nje  obr^sti  böm  poberal, 
Seite  69:        AI.  ker  se  ozera,  plesävca  si  zbera. 

An  allen  diesen  Stellen  kann  das  -er-  ohne  weiteres  durch  -ir-  ersetzt 
werden.   Bedenklicher  erscheint  es  schon  Seite  29 : 

C6ste  tebi  ne  zap^ram 


Ti  pa  luene  piisti  znieraiu. 
was  von  Levstik  'S.  69}  beibehalten,  von  den  neuen  aber  in  zapiraui  —  z  mi- 
rara  corrigirt  wurde,  was  davon  herrührt,  dass  die  Herausgeber  dasWürtchen 
zmei'am  verschieden  auf fassten :  Levstik  als  ein  Wort  zmörom  V  sonst  auch 
zmeraj,  v  eno  mer)  =  immer,  fortwährend,  was  hier  dem  Sinne  kaum  ent- 
spricht, Pintar  und  Askerc  aber  wie  zwei  —  z  mirom  =  in  Ruhe,  was  besser 
passt.  Darnach  würde  Preseren  auch  das  Wort  mir  zuweilen  mera,  meru 
u.s.w.  deklinirt  haben  fsonst  kommt  bei  ihm  mir  56,  75.  mirii  12,  TS,  15".  miru 
104,  mirni  119,  mirno  161,  164,  umirila  57  vor .  Unmöglich  ist  die  Aenderung 
in  dem  schon  oben  citirten  Sonett  (150,  neuer  Ausgabe  184) : 

Ti  vsäk  dan  ökno  celice  odpera 


Se  se  zai'ipijiv  k  nji  pogled  ozera, 
weil  es  die  beiden  anderen  Reime  mera  und  vec6ra  nicht  zulassen.   Dasselbe 
gilt  von  den  Versen  im  Ki-st  180  =  218: 

Ker  sr^cen  veter  nji  rok6  podpera 


Se  ribic  po  sovraznikih  ozera 
mit   dem   dritten  Reim  jezera,   und  von  dem  im  unlängst   neuentdeckten 
Svarilo  21: 

Predölgo  ne  'zberaj   (R.  vceraj}, 
wie  auch  von  dem  in  Jänezu  N.  Hrad^ckemu  119: 

Jim  z  jädri  svöjim'  piävati  zavera  (R.  kt^ra  und  vecera).  Doch 
gebrauchte  Preseren  auch  die  andere  Form,  vgl.  das  5.  Sonett  des  » Sonetten- 
kranzes« (171): 


1)  Zmeram  ist  nur  die  ältere  Schreib  form,  welche  durch  die  im  J.  1854 
erschienene  Grammatik  von  Janezic  ausser  Gebrauch  gesetzt  wurde. 

42* 


ß48  Kritischer  Anzeiger. 

Kjer  tvuje  luilo  se  okö  ozira, 

Kjer  vsa  v  pogledu  tvujim  skrb  muira 

Kjer  mine  jeza  nötranj'ga  prepira, 

Kjer  petje  z  pölniga  sercä  izvira. 
Demnach  stellen  sich  bei  unserem  Dichter  die  Formen  oz6ra- ozira, 
'zbera-'zbira  als  völlig  gleichwerthe  Varianten  dar,  deren  er  sich  gänzlich 
willkürlich  bedienen  zu  können  glaubte i;.  Deswegen  konnten  sich  zu  diesen 
Formen  auch  die  neuen  Herausgeber  in  ihren  populären  Ausgaben  mit  der- 
selben Freiheit  verhalten,  wo  immer  es  der  Reim  gestattete.  Dasselbe  gilt 
von  dem  Wörtchen  kmälo,  seit  der  zweiten  Ausgabe  —  kmalu  (d.  i.  k  malu  = 
mox,  bald,  bientöt)  innerhalb  des  Verses  (wie  auf  den  Seiten  79,  83,  84,  106, 
107  der  ersten  Ausgabe),  nicht  aber,  selbstverständlich,  am  Schlüsse,  z.  B. 
Seite  b  der  ersten  Ausg. : 

Ak  se  ne  usmili  kmälo  (R.  hvälo), 
Seite  43:        Se  moziti   se  prekmälo  (in  der  Assonanz  mit  mäno,  prävdo, 
stäro,  bogäto  u.  s.  w.), 

Seite  106:  Dni  mujih  lepsi  polovica,  kmälo  (R.  mälo  und  sijälo).  Der  an 
das  kmälu  gewöhnte  Leser  kann  das  kmälo  als  licentia  poetica  ansehen,  ähn- 
lich wie  das  Preseren'sche  s  im  Sonett  Komür  je  srece  dar  bilä  klofüta  (201) : 

Mirii  ne  näjde  revez,  ak  preise  (R.  hise  u.  obrise)  für  das  rich- 
tige preisce,  oder  in  dem  erst  in  der  zweiten  Ausgabe  aufgenommenen  Lob- 
gedicht Jänezu  N.  Hradeckemu  (121): 

Naj  tvöjih  dni  stevilo  se  naräsa  (R.  cäsa  u.  nasa)  für  narasca, 
und  in  Nebeska  procesija  (87):  Ko  v  gledise,  na  plesise, 
und  S.  88:      Zidalo  se  bo  gledise  (R.  beidesmal  hise],  neben  welchen  Formen 
er  auch  das  richtige  liest,  z.  B.  S.  86 : 

Ker  je  revno  nje  gledisce 


Ze  trobljivo  nje  plesisce 
und  tiefer  unten : 

Nje  strelisce  je  odröcno, 
oder  S.  87:     Na  streliscu  vküp  je  zbräl, 
in  Nova  pisarija  (125): 

Pescicico  denimo  na  ognjisce 


C'mü  bö  nam,  präsam,  präzno  pogorisce? 
Da  'z  njega  zräste  novo  besedisce? 


1)  Nur  in  umjrati  scheint  er  nur  i  geschrieben  zu  haben.    Vgl.  umira  5, 
vmiral  59;  in  Licova  strelci  (100)  richtet  sich  izvira  nach  vmira: 
Med  trüpli  sovräznikov  vmira? 


Prostöst  säj  iz  smfti  izvira. 


Preseren's  Dichtungen,  herausg.  von  Askerc,  angez.  von  Korsch.     649 

wo  der  Correctur  des  oberkrainischen  s  in  das  literarische  sc  kein  Reim  im 
Wege  stand. 

Anfechtbar  ist  dagegen  die  Schreibweise  Askerc's:  dolgega  (S9  und 
ubogega  (91),  wofür  bei  Preseren  dulziga  {91  und  Ubi'iziga  60,  bei  Levstik 
dolzega  (91  und  Ubözega  93;  und  so  auch  bei  Pintar.  Die  Formen  mit  z 
gebraucht  auch  die  heutige  Schriftsprache  und  der  Herr  Askerc  selbst  (vgl. 
S.  8,  9,  26,  30,  103,  104;,  wie  auch  globoc'ga  (15,  und  sogar  uboz'ga  (19).  Bei 
Preseren  ist  die  Erweichung  die  Regel,  die  bis  jetzt  alle  Herausgeber  aner- 
kannten. Auch  bei  Askerc  ist  die  Aenderung  augenscheinlich  nur  durch  ein 
Versehen  geschehen,  das  wahrscheinlich  auch  an  dem  beibehaltenen  casten 
(140)  für  cascen  ^-on  castiti  oder  cestiti;  bei  Levstik  cesci-n  und  spnjstenim 
(222)  die  Schuld  trägt,  da  S.  llfi  das  Preseren'sche  vkroten  von  krotiti  richtig 
in  vkrocen  corrigirt  ist.  Von  dem  neuen  Herausgeber  rührt  auch  die  Correctur 
in  der  Romanze  Heere  svdt  (39)  her:  Dökler  se  napoci  z6r, 
wo  er  das  »se«  durch  »ne«  ersetzte.  Er  kann  sich  dabei  auf  solche  Stellen 
bei  Preseren  selbst  berufen,  wie  in  Licova  strelci  'lOl,: 

Dezela  Je  prOsta,  nap6cil  je  dän 
und  in  Ki-st  pri  Savici  ,228; :  Vesele  zmage  dän  nam  ne  napoci, 
wo  napoci  ohne  se  vorkommt,  und  für  das  dokler  mit  neauf  die  Verse  in 
i^märna  göra  (81]: 

Dokler  zjütraj  ne  zapOje 

V  cäst  Marije  zvön  glasän 
und  daselbst  (83; :  Dökler  ne  docäka  dueva. 

Es  kommt  daneben  aber  auch  dokler  da  vor,  oder  wie  Preseren  es  schrieb 
dökler  de,  vgl.  ürglar  '72, :  Dökler  da  bö  v  grobu  vtihnil, 
Pfva  Ijubezen  (130):  Dokler  da  je  src6  dobilo  räno. 

Unrichtig  aber  rechnet  Askerc  in  seiner   Selbstanzeige  unter  »krive 
koncnice  participov  die  Form  cvetec,  anstatt  des  heutigen  cvetöc:  hier  han- 
delt es  sich  nicht  um  das  Particip,  sondern  um  die  Conjugation,  da  bei 
Preseren  neben  cvesti  auch  cveteti  vorkommt,  und  das  letztere  sogar  häufiger. 
Schauen  wir  uns  die  einzelnen  Beispiele  nach  der  ersten  Ausgabe  an: 
Strunam  5  =  5  neuer  Ausgabe :  Käk  oblicje  nje  cvetece    R.  vlece), 
Dekl6tom  7  =  6  u.  7  :  Rözice  cvetö  vesele, 
daselbst:       Ki  cvetu  ji  zläte  leta, 
Posnja  10  =  9:  Ni  rözam  mär  cvetet'  (R.  pet';, 
Zgubljßna  vera  19  =  15:  Cvetejo,  ko  so  pred  cvetle, 
Turjäska  Rozaniünda  46  =  45:  Täk  cvetece,  täk  slovece, 
Ji'idovsko  dekle  50  =  47:  Vec  lepih  d6klic  v  nj6m  cvete, 
daselbst  51  =  48  :  Tarn  lepe  rözice  cvetö  (R.  pojö  und  pasö), 
Pfva  Ijubezen  105  =  131:  Cvet^cih  deklic  näj  ne  ogledüje, 
Gazelle  (4)  120  =  154:    Dökler  ne  cvete  se  röza,  so  v  casti  pri  näs  viöl'ce, 
daselbst:       AI  kar  ti  cvetes  med  njimi, 
Sonett  Vrh  sölnca  sije  sölncev  cela  ceda  128  =  162: 

Räd  vgledüjem  väs,  cvetece  licne, 


ß50  Kritischer  Anzeiger. 

Son.  3,  4  und  15  des  Sonettenkranzes  135  =  169,  136  =  170,  147  =  181 : 

Mokrocvet^ce  röz'ce  poezije, 
Son.  12  daselbst  144  =  178: 

AI,  ak  V  gredice  vrta  jih  zeiene 

Kdo  presadi,  cvetejo  k6j  veselo, 
Ktst  pri  Savici  177  =  216: 

Naj  pevec  drüg  vam  sr^co  popisüje, 

Ki  celo  leto  je  cvetlä  ob6ma, 
daselbst  181  =220: 

Kar  gl^dam  spet  v  oblicje  ti  cvetece  (R.  nesrece  und  preoblece  , 
aus  den  uugedruckten  Gedichten:  Svarilo  20  neuer  Ausg. : 

Ondän  si  zacela 

Otrök  pred  cvetet'  (R.  deklet], 
Vso  sreco  ti  zelim  22 : 

Ko  pa  obräcas  prec 

Naläsc  obraz  cvet^c, 
wie  diese  Verse  von  Pintar  199  gedruckt  wurden.  Von  diesen  19  Beispielen 
gehören  zu  cvesti :  cveto  (3  mal),  cvetle,  cvete  (2  mal),  cvetlä,  cvetes  und  dazu 
kann  auch  das  2  mal  vorkommende  cvetejo  gehören,  gebildet  durch  die  Ana- 
logie nach  cvetemo,  cvetete,  anstatt  des  etymologisch  richtigen  cvetö  (von 
cveteti  wäre  cvetejo;  vgl.  in  demselben  Sonett  rastejo,  anstatt  rastö,  in  Nova 
pisarija  98  zmajejo,  anst.  zmajö,  in  Kist  pri  Savici  191  umrjejo  anst.  umrö). 
Die  übrigen  Beispiele  —  zwei  Infinitive  cvetet'  und  7  Participien  cvetec  — 
sind  nach  goreti-gorec,  sloveti-slovec,  hrepeneti-hrepenec  u.  s.  w.  gebildet, 
jedoch  ohne  die  entsprechenden  Formen  in  der  l.Pers.  sing,  von  der  Art  wie 
gorim,  slovim,  hrepeuim;  man  könnte  aber  auch  cvetejo  hierher  rechnen,  weil 
Preseren  von  späti-spim,  zeleti-zelim  in  der  3.  Pers.  plur.  nicht  spijo,  zelijo, 
bildete,  wie  sehr  häufig  gesprochen  wird  anstatt  des  älteren  spe,  zele  (diese 
beiden  Formen  kommen  bei  unserem  Dichter  zwar  auch  vor,  vgl.  Povodnji 
möz  bei  Ask.  55  und  Zenska  zvestoba  67),  sondern  spejo,  zelejo  (S.  11  seiner 
Ausgabe)  und  sogar  pogubejo  (95)  für  das  richtige  pogubijo,  oder  pogube. 
Es  kommen  also  10  Fälle  richtiger  Conjugation  auf  9  unrichtiger,  von  den 
letzteren  sind  4  Fälle  durch  den  Reim  so  gesichert,  dass  sie  von  den  Heraus- 
gebern nicht  geändert  werden  konnten.  Nur  in  einem  Reim  war  die  Aende- 
rung  möglich,  weil  das  gereimte  Wörtchen  prec  jetzt  pröc  geschrieben  wird. 
Auch  entging  nicht  der  corrigirenden  Hand  des  neuen  Redakteurs  das  von 
Levstik  (83)  nicht  angerührte  Particip  cvetece  in  Turjäska  Rozamünda: 

Täk  cvetece,  täk  slov6ce, 
wodurch  der  schöne,  ausdrucksvolle  innere  Reim  verloren  ging.  Pintar  än- 
derte nach  dem  Beispiele  Levstik's  überall  dort,  wo  es  ging,  das  -e  der  neu- 
tralen Adjektive  pl.  in  -a,  das  locale  -i  in  -u  u.  s.  w.,  Hess  aber  das  thema- 
tische -e-  des  Verbums  cveteti  sogar  ausserhalb  der  Reime  stehen  und  schlug 
so  nach  meiner  Meinung  den  richtigsten  Weg  ein.  Er  rührte  auch  das  derecih 
in  Povodnji  moz  S.  69  fderocih  bei  Levstik  102,  bei  Askerc  55)  nicht  an,  ver- 
muthlich  wegen  der  letzten  Verse  dieser  Ballade : 


Preseren's  Dichtungen,  herausg.  von  Askerc,  angez.  von  Korsch.     651 

Vrtinec  so  vid'li  colnärji  derec, 
AI  Ursike  videl  nobeden  ni  vec. 

Uebrigens  verschonte  er  auch  Säve  derece  in  der  Elegie  auf  den  Tod  Cop's  94 
(deroce  bei  Levstik  123,  bei  Askerc  ll"). 

Da  schon  von  Participien  die  Rede  ist,  mache  ich  noch  auf  den  Vers  in 
V  spomin  Matija  Cöpa  anfiuerksam.  welcher  bei  Preseren  lautet  '95  : 

Komej  zastiivil,  rojäk,  si  pero  pred  praznuvajuce, 
also  mit  dem  falschgebildeten  Particip  von  praznuväti,  oder  nach  der  heutigen 
Schriftsprache,  praznoväti.    Levstik  (123)  änderte  es  nicht,  Pintar  f94)  corri- 
girte  nur  u  in  o,  Askerc  machte  daraus  popred  praznujoce.    Dieselbe  Conju- 
gation  wurde  von  Askerc  auch  in  Glösa  (134   corrigirt: 

In  kupujte  si  gradove 
für  das  im  Original  stehende : 

Kupuväjte  si  gradove  (109;. 
Da  keine  anderen  unverbesserlichen  Beispiele  solcher  Art  vorkommen,  so  ist 
gegen  eine  solche  Correctur  in  einer  populären  Ausgabe  nichts  einzuwenden. 

Die  Form  potrt  bei  Askerc  14  i anstatt  podprt)  wird  wahrscheinlich  ein 
Druckfehler  sein,  deren  es  in  der  neuen  Ausgabe  noch  mehr  gibt,  als  sie  der 
Kedactenr  in  seiner  Selbstanzeige  anführt.  So  fehlt  im  zweiten  Vers  des 
Motto  ein  Beistrich,  im  ersten  Vers  des  Xeiztrohnelo  srce  58  steht  vanga  statt 
vanjga,  im  Sonett  S.  191,  letzter  Vers  lesen  wir  obupu  statt  obupa  und  im 
vorletzten  Vers  des  Sonettes  S.  205  trepece  statt  trpece.  Hinsichtlich  der 
Interpunktion  kann  man  hinweisen  auf  den  überflüssigen  Beistrich  134,  V.  8 
von  oben,  auf  den  fehlenden  Beistrich  143,  V.  2  von  unten  und  205,  V.  3  von 
unten,  auf  den  felilenden  Punkt  144,  V.  6  von  oben  (nach  prelije),  auf  das 
überflüssige  erste)  ni  153,  V.  13  von  unten,  auf  den  Punkt  anstatt  des  Strich- 
punktes oder  Striches  163,  V.  4  und  S  von  oben  und  auf  den  Punkt  anstatt 
des  Beistriches  171,  V.  4  und  8  von  oben.  Aus  Pintar  ;219,  228;  stammen  die 
Varianten  kasarna  88,  V.  7  von  oben  und  kosarn  143,  V.  5  von  unten. 

Jedoch  die  Fehler,  die  ich  anführte,  rühren  grösstentheils  vom  Ueber- 
sehen  her,  oder  sind  einfach  Fehler,  an  denen  die  Druckerei  die  Schuld  trügt. 
Zu  solchen  sind  augenscheinlich  auch  die  Formen  pratka  1S3  statt  prat'ka) 
und  umgekehrt  Rus'njak  139  (statt  Rusnjak  zu  rechnen,  wie  auch  die  unge- 
schickte Theilung  der  langen  Verse  S.  117,  154,  155.  Von  der  Stropheneiu- 
theilung  der  Terzinen  in  Nova  pisarija  122 — 129,  die  nach  dem  Beispiel  des 
Dichters  von  Levstik  und  Pintar  beibehalten  wurde,  sah  offenbar  der  Heraus- 
geber selber  ab,  hingegen  wurde  eine  solche  Theilung  in  .länezu  N.  Hra- 
deckemu  und  Kist  pri  Savici   Einleitunjr)  von  ihm  zuerst  eingeführt. 

Um  also  den  Text  Preseren's  dem  heutigen  Geschmacke  anzupassen, 
wurden  auch  in  der  neuesten  Ausgabe  manche  Aenderungen  vorgenommen, 
deren  einige  sogar  die  Form  verletzten.  Trotzdem  ist  noch  etwas  geblieben, 
was  einen  aufmerksamen  Leser  unangenehm  berührt.  Es  sind  dies  drei 
fehlende  Doppelsilben  im  zehnten  Vers  der  dritten  Gazelle  S.  153  pläha?j, 
im  dritten  der  sechsten  S.  156   (mil'ga?    und   im   vorletzten  des   Sonettes 


652  Kritischer  Anzeiger. 

Sanjälo  se  mi  je.  da  v  svetem  räji  S.  183  (takö  ?],  ein  ausgelassener  Vers  in  der 
Ballade  Turjaska  Kozamunda  S.  46  vor  dem  Vers: 

Eästi  in  podöbe  räjske 
und  in  dem  Gedicht  Od  zidanja  cerkve  na  Smärui  guri  S.  80  vor 

Zapi-to  zene  je  telö, 
vgl.  darüber  meinen  Aufsatz  im  Presernov-Album  S.  808,  auf  den  ich  mich 
nur  deswegen  berufe,  weil  ich  bei  keinem  Erforscher  und  Herausgeber  der 
Gedichte  Preseren's  Hinweisungen  auf  diese  Auslassungen  gefunden  habei). 
Dass  solche  Auslassungen  vorkommen  können,  beweist  die  Aufschrift  Napis 
na  Linhartovem  gröbu,  deren  dritter  und  vierter  Vers  zuerst  von  Levstik  in 
metrisch  unzulänglicher  Fassung  abgedruckt  wurden : 

Komi'i  Maticek,  hei  zupana, 

Ki  mar'  mu  je  slovenstva,  nista  znana? 
Dafür  lesen  wir  jetzt  bei  Pintar  und  Askerc  den  rhythmisch  richtigen  dritten 
Vers,  wie  folgt : 

Komü  Maticek,  Mic'ka,  hei  zupana. 
Zum  Schlüsse  muss  ich  noch  bemerken,  dass  alles  dies,  was  ich  zur 
Askerc'schen  Ausgabe  Preseren's  bemerkt  habe,  Ansichten  eines  nicht  unter 
den  Slovenen  lebenden  Russen  und  Philologen  sind,  der  sich  mit  Preseren 
eingehend  beschäftigt  hat.  Davon  kommt  es,  dass  ich  hie  ixnd  da  mit  dem 
Herausgeber  nicht  übereinstimme,  obwohl  er  im  oben  erwähnten  Aufsatz 
selber  zugibt,  dass  er  sich  meine  Ansichten  über  populäre  Dichterausgaben 
zur  Richtschnur  genommen  hat.  Es  ist  zu  hoffen,  dass  der  Ausgabe  Askerc's 
dieselbe  grosse  Bedeutung  zutheil  sein  wird,  wie  der  Levstik's,  welche  die 
Kenntniss  der  Preseren'schen  Muse  unter  die  weitesten  Volksschichten  ver- 
breitet hat.  Sie  verdient  dies  umsomehr,  als  sie  einen  bedeutend  reineren 
und  zum  ersten  male  vollständigen  Text  darbietet.  Th.  Kors. 


11 


;  Es  sei  mir  gestattet  zu  bemerken,  dass  sich  der  vom  Herrn  Verfasser 
in  der  Turjaska  Eozamunda  vermisste  Vers  in  dem  ersten  Abdruck  dieser 
Ballade  in  Kranjska  Cebelica  III,  S.  9  wirklich  vorfindet  und  folgender- 
massen  lautet:     »Cerno-oko,  svitlo-licuo«. 

Ivan  Prijatelj 
(Uebersetzer  dieser  Anzeige  aus  dem  Russischen}. 


Kleine    Mittheilungen. 


Jan  von  Karlowicz  f. 

Die  polnische  Wissenschaft  ist  von  einem  schweren  Verluste  getroffen : 
aus  der  Mitte  gross  angelegter  Werke  heraus,  ist  Jan  von  Karlowicz  uns  ent- 
rissen worden;  es  war  ihm  nicht  mehr  yergünnt,  die  Frucht  vieljährigen, 
heissen  Bemühens  einzuheimsen. 

Jan  von  Karlowicz  entstammte  einem  altlitauischen  Geschlechte  — 
freute  es  ihn  doch,  der  selbst  in  Heidelberg  studirte,  seinen  (protestantischen) 
Vorfahren  im  XVII.  Jahrh.  in  derselben  Universitätsmatrikel  eingetragen  zu 
finden.  Geboren  am  26.  Mai  1 836  in  Suborto wicze  bei  Merecz  (Gouv. Wiino  ,  be- 
suchte er  nach  Absolvirung  des  Wilnoer  Gymnasiums  die  Universität  Moskau 
(18.53 — 1857):  er  pflegte  mir  noch  manches  von  Granovskij,  von  Solovjev  u.a. 
zu  erzählen.  Er  studirte  Geschichte  und  setzte  seine  Studien  in  Berlin  fort, 
wo  er  auch  auf  Grund  der  Dissertation  De  Boleslai  I  bello  kijoviensi  1S65 
promovirte.  Von  1S67 — 1881  lebte  er  auf  seinem  Erbgut  Wiszoiew  Gouv. 
Wilno)  seinen  geliebten  ethnographischen,  philologischen,  folkloristischeu 
Studien,  neben  denen  noch  Musik  und  Musikwissenschaft  ihn  dauernd  fessel- 
ten: seine  musikalische  Veranlagung  vererbte  er  seinem  jüngeren  Sohne, 
einem  tüchtigen  Componisten.  1882 — 1887  brachte  er  wieder  im  Auslande 
zu,  in  Heidelberg  (bei  Cuno  Fischer),  Frag,  Dresden  u.  s.  w.,  theilnehmend  an 
den  Orientalistencongressen,  in  Bibliotheken  nach  polonica  forschend  (z.B.  in 
Leyden),  überall  persönliche  Beziehungen  anknüpfend,  so  suchte  er  mich  in 
Berlin  auf.  1S87  siedelte  er  für  immer  nach  Warschau  über,  wo  ihn  dann  der 
Tod  mitten  in  seinen  Arbeiten  ereilte. 

Er  hatte  unterdessen  die  Beschäftigung  mit  der  Geschichte  aufgegeben 
und  sich  ganz  sprachlichen  und  ethnographischen  Studien  gewidmet.  In  einer 
Anzahl  von  Aufsätzen  und  Abhandlungen,  die  im  Pami^tnik  fizjograficzny 
und  in  der  von  ihm  herausgegebenen  Wisla,  ausserdem  in  den  Abhandlungen 
der  Krakauer  Akademie,  in  den  Prace  Filologiczne,  in  unserem  Archiv  und 
sonst  erschienen  sind,  behandelte  er  sprachliches,  namentlich  onomastisches 
Material,  Volksetymologien  u.  dgl.;  mythologisches  auch  in  der  Grossen 
Warschauer  Encyklopädie,  deren  eifriger  Mitarbeiter  er  bis  zuletzt  verblieb; 
—  seine  letzten,  in  Lemberg  1902  und  1903  gehaltenen  öffentlichen  Vorträge 
gehörten  ebenfalls  diesem  Gebiete  an;  archäologisches  fz.  B.  Chata  polska. 
Studium  lingwistyczno-archeologiczne  1S84,;   ethnographisches  (z.B.  seine 


654  Kleine  Mittheilungen. 

»Probe  einer  Charakteristik  des  polnischen  Adels«  1883  u.  a.  —  hierher  ge- 
hören seine  eigenen  üebersetzungen  und  die  Erläuterungen,  die  er  fremden 
Uebersetzungen  beifügte,  Draper,  Tylor  u.  a. ;  publizirte  schliesslich  Texte, 
polnische  Frühdrucke  (Korczewski  rozraowy  1552  und  Mleko  duchowne  des 
Verger-Valdez  1556)  und  Handschriften. 

Das  Hauptgewicht  seiner  Forschungen  verlegte  er  auf  das  Studium 
volksthümlicher  Texte  und  Stoffe.  Eine  riesige,  alles  bis  1890  erschienene 
erschöpfende  Materialsammhmg  Hess  ihn  seinen  Slownik  gwar  polskich  un- 
ternehmen, von  dem  ihm  leider  nur  die  zwei  ersten  Bände  (A — K)  herauszu- 
geben beschieden  war  —  über  das  Werk  hat  Prof.Nehring  in  dieser  Zeitschrift 
berichtet :  die  Fülle  des  Materials  ist  eine  erstaunliche,  für  polnische  Dialek- 
tologie ist  zum  ersten  Male  die  umfassendste  Grundlage  geschaffen  worden. 
An  dem  grossen  Warschauer  Wörterbuch  der  poln.  Sprache  (jetzt  schon  im 
dritten  Bande,  15  Hefte,  bis  Nieskrowity  —  gediehen)  war  er  einer  der  eifrig- 
sten Mitarbeiter.  Daneben  publizirte  er  ein  besonderes  Wörterbuch  der  pol- 
nischen Fremdwörter  (mit  ihrer  Erklärung!,  das  jetzt  auch  im  Buchstaben  K 
unterbrochen  ist. 

In  allen  seinen  Forschungen  bewährte  Karlowicz  neben  umfassendem 
Wissen  einen  scharfen,  kritischen  Blick.  So  Hess  er  sich  z.B.  keinen  Augen- 
blick durch  Miklosich  täuschen,  er  vertrat  immer  die  —  wie  ich  heute  sehe, 
allein  richtige  —  Ansicht,  dass  das  Polnische  neben  ^  e  ein  u,  neben  g  ein  h 
sein  eigen  nennt  u.  dgl. ;  er  Hess  sich  ebensowenig  durch  die  Phantastik  einer 
»kaschubischen  Sprache«  blenden:  oft  habe  ich  mich  zu  seinen  Anschauungen 
schliesslich  bekehrt,  die  ich  anfangs  ablehnte.  Besonders  folgenreich  war 
seine  Thätigkeit  als  Herausgeber  der  Wisla.  In  meinen  Aufsätzen  (Polonica) 
habe  ich  öfters  hervorgehoben,  wie  seine  Wisla  Schule  gemacht  hat,  in  ihren 
Spuren  sich  die  Zivaja  Starina,  Cesky  Lid,  Lud  (in  Lemberg),  kleinrussische 
Publikationen  ähnlicher  Art  bewegten;  vor  allem  erhob  er  die  polnische 
Ethnographie,  die  bei  0.  Kolberg  u.  a.  über  Dilettantismus  kaum  herausge- 
kommen war,  auf  ein  modernes,  echt  wissenschaftliches  Niveau.  Hier  war 
auch  seine  persönliche  Anregung,  das  Aufwerfen  von  zahlreichen  Fragen  (im 
Kwestionariusz  der  Wisla),  das  Aufsuchen  undErmuntern  von  Lokalforschern, 
denen  er  seine  Unterstützung  in  jeglicher  Form  angedeihen  Hess,  die  Organi- 
sirung  eines  ethnographischen  Museums  u.  dgl.  von  ausserordentlicher  Bedeu- 
tung. Vermögend,  im  Besitze  einer  grossen  Bibliothek  —  was  für  War- 
schauer Verhältnisse  besonders  wichtig  ist;  ausserordentlich  liebenswürdig, 
gesellig;  für  alles  Gute  sich  begeisternd;  unermüdlich  im  Aufsuchen  neuer 
Quellen  und  Beziehungen;  mit  Rath  und  That  jedem  uneigennützig  bei- 
stehend —  wie  oft  appellirte  ich  an  sein  nie  versagendes  Wissen  —  war  er 
eines  der  wichtigsten  Glieder  jenes  Kreises  Warschauer  Privatgelehrten,  die 
in  Ermangelungjeglicher  Anstalt,  jeglicher  Organisation,  diesem  drückenden, 
alle  wissenschaftlichen  Bestrebungen  entsetzlich  lähmenden  Mangel  durch 
ihre  uneigennützige  und  rastlose  Hingabe  an  die  Sache  selbst  begegnen  und 
nach  Kräften  steuern.  Einer  der  bedeutendsten  und  besten  unter  ihnen  war 
eben  Karlowicz,  den  der  Tod  am  14.  Juni  1903  plötzlich  abrief.  Jeder,  der 
seine  Anregung,  Unterstützung,  litterarische,  gelehrte,  sogar  materielle,  ge- 


Kleine  Mittheilungen.  (355 

nossen  hat,  wird  seiner  stets  dankbar  gedenken;  auf  den  Blättern  polnischer 
Dialektologie.  Archäologie  und  Ethnographie  wird  sein  Name  immer  ver- 
zeichnet bleiben.  A.  Brückner. 


Danksagung. 

Beim  Abschluss  des  XXV.  Bandes  dieser  Zeitschrift  fühle  ich 
mich  zunächst  dem  Herrn  Verleger  gegenüber  für  die  besondere 
Ausstattung  dieses  «JubiUiumsbaudes«  zu  innigem  Dank  verpflich- 
tet. Zu  meiner  grossen  Freude  war  die  Theilnahme  der  alten 
Freunde  und  Mitarbeiter  dieser  Zeitschrift  aus  diesem  Anlasse  so 
allgemein,  dass  nicht  alle  Beiträge,  selbst  in  dem  um  einiges 
erweiterten  Band  untergebracht  werden  konnten.  Dies  veranlasst 
mich  zu  erklären,  dass  ich  noch  im  XXVI.  Band  einige  Abhand- 
lungen, die  für  den  Jubiläumsband  bestimmt  waren,  aber  nicht 
rechtzeitig  eingesendet  oder  aus  Raummangel  bisher  noch  nicht 
gedruckt  werden  konnten,  in  gleicher  Weise  illustrirt  nachliefera 
werde.  Für  diese  rege  Betheiligung  sage  ich  allen  Freunden  dieser 
Zeitschrift  meinen  tiefgefühlten  Dank. 

Abbazia,  26.  Juli  1903. 

V.  Jagic. 


Sachregister. 


Accentverschiebungea  425  ff. 

Achrid;i,Patnarchat,  Geschichte  468  ff. 

Alexandreis,  slavische,  vom  J.  1389, 
157. 

Alterthumskunde,  slavische,  136  ff. ; 
i5;afai'ik  139;  Niederle  140  ff.;  Ur- 
heimath  der  Slaven  143;  Methodik 
der  Alterthumskunde  (Boguslaw- 
ski)  145  ft\;  südslavische  ^Yande- 
rungen,  Geschichte  307  ff. 

Amphilog's  Vision,  Quelle  und  Ver- 
breitung, 101  ff'. 

Anlaut,  vocalischer,  im  Slav.  187. 

Anthologie,  serbokroatische,  150  f. 

Apocalypse  des  Radosav  20 — 36. 

Apokryphe,  s.  Protoevangelium;  Am- 
philog;  Fragen  und  Antworten. 

Belbogx  in  der  Mythologie  66  ff, 
Beseda  trech  svjatitelej  s.  Fragen. 
Bibliographisches,  vgl.  Polnisch  etc. ; 

.Jovan  Malesevac  und  slav.  Drucke 

463  ff. ;  Cetinjer  Oktoich  von  1494, 

628  ff. 
Bibliomantik  239  ff. 
Bogomilenbüchlein  20  ff.;  allegorische 

Deutungen  der  Schrift  612  f. 
Breviarium,  glagolitisches  von  1379  in 

Eom  7  ff. 

Comparativ  litau.  auf  esnis  362,  364. 

Cyriirs  Legende,  kritische  Bemerkun- 
gen, die  arabische  Mission  546  ff. 

Cyrillische  Ligaturschrift  l(i9  ff.;  bei 
Südslaven  112  ff.,  Eussen  115  ff'.,  in 
Litauen  1 17,  Pskov  etc.,  die  Pomo- 
ranische  125  ff. 

Dialectologie,  s.Krasovaner ;  aus  Vrnci 
in  Serbien  212  ff.;  s.  Tobolsk;  s. 
Kleinrussisch;  polnisch  dialecti- 
sches  Wörterbuch  130  ff. ;  von  der 
böhmisch-polnischen  Sprachgrenze 
392  ff. 

Donau  142  f. 

eu   im  Slavischen    und    Litauischen 

488  f. 


Falsificate;  die  Veda  Siovena  580  ff. 
Fragen  und  Antworten  (Beseda,,  neuer 

Text  ders.  611  ff. 
Futurum,  litauisches,  480  f.;  das  fut. 

der  verba  perfectiva  554  ff. 

Gaunersprachen  100. 

Genetiv  sing,  der  o- Stämme  478. 

GogoFs  Stellung  in  der  russischen  Li- 
teratur 290  ff. 

Gregorios  Dekapolites  und  seine  Le- 
gende 103  ff. 

Handschriften,  slavische  in  Rom,  Be- 
schreibung ausgewählter  1  ff. ;  Zo- 
graphoshandschrift  d.  XVIL  Jahrh., 
Beschreibung  613  ff. 

Hehuold's  mythologische  Angaben 
66  ff. 

Ilja  von  Murom  und  Ilias  von  Reuszen 
'440  ff.,  Oleg's  Vermittelung  epischer 
Motive  449  f. 

Illyrisraus,  zur  Geschichte  dess.  317. 

Imperfect,  altböhmisehes,  Bedeutung 
und  Gebrauch  341  ff. 

Inschriften  und  Nachschriften,  serbi- 
sche, 1186—1700,  Ausgabe  152  ff. 

Instrumental,  zum  Gebrauch  dess.  im 
Nordserb.  und  Sloveu.  564  ff. 

Johannes  von  Damaskus  und  sein 
Werk  48  ff. 

Johannes  der  Exarch  als  Uebersetzer 
48  ff. 

Kleinrussisch,  Verlust  der  Palatalisa- 
tion  vor  e  und  i  222  ff. ;  ähnlich  im 
Polabischen  237  f.,  s.  Dialectologie; 
Liquidametathese  u.  s.  w. 

Knäsen,  rumänische,  Bedeutung  der- 
selben 522  ff. 

Krasovaner  in  Südungarn,  Sprache  u. 
Herkunft  161  ff'.;  keine  Bulgaren; 
Texte  164  ff.,  Familiennamen  169. 

Kroatische  Literatur,  ihre  Wieder- 
geburt 315  ff.,  keine  messianisti- 
schen  Elemente. 


Sachregister. 


657 


Kurzformen  im  Slavischen  mol,  pry 
etc.)  48ü. 

Leo  der  Weise  244. 

Liquidametathese  im  Slavischen  (tort 
U.S.W.)  182  ff. ;  in  den  l^inzeispra- 
chen,  polabisch  197,  kaszubisch  201, 
nordserbisch  205,  russisch  2(lS. 

Litauisch,  s.  Futurum ;  Präsensbildun- 
gen ;  Comparativ ;  Optativ ;  Neutrum. 

Metrik  des  Gundulic  2.50  ff.,  Schlüsse 
289. 

Missale,  glagolitisches,  6  f. 

Moses  von  Chorene  und  seine  Geogra- 
phie 312  f. 

Nekrologe,  W.  Wollner  öuO;  J.  Karlo- 

wicz  644  ff". 
Neuslovenisch,   s.  Preseren;    Syntax 

u.  a. 
Neutrum  im  Litauischen  482,  499. 

Oktoich,  alter  Druck  628  ff". 
Optativ,  litauischer  4S5  ff". 

Peutinger's  Tafel  309. 

Philologie,  zur  Geschichte  der  slavi- 
schen, t)21  ff. 

Pluralbildung,  nominale,  im  Serbischen 
135  f. 

Polnisch,  Literaturbericht  74  ff.  (mittel- 
alterliche und  neuere  Texte,  mo- 
derne Literatur,  grammatisches  und 
lexicalisches,  bibliographisches) ; 
dialektisches  Wörterbuch  13ü  ff., 
Nasalvocale  219  ff. 

Praesensbildungen,  slavische  und  li- 
tauische, 473  ff. 

Preseren,  Gesammtausgabe ;  seine 
Sprache  und  Metrik  637  ff. 

Protoevangelium  Jacobi,  Fragment, 
36  ff. 

Eagusa,  seine  mittelalterliche  Kanzlei, 
die  lateinische  501  ff".;  in  Cattaro 
und  anderswo  519  f. 


Ribanje  des  Ilektorovic,  Sachliches 
u.  sprachliche  Erläuterungen  429  ff., 
sein  Realismus. 

Russisch,  S.Gogol;  Cyrillische  Schrift; 
Dialectologie ;  llja  Muromec ;  Volks- 
epik u.  s.  w. 

Serbokroatisch,  s.  Inschriften ;  Metrik ; 
Anthologie;  Krasovaner;  Biblio- 
graphie; Illyrisnius;  Riltauje  u.s.  w.; 
zur  Geschichte  der  städtischen  Nie-  . 
derlassungen  auf  dem  Balkan,  Ver- 
schiedenheit d.  Entwiokelung  321  ff. 

Slavische  Wanderungen,  zu  ihrer  Ge- 
schichte 307  ff. ;  Südslaven  auf  dem 
Balkan  321  ff. 

Slovenisch,  s.  Instrumental;  A^erba 
u.  s.  w. 

Suffixe,  -yni  355  ff.,  -y  356  f. 

Syntax,  s.  Instrumental;  Verba  per- 
fectiva;  Imperfect. 

Uebersetzung,  dos  Protoevangeliums, 
Textvergleichung  40  ff.;  Ueber- 
setzungskunst  Jobannes  des  Exar- 
chen 48  ff". ;  griechische  Artikel- 
constructionen  in  der  altsloveni- 
schen  Uebersetzung  des  Psalters 
366  ff.;  vgl.  Vulgata. 

Veda  Slovena,  Geschichte  der  Ueber- 
lieferung;  Kritik;  der  Fälscher  Go- 
loganov  580  ff. 

Venzel's  officium,  glagolitisches  11  — 
20;  Text  und  Bemerkungen. 

Verba  perfectiva  und  imperfectiva  im 
Slovenischen  554  ff.;  s.  Praesens- 
bildungen; vgl.  Litauisch. 

Volkst'pik,  typische  Zahlen  derselben 
im  Russischen  452  ff. 

Volksetymologie,  russische,  bulgari- 
sche und  böhmische  Beispiele  etc. 
(zubalo  und  p^teka)  569  ff. ;  polnische 
(mali)  160. 

Vulgata,  angeblicher  Einfluss  auf  alt- 
slov.  Uebersetzung  366  ff. 


Abicht  90. 
Albinus  87. 
Alter  3. 

Araphilochius  21. 
Amphilog  101  ff. 
Annin  skij  314. 


Namenregister. 

Asböth  506—579. 
Askerc  638  ff. 

Bartos  404  f. 
Baudouin  de  Courtenay 
201  ff. 


Belcikowski  80. 
Benett  600. 
Bercic  5,  8. 
Berneker  473-499. 
Bezzenberger  480  f. 
Biegeleisen  74  f. 


658 


Namenregister. 


Birkowski  81. 
Bobrov  1 58  f. 
Bobrowski  1  f. 
Bodjanskij  49,  (')'24. 
Bogdan  520  -  5-13. 
Boguslawski  145  ff. 
Brandt  439. 
Broch  425. 
Bronisch  204. 
Brückner  74—101,    149, 

204. 
Brugmann  363,  479  f, 
Buj;enhagen  H9  f. 
Burnouf  583  ff. 

Canestrini  435. 
Chalanskij  440—451. 
Chmielowski  74  f. 
Chodzko  589  f.,  594  f. 
Chrzanowski  70. 
Cranzins  «9. 
Criegern  81. 
Crncic  2,  5  ff. 
Cyrill  544—553. 
Czirbusz  169,  174. 
Czörnig  173  f. 
Czubek  8s. 
Czuczyiiski  90. 

Diehl  329,  333. 
Dobrovsky  3,  144,  172. 
Doderlein  435. 
Dozon  583  ff. 
Drinov  174,  593. 
Dumont  584. 

Eckhardt  71. 
Ehrle  1. 
Estreicher  76. 

Federowski  99. 
Fermendzin  175. 
Fijalek  77,  91. 
Finkel  78,  82. 
Fligier  597. 
Fortunat9vl87,  205,  211, 

425,  474,  478  f. 
Frecskay  575. 
Frenzel  71  f. 

Gadon  96. 
Gaj  319. 

Galatovskij  108. 
Gauthiot  425. 
Gebauer  341—354. 
Geitler  360,  595  f. 
Geizer  468  ff. 


Gerlach  471. 
Gjalski  319. 
Gloger  83. 
Gogol  290  ff. 
Gologanov  587  ff. 
Golubinskij  471  f. 
Gregorios  Dekapolites 

103  ff. 
Grozdic  172. 
Gundulid  250—289. 

Hanusz  427. 
Hasdeu  541. 
Heck  88. 

Hektorovid  429  ff. 
Helmold  66  ff. 
Henrychowski  73. 
Hirschberg  90. 
Hirt  478. 
Hornik  567. 

Jacimirskij  32. 

Jagic  1—47,  136—145, 
149,  156,  159,  451,  465 
—467,  564,  593,  600, 
627,  628—637,  655. 

Jaworski  Tad.  90. 

Jaworskij  Jul.  100. 

Jensen  4,  429—439. 

JirecekC.  157 f.,  467.501, 
.  518,  591  ff. 

Jirecek  Jos.  590  f. 

Johannes  der  Exarch 
48  ff. 

Johansson  478. 

Kallenbach  77,  95. 
Kalu^niacki  101—108. 
Kanitz  175. 
Karlowicz   97  f.,    130  ff., 

160,  219  ff.,  653  ff. 
Karaman  9. 
Kirpicnikov  440. 
Kochanowski  Piotr  78. 
Kochowski  88. 
Kocubinskij  621— 627. 
Konstantinov  605. 
Kopitar  625. 
Kors  637—652. 
Krasinski  77,  95,  320. 
Krasnoselcow  2,  611. 
Kraushar  96. 
Krynski  97  f. 
Kukiiljevic  4  f. 
Kulakovskij  317. 
Kyprian  (metropolit) 

115  f. 


Lamanskij  544—5^3, 599. 
Landau  100,  131. 
Lavrov  39. 
Lazecnikov  158, 
Leger  591  f. 

Leskien48— 66,  207,  500. 
Levstik  640  ff. 
Liebsch  565  ff. 

Mahan  178  f. 
Mai  1  ff. 

Maksimovic  150  f. 
Malinowski   99,    131  f., 

392. 
Maretid  452—462. 
Marulic  439. 
Mazanowski  95. 
Mazuranic  320. 
Mazurkiewicz  94. 
Meillet  425—429. 
Melchisedek  541. 
Melich  574. 
Meltzl  597. 
Mesic  9. 
Metelko  563. 
Miaskowski  89. 
Mickiewicz  76,  86. 
Mikkola  208  ff.,  499. 
Miklosichl73,555f.,558, 

565  f..  569  ff.,  578, 621  ff. 
Miletic  161—181. 
Miller  Vsev.  598  f. 
Milojevic  595. 
Mucke  207. 
Miillenhoff  307,  440. 
Music  561  f. 
Musicki  628. 

Nachtigall  611. 

Nehring6Ö— 73,77,130— 
135. 

Niederle  136  ff.,  145—149, 
307—316. 

Novakovic  321—340. 

Nunzio  De,  3. 

Oblak  573. 
Obolenskij  624. 
Obrenovic  Michael,  Fürst 
625  f. 

Pachomios  Logothetes 

115. 
Paprocki  78. 
Parcic  5. 
Passendorfer  98. 
Pastrnek  366—391. 


WoitreKister. 


659 


Pazdanowski  90. 
Pedersen  425  f. 
Pelikan  342. 
Peretc  91. 
Petii  472. 
Petrovskij  429. 
Photius  5-30  f. 
Pini  94. 
Pintar  638  ff. 
Podhorszky  597. 
Polanski  230. 
Polivka  392—406. 
Popov  A.  49.  5S0. 
Popovite  542. 
Poriezinskij  473  ff. 
Potebnja  572. 
Preradovic  320, 
Preseren  637  ff. 
Prijatelj  150  f.,  652. 
Ptaszycki  80. 
Pyczküwski  81. 
Pypin  290  —  306,  593  f., 
598. 

Racki  20,  30. 

Radrenko  611—621. 

Radonic  307,  468—473. 

Rakovski  595,  607. 

Ramuh  204. 

Rastic  272. 

Resetar  135  f.,  250—289 

426,  429. 
Rey  80  f. 
Rössler  307. 

Ruvarac  463—465,  470  f. 
Rydel  78. 


^achmatov  115,  222— 

238. 
Safarik  J.  P.  72,    138  ff., 

385,  621  ff.,  62S. 
Safarik  Janko  584. 
Äafarik  Vojtech  622  f. 
Saussure  425. 
Scepkin  32,  109—129. 
Sclileicher  197  ff. 
Schmidt   Job.   361,  478, 

48U,  482. 
Schwicker  173. 
Siraic  135  f. 
^isinanov  580—611. 
^krabec  554—564. 
Smolenski  92. 
Smolik  90. 
Solmsen  211. 
Speranskij  32,  152 — 156, 

239—249. 
Sponholz  72. 
.^repel  26. 

Sreznevskij  72,  627. 
Stasov  20. 
Ötojanovic  34,  152  ff.,  212 

—218,  62S  ff. 
ätrekelj  564—569. 
Syganski  93. 
Syrku  176,  610. 
Szlagowski  81. 
Szymonowic  (Simonides) 

88. 

Tafel  623. 
Tarnowski  75,  94. 


Taskov  611. 
Tetzner  406. 
Thalluezy  157. 
'rhuriieyseu  362. 
Torbiörnsson  182  ff. 
Towianski  94. 
Truhlar  87. 

Ujejski  94. 
Uljanov  425,  474. 

Valjavec  366. 
Vasiljev  549  f. 
Vazov  610. 

Wercliiatskij  4U7 — 124. 
Verkovic  580—611. 
Vetranic  439. 
Wiedemanu  362. 
Wierzbowski  79. 
Windakiewicz  89. 
Vodnik  626  f. 
Wollner  -  500. 
Vondräk4S,  182—211. 
Vostokov  622  f. 
Wrublewski  94. 
Vyhiidal  404  ff. 
Zäkrzewski  80. 
Zaleski  93. 
Zawilinski  98. 
Zbylitowski  90. 
Zdziarski  93. 
Zibrt  82  f. 
Zigabenus  612, 
Zubaty   355—365,    476, 

480. 
Zupitza  488, 


alnii  364. 
chobot  158  f, 
firieje  133. 
galamb  573. 
giera  134. 
jeszkoti  491. 
irä  482,  yra  484, 
iskati  491. 
judecie  541. 
kamy  188. 
kanjac  435. 


Wortregister. 

kolak  577  f, 
läncsa  573. 
lanka  573. 
mali  160. 
pas^  491. 
pisztrang  572  f. 
pobyt  158  f. 
pck  574. 
p.bteka  576  ff. 
potecä  577. 
rakonca  574. 


ros  niagy.  572. 

strogij  210. 

stryj  358. 

svekr-B  358  f. 

t^zalo  570. 

truchH  41. 

vataman  532. 

veszne  362. 

zabola  zabla  magy.570ff. 

zmbalec  569  ff. 

zubadlo  569  ff. 


Druck  Ton  Breitkopf  &  Härtel  in  Leipzig. 


Q 


BINDING  SECH 
m  1 4  t975 


PG 
1 

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